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Joseph Resch als Bühnenautor

Die Brixner Schuldramen und ihr Kontext

1216
2024
978-3-8233-9230-9
978-3-8233-8230-0
Gunter Narr Verlag 
Wolfgang Kofler
Simon Wirthensohn
Stefan Zathammer
10.24053/9783823392309

In der neulateinischen Forschung wurden in den letzten Jahren vermehrt Versuche unternommen, das lange Zeit kaum beachtete Schultheater des 18. Jahrhunderts aufzuarbeiten. In dieser Gattung lassen sich nämlich gerade in der Zeit des Rückzugs des Lateinischen aus dem literarischen Diskurs interessante Transformationsprozesse beobachten. Das dramatische Werk des in der alten Südtiroler Bischofsstadt Brixen tätigen Weltgeistlichen Joseph Resch (1716-1782) bietet Einblicke in derartige Wandlungsphänomene: Es wurzelt einerseits in der humanistischen Schultheatertradition der Frühen Neuzeit, weist anderseits aber durch Charakteristika wie den verstärkten Einbezug der Muttersprache, den Rückgriff auf weltliche Stoffe und die Verwendung aufklärerischer Motive darüber hinaus. Der vorliegende Band stellt die erste weiterführende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Dramen dieses Autors dar und bietet zugleich Informationen zu ihrem kultur- und literarhistorischen Entstehungskontext.

<?page no="0"?> Joseph Resch als Bühnenautor Die Brixner Schuldramen und ihr Kontext herausgegeben von Wolfgang Kofler, Simon Wirthensohn und Stefan Zathammer <?page no="1"?> Joseph Resch als Bühnenautor <?page no="2"?> Neo L atina 31 Herausgegeben von Thomas Baier, Wolfgang Kofler, Eckard Lefèvre und Stefan Tilg <?page no="3"?> Wolfgang Kofler / Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer (Hrsg.) Joseph Resch als Bühnenautor Die Brixner Schuldramen und ihr Kontext <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Autonome Provinz Bozen - Südtirol, die Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät und das Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck, das Ludwig Boltzmann Institut für Neulateinische Studien sowie die Gesellschaft für Klassische Philologie Innsbruck. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 99783823392309 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. 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Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Druck: Elanders Waiblingen GmbH ISSN 1615-7133 ISBN 978-3-8233-8230-0 (Print) ISBN 978-3-8233-9230-9 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0239-1 (ePub) <?page no="5"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher Leben und Wirken von Joseph Resch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer Die Dramen des Joseph Resch. Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Erika Kustatscher Joseph Resch - Archivar und Historiker im Zeichen des Übergangs der Historie von der Erzählung zur Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Ludwig Fladerer Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Stefan Zathammer Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands. Ein Schismatiker als Diözesanpatron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Martin Bauer-Zetzmann Saturn und seine Söhne. Joseph Resch als Mytheninnovator . . . . . . . . . . . 101 Theresa Rothfuß Joseph Reschs engagiertes Theater. Die allegorische Rhetorica (1751) und ein Versuch ihrer Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Wolfgang Kofler Peccator deicida, Pastor bonus und Pius Samaritanus. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Simon Wirthensohn Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit. Verfahren produktiver Rezeption in Reschs Dramen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 <?page no="6"?> Robert Forgács The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context . . . . . 173 Manuela Oberst Anmerkungen zur (Schul-)Theatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Jan Bloemendal New Perspectives on Neo-Latin Drama. From Philology to Digital Humanities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 6 Inhalt <?page no="7"?> Vorwort Der aus Hall in Tirol gebürtige Weltgeistliche Joseph Resch (1716 - 1782) gilt als einer der bedeutendsten Intellektuellen, die im 18. Jahrhundert in Tirol gewirkt haben. In der Forschung fand in der Vergangenheit weitgehend nur ein Aspekt seines Schaffens, nämlich das als Historiker und Begründer der Tiroler Kirchengeschichtsschreibung, Beachtung. Dass Resch als Präfekt und Lehrer am Hochfürstlichen Gymnasium in Brixen über viele Jahre hinweg auch im Bereich des Schultheaters tätig war, ist zwar bekannt, sein dramatisches Werk war bislang aber nur schwer zugänglich und auch nie Gegenstand ausgiebigerer wissenschaftlicher Untersuchungen - ein Schicksal, welches übrigens die meisten neulateinischen Dramatiker des 18. Jahrhunderts ereilt. Eine Ausnahme bildet lediglich Karl Mutschlechners ungedruckte Dissertation Das Jesuitentheater in Brixen im 18. Jahrhundert aus den Jahren 1975/ 1976. In der Studie zur Tradition des neulateinischen Schultheaters in der alten Südtiroler Bischofsstadt werden auch mehrere Stücke aus der Feder Reschs überblicksartig besprochen. Die von Mutschlechner ausgesprochene Hoffnung, Reschs dramatisches Œ uvre möge künftig Gegenstand weitergehender wissenschaftlicher Beschäftigung sein, wurde dann von Stefan Tilg aufgenommen, der im Rahmen der großangelegten Geschichte zur lateinischen Literatur Tirols (Tyrolis Latina. Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, 2012) eine Übersicht über den Theaterbetrieb am Brixner Gymnasium gibt und mit den Praemia Aureliani und dem Pastor bonus zwei Resch-Stück ausführlich vorstellt. An diese Vorarbeiten schloss im Zeitraum von August 2016 bis Dezember 2018 das von der Autonomen Provinz Bozen - Südtirol geförderte und an der Universität Innsbruck angesiedelte Projekt Brixner Schultheater im 18. Jahrhundert: Edition und Übersetzung der neulateinischen Dramen von Joseph Resch an. Es verfolgte das Ziel, online verfügbare Editionen und Übersetzungen der Stücke zu erstellen, um so eine solide Grundlage für weitere Forschungen zu schaffen sowie Textmaterial für die Lehre an der Universität und der Schule zur Verfügung zu stellen. 1 Im Rahmen des Projekts fand im November 2017 im Bischöflichen Institut Vinzentinum in Brixen auch eine Tagung mit dem Titel Joseph Resch als Dramatiker im Kontext des lateinischen Schultheaters im 18. Jahrhundert statt. 1 Die im Rahmen des Projekts erstellten Dokumente sind abrufbar unter der Adresse https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ . <?page no="8"?> Die bei dieser Gelegenheit gehaltenen Vorträge bilden den Grundstock des vorliegenden Bandes, der durch weitere, im Nachgang des Projekts entstandenen Arbeiten ergänzt wurde. Er verfolgt das Ziel, alle Interessierten mit Grundinformationen zu Joseph Reschs auszustatten, auf einige Stücke gleichsam als Fallstudien näher einzugehen und das Corpus kultur- und forschungsgeschichtlich zu verorten. Den Anfang machen Stefan Zathammer und Egon Kühebacher, die einen ausführlichen und die neuesten Forschungsergebnisse berücksichtigenden Überblick zu Reschs Biographie bieten. Im Anschluss daran stellen Simon Wirthensohn und Stefan Zathammer sein dramatisches Werk vor. Im nächsten Beitrag richtet Erika Kustatscher den Fokus auf Reschs Arbeit als Archivar und Geschichtsforscher. Es folgen dann Aufsätze, die sich mit Reschs dramatischem Werk als solchem befassen. Ludwig Fladerer setzt das 1747 als Herbstspiel aufgeführte Historiendrama über den Numiderkönig Jugurtha in Beziehung zum zeitgenössischen Jesuitentheater. Gegenstand des Beitrages von Stefan Zathammer ist die Tragödie Sanctus Ingenuinus, in der der Brixner Diözesanheilige Bischof Ingenuin von Säben die Bühne betritt, eine Figur des Tiroler Heiligenhimmels. Die typologischen Beziehungen, die zwischen dem eigentlichen Handlungsstrang und den Chorpartien des Ludovicus verlaufen, stehen bei Martin Bauer- Zetzmann im Mittelpunkt. Zudem zeigt er anhand eines Beispiels, wie Resch in dem Stück den antiken Mythos innovativ umgestaltet. Theresa Rothfuß untersucht anhand der selbstreferentiellen Schulkomödie Rhetorica, wie Joseph Resch in seiner dramatischen Arbeit als Lehrer in Erscheinung tritt, während Wolfgang Kofler sich mit den noch zu Lebzeiten des Autors gedruckten Meditationsspielen beschäftigt. Einen neugierigen Blick über die Schulter des Autors bei dessen Arbeit wirft Simon Wirthensohn. Robert Forgács widmet sich schließlich Musikfragmenten, die sich zu den Dramen erhalten haben. Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge zum Kontext, in dem Resch als Bühnenautor zu verorten ist. Manuela Oberst gibt einen Einblick in den nichtjesuitischen Zweig des neulateinischen Schultheaters im 18. Jahrhundert anhand des Theaterbetriebes in den Stiften und Klöstern Oberschwabens. Jan Bloemendal unternimmt einen Ausblick auf die Forschung zum neulateinischen Schultheater und die Chancen, die sich für diese in Zukunft aus den Möglichkeiten der Digital Humanities ergeben. Der vorliegende Band wäre ohne die Unterstützung vieler Institutionen und Personen nicht möglich gewesen. Hier seien zuerst die Autoren genannt, die uns ihre Beiträge zur Verfügung gestellt haben, dann das Bischöflichen Institut Vinzentinum und dessen Direktor Christoph Stragenegg sowie das Priesterseminar Brixen, die als Projektpartner auch Mitorganisatoren der Tagung 8 Vorwort <?page no="9"?> waren. Tillmann Bub und sein Team vom Narr Francke Attempto-Verlag haben sich große Verdienste bei der Drucklegung des Bandes erworben, der vom Vizerektorat und der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck und - wie das gesamte Projekt - von der Autonomen Provinz Bozen - Südtirol bezuschusst wurde. Ihnen allen gebührt ein großes Dankeschön. Innsbruck, im November 2024 Wolfgang Kofler, Simon Wirthensohn, Stefan Zathammer Vorwort 9 <?page no="11"?> Leben und Wirken von Joseph Resch Stefan Zathammer (Innsbruck) / Egon Kühebacher (Innichen) Zu Leben und Wirken von Joseph Resch sind in der Vergangenheit schon eine Reihe von Darstellungen erschienen. 1 Seine zweifellos großen Verdienste, die er sich auf dem Feld der Kirchengeschichte erworben hat, haben dazu geführt, dass Resch lange Zeit in erster Linie als der großer Tiroler Historiker und Kirchengeschichtsschreiber gesehen wurde, 2 viele andere Aspekte seines Schaffens hingegen lediglich bescheidene Randnotiz blieben. Dieser Umstand schlug sich auch im biographischen Schrifttum nieder, in dem der Fokus ganz auf den historiographischen Arbeiten lag. Der vorliegende Aufsatz möchte eine kompakte Zusammenschau dessen bieten, was heute in der Sekundärliteratur und in den gedruckten Quellen an belegten Informationen zum Leben Reschs bekannt ist. Joseph Resch wurde am 3. September 1716 in Hall in Tirol geboren. 3 Er stammte aus einfachsten Verhältnissen, der Vater Martin war als Salzwäscher der Haller Saline tätig, die Mutter Maria, geborene Mayr, war Hausfrau. Durch Vermittlung des adeligen Priesters Andreas von Wenzel, Kanonikus in Augs- 1 Das Fundament der biographischen Angaben zu Resch bilden die Lebensbeschreibungen von Rosbichler 1808b und Sinnacher 1821, III - XXII. Deren Faktengerüst ist im Wesentlichen auch die Grundlage für die späteren Darstellungen. Kürzere Überblicksdarstellungen zu Leben und Wirken Reschs bieten daneben Mitterrutzner 1882; Resch 1932; Grass 1962, 167 - 183 (dort 167 Fn. 1 bietet eine Übersicht zur älteren biographischen Sekundärliteratur, um einige Literaturhinweise erweitert wieder abgedruckt bei Grass 1967); Kühebacher 1982; Gelmi 2019; jüngst Zathammer 2023. Sinnacher 1821, XLVI - LXIV druckte als Anhang zu seiner Biographie Auszüge aus Reschs lateinischem Tagebuch (in der Folge als TB abgekürzt) ab. 2 Stellvertretend für das Urteil vieler sei hier die Aussage des großen modernen Tiroler Historikers Otto Stolz zitiert, der Resch „ einen Bahnbrecher in der tirolischen Geschichtsforschung “ (Stolz 1938, 72) nennt. 3 Fälschlich wird in der Sekundärliteratur oft (so auch noch Sauser 1994 und wieder bei Gelmi 2019) das kleine Dorf Heiligkreuz (weiland Gampas) bei Hall in Tirol als Geburtsort genannt (vgl. Hochenegg 1968, 205). <?page no="12"?> burg und Brixen, kam der junge Knabe Resch schon im Alter von zehn Jahren in die Domschule von Brixen. 4 Die Anfänge dieser Institution lassen sich nicht mit Sicherheit datieren, 5 es war aber wohl schon im 6. oder 7. Jahrhundert, als sich der Bischofssitz noch auf dem Säbener Klosterfelsen oberhalb von Klausen befand, dass dort eine kleine Lehranstalt in der Art einer Domschule eingerichtet worden war; für das 11. Jahrhundert ist das Bestehen einer solchen in Brixen jedenfalls urkundlich belegt. 6 Die Schülerschaft bestand in den frühen Jahren vornehmlich aus adeligen Knaben, die auf ihren Dienst als Kanoniker an der Kathedralkirche vorbereitet werden sollten, dazu wurden sie in Religion, Grammatik, Choralgesang und der Berechnung des kirchlichen Festkalenders unterwiesen und hatten den Chordienst in der Kathedralkirche zu besorgen. Kern des Unterrichtes bildeten, wie in mittelalterlichen Domschulden die Regel, auch in Brixen die sieben freien Künste. 7 An der Spitze der Anstalt stand ein aus dem Kreise der älteren Domherrn gewählter sogenannter ,Scholasticus ‘ , der die Aufsicht über die Scholaren führte und diesen zusammen mit einigen Subalternen den Unterricht erteilte; in ältester Zeit wohnte auch er noch in Gemeinschaft mit den Schülern. Dass die Domkanoniker im Laufe des 13. Jahrhunderts allmählich von ihrer gemeinschaftlichen Lebensweise abrückten, hatte auch Auswirkungen auf die innere Gestalt der Domschule. Der Scholasticus gab die gemeinsame Wohnung mit den Schülern auf und begnügte sich fortan mit der Oberaufsicht, den eigentlichen Unterricht ließ er an seiner statt von von ihm berufenen Hilfskräften, denen ein Schulmeister (magister scholae, später auch praefectus) an die Spitze gestellt war, abhalten. 8 Die Schülerschaft zerfiel in drei Gruppen: Choralisten, einfache Präbendisten und externe Schüler. Die Choralisten hatten die Hauptlast des liturgischen Dienstes zu tragen, sie waren verpflichtet, den ganzen Chordienst (ausgenommen die Mette) zu versehen. Dafür kamen sie aber in den Genuss von gemeinsamer Wohnung, Unterricht und Verpflegung im Schulhaus. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts wurde ihre Zahl auf acht beschränkt. Die Präbendisten hatten an gewöhnlichen Tagen nur an der Konventsmesse, der Vesper und der Komplet teilzunehmen. Die Externisten hatten wohl nur in 4 TB Oktober 1753 (Sinnacher 1821, XLIX); vgl. Rosbichler 1808b, 39; Sinnacher 1821, IV. 5 Zur Geschichte der Brixner Domschule und des daraus hervorgegangenen Hochfürstlichen Gymnasiums s. Rosbichler 1808a; Tinkhauser 1854; Ammann 1901; Pertramer 1952; Gelmi 2007, 49 - 53. 6 Vgl. Rosbichler 1808a, 174; Tinkhauser 1854, 674 - 675. 7 Vgl. Tinkhauser 1854, 676 - 677. 8 Vgl. Ammann 1901, 5 - 6. 12 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="13"?> ältester Zeit Chordienst zu verrichten, sie mussten aber für den Unterricht ein kleines Entgelt entrichten. 9 Die Öffnung der Schule auch für Jungen aus den niedrigeren und ärmeren Gesellschaftsschichten brachte im Laufe der Zeit eine stark gesteigerte Schülerzahl mit sich - in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren es rund 70 Knaben 10 - , so dass in den engen Räumlichkeiten, die die Schule am Kreuzgang belegte, schon bald nicht mehr alle Zöglinge untergebracht und noch weniger ohne Entgelt in Kost, Quartier und Unterricht aufgenommen werden konnten. Der Großteil der Knaben musste deshalb nicht nur ein Schulgeld entrichten, sondern war auch gezwungen, sich selbst Wohnung in der Stadt bei Bürgerfamilien zu nehmen, und stand so außerhalb der Unterrichtszeiten ohne offizielle Aufsicht; ein Zustand, der zu allerlei Unsitten und Missbrauch in der Brixner Schülerschaft führte. Resch lernte als junger Chorknabe diese prekäre Situation selbst kennen und verwendete später große Mühen darauf, dieser Abhilfe zu schaffen. 11 Im Laufe der Zeit wurden zwar mancherlei Versuche zur inneren Reform und Verbesserung der Domschule unternommen, u. a. wurde mehrmals versucht, in Brixen eine Niederlassung der Jesuiten zu errichten und diesen auch die Leitung der Schule zu übertragen, 12 auch hatte man mehrmals erwogen, die benachtbarten Häuser zwecks der baulichen Erweiterung der sehr beengten Schulgebäude zu kaufen. Einschneidende und nachhaltige Veränderungen erfuhr die Lehranstalt aber erst unter der Regierung von Fürstbischof Christoph Anton von Spaur (reg. 1601 - 1613), der es sich zur Pflicht gemacht hatte, nach den Vorgaben des Konzils von Trient (1545 - 1563) eine Besserung der Ausbildung für die angehenden Kleriker herbeizuführen. In der Domschule wurden nun fünf Gymnasialklassen eingerichtet; von der Einführung der Poetik- und Rhetorikklasse musste, obwohl mehrmals in Angriff genommen, jedoch aus Ressourcengründen (vorerst) abgesehen werden, so dass die Lehranstalt letztlich doch eine reine Grammatikschule blieb. Ab 1638 war auch das Amt des Schulpräfekten regelmäßig von dem des Chormeisters getrennt. Der Unterricht wurde nach einem von Weihbischof Simon Feuerstein (1597 - 1623), der selbst das Collegium Germanicum in Rom besucht hatte, ausgearbeitetem, an der jesuitischen Ratio studiorum ausgerichteten Lehrplan gehalten; an den Jesuitengymnasien orientiert waren auch die vorgeschriebenen Unterrichtsmaterialien, deren Kern die Lehrbücher eines Jakob Gretser (1562 - 1625), Jacobus Pontanus (1542 - 1626) und Emmanuel Alvarus (1526 - 1582) bildeten. 9 Vgl. Tinkhauser 1854, 680 - 682; Ammann 1901, 7 - 8. 10 Vgl. Ammann 1901, 8. 11 Vgl. Rosbichler 1808b, 43 - 45. 12 Vgl. Mutschlechner 1975/ 1975, 16 - 25. Zur ‚ Brixner Jesuitenfragen ‘ s. auch ausführlich Kleyntjens 1938. Leben und Wirken von Joseph Resch 13 <?page no="14"?> Als wesentliche Erweiterung der Unterrichtsgegenstände scheint zu dieser Zeit zudem das Griechische auf, das schon in der untersten Grammatikalklasse gelehrt wurde. 13 In die nach diesen Vorgaben eingerichtete Anstalt trat also auch der junge Joseph Resch 1726 als Sängerknabe ein. Nach Abschluss des fünfklassigen Gymnasiums wechselte Resch wahrscheinlich an das Innsbrucker Jesuitengymnasium, um dort die Poetik- und die Rhetorikklasse zu besuchen. Zwar haben sich aus diesen Jahren keine Schülerlisten erhalten - mit letzter Sicherheit lässt sich sein Schulbesuch in Innsbruck daher nicht nachweisen. Es ist jedoch belegt, dass begabte Brixner Schüler nach dem Abschluss der Grammatikschule an die Lehranstalten der Jesuiten nach Innsbruck, München oder Dillingen entsandt wurden, um die für ein Studium notwendigen Humanitätsklassen zu besuchen. 14 Für einen Innsbrucker Schulbesuch Reschs spricht außerdem, dass er die Brixner Schule bereits im Sommer 1731 abgeschlossen haben müsste, aber erst für das Studienjahr 1733/ 1734 als Student der philosophischen Fakultät an der Universität Innsbruck immatrikuliert ist. 15 Als Schüler des Jesuitengymnasiums dürfte Resch - womöglich zum ersten Mal - mit dem Phänomen Schultheater in Kontakt gekommen sein. 16 In Innsbruck gab es in dieser Zeit rege Schultheateraktivitäten, die beachtlichen Zuschauerzuspruch erfuhren. 17 In den frühen 1730er-Jahren war hier der Schwabe Anton Claus (1691 - 1754) als Schulchorag tätig, dessen Theaterspiele später gedruckt wurden und auf das späte lateinische Schuldrama stilbildend wirkten. Für Resch war Claus nachweislich ein bedeutendes Vorbild: Seine erste Tragödie, Iugurtha, ist maßgeblich von Claus ’ Dramen beeinflusst. 18 In den Jahren 1733 bis 1735 scheint Resch als Hörer an der philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck auf, bis 1739 ist er dann als Student der Theologie in den Matrikeln verzeichnet. 19 Von der Absicht getragen, in den geistlichen Stand einzutreten, kehrte er im Herbst 1739 wieder nach Brixen zurück, wo er als Alumnus in das dortige Seminar aufgenommen wurde. Noch im selben Jahr erhielt er die niederen Weihen, 1740 folgte das Subdiakonat. 13 Vgl. Tinkhauser 1854, 697 - 702; Ammann 1901, 11 - 18. Zum Lehrplan s. auch Probst 1858, 116 - 117. 14 Vgl. Mutschlechner 1975/ 1976, 26. 15 Vgl. Huter / Haidacher 1954, 177 (Nr. 3288). 16 Mutschlechner 1975/ 1976 verzeichnet für die 1720er-Jahre in Brixen keine Aufführungen. 17 Vgl. Tilg 2008, 194 - 197. 18 S. dazu den Beitrag von Simon Wirthensohn in diesem Band. Zu Anton Claus s. auch Wirthensohn 2019. 19 Vgl. Huter / Haidacher 1954, 177 (Nr. 3288); Kollmann 1983, 152 (Nr. 1010). 14 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="15"?> 1741 empfing er das Diakonat und wurde im nämlichen Jahr auch zum Priester geweiht. 20 Nach der Priesterweihe wurde Resch als sog. ,Supernumerarius ‘ klassifiziert - das waren jene Neupriester, die beim damals starken Nachwuchs nur mit Glück eine zunächst unbezahlte Arbeitsstelle bekamen. Seinen ersten Arbeitsplatz erhielt er als Kooperator in Stilfes bei Sterzing, wo als Pfarrer Graf Johann Karl von Recordin (1698 - 1781) wirkte, der in der Folgezeit Domdekan von Brixen sowie Propst von Innichen war und auch zum infulierter Propst von Regensburg ernannt wurde. Resch gelang es, die dauerhafte Gunst dieser angesehenen Priesterpersönlichkeit, die ihm über viele Jahre hinweg mancherlei Unterstützung angedeihen ließ, zu erwerben. 21 Doch sollte in Stilfes nicht lange seines Bleibens sein, schon nach einem Jahr wurde ihm eine Aufgabe im Schuldienst zugewiesen. Wenngleich Reschs Wirken in der Seelsorge nicht von langer Dauer war, so sollte sie ihm im Übrigen trotzdem zeitlebens teuer sein. Gleich zwei Mal (1758 und 1772) bewarb er sich um die Pfarre in Taufers im Pustertal, kam aber beide Male knapp nicht zum Zuge. 22 Und als ihm nach Schulschluss im Herbst 1756 übergangsweise die Pfarre von St. Andrä bei Brixen übertrugen wurde, soll er bei seiner Abberufung von dieser Stelle mit Beginn des neuen Studienjahres nicht ohne ein gewisses Bedauern davon geschieden sein. 23 Auch in späteren Jahren war er, wie seine frühen Biographen zu berichten wissen, ein gern aufgesuchter Beichtvater in der Tiroler Bischofsstadt, galt als weithin bekannter und guter Prediger, insbesondere soll ihm aber in seinem geistlichen Dienste auch die Obsorge für die Armen und Kranken der Stadt ein teures Anliegen gewesen sein. 24 1742 wurde Resch also nach Brixen zurückgeholt, wo ihm die Präfektur und das Lehramt für eine Klasse (Syntax maior) an der Domschule übertragen wurde; zum Unterhalt war damit das kleine Benefiziat zur Hl. Katharina unter der Orgel verbunden. Rund 20 Jahre, bis 1761, wirkte er als fleißiger und gewissenhafter Lehrer und Erzieher. 25 Dabei wäre Reschs Berufung an die Domschule beinahe an einem seit vielen Jahrzehnten vor sich hin schwelenden 20 Vgl. Strobl 1973, 230. 21 Vgl. Kühebacher 1982, 435. 22 TB April 1758 (Sinnacher 1821, LII); TB Jänner 1772 (Sinnacher 1821, LXII). 23 TB September 1756 (Sinnacher 1821, LI); vgl. Sinnacher 1821, XII. 24 Vgl. Sinnacher 1821, V - VI. Als etwa 1773 in Brixen die Cholera ausbrach, wäre Resch wegen seiner barmherzigen Sorge um die Kranken der Seuche beinahe selbst zum Opfer gefallen. Siehe TB Februar 1773 und April / Mai 1773 (Sinnacher 1821, LXII - LXIII). 25 Zu Reschs Tätigkeit am Hochfürstlichen Gymnasium vgl. Rosbichler 1808b, 39 - 45; Sinnacher 1821, V - XIII; Tinkhauser 1854, 703; Ammann 1901, 23 - 26. Leben und Wirken von Joseph Resch 15 <?page no="16"?> Streit zwischen Fürstbischof und Domkapitel in den Fragen der Finanzierung und Bestellung des Lehrkörpers gescheitert. Bischof Kaspar Ignaz von Künigl (reg. 1702 - 1747) widersetzte sich zunächst der Berufung Reschs entschieden, weil das Domkapitel diese ohne die dafür erforderliche bischöfliche Zustimmung betrieben habe und weil die Saläre des Präfekten und Magisters von der bischöflichen Hofkammer beglichen würden. Er wollte nur zugestehen, dass der junge Priester bis Neujahr seine Stelle an der Schule ausüben dürfe, dann aber wieder als Hilfspriester in die Seelsorge nach Stilfes zurückkehren müsse. Eine Einigung zwischen den beiden Streitparteien scheint in Reschs Fall aber dann doch recht schnell gefunden worden zu sein, denn am 19. Juni 1743 konnte er jedenfalls als anerkannter Präfekt des Hochfürstlichen Gymnasiums in Rom um die Zulassung der Marianischen Kongregation ansuchen. 26 Mit den von Resch während seiner beinahe zwanzigjährigen Tätigkeit als Lehrer und Präfekt angestoßenen Reformen wurde die in vielen Bereichen noch mittelalterlich geprägte Domschule, der es insbesondere an den beiden Humanitätsklassen mangelte, zu einem vollständigen, den Erfordernissen der Zeit entsprechenden Gymnasium ausgebaut. Ein besonderes Anliegen war ihm die Verbesserung und Erweiterung des Unterrichtes. Mathematik und Geographie wurden neu unter die zu lehrenden Fächer aufgenommen, 1748 wurde die Poetik- 27 und zwei Jahre später die Rhetorikklasse 28 eingeführt. Allein, wegen des chronischen Geld- und Platzmangels, unter dem die Domschule seit vielen Jahrzehnten litt und der durch die ständigen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Fürstbischof und Domkapitel noch verstärkt wurde, ging die Erneuerung des Instituts anfangs nur sehr schleppend voran und Resch sah sich allerlei Hindernissen und Schwierigkeiten gegenüber, so dass er sich, um seine Reformvorhaben nicht zu gefährden, zeitweise sogar gezwungen sah, den Unterricht in der Poetik- und Rhetorikklasse unentgeltlich (ex sola charitate impulsus) abzuhalten. 29 Dass der Eifer und die Bemühungen des jungen Priesters keinen leichten Stand hatten und er mitunter auch herbe Rückschläge hinnehmen musste, davon zeugt etwa anschaulich die 1751 als Herbstspiel aufgeführte Schulkomödie Rhetorica, die auf humorvolle Weise die Schwierigkeiten bei der Einführung der Rhetorikklasse, die schon kurz nach ihrer erstmaligen Eröffnung wieder vor dem Aus stand, reflektierte. 30 Der etappenweise Ausbau der Schule lässt sich anhand der Periochen der Herbstspiele 26 Vgl. Ammann 1901, 22 - 23. 27 TB November 1748 (Sinnacher 1821, XLVII). 28 TB November 1750 (Sinnacher 1821, XLVII - XLVIII). 29 TB November 1750 (Sinnacher 1821, XLVIII). 30 Wie sich die Entwicklung der Schule in den Periochen und in den Stücken niederschlug, dazu s. den Beitrag von Thresa Rothfuß in diesem Band. 16 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="17"?> dieser Jahre deutlich nachverfolgen. In der Tragödie Sanctus Ingenuinus, gegeben im September 1749, trat schon ein Schüler aus der Poetikklasse auf, ebenso im Agamemnon ein Jahr später. Dass die Reformbestrebungen zeitweise auch Rückschläge hinnehmen mussten, lässt sich aus der Perioche des Adiatorix, des Herbstspiels des Jahres 1752, ersehen. Darin ist nun wieder die Syntaxis maior als oberste Klasse angeführt. Im Schuljahr 1753/ 1754 scheint schließlich der schrittweise Ausbau der Domschule zu einem vollständigen Gymnasium abgeschlossen gewesen zu sein. Die Perioche der Praemia Aureliani (Herbstspiel 1753) verzeichnete wieder eine Poetikklasse und die Tragödie Ludovicus, die im September 1754 zum Schulschluss gegeben wurde, führte nun alle sechs regulären Klassen auf. 31 Dem Priester Resch lag auch das Seelenheil seiner Schüler sehr am Herzen. Der zwar schon unter Fürstbischof Sigmund Alfons von Thun (reg. 1663 - 1677) begründeten, um die Mitte des 18. Jahrhunderts aber arg vernachlässigten Marianischen Kongregation wurde durch ihm neues Leben eingehaucht und sie konnte im Jahre 1754 dann sogar der großen römischen angeschlossen werden. 32 Für seine Schüler, die zum ganz überwiegenden Teil in der Stadt zerstreut untergebracht und außerhalb der Schulzeit ohne Aufsicht waren, wurde infolge der unnachgiebigen Bemühungen Reschs ein eigenes Haus eingerichtet, das im Jahre 1756 bezugsfertig war. Als das diözesane Priesterseminar in Brixen in das Spital zum Hl. Kreuz auf der Insel verlegt wurde, erreichte Resch, dass dessen alte Räumlichkeiten, die am Kreuzgang in unmittelbarer Nachbarschaft zur Domschule gelegen waren, dieser zur Benützung abgetreten wurden. So entstand mit dem sogenannten ‚ Cassianeum ‘ ein regelrechtes Konvikt, in dem nun die Zöglinge des Gymnasiums alle unter einem Dach vereint gemeinschaftliche Unterbringung, Verpflegung und Unterricht erhielten. 33 Für den Unterricht in den oberen Klassen verfasste Resch in diesen Jahren auch drei Schulbücher: Ars metrica (Augsburg 1748), Phraseologia poetica (Linz 1749) und Compendium prosodiae Latinae universae (Venedig 1750). Diese drei aufeinander aufbauenden und einander ergänzenden Lehrbücher bildeten zusammen genommen eine Einführung in die lateinische Vers- und Dichtungslehre. 34 Mehrfach neu aufgelegt fanden sie auch über die Tiroler Landesgrenzen hinaus Verwendung. 35 Seine schulischen Tätigkeiten waren es auch, die den Anstoß für Reschs dramatische Arbeiten gaben. Unter seiner Ägide erlebte das Schultheater am 31 Vgl. Mutschlechner 1975/ 1976, 28 - 30. 32 TB Februar 1754 (Sinnacher 1821, XLIX - L). 33 TB September 1756 (Sinnacher 1821, LI - LII). 34 Vgl. Kompatscher / Korenjak 2012, 99 - 100. 35 Vgl. Rosbichler 1808b, 40; Sinnacher 1821, VI, IX. Leben und Wirken von Joseph Resch 17 <?page no="18"?> Brixner Gymnasium eine späte Blüte mit einem regelmäßigen Spielbetrieb. Bereits 1746, vier Jahre vor der Einführung der üblicherweise mit den Schulschlussaufführungen betrauten Rhetorikklasse, ist ein erstes Herbststück dokumentiert. In der folgenden Zeit ist (mit Ausnahme der Jahre 1755 und 1760) bis zum Ende von Reschs pädagogischen Verpflichtungen im September 1761 aus jedem Schuljahr ein Herbststück nachzuweisen. Daneben sind drei Meditationsspiele überliefert, die Resch von den Sodalen in der Schülerkongregation aufführen ließ. Resch war nicht nur für die Bereitstellung des Dramentextes, sondern auch für die Inszenierung der Theaterstücke zuständig. Auch die logistische Organisation der Aufführungen, die Verwaltung von Ausgaben und Einnahmen sowie die Koordination von externem Personal wie Komponisten und Musiker dürfte zu seinen Obliegenheiten gehört haben. 36 Von einschneidender Bedeutung für Reschs wissenschaftliche Tätigkeit war der 1745 begonnene Neubau des Brixner Domes. Beim vorangegangenen gänzlichen Abbruch des gotischen Gotteshauses rettete er die heute im Kreuzgang und an den Außenwänden des Domes angebrachten Grabsteine. Den drohenden Verlust der zahlreichen unschätzbaren historischen Monumente vor Augen, unternahm es Resch, diese zu sammeln und der Nachwelt zu erhalten. Die Ausbeute dieser Sammlung, vermehrt durch Inschriften aus vielen Kirchen der Diözese, die damals barockisiert wurden, wobei Inschriften als Quellen geschichtlicher Forschungen vor der Vernichtung gerettet wurden, edierte Resch später unter dem Titel Monumenta veteris ecclesiae Brixinensis (Brixen 1765). Elf Jahre später erfolgte als Ergänzung das Supplementum ad monumenta (Brixen 1776). 37 Sein Erstlingswerk auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft war eine kleine, Fürstbischof Leopold von Spaur zur Inthronisation gewidmete Geschichte der Säbener Bischöfe bis zum Tod Albuins im Jahre 1006 (Gloria filiorum patres eorum, Brixen 1748). 38 Am Schluss wird vom Autor zwar für das kommende Jahr ein Folgeband, der die Brixner Oberhirten behandeln sollte, versprochen, 39 ein solcher ist letztlich aber nie erschienen. Sein historiographisches Hauptwerk ist die zweibändige Beschreibung des geschichtlichen Werdens der Diözese Brixen unter dem Titel Annales ecclesiae Sabionensis nunc Brixinensis. Der erste Band, wenngleich schon 1755 fertig- 36 In den Manuskripten seiner Dramen in der Bibliothek des Brixner Priesterseminars sind mitunter Notizzettel eingelegt, die Kostenaufstellungen aus Reschs Feder enthalten. 37 Vgl. Kühebacher 1982, 436. Zu Reschs historiographischem Werk s. überblicksartig Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 756 - 761; ausführlich Grass 1962. 38 TB April 1748 (Sinnacher 1821, XLVI - XLVII). 39 Resch, Gloria filiorum patres eorum 40. 18 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="19"?> gestellt, erschien 1757 in Augsburg. Resch widmete ihn dem gelehrten Papst Benedikt XIV. (reg. 1740 - 1758), der mit einem persönlichen Schreiben auf diese Würdigung reagierte. 40 Der Band behandelt die ersten fünf christlichen Jahrhunderte. Einer Untersuchung und Erwähnung wert erachtet Resch dabei alle historischen Ereignisse, soweit sie nur irgendwie mit Tirol bzw. dem Gebiet der Diözesen Brixen und Trient in Verbindung stehen. Nur zwei Jahre später erschien (wieder in Augsburg) der zweite Band der Annalen. Gegenstand waren nun die folgenden drei Jahrhunderte. Ausführlich widmet sich Resch dabei der Person des Hl. Ingenuin (6. Jahrhundert), der um die Mitte des 18. Jahrhunderts zusammen mit dem der Brixner Tradition nach ersten Bischof von Säben, dem Hl. Kassian von Imola (4. Jahrhundert), im Zentrum einer vom Trientner Weltgeistlichen Girolamo Tartarotti (1706 - 1761) angestoßenen Streitfrage stand. 41 Aus der Polemik selbst, in der auf Brixner Seite zur Verteidigung der beiden heiligen Bischöfe zunächst der Tiroler Polyhistor Anton Roschmann (1694 - 1760) und dann der Franziskaner Benedetto Bonelli (1704 - 1783) auftrat, hielt Resch sich, obschon auch er ein Vertreter der alten Brixner Tradition war, jedoch heraus. 42 1767 erschien schließlich der letzte Teil der Annalen, der der Geschichte der Kirche von Säben des 9. und 10. Jahrhunderts bis zum Tode des Bischofs Albuin im Jahre 1006 gewidmet war. 43 Um all dies zu Papier bringen zu können, muss Resch in diesen Jahren ein schier unglaubliches Arbeitspensum bewältigt haben. Er begann, wie seine frühen Biographen berichten, seine Studien schon in den frühen Morgenstunden und setzte sie bis tief in die Nacht hinein fort. Neben den zahlreichen Verpflichtungen in Administration und Lehre am Gymnasium widmete sich der Haller Gelehrte mit akribischem Fleiß seinen historischen Forschungen. Während der Schulferien unternahm er auf der Suche nach Urkunden und Handschriften in den großen Bibliotheken und Archiven weite Reisen durch 40 TB November 1757 (Sinnacher 1821, LII); abgedruckt bei Sinnacher 1821, LXVII als Anlage Nr. 3. 41 Der Streit weitete sich im Laufe der Zeit auch auf andere kirchengeschichtliche Themen aus. Beinahe im Jahrestakt erschienen Streitschriften und Erwiderungen. Vgl. Nössing 1997a 365 - 371; Nössing 1997b. 42 Vgl. Sinnacher 1821, IX - X; Nössing 1997a, 365 - 371; Nössing 1997b, 135 - 137; s. dazu auch den Beitrag von Stefan Zathammer in diesem Band. 43 Gedruckt wiederum in Augsburg, ist er bisweilen als der dritte, in manchen Drucken auch als der zweite Band betitelt, je nachdem, ob der erste Band in zwei Teile abgeteilt wird oder nicht (vgl. Rosbichler 1808b, 47 - 48 Fn. 7, 52 Fn. 10; Resch 1932, 175 Fn. 20). Resch arbeitete in späteren Jahren noch an einer Fortsetzung der Annales, das Manuskript, behandelnd den Zeitraum von der Wahl Adalberts 1006 bis 1024, blieb aber nur Fragment (vgl. Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 760). Leben und Wirken von Joseph Resch 19 <?page no="20"?> Italien und seine Tiroler Heimat, 44 wobei er mit Erfolg seine historischen und geographischen Kenntnisse mehrte und mit gelehrten Männern und kirchlichen Würdenträger bekannt wurde, mit denen er mitunter einen regen Briefwechsel unterhielt; so etwa mit Kardinal Christoph Anton Migazzi, Joseph von Spaur, zuerst Fürstbischof von Seckau und dann von Brixen, dem Schriftsteller und Philologen Jacopo Faccioalti in Padua, dem Tiroler Polyhistor Anton Roschmann, dem Jesuiten Ignaz Weitenauer, dem Franziskaner Benedetto Bonelli in Trient u. a. m. 45 Von 1748 bis zu ihrem Ende 1756 war Resch Mitglied der Academia Taxiana in Innsbruck; während ihrer Sitzungen wurde gelegentlich auch aus seinen Werken vorgelesen - so wurden etwa 1751 Auszüge aus den Meditationsspielen dargeboten, 1755 wurde aus den Annales vorgelesen. 46 Daneben gehörte der Haller Priester auch der Accademia degli Agiati, der gelehrten Roveretaner Gesellschaft, an. Die Akademie der Wissenschaften zu München ernannte ihn 1762 zum Ehrenmitglied und nahm ihn 1777 als wirkliches Mitglied auf. 47 Am 10. Oktober 1759 wurde er an der Universität Padua nach erfolgreichen Prüfungen und Diskussionen von 84 Doktoren zum Doktor der Theologie promoviert. 48 Er suchte nun um ein vakant gewordenes Kanonikat im Brixner Dom an, das ihm schon von Papst Clemens XIII. (reg. 1758 - 1769) versprochen worden war. 49 Allein das Kanonikat bekam schließlich nicht er, sondern es wurde dem jungen Diakon Franz Anton von Buol übertragen, der gar nicht zur Diözese Brixen gehörte, sondern aus Konstanz stammte, und Resch hatte das Nachsehen. 50 Ende des Jahres 1760 begann Reschs unglückliches Bemühen um eine Professur an der Universität Innsbruck. Einem Tagebucheintrag vom Dezember zufolge war er dort als Professor für polemische Theologie und Kirchengeschichte vorgesehen und sollte gleichzeitig auch das Amt des Direktors des kaiserlichen Gymnasiums in der Stadt am Inn übernehmen. 51 Aus dem Eintrag 44 Vgl. Rosbichler 1808b, 49 - 50; Sinnacher 1821, X - XI; Grass 1962, 171 - 174. TB September 1750 (Sinnacher 1821, XLVII) etwa erwähnt eine Reise nach Italien, Venedig und Verona, TB September 1759 (Sinnacher 1821, LIII) wieder eine nach Italien und Felters. 45 Eine lange Liste von Reschs Korrespondenzpartnern bieten Rosbichler 1808b, 50 und Sinnacher 1821, XXVI - XXVII. 46 Vgl. Grass 1962, 170 - 171. 47 Vgl. Sinnacher 1821, XXV. 48 TB Oktober 1759 (Sinnacher 1821, LIII). 49 Nach dem Aschaffenburger Konkordat wurden die in den Monaten Jänner, März, Mai, Juli, September und November freigewordenen Pfründe vom Papst, die anderen durch freie Wahl des Kapitels besetzt (vgl. Resch 1932, 174 Fn. 17). 50 TB Februar und April 1761 (Sinnacher 1821, LIV - LV). 51 TB Dezember 1760 (Sinnacher 1821, LIV). 20 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="21"?> geht hervor, dass Resch in dieser Position Ferdinand Kopf (1729 - 1810) nachfolgen sollte, der für die Pfarre Mils bestimmt worden war. Resch wurde aber offenbar falsch informiert: Kopf hatte neben der Oberaufsicht über das akademische Gymnasium nicht die Professur für Polemik, sondern jene für Heilige Schrift inne. 52 Letztlich verließ der erst fünf Jahre zuvor auf diese Kanzel berufene und erst seit jenem Jahr mit der Aufsicht über das Gymnasium betraute Professor seinen Lehrstuhl nicht und Resch konnte die neue Stelle nicht antreten. 53 Im Jänner 1761 wurde ihm aber das erste Troyloische Benefizium an der Brixner Kathedrale, eine etwas bessere Pfründe, zugesprochen. 54 Nur wenig später, am 11. Juli 1761, wurde Resch als Professor für Polemik und Kirchengeschichte an der Universität Innsbruck berufen. Anton Gallus Weyeter (1723 - 1779), der seit 1753 das Lehramt für Polemik innehatte, 55 war entlassen worden, weil er widderrechtlich die Ehe einer jungen Frau mit einem protestantischen Offizier eingesegnet hatte. Resch war sich der Sache diesmal ganz sicher, gab nun seinen Posten am Brixner Gymnasium auf und reiste nach Innsbruck. Dort - er hatte sogar schon seine Antrittsvorlesung 56 verfasst - musste er eine bittere Enttäuschung erleben. Die genauen Umstände lassen sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren, Weyeter hatte inzwischen jedenfalls Verzeihung für seine Verfehlung erlangt und den Lehrstuhl wiederbekommen, Resch wurde mit dem Versprechen, auf die nächste frei werdende Lehrkanzel berufen zu werden, vertröstet. Er kehrte nun enttäuscht nach Brixen zurück, wo seine Stelle am Gymnasium inzwischen schon nachbesetzt worden war. Glücklicherweise hatte Resch sein Benefizium nicht aufgegeben, und mit der bescheidenen Bezahlung, die damit verbunden war, musste er nun leben. 57 52 Vgl. Weiler 1968, LV - LVI, XCVIII; Falkner 1969, 179. 53 Vgl. Sinnacher 1821, XV - XVI; Grass 1962, 175 - 176. Über die Wendung und den Ausgang dieser Berufung finden sich in den bei Sinnacher 1821 abgedruckten Tagebuchaufzeichnungen keine Angaben. 54 TB Juli 1761 (Sinnacher 1821, LIV). 55 Vgl. Weiler 1968, C. 56 Eine Ausgabe mit deutscher Übersetzung besorgte Grass 1962, 184 - 195. 57 TB Juli 1761 (Sinnacher 1821, LV - LVI); vgl. Ammann 1901, 26; Falkner 1969, 184 - 186. Hinter beidem, dem Verlust des schon versprochenen Kanonikats wie der im letzten Augenblick widerrufenen Berufung, sah Resch das Werk der Jesuiten (vgl. TB April 1761 [Sinnacher 1821, LV] und Juli 1761 [Sinnacher 1821, LV - LVI]). Dass diese unglücklichen Wendungen tatsächlich auf Betreiben der Jesuiten ihren Lauf nahmen, ist indes wenig wahrscheinlich und als These kaum haltbar (vgl. Falkner 1969, 186). Leben und Wirken von Joseph Resch 21 <?page no="22"?> Zu einer leichten Besserung kam es, als ihn im Jahr 1762 Fürstbischof Leopold Graf Spaur zu seinem Hofkaplan 58 und zum Direktor des völlig verwahrlosten Diözesanarchivs ernannte. 59 Resch erschloss und inventarisierte das Archiv systematisch - ein unschätzbares Verdienst, stellte es doch die letzte große Bestandsaufnahme vor der Teilung im Zuge der Säkularisation des geistlichen Hochstiftes Brixen im Jahre 1803 dar. 60 Von nicht wenigen, besonders schwer lesbaren Urkunden, fertigte er durch eigenhändige Abschrift Kopien an. Im Jahre 1766 wurde er zudem Professor der Heiligen Schrift am Brixner Priesterseminar. 61 Als solcher stellte er für seine Hörer eine zur damaligen Zeit vielfach verwendete Evangelienharmonie zusammen (Harmonia sanctorum evangeliorum, s. l. 1771), deren Vorrede kunstvoll aus Bibelzitaten zusammengesetzt ist. 62 Da seine Werbung um ein Kanonikat an der Kathedralkirche erfolglos geblieben war, bemühte er sich um eines am Kollegiatstift im Kreuzgang, kam jedoch auch hier nicht zum Zuge. Im Herbst 1768 verlieh ihm endlich Papst Clemens XIII. ein Kanonikat am Kollegiatstift Innichen. Sicherlich war dabei als Hauptvermittler der als Dekan von Stilfes bereits erwähnte Karl von Recordin am Werk, der seit 1747 Propst von Innichen und seit 1755 gleichzeitig infulierter Propst von Regensburg war. 63 Dieses Kanonikat war zwar kein gut dotiertes und brachte kaum Einkommen, nun standen Resch aber die reichen Archivbestände des knapp tausend Jahre alten, schon im Jahre 769 vom bayrischen Herzog Tassilo III. gegründeten Stiftes zu den Heiligen Candidus und Korbinian offen. Als Ergebnis dieser Studien erschien im Jahre 1772 eine seinem alten Gönner, dem Grafen Johann Karl von Recordin gewidmete Edition von 92 mit vielen historischen Notizen und Kommentaren versehenen Urkunden zur Geschichte des Stiftes Innichen sowie ein Verzeichnis der Pröpste des Stiftes seit dem 12. Jahrhundert (Aetas millenaria ecclesiae Aguntinae in Norico sive Inticensis in Tyroli, Brixen 64 ). Um dieselbe Zeit veröffentlichte Resch auch eine Geschichte des Bistums Chur in deutscher Sprache (Annales ecclesiae Curiensis, Brixen 1770). 65 58 TB Mai 1762 (Sinnacher 1821, LVI). 59 TB Juli 1762 (Sinnacher 1821, LVI). 60 Vgl. Gelmi 2007, 138. 61 TB November 1766 (Sinnacher 1821, LVIII). 62 Vgl. Rosbichler 1808b, 52 - 53; Freiseisen 1908, 41 - 47; Gelmi 2007, 138 - 140. 63 TB September 1768 (Sinnacher 1821, LIX - LX); vgl. auch Strobl 1973, 230 - 232; Kühebacher 1982, 438. 64 Der eigentlichen Urkundenedition ist ein kunstvoll gestaltetes Kurzepos über die Gründung der Römerstadt Aguntum vorgeschaltet, s. dazu Schaffenrath 2012. 65 Vgl. Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 760 - 761. 22 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="23"?> Obwohl ihm 1770 der Regensburger Fürstbischof, Anton Ignaz Reichsgraf von Fugger-Glött (reg. 1769 - 1787) die Ernennung zum wirklichen geistlichen Rat, eine ehrenvolle und gut bezahlte Stelle, anbot, zog es Resch vor, in der Heimat zu bleiben. Wenig später verlieh ihm der Brixner Fürstbischof die nämliche Würde 66 und 1775 erhielt Resch die gut bezahlte Pfründe zur Hl. Katharina, damals eine der besten in der ganzen Diözese, und wurde gleichzeitig zum fürstbischöflicher Hofbibliothekar ernannt. 67 Anfang Februar 1782 war Resch anlässlich des vierzigstündigen Gebets nach Klausen zu einer Kanzelrede gebeten worden. Am 9. Februar wurde er, an einer schweren Lungenentzündung erkrankt, während der Predigt ohnmächtig und am 15. Februar 1782 starb er fünfundsechzigjährig in seiner Brixner Wohnung. Seine letzte Ruhestätte fand er in der Kirche der Kapuziner in Brixen. 68 In Erinnerung blieb Resch der Nachwelt insbesondere wegen seiner Leistungen auf dem Gebiet der Tiroler Kirchengeschichte und so nimmt es auch nicht wunder, dass der Epitaph, den man ihm zu Gedenken anlässlich des 50. Todestages in der Kirche des Priesterseminars errichtete, den Haller Priestergelehrten als de historia patria optime merit[us], als „ um die vaterländische Geschichte höchst verdient “ , rühmt. Reschs Bedeutung für die Tiroler Geschichtsforschung erschöpft sich indes nicht nur in seinen der Öffentlichkeit vorgelegten Werken, sondern liegt insbesondere auch an den Vorarbeiten, die er auf dem Gebiet der Quellenerfassung und -kritik geleistet hat. Ohne Rückgriff auf die von Resch geschaffenen Grundlagen und den umfassenden Materialsammlungen, die er aus ganz Tirol und den benachbarten Ländern zusammengetragen hat, wären die Arbeiten seiner Nachfolger - der sogenannten ‚ Brixner Historikerschule ‘ 69 - , wie die eines Stefan von Mayrhofen (1751 - 1848), Ignaz Paprion (1752 - 1812), Johannes Rosbichler (1750 - 1804) und nicht zuletzt die neun massive Bände füllenden Beyträge zur Geschichte der bischöflichen Kirche zu Säben und Brixen in Tyrol (Brixen 1821 - 1835) Franz Anton Sinnachers (1772 - 1836) nicht möglich gewesen. 70 66 TB Jänner 1771 (Sinnacher 1821, LXI - LXII). 67 TB August 1775 (Sinnacher 1821, LXIII). 68 TB Februar 1782 (Sinnacher 1821, LXIV), dieser Eintrag wurde von Jeremias Käsbacher, einem Brixner Kapuziner, hinzugesetzt (vgl. Sinnacher 1821, LXIV). Ein Auszug des Testamentes ist abgedruckt bei Rosbichler 1808b, 57 Fn. 17. Obwohl Reschs Bezahlung immer bescheiden war, hinterließ er ein Ersparnis von 2000 Gulden. Entsprechend seinem lateinisch verfassten Testament stand die Hälfte davon seinen Geschwistern zu, der Rest war größtenteils zur Pflege der Kranken in Brixen bestimmt (vgl. Rosbichler 1808b, 56 - 57; Sinnacher 1821, XXIX - XXX). 69 Zur „ Brixner Historikerschule “ s. Grass 1960, 478 - 479. 70 Vgl. Grass 1962, 179 - 180; Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 761. Leben und Wirken von Joseph Resch 23 <?page no="24"?> Literatur Ammann, Hartmann: Geschichte des k. k. Gymnasiums zu Brixen a. E., Bd. 1, Brixen 1901. Falkner, Andreas: Geschichte der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck 1740 - 1773, Innsbruck 1969 (Veröffentlichungen der Universität Innsbruck, Bd. 34). Freiseisen, Johannes: Rückblick auf die dreihundertjährige Geschichte des Priesterseminars in Brixen mit Berücksichtigung der Bischofs- und Stadtgeschichte, Brixen 1908. Gelmi, Josef: „ Pietas et Scientia “ . 400 Jahre Priesterseminar Brixen. 1607 - 2007, Brixen 2007. Gelmi, Josef: Leben und Wirken von Joseph Resch. Ein Pionier der Tiroler Kirchengeschichte, Der Schlern 93, 2019, 67 - 73. Grass, Franz: Der Brixner Geschichtsforscher Dr. Joseph Resch und seine Innsbrucker Antrittsvorlesung von 1761. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Tirols, in: Franz Grass (Hg.): Festschrift Landeshauptmannstellvertreter Prof. Dr. Hans Gamper, Bd. 3, Innsbruck 1962, 167 - 194. Grass, Franz: Gloria ecclesiae Brixinensis. Der Brixner Geschichtsforscher Dr. Joseph Resch. Seine Innsbrucker Antrittsvorlesung. Ein Beitrag zur Geschichte der historischen Theologie und der Geschichtsforschung in Tirol, in: Franz Grass (Hg.): Studien zur Sakralkultur und kirchlichen Rechtshistorie Österreichs, Innsbruck / München 1967 (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte, Bd. 2), 181 - 213. Grass, Nikolaus: Benediktinische Geschichtswissenschaft und die Anfänge des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 68, 1960, 470 - 484. Hochenegg, Hans: Nachlese zu Joseph Resch, Der Schlern 42, 1968, 205 - 207. Huter, Franz / Haidacher, Anton (Hg.): Die Matrikel der Universität Innsbruck, Bd. 1: Matricula philosophica, Teil 2: 1701 - 1735, Innsbruck 1954. Kleyntjens, Josef: Die Jesuiten in Bressanone, Der Schlern 19, 1938, 16 - 19. Kollmann, Johann (Hg.): Die Matrikel der Universität Innsbruck, Bd. 2: Matricula theologica, Teil 3: 1735/ 1736 - 1754/ 1755, Innsbruck 1983. Kompatscher, Gabriela / Korenjak, Martin: Sprachdidaktik, Poetik, Philologie, in: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath / Lav Š ubari ć / Karlheinz Töchterle (Hg.): Tyrolis Latina. Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Bd. 2, Wien / Köln / Weimar 2012, 797 - 806. Kühebacher, Egon: Josef Resch. Zum 200. 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Resch, Joseph: Gloria filiorum patres eorum (Prov. 17, 6), id est series et continuata successio Episcoporum Sabionensium hodie Brixinensium una cum historia eiusdem ecclesiae cathedralis, Brixen 1748. Resch, Joseph: Dr. Joseph Resch. Biographische Skizze zum 150. Todestag des berühmten vaterländischen Historikers, Der Schlern 13, 1932, 170 - 177. Rosbichler, Joseph: Das Institut der Chorknaben in Brixen, in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol, Bd. 3, Innsbruck 1808, 172 - 185. (= Rosbichler 1808a) Rosbichler, Joseph: Joseph Resch, in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol, Bd. 3, Innsbruck 1808, 39 - 58. (= Rosbichler 1808b) Sauser, Ekkart: Resch, Joseph, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 8, 1994, 56 - 57. Schaffenrath, Florian: Das Gründungsepos der Römerstadt Aguntum von Joseph Resch, Daphnis 41, 2012, 263 - 274. 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Exemplarische Einsichten in Praxis und Theorie, Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit, Bd. 129), 183 - 199. Tilg, Stefan: Theater, in: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath / Lav Š ubari ć / Karlheinz Töchterle (Hg.): Tyrolis Latina. Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Bd. 2, Wien / Köln / Weimar 2012, 660 - 700. Tinkhauser, Georg: Geschichte der alten Domschule oder des Knabenseminars zum hl. Cassian in Brixen, Katholische Blätter aus Tirol 12, 1854, 649 - 661, 673 - 686, 697 - 712. Weiler, Edith (Hg.): Die Matrikel der Universität Innsbruck, Bd. 2: Matricula universitatis, Teil 1: 1755/ 1756 - 1763/ 1764, Innsbruck / München 1968. Leben und Wirken von Joseph Resch 25 <?page no="26"?> Wirthensohn, Simon: Anton Claus. Leben und Werk. Studie zum späten Jesuitentheater, Berlin / Boston 2019 (Frühe Neuzeit, Bd. 221). Zathammer, Stefan: Resch, Joseph (lat. Josephus Reschius) (1716 - 1782), in: Biographisch- Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 46, 2023, 1099 - 1110. 26 Stefan Zathammer / Egon Kühebacher <?page no="27"?> Die Dramen des Joseph Resch Ein Überblick Simon Wirthensohn (Innsbruck) / Stefan Zathammer (Innsbruck) Das überlieferte dramatische Werk von Joseph Resch umfasst 16 Stücke, die im Zeitraum zwischen 1745 und 1761 entstanden sind. Das Corpus setzt sich aus 13 Schuldramen und drei Meditationsspielen zusammen. Letztere sind gedruckt überliefert; elf Schuldramen sind in Form von Bühnenmanuskripten erhalten, Scanderbegi victoria ist nur in einer Rohfassung, Sanctus Lucanus nur als Perioche auf uns gekommen. Sämtliche Textzeugen werden in der Bibliothek des Priesterseminars Brixen aufbewahrt. 1 Zwei weitere Theaterstücke, die im Jahr 1747 in Brixen aufgeführt wurden, wurden von der älteren Forschung als Stücke aus anderer Feder identifiziert. 2 Die Schuldramen des Autors, dessen Schaffen vorliegender Band gewidmet ist, wurden allesamt am Schuljahresende im Rahmen der Preisverleihung an die besten Schüler aufgeführt. Diese Praxis der ludi autumnales ( „ Herbstspiele “ ) war an den frühneuzeitlichen Schulen ein festes Ritual im Jahresablauf. Die Aufführungen, die aufwändig inszeniert und in den Interludien von Musik begleitet waren, boten den Knaben die Möglichkeit, die im Laufe des Schuljahres erworbenen Fertigkeiten in der Beherrschung des Lateinischen zu demonstrieren. Wie im 18. Jahrhundert vielerorts üblich, wurden tragende Rollen aber häufig nicht mit Schülern besetzt, sondern von externem Personal verkörpert, das höhere Professionalität gewährleistete. Mit Ausnahme der Jahre 1755 und 1760 sind von 1746 bis zum Ende von Reschs Lehrtätigkeit in Brixen 1761 sämtliche Herbstspiele erhalten geblieben oder wenigstens noch als Perioche überliefert. Über die Spielstätte, an der die Stücke aufgeführt wurden, lassen sich heute nur mehr vage Vermutungen anstellen. Die engen Räumlichkeiten der Brixner 1 Siehe Tabelle hier S. 41. 2 Es handelt sich um die Stücke Maria, Königin von Ungarn und Jaromirus, von denen jeweils nur mehr die Perioche erhalten ist. Siehe dazu Mutschlechner 1975/ 76, 51 - 55. <?page no="28"?> Domschule vermochten wohl keinen Theatersaal zu beherbergen. Als möglicher Aufführungsort kommt deshalb der Theatersaal in der fürstbischöflichen Hofburg in Frage. Der Teil des Gebäudekomplexes, der diesen einst beherbergte, wurde allerdings um die Mitte des 19. Jahrhunderts umgestaltet, so dass sich von ihm keine wahrnehmbaren Spuren mehr erhalten haben. 3 Die meisten der Schuldramen aus Reschs Feder lassen sich der Gattungsbezeichnung „ Tragödie “ zuweisen. Darunter verstanden die Zeitgenossen nicht zwangsläufig ein Stück mit negativem Ausgang - in der Tat weist keines von Reschs Dramen ein ‚ tragisches ‘ Ende auf, die Stücke schließen sogar durchwegs in positiv-feierlicher Stimmung, wie es dem festlichen Rahmen der Aufführungen entsprach. Zentrales Charakteristikum einer tragoedia im 18. Jahrhundert war vielmehr das Vorführen eines ernsten, überindividuell bedeutenden Konflikts ungewissen Ausgangs, der von mehrheitlich historischen oder mythologischen Figuren von hohem sozialen Rang bestritten wurde. 4 Das erste dieser (mit Ausnahme von Adiatorix) fünfaktigen Stücke, das Resch zur Aufführung brachte, war im Herbst 1746 ein Drama über den Numiderfürsten Jugurtha. 5 Der Dramatiker folgte damit dem Trend zeitgenössischer Schulchoragen, pagane antike Stoffe auf die Bühne zu bringen. 6 Im Gegensatz zu den späteren Schuldramen hat sich zu diesem Stück weder eine Perioche noch das Titelblatt des Manuskripts erhalten. Der originale Titel ist somit verloren. Basierend auf Sallusts historischer Monographie Bellum Iugurthinum, die an den frühneuzeitlichen Schulen zur Schullektüre gehörte, 7 stellte Resch hier die letzten Tage der Herrschaft des Jugurtha dar. Der Protagonist versucht verzweifelt, die von den Römer belagerte Stadt Cirta zu halten, durch den Verrat eines Soldaten wird diese jedoch eingenommen. Jugurtha selbst wird von seinem Schwiegersohn Bocchus verraten und an den römischen Offizier Sulla ausgeliefert. Der Fall des Tyrannen wird als gerecht dargestellt, der Sieg der Römer in der Figur des Marius gefeiert. Das Stück steht offensichtlich in der Tradition der senecanischen Tragödien. Typische Seneca- Motive wie Tyrannei, Brudermord oder auch das Auftreten des Geistes eines Ahnen tauchen auf, auch in sprachlicher Hinsicht fallen die vielen Seneca- Bezüge auf. 3 Vgl. Amann 1901, 24; Mutschlechner 1975/ 76, 10, 211 - 212. 4 Die Frage, ob denn eine Tragödie stets mit einem „ tragischen Ende “ schließen müsse, hatte schon Aristoteles (De arte poetica 1453a) diskutiert und wurde auch in den frühneuzeitlichen Dramentheorien vielfach behandelt. Vgl. Roselt 2011. 5 Siehe zu diesem Stück den Beitrag von Ludwig Fladerer in diesem Band. 6 Vgl. Szarota 1979, Bd. 1, 1, 78; Tilg 2008, 194 - 197. 7 Vgl. Roselt 2011. 28 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="29"?> 1747 brachte Resch zum ersten Mal ein Stück auf die Bühne, das mit seinen lokalhistorischen Interessen in Zusammenhang stand. Der Geistliche widmete sich in dieser Zeit intensiven Studien über die Geschichte seiner Heimatdiözese. Im Folgejahr erschien sein erstes historiographisches Werk Gloria filiorum patres eorum, in dem er die Geschichte des Bistums Säben bzw. Brixen von ihren Anfängen bis ins frühe 11. Jahrhundert nachzeichnete. Protagonist des Herbstspiels von 1747 war der Hl. Lukan, der in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts Bischof von Säben gewesen sein soll. Die Vita des Heiligen ist in Reschs Gloria filiorum patres eorum umfassend dargestellt, wobei sich etliche Formulierungen aus dem argumentum der Perioche wiederfinden. 8 Das Stück mit dem Titel Sanctus Lucanus, Sabionae apud Brixentas episcopus dürfte also ein ‚ Nebenprodukt ‘ von Reschs historiographischen Studien gewesen sein. Es führt vor, wie der betagte Bischof Lukan, der infolge einer Verleumdung an den päpstlichen Hof zitiert wird, in Rom Wunder vollbringt, vom Papst daraufhin für unschuldig befunden wird und wieder den Heimweg antritt. Der Verlust des Textmanuskripts dürfte schon lange zurückliegen, bereits Mutschlechner konnte nur noch auf die Perioche zurückgreifen. 9 Auch das 1748 als Herbstspiel gegebene Stück musste vom Publikum wieder mit Lokalgeschichte in Zusammenhang gebracht werden. Albuinus tragoedia ruft Assoziationen zum Hl. Albuin wach, der als Bischof im späten 11. Jahrhundert den Bischofssitz vom Säbener Klosterfelsen nach Brixen verlegt hatte und im 12. Jahrhundert gemeinsam mit dem Hl. Ingenuin zum Schutzheiligen der Diözese avancierte. Der Effekt dürfte beabsichtigt sein, mit der Handlung des Stücks hat der Bistumsheilige aber nichts zu tun. Sie dramatisiert eine Episode aus Paulus Diaconus ’ Historia Langobardorum: 10 Bei der Schlacht auf dem Asfeld im Jahr 552 tötete der Langobardenprinz Alboin den Sohn des Gepidenkönigs Turisind, Turismod. Weil er jedoch die Rüstung des getöteten Feindes nicht vorweisen konnte, wurde Alboin trotz dieser Heldentat von seinem Vater nicht als Tischgenosse anerkannt. Alboin begab sich daher zu Turisind, bat um die Rüstung des Toten und wurde für seinen Mut belohnt. Resch änderte die Fabel an zentralen Stellen ab: Gravierende Unterschiede zur historiographischen Darstellung bestehen zum einen darin, dass Alboin sich in Reschs Stück nicht freiwillig zu Turisind begibt, sondern - von seinem Vater wegen Insubordination verstoßen - inkognito als Schutzflehender beim Gepidenkönig vorspricht, zum anderen darin, dass der Titelheld schlussendlich von Tursind nicht nur begnadigt, sondern sogar als Ziehsohn anstelle des toten 8 Resch, Gloria filiorum patres eorum 10 - 12. 9 Mutschlechner 1975/ 76, 92. 10 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 23 - 24. Die Dramen des Joseph Resch 29 <?page no="30"?> Turismod in die eigene Familie aufgenommen wird. Diese Eingriffe ermöglichten es Resch, die Handlung in der Perioche allegorisch zu deuten: Turismod repräsentiere den für die Menschen gestorbenen Christus, Alboin den sündhaften Menschen, Turisind den gnädigen Gott. Das Herbstspiel des Jahres 1749 bildete den Abschuss und Höhepunkt der lokalgeschichtlichen Stücke: Auf die Bühne gelangte Sanctus Ingenuinus. 11 Das Schauspiel knüpft an die in der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus überlieferte Episode von der Vermittlertätigkeit der Bischöfe von Säben und Trient, Ingenuin und Agnellus, rund um die Belagerung der bei Trient gelegenen Langobardenfestung Ferruge im fränkisch/ byzantinisch-langobardischen Krieg von 590 an. 12 Die Fabel des Sanctus Ingenuinus setzt mit dem Beginn der Belagerung der Burg ein, die am Ende des ersten Aktes auch erobert wird. Die siegreichen Franken verfallen in einen taumelnden Siegesrausch und kennen mit den besiegten Langobarden kein Mitleid. Dem grausamen Übermut der Sieger tritt jedoch Bischof Ingenuin als strahlendes Gegenbild entgegen. In selbstloser Opferbereitschaft bietet er dem Frankenkönig Childebert sein Leben für die Schonung und Freilassung der langobardischen Kriegsgefangenen an. Gegen die Bezahlung eines hohen Lösegeldes ist der König gewillt, auf Ingenuins Vorschlag einzugehen. In seiner Verzweiflung wendet sich der heiligmäßige Bischof an Gott. Sein Flehen bleibt im Himmel nicht unerhört: In letzter Sekunde trifft - einem deus ex machina gleich - ein Bote des bayerischen Herzogs Theodonis mit dem geforderten Lösegeld ein. 1750 kehrte Resch zu antiken Sujets zurück: Das Stück Agamemnon suimet victor ist sein einziges Drama, das die klassische Mythologie aufgreift. 13 Zur Bühnenhandlung ausgebaut ist darin die Agamemnon-Chryseis-Episode im ersten Gesang der Ilias, wobei der homerische Plot einige Änderungen erfährt. Agamemnon besteht zunächst darauf, die Tochter des Apollo-Priesters Chryses als Kriegsgefangene zu behalten, obwohl das griechische Heer für diesen Frevel von Apollo mit einer verheerenden Seuche gestraft wird. Auf die Versuche seiner griechischen Gefährten, ihn zur Vernunft zu bringen, reagiert er vorerst unnachgiebig. Schließlich erklärt er sich bereit, das Mädchen freizulassen, aber nur unter der Bedingung, dass Achill ihm zur Entschädigung dessen Kriegsgefangene Briseis überlasse, was zu einem für beide Seiten bedrohlichen Zerwürfnis führt. Zuletzt sieht der Protagonist seinen Fehler ein und entlässt die Gefangene in die Freiheit, um sein Heer nicht weiter zu schwächen. Das Stück greift das im kontemporären Schuldrama häufige Motiv der Selbstüber- 11 Siehe dazu den Aufsatz von Stefan Zathammer in diesem Band. 12 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3, 31. 13 Zu diesem Stück siehe Kofler 2018. 30 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="31"?> windung auf und macht die Priorität allgemeindienlicher Handlungen gegenüber individuellen Zielsetzungen zu einem pädagogischen Thema. 14 Die nächste Tragödie, die Resch auf die Bühne brachte, war im September 1752 der Dreiakter Adiatorix. Der Stoff für das Drama ist wieder der Geschichte des römischen Altertums entnommen. Der Galaterfürst Adiatorix hatte im römischen Bürgerkrieg auf der Seite Marc Antons gekämpft. Nach Octavians Sieg über seine Gegner in der Seeschlacht bei Actium wurde auch Adiatorix von den Römern gefangengesetzt. Gemeinsam mit seiner Gemahlin und seinen drei Söhnen wurde er im großen Triumphzug des Jahres 29 v. Chr. in Rom mitgeführt. Hier setzt die Handlung des Schauspieles ein: Der Galaterfürst soll zusammen mit seinem ältesten Sohn Tyteutus hingerichtet werden. Als der jüngste Sohn, Bojorix, hört, dass Tyteutus, den er von ganzem Herzen liebt, das Todesurteil ereilen soll, will er dieses Unglück nicht tatenlos mitansehen und sein eigenes Leben für das seines Bruders hingeben. Er tritt vor Augustus 15 und behauptet, in Wahrheit sei er, Bojorix, der älteste Sohn und Erbe des Adiatorix. Tyteutus ist jedoch nicht gewillt, das selbstlose Liebespfand anzunehmen. Weil Augustus den Streit nicht entscheiden kann, überträgt er die Aufgabe der Urteilsfindung den beiden Eltern. Bei diesen findet Bojorix Gehör; ihm wird gestattet, die Stelle des Bruders auf dem Richtplatz einzunehmen. 1754 folgte die Aufführung von Ludovicus, pius in impios sicut antea impius in pios. 16 Das Stück greift einen Stoff aus der Karolingerzeit auf: Im Zentrum steht Ludwig der Fromme (778 - 840) und dessen schwieriges Verhältnis zu seinen Söhnen Lothar, Ludwig und Pippin - ein Konflikt, der daraus resultierte, dass Ludwig auch seinem Sohn aus zweiter Ehe, Karl dem Kahlen, Herrschaftsrechte zuerkannte. Wie in der historischen Überlieferung ist es in Reschs Drama ein Feldzug Ludwigs gegen die Bretonen, der eine Verschärfung des Konflikts zwischen dem Kaiser und seinen Söhnen mit sich bringt: Pippin rebelliert im Zuge der Kriegshandlungen offen gegen seinen Vater und wird daraufhin von diesem eingesperrt. Er kann jedoch fliehen und stachelt seinen Bruder Lothar dazu an, gemeinsam mit ihm gegen den Vater vorzugehen. Unter dem Vorwand, sich mit ihm versöhnen zu wollen, treffen sich die beiden mit dem Kaiser, setzen ihn ab und verhöhnen ihn. Der dritte Bruder, Ludwig, bleibt seinem Vater jedoch treu und setzt sich für diesen ein - auch im Bürgerkrieg, der im fünften Akt zwischen Anhängern der beiden Parteien ausbricht. In der (unvermittelt eintretenden) Peripetie zeigen Lothar und 14 Vgl. Wirthensohn 2015, 48 - 49. 15 Octavian erhielt zwar erst 27 v. Chr. den Titel Augustus, im Stück ist er aber immer so benannt. 16 Zu diesem Stück siehe den Aufsatz von Martin Bauer-Zetzmann in diesem Band. Die Dramen des Joseph Resch 31 <?page no="32"?> Pippin Reue für ihre Taten und setzen den Vater wieder als Kaiser ein. Dieser verzeiht ihnen und hält in der Schlussreplik ein Plädoyer für Frieden und pietas. Das Stück versucht offenbar, die historische Episode einer theologischen Deutung zuzuführen: Ludwig soll der Perioche zufolge als Sünder vorgestellt werden, der für seine Sünden bestraft wird, letztlich jedoch Gnade erfährt. Das 1756 aufgeführte Stück trägt den Titel Scanderbegi victoria in pedibus quam in manibus gloriosior. 17 Protagonist des Stücks ist der unter dem Namen Skanderbeg in die Geschichte eingegangene albanische Nationalheld Georg Kastriota (1405 - 1468), im Volksmund Skanderbeg genannt. Der Sohn eines mächtigen albanischen Fürsten wurde als Kind gemeinsam mit seinen Brüdern den Osmanen als Geisel überlassen und im islamischen Glauben erzogen. Nachdem Skanderbeg als türkischer Soldat Karriere gemacht hatte, fiel er von den Osmanen ab, ließ sich taufen und erwarb sich in den Türkenkriegen des 15. Jahrhunderts Ansehen und europaweite Bekanntschaft als athleta Christi. Resch stellte in seinem Stück Skanderbegs Flucht vom Hof des Sultans und dessen Ankunft in seiner Heimat dar, wo der Protagonist mittels eines gefälschten Dokuments den ehemaligen Thron seines Vaters besteigt. Der Dramatiker griff damit ein auf den Jesuitenbühnen gut etabliertes Sujet auf. Im Jesuitentheater war der Stoff als Reaktion auf den großen Türkenkrieg (1683 - 1699) und den venezianisch-österreichischen Türkenkrieg (1714 - 1718) mehrfach bearbeitet worden. 18 In den Jahren 1757 und 1758 wurde jeweils das Stück Constantini hostia gegeben. Ursprünglich sollte dieses Schauspiel im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich der Weihe des neuen Brixner Domes im Herbst 1757 aufgeführt werden. Wegen schwerer Überschwemmungen im Sommer musste die Konsekration der Kathedralkirche aber kurzfristig verschoben werden. Resch brachte sein wohl schon fertiggestelltes Stück deshalb kurzerhand als Herbstspiel zum Schulschluss auf die Bühne. Als im September 1758 dann tatsächlich die Kirchweihe vorgenommen werden konnte, wurde Constantini hostia noch einmal aufgeführt. 19 Der Aufführungsanlass wird in Reschs Stück in der Einweihung zweier Kirchen in Tyros und Jerusalem durch Kaiser Konstantin den Großen (reg. 306 - 337) gespiegelt. Auf der Bühne wird die Kirchweihe 17 Das Stück ist nur in einer Rohfassung überliefert. Der Band B20 der Bibliothek des Priesterseminars Brixen, der die Reinschrift des Dramas enthalten müsste, muss in den letzten vierzig Jahren verloren gegangen sein, da Mutschlechner 1975/ 76 noch auf ihn zugreifen konnte. 18 Valentin verzeichnet Aufführungen in Neuss 1684 (Nr. 2748), Pruntrut 1686 (Nr. 2822), Innsbruck 1691 (Nr. 3020), Graz 1718 (Nr. 4124), Regensburg 1727 (Nr. 4608) sowie 1768 in Kaufbeuren (Nr. 7409). 19 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 126 - 127. 32 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="33"?> allerdings nur vorbereitet, Gegenstand der Handlung ist vielmehr der Konflikt zwischen dem Kaiser und seinem Widersacher Licinius. Konstantin und Licinius, die zu Beginn noch einmütig gegen ihre gemeinsamen Feinde Maxentius und Maximinus gekämpft hatten, entfremden sich im Laufe des Stückes immer mehr voneinander. Diokletian, der erst vor wenigen Jahren freiwillig auf den römischen Kaiserthron verzichtet hatte, inzwischen aber diesen Schritt bereut, ersinnt einen Plan, um von Neuem an die Macht zu gelangen. Unter dessen verderblichem Einfluss verleugnet Licinius den eben erst angenommenen christlichen Glauben und kehrt zum heidnischen Götzendienst zurück. Konstantin will den Verrat seines einstigen Kampfgenossen nicht ungestraft hinnehmen und erklärt Licinius den Krieg. Constantia, die Schwester Konstantins und zugleich die Gemahlin des Licinius, gerät durch diese Entwicklung in eine schwere Gewissenskrise: Auf der einen Seite liegt ihr der Bruder und ihr christlicher Glaube am Herzen, auf der anderen Seite der geliebte Ehemann. Mit flehentlichen Bitten versucht sie, zwischen beiden zu vermitteln, kann aber weder ein Umdenken bei ihrem Gatten noch ein Einhalten bei ihrem Bruder erreichen. Im Feld wird Licinius schließlich geschlagen und verliert zugleich Herrschaft und Leben. Als Dank für diesen Sieg beschließt Konstantin den Bau der beiden Kirchen in Tyros und Jerusalem. Das Herbstspiel des folgenden Jahres ist mit Ausnahme der Chöre ganz auf Deutsch gehalten. Unter dem Titel Iesus Gondarenus wurde ein Stoff aus der jüngeren Kirchenbzw. Missionsgeschichte auf die Bühne gebracht, das Martyrium des abessinischen Kaisers Jasus (reg. 1682 - 1706): Jasus hat sich unter dem Einfluss des Franziskaner-Missionars P. Liberat Weiß vom angestammten Glauben seiner Väter und seines Volkes, dem koptischen Christentum, abgewandt und zum Katholizismus bekehrt, ein Frevel, der ihm von den Eliten des Reiches nicht verziehen wird. Sie schüren im Volk Empörung über diesen Abfall und stacheln es schließlich zur offenen Rebellion gegen den Herrscher auf. Die an ihn gestellten Forderungen, dem neuen Glauben abzuschwören und die katholischen Missionare des Landes zu verweisen, um damit für sich Krone und Herrschaft zu retten, weist Jasus entschieden von sich. Der Druck auf ihn und die Gefahr, festgenommen zu werden, werden indes immer größer, so dass sich Jasus schließlich gezwungen sieht, sein Heil in der Flucht zu suchen, die auch zu gelingen scheint. Als die rettende Burg schon in Sichtweite ist, wird er aber trotz seiner Verkleidung erkannt und sogleich gefangengesetzt. An seiner statt wird vom Volk ein abessinischer Fürst namens David auf den Thron gesetzt. David unterbreitet Jasus ein Friedensangebot. Jasus aber lehnt ab; er will eher sterben, als dem wahren Glauben wieder abzuschwören und seine Tochter als Gattin eines Ketzers zu sehen. Weil er sich Die Dramen des Joseph Resch 33 <?page no="34"?> selbst im Angesicht des Todes noch immer standhaft zur katholischen Kirche bekennt, kommt Jasus schließlich durch Gift als Blutzeuge seines Glaubens um. 1761, im letzten Jahr seiner Präfektur am Hochfürstlichen Gymnasium, ließ Resch Innocentia coronata in Basilio et Constantino aufführen. Das Stück knüpft an eine Episode der byzantinischen Geschichte des 10. Jahrhunderts an: Die byzantinische Kaiserin Theophanu (ca. 941 - nach 978), aus deren Ehe mit Romanos II. die Söhne Basileios und Konstantin hervorgingen, wurde nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns Nikephoros II. von dessen Nachfolger Johannes I. Tzimiskes verbannt; nach dessen Tod und dem Scheitern des darauffolgenden Umsturzversuches des Bardas Skleros übernahmen Basileios II. und Konstantin VIII. die Herrschaft. Die Art und Weise, wie diese Ereignisse in Reschs Stück dramatisch umgesetzt sind, hat mit der historiographischen Überlieferung allerdings wenig zu tun. Die abgesetzte Herrscherin Theophania befindet sich hier gemeinsam mit Basilius und Constantinus im Exil auf der Insel Tenedos. Als im Hintergrund der Handlung Kaiser Tsimisces stirbt, erhält die Familie zweimal unerwünschten Besuch: Zuerst legt der Rebell Bardas an, der die Herrschaft über Byzanz übernehmen will, zuvor aber noch die rechtmäßigen Thronfolger Basilius und Constantinus aus der Welt schaffen möchte; kurz darauf langt eine byzantinische Gesandtschaft an, welche die Brüder gegen ihren Willen auf den Thron ihres Vaters setzen will. Letztlich gelingt es den Gesandten, Bardas zu überwinden und die Brüder von der Notwendigkeit, als gute Herrscher wieder Ordnung im Staat zu schaffen, zu überzeugen. Die ohnehin komplexe Handlung ist durch die Einschaltung von Komödienmotiven zusätzlich ausgebaut: Resch greift mehrfach das Motiv der Verwechslung auf, insbesondere indem er Elemente aus Plautus ’ Captivi übernimmt: Zu Beginn des Stücks weiß die unter männlicher Identität verborgene Theophania nicht, dass ihre beiden Sklaven in Wirklichkeit ihre Söhne sind, und auch diese befinden sich in Unkenntnis darüber, in wessen Haushalt sie arbeiten. Pädagogisches Thema des Stücks ist der princeps bonus: Trotz ihrer Aversion gegen das mit Blendwerk, Hinterlist und Machtgier assoziierte höfische Leben erklären die beiden Prinzen sich schlussendlich bereit, für das Wohl der Allgemeinheit ihren Beitrag zu leisten. Wie andere Tragödien von Resch endet somit auch diese mit einer aufklärerischen Botschaft. 20 Neben den Tragödien finden sich in Reschs Werk auch zwei Schulstücke, die offenkundig als Komödien angelegt sind. Sie sind weitgehend fiktional und führen überwiegend ahistorisches Personal vor, weisen verhältnismäßig geringe Handlungskomplexität auf - bezeichnenderweise sind sie nicht in Akten, sondern in scaenae bzw. partes organisiert - und haben hohe Anteile an 20 Vgl. Wirthensohn 2023. 34 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="35"?> komisch-heiteren Passagen. Gleichwohl scheint Resch auch mit diesen Stücken ernste Absichten verfolgt zu haben: Beide Komödien dürften darauf abgezielt haben, auf die dringende Notwendigkeit finanzieller Unterstützung für die von ihm angestoßene Reform der Brixner Domschule nach dem Vorbild der Jesuitengymnasien hinzuweisen. Das aus sieben Szenen bestehende Kurzdrama Rhetorica von 1751 zeigt die von den Menschen vertriebene Rhetorik auf der Suche nach einem Gastgeber, der ihr Zuflucht gewähren könnte. 21 Von den nacheinander auftretenden Göttern Neptun, Bacchus, Pan, Mammon und Apollo wird sie aber aus unterschiedlichen Gründen abgewiesen, ehe sie von den loci rhetorici aufgenommen wird. Das Stück entstand im Kontext von Reschs Bemühungen, am Hochfürstlichen Gymnasium zusätzlich zu den Grammatikalklassen eine Poesie- und eine Rhetorikklasse einzuführen. 22 1753 wurde als Herbstspiel die aus drei Teilen bestehende Komödie Praemia Aureliani dargeboten. Im Gegensatz zu den in der Regel an zwei Tagen aufgeführten Tragödien ist für dieses Stück nur ein Aufführungstag vermerkt. 23 Aufhänger für die Handlung ist die in der Historia Augusta tradierte Anekdote, wonach Kaiser Aurelian (reg. 270 - 275) seinen Untertanen für den Fall einer siegreichen Rückkehr aus dem Krieg im Osten Kronen versprach, und schließlich, um sein Versprechen zu halten, Kronen aus Brot im Volk verteilen ließ. 24 In Reschs Drama ist eine übergreifende Handlung nur rudimentär vorhanden. Sie beschränkt sich darauf, dass im ersten Teil die Rückkehr des Aurelian angekündigt wird und im letzten Teil der Kaiser tatsächlich auftritt, um die praemia zu verteilen. Dazwischen werden die Bürger bei der Vorbereitung auf das Ereignis gezeigt, die Einzelepisoden sind jedoch nur lose miteinander verbunden. Im Mittelpunkt stand offenbar das Schaffen von Komik, die in unterschiedlichen Facetten auftritt: Es treten etwa Bäcker aus verschiedenen Gegenden des Reiches auf, die sich bald aufgrund ihrer unterschiedlichen Volkssprachen, bald aufgrund ihrer regional unterschiedlichen Aussprache des Lateinischen komisch missverstehen - für derartige Sprachkomik dürfte das Südtiroler Publikum in Anbetracht der nahen Sprachgrenze besonders sensibilisiert gewesen sein. Sketchhafte Ausschnitte aus Plautus ’ Miles gloriosus setzen einen Bramarbus dem Gespött aus; eine Hans-Wurst-Figur versucht, die Feierlichkeiten anlässlich Aurelians Rückkehr zu sabotieren. In der Schlussszene geht die Handlungsillusion in die Parodie einer distributio praemiorum über. Im 21 Siehe hierzu den Aufsatz von Theresa Rothfuß in diesem Band. 22 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 27 - 28. 23 Für Rhetorica wurde keine Perioche erstellt, die über die Anzahl der Aufführungen Auskunft geben könnte. 24 SHA Aurelian., 35. Die Dramen des Joseph Resch 35 <?page no="36"?> Anschluss wurden die besten Schüler dann tatsächlich prämiert. Mutschlechner geht davon aus, Resch habe mit diesem Stück auf Probleme bei der Finanzierung der Preise aufmerksam machen wollen. 25 Sämtliche Schuldramen des Autors waren, wie für zeitgenössische ludi autumnales üblich, mit Interludien versehen, die entweder in akzentrhythmischen lateinischen Versen oder in deutschen Alexandrinern gestaltet sind. In ihnen werden zumeist zentrale Themen des jeweiligen Dramas anhand mythologischer Episoden allegorisch aufbereitet und hervorgehoben. Vereinzelt weisen deutsche Einschübe keinen Handlungsbezug auf, sondern dienten als sketchhafte Einlagen dazu, das Publikum bei Laune zu halten. Die drei Resch-Dramen, die 1751 in Venedig als Sammeldruck mit dem Titel Sacrae meditationes erschienen, gehören in ein anderes Segment des frühneuzeitlichen Laientheaters. Zwar kamen auch bei der Aufführung dieser Stücke schauspielende Schüler zum Einsatz, ihr ‚ Sitz im Leben ‘ war jedoch nicht die Schule im engeren Sinn, sondern die Marianische Kongregation. Vermittlung lateinischer Sprachkompetenz, Schulung von Auftreten und Sprechen vor Publikum usw. standen hier nicht im Vordergrund. Resch verfolgte mit den Meditationsdramen vielmehr das Ziel, dem Publikum und den Schauspielern durch die szenische Darstellung einer biblischen Episode in der Fastenzeit ein spirituelles Erlebnis zu verschaffen - eine religiöse Praxis, die in den katholischen Gebieten Mitteleuropas im 18. Jahrhundert weit verbreitet war. 26 An der Organisation einer Marianischen Kongregation in Brixen hatte Resch selbst großen Anteil. Zwar war eine solche schon 1665 begründet worden, um die Mitte des 18. Jahrhunderts scheint diese jedoch nicht mehr aktiv gewesen zu sein. Resch suchte als Schulpräfekt 1743 um ihre neuerliche Zulassung und Wiedererrichtung an. Dies wurde auch bewilligt und 1754 konnte die Brixner Kongregation mit der großen römischen vereinigt werden. Aus dieser Zeit sind allerdings keine Meditationsspiele mehr erhalten: Das jüngste Stück, das überliefert ist, stammt aus dem Jahr 1750. Das erste Meditationsspiel ist zugleich das älteste Stück überhaupt, das sich Resch zuweisen lässt: Peccator deicida datiert bereits aus dem Jahr 1745. Das Stück ist eine Adaption und Fortführung des neutestamentarischen Gleichnisses von den bösen Weingärtnern (Matthäus 21, 33 - 41; Markus 12, 1 - 9; Lukas 20, 9 - 16). Ein Mann verpachtet seine Weinberge. Nach einiger Zeit schickt er Diener zu seinem Besitz, damit diese das Geschuldete von den 25 Mutschlechner 1975/ 76, 159 - 160. 26 Siehe hierzu auch den Aufsatz von Wolfgang Kofler in diesem Band, der auf die Sacrae meditationes eingeht und die Unterschiede zwischen dem konventionellen Schuldrama und dem Meditationsspiel herausarbeitet. 36 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="37"?> Pächtern einfordern. Nachdem die Winzer bereits mehrere Diener misshandelt und getötet haben, schickt der Gutsbesitzer schließlich seinen Sohn. Die bösen Weingärtner vergehen sich auch an ihm. Sie ergreifen ihn und werfen den schwer Verwundeten in ein Gestrüpp am Weinberg. Daraufhin begibt sich der Gutsbesitzer selbst auf sein Gut. Im Glauben, sein Sohn wäre tot, lässt er seine Diener Nachforschungen anstellen. Schlussendlich wird den bösen Winzern der Prozess gemacht. Der Gutsbesitzer will sie zum Tode verurteilen, als plötzlich sein sterbender Sohn gefunden wird. In den letzten Zügen liegend, vergibt dieser seinen Mördern und erwirkt Gnade für sie. Im Jahr 1748 wurde zur feierlichen Umrahmung der Konsekration des neuen Fürstbischofs Leopold von Spaur ein Meditationsspiel mit dem Titel Pastor bonus aufgeführt. Das Stück behandelt das in Lukas 15, 4 - 7 erzählte Gleichnis vom verlorenen Schaf. Als Hauptfigur tritt der gute Hirte Daphnis auf, dessen Gegenbild die unzuverlässigen, weil lediglich gedungenen Hirten Tityrus und Melibaeus stellen, verborgen hinter dem Akronym Natas betritt Satan selbst die Bühne. Dieser plant mit seinen Dienern Tragonumus und Aegocerus einen Anschlag auf die Herde des Daphnis. Als dessen hundertstes Schaf auf der Weide verlorengeht, heuchelt Natas tiefe Betroffenheit ob dieses großen Unglückes und bietet seine Hilfe bei der Suche nach dem Tier an - freilich mit dem Hintergedanken, bei günstiger Gelegenheit seinen heimtückischen Plan auszuführen. Als seine List auffliegt, tritt er in offene Feindschaft zu Daphnis, der unterstützt von den Engeln Leachim und Azarias und mit Hilfe seiner leider allzu oft pflichtvergessenen Lohnhirten Tityrus und Melibaeus erfährt, dass die Schlange das Schaf dazu verleitet hat, von der Frucht des vergifteten Baumes zu essen. Daphnis gelingt es am Ende zwar, das verlorene Schaf wieder zu finden, allein es ist durch das Gift der Schlange zu Tode verwundet. Um es zu retten, gibt der gute Hirte sein eigenes Leben hin. Er saugt das Gift aus dem Körper des Schafes, geht dabei aber selbst zugrunde. Als letztes der drei Meditationsspiele aus der Feder Reschs gelangte 1750 Pius Samaritanus zur Aufführung. Verarbeitet wird darin die Episode vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 30 - 37). Ein Mann aus Jericho wird auf seinem Weg von Jerusalem in seine Heimatstadt von einem heftigen Unwetter überrascht. Räuber locken ihn in ein Haus im Wald, wo er sich allerlei Vergnügungen hingibt. Als er betrunken ist, übermannen sie ihn, rauben ihn aus und lassen ihn schließlich halbtot am Wegesrand liegen. Ein Priester und ein Levit, die des Weges kommen, beachten ihn nicht und gehen achtlos an ihm vorüber. Endlich findet ihn ein Samariter. Er erbarmt sich des Verletzten und nimmt sich seiner an. Zusammen mit seinem Diener Pandochius reinigt er die Wunden des Geschlagenen, verbindet ihn und bringt ihn in sein Haus, wo Die Dramen des Joseph Resch 37 <?page no="38"?> er ihn gesundpflegen lässt. Der Mann aus Jericho verspricht, nie mehr zu sündigen, und gelobt dem Samariter ewige Dankbarkeit und Treue. Das dramatische Œ uvre von Joseph Resch ist in vielerlei Hinsicht eine konventionelle Erscheinung in der Bildungs- und Theaterlandschaft des 18. Jahrhunderts. Das Aufführen lateinischer Schulstücke am Schuljahresende gehörte bis in die zweite Jahrhunderthälfte zu den Eckpfeilern der ‚ Öffentlichkeitsarbeit ‘ vieler katholischer Schulen in Mitteleuropa. Es steht außer Frage, dass Reschs Theaterarbeit durch das Schultheater anderer Pädagogen angeregt wurde. In Brixen dürften vor seiner Zeit als Schulpräfekt nur sporadisch derartige Aufführungen geboten worden sein 27 - Reschs Verdienste um das Schultheater in der Alpenstadt erscheinen vor diesem Hintergrund besonders groß - , das Schultheater anderer Tiroler Bildungseinrichtungen dürfte jedoch grundlegend für sein Engagement als Chorag gewesen sein. Bedeutend waren zumal Anregungen durch das Jesuitentheater. Es ist anzunehmen, dass Resch in seinen Innsbrucker Jahren selbst mit jesuitischen Schul- und Kongregationsaufführungen in Kontakt kam. Beim Schreibprozess orientierte er sich nachweislich an gedruckten Jesuitendramen. 28 Wenn Reschs Dramen in der fruchtbaren Tradition der frühneuzeitlichen Schulspiele wurzeln, so stehen sie auch zugleich an deren Ende. Die 1750er und 1760er Jahre waren der letzte Zeitabschnitt, in dem lateinisches Schultheater als kulturell-pädagogische Einrichtung ein gesellschaftlich relevantes Phänomen darstellte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist für sämtliche katholischen Gebiete des deutschen Sprachraums ein allmählicher Rückgang der Aufführungen anzunehmen, der in Österreich durch die Theresianischen Theaterverbote und den neuen Lehrplan von 1764 massiv vorangetrieben wurde 29 und sich mit der Auflösung des Jesuitenordens 1773 und der schrittweisen Aufgabe von Latein als Bildungssprache überall massiv niederschlug. Schultheater wurde zwar weiterhin veranstaltet, nun aber mehr und mehr in deutscher Sprache. 30 In Reschs dramatischem Werk sind Anzeichen dieser Entwicklung zu beobachten. Nur ein schwaches Indiz sind die deutschen Einlagen in den lateinischen Dramen, da sich derartige der Auflockerung dienende Szenen im katholischen Schultheater schon in früheren Zeiten ausmachen lassen. Aussagekräftiger ist der Umstand, dass Resch zwei ganze Dramen (Adiatorix und 27 Mutschlechner 1975/ 76, 44 verzeichnet die Aufführung eines Conradinus 1737 und einer Genovefa 1739. 28 Siehe dazu den Aufsatz von Simon Wirthensohn im vorliegenden Band. 29 Vgl. Tilg 2008, 196; Engelbrecht 1984, 477 - 478. 30 Vgl. Wirthensohn 2017, 284 - 288. 38 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="39"?> Iesus Gondarenus) in deutscher Sprache vorlegte. Dies wäre für das katholische Schuldrama früherer Perioden untypisch gewesen, war doch das Schultheater ursprünglich Höhepunkt der lateinischen Rhetorikausbildung und hatte in dieser Hinsicht einen genuin lateindidaktischen Auftrag. Ein weiterer Aspekt, der die relative Fortschrittlichkeit von Reschs Dramen bezeugt, ist das Auftreten von Motiven, die als Reflexe der Aufklärung begriffen werden können. Im späten lateinischen Schultheater lässt sich insgesamt eine Tendenz zur ‚ Verweltlichung ‘ beobachten: Waren in früheren Perioden vorwiegend religiöse Stoffe und Themen auf die Bühne gelangt, wurden nun häufig säkulare Stücke gespielt, welche innerweltliche, allgemein ethische Botschaften aussandten. Reschs Dramen über pagane Sujets entsprechen diesem Paradigma. In ihnen werden diesseitige Handlungsanweisungen und Verhaltensweisen propagiert, die sich mit dem Konzept ‚ aufklärerische Menschenbildung ‘ in Einklang bringen lassen. Vorgeführt werden unter anderem die Themen egoistische vs. allgemeindienliche Herrschaft (Iugurtha), Verzicht zugunsten des Gemeinwohls (Agamemnon), Einsatz des Einzelnen für das Gemeinwohl (Innocentia coronata), Verzeihensbereitschaft (Albuinus) und Bruderliebe (Adiatorix). Daneben finden sich im Werk des Geistlichen freilich auch Stücke, die im Dienste der Rechtgläubigkeit stehen und somit ein traditionelles Aufgabenfeld des Schuldramas bedienen (Constantini hostia, Iesus Gondarenus, die Meditationsspiele). Mit aufklärerischen Tendenzen in Verbindung zu bringen ist auch Reschs Bemühen, die Schulbühne als Instrument lokalhistorischer Bildungsvermittlung zu nützen. Die Dramen Sanctus Lucanus und Sanctus Ingenuinus dienten offensichtlich auch dazu, das Wissen, das Resch als Historiker über die Region generiert bzw. wissenschaftlich untermauert hatte, unter das Volk zu bringen. Im Anspruch, die Brixner Bevölkerung über ihre eigene Geschichte aufzuklären, schwingt unverkennbar ein lokalpatriotisches Engagement mit: Zumal hinter der Inszenierung des Hl. Ingenuin als „ Retter des Vatterlands “ dürfte neben einer - ebenfalls lokalpatriotisch motivierten - Positionierung Reschs in einer zeitgenössischen theologischen Kontroverse 31 die Absicht stehen, lokalen Zusammenhalt zu beschwören und ein Bewusstsein für eine historisch gegründete gemeinsame Identität zu schaffen. Damit einher geht das Bestreben, historische Wahrhaftigkeit zu demonstrieren. In den Periochen seiner beiden lokalhistorischen Stücke wachsen sich die für gewöhnlich auf wenige Angaben beschränkten Hinweise auf die der 31 Siehe dazu die Ausführungen im Aufsatz von Stefan Zathammer in diesem Band. Die Dramen des Joseph Resch 39 <?page no="40"?> Fabel zugrunde gelegten Quellen zu umfangreichen Quellenapparaten aus, die bis zu einem Dutzend Belegstellen liefern. 32 Weitgehend traditionell ist Reschs dramatisches Werk hingegen unter formalen Gesichtspunkten, insbesondere unter dem Aspekt Sprache. Anders als zeitgenössische Jesuitendramatiker, die sich vom barocken senecanischen Stil abwandten und ein vergleichsweise nüchternes Latein bevorzugten, 33 stehen Reschs Dramen - und hier insbesondere seine Tragödien - stilistisch in der Tradition Senecas und damit dem Jesuitendrama des 17. Jahrhunderts nahe, als rhetorisch kunstvolle Gestaltung als Stilideal galt und sprachliche Natürlichkeit hinter kunstvolle Formulierungen zurücktrat. Diese Präferenz zeigt sich auch, wenn man die zahlreichen ‚ Textanleihen ‘ auswertet, die Resch in seine Dramen eingebaut hat. Viele der von Resch rezipierten neuzeitlichen Dramatiker sind ebenfalls dieser Ästhetik verpflichtet. Autoren wie die Jesuiten Nicolas Caussin und Nikolaus Avancini, auf deren Dramen Resch in Sanctus Ingenuinus zurückgriff, sowie die in Iugurtha rezipierten Bernardino Stefonio und Denis Pétau repräsentieren das rhetorisch elaborierte barocke Ordenstheater; Reschs Zeitgenosse Giuseppe Carpani, der ebenfalls auf die Entstehung von Sanctus Ingenuinus eingewirkt hat, war ein vergleichsweise konservativer Dramatiker. 34 Als Vertreter eines traditionellen Stils zeigt Resch sich auch in den deutschen Partien: Anregungen für seine deutsche Verskunst bezog er intertextuellen Bezügen zufolge vom deutschen Barockdrama des 17. Jahrhunderts. 35 Eine Studie zu den deutschen Partien in Reschs Werk steht allerdings noch aus. Komplexer ist eine Untersuchung von Reschs dramaturgischen Gestaltungsprinzipien. Während der Geistliche sich in seinem ersten Schuldrama Iugurtha auch hinsichtlich Stückanlage und Handlungskonzeption an Seneca orientierte, ist in einer späteren Schaffensphase eine stärkere Hinwendung zu jenen klassizistischen Prinzipien zu konstatieren, die im deutschsprachigen Raum seit ca. 1730 als fortschrittlich galten. Proponenten zeitgenössischer volkssprachlicher Dramentheorie hatten diese Ästhetik ebenso für vorbildlich erklärt wie maßgebliche zeitgenössische Jesuitendramatiker. 36 In den Periochen der späten Stücke Constantini hostia, Iesus Gondarenus und Innocentia coronata finden sich 32 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 189 - 190. 33 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in der Poetik des Jesuiten Andreas Friz aus den frühen 1740er Jahren. Friz 2014, 108 - 112. 34 Vgl. Sanzotta 2016. 35 So hat etwa das Trauerspiel Sophonisbe von Daniel Casper von Lohenstein sowohl in Reschs erstem Schuldrama, Iugurtha, als auch in dessen letztem Stück, Innocentia coronata, als Quelle für Formulierungen Verwendung gefunden. In der Perioche zu Iesus Gondarenus wird eine breite, willkürlich erscheinende Palette an rezipierten deutschen Autoren genannt, die von Opitz bis zu Gottsched reicht. 36 Für das Jesuitentheater vgl. Valentin 2007, 295 - 329. 40 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="41"?> Reflexe klassizistischer Dramentheorie, auf Johann Christoph Gottsched wird ausdrücklich Bezug genommen. 37 Resch inszeniert sich hier als aristotelischer Dramatiker, in der Tat findet sich in diesen Stücken eine Häufung von Motiven, die auf Aristoteles basieren dürften - insbesondere der Konflikt zwischen Familienmitgliedern. 38 Trotzdem entspricht der in den Periochen formulierte klassizistische Anspruch nicht dem tatsächlichen Charakter der Stücke. Für die Einhaltung der aristotelischen Einheiten lässt sich auch in den späten Stücken kaum argumentieren; Geschlossenheit der Handlung kann nur in Constantini hostia einigermaßen als gegeben angesehen werden. Die zentralen klassizistischen Konzepte ‚ Wahrscheinlichkeit ‘ und ‚ psychologische Stringenz ‘ sind vielfach angefochten. Letztlich bleiben die Stücke auch in Hinblick auf ihre dramatische Form Vertreter einer barocken Spieltradition, die szenischen Effekten höheren Wert beimaß als formaler Geschlossenheit und Einheitlichkeit. 39 Tabellarische Übersicht 40 Jahr Titel Genre Akte Sprache Überlieferung 1745 Peccator deicida M. 3 lat. Druck 1746 Iugurtha T. 5 lat. Ms. 1747 Sanctus Lucanus T. 5 lat./ dt. P. 1748 Albuinus T. 5 lat. Ms., P. 1748 Pastor bonus M. 5 lat. Druck 1749 Sanctus Ingenuinus T. 5 lat./ dt. Ms., P. 1750 Pius Samaritanus M. 3 lat. Druck 1750 Agamemnon T. 5 lat. Ms., P. 1751 Rhetorica K. 1 lat./ dt. Ms. 1752 Adiatorix T. 3 dt./ lat. Ms., P. 1753 Praemia Aureliani K. 3 lat./ dt./ it./ fr. Ms., P. 1754 Ludovicus T. 5 lat./ dt. Ms., P. 1756 Scanderbegi victoria T. 5 lat. Konzept, P. 1757/ 58 Constantini hostia T. 5 lat./ dt. Ms., P. 1759 Iesus Gondarenus T. 5 dt./ lat. Ms., P. 1761 Innocentia coronata T. 5 lat. Ms., P. 37 Siehe Annotationes poeticae im Manuskript zu Iesus Gondarenus zwischen Szene 1, 1 und 1, 2. 38 Siehe dazu auch die Überlegungen auf der Perioche zu Constantini hostia (Argumentum, S. 2). 39 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Mutschlechner 1975/ 76, 103 bezüglich Iesus Gondarenus: „ [ … ] ist nicht nur die Sprache Barock geblieben, sondern auch die Handlung mit ihrer Weitläufigkeit und die Vorliebe für das Wunderbare und Unwahrscheinliche. “ 40 Legende: K = Komödie, M = Meditationsspiel, Ms = Manuskript, P = Perioche, T = Tragödie. Die Dramen des Joseph Resch 41 <?page no="42"?> Literatur Ammann, Hartmann: Geschichte des k. k. Gymnasiums zu Brixen a. E., Bd. 1, Brixen 1901. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 3: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz, Wien 1984. Friz, Andreas: Epistula de Tragoediis, hg. von Nienke Tjoelker, Andreas Friz ’ s Letter on Tragedies (ca. 1741 - 1744). An Eighteenth-Century Jesuit Contribution to Theatre Poetics, Leiden 2014 (Drama and Theatre in Early Modern Europe, Bd. 4). Kofler, Wolfgang: Briseis an Achill. Rezeptionsästhetische und motivgeschichtliche Überlegungen zu Ovids drittem Heroidenbrief und Joseph Reschs Agamemnon suimet victor, in: Markus Schauer / Johannes Zenk (Hg.): Text, Kontext, Klartext. Festschrift für Niklas Holzberg zum 70. Geburtstag, Berlin / Boston 2018 (Göttinger Forum für Altertumswissenschaften, Beihefte N. F. Bd. 9), 173 - 194. Mutschlechner, Karl: Das Jesuitentheater in Brixen, ungedr. Dissertation (Università degli studi di Padova), Padua 1975/ 1976. Roselt, Jens: Tragikomödie, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 10, 2011, 1316 - 1326. Sanzotta, Valerio (Hg.): Giuseppe Enrico Carpani, Ionathas. Introduzione, testo critico, traduzione e commento, Hildesheim 2016 (Noctes Neolatinae, Bd. 28). Szarota, Elida Maria: Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochen- Edition, 4 Bde., München 1979 - 1987. Tilg, Stefan: Die Entwicklung des Jesuitendramas vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Eine Fallstudie am Beispiel Innsbruck, in: Reinhold F. Glei / Robert Seidel (Hg.): Das lateinische Drama der Frühen Neuzeit. Exemplarische Einsichten in Praxis und Theorie, Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit, Bd. 129), 183 - 199. Valentin, Jean-Marie: La diffusion de Pierre Corneille en Allemagne au XVIII e siècle à travers les poétiques jésuites, in: Jean-Marie Valentin (Hg.): Pierre Corneille et l ’ Allemagne. L ’œ uvre dramatique de Pierre Corneille dans le monde germanique (XVII e - XIX e siècles), Paris 2007, 295 - 329. Wirthensohn, Simon (Hg.): Anton Claus SJ, Publius Cornelius Scipio sui victor (1741). Ausgabe mit Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen, Freiburg i. Br. / Berlin / Wien 2015 (Tirolensia Latina, Bd. 9). Wirthensohn, Simon: An der internen Peripherie. Das späte Jesuitentheater zwischen Latein und Volkssprache, in: Csaba Földes (Hg.): Zentren und Peripherien - Deutsch und seine interkulturellen Beziehungen in Mitteleuropa, Tübingen 2017 (Beiträge zur Interkulturellen Germanistik, Bd. 7), 277 - 291. Wirthensohn, Simon: Enlightened tendencies in eighteenth-century school theatre: the dramatic oeuvre of Joseph Resch, in: Floris Verhaart / Laurence Brockliss (Hg.): The Latin language and the Enlightenment, Liverpool 2023 (Oxford University Studies in the Enlightenment), 61 - 80. 42 Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer <?page no="43"?> Joseph Resch - Archivar und Historiker im Zeichen des Übergangs der Historie von der Erzählung zur Wissenschaft Erika Kustatscher (Brixen) Der Name Joseph Resch stehe für den Beginn der modernen Geschichtsschreibung in Tirol, ist schon seit Längerem die gängige Einschätzung; seine in den 1750er- und 1760er-Jahren verfassten Annales Ecclesiae Sabionensis nunc Brixinensis zeugten von einem bei früheren Autoren nicht vorhandenen kritischen Geist, der sich im Rückgriff auf neue Quellen und in deren sorgfältiger Auswertung zeige, so das seit bald hundert Jahren einhellige, auch von der rezenten Wissenschaft geteilte Urteil. 1 Dieselben Wesensmerkmale besitzen seine für ein breiteres Publikum gedachten Darstellungen geschichtlicher Themen in den von ihm herausgegebenen Brixner Schreibkalendern, 2 die ein sorgfältiger Umgang mit Zeitangaben, das Vermeiden apodiktischer Behauptungen und der Versuch der Einordnung des Lokalen in übergeordnete Kontexte, teilweise eine geradezu synoptische Darstellung auszeichnen. Dazu kommt das Bestreben, Ereignisse nach ihrer historischen Bedeutung zu bewerten, begriffliche Varianten zur Kenntnis zu nehmen und zwischen zentralen und nebensächlichen Anliegen der Darstellung zu unterscheiden. Längere wörtliche Zitate aus den Quellen sollen die sichere dokumentarische Grundlage belegen. 3 Mit diesen Eigenschaften verkörpert Resch einen neuen Gelehrtentyp, der sich damals zu entwickeln begann und an dem die Metamorphose der Historie von der noch stark in rhetorischer Tradition stehenden Erzählung zur Wissen- 1 Resch 1932; Stolz 1938, 78; Wolfsgruber 1982; Hammermayer 1983, Bd. 2, 92 und 102; Nössing 1997b, 128 - 138. 2 Sinnacher 1821, XXIII; Kühebacher 1982, 438. 3 So die Beobachtungen aus der Lektüre der wohl exemplarischen Ausführungen über die Bischöfe von Säben, betreffend die Zeit Karls des Großen; Neu-Brixnerischer Schreib- Calender 1759, §§ L - LIII. <?page no="44"?> schaft im heutigen Sinn ablesbar ist. Wesentliche Impulse kamen von der 1734/ 37 gegründeten Universität Göttingen, die auch auf Österreich und auf Tirol ausstrahlte. 4 Die Angelpunkte, um die es hierbei ging, waren der kritische Zugriff auf die Fakten, der Sinn für die Komplexität historischen Geschehens, das kein bloßes „ Aggregat “ bleiben, sondern als „ System “ (Johann Christoph Gatterer) erkannt werden sollte - wofür Begriffe wie „ Universalgeschichte “ oder „ pragmatische Geschichte “ geprägt wurden, schließlich die Verortung der Historie im Reigen der zunehmend auch in ihrem Eigenwert gewürdigten Geisteswissenschaften. 5 Bei aller Innovation blieben diese Gelehrten teilweise aber auch dem alten Bild der historia magistra vitae verpflichtet. Die Geschichte sollte auch moralische Erbauung bringen, Wissen für politisch kluges Verhalten vermitteln, Kategorien für die Kritik der Gegenwart an die Hand geben und Argumente liefern, mit denen Rechtsansprüche geltend gemacht werden konnten. 6 Dieser zuletzt angeführte Gedanke begegnet beispielsweise noch in den Wahlkapitulationen der zwei letzten Brixner Fürstbischöfe vor der Säkularisation. 7 Joseph Resch sprach 1777 von concepta mixta tamen ex iure publico et studio historico 8 ( „ ein Konzept [von Archivkunde], die dem öffentlichem Recht gleichermaßen dient wie dem historischen Interesse “ ), in höherem Maße für ihn kennzeichnend ist aber die 1755, nach Fertigstellung des ersten Teils der Annales, im Widmungsschreiben an Papst Benedikt XIV., beschriebene Aufgabe des Historikers, nämlich der Nachwelt Großes zur Kenntnis zu bringen, cuius adiumento ad vitam recte beateque instituendam indigemus ( „ denn die Hilfe desselben brauchen wir, um unser Leben recht und glücklich einzurichten “ ), und nicht zuletzt hielt er es für wichtig, dass die Historiographie sichtbar mache, quae aut fugienda aut sequenda sunt ( „ wovon man Abstand nehmen und was man verfolgen muss “ ): Daran erkenne man, was digna memoratu ( „ erinnerungswürdig “ ) sei. 9 Dieses Bestreben hatte bei Resch Mitte der 1740er-Jahre eingesetzt, als mit dem Neubau des Brixner Doms begonnen wurde. 10 Parallel zu den Forschungen in zahlreichen Archiven und Bibliotheken pflegte er schon damals Kontakte zu 4 Kustatscher 2015, 98. 5 Vierhaus 1986, 271 - 273. 6 Goldinger 1957, 79 - 80; Schnabel 1958, 211; Vierhaus 1986, 267; Franz 2007, 11. 7 Wolfsgruber 1956, 259. 8 München, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Briefe 1777/ 2, Nr. 30 (1777 April 15). 9 Sinnacher 1821, LXVI. 10 Kühebacher 1982, 436. 44 Erika Kustatscher <?page no="45"?> anderen Geschichtsforschern, vornehmlich aus Bayern, und gab zu erkennen, dass er sich mit der zeitgenössischen theoretischen Diskussion über Geschichte und die Methoden ihrer Erforschung auseinandersetzte. Zu seinen Korrespondenzpartnern gehörten auch Angehörige der Schule der Bollandisten. 11 P. Alfons Haidenfeld OSB (1712 - 1751) berichtete er über in den Sommermonaten unternommene Reisen in italienische Bibliotheken und die Suche nach archivalischen Quellen. Er teilte auch die Begeisterung für die diversen wissenschaftlichen Akademien, die damals entstanden; 12 1762 wurde er als Ehrenmitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen 13 und korrespondierte mit einigen ihrer Mitglieder. 14 Außerdem gehörte er der Accademia degli Agiati in Rovereto an. 15 In der engeren Heimat hatte er einen wissenschaftlichen Weggefährten im Neustifter Stiftsbibliothekar Philipp Neri Puell CR (1728 - 1801), mit dem er sich auf hohem Niveau über Forschungsfragen unterhalten konnte. 16 Nicht ohne Relevanz für die Beurteilung Reschs als Historiker ist seine Nähe zu jenen gemäßigten, echter humanitas dienenden Aufklärern, die, wie der Roveretaner Girolamo Tartarotti (1706 - 1761), Phänomene wie den Hexenglauben mit den Mitteln der Vernunft zu überwinden bemüht waren. 17 Erwähnt werden muss allerdings auch Reschs Position - oder eigentlich: Nicht-Position - in der damals schwelenden Kontroverse um die Person des Kassian von Imola, den man in Brixen gern als ersten Oberhirten bestätigt gefunden hätte, 18 was aber von Tartarotti und dem Trienter Historiker Benedetto Bonelli OFM (1704 - 1783) in Abrede gestellt wurde. Resch, übrigens auch als Kontroverstheologe der Kontroverse erklärtermaßen abgeneigt, 19 vermied es tunlichst, in diese Debatte einzugreifen, 20 aus Vorliebe für sein Bischthum und aus Anhänglichkeit an Sätze, die er von Jugend auf (! ) gehört und geglaubt hatte, so sein Schüler Johann Evangelist Rosbichler (1750 - 1814). 21 Auch seinem 11 PTH 1747 ohne Tagesdatum. 12 Schnabel 1959, 197 - 199. 13 Hammermayer 1983, Bd. 1, 202 - 203. 14 Eine Auflistung aller Korrespondenzpartner Reschs bietet schon Rosbichler 1807, 50; Sinnacher 1821, XXVI - XXVII. 15 Anonym 1882, 30; Kühebacher 1982, 437; Ferrari 1995, 223. 16 PTH 1753 Januar 19. 17 PTH 1750 Dezember 12. 18 Curzel 2014, 13 - 14. 19 1761 wurde er auf den Lehrstuhl für Kontroverstheologie berufen, den er schließlich nicht antreten sollte. Er hatte aber die Antrittsvorlesung schon vorbereitet; Anonym 1882, 27; Grass 1962, 178; Hochenegg 1968, 205. 20 Nössing 1997a, 365 - 371; Nössing 1997b, 135 - 137. 21 Rosbichler 1807, 49; zu Rosbichler vgl. Stanger 2015, XXI. Joseph Resch - Archivar und Historiker 45 <?page no="46"?> Biographen Franz Anton Sinnacher (1772 - 1836) fiel seine in dieser Hinsicht unkritische Haltung auf, 22 die dem Bestreben geschuldet war zu verhindern, dass durch die Wissenschaft religiöse Zweifel aufkommen könnten. 23 So viel in aller Kürze zum Kontext, in dem Resch als Historiker zu sehen ist. Aus seiner Vita wissen wir auch, dass er 1762 vom damals regierenden Brixner Bischof, Leopold von Spaur (reg. 1747 - 1778), zum Direktor des fürstbischöflichen Hofarchivs ernannt wurde. 24 Als solcher schuf er in den zwanzig Jahren, die ihm noch beschieden waren, ein detailliertes Repertorium, in dem er die Dokumente 144 Laden zuordnete. 25 Wenn hier von einem Direktor die Rede ist, so geschieht dies in Anlehnung an Sinnachers Nomenklatur. Resch selbst verstand sich nicht als solcher: In den heute noch vorliegenden von seiner Hand stammenden Vorarbeiten finden sich jeweils am Ende ein Hinweis auf das Jahr der Fertigstellung und sein Name, stets mit Angabe eines Titels. Und dieser war: Hofkaplan, ab 1768 auch Chorherr zu Innichen; 26 kein einziges Mal hingegen bezeichnete sich Resch als Archivar. Abb. 1 - Vermerk Reschs am Ende einer jeden Lade seines Repertoriums mit dem Jahr des Abschlusses der Arbeit (DAB, HA 28407) Dies könnte an seinem primär priesterlichen Selbstverständnis gelegen haben, für das die kirchlichen Aufgaben Vorrang hatten, aber auch daran, dass Archivar damals noch kein fest umrissenes Berufsbild war, und wenn, dann ein juristisch-administratives, kein geisteswissenschaftliches - so wie die Archive im Ancien Régime nicht primär als Forschungsstätten, sondern als Rüstkammern für landes- oder grundherrliche Rechte betrachtet wurden. 27 22 Sinnacher 1821, XVIII. 23 Nössing 1997a, 139. 24 Sinnacher 1821, XVII; Anonym 1882, 27; Kühebacher 1982, 437. 25 Beschreibung bei Santifaller / Appelt 1941, XV - XX. 26 Kühebacher 1982, 438. 27 Brenneke 1953, 31 und 45 - 47; Goldinger 1957, 79 - 80; Franz 2007, 73; Schenk 2008, 13. 46 Erika Kustatscher <?page no="47"?> Dem Selbstbild Reschs entspricht das Faktum, dass auch Rosbichler in seinem Biogramm die Bestellung zum Archivar nicht erwähnte. 28 Die zeitgenössischen Diözesanschematismen, die lediglich den Aufbau der Konsistorialkanzlei abbilden, ignorieren diese das Hofarchiv betreffende Ernennung ebenfalls. An der Spitze der Kanzleihierarchie standen die assessores, gefolgt von den secretarii, advocati, cancellistae und schließlich den accessistae. 29 Einer der Sekretäre war für die Tätigkeit des Archivars und Registrators 30 freigestellt: Bis 1769 begegnen diese beiden Begriffe jeweils gemeinsam, auf ein und dieselbe Person, die des Joseph Anton Pichler, Kandidat beider Rechte, bezogen, daher wohl auch semantisch nicht zu scheiden. Dann verschwinden sie für rund zehn Jahre - bis 1778 wiederum ein Registrator genannt wurde, Johann Nepomuk Kranawitter, und 1781 ein von diesem personell jetzt verschiedener Archivar, Ignaz Widmann - der aber hierarchisch dem Kanzleidirektor, Franz Augustin Waldreich von Ehrenport, unterstand. In der Zeit nach Resch wurden die mit dem Dienst im Archiv betrauten Personen nicht mehr unter den Sekretären, sondern in einer eigenen Rubrik geführt. Aus diesem Faktum darf freilich nicht geschlossen werden, dass die Verortung des Archivars innerhalb des Kanzleipersonals und die Vermengung, vielleicht überhaupt Gleichsetzung seiner Funktion mit der des Registrators aufgehört und eine nachhaltige Höherbewertung eingesetzt hätte; 31 bis zum Ersten Weltkrieg ist keine einschneidende Veränderung erkennbar. Was die kirchliche Amtssprache (seit dem späten 17. Jahrhundert) 32 allerdings sehr wohl kannte, war das von der Kanzlei unabhängige Amt des bischöflichen Hofbibliothekars - in welchem Resch ab 1778 bezeugt ist. 33 In der weltlichen Verwaltung des Brixner Bischofs waren Archiv und Registratur seit der Mitte des 16. Jahrhunderts immer wieder zum Thema gemacht worden, doch ausnahmslos im juridischen Sinn, zum Zweck der Evidenthaltung der „ Gerechtigkeiten “ , 34 die in einem Atemzug mit dem „ Silbergeschmeide “ genannt wurden. 35 In diesem Zusammenhang verdient die zeittypische Unterscheidung zwischen einem inneren Archiv für die besonders 28 Rosbichler 1807, 51. 29 Diese Funktionsbezeichnungen waren auch in den Kanzleien der oberösterreichischen Behörden in Innsbruck geläufig, die mittelfristig für die fürstbischöfliche Kanzlei zum Vorbild wurden; zur Beschreibung der Funktionen vgl. Oberhofer 1985, 64, 106 - 107, 134 - 135, 139, 191, 194, 209 - 210. 30 Zum Begriff vgl. Brenneke 1953, 25; Franz 2007, 73. 31 Ladurner 1978, 225. 32 Wolfsgruber 1956, 317 - 318. 33 Kühebacher 1982, 438. 34 DAB, HA 3733 und 20247; HRP 1596 März 9. 35 DAB, HA 7472. Joseph Resch - Archivar und Historiker 47 <?page no="48"?> wichtigen Rechtstitel und einem äußeren Archiv für das routinemäßige Verwaltungsschriftgut Erwähnung, die dem 1674 neu bestallten Registrator Christoph Franz Müller und drei Jahre später seinem Nachfolger Ignaz Walther von Herbstenburg verbindlich vorgeschrieben wurde; 36 sie war auch Teil einer Kanzleiordnung von 1706. 37 Seit dem 17. Jahrhundert musste jeder angehende Bischof die Sorge für das Archiv im Rahmen der Wahlkapitulation geloben; während es anfänglich vornehmlich um die Verantwortung für den Schlüssel ging, 38 kamen bald auch inhaltliche Aspekte zur Sprache, die den Archivar zu einem der wichtigsten Amtsträger machten. 39 In den 1720er-Jahren erklärte der Brixner Hofrat die Schaffung einer besseren Ordnung im Archiv zum Desiderat - als eine die tägliche Arbeit unterstützende Maßnahme. 40 Den Titel „ Archivar “ führte ein Hofrat, 41 im operativen Bereich stand ihm subalternes Personal zur Verfügung. 42 Ab den 1740er-Jahren sind ähnliche Bestrebungen auch für diverse Stadt- und Gerichtsarchive und für die Kommissionsschreiberei zu beobachten. 43 Nicht nur in Wien, wo 1749, unter dem Eindruck einer Überlebenskrise der Erbländer, mit dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv eine vornehmlich geographisch gegliederte Sammlung (dieses in Zusammenhang mit Archiven eigentlich problematische Wort 44 wird hier mit Bedacht verwendet) von für das Kaiserhaus wichtigen Rechtstiteln angelegt wurde, 45 sondern auch an der Peripherie sollte also auf dem Weg der Verwaltung mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. In Brixen trug die Letztverantwortung für das Archiv anfänglich der Hofratssekretär, 46 ab dem 18. Jahrhundert der Hofkanzler. 47 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als das politische Überleben des geistlichen Fürstentums zunehmend gefährdet erschien, wurde dieses Anliegen als umso dringlicher empfunden. 1762, im Jahr der Bestellung Reschs, wurde im Brixner Hofratsarchiv übrigens auch ein Platzproblem konstatiert. 48 Resch selbst fand in den Protokollen des obersten weltlichen Regierungsgremiums nur ein einziges Mal namentliche Erwähnung, als eine Art Berater 36 DAB, HA 27731, fol. 109 r - 111 r ; 142 v - 144 v . 37 DAB, HA 27732, fol. 109 v - 112 r ; vgl. dazu auch Goldinger 1957, 25. 38 Wolfsgruber 1956, 258. 39 Wolfsgruber 1956, 259 und 289. 40 DAB, Dekrete 28 ddo. 1724 September 15; HRP 1725, fol. 137 v - 138 r , 172 r , 200 v . 41 DAB, Dekrete 28 ddo. 1725 November 27; HRP 1728, fol. 185 v ; HA 27732, fol. 433 v - 435 v . 42 DAB, HRP 1727, fol. 133 v . 43 DAB, Dekrete 32, fol. 128 v ; HRP 1744, fol. 243 v - 244 r . 44 Brenneke 1953, 20 und 93 - 95; Franz 2007, 10 - 11. 45 Hochedlinger 2013, 52 - 57. 46 Passler 1969, 218. 47 Ladurner 1978, 185 - 187 und 267. 48 DAB, HRP 1762, fol. 27 v - 28 r ; Ladurner 1978, 228. 48 Erika Kustatscher <?page no="49"?> des für das Archiv Letztverantwortlichen, des Hofrates Sebastian Joseph Johann Graf Clari (1731 - 1774). 49 Dieser Domherr 50 darf allerdings nicht als ausschließlich koordinierende und vorgesetzte Person betrachtet werden, denn im Archiv des Kapitels, in dem aus denselben Gründen ebenfalls eine bessere Ordnung gewünscht wurde, hatte er bereits 1756/ 57 persönlich Hand angelegt 51 und archivtechnische Details angesprochen. 52 Nun aber zurück zu Resch: Die Frucht seiner Tätigkeit im Brixner Hofarchiv ist, wie erwähnt, ein Repertorium desselben, an dem er bis zu seinem Tod arbeitete. Dies ist aus Eintragungen zu ersehen, die sich in den teilweise noch erhaltenen Vorarbeiten finden: Die Laden 127 - 130 stellte er im Jahr 1775 fertig, Lade 141 schloss er 1781, ein Jahr vor seinem Tod, ab; in den Jahren dazwischen bearbeitete er die Laden 131 - 140. 53 Hält man sich die Gesamtzahl der Laden vor Augen, 144, so muss er vor 1775 ein rascheres Arbeitstempo gehabt haben. Ein Blick in sein Repertorium lässt das Werk eines Historikers, nicht eines Juristen bzw. Verwaltungstechnikers erkennen. Resch wollte nicht einer jener Archivare sein, über die er sich 1755 in dem bereits erwähnten Schreiben an Papst Benedikt XIV. beklagt hatte, nämlich sich leiten lassen von aut severitas aut cervicosa anxietas ( „ rauem Betragen und starrsinniger Ängstlichkeit “ ), 54 sondern Material für gehaltvolle Darstellungen aufbereiten. Hierbei richtete er den Blick nicht auf das Wesen der jeweils die Quelle produzierenden Behörde, nach heutiger Diktion Registraturbzw. Provenienzprinzip, sondern folgte dem Pertinenzprinzip, wobei häufig ein territoriales Kriterium zur Anwendung kam. Diese für seine Zeit typische Vorgangsweise 55 verband er mit dem ebenfalls nicht überraschenden Hang zu einer Systematik more geometrico. Neben Laden, in denen man Akten zu einem bestimmten Gericht findet, gibt es auch solche, die überschrieben sind mit „ Wald-, Jagd- und Forstwesen “ oder „ Gütige Audienzen, Verträge, Gerhabschaften “ und Ähnlichem, in solchen Fällen Stücke aus dem gesamten Hochstift enthaltend, die sich aber auch geographisch zuordnen ließen. Inwieweit hierbei bewusste Entscheidungen getroffen wurden oder ob sich, was zu vermuten ist, die Kriterien teilweise auch im Zuge des Arbeitsprozesses entwickelten, ist nicht immer klar. Jedenfalls war Resch nicht mit dem Problembewusstsein am Werk, das eine Generation nach ihm Joseph Valentin Niederweger (1753 - 1822), der Notar 49 DAB, HRP 1762, fol. 177 v - 178 r . 50 Zu seiner Person vgl. Wolfsgruber 1951, 141. 51 DAB, DKP 1756 - 1757, pag. 125 und 200. 52 DAB, DKP 1756 - 1757, pag. 274. 53 DAB, HA 28047. 54 Übersetzung nach Rosbichler 1807, 46; vgl. auch Sinnacher 1821, LXVII. 55 Brenneke 1953, 31 und 49. Joseph Resch - Archivar und Historiker 49 <?page no="50"?> Abb. 2 - Eine Seite aus Reschs Repertorium 50 Erika Kustatscher <?page no="51"?> des Domkapitels - auch er, wie damals häufig, in der Archivkunde Autodidakt 56 - an den Tag legte, der im Vorwort eines 1789 von ihm verfassten Index der Kapitelprotokolle einräumte, dass er nie Gelegenheit gehabt habe, eine „ ordentliche Registratur “ zu sehen, weswegen er gezwungen gewesen sei, seinen „ eigenen Ideen “ zu folgen. Die anschließende Erläuterung der Wahl der Lemmata ist Ausdruck des Strebens nach Professionalität, aber auch des Denkens in den Kategorien des Historikers. Ausdrücklich sei festgehalten, dass Niederweger, auch selbst ein fleißiger Verfasser historischer Arbeiten, 57 den Begriff „ Registratur “ für das verwendete, was aus heutiger Sicht ein Personen- oder Sachindex ist. Dass Resch mit seinem Hang zu präziser Systematik ein typisches Kind seiner Zeit war, zeigt auch das Faktum, dass er bei den einen Sprengel betreffenden Laden teilweise erläuternde Zusätze über die Art der Rechtsgeschäfte (Kauf, Tausch, Revers, Supplik etc.) für nötig hielt, die Archivkunde also noch nicht streng von der Diplomatik bzw. Aktenkunde schied. 58 Auf einer zweiten Ebene innerhalb der Laden nahm er eine weitere virtuelle Gliederung vor, für die er arabische Zahlen verwendete. Den materiellen Archiveinheiten entspricht erst die dritte Gliederungsebene, die nach Litterae. Hier finden sich, soweit es sich um Urkunden handelt, teilweise recht detaillierte, in der Regel chronologisch geordnete Regesten bzw., bei Akten oder Amtsbüchern, Beschreibungen derselben. Resch ging freilich nicht so weit, wie es dem 1763 in Brixen amtlich eingemahnten, rein formalen Denken entsprach, nämlich dass die Ordnung eines Archivs pudice alphabetisch erfolgen müsse. 59 Sehr wohl aber lassen sich - ohne explizite Verweise - Parallelen zum Exjesuiten Joseph Benedikt Heyrenbach (1738 - 1779), dem ersten Vertreter der Archivtheorie in Österreich, 60 erkennen. Bereits einen Schritt weiter war Philipp Ernst Spieß (1734 - 1794), der Leiter des Geheimen Hausarchivs der Hohenzollern auf der Plassenburg (bei Kulmbach), der in seinem 1777 erschienenen Werk Von Archiven in Ansätzen das Provenienzprinzip vorwegnahm. Auf Spieß wiederum rekurrierte in den 1780er-Jahren der Piarist Gregor Gruber (1739 - 1799) in seinen an der Universität Wien gehaltenen hilfswissenschaftlichen Kollegien. 61 Als Historiker war Gruber insofern auf der Höhe der Zeit, als er gern mit dem Begriff „ universalhistorisch “ im Sinn von „ systematisch “ operierte. 62 56 Hochedlinger 2013, 346. 57 Vgl. mehrere Manuskripte in DAB, DKA. 58 Zu den tatsächlich bestehenden Interferenzen vgl. Brenneke 1953, 2. 59 DAB, HRP 1763, fol. 595 v . 60 Wurzbach 1862, 463 - 464. 61 Brenneke 1953, 50 - 51; Goldinger 1957, 24; Hochedlinger 2013, 345 und 385. 62 Wurzbach 1859, 383 - 384. Joseph Resch - Archivar und Historiker 51 <?page no="52"?> Aus dem Problembewusstsein der heutigen Zeit heraus muss man Resch als Vorläufer jenes „ Historikerarchivars “ bezeichnen, wie er als Typ, beginnend mit Joseph von Hormayr (1781 - 1848), 63 im 19. Jahrhundert allmählich aufkommen und sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein halten sollte. 64 Ihn interessierten die Quellen als Rechtstitel nur am Rande; vorrangig war für ihn, dass ihr Studium eine der Auflagen war, die die Vertreter der damals sich herausbildenden Geschichtswissenschaft zu erfüllen hatten. Hält man sich vor Augen, dass er sein Werk in Brixen ohne jede Unterstützung vollendete, gemeint ist: das des Archivars und des Historikers, so ist seine Leistung noch höher zu veranschlagen als die seines nur wenig älteren, in Trient wirkenden Historikerkollegen Benedetto Bonelli, dem zwei Ordensbrüder fleißig zuarbeiteten, Giuseppe Ippoliti (1712 - 1773) und Angelo Maria Zatelli (1713 - 1789). 65 Von Reschs stetem Denken an künftige historische Arbeiten rührt auch seine intensiv geübte Praxis, sorgfältige Abschriften der Archivalien anzufertigen. In der zeitgenössischen Fachwelt erfreuten sich seine Transkriptionen höchster Wertschätzung, so auch bei dem aus Tirol gebürtigen, in München tätigen Theatiner P. Ferdinand Sterzinger (1721 - 1786), einem dem Fortschritt gegenüber offenen, aber keine überzogenen Ansprüche stellenden 66 Korrespondenzpartner, mit dem er sich ab 1771 regelmäßig über Details aus dem Forschungs- und Publikationsalltag, aber auch über wissenschaftliche Grundsatzfragen austauschte. 67 Ein gemeinsames Interessengebiet waren nicht zuletzt die Epitaphien. 68 Dieser Briefwechsel, der sich, wiewohl mit Unterbrechungen, über insgesamt zehn Jahre hinweg rekonstruieren lässt, verdient unsere besondere Aufmerksamkeit - auch wenn sich spektakuläre Aussagen darin nicht finden lassen. Gleichwohl gibt er viel von Reschs Denken und seiner Methode preis; teilweise bietet er auch Einblick in eher Persönliches. Sterzinger war von allen Briefpartnern Reschs einer der bedeutendsten, denn kurz bevor die Korrespondenz einsetzte, war er, nach zwei Jahren an der Spitze der Historischen Klasse, zum Direktor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt worden. 69 Gleichsam als Erkenntlichkeit für diese Ehre wollte er eine Abhandlung verfassen, in der er nicht altes Wissen neu aufbereiten müsse, sondern mit neuem an die Öffentlichkeit treten könne: Aus 63 Hochedlinger 2013, 72. 64 Dascher 1983, 25; Franz 2007, 12 und 73; Schenk 2008, 71 - 72. 65 Pizzini 2003, 109. 66 Hammermayer 1983, Bd. 1, 172, 296 und 370; Bd. 2, 7, 123 und 128. 67 PTH 1771 September 17. 68 Hammermayer 1983, Bd. 2, 43 und 205. 69 Hammermayer 1983, Bd. 1, 172 - 173 und 362; Bd. 2, 85. 52 Erika Kustatscher <?page no="53"?> diesem Grund war Resch für ihn eine wichtige Bezugsperson, denn er erhoffte sich von ihm Hinweise auf bislang unbekannte Quellen. 70 Resch hatte damals - nach rund neun Jahren im Brixner Hofarchiv - aber gar nicht mehr die Zeit, alle Quellen selbst zu transkribieren. In seinem von Genugtuung diktierten Antwortschreiben nach München sprach er von einem für ihn arbeitenden Schreiber - es war sein Schüler Johann Kerer 71 - , der ihm allerdings nicht im gewünschten zeitlichen Ausmaß zur Verfügung stehe. Er gab aber auch seine Grundauffassung von Geschichtswissenschaft zu erkennen: So sprach er einerseits, in aufklärerischer Manier, von der Absicht, durch sie die Leser „ in das Helle [zu] bringen “ , andererseits hielt er sie für geeignet, „ zur eigenen Ehre und zur Ehre des Vaterlandes “ beizutragen, vor allem das Letztere keineswegs weltbürgerlich gedacht. Im Übrigen stellt er in dem Schreiben eine gute Kenntnis der in Bayern bereits weit gediehenen Editionsprojekte und den Willen, hierüber Näheres zu erfahren, und quellenkritische Kompetenz unter Beweis (Überlegungen zu einer mutmaßlichen Fälschung); durch die Frage nach den Preisen der Drucker gab er eigene Publikationspläne zu erkennen. 72 Was er ansprach, war der Codex diplomaticus Brixinensis, den Sterzinger für druckwürdig hielt. Darüber hinaus gibt dessen Schreiben an Resch Zeugnis von den finanziellen Lasten, die die an den Neuerscheinungen so brennend interessierten Historiker zu tragen hatten - und auch zu tragen bereit waren. 73 Nach fünfjähriger Unterbrechung der Korrespondenz (oder Überlieferungslücke? ) setzte der Austausch zwischen München und Brixen im Januar 1777 neuerlich ein, und zwar gleich mit einem Thema von hoher Tragweite: Resch, seit 1762, wie erinnerlich, externes Mitglied der Münchner Akademie, äußerte den Wunsch, als ordentliches Mitglied in dieselbe aufgenommen zu werden. In Sterzinger hatte er hierbei einen einflussreichen und effizienten Fürsprecher 74 - mit dem er, parallel dazu, stets auch über Details aus dem Forschungsalltag sprach. 75 Diesbezüglich bestanden in München sicherlich die besseren Möglichkeiten als in Brixen, und so diente die Korrespondenz mit Sterzinger Resch auch zur Erweiterung seiner bibliographischen Kenntnisse. 76 70 PTH 1771 September 17; zum Kontext vgl. Hammermayer 1983, Bd. 1, 200 und 275; Bd. 2, 42. 71 Sinnacher 1821, X. 72 BADW, Briefe 1771/ 2, Nr. 22 (1771 Oktober 2). 73 PTH 1771 November 12. 74 Hammermayer 1983, Bd. 2, 86 - 87, 91 und 384. 75 PTH 1777 Januar 12; BADW, Briefe 1777/ 2, Nr. 30 (1777 April 15). 76 BADW, Briefe 1777/ 2, Nr. 30 (1777 November 20). Joseph Resch - Archivar und Historiker 53 <?page no="54"?> Für den Theatiner, der als überaus gestrenger Zensor ihm vorgelegter Manuskripte bekannt ist, 77 war Resch geradezu die Verkörperung des Historikers, ein Forscher, wie ihn die benachbarten Bistümer (Salzburg, Augsburg, Regensburg, Passau) nicht besäßen. Dieser Ausblick ist insofern interessant, als er, ohne das damals sich etablierende Wort „ Universalgeschichte “ zu bemühen, das Konzept von vorbereitender Grundlagenforschung auf lokaler Ebene erkennen lässt, die die großen Synthesen erst möglich mache. 78 Resch selbst bedeuteten derlei Äußerungen Ansporn zu neuem wissenschaftlichem Engagement und machten ihm Mut, Thesen zu umstrittenen Fragen zu formulieren. 79 Die Korrespondenz des Jahres 1778 ist nicht zuletzt Zeugnis seiner wissenschaftlichen, aber auch menschlichen Sozialisation in Bayern und seiner umfassenden Identifikation mit der Akademie: Die im Januar bekundete Trauer über den frühen Tod des Kurfürsten Max III. Joseph, eines bedeutenden Mäzens, 80 wirkt ganz und gar echt. 81 Ein prominentes Mitglied der Akademie, mit dem Resch in intensivem geistigem Austausch stand, war der Fürstabt von St. Emmeram in Regensburg, Frobenius Forster (reg. 1762 - 1791). Gute Beziehungen pflegte er außerdem zum Bischof von Regensburg, Anton Ignaz Reichsgraf von Fugger-Glött, 82 der ihn 1771 zum wirklichen geistlichen Rat ernannt hatte - eine Ehre, die ihm in Brixen erst später zuteilwerden sollte. 83 Gegenstand weiterer Briefe zwischen Resch und Sterzinger aus dem Jahr 1778 war, besonders auf Seiten des Letzteren, das Unbehagen über den damals stattfindenden bayerischen Erbfolgekrieg, der durch die durch das Erlöschen der bayerischen Wittelsbacher wachgerufenen Ambitionen Josephs II. ausgelöst worden war. Dieses Ereignis ist im gegebenen Kontext nicht nur deshalb von Interesse, weil es die für aufgeklärte Zeitgenossen selbstverständliche Einsicht inter arma silent musae ( „ Wenn die Waffen klirrschen, schweigen die Musen “ ) schmerzlich in Erinnerung rief, sondern weil es Anlass bot, weit in die Vergangenheit zurückzugreifen, um ein aktuelles politisches Ereignis zu rechtfertigen bzw., je nach Standort, für unrechtmäßig zu erklären - ein gerade in der Zeit der Definition dessen, was Geschichte sei bzw. zu leisten habe, wichtiges Thema. Sterzinger griff eine Frage auf, die in einer umfangreichen, noch 1778 im Druck erschienenen anonymen Schrift mit allen damals zu Gebote stehenden Mitteln kritischer Geschichtsforschung abgehandelt wurde, 77 Hammermayer 1983, Bd. 2, 42. 78 PTH 1777 Mai 3. 79 BADW, Briefe 1777/ 2, Nr. 30 (1777 November 20). 80 Kraus 1983, 353 - 363. 81 BADW, Briefe 1778/ 2, Nr. 23 (1778 Januar 20). 82 BADW, Briefe 1778/ 2, Nr. 23 (1778 Januar 20). 83 Anonym 1882, 29; Rosbichler 1807, 55; Sinnacher 1821, XXIV; Kühebacher 1982, 438. 54 Erika Kustatscher <?page no="55"?> nämlich ob eine im Jahr 1426 von Seiten Kaiser Sigismunds an Herzog Albrecht V. von Österreich ergangene Belehnung den nunmehr erhobenen Anspruch der Habsburger auf Niederbayern rechtfertige oder nicht. 84 Für Sterzinger war die Antwort klar: Nein, und zwar deshalb, weil sich, wie er Resch gegenüber begründete, in der gesamten bayerischen Historie kein Wort über dieses Ereignis finde. 85 Der Angesprochene vermied in seinem Antwortschreiben jegliche historische Argumentation, akzentuierte nur die kulturelle und die menschliche Dimension. Fast ist man versucht zu sagen, der Konflikt habe für ihn persönlich auch etwas Gutes gehabt, nämlich die Aussicht, dass der vielbewunderte Münchner Kollege seine Ankündigung wahrmachen und vor dem Krieg nach Tirol fliehen würde: Ausdrücklich lud er ihn ein, in diesem Fall in seinem Brixner Haus zu wohnen. 86 In einem Schreiben vom 3. März verwies Sterzinger auf die Kritik der bayerischen Landstände an der in ihren Augen den Österreichern zu weit entgegenkommenden Haltung des Kurfürsten Karl Theodor, 87 die sie in einer „ bündigen “ Schrift untermauert hätten. Er meinte wohl die bereits erwähnte Abhandlung, und dieses Thema beschäftigte ihn so intensiv, dass er auf die sonst den Briefwechsel mit Resch bestimmenden Überlegungen zu historischen Fragen oder zum Austausch von Druckwerken ganz verzichtete. 88 Diese griff er in einem Schreiben vom 19. Mai wieder auf, aber das bestimmende Thema war für ihn weiterhin der Krieg, der sich, wie er wiederholte, aus historischen Ansprüchen nicht rechtfertigen lasse. Bei seinem geplanten Aufenthalt in Tirol wolle er übrigens bei einem Verwandten, Herrn von Mersa, logieren, er werde Resch aber in Brixen oder in Innichen besuchen. 89 Hoch erfreut über diese Ankündigung wiederholte dieser seine Einladung an Sterzinger, in Brixen in seinem Haus Quartier zu nehmen. Auf Sterzingers neuerliche Versuche, die Belehnung von 1426 als Rechtstitel für die habsburgischen Ansprüche zu entkräften, ging Resch nicht ein, ja versuchte vielmehr die habsburgische Politik aus der Grundhaltung si pacem cupis, bellum para ( „ Wenn du den Frieden wünschst, rüste zum Krieg “ ) zu erklären. 90 Hier, das ist nicht zu leugnen, erniedrigte Resch, der, trotz aller wissenschaftlichen Verbundenheit mit Sterzinger, herkunfts- und sozialisationsbedingt dem Habsburger doch näher stand als dem Herzog von Bayern, die Vertrautheit mit dem lateinischen 84 Ungrund derjenigen Staatsschrift, welche folgende Titel führet, [ … ]. 85 PTH 1778 Januar 26. 86 BADW, Briefe 1778/ 2, Nr. 23 (1778 Februar 3). 87 Hammermayer 1983, Bd. 2, 156. 88 PTH 1778 März 3. 89 PTH 1778 Mai 19. 90 BADW, Briefe 1778/ 2, Nr. 23 (1778 Mai 27). Joseph Resch - Archivar und Historiker 55 <?page no="56"?> Zitatenrepertoire auf die Ebene bloßen Spiels mit dem Wort, das ihn aus einer Bredouille herausführen sollte. Eine klare Stellungnahme ist in dem Satz aber nicht enthalten - wohl weil sich Resch in seiner charakterlichen Disposition grundsätzlich scheute, mit Sterzinger auf Augenhöhe zu diskutieren, diesem gegenüber in fast allen wichtigen Fragen eher reagierte als agierte. Jenseits dieser brisanten, für das Selbstverständnis der sich profilierenden historischen Forschung durchaus relevanten Fragen bemühte Resch seinen Münchner Briefpartner auch mit ganz persönlichen Dingen. Im Postscriptum des eben vorgestellten Schreibens vom 27. Mai 1778 bat er ihn um Informationen zu einem gewissen Georg Sigmund Rösch, Hofkupferstecher und Hofmaler in München, dessen Witwe sich an ihn, den sie als Verwandten anspreche, um Hilfe gewandt habe. Sterzinger bestätigte die Identität des Mannes und erklärte auch, dass dieser in seiner Kunst sehr angesehen gewesen sei, seiner Witwe aber kein Vermögen hinterlassen habe, so dass diese nun in Armut lebe. Beinahe im selben Atemzug kam er aber auch wieder auf das für ihn nach wie vor beherrschende Thema des Erbfolgekriegs zurück; außerdem bat er Resch um Informationen über einen Brixner Bischof des 17. Jahrhunderts. 91 Resch erledigte seine „ Hausaufgabe “ umgehend: Im Hofarchiv hatte er ja leichten Zugang zu den Büchern und Akten, aus denen er die gewünschten Informationen erhob. Betreffend die um Unterstützung bittende angebliche Münchner Verwandte hatte er weiterhin Bedenken. Er schloss mit dem Wunsch, Sterzinger im Herbst in Tirol begrüßen zu dürfen. 92 Dazu kam es nicht, weil Sterzinger, als ihn Resch in Toblach besuchen wollte, eben von dort abgereist war. Zugleich mit dem Bedauern hierüber schrieb dieser am 27. März 1779 nach München, er habe die Absicht, der Witwe des Hofmalers eine kleine Summe zu gewähren, obwohl er in Tirol Verwandte habe, über deren Rechte kein Zweifel bestehe. Weitere Gegenstände des Schreibens waren die Fertigstellung der Monumenta veteris ecclesiae Brixinensis und der Tod der Brixner Bischöfe Leopold (1747 - 1778) und Ignaz von Spaur (1779). 93 Dem rund zwei Wochen später verfassten Antwortschreiben Sterzingers ist zu entnehmen, dass dieser Reschs Vermittler zu der bedürftigen Witwe war. Hauptgegenstand war aber, neben den bereits eingespielten Berichten über Publikationsfortschritte, die Kritik des Akademiepräsidenten am neuen Kurfürsten, der kritischen Gelehrten gegenüber nicht die wünschenswerte Offenheit zeige. 94 91 PTH 1778 Juni 20. 92 BADW, Briefe 1778/ 2, Nr. 23 (1778 Juli 15). 93 BADW, Briefe 1779/ 2, Nr. 20 (1779 März 27). 94 PTH 1779 April 9. 56 Erika Kustatscher <?page no="57"?> Am 13. Mai 1779 wurde der Bayerische Erbfolgekrieg mit dem Frieden von Teschen beendet - obwohl Sterzinger im eben genannten Schreiben die Vermutung geäußert hatte, dass dieser nicht zustande kommen würde. Seine ganz persönliche Nachlese war, wie er Resch im August mitteilte, eine Sammlung von Quellen zur Erbfolge in Bayern. 95 Ansonsten waren es aber wieder die vertrauten Themen, die die Korrespondenz dieses Sommers beherrschten, wie Überlegungen zur Publikation wissenschaftlicher Arbeiten und der Austausch von Büchern, dazu von Seiten Reschs Randbemerkungen über die Ernte. Der Brixner Historiker brachte aber auch ein ganz neues Thema zur Sprache, nämlich das Auftreten einer Sekte im Raum Lienz, deren Mitglieder, Anhänger cartesianischen Denkens, Gott verachteten und alle heiligen Bilder zerstörten, wie er besorgt anmerkte. 96 Die in diesem Augenblick geäußerte Sorge zerschlug sich allerdings rasch, denn nur drei Monate später war er zu der Einsicht gelangt, dass die „ Atomisten “ , so nannten sie sich, nicht so bedeutend seien, wie es die über sie verbreiteten Gerüchte glauben machten. 97 Der Geist echter Aufklärung war in Resch also doch wirksamer als die kleinlichen Sorgen engstirniger Zeitgenossen. Das Antwortschreiben Sterzingers vom 17. November 1779 (zum Neuesten in der Akademie und mit kritischen Überlegungen zur Besetzung der Lehrkanzeln in Bayern) wird Resch wohl noch gelesen haben, nicht aber ein weiteres Schreiben vom 30. April 1782, das in einem Brief des Brixner Theologen Joseph Malsiner vom 4. Mai erwähnt wird, in dem dieser Sterzinger mitteilte, dass Resch am 15. Februar verstorben war. Er äußerte den Wunsch, dass die Nachricht in den Münchner Zeitungen bekannt gemacht werde, und er informierte den wissenschaftlichen Weggefährten des Verstorbenen auch darüber, dass dieser seine Schriften testamentarisch dem jungen Brixner Geistlichen Stefan von Mayrhofen (1751 - 1848) 98 anvertraut habe, 99 einem Geschichtsforscher, von dem zu erwarten sei, dass er sein Werk fortsetze. 100 Abschließend darf festgehalten werden: Bei allem Bemühen, wissenschaftlich den neuen Standards zu entsprechen, war Joseph Resch niemals nur der kühle Intellektuelle, sondern vor allem jener „ industriöse “ Mann, der 1762 in einem für das Wiener Hofkammerarchiv erarbeiteten Profil als Idealtyp des Archivars dargestellt wurde. 101 Seinen Fleiß betrachtete er übrigens auch selbst 95 PTH 1779 August 14. 96 BADW, Briefe 1779/ 2, Nr. 20 (1779 Juni 21). 97 BADW, Briefe 1779/ 2, Nr. 20 (1779 September 12). 98 Zu ihm vgl. Stanger 2015, XXII. 99 So auch Rosbichler 1807, 56; Sinnacher 1821, XXXI. 100 BADW, Briefe 1782, Nr. 16 (1782 Mai 4). 101 Goldinger 1949, 83; Goldinger 1957, 4. Joseph Resch - Archivar und Historiker 57 <?page no="58"?> als seine eigentliche Stärke; er hielt ihn, in seinem Fall sicherlich kein Topos, für größer als seine Begabung. 102 Hervorzuheben ist außerdem seine Bereitschaft, als Archivar auch die Quellen, die nicht seinen unmittelbaren Forschungsinteressen dienten, mit derselben Sorgfalt zu behandeln wie jene, die er für seine wissenschaftlichen Arbeiten verwertete. Und nicht zuletzt gehört zu seinem Profil als Wissenschaftler, dass er auch gegenüber den Nöten seiner Mitmenschen außerhalb der Wissenschaft die Augen nicht verschloss. Vielleicht liegt auch hier eine Erklärung dafür, dass er in seiner täglichen Praxis Theorien mittlerer Reichweite zur Anwendung brachte. Mit dieser Einschätzung wird man ihm als Archivar und Historiker mindestens ebenso gut gerecht wie mit dem großen Wort von der Positionierung am Beginn der modernen Geschichtswissenschaft in Tirol. Und noch etwas sollte die Beschäftigung mit Joseph Resch lehren: Es ist nicht gut, was mitunter geschieht, 103 Archivar und Historiker gegeneinander auszuspielen. Für den Betreuer des Brixner Archivs waren die beiden Tätigkeiten im Verhältnis zueinander komplementär. Und das sollten sie auch bleiben: Der Archivar kann seiner Bestimmung, Verwaltungsschriftgut durch angemessene Bewertung 104 in eine historische Quelle umzuformen, nur dann gerecht werden, wenn er, wie Joseph Resch, an der Forschung in seinem weiteren Umfeld intensiv teilnimmt; die Weisungsgebundenheit des in administrative Hierarchien eingebundenen Beamten stößt durch die Ergebnisoffenheit, die den Wissenschaftler ausmacht, an ihre Grenzen. 105 Ob der Archivar seine Arbeit gut macht oder nicht, ist letztlich eine Frage seines wissenschaftlichen Ethos. Siglen BADW Bayerische Akademie der Wissenschaften, München CR Canonicus Regularis (Augustiner Chorherr) DAB Diözesanarchiv Brixen DKP Domkapitelprotokoll(e) HA Hofakten HRP Hofratsprotokoll(e) OSB Ordo Sancti Benedicti (Mitglied des Benediktinerordens) OFM Ordo Fratrorum Minorum (Mitglied des Franziskanerordens) 102 Grass 1962, 184 - 185. 103 Goldinger 1949, 81 - 82; Hochedlinger 2013, 379 - 385. 104 Dascher 1983, 26 - 31. 105 Booms 1980, 20 - 26. 58 Erika Kustatscher <?page no="59"?> PTH Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen, Jüngere Handschriften, B 11, zum Datum Literatur Anonym (Mitterrutzner, Josef Chrysant): Ein Blatt der Erinnerung an Dr. Joseph Resch, Gymnasial-Präfect zu Brixen und Geschichtsschreiber, in: 32. Programm des kaiserl. königl. Gymnasiums zu Brixen, Brixen 1882, 24 - 31. Booms, Hans: Archive im Spannungsfeld zwischen Verwaltung, Forschung und Politik, Archivar 33, 1980, 15 - 28. Brenneke, Adolf (Bearb.: Wolfgang Leesch): Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens, Leipzig 1953 (ND München 1988). Curzel, Emanuele: Storia della chiesa in Alto Adige, Padua 2014 (Sophia. Didach ē / Manuali - Storia delle chiese locali, Bd. 1). Dascher, Ottfried: Archivar und Historiker. Zum Standort eines Berufes im Wandel von historischen Interessen und Methoden, Archivar 36, 1983, 25 - 34. Ferrari, Stefano: L ʼ Accademia Roveretana degli Agiati e la cultura di lingua tedesca (1750 - 1795), in: Alberto Destro / Paola Maria Filippi (Hg.): La cultura tedesca in Italia 1750 - 1850, Bologna 1995, 217 - 276. Franz, Günther: Einführung in die Archivkunde, Darmstadt 7 2007. Goldinger, Walter: Epochen des österreichischen Archivwesens, Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 2, 1949, 81 - 83. Goldinger, Walter: Geschichte des österreichischen Archivwesens, Wien 1957 (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Ergänzungsband 5). 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Merz 1426 dem Herzoge von Oesterreich Albert dem Fünften ertheilten Lehenbriefes, noch auch (da dieser der alleinige Beweis) die Gültigkeit des vom Wienerhofe nach Absterben des letzten Kurfürsten von Bayern, Maximilian Josephs auf Niederbayern gemachten Anspruches weiter bestehen kann (München, Bayerische Staatsbibliothek, Bav 24/ 1043/ 2). Vierhaus, Rudolf: Historisches Interesse im 18. Jahrhundert, in: Hans E. Bödeker / Georg G. Iggers / Jonathan B. Knudsen / Peter H. Reill (Hg.): Aufklärung und Geschichte. 60 Erika Kustatscher <?page no="61"?> Studien zur Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen 1986 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 81), 264 - 275. Wolfsgruber, Karl: Das Brixner Domkapitel in seiner persönlichen Zusammensetzung in der Neuzeit, Innsbruck 1951 (Schlern-Schriften, Bd. 80). 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Über die Wirkung in der Stunde der Aufführung, also über die Aktualisierung des Konzepts des Autors entscheidet der Rezipient demnach mit, aber die Grenzen seiner Interpretationsfreiheit werden nicht nur von seinem Willen, sondern mehr noch von seiner Fähigkeit bestimmt, die semiotischen Codes des dramatischen Autors auch zu verstehen. 1 Meine Grundfrage lautet: Warum musste eine blühende Gattung wie das lateinische Schultheater überhaupt untergehen? Damit zusammenhängend: Wenn es innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu einem Abbruch der Kommunikation zwischen Autor und Publikum gekommen ist, sollte die Beantwortung dieser Frage nicht auch von der Untersuchung des Rezipienten her gesucht werden? Hätten unter bestimmten Voraussetzungen Autoren wie Joseph Resch ihre Kunstform vor einem neuen Publikum in eine neue Epoche retten können? Um einen bescheidenen Beitrag zu diesem Themenkomplex zu liefern, sollen hier drei Aspekte näher erörtert werden: Nach Beispielen für eine gelungene Verständigung zwischen Dramatiker und Publikum sollen jesuitische Dramentheorien aus der Zeit Reschs auf ihre Aussagen zu den Vermittlungsbedingungen von Theater befragt werden. Im letzten Teil wird Reschs Drama Iugurtha auf seine dramatische Wirkung hin geprüft. Als 1609 in München der Cenodoxus des berühmten Jesuitendramatikers Jakob Bidermann aufgeführt wurde, drohte das mit Vertretern des Hofes bis 1 Zur Plurimedialität der semiotischen Codes vgl. Olson / Bruner 1974, 120 - 150; Pfister 1988, 25; Sieveke 1986, 1264; zu Sinn und Ästhetik Hartmann 2008, 13 - 21; grundlegend Zimmermann 2009. <?page no="64"?> auf den letzten Platz gefüllte Theater unter dem Lachen des Publikums zu bersten. Dann aber, so der Chronist, fiel das Publikum in tiefste Zerknirschung über den Stolz der Titelfigur. Fiebernd vor Angst vor dem göttlichen Urteil verstanden die Zuseher, dass ihr eigenes Schicksal verhandelt wurde. Mehrere von ihnen wurden katholisch, vierzehn Adelige unterzogen sich nach dem Ende der Vorstellung den Ignatianischen Exerzitien, der Hauptdarsteller trat in die Gesellschaft Jesu ein und lebte in Askese. 2 Das Publikum hat die von Bidermann auf einen komischen Neben- und einen tragischen Hauptstrang verteilten theatralischen Zeichen so verstanden, wie der Autor sie intendiert hatte. Im Falle dieser Inszenierung kann von einer stabilen Praxis gesprochen werden, weil es keine Interferenzen zwischen Kodierung und Dekodierung gab: Niemand trauerte über den Schmarotzer und lachte bei der Szene vom sich aufrichtenden Leichnam des eitlen Cenodoxus, weil der Zuseher über die Konvention einer Comicotragoedia Bescheid wusste: 3 Burlesk getönte Szenen bereiten ein in den Poetiken gefordertes tragisches Ende, den exitus lugubris et miserabilis, vor. 4 Ein zweites Beispiel, diesmal aus Wien und der Spätphase jesuitischer Dramatik: Wir schreiben das Jahr 1743. 5 Der enge Berater Kaiserin Maria- Theresias, Fürst Johann Josef Khevenhüller-Metsch notiert in sein Tagebuch: 6 Den 16. verfügten sich die Herrschaften in das Collegium S. J., um der Studenten Comoedi, Constantinus genannt, bei zu wohnen. Die Praemia hätten more solito in Gegenwart der Herrschaften fine dramatis ausgetheilt werden sollen [ … ] es stunde aber alles gleich auf [ … ] mithin geschah die distributio absente aula. Meine zwei älteren Söhne studieren seit einem Jahr hier im Profeßhaus und hat jeder ex sua classe infima nempe grammatica zwei Praemia. 2 Ex praecipuis proceribus Aulae Bavariae urbisque istius Monacensis viri omnino quattuordecim, saluberrimo Dei timore facta hominum tam stricte discutientis perculsi, non multo post finitum ludum ad nos in Ascesin Ignatianam secessere mirabili in plerisque morum mutatione secuta. ( „ Von den vornehmsten Adeligen des Bayrischen Hofes wie der Stadt München wurden vierzehn Herren von der gnadenreichen Furcht Gottes, der die Taten der Menschen gar streng prüft, zutiefst erschüttert. Nicht lange nach dem Ende der Aufführung traten sie bei uns den Ignatianischen Exerzitien bei, was in vielem eine staunenswerte Veränderung ihres Charakters nach sich zog. “ ) Zitiert nach der Praemonitio ad lectorem der unpaginierten Ausgabe von 1666. 3 Die Differenzierung des Tragödienbegriffs durch die Termini Tragicomoedia und Comicotragoedia findet sich bei Masen 1664, Bd. 3, 9. 4 Tarot 1963, XVIII. 5 Zum Folgenden Fladerer 2014, 322 - 325. 6 Khevenhüller-Metsch 1907, 194. 64 Ludwig Fladerer <?page no="65"?> Als Motive, warum er seine Söhne in die Jesuitenschule schickt, führt er an anderer Stelle an: 7 [ … ] diese durch beständige Aemulation zu fleissiger Arbeit aufzumuntern, Lebhafftigkeit des Geistes zu erwecken … und das sie ville actus publicos coram frequenti et spectabili auditorio zu verrichten haben, nach und nach in ihnen eine mannbar Keckheit erwachset. Hier gelang es dem Drama nur mehr teilweise, die Kommunikation zu steuern, da wir ja von zwei divergierenden Wirkungen hören: der Hof verlässt die Aufführung vor der Prämienverteilung, der Rest bleibt. Der Vater als Stimme der Rezipienten bestätigt zwar die Erfüllung seiner an das Jesuitentheater gerichteten Erwartungen. Trotzdem wurden die theatralischen Zeichen nur mehr vom Vater gänzlich so verstanden, wie es die traditionelle Schulbühne als textprägende Instanz intendiert hatte. Nun vernehmen wir aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ein deutliches Missbehagen darüber, dass die gelungene Kommunikation zwischen Theater und Publikum aus dem Lot gekommen war, dass die multimediale Gattung Theater ihr Zeichensystem nicht mehr über die Rampe brachte. Die Ursache dafür hängt mit einer Veränderung der Auffassung von Natur zusammen, die im Gegensatz zur Frühaufklärung nicht mehr als eine ausschließlich durch Vernunft zugängliche, apriorische Ordnung verstanden wurde. Die Natur gilt jetzt als das sinnlich Wahrnehmbare, das sich direkt den Sinnen darbietet. 8 Gemäß dem Ideal von Kunst als imitatio naturae muss somit dieser veränderte Naturbegriff von fundamentaler Auswirkung auf die Theorie als auch auf die Praxis des Theaters sein. 9 1748, also genau zur Entstehungszeit des Iugurtha, karikiert Diderot im 38. Kapitel seiner Bijoux indiscrets die Schwäche der klassischen französischen Tragödie, deren Bühnenpraxis sich der neuen „ Natürlichkeit “ verweigerte, anhand folgenden Beispiels: 10 Man stelle sich einen klugen Mann vor, der weiß, wie es an einem Hof zugeht, der aber aus der Provinz kommt und noch nie etwas von Schauspielen gehört hat. Dann führe man ihn in eine mit Gittern vermachte Loge, aus der er das Theater sieht, welches er für den Palast des Sultans hält. Was wäre wohl die Reaktion? Gleich bei der ersten Szene würde der Fremde über den steifen Gang der Schauspieler, die artifizielle Sprache, ihre ausschweifenden Gebärden laut auflachen und fragen, ob man ihn zum Besten halten wolle oder ob dieser Fürst noch recht bei 7 Khevenhüller-Metsch 1907, 194. 8 Fischer-Lichte 1995, 98 den Einfluss des englischen Sensualismus eines John Locke betonend. 9 Fischer-Lichte 1995, 100. 10 Diderot 1968, Bd. 1, 6 - 16, 11. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 65 <?page no="66"?> Verstande wäre. Diderot schließt daran die Forderung nach einem neuen Theater, d. h. nach einer neuen Schauspielkunst, die dem Gebot der Illusionserzeugung entsprechen könne. Linguistische, gestische, kinetische Zeichen dieses hypothetischen Stücks, mit dem Diderot die klassische französische Tragödie persifliert, konnten das Konzept des Autors nicht mehr repräsentieren. Das Lachen des klugen Provinzbewohners markiert seine Weigerung, die theatralische Codes, die sich überlebt hatten, zu dechiffrieren. Das barocke kinetische Zeichensystem wurde nun unter dem Regiment eines neuen, sensualistischen Naturbegriffs buchstäblich bedeutungslos, weil es eine Natur nachahmte, die gar nicht mehr gesehen, bzw. empfunden wurde. Das Ziel des Theaters, die Menschen besser zu machen, konnte dagegen nur durch einen Code erreicht werden, der den Stand oder Charakter der Personen illusionistisch „ ähnlich “ auf die Bühne bringt. Die Beobachtung der natürlichen Sprech- und Bewegungscodes sollte über die Systematisierung dieser Zeichen zu einem ebenso schönen wie wahren theatralischen Code führen. Wir spüren hier auch das Nachbeben jenes poetologischen Diskurses, der unter dem Begriff der Querelle die Wertigkeiten verschoben und ein neues Dichterideal propagiert hat: Die Emotionalität des ungelehrten Dichters wird nun zum Wesensmerkmal wahrer Dichtersprache erhoben. Wie in einem Brennglas kann diese Debatte in den Kommentaren zu den Liedern des schottischen Barden Ossian betrachtet werden, der nun gegen den gelehrten Vergil als Musterbeispiel der neuen Dichtung gilt. 11 Nun von der französischen Bühne auf die lateinische. Die Positionierung der jesuitischen Dramatiker im Spannungsfeld zwischen dem Regeltheater der Klassik, dem neuen Paradigma der Aufklärung und der Rezeption der französischen Schauspieltheorien in Deutschland ist nur ansatzweise erforscht. 12 Auf welcher Seite standen also jene Autoren, die vor allem in deutschsprachigen Ordensprovinzen einem großen Teil der gebildeten Elite den Zugang zum Theater eröffneten? Wie kann Reschs Iugurtha im Lichte dieser Diskussionen beurteilt werden? Ich möchte mit dem Jesuiten Andreas Friz und seiner bedeutenden Poetik beginnen. In dieser Schrift, die unter dem Titel Epistula 11 Maßgeblich nun zum Ossianismus im 18. Jahrhundert die Dissertation von Krisztina Goda, vgl. besonders 241 und 286 f. Als Scharnier zwischen der rationalistischen Aufklärung und der Romantik kann die Rolle von Giambattisto Vico (1668 - 1744) nicht hoch genug veranschlagt werden. Für ihn liegt der Ursprung der Sprache im ersten Zeitalter der Menschheit, der Epoche der Götter, in der die Sprache in natürlicher, ikonischer Beziehung zu den Sachen stand. Auf ihr folgte die Zeit der Heroen, in der die Sprache aus Symbolen und Gleichnissen bestand und natürliche Poesie war. Dagegen bedeutet der Zeichengebrauch im Zeitalter der Vernunft einen Niedergang der Poesie, vgl. Nöth zu Vico 28 f. 12 Fischer-Lichte 1995, 105 - 130 zu Rémonde de Sainte-Albine, Riccoboni und Diderot. 66 Ludwig Fladerer <?page no="67"?> de Tragoediis als MS 938 an der Grazer Universitätsbibliothek aufbewahrt wird, fassen wir eine der spätesten jesuitischen Poetiken, die in ihrer Radikalität, ihrem frischen Plädoyer für eine Reform der Jesuitenbühne einzigartig ist. Die von mir zuerst elektronisch edierte Handschrift, die von Tjoelker als kommentierte Ausgabe vorliegt, 13 entstand noch vor Diderots Bijoux in den Jahren 1741 - 1744. Auch dort fingiert der Autor einen klugen, aber mit der Bühnenpraxis nicht vertrauten spectator, auch dort ist die erste Reaktion dieses wohl unverbildeten Menschen lautes Gelächter, das sich hier allerdings weniger an den linguistischen und schauspielerischen Fehlern als an schäbigen Kostümen und laienhafter Bühnentechnik entzündet. 14 Gemeinsam ist beiden Autoren das Ideal eines Theaters, das beim Publikum die Illusion einer wirklichen Begebenheit hervorrufen kann, gemeinsam ist ihnen die Ablehnung der jeweils dominanten Klassik, im Falle Diderots sind es die Konventionen eines Corneille und Racine. Andreas Friz ragt schon insofern aus dem Kreis jesuitischer Dramentheoretiker hervor, weil er die Schwächen des Jesuitentheaters nicht nur punktuell zugibt, sondern sie pauschal zum roten Faden seiner gesamten Schrift macht. Verschieden jedoch sind ihre Wege. Während Diderot den semiotischen Code des französischen Regeltheaters weitgehend auflösen und das bürgerliche Trauerspiel entwickeln wird, argumentiert Friz gerade für die strikte Einhaltung des Regeltheaters. Seine Autoritäten sind Corneille, Racine, Molière, unter den Italienern Granelli und Metastasio, 15 und, nicht weiter verwunderlich, Gottsched, dessen Versuch einer critischen Dichtkunst von 1730 er wohl rezipiert haben muss. In diesem Spannungsfeld zwischen der Morgendämmerung des bürgerlichen Trauerspiels, dem Kampf für und wider die klassische französische Bühnensprache und der Tradition des Jesuitentheaters muss auch Joseph Reschs Wirken verstanden werden. Was ist also nach Friz am Theater seines Ordens auszusetzen? Grundsätzlich versagen so gut wie alle plurimedialen Kanäle, die der textprägenden Instanz zur Verfügung stehen. Die 13 Friz 2014; zur Poetik des Friz auch Fladerer 2007. 14 Friz 2014, 154: Fateor nullum ornamentum externum magnificentiorem esse ejusmodi machinis, admirationem enim pariunt; et sane quis non admiretur, si videat humanam artem et industriam ad naturam rerum omnium effectricem tam prope accedere: sed quam magnifica haec est naturae aemulatio, si recte fiat, tam ridicule, inanis, contemptaque videtur, si similitudine omni careat, quam cum natura habere deberet. ( „ Ich gestehe, dass kein äußerer Zierrat großartiger ist als diese Bühnenmaschinerie, die Bewunderung einflößt. Denn wer würde nicht voller Bewunderung sein, könnte er erleben, wie nahe menschliche Erfindung und Fleiß der Natur kommt, die doch Schöpferin aller Dinge ist: Aber wie großartig diese Nachahmung der Natur auch sein mag, wenn sie sachkundig durchgeführt wird, so scheint sie ebenso lächerlich, überflüssig und verachtenswert zu sein, wenn sie der Ähnlichkeit entbehrt, die sie doch mit der Natur haben müsste. “ ) 15 Friz 2014, 90. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 67 <?page no="68"?> Texte sind zu schwierig und mit enzyklopädischem Wissen überfrachtet, eine dilettantische Bühnentechnik führt zu unfreiwilliger Komik. Oft wird gegen den klassischen Kanon der drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung verstoßen, überbordende Interludien und Chorpartien lassen das Literaturprogramm nicht mehr erkennen, Schauspieler sind unfähig, ihre Figuren zu repräsentieren, da sie im Bühnengeschehen nicht miteinander kommunizieren. 16 Das ideale Theaterstück hingegen verfolgt sein Ziel der affectuum purgatio und erreicht sein didaktisches Anliegen durch das Prinzip der verisimilitudo. Dadurch bleibt die Kommunikation zwischen textprägender Instanz und auditor/ spectator das ganze Stück hindurch aufrecht: Tenendus itaque est hominum animus ita, ut non nisi aegre admodum ab assidua attentione divelli sese patiatur ( „ Das Interesse der Menschen muss also so gepackt werden, dass sie nur schwer von ständiger Aufmerksamkeit loszureißen sind “ ). 17 Innerhalb der jesuitischen Dramentheorie kann die Position des Friz als äußerst rationalistisch und klassizistisch beschrieben werden. Von Franz Langs Dissertatio de actione scenica von 1727 hebt sie sich insofern am deutlichsten ab, 18 als Lang nach wie vor den theatralischen Kode der Barockzeit propagiert. Zu erinnern ist hier vor allem an dessen genaue Vorgaben zu Mimik und Gestik der Schauspieler, die ein kohärentes System künstlicher Zeichen bilden. Diese haben nur die Aufgabe, die dem Zuseher bekannten konventionellen Symbole für Gefühle klar darzustellen, um bei ihm die vom Autor gewünschten Emotionen hervorzurufen. 19 Friz dagegen fordert die aemulatio naturae, sie ist die Basis für die Wahrscheinlichkeit und damit die Wirksamkeit einer Inszenierung. Noch tief im barocken Jesuitentheater verhaftet, legt Lang auch kein großes Gewicht auf die drei Einheiten, akzeptiert Episoden und Interludien, komische Szenen dürfen in Tragödien ebenso ihren Platz haben wie ein gutes Ende. 20 Ein weiterer Rundumblick belegt den französischen Klassizismus des Friz: Der Lehrer Voltaires, der Jesuit Gabriel François Le Jay hebt Corneille und Racine auf die Ebene der drei griechischen Tragiker, hält die Wahrscheinlichkeit für maßgeblich, verbannt aber Musik und Maschinerie nicht von der 16 Friz 2014, 110: die antiquarische Überfrachtung mancher Jesuitenstücke macht deren Verständnis unmöglich; 130: Terenz als Vorbild für die Wahrung der unitas actionis; 134 - 142: Kritik an Chören und Interludien; Kritik an der Zerstörung des verisimile durch die Abweichung vom Postulat der Einheit des Ortes; vgl. auch die Einleitung von Tjoelker 28, 49 - 50. 17 Friz 2014, 144. 18 Engle 1970, 179 - 187. 19 Lang 1975, 12. 20 Lang 1975, 94 - 99. 68 Ludwig Fladerer <?page no="69"?> Bühne. 21 Franz Neumayr zitiert in seiner Idea poeseos dieselben Vorbilder wie Friz, kombiniert aber den klassischen Aufbau mit barocken Interludien. Prologe und Chöre nehmen ein Drittel bis ein Viertel des Textes ein. Die Chöre unterliegen nicht den drei Einheiten, die sonst aber anzuwenden sind. Durch biblische und mythologische Zwischenstücke soll das Publikum aufnahmebereiter gemacht werden. 22 Der in Innsbruck wirkende Ignaz Weitenauer schließlich verbietet in seiner Kommentierung der horazischen Ars poetica zwar Wunder auf der Bühne als unwahrscheinlich, hält aber noch 1757 an Chören fest und erlaubt den deus ex machina. 23 Friz lehnt Chöre kategorisch ab. Wir fassen zusammen: die jesuitische Dramentheorie des 18. Jahrhunderts ist weitgehend klassizistisch, insofern sie die Wahrscheinlichkeit zur Bedingung der Illusion, diese zur Voraussetzung für die Vermittlung des Überzeugungssystems macht. Von Andreas Friz abgesehen, trauen die jesuitischen Dramatiker jedoch allegorischen Zeichen noch eine derartige Kraft zu, dass sie auch in Form von Chören mit eigenständiger Handlung das Hauptgeschehen vertiefen und verdeutlichen. Friz akzeptiert zwar Musik und Tanz, allerdings nur dann, wenn sie als integraler Teil in die Haupthandlung implementiert sind. Als striktester Verfechter der Wahrscheinlichkeit lehnt Friz eine metrisch gebundene Sprache auf der Bühne ab, auch damit steht er gegen die Mehrheit. Im letzten Teil wollen wir untersuchen, wie sich Reschs Iugurtha in die vorhin skizzierten Trends einordnen lässt. 24 Überblick über Inhalt und Aufbau von Reschs Iugurtha 25 Prolog: Fortuna, eine Parze und Jugurthas Genius unterhalten sich über dessen Schicksal, wobei Fortuna dem König wohlwollend, die Parze aber feindselig gesinnt ist. 1. Akt: Sulla bittet Marius, der die Belagerung von Cirta leitet, um einen Aufschub der kriegerischen Handlungen mit dem Argument, er könne mit Hilfe eines Gefangenen die Kapitulation erzwingen. Nachdem Sulla abgegangen ist, um diese Geisel zu holen, tritt Aspar auf, um den Sohn des Bocchus, 21 Seine Bibliotheca rhetorum erschien 1725 in Paris, der zweite Band enthält auch einen Abschnitt über die dramatische Kunst: zur Musik siehe Bd. 2, 54. 22 Zu den Chören und Interludien Neumayr 1768, 181 - 184; zu biblischen Parallelhandlungen ebdt. 95 - 97. 23 Weitenauer 1757, 116. Zu seiner Poetik Friz 2014, 66 - 69 mit Betonung seiner Orientierung an Corneille, Racine und Molière; zur Würdigung des herausragenden Sprachwissenschaftlers und Philologen Weitenauer nun Kompatscher / Korenjak 2012, 802 - 806. 24 Zu Joseph Resch als Dramatiker in Brixen grundlegend Tilg 2012, 682 - 691. 25 Viale 2015, 13 - 15. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 69 <?page no="70"?> Volux, zu suchen. Dieser Jüngling ist die Geisel, auf die Sulla angespielt hat. Volux wird nun vorgeführt. Marius will Jugurthas Vertrauten Dabar überreden, auf den König für die Aufgabe Cirtas einzuwirken. 2. Akt: Aspar und Sulla erscheinen im Palast des Bocchus, sie wollen den über den Verlust seines Sohnes verzweifelten König auf die Seite der Römer ziehen. Nach deren Abgang tritt Jugurtha auf, um sich der Treue seines Verbündeten zu versichern. Danach sucht Jugurtha einen Magier auf. Durch dessen Zauberkunst erscheint dem König Massinissa im Traum: er könne weiter herrschen, wenn er sich mit einem Viertel seines Reiches begnüge. Episodium: Die adelige Jugend Cirtas beklagt das Los der vom Krieg zerrütteten Heimat, die einem sinkenden Schiffe gleicht. Chorus I: Der Tyrann Lykos tötet König Kreon. Megara fleht zu ihrem Gatten Herkules, diese Untat zu bestrafen. Herkules erscheint und schwört Rache. 3. Akt: Bocchus erhält aus den Händen Sullas seinen Sohn zurück. Diese Nachricht erreicht nun auch Jugurtha, der Bocchus zur Treue mahnt und ihm rät, nicht auf das sinkende Schiff Rom zu setzen. Danach Auftritt Sullas, der seinerseits Bocchus vor dem sinkenden Reich des Jugurtha warnt. In einem Gespräch mit Jugurtha lässt er diesen im Glauben, Rom strebe Friedensverhandlungen an. 4. Akt: Große Rede des Marius, in der er seine Leistungen als Plebejer hervorhebt, da er sich ängstigt, Sulla wolle ihm den Rum streitig machen. Auf die Nachricht aus Rom, er solle für den Germanenkrieg aus Afrika abziehen, bereitet er den entscheidenden Angriff auf Cirta vor. Massinissas Schatten erscheint abermals, er beklagt Cirta und verflucht Jugurtha. Chorus II: Lykos mit zwei Gefangenen, Herkules. Lykos will die beiden Gefangenen opfern, um Astarte gnädig zu stimmen. Diese streiten um das Vorrecht, zuerst sterben zu dürfen. Herkules erscheint mit Theseus und erschlägt Lykos mit seiner Keule. 5. Akt: Jugurtha ist verzweifelt. Jünglinge aus Cirta berichten ihm vom Brand und der Eroberung ihrer Stadt durch die Römer. Volux versucht Jugurtha zur Kapitulation zu überreden, Jugurtha sieht sich verloren und will sich das Leben nehmen, der Schatten Massinissas rät ihm dazu, doch Aspar vermag den König davon abzubringen. Bocchus überbringt Jugurtha das Friedensangebot der Römer und wird von ihm als letzter Trost im Leid bezeichnet. Gewissenskonflikt des Bocchus. Sulla lädt Jugurtha zum Friedensabkommen ein. Catastrophe: Jugurtha ist in die Falle gegangen. Im Vertrauen auf Sullas Friedensangebot erscheint er zu Verhandlungen, wird aber gefangengenommen. Rom schließt ein Bündnis mit Bocchus. 70 Ludwig Fladerer <?page no="71"?> Musikalischer Epilog: Die Genien preisen Rom als Retterin. Der Lehrer, der Marius darstellte, verteilt Prämien an die Schauspieler/ Schüler. Der Aufbau in fünf Akten entspricht dem französischen Regeltheater, um den zentralen 3. Akt gruppieren sich mit jeweils fünf Szenen die Akte 2 und 4, beide schließen wie bei Seneca mit einem Chor. Vor dem 1. Akt debattieren die Allegorien von Fortuna, die Schicksalsgöttin Parca und der Genius Iugurthae über das Verhängnis des Protagonisten. Am Ende des Stücks markiert Resch expressis verbis mit der Überschrift Catastrophe nicht nur die endgültige Niederlage des Numiders, sondern auch seine Anlehnung an das französische dénouement. 26 Auf der Darstellungsebene liegt also das Prinzip einer axialsymmetrischen Gliederung vor, wie wir es beispielsweise aus Racines Phèdre kennen. 27 Auch dort wird der Mittelakt von Aufzügen mit gleicher Szenenzahl gerahmt. Nun stellt sich die Frage, ob diese klare Segmentierung der Darstellung auch eine Entsprechung in der Geschichte selbst hat, mit anderen Worten, ob sie aus dem Plot organisch erwächst. Der Befund fällt eindeutig aus: die Geschichte von der Gefangennahme des Volux, des Sohnes des Bocchus, weiters die Rückgabe der Geisel und der letztlich gelungene Versuch des Sulla, damit den Bocchus von dessen Verbündeten Jugurtha zu trennen, Cirta zu erobern und den König gefangen zu nehmen, mussten narrativ keineswegs einem Fünfakter eingeschrieben werden. Der ununterbrochene historische Kausalkonnex wurde also von Resch sinnstiftend und sinnverdeutlichend segmentiert - die Phasen der historischen Abläufe entsprechen nicht der Gliederung. Beispielsweise stellt der Konflikt auf numidischer Seite, wie mit der Rückgabe des Volux und dem römischen Friedensangebot umzugehen ist, eine geschlossene Handlungssequenz dar, die Resch aber auf den zweiten und dritten Akt aufteilt, die er mit einem dazwischengeschobenen Chor voneinander trennt. Damit gewinnt der Aktschluss an dramatischer Spannung, der wie bei Racine nicht als Ruhepunkt fungiert, sondern dynamisch angereichert wird. Überhaupt breitet Resch über das ganze Stück ein Netz an Korrespondenzen, die im Sinne der Wirkungsästhetik logisch und begründet sind, aber kein Fundament in der historischen Geschehensfolge haben: Am Ende des 2. Aktes erscheint nach schauriger Geisterbeschwörung dem Jugurtha der Geist Massi- 26 Zur Definition Vapereau 1876, 607. 27 Aufgrund der Zwei- oder Mehrschichtigkeit der Gliederung a) der Darstellung (im Drama beispielsweise durch Konfigurationswechsel, Änderung des Schauplatzes, Vorhang, Pause) und b) der Handlung ergeben sich zwei Varianten: Die Gliederungen der Darstellungs- und der Handlungsebenen können miteinander korrespondieren oder gegenläufig sein. So Pfister 1988, 308. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 71 <?page no="72"?> nissas und erteilt ihm das Orakel, wonach er Cirta nicht aufgeben müsse, wenn er sich mit dem Viertel der Herrschaft begnüge. Jugurtha missversteht den Spruch als Aufforderung, hart gegen den Feind vorzugehen. Der spiegelbildlich zugeordnete 4. Akt schließt abermals mit der Erscheinung des Massinissas, jetzt verflucht er Jugurtha, Cirtas Schicksal wird dem Karthagos gleichen. In beiden Fällen retardieren die Erscheinungen, zuerst die Verhandlungen zwischen Jugurtha und Bocchus, dann steht das Orakel zwischen dem Waffenruf des Marius und der über einen Botenbericht geschilderten Zerstörung Cirtas. Auch der Einschnitt am Ende des 5. Akts über die ethische Problematik der Treue gegenüber Tyrannen ist an dieser Stelle nicht nötig, lädt aber die Spannung vor der Gefangennahme Jugurthas auf. Der Fokus auf die Schlussphase wird auch durch den Umfang des 5. Akts deutlich, der mit 386 Versen ganz klar vor dem langen 2. Akt rangiert, der 251 Verse aufweist. Weitere Korrespondenzen fallen ins Auge: Die Metapher vom sinkenden Staatsschiff verbindet den 1. und 3. Akt, Reflexionen Jugurthas über sein Schicksal im letzten Akt holen auf die Ebene der Darstellung, was im Prolog als Unterlegenheit der Fortuna des Königs gegenüber der Parze allegorisch angeklungen war. Neben der Segmentierung der Handlung in Akten spielt auch die kleinräumigere Gestaltung der Auftritte für die Aufrechterhaltung der Spannung eine Rolle. Eine dem Gebot der Einheit der Handlung folgende Dramaturgie lässt eine Dominanz motivierter Auftritte erwarten: 28 die Figur auf der Bühne erwartet die hinzutretende Figur oder diese begründet ihre Auftritte verbal. Zufällige Auftritte sind hingegen nur bei einer Szenerie plausibel, die einen öffentlichen Raum wie den Platz vor dem Palast präsentiert, der jedem zugänglich ist. Eine exemplarische Durchsicht des Iugurtha ergibt nun ein Überwiegen unmotivierter Auftritte der Hauptdarsteller, aber auch Statisten wie Soldaten kommen und gehen, ohne jemals eine Funktion zu übernehmen. Nachdem Marius im 1. Akt zum Kampf aufgerufen hat, ist der Auftritt Sullas zwar begründet, weil er durch seine Geisel Volux hoffen darf, Cirta unblutig zu nehmen. Aber warum muss Marius just die Bühne verlassen, bevor Sulla den numidischen Gesandten und damit dem Publikum erklären konnte, dass er den Volux in Gewahrsam habe? Nachdem nun Sulla den Numidern seine Geisel vorgeführt hat, darf Marius wieder auftreten (1. Akt, 6. Szene) und fragen, welcher Lärm (clamor) hier herrsche, ohne dass es in der Szene vorher einen auffälligen Tumult gegeben hätte. Woher kommt diese Technik? Resch folgt dem Postulat des französischen Regeltheaters, in dem in der Abfolge der 28 Pfister 1988, 315 über die Motivation der Auftritte als wichtige Informationsquelle über die verdeckte Handlung im off-stage. 72 Ludwig Fladerer <?page no="73"?> Auftritte von Personen Zufall und Motivation die Auftritte in einer ununterbrochenen Kette miteinander verknüpfen: 29 Dem Gebot dieser sogenannten liaison des scènes folgend, nimmt Resch eine hohe Zahl unmotivierter Auftritte in Kauf, die oft dem Gebot der Wahrscheinlichkeit widersprechen. Diese Personenketten verbinden den 2. und 3. Akt, brechen aber im 4. Akt ab, der wieder im Römerlager spielt. Hier zerstört Resch das Ideal der unitas loci vollends. Er baut eine eng an Sallust angelehnte Selbstcharakterisierung des Marius ein (4. Akt, 2. Szene), der sich als plebejischer Staatsmann aus eigener Bewährung gegen den Adeligen Sulla präsentiert. Dieser in der römischen Historiographie ausgewälzte Konflikt aus der Epoche der Bürgerkriege spielt aber im Stück selbst vorher und nachher nicht die geringste Rolle und steht in keinem Zusammenhang mit dem an und für sich spannenden Strategem Sulla. Wir dürfen annehmen, dass der ‚ Lateinprofessor ‘ Resch diesen Monolog eingebaut hat, weil er für sein Publikum einen hohen Wiedererkennungswert besaß. Doch zerstört er damit nicht die von Friz und den Klassizisten erhobene Forderung nach der ständigen Spannung, in der sich der Zuschauer befinden müsse? Ist der Iughurta also spannend und die entscheidende Frage - kann der Autor die Kommunikation mit seinem Publikum aufrechterhalten? Definiert man Spannung als Zusammenspiel von Nichtwissen der Figuren bzw. Rezipienten und deren Hypothesen über den weiteren Fortgang, 30 so bietet das Stück makroskopisch betrachtet kein Spannungspotential auf den Ausgang hin - das Bellum Iugurthinum ist als bekannt vorauszusetzen. Überdies war im lateinischen Schultheater durch begleitende Texte wie die Periochen Ereignisspannung grundsätzlich nicht intendiert. Spannung kann also nur entstehen, wenn der Zuschauer selbst Hypothesen über die textliche Realisierung des ihm bekannten Plots bildet. Spannungsbögen dieser Art sind naturgemäß kleinräumiger. Nun ist jene Figur, die stets weniger weiß und stets falsche Hypothesen über ihr eigenes Schicksal bildet, Jugurtha selbst. Sowohl das Orakel des Massinissa als auch die Treueschwüre des Bocchus erweisen sich als falsch. Doch zwei entscheidende Parameter für Spannung wollen sich nicht einstellen: die Fallhöhe ist bei einem belagerten Tyrannen, der seine Macht ohnedies mit Bocchus teilt, ebenso wenig gegeben wie Identifikationspotential auf Seiten des Publikums. 31 Seine affektive Zerrissenheit erweist ihn 29 Pfister 1988, 316. 30 Pfister 1988, 142 - 145 über das aus einer nur partiellen Informiertheit erwachsende Spannungspotential. 31 Der tragische Held soll nach klassizistischer Theorie von hohem gesellschaftlichen Stand sein, sodass sein Untergang als absolute Zerstörung seines bisherigen Standes empfunden werden kann; dazu Pfister 1988, 145. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 73 <?page no="74"?> nach den moralischen Kriterien des Barocktheaters als Typus des Tyrannen. 32 Sein eigentlicher Gegenspieler Sulla ist letztlich zwar verantwortlich für den römischen Sieg, aber ein mephistophelischer Intrigant. Der moralisch integre Marius weiß oft weniger als Sulla und das Publikum, aber dieses Nichtwissen entlädt sich nie im Sinne einer tragischen Anagnorisis. Was bleibt, ist ein grundsätzlicher Informationsvorsprung des Publikums, das über die falsche Selbsteinschätzung eines Tyrannen reflektieren kann. Resch versucht aber nicht nur, das Interesse des Publikums durch strukturelle Eingriffe in den Plot in Spannung zu halten, sondern möchte dieses Ziel auch erreichen, indem er linguistische und außersprachliche Zeichen miteinander verknüpft. Auge und Ohr werden gleichermaßen bedient. Das entsprechend der Regieanweisung im Prologus auf der Bühne sichtbare Totengerüst mit Wasseruhr, abgelegter Krone und Zepter wird nicht nur als Requisit gezeigt, sondern Fortuna betont in ihrer anschließenden Arie ihre Macht, Reiche zu geben und zu nehmen. Das gleiche Verfahren finden wir beim Magier Elagabal, dessen Gerätschaften gezeigt und auch verbalisiert werden (2. Akt, 4. Szene). Doppelte Informationsvorgaben begegnen aber auch als Kombination linguistischer und mimetischer Zeichen in der Art: Sed heu, quis iste vultus in facie sedet? ( „ Ach weh, welcher Ausdruck zeigt sich auf deinem Gesicht “ )? 33 Die radikalste Form mehrfacher Informationsvorgabe ist zweifellos die Episierung des Dramas. 34 Spielexterne Figuren geben dabei jene Perspektive vor, unter der die Handlung betrachtet werden soll. In unserem Stück sind das Fortuna im Prolog oder Herkules mit Lykos in den Chorliedern. Eine besonders deutliche Überlagerung von innerer Handlung und Kommunikation zwischen Autor und Publikum repräsentiert die Figur des Marius, der nach der Schlussszene die Fiktion des Historiendramas durchbrechend, die Prämien an die Klasse verteilt. Er verkörpert sowohl die Spielfigur als auch den epischen Vermittler. Die semantisch ambivalenten Begriffe labor und virtus, die im Lied des Genius Romae anklingen, weisen nicht nur auf den Krieg um Cirta vor 32 Im Barocktheater können die dramatis personae als allgemein verständliche Zeichen nur funktionieren, wenn in ihnen eine begrenzte Anzahl von Grundtypen erkennbar ist. In diesem Fundus an Personen ist der Tyrann durch seine Affektverfallenheit charakterisiert, die ihn hindert, seine Emotionen kraft seines Willens zu beherrschen; dazu Fischer-Lichte 1995, 34. 33 Joseph Resch, Iugurtha 2, 4. 34 Pfister 1988, 109 - 112 zu spielexternen Figuren, die außerhalb des inneren Kommunikationssystems Handlungsvoraussetzungen oder den Handlungsverlauf skizzieren, kommentieren, reflektieren. 74 Ludwig Fladerer <?page no="75"?> 2000 Jahren zurück, sondern betreffen auch direkt die prämierten Studenten am Ende eines Studienjahres. Zur Würdigung: Im Abgleich mit der jesuitischen Tragödientheorie seiner Zeit repräsentiert Resch die konservativere Richtung, die noch dem Barocktheater verhaftet blieb. Nicht Illusion ist Ziel der Aufführung, sondern die klare Darstellung von Zeichen, die Phänomene auf die Bühne bringen, die ihrerseits wieder Zeichen einer höheren Ordnung sind. Resch ging von einem Zuseher aus, dem dieser doppelte Verweischarakter von Theaterzeichen noch vertraut war. 35 Ein uns unbekannter Lehrer ist Zeichen für den Feldherrn Marius im Jugurthadrama. Dieser durchbricht die vierte Wand zum Publikum, verteilt am Ende Prämien, die ihrerseits Zeichen für das Verhalten der Studenten waren. So verlässt das Theater die Bühne, es wird zum theatrum mundi und dies ist wesenhaft Barock. Warum war also den Stücken eines Resch keine Zukunft beschieden? Warum hätte vermutlich ein Diderot wie auch ein Friz über seinen Iugurtha gelacht? Der ideale Zuseher des Iugurtha vermochte die Plurimedialität des Barocktheaters noch voll auszuschöpfen, er konnte die theatralischen Zeichen miteinander kombinieren, um eine höhere Weltordnung zu verstehen. Der Mensch der neuen Generation, die wir mit den Schlagworten Sensualismus und Empirismus grob konturieren, kann oder will die Ordnung der Natur nicht mehr mit Hilfe rein verstandesmäßiger Operationen, sondern primär aus der Klassifizierung der Natur dekodieren. 36 Dieser neue Rezipient sucht und versteht somit auch theatralische Zeichen nur dort, wo sie die beobachtbare Ordnung der Natur abbilden. Damit mochte Reschs Iugurtha für sein Publikum noch spannend gewesen sein, die nähere Zukunft gehörte ihm nicht mehr. Literatur Primärliteratur Jakob Bidermann: Cenodoxus, hg. von Rolf Tarot, Abdruck nach den „ Ludi Theatrales “ (1666) mit den Lesarten der Kelheimer und Pollinger Handschrift, Tübingen 1963. Denis Diderot: Ästhetische Schriften, hg. von Friedrich Bassenge, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1968. Andreas Friz: Epistula de Tragoediis, hg. von Nienke Tjoelker, Andreas Friz ’ s Letter on Tragedies (ca. 1741 - 1744). An Eighteenth-Century Jesuit Contribution to Theatre Poetics, Leiden 2014 (Drama and Theatre in Early Modern Europe, Bd. 4). 35 Der doppelte Verweischarakter barocker Theatercodes lässt Bühnenfiguren wie Marius zugleich vergangen und gegenwärtig erscheinen; dazu Niefanger 2008, 427. 36 Fischer-Lichte 1995, 99 unter Verweis auf Carl von Linnés Systema Naturae. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 75 <?page no="76"?> Johannes Josef Khevenhüller-Metsch, hg. von Hanns Schlitter, Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, Kaiserlichen Obersthofmeisters 1742 - 1776, Wien / Leipzig 1907. Franz Lang: Abhandlung über die Schauspielkunst, hg. und übersetzt von Alexander Rudin, Bern / München 1975 (Deutsche Barock-Literatur). Gabriel François Le Jay: Bibliotheca rhetorum, 2 Bde., Paris 1725. Jacob Masen: Palaestra eloquentiae ligatae, Bd. 3, Köln 1664. Franz Neumayr: Idea poeseos sive methodica instructio de praeceptis, praxi et usu artis, Augsburg / Ingolstadt 1768. Joseph Resch: Jugurtha, hg. von Elisa Viale, Jugurtha. Ein Drama von Joseph Resch mit Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen, Diplomarbeit (Leopold-Franzens- Universität Innsbruck), Innsbruck 2015. Ignaz Weitenauer: Quinti Horatii Flacci Ars poetica, Augsburg / Freiburg i. Br. 1757 (repr. Whitefish, Montana, 2009). Sekundärliteratur Engle, Ronald G.: Lang ’ s Discourse on Stage Movement, Educational Theatre Journal 22, 1970, 179 - 187. Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Eine Einführung. Bd. 2: Vom „ künstlichen “ zum „ natürlichen “ Zeichen. Theater des Barock und der Aufklärung, Tübingen 3 1995. Fladerer, Ludwig: Die Poetik des Andreas Friz und ihr Antikebezug, 2007, https: / / gams. uni-graz.at/ archive/ get/ o: arj-076-9/ sdef: TEI/ get (letzter Zugriff am 25.7.2024). Fladerer, Ludwig: Wie bringt man Antike zur Wirkung? Plurimedialität im Jesuitendrama Pietas Victrix des Nicolaus Avancini SJ (1611 - 1686), in: Irmtraud Fischer (Hg.): Bibel- und Antikenrezeption. Eine interdisziplinäre Annäherung. Wien / Berlin 2014 (Exegese in unserer Zeit, Bd. 23), 320 - 334. Goda, Krisztina: Michael Denis (1729 - 1800) zwischen Tradition und Moderne: Ein poeta doctus im habsburgischen Sprachraum, ungedr. Dissertation (Karl-Franzens-Universität Graz / Sorbonne Université Paris), Graz / Paris 2022. Hartmann, Frank: Multimedia, Wien 2008. Kompatscher, Gabriela / Korenjak, Martin: Sprachdidaktik, Poetik, Philologie, in: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath / Lav Š ubari ć / Karlheinz Töchterle (Hg.): Tyrolis Latina. Geschichte der Lateinischen Literatur in Tirol, Bd. 2, Wien / Köln / Weimar 2012, 797 - 806. Nöth, Winfried: Handbuch der Semiotik. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage mit 89 Abbildungen, Stuttgart / Weimar 2000. Niefanger, Dirk: Das redivivus-Modell. Historische Helden und ihre Semiotik. Dramen von Jacob und Nikodemus Frischlin, in: Christel Meier / Bart Ramakers / Hartmut Beyer (Hg.): Akteure und Aktionen. Figuren im Handlungstypen im Drama der Frühen Neuzeit, Münster 2008, 417 - 434. Olson, David R. / Bruner, Jerome S.: Learning Through Experience and Learning Through Media, in: David R. Olson (Hg.): Media and Symbols. The 73rd Yearbook of the NSSE, Bd. 1, Chicago 1974, 120 - 150. 76 Ludwig Fladerer <?page no="77"?> Pfister, Manfred: Das Drama. Theorie und Analyse, München 6 1988. Sieveke, Franz Günter: Actio scaenica und persuasorischer Perfektionismus. Zur Funktion des Theaters bei Nikolaus Avancini S. J., in: Herbert Zeman (Hg.): Die Österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050 - 1750), Teil 2, Graz 1986, 1255 - 1282. Tilg, Stefan: Theater, in: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath / Lav Š ubari ć / Karlheinz Töchterle (Hg.): Tyrolis Latina. Geschichte der Lateinischen Literatur in Tirol, Bd. 2, Wien / Köln / Weimar 2012, 660 - 700. Vapereau, Gustave: Dénouement. Dictionnaire universel des littératures, Paris 1876, 607. Zimmermann, Bernhard: Spurensuche. Studien zur Rezeption antiker Literatur, Freiburg i. Br. / Berlin / Wien 2009. Joseph Reschs Historiendrama Iugurtha im Kontext des zeitgenössischen Jesuitentheaters 77 <?page no="79"?> Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands Ein Schismatiker als Diözesanpatron Stefan Zathammer (Innsbruck) Um die Mitte des 18. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als im katholischen Schuldrama zu den sakralgeschichtlichen Stoffen zusehends solche weltlichen Inhalts traten und die Autoren der Schulspiele begannen, sich allmählich auch an neuen, aufklärerischen Paradigmata zu orientieren, 1 brachte Joseph Resch innerhalb weniger Jahre noch zwei Mal große Heiligendramen auf die Schulbühne des Hochfürstlichen Gymnasiums von Brixen. Die Tiroler Kirchengeschichte war schon 1747 auf der Theaterbühne in Brixen dargestellt worden; damals hatte Resch die legendenhafte Romfahrt des heiligen Säbener Bischofs Lukan (5. Jahrhundert) zum Thema des Herbstspieles gewäht. 2 Nur zwei Jahre später bot die lokale Sakralgeschichte im September 1749 neuerlich den Stoff für den ludus ad finem anni scholastici. Held und Titelgeber war dieses Mal wieder ein heiliger Brixner Bischof - und zwar kein geringerer als der Diözesanpatron Ingenuin von Säben. In vorliegendem Beitrag soll untersucht werden, wie sich Resch mit Hilfe der Theaterbühne in den hagiographischen Diskurs, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Tiroler Gelehrtenwelt beschäftigte, einbrachte, um die Person eines Bistumspatrons zu verteidigen, der in diesen Jahren heftigen Angriffen ausgesetzt war. Dazu werden eingangs (1) Inhalt und Aufbau des Sanctus Ingenuinus 3 vorgestellt, woran sich (2) ein Überblick zum historischen Hintergrund der Fabel des Schauspiels und zu den von Resch benutzten Quellen anschließt. Der dritte Abschnitt (3) beschäftigt sich mit den schon im latei- 1 Vgl. Szarota 1981; Tilg 2008, speziell für Tirol Tilg 2012. Das Hauptaugenmerk liegt in diesen Untersuchungen zwar auf dem Schuldrama der Jesuiten, mutatis mutandis sind sie aber auch auf die Theaterproduktion anderer Orden und katholischer Bildungseinrichtungen anwendbar. 2 Sanctus Lucanus Sabionae apud Brixentas episcopus - H. Lucanus Bischoff zu Brixen. Heute ist nur mehr die Perioche erhalten (Bibliothek des Priesterseminars Brixen, Sign. E23). 3 Eine kurze Besprechung des Stückes liefert Mutschlechner 1975/ 1976, 74 - 92. <?page no="80"?> nisch-deutschen Doppeltitel ausgedrückten Motiven von Heiligendrama und patriotischem Geschichtsdrama. Abschließend gilt die Untersuchung (4) dem Streit um Ingenuins Heiligkeit und deren Verarbeitung im Sanctus Ingenuinus. Inhalt und Aufbau des Sanctus Ingenuinus Der Text der fünfaktigen Tragödie 4 Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands ist in einem 72 Seiten umfassenden Manuskript, das vermutlich aus Reschs eigener Hand stammt, in einem mit der dazugehörigen Perioche gebundenem Heft auf uns gekommen. 5 Der lateinische Spieltext ist in einer Form der lateinischen Kursiven als Schreibschrift niedergeschrieben, die deutschen Passagen der Chöre in Kurrent. Auffälliges Merkmal der Handschrift sind die zahlreichen, bisweilen sogar überbordenden Regie- und Spielanweisungen, die in lateinischer Sprache verfasst und in roter Tinte geschrieben entweder direkt in den Spieltext eingeflochten sind oder diesen als Randbemerkungen begleiten. Neben einer Gliederung in Akte und Szenen enthält das Manuskript in Form von Randbemerkungen auch Hinweise auf die verschiedenen Teile des Dramas nach der aristotelischen Poetik (Protasis pars prima, Protasis pars secunda, Epitasis und Katastasis). 6 Die Ausgangssituation am Beginn des Schauspieles stellt sich folgendermaßen dar: Wir schreiben das Jahr 590, die Langobarden befinden sich mit den miteinander verbündeten Franken und Byzantinern im Krieg. Erstere haben sich soeben in ihre letzte, bei Trient gelegenen Trutzburg Ferruge zurückgezogen. Die fränkischen und byzantinischen Truppen sind gerade im Begriff, den Belagerungsring um sie zu schließen und den entscheidenden Sturmangriff vorzubereiten. Den gesamten ersten Akt nimmt die in epischer Breite ausgeführte Belagerung der Langobardenfeste ein. Eröffnet von einem Marsch- 4 Die Bezeichnung des Stückes als tragoedia ist mitunter dazu geeignet, den modernen Leser, der dabei an die klassische Dramentheorie denken mag, in die Irre zu führen. Im Sanctus Ingenuinus nimmt die Handlung nämlich keineswegs ein ‚ tragisches ‘ (d. h. negatives) Ende. Die Frage, ob ein solches als eine conditio sine qua non für die Gattung der Tragödie zu gelten habe, hatte schon Aristoteles (vgl. De arte poetica 1453a) aufgegriffen, und sie wurde in der Dramentheorie der Zeit vielfach diskutiert (z. B. Pontanus 1594, 88 - 89; Lang 1727, 80 - 93). Als Antwort auf diese Problematik führte man in den neuzeitlichen Poetiken schon früh die Mischformen tragicocomedia bzw. comicotragoedia - dasselbe Problem stellte sich, nur eben unter anderen Vorzeichen, auch im Bereich der Komödie - ein und so hielt etwa Donati 1633, 134 - 137 ein glückliches Ende dann für erlaubt, wenn wenigstens der Weg dahin über bedeutsame und schreckliche Ereignisse geführt habe (vgl. Roselt 2011). 5 Bibliothek des Brixner Priesterseminares, Sign. F25. 6 Beschreibung der Handschrift bei Mutschlechner 1975/ 1976, 76. 80 Stefan Zathammer <?page no="81"?> gesang (cantus militum unisonus) der fränkischen Soldaten über das Schmieden der Angriffspläne gipfeln die Geschehnisse schließlich in der fünften Szene, die den Sturm auf die Burg zeigt. Sie nimmt im Spielganzen auf dreierlei Weise eine Sonderrolle ein: Sie ist ganz in Prosa gehalten, macht als längste Szene rund ein Viertel des Spieles aus und in ihr ist nicht nur die Bühne zweigeteilt, sondern auch der Spieltext. Auf der linken Seite der Bühne handeln und sprechen die Angreifer, auf der rechten Seite die Verteidiger. Der zweite Akt wird von den Klagen einiger aus der brennenden Festung entflohener Langobarden - unter denen sich auch der Bischof von Trient, Agnellus, befindet - über die furchtbare Niederlage und den Fall ihrer Burg ausgefüllt. Erst ganz am Ende dieses Aufzugs betritt erstmals der Held des Stückes, Bischof Ingenuin von Säben, die Bühne. Er ist auf die Nachricht von den Kämpfen und der langobardischen Niederlage herbeigeeilt, um seinen Landsleuten, die vor den anrückenden Feinden zahlreich hinter die schützenden Mauern der Burg geflüchtet waren, Beistand in ihrer Not zu leisten. Die siegreichen Franken und Byzantiner aber sind währenddessen ob ihres großen Erfolges in einen ungeheuren Siegesrausch verfallen und lassen es an Rache und Grausamkeit gegenüber ihren Gefangenen nicht fehlen. Der dritte Akt gibt im wahrsten Sinne des Wortes beredtes Zeugnis davon. Als strahlendes Gegenbild zur Barbarei der Sieger tritt indes Ingenuin auf. Er besucht die Gefangenen im dunklen Kerkerloch, bringt den Gequälten Speise und Trank und spricht ihnen Mut zu. Der vierte und fünfte Aufzug zeigen den Bischof ganz als den guten Hirten. Um das Leben der ihm von Gott anvertrauten ‚ Herde ‘ zu retten, ist er sogar bereit, sein eigenes hinzugeben. Aber weder die Feinde noch seine Landsleute sind zunächst bereit, die selbstlose Opfergabe anzunehmen. Der Frankenkönig Childebert lässt sich, getrieben von seiner Gier nach Gold, nach einigen Überlegungen doch auf einen Handel ein. Er ist gewillt, den Gefangenen gegen die Zahlung einer hohen Lösegeldsumme, die innerhalb eines Tages beschafft werden soll, Leben und Freiheit zu schenken. Ingenuin bleibt in seiner Verzweiflung nicht mehr, als mit inbrünstigen Gebeten Gott anzurufen. Die große Liebestat und die inständigen Bitten, mit denen sich der gottgefällige Bischof an den Allmächtigen wendet, bleiben im Himmel nicht unerhört. Die letzten beiden Szenen des fünften Aktes bringen endlich die herbeigesehnte Wende. Ein Gesandter des Bajernherzogs Theodo III. betritt - einem deus ex machina gleich - wie aus heiterem Himmel die Bühne und bringt im Namen seines Herrn das von den Franken für die Freilassung der langobardischen Gefangenen geforderte Lösegeld mit. Wie in Reschs Herbstspielen üblich, wurde das eigentliche Drama von Gesangspartien gerahmt bzw. von solchen unterbrochen. Noch vor dem Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 81 <?page no="82"?> Beginn der Handlung im Prolog wird das Stück durch einen in elegischen Distichen gehaltenen cantus in contrapuncto per Musurgiam Kircherianam 7 eröffnet, der mit vornehmlich aus dem zweiten Buch von Vergils Aeneis entlehnten Wendungen und Versteilen die Erinnerung an den schrecklichen Fall von Troja heraufbeschwört und so schon hier auf die kommende Spielhandlung vorausweist. Dieser Verweis erfolgt aber nicht nur vor dem geistigen Auge des Zuschauers, sondern wird im Theatersaal selbst imaginiert, denn untermalt wird die ganze Szenerie von einer mittels der sogenannten laterna magica an die Wand geworfenen Bilderreihe, die Handlungselemente des Dramas antizipiert; gezeigt werden Schlachtenbilder und die drohende Hinrichtung der langobardischen Kriegsgefangenen. 8 Der Prolog steht, wie sich aus der lateinischen Inhaltsangabe der Perioche ergibt, unter dem für das ganze Schauspiel sinnfälligen Motto des Psalms 84, 11: Misericordia et veritas obviaverunt sibi, iustitia et pax osculatae sunt ( „ Es begegneten einander Barmherzigkeit und Wahrheit; Gerechtigkeit und Friede küssten sich “ ). 9 Dargeboten wird ein in Prosa gehaltenes Streitgespräch der vier Allegorien Gerechtigkeit, Friede, Barmherzigkeit und Wahrheit. In einem heftig geführten Disput verhandeln sie über das Los der gefangenen Langobarden. Der Ausgang des Stückes, der Triumph des Guten über das Böse, im konkreten Fall der Sieg der von Nächsten- und Gottesliebe erfüllten Barmherzigkeit über die eherne Strenge der Gerechtigkeit, wird an dieser Stelle schon grob vorweggenommen. Unterbrochen wird das Schauspiel von zwei volkssprachlichen, mit der eigentlichen Handlung nur lose verknüpften Chören, die nach dem zweiten und vierten Akt eingeschoben sind. Der erste Chor nimmt die biblische Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten (Exodus 14) auf und zeigt einen überheblichen und stolzen Pharao Ramses, der die strafende Hand Gottes zu spüren bekommt. Der zweite Chor stellt die Episode vom goldenen Kalb vor, das sich die Israeliten als Götzenbild erschaffen, während Moses von Gott die Zehn Gebote erhält (Exodus 32). Abgeschlossen wird das Stück durch einen 7 Verwiesen wird damit auf die Arca musurgia, eine von Athanasius Kircher in seiner Musurgia universalis (Rom 1650) beschriebene Apparatur für die (halbautomatische) Komposition. Zur Musik in den Stücken von Joseph Resch s. den Beitrag von Robert Forgács in diesem Band. 8 Die laterna magica, auch Skioptikon genannt, war ein einfaches Projektionsgerät, das kleine gemalte oder gedruckte Bilder im Dunkeln vergrößert an die gegenüberliegende Wand warf. Ihre Erfindung wird oft dem Jesuiten Athanasius Kircher zugeschrieben (Ars magna lucis et umbrae, Rom 1644). Auf der Brixner Bühne wurde die ‚ Zauberlaterne ‘ lediglich für die Zurschaustellung der Schlachtenbilder im Sanctus Ingenuinus eingesetzt und fand abgesehen davon keine Verwendung mehr (vgl. Mutschlechner 1975/ 1976, 78, 237 - 238). 9 = Psalm 85, 11 nach neuer Zählung. 82 Stefan Zathammer <?page no="83"?> lateinischen cantus, in dem die befreiten Gefangenen ihren Retter Ingenuin in höchsten Tönen preisen und verherrlichen. Soweit die Fabel des Schauspiels. Historischer Hintergrund und Quellen Die historische Gestalt Ingenuins lässt sich nur in sehr schwachen Umrissen fassen. 10 Nach der traditionellen Zählung gilt er als Nachfolger des Hl. Kassian, des Märtyrers von Imola, der im 3. Jahrhundert das Bistum Säben gegründet haben soll. Nachdem in den Wirren, die die Barbarenstürme der Völkerwanderungszeit über das Alpenland brachten - zuerst die Hunnen, Alemannen und Goten, dann die Franken und Langobarden, schließlich die Bajuwaren - , das christliche Leben in diesem Landstrich beinahe erloschen war, soll der Hl. Ingenuin die Kirche dort gleichsam als conditor secundus, als ihr zweiter Gründer, an der Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert neu belebt und wiederaufgerichtet haben. 11 Mit einiger Sicherheit lassen sich aus den äußerst spärlichen Quellen über das Leben und Wirken Ingenuins folgende Daten festhalten: Auf der Kirchenversammlung von Marano (588/ 90) hat Ingenuin zusammen mit einer Reihe anderer Bischöfe des Erzsprengels von Aquileja in der Frage des Dreikapitelstreits - einer komplexen innerkirchlichen Auseinandersetzung im 6. und 7. Jahrhundert über das Verhältnis zwischen der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi - eine schismatische Haltung eingenommen. 12 Als im Kriegsjahr 590 ein Heer der Franken zusammen mit seinen oströmischen Verbündeten in das Langobardenreich eindrang, hat er sich gemeinsam mit Agnellus, dem Bischof von Trient, erfolgreich als Vermittler zwischen den Kriegsparteien betätigt und gegen ein Lösegeld die Freilassung der von den Franken gefangen genommenen Besatzung der bei Trient gelegenen Burg Ferruge erwirkt. 13 Im Frühjahr 591 scheint Ingenuin schließlich als erster Unterzeichner einer Bittschrift auf, die die Bischöfe des Patriarchats Aquileja an den oströmischen Kaiser Mauritius (reg. 582 - 602) in der Angelegenheit des Dreikapitelstreits richteten und diesen darin um Hilfe gegen Papst Gregor den Großen (reg. 590 - 604) ersuchten; diese wurde in der Folge auch gewährt. 14 10 Zu Leben und Wirken Ingenuins Kröss 1910, 67 - 78; Sparber 1927, 34 - 36; sehr kritisch Heuberger 1931a; Gelmi 1984, 29 - 31; ausführlich und mit umfassender Bibliographie Gelmi 2005. Resch behandelt Ingenuin in Gloria filiorum patres eorum 13 - 21 sowie in Annales Bd. 1/ 2, 363 - 464; darauf aufbauend Sinnacher 1821, 143 - 203. 11 Zu den Anfängen des Christentums in Tirol Sparber 1927; Sparber 1942; Gelmi 1996. 12 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3, 26. 13 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3, 31. 14 Gregor der Große, Registrum epistolarum 1, 16a. Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 83 <?page no="84"?> Über alles Weitere, ja selbst die elementarsten Daten, in welchem Jahr und an welchem Ort Ingenuin das Licht der Welt erblickt, welcher Abstammung er gewesen, wann und vom wem er zum Bischof geweiht wurde, und schließlich auch, wann, wo und unter welchen Umständen er aus dem Leben schied, besitzen wir keine zuverlässigen Quellen. 15 Einiges mehr als das oben geschilderte Faktengerüst hat die in Brixen im 12. und 13. Jahrhundert entstandene Heiligenvita zu berichten. 16 In ihr ist die Gestalt des Bischofs von Legende und Sage ganz verklärt. Die Vita rühmt insbesondere Ingenuins große Weisheit und seine Gerechtigkeitsliebe, mit der er sich zumal in der unruhigen Zeit des im Zuge des Dreikapitelstreites aufgetretenen Schismas hervorgetan habe. 17 Dazu weiß sie noch von allerlei Wunderdingen, die der Bischof vollbracht habe, zu erzählen. So soll ihm Gott etwa die besondere Gabe verliehen haben, Kranke zu heilen, er soll Blinde wieder sehend gemacht und Besessenen den Teufel ausgetrieben haben. 18 Auf dem Säbener Klosterfelsen habe er auch einen Lustgarten nach dem Vorbild des Paradieses errichtet, den jedoch niemand zu finden vermocht habe, hätte ihn nicht die Güte Gottes selbst dorthin geführt. 19 Allzu phantastisch durften die Wundergeschichten, die über Ingenuin im Umlauf waren, dann aber doch nicht sein, und so sah sich auch der Verfasser der Vita schließlich gezwungen, einschränkend festzustellen: 20 Feruntur etiam de ipso a vulgo quaedam ingentia miracula, quae licet sancto dei possibilia fuisse credamus, tamen veritati dissona noscuntur. Im Volk erzählt man sich von einigen großartigen Wundern. Von denen mögen wir zwar glauben, dass sie einem Heiligen Gottes nicht unmöglich gewesen wären, dennoch aber sieht man ein, dass sie der Wahrheit nicht gemäß sind. 15 Vgl. Gelmi 2005, 45 - 47. 16 Der ursprüngliche Kodex ist nicht mehr erhalten, Resch konnte ihn aber noch benutzen. Die Handschrift bestand aus drei Teilen, die alle einer verschiedenen Entstehungszeit zuzuordnen sind. Der erste (12. Jahrhundert) enthielt eine Lebensbeschreibung der Hl. Kassian, Ingenuin und Albuin. Der zweite Teil (erste Hälfte 13. Jahrhundert) enthielt noch einige zusätzliche, aus dem mittelalterlichen Brixner Brevier entnommene Informationen zu Ingenuin und Albuin sowie einen Anhang, der als Quelle den Liber epilogorum des Bartholomäus von Trient (ca. 1200 - 1251) nennt. Der dritte Abschnitt schließlich enthielt den eigentlichen Bischofskatalog, der bis ins Jahr 1418 reichte. Beschreibung der Handschrift bei Resch, Gloria filiorum patres eorum 4 (vgl. auch Sparber 1927, 5 - 6; Gelmi 2005, 44 - 45). Ediert ist die Ingenuinvita bei Resch Annales Bd. 1/ 2, 431 - 439 und Sinnacher 1821, 239 - 247 (Übersetzung mit Anmerkungen ebdt. 144 - 168, wieder abgedruckt bei Gelmi 2005, 83 - 91). 17 Vita Ingenuini 9 - 13. 18 Vita Ingenuini 14. 19 Vita Ingenuini 18. 20 Vita Ingenuini 16/ 17. 84 Stefan Zathammer <?page no="85"?> Wann genau in Brixen die Verehrung Ingenuins als Heiliger aufkam, lässt sich aufgrund der mangelhaften Quellenlage nicht sicher bestimmen, für die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts ist sie jedenfalls urkundlich bezeugt. 21 Die politischen Wirren des ausgehenden 6. Jahrhunderts mögen wohl dazu geführt haben, dass Ingenuin für einige Zeit sein Bistum verlassen musste, und deshalb wurde er in früher Zeit (bis ins 12. Jahrhundert) auch als Märtyrer verehrt, später wies man ihm oftmals den Titel eines Bekenners zu. 22 Sein Gedenktag wurde auf den 5. Februar, der vermutete Todestag im Jahr 605, 23 festgesetzt. 24 Am Ende des 10. Jahrhunderts wurden im Zuge der Verlegung des Bischofssitzes unter dem Hl. Albuin (reg. 965 - 1006) auch Ingenuins Reliquien vom Säbener Klosterfelsen nach Brixen übertragen, wo er fortan neben Kassian als Kirchen- und Diözesanpatron verehrt wurde. 25 Wie es für die Gestaltung der Periochen üblich war, werden auch in denen, die für die Schauspiele am Brixner Gymnasium gedruckt wurden, als Beigabe zum argumentum die Quellen angeführt, auf die sich die auf die Bühne gebrachte Geschichte stützt. In den Periochen der Resch-Stücke wachsen sich diese in den meisten Fällen auf die nötigsten Angaben beschränkten Hinweise jedoch zu umfangreichen Quellenapparaten aus. In der Perioche des Sanctus Ingenuinus werden nicht weniger als sieben Quellen angeführt: 1. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 2. Aimoin von Fleury, Historia Francorum 3. die Bollandisten 26 4. Bernhard Maria de Rubeis, Monumenta ecclesiae Aquilejensis (Straßburg 1740) 5. Matthäus Rader, Bavaria sancta et pia (München 1615 - 1627) 6. Andreas Brunner, Annales Boicae gentis (München 1626 - 1637) 7. Resch selbst, Gloria filiorum patres eorum (Brixen 1748) Durch den umfangreichen Quellenapparat der Perioche wirkt diese Episode in Geschichtswerken ausgiebig belegt und verbürgt. Als wichtigste Zeugnisse für den Kriegszug der Franken und Byzantiner gegen die Langobarden von 590 21 Vgl. Gelmi 2005, 57 - 59. 22 Vgl. Gelmi 2005, 68 - 70. 23 Vita Ingenuini 26. Vgl. Gelmi 2005, 47 - 48. Schon Resch musste allerdings zugeben, dass sowohl Todestag als auch -jahr nicht mehr als eine bloße Vermutung sind (vgl. Gloria filiorum patres eorum 20; Annales Bd. 1/ 2, 439 - 440, dort v. a. Fn. 244 - 245). 24 Vgl. Gelmi 2005, 60 - 61. 25 Vgl. Gelmi 2005, 48 - 52. 26 Gemeint sind die Acta Sanctorum der Bollandisten, dort wird Ingenuin in Februar Bd. 1, 669 - 675 behandelt (vgl. dazu auch Bibliotheca hagiographica Latina Bd. 1, 4273 - 4274). Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 85 <?page no="86"?> sind die schon mehrfach genannte Schilderung des Paulus Diaconus (Historia Langobardorum 3, 31) sowie die Darstellung bei Gregor von Tours (Historia Francorum 10, 3), dessen Frankengeschichte aber nicht angeführt wird, zu nennen. Von den Geschehnissen rund um die Belagerung von Ferruge ist allerdings nur bei Ersterem zu lesen und auch dieser berichtet nicht aus erster Hand, sondern bezog sein Wissen darüber aus der heute verlorenen Langobardengeschichte des Secundus von Trient (gest. 612). 27 Für die Fabel seines Schauspiels bediente sich Resch nicht aus dem reichen Fundus an Wundergeschichten und -taten, den die Heiligenvita um den Säbener Bischof gesponnen hatte, sondern legte ihr die bei Paulus Diaconus verbürgte Episode von der Vermittlertätigkeit der Bischöfe Ingenuin und Agnellus im Krieg zwischen Langobarden auf der einen, Franken und Byzantinern auf der anderen Seite zu Grunde: 28 Pervenit etiam exercitus Francorum usque Veronam, et deposuerunt castra plurima per pacem post sacramenta data, quae se eis crediderant nullum ab eis dolum existimantes. [ … ] Pro Ferruge vero castro, intercedentibus episcopis Ingenuino de Savione et Agnello de Tridento, data est redemptio, per caput uniuscuiusque viri solidus unus usque ad solidos sexcentos. Das Heer der Franken gelangte bis nach Verona. Die meisten Burgen ergaben sich, nachdem sie den durch Eid geleisteten Versprechungen, wonach ihnen nichts geschehen werde, Vertrauen geschenkt hatten. [ … ] Die Burg Ferruge aber wurde, weil als Vermittler die Bischöfe Ingenuin von Säben und Agnellus von Trient auftraten, losgekauft, der Preis lag zwischen einem und sechshundert Solidi für jeden Mann. Der historische Kontext, in den dieses Ereignis eingebettet ist, ist in Kürze dargestellt folgender: 29 Zur Stärkung der militärischen Präsenz Ostroms im Westen hatte Kaiser Mauritius mit dem fränkischen König Childebert II. (reg. 575 - 596) ein Bündnis geschlossen. In Erfüllung ihrer daraus entspringenden Verpflichtungen fielen die Franken in den 80er und 90er Jahren des 6. Jahrhunderts nicht weniger als viermal in das Langobardenreich in Norditalien ein. Trotz großer Anstrengungen gelang es ihnen jedoch nicht, dieses entscheidend zu schlagen oder eine nachhaltige Verschiebung der Machtverhältnisse zu erreichen. Der großangelegte Feldzug des Jahres 590 sollte im Zusammenwirken von fränkischen Truppen, die von (Nord-)Westen her in Italien 27 Zu den Quellen der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus immer noch grundlegend Jacobi 1877; neuer Mores 2012. 28 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3, 31. 29 Einen konzisen Überblick zur Ereignisgeschichte bieten Hartmann 1903, 56 - 79; Hodgkin 1916, 231 - 276; Heuberger 1931b. 86 Stefan Zathammer <?page no="87"?> einfielen, und oströmischen Kontingenten, die vom Exarchat Ravenna aus von Osten her vorrückten, endlich die Entscheidung bringen. Doch auch dieser Heereszug, der zunächst durchaus erfolgsversprechend begonnen hatte, musste schließlich ohne handfeste Erfolge abgebrochen werden. Die Langobarden vermieden es, sich den Eindringlingen in offener Feldschlacht zu stellen, und zogen sich in ihre befestigten Plätze und Kastelle zurück. Die Franken stießen zwar tief in feindliches Gebiet vor und konnten auf ihrem Zug, der sie bis nach Mailand und vor die Tore Veronas führte, einige kleinere Grenzbefestigungen, darunter auch die Festung Ferruge, die gemeinhin mit der Stadtburg von Trient identifiziert wird, 30 in ihre Gewalt bringen, es gelang ihnen aber nicht, größere Städte einzunehmen oder das langobardische Heer zur Schlacht zu zwingen. Angesichts der schwierigen Versorgungslage und einer Seuche, die sich im Spätsommer unter den Soldaten ausbreitete, mussten die fränkischen Heerführer schließlich einsehen, dass auch bei einer Fortführung des Feldzuges mit weiteren Erfolgen nicht zu rechnen sei. Sie traten deshalb mit König Authari (reg. 584 - 590) in Verhandlungen und schlossen, ohne mit ihren oströmischen Bündnispartnern Rücksprache zu halten, mit diesem einen zehnmonatigen Waffenstillstand ab. Die Byzantiner beabsichtigten zwar, bei Mantua über den Po zu setzen und gegen Pavia, wohin sich Authari geworfen hatte, vorzurücken, fühlten sich aber ohne die Unterstützung durch die fränkischen Truppen dazu nicht stark genug und brachen deshalb schließlich auch ihrerseits den Feldzug ab. 30 Paulus Diaconus (Historia Langobardorum 3, 31) spricht reichlich ungenau von einem castrum Ferruge in territorio Tridentino ( „ die Burg Ferruge im Tridentinerland “ ). Gregor von Tours (Historia Francorum 10, 3) - die zweite wichtige Quelle für den Krieg von 598/ 590 - nennt gar keine Burgen oder Festungen, die den Franken in die Hände gefallen sind, mit Namen. Schon die Perioche des Sanctus Ingenuinus bietet deshalb für die Verortung Ferruges drei Lösungsvorschläge an: „ Eintweders das heutige Il dorso di Trento, oder das Schloß zu Bergamo, oder die Clause alla Chiusa “ . Resch diskutiert diese Frage ausführlich auch in seinen historiographischen Arbeiten (vgl. Gloria filiorum patres eorum 19; Annales Bd. 1/ 2, 398 - 401, dort v. a. Fn. 163) und kommt zum Schluss, dass Ferruge wohl mit Verruca, der bekannten Stadtfestung von Trient zu identifizieren sei, auf dem Doss Trento, einer steilen, felsigen Erhebung am rechtsseitigen Ufer der Etsch am Rande des Stadtgebietes gelegen. Von ihr berichtet Cassiodor in seinen Briefen (Variae epistulae 3, 48), dass sie als eine beinahe uneinnehmbare Befestigung schon unter der Herrschaft des Ostgotenkönigs Theoderichs des Großen (reg. 474 - 526) der Bevölkerung von Trient in Notzeiten als Fluchtburg gedient habe. Zur Diskussion s. Malfatti 1883, 333 - 335; Heuberger 1931b, 160 - 162. Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 87 <?page no="88"?> Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands: Heiligen- und patriotisches Geschichtsdrama Schon der lateinisch-deutsche Doppeltitel Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands bringt die zwei Motive, von denen das Schauspiel beherrscht ist zum Ausdruck: Das christliche Heiligendrama auf der einen, das patriotische Geschichtsdrama auf der anderen Seite. Es war eines der Grundanliegen des christlichen Theaters überhaupt, Gott zu preisen und zu loben. Anhand einer exemplarischen Fabel wird die Größe Gottes, bei dem kein Ding unmöglich ist (vgl. Lukas 1, 37), gefeiert; so ist denn ja auch im Sanctus Ingenuinus Gott selbst, der eingreift, damit rechtzeitig das von den Franken für die Freilassung ihrer langobardischen Gefangenen geforderte Lösegeld gezahlt werden kann (5, 4). Im konkreten Fall tritt freilich, weil es sich bei unserem Schauspiel um ein Heiligendrama handelt, auch die Absicht hinzu, die Zuschauer zur imitatio sanctorum, zur Nachahmung des Bühnenhelden und so zur sittlichen und geistlichen Vervollkommnung, anzuspornen. Ingenuin wird ganz als der gute Hirte gezeigt, der beseelt von Gottes- und Nächstenliebe gleichermaßen bereit ist, für die Rettung seiner ‚ Herde ‘ sein eigenes Leben auf dem Schafott aufzuopfern (vgl. Johannes 10, 11 - 14): Jesus Christus ist als Erlöser auf die Erde gekommen und am Kreuz gestorben. Ingenuin ist bereit, seinem Herrn und Meister auch darin zu folgen. Das Stück endet und gipfelt schließlich in der bewegenden Antwort Ingenuins auf die erstaunte und ganz ungläubige Frage des Frankenkönigs Childeberts, was einen Menschen zu einer so großen Liebestat bewegen könne (5, 5): [ … ] I NGENUINUS : Quas habet leges amor, lex Christiana dictat et Christus animam qui pro salute posuit humanam suam et sponte pro illa sanguinem hac fudit die, hac lege voluit asseclas stringi suos, pro fratris anima ut propriam demus animam. I NGENUIN : Welchen Regeln diese Liebe folgt, das bestimmt das Gesetz Christi. Christus, der für unser Heil sein menschliches Leben hingegeben und aus freien Stücken dafür an diesem Tag sein Blut vergossen hat, wollte, dass durch folgendes Gebot seine Jünger miteinander verbunden werden: Nämlich, dass wir für das Leben eines Bruders unser eigenes hingeben. Das Vorbild des heiligen Bischofs soll so die gläubigen Theaterbesucher anspornen, auch ihren Lebenswandel mit Gottvertrauen jeden Tag aufs Neue mit ganzer Hingabe an der Botschaft des Evangeliums auszurichten: Gott aus 88 Stefan Zathammer <?page no="89"?> ganzem Herzen, ganzem Denken und ganzer Seele zu lieben und den Nächsten wie sich selbst (vgl. Markus 12, 29 - 31). Das Herbstspiel 1749 ist jedoch nicht nur katholisches Heiligendrama, sondern auch patriotisches Geschichtsdrama. Im Sanctus Ingenuinus lässt Resch nämlich mit Bischof Ingenuin von Säben nicht nur einen der wichtigsten Gestalten des Tiroler Heiligenhimmels auftreten, sondern eben auch eine in der lokalen Geschichte tief verwurzelte Figur, und verband damit ein an der Aufklärung inspiriertes moraldidaktisches Programm von Heimat- und Vaterlandsliebe, die schon im deutschen Periochentitel „ Liebe deß Vatterlands “ anklingt. Die Soldaten beider Seiten sind vom alten horazschen Diktum vom schönen Schlachtentod für das Vaterland auf dem Feld der Ehre beseelt: 31 Decus est honestum patriae in causa mori ( „ Eine große Ehre ist es, für das Vaterland sein Leben zu lassen “ , 3, 4) lässt Resch einen der gefangenen Langobarden im Kerker trotzig seinem Peiniger entgegenrufen und vor der entscheidenden Schlacht sucht ein Offizier der in der Burg eingeschlossenen Verteidiger, den Mut seiner Soldaten mit der Losung patria, quae ut deus veneranda est ( „ Das Vaterland, das man wie eine Gottheit verehren muss “ , 1, 5) zu stärken. So ist denn neben der Gottesverehrung und Nächstenliebe insbesondere der (Lokal-) Patriotismus die zweite wichtige Stütze, in der die hingebungsvolle Opferbereitschaft Ingenuins gründet. Nicht zuletzt ist es nämlich das traurige Geschick seiner Landsleute, die vor den anrückenden Franken hinter den dicken Festungsmauern Ferruges Schutz gesucht haben, das den Bischof veranlasst hat, seine Vermittlertätigkeit anzubieten. Quod te ruentis patriae fatum movet, / me tangit etiam ( „ Das Schicksalslos des zugrunde gehenden Vaterlandes, das dich bewegt, berührt auch mich “ , 5, 1) lässt Ingenuin gegenüber Agnellus, seinem Bruder im Hirtenamt, verlauten, um gleich darauf das Vaterland, für das er bereit ist, sein Leben hinzugeben (Ego te tuebor morte, qua nullum decus, / nullus triumphus potior, „ Ich werde dich mit meinem Tode schützen; keine Ehre, kein Triumph ist herrlicher “ , 5, 2) mit dem hingebungsvollen Ausruf Patria mihi carissimia! ( „ Du mir unendlich teures Vaterland! “ , 5, 2) zu beehren. Bischof Ingenuin ist in erster Linie zwar ein vorbildlicher Christ, aber daneben auch noch ein modellhafter Staatsbürger, der bereit ist, für dessen Erhalt und das Wohl seiner Mitbürger auch sein eigenes Leben hinzugeben. 31 Horaz, Carmina 3, 2, 13 Dulce et decorum est pro patria mori ( „ Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben “ ). Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 89 <?page no="90"?> Streit um Ingenuins Heiligkeit Nun ist aber, wie schon erwähnt, das Bild über das Leben und Wirken Ingenuins, das sich aus den historischen Quellen gewinnen lässt, keineswegs eines, das den Bischof in so strahlendem Licht zeichnet, wie es Resch in seinem Schauspiel tut. Der Säbener Oberhirte ist nämlich wegen seiner romfeindlichen - und damit schismatischen Haltung - im Dreikapitelstreit mitnichten eine gänzlich unproblematische Persönlichkeit und als solche sah sie sich im hagiographischen Diskurs der Zeit heftigen Angriffen ausgesetzt. Die Perioche des Sanctus Ingenuinus stimmt am Ende der deutschen Inhaltsangabe eine bittere Klage über die Geringschätzung an, die in jüngster Zeit den beiden Diözesanheiligen und Bistumspatronen Kassian und Ingenuin zu Teil geworden sei: Gott gebe / daß dessen heilige Gedächtnuß auch in unsern Hertzen eingehauet verbleibe / daß auch wir nach dem Beyspiel deß Alterthums grosses Vertrauen und Ehr-Forcht auf unsere Stift-Patronen tragen. Zu bedauren ist es zwar / daß bey einigen / welche nur allen Neuigkeiten nachaffen / fast ein jeder Heiliger mehr giltet / als unsere erste alte Ertz-Vätter und Bistums-Saulen SS. Cassianus und Ingenuinus. Wer jene sind, die „ nur allen Neuigkeiten nachaffen “ und „ bey [denen] fast ein jeder Heiliger mehr giltet “ , ist in der Perioche zwar nicht explizit gesagt, im Hintergrund dieser Kritik lassen sich aber mit Gewissheit in erster Linie der Trientner Historiker Girolamo Tartarotti (1706 - 1761) und dessen Anhänger ausmachen. 32 1743 hatte dieser in Venedig seine Abhandlung De origine ecclesiae Tridentinae et primis eius episcopis dissertatio ( „ Über den Ursprung der Kirche von Trient und deren erste Bischöfe “ ) veröffentlicht. 33 In dieser kleinen Schrift - sie umfasst gerade einmal 100 Druckseiten - unternahm es der Autor, die Geschichte seiner Diözese durch rigorose Quellenkritik, getragen von der Maxime, Aberglaube von Glaube, Legende von geschichtlicher Wirklichkeit und Mutmaßung von gesichertem Wissen zu trennen, auf eine solide Grundlage zu stellen. Zum Opfer fiel der rigorosen Kritik vor allem die durch zahlreiche Legenden verklärte Frühgeschichte des Bistums. Seine Gründung, so wusste es die im Mittelalter entstandene Überlieferung zu berichten, lasse sich über den ersten Bischof Iovinus und den Hl. Hermagoras, der vom Evangelisten Markus zu dessen Nachfolger im Patriarchat Aquileja bestimmt worden sein soll, bis auf die Zeit der Apostel zurückführen. Ganz am Rande 32 Vgl. Vareschi 1998, 57 - 66; 1999; Nössing 1997, 365 - 371. 33 Zu Tartarotti s. überblicksartig Š ubari ć u. a. 2012, 767 - 771. 90 Stefan Zathammer <?page no="91"?> streifte Tartarotti in De origine auch die Anfänge der Kirche von Säben bzw. Brixen. 34 Der Historiograph kommt dabei zum Schluss, dass der Hl. Kassian niemals, wie es die kirchliche Tradition in Brixen behauptete, 35 im 3. Jahrhundert das Bistum Säben gegründet haben und dessen erster Bischof gewesen sein könne. Prudentius, der als erster vom Blutzeugnis Kassians berichtet, kenne ihn noch nicht als Bischof. 36 Ebenso wenig überlieferten die anderen älteren Zeugnisse - Gregor von Tours, Petrus Damianus oder das Martyrologium Hieronymianum - Nachrichten von einem Hirtenamt, ein solches habe ihm erst die mittelalterliche Heiligenvita zugewiesen. Die Anfänge des christlichen Säben bzw. Brixen dürften also nicht ins erste nachchristliche Jahrhundert datiert werden, sondern müssten ins ausgehende 6. Jahrhundert verlegt werden und Ingenuin habe als der erste Säbener Oberhirte zu gelten. Diesem allerdings sprach der Trientner Gelehrte wegen dessen romfeindlichen Haltung im Dreikapitelstreit nicht nur die Heiligkeit ab, sondern erklärte ihn schlichtweg zum Schismatiker. Die zentralen historischen Fakten zum Dreikapitelstreit, auf die Tartarotti seine Untersuchung gründete, stellen sich im Überblick folgendermaßen dar: Das 6. und 7. Jahrhundert waren von einer schweren innerkirchlichen Auseinandersetzung, in der sich auch die kaiserliche Politik stark zu Wort meldete, über das komplexe Verhältnis zwischen der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi geprägt. Auf dem Zweiten Konzil von Konstantinopel (553) wurde ein dreifaches Anathema gegen die sogenannten Drei Kapitel ausgesprochen: 1. gegen die Person und die Schriften des Theodor von Mopsuestia, 2. gegen diejenigen Werke des Theodoret von Cyrus, welche dieser zur Verteidigung des Nestorius gegen Cyrill von Alexandrien und gegen das Konzil von Ephesos (449) gerichtet hatte, und 3. gegen den Brief des Priesters Ibas von Edessa an den persischen Bischof Maris von Ardaschir. Im Westen 34 Tartarotti, De origine 45 - 49. 35 Die Gestalt dieses heiligen Bischofs ist ganz von Sage und Legende verdunkelt, sodass sie sich kaum mehr historisch fassen lässt. Die im Hochmittelalter in Brixen entstandene Vita, welche später bearbeitet und gekürzt im Liber epilogorum des Dominikaners Bartholomäus von Trient allgemeine Verbreitung fand, berichtet, dass Kassian nach Säben gekommen sei, um die heidnischen Bevölkerung dort zu missionieren. Schon bald aber, so die Erzählung, hätten diese Bergbewohner den eifrigen Glaubensverkünder in Ketten gelegt und schließlich aus ihrem Lande vertrieben. Kassian sei nach einigen Umwegen endlich nach Forum Cornelii, dem nachmaligen Imola, gekommen und habe dort als Schulmeister der städtischen Jugend gewirkt. Während der diokletianischen Christenverfolgung sei er wegen seines Glaubens um das Jahr 302 von seinen Schülern auf grausame Art mit ihren Griffeln getötet worden. Vgl. Gelmi 1984, 24 - 26; Gelmi 2005, 23 - 26. Die Kassiansvita aus dem Brixner Codex ist ediert bei Resch, Annales Bd. 1, 91 - 95. 36 Prudentius, Peristephanon 9. Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 91 <?page no="92"?> stießen diese Verurteilungen auf große Ablehnung. Der größte Widerstand dagegen formierte sich in Norditalien, wo sich die ligurischen und lombardischen Bischöfe unter der Führung des Erzbischofes Vitalis von Mailand und die Oberhirten von Venezien und Istrien unter dem Metropoliten Paulus von Aquileja förmlich von Rom lossagten und die Entscheidungen des Konzils verwarfen. Während die Bischöfe der Mailänder Kirche zum überwiegenden Teil ab 571 vom Schisma zurücktraten, verharrten jene aus Venezien und Istrien wesentlich länger darin, vereinzelt noch bis zum Ende des 7. Jahrhunderts. Die zeitweilige, aber durch die weltliche Macht erzwungene Aussöhnung des Patriarchen von Aquileja mit dem Papst führte zu einem schweren Zerwürfnis innerhalb dieser Metropolitankirche. Eine ganze Reihe von Bischöfen, darunter auch Ingenuin von Säben und Agnellus von Trient, weigerten sich, ihrem Vorsteher zu folgen, und wandten sich 591 mit einer Bittschrift an Kaiser Mauritius, worin sie diesen um Hilfe gegen den Druck, den Papst Gregor der Große auf sie ausübte, baten. 37 Die Brixner Ingenuinvita, deren Autor keine klare Vorstellung mehr hatte, worum es in den komplizierten theologischen Streitigkeiten ging, stellt die Situation freilich ganz anders dar. Smaragdus, der oströmische Exarch von Ravenna, sowie Johannes, der dortige Bischof, hätten Severus, den Patriarchen von Aquileja gezwungen, sich von Rom abzuwenden. Ihm sei eine ganze Reihe anderer Bischöfe gefolgt. Nur wenige, darunter eben auch die Bischöfe von Säben und Trient, Ingenuin und Agnellus, hätten die Standhaftigkeit besessen, an der Wahrheit und der Einheit mit dem Papst festzuhalten. 38 Ganz in diesem Sinne war lange Zeit auch der knappe Bericht bei Paulus Diaconus (Historia Langobardorum 3, 26) verstanden worden, so dass jene beschuldigt wurden, die mit Rom in Einigkeit lebten, jene aber entschuldigt, die sich in Wahrheit von der Kirche getrennt hatten. 39 Das Ausmaß der Polemik und Entrüstung, die Tartarotti mit seiner kleinen Schrift auslöste, konnte dieser bei deren Veröffentlichung wohl kaum ahnen. In Trient selbst erregte die Schrift nur geringe Aufmerksamkeit, umso größer aber war die Empörung darüber im Nachbarbistum Brixen. Dort hatte schon wenige Jahre vorher die Tatsache, dass die mit maßgeblicher Autorität ausgestatteten Bollandisten in ihren Acta Sanctorum den Hl. Kassian als Bistumsgründer in Frage stellten, 40 für große Aufregung, ja Entrüstung gesorgt. 41 Der Angriff, den 37 Zum Dreikapitelstreit und zur Rolle Ingenuins darin Sparber 1942, 45 - 71; Gelmi 2005, 12 - 20. 38 Vita Ingenuini 9 - 14. 39 Vgl. Sinnacher 1821, 144, 150, 176 - 178; Gelmi 2005, 33 - 34. 40 Acta Sanctorum August Bd. 3, 19 - 22. 41 Vgl. Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 768. 92 Stefan Zathammer <?page no="93"?> Tartarotti führte, war noch ungleich schärfer und konnte von Brixner Seite aus nicht unwidersprochen stehen gelassen werden. Da der Trienter Bischof Dominik Anton von Thun (reg. 1730 - 1758) der eindringlichen Forderung, Tartarottis Abhandlung verbieten zu lassen, nicht nachkam, beschloss man in Brixen, die Rettung der Ehre der beiden Diözesanpatrone auf eigene Faust zu unternehmen. 42 Diese Aufgabe übertrug man keinem geringerem als dem berühmten Polyhistor Anton Roschmann (1694 - 1760), 43 einem der angesehensten Gelehrten Tirols seiner Zeit. Auf De origine antwortete Roschmann 1748 mit seinen Coniecturae pro asserendo episcopatu Sabionensi Sancti Cassiani martyris Imolensis ( „ Mutmaßungen zugunsten der Bestätigung des Säbener Bischofsamtes des Hl. Kassian, Märtyrer von Imola “ ). Tartarotti setzte dieser Schrift 1750 mit einem offenen Brief unter dem Titel De episcopatu Sabionensi ad Antonium Roschmannum epistola ( „ Brief an Anton Roschmann über das Säbener Bischofsamt “ ) eine bissige Erwiderung entgegen. Darin warf er seinem gelehrten Gegner nicht nur methodisches Versagen vor, weil sich dessen Argumente bloß auf unzuverlässige Quellen stützten, sondern nahm sich nun ausführlich auch die Person Ingenuins vor. Die Kritik an der Heiligkeit des zweiten Säbener Oberhirten, die im Kontext von De origine noch eine bescheidene Randnotiz war, ist nun schärfer und offener formuliert. Bischof Ingenuin könne nicht mit Recht als Heiliger verehrt werden, er habe nämlich die Verurteilung der Dreikapitel abgelehnt, sei so, was durch die quellenmäßige Überlieferung außer Frage stünde, ins Schisma abgedriftet und habe sich freiwillig außerhalb der Kirchengemeinschaft gestellt. In diesem Stande sei er schließlich auch gestorben. Der Streit, der sich im Laufe der Zeit auch auf andere kirchengeschichtlichen Themen ausweitete und in seiner Spätphase nicht mehr auf Latein, sondern vor allem auf Italienisch ausgetragen wurde, sollte noch einige Zeit fortgeführt werden. Beinahe im Jahrestakt erschienen Streitschriften und Erwiderungen. 1751 meldete sich Roschmann noch einmal mit seiner Hieronymi Tartarotti Roboretani ad Antonium Roschmann epistolae disquisitio ( „ Untersuchung des Briefes des Roveretaners Girolamo Tartarotti an Anton Roschmann “ ) zu Wort. Was den Streit um Kassian betraf, musste er Tartarotti zwar in einigen Punkten Recht geben, an der Heiligkeit Ingenuins wollte er aber keine Zweifel aufkommen lassen. Nachdem sich Roschmann mit dieser Schrift aus dem Streit verabschiedet hatte, trat für die Sache des Hl. Ingenuin nun der gelehrte und 42 Vgl. Vareschi 1998, 57 - 58. 43 Zu Roschmann s. überblicksartig Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 743 - 752. Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 93 <?page no="94"?> streitlustige Franziskaner Benedetto Bonelli (1704 - 1783) 44 aus Trient ein. Er musste zwar eingestehen, dass das Bischofsamt des Hl. Kassian als historische Tatsache nicht haltbar ist, mit umso mehr Eifer verteidigt er aber die Heiligkeit Ingenuins. Dass dieser durch seine irrige Haltung im Dreikapitelstreit ins Schisma abgedriftet sei, konnte auch Bonelli als erwiesene Tatsache nicht in Abrede stellen, der Säbener Bischof habe aber, so seine Argumentation, stets nur in gutem Glauben (bona fide) gehandelt und unter Mitwirkung der katholischen Langobardenkönigin Theodelinde (ca. 570 - 627) habe er vor seinem Tod schließlich doch noch seinen großen Irrtum eingesehen, Reue gezeigt und sei mit der Kirche ausgesöhnt aus dem Leben geschieden. 45 Hatte Roschmann Tartarotti zuletzt im Streit um die Person des Hl. Kassian Zugeständnisse machen müssen und war Bonelli gar zur Überzeugung gelangt, dass der Märtyrer von Imola nicht der erste Säbener Oberhirte gewesen sein konnte, so vertrat Resch in dieser Frage eine wesentlich konservativere Position und hielt an der traditionellen Bischofsfolge fest. Aus der polemischen Kontroverse rund um den Hl. Kassian und den Hl. Ingenuin selbst hat er sich als Historiker lange Zeit herausgehalten und Zurückhaltung geübt. 46 - Sein erstes historiographisches Werk, Gloria filiorum patres eorum (Brixen 1748), war so knapp konzipiert, dass eine breite Diskussion der Streitfragen keinen genügenden Platz fand, die entsprechenden Bände der Annales aber erschienen erst 1755 und 1759, in der späten Phase der gelehrten Auseinandersetzung und zu einer Zeit, als sich die größte Aufregung schon wieder gelegt hatte und zwischen Tartarotti und Bonelli zusehends andere kirchengeschichtliche Themen in den Fokus der Auseinandersetzung gerückt waren. - Doch auch für Resch war die Heiligkeit Bischof Ingenuins eine unumstößliche Wahrheit und wo er sich zu dieser Frage äußerste, bediente er sich ganz ähnlicher Argumente, wie sie schon seine Vorgänger herangezogen hatten. 47 Als Resch im September 1749 seinen Sanctus Ingenuinus auf der Bühne des Brixner Gymnasiums inszenierte, waren zwar seit dem Erscheinen von Tartarottis De origine schon sechs Jahre vergangen, aber erst 1748 hatte Roschmann seine Coniecturae veröffentlicht und im Herbst 1749 war Tartarottis Epistula ad Antonium Roschmannum schon fertiggestellt und befand sich gerade in Vorbereitung zum Druck und erschien im Jänner 1750. Um die Jahrhundertmitte strebte der Gelehrtenstreit um Kassian und Ingenuin also gerade seinem Höhepunkt zu. Wenngleich Resch als Kirchenhistoriker im 44 Zu Bonelli s. überblicksartig Š ubari ć / Schaffenrath / Kennel 2012, 772 - 774. 45 Vgl. Sinnacher 1821, 199 - 203; Kröss 1910, 77 - 78; Sparber 1927, 36. 46 Vgl. Sinnacher 1821, IX - X; Nössing 1997, 370. 47 Vgl. Sinnacher 1821, 202 - 203. 94 Stefan Zathammer <?page no="95"?> Streit selbst nicht offen Stellung für eine der Seiten bezog, so tat er dies aber doch öffentlichkeitswirksam als gelehrter Schriftsteller mit dem populären Mittel des Schultheaters. Zwar hatten sich auch schon Roschmann in Innsbruck und Bonelli in Trient eifrig um die Wahrung der Heiligkeit Ingenuins bemüht, dass Resch aber gerade in diesen Jahren den Hl. Ingenuin von Säben zum glorreichen Helden eines Herbstspieles auserkor, kann als bewusste Entscheidung seinerseits gesehen werden, auch seinen Teil zur Rehabilitierung und zur Verteidigung der Ehre des Diözesanpatrones leisten zu wollen. Der Beitrag Reschs musste umso kräftiger erscheinen, da er in Brixen selbst, dem Bischofssitz, vorgetragen wurde. Tartarotti hatte die Frage, ob Ingenuin ein Schismatiker gewesen sei und ob er deshalb als Heiliger verehrt werden dürfe, aus einem ganz und gar formalen Blickwinkel betrachtet und sich dabei mit scharfer Quellenkritik strikt auf die wenigen Nachrichten über das Leben und Wirken des Säbener Bischofs, die auf einem verlässlichen Fundament standen, beschränkt. Die Beweisführung seiner Widersacher Roschmann und Bonelli bewegte sich in dieser Streitfrage ganz im selben Rahmen; auch sie waren bemüht, Ingenuins Handeln bona fide durch eine auf die historische Überlieferung sich stützende Argumentation zu beweisen. Resch setzt der quellenkritischen Argumentation des Trentiner Historiker in seinem Sanctus Ingenuinus aber eine Erwiderung auf einer ganz anderen Ebene entgegen. Der formale Aspekt, ob Ingenuin nun im Schisma verharrend gestorben sei oder nicht, spielt hier keine große - ja überhaupt keine - Rolle, wichtig sind vielmehr die konkreten Taten des Bischofs. Sie allein sind schon Beweis genug für seine Heiligkeit. Das reichlich knappe Faktengerüst zu Ingenuins Leben, das der Bericht des Paulus Diaconus vorgab, ermöglichte es Resch dabei, die Person des heiligen Bischofs ganz nach seinen Idealvorstellungen auszuformen, ohne dabei Gefahr laufen zu müssen, in der Ausgestaltung der Handlung substantiell gegen die historische Überlieferung zu verstoßen; es erlaubte ihm, der sonst in seinen Geschichtswerken ein strenger Anhänger der kritischen Methode war, in der Dichtung jene poetischen Freiheiten zu nutzen, die ihm als Historiograph verwehrt blieben. Cernens itaque Beatus Ingenuinus tantam hominum fieri stragem, coactus dolore cordis intrinsecus, cogitabat cogitationes pacis, qualiter tempore afflictionis tribulatis posset subvenire; nam cum infirmis infirmabatur, cum scandalzatis urebatur, cum captis capiebatur, cum occisis et ipse moriebatur. 48 Wie der Heilige Ingenuin ein so großes Blutbad unter den Menschen sah, da konnte sein Herz nicht ohne Rührung bleiben und er machte sich Gedanken über den Frieden, wie er den Elenden in ihrer Trübsal helfen könne; denn mit den Kranken 48 Vita Ingenuini 23. Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 95 <?page no="96"?> schien er selbst krank, mit denen, die Anstoß erregten, verbrannt, mit den Gefangenen gefangen zu werden, mit den Toten zu sterben. Dieses Motiv, dass der Hirte bereit ist, jegliches Schicksalslos, das seine Herde trifft, zu teilen, mag es auch noch so hart und grausam sein, übernimmt Resch in sein Schauspiel. I NGENUINUS : [ … ] Homines miselli! Ecclesiae exsortes meae! Nox et catenae et undique horrores premunt vos innocentes. Vester est meus dolor. 49 I NGENUIN : [ … ] Unglückliche Männer! Von meiner Kirche getrennt! Nacht, Ketten, und Schrecken bedrängen euch Unschuldige von allen Seiten. Euer Schmerz ist der meine. Der dritte Akt zeigt ein strahlendes Bild Ingenuins, wie er die Gefangenen im dunklen Kerkerloch besucht, den dort durch Hunger und Durst Gequälten Speise und Trank bringt, ihnen Trost spendet und Mut zuspricht und zugleich von den Wärtern für seine Werke der Liebe verhöhnt und verspottet wird. Am Ende ist der Bischof sogar bereit, für die Rettung der ihm anvertrauten Herde sein eigenes Leben hinzugeben; eine Liebestat, die größer nicht sein könnte. Christus war einst am Kreuzesstamm für die Erlösung des Menschengeschlechtes gestorben, der heiligmäßige Oberhirte ist gewillt, auch darin seinem Heiland zu folgen. I NGENUINUS : Non vos mucro petat. Ego, ego succedam. Abs mora eruite vincula! Aptius pondus meis erit istud humeris. Me volentem, me pete! Ego ferienda victima hic adsum neci devota, nuda vulneri est cervix, feri! 50 I NGENUIN : Nicht auf euch soll das Richtschwert niedergehen. Ich, ich will an eure Stelle treten. Verliert keine Zeit, brecht aus aus euren Fesseln! Eine passendere Last werden sie für meine Schultern sein. Mich, mich kettet an, ich stehe bereit! Ich bin hier zur Stelle als ein Opfer, das geschlachtet werden muss, der Nacken liegt dem Hieb entblößt da, schlag zu. Die Tugendhaftigkeit und Gottgefälligkeit, die der heiligmäßige Mann auf Erden durch Wort und Tat bezeugt, bleibt im Himmel nicht unbeachtet. So ist es schließlich Gott selbst, der sich des Hirten und dessen Herde annimmt und das geforderte Lösegeld überbringt. Die Verherrlichung Ingenuins erreicht im 49 Sanctus Ingenuinus 3, 5. 50 Sanctus Ingenuinus 4, 3. 96 Stefan Zathammer <?page no="97"?> an den fünften Akt angeschlossenen Chor der befreiten Gefangenen, in dem sie ihren Retter in den höchsten Tönen preisen, seinen glänzenden Höhepunkt: Ingenuine maxime! Antistes! Pater optime! Pastor fidelis ovium redemptor et fidelium! [ … ] patrone Brixinensium, benigne pater pauperum! Großer Ingenuin! Bischof! Bester Vater! Treuer Hirte deiner Schafe und Retter deiner Gläubigen! [ … ] Schutzherr von Brixen, mildtätiger Vater der Armen! Schluss In diesen, das Stück beschließenden Zeilen ist noch einmal die Kernbotschaft des Schauspiels, die die Zuschauer mit nach Hause nehmen sollten, zusammengefasst. Die Entscheidung Reschs, im Herbst 1749 gerade den Hl. Ingenuin zum Protagonisten seines Schauspiels zu machen, war keine zufällige, sondern findet ihre Begründung im hagiographischen Diskurs der Zeit. Mit der Wahl dieses Stoffes bezog Resch in den vom Trientner Historiker Girolamo Tartarotti angestoßenen gelehrten Auseinandersetzungen, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts über die Ursprünge des christlichen Trient und Brixen geführt wurden und die gelehrte und kirchliche Welt Tirols für mehr als zwei Jahrzehnte beschäftigen sollten, klar Stellung. Er nahm offen Partei für eine Persönlichkeit, die als Bischof und Diözesanheiliger aber keineswegs eine unproblematische oder rein positiv besetzte war und die in diesen Jahren heftigen Angriffen ausgesetzt war. Besser als er es je mit einem theoretischen Traktat hätte tun können, vermochte Resch durch das Medium des Theaters, das Publikum mit der Größe Ingenuins bekannt zu machen und ihm die Gestalt des Bistumspatrons in der gewünschten Form in Herz und Gedächtnis einzuprägen, nämlich als die eines vor Gott gefälligen Heiligen. Literatur Acta Sanctorum, Antwerpen u. a. 1643 ff. Bibliotheca hagiografica Latina antiquae et mediae aetatis, 2 Bde., Brüssel 1898 - 1901. Bonelli, Benedetto F.: Vindiciae Romani Martyrologii XIII. Augusti Sancti Cassiani Foro- Corneliensis Martyris, V. Februarii Sanctorum Brixinensium Episcoporum Ingenuini et Albuini memoriam recolentis, Verona 1751. Donati, Alessandro: Ars poetica sive institutionum artis poeticae libri tres, Köln 1663. Gelmi, Josef: Die Brixner Bischöfe in der Geschichte Tirols, Bozen 1984. Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 97 <?page no="98"?> Gelmi, Josef: Die Christianisierung Tirols, Der Schlern 70, 1996, 579 - 593. Gelmi, Josef: Bischof Ingenuin von Säben. Ein Heiliger zwischen Rom und Konstantinopel, Brixen 2005. Hartmann, Ludwig Moritz: Geschichte Italiens im Mittelalter, Bd. 2, Gotha 1903. Heuberger, Robert: Der heilige Ingenuinus, in: Leo Santifaller (Hg.): Festschrift Albert Brackmann. Dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, Weimar 1931, 17 - 39. 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Sanctus Ingenuinus - Liebe deß Vatterlands 99 <?page no="101"?> Saturn und seine Söhne Joseph Resch als Mytheninnovator Martin Bauer-Zetzmann (Innsbruck) Im Schuljahr 1753/ 54 war der von Joseph Resch lange mit Eifer betriebene Ausbau der Brixner Domschule zu einem vollwertigen und zeitgemäßen Gymnasium zu einem einigermaßen akzeptablen Abschluss gekommen. 1 Die beiden oberen Klassen, Poetik und Rhetorik, konnten wieder eingerichtet und finanziert werden, wenn auch um den Preis der Zusammenlegung der beiden Syntax- Klassen. Dennoch befand sich Resch mit dieser Errungenschaft vielleicht auf dem Höhepunkt seines schulischen Wirkens. In dieser Situation schrieb er als Herbstspiel für das Ende des Schuljahres den Ludovicus; aufgeführt wurde das Stück zwei Mal, am 4. und 6. September 1754. 2 Im Gegensatz zu den lateinischen Herbstspielen der Jahre davor (Rhetorica 1751, Praemia Aureliani 1753) reflektiert Resch darin nicht über bildungspolitische Themen, sondern bietet ein kunstvoll durchkonstruiertes Festspiel mit dreifach typologisch-allegorischer Spiegelung der Haupthandlung, wie noch zu zeigen sein wird. 3 Im Zentrum der fünfaktigen lateinischen Tragödie steht der historische Thronfolgestreit zwischen Kaiser Ludwig dem Frommen (reg. 814 - 840) und seinen vier Söhnen. Ludwig der Fromme brach mit der fränkischen Tradition, die Herrschaft zu gleichen Teilen an alle Söhne zu vererben und hatte mit der Ordinatio imperii von 817 seinen ältesten Sohn Lothar als Mitkaiser und Haupterben eingesetzt. 4 Die beiden jüngeren Söhne Ludwig und Pippin sollten 1 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 28 - 30 und jetzt die Einschränkungen von Rothfuß (in diesem Band). 2 Der Text der Tragödie ist ediert in Bauer 2019. 3 1752 gibt es lediglich ein deutschsprachiges Herbstspiel mit lateinischen Chören (Adiatorix), vermutlich weil - als Tiefpunkt von Reschs Reformbestrebungen - in diesem Schuljahr weder Poetiknoch Rhetorik-Klasse geführt wurden. Die Hauptrollen im Adiatorix wurden dementsprechend von den Schülern der Syntax-Klasse übernommen. 4 Allgemein zu den Versuchen Kaiser Ludwigs, das Reich zu konsolidieren, und zu der Problematik von Reichseinheit und Nachfolgeregelung(en) im Frankenreich s. Busch 2011, 28 - 35. Vgl. auch Boshof 1996, 129 - 134 und 173 - 212. <?page no="102"?> nur mit untergeordneten Teilkönigreichen ohne außenpolitisches Pouvoir abgefunden werden. Diese Regelung scheint ursprünglich allgemein anerkannt worden zu sein, geriet allerdings ins Wanken, als der Kaiser erneut heiratete und seinen Sohn aus zweiter Ehe, Karl, nachträglich ebenfalls an der Erbfolge beteiligen wollte. Daraufhin brachen noch zu Lebzeiten Ludwigs des Frommen jahrzehntelange Konflikte mit wechselnden Bündnissen aus, die in der zweimaligen Entmachtung des Kaisers 830 und 833 gipfelten. Aus diesen beiden Aufständen 830 und 833/ 834 wählt Joseph Resch einzelne Elemente aus und kombiniert sie zu einer geschlossenen Handlung: So entnimmt Resch beispielsweise den Ereignissen des Jahres 833 die öffentliche Demütigung Kaiser Ludwigs in 4, 5, lässt dabei aber entsprechend den Fronten von 830 Lothar, Pippin und Graf Hugo von Orléans als Täter erscheinen, während die Quellen für 833 Lothar und Bischof Ebo von Reims als treibende Kräfte schildern. 5 Tatsächlich verändern die meisten Dramenfiguren bei Resch im Gegensatz zur historischen Überlieferung ihre Loyalität nicht: Im Ludovicus sind Graf Hugo von Tours und Graf Matfried von Orléans strikte Feinde des Kaisers, Bischof Ebo von Reims und Graf Bernhard von Septimanien (in philologischen Kreisen besser bekannt als Ehemann seiner schriftstellerisch aktiven Frau Dhuoda) bleiben stets kaisertreu. Resch hat hier also eine Möglichkeit zu komplexer Charakterzeichnung und Handlungsmotivierung bei den comprimarii ungenutzt gelassen, wohl weil es ihm in erster Linie um das Thema der pietas zwischen Vater und Söhnen zu tun war und der Ludovicus ohnehin eine Vielzahl an Dramenfiguren aufweist. Dennoch scheint es bemerkenswert, dass Resch in manchen Äußerungen von Ebo und Bernhard immerhin andeutet, dass ihre Unterstützung für den Kaiser nicht völlig bedingungslos und Ludwigs Herrschaft selbst unter seinen Anhängern nicht gänzlich unumstritten ist (vgl. besonders 2, 2, worin Ebo der Regierungszeit Karls des Großen nachtrauert). Der einzige Charakter, der im Laufe des Stückes eine Entwicklung durchmacht, ist der jüngere Ludwig, der angesichts der Demütigungen, die sein 5 Vgl. dazu Thegan, Gesta Hludowici imperatoris c. 43 - 45. Wie für den Historiker Resch üblich, sind die wichtigsten Quellen für den Plot in der Perioche sorgfältig verzeichnet. Resch folgt weitgehend der Handlungsstruktur von Thegans Gesta Hludowici imperatoris und Nithards Historiae, die er nach dramatischen Erfordernissen kondensiert. Nicht verzeichnet hat Resch wie auch in seinen anderen Dramen die zahlreichen sprachlichen Entlehnungen aus Senecas Tragödien: Ganze Reden sind entweder wortgetreu oder mit leichten Anpassungen übernommen, wobei passend zu den Themen Bruderzwist und Vatermord besonders ausführlich aus den Phoenissae zitiert wird. Das Motiv des Thronfolgestreits ist aufgrund seiner Eignung für die Werteerziehung im neulateinischen Schuldrama auch sonst durchaus beliebt, wird allerdings häufig anhand fiktiver Charaktere durchgespielt. Vgl. dazu Jacková 2018, 376 - 377. 102 Martin Bauer-Zetzmann <?page no="103"?> Vater von seinen Brüdern erleidet, seine pietas erga parentes wiederentdeckt, vom Rebellen zum Unterstützer des Kaisers wird und am Ende die Lösung des Konflikts herbeiführt. Die Kaiserin Judith wiederum, deren Lobbyismus zugunsten ihres Sohnes Karl im Stück als Ursache für Lothars und Pippins Intrige benannt wird (1, 3) und von der die zeitgenössischen Quellen ein widersprüchliches Bild zeichnen, 6 tritt selbst auf der Bühne nie auf und existiert nur als Projektionsfläche der Figuren und des Publikums. Resch nutzt damit das konventionelle Dramenmotiv des offstage characters, der für den Plot dennoch eine zentrale Rolle spielt, auf durchaus glückliche Weise. Nach allen Verwicklungen beschließt Resch die Tragödie in der letzten Szene etwas gewaltsam mit einem lieto fine durch allgemeine Versöhnung; dieses unvorbereitete und letztlich untragische Ende wird vom jüngeren Ludwig auch metatheatralisch kommentiert und damit noch einmal hervorgehoben: L UDOVICUS : Siste furibundum impetum, generose miles! Scaena ter fausto exitu mutatur et sonantibus ridet tubis: Hilaresque vultus induit Catastrophe. 7 L UDWIG : Haltet euer wuterfülltes Rasen ein, edelmütige Soldaten! Die Bühne verwandelt sich durch den dreimal glücklichen Ausgang und lacht zum Klang der Trompeten: Die Katastrophe legt heitere Masken an. Im lieto fine zeigt sich der moralisch-didaktische Anspruch des barocken Dramas, das danach trachtet, die in der Tragödienhandlung gestörte Ordnung am Ende wieder zu restituieren und die Tugend - im Ludovicus konkret die Loyalität zu Vater und Kaiser - obsiegen zu lassen. Diese in der zeitgenössischen Poetik häufig als „ Tragico-Comoedia “ bezeichnete Tragödie mit lieto fine stellte im Jesuitendrama gleichermaßen wie in der Barockoper sogar die vorherrschende Tragödienform dar. 8 Auch bei Resch überwiegen die Tragödien mit lieto fine bei weitem; freilich finden sich - zumindest nach heutigem Empfinden - auch einzelne Stücke mit genuin tragischem Ausgang: Im Adiatorix von 1752 etwa werden zwar am Ende Opfermut und Bruderliebe gepriesen, doch lässt sich die Hinrichtung der Protagonisten nicht mehr abwenden. Die vollständige Auflösung des Konflikts im Ludovicus passt aber gut zum repräsentativen Anlass, den das erste Herbstspiel des nunmehr 6 Vgl. Koch 2005, zu den Quellen bes. 9 - 14; Hartmann 2009, 106 - 111. 7 Resch, Ludovicus 1361 - 1364 (S. 61 Bauer). 8 Vgl. Flemming 1923, 145; Mattioda 1994, 199 - 240. Saturn und seine Söhne 103 <?page no="104"?> komplettierten Brixner Gymnasiums bot: Nicht zuletzt um den Ausbau des Gymnasiums vor Domkapitel und städtischen Honoratioren zu rechtfertigen, fühlte sich Resch wohl verpflichtet, in dieser schulgeschichtlich besonderen Situation mit einer fulminanten Leistungsschau aufzuwarten. 9 Mit diesem bedeutenden Anlass einher geht auch ein besonders hoher formaler Anspruch, den Resch in dieser Tragödie an sich selbst stellte. Dieser mag sich nicht zuletzt darin niedergeschlagen haben, dass das Manuskript neben der üblichen Akt- und Szenenzählung eine zusätzliche Einteilung in die vier Stadien des Plotverlaufs zeigt, wie sie in der klassizistischen Dramentheorie des Barock in Anlehnung an antike Modelle postuliert wurden: Protasis (1 - 2), Epitasis (3 - 4), Catastasis (5, 1 - 6) und Catastrophe (5, 7). Die fünf Akte werden, wie im neulateinischen Drama üblich, durch Chöre bzw. Zwischenspiele getrennt, die die Haupthandlung komplementieren und kommentieren. 10 Im Ludovicus sind diese Zwischenspiele nun auch besonders raffiniert gestaltet: Resch hat dafür gleich zwei Sets von ganz unterschiedlich gearteten Chören verfasst. Zwei akzentrhythmische lateinische Chöre (Chori musici) nach dem zweiten und vierten Akt bieten eine alttestamentarisch-allegorische Nebenhandlung über den Konflikt zwischen König David und seinem Sohn Abschalom (nach 2Sam 15, 1 - 14). Zwei volkssprachliche „ poetische “ Chöre (im Manuskript als Chori poëtici sive Προσκήνια bezeichnet) nach dem ersten und dritten Akt schildern die mythische Auseinandersetzung zwischen Saturn und seinen Söhnen um die Teilung der Welt. Zu diesen Zwischenspielen tritt noch ein Prolog, für den zwei völlig unterschiedliche Fassungen überliefert sind: Im Manuskript findet sich ein volkssprachlicher Prolog, der die Vorgeschichte zur Handlung der „ poetischen “ Chöre darstellt; nach dem Zeugnis der gedruckten Perioche wurde diese Szene bei der Uraufführung allerdings durch einen musikalischen Prolog in akzentrhythmischen lateinischen Versen mit einer weiteren (d. h. dritten! ) allegorischen Nebenhandlung ersetzt, worin in loser Anlehnung an den Seesturm in Vergils Aeneis die widerstreitenden Winde (Aeolus und seine Söhne) als Metapher für Bruderzwist und Bürgerkrieg gezeigt wurden. 11 9 Auch die Bestellung eines Hilfslehrers, der Resch ab dem Schuljahr 1752/ 53 einige Arbeit abgenommen haben sollte, dürfte ihm den nötigen Freiraum für eine sorgfältige Ausarbeitung des Stückes verschafft haben. 10 Reschs Stücke sind hier keine Ausnahme: Sogar der Einakter Rhetorica von 1751, in dem also eigentlich gar kein akttrennender Chor stehen kann, schiebt vor der Schlussszene eine Art chorisches Zwischenspiel ein. 11 Aus den dürren Inhaltsangaben der Perioche geht nicht zweifelsfrei hervor, ob der volkssprachliche Prologtext des Manuskripts für die Uraufführung ohne weitere Änderungen einfach nur gestrichen wurde oder die poetischen Chöre insgesamt tiefgreifender umgearbeitet wurden. 104 Martin Bauer-Zetzmann <?page no="105"?> Prolog und Zwischenspiele bereichern das Gesamtkunstwerk Ludovicus um zusätzliche Darstellungsformen (Musik und volkssprachliche Deklamation), um dem Publikum Abwechslung und den Schülerdarstellern Gelegenheit zu glänzen zu geben. Insbesondere spiegeln sie aber, wie im Jesuitendrama seit dem 17. Jahrhundert häufig, 12 die Haupthandlung auf drei Ebenen in der für christliche Literatur seit der Spätantike üblichen typologischen Allegorie, in der antike Mythologie und alttestamentarische Erzählungen als Modelle und Präfigurationen für die spätere (Heils-)Geschichte interpretiert werden. Diese mehrfache Spiegelung lässt Resch bereits am Ende des musikalischen Prologs durch Neptun in einer Arie ankündigen: Aria in Basso Pessima proles! Cur tanta moles abs numine nostro movere? Caelumque terramque miscere? Ut lanies mundum caelumque profundum? Pessima faex! An ista est lex, quam tibi dedit optimus ventorum pater Aeolus? Tanta nempe discordia exempla per concordia, tanta discordia fratrum hodie prodibit in theatrum. 13 Bass-Arie Schlimmste Nachkommenschaft! Warum setzt ihr eine so große Masse in Bewegung ohne meinen göttlichen Willen? Warum vermischt ihr Himmel und Erde? Um die Welt und den tiefen Himmel zu zerreißen? Schlimmster Abschaum! Ist das der Befehl, den euch der beste Vater der Winde, Aeolus, gegeben hat? 12 Vgl. Janning 2005, 66 - 75; Wirthensohn 2019, 162 - 167; eine Detailstudie zur Funktionalisierung der tragischen Chöre bei Jacob Balde bietet Dänzer 2020. Zur Funktion der Chöre in Reschs Agamemnon suimet victor siehe jetzt Kofler 2021, 119 - 123, und Brüser (im Druck). 13 Resch, Ludovicus, Appendix: Prologus ⟨ musicus ⟩ 129 - 142 (S. 67 Bauer). Saturn und seine Söhne 105 <?page no="106"?> So große Zwietracht freilich, so große Zwietracht von Brüdern wird durch zusammenpassende Beispiele heute auf die Theaterbühne gebracht. Die exempla concordia beziehen sich deutlich auf die typologisch zusammengehörenden, parallel geführten mythologischen, biblischen und historischen Handlungsstränge der Tragödie. Bei der konkreten Ausgestaltung hat Resch auf die dramatische Wirkung des Ludovicus so viel Rücksicht genommen, dass die Nebenhandlungen der Chöre allesamt in Aporie enden: die volkssprachlichen poetischen Chöre mit einer Schlägerei zwischen den Göttern, 14 die musikalischen Chöre mit der Flucht Davids und dem (vorübergehenden) Einzug Abschaloms in Jerusalem. So wird der Auflösung des Konflikts in der Haupthandlung nicht vorgegriffen, sondern die Spannung geradezu noch höhergeschraubt, bis sie sich in der allerletzten Szene entladen kann (5, 7). Nicht zuletzt dieser dramatische Kunstgriff macht den Ludovicus zu einer der spannendsten und bühnenwirksamsten Tragödien Reschs. Um den engen typologischen Zusammenhang zwischen den Parallelhandlungen möglichst deutlich herauszuarbeiten, ist Resch nun so weit gegangen, dass er den Mythos von der Verteilung der Welt in den beiden volkssprachlichen poetischen Chören geradezu nach seiner historischen Haupthandlung umgestaltet hat. In der „ klassischen “ Version des Mythos, wie er schon im homerischen Epos überliefert ist und sicherlich auch Resch vor Augen stand, erzählt Poseidon: τρεῖς γάρ τ’ ἐκ Κρόνου εἰμὲν ἀδελφεοὶ οὓς τέκετο Ῥέα Ζεὺς καὶ ἐγώ, τρίτατος δ’ Ἀίδης ἐνέροισιν ἀνάσσων. τριχθὰ δὲ πάντα δέδασται, ἕκαστος δ’ ἔμμορε τιμῆς· ἤτοι ἐγὼν ἔλαχον πολιὴν ἅλα ναιέμεν αἰεὶ παλλομένων, Ἀίδης δ’ ἔλαχε ζόφον ἠερόεντα, Ζεὺς δ’ ἔλαχ’ οὐρανὸν εὐρὺν ἐν αἰθέρι καὶ νεφέλῃσι· γαῖα δ’ ἔτι ξυνὴ πάντων καὶ μακρὸς Ὄλυμπος. 15 Denn wir sind drei Brüder von Kronos her, die Rhea geboren hat: Zeus und ich und als dritter Hades, der denen unten gebietet. Alles wurde durch Drei geteilt, ein jeder hat Anteil an der Ehre: Ich nun habe die weißgraue Salzflut gewonnen, um sie für immer zu bewohnen, 14 Die volkssprachlichen Interludien dienen auch in anderen zeitgenössischen Tragödien oft dazu, das Stück durch mehr oder weniger brachiale Komik aufzulockern. 15 Hom. Il. 15, 187 - 193. Vgl. auch die Nacherzählungen bei Apollod. 1, 7; Lact. inst. 1, 11; Boccaccio, Genealogia deorum gentilium 8, 6; 10, 1; 11, 1. Joseph Resch nimmt auch in anderen Stücken deutlich Bezug auf die Ilias, vgl. Kofler 2021 sowie Wirthensohn in diesem Band. 106 Martin Bauer-Zetzmann <?page no="107"?> als wir das Los warfen, Hades hat die neblige Finsternis gewonnen, Zeus aber den weiten Himmel in Aither und Wolken. Die Erde ist noch allen gemeinsam und der große Olymp. Spätestens seit Hesiods Theogonie (881 - 885) wurde diese Aufteilung der Welt nach der Titanomachie datiert, nachdem sich Zeus und seine Geschwister gegen den Vater Kronos durchgesetzt und diesen mit den übrigen Titanen in den Tartaros verbannt hatten. Der Vater Kronos/ Saturn spielt demzufolge für die Geschichte auch keine Rolle. Anders bei Resch: Um die Parallelen mit Kaiser Ludwig dem Frommen zu betonen, lässt er Saturn bereits bei der Verteilung der Zuständigkeitsbereiche im volkssprachlichen Prolog als stumme Rolle anwesend sein. Saturn ist es dann auch, der - analog zu Kaiser Ludwig in der Exposition des ersten Aktes - den ersten poetischen Chor mit der Forderung eröffnet, seinen jüngeren Sohn Picus an der Aufteilung teilhaben zu lassen, und damit für Aufruhr bei Jupiter, Neptun und Pluto sorgt: S ATURNUS : Mörcket kinder! Waß ich sprich! Mein sohn der lötst gebohren, mit namen Picus und Faunus der auserkhoren mein enckhel, haben auch an meinen reich ein theil. [ … ] Diß ist des vatters will, das Picus auch mein sohn besiz Italien, das Faunus auf den thron durch seiner brüder gunst solle erhoben werden, du hast den lufft, du d ’ höll, du wasser, er die erden. 16 Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, ist Joseph Resch der erste und einzige Autor, bei dem sich diese Version des Mythos findet; 17 sie erhält ihren Sinn auch nur durch die Konvergenz mit der Ludwig-Handlung, ist also genau auf ihren typologischen Zweck hin konstruiert. Damit zeigt der Ludovicus Joseph Resch als originellen Mytheninnovator, der im gegenständlichen Fall unter Ausnutzung von Leerstellen griechische und lateinische Mythentraditionen amalgamiert und harmonisiert. Denn schon früh wurde der altitalische Ackerbaugott Saturnus mit dem griechischen Kronos geglichen, 18 was zu der hellenistisch-römischen Mythen- 16 Resch, Ludovicus 264 - 266; 282 - 285 (S. 23 Bauer). 17 Freilich lässt sich beim aktuellen Forschungsstand zum neulateinischen Schultheater keine letzte Sicherheit gewinnen; es mag sein, dass noch einige von Reschs Vorbildern in Bibliotheken und Archiven schlummern. Grundsätzlich zu Reschs Arbeitsweise und zu seiner Verwendung auch zeitgenössischen Materials siehe Wirthensohn (in diesem Band). 18 Diese Gleichsetzung findet sich bereits im frühesten bekannten Werk der lateinischen Literatur, der Odusia des Livius Andronicus (frg. L5 ≈ Od. 4, 513; L19 ≈ Od. 1, 45 = 1, 81 = 24, 473); vgl. Versnel 1994, bes. 136 - 143. Saturn und seine Söhne 107 <?page no="108"?> version führte, dieser sei nach der Entmachtung durch seine Söhne nach Latium geflohen. 19 Dort habe er ein regionales goldenes Zeitalter errichtet und die Herrschaft später auf seinen Sohn Picus und seinen Enkel Faunus übertragen, der zum Stammvater der Latiner wurde. 20 Diese nationalrömische Legende verknüpft Resch nun für den Ludovicus geschickt mit dem griechischen Mythos über die Auslosung der Zuständigkeitsbereiche. Sein Ansatzpunkt dafür ist die Leerstelle, die in der Ilias noch übrigbleibt: „ Die Erde ist noch allen gemeinsam “ und kann daher noch an Picus und Faunus verteilt werden. Somit hat Joseph Resch im Mythos eine ganz ähnliche Personenkonstellation geschaffen, wie ihm die fränkische Geschichte für die Haupthandlung vorgab: Neben den alten Herrscher, der sein Reich aufteilt, treten eine Gruppe von drei älteren Söhnen mit älteren Rechtsansprüchen sowie ein jüngerer vierter Sohn, der nachträglich in die Erbfolge eingebunden werden soll. Doch damit nicht genug: Als weitere Figur der poetischen Chöre lässt Resch auch noch die Personifikation der Discordia auftreten, die den Streit der Brüder durch den Wurf eines goldenen Apfels weiter anfacht. Im Gegensatz zu Reschs antikem Vorbild, dem Zankapfel der Eris bei der Hochzeit von Peleus und Thetis, soll er hier nicht „ der Schönsten “ , sondern „ dem störckhsten “ gehören, was den Streit nun auch zwischen Jupiter, Neptun und Pluto anstachelt und am Ende des zweiten poetischen Chors in einer - auf der Bühne zweifellos burlesk dargestellten - Götterschlägerei kulminiert. 21 Diese zusätzliche Zuspitzung des Konflikts hat ihre Parallele in der unmittelbar vorausgehenden Szene der Haupthandlung (3, 6), in der die Verschwörer Hugo und Matfried die bereits zum Friedensschluss bereiten Söhne Ludwigs erneut aufhetzen. In ihrem Auftrittsmonolog schlägt denn Discordia auch die Brücke zur Haupthandlung und zählt unter ihre zahlreichen mythologischen „ Leistungen “ auch die Rolle, die sie im fränkischen Erbfolgestreit spielt: Schaut, wo mein grimm die söhne Ludwici reisst! Sie fesslen ihn [scil. Ludwig]: Kan grimers waß geschechen? 22 19 Verg. Aen. 8, 319 - 358; Ov. Fast. 1, 235 - 240. 20 Dion. Hal. ant. 1, 36, 1; Verg. Aen. 7, 47 - 49; Ov. Met. 14, 320 - 323; Sil. 8, 439 - 442; Aug. civ. 18, 15; vgl. dazu Wifstrand Schiebe 1997, 153 - 156, derzufolge die Genealogie Saturnus- Picus-Faunus erst eine Schöpfung Vergils darstellt. 21 Resch, Ludovicus 765 - 772 (S. 41 Bauer). Vorbilder u. a. Luk. dial. deor. 20, 7; Hyg. fab. 92; Myth. Vat. I 208; II 205. 22 Resch, Ludovicus 334 - 335 (S. 24 Bauer). Es handelt sich um eine metatheatralische Prolepse: Kaiser Ludwig wird erst in der Schlussszene des vierten Aktes (4, 5) von seinen Söhnen gefangengenommen und gefesselt. 108 Martin Bauer-Zetzmann <?page no="109"?> Die überdeutliche Parallelisierung der allegorisch-typologischen Nebenhandlungen mit der Haupthandlung mag für den heutigen Geschmack zu sehr mit dem Holzhammer gearbeitet sein. Dies würde aber den Sinn der Typologie verkennen, die gerade die Allgemeingültigkeit immer wiederkehrender Konstellationen aufzeigen soll - in diesem Fall die bereits eingangs im musikalischen Prolog angekündigte discordia fratrum. Um die Typologie so eindrucksvoll und einleuchtend wie möglich zu gestalten, hat sich Joseph Resch im Ludovicus sogar selbst als Mytheninnovator versucht und dabei griechische und lateinische Mythentraditionen zu einer originellen und wirkungsvollen Neufassung kombiniert - eine weitere Facette dieses Bühnenautors, die bisher noch nicht gewürdigt wurde. Diese Innovationskraft mag im spätbarocken lateinischen Schultheater, das von der Forschung lange Zeit als epigonal betrachtet wurde, 23 zunächst überraschen. Jedoch untermauert sie zum einen die Stellung des Ludovicus als besonders glanzvolles Bühnenfestspiel für die neu eingerichteten Gymnasialklassen; zum anderen weist sie bereits auf die Harmonisierungstendenzen der ebenfalls didaktisch ausgerichteten Mythennacherzählungen des 19. Jahrhunderts, wie etwa eines Gustav Schwab, voraus. 24 Literatur Primärliteratur Mythographi Graeci. Vol. I. Apollodori Bibliotheca, hg. von Richard Wagner, Stuttgart / Leipzig ²1926 (ND 1996). Sancti Aureli Augustini De civitate Dei, hg. von Bernhard Dombart / Alfons Kalb (CCSL 47 - 48), Turnhout 1955. Giovanni Boccaccio, Genealogia Deorum gentilium libri, hg. von Vincenzo Romano, Bari 1951. Dionysi Halicarnasensis Antiquitatum Romanarum quae supersunt, hg. von Karl Jacoby, Leipzig 1885 - 1905. Fragmenta Saturnia Heroica. Édition critique, traduction et commentaire des fragments de l ’ Odyssée latine de Livius Andronicus et de la Guerre punique de Cn. Naevius, hg. von Antoine Viredaz, Basel 2020 (Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft, Bd. 47). L. Caelius Firmianus Lactantius, Divinarum institutionum libri septem. Fasc. 1: Libri I et II, hg. von Eberhard Heck / Antonie Wlosok, München / Leipzig 2005. 23 Vgl. dazu kritisch Tilg 2008, 197 - 199 und bereits Szarota 1981. Für eine Neubewertung des späten Jesuitendramas spricht sich jetzt auch Wirthensohn 2019 mit überzeugenden Argumenten aus. 24 Dazu vgl. Groß 2020, bes. 99 - 100. Saturn und seine Söhne 109 <?page no="110"?> Hesiodi Theogonia, Opera et Dies, Scutum, hg. von Friedrich Solmsen. Fragmenta Selecta, hg. von Rudolf Merkelbach / Martin L. West, Oxford ³1990. Homeri Ilias, hg. von Martin L. West, 2 Bde., Stuttgart / Leipzig 1998 - 2000. Hygini Fabulae, hg. von Peter K. Marshall, Stuttgart / Leipzig 1993. Mythographi Vaticani I et II, hg. von Péter Kulcsár, Turnhout 1987 (CCSL 91c). P. Ovidius Naso, Fastorum libri sex, hg. von Ernst H. Alton / Donald E. Wormell / Edward Courtney, Editio stereotypa editionis quartae, München / Leipzig 2005. P. Ovidi Nasonis Metamorphoses, hg. von Richard J. Tarrant, Oxford 2004. Joseph Resch: Ludovicus pius in impios sicut antea impius in pios (1754). Text mit Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen, hg. von Martin M. Bauer, Online-Edition Innsbruck 2019, https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ sammlung/ texte/ ludovicus-v3-2019-11-01.pdf (letzter Zugriff am 17.7.2024). Sili Italici Punica, hg. von Josef Delz, Stuttgart 1987. Theganus, Gesta Hludowici imperatoris, hg. von Ernst Tremp, Hannover 1995 (MGH SS rer. Germ. 64). P. Vergilius Maro, Aeneis, hg. von Gian Biagio Conte, Berlin / New York 2009. Sekundärliteratur Brüser, Clemens: Zum Chor in Joseph Reschs Agamemnon suimet victor, in: Humanistica Lovaniensia (im Druck). Busch, Jörg W.: Die Herrschaften der Karolinger 714 - 911, München 2011. Boshof, Egon: Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996. Dänzer, Caroline: Der Schlüssel zur Tragödie. Der senecanische Chor in Jakob Baldes dramatischem Werk, Tübingen 2020 (NeoLatina, Bd. 35). Flemming, Willi: Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge, Berlin 1923 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Bd. 32). Groß, Jonathan: Antike Mythen im schwäbischen Gewand. Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums und ihre antiken Quellen, Göttingen 2020 (Rezeption der Antike, Bd. 6). Jacková, Magdaléna: Jesuit School Plays from Provincia Bohemia SJ Written for Grammar Classes, in: Astrid Steiner-Weber / Franz Römer (Hrsg.): Acta Conventus Neo-Latini Vindobonensis. Proceedings of the Sixteenth International Congress of Neo-Latin Studies (Vienna 2015), Leiden / Boston 2018 (Acta Conventus Neo-Latini, Bd. 16), 369 - 378. Janning, Volker: Der Chor im neulateinischen Drama: Formen und Funktionen, Münster 2005 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 7). Hartmann, Martina: Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009. Koch, Armin: Kaiserin Judith. Eine politische Biographie, Husum 2005 (Historische Studien, Bd. 486). Kofler, Wolfgang: Schultheater und Knabenerziehung. Der pädagogische Auftrag von Joseph Reschs Agamemnon suimet victor, in: Wilhelm Kreutz / Wilhelm Kühlmann (Hg.): Literatur in ihren kulturellen Räumen. Festschrift für Hermann Wiegand zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2021, 105 - 123. 110 Martin Bauer-Zetzmann <?page no="111"?> Mattioda, Enrico: Teorie della tragedia nel Settecento, Modena 1994. Mutschlechner, Karl: Das Jesuitentheater in Brixen, ungedr. Dissertation (Università degli studi di Padova), Padua 1975/ 1976. Rothfuß, Theresa: Joseph Reschs engagiertes Theater. Die allegorische Rhetorica (1751) und ein Versuch ihrer Deutung (in diesem Band). Szarota, Elida Maria: Der Einfluss der Frühaufklärung auf das Jesuitendrama, Humanistica Lovaniensia 30, 1981, 197 - 213. Tilg, Stefan: Die Entwicklung des Jesuitendramas vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Eine Fallstudie am Beispiel Innsbruck, in: Reinhold Glei / Robert Seidel (Hg.): Das lateinische Drama der Frühen Neuzeit. Exemplarische Einsichten in Praxis und Theorie, Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit, Bd. 129), 183 - 199. Versnel, Henk S.: Saturnus and the Saturnalia, in: Henk S. Versnel (Hg.): Inconsistencies in Greek and Roman Religion: Transition and Reversal in Myth and Ritual, Leiden 1994, 136 - 227. Wifstrand Schiebe, Marianne: Vergil und die Tradition von den römischen Urkönigen, Stuttgart 1997 (Hermes-Einzelschriften, Bd. 76). Wirthensohn, Simon: Anton Claus. Leben und Werk. Studie zum späten Jesuitentheater, Berlin / Boston 2019 (Frühe Neuzeit, Bd. 221). Wirthensohn, Simon: Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit. Verfahren produktiver Rezeption in Reschs Dramen (in diesem Band). Saturn und seine Söhne 111 <?page no="113"?> Joseph Reschs engagiertes Theater Die allegorische Rhetorica (1751) und ein Versuch ihrer Deutung Theresa Rothfuß (Innsbruck) Das Corpus der Brixner Schuldramen hält ein Stück bereit, das in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fällt: Mit seinen nur sieben Szenen ist es das kürzeste Stück der Sammlung, es existiert keine Perioche zu ihm und seinen Stoff schöpft es nicht aus Bibel, Mythos, Legende oder Geschichte, sondern aus den Lehrbüchern und der aktuellen Brixner Bildungspolitik: Die Rhetorica, das Herbstspiel aus dem Jahr 1751, 1 macht damit wie kein anderes Drama der Sammlung bewusst, dass ihr Verfasser vor allem auch Lehrer war. 2 Joseph Resch, der in den Jahren 1742 bis 1761 als Präfekt am Hochfürstlichen Gymnasium in Brixen tätig war, verarbeitete in diesem Stück die Schwierigkeiten, die ihm im Zuge seiner Schulreform - er bemühte sich um die Einrichtung zweier weiterer Klassenstufen - entstanden sind. Der Inhalt dieses Dramas ist schnell zusammengefasst: Die Rhetorik, Hauptfigur und Titelgeberin des Einakters, wurde von den Menschen verstoßen und sucht nun einen locus, also einen Platz bei den Göttern: Sie spricht bei Neptun, Bacchus, Mammon, Pan und Apoll vor. Doch auch diese sind unnachgiebig, uneinsichtig oder haben schlicht nicht die Möglichkeit, ihr zu helfen - bis die Rhetorik schließlich Unterstützung von „ ihren “ Gemeinplätzen erhält. Diese ebenso humorvolle wie vielschichtige Allegorie soll im Folgenden aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln entschlüsselt werden: Zunächst werden die Gesamtstruktur des Stückes sowie die Figuren aus ihrem geschichtlichen Entstehungskontext heraus gedeutet, der sich vor allem um Reschs Bemühungen dreht, zwei weitere Lateinklassen zu installieren, ehe die Handlungen der 1 Die Handschrift dieses Textes wurde, wie auch die meisten anderen Dramen des Corpus, zu einem eigenen Heft gebunden. Es ist unter der Signatur F17 in der Bibliothek des Priesterseminars in Brixen aufgestellt. Die online-Edition der Rhetorica kann unter https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ sammlung/ texte/ rhetorica-v2.1- 2020-03-25.pdf aufgerufen werden (letzter Zugriff am 14.10.2024). 2 Der Verfasser der Dramen war in der Regel der Lehrer der höchsten (Rhetorica) oder zweithöchsten (Humanitas/ Poesis) Klasse, vgl. Tilg 2012, 268. <?page no="114"?> einzelnen Szenen mit dem Fokus auf die didaktischen Ansprüche eines Lehrers untersucht werden, womit sich die Rhetorica in eine Tradition didaktischer Dramen einreiht. Überlegungen zur Aufführungssituation werden die Analyse des Stückes abschließen. Die Rhetorica als ‚ Symptom ‘ der zögerlichen Entwicklung des Brixner Gymnasiums Unter der Regentschaft des Fürstbischofs Christoph IV. Andreas Freiherr von Spaur (reg. 1601 - 1613) entwickelte sich ein Teil der seit dem Hochmittelalter bestehenden Brixner Domschule (für das 11. Jahrhundert lässt sich eine solche Einrichtung in Brixen urkundlich belegen, vermutlich bestand sie aber auch schon vor der Verlegung des Bischofssitzes von Säben) 3 nach und nach zu einem Gymnasium, 4 in dem nach jesuitischem Vorbild die fünf Klassen Principia, Rudimenta, Grammatica, Syntaxis minor und Syntaxis maior unterrichtet wurden. 5 Auf diese fünf Stufen folgten an den vollständigen Jesuitengymnasien, die seit ihrer Gründung im 16. Jahrhundert bis zu ihrer Auflösung 1773 nicht zuletzt wegen ihres einheitlichen Lehrplans und ihrer weiten Verbreitung als maßgebende Institutionen der humanistischen Gymnasialbildung galten, 6 noch die Poetik- (auch Humanitas) und die Rhetorik-Klasse. Resch, der nach seiner eigenen Brixner Schulzeit vermutlich selbst Schüler der höheren Klassen am Jesuitengymnasium in Innsbruck gewesen war, 7 war als Schulpräfekt und Lehrer bestrebt, das Brixner Gymnasium um die beiden letzten Schulstufen zu erweitern und es dadurch aufzuwerten. 8 Die Einführung 3 Vgl. Tinkhauser 1854, 674 - 675. 4 Vgl. Ammann 1901, 5 und 11 - 17. 5 Die erste dieser Klassen, also die Principia, in denen die Schüler zunächst Lesen und Schreiben lernen sollten, zählt genau genommen nicht zu den Klassen eines Gymnasiums (Hammerstein/ Müller 2005, 329), weshalb man hier im Vergleich zu den jesuitischen Schulen lediglich von vier Lateinklassen sprechen kann. 6 Die in den Jahren 1583 - 1599 entworfene und für alle Jesuitengymnasien gültige Ratio studiorum (in etwa ‚ Lehrplan ‘ ) blieb bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in Kraft (vgl. Kuhlmann 2010, 123). 7 Dieses Gymnasium folgte wie üblich der jesuitischen Schulordnung und war von 1615 - 1762 in sieben Klassen unterteilt: in die Principia, Rudimenta seu infima Grammatica ordinis inferioris, Grammatica infima ordinis superioris, die Syntaxis minor seu media Grammatica, Syntaxis maior seu suprema Grammatica, Humanitas seu Poësis und Rhetorica (Siebinger 1858, 9). 8 Entsprechende Versuche gab es schon früher, wie beispielsweise 1663 unter Fürstbischof Alphons von Thun; die Einrichtung der beiden höchsten Klassen war jedenfalls - wenn sie überhaupt geglückt war - nur von kurzer Dauer (vgl. Ammann 1901, 18). 114 Theresa Rothfuß <?page no="115"?> der Poetik-Klasse im Schuljahr 1748/ 49 schien noch unproblematisch über die Bühne gegangen zu sein, wie ein Tagebucheintrag Reschs aus dem Jahr 1748 vermuten lässt: Mense Novembri prima fundamenta jacta sunt docendae Poesi; pro primo anno 1748 tentabimus. Celsissimus promisit se daturum 40 fl. uti et domum antiqui Seminarii; Capitulum autem ligna et praemia. 9 Im Monat November wurden die ersten Fundamente für die Poetik-Klasse gelegt; fürs Erste werden wir es im Jahr 1748 erproben. Der Hochwürdigste versprach, dass er 40 Gulden zur Verfügung stellen werde, wie auch das Gebäude des alten Seminars; das Kapitel kündigte seinerseits an, Holz und Prämien bereitszustellen. Der frisch inaugurierte Fürstbischof Leopold Graf von Spaur (reg. 1747 - 1778) sowie das Domkapitel unterstützten Resch also - zumindest vorläufig - bei seinen Reformbemühungen, die Brixner Schule einem Jesuitengymnasium anzugleichen. Dies ist insofern verwunderlich, als beide, Bischof und Domkapitel, vehemente Gegner der Pläne von Spaurs Vorgänger Fürstbischof Kaspar Ignaz von Künigl (reg. 1702 - 1747) waren, in Brixen ein Jesuitengymnasium zu errichten. 10 Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen um die Societas Jesu dokumentiert ein Schreiben des Brixner Adels an den Fürstbischof Künigl, das in Übereinstimmung mit dem Domkapitel geltend macht, dass Brixen gut auf die Jesuiten und ihre Bildungsideale verzichten könne - dieses Schreiben wird uns später noch beschäftigen. 11 Mit dem Tod Künigls jedenfalls wurde auch sein Wunsch, das Hochfürstliche Gymnasium in ein Jesuitengymnasium umzuwandeln, begraben. Resch sah nun wohl den Zeitpunkt für gekommen, seine Schule nach jesuitischem Vorbild umzugestalten, doch die jahrelange Vereinnahmung der Öffentlichkeit gegen die Ideen der Jesuiten hatte ihre Spuren hinterlassen, wie der stockende Verlauf der Schulreform beweist, den man wunderbar anhand der Spielerverzeichnisse der Periochen 9 Zitiert nach Sinnacher 1821, XLVII. 10 Diese Pläne gehen auf die Bestimmung des Fürstbischofs Paulinus Mayr (reg. 1677 - 1685) zurück, der das Gymnasium an die Jesuiten übergeben wollte (Ammann 1901, 18 - 19). Zu dem Streit zwischen dem Fürstbischof Kaspar Ignaz Graf von Künigl einerseits und dem Domkapitel sowie dem Brixner Adel und der Bevölkerung anderseits vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 16 - 25 und Ammann 1901, 18 - 23. Die Weigerung, Jesuiten zu akzeptieren, beruht zumindest vonseiten des Domkapitels darauf, dass sie berechtigterweise um ihren Einfluss fürchteten. 11 Dieser Brief war die Antwort auf die Bitte um eine Stellungnahme zu dem Fall. Den Text mit dem Titel Protestatio Nobilium Brixinensium contra Introductionem Jesuitarum machte Mutschlechner in einer Handschriftensammlung des Priesterseminars aus, vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 18 - 19. Joseph Reschs engagiertes Theater 115 <?page no="116"?> nachvollziehen kann: 12 Im Sanctus Ingenuinus aus dem Jahr 1749 traten erstmals auch Vertreter e Schola Humanitatis (also aus der Poetik-Klasse) auf und ebenso verhält es sich in der Perioche des Agamemnon (1750); auch die Rhetorica (1751) legt, wie später gezeigt wird, durch den Auftritt Apolls in der sechsten Szene des Stückes nahe, dass diese Klasse noch Bestand hatte, wenn sie auch auf wackeligen Beinen stand. Im Schuljahr 1750/ 51 wurde nun auch die Rhetorik-Klasse eingeführt, wobei hierfür jegliche Unterstützung fehlte, wie ein weiterer Tagebucheintrag deutlich macht: 1750. Mense Novembri primo introducta fuit Rhetorica; primus Professor fui ego, Josephus Reschius, Episcopalis Gymnasii Praefectus. Hoc anno scholastico ego Rhetoricam simul et Poesin docere debui, ex sola tamen charitate impulsus. 13 1750. Im Monat November wurde erstmals die Rhetorik eingeführt; der erste Professor war ich, Joseph Resch, Präfekt des Bischöflichen Gymnasiums. In diesem Schuljahr musste ich die Rhetorik und zugleich auch die Poetik unterrichten, jedoch allein von der Liebe angetrieben. Wir erfahren hier - und selbiges legt auch die Komödie Rhetorica nahe - , dass Resch für den Unterricht der Rhetorik im Schuljahr 1750/ 51 (und vermutlich auch den der Poetik) keinerlei zusätzliche Unterstützung erhalten hat - weder finanzielle, materielle oder personelle. Dass Resch dieser Belastung nicht standhalten wollte, ist verständlich; in Folge präsentiert die Perioche des Adiatorix aus dem Jahr 1752 wieder die Syntaxis maior als höchste Klasse. Erst ab 1752/ 53 scheint sich eine Neuordnung der Klassen durchgesetzt zu haben: Die Praemia Aureliani (1753) verzeichnen wieder einen Poeten, der Ludovicus (1754) endlich auch einen Rhetor 14 - seit 1752/ 53 wurden jedoch die beiden Syntax-Klassen zu einer einzigen zusammengelegt. Die angestrebte Erweiterung scheint also nicht nur „ vorübergehende Rückschläge “ erlitten zu haben, wie Mutschlechner trotz der positiven Darstellungen aus späterer Zeit erkannt hat, sondern schlichtweg nicht zu Reschs voller Befriedigung durchgesetzt worden zu sein. 15 Bis zur Auflösung des Jesuitenordens 1773 und den 12 Schon Mutschlechner hob hervor, dass sich die Verzeichnisse der Theaterhefte hervorragend dazu eignen, die Klassenentwicklung nachzuverfolgen, vgl. dazu Mutschlechner 1975/ 76, 28 - 30. 13 Zitiert nach Sinnacher 1821, XLVII - XLVIII. 14 Da die Rhetorik-Klasse auf die Poetik-Klasse aufbaut, ist ihr Fehlen im Jahr 1752/ 53 nur logisch, da 1751/ 52 auch keine Poetik-Klasse abgehalten wurde. 15 Mutschlechner 1975/ 76, 30. Allerdings übernimmt Mutschlechner 1975/ 76, 27 in seiner Darstellung die Annahme, die Erweiterung der Schule um die Rhetorik- und Poetik- Klasse ging planmäßig mit der Kürzung einer Grammatikklasse einher; so präsentiert es sich nämlich in den älteren Aufsätzen, die von einer einvernehmlichen Klassenerweiterung ausgehen: „ Resch wünschte eine Vermehrung der lateinischen Classen zu einem 116 Theresa Rothfuß <?page no="117"?> nach und nach in Kraft tretenden Reformen des österreichischen Schulwesens unter Maria Theresia, die auch Auswirkungen auf das Brixner Gymnasium hatten, blieb die so entstandene Klasseneinteilung - Principia, Rudimenta, Grammatica, Syntaxis, Poesis und Rhetorica - unverändert. 16 Unser Augenmerk soll jedoch auf das Schuljahr 1750/ 51 gerichtet bleiben, als Resch die beiden höchsten Klassen ohne Vergütung unterrichtete und - wenn wir besonders an das erste der oben beigebrachten Zitate denken - im Wesentlichen drei Probleme zu lösen hatte: Wer kommt finanziell für die Rhetorik-Klasse auf, wo kann der Unterricht mit der neuen Klasse stattfinden 17 und woher kommen die Prämien für das Schuljahresende? Resch sah sich wohl gezwungen, an verschiedenen Stellen für sein Projekt zu werben - doch vorerst vergeblich, wie das Fehlen der Rhetorik- und Humanitätsklasse im Folgejahr erahnen lässt. Diesen Weg des Scheiterns zeichnet die Komödie Rhetorica aus dem Jahr 1751 nach, indem sie die Suche nach Unterstützung für die Rhetorik-Klasse zu ihrem Stoff erhebt: Die vertriebene Titelheldin Rhetorica sucht für sich nach einem locus, einem Ort, an dem sie Zuflucht finden kann, und diese Suche treibt sie als Bittstellerin zu den Göttern. Deren Alias allerdings wird von einem ‚ geheimen ‘ Figurenschlüssel (clavis personarum in silentio), der dem Figurenverzeichnis des Manuskripts in zarter Schrift beigegeben wurde, enthüllt: Aufgelöst werden die Identitäten von Neptun als das Brixner Magistrat, Mammon als L. Peisser und Apoll als Brixner Dichterklasse; verschlüsselt bleibt Pan hinter der Abkürzung C. F. und unkommentiert bleiben die Figuren Rhetorik und Bacchus. Die wirklichen Personen zu erraten, die sich hinter den beiden letztgenannten Masken verbergen, fällt den aufmerksamen LeserInnen allerdings nicht schwer: Die Rhetorik steht für Joseph Resch, Bacchus für die (faulen) Schüler. Wie geschickt Resch mithilfe dieser Allegorie vollständigen Gymnasium, aber zugleich eine Verminderung der fünf bestehenden Grammatikal-Curse. Schon im Jahre 1748/ 49 wurde die Poetik eingeführt, die er selbst lehrte; im folgenden Jahre kam auch die Rhetorik dazu, während die sogenannte Syntaxis minor ausgemustert wurde “ (Mitterrutzner 1882, 25). Dass Reschs Vorbildschule in Innsbruck selbst aber aus insgesamt sieben Klassen bestand (vgl. Anm. 5) und damit der Wegfall einer Grammatikklasse eben nicht intendiert gewesen sein dürfte, sondern wohl lediglich einem Kompromiss geschuldet war, wird übergangen. Ebenso einträchtig wie bei Mitterrutzner wird die Umstrukturierung der Klassen - in Hinblick auf die Parteien Fürstbischof und Schule - im Ersten Programm des kaiserl. königl. Gymnasium zu Brixen (1851, 4) dargestellt. 16 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 30. 17 Im Laufe der Geschichte des Gymnasiums hat es mehrmals Versuche gegeben, die Räumlichkeiten durch Ankauf bzw. -miete benachbarter Gebäude am Kreuzgang zu erweitern (vgl. Ammann 1901, 11 - 14). Ab 1759, mit dem Umbau des Gymnasialgebäudes, war der Platzmangel endlich auf längere Zeit kein Thema mehr (vgl. Ammann 1901, 25). Joseph Reschs engagiertes Theater 117 <?page no="118"?> seine Kritik an der in Brixen herrschenden Bildungsfeindlichkeit platziert, soll nun im Einzelnen aufgezeigt werden: Neptun, auf den die Rhetorik in der zweiten Szene stößt, stellt das Brixner Magistrat (magistratus Brixinensis) in einem denkbar schlechten Licht dar: Das offensichtlich faule und ungebildete Beamtentum in Gestalt des Meergottes - es beherrscht noch nicht einmal Latein - schert sich nicht um die Probleme der Rhetorik. Ja vielmehr hegt es einen regelrechten Hass gegen alles Gelehrte: N EPTUNUS : Ich size ohne unterlass bey meinen kielen wasserfass. Da zerfliegen die rhetorische und poetische geister wan nit Bacchus darbey spihlt den meister. Yberdas kan ich die herren studenten samt allen ihren complementen wie auch die studier macher gesöllen, oder, wie wir sie anderst nennen wöllen, die studioxen gar nit schmöcken, meint wegen mögen sie alle verröcken. 18 Im Anschluss hieran wendet sich die Rhetorik an Bacchus. Gleich in dieser Szene wird klar, dass der Gott den Typus des faulen Schülers verkörpert: Bacchus ’ Latein strotzt vor Fehlern, 19 und auch sein übermäßiger Alkoholkonsum dürfte ein Pendant im Verhalten einiger Brixner Schüler gefunden haben. 20 Schließlich gibt der Gott des Weins auch selbst einen handfesten Hinweis: B ACCHUS : Soloecismos in meo argumento nullum habeo, sed illa me habent. Hinc est, quod nullum accipiturus sum praemius. 21 B ACCHUS : In meinem Szene habe ich keinen Solözismen, aber sie haben mich. Daher kommt es, dass ich keinen Preise bekommen wirde. Weshalb Resch auch die Schülerschaft für das Scheitern seiner Reformpläne verantwortlich macht, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, erschließt sich aber mithilfe des oben erwähnten Briefes an den Fürstbischof Künigl: Hier argumentieren die Adeligen, dass sich die Einrichtung eines Jesuitengymnasiums nicht lohne, da zu wenige Schüler bis zu den letzten beiden Klassen 18 Rhetorcia 2. 19 Vgl. hierzu die Analyse im zweiten Teil des Aufsatzes. 20 In den mittleren fünfziger Jahren war Resch darum bemüht, diejenigen Schüler, die nicht wie die Choralisten im Schülerhaus wohnten, sondern privat untergebracht waren (dies betraf einen Großteil der Schülerschaft, vgl. Ammann 1901, 7 - 8), in einer Hausgemeinschaft zu versammeln, um sie vor den „ vielen Gefahren jugendlicher Ausgleitungen “ zu schützen, denen sie in der Stadt ausgesetzt waren (Mitterrutzner 1882, 26). 21 Rhetorica 3. 118 Theresa Rothfuß <?page no="119"?> fortschreiten würden. 22 Vor diesem Hintergrund tritt die Motivation dieser Szene klar hervor: Wären die Schüler nicht derart faul bzw. bemühter um ihre Bildung, müsste Resch sich nicht wegen einer zu geringen Nachfrage rechtfertigen. In der vierten Szene tritt die Rhetorik an Pan heran, dessen Identität sich im Figurenschlüssel hinter der Abkürzung C. F. verbirgt. Dieser tritt als Herrscher eines abseits der gewöhnlichen Welt stehenden Reiches auf, das vornehmlich von Eremiten bevölkert wird. Verschiedene, allerdings auch recht boshafte Anspielungen lassen den Schluss zu, dass es sich jedenfalls um die Karikatur eines in Brixen ansässigen Ordens handeln muss: R HETORICA : Scio equidem eremitas tibi esse cordi, vel omnino tuum corculum. Scio eremitas esse apud te personas, ut aiunt, privilegiatas! Fortassis plus gratiae apud te sortietur cum summa reverentia usque ad profundam humum se inclinans eremita quam rei publicae literariae profutura Rhetorica. P AN : Bene est, placet ingenium. Attamen in regnum meum silvestre te reciperem, nisi in illo totidem versarentur Nymphae, penes quas plane sorderet vita eremitica. Quae cum ita sint, non est, quod apud me speres diversorium: Nam turpius eicitur quam non admittitur hospes. 23 R HETORIK : Ich weiß natürlich, dass dir die Einsiedler sehr am Herzen liegen oder überhaupt deine Lieblinge sind. Ich weiß, dass Einsiedler bei dir, wie man sagt, „ Privilegien “ genießen! Vielleicht gefällt dir der Einsiedler, der sich mit höchster Ehrfurcht ganz zu Boden bückt, sogar besser als die Rhetorik, die der gesamten Gelehrtenwelt von Nutzen ist. P AN : Das ist gut! Mir gefällt dein Witz. Und gewiss nähme ich dich in mein waldiges Königreich auf, wenn dort nicht so viele Nymphen lebten, derentwegen das Einsiedlerleben ganz versaut ist. Da es sich aber so verhält, gibt es keinen Grund, bei mir eine Zufluchtsstätte zu erwarten. Denn es ist schändlicher, hinausgeworfen als gar nicht erst gastlich aufgenommen zu werden. Das Kürzel C. F. legt die Auflösung durch den Conventus Franciscanorum nahe. Die Minoriten ließen sich vermutlich bereits 1230 mit oder kurz nach den ersten Klarissen in Brixen nieder und betreuten sie seit der Gründung ihres Klosters. 24 Denkbar wäre, dass die Franziskaner bzw. die Klarissen im Besitz von passenden Räumlichkeiten waren, um deren Benutzung Resch gebeten 22 „ [ … ] zumallen wegen der kaumb in 20: familien bestehenden Adls fast nit operae pretium sein, destwegen die Lobl. Societet anhero zu pringen, da erweißlichen von gegenwertigen Jar zu reden kaumb 5. oder 6. absolvierte maiores Syntaxistae weiter zuverschickhen, [ … ] “ , aus: Protestatio Nobilium Brixinensium contra Introductionem Jesuitarum, zitiert nach Mutschlechner 1975/ 76, 20. 23 Rhetorica 4. 24 Vgl. Gelmi 2000, 50 - 51 und Senfter 1977, 10. Joseph Reschs engagiertes Theater 119 <?page no="120"?> hatte, die Unterbringung der Schüler in einem Gebäude, das im Besitz eines Frauenklosters lag, aber nicht passend schien. Dies muss allerdings bloße Vermutung bleiben. 25 Die fünfte Szene ist recht kurzgehalten: Als die Rhetorik an die Pforten von Mammons Heim klopft, verleugnet dieser selbst seine Anwesenheit (M AMMON : Dominus Mammon dicit se hodie non esse domi., Rhetorica 5 - „ M AMMON : Der Herr Mammon sagt, dass er heute nicht zuhause ist “ ). Er jagt sie kurzerhand aus der Stadt. Hinter der Bezeichnung L. Peisser im Figurenschlüssel vermutet Mutschlechner Leopold Peisser, der einer der reichsten Brixner Familien angehörte. 26 Der Brixner Adel stellte sich bereits in der Amtsperiode des Fürstbischofs Kaspar Ignaz von Künigl geschlossen hinter das Domkapitel (und gegen die Jesuiten) und scheint seine Haltung nicht verändert zu haben. Damals argumentierte er, es sei der Mühe (sprich: des Geldes) nicht wert, höhere Klassen einzurichten, da es für sie zu wenig Nachfrage gäbe und die Inhalte der Syntax ausreichten. 27 Resch stieß also beim Adel auf taube Ohren. Der sechste Auftritt schließlich setzt den personifizierten Poetik-Unterricht in Szene: Der Gott Apoll kann seiner Schwester Rhetorik - die Geschwisterbeziehung ergibt sich hier aus der Verwandtschaft der humanistischen Fächer - nicht helfen und verweist lediglich auf seine eigene prekäre Lage: A POLLO : Si fuga dicta tibi est, etiam expelletur Apollo. Ambos fortassis nos manet exilium. 28 A POLL : Wenn dir die Flucht angesagt ist, so wird auch Apoll vertrieben. Vielleicht ist uns beiden die Verbannung beschieden. Tatsächlich wurde, wie oben dargestellt, schon im Folgejahr auch die Poetik- Klasse nicht mehr unterrichtet. Durch die Personifikationen der Poetik- und Rhetorik-Klasse in der sechsten und der darauf folgenden siebten Szene des Stückes - hier wird der Rhetorik ein Platz innerhalb der Gemeinplätze ihres eigenen Faches gesucht - tritt die Tiefe der allegorischen Gestaltung besonders deutlich hervor: Reschs Bemühungen, die Rhetorik am Brixner Gymnasium zu installieren, spiegeln sich im Aufbau des Dramas wieder: Sieben aufeinander aufbauende Lateinklassen strebt Resch an und ebenso gliedert er sein Stück in sieben Szenen - und interessanterweise bildet auch die Szenenfolge eine gewisse Progression in der 25 Zumindest die akute Raumnot in den Jahren der Klassenerweiterung ist bekannt (vgl. Ammann 1901, 25), ebenso wie die zahlreichen Besitztümer der Klarissen in Brixen (vgl. Senfter 1977, 353). 26 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 145. 27 Vgl. Anm. 18. 28 Rhetorica 6. 120 Theresa Rothfuß <?page no="121"?> Sprachbeherrschung ab: Der erste Gesprächspartner (Neptun, Szene 2) besitzt keinerlei Lateinkenntnisse, das Latein des zweiten (Bacchus, Szene 3) ist von Grammatikfehlern durchzogen. Die sechste Szene ist mit der sechsten Klassenstufe, also der Poetik-Klasse gleichzusetzen - hier spricht der Dialogpartner sogar im elegischen Distichon - und die siebte Szene handelt den Stoff der höchsten Schulstufe ab. Die beiden letzten Klassen sind allerdings durch ein Zwischenspiel voneinander getrennt, wodurch die Außenseiter-Stellung der Rhetorik-Klasse nochmals betont wird: 29 Sie ist noch kein institutionalisierter Teil des Gymnasiums und ihr Fortbestehen ist noch nicht gesichert. Da die Rhetorik also bei keiner der aufgesuchten Stellen erfolgreich war, muss sie ihre Berechtigung, die sie als Unterrichtsgegenstand besitzt, argumentativ aus ihrem eigenen Stoff heraus entwickeln. In diesem Bestreben treten einzelne Gemeinplätze der Rhetorik auf - es vollzieht sich also Rhetorikunterricht auf der Bühne, der nun im zweiten Teil dieses Aufsatzes näher beleuchtet wird. Unterricht auf der Bühne Ein bedeutendes Anliegen des barocken Schultheaters war die Persönlichkeitsbildung von Schauspielern und Zuschauern gleichermaßen. Diese Erziehung erfolgte meist auf persönlich-moralischer oder religiöser Ebene. In den frühen Jesuitenstücken wurde durch das Medium Theater beispielsweise die (Rück - ) Bekehrung zum katholischen Glauben angestrebt. Daneben profitierten die schauspielenden Schüler natürlich auch von einer Verbesserung ihres Ausdrucks und sie erlangten „ Selbstvertrauen und Sicherheit im öffentlichen Auftreten “ 30 - dies macht sich auch heute noch die moderne Dramabzw. Theaterpädagogik (speziell für den Fremdsprachenunterricht) zu Nutze. Über die eben erwähnten „ Lernangebote “ des Dramas auf persönlicher und sprachlicher Ebene hinaus ist eine schmale Tradition neulateinischer Dramen bekannt, die zudem einen ganz konkreten Beitrag zur fachlichen Bildung leisteten: Über den Stoff der Stücke werden Unterrichtsgegenstände vermittelt; die Figuren scheinen dabei oft den Lehrbüchern entsprungen zu sein. Johannes Bolte (1908) sammelte einige mehr oder weniger stark voneinander abhängige Stücke, die er auf Andrea Guarnas 1511 entstandene Erzählung Bellum 29 Dieses Zwischenspiel präsentiert zehn mythologische Darbietungen in sapphischen Strophen. Die ersten vier Strophen zeigen Saturns Ende und Jupiters Aufstieg, drei weitere Strophen geben episodenartige Einblicke in Jupiters Liebesleben. Die letzten drei Strophen bieten bunt Gemischtes: Pan mit der Hirtenflöte, Merkur beim Rinderraub und Herkules am Spinnrad. 30 Tilg 2012, 266. Joseph Reschs engagiertes Theater 121 <?page no="122"?> grammaticale zurückführt: 31 In dem Text droht ein Krieg zwischen dem König der Verben und dem der Nomen auszubrechen, weil sie sich nicht einig sind, wer von ihnen die Vormachtstellung innehat - und sämtliche Wortarten ergreifen für den einen oder anderen Partei. Die Eignung eines solchen Stoffes für die Schule bzw. Universität war augenscheinlich und dementsprechend ließen dramatische Aufarbeitungen nicht lange auf sich warten; als Beispiele herausgegriffen seien vier Stücke, die uns von Guarna zu Resch führen: Als erstes sei Nicodemus Frischlins Priscianus vapulans (uraufgeführt im Februar 1578, Erstdruck Straßburg 1580) 32 genannt, in dem der lateinischen Sprache durch die „ allgemeine Verachtung der philologischen Wissenschaft “ 33 der Untergang droht: Der spätantike Grammatiker Priscian - die allegorische Verkörperung der korrekten lateinischen Grammatik - taucht im 16. Jahrhundert auf und leidet physisch unter dem schlechten Latein seiner neuen Zeitgenossen; er sucht Hilfe bei Philosophen, Ärzten und Juristen, wodurch sich sein Zustand aber immer weiter verschlechtert. Kurz vor seinem vermeintlichen Tod eilen ihm Erasmus und Melanchthon mit sprachlich und stilistisch einwandfreien Werken zu Hilfe, woraufhin Priscian all jene Werktitel ausscheidet, die seine Krankheit ausgelöst hatten (also mittelalterliche Grammatiken und ähnliches). Mit Priscian wird das Abstraktum der korrekten Grammatik personifiziert (so geschieht es auch mit den Abstrakta der Poetik- und Rhetorik-Klasse in Reschs Drama) und auch seine Krankheit nimmt sich sehr allegorisch aus. Des Weiteren erinnert die auffällige Figurencharakterisierung durch teilweise zweifelhaftes Latein an Bacchus in der Rhetorica 3. Frischlins Stück, das Priscian in persona auf die Bühne bringt, baut eine Brücke zu dem nächsten Beispiel, Jakob Gretsers Dialogus de regno Humanitatis (Freiburg im Üechtland 1585, überarbeitet Ingolstadt 1587): 34 Der Jesuit lässt neben Priscian unter anderem auch die allegorischen Figuren Barbarismus und Soloecismus auftreten - deren Gestank auch die Rhetorik schreckt (vgl. Rhetorica 3) - und nimmt damit auch direkt auf Guarna Bezug. Das dritte Beispiel - ein anonymes Benediktinerdrama namens Nuptiae grammaticae inter sponsos Verbum regem et Nomen reginam (Kremsmünster 31 Dieser Text erfreut sich besonders in jüngerer Zeit wieder großer Beliebtheit. Beispielhalber erwähnt seien die Titel von Butler 2010 und Harnischmacher 2013. Wie so oft lässt sich auch hier ein antikes Vorbild ausmachen: Lukians Δίκη Συμφώνων (Iudicium vocalium/ Das Gericht der Vokale) personifiziert Begriffe der Sprachforschung. 32 Eine moderne Edition besorgten Christoph Jungck und Lothar Mundt, s. Frischlin 2003. 33 Bolte 1908, *44. 34 Dürrwächter 1912. 122 Theresa Rothfuß <?page no="123"?> 1650) 35 - führt das Fortleben dieser allegorischen Tradition auch in der Mitte des 17. Jahrhunderts vor Augen, zudem sind wir mit diesem Stück im österreichischen Raum angelangt. Anstelle eines Krieges feiern hier Verb und Nomen Hochzeit und zahlreiche Abstrakta beglückwünschen die beiden: Modus, Tempus, Genus etc. Dieses scharenweise Auftreten von bestimmten Phänomenen aus dem Unterricht zeichnet auch die siebte und letzte Szene der Rhetorica aus. Nach diesem Stück sei ein weiteres Benediktinerdrama genannt, das nun deutlich in unsere Richtung rückt: Bellum Rhetoricum inter Longinum et Brevinum sive fusum et succinctum stylum, pro exercitio scholastico in scenam productum anno domini 1696 (Salzburg). 36 Eine gedruckte Ausgabe aus dem Jahr 1730 nennt den Abt von Michelfeld und Schuldramatiker Wolfgang Rinswerger (1658 - 1721) als Verfasser. 37 Wie der Titel schon deutlich macht, steht hier nicht die Grammatik, sondern die Rhetorik im Mittelpunkt des Geschehens. Es droht ein Krieg zwischen Longinus und Brevinus, den beiden Herzögen der Rhetorik, der klären soll, ob die Kürze oder die Länge einer Rede Vorrang habe. Auch einige der rhetorischen Gemeinplätze ergreifen Partei in diesem Konflikt. Reschs Rhetorica reiht sich bewusst in diese Tradition ein - zumindest das letztgenannte Stück war Resch bekannt, was auch der Eingangsmonolog seiner Rhetorik beweist: Die Selbstcharakterisierung seiner Rhetorik ist weitgehend identisch mit einem Rhetorik-Monolog aus dem Rinswerger Stück. Nicht nur der im ersten Teil dieses Aufsatzes geschilderte schleppende Prozess der Schulentwicklung nahm also Einfluss auf die Konzeption des Stückes, sondern ebenso orientierte sich Resch beim Verfassen seiner Rhetorica an der Tradition didaktischer Schuldramen. Inwiefern die Rhetorica ihre Funktion als Lehrerin des eigenen Faches erfüllt - und ebenso bleiben die anderen Stufen des Lateinunterrichts nicht unberücksichtigt - , soll eine Analyse der einzelnen Szenen zeigen, deren teils progressiver Aufbau bereits oben dargestellt wurde. An erster Stelle steht der Eingangsmonolog der Rhetorik, der die Ausgangslage des Stückes schildert und die Verzweiflung der Titelheldin zum Ausdruck bringt: 35 Papierhandschrift des XVII. Jahrhunderts: Dramata collecta. III. Pars, Kremsmünster, Stiftsbibliothek, CCn 1362b, fol. 331 - 350. 36 CCn 1362b (Anm. 30), fol. 303 - 330 und Anm. 32. 37 Bolte (1908, *67 - 68) erkannte, dass das Stück von einem „ theaterkundigen Autor “ herstamme, machte aber auch auf das Desiderat aufmerksam, dass dieser noch ermittelt werden müsse. Die auf google books digitalisierte Ausgabe trägt den Titel E funere Phoenix sive operis posthumi dramatum pars III. Complectens Opera Miscellanea olim in Scenam data a [ … ] Wolfgango Rinswerger p. m. [ … ] nunc vero opera [ … ] redacta [ … ] a P. Joanne Evangelista Heigl [ … ] Pedeponti [Stadtamhof] 1730. Das hier besprochene Stück findet sich auf den Seiten 1 - 66. Joseph Reschs engagiertes Theater 123 <?page no="124"?> Illa ego potens imperatrix mentium, Rhetorica. Ego regina affectuum voluntatis, ego lumen intellectus humani. Enimvero Hyrcana caute durior est, asello rudior et vel tigride ferocior, quisquis aut non amat blandientem aut fulminantem non timet eloquentiam. Et tamen (o fata rigidissima! o tempora! o mores! ) hic ubique rideor, ubique contemnor, nullibi recipior. Humanis exuta praesidiis ad superos me conferam. 38 Ich bin die Rhetorik, die mächtige Herrscherin des Geistes, die Lenkerin der Leidenschaften, das Licht des menschlichen Verstandes. Der freilich ist härter als hyrkanischer Fels, störrischer als ein Esel und sogar wilder als ein Tiger, der die Beredsamkeit nicht liebt, wenn sie schmeichelt, oder nicht fürchtet, wenn sie gewaltig donnert. Und trotzdem - Ach unbeugsames Schicksal! O Zeiten! O Sitten! - werde ich hier überall ausgelacht, überall verachtet und nirgendwo aufgenommen. Da ich nun nicht mehr von den Menschen geschützt werde, begebe ich mich zu den Göttern. Diese Selbstcharakterisierung, die sich, wie bereits erwähnt wurde, stark an Rinswerger orientiert 39 und die das Schicksal unserer Rhetorik vor diesem Hintergrund umso tragischer erscheinen lässt - einst war sie Herrscherin eines mächtigen Reiches, nun sucht sie obdachlos eine Bleibe - , ist mit zahlreichen rhetorischen Stilmitteln ausgeschmückt. Auffällig gestalten sich die einführende Anapher (ego potens … , ego regina … , ego lumen … ), die bildhaften Vergleiche (Hyrcana caute durior, asello rudior), das mit Lokaladverbien spielende Trikolon (ubique rideor, ibique contemnor, nullibi recipior) und die bedeutungsschweren Interjektionen o tempora! o mores! , 40 um nur einige Beispiele zu nennen. In der zweiten Szene trifft die Rhetorik auf Neptun, der das Brixner Stadtmagistrat verkörpert und Latein schlichtweg überhaupt nicht versteht: R HETORICA : Neptune! Fer auxilium! N EPTUNUS : Da wais i mein ayd garnicht drum. R HETORICA : Neptune! Precor! Miserere mei! N EPTUNUS : Beym schlappreme, thu mir teütsch röden, afft will i flux recht antwort göben. 41 38 Rhetorica 1. 39 Illa ego potens adsum Imperatrix mentium Rhetorica. Enimverò Marpesia caute durior est, rudior asello, et vel tygride ferocior, quisquis vel non amat blandientem, vel fulminantem non timet Eloquentiam. (Rinswerger 1730, 5) - „ Ich bin hier, die Rhetorik, jene mächtige Herrscherin der Gedanken. Der nämlich ist härter als marpesischer Fels, störrischer als ein Esel und sogar wilder als ein Tiger, der die Beredsamkeit entweder nicht liebt, wenn sie schmeichelt, oder nicht fürchtet, wenn sie gewaltig donnert. “ 40 Vgl. z. B. Cicero, In Verrem actio secunda 4, 55 und In Catilinam 1, 1, 2. 41 Rhetorica 2. 124 Theresa Rothfuß <?page no="125"?> Dieser in Paarreimen gehaltene Dialog geht bald in wüste beiderseitige Beschimpfungen über, da Neptun nichts von Bildung wissen will - die er selbst offensichtlich auch nicht genossen hat. Zu erklären ist dieser Streit auch vor dem Hintergrund eines maßgeblichen Wandels, denn im Zuge der Aufklärung verlor Latein mit dem Erstarken der Volkssprachen und insbesondere mit dem Aufstieg des Französischen als neuer lingua franca zunehmend an Bedeutung. 42 Dieser Entwicklung will Resch hier ganz offensichtlich entgegenwirken und das Banner für die lateinische Sprache hochhalten: Derjenige, der ihrer nicht mächtig ist, ist ein dummer Tölpel. Den Schülern, die dieses Stück einstudieren, soll durch das Negativbeispiel Neptuns die Bedeutung des Lateinischen bewusst werden. Ähnlich verhält es sich in der dritten Szene, die statt der kompletten Unkenntnis der Sprache ihre fehlerhafte Verwendung an den Pranger stellt. Diesmal ist es Bacchus, der sich vor der Rhetorik - ich erinnere daran, dass hinter dieser Maske der Lehrer steckt - um Kopf und Kragen redet: Es finden sich, um nur einige der zahlreichen Beispiele zu nennen, Fehler in der Übereinstimmung von Substantiv und Adjektiv im Genus (ex hac dolio), bei den Komparativ- (bonior) und Superlativbildungen (bonissimus), in der Verwendung der Deklinationsklassen (spirite sancte) und bei der Tempusbildung (potebit). Diese Szene orientiert sich besonders an der oben nachgezeichneten Theatertradition, einen Beitrag zur fachlichen Bildung zu leisten. Zum einen werden die Figuren hier, wie schon in Frischlins Priscianus vapulans, über ihren Sprachgebrauch charakterisiert und zum anderen finden die Begriffe Barbarismus und Solözismus, die bei Guarna als größte Feinde der Grammatik überhaupt auf die Bühne treten, zumindest Erwähnung. 43 Über die sprachliche Bildung hinaus, die diese Szene zwangsläufig leistete, indem sie die Schüler beim Einstudieren des Stücks dazu veranlasste, Fehlern nachzuspüren und sie zu verbessern - die Fehlersuche in Texten bzw. Reden ihrer ‚ Rivalen ‘ war in den Jesuitengymnasien fest im Unterrichtsgeschehen verankert - , 44 erlangten die Schüler wohl auch ein Bewusstsein dafür, dass Sprachfehler zwangsläufig auch Rückschlüsse auf ihren Sprecher zulassen. Die Pan- und Mammonszene, die in ihrer Gestaltung sehr stark von den realen Identitäten beeinflusst sind, lassen bei der deutlichen Kritik an der mangelnden Förderung von Reschs Reformplänen wenig Platz für eine be- 42 Vgl. Korenjak 2016, 89. 43 R HETORICA : Heu! Quam foetet hic locus barbarismis, hircismis et soloecismis! (Rhetorica 3) - „ R HETORIK : Bah! Wie stinkt dieser Ort nach Barbarismen, Bockismen und Solözismen! “ 44 Diese Fehlersuche, die in der Rhetorik-Klasse auch auf Textstrukturen ausgeweitet werden kann, findet während des Unterrichts in sogenannten concertationes seu exercitationes statt (Ratio studiorum 1600, 137 - 138 und 147 - 148). Joseph Reschs engagiertes Theater 125 <?page no="126"?> sondere Funktion, die diese Auftritte im Unterrichtsgeschehen einnehmen könnten. Das Zusammentreffen mit Apoll, der Personifikation der Poetik-Klasse, ist dagegen gleich auf zwei Ebenen für den Lateinunterricht nutzbar zu machen: zum einen wegen seines elegischen Distichons und zum anderen wegen der Ovid-Anspielungen. Interessant ist hierbei, dass Resch bei der Auswahl der Parallelstellen in Apolls lediglich drei Entgegnungen auf drei verschiedene Werke Ovids verweist, von denen allerdings nur eines in der jesuitischen Ratio studiorum für unterrichtstauglich befunden wurde: 45 die Amores, die Ars amatoria und die Epistulae ex Ponto. Es bleibt freilich nur Spekulation, aber möglicherweise wollte Resch mit dem Einblick in die beiden erstgenannten anrüchigen Texte zum Thema Liebe bei den unteren Stufen Werbung für seine Poetik-Klasse machen. Die siebte Szene des Stückes schließlich - sie ist auch mit Abstand die längste - bringt endlich den Rhetorikunterricht auf die Bühne. Der mittlerweile verzweifelten Protagonistin eilen unverhofft ihre Gemeinplätze, die loci rhetorici, zu Hilfe und räumen ihr buchstäblich einen Platz ein. Diese „ topischen “ Figuren sind Bestandteil der Topiklehre, die unter anderem bei Cicero (De inventione, Topica) und ähnlich schon in Aristoteles ’ Τόποι dargestellt wurde; innerhalb des rhetorischen Lehrgebäudes ist sie der Stoffsammlung (inventio) zugeordnet und war in stark systematisierter Form in der gesamten frühen Neuzeit bis etwa 1800 fester Bestandteil des Rhetorikunterrichts. 46 Eines der am häufigsten verwendeten einschlägigen Lehrwerke war der Titel De arte rhetorica (Erstdruck Antwerpen 1575) des Spaniers Cyprian Soarez, 47 der eine strukturierte Darstellung der 16 kanonisch gewordenen „ Orte “ bietet. 48 Von ihnen treten bei Resch in persona allerdings nur vier auf: 45 Die jesuitische Schulordnung kann hier deshalb als Maßstab angesetzt werden, da ihr die Regeln für das Hochfürstliche Gymnasium nachgebildet wurden (Mutschlechner 1975/ 76, 31). Für die Ars amatoria oder die Amores gibt es in keiner Klassenstufe eine Lektüreempfehlung; bereinigte Briefe konnten aber durchaus in der höchsten Grammatikklasse gelesen werden (Ratio studiorum 1600, 151). 46 „ Rhetorisch gesehen gehört der Topos in die inventio; hier hatte der Redner ‚ aufzufinden ‘ , was er sagen möchte. [ … ] Als Gemeinplatz, griechisch τόπος κοινός , lateinisch locus communis, ist er ebenso bekannt wie auch bei der auf Originalität erpichten Moderne in Verruf gekommen. “ Schirren 2005, XIV. 47 Vgl. Hammerstein / Müller 2005, 330. 48 Die Anzahl und Art dieser Gemeinplätze ist in den frühneuzeitlichen Rhetoriklehrbüchern weitgehend ident; sämtliche der bei Soarez gelisteten Topoi werden auch bei Resch erwähnt: definitio, etymologia/ notatio nominis, coniugata, enumeratio/ distributio partium, genus, species/ forma, causa, ab effectis, adjuncta/ circumstantiae, ab antecedentiis, a consequentibus, a repugnantibus, a contrariis, a similitudine, a dissimilitudine, a comparatione (Soarez 1653, 14 - 25). 126 Theresa Rothfuß <?page no="127"?> Es erscheinen die personifizierte Definition (definitio), die Gliederung in Teile (distributiones partium), 49 die Ursachen (causae) und die Wirkungen (effectus). Nach einem kurzen Eingangsdialog zwischen Rhetorik und Definition wechseln sich die Gemeinplätze in drei Durchgängen in der eben genannten Reihenfolge mit dem Sprechen ab. 50 Im ersten Durchgang entschuldigen die erschienenen Gemeinplätze das Fehlen aller übrigen, 51 wobei hier meist recht witzige Eselsbrücken geschlagen werden. So sagt beispielsweise die Gliederung in Teile Coniugata se excusant, quod ad coniugium et nuptias invitata sint (Rhetorica 7, „ Die Verwandtschaften lassen sich entschuldigen, weil sie zu einer Verwandtschaftsfeier und einer Hochzeit eingeladen sind. “ ); die Ursachen behaupten Forma adhuc speculum consulit (Rhetorica 7, „ Die Gestaltung [ - außerhalb des rhetorischen Kontexts auch „ Schönheit “ - ] befragt noch den Spiegel. “ ). Im zweiten Durchgang stellen sich die vier loci vor und erklären damit mehr oder weniger ausführlich ihre Zuständigkeiten, wie das Beispiel der Definition zeigen soll: D EFINITIO : Ego Definitio sum, accurata rerum omnium et aperta explicatio, apertarum patefacio, involutarum evolutio. Convenio omni et soli. 52 D EFINITION : Ich bin die Definition, die genaue und deutliche Erklärung aller Dinge, die Enthüllerin des Entblößten, die Entwicklung des Verwickelten. Ich passe zum Ganzen und zum Einzelnen. Diese Aussage ist an die Beschreibung der Definition angelehnt, wie sie bei Soarez (in starker Abhängigkeit von Cicero Topica 9 und Orator 116) gegeben wird. Hier heißt es: Est enim explicanda saepe verbis mens nostra de quaque re, atque involutae rei notitia definiendo aperienda est. Definitio enim quasi involutum evoluit id, de quo quaeritur. 53 49 Geläufiger ist der Name enumeratio; distributio partium eignet sich hier besser, da ihr späterer Lösungsvorschlag mit der Klassenaufteilung zusammenhängt. 50 Diese Reihenfolge ist nicht willkürlich, sondern gibt die vorhandene hierarchische Ordnung der Topoi wieder, von denen die Definition zweifelsohne die wichtigste ist (in dieser Reihung auch dargestellt bei Soarez 1653, 14 - 23). 51 In der Darstellung fehlt lediglich die dissimilitudo, wobei die Ursache dieser Auslassung in einem Schreibfehler liegen könnte: In der Handschrift liest man: Similitudo et Comparatio comparere nobiscum non possunt, quia claudicant, sicut onis Similitudo. Da sich allerdings keine vernünftige Erklärung für onis finden lässt - und ebenso wenig eine für die Wiederholung von Similitudo - wäre die naheliegende Lösung wohl die, dass onis zu Similitudo gehört und an der Stelle Dissimilitudo zu lesen ist. 52 Rhetorica 7. 53 Soarez 1653, 15. Joseph Reschs engagiertes Theater 127 <?page no="128"?> Oft nämlich muss unser Gedanke zu einer Sache mit Worten erklärt werden, und die Vorstellung einer verworrenen Sache muss durch das Definieren erhellt werden. In ähnlicher Nähe zu Cicero und den zeitgenössischen Lehrwerken stehen die übrigen drei Topoi: Der Aussage der Wirkungen, sie würden von der Ursache abstammen (Rhetorica 7: ego albae gallinae filius 54 causae matris soboles - „ ich bin das Kind einer weißen Henne, das Kind der Mutter Ursache “ ) entspricht zum Beispiel der Satz effecta sunt ea, quae sunt orta de causis (Soarez 1653, 23: „ die Wirkungen sind die, die von den Ursachen abstammen “ ). Im dritten und letzten Durchgang argumentieren die Topoi schließlich aus ihrer eigenen Sichtweise heraus für den Rhetorikunterricht, wobei der konkrete Nutzen für Reschs Problematik nicht bei jedem Gemeinplatz klar zu erkennen ist: Die Definition glaubt zum Beispiel mit einer Definition der Rhetorik diesem Fach mehr Gewicht zu verleihen und greift dabei auf ein Beispiel zurück, das auch in De arte rhetorica aufscheint: So heißt es bei Soarez 1653, 159 Rhetorica est ars dicendi - „ die Rhetorik ist die Kunst des Sprechens “ und bei Resch Rhetorica est ars bene dicendi (Rhetorica 7) - „ die Rhetorik ist die Kunst des guten Sprechens. “ Einen echten Lösungsvorschlag bietet im Anschluss daran der Gemeinplatz der Gliederung; er zielt unter anderem auf eine Neuverteilung der Schulklassen 55 und diese strukturelle Änderung wird es auch sein, die das Dilemma um 54 Nicht ganz klar ist hier die Aussage, die Wirkungen seien „ der Sohn einer weißen Henne “ ; diese Phrase ist bei den antiken Schriftstellern Juvenal (Saturae 13, 141) und Sueton (De Vita Caesarum, Galba 1) bezeugt und wird heute gemeinhin als ‚ Glückskind ‘ wiedergegeben. Erwähnenswert scheint mir noch die Übersetzung eines Zeitgenossen Reschs, der die Möglichkeiten „ der glückseeligste, der liebste Sohn, der erste Sohn, der Erb-Prinz, und dergleichen “ anbietet (o. V.: Augustinus albae gallinae deiparae virginis filius, München 1750, 5). 55 D ISTRIBUTIO : Si classes scholarum aliter distribuantur, si regulae Latinae linguae aliter digerantur, si inutilia rescindantur, utilia extendantur, verbo, si partes toti non ad methodum neotericorum, sed veterum grammaticorum Quintiliani, Varronis, Donati aliorumque accommodentur, fidem oppignerabo meam, me partium Distributione authore aliam rebus faciem redituram, aliud caelo scholastico solem oriturum, ut suum pro meritis locum recipiat Rhetorica. (Rhetorica 7) - „ G LIEDERUNG : Wenn die Schulklassen anders verteilt wären, wenn die Regeln der lateinischen Sprache anders angeordnet wären, wenn die unnützen Dinge gekürzt und die nützlichen dafür erweitert würden, kurz, wenn die Teile des Ganzen nicht nach Art der Neoteriker, sondern nach Art der alten Grammatiker, wie Quintilian, Varro, Donat und anderer, eingerichtet wären, so verwette ich meine Glaubwürdigkeit darauf, dass ich, die Gliederung in Teile, es bewerkstelligen würde, der Sache ein anderes Gesicht zu geben und eine andere Sonne am Himmel der Gelehrten aufgehen zu lassen, sodass die Rhetorik ihren Verdiensten entsprechend einen Platz erhielte. “ 128 Theresa Rothfuß <?page no="129"?> die Einführung der Rhetorik-Klasse - zumindest ab dem Schuljahr 1752/ 53 - lösen wird. 56 Der Ratschlag des Gemeinplatzes der Ursachen greift kurzerhand - natürlich wieder rein allegorisch - auf die Anfänge des Lateinischen bzw. richtiger auf die Anfänge der römischen Kultur zurück, indem aus dem Beginn der Aeneis (Vergil, Aeneis 1, 26 - 28) zitiert wird: C AUSAE : Causis malignis, quae bonos effectus hostili impetu impediunt, in tempore fons obstruendus est. Causas autem quatuor enumerat raro: Manet alta mente repostum iudicium Paridis spretaeque iniuria formae et genus invisum et rapti Ganymedis honores. 57 U RSACHEN : Den verderblichen Ursachen, die die positiven Wirkungen mit feindlicher Gewalt zurückhalten, muss die Quelle verbaut werden, ehe es zu spät ist. Selten aber zählt sie die vier Ursachen auf. Tief im Gedächtnis bleibt das Urteil des Paris, das Unrecht ihrer verschmähten Schönheit, das verhasste Geschlecht und die Ehre des geraubten Ganymeds bewahrt. Weshalb Resch hier an den Hass der Juno gegen alles Trojanische erinnert, bleibt fraglich. Möglicherweise möchte er mithilfe dieses Vergil-Zitats dazu anregen, die Ursachen der offensichtlich tief in den Brixner Herzen verankerten Ablehnung gegen die höhere Schulbildung aufzudecken und als ungerechtfertigt gegen die aktuellen Bemühungen zu enttarnen: Der Hass rührt wohl von dem jahrzehntelangen Kampf gegen die Einrichtung eines Jesuitengymnasiums her und hat an und für sich nichts mit Reschs aktuellen Reformbestrebungen zu tun. 58 Der Gemeinplatz der Wirkung schließlich will durch die Prämierung fleißiger Schüler am Schuljahresende die Motivation der Schüler steigern. 59 Der positive Einfluss der Preisverleihungen am Schuljahresende auf das Lernverhalten der Schüler ist auch Gegenstand von Reschs Praemia Aureliani (1753). Für das Brixner Gymnasium sind solche Prämierungen schon lange nachweisbar, 60 eine weitere Klasse bedeutete aber konkret eine weitere Chance auf 56 Vgl. die Darstellung im ersten Teil dieses Aufsatzes. 57 Rhetorica 7. 58 Vgl. hierzu den ersten Teil dieses Aufsatzes. 59 E FFECTUS : [ … ] Ut discipuli tui maiore urgeantur stimulo, ut ex progressu litterario profectus tanquam effectus prodeat uberior, ut honor amplificetur laudabilior, fac, ut pro rhetoricis laboribus quot annis ad finem distribuantur praemia. (Rhetorica 7) - „ W IRKUNGEN : [ … ] Damit deine Schüler mit größerem Antrieb lernen, damit der Erfolg aus einem schriftsprachlichen Fortschritt gleichsam auch eine weitreichendere Wirkung hat, und schließlich Lob und Ruhm noch gesteigert werden, richte es so ein, dass für die Mühen um die Rhetorik am Ende jedes Jahres Preise verteilt werden. “ 60 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 159 - 160 und Ammann 1901, 24. Joseph Reschs engagiertes Theater 129 <?page no="130"?> eine Prämierung. Entsprechend der Argumentation in der dritten Szene (die Zusammenkunft mit Bacchus) ging es hier sicherlich auch darum, die Motivation der Schüler zu dem Zweck zu steigern, dass diese auch die oberen Klassen am Brixner Gymnasium bestreiten wollen und so die Einrichtung der Rhetorik-Klasse rentabel machen. Das Stück endet mit einer Überleitung in die Preisverleihung, wobei ungeklärt bleibt, woher das Geld für diese Preise stammte. 61 Eine Aufführung - aber vor welchem Publikum? In seiner grundlegenden Untersuchung zu den Brixner Dramen des 18. Jahrhunderts äußerte bereits Mutschlechner die Vermutung, dass die Rhetorica nur für die Schüler gegeben wurde; er stützt sich dabei auf die in der ersten Szene dargestellte „ Verunglimpfung des Stadtmagistrates “ sowie das Fehlen einer Perioche. 62 Es lassen sich noch mehr Argumente dafür ins Feld führen, dass es zu keiner öffentlichen Aufführung gekommen ist: die durchgängig fachdidaktische Ausrichtung des Textes, die „ Verunglimpfung “ des Klerus und des Geldadels, die Kürze des Stückes 63 sowie eine Aussage der Distributio partium im siebten Akt des Stückes, die den Gemeinplatz genus zu entschuldigen sucht: Genus femininum ad spectandam scaenam non est admissum (Rhetorica 7, „ Dem weiblichen Geschlecht ist es nicht gestattet, diesem Schauspiel zuzusehen “ ). Dieser metatheatralische Witz gibt uns einen besonderen Einblick in die konkrete Aufführungssituation des Stückes: Waren Frauen zwar im frühen Ordenstheater noch meist ganz von den öffentlichen Vorstellungen ausgeschlossen (teilweise wurden ihnen auch eigene abgegrenzte Plätze zugewiesen), 64 galt das für das spätere Schultheater nicht mehr. Gehen wir also vom dem Regelfall aus, dass Frauen durchaus bei Schultheateraufführungen anwesend waren, 65 scheint hier ein weiterer Hinweis darauf gegeben, dass eine öffentliche Aufführung ausgeschlossen werden kann. 61 Für die Prämierung der Besten aus der Poetik-Klasse stellte 1749/ 50 das Domkapitel die Prämien (vgl. hierzu den ersten Teil dieses Aufsatzes), für die Rhetorik-Klasse fand Resch wohl keinerlei finanzielle Unterstützung. Die Praemia Aureliani (1753) entstanden nach Mutschlechner 1975/ 76, 160 als Reaktion auf eine weitere Kürzung des für die Prämien gedachten Budgets. 62 Mutschlechner 1975/ 76, 148. 63 Eine Sprechprobe ergab, dass die Rhetorica durchgespielt nur eine Länge von etwa 50 Minuten hat, während die meisten übrigen Dramen gut über drei Stunden in Anspruch nehmen. 64 Flemming 1923, 271. 65 Allein die so oft proklamierte Behauptung, die Schüler präsentierten den stolzen Eltern im Rahmen der Herbstspiele ihre Lernfortschritte, schließt die Frauen zwingend mit ein 130 Theresa Rothfuß <?page no="131"?> Dass das Spiel allerdings überhaupt gegeben wurde, steht außer Frage: Joseph Resch, der mit dem Unterricht seiner beiden Klassen, den Tätigkeiten als Präfekt und seinen parallelen Studien zur Kirchengeschichte 66 sicherlich genug zu tun hatte, verfasste bestimmt kein Stück für die Schublade, zumal es konventionsgemäß in eine Preisverleihung überleitet. Es ist ferner auch kein anderes Herbstspiel für das Jahr 1751 bekannt. Schließlich liegt der Handschrift F17 noch ein Blatt mit dem Titel Ratiocinium circa impensas Comoediae (Rechnungsführung zu den Ausgaben der Komödie) bei, das eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben für diese Komödie verzeichnet. Hier wird auch die Durchführung von vier Proben (unter ihnen die Generalprobe) verrechnet. 67 Einer schulinternen Aufführung schließlich - gerne auch vor externem, ausgewähltem Publikum - widerspricht keines der oben angeführten Argumente, im Gegenteil: Sie stützen sie sogar, wenn man an die im Stück enthaltenen Lerninhalte denkt. Der humorvolle Einblick in die höchste Klassenstufe, also die Rhetorik-Klasse, trug sicherlich einen Teil zur Motivation der Schüler unterer Klassen bei. Ob das Stück aber auch an den Stellen angekommen ist, an denen es Kritik übt, kann nicht gesagt werden. Das Fehlen einer öffentlichen Aufführung, der sicherlich auch Vertreter des Brixner Adels, des Magistrats und der Geistlichkeit beigewohnt hätten, dürfte jedoch sehr aufgefallen sein. An solche jährlichen Inszenierungen konnte sich die Bevölkerung Brixens seit den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts - ab 1745 nachgewiesenerweise ohne Unterbrechung - gewöhnen. 68 Das Geld, das nicht für die Einführung der Rhetorik-Klasse zur Verfügung gestellt wurde, kompensiert Resch also wohl mit der Zeit, die das Schreiben, Proben und Aufführen eines durchschnittlichen Stückes von der dreifachen Länge der Rhetorica in Anspruch genommen hätte - möglichweise eine Art „ Vergeltungsschlag durch Untätigkeit “ . (so z. B. in Korenjak 2016, 175). Für Brixen jedenfalls konnte Mutschlechner aufgrund der schlechten Quellenlage zur Zusammensetzung des Publikums ein solches Verbot für die Brixner Spielstätte zumindest nicht nachweisen (vgl. Mutschlechner 1976/ 76, 263 - 264). 66 Diese Studien begann er mit dem Bau des neuen Doms 1745 (vgl. Gelmi 2007, 138 - 139); zu einem ersten Höhepunkt gelangten sie mit der Veröffentlichung seines ersten Bandes der Annales Ecclesiae Sabionensis nunc Brixinensis (Augsburg 1755). 67 Diese Aufstellung, die auch Ausgaben für die Bühnentechnik verzeichnet (z. B. pro fabro lignario, pro pictore), bietet sich für vergleichende Analysen an. 68 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 43 - 54. Joseph Reschs engagiertes Theater 131 <?page no="132"?> Zusammenfassung Der Einakter Rhetorica entstand als Reaktion auf die schwerfällige Entwicklung einer Schulreform, die der Präfekt Joseph Resch in der Mitte des 18. Jahrhunderts angestrebt hatte. In diesem Stück setzt sich Resch mit der Mühsal seiner Reformbestrebungen auseinander und scheut nicht davor zurück, Kritik an mächtigen Institutionen der Brixner Öffentlichkeit zu üben: Adel, Klerus und Magistrat. Dabei ging Resch nicht so weit, dass er das Spiel öffentlich gab oder in seinem Figurenschlüssel konkrete Namen nannte, sondern er entschied sich für eine schulinterne Aufführung oder eine Aufführung vor ausgewähltem Publikum, wodurch die bildungs- und gesellschaftskritische Sprengkraft des Stücks bewusst reduziert wurde. Nichtdestotrotz dürfte das Fehlen dieses gesellschaftlichen High-Lights dem ein oder anderen übel aufgestoßen sein. Im Gegenzug dazu konnte das Stück aber seine starke didaktische Wirkung auf die schauspielenden wie zuschauenden Schüler voll entfalten: Die Auseinandersetzung mit dem Text lädt nämlich zu Sprachübungen ein und speziell im letzten Akt findet Rhetorik-Unterricht auf der Bühne statt. Damit reiht sich die Rhetorica in eine lange Tradition ein, die sich über die Salzburger und Kremsmünsterer Benediktinerdramen und über berühmte Namen wie Jakob Gretser und Nicodemus Frischlin bis auf Guarnas Bellum grammaticale aus dem frühen 16. Jahrhundert zurückführen lässt. Ganz im Sinne des Schuldramas wird auch hier moralisch erzogen: Im Allgemeinen realisiert sich dies in der geforderten Hochachtung der Bildung, im Speziellen in der Verachtung des lateinunkundigen Magistrats, im Aufzeigen verwerflichen Verhaltens von Adel und Klerus und schließlich im Fingerzeig an die Schüler selbst: Das Negativbeispiel Bacchus ermahnt die Schüler zu Fleiß und Alkoholabstinenz. Vor dem Hintergrund der von mir in diesem Beitrag präsentierten Beobachtungen haben wir es bei der Rhetorica also durchaus mit einem Fall „ engagierten Theaters “ zu tun - ein Begriff, dem Günther Mahal bei der Charakterisierung des vormodernen Theaterbetriebs generell stärkeres Gewicht verleihen möchte: Wenn in der neueren Diskussion immer wieder von ‚ engagierter ‘ Literatur und auch vom ‚ engagierten ‘ Theater als von modernen Phänomenen [ … ] die Rede ist, dann sollte künftig angesichts der Tradition auktorialen Theaters bedacht werden, daß im Fall der dramatischen Gattung ‚ engagiertes Theater ‘ über weite Strecken der Dramengeschichte hin keineswegs eine Unterspecies bedeutete, daß vielmehr ‚ engagiertes Theater ‘ in der griechischen Tragödie, im mittelalterlichen Schauspiel, im konfessionspolemischen Drama des 16. Jahrhunderts, im Jesuitentheater und in vielfältigen Varianten des 20. Jahrhunderts eine Tautologie ausdrückte: die vor 1800 132 Theresa Rothfuß <?page no="133"?> unbestrittene Funktion des Theaters nämlich, Einfluß auf den Alltag und auf seine Autoritäten zu gewinnen. 69 Der Erfolg der in der Rhetorica betriebenen Einflussbemühungen beschränkte sich zunächst wohl primär auf die Akteure der Schule selbst, zumindest gibt es für das Schuljahr 1751/ 52 nichts Positives zu Reschs Reformplänen zu berichten: Sein Wunsch, das bisher fünfstufige Gymnasium um zwei weitere Klassen zu erweitern, scheiterte zunächst daran, dass die bereits (probeweise) eingeführten Poetik- und Rhetorik-Klassen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weiter unterrichtet wurden. Erst ab dem darauffolgenden Schuljahr hat Resch die Installation der beiden höchsten Klassen durchgesetzt - nicht allerdings, ohne die Streichung einer der Syntaxklassen in Kauf nehmen zu müssen. Resch musste also wohl hart um die Aufwertung seiner Schule kämpfen und bestätigt in eigener Person und für den katholischen Raum, was Jens Bruning als symptomatisch für protestantische Schulen des 18. und 19. Jahrhunderts behauptet, wenn er sagt, daß die zahlreichen Veränderungen an den Höheren Schulen in der Aufklärungsepoche in der Tat das Werk besonders engagierter Rektoren- und Lehrerpersönlichkeiten waren und keineswegs das Ergebnis staatlicher Reformbemühungen. 70 In unserem Fall, in der unter fürstbischöflicher Leitung stehenden Diözese Brixen, präsentieren sich die späteren Darstellungen in Bezug auf Reschs Reformbemühungen auffällig harmonisch: Daß durch Vereinigung der Syntaxis major und minor, und durch hinzufügung von zwei neuen Cursen die Anstalt im Jahre 1750 zu einem vollständigen Gymnasium erweitert wurde, verdankt man der Wohltäthigkeit der Fürst-Bischofes Leopold von Spaur, dem guten Sinne des Domscholasters Graf von Fieger und den unverdrossenen Bemühungen des Dombeneficiaten Dr. Jos. Ant. Resch. 71 Das Engagement für seine Schule auf der ‚ Meta-Ebene ‘ des Dramas kehrt in Reschs Dramenkorpus übrigens wieder; bereits Mutschlechner geht davon aus, dass auch die Praemia Aureliani (1753) einen ähnlichen Zweck verfolgen: Die Finanzierung der jährlichen Preisverleihung scheint um die Mitte des 18. Jahrhundets zunehmend gefährdet gewesen zu sein. 72 69 Mahal 1982, 229. 70 Bruning 2005, 305. 71 Erstes Programm des kaiserl. königl. Gymnasium zu Brixen 1851, 4. 72 Vgl. Mutschlechner 1975/ 76, 160. Joseph Reschs engagiertes Theater 133 <?page no="134"?> Literatur Primärliteratur Frischlin, Nicodemus: Priscianus Vapulans (1578), in: Nicodemus Frischlin: Sämtliche Werke, Bd. III, 1: Priscianus vapulans. Iulius redivivus, hg. und übers. von Christoph Jungck / Lothar Mundt, Stuttgart 2003, 1 - 319. Resch, Joseph: Rhetorica locum invenit in locis rhetoricis. Rhetor-, ritter- und göttersphil (1751). Text mit Einleitung, Übersetung und Anmerkungen, hg. von Theresa Rothfuß, Online-Edition Innsbruck 2018, https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ sammlung/ texte/ rhetorica-v2.1-2020-03-25.pdf (letzter Zugriff am 14.10.2024). Rinswerger, Wolfgang: Opera Miscellanea olim in Scenam data, hg. von Johannes Evangelist Heigl, Stadtamhof 1730. Ratio atque institutio studiorum Societatis Jesu, Dillingen 1600 (Erstdruck Neapel 1598, gültig ab 1599). Soarez, Cypriano: De arte rhetorica, Dillingen 1653 (Erstausgabe Antwerpen 1568). Sekundärliteratur Ammann, Hartmann: Geschichte des k. k. Gymnasiums zu Brixen a. E., Bd. 1, Brixen 1901. Bolte, Johannes: Andrea Guarnas Bellum Grammaticale und seine Nachahmungen, Berlin 1908. Bruning, Jens: Das protestantische Gelehrtenschulwesen im 18. Jahrhundert: Pietismus - Aufklärung - Neuhumanismus, in: Notker Hammerstein / Ulrich Herrmann (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, München 2005, 278 - 323. Butler, Erik: The Bellum Grammaticale and the Rise of European Literature, New York / Oxford 2010. Dürrwächter, Anton: Jakob Gretser und seine Dramen: ein Beitrag zur Geschichte des Jesuitendramas in Deutschland, Freiburg i. Br. 1912. Flemming, Willi: Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge, Berlin 1923. Gelmi, Josef: „ Pietas et Scientia “ . 400 Jahre Priesterseminar Brixen. 1607 - 2007, Brixen 2007. Gelmi, Josef: Geschichte der Stadt Brixen, Brixen 2000. Hammerstein, Notker / Herrmann, Ulrich (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005. Hammerstein, Notker / Müller, Rainer A.: Das katholische Gymnasialwesen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Notker Hammerstein / Ulrich Herrmann (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, München 2005, 324 - 354. Harnischmacher, Wibke: Andrea Guarnas Bellum Grammaticale. Einführung, Text, Übersetzung und Kommentar, Trier 2013. 134 Theresa Rothfuß <?page no="135"?> Korenjak, Martin: Geschichte der Neulateinischen Literatur. Vom Humanismus bis zur Gegenwart, München 2016. Kuhlmann, Peter: Lateinunterricht im Zeitalter der katholischen Reform: Jacobus Pontanus und die Methodik und Didaktik der Jesuitengymnasien, in: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath (Hg.): Der Altsprachliche Unterricht in der Frühen Neuzeit, Innsbruck 2010 (Pontes, Bd. 6), 119 - 131. Mahal, Günther: Auktoriales Theater - die Bühne als Kanzel: Autoritäts-Akzeptierung des Zuschauers als Folge dramat. Persuasionsstrategie, Tübingen 1982. Mitterrutzner, Josef Chrysant: Ein Blatt der Erinnerung an Dr. Joseph Resch, Gymnasial- Präfect zu Brixen und Geschichtsschreiber, in: 32. Programm des kaiserl. königl. Gymnasiums zu Brixen, Brixen 1882, 24 - 31. Mutschlechner, Karl: Das Jesuitentheater in Brixen im 18. Jahrhundert, ungedr. Dissertation (Università degli studi di Padova), Padua 1975/ 76. ohne Verfasser: Erstes Programm des kaiserl. königl. Gymnasium zu Brixen, Brixen 1851. Schirren, Thomas / Ueding, Gert: Topik und Rhetorik. Ein interdisziplinäres Symposium, Tübingen 2000. Senfter, Maria: Das Klarissenkloster von Brixen 1600 - 1800, ungedr. Dissertation (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck), Innsbruck 1977. Siebinger, Josef: Geschichte des Gymnasium von der Zeit seiner Gründung bis zum Eintritte der baierischen Landeshoheit in Tirol und der sofortigen Reform der Lehranstalt, in: Neuntes Programm des kaiserl. königl. Staats-Gymnasium zu Innsbruck, Innsbruck 1858, 5 - 29. Sinnacher, Franz Anton: Beyträge zur Geschichte der bischöflichen Kirche Säben und Brixen in Tyrol, Bd. 1, Brixen 1821. Tilg, Stefan: Theater, in: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath / Lav Š ubari ć / Karlheinz Töchterle (Hg.): Tyrolis Latina. Geschichte der Lateinischen Literatur in Tirol, Bd. 2, Wien / Köln / Weimar 2012, 266 - 281 und 436 - 465. Joseph Reschs engagiertes Theater 135 <?page no="137"?> Peccator deicida, Pastor bonus und Pius Samaritanus Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch Wolfgang Kofler (Innsbruck) Das Meditationsspiel ist eine schwierige Gattung, die auch für manchen in der neulateinischen Literatur sonst gut bewanderten Leser nach wie vor etwas Fremdes hat. Vor allem die sparsame Handlung und der über weite Strecken gebethafte Charakter der Texte sorgen immer wieder für Irritationen. Der Grund hierfür ist hauptsächlich der, daß das Meditationsspiel - typologisch gesehen - dem Bereich des Dramas zugeordnet und deshalb lange Zeit vorwiegend von Forschern behandelt wurde, die es aus der Perspektive des neulateinischen (Schul-)Theaters betrachteten. Diese Zugangsweise ist natürlich nicht völlig falsch, aber sie verstellt doch den Blick auf einige Spezifika der Gattung, die besonders mit ihrem religiösen Hintergrund zusammenhängen. Dabei wird schon am Zeitpunkt seiner Aufführung wird klar, daß das Meditationsspiel einen Sonderfall des neulateinischen Schultheaters darstellt. Während der Großteil der erhaltenen Stücke zum Ende des Schuljahres im Herbst dargeboten wurde, gehört es in die Fastenzeit. Genau dieser Unterschied hängt nun eng mit der pragmatischen Dimension der Gattung zusammen, die eng verquickt mit den religiösen Praktiken war, welche die Gläubigen in ihrer Vorbereitung auf das Osterfest unterstützen sollten. Gemeinsames Beten und Singen war hier ebenso angesagt wie die Rezitation von Texten aus der Schrift, die theologische Wahrheiten illustrieren und letzten Endes zu einem Läuterungsprozeß hinführen sollten. In diesem Sinn weist das Fastenspiel wichtige Querverbindungen zu den Ignatianischen Exerzitien auf, die sehr oft in der Fastenzeit praktiziert wurden. 1 Franz Lang, einer der wichtigsten Vertreter der Gattung, macht das bereits im Titel einer seiner drei im Jahr 1717 herausgegebenen Sammlungen von Münchner Meditationsspielen deutlich, wenn er von einem Theatrum solitudinis asceticae sive doctrinae morales per 1 Sammer 1994, 11 und 1996, 61 - 71, Münch-Künast 2000, 73 - 101, Pohle 2010, 561 - 562 sowie Je ż 2014, 262 - 264. <?page no="138"?> considerationes melodicas ad normam sacrorum exercitiorum S. P. Ignatii compositae spricht und ein Titelkupfer wählt, in dem die Etappen abgebildet sind, welche die Seele im Rahmen dieser Übungen zurückzulegen hat. 2 Der Konnex zwischen den Exercitia spiritualia und den Meditationsspielen überrascht nicht. Die Societas Jesu war über ihr Engagement in Pädagogik und Bildung ja die bedeutendste Trägerin des neulateinischen Schultheaters, und auch der eben erwähnte Franz Lang gehörte dieser Ordensgemeinschaft an. Wichtig sind hier aber auch die Marianischen Kongregationen, die für die Aufführung von Meditationsspielen in der Regel verantwortlich zeichneten. 3 Ihr Mitgliederstamm wies große Schnittmengen mit der Schüler- und Lehrerschaft der Jesuitenschulen auf, und die spirituelle Einstimmung auf das Osterfest bildete jedes Jahr einen Fixpunkt im Programm ihrer geistlichen Aktivitäten. 4 Die Dramatisierung der religiösen Praktiken während der Fastenzeit wurde aber nicht nur durch institutionelle Faktoren vorangetrieben, sondern besaß auch gute innere Gründe. Es ging ja - wie bereits oben angedeutet - hauptsächlich darum, Glaubensinhalte zu internalisieren. Dazu wurden diese auf verschiedene Weisen repräsentiert, denn optisches und akustisches Erleben, aber auch das Einbeziehen anderer Sinne kann - wenn es in einem mit der Fastenzeit verträglichen Ausmaß erfolgt - Kontemplation und Reflexion steuern und fördern. 5 All das sind natürlich Mechanismen, die man aus dem Theater - und nicht zuletzt dem neulateinischen Schultheater - kennt, und so ist es nicht verwunderlich, daß man in der rituellen Ausgestaltung der Vorbereitungen auf das Osterfest gerne auf dramatische Darstellungsformen zurückgriff. 6 Dabei muß aber - wie gesagt - eines klar bleiben: Der Hauptzweck des Fastenspiels war ein anderer als der des Schultheaters. Denn während letzteres in erster Linie der Repräsentation und der Bildung zu- 2 Sammer 1994, 16. 3 Zur Marianischen Kongregation im allgemeinen s. die instruktiven Kurzübersichten bei Engelbrecht 1983, 158 und Erlach 2006, 247 - 249; zu ihrer Rolle als Promotorin des Fastenspiels Sammer 1994, 12 - 13, Valentin 1996, 89, Sammer 1996, 39 - 45 und Wirthensohn 2019, 227 - 228. Pohle 2010, 558 bezeichnet die Fastenmeditationen als „ Sodalenspiele par excellence “ . 4 Erlach 2006, 249. 5 S. hierzu Bauer 1994, 228 - 336. Visuellen Effekten diente z. B. der Einsatz von Emblemen, s. Bauer 1982; natürlich kam auch der Musik eine große Bedeutung zu, s. v. a. Erlach 2006, 256 - 260 und 274 - 285, Münster 1989 und Je ż 2014, aber auch Sammer 1994, 120 und 1996, 118 - 140. 6 Zu den in den zeitgenössischen Poetiken (etwa der Dissertatio de Actione Scaenica des bereits genannten Franz Lang) angestellten Reflexionen über die Darstellungsmöglichkeiten des Dramas vgl. Bauer 1994, 228 - 236, Sammer 1996, 80 - 99, Valentin 1996, 90 - 95 und Münch-Kienast 2000, 331 - 332. 138 Wolfgang Kofler <?page no="139"?> arbeitete, war ersteres integrativer Bestandteil genau definierter geistlicher Praktiken und eine Form religiöser Performanz, die auf die Befreiung der Seele von der Sünde abzielte. Genau dies muß man bei der Beschäftigung mit und Beurteilung von Meditationsspielen im Auge behalten. Wer sie nämlich nur von der dramatischen Perspektive aus betrachtet, wird sie - wie bereits oben bemerkt - oft als handlungsarm oder gar eintönig empfinden. Aber dem Meditationsspiel geht es eben nicht um Unterhaltung, sondern um die Festigung des Glaubens. Die Gattung ist ein Instrument, das sowohl den Zuschauern als auch den Darbietenden eine spirituelle Erfahrung verschafft und ihnen dabei hilft, Gott zu begegnen. Dramatische Elemente sind dabei nur Mittel zum Zweck. Diesen Hintergrund ausgeleuchtet zu haben, ist nicht zuletzt das Verdienst von Marianne Sammer. Besonders in ihrer 1996 erschienenen Monographie Die Fastenmeditation. Gattungstheoretische Grundlegung und kulturgeschichtlicher Kontext sprengt sie die für das Genos viel zu engen Grenzen einer rein literaturwissenschaftlichen Betrachtung und verortet es statt dessen in seinem kultischen und spirituellen Kontext. 7 Denn im Grund hatte es von der in den letzten Jahrzehnten doch recht florierenden Forschung zum neulateinischen Schultheater nur wenig profitiert: Fastenspiele galten meist als literarische Sparversionen der mit großem Aufwand auf die Bühne gebrachten Schultragödien - wobei u. a. verkannt wurde, daß der begrenzte und überschaubare Aufwand, mit dem diese Stücke inszeniert wurden, 8 nicht daher rührte, daß man der Gattung einen geringeren künstlerischen Wert beimaß, sondern zu den Entbehrungen und Entsagungen der Fastenzeit paßte und so - gleichsam auf einer Metaebene - den Anlaß und theologischen Hintergrund der Stücke reflektierte. Sammer führt ihre Studien anhand eines Münchner Korpus von Meditationsspielen durch, das einen Zeitraum von über hundert Jahren (1668 - 1776) abdeckt und dessen herausragende Autoren die Jesuiten Franz Lang - wir haben ihn bereits genannt - und Franz Neumayr sind. Eine der vordringlichsten Aufgaben der weiteren Forschung wird es sein, den Eindruck, der sich 7 Sammer 1996. Ansätze in diese Richtung finden sich aber schon bei Sammer 1994. Auch Valentin 1996, 87 fordert einen interdisziplinären Zugang ein: „ Fest steht auf jeden Fall, daß derart komplizierte Phänomene fächerübergreifender Perspektiven bedürfen, um ins auch nur annähernd rechte Licht gerückt zu werden. Dabei geht es nicht nur um Philologie: Theologie, Anthropologie, Rhetorik, Poetik tun nicht minder not als eine Vertrautheit mit den antiken Sprachen und Literaturen, genauer gesagt: den Modalitäten ihrer Wiederaufnahme in kulturellen Kontexten, die von den griechischen und lateinischen grundverschieden waren “ . 8 Sammer 1994, 13. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch 139 <?page no="140"?> aus der exzeptionellen und singulären Sammlung gewinnen läßt, durch die Erschließung von Stücken anderer Provenienz zu komplettieren. Drei von ihnen möchte ich in diesem Beitrag vorstellen. Sie stammen alle aus der Feder von Joseph Resch, dessen Wirkungsstätte Brixen ja nicht so weit entfernt von München liegt. Die Titel der Stücke lauten: Peccator deicida ( „ Der sündige Gottesmörder “ ), Pastor bonus ( „ Der gute Hirte “ ) und Pius Samaritanus ( „ Der barmherzige Samariter “ ). Die Spiele, die im Innsbrucker Resch-Projekt von Nikolaus Hölzl herausgegeben und unter Hinzufügung von Anmerkungen übersetzt wurden, 9 nehmen nicht nur aufgrund ihrer Gattung eine Sonderstellung im dramatischen Œ uvre des Autors ein, sondern sind auch - darauf werde ich am Ende des Beitrags noch einmal gesondert eingehen - die einzigen Dramen von ihm, die den Weg in den Druck fanden. 10 Daß sich auch Meditationsspiele im Brixner Resch-Korpus finden, überrascht im übrigen nicht völlig: Der starke Konnex, der zwischen der Gattung und der Marianischen Kongregation ganz generell bestand, wurde bereits weiter oben erwähnt, und es war gerade Resch, der die Vereinigung in der Bischofsstadt wieder zum Leben erweckt hatte. 11 Nach Auskunft der Titelblätter in der Druckausgabe 12 war die Brixner Sodalitas denn auch zumindest in die Aufführungen des Peccator deicida und des Pius Samaritanus eingebunden. Alle drei Spiele bringen ein neutestamentliches Gleichnis auf die Bühne. Der Peccator deicida, der zur Fastenzeit 1745 aufgeführt wurde, ist eine Adaption der Geschichte von den bösen Weingärtnern: 13 Nachdem bereits mehrere Diener bei der Inspektion des Guts getötet wurden, entsendet der Besitzer seinen Sohn, um nach dem Rechten zu sehen. Auch er wird vom bösen Winzer und seinen Handlangern angegriffen und schwer verwundet in eine Hecke geworfen. Daraufhin trifft der Gutsbesitzer selbst ein. Er läßt seine Diener Nachforschungen über den Sohn anstellen, den er für tot hält. Am Ende der Untersuchung kommt es zu einem Prozeß, in dem der böse Winzer fast verurteilt wird. Im letzten Moment wird der im Sterben liegende Sohn aber im Gestrüpp gefunden. Kurz bevor er seine Seele aushaucht, vergibt er seinen Mördern, und sie werden begnadigt. 9 Mutschlechner 1975/ 1976 behandelt die Stücke auf 121 - 125. 10 Ausführlicher Titel: Sacrae meditationes, quas per plures tragoedias olim in scenam, nunc in lucem publicam dedit Josephus Reschius, Episcopalis Gymnasii Brixinensis praefectus et rhetorices professor, Venetiis MDCCLI apud Laurentium Basilium. 11 Zu diesen und allen weiteren biographischen Details vgl. den einschlägigen Abriß, den Zathammer / Kühebacher in diesem Band vorgelegt haben. 12 S. 3 und 121. 13 Mt 21, 33 - 41, Mk 12, 1 - 9 und Lk 20, 9 - 16. Die nun folgenden Zusammenfassungen lehnen sich an jene an, die Wirthensohn / Zathammer in ihrem ebenfalls in dem vorliegenden Band enthaltenen Überblick über Reschs dramatisches Werk bieten. 140 Wolfgang Kofler <?page no="141"?> Das zweite Meditationsspiel, der Pastor bonus, gestaltet das Gleichnis vom guten Hirten 14 aus - durchaus passend zum Anlaß. Das Stück wurde nämlich zur Konsekration des neuen Fürstbischofs Leopold von Spaur im April 1748 aufgeführt. Natas - der Name ist unschwer als Palindrom von Satan zu erkennen - hat es mit seinen Dienern Tragonumus und Aegocerus auf die Herde des guten Hirten Daphnis abgesehen. Bald darauf kommt Daphnis und seinen Helfern Tityrus und Melibaeus das hundertste Schaf der Herde abhanden. Natas glaubt nun, daß seine Stunde gekommen ist, und bietet dem guten Hirten heuchlerisch Hilfe an. Als seine eigentlichen Absichten sich nicht mehr verheimlichen lassen, kommt es zum Konflikt. Daphnis ist verzweifelt. Die Situation verschärft sich weiter, als er erfährt, daß das Schaf auf Veranlassung der Schlange von der Frucht des vergifteten Baumes gegessen hat. Natas triumphiert schon, am Ende gelingt es Daphnis aber, das Schaf zu finden. Er rettet es, indem er das Gift aus dessen Körper saugt. Das bedeutet aber seinen eigenen Tod. Das dritte Stück, das in der Fastenzeit des Jahres 1750 und anläßlich des Jubiläums des hundert Jahre zuvor in der Innsbrucker Pfarrkirche aufgestellten Maria-Bildnisses von Lucas Cranach dem Älteren aufgeführt wurde, 15 ist dem barmherzigen Samariter 16 gewidmet. Ein Mann aus Jericho reist von Jerusalem nach Hause zurück. Aus Angst vor einem Unwetter läßt er sich von Räubern in eine Waldhütte einladen. Dort verfällt er sinnlichen Verlockungen und wird in betrunkenem Zustand von den Verbrechern ausgeraubt und halbtot geschlagen. Schwer verletzt bleibt er am Wegrand liegen, wo ihm niemand hilft - auch nicht ein Priester und ein Levit, die an der Stelle vorbeikommen. Die Rettung erfolgt erst durch einen Samariter und dessen Diener Pandochius. Die beiden verbinden den Mann aus Jericho und pflegen ihn im Haus des Dieners gesund. Überwältigt von den erhaltenen Wohltaten, verspricht der Mann nie mehr zu sündigen und gelobt dem Samariter ewige Dankbarkeit und Treue. Die Stücke sind sich nicht nur, was die Provenienz ihres Stoffes aus dem Neuen Testament betrifft, ähnlich. Auch der Aufbau zeigt Entsprechungen: In den Prologen und den - allerdings sparsam und nicht systematisch eingesetzten - Sing- und Rezitativpartien wird der auch in der Haupthandlung deutlich zu bemerkende Hang zur Allegorie weiter verstärkt und nimmt gebethafte Züge an. Das trägt natürlich dazu bei, daß der Spannungsbogen relativ bescheiden bleibt, was aber - wie ich bereits zu Beginn meiner Ausführungen 14 Lk 15, 4 - 7. 15 Zum Anlaß Mutschlechner 1975/ 1976, 122. Vgl. das Ende des Titelblatts auf S. 131: [ … ] sub titulo Beatae Virginis Mariae ab Angelo salutatae, per annum jubilaeum MDCCL. 16 Lk 10, 30 - 37. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch 141 <?page no="142"?> festgehalten habe - nicht das Kriterium sein sollte, nach dem wir Meditationsspiele beurteilen sollten. Die immer wieder um ihre Hauptthemen - „ Verzeihung “ im Peccator deicida, „ Nächstenliebe “ im Pastor bonus und „ Barmherzigkeit “ im Pius Samaritanus - kreisenden Stücke weisen jedenfalls beinahe litaneihafte Züge auf, die durch ein Charakteristikum verstärkt werden, das wir aus verwandten Traditionen christlicher Dichtung und auch aus dem Drama kennen, hier aber eine besonders intensive Ausprägung erfährt: die überbordende Verwendung von Bibelzitaten, die dem Text den Anschein einer Collage, um nicht zu sagen eines Cento, verleihen. 17 Diese Technik beschränkt sich zwar auf die Sprechpartien, weil diese aber das Gros des Texts ausmachen, ist das Ausmaß, in dem Resch die Bibel recycelt, trotzdem gewaltig. Am Druck selbst läßt es sich mit bloßem Auge ermessen. Die Stellen, die der Autor der Bibel entnommen hat, sind nämlich in einem Fußnotenapparat versammelt, der in dem doch recht kleinen Octavformat eine teilweise erstaunliche Größe erreicht. So sind auf einigen Seiten bis zu 20 Angaben versammelt, und wie sich an Abb. 1 aus Akt 1, Szene 4 des Peccator deicida unschwer erkennen läßt, wird fast jeder Satz mit einer Anmerkung versehen. Die Versatzstücke aus verschiedenen Vorlagen und Kontexten lassen sich natürlich nicht ohne Brüche zusammenstoppeln. Auch wenn sich Resch im Detail als sehr geschickt und findig erweist, sind die Übergänge zwischen den einzelnen Sätzen doch nicht immer ganz glatt. Besonders gerne setzt er semantisch entleerte Füllsel und Wiederholungen ein. Ein Blick auf die erste Szene des Spiels - ein Dialog zwischen dem bösen Weingärtner und seinen Dienern - soll dies verdeutlichen: C OLONUS : Gaudete in domino semper, iterum dico, gaudete (Phil 4)! Arcus fortium superatus est (1 Reg 2). Iterum dico, gaudete! Leo cepit sufficienter catulis suis, implevit praeda speluncas et cubile suum rapina (Nahum 2). Iterum dico, gaudete! Manus nostra excelsa fecit haec omnia (Deut 32). A GRICOLA I.: Dextera tua, domine, magnificata est in fortitudine, dextera tua, domine, percussit inimicum et in multitudine gloriae tuae deposuisti adversarios tuos (Exodi 15). 17 Vergleichen läßt sich hier etwa das für die Entwicklung der Gattung nicht unbedeutende Oratorium Philothea von Johannes Paullin. Es wurde seit seiner Erstaufführung im Jahr 1643 über hundert Jahre lang gespielt und 1669 in einer Monumentalausgabe mit einem ausführlichen exegetischen Teil auch einem Lesepublikum zugänglich gemacht. Gerade was den Rückgriff auf Passagen aus dem Alten und Neuen Testament anging (Münch- Kienast 2000, 104 - 105 spricht von „ Bibelmontage “ ), konnte es keine unmittelbare Wirkung entfalten (Valentin 1996, 94 - 95). Zur Gattungsgeschichte des Stücks s. auch Führer 2003, 41 - 43. Einen Überblick über die Tradition des Cento bieten Kunzmann / Hoch 1994, zu Bibelcentonen kurz 152 - 153. 142 Wolfgang Kofler <?page no="143"?> A GRICOLA II.: Quis similis tui in fortibus, domine? Quis similis tui? (ibid.) C OLONUS : Laetabor et exsultabo (Psalm 9), sicut exsultant victores capta praeda, quando dividunt spolia (Isaia 9). Hier zum Vergleich der Wortlaut der entsprechenden Bibelstellen 18 : Phil 4 Gaudete in Domino semper, iterum dico, gaudete! 1 Kön 2 Arcus fortium superatus est. Nah 2 Leo cepit sufficienter catulis suis, et necavit leaenis suis, et implevit paeda speluncas suas, et cubile suum rapina. Dtn 32, 27 Manus nostra excelsa, et non Dominus, fecit haec omnia. Ex 15, 6 Dextera tua, Domine, magnificata est in fortitudine: Dextera tua, Domine, percussit inimicum et in multitudine gloriae tuae deposuisti adversarios meos. Ex 15, 11 Quis similis tui in fortibus, Domine, quis similis tui? Psalm 9, 3 Laetabor et exsultabo [ … ]. Jes 9, 3 [ … ] sicut exsultant victores capta praeda, quando dividunt spolia. Die hier vorliegende extreme Form einer intertextuellen Abhängigkeit von einem Prätext trägt sicher zu dem befremdlichen Eindruck bei, den das Werk in den Augen späterer Generationen erzeugt hat. 19 Trotzdem - oder gerade deshalb - verdient sie eine nähere Betrachtung. Diese möchte ich im letzten Abschnitt des vorliegenden Aufsatzes anstellen. Dabei werde ich drei Aspekte erörtern, die zum Verständnis dieser Technik beitragen. Die ersten beiden haben mit spiritueller Performanz und Gattungstypologie zu tun, der letzte greift in die Literatursoziologie aus und bezieht auch die Biographie des Autors mit ein. Die erste Erklärung habe ich schon oben angedeutet. Die Zitate verstärken den litaneihaften Anstrich des Textes, sie lassen ihn wie ein Gebet klingen. Hölzl hat das in seiner deutschen Übersetzung folgendermaßen nachzuahmen versucht: W INZER : Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Der Bogen der Helden wird zerbrochen. Noch einmal sage ich: Freut euch! Reichen Raub machte der Löwe für seine Jungen. Mit Raub füllte er seine Höhlen, seine Verstecke mit Raubgut. Noch einmal sage ich: Freut euch! Unsere Hand ist erhoben und hat all dies getan. B AUER I: Deine Rechte, Herr, ist herrlich an Stärke; deine Rechte, Herr, zerschmettert den Feind und in deiner erhabenen Größe wirfst du deine Gegner zu Boden. B AUER II: Wer ist wie du unter den Göttern, o Herr? Wer ist wie du? W INZER : Ich will jauchzen und mich freuen. So freuen sich Sieger über die Beute, wenn sie diese verteilen. 18 Was die Abkürzungen der einzelnen Bibelbücher betrifft, so habe ich im Resch-Text jene des Druckes verwendet. Meine Aufschlüsselung der Passagen bedient sich der heute gängigen Zitierformen. 19 Zathammer 2019, 31 stellt die überwiegend negativen Urteile in der einschlägigen Literatur zusammen. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch 143 <?page no="144"?> Der durch die Collagentechnik an sich begünstigte Eindruck eines feierlichen Staccatos wird hier noch dadurch verstärkt, daß der Großteil der zum Teil sehr bekannten Zitate Charakter von Sentenzen aufweist: Bei dem bibelfesten Publikum poppt sozusagen in jedem Satz eine neue Stelle aus der Heiligen Schrift auf: 20 Das trägt dazu bei, daß der Gesamttext in semantisch schwergewichtige Einzelelemente zergliedert wird, die für eine gewisse Monumentalität sorgen. Diese Wirkung erklärt sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund dessen, was ich zu Beginn dieses Beitrags über den Sitz gesagt habe, den das Meditationsspiel im Leben bzw. - in diesem Fall - in der religiösen Praxis der nicht völlig affektlosen Fastenexerzitien hat. Natürlich unterminiert so ein Verfahren Kategorien wie die dramatische Plausibilität, aber das ist erlaubt, wenn dadurch die spirituelle Performanz gesteigert wird. Auch meine zweite Erklärung geht in diese Richtung, verläuft aber in etwas konventionelleren literaturwissenschaftlichen Bahnen: Wir haben gesehen, daß die Hauptintention eines Fastenspiels darin liegt, Publikum und Ausführende einem Prozeß spiritueller Läuterung zu unterziehen, der sich auf einer inhaltlichen Ebene in einem Text aus der Bibel - in diesem Fall sind das die drei Gleichnisse - spiegelt und durch diesen verstärkt wird. Anders gesagt: Intertextualität ist Teil der meditativen Praxis. Interessant ist nun, daß Resch sich nicht nur auf der Makro-, sondern über die extreme Collagetechnik auch auf der Mikroebene eines intertextuellen Verfahrens bedient, um die spirituelle Qualität der Meditation zu steigern. Wir haben es gewissermaßen mit einer Verdoppelung des Bibelbezugs zu tun, der letztendlich eine Potenzierung des religiösen Erlebnisses bewirkt. Und nun zur dritten und letzten Erklärung: Resch wirkte ja seit 1741 als Professor und Präfekt am Hochfürstlichen Gymnasium in Brixen. Das war zweifellos eine angesehene Position, er fühlte sich aber zu Höherem berufen, was nicht zuletzt an seinem früh beginnenden und intensiven Engagement als Kirchengeschichtler abzulesen ist. Die zahlreichen Publikationen, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, lassen sich jedenfalls leicht als Werbung mit Blick auf eine akademische Karriere deuten, die als Fernziel die Universität im Blick hatte. Ebenso war - möchte ich meinen - die Zitatenflut in den Sacrae meditationes Teil einer PR-Strategie, die v. a. Reschs theologische Kompetenz in den Vordergrund rücken sollte. 20 Hölzl wollte auch diesen Effekt des lateinischen Textes in der deutschen Übersetzung erhalten und hat deshalb - soweit dies möglich war - auf die Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift zurückgegriffen. Natürlich sind wir heute nicht mehr so bibelfest wie im 18. Jahrhundert, andererseits ist im Falle der Übersetzung auch die Sprachbarriere geringer, denn wirklich umfangreiche Lateinkenntnisse können wir auch beim großen Teil des damaligen Publikums nicht voraussetzen. 144 Wolfgang Kofler <?page no="145"?> Hierauf weist auch ein Eintrag in den Sitzungsprotokollen der Innsbrucker Academia Taxiana, 21 die für den 28. Mai 1751 von einer Lesung aus seinen Meditationes berichten: Denique gustatum aliquid ex Meditationibus admodum reverendi domini Josephi Reschii Episcopalis Gymnasii Brixinensis praefecti et rhetoricae professoris. 22 Zuletzt ein paar Kostproben aus den Meditationsspielen des überaus ehrwürdigen Herrn Joseph Resch, Präfekt des bischöflichen Gymnasiums in Brixen und Professor der Rhetorik. Bereits Franz Grass 23 hat auf diese Nachricht aufmerksam gemacht. Er erwähnt jedoch nicht, daß Reschs Werk die Taxianer auch in der am 4. Juni stattfindenden nächsten Sitzung beschäftigte. Auf derselben Seite wie oben vermerkt das Protokoll nämlich folgendes: Relatum oretenus super opere admodum reverendi Josephi Reschii. Mündlicher Bericht über das Werk des überaus ehrwürdigen Joseph Resch. Links neben diesem Eintrag - ganz offensichtlich eine Ergänzung - findet sich eine weitere Information: Opus admodum reverendi domini Josephi Reschii intitulatum „ Sacrae meditationes, quas per plures tragoedias olim in scenam, nunc in lucem publicam edidit Venetiis anno 1751 apud Laurentium Basilium “ , ad acta repositum. 24 Das Werk des überaus überaus ehrwürdigen Herrn Joseph Resch mit dem Titel „ Heilige Meditationen, die er [sc. Joseph Resch] einst in mehreren Aufführungen auf die Bühne gebracht, jetzt im Jahr 1751 aber bei Laurentius Basilius in Venedig als Buch veröffentlicht hat “ wurde ins Archiv gegeben. Fassen wir diesen Befund zusammen: Die Gelehrten der Taxiana widmeten sich in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen Reschs Meditationes: In der ersten wurde - als letzter Tagesordnungspunkt - aus dem Werk gelesen, in der 21 Grundlegend zur Taxiana Spada 1996, v. a. 535 - 550, und Walser-Bürgler 2020, v. a. 87 - 98. Isabella Walser-Bürgler leitet mittlerweile ein größeres Projekt zu den aus der Akademie hervorgegangenen Dissertationen. Sie und ihre Mitarbeiter Hanne Berendse und Gábor Petneházi waren mir in allen die Taxiana betreffenden Belangen behilflich. Daß der vorliegende Beitrag in dieser Hinsicht über die bisherige Forschung hinausgeht, ist auch ihnen zu verdanken. 22 Protocolla conventuum societatis litterariae Oenipontanae vulgo Taxianae ab anno 1742 ad annum 1756, Innsbruck, TLMF (Tiroler Landsmuseum Ferdinandeum), Dip. 1231, f. 104 v . 23 Grass 1962, 171. Wie er selbst in Anm. 4 mitteilt, hat er diese Information von seinem Bruder Nikolaus, s. auch S. 170 Anm. 5. 24 Das Zitat ist nicht ganz wörtlich, v. a. wird dedit durch edidit ersetzt, das offensichtliche, weil schon zuvor genannte Subjekt (Josephus Reschius) ausgelassen. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch 145 <?page no="146"?> zweiten gab es einen Bericht, möglicherweise eine Diskussion, die vielleicht schon beim ersten Mal geplant, dann aber aus Zeitgründen auf den nächsten Termin verschoben worden war. 25 Zudem lag ein Exemplar des Werkes vor, das dem Archiv der Akademie einverleibt wurde. 26 Das Verb gustatum, das in der Notiz zur ersten Sitzung gebraucht wird und eindeutig positiv konnotiert ist, scheint dafür zu sprechen, daß die Meditationes eine wohlwollende Aufnahme bei den Innsbrucker Gelehrten gefunden haben (und die Zeitgenossen weniger abschätzig über sie urteilten, als dies später der Fall war). 27 Um dies alles weiter einordnen zu können, ist zu berücksichtigen, daß die Academia Taxiana eine der wichtigsten Bildungsinstitutionen in Tirol war und deshalb ohne Zweifel auch zum Netzwerken benutzt wurde. Auch wenn das Verhältnis wichtiger Mitglieder zur Universität, deren theologische Fakultät sicher das Hauptziel für Resch darstellte, problematisch war (hier ist v. a. Anton Roschmann zu nennen), 28 bot sie sich v. a. für externe Personen dazu an, Fuß in den intellektuellen Zirkeln nördlich des Brenners zu fassen. So war Resch denn auch Mitglied der Vereinigung 29 und hat persönlich an Sitzungen teilgenommen. 30 Daß bei diesen - sicher nicht zuletzt auf sein eigenes Betreiben hin - auch aus seinen Meditationsdramen gelesen wurde, bedeutet auf jeden Fall, daß er gut im Geschäft war und keine Gelegenheit ausließ, sich nicht nur als guter Dichter, sondern gleichzeitig auch als Bibelexperte zu profilieren. 31 25 Die Statuten der Taxiana sahen eine Diskussion der Vorträge vor. Diese konnte ausdrücklich auch in der nächsten Sitzung erfolgen, falls die Zeit zu knapp war, vgl. Societatis Academicae ad eruditionis et literaturae incrementum Oeniponti erectae leges et placita, TLMF, Dip. 1230, XI, Nr. 9 (Zählung nach Müller / Schaffenrath 2007, 120 - 124); zu den Diskussionen in der Taxiana auch Walser-Bürgler 2020, 91 - 92. 26 Die Bibliothek des Ferdinandeums besitzt zwei Exemplare der Meditationes (Dip. 195/ 1 (1018) und FB 160). Die Annahme wäre verlockend, daß eines davon jenes ist, von dem in unserem Protokoll die Rede ist. Dies gilt v. a. für das erste, das zum Bestand der sogenannten Dipauliana gehört, in dem auf Umwegen zumindest einige wenige Überbleibsel aus der Taxiana gelandet sind. Leider finden sich weder in den Bänden noch im Katalog Hinweise auf die Provenienz der Bände. 27 S. auch Hochenegg 1968, 206. 28 Zur Zeit befaßt sich Gábor Petneházi im Taxiana-Projekt (s. oben Anm. 21) mit dieser Frage. 29 Ab dem Jahr 1748: Das Mitgliederverzeichnis (Leges, catalogus et acta litterariae Oenipontanae colligente A. Roschmanno, TLMF, Dip. 1111, II, fol. 5 v ) weist ihn als Nr. 46 von 112 aus. 30 S. etwa die Einträge in Protocolla (oben Anm. 22) auf fol. 109 r (auch bei Grass 1962, 171). 31 Resch scheint übrigens auch später noch ein Faible für Bibelcollagen gehabt zu haben. In der Vorrede zu seiner Evangelienharmonie (Harmonia Sanctorum Quattuor Evangeliorum unaque interpretationibus [ … ], s. l. 1771, 10 - 15) setzt er die Technik ebenfalls ein. Auch in diesem Fall gibt er die Originalstellen an, was wiederum ein Akt der Selbstinszenierung sein dürfte. Die Rede richtet sich nämlich ad reverendissimos dominos auditores theologos, 146 Wolfgang Kofler <?page no="147"?> In diesem Zusammenhang ist aber noch etwas wichtig. Die Sacrae meditationes sind die einzigen Stücke aus Reschs dramatischem Œ uvre, die gedruckt wurden. Ich möchte dieses Alleinstellungsmerkmal auch damit erklären, daß diese Werke die Karriere des Autors gerade als Drucke besonders befördern konnten - und zwar weit über Innsbruck hinaus: Der adrette Band im Oktavformat eignete sich hervorragend zum Verschicken an Persönlichkeiten, die im Bereich von Wissenschaft und Forschung etwas zu sagen hatten, war also ein perfektes Medium für die Eigenwerbung. Dabei ist es in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, daß sich die Gelehrsamkeit des Autors über die Fußnoten im gedruckten Text besonders gut zur Schau stellen ließ. Es ist zwar sicher so, daß es bei den Aufführungen - wie bereits erwähnt - nicht an bibelfesten Zusehern fehlte, welche die Zitate wiedererkennen und goutieren konnten, aber die Quellen in Form von Fußnoten noch einmal vor sich zu sehen, war sicher noch ein Stück eindrucksvoller. Dies könnte auch für die Sitzung in der Taxiana eine Rolle gespielt haben: Es ist gut vorstellbar, daß das Exemplar der Sacrae meditationes nach der Lesung herumgereicht wurde und die Teilnehmer von den exzeptionellen Bibelkenntnissen des Autors auch einen optischen Eindruck gewinnen konnten. Es dauerte noch relativ lange, bis Reschs Bestrebungen, an der Universität Innsbruck Fuß zu fassen, konkrete Formen annahmen. Ungefähr zehn Jahre später standen seine Chancen aber sehr gut. Es erreichten ihn nämlich gleich zwei Rufe, 1760 auf den Lehrstuhl für Heilige Schrift, 1761 auf jenen für Polemische Theologie. Beide konnten aber nicht finalisiert werden, der zweite unter für Resch besonders tragischen Umständen. Er kündigte seine Stelle am Hochfürstlichen Gymnasium nämlich auf, bevor er die Berufungsverhandlungen abgeschlossen hatte. Bei diesen verspekulierte er sich mit übermäßigen Gehaltsforderungen, und als der vorherige Inhaber unvermittelt wieder eingesetzt worden war, kehrte Resch mit leeren Händen nach Brixen zurück, wo er seine berufliche Karriere fernab von der Schule neu aufbauen mußte. Das war auch der Grund dafür, daß seine dramatische Muse ab diesem Moment verstummte. Resch selbst wird weniger dies gestört haben als der Umstand, daß er nun für einige Jahre finanziell und gesellschaftlich viel schlechter gestellt war als in seiner Zeit als Präfekt am Hochfürstlichen Gymnasium. 32 clericos Brixinenses (10) - also durchaus an ein Fachpublikum, vor dem man prunken konnte. Unpassend war das auf jeden Fall nicht: Die wichtigste Qualifikation, die jemand mitbringen muß, wenn er eine Evangelienharmonie erstellen will, ist Bibelfestigkeit. 32 Bei der Erstellung dieses Beitrags habe ich viele Anregungen und Hilfestellungen erfahren: Das Entgegenkommen von Isabella Walser-Bürgler und ihrem Taxiana-Team habe ich bereits oben erwähnt, abschließend sei aber noch ganz besonders Stefan Zathammer gedankt, der immer mit gutem Rat und Feedback zur Stelle war. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch 147 <?page no="148"?> Abb. 1 - Seite aus dem Peccator deicida, Staatliche Bibliothek Regensburg, 999/ Lat. rec.185, S. 20, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb11103543-6. 148 Wolfgang Kofler <?page no="149"?> Literatur Primärliteratur Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2016. Lang, Franz: Theatrum solitudinis asceticae sive doctrinae morales per considerationes melodicas ad normam sacrorum Exercitiorum S. P. Ignatii compositae, München 1717. Lang, Franz: Abhandlung über die Schauspielkunst, hg. und üs. von Alexander Rudin, Bern / München 1975 (Deutsche Barock-Literatur). Resch, Joseph: Sacrae meditationes, quas per plures tragoedias olim in scenam, nunc in lucem publicam dedit J. R., Venedig 1751, online verfügbar auf https: / / mdz-nbnresolving.de/ urn: nbn: de: bvb: 12-bsb11103543-6 (letzter Zugriff am 26.7.2024). Resch, Joseph: Harmonia Sanctorum Quattuor Evangeliorum unaque interpretationibus et homiliis Sanctorum Patrum ex breviario Romana, s. l. 1771, online verfügbar auf https: / / mdz-nbn-resolving.de/ urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10411025-6 (letzter Zugriff am 29.07.2024). Resch, Joseph: Peccator deicida (1745). Text mit Übersetzung und Anmerkungen von Nikolaus Hölzl, Online-Edition Innsbruck 2020, https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ sammlung/ texte/ peccator-deicida-v2.1-2020-03-25.pdf (letzter Zugriff am 26.7.2024). Resch, Joseph: Pastor bonus (1748). Text mit Übersetzung und Anmerkungen von Nikolaus Hölzl, Online-Edition Innsbruck 2020, https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ sammlung/ texte/ pastor-bonus-v1.1-2020-03-25.pdf (letzter Zugriff am 26.7.2024). Resch, Joseph: Pius Samaritanus (1750). Text mit Übersetzung und Anmerkungen von Nikolaus Hölzl, Online-Edition Innsbruck 2020, https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ sammlung/ texte/ pius-samaritanus-v1-2020-03-23.pdf (letzter Zugriff am 26.7.2024). Sekundärliteratur Bauer, Barbara: Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten, in: Heinrich F. Plett (Hg.): Renaissance-Poetik / Renaissance Poetics, Berlin / New York 1994, 197 - 238. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 2: Das 16. und 17. Jahrhundert, Wien 1983. Erlach, Thomas: Unterhaltung und Belehrung im Jesuitentheater um 1700. Untersuchungen zu Musik, Text und Kontext ausgewählter Stücke, Essen 2006 (Musikwissenschaft, Musikpädagogik in der Blauen Eule, Bd. 73). Führer, Heidrun: Studien zu Jacob Baldes Jephtias. Ein jesuitisches Meditationsdrama aus der Zeit der Gegenreformation, Lund 2003. Hochenegg, Hans: Nachlese zu Joseph Resch, Der Schlern 42, 1968, 205 - 207. Je ż , Tomasz: Between Liturgy and Theatre. The Jesuit Lenten Meditations from the Baroque Silesia, Musicologia Brunensia 49.1, 2014, 261 - 273. Drei Brixner Meditationsspiele von Joseph Resch 149 <?page no="150"?> Kunzmann, Frank / Hoch, Christian: Cento, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Tübingen 1994, 148 - 156. Müller, Florian Martin / Schaffenrath, Florian: Anton Roschmanns lateinische Beschreibung der Ruinen von Aguntum: Reliquiae aedificii Romani ad oppidum Tyrolense Lienz detectae vulgo das Zwergengebäu, Innsbruck 2007 (Commentationes Aenipontanae, Bd. 36, Tyrolensia Latina, Bd. 6). Münch-Künast, Barbara: Philothea von Johannes Paullin. Das Jesuitendrama und die Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola, München 2000 (Studien zur Literatur und Kunst, Bd. 7). Münster, Robert: Die Münchner Fastenmeditationen von 1724 bis 1774 und ihre Komponisten, in: Friedhelm Brusniak / Horst Leumann (Hg.): Quaestiones in musica. Festschrift für Franz Krautwurst zum 65. Geburtstag, Tutzing 1989, 413 - 433. Mutschlechner, Karl: Das Jesuitentheater in Brixen, ungedr. Dissertation (Università degli studi di Padova), Padua 1975/ 1976. Pohle, Frank: Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601 - 1817), Münster 2010 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 29). Sammer, Marianne: Eine Art geistliche Oper. Die musikdramatischen Fastenmeditationen der Münchener Jesuiten im 18. Jahrhundert, Literatur in Bayern 38, 1994, 11 - 22. Sammer, Marianne: Die Fastenmeditation. Gattungstheoretische Grundlegung und kulturgeschichtlicher Kontext, München 1996 (Kulturgeschichtliche Forschungen, Bd. 96). Spada, Alessandra: Gli accademici „ Taxiani “ di Innsbruck e il loro contributo alla cultura roveretana, Atti dell ’ Accademia Roveretana degli Agiati 246, 1996, 535 - 555. Valentin, Jean-Marie: Die dramatischen Meditationen der Münchner Jesuiten im 18. Jahrhundert. Zum Problem ihrer poetischen Legitimation, in: Theo Stammen / Heinrich Oberreuter / Paul Mikat (Hg.): Politik - Bildung - Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag, Paderborn / München / Wien / Zürich 1996, 87 - 95. Walser-Bürgler, Isabella: Vergangenheit im Licht des Fortschritts oder: Tiroler Geschichtsschreibung in der Aufklärung. Zwei richtungsweisende Eröffnungsreden an der Innsbrucker Academia Taxiana, Geschichte und Region / Storia e regione 29.2, 2020 = Giuseppe Albertoni / Karlo Ruzicic-Kessler (Hg.): Zeit und Region / Tempo e regione, 83 - 111. Wirthensohn, Simon: Anton Claus. Leben und Werk. Studie zum späten Jesuitentheater, Berlin / Boston 2019 (Frühe Neuzeit, Bd. 221). Zathammer, Stefan: Joseph Resch. Sanctus Ingenuinus (1749). Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar, ungedr. Dissertation (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck), Innsbruck 2019. 150 Wolfgang Kofler <?page no="151"?> Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit Verfahren produktiver Rezeption in Reschs Dramen Simon Wirthensohn (Innsbruck) Wer sich mit den Theaterstücken von Joseph Resch auseinandersetzt, bemerkt rasch, dass viele Formulierungen des Dramatikers - oft ganze Verse oder auch über mehrere Verse gehende Abschnitte - aus Texten anderer Autoren entlehnt sind. Die schriftstellerische Arbeit an seinen Dramen war für den Geistlichen zugleich eine intensive Beschäftigung mit der literarischen Tradition; Schreiben bedeutete für ihn gleichermaßen Lesen, Sammeln und Rekontextualisieren. Im katholischen Schuldrama der Frühen Neuzeit entsprach dies durchaus den allgemeinen Praktiken, und zwar über die Grenzen von Orden und Institutionen hinweg. 1 Die Dramatiker, die ihre literarische Tätigkeit vorrangig als Aufgabe im Rahmen ihrer pädagogisch-didaktischen Verpflichtungen begriffen, arbeiteten häufig unter Zeitdruck und orientierten sich bei der Konzeption und Ausarbeitung der Stücke vielfach an den lateinischen und neulateinischen Theatertexten, die ihnen zu Gebote standen. Im 18. Jahrhundert dürfte diese Tendenz gegenüber früheren Perioden noch zugenommen haben. Da in dieser Zeit mehr lateinische Schultheaterstücke gedruckt wurden als je zuvor und somit eine immer größere Fundgrube an potentiellen Vorlagen zur Verfügung stand, ist anzunehmen, dass sich die mit den Schulaufführungen betrauten Pädagogen noch stärker an bereits existierende Dramen anlehnten, als dies bislang bereits der Fall gewesen war. Im Jesuitentheater - der quantitativ bedeutendsten und am besten erforschten Sparte des lateinischen Schultheaters - scheinen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts vermehrt Stücke adaptiert oder zu beachtlichen Teilen übernommen worden zu sein. 2 Von 1 Zur jesuitischen Rezeption von Jesuitendramen siehe Pohle 2010, 262 - 310, v. a. 271 - 275. Zur Rezeption von ordensfremden Stücken vgl. etwa Oberst 2010, 21. 2 Die diesbezügliche Situation im deutschen Niederrheingebiet stellt Pohle 2010, 297 - 300 dar. Dass es sich dabei um ein Spezifikum dieser Region handelte, ist nicht anzunehmen. Vgl. auch Drozd 1965, 89. <?page no="152"?> Kritikern des Schultheaters wurde diese Entwicklung zum Anlass genommen, den künstlerischen Wert der Aufführungen in Abrede zu stellen. 3 Trotz der Allgegenwart intertextueller Verfahrensweisen im lateinischen Schuldrama wurde dem Phänomen bislang kaum Beachtung geschenkt. 4 Reschs Dramen bieten einen guten Ausgangspunkt für eine Untersuchung, weil sich hier unterschiedliche Aspekte produktiver literarischer Rezeption beobachten lassen. Um der großen Menge an ‚ Fremdmaterial ‘ in seinen Theaterstücken habhaft zu werden, sollen vorab drei Typen von Aneignungen unterschieden werden: (1) Allusionen auf Werke der klassischen Antike, (2) die Übernahme von Strukturelementen und (3) die Übernahme von Textbausteinen zur Konstitution des dramatischen Texts. Betont werden soll allerdings vorab, dass eine präzise Grenzziehung zwischen diesen Typen nicht möglich ist und Textstellen mitunter auch sämtlichen drei Kategorien zugeordnet werden können; die drei Typen fungieren in diesem Aufsatz daher lediglich als Hilfskategorien. Von der Untersuchung ausgenommen bleiben Reschs Meditationsdramen, in denen eine anders gelagerte, spezifische Form von Intertextualität vorliegt. 5 Ein beachtlicher Teil der festgestellten Übernahmen entfällt - wenig überraschend - auf Antikenrezeption. Resch kannte die antike literarische Tradition aus seiner eigenen Bildungslaufbahn und aus seiner Unterrichtsarbeit. Besonders gut vertraut war er zum einen mit den senecanischen Tragödien, die für das neulateinische Schuldrama insgesamt das zentrale Bezugskorpus darstellten, 6 zum anderen mit Ovid, der Gegenstand zweier didaktischer Schriften des Dramatikers in den Anfangsjahren seiner Theaterarbeit war. 1748 erschien Reschs Verslehre Ars metrica ad stylum elegiacum P. Ovidii Nasonis, ein Jahr später die Phraseologia poetica ad stylum P. Ovidii Nasonis. 7 Das erklärt, weshalb sich in den Stücken zahlreiche Reflexe ovidischer Schriften aus- 3 Vgl. beispielsweise die jesuitenkritische Schrift Beyträge zu einer Schul- und Erziehungsgeschichte in Baiern des Münchner Aufklärers Anton von Bucher aus dem Jahr 1778, in dessen satirischer Darstellung einer Jesuitenaufführung sich die künstlerische Arbeit eines Schulmanns darauf beschränkt, die Figurennamen eines bereits vorliegenden Dramas austauschen. Bucher 1778, 51 - 61. 4 Symptomatisch dafür ist der Umstand, dass selbst die Seneca-Bezüge eines Autors wie Nikolaus Avancini bislang nicht systematisch aufgearbeitet wurden. Mundt 2002, xxvi. 5 Siehe hierzu den Aufsatz von Wolfgang Kofler in diesem Band. 6 Vgl. z. B. Rädle 2013, 212 - 213. Zum Einfluss der Seneca-Dramen auf das neuzeitliche europäische Drama siehe Lefèvre 1978. 7 Ars metrica ad stylum elegiacum P. Ovidii Nasonis plurimis exemplis et scholiis illustrata (Augsburg / Linz 1748); Phraseologia poetica ad stylum P. Ovidii Nasonis (Linz 1749). Siehe dazu Korenjak 2012, 799 - 800. Vgl. außerdem Reschs ovidisch beeinflusstes Kurzepos über die Ursprünge von Aguntum. Siehe dazu Schaffenrath 2012, 263 - 274. 152 Simon Wirthensohn <?page no="153"?> machen lassen; 8 auffällig häufig verwendet hat Resch neben den Metamorphosen die Tristia und die Epistulae ex Ponto. Die Liste der in den Stücken rezipierten antiken Autoren ist jedoch lang; zumal in der lateinischen Literatur bewies Resch breite Belesenheit. Bei vielen der Übernahmen aus der klassischen Literatur handelt es sich um Phänomene echter Intertextualität, also um Bezugnahmen, die vom Rezipienten als solche erkannt werden sollen, weil sich aus ihnen ein ästhetischer Mehrwert ergibt bzw. ein Verständnis bestimmter Textpartien überhaupt nur bei Kenntnis eines gewissen Prätexts möglich ist. Wie sich dies in Reschs Stücken darstellt, soll anhand einiger Beispiele vorgeführt werden. In seinem ersten Herbstspiel Iugurtha (1746) findet sich an prominenter Stelle, nämlich ganz zu Beginn des zweiten Aktes, eine Sentenz aus Senecas Medea: O dura fata semper et sortem asperam, / cum saevit et cum parcit ex aequo malam. 9 ( „ Ach, wie hart ist allzeit mein Schicksal, wie bitter allzeit mein Los: Ob es nun wütet oder mich verschont, ist einerlei. Stets ist es schlimm. “ ) Bei Seneca äußert Jason damit die Schwierigkeit, sich zwischen Medea und Creusa entscheiden zu müssen. In Iugurtha ist dasselbe Verspaar dem Numider Bocchus in den Mund gelegt, der auf diese Weise seine Zwangslage darstellt, entweder dem Schwiegervater Jugurtha die Treue brechen zu müssen oder sich um die Gunst der Römer zu bringen, die seinen Sohn gefangen halten. Der Rezipient, der die Seneca-Stelle kennt, muss ahnen, dass eine Entscheidung gegen die Römer für Bocchus ’ Sohn ebenso drastische Folgen hätte wie Jasons Entscheidung gegen Medea für dessen Kinder. Für den achtsamen, belesenen Zuschauer bietet sich somit ein zusätzliches Spannungsmoment. Als zweites Beispiel für Reschs Angebot, auf Basis intertextueller Arbeit Hypothesen über den Handlungsfortgang zu konstruieren, eignet sich eine Passage aus Innocentia coronata (1761): Wenn die Freundschaftsszene zwischen den jugendlichen Helden Constantinus und Philocrates in der dritten Szene des dritten Akts mit Wortmaterial aus der Nisus-Euryalus-Episode im neunten Buch der Aeneis unterfüttert ist, 10 so verweist das darauf, dass es im Folgenden zu einer Art ‚ Aristie ‘ eines jungen Mannes kommen wird. Der Sklave Philocrates erklärt sich nämlich bereit, den Thron des oströmischen Kaisers zu besteigen. Dass er für dieses Wagnis mit dem Leben bezahlen wird, ist über den intertextuellen Bezug ebenfalls angedeutet. 8 Siehe hierzu den Beitrag von Wolfgang Kofler in diesem Band. 9 Seneca, Medea 431 - 432. 10 Die Verse 731 - 737 sowie 744 - 746 von Reschs Innocentia coronata basieren auf Aeneis 9, 205 - 215. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 153 <?page no="154"?> Das mittels Intertextualität geschaffene ästhetische Erlebnis des Zuschauers kann sich allerdings auch schlicht darauf beschränken, den Subtext zu erkennen. Dies dürfte insbesondere dann zutreffen, wenn Resch römische Autoren zitiert, die nicht unmittelbar kanonisch sind, aber auch dann, wenn er in seinen Dramen griechische Zitate in lateinischer Bearbeitung einfließen lässt. Wenn etwa die Eingangsszene von Albuinus (1748) mit etlichen übersetzten Zitaten aus dem vierten Buch der Ilias angereichert ist, dürfte das darauf abzielen, dem Rezipienten über den Wiedererkennungseffekt Vergnügen zu bereiten. Um intentional geschaffene, intertextuell konstruierte Mehrschichtigkeit handelt es sich auch an Stellen, an denen unkommentiert Namen aus Prätexten eingefügt sind, etwa wenn der prahlerische Soldat in der Komödie Praemia Aureliani (1753) mit folgenden Worten zurechtgewiesen wird: Aude aliquid maius meque timoris argue tu, Drance, quando tot stragis acervos Parthorum tua dextra dedit! 11 ( „ Wage du etwas Größeres und wirf mir erst dann Feigheit vor, Drances, wenn deine Faust haufenweise Parthern Verderben gebracht hat! “ ) Nur der Rezipient, der Drances aus der Aeneis kennt, kann die Bedeutung des Satzes vollständig erfassen, denn Drances kommt in Praemia Aureliani sonst an keiner Stelle vor. Indem die epische Höhe des Turnus-Drances-Konflikts auf den Bramarbus bezogen wird, der das Kämpfen nur von fern kennt, wird die Figur der Lächerlichkeit preisgegeben. Zugleich verweist diese Stelle auf ein Phänomen, das den modernen Leser von Reschs Drama vor Herausforderungen stellt, und zwar auf die semantisch ungenaue bzw. unvollständige Integration klassischer Zitate in Reschs dramatischen Kontext: meque timoris argue - in der Aeneis bezieht sich Turnus damit auf eine vorangehende Rede des Drances - steht in Praemia Aureliani nämlich außerhalb des unmittelbaren Sinnzusammenhangs. Die Formulierung setzt voraus, dass dem Sprecher der Replik zuvor tatsächlich Feigheit unterstellt wurde. Im Stück wird der Sprecher zuvor jedoch nicht nur nicht als Feigling beschimpft, sondern - mehr noch - überhaupt nicht angegriffen oder kritisiert. Die Aussage bleibt auf der Handlungsebene somit ohne Bezug. Das Zitat ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Resch übernahm mehrfach Textelemente aus klassischen Werken, ohne sie am Zielort adäquat einzupassen. Zeigen lässt sich das auch an anderer Stelle von Praemia Aureliani: Erneut steht der bramarbasierende Soldat im Mittelpunkt, in mehreren Repliken präsentiert er seine angeblichen Heldentaten: N OBILIS I.: [ … ] Elephanto Indico perfregi brachium, ego centum in Alemannia, quinquaginta centum in Syria, triginta in Arabia, sexaginta in Persia occidi, omnes una die. Quanta isthaec hominum summa est? 11 Resch, Praemia Aureliani 1, 4. Vgl. Vergil, Aeneis 11, 384 - 385. 154 Simon Wirthensohn <?page no="155"?> N OBILIS III.: Septem milia. N OBILIS I.: Tantam esse oportet, recte rationem tenes. Quem ego non servavi in campis Gurgustidoniis, ubi Bombomachides Cluninstaridysarchides erat imperator summus, Neptuni nepos? 12 E RSTER A DELIGER : [ … ] Dem indischen Elefanten habe ich den Arm zerschmettert. Ich habe hundert in Deutschland, fünfzig hundert in Syrien, dreißig in Arabien und sechzig in Persien getötet, und das alles an einem Tag. Wieviel macht das zusammen? D RITTER A DELIGER : Sieben tausend. E RSTER A DELIGER : So viele müssen es gewesen sein, deine Rechnung stimmt. Wen habe ich auch nicht gerettet auf den gurgustidonischen Feldern, wo Bombomachides Cluninstaridysarchides, ein Enkel Neptuns, Oberfeldherr war? Resch bediente sich für den Abschnitt an Plautus ’ Miles gloriosus, wobei er mehrere Zitate aus den ersten Szenen der antiken Komödie miteinander verschmolz. 13 In der dritten hier vorgestellten Replik unterlief ihm aber eine Ungenauigkeit. In Miles gloriosus ist der Schlusssatz des obigen Textausschnittes als relativer Anschluss und ohne die Partikel non konstruiert. Es ist Mars, den der prahlerische Soldat gerettet haben will: A RTOTROGUS : [ … ] Mars haud ausit dicere neque aequiperare suas virtutes ad tuas. P YRGOPOLYNICES : Quemne ego servavi in campis Curculioniis, ubi Bumbomachides Clutomistaridysarchides erat imperator summus, Neptuni nepos? 14 A RTOTROGUS : Mars wagte seine Tugenden nicht zu erwähnen oder gar mit deinen zu vergleichen. P YRGOPOLYNICES : Der, den ich auf den curculionischen Feldern gerettet habe, wo Bumbomachides Clutomistaridysarchides, ein Enkel Neptuns, Oberfeldherr war? Bei Resch hingegen steht das Prädikat servavi außerhalb des semantischen Kontexts. Die Vorstellung einer Rettung (etwa von Kameraden) ist im Zuge 12 Resch, Praemia Aureliani 1, 4. Moderne Plautus-Ausgaben konjizieren Gurgustidoniis zu campis Curculioniis (Kornwurmfeld; von curculio, „ Kornwurm “ ) und Bombomachides zu Bumbomachides (prahlerischer Soldat; von βόμβος , „ Getöse “ , und μάχομαι , „ kämpfen “ ). Statt Cluninstaridysarchides wird für gewöhnlich Clutomistaridysarchides gesetzt, M. Hammond leitet es in seiner Ausgabe (London 1963) von κλυτός ( „ berühmt “ ), μισθός ( „ Sold “ ) und ἀρχή ( „ Herrschaft “ ) ab und übersetzt als „ son of the famous mercenary commander “ . Da Resch offenbar keinen Bezug zu dieser Semantik herstellen konnte und den humoristischen Wert aus der Umständlichkeit der Ausdrücke ableitete, bleiben die Wörter hier in der im Manuskript auftauchenden Form und unübersetzt stehen. 13 Resch rezipiert hier folgende Verse aus Plautus ’ Miles gloriosus: Elephanto … brachium] 25 - 26; ego … tenes] 43 - 47; Quem … nepos] 13 - 15. 14 Plautus, Miles gloriosus 11 - 15. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 155 <?page no="156"?> einer Schlacht freilich grundsätzlich passend; sollte Resch hier daran gedacht haben, so verzichtete (oder vergaß) er jedoch darauf, das Motiv einzuführen. So, wie der Text vorliegt, lässt sich der Satzzusammenhang nicht nachvollziehen. Anstelle von servavi würde der Rezipient sich superavi erwarten, zumal auch in den nachfolgenden Versen wieder von den Siegen des Soldaten die Rede ist. Ein weiteres anschauliches Beispiel für die inkohärente Einführung eines Zitats findet sich in Innocentia coronata. Hier kommt eine byzantinische Gesandtschaft auf der Insel Protenesus, dem Schauplatz der Handlung, an. Sogleich beschließen die Männer, Jagd auf den Rebellen Bardas zu machen, der hier schon zuvor eingelangt ist. Einer der Gesandten äußert dies mit folgenden Worten: Ego insequar Bardam impium, dum trepidat et vestigiis primis labat. 15 Ich werde den Frevler Bardas verfolgen, solange er noch zittert und bei seinen ersten Schritten schwankt. Die Verse basieren auf Aeneis 10, 282 - 283. Dort ist die Formulierung dum trepidi egressisque labant vestigia prima Aeneas ’ Gegenspieler Turnus in den Mund gelegt, der die mit dem Schiff anlegenden Trojaner mit Waffen in Empfang nehmen will, solange ihnen beim Aussteigen nach der Seereise noch die Knie zittern. In Reschs Drama ist die Information, die Gegner zitterten und wankten bei ihren ersten Schritten jedoch falsch zugeordnet worden. Es ist der Sprecher der Replik selbst, der vor Kurzem die ersten Schritte auf der Insel gemacht hat; der Gesuchte befindet sich hingegen schon seit einiger Zeit an Land. Textbrüche, die durch mangelhafte Einbettung eines Zitates in den Handlungskontext entstehen, sind auch auf der Ebene der Gedankenverknüpfung zu beobachten. Beispielhaft vorführen lässt sich das an einer Iugurtha-Stelle, in der Bocchus sich im Dialog mit Sulla dagegen sträubt, seinen Schwiegervater Jugurtha an die Römer auszuliefern, und dies unter anderem mit der Angst vor der Reaktion seiner Frau begründet: Ignosce, Sulla! Exhorreo tantum nefas, extreme crimen, parricidale facinus - Quid ad haec Iugurthae filia et coniux mea? 16 15 Resch, Innocentia coronata 1132 - 1133. 16 Resch, Iugurtha 871 - 873. 156 Simon Wirthensohn <?page no="157"?> Verzeih, Sulla! Ich erschaudere vor einem so großen Frevel, dem äußersten Verbrechen, der Untat des Verwandtenmordes! Was würde Jugurthas Tochter, meine Gemahlin dazu sagen? Sulla, der auf die Auslieferung seines Feindes Jugurtha drängt, reagiert darauf mit einer Replik, die sich aus Zitaten aus den pseudosenecanischen Tragödien Hercules Oetaeus und Octavia zusammensetzt. Bocchus ’ Gattin wird darin in ihrer Rolle als Frau sittlich herabgesetzt, um die Bedenken des Ehemanns zu zerstreuen: Et [sic] aliquid Hydra peius offensae dolor mulieris. Huic natura quam atrocissimis malum ad nocendum pectus instruxit dolis. Scylla et Charybdis Sicula contorquens freta minus est timenda. Nulla non melior fera est. 17 Eine Frau, der Schmerz zugefügt wurde, ist schlimmer als die Hydra: Die Natur gab ihrem üblen Herzen überaus grausame Listen ein, damit sie anderen schaden kann. Vor Skylla und Charybdis, die die Meerenge von Sizilien aufwühlen, muss man sich weniger fürchten! Jedes Biest ist besser als dieses! Dass sich eine verletzte Frau schlimmer als die schrecklichsten Ungeheuer gebärde und überdies grausam und heimtückisch, jedenfalls überaus furchteinflößend sei, entspricht allerdings nicht dem, was ein psychologisch geschulter Sulla in dieser Situation antworten hätte müssen. Angesichts von Bocchus ’ Sorgen würde man sich eine gegensätzliche Argumentationsstrategie erwarten. Wenn Bocchus die Aussage ernst nimmt, müsste es für ihn eigentlich nunmehr unmöglich sein, seine Gattin zu hintergehen und Sulla zu willfahren. Wie in den zuvor besprochenen Stellen übernahm Resch hier Formulierungen auf Basis formal-rhetorischer Überlegungen, ohne dass diese inhaltlich in den Kontext seiner Dramenszene passten. Wie konnte es zu solchen Unstimmigkeiten kommen? An all diesen Stellen entsteht beim Lesen der Eindruck, nicht Resch als Autor, sondern die Figuren selbst zitierten - in der dramatischen Fiktion - einen antiken Text, ohne sich aber um semantische Genauigkeit zu kümmern. Im Fall der ungeschickt verwendeten Vergilbzw. Plautus-Zitate in der Komödie Praemia Aureliani lässt sich auf dieser Grundlage tatsächlich mit einer gewissen Plausibilität für dichterische Intentionalität argumentieren. Ein bewusst herbeigeführter komischer Effekt könnte gerade darin liegen, dass eine Figur situationsinadäquat einen antiken Klassiker zitiert. So könnte zudem die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das Zitat gelenkt worden sein. In den Tragödien, in denen 17 Resch, Iugurtha 879 - 883. Der erste Satz des Zitats basiert auf Hercules Oetaeus 284 - 285; der zweite auf Octavia 868 - 869; die letzten beiden auf Hercules Oetaeus 235 - 236. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 157 <?page no="158"?> solche Komik wohl nicht intendiert ist, fällt es aber schwer, derartige Inkonsequenzen als ein vom Autor bewusst eingesetztes Mittel zu begreifen. Hat Resch hier einfach schlampig gearbeitet? Diese Frage soll vorerst offenbleiben und die zweite Art intertextuellen Arbeitens in Reschs Theaterstücken vorgestellt werden, nämlich die Übernahme von Strukturelementen aus vorliegenden Dramen. Was dem Dramatiker mitunter Schwierigkeiten bereitete, war offenbar das Schaffen von dramatisch darstellbarer Handlung. Anzeichen sind Unstimmigkeiten in der Handlungslogik, zu denen es ab und an kommt, bzw. der Umstand, dass der Dramatiker an einigen Stellen des Werks Informationen an das Publikum nicht in dem Ausmaß vermitteln kann, wie es für ein umfassendes Verständnis der Handlung notwendig wäre. 18 Um dem Problem beizukommen, studierte er andere lateinische Dramen und übernahm deren Handlungsgerüst für eigene Stücke. Im lateinischen Schuldrama ist dies nichts Außergewöhnliches. Bestimmte Handlungstypen, etwa bestimmte Verlaufsmuster des Märtyrer- und Tyrannendramas, etablierten sich im Laufe der Zeit und wurden von den Choragen unterschiedlicher Einrichtungen immer wieder aufgegriffen. Ein häufig wiederkehrender Handlungstyp des 18. Jahrhunderts ist derjenige der sui-victor-Dramen, in denen die Hauptfigur aus individuellen Bestrebungen ein Ziel verfolgt und dadurch eine Krise auslöst, in der Peripetie aber ‚ über sich selbst siegt ‘ , seine Ansprüche aufgibt und dadurch die Lösung des Konflikts in die Wege leitet. 19 In Reschs Werk findet sich das Muster in Agamemnon suimet victor (1750) wieder: Agamemnon beansprucht die Gefangene Chryseis für sich und provoziert dadurch den dramatischen Konflikt, räumt ihn letztlich aber wieder aus, weil er das Mädchen in einem Akt der Selbstüberwindung an den vorgesehenen Bräutigam zurückgibt. Bei Resch lässt sich die Vorgehensweise, vorgefertigte Handlungsverläufe zu übernehmen, aber auch auf der Ebene untergeordneter Handlungsverknüpfung beobachten. Er adaptierte nicht nur etablierte Grobstrukturen, sondern ‚ kopierte ‘ das Gefüge seiner Vorlagentexte mitunter Szene für Szene. Exemplarisch zeigen lässt sich das am ersten Akt von Reschs Tragödie Iugurtha, für 18 Siehe etwa den Umstand, dass in Albuinus das handlungsbestimmende Verbot des Langobardenkönigs, den Gepidenprinzen im Krieg zu töten, erst im dritten Akt eingeführt wird; im zweiten Akt ist für den Rezipienten daher die Situation des Protagonisten unverständlich. Ein weiteres Beispiel ist die verwirrende Handlung des ersten Akts von Innocentia coronata; es bleibt u. a. unklar, wieso die Hauptfigur Menarchus nicht sogleich auf die Idee kommt, der Bruder seines Sohnes könnte ebenfalls sein Sohn sein. 19 Siehe dazu Wirthensohn 2015, 48 - 49. 158 Simon Wirthensohn <?page no="159"?> die die fünf Jahre zuvor gedruckte Jesuitentragödie Scipio sui victor von Anton Claus Pate gestanden hat. 20 Claus ’ Historiendrama spielt vor dem Hintergrund der Einnahme Neukarthagos im Zweiten Punischen Krieg. Zu Beginn gibt der römische Heerführer Scipio die Anweisung, die letzte Festung der Karthager, in die sich die feindlichen Anführer zurückgezogen haben, zu stürmen. Der Angriff wird aber vorerst ausgesetzt, weil der Numider Perax seinen römischen Verbündeten mitteilt, die Stadt könne ohne Blutvergießen eingenommen werden. (Wenig später wird der Rezipient erfahren, dass Perax eine Geisel genommen hat und die Karthager erpressen möchte.) In der Folgeszene tritt der karthagische Anführer Mago ins Lager und bittet um Auskunft darüber, wo seine Nichte geblieben ist. Scipio weiß über deren Verbleib zwar nicht Bescheid, auf dem Rückweg sieht Mago seine Nichte jedoch als Geisel in der Gewalt von Perax. Es kommt zu einem Wortgefecht, das durch das Eingreifen Scipios beendet wird. Reschs Iugurtha spielt vor dem Hintergrund der römischen Einnahme von Cirta im Jugurthinischen Krieg. Die Ausgangssituation ist analog zu derjenigen von Scipio sui victor konstruiert: Der Feind hat sich in seine letzte Festung zurückgezogen, der römische Heerführer Marius gibt den Befehl zum Angriff. In der Folge übernahm Resch den Handlungsablauf des Claus-Dramas Episode für Episode und passte ihn seinem Setting an: Ein Parteigänger von Marius bittet um Aufschub des Kampfes, da die Stadt auch ohne Blutvergießen eingenommen werden könne; ein Vertreter der Numider erscheint im römischen Lager, um sich nach dem Verbleib eines Mitglieds des numidischen Adels zu erkundigen; er erfährt vorerst nichts über dessen Schicksal, wird auf dem Rückweg jedoch mit der Geisel konfrontiert; es kommt zu einem Streit mit dem Geiselnehmer; 21 der Auftritt des Marius beendet die Szene. Für die Ausgestaltung der Partien bediente Resch sich auch ausgiebig am Wortlaut von Claus ’ Drama. Etliche Formulierungen aus dem Vorlagentext finden sich in seinem Stück wieder. Das leitet über zur dritten Art von Intertextualität, die sich im Werk des Tiroler Dramatikers beobachten lässt, zur Übernahme von Sprachbausteinen im 20 Möglicherweise kam Resch während seiner Zeit in Innsbruck persönlich in Kontakt mit Claus, der von 1730 bis 1734 am Innsbrucker Jesuitengymnasium Rhetorik lehrte. Das Drama Publius Cornelius Scipio sui victor erschien in Claus ’ Sammeldruck Tragoediae ludis autumnalibus datae (Augsburg 1741). 21 Strukturelemente, die auf Claus ’ Scipio basieren, finden sich auch an anderer Stelle von Reschs Werk: Sanctus Ingenuinus beginnt ebenfalls damit, dass ein Belagerer seine Soldaten auf den Angriff einschwört, der Angriff aber im letzten Augenblick von einem Parteigänger unterbunden wird. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 159 <?page no="160"?> engeren Sinn. Die zahlreichen Zitate aus Claus ’ Scipio im ersten Akt von Iugurtha zeigen bereits, dass die Rezeption von Strukturelementen an längere Textübernahmen gekoppelt sein kann; Resch übernahm Formulierungen aus Dramen, deren Handlungsgerüst er ‚ recycelte ‘ . Vielfach scheint die Arbeitsabfolge allerdings umgekehrt gewesen zu sein: Während Resch bei seiner Arbeit am ersten Akt von Iugurtha in erster Linie die Struktur von Scipio und erst im Zuge dessen Wortmaterial daraus entlehnte, dürfte er in anderen Fällen bereits ein Konzept einer Szene ausgearbeitet gehabt haben, als er nach verwertbarem Textmaterial suchte. Stieß er auf ein Stück, das inhaltlich der von ihm konzipierten Szene entsprach, so schrieb er diese anschließend mithilfe von fremdem Wortmaterial aus. Als Fundus dienten ihm vor allem die Seneca-Tragödien und das frühneuzeitliche Ordensdrama, das Jesuitendrama an erster Stelle. Für dieses Vorgehen könnte man zahlreiche Belegstellen anführen, zur Veranschaulichung sollen hier einige Beispiele genügen: In der Tragödie Albuinus (1748) finden sich viele Formulierungen aus der Tragödie Lysimachus des französischen Jesuiten Charles De la Rue, einem Stück, das nach dem Erstdruck von 1680 im Jahr 1722 in Ingolstadt nachgedruckt wurde 22 - und zwar in einer Doppelausgabe mit De la Rues Cyrus, aus dem Resch in Albuinus ebenfalls Zitate übernahm. Die übergreifende Handlung von Albuinus bietet auf den ersten Blick kaum Überschneidungen mit derjenigen von De la Rues Lysimachus: Reschs Albuin wird vom Vater des Gepidenprinzen, den er im Krieg getötet hat, begnadigt und in dessen Familie aufgenommen; De la Rues Lysimachus treibt seine beiden Söhne in den Tod, weil er den Machtansprüchen seiner zweiten Gattin nicht gewachsen ist. Auf der Ebene untergeordneter Motive und ihrer Verknüpfung sind jedoch Konvergenzen festzustellen: In den Anfangspartien sowohl von Albuinus als auch von Lysimachus wird in einer back-stage-Handlung eine Schlacht gefochten, in der ein Prinz den Sohn seines dramatischen Gegenspielers tötet. In der Folge kommt es jeweils zu einem Konflikt zwischen dem jungen Adeligen und seinem Vater bzw. einer vaterähnlichen Figur. Im weiteren Verlauf beider Stücke zeigt sich der Junge schuldbewusst und bittet um angemessene Bestrafung; dies führt zu einem Gewissenskonflikt im Inneren des Vaters bzw. Ersatzvaters. Die Szenen, in denen Resch die entsprechenden Abschnitte in seinem Stück ausgeführt hat, sind zu beträchtlichen Teilen mit Versmaterial aus Lysimachus gestaltet. Das Beispiel kann als Beweis dafür dienen, dass Resch auf seiner 22 Gedruckt wurde das Stück zuerst in Caroli Ruaei e Societate Jesu Carminum libri quatuor (Paris 1680), siehe dazu Loach 2013, 115. Die Ingolstädter Ausgabe trägt den Titel Tragoediae duae. 160 Simon Wirthensohn <?page no="161"?> Suche nach verwertbarem Text nach Textpartien Ausschau hielt, die inhaltlich mit den von ihm vorgesehenen Szenen Überschneidungen aufwiesen. Das Konzipieren der Handlung ging hier nämlich unzweifelhaft der De-la-Rue- Rezeption voraus. Als Resch sich an die Abfassung von Albuinus machte, hatte er zentrale Handlungselemente wie die Tötung des Gepidenprinzen durch den Titelhelden und den daraus folgenden Konflikt zwischen dem Helden und dem Vater des von ihm Getöteten bereits im Kopf; er bezog die Konstellation aus der auf der Perioche angegebenen Quelle der Handlung, Paulus Diaconus ’ Historia Langobardorum. 23 Im nächsten Arbeitsschritt suchte er nach einem Stück, das ähnliche Motive enthielt, und wurde bei De la Rue fündig. Anschließend übernahm er aus den Szenen, in denen dieses Motiv ausgeführt wird, Formulierungen, die in seinen Kontext passten und ihm sprachlich besonders gelungen erschienen: rhetorisch ausgefeilte, kompakte Verspartien bzw. Versklauseln. Als Vorlage diente ihm also nicht der gesamte Lysimachus, sondern einzelne, semantisch verwandte Szenen, aus denen er immer wieder schöpfte. Die Versatzstücke, die er aus seinen Vorlagen bezog, übernahm er vielfach nicht als ganze, sondern spaltete sie auf und fügte sie an verschiedenen Stellen seiner inhaltlich verwandten Dramenabschnitte peu à peu ein. In vielen Fällen lassen sich Reschs Arbeitsschritte freilich nicht so klar abgrenzen wie in den vorgestellten Iugurtha- und Albuinus-Partien. Häufig dürften die Übernahme von Strukturelementen und die Übernahme von Sprachmaterial ineinander übergegangen sein: Auch Stücke, die vorderhand als Fundgruben für Formulierungen dienten, können Anregungen für die Gestaltung von Szenen gegeben haben. Ein Beispiel dafür ist die Rezeption von De la Rues Cyrus in Reschs Constantini hostia, dem Herbstspiel der Jahre 1757 und 1758. Hier übernahm der Tiroler Dramatiker in den Szenen 1, 2 und 1, 3 mehrere Textpartien aus dem Cyrus, ohne dass sich auffällige strukturelle Übereinstimmungen zwischen den Szenen und dem Drama des Franzosen beobachten ließen; die Gemeinsamkeit zwischen Reschs Drama und demjenigen des Jesuiten beschränkt sich in den entsprechenden Abschnitten auf das Motiv ‚ Bericht über eine siegreiche Schlacht ‘ . Die Folgeszene 1, 4, ebenfalls reich an De-la-Rue-Zitaten, scheint hingegen als ganze auf Cyrus 1, 5 zu beruhen: Kurz nachdem die siegreichen Feldherren ihre Berichte ausgetauscht haben, wird der Besiegte herbeigebracht, der sich zeternd gegen seinen Überwinder auflehnt und auf Rache sinnt. Es ist schwer vorstellbar, dass Resch diese - im Kontext unrealistisch wirkende - Szene unabhängig von der Cyrus-Szene konzipiert hat. Daneben verarbeitet Resch in den Anfangspartien von Con- 23 Reschs Angabe 1, 16 entspricht in modernen Ausgaben Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 23 - 24. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 161 <?page no="162"?> stantini hostia Versatzstücke aus Nikolaus Avancinis Konstantin-Drama Pietas victrix (1659); damit ließ sich das Motiv des christlichen Sieges über den heidnischen Feind gestalten, das in dem auf einem paganen Stoff beruhenden Cyrus nicht bereitgestellt war. Als weiteres Beispiel, das zeigen soll, wie Resch vorkonzipierte Szenen mit Formulierungen aus der lateinischen Dramenliteratur ausgestaltete, eignet sich die Tragödie Sanctus Ingenuinus (1749). In diesem Stück sah der Brixner Chorag zu Beginn des zweiten Aktes eine typische Tragödienszene vor: Nachdem der Feind die umkämpfte Festung Ferruge eingenommen hat, blickt der geflüchtete Langobardenfürst Eoinus auf seine brennende Stadt und beklagt sein Schicksal. Um ein Stück zu finden, in dem ein analoges Motiv gestaltet war, musste Resch wohl nicht lange suchen; die Tragödie Sedecias des italienischen Jesuiten Giuseppe Carpani - dessen Stücke waren vier Jahre zuvor in Rom herausgegeben worden und schon 1746 auch in Deutschland erschienen 24 - beginnt mit eben einer solchen Szene: Der geflüchtete Zedekia betrachtet aus der Entfernung das brennende Jerusalem. Resch konnte vom ersten Vers des Stückes an Formulierungen in sein Drama übernehmen. Eines der Zitate aus der ersten Szene von Sedecias, das sich in Ingenuinus findet, musste ihm dabei nachgerade in die Augen springen: Die Verse Saeva quoscunque invehit / fortuna casus, impavida virtus feret ( „ Welche Schicksalsschläge die grausame Fortuna auch über mich hereinstürzen lässt, die furchtlose Tugend wird sie ertragen. “ ) sind in den Carpani-Editionen typographisch als Sentenz ausgewiesen und somit als relativ kontextungebundene, frei verfügbare Textbausteine geradezu in Auslage gestellt. 25 Ähnlich wie im Beispiel der De-la-Rue-Rezeption in Constantini hostia schließt sich auch hier an die Übernahme von Sprachmaterial die Übernahme eines Strukturelements an: Bei Carpani konnte Resch beobachten, dass es dramaturgisch fruchtbar ist, die Söhne des abgesetzten Herrschers in ebendiese Situation einzubinden. Es liegt auf der Hand, dass der Einfall, die Söhne des Eoinus in die Handlung von Ingenuinus einzuführen, von der Lektüre des Carpani-Dramas angeregt ist: Wie Sedecias 1, 2 führt auch Ingenuinus 2, 2 eine Konfrontation zwischen dem entmachteten Herrscher und seinen Söhnen vor; 24 Josephi Carpani e societate Jesu tragoediae sex (Rom 1745) und P. Josephi Carpani e societate Jesu tragoediae editae opera P. Pl. Griffet ejudem societatis sacerdotis (Augsburg / Dillingen 1746). Exemplare beider Ausgaben finden sich heute in der Bibliothek des Priesterseminars Brixen. Eine weitere Ausgabe erschien ebenfalls 1746 in München, eine letzte 1750 in Rom. Siehe Sanzotta 2016, XLII - XLIII. 25 Übernahmen aus Carpanis Sedecias finden sich auch in der acht Jahre jüngeren Constantini hostia. In 2, 7 übernahm Resch etwa die Anfangsverse der Akte 2 und 4. 162 Simon Wirthensohn <?page no="163"?> zahlreiche Formulierungen der Szene sind wiederum aus Carpanis Tragödie übernommen worden. Es scheint kein Zufall zu sein, dass der für die darauffolgenden Szenen von Ingenuinus wichtigste Prätext eine weitere Bearbeitung des Zedekia-Stoffes war, und zwar Nicolas Caussins Tragödie Solymae. 26 In der Folge ging es Resch nämlich darum, die Zerstörungen durch das feindliche Heer in Form eines Botenberichts zu vermitteln - und dafür boten der zweite und vierte Akt von Caussins Schauspiel reichlich Material: In ausladenden senecanischen Bildern schildern die Figuren hier die Verheerungen Jerusalems durch das Heer des Nebukadnezar. Die Darstellung in Solymae ist aufgrund der rhetorischen Überhöhungen so unspezifisch, dass der Brixner Chorag hier bis zu 22 Verse am Stück ohne Eingriffe übernehmen konnte. 27 Besonders viele Versbausteine entlehnte Resch aus den Tragödien des senecanischen Corpus. Diese Übernahmen sind tendenziell weniger kontextgebunden als die Übernahmen aus den Jesuitendramen, d. h. Resch übernahm sie auch oftmals aus Passagen, die keine spezifischen inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit den Stellen aufwiesen, in die sie integriert wurden. 28 Vielmehr kollationierte Resch Formulierungen aus verschiedenen dramatischen Kontexten: Allein im zweiten Akt von Iugurtha sind Zitate aus sieben der zehn im senecanischen Corpus überlieferten Tragödien eingearbeitet. Oftmals nimmt gleichwohl ein Stück Vorrangstellung ein: In Innocentia coronata ist etwa Troades, im Iugurtha-Drama Hercules furens der mit Abstand wichtigste senecanische Referenztext. Diese Stücke weisen dann auch stärkere inhaltliche bzw. strukturelle Überschneidungen mit den Zielstücken auf. Es ist gut vorstellbar, dass der Dramatiker viele Seneca-Zitate nicht während des Schreibprozesses gesucht hat, sondern dass ihm bereits ein Repertoire zur Verfügung stand; sei es, dass er große Teile der Tragödien im Gedächtnis hatte, sei es, dass er auf ein phraseologisches Kompendium zurückgreifen konnte. Es ist kein Zufall, dass es sich bei sämtlichen bisher vorgestellten Quellentexten für Sprachbausteine um Tragödien im jambischen Trimeter handelt. Die metrische Struktur der Ausgangstexte bedeutete für Resch eine enorme Erleichterung, auch wenn er oft dezent in die ursprünglichen Formulierungen 26 Gedruckt in der Sammlung Tragoediae sacrae authore P. Nicolao Caussino Trecensi societatis Iesu presbytero (Paris 1620). Ein Exemplar des 1654 in Bologna erfolgten Nachdrucks findet sich heute noch in der Bibliothek des Priesterseminars Brixen. 27 Sanctus Ingenuinus 250 - 271 stammen aus der zweiten Szene des dritten Akts von Caussins Solymae. 28 Mitunter haben Seneca-Verse in mehreren Resch-Stücken Verwendung gefunden. Beispielsweise bietet Hercules furens 374 - 375 die Grundlage für Iugurtha 172 - 173 und Constantini hostia 958 - 959. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 163 <?page no="164"?> eingriff, um sie in seinen Handlungskontext einzupassen oder schlicht aus Gründen der Präferenz bzw. der variatio. Es soll allerdings nicht der Eindruck vermittelt werden, Resch habe auf der Suche nach verwertbaren Formulierungen ausschließlich metrisch vorgebaute Texte rezipiert. Das Gegenteil beweist die größtenteils in Prosa gehaltene Komödie Praemia Aureliani, für die die Gelehrtensatire Charlataneria eruditorum (1713) des Leipziger Geschichtsprofessors Johann Burckhardt Mencke ein mehrfach beanspruchtes Formulierungsrepertoire war. 29 Der Brixner Chorag bediente sich hier sowohl an metrischen Abschnitten als auch an Prosapartien. Die Mencke-Rezeption zeigt außerdem, dass nicht jede Übernahme antiker Zitate in Reschs Stücken tatsächlich auf Lektüre des antiken Texts beruhen muss: Der Tiroler Schulmann übernahm aus der Charlataneria auch mehrere Zitate aus zweiter Hand, darunter die ersten beiden Verse aus Phaedrus 1, 11 oder die Verse 98 - 100 aus dem sechsten Buch der Aeneis. 30 Anzumerken gilt es außerdem, dass sich Reschs Übernahme von Textelementen nicht auf die Rezeption lateinischer Literatur beschränkte. In den deutschen Partien seiner Dramen hat der Autor offenbar ähnlich gearbeitet. Eine genaue Untersuchung steht noch aus. Aussagekräftig scheint jedoch, dass im Chorus intermedius von Innocentia coronata über vierzig Verse aus den „ Reyen des Verhängnüsses / der vier Monarchien “ am Ende von Daniel Casper von Lohensteins Trauerspiel Sophonisbe (1680) Verwendung gefunden haben. Resch verfuhr hier ähnlich wie mit den lateinischen Übernahmen: Er spaltete den Text der Vorlage auf und baute ihn seinen Anforderungen entsprechend wieder zusammen. Variationen des Wortlautes finden sich auch hier an mehreren Stellen. Was für ein Autor war also der Dramatiker Joseph Resch? Ein phantasieloser Plagiator? Auf jeden Fall handelte es sich bei ihm um einen Schriftsteller, der „ mit Kleister und Schere “ arbeitete, wie sein Zeitgenosse Gotthold Ephraim Lessing 1759 sich im 17. Literaturbrief despektierlich über Johann Christoph Gottsched äußerte. 31 Die ‚ Klebspuren ‘ in Reschs Stücken sind, wie oben gezeigt, noch zu sehen: Textbrüche und Unstimmigkeiten treten bisweilen dort auf, wo Resch entlehnte Textpartien in ein Drama eingearbeitet hat. Man kann das kritisieren; es sind vermutlich großteils die Fauxpas eines Schul- 29 In der Bibliothek des Brixner Priesterseminars befindet sich heute ein Exemplar der Amsterdamer Ausgabe der Charlataneria von 1726. 30 Die Übernahmen finden sich in Praemia Aureliani 2, 4. Siehe J. B. Mencke, De charlataneria eruditorum declamationes duae (Amsterdam 1747), 55 bzw. 39. 31 Lessing 1972, 43. Die Formulierung geht zurück auf eine Kritik Johann Jakob Bodmers an Gottsched. Bodmer 1744, 58. 164 Simon Wirthensohn <?page no="165"?> dramatikers, der oft unter Zeitdruck und wohl oft spät nachts die Spielvorlagen vorbereitete und überarbeitete. 32 Es darf freilich nicht übersehen werden, dass die hier behandelten Stücke nicht für den Druck bestimmt waren; bei einer Überarbeitung für eine Veröffentlichung wären derartige Rückstände des Arbeitsprozesses wohl ausgemerzt worden. Was nicht kritisiert werden darf - es wäre ein naiver Anachronismus - ist hingegen die schriftstellerische Praxis der Montage an sich. Die Weiterverarbeitung von Literatur war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelebte Praxis. Das Beispiel Gottsched, der seinen weitgehend aus übersetzten Versen bestehenden Cato (1732) gar als epochemachendes deutsches Drama positionieren konnte, 33 zeigt deutlich, dass die Zeitgenossen gegenüber reproduzierenden Verfahrensweisen wesentlich weniger Skrupel hegten als die von der Genieästhetik geprägte Moderne. 34 Außerdem darf nicht übersehen werden, dass Reschs schriftstellerisches Arbeiten auch in den stark mit Textanleihen versetzten Partien weit über das reine Reproduzieren von Vorlagentexten hinausging. Der Autor kompilierte Textstellen unterschiedlicher Provenienz, verflocht sie miteinander, verknüpfte sie mit eigenem Sprachmaterial und schuf daraus ein neues Ganzes. Das Ergebnis ist ein vielschichtiges Netz von Interpretations- und Assoziationsangeboten, von kollationierten, verdichtenden Formulierungen. Um dies zu konkretisieren, soll hier die bereits erwähnte Tragödie Innocentia coronata etwas ausführlicher vorgestellt werden. Das Stück wurde 1761 aufgeführt, zwei Jahre also nach der Veröffentlichung von Lessings 17. Literaturbrief. Im Mittelpunkt des Stücks stehen die beiden byzantinischen Thronfolger Constantinus und Basilius, die sich unter Decknamen im Exil aufhalten und dort, vorerst ohne es zu wissen, im Haus ihrer Mutter als Sklaven arbeiten; es kommt zur Anagnorisis, doch das Glück ist von kurzer Dauer: Schon bald trifft der Rebell Bardas auf der Insel ein, der die Absicht verfolgt, die beiden Brüder, die er als Konkurrenten um die Herrschaft begreift, zu töten. Der Plan misslingt. Letztlich werden die Brüder nach Byzanz zurückgerufen, um dort den Kaiserthron zu besteigen. 32 Zum Arbeitspensum des ungemein umtriebigen Geistlichen, Lehrers, Historikers, Archivars und Literaten vgl. Grass 1962, 173 - 174. 33 Nur 174 der 1648 Verse von Gottscheds Cato basieren nicht auf Joseph Addisons Cato (1713) oder François Deschamps ’ Caton d ’ Utique (1715). Gottsched hat diese Quellen in der Vorrede der Erstausgabe selbst offengelegt und sich zu seinem Arbeitsprozess geäußert. Alt 1994, 108. 34 Ähnliches lässt sich in der Musik beobachten. Die Kontrafaktur ist im 18. Jahrhundert ein häufiges Verfahren, das auch von den Komponisten der von Resch organisierten Dramenaufführungen angewandt wurde. Siehe dazu den Beitrag von Robert Forgács in diesem Band. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 165 <?page no="166"?> In diesem Stück lassen sich nicht weniger als 14 literarische Quellen ausmachen, aus denen Resch substantiell geschöpft hat. Es gründet maßgeblich auf Strukturelementen aus Plautus ’ Captivi und Senecas Troades, schafft also eine Synthese aus einer Komödie und einer der ‚ tragischsten ‘ Tragödien der römischen Literatur. Der Handlungskern um Sklaven, die, ohne es zu wissen, in der eigenen Familie dienen - ein Motiv aus den Captivi - , ist gekoppelt an die Situation einer Mutter, die fürchtet, ihren Sohn an dessen Mörder ausliefern zu müssen - ein Motiv, das von den Troades angeregt ist. In diese Struktur ist die mithilfe der vergilischen Eklogen gestaltete Dichotomie von friedlichem Landleben und korrupter Gesellschaft eingearbeitet, die wiederum durch Anleihen aus Gabriel François Le Jays Jesuitenstück Abdolominus unterstützt wird, in der das Thema ‚ Leben im Verborgenen versus höfische Lebensformen ‘ ausgeführt wird. 35 Weitere Quellen- und Referenztexte sind neben den Seneca-Tragödien die zeitnah erschienenen Schuldramen Mors Ulyssis und Corona Arminii des Jesuiten Ignaz Weitenauer, 36 in denen die Motive ‚ Ankunft auf einer Insel ‘ und ‚ Einlösung von Herrschaftsansprüchen ‘ bzw. ‚ illegitimes Machtstreben ‘ ausgeführt werden, sowie Ovids zehnter Heroidenbrief, in dem Ariadne sich ebenso von einer Insel aus nach Theseus sehnt wie in Reschs Stück die Mutter der beiden Thronfolger nach ihrem Sohn Constantinus, der sich von der Mitte des ersten bis zum Beginn des dritten Akts auf einer Seereise befindet. Es wird deutlich, dass ein derartiges Stück mit herkömmlichen literaturwissenschaftlichen Termini wie ‚ literarischer Text ‘ oder ‚ Autorschaft ‘ nur eingeschränkt beschreibbar ist. Reschs Dramen liegt ein dynamisches Verständnis literarischer Produktion zugrunde, das die Tätigkeiten extensive Lektüre, Selektion, Übernahme und Adaption miteinschließt. Die Literaturgeschichte wird als Repertoire begriffen, an dem sich der Dramatiker bedienen kann. Er ist vielfach eher Textorganisator als Autor im landläufigen - maßgeblich von Lessing und seinen Zeitgenossen - geprägten Sinn. Sein Zugang ist der eines ‚ Handwerkers ‘ , eines ‚ Theatermachers ‘ , der mit den ihm zur Verfügung stehenden Materialien an seinem Produkt ‚ Schultheateraufführung ‘ arbeitet. Eine Frage, die bislang nur am Rande behandelt werden konnte, ist die nach der Intentionalität intertextueller Rezeptionserfahrungen. Die oben vorgenommene Unterscheidung von drei Typen von Übernahmen kann, wie angemerkt, nur als Hilfskonstrukt zur Beschreibung von Aneignungen dienen, da sich 35 Das Stück wurde 1696 uraufgeführt und 1702 in Paris gedruckt. Größere Bekanntheit erfuhr es durch die Aufnahme in Le Jays Bibliotheca rhetorum (Paris 1722). 36 Die Stücke erschienen in der Sammlung Ignaz Weitenauer, Tragoediae autumnales, accessit Ego comoedia (Augsburg / Freiburg i. Br. 1758). 166 Simon Wirthensohn <?page no="167"?> keine klaren Grenzen zwischen den drei Kategorien ziehen lassen. Sie verweist allerdings auf eine unstrittige Tatsache: In Reschs Dramen lassen sich Übernahmen beobachten, die eindeutig einen intertextuell-semantischen Mehrwert schaffen, und Übernahmen, die eindeutig nicht als Verweise auf Prätexte angelegt sind, sondern ausschließlich der Sprachkonstitution dienten. 37 Wo aber verläuft die Grenze zwischen strategischen und rein mechanischen Aneignungen? Welche Übernahmen sollten vom Rezipienten als Kunstgriffe beachtet und geschätzt werden? Viele der eingangs vorgestellten Bezüge auf klassische Texte sollten offensichtlich wahrgenommen werden. Resch spielte ein bewusstes literarisches Spiel, indem er seine Stücke mit der Tradition verflocht und durch den Rückgriff auf auctores literarisch legitimierte. Ein gewichtiges Argument dafür, dass Intertextualität hier nicht nur vorliegt, sondern bewusst inszeniert ist, liefert der überwiegend in deutscher Sprache abgefasste Adiatorix (1752). In der Handschrift dieses Stücks hat Resch Blätter eingelegt, auf denen die jeweiligen Parallelstellen aus der antiken Literatur aufgelistet und knapp kommentiert sind. Es ist leider das einzige Stück, für das solche Paratexte vorliegen. Es scheint indes bezeichnend zu sein, dass gerade hier - in einem weitgehend deutschsprachigen Stück, in dem Allusionen auf lateinische Klassiker naturgemäß besonders schwer auszumachen sind - die Quellen ausgewiesen sind. Die Funktion dieser Notizen ist ungewiss. Waren sie didaktischer Natur? Entstanden sie in der Absicht einer späteren Veröffentlichung der Stücke? Waren sie lediglich eine Merkhilfe für Resch selbst? Wie dem auch sei, sie machen jedenfalls deutlich, dass es sich bei vielen der aus der klassischen Literatur übernommenen Zitaten um mehr handelte als um bloße Bausteine der Textkonstitution. Die Hypothese, dass Übernahmen aus der klassischen Literatur als Anspielungen zu sehen sind, während Übernahmen aus der neulateinischen Literatur vorrangig der Textkonstitution dienten, mag tendenziell richtig sein, durchgängig stimmt sie aber sicher nicht. Gerade viele Zitate aus den Seneca- Tragödien lassen sich schwerlich als intertextuell bedeutungsstiftend verstehen. Umgekehrt scheinen nicht alle Übernahmen aus Texten des 17. und 18. Jahrhunderts zufällig zu sein. Die intertextuelle Verknüpfung von Innocentia coronata mit Le Jays Abdolominus und Weitenauers Mors Ulyssis etwa sorgt für einen hermeneutischen Mehrwert. Es ist davon auszugehen, dass der zeitgenössische, literarisch gebildete katholische Rezipient auch in zeitgenössischer Literatur belesen war und Dramen von Jesuiten wie Caussin, Avancini, Le Jay, Carpani oder Weitenauer kannte. Anzunehmen ist gleichwohl, dass 37 Zu rein technischen Übernahmen im neulateinischen Drama vgl. die Überlegungen bei Bauer 2000, 97. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 167 <?page no="168"?> Vorlagen im jambischen Trimeter in den Versdramen eher als Fundgruben für Sprachelemente fungierten als Quellentexte, die erst metrisch adaptiert werden mussten - siehe etwa die 22 Verse lange Übernahme aus Caussins Solymae. Fälle wie der letztere lassen eine zentrale Motivation für Reschs Arbeitsweise deutlich zu Tage treten: Viele der Text- und Versbausteine erleichterten und beschleunigten den Arbeitsprozess - gerade vor dem Hintergrund der metrischen Struktur der Dramen. Angesichts der Vielzahl an eingearbeiteten Texten und der daraus resultierenden Komplexität der Verfahrensweise ist jedoch davon auszugehen, dass sich auch die Funktion von vordergründig mechanischen Übernahmen nicht in Bequemlichkeit erschöpfte. Denn erstens baute Resch, wie gezeigt, Zitate vielerlei Provenienz ineinander, sodass richtiggehende ‚ Fleckerlteppiche ‘ entstanden. 38 Zweitens kam es relativ selten vor, dass Resch lange Partien am Stück abschrieb. Oft schnitt er längere Partien aus Vorlagen, die er gebrauchen konnte, auseinander und baute die kleinteiligen Versatzstücke an verschiedenen Stellen seines Stücks wieder ein. 39 Der Textgenese liegt also ein Arrangieren zugrunde, ein Komponieren mit offensichtlich ästhetischem Anspruch: Ausgewählte Formulierungen aus Vorlagen wurden an passender Stelle eingefügt, die literarische Qualität des Stückes sollte auf diese Weise gehoben werden. Was sich beobachten lässt, ist also der Versuch eines Schuldramatikers, seine Texte mittels anspruchsvoller reproduktiver Verfahrensweisen aufzuwerten - sei es in rein stilistischer Hinsicht, sei es zur Einführung einer zusätzlichen semantischen Ebene. Nun stellt sich beim lateinischen Schultheater stets die Frage nach dem Rezipienten derartiger literarischer Feinsinnigkeit. 40 Das mit dieser Sprache wenig vertraute Publikum hatte schon mit dem Verständnis der Handlung Schwierigkeiten. Außerdem ist Theater aufgrund der beschleunigten, multimedialen Rezeption, die vom Zuschauer erwartet wird, weder ein geeigneter Ort, um stilistisch anspruchsvolle fremdsprachliche Texte zu vermitteln, noch um subtile Intertextualität zu kommunizieren. Dennoch lassen sich Überlegungen anstellen, die Erklärungen dafür liefern, wieso Resch ein Interesse 38 Besonders anschaulich zeigt dies die Untersuchung des zweiten Akts von Iugurtha: Auf den 340 Versen lassen sich zwölf Vorlagentexte unterscheiden: die Seneca-Tragödien Medea, Hercules furens, Thyestes, Phaedra, Oedipus und Troades, die pseudosenecanische Octavia, Curtius Rufus, Daniel Casper von Lohensteins Sophonisbe sowie die Jesuitenspiele Scipio sui victor von Anton Claus, Flavia von Bernardino Stefonio und Carthaginienses von Denis Pétau. 39 Gute Beispiele hierfür sind die Rezeption der Szene 1, 4 von De la Rues Lysimachus in Albuinus und die Rezeption der Szene 3, 5 von Le Jays Abdolominus in Innocentia coronata. 40 Vgl. hierzu Kofler 2018, S. 188. 168 Simon Wirthensohn <?page no="169"?> daran haben konnte, literarische Tiefe und intertextuelle Hintergründigkeit zu schaffen. Erstens sind didaktische Absichten vorstellbar: Die aufführenden Schüler setzten sich schon im Vorfeld der Aufführung intensiv mit den Texten auseinander. Resch dürfte die Absicht verfolgt haben, ihnen anspruchsvolle sprachliche Strukturen zur Schulung des eigenen lateinischen Stils vorzulegen; mit intertextuell aufgeladenen Theaterstücken ließ sich an literarische Bildung anknüpfen bzw. die Vermittlung literarhistorischer Inhalte mit den der Theaterarbeit gewidmeten Unterrichtseinheiten verbinden. Zweitens konnte Resch damit rechnen, dass sich unter den Theaterbesuchern durchaus vereinzelt Personen befanden, die selbst über ausreichend literarische Bildung verfügten, um die Aufführung auch in Hinblick auf den Text zu beurteilen, also Erwartungen hinsichtlich eines literarischen Niveaus des Texts mitbrachten. Für die Gebildeten der Stadt boten die Schulaufführungen eine Gelegenheit kultivierter Unterhaltung, wie sie für den Lateinkundigen in dieser Form ansonsten nicht zu finden war. Und drittens liegt angesichts der vorgeführten Textcharakteristika nahe, dass Resch seine Stücke nicht nur für das tatsächliche Publikum, sondern auch für einen ‚ idealen ‘ Rezipienten schrieb, den imaginären Theaterbesucher oder Leser, der Feinheiten des Textes zu schätzen wusste und tieferliegende Anspielungen durchschaute, das intertextuelle Spiel würdigen konnte; dieser ‚ ideale ‘ Rezipient musste zwar zwangsläufig eine Fiktion bleiben, andere Dramatiker, mit denen Resch im Austausch gestanden haben dürfte, sowie Mitglieder der gelehrten Zirkel, denen Resch angehörte, kamen diesem Konzept aber vielleicht nahe. 41 Eng verbunden ist das Konzept des idealen Rezipienten mit der Annahme eines Dichters, der den Anspruch an sich stellt, unabhängig von der tatsächlichen Rezeption seines Textes ein literarisch ansprechendes Produkt zu entwickeln. Dieses künstlerische Interesse am eigenen literarischen Schaffen darf bei der Untersuchung von Reschs Dramen nicht außer Acht gelassen werden. Bei allen arbeitsökonomischen Erleichterungen, welche das Übernehmen von vorgefertigten Formulierungen und Ideen bot, scheint Reschs Kompositionsverfahren nicht zuletzt auch eine persönliche Leidenschaft für die Collage zugrunde gelegen zu haben, eine Freude am Kompilieren und Harmonisieren, wobei es vielleicht von untergeordneter Bedeutung war, ob die Verfasser der rezipierten Schriften nun auctores oder schlicht collegae waren. 41 Resch war von 1748 bis zu ihrem Ende 1756 Mitglied der Innsbrucker Academia Taxiana. Grass 1962, 170. Dass er bei einer Sitzung der Akademie aus seinen (allerdings gedruckten) Meditationes vorgelesen hat, ist belegt. Ebdt., 171. Weiters war Resch Mitglied der Roveretaner Accademia degli Agiati. Zu seinen zahlreichen gelehrten Korrespondenzen vgl. Rosbichler 1808, 50 und Sinnacher 1821, XXVI - XXVII. Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 169 <?page no="170"?> Resch übernahm, was gut in den Text passte. Wenn er auf diesem Weg auch noch eine gelehrte Anspielung einflechten konnte - umso besser. Literatur Primärliteratur Bodmer, Johann Jacob: Sammlung Critischer, Poetischer und anderer geistvollen Schriften zur Verbesserung des Urtheiles und des Witzes in den Wercken der Wohlredenheit und der Poesie. Zwo ͤ lfftes und leztes Stu ͤ ck, Zürich 1744. Bucher, Anton von: Beyträge zu einer Schul- und Erziehungsgeschichte in Baiern, München 1778. Caussin, Nicolas: Tragoediae sacrae, Paris 1620. Carpani, Giuseppe: Tragoediae sex, Rom 1745. Carpani, Giuseppe: Tragoediae editae opera P. Pl. Griffet, Augsburg / Dillingen 1746. Claus, Anton: Tragoediae ludis autumnalibus datae, Augsburg 1741. De la Rue, Charles: Carminum libri quatuor, Paris 1680. De la Rue, Charles: Tragoediae duae, Ingolstadt 1722. Le Jay, Gabriel François: Bibliotheca rhetorum, Paris 1722. Lessing, Gotthold Ephraim: Werke, Bd. 2: Kritische Schriften, München 1972. 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Der ‚ Theatermacher ‘ bei der Arbeit 171 <?page no="173"?> The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context Robert Forgács (Sydney) As is the case with most of the music written for Neo-Latin dramas during the eighteenth century, the music composed for the Neo-Latin plays of Joseph Resch has been lost or has survived only in an incomplete form. Even in the cases of celebrated composers, whose works were widely disseminated during their lifetime and afterwards, this has been the norm. Several thousand Neo- Latin plays were written, primarily for the Jesuit and Benedictine Orders during the eighteenth century. Many of these were accompanied by music in one form or another. However, the music for only a small number of them survives complete. Among these is Jan Dismas Zelenka ’ s (1679 - 1745) Sub olea pacis et palma virtutis conspicua orbi regia Bohemiae corona: Melodrama de Sancto Wenceslao ( “ Under the olive tree of peace and the palm tree of virtue the royal crown of Bohemia is illustrious before the world: melodrama about Saint Wenceslaus ” ), which was commissioned specifically by the Jesuits for the coronation celebrations of the Holy Roman Emperor, Charles VI (1685 - 1740), as King of Bohemia. The librettist was Matou š Zill and the work premiered at the Jesuit Clementinum in Prague, on 23 September, 1723. 1 The high-profile character of this occasion, and the lavish nature of the production, which included over one hundred and eighty performers - actors, singers, instrumentalists and dancers - no doubt helped in the preservation of the music. Similarly preserved in its entirety is the Intermedium by Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791) Apollo et Hyacinthus, KV 38, composed when Mozart was only eleven. It was given its one and only performance at Salzburg on 13 May, 1767, and enjoys the distinction of being Mozart ’ s first contribution to the genre of opera seria, and 1 Dresden, Sächsische Landesbibliothek Mus.2358-D-2. The first publication was of the complete score in Zelenka 1987. <?page no="174"?> his only opera with a Latin text. The music was preserved in the library of Leopold Mozart (1719 - 1787). 2 More typical is the survival of incomplete scores with numerous lacunae, or with the music preserved in a form that does not represent the way in which it was originally conceived or performed by the composer. One example of this situation is the incomplete score of the chorus with instrumental accompaniment In hoc signo vinces ( “ In this sign you will conquer ” ) by Georg Reutter (1708 - 1772), Kapellmeister at the Stephansdom in Vienna. This chorus was probably part of the music Reutter wrote for the play Constantinus virtute crucis de Maxentio victor ( “ Constantine, by the virtue of the cross, victor over Maxentius ” ), performed at Vienna on 16 and 19 December, 1743. The Wiener Diarium mentions the first performance of the play in the Jesuit Theatre on 16 December, 1743, and refers to a cast of two hundred. In fact, the names of one hundred and ninety-seven actors, dancers and singers are listed in the Germanlanguage periocha, and these performers were drawn from pupils at the Jesuit College, from the Stephansdom choir and from various other educational institutions. 3 The event was attended by the Empress Maria Theresa, her consort, and the highest nobility and clergy. Maria Theresa and her family are praised in this incomplete chorus, which probably forms part of the Musikalisches Nachspiel. 4 The chorus is in 3/ 4 metre and marked andante. It is composed in a courtly, festive style, and written in the key of C major, with numerous fanfare gestures in both the instrumental and vocal parts. An orchestral introduction of eighteen bars, full of antiphonal dialogue, leads to the entry of the chorus in bar 19; but the score ends abruptly in bar 58, without any sense of closure or finality. A further, well-documented example of significant loss can be seen in the case of Mozart ’ s father, Leopold. He composed music for the play Antiquitas 2 Berlin, Staatsbibliothek, Musikabteilung (D-B) Mus.ms. autogr. W. A. Mozart 38. The authoritative Urtext edition has been edited by Orel 1990. See also Forgács 2021, 59 - 61. 3 Cf. Geiringer 1982, 21. Geiringer implies that among the singers was probably the young Joseph Haydn (1732 - 1809) who was a chorister at St. Stephen ’ s at this time. However, his name is not listed in the periocha. But the name of Reutter ’ s son Karl is; he took the part of one of the Ephebes. Reutter ’ s son Karl became a monk and eventually abbot of the Cistercian Heiligenkreuz monastery, Heiligenkreuz, which no doubt explains why the monastery library possesses the largest single collection of Reutter ’ s autograph scores to survive. 4 The author of the text is unknown. The periocha survives: Ex Typographia Kaliwodiana, Vienna, 1743. The copy consulted is Progr. latin Vienne, Stadtbibliothek, B. 6283: Constantinus durch Kraft des Creutzes Besieger Maxentii. The score of Reutter ’ s incomplete chorus is at Vienna, Bibliothek des Musikarchivs des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz im Wienerwald A-HE/ V f 2. A summary of the play and the musical interludes is also given in Devrient 1967, 273 - 274. 174 Robert Forgács <?page no="175"?> personata, sive historia vetus ad natalem domini usque ( “ Antiquity personified, or ancient history up to the birth of the Lord ” ), which was performed at Salzburg University on 18 May, 1742. The text was by Johannes Evangelist Paul Nagl (1711 - 1776), a graduate in law and theology of the University of Salzburg, who by 1742 had become a teacher of poetry and rhetoric at the Academic Gymnasium in Salzburg. Nine of his Neo-Latin dramas were eventually to be performed at Salzburg. 5 However, only the periocha for Antiquitas personata survives and none of Leopold ’ s music. 6 As the title of the play indicates, the subject matter is very wide-ranging, with characters and scenes taken from the history of ancient Israel and from the classical world. It ends with the birth of Christ and culminates in a final scene, in which Christ ’ s victory over Hell, and his adoration as the everlasting emperor by shepherds, celebrates his Resurrection, as well as recalling his adoration by shepherds at Bethlehem at the time of the nativity. Mythological characters such as Pluto take part, as well as the historical figures of Semiramis, Cyrus, Pythagoras, Alexander the Great, Hannibal, Cicero, Augustus, the Germanic leader Brennus, and the biblical character Daniel. Very few other Neo-Latin dramas covered so vast a panorama within such a restricted time-frame as would have been required for the performance of this work. But let us now turn to a consideration of the plays written by Joseph Resch. All of the composers associated with the music for the plays of Resch appear, quite understandably, to have been employed locally at the time of the various plays ’ productions. The music composed for Resch ’ s plays has been preserved on loose, unnumbered pages inserted into the manuscripts of the various plays. The earliest of these plays that survives with music, Iugurtha, dates from 1746, and the musical content of this example is representative of all of the plays by Resch. Surprisingly, although the complete text of the play survives in manuscript, 7 there is no periocha, and this is where the composer is usually listed, if he is mentioned at all. Indeed, no periocha may have been produced for this play and the composer for this work is thus unknown. The cast list for the play includes twelve personae in musica. Three of these personae appear in the elaborate musical prologus, consisting of an alternating series of recitatives, arias, an aria in duet form, and an arioso; these are scored for a Parca, Fortuna, and the Genius Iugurthae. The succession of these musical forms in the prologue is typical of contemporary opera seria, oratorio and cantata. Four more of these personae appear in Chorus I at the end of Act II: Hercules, 5 Boberski 1978, 328. 6 Salzburg, Universitätsbibliothek, UBS R 5524 I. 7 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F22. The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 175 <?page no="176"?> Megara, Lycus, and Creon. Once again this scene consists of recitatives alternating with ariosos, and with three arias. Lycus ’ s aria is noted as being for an alto, Megara ’ s is for a soprano, and Hercules ’ s is for a bass. Creon ’ s voice type is not identified. Chorus II occurs at the end of Act IV, and is scored for Hercules, Lycus, Theseus, two prisoners and four Ephebes. Only the voice types of the main characters are listed: Hercules is again identified as a bass and Lycus as an alto, while Theseus is mentioned as a tenor. This scene follows the same format as the earlier musical interludes with its alternating recitatives, arias and ariosos The epilogus musicus which concludes the play consists of two recitatives and arias, separated by a chorus in pleno (to be sung by all the performers on stage). The arias are scored respectively for the Genius Musical example 1 - Bass part of chorus Io triumpha, Roma Mavortia! from Iughurta 176 Robert Forgács <?page no="177"?> Numidiae, who is a soprano, and for the Genius Romae, whose voice type is unspecified. Of all the music composed for the prologue, for Chorus I and Chorus II, and for the epilogue, only the bass part of the chorus in pleno survives. It is clearly celebratory in character, as befits the text: Io triumpha, Roma Mavortia, post tot certamina triumpha! ( “ Hurrah! Exult, warlike Rome, after so many battles, exult! ” ). However, it is very difficult to evaluate or pass any artistic judgement on this chorus from the bass part alone, as bass lines of the late Baroque era are typically harmonic rather than melodic in nature. This bass part is characterised by octave leaps and leaps of a 5 th , and by sequential passages which necessitate the use of several chromatic intervals, created by the use of sharps and flats. One of these sequences is distinguished by a strong dotted rhythm. The music is simply conceived, but is well composed and was no doubt quite effective from a dramatic point of view. The most unusual and unexpected musical feature of this play is the setting of part of its main text, namely several lines from Massinissa ’ s appearance in a dream to his adopted grandson, Iugurtha, in Act 2, 5, lines 447 to 451. This is scored as a three-part chorus for soprano, alto and bass voices, and is composed in an imitative, contrapuntal style. It is unquestionably the most complex musical material for Resch ’ s plays that is extant. To accommodate this musical setting, the text of lines 447 to 451 has been slightly rearranged, with line 451 being repeated, so that three complete couplets result. While there is no indication in the text of the play that these lines have been set to music and are to be performed in this way, this must have been the intention of both composer and author. As each textual couplet is set to the same music, a strophic form results. Furthermore, one of the high points of the play - a real coup de théâtre - is the repetition and dramatic reversal of these same five lines of text by the spirit of Massinissa in Act 5, 5, lines 1093 to 1097, which he introduces with the words Oraculorum sensus ancipiti fuit / nube obvolutus, iam canam retrogradum (Iugurtha 5, 5, 1091 - 1092: “ The meaning of the oracles was covered by an ambivalent cloud, now I will sing it retrograde ” ). While the text is indeed arranged in retrograde - an impressive technical feat - the music is not, though the technique of composing music which could function both backwards and forwards is found in some Medieval and Renaissance music, perhaps most famously in the rondeau Ma fin est mon commencement by Guillaume de Machaut (c. 1300 - 1377) and in some of the retrograde canons of Josquin des Prez (c. 1450 - 1521). This technique was still employed occasionally in the eighteenth century. J. S. Bach ’ s (1685 - 1750) Musikalisches Opfer of 1747, for example, contains a canon cancrizans, and there are three well-known instances in works by Haydn: the Menuet al rovescio of the Piano Sonata in A major, no. 41, H 26, the Minuetto al Roverso of the Symphony no. 47 in G major, The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 177 <?page no="178"?> and the three-part vocal canon cancrizans, Thy Voice, O Harmony, presented by Haydn to the University of Oxford as a thank-offering after the bestowal of the degree of Doctor of Music in 1791. All three works by Haydn postdate this play. Instead of employing musical retrograde here, though, the unexpected reversal of fortune in the play is highlighted by a repetition of the same three-part chorus as in Act 2, 5. The text is slightly re-arranged so that line 1093 is repeated to form a couplet, while lines 1094 to 1097 are fashioned into two couplets each. 8 The repetition of the music of the chorus as it appeared in Act 2, 5, is also made clear from the fact that there are two sets of verses placed under the three voice parts in the manuscript, each set being marked with the numbers from 1 to 3. The first set contains lines 447 to 451 of Act 2, 5, the second lines 1093 to 1097 of Act 5, 5. From Albuinus tragoedia - Liebe der Feinden of 1748, whose music was composed by Johann Anton Bestehorn (or Besthorn), a member of a talented musical dynasty of Halberstadt origin who was living in Brixen at this time, 9 only the bass parts of two choruses survive: firstly a Chorus of Cyclopes from Chorus I, Exercete ferrum vasto, maximi Cyclopes, antro! ( “ Work the iron, mighty Cyclopes, in your vast cave! ” ), and the final chorus from the second musical interlude, Chorus II, Rumpere Iuno! Iovis in uno vinceris nuntio nempe Mercurio. Contra mandatum a Iove datum vindica te! ( “ Break out Juno! You will be overcome in one messenger of Jove, without doubt Mercury. Against the order given by Jove, avenge yourself! ” ). From the manuscript of the play, 10 it can be seen that this chorus is referred to as an Aria a tre, and was scored for Mercury (soprano), Apollo (tenor), and Neptune (bass). It has the tempo indication allegro. Both of these surviving bass parts are very competently composed in a forthright and extrovert musical style, appropriate to their dramatic contexts. The periocha of the play preserved at Brixen also contains a hand-written addition on its final page, which is the complete text of Solon ’ s opening recitative and aria in the prologue. 11 The aria is marked in basso which was Solon ’ s voice-type, as is also noted in the manuscript. The music of Sanctus Ingenuinus tragoedia of 1749 was composed by Florianus Zoller (1702 - 1763), who was born at Klausen in South Tyrol. In 1723 he entered the Augustinian monastery of Neustift, where he was professed the following year as a Canon Regular; in 1726 he was ordained a priest in Brixen. Almost his whole professional career was spent as Kapell- 8 These lines are set out in the Appendix. See here p. 190. 9 www.domchorbrixen.it/ de/ geschichte.html (accessed 14.10.2017). 10 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F23. 11 Ibid. The periocha of the plays have the same Signaturen as the complete manuscript texts in the Library at Brixen, as they are bound together with them. 178 Robert Forgács <?page no="179"?> The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 179 <?page no="180"?> Musical example 2 - Chorus Sic tibi vaticinor from Iugurtha (see Appendix 1) 180 Robert Forgács <?page no="181"?> meister and Prefect of the Sängerknaben at Neustift. 12 However, the only surviving music from this play is a contrapunto in two parts, in the treble and bass ranges, conceived as a preamble to the spoken prologue. The rubrics in the manuscript (also to be found in the periocha) note: Sub symphonica musica et contrapuncto, ut vocant, Ambrosiano per Musurgiam Kircherianam composito, rei futurae series per lucernam magicam in aere exhibetur. 13 ( “ Accompanied by instrumental music and Ambrosian counterpoint, as it is called, devised through Kircher ’ s Musurgia, a series of future events is shown by a magic lantern in the air. ” ) This is clearly a reference to the mechanical Arca musurgia or Arca musarithmica, an information device that was invented by the Jesuit scholar Athanasius Kircher (1601 - 1680), and explained and illustrated in his Musurgia universalis of 1650. 14 It was invented to enable even those untrained in music to compose. By using simple combinatorial techniques the Arca can create numerous pieces of polyphonic music in up to four parts. Like Blaise Pascal ’ s calculator of 1642, it prefigures modern computer technology, and is among the earliest examples of so-called Artificial Creativity. It also anticipates aleatoric music, such as the Musikalisches Würfelspiel, a system for throwing dice to ‘ generate ’ music randomly from a number of pre-composed options. These games became quite popular in Western Europe during the eighteenth century. The earliest example is Johann Philipp Kirnberger ’ s Der allezeit fertige Polonoisen- und Menuettencomponist (1767). 15 It also interested Mozart, whose own Musikalisches Würfelspiel, the most celebrated version of the game, was published posthumously in 1792. The Arca also anticipates some of the computer compositional techniques of the twentieth century, for example the ‘ chance music ’ of John Cage (1912 - 1992). The Arca is a box containing a set of wooden rods or slats (tariffa in Kircher ’ s terminology). Each slat contains a set of numbers, which correspond to notes in a scale or mode, as well as an assortment of rhythmic options for those notes. In addition, there are different sets of slats containing musical phrases expressed in a variety of classical poetic meters. Some of the rods can create first-species counterpoint, the simplest form, in which the various voice parts move homophonically, while others can create second, third, fourth and 12 Fastl, Christian: Zoller, Brüder? , in: Österreichisches Musiklexikon online, https: / / dx.doi. org/ 10.1553/ 0x00223d8e (accessed 14.10.2017). 13 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F25. 14 Kircher 1650, vol. 2, 184 - 185. Cf. Fletcher 1982. 15 A modern edition of the treatise has been edited by Hubert Kupper, cf. Kirnberger 1994. The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 181 <?page no="182"?> fifth-species counterpoint, each of which is increasingly elaborate. Fifthspecies, referred to by Kircher as the ‘ florid style ’ , combines all the other species, and in it all the voice parts move independently. This assumption about the composition of the contrapunto being due to the arca is reinforced by the reference to Kircher ’ s Musurgia, which appears on the first page of the manuscript: it is preceded by the stage direction Reducto sipario exhibentur captivi, quibus hostes supremum intentant ictum. Intra scaenam auditur cantus in contrapuncto per Musurgiam Kircherianam. ( “ When the small curtain has been drawn aside, the prisoners are shown, who are threatened with the supreme blow by the enemy. Within the stage is heard a song in contrapunto according to Kircher ’ s Musurgia. ” ) The simplicity of the music in two parts only, with much repetition of individual notes and phrases, and with limited harmony and rhythm, and even with a grammatical musical error (there are consecutive octaves between bars 31 and 32) is easily explained by the unusual nature of its composition. The score also contains what appear to be some choreographic directions, no doubt related to the magic lantern display. These are to be found, set out in a detailed manner, in the manuscript at the beginning of the prologue: In aere per lucernam magicam exhibentur duo exercitus confligentes: Galli victores, victi Lombardi. In aere per lucernam eandem exhibetur turba captivorum in vincula coniectorum. Exhibetur per lucernam urbs vel arx flammis ambusta. ( “ In the air by means of the magic lantern are shown two armies fighting: The Gauls, the victors, the Lombards defeated; in the air by means of the same magic lantern is shown a crowd of captives thrown into chains; by means of the magic lantern a city or citadel is shown burnt up by flames. ” ) The music for Agamemnon suimet victor ( “ Agamemnon, conqueror of himself ” ) of 1750 was composed by Leopold Strach von Treyenfeld (1699 - 1755). He was a composer of Bohemian origin, who was employed by the Prince-Bishop of Brixen from 1727 as a bass singer and court composer, being appointed as Vizekapellmeister for both court and cathedral provisionally in 1728, and then in permanently in 1730. 16 The music of the bass part of a chorus from the prologue survives: Quisquis mellifluas cupis illecebras ( “ Whoever you are, who desires honey-sweet enticements ” ). In addition, from Chorus I, the bass part of the chorus Vela pontica tumescent austri ( “ The south winds swell out the Pontic sails ” ) has been preserved. The name Ulysses is notated on the score, as both choruses clearly refer to him and his exploits. 17 16 Fastl, Christian: Strach von Treyenfeld, Leopold, in: Österreichisches Musiklexikon online, https: / / dx.doi.org/ 10.1553/ 0x00223d7f (accessed 14.10.2017). 17 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F20. 182 Robert Forgács <?page no="183"?> The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 183 <?page no="184"?> Adiatorix Ponti et Galatiae rex ( “ Adiatorix, King of Pontus and Galatia ” ) of 1752 had music composed by Franz Joseph Hopfgartner (1714 - 1775), a native of Brixen, and son of the Brixen court trumpeter Andrä Hopfgartner. Franz Joseph Hopfgartner served as cathedral organist at Brixen from 1737 to 1748, and again from 1750 onwards. He was ordained a priest in 1739 and was appointed a prebendary at the cathedral. 18 Only the bass parts of two choruses from Adiatorix survive: a chorus musicus Romanorum (a “ musical chorus of Romans ” ), whose text in German is preserved in the manuscript and begins with the words “ Kayser Auguste ” , and a lively and impressive chorus venatorius ( “ hunting chorus ” ) with Latin text, from the Chorus I of the play: Sonate valles, nemora latrate iuga taurica! ( “ Resound valleys, clamour woods, Crimean ridges! ” ). In addition, it seems that the contrapunto from Sanctus Ingenuinus devised by the Arca musurgia was also used in the work, as a more professionally written out version of it survives together with these two chorus fragments. In this later version of the instrumental piece some of the note values have been halved; it is consequently barred differently, and results in a much more sprightly composition. Furthermore, it is now more appropriately entitled Musical example 3 - Contrapunto from Sanctus Ingenuinus 18 Fastl, Christian: Hopfgartner, Franz Joseph, in: Österreichisches Musiklexikon online, https: / / dx.doi.org/ 10.1553/ 0x00223d55 (accessed 14.10.2017). 184 Robert Forgács <?page no="185"?> saltus ( “ dance ” ) rather than contrapunto, but is in other respects identical. 19 Also, it is notated with the tempo direction andante, whereas the original contrapunto was without any indication of tempo. Perhaps because of the unusual nature of this work, it had gained some fame at Brixen, which justified its reuse in this play. The composer of the music for Constantini hostia ( “ the Sacrifice of Constantine ” ) of 1758 is another unknown figure, the only musical survival being an instrumental piece in binary form, in the key of A major and in 2/ 4 metre, marked andante. It is directed to be performed violino unisono col basso: all the violins playing in unison, supported only by a bass line, and is therefore quite sparse in texture. The piece is elegant in style, with many decorative grace notes, and with the contrasting dynamics of piano and forte indicated at the end of each of its two sections. It is the only example of dynamic markings to be found in any of the surviving music for Resch ’ s plays. It probably comes from the prologue, which was performed by Apollo and the Muses. Musical example 4 - Chorus Sonate valles from Adiatorix 19 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F16. The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 185 <?page no="186"?> Musical example 5 - Instrumental piece Andante from Constantini hostia The prologue to this play explains that the work was written to celebrate the solemn re-consecration of the Cathedral at Brixen, which event is prefigured by the appearance of Apollo and the Muses in the Temple of the goddess Themis. The goddess announces the re-consecration of the templum Brixinense in the concluding musical scena of the prologue, which begins with a recitative, and is then followed by an arioso, and an aria. 20 20 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F15. 186 Robert Forgács <?page no="187"?> Finally, the composer and arranger of the music for Innocentia coronata in Basilio et Constantino ( “ Innocence crowned in Basilius and Constantine ” ) dating from 1761, was the tenor and violinist Vigilio Blasio Faitelli (1710 - 1768). He was employed as Hauskomponist at the Damenstift at Hall in Tirol from 1747 onwards. He composed music for a number of Jesuit Schuldramen, which were performed at Innsbruck and elsewhere. 21 As with most of the works discussed in this paper, the same anomaly occurs with regard to this play. Only the bass parts of two choruses survive: the final chorus of the interlude following Act II, Superatis nunc tyrannis ( “ With the tyrants now overcome ” ), marked with the tempo direction allegro, and the first chorus of the interlude following Act III, Vivat Hipothous! ( “ Long live Hipothous! ” ). 22 However, the most intriguing aspect of the music of this play is the fact that it is a mixture of newly-composed and adapted musical material. One of the choruses referred to above, as well as eleven other items in the play, are identified in the manuscript of the text as being contrafacta: pre-existent musical compositions under which the Latin text in the play is to be substituted for the original Italian text. This technique was standard in the eighteenth century and indeed in preceding centuries, as it was obviously a time-saving procedure, and can be seen in a considerable number of works by such masters as Vivaldi, Handel, Bach and Haydn, as well as numerous other composers. In each instance in this play the text of the relevant Italian aria is given in the margin. These contrafacta are set out below in the order in which they occur in the play, and are identified by the Latin title of each item and the voice or ensemble for which they are scored, together with the Latin marginal note giving the Italian text and page number in the primary source (ad imitationem musicae Italicae): Chori I pars I Aria in canto O somne, quies rerum Pag. 40 Vieni il mio seno Aria in tenore Lallantem lacerabis? Pag. 11 Non commoda Aria in canto Quaeso mater pro filio Pag. 13 Poverina Chori I pars II Aria in basso (adagio) Sta, sol! State, Phoebi rotae! Pag. 30 Star trompette Aria in quattuor Pacta est victoria Pag. 42 Si Signora Omnes quattuor Superatis nunc tyrannis Pag. 45 Bravo, bravo 21 Fastl, Christian: Faitelli, Vigilius Blasius, in: Österreichisches Musiklexikon online, https: / / dx.doi.org/ 10.1553/ 0x00223d41 (accessed 14.10.2017). 22 Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, SEM F19. The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 187 <?page no="188"?> Chori II pars I Aria in basso Filio Phoebus Pag. 52 Ah come Aria in canto Ab Atlantis Titan mari Pag. 22 Una povera Aria in tenore (adagio) Usum clava Peryphetam Pag. 20 Che superbia maledetta Chori II pars II Aria in canto (adagio) Quis tam munera larga accepit? Pag. 36 Alla larga Aria a quattuor Promitto fidum gregem Pag. 50 Porgetemi Omnes quattuor (in choro) Nos tege clementer Pag. 60 Scenda Cupido As can be seen from this list, each of the four musical interludes of the play includes three contrafacta, and these musical borrowings consist of eight arias and four quartets. Since each musical interlude in its entirety contains a mixture of recitatives, arias and ensembles, the amount of borrowed material in each interlude varies, but a recurring pattern is discernible: The first part of the first chorus consists of sixteen items, the second part of the first chorus of four items; the first part of the second chorus contains seven items, and the second part of the second chorus contains again four items. Clearly, the second and fourth interludes are those most dependent on contrafacta, whereas the first and third consist of only a limited amount of borrowed music. None of the recitatives in any interlude is a contrafactum. This is the norm in the musical practice of the eighteenth century, for as the music of recitatives is so closely allied to the speech rhythms of the text, it had to be composed anew for each dramatic context in which it occurred. All of the texts identified by their Italian titles in this play are arias or ensembles from the opera La buona figliuola. The libretto of this opera had been written by Carlo Goldoni c. 1756. The first setting of this text was by the Italian composer Egidio Duni (1708 - 1755); his opera La buona figliuola was premiered at the Teatro Ducale, Parma, on December 26, 1756. Three other productions followed, one of which was held at Torino, in the Teatro Carignano in the autumn of 1758. While Goldoni ’ s librettro survives, the music of the opera seems to have been lost. 23 This opera was also adapted for the French stage after Duni moved to Paris, and was produced there under the title La bonne fille in June, 1761. Similarly, this score appears not to have survived. 24 A further setting of Goldoni ’ s text was made by the Italian 23 Smith, Kent M. / Cook, Elisabeth: Duni, Egidio, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, https: / / doi.org/ 10.1093/ gmo/ 9781561592630.article.08324 (accessed 25.7.2024). 24 Ibid. 188 Robert Forgács <?page no="189"?> composer Salvatore Perillo (1731 - 1793). The premiere of this opera took place at the Teatro Giustinian di S. Moisè, Venice, in the autumn of 1759; it was repeated during the Carnival season in February 1760, with another production being given at the Teatro Grimani de S. Samuele, Venice, in the autumn of 1762. Only one aria from this opera appears to survive, the first aria referred to in the contrafacta used by Faitelli for Resch ’ s play: Vieni al mio sen. 25 It is scored for solo voice and orchestra, is marked Largo, and is in 3/ 8 metre. Its dimensions are quite modest, as it is only thirty-six bars long. The third and most successful setting of Goldoni ’ s libretto was by Niccolò Piccini (1728 - 1800), one of the most celebrated composers of opera buffe of the eighteenth century. His La buona figliuola was premiered at Rome on February 6, 1760. Its success was so great that it eclipsed the earlier settings by Duni and Perillo. 26 As the musicologist Mary Hunter has commented, “ it took Europe by storm: by 1790 it had received more the 70 different productions, appearing in all the major European cities and often for more than one season. The opera was also given as La baronessa riconosciuta, La Cecchina zitella and Cecchina nubile; it was translated and performed in English as The Accomplish ’ d Maid, in French as La bonne fille and in German as Das gute Mädchen. ” 27 Given the extraordinary success of Piccini ’ s opera and its history of adaptation, it is not surprising that numerous scores of the work survive. However, as noted above, the music of only one of the contrafacta from the Faitelli-Resch play survives, the bass part of the chorus Superatis nunc tyrannis which is supposedly based on part of an ensemble in the opera Bravo, bravo. But this bass part does not correspond in any respect to the music for these words in Piccini ’ s opera, and therefore the Piccini version must be ruled out as the musical source for the various contrafacta in the play. It is unclear what the page numbers given in the manuscript of Resch ’ s play refer to, but the score of the music that needs to be consulted would make most sense. Therefore, the logical conclusion is that the score being referred to was the opera by either Duni or Perillo. However, since the music for their settings of Bravo, bravo does not survive, it is not possible to come to any firm conclusion. While this is 25 A copy of this aria made in Venice, probably during the 1760s, is preserved in the Music Library of the University of California, see John A. Emerson 1988, 79. Although the premiere of this opera is often listed in musicological literature as having occurred during the Carnival season in February 1760, cf. Selfridge-Field, 2007, 621, this 1760s copy of the aria notes that the premiere of Perillo ’ s opera occurred in the autumn of 1759 in Venice. 26 Green 1997, 197. See also Hunter 1985. 27 Hunter, Mary: La buona figliuola, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, https: / / doi.org/ 10.1093/ gmo/ 9781561592630.article.O009956 (accessed 25.7.2024). The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 189 <?page no="190"?> disappointing, it is once again emblematic of the fragmentary and enigmatic state in which the music for Resch ’ s plays has survived. Appendix: 1 Iugurtha 2, 5, lines 447 to 451 Sic tibi vaticinor: Cirtae sors prospera, nunquam nubila, sed felix. Non ago praestigiis. Progenies mea! Non Cirtarum moenia tradas, perdita, non victrix sit tua deditio, quadrant sceptra tibi. Non armis immoriendum. The disposition of these lines in the musical setting is: 1. Sic tibi vaticinor: Sors Cirtæ prospera. Numquam nubila, sed felix. Non ago praestigiis. 2. Progenies mea! Non Cirtarum moenia tradas, perdita, non victrix sit tua deditio. 3. Quadrant sceptra tibi. Non armis immoriendum. Quadrant sceptra tibi. Non armis immoriendum. 2 Iugurtha 5, 5, lines 1093 to 1097 Immoriendum armis, non tibi sceptra quadrant. Deditio tua sit victrix, non perdita, tradas moenia Cirtarum, non mea progenies! Praestigiis ago: Non felix, sed nubila, nunquam prospera sors Cirtae. Vaticinor tibi sic. The disposition of these lines in the musical setting is: 1. Immoriendum armis, non tibi sceptra quadrant. Immoriendum armis, non tibi sceptra quadrant. 2. Deditio tua sit victrix, non perdita, tradas moenia Cirtarum, non mea progenies! 3. Praestigiis ago: Non felix, sed nubila, numquam prospera sors Cirtae. Tibi vaticinor sic. 190 Robert Forgács <?page no="191"?> Literature Boberski, Heiner: Das Theater der Benediktiner an der alten Universität Salzburg (1617 - 1778), Vienna 1978 (Theatergeschichte Österreichs, vol. 6/ 1). Devrient, Eduard: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, vol. 1, ed. by Rolf Kabel / Christoph Trilse, Berlin 1967. Emerson, John A.: Catalog of Pre-1900 Vocal Manuscripts in the Music Library, Berkeley 1988. Fastl, Christian: Faitelli, Vigilius Blasius, in: Österreichisches Musiklexikon online, https: / / dx.doi.org/ 10.1553/ 0x00223d41 (accessed 14.10.2017). Fastl, Christian: Hopfgartner, Franz Joseph, in: Österreichisches Musiklexikon online, https: / / dx.doi.org/ 10.1553/ 0x00223d55 (accessed 14.10.2017). 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The Music in the Neo-Latin Plays of Joseph Resch and its context 191 <?page no="193"?> Anmerkungen zur (Schul-)Theatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jahrhundert Manuela Oberst (Beilngries) Erste Anmerkung: Zum Marchtaler Bestand als einem Zeugnis der originellen Theaterkultur der Orden des 17. und 18. Jahrhunderts Die folgenden Ausführungen beziehen sich vor allem auf den sogenannten Marchtaler Bestand, eine in der oberschwäbischen Prämonstratenserreichsabtei Marchtal angelegte neunbändige Sammlung mit Texten zum Ordenstheater, die sich heute unter der Signatur Ma 1367 - 1375 im Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv (FZA) in Regensburg befindet. 1 Sie besteht vorwiegend aus handschriftlichen und gedruckten Dramen, Melodramen oder Singspielen (d. h. Dramen, die nach Art einer Oper oder Operette musikalisch aufgeführt wurden), Kantaten, Schulübungen, Deklamationen, Periochen und Libretti. Die datierten Stücke stammen aus der Zeit zwischen 1657 und 1778. Es finden sich Stücke zahlreicher Orden. Hervorzuheben sind vor allem die jesuitischen Texte (sicher 42; eventuell 13 weitere) aus Innsbruck, München und Augsburg, weiterhin die benediktinischen Dramen (66), die hauptsächlich aus Zwiefalten (sicher 21) und dem zugehörigen Gymnasium in Ehingen (14) stammen, und natürlich die Texte der Prämonstratenser, da die meisten Stücke in Marchtal selbst entstanden und aufgeführt worden sein dürften (ca. 150). Die zahlreichen Dramen des Marchtaler Bestandes bilden einen Querschnitt durch die Theaterkultur der Orden des späten 17. und des 18. Jahrhunderts und geben Zeugnis über die vielfachen Beziehungen der Marchtaler Prämonstratenser zu den Klöstern und Stiften im näheren und ferneren Umkreis, die im Rahmen 1 Diese Sammlung war auch Grundlage meiner Dissertation - Oberst 2010 - , deren wesentliche Ergebnisse zum Schultheater dieser Artikel zusammenfasst. Die Nummern im folgenden Text beziehen sich auf die der Arbeit auf CD-Rom beigefügte Auflistung der in den Marchtaler Bänden enthaltenen Stücke. <?page no="194"?> bestimmter ‚ Pflichtbesuche ‘ , aber auch aufgrund persönlicher Freundschaften einzelner Konventualen gepflegt wurden. 2 Den hohen Stellenwert des Theaters an den oberschwäbischen Klöstern und Stiften zeigt die Tatsache, dass viele einen eigenen Theatersaal besaßen. So gab es z. B. im 1706 fertig gestellten Kollegiengebäude des Gymnasiums in Ehingen einen über zwei Stockwerke laufenden Theatersaal, in den dann wohl auch die Herbstspiele aus Zwiefalten verlagert wurden. 3 Auch für die Prämonstratenserstifte von Marchtal, Schussenried und Weißenau sind solche Theatersäle bezeugt. Aufgrund der zahlreichen Umbauten und Zerstörungen seit der Säkularisation lassen sich über die meisten dieser Theatersäle, über die darin errichteten Bühnen und deren Ausstattung aber heute kaum mehr Aussagen treffen. 4 Zweite Anmerkung: Zur repräsentativen Funktion der Theateraufführungen der oberschwäbischen Klöster und Stifte Das Theater der Orden verfolgte didaktische, seelsorgliche und repräsentative Zwecke. Diese drei Hauptfunktionen lassen sich nicht voneinander trennen, da Aufführungen zu festlichen Anlässen ebenso moralische und religiöse Botschaften vermitteln konnten wie das reguläre Schultheater und sich umgekehrt im Schultheater ebenso repräsentative Aspekte beobachten lassen wie im Festtheater. 5 Im Folgenden richtet sich der Fokus auf das Schultheater, daher soll hier nur eine kurze Bemerkung zur reichhaltigen Fest-Theater-Kultur der oberschwäbischen Prälatenklöster eingeschoben werden: Die Patres nutzten laut Marchtaler Bestand verstärkt seit den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts so gut wie jeden festlichen Anlass, um Kantaten, Melodramen und Singspiele aufzuführen, die dann oft als Applausus musici bezeichnet wurden. Gelegenheiten zum Feiern boten die Translationen von Heiligen, Kirchweihen und Säkularfeiern anlässlich verschiedener Gründungsjubiläen. Häufiger nutzte man Feste, die durch den kirchlichen Jahreslauf und die Biographie der Äbte und Prioren vorgegeben waren (wie Neujahr, Fastnacht, Geburtstag oder - viel häufiger - den Namenstag von Abt und Prior); auch Besuche benachbarter Klostervorsteher und sonstiger vornehmer Gäste wurden nicht nur nach einem 2 Vgl. dazu am Beispiel Sebastian Sailers und seiner Stücke Bißwanger 2022, 186 - 206. 3 Vgl. Frei 1989, 285 - 310. 4 Weiteres zu klostereigenen Theatersälen bei Brossette 2002, 69 - 76. 5 Zur facettenreichen Theaterkulter vor allem des österreichischen Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz in der Barockzeit mit besonderem Augenmerk auf die Faschings- und Fastenzeit vgl. Schachenmayr 2018. 194 Manuela Oberst <?page no="195"?> bestimmten Zeremoniell begangen, sondern mit der Aufführung eines Musikdramas festlich gestaltet. Solche Stücke hatten natürlich zunächst eine unterhaltende Funktion. Darüber hinaus dienten sie der Huldigung und dem Lob des Abtes oder der Besucher und weisen bei näherer Untersuchung immer auch religiöse und moralische Komponenten auf, die speziell auf die Zuschauer zugeschnitten waren. 6 Es handelt sich um Gelegenheitsdichtungen, die für einen konkreten Anlass geschaffen wurden - nur wenige wurden umgearbeitet und wieder verwendet. Gleichzeitig vermitteln die Stücke allgemeingültige Botschaften, die in der katholischen Morallehre verankert waren, und verweisen so auf die belehrende Funktion des Schultheaters. Dritte Anmerkung: Zur Verankerung des klösterlichen Schultheaters in der jesuitischen Didaktik, Pädagogik und Dramentheorie Genuiner Ort des Ordenstheaters war der Rhetorikbzw. der Lateinunterricht. Dabei gelten die Jesuiten als erster Orden der Neuzeit, der das Theaterspiel für seine didaktischen und zugleich pädagogischen Zwecke einsetzte. Das Hauptziel der jesuitischen Bildung, wie es 1599 in der Ratio studiorum zum Ausdruck kommt, war die Steigerung von Liebe und Ehrfurcht gegenüber Gott sowie die Anleitung zu einem tugendhaften und damit gottgefälligen Leben. 7 Das jesuitische Gedankengut und die jesuitische Unterrichtskonzeption wurden durch die begabten Konventualen anderer Orden, die ihr Studium oftmals an jesuitischen Einrichtungen absolviert hatten, in deren Heimatklöster getragen. 8 Ziel des gymnasialen Unterrichts war der perfekte Umgang mit der lateinischen Sprache in Wort und Schrift, weshalb das Lateinisch-Sprechen - auch außerhalb des Unterrichts - für Lehrer und Schüler zur Pflicht gemacht wurde. 9 Zur Förderung der Lateinkompetenz waren unterschiedliche Deklamationsübungen und Theateraufführungen eine didaktische Maßnahme, die sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bei den Jesuiten und gut ein halbes Jahrhundert später auch bei Benediktinern und Prämonstratensern nachweisen lässt. Außerdem sollten die Schüler durch die Vorführung lateinischer Dramen Abwechslung bekommen bzw. Anreiz und Begeisterung erfahren. 10 Sie konnten ihre Fertigkeiten auf schauspielerischem, musikalischem und tänzerischem 6 Vgl. Knedlik 2003, 115 - 139. 7 Vgl. Ratio studiorum, regula praepositi provincialis Nr. 1, in: Pachtler 1887, 235. 8 Vgl. Frei 1986, 129, Schöntag 2003, 39 und 41 - 45. 9 Vgl. Frei 1986, 155. 10 Vgl. Rädle 1979, 176. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 195 <?page no="196"?> Gebiet entfalten 11 und hatten gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Talente vor einem größeren Publikum zur Schau zu stellen. 12 Auch die Leges et statuta des Ehinger Benediktinerlyzeums von 1706 schreiben Deklamationen vor, die einerseits der Repräsentation der Schule dienen und andererseits bei den Schülern einen Nutzen für das Leben haben sollten. 13 Aus diesem Grund hielt man es für wünschenswert, dass solche Vorträge und dramatische Aufführungen häufiger als bisher stattfänden, dann allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um das Kolleg durch den im Anschluss daran üblichen Umtrunk nicht finanziell zu belasten oder den Professoren Unannehmlichkeiten zu bereiten. 14 Daneben konnten in der Schule auch kleinere Dialoge vorgetragen werden, die teilweise von den Schülern selbst ausgearbeitet wurden. 15 Eventuell handelt es sich bei den beiden Werken von 1766 (Nrn. 253 und 254) um solche Schulübungen. Sie wurden für den Marchtaler Konventualen, Moderator der Studierenden und späteren Prior Bruno Sonntag modulis musicis ( „ Zu Musikbegleitung “ ) aufgeführt, wie es Mitte des 18. Jahrhunderts Mode war. Beim zweiten Stück hat sich der Autor verewigt. Es ist ein gewisser Josephus Antonius Weiger, der sich als Poeseos alumnus bezeichnet, also die vorletzte Klasse des Gymnasiums besuchte. Es könnte Aufgabe der Schüler der Poesis gewesen sein, eine Vorlage für eine Kantate oder ein Melodrama für ihren Moderator zu verfassen, in der besagte Allegorien auftreten. In beiden Stücken singen die gleichen Figuren, nämlich die beiden Allegorien Amor filialis ( „ Kindliche Liebe “ ) und Gratitudo ( „ Dankbarkeit “ ). Im ersten Stück bringen sie Bruno Sonntag Namenstagswünsche entgegen und im zweiten Stück versichert Amor ihm seine Liebe und Ergebenheit; die Wünsche folgen anschließend. Explizit ausgewiesene Schulübungen und Deklamationen haben sich im Marchtaler Bestand gemessen an der tatsächlichen Produktion und im Vergleich zu den anderen Werken nur sehr wenige erhalten, nämlich die Nrn. 31, 37, 91 und 186. In Marchtal nutzte man besondere Festtage für solche Übungen. So gab man z. B. die Schulübung Annus aureus veteri meritoque succedens ( „ Goldenes Jahr, das dem alten und verdienstvollen nachfolgt “ , Nr. 31) an Silvester 1732 und gedachte gleichzeitig des Geburtstags von Abt Ulrich (21. Dezember). In neun Szenen, einem Prolog und einem Epilog werden die Besonderheiten der Jahre 1731, 1732 und 1733 hervorgehoben. 11 Vgl. Szarota 1975, 129 - 130. 12 Vgl. O ’ Malley 2000, 70. 13 Leges et statuta, Abschnitt B § IV, 5. 14 Vgl. Leges et statuta, 147. 15 Vgl. Ratio studiorum, regulae professoris Rhetoricae Nr. 19, in: Pachtler 1887, 412 - 413. 196 Manuela Oberst <?page no="197"?> Das Publikum dieser meist am Vormittag stattfindenden Deklamationen bestand hauptsächlich aus den Schülern der anderen Klassen, die Aufführungen konnten aber anlässlich des Besuches eines hohen Gastes auch öffentlichen Charakter annehmen. Im Laufe der Zeit glichen sie sich als „ feierliche Deklamationen “ immer mehr den großen Aufführungen mit Bühnenapparat an. 16 Vom Schulspiel der Grammatikklasse des Luzerner Jesuitengymnasiums am 17. Mai 1759 haben sich im Marchtaler Bestand lediglich die beiden „ Musikalischen Reime “ erhalten (Nr. 186), die in deutscher Sprache abgefasst sind, d. h. die ‚ Schulübung ‘ einzelner Klassen war also auch bei größeren Aufführungen von Tragödien und Komödien mit szenischem Apparat angekommen. Die weitaus aufwendigsten Aufführungen gehören zur ‚ Hauptgattung ‘ des Ordenstheaters, der Tragoedia oder Comoedia finalis bzw. zu den Ludi autumnales ( „ Herbstspielen “ ) am Ende des Schuljahres, bei denen die Schüler einem weit über die eigentliche Schulgemeinde hinausreichenden Publikum demonstrieren konnten, was sie während des Jahres gelernt hatten. Meist folgte die feierliche Prämienverteilung auf die Aufführung oder war in das Stück integriert. 17 Ein Verweis auf das Schuljahresende ist explizit erstmals auf dem Titelblatt der handschriftlichen Perioche zum Stück Fructus multiplex ex arbore vitae ( „ Vielseitige Frucht vom Baum des Lebens “ , Nr. 17) aus Zwiefalten von 1697 gegeben: Es wurde sub autumnalium feriarum initia aufgeführt, d. h. unmittelbar vor Beginn der Herbstferien. Das Argumentum, eine Art Inhaltszusammenfassung, liefert einen Hinweis auf den Tag der Aufführung, nämlich auf das Fest Kreuzerhöhung am 14. September. 18 Den später üblichen Termin in der ersten Septemberwoche dokumentieren erstmals die beiden Periochen aus Weißenau: 1726 wurde am 4. September (Nr. 22), 1727 am 3. September (Nr. 23) gespielt. Der Brauch der Finalkomödie hat sich laut Marchtaler Bestand in den oberschwäbischen Klöstern und Stiften bzw. deren Schulen erst im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts etabliert. In den oberschwäbischen Klöstern und Stiften führte man das Herbstspiel zunächst nur einmal auf, z. B. in Weißenau (Nrn. 22 und 23) oder Marchtal (Nr. 36). Eine Perioche aus Elchingen von 1746 verweist erstmals auf die zweimalige Aufführung, nämlich am 14. und am 15. September (Nr. 71). Im Jahr 1767 spielte man dort am 9. und am 10. September (Nr. 280) und damit 16 Vgl. Pfeiffer 1964, 580 - 581, Boberski 1978, 52. 17 Zur großen Anzahl dieser Herbstspiele im Marchtaler Bestand vgl. die Tabellen 1 und 4 auf der CD-ROM, in Oberst 2010. 18 FZA Ma 1371, 690. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 197 <?page no="198"?> genau eine Woche später als in Ehingen (2. und 4. September: Nr. 275). Die Marchtaler führten ihr Herbstspiel am 1. und am 3. September 1767 (Nr. 274) auf, so dass es keine Überschneidungen und damit auch keinen Konkurrenzkampf in Bezug auf die honorigen Zuschauer gab. Wie der Begriff „ Finalkomödie “ schon zeigt, wurde bei den Ordensdramen nicht immer streng zwischen Tragödie und Komödie unterschieden; außerdem waren Mischgattungen wie Comico-Tragödie und Trag(ic)o-Komödie üblich. Die drei letzten Gattungsbezeichnungen werden bei den Stücken des Marchtaler Bestandes aus dem 18. Jahrhundert aber nur mehr selten verwendet. Bei den Prosadramen ist der Begriff der „ Tragödie “ vorherrschend, 19 das erste als „ Tragödie “ bezeichnete Stück tritt im Marchtaler Bestand übrigens recht spät auf, nämlich 1737 (Nr. 44). Auch für die Marchtaler Überlieferung gilt, dass die (klassische) Dramentheorie nicht immer beachtet wurde, besonders nicht in Bezug auf das tragische Ende. So ist beispielsweise Adrevaldus rex Longobardorum catholicus tragoedia ( „ Adrevaldus, katholischer König der Langobarden “ , Nr. 244) ein Drama mit uneingeschränkt glücklichem Ausgang. Ein Auftritt auf der Theaterbühne schulte nicht nur eine gewisse Sicherheit im Sprechen, sondern auch im Umgang mit anderen. Gerade der Nutzen des Theaters hinsichtlich des späteren öffentlichen Wirkens als Priester oder Beamter wurde angeführt, wenn die Jesuiten ihre Aufführungen gegen kritische Anfragen verteidigten oder um Zuschüsse für die Theateraufführungen baten. Jacobus Pontanus berichtet 1589 in seinen Progymnasmata Latinitatis, wie sehr den Eltern daran gelegen war, dass ihre Söhne durch die Übernahme verschiedener Rollen im Theaterspiel lernten, Körper und Stimme richtig einzusetzen und sich vor nichts zu fürchten. Immer wieder fragten sie bei ihren Kindern nach, ob nicht eine Aufführung stattfinde und welche Rolle ihren Söhnen dabei zukomme. 20 Vierte Anmerkung: Zur Vergabe der Rollen, die sehr komplex war. Die didaktische Funktion der Schuldramen legte es nahe, die Rollen in erster Linie an die Schüler der Gymnasien zu vergeben. Laut Titelblatt der Periochen erfolgte die Aufführung a studiosa juventute, d. h. „ von der allda studierenden Jugend “ , oder a musis Marchtallensis (z. B. Nr. 31) bzw. von den Schülern anderer Klöster, Kollegien und Schulen. Für die großen Aufführungen wurden nicht nur die beiden oberen, sondern auch die unteren Klassen berücksichtigt. Falls also im ersten Schuljahr ein besonders begabter Schüler positiv auf- 19 Vgl. dazu Tabelle 4 auf der CD-ROM. 20 Vgl. Pontanus 1588, 457 - 458; vgl. auch Bauer 1998, 233, Pfeiffer 1964, 538. 198 Manuela Oberst <?page no="199"?> gefallen war, konnte er durch jahrelange, stetige Übung in der Rhetorikklasse ein gewandter Darsteller werden. Im Marchtaler Bestand gibt der Schüler Carolus Josephus Ibl aus Marchtal das Paradebeispiel einer solchen Karriere. Er begann 1764 als Rudimentist mit der Darstellung eines königlichen Prinzen (Nr. 236a), arbeitete sich in den folgenden Jahren kontinuierlich zu den Hauptrollen vor und übernahm 1770, als er bereits Bakkalaureus der Philosophie war, nochmals eine Rolle, und zwar die des Polenkönigs Casimir III., des Vaters des Titelhelden Sanctus Casimirus (Nr. 317a). In jenem Jahr war sein Name auch unter den Personae musicae und unter den Personae interludentes zu finden. Zwei Jahre später hat sich Carl Joseph Ibl - nun war er Kandidat der Philosophie - als Komponist betätigt (Nr. 322). Die Periochen der Abteien verzeichnen seit Beginn der Marchtaler Überlieferung neben den Schülern auch Konventualen als Darsteller, 21 und zwar teilweise auch solche, die das Hausstudium bereits absolviert hatten. Beispielhaft sei dabei auf die im Marchtaler Jubiläumsjahr 1771 aufgeführte Tragödie Hugonis fundatoris nostri Marchvallensis liberatio ( „ Befreiung Hugos, des Gründers unseres Klosters Marchtal “ , Nr. 324) verwiesen. Zwar beinhaltet die zugehörige Perioche diesmal kein Darstellerverzeichnis, die fraglichen Namen finden sich aber zu Beginn des handschriftlichen Textes des Hauptteils: Die schauspielenden Konventualen waren Pater Mauritius, der die Rolle des Böhmenkönigs Vladislaus II. übernahm, Pater Thomas, der Heinrich, den Herzog von Sachsen, spielte, Bruder Johannes Baptist, der die Hauptrolle des Pfalzgrafen Hugo II. gab, und Bruder Ursatius, der die Rolle Welfs VI. übernahm. Die übrigen Darsteller waren Schüler der Klosterschule, die bei dieser Aufführung nicht zum ersten Mal auf der Bühne standen. Ein weiteres Beispiel ergibt ein Vergleich der Perioche der Marchtaler Herbsttragödie Sancius Martyr von 1772 (Nr. 334a) mit den im Vestiarium (Nr. 334c) verzeichneten Mitwirkenden. Denn auch hier wurden die Rollen, deren Darsteller in der Perioche nicht erwähnt sind, von Marchtaler Konventualen verkörpert. In manchen Fällen waren auch Bürger, Priester, Advokaten oder Leute aus dem Volk als Schauspieler an den Aufführungen beteiligt. So fungierten z. B. im Elchinger Drama von 1746 mit dem Titel Felix in fide felicitas ( „ Glückliches Glück im Glauben “ , Nr. 71) als Darsteller und Sänger neben Gymnasiasten und Fratres die Herren Franciscus Antonius Schöffer, Carolus Josephus Bartholomaeus Schindele und Dominicus Sartory, die keiner Klasse zugeordnet waren, also wohl weder Angehörige des Gymnasiums noch des Klosters waren. 21 Vgl. die zu frühen Dramen aufgelisteten Darsteller z. B. zu Nr. 1. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 199 <?page no="200"?> Öfter wurden wichtige Rollen - damit sind nicht unbedingt große Rollen mit viel Text gemeint, sondern eher Rollen wichtiger Persönlichkeiten wie Fürsten usw. - mit Schülern aus adligem Haus besetzt. Dies ist einerseits darin begründet, dass reiche Eltern eher die eventuell anfallenden Kosten für Kostüme tragen konnten, andererseits darin, dass die Söhne Adeliger bisweilen außerhalb der Schule bereits eine Ausbildung durch einen Tanzlehrer genossen hatten und daher eine gewisse schauspielerische und tänzerische Vorbildung hatten. 22 Außerdem verschafften die Orden sich durch die Rollenverteilung an ausgewählte Kinder auch unter den stolzen Vätern Gönner innerhalb der Regierung und Verwaltung. 23 Schüler aus den unteren Klassen kamen meist in den Tanzszenen zum Einsatz, zum Teil wurden auch hier geübte Adelige bevorzugt, wie z. B. 1759 beim Herbstspiel der Piaristen von Kempten, wo vier Freiherren bzw. Barone unter der Anleitung des Tanzmeisters Johannes Dilange eine Choreographie zum Besten gaben (Nr. 189). Die Einzelrollen der Chöre erforderten musikalisches Talent, daher wurden die Hauptarien zuweilen von Kirchensängern oder wie bei der oben genannten Aufführung der Kemptener Piaristen von Musici aulici ( „ Hofmusikern “ ) übernommen. Zuweilen bekamen Personen, die bereits eine oder mehrere andere (Neben-)Rollen innehatten, weitere Statisten- oder Tanzrollen, 24 sodass ein relativ großes Personenaufgebot möglich war. Ein solches benötigte beispielsweise 1758 das Ehinger Gymnasium für sein Herbstspiel Nihil scire, sapere ( „ Nichts zu wissen bedeutet klug zu sein “ , Nr. 181), über den Rücktritt Karls V. Das Aufgeben weltlicher Bindungen und die Konzentration auf Gott allein werden hier als einzig richtige Schritte dahingehend gedeutet, in Ruhe und gut vorbereitet sterben zu können, um so in den Himmel zu kommen. In diesem Stück traten knapp hundert Personen auf. Die meisten Rollen wurden von Studenten und Gymnasiasten übernommen, außerdem spielten ein Baron, praenobiles und einfache Personen, bei denen die Klassenbezeichnung fehlt. Vielleicht waren es (Ehinger) Knaben oder Männer, die noch nicht oder nicht mehr auf das Gymnasium gingen, aber mit einem Schüler verwandt bzw. bekannt waren. Es zeigt sich also, dass bei den meisten Aufführungen zwar hauptsächlich Schüler eingesetzt wurden, dass es die Rollenvergabe im Ordenstheater aber auch erlaubte, verschiedene andere Personen an das Kolleg oder an die Abtei zu binden. 22 Vgl. Rädle 1979, 195; Hänsel 1962, 87 und 264, Anm. 261. 23 Vgl. Pfeiffer 1964, 548. 24 Beispiele dafür finden sich in mehreren Periochen des Marchtaler Bestandes, u. a. in Nr. 159. 200 Manuela Oberst <?page no="201"?> Fünfte Anmerkung: Das Schultheater stand im Kontext von Erziehung, Seelsorge und Verkündigung, hatte also eine glaubens-, moral- und tugenddidaktische Funktion. Als auf der Bühne handelnde Personen waren die Schüler Subjekte, zugleich aber auch Objekte der Handlung. Sie lernten, die dargestellten Verhaltens- und Handlungsweisen moralisch zu beurteilen und daraus für sich selbst Lehren zu ziehen. Das Rollenaufgebot reichte vom mustergültigen, tugendhaften Idealhelden bis zum Mörder und Sünder, vom Bettler bis zum Fürsten. 25 In den Schuldramen wurden nicht nur große Heldenstoffe inszeniert, sondern auch Themen, die die Lebenswirklichkeit der Schüler unmittelbar betrafen. Diese Stücke sollten beispielsweise zu Fleiß anregen und von Untätigkeit abhalten. 26 Im Marchtaler Bestand findet sich ein Drama, das sich mit der Frage auseinander setzt, wie man faule Schüler motivieren und besonders die Söhne reicher Eltern von der Nützlichkeit des Lernens überzeugen kann. Es sind weder der Titel noch das Datum noch der Ort der Aufführung bekannt. Im Stück (Nr. 374a) bekennt der Protagonist Craesillus in einer Art Schlussappell, dass er die Lehre verstanden hat, und ruft dazu auf, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen: Assentior. Mentem priorem corrigo, ictusque tandem sapio. Vos pueri quoque simmiles [sic! ] mihi sapiatis exemplo meo 27 ( „ Ich stimme zu. Ich verbessere die vorherige Meinung und bin endlich klug, nachdem ich getroffen worden bin. Ihr jungen Leute möget hoffentlich durch mein Beispiel mir ähnlich einsichtig sein. “ ). Aber nicht nur die Schüler sollten im Sinne der katholischen Kirche erzogen werden, sondern das religiöse Theater hatte von Anfang an eine seelsorgliche Dimension. Genauso wie die Predigt und die Katechese war das neuzeitliche Ordenstheater dem Hauptzweck der Glaubens-, Moral- und Tugenddidaktik untergeordnet. Es bot aufgrund seiner Eigenart besondere Chancen der Vermittlung des katholischen Glaubens und der Motivation der Zuschauer zu einem christlichen Leben. Von den Inhalten und von der Zielsetzung her lassen sich die Theatervorstellungen der Orden als eine Art Katechese verstehen und als dramatische Predigt. 28 Da das Ordenstheater ein Sondertypus des Schultheaters war, ergibt es sich logischerweise, dass die ursprüngliche Zielgruppe der Vorstellungen die Schulgemeinschaft war, bestehend aus Lehrern, Schülern und deren Eltern, nahestehenden Freunden und Gönnern. Walter Frei geht davon aus, dass z. B. in 25 Vgl. Szarota 1979, 18. 26 Vgl. Valentin 1990, 82 und 89 - 90. 27 FZA Ma 1367, 414. 28 Vgl. Oberst 2010, 207 - 210. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 201 <?page no="202"?> Marchtal „ die ganze ‚ Schulgemeinde ‘ (Konvent, Beamte und Honoratioren, Lehrer und Schüler, Eltern und Angehörige, Freunde des Klosters) mit dem Abt an der Spitze “ 29 den Vorstellungen beiwohnte. Als Gäste der Schussenrieder „ Ends-Comödie “ kamen zur Regierungszeit von Abt Magnus Kleber (1750 - 1756) die Eltern der Schüler und Novizen, Besucher der umliegenden Gotteshäuser und Herrensitze. 30 Von der Weißenauer Jubelfeier 1783 ist bekannt, dass sich sowohl hohe, als auch niedere Gäste einfanden, denen das Stift mit einem Theaterstück aufwarten wollte. Zu den damaligen Vorstellungen kamen dann jedoch jedes Mal mehr Zuschauer, und zwar utriusque sexus et omnis conditionis ( „ beiderlei Geschlechts und jeden Standes “ ), sodass bei der letzten Aufführung „ nur mit vielem Gewalt [ … ] die vornemmeren Gäste auf die Logie hinaufdringen “ konnten. 31 Das Publikum war also hinsichtlich seines sozialen Status ’ und seiner Bildung durch eine große Uneinheitlichkeit gekennzeichnet, was im Rahmen von Seelsorge und Verkündigung sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung bedeutete. Sechste Anmerkung: Die Sprache des Ordenstheaters als Schultheater musste Latein sein, obwohl nicht alle Zuschauer des Lateinischen mächtig waren. Die Ausbildung in den drei heiligen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch und in der Beredsamkeit nahm im frühneuzeitlichen Schulsystem und insbesondere an den Jesuitengymnasien einen wichtigen Stellenwert ein, 32 zumal (altsprachliche) literarisch-rhetorische bzw. kulturelle Bildung den Jesuiten zufolge nicht nur einen praktischen Nutzen habe, sondern sich auch auf die ethische Verantwortlichkeit des Einzelnen auswirke. 33 Latein war nicht nur Wissenschafts- und Rechtssprache der Zeit, sondern auch die identitätsbildende Sprache der römisch-katholischen Kirche. Von den Klöstern und Stiften wurde Latein als Standessprache bewahrt. Daher musste man - auch in Abgrenzung zu den Reformatoren - daran festhalten. 34 So blieb bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Latein die Sprache des Ordenstheaters, obwohl es von Anfang an Aufführungen mit volkssprachlichen Passagen und gelegentlich sogar ganze Spiele in der Landessprache gab. 35 Im 18. Jahrhundert 29 Frei 1994, 10. 30 Vgl. Kaufmann 1985, unpaginiert. 31 Vgl. Unold 1783, 115, 121 und 126. 32 Vgl. Bauer 1986, 50 - 65. 33 Vgl. Funiok / Schöndorf 2000, 12. 34 Vgl. Smolinsky 1998, 185. 35 Vgl. O ’ Malley 2000, 72. 202 Manuela Oberst <?page no="203"?> scheint die deutsche Sprache schließlich häufiger verwendet worden zu sein. 36 Außerdem gibt es einige wenige Hinweise darauf, dass eine der beiden Aufführungen des Herbstspiels in deutscher Sprache stattfand. So haben beispielsweise die Villinger Franziskaner auf ihren Periochen zur Irene von 1710 und zum Schauspiel Victoriosa Austria von 1718 eigens vermerkt, dass zum ersten Termin deutsch, zum zweiten lateinisch gespielt wurde. 1750 war es umgekehrt. 37 Insgesamt blieb aber angesichts des heterogenen Publikums und der lateinischen Sprache „ das Problem, gerade die über das Optische und vordergründig Handlungsmäßige hinausgehende Sinnsubstanz weiterzugeben “ , 38 eine große Herausforderung. Siebte Anmerkung: Die Ordensdramatiker bedienten sich verschiedenster Mittel, um die lateinischen Stücke einem breiten Publikum verständlich zu machen. Um die aus der Sprachbarriere resultierenden Verständnisprobleme zu verringern, wurde die Aufführung bereits bekannter oder leicht verständlicher Fabeln bevorzugt, da man einen „ gewissen einheitlichen Grundbestand religiöser Kenntnisse und Vorstellungen “ voraussetzen konnte. 39 Eine große Hilfe für die Zuschauer, die kein Latein konnten, stellten die Periochen dar. 40 Diese volks- oder zweisprachigen Programmhefte dienten nicht nur als Einladung, sondern auch dazu, dass man sich mit dem Gang der Handlung und dem Inhalt der Reden bzw. der musikalischen Teile vertraut machen konnte. Allerdings dürften nicht alle Zuschauer diese Periochen erhalten haben. 41 Die Auflagen der Abteien waren niedriger als die der Jesuiten, so orderten die Ochsenhausener Benediktiner beispielsweise 1758 250, 1764 nur noch 200 Periochenexemplare. 42 Wichtige Faktoren zur Verdeutlichung des Geschehens waren außerdem die außersprachlichen Mittel der multimedialen Inszenierung: Durch den Einsatz spezieller Effekte, eindeutiger Allegorien und Symbole, Kostüme und Dekorationen konnten die Aussagen so visualisiert und verdeutlicht werden, dass das lateinunkundige Publikum sie ohne direktes Verständnis des Textes zu einem gewissen Grad begreifen konnte. Die multimedialen Elemente dienten 36 Vgl. Szarota 1979, 88 - 89. 37 Vgl. Oberst 2013, 49. 38 Wimmer 1982, 22. 39 Vgl. Rädle 1988, 144. 40 Vgl. Kindermann 1967, 465. 41 Vgl. Hänsel 1962, 44 - 46, 54 - 61, 66 - 68, 71 - 78 und 89 - 90. 42 Vgl. Kantner / Ladenburger 1994, 411. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 203 <?page no="204"?> nicht nur der besseren Verständlichkeit, sondern wurden auch im Sinne der Affekttheorie dazu eingesetzt, dass die eine katholische Wahrheit im Zusammenspiel aller Künste und für alle Sinne erfahrbar gemacht wurde. 43 Abgesehen davon machten komische Szenen die Theaterstücke für die breite Masse attraktiv und sicherten die anhaltende Aufmerksamkeit des Publikums. 44 Auch der Aufbau der Dramen in mehreren Ebenen, vor allem die in den Chören präsentierte, oft allegorische Parallelhandlung stand im Dienst der besseren Verständlichkeit. Die im Marchtaler Bestand erhaltenen Stücke machen deutlich, dass der Aufbau von Kloster zu Kloster, von Aufführung zu Aufführung unterschiedlich war. 45 Allerdings lässt sich der Verlauf der Handlung im Regelfall in vier Teile gliedern, die sich auf drei bis fünf Akte, selten weniger oder mehr verteilen können. Die Dramen des Marchtaler Bestandes weisen meist zwischen fünf und zehn, selten weniger als fünf und mehr als zwölf Szenen pro Akt auf. Öfter fällt die Akteinteilung mit dem Aufbau der dramatischen Fabel zusammen, so dass das Drama vier Akte umfasst: Protasis, Epitasis, Katastasis und Katastrophe. Das Drama konnte durch Episoden (Einschiebsel) erweitert werden, die laut Langs Dramentheorie eine Möglichkeit bieten sollten, sich von der ernsten Fabel zu erholen, zugleich aber Anspannung erzeugen und nicht vom eigentlichen Ziel des Stückes ablenken sollten. 46 Eine Ausformung dieser Episoden stellen die Intermedien bzw. Interludien 47 dar. Diese so genannten Scenae intercalares, Intermedien oder Interludien, sind in oder zwischen die einzelnen Akte eingeschoben. Sie treten im Marchtaler Bestand eher als Zwischenspiele mit Text auf. Oft handeln für Intercalarszenen typische Personen wie Bauern und Diener. Seit 1729 (Marchtal: Nr. 28), dann wieder 1753 (Weingarten: Nr. 127) usw. finden sich im Marchtaler Bestand Intermedien bzw. Interludien oder Episodien zwischen den einzelnen Akten. Ein Lusus intercalaris mit drei Szenen, in dem „ Hans-wurst “ die Hauptrolle spielt, hat sich im Volltext erhalten (Nr. 387, undatiert). Ein Exercitus militaris in zwei Teilen findet sich als Interludium in Nr. 389 nach dem ersten und nach dem dritten Akt. Meist bestehen die Intermedien aus zwei zusammengehörenden Szenen, die nach zwei verschiedenen Akten aufgeführt werden. Ein Beispiel ist das zweiaktige Interludium zum Stück Sanctus Casimirus regius Poloniae princeps deliberans ( „ Casimir, königlicher Prinz von 43 Vgl. Rädle 1988, 144; Krump 2000b, 938. 44 Vgl. Bauer 1994, 318 - 320. Die Figur eines intriganten Dieners findet sich beispielsweise im Drama Bücher und Gesellen (Nr. 387). 45 Vgl. die Tabellen 1 und 2 auf der CD-ROM. 46 Vgl. Lang 1727, 224 - 227. 47 Vgl. Hänsel 1962, 82. 204 Manuela Oberst <?page no="205"?> Polen, der überlegt “ , Nr. 317) aus Marchtal. Es ist deswegen erwähnenswert, weil es einerseits aus dem Jahr 1770 und damit aus einer sehr späten Phase des Ordenstheaters stammt, in der die Interludien eher seltener werden, und zweitens werden darin philosophische und physikalische Elemente vermischt. Der erste Teil ist mit „ Der elektrisierte Aristoteles “ , der zweite Teil mit „ Aristoteles kömmt in der Luftpompe schier ums Leben “ überschrieben. Das ausführliche Darstellerverzeichnis zeigt, dass das Interludium außerdem allegorisch gestaltet war, denn die auftretenden, zum Teil mythologischen Figuren verweisen auf andere Personen: Aristoteles ist Aristoteles, jedoch stehen Ecclecticus für Luft in Gestalt des Jupiter, Cartesius für Wasser in Gestalt des Neptun, Gassendus für Erde in Gestalt des Saturn und Newtonus für Feuer in der Gestalt des Vulcanus. 48 Die antiken Götter stehen also für bestimmte Grundelemente und diese wiederum für bestimmte Philosophen und Naturwissenschaftler. In Gestalt dieses Stücks spiegelt sich auch auf dem Theater das wachsende Interesse für naturwissenschaftliche und physikalische Phänomene, das sich sonst in der Anschaffung verschiedenster Sammlungen und Armarien bemerkbar machte. 49 Neben den Zwischenspielen wurden Elemente wie Prolog, Epilog und Chöre hauptsächlich aus didaktischen, pädagogischen und psychologischen Überlegungen in den Dramen eingesetzt. 50 Spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden der Prolog, der teilweise auch Prolusio genannt wird, und nicht selten auch der Epilog nach Opernart gesungen. Ähnlich verhielt es sich mit der Entwicklung der Chöre: Bis 1683 hatten sie ihren Platz als eine Art Schlusschor am Ende der Akte, zählten aber noch zum Akt selbst, und der Text war nicht auf mehrere Sänger verteilt (Nr. 11). Dagegen finden sich im Marchtaler Drama Metamorphosis ignominosa et gloriosa ( „ Schändliche und ruhmvolle Veränderung “ , Nr. 12) aus dem Jahr 1685 beide Möglichkeiten: ein Chor mit verteilten Rollen zwischen dem ersten und dem zweiten Akt und Chöre, die nicht auf mehrere Rollen verteilt sind, nach dem zweiten und dem dritten Akt. Von da an bestehen die Chöre zwischen den Akten immer aus opernartigen Szenen, die erstmals 1685 im Marchtaler Drama Structura sacra ( „ Heiliges Bauwerk “ , Nr. 13) in Form einer allegorischen Handlung lose miteinander verbunden sind. Für die Zeit ab 1691 kann man im Marchtaler Bestand von einer zweiteiligen zusammengehörenden Chorhandlung sprechen, was nicht 48 FZA Ma 1374, 541. 49 Zu Marchtal vgl. Schöntag 2003, 46: Der Stundenplan sah ab 1766 auch die Experimental- Naturlehre vor. Dabei kam eine Maschine (antlia pneumatica) zum Einsatz, die die Durchführung naturwissenschaftlicher Experimente ermöglichte. Zu Elchingen, Neresheim, Ochsenhausen usw. vgl. Maier 2003, 230 - 231. 50 Vgl. Krump 2000a, Bd. 1, 17. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 205 <?page no="206"?> heißen soll, dass es nicht auch Fälle gibt, die in Chor I und II unterschiedliche Stoffe behandeln. 51 Im Prolog, in den Chören und im Epilog wird häufig eine zur Haupthandlung des gesprochenen Dramas parallele, manchmal auch allegorische Handlung dargestellt. Letztere bezieht sich hinsichtlich der Aussageabsicht eng auf das Thema des Hauptdramas. Wenn die barocken Dramen mit einem Epilog enden, verweist dieser noch einmal auf das Thema oder nimmt Bezug zum Anlass der Aufführung. Dabei treten häufig Allegorien auf, die die Honoratioren preisen oder bestimmte Tugenden besonders hervorheben. Obwohl Gestalt und Funktion der Partien eines barocken Stückes recht klar umrissen sind, scheitern Versuche, den typischen Aufbau eines Ordensdramas des 18. Jahrhunderts herausarbeiten zu wollen. Die Anzahl der Akte reicht vom Einakter (etwa Nrn. 31, 61, 73, 74, 260, 371 und 372), z. B. bei Schulübungen, über Zweiakter bis zum Fünfakter. Schussenried und Ochsenhausen beschränkten sich - dem Marchtaler Bestand zufolge - durchgängig auf drei Akte (meist Prolog, 1. Akt, Chor I, 2. Akt, Chor II, 3. Akt, seltener mit Epilog). 52 Feststellen lässt sich allerdings seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Tendenz zum Verzicht auf Zwischenspiele und die Bevorzugung eines Aufbaus mit drei Akten, die sich nur mehr innerhalb einer Bühnendekoration abspielen. Die multimediale Gestaltung war einer der Hauptgründe für Kritik am Schultheater, das schließlich anderen didaktischen Methoden weichen musste. 53 Achte Anmerkung: Die erzieherische und seelsorgliche Funktion zeigt sich anhand der Vielzahl von Stoffen und Motiven des Ordenstheaters. Zunächst ist festzuhalten, dass jeder Stoff, sei er aus der Biographie weltlicher Herrscher, der Geschichte der Kirche oder explizit religiös belehrend ausgewiesen, dazu herangezogen wurde, die Grundwahrheiten der katholischen Weltanschauung und der christlichen Sittenlehre zu vermitteln. Oft wird die Lehre schon im Titel des Stückes genannt, so zeigten z. B. 1771 die Benediktiner zu Ehingen den Sturz des Abermuth in einem Trauerspiel (Nr. 325), das im neuzeitlichen Japan spielt, und 1772 die Siegende Geduld in einem Trauerspiel zu Zeiten des mittelalterlichen Ungarn (Nr. 335). Wenn den Helden eines Dramas eine Strafe ereilt oder wenn ihn ein schlimmes Unglück trifft, dann steht dies 51 Vgl. die Tabellen 1 bis 3 im Anhang auf der CD-ROM. 52 Vgl. die Nrn. 130, 137, 148, 159, 183 und 191 (Schussenried) sowie die Nrn. 43, 72, 315 und 355 (Ochsenhausen). 53 Siehe dazu hier Anmerkung 10. 206 Manuela Oberst <?page no="207"?> den Patres zufolge immer in einem Kausalzusammenhang mit einer Schuld, die der Held durch eine unrechte Handlung, Entscheidung oder falsche Grundhaltung auf sich geladen hat. Denn als Moral einer jeden Geschichte kam zum Ausdruck: Ein lasterhaftes, sündiges Leben wird letztlich von Gott bestraft. Das Einhalten bestimmter Tugenden dagegen wird von ihm belohnt. 54 Mit der Wahl der Stoffe und der Aussageabsicht der Stücke wandten sich die Patres oft gegen negative Zeiterscheinungen oder versuchten positiv, die Darsteller und Zuschauer zu bestimmten Handlungen zu motivieren, welche aufgrund des zeithistorischen Kontextes, der gesellschaftlich-politischen und ideologischen Konstellationen geboten schienen. 55 Eine der Hauptgefahren, die im Ordenstheater immer wieder Thema ist, ist die vanitas ( „ Vergänglichkeit “ ) der Welt und des Lebens, unter der diejenigen zu leiden haben, die sich zu sehr auf weltliche Dinge einlassen. Die Menschen sollten erkennen, wie begrenzt das Leben ist, wie vergänglich Glück und Ruhm bzw. alle irdischen Dinge sind. 56 Schon im ältesten Marchtaler Drama von 1657, Umbra vitae ( „ Schatten des Lebens “ , Nr. 1), wird am Beispiel des Todes Sultan Saladins (1137/ 38 - 1193) in Damaskus auf diese Vergänglichkeit alles Irdischen aufmerksam gemacht. Und noch 1778 geben die Ochsenhausener Benediktiner in der Tragödie Sortis vices ( „ Die Wechselfälle des Schicksals “ , Nr. 355) anhand einer historischen Begebenheit zur Regierungszeit König Karls II. von England (1660 - 1685) einen Beweis für die Wechselfälle des wankenden Glücks: Sie zeigen, wie der Markgraf von Argyle durch seine Neider verleumdet wird, die Gunst des Königs verliert und schließlich enthauptet wird. Der König erkennt die Unschuld seines Gefolgsmannes zu spät. Als Ausweg aus der vanitas der Welt bzw. als Schutz davor galten fromme Weltverachtung und Gottesliebe, die ihren Höhepunkt in einem Eintritt ins Kloster finden sollten. Seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts sollte man diese Entscheidung für ein Klosterleben aber nicht mehr so sehr aus Angst vor den Wechselfällen der Welt fällen, sondern vielmehr aus Überzeugung für die Sache Gottes. 57 In den Dramen wird vor der Falschheit der Welt sowie vor List und Machtgier (Nrn. 23 und 28) und vor falscher Hoffnung auf die Gunst bestimmter Menschen gewarnt, letzteres von den Ehinger Benediktinern zwei Jahre in Folge, 1760 und 1761 (Nrn. 200 und 207). Ebenso veranschaulichten die Patres die schlimmen Folgen übertriebener Liebe zu den Kindern (Nr. 225) bzw. forderten strenge Kinderzucht (Nrn. 72). Dagegen wurden Bruderliebe (Nr. 36) 54 Vgl. Szarota 1976, 119 - 122. 55 Eine solche ‚ Periodisierung ‘ von Zeitgeschichte und Stoffwahl gibt für das Jesuitentheater Szarota 1979, 57 - 89. 56 Vgl. Kindermann 1967, 13 - 14 und 17. 57 Vgl. Oberst 2010, 222 - 225 und 250 - 259. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 207 <?page no="208"?> und Mutterliebe (Nrn. 148 und 224) auf den Ordensbühnen positiv hervorgehoben. Glaubensabfall und Christenverfolgung (Nr. 137), gottloses Handeln (Nr. 205) und Missachtung der wahren Religion (Nr. 307) und deren negative Folgen wurden zwischen 1754 und 1766 wohl als Antwort auf glaubens- und kirchenfeindliche Tendenzen der Aufklärung thematisiert. Umgekehrt wurden der Einsatz für den wahren Glauben und die Standhaftigkeit im Glauben zwischen 1738 und 1769 besonders hervorgehoben (Nrn. 71 und 308). Das Elchinger Herbstspiel von 1746 mit dem Titel Felix in fide felicitas ( „ Glückliches Glück im Glauben “ , Nr. 71) zeigt historisch nicht ganz richtig, wie der japanische Prinz Chicatora an seinem Glauben standhaft festhält und dafür belohnt wird, als der König ihn adoptiert. Seit dem Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts und noch bis 1771 wurden verstärkt das Streben nach Ämtern und Ruhm (ambitio) und Hochmut (superbia) angeprangert. Diese negativen Haltungen konnten in den Dramen mit Rücksichtslosigkeit und Ungerechtigkeit z. B. gegenüber Armen gepaart sein. Am Ende wurde stets der Fall des Antihelden vorgeführt (Nrn. 32, 43, 130, 199, 236, 261, 275 und 325). Es liegt nahe, dass diese Themenwahl in Zusammenhang mit dem Polnischen Thronfolgekrieg (1733 - 1735), dem Österreichischen Erbfolgekrieg (1740 - 1748) und dem Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) steht. So wurde dann auch seit 1747 die Tugend der Vaterlandsliebe hervorgehoben (Nrn. 104 und 256). Bestraft wurden auf den oberschwäbischen Ordensbühnen Wortbruch (Nr. 43), Tyrannen und unrechtmäßige Herrscher (Nrn. 52 und 307), belohnt dagegen Eidestreue (Nr. 316). Auch die Tugend der Milde (clementia), die mit Selbstüberwindung und dem Verzicht auf Rache verbunden sein konnte, wurde häufiger dramatisiert (Nrn. 36 und 296). Diese Tugenden und Laster wurden bei den Herbstspielen der Marchtaler Sammlung häufig anhand historischer Stoffe illustriert. Das hängt damit zusammen, dass die Überlieferung größtenteils aus einer Zeit stammt, in der sich die Patres - für die Jesuiten allgemein nachgewiesen - in ihren Dramen unter dem Einfluss der Aufklärung verstärkt historisch-politischen Stoffen zuwandten. 58 Ein solches kirchen- und profanhistorisches Stück inszenierten die Marchtaler Patres 1771, im Jahr, in dem sie das 600-jährige Bestehen ihrer 58 Die Jesuiten griffen seit Beginn des 18. Jahrhunderts vermehrt welthistorische Themen auf, und zwar nicht mehr nur aus der spätrömischen oder byzantinischen Geschichte, sondern auch aus dem Mittelalter oder der Zeitgeschichte. In der letzten Periode von Szarotas Einteilung (1730 bis 1773) thematisierten die Dramen ein neues staatsmännisches Ideal, das zum großen Teil antike weltliche Staatsmänner und Oberfeldherren zum Vorbild hatte. Vgl. Szarota 1974, 174 - 177. 208 Manuela Oberst <?page no="209"?> Abtei begingen. Dem Jubiläumsjahr entsprechend behandelt das Theaterstück Hugonis fundatoris nostri Marchvallensis liberatio ( „ Befreiung Hugos, des Gründers unseres Klosters Marchtal “ ) die Umstände der Stiftung der Prämonstratenserniederlassung am 1. Mai 1171 durch Pfalzgraf Hugo II. von Tübingen (1152 - 1182) und dessen Frau Elisabeth (Nr. 324). Der Verfasser kompilierte aus einer Reihe vorhandener Quellen eine mehr oder weniger historische Fabel. Diese baute er durch erfundene Handlungsstränge und Dialoge zu einem Dramentext aus, ohne Wert auf historische Genauigkeit zu legen. Die historischen Stoffe hatten keinen Eigenwert, sondern waren nur dazu da, die theologischen und moralischen Inhalte glaubwürdiger erscheinen zu lassen. 59 In den Ordensdramen wird Geschichte immer als Heilsgeschichte gedeutet, d. h. die historischen Tatsachen werden als Verwirklichung des göttlichen Heilsplans gesehen, was häufig darin zum Ausdruck kommt, dass die Göttliche Vorsehung (Providentia divina) auftritt und Einfluss auf den Ausgang des Geschehens nimmt. Im Marchtaler Herbstspiel von 1762 Conradinus dux Sueviae ultimus tragoedia ( „ Conradin, letzter Herzog Schwabens, eine Tragödie “ , Nr. 215) verdeutlichen Prolog und Chöre, dass sie es ist, die den Untergang des schwäbischen Herzogs Conradin (hingerichtet 1268) herbeiführt. 60 Die laut Marchtaler Bestand in Klöstern und Stiften bzw. deren Schulen dramatisierten historischen oder teilweise legendarischen Stoffe mit historischem Hintergrund erstrecken sich über die griechische Antike, z. B. Alexander der Große (356 - 323 v. Chr.) (Nr. 16), und die römische Antike, z. B. die Geschichte der Brüder Amorithas und Dijetotus zur Zeit des Kaisers Augustus (Nr. 36 und Nr. 52), Publius Scipio Africanus maior (um 235 - 183 v. Chr.) (Nr. 104) und Gaius Julius Cäsar (100 - 44 v. Chr.) (Nr. 388). Die Dramen behandeln den alten Orient am Beispiel des Mederkönigs Astyages, des Großvaters von Kyros dem Großen (um 559 - 529) (Nr. 274), oströmische Geschichte am Beispiel des Kaisers Leo Armenius (reg. 813 - 820) (Nr. 53), des als gottlos bezeichneten Kaisers Nikephorus (reg. 802 - 811) (Nr. 261) und des Unglücks des Kaisers Mauritius (582 - 602) (Nr. 356). Die Langobarden kommen mit Adrevaldus und Theolinda (um 570/ 575 - 627/ 628) auf die Bühne (Nr. 244). Spanien wird während der Regierungszeit des letzten westgotischen Königs Rodericus (710 - 711) (Nr. 307) und das mittelalterliche Spanien am Beispiel des Alphons von Kastilien (1072 - 1109) (Nr. 32) thematisiert. Streiflichter aus der 59 Vgl. Braak 1975, 134. 60 Prolog: „ Das Spiel Goettlicher Vorsichtigkeit, durch welches Schwaben der Cron und des Hauptes von Frankreich beraubet wird. “ Chor I: „ Das Spiel Goettlicher Vorsichtigkeit wird fortgesetzet, da diese Teuschland zum Triumph ihres Conradins aufmunteret. “ Chor II: „ Teuschland wird durch zerschiedene [sic] Zeichen von dem Untergang des Conradins von der Goettlichen Vorsichtigkeit unterrichtet. “ (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 209 <?page no="210"?> Geschichte des Heiligen Römischen Reiches werden anhand des schwäbischen Herzogs Conradin (Nr. 215) und Kaiser Karls V. (1519 - 1556) (Nr. 181 und Nr. 263) auf die Bühne gebracht. In Ungarn spielt das Schicksal des zweiten Königs von Ungarn Peter Orseolo (reg. 1038 - 1041 und 1044 - 1046) (Nr. 335). Mit den Türken setzten sich die Patres anhand von Stoffen aus der Zeit der Kreuzzüge (Nrn. 1 und 308), aber auch am Beispiel der wunderbaren Rettung Scanderbegs (Nr. 92) und der zeitgenössischen Türkensiege Ende des 17. Jahrhunderts auseinander (Nrn. 11, 13 und 14). Des Weiteren werden Episoden aus der mittelalterlichen Geschichte Flanderns (Nr. 72), der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte Frankreichs (Nrn. 183, 200 und 316), Englands und Schottlands (Nrn. 297, 225, 298 und 355), u. a. auch die Person Maria Stuarts (1542 - 1587) (Nr. 298), des neuzeitlichen Spaniens (Nrn. 130, 137 und 260), Portugals (Nrn. 199 und 340), der Wallachei (Nr. 296), Persiens (Nr. 207), Indiens (Nr. 188) und Japans (Nrn. 71, 205, 236 und 325) dramatisiert. So machten die Patres durch die große Fülle historischer Stoffe deutlich, dass ihre Lehre zu allen Zeiten und auf dem gesamten Erdkreis Gültigkeit besitzt. 61 Auch regionale Geschichte inspirierte die Marchtaler Dramen. Als Beispiel sei hier zunächst auf die Tragödia / Fridolinus der Feldkircher Jesuiten von 1729 (Nr. 377) verwiesen. Sie verbindet historische Begebenheiten mit einem Wunderbericht über den heiligen Fridolin. Dieser zitiert im Rechtsstreit um die Säckinger Besitzungen im Glarner Land Urs, dem sich die Stiftung der Güter verdankt, aus dem Grab und vor das Landgericht in Rankweil. Dort wird Graf Landolph, der Bruder des Verstorbenen, der die Schenkung nicht akzeptieren wollte, so sehr eines Besseren belehrt, dass er schließlich sogar sein eigenes Erbteil dem Kloster Säckingen überlässt. 62 Im Vergleich zu den historischen Stoffen ist das Repertoire der im Marchtaler Bestand vertretenen Heiligen und Eremiten, die sowohl aus der Kirchenväterzeit als auch aus dem Mittelalter und der Neuzeit stammen, nicht sehr groß. Dennoch begegnen auch hier einige der heiligen Gestalten, die besonders von den Jesuitenbühnen des 17. und 18. Jahrhunderts bekannt waren, 63 wie der heilige Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (um 650 - um 750), den 1772 die Zisterzienser von Salem am Ende ihres Schuljahres auf ungewöhnliche Weise in einem Drama musicum im Zusammenhang mit einem Marienmirakel auf die Bühne brachten (Nr. 336). Der heilige Casimir (1458 - 1484), der Erbprinz von Polen, statuierte ein positives Exempel für 61 Vgl. Hänsel 1962, 58. 62 Vgl. dazu Pörnbacher / Pörnbacher 2021, die das im Marchtaler Bestand tradierte Drama und seine Darsteller im Rahmen einer Edition von Prolog, Exhibitio und Chöre lokalisieren, datieren und näher untersuchen. 63 Vgl. Szarota 1983, 1193 - 1456 und 2211 - 2252. 210 Manuela Oberst <?page no="211"?> eheliche Enthaltsamkeit. Diesmal waren es die Marchtaler Patres, die 1770 im Drama Sanctus Casimirus regius Poloniae princeps deliberans ( „ Casimir, königlicher Prinz von Polen, der abwägt “ , Nr. 317) einen recht seltenen Stoff auf die Bühne brachten. 64 Sie wollten damit Casimir der „ heutigen Tages in ihrer Standeswahl so leichtsinnig sich entschliessende[n] Jugend als ein sonderbares Beyspiel “ 65 vorstellen. Die Vorbildfunktion war umso ergreifender, als ein erstgeborener Königssohn freiwillig die Keuschheit wählt und damit auf Nachfolger und auf den Fortbestand seines Geschlechts verzichtet. Vorbildlich verhält sich auch Falco, ein junger Byzantiner (Nrn. 10 und 344), dessen Schicksal die Marchtaler Patres 1677 und 1774 dramatisierten. Die Treue zu seinem Schutzengel ist so groß, dass Falco, nachdem er einen Menschen während eines Streites getötet hat, der Wahrheit großmütig zum Sieg verhilft und sich damit selbst an das Messer des Scharfrichters ausliefert. Die beiden Dramen zeigen, wie die Wahrheitsliebe belohnt wird - Falco wird durch Eingreifen des Schutzengels vor dem Tod bewahrt - , aber auch, wie sich die fromme Dankbarkeit Falcos äußert. Er kehrt nicht zu seinem vorherigen Leben zurück, sondern bekehrt sich zu einem Leben im Kloster. Im selben Jahr (1774) wie die Marchtaler brachten die Roggenburger Prämonstratenser die Bekehrung des jungen Acanthus (Nr. 346) auf die Bühne, der ähnlich wie Falco von seinem Schutzgeist treue Unterstützung erfährt. Das Drama Der getreue Schutz-Geist wird als Trauerspiel bezeichnet, obwohl es einen äußerst glücklichen Ausgang nimmt. Es zeichnet das Schicksal eines verarmten Adeligen, Acanthus genannt, der sich als Schweinehirt verdingen muss, ehe er zum Adoptivsohn des Grafen von Korinth aufsteigt, dann aufgrund einer Verleumdung bis zum nahen Tod durch den Scharfrichter wieder herabsinkt, bis schließlich der Schutzgeist eingreift, die Verschwörer ihre Untat bekennen und Acanthus freikommt. Dies dankt er seinem Beistand und „ verließ deßwegen die Welt; und begab sich in eine Wildniß, um GOtt, und dem selben desto fueglicher dienen zu koennen “ . 66 Es ist auffällig, dass gerade seit der Mitte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts die Kanoniker in ihren Dramen wieder verstärkt auf die Thematik der Berufung zum Klosterleben zurückkamen. Bereits die ältesten Heiligenbzw. Seligendramen der Marchtaler Sammlung hatten sich mit der Problematik der Weltentsagung auseinander gesetzt. Ein Beispiel der Umkehr gibt im Marchtaler Drama Sanctus Reinerius. Duellum volupiae et innocentiae pro Sancto Reinerio confessore ( „ Hl. Reinerius. Duell zwischen Lust und Unschuld für den Bekenner Hl. Reinerius “ , Nr. 9) aus dem 64 Vgl. Szarota 1979 - 1987, die kein Casimir-Drama kennt. 65 FZA Ma 1374, 528. 66 Ebdt., 1373, 747. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 211 <?page no="212"?> Jahr 1671 der Dominikaner Rainer (Giordani) von Pisa ( † um 1348), der hier und im Martyrologium Romanum als Confessor bezeichnet wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang seine Bekehrung zu einem strengen Bußleben, die nach einem ausschweifenden Jugendleben erfolgt ist. In diesen Bekehrungsdramen werden die Notwendigkeit und der positive Ausgang der electio ( „ Wahlentscheidung “ ) im Sinne des Ignatius von Loyola vor Augen geführt. 67 Während aber das frühe Marchtaler Drama den Aspekt der Buße und der Abkehr von der Welt betont, die dem Schutz der Seele dienen sollen, geschieht die Bekehrung zu Kloster und Einsamkeit in den späteren Dramen aus Dankbarkeit und in Folge einer positiven Entscheidung für ein solches Leben, nicht aufgrund einer negativen Entscheidung gegen die Welt. Noch seltener als Heiligen- und Bekehrungsdramen finden sich im Marchtaler Bestand Märtyrerdramen. Diese Blutzeugen aber legen im Vergleich zu anderen Protagonisten des Ordensdramas ein umso eindrucksvolleres Zeugnis ihres Glaubens ab. Obwohl die Märtyrerdramen im 18. Jahrhundert nicht mehr häufig vorkommen, dokumentiert die Marchtaler Sammlung, dass die Inszenierung des Schicksals christlicher Märtyrer die Geschichte des Ordensdramas wie ein roter Faden durchzieht. So beleuchtet sowohl eines der ältesten Dramen des Bestandes (Nr. 3) - es stammt aus der Regierungszeit des Marchtaler Abtes Nikolaus Wierith (1661 - 1691) - als auch eines der jüngsten Marchtaler Stücke (Nr. 334 von 1772) das standhafte Ja eines Christen zu seinem Glauben an den dreifaltigen Gott. Als Beispiel eines Märtyrerstückes soll hier das Drama Metamorphosis ignominosa et gloriosa sive Sanctus Pancharius ex Christiano idololatra, ex idololatra Christi coronatus martyr ( „ Schändliche und ruhmvolle Veränderung oder der Weg des Hl. Pancharius vom Christen zum Götzendiener und vom Götzendiener zu einem gekrönten Märtyrer Christi “ , Nr. 12) kurz zusammengefasst werden, das im Juli 1685 zu Ehren von Abt Nikolaus Wierith aufgeführt wurde. Die Geschichte dieses in Nikomedien gemarterten Glaubenszeugen gestaltet sich folgendermaßen. Pancharius stand in der Gunst Kaiser Diokletians (284 - 305) und schwor deshalb Christus ab. Seine Mutter und seine Schwester appellierten an sein Gewissen, sodass er zum wahren Glauben zurückkehrte und diesen standhaft verteidigte, auch als er gefoltert und schließlich enthauptet wurde. So wird der Märtyrer zum Vertreter der Ecclesia militans, der als exemplum fidei et virtutum, d. h. als Vorbild im Glauben und in den Tugenden, den Sieg erringt und in die triumphierende Kirche eingeht. 68 Das Pancharius-Stück ist 67 Vgl. Szarota 1983, 11 - 12. Zur electio vgl. ebdt., 24 - 26. 68 Vgl. auch Polonyi 1998, 65 - 69, die am Beispiel der Weißenauer Saturninvita (1665) zeigt, wie die Katakombenheiligen geradezu auf dieses Ideal hin stilisiert wurden. 212 Manuela Oberst <?page no="213"?> wie das Drama Gratia victrix [ … ] Zu teutsch Die obsigende Gnad als ist: Armindus von geburth ein Egyptischer Prinz durch Erkißung König in Arabien aus Einem Christ ein Abgötterer, durch die Busß ein blutzeug Christi, das im September 1744 in Marchtal inszeniert wurde (Nr. 60), ein Märtyrerstück von besonderer Qualität, das über das strenge Märtyrerideal hinausgeht. 69 Beide Dramen zeigen nicht einfach, wie ein ohnehin im Glauben gefestigter Christ an seinem Glauben bis zum Tod festhält, sondern sie verknüpfen das Martyrium mit einem Abfall vom rechten Glauben und mit einer Bekehrung der Protagonisten. Auf diese Weise spricht das Drama verstärkt auch die Zuschauer an, die sich nicht als vorbildliche Katholiken verstehen, sondern zuweilen in ihrem Glauben wanken. Die jugendlichen Protagonisten streben zunächst nach weltlichen Ehren und setzen durch die Verehrung der heidnischen Götter ihr ewiges Heil aufs Spiel. Als Pancharius durch seine Mutter und Armindus durch seinen Bruder auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden, in der sie jeweils schweben, vollziehen sie eine vorbildliche Bekehrung und gewinnen durch den Verlust der irdischen Güter und durch ihren Tod das ewige Leben im Himmel. So tragen sie den eigentlichen Sieg davon, der - allen Zuschauern zum Vorbild - mit ihrer Selbstüberwindung verbunden ist. Die Hauptaussage des Dramas wird durch diese Nebenaspekte nicht verdeckt. Sie lautet: Wer sich zu Christus bekennt, erringt das ewige Heil, daher lohnt es sich, am wahren Glauben festzuhalten. Doch die Alternative, gegen die sich der Protagonist entscheiden muss, ist nicht nur eine andere Religion, sondern - und vor allem - der weltliche Ruhm. Das Drama macht auf seine Vergänglichkeit aufmerksam, sodass auch der Zuschauer zum Nachdenken über die wahren Werte angeregt wird und die vanitas der Welt erkennt. Vor diesem Hintergrund erscheint das Pancharius-Drama sowohl vom Inhalt als auch vom Aufbau her noch als typisches Barockdrama. Das Wissen um die Gefahr, das Heil durch Sünde und Schuld verlieren zu können, motiviert gleichzeitig zu einem Leben, das den vorgeschriebenen religiösen und moralischen Normen entspricht. 70 Die Patres wollten zeigen, dass der seit Jahrhunderten überlieferte Glaube der katholischen Kirche - in einer den Zeitverhältnissen entsprechenden Form - nach wie vor Relevanz hat, wenn es um das Heil des Menschen geht. 71 Laut Marchtaler Bestand gab es nach einer ersten Spitze in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Nrn. 3, 6 und 12) mehrere benediktinische und vor allem prämonstratensische Märtyrerstücke gerade aus der zweiten Hälfte der 69 Vgl. Oberst 2010, 70 - 77. 70 Vgl. Schings 1980, 49. 71 Vgl. Valentin 1990, 83 und 89. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 213 <?page no="214"?> fünfziger Jahre und aus den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts (Nrn. 159, 182, 191 und 308). Das letzte Märtyrerdrama des Marchtaler Bestandes (Sancius Martyr) wurde 1772 in Marchtal aufgeführt (Nr. 334). Die Märtyrerstücke, die Ende des 17. Jahrhunderts entstanden, sind vor allem der äußeren Gefahr durch die Andersgläubigen (Protestanten und Türken) zu verdanken. Diese Dramen hatten wahrscheinlich nicht nur das Ziel, den persönlichen Glauben der Zuschauer zu festigen oder Abgefallene zurückzugewinnen, sondern auch - ähnlich wie die Dramen, die die Türkengefahr thematisierten - die Kampfbereitschaft gegen die Feinde des wahren Glaubens wachzuhalten, denen es sich zu widersetzen galt. 72 Dagegen können die jüngeren Märtyrerdramen um die Mitte des 18. Jahrhunderts, die weiterhin auf der Wahrheit des katholischen Glaubens insistierten, auch als Antwort auf glaubensfeindliche Tendenzen aufgeklärter Zeitgenossen verstanden werden. Neben den schon genannten Märtyrern finden sich in der Marchtaler Überlieferung Dramen zu Arethas (Nr. 3), Tiberius (Nr. 6), einem der Schutzheiligen Marchtals, Dasius von Dorostorum (Nr. 182) oder zum Katakombenheiligen Valentinus. Die Schussenrieder Prämonstratenser inszenierten 1756 das einzige Märtyrerdrama, das einen kirchlichen Märtyrer des Mittelalters als Stoff bearbeitet: Es handelt sich um den 1729 heiliggesprochenen Johannes Nepomuk (um 1350 - 1393) (Nr. 159). Das Beispiel einer weiteren Wahlentscheidung gibt der nicht näher bekannte Dagobert. Leider ist die Tragödie Dagobertus deliberans de statu vitae eligendo ( „ Dagobert, der über die Wahl der Lebensform Überlegungen anstellt “ , Nr. 372) wie andere Dramen des Marchtaler Bestandes mit ähnlichem Inhalt weder zeitlich noch örtlich zu lokalisieren. Im Drama wird der Ausgang der electio zwischen Welt- und Klosterleben durch eine drastische Begebenheit beeinflusst: Der Epilog wird als Höllenszene gestaltet, die den Protagonisten dermaßen in Schrecken versetzt, dass er sich für das Kloster entscheidet und abschließend die Zuschauer ermahnt, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen: Ibo e mundo, ibo in monasterium: infernus me terret. O si et vos! 73 ( „ Ich werde aus der Welt gehen, ich werde ins Kloster gehen: Die Hölle erschreckt mich. Wenn sie euch doch auch schrecken würde! “ ). Die Lebensaufgabe bestimmter Personen konnte auch im Priester- oder Ordensberuf liegen. So finden sich im 17. und 18. Jahrhundert vielerorts Stücke, die affirmativ das Thema der Berufung zum geistlichen Stand auf- 72 Wie das Theater aufgrund seiner gemeinschaftsstiftenden und -stärkenden Wirkung das Zusammengehörigkeitsgefühl festigen konnte und so zur Solidarisierung auf ein gemeinsames Ziel beitrug, zeigen am Beispiel jesuitischer Aufführungen Szarota 1979, 19 und 27; Valentin 1990, 88. 73 FZA Ma 1367, 348. 214 Manuela Oberst <?page no="215"?> greifen. Diese dienten einerseits der Werbung für diese Berufe und kritisierten andererseits diejenigen Eltern, die der Berufung ihrer Kinder kein Gehör schenken wollten, aber auch diejenigen Jugendlichen, die ihrer Berufung nicht nachkommen wollten. Die Stücke machen deutlich, dass auf solche Eltern und auf solche Kinder die Rache Gottes wartet. 74 Viele der eben genannten Aspekte schneidet das Drama Bücher und Gesellen Das Verderbnis der Sitten an (Nr. 387). Dieses Stück ist zwar als „ Singspiel in zween aufzügen “ deklariert, umfasst aber darüber hinaus ein Prosa-Drama in ebenfalls zwei Akten mit jeweils zehn Szenen. Die musikalischen Partien sind den Prosateilen jeweils vorgeschaltet und nehmen die Vorgänge des folgenden Aktes in einer Parallelhandlung vorweg. Leider lässt sich nicht rekonstruieren, wo und zu welcher Zeit das Drama aufgeführt wurde. Steht es am Ende einer Entwicklung, die das Klosterdrama durchlaufen hat - oder ist es der Versuch eines einzelnen Autors, hinsichtlich der Sprache neue Wege zu gehen? Die Sprache und einige Anspielungen des Stückes deuten darauf hin, dass es zur Zeit der deutschen Spätaufklärung abgefasst wurde. Inhaltlich folgt das Drama dem, was von vielen Schulstücken zur Belehrung der Jugend bekannt ist: Der adelige Jüngling Veremundus wird von falschen Freunden versucht, die ihn von seinem Entschluss, ins Kloster zu gehen, abbringen wollen, ihn mit schlechter Literatur versorgen und ihn zu gesellschaftlichen Lustbarkeiten verführen. Ausführlich werden die Frage der Berufung und Gründe für das Klosterleben thematisiert. Diese Frage nach der Berufung zum Klosterleben musste in einer Zeit besonders drängend werden, in der die Klosterkritik immer lauter wurde. Veremund geht es vor allem darum, in der Einsamkeit des abgeschlossenen Klosters Schutz vor den Gefahren der Welt zu finden. Auch die Frage nach dem Eintrittsalter, eine der wichtigen Fragen der aufgeklärten Kirchenreform des Josephinismus, 75 scheint auf. Einer von Veremunds Kumpanen stellt sie: „ Würde es denn zu spat seyn, wenn sie zu einem reiferen Alter Ihr Vorhaben vollführten, zu einer Zeit, wo sie mehrere Kräften und weiseren Verstand besitzen werden “ . 76 Leider enthält sich der Autor des Dramas einer Antwort. Während der erste Akt dem Austausch von Argumenten gewidmet war und sich besonders mit der Frage nach der Berufung zum Klosterleben befasst hat, steht der zweite Akt eher unter dem Zeichen der dramatischen Aktion. Heuchelei, Verstellung und Lüge gewinnen die Oberhand, sorgen für Ver- 74 Vgl. Valentin 1990, 85. 75 Bereits unter Maria Theresia wurde das Professalter von Ordensleuten auf 24 Jahre erhöht. Vgl. Zinnhobler 1996, 1009. 76 FZA Ma 1369, 836. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 215 <?page no="216"?> wicklungen und führen schließlich ins Verderben. Die Tragödie zeigt einen frommen Jüngling, der innerhalb kürzester Zeit zum zweifachen Mörder wird. Statt sich „ in die Arme Gottes zu werfen “ , 77 zu bereuen und zu büßen, ist Veremund bereits so verblendet, dass ihm sein Prestige wichtiger ist als das Seelenheil. Er stürzt sich in sein Stillet und straft sich selbst. Damit ist nach dem kirchlichen Denken der damaligen Zeit das weitere Schicksal des Jünglings besiegelt: Auf ihn wartet die „ erschröcklich[e] “ Strafe des „ allmächtigen Richters “ , wohl die ewige Verdammnis. Das Stück schließt mit einem Appell, von dem sich auch die Zuschauer angesprochen fühlen müssen: „ Freunde! Last uns den Höchsten fürchten. Lasst aus Veremundens Tod lernen, wohin uns Bücher und Gesellen führen “ . 78 Das Drama Didacus de Velledas (Nr. 73) von 1746 aus Marchtal macht die belehrende Absicht noch deutlicher: Da Didacus sich nicht von seinem Laster, der Begierde (cupido), bekehrt und sich auch der Gnade Gottes verweigert, muss er untergehen, und zwar als Mahnung für die Zuschauer: Vobis, qui hoc spectastis, precor, ut vivatis ex hoc miserando funere. Videte, dolete, timete! 79 ( „ Euch, die ihr dies betrachtet habt, wünsche ich, dass ihr von diesem beklagenswerten Untergang her lebt. Seht, leidet, fürchtet! “ ) Die Dramen der Marchtaler Sammlung zeigen aber auch, dass der Mensch bei seinem Kampf um eine rechte Lebensführung nicht auf sich allein gestellt ist. Neben dem Schutzengel ist es Maria, die den Sündern in allen Seelengefahren beisteht. Dann wird der anonyme sündige Jüngling aufgrund seiner unerschütterlichen bzw. wiederentdeckten Treue zur Gottesmutter gerettet (Nrn. 22 und 127). Die soeben beschriebenen Stoffkomplexe geben die Schwerpunkte des Marchtaler Bestandes wieder. Die in Typologien zum Jesuitentheater an erster Stelle aufgeführten biblischen Stoffe, die seit der Frühzeit des Ordenstheaters aufgeführt wurden, 80 finden sich in der Marchtaler Sammlung nur selten. Gerade einmal vier Bibeldramen im engeren Sinn haben sich hier erhalten. Die Stoffe sind alle dem Alten Testament entnommen, neutestamentliche Themen kommen allerdings in den Karfreitagsoratorien Sebastian Sailers 81 und in verschiedenen Allegorien und Parabeln zur Sprache. Das Drama musicum der Salemer Zisterzienser befasste sich 1761 im Herbstspiel mit dem Konflikt zwischen König David und seinem Sohn Abschalom (Nr. 210). Neben diesen ‚ klassischen ‘ Bibeldramen gibt es im Marchtaler Bestand auch Allegorien, die eine biblische Aussage symbolisieren, wie das 77 Ebdt., 857. 78 Ebdt., 858. 79 Ebdt., 289. 80 Vgl. Szarota 1976, 8. 81 Vgl. Oberst 2010, 235 - 247. 216 Manuela Oberst <?page no="217"?> Weingartener Herbstspiel von 1749 Filius redemptor mundi ( „ Sohn, Erlöser der Welt “ , Nr. 99). Umgekehrt werden in manchen Melodramen biblische Stoffe und Personen gewählt, um diese auf ein bestimmtes Ereignis der Gegenwart oder die zu ehrende Person zu deuten und bestimmte Parallelen aufzuzeigen. 82 Außerdem gibt es Parabeln über biblische Inhalte, wie z. B. die Parabel im Ochsenhausener Herbstspiel vom September 1770 mit dem Titel Misericors dominus et justus (Psal. 114. V. 5). In Archibio Panctisiae rege symbolice adumbratus. Das ist, der barmherzige, aber auch gerechte Gott symbolice abgeschildert, und vorgestellet in Archibio einem Koenig Panctisiens, und seinen zwey Soehnen (Nr. 315). Die große Fülle an Stoffen und Motiven ist auch auf verschiedenste Vorlagen und Quellen zurückzuführen, die die Patres bei der Abfassung ihrer Stücke benutzen konnten. Neunte Anmerkung: Zu den Quellen und Vorlagen für die Ordensdramen Die im Ordenstheater aufgegriffenen Stoffe wurden meist nicht nur ein einziges Mal behandelt, sondern erfuhren im Laufe der Geschichte mehrere Bearbeitungen. Die Autoren griffen in ihren Werken dabei auf Quellen zurück, die in den Periochen am Schluss des Argumentums aufgeführt wurden. Zuweilen bedienten sich die Autoren einer Sammlung von Sentenzen anderer Schriftsteller. Ein alphabetisches Sachregister erleichterte das Auffinden der passenden Sätze. Diese Textpassagen konnten dann leicht in das vorher grob strukturierte Handlungsskelett eingebaut werden. 83 Teilweise holten sich die Patres auch in den Werken anderer, antiker, humanistischer und zeitgenössischer Dramatiker Anregungen für ihre Stücke. 84 Obwohl im Regelfall für jedes Herbstspiel pro Jahr ein neuer Text erstellt und eingeübt werden sollte und man daher davon ausgehen kann, dass jedes Drama nur für die beiden Aufführungstermine des laufenden Schuljahres einmal inszeniert wurde, kam es öfter vor, dass nicht nur derselbe Stoff verschieden bearbeitet wurde, sondern dass man auf bereits gespielte Stücke zurückgriff. Besonders erfolgreiche Stücke wurden zuweilen unter benachbarten Kollegien, Klöstern und Stiften ausgetauscht und nur leicht verändert nachgespielt. 85 82 Vgl. z. B. das Drama Arca in Sion, sive Maria Birnoviana in Birnovio novo (Nr. 108) zur Einweihung der Kirche in Neu-Birnau 1750, in dem die Ankunft der Bundeslade auf dem Berg Sion als Typus der Übertragung des Gnadenbildes in die neue Kirche gedeutet wird. 83 Vgl. Flemming 1965, 7. 84 Beispiele bei Szarota 1976, 20 - 31, passim. 85 Vgl. Rädle 1988, 136. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 217 <?page no="218"?> Wenige Beispiele finden sich dafür auch im Marchtaler Bestand. Der früheste Beleg ist das Drama Illustre charitatis fraternae documentum Romae olim ab Amorithe et Dijteoto fratribus ( „ Berühmtes Zeugnis brüderlicher Nächstenliebe einst in Rom von den Brüdern Amorithes und Dijeotus erbracht “ , Nr. 36). Dieses wurde erstmals 1736 in Marchtal aufgeführt, findet sich aber 1740 in gekürzter, teilweise neu verfasster Version nochmals, hier allerdings ohne Angabe eines Titels und des Orts der Aufführung (Nr. 52). Die musikalischen Partien des Dramas von 1740 weisen wiederum thematische Bezüge zu dem 1728 in Mindelheim inszenierten Stück auf (Freundschaftsbund zwischen David und Jonathan: Nr. 25). Mindestens thematische Ähnlichkeit besitzen auch die Theolindabzw. Adrevaldus-Dramen des Marchtaler Bestandes aus Innsbruck von 1741 (Nr. 54) und aus Marchtal von 1765 (Nr. 244); die lateinischdeutsche, handschriftliche Perioche mit Libretto aus Innsbruck (vielleicht eine Abschrift) lässt keine genaueren Vergleiche zu. Die Personen und die Fabel des Marchtaler Dramas stimmen mit denen der Perioche aus Innsbruck überein. Bei den Chören ließen sich die Marchtaler allerdings etwas Neues einfallen: Sie verdeutlichten die Aussage des folgenden Hauptteils nicht wie die Innsbrucker durch Personen aus der antiken Mythologie, sondern durch die alttestamentliche Geschichte von Joas und Atalja (2. Buch der Könige 11, 1 - 20). Auch bei den musikalischen Partien einiger Stücke gibt es Übereinstimmungen: Das Libretto Nr. 264a von 1766 über den Aufstieg Davids zum König ist ähnlich gestaltet wie Nr. 264b und gleicht fast wörtlich dem Libretto des 1770 in Waldsee aufgeführten Dramas (Nr. 318). Die angeführten Beispiele zeigen also, dass die Autoren der im Marchtaler Bestand überlieferten Dramen ebenfalls auf die üblicherweise verwendeten Quellen zurückgriffen, dass es sich aber bei den Stücken selbst - bis auf wenige Ausnahmen - um Neu-Schöpfungen handelt. 86 Zehnte Anmerkung: Das Schultheater der Orden stand immer wieder in der Kritik; seine Abschaffung erfolgte schließlich im Zuge aufgeklärter Reformen seitens der Äbte und Regierungen. Von Anfang an mahnte man innerhalb des Jesuitenordens zu Mäßigkeit im Hinblick auf die Häufigkeit und die mitunter prachtvolle Ausstattung der Schultheater-Aufführungen. 87 Obwohl die Vorstellungen ab der ersten Hälfte 86 Vgl. Oberst 2010, 160 - 165. 87 Vgl. Pachtler 1887, 129: Comoedias et Tragoedias rarissime agi permittat, et non nisi Latinas ac decentes, et prius aut ipse eas examinet, aut aliis examinandas committat; eas vero atque alias id genus actiones in ecclesia fieri omnino prohibeat. ( „ Er soll sehr selten erlauben, dass Komödien und Tragödien aufgeführt werden, und nur lateinische und schickliche, und vorher soll er entweder diese selbst prüfen oder anderen zur Prüfung anvertrauen; dass 218 Manuela Oberst <?page no="219"?> des 18. Jahrhunderts mit weniger Aufwand auskamen und sich wieder „ anderen didaktisch motivierten Schulübungen “ annäherten, nahm die Kritik aufgeklärter weltlicher und auch geistlicher Kreise am Schultheater im späten 18. Jahrhundert noch zu. Begründet wurde die ablehnende Haltung mit dem Zeitaufwand und der Ressourcenverschwendung, die das Einüben der Stücke erforderte und die sich nachteilig auf den übrigen Unterricht auswirken würden. 88 Die aufgeklärt absolutistischen Herrscher zogen die Konsequenz und schränkten in den neuen Schulordnungen die Möglichkeit des Theaters ein: Unter Maria Theresia wurden 1768 für die gesamten österreichischen Lande sämtliche Schultheateraufführungen verboten. Lediglich Deklamationen und andere halbtheatralische Formen existierten (offiziell) weiter. 89 Auch geistliche Landesherren wie der Salzburger Erzbischof Hieronymus Graf von Colloredo (1772 - 1803) sahen in ihren neuen Schulordnungen (für Salzburg am 30. November 1776 erlassen) kein Theaterspiel mehr vor. 90 Für das Jesuitentheater bedeutete die 1773 durch Papst Clemens XIV. im Breve Dominus ac redemptor noster verfügte Aufhebung des Ordens eine Zäsur, doch war die Zeit des von Orden getragenen Schultheaters noch nicht gänzlich zu Ende. Manche Ex- Jesuiten setzten ihre pädagogische Tätigkeit und auch das Theaterspiel nach 1773 fort. 91 Im Rahmen der Verstaatlichung der Schulen unter Maria Theresia kam es auch zu Erlassen für die vorderösterreichischen Gymnasien und Lyzeen. Die erste, von Giovanni Battista de Gaspari in Wien erarbeitete Verordnung in Bezug auf die Schulreform wurde am 5. Mai 1764 vom Oberamt in Günzburg auch dem Collegium Ehinganum übersandt und sah u. a. vor, dass anstelle der Herbstspiele zur Austeilung der Prämien am Schuljahresende von den Schülern der fünften und sechsten Klasse eine Rede und ein Gedicht vorgetragen werden sollten. 92 Die Durchführung wurde scheinbar hinausgeschoben, da sich im Marchtaler Bestand zwar kein Herbstspiel aus dem Jahr 1765 erhalten hat, aber zwischen 1766 und 1773 wieder kontinuierlich zum Schuljahresende gespielt aber diese und andere Handlungen dieser Art in der Kirche stattfinden, soll er gänzlich verbieten. “ ) 88 Vgl. Bauer 1994, 236, und Flemming 1923, 117 und 247. 89 Vgl. Hadamowsky 1955, 6. 90 Vgl. Boberski 1978, 31. 91 So sorgte beispielsweise in Ellwangen erst 1778 ein Verbot des aufgeklärten Fürstpropstes Clemens Wenzeslaus (1777 - 1802) für die Unterbrechung der Theatertradition, die 1790 nochmals, und zwar in deutscher Sprache, einsetzte, bis sie 1795 ganz erlosch. Vgl. Pfeiffer 1964, 540 - 542 und 574 - 581. 92 Vgl. Hehle 1986, 39, 43 und 45. Zu den staatlichen Erlassen für die Klosterschulen der ehemaligen vorderösterreichischen Abteien vgl. Nägele 1920, 768 - 777. (Schul-)Tehatertradition oberschwäbischer Klöster und Stifte im 18. Jh. 219 <?page no="220"?> wurde. Die letzten überlieferten Ehinger Herbstspiele stammen aus den Jahren 1778 (Nr. 356) und 1779, wobei das Lyzeum noch bis 1803 in der Hand der Zwiefaltener Benediktiner lag und diese im Kloster selbst bis in die Mitte der achtziger Jahre weiter spielten. 93 Die Überlieferung zum Ordenstheater, wie sie der Marchtaler Bestand widerspiegelt, wird ab den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts spärlicher. Die letzten in Marchtal gesammelten Dramen und Musikdramen datieren von 1778. Inzwischen waren die aufklärerischen Tendenzen auch innerhalb der Klöster und Stifte angekommen: Die Äbte und Patres konnten mit den überladenen Formen nicht mehr viel anfangen. Ein Zeichen in diese Richtung setzte beispielsweise Romuald Weltin, der letzte Abt von Ochsenhausen, als er 1790 das Theater in ein Schulhaus umbauen ließ, damit die Zöglinge sich nicht mit Possen, sondern mit den nützlichen Wissenschaften beschäftigten. 94 Dennoch gibt es aus verschiedenen Klöstern vereinzelt Belege für Aufführungen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Diese erfolgten meist zu besonderen Anlässen des Klosters, 95 wie die Operette Nehemias im neuen Bunde der Ochsenhausener Benediktiner von 1799 zum dreißigjährigen Abtsjubiläum von Romuald Weltin und zum goldenen Priesterjubiläum von Abt und Konventssenior Pankraz Welz. 96 Die Klöster und Stifte hatten das Schultheater in engerem Sinn in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts also weitgehend aufgegeben, wollten aber nicht auf Vorstellungen in festlichem Rahmen verzichten. Es sollte deutlich geworden sein, dass das Schultheater der oberschwäbischen Klöster und Stifte ein vielschichtiges Phänomen darstellt, dessen Spannbreite sich zwischen schulinternen szenischen Deklamationen und großen öffentlichen Vorstellungen erstreckte. Aufgrund dieser Tatsache bot es den Patres interessante Möglichkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung der Schul- und Ordensziele. Selbst wenn es als Schultheater zunächst didaktische Absichten verfolgte, konnte es durch die Öffnung für ein breit gefächertes Publikum für die missionarischen und allgemein seelsorglichen Belange in Dienst genommen werden. Auch aufgrund seiner spezifischen, multimedialen Form der Inszenierung erwies sich das Theater trotz seiner vorwiegend lateinischen Sprache als ein geeignetes Medium, um religiöse und moralische 93 Vgl. Frei 1998, 294, 304 und 309. 94 Vgl. Maier 1994, 306. 95 Vgl. Knedlik 2003, 126 - 127. Vgl. weiterhin die chronologische Auflistung der aus dem Wengenstift erhaltenen Werke bis 1788 und den Verweis auf das Melodrama Novae spes mortalium ( „ Neue Hoffnungen der Sterblichen “ ) von 1803 aus Wiblingen bei Wilss 1925, 23 - 27 und 32. 96 Vgl. Kantner / Ladenburger 1994, 412 - 413. 220 Manuela Oberst <?page no="221"?> Botschaften an die Öffentlichkeit heranzutragen. Die Dramen des Marchtaler Bestandes geben Zeugnis von einer lebendigen, auf ihre Weise originellen Theaterkultur der Orden des 17. und 18. Jahrhunderts, die nicht in Vergessenheit geraten sollte. Literatur Bauer, Barbara: Jesuitische „ Ars Rhetorica ” im Zeitalter der Glaubenskämpfe, Frankfurt a. M. 1986. Bauer, Barbara: Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten, in: Heinrich F. Plett (Hg.): Renaissance-Poetik, Berlin / New York 1994, 197 - 238. 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As Stefan Tilg wrote in his chapter on theatre in Tyrolis Latina Resch had a tremendously broad palette of subjects and formal elaborations in his fourteen plays. 2 He wrote, for example, a Sanctus Ingenuinus (1749, on the local bishop Ingenuinus), Constantini hostia (1757, on Christian history), Agamemnon (1750, on a theme from Antiquity), along with plays on school life itself, such as Rhetorica (1751) and Praemia Aureliani (1753). Resch also crossed the borders between Latin and vernacular drama, combining Latin and German in his plays. Finally, he collected three of his plays which he labelled ‘ dramas of meditation ’ in Sacrae meditationes, quas per plures tragoedias olim in scenam, nunc in lucem publicam dedit Josephus Reschius, episcopalis gymnasii Brixiensis praefectus, et rhetorices professor (Venice 1751) containing the dramas Peccator deicida (1745), Pastor bonus (1748) and Pius Samaritanus (1750). Thus, his plays mirror the broadness of Neo-Latin drama. 1 I am grateful to Prof. James A. Parente, Jr and Dinah Wouters for their comments on an earlier draft of this chapter. It is written within the scope of the project TransLatin: The Transnational Impact of Latin Drama from the Early Modern Netherlands, funded by the Dutch Research Council (NWO). 2 Tilg 2012, 660 - 700, esp. 682 - 683. A list of Brixen plays, including those of Resch, is on 661 - 662; a list of the plays by Resch can be found on the website of the project “ Brixner Schultheater im 18. Jahrhundert: Edition und Übersetzung der neulateinischen Dramen von Joseph Resch ” : https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ texte/ (accessed 12.4.2018). <?page no="226"?> The question addressed in this chapter concerns the possibilities for the study and contextualization of such occasionally complex Neo-Latin dramas. How could we open up the content, meaning and significance of such plays and of early modern Latin drama in general? My aim is to give some answers to this question, which I hope will primarily serve to open discussion on the theme. I propose that Neo-Latin literature in general, and specifically drama, can profitably be studied following the approaches and theories of literary studies in general; apart from their language and specific objects of study - which in themselves are broad enough. Neo-Latin scholars need not have their own research agenda. 3 However, I will suggest that the vastness of the field and the specific character of Neo-Latin drama are researched best with the help of digital tools. A Very Brief History of Neo-Latin Drama 4 The comedies of Terence had been part of the school curriculum since Antiquity. This is evidenced by the mass of medieval manuscripts, incunabula and early modern editions. The Latin comedies by Plautus were also read, but less widely. Terence ’ s six plays were initially read and imitated as prose dramas. Only after the rediscovery of the manuscripts of the fourth-century grammarian Aelius Donatus ’ commentaries in 1433, were these plays considered pieces of theatrical poetry instead of prose dialogues. 5 Less well-known were the Greek comedies of Aristophanes, whose Plutus did nonetheless experience some afterlife. Initially, the plays by Terence and Plautus were performed in the humanistic curriculum. But soon teachers and rectors began to write their own comedies, either because of the content of Roman comedy, which was considered scurrilous, or because of its limited repertoire. Many of their comedies were fabulae sacrae, plays on biblical subjects in which education and religious issues were combined. Farces were similarly composed, as well as plays on school life. Neo-Latin drama began in Italy with Petrarch ’ s (1304 - 1374) comedy Philologia, now lost. After that, no comedy was produced until the 1420s, when Leon Battista Alberti, also from Italy, composed his Philodoxus (ca. 1425). Humanist Latin comedy arrived in Northern Europe around 1500. Landmarks here were Johannes Reuchlin ’ s farce Scaenica progymnasmata or Henno (1498) and Gulielmus Gnapheus ’ s play on the Prodigal 3 See also Van Hal 2007, 349 - 365. 4 See Parente 1987; Bloemendal / Ford 2008; Bloemendal / Norland 2013; Bloemendal 2014; Tilg 2015; Grund 2015; Griffin 2017. 5 See Reynolds 1983, 153 - 156, esp. 154. 226 Jan Bloemendal <?page no="227"?> Son, Acolastus (1529). Latin drama was initially a humanist affair, both on the Protestant and on the Roman Catholic side, but during the first half of the seventeenth century, the Protestants turned more to vernacular languages, and it was the Jesuits and other Catholic orders who continued to write comedies along with tragedies. As for tragedy, a manuscript containing the ten plays written by Seneca or attributed to him was rediscovered by Lovato de ’ Lovati (1240/ 1241 - 1309). 6 These became the main models for Neo-Latin tragedy, and Lovati ’ s pupil Albertino Mussato wrote the first new Senecan tragedy, Ecerinis (1314) on the ‘ tyrant of Padua ’ Ezzelino III, and after considerable time, many more humanists did the same. Some playwrights, however, notably George Buchanan, wrote Latin dramas in a Euripidean style, namely Baptistes, sive calumnia (written before 1544, published 1577, on John the Baptist) and Iephthes, sive votum, tragoedia (1544, on the Old Testament story of the Judge Jephthah), to be staged by his students in Bordeaux - Buchanan translated Euripides ’ Greek tragedies Medea and Alcestis into Latin (1544 and 1557 respectively) also to be performed. But these were exceptions. Latin drama in Senecan style spread over Europe and was employed mostly for biblical subjects. Among these the story of the patriarch Joseph stood out, as well as other, mostly Old Testament figures, and the New Testament parable of the Prodigal Son. 7 Of course, confessional divides also had their impact on the development of Neo-Latin tragedy with the movements of Reformation and Counter-Reformation. Here, the Jesuits used the genre as a tool in the education of their students, and similarly as a form of propaganda. However, confessional divides were easily crossed and Jesuits read and staged with their pupils more Protestant or more a-confessional plays. There was also a kind of tension between the lively reception of Senecan tragedy with its horror and Aristotle ’ s literary theory in his Poetica stating that a tragedy is defined as ‘ an imitation (mimesis) of an action that is serious, complete, and of a certain magnitude, adorned with elevated language ’ . 8 The latter requirement, ‘ adorned with elevated language ’ , could be met with the use of sententiae, aphorisms, which could simultaneously provide the plays with moral instruction to make them more appreciated among contemporary audiences. Between ca. 1400 and 1750, many thousands of Neo-Latin plays, comedies, tragedies and tragicomedies were written by humanist teachers and scholars, 6 See, e. g. Reynolds 1983, 387 - 381, esp. 380. 7 Within the TransLatin project this topic is researched by Dinah Wouters, see, e. g. Wouters 2022. 8 Aristotle, De arte poetica 1449b. Translation quoted after Grund 2015, 103. New Perspectives on Neo-Latin Drama 227 <?page no="228"?> but even more by Jesuits, who adopted the use of drama in education from the Protestant gymnasia and continued to write plays. A striking feature of Neo- Latin drama is its diversity and its openness to renewal. Studying Neo-Latin Drama This section aims at offering a very brief overview of the ways in which literature can be approached, focusing on Neo-Latin drama. When studying literature in general, one can apply workimmanent or philological and extraliterary studies to the contexts of the work, although these are not always easy to separate. The immanent aspects are often traditional ones: In the case of early modern Latin drama it means to investigate texts with philological methods, establishing a correct text, and commenting upon it, asking what is said, how it is said and why in this manner. This approach has resulted and still results in accurate, if necessary critical editions, in which ‘ the correct ’ text has been established: What choices did the author make in composition, what is the focus of a drama, and which interpretation or interpretations can it be given on the basis of the correct text? Inside of philology itself a new approach appeared in the late 1980s, when the French medievalist Bernard Cerquiglini advocated the importance of the variants in philology in what he labelled ‘ new philology ’ . 9 This approach challenges the constitution of an ‘ ideal text ’ . It was also labelled ‘ material philology ’ , a term coined by Stephen Nichols, looking at the material carriers of the text, be they manuscripts or printed books. 10 Another immanent approach related to philology studies the structure of literary works and - in the case of drama - its constituent parts, considering acts and scenes, and their function in the drama, but also ‘ set pieces ’ , as Richard Griffiths has labelled them. 11 In this rhetorical approach, a form of close reading, for instance, stichomythia, messenger speeches, monologues, dialogues, choruses and their dramatic functions are investigated. Such readings explore the inner workings of the text itself rather than linking the structure to external contexts. In a similar way, paratexts - such as title pages, laudatory poems, prefaces and letters of dedication - are studied, along with the ways in which they ‘ frame ’ the literary work and steer the reading of a text. 12 9 Cerquiglini 1998. 10 See the special issue of Speculum 65, 1, 1990, edited by Nichols. 11 Griffiths 1970. 12 Genette 1997. The ‘ paratext ’ of the English translation makes clear how paratexts are conceived: “ Paratexts are those liminal devices and conventions, both within and outside the book, that form part of the complex mediation between book, author, publisher, and 228 Jan Bloemendal <?page no="229"?> Many studies with regard to Neo-Latin drama focus on these literary works as parts of classical reception. The style, (five-act) structure of a play and the way its subject matter is treated are related to Roman comedy or tragedy, as well as to the reception of themes, stories and motifs. Similarly, quotations from Plautus ’ and Terence ’ s comedies or Seneca ’ s tragedies and other authors ’ works are traced; this may be called ‘ intertextuality ’ . Such a view examines formal aspects, such as the choruses - introduced into comedy by humanist authors in imitation of Seneca ’ s tragedies, which have stichic choruses, unlike Greek tragedies, where the chorus songs were structured into strophe, antistrophe and epode. This approach makes scholars aware of the processes that bring about changes, using terms such as ‘ adaptation ’ , ‘ appropriation ’ , ‘ alienation ’ and ‘ transformation ’ . 13 All this is on the one hand directly related to the literary work, the drama, but on the other it is a context-related approach. Extra-literary approaches include the contextualisation of literary works. 14 One of these contexts is biography, or situating an author and his work in a time frame or within a specific cultural development. Another context is literary history in the sense of Literaturgeschichte, in which works are described in their relationships to other works. In other contextualisations we ask ourselves, for instance, how these texts were used and read or seen, and in what kind of society? In this respect, a functionalist approach can be applied, attempting to assess the function of a comedy or tragedy in a specific context. What functions did drama for instance have in the educational system or in a specific social setting, and the other way around, what impact did the school situation have on a specific drama or on Neo-Latin drama in general? How did an author situate himself and his work in the supranational respublica litteraria? 15 How did his writing relate to contemporary literature in the vernaculars; did Latin and vernacular theatre have similarities or differences? How does a play relate to other contemporary Neo-Latin dramas, or to other genres? That may be a comparative view, but it may also focus on a process of cultural mobility of authors and texts or the dynamics between Latin and the vernacular languages. 16 In this respect a rather new field of research comes into play, namely that of transnational cultural studies, which proceeds from the idea that people moved, and that texts constantly migrated in their material reader: titles, forewords, epigraphs, and publishers ’ jacket copy are part of a book ’ s private and public history. ” 13 See, e. g. Hardwick 2003. 14 In a sense, texts from classical Antiquity may also be labeled as a ‘ context ’ , which shows that werkimmanent and extra-literary approaches are not always easy to distinguish. 15 That is: webs of relationships in the latinized world, see van Miert 2016. 16 Greenblatt 2009; Deneire 2014; Bloemendal 2014. New Perspectives on Neo-Latin Drama 229 <?page no="230"?> form or in translation. The field points to the importance of these issues for literary developments. 17 In this respect we can also consider the concepts of cultural transfer and literary fields of the sociologist Pierre Bourdieu, or the polysystem theory of the literary critic Itamar Even-Zohar, in which the literary system is conceived of as a kind of arena in which authors and texts strive to reach the centre or to find their place in another way. 18 This is part of the processes of canonization and the formation of a repertoire. 19 In line with this approach, a research group at the Freie Universität in Berlin investigated European networks of dramatic production in an ERC funded project called ‘ Dramanet: Early Modern European Drama and the Cultural Net ’ . 20 Many Neo-Latin scholars are trained as classicists and tend to look at early modern drama through the lens of reception studies. They might investigate the adaptation of the classical - Senecan - five-act-structure or the deviation from that form, the character of the protagonist and the antagonist - keeping an Aristotelian middle course between good and bad, or being dragged along by their passions in a Senecan manner - and in the case of Christian Latin drama, the adaptation of Scriptural texts and their interpretations by Church Fathers and other theologians. When writing a literary history of Neo-Latin drama, such scholars would judge the material in terms of its adherence to, or deviation from classical form, style and diction. In another complementary approach, these dramas would be contextualized, taking into account the historical circumstances including the political or other cultural contexts of these dramas. Literary histories of Neo-Latin theatre in this mode would tend to focus on the institutions ( ‘ humanist educational drama ’ ) or on a country ( ‘ Spanish drama ’ ) or a region ( ‘ Nordic Neo-Latin literature ’ ). Here one might perhaps think, in the case of Jesuit drama in particular, of colonial and postcolonial studies, since the Jesuits travelled all around the world in their missionary zeal. This brings us to modern theories of literary study. Here, perhaps a Marxist view could add a perspective on the position of owners and 17 An introduction is offered in Khagram / Levitt 2008. See also, for instance, Glick Schiller / Basch / Blanc-Szanton 1992; Basch defined transnationalism in 1994, 27: as “ a process by which migrants, through their daily life activities create social fields that cross national boundaries. ” See also Bloemendal / Parente / Smith 2022; and Bloemendal 2023. 18 See, for instance, Rossini / Togweiler 2014; Bourdieu 1993; Even-Zohar 1979; Even-Zohar 1990. 19 The term literary repertoire is also part of the polysystem theory. On this see, e. g., Sheffy 1997. Related to this idea is the notion of translation helping to form a repertoire, for which translation studies are very helpful. 20 http: / / www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/ we03/ forschung/ drittmittelprojekte/ dramanet/ index.html (accessed 12.4.2018) and the acta of their conferences: Gvozdeva / Korneeva / Ospovat 2016; Mayfield 2017; Küpper 2018. 230 Jan Bloemendal <?page no="231"?> tenants, masters and slaves, shepherds and sheep, and a deconstructionist approach - unravelling metaphors - might open up other interpretations of the plays. These possibilities are adduced here to add the postmodernist idea that interpretations are steered by their points of departure. In this respect, the transnational turn, as mentioned, is illustrative, originating in the processes of migration and the focus on nationalism in the last decade of the last century and the first of the present. 21 As already mentioned, it is well possible to study the process of repertoire formation and the interaction within and between several webs of literature, such as in the Latin respublica litteraria, a conglomerate of all kinds of networks, and the vernacular ‘ republics of letters ’ , 22 using the more recent theories on literature already mentioned, namely the theory of literary fields, developed by Bourdieu, who considers literature, like society, as a field in constant conflict, people striving to get better positions in the field, and the polysystem theory of Even-Zohar, in whose opinion literature is a ‘ system ’ consisting of many ‘ subsystems ’ , in which some authors are at the centre and others on the periphery of such a system - which changes in a constant dynamic process. But also playwrights and theatrical texts move from one system into another - not the least through translation - and find their place within that new system, etcetera. For the latter process Greenblatt ’ s idea of cultural mobility is helpful: Literature is thus regarded as a continuing process. Joseph Resch would be described as a poet who earned himself a place in the heart of the Brixen literary system or field, perhaps also at the centre of Tyrolean Latin literature. The editions of his works will offer material for research in the context of the ‘ turns ’ that have dominated the field during the last decades: the m a t e r i a l turn - book history, and notes that readers took 23 - and the e m o t i o n a l turn - as the word says, on emotions, passions and similar concepts. 24 Especially in the emotional turn Neo-Latin drama, rhetorical by nature - and as such engaged in the traditional aims movere, along with delectare and docere - could be a rewarding object of research. So, too, research within the p o l i t i c a l turn, looking at literature as a means of influencing 21 Fischer-Lichte 1990 takes a socio-historical stance. 22 In this respect the European literary history of David Wallace, departing from cities as places of cultural production, should be mentioned (Wallace 2016). Thus, the ‘ transnational ’ turn could also be labelled the ‘ transurban ’ or ‘ transregional ’ turn. A similar volume is planned under the editorial supervision of Warren Boutcher: Europe: A Literary History, 1559 - 1648. 23 Cf. above, p. 228, ‘ New ’ and ‘ Material Philology ’ and ‘ ABO ’ (www.annotatedbooksonline. com [accessed 17.7.2024]). 24 See, for instance, for this turn in early modern literature, Cummings / Sierhuis 2013; Broomhall 2017; Haskell / Garrod 2019. New Perspectives on Neo-Latin Drama 231 <?page no="232"?> public opinion and operating in the public sphere, in the sense of Habermas, may yield worthwhile results. 25 While Habermas considers the public sphere as originating in the Paris salons of the eighteenth and nineteenth centuries, others have demonstrated that a public sphere in which matters of politics could be discussed existed long before, and that literature played here a role. 26 Let us think of Resch ’ s meditational drama Pastor bonus (1750), which could well have served as a kind of ‘ mirror of princes ’ , in this case of the Prince bishop Leopold of Spaur to whom it was dedicated, but in which the rhetorical concepts of delectare, movere and docere also played a role, as they did in his other plays. All these methods can be applied separately, but it is often rewarding to combine disciplines into an interdisciplinary or multidisciplinary approach. The next section, about Digital Humanities, also makes a plea for such interdisciplinarity, since ‘ old ’ and ‘ new ’ methods can complement one another. 27 The Possibilities of Digital Humanities Thus far, ‘ old approaches ’ (which are still valuable) have been discussed. 28 This final section will discuss ‘ new approaches ’ , namely those of digital humanities. 29 The web page on ‘ Brixner Schultheater im 18. Jahrhundert ’ on the website of the University of Innsbruck gives the electronic versions of the fourteen dramas and offers their descriptions - what can be called ‘ metadata ’ . 30 And that opens up very new perspectives. In this part of my paper I would like to make a case for an international database of Neo-Latin dramas, ideally supplemented by dramas in the vernaculars and including those containing both Latin and vernacular passages. 31 Such a database is now being set up within the project TransLatin: The Transnational Impact of Latin Theatre from 25 See, e. g., Bloemendal / Eversmann / Strietman 2013. 26 See, for instance, Bloemendal / van Dixhoorn / Strietman 2011. 27 For a similar case of opposing the idea that new methods would replace and overtake old ones, see, for instance, Levinson 2007. 28 I would like to thank Profs. Karina van Dalen-Oskam, Charles van den Heuvel, Wolfgang Kofler and James Parente for their valuable suggestions regarding this section. 29 For a brief survey of this type of research, see https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Digital_humanities (accessed 12.4.2018). Ways of investigating drama, especially English drama of Shakespeare and his contemporaries, with the help of digital humanities are explored in Craig / Greatley-Hirsch 2017. 30 See https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ texte/ (accessed 12.4.2018). 31 One could start with a database of these ‘ mixed ’ dramas as a pilot. These mixed dramas could be a good case for the transnationality of literature. 232 Jan Bloemendal <?page no="233"?> the Early Modern Netherlands. 32 A database is especially important in the case of Neo-Latin drama, since the corpus of texts is immense: Thousands of dramas were written and staged, and thus to investigate them all with traditional means is barely possible, if not actually impossible. New texts and metadata can be added. Moreover, important metadata can be included: When and where were plays printed and/ or performed, offering us an idea of the international or local impact of plays, but also of the routes plays took. Of many Jesuit plays only the periochae are known. 33 They could be included in a meaningful way, adding to the database ’ s metadata. If we are able to make such a database and include enough metadata (e. g. author, structure, set pieces, place and year of publication), numerous new lines for research will open themselves to us, especially if correspondences, for example, and other relevant contextual documents are also available. The availability of these texts opens up research with digital humanities methods, such as network analysis, digital philology, stylometry, text reuse, topic modelling, distributional semantics, deep neural language modelling, etc. Computational quantitative research can also be used for qualitative questions. In this way we can more easily and on a larger scale investigate linguistic and formal developments of the dramas of single authors, or of Neo-Latin drama in general. We are also able to look - again and anew - at the linguistic reception of classical or contemporary authors, as well as at ecclesiastical Latin, far more easily than is possible in traditional, non-digital research. Or we can look at the development of the use and meaning of words and concepts. We can map when and where specific themes or subjects were used with the help of topic modelling (a text-mining tool for the discovery of hidden semantic structures in a text body) and distant reading (a way of working in which a computer reads hundreds of books and analyses them according to some specific parameters) 34 - , and try to find out if there were contacts, even less obvious ones, between authors diverging in time and place. 35 Or we are able to combine this with other literary genres or objects of art, and map when a topic was en vogue in the arts, in music, in poetry, prose and theatre, and see if subjects and themes were of interest for a certain period 32 See https: / / translatin.nl (accessed 18.8.2022). A database of Neo-Latin dramas is being compiled in https: / / www.dracor.org/ (accessed 17.7.2024). 33 A large selection of them has been edited in Szarota 1979 - 1987. 34 A method of mining large sets of texts of which the possibilities have been shown by the Italian scholar Franco Moretti, see Moretti 2013. 35 On this topic with regard to early modern letter writing, see Ravenek / van den Heuvel / Gerritsen 2017. New Perspectives on Neo-Latin Drama 233 <?page no="234"?> of time, or in a certain region. 36 Moreover, with the help of ‘ digital forensics ’ 37 the material aspects of dramas (editions, marginal notes, provenances) could be mapped and analysed. This research can be done with traditional means, too, but the use of ‘ big data ’ allows for processing much more data and letting the computer do in a few minutes what we ourselves could do only in months or years: ars longa, vita brevis. We could also try to find out the authors of anonymous dramas by applying author recognition software, making use of stylometric analyses. 38 I myself am the initiator of a project trying to substantiate Erasmus ’ s authorship of the Iulius exclusus e coelis. This satiric dialogue has been attributed to the Dutch humanist, but he always denied his authorship. Silvana Seidel Menchi has proven in a very learned and thorough historical and linguistic analysis that it must have been written by Erasmus, but digital author recognition research may give extra, circumstantial evidence. 39 The same holds for a Pseudo- Cyprian text of De duplici martyrio, which probably is a text by Erasmus himself - or by one of the correctors at the Basel Froben Press. 40 Author recognition may shed light on the case. Stylometry, the text analysis researching computational stylistics, will help in these matters, as well as metrical analysis. 41 The styles of several characters in plays can be traced. But also this type of research may add to theatre history, mapping terms for props, for instance. Such research can be carried out on canonical authors, but also on the ‘ great unread ’ , or the forgotten items of historical literature. 42 The results of this research can be presented in articles and books, as well as in visualizations, such as graphs, charts, and diagrams. 43 These are not the final result, but may help us to draw conclusions or substantiate them. Digital mapping, or more specifically multi-modal or multi-layered network visualisations, 44 of persons and their relations, texts and their intertexts and themes may 36 Themes can, for instance, be classified in the ‘ Iconclass ’ system, see https: / / iconclass.org/ (accessed 29.7.2024). 37 See the research project by Mariken Teeuwen, Rutger van Koert and Matthias van Rossum ‘ Digital Forensics for Historical Documents ’ , 2018 - 2021 (https: / / www.huygens.knaw.nl/ en/ projecten/ digital-forensics-for-historical-documents-2/ [accessed 25.7.2024]). 38 On author recognition, see Love 2002. 39 Seidel Menchi 2012. 40 See Seidel Menchi 1978 and Seidel Menchi 2019. 41 Eder / Rybicki / Kestemont 2016; Peverelli / van Erp / Bloemendal 2022a. 42 The term was coined by Margaret Cohen in Cohen 1999. 43 Within the TransLatin project, one of the aims is to compile a volume with analyses, each taking a graph as its starting point. 44 See the research by Ingeborg van Vugt on the circulation of books between the Dutch Republic and Tuscany, van Vugt 2017. 234 Jan Bloemendal <?page no="235"?> shed new light on the development of Neo-Latin drama and could cause us to partially rewrite the history of Neo-Latin drama. Co-citation networks that visualize multiple authors that refer to a certain play may provide insight into the reception of Neo-Latin drama. 45 Moreover, research questions may arise and be answered that we now can hardly think of, and existing questions, for instance regarding the actual ‘ impact ’ of a Neo-Latin drama that hardly travelled from its place of origin or other works that did, or the possible existence of dramas that had a kind of main body text with scenes or characters changed or added according to local circumstances, such as Jacobus Zevecotius ’ s (1596 - 1642) Maria Graeca / Maria Stuarta that remained in manuscript, and is an adaptation of Daniel Heinsius ’ Auriacus, sive Libertas saucia (1602). But what is needed for such research? An IT-specialist would say: ‘ data, data and data ’ , in our case: texts, texts and texts, and metadata. The ‘ Brixner Schultheater im 18. Jahrhundert ’ website serves as a good case in point. Many Neo-Latin dramas from the Netherlands are presented at the Ceneton pages of Leiden University, and other texts can be found through the database of Mr. Dana Ferrin Sutton, the Philological Museum. We find more texts through the VD16 and VD17 websites, the Gallica Collection, the Mannheim Camena Site and Google Books. 46 However wonderful this all might be, we would need a database with texts that are ideally formatted in xml-markup language and are uniform in tagging, using the tags of the Text Encoding Initiative (TEI). “ The TEI defines an influential set of guidelines for enriching texts with both interpretative and descriptive annotations. ” 47 That would normally be a very time-consuming activity, but ever advancing Optical Character Recognition (OCR) allows for turning “ (scans of) existing editions into machine-readable and searchable texts, which often then serve as the basis for new digital editions. ” 48 This is not an easy task, but not an inconceivable one either. But tagging is not necessary for every digital research. When we would like to analyze character networks, for instance, it is necessary to tag the texts, but for, e. g. topic modelling or automatic named entity recognition, this is not necessary. In either case, a cleaned text is needed, for which the PhD student in our TransLatin team, Andrea Peverelli, developed cleaning software, called ‘ Currens ’ . Of course we will have to face the problem of copyright when using 45 Compare Gingras 2010. 46 I myself compiled a ‘ List of Neo-Latin Dramas on the Web ’ (unpublished), featuring some 600 plays. 47 See special issue of Speculum 92, 2017, Supplement 1, Birnbaum / Bonde / Kestemont 2017, S5. 48 Birnbaum / Bonde / Kestemont 2017, S6. New Perspectives on Neo-Latin Drama 235 <?page no="236"?> modern editions. Parts of these issues are addressed in the supplement to the journal for medieval studies Speculum 92, 2017. The sort of research sketched here may of course be carried out with traditional means, but our electronic tools may facilitate it, speed it up and enable research on a far larger scale; they may also reveal things that we may not even think of now. In the TransLatin project, Andrea Peverelli has carried out some experiments revealing connections between plays that were not known yet. 49 And with the help of digital humanities, results may be presented in more ways than the traditional ones. These in turn may show in one overview what is going on, who, for instance, is in the centre of a ‘ literary field ’ or ‘ literary system ’ , and in which field or system, or fields or systems. The field is developing and growing. Thus, old and new questions of the development of Neo-Latin drama, its relation to drama in the vernaculars or to Neo-Latin and vernacular literary history can be better researched and in greater detail. The possibilities Digital Humanities offer us, are to my opinion complementary to what we already did, and no replacement. Literature Birnbaum, David J. / Bonde, Sheila / Kestemont, Mike (eds.): The Digital Middle Ages: An Introduction, in: Special issue of Speculum 92, 2017, Supplement 1, S2 - S38. Bloemendal, Jan / Ford, Philip (eds.): Neo-Latin Drama: Forms, Functions, Receptions, Hildesheim 2008 (Noctes Neolatinae, vol. 9). Bloemendal, Jan / Dixhoorn, Arjan van / Strietman, Elsa (eds.): Literary Cultures and Public Opinion in the Low Countries, 1450 - 1650, Leiden / Boston 2011 (Brill ’ s Studies in Intellectual History, vol. 197). Bloemendal, Jan / Eversmann, Peter G. F. / Strietman, Elsa (eds.): Drama, Performance and Debate: Theatre and Public Opinion in the Early Modern Period, Leiden / Boston 2013 (Drama and Theatre in Early Modern Europe, vol. 2). Bloemendal, Jan / Norland, Howard B. 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New Perspectives on Neo-Latin Drama 239 <?page no="241"?> Register Addison, Joseph, Cato 165 Aimoin von Fleury, Historia Francorum 85 Alberti, Leon Battista, Philodoxus 226 Alvarus, Emmanuel 13 Anonymos - Adrevaldus rex Longobardorum catholicus 198 - Annus aureus veteri meritoque succedens 196 - Arca in Sion 217 - Bücher und Gesellen Das Verderbnis der Sitten 215 - Conradinus 38 - Conradinus dux Sueviae ultimus 209 - Constantinus virtute crucis de Maxentio victor 174 - Dagobertus deliberans de statu vitae eligendo 214 - Der getreue Schutz-Geist 211 - Didacus de Velledas 216 - Felix in fide felicitas 199, 208 - Filius redemptor mundi 217 - Fructus multiplex ex arbore vitae 197 - Genovefa 38 - Gratia victrix 213 - Hugonis fundatoris nostri Marchvallensis liberatio 199, 209 - Illustre charitatis fraternae documentum Romae olim ab Amorithe et Dijteoto fratribus 218 - Irene 203 - Jaromirus 27 - Maria, Königin von Ungarn 27 - Metamorphosis ignominosa et gloriosa 205, 212 - Misericors dominus et justus 217 - Nehemias im neuen Bunde 220 - Nihil scire, sapere 200 - Novae spes mortalium 220 - Nuptiae grammaticae 122 - Sancius Martyr 199, 214 - Sanctus Casimirus regius Poloniae princeps deliberans 199, 204, 211 - Sanctus Reinerius 211 - Siegende Geduld in einem Trauerspiel 206 - Sortis vices 207 - Structura sacra 205 - Sturz des Abermuth in einem Trauerspiel 206 - Umbra vitae 207 - Vestiarium 199 - Victoriosa Austria 203 - Vita Cassiani 91 - Vita Ingenuini 84 - 86, 92, 95 Apollodor, Bibliotheca 106 Aristophanes, Plutus 226 Aristoteles 41 - De arte poetica 28, 80, 227 - Topica 126 Augustinus, De civitate Dei 108 Avancini, Nikolaus 40, 152, 167 - Pietas victrix 162 Balde, Jacob 105 Bartholomäus von Trient, Liber epilogorum 84, 91 Bibel - Evangelium nach Lukas 36 f., 88, 140 f. - Evangelium nach Markus 36, 89, 140 - Evangelium nach Matthäus 36, 140 - Exodus 82 - Psalmen 82 <?page no="242"?> - Zweites Buch Samuel 104, 216 Bidermann, Jakob, Cenodoxus 63 f. Boccaccio, Giovanni, Genealogia deorum gentilium 106 Bodmer, Johann Jakob, Sammlung Critischer, Poetischer und anderer geistvollen Schriften 164 Bollandisten 45 - Acta Sanctorum 85, 92 - Bibliotheca hagiographica Latina 85 Bonelli, Benedetto 19 f., 45, 52, 94 f. Brunner, Andreas, Annales Boicae gentis 85 Buchanan, George - Baptistes sive calumnia 227 - Iephthes sive votum 227 Bucher, Anton von, Beyträge zu einer Schul- und Erziehungsgeschichte in Baiern 152 Carpani, Giuseppe 40, 167 - Sedecias 162 Cassiodor, Variae epistulae 87 Caussin, Nicolas 40 - Solymae 163, 168 Cicero - De inventione 126 - In Catilinam 124 - In Verrem actio secunda 124 - Orator 127 - Topica 126 f. Clari, Sebastian Joseph Johann 49 Claus, Anton 14 - Scipio sui victor 159 f., 168 - Tragoediae autumnales 159 Corneille, Pierre 67 - 69 Curtius Rufus, Historiae Alexandri Magni 168 Deschamps, François, Caton d ’ Utique 165 Diderot, Denis 66 f. - Bijoux indiscrets 65, 67 Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae 108 Donati, Alessandro, Ars poetica 80 Donatus, Aelius 226 Erasmus von Rotterdam, Iulius exclusus e coelis 234 Euripides - Alcestis 227 - Medea 227 Facciolati, Jacopo 20 Forster, Frobenius 54 Frischlin, Nicodemus 132 - Priscianus vapulans 122, 125 Friz, Andreas 68 f. - Epistula de Tragoediis 40, 67 - 69 Gnapheus, Gulielmus, Acolastus 227 Gottsched, Johann Christoph 40 f., 164 - Cato 165 - Versuch einer critischen Dichtkunst 67 Granelli, Giovanni 67 Gregor der Große, Registrum epistolarum 83 Gregor von Tours 91 - Historia Francorum 86 f. Gretser, Jakob 13, 132 - Dialogus de regno Humanitatis 122 Gruber, Gregor 51 Guarna, Andrea 122, 125 - Bellum grammaticale 122, 132 Haidenfeld, Alfons 45 Heinsius, Daniel, Auriacus sive Libertas saucia 235 Herbstenburg, Ignaz Walther von 48 Hesiod, Theogonie 107 Heyrenbach, Joseph Benedikt 51 Historia Augusta 35 Homer, Ilias 30, 106, 108, 154 Horaz, Carmina 89 Hormayr, Joseph von 52 Hygin, Fabulae 108 Ippoliti, Giuseppe 52 242 Register <?page no="243"?> Juvenal, Saturae 128 Kerer, Johann 53 Khevenhüller-Metsch, Johann Josef, Tagebuch 64 f. Kircher, Athanasius - Ars magna lucis et umbrae 82 - Musurgia universalis 82, 181 f. Kranawitter, Johann Nepomuk 47 La Rue, Charles de - Cyrus 160 - 162 - Lysimachus 160 f., 168 Laktanz, Divinae institutiones 106 Lang, Franz 138 f. - Dissertatio de actione scenica 68, 80, 138 - Theatrum solitudinis asceticae 137 Le Jay, Gabriel François 68 - Abdolominus 166 - 168 - Bibliotheca rhetorum 69, 166 Lessing, Gotthold Ephraim 166 - Literaturbriefe 164 f. Linné, Carl von, Systema Naturae 75 Livius Andronicus, Odusia 107 Lohenstein, Daniel Casper von, Sophonisbe 40, 164, 168 Lovati, Lovato de 227 Lukian - Dialogi deorum 108 - Iudicium vocalium 122 Malsiner, Joseph 57 Martyrologium Romanum 212 Masen, Jacob, Palaestra eloquentiae ligatae 64 Mayrhofen, Stefan von 23, 57 Mencke, Johann Burckhardt, Charlataneria eruditorum 164 Metastasio, Pietro 67 Molière 67, 69 Müller, Christoph Franz 48 Mussato, Albertino de, Ecerinis 227 Mythographi Vaticani 108 Nagl, Johann Evangelist Paul, Antiquitas personata 175 Neu-Brixnerischer Schreib-Calender 43 Neumayr, Franz 139 - Idea poeseos 69 Niederweger, Joseph Valentin 49, 51 Nithard, Historiae 102 Opitz, Martin 40 Ossian 66 Ovid 126, 152 - Amores 126 - Ars amatoria 126 - Epistulae ex Ponto 126, 153 - Fasti 108 - Heroides 166 - Metamorphoses 108, 153 - Tristia 153 Paprion, Ignaz 23 Paullin, Johannes, Philothea 142 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 29 f., 83, 85 - 87, 92, 95, 161 Pétau, Denis 40 - Carthaginienses 168 Petrarca, Francesco, Philologia 226 Petrus Damianus 91 Phaedrus, Fabulae 164 Pichler, Joseph Anton 47 Plautus 157, 226, 229 - Captivi 34, 166 - Miles gloriosus 35, 155 Pontanus, Jacobus 13 - Poeticarum institutionum libri tres 80 - Progymnasmata Latinitatis 198 Prudentius, Peristephanon 91 Ps.-Cyprian, De duplici martyrio 234 Ps.-Hieronymus, Martyrologium Hieronymianum 91 Ps.-Seneca - Hercules Oetaeus 157 - Octavia 157, 168 Puell, Philipp Neri 45 Register 243 <?page no="244"?> Racine, Jean 67 - 69 - Phèdre 71 Rader, Matthäus, Bavaria sancta et pia 85 Rémonde de Sainte-Albine, Pierre 66 Resch, Joseph - Adiatorix 17, 28, 31, 38 f., 101, 103, 116, 167, 184 - Aetas millenaria ecclesiae Aguntinae 22 - Agamemnon 17, 30, 39, 105, 116, 158, 182, 225 - Albuinus 29, 39, 154, 158, 160 f., 168, 178 - Annales ecclesiae Curiensis 22 - Annales ecclesiae Sabionensis nunc Brixinensis 18 - 20, 43 f., 83 - 85, 87, 91, 94, 131 - Ars metrica 17, 152 - Compendium prosodiae Latinae universae 17 - Constantini hostia 32, 39 - 41, 161 - 163, 185, 225 - Gloria filiorum patres eorum 18, 29, 83 - 85, 87, 94 - Harmonia sanctorum evangeliorum 22, 146 - Iesus Gondarenus 33, 39 - 41 - Innocentia coronata 34, 39 f., 153, 156, 158, 163 - 165, 167 f., 187 - Iugurtha 14, 39 f., 63 - 77, 153, 156, 158 - 161, 163, 168, 175, 177, 190 - Ludovicus 17, 31, 101 - 111, 116 - Monumenta veteris ecclesiae Brixinensis 18, 56 - Pastor bonus 37, 137 - 150, 225, 232 - Peccator deicida 36, 137 - 150, 225 - Phraseologia poetica 17, 152 - Pius Samaritanus 37, 137 - 150, 225 - Praemia Aureliani 17, 35, 101, 116, 129 f., 133, 154, 157, 164, 225 - Rhetorica 16, 35, 101, 104, 113 - 135, 225 - Sacrae meditationes 36, 39, 137 - 150, 152, 169, 225 - Sanctus Ingenuinus 17, 30, 39 f., 79 - 99, 116, 159, 162 f., 178, 184, 225 - Sanctus Lucanus 27, 29, 39, 79 - Scanderbegi victoria 27, 32 - Supplementum ad monumenta 18 Reuchlin, Johannes, Henno 226 Riccoboni, Antonio Francesco 66 Rinswerger, Wolfgang 124 - Bellum Rhetoricum 123 f. Rosbichler, Johannes 23, 45 Roschmann, Anton 19 f., 93 - 95, 146 - Coniecturae 93 f. - Disquisitio 93 Rubeis, Bernhard Maria de, Monumenta ecclesiae Aquilejensis 85 Sallust, Bellum Iugurthinum 28, 73 Schwab, Gustav 109 Secundus von Trient, Historiola 86 Seneca 28, 40, 152, 160, 163, 166 f., 227, 229 f. - Hercules furens 163, 168 - Medea 153, 168 - Oedipus 168 - Phaedra 168 - Phoenissae 102 - Thyestes 168 - Troades 163, 166, 168 Silius Italicus, Punica 108 Sinnacher, Franz Anton 23, 46 Soarez, Cyprian, De arte rhetorica 126 - 128 Spieß, Philipp Ernst, Von Archiven 51 Stefonio, Bernardino 40 - Flavia 168 Sterzinger, Ferdinand 52 - 57 Sueton, De vita Caesarum 128 Tartarotti, Girolamo 19, 45, 90 f., 93 - 95, 97 - De episcopatu 93 - De origine 90 - 94 244 Register <?page no="245"?> - Epistula ad Antonium Roschmanumm 94 Terenz 68, 226, 229 Thegan, Gesta Hludowici imperatoris 102 Vergil 66, 157 - Aeneis 82, 104, 108, 129, 153 f., 156, 164 - Eclogae 166 Vico, Giambattisto 66 Waldreich von Ehrenport, Franz Augustin 47 Weiger, Joseph Anton, Applausus musicus 196 Weitenauer, Ignaz 20, 167 - Corona Arminii 166 - Mors Ulyssis 166 f. - Quinti Horatii Flacci Ars poetica 69 - Tragoediae autumnales 166 Widmann, Ignaz 47 Wienerisches Diarium 174 Zatelli, Angelo Maria 52 Zelenka, Jan Dismas, Sub olea pacis et palma virtutis conspicua orbi regia Bohemiae corona 173 Zevecotius, Jacobus - Maria Graeca / Maria Stuarta 235 Register 245 <?page no="246"?> NeoLatina herausgegeben von Thomas Baier, Wolfgang Kofler, Eckard Lefèvre und Stefan Tilg Die NeoLatina wurden im Jahr 2000 ins Leben gerufen und haben sich seither zu einem maßgeblichen Organ auf dem Gebiet der neulateinischen Studien entwickelt. In die Reihe finden einschlägige Monographien, kommentierte Textausgaben sowie Sammelbände zu klar umgrenzten Gebieten Eingang. Von Interesse ist die gesamte lateinische Literatur und Kultur seit der Frührenaissance, z.B. die Rezeption antiker Autoren oder die Stellung des Neulateins im Kontext der aufkommenden Nationalliteraturen. Die Reihe ist für Klassische Philologen, Neuphilologen, Historiker sowie alle auf dem Gebiet der Frühen Neuzeit Forschenden von Bedeutung. Seit 2017 werden alle Bände einem Single Blind Peer-Review-Verfahren mit zwei Gutachtern unterzogen. Bereits erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ literaturwissenschaftkat/ literaturwissenschaft-reihen-kat/ neolatina 19 Marie-France Guipponi-Gineste / Wolfgang Kofler / Anna Novokhatko / Gilles Polizzi (Hrsg.) Die neulateinische Dichtung in Frankreich zur Zeit der Pléiade / La Poésie néo-latine en France au temps de la Pléiade 2015, 340 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6702-4 20 Wolfgang Kofler / Anna Novokhatko (Hrsg.) Cristoforo Landinos Xandra und die Transformationen römischer Liebesdichtung im Florenz des Quattrocento 2016, 297 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6785-7 21 Stefan Tilg / Isabella Walser (Hrsg.) Der neulateinische Roman als Medium seiner Zeit/ The Neo-Latin Novel in its Time 2013, 270 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6792-5 22 Iris Heckel (Hrsg.) Floris van Schoonhoven Lalage sive Amores Pastorales - Lalage oder Bukolische Liebesgedichte (1613) 2014, 468 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6897-7 23 Thomas Baier / Jochen Schultheiß (Hrsg.) Würzburger Humanismus 2015, 305 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6898-4 <?page no="247"?> 24 T. Baier / T. Dänzer / F. Stürner (Hrsg.) Angelo Poliziano Dichter und Gelehrter 2015, 288 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6977-6 25 Patrick Lucky Hadley Athens in Rome, Rome in Germany Nicodemus Frischlin and the Rehabilitation of Aristophanes in the 16th Century 2015, 185 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6923-3 26 Philipp Weiß (Hrsg.) Jacob Balde Epithalamion 2015, 195 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6993-6 27 Thomas Baier (Hrsg.) Camerarius Polyhistor Wissensvermittlung im deutschen Humanismus 2017, 364 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8109-9 28 Tobias Dänzer Poetik und Polemik Angelo Polizianos Dichtung im Kontext der Gelehrtenkultur der Renaissance 2018, 295 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8163-1 29 Werner Suerbaum Vergils Epos als Drama Die Gattungstransformation der Inclyta Aeneis in der Tragicocomoedia des Johannes Lucienberger, Frankfurt 1576 2018, 514 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-8233-8225-6 30 Francesco Furlan / Gabriel Siemoneit / Hartmut Wulfram (Hrsg.) Exil und Heimatferne in der Literatur des Humanismus von Petrarca bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts L’esilio e la lontananza dalla patria nella letteratura umanistica dal Petrarca all’inizio del Cinquecento 2019, 592 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-8233-8199-0 31 Wolfgang Kofler / Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer (Hrsg.) Joseph Resch als Bühnenautor Die Brixner Schuldramen und ihr Kontext in Vorbereitung, 246 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8230-0 32 Carla Chiummo / Wolfgang Kofler / Valerio Sanzotta (Hrsg.) Pascoli Latinus Neue Beiträge zur Edition und Interpretation der neulateinischen Dichtung von Giovanni Pascoli / Nuovi contributi all’edizione e all’interpretazione della poesia latina di Giovanni Pascoli 332 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8237-9 33 Stefan Tilg / Benjamin Harter (Hrsg.) Neulateinische Metrik Formen und Kontexte zwischen Rezeption und Innovation 2019, 350 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8266-9 34 Thomas Baier / Tobias Dänzer (Hrsg.) Plautus in der Frühen Neuzeit 2020, 372 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8323-9 <?page no="248"?> 35 Caroline Dänzer Der Schlüssel zur Tragödie 2020, 252 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8383-3 36 Jennifer K. Nelson (ed.) Gian Vittorio Rossi’s Eudemiae libri decem Translated with an Introduction and Notes 2021, 621 Seiten €[D] 108,- ISBN 978-3-8233-8430-4 37 Marc Laureys, Virginie Leroux, Stefan Tilg, Florian Schaffenrath (Hrsg.) Carolus Quintus Kaiser Karl V. in der neulateinischen Literatur / L’empereur Charles Quint dans la littérature néo-latine 2022, 318 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8481-6 38 Manuel Huth Humanismus und Philosophie Die medizinischen Schriften des Humanisten Joachim Camerarius (1500-1574) 2024, 332 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8597-4 39 Katharina-Maria Schön Eutopia nusquama Polyphonie, Paradoxie und philosophische Staatskonstruktion in Thomas Morus’ Utopia 2025, ca. 510 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-8233-8625-4 40 Hartmut Wulfram, Matthias Adrian Baltas (Hrsg.) Von Paolo Giovio bis Johannes Latomus Intermedialität und Intertextualität in den Elogia virorum litteris illustrium 2024, ca. 540 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-381-11511-2 41 Thomas Baier, Tobias Dänzer (Hrsg.) Die Vermessung der Rede Rhetorik(en) in der Frühen Neuzeit 2025, ca. 250 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-381-12461-9 <?page no="249"?> In der neulateinischen Forschung wurden in den letzten Jahren vermehrt Versuche unternommen, das lange Zeit kaum beachtete Schultheater des 18. Jahrhunderts aufzuarbeiten. In dieser Gattung lassen sich nämlich gerade in der Zeit des Rückzugs des Lateinischen aus dem literarischen Diskurs interessante Transformationsprozesse beobachten. Das dramatische Werk des in der alten Südtiroler Bischofsstadt Brixen tätigen Weltgeistlichen Joseph Resch (1716-1782) bietet Einblicke in derartige Wandlungsphänomene: Es wurzelt einerseits in der humanistischen Schultheatertradition der Frühen Neuzeit, weist anderseits aber durch Charakteristika wie den verstärkten Einbezug der Muttersprache, den Rückgriff auf weltliche Stoffe und die Verwendung aufklärerischer Motive darüber hinaus. Der vorliegende Band stellt die erste weiterführende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Dramen dieses Autors dar und bietet zugleich Informationen zu ihrem kultur- und literarhistorischen Entstehungskontext. ISBN 978-3-8233-8230-0