Gottesdienst in der Literatur
Entwurf einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft
1030
2023
978-3-7720-5788-5
978-3-7720-8788-2
A. Francke Verlag
Andreas Bieringer
10.24053/9783772057885
Liturgie und Leben driften immer weiter auseinander. Während die Bedeutung des Christentums massiv zurückgeht, sind Gottesdienste und kirchliche Rituale in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur äußerst präsent. Diese Konstellation greift A. Bieringer auf, indem er liturgischen Spuren bei P. Handke, H.-J. Ortheil, C. Ransmayr, A. Stadler, P. Morsbach und C. Lehnert nachgeht. Mit Hilfe poetischer Analysen legt er einen kultursensiblen Ansatz für die Liturgiewissenschaft vor, in dessen Mittelpunkt zentrale Begriffe wie Raum, Klang, Erfahrung, Körper und Wandlung stehen. Methodisch geht es um die Erschließung zeitgenössischer Literatur als Ort liturgiewissenschaftlicher Erkenntnis.
<?page no="0"?> ANDREAS BIERINGER Gottesdienst in der Literatur Entwurf einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft <?page no="1"?> Gottesdienst in der Literatur <?page no="2"?> PIETAS LITURGICA · STUDIA 2 6 Interdisziplinäre Beiträge zur Liturgiewissenschaft begründet von Hansjakob Becker herausgegeben von Ansgar Franz Die Reihe »Pietas Liturgica« erscheint in Zusammenarbeit mit »KULTUR - LITURGIE - SPIRITUALITÄT e. V.« Interdisziplinäre Vereinigung zur wissenschaftlichen Erforschung und Erschließung des christlichen Gottesdienstes <?page no="3"?> Andreas Bieringer Gottesdienst in der Literatur Entwurf einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783772057885 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1862-2704 ISBN 978-3-7720-8788-2 (Print) ISBN 978-3-7720-5788-5 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0240-3 (ePub) Umschlagabbildung: Kuppel des Pantheons (Santa Maria ad Martyres); Architas, CC BY-SA 4.0 <https: / / creativecommons.org/ licenses/ by-sa/ 4.0>, via Wikimedia Commons Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 11 1 13 2 19 3 23 3.1 23 3.2 28 4 35 5 41 45 1 47 1.1 52 1.2 58 1.3 59 1.4 64 1.5 66 2 71 2.1 78 Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antiliterarische Affekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literarische Wende am Zweiten Vatikanischen Konzil . . . . . . . . . . . . Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung . . . Balthasar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Cornehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielsetzung und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II Liturgische Spuren in der zeitgenössischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Sehnsucht nach dem unpersönlichen Zusammenhang oder die Wiederentdeckung der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgie als Schreib- und Lebensgestus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Der Große Fall“ - Liturgie als umfassende Wandlungserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wende zum Klassischen oder Freude durchwirkt von Schmerz Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung . . . . . . . . . . . . . „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 2.2 92 2.3 96 3 103 3.1 107 3.2 110 3.3 115 3.4 119 3.5 124 3.6 127 3.7 128 4 139 4.1 144 4.2 150 4.3 154 4.4 167 5 173 5.1 178 5.2 184 5.3 192 5.4 196 6 199 6.1 203 6.2 207 6.3 214 6.4 228 „Das Kind, das nicht fragte“ - Humane Umbesetzung der Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zwischen Langsamkeit und Gang an die Ränder . . . „Atlas eines ängstlichen Mannes“ - Zwischen Ritus und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Weißer Sonntag“ - Fest als Grundkategorie von Liturgie und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Trost der Betrübten“ - Literarische Madonnenverehrung über das Christentum hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Herzfeld“ - Itinerarium zwischen Ritus und Poesie . . . . . . . . „Die Ankunft“ - Auf der Suche nach den Urerfahrungen des Menschlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgie als verfallener Sehnsuchtsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgie als Verwerfungsstelle einer pervertierten Religion, die dennoch Glanz hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur als Liturgiekritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Gottesdiener“ - Literarische Seelsorge zwischen alter und neuer Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der lange Weg zwischen Liturgie und Leben . . . . . . . . . . . . . . Liturgie zwischen vorkonzilarer Ontologie und menschlicher Einlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anrufung des Gottesnamens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Suchendes Sprechen“ - Zur Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 231 1 233 1.1 234 1.2 239 1.3 242 2 249 2.1 249 2.2 255 2.3 259 3 267 3.1 268 3.2 272 3.3 279 4 285 4.1 287 4.2 292 4.3 295 307 1 309 2 315 2.1 315 2.2 318 2.3 321 2.4 323 327 1 329 III Vermittlung zwischen Literatur und Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenspiel von Raum, Klang, Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Hybride Räume der Transzendenz“ (Thomas Erne) . . . . . . . . Stille - Klang - Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stille als Resonanzerfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stilisiertes Sprechen und Singen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgie als umfassendes Klanggeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgie zwischen objektiver und subjektiver Erfahrung . . . . Selbsttranszendenz als Glaubenserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungen ermöglichen und deuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgische Gesten und Gebärden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eröffnungsritus im literarischen Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . Reinheit in Leben und Kult der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV Wandlung und Polarität als Grundprinzipien von Liturgie, Leben und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben . . . . . . . . . . . . . Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . Zeit und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsamkeit und Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nähe und Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgie und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liturgische, lehramtliche und biblische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 2 331 2.1 331 2.2 336 2.3 337 3 339 4 373 5 375 381 Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftstellerische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antike und mittelalterliche Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Danksagung Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2022 von der Katholisch- Theologischen Fakultät der Paris Lodron Universität Salzburg als Habilitati‐ onsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurde sie nochmals gründlich durchgesehen und teilweise ergänzt. Die Bearbeitung eines Habilitationsthemas abseits etablierter Themen erfordert neben etwas Mut und Durchhaltevermögen vor allem eine umsichtige Begleitung. Sie geht in meinem Fall vor allem auf zwei Personen zurück: Ich danke Alexander Zerfaß, Professor für Liturgiewissen‐ schaft und Sakramententheologie an der Universität Salzburg, der mir während des gesamten Arbeitsprozesses beratend zur Seite stand. Seine fachliche Exper‐ tise sowie seine zwischenmenschliche Umsicht waren mir stets Ansporn, die Arbeit trotz so mancher Schwierigkeiten zu einem guten Ende zu bringen. Mein besonderer Dank gilt darüber hinaus dem Benediktinermönch und langjährigem Professor in Rom, Elmar Salmann OSB. Schon während meines Dissertationss‐ tudiums weckte er mein Interesse für literarische Fragestellungen im Kontext der Liturgie. Von Anfang an begleitete er die Habilitation tatkräftig und teilte selbstlos sein reiches Wissen mit mir. Mehr noch als die inhaltlichen Gespräche prägte mich freilich sein origineller Stil, Glaube, Theologie und Leben fruchtbar aufeinander zu beziehen. Für die Erstellung der drei Gutachten sei Rudolf Pacik (Universität Salzburg), Ansgar Franz (Universität Mainz) und Isabella Guanzini (Katholische Privatuni‐ versität Linz) ebenfalls herzlich gedankt. Über die Aufnahme in die Reihe „Pietas Liturgica Studia“ freue ich mich und danke den beiden Herausgebern Ansgar Franz und Alexander Zerfaß. Danken möchte ich ferner meinen alltäglichen Begleitern und Begleiterinnen, die mir während des gesamten Arbeitsprozesses eine große Stütze waren: Dieter Böhler SJ, Franz Xaver Brandmayr, Jakob Deibl OSB, Bernhard A. Eckerstorfer OSB, Hans-Jürgen Feulner, Leopold Fürst OSB, Erich Garhammer, Alexander Löffler SJ, Claudia Jurt-Steiger, Benjamin Leven, Andreas Liebl, Erwin Rauscher, Hans Weyringer und Ansgar Wucherpfennig SJ. Als Rektor der Philosophisch- Theologischen Hochschule Sankt Georgen hielt mir Thomas Meckel während arbeitsintensiver Phasen stets den Rücken frei, sodass eine uneingeschränkte Arbeit an der Habilitation immer wieder möglich war. Für seine freundschaft‐ liche Begleitung und zahlreiche Hilfestellungen sei ihm daher ganz besonders gedankt. <?page no="10"?> Zwischen Familie und Arbeitsplatz suchte ich immer wieder Orte auf, die mir ein konzentriertes Arbeiten ermöglichten. Den Verantwortlichen des Klosters Gerleve und der römischen Benediktinerhochschule Sant’Anselmo gilt für ihre großzügige Gastfreundschaft ebenso mein Dank. Das Büchermachen ist eine eigene Kunst. Lisa Neubauer und Franz-Jakob Quirin gebührt mein Dank, da sie mit großer Sorgfalt und Verlässlichkeit den Band druckfertig machten. Dem Narr Francke Attempto Verlag, namentlich Herrn Stefan Selbmann, danke ich wiederum für die kompetente und reibungs‐ lose Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Für die Gewährung großzügiger Druckkostenzuschüsse bin ich den (Erz-)Bistümern Salzburg, Limburg und Linz, sowie der Stiftung der Hochschule Sankt Georgen von Herzen dankbar. Am Ende war es aber vor allem meine Frau Hanna, die mit ihrer Geduld und Unterstützung diese Arbeit ermöglichte. Ihr und unseren beiden Kindern Maximilian und Josefine ist dieses Buch gewidmet. 10 Danksagung <?page no="11"?> I Einleitung <?page no="13"?> 1 Da der Fokus dieser Arbeit auf liturgischen Zeugnissen in der zeitgenössischen Literatur liegt, verzichtet der Autor an dieser Stelle auf eine umfassende Darstellung des facetten‐ reichen Verhältnisses von Theologie und Literatur. In der Einleitung werden vielmehr einzelne Berührungspunkte beider Größen herausgegriffen, um in das eigentliche Thema der Arbeit einzuführen. Eine umfassende Übersicht zum spannungsreichen Verhältnis von Religion/ Theologie und Literatur findet sich u. a., in: G A R H A M M E R , Erich, Meridiane aus Wörtern. Theo-poetisches ABC, Würzburg 2021; D E R S ., Erzähl mir Gott. Theologie und Literatur auf Augenhöhe, Würzburg 2018; B R A U N G A R T , Wolfgang, Literatur und Religion in der Moderne. Studien, Paderborn 2016; W E I D N E R , Daniel (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016, hier bes. 2-25; L A N G E N H O R S T , Georg, „Ich gönne mir das Wort Gott“. Annäherungen an Gott in der Gegenwartsliteratur, Freiburg 2 2014; G A R H A M M E R , Erich, Zweifel im Dienst der Hoffnung. Poesie und Theologie, Würzburg 2011; T Ü C K , Jan-Heiner, Hintergrundgeräusche. Liebe, Tod und Trauer in der Gegenwartsliteratur, Ostfildern 2010, hier bes. 10-31; K U S C H E L , Karl-Josef, Art. Literatur. III. Literatur und Religion, in: LThK 3 6 (1997) 965 f.; S C H R Ö E R , Henning u.-a., Art. Literatur und Religion, in: TRE 21 (1991) 233-306. 2 Vgl. dazu u. a. die Einleitung von Jan-Heiner Tück, in: D E R S . - Tobias M A Y E R (Hgg.), Nah - und schwer zu fassen. Im Zwischenraum von Literatur und Religion, Freiburg i. Br. u.-a. Basel - Wien 2017, 9-24; D E R S ., Hintergrundgeräusche, 10-29. 3 Als pars pro toto sei hier etwa auf die „Confessiones“ von Augustinus verwiesen, die als autobiographischer Text heute selbst zur Weltliteratur gezählt werden. Vgl. dazu A U G U S T I N U S , Confessionum libri XIII, ed. Luc V E R H E I J E N (CCSL 27) Wien 2 1981. 4 Vgl. B A L T H A S A R , Hans Urs von, Theodramatik, Bd. 1. Prolegomena, Einsiedeln 1976, 81-120, der von einer geradezu „fanatischen Theaterfeindschaft der Kirchenväter“ spricht und für sein Urteil unzählige Zeugnisse aus der Patristik anführt. 1 Antiliterarische Affekte Jahrhundertelang hegte die Theologie Vorbehalte gegenüber profaner Literatur und dem Theater. 1 Von der Spätantike bis ins frühe 20. Jahrhundert stand für viele Theologen und Kirchenvertreter die weltliche Dichtung im Widerspruch zur göttlichen Offenbarung und wurde daher nicht selten als „lügnerische Erfindung“ abgewertet. Die Liste theologischer Autoren mit „antiliterarischem Affekt“ ist lang und reicht von Cyprian und Augustin über die mittelalterlichen Päpste bis hin zu Martin Luther oder Jacques Bossuet, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. 2 Paradoxerweise lehnten vor allem jene Theologen profane Literatur und das Theater ab, die selbst für ihr Schaffen auf literarische Formen zurückgriffen. 3 Ein frühes Beispiel für die ablehnende Haltung sind die bis heute geläufigen Invektiven Tertullians († um 220). Trotz seiner rhetorischen Bildung bezeichnete der Kirchenlehrer das Theater als lasterhaftes „Heidenspektakel“ und „Götzendienst“. 4 Für Tertullian war es ein Ausdruck des Teufels, dem jeder <?page no="14"?> 5 Mirja Kutzer bietet einen hilfreichen Überblick über die Topoi frühkirchlicher Theater- und Literaturkritik: D I E S ., In Wahrheit erfunden. Dichtung als Ort theologischer Erkenntnis (Ratio fidei 30), Regensburg 2006, 21-37; vgl. ferner B I N D E R , Gerhard, Pompa diaboli - Das Heidenspektakel und die Christenmoral, in: D E R S . - Bernd E F F E (Hgg.), Das antike Theater. Aspekte seiner Geschichte, Rezeption und Aktualität, Trier 1998, 115- 147; B A L T H A S A R , Theodramatik, 81-90; W E I S M A N N , Werner, Kirche und Schauspiele. Die Schauspiele im Urteil der lateinischen Kirchenväter unter besonderer Berücksichtigung von Augustin (Cassiciacum 27), Würzburg 1972. 6 Vgl. S C H U M A C H E R , Meinolf, Rupert von Deutz erzählt eine Fabel. Über Inkonsequenzen in der mittelalterlichen Kritik weltlicher Dichtung, in: Poetica 31 (1999) 81-99. 7 P H A E D R U S , Liber fabularum. Lateinisch und deutsch. Fabelbuch. Übersetzt von Friedrich Rückert und Otto Schönberger, hg. und erläutert von Otto S C H Ö N B E R G E R (Reclams Universal-Bibliothek 1144), Stuttgart 1995, 24. 8 P H A E D R U S , Liber fabularum, 25. Die wörtliche Übersetzung zu „iacuit“ ist allerdings „lag er da“. Christ in der Taufe abzuschwören hatte („diabolo et pompae et angelis eius renuntiare“). 5 Von einem mittelalterlichen Beispiel berichtet der Germanist Meinolf Schuhmacher. Im Apokalypse-Kommentar des Rupert von Deutz (†1129/ 30) findet sich eine bis heute bekannte Fabel, die das schwierige Verhältnis von Theologie und Literatur anschaulich macht. 6 An ihr lässt sich zeigen, warum die Theologie Dichtung lange Zeit ablehnte und welche Missverständnisse, ja Verwerfungen damit verbunden waren. Sie endet mit folgender Pointe: Rana rupta et bos Der zerplatzte Frosch und der Ochs Inops, potentem dum vult imitari, perit. ---In prato quondam rana conspexit bovem Et tacta invidia tantae magnitudinis Rugosam inflavit pellem: tum natos suos Interrogavit, an bove esset latior. Illi negarunt. Rursus intendit cutem Maiore nisu et simili quaesivit modo, Quis maior esset. Illi dixerunt bovem. Novissime indignata, dum vult validius Inflare sese, rupto iacuit corpore. 7 Ein-Armer,-der-dem-Reichen-nach‐ ahmt,-geht-zugrunde. ---Auf einer Weide sah ein Frosch einst einen Ochsen, Und, neidisch auf des Tieres majestät’‐ sche Größe, Bläht er die Haut. Darauf fragt er selbst‐ bewußt die Kinder, Ob er den Ochsen nicht an Größe überrage. Doch jene sagten: „Nein! “ Er mühte sich wieder ab, Die Haut zu dehnen, und tut dann dieselbe Frage, Wer größer wäre. Jene nannten ihm das Rind. Als er zuletzt in vollem Zorn noch ver‐ suchte, Sich mehr aufzublähen, stürzt’ er mit zerplatztem Körper. 8 14 1 Antiliterarische Affekte <?page no="15"?> 9 Das lateinische Original findet sich, in: R U P E R T U S T U I T I E N S I S , Commentaria in Apocal‐ ypsim, ed. Jean-Paul M I G N E (PL 169), Paris 1854, 827-1214. Die Übersetzung stammt von M. Schumacher: D E R S ., Rupert von Deutz erzählt eine Fabel, 84. 10 Vgl. Die kirchliche Theater- und Literaturkritik bewegte sich häufig in der Spur von Platons Dichtungskritik in der Politeia (III, X); zu Origenes und anderen Kirchenvätern vgl. K U T Z E R , In Wahrheit erfunden, 35-37. Niemand soll etwas vortäuschen, was er in Wirklichkeit nicht ist, lautet die Pointe. Die Fabel mahnt zudem, mit dem eigenen Geschick zufrieden zu sein und warnt vor Neid und Habsucht. Doch warum taucht gerade diese Fabel in einem mittelalterlichen Apokalypse-Kommentar auf ? Im 16. Kapitel der Offenbarung des Johannes ist von Fröschen die Rede: „Dann sah ich aus dem Maul des Drachen und aus dem Maul des Tieres und aus dem Maul des falschen Propheten drei unreine Geister hervorkommen, die wie Frösche aussahen.“ (Offb 16,13) Rupert erkennt in den Fröschen die weltlichen Dichter: „[…] ‚die Dichter, die Großes zu verkünden meinen, deren Erzählgegenstände aber aus bloßem Dreck bestehen und deren Größe nichts anderes als Aufgeblasenheit ist.‘ Auf sie passe jenes ‚Fabelchen Äsops‘ von einem, der sich zur Größe eines Ochsen aufblasen wollte, statt dessen [sic! ] aber zerplatzt.“ 9 Am Ende seines Kommentars fragt Rupert, wo sich die Dichter nun befänden, um sogleich mit einem Psalmenzitat zu antworten: „Periit memoria eorum cum sonitu, et Dominus eorum in aeternum permanet“ (Ps 9,7-8). Damit lässt er seinen Lesern bzw. Leserinnen keinen Zweifel, welchem Schicksal die Poeten anheimfallen. Schumacher weist in seinem Beitrag nach, dass Rupert bereits auf eine lange Tradition theologischer Froschdeutungen zurückgreifen konnte. Schon Origenes verband Platons Topos der lügenden Dichter mit dem Bild der aufge‐ blasenen und quakenden Frösche. 10 Zunächst verwundert die Heftigkeit, mit der Rupert in seinem Apokalypse-Kommentar gegen die weltlichen Dichter vorging, zumal es zu seinen Lebzeiten kaum weltliche Literatur gab, die man auf diese Weise hätte bekämpfen müssen. Hinter den Attacken wird Kritik an der christlichen Lesart („interpretatio christiana“) heidnischer Klassiker wie Homer, Ovid, Horaz oder Vergil vermutet. Für Rupert ging von der Dichtung eine Gefahr für das Seelenheil aus, wenn er die poetischen Erfindungen als geschwätzige Lügen abqualifizierte und sie zur Sünde erklärte. Dichter wurden mit solchen und ähnlichen Vergleichen in die Nähe von Schwätzern und Heuch‐ lern gerückt, wenn nicht gar von Ketzern. Es erstaunt aber auch, dass Rupert für sein vernichtendes Urteil ausgerechnet auf ein Stück weltliche Literatur zurückgriff. Schumacher mutmaßt, dass er die Dichter mit ihren eigenen Waffen 1 Antiliterarische Affekte 15 <?page no="16"?> 11 Vgl. S C H U M A C H E R , Rupert von Deutz erzählt eine Fabel, 97. 12 Vgl. dazu die noch immer lesenswerte Studie von A S S M A N , Aleida, Die Legitimität der Fiktion. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Kommunikation (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 55), München 1980. 13 Vgl. L E C L E R C Q , Jean, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittel‐ alters. Aus dem Französischen übertragen von Johannes und Nicole Stöber, Düsseldorf 1963. 14 Vgl. zum Verhältnis von Fiktionalität und Offenbarung S E I P , Jörg, Einander die Wahrheit hinüberreichen. Kriteriologische Verhältnisbestimmung von Literatur und Verkündigung (Dissertation an der Theologischen Fakultät Paderborn 2000/ 01 = SThPS 48), Würzburg 2002, hier bes. 154-313; K U T Z E R , In Wahrheit erfunden. 15 Vgl. B O S S A R T , Rolf, Die theologische Lesbarkeit von Literatur im 20. Jahrhundert. Studien zu einer verdrängten Hermeneutik (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 685), Würzburg 2009. schlagen wollte, indem er ihnen den Spiegel vorhielt. 11 Rupert verfügte über kein Verständnis von „literarischer Fiktionalität“ und setzte Fiktion (im Sinn einer poetischen „Erfindung“) mit Lüge gleich, eine christliche Hermeneutik profaner Dichtung lehnte er ab. 12 Spätestens seit Jean Leclercq wissen wir jedoch, dass es im Mittelalter sehr wohl Theologen gab, die es trotz der erwähnten Vorbehalte wagten, das poetische Erbe der Antike für die christliche Verkündigung nutzbar zu machen und damit der weltlichen Literatur einen Eigenwert zumaßen. 13 Auch wenn die Konkurrenz zwischen weltlicher Literatur und Offenbarung, wie sie bei Rupert offen zu Tage trat, mittlerweile obsolet geworden ist, gibt es auch in der zeitgenössischen Theologie Vorbehalte gegenüber profaner Literatur als theologischer Quelle. 14 Die Kritiker und Kritikerinnen mahnen an, dass trotz der vorhandenen Schnittmengen die Grenzen zwischen Fiktionalität und Offenbarung nicht unscharf werden dürfen. Ein rein poetisch konstruierter Gott oder ein fiktional gestalteter Christus würden im Nichts verlaufen. Bei aller historischen Engstirnigkeit, die mit den oben angedeuteten Einwänden gegen die profane Dichtung einherging, wollten schon die mittelalterlichen Theologen auf diese Differenz aufmerksam machen. Auf diesem Hintergrund will diese Untersuchung einen Beitrag zur theologischen bzw. liturgiewissenschaftlichen Lesbarkeit von moderner Literatur leisten. 15 Sie ist bemüht, die Grenzen beider Größen zu respektieren und simplen Vereinnahmungen aus dem Weg zu gehen, auch wenn das Verhältnis von Theologie und Literatur bis heute komplex ist: Die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass Religion und Literatur nicht mehr als zwei getrennte Größen wahrgenommen werden und Grenzen sich verschieben: „Literatur und Religion - das meint weder, dass es sich hier um zwei distinkte Bereiche handelt, die nebeneinanderstehen und sich gegenseitig ‚beeinflussen‘, noch geht es 16 1 Antiliterarische Affekte <?page no="17"?> 16 Vgl. W E I D N E R , Handbuch, Vorwort VIIf. (ausschließlich) um Religion in der Literatur, also um Religion als Thema oder Kontext von Literatur, noch um den ‚Beitrag‘ der Literatur(-wissenschaft). Vielmehr muss die enge Verflochtenheit und Durchdringung von Literatur und Religion deutlich werden.“ 16 Den hier genannten Anforderungen im Austausch von Literatur und Religion gerecht zu werden, ist im Rahmen einer liturgiewissenschaftlichen Untersu‐ chung kein leichtes Unterfangen, zumal die Liturgik noch kein spezifisches Instrumentarium entwickelt hat, wie sie mit den mannigfachen liturgischen Spuren in der Gegenwartsliteratur umgehen soll bzw. will. Die Arbeit muss daher zuerst aufzuzeigen, wo und in welchem Kontext liturgische Spuren in der deutschsprachigen Literatur sichtbar werden und welche Konsequenzen daraus für das Fach folgen. Trotz dieser Unsicherheit will sie sich auf die „enge Verflochtenheit und Durchdringung“ von Ritual und Literatur einlassen, indem sie die Schnittmengen zur Sprache bringt. 1 Antiliterarische Affekte 17 <?page no="19"?> 17 Vgl. zur Bedeutung von Hans Urs von Balthasar und Romano Guardini für das Verhältnis von Theologie und Literatur die Beiträge von L A N G E N H O R S T , Georg, Theolo‐ gische Beschäftigung mit der Literatur, in: Daniel W E I D N E R (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016, 17-25; D E R S ., Romano Guardini und die Literatur, in: StZ 229 (2011) 690-700; H A U P T , Sabine, Vom Geist zur Seele. Hans Urs von Balthasars theologisierte Geistesgeschichte im Kontext der zeitgenössischen Germanistik und am Beispiel seiner Novalis-Auslegung, in: Barbara H A L L E N S L E B E N - Guido V E R G A U W E N (Hgg.), Letzte Haltungen. Hans Urs von Balthasars „Apokalypse der deutschen Seele“ - neu gelesen (StOeFr 48), Freiburg/ Schweiz 2006, 40-62; F R Ü H W A L D , Wolfgang, Deutung des Daseins. Romano Guardinis Lektüre der Dichter, in: Franz H E N R I C H (Hg.), Romano Guardini. Christliche Weltanschauung und menschliche Existenz Regensburg 1999, 115-134. 18 Vgl. L A N G E N H O R S T , Theologische Beschäftigung mit Literatur, 19 f. Hier sei aber erwähnt, dass etwa Guardinis Arbeit über Dantes Divina Commedia jüngst wieder auf Interesse stieß. So griff Sibylle Lewitscharoff im Zuge ihrer Recherchen für den Roman „Das Pfingstwunder“ u.-a. auf Guardini zurück. 19 Vgl. dazu die bedenkenswerten Ausführungen von T Ü C K , Hintergrundgeräusche, 25-27. 2 Literarische Wende am Zweiten Vatikanischen Konzil Im 20. Jahrhundert änderte die katholische Theologie ihre Position gegenüber der profanen Literatur. Wesentliche Impulse für die neue Standortbestimmung gingen zunächst von Romano Guardini (1885-1968) und Hans-Urs von Balthasar (1905-1988) aus. 17 Auch wenn ihr literarisch inspiriertes Werk mittlerweile als überholt gilt, ist ihr Beitrag rückblickend dennoch zu würdigen. 18 So sehr sich ihr Zugriff auf Literatur auch unterschied, inhaltlich verband sie das Anliegen, die katholische Theologie nach der langen Periode der Neuscholastik in die Moderne zu führen. In der weltlichen Literatur fanden sie jene unverfälschte Sprache und prophetische Haltung, die sie bei ihren Zeitgenossen vergeblich suchten. Der endgültige Durchbruch im Verhältnis von Theologie und Literatur wurde erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) vollzogen. Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ sprach den modernen Künsten nicht nur Autonomie zu, sie betonte zugleich ihren Erkenntniswert für die Theologie. Wenn der Eindruck nicht täuscht, wurde Artikel 62, der den etwas irreführenden Titel „Das rechte Verhältnis der menschlichen und mitmenschlichen Kultur zur christlichen Bildung“ trägt, bisher für den Dialog zwischen Liturgiewissenschaft und Gegenwartsliteratur noch kaum rezipiert. 19 <?page no="20"?> 20 Vgl. S A N D E R , Hans-Joachim, Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute. Gaudium et spes, in: Peter H Ü N E R M A N N - Bernd Jochen H I L B E R A T H (Hgg.), HThKVatII, Bd.-4, Freiburg i. Br. 2005, 581-886, 787f. 21 Vgl. D E L G A D O , Mariano - S I E V E R N I C H , Michael (Hgg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg i. Br. 2013, bes. 35-140. 22 Vgl. dazu etwa die Ausführungen von M O S E B A C H , Martin, Was ist katholische Literatur? , in: D E R S ., Schöne Literatur. Essays, München 2006, 105-129. 23 Vgl. exemplarisch zum langen Konflikt zwischen Kunst und Christentum S C H W E B E L , Horst, Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konflikts, München 2002. Suo quoque modo litterae et artes pro vita Ecclesiae magni sunt momenti. Indolem enim propriam hominis, eius problemata eiusque experientiam in co‐ natu ad seipsum mundumque cognos‐ cendum et perficiendum ediscere con‐ tendunt; situationem eius in historia et in universo mundo detegere necnon mi‐ serias et gaudia, necessitates et vires hominum illustrare atque sortem ho‐ minis meliorem adumbrare satagunt. Ita vitam humanam, multiplicibus formis se‐ cundum tempora et regiones expressam, elevare valent. Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Ver‐ ständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu voll‐ enden; sie gehen darauf aus, die Situa‐ tion des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen. So dienen sie der Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen. (GS 62) Die sonst oft spröde klingende Konzilsprosa wird an dieser Stelle durch einen gefälligeren Ton unterbrochen, der sich am Auftakt der Pastoralkonstitution orientiert. 20 Kunst und Literatur kommt eine „pastorale Autorität“ zu, weil sich in ihr „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ (vgl. GS 1) ausdrücken. 21 Solche Formulierungen wären noch wenige Jahre vor dem Konzil undenkbar gewesen, wenn man bedenkt, dass unzählige Werke der sog. „schönen Literatur“ bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil auf dem sog. Index Librorum Prohibitorum landeten. 22 Der Text appelliert nicht nur, alte Konflikte zurückzulassen, sondern aktiv Kontakt mit zeitgenössischen Kunstformen zu suchen. 23 Zu lange hat sich die Kirche in eine selbst gewählte „Isolation“ begeben und sich von der weltlichen Kultur abgeschottet. Wiederständiges und Anstößiges in der Kunst, so lässt sich Artikel 62 weiter interpretieren, 20 2 Literarische Wende am Zweiten Vatikanischen Konzil <?page no="21"?> 24 S A N D E R , Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution, 788. 25 Vgl. T H E O B A L D , Christoph, Zur Theologie der Zeichen der Zeit. Bedeutung und Kriterien heute, in: Peter H Ü N E R M A N N (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg i. Br. 2006, 71-84. 26 Hier ist die Fußnote 13 des 2. Kapitels gemeint (im lateinischen Original Fußnote 136), die lautet: „II. Vat. Konzil, Dogm. Konst. über die Kirche Lumen Gentium, Kap. II, Nr. 9: AAS 57 (1965) 12-13.“ 27 G E R H A R D S , Albert, Gipfelpunkt und Quelle. Intention und Rezeption der Liturgiekons‐ titution Sacrosanctum Concilium, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. Br. u.-a. 2 2013, 127-146, hier 143. soll den Austausch der beiden Größen nicht mehr blockieren, sondern als Herausforderung gesehen werden. „Es ist keine immer einfache Angelegenheit, sich auf ein Außen einzulassen, aber ohne den Mut zu dieser Begegnung wird das, was Kirche sagt, belanglos und bleibt hinter dem zurück, was sie von der Substanz ihrer Botschaft her zu sagen hätte.“ 24 Mit diesem Blick „ad extra“ werden die Weichen neu gestellt, um auf „die Welt von heute“ zu hören, sie im Licht des Evangeliums zu deuten und ihre Botschaft in eine moderne Sprache zu fassen. 25 Die weltliche Literatur wird damit endgültig aus dem Käfig der „ancilla theologiae“ befreit und zur autonomen Vermittlungsinstanz zwischen heutiger Welt und Kirche erhoben. Das hermeneutische Interesse der Pastoralkonstitu‐ tion beschränkt sich nicht bloß auf die christliche oder europäische Literatur, mit dem Verweis auf die Kunst „der verschiedenen Völker und Länder“ soll ebenso der folgenschwere Eurozentrismus durchbrochen werden. Darüber hinaus schlägt Artikel 62 eine Brücke zur Liturgie. Der dort erhobene Appell, moderne Kunst in den heiligen Raum (in sanctuario) der Liturgie aufzunehmen, ist zu diesem Zeitpunkt innovativ. In einer Fußnote zum Artikel findet sich jedoch ein nicht unproblematischer Verweis auf die Liturgiekonsti‐ tution „Sacrosanctum Concilium“. 26 Die zu Beginn des Konzils verabschiedete Liturgiekonstitution (04.12.1963) kannte im Unterschied zur späteren Pastoral‐ konstitution (07.12.1965) noch kein „partnerschaftliches“ Verhältnis von Kirche und Kunst. Albert Gerhards zählt Kapitel VII (Art. 122-130), das den bezeich‐ nenden Titel „Die sakrale Kunst. Liturgisches Gerät und Gewand“ trägt, zu den „problematischsten der Konstitution“ 27 , weil den Künsten dort nur dann Freiheit zugestanden wird, wenn sie sich in den Dienst der Liturgie stellen. Doch auch für den Bereich der Liturgie muss gelten, was „Gaudium et spes“ über das Verhältnis zwischen Kirche und Kunst festgelegt hat. Der Dialog muss auf Augenhöhe geführt werden und auf einem partnerschaftlichen Verhältnis beruhen. Nur so kann die Kunst die existentiellen Erfahrungen der Menschen für die Kirche 2 Literarische Wende am Zweiten Vatikanischen Konzil 21 <?page no="22"?> 28 Vgl. hier u. a. G E R H A R D S , Albert, Ars celebrandi. Die Bedeutung der Künste für die Liturgie, in: HerKorr.Sp (2012) 11-16. 29 Vgl. dazu das Themenheft „Renaissance des Katholischen in der Gegenwartsliteratur? “: IKaZ Communio 42 (2013) 1-72, besonders die Beiträge von Bieringer (4-16), Gar‐ hammer (17-31), Hake (32-39), Tück (40-51), Zaborowski (52-61) und Maier (62-72). 30 Vgl. u. a. G O L D S C H M I D T , Stephan (Hg.), Ein Wort so viel wert wie das Leben. Lite‐ raturgottesdienste, Freiburg i. Br. u. a. 2016; D E R S . - R I C H T E R -R E T H W I S C H , Inken, Literaturgottesdienste (DAW 128), Göttingen 2010. sichtbar machen und zugleich ihre kritische Funktion ausüben. 28 Im Unterschied zur Pastoralkonstitution wird die profane Literatur in „Sacrosanctum Conci‐ lium“ mit keinem Wort erwähnt. Es gehört zu den Zielsetzungen der Arbeit, das einseitige Kunstverständnis der Liturgiekonstitution zu überwinden, indem sie sich den Auftrag der Pastoralkonstitution zu eigen macht (vgl. GS 62) und die zeitgenössische Literatur als Gesprächspartnerin für Liturgiewissenschaft gewinnt. Dieses Anliegen scheint berechtigt, da in der deutschsprachigen Ge‐ genwartsliteratur ein ausgeprägtes Interesse für liturgische Formeln und Feiern besteht, das bis dato in der Liturgiewissenschaft noch kaum Widerhall findet. 29 Wenn hier wiederholt von den Schnittmengen zwischen Liturgie und Literatur gesprochen wird, ist damit aber nicht gemeint, weltliche Literatur unmittelbar in den Gottesdienst zu integrieren, wie dies etwa in sog. Literaturgottesdiensten geschieht. 30 Es wird vielmehr untersucht, wie liturgische und rituelle Spuren in der Literatur auf den gefeierten Gottesdienst zurückwirken könnten. Damit ist eine wichtige Hypothese dieser Schrift formuliert, da sie davon ausgeht, dass die in und mit der Literatur gemachten Erfahrungen ein neues Licht auf den Gottesdienst werfen. 22 2 Literarische Wende am Zweiten Vatikanischen Konzil <?page no="23"?> 31 Eine gute Materialsammlung zum Thema Gottesdienste in der Literatur bietet die lesenswerte Anthologie von D O R N E M A N N , Axel (Hg.), „Als stände Christus neben mir“. Gottesdienste in der Literatur. Eine Anthologie, Leipzig 2014. 32 F I S C H E R , Balthasar, Eucharistie im Gedicht unseres Jahrhunderts. Gottfried Benn (1886- 1956): „Verlorenes Ich“ (1943), in: LJ 19 (1969), 194-204, hier 197 f. Ähnlich auch der Beitrag von Ursula Baltz, der inhaltlich an Fischer orientiert ist, aber kaum neue Erkenntnisse bringt: D I E S ., Eucharistie im Gedicht. Zu religiöser Sprache in zwei Ge‐ dichten von Paul Celan und Gottfried Benn, in: Hansjakob B E C K E R - Reiner K A C Z Y N S K I (Hgg.), Liturgie und Dichtung. II. Interdisziplinäre Reflexion (PiLi 2), St. Ottilien 1983, 903-922. 33 F I S C H E R , Eucharistie im Gedicht unseres Jahrhunderts, 194. 34 Zitiert nach B U D D E B E R G , Else, Probleme um Gottfried Benn, in: Deutsche Vierteljahres‐ schrift für Literatur und Geistesgeschichte 34 (1960/ 1) 107-161, 117. 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung 3.1 Balthasar Fischer Es ist bereits angeklungen, dass sich die nachkonziliare Liturgiewissenschaft in den letzten Jahrzehnten kaum mit zeitgenössischer Literatur beschäftigt hat. 31 Dies trifft grosso modo sowohl auf die katholische als auch auf die evangeli‐ sche Liturgik zu. Auf katholischer Seite ist als eine der wenigen Ausnahmen ein beachtenswerter Beitrag des ehemaligen Trierer Liturgiewissenschaftlers Balthasar Fischer (1912-2001) zu nennen, der sich 1969 mit Gottfried Benns (1886-1956) berühmtem Gedicht „Verlorenes Ich“ (1943) auseinandersetzte. 32 Wie ungewöhnlich der Rückgriff eines renommierten Liturgikers auf eine poetische Quelle war, geht bereits aus der Einleitung des Beitrags hervor, den Fischer anlässlich des 80. Geburtstags von Josef Andreas Jungmann (1889- 1975) im Liturgischen Jahrbuch veröffentlichte: „Es muß auf den ersten Blick einigermaßen verwegen erscheinen, im modernen Gedicht nach einem so tief in der Herzmitte des Glaubens gelegenen Thema wie der Eucharistie suchen zu wollen […].“ 33 Fischer ist sichtlich erstaunt, dass ein von den Wirren des 20. Jahrhunderts so gezeichneter Dichter wie Benn, über den Otto Söhngen auf der Beerdigung sagte, dass ihm „das Geschenk des Glaubens versagt geblieben ist“ 34 , das Mysterium der Eucharistie in einem modernen Gedicht so treffend in Worte fassen konnte. Benn ist in literaturtheologischen Diskursen vor allem <?page no="24"?> 35 B E N N , Gottfried, Lebensweg eines Intellektualisten, in: D E R S ., Sämtliche Werke, hg. von Gerhard S C H U S T E R , Bd. IV Prosa, Stuttgart 1989, 154-197, hier 175. 36 S O E R E N S E N , Nele Poul, Mein Vater Gottfried Benn, Wiesbaden 1960, 81. wegen seines legendären Diktums von Gott als „schlechte[m] Stilprinzip“ 35 präsent. Den existentiellen Fragen nach Leben und Glauben ging er in seinen Gedichten und Essays dennoch nicht aus dem Weg. In einem Brief an seine Tochter Nele schrieb er: „Für mich ist das Diesseits und das Jenseits dasselbe. Ich glaube nicht an das Jüngste Gericht, nicht an Vergebung und Strafe. Glaube ich also nicht an Gott? Das möchte ich bestreiten.“ 36 Wenn der Eindruck nicht täuscht, steht Benns Umgang mit der Religion exemplarisch für eine ganze Generation von Autorinnen und Autoren der späten Moderne, die sich zwar aufgrund der historischen Ereignisse im 20. Jahrhundert oder biographischer Verstrickungen nicht mehr zur offiziellen Religion bekennen wollten bzw. konnten, das Christentum als wichtige Bezugsgröße in ihren Werken aber präsent hielten. „Verlorenes Ich Verlorenes Ich, zersprengt von Stratosphären, Opfer des Ion −: Gamma-Strahlen-Lamm −, Teilchen und Feld −: Unendlichkeitschimären auf deinem grauen Stein von Notre-Dame. Die Tage gehn dir ohne Nacht und Morgen, die Jahre halten ohne Schnee und Frucht bedrohend das Unendliche verborgen −, die Welt als Flucht. Wo endest du, wo lagerst du, wo breiten sich deine Sphären an −, Verlust, Gewinn −: ein Spiel von Bestien: Ewigkeiten, an ihren Gittern fliehst du hin. Der Bestienblick: die Sterne als Kaldaunen, der Dschungeltod als Seins- und Schöpfungsgrund, Mensch, Völkerschlachten, Katalaunen hinab den Bestienschlund. Die Welt zerdacht. Und Raum und Zeiten und was die Menschheit wob und wog, Funktion nur von Unendlichkeiten −, die Mythe log. 24 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung <?page no="25"?> 37 B E N N , Gottfried, Gedichte, in: D E R S ., Sämtliche Werke, hg. von Gerhard S C H U S T E R , Bd. I Gedichte, Stuttgart 1989, 205. 38 F I S C H E R , Eucharistie im Gedicht unseres Jahrhunderts, 203. Woher, wohin - nicht Nacht, nicht Morgen, kein Evoë, kein Requiem, du möchtest dir ein Stichwort borgen −, allein bei wem? Ach, als sich alle einer Mitte neigten und auch die Denker nur den Gott gedacht, sie sich den Hirten und dem Lamm verzweigten, wenn aus dem Kelch das Blut sie rein gemacht, und alle rannen aus der einen Wunde, brachen das Brot, das jeglicher genoß-− o ferne zwingende erfüllte Stunde, die einst auch das verlorne Ich umschloß.“ 37 Die beiden eucharistisch imprägnierten Schlussstrophen von Benns Gedicht „Verlorenes Ich“ geben bis heute Anlass zur Spekulation. Balthasar Fischer vertritt in seiner liturgisch gefärbten Analyse eine „klassische“ Lesart, nach der eine klare Dichotomie zwischen den ersten sechs Strophen und den beiden Schlussstrophen besteht. Der erste Teil des Gedichts spricht in eindringlichen Bildern und Metaphern vom existentiellen Orientierungsverlust und Entfrem‐ dungserfahrungen in der Moderne, die unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs verfasst wurden. In einer von Technik, Naturwissenschaft und Ökonomie geprägten Welt ist das „Ich“ verloren gegangen. Der Fortschritt führte zwangsweise auch zur Auflösung der Religion (Strophe 1-6). Der zweite Teil des Gedichts, der im Kontext dieser Einleitung relevant ist, spricht dagegen von einem untergegangenen christlichen Zeitalter, in dem das „Ich“ noch ganz bei sich war, weil sich die Menschen um eine intakte „Mitte“ versammeln konnten (Strophen 7-8). Die beide letzten Strophen beschwören die Einheit der christlichen Welt, die sich in der gemeinsamen Feier des Abendmahls ausdrückt. Fischer interpretiert sie als „wehmutsvolle[n] Rückblick [Benns] auf unwiederbringbar Verlorenes“ 38 . Seit den späten sechziger Jahren hat sich der Blick auf Benns Gedicht mehr‐ fach verändert. Mittlerweile kann man von drei voneinander abweichenden Lesarten des Gedichts sprechen, die exemplarisch an den Beginn dieser Arbeit gestellt werden, da sie in wenigen Absätzen umreißen, wie heute häufig mit religiösen und damit auch liturgischen Spuren in der Gegenwartsliteratur ver‐ 3.1 Balthasar Fischer 25 <?page no="26"?> 39 Hier folge ich der erhellenden Analyse von Mark W. Roche, der für Benns Gedicht „Verlorenes Ich“ eine „transzendentale“ Lesart vorschlägt, die sich besonders erhellend in das Konzept dieser Arbeit einfügt. Vgl. R O C H E , Mark W., Mehrdeutigkeit in Benns Gedicht „Verlorenes Ich“, in: Benn-Jahrbuch 1 (2003) 135-156. fahren wird. 39 Der klassische Zugriff auf „Verlorenes Ich“ wurde unter Berufung auf Fischers Analyse bereits vorgestellt. Er geht davon aus, dass sich die unter‐ gegangene religiöse und die „moderne“ Welt stumm gegenüberstehen. Während das „Ich“ in früheren Zeiten aufgrund der sinn- und einheitsstiftenden Religion noch intakt war, ging es im Laufe der Geschichte unwiederbringlich verloren. Mit Hilfe einer verklärenden Nostalgie sind die Leser und Leserinnen zwar in der Lage, auf die vergangene Zeit zurückzublicken, ihre versunkene Wirklichkeit lässt sich jedoch nicht mehr ins Heute hinüberretten. Jeder Versuch, die Religion auf diese Weise für Zeitgenossen und Zeitgenossinnen fruchtbar zu machen, kommt einer Refundamentalisierung gleich, die weder der Gegenwart noch der Vergangenheit gerecht wird. Die beiden Schlussverse des Gedichts („O ferne zwingende erfüllte Stunde, / die einst auch das verlorene Ich umschloß“) bringen die „traditionelle“ Deutung jedoch ins Wanken, weil sie glaubhaft suggerieren, dass bereits das frühere „Ich“ den Verlust des eigenen Selbst hinnehmen musste. Während Fischer und viele andere diese Verse noch kommentarlos übergingen, gaben sie in späteren Analysen Anlass für eine zweite, „ironische“ Lesart des Gedichts, die jede religiöse Vereinnahmung zurückweist. Die Dichotomie zwischen alter und neuer, moderner und religiöser Welt wird bei dieser Deutung ironisch aufgelöst. Das poetisch gedeutete Bild der Eucharistie, das bei der traditionellen Auslegung noch für ein ganzheitliches Weltbild stand, kehrt sich ins Gegenteil: Die christliche Welt taugt nicht als Ideal, da schon früher das „Ich“ verloren war, wie die ausdrückliche Anspielung in den letzten Versen auf das verlorene „Ich“ klarmacht. Sind modernes und religiöses „Ich“ nun doch identisch? Das Gedicht scheint mit dieser Lesart jede Hoffnung auf Erlösung zu negieren - selbst die Utopie auf eine sinnstiftende Welt wird ironisch begraben. Bereits das christliche „Ich“ stellt in dieser Lesart keinen Widerhall des Göttlichen mehr dar, da es immer schon verloren war. Die Anliegen einer solchen Ironisierung und Bloßstellung des Religiösen sind in diesem Kontext nicht unbegründet, ihre Schwäche liegt aber in der Verkürzung des Gedichts auf eine einseitige Kritik an der nostalgischen Verklärung der Religion. Sie nimmt nicht mehr wahr, dass der Grundtenor des Textes von einer authentischen Verlusterfahrung und einer existentiellen Entfremdung in der Moderne geprägt ist. Der in den USA lehrende Germanist und Philosoph Mark W. Roche schlägt daher einen „dritten“ Weg vor, Benns berühmtes Gedicht zu deuten, dem ebenso 26 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung <?page no="27"?> 40 R O C H E , Mehrdeutigkeit in Benns Gedicht „Verlorenes Ich“, 156. ein exemplarischer Charakter für diese Untersuchung zukommt: Roche nennt ihn die „transzendente“ Lesart. Damit meint der Literaturwissenschaftler nicht, dass das Gedicht eine „wörtliche Darstellung“ einer religiösen Wahrheit sei. Er beharrt aber darauf, dass es insgesamt eine „höhere Wahrheit“ beschwört: „Es tut dies zu Beginn, indem es den Verlust dieser Wahrheit negiert, d. h. indem es das Funktionale, Profane und Bestialische kritisiert, das durch den Verlust einer höheren Transzendenz und Orientierung in die Welt gekommen ist. Darüber hinaus verweist das Gedicht auch durch seine Form und die Beschwörung von Transzendenz (unabhängig vom spezifischen christlichen Mythos) auf eine höhere Wahrheit. Benn nimmt zentrale Aspekte des christlichen Weltbildes auf: die Kritik an der Moderne wie auch die Beschwörung eines höheren Sinns, wenngleich er diesen höheren Daseinszweck nicht in der Religion, sondern in seiner dichterischen Sinnstiftung sehen würde.“ 40 Roche verwirft damit den „traditionellen“ Zugang nicht, mahnt aber unter Bezugnahme auf die letzten beiden Verse des Gedichts an, dass religiöse Nostalgie zum Scheitern verurteilt ist, da auch im christlichen Zeitalter das „Ich“ Anfeindungen ausgesetzt war, die in bestimmten Situationen sogar bis zum Verlust des Selbst führen konnten. Das Christentum ist von seiner Grundidee her keine lebensferne Utopie, in der jede Mühsal und alle Schwierigkeiten ausgetilgt werden müssten; es will vielmehr einen realistischen Blick auf Leben der Menschen werfen, in dem auch Anfeindungen und Schwierigkeiten ihren Platz haben. Benn spielt in den letzten beiden Strophen geschickt mit der Mehrdeutigkeit des verlorenen „Ich“: Zunächst deutet er an, dass das christliche „Ich“ ebenso angefochten ist wie das moderne, auch wenn ersteres in der Religion noch Geborgenheit und Gemeinschaft findet. Zugleich stellt Benn eine direkte Verbindung zu Leiden und Sterben Christi her, da auch Jesus am Kreuz Ohnmacht und Hilflosigkeit erfuhr („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? “ Mt. 27,46 parr). Die Mehrdeutigkeit der letzten beiden Strophen bezieht sich aber auch auf die Botschaft Jesu an sich, die in Vergessenheit geraten ist und unter deren Verlust wir heute wie damals leiden. Balthasar Fischers liturgisch motivierte Gedichtanalyse stellt in seinem Œuvre eine einmalige Ausnahme dar. Er deutete darin weder eine spezifische Methode an, wie literarische Zeugnisse für die Liturgiewissenschaft erschlossen werden könnten, noch hat er seine Überlegungen in späteren Abhandlungen fortgeführt. Benns Gedicht diente ihm vielmehr als unerwarteter Augenöffner, wieviel liturgische Erschließungskraft in einem Gedicht „unseres Jahrhunderts“ 3.1 Balthasar Fischer 27 <?page no="28"?> 41 Literarische Quellen anzuführen, um eigene Theorien und Überlegungen zu legiti‐ mieren, ist problematisch. Fischers Gedichtinterpretation lässt sich etwa im Licht von Wolfgang Braungarts Apologie der „schönen Stellen“ lesen. Vgl. D E R S . - J A C O B , Joachim, Stellen, schöne Stellen. Oder: Wo das Verstehen beginnt, Göttingen 2012. 42 Vgl. C O R N E H L , Peter, „Der Sonntag kam. Man ging zur Kirche“. Gottesdienst im Spiegel der Literatur. Ein rezeptionsgeschichtlicher Ansatz zum Verhältnis von Liturgie und Predigt, in: D E R S ., „Die Welt ist voll von Liturgie“. Studien zu einer integrativen Gottesdienstpraxis (PTHe 71), Stuttgart 2005, 138-155. steckt. 41 Als bloße Illustrationsfolie eines liturgiewissenschaftlichen Sachver‐ halts kann sein Beitrag aber dennoch nicht abgetan werden. Fischer erkennt die Qualität des Gedichts, da es auf außergewöhnliche Weise das Mysterium der Eucharistie in zeitgemäße Worte fasst. Den Inhalt liest er als Kritik an den herkömmlichen Methoden der Liturgiewissenschaft, die existentielle Be‐ findlichkeiten der Zeitgenossen bzw. Zeitgenossinnen zu selten in ihre Über‐ legungen miteinbezieht. Vielleicht klingt hier sogar die vier Jahre vor der Gedichtinterpretation verabschiedete Pastoralkonstitution des Zweiten Vatika‐ nischen Konzils (1965) nach, die einen Dialog mit der Literatur einforderte, da sich in ihr das Wesen heutiger Menschen mit ihren Höhen wie Tiefen spiegelt (vgl. GS 62). Fischers „traditionelle“ Lesart führt uns aber noch einen Schritt weiter: Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist dann erreicht, wenn sie einen Beitrag zur „transzendenten“ Lesart moderner Literatur leistet, wie Roche sie für das Gedicht „Verlorenes Ich“ vorschlägt. Auf der Suche nach liturgischen Spuren in der Gegenwartsliteratur tappt man schnell in die Falle der nostalgischen Verklärung, da viele der Autorinnen und Autoren liturgische Erfahrungen ihrer Kindheit literarisch verarbeiten. Aus der Mehrdeutigkeit liturgisch inspirierter Texte wird so schnell eine zweifelhafte Eindeutigkeit, die zwar zu den Überlegungen des Theologen passt, der Literatur aber nicht gerecht wird. Die Gefahr der „traditionellen“ Lesart besteht in der Wiederho‐ lung oder gar Verklärung liturgischer Erfahrungen ohne Bezug zu aktuellen Herausforderungen. Umgekehrt ist aber auch die ironische oder gar zynische Brechung religiöser Spuren und Bekenntnisse in der Gegenwartsliteratur eine Versuchung, der sowohl die Literaturwissenschaft als auch Theologie erliegen. 3.2 Peter Cornehl Auf evangelischer Seite bemüht sich vor allem der Hamburger Liturgiker Peter Cornehl (1936-2022), die zeitgenössische Literatur als Quelle für die Litur‐ giewissenschaft zu erschließen. 42 Cornehls liturgisch-poetische Überlegungen beschränken sich allerdings - wie bei Fischer - auf einen einzigen Beitrag. Im 28 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung <?page no="29"?> 43 Vgl. dazu vor allem aus evangelischer Sicht D E E G , Alexander - P L Ü S S , David, Liturgik (Lehrbuch Praktische Theologie 5), Gütersloh 2021 und M E Y E R -B L A N C K , Michael, Gottesdienstlehre (NTG), Tübingen 2 2020, hier 14-24, 343-352; aus katholischer Per‐ spektive G E R H A R D S , Albert - K R A N E M A N N , Benedikt, Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft, Darmstadt 4 2019, hier 29-124. 44 Vgl. u. a. B I E R I T Z , Karl-Heinrich, Liturgik, Berlin - New York 2004, hier bes. 27-57; V O L P , Rainer, Liturgik. Die Kunst, Gott zu feiern, 2 Bde., Gütersloh 1992-1994; B I E R I T Z , Karl- Heinrich, Gottesdienst als „offenes Kunstwerk“? Zur Dramaturgie des Gottesdienstes, in: PTh 75 (1986) 358-373. 45 Vgl. S E M S C H , Klaus, Art. Rezeptionsästhetik, in: HWRh 7, Tübingen 2005, 1363-1374. 46 Vgl. S C H W I E R , Helmut, Blickrichtungen im Gottesdienst. Plädoyer für ein elementares Modell, in: JLH 37 (1998) 87-97. 47 Vgl. C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 139. Vergleich zu Fischer fallen sie ergiebiger aus, weil er sie im Rahmen eines bereits etablierten Ansatzes verortet. Die Beiträge von Fischer (1969) und Cornehl (2000) sind nicht miteinander vergleichbar, stammen sie doch aus ganz verschie‐ denen Epochen und verfolgen je eigene Ziele. Beide Liturgiker erkennen jedoch das ungenutzte Potential, das literarische Zeugnisse für die Liturgiewissenschaft bereithalten. Vor dem Hintergrund seines Selbstverständnisses als praktischer Theologe analysiert Cornehl literarische Gottesdienste rezeptionsästhetisch. Im Unterschied zur katholischen Liturgiewissenschaft, die bis heute mehrheitlich historisch bzw. systematisch geprägt ist, rezipiert die evangelische Liturgik kommunikationstheoretische und rezeptionsästhetische Theorien für ihre An‐ liegen seit über vier Jahrzehnten. 43 Unter dem Titel „Gottesdienst als offenes Kunstwerk“ übernahmen Liturgiker wie Karl-Heinrich Bieritz oder Rainer Volp eine an Umberto Eco orientierte Semiotik bzw. Zeichentheorie für die evange‐ lische Gottesdienstlehre. 44 Die Rezeptionsästhetik beruht auf der Annahme, dass Sinnzuschreibungen eines Kunstwerkes nicht nur von den Produzenten ausgehen, sondern ebenso von den Rezipienten erfolgen. 45 Der Ansatz bringt für den Gottesdienst eine Aufwertung der feiernden Gemeinde mit sich, die als selbstständige und aktive „Sinnproduzentin“ neu entdeckt wird. 46 Damit gehen wichtige Fragen einher: Welche Erwartungen und Empfindungen haben Menschen, wenn sie heute Rituale begehen und Liturgie feiern? Unter welchen - wenn auch nur schwer zu beschreibenden - Voraussetzungen kann Kommu‐ nikation im Gottesdienst überhaupt gelingen? Wie rezipiert und deutet die Gemeinde das liturgische Geschehen als „offenes Kunstwerk“? Cornehl stimmt zwar mit der Grundidee der Rezeptionsästhetik überein, dass der Gottesdienst sowohl aus dem „Konzept der Gottesdienstproduzenten“ als auch aus den „Per‐ zepten der Rezipienten“ besteht, unterstellt dem Ansatz aber zugleich, dass er zu sehr auf das „Gesamtkunstwerk Gottesdienst“ fokussiert ist, die Rezeption durch die Gemeinde aber letztlich doch vernachlässigt. 47 Um die Wahrnehmungen der 3.2 Peter Cornehl 29 <?page no="30"?> 48 Vgl. K A R L , Katharina, Biografieforschung als Weg der Theologie, in: MThZ 64 (2013) 291-301. 49 Vgl. F U C H S -H E I N R I T Z , Werner, Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden, Wiesbaden 4 2009. 50 Vgl. dazu auf katholischer Seite die Auswertung von autobiografischer Schriften von L U R Z , Friedrich, Erlebte Liturgie. Autobiografische Schriften als liturgiewissenschaft‐ liche Quellen, Münster 2003. 51 Zu den Büchern und die genaue Auswahl der liturgisch inspirierten Stellen vgl. C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 141-151. feiernden Menschen noch präziser in den Blick zu nehmen, ergänzt Cornehl seinen rezeptionsästhetischen Ansatz um die theologische Biografieforschung, weil sie nach der lebensgeschichtlichen Verankerung von Liturgie und Fröm‐ migkeit fragt. 48 Das Material für diesen Ansatz wird mit Hilfe von qualitativen Erzählinterviews gewonnen, bleibt aber nicht darauf beschränkt, wie Projekte aus der jüngeren Zeit belegen. 49 Mittlerweile hat die Biografieforschung ihre Quellen erweitert und beschäftigt sich mit schriftlich fixierten Textkörpern wie Tagebüchern, Briefen oder anderen persönlichen Dokumenten. 50 Cornehl hält literarische Zeugnisse über Gottesdienstbesuche ebenso für derartige Quellen. Bis dato würden sie aber weder von der Biografieforschung noch von der Liturgiewissenschaft berücksichtigt oder gar gewürdigt. Dieser Lücke will sich die vorliegende Arbeit stellen, indem sie mit Cornehl für die Erweiterung des Quellenspektrums plädiert und erstmals eine größere Studie wagt, um Liturgie und Literatur zusammenzubringen. Für seine eigene Auswertung literarischer Zeugnisse wählte Cornehl zwei historische und einen zeitgenössischen Text aus, in deren Zentrum evangelische Predigtgottesdienste stehen: Den Anfang macht Cornehl mit einem Auszug aus „Anton Reiser“ (1785/ 86; 1790) von Karl Philipp Moritz, dann geht er zu Ludwig Tiecks „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798) über und schließt mit Walter Kempowskis „Uns geht’s ja noch gold“ (1972). 51 Die Leitfrage für alle drei Zeugnisse lautet, was in den Rezipienten, die Gottesdienste feiern, konkret vorgeht, welche Gefühle und Stimmungen sie empfinden und ob daraus Schlussfolgerungen für die liturgische Praxis gezogen werden können. Es lohnt hier nicht, die Ergebnisse der einzelnen Analysen im Detail zu rekapitulieren, da sie aufs Ganze gesehen zu unspezifisch bleiben. Dennoch lassen sich neben der Forderung, die Quellen zu erweitern, drei weitere Punkte identifizieren, die Cornehls Analysen zusammenfassen: 1.) Hohe Aufmerksam‐ keit für Sekundäres, 2.) Die Fremdheit der Liturgie gegenüber dem Leben eingestehen, und 3.) Literatur als Liturgie- und Kirchenkritik. Die Chance Cornehls Ansatzes liegt im Perspektivenwechsel, der das Erleben des einzelnen Menschen wie der feiernden Gemeinde ins Zentrum rückt und davon abgeht, 30 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung <?page no="31"?> 52 C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 152. 53 Als viel beachtete Ausnahme ist der psychoanalytische Ansatz von Andreas Odenthal zu nennen; vgl. D E R S ., Rituelle Erfahrung. Praktisch-theologische Konturen des christli‐ chen Gottesdienstes (PTHe 161), Stuttgart 2019; D E R S ., Liturgie als Ritual. Theologische und psychoanalytische Überlegungen zu einer praktisch-theologischen Theorie des Gottesdienstes als Symbolgeschehen (PTHe 60), Stuttgart 2002. 54 Von diesem Zugang zu sakraler Architektur spricht auch der Fotograf Ola Kolehmainen in seinem Bildband über europäische Gotteshäuser. Vgl. D E R S ., It’s All One History, Almost. A Journey to Space, Light, and Time, Berlin 2017. 55 C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 152. die Liturgie nur von autoritativ gesetzten Texten, Gebeten und Zeichen her zu verstehen. „Menschen erleben etwas im Gottesdienst. Sie nehmen mehr wahr, als wir [= Liturgen, AB] oft meinen. Teils sind es Einzelheiten, teils ist es die Atmosphäre. Sie haben ihre eigene, je besondere Wahrnehmung. Sie ist situativ, subjektiv bedingt, biographisch gefärbt.“ 52 Zu den Wesensmerkmalen liturgischliterarischer Zeugnisse gehört die Verschränkung von äußerlichen Eindrücken (Stimmungen und oberflächliche Emotionen) und innerem Erleben. Viele lite‐ rarisch dokumentierte Eindrücke wirken vorderhand sekundär und haben nur vereinzelt mit dem theologischen Gehalt des Gottesdienstes zu tun. 53 Doch gerade die Aufmerksamkeit für Unscheinbares kann bei Teilnehmenden eine zunächst vielleicht völlig unerwartete Resonanz auslösen. Es reichen ein Wort, eine unscheinbare Geste oder ein paar Takte Musik, um eine eingefahrene Situa‐ tion zu lösen und damit eine Wandlungserfahrung zu ermöglichen. Umgekehrt können Nichtigkeiten die Atmosphäre im Gottesdienst ebenso schnell zerstören und jede Andacht verunmöglichen. Das fragmentarisch Wahrgenommene wird - das scheint eine weitere Besonderheit von diesen Zeugnissen zu sein - auf ungewöhnliche Weise ganzheitlich erlebt. Cornehl vergleicht dieses Spezifikum mit der diffusen Atmosphäre einer gotischen Kathedrale. Beim Betreten ist das menschliche Auge nicht sofort in der Lage, das Ausmaß des Raumes mit einem Blick zu erfassen. Die bruchstückhaften Sinneseindrücke zwischen Licht und Schatten, Höhe und Tiefe reichen aber aus, um die Atmosphäre insgesamt zu ermessen. 54 Die Menschen im Gottesdienst „ergänzen in ihrer Weise das Gesagte, Erlebte, die einzelnen Splitter, die sie wahrnehmen, zu einem eigenen Ganzen. Natürlich nehmen sie selektiv wahr, hören manches, was nicht gesagt wurde, geben dem Gehörten eine ganz eigene Bedeutung.“ 55 Ein an den Rezipierenden orientierter Zugang bietet lehrreiche Einsichten, bringt aber auch Nachteile mit sich. Durch den Fokus auf die „Rezeption“ im Unterschied zur „Produktion“ wird die Möglichkeit der antizipierten Rezeption 3.2 Peter Cornehl 31 <?page no="32"?> 56 Zur Kritik am Gegenüber von Produzent und Rezipient vgl. L U H M A N N , Niklas, Die Kunst der Gesellschaft (Stw 1303), Frankfurt a.-M. 1997, 65-75, 126-129. 57 Vgl. H E N N I G , John, Das Übersetzen liturgischer Texte im Lichte der Literaturwissen‐ schaft, in: D E R S ., Liturgie gestern und heute, Bd.-1., Maria Laach 1989, 157-173. 58 B I E R I N G E R , Andreas - S A L M A N N , Elmar, „Liturgie will dem Leben aufhelfen“. Ein Ge‐ spräch mit Prof. Dr. Elmar Salmann OSB, in: GD 48 (2014), 4-6, hier 6. 59 C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 152. 60 Vgl. M O S E R , Tilmann, Gottesvergiftung (Suhrkamp-Taschenbücher 533), Frankfurt a. M. 1980. seitens des Produzierenden vorschnell ausgeblendet. 56 Die im ersten Hauptteil dieser Arbeit analysierten Texte werden zeigen, dass gerade die Literaturschaff‐ enden den postulierten Gegensatz zwischen „Hersteller“ und „Produzenten“ überwinden, wenn sie in einigen Fällen beide Rollen einnehmen. Sobald sich die Liturgie zu sehr an den vordergründigen Bedürfnissen der Menschen orientiert, besteht die Gefahr, dass sie nur mehr Erwartungen erfüllt und keine Geheim‐ nisse mehr feiert. 57 Dem schließt sich Cornehl an, wenn er in seinem Beitrag betont, dass die „offene“ Rezeption der Teilnehmenden zwar unbedingt respek‐ tiert werden muss. Zugleich warnt er aber davor, die Bedürfnisse der Menschen - die wirklichen wie vermeintlichen - im Gottesdienst nur oberflächlich zu befriedigen. Liturgische Rituale bejahen nicht bloß, was die Menschen bereits sind, sie teilen ebenso Fremdes mit. „Zuerst muss man die Fremdheit der Liturgie gegenüber dem Leben eingestehen. Sie ist ein hochstilisierter, verfremdender und fernliegender Vollzug. Ein Vollzug, der nur in dieser Ferne zum Leben gehört und für das Leben bedeutsam ist.“ 58 Die Perzepte der Gottesdienstbesucher und -besucherinnen eignen sich daher nicht, um eine Art Marktanalyse durch‐ zuführen, wie die „Kunden“ bestmöglich zufriedengestellt werden können. Für Cornehl ist die Liturgie zuerst ein umfassendes Dialoggeschehen, das die Menschen mit Gott in Verbindung bringen will: „Der Gottesdienst sollte Raum geben für Begegnung, er sollte Räume öffnen, in denen die Menschen Gott, dem Heiligen, der Wahrheit begegnen können.“ 59 Im Rahmen dieser Arbeit darf ebenso wenig verschwiegen werden, dass die Literatur nicht nur beseelende Verwandlungserfahrungen tradiert, sondern ebenso Verletzungen und Traumata dokumentiert, die im Namen der Religion begangen werden und sich mitunter im Gottesdienst und in der Liturgie spiegeln. Noch lange bevor Tilmann Moser 1976 in seiner „Gottesvergiftung“ 60 ekklesiogene Neurosen in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit rückte, griff die profane Literatur die Auswirkungen einer oft zerstörerischen Verqui‐ ckung von Erziehung, Machtmissbrauch und religiösen Ritualen auf. Cornehl 32 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung <?page no="33"?> 61 Vgl. M O R I T Z , Karl Philipp, Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. Frankfurt a. M. 1998. 62 C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 144. 63 M O R I T Z , Anton Reiser, 89 [Herv. im Original]. 64 Vgl. M O R I T Z , Anton Reiser, 89. 65 In diesem Kontext sind die unzähligen Internatsromane zu nennen, deren Schauplätze katholische Schulen sind wie z. B. P E T E R S , Christoph, Wir in Kahlenbeck. Roman, München 2012; I N G E N D A A Y , Paul, Warum du mich verlassen hast. Roman, München 2 2006; F R I S C H M U T H , Barbara, Die Klosterschule. Roman, Salzburg - Wien 1978; vgl. darüber hinaus im Allgemeinen W I D M A N N , Larissa, Kampfschauplatz Schule. Eine systematische Untersuchung der deutschen erzählenden Schulliteratur, Bad Heilbrunn 2021. 66 C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 153. nennt „Anton Reiser“ 61 als erstes Beispiel für eine „aufklärerische Kirchen- und Predigtkritik, die mit psychologischen Kategorien arbeitet“ 62 in der deutsch‐ sprachigen Literatur. Karl Philipp Moritz schildert in seinem Buch, das er im Untertitel „ein psychologischer Roman“ nennt, wie verheerend sich das liturgisch inszenierte Zusammenwirken von Gesetz und Evangelium, Gericht und Gnade auf die Seele eines sensiblen jungen Mannes auswirkte. Anton Reiser gerät durch die überwältigenden Predigten seines Pastors in eine verworrene Traumwelt, die seine Phantasie völlig in Beschlag nimmt. Immer mehr steigert er sich selbst in die Rolle eines Predigers hinein und leidet schlussendlich unter einem „krankhaften pastoralen Größenwahn“: „So war Anton nun in seinem dreizehnten Jahre, durch die besondre Führung, die ihm die göttliche Gnade, durch ihre auserwählten Werkzeuge hatte angedeihen lassen, ein völliger Hypochondrist geworden, von dem man im eigentlichen Verstande sagen konnte, daß er in jedem Augenblick lebend starb. - Der um den Genuß seiner Jugend schändlich betrogen wurde - dem die zuvorkommende Gnade den Kopf verrückte.“ 63 In typisch aufklärerischer Manier gelingt es dem jungen Anton Reiser schluss‐ endlich doch, von seinen pastoralen Neurosen loszukommen. Die im Frühling hereinbrechende Natur heilt, was Frömmigkeit und „Gnade“ zuvor verdorben haben. 64 Es liegt nahe, Bücher wie diese als autobiographische Zeugnisse zu studieren, um unterdrückende Strukturen in religiösen Erziehungssystemen aufzudecken. 65 „An dieser Stelle gehört Religionskritik zur Grundausbildung derjenigen, die auf die Wirkung ihrer Verkündigung zu achten bereit sind“ 66 , schreibt Peter Cornehl. Zum anderen sind sie aber auch faszinierende Zeugnisse, wie Gebet und Liturgie im Sinn eines künstlerischen Transfers in die Literatur eingingen. Oft sind es gerade die Erfahrungen von Schmerz, Trauer oder Beziehungslosigkeit, die zunächst jede Sprache rauben, dann aber ein umso nachdrücklicheres Ringen um Sprache freisetzen. Beide Zugänge werden in 3.2 Peter Cornehl 33 <?page no="34"?> 67 C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 152. dieser Arbeit aufgegriffen und weiterentwickelt, um die vielschichtige Wech‐ selwirkung zwischen Liturgie und Leben besser zu verstehen. Insgesamt zeigen die Auswertungen Cornehls, dass sich historische Texte für eine Analyse besonders gut eignen, da man rasch zeittypische und epo‐ chenspezifische Merkmale in den literarischen Zeugnissen wiedererkennt. Ob‐ wohl zunächst bloß subjektives Erleben, Gefühle und Atmosphären geschildert werden, hinterlassen die großen Epochen wie Aufklärung („Anton Reiser“) oder Frühromantik („Franz Sternbalds Wanderungen“) oder Kriegserfahrungen („Uns geht’s ja noch gold“) eindeutige Muster, Figuren und Wendungen, mit denen wir bis heute vertraut sind. Viel schwieriger ist es, liturgische Erfah‐ rungen von heutigen Menschen zu analysieren, da hier meist klare Muster oder klassische Prägungen fehlen. Die vorliegende Arbeit will sich dieser Herausforderung dennoch stellen und greift für ihre Analysen ausschließlich auf Texte zeitgenössischer Autorinnen und Autoren zurück und fragt nach der anthropologischen Relevanz von Gottesdienst im Leben der Menschen von heute. Balthasar Fischer und Peter Cornehl erkannten das Potential, das sich hinter literarischen Zeugnissen für die Liturgiewissenschaft verbirgt. Sie haben erste Spuren hinterlassen, um das schillernde Verhältnis für die Liturgie‐ wissenschaft aufzubereiten, einen eigenständigen Ansatz gilt es aber erst zu entwickeln. Die vorliegende Untersuchung schließt sich den Erkenntnissen der beiden Liturgiker an und möchte ihre Bemühungen in einem umfassenderen Sinn fortführen. „Also, fangen wir an zu sammeln und zu sichten und zu interpretieren, nach allen Regeln der Kunst. Wir stehen bei der Auswertung dieser Quellen erst am Anfang. Hier warten viele kleine und größere Aufgaben auf eine neue Generation von Forscherinnen und Forschern.“ 67 34 3 Liturgiewissenschaft und Literatur - Zum Stand der Forschung <?page no="35"?> 68 Dieser Abschnitt folgt anfangs B I E R I N G E R , Andreas, Poetische Liturgik. Skizze für einen kultursensiblen Ansatz in der Liturgiewissenschaft, in: Jürgen B Ä R S C H - Stefan K O P P - Christian R E N T S C H (Hgg.), Ecclesia de Liturgia. Zur Bedeutung des Gottesdienstes für Kirche und Gesellschaft (FS Winfried Haunerland), Regensburg 2021, 341-358, 341 f. 69 G U A R D I N I , Romano, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung. Ein Brief, in: D E R S ., Liturgie und Bildung, Mainz - Paderborn 2 1992, 9-17, hier 15 f. 70 Vgl. J E G G L E -M E R Z , Birgit, Den heutigen Menschen im Blick. Wie Kirche liturgiefähig wird, in: HerKorr.Sp (2013/ 1) 5-9. 71 Vgl. zu diesem Programmwort der Liturgiekonstitution u. a. P R Aẞ L , Franz Karl, „Wie klingt katholisch? “, in: MThZ 70 (2019) 272-283; G R I L L O , Andrea, Il contributo di Pius Parsh [sic! ] all’impostazione della costituzione Sacrosanctum Concilium, in: Rivista liturgica 105 (2018) 477-498; L U R Z , Friedrich, Das Paradigma der tätigen Teilnahme angesichts der heutigen kulturell-religiösen Bedingungen, in: LJ 65 (2015) 192-205; N E U ‐ M A N N , Thomas, Participatio actuosa in der Spannung zwischen der rechtlichen Struktur 4 Zielsetzung und Methode Am Ende seines Lebens verfasst Romano Guardini einen berühmt gewordenen Brief, der mit dem Beginn der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammenfällt. Am 1. April 1964, nur vier Monate nach Verabschiedung von Sacrosanctum Concilium, spricht Guardini von einer Entfremdung zwischen Liturgie und modernem Menschen: 68 „Ist vielleicht der liturgische Akt, und mit ihm überhaupt das, was ‚Liturgie‘ heißt, so sehr historisch gebunden - antik, oder mittelalterlich -, daß man sie der Ehrlichkeit wegen ganz aufgeben müßte? Sollte man sich vielleicht zu der Einsicht durchringen, der Mensch des industriellen Zeitalters, der Technik und der durch sie bedingten psychologisch-soziologischen Strukturen sei zum liturgischen Akt einfach nicht mehr fähig? Und sollte man, statt von Erneuerung zu reden, nicht lieber überlegen, in welcher Weise die heiligen Geheimnisse zu feiern seien, damit dieser heutige Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen stehen könne? “ 69 Der Kulturphilosoph zweifelt nicht nur die Liturgiefähigkeit des modernen Menschen an, er stellt auch die tradierten Feierformen der kirchlichen Liturgie zur Disposition. 70 Zugleich zielt seine Anfrage ins Zentrum der liturgischen Reform, wenn er nach den anthropologischen Bedingungen gottesdienstlichen Tuns fragt. Der Glaube und seine Feier müssen einen Sitz in der Erfahrungs‐ wirklichkeit des Menschen haben. Mensch und Lebenswelt bestimmen durch die konziliare Forderung der „tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern“ (SC 14) die Bedingungen des Gottesdienstes. 71 Doch wie ist dieser Erfahrungsbezug <?page no="36"?> der Kirche und liturgietheologischen Prinzipien, in: LJ 64 (2014) 3-23; J E G G L E -M E R Z , Birgit, Tätige Teilnahme in „Sacrosanctum Concilium“. Stolperstein oder Impulsgeber für gottesdienstliche Feiern heute? , in: LJ 63 (2013) 153-166; S T U F L E S S E R , Martin, Actuosa participatio zwischen hektischem Aktionismus und neuer Innerlichkeit. Überlegungen zur „tätigen Teilnahme“ am Gottesdienst der Kirche als Recht und Pflicht der Getauften, in: LJ 59 (2009) 147-186; H A U N E R L A N D , Winfried, Participatio actuosa. Programmwort liturgischer Erneuerung, in: IKaZ Communio 38 (2009) 585-595. 72 O D E N T H A L , Liturgie als Ritual, 47. 73 L A N G E N H O R S T , Theologische Beschäftigung mit Literatur, 24. 74 Vgl. T I L L I C H , Paul, Systematische Theologie, Teil 1/ 2, Berlin - New York 8 1987; K U C H A R Z , Thomas, Theologen und ihre Dichter. Literatur, Kultur und Kunst bei Karl Barth, Rudolf Bultmann und Paul Tillich, Mainz 2005. Tillichs Ansatz wurde im deutschsprachigen Raum für die Literaturtheologie u. a. von Hans Jürgen Baden, Friedrich Hahn, Dorothee Sölle und Hennig Schröer adaptiert. 75 L A N G E N H O R S T , Theologische Beschäftigung mit Literatur, 24. 76 Vgl. u.-a. O D E N T H A L , Liturgie als Ritual. heute einzuholen, wenn die Kluft zwischen Liturgie und Leben seit Guardinis Brief noch größer geworden ist? Antworten darauf zu finden, gehört zu den Aufgaben der Liturgiewissenschaft. Oder mit anderen Worten: Die Disziplin sucht nach „den Bedingungen [des Gottesdienstes] zwischen traditionellen Vorgaben und neuzeitlichen Herausforderungen“ 72 . Die vorliegende Arbeit greift diese Konstellation auf und postuliert, dass der Dialog mit der modernen Kunst und hier im Besonderen mit der zeitgenössischen Literatur eine passende Gelegenheit bietet, nicht nur die anthropologischen Grunderfahrungen heutiger Menschen einzuholen, sondern sie zugleich mit den tradierten Formen des Glaubens bzw. der Liturgie zu verbinden Der hier skizzierte Zugang wird ebenso durch Überlegungen des Augsburger Theologen Georg Langenhorst gestützt, der für die Verhältnisbestimmung von Literatur und Religion das Konzept der „Korrelation“ 73 ins Spiel bringt. Dafür greift er nicht auf das an anderer Stelle bereits auf die Literaturtheologie angewandte Konzept Paul Tillichs (1886-1965) zurück, sondern orientiert sich an einem religionspädagogischen Entwurf. 74 „Dort versteht man unter ‚Korrelation‘ eine kritische und zugleich produktive Wech‐ selbeziehung zwischen dem Geschehen, dem sich der überlieferte Glaube verdankt auf der einen und dem Geschehen, in dem Menschen heute ihre Erfahrungen machen, auf der anderen Seite.“ 75 Dieser Leitgedanke lässt sich in modifizierter Weise auf die Liturgiewissenschaft übertragen, gehört es doch wie schon erwähnt, zu ihrem Proprium, die Bedin‐ gungen des Gottesdienstes zwischen traditionellen Vorgaben und neuzeitlichen Herausforderungen immer neu auszuloten. 76 Die eben zitierte Definition stützt 36 4 Zielsetzung und Methode <?page no="37"?> 77 Vgl. O D E N T H A L , Liturgie als Ritual, 47f. 78 Langenhorst betont zurecht, dass wir als Lesende niemals einen direkten Zugang zu den Wahrnehmungen anderer bekommen, da die niedergeschriebenen Erfahrungen immer schon gedeutet, gefiltert und verfremdet sind: „Über den doppelten Filter der schriftstellerischen Gestaltung einerseits und der stets individuellen Deutung anderer‐ seits ist aber zumindest ein indirekter Zugang zu Erfahrungen anderer möglich.“, in: L A N G E N H O R S T , Theologische Beschäftigung mit Literatur, 23 f. 79 Beinahe in Vergessenheit geraten ist der kultursensible Ansatz von Anton Ludwig Mayer (1891-1982). Mayer versuchte, die klassischen Quellen der Liturgiewissenschaft auf die außerreligiöse Kunst und Kultur auszuweiten. Eines seiner Anliegen bestand in der Erforschung der Beziehungen der Liturgie zur „weltlichen“ Literatur, ein Allein‐ sich im Rahmen der hier präsentierten Arbeit auf die Wechselseitigkeit zweier Angelpunkte: Die „geronnene Erfahrung“ in den tradierten Ritualen muss mit den Erfahrungen der Menschen von heute, wie sie u. a. in den literarischen Texten der Gegenwart zur Sprache kommen, in Kontakt gebracht werden. 77 Dem Erbe Guardinis verpflichtet, versteht sich die vorliegende Arbeit daher als Beitrag, die Ursachen für das anhaltende Auseinanderdriften von Liturgie und Leben unter säkularen Bedingungen aufzuzeigen und konkrete Konse‐ quenzen für die liturgische Praxis zu benennen. Die Besonderheit der Arbeit liegt in der Erschließung zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur als Ort liturgiewissenschaftlicher Erkenntnis. Pro‐ fane Literatur darf aber nicht bloß als (sekundäre) Quelle im philologischen Sinn verstanden werden. Sie fungiert vielmehr als Gesprächspartnerin, um zwischen Praxis, Theorie und Geschichte einerseits und Ritual und sozialer wie subjektiver Erfahrung anderseits zu vermitteln. Als Resonanz hält sie inspirie‐ rende Einblicke bereit, wann Liturgie und Leben heute übereinstimmen, aber auch, wann sie aneinander scheitern. Darüber hinaus liefert sie einen reichen empirischen Erfahrungsschatz sprachsensibler Subjekte, der für die Liturgie‐ wissenschaft eine inspirierende Anregung sein kann, schon vorreflektiert und doch immer genuin. 78 Nach Innen geschieht dies, indem das „Quellenspektrum“ der Liturgiewissenschaft auf die Literatur ausgeweitet wird, weil sie über das Verhältnis von heutigem Leben und Liturgie Auskunft gibt. Nach Außen will die Arbeit unter Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, die Brechungen der (Post-)Moderne, wie sie besonders in der Literatur artikuliert werden, in ihre Überlegungen miteinbeziehen, ohne die klassischen Aufgaben der Liturgiewissenschaft zu vernachlässigen. Mit Fischer und Cornehl wurde bereits festgehalten, dass die Liturgiewissen‐ schaft derzeit über keine Methode verfügt, um die zahlreichen liturgischen Spuren in der Gegenwartsliteratur innerhalb ihres Quellenspektrums zu ver‐ orten. 79 Aufgrund der noch geringen Erfahrung der Disziplin mit fiktionalen 4 Zielsetzung und Methode 37 <?page no="38"?> stellungsmerkmal, das bis heute nicht fortgeführt wurde. Ihm ging es stets darum, Liturgie inmitten eines umfassenderen kulturellen Kontextes lesen zu können. In seinen gesammelten Aufsätzen „Die Liturgie in der europäischen Geistesgeschichte“ charak‐ terisierte er die Liturgie im Kontext ihrer jeweiligen Epochen, um das Wechselspiel zwischen Liturgie und Geistesleben aufzuspüren. Vgl. dazu M A Y E R -P F A N N H O L Z , Anton Ludwig, Die Liturgie in der europäischen Geistesgeschichte. Gesammelte Aufsätze, hg. von Emmanuel V O N S E V E R U S , Darmstadt 1978. 80 Zu einer kulturinteressierten Praktischen Theologie vgl. F E C H T N E R , Kristian u. a., Praktische Theologie. Ein Lehrbuch (ThW 15), Stuttgart 2017, 38-45, 149-151. 81 T Ü C K , Hintergrundgeräusche, 27. 82 Tück verweist in diesem Zusammenhang auf Joseph Ratzinger: „Wie es dem Glau‐ benden geschieht, daß er vom Salzwasser des Zweifels gewürgt wird, das ihm der Ozean fortwährend in den Mund spült, so gibt es auch den Zweifel des Ungläubigen an seiner Ungläubigkeit, an der wirklichen Totalität der Welt, die zum Totum zu erklären er sich entschlossen hat. […] Wer der Ungewißheit des Glaubens entfliehen will, wird die Ungewißheit des Unglaubens erfahren müssen, der seinerseits doch nie endgültig gewiß sagen kann, ob nicht doch der Glaube die Wahrheit sei.“, in: R A T Z I N G E R , Joseph, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968, 22f. Texten wäre es an dieser Stelle vermessen zu behaupten, der Autor könnte im Rahmen einer solchen Arbeit bereits einen umfassenden Zugang zum Verhältnis von Liturgie und Literatur vorlegen. 80 Vielmehr will diese Arbeit erste Tendenzen, Beobachtungen und Einsichten, die aus Einzelanalysen litera‐ rischer Texte gewonnen werden, für den liturgiewissenschaftlichen Diskurs aufbereiten, um einen fruchtbaren Dialog zwischen beiden Größen in Gang zu bringen. Vor dem Hintergrund des bereits Gesagten geht die Arbeit anthropo‐ logisch, hermeneutisch und rezeptionsästhetisch vor: 1) Anthropologisch, weil sie nach universalen Grundvollzügen fragt, die sich in liturgischen Ritualen widerspiegeln. Jan-Heiner Tück vertritt in seinen literaturtheologischen Beiträgen einen anthropologischen Zugang, der nicht auf die sonst üblichen motivgeschichtlichen Untersuchungen abhebt oder vor‐ schnell nach expliziten religiösen Aussagen in der Literatur sucht. Der Wiener Dogmatiker fragt vielmehr „auf der anthropologischen Ebene danach […], wie Erfahrungen von Freundschaft und Liebe, aber auch von Leid, Trauer und Tod literarisch implizit mit Sinn- und Glaubensdiskursen verbunden werden.“ 81 Sein Zugang ist davon geprägt, dass sich gläubige wie nicht gläubige Menschen über ihre existentiellen Erfahrungen produktiv austauschen können, da beide Anfechtungen und Erschütterungen ausgesetzt sind. Liebe und Tod, Krankheit und Heilung, Schuld und Verzeihung entbinden starke Emotionen, die die eigenen wie fremden Überzeugungen hinterfragen lassen. 82 Diese Überlegungen lassen sich indirekt auch für die vorliegende Untersuchung fruchtbar machen, da sie nach Ritualen und Liturgien sucht, die mit anthropologischen Grenzerfah‐ 38 4 Zielsetzung und Methode <?page no="39"?> 83 Vgl. V A N G E N N E P , Arnold, Übergangsriten. Aus dem Französischen von Klaus Schom‐ burg und Sylvia M. Schomburg-Scherff. Mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg- Scherff, Frankfurt a. M. - New York 3 2005; T U R N E R , Victor, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg- Scherff. Neuauflage, Frankfurt a.-M. - New York 2005. 84 Vgl., B I E R I N G E R , Poetische Liturgik, 350-352. 85 Vgl. P A P S T F R A N Z I S K U S - D I L O R E N Z O , Giovanni, „Ich kenne auch die leeren Momente“. Was bedeutet Glaube? Ein ZEIT-Gespräch mit Papst Franziskus, in: Die Zeit Nr. 11 vom 09.03.2017, 13-15, hier 15. 86 H A N D K E , Peter, Langsam im Schatten. Gesammelte Verzettelungen 1980-1992, Frankfurt a. M. 1992, 123 f. Was Handke hier im Kontext der Heiligen Schrift sagt, lässt sich in Analogie auf die Feier der Liturgie übertragen. 87 O D E N T H A L , Liturgie als Ritual, hier 185. Ferner auch W A H L , Heribert, Glaube und symbolische Erfahrung. Eine praktisch-theologische Symboltheorie, Freiburg i. Br. u. a. 1994. 88 Vgl. dazu u. a. S A L M A N N , Elmar, Der geteilte Logos. Zum offenen Prozess von neuzeit‐ lichem Denken und Theologie (StAns 111), Rom 1992, hier bes. 373-399. rungen verbunden sind, auch wenn sie vordergründig vielleicht nicht mehr als christliche Liturgien erkennbar sind oder in Kernbereichen von ihr abweichen. 83 2.) Hermeneutisch, weil die vorliegende Arbeit fragt, wie literarische Prot‐ agonisten die Liturgie mit ihrem eigenen Geschick in Verbindung bringen. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurde Papst Franziskus gefragt, was Glaube heute bedeute. 84 Der Pontifex bleibt zunächst vage: Glaube ist Freude, Licht, ja ein Gnadengeschenk. Der Journalist gab sich damit aber nicht zufrieden und hakte nach, bis Franziskus schließlich vom Glauben als „Hermeneutik des Lebens“ 85 sprach, als Fähigkeit, das eigene Leben im Licht des Evangeliums zu deuten. Wenn der Eindruck nicht täuscht, gibt es in der hier zu analysierenden Literatur eine gesteigerte Aufmerksamkeit für liturgische Rituale, die eine hermeneutische Grundmotivation vermuten lassen. Peter Handke gibt in einem Notizbuch Auskunft darüber: Der Mensch von heute kann in der Liturgie wie in der Bibel seine eigene Geschichte aufspüren, „er kann sie da entdecken, dann sie verstehen, dann sich ihr stellen. […] [E]r ist gezwungen, zu sehen, wie es, in der Tiefe, mit ihm steht, dem Sterblichen.“ 86 Liturgie wird in der Literatur so begangen, dass Zeitgenossen und Zeitgenossinnen ihr Leben im Ritual erkennen. Im (symbolischen) Tun der Liturgie soll das so Erfahrene wieder auf die jeweilige Lebensbedingung hin verflüssigt werden. „Es geht […] darum, in fremden Erfahrungen eigene wiederzuerkennen. Damit entsteht etwas Neues, das alte Ritual wird ,modern‘.“ 87 Eben darin ereignet sich der „Einbruch der Transzendenz Gottes“ als neue Deutung der Lebensgeschichte von Gott her. 88 In der Liturgie knüpft der Mensch seine Erfahrungen an die Glaubenserfahrung der Kirche. Hat jedoch das eigene Leben keinen inneren Ort 4 Zielsetzung und Methode 39 <?page no="40"?> 89 Vgl. M E Y E R - B L A N C K , Gottesdienstlehre, 343-387. 90 Vgl. C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 139, 153. 91 „Welches Lied gesungen wurde, welche Liturgien, Gebete, Lesungen vorkamen, wird nicht berichtet. Und doch ist das Ganze nichts nur Innerliches. Es ist eine Begegnung. Gesang, Orgelspiel, die Bilder - sie kommen von außen. Entscheidend freilich ist, was sie im Inneren auslösen. Es sind Impulse, die das innere Leben, Anschauung und Gefühl stimulieren. Allein vom Subjekt wird die Bedeutung generiert.“, in: C O R N E H L , Gottesdienst im Spiegel der Literatur, 147. mehr in der Liturgie, kann der Mensch sich auch nicht von der Transzendenz Gottes berühren lassen. 3.) Rezeptionsästhetisch, weil die Arbeit nach der emotionalen und gedank‐ lichen Wahrnehmung bei der Erschließung von Liturgie fragt, ohne dabei das „Gesamtkunstwerk Gottesdienst“ aus den Augen zu verlieren. 89 Methodisch schließt die Arbeit damit an Cornehls Überlegungen an, weil auch sie ihren Fokus auf die subjektive Erschließung liturgischer Feiern legt. Cornehl würdigt zwar die rezeptionsästhetischen Zugänge innerhalb der (evangelischen) Prakti‐ schen Theologie, nennt seinen eigenen Ansatz jedoch „rezeptionsgeschichtlich“. Damit ist bei ihm nicht nur die Suche nach „Langzeitwirkungen“ bestimmter Deutungsmuster, Figuren oder Wendungen des literarisch-liturgischen Rezept‐ ionsprozesses in historischen Texten verbunden, sondern ebenso das Interesse für die „biographische Dimension gelebter Religion“ 90 . In Analogie dazu wird bei den hier vorgestellten Autorinnen und Autoren immer auch nach ihrer Biogra‐ phie gefragt, um zu untersuchen, welchen Einfluss die religiöse Sozialisierung auf die Wahrnehmung von Liturgie nimmt. Wenn Cornehls These zutrifft, dass literarische Figuren in der Liturgie nach subjektiven Empfindungen streben und dabei liturgische Details (welche Texte, Gebete oder Lieder verwendet werden) vernachlässigen, stellt sich unweigerlich die Frage, wie es um das Verhältnis zwischen Subjektivität und Objektivität der Liturgie bestellt ist. 91 Daraus resultiert der Auftrag, die individuellen Perzepte der Teilnehmenden ausreichend zu würdigen, das objektive Konzept der Liturgie aber nicht zu vernachlässigen. Dabei geht die Arbeit von der Prämisse aus, dass die objektive Liturgie nicht ohne die subjektiven Brechungen vollzogen werden kann. 40 4 Zielsetzung und Methode <?page no="41"?> 92 Vgl. u.-a. L A N G E N H O R S T , Theologische Beschäftigung mit Literatur, 17-25. 93 Vgl. dazu die luziden Ausführungen von S C H M I D T -D E N G L E R , Wendelin, Das Gebet in die Sprache nehmen. Zum Säkularisierungssyndrom in der österreichischen Literatur der siebziger Jahre, in: Christiane P A N K O W (Hg.), Österreich. Beiträge über Sprache und Literatur, Umeå 1992, 45-62. 5 Aufbau und Struktur Um die gesteckten Ziele zu erreichen, gliedert sich die Arbeit in zwei große Abschnitte, die von einer Hinführung eingeleitet und einem Epilog abge‐ schlossen werden. Den inhaltlichen Auftakt macht Teil B („Liturgische Spuren in der zeitgenössischen Literatur“), in dessen Zentrum die zu untersuchende Literatur steht. Dass ihr und nicht liturgiewissenschaftlichen Theorien der Vorrang gilt, ist historisch bedingt, wurde sie doch über lange Zeit hinweg von Theologie und Lehramt abgewertet. In diesem Sinn spiegelt sich der am Zweiten Vatikanum vollzogene Paradigmenwechsel (vgl. GS 62) auch struk‐ turell wie methodisch in der Arbeit wider. 92 Die prioritäre Behandlung der Literatur soll zugleich vorschnelle Lesarten verhindern, die sich ausschließlich auf liturgiewissenschaftliche Fragestellungen fokussieren. Inhaltlich besteht Teil B aus sechs Einzelanalysen literarischer Texte (hauptsächlich Prosa, ab und an auch Lyrik), die von fünf zeitgenössischen Autoren und einer Autorin stammen. Die Auswahl der Texte bzw. Autoren/ Autorin folgt unterschiedli‐ chen Parametern: Zuerst zielt die Arbeit auf ein möglichst breites Spektrum in Bezug auf Herkunft und Umgang mit der Liturgie ab. Mit Peter Handke (geb. 1942) und Christoph Ransmayr (geb. 1954) stammen zwei der vier Autoren aus Österreich, Arnold Stadler (geb.1954) wurde in Oberschwaben geboren und Hanns-Josef Ortheil (1951) verbrachte seine Kindheit und Jugend in Köln bzw. dem Westerwald. Die hier vorgestellten Autoren verbindet, dass sie noch vor dem Zweiten Vatikanum (1962-1965) sozialisiert wurden und innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zur „Ministrantenfraktion“ zählen. 93 Erzogen wurden sie überwiegend in vormodernen, meist ländlich geprägten Dorfmilieus, in denen die katholische Kirche beinahe alle Lebensbereiche do‐ minierte. Mit Ausnahme von Stadler mussten sie - meist mangels Alternativen - wenigstens zeitweise katholische (Internats-)Schulen besuchen. Grosso modo werden die genannten Autoren der sog. 68er Bewegung zugerechnet, die teils radikal mit der eigenen Herkunft brach und jede Form der (religiösen) Bevormundung ablehnte. Wie ambivalent das Verhältnis zu den eigenen Wurzeln mitunter war (oder immer noch ist), lässt Handke in einem seiner <?page no="42"?> 94 H A N D K E , Peter, Das Gewicht der Welt. Ein Journal (November 1975-März 1977), Frankfurt a.-M. 2 1982, 21. 95 Vgl. D O R N E M A N N , „Als stände Christus neben mir“, 230-238, 267-270. 96 L E H N E R T , Christian, Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet, Berlin 2017. Journalbände anklingen: „Das Fette, an dem ich würge: Österreich.“ 94 Trotz aller biographischen Verwerfungen mit der Religion pflegen alle vier bis heute (meist nach längerer Absenz) Kontakt zur ihrer Herkunftsreligion, besu‐ chen selbst regelmäßig Liturgien oder schicken wenigstens die Protagonisten ihrer Romane, Erzählungen und Gedichte in den Gottesdienst. 95 So groß die Gemeinsamkeiten in Bezug auf Religion und Herkunft auch sind, so unter‐ schiedlich bzw. eigenständig ist ihr Zugriff auf den katholischen Gottesdienst. Pointiert wie vorläufig lässt sich der Umgang an dieser Stelle mit folgenden Prädikaten versehen: künstlerisch (Handke), biographisch (Ortheil), archaisch (Ransmayr) und spirituell (Stadler). Als weiteres Auswahlkriterium fungierte zudem das hohe Renommee und internationale Ansehen der Autoren, das sich in unzähligen Auszeichnungen widerspiegelt. Mit Handke ist sogar ein (wenn auch umstrittener) Nobelpreisträger ausgewählt. Die Reihung der ersten vier Schriftsteller wurde alphabetisch vorgenommen, folgt chronologisch aber auch dem Geburtsdatum. Ergänzt wird die erste Autorengruppe um die Starnberger Autorin Petra Morsbach (geb. 1956) und den evangelischen Pfarrer und Dichter Christian Lehnert (geb. 1969). Morsbach kommt als Nichtkatholikin, die zwar protestan‐ tisch getauft wurde, sich heute aber keiner Denomination zugehörig fühlt, von außen. Mit ihrer Perspektive als areligiöse Frau und unabhängige Beobachterin durchbricht sie den oft von Männern dominierten Blick auf die katholische Sakralwelt. Aus konfessioneller Sicht ergänzt Christian Lehnert die Spannweite der Arbeit um einen evangelischen Zugang. Lehnert wuchs in der DDR ohne Bezug zur Religion auf und entschied sich erst als Jugendlicher, Kontakt mit der Kirche aufzunehmen. Auch wenn er als Autor und evangelischer Geistlicher in einer langen Tradition dichtender Pfarrer steht, ist er derzeit wohl der einzige seiner Zunft, der jenseits des kirchlichen Binnenmilieus als Schriftsteller vom Literaturbetrieb wahrgenommen wird. Lehnert wurde mit seinem Buch „Der Gott in einer Nuß“ 96 ganz bewusst an das Ende des ersten Teils gestellt. Mit seinem eigenwilligen Prosawerk schlägt er eine direkte Brücke zum zweiten Teil der Arbeit, weil er darin die Messe sowohl mit theologisch-religionswissen- 42 5 Aufbau und Struktur <?page no="43"?> 97 Auch wenn sich die Auswahl der Autoren/ Autorin mit klaren Kriterien begründen lässt, spiegelt sie ebenso den persönlichen Geschmack und die literarische Vorliebe des Autors wider. Jede Wahl für einen bestimmten Autor bedeutet zugleich eine gegen einen anderen. Damit sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich liturgische Spuren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nicht nur auf die hier versammelten Autoren beschränkt. Vgl. B I E R I N G E R , Andreas, „Ein Schwanken ging durch die Welt“. Zum Einfluss der katholischen Liturgie auf die Literatur der Gegenwart, in: IKaZ Communio 42 (2013) 4-16. schaftlichen Reflexionen als auch mit autobiographischen Erfahrungen aus seiner Zeit als Pfarrer poetisch erschließt. 97 Literatur und Liturgie sind etymologisch zwar nicht miteinander verwandt, dennoch stellt sich im Rahmen einer solchen Studie die Frage, ob sich hinter der semantischen Ähnlichkeit nicht doch eine gewisse Verwandtschaftsbeziehung im Namen der Litterae, der Buch- und Blätterkunde (Lehnert), der Freude am Buchstaben und der damit verbundenen Sprache verbirgt. In der Bibel kommen beide Größen jedenfalls häufig zusammen, und gerade da wird Leben erschlossen, gehoben und gerettet. In diesem Sinn liefert die Literatur Erfah‐ rungsberichte, wie sie sonst für die Liturgiewissenschaft kaum zugänglich sind. Beide haben zudem mit ästhetischer Form und Dynamik zu tun. Von daher kann die Literatur für Liturgiewissenschaft Inspiration, Korrektiv und Anregung sein. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, werden in Teil C der Arbeit vier Bereiche der Vermittlung zwischen Literatur und Liturgie benannt, die das Gespräch zwischen Literatur und Liturgie in Gang bringen sollen: 1.) Raum, 2.) Stille - Klang - Gesang, 3.) Erfahrung und 4.) Körper. Als Querschnittsmaterie dienen sie als Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Einzelanalysen ebenso wie der inhaltlichen Verbindung untereinander. Vor allem aber sind sie Bindeglieder zur Liturgiewissenschaft und bewusst allgemein gehalten, damit der Erfahrungsschatz aus der Literatur nicht vorschnell und einseitig auf liturgiewissenschaftliche Theorien übertragen wird. Um zu unter‐ streichen, dass es sich bei den vier Bereichen über die Liturgiewissenschaft hinaus um zentrale Schnittstellen von säkularer Gesellschaft und Religion handelt, werden Sozialwissenschaftler und Philosophen wie Marc Augé (Nicht- Orte), Hartmut Rosa (Resonanz), Charles Taylor (Säkularisierung) und Hans Joas („Selbsttranszendenz“) als Gewährsmänner in die Überlegungen miteinbezogen. Die Arbeit mündet schließlich in das Schlusskapitel („Wandlung und Polarität als Grundprinzipien von Liturgie, Leben und Literatur“), das bewusst auf eine klassische Zusammenschau aller Ergebnisse verzichtet. Stattdessen werden die Erkenntnisse aus beiden Teilen in dem Begriff „Wandlung und Polarität“ gebündelt, um nochmals aufzuzeigen, wie eng Literatur, Liturgie und Leben miteinander verknüpft sind. 5 Aufbau und Struktur 43 <?page no="45"?> II Liturgische Spuren in der zeitgenössischen Literatur <?page no="47"?> 1 Die treffende Charakterisierung stammt von H Ö L L E R , Hans, Die Weltlichkeit der Bibel. Zu Handkes Klassik nach 1945, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2014, 69-82, hier 76. Als Grundlage dieses Kapitels diente B I E R I N G E R , Andreas, Weltöffnender Katholizismus. Peter Handke erhält den Literaturnobelpreis, in: HerKorr 73 (2019/ 11) 21-23; D E R S ., „Das war, als finge ein stehengebliebenes Herz wieder zu schlagen an.“ Liturgische Poesie bei Peter Handke, in: Jan-Heiner T Ü C K - D E R S . (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2014, 85-100; D E R S ., „Ein Schwanken ging durch die Welt“; D E R S ., „Hühnerleiter wird Jakobsleiter“. Spuren der Liturgie in Peter Handkes Stück „Immer noch Sturm“, in: IKaZ Communio 39 (2010) 701-708. 2 Vgl. S T R A U ẞ , Botho, Was bleibt von Peter Handke? , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr. 126 vom 01.06.2006, 37; - https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ b otho-strauss-was-bleibt-von-handke-1330233.html (Zugriff am 13.12.2019). Mehrmals nahm Handke zu den Vorwürfen eindeutig Stellung: Vgl. u. a. H A N D K E , Peter, Was ich nicht sagte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 30.05.2006 - https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ debatten/ peter-handke-was-ich-nicht-sagte-1330935. html (Zugriff am 13.12.2019); vgl. darüber hinaus auch die Stellungnahme H A N D K E , Peter, Stellungnahme zur Anwesenheit bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic, in: Suhrkamp - https: / / www.suhrkamp.de/ download/ Sonstiges/ Handke_Stellungnahme. pdf (Zugriff am 13.12.2019). 3 S T R A U ẞ , Was bleibt von Peter Handke? , 37. 4 Zur Bedeutung Handkes vgl. die Begründung der Jury anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises 2019: „The Nobel Prize in Literature for 2019 is awarded to the Menschensohn, schau mit deinen Augen und mit deinen Ohren höre und richte dein Herz auf alles, was ich dir zeige! (Ezechiel 40,4) 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ 1 „Was bleibt von Peter Handke? “, fragte Botho Strauß in einer Glosse für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, als 2006 die Wogen über Handkes Haltung zu Serbien hochgingen, nachdem er am Begräbnis von Slobodan Milošević eine Rede gehalten hatte. 2 „Nicht nur der sprachgeladenste Dichter seiner Generation“, hielt Strauß den Kritikern damals entgegen, „sondern […] eine Wegscheide des Sehens, Fühlens und Wissens in der deutschen Literatur.“ 3 Dass ausgerechnet der so gerühmte wie geschmähte Autor trotz seiner damaligen Haltung im Balkan-Konflikt 2019 den Literaturnobelpreis erhielt, kam selbst für eingeschworene Handke-Verehrer überraschend, obgleich er schon lange als Anwärter für die höchsten Ehren der Literaturwelt galt. 4 Es wunderte daher <?page no="48"?> Austrian author Peter Handke for an influential work that with linguistic ingenuity has explored the periphery and the specificity of human experience.”, in: S V E N S K A A K A D E M I E N , The Nobel Prizes in Literature for 2018 and 2019 - https: / / www.nobelprize.org/ upload s/ 2019/ 10/ press-literature2018-2019.pdf (Zugriff am 06.12.2019). 5 Vgl. B R E I T E N S T E I N , Andreas, Die Stunde der falschen Empfindung - wie der Dichter Peter Handke in die Falle der grossserbischen Ideologie tappte und keinen Ausweg mehr fand, in: Neue Zürcher Zeitung vom 06.12.2019 - https: / / www.nzz.ch/ meinung/ peter-handk es-serbien-die-stunde-der-falschen-empfindung-ld.1525766 (Zugriff am 13.12.2019). 6 Zu den emphatischen Befürwortern des Nobelpreises für Handke gehörte der Lite‐ raturkritiker Denis Scheck, in: B I S K Y , Jens - S C H E C K , Denis, „Im Grunde ist der Literaturnobelpreis auch nur ein Witz“. Denis Scheck im Audio-Interview mit Jens Bisky, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 17.10.2019 - https: / / www.sueddeutsche.de/ k ultur/ denis-scheck-kanon-literatur-1.4644345 (Zugriff am 16.12.2019). 7 Ohne jede Textgrundlage macht der Philosoph Slavoj Žižek aus Handke einen „Apo‐ logeten des Völkermords“. Siehe dazu W E I S B R O D , Lars - Ž I Ž E K , Slavoj, Als Milch noch Milch hieß. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek kritisiert Handkes Blick auf Jugoslawien. Interview mit Slavoj Žižek, in: Die Zeit Nr. 43 vom 16.10.2019 - https: / / www.zeit.de/ 2019/ 43/ slavoj-zizek-philosoph-peter-handke-kritik-jugoslawien-literat urnobelpreis (Zugriff am 16.12.2019). 8 Vgl. F E D E R M A I R , Leopold, Peter Handkes balkanesische Friedensepik. Ein Versuch, das Dissidententum des slowenisch-österreichischen Autors zu erklären, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 11.11.2019 - https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ peter-handke-zwischen -friedensepik-und-ewiger-rache-ld.1519935 (Zugriff am 13.12.2019); vgl. darüber hinaus D E R S ., Die Apfelbäume von Chaville. Annäherungen an Peter Handke, Salzburg u. a. 2012, hier bes. 37-74. 9 K A S T B E R G E R , Klaus - M I C H L E R , Werner u. a., Erklärung deutsch- und anderssprachiger Autor/ innen, Literaturwissenschaftler/ innen, Publizist/ innen, Übersetzer/ innen sowie weiterer - www.handke-erklaerung.at/ index.html - (Zugriff am 13.12.2019). weiter nicht, dass die Preisvergabe alte Konflikte wachrief. Die Heftigkeit, mit der die Debatte über die politischen Äußerungen des Schriftstellers geführt wurde, überschritt jedoch das sonst übliche Maß. 5 Die einen sahen in der Preisverleihung eine „schallende Ohrfeige für die politische Korrektheit“ 6 , die anderen wiederum die unbotmäßige Huldigung eines „Apologeten des Völker‐ mords“ 7 . Das Ausmaß der medialen Empörung ließ Handkes „Friedensepik“, wie der Germanist und Schriftsteller Leopold Federmair die ethisch motivierte Ästhetik im Werk des Österreichers charakterisiert, fast vollständig in den Hintergrund treten. 8 Jene Stimmen, die die Vergabe des Nobelpreises an Handke verteidigten, konnten sich kaum gegen die „Anti-Handke-Propaganda“ 9 Gehör verschaffen. Erfreut zeigte sich etwa Elfriede Jelinek, Literaturnobelpreisträ‐ gerin des Jahres 2004, dass die Wahl zum zweiten Mal in der Geschichte des Preises auf einen Schriftsteller aus dem kleinen, aber literarisch äußerst produk‐ tiven Österreich fiel. Handke, der für sie der „lebende Klassiker“ schlechthin ist, mit der hohen Auszeichnung zu bedenken, sei längst überfällig gewesen, 48 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="49"?> 10 „Der große Dichter Handke hat den Nobelpreis zehnmal verdient.“, in: J E L I N E K , Elfriede, Elfriede Jelinek nimmt für Peter Handke Partei, in: News vom 04.11.2019 - http s: / / www.news.at/ a/ elfriede-jelinek-handke-partei-11200296 (Zugriff am 10.12.2020); vgl. darüber hinaus früherer Stellungnahmen Jelineks zu Handke: J E L I N E K , Elfriede, Interview mit Elfriede Jelinek, in: Homepage Elfriede Jelinek - http: / / elfriedejelinek.c om/ andremuller/ elfriede%20jelinek%202004.html (Zugriff am 13.12.2019). 11 Vgl. L E W I T S C H A R O F F , Sibylle, Du sollst das Werk nicht mit dem Autor verwechseln. Zum Nobelpreis für Peter Handke, in: IKaZ Communio 48 (2019) 685-686, hier 686. 12 H A N D K E , Peter - D E R S T A N D A R D , Peter Handke über den Nobelpreis. „Ich bin durch die Wälder geeiert“, in: Der Standard vom 10.10.2019 - https: / / www.derstandard.at/ st ory/ 2000109745044/ peter-handke-ueber-den-nobelpreisich-bin-durch-die-waelder-gee iert (Zugriff am 10.12.2019). 13 H A N D K E , Peter, Nobelvorlesung vom 07.12.2019, in: S V E N S K A A K A D E M I E N - https: / / ww w.nobelprize.org/ uploads/ 2019/ 11/ handke-lecture-german.pdf (Zugriff am 18.12.2019); vgl. H A N D K E , Peter, Über die Dörfer. Dramatisches Gedicht, Frankfurt a.-M. 1981, 20 f. 14 Vgl. dazu die kurze wie prägnante Analyse von G A R H A M M E R , Erich, „Unsere Schultern sind für den Himmel da“. Peter Handkes Nobelpreisrede im Kontext seiner Poesie, in: MFThK vom 09.12.2019 - http: / / www.theologie-und-kirche.de/ garhammer-handkes-n obelpreisrede.pdf [12.12.2019]. ließ die sonst so öffentlichkeitsscheue Feministin wissen. 10 Die Büchner-Preis- Trägerin Sibylle Lewitscharoff (1954-2023) verneigte sich anlässlich der Nobel‐ preisverleihung ebenfalls vor dem „hochmögenden Werk“ und mahnte zugleich an, den Autor und seine politischen Äußerungen nicht mit dem erzählerischen Werk zu verwechseln, da sonst zwei Drittel des bedeutendsten Literaturkanons entfallen würden. 11 Der Dichter selbst - Handke lebt seit über dreißig Jahren in einem südwestlichen Vorort von Paris - nahm die Kunde von der Ehrung mit freudiger Gelassenheit entgegen. Nachdem ihn der Anruf der Schwedischen Nobelpreis-Akademie ereilte, flanierte er wie üblich durch Chaville: „Ich bin durch die Wälder geeiert, wie ich es eigentlich vorhatte.“ 12 In der inhaltlich wenig beachteten Nobelvorlesung reagierte der Laureat auf die Kritik an seinen politischen Äußerungen, indem er aus seinem Stück „Über die Dörfer“ zitierte: „Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird.“ 13 Handke beugte sich dem medialen Druck, seine Serbien-Äu‐ ßerungen vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu widerrufen, nicht. Er zitierte abermals aus dem dramatischen Gedicht „Über die Dörfer“, das 1982 in Salzburg uraufgeführt wurde, aber so klingt, als hätte der Nobelpreisträger die Zeilen für seine Kritiker geschrieben: 14 „Die Verneigung vor der Blume ist möglich. Der Vogel im Gezweig ist ansprechbar. So sorgt in der mit künstlichen Farben fertiggemachten Welt für die wiederbelebenden Farben einer Natur. Das Bergblau ist - das Braun der Pistolentasche ist nicht; und wen oder was man vom Fernsehen kennt, das kennt man nicht. Unsere Schultern sind für 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ 49 <?page no="50"?> 15 H A N D K E , Nobelvorlesung vom 07.12.2019; vgl. D E R S ., Über die Dörfer, 111 f. 16 Vgl. u. a. zum Gesamtwerk Handkes aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die luzide Studie von H Ö L L E R , Hans, Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945. Das Werk Peter Handkes, Berlin 2013; vgl. darüber hinaus ebenso E S T E R M A N N , Anna - H Ö L L E R , Hans (Hgg.), Schreiben als Weltentdeckung. Neue Perspektiven der Handke-Forschung, Wien 2014; W A G N E R , Karl, Weiter im Blues. Studien und Texte zu Peter Handke, Bonn 2010; G O T T W A L D , Herwig - F R E I N S C H L A G , Andreas, Peter Handke (UTB 3220), Wien u. a. 2009; A M A N N , Klaus (Hg.), Peter Handke. Poesie der Ränder (Literaturgeschichte in Studien und Quellen 11), Wien u.-a. 2006. 17 Eine umfassende Darstellung des gesamten Œuvres von Handke samt Listung der For‐ schungsliteratur bietet die „Forschungsplattform Peter Handke“ der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Ö S T E R R E I C H I S C H E N A T I O N A L B I B L I O T H E K , Handkeonline - https: / / h andkeonline.onb.ac.at/ node/ 11 (Zugriff am 10.12.2019). 18 H A N D K E , Peter, Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt a. M. 1966; D E R S . Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Erzählung, Frankfurt a. M. 1970; D E R S . Wunschloses Unglück. Erzählung, Salzburg 1972; D E R S . Langsame Heimkehr. Erzählung, Frankfurt a. M. 1979; D E R S . Über die Dörfer. Dramatisches Gedicht, Frankfurt a. M. 1981; D E R S . Die Wiederholung, Frankfurt a. M. 1989; D E R S . Immer noch Sturm, Berlin 2010; D E R S . Der Große Fall; D E R S . Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere, Berlin 2017. 19 Zur Biographie und deren Implikationen auf das Werk vgl. u. a. H E R W I G , Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biografie, München 2010; G O T T W A L D - F R E I N S C H L A G , Peter Handke; H Ö L L E R , Hans, Peter Handke (Rowohlts Rotations-Romane 50663), den Himmel da, und der Zug zwischen der Erde und ihm läuft nur durch uns. Geht langsam und werdet so selber die Form, ohne die keine Ferne Gestalt annimmt. […] Verwandelt eure unerklärlichen Seufzer in mächtige Lieder. Unsere Kunst muß aus sein auf den Himmelsschrei! Laßt euch nicht die Schönheit ausreden - die von uns Menschen geschaffene Schönheit ist das Erschütternde.“ 15 Handkes Œuvre ist zu reich, ausdifferenziert und vielfältig, um es in ein paar wenigen Schlagwörtern auf den Punkt zu bringen. 16 Seit 1965 veröffentlichte er über siebzig Werke, neben Prosaerzählungen auch Theaterstücke, Gedichte, Journale, die bislang in über siebzig Sprachen übersetzt sind. 17 Zu den Klassi‐ kern seiner frühen Schaffensperiode gehören „Publikumsbeschimpfung“ (1966), „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970) und „Wunschloses Unglück“ (1972). Nach einer schweren Schreibkrise Ende der Siebziger sorgten Romane oder Stücke wie „Langsame Heimkehr“ (1979), „Über die Dörfer“ (1981), „Die Wiederholung“ (1986) und in jüngerer Zeit „Immer noch Sturm“ (2010), „Der große Fall“ (2011) oder „Die Obstdiebin“ (2017), um nur einige der bekanntesten Titel zu nennen, für Aufsehen und breite Rezeption. 18 Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen, einem Kärntner Dorf nahe der jugoslawischen Grenze, in bescheidene Verhältnisse hineingeboren. 19 Seine Mutter stammte aus einer slowenischen Familie, der Vater war ein 50 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="51"?> Reinbek b. Hamburg 2007; H A S L I N G E R , Adolf, Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers, Salzburg - Wien 1992. 20 Wie stark Handkes Schreiben von seiner Kärntner Herkunftsgegend und den Erzäh‐ lungen der Mutter beeinflusst wurde, legte Handke einmal mehr in seiner Nobelvorle‐ sung dar; vgl. H A N D K E , Peter, Nobelvorlesung vom 07.12.2019. 21 Vgl. H E R W I G , Meister der Dämmerung, 39-44; H Ö L L E R , Peter Handke, 11-21. 22 Vgl. den Kommentar zur Genese und Bedeutung von „Wunschloses Unglück“ in H Ö L L E R , Hans, Wunschloses Unglück. Erzählung. Mit einem Kommentar von Hans Höller unter Mitarbeit von Franz Stadler (SBB 38), Berlin 2003; Jan-Heiner Tück streicht Handkes „Poetik der Erinnerung“ heraus, die in „Wunschloses Unglück“ eine lebensgeschichtliche Verdeutlichung fand: Vgl. T Ü C K , Jan-Heiner, Rettendes Erinnern. Die religiöse Dimension im literarischen Werk Peter Handkes anlässlich der Vergabe des Literaturnobelpreises, in: CiG 71 (2019/ 42) 469-470, hier 469. 23 H A N D K E , Peter, Versuch über die Jukebox. Erzählung, Frankfurt 1990, 88 f. in Kärnten stationierter deutscher Wehrmachtssoldat, der die entstehende Familie noch vor der Geburt des Sohnes verließ. 20 Erst mit neunzehn Jahren sollte Handke den leiblichen Vater kennenlernen. Auch das Verhältnis zum Stiefvater, ursprünglich ebenfalls deutscher Soldat aus Berlin, blieb zeitlebens angespannt. 21 1971 beging Maria Handke im Alter von 51 Jahren aufgrund bedrückender Lebensumstände in der Familie Suizid. Trauer und Schmerz über den Tod verarbeitete der Sohn in „Wunschloses Unglück“ und setzte damit dem unscheinbaren Leben der Mutter ein literarisches Denkmal, das sich tief in die deutschsprachige Literaturgeschichte einschrieb und bis heute zu seinen bekanntesten Erzählungen gehört. 22 Nach der Matura und dem abgebrochenen Jus-Studium in Graz avancierte das noch unbedarfte Talent aus der Kärntner Provinz über Nacht zum literarischen Popstar einer ganzen Generation, die mit den gesellschaftlichen Konventionen der Eltern brach und das Rebellische zum obersten Lebensprinzip erhob. Der Generationenkonflikt manifestierte sich musikalisch in der Vorliebe der jungen Menschen für die Beats der englischen Popmusik, die für Handke zu einer Art Erweckungserlebnis wurden. Empha‐ tisch schildert er rückblickend den Moment, als er die Beatles, den „Chor der frechen Engelzungen“, erstmals hörte als „Levitation“, die endlich „alles Gewicht der Welt“ von ihm nahm: „›Auffahrt‹? ›Entgrenzung‹? ›Weltwerdung‹? Oder so: ›Das - dieses Lied, dieser Klang - bin jetzt ich; mit diesen Stimmen, diesen Harmonien bin ich, wie noch nie im Leben, der geworden, der ich bin; wie dieser Gesang ist, so bin ich, ganz! ‹? “ 23 Endgültige Berühmtheit erlangte der junge Schriftsteller, als er 1966 in Princeton bei einem Treffen der „Gruppe 47“ den etablierten Autoren - darunter berühmte Namen wie Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser oder Hans Magnus Enzensberger - nichts geringeres als 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ 51 <?page no="52"?> 24 Vgl. zu weiteren Angaben über Handkes Auftritt bei der „Gruppe 47“ H E R W I G , Meister der Dämmerung, 142; H Ö L L E R , Peter Handke, 41-43; darüber hinaus auch M A G E N A U , Jörg, Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47, Stuttgart 2015; zur Bedeu‐ tung der „Gruppe 47“ im zeitgeschichtlichen Kontext der BRD vgl. A R N O L D , Heinz Ludwig, Die Gruppe 47 (Rowohlts Rotations-Romane 50667), Reinbek b. Hamburg 2004. 25 Vgl. zu Handkes Theaterstücken F I S C H E R , Saskia, Ritual und Ritualität im Drama nach 1945. Brecht, Frisch, Dürrenmatt, Sachs, Weiss, Hochhuth, Handke, Paderborn 2019, hier bes. 391-405; K A S T B E R G E R , Klaus - P E K T O R , Katharina (Hgg.), Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater, Salzburg 2012. 26 Vgl. zu Handke als Provokateur u. a. B A N D E I L I , Angela, Rolf Dieter Brinkmann und Peter Handke um ’68. Der Skandal als Akt der Revolte? , in: Andrea B A R T L - Martin K R A U S (Hgg.), Skandalautoren. Zu repräsentativen Mustern literarischer Provokation und Aufsehen erregender Autorinszenierung. Bd. 2 (Konnex. Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur 10). Würzburg 2014, 53-68. 27 Zur Religion bei Handke vgl. B A L O C H , Harry, Ob Gott oder Nicht-Gott. Peter Handke und die Religion, Klagenfurt 2010. 28 Vgl. H Ö L L E R , Peter Handke, 82-92. „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf. 24 Mit dem skandalträchtigen Sprechstück „Publikumsbeschimpfung“ folgte kurz darauf unter der Ägide von Claus Pey‐ mann Handkes umjubeltes Theaterdebüt, das seinen Ruf als avantgardistischer Sprachprovokateur begründete. 25 Die Feuilletons der sechziger und siebziger Jahre bejubelten die frühen Werke Handkes und das popstarähnliche Auftreten des Dichters als Befreiung vom Mief der Kriegsgeneration. In diesen Jahren sollte sich auch das bis heute gepflegte mediale Image des hochsensiblen Künst‐ lers festigen, der zur Provokation neigt, politisch aber nur schwer einzuordnen ist. 26 1.1 Sehnsucht nach dem unpersönlichen Zusammenhang oder die Wiederentdeckung der Religion Nicht nur Handkes Haltung zum Jugoslawienkrieg löst bei vielen Irritationen aus, auch die Nähe zur Religion, ihren Denk- und Erscheinungsformen trägt zum anhaltenden Unbehagen vieler Leser und Leserinnen bei. 27 Ab Mitte der siebziger Jahre zeichnete sich eine lebensbedrohliche Schreibkrise ab, die den wortmächtigen Dichter beinahe zum Verstummen brachte. 28 Am Ende des Jahrzehnts begründete er sein Schreiben und das Recht auf Autorschaft neu, um den Bann des Schweigens, der über seiner kleinbäuerlichen Herkunft lag, zu brechen und die familiäre Verstrickung in die Kriegsgeschehnisse hinter 52 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="53"?> 29 Vgl. dazu die unveröffentlichte Tagebucheintragung während der Schreibkrise 1978: Selbst die Mutter habe „vor ihrem Tod nicht einmal gewagt, zu sagen, dass sie ihn liebe.“, in: H Ö L L E R , Peter Handke, 89. 30 Unveröffentlichter Tagebucheintrag vom 4. Dezember 1978, in: H Ö L L E R , Peter Handke, 89 [Herv. im Original]; zwischen 1979 und 1982 erscheinen die Bücher der Tetralogie „Langsame Heimkehr“, vgl. dazu H A N D K E , Peter, Langsame Heimkehr; D E R S ., Kinder‐ geschichte, Frankfurt a. M. 1981; D E R S ., Über die Dörfer; D E R S ., Die Lehre der Sainte- Victoire, Frankfurt 1980. 31 Unveröffentlichter Tagebucheintrag vom 12. Dezember 1978, in: H Ö L L E R , Peter Handke, 89 [Herv. im Original]; Vgl. dazu auch H A N D K E , Peter, Die Geschichte des Bleistifts, Frankfurt a. M. 1982, 146: „Der lange mit Stummheit Geschlagene fängt dann nicht zu reden an, sondern singt.“ 32 H A N D K E , Langsame Heimkehr, 141. 33 Vgl. dazu H Ö L L E R , Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945, 34-36. 34 Vgl. H Ö L L E R , Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945, 11-20. 35 H A N D K E , Peter, Rede zur Verleihung des Franz-Kafka-Preises, in: D E R S ., Meine Ortsta‐ feln. Meine Zeittafeln. 1967-2007, Frankfurt a.-M. 2007, 73-75, hier 74. 36 Vgl. dazu aus germanistischer Perspektive H Ö L L E R , Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945, 32 f. 37 B A U K E -R Ü E G G , Jan, Theologische Poetik und literarische Poetologie? Systematischtheologische Streifzüge, Zürich 2004, 474-497, hier 494 [Herv. gelöscht]. sich zu lassen. 29 In einer Phase höchster Not rettete ihn der Gedanke an eine beständige Gemeinschaft mit den anderen: „‹Nie mehr allein sein›: d. h., Schreibend mit den andern sein, immer; auch an sie schreibend, ihnen Bilder gebend“ 30 . Am Beginn der Tetralogie „Langsame Heimkehr“ bricht sich das neue Schreibkonzept endgültig Bahn: „Was ich schreibe, muß wirklich ein Gesang werden“ 31 . Mit Gesang meint er, selbst ein „mächtiger Klagekörper“ 32 zu werden, der mit der Welt ins Klingen kommt. 33 Der Germanist Hans Höller spricht bei der Neuorientierung von einer „ungewöhnlichen Wende zum Klassischen“ 34 , die Handke im Herbst 1979 in seiner Kafka-Preis-Rede öffentlich proklamierte: „Das Wort sei gewagt: Ich bin, mich bemühend um die Formen für meine Wahrheit, auf Schönheit aus - auf die erschütternde Schönheit, auf Erschütterung durch Schönheit; ja, auf Klassisches, Universales […].“ 35 Mit der Überwindung der Krise ging nicht nur die Wiederentdeckung der Ästhetik von Goethe und Hölderlin einher, sondern auch die der Religion. 36 In der auf einer Amerikareise basierenden Erzählung „Der kurze Brief zum langen Abschied“ deutete sich schon einige Jahre zuvor eine neue „Sehnsucht nach so etwas wie Religion“ 37 an. Im Süden von Tucson, Arizona, betritt der Protagonist die Kirche einer spanischen Missionsstation, in der Frauen gerade den Rosenkranz beten und vor den Stühlen auf die Beichte warten. Für einen Moment hält er inne, um folgende Bemerkung anzuschließen: 1.1 Sehnsucht nach dem unpersönlichen Zusammenhang 53 <?page no="54"?> 38 H A N D K E , Peter, Der kurze Brief zum langen Abschied, Frankfurt a.-M. 2001, 173. 39 Vgl. dazu S C H M I D T - D E N G L E R , Wendelin, Das Gebet in die Sprache nehmen, 45-62. 40 Vgl. dazu B A U K E - R Ü E G G , Theologische Poetik und literarische Poetologie? , hier 503 f. 41 Vgl. B I E R I N G E R , „Ein Schwanken ging durch die Welt“, hier 10. 42 H A N D K E , Die Lehre der Sainte-Victoire, 16. 43 Vgl. dazu aus philologischer Perspektive S C H M I D T -D E N G L E R , Das Gebet in die Sprache nehmen, hier 46. 44 H A N D K E , Nobelvorlesung vom 07.12.2019; an anderer Stelle heißt es dazu: „[…] aber es gab ja die Litanei, es gab die Zeiten - es gab den Rosenkranz, es gab die Litaneien vor der Messe, glaub ich, wenn ich mich richtig erinnere, ob es die lauretanische, die Marienlitanei war oder was auch immer, die Allerheiligenlitanei […] - ich geriet völlig in eine mystische Verzückung, sowie in der slowenischen Litanei einmal eine Anrufung stattgefunden hat, die fast, ja sagen wir mal über mehrere Atemzüge hinaus gedauert „Die Religion war mir seit langem zuwider, und trotzdem spürte ich auf einmal eine Sehnsucht, mich auf etwas beziehen zu können. Es war unerträglich, einzeln und mit sich allein zu sein. Es mußte eine Beziehung zu jemand anderem geben, die nicht nur persönlich, zufällig und einmalig war, in der man nicht durch eine immer wieder erpreßte und erlogene Liebe zueinandergehörte, sondern durch einen notwendigen, unpersönlichen Zusammenhang.“ 38 Neben Erinnerungen an traditionelle Frömmigkeitsformen der eigenen Kind‐ heit, deren entleerte Sprachmuster Handke in vielen frühen Texten scho‐ nungslos demaskiert hatte 39 , wird hier erstmals eine Leerstelle markiert, die der Verlust der Religion hinterlassen hat. 40 Die Wiederkehr der Religion im Werk des Schriftstellers lässt sich zunächst biographisch erklären. Handke gehört zur einflussreichen „Ministrantenfraktion“ innerhalb der deutschsprachigen Lite‐ ratur, die nach dem Zweiten Weltkrieg in vormodernen Dorfkulturen katholisch sozialisiert wurde. 41 Die Aufspaltung der Lebenswelten in Arbeit und Freizeit, in eine religiöse oder gar rein weltliche Sphäre, spielte dabei noch kaum eine Rolle. „Ich bin aufgewachsen in einer kleinbäuerlichen Umgebung, wo es Bilder fast nur in der Pfarrkirche oder an Bildstöcken gab […]“ 42 . In der Liturgie wurde diese Generation in die Welt der Kultur, der Bücher, Bilder und Musik initiiert, dort begegnete ihnen erstmals auch eine Sprache, die der Alltagskommunikation enthoben war. 43 Handkes Schreiben entzündete sich an den frühen Erzählungen der Mutter und an den Litaneien, die in der Dorfkirche auf Slowenisch gebetet wurden, wie der Autor in seiner Nobelvorlesung bekennt: „Und jene mono‐ tonen und zugleich so melodiösen Anrufungen himmelwärts durchdringen und beatmen mich inzwischen Siebenundsiebzigjährigen weiterhin; zupfen die Saiten für meinen weiteren Schreiberweg; summen mir Himmelstonleitern und Kadenzen, tonlose, wie etwa in der wunderlangen zur Mutter Gottes gebeteten Lauretanischen Litanei“ 44 . Handke ist mit dem Katholischen als kulturprägender 54 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="55"?> hat. Das weiß ich nicht, woran das lag; das war etwas Tieferes, als jemals dann Jazz das geschafft hat oder - ma, das ist mein Grund-, meine Grundmusik.“, in: H A N D K E , Peter - K E R B L E R , Michael, … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen. Peter Handke im Gespräch mit Michael Kerbler, Klagenfurt u.-a. 2007, 23 f [Herv. im Original]. 45 Nicht nur bei Handke sind die Litaneien zum prägenden Stilprinzip geworden. Auch Alois Brandstetters frühe Texte sind fast allesamt umgelegte Litaneien. Vgl. dazu bei‐ spielhaft den Text „Gerücht oder Anrufung des 18-Uhr-Autobusses“, in: B R A N D S T E T T E R , Alois, Überwindung der Blitzangst. Prosatexte, Salzburg 1971, 84f. 46 Vgl. zu den traumatischen Erfahrungen im Internat u. a. H A N D K E , Peter - H A M M , Peter, Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo, Göttingen 2006, hier bes. 128-130; in einer Journal-Eintragung heißt es: „Oft, daß ich denke: ‹Im Internat bin ich vernichtet worden› (sind wir alle vernichtet worden) (24. Dez. 1987, Nauplion), in: H A N D K E , Peter, Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 - Juli 1990 (Suhrkamp Taschenbuch 3886), Frankfurt a.-M. 2007, 57. 47 H A N D K E , Die Wiederholung, 33; die Erfahrung im Dorf stand in völligem Kontrast zum Internat: „Wie anders war es mit dem Pfarrer des Dorfs gewesen: Gerade hatte er noch vor meinen Augen die Kisten mit den Äpfeln in den Keller geschafft, die Radionachrichten gehört, sich die Haare aus den Ohren geschnitten - und jetzt stand er im Prachtornat im Gotteshaus und beugte das Knie, mochte dieses auch knacken, vor dem Allerheiligsten, entrückt uns übrigen, die aber gerade so zu einer Gemeinde wurden.“, in: ebd., 33 f.; vgl. auch H E R W I G , Meister der Dämmerung, 141f. Instanz durch eine immer wiederkehrende Ambivalenz verbunden: Traumati‐ sches der Kindheit mischt sich mit beseligenden Erfahrungen aus Liturgie und Glaubenspraxis, die ihn das ganze (Dichter-)Leben lang nicht mehr losließen. 45 Doch ging die anfangs noch als so weltöffnend erfahrene Religion durch den Eintritt in ein katholisches Internat zunächst verloren. 46 „Die fünf Jahre im Internat sind eine Erzählung nicht wert. Es genügen die Wörter Heimweh, Unterdrückung, Kälte, Gemeinschaftshaft. Das Priestertum, auf das wir alle angeblich abzielten, winkte mir keinmal als eine Bestimmung, und auch kaum ein andrer der Jugendlichen kam mir berufen vor; das Geheimnis, welches dieses Sakrament noch in der Dorfkirche ausgestrahlt hatte, wurde hier von morgens bis abends entzaubert. Keiner der zuständigen Geistlichen begegnete mir je als ein Seelsorger; entweder saßen sie zurückgezogen in ihren warmen Privatgemächern, und wenn sie einen zu sich kommen ließen, war es höchstens, um zu verwarnen, zu drohen und auszuhorchen - oder sie gingen, immer in ihren schwarzen, bodenlangen Soutanen-Uniformen, das Gebäude ab als Wärter und Aufseher, von denen es eben solche und solche gab. Selbst am Altar, bei der täglichen Messe, verwandelten sie sich nicht in die Priester, zu denen sie doch einmal geweiht worden waren, sondern führten jede Einzelheit der Zeremonie aus in der Rolle des Ordnungshüters: Standen sie abgekehrt, in Schweigen, mit zum Himmel erhobenen Armen, so schienen sie zu lauschen, was hinter ihrem Rücken geschah, und wendeten sie sich dann um, wie um alle zu segnen, so wollten sie nur mich ertappen.“ 47 1.1 Sehnsucht nach dem unpersönlichen Zusammenhang 55 <?page no="56"?> 48 Vgl. H Ö L L E R , Die Weltlichkeit der Bibel, 70-77. 49 H Ö L L E R , Die Weltlichkeit der Bibel, 76. 50 Vgl. Elmar S A L M A N N , Gerettetes Glück. Religiöse Übungsmotive bei Handke, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 21-28, hier bes. 21-23. 51 Das immer wiederkehrende Motive des Gehens ist bei Handke Teil seiner „Ästhetik der Langsamkeit“: „Zugleich ist Langsamkeit bei Handke ein ästhetisches und poetologisches Prinzip: Zu seiner Ästhetik der Langsamkeit, Verzögerung, Kontemplation, Sanftheit, Zurückhaltung und Passivität gehören auch die Zuschauer-, Betrachter- und Beobachter- Perspektiven, die Motive des ‚Schauens‘, ‚Zuschauens‘ oder des ‚Anschauens‘, des ‚Blicks‘, der ‚Müdigkeit‘ als Ausdruck einer prinzipiellen Tendenz zu stärkender Passivität.“, in: G O T T W A L D , Herwig, Christoph Ransmayrs Werk im Kontext der Literatur der achtziger und neunziger Jahre, in: Attila B O M B I T Z (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015, 259-272, hier 265f. 52 Vgl. K O C K , Erich, Die Andacht der Aufmerksamkeit oder: Der Weg führt nach innen. Versuch über Peter Handke, in: IKaZ Communio 38 (2009) 648-656, hier 649. 53 „Jeder Priester müßte sich doch die ganze Woche (oder jeden Tag) darauf freuen, das Evangelium zu verlesen. Aber wie ist es wirklich? (Rhetorische Frage) - Die Mikrophone als der Tod der Frohbotschaften“, in: H A N D K E , Peter, Phantasien der Wiederholung, Frankfurt Bemerkenswert ist freilich, dass die als repressiv und entfremdend beschriebenen Jahre im katholischen Stiftsinternat letztlich nicht zu einer gänzlichen Verwerfung führten, sondern zur Umbesetzung oder Transformation der Religion. 48 Der Germa‐ nist Hans Höller charakterisiert die langsame Wiederentdeckung der Religion bei Handke, die sich in einer besonderen Affinität für Bibel und Liturgie niederschlägt, als „weltöffnende[n] Katholizismus“ 49 . Elmar Salmann spricht aus theologischer Perspektive von religiösen Übungs- und Rettungsmotiven, die helfen, das Chris‐ tentum mit dem heutigen Lebensgefühl in einen fruchtbaren Kontakt zu bringen. 50 Protestieren - gehen - sehen - wiederholen - erzählen, das sind die zentralen Erfahrungsschritte bei Handke, die auch in der Religion als Prophetie, Pilgerschaft, Mystik, Liturgie und Schrift ansichtig werden müssen. Handke und seine literari‐ schen Figuren protestieren, stehen immer wieder auf, halten dagegen, um die Welt im Gegenlicht zu sehen. Was wäre das Christentum ohne seinen prophetischen Gestus, der die Ungerechtigkeiten der Welt zur Sprache bringt? Ferner sind seine Figuren wie auch der Autor selbst immer auch aufmerksam Gehende, die von der Peripherie ins Zentrum schlendern, bis das Unscheinbare, ja zunächst Belanglose zu sprechen beginnt und sich Nebensächliches zur Erscheinung steigert. 51 Dazu gehört auch das genaue Hinschauen, um bekannte Gesichter wiederzuentdecken, die längst unter die Wahrnehmungsschwelle gesunken sind. 52 Die Sorgfalt im Umgang mit den Dingen und Erscheinungen des Alltags erblickt Handke mitunter in der Liturgie. 53 „Mit Hilfe der Messe lernen die Priester, schön mit den Dingen 56 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="57"?> a. M. 1996, 73; darüber hinaus auch: „Eine Meßfeier müßte ein unverwechselbarer Vorgang sein, was sie meist nicht ist. Sie dürfte zum Beispiel keine ‚Gesangskunstdarbietung‘ sein.“, in: D E R S ., Die Geschichte des Bleistifts, 192. 54 H A N D K E , Phantasien der Wiederholung, 8. 55 H A N D K E , Die Geschichte des Bleistifts, 244. 56 Vgl. N I K O L A U S V O N K U E S , De visione Dei. Das Sehen Gottes, übers. v. Helmut Pfeiffer, Trier 2 2002. 57 H A N D K E - H A M M , Es leben die Illusionen, 33. 58 H A N D K E - H A M M , Es leben die Illusionen, 131. 59 Vgl. T Ü C K , Jan-Heiner, „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit.“ Spuren einer eucharis‐ tischen Poetik im Werk Peter Handkes, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 29-51, hier bes. 37-44. 60 H A N D K E , Langsam im Schatten, 123f. umzugehen: das sanfte Halten von Kelch und Oblate, das gemächliche Auswischen der Behältnisse, das Umblättern des Buchs; und das Ergebnis des schönen Umgangs mit den Dingen: herzbeflügelnde Fröhlichkeit“ 54 . Kritisch notiert er freilich auch das Gegenteil: „Die meisten Priester sind geistlose Arrangeure, die da vorn am Altar ordinäre Haushaltsgeräusche vollführen. Jedes kleine Zeichen von Geist aber würde mich sogleich zu Tränen rühren“ 55 . Zugleich wissen sich seine Protagonisten von außen angeschaut, ein Verfahren, das aus Cusanus’ „De visione Dei“ bekannt ist 56 : „[W]enn wir uns gegenwärtig machen, daß Gott uns umfassend zuschaut, wären wir alle total besänftigt.“ 57 In der Wiederholung des Rituals, im Gang der Messe vollzieht sich eine ständige Wandlung zwischen Wort und Wirklichkeit, Religion und Leben. Der Gottesdienst gibt Sicherheit und Vertrauen, ohne ihn würde das Leben in Beliebigkeit verfallen. „In diesem Vorgang, in der Dramatik der Messe ist alles, was der Mensch geistig braucht, enthalten. Was natürlich nicht heißt, daß Bücher oder Erzählungen diesen Rohbau, den die Messe liefert, nicht sozusagen mit Farben und Details variieren oder ausfüllen können.“ 58 Erzählen und Schreiben heißt bei Handke immer auch, Solidarität mit den Verstummten zeigen, über die schreiben, die sonst niemand mehr in den Blick nimmt. 59 Von der Bibel inspiriert, schafft er eine Literatur, in der man das eigene Leben wiederfinden kann. Deshalb kann der Leser bzw. die Leserin aus diesem „Buch aus der Nacht der Zeiten […] seine eigene Geschichte lesen, wie in keinem anderen Buch: er kann sie da entdecken, dann sie verstehen, dann sich ihr stellen. Der Leser ist der tragikomische Held aller der biblischen Geschichten“ 60 , heißt es in „Langsam im Schatten“. Handke wandert aus der klassischen Religion heraus, um ihr Wesen auf andere Weise für heutige Menschen postmodern, kritisch und schöpferisch zu wiederholen. Mit seiner unverwechselbaren Sprachkraft gelingt ihm, durch das Alte neu in sie einzutreten. 1.1 Sehnsucht nach dem unpersönlichen Zusammenhang 57 <?page no="58"?> 61 Vgl. H A N D K E , Langsame Heimkehr, 205 f.; H Ö L L E R , Die Weltlichkeit der Bibel, 72 f.; H Ö R I S C H , Jochen, Brot und Wein. Die Poesie des Abendmahls (Edition Suhrkamp 1692), Frankfurt a.-M. 1992, 264-282. 62 Vgl. H A N D K E , Langsame Heimkehr, 205f. 63 Zum Analogieprinzip „simili modo“ vgl. S T O C K , Alex, „Im Kopf einen lateinischen Scharfsinn“. Theologische Anmerkungen zu Peter Handke, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2014, 101-114, hier bes. 109-113. 64 Vgl. K O C K , Die Andacht der Aufmerksamkeit, 652; aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl., E S T E R M A N N , Anna, „‚statt ‚Bild‘ sag auch ‚Traum‘, ‚Illusion‘, ‚Ganz- Sein‘, ‚Mit-Sein‘…‘. Handkes ganz weltliche ‚Religion‘ der Bilder“, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.): „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft. Freiburg i. Br. u. a. 2014, 175-194, hier bes. 186-188. 65 Vgl. zu diesem Abschnitt B I E R I N G E R , Andreas, „Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“ Arnold Stadler und die Liturgie, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 25-39, hier 32 f. 1.2 Liturgie als Schreib- und Lebensgestus Am Ende des Weges seiner „Langsamen Heimkehr“ (1979) steht der Besuch einer Kirche. 61 Der Hauptprotagonist Valentin Sorger stolpert mitten in New York, in der unermüdlichen Metropole der Moderne, in eine katholische Messfeier hinein. 62 Entscheidend ist eine Formel, die den priesterlichen Kelchworten entnommen ist: „simili modo“ - „in ähnlicher Weise“, die Erfahrung einer umfassenden Analogie, die alle Lebensvorgänge durchdringt und die ihren Ur‐ sprung in der katholischen Liturgie hat. 63 Die Messliturgie wandelt sich in eine Liturgie des bewusster erfahrenen Alltags, in eine Schreibkunst des Übersetzens von Dingen, die sonst nicht mehr wahrgenommen werden. 64 Spätestens ab diesem Zeitpunkt geht die Liturgie in Handkes Schreiben ein, sie wird zu seinem unverwechselbaren Stilprinzip. Nach dem ersten Verlassen seines Herkunftslandes gewinnen die Romane ab Ende der siebziger Jahre an Weltläufigkeit, aber auch in Bezug auf Religion und Ritus schreibt Handke sich ins Freie. 65 Paris, wo Handke seit 1990 ohne Unterbrechung lebt, und die mit diesem Leben verbundene Freiheit sind ein anschaulicher Beleg dafür. Viele Bücher Handkes spielen seither in den Vororten der französischen Metropole. Immer wieder schickt der Schriftsteller seine Prot‐ agonisten in Kirchen und Kapellen, um einer liturgischen Feier beizuwohnen. In „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ (1994) schildert der Erzähler - das Alter Ego des Dichters -, wie er regelmäßig einen russisch-orthodoxen Gottesdienst besucht, um sich „dort den Frieden holen zu gehen.“ Näher heißt es: „Ich ging 58 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="59"?> 66 H A N D K E , Peter, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Märchen aus neuen Zeiten, Frankfurt a.-M. 1994, 964 f. 67 In Form und Ausführung kann das Theaterstück „Immer noch Sturm“ als „literarische Messfeier“ gelesen werden. Einer eindringlichen Bitte um Erbarmen (Kyrie) folgt ein Gloria und die Verkündigung eines Familienevangeliums. Am Ende des ersten Teils mündet ein dreimaliger Sanctus-Ruf in ein gemeinsames Mahl. Vgl. H A N D K E , Immer noch Sturm, 7-43; vgl. zur literarischen Messstruktur bei Handke B I E R I N G E R , „Immer noch Sturm“. Peter Handkes jüngstes Stück greift auf liturgische Erfahrungen des Dichters zurück, in: CiG 63 (2011/ 36) 405-406; D E R S ., „Hühnerleiter wird Jakobsleiter“, hier bes. 702-704. 68 H A N D K E , Der Große Fall, 186, 188 f. 69 Vgl. zur eucharistischen Szene in „Der Große Fall“ den luziden Beitrag von T Ü C K , „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit“, 4-50. Der Autor dieser Arbeit verdankt dem Beitrag und vielen Gespräch mit Jan-Heiner Tück wertvolle Einsichten in die theologisch gestimmte Poetologie Peter Handkes. dazu nicht in die französisch-katholische Kirche - darin bin ich fast immer nur nebenbei gewesen -, sondern in jene russische, […] wo die Messe zum Teil slawisch gesprochen oder gesungen wurde.“ 66 In „Immer noch Sturm“ (2010), einem seiner jüngeren Theaterstücke, wird der Erzähler selbst zum Liturgen, indem er eine Familien-Liturgie inszeniert, die über weite Strecken an die Struktur der Messe angelehnt ist. 67 Handke gelingt es fast mühelos, mit seiner liturgischen Poesie die Schwelle des Kirchenraums zu verlassen, um ihre Grundprinzipien im profanen Leben neu zu verankern. 1.3 „Der Große Fall“ - Liturgie als umfassende Wandlungserfahrung „Beschwingtes Weiterpilgern stadtein, und die Freude dabei war nicht wie so viele Freuden der letzten paar Jahre. […] Sie kam aus einer Reinigung, durch eine Zeremonie, eine gemeinsame - mochten sie auch bloß zwei gewesen sein […].“ 68 Welche Reinigungszeremonie kann eine so tief empfundene Freude auslösen, dass sie das Leben eines Menschen verändert? In „Der Große Fall“ (2011) erzählt Handke von einem Tag im Leben eines müßiggängerischen Schauspielers, dem eine solche Wandlungserfahrung zuteil wird. Am Morgen durch den Donnerschlag eines heftigen Gewitters geweckt, wandert er von der Peripherie, wo er die Nacht mit einer Frau verbrachte, ins Zentrum einer westeuropäischen Kapitale, die über weite Strecken an Paris erinnert. 69 Dort soll er abends einen Preis für seine schauspielerischen Leistungen entgegennehmen und die vor ihm in die Stadt geeilte Frau wiedersehen. Unterwegs begegnet er 1.3 „Der Große Fall“ - Liturgie als umfassende Wandlungserfahrung 59 <?page no="60"?> 70 H A N D K E , Der Große Fall, 174. 71 H A N D K E , Der Große Fall, 177. 72 H A N D K E , Der Große Fall, 177. 73 Vgl. u. a. zur liturgietheologischen Bedeutung der Zelebrationsrichtung L A N G , Uwe Michael, Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der christlichen Gebets‐ richtung (Neue Kriterien 5), Einsiedeln 2003. 74 Auf die Frage von Ulrich Greiner, ob er die alte oder die neue Liturgie bevorzuge, antwortete Handke: „Ich habe da keine Ideologie. Das Geheimnis des Glaubens, wie es nach der Wandlung heißt, kann man auch erleben, wenn der Priester einem zugewendet ist. Ich kann schon verstehen, wenn es einigen leidtut, dass die Unnahbarkeit des Vermittlers verschwunden ist. Das ist ein Paradox: der unnahbare Vermittler. Aber er bleibt ja auch unnahbar, wenn er sich der Gemeinde zuwendet.“, in: G R E I N E R , Ulrich - H A N D K E , Peter, Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. „Erzählen“, so Läufern, Obdachlosen und Paaren, bis er nachmittags, kurz vor drei Uhr, einen Hunger verspürte, der nicht durch gewöhnliches Essen gestillt werden kann: „Der Hunger nach dem Essen wurde gesteigert durch den Hunger auf eine, nein, auf die Frau, dort unten in der Stadtmitte - mit ihr eins werden, jetzt […] - und der Hunger nach der Frau wurde gesteigert durch einen Hunger nach - ja, nach was? nach was nur? “ 70 Der im Modus der Frage formulierte Satz retardiert, die geschilderte Sehnsucht nach Größerem ist nicht in Worte zu fassen. Instinktiv folgt der Schauspieler einem Glockenschlag, den er trotz des Lärms der naheliegenden Stadtautobahn hören kann, bis er auf ein unscheinbares Kirchlein stößt, das sich von außen kaum von den umliegenden Wohnhäusern unterscheidet. „Und eines wußte er in seinem Heißhunger nach einem bestimmten Leib und ebenso nach dem Schöpfer Geist nun doch, im voraus: Das Gotteshaus wäre offen, und trotz der Nachmittagsstunde würde darin eine Messe gelesen, und er käme dazu gerade recht.“ 71 Als er die Kirche betritt, ist tatsächlich alles für die Messfeier bereitet. Die Kerzen am Altar sind angezündet, der Priester sitzt bereits im goldbestickten Messgewand in der offenen Sakristei, um sich in ein Buch vertieft auf die bevorstehende Liturgie vorzubereiten. „Der Priester am Altar bewegte nur lautlos die Lippen, las eine Stille Messe, wie das früher einmal geheißen hatte, oder immer noch hieß.“ 72 Er scheint sich weder daran zu stoßen, dass er der einzige Besucher des ungewöhnlichen Gottesdienstes ist, noch, dass der Geistliche die Messe versus orientem zelebriert. 73 Im Gegenteil, mit einem Zitat aus dem Einleitungsdialog der Präfation war es für den Messbesucher sogar „würdig und recht“, dass der Priester nur gelegentlich ein Kreuzzeichen stumm in den „Besucherraum“ schlug und ansonsten mit dem Rücken zum Schauspieler zelebrierte. 74 Auf Epistel und Evangelium folgt eine ungewöhnliche Predigt über 60 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="61"?> sagt er, „ist eine Offenbarung“. Ein Gespräch mit dem berühmten Schriftsteller über seine neuen Bücher „Ein Jahr aus der Nacht gesprochen“ und „Immer noch Sturm“, über die enttäuschende amerikanische Gegenwartsliteratur und über sein umstrittenes Engagement in Bosnien, in: Die Zeit Nr. 48 vom 25.11.2010 - https: / / www.zeit.de/ 2010 / 48/ Interview-Peter-Handke/ komplettansicht (Zugriff am 10.12.2019). 75 Vgl. dazu das Problem des liturgischen „Ästhetizismus“, wie Hermann Kurzke ihn im Kontext von Kirchenliedern definiert, die zwar starke Gefühle generieren, aber ohne religiöse Alltagwirkung bleiben: „Damit sind Wirkungen gemeint, die zwar intensiv, aber ohne Bezug zum Leben sind, schöne und starke Empfindungen, die aber aus dem Raum der Kunst nicht mehr nach draußen dringen.“, in: K U R Z K E , Hermann, „Stille Nacht“ im Kontext einer angedeuteten Literaturgeschichte der Nacht, in: LiKu 6 (2015) 40-53, hier 50. 76 G R E I N E R - H A N D K E , Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. 77 H A N D K E , Der Große Fall, 180 f. die Ohnmacht und Allgegenwart Gottes, den Durst der Frau und den Hunger des Mannes. Obwohl der Priester die Predigt über seinen Kopf hinwegspricht, scheint sie geradewegs für ihn bestimmt zu sein, als könne er die Gedanken des einzigen Messteilnehmers lesen. Berichtet der Erzähler hier von ästhetischen Wirkungen der Messe, die seinen Gottesdienstbesucher tief bewegen, aber ohne Bezug zum Leben bleiben, weil sie nicht aus dem Kirchengebäude hinausdringen? 75 In einem Interview wehrte Handke die immer wieder an ihn gerichtete Frage, ob er ein religiöser Autor sei, ab, um dann doch vieldeutig zu antworten: „Wenn jemand nur sagt, er sei religiös, geht mir das auf die Nerven. Wenn er nicht erzählt, was das ist. Das Erzählen ist das Entscheidende.“ 76 Auch in dieser Szene beschreibt der Autor ganz genau, was in seinem Protagonisten während der Messe vorgeht, ohne dafür auf das gängige Vokabular der Eucharistietheologie zurückzugreifen. Die ganze Tragweite der sakralen Handlung wird indirekt über eine zentrale Gebärde des Schauspielers deutlich gemacht: „Bei der Verwandlung des Brots in den Leib und des Weins in das Blut hätte es sich gehört, daß der einzige Teilnehmer der Eucharistiefeier auf die Knie fiele. Das hatte der Schauspieler bisher nicht einmal in den Filmen über sich gebracht, und auch jetzt knickte er die Knie in seiner Kirchenbank nur, wie seit der Kindheit, in dem Kalkül, der Priester werde darin ein Hinknien sehen. Im selben Moment aber spürte er ein Bedürfnis, eine Sehnsucht - oder war das Teil seines Hungers? -, nicht allein auf die Knie zu fallen, sondern der Länge nach hinzustürzen und mit dem Gesicht nach unten liegenzubleiben, und zugleich war es eine Erleichterung, daß solch ein Hinstürzen, zwischen den Bänken da, nicht möglich war.“ 77 Auf die Begegnung mit dem Heiligen will der Schauspieler instinktiv mit einer Prostration reagieren, dem Niederwerfen des ganzen Körpers, wie es sonst in 1.3 „Der Große Fall“ - Liturgie als umfassende Wandlungserfahrung 61 <?page no="62"?> 78 Zur liturgischen Geste des Niederwerfens vgl. auch K U N Z L E R , Michael, Art. Prostration, in: LThK 3 8 (1999), 648. 79 H A N D K E , Der Große Fall, 181. 80 H A N D K E , Der Große Fall, 182. der Liturgie nur mehr am Karfreitag oder bei der Weihe bzw. Ordensprofess üblich ist. 78 Zugleich stellt er nicht ohne Erleichterung fest, dass die Enge der Kirchenbänke das vollständige Niederstrecken seines Körpers unmöglich macht. Der Schauspieler folgt dem weiteren Verlauf der Messe zwar andächtig, der Einladung des Priesters an der Kommunion teilzunehmen, kommt er nicht mehr nach. Der Text schweigt, warum er der letzte Schritt vom Beobachter und Zuschauer zum aktiven Teilnehmer nicht mehr vollzieht. Ist das ein vorsichtiger Hinweis, dass trotz aller emotionaler Ergriffenheit Bedenken gegenüber dem sakramentalen Vollzug bestehen bleiben? Auf den Segen am Ende der Feier will der Protagonist jedoch keinesfalls verzichten: „Den Schlußsegen des ›Gehet hin in Frieden‹ sprach der Priester in der Einzahl, ausdrücklich an den einzelnen anderen gewendet: ›Geh hin in Frieden‹! “ 79 Bevor der Schauspieler wieder in die Anonymität der Großstadt eintaucht, nimmt die Szene eine unerwartete Wendung. Unmittelbar nach der Messe bittet der Priester seinen einzigen Gottesdienstbesucher zu einem ungewöhnlichen „Schmaus“ in die Sakristei. Im Unterschied zum eucharistischen Mahl schlägt er die Einladung zur Agape nun nicht mehr aus. Schrittweise führt der Erzähler die rituelle Stilisierung der Liturgie ins alltägliche Leben zurück. Zuerst legt der Priester seine liturgische Kleidung wieder ab, unter der goldbestickten Kasel kommt ein blauer Arbeitsanzug zum Vorschein, der dem Gast vertraut anmutet. Dann fischt er Speise und Wein aus einer Supermarkt-Plastiktüte und bietet sie auf dem Sakristeitisch zum Verzehr an, auf dem eben noch der reich bestickte Ornat lag. Während sie den Wein aus bereitgestellten Pappbechern trinken, stellt sich eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens ein: „Seltsam, wie das Essen nachdenklich machen konnte, oder wie umgekehrt eine bestimmte Nachdenklichkeit selbst einem Dutzendgericht Geschmack zuführte, und wie man sich zeit solchen Essens beschützt fühlte, und nicht damit aufhören wollte.“ Erfüllt von Heiterkeit über die posteucharistische Zusammenkunft ruft der Priester frohlockend aus: „›Wie man mit dem Alleinessen doch den Geschmacksinn verliert. […] Solch ein Speisen jetzt aber, gleich was: Wie es doch mundet.‹“ 80 Immer wieder spürt Handke in seinen Texten der Urverbundenheit zwischen den Menschen nach, die sich an täglichen Verrichtungen entzündet. Wo Menschen miteinander ins Lachen, Weinen, Essen, Erzählen und Arbeiten kommen, entsteht die Freude der Zweisamkeit. Dort sind sie sich nahe und verstehen einander über alle Schwierigkeiten und Entfremdungen hinweg. In 62 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="63"?> 81 Vgl. dazu aus germanistischer Perspektive H Ö L L E R , Die Weltlichkeit der Bibel, 72 f. 82 H A N D K E , Peter, Wie ein Gewecktwerden für einen anderen Tag, in: CiG-55 (2003), 45. 83 Vgl. H A N D K E , Das Gewicht der Welt. 84 Zum Terminus „in persona Christi agere“ und der Priesteridentität vgl. auch H U R T H , Elisabeth, „In persona Christi“. Literarische Annäherungen an die Identitätssuche von Priestern, in: HerKorr.Sp (2018/ 1) 61-63 sowie F A B E R , Eva-Maria, In persona Christi agere? Die Rolle des Priesters in der Eucharistiefeier, in: Martin K L Ö C K E N E R (Hg.), Leib Christi sein, feiern, werden, Freiburg/ Schweiz 2006, 137-141. 85 H A N D K E , Die Geschichte des Bleistifts, 151. 86 Vgl. dazu Martin Mosebachs erhellende Ausführungen zum „Priester als Unperson“ in seinem Essay „Der Künstler, die Unperson“, in: D E R S ., Als das Reisen noch geholfen hat. Von Büchern und Orten, München 2011, 48-365, hier bes. 364 f. Die von Mosebach geforderte vollständige Auslöschung der Person des Priesters während der Liturgie ist eine einseitige Zuspitzung. Sehr wohl gilt jedoch, dass der Ritus eine Zurückhaltung der eigenen Person vom Liturgen fordert; vgl. dazu die Kritik von G A R H A M M E R , Erich, „Epiphanie der Stille“ - Die Geburt der Sprache aus dem Geist der Liturgie bei Arnold Stadler und Hanns-Josef Ortheil, in: IKaZ Communio 42 (2013) 17-31, hier 17 f. der Liturgie wird diese Verbundenheit auf einer höheren Ebene dargestellt, um dem Leben einen je neuen Deutungsrahmen und Horizont zu geben. Trotz Handkes Bedenken gegenüber der Religion ist es die Gemeinschaft, die ihn und seine Protagonisten immer wieder in die Liturgie zurückkehren lassen: 81 „Und zu dem erhaben-heiteren Spiel [= Kommuniongang, AB] gehörte eben auch, daß ich mit anderen zu jenem ‚Mahl der Anderen Zeit‘ ging, daß ich in Gemeinschaft war; daß so Gemeinschaft erst, wie flüchtig auch immer, geschaffen wurde […]; eine der wenigen Gemeinschaften, die mir möglich wurden.“ 82 Während der Agape fällt es dem Priester überhaupt nicht schwer, aus seinem Leben zu erzählen. Er berichtet ihm, dass er ein Spätberufener ist, der früher einmal als Automechaniker gearbeitet hat. Sein Gegenüber nennt er „Christoph“ (Christusträger) und vermutet (in Anlehnung an einen früheren Journalband Handkes), dieser trage das „Gewicht der Welt“ 83 . Auch errät der Geistliche den Beruf seines Gegenübers. Erkannt habe er ihn an seiner Unauffälligkeit und der Fähigkeit, sich bis zur „Unperson“ zurückzunehmen, denn er sei als Priester selbst so ein Schauspieler, der in der Liturgie im Namen eines anderen sprechen und handeln müsse. 84 Der Vergleich zwischen Priester und Schauspieler taucht bei Handke auch an anderer Stelle auf: „Die meisten Gläubigen knien in den Kirchen als Leichenbündel mit Leichenbittermienen; und die meisten Priester sind schlechte Schauspieler (sie sollten aber sehr gute sein).“ 85 Gute Schauspieler sind Priester in den Augen des Schriftstellers dann, wenn sie in persona Christi handeln, also die eigene Persönlichkeit zugunsten der Rolle als Darsteller eines anderen zurücknehmen. 86 1.3 „Der Große Fall“ - Liturgie als umfassende Wandlungserfahrung 63 <?page no="64"?> 87 H A N D K E , Der Große Fall, 188. 88 Vgl. H Ö L L E R , Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945, hier u.-a. 23-47 und 172-195. 89 Berühmtheit erlangte in diesem Zusammenhang etwa das Diktum von Theodor W. Adorno „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“; darin artikuliert sich das Misstrauen vieler Intellektueller gegenüber den tradierten Formen der Kunst und Kultur, das in Folge der Erfahrungen der Shoah in den Nachkriegsjahrzehnten herrschte; vgl. zu Adorno S C H W E P P E N H Ä U S E R , Gerhard, Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie, Hamburg 1993; Sibylle Lewitscharoff zeigte eine Genera‐ tion später, dass man im Literaturbetrieb wieder vom Guten, Wahren und Schönen sprechen kann; vgl. L E W I T S C H A R O F F , Sibylle, Vom Guten, Wahren und Schönen. Frank‐ furter und Zürcher Poetikvorlesungen (Edition Suhrkamp 2649), Berlin 2012. 90 H A N D K E , Die Geschichte des Bleistifts, 30. Nachdem Schmaus und Gespräch ausgeklungen sind, nimmt der Schauspieler seine Zentrumswanderung wieder auf. Zurück bleibt eine ungewöhnliche Freude, die aus der Liturgie in den Alltag übergeht: „Die Freude, jetzt an dem Tag des Großen Falls, blieb unbehelligt vom Unglück der anderen. Oder nein: das Unglück wurde darin allgegenwärtig, aber es erschien als Teil dieser Freude, und es durchwirkte sie, statt sie zu durchkreuzen.“ 87 1.4 Wende zum Klassischen oder Freude durchwirkt von Schmerz Handkes Wende zum Klassischen wird auch deshalb als „ungewöhnlich“ be‐ zeichnet, weil sie mit einer Konvention bricht, die den ästhetischen Diskurs der Nachkriegszeit über Jahrzehnte bestimmte. 88 Nach den Erfahrungen der Shoah schien es lange Zeit unmöglich, dem Schönen, Wahren und Guten wieder künstlerisch Ausdruck zu verleihen, ohne in Verdacht zu geraten, das Leid und die Opfer der nationalsozialistischen Barbarei zu relativieren. 89 Handke ging das Wagnis einer Wiederaufnahme dennoch ein, ohne freilich die Solidarität mit den Opfern der Geschichte wieder aufzukündigen. Sein Anspruch entwickelte sich vielmehr aus dem Leiden mit den Herabgewürdigten: „Das Pathos meiner Herkunft bewahrt mich vor dem Klassizistischen (das Zeichen des Bürgerlichen ist) und verlangt von mir das Klassische (das nicht nur mich adelt)“ 90 . In diesem Sinn kann der Schauspieler in „Der Große Fall“ auch über die in der Liturgie so plötzlich empfundene Freude sagen: „Es war eine Freude durchwirkt von Schmerz, in welcher er dahinpilgerte, und er spürte in ihr, mit ihr und durch sie keinerlei Unrechtsbewußtsein und schlechtes Gewissen: nicht seine persönliche Freude war es, die ihn trug, nichts hatte sie zu schaffen mit ihm allein, sie überstieg ihn. […] Und sie hätte sich nicht eingestellt bei 64 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="65"?> 91 H A N D K E , Der Große Fall, 188f. 92 T Ü C K , „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit“, 49. 93 Vgl. T Ü C K , „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit“, 50. 94 Das Motto „Verwandeln allein durch Erzählen“ geht auf einen Textabschnitt in Handkes Erzählung „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ zurück. Dort schildert der Protagonist, wie er regelmäßig in einen slawischen Gottesdienst geht, um sich dort „den Frieden holen zu gehen.“ Weiter heißt es: „Daß ich das Slawische meiner Vorfahren zugleich als eine Messe zu Ohren bekam, gehörte dazu, und unbedingt. Erst in dieser Form wurde mein Mitfühlen so einsilbig, und so ausdrücklich, wie es sein sollte. In mir war eine Freudigkeit, die aber nur herauskonnte durch Gesellschaft, zum Beispiel durch diese.“, in: H A N D K E , Mein Jahr in der Niemandsbucht, 967 f. Ebenso notierte der Protagonist die Unterschiede zur katholischen Messe: „Auch fehlte mir, aus meinen gewohnten katholischen Messen, jener Augenblick, da der Priester aufrief: ‚Sursum corda! Erhebt die Herzen! ‘ (Oder habe ich das bis jetzt nur überhört? ) Und seltsam hat es mich angemutet, daß der Ostkirchenpriester, zur Fleisch-und-Blut-Werdung des Brots und des Weins, damit diese vollzogen sei, noch ausdrücklich die entsprechenden Beschwörungsworte aussprach, während im katholischen Ritus zur Verwandlung die reine Erzählung ausreichte: ‚Am Abend, bevor Jesus gekreuzigt wurde, nahm der das Brot …‘: Dieses Verwandeln allein durch Erzählen blieb mir näher.“, in: ebd., 969f. einem einsamen Stehen in der leeren Kirche, oder bei sonst einem Alleinsein. Sie kam aus einer Reinigung, durch eine Zeremonie, eine gemeinsame - mochten sie auch bloß zwei gewesen sein […].“ 91 Bemerkenswert ist an der Freude, die durch die Teilnahme an der Messfeier ausgelöst wird, dass sie den Schmerz der anderen nicht überredet oder klein‐ redet. Auch kann sie nicht einfach gemacht, sondern nur im Rahmen der Liturgie wahrhaftig empfangen werden. Der Dogmatiker Jan-Heiner Tück streicht die Bedeutung Handkes neuer Klassik für die Theologie heraus, indem er die Messszene des „Großen Falls“ nochmals eucharistietheologisch verdichtet: „Die Verwandlung der Gaben von Brot und Wein in der eucharistischen Liturgie wird zur Gabe der Verwandlung, das Alltagsbewusstsein findet durch Sammlung, Dank und Gabe zu einer verloren geglaubten Freude zurück, die am Leid der anderen keine Grenze findet, sondern diese verwandelt in sich enthält.“ 92 Zugleich zieht er eine Verbindungslinie zum österlichen Freudenjubel über den Sieg des Todes durch den auferstandenen Christus. Trotz der Überwindung von Schmerz und Leid ist der Jubel nicht mit einer leidunsensiblen Euphorie zu verwechseln. Stets bleibt die österliche Freude an die Passion auf Golgatha und die Erfahrung der Gottverlassenheit am Kreuz rückgebunden. 93 Damit schließt die eucharistische Szene als Wandlungsprozess religiöser, psychischer und sozialer Art. Was der Schauspieler als Alter Ego des Schriftstellers in der Messe als religiöse Uroperation erlebt, setzt er unter dem Motto „Verwandeln allein durch Erzählen“ im Leben wie in der Literatur fort. 94 Die in Freude verwandelte 1.4 Wende zum Klassischen oder Freude durchwirkt von Schmerz 65 <?page no="66"?> 95 Vgl. S A L M A N N , Gerettetes Glück, 23-25. 96 S A L M A N N , Gerettetes Glück, 27. 97 G R E I N E R - H A N D K E , Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. 98 H Ö L L E R , Die Weltlichkeit der Bibel, 73. Daseinsangst und das Bewusstsein, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, lassen ihn beschwingt weiterpilgern. Bei aller Distanz zur offiziellen Liturgie ist es doch erstaunlich, welch große Bedeutung Handke den Grundvollzügen der Liturgie in seinen Werken zukommen lässt, ja wie bei Handke Liturgie in den Lebensgestus eingreift und umgekehrt, wie der Lebensgestus liturgisch gespiegelt wird. 95 1.5 Resümee „Dennoch - das Große im Leben und Schreibexerzitium Handkes ist, dass er ständig neu mit sich, dem Augenblick, der Welt, dem Begegnenden etwas anfangen kann und muss, darin dem ewigen Poeten-Schöpfer von ferne verwandt.“ 96 Warum kann ausgerechnet ein Autor wie Handke, der seine Popularität in den revolutionären sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begründete und fünf Jahrzehnte später den weltweit höchsten Literaturpreis erhielt, immer noch etwas mit Religion und Liturgie anfangen? „Wenn ich an der heiligen Messe teilnehme, ist das für mich ein Reinigungsmoment sondergleichen. Wenn ich die Worte der Heiligen Schrift höre, die Lesung, die Apos‐ telbriefe, die Evangelien, die Wandlung miterlebe, die Kommunion und den Segen am Schluss: ›Gehet hin in Frieden! ‹, dann denke ich, dass ich an den Gottesdienst glaube. Ich weiß nicht, ob ich an Gott glaube, aber an den Gottesdienst glaube ich. Die Eucharistie ist für mich spannender, die Tränen, die Freude, die man dabei empfindet, sind wahrhaftiger als die offizielle Religion. Ich weiß, ich habe, wenn ich das sage, eine Schattenlinie übersprungen, aber dazu stehe ich.“ 97 An den Gottesdienst zu glauben bei gleichzeitigem Unglauben klingt paradox, ist für Handkes notorischen Widerstandsgeist aber nicht ungewöhnlich. Be‐ merkenswert ist viel eher, dass er trotz seiner Vorbehalte weder im Leben noch in der Literatur vor dem Gang in den Gottesdienst zurückschreckt. Die Literaturwissenschaft spricht in diesem Kontext von einer auffallenden wie „problemlose[n] Verschränkung von kirchlich-kultischen Praktiken mit der klassischen Ästhetik […].“ 98 Ein erster Beweggrund dafür ist in der Dramaturgie 66 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="67"?> 99 Zur Dramaturgie der Messe bei Handke vgl. B I E R I N G E R , „Hühnerleiter wird Jakobsleiter“, hier bes. 704-706. 100 Was Handke in Bezug auf die Bibel sagt, scheint in Analogie auch für die Liturgie zu gelten: „Das trifft zu, und zugleich kann der Leser unserer Tage, der von heute, in der Bibel, Buch für Buch, seine eigene Geschichte lesen, wie in keinem anderen Buch: er kann sie da entdecken, dann sie verstehen, dann sich ihr stellen.“, in: H A N D K E , Langsam im Schatten, 123f. 101 H A N D K E - H A M M , Es leben die Illusionen, 130f. 102 Vgl. S A L M A N N , Gerettetes Glück, 23-25. 103 Zu Bedeutung und Entwicklung der Agape in der alten Kirche vgl. die präzise und noch immer aktuelle Zusammenfassung von H A U S C H I L D , Wolf-Dieter, Agapen I (In der alten Kirche), in: TRE 1 (1977) 748-753. der Messe und den dort vorgetragenen biblischen Geschichten zu suchen. 99 Wie in keiner anderen Feier kann er in ihrem Vollzug seine eigene Geschichte lesen, sie verstehen und sich ihr stellen. 100 „Also, für mich ist das das geheimnisvollste und auch das klügste und schlaueste Zeremoniell […]. In diesem Vorgang, in der Dramatik der Messe ist alles, was der Mensch geistig braucht, enthalten.“ 101 Im Gottesdienst widerfährt ihm, was er sich weder selbst zusprechen noch geben kann: Erbarmen, Freude, Frieden, um nur einige Begriffe seiner liturgisch inspirierten Poetik zu nennen. Das eigene Geschick in der Liturgie erkennen, heißt, dem Leben einen symbolischen Rahmen zu geben, um selbst Symbol und Gabe eines Größeren zu werden. 102 Darüber hinaus löst die Teilnahme an der Liturgie eine als Reinigungsprozess beschriebene Wandlungserfahrung aus. Der Reiz der Messszene im „Großen Fall“ liegt im Zusammen von stilisierter Messe und Gemeinschaftserfahrung im posteucharistischen Schmaus. Handke greift dafür auf eine liturgische Grund‐ konstellation zurück, die bis in die Anfänge des Christentums zurückreicht, heute aber mitunter nur wenig Beachtung findet: das Verhältnis von Eucharistie und Agape. 103 Die Protagonisten begehen zuerst eine stilisierte Messe, um dann in der Agape das Versprechen aus dem Ritus im Alltag des Lebens einzulösen. Weil Handke die zwei Formen des Mahles als eigenständige Größen nebenein‐ ander stehen lässt, geht in beiden etwas auf, scheint der Transfer zwischen Ritus und Leben, wenigstens in der Literatur, für einen Moment lang zu gelingen. Handke zeigt auf seine Weise auf, wie man einerseits die Mechanik des Ritus be‐ wahren kann, ohne dabei den Kontakt zum Leben zu verlieren. Ritus und Agape gehören nicht nur zusammen, sie brauchen, ja bedingen einander. Als Fazit bleibt zunächst, dass beide Formen nicht vorschnell im jeweils anderen aufgelöst werden dürfen. Erst wenn die rituell vollzogene Eucharistie in sich stimmig gefeiert wird, entsteht ein Raum für das geschwisterliche Mahl. Zugleich führt 1.5 Resümee 67 <?page no="68"?> 104 Vgl. dazu u. a. die liturgietheologischen Überlegungen zur Gegenwart Gottes in der Liturgie: S Ö D I N G , Thomas, Gottes Gegenwart in seinem Wort. Lukanische Perspektiven zur Theologie der Liturgie, in: LJ 67 (2017) 3-28; S I E B E N R O C K , Roman, Christus-Ge‐ genwart. Von der realen Gegenwart im Wort, in: BiLi 89 (2016) 185-194; W I N T E R , Stephan, Gestaltwerdung des Heiligen. Liturgie als Ort der Gegenwart Gottes, in: Edmund A R E N S (Hg.), Gegenwart. Ästhetik trifft Theologie (QD 246), Freiburg i. Br. u. a. 2012, 149-176; B R Ü S K E , Gunda, Gottes Gegenwart im Symbolhandeln der Liturgie. Über epiphane und illustrative Symbolik, in: Gottesdienst 42 (2008) 25-27; B Ä R S C H , Jürgen, Spuren seiner Gegenwart - zum Wirken Gottes in der Welt. Reflexionen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive, in: LJ 55 (2005) 127-146. 105 Vgl. dazu B I E R I N G E R , Andreas, Realpräsenz in Madeleine Delbrêls Gedicht „Liturgie der Außenseiter“, in: HlD 72 (2018) 158-162. 106 Zur Entstehung und dem nachhaltigen Einfluss der École française vgl. K R U M E N A C K E R , Yves, L’École française de spiritualité. Des mystiques, des fondateurs, des courants et leurs interprètes, Paris 1998. 107 Vgl. D A L F E R T H , Ingolf - P E N G -K E L L E R , Simon (Hgg.), Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Hermeneutik des Gebets (QD 275), Freiburg i. Br. u.-a. 2016. die Szene in die verschiedenen Gegenwarten Gottes ein. 104 Handke hat sich dabei einen Blick für das Archaische wie für die Übersetzungsprozesse des Rituals ins Leben bewahrt. Auf die Wahrnehmung der Messe als traditionelles Wandlungsmysterium folgt die Erfahrung der Communio in der Agape. Wie eng liturgische Kontemplation und tätiges Leben aufeinander bezogen sind, zeigt das Ablegen des goldenen Ornats in der Sakristei, unter dem ein blauer Arbeitsanzug zum Vorschein kommt. Die Szene kann als Anspielung auf die französische Arbeiterpriesterbewegung gelesen werden, zumal sich im Gespräch mit dem Schauspieler herausstellt, dass der Priester vor seiner Berufung als Automecha‐ niker gearbeitet hat. 105 Die französischen Arbeiterpriester stehen in der langen Tradition der École française, deren Spiritualität sich von einem expliziten Transfer zwischen Eucharistie und Sendung nährt. 106 Als Basis dient ihnen eine klassische Eucharistie-, Anbetungs- und Partizipationsfrömmigkeit, die sich in einen Lebensgestus übersetzt: Sich dem ausgesetzten Herrn aussetzen, um sich mit ihm in der Welt aussetzen zu lassen. Allem ethischen Handeln geht der Blick auf Christus voraus, der in der konsekrierten Hostie ausgesetzt und angebetet wird und dadurch zum Ansporn wird, sich selbst den Notleidenden auszusetzen. Handkes poetischer Sinn für menschheitsalte Gesten drückt sich dazu pas‐ send in einer Affinität für leibliche Gebärden aus. 107 Er kehrt auch deshalb immer wieder in die Liturgie zurück, weil er dort seinen leiblichen Übungsweg, den er im Leben als festen Bestandteil seines Wahrnehmungsweges verankert hat, auf seine Weise fortsetzen kann. Weinen, Küssen, Verneigen, Umarmen, Knien oder gar Niederwerfen sind menschliche Urgesten, die im Leben wie in der Liturgie an Selbstverständlichkeit eingebüßt haben. Nicht, dass sie gänzlich aus unserer 68 1 Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ <?page no="69"?> 108 H A N D K E , Peter - K Ü M M E L , Peter, „Die Geschichte ist ein Teufel“. Der Schriftsteller Peter Handke im Gespräch über den Brand von Notre-Dame und das Unglück Europas, in: Die Zeit Nr.-18 vom 24.04.2019, 37 f., hier 38. 109 Vgl. zu diesem Abschnitt bes. S A L M A N N , Gerettetes Glück, 22-25. 110 S A L M A N N , Gerettetes Glück, 23. Kommunikation verschwunden wären, vielmehr stellt sich die Frage, ob die äußerlichen Gesten noch innere Haltungen widerspiegeln. Wenn das Heilige, wie in der oben beschriebenen Wandlungsszene, so nahekommt, braucht es einen starken körperlichen Ausdruck, auch wenn es dem Schauspieler zunächst sichtlich schwerfällt, wenigstens auf die Knie zu fallen. Handke hat sich ein waches Gespür für die Angemessenheit von Körperhaltungen bewahrt, gerade weil sie im Lebens- oder Glaubensvollzug mitunter an Bedeutung verloren haben. „In jedem Menschen ist das drin, die Sehnsucht, auf die Knie zu gehen.“ 108 Dahinter steckt wohl kaum eine ideologisch motivierte Aussage, mit welcher Gebärde nun die Eucharistie angemessen zu verehren ist. Die Anfrage des Poeten geht noch tiefer: Vor wem will oder kann ich mich in meinem Leben überhaupt niederwerfen? Oder nochmals anders formuliert: Wer ist mein Gott oder folge ich bloß einem Götzen? Protestieren - gehen - sehen - wiederholen - erzählen lauten wie eingangs schon erwähnt Handkes Lebens- und Schreibrhythmen, die seine Poesie mit der Religion in Verbindung bringen. 109 Elmar Salmann fügt nicht ohne Grund „es glückt“ als letztes und wohl entschiedenstes Übungsmotiv hinzu, da sich in Handkes Leben wie Literatur eine Kette von kleinen Glücksmomenten freisetzt, die sich seiner besonderen Wahrnehmungs- und Realisierungskunst verdankt. „Es wiederfährt mir etwas, was bei aller Arbeit nicht garantierbar ist, eine Erfüllung, die in der alten Theologie Gnade, Gratia genannt wurde.“ 110 1.5 Resümee 69 <?page no="71"?> 111 Vgl. S T I M M H A U S , Der Hannelore-Greve-Literaturpreis der Hamburger Autorenvereini‐ gung geht 2016 an den Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil - https: / / stimmhaus.de/ der-h annelore-greve-literaturpreis-der-hamburger-autorenvereinigung-geht-2016-an-den-s chriftsteller-hanns-josef-ortheil/ (Zugriff am 23.04.2021). 112 Vgl. zur Bedeutung und Einordnung Ortheils im Kontext der deutschsprachigen Litera‐ turtheologie vgl. die Portraits von L A N G E N H O R S T , Georg, „Ich gönne mir das Wort Gott“; G A R H A M M E R , Erich, Poesie und Philosophie. Der sapientiale Schreibton von Hanns- Josef Ortheil, in: LS 69 (2018) 374-378; D E R S , „Wie nach einer zweiten Geburt.“ Eine Brücke ins Schreiben von Hanns-Josef Ortheil, in: D E R S ., Literatur im Fluss. Brücken zwischen Poesie und Religion, Regensburg 2014, 42-50; G E L L N E R , Christoph, „Vertrauen ins schwerelose Dasein“. Hanns-Josef Ortheils Lebens-Kunst-Projekt, in: D E R S ., „… nach oben offen.“ Literatur und Spiritualität - Zeitgenössische Profile, Ostfildern 2013, 228-247. 113 Zur Biographie Hanns-Josef Ortheils vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Biographie, in: D E R S ., Autorenhomepage - http: / / www.hanns-josef-ortheil.de/ author.php (Zugriff am 12.09.2018). Viele Romane Ortheils gelten als anschauliches Beispiel für „autofiktionales Erzählen“, bei dem der Autor biographische Erfahrungen in fiktional-eigenständiges Erzählen wendet: Vgl. dazu die beiden für diese Studie maßgeblichen Romane O R T H E I L , Hanns-Josef, Das Kind, das nicht fragte. Roman, München 2012; D E R S ., Die Erfindung des Lebens. Roman, München 2009. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ (Mt 18,3) 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung „Auf dem literarischen Feld hierzulande, in dem die Dekonstrukteure und Desillusionisten dominieren, verkörpert er fast als einziger unter den bedeu‐ tenden Autoren denjenigen Schriftsteller, der ins Gelingen verliebt ist.“ 111 Mit dieser Begründung verlieh die Hamburger Autorenvereinigung 2016 Hanns- Josef Ortheil (*1951) den renommierten Hannelore-Greve-Literaturpreis. Die Jury pries Ortheil als herausragenden Schriftsteller, der in seinen zahlreichen Romanen über die Bedingungen geglückten Lebens reflektiert, ohne sich dabei den Gesetzen und Moden des Literaturbetriebs zu unterwerfen. 112 Mit Blick auf seine Kindheit in Köln und die davon stark geprägte Biographie ist das leitmotivische „Gelingen“ alles andere als selbstverständlich. 113 Ortheil wurde in eine von den Wirren des Zweiten Weltkrieges gezeichnete rheinisch-katho‐ lische Familie geboren, deren tragische Lebensumstände zunächst nicht auf eine Karriere als erfolgreicher Schriftsteller schließen ließen. Noch vor seiner Geburt verstarben während des Krieges oder unmittelbar danach vier Söhne der Familie <?page no="72"?> 114 Vgl. zu den traumatischen Ereignissen in der Familie O R T H E I L , Hanns-Josef, Glaubens‐ momente, München 2016, 61-67. 115 Vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Der Stift und das Papier. Roman einer Passion, München 2017, 8. 116 Vgl. O R T H E I L , Glaubensmomente, 145-148 und D E R S ., Die Erfindung des Lebens, 447 f., 464-466. 117 Vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Der poetische Widerstand im Roman. Geschichte und Auslegung des Romans im 17. und 18.-Jahrhundert, Königstein 1980. unter tragischen Umständen: Der älteste Sohn kam bei einem Bombenangriff in Berlin ums Leben, den Zweitgeborenen tötete ein Granatsplitter in den letzten Kriegstagen vor den Augen der Mutter, die beiden anderen wurden tot geboren. 114 Aufgrund der schicksalhaften Ereignisse verlor die Mutter sukzes‐ sive ihre Sprache, der einzig verbliebene Sohn Hanns-Josef verstummte im Alter von drei Jahren ebenso. Nur mühsam gelang es dem Vater mit einem eigens auf ihn abgestimmten Unterricht, das frühkindliche Trauma zu überwinden und ihm Sprechen und Schreiben beizubringen. 115 Der hart erkämpfte Übergang von der stummen in die sprechende Welt wurde von Musik und Religion begleitet. Mit beiden wuchs Ortheil wie selbstverständlich auf, sie gaben dem von einem schwierigen Start gezeichneten Leben Rahmen und Halt. Der früh begonnene Klavierunterricht weckte das Interesse an einer pianistischen Karriere, die er bereits als Gymnasiast mit Eifer und Fleiß verfolgte. Nach dem Abitur am Mainzer Rabanus-Maurus-Gymnasium übersiedelte Ortheil nach Rom, um am dortigen Konservatorium Klavier zu studieren, und verdiente sich seinen Unter‐ halt als Organist an der deutschsprachigen Gemeinde Santa Maria dell’Anima. 116 In der italienischen Metropole gelang es ihm erstmals, ein selbstbestimmtes Leben fernab der ihn so lange dominierenden Eltern zu führen und sich eine autonome Existenz aufzubauen. Ein weiterer Schicksalsschlag erschütterte sein Leben abermals. Aufgrund anhaltender gesundheitlicher Probleme musste er seine erfolgversprechende Laufbahn als Pianist unerwartet aufgeben. Doch auch diese Zäsur konnte den musisch begabten Ortheil nicht aus der Bahn werfen. Er besann sich seines Schreibtalents, das er schon von Kindesbeinen an einübte, und fand in der Schriftstellerei allmählich eine gleichwertige Al‐ ternative zur Berufsmusik. Zunächst aber entschied er sich, für ein Studium der Germanistik, Philosophie, Vergleichenden Literaturwissenschaft und Mu‐ sikwissenschaften nach Deutschland zurückzukehren, das er schließlich 1976 mit einer Promotion zur Theorie des Romans im Zeitalter der Französischen Revolution an der Universität Mainz abschloss. 117 Parallel zur Schriftstellerei und einer umfangreichen journalistischen Tätigkeit schlug der gebürtige Kölner eine universitäre Laufbahn ein, die ihn nach einigen Jahren am Deutschen Institut der Universität Mainz nach Hildesheim führte, wo er an der dortigen 72 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="73"?> 118 Zu Informationen über seine Lehr- und Forschungstätigkeit an der Stiftungsuniversität Hildesheim vgl. U N I V E R S I T Ä T H I L D E S H E I M (Hg.), Hanns-Josef Ortheil - https: / / www.un i-hildesheim.de/ schreiben/ mitglieder/ hanns-josef-ortheil/ (Zugriff am 12.09.2018). 119 O R T H E I L , Hanns-Josef, Fermer. Roman, Frankfurt a.-M. 1979. 120 Vgl. dazu die umfassende Bibliographie Ortheils auf der Homepage der Stiftungsuni‐ versität Hildesheim: U N I V E R S I T Ä T H I L D E S H E I M , Ortheil. 121 Vgl. dazu auch seinen bislang jüngsten Roman: O R T H E I L , Hanns-Josef, Die Mittelmeer‐ reise. Roman eines Heranwachsenden, München 2018. 122 Vgl. dazu die lesenswerte Studie von K A R T E N B E C K , Caroline, Erfindungen des Lebens. Autofiktionales Erzählen bei Hanns-Josef Ortheil, Heidelberg 2012. 123 Über den Roman „Das Verlangen nach Liebe“ heißt es am Ende einer Rezension pointiert: „Zu Werthers Zeiten musste ein Jüngling nur ‚Klopstock! ‘ rufen, um von allen empfindsamen Herzen verstanden zu werden. Heute müssen wir ‚Ortheil‘ sagen, wenn wir ein Maß für kleinere Lesefreuden oder ein Synonym für gehobene Schmonzetten suchen.“, in: H A L T E R , Martin, Bis die Schwarte kracht (Besprechung von „Das Verlangen nach Liebe“), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr.-231 vom 05.10.2007, 42 - h ttps: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ rezensionen/ belletristik/ bis-die-schwart e-kracht-1493456.html (Zugriff am 14.09.2018). 124 „Meine Lesungen sind seit vielen Jahren sehr gut besucht. Und es ist ein beinahe schon irritierendes Gefühl, wenn in einem Ort mit 20 000 Einwohnern 300 Leute zu einer abendlichen Lesung kommen. Im Literaturbetrieb spiegelt sich das aber nicht. Der verhandelt seine eigenen Themen und kleinen Erregungen für sich und kümmert sich nicht um die Leser. Kein Wunder also, dass sich die Leser auch nicht mehr um den Betrieb kümmern.“, in: O R T H E I L , Hanns-Josef - O R T H , Stefan, „Durchdringung der Welt von innen her“. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil, in: HerKorr 68 (2014/ 6) 286-290, 290; vgl. dazu auch G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 237 oder L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 59. Stiftungsuniversität als Dozent und ab 2003 als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus wirkte. 118 Seit seinem Debutroman „Fermer“ (1979) 119 veröffentlichte er beinahe jährlich einen Roman und darüber hinaus zahlreiche kulturjournalistische Beiträge. 120 Unablässig schreibt Ortheil in autofiktionalen Werken wie essayhaften Bei‐ trägen sein Projekt einer „literarischen Lebenskunst“ fort, in der die frühen Erfahrungen mit der Religion eine immer bedeutendere Rolle einnehmen. 121 Innerhalb des literarischen Betriebs gilt der Kölner Autor als Meister des autofiktionalen Schreibens, da es ihm auf unnachahmliche Weise gelingt, seine reichen autobiographischen Erfahrungen in fiktional-eigenständige Literatur zu verwandeln. 122 Seine Bücher stoßen trotz hoher Auflagen auf kontroverse Resonanz. Mit den belletristischen Romanen wie „Die große Liebe“ (2003), „Die geheimen Stunden der Nacht“ (2005), „Das Verlangen nach Liebe“ (2007) 123 oder „Liebesnähe“ (2011) feierte Ortheil zwar große Erfolge bei der Leser- und Leserinnenschaft, die Anerkennung im Feuilleton und bei namhaften Literatur‐ kritikern und -kritikerinnen blieb ihm jedoch meist verwehrt. 124 Im Unterschied 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung 73 <?page no="74"?> 125 K U S C H E L , Karl-Josef, Im Zeichen des Elephanten. Laudatio für Hanns-Josef Ortheil, in: Sigfrid G A U C H - Verena M A H L O W (Hgg.), Die unverschämte Gegenwart ( Jahrbuch für Literatur 15), Frankfurt a. M. 2009, 299-316, hier 310; ähnlich auch G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 228-247. 126 Ganz ähnlich auch die Deutung Gellners, in: D E R S ., „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 228-247. 127 C A T A N I , Stephanie - M A R X , Friedhelm - S C H Ö L L , Julia (Hgg.), Kunst der Erinnerung, Poetik der Liebe. Das erzählerische Werk Hanns-Josef Ortheils (Poiesis 3), Göttingen 2009, Rückseite Klappentext. 128 Vgl. B I E R I N G E R , Andreas, „Ein Schwanken ging durch die Welt“; dass es jedoch eine theologische und mitunter auch eine liturgiewissenschaftliche Lesbarkeit von zeitge‐ nössischer Literatur gibt, zeigt u. a. B O S S A R T , Rolf, Die theologische Lesbarkeit von Literatur im 20.-Jahrhundert. 129 Trotz unzähliger Auszeichnungen, die Ortheil bis dato erhielt, bleibt die Resonanz auf sein literarisches Schaffen ambivalent. Während er von seiner großen Leserschaft frenetisch gefeiert wird, verwehren ihm das Feuilleton und viele seiner Schriftsteller‐ kollegen bisweilen die Anerkennung. Wie auch immer man seine Literatur bewertet, inhaltlich gehört er zur Gruppe jener Menschen, über die Tück festhält, „dass sie - ästhetisch - von der Farben- und Formenwelt der katholischen Liturgie fasziniert sind […]“, in: T Ü C K , Hintergrundgeräusche, 13. 130 Vgl. dazu u. a. G A R H A M M E R , Poesie und Philosophie, 374-378; L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 58-71; G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 228-247; pointiert hielt Langenhorst 2014 über Ortheil fest: „Die alles bestimmende Bedeutung haben Religion und Konfession, katholisches Milieu und kirchliche Realität freilich dazu findet der renommierte Literaturtheologe Kuschel hingegen würdigende Worte, wenn er auf die Liebeserfahrungen in den erwähnten Unterhaltungsro‐ manen verweist, die für ihn nie „Ausdruck des Selbst, sondern eine Ergriffenheit durch etwas ‚Anderes‘“ 125 widerspiegeln. Kuschels Interpretation zeigt einen ersten Weg auf, wie sich Ortheils Werke auch im Licht von Spiritualität und Religion deuten lassen. 126 „Erinnerung, Kunst und die Liebe: Das sind die großen Themen im Werk von Hanns-Joseph [sic! ] Ortheil“ 127 , resümiert ein literaturwissenschaftlicher Sammelband über das erzählerische Werk des Autors unter der Ägide des Bamberger Germanisten Friedhelm Marx. Religion oder gar Liturgie werden in philologischen Analysen zeitgenössischer Autorinnen und Autoren oft nur am Rande gestreift, wenn nicht gar übergangen. 128 Das trifft auf Ortheil ebenso zu wie auf andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller dieser Generation, die meist noch in einem geschlossenen Milieu religiös sozialisiert wurde. 129 Literaturtheo‐ logische Untersuchungen der letzten Jahre gingen den religiösen Einflüssen auf sein Schreiben jedoch nach und stießen auf ein biographisch bedingtes Muster, das auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit Handke, Ransmayr und Stadler auf‐ weist. 130 „Langsam wird er wieder katholisch“, heißt es in Ortheils literarischen Tagebuchaufzeichnungen „Blauer Weg“ ( 2 2014), nachdem sich der Schriftsteller 74 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="75"?> verloren. In der literarischen Welt Ortheils spielen sie nur eine Nebenrolle, die freilich immer mehr Raum einnimmt.“, in: D E R S ., „Ich gönne mir das Wort Gott“, 63. 131 O R T H E I L , Hanns-Josef, Blauer Weg. Erweiterte Neuausgabe, München 2014, 193: „Im Grunde, dachte er plötzlich, sehnt er sich nach der puristischen Schönheit des Glaubens, nach dem Zusammenspiel von Gebäuden, Gesängen und Worten, nach einem trinita‐ rischen Dreiklang aus früher Romanik, Gregorianik und lateinischer Demut.“; vgl. auch Ebd., 195: „Er hält die heutige, päpstliche, durch Johannes Paul II. vertretene Version des Katholizismus für eine italienische Privatsache, für eine versierte Freilichtdarbietung in italienischer, unübertroffen zur Schau gestellter Unschuld. Das ›Katholische‹, wie er es nennt, ist dagegen etwas ganz anderes: es ist die südliche Fremde des ältesten Rom, das die deutschen Kaiser des Mittelalters anlockte und sie träumen ließ von goldenen Buchmalereien und von pergamentener Ewigkeit.“; Gellner weist zurecht darauf hin, dass die häufig zitierte Passage nicht nur auf den Eröffnungssatz beschränkt werden darf; vgl. D E R S ., „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 232, hier bes. Fußnote 14. 132 Vgl. zur Ambivalenz der Internatserziehung aus germanistischer Perspektive u. a. S T I E P E L , Anna, „Prison-Paradise“? Das Internat als Entwicklungsraum in deutschspra‐ chigen Romanen nach 1968 (Studien zu Literatur und Film der Gegenwart 13), Marburg 2016. 133 Ortheil schildert seine Erinnerungen aus Kindertagen an die liturgischen Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in seinem Roman „Die Moselreise“; vgl. D E R S ., Die Moselreise. Roman eines Kindes, München 2010, hier u.-a. 32 f, 110 f. 134 Vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Lo und Lu. Roman eines Vaters, München 2001, 173-184. in der Mitte seines Lebens der Religion wieder annäherte. 131 Beinahe eine ganze Schriftsteller- und Schriftstellerinnengeneration wurde wie Ortheil im volkskirchlich-katholischen Milieu der unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnte sozialisiert oder musste, oft mangels Alternativen, kirchliche Internatsschulen besuchen. 132 Im Laufe des Erwachsenwerdens verlor sie den Kontakt zur Kirche, eine Affinität zur Liturgie blieb aber oft erhalten. Die frühen Erinnerungen an die Liturgie fallen zeitlich mit den Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zusammen, das dort proklamierte Aggiornamento konnte oder wollte das Gros der Autoren und Autorinnen im Laufe des Erwachsen‐ werdens aber nicht mehr mitvollziehen. 133 Erst im fortgeschrittenen Alter finden einige zu ihren religiös-spirituellen Wurzeln zurück, auch wenn damit nicht immer eine Rückkehr zur praktizierten Religion verbunden sein muss. Ähnlich verhält es sich bei Ortheil, dessen Interesse an der Kindheitsreligion freilich schon viel früher aufflammte, wenn es nicht sein ganzes Leben lang untergründig vorhanden war. In „Lo und Lu. Roman eines Vaters“ (2001) sinniert der Schriftsteller über grundlegende Veränderungen in seinem Leben, die von der Geburt der beiden Kinder Lotte und Lukas ausgelöst wurden. Im zentralen Kapitel „Der Glaube an Gott“ rückt die Bedeutung der Religion in den Mittelpunkt. 134 Das Heranwachsen der Kinder änderte nicht nur die Einstellung gegenüber dem eigenen Leben, es weckte auch die Auseinandersetzung mit dem 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung 75 <?page no="76"?> 135 O R T H E I L , Hanns-Josef, Lo und Lu, 181. 136 Vgl. O R T H E I L , Lo und Lu, 182-184. 137 Vgl. L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 62. 138 O R T H E I L , Lo und Lu, 183. 139 Vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Die Schönheit des Glaubens, in: G A R H A M M E R , Zweifel im Dienst der Hoffnung, 285f. 140 Ähnlich argumentiert auch der Religionssoziologe J O A S , Hans, Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Freiburg i. Br. u.-a. 2012. einstigen Kinderglauben und konfrontierte den Erwachsenen mit der Bedeutung der Religion: „Manchmal kommt es mir so vor, […] als hätte ich den magischen Kinderglauben in Wahrheit gar nicht verloren, sondern nur für einige Zeit in mir versteckt, jedenfalls habe ich doch nie angenommen, es gebe gar keinen Gott, nein, das nicht. Eher könnte man sagen, daß ich aufgehört habe, an Gott zu denken und mich bei jeder Gelegenheit an ihn zu wenden, obwohl, so ganz stimmt das nicht, denn manchmal brach immer wieder etwas in mir auf und dann habe ich eben doch, aber heimlich, an Gott gedacht und mich an ihn gewendet… Im Grunde habe ich also mein Leben lang an Gott geglaubt“ 135 . Die Wiederentdeckung des verschütteten, wenn auch nie ganz aufgegebenen Glaubens zeitigt im Roman konkrete Folgen. Der Protagonist entschließt sich nach einigen Abwägungen, seinen Sohn Lu im Kölner Dom taufen zu lassen, eingedenk seiner Verpflichtung, nun selbst dem Kind den Glauben vorleben zu müssen. 136 Ortheil reaktiviert dafür aber nicht bloß den naiven Kinderglauben von einst, er legt sich vielmehr eine Kurzfassung des christlichen Credos zurecht, das die Welt des Kindes mit der des Erwachsenen auf unkonventionelle Weise verbindet. Langenhorst spricht von Ortheils „Elementartheologie“ 137 , die er in unterschiedlichsten Varianten immer wieder formuliert: „Gott Vater, Gott Sohn, Maria und die Gemeinschaft der Heiligen - das genügt […]. Vor allem aber sollte ich mich auf die Reste meines eigenen Glaubens verlassen, denn wie sollte ich Lo und Lu die überzeugende Kurzfassung des Glaubens nahebringen, ohne selbst daran zu glauben? “ 138 In seinem bekenntnishaften Text „Die Schönheit des Glaubens“ definiert er Glaube als Ausdruck eines unverbrüchlichen Urvertrauens, der in einer von Entfremdungserfahrungen geprägten Welt Beheimatung schenkt. 139 Glaube basiert für Ortheil auf den fundamentalen Erfahrungen von Geborgenheit und Zuneigung und ist damit jedem Menschen zugänglich. 140 Heute bezeichnet sich Ortheil als „konstanten Kirchgänger“, der sich zusehends über die sprachliche Verwahrlosung im Gottesdienst ärgert; eine Loslösung von der Religion kommt 76 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="77"?> 141 O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 288. 142 O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 288. 143 O R T H E I L , Glaubensmomente, 8. 144 Vgl. O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 289. 145 „Die späten fünfziger Jahre waren in Deutschland die letzten Jahre eines stabilen religiösen Bewußtseins, mindestens einmal wöchentlich ging ich damals noch in die Kirche, und so wurde der Kirchenraum zum ersten intimen Gesprächsraum des inneren Sprechens außerhalb der häuslichen Wohnung.“, in: O R T H E I L , Hanns-Josef, Intimes Sprechen, in: D E R S ., Die weißen Inseln der Zeit. Orte, Bilder, Lektüren, München 2 2015, 317-325, 320; Vgl. ferner O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 111. für ihn trotz aller Befremdungserfahrungen dennoch nicht in Frage. 141 Zugleich betont er, dass ihm eine institutionalisierte Kirche, die sich als bloße Wächterin von Dogma und Moral geriert, stets „fremd geblieben“ 142 ist. Bemerkenswert für die Verbindung von literarischer und liturgischer Form‐ werdung ist die Frage nach der Bedeutung des Gottesdienstes für Ortheils literarisches Schaffen. Eine erste Spur führt zur Anthologie „Glaubensmomente“ (2016), die religiös konnotierte Szenen aus verschiedensten Romanen und anderen Schriften zusammenführt. Zunächst bekräftigt der Autor im Vorwort nochmals die bereits skizzierte Haltung gegenüber der Religion: „Ich habe die Glaubensmomente meiner Kindheit in bester Erinnerung. Natürlich haben sie sich während meines weiteren Lebens verwandelt. Ganz verschwunden sind sie aber nie, bis heute nicht.“ 143 Darin unterscheidet er sich von vielen seiner schreibenden Kolleginnen und Kollegen, die häufig nur mehr wenige Berührungspunkte mit der institutionalisierten Religion ihrer Kindheit haben. Vielfach machen sie die katholische Erziehung zurecht für subtile wie offene Formen der Unterdrückung und Traumatisierung verantwortlich. Im Gegen‐ satz dazu wurde die katholisch-liturgische Prägung für Ortheil Teil einer einzigartigen Befreiungsgeschichte, die aus der unverschuldeten Stummheit in ein eigenständiges Leben führte. 144 Religion und Liturgie werden Ortheils Sprungbrett in ein geglücktes Leben, nie waren sie Hemmschuh, von dem er sich erst mühsam hätte befreien müssen. Die in den Romanen geschilderten Kindheitserinnerungen setzen sich aus ty‐ pischen Erscheinungsformen des rheinischen Milieukatholizismus der fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zusammen. 145 Vieles davon klingt derzeit zwar noch vertraut, mit der heutigen Realität haben diese Formen einer breiten Volksreligiosität jedoch freilich kaum mehr etwas zu tun. Ortheil doku‐ mentiert eine untergegangene Epoche, in der die christliche Überlieferung noch unhinterfragt zwischen den Generationen zirkulierte. Die Eltern stammen aus streng katholischen Familien und gaben ihrerseits den christlichen Glauben an den Sohn weiter, legten aber bereits „eine gewisse Gelassenheit“ gegenüber den 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung 77 <?page no="78"?> 146 Vgl. zu diesem Abschnitt O R T H E I L , Glaubensmomente, 5-8, hier 7. 147 Vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Der Stift und das Papier. 148 Zur Bedeutung des Romans vgl. M E L L E R , Marius, Ausbruch aus der Stille, in: Deutsch‐ landfunk vom 01.10.2019 - https: / / www.deutschlandfunkkultur.de/ ausbruch-aus-derst ille.950.de.html? dram: article_id=137928 (Zugriff am 02.11.2021). 149 Vgl. dazu S C H M I T Z , Helmut, Hanns-Josef Ortheil: Das Erzählen der Welt, in: Alo A L L K E M P E R - Norbert Otto E K E - Hartmut S T E I N E C K E (Hgg.), Poetologisch-poetische Interventionen. Gegenwartsliteratur schreiben, Paderborn 2012, 143-160, hier bes. 143. tradierten Gepflogenheiten an den Tag. 146 Weder beteten sie vor den Mahlzeiten, noch wurde außerhalb des Gottesdienstes in der Bibel gelesen. Sehr wohl nahm die Familie aber jeden Sonn- und Feiertag an einem festlichen Gottesdienst teil. Die katholische Fest- und Feierkultur prägte Leben und Glauben gleichermaßen: Wie das tägliche Morgen- und Abendgebet mit der Mutter den Tag rahmte, so gaben die kirchlichen Feste den Rhythmus im Lauf des Jahres vor. Nicht welt‐ liche Festivitäten und Ereignisse, sondern kirchliche Feste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten waren die eigentlichen Höhepunkte im Lauf des Jahres. Die Liturgie rhythmisierte nicht nur den Alltag der Familie, sie prägte auch Sitten und Gebräuche, die bis zur Wahl von besonderen Speisen und Getränken zu Fast- und Festzeiten reichten. Der Glaube war somit ein unverbrüchlicher Bestandteil des Alltagslebens, eine unhinterfragte Lebensform, die sich nicht nur im Einhalten von Ritualen oder im Umgang mit den Mitmenschen niederschlug. Am deutlichsten spürbar wurde dies in der Liebe der Eltern zueinander und zu ihm, dem stummen Kind, das erst langsam in die Sprache finden musste. Auf dieser Grundlage wurde die Liturgie zum locus vitae, wo der junge Ortheil nicht nur das Leben für sich entdeckte, sondern auch die Methode seines Schreibens einüben konnte. 147 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache Mit seinem Roman „Die Erfindung des Lebens“ legte Ortheil 2009 ein auto‐ biographisches Meisterwerk vor, das rasch zum Bestseller avancierte und bis heute zu seinen bedeutendsten Werken zählt. 148 Der Autor verdichtet darin die tragisch-mitreißende Geschichte seiner Familie zwischen der Geburtsstadt Köln, dem Westerwald, der ländlichen Heimat seiner Eltern, und Rom, wo er als junger Erwachsener den Grundstein für ein selbstbestimmtes Leben legte. 149 Die fein skizzierte Topographie aus Städten, Landschaften und (Kirchen-)Räumen gibt nicht nur der Handlung ihren äußeren Rahmen, sie spiegelt auch die inneren Entwicklungsprozesse des Hauptprotagonisten Johannes Catt wider, der die 78 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="79"?> 150 Vgl. O R T H E I L , Glaubensmomente, 145-148. 151 Über Ortheils Rombild gibt auch sein kulturgeschichtlicher Reiseführer Auskunft; vgl. D E R S ., Rom. Eine Ekstase, München 2009. 152 B E R G E N G R U E N , Werner, Römisches Erinnerungsbuch. Ein Portrait der Ewigen Stadt (TTB 800), Kevelaer 2012 [1949], 143. 153 Vgl. u. a. W I E D E M A N N , Conrad (Hg.), Rom - Paris - London. Erfahrung und Selbsterfah‐ rung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Ein Symposion (Germanistische Symposien-Berichtsbände 8), Stuttgart 1988, hier bes. 197-344. markanten biographischen Züge des Autors trägt. Das Heranwachsen in Köln ist vom langen Schweigen der Mutter und dem Stummsein des Jungen geprägt. Erst auf ausgedehnten Streifzügen durch den Westerwald findet Johannes mit Hilfe seines Vaters langsam ins Sprechen, bis er sich schließlich in Rom aus der elterlichen Umklammerung befreien kann: „Die Stadt Rom kam ›auf mich zu‹, wie noch keine fremde Stadt der Welt auf mich zugekommen war.“ 150 Mithilfe zweier Erzählebenen verbindet der Ich-Erzähler die Erinnerungen an die Kindheit in Köln und dem Westerwald bis zu den Studienjahren in Rom mit der Rahmenhandlung, die ebenfalls in der italienischen Kapitale angesiedelt ist. 151 Dreißig Jahre nach dem ersten Romaufenthalt kehrt der mittlerweile erfolgreiche Schriftsteller in die Tibermetropole zurück, um die damaligen Stationen Revue passieren zu lassen. Beim Flanieren durch die Stadt ruft er die Konstellationen aus Studententagen wach: Die erste Liebe kommt ihm dabei ebenso in den Sinn wie alte Freundschaften und viele schmerzliche Erfahrungen, musste er doch in Rom die vielversprechende Pianistenkarriere aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Im Roman schildert der Autor auf unnachahmliche Weise, wie die stimmungsvolle Atmosphäre einer südländi‐ schen Stadt dem verworrenen Schicksal des Protagonisten aufhilft und ihm neue Freiheit verheißt. Werner Bergengruen (1892-1964) notierte am Ende seines legendären „Römischen Erinnerungsbuches“ (1949) mit dem ihm eigenen Pathos: „Es ist ja nicht die Aufgabe, in Rom Kenntnisse zu erwerben. Kenntnisse vergessen sich und bleiben ein Bruchstück. Du warst hergekommen, um eine Erweiterung deiner Seele zu erfahren, die dir nie wieder verlorengehen kann.“ 152 Bergengruens befreiende Romerfahrungen wiederholen sich bei Johannes Catt, der als 55-jähriger Schriftsteller nach Rom zurückkehrt, um das dramatische Schicksal seiner Jugend- und frühen Erwachsenenjahre aufzuarbeiten und das Erlebte niederzuschreiben: „Die Erfindung des Lebens“ ist ein Bildungs- und Entwicklungsroman eines jungen Mannes der Nachkriegsgeneration, der sein Leben nach unzähligen Traumatisierungen je neu erfinden muss, um seinen Platz in der Welt auszufüllen. Zugleich liest sich das 592 Seiten starke Werk als literarische Hommage an die „Ewige Stadt“ und reiht sich damit in eine lange Tradition deutschsprachiger Rombücher ein. 153 Sechzig Jahre nach Bergengruen 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 79 <?page no="80"?> 154 B E R G E N G R U E N , Römisches Erinnerungsbuch, 8; vgl. zum Rombild in der deutschspra‐ chigen Literatur u. a. G E N D O L L A , Peter, Die Erfindung Italiens. Reiseerfahrung und Ima‐ gination, Paderborn 2014; C Z A P L A , Ralf Georg - F A T T O R I , Anna (Hgg.), Die verewigte Stadt. Rom in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 ( Jahrbuch für internationale Germanistik A. Kongressberichte 92), Bern u.-a. 2008, hier bes. 33-58. 155 Für eine literaturtheologische Einordnung von Ortheils Werken vgl. u.-a. G A R H A M M E R , Erich, Im Anfang war das Murmeln. Wie der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil seine Sprache fand, in: HerKorr 73 (2019/ 2) 39-41. 156 O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 285. 157 O R T H E I L , Blauer Weg, 193. 158 Das literarische Personal des Romans kann nicht ungebrochen auf die Biographie des Autors übertragen werden. Rückschlüsse auf die liturgischen Erfahrungen des Autors sind aufgrund des autofiktionalen Schreibstils jedoch möglich und werden von ihm selbst zugelassen; vgl. u.-a. O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 287 f. schreibt Ortheil mit seinem Buch das bekannte Städteportrait des deutschbaltischen Schriftstellers unter aktuellen Vorzeichen fort: „Rom ist nicht eine Stadt der Vergangenheit, nicht eine Stadt der Vergangenheiten. Es macht seine Einzigartigkeit aus, daß sich immer neue Gegenwartsschichten bilden.“ 154 Ortheil ist ein Romfahrer unserer Tage, der seinen Entwicklungsroman als bildmächtigen Raum- und Sprachfindungsprozess inszeniert. 155 Seine doppelte „Lautwerdung“ wird vom christlichen Glauben begleitet, der sich wie ein roter Faden durch das Leben der Familie zieht: „In meinem Roman ‚Die Erfindung des Lebens‘ habe ich die Geschichte meiner Familie, also die meiner Eltern und meine eigene, erzählt und dabei nach den Fundamenten unseres gemeinsamen, sehr schwierigen Lebens gefragt. Das tragende Fundament dieses Lebens war der christliche Glaube, über dessen starken Einfluss auf meine eigene Geschichte ich in den letzten Jahren immer häufiger nachdenke.“ 156 Vor dem Hintergrund seiner Biographie versteht Ortheil Religion als Initiation in das synästhetische Wahrnehmen von Raum, Gesang und Sprache. Damit begründet er schon zur Lebensmitte das wiederentfachte Interesse an der Kindheitsreligion: „Im Grunde, dachte er plötzlich, sehnt er sich nach der puristischen Schönheit des Glaubens, nach dem Zusammenspiel von Gebäuden, Gesängen und Worten, nach einem trinitarischen Dreiklang aus früher Ro‐ manik, Gregorianik und lateinischer Demut.“ 157 Wo der Dreiklang von Raum, Gesang und Sprache im Modus des Rituals erklingt, dort ereignet sich bei Ortheil Liturgie. Drei liturgische Szenen aus „Die Erfindung des Lebens“ illustrieren exemplarisch, wie die Liturgie als ganzheitlicher Lautwerdungsprozess in die Biographie des Protagonisten eingriff und welche Schlüsse er daraus bis heute für sein Schreiben zieht. 158 Die ersten beiden Szenen spielen in Köln und geben über die innige wie schwierige Beziehung des stummen Kindes zu seinen 80 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="81"?> 159 Zur Herkunft der Eltern aus dem Westerwald und den damit verbundenen Hang zum Schweigen vgl. G A R H A M M E R , Im Anfang war das Murmeln. hier bes. 40. 160 O R T H E I L , Erfindung des Lebens, 54. 161 Vgl. G U A R D I N I , Romano, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung, hier 14 f. Eltern Auskunft. Die literarisch inszenierten Rituale und Gottesdienste lassen Rückschlüsse auf das Wesen und den Charakter der Eltern zu, die beide aus dem Westerwald stammen und mit dem Sohn in Köln leben. 159 Während sich die stumme Mutter und das ebenfalls noch nicht sprechende Kind werktags beinahe täglich zur stillen Andacht vor ein Marienbild in ein kleines Kirchlein zurückziehen, tritt der Vater mit Frau und Kind im Rahmen eines feierlichen Hochamtes im Kölner Dom in Erscheinung. Die Szene mit der Mutter ist von Stille und Intimität geprägt, die mit dem Vater von festlichem Gesang und den Eindrücken einer imposanten Kathedrale. Stille Andacht und feierliches Hochamt, private Betrachtung und öffentliches Gebet, passives Schauen und aktive Beteiligung ergänzen sich in den beiden Szenen auf fruchtbare Weise. Folgen wir zunächst der Mutter und dem Jungen in das kleine Kirchlein in Wohnungsnähe: „Wenn wir uns zum Gebet vor dieses Bild knieten, ereignete sich jedes Mal etwas Merkwürdiges. Schaute ich nämlich konzentriert auf das Bild, wurde die Kirchenstille ringsum um einige Grade stiller, nur noch die feinsten Geräusche waren zu hören, das leise Knistern der brennenden Kerzen oder ein Holzknarren, irgendjemand hatte den Finger auf den Mund gelegt und allem Lebendigen befohlen, stiller und immer stiller zu werden. Je stiller alles wurde, umso deutlicher aber strahlte das Marienbild auf, so dass ich schließlich sehr ruhig wurde und nur noch in das Gesicht der schönen Maria starrte, als würde ich von ihm in eine Hypnose der Stille versetzt. In der Hypnose begann ich zu beten, aber nicht so, dass ich mir bestimmte Worte ausgedacht hätte, sondern eher, indem ich zunächst zuhörte, wie das Beten in mir von selbst begann.“ 160 Liturgie realisiert sich bereits im Akt des Schauens, der mehr ist als bloßes Nach‐ vollziehen äußerer Vorgänge und ritueller Abläufe. „Blicken“ und „Schauen“ sind gesteigerte Formen der Aufmerksamkeit, die es erlauben, die anthropologi‐ sche Tiefenstruktur gottesdienstlicher Vollzüge besser wahrzunehmen. Auf der Suche nach dem „tragenden Grundakt“ der Liturgie spricht Romano Guardini (1885-1968) kurz nach Verabschiedung der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ von der fundamentalen Bedeutung „lebendigen Schauens“ für das gottesdienstliche Geschehen. 161 In unserem Beispiel wird das Schauen aus der Perspektive eines stummen Kindes geschildert, das sich von einem marianischen 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 81 <?page no="82"?> 162 Zur Entwicklung und Bedeutung von Marienbilder für die christliche Liturgie vgl. das immer noch lesenswerte Standardwerk von B E L T I N G , Hans, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 6 2004, hier bes. 253-291. 163 Vgl. O R T H E I L , Intimes Sprechen, 320; zur besonderen Stellung Marias in Ortheils Glaubenswelt vgl. D E R S ., Die Schönheit des Glaubens, 287. 164 Vgl. G A R H A M M E R , Im Anfang war das Murmeln, 39 f. 165 Vgl. O R T H E I L , Hanns-Josef, Das Element des Elephanten. Wie mein Schreiben begann, München 2 2001, 11 f.; zu Erich Garhammer vgl. D E R S ., „Epiphanie der Stille“, hier bes. 30. 166 Vgl. G A R H A M M E R , Erich, „Epiphanie der Stille“, hier bes. 28-30. 167 Wie die Erinnerung an den ersten Kirchgang zu einem Schlüssel seines Schreibens wird, schildert Hanns-Josef Ortheil, in: D E R S ., Was ich liebe - und was nicht, München 2019, 315-327. Kultbild „angeschaut“ weiß und dadurch in eine meditative „Hypnose der Stille“ versetzt wird, die wiederum in ein inniges Gebet führt. 162 Das Angeschaut‐ werden und das Anschauen bewirkt zweierlei: Der Protagonist findet in das inwendige Reden mit sich selbst, um dann in einen erzählenden Austausch mit Gott zu treten. Das Göttliche, hier durch ein unspektakuläres Kultbild repräsentiert, verbirgt sich nicht vor dem Jungen, es wird konkret anschaubar, ja er kann es im Bild für einen Moment festhalten. 163 Ortheils Affinität zur Stille mutet ungewöhnlich an, ist sie doch eng mit dem eigenen Stummsein verbunden, das sein Heranwachsen ja maßgeblich beeinträchtigte. 164 Und dennoch gelingt es seinem literarischen Doppelgänger trotz einiger Rückschläge, alle Furcht vor unverschuldeter Stummheit und Schweigen zu durchbrechen und in ein schöpferisches Lautwerden vor sich und Gott zu transformieren. Garhammer spricht von Ortheils stilgebender „Epiphanie der Stille“, aus der für ihn nicht nur das Gebet, sondern auch die übrigen Ausdrucksformen seiner Kunst entspringen: „Ich habe eine große Nähe zur Stille, deshalb gefällt mir auch so manche Musik, die aus der Stille kommt und in sie mündet. Auch das Schreiben kommt aus der Stille, und an seinem Anfang ist das ungeordnete Murmeln, das sich von der Stille abhebt.“ 165 Liturgie und sakrale Räume waren die ersten Orte, an denen ihm diese Urerfahrung zuteil wurde. Dort erfuhr er auch, wie menschliche und religiöse Grundvollzüge wie Schweigen, Hören, Schauen und Reden einander bedingen, ja geradezu die Voraussetzung bilden, um den tieferen Sinn von Leben und Glauben zu erfahren. 166 Besonders die Kirchenräume sind Resonanzoasen, in die sich der Erwachsene auch heute noch zurückzieht, um in der Stille zu lauschen, was ihm zugesprochen wird. 167 Wie sehr das Schreiben von der kreativen Kraft der Stille zehrt, lässt der Abschluss der Meditationsszene erahnen, die den oben zitierten Lautwerdungsprozess ins Erzählen münden lässt: 82 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="83"?> 168 O R T H E I L , Erfindung des Lebens, 55 f. 169 O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 287. 170 Vgl. O R T H E I L , „Das Kind, das nicht fragte“, hier bes. 108-125. 171 O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 287. 172 Vgl. O R T H E I L , Glaubensmomente, 29f. „Das Gebet und die Gottesdienste waren also ein Hintreten vor Gott, man machte sich klein, sagte seine Verse und Texte auf, bat um seinen Segen und erzählte ihm, was in der letzten Zeit alles geschehen war. Vor allem solche Erzählungen machten das Besondere des Betens aus, man schaute noch einmal zurück, man ließ sich etwas durch den Kopf gehen, oder man überlegte, ob man in dieser oder jener Situation richtig gehandelt hatte. So war Gott die höchste und strahlendste Instanz, vor der das kleine Leben zusammen‐ schnurrte und sich in ein weites, offenes, großes Leben verwandelte. Der gewaltigste Ausdruck dieses großen Lebens aber stand am Rhein, denn ganz in der Nähe des Rheinufers befand sich der Dom und damit eine Kirche, die alle anderen Kirchen überragte und auch sonst nicht mit ihnen zu vergleichen war.“ 168 Wie die zuvor beschriebene Stille langsam ins Gebet übergeht, wandelt sich hier das als klein und unbedeutend empfundene Leben des Kindes im Horizont Gottes in ein großes. Die Geburt von Liturgie und Gebet aus der Stille erfährt er als Initiation des Erzählens: „Etwas nicht nur mir und einem anderen, sondern etwas auch Gott erzählen. Für meine Arbeiten ist diese letzte Ebene die fundamentalste, die alles andere erst bindet und hält. Das ist der große Rahmen, innerhalb dessen sich die menschlichen Begegnungen ereignen.“ 169 Der Idee vom gelingenden Gespräch wird Ortheil wenig später seinen Roman „Das Kind, das nicht fragte“ (2012) widmen. Leben entwickelt sich dort, wo Kommunikation mit sich selbst, dem Anderen und Gott gelingt. 170 Wer sich sein Leben immer ausführlicher selbst erzählen kann, gibt ihm Halt und Orientierung. Noch mehr Fortschritte erzielt, wer die Ausrichtung seines Lebens einem Gegenüber anzuvertrauen weiß: „Der andere setzt dieses Erzählen in Bewegung und beheimatet es erst; sonst bleibt es unbestimmt und undeutlich.“ 171 Typisch für Ortheil sind auch hier wieder die durchlässigen Grenzen zwischen Glauben und Leben, Gebet und Erzählung. Verbunden werden sie durch den gemeinsamen Ursprung aus der Stille. Folgen wir nun der Familie unter Führung des Vaters in den Kölner Dom, wo der Sohn das „andächtige“ Sehen und Hören lernt. 172 Erneut wird aus der Perspektive des Kindes geschildert, wie Größe und Tiefe des Raumes es schon beim Betreten der Kathedrale überwältigen. Es dauert jedes Mal einen kurzen Moment, bis sich der kleine Körper an die schier unüberschaubare Dimension 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 83 <?page no="84"?> 173 Die Szene im Kölner Dom bei Ortheil lässt sich in Analogie zu Guardinis Erfahrungen im Dom von Palermo lesen, die bei ihm mit der dringlichen Frage verbunden werden, „worin der alles tragende liturgische Akt bestehe“, in: G U A R D I N I , Romano, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der liturgischen Bildung, 12. 174 Vgl. O R T H E I L , Glaubensmomente, 30-41; den Terminus „füllende Aufmerksamkeit“ verwendet bereits Guardini in seinem Brief an den Liturgischen Kongress in Mainz von 1964, Vgl. D E R S ., Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der liturgischen Bildung, 12. 175 Als besonders eindringliches Beispiel kindlicher Imitation Erwachsener beim Aneignen von Ritualen lassen sich die liturgischen Szenen in Stefan Andres „Der Knabe im Brunnen“ anführen; vgl. D E R S ., Der Knabe im Brunnen, in: Christa B A S T E N (Hg.), Stefan Andres. Werke in Einzelausgaben, Göttingen 2011 [1953]. 176 Ortheil spricht immer wieder von seinen Problemen mit durchbuchstabierten Glau‐ benssätzen und theologischen Diskursen: Vgl. O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 30. 177 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 62. 178 Zur Liturgie als persönliches „Wandlungsgeschehen“ vgl. bes. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 62. des Raumes anpasst. Während des sonntäglichen Hochamts bleibt ihm dann ausreichend Zeit, das sakrale Interieur der gotischen Kathedrale mit allen ihren Kunstwerken genau zu betrachten. 173 Auch die liturgischen Rituale und das Geschehen um den Altar verfolgte er mit „erfüllender Aufmerksamkeit“. 174 Ortheils Schilderungen sind eine kleine Phänomenologie des Gottesdienstes, die den Blick eines Kindes auf die Liturgie einfängt, das sich im Modus des Nachahmens Erwachsener Schritt für Schritt rituelle Vollzüge erschließt. 175 Der Knabe verlässt sich dabei intuitiv auf seine Sinneseindrücke und entwickelt dabei ein natürliches Gespür für Ästhetik, die er später häufig als „Schönheit des Glaubens“ umschreibt, ohne in ein unkritisches Verhältnis zur eigenen Kirche abzugleiten. 176 Im Kölner Dom hinterlassen vor allem liturgische Gesten, Gebärden und die Musik bleibende Eindrücke: „Im Dom lernte ich also das eigentliche Sehen und Hören, ein Sehen von schönen Gebärden und kunstvollen Gestalten, ein Hören der reinsten Musik, einer Chormusik ohne Begleitung, oft einstimmig. Sie füllte den Kindskörper aus und machte ihn zu ihrem Widerpart, es war, als gösse der gewaltige Gott diese Musik in einen hinein, damit man allen Kummer und alle Sorgen zumindest für die Dauer des Gottesdienst vergaß.“ 177 Das Kind, das selbst (noch) nicht singen kann, erfährt sich im Hören der Musik als ihr Resonanzkörper. Der Protagonist ist stumm und dennoch vollzieht er die Liturgie körperlich mit, sonst würde er den Gesang nicht am eigenen Leib als einprägsames Wandlungsgeschehen erfahren. 178 Das bloße Hören wird zum Tun, in ihm drückt sich schon die körperliche Sprache der Liturgie aus. Trotz 84 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="85"?> 179 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 60. 180 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 60 f [Herv. im Original]. 181 Vgl. dazu die pointierten Ausführungen von Sebastian Kleinschmidt über die Musika‐ lität der Gedichte Christian Lehnerts, die auch diesen Kontext erhellen. D E R S ., Ins der kindlichen Schlichtheit wirken die liturgischen Szenen authentisch, weil sie nicht einfach als Rückzug in eine spirituelle Innerlichkeit konstruiert sind. Johannes Catt erfährt sich im Gottesdienst als ganzheitlicher Mensch, als Einheit von Geist und Körper, die Teil eines größeren Ganzen ist. Deutlich drückt sich die Zugehörigkeit zur Gemeinde im gemeinsamen Kirchengesang aus, den er über seinen Vater kennenlernt. Vor allem die väterliche Stimme, ein ungewöhnlicher wie tieflauter Bass, hinterlässt bleibende Eindrücke. Im Alltag stimmte er niemals ein Lied an: „Im Dom aber sang er urplötzlich wie ein großer, mächtiger Sänger, der die anderen Gläubigen mit seinem Gesang ansteckte, so dass auch sie sich bald etwas trauten und lauter sangen als gewöhnlich.“ 179 Obwohl Johannes die Lieder nur innerlich mitvollzieht, erfährt er sich als Glied einer größeren Gemeinschaft, in die er sich einfügt, ohne die eigene Identität aufgeben zu müssen: „Überhaupt war es schön, dass die Menschen während eines Gottesdienstes so viel gemeinsam und meist auch noch dasselbe taten, endlich redeten sie nicht ununter‐ brochen, sondern nur dann, wenn sie darum gebeten wurden, und endlich bewegten sie sich auch nicht laufend von einer Stelle zur andern, sondern hielten es eine Zeit lang singend und betend auf einem einzigen Platz aus. Singen und Beten, beides mochte ich sehr, im Stillen sang und betete ich ja mit und stimmte ein in das, was nun alle sangen und beteten, dadurch aber machte ich endlich einmal etwas mit den anderen Menschen zusammen und befand mich nicht mehr im Abseits, nahe einer Laube oder ganz allein mit der Mutter, am Ufer des Flusses. Im Dom gehörte ich vielmehr dazu, ich gehörte zu all diesen laut singenden und betenden Menschen, niemand fragte mich aus, sprach mich an oder behauptete, dass ich ein armes Kind sei, denn im Dom gab es überhaupt keine armen Kinder, sondern nur Gotteskinder, jedenfalls nannte der Erzbischof die Gläubigen so. Ein Gotteskind zu sein, war für mich also die eigentliche Erlösung und einer der schönsten Zustände überhaupt, deshalb bemühte ich mich im Dom auch sehr, alles richtig und so wie die anderen zu machen.“ 180 Selten wurde in der Literatur eindringlicher über das gemeinschaftsbildende Moment des Kirchengesangs geschrieben. Der Gesang ist mehr als bloßer Selbst‐ ausdruck der singenden Kirchengemeinde. Melodie und Rhythmus formen einen „Wir-Raum“, eine große Chorgemeinschaft, in die alle einstimmen und von der sie sich getragen wissen. 181 Sie erlöst den Protagonisten wenigstens 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 85 <?page no="86"?> Offene. Musikalität und Sakralität in den Gedichten Christian Lehnerts, in: D E R S . (Hg.), Spiegelungen, Berlin 2018, 105-112, hier 107. 182 Zum Prozess der Sprachfindung vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 143-273; G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 233. 183 Erst mit acht Jahren wurden die Sprachstörungen durch tägliche und unkonventionelle Schreibübungen von Vater und Mutter langsam überwunden. Vgl. dazu O R T H E I L , Der Stift und das Papier, bes. 17 und 30-41. 184 O R T H E I L , Das Element des Elephanten, 15. 185 Wie oft Ortheil auch nach dem Erklingen der Sprache Momente der Angst vor dem Verstummen heimsuchten, berichtet er in der Anthologie Glaubensmomente: „Es wäre, in einem ganz konkreten Sinn, durchaus möglich gewesen, dass mich Rom nicht nur sprachlos, sondern sogar stumm gemacht hätte. Während der Kinderjahre hatte ich ein solches jahrelanges Stummsein schon einmal erlebt (und mich nur mit Hilfe meines Vaters später daraus befreit). Momente des bedrohlichen Rückfalls in diese Zeiten hatte es aber mein ganzes weiteres Leben gegeben. Geriet ich in Panik, zog ich mich von meiner Umgebung zurück und igelte mich in meinem eigenen Kosmos ein. Ich sprach nicht mehr mit anderen Menschen, sondern ging ihnen, wo immer es ging, aus dem Weg. Wäre etwas Ähnliches in Rom passiert, hätten die Folgen schlimm sein können. Ich hätte mich niemandem anvertraut, und niemand wäre dort auf mich aufmerksam geworden, um mir vielleicht zu helfen. […] All diese Ängste erwiesen sich aber bereits nach der ersten Nacht und dem ersten frühen Morgen als grundlos.“, in: D E R S ., Glaubensmomente, 146 f. 186 Vgl. G A R H A M M E R , Im Anfang war das Murmeln, 41. für einige Augenblicke von der quälenden Erfahrung der Isolation und Verein‐ samung, unter der er aufgrund seiner sprachlichen Behinderung lange litt. Als sich die Sprachprobleme im Alter von sieben Jahren zuspitzten und die Umschulung in die Sonderschule drohte, gelang es dem Vater während eines längeren Aufenthalts im Westerwald, das Kind behutsam an das Lesen und Schreiben heranzuführen. 182 Wie oben schon angedeutet, entwickelte er deikti‐ sche Übungen, die es seinem Kind ermöglichten, die Welt und ihre Gegenstände langsam zu benennen und das Erfahrene niederzuschreiben. 183 „Ich wurde zum zweiten Mal geboren in der Sprache, die Sprache hat mich wiederge‐ boren, und als sie mich ausgespuckt hatte als Sprechenden, war das Schreiben da, […] mit dem ich jede Silbe, jedes Wort, jeden Satz festhalten konnte für immer, auf daß ich die Sprache nie mehr verlöre.“ 184 Die Angst vor einem Rückfall ins Stummsein begleitet den mittlerweile so erfolgreichen Schriftsteller dennoch ein Leben lang. 185 Vielleicht besucht der Autor auch deshalb heute noch Gottesdienste, um mit der eigenen Stimme in die größere Gemeinschaft einzustimmen, die ihm jene rituelle Geborgenheit vermittelt, die ihm seit Kindertagen vertraut ist. 186 Nachdem der Junge sein sprachliches Handicap nahezu überwunden hat, löst ein unfreiwilliger Ortswechsel erneut eine Krise aus. Um sein Klavierspiel 86 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="87"?> 187 O R T H E I L , Glaubensmomente, 105 [Herv. im Original]. 188 Vgl. O R T H E I L , Glaubensmomente, 104f. zu perfektionieren, schicken ihn die Eltern auf ein kirchliches Musikinternat, das von Mönchen geführt wird. Schon am Tag des Einzugs bahnen sich erste Probleme an, die rasch eine veritable Krise verursachen. Das „System“, wie er selbst den überregulierten Tagesablauf im kirchlichen Internat bezeichnet, überfordert den introvertierten Knaben: „In den ersten Tagen und Wochen des Internatslebens wurde ich das Herzzerreißende nicht los, es war wie ein Fieber, das mich jeden Tag in nicht vorhersehbaren Momenten befiel und lähmte.“ 187 Im Internat vermisst er jene selbstverständliche Gelassenheit gegenüber dem Glauben und seinen Dogmen, auf die ihn sein Vater schon früh einschwor. 188 Zudem glich die Schule einem Kloster, alles schien lediglich auf Glauben und Beten ausgerichtet zu sein, Platz für individuelle Entwicklung war weder vorhanden noch vorgesehen. Dazu kam die Dauerpräsenz der Mitschüler und das Fehlen privater Rückzugsmöglichkeiten, Umstände, die sein Unbehagen nur noch steigerten, war er doch über Jahre hinweg gewohnt, ein stilles Leben mit nur wenigen Menschen zu führen. Auf der Flucht vor der lärmenden und unruhigen Internatsgemeinschaft entdeckte er die Kirche als Ort der Ruhe, an dem er ungestört bei sich sein konnte. Ein letztes Beispiel für Ortheils liturgisch konnotierten Stillekosmos führt uns in die Klosterkirche seiner Internatsschule, in der die Mönche gerade ihr frühmorgendliches Offizium verrichten. Johannes findet dort jene Stille wieder, die später zur Grundmusik seines Lebens werden sollte: „Besonders still war es in ihr [= Klosterkirche, AB] in der Morgenfrühe, kurz vor sechs, wenn die Patres im Chorraum erschienen und den Tag mit ihren gregorianischen Wechselgesängen begannen. Wir Schüler waren nicht verpflichtet, bereits so früh aufzustehen, andererseits war der Besuch dieses frühen Choralgesanges aber auch nicht verboten. Und so saß ich jeden Morgen meist als der einzige, noch vor den anderen aus dem Schlafsaal geschlüpfte Schüler im hinteren, dunklen Bereich der Kirche, um nichts anderes zu erleben als die Stille des Raumes und den mir neuen, aber mich von Anfang an bewegenden Gesang. Dieser Gesang begann fast immer mit demselben Gebetsruf, der mich dann mein ganzes weiteres Leben lang begleitet hat und in ihm immer wieder eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Es handelte sich, wie bei den weiteren Gesängen auch, um einen Text in lateinischer Sprache, der zu einem einzigen, im weiten Kirchenschiff verebbenden und den Gesang daher nur stützenden Orgelklang gesungen wurde. 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 87 <?page no="88"?> 189 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 344 f. 190 Vgl. O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 286 f. 191 Vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 373-385. 192 O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 286f. 193 Mit Ausnahme der ersten Hore am Tag wird der Gebetsruf „O Gott, komm mir zu Hilfe / Herr, eile mir zu helfen.“ (Ps 70[69],2) bis heute als Eröffnungsvers jeder Hore des Stundengebets verwendet; Vgl. Die Feier des Stundengebetes. Stundenbuch für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Dritter Band. Im Jahreskreis, hg. im Auftrag der Deutschen und Ich weiß diesen lateinischen Text noch heute auswendig, er lautet: Deus, in adjutorium meum intende / Domine, ad adjuvandum me festina, was auf Deutsch heißt: O Gott, komm mir zu Hilfe / Herr, eile mir zu helfen. Die starke Wirkung, die diese beiden Zeilen bei mir jedes Mal auslösten, hatte mit der Einfachheit der Worte zu tun, die in eine absolute Stille hinein gesungen wurden. Vor ihm gab es nichts anderes als diese Stille, es war die schwere Stille der tiefen Nacht, die noch immer den gesamten Gottesraum füllte und durch diese ersten Klänge erst langsam vertrieben wurde. Daneben war der Gesang auch deshalb schön, weil er nicht aus einer Melodie, sondern nur aus der Wiederholung eines einzigen Tons bestand. Dieser Ton wurde sehr leise und mit einer geradezu rührenden Vorsicht gesungen, es war ein Ton, dessen Reinheit man in der Dunkelheit suchte und den man dann im weiten Raum langsam zum Schwingen brachte.“ 189 Der Glaube an Gott ist Ausdruck von Zuneigung und Urvertrauen, wodurch der Mensch trotz aller Kontingenzerfahrungen in der Welt Geborgenheit und Heimat findet. 190 Die Angst, im Internat einen Rückfall in das bereits über‐ wunden geglaubte „Schweigen“ zu erleiden, veranlassen den Jungen nach einem fehlgeschlagenen „Fluchtversuch“, die Schule nach nur kurzer Zeit wieder zu verlassen. 191 In dauerhafter Erinnerung bleibt jedoch die Sympathie für den gregorianischen Choral, dessen subtile Verbindung aus Sprache, Gebet und Gesang ihn nachhaltig beeinflusste: „Die [= Choräle, AB] sind uralt und erscheinen mir in ihrer großartigen Schlichtheit doch noch sehr gegenwärtig. Der starke Eindruck, den sie hinterlassen, entsteht wohl dadurch, dass sie wie ein einfaches, sich ganz zurücknehmendes Sprechen und Bitten wirken.“ 192 Die zurückhaltende Einfachheit verwirklicht sich für den Protagonisten im biblischen Gebetsruf „O Gott, komm mir zu Hilfe / Herr, eile mir zu helfen“, der dem Psalter entnommen ist (Ps 70[69],2) und bis heute als Eröffnungsvers des Stundengebetes dient. 193 Zugleich gibt uns der Autor im Gewand einer 88 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="89"?> der Berliner Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen, Lüttich und Straßburg, 3 Bde., Einsiedeln u.-a. 1978, 217. 194 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 345. 195 Vgl. J O H A N N E S C A S S I A N , Collationes partum, ed. Michael P E T S C H E N I G , Editio altera supplementis aucta Gottfried Kreuz (CSEL 13,10-11), 297-298, 302, 304-306; eine dt. Übersetzung samt kurzen Kommentar findet sich bei Emmanuel von Severus: D E R S ., (Hg.), Das Glutgebet. Zwei Unterredungen aus der sketischen Wüste (Alte Quellen neuer Kraft), Düsseldorf 1966, 81, 86-87, 89-91. 196 Vgl. O R T H E I L , Glaubensmomente, 145-148; D E R S ., Die Erfindung des Lebens, 447-495. 197 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 452. kindlichen Paraphrase des Verses einen Einblick, worauf die native Spiritualität des Protagonisten hinausläuft: „Gott, ich beginne diesen Tag mit der Bitte um Deine Hilfe, ohne diese Hilfe werde ich nicht bestehen. Herr, begleitete mich durch den Tag, das ist meine erste und einzige Bitte.“ 194 Der spirituelle Aufgesang wird zur fortwährenden Schutzformel, die dem Beter bzw. der Beterin Sicherheit und Halt im täglichen Leben verleiht, ganz ähnlich, wie der Vers schon im frühchristlichen Mönchtum verstanden wurde. Johannes Cassian (um 360- nach 432), spätantiker Klostergründer und Vermittler monastischer Spiritualität zwischen Ost und West, überliefert die Kurzformel in seinen Collationen aus der sketischen Wüste als „Glutgebet“, eine besondere Form der unablässigen Schriftmeditation, die ein innerliches Beten in Gang setzt, das wie der Atem‐ rhythmus jedes Tun und Lassen begleitet. 195 Auf den immerwährenden Schutz ist der Protagonist in Ortheils „Erfindung des Lebens“ an zentralen Stationen seines ereignisreichen Lebens immer angewiesen. Direkt nach Abschluss des Abiturs reist er mit dem Zug in die italienische Hauptstadt, um am römischen Konservatorium Klavier zu studieren, obwohl er bei seiner Ankunft weder Italienisch spricht noch über ein fixes Quartier verfügt. Für den introvertierten Einzelgänger, der nur schwer Kontakt mit fremden Leuten aufnimmt, hätte die Situation wie damals im Internat zur Gefahr werden können. Doch schon unmittelbar nach dem Eintreffen stellt sich heraus, dass alle Befürchtungen eines Rückfalls ins Stummsein unbegründet waren. Ganz im Gegenteil, die erste Nacht und der darauffolgende Morgen sollten sein ganzes weiteres Leben ent‐ scheidend prägen. 196 Der Spaziergang vom römischen Hauptbahnhof Termini über den Corso und die Engelsburg hin zum Petersplatz wird zum einzigen Befreiungsschlag: „Ich fühle mich frei, […] die Ankunft in Rom ist verbunden mit dem Gefühl einer einzigen, großen Befreiung. Niemand umkreist mich, nichts rückt mir auf den Leib, […] zum ersten Mal in meinem Leben lässt man mich ganz und gar in Ruhe.“ 197 Die Stadt wirkt sich regelrecht auf das physische Wohlbefinden des Romfahrers aus: „Ich bin schmerzfrei! Zum ersten Mal in 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 89 <?page no="90"?> 198 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 453. 199 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 457. 200 Vgl. exemplarisch zum Kitschverdacht, der vor allem gegen Ortheils Liebesromane er‐ hoben wird, D I E C K M A N N , Dorothea, Kitsch oder Kunst? Wenn Literatur zum Geschwätz verkommt. Plädoyer für die Wiedereinführung des Begriffs Trivialliteratur, in: Die Zeit Nr. 47 vom 22.11.2001 - https: / / www.zeit.de/ 2001/ 48/ 200148_l-literatur.xml (Zugriff am 01.05.2019). 201 Zur literarischen Lebenskunst bei Hanns-Josef Ortheil vgl. D E R S . - S I B L E W S K I , Klaus, Wie Romane entstehen (Ästhetik des Schreibens 2), München 2008, 40; G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 232. 202 Martin Mosebachs Essaysammlung „Häresie der Formlosigkeit“, in der er sich kritisch gegenüber der nachvatikanischen Liturgie äußert, wurde von theologischer Seite im Gegenzug als „Häresie der Inhaltslosigkeit“ qualifiziert; vgl. M O S E B A C H , Martin, Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, München 2007; zum Vorwurf des Ästhetizismus vgl. die erhellende Rezension von G A S S M A N N , Michael, Wer kichert meinem Leben habe ich das Gefühl, vollkommen schmerzfrei zu sein! “ 198 Mitten auf dem Petersplatz, an den Vatikanischen Obelisken gelehnt, wiederholt sich an der Schwelle der Nacht zum frühen Morgen ein Ritual, das Johannes seit den Tagen des Internats in Fleisch und Blut übergegangen ist. Während die urbane Geräuschkulisse verstummt und eine merkwürdige Stille über Stadt und Piazza hereinbricht, hört Johannes wie selbstverständlich den so vertrauten Gesang der Mönche, der ihm Halt und Sicherheit gibt: Deus, in adjutorium meum intende / Domine, ad adjuvandum me festina. Mit einem kurzen Gebet antwortet er auf die Audition, die seiner Freude über den neuen Lebensabschnitt Ausdruck verleiht: „[…] zwei-, dreimal höre ich dieses Summen [= der alte Mönchsgesang, AB], wie einen Refrain meines ersten römischen Spaziergangs. Herr, ich danke Dir, dass Du mich hierher geführt hast, Herr, ich danke Dir! Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, auf grünen Auen lässt er mich lagern; an Wasser mit Ruheplätzen führt er mich …“ 199 Ein so unverblümtes Glaubensbekenntnis, selbst wenn es fiktional vom Alter Ego des Autors gespro‐ chen wird, findet sich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur an kaum einer anderen Stelle. Ortheil setzt sich damit nicht nur hier über die üblichen Einwände des religionskritischen Literaturbetriebs hinweg, er ignoriert auch den gebetsmühlenartig vorgebrachten „Kitschverdacht“ gegenüber seinen Ro‐ manen. 200 Seine Affinität für Rituale, sakrale Räume und Musik muss im Kontext seiner kontinuierlich fortgeschriebenen Idee einer literarischen Lebenskunst verstanden werden. 201 Fern ist ihm auch ein schöngeistiger Ästhetizismus, der wortmächtig den Verfall der katholischen Liturgie seit dem Zweiten Vatikanum anprangert, wie er anderen deutschsprachigen Literaten vorgehalten wird, die ein Näheverhältnis zur klassischen Stil- und Formensprache der katholischen Liturgie pflegen. 202 Für Gellner kann die liturgische Präferenz bei Ortheil 90 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="91"?> da in meiner Liturgie? , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 12.03.2007 (60), 37. - https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ rezensionen/ sachbuch/ rezen sion-wer-kichert-da-in-meiner-liturgie-1413159.html (Zugriff am 02.05.2019); vgl. zur kontroversen Diskussion über Mosebachs Buch darüber hinaus D E R S . - H A R N O N C O U R T , Philipp, Erlahmt die Kraft der Liturgie? , in: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 33 (2003/ 6) 30-32; S T R I E T , Magnus, Hoffnungssymbol Kreuz? Gegenläufige Bemerkungen zum Wahn eines leidfreien Lebens, in BiLi 76 (2003) 163- 171; K R A N E M A N N , Benedikt, Rezension zu: Martin Mosebach, Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, in: ThR 99 (2003) 397 f.; O D E N T H A L , Andreas, Gottesdienst wider den Zeitgeist? Die Diskussion um die Reform der Messe geht weiter, in: HerKorr 57 (2003/ 9) 452-456. 203 Vgl. G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein“, 232; hier bes. die Fußnote 14. 204 O R T H E I L , Glaubensmomente, 30. 205 Vgl. dazu vor allem O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 355. 206 Vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 355. auch nicht selbstbestätigend als Zeichen der Wiederkehr des Katholischen in einer zunehmend pluralen Gesellschaft gewertet werden. 203 Die ausdrückliche Inszenierung der ästhetischen Dimension liturgischen Erlebens speist sich aus der eigenen Anschauung, wie sie bis heute zu seinem spirituell-religiösem Leben gehört. In der Anthologie „Glaubensmomente“ lässt er keinen Zweifel daran, dass die Schönheit der Religion immer auch ethische Konsequenzen nach sich zieht. Das Zusammenwirken von Liturgie und Ethik erschloss sich ihm schon als Kind, wiederum im Kölner Dom: „Überspitzt könnte ich heute sagen: Im Dom lernte ich die Anfangsgründe einer uralten Ästhetik, nämlich der des ‚Schönen, Guten und Wahren‘ - und das genau in dieser Reihenfolge und Kombination. Das Schöne bestand aus Bildern, Plastiken, Farben und viel Musik. Das Gute bestand aus den Empfehlungen des Neuen Testa‐ ments für ein richtiges Leben. Und das Wahre bestand aus den Glaubensinhalten selbst und aus all ihren schwer zu ergründenden Geheimnissen.“ 204 Die entscheidende Frage bei Ortheil lautet, ob sich die Liturgie im Leben be‐ wahrheitet und lebensverändernd eingreift. 205 Seine Ästhetik setzt das kritische Nachdenken über die Grundbegriffe des Gottesdienstes nicht außer Kraft. Er schafft auch keine Sonderwelt, sondern eröffnet Raum für ein Erleben dieser Welt als eine andere. So negativ sich die Monate im Internat auf das sensible Kind auswirkten, am Ende kann er der kurzen Episode dennoch etwas Positives abgewinnen. Im Internat entwickelt sich eine von der Musik begleitete natürlich-authentische Frömmigkeit, die er als „Lebensform“ beschreibt und von der er sich immer mehr angezogen fühlt. 206 Kirche und Liturgie erweisen sich erneut als umfassender Schutz- und Geborgenheitsraum, in dem der Held seine Bestimmung vor Gott 2.1 „Die Erfindung des Lebens“ - Religion als Einübung in Raum und Sprache 91 <?page no="92"?> 207 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 345. „Das ist meines Erachtens das, was die gregorianischen Gesänge am besten tun, dass sie nicht darüber plaudern, was Gott ist, sondern dass sie sich einfach in sehr schlichter Form auf etwas Abwesendes indirekt beziehen.“, in: D Z I O N A R A , Karin, Der Gott der Dichter. Wie Literaten heute nach dem Glauben fragen, NDR-Sendung Glaubenssachen vom 17. Mai 2012, zitiert nach G E L L N E R , „Vertrauen ins schwerelose Dasein.“, 235. 208 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 108 [Herv. im Original]. 209 Vgl. dazu die treffende Besprechung von K R A U S E , Tilman, Das Leben ist ein großes, zauberisches Fest, in: Die Welt vom 20.01.2013 - https: / / www.welt.de/ kultur/ literarisch ewelt/ article112909974/ Das-Leben-ist-ein-grosses-zauberisches-Fest.html (Zugriff am 07.05.2019). 210 Vgl. dazu die literaturtheologischen Überlegungen von L A N G E N H O R S T , Literarische Spie‐ gelungen von Beichte, hier 128-130; D E R S ., „Ich gönne mir das Wort Gott“, 68-71 und B I E R I N G E R , Andreas, Das Bußsakrament im Spannungsfeld von Liturgie und Literatur, in: Markus G R A U L I C H - Thomas M E C K E L - Matthias P U L T E (Hgg.), Ius canonicum in communione christifidelium (FS Heribert Hallermann = KStKR 23), Paderborn u. a. 2016, 257-271, hier bes. 267-269. frei entfalten kann. In der frühmorgendlichen Szene kommen sich Liturgie und Mystik ganz nahe. Die Leser werden nicht nur Zeugen der kosmischen Geburt des Morgens, wie die Finsternis vor den Gesängen der Mönche weichen muss. Der Schriftsteller hinterlässt eine bemerkenswerte Definition von Liturgie, die nur aus der Feder eines Autors oder einer Autorin stammen kann, der oder die ein Gespür für mystische Grundkonstellationen hat: Liturgie ist Einstimmen in einen einzigen Ton. „Dieser Ton wurde sehr leise und mit einer geradezu rührenden Vorsicht gesungen, es war ein Ton, dessen Reinheit man in der Dunkelheit suchte und den man dann im weiten Raum langsam zum Schwingen brachte.“ 207 2.2 „Das Kind, das nicht fragte“ - Humane Umbesetzung der Liturgie „GROSSER GOTT! Wie oft bin ich in eine Kirche gegangen, wenn es mir schlecht ging und ich nicht wusste, wie ich mich von meinen Lähmungen befreien sollte! “ 208 Drei Jahre nach dem Erfolgsroman „Die Erfindung des Lebens“ (2009) veröffentlicht Ortheil mit „Das Kind, das nicht fragte“ (2012) eine weitere auto‐ biographisch grundierte Rettungserzählung, in der er ebenfalls auf liturgische Urerfahrungen zurückgreift. 209 Im Mittelpunkt steht der Ethnologe Benjamin Merz, der wieder die Züge Ortheils trägt, auch wenn seine Lebensgeschichte in diesem Roman viel freier variiert wird als noch im Vorgängerwerk. 210 Erneut erstreckt sich der Plot zwischen Köln und Italien, nun verschlägt es den 92 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="93"?> 211 Zur ethnologischen Feldforschung vgl. G I R T L E R , Roland, Methoden der Feldforschung, Wien u.-a. 4 2009. 212 Vgl. C A T A N I - M A R X - S C H Ö L L , Kunst der Erinnerung. 213 Aufschlussreiche Einblicke in sein Konzept eines gelingenden Gesprächs gibt der Autor im Essay „Intimes Sprechen“, in: O R T H E I L , Intimes Sprechen. autofiktionalen Protagonisten dieses Mal tiefer in den Süden, nach Sizilien, wo er die Lebensgewohnheiten der Bewohner von Mandlica, einer fiktiven Kleinstadt an der Südküste, ethnologisch erkunden will. Frei nach Bronisław Malinowski wird Benjamin Merz zum „teilnehmenden Beobachter“, indem er die Einheimischen für seine Feldforschung in langwierige Frage- und Antwortspiele über deren Lebensgewohnheiten verwickelt. 211 Die ethnologischen Befragungen sind keine Selbstverständlichkeit, ist der Held doch ein eher schüchterner Mann, der schnell Angst vor der Kommunikation mit Fremden bekommt. Seine Scheu, soziale Kontakte aufzubauen, wie sie für Ortheils Figuren so charakteristisch sind, liegt auch hier in der familiären Ausgangssituation begründet. In „Das Kind, das nicht fragte“ reizt der Autor die Gesetze der Fiktion aus und schreibt jedoch gegen das tragische Schicksal der eigenen Familie an. Benjamin Merz ist im Unterschied zu Johannes Catt kein Einzelkind mehr, sondern der jüngste von fünf Brüdern, unter deren Dominanz er jedoch lange leidet. Die Brüder halten den Nachzügler schon seit Kindertagen kurz, sind viel lauter und auf‐ dringlicher als er und schränken seine persönliche Entwicklung ein. Obwohl er im Romanplot mittlerweile vierzig Jahre alt ist, fühlt er sich von den älteren Brüdern noch immer bevormundet und unterdrückt. Endlich kann er sich auf Sizilien aus der familiären Umklammerung befreien und seiner privaten wie beruflichen Passion ohne jede Einschränkung nachgehen. Benjamins Geschick, sich vertrauensvoll in andere Menschen hineinzuversetzen, trägt ihm vor allem die Sympathien der sizilianischen Frauen ein. Ortheils schon angesprochenes leitmotivisches „Gelingen“ mündet schlussendlich in eine Liebesbeziehung zur Deutschitalienerin Paula, mit der er sich verlobt und am Ende sogar ein eigenes Restaurant gründet. Das bewährte Zusammenspiel aus Erinnerung, Kunst, Kulinarik und Liebe wird erneut zum Stoff von Ortheils literarischer Lebenskunst. 212 Ergänzt und erweitert wird sie auch in diesem Fall um liturgischrituelle Erfahrungen, die der Held als Sprungbrett für ein selbstbestimmtes Leben zu nutzen weiß. Der Roman fußt auf der Idee des gelingenden Gesprächs, das der Protagonist auf ein liturgisches Erleben in der Kindheit zurückführt und das sich als Initialzündung seines ethnologischen Frage-Antwortspiels erweist: 213 2.2 „Das Kind, das nicht fragte“ - Humane Umbesetzung der Liturgie 93 <?page no="94"?> 214 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 111. 215 Vgl. dazu auch B I E R I N G E R , Das Bußsakrament im Spannungsfeld von Liturgie und Literatur, hier bes. 267-269. 216 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 115. 217 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 54. „Dass ich so rede und auf diesem Thema [= Sprechen vor Gott, AB] beharre, kommt daher, dass ich dem Sprechen und Reden in der Kirche einen Großteil meines Lebens verdanke. Ohne dieses Sprechen und Reden wäre ich nicht der, der ich bin, ich wäre kein Ethnologe, ja ich wäre vielleicht für immer der hilflose, kleine Bub geblieben, der alle paar Tage unter den Mittagstisch kroch und sich später in seinem Zimmer einschloss.“ 214 Ausgerechnet die Erstbeichte im Alter von acht Jahren wird für den von der eigenen Familie übergangenen und unterdrückten Protagonisten zur Rettung. Die Szene setzt ein, wie es gängigen Vorstellungen von Kinderbeichten im Vorfeld der Erstkommunion entspricht. 215 Der enge Beichtstuhl, die Dunkelheit im engen Raum jagen dem Kind so große Angst ein, dass es trotz der auswendig gelernten Vorbereitungsgebete kein einziges Wort herausbringt. Als dem Buben auch noch die Tränen kommen, will er den Beichtstuhl eigentlich wieder fluchtartig verlassen. Nach kurzem Zögern und einigen Momenten quälender Stille gelingt es dem Priester jedoch, Benjamin in ein längeres Gespräch zu verwickeln. Die anfängliche Beklemmung weicht, da der Gottesdiener kein inquisitorisches Sündenverhör durchführt, sondern nach seinen täglichen Le‐ bensvollzügen fragt. Ein simples aber vertrauensvolles „Erzähl mir ein wenig, ich höre zu“ 216 reicht aus, um Benjamin ins Reden zu bringen. Die Probleme mit seinen älteren Brüdern werden dabei ebenso thematisiert, wie tägliche Langstreckenläufe zum Rhein, die er vor seinen Spielkameraden geheim hält, um nicht ausgelacht zu werden. Bedingungslos hört der Priester zu, er ermutigt ihn sogar, den Erzählfluss nicht zu unterbrechen. Endlich wagt es Benjamin auch, seinem Gegenüber eine Frage zu stellen. Bislang verwehrten ihm die Brüder das Fragenstellen und in der Schule hatte er nicht den Mut dazu. Adressat seiner Fragen ist niemand geringerer als Gott, den er um Auskunft über das schwierige Verhältnis zu seinen Brüdern bittet und zugleich wissen will, ob er seine Gebete versteht und ihm überhaupt zuhört. Das heitere Fragespiel mündet in der für Ortheil so typischen „Hypnose der Stille“ 217 , einem kleinen Moment der Entrückung, der ihn Raum und Zeit vergessen lässt: „Ich sprach nicht mehr weiter, ich bewegte mich nicht - denn es war plötzlich so wunderbar still. Noch niemals in meinem Leben hatte ich eine derartige Stille erlebt, 94 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="95"?> 218 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 120 f. 219 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 116. 220 Zu den Don Camillio-Verfilmungen vgl. B O L L E R , Reiner, Don Camillo und Peppone. Die Filme mit Fernandel und Gino Cervi (1952-1970), Berlin 2014. 221 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 124. 222 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 124. 223 Vgl. O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 287. 224 O R T H E I L , Intimes Sprechen, 320. 225 Vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 55 f.; D E R S ., Intimes Sprechen, 319. es war, als trieben der Priester und ich mitsamt dem Beichtstuhl in einer Kapsel im Ozean, die langsam in die Tiefe abtauchte.“ 218 Erneut erweist sich die Liturgie in einem Schlüsselroman Ortheils als Wand‐ lungserfahrung, sonst würde der Protagonist die Beichte wohl kaum „als einen der schönsten [Momente, AB] meines Lebens in Erinnerung“ 219 behalten. Der neu gewonnene Mut, Fragen zu stellen, wird sogleich mit Antworten belohnt. So interpretiert Benjamin jedenfalls eine leise, aber deutlich vernehmbare Stimme, die er im Beichtstuhl vernimmt und die Erinnerungen an die „Don Camillo“-Filme wecken, wie er sie zuvor im Gemeindesaal im Rahmen der Kommunionvorbereitung gesehen hatte. 220 Auch wenn ihm völlig klar ist, dass er nicht die wahre Stimme Jesu hört, fühlt er sich in diesem Umfeld dennoch zutiefst angesprochen. Im Beichtstuhl findet der Protagonist zu seiner ureigenen Berufung, nicht umsonst bezeichnet er das Gespräch als „Geburtsstunde“ 221 seiner umfassenden „Frage- und Antwortspiele“ 222 , die zur Grundlage seiner ethnologischen Tätig‐ keit werden. Benjamin lernt nicht nur, sich, seinem Gegenüber und Gott von seinem Leben zu erzählen, er beginnt „die Fragen an den lieben Gott“ auch schriftlich festzuhalten, eine Gewohnheit, die ihn ab diesem Zeitpunkt sein Leben lang begleiten wird. 223 Die Beichte bietet dafür einen geschützten Raum, der nach außen völlig abgeschottet ist, um ungestört mit dem priesterlichen Gegenüber und letztlich auch mit Gott in einen Austausch zu treten. Auf diese Weise wird „der Kirchenraum zum ersten intimen Gesprächsraum des inneren Sprechens außerhalb der häuslichen Wohnung.“ 224 Stand die meditative Gebets‐ szene vor der Gottesmutter in „Die Erfindung des Lebens“ noch im Zeichen des inneren Dialogs, der langsam einsetzenden Verständigung des einzelnen mit sich selbst, entwickelt sich hier das intime Sprechen weiter in ein Zwiegespräch mit einer außenstehenden Persönlichkeit. 225 Eine Beichte im sakramentalen Sinn legt der Junge freilich nicht ab. Der einfühlsame Priester besteht auch nicht darauf und entlässt ihn kurzerhand mit dem Segen und einer kleinen Gebetsübung, die aus drei Vaterunser und Ave-Maria besteht. Aufgebrochen 2.2 „Das Kind, das nicht fragte“ - Humane Umbesetzung der Liturgie 95 <?page no="96"?> 226 Vgl. O R T H E I L , Die Moselreise. 227 Vgl. zu Ablauf und Inhalten des Konzils P E S C H , Otto Hermann, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte - Verlauf - Ergebnisse - Wirkungsgeschichte (TTB 393), Würz‐ burg 3 2011, hier bes. 78-104; eine umfassendere Studie bietet ferner A L B E R I G O , Giuseppe, Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), 5 Bde., Mainz 1997-2008. wird jedoch das klassische Schema der Ohrenbeichte, der sakramentale Raum wird umbesetzt. Im Zentrum steht nicht mehr das Sündenbekenntnis oder die Lossprechung, sondern das freie Frage- und Antwortspiel aller Beteiligten. Weder urteilt noch richtet der Priester den vermeintlichen Pönitenten, er führt ihn zur freien Rede vor Gott und wird dabei selbst zum Fragenden. Durch sein geschicktes Nachfragen werden die entscheidenden Themen des Lebens vor Gott gebracht und von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet, mit dem Ziel, dass der Beichtende sein Leben selbst in die Hand nimmt. Ortheil versteht es wie kaum ein Theologe, Religion und Liturgie von den Bedürfnissen heutiger Menschen her zu denken. Liturgisches Aggiornamento bedeutet bei ihm Humanisierung des Sakralen. Religion und Rituale werden an die menschlichen Lebensumstände angepasst. Damit gelingt es ihm - zumindest in seinen Büchern - die Liturgie vor Belanglosigkeit und weltfremder Isolierung zu bewahren. 2.3 Resümee Am Ende des Kapitels lohnt ein zusammenfassender Blick auf Vater und Sohn Ortheil, die im Juli 1963 eine Reise an die Mosel unternahmen. 226 Auf ihrer Wanderung von Koblenz nach Trier besuchten sie nicht nur zahlreiche Kirchen und andere Kulturgüter, sie nutzten die Zeit auch, um ihre Vater-Sohn-Bezie‐ hung zu vertiefen. Einige Gespräche kreisten um die anstehende Kirchenreform, über die zeitgleich am Zweiten Vatikanische Konzil (1962-1965) in Rom beraten wurde. Die Monate zwischen erster (11.10. bis 8.12.1962) und zweiter (29.09. bis 4.12.1963) Session standen im Zeichen des Todes von Papst Johannes XXIII., inhaltlich lief die Debatte über die Liturgiereform, sollte doch am 4. Dezember 1963 Sacrosanctum Concilium als erste Konstitution der Kirchenversammlung feierlich verabschiedet werden. 227 Inspiriert von einem Zeitungsartikel über die anstehenden Erneuerungen, der dem Zwölfjährigen zufällig in die Hände fiel, notierte er kurzerhand sein eigenes Reformprogramm. Solche und ähnliche Notizen waren für den Jungen nicht ungewöhnlich. Während der gesamten Wanderung hielt er Beobachtungen und Eindrücke schriftlich fest, um daraus nach dem Ausflug ein ausführliches Reisetagebuch anzufertigen, das er seinem 96 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="97"?> 228 Ähnlich ging Hanns-Josef Ortheil auch bei seinen später veröffentlichten Reiseromanen vor; vgl. D E R S ., Die Mittelmeerreise; D E R S Die Berlinreise. Roman eines Nachgeborenen, München 2014. 229 Vgl. O R T H E I L , Die Moselreise. 230 O R T H E I L , Die Moselreise, 111. Vater schenkte. 228 Fast fünf Jahrzehnte später gingen einige dieser Notizen in Ortheils literarisches Itinerarium „Die Moselreise“ ein, das den bezeichnenden Untertitel „Roman eines Kindes“ trägt. 229 Sein liturgisches Reformprogramm aus Kindertagen übernimmt der Autor direkt aus dem damaligen Reisetagebuch, es ist auf den 28. Juli 1963 datiert: „In den Kirchen sollte es viel mehr Blumen geben. Die Orgel sollte viel mehr spielen, auch lange Stücke, besonders nach dem Gottes‐ dienst. In jeder Messe sollte es viel Weihrauch geben. Der Priester sollte alles schön laut in Latein vorlesen und einiges Latein ins Deutsche übersetzen. Während der Kommunion sollte es nicht nur die Hostie, sondern auch Wein geben. Für Kinder sollte es statt des Weins Traubensaft geben. Es sollten noch viel mehr Kirchenlieder gesungen werden. In den Hochämtern sollte nicht gepredigt werden. Es sollte überhaupt kürzer gepredigt werden, jede Predigt sollte nicht länger dauern als fünf Minuten. Die Kirchenglocken sollten vor jeder Messe ordentlich läuten, und zwar an jedem Tage anders.“ 230 Als Zeitdokument sind die Thesen aus der Feder eines erst zwölfjährigen Jungen einzigartig. In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gibt es jedenfalls keinen vergleichbaren Text, der liturgische Zeitzeugenschaft und literarisches Schaffen so eng miteinander verbindet. Wer den Ausschnitt lediglich mit dem heutigen Wissen über den Verlauf der Liturgiereform in den letzten fünf Jahr‐ zehnten bewertet oder gar ideologisch Rückschlüsse auf das Liturgieverständnis seines Urhebers zieht, wird dem Text kaum gerecht. Die eindringliche Passage dokumentiert zunächst, wie ein hochbegabtes Kind, das schon früh von der „hochkirchlichen“ Kathedralliturgie des Kölner Domes geprägt wurde, den Gottesdienst seiner Kindheit erlebte. Im Kontext dieser Studien ist bemerkens‐ wert, dass Ortheils Programm auch im Erwachsenenalter Gültigkeit behielt und schrittweise in das Lebenswie Kunstprojekt des Autors einging. Insbesondere beharrt er damit auf den Fülle-Charakter, der beinahe selbstverständlich zu den grundlegenden Wesenszügen der Liturgie gehört, über den jedoch in Praxis und 2.3 Resümee 97 <?page no="98"?> 231 Vgl. dazu u. a. H O F F , Johannes - L E V E N , Benjamin, Das Leben in Fülle. Liturgie und Kunst bei Christoph Schlingensief. Interview mit Johannes Hoff, in: GD 47 (2013) 137-140. 232 Bislang fehlt eine umfassende Untersuchung zur Rezeption des Terminus „Glanz edler Einfachheit“ (SC 34); erste Ansätze liefern u. a. G E R H A R D S , Albert, Edle Einfachheit oder falsche Bescheidenheit? Zur liturgischen Ästhetik des Papstamtes, in: HerKorr.Sp (2015/ 1) 50-53; P A S E N O W , Guido, Gott fährt nicht vor … Ein Plädoyer für edle, echte Einfachheit, in: GD 45 (2011) 21-22. 233 Als Kirchgänger leidet er zwar ebenso an den Widersprüchlichkeiten und ist auch nicht um Ratschläge zur Verbesserung verlegen; vgl. O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 288. Theorie nur selten reflektiert wird. 231 Zum sinnlich-barocken Gepräge gesellen sich bei Ortheil heidnisch-opulente Züge, die seine Opulenz zusätzlich unter‐ streichen. Damit will er nicht nur das bacchantische Prinzip in Dichtung und Religion wachhalten, sondern darauf insistieren, dass sich Glaube und Leben primär im Modus des Festes ausdrücken. Sein Bild der Fülle wird obendrein um die immer wieder evozierte Kultur Italiens ergänzt, deren mediterraner Charme eine Vielzahl seiner Romane durchdringt. Der anhaltende Erfolg bei einem breiten Publikum dürfte diesem Überschwang geschuldet sein, der trotz oder gerade wegen der hierzulande dominierenden Nüchternheit auf ein besonders großes Echo stößt. Etwas mehr von dieser mediterranen Lebensfreude täte der liturgischen Feierkultur wohl auch nördlich der Alpen gut. Aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive bleibt zunächst festzuhalten, dass Ortheil seinen literarisch gespiegelten Gottesdienst nicht kritisch reduziert. Viel‐ mehr identifiziert er sich geradezu mit seiner sinnlichen Fülle, ohne daraus ein ideologisches oder gar kirchenpolitisches Programm zu machen. 232 Während sich andere an liturgischer Opulenz stoßen, erklärt er sie kurzerhand zu seinem dominierenden Stil- und Lebensprinzip. Überhaupt problematisiert der in Köln sozialisierte Autor den sonst so häufig ins Wort genommenen Hiat von Liturgie und Leben in seinen Büchern kaum. 233 Trotz Unzufriedenheit mit der real gefeierten Liturgie hält er sich kaum mit Kritik auf, sondern verwirklicht seine eigenen Vorstellungen idealtypisch in der Literatur. Damit sind gleichwohl Grenzgefahren verbunden, die an dieser Stelle ebenso genannt werden müssen. Ortheils eingangs zitiertes „Verliebtsein ins Gelingen“ lässt Ausgang und Pointen der Bücher allzu leicht vorhersehen. So manche Szene gleitet zudem ins Sentimentale oder Kitschige ab. Vor allem aber kommt es in liturgicis streckenweise zu einer übergroßen Identifikation zwischen subjektiver Erfahrung und Liturgie, die die Grenzen zwischen beiden unscharf werden lässt. Fällt beides zusammen, droht die Offenheit des religiösen Geschehens verloren zu gehen. Mit Lehnert wird im Folgenden auch bei Stadler auf das Fremde Gottes in der Liturgie verwiesen werden, das „von außen“ hinzutritt, um die je eigenen Vorstellungen und Erwartungen zu 98 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="99"?> 234 Vgl. dazu auch die entsprechenden Kapitel zu Christian Lehnert und Arnold Stadler dieser Arbeit. 235 Vgl. O R T H E I L , Die Schönheit des Glaubens, 285-288. 236 T Ü C K , Jan-Heiner, Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein. Priesterszenen in der Gegenwartsliteratur: Arnold Stadler - Felicitas Hoppe - Peter Handke, in: IKaZ Communio 41 (2012) 310-326, hier 314. 237 „Der Mensch ist ein ausgesetztes, aufschauendes, staunendes und von vielen Welten durch-wandertes Wesen. Wir sind ja nicht nur wir selbst. In uns schlummern die Erfahrungen der Jahrtausende. Man könnte etwas bildlicher gesprochen sagen, dass die Seele kein Sprinter, sondern ein Marathonläufer ist. Sie ist auf lange Verweil- und Austragszeiten hin angelegt. Die Liturgie betont diese Dimension, weil wir da noch wissen, was Kindsein und Altern, was Geburt und Sterben, was Opfer und Auferstehung, was Wandlung und Dank bedeuten. Dazu gehört ebenso das Wissen um Lob, Klage, Bitte und nicht zuletzt die Kenntnis über das Schweigen, die Meditation und das Austragen von Lebensweisheit. Das verbindet alle Liturgien miteinander.“, in: B I E R I N G E R - S A L M A N N , „Liturgie will dem Leben aufhelfen“, 4; darüber hinaus S A L M A N N , Elmar, Was ist Kult? Zum Verhältnis von Liturgie und Leiblichkeit, in: D E R S ., Geistesgegenwart. Figuren und Formen des Lebens, St. Ottilien 2010, 177-185. durchkreuzen. 234 So wichtig subjektive Erfahrungen auch sind, aber ohne den objektiven Vollzug der Heilsmysterien droht die Liturgie einseitig zu werden. Dazu kommt, dass für Ortheil Religion kein philosophisch-theologisches Konzept oder gar eine Sammlung moralischer Ge- und Verbote ist, wie er im bereits zitierten Essay „Die Schönheit des Glaubens“ freimütig bekennt. 235 Dogmatisch-religiöse Inhalte kommen, wenn überhaupt, nur mittelbar zum Tragen. In diesen Bereich fällt auch Ortheils Umgang mit den liturgischen Kindheits‐ erinnerungen. Während sich Stadlers Salvatore-Figur schmerzlich eingestehen muss, dass sich die Kindheitserfahrungen als Erwachsener nicht wiederholen lassen, scheint Ortheil fast mühelos auf dieses Reservoir zurückgreifen zu können. Lässt sich hier nicht der an Stadler gerichtete Vorwurf einer „infantilen Regression“ 236 ins Treffen führen? Auch wenn Ortheil seinen Rückgriff auf die Religion viel unkritischer orchestriert als Stadler, ist seine Ausgangslange eine andere. Mussten sich Autoren wie Stadler oder Handke erst mühsam von ihrer traumatisierenden Sozialisierung losschreiben, um neu in die Religion eintreten zu können, ist die Religion in Ortheils Biographie von Beginn an Teil seiner einzigartigen Befreiungsgeschichte. Bei näherer Betrachtung wird man ihm ebenso wenig vorwerfen können, dass sein Blick in die Vergangenheit bloß an nostalgisch-verklärten Motiven hängt. Im Fokus stehen jene Dimensionen des Lebens, die Elmar Salmann als „sakral-archetypisch“ bezeichnet. 237 Damit sind vor allem humane Grundvollzüge wie Danken, Loben, Bitten und Klagen gemeint, auf die sich ebenso die Religion beruft. Für Ortheil gehört dazu auch das Wissen um das eigene Kindsein, denn wer nur „erwachsen“ ist, dem fehlt eine 2.3 Resümee 99 <?page no="100"?> 238 Zum Verhältnis von Liturgie und den sakral-archetypischen Schichten des Lebens vgl. B I E R I N G E R - S A L M A N N , „Liturgie will dem Leben aufhelfen“, hier bes. 4 und S A L M A N N , Was ist Kult? 239 Vgl. G U A R D I N I , Romano, Vom Geist der Liturgie (RG Werke), Mainz u. a. 20 1997; L A N G E R , Susanne Katharina, Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt a.-M. 1992. 240 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 110. 241 Vgl. O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 290; zur Bedeutung der Anamnese für die christliche Liturgie vgl. u. a. W A H L E , Stephan, Das Gedächtnis im Heute feiern. Zur existenziellen Bedeutung liturgischer Anamnese, in: GuL 88 (2015) 133-144; D E R S ., Gottes Gedenken. Untersuchungen zum anamnetischen Gehalt christlicher und jüdischer Liturgie (IThS 73), Innsbruck - Wien 2006. 242 O R T H E I L , Intimes Sprechen, 322. 243 Vgl. O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 108-125. 244 Vgl. O R T H E I L - S I B L E W S K I , Wie Romane entstehen, 40. wesentliche Komponente des Menschlichen. 238 Weder das Christentum noch sein Gottesdienst kommt ohne fundamentale Kindheitsmuster wie die Freude am Spiel oder das absichtslose Wiederholen aus. 239 In diesem Sinn kann der Ich-Erzähler in „Das Kind, das nicht fragte“ auch freimütig bekennen: „[I]ch selbst sehe einen der großen Vorzüge von Kirchenbesuchen auch darin, dass man als Kirchgänger unweigerlich wieder etwas von dem staunenden und teil‐ nehmenden Kind bekommt, das Ermunterungen noch ernst nimmt und seelisch gestärkt die Kirche verlässt.“ 240 Aus der Liturgie entlehnt der Autor zudem seinen „anamnetischen“ Schreibstil, denn er wiederholt die Kindheitserfahrungen nicht einfach erinnernd, er will sie für sein Heute erneut erlebbar machen. 241 Die Kindheit wird vor dem Hintergrund seiner biographischen Erfahrungen zur Verheißung für Gegenwart und Zukunft: „Dieses Kind zeigt sich neu, es ersteht wieder auf, in veränderter, erwachsener Gestalt […].“ 242 Mehrmals war davon die Rede, dass Ortheil Religion als Einübung in Sprache und Raum inszeniert. So zentral die liturgische Gestimmtheit für den indivi‐ duellen Lautwerdungsprozess auch immer war, heute ist sie für ihn eine Bedingung für ein gelingendes Leben unter anderen. Gerade die Einbettung der Beichtszene in den Verlauf des Romans „Das Kind, das nicht fragte“ belegt, welche Bedeutung er der Beichte zumisst, aufs Ganze gesehen bleibt sie dennoch beiläufig. 243 Gemeinsam mit Musik, Literatur, Kulinarik und Erotik ist sie ein vitaler Lebensvollzug unter vielen. 244 Damit ist eine Relativierung religiöser Absolutheitsansprüche über das Leben einzelner verbunden, ohne dass Ortheil ihre zentrale Rolle in Frage stellen würde. Schon einmal war von der Liturgie als locus vitae, von einem Sprungbrett in ein geglücktes Leben die Rede. In Fortführung von Ortheil lautet die entscheidende Frage daher nicht, wie das Leben der Zeitgenossen bzw. Zeitgenossinnen zur Liturgie passt, sondern um‐ 100 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="101"?> 245 „Ich bin ein relativ konstanter Kirchgänger, aber ich werde mit den Jahren immer ungeduldiger. Ich kann viele Gottesdienste gar nicht mehr in Ruhe verfolgen, weil ich mich über so vieles wundere oder ärgere. Und das betrifft vor allem die Sprache und damit die Art und Weise, wie von und über Gott gesprochen wird. Häufig bekomme ich eine Weichspülersprache zu hören, die abstrakt, beliebig und undeutlich ist. Warum bleibt man nicht näher am biblischen Text? Warum spricht man nicht konkreter über das Leben, das wir jetzt leben - und was aus den Texten für unseren Glauben folgt? Die Blumigkeit im kirchlichen Sprechen ärgert mich.“, in: O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 288. 246 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 111. 247 Vgl. G A R H A M M E R , Poesie und Philosophie, 377; O R T H E I L , Intimes Sprechen, 323. gekehrt: Passen die liturgischen Formen zu den heutigen Menschen und können sie noch lebensdienlich in ihre Biographien eingreifen? Ganz ähnlich wie die anderen hier vorgestellten Autoren ärgert sich der regelmäßige Kirchengänger Ortheil über die „Weichspülersprache“ im katholischen Gottesdienst, über die Art und Weise, wie über Gott in der Liturgie gesprochen wird. Er fordert nicht nur eine größere Nähe zur Sprache der Bibel, sondern eine Aktualisierung des Glaubens von den Lebensumständen heutiger Menschen her. 245 Die Prot‐ agonisten seiner Romane wollen dafür nicht mehr nur auf die offizielle Sprache des Gottesdienstes vertrauen. Sein Alter Ego Benjamin Merz kritisiert in „Das Kind, das nicht fragte“ seine älteren Brüder sogar, weil sie sich zu leichtfertig der amtlichen Sprache des Gottesdienstes anschließen: „Das ist […] nicht falsch und hat oft eine durchaus reinigende Wirkung. Es sollte aber nicht alles sein, nein, die Sprache der Gottesdienste und offiziellen Gebete sollte lediglich eine Vorgabe dafür sein, dass man zu einer eigenen Sprache findet. Zu einer Glaubenssprache. Zu einer Sprache vor Gott.“ 246 Die freie Rede vor Gott ist bei Ortheil nicht nur Ausdruck des Glaubens, sondern immer auch des Erzählens. Wer den Austausch mit sich selbst und den Mitmenschen pflegt, kommt seiner Erfahrung nach auch ins Gespräch mit Gott. Die Kunst des Betens und ein mündiger Gottesglaube sind die Voraussetzung für Ortheils unversiegbare Erzählkunst, die die Welt von innen her verwandeln will. 247 Ortheils literarischer Gottesdienst hält dem Bedeutungsverlust religiöser Rituale die Umbesetzung der Liturgie in einen biographischen, symbolischen und humanen Gestus entgegen. Biographisch ist die Poetisierung des Gottesdienstes bei Ortheil, weil das Leben der Protagonisten von der Liturgie lebensdienlich begleitet wird. In „Die Erfindung des Lebens“ spielt der Autor die rettende Kraft des Rituals anhand der eigenen Biographie durch. Wenn biographische Schwellen zu bewältigen sind, greifen liturgische Rituale heilend in den Lebenslauf seines literarischen Doppelgängers Johannes Catt ein. Schrittweise führen sie ihn nicht nur aus der 2.3 Resümee 101 <?page no="102"?> 248 Vgl. O R T H E I L , Was ich liebe - und was nicht, 43f.; O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, 286f. 249 O R T H E I L , Die unendliche Arbeit am Text, in: D E R S ., Die weißen Inseln der Zeit. Orte, Bilder, Lektüren, München 2 2015, 7-12, 12. 250 Vgl. O R T H E I L , Erfindung des Lebens, 55f. 251 Wenn Papst Franziskus in Bezug auf die Beichte darauf hinweisen muss: „Der Beichtstuhl ist kein Folterinstrument, sondern der Ort der Barmherzigkeit“, dann weist dies auf Probleme hin, die mit dem Sakrament verbunden sind, in: S P A D A R O , Das Interview mit Papst Franziskus, hg. von Andreas B A T L O G G , Freiburg i. Br. 2013, 50; auch in der Literatur gibt es unzählige Beispiele, wie sehr die klassische Ohrenbeichte als Zwang empfunden wurde. Der Dichter Albert Ostermaier hielt etwa fest: Immer hatte ich vor der Beichte geschwitzt, vor der Dunkelheit, dem gelöcherten Gitter in der Trennwand zwischen Sündern und dem Freisprecher von allen Sünden. Ich mochte mich niemand anvertrauen.“, in: D E R S ., Schwarze Sonne scheine. Roman. Berlin 2011, 72. unverschuldeten Stummheit in die Sprache, sie werden sogar zum Substrat seiner späteren Berufung als Schriftsteller. Symbolisch ist die Poetisierung, weil der Autor Urerfahrungen und Grundstrukturen aus der Liturgie auf seine alltäglichen Lebensprozesse überträgt. Ein Teil davon ist sein nach Ordnung und Struktur strebender Tagesablauf, wie die bewusste Zelebration der täglichen Mahlzeiten. Selbst das Lesen und Schreiben bezeichnet er als Parallelaktion seiner Kirchgänge, die er von Kindesbeinen an bis heute pflegt. Er ist beinahe obsessiv auf der Suche nach einer mit Bedeutung durchtränkten Welt, die den Alltag im Licht der spirituellen Erfahrungen neu erstrahlen lässt. Erst wenn er die Zeichen in den ihn umgebenden Räumen spüren und lesen kann, wird er zu deren Bewohner und nicht bloß zum Passanten. 248 „Aus einem Menschen, den seine Geburt zufällig an irgendeinen Ort der Welt versetzt hat, entwickelt sich unendlich langsam, aber doch kontinuierlich eine ‚Figur‘, die ihre ‚eigenen‘ Orte bestimmt, baut und sie an immer ‚eigener‘ werdenden Impulsen formt.“ 249 Die Suche nach Bedeutung hat ihren Ursprung in einer liturgischen Urerfahrung, die ihm schon früh zuteil wurde: In Gebet und Gottesdienst fühlt sich das verletzte und verwundete Kind von Gott angeschaut und das als klein und unscheinbar vernommene Leben wandelt sich in ein offenes und großes. 250 Als human lässt sich die Poetisierung bezeichnen, weil Ortheil sakramentale Rituale umbesetzt, indem er sie kompromisslos an die menschlichen Lebensumstände anpasst. In „Das Kind, das nicht fragte“ gelingt es ihm glaubhaft, das von vielen Generationen als Demütigungsritual erfahrene Bußsakrament in einen Befreiungsgestus zu verwandeln. 251 Tiefgründig schwingt hier wohl die Erfahrung mit, dass Sakramente nicht mehr oder nur beschränkt zum Leben heutiger Menschen passen. Aber gerade durch die poetisch motivierte Humanisierung des Sakralen gelingt es ihm, den Glauben zu bewahren. Die doppelte Durchlässigkeit zwischen Leben und Liturgie ist damit das zentrale Thema von Ortheils literarischem Gottesdienst. 102 2 Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung <?page no="103"?> 252 R A N S M A Y R , Christoph, Der fliegende Berg. Roman, Frankfurt a.-M. 2006, 22. 253 R A N S M A Y R , Christoph, Geständnisse eines Touristen. Ein Verhör, Frankfurt a. M. 3 2016, 87. 254 W I L K E , Insa - R A N S M A Y R , Christoph, Das Menschenmögliche zur Sprache bringen. Ein Gespräch mit Christoph Ransmayr über die Durchmusterung des Himmels und die äußersten Gegenden der Phantasie, in: Insa W I L K E (Hg.), Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr, Frankfurt a. M. 2014, 13-98, hier 73. 255 Zu den biographischen Angaben über Christoph Ransmayr vgl. S E R F A S , Henrike, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur 220. Christoph Ransmayr (2018) 87-89, 87 f; in seiner Dankesrede „Kohlhaas“ anlässlich der Verleihung des Kleist-Preises (Berlin, 18.11.2018) setzt er seinem Vater ein literarisches Denkmal: Vgl. dazu R A N S M A Y R , Chris‐ toph, Kohlhaas. Rede zur Verleihung des Kleist-Preises 2018, in: Andrea A L L E R K A M P (Hg.), Kleist-Jahrbuch 2019, Stuttgart 2019, 11-18; vgl. D E R S ., An der Bahre eines freien Mannes, in: D E R S ., Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank, Frankfurt a.-M. 2019, 45-62. Immer ist noch jemand da, der zumindest von uns weiß, der uns nicht losläßt oder von dem wir nicht lassen können, jemand, der durch unsere Erinnerungen, Ängste und Hoffnungen geht, uns in den Armen hält, wärmt, füttert oder uns keuchend, singend auf einem Schlitten aus Ästen und Fellen durch ein Geröllfeld schleift. 252 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ 253 „Mein Bruder und ich wollten Missionare werden. Nicht, um die Nachricht von Auferstehung und unbefleckter Empfängnis zu verbreiten, sondern um mit diesen tollen, mit Federbüschen geschmückten Häuptlingen, diesen Wahn‐ sinnsleuten am Rand des Dschungels, in Kontakt zu kommen und uns in der Wildnis als kniefällig verehrte Helden behaupten zu können.“ 254 Am Beginn des Kapitels entführt ein Zitat von Christoph Ransmayr in seinen bunten Kindheitskosmos. Ransmayr wurde 1954 als Sohn eines Volksschullehrers in Wels geboren und wuchs in Roitham, einem kleinen Dorf im oberösterrei‐ chischen Alpenvorland unweit des Traunsees, auf. 255 Wie Thomas Bernhard (1931-1989), Alois Brandstetter (1938), Peter Handke (1942) oder Josef Winkler (1953), um nur die bekannteren seiner österreichischen Schriftstellerkollegen <?page no="104"?> 256 Vgl. dazu L A N G E R , Renate, Probeweise Amen? Religiöse Motive im Werk von Christoph Ransmayr, in: Attila B O M B I T Z (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015, 53-65, 55 f.; S C H M I D T - D E N G L E R , Wendelin, Das Gebet in die Sprache nehmen. 257 Vgl. die Kapitel Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“, Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung und Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens Titel in Anlehnung an das Interview Stadler, Arnold - Langer, Stephan, Singen und spielen, solange ich da bin. Der Schriftsteller Arnold Stadler im Interview, in: CiG 71 (2019/ 14) 157-159, hier 158. Dieser Abschnitt geht in Teilen zurück auf Bieringer, Andreas, „Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“ dieser Arbeit. 258 Die Zeit als Ministrant wird mitunter beiläufig thematisiert: „Ich habe als Ministrant das Ritualgeschirr zur Letzten Ölung getragen, als ein betrunkener Raufbold meines Heimatdorfes von Gendarmen durch eine verriegelte Tür hindurch erschossen wurde.“, in: R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 124 [Herv. im Original]. 259 Neben seinen Romanen veröffentlicht Ransmayr regelmäßig „Spielformen des Erzäh‐ lens“, in denen er sich mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung literarischer Formen beschäftigt. Für diese Arbeit wurde u. a. folgende Bände herangezogen: D E R S ., Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank, Frankfurt a. M. 2019; D E R S ., Der Weg nach Surabaya. Reportagen und kleine Prosa. Frankfurt a. M. 1997; D E R S ., Geständnisse eines Touristen; zur fehlenden Ironie bzw. Komik B Ü R G E R , Jan - L Ö F F L E R , Sigrid - W O H L L E B E N , Doren, „Geht los. Erzählt“. Streifzüge durch Christoph Ransmayrs Werk, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur 220. Christoph Ransmayr (2018), 16-28, hier 25. 260 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 55. zu nennen, gehört auch Ransmayr zur „Ministrantenfraktion“ innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die Gebete und Rituale der Kindheit kunstvoll in die Sprache nimmt. 256 In Bezug auf Herkunft und Religion scheint sich bei Ransmayr - wenigstens auf den ersten Blick - zu wiederholen, was in dieser Arbeit auch über Ortheil, Stadler und Handke gesagt wird. 257 Neben der katholischen Sozialisierung im dörflichen Milieu durchlief auch Ransmayr eine Bildungskarriere in kirchlichen Einrichtungen und wechselte nach der Grundschule in das Benediktinergymnasium des oberösterreichischen Stiftes Lambach. 258 Mit einer Prise Humor, die sonst von Kritikern in seinen Romanen vermisst wird, gewährt der Autor Einblicke in seine unbeschwerte Schulzeit, wie dieses Zitat aus „Geständnisse eines Touristen“ belegt. 259 „Apropos Belehrung: Ich erinnere mich an eine meiner Lateinstunden bei den Benediktinern im Kloster von Lambach, in der ein Mitschüler Dominus vobiscum mit Herr, wo bist du übersetzte. Klang ja auch irgendwie ähnlich, wurde von einem gütigen Professor aber mit der Notiz ›Wegen großem Unterhaltungswert außer Konkurrenz‹ weder gut noch schlecht, sondern gar nicht benotet.“ 260 Während die durchschnittliche Schriftstellerkarriere eines Österreichers laut Karl-Markus Gauß (1954) vom Messdiener über die Klosterschule durch „Gottes‐ 104 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="105"?> 261 Vgl. zum Ausdruck „wackerer Atheist“ den Schriftsteller und Essayisten Karl-Markus Gauß, der ebenso auf eine Sozialisierung innerhalb katholischer Strukturen zurückblicken kann; in: D E R S . Im Gespräch mit Stefan Gmünder, „Wir sind schlechter geworden“, in: Der Standard vom 17.02.2012 - https: / / www.derstandard.at/ story/ 1328508091555/ literatu r--politik-wir-sind-schlechter-geworden (Zugriff am 10.09.2020); der Autor dieser Arbeit verdankt das Zitat L A N G E R , Probeweise Amen? , 53; Vgl. darüber hinaus zum Terminus „Gottesvergiftung“ aus psychoanalytischer Sicht M O S E R , Gottesvergiftung. 262 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 53. Als einer der einflussreichsten Romane, der die Enge des katholischen Dorfmilieus in der österreichischen Nachkriegszeit anprangert, gilt I N N E R H O F E R , Franz, Schöne Tage. Roman, Salzburg 1974. 263 Wertvolle Hinweise und Zitate verdankt der Autor L A N G E R , Probeweise Amen? 264 „Thema seines abgebrochenen Dissertationsprojekts war die politische Philosophie Hork‐ heimers und ihre Verwurzelung im jüdischen Bildverbot.“, in: L A N G E R , Probeweise Amen? , 64. 265 Einige der frühen Reportagen aus Ransmayrs Zeit als (Reise-)Journalist sind veröffentlicht in: D E R S ., Der Weg nach Surabaya. 266 R A N S M A Y R , Christoph, Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Wien - München 1984. 267 Zur literarhistorischen Verortung der Werke Ransmayrs im Kontext der österreichischen Literatur vgl. u. a. die luziden Ausführungen von S C H M I D T -D E N G L E R , Wendelin - S O N N ‐ vergiftung“ zum „wackeren Atheisten“ führt, scheint Ransmayr mit seiner reli‐ giösen Erziehung im Reinen zu sein. 261 Die sonst üblichen Formeln der Kirchen‐ kritik sucht man in seinen Büchern jedenfalls vergeblich. 262 Auch wenn er ähnlich wie die oben genannten Schriftsteller im Laufe seines Erwachsenwerdens die katholische Sozialisierung hinter sich ließ, ging ihm das Interesse für Religion und Ritual nie verloren. 263 Nach der Matura verschlug es Ransmayr nach Wien, wo er an der Universität ein Studium der Philosophie und im Nebenfach Ethno‐ logie abschloss. Sein eingangs zitierter Kindheitstraum, katholischer Missionar zu werden, erfüllte sich nicht, Reisen in ferne Länder und ein Faible für exotische Kulturen sollten sein Leben fortan jedoch maßgeblich bestimmen. Während der Arbeit an seiner Dissertation über Max Horkheimer, die letztlich unvollendet blieb, wechselte Ransmayr als Kulturredakteur zur heute nicht mehr existierenden Wiener Monatszeitschrift Extrablatt. 264 Neben Essays machte sich Ransmayr vor allem mit präzise recherchierten Reisereportagen einen Namen, die neben seinem Stammblatt auch in den Magazinen Geo, Merian oder bei Hans Magnus Enzensbergers TransAtlantik erschienen. 265 Seinen ersten großen Erfolg als freier Schriftsteller verdankt er ebenso einer (literarischen) Reisereportage, in der er seine Leser und Leserinnen an einen der äußersten Ränder der menschlichen Zivilisation führt. In „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ (1984) 266 schildert Ransmayr auf Basis von historischen Aufzeichnungen und Archivmaterialien die österreichisch-ungarische Polarexpedition von Julius Payer und Carl Weyprecht in den Jahren 1872 bis 1874. Die charakteristische Verzahnung von Faktizität und Fiktion wird fortan die Poetik Ransmayrs maßgeblich bestimmen. 267 Vier Jahre 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ 105 <?page no="106"?> L E I T N E R , Johann (Hgg.), Bruchlinien II. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1990 bis 2008, St. Pölten u.-a. 2012, hier 34-37, 73-92, 297-300. 268 R A N S M A Y R , Christoph, Die letzte Welt. Roman. Mit einem Ovidischen Repertoire (Die Andere Bibliothek), Frankfurt a.-M. 1997. 269 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 37. 270 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 37, 78. 271 Vgl. R A N S M A Y R , Christoph, Morbus Kitahara. Roman, Frankfurt a.-M. 1995. 272 Vgl. G R E I N E R , Bernd, Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Planes, Hamburg 1995. 273 Vgl. M I T T E R M A Y E R , Manfred, „Daß, was ist, nicht bleiben kann“. Zu Christoph Ransmayrs Roman Der fliegende Berg, in: D E R S . - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 105-198, hier bes. 108. nach „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ gelang ihm 1988 mit „Die letzte Welt“ 268 sein endgültiger Durchbruch. Innerhalb kurzer Zeit avancierte der Roman zum Welterfolg, wie er einem deutschsprachigen Buch nur selten beschieden ist. Bis heute wurde „Die letzte Welt“ in knapp dreißig Sprachen übersetzt, für die Literaturwissenschaft zählt der Roman zu den einflussreichsten Werken des Erscheinungsjahrzehnts. Was auf Anregung von Hans Magnus Enzensberger als Nacherzählung von Ovids Metamorphosen seinen Anfang nahm, erwies sich als Wiederaufnahme und Fortschreibung des antiken Verwandlungsmythos. Mit „Die letzte Welt“ befreit Ransmayr die österreichische Literatur aus der „austriazisti‐ schen Engmaschigkeit“ 269 und bringt Themen in den literarischen Diskurs eint, die bis dahin nicht mit Österreich in Verbindung gebracht wurden. Zugleich handelte er sich den Vorwurf des „neoklassizistischen Gestus“ 270 ein, der bis heute nicht völlig verstummt ist. Sieben Jahre später erschien 1995 der düstere Roman „Morbus Kitahara“, mit dem Ransmayr seinen Ruf als Apokalyptiker festigte. 271 Wieder stand eine kühne Idee Pate für das ungewöhnliche Werk. Der Autor entwirft eine alternative Geschichtsdystopie, in der ein nicht näher genanntes Land (das große Ähnlichkeiten mit Österreich aufweist) nach verlorenem Krieg entindust‐ rialisiert und in eine archaisch-vormoderne Agrargesellschaft nach Vorbild des Morgenthau-Plans zurückversetzt wird, um für die Verstrickungen im Krieg Sühne zu leisten. 272 Bis zum nächsten großen Wurf sollten weitere elf Jahre vergehen, ehe der Oberösterreicher 2006 mit „Der fliegende Berg“ ein 350 Seiten starkes Epos veröffentlichte. Aufsehen erregte die Erzählung von zwei irischen Brüdern, die sich auf Entdeckungsreise nach Osttibet begeben, um den letzten unentdeckten Berg zu besteigen, vor allem aufgrund der ungewöhnlichen Form. Ransmayr wählt für das gesamte Buch den von längeren Gedichten bekannten „Flattersatz“, er selbst apostrophiert ihn als seinen „fliegenden Satz“, der den Textkorpus in ungleiche Zeilen teilt und damit an Verse erinnert, auch wenn es sich um eine altertümliche Prosaform handelt. 273 Auf „Atlas eines ängstlichen Mannes“ (2012) - das Werk steht 106 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="107"?> 274 2021 setzte der Autor seinen Erfolgslauf fort mit R A N S M A Y R , Christoph, Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten, Frankfurt a.-M. 2021. 275 Vgl. G O T T W A L D , Herwig, Christoph Ransmayrs Werk, hier bes. 263-272; darüber hinaus greift der Autor diese Arbeit zurück auf J U D E X , Bernhard, Auf und davon und Hiergeblieben - Der Wanderer in der Schrift. Anmerkungen zu Christoph Ransmayrs Poetologie, in: Manfred M I T T E R M A Y E R - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr. Linz 2009, 118-124. 276 B E R N H A R D , Thomas, Drei Tage (Interview 1970), in: D E R S ., Der Italiener. Frankfurt a. M. 1989, 78-90, hier 83 f. Das Zitat verdankt der Autor G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk. 277 M I C H L E R , Werner, Fliegende Berge, letzte Welten. Christoph Ransmayrs Arbeit am Epos, in: Harald J E L E - Elmar L E N H A R T (Hgg.), Literatur - Politik - Kritik. Beiträge zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts (FS Klaus Amann), Göttingen 2014, 103-117, hier 111. im Zentrum dieser Analyse - folgte 2016 „Cox oder der Lauf der Zeit“, mit dem Ransmayr zu einem historischen Stoff zurückkehrt. Inhaltlich imaginiert er die Begegnung zwischen einem chinesischen Kaiser und einem Londoner Uhrmacher des 18. Jahrhunderts, der für ihn eine „zeitlose Uhr“ bauen soll. Im Mittelpunkt steht einmal mehr die Frage, wie der Mensch Zeit und Vergänglichkeit empfindet und ob er Einfluss auf sein eigenes Schicksal nehmen kann. 274 3.1 Literatur zwischen Langsamkeit und Gang an die Ränder Auf der Suche nach einem geeigneten Koordinatensystem, mit dem sich die Bücher Ransmayrs für diese Studie vermessen lassen, liefern drei Punkte des Salzburger Germanisten Herwig Gottwald eine erste Orientierung: „Erzählen und Epos“ - „Langsamkeit“ - „Reisen an die Ränder“. 275 Im Unterschied zu Thomas Bernhard, der mit seinem Diktum, „[…] wenn sich irgendwo Anzeichen einer Geschichte bilden, oder wenn ich nur in der Ferne irgendwo hinter einem Prosahügel die Andeutung einer Geschichte auftauchen sehe, schieße ich sie ab“ 276 das Ende traditioneller Erzählformen in der Literatur nach 1945 perpetu‐ ierte, steht Ransmayr für eine postmodern geprägte Wiederaufnahme des klassi‐ schen Geschichtenerzählens, das ohne stringenten Erzählplot, Spannungsbögen und Finalität nicht auskommt. Seine Nähe zu Bibel und antiker Mythologie, der „hohe Ton“ und die damit verbundene Sprachästhetik - Michler spricht lakonisch gar von einer „hohen Stilschicht mit schwerem ornatus“ 277 - rücken die Romane in die Nähe der Gattung des Epos, das mit Autoren wie Hans Magnus Enzensberger, Peter Handke oder Raul Schrott ab den späten 1970er Jahren ein Renaissance erlebte. Ransmayrs formvollendete Stilistik trug ihm von Anfang an den zweifelhaften Ruf eines „Kalligraphen“ ein. Sein unerwarteter Welterfolg 3.1 Literatur zwischen Langsamkeit und Gang an die Ränder 107 <?page no="108"?> 278 Vgl. S C H M I D T -D E N G L E R , Bruchlinien II, 78; vgl. E C O , Umberto, Der Name der Rose. Roman. München 1982. 279 Wohlleben dokumentiert die Auseinandersetzungen um die ästhetische Qualität der Werke Ransmayrs ab dem Erscheinen von „Die letzte Welt“, in: D I E S ., Christoph Ransmayr - Kalligraph und Kartograph, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur 220 Christoph Ransmayr (2018) 9-15, hier 9 f; der Altphilologe Reinhold F. Glei stellte den Roman „Die letzte Welt“ unter Kitschverdacht; vgl. D E R S ., „Ovid in den Zeiten der Postmoderne. Bemerkungen zu Christoph Ransmayrs Roman ‚Die letzte Welt‘“, in: Poetica 26 (1994) 409-427. 280 Eine aktuelle Auflistung aller Literaturpreise ist auf Ransmayrs Autorenseite zu finden: S . F I S C H E R , V E R L A G E , Christoph Ransmayr. Literaturpreise - https: / / www.fischerverla ge.de/ autor/ christoph-ransmayr-1000153 (Zugriff am 15.09.2020). 281 W O H L L E B E N , Christoph Ransmayr, 13. 282 G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk, 263. 283 G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk, 266. 284 G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk, 266. 285 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 89. „Die letzte Welt“ (1988), von Kritikern einerseits auf eine Stufe mit Umberto Ecos „Der Name der Rose“ (1980) gestellt 278 , wurde von anderen hingegen als „postmoderner Kitsch“ abgelehnt. 279 Trotz aller Kritik wird die Karriere des Schriftstellers bis heute von namhaften Literaturkritikern und -kritikerinnen wohlwollend begleitet. Die anhaltende Verleihung bedeutender Literaturpreise im Inwie Ausland gibt Zeugnis davon. 280 Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive widerspricht Doren Wohlleben all jenen, die in Ransmayrs „schöner Wortkunst“ ein manieriertes Glasperlenspiel erkennen: „Folglich ist Schön‐ schreiben bei Ransmayr keine Strategie ästhetizistischer Eitelkeit, sondern vergänglichkeitsbewusster Bescheidenheit, einer Bescheidenheit allerdings, die sich kunstvoll in Szene setzt: Stil und Stilisierung bleiben produktiv aufeinander bezogen.“ 281 Neben der Kalligraphie gehört die Langsamkeit zu Ransmayrs Leitprinzipien. Gottwald ordnet den Autor der „,Literatur der Langsamkeit‘ des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ 282 zu, die mit „stärkender Passivität“ 283 und Strategien des „Zeit-Habens“ 284 auf die Beschleunigungstendenzen seit der Moderne reagiert. Zur Langsamkeit als Schreibhaltung - Ransmayrs Romane erschienen bislang in Abständen von vier bis elf Jahren - gesellt sich die Langsamkeit als Selbst- und Weltwahrnehmung, die bei ihm, ähnlich wie bei Handke auch, eng mit dem Zufußgehen verknüpft ist. „Ich kenne keine Fortbe‐ wegungsart, die dem Denken, dem Sprechen und schließlich auch Schreiben gemäßer wäre als das Gehen. Denn zum Fußweg gehört auch der langsame, allmähliche Wechsel der Perspektive, das Innehalten und Betrachten. Erst dadurch kann so etwas wie ein vielschichtiges Bild der Welt entstehen, Material für Geschichten, Erzählungen.“ 285 Damit ist indirekt eine Brücke zu Ransmayrs 108 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="109"?> 286 Zu Ransmayrs Erfahrungen mit Messner vgl. Episode „Die Ankunft“, in: D E R S ., Atlas eines ängstlichen Mannes, Frankfurt a.-M. 6 2013, 450-456. 287 Vgl. B A M B E R G , Corona, Was Menschsein kostet. Aus der Erfahrung des frühchristlichen Mönchtums gedeutet, Würzburg 1971, 30-45. 288 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 88f. 289 G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk, 267; der Salzburger Germanist verweist in diesem Kontext auf H A N D K E , Peter, Die Abwesenheit. Ein Märchen, Frankfurt a. M. 2 1987, 83 und S C H I R M E R , Andreas, Peter-Handke-Wörterbuch. Prolegomena. Wien 2007, 319. 290 Vgl. dazu etwa R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 197. ausgedehnter Reisetätigkeit geschlagen, die ihn nicht selten an die äußersten Ränder des Globus führt. Was verbirgt sich hinter seiner Vorliebe für Gegenden fernab der Zivilisation, für Wüsten, Berge und arktische Landschaften, in die es konventionelle Touristen aufgrund der dort herrschenden Unwirtlichkeit kaum verschlägt? Es ist das Interesse für archaische Naturzustände, die sich inmitten der Zivilisation kaum mehr erleben bzw. beobachten lassen. Gerne greift Ransmayr in den Bergen des Salzkammerguts oder anderswo zum Te‐ leskop, um entfernte Sterne und Galaxien zu beobachten oder setzt sich in Tibet gemeinsam mit seinem Freund Reinhold Messner eisigen Schneestürmen und bergsteigerischen Strapazen aus. 286 Wer darin eine bloße Abenteuerlust des Autors erkennt oder seinen Werken ästhetischen Eskapismus unterstellt, wird weder ihm noch den Büchern, in denen er das fernab Erfahrene poetisch aufruft, gerecht. Vielmehr wird Ransmayr von einem Paradoxon getrieben, das schon in der ausgehenden Antike frühchristliche Mönche in die Wüste lotste. 287 „Vermessen und kartographiert ist so gut wie alles, aber weitgehend unbekannt ist immer noch, was sich in einem selber auftut, wenn man durch eine ungeheure, übermächtige Landschaft geht.“ 288 Ähnlich wie bei Handke führen auch bei Ransmayr „prä-schöpferische Momente, Freiräume für Phantasien, Zustände kultureller Voraussetzungslosigkeit und archaische Augenblicke“ 289 in eine Leere, die sich produktiv auf das literarische Schaffen auswirkt. Lässt sich die Leere bei Ransmayr in die Nähe der Religion rücken, wie mit dem Verweis auf die Wüstenväter indirekt angedeutet wurde? Vor jeder religiösen Bekundung steht zunächst die Erfahrung von Indifferenz. Angesichts der unendlichen Tiefe des Weltalls und der damit verbundenen Leere erfährt sich der Mensch als klein und nichtig. 290 Umgekehrt kann derselbe Blick auch ein Gefühl von Geborgenheit auslösen, wie Ransmayr in einem Interview bekennt. „Als Sonntagsastronom kann ich etwa während meiner Nachtstunden vor dem Teleskop in den schönsten Augenblicken eine große Besänftigung, eine Art Trost in vieler Hinsicht finden. Es kann dabei aber auch Entsetzen und 3.1 Literatur zwischen Langsamkeit und Gang an die Ränder 109 <?page no="110"?> 291 L A N G E R , Renate - M I T T E R M A Y E R , Manfred, Ein Apokalyptiker, der das Leben preist. Christoph Ransmayr im Gespräch mit Renate Langer und Manfred Mittermayer, in: D I E S . - D E R S . (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 10-19, 15; vgl. dazu auch L A N G E R , Probeweise Amen? , 62 f. 292 L A N G E R - M I T T E R M A Y E R , Ein Apokalyptiker, der das Leben preist, 15; vgl. dazu auch L A N G E R , Probeweise Amen? , 63. 293 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 130. 294 Dieser Abschnitt ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung des Beitrags von B I E R I N G E R , Andreas, Pilgern ohne Gott? Christoph Ransmayrs erzählter Atlas eines ängstlichen Mannes zwischen Ritus und Religion, in: StZ 231 (2013) 769-780. 295 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 11. Bestürzung entstehen über das, was da zu sehen ist bzw. vorstellbar wird.“ 291 Jede weitere Spekulation über den religiösen Charakter seiner Ausführungen weist Ransmayr im selben Interview weit von sich. „Gemessen an dem, was Mathematiker, Kosmologen und theoretische Physiker erdenken, sind selbst die kühnsten Figuren der Gottesbeweissucher, der Mystiker und der vertracktesten Theologen relativ einfache Gedankenspiele.“ 292 Neben tiefschürfenden Spekulationen über Astronomie oder Metaphysik gibt es für Ransmayrs Blick ins All und sein Interesse für Urzustände eine weitaus simplere Erklärung, die uns zum eigentlichen Thema der Arbeit zurückführt. „Es kann ganz nützlich sein, den Blick zwischendurch zu heben in einen größeren Raum, den astronomischen etwa oder auch bloß geologischen, hinauszuschauen und davon einen etwas veränderten Blick auf das eigene Leben abzuleiten.“ 293 Im Zentrum der Literatur Ransmayrs steht die Deutung der menschlichen Existenz. Den entscheidenden Fragen, so könnte man an dieser Stelle pointiert resümieren, kann man sich nur erzählend und leise vorantastend nähern. Jedes Leben, gerade wenn es an Umwege und Abgründe gelangt, verlangt nach einer erzählenden Deutung, nach einer wie auch immer gearteten Rückbindung. Den Um- und Irrwegen kommt dabei eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, da gerade diese Wegstrecken frei für neue Erfahrungen machen. Obwohl sich der Weg bei Ransmayr dabei oft als unzugänglich und kräfteraubend herausstellt, erreicht er am Ende dennoch meist (s)ein Ziel. Ein Pilger ist er, doch ganz ohne Gott? 3.2 „Atlas eines ängstlichen Mannes“ - Zwischen Ritus und Religion 294 „Ich sah die Heimat eines Gottes auf 26˚ 28´ südlicher Breite und 105˚ 21´ westlicher Länge: eine menschenleere, von Seevögeln umschwärmte Felseninsel weit, weit draußen im Pazifik.“ 295 Gewohnt poetisch lässt Ransmayr auch seinen 110 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="111"?> 296 Vgl. die gelungene Rezension von B R E I T E N S T E I N , Andreas, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 30.10.2012 - https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ buecher/ am-ende-der-entdeck ungen-1.17733512 (Zugriff am 05.04.2021). 297 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 5. 298 Zum Verhältnis von Ransmayrs „Atlas eines ängstlichen Mannes“ zu religiösen Motiven vgl. die prägnante wie gelungene Rezension von S C H R Ö D E R , Christoph, Der letzte Seher, in: Tagesspiegel vom 28. Oktober 2012 - https: / / www.tagesspiegel.de/ kultur/ buch-d er-woche-der-letzte-seher/ 7311646.html (Zugriff am 05.04.2021); vgl. darüber hinaus R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen. 299 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 5. 300 Die Zeit gehört zu Christoph Ransmayrs entscheidenden Grundmotiven. So lässt er etwa im Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“ den gleichnamigen Uhrmacher und Automatenbauer Uhren für den chinesischen Kaiser bauen, die verschiedene Zeiterfahrungen vermitteln sollen. Wolfgang Schneider spricht in seiner Besprechung des Romans im Deutschlandfunk Kultur pointiert von der Frage „nach der Zeit jenseits der Zeit“. Vgl. D E R S ., Cox oder Der Lauf der Zeit. Roman, Frankfurt a. M. 2016 und S C H N E I D E R , Wolfgang, Christoph Ransmayr. „Cox“. Von der Vermessung der Ewigkeit, Buchkritik Deutschlandfunk Kultur „Atlas eines ängstlichen Mannes“ beginnen, wenn er gleich am Beginn des Buches seinen Ich-Erzähler an die Ränder des Globus reisen lässt. Er lehnt an der Reling eines Ozeandampfers mit Kurs auf Rapanui (Osterinsel), um Relikte einer vergangenen Kultur aufzuspüren. Das über 450 Seiten starke Werk ist kein klassischer Roman, sondern eine Gattung sui generis, ein erzählter „Atlas“ des gesamten Erdkreises. 296 Der Autor selbst spricht von einer in siebzig Einzelepisoden gegliederten Erzählung, in denen er als Ich-Erzähler seine Reiseerfahrungen der letzten vier Jahrzehnte verarbeitet. Die kürzeste Miniatur umfasst drei, die längste achtzehn Seiten. Im Vorwort des Buches hat Ransmayr seine Antwort auf die Frage gefunden, wie aus einer Reiseerfahrung eine Erzählung wird: „Geschichten ereignen sich nicht, Geschichten werden erzählt.“ 297 Damit spielt er auf das komplexe Zusammenspiel von jahrelang in Notizbüchern gesammelten Erfahrungen und deren Metamorphose in Poesie an. 298 Ausschließlich, so schreibt der Autor weiter, sei hier „von Orten die Rede, an denen ich gelebt, die ich bereist oder durchwandert habe, und ausschließlich von Menschen, denen ich dabei begegnet bin […].“ 299 Der „Atlas eines ängstlichen Mannes“ ist als ganz persönliches „Lebensbuch“ konzipiert, das trotz der Unterschiedlichkeit der einzelnen Episoden keine beliebige Sammlung bleibt, sondern Geschichte um Geschichte zu einer Einheit zusammen‐ wächst. Ransmayr wird darin zum Mythopoeten seiner eigenen Reiseerfahrungen, seines Lebens und letztlich der ganzen Welt. Wo andere Erzählungen mit dem chronos, der läufigen Weltzeit, beschäftigt sind, wollen Ransmayrs Parabeln „die Zeit jenseits der Zeit“ in den Fokus nehmen. 300 Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft fallen in vergegenwärtigendes Sprechen zusammen. 3.2 „Atlas eines ängstlichen Mannes“ - Zwischen Ritus und Religion 111 <?page no="112"?> vom 29.10.2016 - https: / / www.deutschlandfunkkultur.de/ christoph-ransmayr-cox-von-de r-vermessung-der-ewigkeit.950.de.html? dram: article_id=369867 (Zugriff am 15.09.2020). 301 Vgl. G R O P P , Petra - R A N S M A Y R , Christoph, Gespräch zu seinem „Atlas eines ängstlichen Mannes“ vom 22.05.2012 - http: / / www.ransmayr.eu/ werke/ atlas-eines-angstlichen-ma nnes/ (Zugriff am 05.04.2021). 302 Vgl. R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 7-9; im Inhaltsverzeichnis des Buches werden neben den Titeln auch die jeweiligen Länder angeführt, in denen sich die literarischen Episoden ereignen. 303 Die hier zitierten Einleitungssätze sind Ransmayrs Miniaturen „Herzfeld“ 28-35, „Die Ankunft“ 450-456, „Weißer Sonntag“ 304-309 und „Die Drohung“ 313-317 aus R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes entnommen. 304 Schmidt-Dengler erklärt dazu lakonisch: „Homer, Vergil und Goethe, das sind die Punkte der Ebene, auf der Handke angetroffen werden will. Daß man aus dieser Höhe herabstürzen kann und dies nicht selten lächerlich wirkt - auch damit muß ein Klassiker „Dabei hat es der Erzähler aber nicht, wie der Seher oder der Prophet, bloß mit der Zukunft zu tun, sondern mit allen Zeiten. In seiner Geschichte erscheinen die Dinge ja eingebettet in den Lauf der Zeit und weisen unter Umständen nach allen Zeit- und Himmelsrichtungen über den Augenblick hinaus.“ 301 Es würde den Rahmen sprengen, alle Schauplätze der Miniaturen des „Atlas“ en détail aufzulisten. Die im Inhaltsverzeichnis aufgelisteten Destinationen erinnern an die entferntesten und zugleich exotischsten Winkel der Erde - sie reichen vom südlichen Mekong über die pazifischen Osterinseln bis zur Arktis, von Java über Island nach Neuseeland. Die Buckelwale an der Küste von Haiti werden ebenso zum Gegenstand des Erzählens wie Mönche im Hochland von Tibet. 302 Der Atlas kartographiert allerdings nicht nur ferne Orte. Neun der siebzig Epopöen spielen in Österreich, sieben davon in Oberösterreich, Ransmayrs unmittelbarer Heimat. Die Episoden mit so eindringlichen Titeln wie Abschied (147-152), Die Schönheit der Finsternis (191-196), Blut (260-264), Weißer Sonntag (304-309), Trost der Betrübten (349-356) weisen auf eine her‐ vorgehobene Stellung innerhalb des gesamten Werkes hin, da sie frei von Exotismus und Abenteuerlust der eigentlichen Identität des Österreichers und seines Schreibens nachspüren. Alle siebzig Miniaturen beginnen mit der prägnanten wie symbolhaften Formel „Ich sah“: „Ich sah ein offenes Grab […]“, „Ich sah drei flüsternde Mönche […]“, „Ich sah ein Paar zierliche Lackschuhe […]“, „Ich sah eine Henkerschlinge […]“ 303 . Spricht hier ein distanzierter Seher oder Prophet, der Einsichten in Dinge hat, die anderen verborgen bleiben? Der hohe Ton, das Pathos und sein Hang zur Kalligraphie lassen im ersten Moment an einen poeta vates denken, ähnlich dem Autorenkonzept von Handke, der sich gerne als Hohepriester der Literatur stilisiert und auf eine Höhe mit Homer, Cervantes oder Goethe stellt. 304 112 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="113"?> zurande kommen.“, in: S C H M I D T -D E N G L E R , Wendelin, Peter Handkes Klassizität, in: Informationen zur Deutschdidaktik 4 (2001) 38-44, hier 43. 305 Vgl. R A N S M A Y R , Christoph, Unterwegs nach Babylon - Notizen zu einer Poetik in eigener Sache, in: D E R S . - Raoul S C H R O T T , Unterwegs nach Babylon. Spielformen des Erzählens. Tübinger Poetik-Dozentur 2012, Künzelsau 2013, 7-22, hier 10 f. 306 Vgl. M O S E B A C H , Holger, Endzeitvisionen im Erzählwerk Christoph Ransmayrs, Mün‐ chen 2003. 307 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 61; Assoziationen mit der Apokalypse des Johannes, dort lautet die Formel „Und ich sah“, wird formal wie inhaltlich begründet: Gewalt, Verwüstung, Krieg, der Tod und die Vergänglichkeit sind omnipräsent, egal wohin sich der Autor auf seinen ausgedehnten Reisen auch begibt. 308 Legendär wurde das Diktum vom „Apokalyptiker, der das Leben preist“, das auf Marcel Reich-Ranicki zurückgeht; vgl. L A N G E R - M I T T E R M A Y E R , Ein Apokalyptiker, der das Leben preist, hier 15. 309 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 102. 310 F E T Z , Bernhard, Staunen und Starren. Zu einer Poetik des Sehens im Werk von Christoph Ransmayr, in: Attila B O M B I T Z (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015, 19-27, hier 22. 311 F E T Z , Staunen und Starren, 20. 312 G R O P P - R A N S M A Y R , Gespräch mit Christoph Ransmayr. Ransmayr selbst wehrt sich gegen eine Überhöhung seiner Autorenschaft. Er gesteht Dichtern weder ein höheres Wissen zu, noch hält er sie für (politisch) unfehlbar. 305 Oder hören wir in den Eingangssätzen des „Atlas“ die Stimme eines düsteren Apokalyptikers, wie der Epiker seit seinen frühen Erfolgen gerne apostrophiert wird, münden doch einige der Romane in Endzeitvisionen? 306 Dazu passen die Stimmen vieler Kritiker und Kritikerinnen, die die ritualisierte Eingangsformel „Ich sah“ in die Nähe der biblischen Johannesoffenbarung rücken. 307 Doch auch gegen diese Deutung spricht sich Ransmayr vehement aus: 308 „Ach was, ich bin nicht vernarrt in Untergangsszenerien.“ 309 Bernhard Fetz spricht in seiner literaturwissenschaftlichen Analyse hingegen vom Ich-Erzähler als „Medium eines anderen Sehens“ 310 , der mit seinem besonderen Blick Dinge in den Ge‐ schichten des Atlas sieht, die „weit über das Gesehene hinaus reich[en].“ 311 Diese Einschätzung dürfte dem Autor viel näher kommen, wie er in einem Interview verrät: „Sehen ist ja nicht bloß eine optische Erfahrung. Wer die Welt wahrnehmen will, wendet seinen Blick immer auch gleichzeitig in sein Inneres und wird dort, was auf seiner Netzhaut erscheint, verwandelt oder zumindest gespiegelt finden, verzerrt oder verklärt, vielleicht auch klarer als irgendwo sonst.“ 312 3.2 „Atlas eines ängstlichen Mannes“ - Zwischen Ritus und Religion 113 <?page no="114"?> 313 Vgl. R A N S M A Y R , Christoph, Die Verbeugung des Riesen. Vom Erzählen, Frankfurt a. M. 2003, 26 f. 314 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 176-182. 315 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 181. 316 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 181f. 317 L A N G E R , Probeweise Amen? , 56. Dass es Ransmayr gelingt, einen Pfad von der fremden in die innere Welt, vom Sehen zum eigenen Erkennen zu schlagen, hängt an der Distanz zwischen dem Ich-Erzähler und den geschilderten Ereignissen, die beim Lesen irritiert, wenn nicht erschüttert. 313 In der Episode „Die Übergabe“ (139-146) wird von einem alten Bootsmann auf dem Mekong erzählt, der sein Boot und damit seine Existenzgrundlage an den Sohn weitergibt, um dorthin zurückzukehren, wo er einst aufgewachsen war. Doch seine Heimat und die dort einst zurückgelassene Großfamilie existieren nicht mehr, weil sie im Korea-Krieg vernichtet wurden. Zwei Millionen Tonnen Bomben auf Laos unterlaufen den Generationenwechsel zwischen Vater und Sohn. Der Ich-Erzähler verzichtet dabei vollständig auf die Schilderung innerer Gemütsbewegungen, die durch das aussichtlose Schicksal bei den Betroffenen ausgelöst werden. Scheinbar ohne innere Rührung berichtet der Erzähler auch über den eigenwilligen Wärter des jüdischen Friedhofs von Trebitsch in der Geschichte „Die Arbeit der Engel“ 314 . Wie eine tragische Sisyphus-Figur sammelt er kleine Felsbrocken, um die Umfriedung eines alten jüdischen Friedhofs zu restaurieren. Nur zehn Juden von Trebitsch hatten den Holocaust überlebt, dreihundert wurden in Konzentrationslager deportiert. Stellvertretend legt Pawlik Kiesel auf die Gräber, um die Opfer der Shoah dem Vergessen zu entreißen. Als er auf den Resten eines alten Bahrtuches Psalm 91 entziffern kann, („Er hat seinen Engeln befohlen / Dich zu behüten / Wohin du auch gehst“ 315 ) stellt er sich die bange Frage, warum Gott seinen Engel nicht nach Auschwitz geschickt hat. „[N]ach einer langen Zeit des Haderns und der Enttäuschung“ kommt er letztlich zur Erkenntnis, dass es „den Menschen aufgegeben war, […] die Arbeit der Engel zu tun“ 316 . Was auf den ersten Blick als distanziert und teilnahmslos empfunden wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als geschickte Strategie zwischen Nähe und Distanz, die - ähnlich einem guten Gedicht - Leerstellen generiert, die beim Lesen ein umso größeres Echo hervorrufen. „Während allzu große Nähe und Vertrautheit doch immer die Gefahr der Trivialisierung in sich bergen, erweist sich Ransmayrs Distanz als rettend und bewahrend.“ 317 Für die Fragestellung dieser Arbeit ist diese Form des Beobachtens bedeutsam, weil der Autor in Bezug auf Religion eine Fremdenführung ins Eigene wagt, die im Binnendiskurs von Theologie und Kirche kaum gelingt. 114 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="115"?> 318 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 304-309. 319 Die Bezeichnung „Weißer Sonntag“ (lat. Dominica in albis) geht ursprünglich auf die weißen Taufgewänder der in der Osternacht neu getauften Christen zurück. In der katholischen Kirche wird der Festtag am ersten Sonntag nach Ostern gefeiert und war traditionell der Tag, an dem die Kinder zum ersten Mal die Kommunion empfangen; vgl. zu Literatur zum Weißen Sonntag und zur Erstkommunion M U F F , Guido, Art. Weißer Sonntag, in: LThK 3 10 (2001) 1052-1053 und E M E I S , Dieter, Art. Erstkommunion. I. Pastoral, in: LThK 3 3 (1995) 834-835. 320 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 304. 321 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 304f. 3.3 „Weißer Sonntag“ - Fest als Grundkategorie von Liturgie und Literatur In der Erzählung „Weißer Sonntag“ 318 (304-309) gerät die Erstkommunion eines Mädchens ins Zentrum des erzählerischen Interesses. 319 „Ich sah ein Paar zierlicher Lackschuhe, weiße Mädchenschuhe […].“ 320 Während der Ich-Erzähler Schnürriemen in einem altertümlichen Schuhgeschäft in der österreichischen Provinz kauft, beobachtet er, wie ein Vater seiner Tochter Lackschuhe für die Erstkommunion kauft. Bevor die eigentliche Begebenheit ihren Lauf nimmt, rahmt der Erzähler die Episode mit der Schilderung einer Erstkommunionfeier. „Der kommende Sonntag würde der Weiße sein, ein Festtag, an dem das Mädchen, ganz in Weiß, die langen Haare unter einem Schleier zu Locken gedreht und in der Hand eine mit dem Zeichen des Kreuzes verzierte Kerze, in einer feierlichen Prozession ebenfalls weiß gekleideter Mädchen und in Festtagsanzügen gezwängter Jungen zur Kirche geführt werden würde. Dort sollte der Kinderzug vor einem mit weißen Blüten wie beschneiten Hochaltar die Heilige Kommunion empfangen - eine hauchdünne, münzgroße Oblate aus ungesäuertem Weizenmehl und Wasser, die ein Priester auf dem geheimnisvollen Höhepunkt eines von Chorgesang und Orgelmusik begleiteten Rituals in den Leib Christi verwandeln würde. Und dieser Leib des Sohnes eines allmächtigen Gottes, Schöpfers des Himmels und der Erde, der Ozeane, Sonnen- und Planetensysteme, der Galaxien und Lichtjahrmilliarden durchmessenden Tiefen des Alls und der Zeit, würde sich, in der Form einer Hostie den Kindern von geweihten Händen auf die Zunge gelegt, in ihrer Mundhöhle auflösen und dadurch ein Teil von ihnen werden. Was für eine Verwandlung, was für ein Zauber am kommenden Sonntag bevorstand. Was für ein Fest.“ 321 Der Autor fängt die Atmosphäre einer traditionell gefeierten Erstkommunion ein, wie sie ihm wahrscheinlich seit früher Kindheit aus der oberösterreichi‐ schen Heimat vertraut ist. Ähnlich wie in der Episode „Blut“ (260-264) spielt der Autor auch hier mit der symbolischen Mehrdeutigkeit von (liturgischen) 3.3 „Weißer Sonntag“ - Fest als Grundkategorie von Liturgie und Literatur 115 <?page no="116"?> 322 Vgl. B I E R I N G E R , Pilgern ohne Gott? , hier 774. 323 Am Ende der Szene spielt der Vater den Wunsch der Tochter nicht nur herunter, er versucht auch, die Schuhverkäuferin mit anzüglichen Bemerkungen und einer Berührung für sich einzunehmen: „Wann trug ein Mensch denn schon weiße Schuhe. Dabei kamen die Mädchen in Zeiten wie diesen ja wie im Flug in ein Alter, in denen ihnen schwarze Stöckelschuhe und schwarze Spitzenwäsche lieber waren als das Weiß der Unschuld. […] Darf ich? Sagte die Verkäuferin, als sie dem Mann den Schuh abnehmen wollte, um ihn zu verpacken. Der nützte die Gelegenheit, ihr Handgelenk für einen Augenblick zu umfassen; ließ wieder los und strich ihr wie in einem noch im Ansatz wieder abgebrochenen Versuch einer Umarmung, über die Schulter.“, in: R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 307, 308 f. 324 Zur Rezeption von Umzügen und Prozessionen im Werk Ransmayr vgl. L A N G E R , Probeweise Amen, 55. 325 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 305; vgl. L A N G E R , Probeweise Amen, 63. 326 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen, 63. 327 L A N G E R - M I T T E R M A Y E R , Ein Apokalyptiker, der das Leben preist, hier 15; vgl. darüber hinaus zum Verhältnis von Natur und Schöpfung G E R L -F A L K O V I T Z , Hanna-Barbara, Natur oder Schöpfung? , in: IKaZ Communio 49 (2020) 510-522. Farben. 322 Weiß steht hier nicht nur für den feierlichen Charakter des Festes und die Unschuld des Kindes. Am Ende wird das poetische Farbenspiel des Erzählers das bedenkliche Verhalten des Mannes gegenüber der Schuhverkäuferin und seiner Tochter entlarven. 323 Vorerst stehen Aufwand und Dekor, mit dem der Festtag begangen wird, im Vordergrund. Er zielt auf einen „geheimnisvollen Hö‐ hepunkt“ ab, der seinen Ausgangspunkt bei einer feierlichen Prozession nimmt, um im Wandlungsgeschehen der Messe zu gipfeln. 324 Eine weitere Kleinigkeit sticht ins Auge, die programmatisch für Ransmayrs Umgang mit der Religion steht. Der Lobpreis Gottes, „Schöpfer des Himmels und der Erde“, wie es im christlichen Credo heißt, wird vom Erzähler kurzerhand durch die unendlichen Weiten der „Ozeane, Sonnen- und Planetensysteme“ 325 erläutert. Die Erhaben‐ heit und Unfassbarkeit des Kosmos steht bei Ransmayr wie bereits angedeutet für die Nichtigkeit wie die Einzigartigkeit der menschlichen Existenz. 326 Zwar relativiert ein naturwissenschaftlicher Blick auf die schier unendlichen Weiten des Kosmos das Schicksal des bzw. der Einzelnen, zugleich betont er aber auch seine bzw. ihre Einmaligkeit. „Und die Seltenheit des Vorkommens von unsereinem macht uns bemerkens-, vielleicht sogar liebenswert.“ 327 Im Zentrum der Passage steht jedoch die Vereinigung des verwandelten Leibes mit den Empfängern und Empfängerinnen, der „ein Teil von ihnen“ werden will - eine literarisch fein nachempfundene unio mystica mit hymni‐ schem Charakter. Aus Sicht der heute empfohlenen Praxis ist das allerdings eine anstößige Schilderung: Nicht das geschwisterliche Mahl steht im Vordergrund, sondern die Vereinigung des göttlichen Leibes mit dem Empfänger, statt der obligatorischen Gitarrenmusik ertönt bei Ransmayr noch Chorgesang und 116 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="117"?> 328 Vgl. B I E R I N G E R , Pilgern ohne Gott, 775f. 329 L A N G E R , Probeweise Amen? , 56. 330 Vgl. S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 77-92. 331 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 83 f. Orgelmusik, anstelle von selbst gebackenem Brot wird eine hauchdünne Oblate verwendet, geweihte Hände eines Priesters legen das verwandelte Brot auf die Zunge der Erstkommunionkinder, nicht die Kinder selbst. 328 Wieder tut sich ein zeitlicher wie räumlicher Abstand zum Erzählten auf. Langer mutmaßt, dass Ransmayrs distanzierter Blick auf die eigene Kindheitsreligion eng mit seiner langjährigen Reisetätigkeit und den abseits von Europa gemachten Erfahrungen in Verbindung steht: „Das Christentum wirkt in seinen Texten bisweilen ebenso fremd wie die synkretis‐ tischen Kulte Brasiliens oder der Buddhismus im Himalaja. Es ist gleichsam ein Blick durch das umgedrehte Fernglas. Vertrautes wird hier so beschrieben, als berichte ein Ethnologe von den Glaubensvorstellungen und Bräuchen eines exotischen Volks‐ stammes.“ 329 Mit seinem ethnologischen Scharfsinn spürt der Autor Restbestände liturgischer Anachronismen und Archaismen auf, die im theologischen wie pastoralen Diskurs kaum mehr wahrgenommen werden. Gerade weil der Erzähler auf jede Form herablassender Ironie verzichtet und keine vorschnellen Wertungen vornimmt, wenn es um die Beschreibung liturgischer Riten geht, gelingt ihm eine umso schärfere Diagnose. Wird diese distanzierte Form der Beobachtung jedoch ausgeblendet, geht womöglich ein Erkenntnisgewinn verloren, auf den der Literaturwissenschaftler Schmidt-Dengler im Kontext des Romans „Morbus Kitahara“ hinweist. Seine Erkenntnisse lassen sich ebenso auf die liturgischrituellen Schilderungen Ransmayrs umlegen. 330 „Anachronismen sollen erkenntnisfördernde Funktion haben: Erst indem wir im Experiment diese seltsame Archaik, die ja auch in unserem Bereich noch nicht so lange zurückliegt, evozieren, wird uns überhaupt klar, welche Veränderungen die letzten Jahrzehnte bestimmt haben. Ransmayr hat dieses Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen vor allem anhand seiner Reisebeschreibungen entwickelt; es geht hier nicht um den schnöden Voyeurismus, der sich an der Exotik des Nahen und Fernen nicht genug satt sehen kann und weiß, daß er in die Sicherheit seiner fortschrittsgeschützten Privatsphäre zurückkehren kann.“ 331 Auch in der Episode „Weißer Sonntag“ werden die handelnden Personen von der angesprochenen „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ eingeholt. Durch das Herbeischreiben überkommen geglaubter Praktiken ins Heute tut sich ein 3.3 „Weißer Sonntag“ - Fest als Grundkategorie von Liturgie und Literatur 117 <?page no="118"?> 332 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 83. 333 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 307. 334 Vgl. zur Bedeutung der Kasualien B I E R I N G E R , Andreas, Art. Kasualien - Katholisch, in: LKRR Bd. 2 (2019), 750; F E C H T N E R , Kristian, Kirche von Fall zu Fall. Kasualien wahrnehmen und gestalten, Gütersloh 2 2011. 335 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 307f. 336 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 308. 337 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 309. Hiat auf, der nach Schmidt-Dengler „über den Status unserer Befindlichkeit“ 332 Auskunft gibt. Wenn der Erzähler von der Kommunion als „Zauber“ spricht, ist damit aber nicht bloß ein poetisch verklärtes Hokuspokus gemeint, wie der weitere Verlauf der Miniatur zeigt. Der Ich-Erzähler leitet die Peripetie der Handlung mit einem Umschwung der Gerüche ein. Der beißende Schweißgeruch des Vaters verkehrt die eben noch so harmonische Stimmung in ihr Gegenteil. Während des Verkaufsgesprächs beginnt der Vater den Aufwand, der um die Erstkommunion betrieben wird, in Frage zu stellen: „Heutzutage mußte vom Schleier bis zu den Schuhen alles neu sein. Und das alles nur für einen einzigen Tag. Wann trug ein Mensch denn schon weiße Schuhe.“ 333 Der Vergleich zwischen früher und heute verbildlicht nicht nur die radikalen Veränderungen der letzten sechs Jahrzehnte im Bereich der liturgischen Feierkultur, er löst beim Vater eine Ver‐ ärgerung gegenüber der pompös aufgeladenen Zeremonie aus. Darin spiegelt sich eine Entwicklung, die bei Kasualien wie Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung etc. häufiger zu beobachten ist. Während die Inszenierung von Äu‐ ßerlichkeiten an Bedeutung zunimmt, tritt der religiöse Inhalt häufig in den Hintergrund. 334 Als er dann vor den Augen seiner Tochter immer vehementer seiner Ablehnung Ausdruck verleiht, wird der Schuhverkäuferin die Haltung immer unangenehmer, da er in Anwesenheit der Tochter keinen Hehl mehr aus seiner Ablehnung gegenüber dem „Tanz“, der um die Erstkommunion aufgeführt wird, macht. Zuerst scheint es so, als würde das Mädchen die herabwürdigenden Kommentare nicht hören, als er dann aber von den Schuhen als „lachhafte Spielerei, die sich wahrscheinlich schon im nächsten Regen auflösen würde“ 335 , spricht, verfolgt sie die Schmähung mit offenem Mund. Der Vater redet sich zu‐ nehmend in Rage, indem er sein ganzes Unverständnis über die kindliche Freude vorbringt: „Lackschuhe! Gab es denn etwas Unpraktischeres, Nutzloseres als weiße Lackschuhe? , der reine Kitsch.“ 336 Das Mädchen erlebte dagegen zum ersten Mal, „daß auch das Wunderbarste, Glänzendste und über jeden Zweifel Erhabene nicht bloß angezweifelt und geschmäht, sondern zertreten werden konnte.“ 337 Am Ende der Erzählung werden die Lackschuhe vom Vater zwar mit einer scheinbaren Geste der Großzügigkeit gekauft, das kleine Mädchen hat 118 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="119"?> 338 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 309. 339 L A N G E R , Probeweise Amen? , 58; Langer zeichnet in ihrem Beitrag die katholischen Motive bei Ransmayr nach und hebt dabei besonders die dominierende Gestalt der Gottesmutter Maria hervor. Vgl. hierzu bes. D I E S ., Probeweise Amen? , 56-59. 340 So konnte etwa Franz Werfel noch 1941 mit seinem Lourdes-Roman „Das Lied von Bernadette“ einen großen Erfolg landen; vgl. D E R S ., Das Lied von Bernadette. Roman, Frankfurt a.-M. 1975. 341 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 349-356. 342 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 349, 352, 355. 343 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 350; vgl. zur Kirche G R A F , Otto Antonia, Otto Wagner. Band-1: Das Werk des Architekten 1860-1902, Wien u.-a. 2 1994, hier 400 - 420; K O L L E R - G L Ü C K , Elisabeth, Otto Wagners Kirche am Steinhof, Wien 1984. 344 Vgl. dazu etwa die Seligpreisungen/ Makarismen aus dem Neuen Testament (Mt 5,1-12; Lk 6,20-23). aber jede Freude daran verloren: „Die Amseln waren verstummt. […] Der Vater schwieg. Und als er seiner Tochter die Tasche mit den Lackschuhen übergeben wollte, streckte sie ihre Hand nicht danach aus.“ 338 3.4 „Trost der Betrübten“ - Literarische Madonnenverehrung über das Christentum hinaus „Es gibt wohl keinen anderen Gegenwartsautor, in dessen Werk die Gottesmutter so beharrlich angerufen wird.“ 339 Marianische Flehgebete sind in zeitgenössischer Literatur längst nicht mehr anzutreffen. 340 Nicht so bei Ransmayr, der in seiner Erzählung „Trost der Betrübten“ 341 über Patienten in der Anstaltskirche der Wiener Psychiatrie „Am Steinhof“ schreibt, die sich bittend und flehend an die Gottesmutter wenden: „Maria, Königin der Barmherzigkeit, / Trösterin der Betrübten, / bitte für uns. […] Maria, Spiegel der Gerechtigkeit, / Widerschein der Gnade, / bitte für uns. […] Maria, Morgenstern, / Pforte des Himmels, / bitte für uns.“ 342 Während der Ich-Erzähler die kleine Gruppe beobachtet, kommt ihm der Gedanke, dass die außergewöhnliche Erscheinung der berühmten Jugendstil‐ kirche, wie die vier übergroßen Engel am Hauptportal oder die goldleuchtenden Kuppel, bei den Patienten der Klinik „eine Ahnung wachgerufen [hat] vom Glanz jenes Himmels, zu dem ihre Bitten und Anrufungen durch ein Sieb aus Gitterstäben emporsteigen sollten.“ 343 Ist die Kraft der Religion in der westlichen Gesellschaft nur mehr (stigmatisierten) Randgruppen zugänglich, denen der Vernunftgebrauch krankheitsbedingt abgesprochen wird? Ein biblisch geschulter Leser mag im ersten Moment an ein christlich motiviertes Proprium denken, sprechen doch gerade die Evangelien den Ausgestoßenen und Randständigen eine besondere Gottesnähe zu. 344 Bekenntnisse sind die Sache des Autors nicht 3.4 „Trost der Betrübten“ - Literarische Madonnenverehrung über das Christentum hinaus 119 <?page no="120"?> 345 Vgl. dazu u. a. H Ä U P L , Waltraud, Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund. Gedenkdo‐ kumentation für die Opfer der NS-Kindereuthanasie in Wien (Anne-Frank-Shoah-Biblio‐ thek), Wien 2006; G A B R I E L , Eberhard - N E U G E B A U E R , Wolfgang (Hgg.), Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien. Teil II: Von der Zwangssterilisierung zur Ermordung, Wien u.-a. 2002; D A H L , Matthias, Endstation Spiegelgrund. Die Tötung behinderter Kinder während des Nationalsozialismus am Beispiel einer Kinderfachabteilung in Wien 1940 bis 1945, Wien 2 2004. 346 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 352. 347 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 355. und so verlässt der Erzähler seine Beobachterrolle nicht, auch wenn er Interesse für die Gruppe erkennen lässt. So friedlich die Herbststimmung hoch über Wien zunächst geschildert wird, so unerwartet schlägt sie im nächsten Moment in eine düstere um. Auslöser dafür sind die historischen Verstrickungen der Psychiatrie mit Naziverbrechen. Das kurz vor dem Zusammenbruch der öster‐ reichisch-ungarischen Monarchie gegründete „Otto-Wagner-Spital“ diente den Nationalsozialisten als Teil ihres perfiden Kindereuthansieprogramms. In der sog. „Nervenheilanstalt am Spiegelgrund“ wurden körperlich und geistig beein‐ trächtigte Kinder und Jugendliche zwischen 1940 und 1945 pseudomedizinischen Experimenten unterzogen. Mehr als 750 von ihnen fanden dabei einen grausamen Tod oder wurden von dort aus in andere Vernichtungslager der Nazis deportiert. 345 Auch wenn das jahrzehntelange Schweigen über die Nazigräuel mittlerweile einer historischen Aufarbeitung gewichen ist, fragt der Erzähler nachdenklich, wer heute die Grenzen zwischen „Normalität und Verrücktheit“ 346 zieht und welche Konsequenzen daraus für psychisch kranke Menschen erwachsen. Er selbst solidarisiert sich im Laufe der Erzählung immer deutlicher mit den Patienten und Patientinnen. Kurzerhand nimmt er sogar an einem Lichtbildervortrag im Theatersaal der Klinik teil, der organisiert wurde, um die Patienten und Patien‐ tinnen mit den Besuchenden „von außen“ zusammenzubringen. Am Ende des Vortrags wird er von einer jungen Frau im Foyer gebeten, an seinen Schultern hochspringen zu dürfen: „Und vor einem bodenlangen Garderobenspiegel sprang sie dann, bis sie außer Atem geriet, wieder und wieder hoch und rief dazu: Ich bin jung! Ich bin jung! , seht nur, wie meine Haare fliegen. Maria, Morgenstern, Pforte des Himmels, bitte für uns.“ 347 Auch dieser kurze Ausschnitt lebt wie viele andere Texte von Ransmayr „von der Exotik des Nahen, aber sie nähern sich nie dem peinlichen Elends- 120 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="121"?> 348 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 76. 349 Ransmayr entlehnt die Bittrufe der Lauretanischen Litanei, verändert sie jedoch leicht und gibt ihnen eine neue Abfolge: Die hier zitierten Bittrufe lauten im Original: „Ianua caeli“ („Du Pforte des Himmels“) und „Stella matutina“ („Du Morgenstern“). Als Antwort darauf folgt jeweils: „Ora pro nobis“ - „Bitte für uns! “. Vgl. dazu D Ü R I G , Walter, Die Lauretanische Litanei. Entstehung, Verfasser, Aufbau und mariologischer Inhalt, Sankt Ottilien 1990. 350 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 355. 351 O T T O , Rudolf, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Mit einer Einführung zu Leben und Werk Rudolf Ottos von Jörg Lauster und Peter Schüz und einem Nachwort von Hans Joas (C.H. Beck Paperback 328), München 2014; vgl. darüber hinaus zur Rezeptionsgeschichte und der heutigen Bedeutung von „Das Heilige“ G A N T K E , Wolfgang - S E R I K O V , Vladislav (Hgg.), 100 Jahre „Das Heilige“. Beiträge zu Rudolf Ottos Grundlagenwerk, Frankfurt a.-M. 2017. 352 Vgl. dazu kritisch u. a. D U E R R , Hans Peter, Diesseits von Eden. Über den Ursprung der Religion, Berlin 2020, hier bes. 25-33. oder Kuriositätenvoyeurismus.“ 348 Lediglich ein aus der Lauretanischen Litanei entlehnter Bittruf versucht, das Verhalten der jungen Frau zu rahmen. 349 Als einige Patienten und Patientinnen nach dem Vortrag in einer losen Prozession zur Anstaltskirche aufbrechen, schließt sich ihnen der Erzähler an, auch wenn offen bleibt, ob er in ihre Gesänge, Lieder und Litaneien einstimmen kann. Bei der Kirche angekommen, nimmt er plötzlich ein unerwartetes Geräusch am Himmel wahr, das seine Aufmerksamkeit erregt: „Hörte zunächst nur ein fernes Brausen, dann ein Rauschen, als näherten sich himmlische Heerscharen, herabbeschworen von den Anrufungen, Engel in einer so ungeheuren Zahl, daß ihre Schwingen den Himmel verfinsterten.“ 350 Was sich als biblisch motivierte Epiphanie ankündigt, als würden die Flehrufe der Patienten und Patientinnen tatsächlich erhört werden, entpuppt sich letztlich „nur“ als der Flügelschlag hunderter Saatkrähen, die unter apokalyptischem Getöse einfallen, um ihre Schlafbäume aufzusuchen. Der offene Schluss lässt die Lesenden mit einem Gefühl von innerer Erregung und Beklemmung zurück, das entfernt an Alfred Hitchcocks Horrorfilmklassiker „Die Vögel“ erinnert. Die Frage nach dem Ein‐ greifen Gottes bleibt ein rätselhaftes Ereignis. Ransmayr bannt unter heutigen Vorzeichen in Literatur, was der Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869- 1937) in seinem Klassiker „Das Heilige“ (1917) 351 als „Mysterium tremendum et fascinans“ bezeichnet hat. Das Göttliche erscheint als abstoßend und anzie‐ hend, bedrohlich und fesselnd, schauervoll und wundervoll zugleich. Religiöses Erleben lässt sich nach Otto nicht in Dogmen und Lehrsätzen, Traditionen und Bräuchen fassen, es basiert letztlich auf der emotionalen Beziehung zum Numinosen. 352 In Ransmayrs Erzählungen und Romanen werden die Lesenden 3.4 „Trost der Betrübten“ - Literarische Madonnenverehrung über das Christentum hinaus 121 <?page no="122"?> 353 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 58. 354 Vgl. R A N S M A Y R , Der Weg nach Surabaya, hier 115 und 123-154; D E R S ., Atlas eines ängstlichen Mannes, 289. 355 Vgl. R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 294-298. 356 Vgl. zum Phänomen der Schwarzen Madonnen die äußerst interessante Studie von S I E P E , Franz, Fragen der Marienverehrung. Anfänge, Frühmittelalter, Schwarze Ma‐ donnen, Gräfelfing 2002 und R O M A N K I E W I C Z , Brigitte, Die schwarze Madonna. Hinter‐ gründe einer Symbolgestalt, Düsseldorf 2004. 357 Vgl. zu weitere Informationen unter: B A S I L I C A N U E S T R A S E Ñ O R A D E L O S Á N G E L E S , Homepage - https: / / www.santuarionacional.org/ (Zugriff am 04.03.2021). 358 L A N G E R , Probeweise Amen? , 60; Langer weist in ihrem Beitrag nach, dass Ransmayr auch im Roman „Der fliegende Berg“ heidnische Unterströmungen im Christentum thematisiert. Der Hauptprotagonist Padraic erwähnt Familienwallfahrten zu einer wundertätigen Quelle in den irischen Caha Mountains und anderen „wishing wells“, die trotz katholischem Überbau noch immer eng mit keltischen Naturheiligtümern verbunden sind; vgl. R A N S M A Y R , Der fliegende Berg, 45, 168. Zeugen, wie Menschen rund um den Globus auf Numinoses mit Schrecken und Anziehung reagieren. Von der Spannung zwischen Abgründigem und Faszinierendem ist auch Ransmayrs literarische Marienverehrung geprägt. 353 Schon früh findet das katholische Wallfahrtswesen und auf diesem Feld wiederum der rituelle Kult um die Gottesmutter Eingang in sein Œuvre. Im Erzählband „Der Weg nach Surabaya“ (1997), der Ransmayrs frühe Reisereportagen versammelt, wird die „Magna Mater Austriae“ von Mariazell ebenso aufgesucht wie die Schwarze Madonna von Tschenstochau. 354 Ähnlich in Erscheinung und Verehrung er‐ weist sich auch die Schutzpatronin Costa Ricas in der Miniatur „Pacífico, Atlántico“ (294-298) aus Ransmayrs Atlas. 355 „La Negrita“ („Die Schwarze“), wie die Einheimischen die schwarze Madonna bezeichnen, wird ebenso wie europäische Madonnen in kostbare Gewänder gehüllt und populärreligiös verehrt. 356 Die Bedeutung des Heiligtums „Unserer Lieben Frau von den Engeln“ für die Bevölkerung in der Kleinstadt Cartago ist nicht ohne die Lage am Fuße des Vulkans Irazú zu erklären, der wiederholt durch Ausbrüche und Erdbeben das Land ringsum und damit viele Existenzen verwüstete. 357 Im Kult um die Himmelskönigin vermischen sich christlich-europäische Tradition mit Elementen der indigenen bzw. afroamerikanischen Kultur, ein Phänomen, das Ransmayr zum wiederholten Mal aufgreift. „Synkretistische Bräuche, in denen vorchristliches Erbe mit der Religion der europäischen Missionare kreativ verschmolzen wird, ziehen Ransmayr besonders in ihren Bann.“ 358 Auch in „Pacífico, Atlántico“ macht der Erzähler deutlich, dass hinter der christlichen Marienverehrung ein starker „naturreligiöser“ bzw. ethnischer Kern zum Vor‐ schein tritt, der für die Christen und Christinnen Lateinamerikas nichts an 122 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="123"?> 359 Die Bezeichnung „Naturreligion“ wird heute von der Religionswissenschaft aufgrund ihres pejorativen Charakters mehrheitlich abgelehnt. Stattdessen spricht man von eth‐ nischen Religionen oder traditionellen Religionen; vgl. dazu G R E S C H A T , Hans-Jürgen, Art. Naturreligionen, in: TRE 24 (1994) 185-188, hier bes. 186. 360 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 296. 361 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 56. 362 Eine aktuelle Mariologie ist zu finden z. B. bei B E I N E R T , Wolfgang - P E T R I , Heinrich (Hgg.), Handbuch der Marienkunde, 2 Bde., Regensburg 2 1996-1997. 363 Zur Geschichte der Missionstätigkeit der Katholischen Kirche vgl. S I E V E R N I C H , Michael, Die christliche Mission. Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2009, hier bes. 71-104. 364 Vgl. L O R E N Z E R , Alfred, Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik (Fischer-Wissenschaft 7340), Frankfurt a. M. 1988, hier bes. 213-245; vgl. zur Kritik an Lorenzer etwa O D E N T H A L , Andreas, „Häresie der Formlosigkeit“ durch ein „Konzil der Buchhalter“? Überlegungen zur Kritik an der Liturgiereform nach 40 Jahren „Sacrosanctum Concilium“, in: LJ 53 (2003) 242-257; vgl. dazu ferner L A N G E R , Probeweise Amen? , 58, 61. Faszination eingebüßt hat. 359 Es scheint, als würde „der christliche Himmel gegen den indianischen […] ähnlich zu verblassen wie der Glanz Cartagos unter den Aschewolken des Irazú.“ 360 Geht man der Frage nach, woher Ransmayrs Interesse für die indigenen Wurzeln christlicher Frömmigkeit rührt, muss zunächst die Präferenz des Autors für die Gottesmutter Erwähnung finden. Im Unterschied zu Maria kommt Jesus als die eigentliche Zentralfigur des Christentums selten bis überhaupt nicht vor. Darüber hinaus wird Maria nicht bloß als vorbildhafte Mutter und Schwester der Gläubigen ins Wort gesetzt, sie trägt vielmehr die Züge einer autarken weiblichen Gottheit. 361 Als Objekt der kultischen Verehrung steht das literarische Bild in Spannung zum kirchlichen Lehramt, das gerade seit dem Zweiten Vatikanum (vgl. LG 52-69) immerzu bemüht ist, Maria trotz ihrer Sonderstellung auf der menschlichen Seite des göttlichen Erlösungswerkes zu verorten. 362 Hinter Ransmayrs Überlegungen könnte Kritik an der Missionstätigkeit der katholischen Kirche stehen, die im Rahmen der Conquista an der Zerstörung indigener Kulturen und Religionen Lateinamerikas maßgeblich beteiligt war. 363 Die Germanistin Langer fühlt sich an den marxistischen Psychoanalytiker Alfred Lorenzer (1922-2002) erinnert, der die Zurückdrängung der traditionellen Marienverehrung Lateinamerikas im Gefolge des Zweiten Vatikanums als neue Conquista betrachtet, die eine abermalige Zerstörung der (synkretistischen) Identität der indigenen Bevölke‐ rung zur Folge hatte. 364 Wie auch immer man Lorenzers umstrittene Thesen heute bewertet, vorläufig kann festgehalten werden, dass Ransmayrs Aufnahme Mariens in die Literatur von einem religionswissenschaftlichen Blick geprägt ist, der im Madonnenkult eine interreligiöse Konstante erkennt. Es wundert 3.4 „Trost der Betrübten“ - Literarische Madonnenverehrung über das Christentum hinaus 123 <?page no="124"?> 365 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 388-393. daher nicht, dass mit Tin Hau in der Miniatur „Ein Weltuntergang“ 365 eine taoistische Spielart einer weiblichen Himmelskönigin auftritt, die als Göttin des Südchinesischen Meeres eine ausgeprägte Verehrung erfährt und damit Parallelen zur christlichen Marienverehrung aufweist. Auch Tin Hau wird von der Bevölkerung als Schutzpatronin der Notleidenden angerufen, damit sie ihre schützenden Hände über ihre Anhänger- und Anhängerinnenschar breitet. Wieder vermeidet der Autor jede Art von abschätziger Ironie und lässt sich auch nicht mit Blick auf volksfromme Formen auf Superioritätsdiskurse zwischen den verschiedenen Religionen ein. Nicht das Trennende zwischen den einzelnen Religionen steht im Mittelpunkt, sondern all jene Ausdrucksformen, die die Menschen rund um den Globus miteinander verbinden. Populärreligiöse Verehrungsformen scheinen dabei für die Literatur weitaus interessanter zu sein als spekulative Theorien, die zwar theologisch überzeugen, aber sich kaum in der Praxis niederschlagen. 3.5 „Herzfeld“ - Itinerarium zwischen Ritus und Poesie Der Atlas eines ängstlichen Mannes bewegt sich über weite Strecken zwischen Pilgerreise und Reisebericht. Vielleicht kann man auch davon sprechen, dass sich die einzelnen Episoden zu einem großen Pilgerweg mit unzähligen Stationen zusammenfügen. Die Prozession geht dabei an Stätten der Gottesverehrung vorbei und letztlich kommt der Autor damit immer wieder auf die elementaren Fragen von Tod und Leben zurück. Der Erzähler lässt wie auf einer einfachen Pilgerreise all den unnötigen Ballast des alltäglichen Lebens zurück, um die Konzentration auf das Wesentliche zu fokussieren. Den exotischen Pilgerorten stellt der Autor ebenso einschneidende Grenzerfahrungen zur Seite: Angst, Gewalt, Tod, Krieg, (Geistes-)Krankheit, Abschied, Rettung, Verwandlung, Fest. Antworten auf das Unbeantwortbare zu geben, haben sich Literatur und Theo‐ logie gleichermaßen als Aufgabe gesetzt. Hier tun sich Schnittmengen zwischen den beiden Größen auf, die sich im Bereich von Liturgie und Ritus fortsetzen. Riten werden an den exponierten Schwellensituationen des Lebens gefeiert, um diese im Licht der Transzendenz bewältigbar zu machen. Nicht umsonst sind die Gipfel- und Grenzerfahrungen des Menschlichen im Atlas eines ängstlichen Mannes so häufig an Rituale gekoppelt. Mehr noch, die ganze Erzählung wird durch die ständig wiederkehrende Eingangsformel, die Grundmotive etc. selbst 124 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="125"?> 366 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 28-35. 367 Vgl. dazu den luziden Beitrag von S P A E M A N N , Robert, Ritual und Ethos, in: D E R S ., Schritte über uns hinaus. Gesammelte Reden und Aufsätze I, Stuttgart 2010, 353-372. 368 Vgl. dazu F I L L M A N N , Elisabeth, Näher, mein Gott, zu dir [GL 502], in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 807-811. zu einem poetisch geformten Ritual, das zugleich viele Rituale und mystische Augenblicke zitiert. In der Episode „Herzfeld“ 366 findet sich der Ich-Erzähler unerwartet an einem offenen Grab mitten im brasilianischen Bergland wieder. Senhor Herzfeld, ein in seiner Kindheit aus Nazi-Deutschland geflohener Jude, stirbt ganz plötzlich in seinem Sommerhaus. Den Hinterbliebenen bleibt nur wenig Zeit zu trauern, da sie die Leiche aufgrund der großen Hitze noch am Abend desselben Tages beer‐ digen müssen. Der Ich-Erzähler, der Herzfeld zwei Tage vor seinem Tod zufällig auf einem Gartenfest kennengelernt hatte, begleitet Tochter und Schwiegersohn auf ihrem Weg von der Stadt hinaus zu ihrem verstorbenen Vater. Unterwegs erwerben sie noch einen Sarg, um die rasche Beerdigung durchzuführen. Als sie ihr Ziel erreichen, finden sie den Vater an den Kachelofen gelehnt, so wie er Stunden zuvor verstorben war. Da der zuständige Totengräber an der Hand verletzt ist, müssen sie den bereits starren Leichnam selbst in den mitgebrachten Sarg zwängen. In der Zwischenzeit heben die Gartenarbeiter das Grab im Garten aus, in dem der Leichnam sogleich bestattet werden soll. Der Totenkult gilt als das älteste uns bekannte Zeichen der Humanität. 367 Wenn heute die Rückbindung an religiöse Traditionen immer mehr schwindet und die Totenbestattung völlig ökonomisiert wird, stellt sich unweigerlich die Frage, wie man heute mit Verstorbenen verfahren soll. Ransmayrs Episode greift die Frage nach einem menschenwürdigen Umgang mit den Toten auf berührende Weise auf. Der Familie Herzfeld wird nahezu intuitiv bewusst, dass sie den Leichnam nicht formlos im Garten verscharren kann und will. Dabei entwickelt sich spontan, jedenfalls nicht näher geplant, ein eigentümli‐ ches Bestattungsritual, das von Gläubigen und Ungläubigen gleichermaßen vollzogen werden kann. Die Herzfelds besitzen zwar jüdische Wurzeln, doch schon der Vater des Verstorbenen hatte zu Lebzeiten keine Synagoge mehr betreten. Die brasilianischen Helfer, vom Bestatter bis zu den Gartenarbeitern, bekreuzigen sich jedoch und sprechen für den Toten ihre eingeübten Gebete. Als der Sarg in die Erde hinabgelassen wird, klingt aus den Lautsprechern eines Pick-ups, den ein Nachbar an den Grubenrand gefahren hat, eines der wohl bekanntesten christlichen Beerdigungslieder „Näher mein Gott zu dir“. 368 Die 3.5 „Herzfeld“ - Itinerarium zwischen Ritus und Poesie 125 <?page no="126"?> 369 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 34f. Tochter des Verstorbenen trägt dazu leise ein Goethe-Gedicht vor. Am Ende lässt der Ich-Erzähler das Begräbnis mit Anklängen an eine nicht näher erläuterte Naturreligiosität ausklingen: „Wenn jeder der Araukariensamen, die in dieser Stunde auf die Trauergemeinde, auf das Grab, auf den Blumengarten, das Dach des Sommerhauses und den Sarg herabregneten, die Möglichkeit eines tausendjährigen Baumlebens enthielt, dann fiel […] mit diesen Samen eine Art Ewigkeit aus den Zweigen auf uns herab.“ 369 Als Leser bzw. Leserin kann man sich der Faszination dieses poetischen Begräb‐ nisrituals kaum entziehen. Aufgrund ihrer Unmittelbarkeit wirkt die Szene wuchtig und archaisch zugleich. Die Dringlichkeit gebietet der Familie, die Beerdigung fast im Alleingang durchzuführen. Der unmittelbare Umgang mit dem Leichnam bleibt ihnen dabei ebenso wenig erspart wie das Hinablassen in das Grab. Leon Herzfeld starb zu Hause in den Armen seiner Frau, die Familie musste den starren Leichnam eigenhändig in den Sarg legen. Heute sterben die Menschen immer seltener zu Hause im Kreis ihrer Angehörigen. Jeder Umgang mit Tod und Leichnam wird zumeist an Dritte delegiert, die Kluft zwischen Leben und Tod wird ständig größer. Die im Trend liegenden anonymisierten Beerdigungsformen tragen ihren Teil zu diesem Entfremdungsprozess bei. Bleibt am Ende nur mehr die Totenbestattung als Müllentsorgung, wenn die Urakte der Menschlichkeit verschwinden? Gerade an dieser Stelle setzt die Geschichte einen wuchtigen Kontrapunkt zur heute üblichen Praxis. Andererseits verweist das private Begräbnis der Familie Herzfeld auch auf aktuelle Tendenzen. Die letzten Reste einer religiös geprägten Beerdigungskultur (Näher mein Gott zu dir) mischen sich mit Versatzstücken des Bildungsbürgertums (Goethe- Gedicht) und einer immanenten Weltfrömmigkeit, die nach dem Einswerden mit der Natur (Araukariensamen) strebt. Und trotzdem illustriert die Geschichte nachhaltig, wie Leben und Ritus zueinander finden wollen, wie eng sie auch miteinander verbunden sind. Die Beerdigung Herzfelds wäre ohne jedes Ri‐ tual undenkbar - es scheint vielmehr eine natürliche Notwendigkeit dafür zu geben, den Leichnam nicht einfach verschwinden zu lassen. Die kleine Trauergemeinschaft vollzieht dabei das Ritual gemeinsam, unabhängig davon, ob die Einzelnen nun glauben oder nicht. 126 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="127"?> 370 Vgl. G R O P P - R A N S M A Y R , Gespräch mit Christoph Ransmayr. 371 Vgl. dazu K I R C H H O F F , Hermann, Urbilder des Glaubens. Labyrinth - Höhle - Haus - Garten, München 1988. 372 Vgl. zur Höhle aus theologischer Perspektive K I R C H H O F F , Urbilder des Glaubens, 23-38. 3.6 „Die Ankunft“ - Auf der Suche nach den Urerfahrungen des Menschlichen Folgt man Ransmayrs unkonventionellem Reise-Roman, gehört es zum Wesen des (modernen) Menschen, dass er gerade in der Ferne, abseits der eigentlichen Herkunft, sein Inneres und die Beziehung zur Welt je neu konstituiert. Der Rückzug an die Ränder, in Wüsten und auf Berge verspricht die verloren geglaubte Mitte im Gegenüber von Mensch, Natur und Welt zurückzugewinnen. „Wie einen kartografischen Atlas kann ein Leser auch den Atlas eines ängst‐ lichen Mannes aufschlagen, wo immer er will, kann mit den letzten Seiten beginnen oder am Anfang - und wird stets inmitten der Welt sein“ 370 , lässt der Autor in einem Gespräch über das Buch wissen. Oben ist bereits angeklungen, dass sich die Lesenden mit Ransmayrs Buch auf die Suche nach den Urphä‐ nomenen des Menschlichen begeben: Geborgenheit, Vertrauen, Zuneigung, Vergänglichkeit, Streit, Vergebung etc. Die Orte, die Ransmayr für seine my‐ thischen Begegnungen auswählt, scheinen dafür geradezu prädestiniert: Der Berg, die Höhle, die Wüste, der Garten, das Meer sind allesamt Urorte der biblischen Gotteserfahrung. 371 In der Episode „Die Ankunft“ greift Ransmayr auf ein Reiseerlebnis im Himalaja zurück: An einem klirrend kalten Wintertag steigen der Erzähler und sein Begleiter über einen verschneiten Steilhang zu einer abgelegenen Bergsiedlung auf, um noch vor Einbruch der Nacht in einem Kloster Unterschlupf zu finden. Zur großen Enttäuschung der entkräfteten Bergsteiger stehen die Häuser aufgrund des kalten Winters leer, niemand kann ihnen ein Quartier anbieten. In der Bergfront oberhalb des Dorfes entdecken sie plötzlich Rauch, der aus einer Felsenhöhle aufsteigt. 372 Mit letzter Kraft müssen sie sich nochmals hochkämpfen, um die Höhle zu erreichen. Dort angekommen, stoßen sie auf drei Mönche, die um ein Feuer versammelt ihre Gebete verrichten: „Sie (= die Mönche) unterbrachen ihr Gebet nicht und hörten auch dann nicht auf zu flüstern, als sich einer von ihnen erhob und uns gesalzenen Yakbuttertee anbot, getrocknete Wurzeln und Tsampa, geröstetes, grobes Gerstenmehl, das er - flüsternd - mit Butter und Tee zu einem grauen Teig knetete. Während wir tranken und aßen, befühlten die drei unsere Daunenjacken, die Schneegamaschen, unsere Handschuhe mit sichtbarer Bewunderung, prüften das Gewicht der Pickel, Steigeisen 3.6 „Die Ankunft“ - Auf der Suche nach den Urerfahrungen des Menschlichen 127 <?page no="128"?> 373 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 455. 374 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 456. und Rucksäcke, beteten dabei aber ihre Mantras ohne eine einzige Unterbrechung zähneklappernd weiter.“ 373 Die hier beschriebene Szene birgt eine ungemein dichte Symbolik in sich: Nach der Erfahrung größter Not folgt zuerst die Enttäuschung über die menschenleere Siedlung. Den beiden droht eine Nacht in Eis, Kälte und Finsternis mit ungewissem Ausgang. Nach wiederholter Anstrengung kommt es doch noch zur Rettung aus der bedrohlichen Situation, da die Bergsteiger eine Höhle entdecken, in der sie von drei fremden Mönchen ohne Zögern und ohne jede Vorbedingung aufgenommen werden. Die ganze Szene mündet schließlich im Teilen des Essens. Die Mönche unterbrechen ihr Ritual dafür aber nicht, sie beten unbeirrt weiter. Vergeblich versuchen die beiden Fremden mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ihre Bedürf‐ nisse nach Wärme und Essen werden dennoch gestillt. Der nicht unterbrochene Ritus schafft den nötigen Raum für ihr Handeln, und jeder der Geretteten wird in sein eigenes Leben (zurück)geführt, wie das Finale der Episode eindringlich beschreibt. Das Ende der Erzählung wird so zum eigentlichen Höhepunkt und zeigt die Wirkung dieses seltsamen Ritus nochmals auf: „Das Feuer war niedergebrannt. Von den Mönchen waren nur noch Schatten zu sehen, von der Glut weiße Asche. Ich fühlte mich geborgen wie in jenen verlorenen Zeiten, in denen ich Abend für Abend zu Bett gebracht worden war und durch einen Türspalt, der wegen meiner Angst vor der Finsternis offenstand, einen Lichtstreifen sah und die Flüsterstimmen von Menschen hörte, die mich behüteten. Als aus der schneeweißen Asche ein Funke ins kalte Höhlendunkel sprang und im Flug erlosch, schlief ich ein. Nun war ich angekommen.“ 374 Manch einer mag sich an der triefenden Symbolik und dem hohen Pathos stoßen. All das kann aber nicht über die zeitlose Schönheit und die Faszination dieses Textes hinwegtäuschen oder anders formuliert: Es handelt sich um Mythopoesie in ihrer höchsten Ausformung. Kein Wunder also, dass der Autor gerade diese Miniatur an das Ende seines gesamten Buches gestellt hat. 3.7 Resümee „Was die Bedeutung des Religiösen in seinem bisherigen Œuvre angeht, nimmt Ransmayr […] eine ganz eigenständige Position ein, und es verwundert ei‐ nigermaßen, dass die Literaturwissenschaft diesen Aspekt bisher vernachläs‐ 128 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="129"?> 375 L A N G E R , Probeweise Amen? , 53. Nur wenig später hält Langer fest: „Ransmayrs Werk ist voll von christlichen, genauer: katholischen Motiven.“, in: Ebd. 56. Der Autor dieser Arbeit verdankt dem Abschnitt von Langer wesentliche Einsichten zu den religiösen Motiven bei Ransmayr. Zugleich gehen viele der in diesem Abschnitt eingeblendeten Zitate aus R A N S M A Y R , Die letzte Welt und D E R S ., Morbus Kitahara auf den Beitrag von Langer zurück. 376 Bislang wird Ransmayr in der theologischen Beschäftigung mit Literatur noch kaum genannt, eine Ausnahme bilden B I E R I N G E R , Pilgern ohne Gott? , sowie die Beiträge und Buchbesprechungen von H A K E , Joachim, Ein phantastischer Augenblick, in: BiLi 90 (2017) 1-2; H U I Z I N G , Klaas, Laues Bad. Immer wieder Uhren, in: Zeitzeichen 18 (2017) 64-65; M A Y E R , Tobias, Die absolute Uhr: „Cox oder der Lauf der Zeit“ - ein zeitphilosophischer Roman von Christoph Ransmayr, in: IKaZ Communio 45 (2016) 576-578; K I E L , Martin, Nexus: postmoderne Mythenbilder. Vexierbilder zwischen Spiel und Erkenntnis. Mit einem Kommentar zu Christoph Ransmayrs „Die letzte Welt“ (EHS.DS 1566), Frankfurt a. M. 1996; S T E I N F O R T , Dirk, Literatur als Gegenwelt der Moderne, in: StZ 214 (1996) 403-413. 377 L A N G E R , Probeweise Amen? , 53. 378 Vgl. zum Motiv des Reisens an die Ränder u. a. G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk, hier bes. 263-271 sowie F E T Z , Bernhard, Das lange Gedächtnis der Erzählung oder: Christoph Ransmayrs poetische Landnahme, in: Manfred M I T T E R M A Y E R - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr. Linz 2009, 32-38; L E F E B V R E , Jean-Pierre, Ransmayrs räumliche Resonanzen, in: Manfred M I T T E R M A Y E R - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 79-82. 379 L A N G E R , Probeweise Amen? , 60; ähnlich argumentiert Langer, wenn sie im selben Beitrag über Ransmayrs Affinität für Marienverehrung spricht, vgl. ebd. 58 f. 380 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 80. sigt hat.“ 375 Auch in der Theologie findet das Werk trotz der Omnipräsenz religiös-spiritueller Motive so gut wie keinen Widerhall. 376 Wird die Religion stillschweigend übergangen, weil der Autor vor religiösen Phänomenen „nicht Abscheu, sondern eher eine respektvolle Scheu“ 377 empfindet? Die Germanistin Langer mutmaßt, dass die Leerstelle auch damit zu tun haben könnte, dass Ransmayr das aufgeklärte Christentum des Westens heidnisch unterläuft und seine Figuren dorthin pilgern lässt, wo Religion noch ungebrochen zu Tage tritt. 378 „Hinaus aus der verwalteten Welt des saturierten, überzivilisierten Mitteleuropa mit seinem entmystifizierten, kultisch verarmten, emotional verflachten Christentum in Länder und Kulturen, wo Religion noch essentieller Teil des Lebens ist, wo sie Denken, Fühlen und Handeln gleichermaßen bestimmt.“ 379 Auch wenn man die Ansicht nur eingeschränkt teilt, bleibt Schmidt-Denglers bereits erwähnte Diagnose, Ransmayr habe „sich und […] die österreichische Literatur aus der Befangenheit in ausschließlich österreichischen Themen befrei[t]“ 380 , für seinen Umgang mit religiösen Ritualen nicht ohne Folgen. Als 3.7 Resümee 129 <?page no="130"?> 381 Vgl. zu Ransmayrs Verbindungen zu Peter Handke und Thomas Bernhard S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 87f. 382 Vgl. u. a. zur Bedeutung von Religion und Glauben in der modernen Literatur die Beobachtungen des Heidelberger Germanisten K I E S E L , Helmuth, Gottes- und Glaubens‐ verlust in der Literatur nach Nietzsche, in: IKaZ Communio 50 (2021) 72-84; D E R S ., Glaube und Literatur. Beobachtungen zu ihrem gegenwärtigen Verhältnis, in: IKaZ Communio 41 (2012) 289-309; als Vertreter der „Säkularisierungsthese“ in der Literatur gilt wiederum S C H L A F F E R , Heinz, Die kurze Geschichte der deutschen Literatur, Köln 2013. 383 Einen ersten Überblick über die kontrovers geführten Debatten über Ransmayrs „postmodernes Schreiben“ gibt S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 77-92. 384 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 90 f. einziger der hier vorgestellten Autoren geht Ransmayr auf seinen globalen Streifzügen weit über das Christentum hinaus, indem er neben der eigenen Her‐ kunftsreligion spirituelle Traditionen Asiens, Lateinamerikas oder Ozeaniens in seine Literatur aufnimmt. Wie Handke und andere vor ihm wandert auch Ransmayr schrittweise aus dem Dorfkatholizismus seiner Kindheit aus, um sich vom Ballast der religiösen Sozialisierung freizuschreiben. Neu und anders ist bei ihm freilich, dass er fernab der Heimat das sakral-archetypische Erbe der (eigenen) Religion in den Riten und Bräuchen fremder Traditionen und Kulturen wiederentdeckt. 381 Dabei geht es ihm etwa im Unterschied zu Arnold Stadler aber nicht um die Rückkehr zum eigenen Bekenntnis. Ransmayrs Werke belegen, dass religiöse Themen und Motive für die zeitgenössische Literatur nach einer Phase der Absenz wieder zur Option geworden sind, obwohl lange das genaue Gegenteil davon behauptet wurde. 382 Ferner ist hier zu ergänzen, dass die Hinwendung zu den geographischen Rändern nicht bedeutet, dass er sich von den religiös-spirituellen Sitten und Gebräuchen seiner Heimat völlig abwendet, wie die Miniaturen „Weißer Sonntag“ oder „Trost der Betrübten“ belegen. Wie gelingt es Ransmayr seit vier Jahrzehnten, sich so erfolgreich auf der literarischen Bühne zu behaupten, obwohl er mit seiner Vorliebe für Mythos, Epos, Ritus und Apokalypse teils gegen die gängigen Konventionen des Lite‐ raturbetriebs verstößt? 383 Schmidt-Dengler erklärt den Erfolg mit den für ihn typischen Archaismen und Anachronismen, die kraftvolle Bilder jenseits aller rationalen Debatten wachrufen, „die uns berühren, auch wenn wir den Grund dafür nicht erfassen können, Handlungen, die uns überzeugen, auch wenn wir sie in ihrer Kausalität nicht fassen können.“ 384 Als Schriftsteller tut Ransmayr, was Historiker und Historikerinnen oder Theologen und Theologinnen nicht tun können. Er stellt auf postmoderne Art Vergangenes neben Gegenwärtiges, lässt Gestriges unvermittelt auf Heutiges treffen, als gehörte beides unmit‐ 130 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="131"?> 385 Gegen die Deutung seiner Werke als „postmodern“ stellt sich Ransmayr ganz explizit: Vgl. dazu L A N G E R - M I T T E R M A Y E R , Ein Apokalyptiker, der das Leben preist, 16. 386 R A N S M A Y R , Die letzte Welt, 60. 387 S C H M I D T - D E N G L E R , Bruchlinien II, 76, 83. 388 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 60. 389 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 345; im Vorwort des Buches bekennt der Autor ebenso: „In den siebzig Episoden dieses Atlas ist ausschließlich von Orten die Rede, an denen ich gelebt, die ich bereist oder durchwandert habe, und ausschließlich von Menschen, denen ich dabei begegnet bin, Menschen, die mir geholfen, die mich behütet, bedroht, gerettet oder geliebt haben.“, in: ebd., 5. 390 Den Hinweis auf die Miniatur verdankt der Autor dieser Studie L A N G E R , Probeweise Amen? , 60. 391 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 91. telbar zusammen. 385 Für die Verschränkung von Zeiten und Epochen erlangte Ransmayr vor allem mit seinem Ovid-Roman „Die letzte Welt“ (1988) große Bekanntheit. Darin ist es weder ungewöhnlich, dass der Dichterfürst Naso seiner Frau Cyane eine Fotografie aus Tomi schickt, noch dass er eine Rede an die Römer zur Einweihung eines Stadions mit Hilfe eines „Strauß[es] schim‐ mernder Mikrophone“ 386 hält. Die auf diese Weise generierte „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ 387 hält dem und der Lesenden vor Augen, wie sehr sich die Lebensbedingungen und Befindlichkeiten im Laufe der letzten Jahrzehnte bzw. Epochen verändert haben. Zugleich suggeriert er damit, dass die Vergangenheit nie abgeschlossen ist und bis heute fortwirkt. Ähnliches gilt für den Umgang mit Religion und Ritual. Auch hier lässt Ransmayr längst vergangen geglaubte Zeit auf Gegenwärtiges treffen, werden menschheitsalte Rituale und in Vergessenheit geratene Formen zurück in die Gegenwart geholt. 388 Voraussetzung dafür ist sein religionsgeschichtlicher oder besser religionsphänomenologischer Zugang. Der Ich-Erzähler verharrt unabhängig von Ort und Inhalt seiner Erzählungen stets in einer distanzierten Beobachterrolle, ganz nach dem Motto: „Ich erzähle, was ich gesehen habe […]. Ich erzähle, was ich gehört habe.“ 389 Jede Art von missionarischem Eifer oder Parteinahme für eine bestimmte religiöse Überzeugung ist ihm fremd. Nur ein einziges Mal bricht er im Verlauf seines Atlas für einen kleinen Moment aus seiner Rolle aus. 390 Beim Beobachten eines unbekannten Mannes, der an einem brasilianischen Strand ein religiöses Ritual mit so viel Hingabe und Ergriffenheit vollzieht, wie er es wahrscheinlich in westlichen Kulturen lange nicht erlebt hat, bricht aus ihm ein nachahmender Gestus heraus: „Ich […] schrie probeweise Amen, Amen! in den Lärm des Meeres, hatte mich aber längst wieder in den dürftigen Schatten eines Flammenbaumes zurückgezogen […].“ 391 Auch hier lautet die Pointe wie in vielen anderen Erzählungen, dass Leben und Transzendenz für den Menschen letztlich ein Rätsel bleiben, ja bleiben 3.7 Resümee 131 <?page no="132"?> 392 K E R B L E R , Michael - R A N S M A Y R , Christoph, Im Gespräch. „Geschichten ereignen sich nicht, Geschichten werden erzählt.“ Hörfunktinterview des Ö1 vom 08.11.2012 - http s: / / oe1.orf.at/ programm/ 20121108/ 292544/ Im-Gespraech (Zugriff am 21.03.2021), hier zitiert nach L A N G E R , Probeweise Amen? , 64. 393 Der Terminus „transzendente Obdachlosigkeit“ geht zurück auf L U K Á C S , Georg, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Mit einem Vorwort von 1962 (dtv Wissenschaft 4624), München 1994, 32. 394 Vgl. zu Max Webers berühmten Diktum und seine Rezeptionsgeschichte u. a. L E H M A N N , Hartmut, Die Entzauberung der Welt. Studien zu Themen von Max Weber, Göttingen 2009, hier bes. 13. 395 Vgl. O D E N T H A L , Andreas, „Häresie der Formlosigkeit“ durch ein „Konzil der Buch‐ halter“? 396 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 53-65. 397 Wichtige Einsichten dazu verdankt der Autor dieser Studie J O A S , Hans, Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung, Berlin 2017, hier bes. 111-164; vgl. darüber hinaus D E R S ., Säkulare Heiligkeit. Wie aktuell ist Rudolf Otto? , in: O T T O , Rudolf, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Mit einer Einführung zu Leben und Werk Rudolf Ottos von Jörg Lauster und Peter Schüz und einem Nachwort von Hans Joas (C.H. Beck Paperback 328), München 2014, 256-281, hier bes. 260 f. müssen, um falsche Gottesbilder zu vermeiden. In einem Hörfunkinterview hielt Ransmayr dazu passend fest, dass er nicht an „,anthropomorphe Andachtsbilder‘ [glaube], da sie doch nur ein Rätsel illustrierten“ 392 . Dennoch hält der Erzähler an der Faszination für traditionelle Riten fest und den damit verbundenen Erfahrungen, ohne die mit vielen geteilte „transzendente Obdachlosigkeit“ auszublenden. 393 Germanistische Analysen charakterisieren die Rezeption katholischer Lit‐ urgie bei Ransmayr mit den Begriffen „Entzauberung“, „Entmystifizierung“ oder „Verlust der Sinnlichkeit“. 394 Kritik solcher Art aus den Kreisen der Literatur, die letztlich auf die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums abzielt, ist weder neu, noch blieb sie seit Martin Mosebachs „Häresie der Formlosigkeit“ von der Liturgiewissenschaft unbeantwortet. 395 Dass Ransmayrs Atlas und andere seiner Werke westlichen Liturgien indirekt eine „rationale Erstarrung“ unterstellen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Den Autor deshalb als „liturgischen Brauchtumsforscher“ abzutun, der zu exotischen Ritualen neigt und unterge‐ gangene Welten nostalgisch verklärt, wird ihm nicht gerecht. 396 Ransmayr versteht Religion eben nicht bloß als hierarchische Organisation oder abstraktes Lehrgebäude, das sich aus Dogmen und moralischen Lehrsätzten zusammen‐ setzt, sondern als ein ausdifferenziertes Geflecht von gemeinschaftlichen wie persönlichen Ritualpraktiken und den daraus entstehenden Erfahrungen. 397 Der Autor fokussiert auf menschliche Erfahrungen mit dem „Heiligen“, wie sie quer 132 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="133"?> 398 Zu den unterschiedlichen Konzepten von Heiligkeit in heutiger Diskussion vgl. J O A S , Die Macht des Heiligen, bes. 419-488. 399 Zum heutigen Verständnis von „heilig“ vgl. auch G A N T K E , Wolfgang, Art. Heilig, das Heilige. II. Religionsphilosophisch, in: LThK 3 4 (1995) 1268-1271. 400 In „Die letzte Welt“ begegnet der Hauptprotagonist Cotta auf seiner Fahrt nach Trachilia etwa „eine[r] Prozession, die einen Allmächtigen, dessen Name er nicht kannte, um fruchtbare Felder anrief, um Fischschwärme, Erzadern und eine ruhige See. Die Prozession zog ihn ein Stück mit sich fort“, in: R A N S M A Y R , Die letzte Welt, 13. 401 Vgl. dazu Peter Handkes Einstellung zu den Litaneien als seine Grundmusik des Lebens, in: H A N D K E - K E R B L E R , … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen, 23 f. 402 Vgl. S C H M I D T - D E N G L E R , Das Gebet in die Sprache nehmen, 48f. 403 L A N G E R , Probeweise Amen? , 60; was Langer hier über Ransmayr sagt, trifft ebenso auf Thomas Bernhard, Alois Brandstetter, Barbara Frischmuth, Peter Handke, Josef Winkler und viele andere dieser Generation zu. 404 Langer spricht sogar davon, dass es „wohl keinen anderen Gegenwartsautor [gibt], der derart viele Wallfahrten beschreibt.“, in: L A N G E R , Probeweise Amen? , 55. 405 Vgl. zur historischen Genese der Litanei u. a. F I S C H E R , Balthasar, Art. Litanei, in: LThK 2 6 (1961) 1075-1077. durch alle Religionen und spirituelle Traditionen bis heute gemacht werden. 398 Unter „heilig“ versteht er Personen, Orte, Zeiten und Gegenstände, die von seinen Protagonisten als fesselnd und erschütternd, anziehend und abgründig wahrgenommen werden. 399 Ransmayr verarbeitet diese Erfahrungen nicht nur literarisch, er gibt damit auch zu bedenken, dass Rituale trotz aller Säkularisie‐ rungstendenzen nicht verlorengegangen sind, ja an Relevanz zulegen. Bei ihm sind es vor allem die nicht-diskursiven und kontemplativen Grundformen lit‐ urgischer (Populär-)Religiosität wie Litaneien, Prozessionen und Meditationen, die er als zentrales Reservoir für den Umgang mit dem Heiligen ansieht. 400 Hier vermischt sich die eigene religiöse Sozialisation in den Nachkriegsjahrzehnten mit den Erlebnissen eines Weltreisenden, der fernab der Heimat Urformen des Liturgischen wiederentdeckt. 401 Während sich Litaneien und mit ihr verwandte Frömmigkeitsformen stilbildend in den Werken einer ganzen Generation öster‐ reichischer Autorinnen und Autoren niederschlugen, sind sie aus dem liturgi‐ schen Leben der katholischen Kirchen in Mitteleuropa mit wenigen Ausnahmen fast vollständig verschwunden. 402 „Christoph Ransmayr wird einer der letzten sein, in deren Sprachduktus der hypnotisierende, für kindliche Ohren unendlich monotone, auch in gesprochener Form als rhythmischer Singsang wahrnehm‐ bare Sound der katholischen Litaneien nachklingt.“ 403 Einer weitaus größeren Beliebtheit erfreuen sich seit geraumer Zeit wieder Wallfahrten, ein Phänomen, ohne das Ransmayrs Œuvre ebenso wenig auskommt. 404 Wie die bereits oben genannten Formen gehören auch Pilgerfahrten zum Bestand populärreligiöser Phänomene, die das Christentum mit vielen anderen Religionen und Kulturen teilt. 405 Eingangs wurde bereits darauf hingewiesen, dass Ransmayr den Ruf 3.7 Resümee 133 <?page no="134"?> 406 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 55; der Autor dieser Studie verdankt Langer die beiden dort angeführten Zitate; vgl. dazu auch die beiden nachfolgenden Fußnoten. 407 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 105; vgl. ferner L A N G E R , Probeweise Amen? , 60. 408 L A N G E R , Probeweise Amen? , 55. 409 Vgl. zu weiteren Informationen O D ÖÖ , Hans (Hg.), Homepage des Heiligtums für vier Religionen - http: / / sripada.org/ (Zugriff am 04.03.2021). 410 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 347; das Zitat ist ebendort der Miniatur „Wallfahrer“ (337-348) entnommen. 411 B E L L A H , Robert N., Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the Axial Age. Cambridge/ Massachusetts 2011, 267; vgl. dazu vor allem die Ausführungen von J O A S , Die Macht des Heiligen. eines eigenwilligen Solitärs pflegt, der in Vielem auf Distanz zur Welt geht und auf Reisen lieber alleine bleibt. 406 „Mein Thema ist der einzelne. Und worin immer seine Geschichte besteht - sie wird mir in etwas freieren Räumen, ja, auch in vermeintlichen Wüsten, deutlicher als auf überfüllten Plätzen.“ 407 Bei Wallfahrer- und Wallfahrerinnengruppen scheint er jedoch eine Ausnahme zu machen. Langer mutmaßt, „dass ihn Menschenmassen überhaupt nur in Gestalt von Pilgerströmen anziehen, während er ihnen sonst aus dem Weg geht.“ 408 Welche inneren Beweggründe dahinter stehen, gibt der Erzähler im Atlas während einer Wallfahrt auf den heiligen Berg Siri Pada bzw. Adam’s Peak (Sri Lanka) zu verstehen, der von vier Weltreligionen (Buddhismus, Hinduismus, Islam und Christentum) als Pilgerstätte verehrt wird. 409 „Vielleicht lag ja der Trost dieses Berges tatsächlich darin, daß jeder, der ihn erstieg, ob zur Monsunzeit oder in einer klaren, windstillen Sternennacht, Erinnerungen, Gefühle, Erschütterung, Begeisterung mit so vielen anderen teilen konnte, die sich gemeinsam mit ihm und vielleicht aus ähnlichen Gründen auf den Weg gemacht hatten. Jeder von ihnen bewahrte, wenn er aus der Höhe wieder ins Tal stieg, für den Rest seines Lebens etwas, das auch von anderen bewahrt wurde, und trug so etwas von allen anderen durch seine Zeit.“ 410 Das Teilen von existentiellen Erfahrungen führt aus der individuellen Vereinsa‐ mung und stiftet eine zeit- und religionsübergreifende Schicksalsgemeinschaft. „Nothing is ever lost“ 411 lautet das zentrale Axiom des US-amerikanischen Religionssoziologen Robert N. Bellah, das hier ebenso ins Treffen geführt werden kann. Zur Weltdeutung gehört seit der Moderne eben nicht nur der rationale und wissenschaftliche Diskurs, sondern auch das, was Hans Joas das „Mimetisch-Rituelle“ und „Narrativ-Mythische“ nennt. Bei kaum einem anderen 134 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="135"?> 412 Vgl. J O A S , Hans, Einführung, in: Robert N. B E L L A H , Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit. Hg. und mit einer Einführung von Hans J O A S . Aus dem Englischen von Christine Pries, Freiburg i.Br. 2020, IX-XXVI. 413 Vgl. dazu J O A S , Macht des Heiligen; T A Y L O R , Charles, Ein säkulares Zeitalter. Aus dem Englischen von Joachim Schulte, Frankfurt a.-M. 2009. 414 Vgl. dazu ausführlich, J O A S , Hans, Glaube als Option. 415 Vgl. dazu u. a. G Ä D E , Gerhard, „Die Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ Zum Verhältnis von christlicher Liturgie und nichtchristlichem Kult, in: ZKTh 122 (2000) 354-369. 416 Vgl. u. a. S A L M A N N , Was ist Kult? Vgl. darüber hinaus u. a. N E G E L , Joachim, Ambivalentes Opfer. Studien zur Symbolik, Dialektik und Aporetik eines theologischen Fundamen‐ talbegriffs, Paderborn u.-a. 2005. Autor im deutschen Sprachraum trifft derzeit beides so fruchtbar aufeinander wie bei den Erzählungen des Oberösterreichers. 412 Für die Liturgiewissenschaft ist das bisherige Œuvre Ransmayrs ein überaus ergiebiger Gesprächspartner. Die Bücher sind Verbündete, wenn es darum geht, auf die (neue) Relevanz von Ritualen hinzuweisen. Ihr Inhalt bekräftigt zudem, was der eben zitierte Joas in Anlehnung an Charles Taylor den „Aufstieg der säkularen Option“ nennt. 413 Wird der Glaube zur Wahlmöglichkeit, entstehen neue Freiräume gegenüber doktrinären und institutionellen Engführungen, die sich produktiv auf das religiöse Bewusstsein in Kultur und Gesellschaft aus‐ wirken. 414 Ransmayr nutzt sie auf seine Weise, indem er universale Erfahrungen mit dem „Heiligen“ literarisch zu verarbeiten versucht. Die für viele unerwartete Präsenz von Ritual und Liturgie in der zeitgenössischen Literatur kann die Liturgiewissenschaft als Beleg interpretieren, dass massive gesellschaftliche Veränderung ihr Materialobjekt verändert, es aber nicht einfach verlorengeht. Neben liturgischen Hochformen wie Sakramente, Sakramentalien oder Tagzei‐ tenliturgien gilt es, vermehrt populärreligiöse Rituale zu untersuchen. Damit wird nicht nur randständigeren Phänomenen im Graubereich offizieller Liturgie Rechnung getragen, sondern auch das rituelle Bedürfnis von Zeitgenossen bzw. Zeitgenossinnen besser berücksichtigt. Der literarische Gang an die Ränder, der für Autoren wie Ransmayr oder Handke steht, lässt sich dahingehend interpretieren, verstärkt auf den geteilten Erfahrungsschatz im Umgang mit dem Heiligen in anderen Religionen zurückzugreifen. 415 Zu diesem Bereich gehört auch die Wahrnehmung des sakral-archetypischen Erbes innerhalb des eigenen christlichen Erbes. Systematiker wie Elmar Salmann oder Joachim Negel haben exemplarisch gezeigt, dass die Beschäftigung mit transreligiösen Urerfahrungen nicht zur Wiederbelebung einer überholten Kulttheologie führen. 416 Der stärkste Impuls für die Liturgiewissenschaft geht bei Ransmayr freilich von der Hin‐ wendung zur religiösen Erfahrung aus. Wir leben in einem Zeitalter, in dem 3.7 Resümee 135 <?page no="136"?> 417 Vgl. als ein Beispiel für die Hinwendung zur religiösen Erfahrung aus praktischer Perspektive H A R T L , Johannes, „Und unter tausend heißen Tränen fühlt ich mir eine Welt entstehen“. Emotionen und religiöses Erleben, in: IKaZ 50 (2021) 153-159. 418 Vgl. dazu O D E N T H A L , Andreas, Rituelle Erfahrung; G E R H A R D S , Albert, Symbol - Ritus - Erfahrung: Liturgie als Quelle der Spiritualität, in: D E R S . (Hg.), Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (PTHe 120), Stuttgart 2012, 311-320; J E G G L E -M E R Z , Birgit, Mysteriis edoctus. Vom Erleben zum Erkennen. Liturgiewissenschaft als eine Theologie der Erfahrung, in: ALw 50 (2008) 188-206; O D E N T H A L , Andreas, Liturgie als Ritual. 419 Vgl. R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 28-35. sich die große Mehrheit Religion über Erfahrung erschließt. 417 Wenn der Ein‐ druck nicht täuscht, wird eben diesem Horizont in liturgiewissenschaftlichen Forschungsarbeiten noch relativ wenig Bedeutung beigemessen. 418 Hier geht es nicht bloß um die Erschließung eines neuen Formalobjekts, sondern auch um die Ausübung einer kritischen Funktion. Die Wende zur Erfahrung bringt eine Individualisierung und Überbetonung des Subjektiven mit sich, die von der Disziplin auch kritisch begleitet werden muss. Damit ist ebenso angedeutet, dass Ransmayrs literarisch gespiegelte Rituale auch in Spannung zum Proprium der Liturgiewissenschaft stehen. In der Herzfeld-Episode wird eine archaische Beerdigungszeremonie geschildert, die an der Schwelle von existentiellen Zä‐ suren von der Unverzichtbarkeit von Passagenriten zeugt. 419 Zwar klingen auch hier noch Restbestände eines christlichen Auferstehungsglaubens an, und es mischen sich Texte des europäischen Bildungsbürgertums mit heidnischen Vorstellungen, jede Form der (christlichen) Verkündigung ist jedoch überflüssig. Damit das Beerdigungsritual dem Empfinden der Beteiligten nach „funktio‐ niert“, braucht es weder eine institutionelle Rahmung noch einen legitimierten Mittler eines konkreten Glaubensbekenntnisses. Eine erfahrungssensible Litur‐ giewissenschaft muss die Vielfalt heute praktizierter Rituale so deuten können, sodass zentrale Fragestellungen der Ritual Studies ebenso berücksichtigt werden wie das christliche Proprium des Faches. Die Liturgiewissenschaft darf weder in den Ritual Studies aufgehen, noch darf sie die säkularen Erfahrungen des Heiligen übergehen. Nur dann wird sie den sich schon länger abzeichnenden „Liturgical Turn“ produktiv mitgestalten können. Vielleicht kann die Antwort auf die Frage, was Ransmayr von seinen Reisen mitnimmt bzw. zurückbringt, in modifizierter Weise auch auf die Theologie und Liturgiewissenschaft zurück‐ wirken. Zugleich fasst sie in wenigen Worten zusammen, wofür der gesamte Abschnitt eine Vielzahl benötigt. „Was ich mitnehme? […] Eine gewisse Immunität vielleicht gegen den Glauben an Hierarchien von Kulturen und Völkern, auch eine gewisse Immunität gegen 136 3 Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ <?page no="137"?> 420 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 87 f. Ideologien und alle Arten von Dogmen. Die Erfahrung, daß, was ist, nicht bleiben kann und daß es eher darauf ankommt, zu begreifen, unter welchen Umständen und nach welchen ständig wechselnden Gesetzen Veränderungen vor sich gehen. Im günstigsten Fall ist bis zur glücklichen Rückkehr an den Schreibtisch auch das Bewußtsein davon zu retten, wie sehr und wie dramatisch man sich selber verändert, wenn man Trägheit oder Verzagtheit überwindet und aus seiner Selbstsicherheit dorthin aufbricht, wo vieles anders und neu ist, wo man nicht mehr verstanden wird und nichts mehr versteht, sondern sich zunächst bloß als Fremder unter Fremden bewegt - und das nicht nur in der äußersten Ferne, den Bergen Japans oder in Sumatra, Osttibet oder Amazonien, sondern schon in den nächsten, wenn auch nicht ohne weiteres zugänglichen Hochtälern der Westalpen oder in einem Kaff der pannonischen Tiefebene - ein sprachloser Narr, der bei keiner Pointe mitlachen und nichts erzählen kann und zur Erschließung seiner Aufenthaltsorte keine anderen Hilfsmittel hat als sein Gedächtnis, seine Augen und Ohren.“ 420 3.7 Resümee 137 <?page no="139"?> 421 Zu Genese und Bedeutung des sog. Stufengebets vgl. J U N G M A N N , Josef Andreas, Mis‐ sarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., I. Messe im Wandel der Jahrhunderte. Messe und kirchliche Gemeinschaft. Vormesse, Freiburg i. Br. u.-a. 5 1962, 377-386. 422 Titel in Anlehnung an das Interview S T A D L E R , Arnold - L A N G E R , Stephan, Singen und spielen, solange ich da bin. Der Schriftsteller Arnold Stadler im Interview, in: CiG 71 (2019/ 14) 157-159, hier 158. Dieser Abschnitt geht in Teilen zurück auf B I E R I N G E R , Andreas, „Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“ 423 S T A D L E R , Arnold, Erbarmen mit dem Seziermesser. Über Literatur, Menschen und Orte, Köln 2000, 182. 424 Vgl. zum Verhältnis Stadlers zur Religion den Sammelband von T Ü C K , Jan-Heiner (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017. 425 Stadler bekennt freimütig: „Ich glaube schlicht an Gott, ich bete und singe das Credo. Ich habe eine unerschütterliche Hoffnung, die ich auch nicht bis ins Letzte begründen kann. Das ist eher eine Mitgift, ein Geschenk.“, in: S T A D L E R - L A N G E R , Singen und spielen, 158. 426 Georg Langenhorst wendet dagegen ein: „Dass Arnold Stadler sowohl einige grundle‐ gende religiöse Prägungen und Erfahrungen als auch deren literarische Verarbeitung mit anderen SchriftstellerInnen unserer Zeit teilt, entgeht ihm.“ Er verweist in diesem Zusammenhang auf Ulla Hahn oder Hanns-Josef Ortheil, in: D E R S ., „Ich gönne mir das Wort Gott“ Annäherungen an Gott in der Gegenwartsliteratur, Freiburg i. Br. 2 2014, 112; vgl. darüber hinaus ebenso D E R S ., „… leichter an Gott zu glauben, als an gar nichts“. Annäherungen an Gott im Werk Arnold Stadlers, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“, 147-168, hier 148 f. Introibo ad altare Dei. Ad Deum, qui laetificat juventutem meam. Ps 43,3 - Stufengebet 421 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens 422 „Es ist durchaus ungewöhnlich, daß ein Schriftsteller, der so schreibt, wie man 1999 schreibt, Verbindungen hat zur Kirche. Ich kenne keinen außer mir. Leider.“ 423 Während das Gros der hier vorgestellten Autoren ihre liturgischen Erfahrungen mit mehr oder weniger Distanz zur kirchlichen Praxis in die Lite‐ ratur aufnimmt, fühlt sich Arnold Stadler (*1954) wie kein anderer Schriftsteller seiner Generation dem katholischen Glauben verbunden. 424 Worüber er in Bezug auf seine Religion und ihre Liturgie schreibt, das hat er selbst erlebt, ja meist durchlitten. 425 Ob Stadlers vor über zwanzig Jahren getätigte Aussage, zu den wenigen Autoren bzw. Autorinnen mit explizitem Kirchenbezug zu gehören, zutrifft, darüber wurde bereits an anderer Stelle debattiert. 426 Trotz seiner ostentativen Nähe zur Kirche versteht er sich dennoch nicht als katholischer <?page no="140"?> 427 Vgl. S T A D L E R , Arnold, Auf dem Weg nach Winterreute. Ein Ausflug in die Welt des Malers Jakob Bräckle, Salzburg - Wien 2012, 148; dieses Zitat verdankt der Autor L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 111; M O S E B A C H , Was ist katholische Literatur? 428 K E R M A N I , Navid, Dein Name. Roman, München 2011, 526 [Herv. im Original]; dieses Zitat und andere wertvolle Hinweise verdankt der Autor der ausgezeichneten Studie von R O T T S C H Ä F E R , Nils, Heimat und Religiosität. Studien zum Werk Arnold Stadlers (Dissertation an der Universität Bielefeld 2019 = Studien zu Literatur und Religion 3), Heidelberg 2020, 19. 429 Neben dem Büchner-Preis (1999) erhielt Stadler u. a. den Marie-Luise-Kaschnitz-Preis (1998), Stefan-Andres-Preis (2004), Kleist-Preis (2009), Johann-Peter-Hebel-Preis (2010); vgl. dazu S. F I S C H E R V E R L A G E , Arnold Stadler. Literaturpreise - https: / / www.fischerve rlage.de/ autor/ arnold-stadler-1004556 (Zugriff am 21.01.2021). 430 S T A D L E R , Arnold, Ich war einmal. Roman, Salzburg - Wien 1989; D E R S ., Feuerland. Roman, Salzburg - Wien, 1992; D E R S ., Mein Hund, meine Sau, mein Leben. Roman, Salzburg - Wien 1994; 2009 von Stadler als kompilierte, überarbeitete und erweiterte Fassung der drei Romane unter dem „Einmal auf der Welt. Und dann so“ veröffentlicht., in: D E R S ., Einmal auf der Welt. Und dann so. Roman, Frankfurt a.-M. 2009. 431 D E U T S C H E A K A D E M I E F Ü R S P R A C H E U N D D I C H T U N G E .V., Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht den Georg-Büchner-Preis an Arnold Stadler 1999 - ht tps: / / www.deutscheakademie.de/ de/ auszeichnungen/ georg-buechner-preis/ arnold-sta dler/ urkundentext (Zugriff am 04.03.2020). Autor im engeren Sinn, wie er im Vorwort zu seinem Essay „Auf dem Weg nach Winterreute“ mit Nachdruck betont. 427 Wie seine religiöse Bindung das gesamte Opus dennoch grundiert, erläutert der Schriftstellerkollege Navid Kermani in seinem Roman „Dein Name“: „Genausowenig wie Martin Mosebach schreibt er [= Arnold Stadler, AB] religiöse Romane, aber sie wären anders geschrieben, wenn er nicht religiös in einer religionslosen Gesellschaft wäre, fromm und ungläubig. Die Sehnsucht, wie alle seine Bücher heißen könnten, ist nicht innerweltlich […].“ 428 Die Verleihung des Georg-Büchner-Preises im Jahr 1999 markierte eine Zäsur in Stadlers literarischem Schaffen. Sie verhalf ihm nicht nur zum beruflichen Durchbruch, sondern machte ihn auch weit über literarische Kreise hinaus bekannt. 429 Die Überraschung, dass ausgerechnet der damals mit fünfundvierzig Jahren noch relativ junge Autor aus Rast bei Meß‐ kirch die höchste Auszeichnung der deutschsprachigen Literaturwelt erhielt, war groß, verfügte er 1999 doch über ein noch überschaubares Gesamtwerk. Ausschlaggebend für die Preisvergabe war die autobiographische Trilogie „Ich war einmal“ (1989), „Feuerland“ (1992) und „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ (1994). 430 In ihrer Begründung strich die Jury Stadlers „ganz eigenen Ton und eine ganz unverwechselbare Form“ heraus und die Fähigkeit, „Unterlegenheit kindlich übermütig in Überlegenheit zu verwandeln […].“ 431 140 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="141"?> 432 Eine Biographie Stadlers liegt bislang noch nicht vor. Als Quelle für biographische Daten diente S T A D L E R , Arnold - A L B U S , Michael, Was ist Glück? Nachher weiß man es. Ein Lebensbild. Arnold Stadler im Gespräch mit Michael Albus, Ostfildern 2018, hier vor allem 13-40. 433 Vgl. S T A D L E R - L A N G E R , Singen und spielen, 157. 434 S T A D L E R , Arnold, Das Buch der Psalmen und die deutschsprachige Lyrik des 20. Jahr‐ hunderts. Zu den Psalmen im Werk Bertolt Brechts und Paul Celans (Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln = Kölner germanistische Studien 26), Köln - Wien 1989. 435 „Das ist ein Ton. Aufrufend, anrufend.“, in: W A L S E R , Martin, Das Trotzdemschöne. Der Erzähler Arnold Stadler und seine Prosatrilogie, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a. M. 2009, 297-305, hier 297. Der Verweis auf die Kindheit legt eine erste Fährte zur Biographie, um die Stadlers literarische Figuren autofiktional kreisen. Stadler wurde am 9. April 1954 in Meßkirch in eine bäuerliche Familie hineingeboren. Aufgewachsen ist er wiederum im 500-Seelen-Dorf Rast im Landkreis Sigmaringen (Baden). 432 Sein Geburtstag fiel auf den „Schmerzensfreitag“, wie er in Interviews gerne betont, dem Freitag vor dem Karfreitag, um ebenso erläuternd zu ergänzen, dass das Wort „Schmerzensfreitag“ zu seinem Leben ebenso gut passt, wie zu seinem gesamten Werk. 433 Nach der Reifeprüfung am Martin-Heidegger-Gymnasium in Meßkirch studierte Stadler katholische Theologie in München, Rom und Freiburg, einige Jahre davon als Seminarist des Bistums Freiburg. Seinen immer wieder artikulierten Kindheitstraum, katholischer Priester zu werden, verwarf er kurz vor der Weihe, um anschließend Germanistik an den Universitäten Freiburg, Bonn und Köln zu studieren, wo er schließlich 1986 mit der Arbeit „Das Buch der Psalmen und die deutschsprachige Lyrik des 20. Jahrhunderts“ 434 zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. In seiner Vorstellungsrede anlässlich der Wahl zum Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt (1998) ließ er seine schriftstellerische Berufung im Kontext der bäuerlichen Herkunft in dem für ihn so typischen Ton erklingen: 435 „[Die Aufnahme in die Akademie, AB] hängt wohl vor allem mit der Tatsache zusammen, daß ich eines Tages zu schreiben begonnen habe: ich weiß noch, es war kurz nachdem mir beim Füttern der Kühe mit Heu ein erstes Gedicht eingefallen war, ich weiß noch, ich hatte, während ich dichtete, eine Heugabel in der Hand, und ich war etwa zehn Jahre alt, und etwa so groß wie meine Kühe. ›Alle Menschen müssen sterben‹ - das war die erste Zeile, und es folgte ein Reim, den ich nach der abendlichen Arbeit aufschrieb. Was reimt sich schon auf sterben! - kurz: ich wollte nur sagen, daß ich mein Thema gefunden hatte. Es dauerte allerdings über zwanzig Jahre, bis 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens 141 <?page no="142"?> 436 S T A D L E R , Arnold, Vorstellungsrede anlässlich der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1998, in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung - https: / / www.deutscheakademie.de/ de/ akademie/ mitglieder/ arnold-stadler/ selbstvo rstellung (Zugriff am 04.03.2020). 437 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 23; die Gegend um das südbadische Meßkirch wird mitunter als „Badisch Sibirien“ bezeichnet, vgl. dazu ebd., 375, 388; vgl. S T A D L E R , Arnold, Im Grunde war alles nach Hause geschrieben. Dankrede zur Verleihung des Marie- Luise-Kaschnitz-Preises, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009, 119-125. 438 R E I N A C H E R , Pia, Einleitung, in: D I E S . (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M., 9-12, hier 9. 439 Zum komplexen Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit im Werk Stadlers vgl. E Y B L , Franz M., „Die Großväter sind die Lehrer“. Arnold Stadlers autobiographisches Schreiben, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2017, 131-146; B A U M G A R T , Reinhard, O Schmerz, lass nach! Ein inständiger Versuch, den diesjährigen Büchnerpreisträger Arnold Stadler zu verstehen, in: Die Zeit Nr. 43 von 21.10.1999, 57. 440 Vgl. S C H R E I B E R , Martin - S T A D L E R , Arnold, „Lektion der Vergänglichkeit“. Gespräch mit dem Schriftsteller Arnold Stadler über den Büchner-Preis, seine südbadische Geburtsstadt Meßkirch, Gott und den Tod als Romanthema, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), die dazugehörenden Bücher geschrieben wurden: Ich war einmal; Mein Hund, meine Sau, mein Leben; Der Tod und ich, wir zwei. Dem Schreiben ging ein langes Lesen voraus, du liebe Zeit! Das erste Buch, das ich gelesen habe, und von dem ich zehrte, war: Der Nachsommer, - das Geschenk meines gelehrten Großonkels, der allerdings kein Psychologe war - oder gewesen sein kann: Adalbert Stifter! - Ja, ich hatte einen Selbstmörder als Lebenshilfe. Soweit zu meiner Herkunft.“ 436 Geographisch ist Stadlers Heimat „zwischen Oberer Donau und dem westlichen Bodensee“ verortet, poetisch nennt er sie „Badisch-Sibirien“ oder „Hinterland des Schmerzes“, wo statt Bier und Wein ein säurehaltiger Most getrunken wird, den man sich „bei allem dazudenken [muss] sowie die Schwermut“ 437 . Ähnlich wie Handke beschreibt auch Stadler das Heranwachsen in einer vor‐ modernen Dorfgesellschaft als beglückend und belastend zugleich. „Sie nahm ihm den Atem und war gleichzeitig der fruchtbare Boden, auf dem er gedeihen konnte.“ 438 Sehnsucht, Schmerz und Unglück sind zentrale Motive in Stadlers Werk, die er offen und unverstellt mit den Lesern und Leserinnen seiner Bücher teilt. 439 Durch frühe Erfahrungen mit dem Tod, die das Leben am elterlichen Gehöft prägten, kommt das Motiv der Vergänglichkeit hinzu, ebenso wie die Sehnsucht nach dem erfüllten Leben. 440 Um einen Ausweg aus der Enge des bäuerlichen Katholizismus zu finden, suchte Stadler nach einem geeigneten 142 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="143"?> „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a. M. 2009, 177-183. 441 R E I N A C H E R , Einleitung, 9. 442 S T A D L E R - L A N G E R , Singen und spielen, 158. 443 S T A D L E R , Feuerland, 72. 444 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 361. 445 Vgl. S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 49-80, hier bes 57. 446 S T A D L E R , Arnold, Sehnsucht. Versuch über das erste Mal. Roman, Köln 2011, 192; das Thema (Homo-)Sexualität im Werk Stadlers wurde von Theologie und Germanistik bislang noch kaum beleuchtet; vgl. dazu den Beitrag der Theologin Elke Pahud de Mortanges: D I E S ., Max, Salvator und das Heimweh nach der Sehnsucht von einst. Anmerkungen zu Arnold Stadlers Roman „Sehnsucht. Versuch über das erste Mal“, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2017, 99-111. Medium, sich mitteilen zu können und fand es schließlich in der Schriftstellerei. „Er katapultierte sich mit der Sprache aus der sprachlosen Kindheitswelt und sprengte auf einen Schlag die ambivalente Falle, die ihn gefangen hielt.“ 441 Im Rückblick bekennt sich Stadler zu seiner Religiosität, die stark von seiner oberschwäbischen Heimat geprägt ist. Die Literatur dieser Gegend sei schon immer beides gewesen: „Manifestation des himmlischen Jubels und der ebener‐ digen Vergänglichkeit in ihrer Drastik.“ 442 Der ausladende Überschwang mischte sich freilich mit einer besonders perfiden Art des Verlogenen, Gehässigen und Repressiven. Im Roman „Feuerland“ rechnet der autobiographische Ich- Erzähler mit dem „katholischen Weltbild“ seiner Herkunft ab: „Füttern, das Kind füttern, gefüttert werden mit Kreuzzeichen, ersten Kindergebeten, Weihwasser. Windeln wechseln, Erbsünden abwaschen, taufen. Füttern, das Kind füttern, die Schweine.“ 443 Das ist zugleich ein Beispiel, wie rituelle Sprachformen in Stadlers Literatur eingehen, sich sein an die Liturgie angenähertes Erzählen langsam herausbildet. Nicht ohne Grund bezeichnet er seine autobiographische Trilogie im Rückblick als „kleine Passionsgeschichte“ 444 . Zu seiner Heimat gehört ebenso der tabuisierte Umgang mit der Sexualität, all die Nöte „südlich des Bauchnabels“ 445 , die bei Stadlers Figuren nicht selten „in zwei Richtungen“ 446 ziehen. Stadler Herkunftswelt ist in den Büchern doppelt gekennzeichnet: Einerseits ist sie stabiler Ort der Erinnerung, nach dem sich die Figuren sehnen, weil er ihnen Sicherheit und Geborgenheit verspricht, andererseits ist sie Ort der Beengtheit und dörflichen Kontrolle, denen er zu entrinnen versucht. Religion und Heimat sind Schlüsselwörter für einen Zugang zu Stadlers reichem Œuvre. 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens 143 <?page no="144"?> 447 Vgl. S C H M I T T , Pascal, Sehnsuchtsort - Sehnsuchtswort. Heimat als theologisch an‐ schlussfähiger Begriff bei Arnold Stadler, Ostfildern 2014 (Dissertation an der Univer‐ sität Freiburg i. Br. 2013), hier bes. 95-156. 448 S T A D L E R , Arnold, „Aufleben soll euer Herz für immer“. Kleine Reise nach Nikaia und zum Buch „Jesus von Nazareth“ von Benedikt XVI. Marginalien eines einfachen Lesers, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), Passion aus Liebe. Das Jesus-Buch des Papstes in der Diskussion, Ostfildern 2011, 262-279, hier 265. 449 Vgl. dazu die Kapitel zu Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“, Christoph Ransmayr - „Versprengter Wallfahrer“ und Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung in dieser Arbeit. 450 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 18. 451 Vgl. zur sinnlichen Erfahrung der Liturgie in Kindheitstagen R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 197-199, hier bes. 198. 452 S T A D L E R , Arnold, „Die Menschen lügen. Alle“ und andere Psalmen. Aus dem Hebräi‐ schen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 4 2013, 10. 4.1 Liturgie als verfallener Sehnsuchtsort Stadlers anhaltendes Ringen mit der Religion spiegelt sich in seinen lebens‐ langen Erfahrungen mit der Liturgie. 447 Am Beginn seiner Glaubensbiographie, an die die Lebensläufe seiner literarischen Figuren angelehnt sind, steht eine religiös-poetische Urerfahrung: „Als Sprachmensch ging mir ja vor allem in der Liturgie zum ersten Mal in meinem Leben die Schönheit von Sprache auf, zusammen mit dem Glauben, das heißt: Glauben und Schönheit und Wahrheit fielen in meiner Wahrnehmung der Welt immer zusammen.“ 448 Auch Stadler gehört zur einflussreichen „Ministrantenfraktion“ innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die in der Liturgie in die Welt der Schrift, der Bilder und der Musik initiiert wurde und deren rituelle Erfahrungen autofiktional auf die Literatur übergehen. 449 „Für die Protagonisten Stadlers ist die Religion ein vertrauter Teil ihrer Sozialisation und ihrer ländlichen Lebenswelt, sie hat einen ganz selbstverständlichen Lebensbezug.“ 450 Damit verbunden ist die Faszination für die sinnliche Dimension der Rituale, deren Vollzug sich als „unmittelbare Evidenz“ einschreibt. 451 Den genauen Moment des ersten Angesprochen-Seins kann Stadler bis heute benennen, wie er im Vorwort seiner Psalmenübertragung offenlegt: „Introibo ad altare Dei […] Ad Deum, qui laetificat iuventutem meam.“ 452 Frühmorgens murmelte der sechsjährige Ministrant im Wechsel mit dem Dorfpfarrer Psalm 43 (nach den ersten Worten der Vulgata-Übersetzung auch „Judica me“ genannt) als Teil des lateinischen 144 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="145"?> 453 Zu Bedeutung und Genese des Stufengebets (auch Staffelgebet) vgl. J U N G M A N N , Mis‐ sarum Sollemnia. Ebenso wie Martin Mosebach kritisiert auch Stadler die Streichung des Stufengebets im Zuge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, wenn auch zurückhaltender: „Vielleicht wurde hier an der falschen Stelle rationalisiert.“, in: S T A D L E R , „Die Menschen lügen. Alle“, 9. 454 S T A D L E R , „Die Menschen lügen. Alle“, 10. Ähnlich lautet eine Szene aus dem Roman „Sehnsucht“. Sie fasst die liturgische Emphase der Kindheit nochmals treffend zu‐ sammen. In der Sakristei streift er sich in aller Herrgottsfrühe die „blutroten und schneeweißen Gewänder“ über, um dann am Beginn der Messe „stellvertretend“ das Confiteor für die ganze Welt zu beten., in: S T A D L E R , Sehnsucht, 79 f.; vgl. zur „Sinnlichen Erfahrung des Messritus᾽“ aus literaturwissenschaftlicher Perspektive R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 197-199. 455 B O D E N H E I M E R , Alfred, „Wunderbar der Mann, der nicht aufs Volk hört.“ Arnold Stadlers Psalmenübertragung, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 13-24, 14. 456 Bei Bodenheimer waren es die hebräischen, bei Stadler die lateinischen Psalmen, in ihren jeweiligen liturgischen Fassungen; vgl. dazu B O D E N H E I M E R , „Wunderbar der Mann, der nicht aufs Volk hört“, 13; vgl. S C H M I D T -D E N G L E R , Das Gebet in die Sprache nehmen, hier 46. Stufengebets, mit dem die vorkonzilare Messe ihren Ausgang nahm. 453 „Das erste Gedicht, das ich auswendig lernte, war in einer Sprache, die ich nicht verstand, das weithin aus Psalmen bestehende lateinische Stufengebet der römisch-katholischen Kirche. Es waren Psalmenverse.“ 454 Auch wenn die Worte für das Kind noch fremd und unverständlich sind, erfährt es das Gebet dennoch als bedeutungsvoll. Warum eine unbekannte Liturgiesprache dem Beter nicht zwingend fremd bleiben muss, erläutert der jüdische Literaturwissenschaftler Alfred Bodenheimer in einem Beitrag über die Psalmen Stadlers: „Der Jude, der täglich betet, ist mit mindestens zwanzig Psalmen auf Du und Du […] - etliche von ihnen kann er auswendig - ob er sie versteht oder nicht, ist vollkommen sekundär. Betenderweise ist ‚verstehen‘ kein semantisch gebundener Begriff, sondern die Seelenhaltung, in die einen das Beten versetzt. Und diese Seelenhaltung ist auch nicht durchwegs eine der vollkommenen Hingabe und Auflösung, sondern kann sich darauf begrenzen zu wissen: Ich bete.“ 455 Der in Basel aufgewachsene Jude Bodenheimer erkennt in der ganz anderen, ländlichen Sozialisierung Stadlers doch Ähnliches: Beide wurden in einer Liturgie groß, die sie anfangs nicht verstanden, aber dennoch als ungemein schön empfanden. 456 Die ungebrochene Faszination der lateinischen Liturgie auf die Schriftsteller und Schriftstellerinnen der Nachkriegsgeneration erklärt ebenso der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler: 4.1 Liturgie als verfallener Sehnsuchtsort 145 <?page no="146"?> 457 S C H M I D T - D E N G L E R , Das Gebet in die Sprache nehmen, 46 f. 458 Vgl. dazu auch G A R H A M M E R , Erich, Zwischen zwei Ufern. Wie Wasser und Fluss das Werk dreier Schriftsteller beeinflussen, in: Zeitzeichen 18 (2017) 34-36. 459 S T A D L E R , „Die Menschen lügen. Alle“, 11. 460 Vgl. R A P P A P O R T , Roy Abraham, Ritual, Sanctity, and Cybernetics, in: AmA 73 (1971) 59-76; diesen Hinweis verdankt der Autor R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität; als Standardwerk der Ritualforschung Rappaports gilt darüber hinaus: D E R S ., Ritual and Religion in the Making of Humanity, Cambridge 1999; zu seiner Rezeption in der deutschsprachigen Forschung vgl. S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Barbara, Rituale (Historische Einführungen 16), Frankfurt a.-M. 2 2019, hier bes. 17-42. 461 Rottschäfer verweist hier auf Novalis, in dessen „Monolog“, der „Semantik der Worte wenig Bedeutung zugemessen und zugleich postuliert wird, dass nicht das Gespro‐ chene, sondern das Sprechen das eigentliche Geheimnis der Sprache sei.“, in: R O T T ‐ S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 198; N O V A L I S , Monolog, in: Hans-Joachim M Ä H L - Richard S A M U E L (Hgg.), Werke in einem Band (dtv 2383), München 1995, 522 f. 462 Vgl. M O S E B A C H , Martin, Häresie der Formlosigkeit; zur kontrovers geführten Debatte über Mosebachs Streitschrift in der Theologie vgl. u. a. O D E N T H A L , Andreas, „Häresie der Formlosigkeit“ durch ein „Konzil der Buchhalter“? ; M O S E B A C H , Martin - Z A B O R O W S K I , Holger, Dem Stoff der Geschichte Gestalt geben. Ein Gespräch Holger Zaborowskis mit Martin Mosebach, in: IKaZ Communio 37 (2008) 503-514; L E O N H A R D , Clemens, Wider die liturgische (Selbst-)Entmündigung. Zu Martin Mosebachs „Häresie der Formlosigkeit“, in: JbPT 5 (2008) 276-288. „Für viele […] war die Begegnung mit der Sprache der Liturgie die erste Begegnung mit einer Sprache, die aus der Alltagspragmatik entlassen war, in der es nicht auf pragmatisch sofort umsetzbare Mitteilung ankam, in der es keinen sofort ersichtlichen Zweck gab. Diese Sprache ist fremd und vertraut in einem: Zwischen den bekannten Wörtern stehen Worte, deren Sinn unbekannt ist, Worte, die längst aus dem Vokabular der Alltagssprache gestrichen sind.“ 457 Der Dreiklang seiner „Introibo-Zeit“, wie Stadler die Messdienerjahre in Kind‐ heit und Jugend rückblickend nennt, lautet: Schönheit, Sprache, Geheimnis. 458 „In meiner Introibo-Zeit hatte ich vom Ursprung dieser Lieder und Gebete, die das Jahr schön, d. h.: anschaulich machten und ihm, zusammen mit Weih‐ nachten, der Fastenzeit und Ostern, mit den Jahreszeiten, der ersten Erdbeere und dem ersten Schnee eine Form gaben, keine Ahnung.“ 459 Roy A. Rappaport, US-amerikanischer Anthropologe und Ritualforscher, wies in seinen Studien mehrfach auf das Stabilität und Sicherheit generierende Zusammenspiel von der Unveränderlichkeit der rituellen Form und Sakralität hin. 460 Stadler beharrt auf der performativen Kraft der lateinischen Formeln, auf ihrem Klang und Rhythmus, der den Inhalt zugunsten der Form zurücktreten lässt. 461 Mit dem Germanisten Nils Rottschäfer wird man seit Martin Mosebachs Streitschrift „Häresie der Formlosigkeit“ 462 ebenso kritisch rückfragen können, ob „sich das eigentlich Unverständliche des Heiligen und Sakralen nur demjenigen [er‐ 146 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="147"?> 463 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 199. 464 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 199. 465 „Im Grunde, dachte er plötzlich, sehnt er sich nach der puristischen Schönheit des Glaubens, nach dem Zusammenspiel von Gebäuden, Gesängen und Worten, nach einem trinitarischen Dreiklang aus früher Romanik, Gregorianik und lateinischer Demut.“, in: O R T H E I L , Hanns-Josef, Blauer Weg, 193; vgl. darüber hinaus das Kapitel zu Hanns-Josef Ortheil - Stationen einer Lautwerdung in dieser Arbeit. 466 Vgl. R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 23. 467 W E B E R , Hermann, „Ungläubig und fromm“ - Arnold Stadlers katholische Intellektua‐ lität, in: Hans-Rüdiger S C H W A B (Hg.), Eigensinn und Bindung. Katholische deutsche Intellektuelle im 20.-Jahrhundert. 39 Porträts, Kevelaer 2009, 709-723, hier 711. 468 S T A D L E R , Arnold, Mein Stifter. Portrait eines Selbstmörders in spe und fünf Photogra‐ phien, Köln 2005, 46. 469 S T A D L E R , Arnold, Mein Stifter, 46. 470 Vgl. B I E R I N G E R , „Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“, 26. 471 Vgl. B I E R I N G E R , „Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“, 26f. 472 Vgl. S T A D L E R , Erbarmen mit dem Seziermesser, 37. schließt], der das Lateinische gar nicht ‚übersetzen‘ kann? “ 463 Rottschäfer deutet Stadlers sprachästhetische Erinnerungen an den lateinischen Gottesdienst je‐ denfalls als „Reflexion einer poetisch-religiösen Urerfahrung, als Ergriffen-Sein von der unmittelbaren sinnlichen Evidenz des feierlich gesprochenen Worts“ 464 , das bei dem Autor früh ein Interesse für die Beschäftigung mit den biblischen Texten und gottesdienstlichen Riten auslöste. Die ästhetischen Erfahrungen der frühen Kindheit erinnern darüber hinaus an Hanns-Josef Ortheil, der die „puristische Schönheit des Glaubens“ seiner religiösen Sozialisierung ebenso als klingendes „Zusammenspiel von Gebäuden, Gesängen und Worten“ in seinen autofiktional geprägten Werken in Szene setzt. 465 Stadlers Blick auf die liturgischen Rituale der Kindheit ist von „Sehn‐ sucht“ und „Heimweh“ geprägt. 466 „Eine ästhetische Grunderfahrung ist of‐ fenbar für diesen seinen Katholizismus besonders prägend geblieben und wurzelt in dessen (sakramentalem) Erscheinungsbild.“ 467 In seinem Buch über Adalbert Stifter verdeutlicht der Autor ein weiteres Mal: „Die Welt meines Stifters, und erst meine Welt: Sie war noch letzter Reflex der agrarischen Welt und auch noch habsburgisch-katholisch-ländlich mit ihren Muttersprachen“ 468 , um gleich fortzufahren: „Das war die ganze Welt. Alles war da.“ 469 Der Kind‐ heitskosmos kreist um die Enge des vormodernen Dorflebens ebenso wie um die Erfahrung von Zugehörigkeit. 470 Diese Spannung lässt sich im Rahmen seines Kinderglaubens zunächst noch zusammenhalten. 471 Der Ministrant möchte Priester werden, später sogar Papst. 472 Auch wenn sich die Kindheitsträume nicht erfüllen werden, kann man im Roman „Ein hinreißender Schrotthändler“ 4.1 Liturgie als verfallener Sehnsuchtsort 147 <?page no="148"?> 473 S T A D L E R , Arnold, Ein hinreissender Schrotthändler. Roman, Köln 2010, 121. 474 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 21. 475 T Ü C K , Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein, 314. 476 T Ü C K , Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein, 314; Rottschäfer hält hier dagegen: „In einer sentimentalischen Klage über den Verlust der ländlichen Le‐ benswelt, in ihrer nostalgischen und naiven Verklärung erschöpft sich die künstlerische Beschäftigung mit der Heimat und dem Heimatlichen jedenfalls nicht.“, in: R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 14. 477 Stadler setzt in „Salvatore“ seine eigene Poetik mit der des Pasolini-Films „Das 1. Evangelium - Matthäus“ in Verbindung: „Zugleich ging es ihm [Pasolini] um die Poesie des Textes: Jesus hatte das, was er im Evangelium zu sagen hatte, ja nicht als juristische Verlautbarung dekretiert, sondern er hatte es schön gesagt, das heißt: auf die Weise der Sprache in den Bildern seiner Zeit den Menschen vergegenwärtigt. Matthäus schrieb nach dem Diktat des Engels.“, in: S T A D L E R , Arnold, Salvatore, Frankfurt a. M. 2008, 171; vgl. dazu auch R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 295-334. 478 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 21. 479 Zur Bedeutung der anamnetischen Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte in der Liturgie vgl. u. a. Z E R F Aẞ , Alexander, Auf dem Weg nach Emmaus. Die Hermeneutik der Schriftlesung im Wortgottesdienst der Messe (PiLi.S 24), Tübingen 2016. 480 Vgl. R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 21, 118, 262 f., 319. mit der Melancholie des Verlusts lesen: „Es war eine Welt, um die es nicht schade ist - und doch hatte ich nun Heimweh.“ 473 In Stadlers Sehnsucht nach „Dazugehörigkeit“, die immer auch ein „Heimweh nach dem Religiösen“ 474 ist, wie Tück und Langenhorst die bloße Tendenz „einer infantilen Regression“ 475 zu erkennen, um „die heile Welt der Kindheit literarisch [zu] verklären“ 476 , wird dem Autor nicht gerecht. In seiner hochgelobten Psal‐ menübertragung, vor allem aber in „Salvatore“, zeigt der Autor, wie seine Poetik des Schönen mit der Religion in Verbindung steht. Etwas „schön sagen“ bedeutet bei ihm in Anlehnung an die Evangelien, den Glauben in die Sprache und Bilder der jeweiligen Zeit für die Menschen zu übertragen. 477 Was die Literaturwissen‐ schaft in Bezug auf Stadlers Heimat-Begriff herausgearbeitet hat, lässt sich analog auch auf die Religion übertragen: „Heimat ist eine Chiffre für den fun‐ damentalen Verlust und zugleich für den Wunsch nach ihrer Rückgewinnung.“ 478 Als theologisch affiner poeta doctus weiß Stadler sehr wohl, dass die katholischheimatliche Kindheitswelt unwiederbringlich verloren ist, aus der Liturgie kennt er jedoch eine Uroperation, Vergangenes gegenwärtig zu setzen und daraus eine Potenzial für die Zukunft zu entwickeln. 479 Neben „Sehnsucht“ und „Heimweh“ wird so die „Vergegenwärtigung“ zu einem der Grundbegriffe der Stadlerschen Poetik. 480 Lag sein Augenmerk in der frühen autobiographischen Trilogie „Ich war einmal“, „Feuerland“ und „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ noch auf dem stets unerfüllten Wunsch nach „Dazugehörigkeit“ angesichts der Tristesse und Enge des dörflichen Milieus, „bedeutet ‚Vergegenwärtigung‘ im 148 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="149"?> 481 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 11 [Herv. im Original]. 482 Vgl. J O Y C E , James, Ulysses. Reissued with an introduction and notes by Jeri Johnson (Oxford World’s Classics), Oxford 2008. 483 Neben den in dieser Arbeit behandelten Autoren greifen etwa auch Hugo Ball („Laut‐ gottesdienste“), Günther Grass („Blechtrommel“), Josef Winkler („Der Ackermann aus Kärnten“), Martin Walser („Muttersohn“) oder Ralf Rothmann („Junges Licht“), um nur einige zu nennen, in ihren Werken auf liturgische Riten und rituelles Sprechen zurück; vgl. zu Hugo Ball K I E S E L , Helmuth, Geschichte der literarischen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert, München 2 2016; vgl. außerdem G R A S S , Günter, Die Blechtrommel, Darmstadt u. a. 1959; W I N K L E R , Josef, Der Ackermann aus Kärnten. Roman, Frankfurt a. M. 1980; W A L S E R , Martin, Muttersohn. Roman, Reinbek b. Hamburg 2011; R O T H M A N N , Ralf, Junges Licht. Roman, Frankfurt a.-M. 2004. 484 Vgl. B I E R I N G E R , Andreas, „Ein Schwanken ging durch die Welt“. 485 Vgl. zum Motiv der Erinnerung bei Proust die luzide Analyse von M O S E B A C H , Was ist katholische Literatur? , hier 120f. 486 Was für Proust Lindenblütentee und Madeleine sind, ist für Stadler die oberschwäbische „Seele“: „Mich verlangte nach einer oberschwäbischen Seele, einer warmen Seele, einer Speckseele mit geröstetem Speck, zwischen den beiden Seelenteilen, die meinen Hunger gestillt hätte.“, in: S T A D L E R , Mein Hund, meine Sau, mein Leben, 147 [Herv. im Original]. Werk Stadlers spätestens seit dem Roman Sehnsucht. Versuch über das erste Mal (2002) die Andeutung einer himmlisch-metaphysischen Heimat, die sich ihres utopischen Charakters bewusst ist […].“ 481 Mit der leitmotivischen Hereinnahme der Liturgie in die Literatur setzt Stadler eine Tradition fort, die auf den Beginn der literarischen Moderne verweist. James Joyce (1882-1941) lässt seinen epochalen „Ulysses“ ebenfalls mit den ersten Worten der tridentinischen Messe beginnen: „Introibo ad altare Dei.“ Ein intellektueller Saufkopf hält bei diesen Worten ein Rasierbecken mit schmutzigem Schaum vor sich hin. 482 Auf dem Hintergrund seiner irischen Abstammung parodiert Joyce die heiligen Rituale und nimmt ihnen damit ihre sakrale Aura. 483 Umgekehrt borgt er sich mit der Kontrafaktur die rituelle Dimension der Liturgie, um dem eigenen Schreiben Glanz, Tiefe und Höhe zu verleihen. 484 Mit Marcel Proust (1871-1922) lässt sich ein weiterer Pate Stadlers benennen, wenn auch unter anderen Vorzeichen: In seinem siebenteiligen Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ wird die Kraft der Erinnerung zum zentralen Motiv, das die eigentliche Begegnung des Menschen mit der Wirklichkeit ermöglicht. 485 Bei Proust werden aus Brot und Wein, die in der Messe Tod und Auferstehung Jesu vergegenwärtigen, Lindenblütentee und Madeleines. Mit dem Geschmack eines in Tee aufgeweichten Stücks Gebäck auf der Zunge kehrt für den Erzähler der „Verlorenen Zeit“ die Jugendzeit zurück: nicht nur als Erinnerung, sondern als unabdingbare Wirklichkeit. 486 Martin Mosebach schreibt in seinem Essay „Was ist katholische Literatur? “ über die religiöse Identität Prousts: „Er [= Proust] ist weniger und mehr: er hat sich vom 4.1 Liturgie als verfallener Sehnsuchtsort 149 <?page no="150"?> 487 M O S E B A C H , Was ist katholische Literatur? , 121. 488 Vgl. K N A P P , Lore, Formen des Kunstreligiösen. Peter Handke - Christoph Schlingensief, Paderborn 2015. 489 „Meinte er [= Stadler] in den ersten drei Romanen Ich war einmal, Feuerland und Meine [sic! ] Hund, meine Sau, mein Leben noch, die unglücklichen, scheiternden und hadernden Subjekte in ihren süddeutsch-katholischen Heimatdörfern in ihrer Trostlosigkeit und in ihrem Gedrücktsein, in ihrer Suche nach Heimat, die ‚eine Immer-schon-Gewesene ist‘ und die ihr Versprechen nicht erfüllen kann, zu zeigen, bedeutet ‚Vergegenwärtigung‘ im Werk Stadlers spätestens seit dem Roman Sehnsucht. Versuch über das erste Mal (2002) die Andeutung einer himmlisch-metaphysischen Heimat, die sich ihres utopischen Charakters bewusst ist, und das Präsentmachen einer Heilszusage.“, in: R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 10 f [Herv. im Original]; vgl. darüber hinaus aus theologischer Perspektive G E L L N E R , Christoph, Eine Sprache für das Sprachverschlagende. Arnold Stadlers verstörendes Sehnsuchtsbuch „Salvatore“, in: Orientierung 73 (2009) 16. 490 H A N D K E , Peter, Eine gewaltige Sehnsucht. Zu Arnold Stadler, in: D E R S ., Mündliches und Schriftliches - Zu Büchern, Bildern und Filmen 1992-2002, Frankfurt a.-M. 2019, 86. Glauben der Kirche entfernt, aber er hat, gewiß ohne darüber nachzudenken, ihre Denkungsart und ihre Art zu handeln zu seiner eigenen künstlerischen Methode gemacht, die Welt zu verstehen.“ 487 Während Proust und Joyce sich die sakrale Aura der katholischen Rituale leihen, um die eigene Literatur empha‐ tisch aufzuladen, verschränkt sich in den Büchern Stadlers der poetische mit dem religiösen Diskurs. 488 Stadler ersetzt in seinen Romanen die Religion nicht durch die Kunst, er bleibt, völlig ungewöhnlich für die Gegenwartsliteratur, der christlichen Offenbarung treu. Seine „Vergegenwärtigung“ geht sogar noch weiter, zielt sie geradezu auf das „Präsentmachen einer Heilszusage“ unter den Vorzeichen der Moderne ab. 489 Aber bevor Stadler in „Salvatore“ die Medialität von religiösen Erfahrungen zum Inhalt seines Schreibens erhebt, widmete er sich in „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ zunächst den römischen Entstellungen in Liturgie und Kirche. 4.2 Liturgie als Verwerfungsstelle einer pervertierten Religion, die dennoch Glanz hat „[D]ie Leute, die nach Rom gingen, kamen dann zurück und wurden Bischöfe. Arnold Stadler ist aber Schriftsteller oder Schreiber geworden.“ 490 Peter Handke weiß, wovon er spricht. Auch er war wie Stadler Seminarist, brach die priester‐ liche Laufbahn im Unterschied zum etwas jüngeren Stadler jedoch frühzeitig ab, um psychischen Schaden abzuwenden: „Oft, daß ich denke: ›Im Internat 150 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="151"?> 491 „Oft, daß ich denke: ‚Im Internat bin ich vernichtet worden‘ (sind wir alle vernichtet worden) (24. Dez. 1987, Nauplion)“, in: H A N D K E , Peter, Gestern unterwegs, 57; vgl. zu Handkes Jahren im Tanzenberger Stiftsinternat H Ö L L E R , Hans, Peter Handke, hier 25. 492 Hier zitiert nach S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 305-422. 493 Vgl. S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 312. 494 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 315. 495 Lakonisch heißt es über das Hofzeremoniell: „Und während auf der ganzen Welt dieses Zeremoniell abgeschafft ist, hatte es sich in Rom gehalten und lebte weiter“, in: S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 327. 496 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 321. 497 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 343. bin ich vernichtet worden‹ […].“ 491 Während sich Handke in jungen Jahren von der Enge seiner ländlich-katholischen Herkunft freischrieb und mit dem Dorfmilieu brach, bis er schließlich im weltläufigen Paris eine endgültige Bleibe fand, führte Stadlers Prozessionsweg von Meßkirch nach Rom in ein päpstliches Priesterseminar, so wie er auch den namenlosen Ich-Erzähler seines Romans „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ 492 in die Tibermetropole schickt, um sich auf das Priestertum vorzubereiten. „Aber warum musste es gleich Rom sein? “ 493 , fragt das an Stadlers Biographie angelehnte Ich am Beginn des Romans. Die Antwort fällt nüchtern wie enttäuschend aus: „Auch war ich fromm, […] ganz schön dumm […] [und] mit dem Ehrgeiz eines Kindes ausstaffiert, das in den Himmel kommen wollte.“ 494 So nahe er zunächst an der Liturgie der Kindheit war, so schnell geht er in Rom auf Distanz zu ihr. Im zentralen Kapitel „Don Quixote von Rom und ich“ ist die Liturgie zwar immerzu präsent, auf eine explizite liturgische Szene verzichtet der Autor mit dem Effekt, die dort erlebten Pervertierungen noch deutlicher herauszustellen. Ausgerechnet im Zentrum des Katholizismus mutiert das heimatliche Geborgenheitsritual zur homoero‐ tischen Fixierung auf das päpstliche Hofzeremoniell. 495 Alles dreht sich um einen zur Modeschau verkommenen Gottesdienst, einem Sehen- und Gesehen‐ werden in exaltierten Männerkleidern, „die in konzentrischen Kreisen um den geistlichen Leib getragen w[e]rden“ 496 . Ausdrucksstark berichtet der Erzähler, wovon Seminaristen in Rom träumen: Von „kirchlichen Konfektionsgeschäften“ hinter dem Pantheon, Privatmessen in barocken Palazzi, Kardinälen, denen die Alumnen der Seminare den „anulus pontificalis“ küssen dürfen und von kurzen Abstechern an die Via Appia, zu den „Frauen (oder Männern, denn die meisten Frauen, mit denen die Männer Roms in ihren Kleinwagen dem Verkehr frönten, waren ja Männer, irrsinnig geschminkt wie Sophia Loren und blond wie Marilyn Monroe)“, um sich der eigenen sexuellen Identität zu vergewissern. Schnell kann die Parodie auf die römische Travestie bei Stadler in beißende Kritik kippen: „Rom war ein Apparat, der einen armen Menschen vernichten konnte.“ 497 4.2 Liturgie als Verwerfungsstelle einer pervertierten Religion, die dennoch Glanz hat 151 <?page no="152"?> 498 Vgl. S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 318. 499 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 334. 500 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 321. 501 S T A D L E R , Erbarmen mit dem Seziermesser, 12. 502 H A M M , Peter, Arnold Stadler oder Das übermütig vertuschte Unglück. Laudatio auf Arnold Stadler zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1999, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a. M. 2009, 126-138, hier 126 [Herv. im Original]. 503 H A N D K E , Eine gewaltige Sehnsucht, 87 f. Die römische Dekadenz trägt im Roman einen Namen: Franz Sales Ober‐ nosterer, konvertierter Titularbischof aus Bielefeld und einer der Zeremonien‐ meister des Pontifex Maximus mit direktem Zugang zur päpstlichen Kleider‐ kammer. Er ist der dicke und aufgeschwemmte Don Quixote des zentralen Kapitels, dem das namenlose „Ich“ als Sancho beispringt, um den exaltierten Prälaten durch die verschlungenen wie abgründigen Pfade des Vatikan zu begleiten. 498 Seit dem Tod seiner über alles geliebten Mutter hat Obernosterer ein Auge auf den jungen Seminaristen aus Meßkirch geworfen. Er beobachtet ihn beim Lesen in der Bibliothek, beim Federballspiel mit den Kommilitonen und begleitet ihn und andere Alumnen an den Strand von Ostia. So fromm seine Gedanken sein konnten, „so unbeschreiblich geil [konnte er werden], dass er in diesem Zustand das Schlüsselloch ausgeleckt hätte, hinter dem sich das Leben vor ihm verbarg.“ 499 Die Gratwanderung zwischen „Frömmigkeit“ und „Sünde“ in der Gestalt von (homo-)sexuellen Bedürfnissen wird zum drängenden Thema des Erzählers. „Was ein sogenannter vernünftiger Mensch irrsinnig genannt hätte, schien uns geistlich und gottgefällig. Wir glaubten uns auf dem Weg Gottes.“ 500 Der Bruch wird immer offensichtlicher: Rom ist Einlösung der liturgischen Kindheitsträume und Trauma zugleich. Zur kindlichen Sehnsucht, die durch die liturgischen Szenen so beeindruckend gespiegelt wird, gesellt sich eine Ernüchterung, wenn nicht gar Enttäuschung. Auch die persönliche Bilanz der römischen Jahre fällt äußerst bescheiden aus. Stadler sagt in Bezug auf seine eigene Biographie: „Nach fünf Jahren verließ ich Theologie und Priesterseminar, fromm, wie ich gekommen war, und ungläubig.“ 501 „[S]aukomisch - und zugleich todtraurig“ 502 bezeichnete Peter Hamm Stad‐ lers Ton anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises ein Jahr nach dem Erscheinen von „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“. Auch Peter Handke äußerte sich zum ständigen Pendeln zwischen Komödie und Tragödie, zwischen Schmerz und Scherz. Er nehme die Romane als von „einer ungeheuren Ver‐ zweiflung“ geprägt wahr, „die mich - nicht erschreckt, dafür jedoch manchmal empört. Und zwar deswegen, weil sie sehr oft ins Lustige übergeht.“ 503 Zu Stadlers großer Erzählkunst gehört es, mit allen Formen des Komischen die 152 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="153"?> 504 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 329. 505 Hans-Rüdiger Schwab wendet sich hier gegen Reinacher, die in „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ von einer „gnadenlos komischen Beschwörung der Kindheit und ironischen Wiederaufnahmen der Heimat im Text“ spricht; vgl. S C H W A B , Hans-Rüdiger, Formen des Komischen in Arnold Stadlers „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“, 110-129, hier 119 und R E I N A C H E R , Einleitung, 11. 506 S C H W A B , Formen des Komischen, 119. 507 S C H W A B , Formen des Komischen, 119. 508 T Ü C K , Jan-Heiner, Memoria passionis. Der Schmerz als Geburtsort der Sprache bei Arnold Stadler und die Liturgie, in: D E R S ., „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 41-59, hier 57. 509 Vgl. S T A D L E R , Arnold, Der Tod und ich, wir zwei. Roman, Frankfurt a.-M. 1998, 207. 510 Vgl. S C H W A B , Formen des Komischen, 119. 511 S T A D L E R , Erbarmen mit dem Seziermesser, 135; darüber hinaus schildert Stadler in „Salvatore“ die Trauerfeier Pasolinis in Rom: „Ich, einundzwanzig, sah, wie über unsere Köpfe der Sarg hinausgetragen wurde, um nach Casara gebracht zu werden.“, in: S T A D L E R , Salvatore, 167. römische Parallelwelt samt ihren sonderbaren Figuren aufzudecken, ohne den eigenen Ich-Erzähler von der Kritik auszunehmen. Stadlers „Ich“ gibt sich dem ganzen „Unsinn“ des „heiligen Theaters“ geradezu leidenschaftlich hin, über das er „damals nicht […] lachen“ 504 konnte - heute animiert er freilich seine Leser- und Leserinnenschaft dazu. Hans-Rüdiger Schwab betont zurecht, dass Stadler trotz des beißenden Spotts niemals „gnadenlos komisch“ 505 wird. Er macht „sich nicht lustig über seine Figuren“ 506 . Schwab erkennt gerade darin sein „christliches Ethos“ 507 . Stadlers Wahrnehmung der Wirklichkeit, so Jan- Heiner Tücks Überlegung, rückt die Romane in die Nähe der Evangelien, weil sie „alles, selbst das Abgründige, in ein Licht des Erbarmens [taucht].“ 508 Seine künstlerische Methode, die Welt zu verstehen, speist sich aus der biblischen Misericordia, die dem Elend des Menschen eine Stimme gibt, wenn er sie aus eigener Kraft nicht mehr erheben kann. 509 Sein Rüstzeug gegen die erlittenen Schäden fürs Leben ist sein abgründiger Humor, der auch vor dem nicht zurückschreckt, was ihm lieb und teuer ist. 510 Arnold Stadler weiß trotz aller Enttäuschungen in Rom von zwei bleibenden Begegnungen zu berichten, die sich ihm tief einprägten: „Und dann habe ich gesehen, wie der Sarg von Pasolini über die Köpfe hinweg davongetragen wurde. Diese Szene und der Papst in der Sedia gestatoria an Mariae Lichtmess 1976: das waren meine beiden entscheidenden Begegnungen in Rom.“ 511 Auf den ersten Blick könnten die Persönlichkeiten kaum widersprüchlicher sein: Der linke Dichter und Regisseur Pier Paolo Pasolini (1922-1975) und der mittlerweile heiliggesprochene Reformpapst Paul VI. (1897-1978). Letzterer hatte Stadler als 4.2 Liturgie als Verwerfungsstelle einer pervertierten Religion, die dennoch Glanz hat 153 <?page no="154"?> 512 S T A D L E R , Arnold - S T U R M , Oliver u.-a., Evangelium Pasolini, in: Die Bibel. Das Projekt. 21 CDs, München 2016. 513 W E B E R , Ungläubig und fromm, 712 f.; vgl. auch D E R S ., Katholizismus und Glaube im Werk Arnold Stadlers, in: StZ 222 (2004) 760-770, 763. 514 S C H W A B , Formen des Komischen, 113. 515 S T A D L E R , Salvatore, 46. 516 S T A D L E R , Salvatore, 87. 517 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 7 f. 518 Vgl. zu diesem Abschnitt R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 295-334, dem der Autor wertvolle Einsichten verdankt. 519 Vgl. S T A D L E R , Einmal auf der Welt; zur Rezeption der Trilogie vgl. R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. jungen Seminaristen in der leeren Petersbasilika an Lichtmess gesegnet. 512 „Dass sie über die Köpfe hinweggetragen werden, bringt diese beiden ideologisch scheinbar so getrennten Zeitgenossen in der Wahrnehmung Stadlers wieder zusammen.“ 513 Die beiden Szenen stehen programmatisch für Stadler, weil sie das für ihn so typische „Ineinander disparater Haltungen“ 514 widerspiegeln, wie Schwab das Hauptmerkmal des gesamten Werkes nennt. Nicht zufällig ereignen sich die beiden Begegnungen im liturgischen Rahmen. Auch wenn Stadlers „Ich“ in Rom die Liturgie als Verwerfungsstelle einer verkommenen Kirche erlebt, kann sie sich in den Szenen etwas von ihrem ursprünglichen Glanz bewahren, weil sie eine kleine Lücke in der Geschlossenheit seines verkehrten Lebens offenhält. Die Levitation der beiden Körper „über die Köpfe hinweg“ wird zur Metapher, nicht an der Faktizität der Welt zu ersticken. Sie gibt seiner Sehnsucht „nach dem ganz Anderen“ eine eindeutige Richtung: „Sie hatte eine Himmelsrichtung.“ 515 Stadler wird auch später seine Protagonisten immer wieder in die Liturgie schicken, um Epiphanie- und Präsenzmomente zu erleben. „Aber darüber, dass Salvatore irgendwie den Himmel offen gesehen hatte, gab es überhaupt keinen Zweifel.“ 516 In der liturgischen Spannung zwischen oben und unten, schon und noch-nicht, Präsenz und Absenz des Göttlichen drückt sich Stadlers Poetik aus, die auf eine Sehnsucht „nach einer Begegnung mit einer Präsenz“ abzielt, die „die fragmentarische Identität in eine das Subjekt übersteigende Ganzheit einbindet.“ 517 4.3 Literatur als Liturgiekritik Der 2008 erschienene Roman „Salvatore“ gehört zu den Schlüsselwerken Stad‐ lers. 518 Im Unterschied zur frühen Trilogie, die Stadler 2009 unter dem Titel „Einmal auf der Welt. Und dann so“ 519 in einer überarbeiteten Fassung vorlegte, 154 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="155"?> 520 M A I E R , Andreas, Lieber Gott, lies das mal. Arnold Stadler hat ein riskantes, ein furioses Buch geschrieben. Über Jesus, Pasolini und das Leben, das so wehtut, in: Die Zeit Nr. 20 vom 09.05.2009 - https: / / www.zeit.de/ 2009/ 20/ L-B-Stadler/ komplettansicht (Zugriff am 12.03.2020); wertvolle Hinweise zu Struktur, Inhalt und Methode dieses Kapitels verdankt der Autor R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 295-334. 521 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 301; K R U M B H O L Z , Martin, Reverenz an den Pasolini-Film. Arnold Stadler: „Salvatore“, in: D E U T S C H L A N D F U N K (Hg.), Büchermarkt - https: / / www.deutschlandfunk.de/ reverenz-an-den-pasolini-film.700.de.html? dram: arti cle_id=83874 (Zugriff am 12.03.2020); L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 115. 522 L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 115. 523 „In ‚Salvatore‘ findet sich eine wüste - in ihrer Undifferenziertheit äußerst platte - Theologenschelte, die letztlich vor allem die Sehnsucht nach einer ungebrochenkindlich-naiven Einheit von Wort und Sinn heraufbeschwört.“, in: L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 116; ähnlich auch Jan-Heiner Tück: „Bedient Stadler nicht auch antiintellektuelle Affekte, wenn er den einfachen Glauben gegen den kritisch geschulten Verstand der Theologen ausspielt? “, in: D E R S ., Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein, 315 f.; vgl. darüber hinaus weitere Stellungnahmen zu Stadlers Werken aus theologischer Perspektive: Z W I C K , Reinhold, Empörung und Barmherzigkeit. Zu Arnold Stadlers „Salvatore“, in: HerKorr 63 (2009/ 3) 130-135; G E L L N E R , Christoph, Eine Sprache für das Sprachverschlagende; H E I L , Stefan, Vergegenwärtigung durch klingende Symbolik. Zur Epik Arnold Stadlers und deren religio- und theopoetischer Relevanz, in: Orientierung 63 (1999) 256-261. 524 S Ö D I N G , Thomas, Konkursverwalter und Schrotthändler? Zur Metakritik der historischkritischen Exegese in Arnold Stadlers „Salvatore“, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2017, 61-76, hier 61 [Herv. gelöscht]; auch Herman Weber betont die „Christusförmigkeit“ der Protagonisten Stadlers; Vgl. D E R S ., „Ungläubig und fromm“, 721; weitaus nüchterner analysiert der Germanist Rottschäfer Stadlers Kritik an der akademischen Theologie; vgl. D E R S ., Heimat und Religiosität, 330-334. stieß der Salvatore-Roman auf ein geteiltes Echo, wie die Rezension des Schrift‐ stellers Andreas Maier trotz Sympathie für Werk und Autor erahnen lässt: „Das Buch ist ergreifend disparat und liebevoll hilflos in seiner Anlage, und vielleicht wäre es sonst weniger gelungen. Es wirkt auf mich fast kaputt, macht sich geradezu mit Absicht angreifbar und spricht doch gerade vom Salvatore, vom Retter.“ 520 Während einige Stadlers „großen ästhetischen Gestaltungswillen“ 521 würdigten, bezeichneten andere das Buch als „unordentlich“, „merkwürdig“, ja als eine „verstörende“ Lektüre, einen „ästhetisch kaum überzeugende[n] Roman“ 522 . Vor allem die akademische Theologie reagierte irritiert, erkannte sie doch in Salvatores Kritik an der historisch-kritischen Bibelexegese eine anma‐ ßende Invektive gegen die eigene Zunft. 523 Warum das Werk aus theologischer Perspektive dennoch nicht übergangen werden kann, stellte der Bibelwissen‐ schaftler Thomas Söding in einer pointierten Zusammenfassung des Werkes klar: „Salvatore ist die Geschichte einer Vergegenwärtigung Christi.“ 524 Kaum ein 4.3 Literatur als Liturgiekritik 155 <?page no="156"?> 525 Vgl. dazu auch B O D E N H E I M E R , Stadlers Psalmenübertragung; R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 333. 526 Vgl. R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 300f. 527 P A S O L I N I , Pier Paolo, Das 1. Evangelium - Matthäus [Il Vangelo secondo Matteo], Italien/ Frankreich 1964; deutsche Erstaufführung 1965; der Film ist Papst Johannes XXIII. gewidmet. Über Pasolinis Deutung des Matthäusevangeliums gibt der Regisseur und Dichter in zwei Briefen Auskunft: Vgl. P A S O L I N I , Pier Paolo, „Ich bin eine Kraft des Vergangenen…“ Briefe 1940-1975, hg. von Nico N A L D I N I . Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Berlin 1991. 528 Zu Caravaggios Bild „Berufung des Matthäus“ vgl. F R I G E R I O , Luca, Caravaggio. La Vo‐ cazione di Matteo, Mailand 2017; vgl. P A S O L I N I , „Ich bin eine Kraft des Vergangenen…“, 236 f. 529 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 300. 530 T A B E R N E R , Stuart, Arnold Stadler: Eine Poetik des Glaubens, in: Alo A L L K E M P E R - Norbert Otto E K E - Hartmut S T E I N E C K E (Hgg.), Poetologisch-poetische Interventionen. Gegenwartsliteratur schreiben, Paderborn 2012, 273-286, hier 277; als Vorgängerroman für „Salvatore“ dient vor allem S T A D L E R , Arnold, Komm, gehen wir. Roman, Frankfurt 2007. 531 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 309. anderer zeitgenössischer Autor oder eine andere zeitgenössische Autorin wagte bislang ein so explizites Glaubensbekenntnis wie Stadler in „Salvatore“, ohne sich dabei selbst in die Ecke frommer Erbauungsliteratur zu stellen, weil das Ringen mit dem Gottesglauben nie hinter die Voraussetzung der aufgeklärten Moderne zurückfällt. 525 Wie auch immer man „Salvatore“ inhaltlich bewertet, die Komplexität des Textgebildes macht es zunächst schwer, die eigentliche Intention des Buches freizulegen. Als verschlungenes „Gattungshybrid“ kann es keiner der üblichen literarischen Ordnungskategorien zugerechnet werden. 526 Im ersten Teil führt der Autor seinen christusähnlichen Protagonisten Salvatore im Sinn eines Romans ein. Der zweite Teil besteht aus einer Nacherzählung des Pasolini-Films „Das 1. Evangelium - Matthäus [Il Vangelo secondo Matteo]“ 527 , wie der Prot‐ agonist den Film in einer öffentlichen Vorführung in einem Gemeindesaal erlebt. Im dritten und letzten Teil behandelt Stadler in Form eines Essays theologische Fragen vor dem Hintergrund des Caravaggio-Gemäldes „Die Berufung des Matthäus“. 528 Zu all dem kommt eine „Synthesis von literarischem Text, Film und Malerei“ 529 . Die Literaturwissenschaft charakterisiert „Salvatore“ als „eine Art Echoraum aller bisherigen Werke“ 530 , da der Autor auf unzählige Motive und Strukturen zurückgreift, die er bereits in früheren Werken literarisch verarbeitet hat. Stadlers „Poetik der Reminiszenz“ 531 gehört zu den auffälligsten Merkmalen seines Œuvres, worauf schon Hamm in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises hinwies: Die Bücher Stadlers kommen „zwar einzeln daher, sind aber die Fortschreibung eines einzigen Ich-Buches 156 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="157"?> 532 H A M M , Arnold Stadler, 137; schon Martin Walser sprach in seiner viel zitierten Spiegel- Rezension der autobiographischen Trilogie vom „Andrang von Echos“; vgl. W A L S E R , Das Trotzdemschöne, hier 297. 533 G U N I A , Jürgen, Das Leben ein Satz. Arnold Stadlers existentielle Poetik, in: Evi Z E M A N E K - Susanne K R O N E S (Hgg.), Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000, Bielefeld 2008, 295-304, hier u.-a. 297. 534 Der Autor zitiert das Motto u.-a. in: S T A D L E R , Sehnsucht, 15; D E R S ., Mein Stifter, 63. 535 Vgl. R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 17. 536 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 25. 537 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 333. 538 S T A D L E R , Salvatore, 26. 539 „Salvatore war ein Theologe, der an der Theologie und den Theologen, und ein Mensch, der an den Menschen gescheitert war.“, in: S T A D L E R , Salvatore, 11. - in dem Sinne, wie Robert Walser sein ganzes Werk als ›ein mannigfaltig zerschnittenes oder zertrenntes Ich-Buch‹ charakterisiert hat. Auch Stadler legt mehr Wert auf das Gewicht des einzelnen Satzes oder Abschnittes als auf ein sich rundendes episches Ganzes.“ 532 Mit Verweis auf ein Motto aus Mark Twains „Huckleberry Finn“ bestätigt Stadler diese Einschätzung, indem er sich selbst als „Satzdenker“ 533 versteht, für den Story und Plot oft sekundär bleiben: „Persons attempting to find a plot in it will be shot“ 534 . Bei seinen Wiederholungen und Wiederaufnahmen greift Stadler auch auf liturgisch geprägte Sprachmuster zurück wie auf Gebete und Litaneien. 535 Seine Bücher werden in literaturwis‐ senschaftlichen Analysen auch als „ein dem religiösen Ritual angenähertes Erzählen“ 536 gedeutet. Auch hier tritt der Plot zugunsten einer noch größeren Fragestellung in den Hintergrund: Stadler reflektiert in „Salvatore“ über die Möglichkeit, Gott und seine Erfahrbarkeit angesichts der Verlusterfahrungen seit der Aufklärung künstlerisch-poetisch darzustellen. „Als theologisches oder soziologisches Traktat wäre der Text mit seinen Inkongru‐ enzen und seiner ahistorischen Argumentation tatsächlich ‚schwach‘, als poetischer Text führt er jedoch die Ordnungsanstrengungen metareflexiv im Erzählvorgang vor Augen, die es braucht, unter den Bedingungen der Moderne die Teilhabe an einem religiösen Moment ästhetisch zu inszenieren.“ 537 Maiers eingangs zitierte Charakterisierung des Buches als „hilflos“ und „ka‐ putt“ trifft auch auf den Protagonisten zu, dessen religiös-existentielle Befind‐ lichkeit als Ausgangspunkt für die poetischen Vergegenwärtigungsversuche dient. Wie viele seiner männlichen Figuren zeichnet Stadler auch Salvatore als gescheiterte Existenz, eine Mischung aus „promovierte[m] Träumer“ 538 und desillusioniertem Versager, der früher einmal Theologie studiert, seinen Platz im Leben aber nie wirklich gefunden hat. 539 Beruflich schlägt er sich als „Grab‐ 4.3 Literatur als Liturgiekritik 157 <?page no="158"?> 540 S T A D L E R , Salvatore, 46. 541 S T A D L E R , Salvatore, 49. 542 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 44. 543 S T A D L E R , Salvatore, 14. 544 S T A D L E R , Salvatore, 11. 545 S T A D L E R , Salvatore, 86. 546 S T A D L E R , Salvatore, 14. 547 Vgl. zum Motiv der Anwesenheit Christi bei gleichzeitiger Abwesenheit am Himmel‐ fahrtsfest vgl. S T O C K , Alex, Poetische Dogmatik. Christologie. 3. Leib und Leben, Paderborn u. a. 1998, 257-303; D E R S ., Orationen. Die Tagesgebete der Festzeiten. Neu übersetzt und erklärt von Alex Stock, Regensburg 2014, 115. redner“ 540 , „Unternehmensberat[er]“ 541 und Vortragsreisender 542 durch, kann aber nur wenig gegen seinen Schufa-Eintrag ausrichten. Salvatores prekärer Status als „Schuldner“, dem unentwegt die Privatinsolvenz droht, wird wirt‐ schaftlich wie theologisch gedeutet: „Das Wort Schulden hing doch irgendwie mit Schuld zusammen - mit Sünde. So viel wusste er noch aus seinem früheren Leben, beendet oder gekrönt durch ein abgebrochenes Theologiestudium.“ 543 „Er hatte es nicht geschafft“ 544 , lautet die düstere Lebensformel, von der alle Lebensbereiche betroffen sind, auch der seiner langjährigen Ehe mit Bernadette. Als Wirtschaftsprüferin und Marketingexpertin sichert sie zwar das Haushalts‐ einkommen des Paares, hält ihn aber zugleich in Abhängigkeit, wodurch er sich gedemütigt fühlt. Obwohl sich die Beziehung längst totgelaufen hat, schafft er es nicht, die Frau zu verlassen. „Er wollte noch einmal ganz von vorne … Und dazu musste er möglichst weit weg. Auch von ihr. Wann, wenn nicht jetzt! - Das wollte er ihr alles sagen. Und leben.“ 545 Um Steuern zu sparen, ist Bernadette obendrein aus der Kirche ausgetreten, ein Schritt, der für Salvatore trotz aller Zweifel an der Institution nie zur Disposition stand: „Und Salvatore war trotz allem immer noch katholisch, wenigstens auf dem Papier. Außerdem wusste er als geschulter Theologe, dass er gar nicht hätte austreten können, niemals wäre das möglich gewesen, denn durch die Taufe hatte er den character indelebilis bekommen, ein unauslöschliches Merkmal, die Taufe, selbst Gott wäre das nicht möglich gewesen, nicht einmal dem Papst.“ 546 Dennoch ging das Vertrauen in den Kinderglauben von einst über die Jahre hinweg verloren. Ausgerechnet an Christi Himmelfahrt sollte sich das Blatt jedoch wenden. Im theologischen Proprium des Festes von der (un)sichtbaren Gegenwart Christi spiegelt sich das verworrene Seelenleben Salvatores. 547 Völlig unerwartet überkommt ihn auf einer seiner Vortragsreisen durch Norddeutsch‐ land die Sehnsucht, an einem Gottesdienst teilzunehmen, obwohl er schon jah‐ relang keine Kirche mehr besucht hat. Bereits einige Tage davor kündigte sich 158 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="159"?> 548 S T A D L E R , Salvatore, 46; zu dem von Max Horkheimer stammenden Diktum „Die Sehn‐ sucht nach dem ganz Anderen“ vgl. N E G E L , Joachim, „Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt“. Zu Licht- und Schattenseiten aufgeklärter Theologie, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 77-98, hier 92-97. 549 Wie das Ende des Matthäusevangeliums zeitgemäß in der Predigt zu Wort kommen kann vgl. u. a. den noch immer lesenswerten Beitrag von S M I T H , Robert H., The end in Matthew (5: 48 and 28: 20). How to preach it and how not to, in: Word & world 19 (1999) 303-313, hier bes. 310 f. 550 S T A D L E R , Salvatore, 53f. 551 Zur Kritik Stadlers an der akademischen Theologie vgl. u.-a. L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 116. das wiedererwachte Verlangen nach dem „ganz Anderen“ in einer pointierten Tagebuchaufzeichnung an, die programmatisch für sein Ringen mit Religion und Gesellschaft steht, „dass der Unglaube auch ein Glaube [ist].“ 548 Noch bevor er mit Hilfe des Navigationsgeräts eine Kirche ansteuern kann, hört er im Radio den entscheidenden Satz, der ihm das vermeintlich Verlorene wiederbringt: „[…] ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20) 549 Als geschulter Theologe weiß er intuitiv, dass Jesus am Ende des Matthäusevangeliums mit seiner Zusage an die Offenbarung am Sinai anknüpft, in der JHWH Mose seinen Namen offenlegte: „Ich bin, der ich bin.“ (Vgl. Ex 3,14) Von dieser Botschaft unmittelbar getroffen, findet Salvatore endlich die gesuchte Kirche. In der eigenwilligen Nachkriegsarchitektur des Gotteshauses deutet sich jedoch an, dass die institutionelle Religion seine Sehnsucht nach der Gottesbegegnung nicht mehr stillen kann. „Die Kirche stand in einem Neubaugebiet, gebaut für die katholischen Flüchtlinge und Vertriebenen, mehr ein Würfel als ein Haus, im Treppenhausstil, ein Post-Mies-van-der-Rohe (der eigentlich nur Mies hieß, seinen Namen aber mit dem Instinkt für den Klang aufstockte), der wenig Hoffnung ausstrahlte.“ 550 Auch Salvatore empfindet sich als Heimatloser, dessen Suche nach metaphysischer Geborgenheit zu scheitern droht. Die Gründe dafür sind rasch ausfindig zu machen, wie der nachfolgende Messbesuch illustriert. Nicht selten vermischt sich bei Stadler Kultur- und Kirchenkritik, die beim Lesen zwar ironische Momente bereithält, mitunter aber in pauschalen Urteilen mündet, von der vor allem Priester und Theologen betroffen sind. 551 Seine Auseinandersetzung mit der institutionellen Religion geht aber weit über eine Priesterund- Theologenschelte hinaus. „Salvatore hätte es gerne gehabt, dieser Priester hätte ›Gelobt sei Jesus Christus‹ gesagt statt ›Guten Tag‹. Und er hätte ›du‹ zu ihm gesagt, wie zu Hause, denn er sehnte sich nach einem Menschen, der ›du‹ sagte zu ihm. Ihn meinte. Das war vielleicht Salvatores Hauptsehnsucht an diesem Tag. Und Salvatore hätte auch nicht ›Guten 4.3 Literatur als Liturgiekritik 159 <?page no="160"?> 552 S T A D L E R , Salvatore, 55. 553 S T A D L E R , Salvatore, 60. 554 S T A D L E R , Salvatore, 61-65. 555 S T A D L E R , Salvatore, 17. Tag‹ sagen müssen, und er hätte ›In Ewigkeit. Amen! ‹ geantwortet. Denn so weit ging die katholische Zeitrechnung, einst, als das Leben noch einen Sinn hatte.“ 552 „Bald saß und stand und kniete, antwortete und bekreuzigte er sich an der richtigen Stelle. Salvatore wusste, wie es ging. Das verlernte man nicht, so wenig wie das Schwimmen und das Fahrradfahren.“ 553 „Aber nun kam das Evangelium des Tages (das er schon einmal im Radio gehört hatte) […]. Das hätte eigentlich jeden Menschen umhauen müssen. Aber an diesem blauen Tag war es wahrscheinlich nur Salvatore, den es umhaute. Es folgte eine beschämende Predigt, die Salvatore getrost hinnehmen konnte. Denn er hatte ja das, worauf er gewartet hatte, nun schon zum zweiten Mal gefunden: den Satz des Tages und Lebens: ›Ich werde bei dir sein, gewesen sein, bin bei dir.‹ Seine Theologen hatten daraus und aus allem ein Märchen gemacht, als wäre es für Kinder und die dummen Gläubigen, die so etwas für wahr halten wollten, nicht aber für aufgeklärte Theologen, die sich zu den Wissenschaftlern rechneten. […] Die Worte dieses armen Priesters waren ein Versuch, alles, die ganze peinliche Geschichte dieser Himmelfahrt, diesen Tag zu entschuldigen, das Peinlichste, was es gab, […]. Das, was der Priester nun sagte, hatte mit dem Evangelium eigentlich nichts mehr zu tun und begann wie am Tresen mit dem Wort ›neulich‹: ›Neulich hörte ich zwei Möbelpacker, wie sie sich unterhielten. Sie waren gerade mit ihrem Klavier im zehnten Stock in einem Haus ohne Aufzug angekommen. Der eine sagte zum anderen: ‚Ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte. Die gute zuerst: Wir sind im richtigen Stock. Die schlechte: Wir sind im falschen Haus! ‘ So mögen wir uns manchmal auch vorkommen.‹ […] Warum wollten selbst die Kirchen den Menschen die schöne Vorstellung, dass ein Mensch in den Himmel gekommen war, wegnehmen und wegerklären, als wären sie der Aufklärung […] verpflichtet und den neuesten Forschungsergebnissen.“ 554 Trotz der langen Absenz findet sich Salvatore im Ritual rasch wieder zurecht, an die liturgischen Präsenzerfahrungen der Kindheit kann er freilich nicht mehr anschließen. „Und damals war er bis in die Seele hinein ergriffen von diesen Worten und Zeichen und Wundern und Dingen. Doch das war lange her.“ 555 Der Gottesdienst scheitert am missglückten Transfer zwischen biblischer Botschaft und den Lebensumständen des Protagonisten. Verantwortlich dafür macht er Pfarrer Müller, dessen Allerweltsname schon am Beginn der Szene 160 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="161"?> 556 Vgl. T Ü C K , Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein; zu Stadlers literarischer Kritik an der Aufklärung vgl. N E G E L , „Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt“, 77-91. 557 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 315. 558 Vgl. R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 329. 559 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 325. 560 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 317; vgl. ferner S T A D L E R , Salvatore, 62f. 561 S T A D L E R , Salvatore, 22. die Irrelevanz der liturgischen Zeremonie andeutet. 556 Rottschäfer verweist im Kontext dieser programmatischen Stelle auf das sich hier zuspitzende Span‐ nungsverhältnis „zwischen individueller Erfahrung und institutionalisierter Kommunikation“ 557 , das in dieser Szene offen zutage tritt. Da der Glaube unter heutigen Voraussetzungen nicht mehr unhinterfragt verfügbar ist, reicht es für moderne Subjekte nicht mehr aus, überlieferte Muster und vorgegebene Rituale äußerlich zu übernehmen. Entscheidend ist das intrinsische Nachvollziehen der biblisch-kirchlichen Überlieferung, um sich angesichts der Gebrochenheit der eigene Religiosität immer wieder neu zu vergewissern. 558 „Drücken sich Religionen auch in Texten und Praktiken aus, konstituiert werden sie erst in der subjektiven Erfahrung, in der sich das Subjekt nicht als freier Schöpfer von Bedeutungen begreift, sondern stets auf etwas bezogen bleibt.“ 559 Hinter der Unfähigkeit des Priesters, die eigentlichen Inhalte des Evangelium zum Spre‐ chen zu bringen, ortet Salvatore ein institutionelles Versagen. In seinen Augen hat die Kirche angesichts der Verlusterfahrungen der letzten Jahrzehnte ihr biblisches Proprium zugunsten marktwirtschaftlicher Strategien preisgegeben. Dazu kommt, dass die Liturgie als belangloses Ritual erfahren wird, das der bloßen Aufrechterhaltung einer „rituellen Konsens- und Harmoniefassade“ 560 dient, aber kein spirituelles Erleben für den Einzelnen und die Einzelne mehr bereithält. „Doch mit seiner Sehnsucht konnte Salvatore in der Kirche, in einem Unternehmen, das sein Heil bei Unternehmensberatern suchte, nichts werden. Bei Leuten, Bischöfen, Theologen, die ihr Glück auf den gesunden Menschenverstand setzten (fides quaerens intellectum). Für seine Sehnsucht gab es in den sogenannten Kirchen keinen Platz. Salvatore suchte aber, selbst nach Erlösung, immer noch. Und er wusste, das, was er längst vergessen hatte, nun mit einem Mal wieder. Solche Menschen gab es, immer noch, auch wenn sie in den Bilanzen nicht vorkamen, wo der Mensch ja gar nicht als Mensch, sondern als Verbraucher geführt wurde und galt.“ 561 Auch wenn die Enttäuschung über den missglückten Gottesdienst groß ist, bleibt Salvatores Sehnsucht an diesem Tag nicht unerfüllt. Am Nachmittag desselben Tages nimmt er unvermittelt an einer Vorführung von Pier Paolo 4.3 Literatur als Liturgiekritik 161 <?page no="162"?> 562 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 84-91. 563 Vgl. S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrotthändler? , 64. 564 S T A D L E R , Salvatore, 84. 565 Pasolini widmete den Film dem Andenken an Papst Johannes XXIII., der während der Dreharbeiten am 3. Juni 1963 starb; S T A D L E R , Salvatore, 156 f. 566 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 71. 567 S T A D L E R , Salvatore, 70. 568 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 71 f. Pasolinis Schwarz-Weiß-Klassiker „Das 1. Evangelium - Matthäus“ im um‐ funktionierten Gemeindesaal der Pfarre teil. 562 Er kennt den Film zwar aus Kindheitstagen, sieht ihn nun aber mit neuen Augen. Im Zentrum steht die Vergegenwärtigung des Lebens Jesu nach den Berichten des Matthäusevange‐ liums, von der er unmittelbar ins Geschehen einbezogen wird. Der Ruf zur Umkehr trifft ihn persönlich, und er hört die biblischen Imperative „Kehr um“ und „Folge mir nach“, als seien sie in diesem Augenblick an ihn gerichtet. 563 Damit tritt der Film an die Stelle des Gottesdienstes, Kirchen- und Kinoraum gehen ineinander über. Im Film wird ihm unverhofft jene Wandlungserfahrung zuteil, die er sich ursprünglich von der vormittäglichen Liturgie erhofft hat. „Mit dem Versprechen ›Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt‹ im Ohr, das ihn für diesen Augenblick glücklich machte, verließ Salvatore den Gemeindesaal. Als er herauskam, war er ein anderer.“ 564 Dass ausgerechnet ein Schwarzweißfilm 565 aus dem Jahre 1964 das ersehnte religiöse Präsenzerlebnis bereithält, verdankt er einem umfassenden Identifika‐ tionsprozess, der seinen Ausgang bei der eigenen Biographie nimmt. Stadler entwirft seine fiktive Salvatore-Figur als Deutschitaliener, dessen Familie väter‐ licherseits aus Matera in der süditalienischen Basilikata stammt. In derselben Region drehte Pasolini nicht nur sein legendäres Matthäusevangelium, sondern engagierte dort auch Teile von Salvatores Verwandtschaft als Laienschauspieler. Pasolini wählte einen von Salvatores Onkeln für die Rolle des Apostels Petrus aus, ein anderer mimte den Evangelisten Matthäus, wieder ein anderer spielte den Teufel, der Jesus in der Wüste versuchte. Durch das Mitwirken am Film erhoffte sich die aus einfachen Verhältnissen stammende Sippe den sozialen Aufstieg, manch einer von ihnen gar den Beginn einer Karriere im glamourösen Filmgeschäft. Letztlich konnten sie aber den Erfolg des Films nicht auf ihr Leben übertragen. 566 „Sie hatten alle versagt. Sie hatten es nicht geschafft, alle. Salvatore, Angelo, Claudia, Domenico, Pino, Sandro und so fort. […] Das Glück war eine Episode geblieben, ein Filmauftritt.“ 567 Die Großfamilie verließ Matera und zerstreute sich über ganz Italien, ja halb Europa. 568 Salvatores Vater verschlug es als Gastarbeiter nach Deutschland, wo er in Delmenhorst und Leer eine Pizzeria betrieb und seine Frau Emma kennenlernte, Salvatores Mutter, die aus dem 162 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="163"?> 569 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 72. 570 S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrotthändler? , 61. Ähnlich argumentiert auch Jan- Heiner Tück mit Blick auf das Gesamtwerk, indem er von einem spezifischen „Blick, mit dem Arnold Stadler die Wirklichkeit betrachtet, der eine Nähe zum Evangelium erkennen lässt“, spricht. Unter Stadlers „Ethik des Erbarmens“ versteht der Wiener Dogmatiker das wache Gespür für geschlagene und leidende Gestalten, die trotz aller Lebenskrisen und Schwierigkeiten ihre Sehnsucht nach Heimat und Erlösung in der Religion nie aufgeben, in: T Ü C K , Memoria passionis, 57f. 571 Vgl. S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrotthändler, 74 f. 572 Vgl. dazu H A N E N B E R G , Peter, Remediationen: Die Suche nach dem Heil der Welt in Arnold Stadlers „Salvatore“, in: Paul Michael L Ü T Z E L E R - Jennifer M. K A P C Z Y N S K I (Hgg.), Die Ethik der Literatur, Göttingen 2011, 100-108; S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrott‐ händler, 74 f.; zur Rolle von Michelangelo Caravaggio in Salvatore vgl. S C H Ö R G H O F E R , Gustav, Die Neuentdeckung der Welt. Caravaggio in der Optik von Arnold Stadler, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, 191-196. Münsterland stammte und „fast ein Leben lang geschwiegen“ hat. 569 Salvatores Name stammt vom Vater. Söding ortet in der ungewöhnlichen Namensgebung Spuren des poetisch-religiösen Programms des Romans. „Wer so heißt, weiß, dass seine Eltern ihn ganz eng an den Erlöser binden wollten - weil sie von vornherein ahnten, wie sehr er der Erlösung bedarf, und weil sie wohl auch glaubten, nicht enttäuscht zu werden.“ 570 Dazu kommt die Gewissheit, dass gerade den gesellschaftlich Geächteten und Ausgestoßenen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von religiösen Erfahrungen zukommt. 571 Mit dem Evange‐ listen Matthäus, dem Maler Michelangelo Caravaggio und dem Filmemacher und Dichter Pier Paolo Pasolini bietet der Autor im Roman gleich drei solcher Identifi‐ kationsfiguren auf, die nicht nur unterschiedliche Medien (Buch, Gemälde, Film) der Vermittlung von religiöser Erfahrung bedienen, sondern nach traditionellen Moralvorstellungen als „Sünder“ gelten. 572 Alle drei sind über die Figur des Jesus von Nazareth miteinander verbunden, der von seinen Zeitgenossen ebenso verfemt wurde und dessen weltveränderndes Wirken sie mit ihren jeweiligen Medien zu vergegenwärtigen suchen. Im Reigen der als Triptychon angeordneten Gestalten sticht Pasolini besonders hervor. Ausgerechnet dem Homosexuellen, Kommunisten und Revoluzzer, der selbst nicht glaubte, aber vom sozialrevolu‐ tionären Charisma Jesu fasziniert war, gelingt es, das Matthäusevangelium so zu aktualisieren, dass auch unter modernen Voraussetzungen eine religiöse Erfahrung möglich wird. Alle drei Künstler stehen demnach für Stadler Pate, der mit seinem Roman ebenso die Teilhabe am religiösen Moment literarisch darstellen will, um die Evangelien zeitgemäß fortzuschreiben. „Doch eigentlich 4.3 Literatur als Liturgiekritik 163 <?page no="164"?> 573 S T A D L E R , Salvatore, 175. 574 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 155. 575 S T A D L E R , Salvatore, 159. 576 Vgl. S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrotthändler? , 66-69. 577 S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrotthändler? , 71. 578 S T A D L E R , Salvatore, 155. 579 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 160. schreibt jede Zeit dieses Buch [= Matthäusevangelium, AB] neu, indem sie es neu liest und vergegenwärtigt und lebt.“ 573 Stadler betont im essayistischen Teil des Romans („II. Dazugehörigkeitsverlangen“) den poetischen Charakter des Filmes, den er zunächst auf die wortwörtliche Übernahme der Dialoge aus dem Evangelium zurückführt. Im Unterschied zur historisch-kritischen Exegese, so der Tenor Stadlers, wollte Pasolini nicht über den Text „triumphieren“. 574 Seine Kritik an den aufgeklärten Bibelwissenschaftlern fällt dabei scharf aus: „Sie haben den Text an sich gerissen und zerstückelt, dass nichts mehr von ihm übrig blieb. Und sind so zu einer Art Mörder am Text geworden.“ 575 Söding teilt Stadlers Einlassungen berufsbedingt nicht vorbehaltlos, rückt die Thesen des Autors jedoch in die Nähe der sog. „kanonischen Exegese“, deren Ziele sich mit Stadler teilweise überschneiden, weil beide die Evangelien als literarische Gesamtkunstwerke begreifen, die ihre Anziehungskraft verlieren, wenn man sie auf einzelne Entstehungsschichten oder ipsissima verba Jesu reduziert. 576 Dazu gehört der Fokus auf die Rezepti‐ onsgeschichte, die auf eine Aktualisierung der Heiligen Schrift für unsere Zeit abzielt. „Es ist also das lebendige Wort Gottes, vermittelt durch menschliche Stimmen, in dem Jesus zuhause ist. Die Schrift birgt es wie ein tönernes Gefäß; das Gotteswort muss ihm entlockt, es muss zitiert und aktualisiert werden […].“ 577 In den Augen Stadlers gelingt Pasolini die Aktualisierung deshalb so gut, weil er das an die Menschen weitergeben will, was er selbst bei der Lektüre des Textes erfahren hat. Er hat den Film gedreht „[…] um sie, die Menschen, wie sie sind, einzunehmen mittels der Bilder, für etwas, das Pasolini in einem Buch, dem Evangelium nach Matthäus, gelesen und gesehen hat, für die Botschaft Jesu, der mitten in diese Welt gekommen ist und zuerst zu den Armen und zu allen, die ohne Lebensversicherung und Shareholdervalue leben müssen und leben […].“ 578 Dadurch entstand nicht nur eine texttreue Verfilmung, sondern ein poetisches Gesamtkunstwerk, das von einer besonderen Zuneigung Pasolinis zu Jesus geprägt ist. 579 164 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="165"?> 580 Vgl. zu diesem Abschnitt R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 316-319, 323 f., 334. 581 S T A D L E R , Salvatore, 65 f [Herv. im Original]. 582 Vgl. dazu die pointierte Zusammenfassung bei R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 319. 583 In „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ schreibt Stadler: „Und so endet Schwackenreute. Ich war ein Kind: ich war so groß wie eine Schwertlilie, und das Heu roch nach der unglücklichen Liebe des Himmels zur Erde.“, in: S T A D L E R , Mein Hund, meine Sau, mein Leben, 46 [Herv. im Original]. 584 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 319. Um resümierend der Frage nachzugehen, warum Salvatore während des Films am Himmelfahrtstag eine Wandlung erfährt, die zuvor in der Liturgie ausblieb, lohnt ein letzter Blick auf eine kurze Passage im ersten Teil des Romans, die Stadlers poetologisches Programm nochmals prägnant zusammenfasst und eine Brücke zum Beginn der Analyse schlägt, in der schon einmal von den frühen Erfahrungen mit der Liturgie die Rede war: 580 „Auch wenn er das Jahr über nicht daran geglaubt hatte, so hatte er nun doch Sehn‐ sucht nach dem Glauben von einst, als er so groß wie eine Schwertlilie war und in der Frühmesse in einer schönen Sprache, die er nicht so recht verstand, auswendig Introibo ad altare Dei ad Deum qui laetificat iuventutem meam (zu Gott, der meine Jugend schön macht) aufsagen konnte. Und alles so klar wie wahr war. Und es Menschen gab, die noch glaubten. Aber nicht an Fit for Fun und den Gesundheitswahn, der fast jeden Menschen erfasst hatte, als könnte er damit den eigenen Tod verhindern.“ 581 Das Beharren auf den unbelasteten Kinderglauben, die rituelle Schönheit des katholischen Gottesdienstes und die existentielle Verbindung zum Psalter bilden die Basis für Stadlers liturgisch inspirierte Poetik. 582 Darüber hinaus illustriert die Stelle einmal mehr den intertextuellen Zusammenhang zwischen den einzelnen Werken. Das Aufrufen des Stufengebets verweist auf seine Psalmenübertragung „Die Menschen lügen. Alle“, die Schwertlilie auf den Roman „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ 583 . Letztere ruft die „Lilien des Feldes“ in Erinnerung, die im Matthäusevangelium für die zweckfreie Pracht der Schöpfung Gottes stehen (Mt-6,28-30). Anhand des floralen Motivs erklärt Rottschäfer grundlegende Züge der Stadlerschen Ästhetik, die ihren Ausgang in der Liturgie nimmt. „Sie [= die Lilien, AB] haben keinen Zweck, sind nutzlos, aber sie sind ‚schön‘ (eine ästhetische Kategorie). Die theologische Argumentation (und ihre Modernität) bestehen darin, dass sie die Schönheit im Unnützen sieht.“ 584 Die Ausführungen lassen an Romano Guardinis Klassiker „Vom Geist der Liturgie“ denken, in dem der Religionsphilosoph die Liturgie als heiliges Spiel bezeichnet, das keinem Zweck folgt, aber dennoch nach einem letzten Ziel strebt. Das Wesen der Liturgie liegt 4.3 Literatur als Liturgiekritik 165 <?page no="166"?> 585 Vgl. G U A R D I N I , Vom Geist der Liturgie; vgl. zur liturgischen Anthropologie Guardinis G E R L - F A L K O V I T Z , Hanna-Barbara, Leibhaftes Spiel. Zur Anthropologie der Liturgie, in: Journal für Religionsphilosophie, 5 (2016), 106-117; wertvolle Hinweise verdankt der Autor der Arbeit zudem Z A B O R O W S K I , Holger, Vermittelndes Denken. Romano Guardinis „Vom Geist der Liturgie“ - ein Klassiker der katholischen Theologie des 20.-Jahrhunderts, in: ALw 60 (2018) 17-33, hier bes. 28-30. 586 G U A R D I N I , Vom Geist der Liturgie, 77. 587 S T A D L E R , Salvatore, 85. 588 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 323. 589 S T A D L E R , Salvatore, 171. nicht im Schönen an sich. 585 Was immer am liturgischen Ritual nach außen „schön“ ist, muss nach Guardini auf eine tiefer liegende Lebenswirklichkeit und damit auf die Rettung des Menschen von Gott her verweisen. „Wirklichkeit also, Annäherung des wirklichen Geschöpfes an den wirklichen Gott, die bitter ernste Sache des Heiles - um das handelt es sich hier zuerst und vor allem.“ 586 Während in der Liturgie Salvatores Sehnsucht unerfüllt bleibt, wird ihm im Film eine transzendente Erfahrung zuteil, die von außen kommt und über die er selbst nicht verfügen kann. Die Wiederaneignung seines Glaubens erfolgt dabei über die Identifikation mit dem biblischen Proprium vom Erbarmen des Gottessohns mit den Mühseligen und Beladenen, in denen er nicht nur sein Schicksal wiedererkennt, sondern auch einen Ort findet, sein eigenes Ach und Weh zu artikulieren. „Diese Botschaft konnte Salvatore hören und sehen: Sie, die Armen, Kranken, Niedergeschlagenen, die Seelenkranken, die hoffnungslos Verschuldeten, die Hungrigen und Durstigen waren die Lieblinge in diesem Film Pasolinis - und die von Jesus sowieso: Jene, denen er ‚Komm‘ zugerufen hatte […].“ 587 Salvatore kann eine „ganzheitliche sinnliche Erfahrung“ 588 machen, die ihm Trost, Zuneigung und Versöhnung zuteil werden lässt. Dazu kommt, dass die Botschaft so kommuniziert wird, dass er sie sofort versteht und in sein Leben übersetzen kann. „Zugleich ging es ihm [= Pasolini, AB] um die Poesie des Textes: Jesus hatte das, was er im Evangelium zu sagen hatte, ja nicht als juristische Verlautbarung dekretiert, sondern er hatte es schön gesagt, das heißt: auf die Weise der Sprache in den Bildern seiner Zeit den Menschen vergegenwärtigt.“ 589 Die zentralen Verben für Stadlers Vergegenwärtigung des religiösen Präsenzer‐ lebnisses lauten: hören, sehen und (schön) sagen. Ästhetischer und religiöser Diskurs gehen ineinander über und verweisen zugleich darauf, dass Kunst und Religion einander bedingen. 166 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="167"?> 590 S T A D L E R , Salvatore, 22. 591 Vgl. u.-a. S T A D L E R , „Die Menschen lügen. Alle“, 9-14. 592 Vgl. zur seit längerem geäußerten Kritik von Literaten an der nachkonziliaren Liturgie u.-a. B I E R I N G E R , Andreas, „Ein Schwanken ging durch die Welt“. 593 L E W I T S C H A R O F F , Sibylle - L E V E N , Benjamin, „Wehe, man versteht alles“. Ein Gespräch über Literatur, Gottesdienst und Sprache mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, in: GD 47 (2013) 161-164, 163; ganz ähnlich auch Hanns-Josef Ortheil: „Ich bin ein relativ konstanter Kirchgänger, aber ich werde mit den Jahren immer ungeduldiger. Ich kann viele Gottesdienste gar nicht mehr in Ruhe verfolgen, weil ich mich über so vieles wundere oder ärgere. Und das betrifft vor allem die Sprache und damit die Art und Weise, wie von und über Gott gesprochen wird. Häufig bekomme ich eine Weichspülersprache zu hören, die abstrakt, beliebig und undeutlich ist. Warum bleibt man nicht näher am biblischen Text? Warum spricht man nicht konkreter über das Leben, das wir jetzt leben - und was aus den Texten für unseren Glauben folgt? Die Blumigkeit im kirchlichen Sprechen ärgert mich. Und mich ärgert auch, mit welchen Büchern und Buchtiteln man es zu tun bekommt, wenn man in eine katholische Buchhandlung geht. Das ist zum Gruseln. Mit den Jahrzehnten werde ich deshalb immer kritischer und immer ungeduldiger.“, in: O R T H , Stefan - D E R S ., „Durchdringung der Welt von innen her“, 288; vgl. darüber hinaus auch die Kritik des evangelischen Pfarrers und Lyrikers Christian Lehnert: „Das Christentum tritt heute leider in Mitteleuropa oft so auf, als könne man von den Dingen des Glaubens so sprechen wie von Entwicklungen der Wirtschaft oder von Politik oder sozialer Gerechtigkeit. Aber das ist unsachgemäß und führt in die Irre: Religiöse Sprache ist suchend, nicht erklärend.“, in: D E R S . - K E L L E R , Claudia, „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“. Ein Interview mit dem Schriftsteller und Theologen Christian Lehnert, in: HerKorr 71 (2017/ 6) 19-23, 20. 4.4 Resümee „Für seine Sehnsucht gab es in den sogenannten Kirchen keinen Platz.“ 590 Arnold Stadler zelebriert seine literarisch gespiegelte Liturgie häufig im Modus der Kritik. 591 Was die Protagonisten in seinen Romanen an Kirche, Klerus und Theologie bemängeln, spitzt sich bei „Salvatore“ im Gottesdienst zu. Seine lit‐ urgische Bilanz fällt bitter aus, kann doch der desillusionierte Protagonist seine liturgische Emphase aus Kindheitstagen nicht mehr wiederholen. Innerhalb des literarischen Betriebs steht Stadler mit seinem Tadel nicht alleine da. Kritik an der liturgischen Praxis scheint in den Büchern, Essays und Interviews der gottesdienstaffinen Autorinnen und Autoren zur Konstante geworden zu sein. 592 „Man versucht, sich immer stärker modernen Tendenzen anzupassen, die gerade so um die Ecke biegen und sie auf eine schwächliche Weise im Gottesdienst ein bisschen nachzuahmen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Eine Predigt, die sich den primitivsten Modernismen annähert und versucht, daraus ein kleines Kapitälchen zu schlagen, geht mir besonders schlecht runter.“ 593 4.4 Resümee 167 <?page no="168"?> 594 Vgl. u.-a. zu Sibylle Lewitscharoff D E U T S C H E A K A D E M I E F Ü R S P R A C H E U N D D I C H T U N G E .V., Laudatio von Ursula März anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2013 - htt ps: / / www.deutscheakademie.de/ de/ auszeichnungen/ georg-buechner-preis/ sibylle-lewits charoff/ laudatio (Zugriff am 04.03.2020). 595 Vgl. zur Kritik an der Kritik der Erneuerung der Liturgie im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils O D E N T H A L , „Häresie der Formlosigkeit“ durch ein „Konzil der Buchhalter“? ; L E O N H A R D , Wider die liturgische (Selbst-)Entmündigung. 596 T Ü C K , Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein, 314. 597 Vgl. dazu u.-a. N E G E L , „Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt“; L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 108-119; T Ü C K , Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein; ganz anders argumentiert wiederum G A R H A M M E R , Erich, „Epiphanie der Stille“. 598 Eine gute Übersicht zum spannungsreichen Verhältnis von Liturgie und Ästhetik bietet M E Y E R - B L A N C K , Michael, Gottesdienstlehre. 599 Vgl. R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 333 f. 600 Beide Zitate stammen von R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 334. Was die evangelische Autorin Sibylle Lewitscharoff, wie Stadler Büchner-Preis- Trägerin, mit Blick auf ihre eigene Denomination sagt, ließe sich ohne Abstriche auch auf Salvatores oben zitierten Gottesdienstbesuch umlegen. 594 Infrage gestellt werden banal wirkende Aktualisierungen der Liturgie, die sich nach dem Emp‐ finden der Literaten allzu sehr am Zeitgeist orientieren. Teile der akademischen Theologie reagierten ihrerseits auf die literarischen Interventionen mit deutlicher Kritik. 595 Stadler wird vorgeworfen, einer „infantilen Regression“ 596 das Wort zu reden, weil er auf einem nostalgischen Kinderglauben beharrt und in liturgicis zur ästhetischen Stilisierung neigt. 597 Damit sind zwei Gefahren benannt, die im Rahmen dieser Studie beachtet werden müssen. Stadler erinnert zurecht an die sinnlich-ästhetische Realisierung von Liturgie. 598 Umgekehrt betont die Liturgiewissenschaft, dass gottesdienstliche Feiern zwar sinnlich grundgelegt sind, aber selbst nicht zur Ästhetik werden dürfen, da sonst ihr dichtes Geflecht an Symbolisierungsprozessen aus dem Gleichgewicht gerät. Mit Blick auf die jüngeren Forschungsergebnisse der Literaturwissenschaft erscheint Stadlers Um‐ gang mit der Religion in einem neuen Licht. Rottschäfer weist in seiner Studie auf die enge Verbindung der hermeneutischen Schlüsselwörter „Heimat und Religiosität“ hin und betont, dass beide Topoi bei Stadler dialektisch zu verstehen sind. 599 Einerseits drückt die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Dazugehörigkeit tatsächlich ein romantisch gestimmtes „Heimweh nach dem Sakralen“ aus. An‐ dererseits ist die Religiosität bei Stadler aber immer auch auf Zukunft hin, auf das „noch Ausstehende, Nicht-Sichtbare, das Subjekt schlechterdings Übersteigende“ ausgerichtet. 600 Im Zentrum des Salvatore-Romans steht daher nicht, wie häufig von theologischer Seite gemutmaßt, die Rückkehr zu vormodernen Formen der Religion, sondern die drängende Frage, wie religiös-ästhetische Erfahrungen 168 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="169"?> 601 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 314f. 602 L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 20. 603 Vgl. L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 21. trotz der Verlusterfahrungen der Moderne medial vermittelt und nachvollzogen werden können. In seiner Analyse der liturgischen Szenen nennt Rottschäfer den subjektiven Erfahrungshorizont des einzelnen Individuums als Kriterium für eine zeitgemäße Liturgie. „Religion bedarf einer individuellen Erfahrung und Entscheidung im Subjekt, das sich seine Religion aus seiner Subjektivität heraus bildet, und kann nicht (vollständig) nach traditioneller Vorgabe übernommen werden.“ 601 Wie sehr sich die Wahrnehmung der Liturgie in Bezug auf ihre Erlebnisqualität verändert hat, bestätigt auch Christian Lehnert, der als Theologe und Dichter mit beiden Sphären vertraut ist. „Wir sind Wesen geworden, die ein tiefes Inneres haben. Wir sind darauf angewiesen zu fühlen, zu erleben, etwas zu erfragen. Das prägt auch jeden Gottesdienst: Wir nehmen ihn in seiner Gestalt nicht mehr als objektiv gegeben hin wie das Wetter, sondern suchen Resonanzen im Innern und eigene tiefe Erfahrungen, haben Erwartungen.“ 602 Stadlers Literatur fasziniert, weil sie verlorene Erfahrungen mit der Liturgie ebenso benennt wie sie diese in der Literatur wiederfindet. Bei Salvatore geschieht dies allerdings nicht mehr in der Liturgie selbst, sondern im Film, der als geeigneteres Medium erscheint, um heutiges Lebensgefühl und biblische Botschaft zusammenzubringen. Den hier vorgestellten Schriftstellern bzw. der Schriftstellerin ist gemein, dass sie über ein feines Sensorium für den Hiat zwischen Liturgie und Leben verfügen. Während es der Literatur mit Hilfe von herbeigeschriebenen Erfah‐ rungen beinahe mühelos gelingt, Leben und Religiosität wieder aufeinander zu beziehen, bleibt die reale Liturgie trotz aller Bemühungen häufig hinter den Erwartungen zurück. Ihr festes Gefüge schließt im Unterschied zur Literatur Erfahrungen nicht prinzipiell aus. Sie kann sie aber auch nicht zwangsläufig generieren oder so auf Emotion hinarbeiten, dass sich ihr Erleben sicher einstellt. Dahinter verbirgt sich eine Art Schutzmechanismus, der verhindert, dass die fundamentale Offenheit des religiösen Geschehens verloren geht. In der Liturgie muss stets etwas hinzutreten, das den je eigenen Horizont und die Erwartungen der Teilnehmenden übersteigt. 603 Auf der Suche nach Kriterien für einen geglückten Gottesdienst lässt sich vor dem Hintergrund der Werke Stad‐ lers als vorläufiges Fazit festhalten, dass Liturgie vielfach anders erfahren wird. Der Mensch von heute nimmt Struktur und Inhalt nicht mehr als unumstößlich 4.4 Resümee 169 <?page no="170"?> 604 Vgl. dazu u. a. Andreas Odenthals Überlegungen zu Hartmut Rosas Resonanztheorie aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive; vgl. D E R S ., Resonanz-Raum Gottesdienst? Überlegungen zu einer zeitsensiblen Liturgiewissenschaft im Anschluss an Hartmut Rosa, in: LJ 68 (2018) 32-54. 605 Vgl. L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 22; Lehnert fügt an dieser Stelle noch hinzu: „Der Philosoph Peter Sloterdijk sagte einmal zu mir: ‚Den Menschen dort abholen, wo er ist. Das macht nur der Teufel.‘“ 606 Vgl. dazu L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 21: „Was ist ein gelungener Gottesdienst? Die Frage nach technischer Vervollkommnung führt da nicht weit - auch wenn es natürlich Dinge gibt, die man lernen und erarbeiten kann. In einer Kunst gibt es Techniken, nur diese alleine bedeuten noch wenig. Es muss etwas dazu kommen, was ich nicht habe und nicht weiß. Das Wichtigste, was ich lernen und lehren kann, ist die aufmerksame Wiederholung, das immer tiefere Eindringen in das, was wiederkehrt und mich aufnimmt und was gerade darin, in der Wiederholung des Vertrauten, das Unerwartete bereithält.“ hin, vielmehr richtet sich seine Erwartung auf innere Resonanzen. 604 Bleibt die emotionale Wirkung der Liturgie aus, weichen religiös Angesprochene wie Salvatore nicht selten auf andere Medien aus. Eine literarisch motivierte Liturgik ist daher gut beraten, die erfahrungsaffinen Seiten der Liturgie vermehrt in den Blick zu nehmen, um den veränderten Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Umgekehrt hält die Beschäftigung mit der Literatur auch Ergebnisse bereit, die quer zur Liturgie der Literaten steht. Gerade weil die Erwartungen an den individuellen Erlebnishorizont so hoch sind, muss die Liturgiewissenschaft auch die erfahrungsresistenten Seiten des Gottesdienstes in den Blick nehmen. „Der Gottesdienst ist eine Veranstaltung zur Transzendenz-Verhinderung. Denn Heimat bedeutet Bestätigung in dem, was ich denke, fühle und weiß. Die aufmerksame Wiederholung der Riten in der Liturgie ist aber mehr als regressiv. Es kommt etwas Anderes hinzu: die Fremde Gottes in dem unerwartet Schönen und Verstörenden. Zum Gottesdienst gehört die Gottesfurcht. Sonst stimmt etwas nicht.“ 605 Liturgie und Leben sind nicht einfach kompatibel. Die Fremdheit Gottes lässt sich nicht unmittelbar in einen lebensdienlichen Gestus übertragen und dennoch gehört sie als wesentlicher Bestandteil zum Gottesdienst. Vielleicht bergen just die entlegenen, dem heutigen Empfinden nur mehr schwer zugänglichen Seiten der Liturgie Potential, das schier endlose Streben nach Erfahrung heilsam zu kontrastieren. Damit ist ebenso die Erkenntnis verbunden, dass gerade die oft irritierende Wiederholung des Immergleichen des Rituals Momente des Unerwar‐ teten bereithält. 606 Auch nach Abschluss seines Romans setzt Stadler Salvatore der rituellen Wiederholung des seit Kindheitstagen Vertrauten aus, wie eine Variation auf den Salvatore-Stoff anklingen lässt, die der Autor anlässlich des nationalen Eucharistischen Kongresses 2013 in Köln verfasst hat. Auch in dieser Erzählung 170 4 Arnold Stadler - Poetik des (Un-)Glaubens <?page no="171"?> 607 Vgl. dazu dieser Variante Stadlers auf den Salvatore-Stoff auch S Ö D I N G , Konkursverwalter und Schrotthändler? , 75f. 608 S T A D L E R , Arnold, INTROIBO - Wie ein kleines Roadmovie, in: Johannes S C H R Ö E R - Ulrike S U R M A N N (Hgg.), Trotz Natur und Augenschein. Eucharistie - Wandlung und Weltsicht, Köln 2013, 229-250, hier 248f. macht sich Salvatore am Christi Himmelfahrtstag mit seinem Auto auf den Weg. Doch dieses Mal endet die Fahrt bereits mit der Eucharistiefeier. 607 „INTROIBO, sagte er sich nun wieder: Ich gehe hinein. Werde hineingehen. Hinein‐ gegangen sein. Die schönste Richtung war die Himmelsrichtung. Das wusste er von früher. Von einst, als die Sehnsucht seine Zukunft war. Nun war die Erinnerung sein Heimweh. Und auch sein Heimweh ging nun wieder nach oben. Es war am Tag einer Himmelfahrt, der Himmelfahrt Christi im Jahr 33 nach der Mondlandung. Um elf Uhr begann die heilige Messe. Schon hörte er sie Kyrie Eleison singen.“ 608 4.4 Resümee 171 <?page no="173"?> 609 G R U Š A , Jiří, Das Unbehagen mit dem Unbenannten. Oder: Das letzte und das erste Wort. Laudatio auf Petra Morsbach, in: Günther R Ü T H E R (Hg.), Literaturpreis 2007. Dokumentation der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Berlin 2007, 15-22, hier 16, 18 f. - https: / / www.kas.de/ documents/ 252038/ 253 252/ 7_dokument_dok_pdf_12372_1.pdf/ 87de2036-d6d0-150f-bfb3-4f7b82131ef7? versio n=1.0&t=1539663977769 (Zugriff am 11.07.2019). 610 Zur Kirche in der Tschechoslowakei vgl. auch H A L Í K , Tomás, All meine Wege sind DIR vertraut. Von der Untergrundkirche ins Labyrinth der Freiheit, Freiburg i. Br. 2018. 611 Vgl. M O R S B A C H , Petra, Plötzlich ist es Abend. Roman, Frankfurt 1995. 612 Vgl. zu „Plötzlich ist es Abend“ u. a. die treffende Analyse von Martin Mosebach, in: D E R S ., Eine Sprache wie eine kristallklar geputzte Fensterscheibe. Laudatio auf Petra Morsbach zur Verleihung des Jean-Paul-Preises 2013, in: aviso. Zeitschrift für „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt, der Tage ersehnt, um Gutes zu sehen? “ (Ps 34, 13) 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit Jiří Gruša (1938-2011) ließ in seiner Laudatio auf Petra Morsbach anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung mit einer bemerkenswerten Passage über ihren Debütroman „Plötzlich ist es Abend“ aufhorchen: „Wie kann das eine so junge Person, wie diese Frau Morsbach, eine außerhalb der direktesten Erfahrung, besser erfasst haben als die Akteure und Provokateure? […] Hier wurde die Wahrheit ausgesprochen als eine bereichernde Version des Lebens. […] Jedenfalls habe ich nie so eine packende Schilderung der vita sowjetica in der Hand gehabt.“ 609 Gruša, tschechischer Schriftsteller und Dissident, einst von den Kommunisten zum Bauarbeiter degradiert und später des Landes verwiesen, weil er sich mit Václav Havel (1936-2011) am Prager Frühling beteiligte, würdigte Morsbachs Debütroman für die Verdichtung einer ganzen Epoche im Lebenslauf einer einzigen Person, ohne selbst Teil davon gewesen zu sein. 610 Ludmilla Semjo‐ nowna, kurz Ljusja, wie Morsbach ihre Protagonistin nennt, ist Tochter eines von Stalin verfolgten Popen in Sankt Petersburg, die fortwährend mit ihrem eigenen Schicksal und den Schikanen des kommunistischen Regimes kämpft. 611 Im Leben Ljusjas spiegelt sich die moderne Geschichte Russlands wider, von den Anfängen der Sowjetunion über die Stalinzeit bis hin zu dem sich abzeichnenden Niedergang in den Nachkriegsjahrzehnten. 612 Morsbach gelingt es, anhand des <?page no="174"?> Wissenschaft und Kunst in Bayern (2014/ 1) 42-45 - https: / / www.km.bayern.de/ epape r/ 2014-1-aviso/ files/ assets/ basic-html/ page43.html (Zugriff am 15.06.2019). 613 Zur Biographie Grušas vgl. R Ü T H E R , Günther, Autoren. Dr. Jiří Gruša, in: D E R S . (Hg.), Literaturpreis 2007. Dokumentation der Verleihung des Literaturpreises der Konrad- Adenauer-Stiftung e. V., Berlin 2007, 38-40 - https: / / www.kas.de/ documents/ 252038/ 25 3252/ 7_dokument_dok_pdf_12372_1.pdf/ 87de2036-d6d0-150f-bfb3-4f7b82131ef7? versi on=1.0&t=1539663977769 (Zugriff am 11.07.2019). 614 Zur Biographie Morsbachs vgl. M O R S B A C H , Petra, Biographie, in: D I E S ., Autorenho‐ mepage - http: / / www.petra-morsbach.de/ biographie.html (Zugriff am 17.06.2019); G A R H A M M E R , Erich, Was ist Glück? Petra Morsbachs Roman „Justizpalast“, in: HerKorr 72 (2018/ 8) 52; H U R T H Elisabeth, Gottesdiener. Zum Priesterbild in Literatur und Medien, in: HerKorr.Sp (2009/ 1) 48-53; O V E R A T H , Joseph, Petra Morsbachs Roman „Gottesdiener“. Eine kritische Anfrage an die katholische Kirche von heute, in: kb 109 (2008) 19-28; B R A U N , Michael, „Diener der bessernden Wahrheit“. Ein Porträt von Petra Morsbach, in: StZ 225 (2007) 637-641. 615 „Meine erste Frage war: Wie konntest du das Alte ad acta legen? Die zweite: Wie kann das eine so junge Person, wie diese Frau Morsbach, eine außerhalb der direktesten Erfahrung, besser erfasst haben als die Akteure und Provokateure? Ja, sogar in einer Sprache, die ganz anders gelitten hat als die russische und der ich zufälligerweise mein Entkommen verdanke - aus der allgegenwärtigen Russifizierung von Alltagsbegriffen.“, in: G R U Š A , Das Unbehagen mit dem Unbenannten. Geschicks einer einzigen Figur die zeitgeschichtlichen Gesamtzusammenhänge eines ganzen Landes ins Wort zu bringen. Bei der Veröffentlichung ihres Debüts war Morsbach mit neununddreißig Jahren nicht mehr so jung wie Gruša in seiner Laudatio andeutete. 613 Ihre Bio‐ graphie verrät zudem, dass sie für den Roman nicht gänzlich auf „direkteste Er‐ fahrung“ verzichten musste, auch wenn sie im Unterschied zu Gruša aus keinem sozialistischen Land stammt. Morsbach wurde 1956 als Tochter eines Ingenieurs und einer Ärztin in Zürich geboren, aufgewachsen ist sie im Umland von Mün‐ chen. 614 Nach dem Abitur studierte die heutige Autorin Theaterwissenschaft, Slawische Philologie und Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ging 1981 als Teilnehmerin einer Regiemeisterklasse an die renommierte Leningrader Theaterakademie. Beste Kontakte zu Einheimischen, exzellente Sprachkenntnisse und ein außergewöhnliches Einfühlungsvermögen in fremde Kulturen und Milieus trugen wesentlich zum Erfolg des Romans bei, der während ihres Studienaufenthalts in Sankt Petersburg seinen Anfang nahm. Morsbach arbeitete sich so präzise in die vita sovjetica ein, dass Gruša fast zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sein eigenes Schicksal im Buch Morsbachs exemplarisch wiedererkennen konnte. 615 Nach der Rückkehr aus Russland schloss Morsbach ihr Studium mit einer Promotion über den von Stalin ermordeten Dramatiker Isaak Babel ab und wechselte beruflich ans 174 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="175"?> 616 M O R S B A C H , Petra, Isaak Babel' auf der sowjetischen Bühne (Slavistische Beiträge 168), München 1983. 617 Der 1980 von Vito von Eichborn und Matthias Kierzek in Frankfurt gegründete Verlag wurde nach finanziellen Schwierigkeiten am 1. November 2011 an die Bastei Lübbe AG verkauft. Petra Morsbachs Romane erscheinen mittlerweile im Knaus Verlag München. 618 Zum Werk und den verliehenen Preisen vgl. M O R S B A C H , Petra, Bibliographie, in: D I E S ., Autorenhomepage - http: / / www.petra-morsbach.de/ bibliographie.html (Zugriff am 10.07.2019). 619 In „Opernroman“ und „Der Cembalospieler“ legt Morsbach ihr Interesse auf die Abgründe der Musikwelt, in „Dichterliebe“ beleuchtete sie den Literaturbetreib. In der „Geschichte mit Pferden“ ging sie der sozialen Ausbeutung einer Köchin auf einem Reiterhof nach; vgl. dazu M O R S B A C H , Petra, Opernroman (Die Andere Bibliothek 164), Frankfurt a. M. 1998; D I E S ., Der Cembalospieler. Roman, München - Zürich 2008; D I E S ., Dichterliebe. Roman, München 2013; D I E S ., Geschichte mit Pferden. Roman, Frankfurt a.-M. 2001. 620 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener. Roman, Frankfurt a. M. 2 2006; D I E S ., Justizpalast. Roman, München 2017. 621 Für „Justizpalast“ wurde Morsbach mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2017 ausge‐ zeichnet; vgl. dazu W I N K E L S , Hubert (Hg.), Petra Morsbach trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2017, Göttingen 2018. 622 Vgl. zu Petra Morsbachs Literaturverständnis bes. D I E S ., Warum Fräulein Laura freund‐ lich war. Über die Wahrheit des Erzählens. Essay, München - Zürich, 2006, hier bes. 11-32; vgl. zum poetischen Realismus G E P P E R T , Hans Vilmar, Realismus und Moderne. (Musik-)Theater. 616 Als Dramaturgin und Regisseurin verwirklichte Morsbach mehr als zwanzig Inszenierungen, bevor sie das Theater 1993 wieder verließ, um ihrer Berufung als Schriftstellerin zu folgen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, einen geeigneten Verleger zu finden, vermittelte Hans Magnus Enzensberger ihren Erstling an den Frankfurter Eichborn Verlag. 617 Seither stößt die Starnberger Autorin mit ihren vielfach prämierten Romanen in immer neue Lebenswelten, Kulturen und Milieus vor. 618 Dazu gehörten zunächst Künstlerromane, in denen sie die schillernden wie abgründigen Lebensumstände von Musikern und Schriftstellern literarisch umkreist. 619 Als bislang bedeutendste Werke gelten jedoch die beiden Werke „Gottesdiener“ (2004) und „Justizpalast“ (2018), intime Einzelportraits eines niederbayrischen Provinzpriesters und einer Münchner Richterin. 620 Während ihr die vielschichtigen Lebensumstände von Künstlern aus eigener Anschauung vertraut sind, schreibt sie in den letztgenannten Büchern über zwei archetypi‐ sche Berufsgruppen, mit denen sie biografisch bis dahin nur wenig verband. Ihrer Methode, ganze Epochen oder Institutionen mit pointierten Lebensge‐ schichten einzelner Protagonisten auf den Punkt zu bringen, bleibt sie auch in diesen Büchern treu. 621 Als Schriftstellerin hat sich Morsbach seit ihrem Debüt dem poetischen Realismus verschrieben. 622 Vor der Niederschrift eines Romans recherchiert sie 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit 175 <?page no="176"?> Erträge, Vergleiche, Perspektiven, Tübingen 2020; K N A L L E R , Susanne, Die Realität der Kunst. Programme und Theorien zu Literatur, Kunst und Fotografie seit 1700, Paderborn 2015. 623 „Vor allem aber möchte ich möglichst genau verstehen, worum es geht. Ein realistischer Autor sollte seine Deutung der Wirklichkeit anpassen, nicht umgekehrt. Je mehr Wirklichkeit er erfaßt, desto aussagefähiger ist sein Zeugnis.“ Mit diesen Worten umschreibt Morsbach ihren literarischen Realismus, in: M O R S B A C H , Petra, Gottesdiener. Häufige Fragen, in: D I E S ., Autorenhomepage - http: / / www.petra-morsbach.de/ bibliog raphie/ gottesdiener/ gottesdiener_faq.html (Zugriff am 11.07.2019). 624 M O S E B A C H , Eine Sprache wie eine kristallklar geputzte Fensterscheibe, 45. mitunter mehrere Jahre, um jedes noch so kleine Detail der neu zu beschrei‐ benden Welt zu erfassen. Worüber sie in ihren einprägsamen Studien schreibt, das hat sie selbst gesehen, dem ist sie so lange auf den Grund gegangen, bis sich ihr auch das letzte Geheimnis lüftet. Als dem Realismus verpflichtete Erzählerin tritt Morsbach stets in den Hintergrund. Die dargestellten Figuren und deren verworrene Lebenswelten zu beschönigen oder gar zu idealisieren, zählt nicht zu ihren literarischen Absichten. Der Verzicht auf Kritik oder Anerkennung für ihre Protagonisten und Protagonistinnen ist Teil des unparteiischen Beobachtens. Eine der erzählerischen Prämissen lautet: „Ein realistischer Autor sollte seine Deutung der Wirklichkeit anpassen, nicht umgekehrt“, eine andere: „Je mehr Wirklichkeit er erfasst, desto aussagefähiger ist sein Zeugnis.“ 623 Auf den ersten Blick ist man versucht, bei Morsbach von einer objektiven, gar trockenen Faktenprosa zu sprechen, die auf jede poetische Effekthascherei verzichtet, ja sogar verzichten muss, um den objektiven Weltzugriff nicht vorschnell zu gefährden. Hinter der stilistischen Schnörkellosigkeit erkennt Martin Mosebach (*1951) einen tieferliegenden Sinn, der die Grundstrukturen der conditio humana freilegen will: „Ihre Sprache will wie eine kristallklar geputzte Fensterscheibe den Ausblick auf das eröffnen, was sie beschreibt. Vergesst den Autor, sagt uns Petra Morsbach, nähert euch mit dem Gesicht dieser Glasscheibe, die unversehens Lupenqualität offenbart, und lasst euch von dem Bild dahinter anziehen und in Besitz nehmen. Indem ihr den Blick von euch selbst abwendet und diese von mir in bildträchtige Wörter gebannte Szenerie in euch aufnehmt, erfahrt ihr etwas über jene Wirklichkeit eurer Existenz, die euch in eurem Alltag immer zu entgleiten droht.“ 624 Morsbachs Literatur lebt von der vermeintlichen Paradoxie, im fremden das je eigene Schicksal zu erkennen. Wenn sie den Leser bzw. die Leserin in zunächst abgelegene Lebenswelten entführt, konfrontiert sie ihn bzw. sie immer auch mit den Höhen und Tiefen der eigenen Lebensrealität. Archetypische Figuren wie ein Priester („Gottesdiener“) oder eine Richterin („Justizpalast“) scheinen sich 176 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="177"?> 625 Vgl. B I E R I N G E R , Andreas - T Ü C K , Jan-Heiner, Renaissance des Katholischen in der Gegenwartsliteratur? Editorial, in: IKaZ Communio 42 (2013) 1-3; eine gute Übersicht über religiös sozialisierte Autoren gibt zudem L A N G E N H O R S T , Georg, „Ich gönne mir das Wort Gott“. 626 M O R S B A C H , Petra, Dankrede anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der Konrad- Adenauer-Stiftung, in: Günther R Ü T H E R (Hg.), Literaturpreis 2007. Dokumentation der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Berlin 2007, 23-27, hier 25 - https: / / www.kas.de/ documents/ 252038/ 253252/ 7_dokument_dok_pdf_12372 _1.pdf/ 87de2036-d6d0-150f-bfb3-4f7b82131ef7? version=1.0&t=1539663977769 (Zugriff am 11.07.2019). 627 Radiointerview zit. nach L A N G E N H O R S T , „Ich gönne mir das Wort Gott“, 131. 628 Zum Priesterbild in Literatur und Theologie vgl. H U R T H , Elisabeth, Der gute Hirte. Zum Priesterbild in der Unterhaltungsliteratur am Beispiel der Bergpfarrer-Heftromane, in: TThZ 128 (2019) 167-177; D I E S ., „In persona Christi“; D I E S ., Der Gottlose Priester. Die Krise der Kirche und ihrer Diener in der Romanliteratur der Gegenwart, in: TThZ 126 (2017) 245-261; D I E S ., Seiltänzer. Priestergestalten in Romanen der Gegenwart, in: Her‐ Korr 69 (2015/ 12) 638-641; T Ü C K , Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein; H U R T H , Elisabeth, Priestergestalten in der Romanliteratur, in: IKaZ Communio 35 (2006) 291-305; vgl. D I E S ., Priestergestalten in der Gegenwartsliteratur, in: TThZ 114 (2005) 331-340; vgl. D I E S ., Metamorphosen der Gottesdiener. Priestergestalten in Romanen der Gegenwart, in: HerKorr 59 (2005/ 3) 144-149; vgl. D I E S ., Geistliches Amt und politisches Handeln. Beobachtungen zu deutschen Pfarrerromanen, in: IKaZ Communio 33 (2004) 479-493; vgl. D I E S ., Mann Gottes. Das Priesterbild in Literatur und Medien (ThLi 15), Mainz 2003. besonders gut zu eignen, um die fundamentalen Fragen nach Tod und Leben, Recht und Gerechtigkeit, Glauben und Leiden in zeitgenössischen Kontexten aufzugreifen. Im Unterschied zu den anderen in dieser Studie behandelten Autoren kommt Morsbach als Nichtkatholikin ganz von außen, denn sie wurde weder reli‐ giös sozialisiert noch durchlief sie eine kirchliche (Internats-)Schule. 625 Nach eigenem Bekunden verbrachte sie ihre Kindheit in einer weitgehend atheisti‐ schen Familie, der sie jedoch einen „sozusagen protestantisch substantielle[n] Umgang des Lesers mit dem Autor“ 626 verdankt. Wenig überraschend steht sie als Literatin den katholischen Dogmen und Glaubensüberzeugungen kritisch gegenüber. Für den Gottesdienst hegt sie jedoch Sympathien: „Der katholische Ritus, der spricht mich erst mal an. Mich bewegt die Liturgie, mich bewegen die Texte, das hat etwas sehr Schönes und Entrücktes.“ 627 Diese Affinität trägt ihren Teil zur liturgischen Grundstimmung des Romans „Gottesdiener“ bei, dem hier die ganze Aufmerksamkeit gilt. 628 Die Rolle als literarisch unabhängige Beobachterin spiegelt sich wahrschein‐ lich auch in ihrem Faible für sprechende Namen (Kreuzpaintner, Rattenhuber, Vogelsang) wider. Mit leichtem Augenzwinkern blickt sie in „Gottesdiener“ auf das verschrobene Personal des niederbayrischen Katholizismus - so, als würde 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit 177 <?page no="178"?> 629 Bevor der Bischof die Kandidaten zu Priestern weiht, vergewissert er sich bei Volk und Klerus, ob sie für würdig gehalten werden. 630 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 6. 631 Vgl. dazu die Rezensionen von A C K E R L , Franz, Gottesdiener, in: EuA 85 (2009) 418-419; O V E R A T H , Petra Morsbachs Roman „Gottesdiener“. 632 Vgl. auch die klassischen Pfarrer-Romane W O L L B O L D , Andreas, Der Einbruch. Erzäh‐ lung, Augsburg 2012; B E R N A N O S , Georges, Unter der Sonne Satans. Roman, Freiburg i. Br. 2009, D E R S ., Tagebuch eines Landpfarrers. Roman, Frankfurt a. M. 1986; G R E E N E , Graham, Die Kraft und die Herrlichkeit. Roman, Zürich 1952. sie einen exotischen Tierpark durchstreifen und allerhand Beobachtungen notieren, die weit über die Zäune des bayrischen Zoos hinausreichen. Nicht ausgeschlossen, dass selbst der eigene Familienname im Roman zum Programm wird: In Mors-bach verbindet sich Tod und Lebendigkeit, vielleicht eine von Morsbachs literarischen Triebfedern, die Tragikomik des menschlichen Lebens immer wieder pointiert und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln ins Wort zu nehmen. Ihre Perspektive als nichtkatholische, ja areligiöse Frau auf eine von Männern dominierte Sakralwelt zwingt geradezu, die eigene katholische Binnenperspektive zu verlassen und die Autorin auf ihren Streifzügen durch die sonderbare Welt des Pfarrers Isidor Rattenhuber zu begleiten. 5.1 „Gottesdiener“ - Literarische Seelsorge zwischen alter und neuer Welt „Weißt du, ob sie würdig sind? “ 629 Am Beginn des Romans „Gottesdiener“ (2004) steht die Eingangsfrage der katholischen Priesterweihe. 630 Isidor Rattenhuber, Landpfarrer im fiktiven Bodering in der niederbayrischen Provinz, eilt am Abend des vierten Adventsonntags zum Kühlschrank, um hastig ein Paar kalte Aldi-Weißwürste zu verschlingen. 631 Kurz davor stand er noch am Altar seiner barocken Pfarrkirche und zelebrierte die Abendmesse. Weihnachten steht unmittelbar bevor, Einsamkeit macht sich breit und immer noch kämpft er mit den Folgen einer nicht ganz überwundenen Alkoholsucht. Gleich zum Auftakt ihres unkonventionellen Priesterromans lässt Morsbach Ideal und Wirklichkeit aufeinanderprallen, die hohen Anforderungen der Liturgie und das Bedürfnis nach menschlicher Zuwendung wollen im Leben Rattenhubers nicht mehr so recht zusammengehen. 632 Die Autorin versteht sich auf die Darstellung der Kluft zwischen Theorie und Praxis, der großen wie kleinen Widersprüche des Lebens, die einem sensiblen Priester wie Isidor Rattenhuber besonders zu schaffen 178 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="179"?> 633 Vgl. R E I T H M A I E R , Sabine, Wie schreibt man einen Justiz-Roman? Petra Morsbach im Interview über ihren Justiz-Roman, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 23.08.2017 - https: / / www.sueddeutsche.de/ kultur/ literatur-wie-schreibt-man-einen-justizrom an-1.3637724? reduced=true (Zugriff am 03.11.2021). 634 M O R S B A C H , Gottesdiener, 23. 635 M O R S B A C H , Gottesdiener, 16. 636 Isidor Rattenhuber ausgerechnet als stotternden und rothaarigen Priester darzustellen, rief Kritik hervor. Morsbach erläutert dazu auf ihrer Homepage: „Ich sah, während ich nach meiner Hauptfigur suchte, auf einer Feier einen Priester, der mir interessant erschien. Er war vielleicht Mitte Vierzig, sah gut aus, was er nicht zu wissen schien, und wirkte gleichermaßen gehemmt und beseelt. Jemand erzählte mir, daß er im Alltag stottere, beim Lesen der Liturgie aber nicht. In dieser Phase meiner Recherche sprach ich fast alle Priester an; nur bei ihm habe ich darauf verzichtet, vielleicht, weil ich schon spürte, daß mein Held sich aus ihm entwickeln könnte. Ich weiß nicht mal, wie er heißt. Übrigens scheint es häufiger stotternde Priester zu geben, denn nachdem mein Buch erschienen war, kamen verschiedene Anfragen, ob ich Herrn X. oder Y. oder Z. kenne - jeweils mit den Gemeindenamen. Dieser war nicht dabei.“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener. Häufige Fragen. machen. 633 Zölibat, Beziehungsunfähigkeit und Schuldgefühle hängen wie ein Damoklesschwert über seiner Pfarrerexistenz. Dazu kommt die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und dem Lebensalltag der Dorfbewohner. „Merk dir, Isidor: Das eine ist die Theologie, das andere die Pastoral! “ 634 , gibt ihm Pfarrer Stettner, väterlicher Freund und langjähriger Mentor, mit auf den Weg, damit er die immer größer werdenden Widersprüche im täglichen Leben als Seelsorger ertragen könne. Das Buch erstreckt sich über ein ganzes Pfarrerleben, von den Tagen im Seminar bis zur Zeit kurz vor der Pensionierung. Im Zentrum steht Rattenhubers Alltag als Dorfpfarrer. Seine Herkunft und das Heranwachsen in Familie und kirchlichem Internat werden im Verlauf des Buches immer wieder als Rück‐ blenden eingespielt. Nüchtern zieht er nach vierzig Jahren hingebungsvollen Dienstes an Kirche und Gemeinde Bilanz: „Warum ist er Priester geworden? Er wollte gut sein und anderen helfen, hat er vor vierzig Jahren geantwortet. Er wollte sich opfern, hätte er vor zwanzig Jahren gesagt: Was soll er tun? Er bestand zu 66 Prozent aus Wasser und versprach sich nichts von sich. Heute, da ihn dreißig Jahre keiner gefragt hat, würde er wahrscheinlich mit einem Scherz antworten: Was bleibt denn anderes übrig, wenn man Isidor Rattenhuber heißt, rothaarig ist und stottert? “ 635 Bäuerliche Herkunft, Stottern und rote Haare lösen das Gefühl einer tief empfundenen Unwürdigkeit aus. 636 Schon früh legt er sich deshalb zwei De‐ tails seiner Biographie als persönliche Errettungslegenden zurecht. Die erste Rettungsepisode trägt biblische Ausmaße, wird er doch ausgerechnet vom 5.1 „Gottesdiener“ - Literarische Seelsorge zwischen alter und neuer Welt 179 <?page no="180"?> 637 M O R S B A C H , Gottesdiener, 19 f. Morsbach lässt an dieser Stelle die Nennung „Lauren‐ tius, Chrysogonus, Johannes und Paulus“ zwischen Cyprianus und Kosmas aus. Vgl. außerdem Schott-Meßbuch für die Sonn- und Festtage des Lesejahres A. Originaltexte der authentischen deutschen Ausgabe des Meßbuches und des Meßlektionars. Mit Einführungen herausgegeben von den Benediktinern der Erzabtei Beuron, Freiburg i. Br. u.-a. 1998, 367. 638 Zur Bedeutung der volkssprachlichen Messbücher von Anselm Schott vgl. H Ä U ẞ L I N G , Angelus Albert, Einhundert Jahre „Schott“. Anselm Schott und sein Meßbuch, in: EuA 59 (1983) 342-350. 639 Zur Bedeutung und Genese des Canon Romanus vgl. u. a. M E ẞ N E R , Reinhard, Die Meßreform Martin Luthers und die Eucharistie der Alten Kirche. Ein Beitrag zu einer systematischen Liturgiewissenschaft (IThS 25), Innsbruck 1989, bes. 84-91. 640 M O R S B A C H , Gottesdiener, 123. Dorfpfarrer vor den Fluten eines anschwellenden Baches gerettet, der nach einem Gewitter die Stube des elterlichen Bauernhauses zu überfluten droht. Die herzlosen Eltern hatten den vierjährigen Buben zuvor mit einem Kälberstrick am Stubentisch festgebunden, damit er ihnen nicht davonlaufen konnte. Seine zweite Befreiungserzählung sollte sich noch entschiedener auf die spätere Berufswahl auswirken. Pfarrer Stettner rettet Isidor nicht nur vor dem heranna‐ henden Hochwasser, er initiiert ihn auch in die ästhetische Welt der katholischen Liturgie. Im Arbeitszimmer des Geistlichen greift Isidor als Grundschüler nach einem besonderen Buch, dessen Goldschnitt und Ledereinband seine Aufmerk‐ samkeit erregen. Wie in Trance liest er laut daraus vor: „›In heiliger Gemeinschaft ehren wir dabei vor allem das Andenken der glorreichen, allzeit reinen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu Christi, unseres Herrn und Gottes (wie auch Deiner heiligen Apostel und Blutzeugen Petrus und Paulus, Andreas, Jakobus, Johannes, Thomas, Jakobus, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Simon und Thaddäus; Linus, Kletus, Klemens, Xystus, Kornelius, Cyprianus, Kosmas und Damianus …)‹ Er stotterte nicht und verlas sich kein einziges Mal. Er war befreit! “ 637 Das Schott-Messbuch des Gemeindepfarrers eröffnet Isidor eine ganz neue Welt. 638 Ausgerechnet beim Sprechen des traditionellen Römischen Messkanons wird er vom Stigma des Stotterns befreit, das ihm zwar im Alltag erhalten bleibt, in der Liturgie aber für immer verschwinden sollte. 639 Aufgrund anhaltender Erfolge in der Schule halten ihn auch die Eltern rasch nicht mehr für einen introvertierten Dummkopf und bald wird klar, wohin er gehört. Pfarrer Stettner sorgt dafür, dass der elfjährige Junge sein tristes Elternhaus verlassen darf, um auf ein Benediktinerinternat zu wechseln. Nach dem Abitur folgt nahtlos der Übertritt in das Passauer Priesterseminar. Schritt für Schritt dient er sich vom Dorfjungen zum angesehenen Geistlichen hoch. Er selbst spricht von seiner „Erhebung“ 640 , die mit der Weihe im Hohen Dom zu Passau ihren vorläufigen 180 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="181"?> 641 M O R S B A C H , Gottesdiener, 121 f. 642 M O R S B A C H , Gottesdiener, 123 f. 643 M O R S B A C H , Gottesdiener, 105. Höhepunkt erreicht: „Über zweitausend Jahre hinweg spürt nun also Isidor Rattenhuber aus Dorfham die Hände von Jesus Christus selbst.“ 641 Berufung und Liturgie gehören in Rattenhubers Biographie untrennbar zusammen. Von den altehrwürdigen Texten und Gebeten des Messbuches fühlt er sich zeitlebens unmittelbar angesprochen. Schon während seiner Primiz zeichnen sich jedoch erste Anzeichen von Unsicherheit ab: „Isidor im Ornat fühlte sich wie ein Opferstier vor der euphorischen Menge und dachte: Sie feiern sich, weil aus ihrer Mitte ein Priester hervorgegangen ist. Aber was haben sie dafür geleistet, außer mich zu quälen? “ 642 Immer wieder droht sein Leben zwischen den Ansprüchen des Amtes und den persönlichen Bedürfnissen nach einem gelungenen Leben zu scheitern. Abseits der Liturgie findet er nur wenige Schutzräume, die ihm etwas Ruhe und Ausgleich zum aufreibenden Alltag gewähren. Morsbach erweist sich im „Gottesdiener“ als sensible Zeitdiagnostikerin, wenn sie den bodenständigen Geistlichen als Teil jener Konzilspriestergenera‐ tion schildert, die den Umbruch des Priester-, Kirchen- und Liturgiebildes im Gefolge des Zweiten Vatikanums am eigenen Leib austragen musste. Ihre lite‐ rarische Kunst, ein spezifisches Milieu besser erfassen zu können als unmittelbar Betroffene, bewahrheitet sich auch hier auf erstaunlich präzise Weise. Wieder konzentriert sie sich auf das Schicksal eines Einzelnen, um eine ganze Institution und Epoche auf den Punkt zu bringen. „Sein Studium fiel in die Jahre des Zweiten Vatikanischen Konzils, und er freute sich an der Aufbruchsstimmung im Seminar ebenso wie an der zunächst noch eingehaltenen Strenge der alten Liturgie. Gefühlsexzesse, Planlosigkeit und Willkür waren die Schrecken seiner Kindheit gewesen, so daß er Struktur schon an sich schätzte. Magisch aufgeladene Strukturen und heilige Zeremonien aber erregten ihn geradezu, weil sie nicht nur Ordnung versprachen, sondern auch Gefühl zugleich bedeuteten und bannten. Der Prunk der Gottesdienste im Dom benebelte ihn: der feierliche Einzug von Bischof, Domkapitel und der diözesanen Geistlichkeit, die Choreographie der Männer in prächtigen Gewändern vor dem Altar im Glanz des Lichts, das leise Klingeln der Ketten am Weihrauchfaß, Weihrauchschwaden, die bis in die Kuppel emporstiegen, ein Heer von Gläubigen, das unter Bekreuzigungen in die Knie sank.“ 643 Am Beginn seiner geistlichen Karriere gehen konziliare Aufbruchsstimmung und rituelle Sicherheit noch Hand in Hand. Von den ästhetischen Nebel‐ schwaden einer prachtverliebten Liturgie narkotisiert und von den Vorteilen eines überhöhten Priesterbildes überzeugt, wechselt Rattenhuber vom Seminar 5.1 „Gottesdiener“ - Literarische Seelsorge zwischen alter und neuer Welt 181 <?page no="182"?> 644 Das Ringen um ein zeitgemäßes Priesterbild ist u. a. dokumentiert in: B E N T Z , Udo - R U H , Ulrich, „Vielgestaltigkeit ist wünschenswert.“ Ein Gespräch mit Regens Udo Bentz über Priesterausbildung heute. Die Fragen stellte Ulrich Ruh, in: HerKorr 68 (2014/ 7) 339-344 und H Ä R I N G , Bernhard, Heute Priester sein. Eine kritische Ermutigung, Freiburg i. Br. 2 1996. 645 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 145. 646 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 333. 647 M O R S B A C H , Gottesdiener, 159. 648 Wie sehr Glaubenszweifel und die Verpflichtung zum Zölibat die Identität eines Pries‐ ters beeinträchtigen können, zeigte Evelyn Schlag in ihrem erfolgreichen Priesterroman eindrucksvoll; vgl. D I E S ., Die göttliche Ordnung der Begierden. Roman, Salzburg - Wien 1998. in die Pfarrei, um schon bald mit Lebensrealitäten konfrontiert zu werden, die während der Seminarausbildung keine Rolle spielten. 644 Die Routine des Alltags zehrt schnell an seinen Kräften, der zunehmende Priestermangel zwingt ihn, auch auswärts Gottesdienste und zusätzliche Verpflichtungen zu übernehmen. Zeit und Raum für Ruhe und innere Einkehr bleiben kaum. Nach seinem ersten Urlaub ohne Begleitung muss er desillusioniert feststellen, wie einsam und menschlich unsicher er sich eigentlich schon nach wenigen Jahren als Gemein‐ depriester fühlt. 645 Parallel zur voranschreitenden Vereinsamung verliebt er sich zu allem Überdruss in eine attraktive Mittzwanzigerin, die in einem Boderinger Luxushotel ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert. Das unbefriedigte Bedürfnis nach Intimität und Zuneigung tritt durch die Begegnung mit der Frau offen zutage. In seiner Beziehungsunfähigkeit gefangen sieht sich Isidor jedoch außerstande, offen auf die junge Frau zuzugehen und ihr seine Gefühle zu bekennen. Sehnsucht und Begierde bleiben bloße Phantasie, als Ersatzbefriedi‐ gung lockt der Alkohol, dem er schließlich ganz und gar verfällt. Auch wenn es ihm nach einem Sturz samt Krankenhausaufenthalt gelingt, von der zermür‐ benden Abhängigkeit wieder langsam loszukommen, bleibt die Unfähigkeit bestehen, physische und direkte Verantwortung für eine lebende Person zu übernehmen. 646 Rattenhuber fügt sich langsam in sein Schicksal. Zölibat und Liturgie werden zu einer Art immunisierendem Schutzschild, um Einsamkeit und Enthaltsamkeit in Stille zu erdulden. Ein Ausscheiden aus dem Priestertum kommt aber zu keinem Zeitpunkt infrage: „Er würde Entzugserscheinungen bekommen, wenn er die Liturgie nicht mehr vollziehen durfte.“ 647 Was lässt sich heute noch über einen Priester erzählen, der trotz Unzuläng‐ lichkeiten nicht als skandalträchtige Ausnahmefigur konzipiert ist? 648 Isidor Rattenhuber leidet unter Einsamkeit und fehlender Wertschätzung, dennoch verzichtet die Autorin auf eine klischeehafte Darstellung ihres Protagonisten. Isidor zeugt keine Kinder, er will weder heiraten, noch ist er homosexuell. Jede 182 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="183"?> 649 Vgl. F A L C K E , Eberhard, Literarische Seelsorge. Petra Morsbach beschreibt kenntnisreich und einfühlsam das Leben eines Gemeindepfarrers in der deutschen Provinz, in: Die Zeit Nr. 47 vom 11.11.2004 - https: / / www.zeit.de/ 2004/ 47/ L-MorsbachTAB (Zugriff am 18.09.2019). 650 M O R S B A C H , Gottesdiener, 88. 651 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 6, 48, 98, 152, 190, 256 f., 310, 358; außerdem Die Weihe des Bischofs, der Priester und der Diakone. Pontifikale I. Handausgabe mit pastoralli‐ turgischen Hinweisen, hg. von den Liturgischen Instituten Salzburg - Trier - Zürich, Freiburg i. Br. u. a. 1994,72, 77, 78, 79, 80, 81 f., 94 und Die Feier der Heiligen Messe. Meßbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, Kleinausgabe. Das Meßbuch deutsch für alle Tage des Jahres, hg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen und Lüttich, Freiburg u. a. 1976, 18 f.; vgl. E C O , Der Name der Rose. Form der Rebellion gegen die kirchliche Obrigkeit ist ihm darüber hinaus fremd, auch wenn er die einseitige Machtausübung seiner Oberen in der Bistumsleitung immer wieder heftig kritisiert. 649 Auch wenn er im Laufe seines Priesterberufs von keiner Krise verschont bleibt, gelingt es ihm, sein Leben irgendwie zu meistern. Die Beziehungen zu Freunden und Frauen verlaufen schmerzhaft, dennoch gewinnt der Leser oder die Leserin nie den Eindruck, Rattenhuber sei eine verkrachte oder gar gescheiterte Existenz. „Isidor imponierte weniger, wie man kämpft und siegt, als wie man verliert und immer weiter kämpft.“ 650 Sein Leben besteht aus Hinfallen und Aufstehen. Dieser Maxime folgt er so beharrlich, bis er seine Ziele erreicht. Das macht ihn auf das ganze Buch hin gesehen zu einem sympathischen Pragmatiker, der sich trotz Misserfolge seiner Berufung sicher ist. Die Jagd nach einem spannenden Plot ist nicht Morsbachs Ziel. Gegenstand ihres Erzählens ist das Leben selbst, die mehr oder weniger zufällige Anein‐ anderreihung alltäglicher Vollzüge und Begegnungen. Wie die Liturgie Ratten‐ hubers zerfahrenem Leben Halt und Zuflucht gibt, so greift die Autorin auf ri‐ tuelle Versatzstücke der katholischen Priesterweihliturgie zurück, um dem lose wirkenden Handlungsablauf eine Struktur zu geben. Als Initium steht am Be‐ ginn jedes der acht Kapitel ein längeres Zitat aus der Liturgie der Priesterweihe, alle weiteren Abschnitte werden mit prägnanten Bibelzitaten eingeleitet. 651 Das streckenweise rätselhafte Gegenüber von biblisch-liturgischen Zitaten und fiktiver Priesterbiographie verstärkt die Fremdheit der Religion gegenüber heutigen Lebensentwürfen. Zugleich legen sie metaphysische Verheißungen frei, die trotz aller Säkularisierungstendenzen auch in zeitgenössischen Gesell‐ schaften noch immer präsent sind. 5.1 „Gottesdiener“ - Literarische Seelsorge zwischen alter und neuer Welt 183 <?page no="184"?> 652 M O R S B A C H , Gottesdiener, 310; Die Weihe des Bischofs, der Priester und der Diakone, 94. 653 M O R S B A C H , Gottesdiener, 46. 654 Vgl. zur barocken Feierkultur H E R S C H E , Peter, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Freiburg i. Br. 2015. 655 M O R S B A C H , Gottesdiener, 43. 656 „Die Leute peinigen einander bis aufs Blut, aber wenn dann nach Jahren und Jahr‐ zehnten dieser gegenseitigen Plage einer stirbt, stehen die anderen vor einem Rätsel und rufen Isidor.“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 86; zu Kasualien vgl. B I E R I N G E R , Kasualien. 5.2 Der lange Weg zwischen Liturgie und Leben „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ 652 Mit diesen Worten überreicht der Bischof dem Kandidaten während der Weiheliturgie Hostienschale und Kelch. Bei Morsbach steht der Übergaberitus am Beginn des siebten Kapitels für ein Dilemma, in das Rattenhuber immer tiefer hineingezogen wird. Je mehr er sich bemüht, Liturgie- und Lebensvollzug in Balance zu halten, desto mehr droht sein Leben aus dem Lot zu geraten. Unausweichlich wird der Konflikt mit dem Antritt einer neuen Pfarrstelle im fiktiven Bodering. Rattenhuber trifft dort auf eine ebenso eingeschworene wie verkommene Dorfgemeinschaft, die ihn zunächst zwar mit offenen Armen empfängt, aber alten Traditionen anhängt, mit denen selbst Isidor Rattenhuber nichts mehr anfangen kann. „Zum Beispiel feiern sie exzessiv das Patroziniumsfest des hl. Emmeram. Da bauen sie ein Festzelt und ein paar Karusselle auf und feiern vier Tage lang: einen Tag für die Gemeinden, einen für die Vereine, einen für die Feuerwehr und einen für die Betriebe. Die Leute nehmen für alle vier Tage Urlaub und saufen wie die Wahnsinnigen. Vorher besuchen sie die Eröffnungsmesse, um sich Isidors Ermahnungen anzuhören, und nachher schleppen sie sich mit grünen Gesichtern zum Bußgottesdienst.“ 653 In Bodering haben sich Endmoränen einer barocken Dorfkultur erhalten, die noch ganz von den großen Festen, Wallfahrten und Kirchweihen geprägt wird, inhaltlich aber längst zur Folklore verkommen ist. 654 Liturgisch wird der Roman von Messe, Beichte und Begräbnis dominiert, die nicht nur das barocke Ambiente fortschreiben, sondern Einblick in das Seelenleben der Dorf‐ bewohner und -bewohnerinnen geben: „Wenn der Boderinger stirbt, trauern die Hinterbliebenen so heftig, wie sie sonst feiern.“ 655 Im Rahmen der Kasualien muss Isidor in seiner Funktion als moralische Autorität nicht selten Konflikte zwischen den Gemeindemitgliedern schlichten, um schwerere Auseinander‐ setzungen zwischen den Hinterbliebenen abzuwenden. 656 Respekt zollen ihm die Boderinger aber weniger aufgrund seiner seelsorglichen Bemühungen, vielmehr glauben sie, dass er als Priester archetypisch in Verbindung mit dem 184 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="185"?> 657 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 45 f, 87. 658 Zur ausführlichen Beschreibung des Gotteshauses vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 49-54. 659 M O R S B A C H , Gottesdiener, 52. 660 Ähnlich schildert die Autorin die Messe im siebten Kapitel: „Wieder klang die helle Glocke aus dem Tal herauf. Der Nebel hatte sich binnen Minuten aufgelöst, und Isidor spürte eine starke Sehnsucht danach, unten in diesem Kircherl, das jetzt matt im Sonnenlicht schimmerte, eine heilige Messe zu lesen. Das war das einzige, was ihn immer tröstete und erhob.“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 296. Jenseits stehe und damit ihr exklusiver Mittler in den Himmel sei. 657 Trotz der liturgischen Gestimmtheit des ganzen Romans werden Gottesdienste im Handlungsverlauf nur en passant gestreift. Wenn die Autorin Isidor jedoch eine Messe zelebrieren lässt, dann gewährt sie tiefe Einblicke in das priesterliche wie liturgische Selbstverständnis ihres tragikomischen Helden. „Isidor feiert die heilige Messe überall gern, am liebsten aber in dieser Kirche [= Pfarrkirche von Bodering 658 , AB]. Ihn stimuliert die Vorstellung des freundlichen Engels vom Hochaltar, der mit erhobenem Lilienstab über der unschuldigen Maria schwebt, während links und rechts von ihnen die roten Marmorsäulen flackern. Der Augenblick ist ebenso intim wie feierlich und bedeutet, daß Maria den Schmerz, der dieser Begegnung folgt, nie bereuen wird. Ihr Sohn wird sterben, aber wieder auferstehen; und Isidor im feierlichen Meßgewand, nur ein paar Meter vor dem Altar stehend und durch eine dezente Beleuchtung mit ihm verbunden, wird dabei helfen. Marias Zuversicht tröstet ihn, aber auch er tröstet Maria. Er hat in seinem Leben an vielem gezweifelt, aber nie an der Heiligkeit dieser Handlung. Sie ist schwer zu begreifen, aber er spürt sie geradezu körperlich, im Herzen, in den Augen, in seiner Stimme, die bei der Lesung der heiligen Worte einen besonderen Klang gewinnt.“ 659 Die Art und Weise wie sich Rattenhuber hier in barockem Ambiente als priesterlicher Vollstreckungsgehilfe des Kreuzesopfers Christi versteht und obendrein auch noch im Schein der Engel die Gottesmutter tröstet, mutet kindlich naiv, wenn nicht gar lächerlich an. Berücksichtigt man den größeren Kontext, lenkt die Autorin den Blick auf ein anderes Konfliktfeld, das hier seinen Ausgang nimmt. Isidor leidet unter dem Hiatus von Liturgie und Leben, der Spannung zwischen Gottesdienst und Alltag. Während das Ritual - aus seiner Perspektive - fast immer gelingt und Ordnung schafft, steht im täglichen Leben vieles quer. 660 Die einzig wirkliche Entlastung findet Isidor in der Messe, deren Wirkmächtigkeit er nie anzweifelt, weil sich in der sakramentalen die eigene Wandlung spiegelt: Das menschliche Unvermögen transformiert sich in übernatürliche Sicherheit, die bis zur Befreiung von seinem großen Stigma, dem Stottern, reicht. Als Zelebrant alter Schule vertraut Isidor ganz und gar auf die rituelle Struktur und ihre verbindlichen Vorgaben. Wird er jedoch in die Rolle 5.2 Der lange Weg zwischen Liturgie und Leben 185 <?page no="186"?> 661 Den Priester als „Zelebrant der Messe“ zu bezeichnen, wird in der Liturgiewissenschaft aus liturgietheologischen Überlegungen heute abgelehnt. 662 Vgl. zum Gegenüber von „ex opere operato“ und „ex opere operantis“ den prägnanten Eintrag von S L E N C Z K A , Notger, Art. Ex opere operato, in: RGG 4 2 Tübingen (1999) 1827-1828, 1827 f.; vgl. zur grundlegenden Bedeutung des Axioms für das katholische Sakramentsverständnis H O P I N G , Helmut u. a., Heil erfahren in den Sakramenten (TheoMod 9) Freiburg i. Br. u. a. 2009; F A B E R , Eva-Maria, Einführung in die katholische Sakramentenlehre (Einführung Theologie), Darmstadt 2002; V O R G R I M L E R , Herbert, Art. Sakramententheologie LThK; L I E S , Lothar, Sakramententheologie. Eine personale Sicht, Graz 1990. 663 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 7-9, 366-371. 664 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 386-392. 665 M O R S B A C H , Gottesdiener, 124. eines pastoralen Moderators oder gar Unterhalters gedrängt, fühlt er sich rasch unwohl. 661 Anders gesagt: Im Gottesdienst kann er sich dem objektiven Modus des opus operatum überlassen, wenn er an ihren Übergängen jedoch das opus operantis berührt, gerät er ganz schnell ins Wanken. 662 Deutlich wird sein Problem zunächst am Vorplatz der Kirche, wo sich das eben noch so freudig in der Liturgie Begangene im Umgang mit den Menschen bewähren muss. Ausgerechnet am Weihnachtstag will ihn dort etwa eine kleine Gruppe von notorischen Wallfahrern und Wallfahrerinnen nötigen, im Frühjahr nach Konnersreuth zu pilgern, obwohl er mit der dort verehrten Therese so gar nichts anfangen kann. 663 Ein andermal fühlt er sich von einem psychisch angeschlagenen Pönitenten bedrängt, der ihm nach der Liturgie auflauert, um zu beichten, dann aber doch kein Schuldbekenntnis zustande bringt. 664 Schnell fallen bei solchen Begegnungen böse Worte oder gar Beleidigungen, die ihn später reuen. Für sich genommen sind die Episoden harmlos, in Summe belasten sie seinen Alltag als Gemeindegeistlichen aber immens. Die berufliche Sicherheit, die er bei der Zelebration der Liturgie erfährt, geht in den aufreibenden Begegnungen allzu leicht verloren. „Isidor bot, was er zu bieten hatte: sein Sakrament. Während der Messe war er glücklich. Aber die Feiern nach der Messe stand er nur mit Mühe durch.“ 665 Um den großen wie kleinen Übergriffen der Gläubigen aus dem Weg zu gehen, verschanzt sich Isidor nach den Gottesdiensten immer häufiger im Pfarrhaus, wo er zwar kurzfristig Ruhe findet, aber zugleich von Gewissensbissen gequält wird, den pastoralen Erwartungen der Gemeindemitglieder nicht gerecht zu werden. Je länger Rattenhuber in der Seelsorge tätig ist, desto häufiger werden die offizielle Liturgie und die damit verbundenen Rituale vom Schicksal der Gläubigen im Dorf durchkreuzt. Unweigerlich keimt in ihm die Frage auf, ob sich der Gottesdienst auf seinen objektiven Vollzug reduzieren lässt, auch wenn 186 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="187"?> 666 M O R S B A C H , Gottesdiener, 281. 667 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 279-285. er ihm ein Gefühl von Sicherheit und Ordnung gibt, das er im Alltag kaum erfährt. „Isidor erfuhr davon [=Tod des Gemeindemitglieds Otto Borst, AB] in der Sakristei, kurz vor Beginn der Ostermesse. Er trug sein festlichstes Gewand, eine goldbestickte Barockkasel. Weil Bodering einst Ableger eines Klosters gewesen war, hatten sich auf dem Speicher des Pfarrhauses etwa zwanzig wertvolle historische Meßgewänder erhalten, und zu Hochfesten zog Isidor manchmal eines an; es erhob ihn und machte auf die Gemeinde Eindruck. Isidor stand also in seiner Pracht neben der Sakristeitür und ordnete die zwölf Ministranten, da schlüpfte der Kirchenpfleger herein, um die Botschaft zu überbringen, daß Otto Borst der Kirche 400.000 Mark vermacht habe. Isidor nickte und öffnete die Tür. Die Orgel spielte. Feierlicher Einzug. Das Kirchenschiff geschmückt, von Sonne erfüllt und bis auf den letzten Platz besetzt, ein Haus des Herrn. Isidor feierte die Messe mit Hingabe. Später, in der Sakristei, dachte er: Wie viele Ottos werden wohl für diese Kasel ihre Hölle erlitten haben? “ 666 Aus Angst vor Hölle und Teufel vererbte der Boderinger Otto Borst sein mühsam erspartes Vermögen der Kirche, um im Jenseits jenen Frieden zu finden, der ihm zu Lebzeiten versagt blieb. Auslöser für die Schuldgefühle waren eine kinderlos gebliebene Ehe und lebenslange sexuelle Fantasien. Borsts Sündenbewusstsein saß so tief, dass alle Versuche Isidors, die geplagte Kreatur noch zu Lebzeiten von seinem finalen Tauschgeschäft abzuhalten, ins Leere gingen. Rattenhuber war für das tragische Schicksal Borsts nicht verantwortlich, dennoch fühlte er sich für die Auswirkungen der rigiden Moralvorstellungen seiner Kirche schuldig. 667 In dieser Szene dringen erstmals Aporien bis ins Allerheiligste vor, die Isidors priesterliches wie liturgisches Selbstverständnis erneut infrage stellen. Schmerzlich muss er sich im Nachklang von Borsts Tod eingestehen, dass sein liturgisches Auftreten - so wie er sich im Gottesdienst kleidet, gebärdet und betet - nicht mehr ungebrochen mit den heutigen Bedürfnissen an Religion und Gottesdienst in Einklang zu bringen ist. Während er sich in der Liturgie an den Resten der alten Sakralwelt erfreut, wird seine liturgische Rolle vielfach auf die Vermittlung zwischen kirchlichen Normen und den komplexen Lebenswelten der Menschen reduziert, ohne dafür in vielen Fällen wirklich gerüstet zu sein. Isidors Kindheit und die spätere Berufung fielen in eine Zeit, in der Priester noch Darsteller und Repräsentanten des Heiligen waren. Nun fühlt er sich 5.2 Der lange Weg zwischen Liturgie und Leben 187 <?page no="188"?> 668 Zur Identitätskrise nachvatikanischer Priester vgl. das luzide Interview von Paul Galles mit Elmar Salmann, dem der Autor der Arbeit wertvolle Einsichten verdankt; G A L L E S , Paul - S A L M A N N , Elmar, „Zwischen den verschiedenen Fronten wird der Priester zerrieben.“ Interview mit Pater Elmar Salmann, Benediktinermönch und Professor für Philosophie und Systematische Theologie an den Päpstlichen Universitäten Sant’An‐ selmo und Gregoriana in Rom, in: Forum für Politik, Gesellschaft und Kultur 307 vom 21.03.2011, 22-27, hier bes. 24 u. 26 - https: / / www.forum.lu/ wp-content/ uploads/ 2015 / 11/ 7162_307_Salmann.pdf (Zugriff am 24.09.2019). 669 Zur Beichte in der Liturgie vgl. u. a. B I E R I N G E R , Das Bußsakrament im Spannungs‐ feld von Liturgie und Literatur; L A N G E N H O R S T , Georg, Literarische Spiegelungen von Beichte. Darstellungen des Bußsakraments in der Gegenwartsliteratur, in: StZ 140 (2015) 121-132. 670 Vgl. dazu den Abschnitt Unterkapitel „Stephanitag“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 386- 392. Als biblisches Initium zu diesem Abschnitt wählt Morsbach: „Und er öffnete den Schacht des Abgrunds.“ (Offb 9,2). in ein funktional definiertes Dienstamt gedrängt, das ihm eine Vielzahl von kommunikativen Fähigkeiten abverlangt, die er einfach nicht leisten kann. 668 Zur schier unlösbaren Aufgabe wird Isidors sakralpastoraler Vermittlungs‐ dienst in der Beichte. 669 Wie fremd sich Sakrament und Leben dort gegen‐ überstehen können, illustriert die Autorin anhand einer prägnanten Beicht‐ szene, die Isidors Geschick als Seelsorger auf die Probe stellt. Hinter dem sprechenden Namen Kreuzpaintner, so nennt die Autorin den Pönitenten der Episode „Stephanitag“ gegen Ende des Romans, verbirgt sich ein komplexes wie abgründiges Familiendrama. 670 Kreuzpaintner sucht nach einer Prügelei mit seiner erwachsenen Tochter, die einen Polizeieinsatz im eigenen Haus nach sich zieht, Rattenhuber auf, um den innerfamiliären Zwist zu beichten, von dem Priester Isidor bereits gerüchteweise am Vorabend gehört hatte. Kaum erreichen die beiden das Beichtzimmer im Pfarrhaus - den Beichtstuhl in der kalten Kirche will Isidor sich und dem Pönitenten ersparen - bekennt der aufbrausende Kreuzpaintner die tätliche Auseinandersetzung mit der Tochter ohne jede Umschweife. Als Grund gibt er neben seiner Alkoholisierung den unerbittlichen Hass der Tochter auf ihn an, zu weiteren Erläuterungen ist er nicht mehr in der Lage. Rasch bemerkt Isidor, dass die vertrackte Situation mit dem vorschnellen Bekenntnis allein nicht aus der Welt zu schaffen ist. Im Hintergrund vermutet er eine noch schwerwiegendere Tat, die sich bei voran‐ gegangenen Beichten mit den anderen Familienmitgliedern bereits angekündigt hatte, aber von niemandem offen ausgesprochen wurde. Kreuzpaintner, so die erschreckende Mutmaßung, hat seine Tochter wohl früher, als sie noch ein Kind war, missbraucht. In der Hoffnung auf Aussöhnung übertrug er ihr im Erwachsenenalter als Wiedergutmachung sein Haus, an dem er über dreißig Jahre gebaut hatte. Als späte Rache verbannte ihn die Tochter zunächst in die 188 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="189"?> 671 M O R S B A C H , Gottesdiener, 391 f. 672 Zur theologischen Diskussion um ein vergessenes Sakrament vgl. D E M E L , Sabine - P F L E G E R , Michael (Hgg.), Sakrament der Barmherzigkeit. Welche Chance hat die Beichte? Freiburg i. Br. 2017, hier vor allem die systematischen Beiträge 383-400. kleine Einliegerwohnung im Erdgeschoß, am Tag der Schlägerei drohte sie dann, das Haus zu verkaufen und ihn endgültig davonzujagen. Während der Aussprache überlegt Isidor, wie er Kreuzpaintner zu einem weitreichenderen Geständnis bewegen könnte, zögert aber, den mutmaßlichen Missbrauch direkt und offen anzusprechen. „›Gibt es noch etwas, das ich wissen sollte? ‹ Kreuzpaintner schüttelt wild den Kopf und springt auf. ›Scho guat! … Geht scho wieder‹ Es schnalzt, als er sich mit seiner dicken Faust die Tränen aus dem Auge wischt, dann verläßt er das Zimmer. Er hat Isidor keine Gelegenheit zur Absolution gegeben! Vielleicht glaubt er, keine verdient zu haben? Aber das geht nicht, das hält so einer nicht aus! Isidor folgt ihm. ›Komm rein, Kreuzpaintner, geh renn doch net fort. Wir können über alles reden! ‹ Kreuzpaintner steht schon in der Haustür, eine gequälte Gestalt im weißen Viereck der Tür, und schlägt mit der Faust gegen den Türstock. Dann zündet er mit zittenden [sic! ] Fingern eine Zigarette an und raucht gierig, wobei er den Qualm nach draußen bläst. ›Vielleicht hob i ois foisch g’mocht! ‹ stöhnt Kreuzpaintner. ›Das glaube ich nicht. Niemand macht alles falsch, und niemand macht alles richtig. Wir alle machen schwerste Fehler …‹“ 671 Das Beichtgespräch endet ohne Absolution, Isidor kann nur mehr tatenlos zusehen, wie sein Pönitent verzweifelt von dannen zieht, ohne die erwartete Entlastung im Sakrament gefunden zu haben. Schon während des Gesprächs muss sich Isidor eingestehen, dass die Beichte in diesem Fall nicht mehr greift. Wie bei Borst verhindert auch hier die strukturelle wie persönliche Fokussie‐ rung auf die Scham, dass offen über das Geschehene gesprochen wird. 672 Die Autorin beschränkt das tragische Schicksal der Familie nicht auf das Versagen eines einzelnen Mitglieds. Vielmehr stehen am Ende alle Beteiligten als Verlierer da, weil es ihnen entgegen ihrer inneren Neigung nicht mehr gelingt, sich auszusöhnen und friedlich unter einem Dach zu leben. Morsbach zeichnet Kreuzpaintner als ambivalente Figur, die zwar schwerste Schuld auf sich geladen hat, aber dennoch über einen rechtschaffenen Charakter verfügt. Die literarisch gespiegelte Beichte läuft auch deshalb ins Leere, weil Kreuzpaintner beim mechanischen Aufsagen seiner Sünden keine Entlastung mehr spürt. Das bloße Abspulen des eigenen Versagens berührt nur die Spitze der Tat, für die zugrundeliegenden Ursachen der Tragödie lässt das klassische 5.2 Der lange Weg zwischen Liturgie und Leben 189 <?page no="190"?> 673 Vgl. dazu Die Feier der Buße. Nach dem neuen Rituale Romanum. Studienausgabe, hg. von den Liturgischen Instituten Salzburg - Trier - Zürich, Freiburg i. Br. 1994. 674 Vgl. O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 108-124; vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 390 f. 675 M O R S B A C H , Gottesdiener, 392. Beichtrituale keinen angemessenen Raum. 673 Als Isidor wahrnimmt, wie sehr Kreuzpaintner aus lauter Scham vor dem Geschehenen schweigt, versucht er, eine therapeutische Atmosphäre zu schaffen, die Platz für die Ambiguität des Lebens lässt. Im Unterschied zur geglückten Aussprache bei Ortheil, in der es dem Priester durch mäeutisches Nachfragen gelingt, den Jungen in ein freies Gespräch zu führen, sitzen die Verstrickungen bei Kreuzpaintner zu tief. 674 Es gelingt ihm nicht mehr, die Angst vor einem authentischen Sündenbekenntnis zu überwinden. Beiden, dem Pönitenten wie dem Priester, fehlt in der konkreten Situation das nötige Instrumentarium, über die Ambivalenz von Schuld und Biographie ins Gespräch zu kommen. Intuitiv weiß Isidor sofort, dass Kreuz‐ paintner in dieser Situation eigentlich einen professionellen Therapeuten und keinen Priester benötigt. Damit holt ihn jedoch sein altes Dilemma ein, unter dem er als Seelsorger so sehr leidet. Die sakramentale Ontologie der Liturgie ist kaum aufrechtzuhalten, weil sie an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht. Passt sich die Liturgie jedoch zu sehr an die Bedingungen heutigen Menschseins an, droht der Verlust ihrer metaphysischen Dimension. Wenn die Beichte von der Therapie ersetzt wird, geht nicht nur die Absolution verloren, wie die Szene mit Kreuzpaintner schmerzlich belegt, sondern damit auch ihre metaphysische Grundstruktur. Aus Verlegenheit und Überforderung kann Isidor nur mehr mit einem banalen Trostspruch aufwarten, der nichts anderes ist als ein billiges Pla‐ cebo für die nicht erfolgte Lossprechung: „›Das glaube ich nicht. Niemand macht alles falsch, und niemand macht alles richtig. Wir alle machen schwerste Fehler …‹“ 675 Als präzise Beobachterin von außen weiß Morsbach um die Bedeutung der Humanisierung des Sakraments in den letzten Jahrzehnten, die einerseits von jahrhundertealten Traumata befreite, aber zugleich die ontologische Relevanz des Sakraments aufs Spiel setzte. Am Ende des Priesterromans kehrt die Autorin zur Ausgangssituation zurück. Wieder steht ein Weihnachtsfest bevor, wieder droht Isidor am Hiatus von Liturgie und Leben zu scheitern. Ausgerechnet am Morgen des Heiligen Abends erkrankt er an Grippe und Fieber, die ihn beinahe außer Gefecht setzen. Nur mit Hilfe unorthodoxer Heilmittel und jeder Menge Tabletten übersteht er die anberaumten Gottesdienste. „Nach der Mette geht Isidor im Ornat mit den Besuchern hinaus, steht noch eine halbe Stunde in der Frostnacht neben der Kirchentür, tauscht Dank und gute Wünsche 190 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="191"?> 676 M O R S B A C H , Gottesdiener, 380. 677 M O R S B A C H , Gottesdiener, 381. 678 M O R S B A C H , Gottesdiener, 382. 679 M O R S B A C H , Gottesdiener, 384. aus […]. Um sieben daheim ein Süpperl mit Zwieback, Tee, dann wieder zu Bett. Fieberthermometer. Achtunddreißigkommadrei Grad. Zwei Aspirin.“ 676 Im Fieberwahn erscheint ihm der längst verstorbene Pfarrer Stettner, sein Mentor aus Kindheitstagen, den er fragend anwinselt, ob der katholische Glaube nicht doch ein bloßes Wahnsystem sei. Mit der lakonischen Antwort „Nimm an, es wär eins. Na und? […] - [E]s wäre das schönste Wahnsystem der Welt“ 677 wird Isidor aber rasch wieder aus seinem Fieberschauer gerissen. Schnell eilt er zur Kirche zurück, um auch den letzten Gottesdienst des Tages hinter sich zu bringen. Trotz seines miserablen gesundheitlichen Zustands ist er mit dem Verlauf der weihnachtlichen Gottesdienste einigermaßen zufrieden, konnte er sich einmal mehr vom Ritus der Messe auffangen lasen. Weder genesen noch seelisch disponiert, schleppt sich Isidor auch am nächsten Morgen pflichtbewusst in die Kirche, um den Christtag feierlich zu begehen. Die Pointe der Predigt münzt er auf das eigene Schicksal: „Gott antwortet nicht auf das ›Warum‹ des Leides - er leidet mit. Gott antwortet nicht auf das ›Warum‹ der Schmerzen - er wird zum Schmerzensmann. Gott antwortet nicht auf das ›Warum‹ der Demütigung - er demütigt sich …“ 678 Nach der Messe will Isidor gleich wieder in sein Pfarrhaus zurück, um sich endlich auszukurieren. Wider Erwarten trifft er am Kirchplatz jedoch nicht auf die begehrlichen Blicke seiner Pfarrangehörigen, die ihm über die Jahre hinweg so manchen Sonn- und Feiertage verleideten. Völlig unerwartet wird er von der Humanitas überrascht und für einen günstigen Moment schließt sich der lange erlittene Hiatus zwischen Liturgie und Leben. Unter Führung des Bürgermeisters findet sich eine nicht kleine Schar von Dorfbewohnern ein, um Isidor anlässlich seines bevorstehenden Geburtstags ein Ständchen zu bringen. Im letzten Amtsjahr wollen ihn die Boderinger nicht entwischen lassen, da er seinen Geburtstag am 27. Dezember für gewöhnlich auswärts verbringt, um jedes Aufsehen zu vermeiden. Nach einer emotionalen Rede des Bürgermeisters erhält Isidor einen Reisegutschein für eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladi‐ wostok. „Er lächelt verlegen: ›Mei, Leit … Do m-muaß i ja vui M-mineralwasser eipacka! ‹ Mehr fällt ihm im Augenblick nicht ein. Aber er lächelt immer noch. Er merkt, daß er gerührt ist.“ 679 Frau Danninger, die ihm zuletzt noch Konnersreuth als Ziel der nächsten Pfarrwallfahrt aufzwingen wollte, kündigt großspurig an, Isidor die Entscheidung über den Ort überlassen zu wollen. Zugleich schmiegt 5.2 Der lange Weg zwischen Liturgie und Leben 191 <?page no="192"?> 680 Vgl. V O R G R I M L E R , Sakramententheologie. 681 Die wohl deutlichste Kritik an den liturgischen Reformen im Zuge des Zweiten Vati‐ kanums stammt im deutschsprachigen Raum aus der Feder des Büchner-Preis-Trägers Martin Mosebach, der mit seiner Essaysammlung „Häresie der Formlosigkeit“ auf ebenso viel Zustimmung wie Ablehnung stieß. In der Debatte wird häufig übersehen, dass sich Mosebach zwar lautstark über die Entwicklung der römischen Liturgie echauffiert, in seinen literarischen Werken aber kaum liturgische Spuren oder religiöse Motive zu finden sind; vgl. M O S E B A C H , Martin, Häresie der Formlosigkeit. 682 Über das Motiv des Scheiterns bei Morsbach vgl. die luziden Erläuterungen von M O S E B A C H , Eine Sprache wie eine kristallklar geputzte Fensterscheibe, 43 f. sich die vierjährige Reininger Fannerl an die Beine des emotional ergriffenen Jubilars, was Isidor sichtlich noch mehr rührt als die Übergabe des Geschenks. Fannerl wäre ohne seine Hilfe nicht auf die Welt gekommen. Er unterstützte die während der Schwangerschaft in Schwierigkeiten geratene Mutter und riet ihr, das Kind trotz Widerstände ihres Umfelds auszutragen. Es gehört zur Tragikomik des „Gottesdieners“, Abgründiges und Hoffnungs‐ volles so eng aufeinander folgen zu lassen. Das Geburtstagsständchen am Ende des Buches ist eine Schlüsselszene, weil das liturgische opus operatum sichtbar doch noch in das opus operantis übergeht. Die im Vollzug des Sakraments gewirkte Gnade wird für Isidor für einen Moment auch in seinen seelsorglichen Bemühungen erkennbar. Auch wenn die Zweifel an der eigenen Würdigkeit aufs Ganze gesehen nicht verstummen und der Hiatus zwischen Leben und Liturgie bestehen bleibt, erlebt er wenigstens für einen kurzen Augenblick, dass die durch den Vollzug des Rituals bewirkte gnadenhafte Nähe Gottes und deren innere Annahme im Glauben zusammengehören. 680 5.3 Liturgie zwischen vorkonzilarer Ontologie und menschlicher Einlösung Nicht selten stehen Schriftsteller und Schriftstellerinnen im Verdacht, den liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils kritisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber zu stehen. 681 Nicht so Petra Morsbach, der als Außenstehende wenig daran gelegen ist, ihren literarischen Protagonisten kirchenpolitische Positionierungen in den Mund zu legen. Die Fragen der Autorin sind viel existentiellerer Natur, sucht sie doch nach den Bedingungen geglückten Lebens und greift dafür auf randständige Figuren zurück, die man nach allgemeiner Überzeugung als gescheitert bezeichnen würde. 682 Am Beginn des dritten Kapitels ihres „Gottesdieners“ lässt Morsbach zwei verkrachte Priesterexistenzen aufeinandertreffen, in denen sich Glanz und Elend einer 192 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="193"?> 683 Vgl. das Kapitel „Widersprüche“: Auch hier entscheidet sich Morsbach für einen sprechenden Namen, um den Charakter des Protogonisten zu skizzieren. Kurz vor Ende gibt sie dem Leser einen kleinen Hinweis, warum sie sich für Vogelsang entschied: „›Pah! ‹ rief der [= Vogelsang, AB]. ›Wes Brot ich eß, des Lied ich sing! ‹“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 113. 684 Vgl. zur Bilanz der Liturgiewissenschaft 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum G E R H A R D S , Gipfelpunkt und Quelle. 685 M O R S B A C H , Gottesdiener, 112 f [Herv. im Original]. in die Krise geratenen Lebensform widerspiegeln. 683 Rattenhuber begegnet zwanzig Jahre nach der Priesterweihe in einer schäbigen Spelunke auf der österreichischen Innseite Passaus zufällig seinem alten Professor Vogelsang, der zu Seminarzeiten Neues Testament lehrte und darüber hinaus als ausgewiesener Spezialist für griechische Philosophie galt. Von den Studenten wurde er verehrt, weil er zur Fraktion der engagierten Reformer gehörte, die sich nach Kräften für die Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils einsetzten. 684 Jahrzehnte danach ist sein einstiger Aufbruchspathos in bitteren Zynismus umgeschlagen: „›Sehen Sie mich an! Was sehen Sie? Sechzig Jahre Grausamkeit und Deformation. Sechzig Jahre! Für diesen verstockten, miefigen, bösartigen Katholizismus habe ich das Gut des Lebens verschleudert, mich betrügen lassen und niemandem geholfen außer den Betrügern, andere zu betrügen. Solche wie Sie. Ach Gott.‹“ 685 Die unerwartete Begegnung mit dem völlig desillusionierten Amtsbruder löst bei Isidor heftige Gemütsbewegungen aus, weist Vogelsangs Biographie doch frappante Parallelen zu seiner eigenen auf. Wie Vogelsang stammt Rattenhuber aus einfachen Verhältnissen, beide verdanken der Kirche ihren sozialen Auf‐ stieg, beide treffen sich in einer zwielichtigen Bar wieder, um sich unerkannt volllaufen zu lassen. Auch wenn Isidor noch kein so gekränkter Zyniker ist wie sein ehemaliger Lehrer, kann er für sich nicht ganz ausschließen, selbst einmal als solcher zu enden. Verzweifelt sucht er nach biographischen Differenzen, um seiner aufgewühlten Seele etwas Ruhe zu verschaffen, und macht sie ausgerechnet im Zweiten Vatikanischen Konzil fest. Vogelsang wurde noch in einer viel strengeren Kirche sozialisiert, denkt sich Isidor schnell, um die einschüchternde Schimpftirade des Professors abzuwehren: „›Wir zwingen niemanden mehr zur P-preisgabe seiner G-geheimnisse‹, sagte er, als er sich verabschiedete. ›Seit dem K-konzil hat sich vieles gebessert. Sie selbst haben das K-konzil ja damals untersch-stützt … Dafür haben wir Ihnen zu d-danken … wir wissen das.‹ 5.3 Liturgie zwischen vorkonzilarer Ontologie und menschlicher Einlösung 193 <?page no="194"?> 686 M O R S B A C H , Gottesdiener, 113. 687 Vgl. zur sog. anthropologischen Wende, die das Zweite Vatikanum auslöste u. a. S C H E L K S H O R N , Hans, Das Zweite Vatikanische Konzil als kirchlicher Diskurs über die Moderne. Ein philosophischer Beitrag zur Frage nach der Hermeneutik des Konzils, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. Br. u.-a. 2 2013, 54-84. 688 M O R S B A C H , Gottesdiener, 108. 689 Vgl. dazu die bestechende Glosse von F R Ü H W A L D , Wolfgang, Priesterbilder, in: LS 61 (2010) 232-233. 690 Vgl. zu diesem Konfliktfeld aus Liturgiewissenschaftlicher Sicht G E R H A R D S , Albert, Emotionalität in der Kirche. Das „Objektive“ und das „Subjektive“ in der Liturgie ›Die Liturgiereform war eine Katastrophe! ‹ rief Professor Vogelsang ihm nach. ›Das Lateinische besaß wenigstens noch irgendeine Magie! Im Deutschen aber merkt man gar zu schnell, was für eine dünne Suppe diese Texte sind! ‹“ 686 In der Miniszene spiegelt sich nochmals die ganze Problematik der hier aufge‐ worfenen Fragen. Vogelsang lobt die verlorengegangene Magie des Alten und bemängelt zugleich, dass die Riten immer noch nicht human sind. Weder die liturgisch zelebrierte Ontologie vor dem Konzil, noch die Humanisierung nach dem Konzil gaben ihm den nötigen Halt, ein tragfähiges Leben als Priester zu führen. 687 Der einstige Optimismus schlug in Verbitterung um, aus seinem Kampf für Reformen wurde ein verzweifeltes Ringen mit der Kirche, das ihn letztlich den Glauben kostete. Schon vor dem Treffen mit Rattenhuber blendet die Autorin Vogelsang anonym in einen Abschnitt über Isidors Seminarzeit ein, um die epochalen Umbrüche während des Konzils einprägsam ins Wort zu bringen: „Manche Professoren schienen von Euphorie erfüllt, viele zumindest erwartungsvoll. Einer gestand, er fühle sich wie aus einem Schraubstock befreit; er wurde aber zum Alkoholiker, keiner verstand warum. Jahre später erklärte er Gregor [= Priesterfreund von Isidor, AB]: Offenbar stürzt, wer in Fesseln zu gut hat gehen können, ohne Fesseln bei jedem Schritt.“ 688 Morsbach konzentriert sich erneut auf das Schicksal eines Einzelnen, um Konflikte einer ganzen (Priester-)Generation auf den Punkt zu bringen. Isidor fühlt sich mit Vogelsangs Schicksal nicht nur über den ähnlichen Werdegang verbunden. Auch er musste während seiner fast vierzigjährigen Tätigkeit als Gemeindepfarrer den Paradigmenwechsel vom sazerdotalen zum pastoralen Priestertyp schmerzlich austragen. 689 Liturgische Sakralität auf der einen, pastorales Funktionieren nach Maßgabe moderner Kommunikation auf der anderen Seite scheinen jedenfalls nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar zu sein. 690 Im Unterschied zum doppelt gescheiterten Vogelsang versucht Isidor, 194 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="195"?> - ein unauflösbarer Gegensatz, in: D E R S ., Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (PTHe 120), Stuttgart 2011, 96-107. 691 G A L L E S - S A L M A N N , „Zwischen den verschiedenen Fronten wird der Priester zerrieben.“, 26. 692 H U R T H , Elisabeth, Metamorphosen der Gottesdiener, 145. 693 Vgl. Kapitel 6. in dieser Arbeit. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist Lehnert derzeit wissenschaftlicher Geschäftsführer des liturgiewissenschaftlichen Instituts der VELKD. kirchlich gesetzte Liturgie und die pastoralen Bedürfnisse der Gläubigen noch irgendwie zusammenzuhalten. Sooft er sich jedoch am Ritus und seiner alther‐ gebrachten Ästhetik aufrichtet, sooft scheitert er auch an den überzogenen Erwartungen an seine Pastoral. Auf die Befreiung aus der (rituellen) Erstarrung folgte nicht nur in der fiktiven Biographie Rattenhubers eine menschliche Überforderung. Wie nahe Morsbachs „Gottesdiener“ der Lebensrealität vieler Priester dieser Generation kommt, bestätigt der Benediktinertheologe Elmar Salmann, der selbst Zeitzeuge der Entwicklungen seit dem Zweiten Vatikanum ist und die Identitätstransfor‐ mationen auf vielfältige Weise theologisch begleitete: „Wir haben das Priestertum funktionalisiert und ihm in seinem liturgischen Stil und im Zölibat sozusagen sakrale Rechte gelassen. […] Und dann noch mit dem Anspruch, für alle endlos zur Verfügung zu stehen. […] Heute ist der extrovertierte, verwaltende, sozialarbeitende Priester mit dem Sakralen vermischt.“ 691 Ähnlich fällt die Analyse der Publizistin Elisabeth Hurth aus, die mit Blick auf den „Gottesdiener“ ebenso betont, dass die Humanisierung der Liturgie nicht selten mit einer Überbetonung der Persönlichkeit einher ging: „Nicht mehr das Amt trägt also den Priester, vielmehr muss umgekehrt erst der Priester selbst mit seinem Einsatz, seine Person in die Waagschale legend dem Amt Ansehen verschaffen. Das Amtliche muss personal gedeckt sein.“ 692 Was Salmann und Hurth über das Priesterbild sagen, gilt in Analogie auch für den Gottesdienst, der ebenso „personal gedeckt sein“ muss, will er mit dem religiösen Lebensgefühl heutiger Menschen in Berührung kommen, so jedenfalls die Grunderfahrung der Figuren in Morsbachs Roman. Ganz unwillkürlich stellen heutige Gottesdienst‐ besucherinnen und Gottesdienstbesucher die Sprache, Gestik und Glaubwürdig‐ keit des Liturgen bzw. der Liturgin auf den Prüfstand. Liturgie wird nicht mehr einfach als objektiv gegeben hingenommen und das alte Axiom der Wirkung der Liturgie ex opere operato tritt zu Gunsten des opus operantis zusehends in den Hintergrund. Menschen von heute suchen gerade im Gottesdienst nach Resonanzerfahrungen, ist sich auch der Schriftsteller und Liturgiker Christian Lehnert sicher. 693 Er sieht darin eine grundlegende Veränderung im Modus der 5.3 Liturgie zwischen vorkonzilarer Ontologie und menschlicher Einlösung 195 <?page no="196"?> 694 L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 20. 695 In ihrem jüngsten Essayband greift Petra Morsbach erneut kirchliche Zeitgeschichte auf („Das Buch Groër: Alte Sünden“), um ihren Beitrag zur Diskussion über Machtmiss‐ brauch zu leisten; vgl. D I E S ., Das Buch Groër: Alte Sünden, in: D I E S ., Der Elefant im Zimmer. Über Machtmissbrauch und Widerstand. Essay München 2020, 25-130. 696 Vgl. H U R T H , Mann Gottes, hier bes. 101-118. 697 Auch wenn die Feier der Sakramente in der katholischen Kirche noch immer eng an den Klerus gebunden ist, stehen in den Gemeinden aber immer häufiger Laien der Liturgie vor. menschlichen Wahrnehmung in Bezug auf die Religion: „Wir spüren in allen religiösen Bildern, deutlicher als je Menschen vor uns, den Raum hinter den Bildern, das weit Unsichtbare.“ 694 Im Bewusstsein vieler lassen sich Religion und Gottesdienst nicht mehr in starre Systeme, Rituale und Dogmen pressen, sie wollen selbst bestimmen, wie und woran sie glauben. 5.4 Resümee Während die anderen Autoren dieser Studie liturgische Motive und Versatz‐ stücke wiederholt in ihren Werken aufgreifen, beschränkt sich Morsbachs literarischer Umgang mit der katholischen Liturgie auf einen einzigen Roman. Der klar abgesteckte Rahmen und Morsbachs unparteiische Beobachterperspek‐ tive von außen eignen sich gut, um die Grundkonstellation dieser Arbeit auf den Punkt zu bringen. 695 Mit der Entscheidung, die kirchlich-gesellschaftlichen Umbrüche seit dem Zweiten Vatikanum aus der Perspektive einer fiktiven Priesterfigur zu schildern, reiht sich die Autorin in die lange Tradition von Pries‐ terromanen ein, die seit dem 19. Jahrhundert zu einer immer wiederkehrenden Gattung der Literaturgeschichte gehören. 696 Zugleich ist damit ein priesterzent‐ rierter Blick „von oben“ auf den Gottesdienst verbunden, der bis heute die literarischen Spiegelungen von Liturgie zu dominieren scheint. Der Roman zeigt einmal mehr, dass göttlich legitimierte Mittlerfiguren, die öffentliche Kultakte vollziehen, auch Jahrzehnte nach dem Konzil genug Stoff für die Literatur bereithalten, ohne dabei in einen Anachronismus zu verfallen, auch wenn die literarischen Spiegelungen mit der liturgischen Praxis nur mehr partiell schritthalten können. 697 Die Transformation vom vorkonziliaren zum neuen Typ des katholischen Priesters hinterließ jedenfalls Leerstellen, für die sich die Literatur besonders interessiert. Dazu gehört aus literarischer Perspektive auch, dass sich der Verlust des geschlossenen katholischen (Dorf-)Milieus ab den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch eine teils überzeichnete Priesterfigur besonders anschaulich darstellen lässt. 196 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="197"?> 698 Vgl. zur Instrumentalisierung der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums H A U N E R L A N D , Winfried, Instrumentalisierungen des Gottesdienstes? Zum Umgang mit der Liturgie nach dem 2. Vatikanum, in: MThZ 60 (2009) 222-233, hier bes. 228. Von ihren peniblen Recherchen und Zeitzeugeninterviews weiß Morsbach nur allzu gut, dass bis heute kirchliche Erneuerungsprozesse häufig über den (Um-)Weg des Gottesdienstes ausgetragen werden. 698 Für Isidor Rattenhuber gilt in Bezug auf sein Priesterwie Liturgiebild die bittere Einsicht, dass weder die vorkonziliare Ordnung noch die modernen Ansätze einer lebensnahen Pastoral ein tragfähiges Fundament bieten, um ein geglücktes Leben als Priester führen und die Liturgie glaubhaft feiern zu können. Aus liturgiewissenschaftlicher Sicht gehört es zur Tragik des Buches, dass die daraus entstehende Ratlosigkeit in einen von allen Seiten stark empfundenen Hiatus mündet, der Liturgie und Leben immer weiter auseinanderdriften lässt. Das Buch liefert naturgemäß keine Lösung für das Dilemma, deckt aber schonungslos auf und zeigt zugleich an, mit welchen Problemfeldern im Umkehrschluss die liturgische Praxis auch mehr als fünf Jahrzehnte nach dem Konzil über weite Strecken konfrontiert ist. Folgt man der literarischen Logik des Buches, scheint es im Leben Ratten‐ hubers ebenso keinen Ausweg aus dem Dilemma zu geben. Nicht erst am Ende des Romans wird klar, dass Isidor die überzogenen Anforderungen an sich und sein Amt nicht erfüllen kann. Trotzdem lässt ihn seine Urheberin nicht einfach an Glaube, Kirche oder Leben verrecken. Isidor macht in seinem Leben vieles falsch, er verstrickt sich in unglückliche Beziehungen, erträgt in aller Demut strukturelle Ungerechtigkeiten, wagt es kaum, gegen ungerecht‐ fertigte Angriffe seiner Oberen oder der Dorfbevölkerungen aufzubegehren. In den Augen der Lesenden findet Rattenhubers Schicksal dennoch Gefallen, weil er trotz aller Schwierigkeiten kaum Ressentiments gegen seine Zeit, die Menschen oder kirchliche Traditionen hegt. Auch scheut er keine Konflikte, wenn es darum geht, Welt und Glaube in Verbindung zu halten. Wachsen ihm die mannigfaltigen Anforderungen über den Kopf, besinnt er sich auf die eigenen Stärken und konzentriert sich auf das, was er leisten kann. Je länger er als Priester tätig ist, desto mehr reift in ihm die Einsicht, dass er nicht allen gerecht werden muss. Und letztlich bemüht er sich nach Kräften, ein beziehungsfähiger Zeitgenosse zu bleiben. Oft genug widersteht er der Versuchung, sich zurückzuziehen, alle Kontakte und Freundschaften abzubre‐ chen, um zwischenmenschliche Verletzungen aus seinem Leben zu bannen. Vor allem aber gibt Rattenhuber niemals auf. Sein am Ende des zweiten Kapitels formuliertes Überlebensprogramm klingt harmlos, erweist sich aber als äußerst effektiv. „Warum sollte es ihm nicht gelingen, sich selbst und die Banalität seines Lebens zu überwinden? Man muß ja an einer schweren Aufgabe nicht unbedingt 5.4 Resümee 197 <?page no="198"?> 699 M O R S B A C H , Gottesdiener, 95. 700 Vgl. zur Diskussion über den sog. Feuilletonkatholizismus u. a. S T O C K I N G E R , Claudia, Feuilletonkatholizismus. Ein Nachruf, in: StZ 137 (2012) 551-559; ganz ähnlich auch L Ö F F L E R , Sigrid, „Mit einem Haifischbiß“. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff in ihren Romanen, in: StZ 137 (2012) 197-204. scheitern! Man kann auch an ihr wachsen, höher, als man es sich jemals träumen ließ.“ 699 Isidor Rattenhuber leidet und wächst an Liturgie und Seelsorge. Damit ist auch die zentrale Erkenntnis aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive verbunden, dass sich die liturgische Erfahrung nie ganz in der Lebenserfahrung und umgekehrt das Leben nie ganz in der liturgischen Erfahrung erschöpft. Beide sind aufeinander angewiesen, finden aber nie ganz zueinander. Es braucht Jahrzehnte, bis Leben und Liturgie zugeordnet sind, ohne sie zu identifizieren. Mit Einblendung der Weiheliturgie am Beginn jedes Kapitels wird der Verlust wie das stetige Wiederfinden liturgischer Erfahrung angezeigt, auch oder gerade weil Beichte und Messe bei Rattenhuber die komplexen Lebenserfahrungen heutiger Menschen nicht mehr fassen, und doch bedingen sie einander. Das Große an Morsbach ist, dass sie entgegen üblicher Debatten „alte“ und „neue“ Liturgie, Ontologie und Humanisierung, Sakralität und lebensdienliche Pastoral in der Schwebe hält und das eine nicht gegen das andere ausspielt. 700 Gerade in diesem Paradoxon erkennt sie eine fruchtbare Spannung, auf die sie bei ihren literarischen Protagonisten nicht verzichten will. Der Gottesdienst hat als symbolisches Tun und Handeln immer mit beidem zu tun: mit vorgegebenen Strukturen und persönlichem Erleben. Nur wenn dieses Spannungsfeld aufrecht erhalten bleibt, kann die Liturgie als „Quelle“ erlebt werden, „aus der all ihre Kraft strömt.“ (SC 10) 198 5 Petra Morsbach - Dienerin der Wahrheit <?page no="199"?> 701 A N G E L U S S I L E S I U S , Cherubinischer Wandersmann I 61, in: Hans Ludwig H E L D (Hg.), Sämtliche poetische Werke, Bd. 3. Cherubinischer Wandersmann. Sinnliche Beschrei‐ bung der vier letzten Dinge, München 3 1947, 14. 702 Die Charakterisierung Christian Lehnerts als „diskreter Metaphysiker“ geht auf Harald Hartung zurück; vgl. D E R S ., Dein Name, langsam geschrieben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 18.11.2011 - http: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ bue cher/ rezensionen/ belletristik/ christian-lehnert-aufkommender-atem-dein-name-langs am-geschrieben-11533111.html (Zugriff am 26.02.2018). 703 Begründung der Jury anlässlich der Verleihung des Hölty-Lyrikpreis 2012 an Chris‐ tian Lehnert, in: H A N N O V E R . D E , Hölty-Preis für Lyrik. Begründung der Jury - http s: / / www.hannover.de/ Kultur-Freizeit/ B%C3%BChnen,-Musik,-Literatur/ Auszeichnung en-und-Ehrungen/ H%C3%B6lty-Preis-f%C3%BCr-Lyrik/ Die-bisherigen-Preistr%C3%A 4ger/ 2012-Christian-Lehnert (Zugriff am 26.02.2018). 704 Die Laudatio auf Christian Lehnert bei der Preisverleihung des Hölty-Lyrikpreis hielt Sebastian Kleinschmidt, Vgl. D E R S ., Ins Offene; der Autor dieser Arbeit verdankt dem Beitrag wesentliche Einsichten in Werk und Bedeutung der Dichtung Christian Lehnerts. 705 Die biographischen Angaben zu Christian Lehnert folgen S C H E I D G E N , Ilka, Zu Besuch bei Christian Lehnert und Patrick Roth, Norderstedt 2017, hier bes. 13-29 und R E I N A R T Z , Burkhard, „Die Silbe Gott leer halten“. Der Dichter und Theologe Christian Lehnert, in: Deutschlandfunk vom 28.03.2016 - http: / / www.deutschlandfunk.de/ der-dichter-und -theologe-christian-lehnert-die-silbe-gott.886.de.html? dram: article_id=349212 (Zugriff am 26.02.2018). „Wird Christus tausendmal zu Betlehem geboren / Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“ 701 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ 702 „Christian Lehnert ist ein besonderer Solitär unter den zeitgenössischen deutschspra‐ chigen Dichtern, denn seine Gedichte strahlen selten gewordene Würde und Schön‐ heit aus. Beharrlich erkundet Christian Lehnert, worin der Ursprung allen Seins liegt. Diese Frage durchzieht alle seine Werke und verleiht ihnen eine außergewöhnlich starke poetische Kraft.“ 703 Mit dieser Würdigung verlieh die Stadt Hannover Lehnert (*1969) 2012 den renommierten Hölty-Lyrikpreis. 704 Im Chor der hier vorgestellten Autoren bzw. Autorin erweist sich Lehnert ebenso wie Morsbach als Solitär, da er im Unterschied zu Peter Handke, Christoph Ransmayr, Hanns-Josef Ortheil oder Arnold Stadler in seiner Kindheit nicht religiös oder gar katholisch sozialisiert wurde. 705 Aufgewachsen ist der heute in Leipzig lebende Dichter und Theologe <?page no="200"?> 706 Christian Lehnerts Erfahrungen als Bausoldat sind u. a. in seinen Gedichtband „Auf Moränen“ eingegangen, Vgl. D E R S ., Auf Moränen. Gedichte, Frankfurt a. M. 2008; weitere biographische Information gibt er in einem Essay preis: D E R S ., Teilchen, hier 105 f. 707 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 38. 708 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 38 f. 709 Einige seiner pastoralen Erfahrungen als Landpfarrer in der Nähe von Dresden gingen in Lehnerts Buch „Der Gott in einer Nuß“ ein. 710 Vgl. zu weiteren Details: L I T U R G I E W I S S E N S C H A F T L I C H E S I N S T I T U T D E R VELKD, Das Institut - http: / / www.velkd.de/ leipzig/ institut.php (Zugriff am 26.05.2018). in der ehemaligen DDR als Sohn eines Ärzteehepaares, für das Religion keine Rolle spielte, auch wenn die Eltern ihn evangelisch taufen ließen. Erst als Jugendlicher suchte er Kontakt zum Christentum und fand ihn über sein Interesse für eine „andere Sprache“, die er im kommunistischen Einheitsstaat vergeblich suchte. Die christliche Religion konnte seinen Hunger stillen und das Leben und die Wirklichkeit auf ganz andere Art und Weise deuten, als er das bis dahin gewohnt war. Zudem bot ihm die Kirche während der schwierigen politischen Verhältnisse einen Raum, in dem sich der Heranwachsende frei äußern konnte. Noch zu Zeiten der DDR verweigerte Lehnert den Wehrdienst und wurde als Bausoldat auf Rügen und in den Leuna-Werken südlich von Halle eingesetzt, eine Zeit, die er als zermürbende Quälerei in Erinnerung behielt. 706 Zugleich begann er in dieser Zeit auch seine ersten Gedichte zu verfassen und das Erlebte niederzuschreiben. „Man gab meiner Generation nichts mit auf den Weg, und so mußten wir aus eigener Kraft schöpfen, mußten auf Sicht und nach dem Instinkt laufen, nicht nach überkommenen alten Karten.“ 707 Wäh‐ rend andere Autoren und Autorinnen ihre religiöse Erziehung und die damit verbundene kleinbürgerliche bzw. bäuerliche Herkunft als Bürde empfanden, von der sie sich erst mühsam losschreiben mussten, litt Lehnert unter der als indifferent empfundenen religiösen Sozialisierung. 708 Den anfänglichen Plan, wie die Eltern Medizin zu studieren, verwarf er und entschied sich stattdessen für die Studien Theologie, Religionswissenschaften und Orientalistik in Leipzig, später studierte er auch in Jerusalem. Nach der Ordination lebte er mit seiner Familie zunächst in Spanien, später in einem kleinen Dorf in der Nähe von Dresden in der „Doppelexistenz“ als Dichter und evangelischer Pfarrer. 709 Später arbeitete er neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit als wissenschaftlicher Geschäftsführer am liturgiewissenschaftlichen Institut der Vereinigten Evange‐ lisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) in Leipzig. 710 Als Dichter und Theologe reiht er sich in eine lange Tradition evangelischer Dichterpfarrer wie Paul Gerhardt (1607-1676), Jeremias Gotthelf (1797-1854) oder Eduard Mörike (1804-1875) ein. Heute ist diese Lebensform selten ge‐ 200 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="201"?> 711 Vgl. L A N G E N H O R S T , Georg, Fortschreibungen mystischer Poesie. Die Dichter Christian Lehnert und Andreas Knapp, in: GuL 88 (2015) 295-305. Der Autor dieser Arbeit verdankt Langenhorst wertvolle Literaturhinweise und andere Einsichten zum hier behandelten Thema. Ähnlich kritisch zum literarischen Potential von Dichterpfarrern äußerte sich auch der erfahrene Verlagslektor und Schriftsteller Henning Ziebritzki, der selbst einige Zeit als evangelischer Pfarrer tätig war: „Die deutschsprachige zeitgenössische Lyrik, die religiös zu sein beansprucht, ist […] praktisch nicht über den Status religiöser Gebrauchslyrik im kirchlichen Binnenraum hinausgekommen.“, in: Z I E B R I T Z K I , Henning, Experimente mit dem Echolot. Zum Verhältnis von moderner Lyrik und Religion, in: Anton G. L E I T N E R (Hg.), „Himmel und Hölle“. Das Gedicht. Zeitschrift für Lyrik, Essay und Kritik 9 (2001) 89-94, hier 92. 712 Vgl. zur Bedeutung des Suhrkamp-Verlages für den deutschsprachigen Literaturbetrieb: S U H R K A M P -V E R L A G (Hg.), Die Geschichte des Suhrkamp Verlags. 1. Juli 1950 bis 30. Juni 2000 (Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.), Frankfurt am Main 2000. 713 Zur Begründung der Jury anlässlich der Verleihung des Hölty-Lyrikpreis 2012 an Christian Lehnert, vgl. H A N N O V E R . D E , Hölty-Preis für Lyrik. 714 Zu Christian Lehnerts Selbstverständnis als Dichter vgl. D E R S ., Teilchen. 715 H A R T U N G , Dein Name, langsam geschrieben. worden: Dichtende Geistliche wie Kurt Marti (1926-2017), Albrecht Goes (1908- 2000) oder auf katholischer Seite der Benediktinermönch Drutmar Cremer (*1930) und jüngst wieder ein weiterer Ordensmann, Andreas Knapp (*1958), um nur eine kleine Auswahl zu nennen, werden außerhalb ihrer Institutionen meist nicht oder nur mit Vorbehalt wahrgenommen, auch dann, wenn ihr Schaffen eine literarische Qualität erreicht, die eine reine religiöse Gebrauchs‐ lyrik übersteigt. 711 Etwas anders verhält es sich mit den Gedichten Christian Lehnerts, die bereits seit 1997 im renommierten Suhrkamp-Verlag erscheinen. 712 Im Unterschied zur Mehrheit seiner dichtenden Pfarrerkollegen wird Lehnert meist als autonome und unabhängige Stimme innerhalb des deutschsprachigen Lyrikbetriebs wahrgenommen. Die eingangs zitierte Jurybegründung anlässlich der Verleihung des Hölty-Lyrikpreis verzichtete bei der Charakterisierung seiner Gedichte zwar auf das Attribut „religiös“, würdigt aber seine Suche nach dem „Ursprung allen Seins“ und das Ringen um Antworten „in großen universalen Zusammenhängen“ 713 . Lehnert versteht sich selbst als evangelischer Christ, will aber nach eigenem Bekunden keine fromme Erbauungsliteratur schreiben. Dadurch gerät er bisweilen zwischen die Fronten unterschiedlicher Interessen: 714 Während er als Theologe und Pfarrer im säkularen Literaturbe‐ trieb unter Ideologieverdacht steht, stößt er in kirchlichen Milieus mitunter auf Unverständnis, da er nicht die erwartete Frömmigkeitskultur bedient. Zu Lehnerts besonderen Stärken gehört es, auch Zweifler und „religiös Unmusika‐ lische“ für seine Gedichte zu gewinnen - wenn nicht für religiöse Beweggründe, dann doch für seine bild- und wortmächtige Poesie. 715 Der Verweis auf das 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ 201 <?page no="202"?> 716 Die Charakterisierung Christian Lehnerts als „diskreter Metaphysiker“ geht auf Harald Hartung zurück: vgl. D E R S ., Dein Name, langsam geschrieben. 717 Vgl. R I B I , Thomas, Gott ist nur ein leeres Wort, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 02.09.2016 - https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ aktuell/ gott-ist-nur-ein-leeres-wort-ld.114 340 (Zugriff am 26.02.2018). 718 Vgl. H A R T U N G , Dein Name, langsam geschrieben. 719 R E I N A R T Z , „Die Silbe Gott leer halten“. 720 L E H N E R T , Christian, Der gefesselte Sänger. Gedichte, Frankfurt a.-M. 2 2015, 13. 721 Auszug aus dem Gedicht „Das Tal“, in: L E H N E R T , Auf Moränen, 107 [Herv. im Original]. Religiöse geschieht stets leise und unaufdringlich. Lehnert ist ein „diskreter Metaphysiker“, der sich auf die Suche macht und immer fragt, was religiöse Dichtung heute sein kann und ob er selbst ein solcher Poet ist. 716 Meist verneint er die Frage mit dem Hinweis, dass seine Gedichte einer eigenständigen Ästhetik folgen und ganz unterschiedliche Motive aufgreifen, auch wenn sich die Suche nach Gott wie ein roter Faden durch die Texte zieht. 717 Seine Gedichte changieren auf dem Hintergrund der Verwandtschaft von Religion und Poesie, ohne dass er ein Weihrauchfass schwenkt oder ins Predigen verfällt, wie der renommierte Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Harald Hartung treffend über ihn urteilt. 718 In eine ähnliche Richtung geht auch Reinartz, der über den religiösen Charakter von Lehnerts Gedichten urteilt: „Das Gedicht hat auf der einen Seite von sich aus immer ein religiöses Grundgeräusch, ein Urgeräusch, so ein Grundschwingen. […] Und gleichzeitig geht das Gedicht völlig eigene Wege und hat für mich als Dichter mit Religion erst einmal nur sekundär zu tun.“ 719 Lehnert will der Lyrik ihr spirituelles Hintergrundrauschen ablauschen und versucht, das metaphysische Moment für seine Leser und Leserinnen zum Klingen zu bringen. Das Wort „Gott“ kommt ihm dabei nicht leichtfertig über die Lippen. Sein erster Gedichtband „Der gefesselte Sänger“ (1997) setzt mit Worten ein, die auch als Motto über seiner gesamten Dichtung stehen könnten: „Überhaupt, das gesicherte Vokabular besagt nichts“ 720 . Dazu gehört für Lehnert auch der Gottesbegriff, den er über weite Strecken für „kontaminiert“ hält und der deshalb auch jeden Geschmack für Zeitgenossen und Zeitgenossinnen verloren hat. Daher gilt für ihn das Wort Gott völlig „leer zu halten“, wie er in seinem Gedicht „Das Tal“ bekennt, freilich manchmal um den hohen Preis des Verstehens: „hocke ich allein mit der Silbe ‚Gott-‘, zu nichts zu verwenden, sie nur leer zu halten um den Preis des Verstehens […]“ 721 Lehnert will das Wort Gott vor überstürzten Einengungen und Definitionen in Schutz nehmen, um es für ein unvoreingenommenes Verstehen offen zu halten. 202 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="203"?> 722 R E I N A R T Z , „Die Silbe Gott leer halten“. 723 Der Begriff „metaphysische Antennen“ geht u. a. auf den Wiener Dogmatiker Jan- Heiner Tück zurück; vgl. D E R S ., Der große Pan ist tot. Poetik-Vorlesung von Thomas Hürlimann, in: CiG online (2016) - https: / / www.herder.de/ cig/ geistesleben/ 2016/ 01-0 6-2016/ poetik-vorlesung-von-thomas-huerlimann-der-grosse-plan-ist-tot/ (Zugriff am 26.02.2018). 724 Zitiert nach R E I N A R T Z , „Die Silbe Gott leer halten“. „Glauben“ heißt bei Lehnert daher auch in erster Linie „Offenhalten“. Nur so kann für ihn die Frage nach dem an- und abwesenden Gott für heutige Menschen bedeutsam werden. Seine Gedichte dokumentieren das Ringen um existentielle Fragen, wie etwa wer Gott heute eigentlich ist und woran Menschen glauben, die sich auf ihn berufen. Er setzt bei der am eigenen Leib durchexerzierten Erfahrung an, dass Gott zunächst nicht verfügbar ist und jede Suche einem Scheitern gleichkommt, ja gleichkommen muss. Nicht selten greift er dafür auf die Überlieferung der Mystiker zurück, die er als den eigentlichen „Glutkern“ 722 der Religionen bezeichnet, weil sie Gott als entzogen und anwesend zugleich wahrnehmen. Lehnerts Sympathie mit mystischen Bewegungen drückt sich in einer Wertschätzung für die religiöse Erfahrung des Subjekts aus, auch wenn der neuzeitliche Mensch dafür nach seinem Dafürhalten relativ unsensibel geworden ist. Lehnert versteht seine Gedichte daher auch als eine besondere Schule der Aufmerksamkeit sich selbst und der Welt gegenüber. Die Gedichte sind auch als sanfter Appell zu verstehen, die „metaphysischen Antennen“ aufzurichten und alle Sinne nach jenen Dingen des Alltags auszurichten, die uns übersteigen: 723 „Ich habe gelernt wie ein Blinder zu sehen, im Dunkel zu lauschen, wann die trockenen Samen rascheln, der Oststurm Gesträuch über die Dünen trägt. Immer bin ich an dem Punkt, wo gerade die Atmung einsetzt. Wie viel Verlassenheit das ist: der Atem, schwebender Stein, wie einer von den Haufen, den ich aufrichtete, um dem Nachtwind den Namen Gott zu geben, ihn zu wiederholen, zu wiederholen, bis ich endlich leer bin, alles zu erwarten vermag.“ 724 6.1 Anrufung des Gottesnamens Durch die Menschheitsgeschichte hinweg und allen Domestikationsbemü‐ hungen zum Trotz übt Feuer bis heute eine ungebrochene Faszination auf uns Menschen aus. Feuer gehört zu den Urelementen menschlicher Kultur, es 6.1 Anrufung des Gottesnamens 203 <?page no="204"?> 725 Vgl. F U R L E Y , William D., Art. Feuer, in: RGG 4 3, Tübingen (2000) 104-105. 726 L E H N E R T , Christian, Windzüge. Gedichte, Berlin 2015, 43. 727 Vgl. L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, hier 19. 728 L E H N E R T , Windzüge, 21. 729 K L E I N S C H M I D T , Sebastian, Geheimnisvolles Innehalten. Zu einem Gedicht von Christian Lehnert, in: D E R S . (Hg.), Spiegelungen, Berlin 2018, 246-248, hier 248. 730 Vgl. zur Tiersymbolik in der christlichen Kunst mit Verweisen auf die Liturgie das Stan‐ dardwerk von S C H M I D T , Heinrich - S C H M I D T , Margarethe, Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst. Ein Führer zum Verständnis der Tier-, Engel- und Mariensymbolik, München 2 2018. lebt von einer ambivalenten Wirkkraft, die sich sowohl in einer destruktiven wie in einer schöpferischen Form zeigen kann. Zugleich wird es in allen Religionen mit dem Göttlichen in Verbindung gebracht. 725 Wenn das Feuer nicht selbst als Gottheit verehrt wurde, wie z. B. im altorientalischen Bereich, war es häufig Bestandteil von Opferkult und Theophanie. Das Feuer steht auch im Zentrum von Lehnerts kunstvollem Sonett „Ich sah brennen den Strauch“ 726 . Der Dichter legt darin zwei symbolträchtige Bildfelder übereinander, die Alltagswelt und Transzendenz auf ungewöhnliche Weise miteinander verknüpfen: die Anziehungskraft einer Lichtquelle auf ein Insekt und das biblische Bild vom brennenden Dornbusch (Ex 3,1-5). Wie magisch künstliches Licht Insekten anzieht, lässt sich in einer lauen Sommernacht leicht beobachten. Erreichen die Kerfe taumelnd ihr Ziel, werden sie augenblicklich von der heißen Lichtquelle versengt, zurück bleibt lediglich ein verkohlter Körper, der mitunter eigenwil‐ lige Formen annimmt. Eine schlichte Alltagsbeobachtung wird zur Epiphanie en miniature. Lehnerts Schreibmotto lautet in nuce und meint, in kleinen und unscheinbaren Dingen des Alltags die Transzendenz ansichtig und erfahrbar zu machen. 727 Der Dichter lässt in seinen Gedichten wiederholt Tiere auftreten, häufig ästhetisch anmutende Insekten. Im Band „Windzüge“ (2015), dem auch „Ich sah brennen den Strauch“ entnommen ist, widmet er einer unscheinbaren Libelle („Sie ist mir eingegeben, die Libelle“ 728 ) ein ganzes Gedicht. „Jedes Tier hat etwas Numinoses“, erklärt der Publizist Sebastian Kleinschmidt in einer Gedichtauslegung konzise, weil es eine Schöpfungsidee verkörpert: „Die Libelle ist das Inbild des geheimnisvollen Innehaltens.“ 729 Im Innehalten sieht der Dichter eine Urgebärde des Menschen, die ebenso in der Religion zum Ausdruck kommt. Dabei geht es um das fragende Staunen gegenüber dem Geheimnis der Schöpfung. Die archaisch anmutende Allianz zwischen Tier und Religion ist dem modernen Menschen fremd geworden, lediglich in der Liturgie („Agnus Dei“) blitzt seine alte Bedeutung mitunter noch auf. 730 Der einflussreiche Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869-1937) verwendete den Terminus „Numen“ bzw. „das Numinose“, um das Wunder des Seins, das 204 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="205"?> 731 Vgl. zum religionswissenschaftlichen Verständnis des Numinosen bei Rudolf Otto, D E R S ., Das Heilige, hier bes. 5-74. 732 L E H N E R T , Windzüge, 43. Göttliche darzustellen, das man weder beweisen noch widerlegen kann. Es gehört zur Sphäre des Heiligen, nicht zur Realität des Menschen, und lässt sich nur als Erkenntnis des mysterium fascinans (Anziehung) oder mysterium tremendum (Schauder, Furcht) erfahren. 731 Steht das Insekt in „Ich sah brennen den Strauch“ ebenfalls für eine solch umfassende Schöpfungsidee? Lehnert inszeniert die Ursehnsucht des Menschen, Gott nicht nur zu suchen, sondern ihn auch von Angesicht zu Angesicht zu schauen (vgl. Ps 27,8) im Bild eines nach Licht taumelnden Insekts. Am Beginn des Gedichts ruft er dafür den ambivalenten Charakter des Feuers auf. In den ersten beiden Strophen verbrennt sich das Insekt am Licht, Rauch steigt auf. Zurück bleibt ein konturloser Körper, alles Vertraute schwindet. Die Destruktion setzt aber auch einen umfassenden Reinigungsprozess in Gang, der in der dritten Strophe als die läuternde Kraft des Feuers besungen wird: „Jetzt greife, Brand! “. Das lyrische-Ich erwacht, um jenes Licht zu schauen, das kein Mensch je entfachen kann. Der Ausgang der Begegnung bleibt ungewiss, denn niemand kann dieses Feuer schauen, ohne daran zugrunde zu gehen. „Ich sah brennen den Strauch, der gegliedert war wie ein Insekt, die Flügel eben noch versteckt, schon zog auf der Rauch, und was mir vertraut war, verschwand. Die kahle Rinde, das Chitin, die Schuppenflecken von Karmin umrissen nur noch einen schwachen Kreis. Jetzt greife, Brand! Verzehrendes Erwachen, dass sichtbar wird das unverzehrte Schwirren: Mich kann nur noch ein Licht entwirren, das Menschen nicht entfachen und das von einem Schutz nichts weiß.“ 732 Die bilderreiche Dynamik dieses Verses kommt auch ohne transzendente Lesart aus, seine ganze Tiefendimension entfaltet es jedoch erst vor dem biblischen Hintergrund, der im Gedichtband „Windzüge“ selbst angelegt ist. „Ich sah 6.1 Anrufung des Gottesnamens 205 <?page no="206"?> 733 Vgl. dazu das Inhaltsverzeichnis des Bandes Windzüge: L E H N E R T , Windzüge, 111-113. 734 Vgl. S T O L Z , Fritz, Art. Feuer, in: THAT 6 2 (2004) 242-246. 735 Vgl. zum Topos der Offenbarung des Gottesnamens im brennenden Dornbusch im zeitgenössischen Kirchenlied Alexander Zerfaß, in: D E R S ., „Was leichthin über dich geschrieben steht“. Ein Lied vom brennenden Dornbusch, in: MS(D) 133 (2013) 34-36. 736 Vgl. M A R X , Alfred, Art. Opfer II. Religionsgeschichtlich, in: RGG 4 6 (2003) 571-576. brennen den Strauch“ steht im zweiten Kapitel des Bandes, der den sprechenden Namen „Brennender Dornbusch“ trägt. 733 Feuer spielt auch in den Schriften des Alten Testaments eine hervorgehobene Rolle: Es ist Teil des Opferkults wie der Theophanien, zugleich wird es in mehreren Büchern als metaphorische Rede verwendet. 734 Lehnert macht sich für das Gedicht die Symbol- und Bildwelt der drei Verwendungsweisen des Alten Testaments zu eigen. Dominant ist die Of‐ fenbarung des Gottesnamens im brennenden Dornbusch (Ex 3,1-5), wie schon aus dem ersten Vers hervorgeht. 735 Die Wendung „Ich sah“ erinnert zudem an das prophetische Programm der gesamten Bibel, das sich auch im Neuen Tes‐ tament fortsetzt. In der dritten Strophe zitiert Lehnert erneut biblisches Voka‐ bular (vgl. Ex 3,2): Der Dornbusch brannte zwar, wurde aber vom lodernden Feuer nicht verzehrt. Dieses außergewöhnliche Naturschauspiel lockte den Zie‐ genhirten Mose an, der näher trat, bis er im Feuer die Stimme Gottes vernehmen konnte. Seither steht die Selbstoffenbarung Gottes sowohl für seine Zuverläs‐ sigkeit als auch für seine Unverfügbarkeit. Mit dem aufsteigenden Rauch des Insekts sowie dem Imperativ in der dritten Strophe („Jetzt greife, Brand! “) stellt Lehnert die Verbindung zum biblischen Opferkult her. Mit Ausnahme des Trankopfers ist in allen anderen Formen alttestamentlicher Opfer ein ritueller Akt der Verbrennung enthalten. Die hebräische Bezeichnung für Brandopfer (הָלֹע ‘olāh) beinhaltet bereits das „Aufsteigen“ (הלע ‘lh) des Rauches. 736 In der letzten Strophe steht das nicht von Menschenhand entfachte Licht - ebenfalls in Anlehnung an biblische Metaphorik - als Symbol für Gott schlechthin. Gott als „verzehrendes Feuer“ zu bezeichnen, ist im Alten Testament nicht unge‐ wöhnlich: „Denn der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer. Er ist ein ei‐ fersüchtiger Gott.“ (Dtn 4,24) Entscheidend ist für Lehnert, dass Feuer im Alten Testament eine Metapher für die sich entziehende Gegenwart Gottes ist. Das wird auch durch die Nennung des Gottesnamens im brennenden Dornbusch deutlich: „Ich werde sein, der ich sein werde“ (Ex 3,14). Diese rätselhafte Selbstmitteilung weist jede inhaltliche Bestimmung Gottes zurück und betont seine fortwährende Entzogenheit. Für das Volk Israel bleibt der Name Gottes eine „Leerstelle“, die nur durch Schweigen zu füllen ist. Das Tetragramm JHWH wird nicht ausgesprochen, stattdessen wird „Adonai“, „mein Herr“ gelesen. Die Selbstmitteilung JHWHs im Feuer 206 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="207"?> 737 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 12. 738 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 13. 739 Vgl. zu Lehnerts suchender und tastender Poetik hier bes. D E R S ., Stille ohne Maß. Dichtung an der Grenze der Wörter, in: StZ 237 (2019) 243-258. 740 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß; davor erschien bereits: D E R S ., Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus, Berlin 2013. 741 Ausführlich äußert sich Lehnert über die Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede; vgl. dazu D E R S ., Teilchen. vollzieht sich unter dem Vorbehalt der Unverfügbarkeit und Unbegrenztheit. Auch wenn Gott sich jeder Vereinnahmung entzieht, bleibt die Selbstoffenba‐ rung im brennenden Dornbusch nicht bedeutungslos. Für Lehnert bildet sie Grund und Ursache, um überhaupt von Gott sprechen und ihn anrufen zu können. Er geht noch weiter, wenn er betont, dass am Ausgang jeden religiösen Redens nicht die Gewissheit von Bekenntnissen oder Glaubenssätzen steht, sondern eine Unsicherheit, der man nur liturgisch begegnen kann: „Wenn am Anfang der christlichen Liturgie oder auch des muslimischen Gebetes die Anrufung eines Namens steht, eine Benennung, dann im Sinne einer Frage nach dem Ursprung und nach der Berechtigung jedes sprachlichen Ausdrucks des Ereignisses ‚Gott‘.“ 737 „Ich werde sein, der ich sein werde“ taugt als Name nur bedingt und doch spricht Gott sich darin aus - „als Negation aller Vorstellung, und doch vor alles andere gestellt …“ 738 6.2 „Suchendes Sprechen“ - Zur Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede 739 Christian Lehnerts poetische Überlegungen - er ließ neben seiner Lyrik bislang mit zwei vielbeachteten Essaybänden über Paulus und die Liturgie aufhorchen 740 - kreisen um die Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede. 741 Beide Sprechakte versteht er als kreativ und schöpferisch im ursprünglichsten Sinn: Wenn der Dichter in „Ich sah brennen den Strauch“ über ein Insekt schreibt, weckt er es vor dem inneren Auge seines Lesers und seiner Leserin zum Leben, als könne der Kerf jeden Moment losfliegen und sich am Licht der Lampe tatsächlich versengen. Die Faszination seiner Poesie besteht in ihrer performativen Kraft, Bilder, Klänge und Emotionen aus dem Nichts entstehen zu lassen. Im Kleinen und Unscheinbaren - in nuce, um nochmals das Schreibmotto Lehnerts aufzugreifen - scheint kurzfristig etwas auf, für das es anfangs noch keine Worte gab. Wenn Lehnert in Versen schreibt, muss er die sprachlichen Ausdrücke für den Gegenstand seiner Poesie immer erst suchen, da seine Gedichte eben auf Unaussprechliches verweisen. Mit seiner Poetik will er ferne 6.2 „Suchendes Sprechen“ - Zur Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede 207 <?page no="208"?> 742 Vgl. L E H N E R T - K E L L E R , Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen, 19f. 743 S C H E I D G E N , Zu Besuch bei Christian Lehnert, 41. 744 „Nur ist mein lyrisches Schaffen durch den Begriff des Religiösen nur unzureichend erfasst. Es gibt unzählige Gedichte, die ganz andere Dinge betreffen.“, in: R E I N A R T Z , „Die Silbe Gott leer halten“. Räume betreten, die sich dem alltäglichen Sprachgebrauch entziehen. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit zwischen dem, was ausgesagt wird, und dem, was nicht ausgesagt werden kann, sprachschöpferisch aufrecht zu halten. 742 Die Gedichte sollen auf diese Weise in fremde Gebiete vordringen, von denen der Dichter am Beginn seines Schreibprozesses noch nichts wusste. Zu diesen Themen gehören u. a. die Auseinandersetzung mit den großen existentiellen Fragen nach Tod, Liebe und Trauer, aber auch nach Gott bzw. der Religion. Dabei ist sich Lehnert sicher, dass menschliche Existenzen von elementaren „Ausdrucks- und Erfahrungswelten“ durchwaltet werden, die sich nur schwer oder überhaupt nicht mehr in Worte fassen lassen und daher Unsicherheit auslösen. Lehnert versucht ihnen beizukommen, indem er sich dichterisch in diese essentiellen Befindlichkeiten „sprechend hineinbewegt“ und nach Worten und Bildern ringt. „Ein Gedicht ist immer ein Raum, der sich nicht abschließen lässt, der auf etwas Offenes weist, ganz so wie der Glaube, der auf etwas hinweist, was meinen Horizont übersteigt.“ 743 Die Verbindung zwischen Poesie und religiöser Rede sieht Lehnert in einer besonderen Form des „suchenden Sprechens“. Gedicht und Gebet bedienen sich einer Sprache, die durch Rhythmus und Klang herausgehoben ist und zum Gesang neigt. Offen sind die Suchbewegungen, weil es anfangs noch keine Worte für das gibt, was sie eigentlich ausdrücken möchten. Beten heißt, dem verborgenen Gott nahe zu kommen, und Dichten heißt wiederum, in die Bereiche des Nichtverbalisierbaren vorzudringen. Beide Sprachformen bilden eine offene Suche ab: Religiöses Sprechen wie auch das Dichten sind eine Suche nach Worten. Die hier skizzierte Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede soll jedoch nicht über ihre fundamentalen Unterschiede hinwegtäuschen. Während der Adressat des Gebets immer Gott ist und damit eine Beziehung zu einem konkreten Gegenüber ausgedrückt wird, richtet sich ein Gedicht an eine nicht näher bestimmte Leser- und Leserinnenschaft, sein unmittelbarer Beziehungsaspekt bleibt sekundär. Im Unterschied zur religiösen Kommunika‐ tion kann weltliche Poesie alle Dinge der Wirklichkeit ansprechen, ohne sich auf ein übergeordnetes Ziel festzulegen. Deshalb warnt Lehnert auch davor, ihn vorschnell als religiösen Dichter abzutun, da er mit seiner Lyrik ganz unterschiedliche Themen und Motive aufgreift. 744 Vor allem die Natur und 208 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="209"?> 745 Lehnert erhielt 2018 für seine „Prägnanz und Evokationskraft der einzelnen Natur‐ bilder“ den Deutschen Preis für Nature Writing, der seit 2017 jährlich für herausragende literarische Veröffentlichungen über Natur vom Berliner Matthes & Seitz Verlag und dem Bundesamt für Naturschutz verliehen wird; vgl. dazu M A T T H E S & S E I T Z B E R L I N (Hg.), Deutscher Preis für Nature Writing - https: / / www.matthes-seitz-berlin.de/ deut scher-preis-fuer-nature-writing.html (Zugriff am 26.02.2018). 746 R E I N A R T Z , „Die Silbe Gott leer halten“. 747 Vgl. über aktuellen Diskurse im Bereich der zeitgenössischen Lyrik L A M P I N G , Dieter (Hg.), Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart 2 2016. 748 Vgl. zur Bedeutung der Metapher für die theologische Deutung von Dichtung K U T Z E R , In Wahrheit erfunden, hier 121-140; Kutzer bezieht sich wiederum auf R I CŒU R , Paul, Die lebendige Metapher (Übergänge 12), Paderborn - München 3 2004. 749 L E H N E R T , Teilchen, 104. 750 Zur Herkunft der Orationen des römischen Messbuches von 1970 vgl. D U M A S , Antoine, Les sources du Missel Romain (I), in: Notitiae 7 (1971) 37-42, 38. ihre mannigfaltigen Erscheinungsformen spielen eine hervorgehobene Rolle. 745 „Meine Naturgedichte sind eben auch eine Verteidigungsrede. Ich verteidige gewissermaßen den einzelnen Moment, den bestimmten Baum etwa, hole ihn bewusst in die Sprache, lasse ihn noch einmal anders wirklich werden.“ 746 Damit setzt er einen markanten Kontrapunkt zur zeitgenössischen Lyrik, die häufig von analytischen Überlegungen und Selbstreflexionen geprägt ist. 747 Lehnert weiß sich von den unter die Wahrnehmungsschwelle gesunkenen Naturphänomenen existentiell angesprochen. Aus seiner Naturbeobachtung wird ein poetischer Habitus, auf die Dinge zu antworten, die ihm im Alltag entgegenkommen. Zu den weiteren Gemeinsamkeiten von Poesie und Gebet gehört der Rück‐ griff auf Bildfelder und Metaphern der profanen Welt, um in unbekannte, ja nicht oder nur schwer fassbare Gebiete vorzudringen. 748 Ein vertrauter sprach‐ licher Kontext aus der Natur oder dem täglichen Leben wird auf einen noch unbekannten Kontext übertragen, um Unanschauliches sichtbar zu machen und damit die Wirklichkeit neu zu beschreiben: „In der Spannung zwischen Benennung und bildlicher Übertragung wird die Wirklichkeit neu erschlossen, freigesetzt, ja, im Grunde hervorgebracht.“ 749 Umgekehrt greift auch die religiöse Sprache auf die profane Rede zurück, um ihre Inhalte (neu) zu fassen. Um diese Wechselwirkung zu verdeutlichen, lohnt ein Blick auf das Gebet des Messbuchs, das sich schon lange vor der Etablierung der modernen Lyrik ähnlicher Mittel bediente. Das Tagesgebet des sechsten Sonntags im Jahreskreis greift auf eine Metapher der Liebeslyrik zurück, um sich dem Wesen Gottes zu nähern. 750 6.2 „Suchendes Sprechen“ - Zur Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede 209 <?page no="210"?> 751 Die Übersetzung folgt S T O C K , Alex, Orationen. Die Tagesgebete im Jahreskreis. Neu übersetzt und erklärt von Alex Stock, Regensburg 2011, 33. 752 Vgl. zur Auslegung der Oration vom 6. Sonntag im Jahreskreis S T O C K , Orationen. Die Tagesgebete im Jahreskreis, 33-35. 753 Vgl. O H L Y , Friedrich, Cor amantis non angustum. Vom Wohnen im Herzen, in: D E R S ., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, 128-155, hier bes. 128 f. 754 Zitiert nach: P L E C H L , Helmut (Hg.), Die Tegernseer Briefsammlung des 12. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae historica. Epistolae 2. Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 8), Hannover 2002, 363; vgl. K Ü H N E L , Jürgen (Hg.), Dû bist mîn, ih bin dîn. Die lateinischen Liebes- (und Freundschafts-) Briefe des clm 19411. Abbildungen, Text und Übersetzung (Litterae 52), Göppingen 1977; in der einschlägigen Fachliteratur werden die ersten Verse des Gedichts mit dem alttestamentlichen Hohelied in Verbindung gebracht (vgl. Hdl 2,16 u. 6,3); vgl. O H L Y , Cor amantis non angustum, hier bes. 135-137. 755 Vgl. P L E C H L , Die Tegernseer Briefsammlung des 12.-Jahrhunderts. 756 Vgl. S C H U M A C H E R , Meinolf, Einführung in die deutsche Literatur des Mittelalters, Darmstadt 2010, 122 f; K O H L , Katrin, Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur, Berlin - New York 2007, 335f. Deus, qui te in rectis et sinceris manere pectoribus asseris, da nobis tua gratia tales existere, in quibus habitare digneris. Gott, der du redliche, ehrliche Herzen als Bleibe suchst, lass uns in deiner Gnade so sein, dass du gern in uns wohnen magst. 751 Der Kölner Dogmatiker Alex Stock (1937-2016) präzisiert in seiner Auslegung der Kollekte den Rückgriff auf die weltliche Liebeslyrik: Die Oration denkt das Herz des Menschen als konkreten Wohnraum (habitare), in dem Gott vom Beter zum Verweilen (manere) eingeladen wird. 752 In der deutschsprachigen Liebeslyrik taucht das Motiv der „Liebe als Einwohnung im Herzen“ schon früh auf. 753 Im wohl populärsten mittelhochdeutschen Text, der auch als ältestes Liebesgedicht deutscher Zunge bezeichnet wird, heißt es: „Dû bist mîn, ich bin dîn./ des solt dû gewis sîn./ dû bist beslozzen/ in mînem herzen,/ verlorn ist das sluzzelîn: / dû muost ouch immêr darinne sîn.“ 754 Der kurze Text ist der sog. Tegernseer Briefsammlung entnommen (Codex latinus Monacencis 19411). Es befindet sich am Ende eines fingierten Liebesbriefes zwischen einem Mönch und einer Nonne. 755 Ob es sich bei den sechs Versen tatsächlich um ein eigenständiges Gedicht des Minnesangs handelt, ist in der philologischen Forschung umstritten. Unstrittig ist jedoch die Verbindung zum Hohelied (Hld 2,16 u. 6,3), das die Herzensraum-Metapher ebenso kennt und selbst als Prototyp für das Ineinandergreifen von weltlicher und geistlicher Poesie gilt. 756 Bilder erotischer Liebe zwischen Mann und Frau liest die jüdische und christliche Tradition als Schilderung der Liebe Gottes zu seinem auserwählten Volk bzw. zwischen Christus und der Kirche. Mit etwas weniger Pathos lässt sich die 210 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="211"?> 757 Vgl. zu einer zeitgemäßen Sprache in der Liturgie das Themenheft der Theologischpraktischen Quartalschrift „Wenn der Glaube Worte findet“ (1/ 2014). Hier bes. der Beitrag von B R Ü S K E , Gunda, „Du bist der Schrei, der die Ruhe stört“. Anmerkungen zur Sprache der Liturgie, in: ThPQ 162 (2014) 40-48. 758 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 52. 759 Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer (*1980) feierte etwa mit ihren anschaulichen Metaphern und Analogien jüngst große Erfolge. Vgl. dazu u. a. die Ausführung Peter von Matt „Poesie für alle Sinne“ über die Lyrik von Nora Gomringer, Oration auch vor dem Hintergrund der Bergpredigt (Mt 5-7) deuten, die Gott und das menschliche Herz ebenfalls aufeinander bezieht: „Selig die reinen Herzens sind. Sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8) Bei näherer Betrachtung verlässt sich das Tagesgebet aber weder auf das überschwängliche Pathos der Liebeslyrik, noch präzisiert es die Herzensraum-Metapher mit dem Namen Jesu. Ganz nüchtern spricht es über die Beschaffenheit eines gottgefälligen Herzens: redlich und ehrlich (rectus et sincerus) soll es ein, damit sich Gott im Herzen des Menschen eine Bleibe nimmt. Der für die lateinische Oration so typischen brevitas romana reicht ein einziger Satz aus, um mit einer bis heute vertrauten Metapher der zwischenmenschlichen Liebe eine Brücke zwischen Diesseits und Jenseits zu schlagen. Die theopoetische Qualität der Messbuchoration darf aber nicht darüber hin‐ wegtäuschen, dass liturgische Gebete kaum mehr als „suchendes Sprechen“ im Sinne der Gedichte Lehnerts wahrgenommen werden. Zentrale Leitwörter wie Gott, Gnade oder Sünde gehören zwar zum Kernrepertoire christlichen Betens, haben ihre Brückenfunktion zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt aber oft eingebüßt. Das leierhafte Abspulen vorgegebener Formeln und die sprachliche Inkompatibilität der Liturgie mit der heutigen Alltagskommunikation werden nicht selten als Gründe angeführt, warum die alten Bildfelder der Liturgie nicht mehr verstanden werden. 757 Aus „offenen“ wurden „verhärtete“ 758 Metaphern - und selbst routinierte Gottesdienstbesucher wie Christian Lehnert wissen bei Zeiten nicht immer, wie sie ihnen beikommen sollen. Dieses Phänomen ist der weltlichen Dichtung ebenso vertraut, auch wenn es in den letzten Dekaden unter ganz anderen Vorzeichen zur Diskussion stand. Die literarische Avantgarde der Nachkriegsmoderne strich Begriffe wie Gott, Liebe oder Herz aus dem Repertoire ernstzunehmender Lyrik. Dazu kam die Verbannung von Reim und Versmaß, ja allen liedhaften Elementen, die in den Augen der Erneuerer ein unzeitgemäßes Pathos vermittelten und einer überholten Ästhetik huldigten. Zuletzt gelang es deutschsprachigen Dichtern aber wieder, mit einer „bilderschaffenden“ Sprache die lange tabuisierte Begrifflichkeit für die zeitgenössische Lyrik zurückzuer‐ obern. 759 Auch Lehnert ist Teil dieser neuen Generation, die in ihren Gedichten vor klassischen Formen ebenso wenig zurückschreckt wie vor gebundener 6.2 „Suchendes Sprechen“ - Zur Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede 211 <?page no="212"?> in: D I E S ., Mein Gedicht fragt nicht lange. Mit einem Vorwort von Peter von Matt, Dresden - Leipzig 2011, 8f. 760 Vgl. dazu u.-a. K L E I N S C H M I D T , Ins Offene, 105-112. 761 K L E I N S C H M I D T , Ins Offene 107. 762 L A T O U R , Bruno, Jubilieren. Über religiöse Rede. Aus dem Französischen von Achim Russer (Stw 2186), Berlin 2016. 763 Vgl. L A T O U R , Jubilieren, 246. 764 L A T O U R , Jubilieren, 113. Sprache. 760 Der Gesang ist das trostreiche Moment in Lehnerts kenotischem Lyrikverständnis: Jede Gottesbegegnung ist prekär, ja gefährlich, wird sie im Modus des Gesangs artikuliert, übersteigt sie den bloßen Selbstausdruck des und der Einzelnen. Das Lied erzeugt einen „Wir-Raum“, der als Chor eine Gemeinschaft bildet, von dem die Singenden getragen werden: „Gesang ist Hingabe. Sie erlöst vom schmerzhaften Erlebnis der Vereinzelung.“ 761 Kann diese Art der „offenen“ Poesie, die zwischen Religiösem und Poetischem oszilliert, eine Lesehilfe bieten, um die verkrusteten Formen religiöser Sprache aufzubrechen? Ausgerechnet die Gedanken des areligiösen Philosophen und Wissenschaftssoziologen Bruno Latour (*1947) kreisen über Wesen und Bedeu‐ tung zeitgemäßer Gottesrede, die nahe an Lehnerts Überlegungen heranreichen. Im Unterschied zur Wissenschaft zielt die Religion nicht auf bahnbrechende Erfindungen ab, betont Latour in seiner vielbeachteten Schrift „Jubilieren. Über religiöse Rede“ 762 . Religiöses Sprechen will verloren Geglaubtes wiederfinden, nicht Neues entdecken. Sein Ziel ist es, die Beziehungsebene zwischen Spre‐ chenden und Hörenden zu verändern, ja zu verwandeln. 763 Nicht das klassische Vokabular der Religion ist unbrauchbar geworden, sondern der Umgang mit ihrer Sprache. Die Herausforderung lautet daher, ob der Sprecher bzw. die Sprecherin das abgegriffene Bekenntnis so in Schwung bringen kann, dass es die Adressierten tatsächlich verändert. Latour spricht von einer „Kleinigkeit“, die hinzugefügt werden muss, um den scheinbar abgegriffenen Sätzen „von innen her das Siegel des Authentischen“ 764 zu verleihen. Als Vergleich zieht Latour das Gespräch zwischen Liebenden heran, dessen Gelingen am Tonfall hängt, weil es sich ebenso abgegriffener Formeln bedienen muss. Das Aufsagen und routinemäßige Wiederholen von Liebesschwüren („Ich liebe Dich“) alleine reicht nicht aus, um sich der Liebe zu vergewissern. An diesem Punkt treffen sich Latours Überlegungen mit den Ausführungen Lehnerts über das suchende und nicht erklärende Sprechen, das Gebet und Gedicht so eng miteinander verbindet. „Die Worte des Glaubens sagen nicht ‚etwas‘, sondern suchen, sie bilden im Sprechen eine Beziehung ab, einen Sog, eine Strömung vielleicht, 212 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="213"?> 765 L E H N E R T , Christian, Geht uns für den Glauben die Sprache aus? Vortrag in der Wasserkirche Zürich am 23.01.2014, hier 2 - https: / / www.paulusakademie.ch/ wp-cont ent/ uploads/ 2014/ 01/ Referat-Dr.-Christian-Lehnert.pdf (Zugriff am 25.05.2018). 766 L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 20. 767 Vgl. L A T O U R , Jubilieren, 41 f. 768 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 84. 769 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 52. 770 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 21. 771 S A L M A N N , Elmar, Das Gebet - selbstverständlich fremd, in: IKaZ Communio 47 (2018) 302-305, hier 302 f. in die die Seele geraten ist mit dem Wort ‚Gott‘.“ 765 Lehnert bezeichnet das religiöse Sprechen daher wiederholt als „öffnend“ und „nicht benennend“, sein Leitmotiv charakterisiert er als „poetisch“ 766 . Es geht ihm weniger um Inhalte oder Botschaften, sondern um die Form, also wie und mit welcher Intention die Worte gesprochen werden. Der Ort des Gedichts wie des Gebets ist an der Stelle, an dem Worte eigentlich fehlen, aber dennoch ausgesprochen werden müssen. Religiöse Rede, wie sie uns exemplarisch im Tagesgebet des sechsten Sonntages im Jahreskreis begegnet ist, kann ihren heutigen Sinn nicht aus der bloßen Wiederholung des immer schon Gesagten schöpfen, noch gibt es eine fehlerlose Übersetzung der alten Inhalte in das Vokabular der Gegenwart. Ihre Botschaft wird nur dann bedeutend, wenn sie eine Interaktion anstößt, die die Beziehung zwischen Sprechenden und Hörenden zum Schwingen bringt oder wie Latour sagt, wenn sie sie „vergegenwärtigt“. 767 Lehnert bezeichnet die alten Formeln und Gebete der Liturgie daher als „ein Fossil und ein[en] Keim“ 768 zugleich. Ihr Gehalt gibt Anlass zu immer neuen Ausdrucksstilen und zugleich bergen sie älteste Menschheitserfahrungen. Einerseits leidet Lehnert unter den „verhärtete[n] Metaphern“ 769 der Liturgie, andererseits gewähren sie ihm einen besonderen „Schutz“, weil ihnen menschheitsalte Weisheiten inne‐ wohnen. Um angesichts der Paradoxie des „anwesend-abwesenden Gottes“ 770 nicht schweigen zu müssen, sieht er in ihnen beinahe geschöpfhafte Formeln, die „auf den alles belebenden Atem des Geistes“ harren (Röm 8,26). Lehnert bietet mit seinen Gedichten eine unaufdringliche (Vor-)Schule des Glaubens, um das Alphabet von Liturgie und Gebet neu einzustudieren. Er verwirklicht damit ein bedenkenswertes Wort Elmar Salmanns: „Im Christentum wird man nie Meister, man bleibt Anfänger, übt sich ein, beginnt mit dem Elementaren, mit dem Lesen, Beten, Tasten, Entdecken.“ 771 Lehnert reagiert mit seiner tastenden Sprache auf die Herausforderungen unserer Zeit, um auszuloten unter welchen Bedingungen der Mensch von Gott reden kann. Lehnerts Gedichte lassen sich in Anlehnung an Romano Guardini ohne ihren Eigenwert in Frage zu stellen, 6.2 „Suchendes Sprechen“ - Zur Verwandtschaft von Poesie und religiöser Rede 213 <?page no="214"?> 772 Zur Einführung in die liturgische Anthropologie Romano Guardinis vgl. u. a. G E R L - F A L K O V I T Z , Hanna-Barbara, Leibhaftes Spiel. 773 Vgl. dazu L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, passim. 774 Vgl. zum schwierigen Verhältnis von Religion und Literatur S C H L A F F E R , Die kurze Geschichte der deutschen Literatur; der viel diskutierte Essay deutete die deutschspra‐ chige Literaturgeschichte als Emanzipationsbewegung, in der die religiöse Energie von namhaften Autoren auf die Literatur und Kultur umgelenkt wurde. Ganz anders aber ebenfalls erhellend in diesem Kontext M O S E B A C H , Was ist katholische Literatur; eine systematische Aufarbeitung des Themas gibt darüber hinaus W E I D N E R , Daniel (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016; vgl. darüber hinaus aus germa‐ nistischer Perspektive F A B E R , Richard - R E N G E R , Almut-Barbara (Hgg.), Religion und Literatur. Konvergenzen und Divergenzen, Würzburg 2017. 775 Vgl. zum Verhältnis von Bibel und moderner Literatur u. a. S C H Ö P F L I N , Karin, Die Bibel in der Weltliteratur (UTB 3498) Tübingen 2011; G A R H A M M E R , Erich - Z E L I N K A , Udo (Hgg.), „Brennender Dornbusch und pfingstliche Feuerzungen“. Biblische Spuren in der modernen Literatur (Einblicke 7), Paderborn 2003; S C H M I D I N G E R , Heinrich M. (Hg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20.-Jahrhunderts., 2 Bde., Mainz 2 2000. 776 Exemplarisch illustriert von Jochen Hörisch am biblischen Motiv von Brot und Wein; vgl. D E R S ., Brot und Wein. 777 F R Ü H W A L D , Wolfgang, Die Bibel als Literatur produzierende Kraft, in: S C H M I D I N G E R , Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20.-Jahrhunderts, Bd.-1, 39-47, hier 40. als „Vorschule des Gebetes“ deuten, weil er behutsam nach dem sucht, was sich den menschlichen Worten entzieht. 772 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 773 In der Moderne verloren sich Religion und Literatur fast gänzlich aus den Augen, dennoch riss ihr Kontakt nie vollständig ab. 774 Mit der Bibel blieb trotz aller Schwierigkeiten ein Verbindungsglied erhalten, das Literatur und Dichtung bis heute im Gespräch hält. 775 Ausgerechnet die literarische Avantgarde des 20. Jahr‐ hunderts, die sonst überwiegend auf Distanz zum Christentum ging, wollte nicht auf das literaturschaffende Potential der Heiligen Schrift verzichten. 776 Mit dem Bedeutungsverlust der Bibel als kirchliche Offenbarungsquelle ab dem 19. Jahrhundert stieg ihr Einfluss als literarischer Text: „Kompensatorisch zur Säkularisierung biblischer Texte erfolgte die Sakralisierung profaner Literatur, die Bibel wurde zum bevorzugten Referenztext der deutschen Literatur.“ 777 Obwohl das literarische Interesse für die biblischen Schriften bis heute an‐ hält, wird kaum beachtet, dass sich auf ähnliche Weise das Messbuch in die Literatur einschrieb. Lediglich der fast in Vergessenheit geratene Leipziger 214 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="215"?> 778 Zur Biographie und Bedeutung Hennigs für die Liturgiewissenschaft vgl. K R A N E M A N N , Daniela - K R A N E M A N N , Benedikt, John Hennig (1911-1986), in: Benedikt K R A N E M A N N - Klaus R A S C H Z O K (Hgg.), Gottesdienst als Feld der Theologischen Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Deutschsprachige Liturgiewissenschaft in Einzelportraits (LQF 98,1), Bd. 1. Gottesdienst als Feld theologischer Wissenschaft im 20. Jahrhundert, 467-475; Hennig legte im Eigenverlag auch eine Autobiographie vor; vgl. D E R S ., Die bleibende Stadt, Bremen 1987. 779 Vgl. H E N N I G , John, The Missal as World Literature, in: The Irish Monthly 74 (1946) 249-256; Hennig griff später das Thema erneut in einem deutschsprachigen Beitrag mit dem Appell auf, das römische Messbuch auch literaturwissenschaftlich zu würdigen; in: D E R S ., Zur literaturwissenschaftlichen Betrachtung der Liturgie, in: D E R S ., Literatur und Existenz. Ausgewählte Aufsätze, Heidelberg 1980, 81-95, hier bes. 82-84. 780 Vgl. B I E R I N G E R , Andreas, „Ein Schwanken ging durch die Welt“. 781 J O Y C E , James, Ulysses. Roman. Übersetzt von Hans Wollschläger, hg. und kommentiert von Dirk V A N D E R B E K E u. a., Frankfurt a. M. 2004; vgl. dazu auch H Ö R I S C H , Brot und Wein, 264-282. 782 Vgl. M O S E B A C H , Was ist katholische Literatur? , 120 f. Philologe und Liturgiewissenschaftler John Hennig (1911-1986) 778 interessierte sich während seines irischen Exils im II. Weltkrieg für die literarhistorische Bedeutung des Messbuches. 779 In Analogie zu philologischen Betrachtungen der Bibel untersuchte er das Missale Romanum und wies seinen Einfluss auf die Literatur des 20. Jahrhunderts nach. 780 Gerade am Beginn des modernen Romans standen epochemachende Werke, deren liturgische Motivik bis heute kaum wahrgenommen wird: So ist „Ulysses“ 781 von James Joyce (1882-1941) neben der griechischen Mythologie von der Struktur der katholischen Messe geprägt. Ferner griff auch Marcel Proust (1871-1922) für sein nicht minder bedeutendes Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (À la recherche du temps perdu) auf die Tiefengrammatik der Messe zurück. Erinnerung bedeutet bei Proust Vergegenwärtigung der Vergangenheit, aber nicht bloß als „erinnertes Bild“, sondern als authentische Schau der Wirklichkeit. 782 Was eben über die Bibelrezeption in der profanen Literatur gesagt wurde, gilt heute für die Liturgie. Während die gesellschaftliche Bedeutung des Got‐ tesdienstes in den letzten Jahrzehnten abnahm, vollzog sich in Teilen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ein Phänomen, das als „Liturgical Turn“ bezeichnet werden kann. Teile der Literatur scheinen sich gerade dann für die Liturgie zu interessieren, wenn ihre gesellschaftliche Wertschätzung im Schwinden begriffen ist. Das Auseinanderdriften von Leitkultur und kirchlicher Praxis hält die deutschsprachige Gegenwartsliteratur jedenfalls nicht davon ab, so könnte eine etwas abgemilderte Analyse lauten, die katholische Liturgie in ihre Sprache zu nehmen. In jüngster Zeit schreiben Schriftsteller und Schrift‐ stellerinnen ihren Werken daher wieder die Struktur der Messe ein. Ein bereits 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 215 <?page no="216"?> 783 Vgl. dazu B I E R I N G E R , „Hühnerleiter wird Jakobsleiter“; vgl. auch das Kapitel zu Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ in dieser Arbeit. 784 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 72 f [Herv. im Original]. 785 Vgl. W A L S E R , Martin, Über Rechtfertigung, eine Versuchung. Zeugen und Zeugnisse. Reinbek b. Hamburg 2 2012. Ähnlich äußerst sich Walser auch in seinem Roman „Muttersohn“: „Verlassen zu sein, ist ein Schuh, der auch drückt, wenn man ihn nicht anhat. Die Höhle in jedem von uns, in der das Dunkel Platz hat, das zu uns gehört, dürfen wir Gott nennen. Und sie ist leer, diese Höhle. Leute, denen die Leere fremd ist, sind mir fremd. Lasst die Leere zu. In ihr ist Gott daheim.“, in: W A L S E R , Martin, Muttersohn, 469 f.; vgl. dazu auch T Ü C K , Jan-Heiner, Was fehlt, wenn Gott fehlt? Martin Walser über Rechtfertigung - theologische Erwiderungen, Freiburg i. Br. 2016. 786 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 73. in dieser Arbeit angesprochenes Werk stammt aus der Feder des Literaturno‐ belpreisträgers Peter Handke, der sein Familien- und Geschichtsdrama „Immer noch Sturm“ (2010) als „Familienliturgie“ inszeniert, die bis in kleine Details der Messstruktur nachempfunden ist. 783 Christian Lehnert setzt unter ganz eigenen Vorzeichen diese Tradition in seinem 2017 erschienenen Band „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ ebenso fort. Auch er greift für sein Buch auf die Dramaturgie der lateinischen Messe zurück und reiht sich damit in die lange Liste derer ein, die Literatur und Messe aufeinander beziehen. Bevor die liturgische Struktur analysiert wird, soll am Beginn der Analyse des Buches zunächst ein Leitspruch stehen, der programmatisch den Charakter des Werkes kennzeichnet und zugleich Auskunft über sein Verständnis des Gottes‐ dienstes gibt: „Der Mensch erfährt sich selbst vor dem Gott in seinem Fehlen.“ 784 Das altertümliche Verb fehlen steht für zwei divergierende Bedeutungen, die dennoch zusammengehören: Wenn der Mensch fehlt, irrt er sich bzw. begeht einen Fehler. Im Kontext der Religion kann eine lange Verkettung von Fehlern zu einem verfehlten Leben führen. Zugleich wird mit dem mehrdeutigen Wort ein Mangel beschrieben: Etwas fehlt dem Menschen, was unmittelbar zu seinem Selbst gehört. Dieses Wortspiel erinnert an den Schriftsteller Martin Walser (*1927), der in seinem viel beachteten Rechtfertigungsbuch (2012) ebenfalls der Frage nachgeht, was dem Menschen fehlt, wenn Gott fehlt. 785 Walser äußert einen Phantomschmerz, der zwar vielen vertraut ist, aber nur wenige wagen es, ihn tatsächlich auszusprechen. Es entsteht ein Mangel, wenn die Rede von Gott verstummt und zu einem gesellschaftlichen Tabu wird. Lehnert geht einen Schritt weiter und spricht davon, dass sich der Mensch durch sein Fehlen vor Gott selbst fremd geworden ist: „In seinen Fehlern fehlt er, fehlt seine Wahrheit.“ 786 Religion und Liturgie werden zu Orten, die dem Fehlen des Menschen vor Gott einen Ausdruck verleihen. Dies geschieht nicht aus einer Situation der unbeirrbaren Sicherheit heraus, sondern aus dem Zustand des 216 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="217"?> 787 Das Fehlen zwischen Mensch und Gott in diesem doppeldeutigen Sinn wird auch von Uwe Kolbe in seinen poetischen Psalmenübertragungen aufgegriffen; vgl. D E R S ., Psalmen, Frankfurt a.-M. 2017, hier bes. 56. 788 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 15-21. 789 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 19. 790 Vgl. G U A R D I N I , Romano, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung, 15f. 791 Vgl. dazu etwa die programmatischen Überlegungen von O D E N T H A L , Liturgie als Ritual, 47f. 792 „Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; sie gehen darauf aus, die Situation des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen. So dienen sie der Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen.“ (GS 62) Bruches, da auch Gott sich verborgen hält, weil auch er auf den Anruf des Menschen nicht unmittelbar reagiert. 787 So steigert sich der Mangel als ein Fehlen auf beiden Seiten. Das Buch geht von dieser zwiespältigen Erfahrung im Gottesdienst aus, die Lehnert als „Enttäuschung“ bei gleichzeitiger „Beseelung“ beschreibt. 788 Einerseits erlebt der Dichter in der Liturgie ein großes Unbehagen, weil ihn die alten Riten, Lieder und Gebete nicht mehr tragen. Er traut ihnen den Austausch zwischen Hier und Dort, jenseitigem Gott und diesseitigem Menschen einfach nicht mehr zu. Andererseits beseelt ihn der Gottesdienst, ohne einen expliziten Grund dafür nennen zu können: „Es verändert sich die Art meiner Anwesenheit, sie wird fester und zugleich durchlässiger. Ich ahne die Fragilität meiner selbst, und zugleich (immer so ein zugleich) verfestigt sich ein ureigener und mir doch fremder Kern …“ 789 Aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive erinnert die Ausgangssituation des Buches an die Überlegungen von Romano Guardini, der am 1. April 1964, nur wenige Monate nach Verabschiedung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums (04.12.1963), in seinem eingangs zitierten berühmt gewordenen Brief von einer Entfremdung zwischen Liturgie und Leben spricht. 790 Seit Guardini gehört es zu den zentralen Aufgaben der Liturgiewissenschaft, die „Bedingungen des Gottesdienstes zwischen traditionellen Vorgaben und neu‐ zeitlichen Herausforderungen“ auszuloten und ihr wechselseitiges Verhältnis je neu zu bestimmen. 791 Lehnert ist im Sinn der Pastoralkonstitution (vgl. GS 62) ein Dialogpartner, der über die Beziehung zwischen Gott und Mensch im Kontext zeitgenössischer Erfahrung Auskunft gibt. 792 Pointiert stellt Lehnert in seinem Buch die Frage, wie und ob der Hiatus von Leben und Liturgie 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 217 <?page no="218"?> 793 Der Klappentext des Buches spricht von einer Gattungsmischung aus Reflexion, Schau und Erzählung. 794 K L E I N S C H M I D T , Sebastian, Christian Lehnert. Wie bringt man Gott zum Reden? Christian Lehnerts gedankenreiches Buch über Kult und Gebet, in: Die Zeit Nr. 33 vom 10.08.2017, 40 - https: / / www.zeit.de/ 2017/ 33/ christian-lehnert-der-gott-in-einer-nuss (Zugriff am 26.02.2018). überhaupt noch überwunden werden kann. Seine Antworten legt der Dichter in seinem Band vor, der aus zweiundachtzig literarisch durchkomponierten Miniaturen besteht. Der Untertitel „Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ gibt Auskunft über die äußere Struktur des Bandes: Die Essays widmen sich dem Zentralgeschehen des christlichen Gottesdienstes, der Messe. Die Gattung des Buches lässt sich mit den üblichen Begriffen nur schwer auf einen Punkt bringen. Es liegt nahe, von einer literarischen Sammlung unterschiedlicher Essays zu sprechen, die klassische Gattungen wie Reflexion, prophetische Schau und Erzählung miteinander verbindet. 793 Sebastian Kleinschmidt bezeichnet das Opus treffend als „schön komponierte[s] Gedankenbuch“ 794 , da es die Überlegungen eines Dichters und Theologen sammelt, der über das Verhältnis von Leben und Liturgie im Licht der Bibel nachdenkt. Ob der Band nun eher ein Sachbuch ist oder zur sog. „Schönen Literatur“ gehört, ob er gar eine unkonventionelle Erbauungsschrift ist oder im Geist Guardinis als eine „Vorschule des Gottesdienstes“ gelesen werden kann, darf an dieser Stelle offen bleiben. Letztlich ist das Buch ein Werk sui generis, das am ehesten von den verschiedenen Rollen des Autors her zu verstehen ist: In den „Blättern“ spiegeln sich Lehnerts Erfahrungen als Geistlicher, Theologe und Dichter. Seine Jahre als Pfarrer, befremdende Begegnungen in der Seelsorge und mystische Traumvisi‐ onen werden dabei ebenso literarisch verarbeitet wie theologische Reflexionen über die lebensdeutende Kraft christlicher Rituale. Um dem oft assoziativ anmutenden Reichtum der Blätter einen festen Rahmen zu geben, folgen die Essays und Reflexionen dem Ordinarium der lateinischen Messe. Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus-Benedictus und Agnus Dei formen aus den losen Blättern eine zusammenhängende Erzählung. Die Miniaturen selbst verfügen über keinen Titel, ihr jeweiliges Incipit gibt jedoch die inhaltliche Stoßrichtung der Texte vor. Dabei schreckt der Autor weder vor den fundamentalen Kernbegriffen des Christlichen wie Trinität, Erlösung oder Opfer zurück, noch erspart er seinen Lesern und Leserinnen die Auseinandersetzung mit liturgiewissenschaftlichem Fachvokabular wie Introitus, Anamnese oder Mysterium. Die systematische Durchdringung des Christentums ist Lehnerts Sache nicht, zur Methode des Buches gehört es, dass der Dichter nicht davor zurückscheut, die großen Begriffe der Theologiegeschichte mit eigenen Erfahrungen und Bildern zu füllen. Sein 218 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="219"?> 795 L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 19. 796 Vgl. S E V E N , Friedrich, Sprengkraft. Über den Gottesdienst (Rez. zu Christian Lehnert, Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet, Berlin 2017), in: Zeitzeichen 18 (2017) 66-67. 797 „Du mußt deinen Glauben leer halten, frei von festgefügten Bildern, Begriffen, von deutenden Umschreibungen.“, in: L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 118. 798 Vgl. S E V E N , Sprengkraft, 66. 799 Vgl. zu Hamann L U M P P , Hans-Martin, Philologia crucis. Zu Johann Georg Hamanns Auffassung von der Dichtkunst. Mit einem Kommentar zur „Aesthetica in nuce“ (1762) (Studien zur deutschen Literatur 21), Tübingen 1970 und R I N G L E B E N , Joachim, Rede, dass ich dich sehe (Hamann-Studien 6), Göttingen 2021. 800 H A M A N N , Johann Georg, Sämtliche Werke, hg. von Josef N A D L E R , 6 Bde., Bd. II. Schriften über Philosophie, Philologie, Kritik. 1758-1763, Wuppertal 1999 [1950], 198. Buch ist ein Plädoyer, den Glauben „offen“ zu halten und ihn nicht vorschnell in festgefügte Begriffe und Dogmen zu pressen. Im Hintergrund steht eine tieferliegende Überzeugung: „Theologische Aussagen klingen vorläufig und verweisen auf etwas, das auch verborgen bleibt.“ 795 Bei aller Sympathie, die er als Theologe und Religionswissenschaftler für die historische Genese und Bedeutung religiöser Rituale erkennen lässt, hat sein „poetischer“ Zugriff stets Vorrang. In Analogie zu seinen Gedichten geht es Lehnert auch in der Liturgie um ein „Wahrwerden“ der Inhalte im Moment des Vollzugs. 796 Der Gottesdienst wird auch hier im Modus des „suchenden Sprechens“ erschlossen: Im Sprechen und Schreiben über das Phänomen „Gottesdienst“ ringt er nach Worten, um dem unaussprechlichen Telos einen Namen zu geben. Dabei befreit er sich von gewohnten Vorstellungen und lässt längst verbrauchte Bilder zurück. 797 Ziel ist es, Augenblicke lebendig werden zu lassen, in denen nicht mehr das eigene Ich spricht, sondern das Ich gleichsam von einem anderen (an)gesprochen wird. 798 Die Transzendenz Gottes leuchtet in den kleinen und unscheinbaren Dingen auf, wie bereits der Titel „Der Gott in einer Nuß“ suggeriert. Pate dafür steht die „Aesthetica in nuce“ des Schriftstellers und Philosophen Johann Georg Hamann (1730-1788). 799 Hamann sieht in Gott einen Schriftsteller, dessen Poesie sich in den Büchern der Natur offenbart: „Rede, daß ich Dich sehe! - - Dieser Wunsch wurde durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht thuts kund der andern.“ 800 Hamann und Lehnert sind über das suchende und tastende Denken miteinander verbunden. Sie meiden festgefügte Begrifflichkeiten und erschließen sich die Wirklichkeit im Sprechen bzw. Schreiben über die Dinge. Sie appellieren an die Dinge und Erscheinung der Welt, ja rufen ihnen zu, ihr Wesen zu offenbaren. Lauschen wir den Antworten des Dichters, um zu sehen, wie er die alten Formen im Licht existentieller Erfahrungen zum Reden bringt. 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 219 <?page no="220"?> 801 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 17 f.; das fünfte Blatt des Buches mit dem Incipit „Unentschiedenheit“ lässt sich als Ouvertüre für das Thema des gesamten Buches lesen; vgl. D E R S ., Der Gott in einer Nuß, 15-21. 802 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 15-21. 803 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 16, 18, 34, 48-50, 90, 112, 158. 804 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 34 f; das Phänomen analysiert kritisch S T O C K I N G E R , Feuilletonkatholizismus. 805 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 20. Was zeichnet einen gelungenen Gottesdienst aus? Die Frage ist simpel und anspruchsvoll zugleich. Lehnert scheut nicht vor ihr zurück, räumt aber ein, dass selbst ein Dichter wie er darüber ins Stottern gerät. 801 Weder Lob noch Tadel über die heutige Gestalt von Gottesdiensten wollen ihm daher leichtfertig über die Lippen kommen. Zum einen sind seine eigenen Eindrücke zu diffus, um sie eindeutig zu qualifizieren, zum anderen „geschieht“ das Zentrale des Gottesdienstes außerhalb der eigenen Wahrnehmung. Deshalb scheint eine Dar‐ stellung in wissenschaftlichen Kategorien für den Dichter auch nicht möglich. Nicht an der Gewissheit über die Gottesbegegnung in der Liturgie, sondern an ihrer Unsicherheit entzünden sich die niedergeschriebenen Gedanken. Dahinter steht die Überzeugung, dem Wesen des Gottesdienstes mit dem Eingeständnis der eigenen Ratlosigkeit eher auf die Schliche zu kommen als mit der Über‐ nahme extrinsischer Konzepte. Bei allem Verständnis für die religiöse Not unserer Zeit übergehen die Essays die heutige Krise des Gottesdienstes nicht. Vielmehr führen sie schonungslos vor Augen, woran es in der Liturgie mitunter krankt. So hält der Dichter die Sprache über weite Strecken für „kontaminiert“, erklärt die Metaphern der Gebete für „abgegriffen“ und die Gottesdienste für bloße „Überredungsrituale“. 802 Jenseits einseitiger Polemiken liefert Lehnerts Gottesdienstdiagnostik eine pointierte Analyse heutiger Fehlentwicklungen. Die Flucht fundamentalistischer Gruppen ins „Objektive“ des Ritus wird ebenso kritisiert wie ein romantisch motivierter „Subjektivismus“, dem es allein um das religiöse Erleben des und der Einzelnen geht. 803 Dazu gehört auch die Problema‐ tisierung des in katholischen Kreisen häufig propagierten „Ästhetizismus“, dem auf evangelischer Seite der „Bibelfundamentalismus“ entspricht. 804 Der Tadel wird vom Dichter aber weder mit erhobenem Zeigefinger vorgebracht, noch gibt er vor, eine Lösung für die mannigfaltigen Herausforderungen zu kennen, an der sich alle orientieren müssten. 805 Dem Verlust der öffentlichen Bedeutung des Gottesdienstes misst der Autor darüber hinaus eine geradezu befreiende Wirkung bei: „Vorbei sind die Inanspruchnahmen, die Krönungsrituale und Waffensegnungen! Der Gottesdienst ist zurück an seinem Ursprung. […] Er hat keine Funktion mehr, entzieht sich ganz diesem üblen Wort, hat keine 220 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="221"?> 806 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 90. 807 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 53. 808 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 112. 809 Vgl. zur negativen Theologie u. a. W E S T E R K A M P , Dirk. Via negativa. Sprache und Methode der negativen Theologie. Paderborn - München 2006. 810 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 21. Aufgabe und ist zu nichts nutze. Taugenichtstun: das Gebet.“ 806 Die Hinwendung zu den Quellen und Ursprüngen ist an zwei Grundbedingungen geknüpft, die für das Denken und Schreiben Lehnerts konstitutiv sind: (1) Weder darf der Gottesdienst die Unverfügbarkeit Gottes, wie sie in den Prophezeiungen des Alten Bundes bildstark zum Ausdruck kommt (vgl. Ex 3,1-5), desavouieren: „Jede Epiphanie spaltet in ihrem Licht den Gott in einen hellen offenbaren und einen dunklen verborgenen Gott, in eine Stimme und in eine Stille, eine stumme Offenheit, die als deus absconditus, als abwesender Gott, die Theologie beunru‐ higt.“ 807 (2) Noch dürfen die Brüche der Moderne hinter die Errungenschaft von Aufklärung und Religionskritik zurückführen. Es gibt keine Heimkehr in den unerschütterlichen und unhinterfragten Glauben von einst: „Sie [= die Liturgie, AB] kann nicht zurück in eine sozial übergreifende Objektivität, die sie einst besaß, als der Besuch des Gottesdienstes fraglos war wie der Anbruch des Frühlings oder die Phasen des Mondes […].“ 808 Die Ausgangslage für den heutigen Menschen ist schwierig, sind doch mehrere Barrieren zu überwinden, um dem „gelungenen Gottesdienst“ auf die Spur zu kommen. Wie in den Gedichten macht sich Lehnert als Suchender auf den Weg, das Phänomen „Gottesdienst“ aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Die Betonung der Abwesenheit Gottes bedeutet nicht, dass sich das Buch in eine ertraglose Konversation mit den Erkenntnissen der nega‐ tiven Theologie verstrickt. 809 An bloßer Verneinung würde sich keine Poesie entzünden. Entzieht sich ein Phänomen dennoch seinen Worten, wechselt der Dichter von der Prosa in die Poesie. Im Buch wird dieser Übergang an kleinen und oft unscheinbaren Definitionen sichtbar, die wie Einsatzgedichte das Wesen des Gottesdienstes poetisch fassen. Im fünften Blatt des Buches heißt es gegen Ende: „Die Liturgie ist wie eine Fährte im Schnee - flüchtiges Zeugnis eines anwesend-abwesenden Gottes.“ 810 Die als unzugänglich empfundenen Formeln werden im Buch nicht selten mit Bildern der Kälte und des Frosts charakterisiert, sie wandeln sich aber dann in Wärme, wenn Unerwartetes hinter Vertrautem zum Vorschein kommt. Dazu sucht der Dichter nach dem Anfänglichen und Ur‐ sprünglichen - ein weiteres Verbindungsglied zwischen Religion und Dichtung, 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 221 <?page no="222"?> 811 Vgl. B E L L A H , Robert N., Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsen‐ zeit, hg. und mit einer Einführung von Hans J O A S , aus dem Englischen von Christine Pries, Freiburg i. Br. 2021, hier bes. 24-80. 812 Vgl. dazu dreizehntes und fünfzehntes Blatt, in: L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 35-37 bzw. 38-41. 813 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 39. 814 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 25. 815 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 25. wähnen doch beide am Beginn der Schöpfung die besondere Nähe Gottes. 811 Dieser Pfad schließt mit ein, die petrifizierten Begriffe und Vorstellungen zurückzulassen und in der Tiefe nach eigenen Assoziationen, Beobachtungen und Bildern Ausschau zu halten. Bei dem Versuch, Lehnerts Gangart in den Essays kompakt zu bündeln, kristallisieren sich drei Perspektiven heraus, die sich kurz mit Metapher, Typologie und Transfer umreißen lassen. Anhand von drei Beispielen wird Lehnerts „Messhermeneutik“ näher erläutert: (1) Am Beginn der literarischen Messe stehen zwei Miniaturen, die mit dem Incipit „Vater“ versehen sind und intime Einblicke in die Dichterbiographie geben. 812 Eindrucksvoll schildert Lehnert, wie er hilf- und wortlos am Kranken‐ bett seines Vaters steht, den er nach einer schweren Herzerkrankung nur durch eine Glasscheibe sehen darf. Der drohende Verlust lässt Erinnerungen an Szenen von Geborgenheit und Nähe aus Kindheits- und Jugendtagen hochkommen. Die zuerst nur vage angedeutete Ambivalenz erhärtet sich im zweiten Vater- Essay: Zwar wird der Vater als fürsorglicher Ernährer und verlässlicher Beistand beschrieben, letztlich konnte er dem Sohn aber kein geistiges Erbe mit auf den Lebensweg geben. Die Sorge des jungen Lehnerts galt im Unterschied zu anderen Altersgenossen und Altersgenossinnen etwa nicht der Abnabelung von einer übermächtigen Vaterfigur, sondern der als undefiniert und fremd erfahrenen Herkunft. Das Erbe der DDR lastete schwer, wurde an seine Gene‐ ration doch nichts weitergegeben, an dem sie sich hätten orientieren können. Bei aller Wertschätzung hinterließ der väterliche Realitätssinn und seine prag‐ matische Moral ein Vakuum, das es erst mühsam zu füllen galt: „›Vater‹ - das Wort, brüchig. Es zittert auf der Zunge - wie geschwächt, atemlos von Suche und Sehnsucht und Verlust.“ 813 Die literarischen Einblicke in Biographie und Zeitgeschehen sind zwar aufschlussreich, ihre Brisanz entfalten sie aber erst in ihrem liturgischen Kontext. Lehnert positioniert die beiden Erzählungen im unmittelbaren Umfeld des Eröffnungsritus der Messe, die wie fast jeder christliche Gottesdienst mit der Formel „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ beginnen. In Verbindung mit dem Kreuzeichen wird die väterliche Namensnennung zur ersten „Wort-Geste“ 814 der Liturgie, zum „Anlaut des Kultes“ 815 , um vor Gott die richtige Disposition zu finden. Nicht 222 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="223"?> 816 Vgl. dazu das Themenheft Vaterunser I: IKaZ Communio 44 (2015). 817 Vgl. u. a. B E R G E R , Teresa, Gender differences and the making of liturgical history. Lifting a veil on liturgy’s past, London - New York 2011; D I E S ., Sei gesegnet, meine Schwester. Frauen feiern Liturgie. Geschichtliche Rückfragen, praktische Impulse, theologische Vergewisserungen, Würzburg 1999; D I E S ., Liturgie und Frauenseele. Die liturgische Bewegung aus der Sicht der Frauenforschung (PTHe 10), Stuttgart u.-a. 1993. 818 Zu geschlechtergerechter Sprache im Gottesdienst vgl. G R O E N , Bert - E B E N B A U E R , Peter, Männerliturgie - Frauenliturgie - und dann? Beobachtungen und Impulse auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Liturgie, in: Sigrid Eder - Irmtraud Fischer (Hgg.): „… männlich und weiblich schuf er sie …“ (Gen 1,27). Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft (Theologie im kulturellen Dialog 16), Innsbruck 2009, 217-256. 819 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 41. zuletzt aufgrund des Vaterunsers (Mt 6,9-13; Lk 11,2-4) hat sich die Vaterme‐ tapher tief in die Identität der christlichen Gebetssprache eingeschrieben. 816 So weit das Vaterbild zu den Ursprüngen des Christentums zurückreichen mag, so umstritten ist es mittlerweile geworden. Eine psychologiesensible Theologie weiß um die Verletzungen und Abgründe, die mit dem männlich dominierten Gottesbild im Christentum verbunden sein können. Schon seit einigen Jahrzehnten ruft die feministische Theologie die mütterlichen Züge der biblischen Gottesbilder in Erinnerung und fordert, Gott auch in der Liturgie als Mutter anzurufen. 817 Lehnert interessiert sich hier aber weder für den aktuellen theologischen Genderdiskurs, noch will er einen Beitrag zur Emanzipation weiblicher Gottesvorstellungen liefern. 818 Als Sohn und Dichter weiß er nur zu gut, dass bildreiche Metaphern wie Vater oder Mutter immer unscharf und ambivalent sind, ja bleiben müssen, da sonst die Differenz zwischen Gott und Mensch aufs Spiel gesetzt wird. In der christlichen Gottesrede werfen die oft gedankenlos verwendeten Metaphern so viel Schatten wie sie Licht spenden. Gerade deshalb besteht Lehnert vehement auf die Andersartigkeit Gottes. Er kennt die abgründigen Seiten der männlichen Gottesbilder, traut ihnen in der Tiefe dennoch eine erneuernde Kraft zu, indem er sie je neu mit seinem eigenen Leben konfrontiert. Die Pointe seiner Auseinandersetzung mit der Vatermetapher folgt zum Schluss des fünfzehnten Blattes: „Denn damit ich letztlich nicht nur ängstlich schweigen kann, brauche ich den Schutz von Formeln wie dieser, von alten Bildern, welche der Sprache ein kultisches Gewand anlegen, sie heiligen und schützen, und das heißt: sie als Geschöpf auszuweisen, wartend und harrend auf den alles belebenden Atem des Geistes.“ 819 Lehnert gesteht sich als ersten Schritt die oft fremde Sprache der Liturgie ein, verwirft sie aber weder, noch ersetzt er sie vorschnell durch Neues. Die 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 223 <?page no="224"?> 820 Vgl. dazu auch J U N G M A N N , Missarum Sollemnia, 429-446. 821 Vgl. L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, 21. 822 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 84 [Herv. gelöscht]. 823 Vgl. zur Bedeutung der Typologie im Christentum die präzise Zusammenfassung von M A Y E R , Tobias, Typologie und Heilsgeschichte. Konzepte theologischer Reform bei Jean Daniélou und in der Nouvelle théologie, Innsbruck - Wien 2020, 129-155. 824 Zum Mythos um Semele und Zeus vgl. auch W A C H T , Manfred - R I C K E R T , Franz, Art. Liber (Dionysos), in: RAC 23 (2010) 67-99. Metaphern werden mit poetischen Mitteln so lange umkreist, bis sie im Kontext des eigenen Lebens sprichwörtlich zu sprechen beginnen. (2) Wieder anders verfährt Lehnert in seiner poetischen Messauslegung mit dem Kyrie eleison. Die Dichterbiographie tritt in den Hintergrund, um Tiefenschichten in der Liturgie freizulegen, die weit hinter das Christentum zurückreichen. Mit einem ausführlichen Verweis auf die rituelle Verehrung der Sonne bei den alten Ägyptern, Griechen und Römern erschließt der Dichter den Gebetsruf religionswissenschaftlich und poetisch als „kultische Begrüßung der Gottheit in ihrem grellen Erscheinen“, den die ersten Christen und Christinnen für ihre Sonne, den auferstandenen Christus, übernommen haben. 820 Das Kyrie wird als jener Moment im Gottesdienst charakterisiert, an dem die Feiernden zu Gott „aufschauen“, um sich in das Licht des „ganz Anderen“ zu stellen, der in diesem Erscheinen blendet und zugleich verwandelt. Zu Lehnerts Hermeneutik gehört es, die wiederkehrenden Formen der Messliturgie so lange zu verfolgen, bis sich im Vertrauten das Unerwartete offenbart. 821 „Das Kyrie ist ein Fossil und ein Keim zugleich, es kann immer neue Formen und Gesänge aus sich entlassen und darin älteste Erinnerungen bergen.“ 822 Bei den Kyrierufen legt der Dichter eine unbemerkte „Erzählfigur“ frei, indem er auf eine Typologie zurückgreift, die den zerstörerischen und verwandelnden Charakter der göttli‐ chen Erscheinung am Beginn des Ritus aufzeigen soll: Semele und Maria. Was zunächst nach einer gewagten Inbezugsetzung von griechischer Mythologie und Bibel klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als aufschlussreiche Gegenüberstellungen von Typos und Antitypos: 823 Die von Zeus begehrte Prinzessin Semele verlangte von ihrem göttlichen Geliebten, dass er ihr in seiner ganzen göttlichen Herrlichkeit erscheinen möge, stieg er doch stets nur als Sterblicher zu ihr herab. Im Augenblick der Erfüllung ihres Wunsches wurde sie jedoch vom Blitz des Göttervaters vernichtet, so wie jeder menschliche Körper verglüht, der der Sonne zu nahekommt. Als sie zur Asche zerfiel, gebar sie den gemeinsamen Sohn Dionysos: Tod und Geburt ereigneten sich im selben Moment. 824 Gemäß typologischer Logik gleicht Maria Semele, überbietet sie aber zugleich. Auch Maria wurde unerwartet von ihrem Gott heimgesucht und gebar ein Kind in Bethlehem, weitab der öffentlichen Aufmerksamkeit. 224 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="225"?> 825 Vgl. kritisch dazu die ökumenisch ausgerichtete Arbeit von L Ü D E M A N N , Gerd, Jungfrau‐ engeburt? Die Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus, Springe 2008; aus katholisch apologetischer Perspektive vgl. Z I E G E N A U S , Anton (Hg.), „Geboren aus der Jungfrau Maria“. Klarstellungen (Mariologische Studien 19), Regensburg 2007; eine aktuelle Aufarbeitung des Themas gibt N A U E R , Doris, Geistzeugung und Jungfrauengeburt? , in: Diakonia 48 (2017) 241-245. 826 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 89. 827 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 89. 828 G R E I N E R - H A N D K E , Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. 829 VI Credo. Ich glaube: fünfundfünfzigstes und sechsundfünfzigstes Blatt, in: L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 144-152. Was im Moment der Verkündigung mit Maria geschah, wird nach biblischem Bericht jedoch nicht in Blitz oder besonderem Glanz gefasst: Das Entscheidende bleibt unscheinbar und verborgen, ein Grundsatz, den Lehnert für den ganzen christlichen Glauben reklamiert. Auch wenn Gott Maria ganz nah kommt, bleibt sie ein gewöhnlicher Mensch, eine Frau, die schwanger wird und ein Kind gebiert. Das Wunder der Jungfrauengeburt bezieht Lehnert auf den frühen Leser und die frühe Leserin der Bibel 825 , „der sich darin verirrte und auf die Frage nach dem Christus geworfen wurde, die keine Antwort finden, sondern eine Suche auslösen sollte - dies aber wäre dann bereits der Anfang jener verunsichernden Bewegung, die man ›Glaube‹ nannte.“ 826 Der springende Punkt des typologischen Vergleiches liegt im Paradox der „zwei Naturen“, das der Dichter als Grundprinzip auf das Gebet und die Liturgie überträgt: Im Glauben wie in der Liturgie kommt Menschliches mit Göttlichem in Berührung: All die Erfindungen, Projektionen, Inszenierungen treffen im Modus des Ritus auf das Wirken des Heiligen Geistes. „Erkennbar wird das nie an sich, nicht darstellbar ist es wie der Brand der Semele - nur in der schillernden Ungewißheit des eigenen Erlebens hat diese Doppelnatur ihren Sinn, ihren Puls […]“ 827 . Der Dichter inszeniert den Glauben und die Liturgie parallel zum Leben, sonst kann sie ihre Wirkmächtigkeit nicht entfalten. Das Erfahrene wird narrativ gefasst: „Wenn jemand nur sagt, er sei religiös, geht mir das auf die Nerven. Wenn er nicht erzählt, was das ist. Das Erzählen ist das Entscheidende.“ 828 Was Peter Handke salopp, aber treffend formuliert, trifft auch für Lehnerts lebensdeutende Auslegung des Gottesdienstes zu. (3) Unter Punkt eins wurde bereits über biographische Erfahrungen des Autors berichtet, die an neuralgischen Stellen die Ausrichtung des Buches bestimmen. Beim Credo wird diese Perspektive um die seelsorgliche Praxis des Dichters erweitert. Im Zentrum steht die Frage, ob die Liturgie auch in Krisenzeiten als Deu‐ tungsrahmen für das Leben dienen kann, und woran Christen und Christinnen eigentlich glauben. 829 Glaube muss mehr sein als ein sprachliches Bekenntnis, so 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 225 <?page no="226"?> 830 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 144 f. 831 Zitiert nach Die Feier der Heiligen Messe, 339. Zur Genese und Bedeutung vgl. S T A A T S , Reinhard, Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologi‐ sche Grundlagen, Darmstadt 1996. 832 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 146 833 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, sechsunfünfzigstes Blatt, 147-152. 834 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 149. viel steht für den Dichterpfarrer fest: „›Ich glaube … ‹, heißt hier, daß ein tiefes und bedingungsloses Vertrauen artikuliert wird, eine Daseinsorientierung, die den Grund der Seele berührt.“ 830 Damit ist freilich nur ein erster Schritt getan, denn auch nichtreligiöse Weltbilder können auf letztgültige Instanzen verweisen. Das christliche Credo ist an konkrete Inhalte gebunden, die alle verbinden, die es zusammen bekennen. Der letzte Artikel des sog. nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses bündelt seinen Kern: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt.“ 831 An unterschiedlichen Stellen im Gottesdienst wird die Auferstehung bekannt, doch was verstehen die Gläubigen darunter, wie lässt sich die Parusie Christi heute erfahren? Mit den Inhalten des Bekenntnisses alleine gibt sich Lehnert nicht zufrieden: „In den Worten sage ich nicht etwas aus, sondern es kommt mir etwas entgegen, ›Gott‹, der Namenlose, der in einer Kirche zu einer geschichtlichen Erscheinung wird. Er verwirklicht sich und geschieht in dem Glauben, und meine Antwort besteht nur an der Oberfläche aus Worten oder Überzeugungen, sie umfaßt eigentlich mein ganzes Leben und alle Etagen meines Wohnens und Wirkens in der Welt, auch die fremden Regungen im lichtlosen Keller der Seele.“ 832 Die Antworten auf die Fragen des Glaubens gibt das Leben - eine erstaunliche Analyse für einen Dichter, der so intensiv um die Bedeutung der Worte ringt. Ob und wie der Transfer von Glaubensinhalten und Lebensbekenntnis zusammen‐ geht, steht im Mittelpunkt seiner Miniatur „Die Zeugin“, in der Lehnert zwei Krankenbesuche schildert, die er einer gebrechlichen Dame im Abstand von sieben Jahren abstattete. 833 Hildrun Kreuzinger, wie die betagte Protagonistin in der Miniatur des fünfundzwanzigsten Blattes bezeichnenderweise genannt wird, sah nach einem schweren Herzanfall ihrem baldigen Ende entgegen. Der erste Besuch fiel in die Vikariatszeit des jungen Seelsorgers, der sich angesichts des Leids der alten Frau schwertat, tröstende Worte zu finden. Ihr einziger Wunsch war der baldige Tod: „Ich bete, sobald es dunkel wird: Herr, hole mich in dieser Nacht! Du hast am Kreuz gelitten und weißt, wie es mir geht.“ 834 Die Frömmigkeit der Achtzigjährigen beeindruckte den noch unerfahrenen Pfarrer, da sie mit einem gesunden Gottvertrauen ihrem Ende entgegensah. Unter ganz anderen 226 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="227"?> 835 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß 151. 836 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 152. 837 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 152. 838 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 147. Vorzeichen besuchte sie Lehnert sieben Jahre später noch einmal, als er für einen Vortrag in seine alte Gemeinde zurückkehrte. Zu seiner Überraschung lebte Frau Kreuzinger noch immer, in der Gemeinde aber, in der sie über Jahrzehnte ein aktives Mitglied war und wöchentlich den Sonntagsgottesdienst besuchte, wusste jedoch niemand über ihr Schicksal Bescheid. Auf gut Glück läutete er an ihrer Haustür und fand sie in einem noch bemitleidenswerteren Zustand vor als sieben Jahre zuvor. Bis auf Haut und Knochen war sie abgemagert und konnte nur mehr schwer atmen, erinnerte sich aber noch an den Vikar von einst. Das Vertrauen und die Gelassenheit waren geschwunden: „›Ich habe gebetet, jede Nacht - um den Tod. Christus hat am Kreuz gelitten, aber es waren nur Stunden. Nichts ist das gegen das, was ich erleide. […] Millimeter vor der Erlösung zuckt der Tod zurück …‹“ 835 . Die völlige Ernüchterung folgt am Schluss des Gespräches: „Ich habe mich geirrt. Es ist der pure Zufall, der mit mir sein Spiel treibt. Kein Gott.“ 836 Nachdem Lehnert der dahinsiechenden Frau eine Tasse Tee gekocht hatte, verließ er aufgewühlt und ratlos das Haus. Ist es möglich, wider alle Evidenz und Hoffnung zu glauben? Der Dichter muss passen: „Nur eines gilt: Nichts in der Hand zu haben. Ich glaube - ein verwandeltes Weinen.“ 837 Hier will der Transfer zwischen Glaube, Liturgie und Leben nicht mehr so recht gelingen. Alles verläuft sich, nichts trägt mehr - auch davon weiß der Dichter in eindrucksvollen Bildern zu berichten. Wenn die Parallelaktion von Leben und Liturgie misslingt, bleibt am Ende nur das „Amen“ des Glaubensbekenntnisses, das für den Dichter zum ausschlaggebenden Wort im Credo avanciert. Im Amen wird hörend angenommen, was im Gottesdienst bekannt wird, selbst wenn das Leben die Inhalte so verstellt, dass sie eigentlich nicht mehr geglaubt werden können. Im Sinne Lehnerts lässt sich auf die Liturgie übertragen, was er über den Glauben sagt: „Glaube ist nicht verfügbar. Er hat ursächlich nichts zu tun mit meinem Denken und Fühlen. Vielmehr verwandelt er mein Denken und Fühlen, weil Gott in mein Leben tritt.“ 838 Der in der Liturgie artikulierte Glaube kann weder gemacht noch gewollt werden, er ist ein Geschenk der Gnade, das auf den Menschen zukommt. Die Aufgabe der Liturgie ist es, ihn „offen“ zu halten, damit Gott einströmen kann. 6.3 „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ 227 <?page no="228"?> 839 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 158 [Herv. im Original]. 840 Vgl. dazu etwa die erhellende Gegenüberstellung von Memoria und Anamnesis bei M E T Z , Johann Baptist, Memoria Passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralis‐ tischer Gesellschaft (Gesammelte Schriften 4) Freiburg i. Br. u.-a. 2017. 841 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 145. 6.4 Resümee Liturgie wird in „Der Gott in einer Nuß“ im Wechselspiel von Zeit, Biographie und liturgisch gefasstem Leben verhandelt. „Was ist eine gelungene Liturgie? “, lautetet die eingangs gestellte Frage. Lehnert findet Antworten, indem er tradierte Feierformen, ihre Sprache, Formen und Symbole parallel zum eigenen Leben laufen lässt und sie damit auf den Prüfstand stellt. Die Ausgangsfrage lässt sich somit ergänzen: Stimmt das, was in der Liturgie gefeiert wird, mit dem eigenen Leben überein? Die essayhaften Texte sind nur auf dem Hintergrund der Verwandtschaft von Poesie und Liturgie zu verstehen: Gedichte verweisen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wie Metrum, Rhythmus und Metapher auf einen größeren Raum von Bezügen, der über den eigentlichen Text hinausreicht. Liturgie schafft ebenso ein „Sich-Öffnen“ für Zusammenhänge, um den Horizont des und der Einzelnen zu überschreiten. Wie das Gedicht in einem Berg, im Meer oder in der Wüste mehr sieht als nur topographische Erscheinungen, will auch die Liturgie etwas sichtbar machen, was im alltägli‐ chen Leben, in der Sprache des Alltags nicht wahrnehmbar und sichtbar ist. Ausgangspunkt, um über den Gottesdienst sprechen oder schreiben zu können, sind wie beim Gedicht existentielle Erfahrungen in zweifacher Hinsicht: Zum einen klingen in den alten Formen fundamentale Erfahrungen von Menschen seit über zwei Jahrtausenden nach, zum anderen geht es um das persönliche Erleben im Hier und Jetzt, damit die Inhalte wahr und wirklich werden können: „Der Kult im Christentum ist ein Gedächtnis, mithin nur ein Gefäß, in dem sich religiöse Erfahrung ereignen kann. Die Liturgie deutet Pfade an, auf denen - mit Berufung auf die Zeugnisse früherer Wanderer - vermutlich ›etwas‹ erreicht werden kann. Besser: Sie deutet die Weglosigkeit einer Wanderung ins Offene an, wo jeder selbst seinen Weg erkennen muß.“ 839 Gottesdienst zwischen Memoria und Anamnesis klingt für liturgiewissenschaft‐ lich geschulte Ohren vertraut. 840 Bei Lehnert geht damit keine inhaltliche Überfrachtung einher. Inhalte sind wie beim Glaubensbekenntnis sekundär, da Gott sich nicht restlos in Worte und Sprachbilder fassen lässt. 841 Trotz aller Unverfügbarkeit ist die Liturgie ein privilegierter Ort, an dem religiöse Erfahrung geschehen kann. Seine Literatur, besonders die Gedichte, aber auch 228 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="229"?> 842 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 91. 843 Die Idee, Lehnerts Gedichte als eine Art Jakobsleiter zu bezeichnen, stammt von K L E I N S C H M I D T , Ins Offene, 109 f. 844 Zitiert nach R E I N A R T Z , „Die Silbe Gott leer halten“. 845 Vgl. dazu L U R Z , Das Paradigma der tätigen Teilnahme; G E L D H O F , Joris, Sacrosanctum Concilium heute. 3. Die tätige Teilnahme und die himmlische Liturgie, in: GD 47 (2013) 70; J E G G L E -M E R Z , Tätige Teilnahme in „Sacrosanctum Concilium“; H A U N E R L A N D , Participatio actuosa; S T U F L E S S E R , Actuosa participatio. die Essays, lehren eine Schule der Aufmerksamkeit, damit bei aller Routine des profanen Lebens das Heilige nicht unbemerkt vorüberzieht. Auch wenn die Vorfahren im Ritus bereits Wege hinterlassen haben, muss der Pfad je neu beschritten werden: „Der Gläubige muß hinaus, für sich und gefährdet, auf eine Begegnung zu, die völlig offen ist und unkalkulierbar in ihren Folgen.“ 842 Der Gottesdienst wird als spirituelle Kenosis verstanden: Ein Sich-Öffnen und Leerwerden vor Gott, damit etwas „einströmen“ kann. Glauben heißt bei Lehnert nicht keinen Zweifel zu haben, sondern sich offen zu halten. Wie sollte Liturgie gefeiert werden, um diesem Anspruch gerecht zu werden? Sie muss einer Jakobsleiter gleichen, um mit einer biblischen Metapher zu antworten, ja zu einem „Graduale“ werden, einem „Stufengesang“, der die tiefen wie die hohen Töne des Lebens kennt und den Auf- und Abstieg zwischen Himmel und Erde ermöglicht. 843 Hören wir nochmals das eingangs zitierte Gedicht: „[…] Immer bin ich an dem Punkt, wo gerade die Atmung einsetzt. Wie viel Verlassenheit das ist: der Atem, schwebender Stein, wie einer von den Haufen, den ich aufrichtete, um dem Nachtwind den Namen Gott zu geben, ihn zu wiederholen, zu wiederholen, bis ich endlich leer bin, alles zu erwarten vermag.“ 844 Ferner kennt die Liturgie ihre Urformen und Erzählfiguren und fragt stets aufs Neue, was sie für das Leben heutiger Menschen bedeuten könnten. Vor allem aber rechnet sie mit einer anderen Form der participatio actuosa: Eine volle (plena), tätige (actuosa) und gemeinschaftliche (communitatis) Partizipation an der Liturgie, wie sie seit der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium gefordert wird (vgl. SC 21), geht über den Gottesdienst hinaus. 845 Wer sich für Bezüge öffnet, die das eigene Ich übersteigen, wird zum aufmerksamen Beobachter von sich und der Welt, denn in der Liturgie muss man warten können und Ausdauer mitbringen, da Epiphanien oft flüchtig vorüberziehen. Die Schule der Poesie lehrt, wie lange man unscheinbare Dinge betrachten muss, bevor sie zu sprechen beginnen. Besonders wichtig sind Lehnert die Zeitverhältnisse: Poesie und Religion weiten die Zeit und vergrößern den Raum. Für die participatio in der Liturgie könnte das im Kleinen heißen, der Zeit vor 6.4 Resümee 229 <?page no="230"?> 846 K L E I N S C H M I D T , Ins Offene, 111. 847 Vgl. S T E I N E R , George, Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe. Aus dem Englischen von Nicolaus Bornholm. Mit einem Nachwort von Durs Grünbein (Suhrkamp Taschenbuch 4733), Berlin 2016. und nach uns und dem Raum um und in uns eine größere Aufmerksamkeit zu schenken. Der Gottesdienst ist dort „offen“, wenn er wie die Gedichte an die Peripherien geht und das Fremde und Unbekannte berührt. Damit ist mit Blick auf Lehnerts Gedichte nicht sofort ein ethischer Impuls gemeint. Ihr Ort ist dort, „wo der Mensch als Welthersteller, als Homo faber, nicht zugegen ist. Wo er aus der Gefangenschaft des Machens heraustritt. Wo die Welt ihre Werkstattgestalt, die Signatur der Arbeit und der Wissenschaft, verliert und sich zurückbiegt in die Schöpfungsfrühe, in den Anfang ihres Werdens, in die Gottesnähe.“ 846 Für die Liturgie könnte das im Größeren heißen, ihre Anfänge und Ursprünge in den Blick zu nehmen und daraus Zukunftsperspektiven zu entwickeln in einer Zeit, in der es an Erwartungen und Vertrauen fehlt. Dahinter steht die Zeitdiagnose von George Steiner (1929-2020), der von einem Mangel an Zukunft spricht, da uns die Anfänge abhandengekommen sind. 847 230 6 Christian Lehnert - „Diskreter Metaphysiker“ <?page no="231"?> III Vermittlung zwischen Literatur und Liturgie <?page no="233"?> 1 C O U T U R I E R , Marie-Alain, Art sacré. Textes choisis par Dominique de Menil et Pie Duployé, Houston 1983, 105 ; vgl. darüber hinaus zum gesamten Kapitel u. a. E R N E , Thomas, Hybride Räume der Transzendenz. Wozu wir heute noch Kirchen brauchen. Studien zu einer postsäkularen Theorie des Kirchenbaus, Leipzig 2017; S T O C K , Alex, Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, Paderborn u. a. 2014, 190-207; B Ö H M E , Gernot, Architektur und Atmosphäre, Paderborn 2 2013, 139-150; J O A S , Hans, Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz (Herder-Spektrum 5459), Freiburg i. Br. u. a. 2 2004; A U G É , Marc, Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt a. M. 1994. Diesen Werken verdankt der Autor wertvolle Einsichten und Literaturhinweise. 2 Vgl. zur historischen Bedeutung der antiken Baukunst S O N N A B E N D , Holger, Große Bauwerke der Antike. Von den Pyramiden bis zur Haghia Sophia, Darmstadt 2014, hier bes. 66-73, 114-119. 3 A U G É , Marc, Orte und Nicht-Orte, 83. 4 A U G É , Marc, Orte und Nicht-Orte, 104. 5 Vgl. S E N G , Eva-Maria - B R Ü H N E , Gerd (Hgg.), Der Kirchenbau zwischen Sakralisierung und Säkularisierung - im 17., 18. Jahrhundert und heute, Berlin - München 2013; zur Geschichte und Bedeutung des Kirchenbaues vgl. C L A U S S E N , Johann Hinrich, Gottes Häuser oder die Kunst, Kirchen zu bauen und zu verstehen. Vom frühen Christentum bis heute, München 2 2012. 6 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 9-14. „Orte des Entzückens, der Poesie und der Befreiung“ 1 1 Raum Das Kolosseum in Rom oder der Parthenon in Athen stehen nicht bloß für herausragende Werke der Architekturgeschichte, sie repräsentieren eine ganze Epoche. 2 Wer nach ikonischen Gebäuden der Gegenwart sucht, stößt auf aura‐ tisch aufgeladene Museumsbauten, Sportstadien oder Konzernzentralen. Folgt man dem französischen Anthropologen Marc Augé (*1935), sind es dagegen sinnentleerte „Nicht-Orte“ („Non-Lieux“) wie Flughäfen, Flüchtlingslager oder Einkaufszentren, die unsere Zeit prägen. Sie unterschieden sich von anthropo‐ logischen Orten durch das Fehlen von „Identität, Relation und Geschichte“ 3 und generierten damit „Einsamkeit und Ähnlichkeit“ 4 . Im Unterschied dazu galten Kirchen über Jahrhunderte hinweg als Ausdruck der Sinnstiftung, büßten seit der Aufklärung aber schrittweise ihre Stellung als Orte der Selbst- und Glaubensvergewisserung ein. 5 Der evangelische Theologe Thomas Erne weist auf ein Paradoxon hin, das von herkömmlichen Statistiken kaum erfasst wird. 6 Während die Teilnahme an christlichen Gottesdiensten in den westlichen Ländern sinkt, steigt der Besuch von zentrumsnahen Kirchen kontinuierlich <?page no="234"?> 7 In Analogie dazu ließe sich auch sagen, dass die Präsenz der Liturgie in der Literatur steigt, obwohl oder vielleicht gerade weil der liturgische Kirchenbesuch sinkt. 8 Vgl. zu den statistischen Erhebungen E R N E , Hybride Räume, 121f. 9 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 11 und 121. 10 Vgl. neben E R N E , Hybride Räume, 121 auch S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 193. 11 Vgl. die literarischen Portraits der Domkirchen von Köln und Mainz, O R T H E I L , Hanns- Josef, Die weißen Inseln der Zeit, München 2 2015, 29-38 bzw. 79-82. 12 Vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 56. an. 7 Nicht der Gottesdienst steht bei den Besuchen im Mittelpunkt, sondern das Gebäude selbst. Statistiken zufolge werden allein die Kathedralen von Köln und Wien gemeinsam jährlich über sechs Millionen Mal besucht. 8 Auf evange‐ lischer Seite führt die Dresdner Frauenkirche das Ranking der meistbesuchten Kirchen Deutschlands mit jährlich über zwei Millionen Besuchern an. 9 Würden die außerliturgischen Kirchenbesuche im deutschsprachigen Raum vollständig erfasst, käme man wohl auf eine zweistellige Millionenzahl. 10 Warum strömen heute so viele Menschen als Besucher, Touristen oder Suchende in die Kirchen, obwohl sie sonst kaum Kontakt zur Religion pflegen? Um Antworten zu finden, lohnt zunächst ein Blick auf die in den hier vorgestellten Erzählungen und Romanen beschriebenen Sakralgebäude, um dann am Ende nochmals auf Erne zurückzukommen. 1.1 Zusammenspiel von Raum, Klang, Licht Hanns-Josef Ortheil greift in seinen Romanen auf die ganze Bandbreite von Gotteshaustypen zurück, die von der kleinen Kapelle „nebenan“ über die mystische Klosterkirche bis hin zum Kölner oder Mainzer Dom reicht. Für Baustil und Ausstattung der Kirchen wählt er traditionelle Bilder, die sich an den biographischen Erfahrungen seiner Nachkriegskindheit orientieren. Welchen Reiz Gotteshäuser auf ihn und seine literarischen Figuren ausüben, lässt sich an den Beschreibungen von Kathedralen ablesen. 11 Betritt Johannes Catt („Die Erfindung des Lebens“) mit seiner Familie den Kölner Dom, wird er von der Erhabenheit und Feierlichkeit des Raumes erfasst und ohne Zutun für das spirituelle Geschehen geöffnet. 12 Als Bauwerk beheimatet die Kirche das Subjekt, weil es ihm, dem Kind, Wege eröffnet, Traumata zu überwinden und in ein gelingendes Leben einzutreten. Während in den Erzählungen über die Kindheitserfahrungen Liturgie und Andacht dominieren, gerät beim Erwachsenen („Das Kind, das nicht fragte“) der Raum selbst in den Blick. „Ich setze mich ins Dunkel, in eine der hintersten Reihen, und warte, bis mich die 234 1 Raum <?page no="235"?> 13 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 108. 14 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 111. 15 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 122-132. 16 Vgl. dazu Johannes Catts Raumeindruck beim Betreten des Kölner Domes: „Ich weiß noch genau, wie sehr ich damals bei jedem Betreten des Kirchenraums erschrak, denn sofort nach Passieren des großen Portals ging der Blick ja hinauf, in die schwin‐ delerregenden Höhen, an den Pfeilerbündeln und bunten Kirchenfenstern entlang. Ich blieb stehen und wusste nicht weiter, so wie mir erging es aber den meisten Besuchern, sie blieben stehen und schauten eine Zeit lang in die Höhe, als müssten sie zunächst einmal Maß nehmen und sich auf diese den Körper überwältigenden Größenverhältnisse einstellen.“, in: O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 56 und vgl. darüber hinaus 456 f. 17 Für Rudolf Otto ist die Erhabenheit Ausdruck des Numinosen auf dem Feld der Kunst bzw. Architektur: „In den Künsten ist das wirksamste Darstellungs-mittel des Numinosen fast überall das Erhabene. Zumal in der Baukunst.“, in: D E R S ., Das Heilige, 85. 18 „[…] die Bestürzung oder Art von Verlegenheit, die, wie man erzählt, den Zuschauer in der St. Peterskirche in Rom beim ersten Eintritt anwandelt, zu erklären. Denn es ist hier ein Gefühl der Unangemessenheit seiner Einbildungskraft für die Ideen eines Ganzen, um sie darzustellen, worin die Einbildungskraft ihr Maximum erreicht Jahrhunderte einholen und aufnehmen.“ 13 Kritik übt er an seinen Brüdern, die nicht wissen, was sie in einer Kirche tun sollen, wenn gerade kein Gottesdienst stattfindet. Er fordert sie auf, eine „eigene Sprache für den Aufenthalt in einer Kirche“ 14 zu finden, die sich nicht bloß in kunsthistorischen Beschreibungen des Raumes erschöpft. Was Benjamin unter einer solchen Sprache versteht, bleibt zunächst offen, mit Blick auf eine frühe Beichterfahrung zeichnen sich jedoch erste Konturen ab. Ausgerechnet der öffentliche Beichtstuhl schafft die nötige Intimität, über das eigene Leben ins Gespräch zu kommen. Das Bußritual hemmt die Persönlichkeitsentwicklung des Protagonisten nicht, es wird zur Initialzündung einer selbstbestimmten Existenz. Der Preis für die Lebenstauglichkeit ist dennoch hoch. Die humane Umbesetzung lässt den sakramentalen Charakter des Rituals verblassen, Religion wird neben Kunst, Erotik und Kulinarik zu einem lebensdienlichen Grundvollzug unter vielen. Zu Ortheils Stärken zählt sein Sensorium für architektonische Grund‐ formen, die räumliche Erfahrungen der „Daseinsweitung“ bewirken. 15 Dazu gehört das Zusammenspiel von Raum, Klang und Licht, auf das der Autor in den Kirchen seiner Heimat ebenso stößt wie in den Kirchen Roms („Die Erfindung des Lebens“). 16 Der Petersdom gilt vielen als Inbegriff architekto‐ nischer Erhabenheit. 17 Selbst Immanuel Kant, der nie in Rom war, zieht den Petersdom in seiner „Kritik der Urteilskraft“ als Beispiel für Gebäude heran, die aufgrund ihrer unfassbaren Raumdimensionen Unendlichkeitser‐ fahrungen hervorrufen. 18 Wird die Erhabenheit jedoch für religiöse oder 1.1 Zusammenspiel von Raum, Klang, Licht 235 <?page no="236"?> und bei der Bestrebung, es zu erweitern, in sich selbst zurücksinkt, dadurch aber in ein rührendes Wohlgefallen versetzt wird.“, in: K A N T , Immanuel, Kritik der Urteilskraft, hg., eingeleitet und mit einem Personen- und Sachregister versehen von Karl V O R L Ä N D E R (PhB 39), 96 (§ 26). 19 H A N D K E - K Ü M M E L , „Die Geschichte ist ein Teufel“, 37 f. 20 H A N D K E , Der Große Fall, 176. 21 H A N D K E , Der Große Fall, 180. 22 H A N D K E , Der Große Fall, 182. 23 Vgl. H A N D K E , Der Große Fall, 177, 181-185. politische Machtansprüche missbraucht, droht ihre Pervertierung. Der Pe‐ tersdom gilt daher ebenso als Symbol für päpstliche Prunkentfaltung und Machtmissbrauch. Es wundert nicht, dass ausgerechnet der als unbequem geltende Literaturnobelpreisträger Peter Handke den Petersdom ebenso für ein unliebsames Repräsentationsgebäude hält, wie er nach dem Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame am 15. April 2019 in einem Interview festhielt: „Der Petersdom ist für mich Macht. In Notre-Dame bin ich gerne in die Messe gegangen, ich habe das Evangelium gehört, den Rhythmus der Eucharistie wahrgenommen. Das Vordringliche von Notre-Dame ist die Verwandlung, das Fröhliche, die frohe Mahlzeit…“ 19 Was Handke über Notre-Dame sagt, gilt in Analogie für die Messszene in „Der Große Fall“. Das dort geschilderte Gotteshaus ist nach außen kaum als Kirche wahrnehmbar: „Es war eine Kirche, so klein wie die Häuser in der Straße, zu erkennen allein an einem Türmchen, in einem verblaßten Blau, obenauf ein angerostetes Kreuz, das auch eine Fernsehantenne sein konnte.“ 20 Durch Verzicht auf unnötigen Zierrat und Ausstattung richtet sich der Fokus ganz auf das Wandlungsritual. Im Zentrum des Raums steht der nüchterne Altar, auf dem die „Verwandlung des Brots in den Leib und des Weins in das Blut“ 21 vollzogen wird. Eine hermeneutische Schlüsselfunktion kommt der Sakristei zu, da sich in ihr erfüllt, was eben noch im Kirchenschiff vom Priester und dem einzigen Besucher begangen wurde. Das starre Messritual findet zurück ins Leben, die von der Liturgie ausgelöste Heiterkeit setzt sich im brüderlichen Mahl fort: „›Wie man mit dem Alleinessen doch den Geschmacksinn verliert. […] Solch ein Speisen jetzt aber, gleich was: Wie es doch mundet.‹“ 22 Die Sakristei ist Raum für die Vor- und Nachbereitung der Liturgie und steht bei Handke wie kein zweiter Raum für das Agape-Prinzip christlicher Liturgie. 23 Der Vollzug des archaischen Rituals und seine brüderliche Einlösung im Leben gehören für den Schriftsteller untrennbar zusammen, ohne dass beide ineinander aufgehen würden. Dominiert bei Ortheil die Erhabenheit der Kathedrale, fällt Handkes Wahl auf die puristisch zugespitzte Sakralität einer unscheinbaren 236 1 Raum <?page no="237"?> 24 H Ö R I S C H , Brot und Wein, 274. 25 Zur Bedeutung der Zwischenräume und Schwellen vgl. H Ö L L E R , Hans, Eine unge‐ wöhnliche Klassik nach 1945. Das Werk Peter Handkes, Berlin 2013, 134-145 und G O T T W A L D - F R E I N S C H L A G , Peter Handke, 74. 26 H A N D K E , Das Gewicht der Welt? , 241. 27 Vgl. W I T T M A N N -E N G L E R T , Kerstin, Zelt, Schiff und Wohnung. Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne, Lindenberg 2006. 28 S T A D L E R , Salvatore, 53 f. 29 S T A D L E R , Salvatore, 65. Vorstadtkirche, um seiner „azentrisch[en]“ 24 Poetik Ausdruck zu verleihen. Handkes Protagonisten bevorzugen die Ränder gegenüber den historischen Zentren, weil sie an der Peripherie das eigentliche Leben der Menschen eher vermuten als in den auf Hochglanz getrimmten Innenstädten der Me‐ tropolen. In der topographischen Vorliebe für unbesetzte „Zwischenräume“, „Übergangszonen“ und „Schwellen“ 25 drückt sich ein Leitsatz aus, der Handkes ganzes literarisches Schaffen pointiert zusammenfasst: „Literatur: die noch nicht vom Sinn besetzten Orte ausfindig machen“ 26 . Auf Kathedrale und Vorstadtkirche folgt bei Arnold Stadler ein Kirchenbau der Nachkriegsmoderne. 27 Salvatore, Stadlers Protagonist im gleichnamigen Roman, steuert die Kirche mit Hilfe eines Navigationsgeräts an, um am Himmelfahrtstag an einer Messe teilzunehmen. „Die Kirche stand im Neubau‐ gebiet, gebaut für die katholischen Flüchtlinge und Vertriebenen, mehr ein Würfel als ein Haus, im Treppenhausstil, ein Post-Mies-van-der-Rohe (der eigentlich nur Mies hieß, seinen Namen aber mit dem Instinkt für den Klang aufstockte), der wenig Hoffnung ausstrahle.“ 28 Der ironische Unterton deutet zu Beginn der Szene bereits an, dass er sich weder in der Zweckmäßigkeit des Bauwerks noch in der Institution Kirche beheimaten kann. Der Messbesuch wird folglich auch zur Enttäuschung. Der Raum, aber auch die Liturgie und Predigt schaffen es nicht, die biblische Botschaft der Himmelfahrt so zu ver‐ gegenwärtigen, dass Salvatore seine religiöse „Sehnsucht nach dem Glauben von einst“ 29 stillen könnte. Dennoch wendet er sich nicht einfach ab, sondern besucht am Nachmittag den in ein Kino umfunktionierten Gemeindesaal, wo er Pasolinis „Das 1. Evangelium - Matthäus“ sieht. Ausgerechnet ein in die Jahre gekommenes Gemeindehaus, ein unscheinbarer Zweckbau, im Sinn Augés ein „Nicht-Ort“, übernimmt die Funktion der Liturgie. Er kann sich im Film beheimaten, weil er für den Suchenden ein religiöses wie ästhe‐ tisches Moment bereithält, das er davor nur in den Liturgien seiner Kindheit erlebte. „Salvatore erkennt einen Sinnhorizont, dem er sich anvertrauen kann und in dem er seine Sehnsucht im Modus des Ästhetischen erfüllt sieht. Das Filmerlebnis ist ein liturgisches Ereignis - so ist die ästhetische mit 1.1 Zusammenspiel von Raum, Klang, Licht 237 <?page no="238"?> 30 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 317. 31 S T A D L E R , Salvatore, 84. 32 S T A D L E R , Salvatore, 149. 33 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 132-135. Der Terminus „Begründungsaufgaben“ geht auf den Philosophen Christoph Menke zurück: D E R S ., Wozu Kunst? George Steiners Interpretation der Moderne, in: Dietrich N E U H A U S - Andreas M E R T I N (Hgg.), Wie in einem Spiegel…. Begegnungen von Kunst, Religion, Theologie und Ästhetik (ArTe 109), Frankfurt a.-M. 1999, 131-146. 34 M O R S B A C H , Gottesdiener, 52. der religiösen Erfahrung aufs Engste verschränkt.“ 30 Die durch den Film ausgelöste Wandlung („Als er herauskam, war er ein anderer.“ 31 ), so die entscheidende Pointe, bleibt nicht ohne Folgen für sein Leben. Er findet zu sich selbst zurück und will nun die im Kino gemachte Erfahrung mit seiner Frau teilen: „Noch vor dem Schlafengehen wollte er Bernadette es und alles sagen. Und mit diesem ‚es und alles‘ lebte er nun weiter und war er bald zu Hause.“ 32 Stadler ruft mit Salvatores Kinobesuch im Gemeindesaal in Erinnerung, dass es alternative Orte der Transzendenz wie Kinos, Museen und Sportstätten gibt, die für heutige Menschen mitunter attraktiver sind als Kirchen. Unbesetzte Schwellenräume verlangen von ihren Besuchern keine „Begründungsaufgaben“, die für Gotteshäuser jedoch unerlässlich sind. 33 Bei Stadler äußert sich die Liturgiekritik eines religiösen Menschen, der auf der Suche nach einem Ort ist, der ihm Heimat gibt. Er kann ihn aber nicht mehr dort finden, wo ihn die institutionalisierte Religion verortet. Trotz der negativen Erfahrung bricht Salvatore seine Suche nicht ab, sondern betritt einen alternativen Ort der Daseinsweitung, der ohne institutionellen Einfluss ebenso religiös-ästhetische Erfahrungen bereithält. Als Kontrast dazu zeigt Petra Morsbach („Gottesdiener“), wie eine barocke Dorfkirche zum Fluchtpunkt einer verkorksten Biographie mutiert. Verstrickt sich der Haupt‐ protagonist Isidor Rattenhuber in zwischenmenschliche Konflikte, denen er charakterlich nicht mehr gewachsen ist, flieht er in die Liturgie, in dem er sich ein barockes Messgewand überstülpt und ein feierliches Hochamt samt Weihrauchschwaden zelebriert. Rein äußerlich fügt er sich damit zwar perfekt in das barocke Gesamtensemble seiner Dorfkirche ein, nach Innen wird der Hiat zwischen Liturgie und Lebensrealität durch die groteske Inszenierung noch größer. „Er hat in seinem Leben an vielem gezweifelt, aber nie an der Heiligkeit dieser Handlung.“ 34 Liturgie gelingt in der Literatur immer dann, wenn sich ihre erlösende Botschaft im Leben bewahrheitet. Marie- Alain Couturier (1897-1954), französischer Dominikaner und Wegbereiter des modernen Kirchenbaus, unterscheidet Profanvon Sakralbauten („lieu sacre“) dadurch, dass „religiöse Architektur […] immer eine gewisse Lebensänderung 238 1 Raum <?page no="239"?> 35 C O U T U R I E R , Marie-Alain, Das Religiöse und die moderne Kunst. Gespräche eines Mönchs mit Braque, Matisse, Picasso u.-a., Zürich 1981, 22. 36 Vgl. zu den kirchenrechtlichen Vorgaben für Kirchen B I E R I N G E R , Andreas, Art. Kirchen‐ gebäude - Katholisch, in: LKRR 2 (2019) 822-825. 37 „Denn die Aura eines Bauwerks lässt sich schwer belegen und scheint sich der Analyse anhand konkreter Merkmale […] zu entziehen.“, in: E R N E , Hybride Räume, 106. 38 Vgl. zu diesem Abschnitt S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 190-195 und E R N E , Hybride Räume. Der Autor dieser Arbeit verdankt beiden wertvolle Hinweise auf weiterführende Literatur bzw. Zitate. 39 Vgl. H A E P K E , Nadine, Sakrale Inszenierungen in der zeitgenössischen Architektur. John Pawson - Peter Kulka - Peter Zumthor (Architektur 20), Bielefeld 2013, hier bes. 248-308. 40 Z U M T H O R , Peter, Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel u.-a. 2006, 11. 41 B Ö H M E , Architektur und Atmosphäre, 16. 42 B ÖH M E , Architektur und Atmosphäre, 19. hervorbringen [muss]“ 35 . Während Salvatore eine solche Wandlung erfährt, wenn auch nicht mehr in der Kirche, bleibt sie bei Rattenhuber aus, ja der Status quo bestärkt ihn geradezu, in alten klerikalen Mustern zu verharren. 1.2 Atmosphäre Obwohl Stadlers „Post-Mies-van-der-Rohe-Bau“ mit Altar, Ambo, Taufstein und Orgel über das nötige Inventar eines katholischen Gotteshauses verfügt, fehlt dennoch etwas Entscheidendes: die Atmosphäre. 36 Was darunter genau zu ver‐ stehen ist, lässt sich nur schwer definieren. 37 Zur besseren Bestimmung werden mitunter verwandte Begriffe wie Aura, Ausstrahlung, Ambiente, Stimmung oder Präsenz herangezogen. 38 Für den Schweizer Stararchitekt und Pritzker- Preis-Träger Peter Zumthor, bekannt für das Kölner Kunstmuseum Kolumba und die Bruder-Klaus-Kapelle (Wachendorf), zählt die Atmosphäre zu den zentralen Qualitätsmerkmalen guter Architektur. 39 „Was zum Teufel berührt mich denn an diesen Bauwerken? […] Wie kann man solche Dinge entwerfen, die eine derart schöne, selbstverständliche Präsenz haben, die mich immer wieder berührt. Ein Begriff dazu ist die Atmosphäre.“ 40 Aus phänomenologischer Perspektive spricht der Philosoph Gernot Böhme von raumgewordenen Emo‐ tionen: „Atmosphären sind gestimmte Räume oder […] räumlich ergossene, quasi objektive Gefühle“ 41 und „ergreifende Gefühlsmächte“ 42 , die überwältigen, wenn ein atmosphärisch aufgeladener Raum betreten wird. Böhme äußert zugleich Kritik an der Theologie bzw. Liturgiewissenschaft, weil sie den Kir‐ 1.2 Atmosphäre 239 <?page no="240"?> 43 Vgl. B Ö H M E , Architektur und Atmosphäre, 140f. 44 Alex Stock hält entgegen, ohne aber auf die Problematik des liturgischen Funktiona‐ lismus hinzuweisen: „In ihrer vielfältigen Begehbarkeit präsentiert sich die Kirche als ein Freiraum privater Andacht, die sich, vom gemeindlichen Gottesdienst ungebunden, ergehen kann. Wo es in streng gemeindeliturgisch angelegten Kirchenräumen nicht viel zu begehen oder besichtigen gibt, oder wo Kirchen ihre Zugänglichkeit auf die eigenen gottesdienstlichen Veranstaltungen beschränken, geben sie zu verstehen, daß sie an einer vagabundierenden Nutznießung ihrer Einrichtungen nicht interessiert sind: Kirche heißt Gemeinde und Gemeindebildung.“, in: S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 202. 45 B Ö H M E , Architektur und Atmosphäre, 141. 46 „Beide Konfessionen scheitern aber mit vielen dieser nachsakralen Kirchenbauten und Gemeindezentren an einem Mangel an Aura.“, in: E R N E , Hybride Räume, 13. Pioniere des modernen Kirchenbaues wie der bereits zitierte Marie-Alain Couturier haben freilich schon früh auf den Vorrang der Atmosphäre („l᾽esprit“, „climat“, „l᾽atmosphère“) beim Neubau von Kirchen gepocht. Couturier war am Bau der berühmten Kapelle von Ronchamp des Schweizer Architekten Le Corbusier beteiligt. Vgl. dazu D E R S ., Le Corbusier als Kirchenbaumeister. Die Kapelle zu Ronchamp, sein erstes sakrales Bauwerk, in: Antares. Kunst und Wissenschaft aus Frankreich 4/ 2 (1956) 60 f; vgl. ferner E R N E , Hybride Räume, 79-84. 47 R O M B O L D , Günter, Anmerkungen zum Problem des Sakralen und des Profanen, in: D E R S . (Hg.), Kirchen für die Zukunft bauen. Beitrag zum neuen Kirchenverständnis (Theologie konkret), Wien u.-a. 1969, 69-95, hier 93. chenbau zu einseitig auf seine Gemeindefunktionalität beschränken. 43 In der theologischen Überbetonung des liturgischen Funktionalismus sieht er den Versuch, Emotionen und Wahrnehmung in Kirchen institutionell zu steuern und aliturgische (Raum-)Erfahrungen abzuwerten. 44 „Das dogmatische Verhalten der Kirchen steht im eigentümlichen Kontrast zur Wirklichkeit kirchlicher Räume. Denn diese enthalten eine große Mannigfaltigkeit charakteristischer Atmosphären, und es haben sich sogar im Laufe der Kirchenge‐ schichte solche herausgebildet, die typisch für christliche Kirchen sind. Faktisch haben die Kirchen selbst durch ihre Architekten und durch ihre Zusammenarbeit mit Künstlern zur Herausbildung dieser Atmosphären beigetragen. Sie wollen aber, wie es scheint, die Inszenierung des Numinosen, das durch die Erzeugung von Atmosphären in kirchlichen Räumen geschieht, nicht wahrhaben.“ 45 Mittlerweile haben die betroffenen theologischen Disziplinen auf die Kritik der Sozial- und Geisteswissenschaft reagiert und bezeichnen die fehlende „numinose Raumatmosphäre“ im postsakralen Kirchenbau ebenso als Mangel. 46 Zu den zentralen Herausforderungen des zeitgenössischen Kirchenbaus gehört es, das Bedürfnis nach sakraler Atmosphäre zu befriedigen, ohne einen Rückfall in „archaische Religiosität“ 47 zu riskieren. Das Zusammenspiel von Atmosphäre und Numinosem ist auch ein zentrales Thema der hier vorgestellten Literatur. 240 1 Raum <?page no="241"?> 48 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 349. 49 Vgl. die Zusammenfassung von Böhmes Kategorien bei S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 196-199. 50 Vgl. B ÖH M E , Architektur und Atmosphäre, 144. 51 Vgl. B Ö H M E , Architektur und Atmosphäre, 145. 52 B Ö H M E , Architektur und Atmosphäre, 145. Christoph Ransmayr bringt beides in „Trost der Betrübten“ („Atlas eines ängst‐ lichen Mannes“) zur Sprache, ohne dass der erzählende Beobachter dazu die Anstaltskirche am Wiener Steinhof betreten müsste. Ein kurzer Schwenk von außen in das Innere reicht ihm völlig aus, um die Atmosphäre des Wiener Jugendstiljuwels an den Leser bzw. die Leserin weiterzugeben. „Den Blick in das von zwei Ampeln nur schwach erhellte, golden schimmernde Kirchenschiff gerichtet, knieten oder standen die Betenden vor den versperrten Toren und umklammerten die Gitterstäbe, als ob die abendliche Weite in ihrem Rücken, die träge ziehenden Wolken, ja die ganze Stadt, die, aus der Höhe des Kirchenportals betrachtet, in einer blaugrauen Tiefe lag - Regionen einer vergitterten Welt wären und das verschlossene Halbdunkel, in das sie ihre Gebete, Lieder und Litaneien murmelten und sangen, die Freiheit, ein kostbar funkelnder, unendlicher Raum.“ 48 Wer Ransmayrs Blick in das Gotteshaus folgt, dem eröffnet sich eine andere Welt. Das Gitter wird zur Schwelle zwischen verschlossener Außenwelt und offenem Freiheitsraum. Die gefühlte Unendlichkeit des Raumes löst eine Über‐ schreitung des Daseins der singenden Beter aus, die nicht ohne Folgen für den Beobachter bleibt. Auch bei ihm wird ein Reflexionsprozess angestoßen. Die gesamte Szene korrespondiert zudem mit jenen Kategorien, die Böhme als typisch für christliche Kirchen hält: Dämmerung, Stille, Erhabenheit. 49 Unter Dämmerung versteht er sowohl den bergenden Charakter einer Kirche als auch die damit verbundene Ahnung, dass sie ein Geheimnis birgt. 50 Mit Stille ist nicht einfach Lautlosigkeit gemeint, sondern ein gedämpfter Klangraum, in den die Besucher einer Kirche eintreten, um den Lärm des Alltags hinter sich zu lassen. 51 Dazu kommt die bereits angesprochene Erhabenheit, die bei Böhme nicht wie bei Kant mit der schier unfassbaren Raumgröße verknüpft ist, sondern als leibliche Erfahrungen des Blickes gedeutet wird: „Die Auflösung der Blickfixierung und die Bewegungsanmutung durch die Architektur führen zu einem Ausgleiten des Leibgefühls ins Unendliche.“ 52 Zur Besonderheit Rans‐ mayrs gehört es, dass die von Böhme beschriebenen Kategorien nicht bloß auf christliche Kirchen beschränkt bleiben. Seine Faszination für die Architektur des Heiligen führt Ransmayr ebenso in Tempel, Pagoden, Naturheiligtümer und 1.2 Atmosphäre 241 <?page no="242"?> 53 Vgl. B I E R I N G E R , Pilgern ohne Gott? 54 Vgl. S C H M I D I N G E R , Heinrich M., Art. Philosophia perennis, in: LThK 3 8 (1999) 248f. 55 Vgl. hier bes. R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes: „Herzfeld“ (28-35), „Ein Kreuzweg“ (101-106), „Pacífico, Atlántico“ (294-298), „Wallfahrt“(337-348), „Ein Welt‐ untergang“ (388-393), Die Ankunft (450-456). 56 R A N S M A Y R , Das Atlas eines ängstlichen Mannes, 345. 57 S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 202f. andere Orte, an denen Menschen sich vom Numinosen angezogen fühlen. 53 Das Numinos-Sakrale wird zum Bestandteil einer religio et liturgia perennis, auf die der Autor in den unterschiedlichsten Religionen und Kulturen trifft. 54 Aus diesem Grund interessiert er sich für volkstümliche Frömmigkeitsformen wie das Wallfahrtswesen oder die Marienverehrung, in denen sich nicht selten Christliches mit Vorchristlichem kreuzt. 55 Er selbst bleibt freilich stets in der Rolle des distanzierten Beobachters. „Ich erzähle, was ich gesehen habe […]. Ich erzähle, was ich gehört habe.“ 56 1.3 „Hybride Räume der Transzendenz“ (Thomas Erne) Resümierend ergibt sich in der Zusammenschau der Szenen noch kein eindeu‐ tiges Bild. Zwar sind Gemeinsamkeiten in Bezug auf Erhabenheit, Atmosphäre und Sakralität erkennbar, eine spezifische Typologie literarisch gespiegelter Gotteshäuser lässt sich daraus aber nicht zwingend ableiten. Ein erster Grad‐ messer ist die Unterscheidung des eingangs zitierten Marc Augé in Ort und Nicht-Ort. Ohne die dominanten Merkmale „Identität, Relation und Geschichte“ bleiben Gotteshäuser auch für Literaten und Literatinnen stumm. Mit Blick auf die oben eingeblendete Bedeutung numinoser Atmosphären für Gotteshäuser fragt Alex Stock in seiner Poetischen Dogmatik nach dem theologischen Mehr‐ wert solcher Fragestellungen. „Läßt sich in diesen Atmosphären überhaupt etwas anderes erkennen als die allmähliche Verflüchtigung und Verdunstung des Glaubens, der einstmals die klare und feste Bestimmung gab, diese Ge‐ bäude zu errichten? […] Es ist die Frage, ob dem Begriff der Atmosphäre nicht nur ein religionsphänomenologischer, sondern auch ein theologischer Sinn abzugewinnen wäre.“ 57 Die kritischen Rückfragen ließen sich über den Bereich der Atmosphäre hinaus auf die gesamten Fragestellungen des Kapitels übertragen. Ist die Beschäftigung mit profaner Literatur nicht bloß eine Art Ablenkungsmanöver, um die gegenwärtigen Säkularisierungstendenzen einer theologischen Rechtfertigung zu unterziehen? Greifen wir dazu nochmals die Eingangsfrage auf. Warum strömen Menschen so zahlreich in die Kirchen, 242 1 Raum <?page no="243"?> 58 H E G E L , Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. II, hg. von D. H. G. Hotho (Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe 10), Berlin 1837, 343. 59 Zur Problematik der Bestuhlung von Kirchen vgl. S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekkle‐ siologie. 1. Raum, 115-118; aus evangelischer Sicht vgl. C L A U S S E N , Gottes Häuser oder die Kunst, Kirchen zu bauen und zu verstehen, 192-196. 60 Der Terminus „Großzügigkeit der Räume“ wie der Hinweis auf das Hegel-Zitat stammen von Erne: „Sie [= die Kirchenräume, AB] sind großzügig gegenüber unter‐ schiedlichen religiösen Haltungen, aber auch großzügig gegenüber den unterschiedli‐ chen sozialen und ästhetischen Deutungen des Unendlichen in ihren Räumen.“, in: E R N E , Hybride Räume, 126. obwohl sie den Kontakt zur institutionellen Religion längst verloren haben? Am Beginn einer möglichen Antwort steht ein Zitat von Georg Wilhelm Hegel, der in seiner „Ästhetik“ über das zwanglose Raumgefühl gotischer Kathedralen spricht: „Und so haben auch alle mannigfaltigen Interessen des Lebens, die nur irgend an das Religiöse anstreifen, hier nebeneinander Platz. Keine festen Abtheilungen von reihenweisen Bänken zertheilen und verengen den weiten Raum, sondern ungestört kommt und geht jeder […] so geschieht das Verschiedenste störungslos zu gleicher Zeit. […] All dieß Vielfache schließt ein und dasselbe Gebäude ein. Aber diese Mannigfaltigkeit und Vereinzelung verschwindet in ihrem steten Wechsel ebensosehr gegen die Weite und Größe des Gebäudes; […] alles eilt vorüber, die Individuen mit ihrem Treiben verlieren sich und zerstäuben wie Punkte in diesem Grandiosen, das Momentane wird nur in seinem Vorüberfliehen sichtbar, und darüberhin erheben sich die ungeheuern, unendlichen Räume in ihrer festen immer gleichen Form und Konstruktion.“ 58 Auch wenn die alten Kathedralen mittlerweile ebenso im Protestantismus bestuhlt wurden und Hegels Flüchtigkeit des Individuellen nicht mehr unein‐ geschränkt geteilt wird, gibt seine Rede von der „Großzügigkeit des Raumes“ Anlass für aktuelle Anknüpfungspunkte. 59 Thomas Erne, Direktor des EKD- Instituts für Kirchenbau (Marburg), beschreibt Kirchenräume deswegen als großzügig, weil sie verschiedene Formen der Transzendenzerfahrung ermögli‐ chen („Transzendenz im Plural“). 60 Zu klassisch religiösen Erfahrungen, wie sie etwa in der Liturgie gemacht werden, gesellen sich autonome ästhetische, die ihre Quelle nicht aus einem göttlichen Urgrund schöpfen. Erne spricht von Kirchen als sogenannten „Hybridräumen der Transzendenz“, da sich in ihnen ästhetische mit religiösen Formen überlagern, sich irritieren und mitunter Konflikte heraufbeschwören. Zur näheren Qualifizierung des räumlichen Erfah‐ rungshorizonts in Kirchen greift er auf den von Hans Joas geprägten Begriff der 1.3 „Hybride Räume der Transzendenz“ (Thomas Erne) 243 <?page no="244"?> 61 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 17. 62 Vgl. O T T O , Das Heilige, 42-52. 63 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 25 f. 64 Eine ganze Palette dieser architektonischen Besonderheiten beschreibt E R N E , Hybride Räume, 122-132. 65 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 11. 66 H A N D K E , Die Geschichte des Bleistifts, 102. 67 Ganz ähnlich ließe sich ebenso Handkes Ausspruch deuten: „Ich weiß nicht, ob ich an Gott glaube, aber an den Gottesdienst glaube ich.“, in: G R E I N E R - H A N D K E , Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. „Selbsttranszendenz“ zurück. Der Soziologe versteht darunter ein dynamisches Moment der Selbstüberschreitung, das von außen kommt und sich der unmittel‐ baren Verfügungsgewalt des und der Einzelnen entzieht: „Erfahrungen, in denen eine Person sich selbst übersteigt, […] im Sinne eines Hinausgerissenwerdens über die Grenzen des eigenen Selbst, eines Ergriffenwerdens von etwas, das jenseits meiner selbst liegt, einer Lockerung oder Befreiung von der Fixierung auf mich selbst.“ 61 Für Erne wie für Joas ist wichtig, dass sich Selbsttranszen‐ denzerfahrungen nicht nur positiv niederschlagen, sondern mitunter Furcht und Schrecken auslösen, vergleichbar etwa mit dem, was Rudolf Otto als „Mysterium fascinans et tremendum“ bezeichnet. 62 Ebenso weist Joas darauf hin, dass Selbsttranszendenzerfahrungen zwar Grundlage für religiöse Erfahrungen sein können, es aber nicht sein müssen. Selbsttranszendenzerfahrungen sind nicht auf Kirchenräume beschränkt, sie können ebenso in auratisch aufgeladenen Museen, Sportstadien oder in Konzertsälen gemacht werden. 63 Die Frage nach einer spezifischen Typologie der literarisch gespiegelten Gotteshäuser wurde oben bereits negativ beantwortet und dennoch gibt es einen gemeinsamen Nenner, der die hier präsentierten Räume miteinander verbindet. Wie auch immer Literaten ihre Kirche im Einzelnen ausgestalten, sie lassen sich mit Erne als „Hybridräume der Transzendenz“ bezeichnen, in denen Entgrenzungserfah‐ rungen gemacht werden, die sich an der architektonischen Besonderheit der Räume entzünden. 64 Die Erfahrungen sind zwar ästhetischer Natur, müssen aber nicht zwingend religiös sein, oder sprechen wir besser von deutungsof‐ fenen Selbstüberschreitungen. 65 Wie durchlässig die Entgrenzungserfahrungen mitunter sein können, lässt Peter Handke anklingen. „Ich bin manchmal ein religiöser Mensch, weil ich das Bedürfnis habe, dankbar zu sein, und weiß nicht wem.“ 66 Obwohl er auf einen eindeutigen Gottesbezug verzichtet, bleibt sein Notat dennoch auf Religion bezogen. 67 Literarische Gotteshäuser sind deshalb für die Liturgiewissenschaft von Interesse, weil sie veranschaulichen, an welchen Charakteristika sich Selbst‐ transzendenzerfahrungen entzünden und wozu Kirchen heute überhaupt noch 244 1 Raum <?page no="245"?> 68 E R N E , Hybride Räume, 138. 69 Vgl. G U R L I T T , Cornelius, Die Pflege der Kirchlichen Kunstdenkmäler. Ein Handbuch für Geistliche, Gemeinden und Kunstfreunde, Leipzig - Erlangen 1921, 5f. 70 R O M B O L D , Günter, Kirchen für die Zukunft bauen, in: D E R S . (Hg.), Kirchen für die Zukunft bauen, Wien 1969, 201-217, hier 209. 71 R O M B O L D , Kirchen für die Zukunft bauen, 214. 72 E R N E , Hybride Räume, 13. Erne verweist hier auf M I N T A , Anna - S C H M I T Z , Frank, Auratische Räume der Moderne. Editorial, in: Kritische Berichte 44 (2016/ 2) 3-6. gebraucht werden. Ihre vornehmliche Funktion bleibt die Verwendung als domus ecclesiae, in der sich die Gemeinde zum Gottesdienst versammelt und Gott in Wort und Sakrament präsent ist. Ernes Theorie zielt nicht darauf ab, die religiöse Dimension von Kirchen zu schmälern oder gar in Frage zu stellen. Kirchen werden in Zukunft auch nur dann als „hybride Räume der Transzendenz“ wahrgenommen, wenn sie auch religiös bzw. liturgisch bespielt werden. „Die Kirche ist ein räumliches Dispositiv, das im religiösen Vollzug, im Gottesdienst der Gemeinde, immer wieder aufs Neue auratisiert werden muss, sonst verliert sich auch ihr ästhetischer Wert.“ 68 Eine als domus ecclesiae genutzte Kirche ist dennoch kein Garant dafür, auch als ästhetischer Ort erfahren zu werden, wie viele Beispiele des funktionalen Kirchenbaus belegen. Im Laufe der Geschichte des christlichen Kirchenbaues standen sich die Grundmodelle domus ecclesiae (Kirche als Versammlungsort der Gemeinde) und domus Dei (Kirche als Haus Gottes) immer wieder gegenüber. Während die mittelalterli‐ chen Kathedralen als Ausdruck der Re-Sakralisierung im Sinne des domus Dei galten, erklärte der nachsakrale Kirchenbau die Ent-Sakralisierung zu seinem drängendsten Hauptanliegen. Damit war zugleich das Ziel verbunden, den vermeintlichen Status der Urkirche wiederherzustellen, die für ihre Versamm‐ lungen nicht auf das Tempelmodell (domus Dei), sondern auf die profane Basilika zurückgriff. Als Folge setzte sich ein liturgischer Funktionalismus durch, der die Liturgie als alleinige Baumeisterin (Cornelius Gurlitt) bestimmte. 69 Schon in der Hochphase der funktionalen Gemeindezentren stellte der Linzer Theologe Günter Rombold (1925-2017) klar: „Das […] viel strapazierte Wort von der ‚Bauherrin Liturgie‘ ist falsch“ 70 und gibt zugleich den Grund dafür an: „Die Ästhetik des Funktionalismus mit ihrer Behauptung, Schönheit folge aus der Zweckmäßigkeit, ist uns heute fragwürdig geworden.“ 71 Aufs Ganze gesprochen hinterließ der postsakrale Kirchenbau in beiden großen Konfessionen einen „Mangel an Aura“ 72 . Die literarischen Beispiele belegen auf anschauliche Weise, dass die Sehnsucht nach einer „numinosen Atmosphäre“ in Kirchen ungebro‐ chen ist. Zugleich besteht die Gefahr, dass auratisch aufgeladene Profanbauten wie Museen, Stadien oder Konzerthäuser die fehlende Sakralität der Kirchen 1.3 „Hybride Räume der Transzendenz“ (Thomas Erne) 245 <?page no="246"?> 73 Vgl. M Ü L L E R , Bettina-Maria, Sakrale Konkurrenz, in: kunst und kirche 77 (2014/ 3) 32-41, hier 37. 74 E R N E , Hybride Räume, 136 f. 75 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 79-84, 92-97. 76 E R N E , Hybride Räume, 96. substituieren. 73 Als Ausweg aus dem Dilemma schlägt Erne vor, Kirchen nicht nur als domus ecclesiae sondern ebenso als domus hominis spiritualis et aesthetici zu verstehen. „Sie [= Kirchen, AB] sind ein öffentlicher Ort, wo Menschen mit dem Raum und seiner Aura eine Weitung und Überschreitung ihres Daseins verbinden, die sie nicht mehr, jedenfalls nicht mehr ausschließlich, religiös interpretieren.“ 74 Damit kann jedoch nicht die Rückkehr zu einer archaischen Resakralisierung von neu zu bauenden Kirchen gemeint sein, da sie die Auto‐ nomie und Eigengesetzlichkeit moderner Architektur in Frage stellen würde. Anhand der Kapelle von Ronchamp (Le Corbusier) und den beiden Kapellen von Peter Zumthor weist Erne nach, dass Kirchen autonome Kunstwerke sein können, aber dennoch über einen (impliziten) religiösen Sinn verfügen. 75 „Die Atmosphäre in seinen Kapellen schließt die religiöse Andacht nicht aus, aber die Tatsache, dass dort gebetet werden kann, bestimmt nicht über die architektonische Konstruktion, aus der sich die atmosphärische Qualität des Raumes aufbaut.“ 76 Wenn nun spirituelle wie ästhetische Erfahrungen an der architektonischen Qualität hängen, hat das Konsequenzen für den Neu- und Umbau von Kirchen. Am mutigsten ist wohl der Vorschlag zu werten, den Kirchenbau vollumfänglich aus seiner exklusiven Bindung an den liturgischen Funktionalismus herauszulösen, um den Fokus (aber nicht ausschließlich) auf ästhetische Selbstüberschreitungen zu legen. Das verlangt auf institutioneller Seite (Gemeinde, Bistümer etc.) die Bereitschaft, Kirchenräume als autonome Kunstwerke anzuerkennen und Architektinnen und Architekten den nötigen Freiraum für Gestaltung und Ausstattung einzuräumen. Aber auch für bereits bestehende Kirchen bleibt die These nicht ohne Folgen. Als erster Schritt gilt es in den Gemeinden eine Kultur zu etablieren, die über den Wert von ästhetischen, aber aliturgischen Entgrenzungen Bescheid weiß und zugleich Formen findet, diese für eine breite Schar von Besucherinnen und Besuchern zu ermöglichen. Das inkludiert ebenso eine Grundhaltung, Liturgie nicht nur aus der religiös-institutionalisierten Perspektive wahrzunehmen, sondern nach den ästhetischen Bedürfnissen heutiger Menschen Ausschau zu halten. Der Liturgiewissenschaft kommt dabei die Aufgabe zu, zwischen den religiösen wie liturgischen Formen der Grenz- und Daseinsweitung zu vermitteln und der Frage nachzugehen, wie alte Formen neu und neue Formen im Licht alter Tradition gedeutet werden können. Darüber hinaus zieht Ernes These 246 1 Raum <?page no="247"?> 77 Vgl. zu diesem Themenkomplex u. a. G E R H A R D S , Albert, Alte Kirchen versilbern? Umnutzung von Sakralgebäuden, in: HerKorr 72 (2018/ 3) 40-43; G E R H A R D S , Albert - D E W I L D T , Kim (Hgg.), Wandel und Wertschätzung. Synergien für die Zukunft von Kirchenräumen (Bild - Raum - Feier / Studien zu Kirche und Kunst 17), Regensburg 2017; E R N E , Thomas - N O S S , Peter - B R A C H T , Christian (Hgg.), Open Spaces - Räume religiöser und spiritueller Vielfalt, Weimar 2016; G E R H A R D S , Albert - D E W I L D T , Kim (Hgg.) Der sakrale Ort im W A N D E L (Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft 12), Würzburg 2015. 78 Vgl. H A R T M A N N , René - M A G E R , Tino, Kirchenräume und ihre Zukunft. Sanierung - Umbau - Umnutzung, hg. von der W Ü S T E N R O T S T I F T U N G , Ludwigsburg 2 2017. 79 Vgl. E R N E , Hybride Räume, 135-169. 80 Vgl. H A N D K E , Nobelvorlesung vom 07.12.2019, 20 f. 81 T R A N S T R Ö M E R , Tomas, In meinem Schatten werde ich getragen. Gesammelte Gedichte. Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel. Mit einem Nachwort von Hans Jürgen Balmes, Frankfurt a.-M. 2 2015, 220. Konsequenzen für die (Nach-)Nutzung von (liturgisch) nicht mehr benötigten Kirchen nach sich. 77 Wenn ihre Funktion in Ernes Sinn tatsächlich über die Liturgie hinausreicht, gilt es den gesellschaftlichen Mehrwert solcher Gebäude stärker zu berücksichtigen. 78 Kirchen können eher erhalten werden, wenn sie vielgestaltig genutzt und mit anderen Aktivitäten vernetzt werden. Oft braucht es nicht viel, eine Kirche liturgisch am Leben zu halten, wenn sie darüber hinaus auch noch andere Aktivitäten beherbergt. 79 Am Ende seiner Nobelpreisrede wich Peter Handke von seinem ursprüng‐ lichen Redemanuskript ab und zitierte ein Gedicht von Tomas Tranströmer (1931-2015), das in den teils kritischen Pressekommentaren über die Rede keine Beachtung fand, aber wie kaum ein anderes das Leitmotiv dieses Kapitels zusammenfasst. 80 „Romanische Bögen In der gewaltigen romanischen Kirche drängten sich die Touristen im Halbdunkel. Gewölbe klaffend um Gewölbe und kein Überblick. Kerzenflammen flackerten. Ein Engel ohne Gesicht umarmte mich und flüsterte durch den ganzen Körper: ›Schäm dich nicht, Mensch zu sein, sei stolz! In dir öffnet sich Gewölbe um Gewölbe, endlos. Du wirst nie fertig, und es ist, wie es sein soll.‹ Ich war blind vor Tränen und wurde auf die sonnensiedende Piazza hinausgeschoben zusammen mit Mr. und Mrs. Jones, Herrn Tanaka und Signora Sabatini, und in ihnen allen öffnete sich Gewölbe um Gewölbe, endlos.“ 81 1.3 „Hybride Räume der Transzendenz“ (Thomas Erne) 247 <?page no="249"?> 82 Die prominenteste Wiederaufnahme dieses Textes findet sich neben Taylor bei R O S A , Hartmut, Resonanz, Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2 2016, 196 f; vgl. darüber hinaus zum gesamten Kapitel B E R G E R , Klaus, Schweigen. Eine Theologie der Stille, Freiburg i. Br. u.-a. 2021. 83 Zitiert nach T A Y L O R , Ein säkulares Zeitalter, 19. 2 Stille - Klang - Gesang 2.1 Stille als Resonanzerfahrung Der kanadische Philosoph Charles Taylor (geb. 1931) blendet am Beginn seines einflussreichen Werkes „Ein säkulares Zeitalter“ („A secular Age“) die Autobio‐ graphie des Benediktinermönches und Mystikers Bede Griffiths (1906-1993) ein und gibt damit zugleich zentrale Themen dieses Kapitel vor. 82 „Gegen Ende meiner Schulzeit ging ich eines Abends allein spazieren und hörte den vollen Chorgesang der Vögel, wie man ihn nur bei Sonnenaufgang oder Sonnenun‐ tergang und nur zu dieser Jahreszeit zu hören bekommt. Noch heute erinnere ich mich an die Überraschung, die ich empfand, als der Klang plötzlich an meine Ohren drang. Mir schien, ich hätte die Vögel noch nie singen gehört, und ich fragte mich, ob sie das ganze Jahr über so sängen, ohne daß ich es gemerkt hätte. Als ich weiterging, stieß ich auf einige voll erblühte Weißdornbüsche, und wieder glaubte ich, noch nie einen solchen Anblick gesehen und niemals solchen Liebreiz empfunden zu haben. Wäre ich plötzlich unter die Bäume des Gartens Eden versetzt worden und hätte dort einen Engelschor singen gehört, hätte ich nicht verwunderter sein können. Sodann erreichte ich eine Stelle, an der man sehen konnte, wie die Sonne über den Sportplätzen unterging. Auf einmal flog eine Lerche neben dem Baum, an dem ich stand, vom Boden auf und ließ ihr Lied über mir erklingen, bis sie nach wie vor singend herabflog, um zu schlafen. Dann wurde alles still, als die letzten Sonnenstrahlen verschwanden und der Schleier der Dämmerung die Erde bedeckte. Ich entsinne mich des Gefühls der Erfurcht [sic! ], das über mich kam. Ich wollte auf dem Boden niederknien, so als sei ein Engel gegenwärtig. Ich wagte es kaum, zum Himmel aufzublicken, denn es kam mir vor, als wäre er nur ein Schleier vor dem Angesicht Gottes.“ 83 Am Übergang vom Tag zur Nacht, von der Stille zum Gesang, von Himmel und Erde widerfährt dem jungen Protagonisten eine unverhoffte Theophanie mit <?page no="250"?> 84 Das Bedürfnis, auf eine Epiphanie mit körperlichen Gesten zu reagieren, kennt auch Peter Handke: „Es [= Wiener Burgtheater, AB] hat nicht diese Ehrwürdigkeit. Nicht wie eine Feldhütte aus Holz, in der mein Großvater gearbeitet hat. Das war eine Lebenswerkstatt. Da haben sie gemäht und zwischendurch Most getrunken und Brot und Speck gegessen. Das war im Schatten, und rundherum waren Brennnesseln. Das ist für mich ehrwürdig: ein Raum von vielleicht vier Quadratmetern; für mich war es das Allerheiligste, in meiner Kinderzeit. Warum liest man nicht in Feldhütten eine Messe? Man kann sich sogar vorstellen, drumherum auf die Knie zu gehen. In jedem Menschen ist das drin, die Sehnsucht, auf die Knie zu gehen.“, in: H A N D K E - K Ü M M E L , „Die Geschichte ist ein Teufel.“, 38. 85 Vgl. zur Rezeption von Hartmut Rosas Resonanzsoziologie aus liturgiewissenschaftli‐ cher Perspektive O D E N T H A L , Resonanz-Raum Gottesdienst? 86 R O S A , Resonanz, 197. 87 Vgl. S P E C K E R , Tobias, Kreative Passivität. Überlegungen zur theologischen Anthropo‐ logie im Gespräch mit Hartmut Rosa und Eberhard Jüngel, in: ThPh 95 (2020) 523-545. 88 R O S A , Resonanz, 197 f [Herv. im Original]. 89 Karl-Heinrich Bieritz zählt das Klanggeschehen im Gottesdienst zum liturgischen Code der Sprachen. Er spricht von „Klangsprachen“, die sich in akustische (Glocken, Schweigen etc.) und musikalische Codes (Gesang, Orgel, Instrumente etc.) unter‐ scheiden lassen, in: D E R S ., Liturgik, Berlin - New York 2004, 42-46. 90 Vgl. G A R H A M M E R , „Epiphanie der Stille“. 91 Vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 54 f. liturgischem Charakter. 84 Der Soziologe Hartmut Rosa (geb. 1965) deutet die Szene als „Resonanzerfahrung“ und bezeichnet damit einen Zustand, in dem sich der Protagonist in Einklang mit sich und der Welt erfährt. 85 Rosa identifiziert Natur, Kunst/ Ästhetik und Religion als „[vertikale] Resonanzsphären“ 86 , die es heutigen Subjekten ermöglichen, Entfremdungs- und Beschleunigungsten‐ denzen zu überwinden und die stumme Welt zum Klingen zu bringen. Wie auch immer man Rosas teils heftig kritisierte Resonanztheorie aufs Ganze bewertet 87 , seine Interpretation der Bekehrung Griffiths᾽ ist für die Fragestellung nach dem Klang im (literarischen) Gottesdienst von zentraler Bedeutung, da er auf eine unverzichtbare Grundkonstellation verweist: „Singen und Stille bilden hier kein Kontrastpaar, sondern eine Art antonymischer Einheit, welche erst die Erfahrung von Fülle und Vollkommenheit, von Aufgehobensein möglich macht.“ 88 Die Liturgie wird in den hier präsentierten Texten fast ausnahmslos als syn‐ ästhetisches Geschehen wahrgenommen, das sich am dialektischen Zusammenspiel von Stille und Klang, Reden und Schweigen, Singen und Jubilieren entzündet. 89 Als Meister epiphanischer Stille hat sich Hanns-Josef Ortheil erwiesen. 90 Der stumme Johannes Catt („Die Erfindung des Lebens“) verharrt mit seiner ebenso stummen Mutter so lange in hypnotischer Stille vor einem Marienbild, bis das Beten in ihm von selbst beginnt. 91 Später wird er aus Angst 250 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="251"?> 92 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 345; vgl. insgesamt ebd., 344-347, hier bes. 345: „So begann der Tag nicht mit etwas Lautstarkem oder Demonstrativem, nein, ganz im Gegenteil, er begann mit der Bemühung, einen einzigen Trost zu treffen, um dann eine Weile lang auf ihn zu horchen. Der gesamte Gestus dieses Morgengebets hatte dadurch etwas von einer bescheidenen und vorsichtigen Annäherung, man trat aus dem Dunkel ins Helle, man lauschte dem ersten Morgenlaut und verneigte sich vor Gott, ohne mehr aufzubieten als einen einzigen Ton und flüsternde Schwachheit der Stimme.“ 93 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 120 f. 94 S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 198. 95 „So wird man den Kölner Dom betretend gewissermaßen erschlagen von der Stille oder, besser gesagt, man spürt, dass man in die Stille hineingeht wie in eine Nebelwand. Wenn man sich länger im Dom aufhält, dann bemerkt man, dass die Stille keineswegs Laut‐ losigkeit ist, sondern sich vielmehr erhebt über dem dumpfen Gemurmel, durch das die Großstadt auch hier anwesend ist. Draußen aber sind die Geräusche vielfältig, einzeln und bedeutsam, ein zerrissenes Konzert.“, in: B Ö H M E , Architektur und Atmosphäre, 145. 96 Vgl. zur Bedeutung der Glocken für Liturgie und Kirchenmusik S C H M I T Z , Heinz-Walter, Die Glocke - Die Stimme Gottes, in: Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd. 1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u. a.], Lilienthal 2014, 95-112; S T O C K , Poetische vor Einsamkeit und körperlicher Bedrohung in die morgendliche Stille der Klosterkirche fliehen, um dem Chorgebet der Mönche zu lauschen. Was er beim Hören des Eröffnungsverses „Deus, in adiutorium meum intende / Domine, ad adiuvandum me festina“ empfindet, lässt sich mit Rosa erneut als Resonanzer‐ fahrung beschreiben. Die in eine „absolute Stille hinein gesungen[en]“ 92 Worte sprechen ihn nicht nur an, sie vermitteln ein existentielles „Aufgehoben-sein“. Ein Blick auf Benjamin Merz („Das Kind, das nicht fragte“) zeigt eine weitere Funktion von Stille auf, die nicht als Initiation in die Liturgie gedeutet wird, sondern für ihre (mystische) Erfüllung steht: „Ich sprach nicht mehr weiter, ich bewegte mich nicht - denn es war plötzlich so wunderbar still. Noch niemals in meinem Leben hatte ich eine derartige Stille erlebt, es war, als trieben der Priester und ich mitsamt dem Beichtstuhl in einer Kapsel im Ozean, die langsam in die Tiefe abtauchte.“ 93 Mit Gernot Böhme wurde bereits darauf hingewiesen, dass Stille als „Ingredienz des Numinosen“ 94 nicht zwingend mit der Abwesenheit von Geräuschen ein‐ hergehen muss. Böhme und Ortheil beschreiben die Stille im Kölner Dom als Zusammenspiel unterschiedlichster Geräusche und Klänge, die zusammen eine für Kirchen charakteristische Stimmung bilden. 95 Bevor sich die menschliche Stimme bei Ortheil aus dieser Form der Stille erhebt, erklingen im Dom zunächst noch Glocken- und Orgelklänge. Die Glocken rufen nicht nur zum Gottesdienst (Außenwirkung), sie unterstützen den jungen und unerfahrenen Protagonisten, der Feier besser zu folgen (Innenwirkung). 96 Die Orgel wiederum steigert wie 2.1 Stille als Resonanzerfahrung 251 <?page no="252"?> Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 199-201. Der Schauspieler in „Der Große Fall“ (Handke) blendet ebenso den Klang der Sterbeglocke für seinen Vater ein, der ihn nicht loslässt. Vgl. H A N D K E , Der Große Fall, 177f. 97 Vgl. zur Bedeutung der Orgel für Liturgie und Kirchenmusik B R E D E N B A C H , Ingo, Das gottesdienstliche Orgelspiel, in: Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd. 1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u. a.], 89-94; S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, 199-201. 98 Vgl. zum Motiv der Glocke bei Peter Handke: „Einst hat man uns erklärt: die Glocken geben nicht die Zeit an, sondern gemahnen an die Ewigkeit. Doch unsereinem ver‐ künden sie nichts mehr, und sie rufen niemanden - großer Klöppel, luftverdrängender Eisenguß, mieser Blechlärm. Hunde kommen in die Kirchen gelaufen und trinken die Weihwasserbecken leer. Keiner kümmert sich vor Ort. Wieviel Überlieferungswertes geht da immer wieder vor sich […] - und keiner hält etwas fest; nichts mehr wird weitergegeben.“, in: H A N D K E , Über die Dörfer, 27 f.; „Es gibt keine herzlichere Erinnerung an das Sterbenmüssen als die Glocken freitags um drei“, in: D E R S ., Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987), Salzburg - Wien 1998, 99; „Die Glocken, vor allem die am Freitag um drei, bestärken mich in meiner Schwachheit (‚commune dolor‘ ist Petrarcas Wort für den Karfreitag)“, in: D E R S ., Phantasien der Wiederholung, 99; vgl. darüber hinaus zu den Kirchenglocken bei Handke T Ü C K , „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit.“, hier 44 f. 99 H A N D K E , Das Gewicht der Welt, 266. 100 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 60. 101 „Im Dom gehörte ich […] dazu, ich gehörte zu all diesen laut singenden und betenden Menschen, niemand fragte mich aus, sprach mich an oder behauptete, dass ich ein armes Kind sei, denn im Dom gab es überhaupt keine armen Kinder, sondern nur Gotteskinder […].“, in: O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 60 [Herv. im Original]. kein anderes Instrument die Festlichkeit der Liturgie und entrückt in höhere Sphären (vgl. SC 120) 97 , wie selbst der in metaphysischen Belangen zurückhal‐ tende Peter Handke bekennt. 98 „Orgelmusik: Vorstellung, es müßte doch etwas geben, das der Grund dieses Klanges wäre; diese Musik kann nicht für sich, aus sich entstanden sein; sie erzeugt die Vorstellung eines höheren Wesens, das ich mir sonst nicht denken kann“ 99 . An der Existenz eines höheren Wesen zweifelt Johannes Catt trotz seiner Stummheit nicht, stehen ihm mit Religion (Liturgie) und Musik wenigstens zwei „vertikale Resonanzachsen“ zur Verfügung, mit denen er seine Traumata überwindet. Dazu gehört die verwandelnde Kraft des gemeinschaftlichen Gesangs, die ihm zunächst über den Vater vermittelt wird. „Im Dom aber sang er urplötzlich wie ein großer, mächtiger Sänger, der die anderen Gläubigen mit seinem Gesang ansteckte […].“ 100 Das durch die Kirchenlieder ausgelöste Dazugehörigkeitsgefühl ist so stark, dass Johannes sich als Teil der liturgischen Gemeinschaft erfährt, obwohl er zunächst den Gesang aufgrund seiner Behinderung nur innerlich mitvollziehen kann. 101 Die Sonanz der Musik ist so stark, dass sie den Kindskörper in Schwingung versetzt. 252 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="253"?> 102 vgl. G A R H A M M E R , Im Anfang war das Murmeln, hier 41. 103 Vgl. O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“, hier bes. 286. 104 „Religion bedarf einer individuellen Erfahrung und Entscheidung im Subjekt, das sich seine Religion aus seiner Subjektivität heraus bildet, und kann nicht (vollständig) nach traditioneller Vorgabe übernommen werden.“, in: R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 314f. 105 S T A D L E R , Salvatore, 61. 106 Vgl. dazu u. a. R E I C H , Christa, Der Gemeindegesang, in: Winfried B Ö N I G (Hg.), Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur Kirchen‐ musik, Stuttgart - Ostfildern 2007, 362-377; H A R N O N C O U R T , Philipp, Gesang und Musik im Gottesdienst, in: Harald S C H Ü T Z E I C H E L (Hg.), Die Messe. Ein kirchenmusikalisches Handbuch, Düsseldorf 1991, 9-25, hier bes. 19-25. 107 E B E N B A U E R , Peter, Gemeindegesang. Grundelement, Stolperstein und Zukunftschance lebendiger Liturgie, in: HlD 58 (2004) 303-312, hier 308. Viele Jahre später wird sich der Autor an diese Erfahrungen erinnern und bei Gottesdienstbesuchen nicht zögern, seine Stimme zu erheben, wenn es die verbliebene Schar mit seiner kräftigen Stimme zu unterstützen gilt. 102 Es gehört zur Besonderheit Ortheils, den Kinderglauben von einst fast mühelos in einen lebensdienlichen Erwachsenenglauben zu transferieren. 103 Ganz anders verhält sich die Situation bei Arnold Stadler, der wie kein anderer der hier besprochenen Autoren unter dem Hiat zwischen Kinder- und Erwachsenenglauben leidet. Trotz mannigfaltiger Versuche läuft seine Sehnsucht nach einer religiös-ästhetischen Glaubenserfahrung ins Leere. 104 Salvatore bringt im gleichnamigen Roman kein Lied mehr über die Lippen, auch ästhetische Ersatzformen überzeugen ihn nicht. „In den großen Kirchen wurden um diese Zeit an diesem Tag Festmessen und Kantaten, Himmelfahrtskantaten gegeben, um die Gläubigen anzulocken. Aber es kamen trotzdem keine Gläubigen mehr, sondern nur noch Publikum, wegen der Kantaten und der Hohen Messen und Solisten, denen das Ganze mehr oder weniger gefiel beziehungsweise glückte. Und nachher gab es Spargel. Hier [= Himmelfahrtsmesse, AB] waren wenigstens die Gläubigen unter sich, wenn Salvatore sich selbst vielleicht immer noch nicht dazugezählt haben sollte. Und den Pfarrer vielleicht auch? Und was war mit der Organistin? Die Texte und Lieder kannten sie alle. Aber das war vielleicht schon alles. Mitsingen ging nicht mehr. Wäre vielleicht Karaoke gewesen für die meisten. Und damit wäre Salvatore mit seinem Japanisch schon am Ende gewesen.“ 105 Die Krise des Gemeindegesangs begleitet Hymnologie und Liturgiewissenschaft seit Jahrzehnten. 106 Als Gründe werden neben dem Verschwinden des außerli‐ turgischen Singens als „kollektiv geübte Kulturtechnik“ 107 , die nur mehr in 2.1 Stille als Resonanzerfahrung 253 <?page no="254"?> 108 E B E N B A U E R , Gemeindegesang, 308f. 109 Vgl. R E H B E R G , Karl-Siegbert, Institutionelle Ordnungen zwischen Ritual und Ritualisie‐ rung, in: Christoph W U L F - Jörg Z I R F A S (Hgg.), Die Kultur des Rituals. Inszenierungen, Praktiken, Symbole, Paderborn 2004, 247-265. 110 S T A D L E R , Salvatore, 65. 111 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 34. Lehnert zitiert die fünfte und letzte Strophe: „Alle die Schönheit / Himmels und der Erden / ist gefasst in dir allein. Nichts soll mir werden / lieber auf Erden / als du, liebster Jesu mein.“ Er greift dabei auf die Fassung des Evangelischen Gesangbauch (Nr. 403) zurück. Im katholischen Gotteslob (Nr. 364) lautet dieselbe Strophe: „Schönster Herr Jesu, bei uns gegenwärtig durch dein Wort und Sakrament [Hervorhebung durch A.B.], Jesu, dich bitt ich: Herr, sei uns gnädig jetzt und auch am letzten End.“ Diese Version ist zugleich die ö-Fassung. Vgl. F R A N Z , Ansgar, Kommentar zu „Schönster Herr Jesu, Herrscher aller Herren“, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 996-1000. 112 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 34. abgegrenzten „Freizeit-, Kunst- und Unterhaltungsreservaten“ 108 fortlebt, der Mangel an zeitgemäßem Musikwie Liedrepertoire angeführt. Bei Salvatore sitzt das Problem noch tiefer: Obwohl die Gläubigen die Lieder noch kennen, geht das Mitsingen nicht mehr. Im Gemeindegesang perpetuiert sich, was in Summe über Salvatores Erfahrungen mit der Religion gesagt wurde. Die Liturgie bleibt stumm, weil die traditionellen Formen und Vorgaben keine religiöse Erfahrungen ermöglichen, die das Subjekt existentiell berührten. 109 Die Tür zur Erfahrung der Kindheit, in der die Liturgie noch als „schön“ erlebt wurde, bleibt verschlossen, auch wenn die Sehnsucht nicht erlischt. „Auch wenn er das Jahr über nicht daran geglaubt hatte, so hatte er nun doch Sehnsucht nach dem Glauben von einst, als er so groß wie ein Schwertlilie war und in der Frühmesse in einer schönen Sprache, die er nicht so recht verstand, auswendig Introibo ad altare Dei ad Deum qui laetificat iuventutem meam (zu Gott, der meine Jugend schön macht) aufsagen konnte.“ 110 Christian Lehnert ist die in Salvatore zum Ausdruck gebrachte Grundkon‐ stellation trotz einer konträren Sozialisation vertraut. Als der Ich-Erzähler frühmorgens in „Der Gott in einer Nuß“ eine mystisch erleuchtete Kirche betritt und das Kirchenlied „Schönster Herr Jesu“ erklingt, widerfährt ihm eine Epiphanie: „Hier feiert der Himmel.“ 111 In das beglückende Ereignis mischt sich jedoch die kritische Frage, ob es sich nicht doch nur um ein „Lob der Illusion“ handle. Gemeinsam mit Stadler und den anderen Literaten treibt ihn die Frage um: „Gibt es einen Weg zurück in den einfachen, den naiven, den fraglosen Glauben von einst? “ 112 Ja, meint Lehnert in diesem Blatt etwas zögernd, ohne daraus wie Ortheil eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten. Beim Singen der alten 254 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="255"?> 113 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 34. 114 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 35. 115 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 35 [Herv. im Original]. 116 „Der Priester am Altar bewegte nur lautlos die Lippen, las eine Stille Messe, wie das früher einmal geheißen hatte, oder immer noch hieß.“, in: H A N D K E , Der Große Fall, 177. 117 H A N D K E , Der Große Fall, 178. 118 Schon im Kapitel über Peter Handke - „Weltöffnender Katholizismus“ wurde darauf hingewiesen, dass er im Unterschied zu Martin Mosebach kein Proponent der sog. tridentinischen Messe ist. 119 B I E R I N G E R - S A L M A N N , „Liturgie will dem Leben aufhelfen“, 6. Kirchenlieder kann er sich zwar für einen Augenblick fallen lassen, letztlich bleibt der Moment aber immer flüchtig. „Keine Illusion ist das! Keine Vorstellung mit beschränkter Geltung - nur eben auch nicht andauernd, nicht haltbar in der Zeit, kein Besitz.“ 113 Liturgie bedeutet bei Lehnert immer Nähe und Entzogenheit zugleich: Liturgie „ist ein Fest in zwei Äonen - hier und dort.“ 114 Wie oben bei Bede Griffiths liegt über der letzten Gewissheit ein „Schleier“, den man nur wegziehe müsste und „alles läge offen, wie es schon ist … (und mir liegt doch auf der Zunge zu sagen: sei).“ 115 2.2 Stilisiertes Sprechen und Singen Als Zwischenbilanz lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass die literarischen Gottesdienste als umfassendes Klanggeschehen inszeniert werden. Bei Stadler, Handke und Ransmayr gibt es zwar Leerstellen im Bereich der Kirchenlieder, dennoch wollen auch sie nicht auf die Vielfalt des stimmlichen Ausdrucks verzichten. Aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive liest sich Handkes Messe in „Der Große Fall“ zunächst als Provokation. Die Abwesenheit des Gesangs wäre vielleicht noch nachvollziehbar, spräche der Protagonist nicht vom Lesen einer „Stillen“ Messe. 116 „Es war recht, daß vom Kyrie Eleison an hin über die Lesung der Epistel bis zu der des Evangeliums vom Altar her nichts in den Kirchenraum drang als die gelegentlichen Lippenlaute des Priesters beim stillen Memorieren […].“ 117 Die Szene wirkt vor dem Hintergrund heutiger Entwicklungen wie aus der Zeit gefallen, besitzt aber dennoch einen liturgie‐ wissenschaftlichen Erkenntniswert. 118 Als Meister stilisierender Verfremdung erinnert Handke daran, dass die Liturgie nicht einfach „lebensnahe“ ist, „[s]on‐ dern dem Leben aufhelfen [will], weil sie aus der Ferne kommt und ins Ferne entführt.“ 119 Durch die provokante Reduktion entsteht eine Leerstelle, die angesichts der klanglichen wie verbalen Reizüberflutung unserer Tage auf die 2.2 Stilisiertes Sprechen und Singen 255 <?page no="256"?> 120 Liturgische Zeichen, Handlungen und Symbole beruhen auf alltäglichen Vollzügen, wie Singen, Sprechen, Essen, Waschen etc., werden aber durch rituelle Stilisierung verfremdet, reduziert oder verdichtet, um sie vom alltäglichen Geschehen abzuheben und ihre Tiefendimension (für eine mögliche Gottesbegegnung) offen zu halten. Gesang und bestimmte Formen von Musik stilisieren den alltäglichen Sprachgebrauch im Gottesdienst, damit zur wörtlich-verbalen eine tiefere Dimension hinzutritt. Umgekehrt kann aber auch Reduktion oder der Verzicht stilisierend wirken. Vgl. H A R N O N C O U R T , Philipp, Zeichen und Symbole im Leben der Kirche, in: Andreas R E D T E N B A C H E R (Hg.), Kultur der Liturgie. Grundfragen des Gottesdienstes heute, Ostfildern 2006, 61-80, hier bes. 76 f. 121 W I L L A , Josef-Anton, „Seele des Wortes“ - Die Stimme im Gottesdienst, in: Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd. 1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u. a.], Lilienthal 2014, 63-75; D E R S . Singen als liturgisches Geschehen. Dargestellt am Beispiel des ›Antwortpsalms‹ in der Messfeier (StPaLi 18), Regensburg 2005, hier bes. 21-56. 122 Vgl. u.-a. R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 349-356. 123 H A N D K E , Nobelvorlesung vom 07.12.2019. 124 H A N D K E - K E R B L E R , … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen, 23. Ähnliches lässt sich auch von Hanns-Josef Ortheil sagen, der in seiner autobiographisch geprägten „Erfindung des Lebens“ festhält: „Denn ohne dass ich die Veränderungen deutlich bemerkte oder gar begriff, begann meine sehr besondere, von der Musik geleitete und geprägte Frömmigkeit sich im Internat zu entwickeln. Diese Frömmigkeit hatte nichts mit bestimmten Glaubensinhalten zu tun, sie war auch keine blinde Hysterie oder gar Frömmelei, nein, sie wurde vielmehr zu so etwas wie einer Lebensform, die mich, ohne dass ich es, wie gesagt, deutlich bemerkte, von Tag zu Tag mehr anzog.“, in: O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 355. 125 H A N D K E - K E R B L E R , … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen, 24. ganze Bandbreite des Stimmgebrauchs im Gottesdienst hinweisen könnte. 120 Josef-Anton Willa hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass in westlichen Liturgien oft nur mehr zwischen Sprechen und Singen unterschieden wird, während die reichen Schattierungen zwischen den beiden Grundformen oft unberücksichtigt bleiben. 121 Schriftsteller wie Handke oder Ransmayr, die zwar liturgieaffin sind, dem Gottesdienst als religiösem Vollzug aber mit Vorbehalten begegnen, verfügen über ein besonderes Sensorium für ritualisierte und stili‐ sierte Formen des liturgischen Sprechens. 122 An erster Stelle ist die Litanei zu nennen, die für Handke und sein Schreiben so maßgeblich wurde, dass er die Lauretanische Litanei (auf Slowenisch) sogar in seiner Nobelvorlesung zitierte: „Mati Stvarnikova - prosi za nas […].“ 123 Handke bezeichnet sie nicht ohne Grund als eines seiner „Grunderlebnisse von Sprache“ 124 , das neben dem Schreiben vor allem seine Musikalität prägte, ja zu seiner „Grundmusik“ 125 des Lebens wurde. Worin die Faszination der liturgischen Sprache genau bestand, erklärt der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler: 256 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="257"?> 126 S C H M I D T - D E N G L E R , Das Gebet in die Sprache nehmen, 46. 127 L A N G E R , Probeweise Amen? , 60. Als Konsequenz des Verlusts hält sie ebenda fest: „Christoph Ransmayr wird einer der letzten sein, in deren Sprachduktus der hypnoti‐ sierende, für kindliche Ohren unendlich monotone, auch in gesprochener Form als rhythmischer Singsang wahrnehmbare Sound der katholischen Litaneien nachklingt.“ 128 F I N K E , Christian, Singen im 20. Jahrhundert, in: Matthias S C H N E I D E R - Wolfgang B R E T T S C H N E I D E R - Günther M A S S E N K E I L (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik. Bd. 1 Grundlegung und Hymnologie, Laaber 2014, 291-310, hier 308. 129 Martin J. M. Hoondert spricht insgesamt von sieben Funktionen von Musik, die er für die Liturgie überträgt und fruchtbar macht: „1. To entertain (unterhalten), 2. To make something that is beautiful (etwas Schönes machen), 3. To mark or change identity (Identität prägen oder verändern), 4. To make or foster community (Gemeinschaft schaffen oder pflegen), 5. To heal (heilen), 6. To teach, persuade, or convince (lehren, überreden oder überzeugen) und 7. To deal with the sacred and/ or demonic (sich mit dem Heiligen oder Dämonischen auseinandersetzen).“, in: D E R S ., Singen als Ritual. Eine performative Annäherung an Klang im Gottesdienst, in: JLH 54 (2015) 104-112, hier 106. Hoondert beruft sich wiederum auf S C H E C H N E R , Richard, Performance studies. An Introduction, New York - London 2 2006. „Diese Sprache ist fremd und vertraut in einem: Zwischen den bekannten Wörtern stehen Worte, deren Sinn unbekannt ist […]. Diese Autoren begegneten also dem Fremden im Vertrauten. Grund zugleich für ironische Distanzierung wie auch für Anverwandlung.“ 126 Mit Blick auf Ransmayrs Episode „Trost der Betrübten“ kritisiert die Germa‐ nistin Langer indirekt den weitgehenden Verlust der Litanei im liturgischen Gemeindealltag. „Die Insassen der psychiatrischen Anstalt halten die Tradition des Litaneibetens noch zu einer Zeit aufrecht, als sich die nachkonziliare Kirche im Zuge ihrer Anpassung an die Moderne von dieser Art des meditativen und nicht-diskursiven Gebets bereits abgewandt hat.“ 127 Die heutige Renaissance von liturgischen Gesängen und Gebetsformen mit repetitiver Struktur und medita‐ tivem Charakter könnten ein Beleg dafür sein, dass auf diesem Gebiet tatsächlich ein Mangel besteht. Den anhaltenden Erfolg von Taizé-Gesängen führt der Kirchenmusiker Christian Finke nicht zuletzt auf elementare Formen zurück, die mit „Wiederholungen, Kehrversen und fast archetypischen melodischen Wen‐ dungen [eine] […] doxologische und therapeutische, gemeinschaftsbildende und schichtenübergreifende [Dimension]“ 128 entfalten. Die Litaneien sind wie die Gesänge von Taizé hoch stilisierte Formen, die einen Klang- und Hörraum schaffen, der sich vom Alltag abhebt und Körper wie Geist auf eine tiefere Dimension hin öffnet. Bislang konnten wir sehen, dass die bisher genannten Schriftsteller in ihren literarisch gespiegelten Liturgien auf unterschiedliche Dimensionen von Stille, Klang und Gesang zurückgreifen. 129 Dominiert bei Ortheil die gemeinschaftsbil‐ 2.2 Stilisiertes Sprechen und Singen 257 <?page no="258"?> 130 Vgl. K U B I C K I , Judith Marie, Liturgical music as ritual symbol. A case study of Jacques Berthier's Taizé music (LiCo 9), Leuven 1999. 131 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 34. 132 H A N D K E , Mein Jahr in der Niemandsbucht, 967; vgl. B I E R I N G E R , „Ein Schwanken ging durch die Welt“. 133 Vgl. dazu auch H A N D K E , Nobelvorlesung. 134 H A N D K E , Peter, Leben ohne Poesie. Gedichte (Suhrkamp Taschenbuch 3921), Frankfurt a. M. 2007, 145 [Herv. im Original]; vgl. darüber hinaus B I E R I N G E R , Poetische Liturgik; S T O C K , „Im Kopf einen lateinischen Scharfsinn“. dende („Die Erfindung des Lebens“) und heilende/ therapeutische Funktion („Das Kind, das nicht fragte“), verstummt die Liturgie bei Stadler fast vollständig. 130 Wie Stadler stellt sich auch Lehnert die Frage, ob es ein Zurück zum naiven Glauben von einst gibt, dessen Klang noch ungebrochene „Schönheit“ (nach Hoondert ebenso eine zentrale Dimension) verhieß. Während Stadlers Salvatore ins Kino auswandert, um seine religiöse Sehnsucht zu stillen, vermitteln bei Lehnert die vertrauten Kirchenlieder immer noch ein Gefühl von Geborgenheit. Die Beständigkeit solcher Momente ist freilich auch für ihn verlorengegangen („[…] nicht haltbar in der Zeit […]“ 131 ). Handke nimmt auch in diesem Bereich eine Sonderstellung ein. Wie Stadler und Lehnert fragt auch einer seiner Protagonisten (Gregor Keuschnig in „Mein Jahr in der Niemandsbucht“) nach der Bedeutung liturgischer Kindheitserfahrungen. „Keine Kindheit brachte er [= Klang der Liturgie, AB] mir zurück, sondern der Mensch wurde ich mit ihm, der ich bin, oft zittrig, doch nicht wehrlos.“ 132 Die Liturgie und ihr Klang werden Teil der individuellen Menschwerdung oder mit Hoondert gesprochen, werden Teil seiner (künstlerischen) Identität. 133 Schon an anderer Stelle waren Handkes (Selbst-)Transzendenzerfahrungen Thema, die zwar eine Nähe zu Religion und Liturgie erkennen ließen, im Letzten aber unbestimmt blieben. Die damit einhergehende Distanz ermöglicht es ihm, liturgische Erfahrungen mit Stille, Klang und Gesang nicht nur deskriptiv in seine Literatur einzuflechten, wie wir das etwa bei Ortheil, Lehnert oder Stadler beobachten konnten, sondern sie zugleich zu seinem poetischen Stilprinzip zu erheben: „An den Morgen Aufgewacht vor dem morgenhellen Himmel: Über die noch dunklen Dächer treibt aus den Kaminen schon langsamer Rauch Die Vögel: sine fine dicentes Und alle Lieben leben“ 134 258 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="259"?> 135 Vgl. Das vollständige Römische Meßbuch, 483. 136 H E N N I G , John, Was ist eigentlich Liturgie? , in: MS(D) 89 (1969) 251-255, hier 253. 137 „Gerade höre ich wieder die geheime tagtägliche Liturgie, die, in einem unheimlichen Singsang, ununterbrochen (man muß nur zuhören können), unter der Weltoberfläche tönt: Liturgie aus einer Katakombenwelt, selbstbewußter, brutaler, wilder als jede tat‐ sächlich geltende Liturgie, kaschemmenhaft und feierlich, als Grundton aller Existenz.“, in: H A N D K E , Die Geschichte des Bleistifts, 39; vgl. darüber hinaus E S T E R M A N N , „‚statt ‚Bild‘ sag auch ‚Traum‘, ‚Illusion‘, ‚Ganz-Sein‘, ‚Mit-Sein‘…“. 138 H A N D K E , Peter, Die Stunde der wahren Empfindung. Erzählung, Frankfurt a. M. 1982, 81; vgl. dazu das erläuternde Vorwort von H Ö L L E R , Hans, in: Anna E S T E R M A N N - D E R S . (Hgg.), Schreiben als Weltentdeckung. Neue Perspektiven der Handke-Forschung, Wien 2014, 11-16. Die liturgische Gestimmtheit des Gedichtes ist kaum mehr wiederzuerkennen. Nur wer wie Handke mit der lateinischen Liturgie vertraut ist, kann das Zitat im vierten Vers zuordnen: sine fine dicentes - „ohne Ende sagend“, lautet die wörtliche Übersetzung; die alten Ausgaben des lateinisch-deutschen Schotts übersetzen mit „rufen ohne Unterlass“ 135 . Handke blendet im Gedicht den Schlussteil der Präfation der Messe ein, die zum gemeinsamen Lobpreis mit den Engeln und Heiligen, Thronen und Mächten aufruft und in das Sanctus übergeht: hymnum gloriae tuae canimus, sine fine dicentes: Sanctus, Sanctus, Sanctus. Die Schwelle vom Gebet zum Gesang markiert eine neuralgische Stelle. Das „Einstimmen in den Lobpreis der Engel“ gehört nicht nur zum Herzen der Liturgie, sondern ist einer ihrer zentralen Grundzüge. 136 Aus den Engeln werden im Gedicht freilich Vögel, aus der Liturgie der Eucharistie wird eine ganz und gar irdische Danksagung an die Fülle des Lebens. Das Gedicht illustriert einmal mehr, wie Handke mit der Liturgie und ihren Gesängen verfährt. Er löst kleine, oft unscheinbare Fragmente und Klangbilder aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus, um sie dann als irdische Liturgie neu zu orchestrieren. 137 Dem Autor gelingt es ohne weitere Begründung, die Schwellen des Kirchenraums zu verlassen, um rituelle und symbolische Grundprinzipien der Liturgie im profanen Leben neu zu verankern. 2.3 Liturgie als umfassendes Klanggeschehen „Wer sagt denn, daß die Welt schon entdeckt ist? “ 138 , lautet ein programmati‐ sches Schreibmotto von Peter Handke. Bereits im Kapitel über den Kirchenraum war davon die Rede, dass sich literarische Gottesdienste nicht unmittelbar auf die liturgische Praxis anwenden lassen. Das hat einerseits mit Respekt gegenüber der Literatur als autonomer Kunst zu tun und würde anderseits 2.3 Liturgie als umfassendes Klanggeschehen 259 <?page no="260"?> 139 Vgl. u. a. B O S S A R T , Die theologische Lesbarkeit von Literatur im 20. Jahrhundert, hier bes. 23-77. 140 Vgl. B I E R I T Z , Liturgik, hier bes. 42-46. 141 Der Ruf nach mehr Stille im Gottesdienst ist weder neu noch besonders innovativ. Vgl. zu diesem Abschnitt bes. D E E G , Alexander - L E H N E R T , Christian (Hgg.), Stille. Liturgie als Unterbrechung (BLSp 33), Leipzig 2020. 142 S O N T A G , Susan, Die Ästhetik des Schweigens, in: D I E S ., Gesten radikalen Willens. Essays, Frankfurt a.-M. 2011, 11-50, hier 22. 143 Vgl. D E E G , Alexander, Stille - und der Gottesdienst in der Kirche des Wortes, in: D E R S . - L E H N E R T , Christian (Hgg.), Stille. Liturgie als Unterbrechung (BLSp 33), Leipzig 2020, 9-29, hier bes. 21-24. Aus katholischer Perspektive nennt er S A R A H , Robert - D I A T , Nicolas, Kraft der Stille. Gegen eine Diktatur des Lärms, Kißlegg 2017. der Intention des Autors bzw. der Autorin widersprechen. Im Sinn einer (liturgie-)theologischen Lesbarkeit zeitgenössischer Literatur gibt es dennoch Erkenntnisse, die auf den Gottesdienst zurückwirken. 139 Das eingangs zitierte Handke-Motto lässt sich für die Fragestellung dieser Arbeit modifizieren: „Wer sagt denn, dass die Liturgie schon entdeckt ist? “ Damit ist ein neugierigstaunender Blick auf gottesdienstliche Feiern verbunden, der im Fahrwasser von zeitgenössischer Literatur Unscheinbares oder unter die Wahrnehmungs‐ schwelle Gesunkenes neu zur Geltung bringt. Mit Blick auf die ausgewerteten Stellen drückt sich die „Klangsprache“ der literarischen Gottesdienste mit Karl- Heinrich Bieritz gesprochen zunächst in akustischen („sinntragende Geräusche aller Art“) und musikalischen Codes („Vokal- und Instrumentalmusik) aus. 140 Während unterschiedliche Formen des Schweigens und der Glockenklang in der Literatur die akustische Kommunikation dominieren, stehen im musikalischen Teil stilisierte Formen des Singens und die Orgel im Vordergrund. Um den diver‐ gierenden Ertrag aus der Literatur an dieser Stelle für die Liturgiewissenschaft zu sichern, wird das Gesagte nochmals in einem Dreischritt zusammengefasst: Stille - Stimme - Gesang. Die hier ausgewerteten literarischen Texte lassen sich zuerst als Plädoyer für mehr Stille im Gottesdienst lesen. 141 Über die Theologie hinaus wird der Trend als gesellschaftliche Reaktion auf neuzeitliche Beschleunigungstendenzen ge‐ deutet, die mitunter seltsame Blüten treibt, wie Susan Sonntag schon vor über fünf Jahrzehnten feststellte: „Die Kunst unserer Zeit plädiert lauthals für Stille.“ 142 Ohne das Grundanliegen prinzipiell in Frage zu stellen, erkennt Alexander Deeg Sonntags Paradoxon in den heutigen Kirchen wieder und fragt kritisch, ob ideologisch motivierte Appelle nach mehr Stille nicht das eigentliche Grundanliegen konterkarieren. 143 Mit dem Romancier Paul Mercier macht er zudem auf das von vielen ebenso empfundene Unbehagen aufmerksam, das mit Stille assoziiert wird. „Die Menschen ertragen die Stille nicht, es würde heißen, 260 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="261"?> 144 M E R C I E R , Paul, Nachtzug nach Lissabon. Roman, München - Wien 45 2006, 252 [Herv. gelöscht]. 145 S T E I N M E T Z , Uwe, „Sei still und wisse, dass ich Gott bin“. Ein Klangraum der Stille in der Liturgie, in: Alexander D E E G - Christian L E H N E R T (Hgg.), Stille. Liturgie als Unterbrechung (BLSp 33), Leipzig 2020, 135-148, 140 f. 146 W E N Z E L , Kristin, Erfahrungsraum Stille. Eine ästhetisch phänomenologische Betrach‐ tung (Kaleidogramme 159), Berlin 2018, 213. 147 D E E G , Stille, 27. daß sie sich selbst ertrügen.“ 144 Anders verhält sich die Situation bei den hier vorgestellten Literaten, die sich selbst und die Welt erst dann ertragen, wenn sie regelmäßig Orte der Stille und Meditation aufsuchen. Der Musikwissenschaftler Uwe Steinmetz charakterisiert drei verschiedene Kategorien von Stille im Got‐ tesdienst: „Die induzierte Stille unterbricht und ruft in den Moment, die reflexive Stille nutzt den Moment zur persönlichen Rückschau, die schöpferische Stille imaginiert.“ 145 In Analogie dazu erinnern auch die Literaten mit ihren Kirchen- und Gottesdienstbesuchen an den anamnetischen Charakter liturgischer Stille, der sie ins „Jetzt“ führt, mit der eigenen Geschichte (mit Gott) konfrontiert und - im besten Fall - Wege in die Zukunft eröffnet. Die oben beschriebenen Szenen illustrieren, dass die induzierte (Chorgebet in „Die Erfindung des Lebens“) und reflexive Stille (Stille Messe in „Der Große Fall) in der Liturgie grundgelegt ist bzw. durch eine entsprechende Ars celebrandi evoziert werden kann. Im Gegensatz dazu entzieht sich die „schöpferische Stille“ (Beichterfahrung in „Erfindung des Lebens“) jeder Machbarkeit. Um ihr Wesen zu verdeutlichen, lohnt ein Blick auf die Unterscheidung zwischen Stille und Schweigen, wie sie die Phänomenologin Kristin Wenzel trifft: „Schweigen ist absichtsvoll und zweckbestimmt. Stille hingegen geschieht.“ 146 Nach Wenzel ist die induzierte und reflexive Stille dem Schweigen zuzuordnen. Zweckbestimmtes Schweigen gehört konstitutiv zum Klangraum Gottesdienst und entsteht, wie oben gezeigt, durch Formen der Unterbrechung. Für die Praxis ist damit der Impuls aus der Literatur verbunden, vorhandene Momente des Schweigens bewusster zu pflegen und über neue Formen der Unterbrechungen als Kontrast zum Lärm des Alltags nachzudenken. Als höchste Form gilt sowohl in der Literatur als auch im Gottesdienst die „schöpferische Stille“, die sich als Ereignis jeder Vorhersehbarkeit entzieht. Wie die Erfahrungen der „Stille als Ereignis“ in der Literatur dennoch auf die Liturgie zurückwirken könnten, erläutert Christian Lehnert in seiner poetisch motivierten Messauslegung „Der Gott in einer Nuß“. Deeg ergänzt dazu: „Stille in der Liturgie würde so bedeuten, die eigene Plan‐ barkeit aufzugeben, die Liturgie nicht nach dem Muster ‚meiner‘ Dramaturgie zu gestalten und so liturgiepragmatische Nichtintentionalität einzuüben! “ 147 2.3 Liturgie als umfassendes Klanggeschehen 261 <?page no="262"?> 148 Vgl. G A R H A M M E R , Im Anfang war das Murmeln. 149 „Mit der weitgehenden Reduktion des Stimmgebrauchs auf die Alternative ‚Sprechen oder Singen‘ geht hingegen ein Verlust an symbolischer Aussagekraft und eine Ver‐ armung der liturgischen Kommunikation einher.“, in: W I L L A , „Seele des Wortes“, 74; vgl. P A C I K , Rudolf, Die Kantillation - gehobene Vortragsweise des Wortes, in: HlD 56 (2002) 277-281; E H A M , Markus, Ruf - Litanei - Kantillation - Hymnodie, in: Harald S C H Ü T Z E I C H E L (Hg.), Die Messe. Ein kirchenmusikalisches Handbuch, Düsseldorf 1991, 196-228. 150 Vgl. H A R N O N C O U R T , Gesang und Musik im Gottesdienst, 12-14. 151 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 62. 152 W I L L a, „Seele des Wortes“, 69. „Im Anfang war das Murmeln.“ 148 Aus der Stille erhebt sich im Klangraum Gottesdienst die menschliche Stimme. Während die stimmliche Vielfalt in den westlichen Liturgien mitunter verloren ging, wird in der Literatur noch ausgiebig gemurmelt, rezitiert, kantilliert und feierlich proklamiert. 149 Im Mit‐ telpunkt des literarischen Gottesdienstes stehen traditionelle Gebetsformen wie Angelus, Rosenkranz, Litanei und liturgische Rufe, die kaum Mitteilungen oder konkrete Inhalte kommunizieren, sondern Prozesse der Reflexion und Verinnerlichung in Gang setzen. Resonanz ist im Sinn von Hartmut Rosa in Bezug auf den Gottesdienst zuerst musikalisch zu verstehen. Um einen Ton weitergeben zu können, müssen seine Schwingungen auf einen Körper mit glei‐ cher Frequenz treffen. Nur wenn dieses Wechselspiel aus Sonanz und Resonanz stimmt, beginnt der Körper mitzuschwingen, der Ton wird übernommen und verstärkt. 150 Hanns-Josef Ortheil weiß aus Kindertagen von diesem Widerhall zu berichten: „Sie [= Melodie, AB] füllte den Kindskörper aus und machte ihn zu ihrem Widerpart, es war, als gösse der gewaltige Gott diese Musik in einen hinein, damit man allen Kummer und alle Sorgen zumindest für die Dauer des Gottesdienst vergaß.“ 151 Welche anthropologische Wirkung dieses Prinzip im Gottesdienst entfaltet, erklärt Josef-Anton Willa: „Die Worte vibrieren im Körper und erreichen die Person gleichzeitig von außen, sie sind mehr als abstrakte Gedankengebilde, sondern werden zur konkreten Anrede. Erst im Erklingen des Textes erschließt sich der lesenden Person sein voller Sinn.“ 152 Die Texte und Gebete der Liturgie wollen nicht nur intellektuell, sondern von innen her verstanden werden. Wenn Handke, Ortheil oder Stadler über liturgische Erfahrungen schreiben, betonen sie das meditative, nicht-diskursive Mitschwingen mit der Botschaft der Liturgie. Die wiederholende Aneignung der Texte und Gebete erzeugt eine Körperresonanz, die weit in den Alltag hineinreicht und auch Jahre später weiterklingt. Den Verlust der stimmlichen Vielfalt und die damit einhergehende „Verarmung der liturgischen Kommuni‐ 262 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="263"?> 153 Vgl. u. a. G E L I N E A U , Joseph, Musik auf dem Weg durch die Liturgie, in: Concilium 25 (1989) 183-191; H Ä U ẞ L I N G , Angelus Albert, Akklamationen und Formeln, in: Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (GDK 3), Regens‐ burg 1987, 220-239; W I L L A , Singen als liturgisches Geschehen, hier bes. 78-86. 154 Vgl. S T E F A N I , Gino, L’espressione vocale e musicale nella liturgia. Gesti, riti, repertori (Liturgia e Cultura 3), Torino 1967. 155 Ransmayr erinnert zudem an die fernöstliche Praxis des Mantra-Singes, das in diesem Kulturkreis ebenso von Mönchen geprägt wird. Vgl. D E R S ., Atlas eines ängstlichen Mannes, 450-456. 156 Vgl. G R Ü N , Anselm, Chorgebet und Kontemplation (MKS 50), Münsterschwarzach 3 2002 und R U P P E R T , Fidelis, Meditatio - Ruminatio. Zu einem Grundbegriff christlicher Meditation, in: EuA 53 (1977) 83-93. 157 Vgl. N O N N , Nikolaus, Singt Psalmen, Hymnen und Lieder. Kleines Handbuch für den Kantorendienst, Mainz 2004, hier bes. 40-43, 54-60. 158 B I E R I N G E R - S A L M A N N , „Liturgie will dem Leben aufhelfen“, 4. kation“ zu überwinden, bleibt ein bislang nicht eingelöstes Desiderat. Zwar wurden u. a. von Joseph Gelineau, Angelus A. Häußling oder Josef-Anton Willa überzeugende Vorschläge für einen differenzierten Einsatz der Stimme im Gottesdienst unterbreitet, insgesamt blieb das Echo bis heute aber eher gering. 153 Besonders die stilisierten Formen zwischen Sprechen und Singen scheinen der heutigen Kultur fremd geworden zu sein. 154 Die literarischen Texte lassen sich zwar als Zwischenruf zur Wiederentdeckung der ganzen Bandbreite stimmlicher Ausdrucksformen im Gottesdienst lesen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige der von den Literaten hochgeschätzten Formen längst ihren liturgischen Sitz im Leben verloren haben. Potential für weiter‐ führende Überlegungen birgt jedoch die Wertschätzung der Literatur für das monastische Chorgebet, das sich eine stimmliche Vielfalt bewahrt hat, die in den übrigen Teilen der Liturgie mitunter verlorenen gegangen ist. 155 Das betrifft den meditativen Umgang mit der Schrift (ruminatio) ebenso wie stilisierte Formen des Sprechens bzw. Singens (tonus rectus, Psalmtöne). 156 Dazu kommt die hohe Bedeutung wiederkehrender Rufe („Deus, in adiutorium meum intende …“) und klassischer Akklamationen („Kyrie eleison“). Der exemplarische Charakter des Chorgebets setzt sich ebenso bei der Vielfalt des gemeinschaftlichen Singens im Chorgebet (direkter, respondierender, antiphonierender Vortrag) fort. 157 Auf die Frage, was Liturgie der Gemeinden von der Liturgie in den Klöstern lernen könnte, antwortete der Benediktiner Elmar Salmann: „Vielleicht gibt es eine Bereicherung oder eine Korrektur - eine Ahnung, dass Liturgie vielschichtig ist. Diese Ahnung könnte von der benediktinischen Liturgie dahin angereichert werden, dass sie etwas objektiv Würdiges, Elementares, nicht Befrachtetes, nicht Programmatisches ist. Liturgie fasst und konkretisiert das Sein des Men‐ schen im Raum Gottes.“ 158 2.3 Liturgie als umfassendes Klanggeschehen 263 <?page no="264"?> 159 H A R N O N C O U R T , Gesang und Musik im Gottesdienst, 15 f. W I L L A , „Seele des Wortes“, 73. 160 Werner Hahne spricht von der Diabase als der „[e]ntscheidend[en], wenn auch oft vernachlässigt[en]“ Dimension des Gottesdienstes. Vgl. D E R S ., De arte celebrandi, oder von der Kunst, Gottesdienst zu feiern. Entwurf einer Fundamentalliturgik, Freiburg i. Br. 2 1991, 196-201, hier 196. 161 G E R H A R D S , Albert, Das Wort, das zum Ereignis wird. Überlegungen zur Wirkweise des Wortes im Gottesdienst, in: BiLi 64 (1991) 135-140, hier 139. 162 E B E N B A U E R , Gemeindegesang, 305. 163 E B E N B A U E R , Gemeindegesang, 305. 164 Vgl. dazu u. a. die musikpsychologischen Untersuchungen von A D A M E K , Karl, Singen als Lebenshilfe. Zu Empirie und Theorie von Alltagsbewältigung. Plädoyer für eine „erneuerte Kultur des Singens“, Münster - New York 4 2008. Wie reich die Erträge aus solchen Studien für die Liturgiewissenschaft sein können, zeigte W I L L A , Singen als liturgisches Geschehen, hier bes. 78-86. Die menschliche Stimme erhebt sich im Klangraum Gottesdienst zum Gesang. Phillip Harnoncourt ordnet das liturgische Singen und Musizieren im Rahmen der dialogischen Struktur des Gottesdienstes der Diabase zu und ruft damit in Erinnerung, dass neben der Zuwendung Gottes zu den Menschen (Katabase) und der auf seine Initiative antwortenden Gemeinde (Anabase) ein dritter dazwi‐ schenliegender Schritt (Diabase) berücksichtigt werden muss, den er als „Phase der Wahrnehmung, des Innewerdens der Heilserfahrung und des Ausdrückens dieser Erfahrung“ charakterisiert. 159 Der Gesang gehört neben der Predigt zu jenen Elementen im Gottesdienst, die Selbst- und Gotteserfahrung besonders eng miteinander verknüpfen. Ähnlich argumentiert auch Albert Gerhards, wenn er die Diabase als notwendige Voraussetzung nennt, damit das Wort in der Liturgie zum „Ereignis“ wird. 160 „Die Antwort als Ziel [= Anabase, AB] des Wortgottesdienstes braucht im Vorfeld verschiedene Akte der Verinnerlichung, Umwandlung und Motivation, die in unterschiedlichen Vollzügen zustande kommen: ‚Zwischengesänge‘, Akklamationen, Stille, Predigt.“ 161 Liturgie wird in der Literatur immer dann zum Ereignis, wenn es eine angemessene „Phase der Verinnerlichung“ gibt, um die gewonnenen (Sinnes-)Eindrücke zur Entfaltung zu bringen und das eigene Leben in das Licht des Evangeliums zu stellen. Nicht umsonst legen die hier analysierten Texte einen Schwerpunkt auf meditative und nicht-diskursive Formen, die weniger über Geschehen informieren, sondern die innere Haltung der Betenden und Singenden ausdrücken. Während litur‐ giewissenschaftliche Analysen des gottesdienstlichen Geschehens naturgemäß auf die religiösen oder „transzendierenden Potentiale“ 162 abheben, betont die Literatur hingegen - nicht nur im Bereich des Gesangs - seine „humanisierende Kraft“ 163 . Für die Liturgiewissenschaft könnte daraus der Auftrag folgen, sich noch intensiver mit der emotionalen, gemeinschaftsbildenden, ästhetischen, therapeutischen etc. Dimension der Liturgie auseinanderzusetzten. 164 Die lite‐ 264 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="265"?> 165 Vgl. M E ẞ N E R , Reinhard, Christliche Identität aus der Liturgie. Ein bedeutender Beitrag Angelus A. Häußlings zu einer Hermeneutik der Liturgie, in: ALw 41 (1999) 336-346, hier 339. 166 Vgl. R O S A , Resonanz, 435-453 und darüber hinaus die Deutung von Rosas Resonanz‐ theorie bei D E E G - P L Ü S S , Liturgik. 167 R O S A , Resonanz, 443. 168 Vgl. R O S A , Resonanz, 443. 169 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 264. 170 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 263f. rarische Liturgie lässt sich in diesem Sinn als Plädoyer für konzentrierte Formen des Singens und Feierns lesen, die sich aus menschlichen Grundvollzügen (Namensanrufungen, Lob-, Dank- und Bittgebete, Anamnese als Selbst- und Gottesvergewisserung) speisen. 165 Ferner kann die zeitgenössische Literatur Auskunft darüber geben, mit welchen Motiven und Erwartungen Menschen von heute in den Gottesdienst kommen. Dazu gehört der nötige Respekt und das Verständnis für alle jene, die sich im Gottesdienst mit der humanisierenden bzw. diabatischen Dimension zufriedengeben und nicht unmittelbar nach einer höheren Transzendenzerfahrung streben. Wieder andere, auch das wurde in den Texten von Stadler oder Morsbach mehr als deutlich, fühlen sich zwar von der Initiative Gottes angesprochen, sind aber aus unterschiedlichen Gründen einfach nicht (mehr) in der Lage, sie zu erwidern. Um die drängende Frage zu beantworten, wie heute Liturgie gefeiert werden muss, damit die Diabase ausreichend berücksichtigt wird, ohne die Anabase zu vernachlässigen, kann die eingangs zitierte Resonanztheorie von Hartmut Rosa einen abschließenden Impuls geben, da sie den Gottesdienst ebenso nicht ausschließlich von der „vertikalen Resonanzachse“ der Religion her versteht. 166 Für Rosa stellt die Liturgie insgesamt einen „sensorische[n] Resonanzverbund [dar], in dem die drei Achsen sich gegenseitig zu aktivieren und zu verstärken vermögen.“ 167 Dazu zählt er neben dem eigentlichen Gottesbezug (vertikale Achse), die Versammlung als horizontale Achse und die Räume und Gegenstände, Rituale und Symbole als diagonale Achse. 168 Für Alexander Deeg und David Plüss ist Rosa für den liturgiewissenschaftlichen Diskurs deshalb anschlussfähig, weil er die Zusammengehörigkeit der drei Achsen betont und damit den Gottesdienst „als humanisierende Kulturform der Gleichzeitigkeit und Überkreuzung dreier anthropologisch begründeter Resonanzachsen ansichtig“ 169 macht. Definiert man den Gottesdienst wie Rosa „als Ausdrucksformen und Knotenpunkte lebendiger menschlicher Weltbezüge“ 170 , bleibt er nicht länger ein Rudiment aus längst vergangenen Tagen, sondern schöpft und erneuert sich durch ein lebendiges Beziehungsgeflecht mit der Welt. Wenn es um die Vermittlung 2.3 Liturgie als umfassendes Klanggeschehen 265 <?page no="266"?> 171 „Es [= Chorsingen, AB] erzeugt leibliche-physische Resonanzen im Raum, etabliert horizontale Resonanzen zwischen den Singenden und ist als ästhetische Praxis vertikal verankert.“ Vgl. R O S A , Resonanz, 496. 172 R U S H D I E , Salman, Der Boden unter ihren Füßen. Roman, München 1999, 30. von Resonanzachsen geht, kommt dem Singen eine bedeutende Rolle zu. 171 Gemeinsam ausgeübt kann es die drei Achsen aktivieren und damit zwischen religiöser und (selbst-)transzendierender Dimension vermitteln. Trotz seines schwierigen Verhältnisses zur Religion hat das kein anderer Literat so treffend ausgedrückt wie Salman Rushdie in seinem Roman „Der Boden unter ihren Füßen“: „Unser Leben ist nicht das, was wir verdienen, es ist […] auf vielerlei schmerzliche Art mangelhaft. Der Gesang verwandelt es in etwas anderes. Der Gesang zeigt uns eine Welt, die unseres Sehnens würdig ist, zeigt uns unser eigenes Ich, wie es sein könnte […]. Fünf Mysterien bergen den Schlüssel zum Unsichtbaren: der Liebesakt, die Geburt eines Kindes, die Betrachtung großer Kunstwerke, die Gegenwart des Todes […] und zu hören, wie sich die menschliche Stimme im Gesang erhebt. Das sind die Ereignisse, bei denen die Riegel des Universums aufbrechen und uns einen kurzen Blick auf das Verborgene schenken; auf einen Zipfel des Unnennbaren.“ 172 266 2 Stille - Klang - Gesang <?page no="267"?> 173 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 17; vgl. zu diesem Abschnitt ferner D E R S ., Die Entstehung der Werte (Suhrkamp-Taschenbuch 1416), Frankfurt a. M. 1999, hier bes. 58-86. Zur Anschlussfähigkeit von Joas’ „Erfahrung der Selbsttranszendenz“ für die Liturgik vgl. D E E G - P L Ü S S , Liturgik. 174 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 283. 175 „Erfahrungen, in denen eine Person sich selbst übersteigt, nicht aber, zumindest zunächst nicht, im Sinne einer moralischen Überwindung ihrer selbst, sondern im Sinne eines Hinausgerissenwerdens über die Grenzen des eigenen Selbst, eines Ergriffenwerdens von etwas, das jenseits meiner selbst liegt, einer Lockerung oder Befreiung von der Fixierung auf mich selbst. Diese Selbsttranszendenz ist zunächst also nur bestimmt als eine Richtung weg von sich selbst, wie es ja in dem etwas altväterlichen deutschen Wort Ergriffensein schön zum Ausdruck kommt.“, in: J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 17. 176 In diesem Abschnitt wird mit Deeg und Plüss von einem dreiteiligen Erfahrungsbegriff ausgegangen: „Von einer Erfahrung sprechen wir dann, wenn ein intuitiv erfasstes, noch prärationales Erlebnis (1) interpretiert (2) und zum Ausdruck gebracht (3) wird […]. Erfahrungen sind somit gedeutete und in stimmiger Weise gestaltete Erlebnisse, wobei sich Darstellung und Deutung eng aufeinander beziehen und sich gegenseitig beeinflussen.“, in: D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 276; P L Ü S S , David, Religiöse Erfahrung zwischen Genesis und Performanz. Praktisch-theologische Erkundungsgänge, in: ZThK 105 (2008) 242-257. 3 Erfahrung In seinem viel beachteten Buch „Braucht der Mensch Religion? “ fragt der Ber‐ liner Soziologe und Sozialphilosoph Hans Joas (geb. 1948), ob „wir ohne die Erfahrung leben [können], die im Glauben, in der Religion artikuliert wird? “ 173 Joas ist überzeugt, dass es für die intellektuelle Durchdringung von Glauben und Religion nicht ausreicht, ausschließlich auf den gesellschaftlichen Nutzen und ihre Funktion abzuheben. Nach Joas verfügen religiöse wie areligiöse Menschen über einen gemeinsamen Pool von „Erfahrungen der Selbsttranszendenz“, auch wenn sie diese unterschiedlich deuten. Joas definiert Religion infolgedessen als ein spezifisches „Artikulationsmedium ergreifender Erfahrungen“ 174 , das Selbsttranszendenzerfahrungen deutet und ebenso darstellt. Im Kapitel über den Raum wurden „Erfahrungen der Selbsttranszendenz“ mit Erne und Joas bereits als Form der Selbstüberschreitung definiert, die von außen kommt und sich der unmittelbaren Verfügungsgewalt des bzw. der Einzelnen entzieht. 175 Ferner wollten wir ebendort wissen, welche architektonischen Formen (in Kirchen) Selbsttranszendenz begünstigen oder gar auslösen. Gehen wir nun einen Schritt weiter, indem wir uns vor diesem Hintergrund fragen, welche Erfahrungshori‐ zonte im literarischen Gottesdienst thematisiert werden und ob Joas’ Konzept der „Selbsttranszendenz“ den Austausch zwischen Literatur und Theologie vertiefen kann. 176 <?page no="268"?> 177 Was David Plüss in diesem Zusammenhang über die Darstellung der religiösen Erfah‐ rung bei William James sagt, lässt sich ebenso auf die liturgischen Erfahrungen in der Literatur übertragen: „Was uns in diesen Schilderungen religiöser Virtuosen vorliegt, sind keine unmittelbaren religiösen Erfahrungen, sondern literarische Formen, die einem bestimmten Darstellungsmodell, nämlich - in der Regel - dem des Bekehrungsbe‐ richts, entsprechen. Es handelt sich um kulturell vermittelte Textformen, derer sich die Genies des Glaubens bedienen.“, in: P L Ü S S , Religiöse Erfahrung zwischen Genesis und Performanz, 248 [Herv. im Original]; vgl. darüber hinaus die empirische Erhebung zum Erlebniswert von heutigen (evangelischen) Gottesdiensten von P O H L -P A T A L O N G , Uta, Gottesdienst erleben. Empirische Einsichten zum evangelischen Gottesdienst, Stuttgart 2011, hier bes. 95-210. 178 S T A D L E R , Salvatore, 66. 179 R O T T S C H Ä F E R , Heimat und Religiosität, 314. Rottschäfer greift hier vor allem auf Friedrich Schleiermacher zurück, vgl. ebd. 67-76. 180 G E R H A R D S , Das Wort, das zum Ereignis wird, 138. 3.1 Liturgie zwischen objektiver und subjektiver Erfahrung Literatinnen und Literaten entwickeln in ihren Texten unterschiedliche Strate‐ gien, um repulsiven Gottesdiensten zu entgehen. Als einigermaßen regelmäßige wie kritische Kirchgänger (Stadler, Ortheil, Handke, Lehnert) oder Beobachter und Beobachterinnen von außen (Morsbach, Ransmayr) wissen sie aus der Praxis nur allzu gut, wie oft Gottesdienstbesucher und -besucherinnen Litur‐ gien verlassen, ohne nennenswerte „Erfahrungen“ gemacht zu haben. 177 „Er verließ die Kirche ›erfüllt von dir nur, und von nichts begnügt‹, ernüchtert und euphorisch, verloren und gerettet, noch gescheiter und noch dümmer als je.“ 178 Salvatores Abkehr von der Liturgie zugunsten des Kinos begründet Nils Rottschäfer mit der fehlenden subjektiven Erfahrung: „Religion bedarf einer individuellen Erfahrung und Entscheidung im Subjekt, das sich seine Religion aus seiner Subjektivität heraus bildet, und kann nicht (vollständig) nach traditioneller Vorgabe übernommen werden.“ 179 Ein Blick auf den Text des Himmelfahrtsgottesdienst in „Salvatore“ zeigt, dass sich das Dilemma an der missglückten Auslegung des Evangeliums im Rahmen der Predigt entzündet. Der Priester ist nicht mehr in der Lage, die biblische Vorgabe so zu aktualisieren, dass die personale Dimension des Geschehens für Salvatore erfahrbar wäre. Mit Albert Gerhards lässt sich die Kritik Rottschäfers auf die Liturgiewissenschaft übertragen: „Denn das Wort will nicht (nur) im Sinn der klassischen Sakra‐ mententheologie ‚ex opere operato‘, sondern gerade auch ‚ex opere operantis‘ wirken, d. h.: Als persönlich bezeugtes und verbürgtes Wort wird es unter den Bedingungen vermittelt, die auch im zwischenmenschlichen Bereich für die glaubwürdige Mitteilung und vertrauensvolle Annahme gelten.“ 180 268 3 Erfahrung <?page no="269"?> 181 M O R S B A C H , Gottesdiener, 296 f [Herv. im Original]. Morsbach zitiert in dieser Passage Joh 16,32f. 182 M O R S B A C H , Gottesdiener, 109. 183 Vgl. dazu die konzise Analyse von G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, hier 96. Was Stadler in „Salvatore“ aus der Perspektive eines Gottesdienstbesuchers erzählt, greift Petra Morsbach („Gottesdiener“) aus dem Blickwinkel eines Priesters auf. Isidor Rattenhuber wird als sazerdotaler Priestertyp beschrieben, der sein liturgisches (Selbst-)Verständnis noch ganz aus der klassischen Sakramententheologie (Spender-Empfänger-Mechanik) der Messe speist. „Der Nebel hatte sich binnen Minuten aufgelöst, und Isidor spürte eine starke Sehn‐ sucht danach, unten in diesem Kircherl, das jetzt matt im Sonnenlicht schimmerte, eine heilige Messe zu lesen. Das war das einzige, was ihn immer tröstete und erhob. ‚Die Stunde kommt, und sie ist schon da, in der ihr versprengt werdet, jeder in sein Haus, und mich werdet ihr allein lassen. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.‘ - Das entsprach nicht der Art, wie Isidor sonst dachte, trotzdem - oder vielleicht deswegen - besaßen die Worte in ihrer magischen Unverständlichkeit noch immer die gleiche Macht über ihn. Seine Aufgabe war, sie im Amt des Herrn zu sprechen. Etwas anderes konnte er nicht. Und ohne das war sein Leben ohne Sinn.“ 181 Im Unterschied zu Stadlers „Salvatore“ hält Morsbach in ihrem Roman die Spannung zwischen institutionalisierter Kommunikation und persönlicher Er‐ fahrung aufrecht, auch wenn Rattenhuber einen hohen Preis dafür bezahlt. Die ausgeprägte Beziehungsunfähigkeit, sein Alkoholismus, die Scheu vor Konflikten mit der Obrigkeit etc. belegen zwar, wie sehr die persönlichen Lebensumstände und die hoch-gesteckten Ideale einer erfahrungsunabhängigen Liturgie auseinanderdriften, dennoch gelingt es ihm, seine Existenz als Priester und Seelsorger pflichtbewusst zusammenzuhalten. („Widersprüche heben das Ideal nicht auf “ 182 ). Paradoxerweise kann er sich gerade dann auf die Liturgie im Modus des „ex opere operato“ verlassen, wenn es ihm schlecht geht, er krank darniederliegt oder an sonst einem (psychischen) Gebrechen leidet. Das vorgegebene Ritual samt seiner festen Struktur befreit vom Druck, für Inhalt und Erfolg der Feier mit der eigenen Existenz einstehen zu müssen. Morsbach weiß durch ihre ausgedehnten Recherchen über die kirchlichen Entwicklungen seit dem Zweiten Vatikanum, dass der Hiat zwischen Liturgie und Leben, an dem Rattenhuber leidet, ebenso ideologische wie kirchenpolitische Züge trägt. 183 Wie sehr die Liturgiereform in einigen Kreisen bis heute polarisiert, kommt im Roman in der Figur des gescheiterten Professors Vogelsang zur Sprache. Nach 3.1 Liturgie zwischen objektiver und subjektiver Erfahrung 269 <?page no="270"?> 184 M O R S B A C H , Gottesdiener, 113. 185 M O R S B A C H , Gottesdiener, 113. 186 Vgl. G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 106. 187 Vgl. H A N D K E , Der Große Fall, 173-186. 188 H A N D K E , Der Große Fall, 178. sechzigjährigem hingebungsvollen Dienst bezeichnet er die Kirche als macht‐ gieriges „Verbrechersyndikat“ und verunsichert den bis dahin konzilstreuen Rattenhuber mit einem zwiespältigen Urteil über die Liturgiereform: „›Die Liturgiereform war eine Katastrophe! ‹ […] ›Das Lateinische besaß wenigstens noch irgendeine Magie! Im Deutschen aber merkt man gar zu schnell, was für eine dünne Suppe diese Texte sind! ‹“ 184 Rattenhuber verteidigt zwar die nachkonziliare Kirche und ihre reformierte Liturgie („Seit dem K-konzil hat sich vieles gebessert.“ 185 ), innerlich ist er dennoch gespalten. Brechen Debatten über „Emotionalität in der Kirche“ (Albert Gerhards) aus, wird im Rahmen von liturgischen Fragestellungen mitunter auf den Gegensatz von „objektiv“ und „subjektiv“ verwiesen. 186 In unserem Kontext ist damit die Frage verbunden, ob die Liturgie vom Erleben der Einzelnen abhängt. Peter Handke lässt in „Der Große Fall“ das Gegensatzpaar unmittelbar aufein‐ andertreffen. Während der eigentlichen Messe beharrt der Erzähler auf eine kultisch-traditionelle Feier. 187 Im Vordergrund steht der „objektive“ Vollzug, der Gottesdienstbesucher spielt für die Zelebration keine Rolle: „[…] recht auch, daß der Besucher für den Geistlichen nicht anwesend schien: als feiere der den Gottesdienst ganz für sich allein […].“ 188 Im anschließenden Agape- Mahl wird der Gottesdienst doch noch personal-kommunikativ aufgelöst. Was eben noch starr und stilisiert begangen wurde, setzt sich als herzliche Begegnung zwischen Priester und Erzähler fort. Wer in der Liturgie nur dem „Objektiven“ frönt, wird zum Ritualisten und umgekehrt: Wer sich nur mehr dem „subjektiven Empfinden“ hingibt, wird zum unverbindlichen Schwärmer. Auch Christian Lehnert kommt in seinen „Fliegende[n] Blätter[n] von Kult und Gebet“, wie der Untertitel des hier maßgeblichen Werkes („Der Gott in einer Nuß“) lautet, auf die Erfahrungsqualität im Gottesdienst zu sprechen. In seiner Doppelfunktion als Dichter und evangelischer Pfarrer fragt er: „Liegt also die Wahrheit des Gottesdienstes im eigenen Erleben? “ Nur wenige Zeilen später folgt einer (von mehreren) Antwortversuchen, der seine mäeutische Methode („poetisches Erkunden“) offenlegt: „Das Wesentliche geschieht außer‐ halb meiner Wahrnehmung - vielleicht wie eine Strahlung, die ich nicht spüre und die doch folgenreich ist (ein unscharfer Vergleich, gewiß, denn wie sich das, was da geschieht, nicht subjektiv fassen läßt, so auch nicht objektiv, 270 3 Erfahrung <?page no="271"?> 189 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 18 f. 190 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 20; vgl. darüber hinaus L E H N E R T - K E L L E R , „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“, hier bes. 19. 191 Vgl. u. a. G U A R D I N I , Romano, Liturgie und liturgische Bildung, Mainz - Paderborn 2 1992. 192 G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 96. 193 Vgl. G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 96 f. 194 Vgl. G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 98. als sei da ›etwas‹).“ 189 Um zu beschreiben, wie Liturgie zum Ereignis wird, verlässt er sich (ähnlich wie Joas) nicht auf rationale Begriffe oder dogmatische Prinzipien, vielmehr vertraut er nach dem Vorbild Johann Georg Hamanns (1730-1788) poetischen Bildern, Metaphern und eigenen Assoziationen: „Klares Benennen - eine irrige Erwartung.“ 190 Lehnert deutet zugleich an, dass sich das Gegensatzpaar „subjektiv und objektiv“ kaum eignet, um gottesdienstliches Geschehen ausreichend zu beschreiben. Die Rede vom „Primat des Objektiven vor dem Subjektiven“ geht im Be‐ reich der Liturgiewissenschaft auf Romano Guardini (1885-1968) zurück. 191 Am Beginn des 20. Jahrhunderts konnte er im Rahmen seines liturgischen Bildungsprogramms noch mit der Hinwendung zum „Objektiven“ auf die da‐ maligen Herausforderungen reagieren. Durch die historischen Erschütterungen im selben Jahrhundert wurde die Plausibilität des objektiv Vorgegebenen in Kirche und Gesellschaft jedoch mehr und mehr in Frage gestellt („Glaube und Leben haben sich entzweit“ 192 ). Gerhards arbeitete in mehreren Beiträgen heraus, dass die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums als Antwort auf den Verlust der Objektivität zu deuten ist. Mit der Aufwertung des Wortes gegenüber dem Symbolischen war die Hoffnung verbunden, den Hiat zwischen Glauben, Liturgie und Leben wieder schließen zu können. Um die Liturgie wieder näher an die Menschen zu rücken, waren Maßnahmen wie die Einführung der Muttersprache zwar historisch von größter Bedeutung. Insgesamt wurde nach Gerhards᾽ Einschätzung mit der Zurückdrängung des Symbolischen das Zusammenspiel von verbaler und nonverbaler Kommunikation jedoch unter‐ schätzt. 193 Infolgedessen kam es zu einer Polarisierung zwischen Reformern und Bewahrern, die sich in zwei extremen Positionen ausdrückte: die „kommuni‐ kativ-progressive“ und „kultisch-traditionalistische“ Position. 194 Wie problem‐ beladen diese Zuspitzung bis heute ist, zeigt sich im Bereich der liturgischen Trägerschaft. Während die erste Position die versammelte Gruppe/ Gemeinde als Subjekt der Liturgie betrachtet, wird von der zweiten die „überzeitliche Kirche“ absolut gesetzt. Woran es bei der Zuspitzung krankt, bringt Lehnert auf den Punkt: „Der liturgische Fundamentalismus in manchen katholischen Kreisen entspricht dem Bibelfundamentalismus bestimmter protestantischer 3.1 Liturgie zwischen objektiver und subjektiver Erfahrung 271 <?page no="272"?> 195 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß 19 f. 196 Vgl. G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 99 f. 197 G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 98; vgl. darüber hinaus D E R S ., Gottesdienst und Menschwerdung. Vom Subjekt liturgischer Feier, in: Mariano D E L G A D O - Andreas L O B - H Ü D E P O H L , Markierungen. Theologie in den Zeichen der Zeit, Berlin 1995, 275-291. 198 Vgl. dazu aus liturgietheologischer Sicht G E I G E R , Stefan, Der liturgische Vollzug als personal-liturgischer Erfahrungsraum. Liturgietheologische Erkundungen in den Di‐ mensionen von Personalität und Ekklesiologie (Theologie der Liturgie 16), Regensburg 2019, hier bes. 147-277. 199 Vgl. E R N E , Hybride Räume, hier bes. 119. Milieus. Diese Denkweisen kranken beide an derselben Fehlfunktion, wie alle Fundamentalismen: der eines mangelnden Gefühls für die Unverfügbarkeit Gottes, für das Nebeneinander seines Geschehens und seiner Entzogenheit.“ 195 Die Überbetonung der Objektivität geht nur allzu oft mit der Absolutsetzung einer konkreten historischen Erscheinungsform einher. Nicht von ungefähr weist Gerhards anhand von Priesterweihe und Krankensalbung nach, wie sehr sich liturgische Symbole und ihre theologische Deutung im Laufe der Geschichte verschoben haben. 196 Aus dem Gesagten zieht er die Konsequenz und stellt eine These auf, die für den Kontext dieser Arbeit von Bedeutung ist: „Der in den Extremen sich manifestierende Gegensatz von objektiv - subjektiv kann nur innerhalb eines im Personalen gründenden Liturgieverständnisses fruchtbar gemacht werden. Dies bedeutet die Abkehr von Objektivismus und Individualismus gleichermaßen.“ 197 3.2 Selbsttranszendenz als Glaubenserfahrung Kehren wir auf der Suche nach einem „personalen Liturgieverständnis“ wieder zurück zur Ausgangsfrage. 198 Nach Joas sind Erfahrungen der Selbsttranszen‐ denz nicht mit Glaubenserfahrungen gleichzusetzen, können aber eine „Brü‐ ckenfunktion“ übernehmen. Wie im Kapitel über den Raum dargestellt, werden Kirchen heute vermehrt als „Hybridräume der Transzendenz“ wahrgenommen. Menschen, die noch nicht mit der Liturgie in Berührung waren (oder nicht mehr sind), kommen in die Kirchen, um Selbsttranszendenzerfahrungen zu machen, die sie sonst höchstens aus Sportstadien, Museen oder Konzertsälen kennen. 199 Auch wenn solche Raumerfahrungen zum Repertoire literarischer Gottesdienste gehören („Romanische Bögen“), sucht das Gros der Protagonisten immer noch den direkten Kontakt mit der Liturgie. Um besser zu verstehen, wie in der Liturgie aus Selbsttranszendenz Glaubenserfahrungen werden, ist ein Blick auf das komplexe Zusammenspiel von Erfahrung, Deutung und Darstellung 272 3 Erfahrung <?page no="273"?> 200 Vgl. dazu D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 282 f. 201 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 23. 202 Vgl. J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 50-62. 203 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 25. 204 Vgl. J A M E S , William, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eilert Herms und Christian Stahlhut. Mit einem Vorwort von Peter Sloterdijk), Frankfurt a. M. 1997. Zur Bedeutung von James für die Liturgiewissenschaft vgl. wiederum D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 277-279 und P L Ü S S , Religiöse Erfahrung zwischen Genesis und Performanz. 205 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 25; vgl. zur „sakramentalen Erfahrung“ G E R H A R D S , Symbol - Ritus - Erfahrung, hier bes. 317 f. 206 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 283. nötig. 200 Zunächst betont Joas, dass bei starken emotionalen Erlebnissen Deu‐ tung und Erfahrung mitunter zusammenfallen. „Wir können die Erfahrung einer (subjektiven) ‚Offenbarung‘ machen, wenn es uns plötzlich gelingt, das lösende Wort zu finden, das aus dem Gefühl einer Kluft, im schon Gesagten erst eine bestimmte Erfahrung macht.“ 201 Auch wenn für Außenstehende ein Unterschied zwischen Deutung und Erfahrung erkennbar ist, gilt das nicht zwingend für den Erlebenden selbst. Darüber hinaus sieht er „Sprachen, Kulturen und Religionen als reichhaltige Repertoires für die Artikulation von Erfahrung“ an und weist darauf hin, dass religiöse Deutungsmuster ihrerseits bereits mit unzähligen Erfahrungen gesättigt sind. Daraus folgt, dass unsere Deutungen ebenso mit konkreten Erfahrungen oder Erwartungen durchsetzt sind. 202 Als letzten und wichtigsten Punkt streicht der Soziologe heraus, dass Religion unter gewissen Umständen selbst zur Voraussetzung wird, um überhaupt religiöse Erfahrungen zu machen. Die Abfolge von Erfahrung, Deutung und Darstellung kann aber ebenso in umgekehrter Reihenfolge erfolgen: „Eine Bereitschaft zu glauben ermöglicht dann überhaupt erst bestimmte Erfahrungen“, wie er anhand von Gebet und Eucharistiefeier erläutert. Während er das Gebet im Anschluss an William James für eine religiöse Deutung einer allgemein zugänglichen Erfahrung des Alltäglichen hält („Beten […] setzt ein Handeln fort, das jeder Mensch ohnehin beherrscht.“ 203 ), verhält es sich mit der „sakramentalen Er‐ fahrung“ genau umgekehrt. 204 Die Messe verfügt zwar ebenso über Bezüge zum Alltag (Brot und Wein, gemeinsames Mahl etc.), wird aber nur dann zur „sakramentalen“ Erfahrung im eigentlichen Sinn, „wenn ein Glaubenswissen über den Sinn dieses Rituals vorliegt.“ 205 Ohne sakramentale Deutung der Messe könnte die transzendentale Erfahrung nicht gemacht werden. Für Deeg und Plüss ist Joas’ Konzept für die Gottesdiensttheorie anschlussfähig, weil er Religionen als „Artikulationsschulen für bestimmte, basale Erfahrungen, die ohne jene nicht gemacht werden könnten“ 206 beschreibt. Gottesdiensten 3.2 Selbsttranszendenz als Glaubenserfahrung 273 <?page no="274"?> 207 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 26. 208 Vgl. J O A S , Die Macht des Heiligen, hier bes. 61-163 und D E R S ., Im Bannkreis der Freiheit, Religionstheorie nach Hegel und Nietzsche, Berlin 2020, hier bes. 99-125. 209 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 26. 210 Vgl. darüber hinaus G E I G E R , Der liturgische Vollzug als personal-liturgischer Erfah‐ rungsraum, 333-377. 211 Die Präfation von der „allerheiligsten Dreifaltigkeit“ wurde in der lateinischen Liturgie bis zur Liturgiereform des Zweiten Vatikanums als Präfation für die Sonntage ver‐ wendet. Vgl. Die Feier der Heiligen Messe, 251 f; vgl. ferner G E R H A R D S , Albert, Die Präfationen, in: Reinhard M E ẞ N E R - Eduard N A G E L - Rudolf P A C I K , (Hgg.), Bewahren und Erneuern. Studien zur Messliturgie (FS Hans Bernhard Meyer SJ), Innsbruck - Wien 1995, 202-218. kommt dabei eine zentrale Funktion zu, weil die Gläubigen dort nonverbale Kommunikationsformen einüben, um sich für Erfahrungen der (Selbst-)Trans‐ zendenz zu rüsten. „Sie enthalten ein Wissen gewissermaßen körperlicher Art, wie wir uns bereit machen können zu solchen Erfahrungen - durch Askesetechniken etwa, durch den Einsatz körperlicher Haltung wie des Kniens zum Beispiel, durch gemeinsames Singen und Musik.“ 207 Es gehört zu den Charakteristiken des literarischen Gottesdienstes, dass er gerade auf die Ein‐ übung des „körperlichen Wissens“ ein besonderes Augenmerk legt. Joas und die hier analysierten Texte der Literaten liefern anschauliche Argumente, dass die liturgische Praxis diesem Bereich ausreichend Aufmerksamkeit schenken sollte, weil dadurch Erfahrungen und/ oder ihre Deutung erst ermöglicht werden. Joas schlägt sich mit seiner Religionstheorie in der Tradition („Wende zur Erfahrung“) von Friedrich Schleiermacher, William James und Rudolf Otto auf die Seite der Erfahrung, ist sich aber ebenso der Gefahr des Subjektivismus („Bricolage- oder Patchworkreligion“) bewusst. 208 Um ihm zu entgehen, ruft Joas neben dem körperlichen Wissen ebenso das Glaubenswissen in Erinnerung, welches „anleitet, die Zentrierung unserer Erfahrung auf uns selbst tatsächlich zu überwinden.“ 209 Viele Erfahrungen wiederum, die in die hier vorgestellte Literatur eingegangen sind, wären ohne das teils ausgeprägte Glaubenswissen der Autoren wie Handke, Stadler oder Ortheil über Sakramente etc. nicht möglich, und dies zeigt einmal mehr, wie komplex das Zusammenwirken von Erfahrung, Deutung und Darstellung abläuft. Wie oben ausgeführt, plädiert Gerhards für einen „personalen“ Zugang zur Liturgie, um eine unausgewogene Gegenüberstellung von „objektivem“ und „subjektivem“ Liturgieverständnis zu vermeiden. 210 Was er unter „personal“ ver‐ steht, exemplifiziert er anhand liturgischer Gebete des Messbuchs und nennt zu‐ nächst als abschreckendes Beispiel die Präfation des Dreifaltigkeitssonntags, 211 weil ihre Sprache dogmatisch „abstrakt“ und „spekulativ“ ist, auch mangelt es 274 3 Erfahrung <?page no="275"?> 212 G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 102 f. 213 Vgl. Die Feier der Heiligen Messe, 501-510; vgl. dazu u. a. E B E N B A U E R , Peter, Der Canon Romanus und die neuen Hochgebete. Problemanzeige und Perspektiven in spätmoderner Zeit, in: Stephan W A H L E - Helmut H O P I N G - Winfried H A U N E R L A N D (Hgg.), Römische Messe und Liturgie in der Moderne, Freiburg i. Br. 2013, 396-418. 214 Vgl. Die Feier der Heiligen Messe, 412 f; vgl. zur Entstehung der Präfationen K Ü P P E R S , Kurt, Wie neu sind die „neuen“ Präfationen im Missale Romanum 1970 und im Deutschen Meßbuch 1974? , in: LJ 36 (1986) 75-91. 215 G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 103. 216 „Der Mensch ist niemals bloßes Objekt etwa der Verkündigung, der Belehrung, der Erbauung oder der Spendung von Heilsgnade, sondern Mitwirkender. Theologisch begründet ist dies in der Würde des Taufpriestertums“, in: G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 104. 217 G E R H A R D S , Emotionalität in der Kirche, 106. 218 Vgl. J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 28f. ihr an „biblischen Sprachformen und Bilder[n]“ 212 , von denen sich Menschen als Subjekte des Glaubens adressiert fühlen könnten. Positiv streicht Gerhards hin‐ gegen das im Rahmen der jüngsten Liturgiereform nach orientalischem Vorbild geschaffene vierte Hochgebet 213 sowie die ebenso neu erstellte Präfation VIII 214 (über die Trinität) heraus. Im Unterschied zur Dreifaltigkeitspräfation sprechen diese Gebete konkret, unmittelbar und mit biblisch-narrativer Terminologie über Gottes Heilswirken: „Gott erscheint hier nicht mehr ausschließlich als der unbewegt Seiende, sondern mehr als der Handelnde und immer schon dem Menschen Zugewandte in Schöpfung, Wortoffenbarung und Erlösung.“ 215 Um die Heilsgeschichte zu vergegenwärtigen, kommt als „Sprachform“ eines perso‐ nalen Liturgieverständnisses nur ein „anamnetisches“ Sprechen und Beten in Frage. Damit sich heutige Menschen in der Liturgie angesprochen fühlen, gehört es zu den zentralen Aufgaben der Liturgiewissenschaft, liturgische Texte und ihre rituelle Darstellung im Gottesdienst so zu erschließen, dass die individuelle Heilszuwendung Gottes an den Menschen erfahrbar werden kann, ohne einem subjektiven Exklusivismus das Wort zu reden. 216 Als Teil seiner abschließenden „Verhältnisbestimmung“ zwischen „objektiv und subjektiv“ formuliert Gerhards eine These, mit der sich eine Brücke zu Joas’ schlagen lässt: „Die Befindlich‐ keit der konkreten Menschen ist nicht bloß dispositiv, sondern konstitutiv. Dies impliziert z. B. das Wahr- und Ernstnehmen der Lebensgeschichte der einzelnen Menschen mit ihren Begrenzungen und Leiden.“ 217 Joas steht einem Christentum, das sich mit Hilfe von deduktiv gewonnen Glaubenssätze, theolo‐ gischen Prinzipien oder philosophischen Theorien (z.-B. Theodizee) legitimiert und auf diesem Weg versucht, „Glaubensinhalte“ weiterzugeben, naturgemäß skeptisch gegenüber. 218 3.2 Selbsttranszendenz als Glaubenserfahrung 275 <?page no="276"?> 219 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 284. 220 Vgl. J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 18f. 221 T I L L I C H , Systematische Theologie, 76. Hier zitiert nach J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 22. 222 Joas selbst spricht (vermutlich) irrtümlich von der 6. Strophe. Vgl. J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 29. Das Original von Paul Gerhardt verfügt - wie der dahinterste‐ hende lateinische Hymnus „Salve, caput cruentatum“ über insgesamt 10 Strophen. Während das Evangelische Gesangbuch (Nr. 85) alle Strophen abdruckt, verzichtet das katholische Gotteslob (Nr.-289) auf die Strophen 5 und 7. 223 Die Melodie des Liedes stammt von einer - ursprünglich weltlichen - Melodie von Hans Leo Haßler (1564-1612). „Erfahrungen der Selbsttranszendenz verortet Joas nicht in einem holistisch ge‐ schlossenen Kosmos, sondern in einer durch tragische Ereignisse und eine Vielfalt widerstreitender Werte sich auszeichnenden Welt, in der das Individuum immer wieder dazu herausgefordert wird, seine komplexen Weltbezüge als Erfahrungen der Selbsttranszendenz wahrzunehmen, kritisch zu reflektieren und in stimmiger Weise zur Darstellung zu bringen.“ 219 Selbsttranszendenzerfahrungen, das muss an dieser Stelle ergänzt werden, macht der Menschen nicht nur in Momenten des Glücks (Natur, Liebe und Verliebt-Sein, Sexualität, vertrauensvolle Gespräche, Akte der Nächstenliebe, Ekstasen etc.). Joas erinnert mit Rudolf Otto und Paul Tillich daran, dass existentielle Leiden und Ängste ebenso Selbstüberschreitungen auslösen, die eng mit dem Glauben verknüpft sind. 220 „Nur wer die Erschütterung der Vergänglichkeit erfahren hat, die Angst, in der er seiner Endlichkeit gewahr wurde, die Drohung des Nichtseins, kann verstehen, was der Gottesgedanke meint. Nur wer die tragische Zweideutigkeit unserer geschichtli‐ chen Existenz erfahren und den Sinn des Daseins völlig in Frage gestellt hat, kann begreifen, was das Symbol des Reiches Gottes aussagen will.“ 221 Religiösen Trost und transzendente Hilfe erfährt der Mensch auch nach Tillich nicht mit Hilfe abstrakter Ideen, sondern in der Artikulation und Übernahme von Erfahrung. In der Entäußerung Christi am Kreuz erweist sich das Chris‐ tentum in den Augen von Joas als Religion der „Compassion“ schlechthin, wie er anhand der 9. Strophe des bekannten Passionslieds „O Haupt voll Blut und Wunden“ (1696) näher erläutert. 222 Der Choral stammt aus der Feder des evangelisch-lutherischen Dichters und Geistlichen Paul Gerhardt (1607- 1676). Der Text geht wiederum auf den mittelalterlichen Hymnus „Salve, caput cruentatum“ (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) zurück. 223 Mit der Erweiterung der fünfzeiligen lateinischen auf achtzeilige deutsche Strophen (siehe Synopse) verstärkt Gerhardt die bereits im mittelalterlichen Text ausgeprägte Anschau‐ 276 3 Erfahrung <?page no="277"?> 224 Vgl. zu Entstehung und Interpretation des Liedes von Paul Gerhardt (1696) F R A N Z , Ansgar, O Haupt voll Blut und Wunden, in: Hansjakob B E C K E R u.-a. (Hgg.), Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2009, 275-290; P L U M , Anne- Madeleine, Adoratio crucis in Ritus und Gesang. Die Verehrung des Kreuzes in liturgischer Feier und in zehn exemplarischen Passionsliedern (PiLi 17), Tübingen - Basel 2006, 239-257. 225 Vgl. zu Entstehung und Interpretation des Liedes von Arnulf von Löwen (13. Jhdt) S T O C K , Alex, Lateinische Hymnen, Berlin 2 2013, 129-145. 226 S T O C K , Lateinische Hymnen, 130-132. 227 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 30. 228 Nur am Rande sei hier erwähnt, dass der hinter dem Choral stehende Hymnus „Salve, caput cruentatum“ wegen seines „privatfrommen Charakters“ nie in die offizielle Liturgie aufgenommen wurde, während der Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ lichkeit durch weitere Bildfelder, damit sich der Beter bzw. die Beterin innerlich in die Szene „versenken“ kann. O-Haupt-voll-Blut-und- Wunden 224 Salve, caput cruentatum 225 Übersetzung-des-lateini‐ schen Hymnus’ von Alex Stock 226 9. Strophe Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir; wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten Kraft deiner Angst und Pein! - Dum mori est necesse, noli mihi tunc deesse. In tremenda mortis hora veni, Iesus, absque mora, tuere me libera. - Wenn ich dann sterben muß, lasse mich nicht allein, zur Stunde der Todes‐ angst komm, Jesus, zögere nicht, schütz’ und befreie mich. Für Joas liegt die Pointe in den vier letzten Zeilen der 9. Strophe, weil sich dort die Lebensgeschichte des betenden Ich (Sterbestunde) mit der biblischen Heilgeschichte (Sterbestunde Christi) verschränkt. „Der Glaube erlaubt es mir, meiner Erfahrung der Angst Worte zu verleihen und immer wieder neu die Erfahrung eines Aufgefangenwerdens in der göttlichen Liebe zu machen.“ 227 Dass Joas für die Erläuterung seines Konzepts ausgerechnet auf ein so ausge‐ prägtes Beispiel erfahrungsbezogener Frömmigkeit zurückgreift, mag nach dem oben Gesagten kaum verwundern. 228 Um das Wechselspiel zwischen Lebens- 3.2 Selbsttranszendenz als Glaubenserfahrung 277 <?page no="278"?> konfessionsübergreifend zum bekanntesten Passionslied wurde. Vgl. dazu S T O C K , La‐ teinische Hymnen, 133. 229 Vgl. dazu B ÖH L E R , Dieter, Psalm 22, in: D E R S ., Psalmen 1-50 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2021, 381-422. 230 „Für den Gläubigen aber bietet der Psalm eine Möglichkeit, Gott sogar die Zweifel mit‐ zuteilen und Hilfe von Gott für den Wiederaufbau eines erschütterten Gottvertrauens zu erflehen. Für den Gläubigen heißt dies, daß Gott uns nicht blinden Gehorsam und stetiges stummes Einverständnis abverlangt.“, in: J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 30. 231 Die eigentliche Erhörung der Bitte um Rettung wird in der aktuellen deutschen Übersetzung (EÜ 2016) mit „Rette mich vor dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der Büffel! - Du hast mir Antwort gegeben.“ (Ps 22,22) wiedergegeben. Vgl. auch B ÖH L E R , Psalm 22. 232 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 31. und Heilsgeschichte noch weiter zu vertiefen, greift der Soziologe neben dem Lied auf Psalm 22 zurück, den er zugleich als hermeneutischen Schlüssel für „O Haupt voll Blut und Wunden“ heranzieht. 229 Der Beter des Psalms (ebenso ein Ich, das sich vertrauensvoll an ein göttliches Du wendet) bringt seine ausweglose Situation nicht nur in Form von Feindklagen (V. 2-3; 7-9; 13-19) vor Gott, vielmehr klagt er gleich am Beginn Gott selbst an, weil er sich von ihm verlassen fühlt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage? “ (V.2) Dass der Beter seine Gottverlassenheit überhaupt zum Thema seines Gebets machen kann, ist für Joas ein weiterer Beleg, dass sich der Glaube zuerst als Artikulationsmedium ergreifender Erfahrung manifestiert. 230 Neben der Klage gehört - so belegt Psalm 22 weiter - auch die Bitte um Rettung (V.22) und dann endlich der Umschwung in Dank und Lobpreis zu den entscheidenden Erfahrungen. 231 Christen und Christinnen - und damit wäre auch die Eingangsfrage beantwortet - „können ohne die Erfahrung, allen Jubel, alle Sorge und selbst alle Zweifel darbringen zu können und dabei einer Hilfe teilhaftig zu werden, auch wenn diese nicht immer ihren ursprünglichen Vorstellungen entspricht, nicht leben. […] Und sie [die Gläubigen, AB] bieten den Nicht-Gläubigen an, für sich selbst dieselbe Entdeckung zu machen.“ 232 Versteht man Religion mit Hans Joas als „Artikulationsmedium ergreifender Erfahrung“ bleibt das nicht ohne Folgen für den Gottesdienst. In der Liturgie muss es nicht nur die Möglichkeit geben, religiöse Erfahrungen zu machen, sie ist zugleich ein Ort, um (außerhalb) gemachte Erfahrung zu deuten. Wirft man einen Blick auf die literarischen Texte, ist als erstes Fazit festzuhalten, dass ihr Schwerpunkt auf dem Deutungsgeschehen bereits gemachter Erfah‐ rungen liegt. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, dass Liturgen um den 278 3 Erfahrung <?page no="279"?> 233 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 284. 234 Vgl. H A R T L , „Und unter tausend heißen Tränen fühlt ich mir eine Welt entstehen“. 235 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 29. 236 Zwei Beiträge waren für den Schlussteil dieses Abschnitts zentral: H Ä U ẞ L I N G , Angelus Albert, Gemeinschaft aus Identität und Erfahrung. Über eine notwendige Vorausset‐ zung des Gebetes in der Liturgie, in: D E R S ., Christliche Identität aus der Liturgie. Theologische und historische Studien zum Gottesdienst der Kirche (LQF 79), hg. von Martin K L Ö C K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 1997, 334-344 und M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, hier bes. 340-343. erfahrungsbedingten Zusammenhang von Deutung und Darstellung wissen. Zu ihren Aufgaben gehört es, Erfahrungen der Selbsttranszendenz mit den Mustern und Möglichkeiten der Liturgie im Licht des Evangeliums zu deuten. Mit dem Fokus auf Erfahrungen, die Gläubigen wie Nichtgläubigen gemein sind, bietet Joas eine Brücke zur außerliturgischen Lebenswelt der Menschen. „Liturgische Artikulation hinkt den genannten Erfahrungen nicht nach, sondern kann diese auch erstmals ans Licht bringen, das erlösende Wort oder die erhellende Geste vermitteln, ohne die sie dunkel und diffus blieben.“ 233 Zugleich erinnert Joas mit seinem erfahrungsaffinen Zugang zur Religion daran, dass in der Liturgie selbst starke existentielle Erfahrungen des Leidens, Sterbens, Auferstehens etc. zur Darstellung gebracht werden: In bürgerlich saturierten Gottesdiensten der westlichen Welt kommt diese Dimension oft wenig zur Geltung. Ferner wird in Forschung und Praxis in diesem Kontext ebenso oft übersehen, dass Gottesdienste außerhalb der westlichen Welt oft von einer charismatischen Dynamik geprägt werden, die ohne starke Erfahrungselemente nicht auskommt. 234 3.3 Erfahrungen ermöglichen und deuten Fassen wir am Ende dieses Abschnitts das oben Gesagte mit einer Frage von Joas nochmals pointiert zusammen: „Warum soll uns, wenn wir Todesangst leiden, eigentlich die Erinnerung an die Todesangst eines anderen trösten? Warum sollte unsere Angst dadurch geringer werden? “ 235 Oder im liturgischen Kontext etwas präziser formuliert: Wie kann der Mensch in der Liturgie Hilfe und Trost erfahren, wenn sie bloß Vergangenes in Erinnerung ruft? 236 Ein erster Antwort‐ versuch klingt zunächst simpel wie einleuchtend: Der betende und feiernde Mensch übernimmt in der Liturgie die Rollen der biblischen Figuren, in deren Lebensgeschick sich universale Muster und Verhaltensweisen spiegeln, die trotz der historischen Differenz bis heute wenig an Aktualität eingebüßt haben. Er kann sich mit Hilfe einer „Rollenübernahme“ in der Bibel wiederfinden, wie 3.3 Erfahrungen ermöglichen und deuten 279 <?page no="280"?> 237 H A N D K E , Langsam im Schatten, 123f. 238 H Ä U ẞ L I N G , Angelus Albert, Liturgie: Gedächtnis eines Vergangenen und doch Befreiung in der Gegenwart [zuerst 1991], in: D E R S ., Christliche Identität aus der Liturgie. Theologische und historische Studien zum Gottesdienst der Kirche (LQF 79), hg. von Martin K L Ö C K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N -Michael B. M E R Z , Münster 1997, Peter Handke in einer seiner zahlreichen Notizen mit Bibelbezug auf die ihm eigene Art bestätigt und zugleich das Konzept von Joas nochmals literarisch umspielt. „Seiner Form, seines Rhythmus, seines Tonfalls nach: ein Buch aus der Nacht der Zeiten. Das trifft zu, und zugleich kann der Leser unserer Tage, der von heute, in der Bibel, Buch für Buch, seine eigene Geschichte lesen, wie in keinem anderen Buch: er kann sie da entdecken, dann sie verstehen, dann sich ihr stellen. Der Leser ist der tragikomische Held aller der biblischen Geschichten; nicht bloß der Geschichten, sondern auch der Liebesgedichte, wie im Hohenlied, und der Hilferufe, wie immer wieder in den Psalmen. Du, Leser, hast den ersten Farbenaugenblick gelebt in Eden, und du wirst jene schwarzen und schwärzeren letzten Momente erleben, dein Mund voll Essig (und Ärgerem), wo du aufschreien wirst mit der Frage, warum dein sozusagen allmächtiger Vater dich verlassen hat. Deswegen ist die Bibel für den Leser ein entsetzliches, gefährliches Buch: er ist gezwungen, zu sehen, wie es, in der Tiefe mit ihm steht, dem Sterblichen. Verlorener Sohn, der sich in Sicherheit fühlt, weil ihm der Vater für einmal verziehen hat - ihm sogar ein Fest bereitet hat. Aber danach, auf dem Kreuz, wo ist er, mein Vater und sein versprochenes Fest? Die Bibel kann in ihrem Leser das äußerste Grauen erwecken: ah, dieser Verrückte, der sich für Gott hält, unsterblich; dieser Wehleidige, welcher in den Bedrängnissen sich vor seinen Widersachern brüstet mit der Allmacht seines Vaters, und daß der ihm gleich zur Hilfe kommen wird; dieser sogenannte Gottessohn, der krepiert unter Geheul wie ein herrenloser Hund - das alles, das bin ich selber, ich, der das liest. Du, der heutigen Tages die Bibel liest: Achtung, Todesgefahr! Oder Lebensgefahr? Beseelende Gefahr? Begeisternde Gefahr, seit jener Nacht der Zeiten? Heilsame Gefahr? Heilsgefahr? “ 237 „Entdecken - verstehen - sich stellen“ lautet der Dreischritt von Handkes biblisch motivierter Selbstbegegnung. Ob damit auch (im Rahmen der Liturgie) eine Gottesbegegnung verbunden ist, bleibt bei Handke - wie an anderen Stellen mit religiösem Bezug - offen. Und dennoch bringt er eindrucksvoll zum Ausdruck, dass die Rollenübernahme mit weitreichenden Konsequenzen verbunden ist, die selbst vor der Identifikation mit der Rolle Jesu nicht zurück‐ schreckt. Was Handke poetisch beschreibt, bezeichnet die Liturgiewissenschaft mit Blick auf das liturgische Gebet als literarisches Stilmittel der anamnetischen „Rollenidentifikation“ 238 (Angelus Häußling). Anamnese meint hier in Sprache 280 3 Erfahrung <?page no="281"?> 2-10, hier 6; D E R S ., Gemeinschaft aus Identität und Erfahrung; D E R S ., Die Psalmen des Alten Testamentes in der Liturgie des Neuen Bundes, in: Klemens R I C H T E R - Benedikt K R A N E M A N N (Hgg.), Christologie der Liturgie. Der Gottesdienst der Kirche - Christusbekenntnis und Sinaibund (QD 159), Freiburg i.Br. u. a. 1995, 87-102. Dazu wiederum erläuternd M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 341 und G Ü N T N E R , Diana, Das Gedenken des Erhöhten im Neuen Testament. Zur ekklesialen Bedeutung des Gedenkens am Modell des Psalms 110 (BBSt 6), München 1998. 239 M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 342. Meßner erläutert Häußling und führt seinen Ansatz noch weiter aus. 240 M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 342. 241 Vgl. H Ä U ẞ L I N G , Gedächtnis eines Vergangenen und doch Befreiung in der Gegenwart, 8 f. 242 M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 342. 243 M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 343; vgl. erläuternd H Ä U ẞ L I N G , Angelus Albert, Die Bibel in der Liturgie der Tagzeiten, in: D E R S ., Tagzeitenliturgie in Geschichte geronnene und damit präsente Vergangenheit. Der Beter und die Beterin von heute kann sich die alten biblischen Formen aufgrund „je gleicher, dem Text vorauslaufender Erfahrung“ 239 zu eigen machen. Reinhard Meßner präzisiert Häußlings Konzept noch weiter, indem er mit Blick auf das frühmonastische Psalmengebet ( Johannes Cassian) ergänzt: „Durch ständige Meditation des Psalmwortes, also durch sein beständiges, geduldiges Im-Mund-Führen, werden die Affekte des Beters den im Psalm sozusagen gespeicherten Affekten ange‐ glichen, geschieht eine affektive Identifikation des heutigen Beters mit dem Psalmisten (die ‚Identität vorausgehender Erfahrung‘).“ 240 Ziel des liturgischen Betens kann es nicht sein, nur die eigenen Affekte in den vorgegebenen Rollen wiederzufinden oder sich die je eigene Emotion bestätigen zu lassen. Ginge es nur darum, würde das Gebet zur reinen „Selbstexplikation“ verkommen. Häußling warnt aus diesem Grund auch vor einer Bevorzugung des „privaten“ gegenüber dem „liturgischen“ Gebet, auch wenn das private mitunter als erfahrungsgesättigter und damit authentischer gilt als das liturgische. 241 Ein ganz elementarer Zweischritt, bei Häußling und Meßner anhand der Struktur der Tagzeitenliturgie ansichtig gemacht, beugt in der Liturgie einer bloßen Selbstbespiegelung vor: Auf Psalm folgt Gebet - „Wort Gottes als Anrede an den Menschen und Gebet als dessen Antwort.“ 242 Am Beginn steht immer die Anrede Gottes und darauf folgt das persönliche Gebet als Antwort. Teil dieser Antwort ist die von den Literaten so geschätzte Stille im Sinn einer Reaktion auf den äußeren Impuls. In diesen Phasen hat auch die Selbstexplikation ihren eigentlichen Ort. „Im vorgeformten Gebet wird die kanonische Geschichte als das Urbild heil erfahrener Geschichte ausgesprochen; im stillen Gebet könnte die je ganz persönliche Lebensgeschichte und Lebenserfahrung in die große, kanonische Heilsgeschichte hineingeborgen werden.“ 243 Aus diesem Grund 3.3 Erfahrungen ermöglichen und deuten 281 <?page no="282"?> und Gegenwart. Historische und theologische Studien (LQF 100), hg. von Martin K L Ö C K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 2012, 91-110. 244 Vgl. M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 343. 245 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 284. 246 F U N K E , Dieter, Der halbierte Gott. Die Folgen der Spaltung und die Sehnsucht nach Ganzheit, München 1993, 103. 247 M E ẞ N E R , Christliche Identität aus der Liturgie, 338. kritisiert Meßner auch das faktische Verschwinden des stillen Gebets aus der Liturgie, weil dadurch die Frömmigkeit des bzw. der Einzelnen und der Liturgie weit auseinandergedriftet sind. 244 Als Soziologe ist Joas ein Verbündeter, weil er darauf aufmerksam macht, dass die entscheidenden Erfahrungen nicht aus dem Menschen selbst kommen, „sondern dass sie ihm widerfahren, über ihn hinaus- und darauf hinweisen, dass er sich von einem Anderen oder, in der Terminologie Martin Bubers, von einem transzendenten Du her empfängt und sich an diesem orientiert.“ 245 Die Mehrheit der hier besprochenen Literaten schickt ihre Protagonisten in die Liturgie, um sich ein Wort sagen zu lassen, das sie sich selbst nicht sagen können. Ob die Antwort auf das gegebene Wort religiös ist, bleibt meist offen. Sicher ist jedoch, dass es in den liturgischen Szenen in den meisten Fällen zu einer authentischen Selbstbegegnung kommt. Welche Bedeutung ihr im Rahmen des liturgischen Geschehens zukommt, betont Dieter Funke. Nach ihm „ist die viel beklagte Symbolunfähigkeit des modernen Menschen kein Vermittlungs‐ problem, sie ist nicht in den Ritualen und Symbolen als solchen begründet in der Weise, daß diese keine passenden Bilder und Szenen mehr darstellen, die der Mensch heute nicht mehr verstehen könne, sondern hat ihre Ursache in einem Mangel an Selbstbegegnung.“ 246 Damit der Gottesdienst zur Begegnung wird, bietet uns die Literatur anschau‐ liche Beispiele, die vielleicht mit dem Terminus „objektive Erfahrung“ zusam‐ mengefasst werden können. Während Albert Gerhards in seiner Verhältnisbe‐ stimmung von „objektiv und subjektiv“ den Ausgangspunkt der Liturgie bei der „Befindlichkeit der konkreten Menschen“ ansetzt, versuchen Angelus A. Häußling und Reinhard Meßner umgekehrt vom tradierten Gottesdienst her nach dem heutigen Menschen(bild) zu fragen: „wer er ist, wie er zum Glauben kommt, wie er Glauben lebt […].“ 247 Die Literatur kann uns erste Hinweise liefern, dass beide Zugänge nötig sind, um dem gottesdienstlichen Geschehen heute gerecht zu werden. Einerseits zeigen sie uns, mit welchen Erwartungen, Nöten und Ängsten Menschen in die Gotteshäuser strömen und Liturgie feiern, anderseits werden sie auch nicht müde zu betonen, dass sie ebenso von der 282 3 Erfahrung <?page no="283"?> 248 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 158 [Herv. im Original]. vorgegebenen Struktur, den Texten und Gebeten geformt, geprägt und verändert werden. Zum Schluss dieses Kapitels soll mit den Worten Christian Lehnerts die Literatur das letzte Wort haben. Er fasst mit protestantischer Nüchternheit und poetischem Scharfsinn das Thema aus seiner Sicht zusammen und betont, dass die Liturgie letztlich vom Zwang befreien will, Erfahrungen machen zu müssen. „Die Liturgie ist ja nicht selbst religiöse Erfahrung, und sie erhebt auch nicht den Anspruch, diese nach Art einer Technik erzeugen zu können. Sie bildet auch nicht, im Sinne einer Mimesis oder einer darstellenden Anverwandlung, spirituelle Innenwelten oder etwaige hereinbrechende Geistwirkungen ab. Trance und Ekstase, Zungenrede und Wunder sind kein immanenter Bestandteil der Liturgie (anders etwa als im Woodo oder im Candomblé). Der Kult im Christentum ist ein Gedächtnis, mithin nur ein Gefäß, in dem sich religiöse Erfahrung ereignen kann. Die Liturgie deutet Pfade an, auf denen - mit Berufung auf die Zeugnisse früherer Wanderer - vermutlich ›etwas‹ erreicht werden kann. Besser: Sie deutet die Weglosigkeit einer Wanderung ins Offene an, wo jeder selbst seinen Weg erkennen muß.“ 248 3.3 Erfahrungen ermöglichen und deuten 283 <?page no="285"?> 249 B R A K M A N N , Heinzgerd, Muster bewegter Liturgie in kirchlicher Tradition, in: Wolfgang M E U R E R (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst, Mainz 1989, 25-51, hier 25. 250 Vgl. O R T H E I L - O R T H , „Durchdringung der Welt von innen her“; H A N D K E - K E R B L E R , … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen. 251 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 88f. 252 G O T T W A L D , Christoph Ransmayrs Werk, 263. 253 Vgl. u. a. aus soziologischer Perspektive, R O S A , Hartmut, Beschleunigung. Die Verände‐ rung der Zeitstrukturen in der Moderne, Berlin 2017 und aus theologischer Perspektive K L Ä D E N , Tobias - S C H Üẞ L E R , Michael (Hgg.), Zu schnell für Gott? Theologische Kon‐ troversen zu Beschleunigung und Resonanz (QD 286), Freiburg i. Br. u.-a. 2017. 254 K O C K , Die Andacht der Aufmerksamkeit, 649 [Herv. gelöscht]. „Um Christ zu werden, muß man sich bewegen, das Alte, Gewohnte hinter sich lassen.“ 249 4 Körper Auf der Suche nach weiteren Berührungspunkten zwischen den hier vorge‐ stellten Romanen stoßen wir auf eine Fortbewegungsart, die sich beinahe durch alle Texte zieht. Stellvertretend bringt Ransmayr in den „Geständnissen eines Touristen“ seine Vorliebe für das Gehen auf den Punkt, die er ebenso mit Handke, Ortheil und stellenweise auch mit Stadler teilt: 250 „Das Gehen ist die Fortbewegung, die mir am ehesten entspricht. Dabei bin ich kein Entdecker und schon gar kein Eroberer. Vermessen und kartographiert ist so gut wie alles, aber weitgehend unbekannt ist immer noch, was sich in einem selber auftut, wenn man durch eine ungeheure, übermächtige Landschaft geht. Ich kenne keine Fortbewegungsart, die dem Denken, dem Sprechen und schließlich auch Schreiben gemäßer wäre als das Gehen. Denn zum Fußweg gehört auch der langsame, allmähliche Wechsel der Perspektive, das Innehalten und Betrachten.“ 251 Die Literaturwissenschaft ordnet Handke und Ransmayr der „,Literatur der Langsamkeit‘ des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ 252 zu. Sie wird seit den sech‐ ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als poetischer Reflex auf gesellschaftliche wie zivilisatorische Beschleunigungstendenzen gedeutet. 253 Gehen als Schreib- und Lebensprinzip bewirkt Entschleunigung, die sich in den Texten bisweilen zu einer „kontemplative[n] Form der Aufmerksamkeit“ 254 steigert, um das unter die allgemeine Wahrnehmungsschwelle Gesunkene zurück ins Bewusstsein zu heben. Aus theologischer Perspektive spricht Salmann bei Handke vom <?page no="286"?> 255 S A L M A N N , Gerettetes Glück, 26. 256 Vgl. zur anthropologischen Grundlegung des Pilgerns aus theologischer Perspektive M A Y , Christof, Pilgern. Menschsein auf dem Weg (StSSTh 41), Würzburg 2004, hier bes. 108-246. 257 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 54 f.; B I E R I N G E R , Pilgern ohne Gott? 258 Dies trifft vor allem bei Handke, Ortheil und Morsbach zu. Vgl. H A N D K E , Der Große Fall; O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens; M O R S B A C H , Gottesdiener. 259 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 53 f. 260 Vgl. dazu S T O C K , Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum und C O R N E H L , Peter, „Die Welt ist voll von Liturgie“. Studien zu einer integrativen Gottesdienstpraxis (PTHe 71), Stuttgart 2005. 261 Vgl. aus katholisch-liturgiewissenschaftlicher Perspektive z. B. das Themenheft 1/ 2020 „Liturgie und Körper“ der Zeitschrift „Theologie der Gegenwart“ (ThG): K R A N E M A N N , Benedikt, Liturgie und Körper. Editorial, in: ThG 63 (2020/ 1) 1; F I S C H E R , Ingrid, Weit öffne deinen Mund …! Liturgische Psalmodie und Leiblichkeit, in: ThG 63 (2020/ 1) 2-18; L E R C H , Lea, Entdeckung des Leibes - Erneuerung der Liturgie. Körperdiskurse in der Liturgischen Bewegung, in: ThG 63 (2020/ 1), 19-32; W E N D E L , Saskia, Leiturgia - Grundvollzug verkörperter Glaubenspraxis, in: ThG 63 (2020/ 1) 33-44. Gehen als einem religiösen Übungsmotiv („Handke ist nun ein großer Übender, der […] religiöse Motive umbesetzt“ 255 ) und rückt ihn damit in die Nähe moderner Pilger. 256 Von der Affinität Ransmayrs zu Wallfahrten, Pilgerzügen und Prozessionen war bereits ausführlich die Rede. 257 Der Weg zum Innehalten und Betrachten, um nochmals das Eingangszitat von Ransmayr aufzugreifen, führt bei den Literaten über den Körper in Form einer elementaren Bewegung. Dazu gesellt sich die Beobachtung, dass die literarischen Liturgien oft nur dann zum „Wandlungsereignis“ werden, wenn sie zuvor ergangen wurden, d. h. wenn sich ihr die Protagonisten per pedes nähern konnten. 258 Muss der Gottesdienst hingegen wie in Stadlers „Salvatore“ mit Hilfe von Navigationsgerät und Auto angesteuert werden, ist er quasi von vornherein zum Scheitern verurteilt. 259 Über die dahinterliegenden Motive kann vorerst nur spekuliert werden (Zivili‐ sationskritik, Technikskepsis), an späterer Stelle werden wir uns daher mit den literarischen „Kirchgängen“ noch ausführlicher beschäftigen. 260 Mit der Bedeutung des Gehens als menschlichem Grundvollzug ist zu‐ gleich eine Brücke zum Thema dieses Kapitels geschlagen, das nach Berüh‐ rungspunkten zwischen Gottesdienst und menschlichem Körper (in einem weiten Sinn) fragt. Katholische wie evangelische Lehrbücher der Liturgiewis‐ senschaft/ Liturgik betonen seit Jahrzehnten die Wichtigkeit des Körpers für den gottesdienstlichen Vollzug, dennoch scheint in diesem Bereich eine For‐ schungslücke zu bestehen. 261 Erst kürzlich hielten Deeg und Plüss in ihrer wegweisenden Liturgik (2021) fest: „Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung 286 4 Körper <?page no="287"?> 262 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 287; ähnlich auch B I E R I T Z , Liturgik, 205 f. In Einzelstudien wird das Thema „Körper und Liturgie“ mitunter aufgegriffen; vgl. dazu u. a. G E I G E R , Der liturgische Vollzug als personal-liturgischer Erfahrungsraum; H A S P E L M A T H -F I N A T T I , Dorothea, Theologia Prima. Liturgische Theologie für den evangelischen Gottesdienst (APTLH 80), Göttingen 2014, hier bes. 187-241; S A L M A N N , Was ist Kult? Die hier genannten Werke sind teils von der italienischen Theologie um Giorgio Bonaccorso, Pierangelo Sequeri und Andrea Grillo beeinflusst. Als Schlüsselwerk für das Verhältnis von Leib und Liturgie gilt B O N A C C O R S O , Giorgio, Il corpo di Dio. Vita e senso della vita, Assisi 2006. 263 A. Ronald Sequeira zählt zu den „elementaren Bewegungsformen“ im Gottesdienst: 1. Haltung, 2. Geste, 3. Gebärde, 4. Tanz. Die Gebärde stellt für ihn wiederum die „Grundform liturgischer Körpersprache“ dar; er unterscheidet sie wiederum in: 1. Ausdruckgebärden (Stehen, Gehen, Sitzen, Knien, Falten der Hände, Handauflegung, Kreuzzeichen und Segen) und 2. Handlungsgebärden. Sie sind im Unterschied zu den Ausdrucksgebärden auf Personen oder Gegenstände bezogen (Handauflegung bei Sa‐ kramentenfeiern, Übergießen mit Wasser bei der Taufe, Handeln mit Brot und Wein bei der Messe). Vgl. S E Q U E I R A , A. Ronald, Gottesdienst als menschliche Ausdruckshandlung, in: Rupert B E R G E R u. a., Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (GdK 3), 28-37. Ergänzend sei an dieser Stelle erläutert, dass Sequeira unter „Geste“ einen einfachen und unter „Gebärde“ einen komplexen Bewegungsablauf versteht. 264 Vgl. dazu immer noch (mangels neuerer Alternativen im katholischen Bereich) S E Q U ‐ E I R A , Liturgische Körper- und Gebärdensprache als Thema der Semiotik. Möglichkeiten und Grenzen, in: Wilfried E N G E M A N N - Rainer V O L P (Hgg.), Gib mir ein Zeichen. Zur Bedeutung der Semiotik für theologische Praxis- und Denkmodelle, Berlin - New York 1992, 207-232; J E G G L E -M E R Z , Birgit, Bewegung als lebendiger Ausdruck des Glaubens, in: Wolfgang M E U R E R (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottes‐ dienst, Mainz 1989, 52-61; S E Q U E I R A , Gottesdienst als menschliche Ausdruckshandlung; des Körpers in der Liturgie steht noch am Anfang.“ 262 Auch wenn dieses Defizit im Rahmen einer solchen Studie nicht wettgemacht werden kann, stehen zwei körperbezogene Themen im Mittelpunkt, die von der Liturgiewissenschaft nur selten aufgegriffen werden: Liturgische Gesten und Kultische (Un-)Reinheit. 4.1 Liturgische Gesten und Gebärden Zur schon häufiger thematisierten Wertschätzung nonverbaler Vollzüge im literarischen Gottesdienst gehört ebenso ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für sog. liturgische (Ausdrucks-)Gebärden. 263 Zu ihnen zählen nach A. Ronald Sequeira neben dem Gehen/ Schreiten auch das Stehen, Sitzen, Knien, Sichnie‐ derwerfen (Prostratio), verschiedene Formen der Handhaltung (Falten, Erheben und Ausbreiten), das Schlagen an die Brust, Kreuzzeichen, Segensgebärden, der Kuss oder die Handauflegung, um nur die wichtigsten von ihnen zu nennen. 264 Im Lauf der Arbeit wurde mehrfach auf die Bedeutung dieser Gebärden hinge‐ 4.1 Liturgische Gesten und Gebärden 287 <?page no="288"?> D E R S ., Spielende Liturgie. Bewegung neben Wort und Ton im Gottesdienst am Beispiel des Vaterunsers, Freiburg i. Br. u.-a. 1977. 265 Vgl. O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 54. 266 Die Körperspannung des Vaters verrät dem Jungen sogleich, ob die Predigt die Gläu‐ bigen erreicht. „Musste denn alles, aber auch alles, beredet und umständlich erklärt werden? Selbst der sonst aufrecht und gerade dasitzende Vater sackte während der Predigt immer ein wenig müde und gelangweilt in sich zusammen, während die Mutter das Predigen erst gar nicht aushielt und in einem Gebetbuch zu lesen begann.“, in: O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 61. 267 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 109. 268 O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 116. 269 H A N D K E , Der Große Fall, 180 f. Ähnlich lautet eine Szene in H A N D K E , Die Lehre der Sainte-Victoire, 25: „Damals geschah die Verwandlung. Der Mensch, der ich war, wurde wiesen: Johannes Catt („Die Erfindung des Lebens“) erschließt sich aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung Inhalt und Rhythmus des Gottesdienstes auf dem Weg der gestischen Nachahmung. Wie die Mutter kniet er so lange vor einem Marienbild, bis das Beten in ihm von selbst beginnt. 265 An der Hand des Vaters erkundete er den Kölner Dom und lernte, wie man sich in einer Kathedrale bewegt, wann und wie man während des Gottesdienstes richtig (schmerzlos) kniet, sich erhebt oder in den Gesang einstimmt. 266 Vor dem Hintergrund einer solchen Gebärdenschule in der Kindheit wird er später als Erwachsener sagen können: „Ich reihe mich ein in den Chor, ich spreche und murmle das mit, was die anderen ebenfalls sprechen und murmeln - und jedes Mal erstaunt es mich, wie heilsam so etwas ist.“ 267 So ausdrucksstark das Knien während der hypnotischen Andachten beschrieben wird, so sehr können sich Ortheils Protagonisten (z. B. Benjamin Merz in „Das Kind, das nicht fragte“) bei anderer Gelegenheit dagegen auch sträuben. Die Erstbeichte wird trotz anfänglicher Ängste nur deshalb zum prägenden Moment, weil der Priester die Bedingung des Kindes akzeptiert. „Ich weiß nur, dass ich das ewige Knien und Händefalten in dem dunklen Gehäuse des Beichtstuhls nicht mehr als passend empfand. Wenn ich von mir erzählen sollte, brauchte ich doch nicht zu knien, denn im Knien konnte kein Mensch gut erzählen.“ 268 In „Der Große Fall“ dokumentiert Handke wiederum, wie schwer es einem aufgeklärten Zeitgenossen fallen kann, vor etwas oder jemandem auf die Knie zu gehen. Was der Schauspieler nicht einmal auf der Bühne über sich bringt, mag zunächst auch während der eucharistischen Wandlung nicht gelingen, bis sich die Situation unerwartet wendet: „Im selben Moment aber spürte er ein Bedürfnis, eine Sehnsucht […] nicht allein auf die Knie zu fallen, sondern der Länge nach hinzustürzen und mit dem Gesicht nach unten liegenzubleiben, und zugleich war es eine Erleichterung, daß solch ein Hinstürzen, zwischen den Bänken da, nicht möglich war.“ 269 Hier vorschnell von einer Rückkehr zu 288 4 Körper <?page no="289"?> groß, und zugleich verlangte es ihn auf die Knie, oder überhaupt mit dem Gesicht nach unten zu liegen, und in dem allen niemand zu sein.“ 270 H A N D K E - K Ü M M E L , „Die Geschichte ist ein Teufel“, 38. 271 Zur liturgiehistorischen Bedeutung des Kniens für den christlichen Gottesdienst vgl. B R A K M A N N , Muster bewegter Liturgie in kirchlicher Tradition, 34-38; aus dogmatischer Perspektive wiederum T Ü C K , Jan-Heiner, Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 410-416. 272 Vgl. zu pastoralliturgischen Überlegungen über die Angemessenheit des Kniens im Rahmen der Verehrung der eucharistischen Gaben D A I G E L E R , Eugen, Mit Leib und Seele. Sitzen und Knien, in: GD 52 (2018) 168-169; N A G E L , Eduard, Beim Hochgebet knien? , in: GD 45 (2011) 104; D E R S ., Stehen, knien oder was? Auf der Suche nach einer Ehrfurchtsgebärde vor der heiligen Kommunion, in: GD 42 (2008) 96; M A A S -E W E R D , Theodor, Wann stehen, wann sitzen, wann knien in der Feier der heiligen Messe? , in: KlBl 82 (2002) 205-206. 273 Ab hier folgt der Autor D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 285-287; P L Ü S S , David, Gottesdienst als Textinszenierung. Perspektiven einer performativen Ästhetik des Gottesdienstes (ChrKu 7), Zürich 2007, 177-195 und D E R S ., Die Grundgesten der Liturgie. Oder: Wie kommt der Körper in den Gottesdienst hinein? , in: Susanne D U N G S - Heiner L U D W I G (Hgg.), Profan - sinnlich - religiös. Theologische Lektüren der Postmoderne (FS Uwe Gerber), Frankfurt a. M. u. a. 2005, 189-208, hier bes. 189-193 und; darüber hinaus auch S A L M A N N , Geistesgegenwart, hier bes. 181-183. 274 Vgl. dazu u. a. den Sammelband von D A L F E R T H - P E N G -K E L L E R (Hgg.), Beten als verleiblichtes Verstehen. 275 Vgl. P L Ü S S , Gottesdienst als Textinszenierung, 174-176. 276 Vgl. G E B A U E R , Gunter - W U L F , Christoph, Spiel - Ritual - Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt (Rowohlts Enzyklopädie 55591), Reinbek b. Hamburg 1998. altchristlich-archaischen Anbetungsgebärden zu sprechen, wäre vermessen und dennoch kommen Handkes Protagonisten auch an anderer Stelle nicht ohne Ehrfurchtsgebärden („In jedem Menschen ist das drin, die Sehnsucht, auf die Knie zu gehen.“ 270 ) aus. 271 Im Mittelpunkt steht aber nicht die Frage, mit welchen Gesten die Eucharistie adäquat verehrt werden soll. 272 Vielmehr geht es um das komplexe Zusammen‐ spiel von Körper, Geist und Erleben, wie es uns im Gottesdienst begegnet. 273 Während das Bewusstsein für die charismatische und emotionale Dimension in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, wird die körperbedingte Kommunikation in der Liturgie immer noch vernachlässigt bzw. wenig reflektiert. 274 Aus der Alltagserfahrung wissen wir, dass Menschen zuerst gestisch kommunizieren und dann erst sprachlich miteinander in Verbindung treten. Wenn uns jemand auf der Straße spontan anlächelt, reagieren wir ebenso mit einem Lächeln, ohne darüber nachzudenken. 275 Ebenso ist aus der Entwicklungspsychologie (Eltern-Kind-Verhältnis) bekannt, dass existentielle Befindlichkeiten wie Tod, Trauer, Liebe, Hass, Abscheu, Hunger und Freude zuerst ebenso über „mi‐ metische Resonanzen“ (Gebauer/ Wulf) weitegegeben werden. 276 Kleinkinder 4.1 Liturgische Gesten und Gebärden 289 <?page no="290"?> 277 Während Sequeira zwischen „Geste“ und „Gebärde“ unterscheidet, greifen Ge‐ bauer/ Wulf ausschließlich auf den Begriff „Geste“ zurück. Sie verwenden ihn sowohl für einfache wie für komplexe Bewegungsabläufe. Immer jedoch gilt, dass sie mehr sind als reine körperliche Bewegungsabläufe bzw. physischer Reflex auf äußere Reize, da ihnen eine „kommunikative Valenz“ zukommt. Vgl. S E Q U E I R A , Gottesdienst als menschliche Ausdruckshandlung, 29; vgl. G E B A U E R - W U L F , Spiel - Ritual - Geste, 80-113; P L Ü S S , Gottesdienst als Textinszenierung, 174-176. 278 Vgl. P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 192. 279 D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 285. 280 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 55. 281 „Die Kerzen am Altar waren gerade angezündet worden, und der Priester saß schon im vollen Ornat in der offenen Sakristei und bereitete sich, in sein Buch versenkt und zugleich hellwach, auf das Amt vor.“, in: H A N D K E , Der Große Fall, 177. 282 Vgl. D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 286 f. 283 Vgl. dazu u. a. K A B E L , Thomas, Handbuch Liturgische Präsenz. Bd. 1. Zur praktischen Inszenierung des Gottesdienstes, Gütersloh 2002. Deeg und Plüss würdigen in ihrer Liturgik die Verdienste von Thomas Kabel, weisen aber ebenso auf die Grenzen seines Ansatzes hin: „Aber Kabel ist Schauspieler und nicht Liturg oder Theologe. Seine gestischen Gestaltungsvorschläge sind anregend und bedenkenswert, aber auch begrenzt.“, in: D E E G - P L Ü S S , Liturgik, 287. bilden ihre Identität aus, indem sie Mimik und Gestik von den Erwachsenen aufnehmen, nachahmen und dann umgestalten, ohne dass die Verbindung zu den ursprünglichen Gesten verloren ginge. 277 Auch nachdem der Spracherwerb abgeschlossen ist, nehmen wir Affekte zuerst gestisch wahr, danach erst folgt ihre bewusste Durchdringung. 278 Das hier Gesagte gilt in Analogie auch für den Gottesdienst: Lange bevor das erste Wort gesprochen wird, kommunizieren die Teilnehmenden (meist unbewusst) untereinander, dann auch mit dem Liturgen. „Sammlung oder Gewusel, Interesse oder Gleichgültigkeit, Unsicher‐ heit oder Arroganz, Verwunderung oder Betroffenheit zeigen und übertragen sich gestisch und mimisch.“ 279 Von einer solchen Erfahrung kann Salvatore im gleichnamigen Roman berichten. Die informelle Begrüßungsformel des Priesters zu Beginn des Christi-Himmelfahrts-Gottesdienstes verhindert eine mimetische Rezeption der Geste. Folglich kippt die Stimmung, der gesamte Gottesdienst bleibt für ihn stumm. 280 Umgekehrt löst die anfängliche Geste des Priesters in „Der Große Fall“ (aufmerksames Lesen) beim Schauspieler eine so positive Resonanz aus, dass der Schauspieler motiviert wird, das Gotteshaus zu betreten und an der Feier teilzunehmen. 281 Wenn die liturgische Kommunikation tatsächlich so stark auf der mimetischen Übernahme von Gesten basiert, hat dies unmittelbare Konsequenzen für die Liturgie und ihre Protagonisten. 282 Letztere müssen nicht nur über den zentralen Stellenwert von Gesten für die gottesdienstliche Kommunikation Bescheid wissen, sondern auch lernen, ihre Mimik und Gestik richtig einzusetzen. 283 290 4 Körper <?page no="291"?> 284 S A L M A N N , Geistesgegenwart, 181 f. 285 Wenn der Eindruck nicht täuscht, wird in den „katholischen Publikationen“ zuerst die Körperhaltung benannt und erst danach das theologisches Ausdruckpotential der Geste ermittelt. Vgl. S E Q U E I R A , Gottesdienst als menschliche Ausdruckshandlung. 286 Plüss bezeichnet seine Auswahl an liturgischen Grundgesten als „empirisch-subjektiv“, Anspruch auf Vollständigkeit erhebt er nicht. Im Bereich des Gebets wäre ev. das Danken und Klagen zu ergänzen. Vgl. P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 193; D E R S ., Gottesdienst als Textinszenierung, 178-194. In letzterer Publikation ist die Auflistung der Grundgesten um das Singen und Musizieren ergänzt. 287 Vgl. D E E G - P L Ü S S , 286 f. Um einen ersten Eindruck vom Zusammenspiel zwischen Körperhaltung und liturgischer Geste zu erhalten, lohnt ein kursorischer Blick auf eine Zusam‐ menstellung von Elmar Salmann, der sich ausführlich mit dem Verhältnis von Liturgie und Leiblichkeit beschäftigt hat: „Und all dies drückt sich in einer Fülle von leiblichen Gebärden aus, die allesamt vieldeutig sind: Stehen (Stolz und Gnade, Bereitschaft, Einstehen für das Leben und vor dem Heiligen), Sitzen (Hören und Nachdenken), Prostration, Knien, Verbeugen (Ehrfurcht, Demut), Ausbreiten der Arme (Ausgespanntsein am Kreuz, Wehrlosigkeit, Umfangen vom Kosmos), Handauflegung (Enteignung und Inbesitznahme seitens der Tradition, Trost, Investitur, Geistübergabe), Erhebung der Gestalten (Darbringung und Offenbarung, Zeigegestus), Kreuzzeichen (memoria von Kreuz und Trinität, Verbindung von Vertikale und Horizontale, Kopf und Personmitte), Prozession, Tanz, Reigen als Abbilder bewegter Ordnung des Kosmos endlich die Person des Priesters, die, herausgehoben und vermittelnd, das Andere und Huldreiche Gottes darstellt.“ 284 Die eingangs von Salmann angedeutete Vieldeutigkeit weist zugleich darauf hin, dass sich die Bedeutung von Körperhaltungen aufgrund gesellschaftlicher oder kultureller Einflüsse verändern kann. Plüss trägt diesen Schwankungen Rechnung, indem er im Anschluss an die Überlegungen zur „mimetischen Resonanz“ von Gebauer/ Wulf zehn sog. „liturgische Grundgesten“ benennt und damit zuerst nach zentralen liturgischen Gesten sucht und erst dann nach passenden Köperhaltungen fragt. 285 Er orientiert sich dabei an seinen eigenen Erfahrungen mit dem reformierten Gottesdienst in der Deutschschweiz: „Begrüßen, Beten, Loben, Bitten, Lesen, Verkündigen, Bezeugen, Reflektieren, Informieren, Segnen.“ 286 Trotz der konfessionellen Unterschiede (aus katholi‐ scher Perspektive wäre wenigstens das Danken und Singen zu ergänzen) ist der Ansatz von Plüss aus katholischer Perspektive anschlussfähig, weil er sich an universalen Gesten orientiert, die alle christlichen Konfessionen miteinander teilen. 287 Zugleich kann er mit seiner (umgekehrten) Vorgangsweise anzeigen, in welchen Bereichen uns im Gottesdienst entscheidende Köperhaltungen 4.1 Liturgische Gesten und Gebärden 291 <?page no="292"?> 288 Vgl. P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 198-202. 289 Vgl. D E E G - P L Ü S S , Liturgik 286 f. 290 In einer fortführenden Studie würde sich die Erweiterung des Vergleichs auf andere Grundformen lohnen. 291 Vgl. aus katholischer Perspektive über die rituelle Inszenierung der Eröffnungssequenz der Messe R E N T S C H , Christian, Ritual und Realität. Eine empirische Studie zum gottes‐ dienstlichen Handeln des Priesters in der Meßfeier (StPaLi 35), Regensburg 2013, hier bes. 44-60. 292 Vgl. u.-a. O R T H E I L , Glaubensmomente, 5-20. 293 Vgl. u. a. H A N D K E , Der Große Fall, 174-177; R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 349-356. 294 O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 56. fehlen. Als Beispiele nennt er etwa fehlende Gesten im Bereich der Fürbitte, Verkündigung oder des Bezeugens. 288 Insgesamt, so könnte man den Ansatz von Plüss zusammenfassen, lautet die interessensleitende Frage, wie liturgische Gesten mit Hilfe von Köperhaltungen und Gebärden so ausgedrückt werden, dass eine mimetische Kommunikation zustande kommt. 289 4.2 Eröffnungsritus im literarischen Gottesdienst Resümierend soll ein Vergleichen zwischen der liturgischen Begrüßung bei Plüss und den Eröffnungsriten im literarischen Gottesdienst das Gesagte noch‐ mals verdeutlichen. Die Gegenüberstellung eignet sich besonders gut, weil die Parallelen im Bereich der Begrüßung besonders deutlich zum Ausdruck kommen. 290 Im Unterschied zur üblichen Betrachtungsweise fällt in der Literatur wie bei Plüss der Beginn des Gottesdienstes nicht mit dem Einzug bzw. dem Gruß durch den Liturgen zusammen (vgl. GORM 46). 291 Bei Ortheil startet er bereits zu Hause beim Anlegen der Festtagskleider und setzt sich während des familiären Kirchgangs (unter Glockengeläut) fort, bis er schließlich in den eigentlichen Eröffnungsakt mündet. 292 Für Handke oder Ransmayr ist der zu Fuß zurückge‐ legte Kirchengang unter Glockengeläut ebenso konstitutiver Bestandteil der Eröffnung. 293 Ohne körperliche Einübung im Sinn einer Vorbereitungsphase scheint der literarische Gottesdienst nicht zu funktionieren. Als nächster Schritt folgt das Betreten des Kirchenraumes, indem sich die Protagonisten mit dem Raum und den anderen Besuchern vertraut machen. „Ich blieb stehen und wusste nicht weiter, so wie mir erging es aber den meisten Besuchern, sie blieben stehen und schauten eine Zeit lang in die Höhe, als müssten sie zunächst einmal Maß nehmen und sich auf diese den Körper überwältigenden Größenverhältnisse einstellen.“ 294 292 4 Körper <?page no="293"?> 295 P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 194. 296 P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 194. 297 Vgl. u.-a. O R T H E I L , Glaubensmomente, 29-41. 298 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 26. 299 Stadlers Kindheitserinnerungen an die vorkonzilare Liturgie sollen an dieser Stelle nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die nachfolgenden Überlegungen zu den Eingangsriten auf die nachkonziliare Liturgie beziehen. 300 Auch wenn sich der reformierte Gottesdienst der Deutschschweiz vom katholischen unterscheidet, dürften jedoch im Bereich der Begrüßung/ Eröffnung kaum Unterschiede bestehen. Die Einteilung in formell und informelle Begrüßung ist letztlich eine ideal‐ typische, da in der Praxis beide Formen (liturgisch-formelle und informelle) meist kombiniert werden. Vgl. dazu P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 194. Nicht jede Kirche verfügt über scheinbar unendliche Ausmaße wie der hier von Ortheil ins Wort genommene Kölner Dom und dennoch gehört das anfängliche Maßnehmen und Platzfinden zum Grundbestand des schrittweise beginnenden Gottesdienstes. Die eigentliche Geste des Begrüßens fällt für Plüss mit dem ersten „Auftritt“ des Liturgen / der Liturgin zusammen, „mit dem sich Hinstellen an einer bestimmten Stelle des Gottesdienstraumes, mit dem sich Zeigen und Kontakt Aufnehmen des Liturgen mit den Gottesdiensteilnehmerinnen.“ 295 Als Akt der „Personalisierung“ wird er ohne Worte vollzogen. Bereits an dieser Stelle zeigt sich, ob die Eröffnung gelingt: „[O]b und wie sie mimetisch übernommen, ob und wie die Gottesdienstteilnehmer das Begrüßtwerden mit vollziehen und in die inneren Räume der Liturgie eintreten können.“ 296 Mit Stadler und Handke konnte bereits oben gezeigt werden, wie sehr der Auftritt des Liturgen den weiteren Verlauf des Gottesdienstes bestimmen kann. Unerwähnt lässt Plüss den feierlichen Einzug des Liturgen mit seinen Diensten, der in katholischen Gottesdiensten (und nicht nur dort) als erster Teil des „Auftritts“ gewertet werden kann und ebenso in der Literatur Niederschlag findet. 297 Warum ihm eine hervorgehobene Rolle zukommt, erklärt Lehnert auf dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung: „Kaum etwas, so habe ich es immer empfunden, ist für den Liturgen schwerer als der folgende Weg durch den Mittelgang zum Altar. Das Gehen ist ein Gebet der Beine und des Blicks. […] Was folgt, ist noch unbestimmt, ein Anfang, ein Nahen auf den Gott zu.“ 298 Wie der Gang vom Haus zur Kirche einen ersten Vorhof bildet, folgt hier ein zweiter Vorbe‐ reitungsschritt, der nötig scheint, um sich für die darauffolgende Begegnung zu rüsten. Vielleicht müsste man einmal Stadlers Trauer über den Verlust des vorkonziliaren Stufengebets („Introibo ad altare Dei.“) von dieser Perspektive her betrachten. 299 Nun endlich, nachdem der Liturge seinen Platz gefunden hat, erhebt er sein Wort zur Begrüßung. Plüss unterscheidet zwei Typen: die „liturgisch-formelle“ und die „informelle“. 300 Die Art der Begrüßung spiegelt 4.2 Eröffnungsritus im literarischen Gottesdienst 293 <?page no="294"?> 301 Vgl. zu diesem Themenkomplex auch Reinhard Meßner, der in Bezug auf die Ein‐ gangsriten im katholischen Bereich vergleichbare Ergebnisse erzielt wie Plüss; D E R S ., Erwägungen zur Gestalt und rituellen Performance der Eröffnungsriten der Messe. Eine Skizze, in: HlD 71 (2017) 223-232. 302 Aus katholischer Perspektive folgt (in der nachkonziliaren Liturgie) an dieser Stelle als allererste „Begrüßungsformel“ das Kreuzzeichen, das in der Literatur eher selten Erwähnung findet. Vermutlich ist das Schlagen des Kreuzes zu Beginn völlig selbst‐ verständlich. Eine Ausnahme bildet Lehnert, der gewohnt poetisch festhält: „Doch dem allem noch voran stand, als erste Handlung der Messe, die schlichte Formel: ›Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.‹ […] Handlung und Worte verbinden sich, klingen zusammen. Wie die ersten Buchstaben in mittelalterlichen Handschriften zugleich Bilder sind, Drachen und Kobolde, üppige Pflanzen, Engel oder märchenhafte Paläste, so wird auch hier das unerklärliche Geheimnis des Anfangs in mehr als eine Ausdrucksform gelegt.“, in: L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 25. 303 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 26. 304 P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 196. zugleich seine Rolle wider. 301 Begrüßt er formell, z. B. mit einer biblischen Formel, wird er weniger als „Privatperson“, sondern als ein „Beauftragter“ oder „Bevollmächtigter“ einer Institution wahrgenommen. Plüss spricht von der „Geste des stellvertretenden Zusprechens“, weil er den Zuspruch und Segen im Namen Gottes, also „stellvertretend“, an die Gemeinde weitergibt. Begrüßt der Liturge informell, als zwanglos und locker, wird er eher als „Unterhalter“, „Entertainer“, „Hausherr“, „Gastgeber“ etc. wahrgenommen, was wiederum zur Folge hat, dass seine Person und nicht die Botschaft im Vordergrund steht. 302 Welche Art der Begrüßung in der Literatur bevorzugt wird, ist nicht schwer zu erraten. Als eindringliches Beispiel dient erneut Lehnert: „Die freie Begrüßung des Pfarrers nach der Weise: ›Herzlich willkommen …‹ ist der erste subtile Übergriff des Kontrollsystems ›Kirchenorganisation‹ auf den einzelnen. Lernziele werden festgeklopft. Aussagen werden eingeblendet, damit sie später wie‐ dererkannt werden können. Der Gottesdienst geschieht nicht mehr, er wird gemacht. Er wird zum Gegenstand - wie Kiefernholz in einer Monokultur, angepflanzt, gefällt, zerspannt, zu Platten gepreßt.“ 303 Auch Plüss macht kein Hehl daraus, dass er eine formelle Begrüßungsgeste bevorzugt. Als Hauptargument gegen den informellen Gruß führt er die Zentrierung auf die Persönlichkeit des Liturgen an: „Dadurch wird gerade nicht die Offenheit und Andersartigkeit des Gottesdienstraumes markiert, sondern die gewohnte Enge und die Ambivalenzen alltäglicher Interaktionsver‐ hältnisse.“ 304 Wenn ferner die Annahme stimmt, dass die Liturgie schon vor der verbalen Begrüßung anhebt, sind niederschwellige Eröffnungsformeln kontra‐ 294 4 Körper <?page no="295"?> 305 Vgl. P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 195 f.; D E R S ., Gottesdienst als Textinszenie‐ rung, 182f. 306 P L Ü S S , Die Grundgesten der Liturgie, 195; vgl. ferner M E ẞ N E R , Erwägungen zur Gestalt und rituellen Performance, 229-232. In Analogie zu Plüss kritisiert auch er die Unter‐ brechung des rituellen Framings an dieser neuralgischen Stelle. 307 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 15-21. 308 Zur 2. Strophe des Komplet-Hymnus vgl. Te lucis ante terminum, Vgl. dazu L U M M A , Liborius Olaf, Die Komplet. Eine Auslegung des römisch-katholischen Nachtgebets, Regensburg 2017, 44-51; vgl. außerdem E I N I G , Bernhard, Vom Tag zur Nacht. Die Hymnen der Komplet als Verdichtung, Begleitung und Bewältigung eines Transitus (PiLi.S 8), St. Ottilien 1995, 247-317; L Ö H R , Ämiliana, Abend und Morgen ein Tag. Die Hymnen der Herrentage und Wochentage im Stundengebet, Regensburg 1955, 641-655. 309 Dt. Übersetzung von S C H U L T E , Adalbert, Die Hymnen des Breviers nebst den Sequenzen des Missale, Paderborn 5 1925, 76. 310 Vgl. E I N I G , Vom Tag zur Nacht, 296-305. Der erotische Traum galt seit dem frühen Mönchtum als besonders heimtückisches Einfallstor für teuflische Versuchungen, die kultische Unreinheit provozierte. 311 Vgl. Zu den Beweggründen der Änderung des Hymnus L E N T I N I , Anselmo, Te decet hymnus. L'Innario della „liturgia horarum“, Città del Vaticano 1984. produktiv, da die Schwelle in die Liturgie längst überschritten ist. 305 Solche meist gutgemeinten Hilfestellungen, die der informellen Alltagskommunikation entnommen sind, „können mimetisch nicht aufgenommen werden. Oder aber sie werden aufgenommen und irritieren damit die vorangehenden Gesten, lenken den bisherigen eingeschlagenen Weg der feierlichen Einstimmung und Konzentration unvermittelt in eine andere Richtung.“ 306 Darüber hinaus, so eine weitere Schlussfolgerung, sollte die Begrüßung keine Erwartungen wecken, die im Verlauf der Liturgie nicht erfüllt werden können. Suggeriert sie bloß soziale und psychologisch verifizierbare Wirkungen, sind die Enttäuschungen bereits vorprogrammiert. 307 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche „Procul recedant sommnia,/ Et noctium phantasmata,/ Hostemque nostrum comprime,/ Ne polluantur corpora.” 308 („Fern mögen weichen die Traumgebilde und trügerischen Vorstellungen der Nacht, und halte in Schranken unsern Feind, damit der Körper nicht befleckt werde.“ 309 ) Über Jahrhunderte hinweg wurde jeden Abend im Rahmen des Komplet-Hymnus Te lucis ante terminum um Schutz vor sexueller Befleckung gebetet. 310 Der ab dem 9. Jahrhundert nachweisbare Hymnus setzte sich seit 1568 (Breviarium Romanum) als ausschließlicher Kom‐ plet-Hymnus der römischen Liturgie durch und behielt seine exklusive Stellung bis zur Erneuerung der Tagzeitenliturgie im Gefolge des Zweiten Vatikanums. 311 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche 295 <?page no="296"?> 312 L U M M A , Die Komplet, 49. 313 Vgl. u. a. L A R I N , Vassa, What is „ritual im/ purity“ and why? , in: SVTQ 52 (2008) 275-292; A N G E N E N D T , Arnold, Mit reinen Händen. Das Motiv der kultischen Reinheit in der abendländischen Askese, in: D E R S ., Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hg. v. Thomas F L A M M E R - Daniel M E Y E R (Ästhetik - Theologie - Liturgik 35), Münster 2 2005, 245-267; D O U G L A S , Mary, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigungen und Tabu. Übers. von Brigitte Luchesi (Stw 712), Frankfurt 1988. 314 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 57. 315 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 342 f. Als „Symptom leibfeindlicher und sexualitätsfeindlicher Askese“ 312 wurde die eingangs zitierte 2. Strophe ersatzlos gestrichen, ja der Hymnus als Ganzes neu akzentuiert. Die Tilgung und Neuausrichtung lassen sich pars pro toto für den Versuch lesen, das über tausende Jahre währende Paradigma der „kultischen Reinheit“ wenn nicht zu überwinden, dann wenigstens in ein neues Licht zu rücken. 313 Wie tief sich das (schwierige) Erbe der Pollutio (Beschmutzung) in das kollektive Gedächtnis der Kirche eingeschrieben hat und in Teilen bis heute fortbesteht, belegen u. a. literarische Zeugnisse wie z. B. Stadlers „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ oder Morsbachs „Gottesdiener“. Den Anfang soll Stadlers Ich-Erzähler machen, der die Nöte „südlich des Bauchnabels“ 314 als Seminarist in Rom besonders deutlich zur Sprache bringt: „Ach, zu allem wurden wir auch noch vollkommen falsch ernährt in Rom. Dies gerade im Blick auf unser geistliches Ziel. Die falsche Ernährung muss ich doch auch mitverantwortlich machen dafür, dass ich gescheitert bin. Es waren ja nicht nur die Kalorien, das Gewicht auf der Waage, von diesem Übergewicht in den päpstlichen Häusern Roms will ich gleich gar nicht reden. Ach, unsere Nonnen wussten ja nichts von Hormonspiegel und Geilheit, nichts von Geilheit, die über die Speisen in den Leib kommt und, von den Speisen dirigiert, vielleicht gerade erst durch sie ausbricht. So wurden wir gefüttert, ganz kontraproduktiv im Blick auf unser geistliches Ziel, denn was wir so in uns hineinfraßen, waren Kalorien und Geilheit, die jeweils mühsam abgearbeitet werden mussten. […] In Rom mussten wir uns aber auch noch damit herumschlagen, als ob genug nicht genug gewesen wäre - und keine Stunde nach dem Mittagessen kam schon der Versucher, und wir mussten uns, kaum der Gegenwehr fähig, nach einer kurzen Zeit mit ihm ins Bett legen. So etwas ging schnell. Aber um die Nachtgespenster zu vertreiben, folgte nun der Schluck aus der Cointreau- Flasche. Nachschub war kein Problem, wir hatten ja mit unserem Ausweis Zugang zum Vatikan-Supermarkt. […]. Kurz, mitten in Rom, war und blieb ich und wäre der einsamste Mensch gebelieben. Rom war ein Apparat, der einen armen Menschen vernichten konnte.“ 315 296 4 Körper <?page no="297"?> 316 M O R S B A C H , Gottesdiener, 162. 317 Zu untersuchen wären in diesem Zusammenhang auch das negative bzw. misogyne Frauenbild, das sich ebenso hartnäckig hält wie die damit eng verbundene Pollutio. Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 67 f. 318 M O R S B A C H , Gottesdiener, 169; Isidor legt sich Leitsätze für schwierige Momente zurecht: „Satz fünf: Gewohnheit ist stärker als Sexualität. […] Satz sieben also verdankt sich Stettners Umgang mit seiner bitterarmen Kindheit und lautet: Schmerz unterliegt einer starken Amnesie.“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 25. Morsbachs Protagonist wurde zwar ganz ähnlich sozialisiert wie Stadlers Ich- Erzähler, allerdings steht Rattenhuber in der nachfolgenden Szene nicht mehr am Beginn, sondern in der Mitte seiner priesterlichen Laufbahn. Während Stad‐ lers Figur an den (homoerotischen) Verhältnissen in Rom scheitert, schlägt sich Isidor trotz unzähliger Schwierigkeiten in (heterosexuellen) Beziehungsangele‐ genheiten wacker durchs Leben. Immer wieder gerät er dabei an persönliche wie moralische Grenzen, weil sich die von ihm geforderten Reinheitsvorstellungen nicht mit seinen emotionalen Bedürfnissen vereinbaren lassen: „Isidor war inzwischen fünfundvierzig Jahre alt und hatte im Traum mit seiner halben weiblichen Gemeinde geschlafen, auch und gerade mit Frauen, die ihm in Wirklichkeit weniger gefielen […]. Allerdings war der Akt jeweils zu kurz für wirklichen Genuß und sein Ende immer, schon im Traum, von heftiger Reue begleitet, so daß Isidor doppelt erleichtert erwachte. […] Isidor rieb sich rund um die Uhr für seine Gemeinden auf, er hatte keine Laster, rauchte nicht, trank Alkohol nur, um einschlafen zu können, und knirschte nachts vor Erschöpfung so stark mit den Zähnen, daß ihn morgens die Kiefer schmerzten. Er fühlte sich durchaus berechtigt, wenigstens im Traum etwas Lust zu empfinden. Es mußte ja kein Sex sein! “ 316 Die Situation eskaliert vollends, als Isidor sich ungefähr zur selben Zeit (Lebens‐ mitte) in die attraktive Mittzwanzigerin Judith Meier verliebt. Aus Angst vor Zurückweisung und einer offensichtlichen Kontaktstörung wagt er es zunächst nicht, mit ihr in Verbindung zu treten. Um die Sehnsucht nach körperlicher Nähe, die über rein sexuelles Verlangen hinausgeht, abzuwehren, bringt er zunächst Mittel des „geistigen Kampfes“ in Stellung, um dann doch wieder zum Alkohol zu greifen: 317 „Am Abend las Isidor, in der Glut seines Verzichts, das Hohelied Salomons und 1 Kor 13 und wartete auf eine natürliche Befreiung gemäß seinen Leitsätzen fünf und sieben. Er trank vier Gläser Wein, um sich zu betäuben, bis zu den Haarspitzen geladen vom Verlangen nach Intimität. Er sprang auf. Er wollte Erfüllung, jetzt gleich, ganz und gar, ohne Verzug. Er stand vor dem Telefon, die Religionsmaschine im Zustand der Implosion, und sagte laut: ›Was soll aus mir w-w-werden? ‹“ 318 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche 297 <?page no="298"?> 319 Zur historischen Dimension der Tabuisierung von Sexualität vgl. L U T T E R B A C H , Hu‐ bertus, Sexualität im Mittelalter. Eine Kulturstudie anhand von Bußbüchern des 6. bis 12. Jahrhunderts (BAKG 43), Köln u. a. 1999; A N G E N E N D T , Arnold, Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute, Münster 2015. Beiden verdankt der Autor dieser Arbeit wertvolle Hinweise sowie Literaturhinwiese und Zitate. 320 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 331. 321 Vgl. S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 341 und 408. 322 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 75 und 301 f.; zum historischen Hintergrund vgl. ebenso L U T T E R B A C H , Hubertus, Monachus factus est. Die Mönchswerdung im frühen Mittel‐ alter. Zugleich ein Beitrag zur Frömmigkeits- und Liturgiegeschichte (BGMA 44), Münster 1995. 323 Zur Bautätigkeit als Kompensation von sexuellem Verlangen vgl. M O R S B A C H , Gottes‐ diener, 132-137. 324 M O R S B A C H , Gottesdiener, 185. 325 S T A D L E R , Erbarmen mit dem Seziermesser, 12. 326 Vgl. dazu grundlegend S C H O C K E N H O F F , Eberhard, Art. Sexualität - theologisch-ethisch, in: LThK 3 9 (2000) 518-524; D E R S ., Sexualität und Katholische Kirche - ein Dauer‐ konflikt? , in: Gerhard S C H R E I B E R (Hg.), Transsexualität in Theologie und Neurowissen‐ schaften, Berlin 2016, 565-573. Auch wenn sich die hier eingeblendeten Romane von Stadler und Morsbach samt ihren Protagonisten in wesentlichen Punkten voneinander unterscheiden, lässt sich in Bezug auf den Umgang mit Intimität und Sexualität ein Muster er‐ kennen. Sexualität im Allgemeinen und Homosexualität im Besonderen werden in beiden Büchern als Tabu geschildert, über das nicht offen gesprochen wird bzw. werden darf. 319 („Es wurde ja niemals über diese Dinge gesprochen.“ 320 ) Zugleich verhinderte das Schweigen und Verdrängen die Entwicklung einer gesunden sexuellen Identität. 321 Um das Verlangen nach körperlicher Nähe zu unterdrücken, werten beide Figuren ihre eigene Sexualität ab, indem sie auf körperfeindliche Muster zurückgreifen, die teils bis ins frühe Mönchtum zurück‐ reichen. 322 Neben dem geistlichen Kampf gegen die „teuflischen Versuchungen“ stehen auch weltliche Mittel zur Verfügung, um die unterdrückte Sexualität zu kompensieren: Essen im Übermaß, Alkoholmissbrauch und eine gesteigerte Baubzw. Renovierungstätigkeit bei Priestern, die wie Isidor auch Pfarrer sind. 323 Das hier Geschilderte mündet in den von Isidor immer wieder bemühten Satz: „›Ich bin einsam.‹“ 324 Bei Stadlers Figur sind die Folgen noch gravierender: „Nach fünf Jahren verließ ich Theologie und Priesterseminar, fromm, wie ich gekommen war, und ungläubig.“ 325 Das nur schemenhaft skizzierte Muster im Umgang mit Sexualität mag weder überraschen, noch sind damit besonders neue Erkenntnisse verbundenen. 326 Und dennoch erstaunt es, dass sich die Liturgiewissenschaft bislang kaum mit den Folgen der Tabuisierung von Sexualität und ihren Folgen für die Liturgie beschäftigt hat, oder anders gefragt: Hat sich das delikate Thema seit der 298 4 Körper <?page no="299"?> 327 Davon ausgenommen sind die jüngsten Studien zu Liturgie und sexuellem und (Macht-)Missbrauch; vgl. dazu stellvertretend für weitere Publikationen H O F F , Gregor Maria - K N O P , Julia - K R A N E M A N N Benedikt (Hgg.), Amt - Macht - Liturgie. Theologi‐ sche Zwischenrufe für eine Kirche auf dem Synodalen Weg (QD 308), Freiburg i. Br. u.-a. 2020. 328 M O R S B A C H , Gottesdiener, 159. 329 S T A D L E R , Einmal auf der Welt, 333. 330 Vgl. aus kirchenhistorischer Perspektive A N G E N E N D T , Arnold, Pollutio. Die „kultische Reinheit“ in Religion und Liturgie, in: ALw 52 (2010) 52-93 und aus kulturwissenschaft‐ licher G R O E B N E R , Valentin, Wer redet von der Reinheit? Eine kleine Begriffsgeschichte, Wien 2019, hier bes. 15-43. 331 Vgl. A N G E N E N D T , Pollutio; D E R S ., Das Frühmittelalter. Die westliche Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart u. a. 3 2001, hier bes. 112-146; L U T T E R B A C H , Hubertus, Herausforderung Sexualität. Zwischen moderner Verhandlungsmoral und traditionellem Reinheitspara‐ digma, in: LS 60 (2009) 79-88, hier bes. 81; D E R S ., Sexualität im Mittelalter. Beiden Autoren verdankt der Verfasser dieser Studie die entscheidenden Hinweise zum Thema und zur zitierten Sekundärliteratur. gesellschaftlichen Modernisierung und Enttabuisierung der Sexualität ab den 1960er Jahren für die Liturgiewissenschaft erledigt? 327 Auf der Suche nach einer Antwort lohnt ein Blick auf Rattenhubers unterdrückte Gefühle für Judith: „Er konnte … Er konnte nichts. Er würde Entzugserscheinungen bekommen, wenn er die Liturgie nicht mehr vollziehen durfte.“ 328 Hinter dem Zitat verbirgt sich einmal mehr die bittere Erkenntnis, dass sich für ihn - etwas pointiert formuliert - Sex und Liturgie (hier bes. die Feier der Messe) ausschließen. Der Schmerz wiegt doppelt, weil seine sexuellen Probleme in unmittelbarem Zusammenhang mit der Liturgie stehen: Rattenhuber bezieht sein priesterliches Selbstverständnis fast ausschließlich aus der „Zelebration“ der Messe. Wie es überhaupt zu dieser Kluft kommen konnte, deutet wiederum Stadlers Ich- Erzähler an: „Wir armen Schweine wollten rein bleiben, mit diesem Floh im Ohr lebten wir. Das war unser Opfer, unser Anteil an der Rettung der Welt. Andere arbeiteten daran und lebten, wir opferten und beteten. Andere liebten, wir flohen. Die Liebe gab es ja, sie war Dynamit, rein theoretisch, bis zum Zusammenbruch, bis zur Explosion.“ 329 Im alltäglichen Diskurs (wie auch in der hier vorgestellten Literatur) wird kultische Reinheit meist mit ethischen Kategorien (Schuld, Sünde) assoziiert, ohne dabei zu berücksichtigen, dass es eine religionswissenschaftlich ältere Schicht (Befleckung, Miasma, Pollutio) gibt, die mindestens so entscheidend für das Verständnis des Themas ist. 330 Angenendt und Lutterbach unterscheiden zwischen einem „äußerlich-kultischen“ und „ethisch-gesinnungsorientierten“ Reinheitsparadigma. 331 Die kultische Schicht geht im Christentum auf die 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche 299 <?page no="300"?> 332 Vgl. zum Reinheitsbegriff bei den Propheten des AT G R O ß, Karl, Menschenhand und Gotteshand in Antike und Christentum, Stuttgart 1985, 146-152, hier bes. 150. 333 B U R K E R T , Walter, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (RM 15), Stuttgart 2 2011, 125 [Herv. im Original]. 334 K O R N F E L D , Walter, Art. Reinheit, kultische. I. Im AT, in: LThK 2 8 (1963) 1145-1147, hier 1146; vgl. ferner H I E K E , Thomas, Levitikus. Erster Teilband 1-15, HThKAT, Freiburg i. Br. 2014, 402-556. 335 Originalzitat: „Purity of the heart.”, in: C O U N T R Y M A N , William, Dirt, Greed and Sex. Sexual Ethics in the New Testament and their Implication for Today, Philadelphia 1989, 141. 336 Vgl. R I N G E L I N G , Hermann, Art. Frau. IV. Neues Testament, in TRE 28 (1983), 431-436. heidnische Antike (Griechen, Römer) und die Reinheitsvorschriften des Alten Testaments - mit Ausnahme der Propheten - zurück. 332 „Der Begriff der speziell kultischen Reinheit wird definiert, indem gewisse mehr oder weniger gravierende Störungen des normalen Lebens als míasma [= Befleckung, AB] aufgefasst werden. Solche Störungen sind Geschlechtsverkehr, Geburt, Tod und insbesondere Mord. Hagnós [= rein, AB] im exemplarischen Sinn ist darum, wer den Kontakt mit Blut und Tod vermeidet […].“ 333 Für den Bereich des Alten Testament (Heiligkeitsgesetz) ist wiederum zu berücksichtigen: „Nur im Zustand der kultischen Reinheit konnte man mit Gott in Beziehung treten, weshalb die Begriffe Rein [sic! ] und unrein im Alten Testament eine große Rolle spielen. Die Gesetze (bes. Reinheitsgesetz) berücksichtigen jene Faktoren (Sexual‐ leben, manche Krankheiten, Leichenberührung, Nahrung), durch welche kultische Reinheit verlorenging, und ordnen Maßnahmen zu ihrer Wiederherstellung an.“ 334 Im Unterschied dazu speist sich die „gesinnungsorientierte Reinheit“ aus der jesuanischen Ethik des Neuen Testaments: „Hört mir alle zu und begreift, was ich sage! Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ (Mk 7,14b-15) Historisch gesehen hat sich das frühe Christentum zunächst gegen das kultische Reinheitsparadigma zugunsten eines ethisch am Neuen Testament orientierten entschieden. Reinheit wurde nicht mehr länger am objektiven Vollzug von Gesetzen festgemacht, sondern an der Erfüllung der Gottes- und Nächstenliebe im Sinn einer „Reinheit des Herzens“ 335 . Zu diesem Paradigmenwechsel gehört auch Jesu ungewöhnlicher Umgang mit den Frauen [z. B. mit der Ehebrecherin ( Joh 7,53-811) oder Prostituierten (Lk 7,36-50)], der den zeitgenössischen Reinheitsvorschriften ebenso zuwiderlief. 336 Dass sich das frühe Christentum gegen die kultischen Reinheitsvorschriften stellte, muss 300 4 Körper <?page no="301"?> 337 A N G E N E N D T , Pollutio, 60. 338 Als Grund für die Rückkehr zum kultischen Reinheitsverständnis vgl. L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 83 f. 339 Vgl. A N G E N E N D T , Pollutio, 60 f. 340 Vgl. zu dem folgenden Abschnitt A N G E N E N D T , Pollutio, 60-91; darüber hinaus ergän‐ zendend auch L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 84 f. Die hier gebotene Zusam‐ menstellung kann aufgrund der Fülle an Material nur als Ausschnitt gebracht werden. 341 Begründung und Bedeutung des Zölibats auf den Bereich der kultischen Reinheit zu beschränken wird dem Phänomen nicht gerecht. Vgl. zur theologisch-spirituellen Begründung u. a. D E N Z L E R , Georg, Geschichte des Zölibats (Herder-Spektrum 6887), Freiburg i. Br. u. a. 2 2016, hier bes. 116-134; S C H E U E R , Manfred, Die evangelischen Räte. Strukturprinzip systematischer Theologie bei Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner, Johann Baptist Metz und in der Theologie der Befreiung (StSSTh 1), Würzburg 2 1992. 342 Hier kann nur eine verallgemeinernde und grob vereinfachende Tendenz wiederge‐ geben werden. Im Detail und im Verlauf des Mittelalters gab es naturgemäß unter‐ schiedliche Ausprägungen der kultischen Reinheit. Vgl. A N G E N E N D T , Pollutio, 68-70. kulturwie religionsgeschichtlich als eine „Außerordentlichkeit“ 337 bezeichnet werden. Aus heutiger Sicht entbehrt es nicht einer gewissen Tragik, dass das Christentum ab dem 6. Jahrhundert zum kultischen Reinheitsverständnis zu‐ rückkehrte und damit das Modell der Befleckung reaktivierte. 338 Während bei der Wiederaufnahme die alttestamentlichen Speisevorschriften und die Pollutio durch Tote kaum mehr eine Rolle spielten, kaprizierte sich die Kirche über eineinhalb Jahrtausende hinweg auf ein komplexes Geflecht von Kultvor‐ schriften. 339 Welche Auswirkungen damit für die Liturgie des Mittelalters (vor allem auf die Feier der Messe) verbunden waren, arbeitete Angenendt in einer Reihe von Studien detailgenau heraus. Seine Erkenntnisse sind neben dem historischen Wert noch immer von (liturgiewissenschaftlichem) Interesse, weil sie Rückschlüsse auf den Einfluss des mittelalterlichen Reinheitsparadigmas bis in unsere Tage erlauben. 340 Das betrifft in erster Linie das weite Feld des (Pflicht-)Zölibats, den Angenendt vor allem als Maßnahme „[z]ur „Sicherstel‐ lung der priesterlichen Reinheit“ beschreibt. 341 Noch folgenschwerer wirkten sich die rigiden Reinheitsvorschriften im Alltag auf Nichtgeweihte aus, beson‐ ders auf Frauen, die aufgrund von Menstruation, Geburt (Kindbett bzw. Wöch‐ nerin) und Geschlechtsverkehr als kultisch unreine Personen (persona impura) galten und damit (zeitlich beschränkt) weder eine Kirche betreten noch die Kommunion empfangen durften. 342 Über Personen hinaus erstreckten sich die Pollutio auch auf Gebäude (Kirchen) und Gegenstände (Altargerät). Schlagartig mussten Kelch und Patene ab dem 8. Jahrhundert aus „allerreinstem“ Edelmetall 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche 301 <?page no="302"?> 343 Vgl. zum Themenkomplex „Reinheit und Kultgegenstände“ B R A U N , Joseph, Das christ‐ liche Altargerät in seinem Sein und seiner Entwicklung, München 1932, hier bes. 30-51; A N G E N E N D T , Pollutio, 71-76. 344 Vgl. A N G E N E N D T , Mit reinen Händen, 245-267; D E R S ., Pollutio, 60-64. 345 Vgl. L U T T E R B A C H , Sexualität im Mittelalter, 46-80. 346 M O R S B A C H , Gottesdiener, 6. 347 Vgl. L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 82. Ders. greift wiederum zurück auf R I C O E U R , Paul, Symbolik des Bösen, Bd. 2. Phänomenologie der Schuld, Freiburg i. Br. - München 1971, hier bes. 35-37. gefertigt werden. 343 Parallel dazu durfte selbst das Korporale nur mehr aus „al‐ lerfeinstem“ Leinen bestehen. Weitreichend waren die Folgen auch für die Feier der Messe: Da nur mehr die „reinen Hände“ Geweihter an der Opferdarbringung beteiligt sein durften, wurden Laien (und hier wiederum besonders die Frauen) sukzessive aus dem Altarraum verbannt. 344 Ihre „unreinen Hände“ waren ebenso dafür ausschlaggebend, dass die Mundkommunion die Handkommunion ver‐ drängte. Der Laienkelch (Gefahr des Verschüttens) verschwand im selben Zug ebenso. Obendrein ging aufgrund des gestiegenen Sündenbewusstseins auch die Häufigkeit des Kommunionempfangs („seltener Empfang“) stark zurück. 345 In diesen Bereich fallen ebenso die strengen Fasten- und Abstinenzgebote, die neben dem Kommunionempfang auch die Vorbereitung auf die heiligen Zeiten stark reglementierten. Oben wurde bereits angedeutet, dass der lange Schatten des kultischen Reinheitsparadigmas bis in die hier zitierten Romane reicht. Ihre Figuren sind vom unumstößlichen Verdikt geprägt, dass Sexualität an sich verwerflich ist und zugleich liturgisch verunreinigend wirkt. Obwohl Isidor moralisch korrekt handelt - hier sei nur erwähnt, dass er trotz aller Versuchungen den Zölibat nie bricht - hält er sich aufgrund seiner sexuellen Fantasien und Träume für unwürdig. Nicht umsonst zitiert die Autorin am Beginn des Buches aus der Liturgie der Priesterweihe: „Weißt du, ob sie würdig sind? “ 346 Seine Unwürdig‐ keit hängt nicht nur wie ein Damoklesschwert über dem pastoralen Wirken Rattenhubers, sondern lässt sich auch als Motto des ganzen Romans lesen. Bei Stadlers Ich-Figur ist die Situation noch vertrackter, da sich bei ihm der (objektive) Befleckungsgedanke mit vermeintlich persönlicher Schuld (Umgang mit Homosexualität) und dem Missbrauch durch (priesterliche) Autoritätsper‐ sonen (Obernosterer) so verzahnt, dass er zwischen den unterschiedlichen Ebenen kaum unterscheiden kann. Um den unheilvollen Kreislauf von Rein‐ heitsvorstellung, Tabuisierung von Sexualität und verquerer Bußpraxis (die Schilderung von Beichtszenen ist gerade bei Morsbach enorm hoch) besser zu verstehen, sei an dieser Stelle nochmals auf die (ursprüngliche) Differenz von Makel, Schuld und Sünde verwiesen. 347 Religionswissenschaftlich wird der 302 4 Körper <?page no="303"?> 348 Angenendt und Lutterbach sprechen in diesem Kontext vom einem „irrationalen Charakter“ (Ricoeur), der für das heutige Verständnis nur schwer nachzuvollziehen ist. Vgl. A N G E N E N D T , Pollutio, 52-55; L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 82 und R I CŒU R , Symbolik des Bösen, 35-37. 349 In einer umfangreichen Beichtanleitung für Kleriker aus dem 9. Jahrhundert beruft man sich unrichtigerweise auf die Autorität des hl. Paulus: „Der Apostel Paulus sagt: ‚Jede unreine Befleckung (immunda pollutio) bedeutet zugleich eine Schuld (iniquitas) und wird Unzucht (fornicatio) genannt‘“. Hier zitiert nach L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 84. 350 L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 84. 351 L U T T E R B A C H , Herausforderung Sexualität, 84. Makel (irrationales Moment) nicht der persönlichen Verantwortungssphäre eines Subjekts zugerechnet, weil er als objektive Übertretung eines Gesetzes gilt. 348 Die von ihm ausgelöste Unreinheit lässt sich ausschließlich durch den Vollzug eines Reinigungsritus tilgen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Makel im Sinn von Befleckung den (abwertenden) Umgang mit der Sexualität menschheitsgeschichtlich maßgeblich beeinflusst hat. Das erklärt wenigstens in Teilen, warum die Rückkehr des Christentums zur kultischen Reinheit eine Steigerung des Sündenbewusstseins bewirkte, weil der Befleckungsgedanke und die subjektive Schuld zusammenfielen. Lutterbach weist in diesem Zusam‐ menhang nach, dass es ab dem Frühmittelalter gar zu einer Gleichsetzung von Befleckung (Pollutio), persönlicher Schuld und Unzucht kam. 349 Damit wurde ein für das Individuum undurchbrechbarer Kreislauf geschaffen, der zur „kultisch[…] bedingte[n] Abwertung der Sexualität“ 350 führte, der bis heute nicht restlos überwunden wurde: „Angesichts der aufgezeigten kultischen Prämisse im Umgang mit der menschlichen Sexualität, wie sie in zahlreiche Quellen seit dem 6. Jahrhundert eingegangen ist, galt als Leitbild ein Leben unter möglichst weitreichendem - idealisierter vollständigem - Verzicht auf die Ausübung der Sexualität; das Optimum sah man in einer von Sexualität - wörtlich - ‚unkorrumpierten‘ Lebensweise: allein wer in seinem irdischen Leben derart ‚unirdisch‘, gewissermaßen engelsgleich ‚weltabgehoben‘ lebte, durfte berechtigt darauf hoffen, dass sein Leib nach dem irdischen Tod nicht verweste.“ 351 Weder Rattenhuber noch Stadlers Ich-Figur hoffen auf die Unverweslichkeit ihrer irdischen Leiber, beide leiden aber ganz offensichtlich auch fast eineinhalb Jahrtausende nach der Rückkehr des Christentums zur kultischen Reinheit immer noch an ihren (Spät-)Folgen. Auch wenn die Revision des eingangs zitierten Komplet-Hymnus Te lucis ante terminum andeutet, dass sich in den letzten fünf bis sechs Jahrzehnten auch im Bereich der Liturgie ein kritisches Bewusstsein für die Folgen des kultischen Reinheitsparadigmas entwickelt hat, 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche 303 <?page no="304"?> 352 J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 26. 353 Vgl. J O A S , Braucht der Mensch Religion? , 26 f. 354 Vgl. dazu K O L L , Julia, Körper beten. Religiöse Praxis und Körpererleben (PTHe 85), Stuttgart 2000, hier bes. 155-245. 355 Vgl. dazu Z I M M E R L I N G , Peter, Hineinwachsen in die eigene Berufung. Plädoyer für eine gottesdienstliche Lebensführung, in: Praxis Gemeindepädagogik 70 (2017) 9-11. belegen die hier analysierten Beispiele zeitgenössischer Literatur, dass es immer noch zu den Aufgaben der Liturgiewissenschaft gehört, auf die unheilvollen Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart hinzuweisen und dort auf Veränderung zu pochen, wo Menschen in ihrer persönlichen Entwick‐ lung eingeschränkt oder behindert werden. Als Abschluss dieses Kapitels soll ein letzter wie zusammenfassender Impuls aus den literarischen Texten aufgegriffen werden, der aus liturgiewissenschaft‐ licher Perspektive kaum mehr Beachtung findet, aber dennoch eng mit der körperlichen Dimension des Gottesdienstes verbunden ist. Hans Joas spricht in seinem Buch „Braucht der Mensch Religion? “ von einem Wissen „körperlicher Art“ 352 , das die Religionen tradieren, um religiöse Erfahrungen zu begünstigen. Er meint damit bestimmte „Askesetechniken“, wie körperliche Haltungen (das „Knien“ wird von ihm in diesem Kontext erwähnt) oder bestimmte Fastenprak‐ tiken. 353 Wenn der Eindruck nicht täuscht, sind viele Askesetechniken (wie Joas sie versteht) aus der Religion ausgewandert oder werden nur noch an ihren Rändern praktiziert. 354 Dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Ritual und körperlicher Askese (wie bestimmte Formen des Fastens) gibt, wird heute meist nur mehr bei asiatischen Mediationskursen oder Fastenkuren vermittelt. Wenn der Eindruck nicht täuscht, können heute nur mehr Fastenkliniken den Mangel an Essen glaubhaft durch aufwendige Rituale (wie Tee- und Saftzeremonien) ausgleichen. Kritisch lässt sich hier rückfragen, ob uns hier nicht ein Wissen verlorenen gegangen ist, das mitunter zur Belanglosigkeit der kirchlich-liturgischen Riten beiträgt? Mit dieser Frage ist keineswegs der Apell verbunden, längst überkommene oder körperfeindliche Kasteiungsübungen des Christentums unkritisch wiederzubeleben. Vielleicht lassen sich die litera‐ rischen Beobachtungen jedoch in die Richtung deuten, dass es der heutigen Liturgie an einem Vorhof und Umfeld, an einer umfassenden Einübungsphase oder gottesdienstlichen Lebensführung fehlt. 355 Am Beginn einer Wiederentde‐ ckung der fruchtbaren Spannung von „Liturgie und Askese“ könnte ein neutes‐ tamtlicher Reinheitsbegriff im metaphorischen Sinn als „Reinheit des Herzens“ stehen, der ganz auf die Eigen-, Nächsten- und Gottesliebe abzielt. Dazu gehört heute bestimmt auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Gottes gefährdeter Schöpfung, der wohl nur durch Formen des Verzichts erreicht werden kann. Die 304 4 Körper <?page no="305"?> 356 H A N D K E , Am Felsfenster morgens, 532. hier vorgestellte Literatur wird jedenfalls über weite Strecken von körperlichgeistigen Einübungsphasen geprägt und ihre Protagonisten wissen sehr genau, dass die Liturgie nicht erst an der Schwelle des Kirchenportals beginnt. „Führ die Emmaus-Geschichte weiter in der Vorzukunft: wie […] ihre Haltung, aufrecht, erhobene Köpfe, jene noch größere Freude angezeigt haben wird, die sie dann haben werden am Erzählen“ 356 . 4.3 Reinheit in Leben und Kult der Kirche 305 <?page no="307"?> IV Wandlung und Polarität als Grundprinzipien von Liturgie, Leben und Literatur <?page no="309"?> 1 H A N D K E , Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 - Juli 1990 (Suhrkamp Taschenbuch 3886), Frankfurt a.-M. 2007, 86. 2 H A N D K E , Am Felsfenster morgens, 74. 3 B E N E D I K T XVI., Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages (VApS 169), Bonn 2005, 85-90, 86. 4 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 17: „Wenn ich beschreiben soll, was eigentlich ein gelungener Gottesdienst für mich ist, komme ich ja schon ins Stottern.“ 5 G R E I N E R - H A N D K E , Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. 6 S T A D L E R , Salvatore, 84. „Das schönste Warten, das auf die Verwandlung.“ 1 „Was ist die Urform? Die Verwandlung; die Wandlung.“ 2 „Alle Menschen warten immer schon irgendwie in ihrem Herzen auf eine Veränderung und Verwandlung der Welt.“ 3 1 Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben „Wandlung“ - kein anderer Begriff eignet sich besser, um Wesen und Charakter literarischer Gottesdienste auf den Punkt zu bringen. Als zentrales Schlüssel‐ wort gilt ihr das letzte Kapitel dieser Arbeit, das sich als Resümee und Ausblick zugleich versteht. Der erste Teil fasst die liturgischen Analysen der Literatur vor dem Hintergrund einzelner Wandlungserfahrungen nochmals pointiert zusammen. Im zweiten Teil folgt eine „kleine Typologie“ des literarischen Gottesdienstes, um den Brückenschlag zwischen Literatur und Liturgie für weiterführende Studien zu sichern. Auf eine lückenlose Zusammenfassung der Gesamtergebnisse wird jedoch verzichtet, da die liturgischen Spuren in der hier analysierten Literatur zu vielgestaltig und eigenständig sind, um sie konventionell zu bündeln. „Was ist ein gelungener Gottesdienst? “ Diese Frage stellt sich nicht nur Christian Lehnert am Beginn seines Buches „Der Gott in einer Nuß“, sie steht auch als Cantus firmus über dieser Arbeit. 4 Um eine Antwort darauf zu finden, hilft uns ein bereits bekanntes Handke-Zitat weiter: „Wenn jemand nur sagt, er sei religiös, geht mir das auf die Nerven. Wenn er nicht erzählt, was das ist. Das Erzählen ist das Entscheidende.“ 5 Dieser Spur wollen wir folgen und zugleich darauf achten, wie und was in der Literatur über gelungene Gottesdienste erzählt wird. Arnold Stadlers „Salvatore“ nennt ein zentrales Kriterium, wann für ihn ein Gottesdienst gelingt: „Als er herauskam, war er ein anderer.“ 6 Die <?page no="310"?> 7 Vgl. zur Liturgie als „Transformation menschlicher Wirklichkeit“ G E R H A R D S - K R A N E ‐ M A N N , Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft, 175-177; S T U F L E S S E R , Martin - W I N T E R , Stephan (Hgg.), „Ahme nach, was du vollziehst …“ Positionsbestim‐ mungen zum Verhältnis von Liturgie und Ethik (StPaLi 22), Regensburg 2009. 8 Vgl. dazu den luziden Beitrag des polnischen Lyrikers und Essayisten Tadeusz Dą‐ browski, der Rituale prägnant und treffend definiert. D E R S ., „Das Ritual setzt eine Veränderung voraus, „den Übergang von einem Zustand in einen anderen, von ‚Damals‘ zum ‚Jetzt‘“, es hat also evolutionären Charakter. Es braucht Zeit.“, in: Ders., Das Ritual ist eine Wunder der Verwandlung - nur begreifen wir diese Erfahrung immer weniger, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 20. April 2019 - https: / / www.nzz.ch/ meinung/ das-ritual-bleibt-uns-als-wunder-der-verwandlung-verschlossen-ld.1472308? reduced= true (Zugriff am 15.10.2021). 9 H A N D K E , Der Große Fall, 188; vgl. zum Motiv der „schmerzhaften Freude“ T Ü C K , „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit.“, 49 f. 10 Vgl. H A N D K E , Der Große Fall, 175, 178. 11 „Die Zeremonie hatte einen verwandelt, vom ersten Musikstück an nahm sie einen gefangen und richtete den Blick aus auf die langsamen Bewegungen der Geistlichen am Hochaltar. So war der Blick für Stunden fixiert, und während man jede Einzelheit genau verfolgte, die sich dort als eine heilige Handlung vollzog, rückte einen die Musik immer näher heran an das Geschehen. Das laute Singen, das deklamierende Beten - sie machten aus dem schmächtigen, unsicheren Kindskörper einen erregten, gebannten Körper für große Momente.“, in: O R T H E I L , Die Erfindung des Lebens, 62. 12 Vgl. G A R H A M M E R , „Epiphanie der Stille“, hier bes. 28-30. verändernde, ja verwandelnde Kraft der Liturgie ist nicht nur für Stadler ent‐ scheidend, sie zieht sich als Charakteristikum durch alle hier analysierten Texte. 7 Liturgie setzt eine erfahrbare Veränderung voraus, die konstitutiv zu ihrem Wesen gehört. 8 In „Der Große Fall“ verwandelt sich die anfängliche Traurigkeit, ja (Todes-)Angst des Schauspielers aufgrund der als Reinigung empfundenen Liturgie in eine „schmerzhafte Freude“ 9 . Der Umschwung während des dop‐ pelten Mahles spiegelt sich im Klang der Glocke, der von Moll in einen Ton der Freude umschlägt. 10 Hanns-Josef Ortheil legt seinem Alter Ego Johannes Catt („Die Erfindung des Lebens“) ebenso das Wort „verwandeln“ in den Mund, wenn es um liturgische Erfahrungen (im Kölner Dom) geht. 11 Für Catt ist es vor allem die Musik, das Singen und deklamierende Beten, das eine lebensverändernde Transformation in Gang setzt, die nicht selten in Kontemplation mündet („Hyp‐ nose der Stille“). 12 In „Die Erfindung des Lebens“ greift die Liturgie wie in keinem anderen Roman der Gegenwart rettend in die Biographie eines traumatisierten Jungen ein, um ihn schrittweise aus seiner Sprachlosigkeit herauszuführen. Was ihre Poetik betrifft, könnten Handke und Ortheil nicht unterschiedlicher sein, in Bezug auf den Gottesdienst gibt es jedoch eine Schnittmenge. Für beide besitzt die Liturgie einen signifikanten Stellenwert, dennoch bleibt sie stets ein (Lebens-)Vollzug unter anderen. Handkes Schauspieler begegnet auf seiner Zentrumswanderschaft nicht nur einem Priester (in Messe und Sakristei), 310 1 Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben <?page no="311"?> 13 Vgl. R A N S M A Y R , Die letzte Welt. 14 Vgl. R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 304-309. 15 R A N S M A Y R , Atlas eines ängstlichen Mannes, 305. 16 Vgl. L A N G E R , Probeweise Amen? , 56; aus dogmatischer vgl. R U S T E R , Thomas, Wandlung. Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie, Ostfildern 2006, hier bes. 7-17. 17 Vgl. dazu die Perikope vom Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8,8), die den biblischen Ursprung des Kommuniongebets der Messe darstellt: „Und der Hauptmann antwortete: Herr, ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach einkehrst; aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund! “ Zum Kommuniongebet der Messe vgl. J E G G L E -M E R Z , Birgit - K I R C H S C H L Ä G E R , Walter - M Ü L L E R , Jörg, Mit der Bibel die Messe verstehen. Bd. 2. Die Feier der Eucharistie. Luzerner biblisch-liturgischer Kommentar zum Ordo Missae - Erschließung, Stuttgart 2017, 173-183. sondern vielen anderen Figuren, die den Gang der Erzählung ebenso maßgeblich beeinflussen. Auch Ortheils opulent orchestrierte Lebenskunst beschränkt sich nicht auf den Gottesdienst. Kunst, Kulinarik und Erotik spielen eine ebenso gewichtige Rolle. Damit wird die Bedeutung der Liturgie aber nicht relativiert, sondern vor überzogenen Ansprüchen bewahrt, die sie ohnehin nicht (mehr) erfüllen kann. Christoph Ransmayr verfügt mit seinem auf den Metamorphosen des Ovid basierenden Erfolgsroman „Die letzte Welt“ ebenso über ein Naheverhältnis zum Thema. 13 Auch er nimmt das Wandlungsgeschehen zunächst aus der Perspektive seiner katholische Sozialisierung ins Wort, wenn er in „Weißer Sonntag“ („Atlas eines ängstlichen Mannes“) die Messfeier literarisch umkreist. 14 Im konkreten Fall spricht der Autor von der Wandlung als festlichem „Zauber“ um eine hauchdünne Oblate („Was für eine Verwandlung, was für ein Zauber […]. Was für ein Fest.“ 15 ), ohne dass damit eine ironische oder magische Engführung (im Sinn eines unaufgeklärten Hokuspokus) verbunden wäre. Seine Rolle als distanzierter Beobachter der eigenen Tradition macht es ihm erst möglich, das Wandlungsgeschehen in seiner ganzen Stilisierung und Fremdheit gegenüber dem Alltäglichen wahrzunehmen. 16 Wandlung heißt bei Ransmayr aber immer auch, die Grenzen der eigenen Kultur (und Religion) zu überschreiten. Als einziger der hier behandelten Autoren und der Autorin geht er über das Christentum hinaus, indem er religions- und kulturübergreifend nach Schwel‐ lenritualen (Rites de Passage) sucht, um anzuzeigen, wie stark die christliche Liturgie in ein größeres Geflecht menschheitsalter Rituale eingebunden ist. Mit dem eingangs zitierten Arnold Stadler kehren wir wieder zum katholischen Wandlungsmysterium zurück. „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach; aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ 17 Wie der Hauptmann von Kafarnaum (vgl. Mt 8,8) will auch Salvatore dem Christus des Matthäusevangeliums unmittelbar begegnen, um aus der Verliererposition 1 Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben 311 <?page no="312"?> 18 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 53-66; vgl. zur gesamten Thematik W E G N E R , Uwe, Der Haupt‐ mann von Kafarnaum (Mt 7,28a; 8,5-10.13 par Lk 7,1-10). Ein Beitrag zur Q-Forschung (WUNT 2/ 14), Tübingen 1985. 19 Vgl. S T A D L E R , Salvatore, 63. 20 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 20. 21 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 72 [Herv. im Original]; ähnlich auch Peter Handke: „Die Frage Gottes in mir: ›Warum bist du nicht da? ‹“, in: H A N D K E , Gestern unterwegs, 400. 22 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 49. „Isidor feiert die heilige Messe überall gerne, am liebsten aber in dieser Kirche.“ 23 M O R S B A C H , Gottesdiener, 286; vgl. zu den Deuteworten des Bischofs bei der Übergabe von Kelch und Patene während der Weiheliturgie: Die Weihe des Bischofs, der Priester und der Diakone, 94. 24 Vgl. dazu die Episoden „Heiliger Abend“, „Nach der Messe“ und „Stephanitag“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 349-361. 25 Vgl. dazu u. a. „Heiliger Abend“ und „Nach der Messe“, in: M O R S B A C H , Gottesdiener, 349-355. herausgeführt zu werden. 18 Der Wandlungsprozess im Christi-Himmelfahrt- Gottesdienst scheitert jedoch, weil seine Erwartungen weder vom Priester noch von den übrigen Mitfeiernden geteilt werden. 19 Beiden - Priester wie Volk - scheint das Gespür für die „Unverfügbarkeit Gottes, für das Nebeneinander seines Geschehens und seiner Entzogenheit“ 20 abhandengekommen zu sein. Darüber hinaus zeigt der Salvatore-Roman an, dass die Suche nach dem gelun‐ genen Gottesdienst immer auch eine Geschichte (s)eines Scheiterns ist und, mit Lehnert gesprochen, auch sein muss: „Der Mensch erfährt sich selbst vor dem Gott in seinem Fehlen.“ 21 Mit dem Scheitern der Liturgie ist auch Petra Morsbachs Antiheld Isidor Rattenhuber konfrontiert. Er feiert die Messe überall und gerne, ja kann und will ohne sie nicht leben und dennoch steht er vor einem Dilemma, das die Autorin in einem Zitat aus der Priesterweiheliturgie bündelt: 22 „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst […].“ 23 Während er die Messe zelebriert, zweifelt Isidor nie an der verwandelnden Kraft der sakramentalen Worte (er bezieht daraus seine ganze priesterliche Identität), im alltäglichen Leben bewahrheitet sie sich aber kaum. 24 Liturgie und Leben scheinen ihre Durchlässigkeit verloren zu haben. Das Missglücken ist auch hier mit überzogenen Erwartungen verbunden, seien sie institutioneller (z. B. Zölibat) oder persönlicher (Herkunft, Stottern, Alkoho‐ lismus) Natur. Dass Rattenhuber daran dennoch nicht zerbricht, verdankt er seiner niederbayrischen Beharrlichkeit, die im Zweifel das Schicksal des Einzelnen über starre Vorschriften und Ideologien stellt. 25 Als Dichter und evangelischer Pfarrer gelingt es Christian Lehnert, die katholische Fixierung auf Priester und 312 1 Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben <?page no="313"?> 26 Lehnert zitiert hier A N G E L U S S I L E S I U S , Cherubinischer Wandersmann, 10; L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 189. 27 Vgl. L E H N E R T , Stille ohne Maß; D E R S ., Der Gott in einer Nuß, 53: „Jede Epiphanie spaltet in ihrem Licht den Gott in einen hellen offenbaren und einen dunklen verborgenen Gott, in eine Stimme und in eine Stille, eine stumme Offenheit, die als deus absconditus, als abwesender Gott, die Theologie beunruhigt.“ 28 Vgl. hier bes. das fünfte Blatt („Unentschiedenheit“), in: L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 15-21. 29 Vgl. L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 157-165. 30 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 163 f. Wandlungsmysterium aufzubrechen: „Gott ist ein lauter Nichts […].“ 26 Poetisch suchend geht er der Paradoxie vom anwesend-abwesenden Gott nach („Der Gott in einer Nuß“) und kritisiert dabei den zunehmenden Fundamentalismus in beiden Kirchen (katholisch den liturgischen, evangelisch den biblischen). 27 Auf der Suche nach Kriterien des gelungenen Gottesdienstes greift aber auch er auf die klassische Dramaturgie der Messe zurück, indem er ihre einzelnen Stationen theologisch erschließt: 28 Introitus, Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei. Der eigentliche Glutkern, das Hochgebet mit den sonst so häufig ins Wort genommenen verba testamenti bleibt jedoch eine Leerstelle. Im ausführlichen Kapitel über das Sanctus („Dreimal heilig.“) deutet Lehnert anhand der Thronvision Jesajas (6,1-4) an, warum sie nicht explizit Erwähnung findet: 29 „Die Erfahrung der realen Gegenwart Gottes fügt sich nicht in die menschlichen Worte. Die Gottesnähe mischt sich nicht mit dem Sehen, welches ja immer nur faßt, was sei oder vorgestellt wird, herausgelöst in die Vereinzelung und Wahrheit des Erscheinens als Ding oder Körper oder Muster. Sie vermischt sich auch nicht mit dem Hören. Jesaja wird leergebrannt, der Worte und der Sinne beraubt. Er ist selbst ein Opfer auf dem Altar im Tempel. Die Nähe Gottes ist vernichtend. Bevor er sagen kann: ›Hier bin ich‹, wird er ausgelöscht. Kein ›Ich‹ spricht da mehr. Jesaja wird im Brand verwandelt.“ 30 Immer wieder kreist Lehnert um die (mystische) Erfahrung der Leere als eigentlichen Ort der Gottesbegegnung. Zugleich löst er auf seine Weise ein, wozu Handke im Eröffnungszitat auffordert. Er deutet die einzelnen Mess‐ teile nicht nur religions- und liturgiewissenschaftlich, sondern flicht in die Messdramaturgie immer wieder kleine poetische Erzählungen (Beobachtungen, Reflexionen, Visionen, Meditationen etc.) ein, um den eigentlichen Gehalt der Messe zwischen Alltag und Liturgie oszillieren zu lassen. Damit bricht er nicht 1 Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben 313 <?page no="314"?> 31 Vgl. dazu den pointierten Covertext (Umschlag innen) von L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß. nur „Verständnisbarrieren“ innerhalb der christlichen Konfessionen auf, er füllt die Liturgie im wahrsten Sinn des Worte mit (seinem) Leben. 31 314 1 Wandlungsphänomene zwischen Liturgie und Leben <?page no="315"?> 32 S A L M A N N , Was ist Kult? , 177. 33 Der Autor folgt in diesem Abschnitt Elmar Salmann, indem er dessen Definition von Kult und Liturgie mit den Erkenntnissen aus der Literaturanalyse zusammenbringt; vgl. D E R S ., Was ist Kult? und B I E R I N G E R - S A L M A N N , „Liturgie will dem Leben aufhelfen“. 34 Vgl. dazu das berühmte Diktum von Johann Baptist Metz, das ebenso für die Liturgie eine grundlegende Gültigkeit hat: „Kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung“, in: D E R S ., Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie (Gesammelte Schriften 3/ 1), Freiburg i. Br. u.-a. 2016, 184. 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes Liturgie gelingt oft deshalb nicht mehr, weil überzogene Erwartungen an sie gestellt werden. „Da sie [= die Liturgie, AB] der geläufigen Meinung zufolge keine übernatürlichen Gnaden mehr vermittelt und ihr sakral-archetypischer Charakter wenig erkannt und gepflegt wird, erhofft man sich dort seelische und soziale Bereicherung, menschlich verifizierbare Wirkungen - die enttäuscht werden müssen.“ 32 Wenn die Liturgie in der Praxis tatsächlich an falschen Ansprüchen scheitert, lässt sich im Umkehrschluss ebenso folgern, dass sie immer noch Erwartungen der Literatinnen und Literaten erfüllt, sonst würde sie wohl kaum so sprachmächtig ins Wort genommen. Worin, so lautet die ab‐ schließende Frage, liegt nun die Faszination der Literatur für den (katholischen) Gottesdienst? Um die Ergebnisse der Studie für die Praxis zu sichern, steht am Ende der Versuch, eine kleine „Typologie“ des literarischen Gottesdienstes in Anschluss an Elmar Salmann zu formulieren, die sich erneut in vier Spannungs‐ bögen ausdrückt: 1.) Zeit und Raum, 2.) Einsamkeit und Gemeinschaft, 3.) Nähe und Distanz, 4.) Liturgie und Leben. 33 2.1 Zeit und Raum Liturgie im Anschluss an ein bekanntes Diktum von Johann Baptist Metz als „Unterbrechung“ zu beschreiben, ist nicht neu, gehört aber zu den zentralen Merkmalen literarisch gespiegelter Gottesdienste. 34 In der Wahrnehmung seiner Figuren unterbricht und wandelt er Raum und Zeit, damit sie Abstand vom hektischen Alltag gewinnen und festgefahrene Routinen ablegen. Die Höhe und Tiefe des Kirchenraumes, die Mehrdimensionalität der dort ver‐ handelten Zeit (Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart) und ein archetypischer <?page no="316"?> 35 S A L M A N N , Was ist Kult? , 178. 36 H A N D K E , Mein Jahr in der Niemandsbucht, 967. 37 Vgl. u.-a. S T O C K I N G E R , Feuilletonkatholizismus. 38 S A L M A N N , Was ist Kult? , 179. 39 Bislang hat sich die katholische Liturgiewissenschaft noch kaum mit einer Ausle‐ gung des Gottesdienstes als „Lebensdeutung“ beschäftigt. Vgl. dazu L A U S T E R , Jörg, Religion als Lebensdeutung. Theologische Hermeneutik heute, Darmstadt 2005. 40 Wo groß die Bandbreite liturgischen Betens sein kann, zeigt besonders eindringlich M E Y E R - B L A N C K , Michael, Das Gebet, Tübingen 2019. Mittler (Priester) lassen das Leben seiner Besucher und Besucherinnen im Licht eines Größeren erscheinen. „In seinem Raum ist alles nicht nur, sondern sogar ein Gleichnis; es wird liebens- und bedenkenswert, Stelle, an der Gott zur Welt kommen kann.“ 35 Wie eng diese Inkarnation mit den Biographien der literarischen Figuren verknüpft ist, deutet einmal mehr Handke in seinem monumentalen Opus „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ an. Immer wieder zieht es den Ich-Erzähler Gregor Keuschnig in den Gottesdienst, um durch vertraute Klänge aus Kindheitstagen den Alltagstrott zu unterbrechen: „Aber es öffnete mich erst einmal; nein, riß mich auf. So hoch auch die Töne wurden, so tief wirkte auf mich der Klang. Keine Kindheit brachte er mir zurück, sondern der Mensch wurde ich mit ihm, der ich bin, oft zittrig, doch nicht wehrlos. “36 Nicht die nostalgische Verklärung der (liturgischen) Kindheit steht hier im Vordergrund, wie mitunter von Kritikern des sog. Feuilletonka‐ tholizimus gemutmaßt wird, sondern ein religiöses Ritual, das die Berührung mit der Lebensgeschichte ermöglicht. 37 Damit ist ein versöhnlicher Umgang mit den Verfehlungen der eigenen Vergangenheit ebenso gemeint wie eine von Sorgen, Lasten und falschen Ansprüchen bereinigte Zukunft. „Und die Gegenwart ist nicht flüchtig vergehende noch steht sie unter dem Druck un‐ endlicher Erfüllung (Stress), sondern gibt sich der gastfreien Aufmerksamkeit als Kairos und Gabe, als gestundete Möglichkeit.“ 38 Der hermeneutische Grundgestus des literarischen Gottesdienstes be‐ deutet aber keineswegs, dass er sich in einer diesseitigen Aufmerksamkeits‐ schule erschöpft. 39 Die befreiende Erzählung der eigenen Lebensgeschichte, ein dominierendes Motiv literarisch gespiegelter Liturgie, ist für viele Prota‐ gonisten und Protagonistinnen Bedingung, um überhaupt liturgisch vor Gott treten zu können. 40 Wenn die Figuren ins Gebet finden - die Zurückhaltung gegenüber direkten Bekenntnissen soll auch an dieser Stelle nicht leichtfertig übergangen werden -, drückt es sich als existentielle Rede im Modus von 316 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes <?page no="317"?> 41 Vgl. B O D E N H E I M E R , Alfred - T Ü C K , Jan-Heiner (Hgg.), Klagen, Bitten, Loben. Formen religiöser Rede in der Gegenwartsliteratur, Ostfildern 2014, hier bes. 7-11; T Ü C K , Hintergrundgeräusche, hier wiederum 10-31. 42 Vgl. S A L M A N N , Was ist Kult? , 181. 43 Vgl. exemplarisch dazu Felicitas Hoppe, die von der Beichte als „aufgespanntem Ohr Gottes“ spricht. D I E S ., Beichtkinder. Über Bekenntniswahn und Bekenntniszwang, in: Florian H Ö L L E R E R - Tim S C H L E I E R (Hgg.), Betrifft: Chotjewitz, Dorst, Hermann, Hoppe, Kehlmann, Klein, Kling, Kronauer, Mora, Ortheil, Oswald, Rakusa, Sebald, Walser, Zeh (Edition Suhrkamp 2379), Frankfurt a.-M. 2004, 88-95, hier 90 f. 44 „Die Freude, jetzt an dem Tag des Großen Falls, blieb unbehelligt vom Unglück der anderen. Oder nein: das Unglück wurde darin allgegenwärtig, aber es erschien als Teil dieser Freude, und es durchwirkte sie, statt sie zu durchkreuzen. Es war eine Freude durchwirkt von Schmerz, in welcher er dahinpilgerte, und er spürte in ihr, mit ihr und durch sie keinerlei Unrechtbewußtsein und schlechtes Gewissen: nicht seine persönliche Freude war es, die ihn trug, nichts hatte sie zu schaffen mit ihm allein, sie überstieg ihn. Diese schmerzhafte Freude war eine einhellige.“, in: H A N D K E , Der Große Fall, 188. 45 Vgl. H I L P E R T , Konrad u.-a., Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen Bilanzierungen Perspektiven (QD 309), Freiburg i. Br. u. a. 2020, hier vor allem die Beiträge aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive von O D E N T H A L , Andreas, Priesterbild - Gottesdienst - Missbrauch. Liturgiehistorische und kulturpsychologische Überlegungen zur Ambivalenz liturgischer Rollenbilder, 199-208; B Ö N T E R T , Stefan, Gegen das Vergessen. Zur Notwendigkeit der Erinnerung an das Leid der Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche, 293-301 und J E G G L E - M E R Z , Birgit, „Schweigen wäre gotteslästerlich“. Gottesdienst im Angesicht von Missbrauchserfahrungen, 305-316. Lob, Klage, Bitte und Dank aus. 41 Dazu gehört der Dank für die Rettung aus biographischen Verstrickungen (Ortheil) ebenso wie das Lob für flüchtige Momente geglückten Lebens (Handke) oder die Bitte (Stadler, Morsbach) um Schutz und Segen (Handke, Ransmayr). Ferner schrecken die Literaten selbst vor kontrovers diskutierten Begriffen wie Opfer, Schuld oder Reinigung nicht zurück. 42 Die aus heutiger Perspektive ungewöhnlich hohe Präsenz von Beichtszenen und Sühneritualen (Ortheil, Ransmayr, Morsbach) könnte dafür sprechen, dass es trotz aller Verwerfungen immer noch Bedarf für geschützte Räume gibt, in denen das eigene Fehlen vor Gott zur Sprache gebracht wird. 43 Handkes Motiv der „schmerzhaften Freude“ gibt umgekehrt aber auch Anstoß, darüber nachzudenken, wie die Kirche ihre eigenen Verfehlungen bzw. die ihrer Amtsträger liturgisch begehen kann. 44 Um das Leid der Opfer mit der vergebenden Kraft der Liturgie wieder zusammenzubringen, hält der literarische Gottesdienst eine breite Palette an anthropologischen Grund‐ gesten bereit. 45 2.1 Zeit und Raum 317 <?page no="318"?> 46 Vgl. B O D E N H E I M E R - T Ü C K , Klagen, Bitten, Loben, 7 f. 47 Vgl. zur Verhältnisbestimmung von Gemeinschaft und Individuum in der Liturgie den hervorragenden Beitrag von F A B E R , Eva-Maria, Persönliches in Gemeinschaft. Liturgisches Beten in der Spannung von Intimität und öffentlich-sozialer Handlung, in: D A L F E R T H - P E N G -K E L L E R (Hgg.), Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Hermeneutik des Gebets (QD 275), Freiburg i. Br. u.-a. 2016, 197-229. 48 R A N S M A Y R , Geständnisse eines Touristen, 105. 49 H A N D K E , Wie ein Gewecktwerden für einen anderen Tag, 45. 50 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 16. 2.2 Einsamkeit und Gemeinschaft Der literarische Umgang mit existentiell-religiöser Rede in den hier vorge‐ stellten Romanen und Erzählungen dokumentiert einmal mehr, dass sich der Mensch nicht selbst genügt, sondern immer auch auf andere (oder den ganz Anderen) angewiesen ist. 46 Von daher wird der literarische Gottesdienst ebenso als Spannungsverhältnis zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft, Individualität und Kollektivität inszeniert. 47 Erstaunlich genug, dass Autoren wie Handke oder Ransmayr („Mein Thema ist der einzelne“ 48 ), die innerhalb wie außerhalb der Werke ihr Image als Solitäre pflegen, sich von gemeinschaftlichen Vollzügen liturgischer Rituale dennoch stark angezogen fühlen: „‚Abendmahl‘? Als ich, lange nach meiner 1. Kommunion, endlich von mir selber ge‐ schubst (oder von etwas, das mehr war als ich selber), kommunizieren ging, nach einer etwa dreißigjährigen Epoche ohne Hostie, war das eher eine Art Morgenmahl für mich - etwas wie ein Gewecktwerden, für einen anderen Tag, für eine andere Zeit. […] Und zu dem erhaben-heiteren Spiel gehörte eben auch, daß ich mit anderen zu jenem ,Mahl der Anderen Zeit‘ ging, daß ich in Gemeinschaft war; daß so Gemeinschaft erst, wie flüchtig auch immer, geschaffen wurde, so flüchtig wie beständig; eine der wenigen Gemeinschaften, die mir möglich wurden. […]“ 49 Die inflationär gebrauchte Rede vom Gemeinschaftscharakter der Liturgie klingt für heutige Ohren mitunter abgegriffen, ja steht mit anderen stereotypen Wendungen als Synonym für „Kirche als ein kollektives Überredungsritual, ein kuschelig-gemeinsames Augenschließen, das noch gegen die Wahrnehmungen von innen immunisiert.“ 50 Dass in der Literatur die liturgische Gemeinschaft dennoch so stark gewichtet wird, liegt paradoxerweise zuerst an dem individu‐ ellen Charakter liturgischen Handelns. Oder anders formuliert: Erst das indivi‐ duelle Angesprochensein macht eine gemeinschaftliche Erfahrung möglich. Es gehört zur Eigenart literarischer Gottesdienste, dass sie sich tendenziell auf die Seite des und der Einzelnen und dessen bzw. deren Bedürfnisse schlagen. Im Kontext heutiger Praxis lässt sich dieser Fokus durchaus als Kritik an einer 318 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes <?page no="319"?> 51 Für Winfried Haunerland ist die Liturgie „nicht einfach der Ort, an dem jeder gleichsam für sich seine individuelle Gottesbeziehung pflegen soll.“, in: H A U N E R L A N D , Winfried, Spiritualität der Kirche und Spiritualität der Einzelnen - ein spannungsvolles und befruchtendes Verhältnis, in: D E R S . - Alexander S A B E R S C H I N S K Y - Hans-Gerd W I R T Z (Hgg.), Liturgie und Spiritualität, Trier 2004, 11-31, hier 21; an anderer Stelle erklärt Haunerland die Teilnahme an der Liturgie nur dann als „liturgiegemäß, wenn sie auf den gemeinschaftlichen Vollzug zielt, also nicht nur als Akt individueller Frömmigkeit verstanden wird.“, in: D E R S ., Participatio actuosa, hier 586. Ähnlich argumentiert auch Martin Stuflesser, der ebenso kein Verständnis für mehr persönliches Gebet in der Liturgie hat, selbst wenn das Anliegen von Gläubigen artikuliert wird: „Aber artikuliert sich in diesem Wunsch [= der Gläubigen, AB] nicht doch eine eigentlich erschreckende Unkenntnis über die Unterscheidung zwischen persönlichem, privatem Gebet und dem liturgischen Gebet der Kirche, welches sich immer in Gemeinschaft vollzieht? “, in: D E R S ., Eucharistie. Liturgische Feier und theologische Erschließung, Regensburg 2013, 274. 52 Kardinal Franz König im Juni 1964, zitiert nach H A U N E R L A N D , Winfried, Die Liturgie als Gottesdienst der ganzen Kirche. Zur Konstitution Sacrosanctum concilium über die heilige Liturgie, in: D E R S . - Hanjo S A U E R (Hg.), Liturgie - Spiegel des Kirchenbildes. Wer das Volk Gottes ist und wie es feiert (Kardinal König Bibliothek 3), Wien u. a. 2013, 63-114, 105. 53 F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 208. Weiter im Text erläutert sie dazu ergänzend: „Diese Ausrichtung auf die Einzelnen muss darum auch in der Liturgie zum Tragen kommen, denn den Einzelnen ist kein anderer Ort gegeben, an dem das nicht nur ge‐ lesene, sondern verkündigte Wort und die Vollzüge der Sakramente ihnen widerfahren und sie zu einer persönlichen Aufnahme herausfordern könnten.“, in: ebd. 212 f. Übertonung des gemeinschaftlichen Charakters der Liturgie lesen, solange damit eine Abwertung des Individuellen verbunden ist: 51 „Die Pflege der individuellen Frömmigkeit verdient heute mehr Beachtung, damit der Zug zur Gemeinschaftsfrömmigkeit nicht zu einem religiösen Kollektivismus mit allen seinen auf anderen Gebieten bekannten Folgen - deren schlimmste ist die Auslöschung der Persönlichkeit - führt.“ 52 Das Zitat stammt vom Wiener Erzbischof Kardinal Franz König (1905-2004), der schon kurz nach Verabschiedung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums auf das liturgische Gleichgewicht zwischen Individualität und Gemeinschaftlichkeit pochte. Ohne die Errungenschaften der Liturgiereform in Frage zu stellen, plädiert knapp fünfzig Jahre nach König die Churer Dogmatikerin Eva-Maria Faber ebenso für eine deutlichere Gewichtung des individuellen Charakters: „Vorgeschlagen wird […] die Leitvorstellung einer elliptischen Verfasstheit der Liturgie, verbunden mit der Diagnose, dass der Brennpunkt der persönlichen Intimität der Feiernden in Theorie und Praxis oftmals nicht hinreichend Beachtung findet.“ 53 Faber bestätigt damit nicht nur einen Befund aus der literarischen Analyse, mit „persönlicher Intimität“ 2.2 Einsamkeit und Gemeinschaft 319 <?page no="320"?> 54 Fabers Rede von der „persönlichen Intimität“ wird den liturgischen Erfahrungen in der Literatur gerechter als der noch von König verwendete Frömmigkeitsbegriff. 55 Vgl. B Ö N T E R T , Stefan, Ein fruchtbares Spannungsverhältnis. Anstöße aus der Geschichte für das Verhältnis von Liturgie und Spiritualität in der Gegenwart, in: D E R S . (Hg.), Objektive Feier und subjektiver Glaube? Beiträge zum Verhältnis von Liturgie und Spiritualität (StPaLi 32), Regensburg 2011, 117-146, hier bes. 137 f. 56 Was für die sog. Kasualien teils selbstverständlich ist, sollte ebenso für die Messfeier gelten; allerdings ist hier der Modus ein anderer. 57 F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 217. 58 Vgl. F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 220-228. 59 Vgl. F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 226 f. Im Bereich der Kirchenmusik (medita‐ tives Hören als Teil der aktiven Beteiligung am Gottesdienst) beruft sich Faber vor allem auf K O H L S C H E I N , Franz, Bewußte, tätige und fruchtbringende Teilnahme. Das Leitmotiv der Gottesdienstreform als bleibender Maßstab, in: Theodor M A A S -E W E R D (Hg.), Lebt unser Gottesdienst? Die bleibende Aufgabe der Liturgiereform (FS Bruno Kleinheyer), Freiburg i. Br. 1988, 38-62. Was die liturgische Raumgestaltung angeht, greift sie wiederum zurück auf K R A N E M A N N , Benedikt, Private Frömmigkeit und die Liturgie der Gemeinde, in: Christoph M Ü L L E R - Thomas S T E R N B E R G (Hgg.), Plätze zum Beten. Devotionsorte im Kirchenraum. Dokumentation einer Kooperationstagung der Akademie Franz-Hitze-Haus mit dem Deutschen Liturgischen Institut Trier und den Seminaren für Liturgiewissenschaft der Universitäten Erfurt und Münster (Edition Franz Akademie Franz Hitze Haus 16), Münster 2007, 7-27, hier 24. 60 F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 225. findet sie auch eine Wendung, die sich analog auf die Literatur anwenden lässt. 54 Intimität scheint dort ebenso Voraussetzung für einen gelingenden Gottesdienst, weil über sie „individuelle Lebensthemen“ und gesetzte Liturgie zusammenfinden. 55 Auf die liturgische Praxis der Eucharistiefeier umgelegt, bedeutet das aber nicht, dass die Teilnehmenden ihre persönlichen Themen offen in der Liturgie artikulieren müssten. 56 „Die Feiernden benötigen aber für ihre eigenen Sinndeutungen Freiräume, die nicht schon von anderen Seiten gefüllt sind.“ 57 Um Momente persönlicher Intimität zu fördern, schlägt Faber ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor, das sich in vielen Bereichen mit der bereits hier erhobenen Forderung nach Verbesserung der nonverbalen Kommunikation im Gottesdienst überschneidet. 58 Dazu gehören Phasen der Reflexion in Stille und Schweigen, um das Gesehene, Gehörte und Erfahrene innerlich zu verar‐ beiten, ebenso wie der gezielte Einsatz von kirchenmusikalischen Elementen („meditatives Hören“) oder die Berücksichtigung individueller Devotionsorte. 59 Bei alldem geht es einer literarisch inspirierten Gottesdienstpraxis aber nicht um die Reduzierung gemeinschaftlicher Momente zugunsten individueller, sondern um einen liturgischen Stil, der „weniger kognitiv und weniger dialogisch geprägtes, vielmehr stärker meditatives, auf Wiederholung angelegtes Feiern“ 60 ermöglicht. 320 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes <?page no="321"?> 61 S A L M A N N , Was ist Kult? , 181. 62 S A L M A N N , Was ist Kult? , 181. 63 K E R B L E R - R A N S M A Y R , Im Gespräch. 64 Vgl. Haunerland, der auf die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums zurückgreift: D E R S ., Spiritualität der Kirche und Spiritualität der Einzelnen, 27 f. 65 Fulbert Steffensky mahnt in diesem Zusammenhang an, dass Liturgie und eigene Frömmigkeit nicht deckungsgleich werden dürfen. „[M]eine Authentizität beschränkt sich nicht auf die Übereinstimmung mit sich selber.“, in: D E R S ., Der alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg 2002, 21. Der Autor verdankt das Zitat und Einsichten dazu F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 219. 2.3 Nähe und Distanz Faber zielt mit ihrem elliptischen Modell darauf ab, das oft als gegensätzlich beschriebene (oder erlebte) Spannungsverhältnis von Individualität und Ge‐ meinschaftlichkeit nicht einseitig aufzulösen. Ganz ähnlich argumentiert Sal‐ mann, für den Kult immer beides bedeutet: „[…] leibseelischer und spiritueller, einsamer und gemeinschaftlicher Vorgang, der sich vielfältig auslegt.“ 61 Der Benediktiner geht noch einen Schritt weiter, wenn er das oben beschriebene Pa‐ radoxon vom inneren Zusammenhang zwischen individuellem und kollektivem Vollzug mit dem prekären Charakter der Liturgie erklärt: „Gebet ist einsamer Vollzug des Herzens, da jeder einmalig von seinem Gott ange‐ sprochen ist und ihm antworten muss. Ein jeder ist Monade und Mönch, hat sein unmitteilbares Geschick vor Gott und sich selbst auszutragen, und dem verleiht das Gebet Würde, Form, Lebbarkeit. In solcher Tiefeneinsamkeit kommen die verschie‐ denen Subjekte [in der Liturgie, AB] zusammen, verstehen sie einander und tragen dieses ihr Einander, diese Urverbundenheit in Lachen und Weinen, Tod und Leben, Schuld und Gnade vor Gott.“ 62 Wer einmal durch eine solche „Tiefeneinsamkeit“ hindurchgegangen ist, kann mit Ransmayr, der sonst Rituale, Gottesdienste, Wallfahrten oder Prozessionen nur aus der sicheren Entfernung eines neutralen Beobachters ins Wort nimmt, sagen: „Einer von vielen zu sein hat etwas Tröstliches“ 63 . Denken wir das elliptische Modell an dieser Stelle weiter, schließt sich mit Nähe und Distanz, Vertrautheit und Fremde ein weiterer Brennpunkt des literarischen Gottes‐ dienstes an. Schon mehrmals war die Rede davon, dass sich die literarische Liturgie aus existentiellen Erfahrungen wie Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, Fragen und Sorgen, Zuversicht und Zweifel speist und gerade darin dem Leben seiner Protagonisten nahe ist (vgl. GS 1). 64 Ein zu hohes Maß an Lebensnähe, heute oft mit dem Etikett „authentisch“ versehen, birgt die Gefahr, dass der Gottesdienst zum Echo eigener Bedürfnisse verkommt. 65 „Es darf ihnen 2.3 Nähe und Distanz 321 <?page no="322"?> 66 F A B E R , Persönliches in Gemeinschaft, 218. 67 L E H N E R T , Der Gott in einer Nuß, 136 f. 68 B I E R I N G E R - S A L M A N N , „Liturgie will dem Leben aufhelfen“, 6. [= den Teilnehmenden am Gottesdienst, AB] nicht darum gehen, in der Liturgie nur den Widerhall ihrer eigenen Spiritualität zu suchen, weil sie teilhaben an einem größeren Ganzen.“ 66 Wenn der Eindruck nicht täuscht, wird das Misslingen von Gottesdiensten in der Praxis nicht selten auf seine strukturelle Unverständlichkeit zurückgeführt. Als fremd und lebensfern empfundene Texte, Gebete und Rituale be- oder verhindern die Zirkulation zwischen eigener und biblischer Erfahrung. Als Spiegelung realer Verhältnisse wird auch im literarischen Gottesdienst diese Diskussion greifbar. Kritisch dazu äußert sich Lehnert: „Wer von einem Gottesdienst ‚Verständlichkeit‘ fordert, begibt sich gefährlich an den Rand der Idolatrie. Zumindest zieht er das religiöse Erwachen in den dumpfen und schläfrigen Weltbetrieb, in die Langweile aufgeklärter Selbstzufriedenheit.“ 67 In ähnlicher Weise plädiert Salmann auch dafür, zunächst die Fremdheit der Liturgie gegenüber dem Leben einzugestehen: „Sie ist ein hochstilisierter, verfremdender und fernliegender Vollzug. Ein Vollzug, der nur in dieser Ferne zum Leben gehört und für das Leben bedeutsam ist. Die Liturgie ist demnach nicht einfach lebensnah. Sondern sie will dem Leben aufhelfen, weil sie aus der Ferne kommt und ins Ferne entführt.“ 68 Auch wenn die Bereitschaft, sich auf fremde und schwer verständliche Formen einzulassen, in der Literatur höher ist als in der liturgischen Praxis, können weder Lehnert noch Salmann darüber hinwegsehen, dass sich im literarischen Gottesdienst traditionelle Vorgaben und heutige Lebensumstände nicht selten unvermittelt gegenüberstehen. Um gegen diese Kluft anzuschreiben, entwickeln Morsbach und ihre Schriftstellerkollegen voneinander abweichende Strategien. Ortheil gelingt es mit seiner biographischen, symbolischen und humanen Um‐ besetzung, die Liturgie nahe an die heutigen Lebensumstände heranzuführen. Seine Stärke liegt in einer elementaren Ästhetik, die eine innere und äußere Partizipation leichter möglich macht. Für diese Anpassung nimmt er im Ge‐ genzug den Verlust der Sakramentalität („Das Kind, das nicht fragte“) in Kauf. Handke („Der Große Fall“) und Ransmayr („Atlas eines ängstlichen Mannes“) schlagen die entgegengesetzte Richtung ein, wenn sie ihre Liturgie durch Verfremdung, Formalisierung und Stilisierung ganz bewusst in Distanz zum Alltag erscheinen lassen. Sie riskieren mit einer stark rituell geprägten Ästhetik freilich, den Anschluss an zeitgemäße Ausdruckformen zu verlieren. Beide Strategien lassen sich nicht ohne Abstriche in die liturgische Praxis rückführen, geben aber - im Sinn des elliptischen Modells - Auskunft über die „vielfache 322 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes <?page no="323"?> 69 S A L M A N N , Was ist Kult? , 180. 70 „Der Raum der Liturgie ist nicht einfach mit dem Kirchenraum gleichzusetzen, sondern übergreift diesen auf verschiedene Weise.“, in: G E R H A R D S , Albert, Vorbedingungen, Dimen‐ sionen und Ausdrucksgestalten der Bewegung in der Liturgie, in: Wolfgang M E U R E R (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst, 11-24, hier 19. Der Autor verdankt diesem Beitrag den Hinweis auf Otto Friedrich Bollnow und das Zitat von Carl Amery. 71 Vgl. G E R H A R D S , Vorbedingungen, Dimensionen und Ausdrucksgestalten der Bewegung in der Liturgie, 19-21. 72 Vgl. B O L L N O W , Otto Friedrich, Mensch und Raum, Stuttgart 10 2004. 73 G E R H A R D S , Vorbedingungen, Dimensionen und Ausdrucksgestalten der Bewegung in der Liturgie, 19f. 74 A M E R Y , Carl, Die Wallfahrer. Roman (Heyne allgemeine Reihe), München 1989, 7. Hier ist zu ergänzen, dass Wallfahrten und prozessionsartige Umzüge nicht zum genuinen Erbe des Zweideutigkeit“ 69 der Liturgie, die sich zwischen mechanischem Ritualismus und sozialer Funktionalität bewegt. 2.4 Liturgie und Leben Liturgie beschränkt sich nicht auf den Kirchenraum, sie „übergreift diesen auf verschiedene Weise.“ 70 Albert Gerhards nennt als Beispiel für die räumliche Über‐ schreitung die rituelle Bedeutung des Kirchenportals als „Schwelle zur Welt“, die von Stationsgottesdiensten, Begräbniszügen, Prozessionen (Sakraments-, Reliquien-, Bitt-, Buß-, Flurprozessionen), Umgängen und Wallfahrten überschritten wird. 71 Liturgisch vermessen wird demnach nicht nur der Innen-, sondern auch der Außenraum. Mehrfach wurde in dieser Arbeit darauf hingewiesen, dass kirchen‐ raumüberschreitende Liturgien eine besondere Anziehungskraft auf Literaten wie Ransmayr, Handke, Stadler oder Morsbach ausüben. Dieses Interesse lässt sich mit Otto Friedrich Bollnow („Mensch und Raum“) anthropologisch begründen: 72 „Nicht im vom Menschen geschaffenen Haus findet der Mensch letzte Geborgenheit, sondern im übergreifenden Raum überhaupt. […] Beim ‚Durchmessen‘ des Raumes wird der noch unbestimmte und damit bedrohliche Raum zum bergenden Lebensraum. Das Chaos wird zum Kosmos, die Einöde zur Wohnstätte.“ 73 Der Schriftsteller Carl Amery (1922-2005) deutet die Wallfahrt aus christlicher Perspektive als universale Suche nach metaphysischer Obhut: „Wallfahrt! Altes, mächtiges Bild für unser Dasein auf Erden. Gleichnis insbesondere für den Chris‐ tenmenschen, der Pilger ist, das heißt ein verbanntes Kind Evas, stolpernd über die Fluren und Äcker der Fremde.“ 74 Das „Transzendieren“ der Liturgie über den Raum der Kirche hinaus bleibt im literarischen Gottesdienst nicht auf die räumliche 2.4 Liturgie und Leben 323 <?page no="324"?> Christentums gehören. Ihr Ursprung geht (im Christentum) vor allem auf antike Religiosität zurück. Vgl. B R A K M A N N , Muster bewegter Liturgie in kirchlicher Tradition. 75 Vgl. O R T H E I L , Das Kind, das nicht fragte, 111-125. 76 Vgl. M O R S B A C H , Gottesdiener, 355. 77 Vgl. S A L M A N N , Was ist Kult? , 185. 78 S A L M A N N , Was ist Kult? , 185. 79 Hier werden lediglich die in dieser Arbeit behandelten Autoren aufgezählt, die der sog. Ministrantenfraktion zugeordnet werden können. Dimension beschränkt. Oder anders formuliert: Die Affinität zu „kirchenraum-über‐ schreitenden Gottesdiensten“ steht für eine vielschichtige Durchlässigkeit zwischen Liturgie und Leben. Bei Ortheil geht die klassische Ohrenbeichte in ein fröhliches Frage- und Antwortspiel zwischen Priester und Jungen über. 75 Bei Morsbach löst sich der Hiat zwischen Liturgie und Rattenhubers verkorkstem Leben erst auf, als sich die vierjährige Reininger Fannerl am Kirchenvorplatz um seine Beine schmiegt. 76 Insgesamt lässt sich resümieren, dass die Verschränkung von Liturgie und Leben immer dann besonders gut gelingt, wenn die Grundspannung zwischen Zeit und Raum, Einsamkeit und Gemeinschaft, Nähe und Distanz lebendig gehalten wird. Eingangs wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Beziehung zwischen Literatur und Liturgie so vielgestaltig ist, sodass es keine simple Formel gibt, mit der sich die Erkenntnisse aus der Literatur auf die Liturgie übertragen ließen. Als literarisch inspirierter Stil könnte der literarische Zugriff im Sinne eines „doppelten Blicks“ dennoch auf die liturgische Praxis zurückwirken, weil es ihm gelingt, sowohl das Klassische zu würdigen als auch den Ritus zu humanisieren. 77 Die Wertschätzung für klassische Formen und die Übersetzung ins Leben gehören für den literarischen Gottesdienst untrennbar zusammen. Zu ergänzen wäre noch seine hohe Sensibilität für das religionsgeschichtliche Erbe innerhalb der christlichen Liturgie, ohne dabei in Vorurteile oder Ressentiments gegenüber dem Alten zu verfallen. Dabei verhindert der doppelte Blick stets, dass der Gottesdienst zum „Selbstzweck“ wird, „sondern bei aller Traditionalität seiner Form Übergang, Pascha sowie Hochzeit von Kultur und Natur, Wort und Gebärde, Erde und Himmel, Mensch und Gott, Gegenwart des Vergangenen und des Zukünftigen [bleibt].“ 78 Oft genug war in dieser Arbeit von der sog. Ministrantenfraktion (Handke, Ortheil, Ransmayr, Stadler) innerhalb der deutschsprachigen Literatur nach 1945 die Rede, deren einflussreichste Vertreter noch vor dem Zweiten Va‐ tikanum liturgisch sozialisiert wurden. 79 Damit ist zugleich die Rückfrage verbunden, ob nicht mit dem Ende dieser Generation auch die liturgischen Spuren aus der deutschsprachigen Literatur verschwinden. Schon seit geraumer Zeit wirken sich die gesellschaftlichen Umbrüche und der zunehmende Bedeu‐ tungsverlust des Christentums auf die Präsenz von religiösen und liturgischen Motiven in der Literatur aus. Wenn der Eindruck nicht täuscht, formiert sich 324 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes <?page no="325"?> 80 Vgl. dazu B O S S O N G , Nora - L E V E N , Benjamin „Rückzug ins Geistige“. Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Nora Bossong, in: HerKorr 73 (2019/ 7) 16-18; G O M R I N G E R , Nora - L E V E N , Benjamin, „Ich habe immer gedacht, dass ich Nonne werde”. Ein Gespräch mit der Lyrikerin Nora Gomringer über Demut, in: HerKorr 72 (2018/ 5) 18-21; vgl. außerdem B O S S O N G , Nora, Sommer vor den Mauern. Gedichte (Edition Lyrik-Kabinett 18), München 2011, hier bes. 5-14. 81 G O M R I N G E R , Nora - M A Y E R , Tobias, „Literatur ist mächtig, weil das Wort nie an Kraft einbüßt“. Die Autorin Nora Gomringer im Gespräch über Glauben und Schreiben, in: feinschwarz.net vom 14.06.2016 - https: / / www.feinschwarz.net/ literatur-ist-maechtig -weil-das-wort-nie-an-kraft-einbuesst/ (Zugriff am 28.01.2020). 82 Dieser Abschnitt folgt B I E R I N G E R , Poetische Liturgik, hier 348-350. 83 G O M R I N G E R , Nora, «Man sieht’s», in: Akzente 63 (2016/ 1) 91-95, hier 95. eine neue Generation von jungen Autoren und Autorinnen, die das Erbe der Ministrantenfraktion trotz veränderter Ausgangslage fortsetzt. Mit Nora Gomringer (geb. 1980) und Nora Bossong (geb. 1982) gibt es zwei ehemalige Ministrantinnen, eine zur Zeit von Handke und den anderen hier behandelten Schriftstellern noch völlig unvorstellbare Tatsache, die sich einen festen Platz in der Literaturszene gesichert haben. 80 Nora Gomringer, Tochter des bekannten Dichters Eugen Gomringer, macht aus ihrem religiösen Bekenntnis kein Ge‐ heimnis: „Ich bin Autorin und Christin und man liest es mir an.“ 81 Eine unge‐ wöhnliche Kombination im postmodernen Literaturbetrieb, noch dazu, weil sie ihren ehemaligen Dienst als Ministrantin in ihrer Poesie zum Klingen bringt: 82 „Man sieht’s Die Messe biegt in ihre 40ste Minute Als gewandelt wird Das Wasser in Wein zu Blut Das Brot als Hostie zu Leib Glockenklingel, Ministrant tritt immer hinten auf die Kutte, wenn er sich erhebt Da ist viel Leib am Werk Jesus, ein Fremder an einem Holzkreuz, hat einen schlimmen Schnitt in der Seite Seit tausenden Jahren verbindet den keiner Das ist schon fahrlässig Ein Mann wie ein Briefkasten dadurch Kummerkasten aus Holz mit Schlitz Gut, dass hier alles gewandelt wird Werden Sorgen Gesänge“ 83 2.4 Liturgie und Leben 325 <?page no="326"?> 84 B E N N , Lebensweg eines Intellektualisten, 175. 85 G O M R I N G E R - M A Y E R , „Literatur ist mächtig, weil das Wort nie an Kraft einbüßt“. Als poetisches Resümee dieser Arbeit biegt am Ende nochmals ein ungewöhn‐ liches Gedicht um die Ecke. Seit Gottfried Benn gilt Gott als „ungünstiges“ und „schlechtes Stilprinzip“ 84 in der Dichtung. Bei Gomringer kehrt er unter der Gestalt von Brot und Wein zurück. Seit Jahrzehnten hat es kein bedeutender Dichter mehr gewagt, die Eucharistie so wirkmächtig in ein Gedicht zu nehmen. Wie gelingt es Gomringer, die alten Bilder der Messfeier für die Poesie zu retten? Entscheidend sind die Wandlungsgänge - damit sind die wechselseitigen Transformationen von Liturgie und Leben gemeint - zwischen den alten Bildern der Liturgie und den modernen Lebenserfahrungen einer Ministrantin, die der jungen Dichterin in den Sinn kommen. Die Realpräsenz wird hier in dreifacher Weise eingeblendet: Zunächst in ihrer eucharistischen Ausprägung als Wand‐ lungsgeschehen von Wein und Brot, an dessen Wunder wir uns vielleicht in der Liturgie allzu sehr gewöhnt haben. Dann als historischer Leidensleib Jesu, der realistisch als leidender Körper und Objekt der Fürsorge kopfschüttelnd und mit Befremden betrachtet wird: „Seit tausenden Jahren verbindet den keiner“ - aus Theodizee wird Anthropodizee. Und schließlich wird der Leib als Kunstwerk assoziiert, wie er als Kruzifix aus den Epochen der Kunstgeschichte in unseren Köpfen präsent ist. Mit der ungewöhnlichen Metapher des Kummerkastens aus Holz mit Schlitz, der als Briefkasten die großen Fürbitten der Welt aufnehmen soll, wird der Leib wieder zurück ins eigentliche Leben übersetzt. Und endlich die Wandlung aller Sorgen in den Gesang. Besser könnte man das Mysterium fidei nicht in die Sprache nehmen. Durch Verzicht auf Punkt und Komma bewahrt sich das anspruchsvolle Gedicht eine hingetupfte Leichtigkeit. Gomringer sieht es als „Aufgabe der Dichtung, die Sprache der Bibel und der Theologie in jeder Generation neu zu entdecken“ 85 . Es ist erstaunlich, was sie dabei zu Tage fördert. Im Unterschied zu Handke oder Ransmayr, die ihre liturgischen Erfahrungen mitunter „anonymisiert“ für Dichtung und Leben nutzbar machen, bleibt Gomringer nahe am eigentlichem Mysterium, gerade weil es ihr gelingt, die Liturgie mit ihren poetischen Bildern ins Leben zurückzuübersetzen. 326 2 Kleine Typologie des literarischen Gottesdienstes <?page no="327"?> Literaturverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach: Siegfried M. Schwertner, IATG 3 - Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzge‐ biete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen An‐ gaben, Berlin - Boston 3 2014; ergänzt durch das Abkürzungsverzeichnis des LThK 3 . Abweichend werden folgende Abkürzungen gebraucht: ALw Archiv für Liturgiewissenschaft PiLi.S Pietas Liturgica. Studia <?page no="329"?> 1 Liturgische, lehramtliche und biblische Quellen B E N E D I K T XVI., Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages (VApS 169), Bonn 2005, 85-90. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, hg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz, des Erzbischofs von Luxemburg, des Erzbischofs von Vaduz, des Erzbischofs von Straßburg, des Bischofs von Bozen-Brixen, des Bischofs von Lüttich, Stuttgart 2016 (Lizenzausgabe der Katholischen Bibelanstalt Stuttgart 2 2017). - Sofern nicht anders vermerkt, sind alle deutschsprachigen Bibelzitate der EÜ entnommen. Die Feier der Buße. Nach dem neuen Rituale Romanum. Studienausgabe, hg. von den Liturgischen Instituten Salzburg - Trier - Zürich, Freiburg i. Br. 1994. Constitutio de Sacra Liturgia. Konstitution über die heilige Liturgie, Lateinischer Text aus AAS 56 (1964) 97-138. Deutsche Übersetzung hg. im Auftrag der deutschen, österreichischen und schweizerischen Bischöfe von den Liturgischen Kommissionen der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, verbesserte Fassung, Einleitung und Kommentar von Josef Andreas J U N G M A N N , in: LThK2.E 1 (1966), 10-109. Constitutio Pastoralis de Ecclesia in mundo huius temporis, Lateinischer Text aus AAS 58 (1966) 1025-1115. Deutsche Übersetzung besorgt im Auftrag der deutschen Bischöfe, in: LThK2.E 3 (1968), 242-592. Das vollständige Römische Meßbuch. Lateinisch und deutsch. Mit allgemeinen und besonderen Einführungen im Anschluss an das Meßbuch von Anselm Schott OSB, hg. von Benediktinern der Erzabtei Beuron, Freiburg i. Br. 1961. Die Feier der Heiligen Messe. Meßbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, Kleinausgabe. Das Meßbuch deutsch für alle Tage des Jahres, hg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutsch‐ lands, Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen und Lüttich, Freiburg i. Br. u.-a. 1976. Schott-Meßbuch für die Sonn- und Festtage des Lesejahres A. Originaltexte der authen‐ tischen deutschen Ausgabe des Meßbuches und des Meßlektionars. Mit Einführungen herausgegeben von den Benediktinern der Erzabtei Beuron, Freiburg i. Br. u.-a. 1998. Die Feier des Stundengebetes. Stundenbuch für die Bistümer des deutschen Sprach‐ gebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Dritter Band. Im Jahreskreis, hg. im Auftrag der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz, der <?page no="330"?> Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen, Lüttich und Straßburg, 3 Bde., Einsiedeln u.-a. 1978. Die Weihe des Bischofs, der Priester und der Diakone. Pontifikale I. Handausgabe mit pastoralliturgischen Hinweisen, hg. von den Liturgischen Instituten Salzburg - Trier - Zürich, Freiburg i. Br. u.-a. 1994. 330 1 Liturgische, lehramtliche und biblische Quellen <?page no="331"?> 2 Primärquellen 2.1 Schriftstellerische Quellen A N D R E S , Stefan, Der Knabe im Brunnen, in: Christa B A S T E N (Hg.), Stefan Andres. Werke in Einzelausgaben, Göttingen 2011 [1953]. A N G E L U S S I L E S I U S , Cherubinischer Wandersmann I 61, in: Hans Ludwig H E L D (Hg.), Sämt‐ liche poetische Werke, Bd.-3. Cherubinischer Wandersmann. Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge, München 3 1947. B E N N , Gottfried, Gedichte, in: D E R S ., Sämtliche Werke, hg. von Gerhard S C H U S T E R , Bd. I Gedichte, Stuttgart 1989. — Lebensweg eines Intellektualisten, in: D E R S ., Sämtliche Werke, hg. von Gerhard S C H U S T E R , Bd. IV, Stuttgart 1989, 154-157. — Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, hg. von Gerhard S C H U S T E R , Band IV: Prosa 2, Stuttgart 1989. B E R G E N G R U E N , Werner, Römisches Erinnerungsbuch, Ein Portrait der Ewigen Stadt (TTB 800), Kevelaer 2012 [1949]. B E R N A N O S , Georges, Tagebuch eines Landpfarrers. Roman, Frankfurt a.-M. 1986. — Unter der Sonne Satans. Ein Roman, Freiburg i. Br. 2009. B O S S O N G , Nora, Sommer vor den Mauern. Gedichte (Edition Lyrik-Kabinett 18), München 2011. B R A N D S T E T T E R , Alois, Überwindung der Blitzangst. Prosatexte, Salzburg 1971. D O R N E M A N N , Axel (Hg.), „Als stände Christus neben mir“. Gottesdienste in der Literatur. Eine Anthologie, Leipzig 2014. E C O , Umberto, Der Name der Rose. Roman, München 1982. F R I S C H M U T H , Barbara, Die Klosterschule. Roman, Salzburg - Wien 1978. G O M R I N G E R , Nora, «Man sieht’s», in: Akzente 63 (2016/ 1) 91-95. — Mein Gedicht fragt nicht lange. Mit einem Vorwort von Peter von Matt, Dresden - Leipzig 2011. G R A S S , Günther, Blechtrommel, Darmstadt u.-a. 1959. G R E E N E , Graham, Die Kraft und die Herrlichkeit. Roman, Zürich 1952. H A M A N N , Johann Georg, Sämtliche Werke, hg. von Josef N A D L E R , 6 Bde., Bd. II. Schriften über Philosophie, Philologie, Kritik. 1758-1763, Wuppertal 1999 [1950]. H A M M , Peter, Arnold Stadler oder Das übermütig vertuschte Unglück. Laudatio auf Arnold Stadler zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1999, in: Pia R E I N A C H E R <?page no="332"?> (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009, 126-138. H A N D K E , Peter, Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987), Salzburg - Wien 1998. — Das Gewicht der Welt. Ein Journal (November 1975 - März 1977), Salzburg 2 1982. — Der Große Fall. Erzählung, Berlin 2011. — Der kurze Brief zum langen Abschied, Frankfurt a.-M. 2001. — Die Abwesenheit. Ein Märchen, Frankfurt a.-M. 2 1987. — Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Erzählung, Frankfurt a.-M. 1970. — Die Geschichte des Bleistifts, Frankfurt a.-M. 1982. — Die Lehre der Sainte-Victoire, Frankfurt a.-M. 1980. — Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere, Berlin 2017. — Die Stunde der wahren Empfindung. Erzählung, Frankfurt a.-M. 1982. — Die Wiederholung, Frankfurt a.-M. 1989. — Eine gewaltige Sehnsucht. Zu Arnold Stadler, in: D E R S ., Mündliches und Schriftliches - Zu Büchern, Bildern und Filmen 1992-2002, Frankfurt a.-M. 2019. — Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 - Juli 1990 (Suhrkamp Taschen‐ buch 3886), Frankfurt a.-M. 2007. — Immer noch Sturm, Berlin 2010. — Kindergeschichte, Frankfurt a.-M. 1981. — Langsam im Schatten. Gesammelte Verzettelungen 1980-1992, Frankfurt a.-M. 1992. — Langsame Heimkehr. Erzählung, Frankfurt a.-M. 1979. — Leben ohne Poesie. Gedichte (Suhrkamp Taschenbuch 3921), Frankfurt a.-M. 2007. — Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Märchen aus neuen Zeiten, Frankfurt a. M. 1994. — Phantasien der Wiederholung, Frankfurt a.-M. 1996. — Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt a.-M. 1966. — Rede zur Verleihung des Franz-Kafka-Preises, in: D E R S ., Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln. 1967-2007, Frankfurt a.-M. 2007, 73-75. — Über die Dörfer. Dramatisches Gedicht, Frankfurt a.-M. 1981. — Versuch über die Jukebox. Erzählung, Frankfurt a.-M. 1990. — Wie ein Gewecktwerden für einen anderen Tag, in: CiG 55 (2003), 45. — Wunschloses Unglück. Erzählung, Salzburg 1972. H E G E L , Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. II, hg. von D. H. G. H O T H O (Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe 10), Berlin 1837. H O P P E , Felicitas, Beichtkinder. Über Bekenntniswahn und Bekenntniszwang, in: Florian H ÖL L E R E R - Tim S C H L E I E R (Hgg.), Betrifft: Chotjewitz, Dorst, Hermann, Hoppe, Kehlmann, Klein, Kling, Kronauer, Mora, Ortheil, Oswald, Rakusa, Sebald, Walser, Zeh (Edition Suhrkamp 2379), Frankfurt a.-M. 2004, 88-95. 332 2 Primärquellen <?page no="333"?> I N G E N D A A Y , Paul, Warum du mich verlassen hast. Roman, München 2 2006. I N N E R H O F E R , Franz, Schöne Tage. Roman, Salzburg 1974. J O Y C E , James, Ulysses. Reissured with an introduction and notes by Jeri Johnson (Oxford World’s Classics), Oxford 2008. Ulysses. Roman. Übersetzt von Hans Wollschläger, hg. und kommentiert von Dirk V A N D E R B E K E u.-a., Frankfurt a.-M. 2004. K A N T , Immanuel, Kritik der Urteilskraft, eingeleitet und mit einem Personen- und Sachregister versehen von Karl V O R LÄN D E R (PhB 39), Leipzig 6 1924. K E R M A N I , Navid, Dein Name. Roman, München 2011. K O L B E , Uwe, Psalmen, Frankfurt a.-M. 2017. L E H N E R T , Christian, Auf Moränen. Gedichte, Frankfurt a.-M. 2008. — Der gefesselte Sänger. Gedichte, Frankfurt a.-M. 2 2015. — Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet, Berlin 2017. — Teilchen. Cherubinischer Staub. Zur Verwandtschaft von poetischer und religiöser Rede, in: Jan-Heiner T Ü C K - Tobias M A Y E R (Hgg.), Nah - und schwer zu fassen. Im Zwischenraum von Literatur und Religion (Poetikdozentur Literatur und Religion 1), Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 97-120. — Windzüge. Gedichte, Berlin 2015. — Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus, Berlin 2013. — Stille ohne Maß. Dichtung an der Grenze der Wörter, in: StZ 237 (2019) 243-258. L E W I T S C H A R O F F , Sibylle, Du sollst das Werk nicht mit dem Autor verwechseln. Zum Nobelpreis für Peter Handke, in: IKaZ Communio 48 (2019) 685-686. — Vom Guten, Wahren und Schönen. Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen (Edition Suhrkamp 2649), Berlin 2012. M E R C I E R , Paul, Nachtzug nach Lissabon. Roman, München - Wien 45 2006. M O R I T Z , Karl Philipp, Anton Reiser. Ein psychologischer Roman (Insel-Taschenbuch 2229), Frankfurt a.-M. 1998. M O R S B A C H , Petra, Der Cembalospieler. Roman, München - Zürich 2008. — Der Elefant im Zimmer. Über Machtmissbrauch und Widerstand. Essay, München 2020. — Dichterliebe. Roman, München 2013. — Geschichte mit Pferden. Roman, Frankfurt a.-M. 2001. — Gottesdiener. Roman, Frankfurt a.-M. 2 2006. — Isaak Babel' auf der sowjetischen Bühne (Slavistische Beiträge 168), München 1983. — Justizpalast. Roman, München 2017. — Opernroman (Die Andere Bibliothek 164), Frankfurt a.-M. 1998. — Plötzlich ist es Abend. Roman, Frankfurt 1995. — Warum Fräulein Laura freundlich war. Über die Wahrheit des Erzählens. Essay, München - Zürich, 2006. 2.1 Schriftstellerische Quellen 333 <?page no="334"?> N O V A L I S , Monolog, in: Hans-Joachim M ÄH L - Richard S A M U E L (Hgg.), Werke in einem Band (dtv 2383), München 1995, 522 f. O R T H E I L , Hanns-Josef - S I B L E W S K I , Klaus, Wie Romane entstehen (Ästhetik des Schrei‐ bens 2), München 2008. O R T H E I L , Hanns-Josef, Blauer Weg. Erweiterte Neuausgabe, München 2014. — Das Element des Elephanten. Wie mein Schreiben begann, München 2 2001. — Das Kind, das nicht fragte. Roman, München 2012. — Der poetische Widerstand im Roman. Geschichte und Auslegung des Romans im 17. und 18.-Jahrhundert, Königstein 1980. — Der Stift und das Papier. Roman einer Passion, München 2017. — Die Berlinreise. Roman eines Nachgeborenen, München 2014. — Die Erfindung des Lebens. Roman, München 2009. — Die Mittelmeerreise. Roman eines Heranwachsenden, München 2018. — Die Moselreise. Roman eines Kindes, München 2010. — Die Schönheit des Glaubens, in: Erich G A R H A M M E R , Zweifel im Dienst der Hoffnung. Poesie und Theologie, Würzburg 2011, 285-289. — Die unendliche Arbeit am Text, in: D E R S ., Die weißen Inseln der Zeit. Orte, Bilder, Lektüren, München 2 2015, 7-12. — Die weißen Inseln der Zeit. Orte, Bilder, Lektüren, München 2 2015. — Fermer. Roman, Frankfurt a.-M. 1979. — Glaubensmomente, München 2016. — Intimes Sprechen, in: D E R S ., Die weißen Inseln der Zeit. Orte, Bilder, Lektüren, München 2 2015, 317-325. — Lo und Lu. Roman eines Vaters, München 2001. — Rom. Eine Ekstase, München 2009. — Was ich liebe - und was nicht, München 2019. M O S E B A C H , Martin, Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, München 2007. — Was ist katholische Literatur? , in: D E R S ., Schöne Literatur. Essays, München - Wien 2006, 105-129. O S T E R M A I E R , Albert, Schwarze Sonne scheine. Roman. Berlin 2011. P A S O L I N I , Pier Paolo, „Ich bin eine Kraft des Vergangenen…“ Briefe 1940-1975, hg. von Nico N A L D I N I . Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Berlin 1991. P E T E R S , Christoph, Wir in Kahlenbeck. Roman, München 2012. R A N S M A Y R , Christoph, An der Bahre eines freien Mannes, in: D E R S ., Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank, Frankfurt a.-M. 2019, 45-62. — Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank, Frankfurt a.-M. 2019. — Atlas eines ängstlichen Mannes, Frankfurt a.-M. 6 2013. — Cox oder Der Lauf der Zeit. Roman, Frankfurt a.-M. 2016. 334 2 Primärquellen <?page no="335"?> — Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten, Frankfurt a.-M. 2021. — Der fliegende Berg. Roman, Frankfurt a.-M. 2006. — Der Weg nach Surabaya. Reportagen und kleine Prosa, Frankfurt a.-M. 1997. — Die letzte Welt. Roman. Mit einem Ovidischen Repertoire (Die Andere Bibliothek), Frankfurt a.-M. 1997. — Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Wien - München 1984. — Die Verbeugung des Riesen. Vom Erzählen, Frankfurt a.-M. 2003. — Geständnisse eines Touristen. Ein Verhör, Frankfurt a.-M. 3 2016. — Kohlhaas. Rede zur Verleihung des Kleist-Preises 2018, in: Andrea A L L E R K A M P u.-a. (Hgg.), Kleist-Jahrbuch 2019, Stuttgart 2019, 11-18. — Morbus Kitahara. Roman, Frankfurt a.-M. 1995. — Unterwegs nach Babylon - Notizen zu einer Poetik in eigener Sache, in: D E R S . - Raoul S C H R O T T , Unterwegs nach Babylon. Spielformen des Erzählens. Tübinger Poetik-Dozentur 2012, Künzelsau 2013, 7-22. R O T H M A N N , Ralf, Junges Licht. Roman, Frankfurt a.-M. 2004. R U S H D I E , Salman, Der Boden unter ihren Füßen. Roman, München 1999. S T A D L E R , Arnold, „Aufleben soll euer Herz für immer“. Kleine Reise nach Nikaia und zum Buch „Jesus von Nazareth“ von Benedikt XVI. Marginalien eines einfachen Lesers, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), Passion aus Liebe. Das Jesus-Buch des Papstes in der Diskussion, Ostfildern 2011, 262-279. — „Die Menschen lügen. Alle“ und andere Psalmen. Aus dem Hebräischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 4 2013. — Auf dem Weg nach Winterreute. Ein Ausflug in die Welt des Malers Jakob Bräckle, Salzburg - Wien 2012. — Der Tod und ich, wir zwei. Roman, Frankfurt a.-M. 1998. — Ein hinreissender Schrotthändler. Roman, Köln 2010. — Einmal auf der Welt. Und dann so. Roman, Frankfurt a.-M. 2009. — Erbarmen mit dem Seziermesser. Über Literatur, Menschen und Orte, Köln 2000. — Feuerland. Roman, Salzburg - Wien 1992. — Ich war einmal. Roman, Salzburg - Wien 1989. — Im Grunde war alles nach Hause geschrieben. Dankrede zur Verleihung des Marie- Luise-Kaschnitz-Preises 1998, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009, 119-125. — INTROIBO - Wie ein kleines Roadmovie, in: Johannes S C H R Ö E R - Ulrike S U R M A N N (Hgg.), Trotz Natur und Augenschein. Eucharistie---Wandlung und Weltsicht, Köln 2013, 229-250. — Komm, gehen wir. Roman, Frankfurt a.-M. 2007. — Mein Hund, meine Sau, mein Leben. Roman, Salzburg - Wien 1996. — Mein Stifter. Portrait eines Selbstmörders in spe und fünf Photographien, Köln 2005. 2.1 Schriftstellerische Quellen 335 <?page no="336"?> — Salvatore, Frankfurt a.-M. 2008. — Sehnsucht. Versuch über das erste Mal. Roman, Köln 2011. T R A N S T R ÖM E R , Tomas, In meinem Schatten werde ich getragen. Gesammelte Gedichte. Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel. Mit einem Nachwort von Hans Jürgen Balmes, Frankfurt a.-M. 2 2015. W A L S E R , Martin, Das Trotzdemschöne. Der Erzähler Arnold Stadler und seine Prosatri‐ logie, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009, 297-305. — Muttersohn. Roman, Reinbek b. Hamburg 2011. — Über Rechtfertigung, eine Versuchung. Zeugen und Zeugnisse. Reinbek b. Hamburg 2 2012. W E R F E L , Franz, Das Lied von Bernadette. Roman, Frankfurt a.-M. 1975. W I N K L E R , Josef, Der Ackermann aus Kärnten. Roman, Frankfurt a.-M. 1980. W O L L B O L D , Andreas, Der Einbruch. Erzählung, Augsburg 2012. 2.2 Antike und mittelalterliche Primärquellen A U G U S T I N U S , Confessionum libri XIII, ed. Luc V E R H E I J E N (CCSL 27) Wien 2 1981. J O H A N N E S C A S S I A N , Collationes patrum, ed. Michael P E T S C H E N I G , Editio altera supple‐ mentis aucta curante Gottfried Kreuz (CSEL 13,10-11) Wien 2004 [1886]. N I K O L A U S V O N K U E S , De visione Dei. Das Sehen Gottes, übers. v. Helmut Pfeiffer, Trier 2 2002. P H A E D R U S , Liber fabularum. Lateinisch und deutsch. Fabelbuch. Übersetzt von Friedrich Rückert und Otto Schönberger, hg. und erläutert von Otto S C HÖN B E R G E R (Reclams Universal-Bibliothek 1144), Stuttgart 1995. P L E C H L , Helmut (Hg.), Die Tegernseer Briefsammlung des 12. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae historica. Epistolae 2. Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 8), Hannover 2002. R U P E R T U S T U I T I E N S I S , Commentaria in Apocalypsim, ed. Jean-Paul M I G N E (PL 169), Paris 1854. 336 2 Primärquellen <?page no="337"?> 2.3 Medien B O L L E R , Reiner, Don Camillo und Peppone. Die Filme mit Fernandel und Gino Cervi (1952-1970), Berlin 2014. D Z I O N A R A , Karin, Der Gott der Dichter. Wie Literaten heute nach dem Glauben fragen, NDR-Sendung Glaubenssachen vom 17. Mai 2012. M O S E B A C H , Martin, Als das Reisen noch geholfen hat. Von Büchern und Orten, München 2011. P A S O L I N I , Pier Paolo, Das 1. Evangelium - Matthäus [Il Vangelo secondo Matteo], Italien/ Frankreich 1964, deutsche Erstaufführung 1965. S T A D L E R , Arnold - S T U R M , Oliver u. a., Evangelium Pasolini, in: Die Bibel. Das Projekt. 21 CDs, München 2016. 2.3 Medien 337 <?page no="339"?> 3 Sekundärliteratur A C K E R L , Franz, Gottesdiener, in: EuA 85 (2009) 418-419. A D A M E K , Karl, Singen als Lebenshilfe. Zu Empirie und Theorie von Alltagsbewältigung. Plädoyer für eine „erneuerte Kultur des Singens“, Münster - New York 4 2008. A L B E R I G O , Giuseppe, Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), 5 Bde., Mainz 1997-2008. A L L K E M P E R , Alo - E K E , Norbert Otto - S T E I N E C K E , Hartmut (Hgg.), Poetologisch-poetische Interventionen. Gegenwartsliteratur schreiben, Paderborn 2012. A M A N N , Klaus (Hg.), Peter Handke. Poesie der Ränder (Literaturgeschichte in Studien und Quellen 11), Wien u.-a. 2006. A M E R Y , Carl, Die Wallfahrer. Roman (Heyne allgemeine Reihe 7852), München 1989. A N G E N E N D T , Arnold, Das Frühmittelalter. Die westliche Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart u.-a. 3 2001. — Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute, Münster 2015. — Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hg. von Thomas F L A M M E R - Daniel M E Y E R (Ästhetik - Theologie - Liturgik 35), Münster 2 2005. — „Mit reinen Händen“. Das Motiv der kultischen Reinheit in der abendländischen Askese, in: D E R S ., Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hg. von Thomas F L A M M E R - Daniel M E Y E R (Ästhetik - Theologie - Liturgik 35), Münster 2 2005, 245-267. — Pollutio. Die „kultische Reinheit“ in Religion und Liturgie, in: ALw 52 (2010) 52-93. A R E N S , Edmund (Hg.), Gegenwart. Ästhetik trifft Theologie (QD 246), Freiburg i. Br. u. a. 2012. A R N O L D , Heinz Ludwig, Die Gruppe 47 (Rowohlts Rotations-Romane 50667), Reinbek b. Hamburg 2004. A S S M A N , Aleida, Die Legitimität der Fiktion. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Kommunikation (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 55), München 1980. A U G É , Marc, Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, München 5 2019. B A L O C H , Harry, Ob Gott oder Nicht-Gott. Peter Handke und die Religion, Klagenfurt 2010. B A L T H A S A R , Hans Urs von, Theodramatik, Bd.-1. Prolegomena, Einsiedeln 1976. B A L T Z , Ursula, Eucharistie im Gedicht. Zu religiöser Sprache in zwei Gedichten von Paul Celan und Gottfried Benn, in: Hansjakob B E C K E R - Reiner K A C Z Y N S K I (Hgg.), Liturgie und Dichtung. II. Interdisziplinäre Reflexion (PiLi 2), St. Ottilien 1983, 903-922. <?page no="340"?> B A M B E R G , Corona, Was Menschsein kostet. Aus der Erfahrung des frühchristlichen Mönchtums gedeutet, Würzburg 1971. B A N D E I L I , Angela, Rolf Dieter Brinkmann und Peter Handke um ’68. Der Skandal als Akt der Revolte? , in: Andrea B A R T L - Martin K R A U S (Hgg.), Skandalautoren. Zu repräsentativen Mustern literarischer Provokation und Aufsehen erregender Autor‐ inszenierung. Bd.-2 (Konnex. Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur 10). Würzburg 2014, 53-68. B Ä R S C H , Jürgen - K O P P , Stefan - R E N T S C H , Christian (Hgg.), Ecclesia de Liturgia. Zur Bedeutung des Gottesdienstes für Kirche und Gesellschaft (FS Winfried Haunerland), Regensburg 2021. B Ä R S C H , Jürgen, Spuren seiner Gegenwart - zum Wirken Gottes in der Welt. Reflexionen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive, in: LJ 55 (2005) 127-146. B A R T L , Andrea - K R A U S , Martin (Hgg.), Skandalautoren. Zu repräsentativen Mustern literarischer Provokation und Aufsehen erregender Autorinszenierung. Bd. 2 (Konnex. Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur 10). Würzburg 2014. B A U K E - R Ü E G G , Jan, Theologische Poetik und literarische Poetologie? Systematischtheologische Streifzüge, Zürich 2004. B A U M G A R T , Reinhard, O Schmerz, lass nach! Ein inständiger Versuch, den diesjährigen Büchnerpreisträger Arnold Stadler schätzen zu lernen, in: Die Zeit Nr.-43 vom 21.10.1999, 57. B E C K E R , Hansjakob - K A C Z Y N S K I , Reiner (Hgg.), Liturgie und Dichtung. II. Interdiszipli‐ näre Reflexion (PiLi 2), St. Ottilien 1983. B E C K E R , Hansjakob u. a. (Hgg.), Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2009. B E I N E R T , Wolfgang - P E T R I , Heinrich (Hgg.), Handbuch der Marienkunde, 2 Bde., Regensburg 2 1996-1997. B E L L A H , Robert N., Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit, hg. und mit einer Einführung von Hans J O A S . Aus dem Englischen von Christine Pries, Freiburg i. Br. 2021. — Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the Axial Age. Cambridge/ Mas‐ sachusetts 2011. B E L T I N G , Hans, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 6 2004. B E N T Z , Udo - R U H , Ulrich, „Vielgestaltigkeit ist wünschenswert.“ Ein Gespräch mit Regens Udo Bentz über Priesterausbildung heute. Die Fragen stellte Ulrich Ruh, in: HerKorr 68 (2014/ 7) 339-344. B E R G E R , Klaus, Schweigen. Eine Theologie der Stille, Freiburg i. Br. u.-a. 2021. B E R G E R , Rupert u.-a., Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (GdK 3), Regensburg 2 1990. 340 3 Sekundärliteratur <?page no="341"?> B E R G E R , Teresa, Gender differences and the making of liturgical history. Lifting a veil on liturgy’s past, London - New York 2011. — Liturgie und Frauenseele. Die liturgische Bewegung aus der Sicht der Frauenforschung (PTHe 10), Stuttgart u.-a. 1993. — Sei gesegnet, meine Schwester. Frauen feiern Liturgie. Geschichtliche Rückfragen, praktische Impulse, theologische Vergewisserungen, Würzburg 1999. B I E R I N G E R , Andreas - S A L M A N N , Elmar, „Liturgie will dem Leben aufhelfen“. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Elmar Salmann OSB, in: GD 48 (2014) 4-6. B I E R I N G E R , Andreas - T Ü C K , Jan-Heiner, Renaissance des Katholischen in der Gegenwarts‐ literatur? Editorial, in: IKaZ Communio 42 (2013) 1-3. B I E R I N G E R , Andreas, „Das war, als finge ein stehengebliebenes Herz wieder zu schlagen an.“ Liturgische Poesie bei Peter Handke, in: Jan-Heiner T Ü C K - D E R S . (Hgg.), „Ver‐ wandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 85-100. — „Ein Schwanken ging durch die Welt“ - Zum Einfluss der katholischen Liturgie auf die Literatur der Gegenwart, in: IKaZ Communio 42 (2013) 4-16. — „Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“ Arnold Stadler und die Liturgie, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 25-39. — „Hühnerleiter wird Jakobsleiter“. Spuren der Liturgie in Peter Handkes Stück „Immer noch Sturm“, in: IKaZ Communio 39 (2010) 701-708. — Art. Kasualien---Katholisch, in: LKRR 2 (2019) 750. — Art. Kirchengebäude - Katholisch, in: LKRR 2 (2019) 822-825. — Das Bußsakrament im Spannungsfeld von Liturgie und Literatur, in: Markus G R A U L I C H - Thomas M E C K E L - Matthias P U L T E (Hgg.), Ius canonicum in communione christifi‐ delium (FS Heribert Hallermann = KStKR 23), Paderborn u.-a. 2016, 257-271. — Immer noch Sturm“. Peter Handkes jüngstes Stück greift auf liturgische Erfahrungen des Dichters zurück, in: CiG 63 (2011/ 36), 405-406. — Pilgern ohne Gott? Christoph Ransmayrs erzählter Atlas eines ängstlichen Mannes zwischen Ritus und Religion, in: StZ 231 (2013) 769-780. — Poetische Liturgik. Skizze für einen kultursensiblen Ansatz in der Liturgiewissen‐ schaft, in: Jürgen B Ä R S C H - Stefan K O P P - Christian R E N T S C H (Hgg.), Ecclesia de Liturgia. Zur Bedeutung des Gottesdienstes für Kirche und Gesellschaft (FS Winfried Haunerland), Regensburg 2021, 341-358. — Realpräsenz in Madeleine Delbrêls Gedicht „Liturgie der Außenseiter“, in: HlD 72 (2018) 158-162. — Weltöffnender Katholizismus. Peter Handke erhält den Literaturnobelpreis, in: Her‐ Korr 73 (2019/ 11) 21-23. 3 Sekundärliteratur 341 <?page no="342"?> B I E R I T Z , Karl-Heinrich, Gottesdienst als „offenes Kunstwerk“? Zur Dramaturgie des Gottesdienstes, in: PTh 75 (1986) 358-373. B I E R I T Z , Karl-Heinrich, Liturgik, Berlin - New York 2004. B I N D E R , Gerhard - E F F E , Bernd (Hgg.), Das antike Theater. Aspekte seiner Geschichte, Rezeption und Aktualität (Bochumer altertumswissenschaftliches Colloquium 33), Trier 1998. B I N D E R , Gerhard, Pompa diaboli - Das Heidenspektakel und die Christenmoral, in: D E R S . - Bernd E F F E (Hgg.), Das antike Theater. Aspekte seiner Geschichte, Rezeption und Aktualität (Bochumer altertumswissenschaftliches Colloquium 33), Trier 1998, 115-147. B O D E N H E I M E R , Alfred - T Ü C K , Jan-Heiner (Hgg.), Klagen, Bitten, Loben. Formen religiöser Rede in der Gegenwartsliteratur, Ostfildern 2014. — „Wunderbar der Mann, der nicht aufs Volk hört.“ Arnold Stadlers Psalmenübertragung, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2017, 13-24. B ÖH L E R , Dieter, Psalmen 1-50, HThKAT, Freiburg i. Br. 2021. B ÖH M E , Gernot, Architektur und Atmosphäre, Paderborn 2 2013. B O L L N O W , Otto Friedrich, Mensch und Raum, Stuttgart 10 2004. B O M B I T Z , Attila (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015. B O N A C C O R S O , Giorgio, Il corpo di Dio. Vita e senso della vita, Assisi 2006. B ÖN I G , Winfried (Hg.), Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur Kirchenmusik, Stuttgart - Ostfildern 2007. B ÖN T E R T , Stefan, Ein fruchtbares Spannungsverhältnis. Anstöße aus der Geschichte für das Verhältnis von Liturgie und Spiritualität in der Gegenwart, in: D E R S . (Hg.), Objektive Feier und subjektiver Glaube? Beiträge zum Verhältnis von Liturgie und Spiritualität (StPaLi 32), Regensburg 2011, 117-146. — Gegen das Vergessen. Zur Notwendigkeit der Erinnerung an das Leid der Opfer sexu‐ ellen Missbrauchs in der Kirche, in: Konrad H I L P E R T u. a. (Hgg.), Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen - Bilanzierungen - Perspektiven (QD 309), Freiburg i. Br. u.-a. 2020, 293-301. — (Hg.), Objektive Feier und subjektiver Glaube? Beiträge zum Verhältnis von Liturgie und Spiritualität (StPaLi 32), Regensburg 2011. B O S S A R T , Rolf, Die theologische Lesbarkeit von Literatur im 20.-Jahrhundert. Studien zu einer verdrängten Hermeneutik (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 685), Würzburg 2009. B R A K M A N N , Heinzgerd, Muster bewegter Liturgie in kirchlicher Tradition, in: Wolfgang M E U R E R (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst, Mainz 1989, 25-51. 342 3 Sekundärliteratur <?page no="343"?> B R A U N , Joseph, Das christliche Altargerät in seinem Sein und seiner Entwicklung, München 1932. B R A U N , Michael, „Diener der bessernden Wahrheit“. Ein Porträt von Petra Morsbach, in: StZ 225 (2007) 637-641. B R A U N G A R T , Wolfgang - J A C O B , Joachim, Stellen, schöne Stellen. Oder: Wo das Verstehen beginnt, Göttingen 2012. — Literatur und Religion in der Moderne. Studien, Paderborn 2016. B R E D E N B A C H , Ingo, Das gottesdienstliche Orgelspiel, in: Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd. 1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u.-a.], Lilienthal 2014, 89-94. B R ÜH N E , Gerd - S E N G , Eva-Maria (Hg.), Der Kirchenbau zwischen Sakralisierung und Säkularisierung - im 17., 18.-Jahrhundert und heute, Berlin - München 2013. B R Ü S K E , Gunda, „Du bist der Schrei, der die Ruhe stört“. Anmerkungen zur Sprache der Liturgie, in: ThPQ 162 (2014) 40-48. — Gottes Gegenwart im Symbolhandeln der Liturgie. Über epiphane und illustrative Symbolik, in: GD 42 (2008) 25-27. B U D D E B E R G , Else, Probleme um Gottfried Benn, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literatur und Geistesgeschichte 34 (1960/ 1) 107-161. B Ü R G E R , Jan - L Ö F F L E R , Sigrid - W O H L L E B E N , Doren, „Geht los. Erzählt“. Streifzüge durch Christoph Ransmayrs Werk, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur 220. Christoph Ransmayr (2018) 16-28. B U R K E R T , Walter, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (RM 15), Stuttgart 2 2011. C A T A N I , Stephanie - M A R X , Friedhelm - S C HÖL L , Julia (Hgg.), Kunst der Erinnerung, Poetik der Liebe. Das erzählerische Werk Hanns-Josef Ortheils (Poiesis 3), Göttingen 2009. C L A U S S E N , Johann Hinrich, Gottes Häuser oder die Kunst, Kirchen zu bauen und zu verstehen. Vom frühen Christentum bis heute, München 2 2012. C O R N E H L , Peter, „Der Sonntag kam. Man ging zur Kirche“. Gottesdienst im Spiegel der Literatur. Ein rezeptionsgeschichtlicher Ansatz zum Verhältnis von Liturgie und Predigt, in: D E R S ., „Die Welt ist voll von Liturgie“. Studien zu einer integrativen Gottesdienstpraxis (PTHe 71), Stuttgart 2005. — „Die Welt ist voll von Liturgie“. Studien zu einer integrativen Gottesdienstpraxis (PTHe 71), Stuttgart 2005. C O U N T R Y M A N , William, Dirt, Greed and Sex. Sexual Ethics in the New Testament and their Implication for Today, Philadelphia 1989. C O U T U R I E R , Marie-Alain, Art sacré. Textes choisis par Dominique de Menil et Pie Duployé, Houston 1983. 3 Sekundärliteratur 343 <?page no="344"?> — Das Religiöse und die moderne Kunst. Gespräche eines Mönchs mit Braque, Matisse, Picasso u.-a., Zürich 1981. — Le Corbusier als Kirchenbaumeister. Die Kapelle zu Ronchamp, sein erstes sakrales Bauwerk, in: Antares. Kunst und Wissenschaft aus Frankreich 4/ 2 (1956). C Z A P L A , Ralf Georg - F A T T O R I , Anna (Hgg.), Die verewigte Stadt. Rom in der deutschspra‐ chigen Literatur nach 1945 ( Jahrbuch für internationale Germanistik A. Kongressbe‐ richte 92), Bern u.-a. 2008. D A H L , Mathias, Endstation Spiegelgrund. Die Tötung behinderter Kinder während des Nationalsozialismus am Beispiel einer Kinderfachabteilung in Wien 1940 bis 1945, Wien 2 2004. D A I G E L E R , Eugen, Mit Leib und Seele. Sitzen und Knien, in: GD 52 (2018) 168-169. D A L F E R T H , Ingolf - P E N G -K E L L E R , Simon (Hgg.), Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Hermeneutik des Gebets (QD 275), Freiburg i. Br. u.-a. 2016. D E E G , Alexander - L E H N E R T , Christian (Hgg.), Stille. Liturgie als Unterbrechung (BLSp 33), Leipzig 2020. D E E G , Alexander - P LÜ S S , David, Liturgik (Lehrbuch Praktische Theologie 5), Gütersloh 2021. D E E G , Alexander, Stille - und der Gottesdienst in den Kirchen des Wortes, in: D E R S . - Christian L E H N E R T (Hgg.), Stille. Liturgie als Unterbrechung (BLSp 33), Leipzig 2020, 9-29. D E L G A D O , Mariano - L O B -H ÜD E P O H L , Andreas, Markierungen. Theologie in den Zeichen der Zeit (Schriften der Diözesanakademie Berlin 11), Berlin 1995. D E L G A D O , Mariano - S I E V E R N I C H , Michael (Hgg.), Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Bedeutung für heute, Freiburg i. Br. 2013. D E M E L , Sabine - P F L E G E R , Michael (Hgg.), Sakrament der Barmherzigkeit. Welche Chance hat die Beichte? Freiburg i. Br. 2017. D E N Z L E R , Georg, Geschichte des Zölibats (Herder-Spektrum 6887), Freiburg i. Br. u.-a. 2 2016. D O U G L A S , Mary, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunrei‐ nigungen und Tabu. Übers. von Brigitte Luchesi (Stw 712), Frankfurt a.-M. 1988. D U E R R , Hans Peter, Diesseits von Eden. Über den Ursprung der Religion, Berlin 2020. D U M A S , Antoine, Les sources du Missel Romain (I), in: Notitiae 7 (1971) 37-42. D U N G S , Susanne - L U D W I G , Heiner (Hgg.), Profan - sinnlich - religiös. Theologische Lektüren der Postmoderne (FS Uwe Gerber), Frankfurt a.-M. u.-a. 2005. D Ü R I G , Walter, Die Lauretanische Litanei. Entstehung, Verfasser, Aufbau und mariologi‐ scher Inhalt, Sankt Ottilien 1990. E B E N B A U E R , Peter, Der Canon Romanus und die neuen Hochgebete. Problemanzeige und Perspektiven in spätmoderner Zeit, in: Stephan W A H L E - Helmut H O P I N G - Winfried 344 3 Sekundärliteratur <?page no="345"?> H A U N E R L A N D (Hgg.), Römische Messe und Liturgie in der Moderne, Freiburg i. Br. 2013, 396-418. — Gemeindegesang. Grundelement, Stolperstein und Zukunftschance lebendiger Li‐ turgie, in: HlD 58 (2004) 303-312. E H A M , Markus, Ruf - Litanei - Kantillation - Hymnodie, in: Harald S C HÜT Z E I C H E L (Hg.), Die Messe. Ein kirchenmusikalisches Handbuch, Düsseldorf 1991, 196-228. E I N I G , Bernhard, Vom Tag zur Nacht. Die Hymnen der Komplet als Verdichtung, Begleitung und Bewältigung eines Transitus (PiLi.S 8), St. Ottilien 1995. E M E I S , Dieter, Art. Erstkommunion I. Pastoral, in: LThK 3 3 (1995) 834-835. E N G E M A N N , Wilfried - V O L P , Rainer (Hgg.), Gib mir ein Zeichen. Zur Bedeutung der Semiotik für theologische Praxis- und Denkmodelle, Berlin - New York 1992. S E V E R U S , Emmanuel (Hg.), Das Glutgebet. Zwei Unterredungen aus der sketischen Wüste (Alte Quellen neuer Kraft), Düsseldorf 1966. E R N E , Thomas - N O S S , Peter - B R A C H T , Christian (Hgg.), Open Spaces - Räume religiöser und spiritueller Vielfalt, Weimar 2016. E R N E , Thomas, Hybride Räume der Transzendenz. Wozu wir heute noch Kirchen brau‐ chen. Studien zu einer postsäkularen Theorie des Kirchenbaus, Leipzig 2017. E S T E R M A N N , Anna - H ÖL L E R , Hans (Hgg.), Schreiben als Weltentdeckung. Neue Perspek‐ tiven der Handke-Forschung, Wien 2014. E S T E R M A N N , Anna, „statt ‚Bild‘ sag auch ‚Traum‘, ‚Illusion‘, ‚Ganz-Sein‘, ‚Mit-Sein‘…“. Handkes ganz weltliche „Religion“ der Bilder, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 175-194. E Y B L , Franz M., „Die Großväter sind die Lehrer“. Arnold Stadlers autobiographisches Schreiben, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 131-146. F A B E R , Eva-Maria, Einführung in die katholische Sakramentenlehre (Einführung Theo‐ logie), Darmstadt 2002. — In persona Christi agere? Die Rolle des Priesters in der Eucharistiefeier, in: Martin K LÖC K E N E R (Hg.), Leib Christi sein, feiern, werden, Freiburg/ Schweiz 2006, 137-141. — Persönliches in Gemeinschaft. Liturgisches Beten in der Spannung von Intimität und öffentlich-sozialer Handlung, in: Ingolf D A L F E R T H - Simon P E N G -K E L L E R (Hgg.), Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Hermeneutik des Gebets (QD 275), Freiburg i. Br. u.-a. 2016, 197-229. F A B E R , Richard - R E N G E R , Almut-Barbara (Hg.), Religion und Literatur. Konvergenzen und Divergenzen, Würzburg 2017. F E C H T N E R , Kristian u.-a., Praktische Theologie. Ein Lehrbuch (ThW 15), Stuttgart 2017. — Kirche von Fall zu Fall. Kasualien wahrnehmen und gestalten, Gütersloh 2 2011. 3 Sekundärliteratur 345 <?page no="346"?> F E D E R M A I R , Leopold, Die Apfelbäume von Chaville. Annäherungen an Peter Handke, Salzburg u.-a. 2012. F E T Z , Bernhard, Das lange Gedächtnis der Erzählung oder: Christoph Ransmayrs poe‐ tische Landnahme, in: Manfred M I T T E R M A Y E R - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 32-38. — Staunen und Starren. Zu einer Poetik des Sehens im Werk von Christoph Ransmayr, in: Attila B O M B I T Z (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015, 19-27. F I L L M A N N , Elisabeth, Näher, mein Gott, zu dir [GL 502], in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C HÄ F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 807-811. F I N K E , Christian, Singen im 20.-Jahrhundert, in: Matthias S C H N E I D E R - Wolfgang B R E T T ‐ S C H N E I D E R - Günther M A S S E N K E I L (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik. Bd.-1 Grundlegung und Hymnologie, Laaber 2014, 291-310. F I S C H E R , Balthasar, Art. Litanei, in: LThK 2 6 (1961) 1075-1077. Eucharistie im Gedicht unseres Jahrhunderts. Gottfried Benn (1886-1956): „Verlorenes Ich“ (1943), in: LJ 19 (1969) 194-204. F I S C H E R , Ingrid, Weit öffne deinen Mund …! Liturgische Psalmodie und Leiblichkeit, in: ThG 63 (2020/ 1) 2-18. F I S C H E R , Saskia, Ritual und Ritualität im Drama nach 1945. Brecht, Frisch, Dürrenmatt, Sachs, Weiss, Hochhuth, Handke, Paderborn 2019. F R A N Z , Ansgar - K U R Z K E , Hermann - S C HÄ F E R , Christiane (Hgg.), Die Lieder des Got‐ teslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017. F R A N Z , Ansgar, Kommentar zu „Schönster Herr Jesu, Herrscher aller Herren“, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C HÄ F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 996-1000. — O Haupt voll Blut und Wunden, in: Hansjakob B E C K E R u.-a. (Hgg.), Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2009, 275-290. F R I G E R I O , Luca, Caravaggio. La Vocazione di Matteo, Mailand 2017. F R ÜH W A L D , Wolfgang, Deutung des Daseins. Romano Guardinis Lektüre der Dichter, in: Franz H E N R I C H (Hg.), Romano Guardini. Christliche Weltanschauung und menschliche Existenz, Regensburg 1999, 115-134. — Die Bibel als Literatur produzierende Kraft, in: Heinrich S C H M I D I N G E R (Hg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Bd. 1. Personen und Figuren, Mainz 2 2000, 39-47. — Priesterbilder, in: LS 61 (2010) 232-233. 346 3 Sekundärliteratur <?page no="347"?> F U C H S - H E I N R I T Z , Werner, Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden, Wiesbaden 4 2009. F U N K E , Dieter, Der halbierte Gott. Die Folgen der Spaltung und die Sehnsucht nach Ganzheit, München 1993. F U R L E Y , William D., Art. Feuer, in: RGG 4 3 (2000) 104-105. G A B R I E L , Eberhard - N E U G E B A U E R , Wolfgang (Hgg.), Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien. Teil II: Von der Zwangssterilisierung zur Ermordung, Wien 2 2004. G ÄD E , Gerhard, „Die Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ Zum Verhältnis von christlicher Liturgie und nichtchristlichem Kult, in: ZKTh 122 (2000) 354-369. G A N T K E , Wolfgang - S E R I K O V , Vladislav (Hgg.), 100 Jahre „Das Heilige“. Beiträge zu Rudolf Ottos Grundlagenwerk, Frankfurt a.-M. 2017. G A N T K E , Wolfgang, Art. Heilig, das Heilige. II. Religionsphilosophisch, in: LThK 3 4 (1995) 1268-1271. G A R H A M M E R , Erich - Z E L I N K A , Udo (Hg.), „Brennender Dornbusch und pfingstliche Feuerzungen“. Biblische Spuren in der modernen Literatur (Einblicke 7), Paderborn 2003. G A R H A M M E R , Erich „Epiphanie der Stille“ - Die Geburt der Sprache aus dem Geist der Liturgie bei Arnold Stadler und Hanns-Josef Ortheil, in: IKaZ Communio 42 (2013) 17-31. — „Wie nach einer zweiten Geburt.“ Eine Brücke ins Schreiben von Hanns-Josef Ortheil, in: D E R S ., Literatur im Fluss. Brücken zwischen Poesie und Religion, Regensburg 2014, 42-50. — Erzähl mir Gott. Theologie und Literatur auf Augenhöhe, Würzburg 2018. — Im Anfang war das Murmeln. Wie der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil seine Sprache fand, in: HerKorr 73 (2019/ 2) 39-41. — Literatur im Fluss. Brücken zwischen Poesie und Religion, Regensburg 2014. — Meridiane aus Wörtern. Theo-poetisches ABC, Würzburg 2021. — Poesie und Philosophie. Der sapientiale Schreibton von Hanns-Josef Ortheil, in: LS 69 (2018) 374-378. — Was ist Glück? Petra Morsbachs Roman „Justizpalast“, in: HerKorr 72 (2018/ 8) 52. — Zweifel im Dienst der Hoffnung. Poesie und Theologie, Würzburg 2011. — Zwischen zwei Ufern. Wie Wasser und Fluss das Werk dreier Schriftsteller beein‐ flussen, in: Zeitzeichen 18 (2017) 34-36. G A U C H , Sigfrid - M A H L O W , Verena (Hgg.), Die unverschämte Gegenwart ( Jahrbuch für Literatur 15), Frankfurt a.-M. 2009. G E B A U E R , Gunter - W U L F , Christoph, Spiel - Ritual - Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt (Rowohlts Enzyklopädie 55591), Reinbek b. Hamburg, 1998. 3 Sekundärliteratur 347 <?page no="348"?> G E I G E R , Stefan, Der liturgische Vollzug als personal-liturgischer Erfahrungsraum. Litur‐ gietheologische Erkundungen in den Dimensionen von Personalität und Ekklesiologie (Theologie der Liturgie 16), Regensburg 2019. G E L D H O F , Joris, Sacrosanctum Concilium heute. 3. Die Tätige Teilnahme und die himm‐ lische Liturgie, in: GD 47 (2013) 70. G E L I N E A U , Joseph, Musik auf dem Weg durch die Liturgie, in: Concilium 25 (1989) 183-191. G E L L N E R , Christoph, „Vertrauen ins schwerelose Dasein“. Hanns-Josef Ortheils Lebens- Kunst-Projekt, in: D E R S ., „… nach oben offen“. Literatur und Spiritualität - Zeitgenös‐ sische Profile, Ostfildern 2013, 228-247. — Eine Sprache für das Sprachverschlagende. Arnold Stadlers verstörendes Sehnsuchts‐ buch „Salvatore“, in: Orientierung 73 (2009) 14-16. — „… nach oben offen“. Literatur und Spiritualität - Zeitgenössische Profile, Ostfildern 2013. G E N D O L L A , Peter, Die Erfindung Italiens. Reiseerfahrung und Imagination, Paderborn 2014. G E P P E R T , Hans Vilmar, Realismus und Moderne. Erträge, Vergleiche, Perspektiven, Tübingen 2020. G E R H A R D S , Albert - D E W I L D T , Kim (Hgg.), Der sakrale Ort im Wandel (Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft 12), Würzburg 2015. — Wandel und Wertschätzung. Synergien für die Zukunft von Kirchenräumen (Bild - Raum - Feier / Studien zu Kirche und Kunst 17), Regensburg 2017. G E R H A R D S , Albert - K R A N E M A N N , Benedikt, Grundlagen und Perspektiven der Liturgie‐ wissenschaft, Darmstadt 4 2019. G E R H A R D S , Albert - S C H N E I D E R , Matthias (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd.-1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u.-a.], Lilienthal 2014. G E R H A R D S , Albert, Alte Kirchen versilbern? Umnutzung von Sakralgebäuden, in: HerKorr 72 (2018/ 3) 40-43. — Ars celebrandi. Die Bedeutung der Künste für die Liturgie, in: HerKorr.Sp (2012/ 1) 11-16. — Das Wort, das zum Ereignis wird. Überlegungen zur Wirkweise des Wortes im Gottesdienst, in: BiLi 64 (1991) 135-140. — Die Präfationen, in: Reinhard M E ẞN E R - Eduard N A G E L - Rudolf P A C I K (Hgg.), Bewahren und Erneuern. Studien zur Meßliturgie (FS Hans Bernhard Meyer SJ), Innsbruck - Wien 1995, 202-218. — Edle Einfachheit oder falsche Bescheidenheit? Zur liturgischen Ästhetik des Papst‐ amtes, in: HerKorr.Sp (2015/ 1) 50-53. 348 3 Sekundärliteratur <?page no="349"?> — Emotionalität in der Kirche. Das „Objektive“ und das „Subjektive“ in der Liturgie - ein unauflösbarer Gegensatz? , in: D E R S . (Hg.), Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (PTHe 120), Stuttgart 2012, 96-107. — Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (PTHe 120), Stuttgart 2012. — Gipfelpunkt und Quelle. Intention und Rezeption der Liturgiekonstitution Sacro‐ sanctum Concilium, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. Br. u.-a. 2 2013, 127-146. — Gottesdienst und Menschwerdung. Vom Subjekt liturgischer Feier, in: Mariano D E L ‐ G A D O - Andreas L O B - H ÜD E P O H L , Markierungen. Theologie in den Zeichen der Zeit (Schriften der Diözesanakademie Berlin 11), Berlin 1995, 275-291. — Symbol - Ritus - Erfahrung. Liturgie als Quelle von Spiritualität, in: D E R S . (Hg.), Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie (PTHe 120), Stuttgart 2012, 311-320. — Vorbedingungen, Dimensionen und Ausdrucksgestalten der Bewegung in der Liturgie, in: Wolfgang M E U R E R (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst, Mainz 1989, 11-24. G E R L - F A L K O V I T Z , Hanna-Barbara, Leibhaftes Spiel. Zur Anthropologie der Liturgie, in: Journal für Religionsphilosophie 5 (2016), 106-117. — Natur oder Schöpfung? , in: IKaZ Communio 49 (2020) 510-522. G I R T L E R , Roland, Methoden der Feldforschung, Wien u.-a. 4 2009. G L E I , Reinhold F., „Ovid in den Zeiten der Postmoderne. Bemerkungen zu Christoph Ransmayrs Roman ‚Die letzte Welt‘“, in: Poetica 26 (1994) 409-427. G O L D S C H M I D T , Stephan - R I C H T E R - R E T H W I S C H , Inken, Literaturgottesdienste (DAW 128), Göttingen 2010. G O L D S C H M I D T , Stephan (Hg.), Ein Wort so viel wert wie das Leben. Literaturgottesdienste, Freiburg i. Br. u.-a. 2016. G O T T W A L D , Herwig - F R E I N S C H L A G , Andreas, Peter Handke (UTB 3220), Wien u.-a. 2009. G O T T W A L D , Herwig, Christoph Ransmayrs Werk im Kontext der Literatur der achtziger und neunziger Jahre, in: Attila B O M B I T Z (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015, 259- 272. G R A F , Otto Antonia, Otto Wagner. Bd.-1: Das Werk des Architekten 1860-1902, Wien u.-a. 2 1994. G R A U L I C H , Markus - M E C K E L , Thomas - P U L T E , Matthias (Hgg.), Ius canonicum in communione christifidelium (FS Heribert Hallermann = KStKR 23), Paderborn u.-a. 2016. G R E I N E R , Bernd, Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Planes, Hamburg 1995. 3 Sekundärliteratur 349 <?page no="350"?> G R E S C H A T , Hans-Jürgen, Art. Naturreligionen, in: TRE 24 (1994) 185-188. G R I L L O , Andrea, Il contributo di Pius Parsh [sic! ] all’impostazione della costituzione Sacrosanctum Concilium, in: Rivista liturgica 105 (2018) 477-498. G R O E B N E R , Valentin, Wer redet von der Reinheit? Eine kleine Begriffsgeschichte, Wien 2019. G R O E N , Bert - E B E N B A U E R , Peter, Männerliturgie - Frauenliturgie - und dann? Beobach‐ tungen und Impulse auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Liturgie, in: Sigrid Eder - Irmtraud Fischer (Hgg.): „… männlich und weiblich schuf er sie …“ (Gen 1,27). Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft (Theologie im kulturellen Dialog 16), Innsbruck 2009, 217-256. G R Oẞ , Karl, Menschenhand und Gotteshand in Antike und Christentum, Stuttgart 1985. G R ÜN , Anselm, Chorgebet und Kontemplation (MKS 50), Münsterschwarzach 3 2002. G U A R D I N I , Romano, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung. Ein Brief, in: D E R S ., Liturgie und liturgische Bildung, Mainz - Paderborn 2 1992, 9-17. — Liturgie und liturgische Bildung, Mainz - Paderborn 2 1992. — Vom Geist der Liturgie (RG Werke), Mainz u.-a. 20 1997. G U N I A , Jürgen, Das Leben ein Satz. Arnold Stadlers existentielle Poetik, in: Evi Z E M A N E K - Susanne K R O N E S (Hgg.), Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000, Bielefeld 2008, 295-304. G ÜN T N E R , Diana, Das Gedenken des Erhöhten im Neuen Testament. Zur ekklesialen Bedeutung des Gedenkens am Modell des Psalms 110 (BBSt 6), München 1998. G U R L I T T , Cornelius, Die Pflege der Kirchlichen Kunstdenkmäler. Ein Handbuch für Geistliche, Gemeinden und Kunstfreunde, Leipzig - Erlangen 1921. H A E P K E , Nadine, Sakrale Inszenierungen in der zeitgenössischen Architektur. John Pawson - Peter Kulka - Peter Zumthor (Architekturen 20), Bielefeld 2013. H A H N E , Werner, De arte celebrandi, oder von der Kunst, Gottesdienst zu feiern. Entwurf einer Fundamentalliturgik, Freiburg i. Br. 2 1991. H A K E , Joachim, Ein phantastischer Augenblick, in: BiLi 90 (2017) 1-2. H A L Í K , Tomás, All meine Wege sind DIR vertraut. Von der Untergrundkirche ins Laby‐ rinth der Freiheit, Freiburg i. Br. 2018. H A L L E N S L E B E N , Barbara - V E R G A U W E N , Guido (Hgg.), Letzte Haltungen. Hans Urs von Balthasars „Apokalypse der deutschen Seele“ - neu gelesen (StOeFr 48), Freiburg/ Schweiz 2006. H A N E N B E R G , Peter, Remediationen: Die Suche nach dem Heil der Welt in Arnold Stadlers „Salvatore“, in: Paul Michael L ÜT Z E L E R - Jennifer M. K A P C Z Y N S K I (Hgg.), Die Ethik der Literatur, Göttingen 2011, 100-108. H Ä R I N G , Bernhard, Heute Priester sein. Eine kritische Ermutigung, Freiburg i. Br. 2 1996. H A R N O N C O U R T , Philipp, Gesang und Musik im Gottesdienst, in: Harald S C HÜT Z E I C H E L (Hg.), Die Messe. Ein kirchenmusikalisches Handbuch, Düsseldorf 1991, 9-25. 350 3 Sekundärliteratur <?page no="351"?> — Zeichen und Symbole im Leben der Kirche, in: Andreas R E D T E N B A C H E R (Hg.), Kultur der Liturgie. Grundfragen des Gottesdienstes heute, Ostfildern 2006, 61-80. H A R T L , Johannes, „Und unter tausend heißen Tränen fühlt ich mir eine Welt entstehen“. Emotionen und religiöses Erleben, in: IKaZ 50 (2021) 153-159. H A R T M A N N , René - M A G E R , Tino, Kirchenräume und ihre Zukunft. Sanierung - Umbau - Umnutzung, hg. von der W Ü S T E N R O T S T I F T U N G , Ludwigsburg 2 2017. H A S L I N G E R , Adolf, Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers, Salzburg - Wien 1992. H A S P E L M A T H - F I N A T T I , Dorothea, Theologia Prima. Liturgische Theologie für den evan‐ gelischen Gottesdienst (APTLH 80), Göttingen 2014. H A U N E R L A N D , Winfried, Die Liturgie als Gottesdienst der ganzen Kirche. Zur Konstitution Sacrosanctum concilium über die heilige Liturgie, in: D E R S . - Hanjo S A U E R , Liturgie - Spiegel des Kirchenbildes. Wer das Volk Gottes ist und wie es feiert (Kardinal König Bibliothek 3), Wien u.-a. 2013, 63-114. — Instrumentalisierungen des Gottesdienstes? Zum Umgang mit der Liturgie nach dem 2. Vatikanum, in: MThZ 60 (2009) 222-233. — Participatio actuosa. Programmwort liturgischer Erneuerung, in: IKaZ Communio 38 (2009) 585-595. — Spiritualität der Kirche und Spiritualität der Einzelnen - ein spannungsvolles und befruchtendes Verhältnis, in: D E R S . - Alexander S A B E R S C H I N S K Y - Hans-Gerd W I R T Z (Hgg.), Liturgie und Spiritualität, Trier 2004, 11-31. H A U N E R L A N D , Winfried - S A B E R S C H I N S K Y , Alexander - W I R T Z , Hans-Gerd (Hgg.), Liturgie und Spiritualität, Trier 2004. H A U N E R L A N D , Winfried - S A U E R , Hanjo, Liturgie - Spiegel des Kirchenbildes. Wer das Volk Gottes ist und wie es feiert (Kardinal König Bibliothek 3), Wien u.-a. 2013. H Ä U P L , Waltraud, Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund. Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Kindereuthanasie in Wien, Wien 2006. H A U P T , Sabine, Vom Geist zur Seele. Hans Urs von Balthasars theologisierte Geistesge‐ schichte im Kontext der zeitgenössischen Germanistik und am Beispiel seiner Novalis- Auslegung, in: Barbara H A L L E N S L E B E N - Guido V E R G A U W E N (Hgg.), Letzte Haltungen. Hans Urs von Balthasars „Apokalypse der deutschen Seele“ - neu gelesen (StOeFr 48), Freiburg/ Schweiz 2006, 40-62. H A U S C H I L D , Wolf-Dieter, Agapen I (In der alten Kirche), in: TRE 1 (1977) 748-753. H Ä UẞL I N G , Angelus Albert, Christliche Identität aus der Liturgie. Theologische und historische Studien zum Gottesdienst der Kirche (LQF 79), hg. von Martin K LÖ C K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 1997 — Die Bibel in der Liturgie der Tagzeiten, in: D E R S ., Tagzeitenliturgie in Geschichte und Gegenwart. Historische und theologische Studien (LQF 100), hg. von Martin K LÖC K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 2012, 91-110. 3 Sekundärliteratur 351 <?page no="352"?> — Akklamationen und Formeln, in: Rupert B E R G E R u.-a., Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (GdK 3), Regensburg 2 1990, 220- 239. — Die Psalmen des Alten Testamentes in der Liturgie des Neuen Bundes, in: Klemens R I C H T E R - Benedikt K R A N E M A N N (Hgg.), Christologie der Liturgie. Der Gottesdienst der Kirche - Christusbekenntnis und Sinaibund (QD 159), Freiburg i.Br. u.-a. 1995, 87-102. — Einhundert Jahre „Schott“. Anselm Schott und sein Meßbuch, in: EuA 59 (1983) 342-350. — Gemeinschaft aus Identität und Erfahrung. Über eine notwendige Voraussetzung des Gebetes in der Liturgie, in: D E R S ., Christliche Identität aus der Liturgie. Theologische und historische Studien zum Gottesdienst der Kirche (LQF 79), hg. von Martin K LÖC K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 1997, 334-344. — Liturgie. Gedächtnis eines Vergangenen und doch Befreiung in der Gegenwart, in: D E R S ., Christliche Identität aus der Liturgie. Theologische und historische Studien zum Gottesdienst der Kirche (LQF 79), hg. von Martin K LÖC K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 1997, 2-10. — Tagzeitenliturgie in Geschichte und Gegenwart. Historische und theologische Studien (LQF 100), hg. von Martin K LÖ C K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z , Münster 2012. H E I L , Stefan, Vergegenwärtigung durch klingende Symbolik. Zur Epik Arnold Stadlers und deren religio- und theopoetischer Relevanz, in: Orientierung 63 (1999) 256-261. H E N N I G , John, Das Übersetzen liturgischer Texte im Lichte der Literaturwissenschaft, in: D E R S ., Liturgie gestern und heute, Bd.-1., Maria Laach 1989, 157-173. — Die bleibende Stadt, Bremen 1987. — Literatur und Existenz. Ausgewählte Aufsätze, Heidelberg 1980. — Liturgie gestern und heute, Bd.-1., Maria Laach 1989. — The Missal as World Literature, in: The Irish Monthly 74 (1946) 249-256. — Was ist eigentlich Liturgie? , in: MS(D) 89 (1969) 251-255. — Zur literaturwissenschaftlichen Betrachtung der Liturgie, in: D E R S ., Literatur und Existenz. Ausgewählte Aufsätze, Heidelberg 1980, 81-95. H E N R I C H , Franz (Hg.), Romano Guardini. Christliche Weltanschauung und menschliche Existenz, Regensburg 1999. H E R S C H E , Peter, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Freiburg i. Br. 2015. H E R W I G , Malte, Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biographie, München 2010. H I E K E , Thomas, Levitikus. Erster Teilband 1-15, HThKAT, Freiburg i. Br. 2014. 352 3 Sekundärliteratur <?page no="353"?> H I L P E R T , Konrad u.-a. (Hgg.), Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen Bilanzierungen Perspektiven (QD 309), Freiburg i. Br. u. a. 2020. H O F F , Gregor Maria - K N O P , Julia - K R A N E M A N N , Benedikt (Hgg.), Amt - Macht - Liturgie. Theologische Zwischenrufe für eine Kirche auf dem Synodalen Weg (QD 308), Freiburg i. Br. u.-a. 2020. H ÖL L E R , Hans, Die Weltlichkeit der Bibel. Zu Handkes Klassik nach 1945, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2014, 69-82. — Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945. Das Werk Peter Handkes, Berlin 2013. — Peter Handke (Rowohlts Rotations-Romane 50663), Reinbek b. Hamburg 2007. — Wunschloses Unglück. Erzählung. Mit einem Kommentar von Hans Höller unter Mitarbeit von Franz Stadler (SBB 38), Berlin 2003. H O O N D E R T , Martin J. M., Singen als Ritual. Eine performative Annäherung an Klang im Gottesdienst, in: JLH 54 (2015) 104-112. H O P I N G , Helmut u. a., Heil erfahren in den Sakramenten (TheoMod 9) Freiburg i. Br. u. a. 2009. H Ö R I S C H , Jochen, Brot und Wein. Die Poesie des Abendmahls (Edition Suhrkamp 1692), Frankfurt a.-M. 1992. H U I Z I N G , Klaas, Laues Bad. Immer wieder Uhren, in: Zeitzeichen 18 (2017) 64-65. H ÜN E R M A N N , Peter - H I L B E R A T H , Bernd Jochen (Hgg.), HThKVatII, Bd.-4, Freiburg i. Br. 2005. H ÜN E R M A N N , Peter (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg i. Br. 2006. H U R T H , Elisabeth, „In persona Christi“. Literarische Annäherungen an die Identitätssuche von Priestern, in: HerKorr.Sp (2018/ 1) 61-63. — Der Gottlose Priester. Die Krise der Kirche und ihrer Diener in der Romanliteratur der Gegenwart, in: TThZ 126 (2017) 245-261. — Der gute Hirte. Zum Priesterbild in der Unterhaltungsliteratur am Beispiel der Bergpfarrer-Heftromane, in: TThZ 128 (2019) 167-177. — Geistliches Amt und politisches Handeln. Beobachtungen zu deutschen Pfarrerro‐ manen, in: IKaZ Communio 33 (2004) 479-493. — Gottesdiener. Zum Priesterbild in Literatur und Medien, in: HerKorr.Sp (2009/ 1) 48-53. — Mann Gottes. Das Priesterbild in Literatur und Medien (ThLi 15), Mainz 2003. — Metamorphosen der Gottesdiener. Priestergestalten in Romanen der Gegenwart, in: HerKorr 59 (2005/ 3) 144-149. — Priestergestalten in der Gegenwartsliteratur, in: TThZ (2005) 331-340. — Priestergestalten in der Romanliteratur, in: IKaZ Communio 35 (2006) 291-305. 3 Sekundärliteratur 353 <?page no="354"?> — Seiltänzer. Priestergestalten in Romanen der Gegenwart, in: HerKorr 69 (2015/ 12) 638-641. J A M E S , William, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eilert Herms und Christian Stahlhut. Mit einem Vorwort von Peter Sloterdijk, Frankfurt a.-M. 1997. J E G G L E - M E R Z , Birgit - K I R C H S C H LÄ G E R , Walter - M ÜL L E R , Jörg, Mit der Bibel die Messe verstehen. Bd. 2. Die Feier der Eucharistie. Luzerner biblisch-liturgischer Kommentar zum Ordo Missae - Erschließung, Stuttgart 2017. J E G G L E - M E R Z , Birgit, „Schweigen wäre gotteslästerlich“. Gottesdienst im Angesicht von Missbrauchserfahrungen, in: Konrad H I L P E R T u.-a. (Hgg.), Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen - Bilanzierungen - Perspektiven (QD 309), Freiburg i. Br. u.-a. 2020, 305-316. — Bewegung als lebendiger Ausdruck des Glaubens, in: Wolfgang M E U R E R (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst, Mainz 1989, 52-61. — Den heutigen Menschen im Blick. Wie Kirche liturgiefähig wird, in: HerKorr.Sp (2013/ 1) 5-9. — Mysteriis edoctus. Vom Erleben zum Erkennen. Liturgiewissenschaft als eine Theo‐ logie der Erfahrung, in: ALw 50 (2008) 188-206. — Tätige Teilnahme in „Sacrosanctum Concilium“. Stolperstein oder Impulsgeber für gottesdienstliche Feiern heute? , in: LJ 63 (2013) 153-166. J E L E , Harald - L E N H A R T , Elmar (Hgg.), Literatur - Politik - Kritik. Beiträge zur österrei‐ chischen Literatur des 20.-Jahrhunderts (FS Klaus Amann), Göttingen 2014. J O A S , Hans, Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz (Herder-Spektrum 5459), Freiburg i. Br. u.-a. 2 2004. — Die Entstehung der Werte (Stw 1416), Frankfurt a.-M. 1999. — Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung, Berlin 2017. — Einführung, in: Robert N. B E L L A H , Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit, hg. und mit einer Einführung von Hans J O A S . Aus dem Englischen von Christine Pries, Freiburg i. Br. 2021, IX-XXVI. — Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Freiburg i. Br. u. a. 2012. — Im Bannkreis der Freiheit, Religionstheorie nach Hegel und Nietzsche, Berlin 2020. — Säkulare Heiligkeit. Wie aktuell ist Rudolf Otto? , in: O T T O , Rudolf, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Mit einer Einführung zu Leben und Werk Rudolf Ottos von Jörg Lauster und Peter Schüz und einem Nachwort von Hans Joas (C.H. Beck Paperback 328), München 2014, 256-281. J U D E X , Bernhard, Auf und davon und Hiergeblieben - Der Wanderer in der Schrift. Anmerkungen zu Christoph Ransmayrs Poetologie, in: Manfred M I T T E R M A Y E R - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 118-124. 354 3 Sekundärliteratur <?page no="355"?> J U N G M A N N , Josef A., Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., I. Messe im Wandel der Jahrhunderte. Messe und kirchliche Gemein‐ schaft. Vormesse, Freiburg i. Br. u.-a. 5 1962. K A B E L , Thomas, Handbuch Liturgische Präsenz. Bd. 1. Zur praktischen Inszenierung des Gottesdienstes, Gütersloh 2002. K A R L , Katharina, Biografieforschung als Weg der Theologie, in: MThZ 64 (2013) 291-301. K A R T E N B E C K , Caroline, Erfindungen des Lebens. Autofiktionales Erzählen bei Hanns- Josef Ortheil, Heidelberg 2012. K A S T B E R G E R , Klaus - P E K T O R , Katharina (Hgg.), Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater, Salzburg 2012. K I E L , Martin, Nexus: postmoderne Mythenbilder. Vexierbilder zwischen Spiel und Er‐ kenntnis. Mit einem Kommentar zu Christoph Ransmayrs „Die letzte Welt“ (EHS.DS 1566), Frankfurt a.-M. 1996. K I E S E L , Helmuth, Geschichte der literarischen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert, München 2 2016. — Glaube und Literatur. Beobachtungen zu ihrem gegenwärtigen Verhältnis, in: IKaZ Communio 41 (2012) 289-309. — Gottes- und Glaubensverlust in der Literatur nach Nietzsche, in: IKaZ Communio 50 (2021) 72-84. K I R C H H O F F , Hermann, Urbilder des Glaubens. Labyrinth - Höhle - Haus - Garten, München 1988. K LÄD E N , Tobias - S C HÜẞL E R , Michael (Hgg.), Zu schnell für Gott? Theologische Kontro‐ versen zu Beschleunigung und Resonanz (QD 286), Freiburg i. Br. u.-a. 2017. K L E I N S C H M I D T , Sebastian, Geheimnisvolles Innehalten. Zu einem Gedicht von Christian Lehnert, in: D E R S . (Hg.), Spiegelungen, Berlin 2018, 246-248. — Ins Offene. Musikalität und Sakralität in den Gedichten Christian Lehnerts, in: D E R S . (Hg.), Spiegelungen, Berlin 2018, 105-112. — Spiegelungen, Berlin 2018. K LÖC K E N E R , Martin (Hg.), Leib Christi sein, feiern, werden, Freiburg/ Schweiz 2006. K N A L L E R , Susanne, Die Realität der Kunst. Programme und Theorien zu Literatur, Kunst und Fotografie seit 1700, Paderborn 2015. K N A P P , Lore, Formen des Kunstreligiösen. Peter Handke - Christoph Schlingensief, Paderborn 2015. K O C K , Erich, Die Andacht der Aufmerksamkeit oder: Der Weg führt nach innen. Versuch über Peter Handke, in: IKaZ Communio 38 (2009) 648-656. K O H L , Katrin, Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur, Berlin - New York 2007. K O H L S C H E I N , Franz, Bewußte, tätige und fruchtbringende Teilnahme. Das Leitmotiv der Gottesdienstreform als bleibender Maßstab, in: Theodor M A A S - E W E R D (Hg.), Lebt 3 Sekundärliteratur 355 <?page no="356"?> unser Gottesdienst? Die bleibende Aufgabe der Liturgiereform (FS Bruno Kleinheyer), Freiburg i. Br. 1988, 38-62. K O L E H M A I N E N , Ola, It’s All One History, Almost. A Journey to Space, Light, and Time, Berlin 2017. K O L L , Julia, Körper beten. Religiöse Praxis und Körpererleben (PTHe 85), Stuttgart 2000. K O L L E R - G LÜ C K , Elisabeth, Otto Wagners Kirche am Steinhof, Wien 1984. K O R N F E L D , Walter, Art. Reinheit, kultische. I. Im AT, in: LThK 2 8 (1963) 1145-1147. K R A N E M A N N , Benedikt - R A S C H Z O K , Klaus (Hgg.), Gottesdienst als Feld der Theologi‐ schen Wissenschaft im 20.-Jahrhundert. Deutschsprachige Liturgiewissenschaft in Einzelportraits (LQF 98,1), Bd. 1. Gottesdienst als Feld theologischer Wissenschaft im 20.-Jahrhundert. K R A N E M A N N , Benedikt, Liturgie und Körper. Editorial, in: ThG 63 (2020/ 1) 1. — Private Frömmigkeit und die Liturgie der Gemeinde, in: Christoph M ÜL L E R - Thomas S T E R N B E R G (Hgg.), Plätze zum Beten. Devotionsorte im Kirchenraum. Dokumentation einer Kooperationstagung der Akademie Franz-Hitze-Haus mit dem Deutschen Lit‐ urgischen Institut Trier und den Seminaren für Liturgiewissenschaft der Universitäten Erfurt und Münster (Edition Franz Akademie Franz Hitze Haus 16), Münster 2007, 7-27. — Rezension zu: Martin Mosebach, Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, in: ThR 99 (2003) 397f. K R A N E M A N N , Daniela - K R A N E M A N N , Benedikt, John Hennig (1911-1986), in: Benedikt K R A N E M A N N - Klaus R A S C H Z O K (Hgg.), Gottesdienst als Feld der Theologischen Wissen‐ schaft im 20.-Jahrhundert. Deutschsprachige Liturgiewissenschaft in Einzelportraits (LQF 98,1), Bd. 1. Gottesdienst als Feld theologischer Wissenschaft im 20. Jahrhundert, 467-475. K R U M E N A C K E R , Yves, L’École française de spiritualité. Des mystiques, des fondateurs, des courants et leurs interprètes, Paris 1998. K U B I C K I , Judith Marie, Liturgical music as ritual symbol. A case study of Jacques Berthier’s Taizé music (LiCo 9), Leuven 1999. K U C H A R Z , Thomas, Theologen und ihre Dichter. Literatur, Kultur und Kunst bei Karl Barth, Rudolf Bultmann und Paul Tillich (ThLi 4), Mainz 1995. K ÜH N E L , Jürgen (Hg.), Dû bist mîn, ih bin dîn. Die lateinischen Liebes- (und Freund‐ schafts-) Briefe des clm 19411. Abbildungen, Text und Übersetzung (Litterae 52), Göppingen 1977. K U N Z L E R , Michael, Art. Prostration, in: LThK3 8 (1999), 648. K Ü P P E R S , Kurt, Wie neu sind die „neuen“ Präfationen im Missale Romanum 1970 und im Deutschen Meßbuch 1974? , in: LJ 36 (1986) 75-91. K U R Z K E , Hermann, „Stille Nacht“ im Kontext einer angedeuteten Literaturgeschichte der Nacht, in: LiKu 6 (2015) 40-53. 356 3 Sekundärliteratur <?page no="357"?> K U S C H E L , Karl-Josef, Art. Literatur. III. Literatur und Religion, in: LThK 3 6 (1997) 965f. — Im Zeichen des Elephanten. Laudatio für Hanns-Josef Ortheil, in: Sigfrid G A U C H - Verena M A H L O W (Hgg.), Die unverschämte Gegenwart ( Jahrbuch für Literatur 15), Frankfurt a.-M. 2009, 299-316. K U T Z E R , Mirja, In Wahrheit erfunden. Dichtung als Ort theologischer Erkenntnis (Ratio fidei 30), Regensburg 2006. L A M P I N G , Dieter (Hg.), Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart 2 2016. L A N G , Uwe Michael, Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der christli‐ chen Gebetsrichtung (Neue Kriterien 5), Einsiedeln 2003. L A N G E N H O R S T , Georg, „… leichter an Gott zu glauben, als an gar nichts“. Annäherungen an Gott im Werk Arnold Stadlers, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 147-168. — „Ich gönne mir das Wort Gott“. Annäherungen an Gott in der Gegenwartsliteratur, Freiburg u.-a. 2 2014. — Fortschreibungen mystischer Poesie. Die Dichter Christian Lehnert und Andreas Knapp, in: GuL 88 (2015) 295-305. — Literarische Spiegelungen von Beichte. Darstellungen des Bußsakraments in der Gegenwartsliteratur, in: StZ 140 (2015) 121-132. — Romano Guardini und die Literatur, in: StZ 229 (2011) 690-700. — Theologische Beschäftigung mit Literatur, in: Daniel W E I D N E R (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016, 17-25. L A N G E R , Renate - M I T T E R M A Y E R , Manfred, Ein Apokalyptiker, der das Leben preist. Christoph Ransmayr im Gespräch mit Renate Langer und Manfred Mittermayer, in: D I E S . - D E R S . (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 10-19. L A N G E R , Renate, Probeweise Amen? Religiöse Motive im Werk von Christoph Ransmayr, in: Attila B O M B I T Z (Hg.), Bis zum Ende der Welt. Ein Symposium zum Werk von Christoph Ransmayr (Österreich-Studien Szeged 8), Wien 2015, 53-65. L A N G E R , Susanne Katharina, Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt a.-M. 1992. L A R I N , Vassa, What is „ritual im/ purity“ and why? , in: SVTQ 52 (2008) 275-292. L A T O U R , Bruno, Jubilieren. Über religiöse Rede. Aus dem Französischen von Achim Russer (Stw 2186), Berlin 2016. L A U S T E R , Jörg, Religion als Lebensdeutung. Theologische Hermeneutik heute, Darmstadt 2005. L E C L E R C Q , Jean, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters. Aus dem Französischen übertragen von Johannes und Nicole Stöber, Düsseldorf 1963. L E F E B V R E , Jean-Pierre, Ransmayrs räumliche Resonanzen, in: Manfred M I T T E R M A Y E R - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 79-82. 3 Sekundärliteratur 357 <?page no="358"?> L E H M A N N , Hartmut, Die Entzauberung der Welt. Studien zu Themen von Max Weber, Göttingen 2009. L E N T I N I , Anselmo, Te decet hymnus. L’Innario della „liturgia horarum“, Città del Vaticano 1984. L E O N H A R D , Clemens, Wider die liturgische (Selbst-)Entmündigung. Zu Martin Mosebachs „Häresie der Formlosigkeit“, in: JbPT 5 (2008) 276-288. L E R C H , Lea, Entdeckung des Leibes - Erneuerung der Liturgie. Körperdiskurse in der Liturgischen Bewegung, in: ThG 63 (2020/ 1), 19-32. L I E S , Lothar, Sakramententheologie. Eine personale Sicht, Graz 1990. L Ö F F L E R , Sigrid, „Mit einem Haifischbiß“. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff in ihren Romanen, in: StZ 230 (2012) 197-204. L ÖH R , Ämiliana, Abend und Morgen ein Tag. Die Hymnen der Herrentage und Wochen‐ tage im Stundengebet, Regensburg 1955. L O R E N Z E R , Alfred, Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik (Fischer-Wissenschaft 7340), Frankfurt a.-M. 1988. L ÜD E M A N N , Gerd, Jungfrauengeburt? Die Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus, Springe 2008. L U H M A N N , Niklas, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.-M. 1997. L U KÁ C S , Georg, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Mit einem Vorwort von 1962 (dtv Wissenschaft 4624), München 1994. L U M M A , Liborius Olaf, Die Komplet. Eine Auslegung des römisch-katholischen Nachtge‐ bets, Regensburg 2017. L U M P P , Hans-Martin, Philologia crucis. Zu Johann Georg Hamanns Auffassung von der Dichtkunst. Mit einem Kommentar zur „Aesthetica in nuce“ (1762) (Studien zur deutschen Literatur 21), Tübingen 1970. L U R Z , Friedrich, Das Paradigma der tätigen Teilnahme angesichts der heutigen kulturellreligiösen Bedingungen, in: LJ 65 (2015) 192-205. — Erlebte Liturgie. Autobiografische Schriften als liturgiewissenschaftliche Quellen, Münster 2003. L U T T E R B A C H , Hubertus, Herausforderung Sexualität. Zwischen moderner Verhandlungs‐ moral und traditionellem Reinheitsparadigma, in: LS 60 (2009) 79-88. — Monachus factus est. Die Mönchswerdung im frühen Mittelalter. Zugleich ein Beitrag zur Frömmigkeits- und Liturgiegeschichte (BGMA 44), Münster 1995. — Sexualität im Mittelalter. Eine Kulturstudie anhand von Bußbüchern des 6. bis 12.-Jahrhunderts (BAKG 43), Köln u.-a. 1999. L ÜT Z E L E R , Paul Michael - K A P C Z Y N S K I , Jennifer M. (Hgg.), Die Ethik der Literatur, Göttingen 2011. 358 3 Sekundärliteratur <?page no="359"?> M A A S - E W E R D , Theodor (Hg.), Lebt unser Gottesdienst? Die bleibende Aufgabe der Liturgiereform (FS Bruno Kleinheyer), Freiburg i. Br. 1988. — Wann stehen, wann sitzen, wann knien in der Feier der heiligen Messe? , in: KlBl 82 (2002) 205-206. M A G E N A U , Jörg, Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Stuttgart 2015. M A R X , Alfred, Art. Opfer II. Religionsgeschichtlich, in: RGG 4 6 (2003) 571-576. M A Y , Christof, Pilgern. Menschsein auf dem Weg (StSSTh 41), Würzburg 2004. M A Y E R , Tobias, Die absolute Uhr: „Cox oder der Lauf der Zeit“ - ein zeitphilosophischer Roman von Christoph Ransmayr, in: IKaZ Communio 45 (2016) 576-578. — Typologie und Heilsgeschichte. Konzepte theologischer Reform bei Jean Daniélou und in der Nouvelle théologie (IThS 96), Innsbruck - Wien 2020. M A Y E R - P F A N N H O L Z , Anton Ludwig, Die Liturgie in der europäischen Geistesgeschichte. Gesammelte Aufsätze, hg. und eingeleitet von Emmanuel V O N S E V E R U S , Darmstadt 1978. M E N K E , Christoph, Wozu Kunst? George Steiners Interpretation der Moderne, in: Dietrich N E U H A U S - Andreas M E R T I N (Hgg.), Wie in einem Spiegel…. Begegnungen von Kunst, Religion, Theologie und Ästhetik (ArTe 109), Frankfurt a.-M. 1999, 131-146. M E ẞN E R , Reinhard - N A G E L , Eduard - P A C I K , Rudolf (Hgg.), Bewahren und Erneuern. Studien zur Meßliturgie (FS Hans Bernhard Meyer SJ), Innsbruck - Wien 1995. M E ẞN E R , Reinhard, Christliche Identität aus der Liturgie. Ein bedeutender Beitrag Angelus A. Häußlings zu einer Hermeneutik der Liturgie, in: ALw 41 (1999) 336-346. — Die Meßreform Martin Luthers und die Eucharistie der Alten Kirche. Ein Beitrag zu einer systematischen Liturgiewissenschaft (IThS25), Innsbruck 1989. — Erwägungen zur Gestalt und rituellen Performance der Eröffnungsriten der Messe. Eine Skizze, in: HlD 71 (2017) 223-232. M E T Z , Johann Baptist, Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer prakti‐ schen Fundamentaltheologie (Gesammelte Schriften 3/ 1), Freiburg i. Br. u.-a. 2016. — Memoria Passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft (Gesammelte Schriften 4) Freiburg i. Br. u.-a. 2017. M E U R E R , Wolfgang (Hg.), Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst, Mainz 1989. M E Y E R - B L A N C K , Michael, Gottesdienstlehre (NTG), Tübingen 2 2020, 342-387. — Das Gebet, Tübingen 2019. M I C H L E R , Werner, Fliegende Berge, letzte Welten. Christoph Ransmayrs Arbeit am Epos, in: Harald J E L E - Elmar L E N H A R T (Hgg.), Literatur - Politik - Kritik. Beiträge zur österreichischen Literatur des 20.-Jahrhunderts (FS Klaus Amann), Göttingen 2014, 103-117. M I N T A , Anna - S C H M I T Z , Frank, Auratische Räume der Moderne. Editorial, in: Kritische Berichte 44 (2016/ 2) 3-6. 3 Sekundärliteratur 359 <?page no="360"?> M I T T E R M A Y E R , Manfred - L A N G E R , Renate (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Rans‐ mayr, Linz 2009. M I T T E R M A Y E R , Manfred, „Daß, was ist, nicht bleiben kann“. Zu Christoph Ransmayrs Roman Der fliegende Berg, in: D E R S . - Renate L A N G E R (Hgg.), Die Rampe. Porträt Christoph Ransmayr, Linz 2009, 105-198. M O S E B A C H , Holger, Endzeitvisionen im Erzählwerk Christoph Ransmayrs, München 2003. M O S E B A C H , Martin - H A R N O N C O U R T , Philipp, Erlahmt die Kraft der Liturgie? , in: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 33 (2003/ 6) 30-32. M O S E R , Tilmann, Gottesvergiftung (Suhrkamp-Taschenbücher 533), Frankfurt a. M. 1980. M U F F , Guido: Art. Weißer Sonntag, in: LThK 3 10 (2001) 1052-1053. M ÜL L E R , Bettina-Maria, Sakrale Konkurrenz, in: kunst und kirche 77 (2014/ 3) 32-41. M ÜL L E R , Christoph - S T E R N B E R G , Thomas (Hgg.), Plätze zum Beten. Devotionsorte im Kirchenraum. Dokumentation einer Kooperationstagung der Akademie Franz- Hitze-Haus mit dem Deutschen Liturgischen Institut Trier und den Seminaren für Liturgiewissenschaft der Universitäten Erfurt und Münster (Edition Franz Akademie Franz Hitze Haus 16), Münster 2007. N A G E L , Eduard, Beim Hochgebet knien? , in: GD 45 (2011) 104. — Stehen, knien oder was? Auf der Suche nach einer Ehrfurchtsgebärde vor der heiligen Kommunion, in: GD 42 (2008) 96. N A U E R , Doris, Geistzeugung und Jungfrauengeburt? , in: Diakonia 48 (2017) 241-245. N E G E L , Joachim, „Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt“. Zu Licht- und Schatten‐ seiten aufgeklärter Theologie, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 77-98. — Ambivalentes Opfer. Studien zur Symbolik, Dialektik und Aporetik eines theologischen Fundamentalbegriffs, Paderborn u.-a. 2005. N E U H A U S , Dietrich - M E R T I N , Andreas (Hgg.), Wie in einem Spiegel…. Begegnungen von Kunst, Religion, Theologie und Ästhetik (ArTe 109), Frankfurt a.-M. 1999. N E U M A N N , Thomas, Participatio actuosa in der Spannung zwischen der rechtlichen Struktur der Kirche und liturgietheologischen Prinzipien, in: LJ 64 (2014) 3-23. N O N N , Nikolaus, Singt Psalmen, Hymnen und Lieder. Kleines Handbuch für den Kanto‐ rendienst, Mainz 2004. O D E N T H A L , Andreas, „Häresie der Formlosigkeit“ durch ein „Konzil der Buchhalter“? Überlegungen zur Kritik an der Liturgiereform nach 40 Jahren „Sacrosanctum Conci‐ lium“, in: LJ 53 (2003) 242-257. — Gottesdienst wider den Zeitgeist? Die Diskussion um die Reform der Messe geht weiter, in: HerKorr 57 (2003/ 9) 452-456. 360 3 Sekundärliteratur <?page no="361"?> — Liturgie als Ritual. Theologische und psychoanalytische Überlegungen zu einer praktisch-theologischen Theorie des Gottesdienstes als Symbolgeschehen (PTHe 60), Stuttgart 2002. — Priesterbild - Gottesdienst - Missbrauch. Liturgiehistorische und kulturpsychologi‐ sche Überlegungen zur Ambivalenz liturgischer Rollenbilder, in: Konrad H I L P E R T u.-a. (Hgg.), Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen - Bilanzierungen - Perspektiven (QD 309), Freiburg i. Br. u. a. 2020, 199-208. — Resonanz-Raum Gottesdienst? Überlegungen zu einer zeitsensiblen Liturgiewissen‐ schaft im Anschluss an Hartmut Rosa, in: LJ 68 (2018) 32-54. — Rituelle Erfahrung. Praktisch-theologische Konturen des christlichen Gottesdienstes (PTHe 161), Stuttgart 2019. O H L Y , Friedrich, Cor amantis non angustum. Vom Wohnen im Herzen, in: D E R S ., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, 128-155. — Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977. O T T O , Rudolf, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Mit einer Einführung zu Leben und Werk Rudolf Ottos von Jörg Lauster und Peter Schüz und einem Nachwort von Hans Joas (C.H. Beck Paperback 328), München 2014. O V E R A T H , Joseph, Petra Morsbachs Roman „Gottesdiener“. Eine kritische Anfrage an die katholische Kirche von heute, in: kb 109 (2008) 19-28. P A C I K , Rudolf, Die Kantillation - gehobene Vortragsweise des Wortes, in: HlD 56 (2002) 277-281. P A H U D D E M O R T A N G E S , Elke, Max, Salvatore und das Heimweh nach der Sehnsucht von einst. Anmerkungen zu Arnold Stadlers Roman „Sehnsucht. Versuch über das erste Mal“, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 99-111. P A N K O W , Christiane (Hg.), Österreich. Beiträge über Sprache und Literatur, Umeå 1992. P A S E N O W , Guido, Gott fährt nicht vor … Ein Plädoyer für edle, echte Einfachheit, in: GD 45 (2011) 21-22. P E S C H , Otto Hermann, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte - Verlauf - Ergebnisse - Wirkungsgeschichte (TTB 393), Würzburg 3 2011. P L U M , Anne-Madeleine, Adoratio crucis in Ritus und Gesang. Die Verehrung des Kreuzes in liturgischer Feier und in zehn exemplarischen Passionsliedern (PiLi.S 17), Tübingen - Basel 2006. P LÜ S S , David, Die Grundgesten der Liturgie. Oder: Wie kommt der Körper in den Gottesdienst hinein? , in: Susanne D U N G S - Heiner L U D W I G (Hgg.), Profan - sinnlich - religiös. Theologische Lektüren der Postmoderne (FS Uwe Gerber), Frankfurt a.-M. u.-a. 2005, 189-208. 3 Sekundärliteratur 361 <?page no="362"?> — Religiöse Erfahrung zwischen Genesis und Performanz. Praktisch-theologische Erkun‐ dungsgänge, in: ZThK 105 (2008) 242-257. — Gottesdienst als Textinszenierung. Perspektiven einer performativen Ästhetik des Gottesdienstes (ChrKu 7), Zürich - Basel 2007. P O H L - P A T A L O N G , Uta, Gottesdienst erleben. Empirische Einsichten zum evangelischen Gottesdienst, Stuttgart 2011. P R AẞL , Franz Karl, „Wie klingt katholisch? “, in: MThZ 70 (2019) 272-283. R A P P A P O R T , Roy Abraham, Ritual and Religion in the Making of Humanity, Cambridge 1999. Ritual, Sanctity, and Cybernetics, in: AmA 73 (1971) 59-76. R A T Z I N G E R , Joseph, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968. R E D T E N B A C H E R , Andreas (Hg.), Kultur der Liturgie. Grundfragen des Gottesdienstes heute, Ostfildern 2006. R E H B E R G , Karl-Siegbert, Institutionelle Ordnungen zwischen Ritual und Ritualisierung, in: Christoph W U L F - Jörg Z I R F A S (Hgg.), Die Kultur des Rituals. Inszenierungen, Praktiken, Symbole, Paderborn 2004, 247-265. R E I C H , Christa, Der Gemeindegesang, in: Winfried B ÖN I G (Hg.), Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur Kirchenmusik, Stuttgart - Ostfildern 2007, 362-377. R E I N A C H E R , Pia, Einleitung, in: D I E S . (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009, 9-12. — „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009. R E N T S C H , Christian, Ritual und Realität. Eine empirische Studie zum gottesdienstlichen Handeln des Priesters in der Meßfeier (StPaLi 35), Regensburg 2013. R I C H T E R , Klemens - K R A N E M A N N , Benedikt (Hgg.), Christologie der Liturgie. Der Gottes‐ dienst der Kirche - Christusbekenntnis und Sinaibund (QD 159), Freiburg i.Br. u.-a. 1995. R I CŒU R , Paul, Die lebendige Metapher (Übergänge 12), Paderborn - München 3 2004. — Symbolik des Bösen, Bd.-2. Phänomenologie der Schuld, Freiburg i. Br. - München 1971. R I N G E L I N G , Hermann, Art. Frau. IV. Neues Testament, in: TRE 11 (1983) 431-436. R I N G L E B E N , Joachim, Rede, dass ich dich sehe (Hamann-Studien 6), Göttingen 2021. R O C H E , Mark W., Mehrdeutigkeit in Benns Gedicht „Verlorenes Ich“, in: Benn-Jahrbuch 1 (2003) 135-156. R O M A N K I E W I C Z , Brigitte, Die schwarze Madonna. Hintergründe einer Symbolgestalt, Düsseldorf 2004. 362 3 Sekundärliteratur <?page no="363"?> R O M B O L D , Günter, Anmerkungen zum Problem des Sakralen und des Profanen, in: D E R S . (Hg.), Kirchen für die Zukunft bauen (Theologie konkret), Wien u.-a. 1969, 69-95. — Kirchen für die Zukunft bauen, in: D E R S ., Kirchen für die Zukunft bauen (Theologie konkret), Wien u.-a. 1969, 201-217. — Kirchen für die Zukunft bauen (Theologie konkret), Wien u.-a. 1969. R O S A , Hartmut, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Berlin 2017. — Resonanz, Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2 2016. R O T T S C HÄ F E R , Nils, Heimat und Religiosität. Studien zum Werk Arnold Stadlers (Disser‐ tation an der Universität Bielefeld 2019 = Studien zu Literatur und Religion 3), Heidelberg 2020. R U P P E R T , Fidelis, Meditatio - Ruminatio. Zu einem Grundbegriff christlicher Meditation, in: EuA 53 (1977) 83-93. R U S T E R , Thomas, Wandlung. Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie, Ostfildern 2006. S A L M A N N , Elmar, Der geteilte Logos. Zum offenen Prozess von neuzeitlichem Denken und Theologie (StAns 111), Rom 1992. — Das Gebet - selbstverständlich fremd, in: IKaZ Communio 47 (2018) 302-305. — Gerettetes Glück. Religiöse Übungsmotive bei Handke, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 21-28. — Was ist Kult? Zum Verhältnis von Liturgie und Leiblichkeit, in: D E R S ., Geistesgegen‐ wart. Figuren und Formen des Lebens, St. Ottilien 2010, 177-185. — Geistesgegenwart. Figuren und Formen des Lebens, St. Ottilien 2010. S A N D E R , Hans-Joachim, Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute. Gaudium et spes, in: Peter H ÜN E R M A N N - Bernd Jochen H I L B E R A T H (Hgg.), HThKVatII, Bd.-4, Freiburg i. Br. 2005, 581-886. S A R A H , Robert - D I A T , Nicolas, Kraft der Stille. Gegen eine Diktatur des Lärms, Kißlegg 2017. S C H E C H N E R , Richard, Performance studies. An Introduction, New York - London 2 2006. S C H E I D G E N , Ilka, Zu Besuch bei Christian Lehnert und Patrick Roth, Norderstedt 2017. S C H E L K S H O R N , Hans, Das Zweite Vatikanische Konzil als kirchlicher Diskurs über die Moderne. Ein philosophischer Beitrag zur Frage nach der Hermeneutik des Konzils, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. Br. u.-a. 2 2013, 54-84. S C H E U E R , Manfred, Die evangelischen Räte. Strukturprinzip systematischer Theologie bei Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner, Johann Baptist Metz und in der Theologie der Befreiung (StSSTh 1), Würzburg 2 1992. S C H I R M E R , Andreas, Peter-Handke-Wörterbuch. Prolegomena, Wien 2007. 3 Sekundärliteratur 363 <?page no="364"?> S C H L A F F E R , Heinz, Die kurze Geschichte der deutschen Literatur, Köln 2013. S C H L A G , Evelyn, Die göttliche Ordnung der Begierden. Roman, Salzburg - Wien 1998. S C H M I D I N G E R , Heinrich M. (Hg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20.-Jahrhunderts., 2 Bde., Mainz 2 2000. — Art. Philosophia perennis, in: LThK 3 8 (1999) 248 f. S C H M I D T , Heinrich - S C H M I D T , Margarethe, Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst. Ein Führer zum Verständnis der Tier-, Engel- und Mariensymbolik, München 2 2018. S C H M I D T -D E N G L E R , Wendelin - S O N N L E I T N E R , Johann (Hgg.), Bruchlinien II. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1990 bis 2008, St. Pölten u.-a. 2012. S C H M I D T -D E N G L E R , Wendelin, Das Gebet in die Sprache nehmen. Zum Säkularisierungs‐ syndrom in der österreichischen Literatur der siebziger Jahre, in: Christiane P A N K O W (Hg.), Österreich. Beiträge über Sprache und Literatur, Umeå 1992, 45-62. — Peter Handkes Klassizität, in: Informationen zur Deutschdidaktik 4 (2001), 38-44. S C H M I T T , Pascal, Sehnsuchtsort - Sehnsuchtswort. Heimat als theologisch anschlussfä‐ higer Begriff bei Arnold Stadler (Dissertation an der Universität Freiburg i. Br. 2013), Ostfildern 2014. S C H M I T Z , Heinz-Walter, Die Glocke - Die Stimme Gottes, in: Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd. 1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u. a.], Lilienthal 2014, 95-112. S C H M I T Z , Helmut, Hanns-Josef Ortheil: Das Erzählen der Welt, in: Alo A L L K E M P E R - Norbert Otto E K E - Hartmut S T E I N E C K E (Hgg.), Poetologisch-poetische Interventionen. Gegenwartsliteratur schreiben, Paderborn 2012, 143-60. S C H N E I D E R , Matthias - B R E T T S C H N E I D E R , Wolfgang - M A S S E N K E I L , Günther (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik. Bd.-1 Grundlegung und Hymnologie, Laaber 2014. S C H O C K E N H O F F , Eberhard, Art. Sexualität - theologisch-ethisch, in: LThK 3 9 (2000), 518- 524. — Sexualität und Katholische Kirche - ein Dauerkonflikt? , in: Gerhard S C H R E I B E R (Hg.), Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften. Ergebnisse, Kontroversen, Perspektiven, Berlin 2016, 565-573. S C HÖ P F L I N , Karin, Die Bibel in der Weltliteratur (UTB 3498) Tübingen 2011. S C HÖ R G H O F E R , Gustav, Die Neuentdeckung der Welt. Caravaggio in der Optik von Arnold Stadler, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 191-196. S C H R E I B E R , Gerhard (Hg.), Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften. Er‐ gebnisse, Kontroversen, Perspektiven, Berlin 2016. S C H R E I B E R , Martin - S T A D L E R , Arnold, „Lektion der Vergänglichkeit“. Gespräch mit dem Schriftsteller Arnold Stadler über den Büchner-Preis, seine südbadische Geburtsstadt 364 3 Sekundärliteratur <?page no="365"?> Meßkirch, Gott und den Tod als Romanthema, in: Pia R E I N A C H E R (Hg.), „Als wäre er ein anderer gewesen“. Zum Werk von Arnold Stadler, Frankfurt a.-M. 2009, 177-183. S C H R Ö E R , Henning u.-a., Literatur und Religion, in: TRE 21 (1991) 233-306. S C H U L T E , Adalbert, Die Hymnen des Breviers nebst den Sequenzen des Missale, Pader‐ born 5 1925. S C H U M A C H E R , Meinolf, Einführung in die deutsche Literatur des Mittelalters, Darmstadt 2010. — Rupert von Deutz erzählt eine Fabel. Über Inkonsequenzen in der mittelalterlichen Kritik weltlicher Dichtung, in: Poetica 31 (1999) 81-99. S C HÜT Z E I C H E L , Harald (Hg.), Die Messe. Ein kirchenmusikalisches Handbuch, Düsseldorf 1991. S C H W A B , Hans Rüdiger (Hg.), Eigensinn und Bindung. Katholische deutsche Intellektuelle im 20.-Jahrhundert. 39 Porträts, Kevelaer 2009. — Formen des Komischen in Arnold Stadlers „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 111-130. S C H W E B E L , Horst, Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konflikts, München 2002. S C H W E P P E N HÄ U S E R , Gerhard, Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie, Hamburg 1993. S C H W I E R , Helmut, Blickrichtungen im Gottesdienst. Plädoyer für ein elementares Modell, in: JLH 37 (1998) 87-97. S E I P , Jörg, Einander die Wahrheit hinüberreichen. Kriteriologische Verhältnisbestim‐ mung von Literatur und Verkündigung (SThPS 48 = Dissertation an der Theologischen Fakultät Paderborn 2000/ 01), Würzburg 2002. S E M S C H , Klaus, Art. Rezeptionsästhetik, in: HWRh 7, Tübingen 2005, 1363-1374. S E Q U E I R A , A. Ronald, Gottesdienst als menschliche Ausdruckshandlung, in: Rupert B E R G E R u. a., Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucks‐ formen (GdK 3), 7-39. — Liturgische Körper- und Gebärdensprache als Thema der Semiotik. Möglichkeiten und Grenzen, in: Wilfried E N G E M A N N - Rainer V O L P (Hgg.), Gib mir ein Zeichen. Zur Bedeutung der Semiotik für theologische Praxis- und Denkmodelle, Berlin - New York 1992, 207-232. — Spielende Liturgie. Bewegung neben Wort und Ton im Gottesdienst am Beispiel des Vaterunsers, Freiburg i. Br. u.-a. 1977. S E R F A S , Henrike, Biografische Notiz, in: Text+Kritik, Zeitschrift für Literatur 220. Chris‐ toph Ransmayr (2018) 87-89. 3 Sekundärliteratur 365 <?page no="366"?> S E V E N , Friedrich, Sprengkraft. Über den Gottesdienst (Rezension zu Christian Lehnert, Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet, Berlin 2017), in: Zeitzeichen 18 (2017) 66-67. S I E B E N R O C K , Roman, Christus-Gegenwart. Von der realen Gegenwart im Wort, in: BiLi 89 (2016) 185-194. S I E P E , Franz, Fragen der Marienverehrung. Anfänge, Frühmittelalter, Schwarze Ma‐ donnen. Mantis, Gräfelfing 2002. S I E V E R N I C H , Michael, Die christliche Mission. Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2009. S L E N C Z K A , Notger, Art. Ex opere operato, in: RGG 4 2 (1999) 1827-1828. S M I T H , Robert H., The end in Matthew (5: 48 and 28: 20). How to preach it and how not to, in: Word & world 19 (1999) 303-313. S ÖD I N G , Thomas, Gottes Gegenwart in seinem Wort. Lukanische Perspektiven zur Theologie der Liturgie, in: LJ 67 (2017) 3-28. — Konkursverwalter und Schrotthändler? Zur Metakritik der historisch-kritischen Exe‐ gese in Arnold Stadlers „Salvatore“, in: Jan-Heiner T Ü C K (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissen‐ schaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 61-76. S O E R E N S E N , Nele Poul, Mein Vater Gottfried Benn, Wiesbaden 1960. S O N N A B E N D , Holger, Große Bauwerke der Antike. Von den Pyramiden bis zur Haghia Sophia, Darmstadt 2014. S O N T A G , Susan, Die Ästhetik des Schweigens, in: D I E S ., Gesten radikalen Willens. Essays, Frankfurt a.-M. 2011, 11-50. — Gesten radikalen Willens. Essays, Frankfurt a.-M. 2011. S P A E M A N N , Robert, Ritual und Ethos, in: D E R S ., Schritte über uns hinaus. Gesammelte Reden und Aufsätze I, Stuttgart 2010, 353-372. — Schritte über uns hinaus. Gesammelte Reden und Aufsätze I, Stuttgart 2010. S P E C K E R , Tobias, Kreative Passivität. Überlegungen zur theologischen Anthropologie im Gespräch mit Hartmut Rosa und Eberhard Jüngel, in: ThPh 95 (2020) 523-545. S T A A T S , Reinhard, Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologische Grundlagen, Darmstadt 1996. S T A D L E R , Arnold, Das Buch der Psalmen und die deutschsprachige Lyrik des 20. Jahrhun‐ derts. Zu den Psalmen im Werk Bertolt Brechts und Paul Celans (Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln = Kölner germanistische Studien 26), Köln - Wien 1989. S T E F A N I , Gino, L’espressione vocale e musicale nella liturgia. Gesti, riti, repertori (Liturgia e Cultura 3), Torino 1967. S T E F F E N S K Y , Fulbert, Der alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg 2002. 366 3 Sekundärliteratur <?page no="367"?> S T E I N E R , George, Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe. Aus dem Eng‐ lischen von Nicolaus Bornholm. Mit einem Nachwort von Durs Grünbein (Suhrkamp Taschenbuch 4733), Berlin 2016. S T E I N F O R T , Dirk, Literatur als Gegenwelt der Moderne, in: StZ 214 (1996) 403-413. S T E I N M E T Z , Uwe, „Sei still und wisse, dass ich Gott bin“. Ein Klangraum der Stille in der Liturgie, in: Alexander D E E G - Christian L E H N E R T (Hgg.), Stille. Liturgie als Unterbrechung (BLSp 33), Leipzig 2020, 135-148. S T I E P E L , Anna, „Prison-Paradise“? Das Internat als Entwicklungsraum in deutschspra‐ chigen Romanen nach 1968 (Studien zu Literatur und Film der Gegenwart 13), Marburg 2016. S T O C K , Alex, „Im Kopf einen lateinischen Scharfsinn“. Theologische Anmerkungen zu Peter Handke, in: Jan-Heiner T Ü C K - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwis‐ senschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 101-114. — Lateinische Hymnen, Berlin 2 2013. — Orationen. Die Tagesgebete der Festzeiten. Neu übersetzt und erklärt von Alex Stock, Regensburg 2014. — Orationen. Die Tagesgebete im Jahreskreis. Neu übersetzt und erklärt von Alex Stock, Regensburg 2011. — Poetische Dogmatik. Christologie. 3. Leib und Leben, Paderborn u.-a. 1998. — Poetische Dogmatik. Ekklesiologie. 1. Raum, Paderborn u.-a. 2014. S T O C K I N G E R , Claudia, Feuilletonkatholizismus. Ein Nachruf, in StZ 230 (2012) 551-559. S T O L L B E R G - R I L I N G E R , Barbara, Rituale (Historische Einführungen 16), Frankfurt a.-M. 2 2019. S T O L Z , Fritz, Art. Feuer, in: THAT 6 2 (2004) 242-246. S T R I E T , Magnus, Hoffnungssymbol Kreuz? Gegenläufige Bemerkungen zum Wahn eines leidfreien Lebens, in BiLi 76 (2003) 163-171. S T U F L E S S E R , Martin - W I N T E R , Stephan (Hg.), „Ahme nach, was du vollziehst …“ Positi‐ onsbestimmungen zum Verhältnis von Liturgie und Ethik (StPaLi 22), Regensburg 2009. S T U F L E S S E R , Martin, Actuosa participatio zwischen hektischem Aktionismus und neuer Innerlichkeit. Überlegungen zur „tätigen Teilnahme“ am Gottesdienst der Kirche als Recht und Pflicht der Getauften, in: LJ 59 (2009) 147-186. — Eucharistie. Liturgische Feier und theologische Erschließung, Regensburg 2013. S U H R K A M P -V E R L A G (Hg.), Die Geschichte des Suhrkamp-Verlages. 1. Juli 1950 bis 30. Juni 2000 (Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.), Frankfurt a. M. 2000. 3 Sekundärliteratur 367 <?page no="368"?> T A B E R N E R , Stuart, Arnold Stadler: Eine Poetik des Glaubens, in: Alo A L L K E M P E R - Norbert Otto E K E - Hartmut S T E I N E C K E (Hgg.), Poetologisch-poetische Interventionen. Gegenwartsliteratur schreiben, Paderborn 2012, 273-286. T A Y L O R , Charles, Ein säkulares Zeitalter. Aus dem Englischen von Joachim Schulte, Frankfurt a.-M. 2009. T H E O B A L D , Christoph, Zur Theologie der Zeichen der Zeit. Bedeutung und Kriterien heute, in: Peter H ÜN E R M A N N (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg i. Br. 2006, 71-84. T I L L I C H , Paul, Systematische Theologie, Teil 1/ 2, Berlin - New York 8 1987. T Ü C K , Jan-Heiner - M A Y E R , Tobias (Hgg.), Nah - und schwer zu fassen. Im Zwischenraum von Literatur und Religion (Poetikdozentur Literatur und Religion 1), Freiburg i. Br. u.-a. 2017. T Ü C K , Jan-Heiner - B I E R I N G E R , Andreas (Hgg.), „Verwandeln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014. T Ü C K , Jan-Heiner, „Wandlung - die Urform der Wirklichkeit“. Spuren einer eucharisti‐ schen Poetik im Werk Peter Handkes, in: D E R S . - Andreas B I E R I N G E R (Hgg.), „Verwan‐ deln allein durch Erzählen“. Peter Handke im Spannungsfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2014, 29-51. — (Hg.), „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u.-a. 2017. — Einleitung, in: D E R S . - Tobias M A Y E R (Hgg.), Nah - und schwer zu fassen. Im Zwischenraum von Literatur und Religion (Poetikdozentur Literatur und Religion 1), Freiburg i. Br. u.-a. 2017, 9-24. — (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. Br. u. a. 2 2013. — Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. u.-a. 2014. — Hintergrundgeräusche. Liebe, Tod und Trauer in der Gegenwartsliteratur, Ostfildern 2010. — Memoria passionis. Der Schmerz als Geburtsort der Sprache bei Arnold Stadler und die Liturgie, in: D E R S ., „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“. Arnold Stadler im Schnittfeld von Theologie und Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. u. a. 2017, 41-59. — Rettendes Erinnern. Die religiöse Dimension im literarischen Werk Peter Handkes anlässlich der Vergabe des Literaturnobelpreises, in: CiG 71 (2019/ 42) 469-470. — Vom Glück und der Schwierigkeit, Diener der Freude zu sein. Priesterszenen in der Gegenwartsliteratur: Arnold Stadler - Felicitas Hoppe - Peter Handke, in: IKaZ Communio 41 (2012) 310-326. 368 3 Sekundärliteratur <?page no="369"?> — Was fehlt, wenn Gott fehlt? Martin Walser über Rechtfertigung - theologische Erwiderungen, Freiburg i. Br. 2016. T U R N E R , Victor, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff. Neuauflage, Frankfurt a.-M. - New York 2005. V A N G E N N E P , Arnold, Übergangsriten. Aus dem Französischen von Klaus Schomburg und Sylvia M. Schomburg-Scherff. Mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Frankfurt a.-M. - New York 3 2005. V O L P , Rainer, Liturgik. Die Kunst, Gott zu feiern, 2 Bde., Gütersloh 1992-1994. V O R G R I M L E R , Herbert, Art. Sakramententheologie, in: LThK 3 8 (1999) 1460-1462. W A C H T , Manfred - R I C K E R T , Franz, Art. Liber (Dionysos), in: RAC 23 (2010) 67-99. W A G N E R , Karl, Weiter im Blues. Studien und Texte zu Peter Handke, Bonn 2010. W A H L , Heribert, Glaube und symbolische Erfahrung. Eine praktisch-theologische Sym‐ boltheorie, Freiburg i. Br. u.-a. 1994. W A H L E , Stephan, Das Gedächtnis im Heute feiern. Zur existenziellen Bedeutung liturgi‐ scher Anamnese, in: GuL 88 (2015) 133-144. — Gottes Gedenken. Untersuchungen zum anamnetischen Gehalt christlicher und jüdischer Liturgie (IThS 73), Innsbruck - Wien 2006. W E B E R , Hermann, „Ungläubig und fromm“ - Arnold Stadlers katholische Intellektualität, in: Hans-Rüdiger S C H W A B (Hg.), Eigensinn und Bindung. Katholische deutsche Intel‐ lektuelle im 20.-Jahrhundert. 39 Porträts, Kevelaer 2009, 709-723. — Katholizismus und Glaube im Werk Arnold Stadlers, in: StZ 222 (2004) 760-770. W E G N E R , Uwe, Der Hauptmann von Kafarnaum (Mt 7,28a; 8,5-10.13 par Lk 7,1-10). Ein Beitrag zur Q-Forschung (WUNT 2/ 14), Tübingen 1985. W E I D N E R , Daniel (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016. W E I S M A N N , Werner, Kirche und Schauspiele. Die Schauspiele im Urteil der lateinischen Kirchenväter unter besonderer Berücksichtigung von Augustin (Cassiciacum 27), Würzburg 1972. W E N D E L , Saskia, Leiturgia - Grundvollzug verkörperter Glaubenspraxis, in: ThG 63 (2020/ 1) 33-44. W E N Z E L , Kristin, Erfahrungsraum Stille. Eine ästhetisch phänomenologische Betrach‐ tung (Kaleidogramme 159), Berlin 2018. W E S T E R K A M P , Dirk, Via negativa. Sprache und Methode der negativen Theologie, Pader‐ born - München 2006. W I D M A N N , Larissa, Kampfschauplatz Schule. Eine systematische Untersuchung der deut‐ schen erzählenden Schulliteratur, Bad Heilbrunn 2021. W I E D E M A N N , Conrad (Hg.), Rom - Paris - London. Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Ein Symposion (Germanistische Symposien-Berichtsbände 8), Stuttgart 1988. 3 Sekundärliteratur 369 <?page no="370"?> W I L K E , Insa - R A N S M A Y R , Christoph, Das Menschenmögliche zur Sprache bringen. Ein Gespräch mit Christoph Ransmayr über die Durchmusterung des Himmels und die äußersten Gegenden der Phantasie, in: Insa W I L K E (Hg.), Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr, Frankfurt a.-M. 2014, 13-98. W I L K E , Insa (Hg.), Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr, Frankfurt a.-M. 2014. W I L L A , Josef-Anton, „Seele des Wortes“ - Die Stimme im Gottesdienst, in: Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden. Bd.-1., Grundlegung. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze [u.-a.], Lilienthal 2014, 63-75. — Singen als liturgisches Geschehen. Dargestellt am Beispiel des ›Antwortpsalms‹ in der Messfeier (StPaLi 18), Regensburg 2005. W I N K E L S , Hubert (Hg.), Petra Morsbach trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe- Literaturpreis 2017, Göttingen 2018. W I N T E R , Stephan, Gestaltwerdung des Heiligen. Liturgie als Ort der Gegenwart Gottes, in: Edmund A R E N S (Hg.), Gegenwart. Ästhetik trifft Theologie (QD 246), Freiburg i. Br. u.-a. 2012, 149-176. W I T T M A N N -E N G L E R T , Kerstin, Zelt, Schiff und Wohnung. Kirchenbauten der Nachkriegs‐ moderne, Lindenberg 2006. W O H L L E B E N , Doren, Christoph Ransmayr - Kalligraph und Kartograph, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur 220 Christoph Ransmayr (2018) 9-15. W U L F , Christoph - Z I R F A S , Jörg (Hgg.), Die Kultur des Rituals. Inszenierungen, Praktiken, Symbole, Paderborn 2004. Z A B O R O W S K I , Holger, Vermittelndes Denken. Romano Guardinis „Vom Geist der Liturgie“ - ein Klassiker der katholischen Theologie des 20.-Jahrhunderts, in: ALw 60 (2018) 17-33. Z E M A N E K , Evi - K R O N E S , Susanne (Hgg.), Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000, Bielefeld 2008. Z E R F Aẞ , Alexander, „Was leichthin über dich geschrieben steht“. Ein Lied vom brennenden Dornbusch, in: MS(D) 133 (2013) 34-36. — Auf dem Weg nach Emmaus. Die Hermeneutik der Schriftlesung im Wortgottesdienst der Messe (PiLi.S 24), Tübingen 2016. Z I E B R I T Z K I , Henning, Experimente mit dem Echolot. Zum Verhältnis von moderner Lyrik und Religion, in: Anton G. L E I T N E R (Hg.), „Himmel und Hölle“. Das Gedicht. Zeitschrift für Lyrik, Essay und Kritik 9 (2001) 89-94. Z I E G E N A U S , Anton (Hg.), „Geboren aus der Jungfrau Maria“. Klarstellungen (Mariologi‐ sche Studien 19), Regensburg 2007. 370 3 Sekundärliteratur <?page no="371"?> Z I M M E R L I N G , Peter, Hineinwachsen in die eigene Berufung. Plädoyer für eine gottesdienst‐ liche Lebensführung, in: Praxis Gemeindepädagogik 70 (2017) 9-11. Z U M T H O R , Peter, Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel u.-a. 2006. Z W I C K , Reinhold, Empörung und Barmherzigkeit. Zu Arnold Stadlers „Salvatore“, in: HerKorr 63 (2009/ 3) 130-135. 3 Sekundärliteratur 371 <?page no="373"?> 4 Interviews B E R N H A R D , Thomas, Drei Tage (Interview 1970), in: D E R S ., Der Italiener (Suhrkamp Taschenbuch 1645), Frankfurt a.-M. 1989, 78-90. B O S S O N G , Nora - L E V E N , Benjamin „Rückzug ins Geistige“. Ein Gespräch mit der Schrift‐ stellerin Nora Bossong, in: HerKorr 73 (2019/ 7) 16-18. G O M R I N G E R , Nora - L E V E N , Benjamin, „Ich habe immer gedacht, dass ich Nonne werde”. Ein Gespräch mit der Lyrikerin Nora Gomringer über Demut, in: HerKorr 72 (2018/ 5) 18-21. H A N D K E , Peter - H A M M , Peter, Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo, Göttingen 2006. H A N D K E , Peter - K E R B L E R , Michael, … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen. Peter Handke im Gespräch mit Michael Kerbler, Klagenfurt u.-a. 2007. H A N D K E , Peter - K ÜM M E L , Peter, „Die Geschichte ist ein Teufel“. Der Schriftsteller Peter Handke im Gespräch über den Brand von Notre-Dame und das Unglück Europas, in: Die Zeit Nr.-18 vom 24.04.2019, 37f. H O F F , Johannes - L E V E N , Benjamin, Das Leben in Fülle. Liturgie und Kunst bei Christoph Schlingensief. Interview mit Johannes Hoff, in: GD 47 (2013) 137-140. L E H N E R T , Christian - K E L L E R , Claudia, „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“. Ein Interview mit dem Schriftsteller und Theologen Christian Lehnert, in: HerKorr 71 (2017/ 6) 19-23. L E W I T S C H A R O F F , Sibylle - L E V E N , Benjamin, „Wehe, man versteht alles“. Ein Gespräch über Literatur, Gottesdienst und Sprache mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, in: GD 47 (2013) 161-164. M O S E B A C H , Martin - Z A B O R O W S K I , Holger, Dem Stoff der Geschichte Gestalt geben. Ein Gespräch Holger Zaborowskis mit Martin Mosebach, in: IKaZ Communio 37 (2008) 503-514. O R T H E I L , Hanns-Josef - O R T H , Stefan, „Durchdringung der Welt von innen her“. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil, in: HerKorr 68 (2014/ 6) 286-290. P A P S T F R A N Z I S K U S - D I L O R E N Z O , Giovanni, „Ich kenne auch die leeren Momente“. Was bedeutet Glaube? Ein ZEIT-Gespräch mit Papst Franziskus, in: Die Zeit Nr.-11 vom 09.03.2017, 13-15. S P A D A R O , Antonio, Das Interview mit Papst Franziskus, hg. von Andreas B A T L O G G , Freiburg i. Br. 2013. S T A D L E R , Arnold - A L B U S , Michael, Was ist Glück? Nachher weiß man es. Ein Lebensbild. Arnold Stadler im Gespräch mit Michael Albus, Ostfildern 2018. <?page no="374"?> S T A D L E R , Arnold - L A N G E R , Stephan, Singen und spielen, solange ich da bin. Der Schriftsteller Arnold Stadler im Interview, in: CiG 71 (2019/ 14) 157-159. 374 4 Interviews <?page no="375"?> 5 Internetquellen B A S I L I C A N U E S T R A S E Ñ O R A D E L O S Á N G E L E S , Homepage - https: / / www.santuarionacional .org/ (Zugriff am 04.03.2021). B I S K Y , Jens - S C H E C K , Denis, Denis Scheck im Audio-Interview mit Jens Bisky, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 17.10.2019 - https: / / www.sueddeutsche.de/ kultur/ de nis-scheck-kanon-literatur-1.4644345 (Zugriff am 16.12.2019). B R E I T E N S T E I N , Andreas, Am Ende der Entdeckungen, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 30.10.2012 - https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ buecher/ am-ende-der-entdeckungen -1.17733512 (Zugriff am 05.04.2021). — Die Stunde der falschen Empfindung - wie der Dichter Peter Handke in die Falle der grossserbischen Ideologie tappte und keinen Ausweg mehr fand, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 06.12.2019 - https: / / www.nzz.ch/ meinung/ peter-handkes-serbie n-die-stunde-der-falschen-empfindung-ld.1525766 (Zugriff am 13.12.2019). D Ą B R O W S K I , Tadeusz, Das Ritual ist eine Wunder der Verwandlung - nur begreifen wir diese Erfahrung immer weniger, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 20.04.2019 - h ttps: / / www.nzz.ch/ meinung/ das-ritual-bleibt-uns-als-wunder-der-verwandlung-vers chlossen-ld.1472308? reduced=true (Zugriff am 15.10.2021). D E U T S C H E A K A D E M I E F Ü R S P R A C H E U N D D I C H T U N G E .V., Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht den Georg-Büchner-Preis an Arnold Stadler 1999 - https: / / www.deutscheakademie.de/ de/ auszeichnungen/ georg-buechner-preis/ arno ld-stadler/ urkundentext (Zugriff am 04.03.2020). — Laudatio von Ursula März anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2013 - https: / / www.deutscheakademie.de/ de/ auszeichnungen/ georg-buechner-preis/ sibyl le-lewitscharoff/ laudatio (Zugriff am 04.03.2020). D I E C K M A N N , Dorothea, Kitsch oder Kunst? Wenn Literatur zum Geschwätz verkommt. Plädoyer für die Wiedereinführung des Begriffs Trivialliteratur, in: Die Zeit vom 22.11.2001 - https: / / www.zeit.de/ 2001/ 48/ 200148_l-literatur.xml (Zugriff am 01.05.2019). F A L C K E , Eberhard, Literarische Seelsorge. Petra Morsbach beschreibt kenntnisreich und einfühlsam das Leben eines Gemeindepfarrers in der deutschen Provinz, in: Die Zeit Nr.-47 vom 11.11.2004 - https: / / www.zeit.de/ 2004/ 47/ L-MorsbachTAB (Zugriff am 18.09.2019). F E D E R M A I R , Leopold, Peter Handkes balkanesische Friedensepik. Ein Versuch, das Dissi‐ dententum des slowenisch-österreichischen Autors zu erklären, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 11.11.2019 - https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ peter-handke-zwisch en-friedensepik-und-ewiger-rache-ld.1519935 (Zugriff am 13.12.2019). <?page no="376"?> G A L L E S , Paul - S A L M A N N , Elmar, „Zwischen den verschiedenen Fronten wird der Priester zerrieben.“ Interview mit Pater Elmar Salmann, Benediktinermönch und Professor für Philosophie und Systematische Theologie an den Päpstlichen Universitäten Sant’Anselmo und Gregoriana in Rom, in: Forum für Politik, Gesellschaft und Kultur 307 vom 21.03.2011, 22-27 - https: / / www.forum.lu/ wp-content/ uploads/ 2015/ 11/ 716 2_307_Salmann.pdf (Zugriff am 24.09.2019). G A R H A M M E R , Erich, „Unsere Schultern sind für den Himmel da“. Peter Handkes Nobel‐ preisrede im Kontext seiner Poesie, in: MFThK vom 09.12.2019 - http: / / www.theolog ie-und-kirche.de/ garhammer-handkes-nobelpreisrede.pdf (Zugriff am 12.12.2019). G A S S M A N N , Michael, Wer kichert da in meiner Liturgie? , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr.-60 vom 12.03.2007, 37 - https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ bu echer/ rezensionen/ sachbuch/ rezension-wer-kichert-da-inmeiner-liturgie-1413159.ht ml (Zugriff am 02.05.2019). G A Uẞ , Karl-Markus, Im Gespräch mit Stefan Gmünder, „Wir sind schlechter geworden“, in: Der Standard vom 17.02.2012 - https: / / www.derstandard.at/ story/ 1328508091555/ literatur--politik-wir-sind-schlechter-geworden (Zugriff am 10.09.2020). G O M R I N G E R , Nora - M A Y E R , Tobias, „Literatur ist mächtig, weil das Wort nie an Kraft einbüßt“. Die Autorin Nora Gomringer im Gespräch über Glauben und Schreiben, in: feinschwarz.net vom 14.06.2016 - https: / / www.feinschwarz.net/ literatur-ist-maechti g-weil-das-wort-nie-an-kraft-einbuesst/ (Zugriff am 28.01.2020). G R E I N E R , Ulrich - H A N D K E , Peter, Eine herbstliche Reise zu Peter Handke nach Paris. „Erzählen“, so sagt er, „ist eine Offenbarung“. Ein Gespräch mit dem berühmten Schriftsteller über seine neuen Bücher „Ein Jahr aus der Nacht gesprochen“ und „Immer noch Sturm“, über die enttäuschende amerikanische Gegenwartsliteratur und über sein umstrittenes Engagement in Bosnien, in: Die Zeit Nr.-48 vom 25.11.2010 - https: / / www.zeit.de/ 2010/ 48/ Interview-Peter-Handke/ komplettansicht (Zugriff am 10.12.2019). G R O P P , Petra - R A N S M A Y R , Christoph, Gespräch mit Christoph Ransmayr zu seinem >Atlas eines ängstlichen Mannes< vom 22.05.2012 - http: / / www.ransmayr.eu/ werke/ atlas-e ines-angstlichen-mannes/ (Zugriff am 05.04.2021). G R U Š A , Jiří, Das Unbehagen mit dem Unbenannten. Oder: Das letzte und das erste Wort. Laudatio auf Petra Morsbach, in: Günther R ÜT H E R (Hg.), Literaturpreis 2007. Dokumentation der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung e.-V., Berlin 2007, 15-22 - https: / / www.kas.de/ documents/ 252038/ 253252/ 7_dokume nt_dok_pdf_12372_1.pdf/ 87de2036-d6d0-150f-bfb34f7b82131ef7? version=1.0&t=1539 663977769 (Zugriff am 11.07.2019). H A L T E R , Martin, Bis die Schwarte kracht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr.-231 vom 05.10.2007, 42. - https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ rezensi onen/ belletristik/ bis-die-schwarte-kracht-1493456.html (Zugriff am 14.09.2018). 376 5 Internetquellen <?page no="377"?> H A N D K E , Peter - D E R S T A N D A R D , Peter Handke über den Nobelpreis: „Ich bin durch die Wälder geeiert“, in: Der Standard vom 10.10.2019 - https: / / www.derstandard.at/ story / 2000109745044/ peter-handke-ueber-den-nobelpreisich-bin-durch-die-waelder-geeie rt (Zugriff am 10.12.2019). H A N D K E , Peter, Nobelvorlesung vom 07.12.2019, in: S V E N S K A A K A D E M I E N , Nobelvorlesung von Peter Handke. Der Nobelpreisträger für Literatur 2019 - https: / / www.nobelprize .org/ uploads/ 2019/ 11/ handke-lecture-german.pdf (Zugriff am 18.12.2019). — Stellungnahme zur Anwesenheit bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic, in: Suhrkamp - https: / / www.suhrkamp.de/ download/ Sonstiges/ Handke_Stellungnahme .pdf (Zugriff am 13.12.2019). — Was ich nicht sagte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 30.05.2006 - http s: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ debatten/ peter-handke-was-ich-nicht-sagte-13309 35.html (Zugriff am 13.12.2019). H A N N O V E R . D E , Hölty-Preis für Lyrik. Begründung der Jury - https: / / www.hannover.d e/ Kultur-Freizeit/ B%C3%BChnen,-Musik,-Literatur/ Auszeichnungen-und-Ehrungen/ H%C3%B6lty-Preis-f%C3%BCr-Lyrik/ Die-bisherigen-Preistr%C3%A4ger/ 2012-Christi an-Lehnert (Zugriff am 26.02.2018). H A R T U N G , Harald, Dein Name, langsam geschrieben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 18.11.2011 - http: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ rezensionen/ b elletristik/ christian-lehnert-aufkommender-atem-dein-name-langsam-geschrieben-1 1533111.html (Zugriff am 26.02.2018). J E L I N E K , Elfriede, Elfriede Jelinek nimmt für Peter Handke Partei, in: News vom 04.11.2019 - https: / / www.news.at/ a/ elfriede-jelinek-handke-partei11200296 - (Zu‐ griff am 10.12.2020). — Interview mit Elfriede Jelinek, in: Homepage Elfriede Jelinek - http: / / elfriedejelinek.c om/ andremuller/ elfriede%20jelinek%202004.html (Zugriff am 13.12.2019). K A S T B E R G E R , Klaus - M I C H L E R , Werner u.-a., Erklärung deutsch- und anderssprachiger Autor/ innen, Literaturwissenschaftler/ innen, Publizist/ innen, Übersetzer/ innen“ - ht tp: / / www.handke-erklaerung.at/ index.html (Zugriff am 13.12.2019). K E R B L E R , Michael - R A N S M A Y R , Christoph, Im Gespräch. „Geschichten ereignen sich nicht, Geschichten werden erzählt.“ Hörfunkinterview des Ö1 vom 08.11.2012 - https: / / oe1 .orf.at/ programm/ 20121108/ 292544/ Im-Gespraech (Zugriff am 21.03.2021). K L E I N S C H M I D T , Sebastian, Christian Lehnert. Wie bringt man Gott zum Reden? Christian Lehnerts gedankenreiches Buch über Kult und Gebet, in: Die Zeit Nr.-33 vom 10.08.2017, 40 - https: / / www.zeit.de/ 2017/ 33/ christian-lehnert-der-gott-in-einer-nus s (Zugriff am 26.02.2018). K R A U S E , Tilman, Das Leben ist ein großes, zauberisches Fest, in: Die Welt vom 20.01.2013 - https: / / www.welt.de/ kultur/ literarischewelt/ article112909974/ Das-Leben-ist-ein-gr osses-zauberisches-Fest.html (Zugriff am 07.05.2019). 5 Internetquellen 377 <?page no="378"?> K R U M B H O L Z , Martin, Reverenz an den Pasolini-Film. Arnold Stadler: „Salvatore“ - https: / / www.deutschlandfunk.de/ reverenz-an-den-pasolini-film.700.de.html? dram: article_id =83874 (Zugriff am 12.03.2020). L E H N E R T , Christian, Geht uns für den Glauben die Sprache aus? Vortrag in der Wasser‐ kirche Zürich am 23.02.2014 - https: / / www.paulusakademie.ch/ wp-content/ uploads/ 2014/ 01/ Referat-Dr.-Christian-Lehnert.pdf (Zugriff am 25.05.2018). L I T U R G I E W I S S E N S C H A F T L I C H E S I N S T I T U T D E R VELKD, Das Institut - http: / / www.velkd.de/ l eipzig/ institut.php (Zugriff am 26.05.2018). M A I E R , Andreas, Lieber Gott, lies das mal. Arnold Stadler hat ein riskantes, ein furioses Buch geschrieben. Über Jesus, Pasolini und das Leben, das so wehtut, in: Die Zeit Nr. 20 vom 09.05.2009 - https: / / www.zeit.de/ 2009/ 20/ L-B-Stadler/ komplettansicht (Zugriff am 12.03.2020). M A T T H E S & S E I T Z B E R L I N (Hg.), Deutscher Preis für Nature Writing - https: / / www.matt hes-seitz-berlin.de/ deutscher-preis-fuer-nature-writing.html (Zugriff am 26.02.2018). M E L L E R , Marius, Ausbruch aus der Stille, in: Deutschlandfunk vom 01.10.2019 - https: / / www.deutschlandfunkkultur.de/ ausbruch-aus-der-stille.950.de.html? dram: article_id =137928 (Zugriff am 02.11.2021). M O R S B A C H , Petra, Bibliographie, in: D I E S ., Autorenhomepage - http: / / www.petra-morsb ach.de/ bibliographie.html (Zugriff am 10.07.2019). — Biographie, in: D I E S ., Autorenhomepage - http: / / www.petra-morsbach.de/ biographie .html (Zugriff am 17.06.2019). — Dankrede anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer- Stiftung, in: Günther R ÜT H E R (Hg.), Literaturpreis 2007. Dokumentation der Verlei‐ hung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung e.-V., Berlin 2007, 23-27 - https: / / www.kas.de/ documents/ 252038/ 253252/ 7_dokument_dok_pdf_12372_1.pdf / 87de2036-d6d0-150f-bfb3-4f7b82131ef7? version=1.0&t=1539663977769 (Zugriff am 11.07.2019). — Gottesdiener. Häufige Fragen, in: D I E S ., Autorenhomepage - http: / / www.petra-morsb ach.de/ bibliographie/ gottesdiener/ gottesdiener_faq.html (Zugriff am 11.07.2019). M O S E B A C H , Martin, Eine Sprache wie eine kristallklar geputzte Fensterscheibe. Laudatio auf Petra Morsbach zur Verleihung des Jean-Paul-Preises 2013, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern (2014/ 1) 42-45 - https: / / www.km.bayern.de/ e paper/ 2014-1-aviso/ files/ assets/ basic-html/ page43.html (Zugriff am 15.06.2019). O DÖÖ , Hans (Hg.), Homepage des Heiligtums für vier Religionen - http: / / sripada.org/ (Zugriff am 04.03.2021). O R T H E I L , Hanns-Josef, Biographie, in: D E R S ., Autorenhomepage - http: / / www.hanns-jos ef-ortheil.de/ author.php (Zugriff am 12.09.2018). Ö S T E R R E I C H I S C H E N A T I O N A L B I B L I O T H E K , Handkeonline - https: / / handkeonline.onb.ac.at/ n ode/ 11 (Zugriff am 10.12.2019). 378 5 Internetquellen <?page no="379"?> R E I N A R T Z , Burkhard, „Die Silbe Gott leer halten“. Der Dichter und Theologe Christian Lehnert, in: Deutschlandfunk vom 28.03.2016 - http: / / www.deutschlandfunk.de/ der -dichter-und-theologe-christian-lehnert-die-silbe-gott.886.de.html? dram: article_id=3 49212 (Zugriff am 26.02.2018). R E I T H M A I E R , Sabine, Wie schreibt man einen Justiz-Roman? Petra Morsbach im Interview über ihren Justiz-Roman, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 23.08.2017 - https: / / w ww.sueddeutsche.de/ kultur/ literatur-wie-schreibt-man-einen-justizroman-1.3637724 ? reduced=true (Zugriff am 03.11.2021). R I B I , Thomas, Gott ist nur ein leeres Wort, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 02.09.2016 - https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ aktuell/ gott-ist-nur-ein-leeres-wort-ld.11 4340 (Zugriff am 26.02.2018). R ÜT H E R , Günther, Autoren. Dr. Jiří Gruša, in: D E R S . (Hg.), Literaturpreis 2007. Dokumen‐ tation der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Berlin 2007, 38-40 - https: / / www.kas.de/ documents/ 252038/ 253252/ 7_dokument_dok_pdf _12372_1.pdf/ 87de2036-d6d0-150f-bfb3-4f7b82131ef7? version=1.0&t=1539663977769 (Zugriff am 11.07.2019). S. F I S C H E R V E R L A G E , Arnold Stadler. Literaturpreise - https: / / www.fischerverlage.de/ aut or/ arnold-stadler-1004556 (Zugriff am 21.01.2021). — Christoph Ransmayr. Literaturpreise - https: / / www.fischerverlage.de/ autor/ christop h-ransmayr-1000153 (Zugriff am 15.09.2020). S C H N E I D E R , Wolfgang, Christoph Ransmayr. „Cox“. Von der Vermessung der Ewigkeit, in: Buchkritik Deutschlandfunk Kultur vom 29.10.2016 - https: / / www.deutschlandf unkkultur.de/ christoph-ransmayr-cox-von-der-vermessung-der-ewigkeit.950.de.htm l? dram: article_id=369867 (Zugriff am 15.09.2020). S C H R ÖD E R , Christoph, Der letzte Seher, in: Tagesspiegel vom 28.10.2012 -https: / / ww w.tagesspiegel.de/ kultur/ buch-der-woche-der-letzte-seher/ 7311646.html (Zugriff am 05.04.2021). S T A D L E R , Arnold, Vorstellungsrede anlässlich der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1998 - https: / / www.deutscheakademie.de/ de/ akademie/ m itglieder/ arnold-stadler/ selbstvorstellung (Zugriff am 04.03.2020). S T I M M H A U S , Der Hannelore-Greve-Literaturpreis der Hamburger Autorenvereinigung geht 2016 an den Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil - https: / / stimmhaus.de/ der-hanne lore-greve-literaturpreis-der-hamburger-autorenvereinigung-geht-2016-an-den-schr iftsteller-hanns-josef-ortheil/ (Zugriff am 20.04.2021). S T R A Uẞ , Botho, Was bleibt von Peter Handke? , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr. 126 vom 01.06.2006, 37 - https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ botho-st rauss-was-bleibt-von-handke-1330233.html (Zugriff am 13.12.2019). S V E N S K A A K A D E M I E N , The Nobel Prizes in Literature for 2018 and 2019 -https: / / www.no belprize.org/ uploads/ 2019/ 10/ press-literature2018-2019.pdf (Zugriff am 06.12.2019). 5 Internetquellen 379 <?page no="380"?> T Ü C K , Jan-Heiner, Der große Pan ist tot. Poetik-Vorlesung von Thomas Hürlimann, in: CiG online (2016) - https: / / www.herder.de/ cig/ geistesleben/ 2016/ 01-06-2016/ poetik-v orlesung-von-thomas-huerlimann-der-grosse-plan-ist-tot/ (Zugriff am 26.02.2018). U N I V E R S I TÄT H I L D E S H E I M (Hg.), Hanns-Josef Ortheil - https: / / www.uni-hildesheim.de/ sc hreiben/ mitglieder/ hanns-josef-ortheil/ (Zugriff am 12.09.2018). W E I S B R O D , Lars - Ž IŽ E K , Slavoj, Als Milch noch Milch hieß. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek kritisiert Handkes Blick auf Jugoslawien. Interview mit Slavoj Žižek, in: Die Zeit Nr.-43 vom 16.10.2019 - https: / / www.zeit.de/ 2019/ 43/ slavojzizek-philosoph -peter-handke-kritik-jugoslawien-literaturnobelpreis (Zugriff am 16.12.2019). 380 5 Internetquellen <?page no="381"?> Register Amery, Carl-323 Angenendt, Arnold-299, 301, 303 Augé, Marc-43, 233, 237, 242 Balthasar, Hans Urs von-19 Bellah, Robert N.-134 Benn, Gottfried-23-27, 326 Bergengruen, Werner-79 Bernhard, Thomas-103, 107, 130, 133 Bieringer, Andreas-22 Bieritz, Karl-Heinrich-29, 250, 260 Bodenheimer, Alfred-145 Böhme, Gernot-239, 241, 251 Bossong, Nora-325 Brandstetter, Alois-55, 103, 133 Cornehl, Peter-28-34, 37, 40 Couturier, Marie-Alain-238, 240 Dąbrowski, Tadeusz-310 Deeg, Alexander-260, 265, 267, 273, 286, 290 Erne, Thomas-233, 243-246, 267 Faber, Eva-Maria-319 ff. Federmair, Leopold-48 Fischer, Balthasar-23, 25, 27 ff., 34 Franziskus (Papst)-39, 102 Garhammer, Erich-22, 82 Gauß, Karl-Markus-104 Gerhards, Albert-21, 264, 268, 270 ff., 274, 282, 323 Gottwald, Herwig-107 Greiner, Ulrich-60 Gruša, Jiří-173 f. Guardini, Romano-19, 35 ff., 81, 84, 165 f., 213 f., 217, 271 Gurlitt, Cornelius-245 Hamann, Johann Georg-219, 271 Hamm, Peter-152, 156 Handke, Peter-39, 41 f., 47, 49-54, 56-59, 61-64, 66-69, 99, 103 f., 107, 109, 130, 133, 135, 144, 150 ff., 199, 216, 225, 236 f., 244, 247, 250, 252, 255 f., 258 ff., 262, 270, 274, 280, 285 f., 288 f., 309 f., 312, 316 ff., 322, 324 Harnoncourt, Philipp-264 Hartung, Harald-199, 202 Haunerland, Winfried-319, 321 Häußling, Angelus Albert-263, 280 ff. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich-243 Höller, Hans-53, 56 Hoondert, Martin J. M.-257 f. Hoppe, Felicitas-317 Hurth, Elisabeth-195 Jelinek, Elfriede-48 f. Joas, Hans-43, 134 f., 243 f., 267, 271 ff., 275-280, 282, 304 Johannes Cassian-89, 281 Jungmann, Josef A.-23 Kant, Immanuel-235, 241 Kermani, Navid-140 Kleinschmidt, Sebastian-85, 199, 204, 218 Kolbe, Uwe-217 Kurzke, Hermann-61 Langenhorst, Georg-36 f., 76, 139, 148 Langer, Renate-117, 123, 129, 133 f., 257 Latour, Bruno-212 f. Lehnert, Christian-42 f., 85, 98 f., 167, 169, 195, 199-204, 206-209, 211 ff., 216-224, 226-229, 254 f., 258, 261, 268, 270 f., 283, 293 f., 309, 312 f., 322 Lewitscharoff, Sibylle-19, 49, 64, 168 Lorenzer, Alfred-123 <?page no="382"?> Ludwig, Heiner-30, 174 Lutterbach, Hubertus-299, 303 Maier, Andreas-22, 155 Marx, Friedhelm-74 Meßner, Reinhard-281 f., 294 Metz, Johann Baptist-315 Michler, Werner-107 Moritz, Karl Philipp-30, 33 Morsbach, Petra-42, 173-179, 181, 183 f., 189, 192-199, 238, 265, 268 f., 286, 297 f., 302, 312, 317, 322 ff. Mosebach, Martin-63, 140, 145, 149, 173, 176, 192, 255 Negel, Joachim-135 Novalis-19, 146 Odenthal, Andreas-31 Ortheil, Hanns-Josef 41 f., 71-80, 82 ff., 86, 89-92, 94, 96-102, 104, 139, 144, 147, 190, 199, 234 ff., 250 f., 253 f., 256 ff., 262, 268, 274, 285 f., 288, 292 f., 310 f., 317, 322, 324 Ostermaier, Albert-102 Otto, Rudolf-121, 204 f., 235, 244, 274, 276 Pahud de Mortanges, Elke-143 Pasolini, Pier Paolo-148, 153, 156, 162 ff., 166 Plüss, David-265, 267 f., 273, 286, 290-294 Ransmayr, Christoph-41 f., 74, 103-111, 113 f., 116 f., 119-123, 127-133, 135 f., 144, 199, 241, 255 ff., 263, 268, 285 f., 292, 311, 317 f., 321-324, 326 Ratzinger, Joseph-38 Reinacher, Pia-153 Reinartz, Burkhard-202 Roche, Mark W.-26 ff. Rombold, Günter-245 Rosa, Hartmut-43, 250 f., 262, 265 Rottschäfer, Nils-146 ff., 155, 161, 165, 168, 268 Rushdie, Salman-266 Salmann, Elmar-56, 69, 99, 135, 188, 195, 263, 285, 291, 315, 321 f. Schleier, Tim-118 Schmidt-Dengler, Wendelin-117 f., 129 f., 145, 256 Schröer, Johannes-36 Schrott, Raoul-107 Schumacher, Meinolf-15 Schwab, Hans Rüdiger-153 f. Sequeira, A. Ronald-287, 290 Severus, Emmanuel-89 Söding, Thomas-155, 163 f. Stadler, Arnold-41 f., 74, 98 f., 104, 130, 139-142, 144 ff., 148-157, 159, 162-165, 167-170, 199, 237, 253 ff., 258, 262, 265, 268 f., 274, 285, 293, 298, 302 f., 309 ff., 317, 323 f. Steffensky, Fulbert-321 Steiner, Georg-230 Steinmetz, Uwe-261 Stock, Alex-210, 240, 242 Strauß, Botho-47 Stuflesser, Martin-319 Taylor, Charles-43, 135, 249 Tillich, Paul-36, 276 Tranströmer, Tomas-247 Tück, Jan-Heiner-22, 38, 65, 74, 148, 155, 163, 203 Volp, Rainer-29 Walser, Martin-51, 149, 157, 216 Weber, Hermann-155 Wenzel, Kristin-261 Willa, Josef-Anton-256, 262 Wohlleben, Doren-108 Wulf, Christoph-291 Zaborowski, Holger-22 Ziebritzki, Henning-201 Zumthor, Peter-239, 246 382 Register <?page no="383"?> PIETAS LITURGICA · STUDIA Interdisziplinäre Beiträge zur Liturgiewissenschaft begründet von Hansjakob Becker herausgegeben von Ansgar Franz und Alexander Zerfaß Bisher sind im A. Francke Verlag erschienen: Band 12 Christoph Joosten Das Christkönigsfest Liturgie im Spannungsfeld zwischen Frömmigkeit und Politik 2002, XXXVI, 445 Seiten €[D] 74,00 ISBN 978-3-7720-3271-4 Band 13 Annette Albert-Zerlik Liturgie als Sterbebegleitung und Trauerhilfe Spätmittelalterliches Erbe und pastorale Gegenwart 2003, 297 Seiten €[D] 54,00 ISBN 978-3-7720-3272-1 Band 14 Ansgar Franz Wortgottesdienst der Messe und Altes Testament Katholische und ökumenische Lektionarr eform nach dem II. Vatikanum im Spiegel von Ordo Lectionum Missae, Revised Common Lectionary und Four Year Lectionary Positionen, Probleme, Perspektiven 2002, XII, 393 Seiten €[D] 54,00 ISBN 978-3-7720-3273-8 Band 15 Claudia Resch Trost im Angesicht des Todes Frühe reformatorische Anleitungen zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden 2006, 255 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8191-0 Band 16 Philipp Gahn Johann Michael Sailers Gebetbücher Eine Studie über den lebenslangen Versuch, ein Dolmetsch des betenden Herzens zu sein 2007, X, 253 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-7720-8192-7 Band 17 Anne-Madeleine Plum Adoratio Crucis in Ritus und Gesang Die Verehrung des Kreuzes in liturgischer Feier und in zehn exemplarischen Passionsliedern 2006, 448 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8194-1 Band 18 Siri Fuhrmann Der Abend in Lied, Leben und Liturgie Studie zu Motiven, Riten und Alltagserfahrungen an der Schwelle vom Tag zur Nacht 2008, XIV, 440 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-7720-8258-0 Band 19 Alexander Zerfaß Mysterium mirabile Poesie, Theologie und Liturgie in den Hymnen des Ambrosius von Mailand zu den Christusfesten des Kirchenjahres 2008, XII, 360 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-7720-8271-9 <?page no="384"?> Band 20 Franz-Rudolf Weinert Mainzer Domliturgie zu Beginn des 16. Jahrhunderts Der Liber Ordinarius der Mainzer Domkirche 2., überarbeitete Auflage 2009, XVIII, 249 Seiten + CD-ROM €[D] 58,00 ISBN 978-3-7720-8341-9 Band 21 Andreas Heinz Lebendiges Erbe Beiträge zur abendländischen Liturgie- und Frömmigkeitsgeschichte 2010, 420 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-7720-8380-8 Band 22 Ingrid Fischer Die Tagzeitenliturgie an den drei Tagen vor Ostern Feier - Theologie - Spiritualität 2013, VIII, 423 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-7720-8493-5 Band 23 Annette Albert-Zerlik Wandlungen in Glaubensverständnis und Spiritualität Traditionelle und moderne Osterlieder im Vergleich 2014, XIV, 426 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-7720-8519-2 Band 24 Alexander Zerfaß Auf dem Weg nach Emmaus Die Hermeneutik der Schriftlesung im Wortgottesdienst der Messe 2016, XII, 272 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-7720-8581-9 Band 25 Ursula Stoffler Die Antiphonen des Wochenpsalters 2022, 534 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-7720-8772-1 Band 26 Andreas Bieringer Gottesdienst in der Literatur Entwurf einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft 2023, 382 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8788-2 <?page no="385"?> ISBN 978-3-7720-8788-2 Liturgie und Leben driften immer weiter auseinander. Während die Bedeutung des Christentums massiv zurückgeht, sind Gottesdienste und kirchliche Rituale in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur äußerst präsent. Diese Konstellation greift Andreas Bieringer auf, indem er liturgischen Spuren bei P. Handke, H.-J. Ortheil, C. Ransmayr, A. Stadler, P. Morsbach und C. Lehnert nachgeht. Mit Hilfe poetischer Analysen legt er einen kultursensiblen Ansatz für die Liturgiewissenschaft vor, in dessen Mittelpunkt zentrale Begriffe wie Raum, Klang, Erfahrung, Körper und Wandlung stehen. Methodisch geht es um die Erschließung zeitgenössischer Literatur als Ort liturgiewissenschaftlicher Erkenntnis.
