Niederländische Sprachwissenschaft
Eine Einführung
1218
2023
978-3-8233-9351-1
978-3-8233-8351-2
Gunter Narr Verlag
Ute K. Boonen
Ingeborg Harmes
10.24053/9783823393511
Dieser Band führt kompakt und umfassend in die Sprachwissenschaft und Geschichte des Niederländischen ein. Zehn Kapitel bieten eine Übersicht über die wichtigsten Teilgebiete der niederländischen Sprachwissenschaft, unter anderem Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik. Die Autor:innen, die aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland stammen, thematisieren dabei die nahe Verwandtschaft zwischen der deutschen und niederländischen Sprache sowie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varietäten des Niederländischen. Die Einführung ist für die Verwendung im universitären Unterricht durch Lehrende und Studierende - auch mit nur geringen Niederländischkenntnissen - gleichermaßen geeignet. Übungen und kleinere Arbeitsaufträge jeweils am Kapitelende regen die Studierenden zur weiteren Beschäftigung mit den Themen an. Zahlreiche Beispiele und graphische Darstellungen sorgen für eine anschauliche und ansprechende Vermittlung der Inhalte.
Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet und aktualisiert.
Stimmen zum Buch:
"... eine gut lesbare, übersichtliche und aktuelle Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft." (Marc van Oostendorp, NederL 11/2013)
"Es ist den Autor:innen gelungen, deutschsprachigen Studierenden eine klare Übersicht zu vermitteln." (Peter Debrabandere, Neerlandia 2/2014)
"Den Autor:innen gebührt größte Anerkennung." (Camiel Hamans, Werkwinkel 10/2015)
Dieser Band führt kompakt und umfassend in die Sprachwissenscha� und Geschichte des Niederländischen ein. Zehn Kapitel bieten eine Übersicht über die wich�gsten Teilgebiete der niederländischen Sprachwissenscha�, unter anderem Morphologie, Syntax, Seman�k und Pragma�k. Die Autor: innen, die aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland stammen, thema�sieren dabei die nahe Verwandtscha� zwischen der deutschen und niederländischen Sprache sowie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varietäten des Niederländischen. Die Einführung ist für die Verwendung im universitären Unterricht durch Lehrende und Studierende - auch mit nur geringen Niederländischkenntnissen - gleichermaßen geeignet. Übungen und kleinere Arbeitsau�räge jeweils am Kapitelende regen die Studierenden zur weiteren Beschä�igung mit den Themen an. Zahlreiche Beispiele und graphische Darstellungen sorgen für eine anschauliche und ansprechende Vermi�lung der Inhalte. Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet und aktualisiert. S�mmen zum Buch: „[...] eine gut lesbare, übersichtliche und aktuelle Einführung in die niederländische Sprachwissenscha�“. (Marc van Oostendorp, NederL 11/ 2023) „Es ist den Autor: innen gelungen, deutschsprachigen Studierenden eine klare Übersicht zu vermi�eln.“ (Peter Debrabandere, Neerlandia 2/ 2014) „Den Autor: innen gebührt größte Anerkennung.“ (Camiel Hamans, Werkwinkel 10/ 2015) ISBN 978-3-8233-8351-2 Boonen / Harmes Niederländische Sprachwissenscha� Niederländische Sprachwissenscha� Eine Einführung 2., vollständig überarbeitete Auflage Ute K. Boonen / Ingeborg Harmes in Zusammenarbeit mit Roland de Bonth, Ronny Boogaart, Truus Kruyt, Michaela Poß und Gunther De Vogelaer Prof. Dr. Ute K. Boonen lehrt Niederländische Sprachwissenscha� an der Universität Duisburg- Essen. Ingeborg Harmes, M.A., lehrt Niederländische Sprache und Kultur an der Universität Münster. Ute K. Boonen / Ingeborg Harmes in Zusammenarbeit mit Roland de Bonth, Ronny Boogaart, Truus Kruyt, Michaela Poß und Gunther De Vogelaer Niederländische Sprachwissenschaft Eine Einführung 2., vollständig überarbeitete Auflage 2., vollständig überarbeitete Auflage 2023 1. Auflage 2013 DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823393511 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-8351-2 (Print) ISBN 978-3-8233-9351-1 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0360-2 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibli‐ ografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 11 13 1 15 1.1 16 1.1.1 17 1.1.2 17 1.1.3 20 1.2 24 1.3 26 1.4 28 1.4.1 29 1.4.2 33 1.5 34 35 2 37 2.1 38 2.1.1 41 2.1.2 42 2.2 45 2.2.1 45 2.2.2 47 2.2.3 55 2.2.4 62 2.3 64 64 66 3 69 3.1 70 3.1.1 71 3.1.2 76 Inhalt Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die niederländische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verbreitung des Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Afrikaans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Standardsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Sprachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachen klassifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Ziele dieses Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geschichte des Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die indoeuropäische Sprachfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Germanische Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachwandel: Lautverschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachstadien des Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altniederländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelniederländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuniederländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modernes Niederländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wörter und ihre Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Wort zur Bedeutung; Beziehungen zwischen Wortbedeutungen Vom Referenten zum Wort; semantische Beziehungen zwischen Wörtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 79 3.3 81 3.3.1 81 3.3.2 84 3.3.3 87 3.4 87 88 95 4 97 4.1 97 4.1.1 98 4.1.2 101 4.2 102 4.2.1 103 4.2.2 108 4.2.3 112 4.2.4 113 4.3 117 4.3.1 118 4.3.2 120 4.3.3 121 4.4 123 124 126 5 129 5.1 130 5.2 132 5.2.1 132 5.2.2 136 5.2.3 139 5.3 140 5.4 143 5.5 144 5.5.1 146 5.5.2 147 5.5.3 149 5.6 150 151 153 Dynamik im Wortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wörterbucharten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau von Wörterbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualität und Zuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wörter und ihre Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortbildungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morpheme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Affixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Wortbildungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flexionsmorphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flexion bei Nomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flexion bei Adjektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flexion bei Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laute und ihre Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das phonetische Alphabet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laute beschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsonanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vokale und Diphthonge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prosodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonetik und Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variation in der Aussprache: Allophone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonologische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslautverhärtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assimilation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere phonologische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6 155 6.1 155 6.1.1 155 6.1.2 157 6.1.3 158 6.1.4 159 6.1.5 160 6.1.6 162 6.1.7 165 6.1.8 166 6.2 167 6.3 170 6.3.1 171 6.3.2 171 6.3.3 172 6.3.4 173 6.3.5 175 6.3.6 175 6.4 176 6.5 178 179 179 7 181 7.1 181 7.2 184 7.2.1 184 7.2.2 188 7.2.3 194 7.3 197 7.3.1 197 7.3.2 198 7.3.3 202 7.3.4 203 7.4 206 206 207 8 209 8.1 210 8.2 212 Sätze und ihre Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstituenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arten von Konstituenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Köpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstituententests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ambiguität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prädikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direktes Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indirektes Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präpositionalobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adjunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Satzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sätze und ihre Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sätze und Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist die Bedeutung eines Satzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Propositionen und Wahrheitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeptuelle Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situationstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikalische und grammatische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tempus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kommunikationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sender als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 8.3 213 8.3.1 214 8.3.2 219 8.4 219 8.5 223 8.6 228 8.7 231 231 233 9 235 9.1 236 9.2 237 9.3 238 9.4 244 9.4.1 244 9.4.2 245 9.4.3 249 9.5 251 9.5.1 251 9.5.2 251 9.5.3 253 9.5.4 255 9.5.5 256 9.6 258 259 260 10 261 10.1 262 10.1.1 264 10.1.2 268 10.2 269 10.3 271 10.4 275 10.5 277 10.6 279 10.7 281 10.8 284 Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfolgreiche Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen den Zeilen lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indirektheit und Höflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pragmatische Angemessenheit bei Anredeformen . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variation in Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variationslinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variationsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geografische oder ‚horizontale‘ Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale oder ‚vertikale‘ Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufschwung der gesprochenen Standardsprache . . . . . . . . . . . . . . Quantitativ soziolinguistische Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Kopf der Sprecher: innen: Attitüde-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache . . . . . . . . . . Standardisierung abgeschlossen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dialektrenaissance und Anerkennung von Mundarten . . . . . . . . . . . . Post-Standardvarietäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Variation: vom Weltniederländisch zu straattaal und Murks . . . ‚Superdiversity‘ auf dem linguistischen Markt: von Lekten zu Sprechstilen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Prozess des Sprachwandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursachen für Sprachwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachwandel oder Sprachverfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie untersucht man Sprachwandel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikalischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lautwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntaktischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pragmatischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 10.9 287 287 289 291 293 310 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bild- und Rechtsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 Vorwort zur 1. Auflage Gute Bücher über die niederländische Sprache und Sprachwissenschaft gibt es schon. Und es gibt auch im Internet vielfältige Informationen. Warum sollte man also ein Buch zur niederländischen Sprachwissenschaft schreiben? Nun, nahezu alle Standard‐ werke der Niederlandistik sind auf Niederländisch verfasst, was für Studienanfänger und andere Interessierte ohne ausreichende Niederländischkenntnisse ein Problem darstellt. Online Informationen wiederum sind oft weitgefächert und dadurch nicht immer überschaubar. Außerdem besteht immer wieder die Gefahr, dass Links nicht mehr existieren oder unauffindbar sind. Bücher leiden weniger darunter und zudem kann man mit einem Text auf Papier besser lernen, weil man unterstreichen und markieren kann. Deshalb diese Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft auf Deutsch. Das Buch umfasst zehn Kapitel, die zwar aufeinander aufbauen, die aber auch getrennt voneinander verständlich sind und in einer anderen Reihenfolge gelesen werden können. Zu jedem Kapitel gehören neben einem Textteil auch Aufga‐ ben. Lösungsvorschläge können unter der URL http: / / www.narr-studienbuecher.de eingesehen werden. Dieses Projekt konnten wir nicht alleine in die Tat umsetzen. Wir danken unseren Mitautoren, Michaela Poß, Truus Kruyt und Gunther De Vogelaer, für ihre konstruktive Mitarbeit und die inhaltliche Bereicherung durch ihre Beiträge. Viele Kolleginnen und Kollegen der intra- und extramuralen Niederlandistik waren bereit, die Kapitel einer kritischen Begutachtung zu unterziehen und durch ihr Fachwissen zu bereichern. Da‐ für danken wir: Amand Berteloot, Ronny Boogaart, Gabriële Boorsma, Heinz Eickmans, Bernhard Fisseni, Joop van der Horst, Karolien Janssens, Jürgen Jaspers, Benina Knothe, Esther de Leeuw, Willy Martin, Anneke Neijt, Daniel Van Olmen, Michaela Poß, Ariane van Santen, Ton van der Wouden und Chris De Wulf. Für die tollen maßgefertigten Illustrationen danken wir Helmut Aretz. Die Übersetzung der Kapitel 3 und 8 aus dem Niederländischen ins Deutsche erfolgte in angenehmer Zusammenarbeit mit Kerstin Kamp und Bettina Anhuth. Nicole Dorweiler und Bernhard Fisseni haben mit großer Sorgfalt das Korrekturlesen übernommen, bei Layout und Formatierung wurden wir von Nicole Dorweiler und Michael Wentker unterstützt. Dem Narr-Verlag danken wir für das uns entgegengebrachte Vertrauen, insbesondere Bernd Villhauer, der sich für dieses Projekt persönlich eingesetzt hat, und Tillmann Bub und Karin Burger. Schließlich möchten wir der Nederlandse Taalunie für die finanzielle Unterstützung des Projektes danken. Amsterdam/ Münster, im September 2013 Ute K. Boonen & Ingeborg Harmes Vorwort zur 2. Auflage Über die Anfrage des Verlages, eine neue Auflage der Niederländischen Sprachwissen‐ schaft herauszugeben, haben wir uns sehr gefreut, da dies von der Wertschätzung dieser Einführung zeugt und uns die Möglichkeit geboten hat, das Buch zu aktualisieren und zu überarbeiten. Wir danken an dieser Stelle Tillman Bub für das uns entgegen‐ gebrachte Vertrauen. Wir haben ein neues Kapitel zur Bedeutung von Sätzen aufgenommen, das Ronny Boogaart verfasst hat und das von uns ins Deutsche übersetzt wurde. Am neuen Kapitel zur Bedeutung von Wörtern hat zusätzlich Roland de Bonth mitgewirkt. Das Kapitel Methoden der Sprachwissenschaft haben wir in der aktuellen Auflage außen vor gelassen. In diesem Zusammenhang möchten wir uns bei allen Rezensent: innen für ihre wertvollen Hinweise und Vorschläge bedanken. Außerdem danken wir Heinz Eickmans und Bernhard Fisseni für ihre inhaltlichen Hinweise, Karen Wallrich, Sabine Vahl und Ellen Brösterhaus für ihre Unterstützung bei der redaktionellen Arbeit sowie Michaela Menken (geb. Poß) für die Erlaubnis, ihren Text überarbeiten zu dürfen. Unser herzlichster Dank gilt vor allem den beteiligten Autor: innen Truus Kruyt, Roland de Bonth, Ronny Boogaart und Gunther De Vogelaer. Essen/ Münster, im September 2023 Ute K. Boonen & Ingeborg Harmes 1 Die niederländische Sprache Ingeborg Harmes & Ute K. Boonen Niederländer geben endlich zu, dass ihre Sprache nur ein ausgefeilter Witz ist, um Deutsche zu veralbern Viele haben es schon lange vermutet, jetzt ist es offiziell: Die niederländische Sprache war nie ernsthaft zur zwischenmenschlichen Kommunikation gedacht. Stattdessen handelt es sich bei ihr um einen ausgefeilten Witz, mit dem die Bewohner des Landstrichs westlich von Nordrhein-Westfalen die Deutschen veräppeln wollten. Tatsächlich sprechen die Niederländer untereinander völlig normales Deutsch, wie die Regierung in Den Haag heute zugab. Der Postillon, 25.05.2018 Derzeit sprechen etwa 25 Mio. Menschen Niederländisch als Muttersprache und damit gehört die niederländische Sprache zu den mittelgroßen Sprachen. Als große europäische Sprachen gelten z. B. Deutsch mit mehr als 92 Mio. und Französisch mit mehr als 75 Mio. Muttersprachler: innen; kleine Sprachen sind Schwedisch und Dänisch mit etwa 10 bzw. 6 Mio. Sprecher: innen. Wenn man berücksichtigt, dass weltweit schätzungsweise 6.000 Sprachen existieren, hat das Niederländische dennoch eine ziemlich starke Position, denn es gehört zu den 40 meistgesprochenen Sprachen der Welt. Klischees und Halbwissen über die niederländische Sprache sind nach wie vor im Umlauf. Wer über die niederländische Sprache schreibt, darf bei Leserinnen und Lesern außerhalb des niederländischen Sprachgebietes keine auch nur einigermaßen angemessene Vorstellung vom Gegenstand der Darstellung voraussetzen; zu sehr ist das Bild des Niederländischen fast allgemein von Vorurteilen und Mißverständnissen verzerrt. (Vekeman & Ecke 1992: 1) Um einige Missverständnisse gleich auszuräumen: Niederländisch wird oft ‚Hollän‐ disch‘, die Niederlande oft ‚Holland‘ genannt. Genau wie England nur ein Teil von Großbritannien ist, ist Holland eigentlich nur ein Teil der Niederlande. Nordholland und Südholland sind zwei Provinzen im Westen der Niederlande. Die größten Städte sowie das politische und ökonomische Zentrum liegen in dieser Region. Vielleicht weil Holländisch kürzer und dadurch praktischer ist als Niederländisch, verwenden auch manche Niederländer: innen selbst häufig Hollands statt Nederlands für ihre Sprache. Jahrelang war die Bezeichnung Holland in Kombination mit einer Tulpe Teil des Logos der Tourismusbranche. Seit 2019 hat der Staat ein neues internationales Logo (Abb. 1.1) mit dem Begriff Netherlands eingeführt, weil dieser Name mittlerweile international aussagekräftiger ist. Abb. 1.1: Offizielles internationales Logo der Niederlande In Belgien wird die niederländische Sprache häufig Vlaams genannt (man spricht hier nicht Hollands). Eigentlich bezieht sich ‚flämisch‘ bzw. Vlaams auf die Region Flandern und ist der Name von zwei Dialekten, West- und Ostflämisch, die im Westen Flanderns gesprochen werden. Offiziell gibt es also weder die Sprache ‚Holländisch‘ noch die Sprache ‚Flämisch‘, sondern nur die Sprache ‚Niederländisch‘. 1.1 Die Verbreitung des Niederländischen Spuren der niederländischen Sprache findet man weltweit. Die vielen Handels- und Kulturkontakte innerhalb und außerhalb Europas haben dazu geführt, dass wir bis heute noch sprachliche Einflüsse in verschiedenen Regionen der Welt finden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um niederländische Wörter, die in anderen Sprachen übernommen wurden. Viele dieser Wörter beziehen sich auf das alltägliche Leben, die Seeschifffahrt, den amtlichen Bereich und den Handel. Beispiele für solche Wör‐ ter sind bīru (bier) im Japanischen, brote (brood) im brasilianischen Portugiesisch, smear-case (smeerkaas) im amerikanischen Englisch, mápka (map) und kanál (kanaal) im Russischen, gávan (haven) und kontorá (kantoor ‚Büro‘) im Polnischen, kasir (kassier) im Javanischen oder notāris (notaris) und kakkussi-ya (kakhuis) im Singalesischen (Sri Lanka). In der Stadt New York erinnern bestimmte Ortsnamen noch an die niederländische Anwesenheit im 17. Jahrhundert: Broadway (Breede Weg), Brooklyn (Breukelen), Harlem (Haarlem) oder Coney Island (konijneneiland ‚Kanincheninsel‘). Derzeit ist Niederländisch die offizielle Amtssprache in den Niederlanden, Belgien, auf den Karibikinseln Aruba, Curaçao, Sint Maarten, Bonaire, Sint Eustatius und Saba sowie in Suriname. In den folgenden Kapiteln wird die Position des Niederländischen in den jeweiligen Gebieten vorgestellt. Anschließend gehen wir noch kurz auf die niederländische Sprache in der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien, heute Indonesien, und die Tochtersprache Afrikaans ein. 16 1 Die niederländische Sprache 1 Im Literaturverzeichnis sind die Quellen der Daten zu Sprecher: innen- und Bevölkerungszahlen aufgeführt. 1.1.1 Niederlande Niederländisch ist die offizielle Amtssprache für die etwa 17,5 Mio. Einwohner: innen der Niederlande. 1 Außerdem hat seit 1995 auch Friesisch (Fries) den Status einer offiziellen Sprache, allerdings nur in der Provinz Friesland. Friesisch wurde 1995 gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen als Regionalsprache (streektaal) anerkannt. Es gibt etwa 350.000 Sprecher: innen des Friesischen. Außer im familiären Umfeld wird Friesisch in bestimmten Bereichen wie in der Schule, der Verwaltung und der Rechtsprechung verwendet (s. Textbeispiel). Weder die niederlän‐ dische noch die friesische Sprache sind übrigens in der Verfassung festgelegt. Sinds 1 januari 2014 hebben Friezen het recht om in Nederlandse rechtszalen Fries te praten, de tweede rijkstaal van Nederland. Dat is wettelijk bepaald in de Wet gebruik Friese taal. “Je had ooit een boer, ergens uit het noorden van Friesland. Hij had zijn hele leven alleen maar Fries gesproken. En na de lagere school had hij geen opleiding meer gehad. Het was een zaak over het oormerken van zijn vee. En hij wist echt niet meer wat het woord ‘twaalf ’ in het Nederlands was. ‘Tolve! ’, riep hij door de rechtbank. Als de rechters dat niet begrijpen, heb je toch echt een tolk nodig.” Algemeen Dagblad, 24.09.2021 Limburgisch (Limburgs) und Nedersaksisch sind seit 1997 bzw. 1996 auch als Regi‐ onalsprache anerkannt, haben aber nicht den gleichen Status wie das Friesische. Mit der Anerkennung als Regionalsprache verpflichten sich die Niederlande, die Regionalsprachen zu schützen und zu fördern. So subventionieren sie beispielsweise lokale Theatervereinigungen und lokale Radiosender, die auch in der eigenen Regio‐ nalsprache senden. Außerdem werden in den Niederlanden - wie in vielen anderen Ländern auch - weitere Sprachen verwendet, die aber keinen offiziellen Status haben. In den Niederlanden sind das vor allem die Sprachen der Immigrant: innen wie Türkisch, Marokkanisch-Arabisch, Papiamento (vgl. Kap. 1.1.3), Indonesisch und Sranantongo (vgl. Kap.-1.1.3). 1.1.2 Belgien Belgien hat drei offizielle Sprachen: Niederländisch, Französisch und Deutsch. Von den etwa 11,5 Mio. Einwohner: innen leben über 6,6 Mio. Belgier: innen im niederländischsprachigen Flandern (Vlaanderen), 4,8 Mio. in der französichsprachigen Wallo‐ 1.1 Die Verbreitung des Niederländischen 17 nie (auch: Wallonien; Wallonië), 1,2 Mio. in der französich-niederländischsprachigen Hauptstadtregion Brüssel (Hoofdstedelijk Gewest Brussel) und circa 78.000 in der deutschsprachigen Region Ostbelgien (Oost-België). Der belgische Föderalstaat ist in Gemeinschaften und Regionen eingeteilt. Die Gemeinschaften (gemeenschappen) sind sprachlich-kulturell ausgerichtet und gliedern sich in eine flämische, französische und deutschsprachige Gemeinschaft. Die Regionen (gewesten) sind politisch-adminis‐ trativ ausgerichtet, im Norden liegt die Region Flandern und im Süden die Region Wallonien. Die Stadt Brüssel bildet eine eigene Region: die Region Brüssel-Hauptstadt (Brussel-Hoofdstad). Zudem werden auch hier - ohne offiziellen Status - verschiedene Immigrant: innensprachen verwendet, vor allem Italienisch, Marokkanisch-Arabisch, Portugiesisch und Türkisch. Die geografische Verteilung der drei offiziellen Sprachen ist in Artikel 4 der Verfassung festgelegt (s. Kasten): België omvat vier taalgebieden: het Nederlandse taalgebied, het Franse taalge‐ bied, het tweetalige gebied Brussel-Hoofdstad en het Duitse taalgebied. Elke gemeente van het Rijk maakt deel uit van een van deze taalgebieden. De grenzen van de vier taalgebieden kunnen niet worden gewijzigd of gecorrigeerd dan bij een wet, aangenomen met de meerderheid van de stemmen in elke taalgroep van elke Kamer, op voorwaarde dat de meerderheid van de leden van elke taalgroep aanwezig is en voor zover het totaal van de ja-stemmen in beide taalgroepen twee derden van de uitgebrachte stemmen bereikt. Belgische Grondwet, Gecoördineerde tekst van 17 februari 1994 Laut Gesetz besteht Belgien also aus vier Sprachgebieten (Abb. 1.2): dem niederländi‐ schen Sprachgebiet in Flandern, dem französischen Sprachgebiet in Wallonien, dem deutschen Sprachgebiet in Ostbelgien bei Eupen und dem zweisprachigen Sprachgebiet in der Region Brüssel-Hauptstadt. Darüber hinaus gibt es die sog. Fazilitäten-Gemeinden (faciliteitengemeenten). In diesen Gemeinden, die unmittelbar an den Sprachgrenzen liegen, ist gesetzlich festgelegt, dass die Einwohner: innen das Recht haben, gewisse Verwaltungsdienste in der jeweils anderen Sprache zu erhalten. In einer Gemeinde, die eigentlich im französischen Gebiet liegt, können Bürger: innen auch auf Niederländisch oder Deutsch Leistungen beantragen, Formulare erhalten etc., und umgekehrt. Aus sprachpolitischen Gründen erkennt Belgien keine Regionalsprachen gemäß der europäischen Charta an. 18 1 Die niederländische Sprache 2 Das Fragment kann man sich online anhören auf: https: / / www.dialectloket.be/ geluid/ stemmen-uit -het-heden/ tussentaal-op-tv/ . Abb. 1.2: Sprachgebiete in Belgien Wer in Belgien ist, bemerkt schnell, dass sich die gesprochene Sprache dort anders anhört als in den Niederlanden: (1) Ik heb een heel schoon kleedje gekocht in Antwerpen. (2) ja en hebde gij wiskunde al gemaakt? (CGN fv900251) (3) We gaan volgend jaar twee miljoen moeten bezuinigen. (ANS) Einige typische Merkmale des Niederländischen in Flandern sehen wir im Wortschatz: schoon statt mooi und kleedje statt jurkje. Andere Merkmale sind das Anredepronomen gij statt jij, die dialektale Variante mit doppelter pronominaler Markierung (gij in Kom‐ bination mit der klitischen Form de für gij), und die grammatische Konstruktion gaan moeten bezuinigen statt (zullen) moeten bezuinigen. In den letzten Jahrzehnten sprechen immer mehr Flam: innen eine bestimmte Form des Niederländischen, die kein Dialekt (mehr) ist, aber sich erheblich vom Niederländischen in den Niederlanden unterschei‐ det. Diese Form des Niederländischen ist unter dem Namen Verkavelingsvlaams oder auch tussentaal bekannt. Tussentaal (s. Textbeispiel) 2 ist ein äußerst facettenreiches Phänomen, das in den letzten Jahren verstärkt im Zentrum des Interesses steht, sich aber nicht einfach beschreiben lässt. 1.1 Die Verbreitung des Niederländischen 19 Tussentaal in de soapserie Thuis Amai waar da gij nog mee afkomt. Daar moet ik eens over nadenken ze. Euh mag et iets heel duur zijn? / Nee want al mijn geld steekt in de Fit&Fun. / Ah want ‘k ad anders een heel schoon kleedje gezien zo’n avondkleedje in rode zijde of die ring eh die bij de juwelier aan de kerk ligt weette nog de welke? / Mmmm. / Seg ben u maar aan ’t plagen hé. Ik wil toch maar één ding en da is nog jaren gelukkig zijn met u. Of ja ‘k eb misschien toch ook nog nen anderen wens. dialectloket.be 1.1.3 Übersee - 1.1.3.1 Die Karibikinseln Seit der Verfassungsänderung vom Oktober 2010 besteht das Königreich der Nieder‐ lande aus vier Ländern auf zwei Kontinenten: den Niederlanden in Europa und den Karibikinseln Aruba, Curaçao und Sint Maarten (Abb. 1.3). Die Inseln sind selbstständige Länder mit einer eigenen Regierung. Auch die drei südamerikanischen Inseln Bonaire, Sint Eustatius und Saba (BES-eilanden) gehören zum Königreich. Diese Inseln, die auch als Karibische Niederlande (Caribisch Nederland) bezeichnet werden, haben den Status einer besonderen Gemeinde der Niederlande. Abb. 1.3: Karibischer Teil der Niederlande Niederländisch ist auf allen sechs Inseln eine der offiziellen Amtssprachen und die Spra‐ che, die in der Verwaltung, für die Gesetzgebung und andere rechtliche Vorgänge und 20 1 Die niederländische Sprache auch im Schulunterricht hauptsächlich verwendet wird. Als Umgangssprache spielt Niederländisch eher eine kleine Rolle, denn die meisten Einwohner: innen sprechen im Alltag Papiamento (Papiaments) auf Aruba, Curaçao und Bonaire oder Englisch auf Curaçao, Sint Maarten, Saba und Sint Eustatius. 2003 haben das Parlament von Aruba und 2007 das Parlament von Curaçao neben Niederländisch auch das Papiamento als offizielle Amtssprache eingeführt, wodurch beide Sprachen gleichwertig sind. In einem Anpassungsgesetz aus dem Jahr 2010 ist für die BES-Inseln festgelegt, dass außer Niederländisch auch Papiamento und Englisch Kommunikationssprachen zwischen den öffentlichen Behörden und den Bürger: innen sind, wie beispielsweise im folgenden Fragment zum reibeweis ‚Führerschein‘ der Behörde auf Bonaire (s. Kasten). Un reibeweis ta un prueba di outorisashon pa manehá vehíkulo di motor i vehíkulo motorisá ku velosidat limitá. Tur hende ku ta biba na Boneiru i ku ke subi kaminda ku un vehíkulo di motor (outo di famia, outo di trabou, bùs, motosaikel òf bròmfits), mester ta den poseshon di un reibeweis bálido. Een rijbewijs is een bewijs van de bevoegdheid tot het besturen van motorrijtu‐ igen en bromvoertuigen. Iedereen die op Bonaire woont en met een motorrijtuig (personenauto, bedrijfswagen, bus, motorfiets of bromfiets) de weg op wil, moet in het bezit zijn van een geldig rijbewijs. bonairegov.com, 13.12.2021 - 1.1.3.2 Suriname Die Republik Suriname ist eine ehemalige niederländische Kolonie im Norden des süd‐ amerikanischen Kontinents. Aufgrund der Geschichte Surinames mit den Eroberungen durch Spanien und England sowie die Sklaverei in den ersten zwei Jahrhunderten der niederländischen Kolonisierung hat sich die Bevölkerung zu einer multiethnischen Gesellschaft entwickelt. In Suriname, das seit 1975 unabhängig ist, werden deshalb um die 20 Sprachen gesprochen. Einzige offizielle Amtssprache ist das Niederländische, das im Bildungswesen, der Verwaltung und im Rechtswesen verwendet wird. Etwa 60 % der rund 598.000 Einwohner: innen sprechen es als Muttersprache. Neben Niederländisch ist das Sranantongo (auch Surinamisch oder Taki-Taki genannt) die zweitwichtigste Sprache in Suriname, es funktioniert als Lingua franca (lingua franca), d. h. als Kontakt- und Gemeinschaftssprache in dieser mehrsprachigen Gesellschaft. Andere Sprachen sind z. B. das Sarnami (surinamisches Hindustanisch), Javanisch, Chinesisch und die Marronsprachen, wie das Saramakanisch und Aukanisch. Das Niederländische in Suriname ist eine eigene Form der niederländischen Sprache, die aufgrund des intensiven Sprachkontakts mit den vielen einheimischen Sprachen eigene Strukturen entwickelt hat. Schauen wir uns das Fragment aus einem literari‐ 1.1 Die Verbreitung des Niederländischen 21 schen Text genauer an (s. Textbeispiel unten). In den Dialogen dieses Textes fallen einige Eigenheiten sofort auf, wie z. B. der Gebrauch einer anderen Präposition (breng voor je huisarts statt breng naar je huisarts) oder das Hilfsverb gaan, um das Futur auszudrücken (Waar denk je dat je zo gaat gaan? ). Auch findet man ab und an Wörter oder kurze Sätze in Sranantongo, wie poku (muziek), Pe yu karta de? (Waar is je kaartje? ), nanga hebi alen disi (in deze zware regen) oder das Wörtchen nò? (niet waar? ), das am Ende einer Frage steht und bedeutet, dass man eine Bestätigung erwartet. De zinkplaten dakbedekking knapte toen de regen aarzelend zijn eerste druppels losliet. Tjrrrp tjrrrp tjrrrp. Als waterspetters op hete olie. Toen werd het zwaarder, luidruchtig geroffel. Regen speelde poku, danste patyanga op het dak. „Heb je al een nummer gehaald? ” Voor een moment staarde ze de zuster verdwaasd aan, drong het niet door wat haar werd gevraagd. “Je nummer! ” “Ik kom voor uitslag zuster. Alleen uitslag”, klonk het toonloos. “Oh, voor resultáát kom je! Niet hier toch meisje. Is niet hier moet je zijn. Kijk, ga bij zuster daar, dan vraag je.” Ze sprong op, liep haastig naar het loket waar ze haar kaartje eerder had laten zien. Er zat nu een ander. “Ik kom voor uitslag zuster, ik verzoek zuster mijn uitslag-…” “Pe yu karta de? ” Ze overhandigde haar kaartje. Kreeg het terug met een opgevouwen tweedruk die was dichtgeniet. “Breng voor je huisarts.” Een enorm watergordijn werd vanuit de hemel neergelaten. Mensen verdrongen zich bij de uitgang. Ze wrong zich tussen hen door. “Hmmm meisje, je kan niet wachten nò, je hebt geen manieren nò? Man! Waar denk je dat je zo gaat gaan nanga hebi alen disi.” Ze keek niet op, gaf geen antwoord. Marylin Simons, Carrousel (2003) Es ist jedoch in solchen Texten und Situationen schwierig festzulegen, was charak‐ teristisch für das surinamische Niederländisch ist und was vielleicht kein ‚gutes‘ Niederländisch ist. Denn in einer mehrsprachigen Gesellschaft besteht eine rege Interaktion zwischen den verschiedenen Sprachen, in Suriname vor allem zwischen Sranantongo und Niederländisch. - 1.1.3.3 Indonesien In Indonesien ist die offizielle Amtssprache das Bahasa Indonesia, was ‚Sprache von Indonesien‘ bedeutet. Ende des 16. Jahrhunderts setzten die ersten Niederländer ihren Fuß auf den Indischen Archipel und bis 1949 war Indonesien die niederländische Kolonie Niederländisch-Indien. Aber im Gegensatz zu z. B. England und Spanien haben die Niederländer: innen bewusst keinen Sprachimperialismus betrieben: Die allgemeine Verbreitung des Niederländischen unter der einheimischen Bevölkerung war sogar unerwünscht. Nur in der Verwaltung, der niederländischen Kirche und 22 1 Die niederländische Sprache in einigen Schulen war die niederländische Sprache präsent. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Niederländisch gezielt an bestimmten Schulen eingeführt, die allgemeine Ausbreitung in den Schulen erfolgte erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während der japanischen Besetzung (1942-1945) wurde das Niederländische verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch für eine kurze Zeit Pläne, die Position der niederländischen Sprache zu stärken, dafür war es jedoch zu spät. Kurz nach der Souveränitätsübertragung am 27.12.1949 wurde das Niederländische in Schule und Verwaltung abgeschafft. Die niederländische Sprache ist aber nie vollkommen aus Indonesien verschwunden (Abb. 1.4). Es gibt z. B. eine ganze Reihe von Lehnwörtern aus dem Niederländischen im Bahasa Indonesia und umgekehrt (Tab. 1.1). Niederländische Lehnwörter Indonesische Lehnwörter rebewis rijbewijs amok probleem, ruzie taplak tafellaken soebatten lief vragen sekolah school pienter slim hotperdom godverdomme toko Chinese winkel seterika strijken amper nog maar net Tab. 1.1: Lehnwörter Hinzu kommt, dass heutzutage viele Menschen in Indonesien Niederländisch lernen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens ist Niederländisch als Quellensprache (bronnentaal) von großer Bedeutung in Studiengängen wie Geschichte, Rechtswis‐ senschaften, Anthropologie oder Sprachwissenschaft, weil viele ältere Quellen in niederländischer Sprache verfasst sind. Zweitens bestehen immer noch viele Familien‐ kontakte mit den Niederlanden oder besteht der Wunsch, an einer niederländischen oder flämischen Universität zu studieren. Und drittens erhöht das Niederländische die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Abb.1.4: Niederländisch im Straßenbild Jakartas 1.1 Die Verbreitung des Niederländischen 23 Im ehemaligen Niederländisch-Indien wurde außer Niederländisch, Malaiisch, Java‐ nisch und anderen einheimischen Sprachen auch eine Art Jugendsprache gesprochen: das Petjo, das vor allem auf der Straße gesprochen wurde. Op een dah ik ontmoet Si Bentiet bij ‘t sluis, haat noh srijven. Dese hij is een wonder fan de werelt. Ik seht: “Masa 'ntiet jij haat werken bij ’t sluis! ” Hij seh: “Als dese ik doet thuis, di-gampar ikke door mijn moeder! Dese hij is straf.” En dan ik leest: “Ik mag niet brutaal zijn tegen de jifrouw.” Ik seht: “In de eerste plaats fout dese. Moet júffrouw met korte u. Ajo, ferbeteren. Als niet, kwaai-kwaai djiefrouw straks. Overmaken lagi, als niet tambah extra honderd stuks strafrehel.” En dan Si Bentiet hij kijk lang naar mij, tot ik wordt bang een beetje. Op een dag ontmoet ik Bentiet bij de sluis, hij gaat nog schrijven. Dit is een wonder van de wereld. Ik zeg: “Broer Bentiet, ga jij bij de sluis werken? ” Hij zegt: “Als ik dit thuis doe, word ik door mijn moeder getekend (= gestraft). Dit is straf.” En dan lees ik: “Ik mag niet brutaal zijn tegen de jifrouw.” Ik zeg: “In de eerste plaats is dit fout. Júfrouw moet met een korte u. Kom op, verbeteren. Zo niet, dan is de jufrouw straks verschrikkelijk kwaad. Nog eens overmaken, zo niet, honderd stuks strafregels extra erbij doen.” En dan kijkt Bentiet lang naar mij, tot ik een beetje bang word. Tjalie Robinson, Ik en Bentiet (1984) Die niederländische Bevölkerung vor Ort ärgerte sich sehr über diese ‚Krummsprache‘ (kromtaal), der Schriftsteller Tjalie Robinson setzte sich aber für diese Sprache ein und hat auch einige Geschichten in Petjo geschrieben. Die Mischung aus niederländischen und malaiischen Elementen ist in diesem Textbeispiel gut zu erkennen. Malaiische Wörter sind: masa (,glaubst du‘), di-gampar (,eins auf die Mütze bekommen‘), lagi (,wieder‘) und tambah (,noch mehr bekommen/ geben‘). Eine andere Wortstellung zeigt sich in op een dah ik ontmoet Si Bentiet oder en dan ik leest. Typisch sind auch Wortformen wie kwaai-kwaai (,sehr wütend‘) oder Konjugationsformen wie ik seht, ik leest, hij kijk. Heute wird das Petjo nur noch vereinzelt gesprochen, man hört es z. B. noch bei den jährlichen Gedenktagen für die Opfer der japanischen Gefangenenlager oder bei Veranstaltungen zur indonesischen Kultur. 1.2 Afrikaans Afrikaans ist kein Niederländisch, aber die beiden Sprachen ähneln sich so sehr, dass sich Sprecher: innen des Niederländischen und des Afrikaans im Prinzip gegenseitig verstehen können. Vergleichen wir ein Textfragment aus Der kleine Prinz von Antoine 24 1 Die niederländische Sprache de Saint-Exupéry auf Afrikaans und Niederländisch (es hilft, wenn man das afrikaanse Textfragment laut liest): A, klein prinsie, so het ek stadigaan iets van jou lewetjie en sy hartseer begin verstaan. ’n Baie lang tyd was die lieflikheid van die sonsondergang vir jou die enigste plesier op jou planeet - dit het ek agtergekom toe jy op die oggend van die vierde dag vir my sê: Ek hou baie van sonsondergange. Ach, kleine prins, zo heb ik langzamerhand je droefgeestige leventje leren begrijpen. Lange tijd had je geen andere afleiding dan het ondergaan van de zon. Dat hoorde ik de vierde dag, toen je zei: Ik houd erg van zonsondergangen. Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz Viele Wörter sind eindeutig zu erkennen, auch wenn sie nicht gleich geschrieben werden (ek - ik, lewetjie - leventje, vir jou - voor jou, oggend - ochtend und agtergekom - achtergekomen). Auch die Wortstellung unterscheidet sich nur leicht vom Niederlän‐ dischen. Schwieriger zu erkennen sind Wörter wie stadigaan für langzamerhand (,nach und nach‘) und baie für erg (,sehr‘). Die sprachlichen Ähnlichkeiten gehen auf die Entstehungsgeschichte des Afrikaans zurück: Es hat sich aus den niederländischen Dialekten des 17. Jahrhunderts entwickelt, nachdem sich die Vereinigte Ostindische Handelskompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC) im heutigen Kapstadt niedergelassen hatte. Die Sprachsituation war von Anfang an sehr divers, außer Nie‐ derländisch gab es am Kap noch die europäischen Sprachen Deutsch und Französisch, das Portugiesisch-Malaiische, das die Versklavten sprachen, und die einheimischen afrikanischen Sprachen der San und Khoi-Khoi. Bis etwa 1800 hat sich in dieser Sprachvielfalt das Afrikaans als eigenständige Umgangssprache entwickelt. Nachdem die Brit: innen 1806 die Herrschaft der Kapkolonie übernommen hatten, spielte das Englische eine immer größere Rolle. Erst 1925 wurde Afrikaans neben Englisch als offizielle Amtssprache anerkannt. Seit 1994 ist Afrikaans eine der elf offiziellen Sprachen in Südafrika mit etwa 6 Mio. Sprecher: innen. Außerdem wird es in Namibia von etwa 200.000 Menschen gesprochen. Die Position des Afrikaans steht heutzutage unter Druck, weil Englisch in immer mehr Bereichen wie in der Verwaltung, in der Rechtsprechung und in den Medien an Bedeutung gewinnt. Allerdings ist Afrikaans nach Zulu und Xhosa die drittgrößte Sprache, die im familiären Umfeld gesprochen wird. Es existiert eine reiche afrikaanse Literatur und man kann Afrikaans in Südafrika und Namibia studieren. An der belgischen Universität Gent gibt es das Gents Centrum voor het Afrikaans en de studie van Zuid-Afrika. 1.2 Afrikaans 25 1.3 Standardsprache Niederländisch gibt es in verschiedenen Formen: (4) Dit is voor ikke! (5) Arme lieverd, dikke kus dan is het gauw weer beter. (6) Hahaha Floris nieuwe chick? (7) Vandaag ben ik naar uw Verenigde Vergadering gekomen om als uw Koning te worden beëdigd en ingehuldigd. Als gekozen volksvertegenwoordigers bent u daartoe hier, in de hoofdstad, bijeen. (8) Ik heb een heel schoon kleedje gekocht in Antwerpen. (9) Er tocht niet bij mij naar binnen. Ein fünfjähriges Kind (4) spricht ein anderes Niederländisch als eine siebzigjährige Dame (5). Jugendliche in sozialen Netzwerken (6) benutzen eine andere Form des Nie‐ derländischen als König Willem-Alexander in seiner Ansprache beim Thronwechsel (7), während eine Flamin (8) bestimmte Wörter verwendet, die in den Niederlanden weniger alltäglich sind. Und nichtmuttersprachliche Niederländer: innen können be‐ stimmte Fehler machen, wie hier beim Gebrauch von er (9). Auch wenn nicht alle Beispiele dem Idealbild der niederländischen Sprache entsprechen, sind es trotzdem Formen, die wir Niederländisch nennen können. Das Idealbild einer Sprache entspricht oft der Norm (norm), d. h. dem, was die Gesellschaft für korrektes Niederländisch hält. Eine eindeutige Norm besteht allerdings nur für die Rechtschreibung, sie steht in der Woordenlijst der Nederlandse Taal, die unter dem Namen Het Groene Boekje bekannt ist. Für Grammatik oder Aussprache gibt es keine eindeutig festgelegte Norm, oft orientiert man sich an Personen mit fachlichem Ansehen, wie Schriftsteller: innen, Journalist: innen oder Politiker: innen. Over de Haarlemse tongval zijn de meeste Nederlanders heel positief. Ze noemen die keurig, helder en duidelijk. Vreemd en stijf vinden ze daarentegen het Nederlands in Friesland. Dat vinden ze het lelijkst. Ook het Amsterdams valt niet in de smaak. Dat komt plat, vulgair, brutaal en hoogmoedig over. Vlamingen waarderen het meest het Nederlands van de provincie Antwerpen: dat vinden ze duidelijk en helder. Maar de taal van de stád Antwerpen waarderen ze helemaal niet. Die klinkt ze plat, vulgair, brutaal, hoogmoedig en arrogant in de oren. Taalpeil (2009) Wer im Ausland Niederländisch lernt oder studiert, lernt in der Regel ‚Standardnieder‐ ländisch‘. Lehrwerke sind auf diese Form des Niederländischen ausgerichtet mit dem 26 1 Die niederländische Sprache Ziel, möglichst ‚gutes‘ Niederländisch zu lernen. Standardniederländisch ist allerdings nur eine der vielen Formen von Niederländisch, die gesprochen und geschrieben werden. Wenn man jedoch allgemein über Niederländisch spricht, meint man norma‐ lerweise die niederländische Standardsprache (standaardtaal). Standardsprache kann man wie folgt beschreiben: We verstaan onder de standaardtaal het Nederlands dat algemeen bruikbaar is in het publieke domein, dat wil zeggen in alle belangrijke sectoren van het openbare leven, zoals het bestuur, de administratie, de rechtspraak, het onderwijs en de media. Anders uitgedrukt: standaardtaal is het Nederlands dat algemeen bruikbaar is in contacten met mensen buiten de eigen vertrouwde omgeving (in zogenaamde secundaire relaties). Woorden, uitdrukkingen, uitspraakvormen of constructies die standaardtaal zijn, zijn dus in principe zonder problemen bruikbaar in de genoemde sectoren en situaties. taaladvies.net, 21.05.2021 Standardsprache oder auch Algemeen Nederlands (AN) ist demnach das Niederländisch, das in allen wichtigen Sektoren des öffentlichen Lebens verwendet werden kann: in der Verwaltung, Rechtsprechung, Lehre und Wissenschaft sowie in den Medien. Man verwendet sie normalerweise im Kontakt mit Menschen, die nicht zum Bekanntenkreis gehören, sie wird als Schriftsprache (z. B. in Zeitungen) verwendet und in der Schule gelehrt. Man kann die Standardsprache jedoch nicht mit der Norm gleichstellen. In gewisser Weise ist Standardsprache ein Kulturprodukt, in dem der Einfluss einer bewussten Normierung gelegentlich merkbar ist. So kennt das Standardniederländisch bei den Personalpronomen eine Unterscheidung zwischen hen und hun, die - verein‐ facht gesagt - als direktes bzw. indirektes Objekt fungieren: ik zie hen vs. ik stel hun een vraag. Diese Unterscheidung wird im alltäglichen Sprachgebrauch aber kaum beachtet. Niederländisch: eine plurizentrische Sprache Um die niederländische Sprache in den Niederlanden, Flandern und Suriname zu unterstützen und zu fördern, wurde 1980 ein Vertrag über eine Sprachunion (taalunie) geschlossen und die sog. Taalunie gegründet. Suriname gehört seit 2004 offiziell zur Taalunie. Außerdem fördert die Taalunie die niederländische Sprache und Kultur weltweit. Die Taalunie geht von einer Standardsprache aus, die in drei Varietäten (variëtei‐ ten) vorkommt (vgl. Kap. 9): erstens niederländisches Niederländisch (Nederlands Nederlands), zweitens belgisches Niederländisch (Belgisch Nederlands), und drittens surinamisches Niederländisch (Surinaams Nederlands). Diese sprachliche Situation ist in etwa vergleichbar mit der des Deutschen in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz oder mit der des Englischen in Großbritannien und den Vereinigten 1.3 Standardsprache 27 Staaten, Australien, Südafrika etc. In den verschiedenen Ländern wird jeweils eine eigene Norm der Sprache verwendet: British English und American English sind verschiedene Standardformen des Englischen. Eine Sprache, die verschiedene Zentren für die Standardnorm hat, wird auch als plurizentrische Sprache (pluricentrische taal) bezeichnet. Standaardtaal (in het hele taalgebied) appel van een mug een olifant maken mooi echter maar … bankkaart pinpas Standaardtaal in België Standaardtaal in Nederland Abb. 1.5: Standardsprache im niederländischen Sprachgebiet Die Überschneidungen zwischen der Standardsprache in den Niederlanden und der in Belgien sind groß (Abb. 1.5): Die meisten Wörter und Formulierungen sind gleich, wie appel oder van een mug een olifant maken usw. Nur ein kleiner Teil des Wortschatzes und der Grammatik weicht ab und ist im anderen Sprachgebiet ungebräuchlich oder unbekannt. So verwendet man in den Niederlanden und in Suriname das Wort pinpas für EC-Karte, in Belgien bankkaart. In Belgien ist eine Formulierung wie hoe is het zover kunnen komen standardsprachlich, während man in den Niederlanden sagt hoe heeft het zover kunnen komen. In den letzten Jahren ist die Akzeptanz gegenüber nationalen Varianten gewachsen und wird Niederländisch als plurizentrische Sprache gesehen. In die 2015er Ausgabe der Woordenlijst der Nederlandse taal wurden etwa 2.500 Wörter aus dem surinamischen Niederländisch und auch karibisch-niederländische Wörter aufge‐ nommen, wie z. B. zwamp (,Morast‘), tapu (,Amulett‘), kostgrond (,Gemüsegarten‘) und trekkoffie (,Filterkaffee‘) bzw. baaidag (,Strandtag‘) und hòmber (,Kerl, Bursche‘). 1.4 Sprache und Sprachwissenschaft Intuitiv wissen wir viel über unsere Muttersprache. Ein Kind weiß zwar nicht, was ein Substantiv oder Kongruenz ist, dennoch kann es ohne weiteres korrekte Sätze 28 1 Die niederländische Sprache 3 Frans klinkt lekkerder dan Duits (19. August 2009), standaard.be. formulieren wie de hond eet een koekje. Auch viele erwachsene Muttersprachler: innen wissen nicht explizit, was ein Substantiv oder Kongruenz ist. Sie wissen aber sehr gut, dass de hond eten een koekje kein guter niederländischer Satz ist. Ebenso ist für nie‐ derländische Sprachbenutzer: innen (taalgebruikers) klar, dass plek, plaag und pluis niederländische Wörter sind und mlek, mlaag und mluis nicht. Sprachbenutzer: innen verfügen somit über ein unbewusstes Wissen über ihre Muttersprache, die linguisti‐ sche Kompetenz (linguïstische competence). Wenn wir unser Wissen anwenden und konkret Sprache produzieren, spricht man von Performanz (performance). Obwohl wir gerne glauben möchten, dass wir im Großen und Ganzen korrekt sprechen, bilden wir oft keine perfekten Sätze. In der konkreten Situation können wir ohne weiteres ein Gespräch führen wie im folgenden Beispiel aus dem Corpus Gesproken Nederlands (fv400124): (10) A: wat is het laatste jeugdboek dat u gelezen hebt of-… - B: ’t is nu wel lang geleden dat ke’d nog-… uh omdat ’k tamelijk veel werk heb’z heb eigenlijk. ’k zou mij niet meer kunnen herinneren dat ik nu-… de laatste keer’ … how ’t laatste jaar heb ik eigenlijk weinig … ’k heb er veel besteld dat ’k nog moet lezen nu in de vakantie maar uh-… - A: ja. dus de boeken stapelen zich zo een beetje op naar de vakantie toe altijd. Die Sätze der beiden Sprecher: innen sind eindeutig keine vollständigen und korrekten Sätze. Dennoch verstehen die Gesprächspartner: innen einander bestens. Offensichtlich verfügt der/ die Zuhörende über genug sprachliches Wissen, um die Äußerung richtig zu verstehen und haben die ‚Sprachfehler‘ keinen Einfluss auf die Verständlichkeit. Es gibt viele Auffassungen darüber, was unsere Sprache eigentlich ist, aber allge‐ mein wird Sprache als etwas typisch Menschliches verstanden, mit dem wir unsere Gedanken, Vorstellungen und komplexe Informationen ausdrücken und vermitteln können. Sprache ist daher ein Kommunikationsmittel, das aus vielen verschiedenen Sprachformen besteht. Deshalb ist sie auch nicht starr und festgelegt, sondern dyna‐ misch: Sie entwickelt sich immer weiter und kann sich den vielen Situationen in einer Sprachgemeinschaft anpassen. 1.4.1 Sprachwissenschaft Zum Thema Sprache hat wohl jede/ r eine Meinung und etwas zu sagen. Eine viel ge‐ hörte Aussage ist z. B., dass Niederländisch ‚niedlich‘ oder ‚lustig‘ ist. Aus kulinarischer Sicht hören sich die Wörter kalkoengalantine oder galantine de dinde appetitlicher an als Truthahnbrust-Bierschinken, das Französische klingt ‚leckerer‘ als das Deutsche. 3 Es ist nicht so schwer, ein bestimmtes Etikett auf eine Sprache zu kleben: Englisch ist cool, Französisch erotisch, Russisch melancholisch, Deutsch streng und Niederländisch 1.4 Sprache und Sprachwissenschaft 29 lustig. Sprache erregt aber auch Ärgernis. Es gibt Leute, die sich über die angeblich vielen englischen Wörter im Deutschen oder Niederländischen aufregen: Warum sagt man meeting, shoppen oder je fiets customizen wenn gute deutsche und niederländische Äquivalente wie Besprechung (bespreking), einkaufen (winkelen) oder sein Fahrrad anpassen (aanpassen) vorhanden sind? Auch regt sich manch eine/ r über Mitmenschen auf, die die Sprache nicht korrekt beherrschen und die hun zeggen dat statt zij zeggen dat sagen oder wir gehen nach Hause weil es ist spät statt wir gehen nach Hause weil es spät ist. Zugleich steht die Rechtschreibung oft in der Kritik: Schifffahrt mit drei f sieht seltsam aus und in den Niederlanden wurde lange debattiert, ob ein Pfannkuchen nun als pannenkoek oder pannekoek geschrieben werden soll. Ob Sprache schön oder nicht schön ist und ob ein Satz grammatisch richtig oder falsch ist, ist häufig von ästhetischen und normativen Meinungen abhängig. Wenn man eine Sprache wissenschaftlich betrachten möchte, geht es allerdings gar nicht darum, ob eine Sprache schön klingt oder nicht oder ob der Sprachgebrauch richtig oder falsch ist. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, wie Sprache eigentlich funktioniert. Sätze wie hun zeggen dat oder wir gehen nach Hause weil es ist spät sind für Sprachwissenschaftler: innen gerade spannend, weil sie z. B. wissen wollen, ob solche Sätze eine Neuerung im Sprachgebrauch sind oder vielleicht schon länger vorkommen. Oder ob solche Sätze von der Sprachgemeinschaft als akzeptabel oder inakzeptabel empfunden werden, und warum Menschen solche Sätze benutzen, die gegen die Regeln der Sprachnormen verstoßen. Auch Anglizismen werden aus einer anderen Perspektive betrachtet; Sprachwissenschaftler: innen möchten erfahren, aus welchem Grund sie benutzt werden, seit wann sie eigentlich vorkommen und ob jede/ r diese Wörter benutzt oder nur ein Teil der Sprachgemeinschaft. Eine sprachwissen‐ schaftliche Betrachtungsweise versucht also, Sprache wertneutral zu beschreiben und zu erklären. Die Sprachwissenschaft oder Linguistik (taalkunde oder linguïstiek) beschäftigt sich auf möglichst objektive Weise mit der Beschreibung und Erforschung von allerlei Facetten von Sprache aus unterschiedlichen Perspektiven. Untersuchungsobjekt der Sprachwissenschaft sind vor allem die natürlichen Sprachen der Menschen, d. h. Sprachen, die sich historisch in einer Gesellschaft entwickelt haben und sich weiterentwickeln, wie das Niederländische oder Deutsche oder auch Gebär‐ densprache. Auch Kommunikationssysteme von Tieren, das internationale Esperanto, die von Tolkien kreierten Elbensprachen Sindarin und Quenya aus Der Herr der Ringe und Programmiersprachen können sprachwissenschaftlich analysiert werden. Eine objektive Betrachtungsweise will natürliche Sprache so beschreiben, wie sie in der Wirklichkeit funktioniert. Sprachwissenschaft ist daher generell deskriptiv (descriptief) und nicht präskriptiv (prescriptief): Sie will nicht vorschreiben, was richtig 30 1 Die niederländische Sprache oder falsch ist oder wie man Sprache zu benutzen hat, sondern beschreiben, wie sie tatsächlich in der Kommunikation verwendet wird. Nehmen wir als Beispiel die Vergleichspartikel nach einem Komparativ im Niederländischen: (11a) Berlijn is groter dan Amsterdam. (11b) Berlijn is groter als Amsterdam. (11c) Berlijn is groter of Amsterdam. (11d) Berlijn is groter wie Amsterdam. Außer der normierten Form dan gibt es noch drei andere Formen, nämlich als, of und wie. Die letzten beiden werden vor allem in südlichen Dialekten verwendet. Im Deutschen kommen die vergleichbaren Formulierungen größer als und größer wie vor. Es gibt aber keinen sprachsystematischen Grund, weshalb groter dan korrekter oder besser ist als groter als oder of. Historisch gesehen kommen alle Formen im niederländischen Sprachgebiet vor. Auch wenn die Norm vorschreibt, dass ein Satz wie Berlijn is groter als Amsterdam ‚falsch‘ ist und diese Form in den Niederlanden sogar zu den Top 10 der Sprachärgernisse gehört, spielt eine solche Meinung und Wertung bei einer sprachwissenschaftlichen Beschreibung keine Rolle. Sprachwissen‐ schaftler: innen betrachten Abweichungen von der Norm meistens nicht als falsch, sondern sehen sie als eine Form der vielen Arten Niederländisch, die gesprochen werden. Um Sprache wissenschaftlich beschreiben zu können, brauchen wir sprachliche Daten. Denn nur anhand von Daten ist es möglich zu beobachten und zu beschreiben, wie Sprache wirklich ist, und können Prinzipien und Strukturen aufgezeigt werden. Sprachliche Regeln werden auch nicht im Voraus festgelegt, sondern aufgrund einer objektiven Analyse ermittelt und beschrieben. Ein Beispiel für eine solche Analyse ist der Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (SAND 2006), in dem u. a. die Verwendung der vier Vergleichswörter dan, als, of und wie in den niederländischen Dialekten dargestellt ist. Bei dieser Studie hat sich herausgestellt, dass als bedeutend öfter vorkommt als dan. In der Sprachwissenschaft kann Sprache aus vielen Perspektiven betrachtet werden: Jemand, der z. B. Texte oder Tonaufnahmen analysiert, um Kriminalbeamt: innen bei der Identifikation von Personen zu unterstützen, beschäftigt sich anders mit Sprache als jemand, der die historische Entwicklung einzelner Wörter wie moeten oder zullen untersucht, oder jemand, der Unterrichtsmethoden für Deutsch als Fremdsprache entwickelt oder Wörterbücher schreibt. Allgemein gibt es zwei Herangehensweisen, um Sprache zu untersuchen: zum einem aus der Perspektive der Sprache selbst und zum anderen aus der Perspektive eines bestimmten Anwendungsgebiets. 1.4 Sprache und Sprachwissenschaft 31 In einer sprachinternen oder systemlinguistischen Betrachtungsweise (taalin‐ terne oder systeemlinguïstische benadering) sind die eigenen Strukturen der Sprache Ausgangspunkt. Von klein nach groß sind das die folgenden Beschreibungsebenen: ● Die Beschreibung und Analyse der physischen Eigenschaften von Lauten wie a oder r sind Bestandteil der Phonetik. Einen Schritt weiter geht die Beschreibungs‐ ebene der Phonologie, die Laute als abstrakte Einheiten in einem System auffasst. ● Form und Struktur von Wörtern fallen in den Bereich der Morphologie. Sie untersucht z. B., auf welcher Weise Wörter wie bewerken, gewerkt oder werkplek aufgebaut sind. ● Die Art und Weise, wie man Wörter zu größeren Gruppen und Sätzen zusam‐ menfügen kann und welche Einschränkungen es dabei gibt (ik zie het huis niet gegenüber ik niet zie het huis), gehört zum Gebiet der Syntax. ● In der Semiotik und Semantik wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutungen Wörter und Sätze haben und in welcher Beziehung diese Bedeutungen zueinander stehen (wie bei rond in een bal is rond bzw. rond in ze komen rond zes uur naar huis). ● Den Sprachgebrauch im zwischenmenschlichen Kontext untersucht die Pragmatik. Eine Äußerung wie mag ik misschien eventjes iets zeggen hat im Gespräch eine ganz andere Wirkung als en nu ik! , auch wenn beide Sätze mehr oder weniger den gleichen Inhalt haben. In einer sprachexternen Betrachtungsweise (taalexterne benadering) ist ein be‐ stimmtes Anwendungsgebiet der Ausgangspunkt. Oft sind diese Gebiete interdiszipli‐ när ausgerichtet. ● Die Soziolinguistik (sociolinguïstiek) beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Sprache in unterschiedlichen sozialen Konstellationen (wie Jugendsprachen oder Dialekte) und mit der Wirkung von Sprache in der Gesellschaft. ● Die angewandte Sprachwissenschaft (toegepaste taalwetenschap) betrachtet Spra‐ che unter dem Gesichtspunkt ihrer praktischen Verwendung, z. B. wie Menschen eine Fremdsprache lernen und welche Wirkung Sprachunterricht dabei hat. ● Die historische Sprachwissenschaft (historische taalkunde) untersucht, wie Sprache sich im Laufe der Zeit verändert und welche Prinzipien dahinter stecken. ● Die Psycholinguistik (psycholinguïstiek) untersucht Gehirnaktivitäten und sieht Spra‐ che als Denken; untersucht werden u. a. der Erwerb der Muttersprache bei Kindern oder Sprachstörungen (Aphasien), die durch Gehirnschäden verursacht werden. ● Die Korpuslinguistik (corpuslinguïstiek) befasst sich mit dem Aufbau und der Aufbereitung von Sammlungen sprachlicher Daten (Korpora), um Sprache zu analysieren. ● Die Computerlinguistik (computationele taalkunde) beschäftigt sich mit der elektronischen Sprachverarbeitung, wie der Erstellung von Übersetzungs- oder Spracherkennungsprogrammen. ● In der forensischen Linguistik (forensische taalkunde) werden z. B. Erpresser- oder Drohbriefe detailliert analysiert, um die Verfasser: innen identifizieren zu können. 32 1 Die niederländische Sprache Dies ist nur eine kleine Auswahl der Disziplinen, die sich aus einer sprachwissenschaft‐ lichen Perspektive mit der menschlichen Sprache beschäftigen. 1.4.2 Sprachen klassifizieren Die etwa 6.000 Sprachen in der Welt kann man auf unterschiedliche Weise klassifizieren und beschreiben. Die Typologie (typologie) vergleicht und klassifiziert Sprachen aus der Welt auf Grund grammatischer Merkmale. Solche Merkmale können z. B. die Wortstellung im Satz sein, die Anwesenheit von Fällen oder der Gebrauch von Tönen, um unterschiedliche Bedeutungen auszudrücken. Sprachen wie Chinesisch, einige afrikanische Sprachen, Papiamento, aber auch das Limburgische in Belgien und den Niederlanden sind z. B. solche Tonsprachen. Die Typologie untersucht, welche Merkmale in allen oder in den meisten Sprachen vorkommen. Diese gemeinsamen Merkmale werden Universalien (universalia) genannt. Mit dieser Methode können Gemeinsamkeiten und Unterschiede in allen Sprachen ermittelt werden, wodurch wir bessere Erkenntnisse über das Wesen von Sprache erhalten. Denn wenn verschiedene Sprachen ein bestimmtes Merkmal teilen, dürfte dieses Merkmal wesentlich für das Funktionieren von Sprache sein. So haben z. B. alle Sprachen Konsonanten und Vokale und in allen Sprachen gibt es mehr Konsonanten als Vokale. Der Vokal a ist in allen bekannten Sprachen der Welt vorhanden, weil er am einfachsten zu artikulieren ist, und auch der Vokal i kommt fast immer vor. Sprachen in einem bestimmten Gebiet können ebenfalls die gleichen Merkmale aufweisen, auch wenn sie nicht unbedingt miteinander verwandt sind. Die Arealtypologie (areale typologie) untersucht die sprachlichen Parallelen von Sprachen, die sich durch intensiven Kontakt entwickelt haben. Solche Sprachen formen zusammen einen Sprachbund (sprachbund). Ein typisches Beispiel ist der Balkansprachbund, der sich u. a. aus Albanisch, Bulgarisch, Rumänisch, Griechisch und Türkisch zusammensetzt. Außer typologisch kann man Sprachen auch historisch-genetisch (historisch-ge‐ netisch) oder genealogisch (genealogisch) beschreiben, d. h. aufgrund ihrer Verwandt‐ schaft. Die Klassifizierung der Sprachen basiert auf einer systematischen Beschreibung sprachlicher Übereinstimmungen, meist sind das phonologische, morphologische und lexikalische Merkmale. Die Sprachen bilden Sprachfamilien (taalfamilies), die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Beispiele für solche Sprachfamilien sind die indoeuropäische Sprachfamilie, zu der auch das Niederländische und Deutsche gehören, die semitische Sprachfamilie mit u. a. Arabisch und Hebräisch und die Niger-Kongo-Sprachfamilie mit u. a. Swahili, Rwanda und Zulu. Mit der Suche nach dem gemeinsamen Vorfahren ist auch die Frage verbunden, ob alle Sprachen der Welt aus einer gemeinsamen Ursprache entstanden sind oder ob Sprachen sich unabhängig voneinander entwickelt haben und keine gemeinsame Ursprache aufweisen. Die Theo‐ rie von der Entstehung aus einer Urform wird Monogenese (monogenese) genannt, die von der Entstehung aus verschiedenen Formen Polygenese (polygenese). Da aber die ältesten Beweismaterialien nicht weiter als 9.000 bis 10.000 Jahre zurückgehen, ist es 1.4 Sprache und Sprachwissenschaft 33 wohl nicht möglich, die genannten Thesen zur Sprachentstehung nachzuprüfen und zu beweisen. 1.5 Aufbau und Ziele dieses Buchs In diesem ersten Kapitel haben wir einige Grundlagen zur niederländischen Sprache vorgestellt. In Kapitel 2 gehen wir in der Zeit zurück und geben eine Übersicht über die Geschichte des Niederländischen. Im dritten Kapitel geht es um die Semiotik und Lexikographie von Wörtern, in den Kapiteln 4 und 5 werden Morphologie und Phonetik/ Phonologie behandelt, in Kapitel 6 und 7 geht es um den Aufbau bzw. die Bedeutung von Sätzen. Kapitel 8 beschäftigt sich mit Pragmatik. Diese Kapitel zu den sprachinternen Beschreibungsebenen erfordern keine Vorkenntnisse und können im Grunde unabhängig voneinander gelesen und bearbeitet werden. Anschließend wer‐ den zwei sprachexterne Bereiche (Soziolinguistik und historische Sprachwissenschaft) vorgestellt, die auf den Inhalten der vorangegangenen Kapitel aufbauen: In Kapitel 9 geht es um Sprache und Variation, in Kapitel 10 um Sprache in Bewegung. Jedes Kapitel besteht aus einem Textteil, einer Zusammenfassung sowie einem Teil mit Aufgaben und schließt mit einigen Literaturhinweisen ab. Lösungsvorschläge zu den Aufgaben werden unter der URL http: / / www.narr-studienbuecher.de bereitge‐ stellt, damit Leser: innen die Übungen auch selbständig bearbeiten können. Außerdem werden im Register alle verwendeten Fachbegriffe auf Deutsch und Niederländisch aufgeführt. In diesem Buch steht die niederländische Sprache im Mittelpunkt. Sie ist die Zielsprache dieser Einführung, weshalb wir viele Beispiele auf Niederländisch anfüh‐ ren. Die Beispiele werden nach Möglichkeit so präsentiert, dass sie auf Grund der Verwandtschaft mit der deutschen Sprache leicht zu verstehen sind. Im laufenden Text werden Beispiele kursiv wiedergegeben, Übersetzungen oder Erklärungen stehen in einfachen Anführungszeichen oder in runden Klammern. Diese Einführung richtet sich insbesondere an deutschsprachige Studienanfän‐ ger: innen (auch ohne Niederländischkenntnisse), aber auch an diejenigen, die sich für die niederländische Sprache und die Sprachwissenschaft des Niederländischen interessieren. In einer allgemeinverständlichen Form sollen Grundkenntnisse der niederländischen Sprachwissenschaft vermittelt und Fachbegriffe aus den wichtigsten Teilgebieten der Sprachwissenschaft eingeführt werden. Anhand der Aufgaben kann das erworbene theoretische Wissen in der Praxis angewandt werden. Durch den deutsch-niederländischen Vergleich sollen zum einen die nahe Verwandtschaft der beiden Sprachen, zum anderen aber auch Kontraste zwischen Deutsch und Niederlän‐ disch aufgezeigt werden. Auch Unterschiede zwischen dem Niederländischen in den Niederlanden und in Belgien werden z.T. thematisiert, um das Interesse und Bewusst‐ sein für die Verschiedenheit des Niederländischen zu wecken und das Verständnis für Variation zu mehren. 34 1 Die niederländische Sprache Literatur zum Weiterlesen Monographien und Einführungen Eine gut lesbare Einführung für Studierende ist das Handboek Taalkunde (Banga et al. 2022). Eine Einführung mit generativem Ansatz ist die Inleiding Nederlandse taalkunde (Ruigendijk et al. 2021), die ebenfalls für Studierende konzipiert ist. In die allgemeine Sprachwissenschaft führen Baker et al. (2012) in Taal en taalwetenschap ein. Eine gute Übersicht über die niederländische Sprache geben Van der Sijs et al. (2011) in Wat iedereen van het Nederlands moet weten en waarom. Besonders zugänglich sind die Werke Alles wat je altijd al had willen weten over taal. De Taalcanon von Boogaard & Jansen (2018), Waarom een buitenboordmotor eenzaam is von Van Leeuwen (2015) und der Atlas van de Nederlandse taal (2017), der in einer niederländischen und einer flämischen Ausgabe erschienen ist. Das Standardwerk für die sprachwissenschaftliche Terminologie auf Deutsch ist das Lexikon der Sprachwissenschaft von Bußmann (2008). Nederlandse woorden wereldwijd (Van der Sijs 2010) bietet einen Überblick zu den niederländischen Wörtern, die andere Sprachen übernommen haben. In Een kleine taal met een grote stem. Hedendaags Nederlands (2009) schreibt Van Sterkenburg auf unterhaltsame Weise über die Dynamik der niederländischen Sprache. Zur tussentaal ist das Buch De manke usurpator. Over Verkavelingsvlaams (Absislis, Van Hoof & Jaspers 2012) erschienen, das dieses Phänomen aus verschiedenen Perspektiven beschreibt. Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Zeitschriften ● Nederlandse Taalkunde ist eine wissenschaftliche Zeitschrift mit Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen der niederländischen Sprachwissenschaft. ● Die wissenschaftliche Zeitschrift Taal & Tongval richtet sich auf Sprachvariation in den Niederlanden und Flandern und erscheint seit 2011 in open acces. ● Die Zeitschrift Nederlandse Taalen Letterkunde (TNTL) publiziert Artikel zur niederlandistischen Sprach- und Literaturwissenschaft. ● In der Open-Access-Zeitschrift Internationale Neerlandistiek stehen niederlandis‐ tische und afrikaanse Sprach- und Literaturwissenschaft sowie interkulturelle Themen im Mittelpunkt. ● neerlandistiek.nl ist eine online Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Sprachbeherrschung. Täglich erscheinen Beiträge zu den aktuellen Entwick‐ lungen für ein breites Publikum. ● Die Zeitschrift de lage landen (bis 2019 Ons Erfdeel) beschäftigt sich mit Kunst und Kultur aus den Niederlanden und Flandern. ● Die Fachzeitschrift für deutsche Niederländisch-Lehrer: innen ist nachbarsprache niederländisch mit einem Fokus auf didaktischen Themen. ● Die populärwissenschaftliche Zeitschrift Onze Taal beschäftigt sich mit den viel‐ fältigsten Themen rund um Sprache in der niederländischsprachigen Gesellschaft. Literatur zum Weiterlesen 35 Internettipps Auf den folgenden Websites finden sich zuverlässige und relevante Informationen zur niederländischen Sprache: ● taalunie.org ist das Internetportal der Taalunie mit Informationen zur niederlän‐ dischen Sprache. ● Auf neon.niederlandistik.fu-berlin.de/ de/ service findet man ausführliche Informa‐ tionen zur niederländischen Sprachwissenschaft, sowohl auf Niederländisch als auch auf Deutsch. ● taalcanon.nl ist die Webseite zum Werk Alles wat je altijd al had willen weten over taal. De Taalcanon von Boogaard & Jansen (2018). ● dbnl.org ist die “digitale bibliotheek der Nederlandse letterkunde”, die eine Vielzahl an Informationen zu Autor: innen und Werken der niederländischen, friesischen, surinamischen und limburgischen Literatur bietet. Außerdem sind viele originale Texte (auch zur Sprachwissenschaft) digital zugänglich. ● taalportaal.org ist eine englischsprachige Website, auf der die Grammatik des Niederländischen, Friesischen und Afrikaans wissenschaftlich beschrieben wird. ● Die Website dialectloket.be bietet nicht nur sprachwissenschaftlich fundierte Infor‐ mationen, sondern auch Hör-, Bild- und Unterrichtsmaterial zur niederländischen Sprache, Sprachvariation und zu den Dialekten. ● Dutch ++ geht vom Niederländischen als plurizentrische Sprache aus und liefert Informationen und Übungen zum niederländischen, belgischen und surinamischen Niederländisch (userblogs.fu-berlin.de/ dutch/ ). ● Auf der Webseite belgien.net des BelgienZentrums der Universität Paderborn finden sich nützliche Informationen und Materialien zur Sprache und Kultur in Belgien. 36 1 Die niederländische Sprache 2 Die Geschichte des Niederländischen Ute K. Boonen Nederlandse taal komt uit Turkije LEUVEN - De Indo-Europese talen waartoe het Nederlands behoort, hebben hun oorsprong hoogstwaarschijnlijk in het Turkse Anatolië. Zo’n 8000 tot 9000 jaar geleden begon zich van daaruit een taal te verspreiden, waarvan de ruim 400 varianten nu worden gesproken van IJsland tot Sri Lanka. Dat stellen wetenschappers van de universiteit van het Belgische Leuven. Zij vergeleken de verspreiding van de taal met die van een virus. Het onderzoek bevestigt eerdere veronderstellingen. Maar de uitkomst weerlegt de populairste opvatting dat de Indo-Europese taalfamilie zich zo’n 6000 jaar geleden ontwikkelde vanaf de Pontische Steppe, een uitgestrekt gebied ten noorden van de Zwarte Zee. De Telegraaf, 24.08.2012 Die niederländische Sprache ist natürlich keine Form des Türkischen, aber was für eine Sprache ist es denn dann? Wo kommt das Niederländische her, wie ist es entstanden? Wieso ähneln sich die niederländische und die deutsche Sprache? Wieso ähnelt das Niederländische so sehr dem Plattdeutschen? Wieso meinen so viele Menschen - zu Unrecht -, dass Niederländisch ein deutscher Dialekt sei? Der Ursprung von Sprache allgemein fasziniert die Menschen seit jeher. Auf der Suche nach der Ursprache ging man lange davon aus, dass eine der drei heiligen Sprachen, Hebräisch, Griechisch und Latein, die Basis für alle Sprachen sein müsse. Die große Sprachenvielfalt ist auch in der Bibel ein Thema: So können die Jünger am Pfingstfest plötzlich ‚mit allen Zungen sprechen‘, d. h. sie können sich allen Menschen in deren Muttersprache verständlich machen und die Frohe Botschaft verkünden. In der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel wurden die Menschen wegen ihrer Überheblichkeit von Gott bestraft, und zwar mit vielen unterschiedlichen Sprachen. Dadurch entstand große Verwirrung, und weil man sich nicht mehr in der gleichen, gemeinsamen Sprache verständigen konnte, waren die Menschen nicht in der Lage, den Bau des Turmes zu vollenden. In Europa dominiert in der schriftlichen Tradition lange Zeit das Lateinische und erst im Mittelalter beginnt man, auch in der jeweiligen Volkssprache (volkstaal; engl. vernacular) zu schreiben. Zum empirischen und systematischen Forschungsgegenstand für Sprachwissenschaftler: innen werden diese Volkssprachen erst sehr viel später. 2.1 Die indoeuropäische Sprachfamilie Im 19. Jahrhundert versuchen Sprachwissenschaftler wie der Deutsche Jacob Grimm (1785-1863) und der Däne Karl Verner (1846-1896) in Anlehnung an die Abstammungs‐ lehre und biologische Erkenntnisse, Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Sprachen festzustellen. Sie analysieren verschiedene Sprachen in ihren unterschiedlichen Sta‐ dien, man unterscheidet beispielsweise Neuhochdeutsch und Mittelhochdeutsch, aber auch Neuniederländisch und Mittelniederländisch. Anhand dieser Untersuchungen lassen sich systematische Veränderungen innerhalb einer Sprache aufzeigen und auch Parallelen in der Entwicklung zu anderen Sprachen. Vergleichen wir die Begriffe Mutter, Vater, Milch und Brot auf Deutsch, Niederlän‐ disch, Englisch, Friesisch, Schwedisch, Gotisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Latein, Altgriechisch und Sanskrit (Alt-Indisch) (Tab. 2.1): Deutsch Mutter Vater Milch Brot Niederländisch moeder vader melk brood Englisch mother father milk bread Friesisch mem heit molke brea Schwedisch mor (Pl. mödrar) far (Pl. fäder) mjölk bröd Gotisch áiÞei atta milukes hláifs Französisch mère père lait pain Italienisch madre padre latte pane Spanisch madre padre leche pan Latein mater pater lac panis Altgriechisch ματήρ (matèr) πατήρ (patèr) γάλα(κτος) (gála(ktos)) - Sanskrit matar pitar - - Tab. 2.1: Vergleich der Begriffe Mutter, Vater, Milch und Brot Der Vergleich in Tab. 2.1 zeigt, dass sich die Bezeichnungen für Vater und Mutter in allen angeführten Sprachen stark ähneln. Bei den Bezeichnungen für Milch und Brot gleichen sich zum einen die ersten sechs Formen und zum anderen die zweiten sechs. Aufgrund solcher Sprachvergleiche und der festgestellten systematischen Ähnlichkeiten geht man davon aus, dass diese Sprachen einen gemeinsamen Vorläufer haben, nämlich das Indoeuropäisch (Indo-Europees), das im deutschsprachigen Raum auch Indoger‐ manisch genannt wird. Da es keine überlieferten Zeugnisse dieser Sprache gibt, spricht man auch von Proto-Indoeuropäisch, abgekürzt PIE. Sprachwissenschaftler: innen 38 2 Die Geschichte des Niederländischen versuchen, diese Sprache anhand von Regelmäßigkeiten und Lautgesetzen zu rekon‐ struieren. Diese rekonstruierten Formen werden meist mit einem * gekennzeichnet. Sanskrit Tocharisch Keltisch Hethitisch Griechisch Germanisch Slawisch Romanisch Persisch (Proto-)Indoeuropäisch Latein Armenisch Abb. 2.1: Die indoeuropäische Sprachfamilie Neben Latein und Altgriechisch gehören auch uns weniger geläufige Sprachen wie Hethitisch und Tocharisch, die in Kleinasien bzw. im Nordwesten Chinas gesprochen wurden, aber mittlerweile ausgestorben sind, zur indoeuropäischen Sprachfamilie (Indo-Europese taalfamilie). Innerhalb dieser großen Sprachgruppe (Abb. 2.1) werden verschiedene Zweige unterschieden, wie die germanischen Sprachen (Germaanse talen), zu denen u. a. Deutsch, Niederländisch und Englisch gehören. Ein weiterer wichtiger Zweig sind die romanischen Sprachen (Romaanse talen), deren Vorläufer das Latein ist; Latein wiederum ist eine italische Sprache (Abb. 2.2). Neben Italienisch, Französisch und Spanisch gehören auch Portugiesisch, Rumänisch und Rätoromanisch zum romanischen Sprachzweig. Auch die slawischen Sprachen (Slavische talen) wie Polnisch, Russisch, Tschechisch, Serbisch, Kroatisch sind indoeuropäische Sprachen. Wie in einer Familie sind manche Mitglieder näher miteinander verwandt und ähneln sich stärker. So kann man das Deutsche und Niederländische als Geschwister auffassen. Andere Sprachen, wie die slawischen Sprachen, sind Vettern, Sanskrit und andere indische Sprachen noch viel weiter entfernte Verwandte. Die Beziehungen der einzelnen Sprachen werden häufig mithilfe eines Baumdia‐ gramms dargestellt (wie in Abb. 2.1 und weiter unten in Abb. 2.3), was zwar sehr übersichtlich ist, aber leicht Abhängigkeiten und Wertigkeiten suggeriert. Sprachbe‐ ziehungen können auch wie in Abbildung 2.2 mithilfe eines Wellenmodells visualisiert werden, das wiederum weniger übersichtlich ist, dafür aber die Zusammengehörigkei‐ ten und sprachliche Überschneidungen klarer wiedergibt. 2.1 Die indoeuropäische Sprachfamilie 39 Sanskrit Keltisch Griechisch Germanisch Slawisch Persisch Italisch Armenisch 2 1 3 4 5 6 7 8 9 10 Abb. 2.2: Die indoeuropäische Sprachfamilie im Wellenmodell (nach Tetel Andresen & Carter 2016) Gehen wir noch einmal zurück an den Anfang des Kapitels zum Zitat aus De Telegraaf. Bei der erwähnten Studie aus dem Jahr 2012 haben Linguist: innen der Universität Leuven (Belgien) mit Biolog: innen zusammengearbeitet und statistische Modelle der Evolutionsbiologie, die eigentlich dazu dienen, z. B. Grippewellen vorherzusagen oder den Ausbruchsort einer Epidemie zurückzuvervolgen, auf sprachliches Material angewandt. Die Untersuchung (Bouckaert et al. 2012) bestärkte die Hypothese, dass schon etwa 9.500-8.000 v. Chr. im Gebiet des heutigen Anatoliens eine indoeuropäische Ursprache gesprochen wurde. Das Türkische gehört nicht zu den indoeuropäischen Sprachen, sondern zu den sog. oghusischen Turksprachen, die ursprünglich aus Zentralasien stammen. Auch Finnisch und Ungarisch sowie Baskisch und Estnisch gehören nicht zur indoeuropäischen Sprachfamilie, obwohl sie in Europa gesprochen werden. Eine ebenfalls interdisziplinäre Studie aus dem Jahr 2021 (Librado et al. 2021), an der mehr als 150 Forscher: innen beteiligt waren, sieht als bewiesen an, dass der Ursprung des Indoeuropäischen im Süden Russlands zu finden ist. Auch hier wird mit naturwissenschaftlichen Methoden gearbeitet und anhand der DNA von Pferdeknochen die Verbreitung des Indoeuropäischen analysiert (s. Zitat aus Mare). Taal verspreidde zich toch niet te paard, maar te voet Eeuwenoud DNA uit paardenbotten laat zien dat Indo-Europese talen zich te voet en niet in het zadel verspreidden. Dat blijkt uit onderzoek dat in Nature is gepubli‐ ceerd en waaraan een Leidse archeoloog en taalkundige meewerkten. ‘We wisten al langer dat de Indo-Europese taalfamilie, waartoe het Nederlands behoort, van de Zuid-Russische steppen komt’, vertelt taalkundige Guus Kroonen. ‘Recent hebben genetici aangetoond dat er een grote migratiegolf was in het derde millennium voor Christus. In de Europese touwbekercultuur zie je dat in een korte 40 2 Die Geschichte des Niederländischen 4 Das Afrikaans (vgl. Kap. 1) wird allerdings nicht in Europa, sondern im Süden Afrikas (insbesondere in Südafrika und Namibia) gesprochen. Da es aus dem Niederländischen des 17. Jahrhunderts hervorgegangen ist, gehört es zum westgermanischen Sprachzweig. 5 Der Buchstabe þ steht für einen Laut, der etwa dem englischen th entspricht, ei ist langes i, ai vor r klingt wie ä, gg wie ng (vgl. Schmidt 2007: 53). periode een heel grote instroom is van genen vanuit het zuiden van Rusland.’ […] Samen met archeoloog Quentin Bourgeois deed Kroonen mee aan een groot interdisciplinair onderzoek naar de verspreiding van de Indo-Europeanen. Door het DNA in de botten van eeuwenoude paarden in Europa te vergelijken met resten van paarden in Centraal-Azië wilden wetenschappers een beter beeld krijgen van hoe taal zich verspreidde. Mare. Leids Universitair Weekblad (mareonline.nl, 21.10.2021) 2.1.1 Germanische Sprachen Der germanische Sprachzweig wird in drei Untergruppen verteilt. Die Einteilung bezieht sich auf geographische Aspekte: Wo lebten die Sprecher: innen dieser germa‐ nischen Sprache, im Norden, Osten oder Westen des germanischen Sprachraumes? ● Nordgermanisch (Noord-Germaans): Schwedisch (Zweeds), Norwegisch (Noors), Dänisch (Deens), Färöisch (Faeröers), Isländisch (IJslands) ● Westgermanisch (West-Germaans): Niederländisch (Nederlands), Englisch (Engels), Friesisch (Fries), Afrikaans (Afri‐ kaans) 4 , Deutsch (Duits), Luxemburgisch (Luxemburgs), Jiddisch (Jiddisch) ● Ostgermanisch (Oost-Germaans): Gotisch (Gotisch), Burgundisch (Burgondisch), Wandalisch (Wandaals) (alle ausge‐ storben) Der älteste überlieferte Text in einer germanischen Sprache ist die Wulfila-Bibel auf Gotisch. Bischof Wulfila (311-381 n. Chr.) hat zu seinen Lebzeiten eine Übersetzung der Bibel in Auftrag gegeben, die in einer mittelalterlichen Handschrift bewahrt geblieben ist. Das Textbeispiel ist das Vater unser (Van Bree 1996), in dem man Worte wiedererkennen kann, die dem heutigen Deutsch und Niederländisch stark ähneln: das Pronomen uns/ unser, namo für Name/ naam, wilja für Wille/ wil, daga für Tage/ dagen etc. 5 2.1 Die indoeuropäische Sprachfamilie 41 Atta unsar þu in himinam, Vater unser du in Himmel weihnai namo þein. geheiligt Name dein qimai þiudinassus þeins. komme Reich dein wairþai wilja þeins, werde Wille dein swe in himina jah ana airþai. so in Himmel und auf Erde. hlaif unsarana þana sinteinan Laib [Brot] unseren diesen täglichen gif uns himma daga. gib uns diesen Tag jah aflet uns þatei skulans sijaima, und vergib uns die schuldig sind, swaswe jah weis afletam so wie auch wir vergeben þaim skulam unsaraim. denen schuldig uns jah ni briggais uns in fraistubnjai und nicht bringe uns in Versuchung ak lausei uns af þamma ubilin. sondern erlöse uns von diesem Übel. 2.1.2 Sprachwandel: Lautverschiebungen Aus dem Indoeuropäischen haben sich verschiedene Sprachen entwickelt. Wohl um 1000 v. Chr. setzt in einigen Sprachen eine lautliche Veränderung ein: Wörter, die im Lateinischen, Griechischen und auch im Sanskrit mit einem p beginnen, weisen in den entsprechenden verwandten Wörtern in den germanischen Sprachen ein f auf, wie bei Lateinisch pellis, im Deutschen Fell, im Niederländischen vel. Grimm konnte aufzeigen, dass diese (und andere Verschiebungen) regelmäßig stattfinden; Verner ergänzt Grimms Ausführungen, wodurch scheinbare Ausnahmen ebenfalls systematisch erklärt werden können. Dieser Prozess wird als 1. Lautverschiebung (Germaanse klankverschuiving) bezeichnet. Im Niederländischen spricht man auch von de wet van Grimm und de wet van Verner, vergleichbar mit der englischen Bezeichnung Grimm’s law und Verner’s law. Durch die 1. Lautverschiebung grenzt sich die Gruppe der germanischen Sprachen von den anderen indoeuropäischen Sprachen ab. Nicht nur das p ist betroffen, sondern auch andere Laute. In Tabelle 2.2 ist das Lateinische als Vertreter der ursprünglichen indoeuropäischen Formen angeführt und deutsche, niederländische und englische Entsprechungen als Beispiele für die ‚verschobenen‘ Formen in den germanischen Sprachen: 42 2 Die Geschichte des Niederländischen Latijn Germaans Latijn Germaans p > f pellis Fell b > p labium Lippe t > th tres three d > t duo twee, two k > ch/ h cor hart g > k genu knie Tab. 2.2: Lautverschiebung: Latein vs. germanische Sprachen Neben diesen Verschiebungen tritt außerdem in den germanischen Sprachen eine Akzentverlagerung auf. Die Betonung verlagert sich nach vorne, auf die Stammsilbe. Im PIE, wie auch im Lateinischen, kann der Akzent wechseln. Während das Volk pópulus heißt und auf der ersten Silbe betont wird, verschiebt sich die Betonung in der Phrase senatus populúsque Romanus (Senat und Volk von Rom) auf die vorletzte Silbe. In den germanischen Sprachen springt der Akzent nicht mehr. Innerhalb des Germanischen finden weitere Veränderungen statt, wodurch sich eine Unterscheidung zwischen Nord-, Ost- und Westgermanisch feststellen lässt. Das Westgermanische wiederum gliedert sich in verschiedene Zweige, wobei man zunächst zwischen Nordseegermanisch oder Ingwäonisch (Kustgermaans/ Ingweoons) und Kontinentalwestgermanisch (Continentaal Westgermaans) unterscheidet; letzteres wird in Istwäonisch (Rhein-Weser-Germanisch) und Hermionisch (Elbgermanisch) gegliedert. Aus dem Nordseegermanischen entwickeln sich Altenglisch, Altfriesisch und Altniederdeutsch (Altsächsisch), aus dem Kontinentalwestgermanischen Altnie‐ derländisch (Altnierderfränkisch) und Althochdeutsch (vgl. Van Bree 1987; Janssens & Marynissen 2011). Westgermanisch Niederdt. Nedersaks. Holländisch Flämisch Brabantisch Rheinmaasländisch Dialekte Dialekte Seeländisch Utrechts (Limburgisch) Englisch Frysk Niederländisch Hochdeutsch Niederdeutsch Nedersaksisch Altniederländisch Althochdeutsch Altenglisch Altfriesisch Altniederdeutsch Nordseegermanisch Ingwäonisch Kontinentalwestgermanisch Istwäonisch Hermionisch Abb. 2.3: Die Entwicklung der niederländischen Sprache 2.1 Die indoeuropäische Sprachfamilie 43 Die Unterscheidung innerhalb des westgermanischen Sprachzweigs lässt sich anhand der 2. Lautverschiebung analysieren. Diese Verschiebung findet wohl im Zeitraum vom 6.-8.-Jahrhundert n.-Chr. allmählich und geografisch gestaffelt statt. Durch die 2. Lautverschiebung (auch hochdeutsche Lautverschiebung; Hoog‐ duitse klankverschuiving) grenzt sich das Althochdeutsche von den anderen west‐ germanischen Sprachen ab. Die Lautverschiebungen gelten bis heute fast uneingeschränkt für die deutsche Stan‐ dardsprache. Die sog. Benrather Linie (Benrather linie), die auf der Höhe Benrath - Düsseldorf - Magdeburg - Berlin verläuft, teilt das deutsche Sprachgebiet in Nord und Süd: Die niederdeutschen Dialekte nördlich dieser Linie sind von der Lautverschiebung nicht betroffen. In den hochdeutschen Dialekten südlich dieser Linie hat die Lautver‐ schiebung wohl stattgefunden, ihre Auswirkungen sind im Süden stärker (vgl. Kap. 10 zum Rheinischen Fächer). Das Niederdeutsche und das Niederländische ähneln sich so sehr, weil in beiden Sprachen die 2. Lautverschiebung nicht stattgefunden hat; dies gilt allerdings auch für das Englische. Das Niederländische ist also genauso wenig wie das Englische eine Form des Deutschen oder eine Art deutscher Dialekt. In Tabelle 2.3 sind nicht-verschobene Formen im Englischen, Niederländischen und Niederdeutschen den jeweiligen verschobenen Formen des Hochdeutschen gegenübergestellt. - Engels Nederlands Nederduits Hoogduits p > pf pepper peper Peper Pfeffer p > f help helpen helpen helfen t > s that dat dat das(s) t > ts salt zout Solt Salz d > t day dag Dag Tag k > ch make maken maken machen Tab. 2.3: Vergleich nicht-verschobener und verschobener Formen 44 2 Die Geschichte des Niederländischen 6 Diese Einteilung entspricht nicht der Einteilung der Sprachstufen des Deutschen: Althochdeutsch bis 1050; Mittelhochdeutsch 1050-1450, Neuhochdeutsch ab 1450 mit den Differenzierungen 1450-1650 Deutsch der frühen Neuzeit, 1650-1850 Deutsch der mittleren Neuzeit, 1800-1950 Deutsch der jüngeren Neuzeit und ab 1950 Deutsch der jüngsten Neuzeit (vgl. Schmidt 2020). 2.2 Sprachstadien des Niederländischen Die Entwicklung der niederländischen Sprache wird grob in vier Stadien unterteilt, wobei die Übergänge zwischen den einzelnen Stadien nicht plötzlich, sondern allmäh‐ lich verlaufen, sodass auch die Grenzen nicht scharf gezogen werden können: 6 8. Jh.-1150 Altniederländisch Oudnederlands 1150-1500 Mittelniederländisch Middelnederlands 16. Jh.-19. Jh. Neuniederländisch Nieuwnederlands 20. Jh.-heute Modernes Niederländisch Hedendaags Nederlands Für das Neuniederländische werden eine frühe Phase im 16. und 17. Jahrhundert und eine späte Phase im 18. und 19.-Jahrhundert unterschieden. 2.2.1 Altniederländisch Ab dem 8. Jahrhundert können Unterschiede zwischen Althochdeutsch, Altniederlän‐ disch und Altenglisch angenommen werden. Die 2. Lautverschiebung ist in dieser Periode weitestgehend abgeschlossen. Überliefert sind aus der frühesten Zeit jedoch keinerlei Texte in altniederländischer Sprache. In lateinischen Texten finden sich manchmal vereinzelte Begriffe in der Volkssprache, für die es kein eigenes lateinisches Wort gibt. So stammt z. B. der älteste Beleg für das altniederländische Wort dik aus dem Jahr 893 (Beleg aus Oudnederlands Woordenboek (ONW). agger terrae, qui vulgo dik dicitur ein Erdwall, der vom Volk (in der Volkssprache) Deich genannt wird Beim ältesten längeren überlieferten Text, den Wachtendonckse Psalmen aus dem 10. Jahrhundert (Textbeispiel zitiert nach De Grauwe 1979-82, Übers. UKB), handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Lateinischen ins Altniederländische. Um 1100 entstand der Leidse Willeram oder Egmontse Willeram, bei dem es sich um eine Bearbeitung eines althochdeutschen Textes handelt. 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 45 An âuont in an morgan in ’s Avonds en ’s morgens en an mitdon dage tellon sal ic in ’s middags zal ik vertellen en kundon, in he gehôron sal. verkonden, en hij zal (me) horen. - - Irlôsin sal an frithe sêla mîna Verlossen zal hij in vrede mijn ziel fan then thia genâkont mî-… van degenen die mij benaderen-… Psalm 54, 18-19 In diesem kleinen Beispiel kann man schon vieles erkennen, was für das Altniederlän‐ dische typisch ist. Vokale, die in späteren Stadien abgeschwächt sind, werden hier noch als volle Vokale gesprochen - oder zumindest geschrieben. Das a oder o in unbetonten Silben wie in morgan, sêla, tellon oder kundon wird im Laufe der Zeit zu einem e, d. h. zu einem sog. Schwa-Laut (sjwa) (vgl. Kap. 5): morgen, siele, tellen, verkonden. Im Altniederländischen finden sich außerdem bereits Veränderungen gegenüber anderen westgermanischen Sprachen, die bis heute erhalten geblieben sind. Eine der markantesten Entwicklungen ist der Übergang von a/ o + l + d/ t zu ou + d/ t (vgl. Tab. 2.4), der im Deutschen und Englischen nicht, im Friesischen nur teilweise gegriffen hat. Nederlands oud mout goud houden Engels old malt gold (to) hold Fries âld mout goud hâlde Duits alt Malz Gold halten Tab. 2.4: a/ o + l + d/ t zu ou + d/ t im Vergleich Das ‚Flaggschiff ‘ des Altniederländischen ist ein kleines Liebesgedicht, das wohl eine sog. Federprobe (Probatio pennae) darstellt (Abb. 2.4): Der Schreiber, wahrscheinlich ein Mönch, testet seine Schreibfeder auf der Rückseite eines Pergamentbogens, um dann mit seiner eigentlichen Schreibarbeit an Predigten zu beginnen. Als Probe-Satz formuliert er die lyrische Frage: Alle Vögel haben damit begonnen, Nester zu bauen, außer mir und dir, worauf warten wir nun? 46 2 Die Geschichte des Niederländischen Abb. 2.4: Probatio pennae - Federprobe (Bodleian Library Oxford) Hebban olla uogala nestas hagunnan hinase hic enda thu uuat unbidan uue nu Hebben alle vogels nesten begonnen behalve ik en jij wat wachten we nu 2.2.2 Mittelniederländisch Ab Mitte des 12. Jahrhunderts spricht man nicht mehr von Alt-, sondern von Mittelnie‐ derländisch. Während es für das Altniederländische relativ schwierig ist, sprachliche Zeugnisse zu finden, verfügen wir über eine ganze Reihe von gut überlieferten Texten aus dem Mittelalter, die einen guten Eindruck von dieser Sprache in ihrer geschriebenen Form geben. Im Mittelalter entstehen in Europa volkssprachliche Literaturen. Vor dieser Zeit konnten nur sehr wenige Menschen lesen und schreiben und es wurden hauptsäch‐ lich lateinische (oder auch griechische und hebräische) Texte schriftlich fixiert. Im Mittelalter ändert sich dies mit dem Aufkommen der Städte und dem Erstarken des Bürgertums. Die folgenden Textausschnitte, die aus der Heiligengeschichte De reis van Sint Brandaan stammen (zitiert nach Wilmink & Gerritsen 2003; Vers 52-64, 137-140, Übers. UKB), weisen eine Reihe sprachlicher Elemente auf, die für das Mittelniederländische typisch sind. In der ersten Zeile taucht eine zweiteilige Verneinung auf, vergleichbar mit der französischen Konstruktion ne … pas. Eine Aussage wie Er wollte das nicht glauben wird durch hi en wilde dies niet geloven ausgedrückt. Diese Art der Verneinung ist im Mittelniederländischen üblich, wird aber auch noch heute in gesprochener Sprache verwendet, vor allem in flämischen Dialekten. Im Afrikaans ist diese Art der Verneinung sogar standardsprachlich. 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 47 Hi en wilde no hi en mochte Hij wilde en hij kon Dies emmer niet geloven, dit nooit geloven, Hi en saecht met zinen oghen. als hij het niet met eigen ogen zou zien. Van toerne verberrendi den bouc Uit woede verbrandde hij het boek Ende gaf den scrivere eenen vlouc. en vervloekte de schrijver. Dat becochti zint wel diere! Dat kwam hem duur te staan! Daer hi stont bi den viere Terwijl hij bij het vuur stond Daer die bouc in bernende lach, waar het boek te branden lag, Die inghel Gods hem toe sprac: sprak de engel van God hem toe: “O lieve vrient Brandaen, “O lieve vriend Brandaan, Du heves evele mesdaen, je hebt ernstig gezondigd Dat over mids dinen toren dat door jouw toorn Die waerheit dus es verloren.” de waarheid dus is verloren.” […] […] Doe hi te scepe gaen began Toen hij wilde gaan varen Vant hi thoeft van eenen doden man vond hij het hoofd van een dode man Voer hem ligghende up tsant; de vloed dreef het aan het land. Im Gegensatz zum Altniederländischen sind im Mittelniederländischen die vollen Vokale in unbetonten Silben zu e abgeschwächt. Am Wortende finden sich noch viele Schwa-Laute, wie in toerne (Zorn) oder viere (Feuer), die in späterer Zeit weggefallen sind (toorn, vuur etc.). - Mittelndl. Modernes Ndl. Deutsch Genitiv die inghel Gods de engel van God der Engel Gottes Dativ den scrivere (aan) de schrijver dem Schreiber Akkusativ eenen vlouc een vloek einen Fluch Tab. 2.5: Flexionsformen Typisch sind die Flexionsendungen (Tab. 2.5) als Markierung für die verschiedenen Fälle, die im modernen Niederländisch außer in feststehenden Ausdrücken (de tand des tijds, van harte, op den duur etc.) nicht mehr vorkommen. Dieses Phänomen wird als Flexionsverlust (flexieverlies) bezeichnet. Im Fragment spricht der Engel den heiligen Brendan mit du an; diese Form ist bis ins 17. Jahrhundert die übliche Anrede zum duzen und wird erst dann durch jij abgelöst. Daneben gibt es als formelles Anredepronomen ghi; diese Form wird auch allgemein für den Plural verwendet (zu den Anredeformen vgl. auch Kap. 8). Die Formen der Pronomen unterscheiden sich im Dativ und Akkusativ Singular und Plural nicht. Für 48 2 Die Geschichte des Niederländischen 7 Die Bezeichnung ‚Schreibsprache‘ zielt auf die regional variierenden schriftlichen Sprachformen ab; die Bezeichnung ‚Dialekt‘ verweist auf Mundarten, d. h. gesprochene Sprache. die dritte Person Plural werden nebeneinander verschiedene Formen verwendet: hen oder hem und später auch hun (vgl. Van der Wal & Van Bree 2015: 139 f., etymologie bank.nl/ trefwoord/ hen2) (Tab. 2.6). - Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ 1. Sg. ic mijns mi mi 2. Sg. du / / ghi dijns di di 3. Sg. hi si het sijns haer -(e)s hem haer hem hem haer het 1. Pl. wi onser ons ons 2. Pl. ghi uwer/ uw(es) u u 3. Pl. si haer hen/ hun/ hem hen/ hun/ hem Tab. 2.6: Flexion der mittelniederländischen Personalpronomen Das Mittelniederländische ist noch keine einheitliche Sprache und hat auch keine schriftlich festgelegte Grammatik oder Rechtschreibung. Der Schreiber, der einen Text aufzeichnen will, muss versuchen, mit dem Buchstabenmaterial, das ihm aus dem lateinischen Alphabet zur Verfügung steht, das Mittelniederländische klanglich wiederzugeben. Die Längung eines Vokals wird mittels Verdopplung oder mit einem e wiedergegeben (hoeft für hoofd, waerheit für waarheid). Die Formen becochti und verberrendi sind zusammengezogene Formen aus jeweils zwei Wörtern, wobei das -i für das nachgestellte Pronomen hi (hij ‚er‘) steht: becochti für becocht hi (bezahlte er) verberrendi für verberrende hi (verbrannte er). Diese klitischen Formen (clitische vormen) kommen auch bei het vor, sowohl vor als auch hinter dem Bezugswort: thoeft für het hoofd, tlant für het land, saecht für saech het (zag het) dreeft für dreef het. Im modernen Sprachgebrauch finden sich ähnliche Formen: dat is leuk wird meist ausgesprochen als dats leuk oder da’s leuk. Die Rechtschreibung richtete sich damals stark nach der Aussprache. Daher werden die verschmolzenen Formen in einem Wort dargestellt. Außerdem wird ein t-Laut am Wortende meist auch als t-Laut geschrieben, obwohl der Stamm des Wortes eigentlich auf d endet, wie in hi stont für hij stond (er stand) oder lant für land. Das Mittelniederländische weist eine große Variation auf und der Name muss als eine Sammelbezeichnung für verschiedene regionale (Schreib-)Sprachen verstanden werden. 7 Die sog. Lage Landen, die sich in etwa über die heutigen Niederlande und Belgien erstreckten, können im Mittelalter sprachlich in fünf verschiedene Gebiete eingeteilt werden (Abb. 2.5): 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 49 ● Flämisch (Vlaams) ● Brabantisch (Brabants) und Utrechts (Utrechts) ● Holländisch (Hollands) und Seeländisch (Zeeuws) ● Limburgisch (Limburgs) und Niederheinisch (Nederrijns) ● nordöstliche Dialekte (noordoostelijke dialecten) bzw. Nedersaksisch Flämisch erstreckt sich über das Gebiet der heutigen Provinzen West- und Ostflandern, Brabantisch über das der heutigen Provinzen Nordbrabant und Flämisch-Brabant sowie Antwerpen. Holländisch wird im Gebiet der heutigen Provinzen Nord- und Südholland verwendet, Seeländisch in Seeland. Da es nicht ganz einfach ist, eine Grenze zwischen Mittelniederländisch und Mittelniederdeutsch zu ziehen, spricht man hier von einem Schreibsprachenkontinuum (Peters 2006; vgl. Kap. 9). Schließlich gab es im Mittelalter keine Nationalstaaten mit klaren Staatsgrenzen. Die Schreibsprachen, die im Nordosten der Niederlande, der sog. IJsselregion verwendet wurden und nicht zu den fränkischen, sondern zu den sächsischen Schreibsprachen gehören, werden historisch gesehen häufig dem Niederdeutschen zugerechnet. Das Limburgische, das im Gebiet der heutigen Provinzen Niederländisch- und Belgisch-Limburg verwendet wurde, und das Niederrheinische werden häufig unter der Bezeichnung Rhein-Maasländisch (Maas-Rijnlands) zusammengefasst und historisch wiederum dem Niederländischen zugerechnet. Bis heute ähneln sich die Dialekte beiderseits der deutsch-niederländi‐ schen Staatsgrenze sehr. 50 2 Die Geschichte des Niederländischen 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 41 der Bezeichnung Rhein-Maasländisch (Rijn-Maaslands) zusammengefasst und historisch oft dem Niederländischen zugerechnet. Abb. 2.3: Der mittelniederländische Sprachraum Bis heute ähneln sich die Dialekte beiderseits der deutsch-niederländischen Staatsgrenze sehr. Das Friesische hat im Norden der Niederlande seinen eigenen Sprachraum. Friesisch ist eine eigene westgermanische Sprache und keine Form des Niederländischen. Die Heiligenlegende Sente Servaes , die Heinric van Veldeke um 1170 über Bischof Servatius verfasste, markiert den Beginn der mittelniederländischen Literatur. Heinric van Veldeke gilt als erster niederländischer Dichter - in vielen deutschen Werken wird er als erster deutscher Dichter angeführt. Wahrscheinlich kam Veldeke aus der Nähe von Hasselt (heute Belgisch-Limburg) und gehörte zur "Niederrheinischen Kulturtradition" (Van der Wal 2002). Die Sprache, die Veldeke in der Sint- Servaes-Legende verwendet (s. Textbeispiel, zitiert nach Corpus Gysseling; [Friesland] Nordosten/ IJsselregion Holland Utrecht Niederrhein Seeland Brabant West- Ost- Flandern Limburg Abb. 2.5: Der mittelniederländische Sprachraum Das Friesische hat im Norden der Niederlande seinen eigenen Sprachraum und ist keine Form des Niederländischen, sondern eine eigenständige westgermanische Sprache. Den Beginn der mittelniederländischen Literatur markiert die Heiligenlegende Sente Servaes, die Heinric van Veldeke um 1170 über Bischof Servatius verfasste. Heinric van Veldeke gilt als erster niederländischer Dichter. Wahrscheinlich kam Veldeke aus der Nähe von Hasselt (heute Belgisch-Limburg) und gehörte zur “Nederrijnse cultuurtraditie” (Van der Wal & Van Bree 2015). Die Sprache, die Veldeke in der Legende verwendet (s. Textbeispiel, zitiert nach Corpus Gysseling; Z. 1002-1009, Übers. UKB), ist Rhein-Maasländisch. Kennzeichnend für das Rhein-Maasländische sind u. a. die Pronomen ich, uch und hom/ hoem für ik, u/ jullie bzw. hem, ol/ al statt ou (wie in holden und wolden) und die diphthongierte Form des unbestimmten Artikels eyn(e) 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 51 8 Über die Heiligenlegende und Heinric van Veldeke berichtet Elisabeth de Bruijn, mediävistische Literaturwissenschaftlerin an der Universiteit Antwerpen: https: / / youtu.be/ pebQQl3prYY. statt een(e). 8 Andere Werke von Veldeke (wie die Minnelieder) sind nicht in mittelnie‐ derländischer, sondern in mittelhochdeutscher Sprache überliefert. Er beherrschte offenbar beide Sprachen und wird deswegen mit unterschiedlichen Werken zu beiden Literaturen gerechnet (vgl. Berteloot 2006). Doen sinte Seruaes die goede Toen Sint Servaas de goede Mit gheisteliken moede met geestelijke moed Des enghels boetscap vernam de boodschap van de engel vernam Die hoem van gods weghen quam, die naar hem omwille van God kwam, Dien hij decke ghenade bat, die hij vaak om genade vroeg Doen ruymde hij tongheren die stat toen roemde hij Tongeren, die stad, Mit eyn deyll sijnre holden met een deel van zijn vrienden Die hem volghen wolden die hem wilden volgen Ende hem waren ghehoersam. en naar hem luisterden. […] […] Vanden heiligen vader sinte materne Van de heilige vader Sint Maternus Wille ich uch segghen gherne wil ik jullie graag Cortelike eyne waerheit-… kort een ware gebeurtenis vertellen-… Ein Großteil der ältesten uns überlieferten mittelniederländischen Texte stammt aus Flandern, genauer gesagt aus der Grafschaft Vlaanderen, einer Region von der Nordseeküste bis zur Schelde. Eines der berühmtesten Werke ist das Tierepos Van den vos Reynaerde (zitiert nach Janssens, Van Daele & Uytersprot, dbnl 2001, Z. 41-52, Übers. UKB): 52 2 Die Geschichte des Niederländischen Het was in eenen tsinxen daghe Het was op een pinksterdag Dat beede bosch ende haghe dat beide, bos en struik Met gronen loveren waren bevaen. met groene bladeren waren bedekt. Nobel, die coninc, hadde ghedaen Nobel, de koning, had zijn hofdag Sijn hof crayeren over al overal afgekondigd Dat hi waende, hadde hijs gheval, die hij dacht, als het meezat, Houden ten wel groeten love. tot zijn grote roem te houden. Doe quamen tes sconinx hove Toen kwamen naar het hof van de koning Alle die diere, groet ende cleene alle dieren, groot en klein, Sonder vos Reynaert alleene. alleen zonder de vos Reynaert. Hi hadde te hove so vele mesdaen Hij had ter hof zo veel misdaden gedaan Dat hire niet dorste gaen. dat hij er niet naartoe durfde te gaan. Das Textfragment schildert, dass König Nobel zu Pfingsten seinen Hoftag abhält. Alle Tiere erscheinen - bis auf Reynaert, den Fuchs, der sich wegen seiner vielen Missetaten nicht traut, zum Hofe zu kommen. Merkmale für den flämischen Schreibdialekt sind in diesem Beispiel die Formen beede und cleene für beide bzw. kleine mit langem ee statt ei. Der flämische Text, dessen Verfasser: in nicht bekannt ist, entstand in der Mitte des 13. Jahrhunderts. Bei vielen Texten aus dem Mittelalter ist der/ die Verfasser: in nicht bekannt. Zum einen wurden viele Geschichten schon jahrhundertelang mündlich überliefert, bevor sie schriftlich fixiert wurden, zum anderen gab es englische, deutsche oder auch französische und lateinische Vorlagen anderer Schriftsteller: innen, die man mal freier, mal originalgetreuer in die eigene Sprache bzw. den eigenen Dialekt übertrug. Außerdem verzichteten Verfasser: innen häufig auch aus Bescheidenheit (‚humilitas‘) auf die Nennung des eigenen Namens, insbesondere wenn es sich um religiöse Texte handelte. Nicht in allen Fällen bleibt der/ die Verfasser: in anonym. Dem flämischen Dichter Jacob van Maerlant (ca. 1235-1291? ) können verschiedene Werke eindeutig zugeschrieben werden. Eines davon ist Der Naturen bloeme, an dessen Beginn Maerlant sich selbst als Autor nennt (Textbeispiel zitiert nach Janssens & Marynissen 2011, Übers. UKB). Jacob van Maerlant, die dichte Jacob van Maerlant, die dit dichtte, Om te sendene teere ghichte, om als een geschenk te zenden wille dat men dit boec noeme wil dat men dit boek zal noemen In dietsch: ‘Der naturen bloeme’,-… in het Diets: ‘Der naturen bloeme’-… 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 53 Mit dem Begriff dietsch/ Diets will Maerlant angeben, dass sein Text nicht auf Lateinisch verfasst ist, sondern in der Volkssprache. Diets (auch duutsch) bedeutet ursprünglich ‚zum Volke gehörig‘ und nicht etwa ‚Deutsch‘. Die Bezeichnung für die niederländische Sprache sorgt bis heute häufig für Verwirrung: Im Mittelalter wird diets/ duuts verwendet, um anzugeben, dass der Text ‚in der Volksprache‘ geschrieben ist. Aus diesem Wort entwickeln sich das niederländische Wort Duits, das deutsche deutsch und das englische Wort Dutch, das ‚niederländisch‘ bedeutet. Lange Zeit wird das Niederländische auf Niederländisch als Nederduits bezeichnet (wie im 16. Jahrhundert in der Twe-Spraack vande Nederduitsche letterkunst von Spieghel oder im 17. Jahrhundert in der Nederduitsche Dichtkunste von Vondel, s. u.). Dies im Gegensatz zum Deutschen, das Hoogduits genannt wird. Die Bezeichnung Nederlandtsche tale taucht zum ersten Mal Ende des 15. Jahrhunderts auf, aber erst im Laufe des 19. Jahrhunderts setzt sich Nederlands als Bezeichnung für die niederländische Sprache durch. Im 14. Jahrhundert entwickelt sich das Herzogtum Brabant zur wichtigsten Region in den Lage Landen und so entstehen in dieser Zeit auch vermehrt literarische Texte rund um Antwerpen und Brüssel. Berühmt sind insbesondere religiöse und mystische Texte, z. B. von Jan van Ruusbroec (1293-1381), die Marienlegende Beatrijs oder frühe Bibelübersetzungen. Einer der ältesten auf Holländisch verfassten Texte ist die Rijmkroniek van Holland aus dem 13. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den bisher angeführten Texten handelt es sich hierbei nicht um einen fiktiven Text, sondern um Geschichtsschreibung in Versform. Der Verfasser, Melis Stoke (ca. 1235-ca. 1305), arbeitete als Skribent in der Kanzlei der Grafen von Holland. Aus dem Nordosten der Niederlande sind erst relativ spät Texte in der Volkssprache überliefert. Bekannt wurde Geert Groote (1340-1384), der die treibende Kraft der sog. Devotio Moderna (die neue Frömmigkeit) war, eine mystisch-religiöse Bewegung, in der die persönliche Beziehung zu Gott im Mittelpunkt steht. Mine siele heuet di begheert inder nacht ende mijn gheist in den innersten mijns herten. soe heb ic vro ghewaket toe di. O alre claerste ewighe wijsheit. Ic bidde dat dine begheerde teghenwoerdicheit moet verdriuen alle vreemde dinghe wt mijnre herten […]. Mijn ziel heeft naar jou verlangd in de nacht en mijn geest in het binnenste van mijn hart. Zo heb ik blij de wacht gehouden voor jou. O allerhelderste eeuwige wijsheid. Ik bid dat jouw begeerde tegenwoordigheid alle vreemde dingen uit mijn hart moet verdrijven […]. 54 2 Die Geschichte des Niederländischen Das Textfragment (zitiert nach Van Wijk 1940, dbnl 2008, Übers. UKB) stammt aus dem Getijdenboek (‚Stundenbuch‘), einer Art Gebetbuch für Laien. In diesem Auszug aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts finden sich viele Belege für flektierte Varianten: mine siele für mijn ziel, ic bidde für ik bid, in den innersten mijns herten für in het binnenste van mijn hart (im Innersten meines Herzens). 2.2.3 Neuniederländisch Das 16. und 17. Jahrhundert gelten als eine Epoche, in der die historisch-politischen Umstände in Europa unberechenbar sind. Unter Filip II. kommen die Niederlande ab 1556 unter spanische Herrschaft. Weil die spanische Krone den neuen protestantischen Glauben mit der Inquisition bekämpft, wollen sich die Niederlande vom katholischen Spanien lossagen. Die Spanier nehmen die Loslösung der Niederlande jedoch nicht hin. Während des Achtzigjährigen Krieges (1568-1648) wird im Jahr 1585 Antwerpen von den spanischen Truppen eingenommen (de val van Antwerpen). Viele religiös unabhängige Menschen, Intellektuelle und Kaufleute fliehen in den Norden der Lage Landen, der nicht unter die spanische Herrschaft fällt. Mit dem Westfälischen Frieden, der in den Niederlanden Vrede van Munster (Friede von Münster) genannt wird, wird im Frühjahr 1648 die Unabhängigkeit der Niederlande besiegelt. Diese Republik ist der Vorläufer der heutigen Niederlande. Die südlichen Niederlande, in etwa das heutige Belgien, bleiben noch bis zum Wiener Kongress 1815 unter spanischer bzw. österreichischer und französischer Herrschaft. Nicht nur diese historisch-politischen Ereignisse, sondern auch kulturgeschichtliche Neuerungen beeinflussen die Entwicklung des Niederländischen: So ändern sich durch den Buchdruck mit beweglichen Lettern (ab etwa 1450) die Voraussetzungen für das geschriebene Wort grundlegend. Es wird zum ersten Mal möglich, Texte schnell zu vervielfältigen, statt sie mühsam von Hand zu kopieren, d. h. mit Feder und Tinte abzuschreiben. Durch Reformation und Gegenreformation sind viele Schriften im Umlauf, die sich an alle Schichten der Bevölkerung richten. Eine der wichtigsten Figuren in den Lage Landen ist dabei der Buchdrucker Christoffel Plantijn (ca. 1520- 1589), der in seiner Druckerei in Antwerpen (und auch in Leiden) viele Schriften druckt. Latein beherrschen auch in dieser Zeit nur die wenigsten, außerdem ist es die Sprache der katholischen Kirche; die Sprache der Reformation wird die Volkssprache. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, wird ein überregional verständliches Niederländisch gebraucht, da sich eine zu stark regional gefärbte Sprache nicht für diese Zwecke eignet. Daher kommt es zu einer Standardisierung (standaardisering) des Niederländischen. Vier Kriterien sind ausschlaggebend für die Standardisierung von Sprache: Selek‐ tion (selectie), Akzeptanz (acceptatie), Kodifikation (codificatie) und Verbrei‐ tung (elaboratie oder functie-uitbreiding). 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 55 Diese Kriterien (nach Haugen 1966) bauen nicht aufeinander auf, sondern greifen ineinander. Für das Niederländische kann man sich den Standardisierungsprozess in etwa wie folgt vorstellen: Von den verschiedenen Dialekten setzt sich eine Varietät (variëteit) durch, die die Basis für die neue Standardform bildet; Basis für die nieder‐ ländische Standardsprache wird das Holländische, genauer gesagt das Holländisch der höheren Schichten, das bei vielen Schriftsteller: innen und den höheren Schichten der Gesellschaft einen guten Ruf hat. Außerdem lassen sich starke Einflüsse aus dem Brabantischen, nach neuerer Forschung auch aus den östlichen Dialekten erkennen. Die Auswahl eines Dialekts als Basis für die Standardnorm wird als Selektion auf Makroniveau (selectie op macroniveau) bezeichnet. Die Volkssprache bekommt im Laufe der Zeit immer mehr Prestige gegenüber dem Lateinischen. So schreibt Joost van den Vondel in seiner Aenleidinge ter Nederduitsche Dichtkunste aus dem Jahr 1650 über die Vorzüge des Nederduitsch, so wie es in den höheren Kreisen in Den Haag und Amsterdam gesprochen wird; den platten Dialekt aus Amsterdam und Antwerpen charakterisiert er hingegen als albern bzw. abscheulich und nicht deutlich genug (Übers. GDV): Deze spraeck wort tegenwoordigh in ’s Gravenhage, de Raetkamer der Heeren Staten, en het hof van hunnen Stedehouder, en t’ Amsterdam, de maghtighste koopstadt der weerelt, allervolmaecktst gesproken, by lieden van goede opvoe‐ dinge, indien men der hovelingen en pleiteren en kooplieden onduitsche termen uitsluite: want out Amsterdamsch is te mal, en plat Antwerpsch te walgelijck, en niet onderscheidelijck genoegh. Deze taal wordt tegenwoordig in Den Haag, in de raadkamer van de heren Staten en het hof van hun stadshouder, en in Amsterdam, de machtigste handelsstad ter wereld, op de meest volmaakte manier gesproken door mensen met een goede opvoeding, als men tenminste de door de hovelingen, pleiters en kooplieden gebruikte vreemde termen uitsluit. Want oud Amsterdams is te mal, en plat Antwerps te walgelijk en niet duidelijk. Der Selektionsvorgang ist kein demokratischer Prozess, es geht vielmehr um eine Varietät, die von einer relativ kleinen elitären Gruppe, einer einflussreichen Bevölke‐ rungsschicht, bevorzugt und dadurch als Grundlage verwendet wird. Diese Varietät muss von einem Großteil der Sprachgemeinschaft als Grundlage akzeptiert werden. In Nachschlagewerken wie Grammatiken und Wörterbüchern wird festgelegt, welche Sprachformen die Norm bilden und ‚richtig‘ sind. Normen und Regeln werden festgehalten, die Standardsprache dadurch systematisch erfasst und kodifiziert. In der Regel wird die bereits akzeptierte Standardform kodifiziert, gleichzeitig erhält eine Varietät, die kodifiziert ist, auch mehr Anerkennung; so greifen diese Aspekte ineinander. Das erste Wörterbuch, das den Wortschatz des Neuniederländischen 56 2 Die Geschichte des Niederländischen vollständig zu erfassen versucht, ist das 1574 von Cornelis Kiliaen veröffentlichte Dictionarium Teutonico latinum (die erweiterte Fassung erschien 1599 unter dem Titel Etymologicvm Tevtonicae lingvae sive Dictionarium Teutonico-latinum). Kiliaen wollte darin alle wissenswerten Informationen zusammenstellen, die dazu beitragen konnten, die Kenntnisse über das Niederländische auszuweiten, hinsichtlich seiner Verwandtschaft mit dem Deutschen und Französischen und hinsichtlich der Überset‐ zung des Niederländischen ins Lateinische. Das Etymologicvm Tevtonicae lingvae gilt als Vorläufer der modernen niederländischen Wörterbücher. Die erste niederländische Grammatik, d. h. eine Grammatik der niederländischen Sprache auf Niederländisch, erscheint im Jahr 1584: Hendrik Laurenszoon Spieghel veröffentlicht seine Twe-Spraack vande Nederduitsche letterkunst (tweespraak = Zwiegespräch, Dialog), die sich stark am Muster lateinischer Grammatiken orientiert. Latein gilt immer noch als vorbildlich und an seiner Grammatik wird alles gemessen. So wird z. B. die Unterscheidung von Dativ und Akkusativ mehr oder weniger künstlich als zu trennende Formen propagiert. Wie fürs Mittelniederländische bereits gezeigt, kamen hen und hun als Varianten des Personalpronomens vor, die Differenzierung zwischen hun für ,ihnen‘ (Dativ) und hen für ,sie‘ (Akkusativ) hat aber vermutlich im 17. Jahrhundert der Grammatiker Christiaan van Heule eingeführt. Und dies, obwohl diese Unterscheidung im gesprochenen Niederländisch höchstwahrscheinlich nie realisiert wurde und bis heute nicht realisiert wird. Die konkrete ‚Wahl‘ einzelner Varianten wird als Selektion auf Mikroniveau (selectie op microniveau) bezeichnet. Ein weiteres Beispiel für diese Art der Selektion ist das Reflexivpronomen, das zum einen mit hem/ haar (also ohne Unterschied zum normalen Personalpronomen) ausgedrückt wurde, zum anderen mit sick; hierbei handelt es sich um Entlehnungen aus dem Niederbzw. Hochdeutschen. Als Variante der Standardsprache wird im Rahmen der Übersetzung der Staatenbijbel (s. u.) bewusst zich ausgewählt. Diese Form, die ursprünglich nur im Osten des Sprachraumes vorkam, hat sich allgemein in der niederländischen Standardsprache durchgesetzt (vgl. Van der Wal & Van Bree 2015). Die Verwendung der ausgewählten Sprachform in sowohl informellen, eher privaten als auch in formellen Situationen führt zu einer Funktionserweiterung und Verbreitung der Standardvarietät. Dies zeigt sich z. B. an der Verwendung des Niederländischen in Wissenschaft und Kirche. Die Vorherrschaft der lateinischen Sprache wird nun auch in diesen Bereichen beendet. So schreibt beispielsweise der in Brugge geborene Naturwissenschaftler, Mathematiker und Ingenieur Simon Stevin (1548-1620) auf Niederländisch und überträgt lateinische und griechische Fachbegriffe ins Niederlän‐ dische. Er hält nämlich die “Duytsche taele” für die beste. Im Jahre 1637 wird die Statenbijbel veröffentlicht, eine Bibelübersetzung direkt aus dem Hebräischen bzw. Griechischen ins Niederländische. Die offiziell mit dieser Übersetzung beauftragten Herausgeber wägen bei der Übersetzung ganz bewusst bestimmte Ausdrücke und Sprachformen gegeneinander ab; ein Beispiel ist, wie bereits erwähnt, die Form des Reflexivpronomens. Bewusst wird statt hem/ haar das Pronomen zich verwendet. Auch 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 57 9 Nur vor r bleibt der ursprüngliche Laut erhalten (z. B. vuur und nicht vuir, mier nicht mijr). auf dem Gebiet der Literatur entwickelt sich das Niederländische zur Kultursprache: Dichter: innen und Literat: innen sind äußert produktiv und verfassen zahlreiche Thea‐ terstücke, Gedichte und andere Texte. Die Werke von Vondel, Hooft und Bredero sind außerordentlich populär und wirken auch über die Niederlande hinaus. Durch die literarische Produktivität und Qualität erhält die Standardvarietät ein hohes Prestige und wird vom Großteil der Sprachgemeinschaft als Norm anerkannt und akzeptiert. Das 17. Jahrhundert, das auch als das Goldene Jahrhundert (de Gouden Eeuw) bezeichnet wird, wird die Blütezeit für die niederländische Republik, nicht jedoch für die südlichen Niederlande (das heutige Belgien). Die niederländische Republik entwickelt sich in ökonomischer wie kultureller Hinsicht, treibt Handel, gründet Kolonien und steigt zur größten See- und Handelsmacht der Welt auf. Es werden die Vereinigte Ostindische Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC) und die Westindische Kompanie (West-Indische Compagnie, WIC) gegründet, Handelsim‐ perien in Form einer Art Aktiengesellschaft. Die VOC und die WIC treiben in Asien und Nord- und Südamerika Handel und errichten ein Wirtschaftsimperium mit staatlichen Privilegien. Zur selben Zeit kann sich das Niederländische in den Niederlanden als Amts- und Kultursprache etablieren. Im Süden jedoch ist das Französische, das auch vom flämischen Adel und der flämischen Bourgeoisie gesprochen wird, Amts- und Kultursprache. Da viele niederländischsprachige Intellektuelle und Künstler: innen aus den südlichen Provinzen in die nördlichen ausgewandert sind, gibt es kaum eine niederländischsprachige Elite in Flandern; nur in den Dialekten überlebt die niederländische Tradition. Die Entwicklung des Niederländischen zur Kultursprache findet durch diese Um‐ stände in den nördlichen Niederlanden statt. Dabei bezieht sich die Standardisierung auf die geschriebene, nicht die gesprochene Sprache. In der Regel entscheiden ein‐ flussreiche Dichter: innen und Literat: innen, was ihrer Meinung nach die ‚richtige Form‘ ist, und legen dies in Nachschlagewerken fest; die Standardisierung erfolgt dabei relativ stark gesteuert ‚von oben‘ und nicht als Sprachwandel (taalverandering) ‚von unten‘ (vgl. Kap. 10). Bezogen auf die gesprochene Sprache steht jedoch fest, dass die Diphthongierung des uu und des ij im Neuniederländischen umgesetzt und standardsprachlich wird. Der Laut uu, der in manchen Regionen wie ein deutsches u, in anderen wie ein deutsches ü ausgesprochen wurde, entwickelt sich zum Diphthong ui. Das ij, auch als y geschrieben, das ursprünglich mit langem i ausgesprochen wurde, wird nun als ei ausgesprochen. 9 - 2.2.3.1 Das 18. und 19.-Jahrhundert Der Standardisierungsprozess ist im 17. Jahrhundert noch lange nicht abgeschlossen. Die Akzeptanz gegenüber der niederländischen Standardsprache nimmt in den nördli‐ chen Niederlanden im Laufe des 18. Jahrhunderts weiter zu. Im Jahr 1804 veröffentlicht 58 2 Die Geschichte des Niederländischen Matthijs Siegenbeek seine Rechtschreibregeln (die sog. Spelling Siegenbeek), ein Jahr später erscheint Petrus Weilands Grammatik De Nederduitsche Spraakkunst, zwei wichtige Werke, die die niederländische Sprache kodifizieren. Auch in dieser Phase beeinflussen historische Ereignisse die Entwicklung der niederländischen Sprache: Die südlichen Niederlande geraten im 18. Jahrhundert unter habsburgische und französische Herrschaft. Auf dem Wiener Kongress (1815) wird entschieden, dass die nördlichen und südlichen Niederlande im Verenigd Koninkrijk der Nederlanden vereint werden. Der neue Herrscher, König Willem I., versucht mit einer stringenten Sprachpolitik das Niederländische in seinem Reich als Amts- und Kultur‐ sprache zu etablieren unter dem Motto: “één land één taal” (Van der Sijs 2004: 52). Nach der Revolution im Jahr 1830 werden die südlichen Niederlande zum unabhängigen Staat Belgien, dessen Elite hauptsächlich Französisch spricht. Niederländisch ist zwar nicht verboten, aber in Schule, Wissenschaft und Politik spielt es keine Rolle mehr, hier wird ausschließlich Französisch verwendet. Die meisten Flam: innen beherrschen auch kein Standardniederländisch, sondern nur Dialekte, die keine echte Alternative zum Französischen darstellen. Diese Situation empfinden manche Flam: innen als un‐ erträglich. Schriftsteller: innen, Philologen, Ärzte, Juristen, Beamte und Priester, meist aus der unteren Mittelschicht, die unter Willem I. in der Zeit des Verenigd Koninkrijk Niederländisch als Kultursprache erlebt haben, setzen sich für die Verwendung und Förderung der ‚Volkssprache‘, in diesem Fall des Niederländischen, ein: Die Flämische Bewegung (Vlaamse Beweging) entsteht. Ziel dieser Bewegung ist die gesetzliche Anerkennung der Sprache der Flam: innen in Belgien, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung und der Wohlstand Flanderns sowie die Anerkennung der Flam: innen als eigene Gemeinschaft ( Janssens & Marynissen 2011: 144 f.). Wichtige Etappen der Gleichstellung des Niederländischen in Belgien ● 1873: Gebrauch des Niederländischen vor Gericht bei Verdächtigen, die kein Französisch beherrschen ● 1883-85: Niederländisch als Unterrichtssprache auf weiterführenden Schulen (in einzelnen Fächern) ● 1898: Gelijkheidswet: Alle Gesetze und königlichen Beschlüsse werden auch auf Niederländisch verfasst. ● 1932: territoriale Einsprachigkeit der Gebiete Flandern und Wallonien ● 1962/ 63: Festlegung der Sprachgrenze ● 1970: Belgien wird in vier Sprachgebiete (taalgebieden) eingeteilt: das nieder‐ ländischsprachige Flandern, das französischsprachige Wallonien, das zwei‐ sprachige (französisch-niederländische) Brüssel und die deutschsprachige Gemeinschaft in Ostbelgien. ● 1973: Die Sprache Flanderns wird offiziell als ‚Niederländisch‘ bezeichnet. ● 1993: Belgien ist offiziell ein Föderalstaat. Es gibt drei Gemeinschaften (gemeen‐ schappen): Flandern, Wallonien und die deutschsprachige Gemeinschaft; drei 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 59 Regionen (gewesten): Flandern, Wallonien und Brüssel; und vier Sprachgebiete (taalgebieden). Es dauert jedoch noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, bis durch die ver‐ schiedenen Sprachgesetze (taalwetten) eine Gleichstellung des Niederländischen als Amtssprache für Flandern erreicht wird. vgl. Janssens & Marynissen 2011: 145-148; Van der Sijs 2004: 624 Trotz der politischen Trennung der Niederlande und Belgiens ab 1830 wollen verschie‐ dene niederländische und flämische Sprach- und Literaturwissenschaftler, Historiker und Herausgeber den kulturellen Zusammenhalt fördern (vgl. Vanacker 1983). Dazu finden ab 1849 alle zwei Jahre regelmäßig Kongresse zur niederländischen Sprache statt, die sog. Nederlandsche Taal-en Letterkundige Congressen (Niederländische Sprach- und Literaturwissenschaftskongresse), bei denen die Teilnehmenden über Sprachfragen diskutieren. Konkrete Ergebnisse dieser Kongresse sind zum einen eine einheitliche Rechtschreibregelung (Spelling De Vries en Te Winkel) und zum anderen die Erstellung eines niederländischen Wörterbuchs, das unter der Leitung von Matthias de Vries in Angriff genommen wird: das Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT; vgl. Kap. 3). Es ist vergleichbar mit dem Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm oder dem Oxford English Dictionary. Auf diesen Kongressen tauschen sich niederländische und flämische Literat: innen und Wissenschaftler: innen aus. Noch viel intensiver sind aber die Diskussionen unter den Flam: innen selbst: Sollen die Flam: innen in sprachlicher Hinsicht den Anschluss an das Niederländische in den Niederlanden suchen oder soll man lieber eine eigene Form als Standardvariante entwickeln? Die sog. Integrationisten (integrationisten) vertreten die Auffassung, dass sich die Flam: innen mit ihrem Niederländisch der Sprachnorm des Nordens anpassen sollten; nur so ist es möglich, dem Französischen eine starke Alternative gegenüberzustellen. Schließlich hat das Niederländische im Norden eine reiche Tradition und wird als Kultursprache verwendet; darauf will man sich auch in Flandern berufen. Zu den Integrationisten gehören Jan-Frans Willems, der auch als Vater der Flämischen Bewegung bezeichnet wird, und Autoren wie Ferdinand Augustijn Snellaert und Philip Blommaert. Die Partikularisten (particularisten) hingegen lehnen das ‚Holländische‘ als Sprache der Protestanten ab (Flandern ist überwiegend katholisch); die nordniederländische Norm ist ihnen fast genauso fremd wie das Französische, sie wollen eine Sprache als Norm, die ihnen näher liegt. Zu den Partikularisten gehören u. a. der Grammatiker Pieter Behaegel, der Autor Hendrik Conscience und der Dichter-Priester Guido Gezelle, die eine eigene, vom ‚Holländischen‘ losgelöste belgische, genauer gesagt westflämische Standardvariante etablieren wollen. Die Diskussionen über diese Sprachfrage dauerten an, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten sich die Integrationisten durch. 60 2 Die Geschichte des Niederländischen 2.2.3.2 Geschriebene Sprache vs. gesprochene Sprache Im 19. Jahrhundert nimmt das Interesse an der eigenen Sprache stetig zu, aber alle Stan‐ dardisierungsprozesse sind noch immer stark auf die geschriebene Sprache gerichtet. Dadurch kommt es zu enormen Unterschieden zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden Stimmen laut, die dies ändern wollen. So wird der Slogan berühmt schrijf zoals je spreekt (schreib so, wie du sprichst) (vgl. Van den Toorn et al. 1997: 455). Der Sprachwissenschaftler Taco Roorda liefert 1855 bei einem der Sprachkongresse mit seiner Verhandeling over het onderscheid en de behoorlijke overeenstemming tusschen spreektaal en schrijftaal einen so unkonventionellen, den Primat der gesprochenen Sprache postulierenden Beitrag, dass sich die Redaktion weigert, seinen Artikel zu veröffentlichen. Doch auch Autor: innen wollen die Kluft zwischen geschriebener und gesprochener Sprache überbrücken. Dies war ein wichtiges Anliegen von Multatuli (Pseudonym von Edouard Douwes Dekker, 1820-1887), der 1860 sein Buch Max Havelaar publiziert. Besonders berühmt ist der Anfang des Buches (Textbeispiel zitiert nach Edition M. Douwes Dekker (1900), dbnl): Ik ben makelaar in koffi, en woon op de Lauriergracht N° 37. Het is myn gewoonte niet, romans te schryven, of zulke dingen, en het heeft dan ook lang geduurd, voor ik er toe overging een paar riem papier extra te bestellen, en het werk aantevangen, dat gy, lieve lezer, zoo-even in de hand hebt genomen, en dat ge lezen moet als ge makelaar in koffi zyt, of als ge wat anders zyt. Multatuli, Max Havelaar (1860) Neben einer moralisch-politischen Anklage wegen menschenverachtender Umstände in Indonesien will Multatuli so schreiben, wie man auch tatsächlich spricht, was aber gar nicht so einfach ist, wenn man etwas anderes in der Schule gelernt hat: “Ik leg me toe op ’t schryven van levend hollandsch. Maar ik heb schoolgegaan.” (aus Ideën I, 41, zitiert aus Edition Funke (1879), dbnl). Für moderne Leser: innen ist diese Form des Niederländischen recht steif und ungewohnt. Im 19. Jahrhundert jedoch war dies fast revolutionär, u. a. weil Multatuli auf Flexionsendungen für Dativ und Akkusativ verzichtet, die in der gesprochenen Sprache seit Generationen verschwunden waren und nur künstlich in Grammatiken heraufbeschworen wurden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kommt es zu einer zunehmenden Standardisierung des gesprochenen Niederländisch. Statt eines ‚platten Dialekts‘ kann man besser Alge‐ meen Beschaafd Nederlands (abgekürzt ABN) sprechen, also ‚allgemeines kultiviertes Niederländisch‘. Allgemein ist diese Variante, weil sie überregional verständlich ist und keine allzu gefärbten Elemente enthält. Aufgrund der wachsenden Mobilität und der vermehrten überregionalen Kontakte ist ein solches Kommunikationsmittel schlichtweg notwendig (Van der Sijs 2004). Als kultiviert wird das ABN bezeichnet, weil es zunächst die Sprache der Elite, einer Bevölkerungsschicht mit ökonomischem 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 61 und kulturellem Prestige, ist. Wer diese Varietät beherrscht, ‚gehört dazu‘ und kann mitreden. 2.2.4 Modernes Niederländisch Mit dem 20. Jahrhundert beginnt das Zeitalter des modernen Niederländisch (Heden‐ daags Nederlands). Wiederum sind es externe, historisch-kulturelle Faktoren, die die Entwicklung der Standardsprache stark beeinflussen. Durch die Einführung der Schulpflicht und die Verbesserung des Unterrichts lernen viel mehr Menschen die Standardsprache. Durch Migrationsbewegungen sowohl innerhalb des Sprachraumes als auch durch Migration von außen (Gastarbeiter: innen etc.) und durch die gestiegene Mobilität der Sprecher: innen verbreitet sich die Standardsprache immer mehr und ist im überregionalen Austausch immer wichtiger. Großen Einfluss haben auch Radio, Fernsehen und die Printmedien, die ein überregionales Publikum erreichen wollen. Durch Demokratisierungs- und Emanzipationsbewegungen erhalten weit mehr Grup‐ pen (wie Frauen, Arbeiter: innen) Zugang zu Bildung und kommen dadurch auch in Kontakt mit der Standardsprache bzw. benötigen die Kenntnis der Standardsprache (vgl. Van der Horst & Van der Horst 1999). Auch in Flandern ändern sich die gesellschaftlich-politischen Strukturen grundle‐ gend. Ab 1932 ist Belgien offiziell in einen nördlichen, niederländischsprachigen und einen südlichen, französischsprachigen Teil geteilt, die Sprachgrenze wird 1962/ 63 definitiv festgelegt. Nach der langen französischen Periode wird nun auch in Flandern das Niederländische als Amts- und Kultursprache in wichtigen Bereichen wie Schule, Wissenschaft und Politik wieder eingeführt. Ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts kann man in Belgien an der Universität in Gent auf Niederländisch studieren. Insbe‐ sondere in der zweiten Hälfte des 20.-Jahrhunderts kann Flandern sich stark entfalten und erlebt eine Periode ökonomischer Blüte. Diese Veränderungen schlagen sich auch im sprachlichen Selbstbewusstsein der Flam: innen nieder. Im 20.-Jahrhundert richtet sich die Standardisierung des Niederländischen nicht mehr nur auf die geschriebene Sprache, sondern auch auf die gesprochene Sprache; hierzu tragen sicherlich auch die Medien stark bei. Diese Entwicklung verläuft in drei Phasen: In der ersten Phase von etwa 1895-1920 gilt es als schick, Algemeen Beschaafd Neder‐ lands zu sprechen, so wie es von der Fachzeitschrift Taal en letteren propagiert wird. In der zweiten Phase, etwa von 1920-1970, entwickelt sich das ABN zur Sprache des Bürgertums, in der dritten Phase ab 1970 ist das ABN Allgemeingut, die überregionale Sprache, mit der man in Funk und Fernsehen mit allen Niederländischsprachigen kommunizieren kann. Der Einfluss normierender Instanzen (Schulunterricht, Gram‐ matiken etc.) wird immer geringer, sodass der Abstand zwischen Standardsprache und allgemeiner Umgangssprache immer kleiner wird. Varianten wie hun hebben (statt zij hebben), groter als (statt groter dan) oder het boek wat ik lees (statt het boek dat ik lees) könnten sich in nächster Zeit als standardsprachlich durchsetzen. 62 2 Die Geschichte des Niederländischen Der Begriff ‚Standardsprache‘ ist in diesem Kontext nicht unproblematisch. In früheren Jahrhunderten zielte der Begriff in der Regel auf eine schriftlich fixierte Form ab. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts unterliegt aber auch die gesprochene Sprache einer Standardisierung. Definitionen, was eine Standardsprache im modernen Sinne nun eigentlich ist, bleiben meist vage und sind eher Umschreibungen als Definitionen (vgl. Kap. 1). Hinzu kommt, dass in den unterschiedlichen Epochen andere Sprachformen unter den Begriff Standardsprache fallen, wie wir gerade gesehen haben. In den letzten Jahren scheint die Akzeptanz verschiedener Formen und die Dehnung der Normen zuzunehmen, wodurch es zu einer Destandardisierung kommen kann (Van der Horst 2008a; vgl. Kap. 9). Die niederländische Sprache unterscheidet sich in den Niederlanden und in Belgien bis heute und auch die Haltung zum Niederländischen unterscheidet sich stark. Die meis‐ ten Niederländer: innen halten es für selbstverständlich, dass sie ihre Muttersprache als Kultur- und Amtssprache in Verwaltung, bei Gericht und in der Literatur verwenden können. Das Ansehen der eigenen Sprache ist allerdings nicht besonders hoch und man ist sich der Geschichte und der Bedeutung des Niederländischen als Kultursprache nicht unbedingt bewusst. Entsprechend ist die Bereitschaft zur Sprachpflege bei vielen nicht so stark ausgeprägt, was u. a. dazu führt, dass man bei internationalen Kontakten gerne bereit ist, auf andere Sprachen, insbesondere Englisch, umzuschalten. Bei den Flam: innen ist das Bewusstsein noch immer vorhanden, dass ihre Mutter‐ sprache vom Französischen verdrängt und lange unterdrückt wurde. Sie sind stolz auf ihre Sprache - auch wenn sie häufig das Niederländische der Niederlande, das sie als Hollands bezeichnen, nicht besonders mögen. In den letzten Jahren wächst das Selbst‐ bewusstsein der Flam: innen stetig. Flandern ist ökonomisch stark und unabhängig und der Wunsch, sich vom ‚holländischen Norden‘ sprachlich weiter abzugrenzen, wächst mit der ökonomischen Stärke (vgl. Kap. 9). Statt der Standardsprache wird in vielen Kreisen allerdings eine andere Varietät verwendet, die sog. tussentaal (vgl. Kap.-1 und 9). Diese Varietät, die auch Verkavelingsvlaams genannt wird, liegt zwischen Standard und Dialekt und wird meist umgangssprachlich verwendet. Es ist völlig offen, wie sich das Niederländische weiter entwickeln wird. Welchen Einfluss hat die allgemeine Tendenz zu mehr Variation und Destandardisierung? Welche Rolle kommt dem Englischen als moderner Lingua franca zu? Wird gerade im Gegenzug zur Globalisierung die Individualität durch Sprache einen neuen Stellenwert erhalten? Wie wird sich das Niederländische in Flandern entwickeln? Wird man stärker seine eigene Form des Niederländischen entwickeln, ohne Rücksicht auf Einheit in der Sprache? Wird man in einigen Jahrzehnten in Flandern tussentaal sprechen statt Niederländisch? 2.2 Sprachstadien des Niederländischen 63 2.3 Zusammenfassung Die niederländische Sprache gehört genau wie das Deutsche und Englische zum westgermanischen Sprachzweig innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie. Nach der 2. Lautverschiebung sieht man deutliche Unterschiede zwischen dem Altniederländischen und dem Althochdeutschen. Im Mittelalter entstehen in den verschiedenen Regionen der Niederlande viele literarische Texte in der Volkssprache; es entwickelt sich eine volkssprachliche Literatur ausgehend von Flandern und Brabant und auch als Schriftsprache kann das Mittelniederländische das Lateinische im Laufe der Zeit verdrängen. In der Zeit des Gouden Eeuw macht das Neuniederländische in den Niederlanden und im heutigen Belgien aufgrund externer, historisch-politischer Faktoren eine sehr unterschiedliche Entwicklung durch. Bei der Standardisierung der geschriebenen Sprache im 16. und 17. Jahrhundert ist der Norden der Lage Landen tonangebend. Bei der Standardisierung der gesprochenen Sprache im 19. Jahrhundert ebenfalls. Insbesondere in dieser zweiten Phase ist der Einfluss aus Flandern auf die niederländische Standardsprache minimal. Für das moderne Niederländische lässt sich im 20. Jahrhundert eine Annäherung des Niederländischen in Belgien und des Niederländischen in den Niederlanden konstatieren. Im 21. Jahrhundert scheint sich diese Annäherung jedoch nicht weiter fortzusetzen. Die weitere Entwicklung der niederländischen Sprache in Belgien und den Niederlanden ist offen. 64 2 Die Geschichte des Niederländischen Ziele Ziele Aufgaben 1. Warum ähneln sich das Deutsche und Niederländische so sehr? Warum kann man aber ab etwa dem 8. Jahrhundert von zwei unterschiedlichen Sprachen ausgehen? 2. Vergleichen Sie die folgenden Begriffe. Ist das Türkische doch eine germanische Sprache? Wie lassen sich diese Übereinstimmungen erklären? dt. Schal Pyjama Gameboy Blockflöte Telefon Radio ndl. sjaal pyjama gameboy blokfluit telefoon radio tü. şal pijama gameboy blokflüt telefon radyo 3. Das folgende Textfragment stammt aus der Rittergeschichte Karel ende Elegast (Cd-rom Middelnederlands 1998). Der Ritter Elegast spricht mit König Karl über einen Ritter, Eggeric, der den König verraten haben soll. 1171 Doe Elegast, die ridder goet 1172 Quam in des conincs sale 1173 - Nu moochdie horen sine tale! - 1174 Hi seide: God hoede dit gesinde, 1175 Den coninc ende dat ik hier vinde 1204 Ic ben seker wel te voren 1205 Dat Eggeric heeft u doot gesworen 1206 Ic hoordet hem seggen daer hi lach. 1207 Hi gaf sinen wive enen slach, 1208 Dat sijt dorste anden, 1209 Dat haer dbloet ten tanden 1210 Ter nase ende ter mont uut brac. a. Benennen Sie Beispiele im Text für flektierte Formen (Genitiv, Akkusativ, Konjunktiv etc.), die im modernen Niederländisch nicht mehr üblich, hier aber noch anzutreffen sind. b. Im Text kommen mehrere klitische Formen vor. Benennen Sie diese und geben Sie jeweils die volle Form an. c. In Zeile 1207 steht das Wort wive (wijf). Was bedeutet es offensichtlich im Text, wie würde man es übersetzen? Was bedeutet wijf heutzutage im Niederländischen (und Deutschen)? Was ist offensichtlich geschehen (vgl. hierzu Kap. 3 und 10)? d. Inwieweit haben sich die Wörter wive und uut (Z. 1210) im modernen Niederländisch lautlich verändert? Wie wird dieser Vorgang bezeichnet? Aufgaben 65 e. In Zeile 1210 steht das Wort mont. Warum schrieb man in Mittelalter mont und warum schreibt man heutzutage mond (vgl. hierzu Kap. 5)? 4. Vergleichen Sie die Anfänge des Vater unser auf Gotisch, Altniederländisch, Althochdeutsch, Altenglisch und Altsächsisch anhand der Belege in Historische taalkunde (Bloemhoff & Streekstra 2015, Seite 62). Welche Übereinstimmungen und Unterschiede lassen sich ermitteln? Achten Sie z. B. auf Lautverschiebungen bei verwandten Wörtern oder auf die Wortreihenfolge. 5. Warum sind die Geschichtsdaten 1585 und 1648 so wichtig für die Entwicklung des modernen Niederländischen? 6. Im Jahr 1723 veröffentlichte der holländische Gelehrte Lambert ten Kate seine Grammatik Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake. Der Text ist über die dbnl frei verfügbar. a. Welche Personalpronomen führt Ten Kate in seiner Grammatik (S. 502) auf ? Erstellen Sie eine Tabelle. b. Vergleichen Sie die von Ihnen ermittelten Formen mit den Ausführungen von Petrus Weiland in seiner Nederduitsche Spraakkunst aus dem Jahr 1805 (ebenfalls über die dbnl frei verfügbar; dort die §§ 214-216). Ergänzen Sie die Tabelle mit den Angaben von Weiland. c. In der E-ANS (https: / / e-ans.ivdnt.org/ ) finden Sie die Angaben zu den ‘voor‐ naamwoorden’ [5.2] im modernen Niederländischen. Ergänzen Sie auch diese Formen in Ihrer Tabelle. d. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse. Wo gibt es Veränderungen, was ist gleich geblieben? e. Welche Personalpronomen geben Ten Kate und Weiland für Dativ und Akkusativ an? Welche Position nimmt hun ein? Welche Regel gibt die E-ANS für die Verwendung von hun bzw. hen? f. Kennen Sie noch mehr Verwendungen von hun außer den in e) ermittelten? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Es gibt nur wenige auf Deutsch verfasste Werke zur Geschichte des Niederländischen. Lesenswert, obwohl schon etwas älter, ist Die niederländische Sprache (1987) des französischen Sprachwissenschaftlers Pierre Brachin. Auf Niederländisch gibt das Büchlein De geschiedenis van het Nederlands in een notendop (Van der Sijs 2005a) eine knappe Übersicht. Ausführlicher und mit sehr viel Bildmaterial versehen ist Het verhaal van het Nederlands. Een geschiedenis van twaalf eeuwen (Van der Sijs et al. 2009). Für Studierende der Niederlandistik verfasst ist das Grundlagenwerk Het Nederlands vroe‐ ger en nu ( Janssens & Marynissen 2011), das insbesondere auch auf das Niederländische in Belgien eingeht. Ebenfalls für Studierende gut geeignet ist das Werk Basisboek Historische taalkunde (Bloemhoff & Streekstra 2015), in dem die Entwicklung des Niederländischen mit vielen Tabellen, Karten und Beispielen anschaulich präsentiert 66 2 Die Geschichte des Niederländischen wird. Ausführlich ist auch das Grundlagenwerk De geschiedenis van het Nederlands von Van der Wal & Van Bree (2015). Im Onlinekurs Mooc Middelnederlands der belgischen Koninklijke Academie voor Nederlandse taalen letterkunde (Kantl) stellen Wissenschaftler: innen anschaulich wichtige Werke und Autor: innen vor und gehen auch auf kulturwissenschaftliche Aspekte wie Mystik oder Frauen als Schriftstellerin‐ nen ein (https: / / moocmnl.kantl.be/ ). Ebenfalls übersichtlich und ansprechend werden auf der Internetseite literatuurgeschiedenis.org Informationen und Materialien zur niederländischen Literatur vom Mittelalter bis zur Neuzeit dargestellt. Hier wird auch ein Kursus Mittelniederländisch angeboten. Mit der Abgrenzung des Niederländischen vom Deutschen beschäftigen sich Goossens (1971) in seinem Aufsatz Was ist Deutsch - und wie verhält es sich zum Niederländischen? sowie Boonen (2023a) in ihrem Aufsatz Duitsch-Dutch-Deutsch. Auf die Frage nach der Bezeichnung der niederländischen Sprache geht Eickmans (2017) in seinem Beitrag Zur begrifflichen Kontrastierung der Bezeichnungen für Niederländisch und Deutsch ausführlich ein. Eine Beschreibung zur historischen Standardisierung des Niederländischen ist De moedertaal centraal (Van der Wal 1995); eine umfassende Darstellung zur Entstehung des ABN bietet Taal als mensenwerk (Van der Sijs 2004). Das mögliche Ende der Standardsprachen in Europa thematisiert Van der Horst (2008a) in Het einde van de standaardtaal. Die Geschichte der Niederlande bzw. Belgiens werden gut lesbar und übersichtlich in De geschiedenis van Nederland von Doedens et al. (2020) bzw. in Een geschiedenis van België von Deneckere et al. (2020) dargestellt. Auf Deutsch verfasst sind Lademachers Geschichte der Niederlande. Politik - Verfassung - Wirtschaft (1983) sowie das Buch Geschichte der Niederlande von Wielenga. Eine knappe Übersicht bietet Michael Norths Büchlein Geschichte der Niederlande (2013). Aus kulturgeschichtlicher Perspektive geschrieben sind die beiden Werke von Christoph Driessen Geschichte der Niederlande: Von der Seemacht zum Trendland (2020) und Geschichte Belgiens. Die gespaltene Nation (2018). Literatur zum Weiterlesen 67 3 Wörter und ihre Bedeutung Truus Kruyt & Roland de Bonth omg, das sws egt oldskool ; ) aus Bennis 2015: 198 Ist das Niederländisch? Ja, das ist Messengersprache und viele Menschen benutzen sie tagtäglich, wenn sie über ihr Smartphone kommunizieren. In konventionellem Niederländisch heißt der Satz: oh my god, dat is sowieso echt ouderwets (mit einem Emoticon für ‚augenzwinkernd‘) In kurzen Nachrichten über Social Media möchten wir viele Informationen vermitteln. Da Schreiben aber mehr Zeit in Anspruch nimmt als Sprechen, benutzen wir Sprache auf kreative Art: Wir verkürzen Wörter (sws für sowieso, egt für echt), ziehen Wörter zusammen (das für dat is) und verwenden Abkürzungen (omg für oh my god). Außerdem kommen nicht-sprachliche Mittel wie Zahlen (z. B. w8 für wacht) und Emoticons wie : -) oder Emojis wie 🙂 zum Einsatz. Das Beispiel zeigt, dass Kommunikation nicht nur über Wörter, über Sprache statt‐ finden kann, sondern auch über nicht-sprachliche Mittel oder aus einer Kombination von beidem. Wenn ein/ e Passant: in fragt, wo der nächste Parkplatz ist, können wir auf unterschiedliche Art und Weise antworten. Entweder wir erklären den Weg zum Parkplatz mit Wörtern oder wir zeigen auf ein Verkehrsschild mit dem Piktogramm P und sagen Daar! oder aber wir sagen gar nichts und zeigen nur auf das Schild. Verwunderung können wir mit einer bestimmten Äußerung wie Oh? ! , durch Mimik oder mit Wort und Mimik zugleich, oder - im Sprachgebrauch der Social Media - mit einem Emoji 😲 ausdrücken. Kurzum, es gibt verschiedene Möglichkeiten, etwas auszudrücken, zu kommunizieren - Sprache ist eine davon. Bei all diesen Kommunikationsformen gibt es eine Beziehung zwischen einer bestimmten Form (Wort, Gebärde, Abbildung u. a.) und der Bedeutung oder Assoziation, die diese Form hervorruft. Die Formen sind ‚Zeichen‘ für etwas anderes und wer diese Zeichen benutzt, weiß, wofür sie stehen und was sie bedeuten. Die Wissenschaft der Zeichen und Zeichensysteme heißt Semiotik (semiotiek). Wörter (und Sprache insgesamt) gehören also in einen viel größeren Zusammenhang von Zeichensystemen, mit denen Kommunikation entsteht. 3.1 Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes Alle Wörter einer Sprache bilden zusammen den Wortschatz oder das Lexikon (lexicon) dieser Sprache. Die wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes heißt Lexikologie (lexicologie). Bevor wir auf die wissenschaftlichen Methoden der Lexiko‐ logie näher eingehen, soll zunächst die Beziehung zwischen einem Wort als Zeichen und der Bedeutung oder Assoziation, die das Wort hervorruft, verdeutlicht werden. In den Niederlanden wird viel gefietst. Die meisten Sprecher: innen des Niederländi‐ schen wissen aus eigener Erfahrung, dass ein fiets ein Gegenstand mit zwei Rädern und zwei Pedalen ist, mit dem man sich fortbewegen kann. Auch ohne den konkreten Gegenstand zu sehen, haben sie eine mentale Vorstellung davon: Die Bedeutung (betekenis) von fiets könnte man als ‚Gegenstand mit zwei Rädern und zwei Pedalen zur Fortbewegung‘ umschreiben. Das Wort fiets ist im Niederländischen die Bezeichnung für alle Exemplare eines solchen Gegenstandes, auch wenn nicht alle Exemplare genau gleich aussehen. Wenn man etwas über diesen Gegenstand sagen möchte, benutzt man im Niederländischen das Wort fiets und im Deutschen das Wort Fahrrad. Zwischen dem Gegenstand und den Wörtern, mit denen der Gegenstand beschrieben wird, gibt es einen Unterschied. Die Wörter fiets und Fahrrad gehören mit ihrer Bedeutung zur Sprache; der Gegenstand ist eine Sache in der Wirklichkeit. Das Wort ist nicht der Gegenstand selbst, es ist ein Name für diesen Gegenstand, oder mit Begriffen der Semiotik ausgedrückt: Das Wort fiets ist ein Zeichen (teken) für den Gegenstand, den wir damit assoziieren. Dass der Gegenstand mit dem Wort fiets bezeichnet wird, ist aber willkürlich oder arbiträr (arbitrair): Sprecher: innen des Niederländischen haben diesen Gegenstand im 19. Jahrhundert fiets genannt. Es hätte aber auch genauso gut ein anderes Wort sein können. Diese arbiträre Beziehung gilt für die meisten Wörter, aber z. B. nicht für Onomatopöien, die einen Klang nachahmen wie koekoek. Mit dem niederländischen Wort brug können mindestens drei Sachen gemeint sein: das Bauwerk, die Zahnprothese und das Turngerät (dt. ‚der Barren‘). Das hängt von der Situation oder dem Kontext ab. Das Wort brug hat also drei verschiedene Bedeutungen. Es kann als Bezeichnung für drei verschiedene Dinge benutzt werden und zwar für alle Exemplare dieser Art. Auch hier gibt es einen Unterschied zwischen der Wortform (woordvorm) brug, den Bedeutungen des Wortes (‚Bauwerk‘, ‚Zahnprothese‘, ‚Turnge‐ rät‘) und den Dingen in unserer Erfahrungswelt, die mit den Bedeutungen des Wortes korrespondieren. Das gilt nicht nur für Wörter, die sich auf konkrete Gegenstände beziehen, sondern auch für abstrakte Wörter wie verstand oder enthousiasme, für Eigenschaften wie aardig und brutaal oder für Tätigkeiten wie denken und luisteren. Durch Erfahrung haben Sprachbenutzer: innen eine Vorstellung davon, was mit den abstrakten Wörtern gemeint ist und deshalb funktionieren die Wörter auch in der Kommunikation. Gegenstand oder Ding muss also viel weiter gefasst werden. Wörter verweisen auf Gegenstände in der Erfahrungswelt: auf Sachen, Eigenschaften, Personen, Ereignisse, 70 3 Wörter und ihre Bedeutung 10 Andere Bezeichnungen für Referent sind Konzept, Begriff oder Entität. Handlungen usw., aber auch auf Entitäten in der Fantasiewelt wie kabouters, spoken oder marsmannetjes. Zusammenfassend können wir von drei Einheiten sprechen: ‚Wortform‘, ‚Bedeu‐ tung‘ und ‚Entität in der Erfahrungswelt‘. Jede Wortform hat eine oder mehrere Bedeutungen und jede Bedeutung verweist auf eine Entität in der Erfahrungswelt, den Referenten (referent). 10 Das Verhältnis dieser drei Einheiten kann in einem semiotischen Dreieck (semiotische driehoek) wiedergegeben werden (Abb. 3.1). Die durchgezogenen Linien in der Abbildung geben eine direkte Beziehung an: Eine Wortform hat eine Bedeutung; eine Bedeutung bezieht sich auf einen Referenten. Die gestrichelte Linie gibt die indirekte und in der Regel arbiträre Beziehung zwischen Wortform und Referent an. 3.1 Wissenschaftliche Er Handlungen usw., aber spoken oder marsmanne Zusammenfassend k tung' und 'Entität in de deutungen und jede Be Referenten (referent). schen Dreieck (semiot in der Abbildung geben tung; eine Bedeutung b die indirekte Beziehung Die sprachwissenschaf Sprache (wobei mehr a nennt man Semantik theoretische Strömung begriffe benutzen. So w 'Begriff', 'Konzept', 'Re 'Entität in der Erfahrun 3.1.1 Vom Wort zur B In der Lexikologie kann der semasiologischen Ausgangspunkt. Diese M tungsbeziehungen. Bei der Referent und es w b woordvorm fiets rforschung des Wortschatzes r auch auf Entitäten in der Fantasiewelt wie elfen etjes. können wir von drei Einheiten sprechen: 'Wortfor er Erfahrungswelt'. Jede Wortform hat eine oder m edeutung verweist auf eine Entität in der Erfahrun Das Verhältnis dieser drei Einheiten kann in einem tische driehoek) wiedergegeben werden (Abb. 3.1). n eine direkte Beziehung an: Eine Wortform hat e bezieht sich auf einen Referenten. Die gestrichelte g zwischen Wortform und Referent an. Abb. 3.1: Semiotisches Dreieck ftliche Disziplin, die sich mit der Beziehung zw als bloß Wörter gemeint sind) und der Erfahrungsw (semantiek). Innerhalb der Semantik gibt es ve gen, die jeweils eigene semantische Modelle und ei wird 'Entität in der Erfahrungswelt', auch mit dem ferent' oder 'Entität' bezeichnet. Im Folgenden w ngswelt' der Begriff 'Referent' verwendet. Bedeutung; Beziehungen zwischen Wortbedeutun n der Wortschatz mit zwei Methoden untersucht w n Methode bildet das Wort (eigentlich die Wort Methode beschäftigt sich mit der Bedeutung und d i der onomasiologischen Methode ist der Ausg werden Wörter untersucht, mit denen der Refere betekenis referent 57 n, kabouters, rm', 'Bedeumehrere Bengswelt, den m semioti- Die Linien eine Bedeue Linie gibt wischen der welt befasst, erschiedene igene Fach- Fachbegriff wird hier für ngen werden. Bei tform) den den Bedeugangspunkt nt benannt Abb. 3.1: Semiotisches Dreieck: Die Beziehung von Wortform, Bedeutung und Referent Die sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Beziehung zwischen der Sprache (wobei mehr als bloß Wörter gemeint sind) und der Erfahrungswelt befasst, nennt man Semantik (semantiek) (vgl. Kap. 7). 3.1.1 Vom Wort zur Bedeutung; Beziehungen zwischen Wortbedeutungen In der Lexikologie kann der Wortschatz mit zwei Methoden untersucht werden. Bei der semasiologischen Methode bildet das Wort (eigentlich die Wortform) den Ausgangspunkt. Diese Methode beschäftigt sich mit der Bedeutung und den Bedeu‐ tungsbeziehungen. Bei der onomasiologischen Methode ist der Ausgangspunkt der Referent und es werden Wörter untersucht, mit denen der Referent benannt werden 3.1 Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes 71 kann, und Wörter, die in einem semantischen Zusammenhang stehen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der semasiologischen Methode. Das Wort fiets hat nur eine Bedeutung, die auf einen einzigen Referenten verweist, auch wenn es noch so viele Exemplare davon gibt: nämlich der Gegenstand mit zwei Rädern und zwei Pedalen, mit dem man sich fortbewegen kann. Dasselbe gilt für notebook, surfplank, pop-upwinkel, 3D-printer und andere Wörter. Wenn ein Wort nur eine einzige Bedeutung hat, spricht man von Monosemie (monosemie). Das Wort brug hat mehr als eine Bedeutung, es hat mindestens drei: Bauwerk, Zahnprothese und Turngerät. Beispiele für andere Wörter mit mehr als einer Bedeutung sind man (Mann, Mensch, Ehemann), uitspraak (Aussprache, Äußerung oder Urteil), surfen (auf Wasser oder im Internet) und bekend (bekannt, bekanntlich, vertraut). Hat ein Wort mehr als eine Bedeutung, spricht man von Polysemie (polysemie). Bei polysemen Wörtern sind die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Bedeutungen oft eindeutig, weil sich eine neue Bedeutung aus einer bereits vorhan‐ denen Bedeutung entwickelt. Das surfen im Internet geht auf das surfen mit einem Surfbrett auf dem Wasser zurück. Jedoch ist es nicht immer offensichtlich, ob es eine ursprüngliche Bedeutung gibt, aus der sich die weiteren Bedeutungen entwickelt haben. Es gibt allerdings bestimmte Denkprozesse, die eine Rolle bei der Bildung einer neuen Bedeutung spielen, durch die sich systematische Beziehungen zwischen den Bedeutungen entwickeln. Die wichtigsten Prozesse sind Metonymie (metonymie), Metapher (metafoor), Bedeutungserweiterung oder Generalisierung (betekenisge‐ neralisatie) und Bedeutungsverengung (betekenisspecialisatie). Diese Begriffe werden im Folgenden anhand eines in der sprachwissenschaftlichen Literatur bekannten Beispiels genauer erklärt. Lesen Sie die folgenden Sätze und bestimmen Sie jeweils die Bedeutung des Wortes school: (1) De ouders zoeken voor hun kind een goede middelbare school. (2) Scholen en ouders hebben plannen voor verbetering van het onderwijs. (3) Voor en na school past de buurvrouw op onze kinderen. (4) In de nieuwe wijk komt een supermarkt, een buurthuis en een grote school. (5) De vissen vormen scholen om op zandbanken bij de kust kuit te schieten. (6) Om te gaan staken moeten de leerlingen toestemming hebben van school. (7) Het eerste deel van de memoires van Casanova heet ‚De school van het leven‘. (8) De school heeft vandaag een sportdag. (9) De school gaat uit. (10) Die schilders behoren tot de Haagse School. (11) Die hoogleraar heeft school gemaakt. (12) Zij heeft dwarsfluit leren spelen volgens de Franse school. 72 3 Wörter und ihre Bedeutung Die Bedeutungen von school können folgendermaßen umschrieben werden: (1) Einrichtung, in der Unterricht erteilt wird, Bildungseinrichtung (2) Leitung und Lehrkräfte der Bildungseinrichtung (3) Dauer des Unterrichts, Schulstunden (4) Gebäude, in dem sich die Bildungseinrichtung befindet (5) zusammengehörige Menge, Gruppe (Fische) (6) Direktion oder Verwaltung einer Bildungseinrichtung (7) das Leben als Lehre: Im Leben lernt man viel. (8) die Schüler: innen der Bildungseinrichtung (9) drei mögliche Interpretationen: die Schüler: innen und Lehrer: innen (gehen nach draußen), der Unterricht (ist zu Ende) oder Schüler: innen und Lehrer: innen (machen einen Ausflug; vergleichbar mit (8)) (10) eine Gruppe von Personen in der Kunst oder Wissenschaft, die gleiche Arbeitsweisen oder Auffassungen haben (11) Schule machen: Schüler: innen/ Promovend: innen haben, die das Werk von jemandem in seinem Sinne fortsetzen (12) Französische Schule: eine bestimmte Unterrichtsmethode Die erste Bedeutung des Wortes school nehmen wir hier als Ausgangspunkt für die Bezeichnung der Bedeutungszusammenhänge, so wie das in der sprachwissenschaft‐ lichen Literatur häufig gemacht wird. Auch wenn die systematischen Beziehungen in der Fachliteratur unterschiedlich behandelt werden, geht es im Grunde um dieselben Prozesse (Metonymie, Metapher, Bedeutungserweiterung und Bedeutungsverengung). Es wird davon ausgegangen, dass school in unserem mentalen Lexikon (mentaal lexicon) ein Komplex aus verschiedenen Bedeutungsmerkmalen ist, die je nach Kontext in den Vordergrund treten können. Vereinfacht ausgedrückt ist das mentale Lexikon der Wortschatz, der in unserem Gedächtnis gespeichert ist. Man spricht von Metonymie, wenn man ein anderes Wort verwendet als das eigentlich gemeinte, wobei dieses Wort einen engen Bezug zum eigentlichen Wort hat und mit dem gemeinten Referenten assoziiert wird. Ein Beispiel ist de schaatser won goud, wobei goud in diesem Fall für ‚Goldmedaille‘ steht. Eine häufig vorkommende Form der Metonymie ist das Pars pro toto (ein Teil für das Ganze): Anstatt ein Wort für das Ganze zu benutzen, wird nur ein Teil des Ganzen benannt, wie beispielsweise even de neuzen tellen (mal schauen, wie viele Leute da sind), in dem der Teil neus für die gesamte Person steht. In Duitsland won met 1-0 van Argentinië tijdens het WK voetbal 2014 werden statt der Fußballmannschaften die Länder als Totum pro parte (das Ganze für einen Teil) genannt. Es gibt viele andere metonymische Beziehungen, wie in Het museum heeft een Rembrandt aangekocht, d. h. ein Kunstwerk von Rembrandt (Name 3.1 Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes 73 des Herstellers für das Produkt) oder Wil je nog een glas? , d. h. ein Glas mit einem bestimmten Inhalt (das Behältnis für den Inhalt). Metonymie (wörtl. Umbenennung) ist der Ersatz einer Benennung durch eine andere, die in einem engen Zusammenhang mit der ersten steht. Kehren wir nun zum Wort school zurück. In den Sätzen (2) und (8) steht das Wort school für eine Personengruppe, die zu der Bildungseinrichtung gehört; in (6) für die Direktion oder Verwaltung; in Satz (3) für den Unterricht in der Bildungseinrichtung; in (4) für das Gebäude der Bildungseinrichtung. In (9) gibt es zwei Möglichkeiten: der Unterricht oder die Personen. In allen Fällen handelt es sich um Metonymie: Das Wort school wird also nicht nur für die ursprüngliche Bedeutung ‚Bildungseinrichtung‘ benutzt (1), sondern auch für Dinge und Personen, die in einer klaren Relation dazu stehen. Aber was hat es mit der ‚Schule des Lebens‘ in (7) auf sich? Das Leben wird hier als Erwerb von Wissen und Erfahrungen im Leben verstanden, so wie man Wissen und Erfahrungen auch in der Schule erwirbt - das Leben als Lehre. Hier kann man von einer Metapher sprechen. Bei einer Metapher (wörtl. Übertragung) liegt ein Zusammenhang zwischen der ursprünglichen und der gemeinten Bedeutung aufgrund von Ähnlichkeit vor. Ein anderes Beispiel ist das Wort hoofd mit der Bedeutung ‚oberster Teil des Körpers‘. Metaphorisch wird hoofd verwendet, wenn es in der Bedeutung von ‚der oberste oder vorderste Teil von etwas‘ benutzt wird, wie in het hoofd van het gezin (Famili‐ enoberhaupt), het hoofd van de afdeling (Abteilungsleiter: in) oder het hoofd van de tafel (der Kopf des Tisches). Ebenso funktioniert das Beispiel de voet van de berg (der Fuß des Berges). Im täglichen Sprachgebrauch wimmelt es von Metaphern: een gezonde economie (in gutem Zustand, so wie ein gesunder Mensch), Computer haben virussen (wie der menschliche Körper), een tsunami van protesten (wie bei einer Flut) und Het is hier een zwijnenstal! als Ausruf bei einer Konfrontation mit einem völlig unordentlichen und verschmutzten Raum. Für Sprachbenutzer: innen ist es heutzutage möglich, die Gruppe Fische in (5) als Metapher für die Personengruppe in (2) und (8) zu sehen; historisch betrachtet hat school in diesem Fall jedoch eine andere Herkunft oder Etymologie (etymologie) als school in den anderen Bedeutungen (vgl. Kap. 3.3.2). In den Sätzen (10) und (11) liegt eine Bedeutungserweiterung (Generalisierung) vor. Bei diesem Prozess verliert das Wort seine ursprünglichen Bedeutungsbeschrän‐ kungen, wodurch sich der Bedeutungsumfang vergrößert. So verweist school nicht mehr ausschließlich auf die Schüler: innen einer Schule, sondern die Bedeutung wird 74 3 Wörter und ihre Bedeutung weiter gefasst und auf die Anhänger: innen einer Person (11) oder auf eine Personen‐ gruppe mit gleichen Arbeitsweisen oder Auffassungen (10) ausgeweitet. Auch wenn ein Wort aus einer Fachsprache mit einer spezialisierten Bedeutung eine weitere Bedeutung in der allgemeinen Sprache bekommt, liegt eine Generalisierung vor. So hat das Wort output, ein Begriff aus der Informatik, weiter gefasst Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. In Satz (12) verweist school nicht auf die Unterrichtsstunden, den Unterricht an sich, sondern auf eine bestimmte Unterrichtsmethode. Der Bedeutungsumfang verkleinert sich: Es liegt eine Bedeutungsverengung vor. Ein anderes Beispiel ist zetten, das als Druckerbegriff eine speziellere, engere Bedeutung hat, nämlich das Setzen von Bleibuchstaben in den Setzkasten. Oder zitten, das neben der allgemeinen Bedeutung ‚auf dem Hintern sitzen‘ die verengte Bedeutung in de gevangenis zitten ‚eine Strafe absitzen‘ hat. Die verschiedenen Bedeutungen von school und ihr semantischer Zusammenhang werden in Abbildung 3.2 zusammengefasst. onderwijsinstelling groep “schoolmensen” gebouw lessen groep vissen school van het leven groep kunstenaars groep wetenschappers lesmethode Abb. 3.2: Schematische Übersicht der Bedeutungsbeziehungen von school. Linien ohne Pfeil: Metony‐ mie; Pfeile rechts/ links: Metapher; klein gestrichelter Pfeil: Bedeutungserweiterung; grob gestrichelter Pfeil: Bedeutungsverengung Die Bedeutungsbeziehungen wie bei school kommen auch bei Wörtern wie kantoor, universiteit, instituut, ministerie, ziekenhuis, kerk, fabriek und museum vor. Es gibt hier eine gewisse Systematik. Allerdings sind nicht bei allen polysemen Wörtern die Beziehungen zwischen den Bedeutungen so eindeutig nachvollziehbar wie im Beispiel school. 3.1 Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes 75 11 Aardig kann außer ‚nett‘ auch ‚gut‘ und ‚ordentlich‘ (im Sinne von ‚viel‘) bedeuten wie z. B. in den Sätzen het is nog een aardig eindje lopen (wir haben noch ein ordentliches Stück zu laufen) oder hij verdient een aardig centje met zijn bijbaan (in seinem Nebenjob verdient er gutes Geld). In dieser Bedeutung ist aardig kein Synonym für vriendelijk und sympathiek. Synonymie betrifft also nur die semantische Relation bei Wörtern in einer bestimmten Bedeutung. Das gilt auch für Antonyme, Hyponyme und Hyperonyme. 3.1.2 Vom Referenten zum Wort; semantische Beziehungen zwischen Wörtern Bei der onomasiologischen Methode bilden die Beziehungen zwischen Bedeutun‐ gen von Wörtern, die auf denselben Referenten verweisen, den Ausgangspunkt der Untersuchung. Auch die Beziehungen zwischen Wörtern, deren Referenten eine andere semantische Beziehung untereinander haben, können untersucht werden. Der gleiche Referent kann mit verschiedenen Wörtern bezeichnet werden oder bei polysemen Wörtern mit einer der Wortbedeutungen. Die Wörter fiets oder rijwiel (im Niederländischen beide monosem) verweisen auf denselben Referenten. Die monose‐ men Wörter vriendelijk und sympathiek sowie das polyseme Wort aardig 11 haben eine Bedeutung, die nicht genau, aber fast gleich ist und so auf den mehr oder weniger gleichen Referenten verweist. Wörter, die innerhalb einer Sprache dieselbe oder so gut wie dieselbe Bedeutung haben, werden Synonyme (synoniemen) genannt. Rijwiel und fiets sind Synonyme; aardig, vriendelijk und sympathiek auch. Dennoch gibt es kleine Unterschiede zwischen der Bedeutung von Synonymen. Der Unterschied zwischen aardig, vriendelijk und sympathiek lässt sich nicht so einfach erklären. Sicher ist, dass rijwiel formeller ist als fiets, genauso wie Zweirad im Deutschen formeller ist als Fahrrad. Bei rijwiel denkt man eher an ein altmodisches, schwarzes Fahrrad eines vornehmen älteren Herren oder einer vornehmen Dame als an ein normales Fahrrad. Der formelle Charakter gibt rijwiel eine andere Konnotation (connotatie), d. h. eine andere emotionale Bedeutungskomponente oder einen anderen Gefühlswert (gevoelswaarde) als das Wort fiets. Die beiden Wörter haben jedoch die gleiche Denotation (denotatie): Sie verweisen auf den gleichen Referenten. Auch beurs und portemonnee sind Synonyme. Beurs hat jedoch eine altmodische oder regional gefärbte Konnotation, wenn es sich nicht gerade um feststehende Ausdrücke handelt, wie zijn beurs trekken (die Börse zücken) und diep in de beurs tasten (tief in die Tasche greifen). Bei dem Synonymenpaar griep und influenza gehört griep zum allgemeinen Wortschatz, während influenza vor allem im medizinischen Kontext verwendet wird. Synonyme sind somit nicht in jedem Kontext austauschbar, weil sie häufig nicht genau dieselbe Bedeutung haben. Der Synonymie steht die Antonymie (antonymie) gegenüber: Zwei Wörter haben eine gegenteilige Bedeutung. Beispiele für Antonyme sind aardig/ onaardig, efficiënt/ in‐ efficiënt, hard/ zacht, hoogtepunt/ dieptepunt und rijkdom/ armoede. Bei diesen Wortpaa‐ ren handelt es sich um binäre Antonyme (binaire antoniemen), weil sich zwei Bedeutungen gegenüberstehen. Innerhalb dieser Gruppe gibt es die Unterkategorie der logischen Antonyme (logische antoniemen). Wenn das eine gilt, gilt das andere 76 3 Wörter und ihre Bedeutung automatisch nicht, sie schließen sich gegenseitig aus, wie z. B. dood/ levend und aan‐ wezig/ afwezig. Von mehrfacher Antonymie (meervoudige antonymie) sprechen wir, wenn es zwischen den beiden Extremen Abstufungen mit einer eigenen Bezeichnung gibt, wie: - mager/ dun/ slank/ volslank/ dik vol/ halfvol/ halfleeg/ leeg - altijd/ vaak/ soms/ nooit ijskoud/ koud/ lauw/ warm/ heet Eine andere semantische Verbindung liegt bei Hyponymie (hyponymie) und Hyper‐ onymie (hyperonymie) vor, die auch untrennbar miteinander verbunden sind, denn sie verweisen auf eine hierarchische Beziehung zwischen Referenten. So sind parkiet, mus, merel und mees (alles monoseme Wörter) Bezeichnungen für verschiedene Arten von Vögeln, aber es handelt sich dennoch immer um einen Vogel: Sowohl der Wellensittich ist ein Vogel als auch der Spatz, die Amsel und die Meise. Es gibt eine ‚ist ein‘-Relation zwischen den verschiedenen Vögeln und vogel. Der Referent von vogel ist der überge‐ ordnete (overkoepelende) Referent. Vogel ist daher das Hyperonym von parkiet, mus, merel, mees und allen anderen Vogelarten. Umgekehrt haben parkiet, mus, merel und mees Referenten, die dem Referenten von vogel untergeordnet (ondergeschikt) sind: Sie sind Hyponyme von vogel. Hier gilt die ‚ist ein‘-Relation nicht, denn man kann nicht sagen, dass ein vogel ein parkiet ist. Der Referent von vogel umfasst nämlich mehr als nur parkieten. Ein Hyperonym umfasst also die Referenten seiner Hyponyme (und nicht andersherum). Vogel an sich ist ein Hyponym des übergeordneten dier (ein Vogel ist ein Tier). Gleichzeitig ist das übergeordnete dier ein Hyperonym von vogel und von allen anderen Tieren. Dier ist ein Hyponym der übergeordneten Kategorie levend wezen, welche wiederum ein Hyperonym von dier ist. Es gibt also eine hierarchische Ordnung, eine Taxonomie (taxonomie), zwischen parkiet (ist ein) vogel (ist ein) dier (ist ein) levend wezen (Abb. 3.3). levend wezen … mens dier … vogel vis parkiet mus merel mees … … … … Abb. 3.3: Hierarchische Beziehung zwischen Hyperonymen und Hyponymen 3.1 Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes 77 12 Dieser Begriff wird auch für das komplette Fehlen eines Wortes in einer Sprache benutzt. So gibt es im Niederländischen kein Wort für Armbeuge (ndl. binnenkant van de elleboog) und auch kein passendes niederländisches Äquivalent für das deutsche Geschwister (ndl. broers en zussen). Es gibt übrigens nicht in allen Fällen ein übergeordnetes Wort. So kennt das Nieder‐ ländische kein Hyperonym speziell für Kleidungsstücke, die man über einer Hose oder einem Rock trägt, wie trui, T-shirt, overhemd, vest usw. Als Oberbegriff ist kledingstuk zu allgemein, da darunter auch broek, rok, jas, das usw. fallen. Eine derartige Lücke im Wortschatz nennt man lexikalische Lücke (lexicaal gat/ lexicale leemte). 12 Wörter können auch Referenten benennen, zwischen denen es andere Beziehungen gibt. Ein semantisches Feld (semantisch veld) umfasst Wörter, die (in einer bestimm‐ ten Bedeutung) in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen, wie z. B. die Wörter in Tabelle 3.1. Das letzte Beispiel (gevoelens) zeigt, dass ein semantisches Feld auch Synonyme und Antonyme enthalten kann. keukentermen lepel, mes, vork, pan, oven, fornuis, magnetron, weegschaal usw. kleuren geel, groen, rood, oranje, blauw, paars, beige, grijs usw. familierelaties vader, moeder, dochter, zoon, opa, oma, oom, tante, nicht, neef usw. gevoelens vrolijk, opgewekt, optimistisch, boos, bedroefd, teleurgesteld, moedeloos usw. Tab. 3.1: Wörter in einem semantischen Feld Wörter können (in einer bestimmten Bedeutung) auch auf Referenten verweisen, zwischen denen es weitere semantische Relationen gibt. Eine davon ist die ‚hat ein‘-Relation, die Holonymie (holonymie), wie z. B. schoolgebouw hat ein raam. Die umgekehrte Relation ist die ‚ist Teil von‘-Relation, die Meronymie (meronymie), wie z. B. raam ist Teil vom schoolgebouw. Dieselben Relationen bestehen zwischen schoolgebouw und deur, gang, klaslokaal, docentenkamer, aula usw. Andere Relationen sind zum Beispiel die ‚ist gemacht aus‘-Relation (schoolgebouw ist gemacht aus beton), die ‚entsteht durch‘-Relation (schoolgebouw entsteht durch bouwen) und die ‚wird benutzt für/ zu‘-Relation (schoolgebouw wird benutzt für onderwijs geven und onderwijs krijgen). Derartige Relationen gelten auch für andere Gebäude und sogar für gänzlich andere Referenten: lemmet (Klinge) ist Teil von einem mes, ist gemacht aus staal, wird benutzt zum snijden, entsteht durch metaalbewerking. In diesen Relationen werden also auch Referenten von Wörtern verschiedener Wortarten miteinander in Beziehung gesetzt. Auf diese Art und Weise können die Referenten eines ganzen Themengebietes zu einem semantischen Netz (semantisch netwerk) miteinander verknüpft werden. Es wird angenommen, dass unser mentales Lexikon in Form eines sehr großen und sehr komplexen Netzes organisiert ist. Die semantischen Relationen zwischen Wortbedeu‐ tungen werden auch in Such- und anderen Computerprogrammen verarbeitet, um diese ‚klüger‘ und ‚intelligenter‘ zu machen, sodass sie so besser funktionieren können. 78 3 Wörter und ihre Bedeutung 13 Dies gilt nicht für die informelle geschriebene Sprache in den Social Media, die eher Züge der gesprochenen Sprache aufweist. Der Gebrauch grober Schimpfwörter ist in den Social Media nicht unüblich. 14 Wird von jungen Menschen in Flandern noch verstanden. 3.2 Dynamik im Wortschatz Denken Sie einmal über die folgenden Fragen nach: Welche Wörter benutzt ein Richter? Verwenden Personen mit einem anderen Beruf diese auch? Benutzen alte Menschen die gleichen Wörter wie junge? Haben Niederländer: innen und Flam: innen den gleichen Wortschatz? In allen Fällen lautet die Antwort: teilweise ja, teilweise nein. Eine Richterin benutzt während der Arbeit Fachbegriffe, die Personen mit einem anderen Beruf nicht kennen, aber sie benutzt auch Wörter, die jeder kennt, wie zijn, gaan, dag, huis, vandaag, koud usw. sowie Funktionswörter (wie Artikel, Präpositionen, Konjunktionen, Pronomen usw.). Alte Menschen kennen Wörter, die jungen Menschen unbekannt sind, und umgekehrt. Sprachbenutzer: innen in den Niederlanden, Belgien und Suriname haben einen großen gemeinsamen Wortschatz, aber es gibt auch typisch niederländisch-niederländische, typisch belgisch-niederländische und typisch surina‐ misch-niederländische Wörter (das gilt übrigens auch für die Bedeutung einzelner Wörter) (Tab. 3.2). niederländischniederländisch belgischniederländisch surinamischniederländisch zakken (voor een examen) buizen - patatkraam frietkot - stoffer en blik blik en veger - vast en zeker zeker en vast - koffer koffer, valies valies pyjama pyjama slaapzak bioscoop cinema, bioscoop kino er was geen kip op straat er was geen kat op de baan de straat was stil Tab. 3.2: Lexikalische Varianten in den niederländischen Standardvarietäten Im Allgemeinen ist Schriftsprache formeller als gesprochene Sprache. 13 Beispiele für formelle niederländische Wörter aus der Schriftsprache, die von jungen Menschen nicht mehr verstanden werden, sind boreling 14 (Neugeborenes), struweel (Strauchge‐ wächs), bestieren (leiten, lenken) und lafenis (Erfrischung). Informelle niederländische Wörter, die in der gesprochenen Sprache zwar möglich, in der Schriftsprache jedoch nicht passend sind, sind beispielsweise oprotten (sich verpissen), maffen (pennen), 3.2 Dynamik im Wortschatz 79 driftkikker (Hitzkopf) und smeris (‚Bulle‘ für Polizist). Ursprünglich informelle Wörter, die von vielen inzwischen als neutral, also als Teil der geschriebenen und gesprochenen Sprache verstanden werden, sind z. B. floppen (missglücken), inseinen (informieren), geld ophoesten (bezahlen) und vastpinnen op iets (jemanden auf etwas festnageln). Deutlich vulgärer und mitunter schockierend sind Schimpfwörter wie gratenkut (für eine magere Frau), gleufdier (für eine Frau) und kankerlijer (für einen Mann, ‚Scheiß‐ kerl‘). Die Einschätzung, wie formell, informell oder vulgär ein Wort ist, ist nicht bei allen Sprachbenutzer: innen gleich, sondern hängt unter anderem vom Alter und dem sozialen Hintergrund ab. Innerhalb bestimmter Sprecher: innengruppen gibt es Wörter oder Wortbedeutun‐ gen, die nur in dieser Gruppe üblich sind und nicht allgemein von allen Sprachbenut‐ zer: innen verstanden werden. Wörter wie fissa (Fest), snef (Zigarette), patta (Schuh) und waggie (Auto) sind Wörter aus einer Jugendsprache in den Niederlanden, der sog. straattaal (vgl. Kap. 9). Pferdeliebhaber: innen wissen was achterhand ist, nämlich der Teil des Pferdekörpers hinter dem Sattel, und Ärzt: innen untereinander sprechen von hemorragie (Blutung), cranium (Schädel) und perspiratie (Schwitzen). Wörter oder Wortbedeutungen, die für eine bestimmte Gruppe typisch sind, können in die (informelle) allgemeine Sprache durchdringen, wie das jiddische jatten (stehlen) und mazzel hebben (Glück haben). Nicht jeder kennt oder verwendet also dieselben Wörter und Bedeutungen. Der Wortschatz ist keine statische Wortsammlung: Es kommen neue Wörter und Bedeutungen dazu und Wörter und Bedeutungen verschwinden. Neue Wörter heißen Neologismen (neologismen) (vgl. Kap. 10). Neue Gegenstände, Phänomene, Erkennt‐ nisse usw., d. h. neue Referenten, erfordern neue Wörter oder Wortbedeutungen, mit denen man über diese neuen Erscheinungen kommunizieren kann. In Tabelle 3.3 werden Beispiele für neue Wörter aus diesem Jahrhundert angeführt; die Jahreszahlen beziehen sich auf den ältesten bekannten Beleg (aus anw.ivdnt.org). hipster (2000) energietransitie (2004) influencer (2010) apenstaartje (2000) kweekvlees (2005) appen (2011) kiloknaller (2001) ledlamp (2006) tinderen (2012) beeldbellen (2003) comazuipen (2007) pop-upmuseum (2015) DigiD (2003) twitteren (2007) klimaatspijbelaar (2019) Tab. 3.3: Neue Wörter im 21. Jahrhundert Ein Beispiel für die Bildung neuer Bedeutungen ist kraken mit den ältesten Bedeutun‐ gen een knerpend geluid maken (wie in de trap kraakt ‚die Treppe knarrt‘) und solches breken, bei dem das Geräusch erklingt (wie in noten kraken ‚Nüsse knacken‘). Im 20. Jahrhundert kamen neue Bedeutungen für die Bezeichnung neuer Phänomene hinzu: für den chemischen Prozess beim Teilen komplexer Kohlenwasserstoffverbin‐ 80 3 Wörter und ihre Bedeutung dungen zu einfachen Verbindungen durch Erhitzung (wie in petroleum kraken ‚Petro‐ leum cracken‘) und das Aufbrechen und Eindringen in ein leer stehendes Gebäude, um selbst darin zu wohnen (wie in een leegstaand kantoorgebouw kraken ‚ein leerstehendes Bürogebäude knacken‘), mit dazugehörigen neuen Wörtern wie kraakpand (besetztes Haus) und kraakbeweging (Hausbesetzerbewegung). Wörter und Bedeutungen verschwinden, wenn Dinge oder Phänomene außer Gebrauch kommen oder einfach nicht mehr vorhanden sind. Die Berufe marskramer (Hausierer: in, jemand, der mit seinem eigenen Warensortiment von Haustür zu Haus‐ tür geht) und lantaarnopsteker (Laternenanzünder: in, jemand, der Laternen ansteckt, die mit Öl und Gas funktionieren) sind verschwunden und mit ihnen auch die Wörter aus dem heutigen Sprachgebrauch. Gegenstände wie das kwartje (25 Cent-Münzstück aus der Zeit des Guldens; es gibt kein eurokwartje) und die gloeilamp (Glühbirne, die durch die spaarlamp und ledlamp ersetzt wird) sind zwar noch bekannt, doch die Wörter werden aussterben, weil es diese Dinge nicht mehr gibt oder weil sie nicht mehr hergestellt werden. Im 19. Jahrhundert hatte iemand afbellen (wortwörtlich ‚jemanden abklingeln‘) die Bedeutung ‚jemanden, der sich in einem höheren Stockwerk befindet, durch das Klingeln eines Glöckchens auffordern, nach unten zu kommen‘. Dieser Brauch ist nicht mehr üblich oder wird zumindest nicht mehr afbellen genannt. Jetzt bedeutet afbellen ‚telefonisch absagen‘ wie in patiënten met griepverschijnselen moeten hun afspraak afbellen. Das Verschwinden von Wörtern und Wortbedeutungen geschieht nahezu unbemerkt. Veraltete oder verschwundene Wörter können aber noch in feststehenden Ausdrücken vorkommen: z. B. ergens de brui aan geven (etwas aufgeben, mit etwas aufhören), iemand in de luren leggen (jemanden aufs Glatteis führen) und iets op zijn kerfstok hebben (etwas auf dem Kerbholz haben). Die Eigenschaften des Wortschatzes, so wie sie hier vorgestellt sind, werden in Wör‐ terbüchern dokumentiert. Die Erstellung von Wörterbüchern wird als Lexikografie (lexicografie) bezeichnet. 3.3 Wörterbücher 3.3.1 Wörterbucharten Sind Wörter wie mennisko, mānoth, ōga und sunu niederländische Wörter? Ja, aber nicht mehr in dieser Form. Es sind Wörter aus der ältesten Phase des Niederländischen und sie stehen im Oudnederlands Woordenboek, zusammen mit ihren modernen nieder‐ ländischen Formen mens, maand, oog und zoon. Ein solcher Eintrag im Wörterbuch wird als Lemma oder Stichwort (lemma oder trefwoord) bezeichnet. Der gesamte niederländische Wortschatz ab dem frühesten Stadium der niederländischen Sprache ist in einigen historischen Wörterbüchern auf wissenschaftlichem Niveau beschrieben worden: 3.3 Wörterbücher 81 15 Über die Seite gtb.ivdnt.org können die Wörterbücher zu Rate gezogen werden, wie auch das Woordenboek der Friese Taal (WFT) mit dem friesischen Wortschatz von 1800-1975. Oudnederlands Woordenboek (ONW): Wortschatz von 500-1200 Vroegmiddelnederlands Woordenboek (VMNW): Wortschatz von 1200-1300 Middelnederlandsch Woordenboek (MNW): Wortschatz von 1250-1550 Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT): Wortschatz von 1500-1976 Diese Wörterbücher sind alle online verfügbar. 15 Wörterbuchnutzer: innen können in allen vier Wörterbüchern gleichzeitig suchen oder bestimmte Wörterbücher auswäh‐ len. Die Lemmata in historischen Wörterbüchern werden in der ursprünglichen Recht‐ schreibung wiedergegeben, die häufig nicht mit der heutigen übereinstimmt. Die Nut‐ zer: innen brauchen aber nicht zu wissen, wie ein Wort früher geschrieben wurde, denn nach dem Eintippen der modernen Schreibweise wird das richtige Lemma angezeigt. Auf Grundlage dieser Wörterbücher wird an einem diachronen semantischen Lexikon der niederländischen Sprache (Diachroon seMantisch lexicon van de Nederlandse Taal, DiaMaNT) gearbeitet (diamant.ivdnt.org). Das ebenfalls noch im Aufbau befindliche Algemeen Nederlands Woordenboek (ANW) wird die niederländische Sprache in den Niederlanden und Flandern in dem Zeitraum von 1970 bis heute beschreiben (anw.ivd nt.org). Die hier aufgeführten Wörterbücher geben für jedes Lemma sehr ausführliche, gründlich recherchierte und somit zuverlässige Informationen. Dadurch sind sie nicht nur für Sprach- und Literaturwissenschaftler: innen nützlich, sondern auch für eine sehr viel breitere Zielgruppe von Wissenschaftler: innen geeignet und für alle, die sich mit der niederländischen Sprache und Kultur beschäftigen, wie Niederlandistikstudie‐ rende, Niederlandist: innen, Historiker: innen, Genealog: innen, Journalist: innen oder auch Rätselfreund: innen. Die Wörterbücher, die am häufigsten verwendet werden, sind die viel kompakteren Handwörterbücher, von denen die meisten viele Informationen aus dem Woordenboek der Nederlandsche Taal übernommen haben. Bekannte Handwörterbücher sind Van Dale Groot woordenboek der Nederlandse taal (auch bekannt unter dem Namen Dikke Van Dale), Van Dale Groot Woordenboek hedendaags Nederlands (auch bekannt unter der Abkürzung NN für Nederlands-Nederlands), Prisma Handwoordenboek Nederlands, Koenen Woordenboek Nederlands und für das belgische Niederländische das Nijhoffs Zuidnederlands Woordenboek. Vor allem der Dikke Van Dale dient bei Spielen wie Scrabble und seiner Variante im Internet, dem Spiel Wordfeud, oft als Norm für die Existenz eines Wortes im Niederländischen. Sie werden aber auch für seriösere Zwecke in der Schule, bei der Arbeit und für den Privatgebrauch genutzt, meistens um die Bedeutung oder die Schreibweise eines Wortes nachzuschlagen. Neben einsprachigen Wörterbüchern gibt es auch zweisprachige, die von Überset‐ zer: innen und der Allgemeinheit zum Nachschlagen eines Wortes in einer anderen Sprache genutzt werden. Van Dale hat eine Reihe von Übersetzungswörterbüchern 82 3 Wörter und ihre Bedeutung 16 Das Groene Boekje und woordenlijst.org beinhalten die offiziell festgelegten Rechtschreibregeln des Niederländischen. für verschiedene Sprachen herausgegeben, darunter auch Niederländisch-Deutsch und Deutsch-Niederländisch. Speziell für diejenigen, die Niederländisch lernen möchten, gibt es Van Dale Pocketwoordenboek Nederlands als tweede taal (NT2). Derartige zweisprachige Produkte gibt es auch von anderen Verlagen. Zudem gibt es Spezialwörterbücher. Ein etymologisches Wörterbuch (etymolo‐ gisch woordenboek) beantwortet die Frage, woher ein Wort kommt und wie es sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Eine wichtige Informationsquelle ist etymologieba nk.nl mit einer großen Sammlung etymologischer Wörterbücher und anderer lexiko‐ grafischer Publikationen. Diese Art von Wörterbuch ist vor allem für Etymolog: innen und andere Sprachwissenschaftler: innen wichtig, obwohl auch viele Laien an der Herkunft von Wörtern interessiert sind. Ein Dialektwörterbuch (dialectwoordenboek) beschreibt die Sprache eines Ortes oder einer Region, die von der allgemeinen Sprache abweicht, oder einen bestimmten Aspekt dieser Sprache, wie die Aussprache. So ein Wörterbuch ist für Dialektolog: innen, Sprachhistoriker: innen und für Sprecher: innen eines betreffenden Dialekts interessant. Es gibt sehr umfangreiche Dialektwörterbuch‐ projekte (z. B. dsdd.ivdnt.org), aber auch viele wesentlich kleinere Dialektwörterbü‐ cher. Eine ganze Reihe von größeren und kleineren Dialektwörterbüchern sind in der noch immer wachsenden elektronischen Wortdatenbank Woordenbank van de Nederlandse Dialecten (ewnd.ivdnt.org) verfügbar; die Dialektwörter kann man über ein standardniederländisches Lemma suchen. Ein terminologisches Wörterbuch (terminologisch woordenboek) erklärt den spezifischen Wortschatz eines bestimmten Fachgebiets. Jedes Fachgebiet hat seine eigene spezifische Fachsprache, weshalb es eine große Variation an Terminologien gibt, wie die finanzielle, juristische, medizinische, technische, sprachwissenschaftliche und touristische Terminologie. Eine Vielzahl von Begriffslisten und anderen terminologischen Hilfsmitteln wird vom Expertisecentrum Nederlandstalige Terminologie (ivdnt.org/ terminologie) online zugänglich zur Verfügung gestellt. Benutzer: innen terminologischer Wörterbücher und Datenbanken sind Spezialist: innen und Übersetzer: innen, die u. a. für die Europäische Kommission arbeiten. Weiterhin gibt es zahlreiche, wissenschaftlich zuverlässige und weniger zuverlässige Wörterbücher (Kap. 3.3.3). Diese betreffen Teilgebiete der allgemeinen Sprache (Wör‐ terbücher über Sprichwörter, Synonyme, Neologismen, Schimpfwörter) oder formale Merkmale niederländischer Wörter (Wörterbücher zu Rechtschreibung 16 , Aussprache, Abkürzungen). Außerdem gibt es Wörterbücher zum Wortschatz einer bestimmten Gruppensprache (z. B. Wörterbücher zu Messengersprache oder Jugendsprachen) oder für eine bestimmte Zielgruppe (Wörterbücher für Kinder, für die Liebhaber: innen von Kreuzworträtseln). Auch erscheinen immer wieder Wörterbücher, die bestimmte Ereignisse zum Anlass haben (z. B. Groene Woordenboekje mit Begriffen aus dem Bereich Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit). Im Internet findet man noch viel mehr 3.3 Wörterbücher 83 17 Von den Neologismen, die vom Instituut voor de Nederlandse Taal (INT) gesammelt werden, wird gesagt, dass der Großteil von ihnen nicht ins Algemeen Nederlands Woordenboek kommen wird (nur ein paar Prozent). Die Neologismen sind aber interessant für sprachwissenschaftliche Untersuchungen und für Laien, die auf der Suche nach neuen Wörtern sind. Wörterbücher, wenn man ‚woordenboek‘ googelt. Online Wörterbücher, die diverse Suchfunktionen kombinieren, sind woorden.org, mijnwoordenboek.nl und encyclo.nl (mit der deutschen Version enzyklo.de). All diese Wörterbücher spiegeln die Vielfalt des niederländischen Wortschatzes wider. 3.3.2 Aufbau von Wörterbüchern Für Wörterbücher ist der Unterschied zwischen Makrostruktur und Mikrostruktur relevant. Die Makrostruktur (macrostructuur) ist die Gesamtheit der Lemmata, die für ein Wörterbuch ausgewählt wurden, also alle Lemmata eines Wörterbuches zusammen. Die Mikrostruktur (microstructuur) umfasst die Informationen, die zu jedem einzelnen Lemma gegeben werden, und ihre Strukturierung. Ein Lemma bildet zusammen mit dem Inhalt der Mikrostruktur einen Wörterbuchartikel (woorden‐ boekartikel). In keinem einzigen Wörterbuch stehen alle Wörter des Niederländischen. Das geht auch gar nicht, weil stets neue Wörter entstehen und andere verschwinden. Sogar für ein digitales Wörterbuch, das schneller angepasst werden kann als ein gedrucktes Wörterbuch, ist es unmöglich, immer auf dem allerneuesten Stand zu sein. Außerdem ist zu Beginn nicht klar, ob ein neues Wort schon zum Wortschatz gehört: Das Wort muss ja schließlich Eingang bei der Allgemeinheit finden und das über einen ausreichend langen Zeitraum. 17 Modewörter oder Wörter in den Nachrichten werden von vielen Menschen benutzt, verschwinden jedoch nach kurzer Zeit oft wieder. Das zeigt sich schon, wenn man in ein etwas älteres Neologismenwörterbuch oder in ‚Wörterbücher aus dem Jahr X‘ schaut und sieht, welche Wörter jetzt tatsächlich noch aktuell sind. Außerdem entscheiden Lexikograf: innen anhand diverser Kriterien, ob ein Wort ins Wörterbuch aufgenommen wird oder nicht, was u. a. abhängig ist von der Art des Wörterbuchs, der Zielgruppe und dem Umfang. Die Feststellung der Makrostruktur ist somit eine Frage der Auswahl. Ein anderer Aspekt der Makrostruktur betrifft Wörter, die sich gleich schreiben, semantisch jedoch nicht oder nicht mehr miteinander verwandt sind. Diese Wörter heißen Homonyme (homoniemen). Ein Beispiel hierfür ist school (Kap. 3.1.1). Das Wort school in der Bedeutung ‚geschlossene Gruppe‘ (Fische) hat ursprünglich eine andere Herkunft, eine andere Etymologie, als school in den anderen Bedeutungen. Das erklärt, warum im diachronen historischen Wörterbuch WNT diese Bedeutung wie ein eigenes Lemma behandelt wird. Es gibt also zwei Wörterbuchartikel: school (I), die Bildungseinrichtung mit den davon abgeleiteten Bedeutungen, und school (II), die geschlossene Gruppe Tiere. In synchronen Handwörterbüchern wird dieser Unterschied nicht immer gemacht, weil Sprecher: innen aus der heutigen Zeit die 84 3 Wörter und ihre Bedeutung Etymologie wahrscheinlich nicht kennen und die Bedeutung ‚geschlossene Gruppe‘ als Metapher auffassen können (Kap. 3.1.1). Wörterbücher gehen also unterschied‐ lich mit Homonymen um. Kriterien zur Unterscheidung von Homonymen sind a) unterschiedliche Wortarten (leven als Nomen/ Verb), b) unterschiedliches Genus (de bal zum Spielen, het bal zum Tanzen), c) unterschiedliche Aussprache (ondergaan van de zon / een operatie ondergaan), d) völlig unterschiedliche Bedeutungen oder unterschiedliche Etymologie. Vor allem das letzte Kriterium führt zu Unterschieden zwischen Wörterbüchern. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Homonymie und Polysemie: Wenn Homonyme nicht unterschieden werden, bekommt das Lemma eine oder mehrere zusätzliche Bedeutungen, die sonst unter dem Homonym angegeben wären. Ein letzter Aspekt der Makrostruktur ist die Behandlung von Wortgruppen, die auf einen Referenten verweisen, wie dunne darm und groene golf. In den meisten Wörterbüchern werden derartige Wortgruppen nicht als Lemma behandelt, sondern als feste Verbindung in der Mikrostruktur. Die Mikrostruktur umfasst ein Stichwort und die dazugehörigen, strukturierten Informationen, die sich in den verschiedenen Wörterbüchern unterscheiden. Die Bedeutung eines Wortes wird mit einer Bedeutungsumschreibung (betekenisom‐ schrijving) oder Definition (definitie) ausgedrückt: fiets auf vandale.nl: tweewielig voertuig dat wordt voortbewogen door op pedalen te trappen Wörterbuchdefinitionen werden anhand bestimmter Methoden erstellt. In der Defini‐ tion von fiets wird ein Hyperonym genannt (voertuig) und zudem Merkmale, durch die sich fiets von anderen Fahrzeugen unterscheidet (die Hyponyme von voertuig). Eine Definition mit Hyperonym und sog. distinktiven Merkmalen wird analytische Definition (analytische definitie) genannt. Eine andere bekannte Methode ist das Angeben eines Synonyms, eine Synonymdefinition (synoniemendefinitie). So hat rijwiel auf vandale.nl fiets als Definition. Da Synonyme oft einen geringen Bedeu‐ tungsunterschied haben, wird die analytische Definition meistens bevorzugt. Häufig folgt nach einer analytischen Definition noch ein Synonym. Im WNT und anderen diachronen Wörterbüchern, wie dem Deutschen Wörterbuch, wird die Reihenfolge, in der die Bedeutungen angegeben werden, chronologisch angeordnet, von der ältesten bis zur aktuellsten Bedeutung. So kann die Entwicklung der Bedeutungen eines Wortes aufgezeigt werden. Das ANW hat neben der Definition auch ein sog. Semagramm (semagram), um die Bedeutung eines Wortes zu umschreiben. Ein solches Semagramm in Databaseform ermöglicht das onomasiologische Suchen vom Referenten zum Wort (s. Aufgabe 7g). 3.3 Wörterbücher 85 Een mus-… is een vogel; is een dier [Afmeting] is, afhankelijk van de soort, 11 tot 18-cm lang [Geluid] tjilpt, zingt; maakt een tjilpend of zingend geluid [Kleur] heeft vaak bruine vleugels en een bruine staart en een grijze of witachtige buik [Bouw] is gewerveld; heeft twee poten [Deel] heeft een vrij dikke snavel, aangepast aan het eten van zaden [Voortplanting] legt eieren [Woongebied] komt bijna overal ter wereld voor [Leeftijd] kan 23 jaar oud worden, maar wordt meestal 12 tot 13 jaar oud [Eigenschap of hoedanigheid algemeen] is een holennestbouwer [Beweging] beweegt zich op de grond vliegend en hippend voort [Gedrag] is een alleseter; vormt met soortgenoten vaak een zwerm Semagramm im ANW für das Lemma mus (suchen via anw.ivdnt.org/ article) Häufig wird die Bedeutung durch Beispielsätze oder Zitate aus Texten verdeutlicht. Im WNT und anderen wissenschaftlichen Wörterbüchern dienen Zitate auch als Beleg dafür, dass es eine bestimmte Bedeutung gibt oder gegeben hat. Auch die Zitate im WNT und anderen diachronen Wörterbüchern werden chronologisch geordnet. Labels, d. h. Abkürzungen in Klammern, geben verschiedene Arten von Merkmalen an: Unterschiede zwischen wörtlich und bildlich (im Zusammenhang mit Metapher und Metonymie), die Konnotation (formell, informell, grob, scherzhaft usw.), die Fachsprache, die Region, manchmal die Gruppensprache, in der eine Bedeutung oder ein Wort verwendet wird, oder dass es um ein Wort oder eine Bedeutung geht, die im belgischen Niederländisch bzw. im niederländischen Niederländisch vorkommt. Während früher nur das belgische Niederländisch ein Label bekam, ist dies seit 2009 im Prisma Handwoordenboek Nederlands auch für das niederländische Niederländisch der Fall. Der Dikke Van Dale macht diesen Unterschied seit 2015 (15. Auflage). Die Informationen in der Mikrostruktur von Wörterbüchern sind noch vielfältiger, worauf wir aber hier nicht weiter eingehen. Sowohl die Makrostruktur als auch bestimmte Informationen in der Mikrostruktur stützen sich heutzutage auf die Analyse von Sprachmaterial. Früher waren das Zitate aus gedruckten Texten, heute sind es sorgfältig zusammengestellte digitale Textsamm‐ lungen (Textkorpora) oder das Internet. Ein Wörterbuch, das sprachliches Material als Grundlage hat, nennt man ein korpusbasiertes (corpusgebaseerd) Wörterbuch. Alle hier erwähnten wissenschaftlichen Wörterbücher und inzwischen auch viele kommerzielle Wörterbücher sind korpusbasiert. 86 3 Wörter und ihre Bedeutung 3.3.3 Qualität und Zuverlässigkeit Durch die Digitalisierung und das Internet sind Wörterbücher leichter zugänglich geworden: kein Schleppen mehr von Büchern, um ein Wort nachzuschlagen, sondern einfach ein Wort eintippen und der Wörterbuchartikel erscheint auf dem Bildschirm. Au‐ ßerdem gibt es Suchsysteme, mit denen in einer Sammlung von Wörterbüchern gesucht werden kann, wie gtb.ivdnt.org und für das Deutsche woerterbuchnetz.de/ DWB/ , das das Deutsche Wörterbuch und noch weitere Wörterbücher enthält, sowie mediaevum.de/ wb 1.htm. Auf diesen Seiten gibt es wiederum Links zu anderen Wörterbuchseiten. Hierbei handelt es sich um wissenschaftliche Wörterbücher, die von zuverlässigen Institutionen erstellt worden sind. Herkunft, Qualität und Zuverlässigkeit dieser Webseiten sind also garantiert. Das gilt auch für kommerzielle Wörterbücherseiten bekannter Verlage. Im Internet sind allerdings auch viele Wörterbuchsysteme zu finden, deren Qualität und Zuverlässigkeit weniger offensichtlich ist, man findet sie, wenn man ‚woordenboek‘ oder ‚Wörterbuch‘ googelt. Es handelt sich dabei oft um Webseiten, auf denen viele verschiedene Wörterbücher, Übersetzungsoptionen und diverse Informationsquellen zu Sprache angeboten werden. Wer diese zusammengetragen hat und auf welche Quellen man sich bezieht, ist für die Nutzer: innen nur in wenigen Fällen zu sehen. Die Quellen können veraltet sein, wenn aktuelle Publikationen und Datenbanken wegen des Urheberrechts geschützt sind. Bei einer multilingualen interaktiven Internetseite wie nl .wiktionary.org/ wiki/ können alle Nutzer: innen Wörterbuchartikel hinzufügen. Ob eine Redaktion diese kontrolliert, ist weniger ersichtlich. Dies alles ist vielen Menschen nicht wichtig - sie finden schnell die Informationen, die sie suchen. Für seriöse Zwecke, wie das Studium, Forschung oder das Übersetzen, sollte man diese Internetseiten auf jeden Fall kritisch beurteilen. 3.4 Zusammenfassung Wörter haben eine oder mehrere Bedeutungen, mit denen Sprachbenutzer: innen über konkrete und abstrakte Entitäten in unserer Erfahrungswelt kommunizieren können: Wir sprechen über Dinge, Personen, Eigenschaften, Geschehnisse, kurzum über al‐ les, was mit Wörtern bezeichnet werden kann. Eine Entität in der Erfahrungswelt haben wir hier als Referent bezeichnet. Die Lexikologie beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Wörtern, wobei es zwei Methoden gibt, die semasiologische und die onomasiologische. Bei der semasiologischen Methode ist das Wort der Ausgangspunkt und werden die Bedeutung und die Beziehungen zwischen Bedeutungen untersucht. Es gibt monoseme Wörter mit nur einer Bedeutung und polyseme Wörter mit mehr als einer Bedeutung. Monoseme beziehen sich auf nur einen Referenten, bei Polysemen bezieht sich jede Bedeutung auf einen anderen Refe‐ renten. Die Beziehungen zwischen den Bedeutungen von Polysemen können eindeutig sein, wenn eine vorhandene Bedeutung durch einen systematischen Denkprozess um 3.4 Zusammenfassung 87 eine neue erweitert ist. Die wichtigsten Prozesse dabei sind Metonymie, Metapher, Bedeutungserweiterung und Bedeutungsverengung. Bei der onomasiologischen Methode ist der Referent der Ausgangspunkt. Hier geht es um Bedeutungen von Wörtern, mit denen ein und derselbe Referent angedeutet wird. Diese Wörter heißen Synonyme. Synonyme sind nicht immer austauschbar, da sie in unterschiedlichen Kontexten einen anderen Gefühlswert, eine andere Kon‐ notation, haben können. Auch andere semantische Beziehungen werden innerhalb dieser Methode untersucht, wie Wörter mit gegenteiliger Bedeutung (Antonyme), Wörter mit einer hierarchischen Beziehung zwischen Referenten (Hyperonyme und Hyponyme), Wörter mit inhaltlichem Zusammenhang (semantisches Feld) und Wörter mit breiteren semantischen Beziehungen (semantisches Netz). Der Wortschatz ist in sich dynamisch. Es gibt Unterschiede im Wortschatz zwi‐ schen alten und jungen Menschen, es gibt Gruppensprachen, wie Jugendsprachen, Fußballsprache und Fachsprachen, und es gibt regionale Varietäten, darunter auch das belgische Niederländisch und das niederländische Niederländisch. Gleichzeitig entwickelt sich der Wortschatz als Ganzes: Neue Wörter kommen hinzu, andere verschwinden. Neue Referenten können durch eine neue Bedeutung oder durch ein neues Wort benannt werden. Wörter und Bedeutungen verschwinden, wenn sie - aus welchem Grund auch immer - außer Gebrauch kommen. Wörter werden in Wörterbüchern dokumentiert. Es gibt viele verschiedene Arten von Wörterbüchern, die sich hinsichtlich des Inhalts und der Zielgruppe unterscheiden: ein- und mehrsprachige Wörterbücher der allgemeinen Sprache, Spezialwörterbücher, Wörterbücher, die ein Teilgebiet der Sprache behandeln, Wörterbücher für spezielle Zielgruppen und viele andere mehr. Wörterbücher haben eine Makrostruktur, die Liste der Lemmata, und eine Mikrostruktur, das einzelne Lemma mit strukturierten Informationen, u. a. der Bedeutung. Beiden liegt Sprachmaterial zugrunde, wenn das Wörterbuch korpusbasiert ist. Die wissenschaftlichen Wörterbücher der nieder‐ ländischen Sprache können online zu Rate gezogen werden, ebenso wie etliche der deutschen Sprache. Diese sind gut und zuverlässig, was man von Wörterbüchern im Internet nicht immer behaupten kann. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Nachrichten auf Social Media wie Instagram, X (Twitter) und Messengerdiensten (WhatsApp, Signal, Telegramm usw.) enthalten oft Abkürzungen, Zahlen, Symbole und Emojis. Die Verwendung der Abkürzungen folgt dabei fünf Prinzipien. Sie sind in einem Aufsatz von Hans Bennis (2015) zu finden: OMG WTF YOLO, over whatsapptaal (https: / / onzetaal.nl/ uploads/ editor/ korterlands1.pdf). a. Welche fünf Prinzipien benennt der Autor für die Abkürzung von Wörtern? b. Übertragen Sie den folgenden Satz aus Bennis (2015) ins Standardniederlän‐ dische: 88 3 Wörter und ihre Bedeutung Ik=A & OO, ht bgn & ht nde vn alls, zgt de Hr, dalm8ige Gd, Die=, ws & kmt. c. Welche Prinzipien kommen in diesem Satz zum Tragen? Geben Sie für jedes Prinzip ein Beispiel. d. Übertragen Sie die erste Strophe des bekannten Gedichts De moeder de vrouw von Martinus Nijhoff in Messengersprache (das Gedicht findet man mit einer Google-Suche oder auf dbnl.org). Wenden Sie dabei jedes der fünf Prinzipien an. e. Welches Prinzip zu Aufgabe d. fanden Sie am schwierigsten anzuwenden? Begründen Sie Ihre Antwort. 2. Für die meisten Wörter gilt, dass die Beziehung zwischen Wortform und Referent arbiträr ist. Das ist jedoch nicht der Fall bei Onomatopöien, Wörtern, die einen Laut nachahmen. So ist koekoek das Wort für den Ruf des gleichnamigen Vogels. a. Welche Onomatopöien werden im Niederländischen für die Geräusche der folgenden Bauernhoftiere verwendet: koe, varken, schaap, geit, haan, ezel und paard? Ziehen Sie für die Beantwortung der Frage die Lijst van dierengeluiden auf Wikipedia heran, um über das Verb die dazugehörige Onomatopöie zu ermitteln. b. Überprüfen Sie mithilfe des Lemmas kukeleku auf nl.wiktionary.org, welche Onomatopöien es für den Ruf eines Hahns gibt. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede fallen Ihnen dabei auf ? c. Stimmen Sie aufgrund Ihrer Erkenntnisse aus Aufgabe b. noch immer der Behauptung zu, dass die Beziehung von Wortform und Referent bei Onomatopöien nicht arbiträr ist? Erläutern Sie kurz Ihre Antwort. 3. Bei der onomasiologischen Methode werden unterschiedliche Wortformen unter‐ sucht, die es für ein und denselben Referenten gibt (z. B. für fiets). Mit der Webapplikation DiaMaNT können Sie herausfinden, welche Wortformen im Zeitraum von 1500 bis 2000 für einen bestimmten Referenten verwendet wurden. a. Besuchen Sie die Webseite diamant.ivdnt.org und ermitteln Sie, welche Wortformen es für fiets gibt bzw. gegeben hat. b. Können Sie anhand der gefundenen Ergebnisse erschließen, wann ungefähr das Fahrrad entstanden ist? c. Welche Wortformen für fiets gab es nach 1950 noch? Verwenden Sie dazu den Filter ‚Date‘. d. Können die ermittelten Wortformen im Standardniederländischen als Syn‐ onym von fiets verwendet werden? 4. Bei der semasiologischen Methode werden unterschiedliche Bedeutungen unter‐ sucht, die ein und dieselbe Wortform ausdrücken kann - sowohl in der Standard‐ sprache als auch in Dialekten. In der Database of the Southern Dutch Dialects (DSDD) kann man beispielsweise recherchieren, was das Dialektwort hond bedeu‐ tet. Aufgaben 89 a. Besuchen Sie die Webseite dsdd.ivdnt.org und suchen Sie nach hond un‐ ter ‘Betekenissen van …’. Auf wie viele Bedeutungen kann dieses Wort verweisen? b. Klicken Sie beim ersten Suchergebnis oben rechts auf die Flagge neben ‘Con‐ cept’. Es erscheint eine Karte. Erläutern Sie, warum es logisch ist, dass die Bedeutung genau dort verwendet wird. 5. Bei der semasiologischen Methode werden unterschiedliche Bedeutungen unter‐ sucht, die ein und dieselbe Wortform ausdrücken kann. Um festzustellen, in welcher Bedeutung eine Wortform verwendet wird, achten Sprachbenutzer: innen gut auf den Kontext. Auch Computerprogramme beziehen den Kontext mit ein, um die Bedeutung eines Wortes automatisch zu ermitteln. a. Lesen Sie die Sätze im Kasten und achten Sie dabei besonders auf die Bedeutung des Wortes bank und der Komposita mit bank. b. Bestimmen Sie für jeden einzelnen Satz die Bedeutung des Wortes bank und weisen Sie jeder Bedeutung jeweils einen Buchstaben zu. Versehen Sie Sätze, in denen bank genau die gleiche Bedeutung hat, mit dem gleichen Buchstaben. c. Notieren Sie für jede Bedeutung (für die Sätze mit gleichem Buchstaben), welche anderen Wörter oder inhaltlich verwandte Wörter in dem Kontext mehr als einmal vorkommen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Wörtern und der Bedeutung? d. Stehen die Wörter, die Sie bei Aufgabe c. herausgesucht haben, vielleicht auch unter bank in einer anderen Bedeutung? Was schließen Sie daraus? 1. Speciale aanbiedingen op onze banken in diverse stoffen & kleuren. Ruime keuze en scherpe prijzen! 2. Wij geven u een verzameling van online meubelwinkels waar u onder andere banken kunt kopen! 3. Bestel uw bank of hoekbank online via online meubelshops. 4. U kunt bij de ASN Bank betalen, sparen en beleggen. 5. Vergelijk prijzen van banken en zitcombinaties! 6. De Rabobank is een bank zonder aandeelhouders (…) U kunt bij ons terecht voor al uw dagelijkse bankzaken. 7. Deze week 1000 banken afgeprijsd. Kom snel naar de Meubelmegastore! 8. Hoekbanken, leren en eiken banken kopen of verkopen doet u via Markt‐ plaats.nl! 9. De bank is half zo groot als de provincie Utrecht en ligt zo’n 30-40 meter onder de zeespiegel. 10. Ambitieuze bank met circa 300 medewerkers, gelegen tussen prachtige bollenvelden nabij zee, strand en duinen. 11. Gelderland meubelen levert o. a. Jan des Bouvrie banken en design banken, stoelen, fauteuils, tafels en bedden. 90 3 Wörter und ihre Bedeutung 12. Regel uw bankzaken snel en eenvoudig met OHRA Bank Online. 13. Voor een lederen bank of lederen bankstel van topkwaliteit bent u van harte welkom in de showroom van Mokana Meubelen. 14. Duurzaam beleggen, duurzaam sparen of een betaalrekening met iDEAL bij een onafhankelijke bank. 15. AEGON Bank helpt u grip te krijgen en te houden op uw financiën. Of het nu gaat om sparen, verzekeren, beleggen, hypotheken of pensioen. 16. Op de Thornton Bank in zee worden windmolens geinstalleerd. 17. Een ondernemende bank voor ondernemende mensen, gespecialiseerd in sparen en beleggen. 18. Kiest u voor een design bank, hoekbank, trendy lounge bank of bankstel? 19. Banken, zwinnen, muien en zwinkuilen vormen de bodem van de zee voor de kust. 6. In bildlicher Rede verwendet man ein Wort nicht mit seiner lexikalischen Bedeu‐ tung, sondern man überträgt es - und damit seine Bedeutung auf eine andere Person oder Sache. Die beiden Hauptformen der bildlichen Rede sind Metapher und Metonymie. a. Geben Sie für die folgenden Sätze zunächst an, was mit den kursiven Wörtern tatsächlich im Satzkontext gemeint ist. b. Geben Sie dann für jeden Satz an, ob es sich um eine Metapher oder eine Metonymie handelt. 1. Nederland won van IJsland met 1-2. De trainer is blij met de overwinning. 2. Onze winkel zit hier al jaren en we verdienen er een goede boterham mee. 3. De aandelenmarkten zijn te sterk gestegen en zijn rijp voor een correctie. 4. De volgepakte eretribune van het stadion barst uit in een luid applaus. 5. De politicus kreeg een storm van kritiek over zich heen. 6. Bij een wegversmalling op de snelweg moet je ritsen. c. Bei einem Vergleich werden Bild (Wortform) und Objekt (Referent) mit dem Vergleichswort als miteinander verbunden. Mit welchen Tiernamen können die folgenden Vergleiche ergänzt werden? Zum Teil gibt es mehrere Möglichkeiten. Welche Vergleiche werden angeboten, wenn Sie die Phrasen in den Suchbalken Ihres Browsers tippen? 1. Zo rood als een-… 2. Zo trots als een-… 3. Zo gezond als een-… 4. Zo sluw als een-… 5. Zo dom als een-… 6. Zo ziek als een-… Aufgaben 91 7. Bei der onomasiologischen Methode werden unterschiedliche Wortformen unter‐ sucht, die es für ein und denselben Referenten gibt; man unterscheidet dabei verschiedene semantische Relationen. a. Die meisten Synonyme haben nicht die genau gleiche Bedeutung; jeder Be‐ griff hat nämlich seine eigenen Konnotationen. Bringen Sie die nachstehen‐ den Wörter in eine Reihenfolge, sodass links das Wort mit der negativsten, rechts das Wort mit der positivsten Konnotation steht: corpulent, dik, gezet, mollig, pafferig, stevig, vet, volslank, zwaarlijvig b. Das Gegenteil oder Antonym von dik ist dun. Suchen Sie nach Antonymen für die Wörter aus a. und ordnen Sie diese dem jeweiligen Gegenteil zu. c. Welche semantische Verbindung besteht zwischen Hyperonymen und Hy‐ ponymen? d. Nennen Sie mindestens fünf Hyponyme für jedes der folgenden Wörter: huisdier, vervoermiddel, vrucht, sport, boom e. Wie heißt das Hyperonym der Wörter in den folgenden Wortgruppen? huis, school, kerk, fabriek hamer, boor, schroevendraaier lopen, rennen, hollen, hardlopen mug, vlieg, vlinder, bij ham, salami, rookworst, rosbief kaas, jam, pindakaas, ham f. Ein Semagramm ist eine Darstellung der Merkmale und Beziehungen der Bedeutungsklassen, zu denen ein Wort gehört. Suchen Sie im Algemeen Nederlands Woordenboek (anw.ivdnt.org) das Lemma bier und klicken Sie erst auf das Lemma selbst und dann auf ‚semagram‘. Erstellen Sie nun anhand all dieser Merkmale ein Semagramm für jenever. g. Wie viele Lemmata gehören zur Semagrammkategorie vis? Gehen Sie für die Beantwortung der Frage zur Seite ‘Zoeken’ im ‘Algemeen Nederlands Woor‐ denboek’ (anw.ivdnt.org) und folgen Sie den nächsten Schritten: Zoeken > Woorden met bepaalde kenmerken > + Kies een kenmerk > Onderwerpen: betekenis > Kenmerk: Semagramcategorie. 8. Ein frei zugängliches online Synonymwörterbuch finden Sie auf synoniemen.net. Geben Sie als Suchwort interessant ein. Sie finden dann Phrasen wie: als woordenboektrefwoord als trefwoord met bijbehorende synoniemen als synoniem van een ander trefwoord a. Schauen Sie bei den Phrasen ‘als trefwoord met bijbehorende synoniemen’ und ‘als synoniem van een ander trefwoord’. Handelt es sich bei diesen beiden Kategorien um echte Synonyme? Welche sind als Synonym geeignet, welche passen weniger und welche gar nicht? b. Es gibt ebenfalls Links zu anderen Internetseiten (‘bij andere sites’). Kli‐ cken Sie auf ‘Project Wortschatz’ und schauen Sie sich die zehn Sätze an unter ‘Examples’. Geben Sie für jeden Satz an, ob Sie das Wort interessant 92 3 Wörter und ihre Bedeutung durch die Synonyme aangrijpend, aantrekkelijk, belangwekkend oder serieus ersetzen können. c. Nehmen Sie das Wörterbuch eines bekannten Verlages zur Hand: Welche Synonyme für interessant stehen darin? Sind diese Synonyme besser? Liefert das Wörterbuch mehr oder andere Informationen als synoniemen.net für das Lemma interessant? d. Auf synoniemen.net kommt appel zweimal als Wörterbuchlemma vor. Die Schreibweise der beiden Lemmata ist gleich, aber sie haben andere lingu‐ istische Merkmale. Welche Unterschiede bestehen zwischen den beiden Lemmata? e. Klicken Sie beim Suchbegriff appel auf ‘grafische weergave’. Wird in dieser Wiedergabe deutlich, dass es sich um Homonyme zweier Wörterbuchein‐ träge appel handelt? Erläutern Sie Ihre Antwort. f. Welche Wörter aus dieser Wiedergabe kann man aufgrund der Pfeile immer miteinander austauschen (siehe ‘toelichting’)? Ist das tatsächlich auch der Fall? Erläutern Sie Ihre Antwort. 9. In fast allen Sprachen kommen täglich neue Wörter hinzu. Um zu ermitteln, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass diese Neologismen dauerhaft in den Wortschatz übernommen werden, hat der Sprachwissenschaftler Allan Metcalf den sogenannten FUDGE-Test entwickelt. a. Schauen Sie sich den FUDGE-Test an: https: / / ivdnt.org/ wp-content/ apps/ fudgetest/ . b. Welche fünf Kriterien verwendet der FUDGE-Test um vorherzusagen, ob ein Wort Chancen hat, dauerhaft in den Wortschatz aufgenommen zu werden? c. Gehen Sie auf der Webseite ivdnt.org zu ‘Nieuw woord van de week’ und beurteilen Sie anhand des FUDGE-Tests, wie die Chancen für das jeweilige Wort stehen. 10. Ein (lexikaler) Blend ist ein Wort, das aus einer Mischung von Lautreihen oder Morphemen entstanden ist (vgl. Kap. 4.2.4). Infotainment ist zum Beispiel zusam‐ mengestellt aus informatie (oder information) und entertainment. Im Algemeen Nederlands Woordenboek (anw.ivdnt.org) kann man gezielt nach solchen Blends suchen: Klicken Sie hierfür auf: Woorden met bepaalde kenmerken > Kies een kenmerk > woordvorming > blends. a. Analysieren Sie zehn selbst ausgewählte Blends. Untersuchen Sie pro Wort, zu welcher Wortart es gehört und aus welchen Bestandteilen es zusammen‐ gesetzt ist. Benennen Sie jeweils die Wortart der Bestandteile. Sind die neuen Wörter ausschließlich Niederländisch oder findet man auch ‚fremde‘ Einflüsse? Stellen Sie Ihre Ergebnisse in einer Tabelle dar. b. Bilden Sie selbst fünf neue Blends. Wählen Sie zwei Basiswörter aus und mischen Sie diese miteinander, indem Sie beim linken Bestandteil einige Buchstaben am Ende und beim rechten Bestandteil einige Buchstaben am Aufgaben 93 Anfang weglassen. Ein Beispiel: Aus den Basiswörtern relatie und software kann man das Wort relware bilden. c. Entwerfen Sie eine Bedeutungsbeschreibung dieser neuen Blends. Achten Sie gut darauf, wie das ANW dabei vorgeht. Relware könnte man beispielsweise umschreiben als ‚Software, die dazu dient, Computerbenutzer: innen zu veranlassen, eine Beziehung miteinander einzugehen‘. 11. Die Datenbank etymologiebank.nl bietet - an einer Stelle gesammelt - zahlreiche bedeutende Publikationen zur Etymologie des Niederländischen. a. Schlagen Sie das Wort mannequin nach. Aus welcher Sprache hat das Niederländische dieses Wort entlehnt? Und aus welcher Sprache hat diese Sprache es wiederum entlehnt? b. Im Niederländischen kam früher das Wort assassijn ‚Mörder‘ (vgl. engl. assassin) vor. Aus welcher Sprache stammt dieses Wort ursprünglich? Was war die eigentliche Bedeutung des Worts? c. Das Wort tang bedeutet zum einen ‚Werkzeug‘, zum anderen ‚unsympathi‐ sche Frau‘. Sind beide Bedeutungen etymologisch miteinander verwandt? Vergleichen Sie dazu die Informationen im Etymologisch Woordenboek van het Nederlands, im Nederlands Etymologisch Woordenboek von J. de Vries und in Uit Oost en West, die Sie auf etymologiebank.nl finden. 12. Fachwörterbücher enthalten Wörter, Wortgruppen, Abkürzungen und Eigenna‐ men, die in einem bestimmten Wissens- oder Fachgebiet verwendet werden, wie z. B. Begriffe aus dem Finanzsektor, der Medizin oder Sprachwissenschaft. a. Sammeln Sie 15 Begriffe zu einem Thema Ihrer Wahl, am besten jedoch zu einem, in dem Sie sich auskennen (z. B. gamen, Hiphop, Degenfechten oder Oboe spielen). Ein Wikipedia-Artikel liefert dazu bereits reichliche Begriffe. b. Suchen Sie zu jedem dieser Begriffe zwei oder mehr Definitionen bei Google mit dem Auftrag ‚define‘ (Beispiel define: scratchen). c. Vergleichen Sie die gefundenen Definitionen und wählen Sie daraus die beste aus oder stellen Sie anhand der Ergebnisse eine bessere Definition auf. d. Was halten Sie von der Qualität der Definitionen, die Sie mithilfe von Google gefunden haben? Erläutern Sie kurz Ihre Antwort. 13. Öffnen Sie die Seite gtb.ivdnt.org und geben Sie das Wort vorst in der Zeile ‘Modern Nederlands trefwoord’ ein. Sorgen Sie dafür, dass bei allen Wörterbüchern - außer beim WFT - ein Häkchen steht. Klicken Sie auf ‘Zoek’ (oder drücken Sie Enter) und es erscheint eine Liste mit Stichwörtern aus dem ONW, VMNW, MNW und WNT (s. Kap. 3.3.1 für die Erläuterungen zu den Abkürzungen). a. Wie viele Bedeutungen unterscheidet jedes dieser Wörterbücher für vorst? b. Welche Veränderungen fallen am Stichwort (‘origineel trefwoord’) auf ? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Bedeutung und der Form des Stichworts? Und wenn ja, in welchen Wörterbüchern (also in welcher Periode)? 94 3 Wörter und ihre Bedeutung 18 Siehe auch http: / / www.onderwoorden.nl/ intensiveringen/ . c. Klicken Sie ‘origineel trefwoord’ im ONW an. Sehen Sie sich die Etymologie jedes Stichwortes an und schauen Sie nach, wann sie im altniederländischen Sprachmaterial zum ersten Mal auftauchten (‘oudste attestatie’) und welche Bedeutung sie haben. Sorgen Sie dafür, dass bei subbetekenissen und citaten ein Häkchen steht. Welche Unterschiede gibt es? Welche Kriterien sind für die Unterschiede zwischen den Homonymen verantwortlich? d. Suchen Sie die Homonyme für vorst im WNT auf, indem Sie sie anklicken. Welches homonyme Stichwort steht zwar im WNT, aber nicht im ONW? e. Suchen Sie im ONW unter ‘Woordsoort’ Znw. und unter ‘Woord in betekenis’ Vorst | koning (der vertikale Strich bedeutet oder). Welche ursprünglichen Lemmata gab es im Altniederländischen für vorst bzw. koning? Schauen Sie bei diesem Lemma unter den Bedeutungen nach und achten Sie dabei auf die Reihenfolge der Zitate (wenn Wörterbücher angegeben sind, stehen diese vor den anderen Zitaten). Was fällt Ihnen an der Datierung der Zitate auf ? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Eine anschauliche Übersicht über semantische Begriffe bietet Smessaert Basisbegrippen semantiek (2009). Das Buch zur Semantik von Wörtern von Geeraerts Woordbetekenis (1986) ist für fortgeschrittene Leser: innen geeignet. Das gilt auch für das Kapitel von Geeraerts et al. Wat er in een woord zit? Lexicologie in Dirven & Verspoor (1999). Einen guten Eindruck vom aktuellen Forschungsstand bezüglich der Lexikologie und Lexikografie liefert der zugängliche Aufsatz von Martin Lexicologie en lexicografie: een stand van zaken (2011). Van Sterkenburg gibt in seinem Buch Van woordenlijst tot woordenboek (2011) ein lebendiges Bild von der Geschichte der Wörterbücher des Niederländischen, einschließlich der historischen Wörterbücher und anderer Arten von Wörterbüchern. Das Wörterbuch Met zoveel woorden (2016) von Rik Schutz und Ludo Permentier widmet sich - anders als andere Wörterbücher - intensivierendem Sprachgebrauch 18 und bietet einen onomasiologischen Ansatz für feststehende Aus‐ drücke: Das Lemma liefert die Bedeutung der zum Lemma gehörigen feststehenden Ausdrücke. Das sehr gut lesbare Chronologisch Woordenboek von Van der Sijs (2001) gibt ausführliche Informationen zu Alter und Herkunft niederländischer Wörter, darunter auch von solchen Wörtern, die einen deutschen Ursprung haben. Miet Ooms behandelt in Buurtaal (2020) die Unterschiede zwischen dem niederländischen und belgischen Niederländisch. Literatur zum Weiterlesen 95 4 Wörter und ihre Struktur Ute K. Boonen Ein Wort, das nicht im Wörterbuch steht, existiert nicht - oder doch? Beim Wortsuch‐ spiel Scrabble entstehen häufig Reibereien darüber, ob es ein bestimmtes Wort nun gibt oder nicht - und wenn man die Frage nicht beantworten kann, wird der Duden (oder ein anderes Wörterbuch) zu Rate gezogen. Nur wenn das besagte Wort darin enthalten ist, erhält der Spieler Punkte, denn nur dann existiert es. Zumindest wenn man dem Scrabble-Mythos glaubt (Sanders 2005). Sind jedoch tatsächlich alle Wörter auch in den Wörterbüchern aufgelistet? Das Wort fiets dürfte in einem niederländischen Wörterbuch (z. B. Van Dale) zu finden sein, auch fietsbel (Fahrradklingel), aber wie steht es mit fietsbelverkoper? Handelt es sich um ein korrektes niederländisches Wort? Die Bedeutung des Begriffs ist jedem klar: Ein fietsbelverkoper ist ein Verkäufer von Fahrradklingeln. Aber ist das Wort auch hinsichtlich seiner Form, seiner Struktur ein echtes, korrektes niederländisches Wort? Um die Frage nach der Richtigkeit auch ohne Wörterbuch beantworten zu können, muss man wissen, wie man die Struktur eines Wortes analysieren kann. 4.1 Wortbildungseinheiten Warum bilden wir Wörter? Wir wollen Gegenstände und Konzepte benennen und uns mit anderen austauschen können. Dabei will der Mensch nicht nur für andere verständlich, sondern auch innovativ und originell sein. In der Literatur, aber auch in journalistischen Texten werden häufig neue Wörter gebildet: ochtendherfstlucht (Morgenherbstluft), wapeninleverdag (Waffenabgabetag). Für neue Konzepte, für Be‐ deutungen in neuen Situationen benötigen wir neue Begriffe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten in der deutschen bzw. niederländischen Sprache, neue Begriffe zu bilden, wie Wortschöpfung (brood), Phrase (rode kaart), Bedeutungswandel (gek) und Entlehnung (computer) (vgl. Kap. 3 bzw. 10). Dabei handelt es sich nicht um morphologische Prozesse im eigentlichen Sinne. Als morphologischer Prozess wird nur die Wortbildung (woordvorming) bezeichnet. Der internationale Fachbegriff Morphologie (morfologie) kommt aus dem Griechi‐ schen: μορφή (morphè) bedeutet ‚Gestalt, Form‘, λόγος (lógos) bedeutet ‚Wort, Lehre‘; Morphologie ist demnach die Lehre von der Form, d. h. die Lehre von der internen Struktur, dem Aufbau von Wörtern und der Bildung von Wörtern. Morphologische Prozesse haben in der Sprache zwei wichtige Funktionen: Zum einen wird der Wort‐ schatz durch neue Begriffe für Gegenstände, Ideen und jede Art von Konzepten, die man in Sprache fassen möchte, ausgebaut. Diese Art der Morphologie wird Wortbildung genannt (s. Kap. 4.2). Zum anderen werden Wörter durch morphologische Prozesse 19 Es gibt baar darüber hinaus auch als freies Morphem, das hier aber nicht verwendet ist: zum einen als Substantiv, u. a. mit der Bedeutung ‚Bahre‘ oder ‚Barren‘, und zum andern als Adjektiv mit der Bedeutung ‚bar‘ wie in bares Geld. an die Bedingungen im Satz angepasst, sodass sie grammatische Funktionen im Satz übernehmen können. So kann durch sprachliche Prozesse aus den Begriffen das, klein, Haus, stehen, in, Amsterdam bzw. het, klein, huis, staan, in, Amsterdam jeweils ein Satz gebildet werden: (1) Das kleine Haus steht in Amsterdam. - Het kleine huis staat in Amsterdam. Durch die morphologischen Anpassungen, d. h. durch die abgeänderte Form des Adjektivs und des Verbs (klein - kleine; staan - staat) wird ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Wörtern angezeigt. Diese Art von Morphologie wird als Flexion (flexie) bezeichnet (s. Kap. 4.3). 4.1.1 Morpheme Wörter können häufig in kleinere Bestandteile zerlegt werden. Ein Wort wie fietsbel kann man in zwei Teile gliedern, die jeweils ein eigenes Wort darstellen: fiets und bel. Während der Zusammenhang zwischen dem Lautbild fiets und der Bedeutung ‚Fahrrad‘ arbiträr (arbitrair) oder willkürlich ist, ebenso wie der zwischen dem Lautbild bel und dem Konzept ‚Klingel‘, ist die Bedeutung des Wortes fietsbel transparent (transparant) und motiviert (gemotiveerd): Wer weiß, was fiets bedeutet und was bel bedeutet, kann folgern, vielleicht sogar wissen, was mit fietsbel gemeint ist. Aus zwei Wörtern ist hier ein neuer Begriff entstanden. Unterteilt man telbaar (zählbar), so erhält man die Teile tel und -baar, wobei tel ein eigenständiges Wort ist (vgl. ik tel - ich zähle), -baar aber nur in Kombination mit einem anderen, eigenständigen Wort verwendet werden kann. 19 Dennoch liefert -baar einen Beitrag zur Bedeutung des Ausgangswortes: Was gezählt werden kann, ist telbaar; was getrennt werden kann, ist scheidbaar; was gewaschen werden kann, ist wasbaar etc. Das Element -baar fügt dem Ausgangswort eine Bedeutung hinzu und ist so eine bedeutungstragende Einheit. Die kleinsten Wortbausteine heißen Morpheme (morfemen). Ein Morphem bildet die kleinste bedeutungstragende Einheit. Ein Morphem entspricht nicht automatisch einer Silbe. Vergleichen wir die folgenden Begriffe unter (2a): 98 4 Wörter und ihre Struktur 20 Bei Verben mit f/ v- oder s/ z-Wechsel sieht die erste Person durch die angepasste Rechtschreibung anders aus: Der Stamm des Verbs leven ist leev, der von reizen ist reiz, die erste Person ist ik leef bzw. ik reis (vgl. zur Rechtschreibung Kap. 5.5.1). 21 Zum Beispiel gehen - geh! , schreiben - schreib! Dies ist jedoch nicht immer der Fall: Der Verbstamm von lesen ist les-, während der Imperativ lies lautet; in diesen Fällen kann der Stamm dennoch als freies Morphem bewertet werden (Donalies 2017: 10). 22 Aufgrund der niederländischen Rechtschreibregeln müssen Konsonanten und Vokale regelmäßig verdoppelt bzw. eingespart werden: aus bak und -er wird daher bakker, aus speel und -er speler. (2a) kers (2b) kersen - banaan - bananen - appel - appels Das erste Wort besteht aus einem Morphem und auch nur aus einer Silbe: kers (Kirsche). Morphem und Silbe entsprechen einander in diesem Fall. Das Wort banaan besteht aus zwei Silben (ba-naan), aber nur aus einem Morphem / banaan/ ; das gleiche gilt für das Wort appel, das aus einem Morphem / appel/ und aus zwei Silben (ap-pel) besteht. Wenn wir die niederländischen Pluralformen zu den Beispielwörtern bilden, ergeben sich die unter (2b) genannten Formen. Im ersten Fall trennen wir zwei Silben (ker-sen), es handelt sich auch um zwei Morpheme (kers+en). Im zweiten Fall haben wir im Plural drei Silben (ba-na-nen), aber nur zwei Morpheme (banaan+en). Im dritten Beispiel bleibt das Wort zweisilbig (ap-pels), aber es besteht nun aus zwei Morphemen (appel+s). Morpheme sind also nicht mit Silben gleichzusetzen und Morphemgrenzen entsprechen nicht automatisch Silbengrenzen. Ein freies Morphem besteht in der Regel aus dem Wortstamm. Das Wort tanzen besteht aus den Morphemen tanz und -en (vgl. Kap. 4.3.3). Der Stamm ist tanz. Im Niederländischen lässt sich der Stamm eines Verbs sehr leicht ermitteln, da er in der Regel der ersten Person Singular entspricht: Der Stamm von dansen ist dans, wie in ik dans. 20 Dass auch im Deutschen tanz ein selbstständiges Wort sein kann, zeigt die Form der Tanz. In der Regel entspricht auch die Befehlsform dem Stamm des Wortes. 21 Wie kann man die folgenden Wörter unterteilen bzw. untergliedern? (3) huisdeur broek verhuur bloempot - - schoon schoonheid bakker geblaf - Das Substantiv huisdeur besteht aus zwei Gliedern, huis + deur, die beide auch alleine verwendet werden können. Auch bloempot lässt sich in zwei selbstständige Segmente gliedern: bloem (Blume) und pot (Topf). Die Substantive schoonheid (Schönheit) und bakker (Bäcker) sowie verhuur (Vermietung) und geblaf (Gebell eines Hundes) bestehen aus jeweils zwei Gliedern: schoon + heid, bak + er, ver + huur, ge + blaf. 22 Wörter, 4.1 Wortbildungseinheiten 99 die aus zwei oder mehr Morphemen bestehen, sind komplex (complex/ geleed). Das Wort schoonheid ist komplex (schoon + -heid) und von einem anderen Morphem (nämlich schoon) abgeleitet. Ein solcher Begriff wird auch als polymorphem(at)isch (polymorfematisch) bezeichnet. Das Adjektiv schoon (sauber, schön) und das Substantiv broek (Hose) können nicht weiter unterteilt werden. Sie sind nicht weiter zerlegbar und auch nicht von einer anderen Form abgeleitet. Solche Wörter werden als simplex (simplex/ ongeleed) oder als monomorphem(at)isch (monomorfematisch) bezeichnet. Wie wir gesehen haben, können einige Morpheme alleine als Wort verwendet werden, wie huis, deur, broek, huur, bloem, pot, schoon, bak, blaf etc. Andere Morpheme können nicht alleine stehen und kommen nur in Verbindung mit einem freien Morphem vor, wie beispielsweise ver-, -heid, -er, geetc. Morpheme, die alleine stehen können, werden als freie Morpheme (vrije mor‐ femen) bezeichnet, Morpheme, die nicht alleine stehen können, als gebundene Morpheme (gebonden morfemen). Morpheme mit einer inhaltlichen Bedeutung (fiets, tel, -baar etc.) werden als lexikali‐ sche Morpheme (lexicale morfemen) bezeichnet. Grammatische Morpheme (gram‐ maticale morfemen) haben keine eigene inhaltliche Bedeutung, sondern übernehmen vielmehr eine Funktion im Satz; sie passen ein Wort nach grammatischen Aspekten an oder stellen eine Verbindung zwischen Wörtern im Satz her. Grammatische Morpheme sind dabei jedoch nicht bedeutungslos im Sinne von unwichtig, ihre Bedeutung kann man jedoch nicht im Wörterbuch nachschlagen. Typische grammatische Morpheme sind Deklinations- und Konjugationsendungen, wie z.B.: (4) -en (Pl.): bij - bijen Biene - Bienen - -t (3. Pers. Sgl.): zingen - (zij) zingt singen - (sie) singt - -er (Komparativ): klein - kleiner klein - kleiner Manchmal werden auch selbstständige Wörter für rein grammatische Informationen verwendet wie dat, aan, van, zij, mijn, de etc. Diese Konjunktionen, Präpositionen, Pronomen und Artikel werden als Funktionswörter (functiewoorden) bezeichnet, Wörter mit inhaltlicher Bedeutung wie Nomen, Adjektive, Verben und Adverbien als Inhaltswörter (inhoudswoorden). 100 4 Wörter und ihre Struktur 4.1.2 Affixe Die oben genannten Beispiele zeigen, dass es unter den komplexen Wörtern unter‐ schiedliche Fälle gibt. Zum einen gibt es Wörter, die aus selbstständigen Wörtern bestehen (huisdeur, bloempot), zum anderen gibt es Wörter mit Bestandteilen, die alleine keine (auf Anhieb erkennbare und einfach beschreibbare) Bedeutung haben und nicht alleine stehen können (-er in bakker, -heid in schoonheid, verin verhuur, gein geblaf). Diese gebundenen Morpheme werden als Affixe (affixen) bezeichnet. Das Wort Affix kommt von lat. affingere ‚anheften‘. Diese Morpheme werden also an anderes Wortmaterial angeheftet. Während in den Wörtern verhuur und geblaf die gebundenen Morpheme ver- und gejeweils vor dem freien Morphem, dem Stamm (huur bzw. blaf), stehen, sind die gebundenen Morpheme -heid und -er in schoonheid und bakker hinter den Stamm (schoon bzw. bak) geheftet. Aufgrund der Position, an der das Affix an den Stamm geheftet wird, werden die gebundenen Morpheme in unterschiedliche Kategorien verteilt: Präfix - prefix/ steht vorne (lat. prae-= vorne/ vor) voorvoegsel bewerken < be-werken - bearbeiten < be-arbeiten Suffix - suffix / steht hinten (lat. sub-= hinten, unten) achtervoegsel vriendschap < vriend -schap - Freundschaft < Freund -schaft Zirkumfix - steht um den Stamm herum (lat. circum = ‚drumherum‘) circumfix gevogelte < ge-vogel-te (Geflügel) - gelehrig < ge-lehr-ig Im Niederländischen wird das Zirkumfix auch als discontinu affix (unterbrochenes Affix) bezeichnet. In Wörtern wie gelehrig oder gevogelte arbeiten das ge- und -ig bzw. ge- und -te zusammen und können nicht getrennt voneinander verwendet werden; *gelehr und *lehrig sowie *gevogel und *vogelte sind keine möglichen Formen; das Affix muss um das Wort herum gefügt werden. Auch das Partizip Perfekt wird mit einem Zirkumfix gebildet (woon: ge-woon-d). Während Präfixe, Suffixe und Zirkumfixe sowohl im Deutschen als auch im Niederländischen vorkommen, gibt es in beiden Sprachen keine Infixe. Im Lateinischen gibt es Infixe, wie das -nin der Mitte des Verbs vincere/ vinco/ vici/ victum - siegen/ ich siege/ ich habe gesiegt/ gesiegt. Für das Englische sind absobloodylutly oder fanfuckingtastic Beispiele, wobei hier ganze Wörter, nämlich bloody bzw. fucking eingefügt werden, was eine Verstärkung der Äußerung bewirkt. Im Gegensatz zu grammatischen Flexionsendungen wie bei ge-woon-d haben lexika‐ lische Affixe eine inhaltliche Bedeutung, die allerdings häufig nicht mehr unmittelbar 4.1 Wortbildungseinheiten 101 23 Das Sternchen vor dem Wort verweist in diesem Falle nicht auf eine ungrammatische Form, sondern auf eine rekonstruierte Form. Das Adjektiv ist in den Quellen freistehend nicht belegt. ersichtlich ist, sondern eher abstrakt oder ‚entkonkretisiert‘. Diese sog. Wortbildungs‐ morpheme sind gebunden, waren aber in früheren Sprachstadien freie lexikalische Morpheme (vgl. Römer 2006: 31). Ein Beispiel für ein solches Wortbildungsmorphem ist das Suffix -baar: (5) -baar: etwas kann ge-X-t werden, es ist möglich zu X-en Übertragen auf ein konkretes Beispiel heißt das, schapen zijn telbaar: Schafe können gezählt werden; es ist möglich, Schafe zu zählen. Ursprünglich bedeutet beran ‚tragen‘, *bāri ‚tragend, fähig zu tragen‘. 23 Historisch gesehen handelt es sich um ein freies lexikalisches Morphem, das sich im Laufe der Zeit zu einem Affix entwickelt hat (vgl. Nübling et al. 2017: 103-106). 4.2 Wortbildung Im Niederländischen gibt es wie im Deutschen verschiedene Möglichkeiten, neue Worte zu bilden. Die drei wichtigsten, regelmäßigen und produktiven Wortbildungsprozesse sind Komposition (compositie, samenstelling), Derivation (derivatie, afleiding) und Konversion (conversie). Anhand produktiver Regeln können wir neue Wörter bilden, die ‚richtig‘ sind, auch wenn sie nicht im Wörterbuch stehen. Der Begriff Produktivität (productiviteit) gibt dabei an, dass der Wortschatz anhand von Regeln mühelos ausgeweitet werden kann: Sprachbenutzer: innen haben die Möglichkeit, aus bereits bestehenden komplexen Wörtern ein regelmäßiges Muster abzuleiten und mit diesem - im Prinzip - unendlich viele neue Wörter zu bilden (Schultink 1961: 113). Dies ist möglich, weil die Bildung einem regelhaften System, einer sog. Form-Bedeutungssystematik, unterliegt. Ein Beispiel für ein produktives (productief) Affix ist das Suffix -baar, das an bestimmte Verbstämme gefügt werden kann und dann ein Adjektiv bildet: (6) eten eet-baar bespreken bespreek-baar - lezen lees-baar tellen tel-baar - blaffen *blaf-baar lachen *lach-baar 102 4 Wörter und ihre Struktur 24 Wortschatzausbau durch Bedeutungswandel etc. wird in den Kapiteln 3 und 10 ausführlicher behandelt. Obwohl dieses Wortbildungsmuster sehr produktiv ist, gelten trotzdem bestimmte Beschränkungen: So können in der Regel nur solche Verben als Basis dienen, die transitiv sind (also mit einem direkten Objekt verwendet werden können) und eine Umschreibung mit ‚kann ge-X-t werden, es ist möglich zu X-en‘ zulassen. Bei einem intransitiven Verb wie blaffen oder lachen ist eine derartige Ableitung nicht möglich. Allerdings zeigt sich, dass sich die Affigierung mit -baar weiter ausbreitet. Es finden sich in den letzten Jahrzehnten auch immer mehr Ableitungen von intransitiven Verben mit dem Suffix -baar wie leefbaar (i.S.v. ‚lebenswert‘, ‚gut bewohnbar‘) oder reisbaar (wie in der Wendung een reisbare afstand: ‚ein Abstand, den man z. B. als Pendler: in gut zurücklegen kann‘). Die drei wichtigsten Arten der Wortbildung werden in den folgenden Paragraphen ausführlicher besprochen. Neben diesen Prozessen gibt es im Niederländischen und Deutschen die Möglichkeit, den Wortschatz durch Kurzwortbildung oder Reduplika‐ tion auszubauen. 24 Diese speziellen Fälle werden in Kapitel 4.2.4 besprochen. 4.2.1 Komposition Begriffe wie huisdeur und bloempot bestehen aus zwei jeweils selbstständigen Teilen. Bei einer solchen Verbindung von zwei freien Morphemen wie in (7) spricht man von einer Komposition (samenstelling, auch compositie). (7a) huisdeur [huis] + [deur] (7b) bloempot [bloem] + [pot] Die Komposition ist im Niederländischen und Deutschen außerordentlich produktiv. Aufgrund der Struktur oder Form von appeltaart ‚wissen‘ Sprachbenutzer: innen, wie sich aus kers und taart das neue Wort kersentaart bilden lässt. (8) taart: appeltaart taartvorm - - kersentaart taartmes - - pruimentaart taartrecept - - moederdagtaart taartbodem Mit taart können viele neue Wörter gebildet werden (vgl. (8)). Dabei kann taart sowohl als erster als auch als zweiter Bestandteil fungieren. Auch ist es möglich, die Komposition weiter auszubauen, indem man einen weiteren Bestandteil ergänzt. So ist 4.2 Wortbildung 103 ein Rezept für Apfeltorte ein appeltaartrecept, ein Buch mit Rezepten für Apfeltorten ein appeltaartreceptboek (vgl. Donalies 2011: 11). Im Prinzip lässt sich dies beliebig oft erweitern. Die deutsche Sprache ist für dieses Phänomen berühmt-berüchtigt (Donaudampfschifffahrtsgesellschaft). Abb. 4.1: Rekursives Kompositum im Straßenbild Im Niederländischen sind samenstellingen ebenfalls rekursiv (recursief) wie in autotransponderchipsleutel (Cornelisse 2012: 189) oder serotonineheropnameremmer (‚Serotoninwiederaufnahmehemmer‘); in Amsterdam hieß ein Geschäft für Motor‐ radbekleidung mit Beratung Motorkledingadvieswinkel De Leertent (Abb. 4.1). Im amt‐ lichen Jargon finden sich auch auf Niederländisch besonders komplexe Bezeichnun‐ gen wie pensioenfondstoetredingsvoorwaarden (‚Rentenfondsbeitrittsvoraussetzungen‘) oder gar pensioenfondstoetredingsvoorwaardenplanningstool (‚Rentenfondsbeitrittsvo‐ raussetzungenplanungstool‘; Webseite der Provinz Antwerpen, 05.06.2014). Eine feste Regel für die Länge von Komposita gibt es nicht. Komposita können mittels unterschiedlicher Wortarten erstellt werden. Ist der rechte Teil ein Nomen, spricht man von einer nominalen Komposition (nominale samen‐ stelling), z. B. fietsbel, sneltrein, slaapzak. Diese Art der Komposition ist außeror‐ dentlich produktiv. Neben der Kombination von Substantiv mit einem Substantiv (fiets), Adjektiv (snel) oder Verb (slaap) kommen auch nominale Komposita mit einer Wortgruppe als linkem Glied vor, wie in doe-het-zelfwinkel (Heimwerkergeschäft) oder blijf-van-mijn-lijfhuis (Frauenhaus). Ist der rechte Teil ein Adjektiv, spricht man von einer adjektivischen Komposition (adjectievische samenstelling), die ebenfalls produktiv ist, z.B.: boterzacht (butterweich), kotsmisselijk (speiübel), lichtblauw (hellblau). Nicht produktiv sind im Deutschen und Niederländischen verbale Kompositionen (werkwoordelijke samenstelling) wie slaapwandelen. Verbindungen mit Verbpartikeln wie opbellen, doorzetten etc. oder mit einem Nomen als linkem Teil wie bierbrouwen oder ademhalen sind hingegen produktiv. Bei diesen Verbindungen handelt es sich um eine Zusammenrückung (samenkoppeling), die in den flektierten Formen wieder auseinandergezogen wird: opbellen - ik bel op, bierbrouwen - hij brouwt bier. Verbindungen mit Wortarten wie Adverbien, Präpositionen etc. als rechtem Teil sind ebenfalls möglich, aber selten. 104 4 Wörter und ihre Struktur Neben dieser formalen Unterscheidung können Komposita aufgrund ihrer semanti‐ schen Eigenschaften in drei Arten unterteilt werden: Determinativkomposita, Bahuvrihi-Komposita und Kopulativkomposita. Wie wir bereits gesehen haben, können mit dem Wort taart viele verschiedene Begriffe gebildet werden: appeltaart, kersentaart, pruimentaart, moederdagtaart etc. Diese Begriffe verweisen alle auf eine Art Torte: Apfel-, Kirsch-, Pflaumen- und Muttertagstorte. In den Beispielen bildet der zweite, der rechte Teil der Komposition die Basis des neuen Wortes (Torte), der erste, der linke Teil bestimmt dieses Grundwort näher: ‚eine Torte, und zwar mit Äpfeln‘. Der linke Teil determiniert den rechten; daher wird diese Art der Komposition als Determinativkomposition (determinatieve samenstelling) bezeichnet. Die Bedeutung des neuen Begriffs ergibt sich aus der Kombination von Determinans (lat. ‚bestimmendes‘; linker Teil) und Determinatum (lat. ‚bestimmtes‘; rechter Teil). Die Bedeutung des neu zusammengestellten Begriffs liegt innerhalb des Wortes und ist transparent: appeltaart ist eine bestimmte Art von taart, nämlich mit appel, kersentaart ist eine bestimmte Art von taart, nämlich mit kersen usw. Da sich der Kern der Bedeutung im Wort befindet, wird diese Art der Komposition auch als endozentrische Komposition (endocentrische samenstelling) bezeichnet. (9) appeltaart Determinans: appel - Determinatum: taart Die rechte Seite bildet die Basis, den Kopf (engl. head) des Kompositums und bestimmt die grammatischen Eigenschaften des neuen Wortes. So kann man am Artikel de des Wortes archieffoto (10) erkennen, dass das de-Wort de foto ausschlaggebend ist und nicht das het-Wort het archief (zu de- und het-Wörtern vgl. Kap. 4.3.1). Die Markierung des Plurals wird ebenfalls nur am rechten Teil vorgenommen: de archieffoto’s (Plural‐ morphem -s) und de fotoarchieven (Pluralmorphem -en). Dieses Phänomenֹ wird als Righthand-Head-Rule (right-hand head rule, oft abgekürzt als RHR) bezeichnet. Diese Regel gilt sowohl im Niederländischen als auch im Deutschen für Kompositionen. (10) [archief] het-woord + [foto] de-woord → de archieffoto-= bepaald soort foto - [foto] de-woord + [archief] het-woord → het fotoarchief-= bepaald soort archief Eine weitere Eigenschaft von Komposita ist, dass sie in der Regel binär (binair) aufge‐ baut sind, d. h. dass sich der Kopf und die Bestimmung in zwei Teile gliedern lassen, unabhängig von der Anzahl der verwendeten Morpheme. Es gibt linksverzweigende (linksvertakkend) Komposita wie in (11) und rechtsverzweigende (rechtsvertakkend) Komposita wie in (12) sowie Kombinationen daraus wie in (13): 4.2 Wortbildung 105 25 Die eckigen Klammern deuten wie in der Mathematik an, wie die einzelnen Elemente miteinander in Verbindung stehen. 11) 12) 13) voet bal club dames voet bal baar moeder slijm vlies In der Notation mit eckigen Klammern ergibt sich das Folgende: 25 (11) [[[voet] + [bal]] + [club]] (Fußballverein) (12) [[dames] + [[voet] + [bal]]] (Frauenfußball) (13) [[[baar] + [moeder]] + [[slijm]+vlies]]] (Gebärmutterschleimhaut) Der semantische Zusammenhang zwischen Determinans und Determinatum kann außerordentlich vielseitig sein. Vergleichen wir die folgenden Ölarten: (14) olijfolie visolie babyolie smeerolie - aardolie stookolie slaolie knoflookolie Olivenöl ist Öl, das aus Oliven gepresst wurde; Fischöl kommt vom Fisch. Babyöl hingegen ist Öl, das geeignet ist für Babys bzw. speziell für Babys entwickelt wurde. Schmieröl ist Öl, das zum Einschmieren von metallischen Gegenständen geeignet ist. Erdöl ist Öl, das aus der Erde kommt und gewonnen wird. Heizöl ist Öl, das zum Heizen (stoken) verwendet werden kann. Salatöl ist essbar, nicht zum Frittieren oder Braten geeignet, passt aber zu Salat. Knoblauchöl wiederum ist ein Öl, das mit Knoblaucharoma versehen ist. Eine speziellere Art der Komposition ist die Bahuvrihi-Komposition (bahuvrihi-sa‐ menstelling), die auch als exozentrische Komposition (exocentrische samenstelling) bezeichnet wird. Der Begriff bahuvrihi stammt aus dem Sanskrit und ist selbst auch eine exozentrische Komposition aus bahu (= viel) und vrīhi (= Reis). Jemand, der viel Reis besitzt, ist reich; bahuvrihi bedeutet ‚reicher Mann‘. Im Gegensatz zur endozentrischen Komposition lässt sich die Bedeutung bei solchen Neubildungen nicht unmittelbar aus dem Kopf des Kompositums ableiten. Ein Begriff wie neushoorn lässt sich in zwei freie Morpheme untergliedern: neus + hoorn. Formal ist hoorn der Kopf des Kompositums. Es handelt sich bei einem neushoorn aber nicht um eine näher bestimmte Art von Horn, 106 4 Wörter und ihre Struktur sondern um ein Tier, das sich dadurch auszeichnet, dass es auf seiner Nase ein Horn trägt. Der Begriff roodborstje verweist ebenfalls auf ein Tier, und zwar auf eines, das eine rote Brust (oder Kehle) hat. Aus der Kombination rood + borstje lässt sich nicht ableiten, dass es sich um einen Vogel handelt. Neushoorn und roodborstje werden metonymisch zur Bezeichnung des jeweiligen Tieres verwendet (vgl. Kap. 3). 4. Wörter und ihre Struktur 90 ebenfalls auf ein Tier, und zwar auf eines, das eine rote Brust (oder Kehle) hat. Aus der Kombination rood + borstje lässt sich nicht ableiten, dass es sich um einen Vogel handelt. Neushoorn und roodborstje werden metonymisch zur Bezeichnung des jeweiligen Tieres verwendet (vgl. Kap. 3). Abb. 4.2: Nashorn meets Nasenhorn Der rechte Teil eines Bahuvrihi-Kompositums besteht immer aus einem Nomen und auch das neugebildete Wort ist immer ein Nomen. Semantisch handelt es sich anders als beim Determinativkompositum nicht um eine näher bestimmte Art des Basiswortes, sondern um eine übertragene Bedeutung, meist eine Metonymie (vgl. Kap. 3). Verbindungen wie zwart-wit oder prins-gemaal werden als Kopulativkomposita (copulatieve samenstelling) bezeichnet. Hier sind die beiden Teile der Komposition gleichwertig, d.h. es bestimmt nicht ein Teil den anderen näher. Bei zwart-wit handelt es sich nicht um eine bestimmte Art von weiß. Ein Schwarzweißfilm ist ein Film, der nicht in Farbe gedreht wurde, sondern in schwarz und weiß (und in Graustufen). Als prins-gemaal war der Ehemann der niederländischen Königin ihr Gatte und zugleich Prinz. Kopulativkomposita kommen wesentlich seltener vor als Determinativ- und Bahuvrihi-Kompositionen. Bei der Kombination von Wörtern wird häufig ein sogenanntes Fugenelement (bindfoneem, tussenklank) eingefügt, ein -s-, -en- oder -e-: 22) schaapskooi schaap+s+ kooi (Schafstall) schapenvlees schaap+en+vlees (Schafsfleisch) koninginnedag koningin+e+dag (Königinnentag) Auch im Deutschen gibt es derartige Fugenelemente wie bei Schafsfleisch, Königinnentag. In einigen Fällen kann das Fugenelement als Genitivendung erklärt werden: Abb. 4.2: Nashorn meets Nasenhorn Der rechte Teil eines Bahuvrihi-Kompositums besteht immer aus einem Nomen und auch das neugebildete Wort ist immer ein Nomen. Semantisch handelt es sich anders als beim Determinativkompositum nicht um eine näher bestimmte Art des Basiswortes, sondern um eine übertragene Bedeutung, meist eine Metonymie (vgl. Kap. 3). Verbindungen wie zwart-wit oder prins-gemaal werden als Kopulativkompositum (copulatieve samenstelling) bezeichnet. Hier sind die beiden Teile der Komposition gleichwertig, d. h. es bestimmt nicht ein Teil den anderen näher. Bei zwart-wit handelt es sich nicht um eine bestimmte Art von weiß. Ein Schwarzweißfilm ist ein Film, der nicht in Farbe gedreht wurde, sondern in schwarz und weiß (und in Graustufen). Als prins-gemaal war der Ehemann der niederländischen Königin ihr Gatte und zugleich Prinz. Kopulativkomposita kommen wesentlich seltener vor als Determinativ- und Bahuvrihi-Kompositionen. Bei der Kombination von Wörtern wird häufig ein sogenanntes Fugenelement (bindfoneem, tussenklank) eingefügt, ein -s-, -en- oder -e-: (15) schaapskooi schaap+s+kooi (Schafstall) - schapenvlees schaap+en+vlees (Schaf(s)fleisch) - zonneschijn zon+e+schijn (Sonnenschein) 4.2 Wortbildung 107 Auch im Deutschen gibt es derartige Fugenelemente wie bei Schafsfleisch, Sonnenschein. In einigen Fällen kann das Fugenelement als Genitivendung erklärt werden: Aus der Formulierung des Teufels Sohn wird der Teufelssohn; die urspüngliche Flexionsendung -s für den Genitiv wird dann zum Fugenelement -s- (vgl. Nübling et al. 2017: 112). In anderen Fällen jedoch lässt sich das Fugenelement nicht auf diese Weise erklären; so kommen bei schaap Komposita ohne Fugenelement vor, z. B. schaapherder (Schafhirte), aber auch Komposita mit -s- und mit -enals Fugenelement (15). Auch andere semantische Erklärungen, dass es sich z. B. um eine Pluralform handelt, greifen nicht in allen Fällen. Ein boekenrek ist ein Regal für mehr als ein Buch, daher ist die Pluralform boeken hier durchaus plausibel. Ein Geschäft für Bücher müsste demnach boekenwinkel heißen, wird jedoch auch als boekwinkel bezeichnet; dieses Kompositum kommt also auch ohne Pluralform und ohne Fugenelement aus, obwohl doch anzunehmen ist, dass im Buchladen mehr als ein Buch erhältlich ist. Fugenelemente können Grenzen zwischen Erst- und Zweitglied signalisieren und so dem Hörer helfen, das Gesagte besser zu verstehen: uitdrukking-s-vermogen (Aus‐ druck-s-fähigkeit), verwarming-s-element (Heizkörper). Ob das Fugenelement eine morphologische oder eine phonologische Funktion hat, wird in der Literatur diskutiert (vgl. hierzu Nübling et al. 2017: 112-114). 4.2.2 Derivation Die Verbindung von freiem und gebundenem Morphem bezeichnet man als Derivation (afleiding, derivatie). In der Regel wird ein freies Morphem mit einem Affix verbunden: schoon mit -heid. Auch eine Kombination mit mehreren Affixen ist möglich: natuur kann mit -lijk zu natuurlijk verbunden werden und im nächsten Schritt mit -heid zu natuurlijkheid oder mit onzu onnatuurlijk: (16) [[schoon] + -heid] schoonheid Schönheit - [[[natuur] + -lijk] + -heid] natuurlijkheid Natürlichkeit - [on- + [[natuur] + -lijk]] onnatuurlijk unnatürlich 108 4 Wörter und ihre Struktur 26 N steht für Nomen/ Substantiv, A für Adjektiv, V für Verb (vgl. Kap. 5). Abhängig davon, welcher Wortklasse das Ausgangswort angehört, spricht man von denominalen (natuur N - natuurlijk), deadjektivischen (schoon A - schoonheid) und deverbalen (mix V - mixer) Ableitungen. 26 Affixe haben zwar keine konkrete lexikalische Wortbedeutung, geben dem neuen Wort aber dennoch eine bestimmte zusätzliche Bedeutung, einen anderen kategoria‐ len Wert (categoriale waarde). So können mit dem Suffix -er handelnde Personen bezeichnet werden, die eine Tätigkeit ausführen, sog. nomina agentis (von lat. agere ‚handeln, tun‘). Das Verb (z. B. spelen, bakken) gibt dabei an, um welche Tätigkeit es sich handelt: (17) speel + -er speler Spieler - bak + -er bakker Bäcker - mix + -er mixer Mixer Als Basis für die Ableitung wird stets der Stamm des Verbs verwendet, also speel, bak etc. und nicht die Infinitivform (spelen, bakken). Neben Personen können mit -er Ableitungen gebildet werden, die ein Instrument oder Werkzeug bezeichnen, mit dem man die Tätigkeit ausführt (mit einem Mixer mixt man). Allgemein können wir formulieren: nomen agentis: [X] V → [X + -er] N - handelnde Person; Beruf; Funktion; Gerät Auch für andere Derivate können derartige Regeln aufgestellt werden. Bei einem nomen actionis handelt es sich um eine Bezeichnung einer Handlung, als Basis dient hier ebenfalls ein Verb. Von Adjektiven lassen sich Nomen ableiten, die eine Eigenschaft (‚qualitas‘) ausdrücken. nomen actionis: [X] V → [X + -ing] N actionis roep-ing nomen qualitatis: [X] A → [X + -heid] N qualitatis schoon-heid In diesen Derivationen bestimmt das Affix die grammatischen Eigenschaften des neuen Begriffs. So wird aus dem Verb speel durch die Suffigierung (suffigering) mit dem Suffix -er und aus dem Adjektiv schoon mit dem Suffix -heid jeweils ein Nomen (vgl. Booij & Van Santen 2017: 71): 4.2 Wortbildung 109 (18) V → N Suffigierung: speler - A → N Suffigierung: schoonheid - N → A Suffigierung: natuurlijk - V → A Suffigierung: telbaar Mit dem Zirkumfix ge-…-te können Kollektiva oder Sammelbegriffe gebildet werden: Aus einem Berg wird ein Gebirge, aus einem Vogel Geflügel: Kollektiva: [X] N → [ge- + X + -te] N collectivum - ge-berg-te Gebirge - ge-vogel-te Geflügel Diese Art der Derivation ist jedoch nicht produktiv; die Zirkumfixe ge-…-d und ge-…-t kommen allerdings regelmäßig bei der Bildung des Partizips Perfekt (voltooid deelwoord) vor: (19) bellen bel gebeld (telefonieren, telefoniert) - blaffen blaf geblaft (bellen, gebellt) Nicht nur Nomen können als Basis für eine Derivation dienen, sondern auch Verben wie in (20): (20) werken bewerken wonen bewonen Anders als bei den Komposita und den oben besprochenen Derivaten bestimmt bei den abgeleiteten Verben nicht der rechte Teil die grammatischen Eigenschaften des neuen Wortes, sondern das Präfix, obwohl es den linken Teil des Wortes bildet (vgl. (21c)). So macht das Präfix beaus einem intransitiven Verb (ohne direktes Objekt) ein transitives Verb (mit direktem Objekt). Bei werken und wonen kann man nicht fragen wen oder was? , bei bewerken und bewonen ist diese Frage jedoch möglich. (21a) Ik werk. *Ik werk een opstel. Ik bewerk een opstel. - Ich arbeite. *Ich arbeite einen Aufsatz. Ich bearbeite einen Aufsatz. 110 4 Wörter und ihre Struktur 27 Regional kommen in nicht standardsprachlichen Varietäten noch weitere Endungen vor: -ke, -eke und -ske (vrouwke, manneke, bakske) sind im Süden der Niederlande und Flandern, aber auch in Groningen gebräuchlich. Im Westen des Sprachraumes wird auch -ie verwendet (harinkie, jochie). (21b) Ik woon. *Ik woon een kamer. Ik bewoon een kamer. - Ich wohne. *Ich wohne ein Zimmer. Ich bewohne ein Zimmer. (21c) be- + [werk] V intrans. - [bewerk] V trans. - be- + [woon] V intrans. - [bewoon] V trans. Einen besonderen Fall bilden die Zusammenbildungen, die im Niederländischen spezifischer als samenstellende afleiding bzw. samenstellende samenstelling bezeichnet werden (vgl. Booij & Van Santen 2017: 185-190). So lassen sich die Wörter viervoeter (Vierfüßer) oder blauwogig (blauäugig) in die Morpheme vier und voet bzw. blauw und oog sowie ein Suffix (-er bzw. -ig) zergliedern. Die Komposita *viervoet und *blauwoog gibt es jedoch nicht, genauso wenig wie die Ableitungen *voeter und *ogig. Hier spricht man von einer samenstellende afleiding. Das Wort tweepersoonsbed (Doppelbett) ist aus den freien Morphemen twee, persoon und bed aufgebaut, wobei es aber weder *tweepersoon noch *persoonsbed als Kompositum gibt. Hier handelt es sich um eine samenstellende samenstelling. - Exkurs: Diminutive Eine für die niederländische Sprache sehr typische morphologische Form ist das Diminutiv (verkleinwoord). Mit dem Diminutiv kann man nicht nur ausdrücken, dass etwas klein ist, sondern man kann Zuneigung, Wertschätzung oder auch eine Abwertung zum Ausdruck bringen. Außerdem ermöglicht die Diminuierung, aus Stoffen Entitäten zu formen, das heißt eine abgegrenzte, kleine Menge des besagten Stoffes anzugeben (Lust jij een ijsje? Hast du Lust auf ein Eis? ). Die letzte Bildung ist im Deutschen nicht üblich. Diminutive werden gebildet, indem an den Stamm eine Diminutivendung gefügt wird: [[X] + -tje] → Diminutiv Es gibt fünf verschiedene standardsprachliche Endungen, -tje, -kje, -pje, -etje und -je, die abhängig von der lautlichen Form des Stammes verwendet werden. 27 Die unterschiedlichen lautlichen Varianten von Morphemen, die die gleiche Funk‐ tion und Bedeutung haben, werden als Allomorphe (allomorfen) bezeichnet. 4.2 Wortbildung 111 Endet der Stamm des Basiswortes z. B. auf einen langen Vokal gefolgt von -m oder auf -lm, -rm oder auf unbetontes -em oder -um, dann lautet die Diminutivendung nicht -tje, sondern -pje: raam - raampje, film - filmpje, arm - armpje, bezem - bezempje, museum - museumpje. Derartige Regeln lassen sich für alle Endungen aufstellen. Im Allgemeinen gilt, dass bei jedem Basiswort nur genau eine Endung möglich ist. So wird das Diminutiv von raam mit dem Suffix -pje gebildet: raampje. Die anderen Formen (*raamje, *raamtje, *rametje, *raamkje) sind durch die Existenz der Form raampje blockiert. Die eindeutige Verteilung der verschiedenen Allomorphe auf verschiedene Wortstämme wird als komplementäre Distribution (complementaire distributie) bezeichnet (vgl. Kap. 5.4). Allerdings gibt es auch Doppelformen wie bloempje und bloemetje oder brugje und bruggetje und Ausnahmen wie jongetje (zu jongen ‚Junge‘). Im Niederländischen ist die Diminutivbildung bei Substantiven äußerst produktiv und auch bei Adjektiven häufig; diese müssen allerdings ongeleed sein: groen - groentje, groenig - *groenigje. Im Gegensatz zum Deutschen können im Niederländischen auch andere Wortarten wie Verben, Präpositionen (P), Zahlwörter (Num), Adverbien (Adv) und Pronomen (Pron) als Basis für ein Diminutiv dienen wie in (22), was allerdings nicht sehr produktiv ist. Auch Phrasen können diminuiert werden. Die gebildeten Derivate sind jeweils Nomen. (22) [klein] A [kleintje] N kleines, junges Kind - [dut] V [dutje] N Nickerchen - [uit] P [uitje] N Ausflug - [tien] Num [tientje] N Zehn-Euro-Schein - [tussendoor] Adv [tussendoortje] N Snack - [dit] Pron en [dat] Pron [ditjes en datjes] N Allerlei - [onder ons] Phrase [onderonsje] N Gespräch unter vier Augen Im Deutschen können zwar auch Begriffe wie Blondchen oder Dummchen gebildet werden, das Verfahren ist im Deutschen aber längst nicht so produktiv. 4.2.3 Konversion Bei der Konversion (conversie) handelt es sich um einen Wortklassenwechsel (klas‐ senverhuizing). Die Veränderung des Wortes ist nicht aufgrund einer Formveränderung sichtbar, sondern lässt sich nur an den neuen grammatischen Eigenschaften des Begriffs erkennen (vgl. (23)). Die Konversion wird auch als implizite Transposition (impliciete transpositie) bezeichnet, die E-ANS geht von einer Ableitung ohne Affix aus 112 4 Wörter und ihre Struktur 28 Andere Lehrmeinungen gehen davon aus, dass ein sog. Nullaffix (nulaffix) oder Nullmorphem (nulmorfeem) -Ø angehängt wird, und sprechen aufgrund dieser Affigierung von einer nulafleiding (vgl. z. B. Booij & Van Santen 2017: 52; https: / / taalportaal.org/ taalportaal/ topic/ pid/ topic-144190554 18844162; Römer & Matzke 2010: 145-148). (vgl. E-ANS [12.3.1]). 28 Das Nomen fiets ist als Nomen erkennbar, weil es einen Artikel bei sich haben kann: een fiets, de fiets. Als Verb hat fiets andere Eigenschaften: Es kann konjugiert werden und dementsprechende Endungen aufweisen (hij fietst, wij fietsen), es kann in einem Tempus der Vergangenheit stehen (zij fietste, zij is gefietst). Von der Form her besteht aber zwischen dem Nomen fiets und dem Verb fiets kein sichtbarer Unterschied. Das Nomen, das in diesem Fall die Basis bildet, wird durch den Wechsel der Wortart zu einem neuen Wort. Das Verb entsteht bei dieser Konversion, ohne dass ein Morphem hinzugefügt wird. (23) (de) fiets N - (ik) fiets V kort A - (ik) kort V - (ik) dans V - (de) dans N rood A - (het) rood N Auch ein Adjektiv wie kort kann durch eine Konversion zu einem Verb werden: korten (kurz - kürzen). Um eine Konversion von Adjektiv zu Nomen handelt es sich bei rood (rot) zu (het) rood (das Rot). Das Verb dans (Infinitiv dansen) wiederum wird durch eine Konversion zum Nomen (de) dans. Auch im Deutschen gibt es das Verb tanz(en) und das Konvertat (der) Tanz. Neben den Verbstammkonvertaten wie dans, vloek, slaap, start etc. gibt es auch sogenannte Infinitivkonvertate: eten - het eten; lopen - het lopen. Bei der Konversion ändert sich die Form des Wortes nicht, es ändern sich aber seine grammatischen Eigenschaften. Die Veränderung ist implizit im Wort verborgen, nicht explizit sichtbar. Nur aufgrund der Funktionen, die das jeweilige Wort erfüllen kann, lässt sich entschei‐ den, um welche Wortart es sich handelt. Im Niederländischen ist die Konversion sehr produktiv und kommt auch in Fällen vor, wo dies im Deutschen nicht unbedingt möglich ist: So kann man sagen ik wil pinnen (ich will mit EC-Karte und PIN bezahlen), zij voetbalt (sie spielt Fußball), zij legoën (sie spielen mit Lego) oder hij schaatst (er läuft Schlittschuh). 4.2.4 Weitere Wortbildungsprozesse Die in den Kapiteln 4.2.1 bis 4.2.3 besprochenen Wortbildungsprozesse sind die produk‐ tiven, regelmäßigen morphologischen Prozesse, mithilfe derer neue Wörter gebildet 4.2 Wortbildung 113 werden können. Die Wortbildungsarten, die im Folgenden besprochen werden, sind im strengeren Sinne nicht ‚morphologisch‘, da sie nicht aus Morphemen kombiniert werden: Blending, Akronyme und Clipping. Außerdem wird die Reduplikation kurz vorgestellt. Beim Blending (blending) werden zwei Wörter miteinander verschmolzen, d. h. der Anfang eines Wortes A und das Ende eines Wortes B werden miteinander kombiniert; der Vorgang wird daher auch als Wortverschmelzung (woordversmelting) bezeichnet. Sogenannte Blends (blends) sind vor allem im Englischen sehr beliebt, kommen aber auch im Niederländischen und Deutschen vor: (24) smog < smoke und fog - brunch < breakfast und lunch Neben diesen Internationalismen gibt es weitere Blends: (25) botel < boot und hotel - infotainment < information und entertainment - burkini < burka und bikini Derartige Bildungen werden auch als Koffer- oder Portmanteauwort (koffer‐ woord/ portmanteauwoord) bezeichnet. Insbesondere im kreativen Sprachgebrauch werden Blends gerne verwendet. So haben die Kabarettisten und Sprachvirtuosen Kees van Kooten und Wim de Bie mit ihren Blends nachhaltig die niederländische Sprache bereichert: (26) krommunicatie < krom (krumm) und communicatie - kneukfilm < knokken (sich prüglen) und neuken (vögeln) - schrijpend < schrijnend (bitter, herb) und nijpend (grimmig) Die konkrete Form eines Blends ist nicht vorhersagbar, d. h. es gibt keine festen Regeln, wie viele Bestandteile aus dem ersten Wort und wie viele aus dem zweiten verwendet werden müssen. Jeder Blend wird auf seine eigene Art und Weise gebildet und so gibt es auch keine morphologische Begründung, warum brunch nicht breanch geworden ist. 114 4 Wörter und ihre Struktur 29 Um ‚echte‘ Abkürzungen handelt es sich bei Formen wie z.B. oder i.p.v., die zwar in der Kurzform geschrieben werden, aber immer in der Langform, also als zum Beispiel bzw. in plaats van ausgespro‐ chen werden. Im Normalfall sagt man nicht zett Be oder i-pe-ve. Bei Akronymen (acroniemen) wie in (27) handelt es sich um Kurzwörter, die landläufig unter ‚Abkürzungen‘ gefasst werden. 29 Bei Akronymen entstehen im Allgemeinen keine neuen Begriffe, sondern Dubletten: Das Kurzwort und die Langform existieren als Doppelformen nebeneinander mit der gleichen Bedeutung. (27) ARD = Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der - Bundesrepublik Deutschland - KRO =-Katholieke Radio Omroep - UvA =-Universiteit van Amsterdam - HEMA =-Hollandsche Eenheidsprijzen Maatschappij Amsterdam Bei Akronymen können die einzelnen Buchstaben getrennt ausgesprochen werden wie bei A-R-D und K-R-O; dann handelt es sich um sog. letterwoorden. Akronyme können aber auch als Wort ausgesprochen werden, wie bei ‚üfa‘ und ‚hema‘. Bei diesen Beispielen ist von jedem Wort jeweils der erste Buchstabe zur Bildung des neuen Wortes verwendet. Zur Bildung eines Akronyms können aber auch mehrere Buchstaben verwendet werden: (28) Azubi < Auszubildender - trafo < transformator - horeca < hotel, restaurant, café - holebi < homoseksueel, lesbisch, biseksueel Bei Azubi und trafo basiert die Kurzform nur auf einem Wort und ist eine Dublette zur jeweiligen Langform, Auszubildender bzw. transformator. Bei horeca liegt nicht einfach die kurze Variante des langen Wortes mit der gleichen Bedeutung vor. Der Begriff horeca steht für Gastronomie, bildet damit einen neuen Begriff und stellt keine Aneinanderreihung von Hotel, Restaurant und Kneipe dar. Dass der neue Begriff über die Summe der drei Einzelbegriffe hinausgeht, zeigt sich auch am Genus des Wortes: Obwohl alle drei ursprünglichen Begriffe het-Wörter sind, ist das Akronym ein de- Wort: de horeca. Langform und Kurzform sind hier nicht austauschbar, sondern sie bezeichnen unterschiedliche Dinge. Das Akronym holebi ist eine Art Sammelbegriff; in einem holebi-café sind Schwule, Lesben und Bisexuelle willkommen. Die Bildung von Akronymen unterliegt keinen festen Regeln, weder was die Aussprache als Wort oder in Buchstaben noch was die Anzahl der verwendeten 4.2 Wortbildung 115 Buchstaben betrifft. Untersuchungen haben gezeigt, dass in den Niederlanden häufiger die woorduitspraak vorkommt als die letteruitspraak, in Belgien wiederum wird die letteruitspraak häufiger verwendet als die woorduitspraak (vgl. Joosten 2002). Dies wird deutlich an den Kurzformen für die niederländischen und belgischen Universitäten: (29) Rijksuniversiteit Groningen: RUG ‘rüch’ - Katholieke Universiteit Brabant: KUB ‘küb’ - Rijksuniversiteit Gent: RUG ‘er-ü-che’ - Katholieke Universiteit Brussel: KUB ‘ka-ü-be’ Beim Clipping (afkapping) werden ebenfalls Kurzwörter gebildet, die als Dubletten neben der Langform existieren. Die Verkürzung erfolgt nicht über Buchstaben, sondern über die Streichung eines Teils des Wortes; meistens wird das Ende weggelassen. (30) Uni für Universität unief für universiteit (nur im BN) - Burger für Hamburger mayo für mayonaise - Bus für Omnibus bieb für bibliotheek - afko für afkorting app für application Im Gegensatz zu den Langformen handelt es sich bei den kurzen Varianten häufig um umgangssprachliche Wörter, die in der Schriftsprache eher nicht verwendet werden. Von der Bedeutung her unterscheiden sich die Wörter in der unterschiedlichen Länge aber nicht. Wie beim Blending und bei der Akronymbildung gibt es auch beim Clipping keine festen, systematischen Regeln, welcher Teil des Wortes gestrichen wird oder wie viel vom ursprünglichen Wort wegfällt. Bei der Reduplikation (reduplicatie) werden neue Worte durch Verdopplung des Ausgangswortes oder eines Teils der Basis (gedeeltelijke reduplicatie) gebildet. Häufig haben diese Begriffe einen spielerischen Charakter, wie bei kielekiele (etwa: das war knapp, um ein Haar), toi-toi-toi, balletje-balletje (Hütchenspiel), koppie-koppie (Köpfchen! ). Nur teilweise redupliziert sind Begriffe wie wipwap (Wippe) und haaibaai (Beißzange), bei denen der lautmalerische Charakter deutlich wird. In manchen Sprachen ist die Reduplikation ein sehr produktives, regelgesteuertes Verfahren, um z. B. Mehrzahl, Intensivierung oder große Mengen anzugeben. Dies gilt z. B. für das Indonesische (31) oder das Afrikaans (32, 33): (31) pohon (Baum) vs. pohon-pohon (Bäume) (32) dik (dick) vs. dik-dik (sehr dick) 116 4 Wörter und ihre Struktur 30 Die Form is ie ist eine umgangsprachliche Variante von is hij. (33) Die tak tik teen die ruit. (Der Zweig tickt gegen die Fensterscheibe) vs. Die tak tik-tik teen die ruit. (Der Zweig tickt unablässig gegen die Fensterscheibe.) (vgl. Ponelis 1993) Neologismen, d. h. kreative Neubildungen, werden mit diesem Verfahren allerdings auch im Niederländischen gerne gebildet: 30 Meisje 1: ‘Hij studeert Nederlands. En hij roeit. Hij is wel leuk.’ Meisje 2: ‘Oké … Maar is ie leuk? Of is ie leuk-leuk? ’ ‘Leuk’ betekent dat iemand aardig is, maar dat is je broertje ook. Leuk-leuk betekent dat je je kunt voorstellen dat er uiteindelijk dingen gaan gebeuren zonder onderbroek. Paulien Cornelisse, En dan nog iets (2012) Als weiteres Beispiel führt Cornelisse die Verdopplung von baan zu baan-baan an: Einen kleinen Job hat man zum Beispiel als Aushilfskraft bei einer Kita, einen richtigen im Ministerium, wo man sich dementsprechend seriös und erwachsen benehmen muss: “Ik ben gestopt als invalhulp op het kinderdagverblijf, ik werk nu bij het ministerie. Leuk, maar wel echt een baan-baan.” (Cornelisse 2012: 11-12). Wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, gibt es im Deutschen und Niederländischen neben den regelgesteuerten und systematischen Wortbildungsverfahren (Komposition, Derivation und Konversion) weitere Verfahren, neue Wörter zu bilden. Obwohl die hier besprochenen Verfahren sehr häufig verwendet werden und einen immer größeren Raum in unserem Lexikon einnehmen, werden sie traditionell nicht zum Kernbereich der Morphologie gerechnet. Dies liegt zum einen daran, dass die Bausteine, aus denen die Wörter gebildet werden, keine Morpheme sind, sondern einzelne Buchstaben oder Wortstücke etc. Zum anderen sind die Bildungen nicht systematisch und regelgesteuert und dadurch auch nicht vorhersagbar. 4.3 Flexionsmorphologie Um miteinander kommunizieren zu können, verwenden wir in der Regel nicht einzelne, unabhängige Wörter, sondern wir kombinieren Wörter miteinander, stellen sie in einen Zusammenhang und bilden Sätze. Um in Sätzen den Zusammenhang zwischen den einzelnen Wörtern deutlich machen zu können, werden die einzelnen Wörter häufig durch Endungen angepasst, sodass sie grammatische Funktionen im Satz übernehmen können. Die einzelnen Wörter het, klein, huis, staan, in, Amsterdam können zu einem Satz zusammengefügt werden: 4.3 Flexionsmorphologie 117 (34) Het kleine huis staat in Amsterdam. Das Adjektiv klein erhält die Endung -e, das Verb staan erhält die Personalendung -t. Durch die Hinzufügung der Suffixe ändert sich die lexikalische Bedeutung der Wörter nicht: Das Adjektiv behält die Bedeutung ‚klein‘, das Verb die Bedeutung ‚stehen‘. Die Endung übermittelt eine grammatische Information: Das Adjektiv gehört zu einem Substantiv in der Einzahl, das Prädikat gehört zu einem Subjekt in der Einzahl etc. Derartige Endungen, sog. Flexive oder Flexionsmorpheme (flexiemorfemen), sorgen dafür, dass Wörter an die grammatischen und syntaktischen Bedingungen angepasst werden können, sodass ein grammatisch korrekter Satz entsteht. Mit Flexiven werden also keine neuen Wörter, keine neuen Begriffe kreiert, sondern es werden die verschie‐ denen Formen eines Wortes gebildet, die gemeinsam das Paradigma (paradigma) bilden. Auf die verschiedenen Flexionskategorien beim Nomen, Adjektiv und Verb gehen wir im Folgenden näher ein. 4.3.1 Flexion bei Nomen Das Nomen oder Substantiv (zelfstandig naamwoord oder substantief) kennt im Deutschen und Niederländischen drei Flexionskategorien: Kasus, Numerus und Genus. Die lateinischen Begriffe verweisen auf den Fall, die Zahl und das Geschlecht. Das Deutsche kennt die vier Kasus (naamvallen) Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ. Die Markierung des Kasus erfolgt allerdings fast ausschließlich beim Artikel oder zugehörigen Adjektiv; nur im Genitiv und Dativ - und nur bei männlichen Wörtern - wird der Kasus auch beim Substantiv sichtbar: (35) der Mann de man die Frau de vrouw - des Mannes de man der Frau de vrouw - dem Mann(e) de man der Frau de vrouw - den Mann de man die Frau de vrouw Im Niederländischen findet eigentlich keine Unterscheidung mehr statt. Ausnahmen bilden die Pronomen, der besitzanzeigende Genitiv bei Eigennamen (Jans huis, Brams geheim) und erstarrte Ausdrücke wie de tand des tijds (der Zahn der Zeit), heden ten dage (heutzutage) oder de plek des onheils (der Ort des Unheils). Die syntaktische Funktion des Substantivs wird im Niederländischen in der Regel durch die Positionierung in Satz und mit Hilfe von Präpositionen wie van oder aan ausgedrückt. Nur bei den Pronomen wird eine klare Unterscheidung von Subjekt und Nicht-Subjekt deutlich: (36) ik - mij jij - jou hij - hem zij - haar zij - hun/ hen/ ze 118 4 Wörter und ihre Struktur 31 Wenn man die Pluralbildung mit Umlaut gesondert rechnet, ergeben sich mehr Klassen. In der Regel werden bei den Pronomen Dativ und Akkusativ nicht unterschieden, nur in der dritten Person Plural gibt es formal den Unterschied zwischen hun (ihnen) und hen (sie) (vgl. Kap. 2). Die Grammatik (wie die E-ANS) unterscheidet diese Formen zwar, die meisten Niederländischsprachigen sind sich des Unterschieds jedoch gar nicht bewusst und verwenden beide Formen häufig nebeneinander. (37) Ik zie hen. auch: Ik zie hun. - Hij geeft hun een cadeau. auch: Hij geeft hen een cadeau. - Zij overnacht bij hen. auch: Zij overnacht bij hun. Beim Numerus (getal) wird im Niederländischen wie im Deutschen eine Unterschei‐ dung von Singular (enkelvoud) und Plural (meervoud) vorgenommen. Während im Deutschen fünf Pluralklassen unterschieden werden, 31 gibt es im Niederländischen nur zwei Pluralklassen, mit den Endungen -en und -s (Tab. 4.1). Die Verwendung der Pluralendung ist im Niederländischen stark abhängig von prosodisch-rhythmischen Faktoren (vgl. Kürschner 2002, Booij & Van Santen 2017: 106-111): Nach unbetonten Silben wird -s angehängt (appels, bezems, dekens, akkers), nach betonten Silben -en (mandarijnen, bananen, honden, fietsen). Deutsche Beispiele Pluralformen Ndl. Entsprechung Löwe-n Frau-en -(e)n vrouw-en Berg-e Zähn-e (Umlaut)+ -e - Messer-ø Mütterø (Umlaut)+---ø - Kind-er Münd-er (Umlaut)+ -er kind-eren Känguruh-s - -s appel-s Tab. 4.1: Pluralklassen im Deutschen und Niederländischen Die niederländischen Pluralformen auf -en und -eren sind historisch mit den Pluralklassen auf -en und -er im Deutschen verwandt. Das Morphem -eren ist eigentlich ‚doppelt gemoppelt‘: Der Plural auf -er wurde durch die zusätzliche Verwendung des Suffixes -en verstärkt. Man spricht daher von einem Stapelsuffix (stapelsuffix). Nur eine kleine Gruppe von Wörtern bildet den Plural mit diesem Stapelsuffix. Während die Endung -s im Deutschen meist bei Lehn- und Fremdwörtern verwendet wird, kommt diese Pluralendung im Niederländischen regelmäßig bei einheimischem Wortmaterial (wie appel) vor. 4.3 Flexionsmorphologie 119 In einigen Fällen kennt auch das Niederländische unregelmäßige Pluralformen mit Umlaut stad - steden, schip - schepen oder Vokaldehnung dag - dagen, dak - daken etc. Diese Art der Pluralbildung ist nicht produktiv. Eine kleine Gruppe von Wörtern bildet zwei Pluralformen mit unterschiedlicher Bedeutung: been - benen (Beine), aber beenderen (Gebeine), blad - bladen (Blätter aus Papier), aber bladeren (Blätter am Baum, Laub) etc. In einigen Fällen (Tab. 4.2) wird im belgischen Niederländisch als Pluralmorphem -s verwendet, während im niederländischen Niederländisch -en gebräuchlich ist (vgl. De Caluwe & Devos 1998: 23 f.). - Plural im NN Plural im BN leraar leraren leraars handelaar handelaren handelaars type typen types Tab. 4.2: Unterschiedliche Pluralformen Das Deutsche unterscheidet drei Genera (geslachten): maskulinum, femininum und neutrum bzw. männlich, weiblich, sächlich. Historisch kennt auch die niederländische Sprache diese Dreiteilung in mannelijk, vrouwelijk und onzijdig. Während man im belgischen Niederländisch, insbesondere in den Dialekten, ebenfalls drei Genera un‐ terscheidet, ist im niederländischen Niederländisch die Unterscheidung von mannelijk und vrouwelijk verschwunden, zumindest bei Substantiven, die keine Person bezeich‐ nen. Hier wird nur noch zwischen de-Wort (de-woord) und het-Wort (het-woord) unterschieden, wobei die de-Wörter ein Genus commune (gemeinsames Genus) bilden: de koe (die Kuh), de os (der Ochse), het rund (das Rind). So kann man im niederländischen Niederländisch sagen: Daar staat een koe. Hij geeft melk. - ‚Dort steht eine Kuh. Er gibt Milch.‘ 4.3.2 Flexion bei Adjektiven Auch Adjektive (bijvoeglijke naamwoorden) kennen verschiedene Flexionskategorien. Während im Niederländischen und im Deutschen Adjektive bei prädikativem und adverbialem Gebrauch unflektiert bleiben (het huis is blauw; de zanger zingt mooi), wird das Adjektiv bei attributiver Verwendung in beiden Sprachen in der Regel flektiert: het blauwe huis. Die Steigerungsformen gehören ebenfalls zur Flexion. Das Deutsche kennt drei Flexionsklassen (schwache, starke und gemischte Flexion) und mehrere Adjektivendungen (-e, -er, -es, -em, -en); das attributiv verwendete Adjektiv wird in Kasus, Numerus und Genus an das Bezugswort angepasst (ein schöner Mann, schöne Frauen, dem schönen Kind etc.). Im Niederländischen gibt es nur die Endung -e oder das Adjektiv erhält keine Endung, in der Formel meist mit -Ø markiert: het kleine huis, aber een klein huis. Bei allen de-Wörtern ist die Endung -e und auch bei 120 4 Wörter und ihre Struktur 32 Zur Notation derartiger Regeln vgl. Kap. 5. het-Wörtern, die näher bestimmt sind oder im Plural stehen. Nur bei unbestimmten het-Wörtern in der Einzahl bleibt das Adjektiv unflektiert (Ø): 32 (38) [X] A → [X + -e] A - [X] A → [X + -Ø] A / [+neutrum, -Plural, -definit] In neueren Untersuchungen werden aber Tendenzen deutlich, dass sich dies ändern könnte und Adjektive in attributiver Funktion unabhängig vom Genus des Bezugswor‐ tes möglicherweise zukünftig immer flektiert werden: een mooie verhaal statt een mooi verhaal (vgl. Weerman 2003). Nach Mengenangaben wie in Hij verzint iets leuks (Er lässt sich etwas Schönes einfallen) oder Er is niets interessants op tv (Es läuft nichts Interessantes im Fernsehen) erhält das Adjektiv - vergleichbar zum Deutschen - ein -s als Flexionsendung. Die Steigerungsformen (trappen van vergelijking) ähneln sich im Niederländischen und Deutschen sehr. An die Grundform Positiv (positief/ stellende trap) wird im Komparativ (comparatief/ vergrotende trap) die Endung -er gefügt, im Superlativ (superlatief/ overtreffende trap) die Endung -st. Bei Adjektiven, deren Stamm auf -r endet, wird vor der Komparativendung noch ein -deingefügt; ein solcher Lauteinschub wird als Epenthese (epenthesis) bezeichnet: (39) groot - groter - grootst - klein - kleiner - kleinst - duur - duurder - duurst Die Endungen -er und -der für den Komparativ sind Allomorphe; man spricht hier wiederum von komplementärer Distribution (vgl. Kap. 4.2.2). 4.3.3 Flexion bei Verben Das Verb (werkwoord) kennt eine ganze Reihe von Flexionskategorien: Person (per‐ soon), Numerus (getal), Modus (wijze), Tempus (tijd, tempus), Genus verbi (genus verbi, d.h. Aktiv (actief) und Passiv (passief)), Aktionsart (aktionsart) und Aspekt (aspect). Aktionsart und Aspekt sind im Niederländischen und Deutschen keine grammatischen Kategorien, die über eindeutige Flexionsendungen oder -merkmale verfügen. Während im Englischen ein klarer Unterschied zwischen simple und progressive vorliegt, kann die progressive Form im Deutschen nur in der ‚rheinischen Verlaufsform‘ ausgedrückt 4.3 Flexionsmorphologie 121 werden, die aber nicht deutschlandweit gebräuchlich ist (und daher in (40) mit einem ? markiert ist). (40) engl.: I am reading I read - dt.: ? ich bin am lesen ich lese - ndl.: ik ben aan het lezen ik lees Im Niederländischen ist die Verlaufsform grammatisch völlig korrekt, wird aber nicht so streng wie im Englischen von der normalen Form unterschieden. In Kapitel 7 werden Aktionsart (Kap. 7.2.3) und Aspekt (Kap. 7.3.3) ausführlich behandelt. Weitere Verbformen sind die infiniten Formen: Partizip Präsens (onvoltooid deel‐ woord: dansend - tanzend), Partizip Perfekt (voltooid deelwoord: gedanst - getanzt) und der Infinitiv (infinitief/ onbepaalde wijs: dansen - tanzen). Alle Konjugationsformen bilden gemeinsam das Paradigma eines Verbs. Das Präteritum kann im Niederländischen mithilfe dreier unterschiedlicher morpho‐ logischer Prozesse ausgedrückt werden: Die produktive Variante ist die Affigierung (affigering) mit -de/ -te. Diese Formen sind regelmäßig, meist spricht man in diesem Fall von zwakke werkwoorden. Nicht mehr produktiv ist die Bildung der Vergangenheit durch einen Vokalwechsel, den sog. Ablaut (ablaut). Verben mit Ablaut werden als sterke werkwoorden bezeichnet; ihre Bildung erfolgt nach einer gewissen Systematik. Eine dritte Kategorie von Verben folgt keinem regelmäßigen Muster, sie sind onregel‐ matige werkwoorden (vgl. Salverda 2006, Klooster 2001): (41) zwak ik woon ik woonde ik heb gewoond - sterk ik neem ik nam ik heb genomen - onregelmatig ik denk ik dacht ik heb gedacht Die Basisendung des Präteritums ist die stimmhafte Form -de (im Plural -den). Endet der Stamm des Verbes jedoch auf einen stimmlosen Konsonanten, so wird die stimmlose Variante -te (im Plural -ten) angehängt (vgl. auch Kap. 5): (42) Stamm stimmhaft: ik woon ik woonde ik heb gewoond - Stamm stimmlos: ik dans ik danste ik heb gedanst Diese Angleichung erfolgt auch beim Partizip: Das Zirkumfix, das zur Bildung verwen‐ det wird, hat die Form ge- + Stamm + -d/ -t, abhängig davon, ob der Stamm auf einen stimmhaften oder stimmlosen Konsonanten endet (vgl. (42)). Im Deutschen hingegen ist die regelmäßige Endung stets die stimmlose Form -te(n): 122 4 Wörter und ihre Struktur (43) Stamm stimmhaft: ich wohne ich wohnte ich habe gewohnt - Stamm stimmlos: ich tanze ich tanzte ich habe getanzt Bei den regelmäßigen Verben ist an der expliziten Zufügung des Suffixes eindeutig zu erkennen, dass es sich bei der Vergangenheit um abgeleitete Formen handelt und die Präsensform die Grundform ist. Dies wird auf die Ablautformungen und die unregelmäßigen Verben übertragen, auch wenn hier keine Affigierung sichtbar wird (vgl. Booij & Van Santen 2017: 46 f.): (44) ongeleed blijf grijp denk ben - geleed bleef greep dacht was Die Flexionskategorien beim Verb sind wesentlich komplexer als die Flexionskatego‐ rien von Substantiv und Adjektiv und reichen bereits weit in den syntaktischen Bereich. Bei den Paradigmen in (45) passiert etwas Seltsames: (45) zijn - ben - is - wees - was - geweest - goed - beter - best - weinig - minder - minst Eigentlich müsste es doch heißen: goed - goeder - goedst und weinig - weiniger - weinigst? Im Deutschen ist diese regelmäßige Flexion beim entsprechenden Adjektiv wenig grammatisch völlig korrekt. Im Niederländischen werden statt dieser Formen zur Bildung des Komparativs und Superlativs jedoch andere Wortstämme herangezogen. Auch das Verb zijn bildet seine Formen anhand unterschiedlicher Wortstämme. Die Verwendung verschiedener Stämme zur Bildung der Wortformen, die Suppletion (suppletie), ist kein produktives Verfahren und kommt nicht sehr häufig vor. 4.4 Zusammenfassung Mithilfe morphologischer Prozesse, bei denen wir Morpheme, d. h. kleinste bedeu‐ tungstragende Elemente, auf vielfältigste Weise mitenander kombinieren, können wir unseren Wortschatz fast beliebig weit ausbauen. Produktive Verfahren sind die Kom‐ position, Derivation und Konversion. Die Zusammenstellung von freien Morphe‐ men wird als Komposition bezeichnet. Aufgrund ihrer semantischen Struktur können drei Arten unterschieden werden: Determinativkomposita, Bahuvrihi-Komposita und Kopulativkomposita. Bei der Derivation werden durch die Zufügung von Af‐ 4.4 Zusammenfassung 123 fixen neue Wörter gebildet; abhängig von der Position des Affixes unterscheidet man Präfixe, Suffixe und Zirkumfixe. Bei der Konversion liegt ein Wortklassenwechsel ohne Zufügung eines Morphems vor. Weniger systematisch und regelgesteuert, aber dennoch häufig vorkommend sind die verschiedenen Arten der Kurzwortbildung: Blending, Clipping und Akronymisierung sowie Reduplikation. Bei der Flexion von Wörtern werden Affixe hinzugefügt, ohne dass neue Wörter entstehen. Die verschiedenen Endungen liefern vielmehr unterschiedliche grammati‐ sche Informationen und bilden ein Paradigma. So wird ein Zusammenhang zwischen einzelnen Wörtern hergestellt und können Wörter eine bestimmte Funktion im Satz übernehmen. Die Flexion bildet eine Verbindung zwischen der Morphologie auf der einen und der Syntax auf der anderen Seite. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Ermitteln Sie in den folgenden Begriffen die einzelnen Morpheme und geben Sie mit Hilfe von eckigen Klammern die Struktur (inklusive der jeweiligen Wortart) der folgenden Begriffe an: windkracht, leefbaar, warmte, lezer, water, bootverhuur, begroening, moederdagtaart, afstandsbediening, versterker, onnatuurlijkheid Bsp.: versmelting [[ver- + [smelt] V ] V + -ing] N - Welches Problem ergibt sich beim letzten Begriff ? Wie lässt es sich lösen (vgl. Booij & Van Santen 2017: 84)? 2. Vergleichen Sie die nachstehenden Begriffe: bestuurder hoorder taalleerder loper lezer ondernemer a. Mit welchen Suffixen kann man ein Nomen agentis bilden? Wie bezeichnet man solche Formvarianten? Die Formvarianten stehen in komplementärer Distribution zueinander. Erläutern Sie dieses Phänomen. b. Sind diese Suffixe produktiv? Erläutern Sie Ihre Antwort mit Beispielen. c. Inwiefern sind die Bildungen doender, tuinder, diender Ausnahmen zur bestehenden Regel? d. Inwiefern weicht clubtopscorer (s. Kasten) von dieser Regel ab? Wie müsste das Wort heißen? Wie lässt sich die Form erklären? Wie was de clubtopscorer van Feyenoord in het eredivisieseizoen 1998-1999? Scheurkalender Professor Feyenoord, 15.01.2022 3. Lesen Sie den Textauszug aus der niederländischen Zeitung de Volkskrant (vom 8. Juni 2011) im nachstehenden Kasten. Es kommen drei Komposita vor: commis‐ 124 4 Wörter und ihre Struktur a. een kleine kat de jonge honden b. grote landen de grootte van het land c. De baby lacht. De baby is aan het lachen. siestiekem, Oranje-kwestie und buitenwereld. Wie sind diese Komposita aufgebaut? Welches Element bildet jeweils den Kopf der Komposition? Was fällt dabei auf ? Werd de commissie-stiekem misbruikt voor de Oranje-kwestie? Spannende gesprekken over geheime zaken die voor de buitenwereld verbor‐ gen moeten blijven. Dat is het beeld dat de commissie-stiekem oproept. Wat doet die commissie en hoe geheim zijn de zaken die daar worden besproken? 4. Analysieren Sie die folgenden Begriffe morphologisch: vis, winkel, douche, hamer, loop, gek, wit. Handelt es sich um gelede oder ongelede Wörter? Wenn es sich um eine Konversion handelt, wie verläuft dann der Wortklassenwechsel? Bsp.: fiets de fiets ik fiets [fiets] N > [fiets] V Wie kann man argumentieren, dass der Wortklassenwechsel derartig verläuft? Vergleichen Sie dazu die Ausführungen in Booij & Van Santen 2017 (S.-52-55). 5. Welche grammatischen Morpheme kommen in den folgenden Beispielen vor, welche Morpheme liefern inhaltlich-lexikalische Information? Wie lässt sich die unterschiedliche Schreibweise von grote und grootte in b. erklären? Worin besteht in c. der Unterschied zwischen den angegebenen Varianten? 6. In seiner Grammatik Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Neder‐ duitsche sprake (vgl. Kap. 2, Aufgabe 6; der Text ist frei verfügbar über die dbnl) widmet sich Ten Kate auf den Seiten 336 ff. der Flexion von Adjektiven. a. Welche drei Stile unterscheidet Ten Kate für das Deklinieren (declineren) und wie umschreibt er diese Stile (Ten Kate 1723: 334)? b. Ten Kate nimmt als Ausgangspunkt für die Deklination Wortgruppen mit bestimmtem, mit unbestimmtem und ohne Artikel und unterscheidet männ‐ liche, weibliche und sächliche Bezugswörter. Erstellen Sie anhand von Ten Kates Ausführungen eine Übersicht zur Deklination von Adjektiven gemäß der drei von ihm unterschiedenen Stile. c. Vergleichen Sie die von Ihnen ermittelten Formen von Ten Kate. Was fällt beim Vergleich der Formen der drei Stile auf ? d. Erstellen Sie eine vergleichbare Übersicht der Deklination anhand der Aus‐ führungen von Petrus Weiland in seiner Nederduitsche Spraakkunst aus dem Jahr 1805 (dort die §§ 204-206; die Grammatik ist ebenfalls über die dbnl frei verfügbar). e. Was fällt beim direkten Vergleich der Deklination nach Ten Kate und nach Weiland auf ? Welche Formen stehen den modernen Formen am nächsten? Aufgaben 125 Die Flexionsregeln für das moderne Niederändisch finden Sie z. B. in der E-ANS (https: / / e-ans.ivdnt.org/ [6.3.1.2] Attributief gebruik van adjectieven). 7. Die Zeitschrift Onze taal greift am 06.06.2013 einen Artikel aus dem UniSpiegel auf: Duitse universiteit wil enkel nog vrouwelijke functieaanduidingen ‘Professorin, Wissenschaftlerin, Doktorandin’ - in de reglementen van de universiteit van Leipzig wordt voortaan bij alle universitaire functiebenamin‐ gen voor de vrouwelijke vorm daarvan gekozen. Het besluit wordt niet door iedereen gewaardeerd, maar de universiteit ‘kent een traditie van grenzen overschrijden en op een provocerende manier problemen aankaarten’, aldus rectrix magnifica Beate Schücking. a. Wie werden im Niederländischen weibliche Berufsbezeichnungen gebildet? Im Deutschen ist die Endung -in überaus produktiv (Lehrer - Lehrerin); im Niederländischen gibt es diese Endung zwar auch (boer - boerin), sie ist aber wesentlich weniger produktiv. Welche Endungen werden im Niederlän‐ dischen überhaupt verwendet? Welche Endungen sind produktiv? Gibt es weitere Verfahren? Ziehen Sie Booij 2019 (S. 101) zu Rate. b. Die Taalunie gibt auf ihrer Webseite taaladvies.net Ratschläge zur Verwen‐ dung von Funktionsbezeichnungen. Besuchen Sie die Seite und suchen Sie nach ‘vrouwelijke beroepsnamen’. Welche fünf Optionen gibt taaladvies.net an? Und welche Möglichkeiten werden angeführt, um Männer und Frauen sprachlich möglichst gleichzustellen? c. Führen Sie im Internet oder in einer niederländischsprachigen Zeitung eine kleine empirische Analyse zur Verwendung weiblicher Funktionsbezeich‐ nungen durch: Welche Formen finden Sie? Welche sind häufig vertreten, welche kommen nur selten vor? In welchen Kontexten werden die Formen jeweils verwendet? Sie können sich bei der Suche an Bezeichnungen aus dem folgenden Aufsatz orientieren: Neurologe of liever neuroloog. Het effect van vrouwelijke functiebenamingen op de geloofwaardigheid van medisch specia‐ listen von Eva de Cocq und Theresa Redl in Tijdschrift voor Taalbeheersing, 43/ 1, 2021, 35-63. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Das Standardwerk zur Morphologie des Niederländischen mit umfassenden Informatio‐ nen und Übungsaufgaben ist Morfologie. De woordstructuur van het Nederlands von Booij & Van Santen (2017). Auf Englisch und ebenfalls sehr informativ ist The Morphology of Dutch von Booij (2019). Eine niederländischsprachige Einführung ist von Smessaert (2010) Morfologie van het Nederlands. Een inleiding, erweitert und aktualisiert in der 126 4 Wörter und ihre Struktur Ausgabe von 2019 Morfologie en syntaxis (Smessaert et al.). Ein sehr übersichtliches, gut lesbares Werk zur deutschen Morphologie ist von Donalies (2011) Basiswissen Deutsche Wortbildung. Auch in den digitalen Grammatiken (E-ANS und taalportaal.or g) gibt es nützliche und wissenschaftlich fundierte Informationen zur Wortbildung im Niederländischen. Literatur zum Weiterlesen 127 5 Laute und ihre Systeme Ingeborg Harmes Wenn wir eine unbekannte Sprache hören, nehmen wir eine Klangreihe wahr, die sich wie Kauderwelsch anhört. Mit dem niederländischen Satz kooputook können z. B. Spanischsprechende wenig anfangen, denn die einzelnen Wörter und Laute kann man erst unterscheiden, wenn man die Sprache einigermaßen kennt. Dann ist es möglich, die vier Wörter ik hoop het ook zu erkennen und den Sinn der Mitteilung zu verstehen. 6. Laute und ihre Systeme Ingeborg Harmes Wenn wir eine unbekannte Sprache hören, nehmen wir eine Klangreihe wahr, die sich wie Kauderwelsch anhört. Mit dem niederländischen Satz kooputook kann z.B. ein Spanischsprechender wenig anfangen, denn die einzelnen Wörter und Laute kann man erst unterscheiden, wenn man die Sprache einigermaßen kennt. Dann ist es möglich, die vier Wörter ik hoop het ook zu erkennen und den Sinn der Mitteilung zu verstehen. Abb. 6.1: kooputook? Die Artikulation des spontan gesprochenen Niederländischen ist generell etwas lässig, wie beispielsweise kweenie (ik weet het niet) und tuulik (natuurlijk) zeigen. Niederländisch hört sich ohnehin für viele Sprecher des Deutschen etwas 'merkwürdig' an. Denn im Vergleich zum Deutschen werden nicht nur die Wörter 'lässiger' ausgesprochen, bestimmte niederländische Laute sind auch deutlich häufiger vertreten, weshalb das Niederländische auch gelegentlich als 'Halskrankheit' oder 'kratzig' beschrieben wird. So auch in Der Koch (2010) von Martin Suter: "Und während Van Genderen in seinem gurgelnden Holländerdeutsch auf ihn einsprach…". Jeder kann sich vorstellen, was mit der Beschreibung 'gurgelnd' gemeint ist, aber die Beschreibung ist natürlich nicht sehr genau. Von einer wissenschaftlichen Beschreibung werden allerdings Genauigkeit und Eindeutigkeit erwartet. Die Phonetik (fonetiek) ist die Wissenschaft, die sich mit der präzisen Beschreibung der menschlichen Sprachlaute befasst. Ein Sprachlaut oder Phon (spraakklank oder foon) ist eine konkrete und messbare Einheit. Abb. 5.1: kooputook? Das gesprochene Niederländische hört sich für viele Sprecher: innen des Deutschen ‚nett‘ an. Denn im Vergleich zum Deutschen werden Wörter und Sätze eher ‚lässig‘ ausgesprochen, wie der Satz kooputook zeigt. Hinzu kommt, dass bestimmte nieder‐ ländische Laute wie das g und das sch markanter sind, weshalb das Niederländische gelegentlich als ‚Halskrankheit‘ oder ‚kratzig‘ beschrieben wird. So auch in Der Koch (2010) von Martin Suter: „Und während Van Genderen in seinem gurgelnden Hollän‐ derdeutsch auf ihn einsprach …“. Jeder kann sich vorstellen, was mit der Beschreibung ‚gurgelnd‘ gemeint ist, aber die Beschreibung ist natürlich nicht sehr genau. Von einer wissenschaftlichen Beschreibung werden allerdings Genauigkeit und Eindeutigkeit erwartet. Die Phonetik (fonetiek) ist die Wissenschaft, die sich mit der präzisen Beschrei‐ bung der menschlichen Sprachlaute befasst. Ein Sprachlaut oder Phon (spraak‐ klank oder foon) ist eine konkrete und messbare Einheit. Das Gebiet der Phonetik ist breit und lässt sich in drei Bereiche unterteilen: ● Die artikulatorische Phonetik (articulatorische fonetiek) beschäftigt sich mit den physiologischen Eigenschaften bei der Lautproduktion. ● Die akustische Phonetik (akoestische fonetiek) beschäftigt sich mit Lauten als physikalischem Phänomen und untersucht die Eigenschaften der Schallwellen. ● Die auditive Phonetik (auditorische oder perceptieve fonetiek) beschäftigt sich mit der Perzeption der Laute beim Hören und untersucht, wie Hörer: innen Laute wahrnehmen. Dieses Kapitel befasst sich mit der artikulatorischen Phonetik der niederländischen Laute und der systematischen Beschreibung des niederländischen Lautinventars. 5.1 Das phonetische Alphabet Obwohl Sprache oft mit lesen und schreiben, also mit ihrer schriftlichen Form, in Ver‐ bindung gebracht wird, ist die Schreibung kein wesentlicher Bestandteil der Sprache. Kinder sprechen und beherrschen eine oder mehrere Sprache(n), bevor sie die Sprache lesen oder schreiben können. Es gibt sogar Sprachen ohne schriftliche Tradition. Man kann es mit Musik vergleichen: Es ist nicht notwendig, Noten lesen zu können, um Musik zu machen oder ein Lied zu singen. Hinzu kommt, dass die schriftliche Form in der Regel nicht eins zu eins mit den Sprachlauten korrespondiert. Wenn wir die Wörter hemelbed oder verleden lesen, sehen wir jeweils dreimal den Buchstaben e. Wenn aber die niederländischen Wörter für Himmelbett und Vergangenheit ausgesprochen werden, hören wir sofort, dass die drei e-Laute jeweils unterschiedlich klingen. Ähnliches passiert bei den Wörtern ijs, bijzonder und heerlijk: Dreimal sehen wir die Buchstabenkombination ij, die sich jedoch in allen drei Wörtern anders anhört. Auch auf Satzebene sprechen wir normalerweise nicht so, wie wir schreiben, wie das Beispiel in Abbildung 5.1 zeigt. Die konventionelle Rechtschreibung oder Orthografie (spel‐ ling/ ortografie) ist daher nicht geeignet, um sprachliche Laute naturgetreu abzubilden. Wir brauchen demzufolge eine Notation, die in der Lage ist, diese Anforderungen zu erfüllen. Das Internationale Phonetische Alphabet (IPA) wurde speziell entwickelt, um Laute zu notieren und die Laute aller Sprachen eindeutig zu repräsentieren. Das IPA ist eine offene Liste, der theoretisch immer neue Laute hinzugefügt werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Deutsche oder Niederländische einen neuen Laut 130 5 Laute und ihre Systeme 33 Die beiden standardsprachlichen Varianten [r] und [ʀ] stehen für das Zungenspitzen-r bzw. das Zäpfchen-r. Die Laute [ʧ], [ʤ], [ʒ] und [ɡ] kommen nur in Lehnwörtern vor. entwickelt, der nicht auf Kontakt mit einer anderen Sprache zurückgeführt werden kann, ist allerdings gering. Der Großteil der Sprachen der Welt ist bis heute noch gar nicht dokumentiert. Ohne Zweifel gibt es noch mögliche Sprachlaute, die bislang im IPA noch nicht abgedeckt sind. Daher ist es sinnvoll, die Liste für Erweiterungen offen zu lassen. Phonetische Zeichen werden konventionell zwischen eckigen Klammern geschrie‐ ben, so wird der erste Laut im Wort been als [b] notiert. Dem gegenüber werden orthografische Zeichen oder Grapheme (grafemen) zwischen spitzen Klammern notiert, z. B. der zweite Laut im Wort been, das sogenannte ‚lange e‘, ist hier als <ee> notiert. Wie die Rechtschreibung unterliegt auch der Gebrauch phonetischer Zeichen Konventionen, weshalb Unterschiede immer wieder vorkommen können. Tabelle 5.1 zeigt die phonetischen Symbole der wichtigsten niederländischen Laute: Konsonanten Vokale und Diphthonge b been d das ʤ jungle ɡ goal i tien u poel p pijn t tas ʧ chillen k kool ɪ tin ɔ pol v over z zijn ʒ genre ɣ geel e teen o pool f fijn s sap ʃ sjaal χ nacht εi pijn ɑu Paul ʋ wijn r riet j jas ʀ riet ε pen ɑ pal w ruw l lier ɲ oranje h huis y puur a paal m mijn n nier - - ŋ ring ʏ put - - - - - - - - - - ø deuk - - - - - - - - - - œy duik - - Tab. 5.1: Die Laute des Niederländischen in der IPA-Notation 33 Das Notieren von Sprache in IPA nennt man transkribieren (transcriberen) (wörtl. ‚umschreiben‘). Ziel einer Transkription ist, die Aussprache so genau wie möglich wiederzugeben. Außer für die Wissenschaft ist die Transkription auch für den Fremd‐ sprachenunterricht sowie für Wörterbücher von großem Nutzen. Denn man kann mit einer Transkription zum Beispiel eindeutig angeben, dass magisch auf Niederländisch als [maɣis] ausgesprochen wird und auf Deutsch als [maːɡɪʃ]. 5.1 Das phonetische Alphabet 131 5.2 Laute beschreiben Je lippen liggen op elkaar en dan laat een bobbel adem ze openbarsten. Joke van Leeuwen, Waarom een buitenboordmotor eenzaam is (2015) Um sinnvoll über Laute (klanken) sprechen zu können, ist es notwendig, die Laute, die man beim Sprechen produziert, eindeutig und präzise zu beschreiben. Zunächst unterscheiden wir zwei Kategorien von Lauten: Vokale (vocalen/ klinkers) und Di‐ phthonge (diftongen/ tweeklanken) sowie Konsonanten (consonanten/ medeklinkers). Die beiden Kategorien unterscheiden sich in der Art der Produktion: Vokale sind Laute, bei denen der Luftstrom sich frei durch den Mund-Rachenraum hinaus bewegen kann, bei den Konsonanten dagegen wird der Luftstrom ganz oder teilweise durch einen Verschluss oder eine Verengung im Mund-Rachenraum ‚gestört‘. Deutlich zeigt sich das z. B. daran, dass man alle Vokale singen kann, der Versuch, ein [p], [t] oder [k] zu singen, muss zwangsläufig scheitern. Konsonanten und Vokale werden anhand unterschiedlicher Kriterien beschrieben. Wir fangen mit der Beschreibung der Konsonanten an. 5.2.1 Konsonanten Wenn wir einen Konsonanten eindeutig beschreiben wollen, benutzen wir drei ver‐ schiedene Parameter: ● Artikulationsort (plaats van articulatie): An welcher Stelle im Mund-Rachenraum werden Laute produziert? ● Artikulationsart (wijze van articulatie): Wie wird die Luft beim Herausströmen gestört? ● Stimmhaftigkeit (stemhebbendheid): Schwingen die Stimmbänder mit oder nicht? Versuchen Sie einmal ein [b] oder [m] auszusprechen. Bei beiden Lauten werden die Lippen aufeinandergepresst und wird so der Luftstrom unterbrochen. Bei der Aussprache von [k] und [ŋ] drücken wir den Zungenrücken gegen den weichen Gaumen. Mit unseren Sprechorganen gelingt es uns, viele unterschiedliche Laute zu produzieren. Sie sind die Basis für die Beschreibung des ersten Parameters und sind in Abbildung 5.2 mit den deutschen und niederländischen Bezeichnungen dargestellt. 132 5 Laute und ihre Systeme 34 In Flandern wird das <w> eher bilabial, wie in ruw (in IPA mit [w] notiert), ausgesprochen. In Suriname ist das bilabiale [w] noch stärker ausgeprägt. 35 Streng genommen hat das Niederländische keine Dentale, oft werden allerdings Laute, die mithilfe der Schneidezähne produziert werden, wie z. B. [d] und [t], als Dentale bezeichnet. Abb. 5.2: Sprechorgane (nach Neijt 1991) Fangen wir bei den Lippen (lat. labiae) an: Um die Laute [b], [p] und [m] zu produzie‐ ren, müssen sich beide Lippen berühren. Dementsprechend heißen diese drei Laute Bilabiale (bilabialen). Weitere Konsonanten, die wir mit den Lippen bilden, sind [v], [f] und [ʋ]: 34 Bei der Lautproduktion berührt die Unterlippe die oberen Schneidezähne (lat. dentes), weshalb sie Labiodentale (labiodentalen) genannt werden. Zusammen bilden diese Laute die Lautklasse der Labialen (labialen). Dentale (dentalen) sind Laute, die mit den Schneidezähnen und der Zungenspitze produziert werden, wie z. B. die englischen th-Laute. 35 Die nächste Stelle ist der Zahndamm (lat. alveolus), eine Rundung zwischen den Zähnen und dem harten Gaumen. Um [d], [t], [s], [z], [n], [l] und das Zungenspitzen-r [r] zu produzieren, hebt sich die Zungenspitze (lat. apex) zum Zahndamm. Diese Laute sind die Alveolaren (alveolaren). Die nächste Gruppe sind die Postalveolare (postalveolaren) [ɲ], [ʃ], [ʒ], [ʧ] und [ʤ], sie werden direkt hinter dem Zahndamm artikuliert. Bei der Produktion des [j] bewegt sich der Zungenrücken (lat. dorsum) in Richtung des harten Gaumens (lat. palatum), weshalb diese Lautklasse Palatale (palatalen) heißt. Hinten im Mundraum werden die Laute [ɡ], [k], [ɣ] und [ŋ], gebildet, wobei der hintere Teil der Zunge den weichen Gaumen (lat. velum) berührt. Sie werden Velare (velaren) genannt. Die Laute [χ] und [ʀ] - das Zäpfchen-r - werden am 5.2 Laute beschreiben 133 Zäpfchen (lat. uvula) produziert und heißen deshalb Uvulare (uvularen). Die velaren und uvularen Laute zusammen nennt man auch Dorsale (dorsalen). Die Glottale (glottalen) schließlich werden in der Stimmritze (lat. glottis) erzeugt. Außer dem [h] wird in der Stimmritze der sog. Knacklaut oder Glottisschlag (glottisslag) produziert, der mit dem IPA-Symbol [ʔ] wiedergegeben wird. Für diesen Laut besteht in unserem Alphabet kein Zeichen, aber wir können den Glottisschlag deutlich wahrnehmen, z. B. zwischen den ersten zwei Silben in der deutschen Aussprache von Theater [teʔatə]. Im Niederländischen kommt der Glottisschlag nicht so oft vor, wie die Aussprache [tejatər] zeigt. Dennoch wird der Glottisschlag manchmal produziert, wie in geamuseerd [χəʔamyzert]. Der zweite Parameter beschreibt, auf welche Art und Weise die Luft an einer Verengung oder Konstriktion (constrictie) im Mund-Rachenraum vorbeiströmt. Nach dieser Kategorisierung gibt es die folgenden Lautklassen: ● Bei der Artikulation der Plosive (plosieven oder plofklanken) strömt die Luft durch die Stimmritzen in den Mund-Rachenraum und wird dort zuerst komplett verschlossen, dann auf einmal ausgestoßen. Die Plosive sind: [p], [t], [k], [b], [d], [ɡ] sowie der Glottisschlag [ʔ]. ● Frikative (fricatieven oder wrijfklanken) werden produziert, indem die Luft an einer Verengung im Mund-Rachenraum vorbeiströmen muss und dabei ein kontinuierlich hörbares Rauschen entsteht, wie z. B. ein Zischen oder Hauchen. Im Gegensatz zu Plosiven kann der Luftstrom den Mundraum ununterbrochen verlassen. Die Frikative sind: [f], [v], [s], [z], [ʃ], [ʒ], [ɣ], [χ] und [h]. Die Laute [ʧ] und [ʤ] sind Affrikaten (affricaten): eine Kombination aus einem Plosiv und einem darauf folgenden Frikativ, die an ungefähr der gleichen Artikulationsstelle gebildet werden. ● Bei der Produktion der Liquidae (liquidae oder vloeiklanken) fließt die Luft mit geringer Verengung aus dem Mund-Rachenraum heraus. Zwei Laute dieser Laut‐ klasse sind [r] und [ʀ]. Im ersten Fall berührt die Zunge mehrmals den Zahndamm, im zweiten Fall berührt der Zungenrücken das Zäpfchen. Das mehrmalige Berüh‐ ren wird mit dem englischen Wort Trill (trill) bezeichnet. Bei Lateralen (lateralen) strömt die Luft auf beiden Seiten der Zunge aus dem Mund heraus, wie bei der Aussprache eines [l]. Im Gegensatz zum Deutschen wird das niederländische [l] oft weiter hinten am Gaumen gebildet. ● Die Nasale (nasalen oder neusklanken) werden produziert, indem ein Verschluss im Mundraum gebildet wird und die Luft durch die Nasenhöhlen herausströmt. Daher ist es auch nicht möglich, die Laute [m], [n], [ŋ] und [ɲ] auszusprechen, wenn wir die Nase zuhalten. ● Gleitlaute oder Halbvokale (glijklanken oder halfklinkers) sind eine besondere Klasse der Konsonanten, denn die Luft kann durch die geringe Verengung fast ungehindert herausströmen. Diese Eigenschaft haben sie mit den Vokalen gemein‐ sam. Dennoch sind sie nicht mit Vokalen gleichzusetzen, denn wenn wir versuchen, die Gleitlaute [j], [ʋ] und [w] zu singen, entsteht ein hörbares Rauschen, was 134 5 Laute und ihre Systeme beim Singen von Vokalen nicht geschieht. Auch ihre Rolle in der Sprache ist anders: Im Niederländischen können diese Laute nie zwischen zwei Konsonanten vorkommen: beter ist möglich, bwter jedoch nicht. Plosive, Frikative und Affrikate zusammen bilden die Lautklasse der Obstruenten (obstruenten): Sie haben als gemeinsame Eigenschaft, dass der Luftstrom nicht unge‐ hindert den Mundraum verlassen kann. Die anderen Laute bilden die Lautklasse der Sonoranten (sonoranten): Die Luft kann ungehindert herausströmen und resonieren. Zu den Sonoranten gehören die Liquidae, die Nasale, die Gleitlaute sowie die Vokale. Laterale und Halbvokale zusammen werden auch Approximanten (approximanten) genannt, weil sich hierbei zwei Sprechorgane einander annähern (‚approximieren‘). Der dritte Parameter bei der Beschreibung von Konsonanten ist die Stimmhaftigkeit, bei der es darum geht, ob die Stimmbänder mitschwingen oder nicht. Wenn die Luft aus den Lungen Richtung Mundraum strömt, kommt sie an den Stimmbändern vorbei. Zwei Szenarien können sich jetzt abspielen: Die Stimmbänder öffnen und schließen sich abwechselnd innerhalb kürzester Zeit und die Luft kommt zum Schwingen. In diesem Fall sind die Laute stimmhaft (stemhebbend). Oder die Luft strömt frei durch die geöffnete Stimmritze, dann werden die Laute stimmlos (stemloos) produziert. Wir können das einfach kontrollieren, indem wir die Hand an den Kehlkopf legen und die Laute [z] und [s] oder [v] und [f] abwechselnd aussprechen. Wenn wir eine Vibration spüren, ist der Laut stimmhaft, wenn wir keine spüren, ist der Laut stimmlos. Für Sonoranten ist der Parameter Stimmhaftigkeit fest auf stimmhaft gesetzt, lediglich die Obstruenten können im Niederländischen stimmhaft und stimmlos realisiert werden. Die artikulatorischen Merkmale der Konsonanten fassen wir in Tabelle 5.2 zusammen. 5.2 Laute beschreiben 135 Artikulationsart Artikulationsort bilabial/ labiodental alveolar postalveolar/ palatal velar/ uvular/ glottal Plosiv - - - - stimmhaft [b] been [d] das [ʤ] jungle [ɡ] goal stimmlos [p] pijn [t] tas [ʧ] chillen [k] kool Frikativ - - - - stimmhaft [v] over [z] zijn [ʒ] genre [ɣ] geel stimmlos [f] fijn [s] sap [ʃ] sjaal [χ] nacht - - - - [h] huis Liquida - - - - Trill - [r] riet - [ʀ] riet Lateral - [l] lier - - Halbvokal - - - - - [ʋ] wijn - [j] jas - - [w] ruw - - - Nasal - - - - - [m] mijn [n] nier [ɲ] oranje [ŋ] ring Tab. 5.2: Eigenschaften von Konsonanten Mit den drei Parametern Artikulationsort, Artikulationsart und Stimmhaftigkeit kann man jeden Konsonanten eindeutig und präzise beschreiben, denn die Beschreibung ‚alveolarer stimmloser Frikativ‘ entspricht nur dem Laut [s] und ‚bilabialer stimmhafter Nasal‘ nur dem Laut [m]. 5.2.2 Vokale und Diphthonge Für die Beschreibung der Vokale verwenden wir ebenso drei Parameter: ● Artikulationsort (plaats van articulatie): An welcher Stelle im Mund (vorne - zentral - hinten) werden die Vokale produ‐ ziert? ● Öffnungsgrad (openingsgraad): Wo befindet sich die Zunge (hoch - mittel - tief) während der Artikulation? ● Lippenrundung (ronding): Sind die Lippen gerundet oder nicht? 136 5 Laute und ihre Systeme 36 Der Artikulationsort (und in geringerem Maße der Öffnungsgrad) ist bei Vokalen nicht einfach festzulegen, weshalb in der Literatur unterschiedliche Kategorisierungen vorkommen. 37 Vokale mit Lippenrundung werden auch als ‚ungespreizt‘, Vokale ohne Lippenrundung als ‚gespreizt‘ beschrieben. Bei der Produktion von Vokalen kann die Luft frei durch den Mund-Rachenraum her‐ ausströmen, daher sind alle Vokale Sonoranten. Die Unterschiede bei der Artikulation ergeben sich hauptsächlich aus der Position der Zunge, die sowohl den Artikulationsort als auch den Öffnungsgrad mitbestimmt und die den Mundraum in unterschiedliche Formen bringt. Das merken wir, wenn wir ein [i] und ein [ɑ] hintereinander sprechen: Im ersten Fall spüren wir, dass die Zunge sich nach vorne hebt, im zweiten Fall senkt sie sich nach hinten ab. In der Mitte dieser beiden Extreme wird das Schwa (sjwa oder stomme e) produziert, das mit dem IPA-Symbol [ə] wiedergegeben wird. Im Niederländischen und Deutschen kommt das Schwa nur in unbetonten Silben vor, wie z. B. in lopen, vijftig und bedanken. Der erste Beschreibungsparameter ist der Artikulationsort: 36 die Stelle im Mund-Ra‐ chenraum, an der der Zungenrücken sich anhebt. Bei der Artikulation eines [i], [ɪ], [y], [ø], [e] oder [ε] hebt sich die Zunge vorne im Mundraum zum Gaumen. Diese Vokale werden vordere Vokale oder Vorderzungenvokale (voorklinkers) genannt. Um ein [u], [ɔ], [o] oder [ɑ] zu bilden, bewegt sich die Zunge nach hinten, diese Vokale werden hintere Vokale oder Hinterzungenvokale (achterklinkers) genannt. Die Vokale [ʏ], [ə] und [a], die zentral im Mundraum produziert werden, werden häufig mittlere bzw. zentrale Vokale oder Mittelzungenvokale (middenklinkers) genannt. Der zweite Parameter, der Öffnungsgrad, ergibt sich aus der Position der Zunge und des Unterkiefers. Wenn sich der Zungenrücken in Richtung des Gaumens hebt, wie bei der Bildung von [i], [y] und [u], wird der Raum, durch den die Luft herausfließen kann, verengt. Diese hohen Vokale (hoge klinkers) werden deshalb auch geschlossene (gesloten) Vokale genannt. Die tiefen Vokale (lage klinkers) [ɑ] und [a] werden mit einer tief positionierten Zunge gebildet, der Öffnungsgrad ist dementsprechend größer. Deshalb werden diese Vokale auch offene Vokale (open klinkers) genannt. Bei der letzten Gruppe der Vokale nimmt der Zungenrücken eine Mittelposition ein. Das Schwa [ə] ist allerdings der einzige Vokal, der wirklich in der Mitte des Artikulationsraumes artikuliert wird, daher werden die Vokale [ɪ], [e], [ø] und [ʏ] als halbgeschlossene Vokale (halfgesloten klinkers) kategorisiert, und die Vokale [ε] und [ɔ] als halboffene Vokale (halfopen klinkers). Der dritte Parameter betrifft die Form der Lippen, sie können gerundet (gerond) sein und so den Weg der herausströmenden Luft verlängern oder ungerundet (ongerond). Die Vokale mit Lippenrundung sind [y], [ʏ], [ø], [u], [ɔ] und [o], die übrigen Vokale werden ohne Lippenrundung 37 artikuliert. Die artikulatorischen Merkmale der einfachen Vokale oder Monophthonge (mono‐ ftongen) lassen sich wie in Tabelle 5.3 zusammenfassen: 5.2 Laute beschreiben 137 38 Das Merkmal Vokallänge ist nicht nur ein quantitatives Merkmal, es steht auch in Zusammenhang mit der Vokalqualität (d. h. mit dem Artikualtionsort, dem Öffnungsgrad und der Lippenrundung). Öffnungs‐ grad Artikulationsort ungerundet gerundet ungerundet gerundet ungerundet gerundet vorne zentral hinten hoch [i] tien [y] puur - - - [u] poel halbgeschlossen [ɪ] tin - - [ʏ] put - [o] pool - [e] teen [ø] deuk - - - - mittel - - [ə] je - - - halboffen [ε] pen - - - - [ɔ] bol - - - - - - - tief - - [a] paal - [ɑ] pal - Tab. 5.3: Eigenschaften von Vokalen Neben den einfachen Vokalen kennt das Lautinventar der niederländischen Standard‐ sprache drei Diphthonge (diftongen/ tweeklanken), nämlich das [εi] wie in mei und mijn, das [ɑu] wie in bouw und klauw und das [œy] wie in beschuit met muisjes. Artikulatorisch gesehen besteht ein Diphthong aus zwei unmittelbar aufeinander folgenden Vokalen. Der jeweils erste Vokal ist vom Öffnungsgrad her ein tiefer Vokal, der allmählich steigt. Anders formuliert: Diphthonge sind offene Vokale, die sich allmählich schließen. In den Niederlanden kann man zurzeit beobachten, dass die drei Diphthonge weiter geöffnet artikuliert werden, wie maai statt mij, baau statt bouw und beschaut statt beschuit. Zugleich tendieren auch die einfachen Vokale [e], [ø] und [o] zur Diphthongierung, wie zeej statt zee, beuj statt beu und zoow statt zo. Diese Tendenz findet man allerdings nur in den Niederlanden und nicht in Flandern (vgl. Kap. 9). Außer den drei Parametern Artikulationsort, Öffnungsgrad und Lippenrundung gibt es weitere Merkmale für die Beschreibung von Vokalen. Eines dieser sog. sekundären Merkmale soll hier kurz besprochen werden, nämlich die Vokallänge. 38 Das Niederlän‐ dische und das Deutsche unterscheiden grundsätzlich zwischen langen und kurzen Vokalen, wie in den Wortparen maan - man, boot - bot und veel - vel. Die Diphthonge ei/ ij, ou/ au und ui in Wörtern wie mei, mij, jou, blauw und tuin zählt man ebenso zu den langen Vokalen. In einer Transkription können lange einfache Vokale mit dem IPA-Symbol [ː] wiedergegeben werden, wie [eː] oder [oː]. Im Deutschen ist das Merkmal Vokallänge ausgeprägter als im Niederländischen, das bemerkt man vor allem bei der Aussprache der hohen Vokale i, uu en oe in Wörter wie lied, bruut und hoed. Die deutschen Vokale in Lied, brüten und Hut werden hörbar länger ausgesprochen als die 138 5 Laute und ihre Systeme niederländischen Äquivalente. Nur vor einem r-Laut, wie z. B. bei bier, duur oder broer werden die Vokale tatsächlich ‚lang‘ ausgesprochen. 5.2.3 Prosodie Wenn wir sprechen, passiert mehr als nur die Aneinanderreihung von Konsonanten und Vokalen, den sog. segmentalen (segmentele) Elementen. Wir betonen Silben in Wörtern (Amsterdam) oder Wörter in Sätzen (jij was het en niet Jan), wir machen Sprechpausen (wir essen jetzt, Opa) und wir variieren die Tonhöhe (echt waar? ja.). Diese Merkmale sind nicht an die einzelnen Laute gebunden, sondern ihre Wirkung geht darüber hinaus, weshalb sie auch suprasegmental (suprasegmenteel) genannt werden. Mithilfe von suprasegmentalen oder prosodischen Merkmalen können wir u. a. Bedeutungen in Wörtern oder Sätzen unterscheiden und Informationen in länge‐ ren Klangreihen strukturieren. Die Gesamtheit an Eigenschaften, die über die Aneinderreihung einzelner Sprach‐ laute hinausgeht, ist die Prosodie (prosodie) (wörtl. ‚Hinzugesungenes‘). Dazu gehören Wort- und Satzakzent, Intonation, Rhythmus und Sprechtempo. Das Hervorheben einer Silbe im Wort nennt man Akzent (klemtoon), der in einer IPA-Transkription mit dem Symbol ' wiedergegeben wird, wie z. B. in [ɑmstər'dɑm]. Im Vergleich zu anderen Sprachen, wie z. B. dem Französischen, wo der Akzent immer auf der letzten Silbe liegt, sind die Regeln für den niederländischen Wortakzent ziemlich komplex. Silben mit einem Schwa sind allerdings immer unbetont, auch wenn sie in einsilbigen Wörtern wie de oder je vorkommen. Der Akzent kann bei Homogra‐ phen (homografen), das sind Wörter, die gleich geschrieben, aber unterschiedlich ausgesprochen werden, die Bedeutung unterscheiden. Das Wort doorlopen kann als 'doorlopen oder als door'lopen ausgesprochen werden. Im ersten Fall ist die Bedeutung ‚weiterlaufen‘, wie in je moet wel even doorlopen, im zweiten Fall ist die Bedeutung ‚durchlaufen‘, wie in een procedure doorlopen. Phrasen oder Sätze werden normalerweise nicht monoton gesprochen, sondern als Verlauf von höheren und tieferen Tönen, der Satzmelodie. Die Tonhöhe (toon‐ hoogte) oder Intonation (intonatie) kann u. a. verschiedene Satztypen markieren, wie Aussage-, Frage- und Ausrufesätze. Die Intonation im Aussagesatz ist am Satzende fallend, wie in Ze gaat naar huis. Bei einem Fragesatz wie Ze gaat naar huis? steigt der Tonverlauf am Satzende, wie auch bei einem Exklamativsatz. In letzterem Fall wird dies allerdings oft kombiniert mit einem stärkeren Akzent, wie in Ze gaat naar huis! Das letzte Beispiel zeigt, dass man durch Prosodie nicht nur Bedeutungen unterscheiden und Informationen strukturieren, sondern auch die Emotionen oder die Attitüde ausdrücken kann. 5.2 Laute beschreiben 139 39 Der ach-Laut wird in der Fachliteratur auch als velarer Frikativ, mit dem IPA-Symbol [x], kategori‐ siert. 40 Genau genommen unterscheiden Minimalpaare sich nur in einer distinktiven Eigenschaft. Diese strikte Unterscheidung wird allerdings nicht immer durchgeführt. 5.3 Phonetik und Phonologie Die exakte Beschreibung der menschlichen Sprachlaute ist die Aufgabe der Phonetik. Die Phonologie (fonologie) hingegen beschäftigt sich mit der Inventarisierung einzel‐ sprachlicher Systeme. Alle Sprecher: innen haben intuitives Wissen über die Laute ihrer Muttersprache. So sprechen Deutschsprecher: innen beispielsweise den Konsonanten ch in den Wörtern ich und ach intuitiv unterschiedlich aus. Mit etwas phonetischer Kenntnis weiß man, dass sie an unterschiedlichen Orten realisiert werden: Ich mit palatalem Frikativ wird am harten Gaumen, ach mit uvularem Frikativ wird am weichen Gaumen gebildet. 39 Dass diese Verteilung einer Systematik unterliegt, ist den meisten dabei nicht bewusst: Der Vokal [ɪ] wird nämlich vorne im Mund gebildet, genauso wie der palatale Frikativ, der Vokal [ɑ] wird hinten im Mund gebildet, wie auch der uvulare Frikativ. Ein weiteres Beispiel für dieses unbewusste Wissen ist, dass nicht jeder Sprachlaut in jeder Position vorkommen kann. Im Niederländischen und Deutschen findet man keine Wörter mit einem [ŋ] im Anlaut, wie ngaar oder ngoeder bzw. ngach oder Ngutter, weil der Laut [ŋ] im Niederländischen und Deutschen nur im Inlaut (zingen/ singen) oder im Auslaut (lang) vorkommen kann. Das Gleiche gilt für den Sprachlaut [χ] im Deutschen, der ebenso nur im Inlaut (lachen) oder Auslaut (Bach) vorkommen kann. Im Niederländischen jedoch ist [χ] auch im Anlaut möglich, wie in chaos [χaɔs] oder auch gas [χɑs]. Auch die Systematik hinter diesen Verteilungen ist den meisten Sprachbenutzer: innen nicht bewusst. Das Phonem (foneem) ist die kleinste Einheit innerhalb eines Lautsystems. Phoneme sind bedeutungsunterscheidend. Been und peen sind offensichtlich zwei verschiedene Dinge, das erste ist ein Bein und das zweite eine Möhre. Der Unterschied liegt in den Anlauten der beiden Wörter: [b] und [p] sind zwei verschiedene Laute, die den einzigen Unterschied zwischen den beiden Wörtern ausmachen. Sie sind zwei Phoneme des Niederländischen. Doch nicht alle Laute sind bedeutungsunterscheidend: Person A spricht das Wort roltrap mit einem [r] aus, Person B hingegen mit einem [ʀ]. Trotzdem verweisen beide Sprecher: innen auf eine Rolltreppe. Die Laute [r] und [ʀ] sind nicht bedeungsunterscheidend und haben keinen Phonemstatus. Realisationen von Sprachlauten werden als Phone (fonen) bezeichnet und werden in eckigen Klammern notiert. Sobald es um bedeutungsunterscheidende Phoneme geht, schreiben wir sie zwischen Schrägstrichen: die Phoneme / b/ und / p/ wie bei den Beispielen been und peen oder das Phonem / r/ , das als Sprachlaut [ʀ] oder [r] realisiert werden kann. Um zu entscheiden, ob ein Laut Phonemstatus hat oder nicht, bilden wir Minimal‐ paare (minimale paren). Dafür suchen wir zwei unterschiedliche Wörter, die sich lediglich in einem Laut 40 unterscheiden: 140 5 Laute und ihre Systeme been [ben] peen [pen] kader [kadər] kater [katər] maag [maχ] maar [mar] Die Beispiele zeigen, dass das bedeutungsunterscheidende Element im Anlaut (been - peen), im Inlaut (kader - kater) und im Auslaut (maag - maar) vorkommen kann. Solange alle anderen Laute des Wortes übereinstimmen, handelt es sich um ein Minimalpaar. Da man anhand der beiden Laute [b] und [p] im Niederländischen Wortbedeutungen unterscheiden kann, haben sie eine konzeptionelle Natur und erreichen damit Phonemstatus. Jeder Laut, für den ein Minimalpaar innerhalb einer Sprache gefunden werden kann, hat also nicht nur eine phonetische Qualität, sondern bildet auch eine abstrakte Einheit innerhalb eines lautlichen Systems. Was genau unterscheidet nun eigentlich been und peen? Beide Anlaute sind bilabiale Plosive, sie unterscheiden sich aber darin, dass / b/ stimmhaft ist und / p/ stimmlos. In der Stimmhaftigkeit liegt das distinktive Merkmal (distinctief kenmerk) der Phoneme / b/ und / p/ : been + bilabial peen + bilabial - + plosiv - + plosiv - + stimmhaft - - stimmhaft Das gleiche Verfahren wird angewendet, wenn wir den Phonemstatus von Vokalen überprüfen wollen. Die beiden Wörter muur und mier bilden auch ein Minimalpaar. Sie unterscheiden sich nur an einer einzigen Stelle: im Inlaut / y/ und / i/ . Da es sich einmal um das Wort für Mauer und einmal für Ameise handelt, sind diese Vokale bedeutungsunterscheidend und haben deshalb Phonemstatus: muur + vorne mier + vorne - + hoch - + hoch - + gerundet - - gerundet Das distinktive Merkmal beim Minimalpaar muur - mier ist die Lippenrun‐ dung: / y/ wird mit Lippenrundung produziert, / i/ ohne Lippenrundung. Die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten in einem Lautsystem heißen Phoneme. Ein Phonem lässt sich in kleinere Merkmale, die distinktiven Merkmale, 5.3 Phonetik und Phonologie 141 aufteilen. Ein distinktives Merkmal ist phonologisch, wenn es innerhalb einer Sprache eine bedeutungsunterscheidende Funktion hat. Phoneme lassen sich anhand eines Bündels distinktiver Merkmale beschreiben. Diese Merkmale sind in der Regel binär, d. h. sie haben entweder den Wert (+) oder (-), und sie werden in eckigen Klammern notiert, z. B. [+ stimmhaft] oder [- stimmhaft]. Das Phonem / t/ können wir mit den Merkmalen [+ alveolar], [+ plosiv] und [- stimmhaft] beschreiben. In einigen Fällen hat ein distinktives Merkmal mehr als zwei Werte, wie z. B. der Öffnungsgrad bei Vokalen, den wir mit den Werten hoch - mittel - tief beschreiben. Die Wiedergabe des Öffnungsgrades lässt sich mittels der beiden Merkmale [± hoch] und [± tief] darstellen: hohe Vokale als [+ hoch, - tief], mittlere Vokale als [- hoch, - tief] und tiefe Vokale als [--hoch, +-tief]. Phonologie ist die Wissenschaft, die sich mit der präzisen Beschreibung der Merkmale, die einen Laut von einem anderen unterscheiden, befasst. Ein Phonem ist eine abstrakte Einheit, die aus distinktiven Merkmalen besteht. Die Unterschiede zwischen Phonetik und Phonologie lassen sich wie in Tabelle 5.4 zusammenfassen: - Phonetik Phonologie Ziel Beschreibung aller möglichen Sprachlaute Beschreibung des Sprachlautsystems innerhalb einer Sprache Konzept des Lautes konkrete und messbare Einheit abstrakte Einheit mit bedeutungsunterscheidenden Merkmalen Einheit Phon [b] Phonem / b/ Methode Messungen mit Geräten ohne Bedeu‐ tungsaspekte Kategorisierung von Strukturen mit Bedeutungsaspekten Tab. 5.4: Phonetik und Phonologie Nicht nur Phoneme, sondern auch suprasegmentale Elemente wie Akzent oder Into‐ nation, können bedeutungsunterscheidend sein, wie z. B. im bereits erwähnten Beispiel 'doorlopen und door'lopen oder im Wortpaar 'ondergaan und onder'gaan. Die Bedeutung von 'ondergaan ist ‚untergehen‘, wie im Satz de zon gaat onder, und die von onder'gaan ist ‚sich unterziehen‘, wie in een operatie ondergaan. Ein berühmtes Beispiel ist der Bedeutungsunterschied zwischen ['kanɔn] und [ka'nɔn]: Im ersten Fall handelt es sich um ein Lied oder einen Bildungskanon, im zweiten Fall um eine Kanone. Auch Intonation kann bedeutungsunterscheidend sein, wirklich mit einem steigenden Ton 142 5 Laute und ihre Systeme drückt eine Frage aus, wirklich mit einem fallenden Ton jedoch eine Bestätigung oder Ironie. 5.4 Variation in der Aussprache: Allophone Die konkrete Realisierung eines Phonems nennt man Phon. Es ist allerdings nicht so, dass es immer genau nur eine konkrete Aussprachemöglichkeit gibt. In einigen Fällen kann die Realisierung eines Phonems in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich ausfallen. Im Deutschen wird der palatale Frikativ - wie wir bereits gesehen haben - nach [i], [e], [y] und Konsonanten palatal als [ç] ausgesprochen, nach [a], [o] und [u] uvular als [χ]. Diese Verteilung ist zwar bindend, hat aber keine bedeutungsunter‐ scheidende Funktion. Es gibt im Deutschen keine Minimalpaare für [ç] und [χ]. Die unterschiedlichen Realisierungen eines Phonems nennt man Allophone (allofonen). Allophonie wird durch verschiedene Faktoren ausgelöst: ● Individuelle Faktoren: Sogar einzelne Sprecher: innen artikulieren einen Laut immer anders, es gelingt Sprecher: innen z. B. nicht, ein [e] immer identisch auszusprechen. ● Regionale Faktoren: Die geografische Region kann die Variation in der Realisierung eines Phonems beeinflussen. Ein bekannter Unterschied ist die Aussprache des ‚harten g‘ im Norden, das uvulare [χ], und des ‚weichen g‘ im Süden, das velare [ɣ] und die stimmlose Realisierung [x]. Sprecher: innen aus den Niederlanden artikulieren z. B. zee oder zo oft als zeej oder zoow, Sprecher: innen aus Flandern wird die beiden Vokale als einfaches [e] bzw. [o] aussprechen. Auch das Pho‐ nem / r/ zeigt regionale Unterschiede, denn in der Provinz Seeland, im Nordosten der Niederlande sowie in Flandern kommt die Realisierung vorzugsweise als Zungenspitzen-[r] vor, in den anderen Teilen der Niederlande ist das Zäpfchen-[ʀ] weiter verbreitet. ● Soziale Faktoren: Faktoren wie Alter oder Bildung können die Realisierung eines Phonems beeinflussen, was sich z. B. an der offeneren Aussprache des Diphthongs [εi] in den Niederlanden zeigt: Personen mit einem höheren Bildungsstand tendie‐ ren dazu, das [εi] als [ai] auszusprechen, wij zijn blij hört sich dann etwa wie waai zaain blaai an. ● Die Lautumgebung: Die Artikulation eines Lautes wird immer von der unmittel‐ baren Umgebung beeinflusst. Wenn wir [kɪt] und [kɑt] einige Male hintereinander sprechen, spüren wir im Mundraum, dass der velare Plosiv / k/ unterschiedlich produziert wird. Das [k] in kit wird palatal ausgesprochen, das [k] in kat velar. Für Allophone lassen sich grundsätzlich keine Minimalpaare finden, so kann der uvu‐ lare Frikativ im Deutschen nie auf einen vorderen Vokal folgen, der palatale Frikativ nie auf einem hinteren. Wenn zwei Laute ausschließlich in unterschiedlichen Umgebungen vorkommen können, stehen sie in komplementärer Distribution (complementaire 5.4 Variation in der Aussprache: Allophone 143 distributie) (vgl. Kap. 4.2.2). Komplementäre Distribution ist zu vergleichen mit der mythologischen Gestalt des Werwolfs. Bei Vollmond verwandelt sich der Mensch in einen Werwolf, sobald die Vollmondphase vorbei ist, verwandelt der Werwolf sich zurück in einen Menschen. Die Verwandlung in einen Werwolf außerhalb der Vollmondphase ist ausgeschlossen, ebenso wie das Ausbleiben der Verwandlung bei Vollmond. Mensch und Werwolf sind in komplementärer Distribution, die Mondphase ist die bedingende Umgebung. Ebenso funktioniert komplementäre Distribution bei zwei Allophonen: Nur in einer Lautumgebung mit hinterem Vokal kann der uvulare Frikativ [χ] vorkommen, während nach allen anderen Lauten der palatale Frikativ [ç] auftritt. Die Laute [χ] und [ç] kommen somit nie in derselben Lautumgebung vor. Auch im Niederländischen gibt es Allophone in komplementärer Distribution, allerdings sind sie nicht ganz so anschaulich wie die deutschen Frikative. In Teilen der Niederlande wird das Phonem / r/ nach einem Vokal im Silbenauslaut ‚geknödelt‘ ausgesprochen, so ähnlich wie ein Amerikanisches / r/ . Der Luftstrom wird bei dieser Variante nicht unterbrochen. Dieser alveolare Approximant, in der IPA-Notation mit dem Symbol [ɹ] wiedergegeben, ist im Volksmund bekannt unter der Bezeichnung ‚Gooise r‘ und kommt ausschließlich nach Vokalen vor: maar [maɹ] beter ['betəɹ] kers [kεɹs] aardig ['aɹdəχ] Im Anlaut kann das [ɹ] nicht vorkommen, in der Regel wird dann ein [ʀ] ausgespro‐ chen. Allophone, die nur in einer bestimmten Lautumgebung vorkommen können, nennt man kombinatorische Allophone (combinatorische allofonen). Der alveolare Approximant [ɹ] ist abhängig von seiner Lautumgebung und kann nur nach einem Vokal realisiert werden. Die Allophone [r] und [ʀ] dagegen können in jeder Position vorkommen: Sie sind unabhängig von der Lautumgebung, d. h. dass ein r-Laut sowohl im Anlaut (rood) als auch im In- und Auslaut (aardig und maar) als [r] oder [ʀ] ausgesprochen werden kann. Diese Art Variation wird freie Variation (vrije variatie) genannt. 5.5 Phonologische Prozesse Bisher haben wir uns hauptsächlich mit der Beschreibung einzelner Laute beschäftigt. Bei der Aussprache von Wörtern und Sätzen passiert es allerdings eher selten, dass Laute und prosodische Merkmale einzeln artikuliert werden. Sie werden vielmehr aneinandergereiht ausgesprochen. Um die Artikulation zu erleichtern, passen sich die einzelnen Laute einander an, sie ändern sich oder werden manchmal gar nicht ausgesprochen. Das bereits genannte Beispiel kooputook am Anfang des Kapitels hat schon gezeigt, dass das gesprochene Niederländische lässiger klingt. Zwei weitere 144 5 Laute und ihre Systeme Beispiele sind kweenie (ik weet het niet) und tuulik (natuurlijk). Diese Veränderungen und Anpassungen der Laute werden phonologische Prozesse (fonologische processen) genannt. Obwohl Sprachbenutzer: innen sich dieser oft nicht bewusst sind, treten pho‐ nologische Prozesse innerhalb einer Sprache nicht willkürlich, sondern systematisch auf. Aufgabe der Phonologie ist es, diese Prozesse zu erkennen und ihre Regelmäßigkeit zu beschreiben. Die Ergebnisse werden als phonologische Regeln notiert, die sich an einem Basismuster A→B / X_Y orientieren. A→B / X_Y - - A Eingabe: Bündel von Merkmalen und deren Werte → wird zu B Ausgabe: Bündel von Merkmalen und deren Werte / im Kontext X_Y die Position des veränderten Elementes, nach X bzw. vor Y - - # Wortgrenze Für die Verteilung der deutschen ich- und ach-Laute kann die phonologische Regel so beschrieben werden: / ç/ wird zu [χ], wenn es auf einen hinteren Vokal folgt. Auf das Basismuster übertragen kann die Regel dann so aussehen: / ç/ →[χ] / [+ hintere Vokale]_ Die Verteilung für das sogenannte Gooise r kann wie folgt umschrieben wer‐ den: / r/ wird im Silbenauslaut zu [ɹ]. Als phonologische Regel kann die Verteilung so repräsentiert werden: / r/ →[ɹ] / [- Konsonant]_ Phonologische Regeln stellen eine abstrakte Wiedergabe phonologischer Prozesse dar, die insbesondere für Muttersprachler: innen meistens eine Selbstverständlichkeit sind und kaum wahrgenommen werden. Diese Prozesse spielen auch eine bedeutende Rolle bei morphologischen Prozessen, weil das Zusammenfügen von Morphemen zu lautlichen Anpassungen führen kann. Ein Beispiel dafür sind die Allomorphe -je, -tje, -pje, -kje oder -etje des Diminutivs, die von ihrer lautlichen Umgebung bestimmt werden (vgl. Kap. 4.2.2). Die Beschreibungsebene zwischen Morphologie und Phonologie nennt man Morpho-Phonologie (morfofonologie) oder Morphonologie (morfonologie). Im Folgenden werden einige phonologische Prozesse, die im niederländischen Sprachge‐ brauch verbreitet sind, vorgestellt. 5.5 Phonologische Prozesse 145 41 Im Deutschen wird auch der Plosiv / ɡ/ im Auslaut stimmlos, Betrug → [bətruːk], in niederländischen Wörtern kommt / ɡ/ im Auslaut nicht vor. 42 In diesem Beispiel ändert sich auch der Ort der Artikulation, velares [ɣ] → uvulares [χ]. 5.5.1 Auslautverhärtung Schauen Sie sich die folgenden Wortpaare im Niederländischen an: been [ben] krabben ['krɑbə(n)] krab [krɑp] peen - [pen] krappe ['krɑpə] krap [krɑp] dak [dɑk] laden ['ladə(n)] laad [lat] tak [tɑk] laten ['latə(n)] laat [lat] Die Wortpaare been - peen, dak - tak, krabben - krappe sowie laden - laten zeigen, dass die Plosive / b/ und / p/ sowie / d/ und / t/ sich im An- und Inlaut bezüglich des Merkmals Stimmhaftigkeit unterscheiden. Bei den Wortpaaren krab - krap und laad - laat sehen wir, dass das Merkmal Stimmhaftigkeit im Auslaut nicht mehr anwesend ist: Sie werden als [krɑp] und [lat] ausgesprochen (die unterschiedliche Rechtschreibung ist schließlich kein Kriterium für die Aussprache). Stimmhafte Plosive werden im Auslaut stimmlos artikuliert und dieser Prozess ist als Auslautverhärtung (finale stemverscherping oder eindklankverscherping) bekannt (s. Tab. 5.5). Das Phänomen der Auslautverhärtung ist sprachspezifisch: Sie kommt z. B. im Niederländischen und Deutschen 41 vor, jedoch nicht im Englischen. Die Phoneme / b/ und / d/ in den Wörtern crab und bed werden auch im Auslaut als [b] und [d] ausgesprochen, weshalb englische Minimalpaare wie crab - crap und bed - bet existieren. Niederländische und deutsche Minimalpaare mit / b/ und / d/ im Auslaut gibt es nicht. im Inlaut im Auslaut Prozess bedden ['bεdə(n)] bed [bεt] / d/ → [t] krabben ['krɑbə(n)] krab [krɑp] / b/ → [p] huizen ['hœyzə(n)] huis [hœys] / z/ → [s] brave ['bravə] braaf [braf] / v/ → [f] drogen ['droɣə(n)] droog [droχ] 42 / ɣ/ → [χ] Tab. 5.5: Konsonanten mit Verstimmlosung im Auslaut Nicht nur die Plosive / b/ und / d/ werden am Wortende stimmlos ausgesprochen, son‐ dern auch die stimmhaften Frikative / v/ , / z/ und / ɣ/ . Die Verstimmlosung (verstem‐ lozing) der ersten zwei Laute findet sich in der niederländischen Rechtschreibregel des f/ v- und s/ z-Wechsels wieder. Diese Regel besagt, dass ein niederländisches Wort nie 146 5 Laute und ihre Systeme auf ein <v> oder <z> endet, stattdessen schreiben wir ein <f> oder <s>, wie z. B. in leven - ik leef, brieven - brief, kazen - kaas und serieuze - serieus. Für die Auslautverhärtung kann die phonologische Regel so umschrieben werden: Stimmhafte Plosive und Frikative (oder zusammen: Obstruenten, Nicht-Sonoranten) werden zu stimmlosen Obstruenten, wenn sie am Wortende stehen. Mit der Bezeich‐ nung nicht-sonorant kann man nicht nur die Verstimmlosung von / d/ zu [t] und / b/ zu [p] umschreiben, sondern auch die von / z/ zu [s] (huizen -huis), / v/ zu [f] (brave - braaf) und / ɣ/ zu [χ] (drogen - droog). In der Kurznotation kann man die phonologische Regel wie folgt notieren (das Symbol # markiert die Wortgrenze): [- son, + stem] → [- stem] / _# Aufgrund der Auslautverhärtung endet das Partizip Perfekt der schwachen Verben in der Aussprache immer auf [t]. Geschrieben wird der Laut allerdings entweder mit <d> (gespeeld, gewoond etc.) oder <t> (gewerkt, gesport etc.). Um sich die korrekte Rechtschreibung besser merken zu können, wird oft die Eselsbrücke 't kofschip angewandt: Endet der Stamm auf einen der Konsonanten in 't kofschip, dann schreiben wir das Partizip Perfekt mit einem <t>, in allen anderen Fällen mit einem <d>. Die zugrundeliegende Idee der Eselsbrücke ist also, dass alle Konsonanten in 't kofschip stimmlos sind, weshalb man sie mit dem stimmlosen t kombiniert. Die übrigen Konsonanten sind stimmhaft und werden mit dem stimmhaften d kombiniert. Für die Verben mit einem f/ v- und s/ z-Wechsel ist diese Rechtschreibregel allerdings ein wenig irreführend, da die ich-Form, die Basis für die Bildung des Partizip Perfekts, auf <f> (ik leef) bzw. <s> (ik reis) endet. Es ist aber nicht die ich-Form, auf die 't kofschip angewandt wird, sondern der Stamm des Verbs. Der Stamm dieser Verben endet auf ein stimmhaftes v bzw. z, wie z. B. [lev] bei leven und [rεiz] bei reizen, weshalb das Partizip Perfekt mit einem d gebildet wird. Die Rechtschreibung des Obstruenten richtet sich aber weiterhin nach der ich-Form: ik leef wird demnach zu ik heb geleefd und ik reis wird zu ik heb gereisd. Die Bildung der einfachen Vergangenheit (mit dem Suffix -de oder -te) ist für niederländische Muttersprachler: innen einfacher, weil die Aussprache hier Hilfe leistet: ['speldə] (speelde), ['wondə] (woonde), ['wεrktə] (werkte) und ['spɔrtə] (sportte) sowie ['levdə] (leefde) und [rεizdə] (reisde). Die Laute [d] und [t] sind bei diesen Verbformen gut zu unterscheiden, weil man beim Sprechen dazu neigt, die aufeinanderfolgenden Laute hinsichtlich ihrer Merkmale anzugleichen. 5.5.2 Assimilation Wenn wir beim Sprechen Laute produzieren, gehen sie oft fließend ineinander über. Benachbarte Laute beeinflussen sich dabei gegenseitig und passen sich aneinander an, indem die Sprechorgane sich auf den nächsten zu produzierenden Laut vorbereiten. Wenn wir die drei Wörter koek - keek - kaak aussprechen, spüren wir, dass der Anfangslaut [k] in koek und kaak eher velar produziert wird, und in keek eher palatal. 5.5 Phonologische Prozesse 147 Umgekehrt kann auch der vorangehende Laut auf den nächsten einwirken, wie z. B. bei der Verteilung des ich- und ach-Lautes. Der Prozess der gegenseitigen Beeinflussung heißt Koartikulation (coarticulatie). Koartikulation ist allophonischer Natur, denn die Veränderungen führen nicht zu bedeutungsunterscheidenden Merkmalen. Es sind übrigens besonders die Vokale, die auf ihre direkte Umgebung Einfluss ausüben. Die Annäherung kann so stark sein, dass ein Wechsel in einem distinktiven Merkmal eintritt. Im Niederländischen wird z. B. der alveolare Nasal [n] vor einem bilabialen Laut grundsätzlich zu [m]: renbaan wird als ['rεmban], aanpakken als ['ampɑkə(n)] und inmaakglas als ['ɪmakχlɑs] ausgesprochen. Das distinktive Merkmal, das sich anpasst, ist in diesen Fällen der Artikulationsort: Das alveolare / n/ wird zum bilabialen [m]. Assimilation (assimilatie) ist demnach die Angleichung hinsichtlich eines distinktiven Merkmals. Der Assimilationsprozess kann anhand von drei Kriterien eingeteilt werden: ● Die Richtung des Assimilationsprozesses: Die Angleichung tritt beim folgenden oder vorangehenden Laut ein. ● Der Abstand zwischen den sich angleichenden Lauten: Der Einfluss wirkt auf den direkt benachbarten Laut oder auf einen früheren bzw. späteren Laut ein. ● Das distinktive Merkmal, das sich angleicht: der Artikulationsort oder die Stimm‐ haftigkeit. Die Wirkung von Assimilationsprozessen ist immer einseitig: Sie kann nach vorne bzw. progressiv (progressief, perseverend oder links-naar-rechts) wirken, wobei ein Laut auf den unmittelbar folgenden Laut in der Lautreihe Einfluss nimmt. Wirkt der Einfluss auf den vorangehenden Laut, ist die Assimilation regressiv (regressief, anticiperend oder rechts-naar-links) (Tab. 5.6). progressiv regressiv opvangen p → f ['ɔpfɑŋə(n)] onpraktisch m ← p [ɔm'prɑktis] afzien f → s ['ɑfsin] leefbaar v ← b ['levbar] Tab. 5.6: Progressive und regressive Assimilation Das zweite Kriterium ist der Abstand zwischen den sich angleichenden Lauten. Im Niederländischen tritt Assimilation generell bei direkt benachbarten Lauten auf, man spricht dabei von Kontaktassimilation (contactassimilatie), wie die Beispiele opvangen, afzien, onpraktisch und leefbaar zeigen. Eher selten kommt es zu Fernas‐ similation (assimilatie op afstand), bei der eine Angleichung über mehr als einen Lautabstand stattfindet. Im Niederländischen gibt es keine eindeutigen Beispiele für Fernassimilation. Ein Beispiel, das in der Standardsprache nicht konventionell ist, ist die Aussprache von sergant als [ʃεrʒant], in dem der postalveolare Frikativ [ʒ] dafür sorgt, dass der erste Konsonant weiter hinten ausgesprochen wird, d. h. / s/ wird zum palatalen / ʃ/ . 148 5 Laute und ihre Systeme Das dritte Kriterium betrifft die Merkmale, die sich angleichen. In den meisten Assi‐ milationsvorgängen handelt es sich um Anpassungen des Artikulationsortes oder der Stimmhaftigkeit. So assimiliert der Artikulationsort des alveolaren Phonems / n/ vor einem bilabialen Laut zu einem [m]. Diesen Assimilationsvorgang nennt man auch Nasal-Assimilation (n-assimilatie oder nasaalaanpassing): aanpassen → ['ampɑsə(n)] beenbreuk → ['bembrøk] onmiddellijk → [ɔ'mɪdələk] Die Nasal-Assimilation ist im Niederländischen weiter verbreitet als im Deutschen, wo dieses Phänomen in der Standardsprache nicht vorkommt. Nicht-standardsprachlich kann im Deutschen die Nasal-Assimilation am Wortende auftreten, Senf z. B. wird dann als [semf] und haben als ['habm] ausgesprochen. Bei Stimmassimilation (stemassimilatie) handelt es sich um die Angleichung des Merkmals Stimmhaftigkeit. Stimmhafte Frikative werden nach einem stimmlosen Obstruenten stimmlos artikuliert: opvangen → ['ɔpfɑŋən] und afzien → ['ɑfsin]. Hierbei ist die Wirkung immer progressiv. Umgekehrt werden stimmlose Obstruenten vor stimmhaften Plosiven stimmhaft: leefbaar → ['levbar] und potdicht → [pɔ'dɪχt]. In diesen Vorgängen ist die Wirkung immer regressiv. Der Assimilationsprozess in den Beispielen [pɔ'dɪχt] (potdicht) und [ɔ'mɪdələk] (onmiddellijk) hat dazu geführt, dass die benachbarten Laute identisch geworden sind und als ein Laut ausgesprochen werden. Dieser Prozess ist bekannt als Degemination (degeminatie). 5.5.3 Weitere phonologische Prozesse Außer Auslautverhärtung und Assimilation treten weitere phonologische Regulari‐ täten im Niederländischen auf. Exemplarisch sollen hier die folgenden Prozesse vorgestellt werden: ● t-Deletion (t-deletie): Das / t/ kann wegfallen, wenn es zwischen Obstruenten steht, wie z. B. bei den Wörtern kerstkrans, krachtpatser und postzak: ['kεrskrɑns], ['krɑχpɑtsər] und ['pɔsɑk]. Auch in Verkleinerungsformen wird das [t] nach stimmlosen Obstruenten weggelassen, wie in nachtje → ['nɑχjə], bruiloftje → ['brœylɔfjə] und feestje → ['feʃjə]. Das Beispiel postzak zeigt darüber hinaus, dass t-Deletion gelegentlich zu Stimmassimilation (/ z/ →[s]) und Degemination führen kann. ● Schwa-Epenthese oder ‚Sprossvokal‘ (sjwa-insertie oder svarabhaktivocaal): Nach bestimmten Konsonantenkombinationen kann ein Schwa eingefügt wer‐ den. Diese Einfügung ist nur möglich in Silben, die auf mindestens zwei Konsonanten enden, wobei der erste ein [l] oder [r] ist. Der darauf folgende 5.5 Phonologische Prozesse 149 Konsonant kann ebenfalls kein willkürlicher Konsonant sein, denn nur wenn ein / m/ , / p/ , / v/ , / f/ , / n/ , / χ/ oder / k/ folgt, kann ein Schwa eingefügt werden. Wör‐ ter wie melk, kalf, herfst und erg werden dann als ['mεlək], ['kɑləf], ['hεrəfst] und ['εrəχ] ausgesprochen. ● Verstimmlosung der Frikative: In den Niederlanden werden die stimmhaften Frikative / v/ , / z/ und / ɣ/ im Anlaut oft stimmlos artikuliert, wie z. B. [fɪs] statt [vɪs], [sef] statt [zef] und [χut] statt [ɣut]. Das Verschwimmen des Merkmals Stimmhaftigkeit bei / s/ und / z/ sowie / f/ und / v/ hat zur Folge, dass es ein Durch‐ einander von stimmhaften und stimmlosen Aussprachen gibt, wie in Zwolle → ['sʋɔlə], centraal → [zεn'tral], feest → [ves(t)] usw. Dieses Phänomen kommt auch im Inlaut vor, wie z. B. bei filosofie → [vilozo'vi]. In Flandern ist die stimmhafte Aussprache für / v/ , / z/ und / ɣ/ zwar noch der Standard, aber auch dort kommt mittlerweile eine stimmlose Aussprache der Frikative im Anlaut vor. ● n-Deletion (n-deletie): Am Wortende kann ein / n/ nach einem Schwa wegfallen, wie bei opvangen → ['ɔpfɑŋə] oder open → ['opə]. Dieser Prozess unterliegt allerdings vielen Faktoren, wie z. B. Region, Situation und Lautumgebung. Im Deutschen kommt diese Aussprache nicht vor. ● Vokalverlängerung (verlenging): Lange Vokale, die den Wortakzent tragen, werden vor einem r-Laut länger artikuliert: [be: r] (beer) und ['vi: rhuk] (vierhoek). Wann phonologische Prozesse auftreten, ist von vielen Faktoren abhängig: Nicht nur individuelle, regionale oder soziale Faktoren spielen eine Rolle, sondern auch die direkte Lautumgebung sowie die Sprechsituation. Beim Diktieren eines Textes z. B. ist man eher geneigt, die Laute besonders deutlich zu artikulieren, während man sich beim Gespräch in der Kneipe oder unter Freund: innen keine Gedanken darüber macht. Die phonologischen Prozesse vereinfachen die Artikulation der Laute, wodurch die Spra‐ che natürlicher klingt. Für das Erlernen einer Sprache ist es also recht hilfreich, sich der phonologischen Prozesse bewusst zu sein. Die typisch niederländische Aussprache, so lässig wie in kooputook, kweenie und tuulik, zeichnet sich gerade durch die Umsetzung dieser phonologischen Prozesse aus. 5.6 Zusammenfassung Die genaue Beschreibung der menschlichen Sprachlaute ist die Aufgabe der Phonetik. Sie betrachtet Laute oder Phone als konkrete und messbare Einheiten. Um Laute so exakt wie möglich wiederzugeben, wurde das International Phonetic Alphabet (IPA) entwickelt. Das Lautsystem unterscheidet zwischen Konsonanten und Vokalen. Konsonanten werden anhand von drei Kriterien beschrieben: dem Artikulationsort (bilabial, labiodental, alveolar, postalveolar, palatal, velar, uvular und glottal), der Artikulationsart (Plosive, Frikative, Nasale, Liquidae und Halbvokale) und der Stimmhaftigkeit (stimmhaft oder stimmlos). Auch Vokale können anhand von drei Kriterien beschrieben werden: dem Artikulationsort (vorne - zentral - hinten), dem 150 5 Laute und ihre Systeme Öffnungsgrad (hoch - mittel - tief bzw. geschlossen - halbgeschlossen - halboffen - offen) und der Lippenrundung (gerundet oder ungerundet). Neben den einzelnen Lauten spielt die Prosodie (Akzent, Intonation, Rhythmus und Sprechtempo) eine bedeutende Rolle bei der Sprachproduktion. Die Phonologie beschäftigt sich mit der Inventarisierung einzelner Lautsysteme und untersucht, wie Laute zu unterschiedlichen Bedeutungen führen können und wie sie sich ihrem phonologischen Kontext anpassen. Untersuchungsgegenstand ist das Phonem, eine abstrakte Einheit, die sich in distinktive bzw. bedeutungsunter‐ scheidende Merkmale aufteilen lässt. Um zu bestimmen, ob ein Merkmal distinktiv ist, bildet man Minimalpaare. Aufgrund individueller, regionaler und sozialer Faktoren sowie der Lautumgebung tritt Variation in der Lautproduktion auf. Die unterschiedlichen Realisierungen eines Phonems werden Allophone genannt. Wenn zwei Laute ausschließlich in jeweils unterschiedlichen Umgebungen vorkommen können, stehen sie in komplementärer Distribution. Allophone können als freie Varianten frei austauschbar sein oder als kombinatorische Varianten nur in einer bestimmten Lautumgebung vorkommen. Beim Sprechen werden Laute nicht einzeln artikuliert, sondern sie passen sich aneinander an, damit die Sprachproduktion einfacher und natürlicher verläuft. Diese phonologischen Prozesse vollziehen sich nicht willkürlich, sondern folgen einer bestimmten Systematik. Sie sind sprachspezifisch und lassen sich mittels phonolo‐ gischer Regeln beschreiben. Im Niederländischen kommen die phonologischen Pro‐ zesse Auslautverhärtung, Koartikulation, Assimilation, t-Deletion, Schwa-Epenthese, n-Deletion und Vokalverlängerung vor / r/ häufig vor. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Lesen Sie den folgenden Ausschnitt aus dem Stern (Ausg. 26, 19.06.2008). Welches phonetische Merkmal bringt die Autorin dazu, die niederländische Sprache als „das kehlig zischende und würgende Idiom“ zu beschreiben, das „gekeucht und gehustet“ wird? Des Weiteren wird die Niedlichkeit des Niederländers zunichte gemacht durch das Niederländische. Insgesamt hat das kehlig zischende und würgende Idiom einen klompigen Charakter, der insbesondere beim Singen des lokalen Lied‐ guts mit Titeln wie “Weet je nog wel, die avond in de regen” auf geradezu katastrophale Weise zum Ausdruck kommt. Es überrascht nicht, dass diese gewöhnungsbedürftige Sprache kein Exportschlager ist und außerhalb der Niederlande und ihrer ehemaligen Kolonien nur in Flandern (Flämisch) und Südafrika (Afrikaans) gekeucht und gehustet wird. Aufgaben 151 a. / d/ und / t/ e. / k/ und / p/ b. / m/ und / ŋ/ f. / j/ und / w/ c. / a/ und / ɑ/ g. / i/ und / e/ d. / v/ und / z/ h. / d/ und / b/ 2. Welche Konsonanten werden im Folgenden beschrieben? a. bilabial, stimmlos, plosiv b. velar, stimmhaft, nasal c. labiodental, stimmhaft, frikativ d. velar, stimmhaft, frikativ e. alveolar, stimmlos, plosiv f. labiodental, stimmlos, frikativ g. palatal, stimmhaft, nasal h. alveolar, stimmhaft, lateral 3. Welches Merkmal haben die folgenden Phonemreihen gemeinsam? a. / o/ , / i/ , / b/ , / z/ , / d/ , / m/ und / n/ b. / ʤ/ , / ʧ/ , / ʒ/ und / ʃ/ 4. Schauen Sie sich das Wortpaar dt. agrarisch und nl. agrarisch an. Welche Unter‐ schiede in der Aussprache gibt es? Der Unterschied wird jeweils von einem phonetischen Merkmal bewirkt. Bestimmen Sie für diese Laute das phonetische Merkmal. 5. In diesem Kapitel ist das [h] als stimmloser glottaler Frikativ klassifiziert. Schlagen Sie in verschiedenen Werken nach, wie das [h] dort beschrieben wird. Warum ist es so schwierig, das [h] zu klassifizieren? 6. Bestimmen Sie das distinktive Merkmal bei den folgenden Lautpaaren: 7. In der niederländischen Aussprache der Wörter staan und stoom ist ein beachtlicher Unterschied in der Realisierung des [s] vorhanden. Sie können das überprüfen, indem Sie die beiden Wörter hintereinander aussprechen und dabei auf die Bewegungen im Mund achten. a. Warum haben wir es hier, trotz dieses Unterschieds in der Aussprache, nicht mit einem distinktiven Merkmal zu tun? b. Die beiden Realisierungen des [s] in staan und stoom bezeichnen wir als ‚breites s‘ (staan) und ‚rundes s‘ (stoom). Sprachwissenschaftler: innen neh‐ men nun an, dass in Sprache X der Unterschied zwischen einem ‚breiten‘ und ‚runden s‘ ein phonologischer ist. Wie kann ein/ e Sprachwissenschaftler: in das nachweisen? 8. Welche phonologischen Prozesse liegen hier vor? a. [pɪk'swɑrt] b. [ɔmbə'wɔlkt] c. ['vɑsbɪndə] d. ['ɑfχərɔnt] 9. Versuchen Sie, für den Assimilationsprozess in den folgenden Wörtern eine phonologische Regel aufzustellen: aanpassen, onbezet, bonbon und pinpas. 152 5 Laute und ihre Systeme 10. Man spricht von einem Hiat (hiaat), wenn zwei Vokale an einer Silbengrenze auf‐ einandertreffen. Um ein solche Aufeinanderfolge zu vermeiden, können bestimmte Laute eingefügt werden. a. Schlagen Sie in der digitalen Algemene Nederlandse Spraakkunst (E-ANS) im Kapitel Woordfonologie nach, welche Laute im Niederländischen eingefügt werden können, um einen Hiat zu vermeiden. b. Versuchen Sie für die folgenden niederländisch-deutschen Wortpaare zu bestimmen, ob ein Hiat vorliegt und mit welchen eingefügten Lauten der Hiat jeweils umgangen wird: beademen/ beatmen, reconstrueren/ rekonstruieren, proteïne/ Protein, oase/ Oase, actueel/ aktuell und ruïne/ Ruine. Nehmen Sie dazu das Wörterbuch eines bekannten Verlages oder ein Aussprachewörterbuch zur Hand. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Eine ausführliche Einführung zur Phonetik auf Niederländisch bieten Rietveld & Van Heuven (2016) Algemene fonetiek, Smessaert & Decoster (2012) Basisbegrippen fonetiek en fonologie sowie Kooij & Van Oostendorp (2003) Fonologie. Uitnodiging tot de klankleer van het Nederlands und Neijt (1991) Universele fonologie. Eine englischsprachige Beschreibung der niederländischen Lautlehre gibt Booij (1995) The phonology of Dutch. Der Leitfaden zum IPA ist das Handbook of the International Phonetic Association. A Guide to the Use of the International Phonetic Alphabet (1999). Empfehlenswert ist auch das deutschsprachige Werk von Ten Cate & Jordens (2008) Phonetik des Deutschen. Ein kontrastiv deutsch-niederländisches Lehrbuch für den Hochschulunterricht. In diesem Werk steht die deutsche Lautlehre im Vordergrund, die niederländischen Laute werden aber vielfach zum Vergleich herangezogen. Im Uitspraakwoordenboek von Heemskerk & Zonneveld (2000) kann man die Aussprache niederländischer Wörter nachschlagen, im Duden - Das Aussprachewörterbuch: Aussprache und Betonung von über 132.000 Wörtern und Namen (2015) die Aussprache deutscher Wörter. Online Quellen sind das englischsprachige Taalportaal auf taalportaal.org mit einer umfassenden und wissenschaftlichen Beschreibung der niederländischen Phonologie sowie das Kapitel De klankleer van het Nederlands in der digitalen Algemene Nederlandse Spraakkunst (E-ANS). Literatur zum Weiterlesen 153 43 Das Beispiel stammt aus dem Werk Syntactic Structures (1957) von Noam Chomsky, einem der wichtigsten Sprachwissenschaftler: innen seit Mitte des 20.-Jahrhunderts. 6 Sätze und ihre Struktur Michaela Poß De oude man slaapt lekker ist zweifelsohne ein korrekter niederländischer Satz. Man de slaapt oude lekker ist ebenso klar ungrammatisch. Doch wie sieht es bei dem folgenden Satz aus? De wakkere stoel slaapt blauw. Strukturell unterscheidet er sich nicht von de oude man slaapt lekker, weil beide mit den gleichen Wortarten in der gleichen Reihenfolge angeordnet sind. Dennoch ergibt die Aussage keinen Sinn. Stoel de slaapt wakkere blauw können wir wiederum sofort als ungrammatisch verwerfen. Doch was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen den beiden Stuhlsätzen, wenn beide nicht gedeutet werden können? Der berühmte englische Satz colourless green ideas sleep furiously 43 illustriert ebenso wie de wakkere stoel slaapt blauw den Unterschied zwischen Syntax und Semantik, zwischen der Struktur und der Bedeutung einer Aussage. Beide Sätze sind, gemessen an den syntaktischen Regeln des Niederländischen bzw. Englischen, korrekt. Da sie aber semantische Prinzipien verletzen, sind sie nicht interpretierbar. Stoel de slaapt wakkere blauw verstößt gegen kombinatorische Regeln und ist somit auch strukturell ungrammatisch. Das Niederländische hat, wie beinahe alle Sprachen, ein deutliches System, nach dem einzelne Wörter zu größeren Gruppen, den Konstituenten, zusammengefügt werden können. Einzelne Konstituenten können wiederum zu Sätzen verbunden werden, und auch dieser Prozess unterliegt Regeln. So ist z. B. die Reihenfolge Artikel > Adjektiv > Substantiv eine mögliche Reihenfolge in einer niederländischen Nominalphrase wie de dikke hond, Substantiv > Adjektiv > Artikel ist hingegen ungrammatisch (hond dikke de). Mit der Struktur von Konstituenten und Sätzen beschäftigt sich dieses Kapitel, mit der Bedeutung von Sätzen Kapitel 7. 6.1 Konstituenten 6.1.1 Arten von Konstituenten Ein komplexer Satz wie zum Beispiel De dikke man zette de stoel aan het einde van de tafel neer kann auch in komprimierter Form ausgedrückt werden, wenn der Adressat, also die Person, an die die Aussage gerichtet ist, mit dem Kontext der Situation vertraut ist (vgl. Kap. 8). Hij zette hem daar neer transportiert dann die gleiche Information. Dabei ersetzt hij den Komplex de dikke man, hem ersetzt de stoel und daar ersetzt aan het einde van de tafel. Wenn man ein Wort oder eine Wortgruppe durch ein anderes Element ausdrücken kann, ohne dass sich die Struktur des Satzes ändert, handelt es sich um eine Phrase (woordgroep) bzw. Konstituente (constituent). Eine Konstituente ist eine Einheit aus einem oder mehreren Wörtern, die eine gemeinsame syntaktische Funktion innerhalb einer größeren, hierarchischen Struktur haben. Wir unterscheiden hier fünf verschiedene Arten von Konstituenten, abhängig von ihrem zentralen Wort und ihrer semantischen Funktion. Eine Reihe von Wortarten steht immer zentral innerhalb einer Konstituente (sie projizieren die Konstituente). Mit anderen Worten: Wann immer wir ein Wort der folgenden Wortarten sehen, sehen wir auch eine dazugehörige Phrase: Substantive (oder Nomen) und Prono‐ men projizieren grundsätzlich eine Nominalphrase (NP, nominale constituent oder naamwoordgroep), Verben projizieren Verbalphrasen (VP, verbale constituent oder werkwoordelijke groep), Präpositionen Präpositionalphrasen (PP, voorzetselconstitu‐ ent), Adjektive Adjektivphrasen (AP/ AdjP, adjectivische constituent oder bijvoeglijk naamwoordgroep) und Adverbien projizieren Adverbphrasen (AdvP, bijwoordelijke constituent). Um über Konstituenten reden zu können, benötigen wir ein Basisinventar an Abkürzungen für die Wortarten und Konstituenten. Diese Liste ist nicht vollständig, doch für die einfachen Sätze, mit denen wir uns hier beschäftigen werden, sind die in Tabelle 6.1 (s. unten) verzeichneten Kategorien ausreichend. NPs haben in der Regel eine referentielle Bedeutung, sie referieren auf einen Gegenstand, eine Person oder eine abstrakte Einheit in der Wirklichkeit. Die NP oma Nella referiert auf die Person Oma Nella. VPs haben meistens Prozessbedeutung. Sie drücken die Handlung oder den Prozess aus, in die das Subjekt eingebunden ist (oma Nella slaapt). In PPs, die in der Regel aus einer Präposition und einer NP bestehen, wird eine Relation zwischen der eingebetteten NP und Satzgliedern außerhalb der Konstituente gelegt. In dem Satz het boek ligt op tafel drückt op die Relation zwischen het boek und der eingebetteten NP tafel aus. AdjPs haben eine attributive Bedeutung, sie weisen einer NP eine Eigenschaft zu (het boek is zwaar). Auch AdvPs weisen Eigenschaften zu, hier ist das Ziel jedoch in der Regel eine VP (so wie in Jonathan moest erg huilen) oder eine AdjP (so wie in erg slecht). Die inhärenten Bedeutungen der verschiedenen Konstituenten sind sehr abstrakt, und das ist auch beabsichtigt. Letztendlich erhalten sie ihre Bedeutung im Satz, abhängig davon, als welches Satzglied sie fungieren. Doch darauf kommen wir in Kapitel 6.3 zurück. 156 6 Sätze und ihre Struktur 44 Det steht für Determinator, Synonym für Artikel und als Abkürzung gebräuchlicher. Abkürzung Deutsch Niederländisch S Satz (Startpunkt) zin NP Nominalphrase nominale constituent VP Verbalphrase verbale constituent PP Präpositionalphrase voorzetselconstituent AP/ AdjP Adjektivphrase adjectivische constituent AdvP Adverbphrase adverbiale constituent Det 44 Artikel lidwoord N Substantiv, Nomen zelfstandig naamwoord Pron Pronomen voornaamwoord Num Numerale, Zahlwort telwoord V Verb werkwoord P Präposition voorzetsel Adj Adjektiv bijvoeglijk naamwoord Adv Adverb bijwoord Tab. 6.1: Abkürzungen für Konstituenten und Wortarten 6.1.2 Köpfe Jede Konstituente besteht wenigstens aus einem Kopf (hoofd/ kern). Der Kopf ist das zentrale Element, das sowohl die kategoriale Information (z. B. Substantiv, Verb etc.) als auch die grammatische Information trägt (z. B. Plural, Vergangenheit etc.). In den folgenden Nominalphrasen ist der Kopf jeweils hervorgehoben: (1) oma (2) de grootmoeder (3) de oudere dame (4) de oudere dame met de hond (5) de oudere dames in het café Der Kopf ist das Element in einer Konstituente, das in der Regel nicht weggelassen werden kann und einfach erfragbar ist, da es der Bedeutungsträger des gesamten 6.1 Konstituenten 157 Ausdrucks ist (vgl. Kap. 3). In Beispiel (5) ist die Antwort auf die Frage „Worum geht es? “ eindeutig dames und nicht z. B. café. Andererseits ist café selbst auch wieder ein Substantiv und somit Kopf einer NP, nämlich het café. Diese NP ist allerdings eingebettet in die größere, übergeordnete NP de oudere dames in het café. Der Kopf ist derjenige Teil einer Konstituente, der deren grammatischen Eigen‐ schaften bestimmt. Köpfe sind obligatorisch und vererben ihre Merkmale auf die gesamte Konstituente. Als Köpfe fungieren in der Regel Wörter der lexikalischen Klassen N, V, P, Adj und Adv. Koordinatoren und Komplementierer (vgl. Kap. 6.1.7 und 6.1.8) können ebenso eigene Phrasen projizieren. Da es sich allerdings um Funktions- und nicht um Inhaltswörter handelt, sind sie nicht Teil der zentralen Gruppe von projizierenden Wortarten. 6.1.3 Wortstellung Jede Art von Phrase unterliegt ihren eigenen kombinatorischen Möglichkeiten. So besteht eine NP mindestens aus einem Substantiv, eine VP mindestens aus einem Verb usw. Doch sobald die Konstituenten komplexer werden, werden die Elemente innerhalb der Phrase in einer Reihenfolge angeordnet, die je nach Typ unterschiedlich strikt ist. So ist de man eine korrekte NP des Niederländischen, man de hingegen nicht. Auch in de oude man ist die Reihenfolge von Artikel, Adjektivphrase und Substantiv korrekt, in de man oude hingegen nicht. Die Wortstellung innerhalb von Konstituenten und Sätzen ist immer sprachspezifisch, wie man an diesem Beispiel gut sehen kann. De oude man im Niederländischen und der alte Mann im Deutschen sind korrekt und jeweils die einzig mögliche Anordnung innerhalb dieser NP. Im Spanischen heißt es allerdings normalerweise el hombre viejo, das Adjektiv steht also nach dem Substantiv, und im Dänischen ist es sogar so, dass in der NP manden der Artikel (den) an das Substantiv (man) angehängt wird. Eine sprachwissenschaftliche Grundannahme, die Grundlage vieler Untersuchun‐ gen ist, ist das Prinzip der Ikonizität (iconiciteit), der Entsprechung von Form und Funktion. Einfach gesagt wird davon ausgegangen, dass zwei Strukturen, die gleich sind, auch die gleiche Funktion haben, während zwei Strukturen, die unterschiedlich sind, auch unterschiedliche Funktionen haben. Nicht immer ist die Wortstellung innerhalb der Konstituente strikt vorgegeben, hin und wieder haben Sprecher: innen die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Stellungsvari‐ anten zu wählen. Häufig sind in dem Fall jedoch unterschiedliche Bedeutungsaspekte 158 6 Sätze und ihre Struktur an die Varianten geknüpft, wie zum Beispiel in den beiden PPs in de wei und de wei in. Im Niederländischen können bestimmte Präpositionen alternativ vor oder hinter der eingebetteten NP stehen. Stehen sie vor der NP, ist ihre Bedeutung lokativ (locatief), also ortsanweisend (6), als Postposition (postpositie) hinter der NP ist ihre Bedeutung direktional (directioneel), also richtungsanweisend (7). (6) Het paard loopt in de wei. - Das Pferd läuft auf der Weide. (7) Het paard loopt de wei in. - Das Pferd läuft auf die Weide. 6.1.4 Konstituententests Doch wie wissen wir überhaupt, wann es sich bei einer Wortkette um eine Konstituente handelt? Schauen wir uns folgenden Satz an: (8) Ik heb soep met balletjes gegeten. Zwar fällt schon intuitiv auf, dass soep met balletjes konzeptuell enger zusammengehört als balletjes gegeten, doch wir müssen uns nicht auf Intuition verlassen, um zu beschreiben, warum zum Beispiel in dem Satz Ik heb de soep met de lepel gegeten der Teil de soep met de lepel aus zwei Konstituenten besteht, nämlich NP und PP, während soep met balletjes nur eine NP darstellt. Ob ein Komplex zusammen eine Konstituente bildet oder nicht, kann mit Hilfe sogenannter Konstituententests (constituententests) bestimmt werden. Als Beispiel dient der Satz de oudere meneer met de baard zag ik gisteren al. Wir wollen herausfinden, ob de oudere meneer met de baard eine Konstituente darstellt: ● Substitutionstest (substitutietest): Die Konstituente kann durch ein anderes Element aus dem gleichen Paradigma, der gleichen Reihe, ersetzt werden: (9) Oma zag ik gisteren al. ● Pronominalisierungstest (pronominalisatietest): Die Konstituente kann durch ein einziges Element, in der Regel ein Pronomen, ersetzt werden: (10) Hem zag ik gisteren al. ● Verschiebeprobe (verplaatsing): Die Konstituente kann nur als Ganzes zusam‐ menhängend im Satz verschoben werden: (11) Ik zag de oudere meneer met de baard gisteren al. 6.1 Konstituenten 159 45 Das Sternchen vor einem Beispielsatz zeigt an, dass es sich um einen ungrammatischen Satz handelt. Steht das Sternchen in Klammern (wie in 15), bedeutet dies, dass nur eine der möglichen Lesarten ungrammatisch ist. ● Fragetest (vraagtest): Die Konstituente ist die Antwort auf eine einzige Frage: (12) Wie zag je gisteren al? - De oudere meneer met de baard. Die vier Konstituententests führen jeweils zu dem gleichen sinnvollen, grammatischen Ergebnis, also ist de oudere meneer met de baard eine komplexe Konstituente. Im Falle von de soep met de lepel sieht es anders aus: 45 (13) Ik heb brood gegeten. (14) Ik heb het gegeten. (15) (*)De soep met de lepel heb ik gegeten. (16) Wat heb je gegeten? - (*)De soep met de lepel. / Wat heb je met de lepel gegeten? - (*)De soep. / Waarmee heb je de soep gegeten? - Met de lepel. Der Substitutionstest führt zwar zu einem grammatischen Ergebnis, allerdings fehlt die Information, mit welchem Instrument gegessen wurde. Und damit ist der Test geschei‐ tert: Es geht nicht ausschließlich darum, einen grammatischen Satz zu formulieren, er muss auch die gleichen inhaltlichen Bestandteile abdecken, um zu einem positiven Resultat zu führen. Das gleiche Problem sehen wir beim Pronominalisierungstest. Interessanterweise führt die Verschiebeprobe entweder zu einem grammatischen oder einem ungrammatischen Ergebnis. Soll ausgedrückt werden, dass man einen Löffel benutzt hat, um die Suppe zu essen, ist der Satz ungrammatisch. In Kapitel 6.4 werden wir auch sehen, warum: Im Niederländischen kann in einfachen Aussagesätzen nur eine einzige Konstituente vor dem finiten Verb (persoonsvorm) stehen, in der Instrument-Lesart handelt es sich aber bei de soep und met de lepel um zwei unabhän‐ gige Konstituenten. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass die Suppe einen Löffel als Einlage beherbergt (also Löffelsuppe so wie Nudelsuppe), führt Satz 15 doch zu einem grammatischen Satz. Und auch der Fragetest kann zu zwei verschiedenen Ergebnissen führen: Handelt es sich um eine Löffelsuppe, ist de soep met de lepel die korrekte Antwort auf die Frage wat heb je gegeten? Ist der Löffel allerdings das Instrument, dann müssen wir de soep und met de lepel mit zwei unterschiedlichen Sätzen erfragen: wat heb je met de lepel gegeten? und waarmee heb je de soep gegeten? , ein klares Zeichen, dass wir es mit zwei Konstituenten zu tun haben. 6.1.5 Rekursion Die Konstituente soep met balletjes ist komplex, denn sie beinhaltet wiederum eine andere Konstituente. So ist met balletjes eine PP, bestehend aus dem Kopf met und der NP balletjes. Wir haben es hier also mit einem Fall zu tun, in dem eine NP (soep met 160 6 Sätze und ihre Struktur balletjes) wiederum eine NP (balletjes) enthält. Doch ist es eigentlich möglich, dass die eingebettete NP wieder eine NP enthält? Und diese auch wieder eine? Und diese dann auch wieder eine? Grundsätzlich ist das durchaus möglich, ab einer gewissen Länge des Gesamtkomplexes wäre es für den Adressaten (vgl. Kap. 8.1) allerdings äußerst schwierig, noch zu behalten, worum es eigentlich ging. Das Phänomen der Einbettung einer Kategorie X in eben diese Kategorie X nennt man Rekursion (recursie). Rekursion spielt außer in der Sprache noch in der Informatik und der Mathematik eine wichtige Rolle, doch auch außerhalb der Wissenschaft kennen wir Beispiele für rekursive Strukturen. Denken Sie beispielsweise an ein Fernsehbild, welches einen Fernseher zeigt, der dasselbe Fernsehbild ausstrahlt. Logischerweise ist dann in diesem Bild auch wieder derselbe Fernseher, und in dessen Bild ist auch wieder derselbe Fernseher usw. Es gibt einen ersten Fernseher, nämlich der, der in Ihrem Wohnzimmer steht, doch es gibt keinen letzten Fernseher, da es automatisch immer wieder einen eingebetteten Fernseher gibt. Das Bild ist somit unendlich oder infinit, ebenso wie die Darstellung auf der Kakao-Dose eines niederländischen Kakao-Herstellers, auf der eine Frau mit einer Kakaodose mit einer Frau mit einer Kakaodose abgebildet ist (Abb. 6.1). Der Name des Kakaoherstellers hat dieser Wiederholungsstruktur seinen Namen gegeben: droste-effect. Sprache hingegen ist nur potenziell infinit, da sowohl unsere Merkfähigkeit als auch unsere begrenzte Lebensdauer dafür sorgen, dass wir zu gegebener Zeit mit unseren Sätzen zum Ende kommen. Die komplexe NP de man met de bril met de streepjes können wir noch ohne Probleme verstehen, wenn wir allerdings noch zwei Einbettungstiefen weitergehen, wird es schon schwieriger, sich am Ende noch an den Anfang zu erinnern, so wie in de vrouw met de muts met de bloemetjes met de bladeren met de zwarte stippen. 6.1 Konstituenten 161 Abb. 6.1: Der Droste-Effekt (Droste ® Nederland B.V.) 6.1.6 Ambiguität Nicht immer sind Sätze eindeutig analysierbar, abhängig vom Kontext können sie mehrdeutig oder ambig (ambigu) sein. Sprache kennt verschiedene Arten der Ambi‐ guität, z. B. kann die Bedeutung eines Wortes ambig sein, wie etwa in dem Homony‐ menpaar bank (Sitzmöbel) und bank (Geldinstitut) (vgl. Kap. 3). Möglicherweise ist auch die morphologische Struktur eines Wortes ambig, so wie in nieuwe autoverzekering (eine neue Autoversicherung oder eine Versicherung für neue Autos). Doch nicht nur Wörter, sondern auch ganze Konstituenten oder gar Sätze können ambig sein. Nehmen wir z. B. den Satz De vrouw slaat de dief met de tas. Hierbei können wir uns zwei verschiedene Situationen vorstellen: In Situation eins hält der Dieb eine Tasche, und auf die Frage, womit die Frau ihn schlägt, wird nicht genauer eingegangen; in Situation zwei holt die Frau aus und schlägt mit ihrer Handtasche den Dieb. Dieser Satz 162 6 Sätze und ihre Struktur hat zwei verschiedene mögliche Interpretationen, er ist also ambig. Die Ambiguität kann nur im Kontext aufgelöst werden, z. B. wenn der Adressat die Szene vor Augen hat und daher weiß, wer in diesem Moment im Besitz einer Tasche ist. Syntaktische Ambiguität zeigt sich in der Regel in der Analyse der Konstituenten‐ struktur. In unserem Beispiel liegt die Mehrdeutigkeit darin begründet, dass die PP met de tas sich entweder auf den Kopf der VP, nämlich slaat, bezieht (Abb. 6.4/ 6.5) oder auf den Kopf der NP, nämlich dief (Abb. 6.2/ 6.3). 5. Sätze und ihre Struktur 110 Abb. 5.2: Der Dieb hat die Tasche In einem Phrasenstrukturbaum (boomdiagram), der die hierarchische Anordnung der Konstituenten eines Satzes wiedergibt, wird dieser Unterschied deutlich. Abb. 5.3: Der Dieb hat die Tasche Abb. 5.4: Oma hat die Tasche Die PP ist im ersten Fall ein Teil der NP, und diese ist wiederum Teil der VP. 3 Wir Abb. 6.2: Der Dieb hat die Tasche In einem Phrasenstrukturbaum (boomdiagram), der die hierarchische Anordnung der Konstituenten eines Satzes wiedergibt, wird dieser Unterschied deutlich. 6.1 Konstituenten 163 46 Dieser Baum ist eine Visualisierung der folgenden Information: de tas ist eine NP, die Teil der PP met de tas ist. Diese PP wiederum ist, zusammen mit de und dief, Teil der komplexen NP de dief met de tas. Zusammen mit dem Verb slaat bildet die übergeordnete NP eine VP, und der Satz besteht aus der NP de vrouw und der VP. In vielen syntaktischen Modellen steht der syntaktische Baum zentral. Wir wollen uns hier aller‐ dings nicht im Detail in einzelne Theorien vertiefen und benutzen die Phrasenstrukturbäume in ihrer einfachsten Form, als graphische Darstellung einfacher Abhängigkeiten. Bei der Darstellung einzelner Konstituenten gerade in Sprachen wie Deutsch und Niederländisch, wo wir mit relativ freier Wortstellung zu tun haben, gerät die einfache Baumanalyse schnell an ihre Grenzen. Statt der Baumstruktur werden auch Notationen mit eckigen Klammern verwendet. S NP VP Det N V NP de vrouw slaat Det N PP de dief P NP met Det N de tas S NP VP Det N V NP PP de vrouw slaat Det N P NP de dief met Det N de tas Abb. 6.3: Der Dieb hat die Tasche Abb. 6.4: Die Frau hat die Tasche Die PP met de tas ist im ersten Fall ein Teil der NP de dief met de tas, und diese ist wiederum Teil der VP. 46 Wir können die komplexe NP erfragen mit einem Test: Wen schlägt die Frau? - Den Dieb mit der Tasche. Bei der zweiten möglichen Interpretation sieht es anders aus: die NP de dief und die PP met de tas sind beide Töchter der VP, nehmen also beide Bezug auf den Kopf slaat. Der Fragetest für diese Struktur lautet: Womit schlägt die Frau den Dieb? - Mit der Tasche. Es handelt sich also bei de dief und met de tas um zwei verschiedene Konstituenten. 164 6 Sätze und ihre Struktur 5.1 Konstituenten 111 mit der Tasche. Bei der zweiten möglichen Interpretation sieht es anders aus: NP und PP sind beide Töchter der VP, also nehmen beide Bezug auf den Kopf slaat. Der Fragetest für diese Struktur lautet: Womit schlägt Oma den Dieb? - Mit der Tasche. Es handelt sich also bei de dief und met de tas um zwei verschiedene Konstituenten. Abb. 5.5: Oma hat die Tasche 5.1.7 Koordination In natürlicher Sprache gibt es eine ganze Reihe verschiedener Formen der syntaktischen Ambiguität, doch wir beschränken uns auf eine weitere, nämlich auf ambige koordinierte Konstituenten. Koordination (coördinatie) ist der Prozess, in dem zwei Elemente der gleichen Kategorie einander ebenbürtig nebeneinandergestellt werden. Koordination ist eine Form der Nebenordnung (nevenschikking): 17) oma en opa 18) (wil je iets) eten of drinken? 19) Jan slaapt en Els leest. 20) goed of kwaad In den Beispielen sind die koordinierten Konstituenten fett gedruckt. In Beispiel 17 handelt es sich um zwei koordinierte NPs, in 18 um zwei VPs, in 19 um zwei koordinierte Sätze und in 20 um zwei AdjPs. Die Konjunktionen en und of treten als Koordinatoren (coördinatoren/ nevenschikkende voegwoorden) auf. Zwar ist es so, dass nur Elemente der gleichen Kategorie miteinander koordiniert werden können, qua Form können sie allerdings unterschiedlich sein. *Jan slaapt en opa ist folglich ungrammatisch, Jan slaapt en Els leest nog verder in het boek dat ze gisteren cadeau gekregen heeft ist korrekt. Koordinierte Konstituenten sind häufig die Stelle im Satz, an der syntaktische Ambiguität auftritt. Nehmen wir zum Beispiel den Satz dikke mannen en vrouwen kwamen naar het toneel. Auch hier gibt es wieder zwei verschiedene mögliche Inter- Abb. 6.5: Die Frau hat die Tasche 6.1.7 Koordination In natürlicher Sprache gibt es eine ganze Reihe verschiedener Formen der syntakti‐ schen Ambiguität, doch wir beschränken uns auf eine weitere, nämlich auf ambige koordinierte Konstituenten. Koordination (coördinatie) ist der Prozess, in dem zwei Elemente der gleichen Kategorie einander ebenbürtig nebeneinandergestellt werden. Koordination ist eine Form der Nebenordnung (nevenschikking): (17) oma en opa (18) (wil je iets) eten of drinken? (19) Jan slaapt en Els leest. (20) goed of kwaad In den Beispielen sind die koordinierten Konstituenten fett gedruckt. In (17) handelt es sich um zwei koordinierte NPs, in (18) um zwei VPs, in (19) um zwei koordinierte Sätze und in (20) um zwei AdjPs. Die Konjunktionen en und of treten als Koordinatoren (coördinatoren/ nevenschikkende voegwoorden) auf. Zwar ist es so, dass nur Elemente der gleichen Kategorie miteinander koordiniert werden können, qua Form können sie allerdings unterschiedlich sein. *Jan slaapt en opa ist folglich ungrammatisch, Jan slaapt en Els leest nog verder in het boek dat ze gisteren cadeau gekregen heeft ist korrekt. Koordinierte Konstituenten sind häufig die Stelle im Satz, an der syntaktische Ambi‐ guität auftritt. Nehmen wir zum Beispiel den Satz gelukkige vrouwen en mannen kwamen naar het toneel. Auch hier gibt es wieder zwei verschiedene mögliche Interpretationen: 6.1 Konstituenten 165 Entweder kommen glückliche Frauen und glückliche Männer ins Theater, oder es kommen glückliche Frauen und nicht weiter spezifizierte Männer. In der ersten Lesart sind vrouwen und mannen koordiniert, und gelukkig modifiziert den ganzen Komplex, in der zweiten Lesart bezieht sich gelukkig ausschließlich auf vrouwen. Auch diesen Unterschied können wir wieder in zwei verschiedenen Bäumen sichtbar machen: NP AdjP NP Co NP Adj N en N gelukkige vrouwen mannen NP NP Co NP AdjP N en N Adj vrouwen mannen gelukkige Abb. 6.7 Abb. 6.6: Frauen und Männer sind glücklich Abb. 6.7: Nur die Frauen sind glücklich Die Maßgabe, dass nur gleiche Elemente koordiniert werden können, ist nicht immer so strikt einzuhalten. So ist z. B. der Satz Wil je iets drinken of een ijsje durchaus grammatisch, obwohl iets drinken und een ijsje nicht der gleichen Kategorie angehören. Doch was aussieht wie eine Koordination von ungleichen Elementen, kann durchaus als Ellipse (ellips) analysiert werden. In elliptischen Konstruktionen fehlt ein Element, häufig werden redundante Teile weggelassen. Der Satz Wil je iets drinken of een ijsje kann auch als elliptische Version des Satzes Wil je iets drinken of wil je een ijsje interpretiert werden. In diesem Fall ist das Kriterium der Koordination gleicher Elemente wieder erfüllt, da zwei komplette Sätze koordiniert werden. 6.1.8 Subordination Die Koordination verbindet zwei gleichrangige Kategorien miteinander, wenn je‐ doch ein Element untergeordnet in ein anderes eingebettet wird, sprechen wir von Subordination oder Unterordnung (subordinatie/ onderschikking). Eine Form der Subordination ist die Einbettung eines Nebensatzes (bijzin/ ingebedde zin) in einen übergeordneten Hauptsatz (hoofddzin/ matrix-zin). Im Gegensatz zur Koordination ist dieser Prozess rekursiv. So kann man den Satz hij slaapt einbetten in den Satz ze denkt X (ze denkt dat hij slaapt), und das Ergebnis kann wiederum eingebettet 166 6 Sätze und ihre Struktur werden in den Satz ik geloof X (ik geloof dat ze denkt dat hij slaapt). Die Einbettung geschieht mithilfe einer Konjunktion (conjunctie/ onderschikkend voegwoord) oder eines Komplementierers (complementeerder/ onderschikkend voegwoord). 6.2 Sätze Bislang haben wir uns in diesem Kapitel hauptsächlich mit der inneren Form von Konstituenten beschäftigt. Diese sind jedoch nur die Bausteine, aus denen man größere Einheiten zusammensetzt: die Sätze (zinnen). Doch um sagen zu können, ob ein Satz wohlgeformt ist oder nicht, gehört noch eine Menge mehr als seine rein kategorialen Eigenschaften. Der Satz de man leest de krant ist grammatisch, de krant leest de man ist nur dann eine sinnvolle Aussage, wenn de krant einem anderen Medium gegenübergestellt wird, z. B. het boek, oder wenn es die Antwort auf die Frage ist, was der Mann liest. Auch die Aussage de man gaf de deur een nieuw laagje verf ist durchaus sinnvoll, de deur gaf de verf een nieuwe man hingegen nicht. Zwar kann der Satz ohne weiteres mit dem Inventar an niederländischen Konstituenten gebildet werden, ein sinnvoller Satz des Niederländischen ist er dennoch noch lange nicht. Was sind also die weiteren Kriterien, die bei der Bildung von Sätzen eine Rolle spielen? Und was genau ist ein Satz? Eigentlich weiß jede: r intuitiv, was ein Satz ist. Es beginnt mit einem Großbuchstaben, dann kommt eine Aussage, und am Ende steht ein Punkt. Sprachwissenschaftlich ist es allerdings schwieriger, eine treffende Definition für die Einheit Satz zu finden. In der gesprochenen Sprache haben wir keine Satzzeichen oder Großbuchstaben zur Orientierung, und die Grenzen zwischen zwei komplexen Sätzen können höchstens durch die Intonation markiert werden. Außerdem sprechen Menschen bei weitem nicht so grammatisch, wie man denkt. Nur die wenigsten Sprachbenutzer: innen bringen regelmäßig ihre Sätze zu Ende, man unterbricht den Redefluss und beginnt einen neuen Satz, man verspricht sich, benutzt zu viele oder zu wenige Satzteile etc. Grammatikalität (grammaticaliteit) kann auf zwei verschiedene Arten bewertet werden: entweder normativ (normatief) oder deduktiv (deductief). Während die normativen Grammatiken, z. B. Schulgrammatiken und Lehrbücher, Standard‐ regeln zur Bildung von wohlgeformten Sätzen vorschreiben, untersuchen und beschreiben deduktive Grammatiken, z. B. wissenschaftliche Grammatiken wie die Algemene Nederlandse Spraakkunst (ANS), tatsächlich vorkommende Konstruk‐ tionen der jeweiligen Sprache. Deduktive Beobachtungen und normative Regeln überlappen, sind aber nicht immer kohärent: Niederländisch wie Deutsch weisen pro einfachem Satz nur ein finites Verb und ein Subjekt auf, dennoch verfügen beide Sprachen über eine Spiegelkonstruktion (s. u.) im informellen Sprachgebrauch. Ähnlich ist es mit den Verben brauchen und hoeven. In beiden Sprachen ist es zwar deutlich gebräuchlicher, dass die Verben ein zu-/ te-Komplement nehmen („Wer 6.2 Sätze 167 47 Beispielsatz aus der E-ANS, Overloopconstructies. 48 Der Begriff Prädikat wird auf zweierlei Arten benutzt: im weiteren Sinne und im engeren. Die ältere Verwendung, in der das Prädikat alles beinhaltet, was nicht Subjekt ist, wird in der traditionellen Satzgliedanalyse abgelöst von der Verwendung, in der sich der Begriff Prädikat lediglich auf den verbalen oder prädikatsnominalen Kern bezieht. ‚brauchen‘ nicht mit ‚zu‘ gebraucht, braucht ‚brauchen‘ gar nicht zu gebrauchen“), dennoch wird in der gesprochenen Sprache häufig das zu bzw. te weggelassen (vgl. Van der Wouden 1996). Zwar lernen Schüler: innen in der Schule, dass ein Satz ohne zu normativ ungrammatisch ist, deduktiv ist er jedoch grammatisch. Die sogenannte Spiegelkonstruktion (overloopconstructie) z. B., die in der informellen Rede sowohl im Deutschen als auch im Niederländischen vorkommt, beinhaltet zwei Subjekte und zwei finite Verben innerhalb eines einfachen Satzes: Je kunt van elke sinaasappelkist kun je wel een nachtkastje maken. 47 Wenngleich es schwierig ist, eine umfassende Definition der Einheit ‚Satz‘ zu formu‐ lieren, können wir sagen, dass ein Satz wie folgt beschrieben werden kann: Ein Satz (zin) ist eine konzeptuell in sich geschlossene Einheit, die alleine stehen kann und mindestens aus einem Subjekt und einem Prädikat besteht. Wie fast immer in derartigen Definitionen finden wir eine Reihe von Ausnahmen, die von der Definition nicht erfasst werden. So kommen auch Satzarten vor, die nicht mindestens aus Subjekt und Prädikat bestehen, wie z. B. infinite Nebensätze (beknopte bijzinnen), z. B. hard lachend kwam hij binnen oder Imperative (bevelende zinnen), z.B. kom nou! Die Mehrheit der Sätze jedoch kann unter unserer Definition zusammengefasst werden. (21) Jan slaapt. (22) Jonathans moeder is moe. (23) De hond van de buren blaft. (24) Dat je gisteren niet lief bent geweest, klopt. Das fett gedruckte Satzglied ist jeweils das Subjekt (onderwerp), nicht fett ist das Prädikat (gezegde). Diese grundlegende Einteilung haben wir schon vorher kennen‐ gelernt: Das Subjekt ist dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird, das Prädikat ist dasjenige, was über das Subjekt ausgesagt wird. 48 168 6 Sätze und ihre Struktur Im Niederländischen wie im Deutschen ist die Anordnung der einzelnen Satzglie‐ der im Satz relativ frei. In beiden Sprachen werden Sätze traditionell mithilfe des topologischen Modells oder Feldermodells (topologisch model) beschrieben, einem abstrakten Schema, in dem Sätze in verschiedene Positionen aufgeteilt werden. Die unterschiedlichen Satztypen und Satzmuster können anhand der Besetzung dieser Positionen beschrieben werden. Welches Satzglied dabei auf welcher Position steht, ist abhängig von dem jeweiligen Satzmuster, der Konstruktion (constructie). Konstruk‐ tionen sind vergleichbar mit abstrakten Schablonen, die ausgefüllt werden müssen, um einen grammatischen Satz formulieren zu können. Ausgehend von einer einfachen deklarativen Hauptsatzkonstruktion wird der Satz im topologischen Modell in die folgenden Felder unterteilt: Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld. Die einzelnen Felder werden voneinander getrennt durch die linke und die rechte Satzklammer, bestehend aus dem finiten Verb (links) und allen dazugehörenden verbalen Elementen wie Partizipien und Verbpartikeln (rechts). Da die Verben die Elemente im Mittelfeld umschließen, sprechen wir auch von einer Satzklammer. In der niederländischen Terminologie wird eine andere Metapher benutzt, nämlich die tangconstructie (Zangenkonstruktion). Im Gegensatz zu den anderen Satzteilen stehen die Voll- und Hilfsverben beinahe immer an einer festen Position, daher eignen sie sich besonders gut, um Sätze zu strukturieren (Tab. 6.2). Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld eerste zinsplaats eerste pool middenstuk tweede pool laatste zinsplaats Ik heb gisteren nog gevraagd of je komt. Tab. 6.2: Topologisches Satzfeldermodell In unmarkierten Aussagesätzen steht das Subjekt im Vorfeld (eerste zinsplaats), also an der Stelle vor dem finiten Verb. Genauso wie im Deutschen können allerdings auch andere Satzglieder das Vorfeld besetzen, z. B. Objekte (aan oma heb ik gisteren nog moeten denken) und Adverbiale (gisteren heb ik nog aan oma moeten denken). Solange nicht mehr als eine Konstituente im Vorfeld steht, ist der Satz grammatisch. Steht in einer Konstruktion ein Satzglied satzinitial, welches nicht das Subjekt ist, sprechen wir von Topikalisierung (topicalisatie). Topikalisierten Konstituenten wird ein besonderer Nachdruck verliehen, sie werden besonders hervorgehoben. Häufig stehen sie im direkten Kontrast mit anderen Elementen (oma heb ik gisteren gezien, niet opa), oder sie bilden die Antwort auf eine Frage (Wie heb je gisteren gezien? - Oma heb ik gisteren gezien.). Während das Deutsche beinahe jede Konstituente vor dem finiten Verb zulässt, solange das Vorfeld nur besetzt ist, zeigt sich das Niederländische etwas restriktiver. So sind etwa unbestimmte (onbepaalde) NPs, also die, die nicht mit einem bestimmten Artikel oder Zahlwort spezifiziert werden, im Vorfeld nur dann vertreten, 6.2 Sätze 169 wenn sie eine generische Lesart haben, also auf eine ganze Klasse bezogen sind, wie in (25): (25) Een paraplu beschermt tegen regen. Die nächsten drei Beispiele sind im Niederländischen nicht wohlgeformt (zumindest nicht standardsprachlich, in einigen Genres und Varietäten sind sie sehr wohl akzep‐ tiert): (26) *Een boterham is kwijtgeraakt. (27) *Iemand heeft een paraplu laten liggen. (28) *Enkele kinderen zijn in de tuin. Unbestimmte NPs sind also im Vorfeld unerwünscht. Was aber, wenn der/ die Spre‐ cher: in doch etwas über einen unbestimmten Referenten aussagen möchte? Dann wird die NP ins Mittelfeld geschoben. Da im Niederländischen wie im Deutschen aber das Vorfeld in deklarativen Hauptsätzen (Aussagesätzen) immer besetzt sein muss, übernimmt das semantisch leere präsentative (presentatief) er die Rolle des Vorfeldbesetzers und schon ist der Satz wieder grammatisch: (29) Er is een boterham kwijtgeraakt. (30) Er heeft iemand een paraplu laten liggen. (31) Er zijn enkele kinderen in de tuin. Im Mittelfeld (middenstuk) finden wir die Argumente und Adjunkte, die zwar durch‐ aus bevorzugte Stellungen haben (z. B. indirekte vor direkten Objekten), grundsätzlich aber relativ frei angeordnet werden können. So sind zum Beispiel sowohl Ik heb (aan) oma een ei gegeven als auch Ik heb een ei aan oma gegeven grammatisch, wenngleich die zweite Anordnung häufiger auftritt als die erste. Im Nachfeld (laatste zinsplaats) stehen bevorzugt abhängige Nebensätze (ik had toch gezegd dat ik niet kom) sowie Präpositionalobjekte (moeder Theresa heeft zich altijd ontfermd over de armen) und Adverbiale (wij hebben veel gezwommen in Spanje) (vgl. Kap. 6.3.5 und 6.3.6). 6.3 Satzglieder Die grammatische Zerlegung von Sätzen in ihre Einzelteile, die Satzgliedanalyse (zinsontleding/ redekundig ontleden), kennt jede: r aus der Schule. Man bekommt einen Satz und soll diesen in seine Satzglieder zerlegen und diese benennen. Genau das wollen wir nun auch für niederländische Sätze machen. Zu diesem Zwecke reichen allerdings 170 6 Sätze und ihre Struktur die Konstituenten nicht aus, wir müssen ihre Funktion im Satz kennen. Deshalb führen wir zunächst die relevanten Satzglieder (zinsdelen) ein. 6.3.1 Subjekt Subjekte können verschiedene äußere Formen annehmen, z. B. einfache oder komplexe NPs, und manchmal ist das Subjekt sogar ein ganzer Satz. Wie auch im Deutschen kann das Subjekt erfragt werden mit den Fragewörtern wer oder was (wie oder wat): Wie is moe? - Jonathans moeder. Wat klopt uiteraard? - Dat je gisteren niet lief bent geweest. Die fett gedruckten Satzteile sind jeweils die Subjekte der Sätze Jonathans moeder is moe und Dat je niet lief bent geweest, klopt uiteraard. Im Gegensatz zum Deutschen kann das niederländische Subjekt allerdings nicht am Kasus (naamval) erkannt werden. Subjekte stehen grundsätzlich im Nominativ. Das Niederländische hat allerdings seine Kasusmarkierung weitestgehend verloren, wodurch nur noch bei den Personalpronomen eine Unterscheidung zwischen Nomi‐ nativ und Dativ/ Akkusativ gemacht wird (ik versus mij, jij versus jou etc.; vgl. Kap. 4). Subjekte stehen immer in Kongruenz (congruentie) mit dem finiten Verb (persoonsvorm): Steht das Verb im Singular, steht auch das Subjekt im Singular. Steht das Verb im Plural, gilt das auch für das Subjekt. De man aait de honden ist somit grammatisch, de man aaien de honden nicht, es sei denn, die Hunde sind diejenigen, die streicheln, und nicht der Mann. 6.3.2 Prädikat Das Prädikat ist der zentrale Kern des Satzes und umfasst alle seine verbalen Teile, die in der linken und rechten Satzklammer vorkommen. Das lexikalische Verb steuert den Satzbauplan bei, in dem bestimmt wird, welche weiteren Elemente noch fehlen, um einen grammatischen Satz zu erhalten. Diese Fähigkeit nennt man (nach dem Vorbild der Chemie) Valenz (valentie). Satzglieder werden entweder vom Verb verlangt, dann nennen wir sie Argumente (argumenten), oder sie werden frei hinzugefügt, dann nennen wir sie Adjunkte (adjuncten). Das Verb slapen z.B. verlangt lediglich noch ein Subjekt, dann ist der Satz schon vollständig. Verben, deren Valenz nur ein einziges Argument, nämlich das Subjekt, erfordert, sind intransitiv oder einstellig (onovergankelijk/ intransitief oder eenplaatsig). Das Verb maken verlangt nach einem Subjekt und einem Objekt, so wie in Jan maakt zijn huiswerk. Verben, die Subjekt und Objekt erfordern, nennt man transitiv oder zweistellig (overgankelijk/ transitief oder tweeplaatsig). Eine Reihe von Verben verlangt drei Argumente, ein Subjekt und zwei Objekte, wie z. B. das Verb geven in ik geef oma een cadeau. Diese Verben sind ditransitiv (ditransitief). Nicht alle Argumente eines Verbs müssen grundsätzlich realisiert sein. So kann das transitive Verb drinken (Jan drinkt koffie) auch intransitiv auftreten (Jan drinkt). In der Regel ist eine solche Valenzreduktion (valentiereductie) allerdings mit einer Bedeutungsverschiebung verbunden. 6.3 Satzglieder 171 Von den verbalen Prädikaten (werkwoordelijk gezegde) unterscheiden wir die no‐ minalen Prädikate (naamwoordelijk gezegde). Letztere bestehen aus zwei Teilen: einer Kopula (koppelwerkwoord) und einem Prädikatsnomen (naamwoordelijk deel van het gezegde). Kopulas sind Hilfsverben, die das Subjekt an eine Zustandsbeschreibung im Prädikatsnomen koppeln, wie z. B. zijn, worden und lijken. Im Gegensatz zu einer Handlung, die in der Regel vom verbalen Prädikat ausgedrückt wird (Jan slaat de leraar), schreibt die Kopula dem Subjekt eine Eigenschaft zu (Jan is de leraar). Nominale Prädikate können unterschiedliche Formen annehmen: (32) Jan is timmerman. (33) Els wordt moe. (34) Hij lijkt vrolijk. (35) Het feest is gaande. (36) De snoepjes zijn op. (37) De service is over de top. (38) Films zijn niet meer wat ze geweest zijn. An diesen Beispielen sehen wir, dass die Form des Prädikatsnomens unterschiedlich ausfällt, vor allem ist sie nicht ausschließlich substantivischer Natur, wie man dem Namen nach schließen könnte. In (32) ist das Prädikatsnomen eine NP, in (33) und (34) eine AdjP, in (35) besteht es aus einem Partizip Präsens (tegenwoordig deelwoord), in (36) aus einer AdvP, in (37) aus einer PP, und in (38) ist das Prädikatsnomen ein abhängiger Nebensatz. Wenngleich verbale und nominale Prädikate auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirken, haben sie doch die Eigenschaft gemeinsam, dass sie beide das ausdrücken, was über das Subjekt ausgesagt wird. 6.3.3 Direktes Objekt Das Satzglied, welches am häufigsten neben Subjekt und Prädikat vorkommt, ist das direkte Objekt (direct object/ lijdend voorwerp). Im Deutschen bezeichnet man diese Kategorie auch mit dem Begriff Akkusativobjekt, doch da das Niederländische mit wenigen Ausnahmen im Pronominalsystem keine Kasus mehr markiert, ist diese Benennung dort obsolet. Ob im Satz ein direktes Objekt vorkommt oder nicht, hängt von der Valenz des Verbs ab. Transitive Verben drücken eine Relation zwischen dem Subjekt und dem direkten Objekt aus: (39) Opa bouwt een huis. (40) Oma bakt een taart. 172 6 Sätze und ihre Struktur (41) Papa kookt een eitje. (42) De man aait de hond. (43) De politieagent helpt de vrouw. So kann das direkte Objekt das Resultat der Handlung des Subjekts sein wie in (39) und (40), oder es kann betroffen sein von der Handlung, die im lexikalischen Verb ausgedrückt wird wie in (41) bis (43). Während das Deutsche durch seine Kasusmarkierung noch zwischen Akkusativ-, Dativ- und Genitivobjekten als Argument von zweistelligen Verben unterscheiden kann (z. B. jemandem helfen, jemandes gedenken), wird in der niederländischen Tradi‐ tion syntaktisch nicht weiter zwischen verschiedenen direkten Objekten unterschie‐ den. Wann immer ein einzelnes Objekt im Satz auftritt, ist es das direkte Objekt. 6.3.4 Indirektes Objekt Dreistellige Verben selegieren drei Argumente: das Subjekt, das direkte Objekt und das indirekte Objekt (indirect object/ meewerkend voorwerp). Gewöhnlich nimmt der Rezipient eines ditransitiven Verbs im aktiven Satz die Form des indirekten Objekts an: (44) Opa koopt oma een auto. (45) Hans geeft Inge een tas. Indirekte Objekte können im Niederländischen grundsätzlich auch mit einer Präposi‐ tion, nämlich aan oder voor, realisiert werden. Wann immer wir eine dieser Präposi‐ tionen hinzufügen können, handelt es sich um ein indirektes Objekt. (46) Opa koopt een auto voor oma. (47) Hans geeft een tas aan Inge. Erfragt werden indirekte Objekte mit aan wie oder voor wie. (48) Voor wie koopt opa een auto? - Voor oma. (49) Aan wie geeft Hans een tas? - Aan Inge. 6.3 Satzglieder 173 49 Diese passive Konstruktion, bei der das indirekte Objekt zum grammatischen Subjekt wird, beschreibt die E-ANS (Kap. 22.2.1) ausführlicher, wobei darauf hingewiesen wird, dass diese Konstruktion nicht von allen Sprachbenutzer: innen akzeptiert wird. Exkurs: Thematische Rollen Im Prinzip ist die Differenzierung verschiedener Objekte in Sprachen, die keinen Kasus markieren, sehr schwierig. Mögliche Parameter der Analyse sind einerseits die Stellung im Satz und andererseits die semantische Funktion des Arguments innerhalb einer bestimmten Konstruktion. Während man zum Beispiel im Deutschen die beiden Sätze Der Mann gibt der Frau ein Plätzchen und Der Frau gibt der Mann ein Plätzchen beide zweifelsfrei so versteht, dass die Frau am Ende im Besitz eines Plätzchens ist, ist das im Niederländischen anders: Bei dem Satz de man geeft de vrouw een ei ist die Frau am Ende im Besitz des Eis, bei dem Satz de vrouw geeft de man een ei ist es der Mann. Aufgrund der fehlenden Kasusmarkierung ist es nicht ersichtlich, wer der/ die Handelnde ist und wer der/ die Empfänger: in, daher spielt die Position im Satz eine wichtigere Rolle als im Deutschen. Wenn nicht aus dem Kontext oder einer starken Satzintonation deutlich hervorgeht, wer wem ein Ei gibt, steht in niederländischen ditransitiven Sätzen satzinitial (vor dem finiten Verb, an erster Stelle) das Agens (agens), also dasjenige Argument im Satz, welches die Handlung ausführt. An zweiter Stelle steht der Rezipient (recipiënt), der Empfänger, und als letztes Argument kommt das Patiens (patiens) oder Thema (thema). In dem Satz de vrouw slaat de dief met de tas ist de vrouw wieder das Agens, de dief ist Patiens und met de tas ist das Instrument (instrument), aber nur in der Lesart, in der die Frau mit der Tasche zuhaut. Trägt hingegen der Dieb die Tasche, ist de dief met de tas als Ganzes das Patiens. Diese Kategorien nennt man auch thematische Rollen (thematische rollen). The‐ matische Rollen sind keine syntaktischen Kategorien, vielmehr beschreiben sie die semantische Funktion eines Arguments im Satz. Anders als syntaktische Kategorien bleiben sie über verschiedene Satzkonstruktionen hinweg stabil. So ändert sich zum Beispiel in Passivsätzen die Zuordnung der Kategorien Subjekt und Objekt. Den Satz oma wordt een koekje gegeven kann man auf Niederländisch allerdings so lesen, dass oma nicht mehr das indirekte Objekt, sondern das Subjekt ist. 49 Entsprechend hieße das auf Deutsch sie wird ein Keks gegeben. Im Deutschen ist dies nicht möglich, denn hier wird das direkte Objekt des Aktivsatzes zum Subjekt des Passivsatzes also ein Plätzchen wird Oma gegeben. Die thematischen Rollen bleiben allerdings immer gleich: Opa ist immer das Agens, Oma ist immer der Rezipient, und Plätzchen ist immer das Thema. Wie die Argumente im Satz semantisch beschaffen sein müssen, bestimmt das lexika‐ lische Verb. Dass der Satz de wakkere stoel slaapt blauw nicht interpretiert werden kann, liegt zum Beispiel daran, dass das Verb slapen als Subjekt ein Lebewesen verlangt, da nur Lebewesen auch schlafen können. 174 6 Sätze und ihre Struktur 6.3.5 Präpositionalobjekt Eine Reihe von Verben selegiert immer ein Argument, das von einer speziellen Präposition eingeleitet wird. Diese Argumente nennen wir Präpositionalobjekt (voorzetselvoorwerp). Die Präpositionen haben eine enge Verbindung mit dem Verb, sind nicht durch andere austauschbar und in der Regel semantisch verblichen. (50) Jan denkt aan opa. (51) Kees wacht op de trein. (52) Veel ouders staan op goede manieren. An (52) können wir gut den Unterschied zwischen Präpositionalobjekten und ad‐ verbialen Bestimmungen (Kap. 6.3.6) sehen. Eltern (be)stehen natürlich nicht auf guten Manieren, die Präposition kann also nicht wörtlich (nämlich ortsanweisend) interpretiert werden. Anders ist es bei einer adverbialen Bestimmung: (53) Het boek ligt op de trap. Hier ist die Präposition op semantisch nicht verblichen, sondern deutet den Ort an, an dem sich das Buch befindet. 6.3.6 Adjunkte Adjunkte (adjuncten/ bepalingen) sind in der Regel, anders als die Argumente, im Satz weglassbar. Sie drücken eine spezifischere Eigenschaft ihres Referenten aus. Adverbiale (bijwoordelijke bepalingen) spezifizieren die Handlung, die mit dem Verb ausgedrückt wird, näher. In dem Satz oma bakte gisteren een taart nimmt das Adverbial gisteren Bezug auf bakte, in dem Satz Jonathan ruimt graag zijn kamer op bezieht sich graag auf die Handlung des Aufräumens. Adverbiale können erfragt werden mit Fragewörtern wie waar, wanneer, waarmee, hoe und hoeveel. Attribute (bijvoegelijke bepalingen) beziehen sich nicht auf das Verb, sondern auf ei‐ nen meist nominalen Antezedenten (antecedent). So sind sie auch kein eigenständiges Satzglied, sondern Teil eines Satzgliedes. In der Regel sind Attribute AdjPs, die Töchter innerhalb einer NP sind. In dem Satz De rare man met de dikke bril kijkt televisie sind die AdjPs rare und dikke Attribute der Substantive man und bril. Weglassbare Adjunkte, die nach dem Kopf einer NP stehen, nennen wir Komplemente (complementen). Ein Beispiel für ein Komplement ist met de dikke bril. Eine besondere Form der Adjunkte steht semantisch genau zwischen Adverbial und Attribut, da sowohl die im Prädikat ausgedrückte Handlung als auch ein nominaler Referent gleichzeitig spezifiziert werden. Diese Satzglieder nennt man prädikative Attribute (bepalingen van gesteldheid). Sehen wir uns die folgenden Sätze an: 6.3 Satzglieder 175 (54) Hongerig kwam Thies langs. (55) Gisteren kwam Thies langs. (56) Lachend keek hij me aan. (57) Soms keek hij me aan. (58) Slapend hebben ze de kat vervoerd. (59) Stiekem hebben ze de kat vervoerd. Die fett gedruckten Satzglieder sind prädikative Attribute, gisteren, soms und stiekem sind gewöhnliche Adverbiale. Hongerig, lachend und slapend charakterisieren nicht allein die Handlung, die im Prädikat ausgedrückt wird, sondern sie beschreiben zusätzlich noch die Eigenschaft eines nominalen Antezedenten: In (54) und (56) ist das jeweils das Subjekt des Satzes, nämlich Thies und hij, in (58) ist es das direkte Objekt, nämlich de kat. 6.4 Satzarten Mit der Hilfe des topologischen Modells können wir abschließend noch die verschie‐ denen niederländischen Satztypen (zinstypes) syntaktisch klassifizieren. Die ANS bedient sich dabei der Position des finiten Verbs (persoonsvorm/ pv) als Kriterium und klassifiziert Sätze in solche mit voor-pv (finites Verb vorne im Satz) und solche mit achter-pv (finites Verb hinten im Satz). Die Klasse der Sätze mit voor-pv kann wiederum unterteilt werden in Sätze mit finitem Verb an erster Stelle und Sätze mit finitem Verb an zweiter Satzgliedstelle. In der ersten Gruppe finden wir die unabhängigen Hauptsätze (zelfstandige hoofdzinnen). Dazu gehören die Fragesätze (vraagzinnen) (60) und die Imperative (gebiedende wijs) (61). Das finite Verb steht an zweiter Stelle in deklarativen Sätzen (mededelende zinnen) (62). Sätze mit achter-pv sind in der Regel abhängige Nebensätze (afhankelijke bijzinnen), die nicht allein stehen können. Dabei unterscheiden wir wieder zwei verschiedene Typen, nämlich Nebensätze, die innerhalb des Satzes als Satzteil fungieren (63), und Nebensätze, die als Teil eines Satzteiles oder einer Konstituente auftreten (64). In der linken Satzklammer steht bei Sätzen mit achter-pv nicht das finite Verb, sondern das Bindewort (bindterm), das Haupt- und Nebensatz miteinander verbindet: (60) Loop jij even mee? (61) Denk niet de hele tijd aan auto’s! (62) Dat zei ik toch gisteren al. (63) (Ik zei toch gisteren al) dat je eerst nog even moet opruimen. 176 6 Sätze und ihre Struktur (64) (De man) die ik gisteren belde (was niet bijzonder vriendelijk). Wir unterscheiden Satzarten also auf zwei verschiedenen Ebenen: voor-pv versus achter-pv sowie Hauptsätze versus Nebensätze. Im topologischen Schema sehen die verschiedenen Satztypen des Niederländischen aus wie in Tabelle 6.3. - Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld 1a Ik heb gisteren nog gevraagd of je komt. 1b - Heb je dit gelezen eigenlijk? 2 - dat ik nog even ga stofzuigen als ik thuiskom. Tab. 6.3: Topologisches Satzmodell 2 In Anlehnung an die ANS nennen wir die drei möglichen Satzmuster 1a (voor-pv mit besetztem Vorfeld), 1b (voor-pv ohne besetztes Vorfeld) und 2 (achter-pv). Doch wofür benötigen wir eigentlich zwei verschiedene Beschreibungsebenen? In Schulgrammati‐ ken kommt man doch auch mit der Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen aus. Der Grund liegt darin, dass die Kategorien Haupt- und Nebensatz eben nicht 1: 1 auf bestimmte Satzmuster übertragen werden können. Die große Mehrheit der Hauptsätze fällt zwar unter das Satzmuster 1a, doch wie ist es mit solchen exklamativen Sätzen wie z. B. Dat je dat allemaal voor me doet! Dieser Satz kann zwar alleine stehen, fällt aber unter das Satzmuster 2. In der direkten Rede treffen wir hingegen Fälle an, in denen ein Satz des Typs 1 ein abhängiger Nebensatz ist, wie in dem Satz Hij riep: “Stel je niet zo aan! ”, wo der Imperativ das direkte Objekt des übergeordneten Satzes ist. In der Typologie (typologie) werden die Sprachen der Welt (unter anderem) hinsichtlich ihres Satzbaus klassifiziert. Dabei wird die relative Reihenfolge von Subjekt, Verb und Objekt (S, V und O) im deklarativen Hauptsatz der einzelnen Sprachen miteinander verglichen. Englisch und Französisch zum Beispiel sind SVO-Sprachen. Japanisch ist eine SOV-Sprache, das finite Verb steht immer am Satzende. Deutsch und Niederländisch sind nicht so einfach zu klassifizieren: Beide Sprachen haben SVO im Hauptsatz, und SOV in Nebensätzen. Darüber, wie das zu analysieren sei, kann diskutiert werden. So argumentiert z. B. Koster (1981), dass Niederländisch und Deutsch SOV als Basisreihenfolge haben, von der die Hauptsatzfolge SVO abgeleitet ist. Daher spricht man auch von ‚unterliegend SOV‘ (onderliggend SOV). In moderneren Arbeiten wird das Problem häufig so gelöst, dass man den Zwang, sich auf eine Variante beschränken zu müssen, einfach fallenlässt. Im World Atlas of Language Structures (WALS) z. B. werden 6.4 Satzarten 177 Niederländisch und Deutsch geführt als Sprachen ohne dominante Reihenfolge, die SVO im Hauptsatz und SOV im Nebensatz aufweisen. Die Struktur von natürlichen Sätzen ist häufig komplex, und entsprechend vielschichtig ist auch deren Beschreibung. Wir haben in diesem Kapitel Konstituenten, Satzglieder und Satzmodelle kennengelernt, drei Beschreibungsniveaus, die nahtlos ineinander‐ greifen und deren Zusammenspiel es uns ermöglicht, die verschiedenen Formen und Funktionen von Sätzen zu analysieren. 6.5 Zusammenfassung In diesem Kapitel haben wir uns mit der internen Struktur von Sätzen beschäftigt. Sätze setzen sich zusammen aus Konstituenten, die jeweils benannt sind nach ihrem zentralen Element, dem Kopf. Dieser vererbt der Konstituente seine syntaktischen und semantischen Merkmale. Konstituenten haben eine interne Ordnung, die je nach Typ unterschiedlich strikt ist. Ob es sich bei einem Komplex um eine Konstituente handelt oder nicht, können wir anhand verschiedener Tests herausfinden. Dazu gehören die Ersetzungsprobe, der Pronominalisierungstest, die Verschiebeprobe und der Fragetest. Konstituenten können rekursiv sein, eine Kategorie X kann also wiederum Kategorie X beinhalten. Rekursion ist verantwortlich für die potentielle Infinitheit menschlicher Sprache. In einigen Fällen kann eine einzelne Konstituente verschiedene syntaktische Ab‐ hängigkeiten aufweisen. In solchen Fällen ist die Struktur ambig. In den Fällen, die wir gesehen haben, besteht die Ambiguität darin, dass einzelne Konstituenten entweder als eingebetteter Teil einer anderen Konstituente verstanden werden können oder als dieser nebengeordnet. Ein möglicher Ort für syntaktische Ambiguität sind koordinierte Strukturen, in denen zwei Elemente der gleichen Kategorie einander mit Hilfe einer Konjunktion nebengeordnet werden. Wird ein Element einem anderen mit einer Konjunktion untergeordnet, sprechen wir von Subordination. Neben der phrasalen Struktur ist die funktionale Struktur von entscheidender Bedeutung für die Interpretation eines Satzes. Wir haben die traditionellen Satzglieder Subjekt, Prädikat, direktes Objekt, indirektes Objekt, Präpositionalobjekt und Adjunkt kennengelernt. Zum Schluss haben wir die verschiedenen niederländischen Satztypen mithilfe des topologischen Modells klassifiziert. Dabei haben wir zwei verschiedene Analyseniveaus unterschieden: erstens die Einteilung nach dem Ort des finiten Verbs und zweitens die Einteilung in Haupt- und Nebensatz. Nur in Kombination können diese beiden Beschreibungsebenen die verschiedenen niederländischen Satztypen vollstän‐ dig klassifizieren. 178 6 Sätze und ihre Struktur Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Lesen Sie die folgenden Sätze. Handelt es sich bei den fett gedruckten Komplexen um eine Konstituente? Beweisen bzw. widerlegen Sie mithilfe von jeweils zwei Konstituententests. a. Dat je gisteren niet gekomen bent vond ik helemaal niet leuk. b. De politieagent kwam de trap op. c. Ik heb gisteren vis gegeten. 2. Sind die folgenden Sätze ambig? Wenn ja, warum? a. De man legt het boek op tafel. b. Oude kaas en ijsjes zijn mijn lievelingseten. 3. AdjPs können als eigenständige Satzglieder entweder adverbial (mijn zus zingt heel mooi) oder prädikativ (mijn zus is heel mooi) verwendet werden. Worin besteht der Unterschied zwischen den beiden Gebrauchsweisen? 4. Im Text ist die Rede von unabhängigen Hauptsätzen und abhängigen Nebensätzen. Es gibt aber auch abhängige Sätze mit voor-pv und unabhängige Sätze mit achter-pv. Welche sind das? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Einen besonders ansprechenden und zugänglichen Einstieg gibt Henk Wolf mit seinem Basisboek Syntaxis (2018). Ebenfalls für Anfänger: innen geeignet ist das Werk von Hans Smessaert et al. Morfologie en syntaxis (2019). Eine tiefergehende Einführung mit einer zusätzlichen Übungs-CD bietet Hans Bennis’ (2010) Syntaxis van het Nederlands. Die Standardgrammatik von Wim Klooster Grammatica van het hedendaags Nederlands: een volledig overzicht (2001) geht auch auf verschiedene syntaktische Aspekte ein. Eine deskriptive Grammatik des Niederländischen, die neben den generellen Strukturen auch einzelne Phänomene beschreibt, ist die digitale Algemene Nederlandse Spraakkunst (E-ANS). Ein umfassendes Handbuch für Sprachwissenschaftler: innen ist die siebentei‐ lige englischsprachige Reihe Syntax of Dutch (2012-2019), auch online verfügbar unter der Open Acces Bibliothek OAPEN oder unter taalportaal.org. Aufgaben 179 7 Sätze und ihre Bedeutung Ronny Boogaart Die Zeitschrift Onze Taal veröffentlicht auf ihrer Rückseite Stilblüten aus dem alltäg‐ lichen Leben. Dabei handelt es sich häufig um Sätze, die unterschiedlich aufgefasst werden können wie: Het merendeel van die patiënten stuurt de huisarts door naar een specialist. nos.nl, 02.06.2018 So ein Satz zeigt, dass man mehr als die Bedeutung der einzelnen Wörter kennen muss, um ihn richtig zu verstehen. Selbst wenn man die Bedeutungen der einzelnen Wörter in einem Wörterbuch nachschlägt, weiß man immer noch nicht, was der Satz in seiner Gesamtheit bedeutet. Für die Bedeutung eines Satzes spielt nicht nur die Summierung der Wortbedeutungen eine Rolle, sondern auch die Funktionen der Konstituenten, das heißt die syntaktische Struktur. Im Niederländischen steht meistens das Subjekt am Satzanfang, was dazu führt, dass man den obenstehenden Satz zunächst wie folgt interpretiert: Der größte Teil der Patient: innen schickt den Hausarzt zur Spezialistin. Der Doktor ist bei dieser Auffassung das direkte Objekt. Aber de huisarts kann auch das Subjekt des Satzes sein und so war der Satz auch gemeint. Derartige Fälle von syntaktischer Ambiguität kommen auch in Kapitel 6.1.6 vor. Für die Interpretation der Bedeutung eines Satzes spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Zunächst wird in Kapitel 7.1 erörtert, was man überhaupt unter einem ‚Satz‘ versteht und was alles zur ‚Bedeutung eines Satzes‘ gehört. Dazu wird zwischen Sätzen und Äußerungen unterschieden. Kapitel 7.2 behandelt die Frage, was die Bedeutung eines Satzes ist und stellt drei Ansätze zu dieser Frage vor: Sätze bringen Propositionen zum Ausdruck (Kap. 7.2.1), Sätze haben eine konzeptionelle Bedeutung (Kap. 7.2.2) und Sätze präsentieren verschiedene Situationstypen (Kap. 7.2.3). Außerdem kommen in einem Satz grammatische Elemente vor, die der Satzbedeutung etwas hinzufügen, z. B. die Zeitform des Verbs und spezifische Konstruktionen. Diese grammatischen Aspekte werden in Kapitel 7.3 behandelt. 7.1 Sätze und Äußerungen Wer im Alltag den Begriff Bedeutung (betekenis) verwendet, meint damit oft etwas anderes als das, was man in der Sprachwissenschaft unter Satzbedeutung oder Satzse‐ mantik versteht (zinsbetekenis). Im Alltag sprechen wir oft von der Absicht, die ein: e 50 https: / / lopik.archiefweb.eu/ #archive (aufgerufen am 19.04.2023). Sprecher: in mit dem Satz zum Ausdruck bringen will, und von der Interpretation eines Satzes in einem bestimmten Kontext. Dies fällt aber in den Bereich der Pragmatik (Kap. 8). Abb. 7.1: Banner, das nach den Sommerferien an vielen Straßen aufgehängt wird Ein Beispiel ist der Satz (1) auf dem Banner in Abbildung 7.1: (1) Onze scholen zijn weer begonnen. Wenn jemand fragt, was der Text hier ‚bedeutet‘, könnte man antworten, dass es eine Aufforderung für Autofahrer: innen ist, wegen vieler am Straßenverkehr teilnehmender Schüler: innen vorsichtig zu fahren. Das ist aber keine Frage der Satzbedeutung, weil man diese nicht ‚zusammenrechnen‘ kann, indem man die lexikalischen und syntaktischen Informationen im Satz miteinander kombiniert. Man benötigt dafür den Kontext. Der Satz Onze scholen zijn weer begonnen kann in verschiedenen Kontexten nämlich unterschiedlich interpretiert werden. Ein Schüler zum Beispiel, der verschlafen hat, kann über einen Messengerdienst eine ironische Nachricht mit genau dem gleichen Satz bekommen, und dieser Satz ‚bedeutet‘ dann, dass er sich so schnell wie möglich auf den Weg zur Schule machen soll. Noch anders verhält es sich in Beispiel (2), einer Nachricht des Bürgermeisters in Lopik vom September 2020: (2) De zomervakantie is voorbij, de scholen zijn weer begonnen en de herfst heeft zijn intrede gedaan. Dat betekent dat we allemaal weer minder buiten en vaker binnen in ruimtes bij elkaar zijn. Mede daardoor wordt het risico van besmetting met het coronavirus groter. 50 - ‚Die Sommerferien sind vorbei, die Schule hat wieder angefangen und der Herbst hat Einzug erhalten. Das bedeutet, dass wir alle wieder weniger draußen und öfter drinnen zusammen in einem Raum sind. Auch dadurch erhöht sich das Corona-Infektionsrisiko.‘ 182 7 Sätze und ihre Bedeutung 51 Dieses Prinzip wird häufig dem deutschen Philosophen Gottlob Frege zugeschrieben. Dass die Schule wieder angefangen hat, ‚bedeutet‘ nach Aussage des Bürgermeisters, dass das Corona-Infektionsrisiko steigt. Hier bezieht sich das Verb betekenen auf die Konsequenzen eines Ereignisses in der Wirklichkeit und so wird dieses Verb außerhalb der Linguistik häufig verwendet. Die ‚Bedeutung‘ des Satzes de scholen zijn weer begonnen ist aber in allen besprochenen Beispielen genau die gleiche. Die Satzbedeutung ist also im Grunde nicht vom Kontext abhängig. Das Prinzip der Kompositionalität (compositionaliteit) besagt, dass die Semantik eines Satzes aus der Bedeutung aller zusammengerechneten Einheiten (des Lexi‐ kons) und der syntaktischen Struktur abgeleitet werden kann, also die Summierung von Lexikon und Syntax ist (Abb. 7.2). 51 LEXICON SYNTAXIS ZINSBETEKENIS Abb. 7.2: Die Kompositionalität der Satzbedeutung Es ist daher sinnvoll, Sätze (zinnen) und Äußerungen (uitingen) voneinander zu unterscheiden. Ein Satz ist eine Folge von Wörtern mit einer bestimmten Struktur und einer konstanten Bedeutung. Die Begriffe ‚Satz‘ und ‚Satzbedeutung‘ sind also recht abstrakte Begriffe. Sie haben keinen Bezug zur Verwendung eines Satzes und sind unabhängig von Sprecher: in und Sprechzeitpunkt. Ein Satz ist eine Einheit, die man sprachwissenschaftlich analysieren kann, aber ein Satz kommt in der Wirklichkeit nur in Form einer Äußerung vor. Eine Äußerung wiederum ist ein einmaliges, kontextge‐ bundenes Ereignis, mit dem Sprecher: innen unterschiedliche Absichten zum Ausdruck bringen können. Mit dem Satz Onze scholen zijn weer begonnen kann ein: e Sprecher: in ‚Fahr vor‐ sichtig! ‘, ‚Aufwachen! ‘ oder ‚Sorgen Sie für gute Lüftung‘ meinen. In diesen drei Fällen handelt es sich jedoch um Implikaturen (implicaturen), die kein Teil der Satzbedeutung sind. Die in diesem Kapitel behandelte Semantik ist nur ein Bestandteil der Interpretation einer Äußerung, die im Übrigen vom Kontext bestimmt wird, wie Abbildung 7.3 zeigt: 7.1 Sätze und Äußerungen 183 UITING IMPLICATUREN (PRAGMATIEK) ZINSBETEKENIS (SEMANTIEK) Abb. 7.3: Die Interpretation einer Äußerung besteht aus mindestens zwei Elementen 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? Auf die Frage, was die Bedeutung eines Satzes eigentlich ist und wie man sie beschrei‐ ben kann, sind verschiedene Antworten möglich. Im Großen und Ganzen kann man zwischen zwei Ansätzen unterscheiden, die je einen anderen Aspekt der Satzbedeutung hervorheben. Einerseits gibt es die formale oder wahrheitskonditionale Semantik (formele oder waarheidsconditionele semantiek), die sich insbesondere mit der beschrei‐ benden Bedeutung von Sätzen beschäftigt: Ein Satz stellt eine Behauptung über die Wirklichkeit auf und man versteht die Bedeutung des Satzes dann, wenn man weiß, unter welchen Bedingungen die Behauptung wahr ist und wann nicht (Kap. 7.2.1). Andererseits gibt es die kognitive oder konzeptuelle Semantik (cognitieve oder conceptuele semantiek), die davon ausgeht, dass Sätze nicht die Wirklichkeit beschrei‐ ben, sondern dass Sprachbenutzer: innen mit einem Satz immer nur eine bestimmte Konzeptualisierung (conceptualisering) bzw. in der kognitiven Terminologie ein bestimmtes Construal der Wirklichkeit zum Ausdruck bringen (Kap. 7.2.2). In beiden Ansätzen wird davon ausgegangen, dass Sätze Situationen (situaties) präsentieren, weshalb man verschiedene Situationstypen unterscheidet (Kap. 7.2.3). 7.2.1 Propositionen und Wahrheitsbedingungen Ein wichtiger Unterschied zwischen der Bedeutung eines Wortes und der Bedeutung eines Satzes ist, dass man mit einem Satz eine Aussage über etwas treffen kann. Wer einen Satz bildet, behauptet meist etwas und diese Behauptung kann wahr (waar) oder falsch (niet waar) sein, also mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder nicht. Entweder die Schule hat angefangen oder nicht, und wenn sie nicht angefangen hat, dann ist der Text auf dem Banner (Abb. 7.1) falsch. Eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann, wird als Proposition (propositie) oder als propositionaler Inhalt (propositionele inhoud) des Satzes bezeichnet. 184 7 Sätze und ihre Bedeutung 52 Dieses Phänomen wird als Topikalisierung bezeichnet (vgl. Kap. 6.2). Ein Satz ist also nicht das gleiche wie eine Proposition, aber ein Satz kann dazu benutzt werden, eine Proposition in Worte zu fassen bzw. eine Aussage auf eine bestimmte Art und Weise zu formulieren. Ein Satz hat nämlich eine Form und eine Bedeutung, während eine Proposition sich ausschließlich auf den Inhalt bezieht. Was in diesem Kontext Proposition heißt, wird außerhalb der Sprachwissenschaft häufig der Gedanke genannt, den ein Satz zum Ausdruck bringt. Wie jedoch Gedanken genau aussehen und ob sie die Form einer Proposition haben, wissen wir eigentlich nicht. - 7.2.1.1 Propositionale und nicht-propositionale Bedeutung Unterschiedliche Sätze können prinzipiell dieselbe Proposition ausdrücken. Dies gilt beispielsweise für Übersetzungen, wie in (3): (3) Schnee ist weiß. - Snow is white. - Sneeuw is wit. Es handelt sich nicht um dieselben Sätze, aber sie drücken denselben Inhalt, also dieselbe Proposition aus. Wenn Schnee nicht weiß ist, sind alle drei Sätze falsch. Auch verschiedene Sätze in einer Sprache können für dieselbe Proposition verwendet werden, wie in (4) mit einer aktiven und in (5) und (6) mit einer passiven Konstruktion: (4) De burgemeester opent de nieuwe school. (5) De nieuwe school wordt door de burgemeester geopend. (6) Door de burgemeester wordt de nieuwe school geopend. Die Sätze beschreiben die gleiche Situation in der Wirklichkeit; sie beinhalten also dieselbe Proposition: Wenn der Bürgermeister die neue Schule nicht eröffnet, sind alle Sätze falsch. Manche Sprachwissenschaftler: innen setzen die Begriffe ‚Bedeutung‘ und ‚Satzbedeutung‘ mit der propositionalen Bedeutung gleich. In diesem Fall bedeuten die Sätze (4) und (5) dasselbe, eben weil sie die gleiche Situation in der Wirklichkeit präsentieren. Auch Satz (6) bedeutet das gleiche, denn hier wird derselbe propositionale Inhalt mit einer anderen Wortfolge präsentiert, was die Interpretation des Satzes nuanciert: Der/ Die Sprachbenutzer: in beginnt den Satz nicht ohne Grund mit door de burgemeester. 52 Wenn die Wortfolge etwas an der Satzbedeutung ändert, so betrifft dies die nicht-propositionale Bedeutung. Der Satz verweist schließlich nicht auf eine andere Situation als die Sätze (4) und (5). 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? 185 UITING IMPLICATUREN (PRAGMATIEK) ZINSBETEKENIS (SEMANTIEK) propositionele betekenis niet-propositionele betekenis Abb. 7.4: Die propositionale Bedeutung eines Satzes ist nur ein Teil der Satzbedeutung Auch Implikaturen werden nicht zur propositionalen Bedeutung gerechnet und des‐ halb als nicht-wahrheitskonditional (niet-waarheidsconditioneel) bezeichnet. Ob die/ der Sprecher: in mit onze scholen zijn weer begonnen meint, dass Autofahrer: innen vorsichtig fahren müssen oder für gut belüftete Klassenräume gesorgt werden muss, hat keinerlei Einfluss auf die wahrheitskonditionale Bedeutung des Satzes. Die propositionale Bedeutung eines Satzes stellt also nur einen Teil dessen dar, was wir hier als ‚Satzbedeutung‘ auffassen: Als Sprachwissenschaftler: in möchte man beispielsweise auch etwas über den Beitrag des Passivs oder der Wortfolge zur Bedeutung des Satzes sagen können. Denn diese Phänomene betreffen alle die Form des Satzes. Allerdings sind die Bedeutungen dieser Formen keine Implikaturen - vom Typ ‚vorsichtig fahren‘ in Beispiel 1 -, sondern Bestandteil der Satzbedeutung, so wie dies in Abbildung 7.4 dargestellt ist. - 7.2.1.2 Wahrheitsbedingungen Propositionen können wahr oder falsch sein, d. h. sie treffen entweder auf eine Situation in der Wirklichkeit zu oder nicht; eine Proposition hat demnach einen Wahrheitswert (waarheidswaarde). Es gibt Propositionen, die immer wahr sind, sogenannte analytische Propositionen (analytische proposities), die meistens Bezug auf die lexikalische Bedeutung von Wörtern haben, wie een vrijgezel is ongetrouwd (ein Junggeselle ist unverheiratet). Bei den meisten Propositionen handelt es sich aber um synthetische Propositionen (synthetische proposities), die entweder wahr oder falsch sind: Entweder der Bürgermeister eröffnet die neue Schule oder eben nicht. 186 7 Sätze und ihre Bedeutung 53 In These 4.024 seines Tractatus Logico-Philosophicus (1921) sagt Ludwig Wittgenstein: „Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.“ (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) In der wahrheitskonditionalen Semantik oder auch formalen oder logischen Semantik (waarheidsconditionele bzw. formele oder logische semantiek) stimmt die Bedeutung eines Satzes überein mit den Bedingungen, unter denen dieser Satz wahr ist, den sogenannten Wahrheitsbedingungen (waarheidsvoorwaarden). 53 Wir verstehen die propositionale Bedeutung eines Satzes, wenn wir wissen, wie die Welt aussehen muss, um diesen Satz wahr sein zu lassen. Wenn man weiß, was de bur‐ gemeester opent de nieuwe school bedeutet, dann weiß man, unter welchen Bedingungen dieser Satz in einer Situation in der Wirklichkeit zutreffend ist. Man weiß, wann diese Proposition wahr ist. Dabei ist es irrelevant, ob die Proposition mithilfe einer aktiven oder passiven Konstruktion oder in einer veränderten Wortfolge ausgedrückt wird: Die propositionale Bedeutung und die Wahrheitsbedingungen ändern sich dadurch nicht. Sätze werden nicht nur für Aussagen verwendet, man kann zum Beispiel auch eine Frage stellen oder einen Auftrag erteilen: (7) Opent de burgemeester de nieuwe school? (8) Burgemeester, open de nieuwe school! In (7) will die/ der Fragende wissen, was der Wahrheitswert der Proposition ist, in (8) will die/ der Auftraggeber: in, dass der propositionale Inhalt verwirklicht wird. Diese Sätze haben den gleichen propositionalen Inhalt wie die Sätze (4)-(6), drücken aber andere Sprechakte aus (vgl. Kap. 8.4). Bei den Beispielen (7) und (8) ist es schwierig, von wahr oder falsch zu sprechen, weil man von jemandem, der/ die eine Frage stellt oder einen Befehl erteilt, eigentlich nie behaupten kann, dass er/ sie lügt. Denn um lügen zu können, muss man etwas behaupten. Derartige Frage- und Aufforderungssätze stellen daher eine Herausforderung für die wahrheitskonditionale Semantik dar. Denn was ist die Bedeutung von Sätzen wie (7) und (8), wenn Bedeutung anhand von Wahrheitsbe‐ dingungen formuliert werden muss? Ein möglicher Lösungsansatz ist, dass Fragen und Befehle keine Wahrheitsbedingungen, sondern Glückensbedingungen (Kap. 8.4) haben und dass der in einem Satz ausgedrückte Sprechakt zum nicht-propositionalen Inhalt gehört. 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? 187 7.2.1.3 Satz, Äußerung, Proposition Wir haben nun Sätze, Äußerungen und Propositionen unterschieden: Propositionen können in unterschiedlichen Sätzen ausgedrückt werden und diese können in unter‐ schiedlichen Äußerungen formuliert werden (Abb. 7.5). PROPOSITIE ZIN UITING UITING UITING UITING UITING UITING UITING UITING UITING ZIN ZIN Abb. 7.5: Satz, Äußerung, Proposition Weil die propositionale oder wahrheitskonditionale Bedeutung sich auf die Beziehung zwischen Satz und Wirklichkeit bezieht, wird sie auch die denotationale (denotati‐ onele), referentielle (referentiële) oder verweisende (verwijzende) Bedeutung eines Satzes genannt. Sie ergibt sich aus der Antwort auf die Frage: Auf welche Situation verweist dieser Satz? Das muss nicht unbedingt eine Situation in der realen Welt sein, denn man kann zum Beispiel auch die Sätze eines fiktiven Romans verstehen. Auch in diesem Fall weiß man, unter welchen Bedingungen die Propositionen in ‚der‘ oder ‚einer‘ Wirklichkeit wahr wären - auch wenn es sich um eine fiktive oder zukünftige Welt handelt. 7.2.2 Konzeptuelle Bedeutung Wenn man die Satzbedeutung als die Wahrheitsbedingungen der Proposition auffasst, dann geht es vor allem um die Art und Weise, wie Menschen mit Sätzen wahre oder falsche Mitteilungen übermitteln können, d. h. um die Art und Weise, wie Menschen mithilfe von Sprache Informationen über die Wirklichkeit austauschen. Die beschreibende oder verweisende Funktion von Sätzen ist allerdings nur ein Teil der Satzbedeutung. Trotz eines Wechsels von Aktiv zu Passiv oder der Wortfolge kann die verweisende Bedeutung eines Satzes - wie wir bereits gesehen haben - gleich bleiben. Auf der Ebene der Satzbedeutung jedoch ergeben sich dadurch schon Veränderungen: 188 7 Sätze und ihre Bedeutung (4) De burgemeester opent de nieuwe school. (5) De nieuwe school wordt door de burgemeester geopend. (6) Door de burgemeester wordt de nieuwe school geopend. Die bereits erwähnten Beispiele (4)-(6) beschreiben dieselbe Situation in der Wirklich‐ keit, weisen aber unterschiedliche Konzeptualisierungen (conceptualiseringen) der Situation auf. Sobald Sprachbenutzer: innen eine Situation in Worte fassen, bringen sie notwendigerweise eine bestimmte, subjektive Perspektive zum Ausdruck. So bestimmen die Sprachbenutzer: innen - und nicht die Situationen -, wie sie über die Wirklichkeit sprechen, indem sie aus den lexikalischen und grammatischen Mitteln der Sprache eine Auswahl treffen. Man kann über jede Situation auf viele verschiedene Arten sprechen; in unserem Beispiel lässt sich noch das Hilfsverb zullen hinzufügen, wie in (9): (9) Door de burgemeester zal de nieuwe school geopend worden. Indem Sprecher: innen eine bestimmte Formulierung wählen, konstruieren (construe‐ ren) sie die Situation jedesmal eine Spur anders, schaffen mit den verschiedenen Sätzen jeweils ein anderes ‚Bild‘ und zeigen so, wie sie die Wirklichkeit sehen. In Abbildung 7.6 ist dieses ‚Bild‘, das Construal oder die Konzeptualisierung (construal bzw. conceptualisering) als Gedankenwolke zwischen dem Satz und der Welt dargestellt: Die Weltkugel steht hier für die Inhalte, über die man spricht. Dabei muss es sich - wie gesagt - nicht unbedingt um Situationen in der tatsächlichen Wirklichkeit handeln. Abb. 7.6: Sätze präsentieren eine bestimmte Konzeptualisierung der Wirklichkeit 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? 189 54 Dieser Ansatz der kognitiven Semantik wurde zum ersten Mal ausführlich behandelt und illustriert von George Lakoff in seinem Buch Women, fire, and dangerous things. What categories reveal about the mind (1987). Während sich die wahrheitskonditionale Semantik mit der Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit beschäftigt, untersucht die kognitive Semantik (cognitieve seman‐ tiek) die Struktur der dazwischenliegenden Ebene, nämlich die Art und Weise, wie Menschen mithilfe von Sätzen die Wirklichkeit konzeptualisieren. Nach der kognitiven Semantik korrespondieren unterschiedliche Sätze mit unterschiedlichen Vorstellungen von der Wirklichkeit und es sind diese Vorstel‐ lungen, die die Bedeutung der Sätze bilden. 54 Auch wenn diese unterschiedlichen Sätze aus Sicht der formalen Semantik den gleichen propositionalen Inhalt haben und für die gleiche Situation verwendet werden können, haben sie aus Sicht der kognitiven Semantik eine andere konzeptuelle Bedeutung. - 7.2.2.1 Konzeptuelle Metaphern Die Analyse der konzeptuellen Bedeutung von Sätzen zeigt, dass komplexe Ereignisse und abstrakte Dinge meistens genauso dargestellt werden wie physische Erfahrungen und konkrete Dinge. So ist Zeit ein abstraktes Konzept - man kann Zeit nicht sehen oder anfassen -, aber man spricht über Zeit, als ob man sie in einer konkreten räumlichen Dimension positionieren kann: (10) Dat ligt nu achter ons. (11) Er liggen nog mooie jaren voor ons. In diesen Beispielen sieht man, dass wir uns die Vergangenheit als etwas vorstellen, das sich hinter uns befindet, und die Zukunft als etwas, das sich vor uns befindet (Abb. 7.7). 190 7 Sätze und ihre Bedeutung 55 In wiederum anderen Sprachen wird Zeit nicht horizontal, sondern vertikal konzeptualisiert, wobei die Vergangenheit ,unten‘, die Zukunft ‚oben‘ liegt. Abb. 7.7: Die Konzeptualisierung von Zeit als Raum 1: Die Zukunft liegt vor uns, die Vergangenheit liegt hinter uns Für Muttersprachler: innen des Niederländischen und Deutschen ist diese Vorstellung selbstverständlich. Es gibt jedoch andere Sprachen, in denen es sich genau andersherum verhält: Hier wird die Vergangenheit als etwas gedacht, das sich vor einem befindet, und die Zukunft als etwas, das sich hinter einem befindet. Denn die Vergangenheit kann man ‚überschauen‘, die Zukunft jedoch liegt jenseits des Blickfeldes (Abb. 7.8). 55 Abb. 7.8: Die Konzeptualisierung von Zeit als Raum 2: Die Vergangenheit liegt vor uns, die Zukunft liegt hinter uns Die Präpositionen achter und voor werden hier metaphorisch (metaforisch) verwen‐ det. Die kognitive Semantik fasst den Begriff der Metapher bzw. der konzeptuellen Metapher allerdings breiter auf. Denn vielen Sätzen liegt die immer gleiche Metapher zugrunde und diese allgemeinen Metaphern strukturieren unsere Konzeptualisierung 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? 191 56 George Lakoff und Mark Johnson nennen dies Metaphors we live by, der Titel ihres Buchs aus dem Jahr 1980. der Wirklichkeit: die Gedankenwolke in Abbildung 7.6. 56 Im Niederländischen und in vielen anderen Sprachen besteht also eine konzeptuelle Metapher TI J D I S R UIMT E und mindestens zwei spezifischere Metaphern TO E K OM S T I S VO O R und V E R L E D E N I S ACHT E R (wie in Abb. 7.7 dargestellt). Konzeptuelle Metaphern haben immer die Form X I S T Y : x bezeichnet das Ziel (doel) oder Target und y die Quelle (bron) oder Source; wir denken und reden also über komplexe und abstrakte Sachen (x) mit Hilfe von einfacheren und konkreteren Konzepten (y). In den Beispielen (10) und (11) zeigt sich dies in der Verwendung der räumlichen Präpositionen achter und voor für Vergangenheit und Zukunft, aber genau die gleichen konzeptuellen Metaphern liegen auch den Sätzen in (12) und (13) zugrunde: (12) Je moet niet terugkijken; je kunt het achter je laten. (13) Ik kijk uit naar de vakantie; ik leef er echt naar toe. Der Begriff der konzeptuellen Metapher richtet sich also nicht auf die metaphorische Verwendung einzelner Wörter oder die literarische Verwendung der Stilfigur Meta‐ pher, sondern auf die Art und Weise, wie Menschen die Wirklichkeit ordnen und strukturieren, um über sie sprechen zu können. Die Metapher Z E IT I S T R AUM ist allerdings nicht die einzige Art, um über Zeit zu sprechen. Es gibt beispielsweise auch die Metapher Z E IT I S T E IN S ICH B EWE G E ND E S O B J E KT : In (13) bewegt sich der/ die Sprecher: in auf die Ferien zu; man kann auch sagen de vakantie komt eraan oder noch einfacherer de komende vakantie, als ob zukünftige Ereignisse auf einen zukommen (Abb. 7.9). Abb. 7.9: Die Konzeptualisierung der Zukunft als auf uns zukommend 192 7 Sätze und ihre Bedeutung So bilden konzeptuelle Metaphern eine der Möglichkeiten, wie Sprachbenutzer: innen in ihren Äußerungen eine bestimmte Vision auf die Welt sichtbar machen. Während die formale Semantik Wahrheitsbedingungen von Propositionen verwendet, um die Bedeutung von Sätzen anzugeben, verwendet die kognitive Semantik häufig tatsächlich Bilder, um das ‚Bild‘, das Sprachbenutzer: innen mit einem Satz von der Wirklichkeit schaffen, zu visualisieren. Ein anderes Beispiel für eine konzeptuelle Bedeutung liefert die Algemene Neder‐ landse Spraakkunst (ANS) mit ihrer Beschreibung des Bedeutungsunterschieds zwischen Präpositionen und Postpositionen: (14) Het politiebusje rijdt door de straat. (15) Het politiebusje rijdt de straat door. Sowohl die Präposition door in (14) als auch die Postposition door in (15) deutet einen ‚Pfad‘ an. Der Unterschied besteht darin, dass de straat door einen Pfad vom einen zum anderen Ende der Straße beschreibt, während das für door de straat nicht zutrifft. Der Polizeibus in (14) kann zum Beispiel auch auf halbem Wege umkehren. In der ANS wird dies mit den Abbildungen 7.10 und 7.11 illustriert. Abb. 7.10: Konzeptuelle Bedeutung der Präposition door Abb. 7.11: Konzeptuelle Bedeutung der Postposition door Wie die konzeptuellen Metaphern befindet sich auch diese Art von ‚Bildern‘ sozusagen in der Gedankenwolke von Abbildung 7.6. Nicht nur Wörter, sondern auch Satzstrukturen zeigen, wie Sprachbenutzer: innen ein Ereignis konzeptua‐ lisieren, wenn sie zum Beispiel eine Konstituente mit einer Präposition oder Postposition bilden. 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? 193 57 Das ist die zentrale These in Henk Verkuyls On the compositional nature of the aspects (1972). 58 Die englischen Bezeichnungen stammen aus Zeno Vendlers Buch Linguistics in Philosphy (1967). Die wahrheitskonditionale und die kognitive Semantik haben also eine unterschiedli‐ che Vorstellung davon, was Satzbedeutung genau ist und wie man diese am besten beschreiben kann, was daran liegt, dass sie sich mit anderen Aspekten der Satzbedeu‐ tung auseinandersetzen. Menschen verwenden Sätze, um auf Situationen zu verweisen, aber sie können dies nur tun, indem sie eine Auswahl aus Wörtern und Konstruktionen treffen. So liefern sie mit einem Satz per definitionem ein subjektives Construal einer Situation. 7.2.3 Situationstypen Sowohl in der wahrheitskonditionalen als auch in der kognitiven Semantik sprechen wir von Situationen. So wie ein Wort prototypisch auf einen Gegenstand verweist, verweist ein Satz auf eine Situation oder einen State of Affairs (stand van zaken). Aber was ist nun eine Situation überhaupt? Wir unterscheiden verschiedene Situa‐ tionstypen oder Aktionsarten (aktionsarten). Diese Situationstypen werden zur Satzsemantik gerechnet, weil der Situationstyp von der Bedeutung des Verbs in Kombination mit anderen Elementen im Satz, insbesondere mit dem direkten Objekt, bestimmt wird. Situationstypen sind also auch kompositional. 57 Das Verb ist dabei zwar durchaus von entscheidender Bedeutung, aber Situationstyp ist nicht nur ein Bedeutungselement von Verben an sich, sondern vom gesamten Satz, oder eigentlich von der Art und Weise, wie ein: e Sprecher: in mithilfe eines Satzes eine bestimmte Situation darstellt oder konstruiert. Die folgenden Sätze illustrieren verschiedene Situationstypen: (16) De burgemeester opent de nieuwe school. (17) De kat zit op de mat. Die Eröffnung der Schule durch den Bürgermeister ist eine dynamische Situation, ein Ereignis, das eine Änderung von ‚geschlossen‘ nach ‚offen‘ bewirkt. Beispiel (17) hingegen beschreibt den Zustand, in dem sich die Katze befindet; es findet keine Veränderung statt. Diese Unterschiede zwischen Situationen sind gemeint, wenn wir von Situationstypen sprechen. Es werden in der Regel vier Situationstypen unterschieden, die alle eine andere Kombination dreier Eigenschaften ausdrücken (Tab. 7.1). In der Sprachwissenschaft werden für diese vier Typen meistens die englischen Begriffe state, activity, accom‐ plishment und achievement verwendet, aber die Algemene Nederlandse Spraakkunst benutzt die niederländischen Begriffe toestand, activiteit, eindpuntgebeuren und puntgebeuren. 58 194 7 Sätze und ihre Bedeutung Situationstypen Merkmale Englisch Niederländisch Deutsch telisch durativ dynamisch state toestand Zustand - - - activity activiteit Aktivität - + + accomplishment eindpuntgebeuren Accomplishment + + + achievement puntgebeuren Achievement + - + Tab. 7.1: Situationstypen und ihre Merkmale - 7.2.3.1 Drei Merkmale Der Unterschied zwischen Beispiel (16) und (17) liegt im Merkmal Dynamizität (dynamiciteit), durch das man dynamische (dynamisch) von statischen (statisch) Situationen abgrenzt. Charakteristisch für statische Situationen ist beispielsweise, dass diese nicht mit einer progressiven Konstruktion ausgedrückt werden können, die gerade angibt, dass etwas ‚zugange‘ ist. Den Satz in (17) kann man daher nicht mit der niederländischen aan + het + infinitief-Konstruktion wie in (18) verwenden. (18) ? De kat is op de mat aan het zitten. Das zweite Merkmal ist Telizität (teliciteit). Telische (telische) Situationen haben einen inhärenten Endpunkt, während atelische (atelische oder niet-telische) Situationen prinzipiell endlos andauern können. Die Eröffnung der Schule in Beispiel (16) ist telisch: Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Schule eröffnet. Die Situation der Katze in (17) ist atelisch: Die Katze kann zwar von der Matte weggehen, aber im Satz selbst ist so ein Endpunkt nicht eingebaut. Die Katze kann stundenlang auf der Matte sitzen, der Bürgermeister aber nicht stundenlang die Schule eröffnen - es sei denn, er muss es mehrmals hintereinander tun. Eine Bestimmung wie drie uur lang lässt sich also nicht gut mit einem telischen Situationstyp kombinieren. Ein Satz wie in (19) kann höchstens ironisch auf eine sehr langweilige und zähe Eröffnung anspielen oder auf ein Band, das sich nur schwer durchschneiden lässt. (19) De burgemeester opende drie uur lang de nieuwe school. Beim dritten Merkmal handelt es sich um Durativität (durativiteit): Manche Situationen haben eine bestimmte Zeitdauer, während andere Situationen nicht-durativ (niet duratief) bzw. punktuell (punctueel) sind. Die Eröffnung einer Schule durch das Durchschneiden 7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes? 195 eines Bandes ist ein punktueller Übergang von einer ‚geschlossenen‘ zu einer ‚eröffneten‘ Schule. Das Sitzen der Katze hingegen dauert länger als nur einen einzigen Augenblick. - 7.2.3.2 Vier Situationstypen Wenn man die drei Merkmale miteinander kombiniert, dann ist der Situationstyp in Beispiel (17) dynamisch, telisch und punktuell. Eine solche Situation wird als Achie‐ vement (puntgebeuren) bezeichnet. Weitere Beispiele hierfür sind Situationen mit den Verben ontploffen, iets ontdekken, de top bereiken oder doodgaan. Der Situationstyp Achievement ist der einzige, der die Situation so präsentiert, als ob sie keine Zeitdauer hätte und nur den punktuellen Übergang zwischen zwei unterschiedlichen Zuständen bildet: Man hat den Gipfel entweder erreicht oder nicht, und der Patient ist entweder gestorben oder nicht. Der Situationstyp in (18) kombiniert die Merkmale nicht-dynamisch, atelisch und du‐ rativ, was zusammen einen Zustand (toestand) darstellt oder einen State. Bei Zuständen handelt es sich meistens um Sätze, die eine Eigenschaft wiedergeben, üblicherweise ausgedrückt durch die Kombination eines Kopula-Verbs mit einem Adjektiv (zij is Nederlands / slaperig / intelligent etc.) oder mit einem Substantiv (hij is Nederlander / do‐ cent / loodgieter / voorzitter etc.). Beispiele von Zuständen, bei denen es sich nicht um Eigenschaften handelt, sind staan, zitten, weten, bezitten oder houden van. Genau wie Zustände sind auch Aktivitäten (activiteiten) atelisch und durativ, unter‐ scheiden sich aber dadurch, dass sie dynamisch sind und eine Veränderung ausdrücken: Es geschieht etwas. Es handelt sich um Situationen, die mit Verben wie zwemmen, schrijven, lezen, studeren etc. ausgedrückt werden. Während bei Zuständen ein einziger Zeitpunkt ausreicht, um festzustellen, dass es sich um einen Zustand handelt, gelingt dies bei Aktivitäten nicht. Wenn jemand schwarzes Haar hat (ein Zustand), dann hat er/ sie schwarzes Haar zu jedem Zeitpunkt, solange dieser Zustand andauert. Wenn jemand spaziert (eine Aktivität), zählt nicht jeder Zeitpunkt der Situation für sich genommen als ein Fall von wandelen. Es ist schwierig, genau anzugeben, wie viele Veränderungen notwendig sind, um das Verb wandelen für eine Situation benutzen zu können - wie viele Schritte muss man machen, bis dass man spaziert? - aber es ist wohl klar, dass ein einzelner Moment oder ein einziger Schritt nicht ausreicht. Accomplishments (eindpuntgebeurens) sind in gewissem Sinne Aktivitäten mit einem Endpunkt, denn das Merkmal Telizität ist das einzige Merkmal, durch das sie sich von Aktivitäten unterscheiden. Sätze, die einen solchen Situationstyp präsentieren, beinhalten oft ein Verb, das eine Aktivität andeutet, wie lezen, schrijven oder zwemmen, werden dann aber mit einem direkten Objekt kombiniert, wodurch sie das Merkmal Telizität erhalten: een boek lezen, een mail schrijven oder drie kilometer zwemmen. Theoretisch kann man unendlich lange lesen, schreiben oder schwimmen (Aktivitäten), aber ein Buch ist zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelesen, die Mail ist fertig geschrieben und die drei Kilometer sind geschwommen. In diesen Fällen kann man am 196 7 Sätze und ihre Bedeutung deutlichsten sehen, dass der Situationstyp keine inhärente Eigenschaft des Verbs ist, sondern kompositional als Teil der Satzbedeutung zustande kommt. 7.3 Grammatische Bedeutung 7.3.1 Lexikalische und grammatische Bedeutung Ausgehend vom Prinzip der Kompositionalität soll im Folgenden die grammatische Bedeutung anhand des ersten Beispielsatzes erklärt werden. (1) Onze scholen zijn weer begonnen. Die Semantik dieses Satzes ist die Summierung der jeweiligen Bedeutung der folgenden lexikalischen und grammatischen Elemente: ● die Wörter school, beginnen und weer ● die Pluralendung -en in scholen ● das Possessivpronomen onze ● die Kombination zijn + Partizip II, die gemeinsam das Perfekt bilden ● die syntaktische Struktur: das Subjekt onze scholen und das Prädikat zijn begonnen ● die Position der finiten Verbfom (persoonsvorm) im ersten Pol auf der zweiten Satzfeldposition. Bei der Analyse von Bedeutung wird meist zwischen lexikalischer und grammati‐ scher Bedeutung (lexicale bzw. grammaticale betekenis) bzw. zwischen Inhaltswör‐ tern (inhoudswoorden) und Funktionswörtern (functiewoorden) unterschieden (vgl. Kap. 4). Der Beispielsatz (1) hat drei lexikalische Wörter, nämlich school, beginnen und weer. Wenn man nun mit diesen drei Inhaltswörtern einen Satz bilden möchte, fügt man automatisch Elemente hinzu oder passt die Wörter an. Die Wörter müssen zumindest in eine bestimme Reihenfolge gebracht werden und das Verb beginnen muss in einer finiten Form erscheinen, um die Situation mit dem Sprechmoment zu verankern. Dies zeigt, dass grammatische Elemente (wie das Pluralmorphem -en und die Konjugation des Verbs) notwendig sind, um aus Wörtern Sätze zu machen. Funktionswörter (wie das Possessivpronomen onze) verdeutlichen zusätzlich Verweise, bringen Verfeinerungen an und schaffen Bezüge zwischen Inhaltswörtern oder zwischen Sätzen. Bei der Bestimmung der Satzbedeutung greifen also viele Elemente ineinander: die Bedeutung der Inhaltswörter und der Funktionswörter, die Reihenfolge und die syntaktische Struktur des Satzes. Im Folgenden gehen wir auf Tempus (Kap. 7.3.2), Aspekt (Kap. 7.3.3) und grammatische Konstruktionen (Kap. 7.3.4) ausführlicher ein, weil sie einerseits in allen Sätzen anzutreffen sind und weil sie andererseits die Interaktion zwischen grammatischen Elementen und den Situationstypen anschaulich machen. 7.3 Grammatische Bedeutung 197 59 Das behauptet zum Beispiel Theo Janssen in seinem Artikel ‘Tempus: interpretatie en betekenis’, erschienen in De Nieuwe Taalgids (1989). 7.3.2 Tempus Die grammatische Darstellung von Zeit in den Zeitformen des Verbs bezeichnen wir als Tempus (tempus). Wir verwenden den Begriff für eine Formkategorie, während wir mit Zeit auf das verweisen, was mit dem Tempus ausgedrückt wird, also eine Bedeutungskategorie. Tempus ist obligatorisch vorhanden, weil jeder vollständige niederländische Satz ein finites Verb enthält, das entweder in der Gegenwart oder in der Vergangenheit steht. Aus diesem Grund wird manchmal behauptet, dass das Niederländische nur zwei Zeitformen kennt, nämlich eine Gegenwartsform und eine Vergangenheitsform. 59 Auch die zusammengesetzten Zeitformen werden meistens als Tempus betrachtet: Das sind das Perfekt und das Plusquamperfekt, die aus einer Kombination von einem finiten Hilfsverb (hebben oder zijn) mit einem selbständigen Verb als Partizip II bestehen, wie ik heb gewerkt oder hij was naar huis gelopen. Die Formmerkmale Gegenwart/ Vergangenheit und vollendet/ unvollendet ergeben so im Niederländischen vier Zeitformen: die Zeiten oder Tempora (tempora/ tijdsvormen). Oft werden sie mit den lateinischen Begriffen bezeichnet, das Niederländische aber hat eine eigene Tradition der Bezeichnung, die auf genau diesen Formmerkmalen basiert (Tab. 7.2). Zeiten/ Tempora Formmerkmale Beispiel Niederländisch Lateinisch Tempus hebben/ zijn + VD - onvoltooid tegenwoordige tijd (o.t.t.) praesens tegenwoordig onvoltooid ik lees ik val voltooid tegenwoordige tijd (v.t.t.) perfectum tegenwoordig voltooid ik heb gelezen ik ben gevallen onvoltooid verleden tijd (o.v.t.) imperfectum/ preteritum verleden onvoltooid ik las ik viel voltooid verleden tijd (v.v.t.) plusquamperfectum verleden voltooid ik had gelezen ik was gevallen Tab. 7.2: Die Zeiten des niederländischen Verbs Die Darstellung in Tabelle 7.2 stimmt nicht ganz mit dem überein, was wir in Abschnitt 7.2.2 zur Konzeptualisierung des abstrakten Begriffs Zeit durch Präpositionen und Verben gesehen haben. Denn aufgrund der ‚Zeitlinie‘ mit der Vergangenheit hinter uns und der Zukunft vor uns, erwartet man drei Zeitformen: eine Gegenwartsform, eine Vergangenheitsform und eine Zukunftsform. So aber ist das grammatische System der 198 7 Sätze und ihre Bedeutung niederländischen Zeitformen nicht organisiert. Tabelle 7.2 zeigt nicht drei, sondern vier Zeitformen, und zwar ohne Zukunft. In der Tradition der niederländischen Sprachwissenschaft ist es üblich, Zu‐ kunftsformen mit dem Hilfsverb zullen zu unterscheiden. Das würde die Zahl niederländischer Zeitformen von vier auf acht verdoppeln durch die folgenden Zukunftszeiten: (20) ik zal vallen (onvoltooid tegenwoordige toekomende tijd, o.t.t.t) - ik zal gevallen zijn (voltooid tegenwoordige toekomende tijd, v.t.t.t) - ik zou vallen (onvoltooid verleden toekomende tijd, o.v.t.t.) - ik zou gevallen zijn (voltooid verleden toekomende tijd, v.v.t.t.) Heutzutage wird angenommen, dass die niederländische Sprache kein echtes Futur hat und dass zullen eher ein modales als ein temporales Hilfsverb ist. Ein Argument dafür ist, dass man im Niederländischen einfach mit der Gegen‐ wartsform über die Zukunft reden kann, sodass die Form zullen im Prinzip nicht notwendig ist: (21) De burgemeester opent volgende week de nieuwe school. Wenn man in diesem Satz das Hilfsverb zullen hinzufügt, kann dies zu der Interpretation ‚voraussichtlich‘ oder ‚wahrscheinlich‘ führen. Das sieht man am deutlichsten bei Situationstypen, die einen Zustand oder State ausdrücken: (22) De kat zal (wel) op de mat zitten. In (22) geht es nicht um ein zukünftiges Ereignis, es kann sich aber wohl um eine Antwort auf die Frage Waar zou de kat zijn? handeln. Das Verb zullen fungiert dann als Modalverb (hulpwerkwoord van modaliteit) und drückt aus, wie wahrscheinlich der/ die Sprecher: in die Situation einschätzt. Auch für die Beispiele mit zou in (20) gilt, dass sie eher modal als temporal sind; sie werden hauptsächlich in Kontexten verwendet, in denen ein Konjunktiv vorkommt. Mit dem Hilfsverb zullen kann man also über die Zukunft sprechen, notwendig ist der Gebrauch von zullen dabei aber nicht. Außerdem kann zullen andere modale Bedeutungen wie z. B. ‚Wahrscheinlichkeit‘ ausdrücken. Aus diesem Grund wird angenommen, dass die zusammengesetzten Formen mit zullen keine echten Futurformen sind (vgl. z. B. Syntax of Dutch, Verbs and Verb Phrases Vol 1. (2015)). 7.3 Grammatische Bedeutung 199 7.3.2.1 Die Semantik der Zeitformen Die Bedeutung der Tempora kann man nach Hans Reichenbach (Elements of symbolic logic 1947) mittels dreier Bezugspunkte beschreiben: ● S-= Sprechzeit (het spreekmoment, the point of speech) ● E-= Ereigniszeit (de situatie, the point of event) ● R-= Referenzzeit (het referentiepunt, the point of reference) Die ersten zwei Bezugspunkte sprechen für sich: S gibt den Moment der Äußerung an und E die Zeit der Situation, wobei Situation hier ein übergeordneter Begriff für alle Situationstypen aus 7.2.3 ist. Diese beiden Bezugspunkte reichen allerdings nicht aus, um die Bedeutung der vier Zeitformen in Tabelle 7.2 zu beschreiben, denn sowohl das Präteritum in (23) als auch das Perfekt in (24) beschreiben eine Situation in der Vergangenheit. (23) De burgemeester opende de nieuwe school. (24) De burgemeester heeft de nieuwe school geopend. Wenn man E auslegt als den Zeitpunkt, zu dem der Bürgermeister die Schule eröffnete, dann liegt E sowohl beim Präteritum als auch beim Perfekt vor der Sprechzeit (S) und ist die Bedeutung von (23) und (24) ‚E vor S‘ oder ‚E < S‘. Das erklärt allerdings nicht den Bedeutungsunterschied zwischen (23) und (24). Hinzu kommt, dass beim Plusquamperfekt in (25) die Eröffnung der Schule ebenfalls vor der Sprechzeit liegt. (25) De burgemeester had de nieuwe school geopend. Für das Plusquamperfekt wird sowieso ein extra Bezugspunkt benötigt. Denn in diesem Fall schaut man von einem Bezugspunkt in der Vergangenheit auf ein noch weiter in der Vergangenheit zurückliegendes Ereignis, wie in (26) und (27). (26) Toen ik eindelijk arriveerde, had de burgemeester de nieuwe school net geopend. (27) De burgemeester had de nieuwe school twee dagen daarvoor geopend. Der Moment des Ankommens in (26) toen ik eindelijk arriveerde liegt in der Vergangen‐ heit, also vor S, aber der Bürgermeister hat die Schule noch vor der Ankunft eröffnet. Das Gleiche gilt für (27): Um die Bestimmung twee dagen daarvoor interpretieren zu können, braucht man außer der Sprechzeit (S) und der Ereigniszeit (E) - nämlich dem Moment der Schuleröffnung - einen extra Bezugspunkt, und zwar die Referenzzeit (R). Die Semantik des Plusquamperfekts ist demnach E < R < S. In (26) wird R vom Moment 200 7 Sätze und ihre Bedeutung des Ankommens bestimmt, in (27) brauchen wir mehr Kontext um herauszufinden, was R genau ist. Mithilfe der Referenzzeit können wir nun auch zwischen dem Präteritum in (23) und dem Perfekt in (24) unterscheiden. Mit einem Perfekt schaut man vom Sprechmoment aus zurück auf die Vergangenheit; mit einem Präteritum verlegt man die Perspektive insgesamt in die Vergangenheit. Das Präteritum wird üblicherweise verwendet, um Geschichten zu erzählen, in denen Ereignisse miteinander verbunden werden und der Sprechmoment eigentlich keine Rolle spielt. Wir können den Unterschied zwischen Präteritum und Perfekt wiedergeben, indem wir die Referenzzeit beim Präteritum in der Vergangenheit situieren und beim Perfekt bei der Sprechzeit. Die Semantik der vier Zeitformen (Tab. 7.2) kann nun mit Hilfe der Begriffe Sprechzeit (S), Ereigniszeit (E) und Referenzzeit (R) beschrieben werden: ● Präsens (o.t.t.) E, R, S ● Perfekt (v.t.t.) E < R, S ● Präteritum (o.v.t.) E, R < S ● Plusquamperfekt (v.v.t) E < R < S Wie schon erwähnt ist E ein übergeordneter Begriff für alle Situationstypen, die mit allen vier Zeitformen vorkommen können. Die Bedeutung der Kombinationen von Situationstyp und Tempus ist aber nicht immer die gleiche. Wenn man sagt hij bereikt de top (Achievement), dann kann das gerade passiert oder eine Vorhersage der Zukunft sein, während hij voelt zich niet lekker (Zustand/ State) deutlich eine Situation zum Sprechzeitpunkt beschreibt. Eine atelische Situation im Präteritum (hij voelde zich niet lekker) zeigt z. B. nicht an, ob die Situation immer noch gilt. Bei einem Achievement im Präteritum (hij bereikte de top) stellt man sich diese Frage erst gar nicht, weil man den Gipfel nur zu einem einzigen Zeitpunkt erreichen kann. Diese Unterschiede lassen sich in den abstrakten Repräsentationen mit S, E, R nicht darstellen. Die Beschreibung der Semantik von Zeitformen hat sich bis hierhin auf den temporalen Gebrauch beschränkt. Die Beispiele (28) und (29) zeigen jedoch, dass sich Sätze mit einer Vergangenheitsform nicht nur auf die Vergangenheit beziehen müssen: In diesen Sätzen drückt das Präteritum nicht aus, dass E und R vor S liegen. (28) Als ik jou was, deed ik het. (29) Ik wou graag een kopje koffie. In (28) verwendet der/ die Sprecher: in das Präteritum, um eine nicht-wirkliche Situation zu beschreiben, in (29) um sich höflich auszudrücken. Grammatische 7.3 Grammatische Bedeutung 201 Kategorien haben also auch mit Polysemie zu tun: Die verschiedenen Gebrauchs‐ weisen des Präteritums weisen ein gemeinsames Merkmal auf, nämlich eine Art Abstand zur Situation. Das kann Abstand in der Zeit sein, aber auch ein Abstand zur Wirklichkeit wie in (28) oder ein Abstand in Direktheit der Wunschäußerung wie in (29). 7.3.3 Aspekt Die Begriffe voltooid und onvoltooid (‚vollendet‘ bzw. ‚unvollendet‘) haben wir hier bisher nur bei der Beschreibung der Tempora (Tab. 7.2) verwendet. Die Bezeichnung voltooid sagt aber auch etwas über die Bedeutung der zusammengesetzten Zeitformen aus, was in der Repräsentation mit E, R und S in Kapitel 7.3.2 nicht ausgedrückt werden kann: So zeigt das Perfekt in (31), dass die Krankheit voltooid, also ‚vollendet‘ ist, während man das beim Präteritum in (30) eigentlich nicht so genau weiß: (30) Hij was ziek. (31) Hij is ziek geweest. Das Präteritum sagt etwas aus über den Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit, dem Referenzpunkt, nicht aber über den Zustand zum Sprechzeitpunkt. So ist es gut möglich, dass der Patient in Beispiel (30) noch immer krank ist, wenn der/ die Sprecher: in diesen Satz äußert, bei (31) ist dies nicht so: Der Patient ist entweder genesen oder verstorben. Das Perfekt stellt die atelische Situation ziek zijn als abgeschlossen dar. Bei einer telischen Situation (hij heeft het boek gelezen, de patiënt is gestorven) gibt das Perfekt an, dass der inhärente Endpunkt der Situation vor dem Zeitpunkt des Sprechens tatsächlich erreicht ist: Das Buch ist aus, der Patient ist tot. Dieses Bedeutungselement der vollendeten Zeiten ist keine Frage des Tempus, sondern des Aspekts. Die mit hebben und zijn zusammengesetzten Zeitformen drücken sowohl Tempus als auch Aspekt aus. Tempus bezieht sich auf die Relation zwischen einer Situation und einem Sprechzeitpunkt, Aspekt hingegen bezieht sich auf die sprachlichen Mittel, die auf eine bestimmte Phase der Situation fokussieren: auf den Beginnpunkt, den Mittelteil oder den Endpunkt. Wir verwenden die Bezeichnung Aspekt (aspect) für die grammatischen Mittel, über die eine Sprache verfügt, um einen bestimmten Teil einer Situation zu präsentieren. Damit unterscheiden wir Aspekt von Aktionsart (Kap. 7.2.3), womit wir den Situati‐ onstypen andeuten, der mit der lexikalischen Information im Satz präsentiert wird. Für den Beginnbzw. Endpunkt, also ingressiven oder egressiven Aspekt (ingres‐ sief resp. egressief aspect) werden im Niederländischen vor allem lexikalische Verben verwendet, wie beginnen gegenüber stoppen oder ophouden. Darüber hinaus können die zusammengesetzten Tempora die aspektuelle Information ‚beendet‘ bzw. ‚geendet‘ 202 7 Sätze und ihre Bedeutung liefern. Um den Mittelteil einer Situation wiederzugeben, also eine Situation, die im Gange ist, stehen verschiedene grammatische Mittel zur Verfügung: ● zitten, liggen, lopen oder staan + te + Infinitiv →-Zij zit een boek te lezen. ● zijn + aan het + Infinitiv →-Zij is aan het wandelen. ● bezig zijn + met / te + Infinitiv →-Zij is bezig een boek te schrijven. Mit diesen Konstruktionen drückt der/ die Sprecher: in insbesondere bei Aktivitäten (aan het wandelen zijn) und Accomplishments (een boek zitten lezen) progressiven Aspekt (progressief aspect) aus. Die Vorliebe für genau diese beiden Situationstypen ist nicht verwunderlich, denn um von einer Situation sagen zu können, dass sie ‚im Gange‘ ist, muss sie eine gewisse Dauer haben, also durativ sein, und eine Veränderung ausdrücken, also dynamisch sein. Nur Aktivitäten und Accomplishments weisen diese beiden Merkmale auf. Die Interaktion zwischen Situationstyp und grammatischer Information wird auch hier wieder deutlich. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die beiden anderen Situationstypen nie mit einer progressiven Konstruktion vorkommen können. Solche Kombinationen führen aber zu eigenen Interpretationen. So kann eine progressive Konstruktion wie in (32) und (33) bei einem Achievement auf die Zeitspanne verweisen, die der eigentlichen Situation (also dem tatsächlichen Sterben bzw. dem Erreichen des Gipfels) vorangeht. (32) De patiënt lag te sterven. (33) Hij was de top aan het bereiken. (34) Hij stond op de deur te kloppen. In (34) erfordert die progressive Konstruktion eine durative Situation, sodass das Achievement iterativ (iteratief), d. h. sich wiederholend, aufgefasst werden kann. Das bedeutet, dass jemand vor der Tür steht und nicht nur einmal, sondern mehrfach hintereinander anklopft. In (32)-(34) sieht man, dass sich der Situationstyp an die Anforderungen der grammatischen Konstruktion anpasst. Die Achievements werden durch die progressive Konstruktion in Aktivitäten oder Accomplishments ‚verwandelt‘, was als Coercion (coërcion) bezeichnet wird: Die Bedeutung der grammatischen Kon‐ struktion führt also zu einer spezifischen Interpretation der lexikalischen Elemente. Hierin zeigt sich dann die Interaktion von grammatischer und lexikalischer Bedeutung. 7.3.4 Grammatische Konstruktionen Kehren wir noch einmal zurück zum Unterschied zwischen Lexikon und Syntax. Nach dem Prinzip der Kompositionalität (dargestellt in Abb. 7.12) ergeben Lexikon 7.3 Grammatische Bedeutung 203 und Syntax in Kombination die Bedeutung des Satzes. Im Lexikon sind Wörter und Morpheme mit ihren Bedeutungen gespeichert, die Syntax gibt die Regeln an, wie Morpheme zu Wörtern und Wörter zu Sätzen zusammengefügt werden können. LEXICON SYNTAXIS ZINSBETEKENIS Abb. 7.12: Die Kompositionalität der Satzbedeutung Die Bedeutung von Morphemen und Basiswörtern ist in der Regel arbiträr und muss daher gesondert im Lexikon abgespeichert werden. Allerdings werden nicht nur ein‐ zelne Wörter aufgenommen, sondern auch Wortkombinationen und Idiome (idiomen), deren Bedeutung nicht-kompositional ist. Denn woher sollen Sprachbenutzer: innen wissen, was iemand om de tuin leiden, een uiltje knappen und iemand de bons geven bedeuten? Aus den einzelnen Wörtern lässt sich die tatsächliche Bedeutung der Redewendungen nicht ‚errechnen‘. Die Ausdrücke müssen als Gesamtheit mit ihrer Bedeutung ins mentale Lexikon aufgenommen werden, nämlich ‚jemanden an der Nase herumführen‘, ‚ein Nickerchen machen‘ und ‚jemandem den Laufpass geben‘. Es gibt viele solcher festen Muster mit einer eigenen Bedeutung, die von Sprach‐ benutzer: innen gesondert gelernt und abgespeichert werden müssen. Solche festen Muster werden meist als Konstruktionen (constructies) bezeichnet. Diese können sich stark in dem Grad unterscheiden, in dem sie abstrakt (abstract) oder spezifisch (specifiek) sind. Die festen Ausdrücke, die wir gerade besprochen haben, bestehen aus eher spezifischen lexikalischen Elementen. Andererseits gibt es eher abstrakte grammatische Konstruktionen wie Passiv oder Progressiv. Diese weisen ein paar feste Elemente auf, wie ein spezifisches Hilfsverb (worden, zijn oder zitten), beinhalten sonst aber abstrakte Kategorien, wie IN F INITIV ; diese Position kann wiederum von vielen verschiedenen spezifischen Wörtern inhaltlich gefüllt werden. So betrachtet handelt es sich auch bei den zusammengesetzten Zeitformen mit hebben/ zijn + Partizip II um Konstruktionen. Ein weiteres Beispiel ist die Kombination einer finiten Form von zijn mit einem Infinitiv wie in (35): (35) Jan is vissen. Diese Verbindung von zwei einfachen und hochfrequenten Formen hat eine sehr spezifische nicht-kompositionale Bedeutung: Der Referent des Subjekts ist abwesend, und zwar, weil er die im Infinitiv genannte Aktivität ausführt. Diese Konstruktion wird 204 7 Sätze und ihre Bedeutung 60 Dieser Fachterm wurde von Casper de Groot in seinem Aufsatz ‘De absentief in het Nederlands: een grammaticale categorie’ (in Forum der Letteren, 1995) eingeführt. deshalb als Absentiv (absentief) bezeichnet. 60 Man kann eine solche Konstruktion gut verwenden, um anzugeben, dass man ‚mal kurz weg‘ ist, wie auf einem Zettelchen an der Tür mit dem Text Ik ben boodschappen doen. Die Verwendung einer progressiven Konstruktion ist hier auch möglich, dieser fehlt aber die ‚Abwesenheitsbedeutung‘. Wenn man davon ausgeht, dass neben Morphemen und Wörtern auch noch allerlei andere mehr oder weniger abstrakte Muster ins mentale Lexikon aufgenommen wer‐ den müssen, weil ihre Bedeutung nicht-kompositional ist, dann kann man sich fragen, ob Lexikon und Syntax tatsächlich so scharf voneinander abgegrenzt werden können. Sprachwissenschaftler: innen, die den Ansatz der Konstruktionsgrammatik (constructiegrammatica) vertreten, gehen davon aus, dass Lexikon und Grammatik/ Syntax keine getrennten Teile sind, sondern dass die Kenntnis einer Sprache ausschließlich aus der Kenntnis von Konstruktionen besteht, d. h. aus ‚konventionalisierten Einheiten von Form und Bedeutung‘ (geconventionaliseerde eenheden van vorm en betekenis). Die deutlichsten Beispiele solcher Einheiten sind Morpheme und Wörter, aber die Konstruktionsgrammatik beschreibt auch grammatische Muster als Verbindungen einer festen Form und einer festen Bedeutung. So wie das Wort stoel für das Konzept ‚Stuhl‘ steht, so steht die Kombination von zijn + I N F INITIV für ‚abwesend“. Auch die ‚Grammatikregeln‘ werden dann als ‚Konstruktion‘ betrachtet, wie z. B. die Regel, dass im Niederländischen die konjugierte Verbform im 1. Pol steht (vgl. Kap. 6.2). Dabei geht es nicht allein um eine Form, sondern auch um eine Form mit einer Bedeutung: Dass im Beispiel Onze scholen zijn weer begonnen das konjugierte Verb im 1. Pol, dem 2. Satzfeld, steht, zeigt beispielsweise, dass es sich um einen Aussagesatz handelt und nicht um eine Frage. Als Frage müsste der Satz Zijn onze scholen weer begonnen? lauten, mit der konjugierten Form im ersten Feld (V2 gegenüber V1). Die Bedeutung der Konstruktion ‚konjugiertes Verb auf der 2. Satzfeldposition‘ könnte also in etwa ‚Aussage‘ sein. Daher vertreten Konstruktionsgrammatiker: innen die Ansicht, dass Sprache nicht aus einem Lexikon und einer Grammatik/ Syntax besteht, sondern ein großes Konstruktikon (constructicon) ist. Die Bedeutung eines Satzes ist auch aus dieser Perspektive durchaus eine Summie‐ rung und kompositional, aber eben eine Summierung ausschließlich von Konstruk‐ tionen. Die Aufzählung der Elemente zum ersten Beispielsatz Onze scholen zijn weer begonnen (Kap. 7.3.1) beinhaltet Inhaltswörter, gebundene Morpheme und syntaktische Strukturen. Für die Konstruktionsgrammatik sind dies alles Konstruktionen mit ihrer jeweils eigenen Bedeutung, die zusammen wiederum die Bedeutung des Satzes insge‐ samt ergeben. 7.3 Grammatische Bedeutung 205 7.4 Zusammenfassung Um die Bedeutung eines Satzes zu bestimmen, muss man lexikalische und gramma‐ tische Informationen miteinander kombinieren. Zusammengenommen liefert uns dies nach dem Prinzip der Kompositionalität die gesamte Bedeutung des Satzes. Diese Bedeutung kann man mithilfe von Wahrheitsbedingungen beschreiben; das sind die Bedingungen, unter denen die im Satz ausgedrückte Proposition wahr ist. Die kognitive Semantik richtet sich hauptsächlich auf die Art und Weise, wie Sprachbenutzer: innen mit einem Satz eine subjektive Konzeptualisierung der Wirklichkeit geben. Dies lässt sich nicht immer anhand von Wahrheitsbedingungen beschreiben. Mit einem Satz präsentiert ein: e Sprecher: in einen bestimmten Situationstyp. Wir unterscheiden vier solche ‚Aktionsarten‘. Die Aktionsart eines Satzes wird nicht nur durch die lexikalische Bedeutung des Verbs bestimmt, sondern auch durch das Objekt und ist somit kompositional. Wenn man die verschiedenen Situationstypen mit der grammatischen Information von Tempus und Aspekt kombiniert, können besondere Effekte auftreten, was die Interaktion von Lexikon und Syntax illustriert. Der Unterschied zwischen Lexikon und Grammatik/ Syntax wird von der Konstruk‐ tionsgrammatik relativiert: Sie zeigt, dass Sprache aus einem großen Netzwerk von mehr oder weniger festen Verbindungen besteht. Weil auch diese Konstruktionen, mit ihrer jeweils eigenen Bedeutung, gesondert gelernt und abgespeichert werden müssen, gibt es eigentlich keinen prinzipiellen Unterschied zu den Wörtern im Lexikon. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Vergleichen Sie die beiden folgenden Sätze. In b. stehen vier sogenannte Partikeln. Was tragen diese Partikeln zur Satzbedeutung bei? Handelt es sich um eine pro‐ positonale oder nicht-propositionale Bedeutung oder Pragmatik (Implikaturen)? a. Sam hield zijn mond. b. Sam hield toch maar eens even zijn mond. 2. Haben die beiden folgenden Sätze dieselben Wahrheitsbedingungen? Drücken Sie dasselbe Construal, dieselbe Konzeptualisierung aus? Gehen Sie davon aus, dass Tom Emmas Vater ist. a. Tom lijkt op Emma. b. Emma lijkt op Tom. 3. Wenn niederländische Talkshow-Moderator: innen ihre Gäste fragen, wie sie etwas finden, was ihre Meinung zu etwas ist, dann verwenden sie dafür sehr verschiedene Formulierungen: a. Hoe kijkt u hiernaar? b. Hoe kijkt u hiertegenaan? c. Wat zegt u hiervan? 206 7 Sätze und ihre Bedeutung d. Wat zegt dit u? e. Wat doet dit met u? f. Hoe staat u hiertegenover? g. Hoe staat u daarin? Mit all diesen Formulierungen wird nach der Meinung des/ der Interviewten ge‐ fragt, aber een mening over iets hebben wird ganz unterschiedlich konzeptualisiert. Erläutern Sie dies anhand von konzeptuellen Metaphern. Wie viele verschiedene Metaphern können Sie unterscheiden? Versuchen Sie, diese zu zeichnen. 4. Für die Bestimmung des Situationstyps, der mit einem Satz ausgedrückt ist, ist nicht nur die Bedeutung des Verbs relevant, sondern auch die An- oder Abwesenheit eines direkten Objekts sowie die Art dieses Objekts. Erklären Sie dies anhand der folgenden vier Sätze. Zu welcher Aktionsart gehören die Situationen in diesen Beispielen? a. Hij zat te eten. b. Hij at een ei. c. Hij at eieren. d. Hij at drie eieren. 5. Im Jahr 2018 erschien der Roman Wie ik aan het zijn was von Anne van Veen. Der Titel enthält eine interessante Kombination von Aktionsart und Aspekt. Erklären Sie, warum diese Kombination so interessant ist, und erläutern Sie, wieso hier von Coercion die Rede ist. 6. Eine relativ neue Konstruktion im Niederländischen findet man in Hoe leuk is dat? ! Diese existiert auch im Englischen (How cool is that? ! ) und im Deutschen (Wie geil ist das denn? ! ). Beschreiben Sie die Form der niederländischen Konstruktion. Welche konkreten Elemente sind obligatorisch? Wo ist innerhalb der Konstruktion Variation möglich? Und was ist die Bedeutung dieser Konstruktion? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Die Algemene Nederlandse Spraakkunst bietet eine ausführliche Übersicht über die Bedeutung grammatischer Elemente im Niederländischen, inklusive Tempus und Aspekt. Auch Syntax of Dutch (Broekhuis, Corver & Vos 2015 resp. Broekhuis & Corver 2019) liefert viele semantische Informationen, ist aber auf Englisch und eher für ein wissenschaftliches Publikum verfasst. Beide Grammatiken sind online verfügbar (e-ans.ivdnt.org resp. taalportaal.org). Allgemeine Einführungen in die Semantik von Wörtern und Sätzen sind Basisbegrippen Taalkunde. Semantiek en Pragmatiek von Hans Smessaert (2019) und Meaning in language von Alan Cruse (2000). Eine niederländischsprachige Einführung in die formale Semantik bietet Formele semantiek. Een inleiding in de formele analyse van betekenis von Jeroen van Craenenbroeck und Guido Vanden Wyngaerd (2015). Einen ausführlicheren Überblick gibt Analyzing meaning (2018) von Paul Kroeger, das ebenfalls digital verfügbar ist. Literatur zum Weiterlesen 207 In die kognitive Semantik führen Vyvyan Evans in The crucible of language. How language and mind create meaning (2015) und Theo Janssen und Arie Verhagen in ihrem Kapitel ‘Zinnen en Cognitie’ in Taal in Gebruik (2002) ein. Auch die in diesem Kapitel genannten Werke von George Lakoff (Women, fire, and dangerous things, 1987) sowie George Lakoff und Mark Johnson (Metaphors we live by, 1980) lassen sich gut lesen. Der Artikel Constructiegrammatica en ‘usage based’ taalkunde von Arie Verhagen (2005) bietet eine kompakte Einführung in die Konstruktionsgrammatik, Martin Hilpert geht in seinem Werk Construction Grammar and its application to English (2014) ausführlich auf diesen Ansatz mit Bezug auf das Englische ein. 208 7 Sätze und ihre Bedeutung 8 Sprache im Kontext Ute K. Boonen Abb. 8.1: Eine typische Begrüßung im Ruhrgebiet Eine Begrüßung im Ruhrgebiet ist anders als in Bayern (Servus! ) oder in der Schweiz (Grüezi! ) oder in Norddeutschland (Moin! ), auch wenn die jeweiligen Sprecher: innen Deutsch als Muttersprache haben. Bei einem solchen Wortwechsel werden nicht unbedingt konkrete Informationen ausgetauscht, aber es handelt sich durchaus um eine kommunikative Handlung, eine fast schablonenhafte Eröffnung eines Gesprächs. Für die Beherrschung einer Sprache in all ihren Facetten und Nuancen reicht es nicht aus, nur Vokabeln und Grammatikregeln zu erlernen. Denn Sprache besteht aus viel mehr als nur Wortschatz und Grammatik. Wie am Begrüßungsbeispiel erkennbar wird, hat Sprache neben einer beschreibenden Funktion, mit der wir Ideen, Vorstellungen, Gedanken ausdrücken und Informationen austauschen können, nämlich auch eine interpersonale Funktion: Sie dient allgemein zur Kommunikation (communicatie), dazu, Mitmenschen zu grüßen, Freude oder Missfallen auszudrücken usw. Mit Sprache sorgen wir für Kontakt und Interaktion zwischen Menschen. Der Bereich der Linguistik, der sich mit dieser funktionalen Seite der Sprache beschäftigt, wird als Pragmatik (pragmatiek) bezeichnet. Der Begriff kommt aus dem Griechischen: πρᾶγμα (pragma) bedeutet ‚Handlung, Tat‘. Die Pragmatik beschäftigt sich mit der Sprache im Gebrauch, mit Sprache in verschiedenen Gebrauchssituatio‐ nen, mit Sprache als Kommunikationsmittel zwischen Gesprächspartner: innen und den Äußerungsabsichten von Sprachbenutzer: innen. Dabei wird sowohl mündliche 61 Roman Jakobson (1896-1982) gilt als einer der Begründer: innen der modernen Sprachwissenschaft und gehört zu den wichtigsten Vertreter: innen der sog. Prager Schule, einer strukturalistisch-funk‐ tionalistischen Strömung der Linguistik; ein wesentlicher Ertrag der Prager Schule ist u. a. die Entwicklung grundlegender Konzepte der Phonologie. 62 Weil die maskulinen Bezeichnungen hier Fachbegriffe sind, werden sie nicht gegendert. Kommunikation im Gespräch betrachtet als auch schriftliche in verschiedensten Arten von Texten. Die linguistische Pragmatik ist ein relativ junges Forschungsfeld. Zu den Begründern und wichtigsten Vertreter: innen gehören der britische Philosoph John Langshaw Austin (1911-1960), der britische Sprachphilosoph Herbert Paul Grice (1913-1988) und der amerikanische Philosoph John Rogers Searle (*1932). Auf ihre Ideen gehen die Modelle zurück, die in den Kapiteln 8.3 bzw. 8.4 vorgestellt werden. 8.1 Das Kommunikationsmodell Die Pragmatik analysiert Sprache in den verschiedensten Kommunikationssituationen, zu denen immer ein: e Sprecher: in und ein: e Zuhörer: in gehören. In der Terminologie eines einfachen, aber sehr nützlichen und wichtigen Modells, dass der russische Sprachwissenschaftler Roman Jakobson 61 aus der Nachrichtentechnik in die Linguistik eingeführt hat, werden die allgemeineren Bezeichnungen Sender (zender) und Emp‐ fänger (ontvanger) oder Adressat verwendet. 62 Communicatiemodel context zender bericht/ boodschap ontvanger medium code Abb. 8.2: Kommunikationsmodell Der Sender sendet eine Botschaft (bericht/ boodschap), eine Nachricht innerhalb eines Kontexts (context), wozu u. a. persönliche, situative, aber auch politische und historische Verhältnisse und Ereignisse gehören. Zur Vermittlung benötigt der Sender 210 8 Sprache im Kontext einen Kanal, ein Kontaktmedium (medium). Darunter versteht man jede Art von physischer bzw. technischer Übermittlung, z. B. elektrische Impulse, fernmeldetechni‐ sche Apparaturen bei einem Telefonat, aber auch einen Brief, ein Gedicht etc. Für eine erfolgreiche Vermittlung der Botschaft müssen Sender und Empfänger den gleichen Kode (code) verwenden. Das bedeutet zunächst, dass sie das gleiche Sprachsystem (z. B. die niederländische Sprache) verwenden und verstehen müssen, aber auch, dass beiden Kommunikationspartner: innen klar ist, ob es sich um eine Nachrichtensendung, einen Cartoon oder ein Gedicht handelt, ob es sich um eine informative Aussage oder einen Witz handelt. Das Modell ist für jede Form von Kommunikation anwendbar, also nicht nur für gesprochene Sprache, sondern auch für geschriebene Sprache oder Gebärdensprache etc. Damit Kommunikation gelingt, ist es essenziell, dass Sender und Empfänger einander verstehen. Aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen und Bewertungen kann es jedoch zu kommunikativen Missverständnissen kommen, die im Extremfall zu echten Schwierigkeiten führen können. Es kommt gelegentlich sogar zu Klagen, meist gegen Künstler: innen wie Literat: innen oder Kabarettist: innen, weil beispielsweise satirische Texte als ‚echte‘ Beleidigung gewertet werden. Beleidigung ist prinzipiell ein strafbares Delikt. Steht aber fest, dass die ‚Beleidigung‘ im Kontext des politischen Kabaretts (als einem künstlerischen Genre) ausgesprochen wurde, ist dies wohl erlaubt, da es sich dann um Satire handelt. Schauen wir uns nun den Minidialog in Abbildung 8.3 an. Die Person links im Bild stellt eine Frage, die im Zusammenhang mit dem äußeren Erscheinungsbild seines Gegenübers steht: „Bist du Fakir? “ Die Person rechts antwortet mit „Nein, ich komme nie hierher.“ Der Fakir hat die Frage seines Gegenübers offensichtlich nicht als ben je fakir, sondern als ben je vaak hier (bist du oft hier? ) aufgefasst. Beides klingt von Nieder‐ länder: innen ausgesprochen mehr oder weniger gleich. Nur wer über ausreichende Niederländischkenntnisse verfügt, kann diese Doppeldeutigkeit verstehen. Die Kom‐ munikation zwischen Cartoonist: in (Sender) und Leser: in (Adressat) funktioniert nur, wenn beide auch den gleichen Kode beherrschen, in diesem Fall die niederländische Sprache. Die beiden Figuren im Cartoon jedoch beherrschen beide die niederländische Sprache, verwenden den gleichen Kode, und dennoch geht etwas in ihrer Kommunika‐ tion schief. Wie kann es dazu kommen? Dem Fakir ist sein eigenes Aussehen natürlich vertraut - er interpretiert die Lautkette benjefakir im Kontext der Kneipe, als einem Ort, an dem häufiger ein Spruch wie Kommst du öfter hierher? als Einstiegsfrage verwendet wird, wenn man (oder frau) am Tresen steht und ein Bier trinkt. Seine Interpretation passt also durchaus zum situativen Kontext ‚Kneipe‘. Für den Fragenden ist aber das für ihn fremde, auffällig andere Aussehen des Fakirs der Ausgangspunkt seiner Frage. Attribute wie Turban, Schlange, Nägel stehen für ihn im situativen Kontext so weit im Vordergrund, dass er seine Frage für eindeutig hält. Auch für die meisten Leser: innen dürfte diese Gewichtung der Elemente des Kontexts zutreffen. 8.1 Das Kommunikationsmodell 211 Abb. 8.3: Misskommunikation Für Kommunikation ist ein gemeinsamer Kode zwar die Voraussetzung, die gleiche Sprache zu sprechen reicht aber für eine gelungene Kommunikation noch lange nicht aus: Die richtige Interpretation der Botschaft, eingebettet in den situativen Kontext, ist außerordentlich wichtig und mitentscheidend für das Gelingen der Verständigung. 8.2 Der Sender als Ausgangspunkt Nicht nur dem Empfänger einer Botschaft kommt eine wichtige Rolle zu, sondern auch dem Sender, der in hohem Maße die Bedeutung einer Botschaft bestimmt. Wie lässt sich beispielsweise die Botschaft Wij spreken daar morgen af interpretieren, wenn unklar ist, wer den Satz sagt? Ist es Außenstehenden möglich, aus diesem Satz zu schließen, wer sich wo wann trifft? Die Begriffe wij, daar und morgen verweisen nicht auf einen kontextunabhängigen Referenten (vgl. Kap. 3), sondern können sich - abhängig vom Sprecher und dem situativen Kontext - auf verschiedene Referenten beziehen. Etwas anderes ist die Aussage in der Form: Jan de Vries en Jean Vermeulen spreken op 31 december 2023 op het Amstelveld af. Eine solche Aussage ist auch ohne den situativen Kontext eindeutig. Begriffe, die vor allem auf Elemente des situativen Kontexts Bezug nehmen, wie Personen, Gegenstände, Zeit und Ort, und deren Bedeutung kontextabhängig ist, werden als deiktische (deiktische) Ausdrücke bezeichnet. 212 8 Sprache im Kontext Die Pronomen ik/ wij beziehen sich auf den Sprecher, jij/ jullie auf den Empfänger, hij/ zij auf außenstehende Dritte. Neben dieser Personaldeixis (personele deixis) gibt es auch Temporaldeixis (temporele deixis). Das Wort morgen steht in einem Zusammenhang mit vandaag und gisteren, aber eine Wendung wie Morgen is vandaag gisteren zeigt, dass die Bedeutung nur eine relative ist: vandaag deutet genau den Zeitpunkt an, an dem der Sprecher seine Botschaft äußert, gisteren bezieht sich auf einen Zeitpunkt vor der Äußerung, morgen auf einen Zeitpunkt danach; weitere Beispiele sind nu und dan. Genauso wenig konkret sind die Begriffe hier und daar. Bedeutung erhalten sie nur im situativen Kontext: hier ist in der Nähe des Sprechers, daar ist in einer Entfernung zum Sprecher; bei derartigen Begriffen spricht man von Lokaldeixis (ruimtelijke deixis). Das Wort deiktisch (deiktisch) geht auf das griech. δείκνυμι (deiknumi) ‚(an)zeigen, auf jem./ etw. zeigen‘ zurück. In literarischen Texten kann man mit der deiktischen Beziehung von Sender und Empfänger auch spielen, so wie es der Dichter Erik van Os in seinem Gedicht tut: Dag papegaai, zei de pinguïn. Dag papegaai, zei de papegaai. Nee, zei de pinguïn, jij moet dag pinguïn zeggen. Nee, zei de papegaai, jij moet dag pinguïn zeggen. Nee, zei de pinguïn, ík ben een pinguïn. Nee, zei de papegaai, ík ben een pinguïn. Jíj bent een papegaai, zei de pinguïn. Jíj bent een papegaai, zei de papegaai. Stomme papegaai, zei de pinguïn. Stomme pinguïn, zei de papegaai. Erik van Os (1994) 8.3 Kooperationsprinzip In der Regel wollen Gesprächspartner: innen so miteinander kommunizieren, dass sie einander verstehen. Sender und Empfänger bemühen sich sicherzustellen, dass Bezüge im Kontext eindeutig sind, dass Kontaktmedium und Kode für beide Seiten verständlich sind, sodass die Botschaft, die der Sender vermitteln will, vom Empfänger auch korrekt verstanden wird. Beide Gesprächspartner: innen sind dann kooperativ, wenn sich zum einen der Sender der Botschaft bemüht, deutlich und eindeutig sowie verständlich zu sein, und wenn zum anderen der Empfänger versucht, die Botschaft zu entschlüsseln und zu begreifen. Diese gegenseitige Abstimmung von Sender und Empfänger ist Grundvoraussetzung für gelungene, erfolgreiche Kommunikation und wird als Kooperationsprinzip (coöperatie- oder samenwerkingsprincipe) bezeichnet. Im Fakir-Beispiel wollen der junge Mann und der Fakir kooperativ sein, aufgrund 8.3 Kooperationsprinzip 213 unterschiedlicher Vorannahmen gelingt die Kommunikation jedoch trotzdem nicht. Anders verhält es sich in (1): (1) Klant: Kan ik bij u betalen? - Verkoper: Ik weet niet of u dat kunt. Der Verkäufer verhält sich bewusst unkooperativ. Der Kunde möchte wissen, ob es möglich ist, an dieser Kasse, bei diesem Verkäufer zu bezahlen. Der Verkäufer - dem diese Intention des Fragenden, des Senders, sicherlich klar ist - tut aber so, als ginge es um die Fähigkeit des Kunden, zahlen zu können. Dabei weiß der Kunde, ob er in der Lage ist zu zahlen oder nicht. Darauf ist seine Frage ja nicht gerichtet. Die Antwort des Verkäufers dürfte ironisch gemeint sein. Diese Ironie entsteht durch die bewusste Verletzung des Kooperationsprinzips. Auch im folgenden Beispiel geht es nicht darum, dass der Fragende wissen möchte, ob Bram in der Lage ist, die Uhr zu lesen oder ob er über ein bestimmtes Wissen tatsächlich verfügt. (2) Arie: Weet je hoe laat het is? - Bram: Ja. Die Frage ist vielmehr eine Bitte an Bram, Arie mitzuteilen, wie spät es ist. Um der Bitte nachkommen zu können, ist es natürlich notwendig, dass Bram über dieses Wissen tatsächlich verfügt. Arie fragt aber nicht Weißt Du, wie spät es ist, und wenn ja, teile es mir bitte mit. Eine solche Frage wirkt seltsam. Wäre Bram kooperativ, könnte er z. B. antworten Ja, viertel nach drei. Die Antwort Viertel nach drei wäre - sogar ohne die explizite Antwort Ja - ebenfalls eine passende Antwort auf Aries Frage. 8.3.1 Erfolgreiche Kommunikation Um die Bedingungen, unter denen Kommunikation gelingt, genauer beschreiben zu können, hat Grice ein wissenschaftliches Modell entwickelt. Seine Kernthese ist, dass erfolgreiche Kommunikation die Einhaltung des Kooperationsprinzips voraussetzt und dass Gesprächsteilnehmer: innen außerdem vier Annahmen machen, an denen sie sich beim Formulieren orientieren. Nach dem Modell von Grice handelt es sich bei diesen Konversationsmaximen (gespreksmaximes) um universelle Prinzipien, allgemeingültige Strategien zur Informationsübermittlung, die nicht sprachspezifisch für das Deutsche oder Niederländische sind, sondern für alle Sprachen gelten. Daher werden diese Maximen auch als pragmatische Universalien (pragmatische univer‐ salia) bezeichnet. 214 8 Sprache im Kontext Die Maxime der Qualität bezieht sich auf die Richtigkeit der geäußerten Informa‐ tion. Was ein Sprecher äußert, sollte wahr und richtig sein und es sollten Gründe oder Belege für die Aussage vorliegen. Nach der Maxime der Quantität gibt man soviel Information wie nötig, aber so wenig wie möglich. Die Maxime der Relevanz (oder Relation) besagt, dass die Äußerung im Zusammenhang bedeutsam und zum Thema passend sein soll. Aufgrund der Maxime der Art und Weise (oder Modalität) sollen alle Äußerungen eindeutig, klar und unmissverständlich sowie strukturiert und in der richtigen Reihenfolge erfolgen. Mit dem Modell sollen keine praktischen Ratschläge oder Vorschriften für Kommunikation gegeben werden, das Modell soll vielmehr dabei helfen, Kommunikation objektiv zu beschreiben. Denn nicht in allen kommunikativen Situationen werden diese Maximen tatsächlich angewandt und beachtet; häufig werden sie bewusst und gezielt missachtet, manchmal aber auch unbewusst verletzt. Es ist auch nicht immer möglich, alle Maximen gleichermaßen zu erfüllen. Dennoch - so die Annahme von Grice - lässt sich vieles in der Kommunikation erklären, wenn man davon ausgeht, dass Sender und Empfänger das Kooperationsprinzip und die Maximen voraussetzen. Konversationsmaximen - - Maxime der Qualität maxime van kwaliteit Maxime der Quantität maxime van kwantiteit Maxime der Relevanz maxime van relatie Maxime der Art und Weise maxime van wijze Betrachten wir noch einmal den Dialog in (1). Der Verkäufer beantwortet die Frage bewusst ‚falsch‘. Die Antwort passt nicht zur intendierten Frage, ist nicht relevant. Das Verb können so zu deuten, als ob es um ‚die Fähigkeit besitzen‘ ginge, ist in diesem situativen Kontext nicht adäquat. Stattdessen wird können hier im Sinne von ‚die Möglichkeit/ Gelegenheit haben‘ verwendet. In (2) wirkt die Entscheidungsfrage Weißt Du? unpassend, wenn wir davon ausgehen, dass Arie eigentlich wissen möchte, wie spät es ist. Die Frage nach Brams Wissen ist nicht relevant und im Grunde überflüssig. Arie verletzt hier in gewisser Weise die Maxime der Relevanz und die Maxime der Quantität. Warum aber fragt Arie so und erwarten wir eigentlich von Bram, dass er mit einer Uhrzeitangabe antwortet - oder mit Nein, wenn er nicht weiß, wie spät es ist? Aries Formulierung ist indirekt und wirkt dadurch höflicher als die direkte Frage Wie spät ist es? In der Regel versteht der Empfänger diese indirekte Frage trotzdem, weil es sich um eine konventionelle Formulierung einer Bitte handelt. Die explizite Frage Weißt Du, wie spät es ist, und wenn ja, teile es mir bitte mit widerspricht dieser konventionellen Art der Frageform und verletzt die Maxime der Quantität, weil sie viel zu ausführlich ist. 8.3 Kooperationsprinzip 215 63 Die Beispiele in (3) und (4) und ihre Analyse gehen auf Appel et al. (2002) zurück. In einem anderen situativen Kontext kann die Antwort von Bram allerdings auch anders interpretiert werden. Wenn Bram tatsächlich nicht weiß, wie spät es ist, und dennoch mit Ja oder Viertel nach drei antwortet, verletzt er die Maxime der Qualität, weil er mit Nein antworten müsste. In wieder einer anderen Situation kann Brams Antwort Ja allerdings auch alle Maximen erfüllen. Stellen wir uns vor, Arie und Bram müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt aufbrechen, Arie hat keine Uhr und möchte wissen, ob Bram weiß, wann sie aufbrechen müssen und dann auch Bescheid gibt. In diesem Fall bittet Arie nicht um die Nennung der Uhrzeit, sondern möchte sich versichern, dass Bram die Uhr im Auge behält, sodass sie pünktlich sind. Die Gesprächspartner: innen in (3) sprechen offensichtlich nicht miteinander, son‐ dern aneinander vorbei. 63 (3) Annelies: Kan ik je fiets morgen lenen? - Stefan: Die buurvrouw hiernaast is me er trouwens ook een, zeg! - Annelies: Ik moet morgen op de fiets naar Marken. - Stefan: Die heeft haar haar deze week al drie keer anders geverfd. - Annelies: Ik moet mijn jarige neef opzoeken. - Stefan: Ik zou mijn portemonnee maar klaar houden, als ik bij haar thee ging drinken. Die Antworten passen nicht zu den Fragen, es wirkt so, als hätte Stefan die Fragen von Annelies akustisch gar nicht wahrgenommen, seine jeweiligen Reaktionen passen nicht. Es ist fraglich, ob es sich überhaupt um ein Gespräch, eine Kommunikationssi‐ tuation zwischen zwei Gesprächsteilnehmer: innen handelt. Wenn Stefan in Gedanken versunken ist oder Hörschwierigkeiten hat, weil es beispielsweise in der Umgebung extrem laut ist, verletzen die beiden das Kooperationsprinzip unbewusst. Beispiel (3) kann aber auch anders interpretiert werden. Stellen wir uns vor, dass Annelies Stefan ständig bittet, ihr etwas zu leihen, Stefan davon genervt ist und Annelies sein Fahrrad gar nicht leihen möchte. In dem Fall wählt Stefan seine Antworten ganz bewusst aus und verletzt absichtlich die Maxime der Relevanz. Statt explizit mit Nein, ich leihe dir mein Fahrrad nicht zu antworten, versucht er Annelies klarzumachen, dass er ihr nicht schon wieder etwas leihen will, dass er auf diesem Ohr taub ist. In (4) ist es gut möglich, davon auszugehen, dass Frank und Jan kooperative Gesprächspartner sind und Jan eine echte Antwort auf Franks Frage gibt: (4) Frank: Kan ik wat geld van je lenen? - Jan: Mijn portemonnee ligt in de keuken. 216 8 Sprache im Kontext Die Maxime der Relevanz scheint hier zwar auf den ersten Blick missachtet zu werden, dennoch lassen sich relativ leicht Kontexte herstellen, in denen die Antwort von Jan tatsächlich relevant ist: a) Frank braucht nur in die Küche zu gehen und kann sich Geld aus dem Portemonnaie nehmen. Jan beantwortet die Frage dann positiv. b) Jan hat sein Portemonnaie nicht bei sich, er hat es in der Küche liegen lassen. Er kann Frank somit kein Geld leihen. Mit seiner Antwort intendiert Jan dann ein Nein. Jans Antwort ist für Frank relevant und erfüllt auch die anderen Maximen. Im Fakir-Dialog geht der Fakir davon aus, dass sein Gesprächspartner sich an die Maxime der Relevanz hält und eine relevante Frage stellt. Für den Fakir ist Bist du Fakir? nicht besonders relevant, für ihn ist es ja völlig normal. Daher interpretiert er die Frage anders, sodass sie für ihn wohl relevant ist. Das Beispiel ist insofern interessant, als dass es auf der ‚Dekodierungsebene‘ ansetzt. Diese ist bei Grice (und in den anderen Beispielen) ja vorausgesetzt: Dort stehen lexikalisches Material, syntaktische und semantische Funktion schon fest, wenn ‚die Pragmatik anfängt‘. Die Maxime der Art und Weise wird verletzt, wenn die Botschaft missverständlich oder unstrukturiert gesendet wird. Betrachten wir die folgenden Beispiele: (5) Ik zag de dader en de jongen. Hij rende weg en werd neergeschoten. (6) In Vietnam is het eten van kikkers normaler dan bij ons en het eiwitrijke kikkervlees is een goede aanvulling op het eten van de kinderen. (Medisch Comité Nederland-Vietnam 2021/ 3: 5) (7) Politie schiet na overval op juwelier (Onze taal kalender 06.02.2012, aus Metro) (8) Verwijder de kartonnen wikkel. Folie niet verwijderen en geen gaatjes prikken. Zet de maaltijd in de magnetron. Zet deze 4 minuten aan op vol vermogen. Wacht op de fluittoon, 30 seconden laten fluiten en … klaar! Laat de maaltijd 1 minuut nagaren en schep hem om. (Anleitung auf einer Mikrowellengerichtverpackung) Der Bezug des Pronomens hij in (5), einer Zeugenaussage, ist missverständlich: Ist es der Täter oder der Junge, der wegrennt und auf den geschossen wird? Grammatisch kann sich das Pronomen schließlich sowohl auf de dader als auch auf de jongen beziehen. Dadurch ist es für den Empfänger nicht deutlich, wer wegrennt und auf wen geschossen wird. Hier müsste der Empfänger der Botschaft nachfragen, was genau gemeint ist. In (6) ist nicht ganz klar, inwiefern Froschfleisch eine gute Nahrungsergänzung darstellt: Ist das Essen von Fröschen eine gute Ergänzung dazu, Kinder zu essen, oder ist das Essen von Fröschen eine gute Ergänzung für Kinder bei ihrer Ernährung? Der Satzbau ließe die kannibalistische Lesart zu - auch wenn diese mehr als unwahrscheinlich ist. In (7) hingegen ist es durchaus möglich, dass gemeint ist, dass die Polizei irrtümlich auf den Juwelier geschossen hat. Wer seine Mikrowellenmahlzeit so zubereitet, wie auf der Verpackung in (8) angegeben, hat ein Problem mit dem Umrühren: Wie soll man das machen, wenn man die Folie nicht entfernen darf ? Die Anleitung ist hier etwas ungenau (bzw. lückenhaft). 8.3 Kooperationsprinzip 217 In informativen Texten sollten Ungenauigkeiten und Doppeldeutigkeiten (dub‐ belzinnigheden) vermieden werden. Im literarischen Sprachgebrauch aber wird die Maxime der Art und Weise häufig bewusst verletzt. Es wird mit Ambiguität (ambi‐ guïteit) gespielt und ein Mehrwert erzeugt, der gerade auf den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten beruht. Berühmt für bewusste Doppeldeutigkeit sind die Aussprüche von Orakeln; so soll die Sybille dem König Pyrrhus Folgendes prophezeit haben (Cicero, De divinatione II, 56, 116): (9) Ibis redibis nunquam per bella peribis. - [wirst-gehen wirst-zurück‐ kommen niemals durch Kriege wirst-zugrundegehen] Pyrrhus verstand die Aussage in (9) als „du wirst gehen und zurückkehren und niemals in Kriegen umkommen“. Die Sybille jedoch hat den Bezug des Adverbs niemals offen gelassen: In Pyrrhus’ Fall bedeutete dies: „du wirst gehen und niemals zurückkehren; in Kriegen wirst du umkommen“. Informationsstruktur Sprachbenutzer: innen wenden für erfolgreiche Kommunikation verschiedene Stra‐ tegien an und beachten unbewusst unterschiedliche formale, inhaltliche und funk‐ tionale Aspekte beim Aufbau von Sätzen. So geben Syntaxregeln eine bestimmte lineare Reihenfolge von Konstituenten bzw. Satzteilen vor und klassifizieren Sätze in grammatisch richtig oder falsch. In Kapitel 6 haben wir gesehen, dass die Wortstellung im Niederländischen relativ frei ist, wenn auch nicht so frei wie im Deutschen. Mithilfe unterschiedlicher Reihenfolgen von Konstituenten können dann jeweils andere inhaltliche Aspekte hervorgehoben werden (vgl. Topikalisierung in Kap. 6.2), wodurch sich die Bedeutung des Satzes ändert - oder zumindest die ‚Passform‘: Eine bestimmte Reihenfolge passt in bestimmten Kontexten besser als in anderen. Hier greifen dann inhaltliche und funktionale Aspekte, die die Darstellung der Information im Satz regeln. Vergleichen wir dazu die folgenden Sätze: (a) De vrouw ligt op het strand. (b) Op het strand ligt de vrouw, niet op de bank. Bei (a) handelt es sich um die normale, d. h. unmarkierte oder auch Default-Rei‐ henfolge in einem niederländischen Satz, bei dem das Subjekt vorne im Vorfeld des Satzes steht. Dieser Satz ist besonders dann angemessen, wenn de vrouw das Topik (topic) ist, also das, worüber etwas ausgesagt wird, und ligt op het strand 218 8 Sprache im Kontext der Kommentar (comment), also das, was über das Topik ausgesagt wird. In (b) steht das Subjekt im Mittelfeld, stattdessen ist die adverbiale Bestimmung ins Vorfeld geschoben und wird dadurch topikalisiert. Diese markierte (d. h. ungewöhnlichere) Reihenfolge wird insbesondere dann gewählt, wenn die hervor‐ gehobene Konstituente im Kontrast zu etwas steht (hier: am Strand gegenüber auf dem Sofa). Neben Topik und Kommentar werden im Zusammenhang mit der Informationsstruktur auch die Dimensionen Hintergrund (achtergrond) und Fokus (focus) sowie Bekanntheit und Unbekanntheit bzw. Thema (thema) und Rhema (rema) unterschieden. Hintergrundinformationen werden in der Regel vor fokussierten Angaben genannt, Bekanntes wird früher erwähnt als Unbekanntes. Dabei gibt es Abstufungen von bereits vorerwähnten über aus dem Kontext ableitbare Angaben bis hin zu völlig neuen Informationen (vgl. Pittner & Berman 2021 und Musan 2017). Die Reihenfolge der Konstituenten im Satz wird also nicht nur von grammatisch-syntaktischen Regeln, sondern auch von der pragmatischen Informationsstruktur des Satzes bestimmt. 8.3.2 Zwischen den Zeilen lesen Der Empfänger einer Äußerung muss diese nicht nur akustisch wahrnehmen, sondern auch richtig verstehen und interpretieren. Häufig reicht es nicht, Äußerungen ganz wörtlich aufzufassen. Wir müssen zwischen den Zeilen lesen und Schlussfolgerungen ziehen. In dem bereits besprochenen Beispiel vom Fakir bettet der Fakir die Frage in den Kontext der Kneipe statt sie auf sein Äußeres zu beziehen: Der Fakir zieht die falschen Schlüsse. Im Dialog (4) beantwortet Jan Franks Frage nicht explizit mit Ja oder Nein. Seine Antwort Mijn portemonnee ligt in de keuken geht weit über die wörtliche Bedeutung ‚die Geldbörse befindet sich in der Küche‘ hinaus. Frank kann - wie oben erläutert - mehrere Schlussfolgerungen aus dieser Antwort ziehen, wenn er zwischen den Zeilen liest. Diese Schlussfolgerungen sind nur möglich, weil Frank davon ausgeht, dass Jan sich bei seiner Antwort an das Kooperationsprinzip hält, und weil er davon überzeugt ist, dass Frank seinerseits in der Lage ist, zwischen den Zeilen zu lesen. Derartige Schlussfolgerungen, die in einem situativen Kontext naheliegen, aber nicht logisch zwingend sind, werden bei Grice (konversationelle) Implikaturen ((conversationele) implicaturen) genannt. 8.4 Sprechakte Wenn Menschen sprechen, tauschen sie nicht nur Informationen aus, wie beispiels‐ weise Bienen, die sich gegenseitig darüber informieren, in welcher Richtung und Entfernung es geeignete Blüten gibt. In menschlicher Kommunikation geht es häufig um mehr als um Aussagen und Behauptungen wie in (10) und (11), deren Wahrheits‐ gehalt (vgl. Kap. 7.2.1) überprüfbar ist: 8.4 Sprechakte 219 (10) De aarde draait om de zon. (11) 2 plus 2 is 4. Mit einer Äußerung wollen wir nämlich meistens neben einer Übermittlung von Information mehr erreichen, wir verfolgen eine Absicht, wollen unsere/ n Gesprächs‐ partner: in zu etwas bewegen, zu etwas auffordern, von etwas überzeugen etc. Die Äußerung hat neben einer informativen Bedeutung auch einen pragmatischen Sinn. Die Aussageabsicht des Senders, der funktionale Aspekt einer Äußerung, geht über das eigentlich wortwörtlich Gesagte hinaus. Bei vielen Äußerungen geht es dann auch gar nicht um einen Wahrheitsgehalt der Aussage, die Äußerung stellt vielmehr eine sprachliche Handlung an sich dar, wie z. B. bei jemandem etwas wünschen, jemanden um etwas bitten, schimpfen, jemandem etwas versprechen. Derartige Äußerungen wer‐ den dementsprechend als speech acts, Sprechakte (taalhandelingen) bezeichnet. Die Theorie der Sprechakte geht auf Austin und sein grundlegendes Werk How to do things with words (1962) zurück. Nach dieser Sprechakttheorie besteht ein Sprechakt aus drei (gleichzeitigen) Teilakten, nämlich aus der Lokution (locutie), der Illokution (illocutie) und der Perlokution (perlocutie). Lokution (Äußerung und Proposition) Zur Lokution gehören wiederum zwei Teile: die Äußerung (uiting) und die Proposi‐ tion (propositie) (vgl. Kap. 7.2.1). Bei der Äußerung handelt es sich um die tatsächliche Hervorbringung von Sprachlauten und sprachlichen Einheiten in einer bestimmten Struktur, also die physische, materielle Hervorbringung einer Aussage wie Klaas eet graag pannenkoeken. Die Proposition hat eine referenzielle, verweisende Funktion: So wird - vgl. Abbildung 8.4 - über die Person Klaas etwas ausgesagt, Klaas ist dabei die Referenz (referentie), eet graag pannenkoeken die Prädikation (predicatie). Eine Proposition hat zudem einen Wahrheitsgehalt und kann daher wahr oder falsch sein (vgl. Kap.-7.2.1). Klaas eet graag pannenkoeken. referentie predicatie Abb. 8.4: Referenz und Prädikation in der Proposition Illokution Bei der Illokution handelt es sich um den eigentlichen Sprechakt, den Handlungstyp: Hier zeigt sich die Absicht des Sprechers und der Zweck der Äußerung. Austins Ein‐ teilung wurde von Searle erweitert: Er klassifiziert die Illokution der Sprechakte in fünf 220 8 Sprache im Kontext Kategorien: assertive, direktive, kommissive, expressive und deklarative Sprechakte. Diese fünf Kategorien lassen sich in drei übergeordnete zusammenfassen: informativ, obligativ und konstitutiv, wobei in der informativen Kategorie dem assertiven Sprech‐ akt eine Kategorie hinzugefügt werden kann: die Informationsfrage. Bei informativen Sprechakten (informatieve taalhandelingen) geht es um die Mitteilung von Informationen, um Behauptungen, Beschreibungen, Konstatierungen (assertive Sprechakte - assertieve taalhandelingen) und um die Frage nach derartigen Informationen (Informationsfrage - informatievraag). informatief assertief: De trein rijdt via Duisburg naar Amsterdam. informatievraag: Gaat deze trein naar Amsterdam? Typische informative Sprechakte sind beweren (behaupten), vaststellen, beschrijven, aannemen bzw. vragen. Bei obligativen Sprechakten (obligatieve taalhandelingen) geht es um eine Verpflich‐ tung, die der/ die Sprecher: in, also der Sender, sich selbst oder einem/ r anderen auferlegt. Kommissiv (commissief) sind solche Sprechakte, bei denen der Sender sich selbst zu etwas verpflichtet (beispielsweise in Form eines Versprechens), direktiv (directief) sind Sprechakte, bei denen der Sender dem Empfänger eine Verpflichtung auferlegt, beispielsweise in Form einer Bitte oder eines Befehls. obligatief commissief: Morgen mag je zoveel ijs eten als je maar wilt. directief: Doe de deur dicht! Typische Beispiele für derartige Sprechakte sind beloven (versprechen), aanbieden bzw. verzoeken (bitten), bevelen, aanraden (empfehlen) und voorstellen (vorschlagen). Bei konstitutiven Sprechakten (constitutieve taalhandelingen) geht es um Sprech‐ akte, die nur in ganz bestimmten Kontexten und Situationen angemessen und gültig sind. Eine Gratulation oder eine Äußerung des Dankes oder der Wertschätzung passt nur unter bestimmten Umständen, es handelt sich dabei um expressive Sprechakte (expressieve taalhandelingen). Bei deklarativen Sprechakten (declaratieve taalhandelin‐ gen) beinhaltet die Äußerung zugleich eine ‚Tat‘: Mit der Äußerung wird eine neue soziale Wirklichkeit kreiert und es ändern sich soziale Gegebenheiten. 8.4 Sprechakte 221 64 Das Beispiel stammt aus Appel et al. (2002). constitutief expressief: Gefeliciteerd met je verjaardag. declaratief: Hierbij verklaar ik u tot man en vrouw. Beispiele hierfür sind bedanken, feliciteren, groeten, condoleren bzw. dopen (taufen), huwen (trauen), veroordelen und vonnissen (ein Urteil sprechen). Perlokution Der letzte Teilakt eines Sprechaktes ist die Perlokution: die Folgen und der Effekt, die der Sender durch die Äußerung erreicht. Bei diesem Teilakt ist aber erstens unklar, ob es sich bei der Perlokution tatsächlich um eine ‚Handlung‘ des Senders handelt oder nur um einen Effekt, zweitens, inwieweit die Intentionalität der Wirkung beim Empfänger nachvollziehbar ist, und drittens, ob sich derartige Effekte überhaupt systematisch erfassen lassen. Außerdem müssen das beabsichtigte Ziel und der erreichte Effekt als ‘ideaal en werkelijkheid’ (Smessaert 2019: 127) nicht notwendigerweise übereinstimmen. Wie wir bereits gesehen haben, kann es bei der kommunikativen Interaktion zu Missverständnissen zwischen Gesprächspartner: innen kommen. In den folgenden Beispielen wird deutlich, welche Rolle die Sprechakte bei der Entstehung der Missver‐ ständnisse spielen: 64 (12) Els: De vuilniszak staat nog niet buiten. - Bas: Zet hem zelf maar op de stoep. - Els: Ik vroeg je toch niets! Die Reaktion von Bas in (12) zeigt, dass er die Aussage von Els als obligativen, direktiven Sprechakt auffasst. Er bewertet die Aussage als Aufforderung von Els, den Müll hinauszubringen. Die Reaktion von Els wiederum macht deutlich, dass Els ihre Aussage nicht als direktiven Sprechakt, sondern als einen informativen, assertiven Sprechakt sieht. Els stellt fest, dass der Müll noch drinnen steht. Die vom Sender intendierte Botschaft kommt in diesem Fall offensichtlich nicht korrekt beim Empfänger an. Ein Sprechakt gelingt (oder glückt) nur, wenn er unter bestimmten Bedingungen vor‐ genommen wird; diese Bedingungen werden als Glückensbedingungen (geslaagd‐ heidsvoorwaarden; engl. felicity conditions) bezeichnet. Der Sender eines assertiven Sprechaktes muss über korrekte Informationen verfügen (oder zumindest von der Korrektheit ausgehen), um diese vermitteln zu können. Der Sender einer Aufforderung muss über die soziale Position verfügen, um jemand anderem einen Befehl zu übermit‐ teln. Die Sekretärin kann nicht zu ihrem Chef sagen Schick mal das Fax nach Berlin. Eine solche Aufforderung wird höchstwahrscheinlich nicht zum intendierten Ziel führen 222 8 Sprache im Kontext und glückt somit nicht. Insbesondere bei konstitutiven Sprechakten wird deutlich, dass der situative Kontext und die Umstände der realen Welt darüber entscheiden, ob ein Sprechakt glückt oder nicht. Obwohl Marloes in (13) einen Glückwunsch äußert, gratuliert sie Roel nicht erfolgreich zu seinem Geburtstag - da er zum Zeitpunkt der Äußerung gar keinen Geburtstag hat. Der Sprechakt gelingt somit nicht: (13) Marloes: Gefeliciteerd met je verjaardag! - Roel: Ik ben pas volgende week jarig. In anderer Weise gelingt der intendierte Gruß der Verkäuferin in (14) nicht. Guten Morgen sagt man nämlich eigentlich nur morgens bis 12 Uhr, danach sollte man Guten Tag verwenden; der Empfänger bräuchte Humor, damit der Gruß gelingt: (14) Verkoopster: Goedemorgen! - Klant: Het is al half drie. Statt zurückzugrüßen erwidert der Kunde, dass es bereits halb drei ist. Die freundliche Begrüßung geht hier also ins Leere. 8.5 Indirektheit und Höflichkeit Nicht immer sagen wir explizit und direkt, was wir meinen oder möchten, wie wir schon in (2) gesehen haben. Gehen wir von der folgenden Situation aus: Bert und Karin sind im Auto auf der Autobahn unterwegs. Karin muss auf die Toilette und möchte daher bei der nächsten Raststätte anhalten. (15) Karin: Moet jij niet naar de wc? - Bert: Nee, hoor, ik kan het nog een tijdje volhouden. Bert fährt an der Ausfahrt vorbei. Offensichtlich hat er die Äußerung in (15) als echte Frage aufgefasst und nicht als indirekte Bitte. Wenn Karin sich nun beschwert, wird Bert wahrscheinlich fragen Warum sagst du nicht, dass ich anhalten soll? Warum verwenden wir indirekte Sprechakte (indirecte taalhandelingen), statt einer direkten, expliziten Äußerung? Vergleichen Sie die folgenden Sätze: (16a) Tür zu! - (16b) Schließ bitte die Tür! - 8.5 Indirektheit und Höflichkeit 223 (16c) Türe schließen. (16d) Würdest Du so freundlich sein, die Tür zu schließen? - (16e) Sollten wir nicht lieber die Tür schließen? - (16 f) Ich finde es hier nicht warm. - Alle sechs Aussagen können als Aufforderung des Senders an den Empfänger aufgefasst werden, die Tür zu schließen. Die erste Formulierung ist sehr direkt und wirkt unhöflich. Ein solcher Befehl kann in bestimmten Situationen, wenn es z. B. schnell gehen muss wie beim Sport oder bei einer Gefahr, dennoch angemessen sein. In (16b) handelt es sich um eine Aufforderung mit einer Imperativform des Verbs, im Deutschen meist ergänzt um das Wort bitte. Durch diesen Zusatz wird der Befehl abgeschwächt und freundlicher, sodass es sich um eine recht neutrale Aufforderung handelt. Eine Aufforderung wie in (16c) in Form eines Infinitivs wird häufig bei Gebots- oder Verbotsschildern verwendet. Auch hier ist der Zusatz bitte regelmäßig zu finden. Auch in (16d) wird die Aufforderung höflich formuliert, in diesem Fall durch eine Frage (auf die der Sender allerdings keine Ja-Nein-Antwort möchte). Durch die Frageform vergrößert der Sender den sozialen Abstand zwischen sich und dem Empfänger. Der Sender macht sich selbst klein und der Empfänger kann sein Gesicht wahren: Er könnte theoretisch mit Nein antworten. Der Sender kann den sozialen Abstand zwischen sich und dem Adressaten auch verringern, indem er beispielsweise wir statt du verwendet und den Empfänger der Botschaft zum gemeinsamen Handeln einlädt wie in (16e). Die Aussage in (16 f) ist so indirekt, dass der Empfänger sie nicht unmittelbar als Aufforderung auffassen muss. Es könnte sich auch um eine reine Feststellung handeln. Der Empfänger der Botschaft muss die vom Sender intendierte Aussage erkennen und die Implikatur verstehen, um die Aussage als direktiven Sprechakt analysieren zu können. Wenn wir unsere Mitmenschen um etwas bitten oder sie zu etwas bewegen wollen, gelingt uns dies leichter, wenn wir unseren Mitmenschen höflich begegnen. Indirektheit (indirectheid) ermöglicht dabei, dass unser Gegenüber in einem hohen Maß sein Gesicht wahren kann. Indirekte Sprechakte sind gesichtsbeschützend (gezichtsbeschermend; engl. face saving), während direkte Sprechakte, die sehr eindeutig und klar sind, auch gesichtsbedrohend (gezichtsbedreigend; engl. face threatening) sind. Solche Aussagen, die zu einem Gesichtsverlust führen, werden in der Regel als unhöflich empfunden. Höflichkeit (beleefdheid) kann also als ein Grund dafür angesehen werden, dass wir indirekte Sprechakte verwenden. Jeder Mensch hat dabei zwei Gesichter (im Sinne des öffentlichen Images einer Person; Meibauer 2008: 114). Das negative Gesicht steht für Hand‐ lungsfreiheit und Unabhängigkeit, das positive für Anerkennung. Eine Vorgehensweise wie in (16d) wird daher als negative Höflichkeitsstrategie (negatieve beleefdheidsstrategie), die in (16e) als positive Höflichkeitsstrategie (positieve beleefdheidsstrategie) bezeichnet. Mit Höflichkeitsstrategien sorgt der Sender dafür, dass der Empfänger sein Gesicht wahren kann, indem er dem Empfänger prinzipiell die Möglichkeit offenlässt, eine Bitte abzuschlagen. Oder der Sender bestärkt den Empfänger in seinem Handeln, z. B. durch 224 8 Sprache im Kontext ein Kompliment und schenkt ihm Anerkennung (vgl. Nübling 2006: 155). Dem Sender nützen diese Strategien, da die Wahrscheinlichkeit, dass der Empfänger tut, was der Sender möchte, steigt, wenn der Empfänger sich nicht ‚bedroht‘, sondern bestärkt fühlt. Wie wir in Dialog (15) gesehen haben, kann Indirektheit allerdings auch zu Missverständnissen führen. Sprachbenutzer: innen sind meistens in der Lage abzuschätzen, wann sie eine Äußerung besser direkt oder indirekt formulieren sollten, wann welche Äußerung angemessen ist. Sie wissen um die pragmatische Angemessenheit (pragmatische gepastheid) der Aussage. Die deutschen Formulierungen der in (16) aufgeführten Beispielsätze können recht wörtlich ins Niederländische übertragen werden: (17a) Deur dicht! (17b) Wil je de deur dichtdoen? (17c) Deur sluiten a.u.b. (17d) Zou je zo vriendelijk willen zijn en de deur dichtdoen? (17e) Moeten we de deur niet dichtdoen? (17 f) Ik vind het hier niet warm. Der auffälligste Unterschied besteht in der Formulierung in (16b)/ (17b): Während die deutsche Formulierung Schließ bitte die Tür eine neutrale Form ist, gilt dies nicht für die Imperativform im Niederländischen Doe de deur alsjeblieft dicht. Eine derart direkte Aufforderung wirkt im Niederländischen wie ein eher unhöflicher Befehl und wird in der Regel als nicht angemessen und als gesichtsbedrohend für den Empfänger erfahren. Die pragmatisch angemessene Formulierung auf Niederländisch lautet Wil je de deur dichtdoen? , die gesichtsbeschützend ist, da der Empfänger auf die Frage theoretisch mit Nein antworten und die Bitte des Senders abschlagen könnte. Fehler in der angemessenen Formulierung können zu Störungen der Kommunika‐ tion führen, wie das folgende Beispiel zeigt: Das dringende Fax Der promovierte deutsche Betriebswirt Holger Knef arbeitet als Unternehmensbe‐ rater in den Niederlanden. Er ist daran beteiligt, neue Produktionskonzepte für größere Unternehmen zu erarbeiten. Eines Tages muss er dringend ein Fax nach Deutschland zu einem Kunden senden. Er weiß, dass die Berliner Firma in spätestens einer Stunde schließt. So geht er schnell zu der Sekretärin, Ruth van Helvoort, mit der Bemerkung: „Guten Tag, Ruth, fax das bitte schnell nach Berlin. Die Nummer steht auf dem Brief. Danke.“ Als er ihr Büro verlassen will, ruft Ruth ihn jedoch zurück. Ihr gefalle sein Tonfall nicht, er sei unfreundlich […]. Schlizio et al. 2009: 37 8.5 Indirektheit und Höflichkeit 225 Die Kommunikation zwischen deutschem Vorgesetzten und niederländischer Sekretä‐ rin gelingt nicht, weil der Sender eine falsche Form des direktiven Sprechaktes wählt. Zumindest ist diese Form im Niederländischen unangemessen: Die niederländische Sekretärin ist pikiert. Anweisungen an andere Personen werden in den Niederlanden normalerweise als Frage formuliert. Eine aus deutscher Sicht höfliche Bitte ist nicht ausreichend, weil sie für Niederländer: innen wie ein Befehl klingt: „Anweisungen müssen anders verpackt werden“, Angestellte möchten „das Gefühl haben, noch ‚Nein‘ sagen zu können.“ (Schlizio et al. 2009: 38). Im Niederländischen werden also verstärkt negative Höflichkeitsstrategien verwendet. Der Sender vergrößert durch die Frage den Abstand zwischen sich selbst und dem Empfänger und ermöglicht durch die Frageform dem Empfänger, sein Gesicht zu wahren. Auf Deutsch ist diese Art der Anweisung in Form einer Frage ebenfalls möglich (Würden Sie bitte das Fax verschicken? ), die Imperativform in Kombination mit dem ‚Zauberwort‘ bitte dürfte jedoch in einem vergleichbaren Kontext noch häufiger als neutrale Variante verwendet werden. Nicht nur durch die Hinzufügung des Wörtchens bitte können wir Aufforderungen abschwächen. Vergleichen Sie die nachstehenden Sätze. Inwieweit unterscheiden sie sich - abgesehen von der Anzahl der verwendeten Wörter? Was ist der pragmatische Unterschied? (18) Komm her! - Komm mal her! - Komm doch her! - Komm doch mal eben her! In den vier Beispielsätzen in (18) geht es jeweils um eine Aufforderung: Die angespro‐ chene Person soll zum/ r Sprecher: in kommen. Im ersten Fall ist die Aufforderung sehr direkt, in den anderen Beispielen ist die Direktheit durch die Partikeln mal, doch, eben abgeschwächt. Mit Modalpartikeln (schakeringspartikels) können wir Äußerungen auf subtile Weise nuancieren und z. B. Aufforderungen in ihrer Direktheit abschwächen und indirekter gestalten. Die Übersetzung von Partikeln stellt häufig ein Problem dar. Deutsch und Niederlän‐ disch gelten als partikelreiche Sprachen, im Gegensatz zu beispielsweise Englisch und Französisch, die partikelarm sind. Zu einem Großteil ähneln sich die deutschen und niederländischen Wörter. Dennoch gibt es in der Verwendung Unterschiede: Oft entspricht toch dem deutschen doch doch nicht ganz, und maar lässt sich nicht mit 226 8 Sprache im Kontext 65 Als Partikel bedeutet maar meist etwas wie ‚nur‘, ‚ruhig‘: kom maar - komm ruhig her. 66 Beispiel (20d) stammt aus Hoogvliet 1903, zitiert nach Van der Wouden & Caspers (2010: 55). aber wiedergeben. 65 Dass Partikeln sich nur schwer übersetzen lassen, liegt daran, dass sie als Funktionswörter keine leicht zu beschreibende Bedeutung haben und nicht auf einen bestimmten Referenten verweisen (vgl. Kap. 3). Sie dienen vielmehr dazu, die Interpretation eines Sprechaktes zu steuern. Die Bedeutung der niederländischen Modalpartikeln wie eens, maar, nou und toch, mit denen der Sprecher seine Haltung oder Meinung angegeben oder nuancieren kann, kann in etwa so umschrieben werden (vgl. E-ANS): (19) Kom! Befehl - Kom eens! Wunsch, freundliche Bitte - Kom maar! freundliche Bitte (beruhigend, aufmunternd) - Kom nou! ungeduldige Aufforderung - Kom toch! ungeduldige, mahnende Aufforderung Partikeln können im Niederländischen (wie im Deutschen) auch miteinander kombi‐ niert werden, meistens steht die Reihenfolge der Partikeln fest. Die Übersetzung der Partikeln bzw. die Wiedergabe der Nuancierung stellt dabei allerdings häufig ein Problem dar, wie die folgenden Beispiele zeigen, bei denen die wortwörtliche Übertragung nicht möglich ist: (20a) Toen heeft ze maar eens even gespiekt. - ? Da hat sie nur mal eben abgeguckt. - Da hat sie halt mal (eben) abgeguckt. (20b) Kijk dan toch eens! - ? Schau dann doch mal! - Schau doch mal! (20c) Geef de boeken dan nou toch maar eens even hier. 66 - *Gib die Bücher dann nun doch ruhig mal eben her. - Gib die Bücher dann doch mal eben her. (20d) Das kann doch wohl nicht wahr sein! - *Dat kan toch wel niet waar zijn! - Dat kan toch niet waar zijn! 8.5 Indirektheit und Höflichkeit 227 8.6 Pragmatische Angemessenheit bei Anredeformen Gesprächspartner: innen verwenden in einer Konversation Anredeformen (aan‐ spreekvormen) wie jij (du), jullie (ihr) oder u (Sie). Im Niederländischen gibt es eine ganze Reihe von Pronomen für die Anredeform, die in Tabelle 8.1 aufgelistet sind (vgl. Vismans 2007: 175, Kremer 2000: 16, siehe auch Kap. 10.8). Zum einen werden die An‐ redepronomen nach formellen und informellen Formen unterschieden. Die formellen Formen werden beim Siezen (vousvoyeren) verwendet, die informellen beim Duzen (tutoyeren). Neben den Personalpronomen (Sie, du, ihr) sind die besitzanzeigenden Pronomen (Possessiva) aufgeführt (Ihr, dein, euer). Bei einigen Formen gibt es neben einer sog. vollen, betonten Form auch eine unbetonte Variante (z. B. jij - je). Hinzu kommt die für den Süden des Sprachraumes typische Form gij. Neben der Subjektform jij bzw. gij (du) gibt es als Objektform jou (dir, dich) bzw. u, wobei das u dann ebenfalls ‚dir/ dich‘ bedeutet. - formell - informell - Pers. Poss. Pers. Poss. - - - betont unbetont betont unbetont Sgl. u uw jij je jouw je - - - jou je - - - - - gij ge uw - - - - u - uw - Pl. u uw jullie - jullie je - - - gij ge uw - Tab. 8.1: Anredeformen im Niederländischen Wann siezt man nun seine/ n Gesprächspartner: in und wann duzt man sich? Allgemein werden Status (status; engl. power) und Solidarität (solidariteit; engl. solidarity), Begriffe, die von Brown & Gillmore 1960 eingeführt wurden, als ausschlaggebende Faktoren angesehen. In einem asymmetrischen Verhältnis zwischen den Gesprächs‐ partner: innen, wie zwischen Eltern und Kind oder Professor: in und Studierenden, ist der Status für die Wahl der Anredeform entscheidend, in einem symmetrischen Verhältnis, wie zwischen Schulkamerad: innen oder Studierenden, die Solidarität (vgl. Vismans 2007: 175 f.). Siezen ist wiederum typisch für den Ausdruck von Status, duzen für den von Solidarität. Allerdings spielen im Niederländischen noch mehr Faktoren bei der Wahl der Anredeform eine Rolle: das Alter und die geographische Herkunft sowie Religionszugehörigkeit, Geschlecht und Ausbildung der Sprecher: innen, Alter, Geschlecht und gesellschaftlicher Rang des Adressaten sowie der Grad der Formalität des Gesprächs an sich (vgl. Vermaas 2002). 228 8 Sprache im Kontext Vergleichen wir die Minidialoge in (21), die sich inhaltlich entsprechen: (21a) Student: Guten Tag Herr Eickmans. - Professor: Guten Tag Herr Schulze. - Student: Haben Sie morgen Zeit? Kann ich dann in Ihre Sprechstunde kommen? - Professor: Ja, Sie können morgen in meine Sprechstunde kommen. (21b) Student: Hallo Geert. - Professor: Hallo Jan. - Student: Heb je morgen tijd? Kan ik tijdens je spreekuur langskomen? - Professor: Ja, je kunt morgen tijdens mijn spreekuur langskomen. (21c) Student: Goeiedag professor. - Professor: Hallo Freek. - Student: Heeft u morgen tijd? Mag ik dan tijdens uw spreekuur langs‐ komen? - Professor: Ja, je kunt morgen tijdens mijn spreekuur langskomen. Es handelt sich in allen drei Fällen um eine asymmetrische Situation zwischen Student und Professor, einmal in Deutschland, einmal in den Niederlanden und einmal in Flan‐ dern. Im deutschen Beispiel (21a) siezt der Student den Professor und der Professor siezt den Studenten. Obwohl die Gesprächspartner auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen stehen, verwenden beide Seiten die Sie-Form. Das Siezen drückt dabei die so‐ ziale Distanz aus, aber auch gegenseitigen Respekt. Im niederländischen Beispiel (21b) duzen sich die Gesprächspartner trotz des hierarchischen Unterschieds. Das Duzen soll hier das freundschaftliche, solidarische Verhältnis betonen. Im flämischen Beispiel (21c) duzt der Professor den Studenten, während der Student den Professor siezt. Der hierarchische Unterschied (und die Asymmetrie) wird hier in den unterschiedlichen Anredeformen zum Ausdruck gebracht. Zwischen dem niederländischen Niederländisch, dem belgischen Niederländisch und dem Deutschen gibt es interkulturelle Unterschiede, welche Anredeform pragma‐ tisch angemessen ist und welche nicht. Aus niederländischer Sicht betont das deutsche Siezen die Distanz zwischen den Gesprächspartner: innen und den Status. Im Deutschen siezen sich häufig aber auch langjährige gute Bekannte (z. B. in Geschäftsbeziehungen), wobei die Sie-Form dann vor allem Respekt und Achtung dem/ r Gesprächspartner: in gegenüber ausdrücken soll. In den Niederlanden wird häufig nach dem ersten Vorstel‐ len bereits geduzt, was freundschaftlich, vertraut und solidarisch klingen soll. Es ist eher unüblich, formell das Du anzubieten. Der Übergang vom Siezen zum Duzen erfolgt allmählich und mehr oder weniger implizit. Zum Teil wechseln Niederländer: innen auch im Verlauf eines Gesprächs vom Siezen zum Duzen und auch wieder zurück zum 8.6 Pragmatische Angemessenheit bei Anredeformen 229 Siezen, wobei die Anrede z. B. von der Art des Themas abhängt (vgl. Vismans 2016). Im Deutschen ist ein solcher Wechsel unüblich: Ein einmal angebotenes Du wird eigentlich nur aufgrund von Unstimmigkeiten wieder zurückgenommen. In den Niederlanden wird heutzutage viel und schnell geduzt, nur Gott und der König bzw. die Königin werden grundsätzlich gesiezt. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es allerdings weit verbreitet, darüber hinaus nicht nur Fremde, sondern sogar die Eltern und Großeltern zu siezen (Oma, mag ik een koekje van u? - ? Oma, kann ich ein Plätzchen von Ihnen bekommen? ). Bis heute wird dies in bestimmten Kreisen so gehandhabt. In Flandern wiederum ist es völlig ungebräuchlich, Eltern oder Großeltern zu siezen. Für deutsche bzw. anderssprachige Lerner: innen hat das niederländische System durchaus auch seine Tücken, denn nicht immer ist es angemessen, Unbekannte einfach zu duzen. Eine recht klare Regel wie ‚sag immer Sie, es sei denn …‘, die man für das Deutsche formulieren kann, gibt es im Niederländischen nicht. Nicht nur für Anderssprachige, sondern offensichtlich auch für Niederländer: innen selbst ist es häufig schwierig, die richtige Wahl zu treffen: De meeste Nederlanders tussen de dertig en zestig worden tegenwoordig als aangesprokene voortdurend tussen u en jij heen en weer geslingerd. Bij de supermarkt krijg ik u als ik me geschoren heb, maar met stoppels ben ik ‘jij’. U lijkt bedoeld voor het maaten mantelpak, jij past bij de joggingbroek. Op mijn werk ben ik, ongeacht mijn voorkomen, ‘jij’ voor de collega’s en ‘u’ voor het kantinepersoneel. Mijn studenten bedienen zich van beide. Grezel 2007 (kennislink.nl) In Flandern ist die Situation etwas übersichtlicher. Geduzt wird meist mit gij/ ge, auch jij/ je kommt vor. Gesiezt wird mit u. Allerdings lautet die Objektform (dir/ dich) von gij auch u, sodass es eigentlich zu einer gemeinsamen Form für duzen und siezen kommt. Im Allgemeinen ist die Entscheidung fürs Siezen oder Duzen in Flandern deutlicher als in den Niederlanden. Geduzt werden bekannte, vertraute Personen. Unbekannte, ältere Menschen und Respektspersonen werden gesiezt, was man dann an der Verwendung von Titeln oder der Anrede mit meneer oder mevrouw erkennen kann. In informellen Situationen wird eher geduzt als in formellen. In Gesprächssituationen, bei denen die Partner: innen auf unterschiedlichen hierarchischen Stufen stehen, kommt es häufig vor, dass die höher stehende Person die andere duzt, während die Person auf der niedrigeren Hierarchiestufe die andere siezt: Der Professor duzt den Studenten, der Student siezt den Professor. Dies ist wiederum anders als im Deutschen, wo asymmetrisches Duzen und Siezen unter Erwachsenen nicht angemessen ist. Das Wissen um die interkulturellen Unterschiede in den Anredeformen ermöglicht es, eine Gesprächssituation richtig einzuschätzen und Kommunikation erfolgreich gelingen zu lassen. 230 8 Sprache im Kontext 8.7 Zusammenfassung Sprache dient der Kommunikation zwischen Gesprächspartner: innen, soll Informa‐ tionen und auch Intentionen vermitteln. Gesprächspartner: innen (Sender und Emp‐ fänger) müssen bei der Nachrichtenvermittlung den gleichen Kode benutzen, das Medium kennen und den situativen Kontext korrekt einschätzen, damit die Bot‐ schaft auch richtig ankommt. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kann es zu Missverständnissen kommen. In der Regel gehen wir davon aus, dass Gesprächs‐ partner: innen kooperativ sind und sich an die Konversationsmaximen halten: dass sie sagen, was sie für wahr und relevant halten, möglichst eindeutig genug formulieren und den Gesprächspartner: innen die richtige Menge an Informationen geben. Für die Vermittlung von Aussagen stehen uns informative, obligative und konstitutive Sprechakte zur Verfügung. Nicht immer meinen wir ‚wörtlich‘, was wir sagen: Wir verlassen uns auf Implikaturen, verwenden Höflichkeitsstrategien und formulieren zu bestimmten Zwecken indirekt. Mithilfe von Partikeln können wir unsere Aussagen nuancieren. Unsere Wahl von Formulierungen und auch von Anredeformen ist dabei vom situativen Kontext und vom kulturellen Hintergrund abhängig. Sprachbenutzer: innen müssen um die pragmatische Angemessenheit wissen, wenn sie nicht auffallen wollen. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Um welche taalhandeling handelt es sich in den folgenden Beispielen? a. (Bij Christie’s: ) Eenmaal, andermaal, verkocht! b. Ik help je met verhuizen. c. Het huren van een fiets kost € 7,50 per dag. d. Mag ik een zakdoek van je? e. Ligt de stad Luik in Vlaanderen? f. Gefeliciteerd met je verjaardag! 2. Inwiefern unterscheiden sich die beiden folgenden Aussagen? a. Morgen ga ik zwemmen. b. Morgen breng ik je het boek mee. 3. Analysieren Sie die folgenden Gespräche hinsichtlich des Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen und lesen Sie zwischen den Zeilen. Gesprek 1 Henk hat einen Platten und sucht nun einen Fahrradladen in der Nähe. Henk: -Ik heb een lekke band. Is er een fietswinkel in de buurt? Bram: -O, vlak om de hoek is een garage. 8.7 Zusammenfassung 231 1. Bram weiß, dass man in der Werkstatt um die Ecke auch Fahrräder repariert. 2. Bram weiß nicht, ob man in der Werkstatt auch Fahrräder repariert. 3. Bram weiß, dass man in der Werkstatt auch Fahrräder repariert, aber er weiß ebenfalls, dass diese an diesem Tag geschlossen ist. Gesprek 2 Annelies: -Ga je vanavond mee naar de opera? Paul: -Mijn zoon is ziek. 4. Implikaturen und die Anwendung und Beachtung der Maximen müssen auch Muttersprachler: innen erst erlernen. Lesen Sie dazu den Dialog zur Versendung einer Flaschenpost aus Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf geht an Bord (in der Textausgabe von 2007 finden Sie die Textpassage auf S. 100f.; eine digitalisierte Fas‐ sung von 2004 ist über die Webseite tilgnerka.edupage.org (dort in die Suchmaske ‚Pippi Langstrumpf ‘ eingeben) verfügbar; in dieser Ausgabe steht der Dialog auf S. 168f.). In der Geschichte haben Pippi und ihre Freund: innen Thomas und Annika gerade (vermeintlich) Schiffbruch erlitten und sind auf einer Insel gestrandet. Pippi will nun zur Rettung eine Nachricht per Flaschenpost verschicken, die Thomas schreiben soll. a. Warum reagiert Thomas ‚vorwurfsvoll‘ und findet, dass die Schiffbrüchigen die Nachricht so nicht formulieren können? b. Drückt Pippi mit ihrer vorgeschlagenen Formulierung die Wahrheit aus oder lügt sie? c. Gegen welche Maxime(n) verstößt Pippi mit ihrer Formulierung? d. Warum führt Pippis Formulierung zu falschen Schlussfolgerungen und woran kann man dies festmachen? Was führt die Rezipient: innen in die Irre oder verwirrt sie zumindest? 5. Bei welchen Formulierungen werden positive bzw. negative Höflichkeitsstrategien angewandt? a. Laten we naar binnen gaan. b. Zou je me de krant kunnen geven? c. De koelkastdeur staat open. d. Zullen we nu samen opruimen? 6. Übersetzen Sie die folgenden Sätze ins Niederländische und Englische (ggf. auch ins Französische oder weitere Sprachen) und vergleichen Sie, wie die Partikeln jeweils wiedergegeben werden: a. Das war aber eine Reise! b. Ich kann es ja versuchen. c. Ja, ich denke schon. d. Wo ist denn nur mein Schlüssel? 232 8 Sprache im Kontext 7. Im Niederländischen können Partikeln auch gehäuft auftreten. Übertragen Sie den folgenden Satz ins Deutsche und Englische: Luister nou toch gewoon eens even! Welche Wirkung erzeugen die verschiedenen Partikeln hinsichtlich der eigentli‐ chen Aussage? Verstärken sie positiv oder negativ? Prüfen Sie Ihre Einschätzung anhand der Erläuterungen auf der Webseite zichtbaarnederlands.nl/ nl/ adverbium / modale_partikels, von der das Beispiel stammt. 8. In Kapitel 2 haben Sie die Grammatiken von Lambert ten Kate (1723) und Petrus Weiland (1805) kennengelernt (vgl. Kap. 2, Aufg. 6). Welche Pronomen werden in diesen beiden Grammatiken als mögliche Anredeformen aufgeführt? Vergleichen Sie die Angaben aus diesen Werken mit den Angaben in der E-ANS ([5.2.4.2]) und anderen modernen Grammatiken, die Gebrauchsregeln zur Verwendung der Anredepronomen thematisieren. Inwieweit gibt es Überschneidungen oder Übereinstimmungen bis heute? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Eine niederländischsprachige Einführung in die Pragmatik ist Smessaert (2019) Se‐ mantiek en pragmatiek; ebenfalls für Anfänger: innen geeignet ist Houtkoop & Koole (2000) Taal in actie. In dem schon etwas älteren Band Studies over taalhandelingen, herausgegeben von Eemeren & Koning (1981), wird näher auf die Sprechakte einge‐ gangen. Übersichtliche Einführungen zur Pragmatik auf Deutsch sind Meibauer (2008) Pragmatik. Eine Einführung und Moderne Pragmatik. Grundbegriffe und Methoden (2016) von Liedtke. Die praktische Verwendung modaler Partikeln im Niederländischen thematisiert Pronk (2022). An englischsprachiger Literatur findet sich viel, übersicht‐ lich mit vielen Beispielen ist Grundy (2020) Doing Pragmatics oder auch Verschue‐ ren (1999) Understanding pragmatics bzw. die zweite Auflage in der Understanding Languages-Reihe von Senft (2014). Die Informationsstruktur wird in verschiedenen niederländischen Grammatiken behandelt, ausführlich geht Musan (2017) in ihrem Buch Informationsstruktur auf die entsprechenden Phänomene ein. Literatur zum Weiterlesen 233 67 Mehr Informationen zu dieser Übersetzung finden sich auf nl.wikisage.org/ wiki/ Straatbijbel. 9 Variation in Sprache Gunther De Vogelaer Keine zwei Menschen sprechen oder schreiben, auch wenn sie die gleiche Sprache gebrauchen, vollkommen identisch. Jede Sprache auf der Welt, auch die niederländi‐ sche, weist nämlich Variation (variatie) auf: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den gleichen Inhalt auszudrücken. Ein Buch wie die Bibel ist zum Beispiel in einem vielleicht etwas altmodisch anmutenden Niederländisch geschrieben (oder besser: übersetzt worden). Aber es geht auch anders: 2011 erschien eine Bibelübersetzung von Daniël de Wolf in der sog. straattaal, dem Niederländischen, das manche Jugendliche in multikulturellen holländischen Städten auf der Straße miteinander sprechen (s. Textbeispiel, nach https: / / www.remonstranten.nl/ adrem/ jaargang-2018/ december-201 8/ shit-het-evangelie-van-matteus-in-straattaal/ ): 67 Maria, een meisje van misschien veertien jaar oud, was uitgehuwelijkt aan een kill die Jozef ‘Jowie’ Davids heette. Ze waren verloofd, zeg maar. De gewoonte was toen om geen seks voor het huwelijk te hebben. Maar ze bleek ineens pregno te zijn. Jowie kwam erachter en hij was omin depressed, want hij dacht dat ze met een ander gebald had. Hij kon het in ieder geval niet geweest zijn! Een grote schande. Die kursiven Wörter markieren die wichtigsten Unterschiede zum ursprünglichen Text: Einige Wörter aus dem Fragment stehen nicht im Wörterbuch: pregno ‚schwan‐ ger‘, omin ‚sehr schlimm‘, depressed ‚niedergeschlagen‘, gebald ‚Sex gehabt‘, ein Wort wie kerel wird anders ausgesprochen (kill), die Form des Eigennamens Jozef wird angepasst (Jowie) und die Kombination zeg maar wird als Satzpartikel anstelle des standardsprachlichen als het ware benutzt. Im sprachwissenschaftlichen Jargon spricht man in diesen Fällen von Varianten (varianten). Die Form des Niederländischen, in der jeweils geschrieben oder gesprochen wird, nennt man eine Varietät (variëteit), in diesem Fall straattaal. Dass die kursiven Varianten aus dem Textbeispiel nicht in Wörterbüchern oder anderen maßgeblichen Beschreibungen der niederländischen Sprache zu finden sind, ist kein Zufall. Nachschlagewerke beschränken sich in der Regel nur auf eine einzige, genau bestimmte Varietät des Niederländischen, das Standardniederländisch (Standaardnederlands). Wörter wie pregno und depressed sind nicht allgemein genug, um in die Standardsprache aufgenommen zu werden. 9.1 Variationslinguistik Standardniederländisch ist eine noch relativ junge Erscheinung. Man geht davon aus, dass es im 17. Jahrhundert entstanden ist (vgl. Kap. 2). Obwohl Standardniederländisch im Mittelpunkt des Sprachunterrichts und in der Beschreibung der Sprache steht, ist es für Sprachwissenschaftler: innen nur eine von vielen Varietäten des Niederländischen. Es ist ein bekannter Ausspruch, dass eine (Standard-)Sprache nichts anderes als ‚a dialect with an army and a navy‘ sei. Das heißt, dass es aus sprachwissenschaftlicher Sicht oft vollkommen willkürlich ist, ob ein bestimmtes sprachliches Phänomen zur Standardsprache gehört oder nicht. Aus diesem Grund sprechen Sprachwissenschaft‐ ler: innen eigentlich auch nur selten von Sprachfehlern. Man kann höchstens von einem Sprachgebrauch sprechen, der den Anforderungen, die die Gesellschaft in bestimmten Situationen auferlegt, nicht entspricht. Es gibt Zweige in der Sprachwissenschaft, die gerade die Sprachvariation (taalvariatie) untersuchen: Allgemein spricht man dann von Variationslinguistik (variatielinguïstiek). Es gibt sicher zwei gute Gründe, sich mit Variationslinguistik zu beschäftigen. Erstens schmälert eine Beschränkung auf die Standardsprache die empirische Grundlage für die wissenschaftliche Erforschung des Niederländischen. Hierbei besteht die Gefahr, dass man ungerechtfertigte Aussagen über die niederländische Sprache macht. So könnte man behaupten, dass die nieder‐ ländische Verbkonjugation im Plural neutralisiert ist: Die Flexion lautet schließlich wij/ jullie/ zij gaan. Diese Behauptung lässt jedoch außer Acht, dass bei südlichen Varietäten die Flexion der zweiten Person Plural auf -t endet (z. B. gullie gaat, meist noch mit einem abweichenden Pronomen). Zweitens hat Sprache eine bestimmte Wirkung in der Gesellschaft: Viele sehen Spra‐ che als Kommunikationsmittel, mit dem man Botschaften übermittelt. Auf kommuni‐ kativer Ebene scheint die Variation nicht gerade effizient, weil es dadurch wesentlich leichter zu Missverständnissen kommen kann. Was bringt Sprecher: innen dann dazu, so verschieden zu sprechen und, wie im obenstehenden Fragment, Wörter wie depressed statt terneergeslagen zu verwenden oder pregno statt zwanger? Zweifellos spielt dabei eine Rolle, dass Sprache auch ein Mittel ist, um Identität auszudrücken und soziale Beziehungen zu knüpfen. Durch die Wahl bestimmter Wörter, Laute oder Formen können Sprecher: innen angeben, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe sie gehören (oder gehören wollen). Zuhörer: innen können oft auch aus der Art und Weise, wie jemand spricht oder schreibt, sehr viel über diese Person ableiten. Die Soziolinguistik (sociolinguïstiek) untersucht diese Wirkung der Sprache in der Identitätsbildung und in der Gesamtheit der sozialen Beziehungen in der Gesellschaft. Das alles impliziert, dass die Variationslinguistik eine besonders vielseitige Teildis‐ ziplin ist. Sie hat Verzweigungen in alle Bereiche der Systemlinguistik (von Phonologie über Morphologie und Syntax zur Pragmatik) und ist gleichzeitig fest in der Soziolin‐ guistik verankert. 236 9 Variation in Sprache 9.2 Variationsarten Wenn wir davon ausgehen, dass Standardniederländisch nur eine von vielen Varietäten des Niederländischen ist, dann stellt sich die logische Frage, wie viele Varietäten es im Niederländischen denn überhaupt gibt. Bei der Beantwortung dieser Frage stellen sich zwei Probleme: Was genau verstehen wir unter dem Begriff ‚Niederländisch‘ und was genau ist notwendig, um von einer Varietät sprechen zu können? Für das erste Problem können verschiedene Kriterien herangezogen werden. Die gängigsten sind Geografie, historische Verwandtschaft und grammatische Ähnlichkei‐ ten, Verständlichkeit sowie die Meinung der Sprachbenutzer: innen. Diese Kriterien sind aber nicht hieb- und stichfest und führen außerdem zu widersprüchlichen Ergeb‐ nissen. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies: Man kann die Sprache aller Einwohner: in‐ nen der Niederlande und Flanderns als ‚Niederländisch‘ betrachten. Das geografische Kriterium steht jedoch mit den anderen in einem Konflikt: Die Verständlichkeit der Dialekte aus beispielsweise Westflandern und der niederländischen Provinz Limburg ist für Menschen aus anderen Regionen relativ gering. Auch gibt es Personen, die sich kaum mit der niederländischen Sprache identifizieren. Viele Flam: innen sind sehr zurückhaltend mit der Behauptung, Niederländisch zu sprechen. Auf dem Niveau der gesprochenen Sprache sprechen sie lieber von Flämisch. Niederländisch als die Sprache der Niederlande und Flanderns zu umschreiben, spiegelt also nicht die Meinung dieser Menschen wider. Die Probleme mit dem geografischen Kriterium werden noch größer, wenn wir über die Grenzen der Niederlande und Flanderns hinausschauen. Dann finden wir u. a. westflämische Dialekte in Frankreich, die außer den flämischen Nachbarn kaum jemand versteht und die oft von Menschen gesprochen werden, die wiederum kein Standardniederländisch verstehen. Gelten diese Dialekte nun als Niederländisch oder nicht? Und was machen wir mit den niederdeutschen Dialekten, die auf der deutschen Seite der deutsch-niederländischen Grenze gesprochen werden und die bezüglich ihrer Verständlichkeit und ihres Sprachsystems kaum von ihren Nachbardialekten in den Niederlanden abweichen? Auch das zweite Problem, nämlich das Bestimmen, was eine Varietät genau ist, hat sich als im Grunde unlösbar herausgestellt. Wenn man davon ausgeht, dass keine zwei Sprecher: innen identisch sprechen und alle ihren eigenen sog. Idiolekt (idiolect) haben, ist es vielleicht nicht weit hergeholt, von ein paar Millionen Varietäten auszugehen. Außerdem gibt es selbstverständlich auch noch Sprecher: innen, die in verschiedenen Situationen unterschiedliche Formen der niederländischen Sprache verwenden. Allerdings sind nicht alle Unterschiede in der Sprache gleich wichtig. Oft verbergen sich die Unterschiede nur im Gebrauch eines bestimmten Wortschatzes, z. B. einer Fachsprache (vaktaal) oder eines Jargons (jargon), oder in minimalen Unterschieden in der Aussprache, einem Akzent (accent). In der Regel spricht man erst bei beträchtlichen, systematischen Unterschieden, die auch die Grammatik betreffen und von einer definierbaren gesellschaftlichen Gruppe gesprochen werden, von einer Varietät. Mit anderen Worten, es wird dabei also eine Kombination linguistischer 9.2 Variationsarten 237 und sozialer Kriterien verwendet. Doch die Kriterien führen zu allem anderen als zu eindeutigen Ergebnissen: Ab wann sind linguistische Unterschiede groß oder systematisch genug und wann wird eine Gruppe in der Gesellschaft ‚erkennbar‘? Eine genaue Schätzung, wie viele Varietäten es mit einer derartigen Beschreibung geben könnte, gibt es dementsprechend nicht. Es dürften wohl sehr viele sein. Die Frage, der mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist, welche Arten von Va‐ rietäten es in der niederländischen Sprache überhaupt gibt. Die Antwort auf diese Frage sagt jedenfalls viel über die Struktur der Gesellschaft aus: Man kann davon ausgehen, dass Faktoren, die eine starke Wirkung auf den Sprachgebrauch haben, wichtig für die Identitätsbildung sind und umgekehrt. Die Variationsform, die tradi‐ tionell die größte Aufmerksamkeit erhielt, ist die geografische Variation. Schon im 19. Jahrhundert entstand eine reiche Forschungstradition zu Dialekten (dialecten), lokalen Sprachvarietäten, die von der Dialektologie (dialectologie) untersucht wurden. Die Dialektologie kann als Vorläufer der Soziolinguistik betrachtet werden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, vor allem ab den sechziger Jahren, begannen Linguist: innen, sich viel stärker auf Variation innerhalb von Sprechergemeinschaften zu konzentrieren, wobei Faktoren wie Geschlecht, soziale Schicht, Alter und Ethnie von entscheidender Bedeutung waren. Varietäten, die von einer spezifischen gesellschaftlichen Gruppe gesprochen wer‐ den, nennt man Soziolekte (sociolecten); ein Beispiel dafür ist Jugendsprache. Bei ethnischer Variation spricht man von Ethnolekten (etnolecten). Neuere Ansätze in der Soziolinguistik wenden sich in gewissem Sinne von solchen Herangehensweisen ab, die von Lekten und Varietäten sprechen. Menschen identifi‐ zieren sich in der heutigen Gesellschaft oft mit verschiedenen Gruppen gleichzeitig und versuchen, diesen mehrschichtigen Identitäten eine Form zu geben, indem sie Varianten aus verschiedenen Varietäten miteinander kombinieren und sie situations‐ abhängig einsetzen oder auch nicht. In einer solchen Landschaft wird nicht länger von deutlich unterscheidbaren Varietäten gesprochen, sondern von Sprechstilen (spreekstijlen). Einige Formen von Variation werden im Folgenden erörtert, wobei generell die chronologische Reihenfolge beibehalten wird, in der die jeweilige Variation ins Zentrum der sprachwissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt ist. 9.3 Geografische oder ‚horizontale‘ Variation Eine erste Form der Variation, die wir im Niederländischen antreffen, ist die geografi‐ sche Variation. Sie wird auch ‚horizontale‘ Variation genannt, weil es um Varietäten geht, die hinsichtlich ihrer sozialen und geographischen Reichweite gleichwertig, 238 9 Variation in Sprache sozusagen ‚auf derselben Höhe‘ sind. In diesem Fall sind das die Dialekte. Die Dialekte in den Niederlanden und Flandern sind gut dokumentiert und beschrieben, u. a. in Dialektwörterbüchern und Grammatiken, in denen meistens ein einzelner Dialekt beschrieben wird. Atlanten bieten eine globale Übersicht. Obwohl Niederländer: innen und Flam: innen recht einfach voneinander zu unterscheiden sind, spielt die Staats‐ grenze für Dialekteinteilungen eine untergeordnete Rolle. Meist unterscheidet man fünf große Gruppen (Abb. 9.1): holländische, brabantische, flämische, (nieder)sächsi‐ sche und limburgische Dialekte (vgl. Kap. 2). Die seeländischen Dialekte werden meistens mit den flämischen in einer Gruppe zusammengefasst. Abb. 9.1: Dialektkarte des niederländischen Sprachgebiets (Janssens & Marynissen 2011) Darüber hinaus gibt es noch die friesischen Dialekte, die stark mit anderen nördlichen Dialekten verwandt sind. Aber da Friesisch aufgrund seiner eigenen Standardisierungs‐ 9.3 Geografische oder ‚horizontale‘ Variation 239 geschichte als separate Sprache betrachtet wird, gehen wir auf diese hier nicht weiter ein. Die Grenzen zwischen diesen Gebieten sind größtenteils weniger scharf umrissen, als Karten es vielleicht vermuten lassen. Es gibt zumeist breite Übergangszonen zwischen den Dialekten. Eine sehr deutliche Übergangszone ist das Ostflämische, das historisch stärker mit dem Westflämischen verwandt ist, aber inzwischen weitgehend verbrabantst ‚brabantisiert‘ ist. Die (nieder)sächsischen und limburgischen Dialektge‐ biete erstrecken sich über die deutsch-niederländische Landesgrenze hinweg und bilden einen fließenden Übergang zu den Dialekten im deutschen Sprachgebiet bzw. zu den niederdeutschen sowie ost- und mittelfränkischen Dialektgebieten. Eine echte Sprachgrenze zwischen den Niederlanden und Deutschland kann also, im Gegensatz zu einer Grenze mit dem französischen Sprachgebiet, anhand von Dialektmerkmalen nicht gezogen werden. Eine Sprachlandschaft mit fließenden Übergängen wird auch ein Dialektkontinuum (dialectcontinuüm) genannt. Die niederländischen, deutschen und friesischen Dialekte gehören zum kontinental‐ westgermanischen Dialektkontinuum (Continentaal West-Germaans dialectconti‐ nuüm). Ein häufiger Irrtum in Bezug auf Sprache ist, dass Dialekte von der Standard‐ sprache ‚abgeleitet‘ seien. Die Existenz eines sprachübergreifenden Dialektkontinuums beweist aber genau das Gegenteil: Die heutige Dialektlandschaft entstand schon lange, bevor überhaupt von Standardsprachen die Rede war, zum Großteil sogar schon kurz nach den germanischen Invasionen ins Römische Reich. Trotz der Heterogenität innerhalb der jeweiligen Gruppen können für jedes Gebiet dennoch einige typische Merkmale aufgelistet werden. Für die holländischen Dialekte ist das noch am schwierigsten: Da die Standardsprache vor allem auf das Holländische ausgerichtet ist, zeigen die holländischen Dialekte sehr viele Gemeinsamkeiten mit der Standardsprache. Diphthonge wie in huis oder ijs sind aus dem Holländischen in die Standardsprache durchgedrungen, genauso wie der sogenannte ‚Einheitsplural‘ von Verben auf -e(n) (wij/ jullie/ zij werk-en). Manche holländischen Merkmale, wie die diphthongierte Aussprache von ee, eu und oo (z. B. heejt statt heet, leujk statt leuk und booum statt boom) oder die stimmlose Aussprache der Frikative v, z und g (z. B. foet statt voet, seven statt zeven und choede statt goede), werden allmählich auch in der Standardsprache übernommen, vor allem in den Niederlanden. Dasselbe gilt für einige grammatische Merkmale, wie für den Gebrauch von hun als Subjekt (z. B. hun hebben gescoord) oder das generalisierte Relativpronomen wie/ wat (z. B. de speler wie gescoord heeft). 240 9 Variation in Sprache Holländische Merkmale ● offene Diphthonge: blaaive für blijven oder kaaud für koud (diese sind auch zum sog. Poldernederlands durchgedrungen, vgl. Kap. 9.5.4) ● Reflexivpronomen zijn eigen: hij wast z’neige statt hij wast zich ● Diminutive auf -ie: meisies statt meisjes Brabantische Merkmale ● offene Diphthonge, die oft auch velar (d. h. hinten im Mund) gesprochen werden: blaaive für blijven oder oois für huis ● Diminutive auf -(s)ke: zakske statt zakje, fietske statt fietsje ● Reflexivpronomen zijn eigen: hij wast zijneige statt hij wast zich Flämische/ Seeländische Merkmale ● Diphthongierung fehlt größtenteils: ies statt ijs und muus statt muis ● g wie h ausgesprochen: hoed statt goed (beachte: In den meisten flämischen und brabantischen Dialekten wird das h weggelassen.) ● Reflexivpronomen hem und haar: hij wast hem und zij wast haar (=-zich) Niedersächsische Merkmale ● Diphthongierung fehlt: ies statt ijs und muus (oder moes) statt muis ● -en am Ende eines Wortes wird vollständig ausgesprochen, manchmal mit Verschlucken des Schwa-Lautes: slikn statt slikke(n). ● Einheitsplural auf -t: wij/ jullie/ zij werkt statt werken Limburgische Merkmale ● ‚singende‘ Intonation: Manche Wörter werden mit einem ansteigenden Ton ausgesprochen. ● k am Ende eines Wortes wird manchmal wie ch ausgesprochen: ich anstatt ik ● In manchen Gebieten ist du (ausgesprochen als [du]) als Anrede bewahrt. Die Dialektologie beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Dialektvariation. Obwohl man bestimmten Dialektgebieten allgemeine Merkmale zuschreiben kann, muss nachdrücklich betont werden, dass Dialekte zu einem sehr großen Teil unab‐ hängige Sprachsysteme sind. Um ihre Struktur zu ergründen, ist demnach sehr viel Forschungsarbeit notwendig. Aus soziolinguistischer Sicht ist vor allem wichtig, dass innerhalb der Dialektologie auch eine bedeutende historische Theoriebildung entwickelt wurde, die uns über die Motive der Sprecher: innen für die Wahl einer bestimmten Art des Sprachgebrauchs aufklärt. In der Sprachwissenschaft der Junggrammatiker (19. Jahrhundert) hielt man den Sprachwandel für einen Prozess, der mit regelmäßigen Lautgesetzen beschrieben 9.3 Geografische oder ‚horizontale‘ Variation 241 werden konnte. Die Dialektolog: innen hingegen stellten auf ihren Dialektkarten wesentlich chaotischere Muster fest, wobei sich die Grenzen zwischen zwei Ausspra‐ chevarianten nicht mit allgemeinen phonologischen Prinzipien vorhersagen ließen. Ganz im Gegenteil - sie konnten für jedes Wort abweichen. Dieses Phänomen nennt man lexikalische Diffusion (lexicale diffusie). Die Entdeckung der lexikalischen Diffusion führte zu der bekannten Maxime der Dialektologie: ‚Jedes Wort hat seine eigene Geschichte‘. Sprachwandel läuft dann darauf hinaus, dass Sprecher: innen Innovationen Wort-für-Wort über Sprachkontakt (taalcontact) übernehmen. Dabei sind zentralisierte, dichtbevölkerte und wirtschaftlich starke Gebiete erfolgreicher, ihre Innovationen zu verbreiten, als periphere, isolierte und dünnbevölkerte Gebiete, weil Kontakte mit Sprecher: innen aus erstgenannten Gebieten wahrscheinlicher sind. Durch aufeinanderfolgende Wellen der Entwicklung aus verschiedenen Zentren ent‐ stehen Dialektkontinuen und nach einiger Zeit auch neue Sprachen. Diesen Vorgang beschreibt die sog. Wellentheorie oder Expansionstheorie (expansietheorie). Heute wissen wir, dass es sprachliche Veränderungen gibt, die anhand der Auffassung der Junggrammatiker erklärt werden können, aber auch Veränderungen, für die die Wellentheorie plausible Erklärungen liefert (vgl. Kap. 2). Ein berühmtes Beispiel aus der niederländischen Dialektologie (Abb. 9.2) veranschaulicht den Ansatz der Wellentheorie: die Aussprache des Lautes <ui> in huis und muis. 176 wissen wir, dass sprac Junggrammatiker als a berühmtes Beispiel aus chen: die Aussprache d Abb. 8.2: Lautv In zentralen Gebieten östlichen und südwest Variante, z.B. hoes, moe [u]-Aussprache treffen erstens, dass die Aussp schiedlich ist, und zwe Landen, genauer gesagt ben. Dialektologen spr 8. Variatio chliche Veränderungen sowohl anhand der Auff auch anhand der Wellentheorie erklärt werden kö s der niederländischen Dialektologie kann dies ve des Lautes <ui> (huis, muis). verteilung zu muis und huis nach Kloeke (Hamans 2011 wie Holland und Brabant ist es ein Diphthong [œ tlichen Peripherie ein Monophthong, sei es [u] es), sei es [y] (eine frühe Entwicklung, z.B. huus, n wir übrigens auch im Niederdeutschen an. Die rache der Wörter huis und muis in manchen Gebi eitens, dass sich die Entwicklungen vom Zentrum t von Holland aus, über den Rest des Gebiets ver rechen hier auch von holländischer Expansion n in Sprache fassung der önnen. Ein eranschauli- 1) œy], in der (die älteste muus). Die Karte zeigt ieten unterm der Lage rbreitet ha- (Hollandse Abb. 9.2: Lautverteilung zu muis und huis nach Kloeke (1927) 242 9 Variation in Sprache In zentralen Gebieten wie Holland und Brabant ist es ein Diphthong [œy], in der östlichen und südwestlichen Peripherie ein Monophthong, sei es [u] (die älteste Variante, z. B. hoes, moes), sei es [y] (eine frühe Entwicklung, z. B. huus, muus). Die [u]-Aussprache treffen wir übrigens auch im Niederdeutschen an. Die Karte zeigt erstens, dass die Aussprache der Wörter huis und muis in manchen Gebieten unterschiedlich ist, und zweitens, dass sich die Entwicklungen vom Zentrum der Lage Landen, genauer gesagt von Holland aus, über den Rest des Gebiets verbreitet haben. Dialektolog: innen sprechen hier auch von holländischer Expansion (Hollandse expansie). Schon seit Jahrhunderten wird auch außerhalb des niederländischen Sprachgebiets Niederländisch gesprochen. In Gebieten, in denen neben Niederländisch noch andere Sprachen eine wichtige Rolle spielen, ist Niederländisch für sehr viele, oder sogar für alle Sprecher: innen, nicht die erste Sprache. Durch Zweisprachige und Anders‐ sprachige entstehen Kontaktvarietäten (contactvariëteiten) des Niederländischen, die deutlich von anderen Sprachen beeinflusst worden sind. Es gibt verschiedene Arten, von denen einige eigentlich schon eher eigene Sprachen sind als Varietäten. Ein erster Typ sind die Pidginsprachen. Das sind Sprachen, die in mehrsprachigen Gebieten als Umgangssprache benutzt werden, während sie fast niemand als Muttersprache beherrscht. Pidgins sind somit auch meistens stark vereinfachte Sprachen, mit einem begrenzten Wortschatz und frei von allen grammatischen Komplexitäten. In den Vereinigten Staaten soll es zwei Pidgins des Niederländischen gegeben haben, das Mohawk Dutch und das Negro Dutch, diese sind aber nicht überliefert. Ein anderer Typ sind die Kreolsprachen, die entstehen, wenn große Gruppen Fremdsprachiger eine meist europäische Umgangssprache als Muttersprache überneh‐ men. Auf diese Weise entstehen ‚Mischsprachen‘, die ihre Merkmale teils von der Ausgangssprache der Anderssprachigen übernehmen, teils von der europäischen Ziel‐ sprache und teils auch eigene Merkmale entwickeln (oft typische Kontaktphänomene). Beispiele finden wir im ehemaligen Niederländisch-Indien (Petjo, Javindo) und in der Karibik (Negerhollands, Berbice Nederlands, Skepi Nederlands). Alle niederländischen Kreolsprachen sind ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Außer Pidgins und Kreolsprachen gibt es noch Kontaktvarietäten, die weniger von einer anderen Sprache beeinflusst worden sind, wobei nicht so sehr Zweispra‐ chigkeit, sondern eher Entlehnung eine Rolle gespielt hat. Der Brüsseler Dialekt ist beispielsweise stark von der französischen Sprache beeinflusst, genau wie das Französisch-Flämische. Amsterdamer Dialekte hingegen haben viele Wörter aus dem Jiddischen übernommen. 9.3 Geografische oder ‚horizontale‘ Variation 243 9.4 Soziale oder ‚vertikale‘ Variation 9.4.1 Der Aufschwung der gesprochenen Standardsprache Neben der horizontalen Variation gibt es auch die ‚vertikale‘ Sprachvariation, bei der hierarchisch geordnete Varietäten, d. h. Varietäten mit einer unterschiedlichen geografischen und sozialen Reichweite, nebeneinander existieren. Sehr lange wurde außerhalb der eigenen Gruppe eine importierte (oder ‚exogene‘) Sprache wie Latein oder Französisch verwendet. Das kann man sehr gut an den überlieferten historischen Quellen sehen, die natürlich fast ausschließlich die Schriftsprache betreffen. Ab dem Mittelalter wurde auch mehr und mehr in der Volkssprache geschrieben, anfänglich in Schreibsprachen, die stark an Dialekte angelehnt waren (vgl. Kap. 2). Im 17. Jahrhundert entwickelte sich dann ein Vorläufer der heutigen niederländischen Standardsprache. Diese Standardsprache ist als Schriftsprache immer wichtiger geworden, auch wenn die Entwicklung der Schriftsprache in den Lage Landen sicher noch nicht abgeschlossen ist. Heute nimmt zum Beispiel auch Englisch eine sichtbare Rolle in der Gesellschaft ein (z. B. in Werbeslogans, in der Wissenschaft) und in bestimmten jüngeren Formen geschriebener Sprache (E-Mails, Chat, Internetforen) tauchen wieder neue Nicht-Stan‐ dardmerkmale auf. Über das Verhältnis zwischen gesprochener Standardsprache und Dialekt im Laufe der Geschichte ist viel weniger bekannt als über die Schriftsprache, da die überlieferten schriftlichen Quellen nur sporadische Informationen darüber enthalten, wie früher gesprochen wurde. Das Streben nach einer einheitlichen Aussprache ist in jedem Fall jünger als die geschriebene Norm. Die meisten Expert: innen situieren die Entstehung der gesprochenen Standardsprache, des Algemeen Beschaafd Nederlands (ABN), in den Niederlanden erst ins 19. Jahrhundert (vgl. Kap. 2). Bis zu einem gewissen Grad wurden Standardsprachen, häufig auch die Sprache der Hauptstadt, als die Sprachform gesehen, die die nationale Identität am besten ausdrückt. Durch dieses hohe gesellschaftliche Ansehen wurde die Standardsprache nicht nur eine zusätzliche Varietät neben den Dialekten, sondern es übernahmen immer mehr Sprecher: innen die Standardsprache, auch im alltäglichen Kontakt mit Menschen aus derselben Region. Die Entwicklung, dass immer weniger Menschen in immer weniger Situationen Dialekt sprechen, nennt man Dialektverlust (dialectverlies). Der Dialektverlust hält bis heute an. Eine Situation, in der der Dialektverlust besonders erkennbar wird, ist die Erziehung. Sehr viele Eltern, die miteinander Dialekt sprechen, entscheiden sich dafür, mit ihren (kleinen) Kindern Standardsprache zu sprechen. Das führt fast unweigerlich dazu, dass die Kinder keinen, oder zumindest weniger gut, Dialekt beherrschen. Der Dialektverlust hat nicht in allen Regionen gleich stark um sich gegriffen: In den zentralen Regionen in den Niederlanden ist der Dialekt so gut wie verschwunden, aber in niederländischen Randgebieten hört man ihn noch relativ oft. In Belgien sind die Dialekte noch etwas stärker vertreten als in den Niederlanden, doch auch dort gibt es große Unterschiede zwischen dialektfesten Regionen (wie Westflandern) und 244 9 Variation in Sprache Regionen mit einer starken Standardisierung (z. B. Limburg, das in diesem Punkt stark von der gleichnamigen niederländischen Nachbarprovinz abweicht). In den Regionen mit starkem Dialektverlust ist der Dialekt auf eine begrenzte soziale Gruppe, oft die unteren Schichten, zurückgedrängt worden. Wegen der starken Assoziation mit einer bestimmten sozialen Schicht fungieren die Dialekte in dieser Region somit auch eher als Soziolekte (sociolecten) oder Gruppensprache. Viele der lokalen Dialektmerkmale verschwanden unter dem Einfluss der Standardsprache und anderer Dialekte. Dadurch näherten sich die Dialekte nicht nur immer mehr dem Standard an, sondern ähnelten sich auch gegenseitig immer stärker. Auch dieser Prozess, der Dialektausgleich (dialectnivellering) genannt wird, dauert bis heute an. Er kann im Prinzip dazu führen, dass es langfristig kaum noch lokale Dialekte geben wird, und höchstens noch von regionalen Varietäten, Regiolekten (regiolecten) oder Akzenten gesprochen werden kann. Da im deutschen und friesischen Sprachraum ähnliche Entwicklungen stattfin‐ den, ‚zerbricht‘ das kontinental-westgermanische Dialektkontinuum. In der Interaktion zwischen Standard und Dialekt sind Varietäten mit Merkmalen beider Formen entstanden. Von einer Situation, in der Dialekte neben einer deutlich abgegrenzten Standardsprache existierten (was als eine Form von Diglossie (diglossie) oder Zweisprachigkeit zu betrachten ist), entwickelte sich die Sprache zu einem Kontinuum mit der Standardsprache und dem Dialekt an den Polen und allerlei Zwischenvarietäten: eine sog. Diaglossie (diaglossie) (Abb. 9.3). In einer Diaglossie bestimmen die Sprecher: innen je nach Situation mehr oder weniger autonom, wie viele standardsprachliche und wie viele lokale Elemente sie in ihrem Sprachgebrauch zulassen wollen. dialect dialect ‒ tussenvariëteiten ‒ standaardtaal standaardtaal DIGLOSSIE DIAGLOSSIE Abb. 9.3: Von Diglossie zu Diaglossie Ob Sprecher: innen sich in einer diaglossischen Sprachlandschaft eher am Standard‐ sprachepol oder eher am Dialektpol orientieren, hängt von vielen Faktoren ab, z. B. von sozialen Faktoren wie Herkunft, Alter, Bildungsgrad etc. Außerdem spielt auch die konkrete Kommunikationssituation eine Rolle. 9.4.2 Quantitativ soziolinguistische Forschung Weil ‚gemischter‘ Sprachgebrauch sowohl Elemente enthält, die man Dialekten, als auch solche, die man der Standardsprache zuordnen kann, muss man ihn zwangsläufig mit quantitativen Techniken beschreiben: Nur so kann man nämlich angeben, ob Wörter, Laute und grammatische Konstruktionen zur Standardsprache gehören oder nicht und in welchen Situationen, wie oft und von wie vielen Sprecher: innen sie 9.4 Soziale oder ‚vertikale‘ Variation 245 verwendet werden. Der quantitativ soziolinguistische Forschungsansatz verwendet häufig das Konzept der linguistischen Variable (linguïstische variabele). Damit ist eine Reihe von Sprachbausteinen oder Varianten (varianten) mit derselben Bedeutung gemeint, die jedoch eine unterschiedliche soziale Konnotation haben. Variablen gibt es auf allen Beschreibungsebenen der Sprachwissenschaft, im Wortschatz (Flämisch ajuin vs. ui in der Standardsprache), auf der Ebene der Laute (unterschiedliche Aussprache des r, wie z. B. Zungenspitzen-[r], Gaumen-[ʀ] oder Approximant-[ɹ]) und auf dem Gebiet der Morphosyntax (die zweite Person Singular ist z. B. jij werk-t oder du werk-s). Der Einsatz von Variablen erlaubt es, den relativen Anteil von standardsprachlichen und dialektalen Elementen in einer Materialsammlung zu bestimmen. Mit der quantitativen Soziolinguistik assoziiert man vor allem die Arbeiten des amerikanischen Sprachwissenschaftlers William Labov (*1927). Seine Studien haben bis heute einen enormen Einfluss auf das Forschungsgebiet. Auf der Grundlage von Labovs Methoden wurden u. a. historische Phänomene wie Dialektausgleich und Dia‐ lektverlust erforscht. Außerdem beschäftigt man sich mit Standardisierungsprozessen und/ oder Veränderungen innerhalb der Standardsprache. Vor allem die Standardisie‐ rung in Flandern ist gründlich erforscht worden, weil sich dieser Prozess dort in jüngster Zeit durchgesetzt hat. Auf dem Gebiet der Schriftsprache scheinen sich das belgische Niederländisch und das niederländische Niederländisch schon seit Jahren einander anzunähern. Bei der Aussprache ist das deutlich weniger der Fall, da die Standardaussprache in Flandern viel konservativer ist als in den Niederlanden. Das niederländische Niederländisch weicht auch stärker als das belgische von der Norm ab, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus den Niederlanden übernommen wurde. Für das niederländische Niederländisch kann man sich beispielsweise fragen, ob Aussprachevarianten wie fis und seef nicht mindestens genauso zur Standardspra‐ che gezählt werden können wie vis und zeef, das ‚weiche g‘ in goed wird in den Niederlanden sogar allgemein als südliches Merkmal von Sprecher: innen aus Limburg, Nordbrabant oder Flandern wahrgenommen. Labov und andere Soziolinguist: innen fanden heraus, dass man auf der Grundlage synchroner Informationen feststellen kann, ob Dialektverlust oder -ausgleich vorlag, indem man verschiedene Generationen miteinander vergleicht. Diese Methode nennt man Apparent-Time-Methode (apparent-time methode). Man geht davon aus, dass sich die Sprache von Erwachsenen kaum noch verändert und dass die Sprache eines heute Fünfzigjährigen somit Aufschluss darüber gibt, wie Zwanzigjährige vor dreißig Jahren gesprochen haben. Wenn man also die Sprache von zwei Altersgruppen miteinander vergleicht, erhält man Informationen über aktuelle Veränderungen der Sprache. Ein bekanntes Beispiel für eine solche (quantitativ-soziolinguistische) Studie, die Veränderungen in der Standardsprache untersucht, ist die von Van Hout aus dem Jahr 1989. Van Hout stellte u. a. fest, dass der nicht-standardsprachliche Gebrauch von hun als Subjekt (hun hebben gescoord) immer häufiger vorkommt (Abb. 9.4). 246 9 Variation in Sprache dreißig Jahren gesproch pen miteinander vergle der Sprache. Ein bekanntes Beisp Veränderungen in der Jahr 1989. Van Hout s von hun als Subjekt (hu Abb. 8.4: hun hen haben. Wenn man also die Sprache von zwei A eicht, erhält man Informationen über aktuelle Verä piel für eine solche (quantitativ-soziolinguistische) Standardsprache untersucht, ist die von Van Hou stellte u.a. fest, dass der nicht-standardsprachliche un hebben gescoord) immer häufiger vorkommt. n als Subjekt in Nimwegen (nach Van Hout 1989: 231) Altersgrupänderungen Studie, die ut aus dem e Gebrauch Abb. 9.4: hun als Subjekt in Nimwegen (nach Van Hout 1989: 232) In einer Umfrage stellte sich heraus, dass in einer Gruppe von 36 älteren Männern aus Nimwegen gerade mal einer hun als Subjekt verwendete, in einer jüngeren Altersgruppe fünf von 35 und bei der jüngsten Gruppe sogar neun von 35. Dieses Ergebnis ist außerordentlich interessant: Wie überall in den Niederlanden gibt es auch in der Dialektlandschaft um Nimwegen Dialektausgleich und sogar Dialektverlust. Das typische Bild in einer soziolinguistischen Studie zeigt eigentlich, dass sich jüngere Sprecher: innen in einer solchen Situation eher an der Standardsprache orientieren als ältere. Für hun als Subjekt gilt das aber offensichtlich nicht: Dieses Phänomen scheint auf dem Vormarsch zu sein, obwohl es nicht standardsprachlich ist. Abbildung 9.4 gibt nicht nur Aufschluss über das Alter. Offensichtlich gibt es auch geschlechtsspezifische Unterschiede, denn Mädchen verwenden das Subjekt-hun häufiger als Jungen. Auch diese geschlechtsspezifischen Unterschiede werden in der Soziolinguistik untersucht. Aus Studien zum Dialektverlust und -ausgleich geht dabei hervor, dass sich Frauen meistens mehr am Standard orientieren als Männer. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Bei Variablen, für die sich der Standard im Wandel befindet, verwenden Frauen doch häufiger die innovativere Variante, auch wenn diese mehr von der Standardsprache abweicht. Frauen sind also in der sprachlichen Entwicklung Vorreiter, sowohl was Entwicklungen angeht, die sich in Richtung der Standardsprache bewegen, als auch bei solchen, die sich vom Standard weg bewegen. Man hat versucht, dieses progressive Verhalten der Frauen auf unterschiedliche Art und Weise zu erklären, beispielsweise mit der Rolle von Frauen in der Kindererziehung oder mit ihrer weniger günstigen Po‐ sition auf dem Arbeitsmarkt. Beide Faktoren würden dann dafür sorgen, dass Frauen ihr soziales Prestige mehr über Sprache definieren müssten (und über Äußerlichkeiten wie Kleidung). Sehr überzeugend sind diese Erklärungen jedoch nicht; kinderlose Frauen 9.4 Soziale oder ‚vertikale‘ Variation 247 oder erfolgreiche Karrierefrauen drücken sich nämlich nicht unbedingt ‚männlicher‘ aus. Außer den schon erwähnten geschlechtsspezifischen Unterschieden bringen viele Studien Unterschiede auf der Grundlage der sozialen Schicht (sociale klasse) zu Tage. Auch hier sind die Ergebnisse nicht eindeutig: Einerseits orientieren sich höhere soziale Klassen normalerweise stärker an der Standardsprache, wodurch sie die Prozesse des Dialektverlustes und -ausgleichs anführen. Andererseits gibt es auch Beispiele, bei der die soziale Oberschicht die Veränderung, die sich von der Norm weg bewegt, beeinflusst und fördert. Ein Beispiel dafür ist das Poldernederlands (eine junge Varietät der nieder‐ ländischen Sprache, in der vor allem die Vokale stark von der Standardaussprache abweichen, vgl. 9.5.4). Zurzeit genießt das Poldernederlands großes Ansehen und es sieht so aus, als ob sich diese Variante weiter verbreiten würde. Geschlechtsspezifische Unterschiede und Unterschiede in der sozialen Schicht ma‐ chen es nicht gerade einfach, Aussagen über die Richtung zu treffen, in die sich der Sprachwandel bewegt. Dennoch werden diese Faktoren in der sprachhistorischen Forschung häufig herangezogen, weil sie erlauben, die Rolle des sozialen Prestiges (sociaal prestige) aufzuzeigen: Sowohl Frauen als auch die Oberschicht scheinen sich stärker an den Varianten mit einem solchen Prestige zu orientieren. Das Prestigekon‐ zept gehört zu den Schlagwörtern der klassischen Soziolinguistik: Man geht davon aus, dass Sprecher: innen Prestigevarianten mehr oder weniger bewusst übernehmen, beispielsweise um in Gesprächen einen besseren Eindruck zu hinterlassen. Wenn das langfristig dazu führt, dass eine Prestigevariante eine andere Variante verdrängt, spricht man von change from above the level of social consciousness oder kurz von change from above. Die Soziolinguistik hat sich sehr intensiv mit diesem Phänomen beschäftigt. Im Gegensatz zum change from below, für den meist sprachinterne Fak‐ toren ausschlaggebend sind (weil eine Variante z. B. einfacher zu erlernen oder aus anderen Gründen anwenderfreundlicher ist), kann change from above eher mit sozialen Motiven erklärt werden. In der klassischen Soziolinguistik ging man davon aus, dass Sprecher: innen eigentlich zwei Arten von Sprache unterscheiden: Zum einen die informelle Sprache, die man innerhalb einer bestimmten Gruppe, seiner Peergroup (peergroep), benutzt, und zum anderen die Sprache, die man in formellen Situationen, in denen Hierarchie eine Rolle spielt, benutzt. In informellen Situationen, so die Annahme, wollten Sprecher: innen vor allem Solidarität (solidariteit) ausdrücken und so häufig wie möglich die Sprache verwenden, die sie als Kind erlernt haben - ihren Idiolekt (meistens ein lokaler Dialekt). In formellen Situationen hingegen verlaufe die Verwendung von Sprache nicht spontan, sondern kontrolliert. In diesen Situationen versuchten die Sprecher: innen, Prestigevarianten zu benutzen. Dieses Bild von Sprachvariation führte zu einer typischen Methodik, wobei man versuchte, spontane Sprache (das informellste Register) mit vorgelesenen Texten (das formellste Register) zu vergleichen, und eventuell noch andere Situationen hinzuzunehmen, die bezogen auf die Formalität eine Zwischenposition einnehmen. 248 9 Variation in Sprache Das Variationskonzept der klassischen Soziolinguistik wurde in vielen anschauli‐ chen Studien angewandt. Es wurde und wird jedoch auch stark kritisiert. So funk‐ tioniert ein Konzept wie das des Prestiges nicht immer auf die gleiche Art und Weise: Was Prestige überhaupt ist, lässt sich nicht so leicht definieren und es lässt sich nicht vorhersagen, welche Sprachformen Prestige erlangen werden. Beispiele wie die Entwicklung zu stimmlosen Frikativen und die Verwendung von hun als Subjekt illustrieren, dass Prestige nicht dasselbe ist wie Standardsprachlichkeit. Ein weiteres Problem des Prestigekonzeptes ist, dass es offensichtlich nicht nur die Reichen und Mächtigen der Gesellschaft sind, die ihre Art zu sprechen an den Rest der Gesellschaft weitergeben. So wurde z. B. die Anrede jij aus dem Holländischen der unteren Schichten übernommen. Diese Anrede war in dieser Schicht im 17. Jahrhundert üblich, während der Adel noch systematisch gij benutzte. Diese Verteilung wird in Quellen der damaligen Zeit beschrieben und außerdem als Stilmittel in Theaterstücken verwendet. Da sich Sprecher: innen über die verschiedenen Möglichkeiten, aus denen sie wählen konnten, sehr wohl bewusst waren, gilt die Verallgemeinerung der jij-Form im heutigen Holland als change from above, die hier nicht die Prestigevariante des Adels verallgemeinert hat, sondern eine Form, die als intim und vertraut galt. Daran kann man sehen, dass bei Sprachwandel kompliziertere soziale Motive wirken als nur die Tendenz der Sprecher: innen, einem Prestige nachzueifern. 9.4.3 Im Kopf der Sprecher: innen: Attitüde-Forschung Innerhalb der Soziolinguistik hat man sich, u. a. wegen der Komplexität sozialer Situationen, zum Ziel gemacht zu ermitteln, wie Sprecher: innen über bestimmte Varianten und Varietäten denken, wie ihre Attitüde (attitude) gegenüber diesen sprachlichen Formen ist. Wird der Sprachgebrauch beispielsweise als schön oder hässlich beurteilt, mit gebildeten oder ungebildeten Sprecher: innen assoziiert, wird er als sprachwissenschaftlich reich oder arm angesehen? Diese Art von Bewertungen hat meistens kaum etwas mit objektiven Merkmalen einer Sprache oder Varietät zu tun, sondern ausschließlich mit den Vorstellungen, die innerhalb der Sprache über einige Sprecher: innen herrschen. So wird die Aussprache der Verbformen spreken im Plural als / spre: kn/ in den Niederlanden als boers (‚plump‘) beurteilt, da diese Aussprache mit Sprecher: innen der nordöstlichen Dialekte auf dem platten Land in Verbindung gebracht wird. In Deutschland hingegen ist diese Variante der Endung -en die normale und sogar die prestigeträchtigere Aussprache. Für die Attitüdeforschung sind verschiedene Methoden entwickelt worden. So kann man zum Beispiel vom Sprachverhalten ableiten, welche Varianten in welchen Situationen bevorzugt und welche eher vermieden werden. Da soziolinguistische Beobachtungen sehr arbeitsintensiv sind, entscheidet man sich meistens für eine eher zielgerichtete Arbeitsweise, bei der man versucht, die Attitüden einer Informant: in‐ nengruppe zu ‚messen‘. Diese Messung kann direkt durchgeführt werden, indem man die Informant: innen unumwunden nach ihrer Meinung zum Sprachgebrauch fragt, 9.4 Soziale oder ‚vertikale‘ Variation 249 entweder mit oder ohne Hörbeispiele. Die direkte Methode hat allerdings den Nachteil, dass die Testpersonen nicht immer sofort ihre wahre Einstellung preisgeben, sondern manchmal eher geneigt sind, Antworten zu geben, die sozial erwünscht sind. Mit einer indirekten Messung, bei der die Testpersonen nicht wissen, dass sie an einer Studie zur sprachlichen Attitüde teilnehmen, kann dieses Problem gelöst werden. Dabei werden z. B. Hörproben verwendet, anhand derer die Testpersonen sagen müssen, was sie über die/ den Sprecher: in des Fragmentes denken. Typische Fragen sind: „Glauben Sie, dass die Sprecherin eine leitende Funktion hat? “ oder „Denken Sie, dass der Sprecher dieses Fragmentes vertrauenswürdig ist? “. Das erste Merkmal wird typischerweise Spre‐ cher: innen der Standardsprache zugewiesen, das zweite Dialektsprecher: innen. Bei solchen Studien wird häufig die Matched-Guise-Technik (matched-guise techniek) verwendet, bei der verschiedene Fragmente, die die Proband: innen beurteilen sollen, von derselben Person eingesprochen werden. Unterschiede in der Evaluation sind dann mit großer Sicherheit dem Sprachgebrauch im jeweiligen Fragment zuzuschreiben und nicht anderen Faktoren wie beispielsweise der Stimmfärbung. In der niederländischen Soziolinguistik wird seit 1960 intensive Attitüdeforschung betrieben. In manchen Studien scheinen die Testpersonen beispielsweise ziemlich typisch in Begrifflichkeiten von Solidarität und Prestige zu denken, was mit der klassischen Betrachtungsweise nach Labov übereinstimmt. Andere Studien zeigen eine dreiteilige Struktur der Attitüden, wobei neben dem prestigeträchtigen Sprach‐ gebrauch auch Varianten vorkommen, die die persönliche Integrität unterstreichen (Merkmale wie Zuverlässigkeit oder Ehrlichkeit) oder die soziale Anziehungskraft be‐ urteilen (Merkmale wie Humor oder unterhaltsame Gesprächspartner: innen). Neuere Studien zeigen z. B., dass ein limburgischer Akzent in den Niederlanden mit Integrität assoziiert wird, während in einem großen Teil des niederländischsprachigen Belgiens ein brabantischer Akzent als sozial reizvoll wahrgenommen wird. Attitüden scheinen, genau wie Sprache an sich, in Zeit und Raum variabel zu sein. Sie variieren auch innerhalb verschiedener Bevölkerungsschichten und sind außerdem empfänglich für Faktoren wie Alter, Geschlecht und soziale Schicht. Das kann dazu verleiten, einen Zusammenhang zwischen den Attitüden, die eine bestimmte Person hat, und ihrem Sprachgebrauch zu sehen. Die Beziehung zwischen Attitüde und Sprachgebrauch ist jedoch bei weitem nicht immer gleich offensichtlich. Nicht alle Informant: innen, die die Standardsprache als sehr prestigeträchtig betrachten, würden selbst in formellen Situationen auf Standardsprache umschalten. Attitüdeforschung wurde nicht nur bezogen auf Varietäten des Niederländischen betrieben, sondern auch auf Attitüden gegenüber Sprachen, die in den Medien vertreten sind (wie Englisch), Sprachen, die als Fremdsprache erlernt werden, oder Sprachen von Migrant: innen. 250 9 Variation in Sprache 9.5 Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache 9.5.1 Standardisierung abgeschlossen? Wenn ein Standardisierungsprozess wie die Verallgemeinerung des gesprochenen Standards lange Zeit andauert, stellt man sich die Frage, wann diese Entwicklung de‐ finitiv abgeschlossen ist. Heute ist klar, dass Standardisierung niemals zu vollständiger Einheitlichkeit führen wird: Es spricht schließlich einiges dafür, dass die Standardisie‐ rung momentan nicht im gleichen Tempo wie vor einigen Jahrzehnten voranschreitet. Das zeigt nochmals, dass Variation der Sprache eigen ist und Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel dienen soll, sondern sie den Sprecher: innen auch ermöglicht, ihre eigene Identität auszudrücken. Dass Standardisierung an Stärke verliert (manche sprechen sogar von Destandardisierung), zeigt sich in unterschiedlichen aktuellen Entwicklungen. So wird von einer Dialektrenaissance gesprochen, bei der der Dialekt in bestimmte Nischen der Sprache eindringt, in denen er früher kaum oder nicht vorhanden war (vgl. 9.5.2). Außerdem scheint sich die Norm der Standardsprache sowohl in den Niederlanden als auch in Flandern auszuweiten, was sich in neuen Varietäten des Niederländischen widerspiegelt. Diese neuen Varietäten sind vor allem in informellen Registern der gesprochenen Sprache sehr erfolgreich, wie das Polder‐ nederlands und Verkavelingsvlaams (vgl. 9.5.3). Vor allem in Großstädten entstehen durch den Kontakt des Niederländischen mit anderen Sprachen auch vollkommen neue Varietäten. Diese Entwicklungen kann man häufig nur dann nachvollziehen, wenn man die lokalen Gegebenheiten in einer Region berücksichtigt. Sie zeigen sich auch von Person zu Person sehr unterschiedlich. Aus diesen Gründen sind sie eine wichtige Herausforderung für die klassischen soziolinguistischen Forschungsmethoden, die sich vor allem eignen, um verallgemeinernde Aussagen über große Bevölkerungsgruppen zu machen. 9.5.2 Dialektrenaissance und Anerkennung von Mundarten Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts glauben einige Wissenschaftler: innen, eine Dialektrenaissance (dialectrenaissance) zu erkennen, ein neu auflebendes In‐ teresse an Dialekten. Die Dialektrenaissance ist ein schwierig zu beschreibendes Phänomen, denn sie äußert sich auf unterschiedliche Art und Weise. So erfreut sich der Dialekt als Teil der Lokalgeschichte und der lokalen Identität großer Beliebtheit: Viele Amateurhistoriker: innen wollen Wörterbücher oder Grammatiken zu einem lokalen Dialekt schreiben oder Gespräche und Lieder aufnehmen. Frappierender ist allerdings, dass der Dialekt auch in Gebiete vordringt, in denen er früher höchstens eine kleine Rolle gespielt hat. Die Bibel beispielsweise wurde in verschiedene Dialekte übersetzt. Der Dialekt ist in Literatur, Theater, Kabarett und Musik im Kommen und dringt so bis in den Kultursektor vor. 9.5 Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache 251 Ein Problem bei der Beschreibung der Dialektrenaissance ist, dass keines der genannten kulturellen Phänomene vollkommen neu ist: Auch im 19. Jahrhundert gab es Dialektliteratur und -theater, vor allem inspiriert vom Faible für das Lokale und für die Natur in der Romantik. Dieses Faible fehlt in der Dialektrenaissance allerdings größtenteils, da die Genres, die man benutzt, ein Teil der modernen Popkultur sind und die Kulturprodukte so weit über das eigentliche Kulturgebiet hinaus bekannt werden. Ein Beispiel ist die Comicfigur Haagse Harry, ein Arbeitsloser aus Den Haag, der gerne randaliert (Abb. 9.5). Abb. 9.5: Haagse Harry (Niet Te Wenag! ! ) Dialektrenaissance zeigt sich auch in der Popmusik: In den letzten Jahrzehnten gibt es immer mehr Musiker: innen, die Dialekt verwenden. Das Typische an den Musiker: in‐ nen der jüngeren Generation ist, dass sie den Dialekt im Gegensatz zu der älteren Generation nicht als Motor für lokale Identität sehen, sondern eher als Instrument, mit dem sie ihre eigenen persönlichen Gefühle am besten ausdrücken können (Stichwort Authentizität). Bekannte niederländische Bands sind Normaal, Rowwen Hèzze und Skik. In Flandern gibt es Flip Kowlier, Axl Peleman und Het zesde Metaal. Die jungen Künstler: innen singen über Themen der heutigen industrialisierten und urbanisierten Gesellschaft. Das Fragment des westflämischen Sängers Flip Kowlier (Textbeispiel aus: min moaten) beschäftigt sich mit Themen wie Hip-Hop-Musik und Pornografie, wobei auch englische Wörter nicht vermieden werden: 252 9 Variation in Sprache tlp, is ne party dj TLP is een party DJ moa skratch solo’s kant ie maar scratchsolo’s kan hij nie brieng niet brengen sex i zinne lust en zin leven seks is zijn lust en zijn leven tlp, de gentse porno-king TLP de Gentse pornokoning bza, inne vlamsche rapper BZA is een Vlaamse rapper en ne parttime vizzekluot en een part-time vieze kloot moj kan leute moaken lik ginjin maar hij kan plezier maken als geeneen en tjikenen lik de beste en tekenen als de beste mijn respect voe bza i gruot mijn respect voor BZA is groot Die Dialektrenaissance erhöht die Sichtbarkeit des Dialekts in den Medien. Auffallend ist jedoch, dass dies keine Zunahme des Dialekts im täglichen Sprachgebrauch zur Folge hat: Der Dialektverlust und der Dialektausgleich werden also nicht rückgängig gemacht und nicht einmal aufgehalten. Eine weitere wichtige Entwicklung ist die Anerkennung von Dialekten als Regio‐ nalsprachen (streektalen) (vgl. Kap. 2). 1992 entschlossen sich die Mitgliedsstaaten des Europarates, Regionalsprachen und Sprachen regionaler Minderheiten zu unter‐ stützen. Die Niederlande haben in diesem Rahmen Limburgisch und Nedersaksisch als Regionalsprachen anerkannt, während Friesisch eine noch weiterreichende Anerken‐ nung als offizielle Amtssprache in der Provinz Fryslân (Friesland) erhalten hat. Im Zuge der Anerkennung (einiger) Dialekte als Regionalsprachen versucht man, den Dialekt auf unterschiedliche Art und Weise als vollwertige Sprache zu etablieren: In vielen niederländischen Gemeinden gibt es Straßenschilder im Dialekt, man strebt eine einheitliche Schreibweise an und möchte sogar Rechtschreibprogramme oder Software von Navigationsgeräten im Dialekt entwickeln. Belgien hat die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nicht ratifiziert, aus Angst vor Unstimmigkeiten mit der eigenen komplexen Sprachgesetzgebung, und hat deshalb keine Dialekte anerkennen lassen. In Frankreich wurde Westflämisch anerkannt. 9.5.3 Post-Standardvarietäten In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts fand der niederländische Sprachwissen‐ schaftler Jan Stroop heraus, dass eine große Gruppe renommierter Sprecher: innen - vor allem Frauen in der Randstad - anfing, eine Varietät zu sprechen, die deutlich vom Standardniederländisch abwich: das Poldernederlands (Abb. 9.6). Das auffälligste Merkmal des Poldernederlands ist die sehr offene Aussprache der Diphthonge ei, ui und ou (bzw. taaid statt tijd, aut statt uit und kaaud statt koud). Parallel zu diesen Lauten haben auch das ee, das eu und das oo eine offenere und stark diphthongierte Aussprache entwickelt. Aus weiteren Studien geht hervor, dass junge 9.5 Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache 253 Frauen in der Randstad zwar finden, dass Poldernederlands weniger gepflegt klingt als die Standardsprache, sie sich aber dennoch stärker damit identifizieren. Die Varietät verbreitet sich mittlerweile sehr schnell über die Niederlande. derländischen Gemeinden gibt es Straßenschilder im Dialekt, man strebt eine einheitliche Schreibweise an und möchte sogar Rechtschreibprogramme oder Software von Navigationsgeräten im Dialekt entwickeln. Belgien hat die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nicht ratifiziert, aus Angst vor Unstimmigkeiten mit der eigenen komplexen Sprachgesetzgebung, und hat deshalb keine Dialekte anerkennen lassen. In Frankreich wurde Westflämisch anerkannt. 8.5.3 Post-Standardvarietäten In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts fand der niederländische Sprachwissenschaftler Jan Stroop heraus, dass eine große Gruppe renommierter Sprecher - vor allem Frauen in der Randstad - anfing, eine Varietät zu sprechen, die deutlich vom Standardniederländisch abwich, das Poldernederlands. ie oe beet leuk boot beit luik bout teid uit koud taaid kaaud aut aa Abb. 8.6: Vokaldreieck des Poldernederlands (nach Stroop 1998) Das auffälligste Merkmal des Poldernederlands ist die sehr offene Aussprache der Diphthonge ei, ui und ou (bzw. taaid statt tijd, aut statt uit und kaaud statt koud). Parallel zu diesen Lauten haben auch das ee, das eu und das oo eine offenere und stark diphthongierte Aussprache entwickelt. Aus weiteren Studien geht hervor, dass junge Frauen in der Randstad zwar finden, dass Poldernederlands weniger gepflegt klingt als die Standardsprache, sie sich aber dennoch stärker damit identifizieren. Die Varietät verbreitet sich mittlerweile sehr schnell über die Niederlande, auch wenn sie in den Ohren mancher stark stigmatisiert ist. In Flandern bekommt die Standardsprache keine Konkurrenz vom Poldernederlands, sondern aus einer anderen Ecke. Die gesprochene flämische Sprache steht der niederländischen Standardsprache weniger nahe als die gesprochene Sprache in den Niederlanden. In den meisten formellen Situationen galt als Norm jedoch der stark Abb. 9.6: Vokaldreieck des Poldernederlands (nach Stroop 1998) In Flandern bekommt die Standardsprache keine Konkurrenz vom Poldernederlands, sondern aus einer anderen Ecke. Die gesprochene flämische Sprache steht der nie‐ derländischen Standardsprache weniger nahe als die gesprochene Sprache in den Niederlanden. In den meisten formellen Situationen galt als Norm jedoch der stark am nördlichen Niederländisch orientierte Standard. Jüngere Sprecher: innen finden es momentan wohl weniger dramatisch, wenn in solchen Situationen wieder regio‐ nale Merkmale durchschimmern. Dieses Phänomen hat unterschiedliche Namen, die fast alle recht negativ klingen, wie Verkavelingsvlaams, Soapvlaams, Schoon Vlaams, tussentaal usw. Die Bezeichnung tussentaal, die am häufigsten verwendet wird, ist ein Ausdruck, der die Sprache auf der einen Seite zwar ziemlich neutral als etwas beschreibt, das sowohl Merkmale der Standardsprache als auch Merkmale des Dialekts aufweist. Auf der anderen Seite wird diese Varietät jedoch als vorübergehende und unvollkommene Sprachform stigmatisiert, die sich mit fortschreitender Entwicklung in Richtung der Standardsprache bewegt. Im Gegensatz zum Poldernederlands ist Ver‐ kavelingsvlaams sehr heterogen: Es basiert auf dem belgischen Standardniederländisch, ist jedoch von regional gefärbten Lauten und Strukturen durchzogen, die sich von Gebiet zu Gebiet unterscheiden. Eines der bekanntesten Merkmale ist das Wegfallen des -t am Ende eines Funktionswortes (wie nie statt niet, da statt dat), außerdem kommt u. a. das Pronomen gij (statt jij) vor sowie Diminutive auf -ke (z. B. tafelke statt tafeltje). Auf den ersten Blick scheint die Verwendung von Varietäten wie Poldernederlands und Verkavelingsvlaams darauf hinzuweisen, dass der Standardisierungsprozess teil‐ weise rückgängig gemacht wird. Es gibt allerdings auch gute Gründe anzunehmen, dass diese Varietäten als Folge der Standardisierung entstanden sind: Die Standardsprache ist immerhin jahrzehntelang das wichtigste sprachliche Instrument gewesen, um 254 9 Variation in Sprache gesellschaftliches Ansehen zu erstreben oder zu demonstrieren. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kenntnis der Standardsprache weit verbreitet ist, kann diese nicht länger soziale Unterschiede markieren. Es scheint also logisch, dass Sprecher: innen nach neuen sprachlichen Möglichkeiten suchen, um dies zu tun. Außerdem sind die tradi‐ tionellen westeuropäischen Gesellschaftsformen und auch die dazugehörige Kultur der Standardsprache in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich informeller ge‐ worden. Das Abweichen von der Standardsprache wird in einem derartigen Klima von vielen als Form von Authentizität (authenticiteit) gesehen. Sprecher: innen weichen bewusst von der Standardsprache ab, um zu signalisieren, dass sie sich wohlfühlen, die Situation unter Kontrolle haben oder einfach sie selbst sind. 9.5.4 Neue Variation: vom Weltniederländisch zu straattaal und Murks Niederländisch steht wegen seiner kolonialen Vergangenheit schon sehr lange mit an‐ deren Sprachen in Kontakt, aber erst mit der stärkeren Präsenz in der niederländischen Gesellschaft haben die Kontaktvarietäten mehr Beachtung gefunden. Diese Präsenz hängt vor allem mit der Immigration aus den ehemaligen Kolonien (hauptsächlich aus Indonesien und Suriname) und mit Arbeitsmigrant: innen (vor allem aus Marokko und der Türkei) zusammen; in den letzten Jahrzehnten weist die Migration eine größere Diversität auf. In der heutigen Gesellschaft kommen diese Kontaktvarietäten in einer komplexen Interaktion mit der niederländischen Sprache und auch untereinander in Kontakt. Das surinamische Niederländisch entlehnt seine ethnischen Elemente dem Sra‐ nantongo (vgl. Kap. 1) - vor allem bei der Aussprache und dem Wortschatz. Das typischste Merkmal in der Aussprache ist das bilabiale w, das ein bisschen wie ein [u] klingt. Im lexikalischen Bereich fallen vor allem die Srananwörter auf, die auch häufig von Jugendlichen mit surinamischem Hintergrund verwendet werden, wie z. B. brada (Bruder/ Freund), doekoe (Geld), sma(tje) (Mädchen) und waggie (Wagen). Das marokkanische Niederländisch weist Einflüsse aus dem marokkanischen Arabisch und aus den Berbersprachen auf. Ein Merkmal ist beispielsweise die Aussprache von s als sj (z. B. muisj, sjlapen) oder das Verschlucken des Schwa, vor allem in offenen Silben (z. B. gvangen statt gevangen und jongtje statt jongetje). Die erste Generation der ma‐ rokkanischen Einwanderer: innen hat außerdem Probleme mit dem niederländischen Vokalsystem, u. a. mit dem Unterschied zwischen kurzen und langen Vokalen. Auch eine Beeinflussung des Wortschatzes kommt vor, nicht nur auf den zu erwartenden lexikalischen Domänen, wie dem Wortschatz im Hinblick auf den Islam oder die marokkanischen Bevölkerungsgruppen, sondern auch in Form von Interjektionen (z. B. wollah ‚ich schwöre‘ und teez ‚shit‘). Im türkischen Niederländisch kommt unter anderem die Palatalisierung des k (klingt etwa wie kj) und die Verwendung des Zungenspitzen-r vor. Sprecher: innen der ersten Generation haben typischerweise Probleme mit Konsonantenclustern und sagen beispielsweise files statt fles. 9.5 Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache 255 Die oben beschriebenen Varietäten spielen in den Niederlanden als Teil der sog. straattaal eine deutliche Rolle. Mit straattaal wird nicht eine einzelne Varietät des Niederländischen bezeichnet, sondern die Sprache, die Jugendliche vor allem mit aus‐ ländischer Herkunft in der Randstad miteinander sprechen. Aufgrund der Vielfältigkeit in den Städten gibt es sehr viele Arten von straattaal - auch wenn es einige Merkmale gibt (meistens grammatische Eigenheiten), die für alle Kontaktvarietäten gelten. Das auffallendste gemeinsame Merkmal ist sicher die Universalität des Artikels de (bekannt ist hier vor allem der Hit Waar is de meisje der Hip-Hop-Band De Hoop) sowie das flektierte Adjektiv (z. B. een mooie meisje). Ansonsten hängt es sehr stark vom Hinter‐ grund der Sprecher: innen ab, welche Elemente in der straattaal genau vorkommen. Fast alle Studien zeigen, dass Sprecher: innen der straattaal aus mehreren Kontaktvarietäten schöpfen: Jugendliche mit einem surinamischen Hintergrund mischen beispielsweise nicht nur Sranantongo in ihr Niederländisch, sondern übernehmen auch Elemente aus dem Papiamento oder marokkanische Elemente. Da viele Jugendliche die fremde Sprache nicht oder kaum noch sprechen, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Herkunft aller Elemente kennen. Es tritt offensichtlich Vermischung auf. Dabei treten das surinamische und das marokkanische Niederländisch am leichtesten zutage, da ihre Sprecher: innen ‚verborgenes Prestige‘ genießen. Zu den ethnischen Elementen kommt noch ein starker englischer Einfluss hinzu; in bestimmten Gebieten werden auch Dialektmerkmale übernommen. Dies zeigt, dass straattaal nicht so sehr eine ethnische, sondern eher eine Jugendsprache (oder ein Soziolekt) ist, die man aufgrund ihrer he‐ terogenen Zusammenstellung auch als Multi-Ethnolekt (multi-etnolect) bezeichnet. Eine besondere Form des Sprachgebrauchs ist Murks. Weiße Jugendliche benutzen Murks, um straattaal zu imitieren und zu ironisieren, aber nur, wenn keine straattaal-Sprecher: innen in der Nähe sind. Man kann eher von einem Sprachspiel als von einer echten Varietät des Niederländischen sprechen. Das ist für Soziolinguist: innen nicht weniger interessant, da es einen Einblick in die komplexe soziologische Realität der modernen Großstadt vermittelt. Auch in Flandern kommt (Multi-)Ethnolekt vor, wobei das Niederländische vor allem mit Marokkanisch und Türkisch interagiert. Außerdem werden hier auch sehr viele Dialektelemente in die Kontaktvarietäten übernommen. Eine Studie aus Antwerpen zeigt, dass Jugendliche mit Migrationshin‐ tergrund in manchen Situationen sehr bewusst die ausländischen Merkmale in ihrer Sprache übertreiben. Diese Form der ‚Sprachsabotage‘ bezeichnen sie als ‚illegales Sprechen‘. In der belgischen Provinz Limburg gibt es auch eine italienisch-niederlän‐ dische Kontaktvarietät: Citétaal. 9.5.5 ‚Superdiversity‘ auf dem linguistischen Markt: von Lekten zu Sprechstilen? In der neueren Geschichte der niederländischen Sprache sind offensichtlich mehrere neue Varietäten entstanden, die als Gruppensprachen oder Soziolekte charakterisiert werden können. Das Phänomen der Soziolekte ist nicht neu, aber zurzeit nehmen 256 9 Variation in Sprache sie eine wichtigere Rolle ein als früher. Sie scheinen gewissermaßen den Platz der Dialektvariation einzunehmen, die entweder verloren gegangen oder nivelliert ist. So‐ ziolekte unterscheiden sich von Dialekten darin, dass die grammatischen Unterschiede zur Standardsprache weniger prägnant sind. Sie unterscheiden sich meistens nur durch einen eigenen Wortschatz und einige Merkmale in der Aussprache. Soziolekte entstehen in einem spezifischen sozialen Kontext, in dem eine bestimmte Gruppe ihrer Identität über die Sprache Ausdruck verleihen möchte. Es gibt sehr viele Arten von Faktoren, die eine Gruppenidentität definieren können, vom Alter über die Ethnie, den Beruf und das Geschlecht bis hin zur sexuellen Orientie‐ rung und dem Musikgeschmack oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Subkultur. All diese Merkmale können offensichtlich auch sprachliche Variation hervorrufen. Untersuchungen in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass bestimmte Sprachlaute typischerweise von Leuten aus der Schwulenszene verwendet werden. In über Musik definierten Subkulturen wiederum kann der eigene Wortschatz angeführt werden, um u. a. auf Menschen innerhalb und außerhalb dieser Subkultur zu verweisen. Diese Art von identitätsbildenden Faktoren schließen sich in der Regel nicht aus: Es ist sogar normal, dass Sprecher: innen zu verschiedenen sozialen Gruppen gehören. Alle Sprecher: innen sind dabei wegen ihrer mehr oder weniger einzigartigen Biografie verschiedenen Einflüssen ausgesetzt und partizipieren in mehreren Gruppen mit geteilten Interessen oder Zielen, die Communities of Practice genannt werden. In solchen Gruppen wird dann u. a. ausgehandelt, auf welche Art und Weise innerhalb der Gruppe kommuniziert wird. Weil Sprecher: innen gegenwärtig sowohl geographisch als auch sozial sehr mobil sind, wird manchmal behauptet, dass wir momentan eine Zeit der linguistic superdiversity erleben. In einer solchen Situation machen viele sprachliche Variationen eigentlich keinen Teil von erkennbaren Varietäten aus. Soziolinguist: innen verwenden deshalb häufig den Begriff ‚Sprechstil‘, um auf eine bestimmte Art des Sprachgebrauchs einer Person hinzuweisen. Manche neuere Ansätze in der Sozio‐ linguistik machen es sich auch nicht länger zum Ziel, Varietäten zu beschreiben, sondern eher die sozialen Bedeutungen (sociale betekenissen) darzustellen, die an Sprachvarianten gekoppelt werden können. Die zugrundeliegende Vorstellung ist die eines gigantischen linguistischen Marktes, auf dem sich Sprachbenutzer: innen auf der Grundlage sozialer Bedeutungen aus den Varianten, die für sie in Frage kommen, eine vollkommen einzigartige Sprache zusammenstellen - abhängig von der gewünschten Identität. Dieser Ansatz steht im Kontrast zur klassischen Herangehensweise, bei der Sprache als Mittel zur Bildung einer gemeinsamen Identität verstanden wird und nicht als eine Spiegelung der eigenen Identität. Bei diesem Ansatz wird solchem Sprachgebrauch besondere Beachtung geschenkt, bei dem Sprecher: innen in ihren Aussagen auch implizit die Form, mit der sie etwas sagen, kommentieren. Das wird Stylisation (stylisation) genannt. Von Crossing (crossing) spricht man, wenn die Sprache anderer sehr bewusst übernommen oder nachgeahmt wird. Die flämische Sängerin Hannelore Bedert imitiert in der ersten Strophe ihres Songs Vocabulaire (s. Textbeispiel) die Sprache von Leuten, die sich über den westflämischen Dialekt der 9.5 Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache 257 Sängerin lustig machen. Bedert übernimmt dabei nicht-standardisierte Elemente, die für brabantische Dialekte typisch sind (Crossing), u. a. der Gebrauch von gij und uwe als Anrede und Wörter wie vocabulaire und klappen (‚reden‘). In der zweiten Strophe wechselt die Sängerin zu ihrem eigenen westflämischen Dialekt, wobei aus dem Kontext und dem übermäßigen Gebrauch auffälliger Merkmale, wie der Aussprache des g als h, der abweichende Charakter und die erschwerte Verständlichkeit deutlich werden. juffrouw, er zijn wat woorden / in uwe vocabulaire / die wij niet helemaal begrijpen / juffrouw, er zijn wat letters / in uwe vocabulaire / die wij niet niet helemaal kunnen horen / ge moet dringend leren klappen / uw taal, juffrouw, uw taal / zo komt ge niet onder de mensen / ge klinkt zo abnormaal ik zeg, madam, het is west-vloams / ’t è nie gemaakt om te verstoan / a ’k ik min klep wil open doen / awel, dan doe’k ze op’n / en a ’k ik hoesting é / om de h in een g te verand’ren / dan é gie doar geen zoakens mee In den letzten Jahren hat die Bezeichnung ‚Sprechstil‘ durch die Entstehung der Onlinemedien und der dort verwendeten Sprache deutlich an Präzision eingebüßt. Sehr viele Niederländischsprachige unterhalten einen Großteil ihrer sozialen Kontakte über neue Medien wie Facebook oder WhatsApp. Und diese Social Media bieten offenbar eine produktive Umgebung für die Entstehung sprachlicher Neuerungen, die im Niederländischen manchmal treffend als digi-taal bezeichnet werden. Viele Merkmale der digi-taal können als Versuche aufgefasst werden, die geschriebene Sprache dem spontanen und informellen Charakter der synchronen Kommunikation anzupassen. Die Verwendung von Abkürzungen und Ellipsen erlaubt es beispielsweise, sich schneller auszutauschen (idd für inderdaad und w8 ff für wacht even), und der kreative Gebrauch von Typographie übernimmt vergleichbare Funktionen wie Intona‐ tion und Mimik in der gesprochenen Sprache (z. B. Großbuchstaben, Satzzeichen und Emojis in InTeReSsAnT! ! ! , superrrr ; -) ! ). Die Kommunikation in den neuen Social Media hat dem Niederländischen neue Register hinzugefügt, in denen viel soziolinguistische Variation auftritt. 9.6 Zusammenfassung Neben und eigentlich auch innerhalb der Standardsprache gibt es unterschiedliche Formen des Niederländischen. Dabei ist es nicht immer ganz einfach zu bestimmen, was eigentlich noch ‚(Standard-)Niederländisch‘ ist und was nicht. Obwohl in diesem Kapitel nur ein Teil der gesamten Variation beschrieben wurde, wird die wichtige Rolle, die diese Sprachvariation in der heutigen Gesellschaft spielt, sehr deutlich: Sie erlaubt es den Sprecher: innen, sich über Sprache zu definieren. Durch die Beschäftigung mit 258 9 Variation in Sprache Sprachvariation kann man mehr über die Grammatik, die Sprachgeschichte und sogar die Struktur der niederländischen und flämischen Gesellschaft erfahren; hier werden die Ansätze vorgestellt, bei denen die Variation im Mittelpunkt steht (Dialektologie und Soziolinguistik). Die Erforschung von Varietäten verläuft größtenteils parallel zu der Entwicklung von allgemeinen sprachlichen Variationen. Durch die extreme Zunahme der geografischen und sozialen Mobilität im 20. Jahrhundert verschiebt sich der Fokus von lokalen Varietäten fester und größtenteils homogener Gemeinschaften auf Städte mit einer sehr heterogenen Population. Das bedeutet, dass mehrschichtige Identitäten, starke oder vielfältige Besiedlung und komplexe soziale Beziehungen die Regel sind. Dennoch ist weder Sprachkontakt an sich eine neue Erscheinung noch sind die ‚alten‘ Variationen fester Sprachgemeinschaften verschwunden. Außerdem ist die Vorstellung eines linguistischen Marktes, auf dem sich die Sprecher: innen bedienen können, sehr verlockend. Es steht aber fest, dass die Sprache, mit der man aufwächst, im weiteren Leben nach wie vor einen entscheidenden Einfluss hat, was bedeutet, dass die vollkommene Wahlmöglichkeit bei Erwachsenen eine Illusion ist. Die traditionellen Ansätze zur sprachlichen Variation sind daher noch immer relevant. Das 21. Jahrhun‐ dert braucht somit genauso sehr Dialektatlanten und Studien, die sich mit den neuen Phänomenen befassen. Dabei ist es vor allem interessant zu erfahren, wie neue und oft fremdsprachliche Elemente in die niederländische Sprache integriert werden. Und wir brauchen natürlich neue Methoden, mit denen wir die zukünftigen Entwicklungen der niederländischen Sprache verstehen können. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Was sind Idiolekte, Dialekte, Soziolekte, Ethnolekte, Sprechstile? Geben Sie jeweils ein Beispiel, sowohl aus dem Niederländischen als auch aus dem Deutschen. Welche Art von Varietäten findet man eher in einer Diglossie und welche in einer Diaglossie? 2. Was sind Sprachattitüden? Warum interessieren sich Soziolinguist: innen dafür? 3. Was versteht man unter ‚Stylisation‘ und ‚Crossing‘? Warum sind das für Sozio‐ linguist: innen interessante Phänomene? Versuchen Sie, ein eigenes Beispiel zu finden. 4. Benennen Sie einige Unterschiede zwischen der Dialektologie und der Soziolin‐ guistik, sowohl auf inhaltlichem als auch auf methodischem Niveau. Inwieweit hängen die inhaltlichen und methodischen Unterschiede zusammen? 5. Sammeln Sie in den niederländischen und flämischen Medien (z. B. auf den Webseiten von Fernseh- und Radiosendern, via YouTube u.ä.) fünf Beispiele von Personen, die Ihrer Meinung nach eine Form des Niederländischen sprechen, die von der Standardsprache abweicht. Aufgaben 259 a. Können Sie für jede Person fünf Merkmale nicht-standardsprachlichen Sprachgebrauchs ermitteln? b. Können Sie die Varietät, die die Personen jeweils sprechen, benennen? Um welche Art von Varietät handelt es sich? c. Können Sie den Grund für die Abweichungen erklären? Handelt es sich um bewusste oder unbewusste Abweichungen von der Standardsprache? In welchem Maße liegen diese Abweichungen Ihrer Meinung nach in der spezifischen Gesprächssituation begründet? d. Erkennen Sie Ähnlichkeiten im desbetreffenden Sprachgebrauch und Ihrem eigenen Niederländisch? Warum (nicht)? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen In Wat gebeurt er in het Nederlands (Van der Sijs, Fonteyn & Van der Meulen 2021) wer‐ den viele verschiedene Aspekte zu Sprachwandel und Sprachvariation vorgestellt. Eine gut lesbare Einführung in die Variationslinguistik mit dem Schwerpunkt auf Flandern ist das Buch De vele gezichten van het Nederlands in Vlaanderen, herausgegeben von De Sutter (2017). Sehr zugänglich sind zudem der Atlas van de Nederlandse taal - Editie Nederland und der Atlas van de Nederlandse taal - Editie Vlaanderen von Jansen et al. bzw. Van der Gucht et al. (2017). Ein umfangreiches Handbuch zur Variationslinguistik des Niederländischen, herausgegeben von Frans Hinskens und Johan Taeldeman, ist 2013 in der Reihe Language and Space erschienen. In der wissenschaftlichen Zeitschrift Taal & Tongval, die sich der Sprachvariation widmet, finden sich zahlreiche qualitativ hochwertige Artikel. Die traditionelle niederländische Dialektvariation ist in verschiedenen Dialektatlanten ausführlich beschrieben, wie in Reeks Nederlandse Dialectatlassen (Blancquaert & Pée 1925-1982) und Fonologische/ Morfologische und Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (FAND bzw. MAND bzw. SAND). Bekannte Einführungen in die Dialektologie sind u. a. Weijnen (1966) Nederlandse Dialectkunde und Goossens (1977) Inleiding tot de Nederlandse dialectologie. Klassische soziolinguistische Studien sind z. B. die Dissertationen von Van de Velde (1996) Variatie en verandering in het gesproken Standaard-Nederlands und von Van Hout (1989) De structuur van taalvariatie. Das Œuvre von Jan Stroop gilt als Standardreferenz in Bezug auf das Poldernederlands (u. a. Stroop 2010). Zum Verkavelingsvlaams gibt es z. B. einen Sammelband von Absilis, Jaspers & Van Hoof (2012) und eine gründliche, quantitative Studie von Ghyselen (2016). 260 9 Variation in Sprache 10 Sprache in Bewegung Ingeborg Harmes Thes naghtes an minemo beddo uortheroda ich minen wino; ich uortheroda hine ande neuand sin niet. (Oudnederlands) Een welken die mine ziele mint socht ic des nachts in mijn bedde. Ic sochte hem: ende ic en vants niet. (Middelnederlands) ’s Nachts in mijn slaap zoek ik mijn lief. Ik zoek hem, maar ik vind hem niet. (Hedendaags Nederlands) Hooglied (3: 1) Sprachen verändern sich kontinuierlich. Das ist deutlich zu erkennen, wenn man das Niederländische von heute mit seinen älteren Sprachstadien vergleicht. Das Beispiel aus dem Hooglied (3: 1) zeigt, dass das moderne Niederländisch sich erheblich vom Alt- und Mittelniederländischen unterscheidet. Auch heutzutage verändert sich das Niederländische allmählich, was wir aber oft gar nicht so (bewusst) wahrnehmen. So kann z. B. der Gebrauch von hun als Subjekt im nichtstandardsprachlichen hun hebben het gedaan auf eine Veränderung im pronominalen System des Niederländischen hinweisen. Auch kommen neue Wörter (whatsappen) dazu, während andere wie ijdeldarm (Vielfraß) wieder aus dem Sprachgebrauch verschwinden. Veränderungen in einer Sprache fallen aber vor allem dann auf, wenn sie die Regeln der Standardsprache und das Idealbild einer Sprache verletzen. Der Prozess, bei dem sich Sprache innerhalb eines bestimmten Zeitraums verän‐ dert, nennt man Sprachwandel (taalverandering). Sprachwandel ist Teil der Sprachgeschichte, die man aus zwei Perspektiven betrachten kann: Die innere Sprachgeschichte (interne taalgeschiedenis) beschäftigt sich mit den Veränderungen innerhalb einer Sprache, wie z. B. Lautveränderungen, grammatischen und lexikalischen Veränderungen. Die äußere Sprachgeschichte (externe taalgeschie‐ denis), die die innere Sprachgeschichte beeinflusst, beschäftigt sich mit dem Kontext, in dem diese Veränderungen stattfinden. Dazu gehören politische und gesellschaftliche Veränderungen, das Verhältnis Niederlande - Flandern, die allmähliche Ausbildung der Standardsprache, die Position des Niederländischen hinsichtlich anderer Kultur‐ sprachen wie Latein und Französisch und die vorhandenen Quellen, in denen man Sprachwandel beobachten kann. Mit der äußeren Sprachgeschichte befasst sich Kapitel 2, in diesem Kapitel gehen wir auf die innere Sprachgeschichte und den eigentlichen Prozess des Sprachwandels ein. Da die innere Sprachgeschichte des Niederländischen äußerst reich und komplex ist, werden in diesem Kapitel nur einzelne Veränderungen exemplarisch behandelt. 10.1 Der Prozess des Sprachwandels Wenn wir uns die Beispiele aus dem Hooglied (3: 1) anschauen, fallen sofort einige Unterschiede zwischen den drei Sprachstadien auf, wie z. B. in der Rechtschreibung (ich - ic - ik und mine - mijn), der Konjugation (vand statt vond), der Deklination (minemo - mine - mijn), der Grammatik (eine zweigliedrige Verneinung en … niet in ic en vants niet statt ik vond het niet) oder in Wörtern, die heute etwas anderes bedeuten als damals (fortheron ‚fordern‘ für zoeken ‚suchen‘). Obwohl die Rechtschrei‐ bung genau genommen zum Bereich der äußeren Sprachgeschichte gehört, können Rechtschreibunterschiede auf Lautunterschiede weisen, wie z. B. das [i] in minen und das [ɛi] in mijn. Diese Beispiele zeigen, dass Sprachwandel auf allen Ebenen stattfindet, von der Phonologie über die Morphologie und Syntax bis hin zur Lexikologie und Semantik. Veränderungen auf der einen Sprachebene können Folgen haben für die anderen Sprachebenen. Der Verlust des Kasussystems im Niederländischen, ein mor‐ phologischer Prozess, hat z. B. zu Veränderungen in der Syntax geführt: Die Regeln für die Wortstellung sind strikter geworden, wie in hij ziet mij statt mij ziet hij. Sprachwandel hat mehrere Eigenschaften, so ist er erstens zeitlich und räumlich begrenzt. Die Lautveränderung / ol/ und / al/ > / ou/ vor einem dentalen Plosiv im Alt‐ niederländischen, wie gold > goud, wald > woud und malz > mout hat nur in der Periode von etwa 800-1100 stattgefunden. Bei Wörtern, die später in den niederländischen Wortschatz übernommen wurden, ist diese Lautveränderung nicht eingetreten. Das Wort folter, das erst im Mittelniederländischen aus dem Deutschen entlehnt wurde, hat sich z. B. nicht zu fouter entwickelt. Auch die räumliche Begrenzung lässt sich gut an diesem Beispiel erklären, denn diese Lautveränderung hat nur im altniederländischen Sprachraum stattgefunden, weshalb die Wörter goud und mout im Deutschen und Englischen bis heute Gold und Malz respektive gold und malt heißen. Zweitens ist Sprachwandel ein allmählicher Prozess: Veränderungen in der Sprache finden eben nicht über Nacht, sondern über eine längere Periode statt, die sogar mehrere Jahrhunderte dauern kann. Auch in geografischer Hinsicht ist dieser Pro‐ zess allmählich. Ein Beispiel dafür ist die 2. Lautverschiebung: Im Rheinland ist die Verschiebung von / p, t, k/ zu / pf, ts, χ/ nicht einheitlich durchgeführt: Im Süden ist sowohl p (appel - apfel) als auch t (dat - das) und k (maken - machen) verschoben, im zentralen Gebiet hauptsächlich k und t und im Norden nur das k, die Laute p und t dagegen nicht. Mit anderen Worten: Von Süden nach Norden nehmen die 262 10 Sprache in Bewegung Lautverschiebungen nach und nach ab. Die Grenzlinien zwischen diesen Gebieten, die Isoglossen (isoglossen), laufen alle am Rhein zusammen und bilden einen Fächer, den Rheinischen Fächer (Rijnlandse waaier). Lautveränderungen verbreiten sich nicht nur in geografischer Hinsicht, sondern können sich ebenfalls von Wort zu Wort verbreiten, man nennt diese Erscheinung lexikalische Diffusion (lexicale diffusie) (vgl. Kap. 9.3). Die Lautveränderungen verbreiten sich dann schrittweise durch den Wortschatz. Im Gebiet des Rheinischen Fächers findet man z. B. das Wort Pferd mit einem anlautenden / p/ nicht nur in den nördlichen Varietäten, sondern auch in einigen eher südlichen Varietäten, wo eigentlich die Wortform Pferd zu erwarten ist. Ein weiteres Beispiel für die Allmählichkeit von Sprachwandel ist die etwa 400 Jahre später entstandene Uerdinger Linie oder ik-ich-Linie, die zum Teil auch durch die limburgischen Provinzen in Belgien und den Niederlanden führt (Abb. 10.1). Abb. 10.1: Die ik-ich-Linie (https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Ik-ich-Isogloss_-_Uerdin‐ ger_Lien.svg) 10.1 Der Prozess des Sprachwandels 263 Abbildung 10.1 zeigt die Grenzlinie für die Verschiebung k/ ch im Wort ik/ ich. In den Varietäten, die südlich der Grenzlinie gesprochen werden, hat die Verschiebung stattgefunden, in denen nördlich der Grenzlinie nicht. Bemerkenswert ist, dass diese Verschiebung nur für ik/ ich und ook/ ouch gilt. In limburgischen Karnavalsliedern ist die verschobene Form ich besonders gut zu erkennen, wie z. B. im folgenden Satz von Ben Erkens: Ich dènk dat ich hiej zeker effe hange blief (ik denk dat ik hier zeker even blijf hangen). Die unvollständige Verbreitung der 2. Lautverschiebung im nördlichen Abschnitt des Rheinischen Fächers zeigt drittens, dass Sprachwandel ein unvollständiger Prozess ist. Auch morphologisch gibt es Veränderungen, die (noch) nicht vollständig durchge‐ führt sind, wie z. B. bei der Pluralbildung. Das Niederländische hat zwei produktive Morpheme, um einen Plural zu bilden: -en (doek - doeken) und -s (tijger - tijgers). Wir können seit längerer Zeit beobachten, dass Wörter, die den Plural mit einem -s bilden, zunehmen. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war bei Wörtern, die auf Schwa enden, nur ein Plural mit -n möglich, wie z. B. gemeente - gemeenten, hoogte - hoogten, weduwe - weduwen (Witwe) und bediende - bedienden. Heute sind beide Formen möglich und akzeptiert: gemeenten - gemeentes, hoogten - hoogtes, weduwen - weduwes und bedienden - bediendes. Im Englischen hat sich die Veränderung von zwei produktiven Pluralmorphemen zu einem vollzogen: Das moderne Englische hat, abgesehen von einigen Ausnahmen, seit etwa dem 14. Jahrhundert nur noch eine Pluralform auf -s (mit phonologisch motivierter Allomorphie). In früheren Stadien (im Altenglischen ca. 900-1066) konnte der Plural noch mit -s und -en gebildet werden. Diese Beispiele zeigen zugleich, dass Sprachwandel ein nicht vorhersehbarer Prozess ist. Das liegt nicht nur daran, dass mehrere Faktoren im Laufe einer Veränderung eine Rolle spielen können, wie z. B. die Normierung im Standardisierungsprozess (vgl. Kap. 2), sondern auch weil es viele mögliche Ursachen für Sprachwandel gibt. 10.1.1 Ursachen für Sprachwandel Sprache verändert sich nicht einfach so. Immer sind mehrere Ursachen und ineinan‐ dergreifende Prinzipien dafür verantwortlich, wenn ein Teil einer Sprache sich neu organisiert. Eine Spracherneuerung beginnt meist mit individuellen Sprecher: innen, die z. B. ein neues Wort wie whatsappen einführen oder einen Plural mit -s bilden und vogels statt vogelen sagen, und damit, dass diese Neuerung von der Sprachgemeinschaft in der direkten Umgebung übernommen wird. Die neuen Formen verbreiten sich dann weiter in andere Gebiete und es entsteht Variation (variatie): Sowohl vogels als auch vogelen kommt als Pluralform vor. Erst wenn die Sprachgemeinschaft die Erneuerung übernommen hat, können wir eigentlich von Sprachwandel sprechen. Die Periode zwischen der Einführung einer Neuerung und deren Akzeptanz kann eine sehr lange sein und sogar mehrere Jahrhunderte dauern. Im Groene Boekje stehen z. B. immer noch die beiden Pluralformen vogelen und vogels nebeneinander. Ob Sprache sich verändert 264 10 Sprache in Bewegung 68 Für die korrekte Rechtschreibung der Partizipformen ist allerdings die ich-Form notwendig (vgl. dazu Kap. 5.5.1). oder nicht, liegt deshalb vor allem an gesellschaftlichen Faktoren. Dennoch gibt es mehrere Prinzipien, die zu Sprachwandel führen. Ein Prinzip liegt in der Sprache selbst, die Veränderungen in eine bestimmte Richtung vorgibt. Dieses Phänomen nennt der amerikanischen Sprachwissenschaftler Edward Sapir (1884-1939) Drift (drift): [L]anguage is not merely something that is spread out in space, as it were - a series of reflections in individual minds of one and the same timeless picture. Language moves down time in a current of its own making. It has a drift. (Sapir 1921: 127) The drift of a language is constituted by the unconscious selection on the part of its speakers of those individual variations that are cumulative in some special direction. (Sapir 1921: 155) Die Idee dahinter ist, dass sich Sprache aus sich selbst heraus in eine bestimmte Richtung wandelt und dass Sprechende diese Veränderungen unbemerkt übernehmen. Das Niederländische z. B. hat im Laufe der Jahrhunderte seine morphologische Kasus‐ markierung verloren (vgl. Flexionsverlust Kap. 2.2.2). Als Reaktion auf diesen Flexi‐ onsverlust sind neue Mechanismen entstanden, die die nun fehlenden Informationen ersetzt haben, wie z. B. festere Satzmuster und Konstruktionen mit Präpositionen, wie des esels name zu de naam van de ezel. Eine Motivation für Sprachwandel ist das ökonomische Prinzip (economisch prin‐ cipe) der Sprachbenutzer: innen, die sich so schnell und einfach wie möglich ausdrücken wollen. In der Aussprache ist das besonders gut bei den phonologischen Prozessen (vgl. Kap. 5.5) zu sehen, wie z. B. bei Assimilation (onpraktisch wird [ɔm'prɑ ktis]) oder dem Wegfall von -n am Wortende (lopen wird ['lopə]). Auch in der Grammatik wirkt das ökonomische Prinzip, wie z. B. im Englischen und Afrikaans. Sie bilden das Perfekt ausschließlich mit dem Hilfsverb have bzw. het: I have been very ill - ek het baie siek gewees (ik ben erg ziek geweest). Dem ökonomischen Prinzip steht das Prinzip der Deutlichkeit (helderheid) gegenüber; Sprecher: innen möchten sich so klar wie möglich ausdrücken. Der Verlust der Genitivendung hat z. B. zu einer Umschreibung mit der Präposition van geführt, damit der Besitzer eindeutig angezeigt werden kann (van de koning, van het kind, van de ezel usw.). Eine oft vorkommende Ursache für Sprachwandel ist Analogie (analogie): Eine sprachliche Form verändert sich durch die Ähnlichkeit mit anderen sprachlichen For‐ men. Ein Beispiel dafür ist die Bildung der Vergangenheitsformen. Das Niederländische kennt - außer den unregelmäßigen Verben - zwei Kategorien von Verben: schwache und starke Verben. Schwache Verben bilden das Präteritum mit der Endung -de(n) oder -te(n) wie wandelde(n) oder werkte(n), und das Partizip Perfekt mit ge- + Stamm 68 + -d oder -t wie gewandeld und gewerkt. Starke Verben bilden das Präteritum mit einem Ablaut, d. h. mit einem Vokalwechsel im Stamm wie lopen/ liep oder vinden/ vond, und das Partizip Perfekt mit ge- + Stamm + -en wie gelopen und gevonden. Es gibt ein paar 10.1 Der Prozess des Sprachwandels 265 69 Gemeint ist hier das Verb mit der Bedeutung ‚mit Wasser saubermachen‘. 70 Das Beispiel stammt aus Weiland’s Nederduitsche spraakkunst (1805: 56). Verben, die heutzutage teilweise nach dem Muster der schwachen Verben konjugiert werden, obwohl sie früher eine starke Beugung hatten (Tab. 10.1). lachen loech gelachen > lachte gelachen wassen 69 wies gewassen > waste gewassen stoten stiet gestoten > stootte/ stiet gestoten ervaren ervoer ervaren > ervoer/ ervaarde ervaren Tab. 10.1: Analogieprozesse bei starken Verben An der Endung des Partizips Perfekt können wir noch erkennen, dass diese Verben einst eine starke Präteritumform hatten. Der umgekehrte Prozess kommt auch vor - ist aber eher selten -, wie bei zeiken (pissen, meckern) und vragen: Neben den ursprünglich schwachen Verbformen zeikte/ gezeikt bzw. vraagde/ gevraagd, kommen heutzutage auch die starken Formen zeek/ gezeken bzw. vroeg/ (gevraagd) vor. Auch in diesem Prozess handelt es sich um Analogie, allerdings nicht nach dem häufig vorkommenden Muster der schwachen Verben, sondern nach bestimmten Ablautreihen. Eine weitere Ursache für Sprachwandel kann Erstspracherwerb (eerstetaalverwer‐ ving) sein: Der Grundgedanke ist, dass Kinder Sprache lernen aufgrund des Inputs der Eltern (und anderer Personen in ihrer Umgebung), wobei sie sich die Kombina‐ tionsmöglichkeiten der Sprache zu eigen machen. Ein klassisches Beispiel sind die starken Verben, die anfangs von Kindern oft schwach gebeugt werden (hij eette het niet op). Normalerweise werden diese ‚Fehler‘ von der Umgebung korrigiert (hij at het niet op) und lernen Kinder die richtigen Formen und Konstruktionen. Passiert das jedoch nicht, kann eine Sprachneuerung entstehen. Solche Prozesse können zu Reinterpretation oder Reanalyse (herinterpretatie) führen: Die Grammatikregeln werden sozusagen ‚neu kreiert‘. Ein anderes Beispiel für Reinterpretation findet man in der Pluralbildung. Kinder und eier waren ursprünglich die Pluralformen von kind und ei, sie wurden aber irgendwann nicht mehr als Pluralform empfunden. Deshalb wurde eine weitere Pluralendung hinzugefügt, nämlich -en: Aus kinder und eier wurde kinderen und eieren. Auch hier spielt Analogie eine Rolle. Dieser Prozess hat ebenfalls bei den Wörtern, die auf Schwa enden, stattgefunden, wodurch fehlerhafte Pluralformen in Wörtern wie begeertens oder behoeftens 70 (Bedürfnisse) vorkamen. Solche doppelten Pluralformen finden wir heute immer noch, z. B. in damens en heren oder centra’s und musea’s, die jedoch als inkorrekt bewertet werden. Aufgrund ähnlicher Prinzipien kann Zweitspracherwerb (tweedetaalverwerving), das Erlernen einer Fremdsprache, eine Ursache für Sprachwandel sein. So haben Immigrant: innen (wie übrigens auch niederländischsprachige Kinder) z. B. Schwierigkeiten mit dem Erwerb des bestimmten 266 10 Sprache in Bewegung Artikels het, sie sagen dann beispielsweise de paard und de meisje. Es wäre deshalb nicht undenkbar, dass der Zweitspracherwerb eine Ursache sein könnte für den beobachteten Rückgang von het-Wörtern im Niederländischen, die ohnehin seltener vorkommen als de-Wörter. Eine weitere Ursache für Sprachwandel ist Sprachkontakt (taalcontact). Beim Zweitspracherwerb oder wenn zwei Sprachen in einem Gebiet verwendet werden, besteht eine Situation von Mehrsprachigkeit (meertaligheid). Die Sprachen können sich dabei gegenseitig beeinflussen oder eine Sprache wird zugunsten der anderen aufgegeben. Ein Beispiel ist das Niederländische in den USA: Um 1850 zogen einige Gruppen niederländischer Protestant: innen nach Michigan und Iowa, weil sie durch religiöse und politische Veränderungen ihren Glauben nicht mehr ausüben konnten. Das Niederländische hat sich in diesen Gegenden relativ lange behauptet. Ein Beispiel für dieses amerikanische Niederländisch ist folgender Textabschnitt: Mijn wijf en ik zijn lest Toesdee vijf-en-twintig jaar gemerried geweest, en daar hebben wij ’n nais sellebreesje van gehad. De wiek bevoor had ik ’n ed in De Groundwet, daar zal ik hier ’n koppie van af laten printen. Mijn vrouw en ik zijn vorige dinsdag vijfentwintig jaar getrouwd geweest en daar hebben we een gezellig feestje van gehad. De week daarvoor had ik een advertentie in de Groundwet, daar zal ik hier een afschrift van laten drukken. Dirk Nieland, ’n Fonnie Bisnis (1929) Der Einfluss des Englischen ist vor allem im Wortschatz (Toesdee - Tuesday, sellebreesje - celebration, gemerried - married) deutlich zu erkennen. Das Niederländische in den USA wurde erst in den Schulen, danach in der Kirche und Presse und schließlich auch im familiären Bereich aufgegeben. Heutzutage ist es so gut wie verschwunden und sind nur noch Ortsnamen wie Zwolle und Westerlo erhalten. Eine letzte Ursache für Sprachwandel sind gesellschaftliche Veränderungen (maatschappelijke veranderingen) wie z. B. neue Gegenstände, neues Wissen und veränderte soziale Verhältnisse. Sie sind u. a. ein wichtiger Grund für das Entstehen und Verschwinden von Wörtern. Das Wort anderhalvemetersamenleving (Anderthalb- Meter-Gesellschaft) kam erst 2020 durch die Coronapandemie in Gebrauch, während das Wort astmasigaret in der heutigen Zeit kaum noch geläufig ist. Bei den sozialen Verhältnissen spielt das Prestige (prestige) eine wichtige Rolle: Sprachvarianten, die von angesehenen Sprecher: innen mit Prestige verwendet werden, haben bessere Chancen sich durchzusetzen (vgl. Kap. 9.4.2). Diese Ursachen und Prinzipien können auch dazu führen, dass eine Sprache irgend‐ wann nicht mehr gesprochen wird. Wenn eine Sprache keine Muttersprachler: innen mehr hat, spricht man von Sprachtod (taaldood). Das ostgermanische Gotische z. B. hat sich durch die Völkerwanderung in Mittel- und Südeuropa verbreitet, wo 10.1 Der Prozess des Sprachwandels 267 auch mehrere andere Sprachen gesprochen wurden. Irgendwann wurde das Gotische zugunsten dieser anderen Sprachen aufgegeben und heute sind nur noch Orts- und Personennamen sowie Lehnwörter aus dem Gotischen übriggeblieben. Wenn mehrere Sprachen in einem Gebiet aufeinandertreffen, können nicht nur bestehende Sprachen aussterben, sondern auch neue entstehen. In der niederländi‐ schen Kolonialzeit gab es häufiger Situationen, in denen Sprecher: innen miteinander kommunizieren wollten, aber keine gemeinsame Sprache hatten. Auf Plantagen z. B. verständigten sich Versklavte mit unterschiedlichen Muttersprachen auf einfache Weise, indem sie mithilfe eines Mischsystems aus einem beschränkten Wortschatz - meist aus der Kolonialsprache - und einer sehr einfachen Grammatik kommunizierten. Solche Kontaktsprachen (vgl. dazu auch die Kontaktvarietäten in Kap. 9.3) nennt man Pidginsprachen (pidgins). Sie existieren in der Regel nur, solange sie benötigt werden, und haben keine Muttersprachler: innen. Wird eine Pidginsprache an die nachfolgende Generation weitergegeben und von Kindern als Muttersprache erlernt, entwickelt sich aus diesem Mischsystem eine Kreolsprache (creooltaal). Eine Kreolsprache funktioniert wie eine vollständige Sprache, hat aber im Vergleich zu den etablierten Standardsprachen weniger Prestige. Ein Beispiel für eine Kreolsprache, die auf dem niederländischen Wortschatz basiert, ist das Petjo, das in Indonesien gesprochen wurde (vgl. Kap. 1.1.3). Die Kreolsprache Sranantongo, die in Suriname gesprochen wird, basiert auf dem Englischen, und das Papiamento, das auf den niederländischen Inseln Aruba, Curaçao und Bonaire gesprochen wird, auf dem Spanischen und Portu‐ giesischen. In beiden Sprachen sind zudem deutliche Spuren der niederländischen Sprache zu finden (vgl. Kap.-1.1.3). 10.1.2 Sprachwandel oder Sprachverfall? Sprachliche Variation ist eine Voraussetzung für Sprachwandel, indem alte und neue Formen nebeneinander vorkommen. Es ist allerdings keine Sebstverständlichkeit, dass Variation in einer Sprache auf objektive Weise beurteilt wird. Normative und ästhetische Urteile über Sprache sind für die meisten Sprecher: innen ein wichtiger Gradmesser, denn sie möchten gerne wissen, ob eine bestimmte Form akzeptabel ist oder nicht. Neue Sprachformen, die in einer Sprache noch nicht allgemein akzeptiert sind, werden deshalb oft abweisend beurteilt und als Sprachverfall (taalverloedering) interpretiert. Bekannte Beispiele sind der Gebrauch des Vergleichsworts als nach einem Komparativ (hij is groter als mij) und der Gebrauch von hun als Subjekt (hun hebben het gedaan). Für Sprachwissenschaftler: innen, die Sprache so beschreiben wollen, wie sie in der Wirklichkeit ist, existiert Sprachverfall nicht. 268 10 Sprache in Bewegung 10.2 Wie untersucht man Sprachwandel? Um Sprachwandel untersuchen zu können, brauchen wir sprachliche Daten, und die gehen für das Niederländische - abgesehen von einigen kleineren Texten und Textfragmenten - nicht weiter zurück als bis etwa ins 10. Jahrhundert. Bei den historischen Daten handelt es sich vorwiegend um schriftliche Quellen, Tonaufnahmen existieren schließlich noch nicht so lange. Die Geschichte einer Sprache ist deshalb vor allem eine Geschichte der geschriebenen Sprache. Dennoch ist viel über die Geschichte der niederländischen Sprache bekannt, und auf Grund der vorhandenen Quellen sind historische Wörterbücher und Grammatiken verfasst worden, in denen die interne Geschichte des Niederländischen ausführlich beschrieben ist. Zudem sind historische Quellen zunehmend digital verfügbar, sodass die Möglichkeiten, Sprache historisch untersuchen zu können, stets besser werden. So bietet das Instituut voor de Nederlandse Taal u. a. das Corpus Gysseling mit Texten aus dem 13. Jahrhundert und das Korpus Brieven als Buit mit Briefen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Die nationale Bibliothek KB stellt die Datenbank Delpher, mit u. a. im Volltext digitalisierten historischen niederländischen Zeitungen und Zeitschriften, zur Verfügung. Die Geschichte der Sprache stand lange Zeit im Mittelpunkt der Sprachwissen‐ schaft. Im 19.-Jahrhundert gab es eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern in Leipzig, die Junggrammatiker (Neogrammatici), die Sprache nach einer wissenschaftlichen Systematik beschreiben wollten und die Geschichte der Sprache als die wichtigste Betrachtungsweise voraussetzten (vgl. Kap. 2). Ein wichtiger Bestandteil dieser histo‐ risch-vergleichenden Methode (comparatieve methode) ist die Rekonstruktion der Ursprache (prototaal) anhand von Wörtern, die einen gemeinsamen Ursprung haben und dadurch eine lautliche Ähnlichkeit aufweisen. Diese Wörter heißen Kognaten (cognaten) (Tab. 10.2). Sanskrit Griechisch Latein Franzö‐ sisch Englisch Deutsch Niederländisch pitar patēr pater père father Vater vader dva duo duo deux two zwei twee Tab. 10.2: Kognaten der indoeuropäischen Sprachfamilie Die Sprachwissenschaft sollte für die Junggrammatiker eine Gesetzeswissenschaft - wie die Physik - sein, weshalb sie Lautverschiebungen als Lautgesetze (klankwetten) darstellten und zunächst die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze postulierten. Weil Ausnahmen nicht immer als systematisches Gesetz erklärt werden konnten, wurde als Ergänzung zum Lautgesetz das Prinzip der Analogie eingeführt. Die Junggrammatiker haben mit ihren methodischen Ansätzen einen großen Beitrag zur Erforschung der Sprachgeschichte geleistet. 10.2 Wie untersucht man Sprachwandel? 269 Sprache und Sprachwandel kann man auf zwei Ebenen betrachten: einerseits den Zustand zu einem bestimmten, zeitlich festgelegten Moment, d. h. synchron (synchroon), andererseits die Entwicklung über zwei oder mehrere Zeitebenen hinweg, d. h. diachron (diachroon). So können wir beispielsweise das Kasussystem im Mittelniederländischen und im modernen Niederländischen unabhängig voneinander untersuchen, wir haben dann jeweils eine synchrone Studie. Wenn wir die Entwicklung im Kasussystem zwischen den beiden Zeitebenen untersuchen, handelt es sich um eine diachrone Studie. Die Zweiteilung oder Dichotomie (dichotomie) der Synchronie und Diachronie geht auf den Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857-1913) zurück, der diese Herangehensweise in seinem 1916 postum erschienen Cours de linguistique générale eingeführt hat. Die Synchronie (synchronie) betrachtet Sprache zu einem gewissen Zeitpunkt, die Diachronie (diachronie) betrachtet die Entwicklung der Sprache im Laufe der Zeit. - Real time vs. apparent time Es gibt zwei Methoden, um Sprachwandel zu untersuchen, nämlich mit einem Vergleich in real time oder in apparent time. Bei der Real-Time-Methode (real-time methode) werden vorhandene Quellen miteinander verglichen, so können wir z. B. Zeitungstexte aus dem 19. Jahrhundert mit solchen aus dem 20. Jahrhundert vergleichen oder früher gesammelte Dialektdaten mit aktuellen Dialektaufnahmen. Der Vorteil dieser Vorgehens‐ weise ist, dass man Sprachwandel über einen längeren Zeitraum untersuchen kann. Ganz unproblematisch ist diese Methode allerdings nicht, da man von den überlieferten Daten abhängig ist. Das bedeutet u. a., dass man sich hauptsächlich auf geschriebene Sprache beschränken muss, weil es wenige Tonaufnahmen aus der Zeit vor 1950 gibt. Ein anderer Punkt ist die Frage der Repräsentativität. Idealerweise sollte man aus dem Sprachmaterial Generalisierungen, das heißt Verallgemeinerungen, ableiten können. Vergleichbare Sprachdaten über verschiedenen Sprachstufen sind allerdings nicht immer verfügbar, um ein ausgewogenes oder repräsentatives Korpus zusammenzustellen. Um jüngere Entwicklungen zu untersuchen, ist die Apparent-Time-Methode (apparent-time methode) eine Alternative (vgl. Kap. 9.4.2). Ausgangspunkt dieser Vorgehensweise ist die Annahme, dass der Sprachgebrauch eines Menschen sich ab einem bestimmten Alter (ab etwa 20 Jahren) kaum noch verändert. Eine 60 Jahre alte Person hat demzufolge einen 40 Jahre älteren Sprachstand als eine 20-Jährige. Durch den Vergleich können Erkenntnisse über neuere Veränderungen gewonnen werden. Der Vorteil dieser Methode ist, dass die Daten auf allen Ebenen vergleichbar sind, die Repräsentativität ist daher sehr hoch. Die Apparent-Time-Methode hat aber auch Nachteile: Erstens können nur neuere Veränderungen untersucht werden und zweitens 270 10 Sprache in Bewegung kann sich der Sprachgebrauch mit zunehmendem Alter noch ändern. Man spricht dann von age grading. Über age grading und seinen Einfluss auf den Sprachgebrauch ist jedoch noch nicht viel bekannt. 10.3 Lexikalischer Wandel Die auffälligste Veränderung in einer Sprache ist die Veränderung des Wortschatzes: Es kommen neue Wörter hinzu und andere Wörter verschwinden. Dies wird in Wörterbüchern, wie z. B. dem Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT) dokumen‐ tiert (vgl. Kap. 3). Der wichtigste Grund für das Verschwinden von Wörtern ist, dass bestimmte Gegenstände oder Konzepte nicht mehr zu unserem Alltagsleben gehören. Gegenstände wie een griffel en een lei (Griffel und Schiefertafel), ein trekschuit (Treckschute, Abb. 10.2), Berufe wie der lijfbediende (Leibdiener) oder Konzepte wie terugspoelen (zurückspulen) sind durchaus noch bekannt, die Wörter werden allerdings kaum mehr gebraucht, da die dazugehörigen Gegenstände, Handlungen oder Berufe in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr verwendet werden. Solche altmodischen oder veralteten Wörter heißen Archaismen (archaïsmen). Abb. 10.2: Treckschute (C.C. Fuchs, um 1810) 10.3 Lexikalischer Wandel 271 Ein anderer Grund für das Verschwinden eines Wortes kann das Auftreten eines alternativen Wortes für das gleiche Konzept sein, so nennt man heutzutage einen krankzinnigenarts (Geisteskrankenarzt) lieber psychiater, eine werkster (Putzfrau) in‐ terieurverzorgster (Raumpflegerin) oder schoonmaakster (Reinigungskraft) und einen patiënt (Patient: in) oft cliënt (Kund: in). Veränderungen in der Gesellschaft, wie neue Gegenstände, veränderte Normen und Werte und neues Wissen, sind der wichtigste Grund für das Entstehen und Verschwinden von Wörtern. Neue Wörter können in einer Sprache dazukommen, weil sie neu gebildet werden: Neologismen (neologismen) werden aus schon vorhandenen Wörtern zusammenge‐ setzt. Mit den produktiven Wortbildungsprozessen Komposition und Derivation (vgl. Kap. 4.2) können wir nach Bedarf neue Wörter bilden, wie z. B. comazuipen, ecokleding, Koningsdag, gezondheidscoach sowie televisie, bromfietser, voordeurdeler (wörtl. ‚Haustürteiler‘, eine Person, die mit einer anderen Person zusammenlebt und einen gemeinsamen Haushalt führt) und dotteren (Verfahren um blockierte Stellen in Blutgefäßen zu behandeln). Durch Blending werden ebenfalls neue Wörter gebildet, wie z. B. frappuccino (frappé + cappuccino) oder alcomobolist (alcohol + automobilist), und Akronyme können neu gebildet werden, wie BSN (burgerservicenummer) und LOL (laughing out loud). Ein anderer produktiver Prozess ist die Lexikalisierung (lexicalisering) einer Wortgruppe, die dadurch eine eigene Bedeutung bekommt, wie z. B. dunne darm und dikke darm, gouden gids und groene golf. Bemerkenswert ist, dass die ersten zwei Beispiele auf Deutsch Komposita sind (Dünndarm und Dickdarm), während die letzten zwei ebenfalls mit einer Wortgruppe bezeichnet werden (die gelben Seiten und grüne Welle). Diese Beispiele zeigen zugleich, dass man Komposition und Lexikalisierung nicht immer klar voneinander abgrenzen kann. Neologismen haben eine deutliche Funktion in der Sprache: Sie haben eine direkte Beziehung zum Alltagsleben und füllen Lücken im Wortschatz, wie z. B. Wörter für neue Berufe (gezondheidscoach) oder neue Konzepte (comazuipen). Nicht alle Neologismen haben ‚gute Überlebenschancen‘, viele sind nur Modewörter, die relativ schnell wieder in Vergessenheit geraten, weil sie einfach nicht mehr benutzt werden. Die Neologismen, die weiterhin Bestand haben, werden irgendwann in ein Wörterbuch aufgenommen. Neue Wörter können auch durch Entlehnung aus einer anderen Sprache hinzukom‐ men: Diese Wörter heißen Lehnwörter (leenwoorden). Entlehnung findet statt bei Sprachkontakt zwischen Sprecher: innen unterschiedlicher Sprachen, das kann z. B. durch die geografische Nähe sein, wie bei Französisch und Deutsch, durch Kultur- oder Handelskontakte und heutzutage vor allem durch die modernen Medien. Das Niederländische hat in seiner Geschichte aus vielen Sprachen Wörter entlehnt. Sehr frühe Entlehnungen aus dem 10. Jahrhundert oder noch davor sind z. B. kerk (Grie‐ chisch), poort (Lateinisch) und ambacht (Keltisch). Tabelle 10.3 zeigt einige Beispiele der Gebersprachen, aus denen das Niederländische Wörter entlehnt hat. Die Jahreszahlen beziehen sich auf niederländische Quellen, in denen die Lehnwörter zum ersten Mal angetroffen wurden (Van der Sijs 2001). 272 10 Sprache in Bewegung Wenn ein neues Wort entlehnt wird, tritt es normalerweise zunächst bei einer kleinen Gruppe von Sprecher: innen auf (unter Jugendlichen, Fachkolleg: innen o. ä.), bevor das Wort eventuell von der Gesellschaft übernommen wird. Wörter, die eine Lücke im Wortschatz füllen, wie einst cacao, suiker oder fingerspitzengefühl, werden im Allgemeinen ohne Probleme in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen. Wenn ein neues Wort entlehnt wird, behält es zunächst seine ursprüngliche Schreibweise und Aussprache. Wenn es sich durchsetzt, wird es irgendwann in Wörterbücher aufgenommen. Pizzeria, macho und voicemail haben zwar noch immer ursprüngliche Merkmale der Aussprache und Schreibweise, sie stehen aber in den niederländischen Wörterbüchern. Die Aufnahme in Wörterbücher ist ein wichtiges Indiz dafür, dass ein Lehnwort in den niederländischen Wortschatz aufgenommen wurde. Andere Indizien sind die Anpassungen des Wortes an das Niederländische in Bezug auf die Rechtschrei‐ bung (fanatiek aus fanatique), Aussprache (turnen mit niederländischer Aussprache) oder Morphologie: in der Flexion (loempia - loempia’s, whatsappen - gewhatsappt) oder in den niederländischen Wortbildungsprozessen (yoghurtje, banaanachtig, sojamelk, trainingsbroek). Sprache Frühe Entlehnung Späte Entlehnung Friesisch eiland (1240) sjoelbak (1912) Afrikaans aardvarken (1779) apartheid (1961) Indonesisch mango (1596) loempia (1954) Französisch fanatiek (1796) generalist (1984) Italienisch risico (1525) pizzeria (1984) Spanisch ansjovis (1518) macho (1976) Portugiesisch banaan (1596) gamba (1984) Deutsch turnen (1856) kek (1974) Jiddisch goochem (1800) keppeltje (1950) Englisch trainen (1572) voicemail (1996) Arabisch imam (1626) halal (1989) Hebräisch halleluja (1561) sjwa (1929) Türkisch kaviaar (1481) yoghurt (1912) Japanisch soja (1670) tsunami (1992) Chinesisch bami (1897) wok (1984) Tab. 10.3: Lehnwörter im Niederländischen 10.3 Lexikalischer Wandel 273 Bei weitem nicht alle Fremdwörter werden dauerhaft in eine Sprache übernommen. Faktoren wie das Prestige der Sprecher: innen, die das Lehnwort einführen, und die Häufigkeit der Benutzung spielen eine wichtige Rolle. Außerdem können Lehnwörter auf Widerstand stoßen, weil man danach strebt, die Sprache möglichst frei von Fremdwörtern zu halten. Stattdessen werden sie durch Wörter aus der eigenen Sprache ersetzt. Dieses Phänomen nennen wir Purismus (purisme). Im 17. Jahrhundert hat z. B. Simon Stevin (vgl. Kap. 2.2.3) Wörter wie wiskunde (Mathematik), optellen (addieren) und aftrekken (subtrahieren) eingeführt, die bis heute statt der griechischen und lateinischen Fachbegriffe verwendet werden. In Flandern hat man sich gegen französischen Einfluss gewehrt und viele französische Wörter durch niederländisch wirkende Wörter ersetzt, wie inkom statt entree oder regenscherm statt paraplu. Jedes Wort hat seine Geschichte, und die Etymologie (etymologie) untersucht die Herkunft, die ursprüngliche Form und Bedeutung sowie die Entwicklung von Wörtern (vgl. Kap. 3.1.1). Die Geschichte von sigaret lässt sich beispielsweise so erklären, dass es im 19. Jahrhundert aus dem spanischen cigarritos ‚sigaartjes‘ und dem französischen cigarette entlehnt wurde. Die Etymologie als Wissenschaft ist nicht zu verwechseln mit der Volksetymologie (volksetymologie), in der aufgrund meist oberflächlicher Laut- und Bedeutungsverbindungen Erklärungen zur Herkunft von Wörtern gegeben werden. So auch in Kwispelen met taal (1996), in dem die Verfasser auf kreative Weise behaupten, dass das Niederländische als ‚Ursprache aller Sprachen‘ zu sehen ist: genever sterke drank die vaak in één slok achterover wordt geslagen, ge-en-ever: gooi en over. kapitaal alles hebben wat je hartje begeert. Kapitaal: ‘k-ap-it-al, ik-heb-‘t-al sigaret onze sigaret werd cigarette. En daarmee werd de afkomst van dit woord nog moeilijker te achterhalen. En dat terwijl het zo eenvoudig is: je pakt een sigaret, steekt ‘m aan, doet een trekje en zuigt de rook eruit. ‘Zuig-er-uit’ werd si-ga-ret: sigaret. Willem Hietbrink & Ronald Lagendijk, Kwispelen met taal (1996) Ein berühmtes Beispiel für eine volksetymologische Erklärung ist das Wort hangmat, das im 17. Jahrhundert über das Spanische hamaca entlehnt wurde (das es wiederum aus einer haitianischen Sprache entlehnt hatte). Die ursprüngliche Form hamack entwickelte sich ziemlich schnell zu hangmak und noch etwas später zu hangmat. Das Wort hangmat ist nachher als eine Zusammenstellung von hangen und mat erklärt worden. Diese Art volksetymologischer Erklärungen kommt vor allem bei Lehnwörtern vor. 274 10 Sprache in Bewegung 10.4 Bedeutungswandel Wenn neue Wörter entstehen und andere verschwinden, verändert sich der Umfang oder die Zusammenstellung des Wortschatzes. Bei semantischem Wandel oder Bedeu‐ tungswandel (betekenisverandering) verändert sich die Bedeutung einer vorhandenen Wortform im Laufe der Zeit. Das Wort winkel z.B. war im Alt- und Mittelniederlän‐ dischen ein geometrischer Begriff, genauso wie der deutsche Winkel. Heute ist die übliche Bedeutung von winkel ‚Geschäft‘, also ein ‚Gebäude, in dem Waren zum Verkauf angeboten werden‘, und ist hoek der geometrische Begriff für Winkel. Solche Bedeutungsveränderungen kann man in einem historischen Wörterbuch wie dem WNT nachschlagen. Die Veränderung der Wortbedeutung unterliegt stets den gleichen Prinzipien: Bedeutungserweiterung, Bedeutungsverengung, Metapher und Metonymie sowie Pejoration und Melioration (vgl. Kap. 3.1.1). Bedeutungserweiterung oder Bedeutungsgeneralisierung (betekenisverrui‐ ming oder betekenisgeneralisatie) liegt vor, wenn ein Wort ein oder mehrere ein‐ schränkende Bedeutungsmerkmale verliert und sich damit der Gebrauch des Wortes erweitert. Das Wort muis hatte ursprünglich die Bedeutung ‚Nagetier aus der Familie der Muridae‘, wie die bekannte Hausmaus. Später kam die Bedeutung ‚fleischiger Teil/ Muskel des menschlichen Körpers‘ hinzu, womit heute allerdings nur noch die Handballen unterhalb des Daumes bezeichnet werden. Im 20. Jahrhundert hat muis eine neue Bedeutung dazu bekommen, nämlich ‚Gerät zur Steuerung eines Computers‘, die Computermaus. Ein anderes Beispiel ist limonade, früher ein Erfrischungsgetränk aus Zitronensaft, Zucker und Wasser. Heute kann die Basis für limonade jeder Fruchtsaft oder jede Fruchtessenz sein. Der umgekehrte Prozess ist die Bedeutungsverengung (betekenisspecialisatie): Die neue Bedeutung beschränkt sich auf ein bestimmtes Bedeutungsmerkmal in der Semantik des Begriffs. Im Alt- und Mittelniederländischen hatte varen die allgemeine Bedeutung ‚gehen‘ oder ‚sich fortbewegen‘: (1) Florus die voer vter stad. (Rijmbijbel, 1275-1300) - ‚Florus, der aus der Stadt ging‘ Heute ist varen auf die Fortbewegung mit einem Schiff beschränkt. Nur in feststehen‐ den Ausdrücken wie de hoop laten varen (die Hoffnung fahrenlassen) oder vaarwel (Lebewohl) ist die ältere Bedeutung noch zu erkennen. Ein anderes Beispiel ist deftig, das früher mehrere Bedeutungen hatte, wie ‚vernünftig‘, ‚erheblich‘, ‚wichtig‘ und ‚vornehm‘. Heutzutage hat deftig in den Niederlanden nur noch die letzte Bedeutung (de deftige oude dame oder met deftige woorden spreken), in Flandern kann deftig - wie im Deutschen - auch ‚kräftig und nahrhaft (ohne verfeinert zu sein)‘ bedeuten, wie in een deftige maaltijd. 10.4 Bedeutungswandel 275 Metapher (metafoor) und Metonymie (metonymie) fungieren ebenfalls oft als Grundlage für Bedeutungswandel. Durch eine Metapher bekommt ein Wort eine neue Bedeutung aufgrund einer bestimmten Ähnlichkeit. Das Wort blad wurde einst nur für das botanische ‚Blatt‘ bei Pflanzen benutzt. Später kam die Bedeutung ‚Stück Papier‘ dazu, das ebenfalls ein ‚flacher Gegenstand‘ ist. Bei einer Metonymie erweitert sich die Bedeutung eines Wortes, wobei ein logischer Zusammenhang zwischen den beiden Bedeutungen besteht. Ein Beispiel ist das Wort tuin, bei dem ein räumlicher Zusammenhang zwischen den älteren Bedeutungen ‚Umzäunung‘ und ‚Abtrennung‘ wie in (2) und der modernen Bedeutung ‚Garten‘ besteht: (2) Een man was die plantte eenen wijngart, ende omme din wijngart so loec hi enen tuun (Het Luikse Diatessaron, 1291-1300) - ‚Es war ein Mann, der einen Weingarten pflanzte, und um den Weingarten zog er einen Zaun‘ Schon im Mittelniederländischen hat sich die Bedeutung von tuin zu ‚umzäunter Bereich, Garten‘ erweitert, heute hat tuin ausschließlich diese Bedeutung. Der deutsche Kognat Zaun hingegen hat die alte Bedeutung bis heute. Es lässt sich allerdings nicht immer leicht festzstellen, ob es sich bei Bedeutungswandel um eine Metapher oder um eine Metonymie handelt. Schließlich kann Bedeutungswandel Veränderungen im Gefühlswert oder der Kon‐ notation eines Wortes bewirken (vgl. Kap. 3.1.2). Zum einem kann eine Bedeutungs‐ verschlechterung oder Pejoration (pejorisatie) auftreten: Das Wort wijf hat heutzutage grundsätzlich einen abwertenden Gefühlswert, wie in wat een dom wijf oder het wijf van de overkant. Nur in bestimmten Kombinationen, wie in een moordwijf oder wat een lekker wijf, ist die Bedeutung von wijf nicht unbedingt abwertend. Abb. 10.3: Wijf im 15. und im 21.-Jahrhundert 276 10 Sprache in Bewegung Im Mittelniederländischen hatte wijf diese Konnotation nicht, wijf bezeichnete einfach eine Person des weiblichen Geschlechts bzw. eine verheiratete Frau (Abb. 10.3). Das scone wijf namens Sanderijn aus dem mittelalterlichen Text Lanseloet van Denemerken (1400-1420) war eindeutig frei von negativen Assoziationen. Aber auch wenn ein lekker wijf heute nicht unbedingt eine abwertende Konnotation haben muss, ist dieser Ausdruck nicht ganz frei von einem vulgären oder sexuellen Unterton. Die Pejorisierung von Wörtern für Menschen des weiblichen Geschlechts findet man in vielen Sprachen. Ein weiteres Beispiel für Pejoration ist raar, das heute die Bedeutung ‚seltsam‘ oder ‚komisch‘ hat: er gebeuren hier rare dingen oder de melk smaakt raar. Die ursprüngliche Bedeutung von raar war ‚selten‘, wie im Deutschen, oder ‚merkwürdig‘. Zum anderen kann Bedeutungsverbesserung oder Melioration (ameliorisatie) auf‐ treten. Dieser Prozess kommt im Vergleich zu Pejoration jedoch weniger häufig vor. Ein bekanntes Beispiel ist das Wort maarschalk, das heute einen hochrangigen Soldaten bezeichnet. Früher bedeutete maarschalk jedoch ‚Pferdeknecht‘: (3) Ghi sult moeten riden u peerd ombesleghen, want de maerscalc ne heeft gheen haenbilt no gheen hamer (Het Brugsche Livre, 1351-1400) - ‚Sie werden Ihr Pferd unbeschlagen reiten müssen, denn der Marschall hat weder Amboss noch Hammer‘ Ein weiteres Beispiel ist das Wort ijver, das im Niederländischen früher u. a. die Bedeutung ‚Neid‘ oder ‚Eifersucht‘ hatte. Heute ist die geläufigere Bedeutung von ijver ‚Fleiß‘, die ältere Bedeutung ‚Neid‘ findet man nur noch in den Wörtern na-ijver und ijverzucht. 10.5 Lautwandel Wir haben gesehen, dass für die älteren Sprachstadien nur schriftliche Quellen vor‐ handen sind. Dennoch ist es möglich, die Aussprache zu rekonstruieren, denn obwohl es im Alt- und Mittelniederländischen noch keine standardisierte Rechtschreibung gab, hat man doch nach einer bestimmten Systematik geschrieben. Auch sind viele mittel‐ niederländische Texte in Reimform geschrieben, was ebenfalls Hinweise zur damaligen Aussprache liefern kann. Schließlich wird in alten Grammatiken die Aussprache von Lauten behandelt, so schreibt Spieghel in seiner Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst (1584), dass der Laut / ey/ „nóchtans als / ay/ meest uyt ghesproken word“. Lautveränderungen sind mit diesen Rekonstruktionsmethoden ziemlich gut zurückzu‐ verfolgen. Es gibt verschiedene Arten von Lautveränderung: 10.5 Lautwandel 277 71 Gemeint ist hier der technische Begriff ‚Achse‘. ● Laute können wegfallen: Die Prokope (procope) ist der Wegfall im Anlaut, wie z. B. das h in manchen südlichen Dialekten honderd > ondert. Im Inlaut heißt der Wegfall Synkope (syncope), Beispiele sind maghet > maagd und weder > weer. Bei der Apokope (apocope) fällt der auslautende Laut weg, wie das Schwa in vrouwe > vrouw und ic hebbe > ik heb. ● Laute können hinzukommen: Im modernen Niederländisch haben einige Wörter ein d im Inlaut, das in den älteren Formen nicht vorkommt, wie das altniederlän‐ dische kellere > kelder und diurir > duurder. Das Einfügen eines Lautes im Inlaut wird Epenthese (epenthesis) genannt. ● Laute können den Platz tauschen: Die Umstellung oder Metathese (metathese) kommt häufig beim Laut r vor, wie in borne > bron (Brunnen) oder drie > derde oder dertig. Mit der 1. Lautverschiebung haben sich die germanischen Sprachen von den anderen indoeuropäischen Sprachen abgegrenzt und mit der 2. Lautverschiebung das Althoch‐ deutsche von den anderen westgermanischen Sprachen (vgl. Kap. 2.1.2). Für die nieder‐ ländische Sprache sind die sog. altniederländischen Lautgesetze (Oudnederlandse klankwetten) von Bedeutung gewesen, sie haben in den anderen westgermanischen Sprachen selten oder nicht gewirkt. Tabelle 10.4 zeigt einige wichtige Lautverschie‐ bungen: Lautgesetz Deutsch Niederländisch ft > cht Luft, stiften lucht, stichten chs > ss Fuchs, Achse vos, as 71 ol, al +d/ t > ou Holz, kalt hout, koud ai > ee Stein, weinen steen, wenen au > oo Traum, laufen droom, lopen Tab. 10.4: Altniederländische Lautgesetze Der Übergang zum Mittelniederländischen wird vor allem durch die Abschwächung der vollen Vokale in unbetonten Silben charakterisiert: hebban > hebben und vogala > vogele. Im Mittelniederländischen hat sich die Lautkombination sk, wie in scone wijf, durch Assimilation allmählich zu sχ entwickelt, heute schone wijf. Eine wichtige Lautveränderung, die den Übergang zum Neuniederländischen kennzeichnet, ist die Diphthongierung der einfachen Vokale i (im Mittelniederländischen mit <ij> geschrie‐ ben) und u (Tab. 10.5). 278 10 Sprache in Bewegung Lautgesetz Mittelniederländisch Modernes Niederländisch i > ij [i] wijf, mijn [ɛi] wijf, mijn u > ui [y] huus, muus [œy] huis, muis Tab. 10.5: Diphthongierung Nicht alle Wörter haben diese Entwicklung durchgemacht, vor einem r sind die Monophthonge nicht diphthongiert, vieren und buur sind beispielsweise nicht zu *vijren und *buir geworden. Auch haben bestimmte Wörter den ursprünglichen Lautwert behalten, wie kiekeboe (< kijken) oder piel (männliches Glied), oder kommen beide Formen heute noch vor, wie duivel und duvel. Abschließend werden einige neuere Entwicklungen im 20. Jahrhundert vorge‐ stellt. In einer Studie haben Van der Velde, Gerritsen und Van Hout (1995) fest‐ gestellt, dass zwischen 1935 und 1993 die stimmhaften Frikative v, z und ɣ in den Niederlanden immer häufiger stimmlos ausgesprochen wurden, besonders im Anlaut (vgl. auch Kap. 5.4 und 5.5). Auch der Liquid r ist stark in Bewegung: Im Niederländischen kommen das Zungenspitzen-r und das Zäpfchen-r nebeneinander vor, wobei das Zungenspitzen-r vermutlich die ältere Aussprache ist. In Flandern ist das Zäpfchen-r auf dem Vormarsch, während sich in den Niederlanden das sog. ‚Gooise r‘ (vgl. Kap. 5.4) immer mehr verbreitet. Im Vokalsystem sind ebenfalls neue Entwicklungen bei den Diphthongen zu beobachten, nämlich die weiter geöffnete Artikulation von [εi], [ɑu] und [œy] sowie die Tendenz zur Diphthongierung von e und o (vgl. Kap. 9.5.3). 10.6 Morphologischer Wandel Bei morphologischem Wandel geht es um Veränderungen der Flexions- und Deri‐ vationsmorpheme: Es können neue hinzukommen oder vorhandene verschwinden oder ihre Produktivität verändert sich. Eine prominente Veränderung in der nieder‐ ländischen Sprachgeschichte ist der Flexionsverlust, der nicht nur bei den Kasus im nominalen Bereich stattfindet (vgl. Kap. 2.2.2), sondern auch im verbalen Bereich. Eine markante Veränderung können wir anhand von Tabelle 10.6 in der zweiten Person sehen: 10.6 Morphologischer Wandel 279 72 Die Flexion der zweiten Person Singular ist im Mittelniederländischen wesentlich komplexer als hier dargestellt (vgl. Van Loey (1948), besonders §-49c 2 und Bemerkung 2). Mittelniederländisch (1200-1300) Modernes Niederländisch du gheves du ghafs 72 jij geeft jij gaf ghi ghevet ghi g(h)avet jullie geven jullie gaven du hoers du hoerde jij hoort jij hoorde ghi hoert ghi hoert jullie horen jullie hoorden Tab. 10.6: Flexionsverlust der Konjugation Im Mittelniederländischen sehen wir in der zweiten Person Singular noch eine Endung auf -s, in der zweiten Person Plural auf -t. Mit dem Verschwinden des Pronomens du ist auch die Endung -s verloren gegangen. Die modernen jij-Formen stammen vom Pronomen gij ab und werden dementsprechend in Kombination mit der verbalen Endung -t verwendet. In Weilands Nederduitsche Spraakkunst aus dem Jahr 1805 steht z. B. gij geeft für die zweite Person Singular und Plural im Präsens und gij gaaft im Präteritum. Bis weit nach 1950 lassen sich in der geschriebenen Sprache noch Verbformen auf -t für die zweite Person Plural finden. Auch der Konjunktiv ist allmählich verschwunden. Im Niederländischen des 19. Jahrhunderts wurde der Konjunktiv in der geschriebenen Sprache noch häufig verwendet. Nach und nach wurden seine Funktionen, wie z. B. Wünsche und Aufforderungen, jedoch mit Hilfe von Hilfsverben oder einem Indikativ umschrieben. Heute gibt es nur noch einige feste Redewendungen mit einem Konjunktiv, wie z. B. zo waarlijk helpe mij God almachtig oder leve de koning. Der Flexionsverlust ist ein sehr langsamer Prozess in der Sprachgeschichte, sehr wahrscheinlich auch deshalb, weil die Flexionsformen durch die Kultivierung oder durch die vorrangige Stellung (bis De Saussure) der geschriebenen Sprache lange aufrechterhalten wurden. Auch Derivationsmorpheme sind dem Sprachwandelprozess unterworfen. Um z. B. neue weibliche Nomina agentis zu bilden, sind im modernen Niederländischen nur noch die Suffixe -e und -ster produktiv: piloot - pilote, echtgenoot - echtgenote, voorzitter - voorzitster und vrijwilliger - vrijwilligster. Das Suffix -in, das im Deutschen sehr produktiv ist (Lehrer - Lehrerin, Soldat - Soldatin, Herr - Herrin), war im Niederländi‐ schen nur bis zum Mittelniederländischen sowie im 15. und 16. Jahrhundert produktiv, und auch nur sehr eingeschränkt. Manche Wörter wie vriendin, boerin und koningin existieren immer noch, wohingegen andere wie meesterin und zangerin heutzutage ersetzt sind durch meesteres und zangeres. Wir können hier eine Veränderung in der Produktivität beobachten, denn das Suffix -in ist im modernen Niederländischen generell nicht mehr produktiv. Allerdings scheint es neuerdings im belgischen Nieder‐ ländisch wieder einigermaßen produktiv zu sein, denn dort ist die Form studentin (statt studente) seit einigen Jahren im Umlauf: 280 10 Sprache in Bewegung Mooie kamer voor betrouwbare studentin Ruime, net gerenoveerde mooie studentenkamer te huur in woonhuis centrum Leuven, voor betrouwbare studentin die wil bijverdienen door af en toe te babysitten op de twee kinderen (9-m en 2j) van eigenaar. nl.kapaza.be, 07.06.2013 Die Produktivität eines Morphems kann sich auch steigern, ein Beispiel dafür können wir bei den Intensivierungen (intensivering) sehen. Intensivierungen sind Affixe, Wörter oder Wortkombinationen, mit denen Ausdrücke verstärkt werden können, wie z. B. supergroot, megacool, keigezond, knalrood, heel erg vol und zo sterk als een paard. In den letzten Jahren ist der Gebrauch des Präfixes überals Intensivierung zu beobachten. Beispiele finden wir vor allem im Internet, wo Ausdrücke wie beispielsweise übergezond leven, een übergezonde maaltijd, een übercool weekend, übercoole fietsverlichting oder een übermooi huis zahlreich vorkommen. 10.7 Syntaktischer Wandel Dass sich die Aussprache und Bedeutungen einzelner Wörter im Laufe der Zeit verändern, kann man sich relativ leicht vorstellen. Dass ganze Satzmuster hinzukom‐ men, wegfallen oder ihre Funktion ändern, ist schon schwieriger nachzuvollziehen. Doch auch syntaktischer Wandel ist in natürlichen Sprachen an der Tagesordnung. Eine ziemlich auffällige Entwicklung in der niederländischen Sprachgeschichte ist die Veränderung in der Negation (negatie), der Verneinung. Allgemein wird angenommen, dass es ursprünglich ein Element ne gab, um einen Satzinhalt zu verneinen, wie z. B. im folgenden altniederländischen Satz: (4) ne ist heil himo in Gode sinemo (Wachtendonckse Psalmen, 10. Jh.) - ‚Es gibt keine Erlösung für ihn bei seinem Gott‘ In einigen späteren Texten des Altniederländischen sind aber zweiteilige Negationen zu finden, ein Vorbote der geläufigen Negation im Mittelniederländischen - sowie am Anfang des Neuniederländischen -, die aus zwei Teilen bestand: ne oder en direkt vor dem konjugierten Verb und einem zweiten Element wie niet, das sehr wahrscheinlich zur Verstärkung diente: (5) Wir ne willon niet uergezzan, thaz-… (Leidse Willeram, um 1100) - ‚Wir wollen nicht vergessen, dass-…‘ 10.7 Syntaktischer Wandel 281 73 Beispiel aus Van der Auwera, De Cuypere & Neuckermans (2006), das der Lesbarkeit halber auf Standardniederländisch wiedergegeben ist. (6) Ende ic en weet niet waer ic henen sal (Lanseloet, 1400-1420) - ‚Und ich weiß nicht, wo ich hin soll‘ (7) Ick en weet niet oft ghij levende oft doot zijt (Brieven vd Meulen, 1584) - ‚Ich weiß nicht, ob du lebendig oder tot bist‘ Die zweigliedrige Verneinung war in geschriebenen Texten noch bis weit ins 17. Jahr‐ hundert verbreitet, heute kommt sie aber in dieser Form nicht mehr vor. Das ursprüng‐ liche Verneinungselement ne/ en ist in der Standardsprache kein Teil der Negation mehr. In einigen Dialekten ist es allerdings noch anwesend, wie z. B. im Westflämischen: Ik en heb niemand gezien. 73 Die meisten syntaktischen Veränderungen folgen zwei größeren Entwicklungstenden‐ zen. Die erste Tendenz ist die Entwicklung von einem synthetischen zu einem analyti‐ schen Sprachbau. In der Typologie (vgl. Kap. 6.4) charakterisieren die Begriffe ‚synthe‐ tisch‘ und ‚analytisch‘ die Art und Weise, wie eine Sprache syntaktische Beziehungen im Satz ausdrückt. Synthetische Sprachen (synthetische talen) markieren Beziehungen untereinander mittels Flexion am Wort, wie z. B. Kasus (der Gesang des Vogels), Modus (wenn ich ein Vöglein wär, flög ich zu dir) oder die Person des Verbs (lat. cantat ‚er singt‘). Die Wortstellung in einer synthetischen Sprache ist häufig etwas freier, die syntaktischen Beziehungen der Satzglieder sind ja schließlich am Wort gekennzeichnet. Analytische Sprachen (analytische talen) hingegen markieren syntaktische Beziehungen mittels Umschreibungen oder Periphrasen, wie z. B. Präpositionen anstelle von Kasus (het gezang van de vogel), Hilfsverben zum Ausdruck von Konditionalsätzen (als ik een vogel zou zijn, zou ik naar jou vliegen) oder Personalpronomen bei Verben (hij zingt). Auch feste Satzkonstruktionen, in denen jeder syntaktischen Funktion eindeutig eine Position zugewiesen ist, sind ein typisches Merkmal analytischer Sprachen. Die Wortstellung ist relativ fest, weil eine freie Wortstellung zu Ambiguität führen kann: Der Satz die Frau schlägt der Dieb hat nur eine Interpretation, während de vrouw slaat de dief zwei mögliche Interpretationen zulässt. Die Entwicklung von einem synthetischen zu einem analytischen Sprachsystem verläuft fließend. Das Indoeuropäische und das Urgermanische, der rekonstruierte Vorläufer der germanischen Sprachen, waren vorwiegend synthetische Sprachen. Das moderne Niederländische ist allerdings vorwiegend analytisch und die Entwicklung in diese Richtung ist immer noch im Gange, auch wenn sie sich größtenteils bereits vor dem Altniederländischen abgespielt hat. Die syntaktische Entwicklung steht innerhalb des Sprachsystems nicht für sich, sondern im Zusammenhang mit phonetischen und morphologischen Entwicklungen. Mit der Abschwächung voller Vokale in unbetonten Silben (eine der phonetischen Veränderungen zwischen Alt- und Mittelniederländisch) 282 10 Sprache in Bewegung wurde der Weg frei für den Flexionsverlust: Die Endungen verschwanden allmählich, wodurch Konstruktionen mit Präpositionen (preposities) immer wichtiger wurden, wie z.B mit aan, um das indirekte Objekt anzuzeigen (ze geven een koekje aan het kind), oder mit van, um den Besitzer anzuzeigen (het huis van de burgemeester). Auch treten immer mehr Verben mit einer festen Präposition auf, wie geven aan, wachten op, bezwaar hebben tegen oder verliefd zijn op. Darüber hinaus kommen vermehrt feste Verbindungen (vaste verbindingen) vor, z. B. de aandacht vestigen op (auf etwas hinweisen), in de gaten houden (im Auge behalten), aan de hand van (anhand), met een sisser aflopen (keine Folgen haben), een conclusie trekken (eine Schlussfolgerung ziehen) oder iets tot in de puntjes vertellen (etwas bis in die kleinsten Einzelheiten schildern). Hinzu kommt, dass die Wortstellung immer strikter wird, so steht das niederländische finite Verb in Aussagesätzen normalerweise an der zweiten Stelle im Satz (diese Eigenschaft wird in der Linguistik auch als V2 bezeichnet), nur in besonderen Fällen taucht die finite Verbform auf einer anderen Position auf (s. u.). Der Wandel von einem synthetischen zu einem analytischen System ist ein sehr langsam fortschreitender Prozess mit vielen kleineren und größeren Änderungen, die in einem größeren Zusammenhang stehen und einander gegenseitig bedingen. Die zweite Tendenz ist eine Verschiebung der Wortstellung (woordvolgordedrift), die das Niederländische in seiner Entwicklung mitmacht (vgl. die typologische Klassi‐ fizierung des Satzbaus in Kap. 6.4). Während das moderne Englische ganz klar eine SVO-Sprache ist, weisen das Niederländische und Deutsche ein gemischtes Muster mit SVO im Hauptsatz und überwiegend SOV im Nebensatz auf: (8) I believe that she S likes V him O . - Ik geloof dat zij S hem O leuk vindt V . - Ich glaube, dass sie S ihn O mag V . Das war aber nicht immer so. Das Urgermanische hatte sehr wahrscheinlich eine ausgeprägte SOV-Wortstellung. Im Mittelniederländischen können wir im Nebensatz bereits verschiedene Möglichkeiten finden, das Verb konnte fast an jeder Stelle vorkommen, nur nicht an der ersten Stelle direkt nach der Konjunktion: (9) Ic hebbe dicke wel horen lesen, dat die minne S soect V haers ghelike O (Lanseloet, 1400-1420) - ‚Ich habe oft gehört und gelesen, dass die Liebe ihres Gleichen sucht‘ (10) Ic bidde gode, dat hi S mine scande O wille V decken (Lanseloet, 1400-1420) - ‚Ich bitte Gott, dass er meine Schande verhüllen will‘ 10.7 Syntaktischer Wandel 283 74 Diese Entwicklung wird hier sehr vereinfacht dargestellt, in Wirklichkeit verlief sie komplizierter. Es führt aber zu weit, hier auf alle Details einzugehen. Das Mittelniederländische war auf dem Weg, sich zu einer SVO-Sprache zu entwi‐ ckeln, 74 eine Veränderung, die im Englischen bereits um 1200 durchgeführt war. Dennoch hat sich diese Entwicklung für das Niederländische nicht durchgesetzt, was zeigt, dass Sprachwandel offensichtlich ein unvollständiger Prozess ist. Exkurs: Grammatikalisierung Im 19. sowie zu Anfang des 20.-Jahrhunderts nahm die diachrone Sprachwissenschaft eine zentrale Position in der Linguistik ein, wobei die Schule der Junggrammatiker führend war. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verschob sich der Akzent hin zu einer synchronen Betrachtungsweise von Sprache, aber in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kehrte die Diachronie in den Fokus der Linguistik zurück, u. a. in der Grammatikalisierungsforschung. Die Grammatikalisierung (grammaticalisatie) ist - vereinfacht ausgedrückt - der Prozess, in dem ein lexikalisches Element sich zu einem grammatischen entwickelt. Ein Beispiel ist das Substantiv richting mit der Bedeutung ‚Stand oder Bewegung zu einer bestimmten Seite oder einem bestimmten Ziel‘. Heutzutage wird richting auch als Präposition verwendet, wie in we gaan richting Brussel. Das Substantiv richting ist ein lexikalisches Element, d. h. dass es eine ‚konkrete‘ Bedeutung hat (wir haben eine mentale Vorstellung davon) und es kann bei Wortbildungsprozessen wie Komposition und Derivation ohne weiteres eingesetzt werden. Die Präposition richting ist ein grammatisches Element, d. h. dass es eine ‚abstrakte‘ Bedeutung hat (wir brauchen Kontext, um die Bedeutung zu verstehen) und dass es eher selten bei Wortbildungsprozessen eingesetzt wird. Ein anderes Beispiel ist die Entstehung von Hilfsverben aus Vollverben. Das Verb hebben (mit der Vollverbbedeutung ‚besitzen‘ - zij heeft een auto) hat sich zugleich zum Hilfsverb des Perfekts entwickelt (hij heeft geslapen). Mit dem Übergang von einem lexikalischen zu einem grammatischen Element ‚entsteht‘ sozusagen Grammatik. 10.8 Pragmatischer Wandel Die Pragmatik untersucht, wie sprachliche Mittel in einer bestimmten Situation benutzt werden. Das bedeutet, dass der Kontext, in dem die Kommunikation stattfindet, von großer Bedeutung ist. Bei pragmatischem Wandel steht daher die Frage im Mittelpunkt, ob sich die Art und Weise verändert, wie Menschen sprachliche Mittel verwenden. Ein Beispiel für pragmatischen Wandel ist die Veränderung im Gebrauch der Anrede‐ formen: Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich im Niederländischen der Gebrauch des Anredepronomens jij/ je ausgebreitet. Diese Veränderung lässt sich mit den Dimensionen Macht und Solidarität beschreiben. Diese Dimensionen wurden von 284 10 Sprache in Bewegung 75 Die Dimensionen Macht und Solidarität sind in der Forschung zu den Anredepronomen auch auf Kritik gestoßen, vor allem weil diese Dimensionen die Wirklichkeit zu einfach darstellen. 76 Im Deutschen dahingegen können in bestimmten Situationen Anreden mit dem Vornamen und Sie vorkommen (das sog. ‚Hamburger Sie‘ wie in Max, lesen Sie bitte Seite 28) sowie mit dem Familiennamen und Du (das sog. ‚bayerische Du‘ wie in Frau Müller, kannst du mir sagen, wo die Bücher sind? ) (vgl. Kremer 2000: 27). Brown & Gillman (1960) eingeführt, um die Verschiebung in den Anredepronomen, nämlich die von V-Pronomen zu T-Pronomen, in europäischen Sprachen zu erklären. 75 Das V-Pronomen beruht auf dem französischen vous (im Niederländischen also u/ uw), das T-Pronomen auf tu (jij/ je/ jou/ jouw/ jullie) (vgl. Kap. 8.6). Bis weit ins 20. Jahrhundert war die Dimension Macht entscheidend für die Wahl des Anredepronomens. In einer Studie hat Vermaas (2002) festgestellt, dass der Gebrauch von jij in vielen Situationen zugunsten von u zugenommen hat. Gesellschaftliche Veränderungen in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wie die Individualisierung, Emanzipation und Demokratisierung haben sehr wahrscheinlich dazu geführt, dass die Solidaritätsdimension im Vergleich zur Machtsdimension einen höheren Stellenwert eingenommen hat. Parallel dazu gibt es eine Verschiebung im Gebrauch der Vornamen, die zunehmend häufiger verwendet werden. Denn prinzipiell kombiniert man im Niederländischen den Vornamen mit der Anredeform jij/ je, und den Familienamen - in Kombination mit mevrouw, meneer oder einer anderen Anredeform - mit u. 76 Die Verschiebung hat jedoch zur Folge, dass eine große Grauzone entstanden ist, in der Situationen nicht klar zu bestimmen sind und es immer wieder zu Unsicherheiten bei der Wahl des Anredepronomens kommt. So auch im Fernsehprogramm Zomergasten im Jahr 2002, in dem der Schriftsteller und Fernsehmoderator Adriaan van Dis mit dem Historiker und Juristen Cees Fasseur sprach. Am Anfang der Sendung hat Adriaan van Dis seinen Gesprächspartner gesiezt, aber im Laufe des Gesprächs hat er immer mehr zwischen u und jij gewechselt, besonders nachdem Cees Fasseur angefangen hatte, ihn ‚Adriaan‘ zu nennen (vgl. Abb. 10.4, p.-286). Auch wenn die Solidaritätsdimension heutzutage eine größere Rolle spielt, bedeutet dies nicht, dass heutzutage die Machtsdimension kein Gewicht mehr hat, in vielen Si‐ tuationen ist sie nicht zu unterschätzen. Die Entscheidung für das V- oder T- Pronomen ist deshalb von vielen persönlichen Faktoren, wie Alter, Bildung, gesellschaftlicher Position oder Religion abhängig. Auch situative Faktoren sind entscheidend: Bei einer Arbeitsbesprechung ist die Situation anders als im Schulunterricht, beim Arzt oder bei einem Kneipenbesuch. Eine andere Art pragmatischen Wandels ist eine Veränderung im Gebrauch des Hilfsverbs zullen, nämlich bei der Vergangenheitsform zou. Im heutigen Niederländisch wird zou häufig mit modalen Hilfsverben wie kunnen, moeten und willen kombiniert. Verbindungen mit modalen Verben sind schon im Mittelniederländischen belegt, aber die Kombination von zou mit kunnen und moeten ist neueren Datums. Die wichtigste Bedeutung von zou ist eine hypothetische (zu umschreiben mit ‚angenommen, dass …‘), wie sie heutzutage auch in Konditionalsätzen verwendet wird, z. B. in als ik een miljoen 10.8 Pragmatischer Wandel 285 zou winnen, zou ik een wereldreis maken. Oder auch in Sätzen wie de enige met wie ik dat zou kunnen bespreken, is Gudrun (‚angenommen, dass ich das mit jemandem besprechen könnte, dann ist das Gudrun‘). Abb. 10.4: Fokke & Sukke (Reid, Geleijnse & Van Tol) Schauen wir uns nun folgende Sätze an: (11) Je zou ’t ook allebei kunnen doen. - ‚Du könntest auch beides machen.‘ (12) Dat zou je ’ns aan iemand moeten vragen. - ‚Das solltest du mal jemanden fragen.‘ In diesen Beispielen hat zou in Kombination mit kunnen oder moeten keine rein hypothetische Bedeutung mehr, sondern fungiert als ein Ausdruck von Höflichkeit, um jemandem auf ‚vorsichtige Weise‘ einen Rat zu geben. Solche vorsichtigen Ausdrücke werden auch mit dem englischen Begriff mitigation (‚Abschwächung‘ oder ‚Milde‐ rung‘, mitigatie) bezeichnet. Aus dem größeren Kontext des Gesprächs oder Textes lässt sich in diesen Fällen das Hintergrundwissen (Was, Wo, Wann usw.) ableiten. Zou als Höflichkeitsausdruck hat sich aus der hypothetischen Bedeutung entwickelt, was noch gut in Sätzen wie ik zou nu direct naar huis gaan (als ik jou was) oder ik zou het 286 10 Sprache in Bewegung morgen vragen (als je het gaat vragen) zu erkennen ist. Die Konditionalsätze als ik jou was oder als je het gaat vragen werden allerdings nicht mehr ausdrücklich gesagt, sie lassen sich aber aus dem Kontext erschließen, wie in einer Implikatur (implicatuur, vgl. Kap. 8.3.2). Auf diese Weise ist die Höflichkeitsfunktion von zou in Kombination mit Verben wie kunnen und moeten entstanden. In (11) sehen wir sowohl die hypothetische Bedeutung (mit der Implikatur ‚als je het gaat doen‘) als auch eine pragmatische Funktion, eine höfliche Empfehlung. In (12) ist die Höflichkeitsfunktion von zou nicht mehr von einer Implikatur abhängig, sondern funktioniert jetzt selbstständig. In diesem Fall ist die Implikatur der Auslöser für Sprachwandel, die eine Verschiebung von einer semantischen Bedeutung zu einer pragmatischen Funktion bewirkt hat. 10.9 Zusammenfassung Sprache ist immer in Bewegung. Die innere Sprachgeschichte befasst sich mit sprachlichen Veränderungen in den verschiedenen Sprachstadien, die äußere Sprach‐ geschichte mit gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen. Der Prozess des Sprachwandels hat verschiedene Eigenschaften: Er findet auf allen sprachlichen Ebenen statt, ist zeitlich und räumlich begrenzt, unvollständig, unvor‐ hersagbar und vollzieht sich allmählich. Veränderungen werden in der Linguistik als natürliche, dynamische Prozesse bewertet und nicht als Sprachverfall. Sprachen verändern sich aber nicht einfach so. Es gibt verschiedene Ursachen und Prinzipien, die für Sprachwandel verantwortlich sind, wie Drift, die Prinzipien der Ökonomie und Deutlichkeit, Analogie, Variation, Spracherwerb, Reinterpretation, Sprachkontakt und gesellschaftliche Veränderungen. Außer zu Veränderungen in der Sprache selbst können diese Phänomene auch zu Sprachtod oder zum Entstehen neuer Sprachen (Pidgin- und Kreolsprachen) führen. Um Veränderungen in der Sprache zu un‐ tersuchen, sind zwei Herangehensweisen erforderlich: eine synchrone und eine diachrone Betrachtung. Der Vergleich von sprachlichen Daten verschiedener Sprach‐ stadien kann durch die Real-Time- oder die Apparent-Time-Methode erfolgen. Die historisch-vergleichende Methode wird vor allem eingesetzt, um Sprachen mithilfe von Kognaten zu rekonstruieren. Veränderungen finden auf allen sprachlichen Ebenen statt: Es gibt Lautwandel, lexikalischen Wandel, Bedeutungswandel sowie morphologischen, syntaktischen und pragmatischen Wandel. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgaben 1. Sprachwandel kann auf verschiedenen Ebenenen vorkommen. Schauen Sie sich folgendes Textfragment aus dem Jahr 1877 an und bestimmen Sie, welche Elemente heutzutage veraltet sind und auf welchen sprachlichen Ebenen (Morphologie 10.9 Zusammenfassung 287 a. stout Karel de Stoute (1433-1477) b. gelaat ursprünglich ‚de manier waarop een persoon zich voordoet, zich vertoont, er uitziet‘ c. lekker ‚lekker weertje vandaag‘ oder ‚een lekker ding‘ d. zebra de kinderen kunnen ook oefenen met oversteken op zebra’s e. geil ursprünglich ‚vrolijk‘ f. fontein ursprünglich ‚bronwater, bron‘ und Semantik) sie zu beschreiben sind. Ist es auch möglich, Lautunterschiede zu beschreiben? De nieuwe rarekiek van den ouden korporaal Smit. De oude Korporaal Smit? hoor ik u vragen, zou dat dezelfde zijn, waarover we pa en moe wel hebben hooren spreken, die zooveel moois te kijken gaf in hun jongen tijd en naar wien zij zoo gaarne luisterden? De oude Korporaal Smit zelf en geen mensch anders, zooals mijn grootvader zaliger placht te zeggen, toen hij zoo oud was als ik op dit oogenblik. Dezelfde oude Korporaal; maar natuurlijk ben ik mee vooruitgegaan met mijn tijd. In plaats van de kijkkast van vroeger, die ik op mijn rug versjouwen moest, een kijkkast met drie glazen, kan ik thans het geachte Nederlandsche publiek ontvangen in een net ingerichte tent en U, beste jongens en meisjes, allerlei fraaie dingen laten zien uit vreemde landen, ver hier van daan en uit uw eigen land, dingen, die ik op mijn lange reis zelf eigenhandig heb aanschouwd. Anoniem, De nieuwe rarekiek van den ouden korporaal Smit (1877) 2. Welche Bedeutungswandelprozesse sind in den Beispielen 1-6 eingetreten? Be‐ nutzen Sie eventuell ein modernes und ein historisches Wörterbuch, um alte und neue Bedeutungen nachzuschlagen. 3. Lesen Sie folgendes Zitat. Der leicht sarkastische Unterton wird den Leser: innen wohl nicht entgehen. Begründen Sie, warum es vielen Menschen schwer fällt, Sprachwandel nicht als Sprachverfall zu sehen. [T]aalkundigen zijn dol op veranderingen; als het volk massaal een bepaalde taalfout begint te maken, staan ze verrukt toe te kijken, als ouders bij hun spelende kinderen. Benno Barnard, Knack.be, 22.10.2008 4. Das Verb gaan kommt im Niederländischen sowohl als selbständiges Verb mit der Bedeutung ‚sich fortbewegen‘ als auch als Hilfsverb des Futurs vor. Benutzen Sie 288 10 Sprache in Bewegung die Algemene Nederlandse Spraakkunst (ANS) und das Woordenboek der Nederland‐ sche Taal (WNT), um die folgenden Fragen zu beantworten. a. Wie kategorisiert die ANS das Verb gaan? b. Kann gaan mit allen Arten von Verben kombiniert werden? Welche Kombi‐ nationen sind in der Standardsprache möglich und welche nicht? c. Welche Bedeutungsveränderungen sind bei gaan aufgetreten? d. Vergleichen Sie die Art und Weise, wie die ANS und das WNT die regionale Variation behandeln. Was fällt Ihnen auf ? e. Wie können Sie die Veränderungen von gaan charakterisieren? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele ICON SET 5 Literatur zum Weiterlesen Ein guter und sehr ansprechender Einstieg ist 15 eeuwen Nederlandse taal (Van der Sijs 2019), das sowohl auf die innere als auch die äußere Sprachgeschichte des Nie‐ derländischen eingeht. Zu den Grundlagenwerken gehören die Historische taalkunde von Van Bree (1996), De geschiedenis van het Nederlands von Van der Wal & Van Bree (2015), De geschiedenis van de Nederlandse taal von Van den Toorn et al. (1997), Het Nederlands vroeger en nu von Janssens & Marynissen (2011) und das Basisboek Historische taalkunde van het Nederlands von Bloemhoff & Streekstra (2015). Das zweibändige Werk Grote geschiedenis van de Nederlandse taal (Stegeman 2021) bietet eine umfangreiche Darstellung mit vielen Textbeispielen aus verschiedenen Bereichen. Spezialisiert auf das 20. Jahrhundert ist De geschiedenis van het Nederlands in de twintigste eeuw (Van der Horst & Van der Horst 1999). Van der Horst bespricht in Taal op drift (2013) die langfristigen Sprachentwicklungen in den europäischen Sprachen in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen. Zum Sprachwandel und Sprachverfall ist Verandering en verloedering (Bennis, Cornips & Van Oostendorp 2004) eine interessante Lektüre. Das Leenwoordenboek (Van der Sijs 1996) bietet eine gute Übersicht über Lehnwörter im Niederländischen und das Etymologisch Woordenboek van het Nederlands (Philippa et al. 2003-2009) beschreibt die Geschichte der modernen niederländischen Wörter. Um Bedeutungswandel zu untersuchen, ist das Woordenboek der Nederlandsche Taal (1864-1998) unentbehrlich. Zum Laut- und Flexionswandel sind exemplarisch Schönfelds Historische grammatica van het Nederlands (1970), Van Loeys Middelnederlandse spraakkunst I Vormleer (1980) und Middelnederlandse spraakkunst II Klankleer (1979) sowie Van Brees Historische Grammatica van het Nederlands (1987) und Van Loons Historische fonologie van het Nederlands (2014) zu nennen, zu neueren Veränderungen Variatie en verandering in het gesproken Standaard-Nederlands (Van de Velde 1996). Ein Monumentalwerk zum syntaktischen Wandel ist die zweibändige Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis (Van der Horst 2008b). Ein einführendes Ka‐ pitel zur Grammatikalisierungstheorie steht im Studienbuch Funktionale Grammatik. Konzepte und Theorien (Smirnova & Mortelmans 2010). Literatur zum Weiterlesen 289 Bild- und Rechtsnachweise Abb. 1.1 Offizielles internationales Logo der Niederlande; mit freundlicher Genehmigung von Netherlands Enterprise Agency / NL Branding Abb. 1.2 Sprachgebiete in Belgien © MDG-Ostbelgien Abb. 1.3 Karibischer Teil der Niederlande; mit freundlicher Genehmigung des Ministerie van Binnenlandse zaken en Koninkrijksrelaties Abb. 1.4 Niederländisch im Straßenbild Jakartas © IH Abb. 1.5 Standardsprache im niederländischen Sprachgebiet © Taaladvies.net, Nederlandse Taalunie Abb. 2.1 Die indoeuropäische Sprachfamilie (UKB) Abb. 2.2 Die indoeuropäische Sprachfamilie im Wellenmodell (UKB) Abb. 2.3 Die Entwicklung der niederländischen Sprache (UKB) Abb. 2.4 Probatio pennae - Federprobe; mit freundlicher Genehmigung der Bodleian Library Oxford Abb. 2.5 Der mittelniederländische Sprachraum (UKB) Abb. 3.1 Semiotisches Dreieck: Die Beziehung von Wortform, Bedeutung und Referent (UKB; Foto Fahrrad © UKB) Abb. 3.2 Schematische Übersicht der Bedeutungsbeziehungen von school (TK/ RdB) Abb. 3.3 Hierarchische Beziehung zwischen Hyperonymen und Hyponymen (TK/ RdB) Abb. 4.1 Rekursives Kompositum im Straßenbild; mit freundlicher Genehmigung von De Leertent Abb. 4.2 Nashorn meets Nasenhorn (Helmut Aretz) Abb. 5.1 kooputook? (Helmut Aretz) Abb. 5.2 Sprechorgane; mit freundlicher Genehmigung von A. Neijt Abb. 6.1 Der Droste-Effekt; mit freundlicher Genehmigung von Droste ® Nederland B.V. Abb. 6.2 Der Dieb hat die Tasche (Helmut Aretz) Abb. 6.3 Der Dieb hat die Tasche (MP/ UKB) Abb. 6.4 Die Frau hat die Tasche (MP/ UKB) Abb. 6.5 Die Frau hat die Tasche (Helmut Aretz) Abb. 6.6 Frauen und Männer sind glücklich (MP/ UKB/ IH) Abb. 6.7 Nur die Frauen sind glücklich (MP/ UKB/ IH) Abb. 7.1 Banner, das nach den Sommerferien an vielen Straßen aufgehängt wird © Ronny Boogaart Abb. 7.2 Die Kompositionalität der Satzbedeutung (RB) Abb. 7.3 Die Interpretation einer Äußerung besteht aus mindestens zwei Elementen (RB) Abb. 7.4 Die propositionale Bedeutung eines Satzes ist nur ein Teil der Satzbedeutung (RB) Abb. 7.5 Satz, Äußerung, Proposition (RB) Abb. 7.6 Sätze präsentieren eine bestimmte Konzeptualisierung der Wirklichkeit (RB) Abb. 7.7 Die Konzeptualisierung von Zeit als Raum 1: Die Zukunft liegt vor uns, die Vergangenheit liegt hinter uns (Lauren Fonteyn) Abb. 7.8 Die Konzeptualisierung von Zeit als Raum 2: Die Vergangenheit liegt vor uns, die Zukunft liegt hinter uns (Lauren Fonteyn) Abb. 7.9 Die Konzeptualisierung der Zukunft als auf uns zukommend (Lauren Fonteyn) Abb. 7.10 Konzeptuelle Bedeutung der Präposition door © Algemene Nederlandse Spraak‐ kunst, illustratie Frank Landsbergen Abb. 7.11 Konzeptuelle Bedeutung der Postposition door © Algemene Nederlandse Spraak‐ kunst, illustratie Frank Landsbergen Abb. 7.12 Die Kompositionalität der Satzbedeutung (RB) Abb. 8.1 Eine typische Begrüßung im Ruhrgebiet (Helmut Aretz) Abb. 8.2 Kommunikationsmodell (UKB) Abb. 8.3 Misskommunikation (Helmut Aretz) Abb. 8.4 Referenz und Prädikation in der Proposition (UKB) Abb. 9.1 Dialektkarte des niederländischen Sprachgebiets; mit freundlicher Genehmigung von Acco Abb. 9.2 Lautverteilung zu muis und huis nach Kloeke 1927 (aus Hamans 2011) Abb. 9.3 Von Diglossie zu Diaglossie (GDV) Abb. 9.4 hun als Subjekt in Nimwegen (GDV) Abb. 9.5 Haagse Harry (Niet Te Wenag! ! ); mit freundlicher Genehmigung von Bral Produc‐ tions und Nienke Rueb-van Akkeren Abb. 9.6 Vokaldreieck des Poldernederlands (Stroop 1998) Abb. 10.1 Die ik-ich-Linie (https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Ik-ich-Isogloss_-_Uer dinger_Lien.svg) Abb. 10.2 Treckschute (C.C. Fuchs, um 1810); Rijksmuseum; http: / / hdl.handle.net/ 10934/ RM 0001.COLLECT.309503 Abb. 10.3 Wijf im 15. und im 21.-Jahrhundert (Helmut Aretz) Abb. 10.4 Fokke & Sukke (Reid, Geleijnse & Van Tol); mit freundlicher Genehmigung von Reid, Geleijnse & Van Tol und Uitgeverij Cattalus 292 Bild- und Rechtsnachweise Literaturverzeichnis Abitzsch, Doris & Stefan Sudhoff (2009): Welkom! Niederländisch für Anfänger. Stuttgart: Klett. Absilis, Kevin, Jürgen Jaspers & Sarah Van Hoof (Hg.) (2012): De manke usurpator. Over Verkavelingsvlaams. Gent: Academia Press. Algemeen Nederlands woordenboek (2013), hg.-v. Tanneke Schoonheim et al. (anw.ivdnt.org/ ). ANS-= Algemene Nederlandse Spraakkunst (1997), hg.-v. W. Haesereyn et al., 2. Aufl. Gronin‐ gen/ Deurne: Martinus Nijhoff/ Wolters Plantyn. Appel, René et al. (Hg.) (2002): Taal en taalwetenschap. Oxford/ Malden: Blackwell Publishing. Austin, John Langshaw (1962): How to Do Things with Words. Oxford: Clarendon Press. Van der Auwera, Johan, Daniël Van Olmen & Denies Du Mon (2015): Grammaticalization. In: E. Dabrowska & D. Divjak (Hg.): Handbook of Cognitive Linguistics. Berlin: De Gruyter Mouton, 634-649. Van der Auwera, Johan, Ludovic de Cuypere & Annemie Neuckermans (2006): Negative indefinites: A typological and diachronic perspective on a Brabantic construction. In: Terttu Nevalainen, Juhani Klemola & Mikko Laitinen (Hg.): Types of variation. Diachronic, dialectal and typological interfaces. Amsterdam: Benjamins, 305-319. Bakema, Peter, Patricia Defour & Dirk Geeraerts (1993): De semantische structuur van het diminutief. In: Forum der Letteren 34, 121-137. Baker, Anne E. et al. (2012): Taal en Taalwetenschap. 2. Aufl. Chichester: Wiley-Blackwell. Barbiers, Sjef et al. (2006): Dynamische Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (Dyna‐ SAND). Amsterdam: Meertens Instituut. Bauer, Laurie (2006): Compound. In: Edward Keith Brown (Hg.): Encyclopedia of Language & Linguistics. 2. Aufl. Amsterdam: Elsevier, 719-726. Baugh, Albert C. & Thomas Cable (1993): A History of the English Language. 4. Aufl. Routledge: London. Beheydt, Ludo, René Dirven & Ulrike A. Kaunzner (1999): Uitspraak Nederlands. Teksten oefenboek. Leuven/ Amersfoort: Acco. Bennis, Hans (2015): Korterlands: anarchie in de schrijftaal. Amsterdam: Prometheus / Bert Bakker. Bennis, Hans (2012): Het Korterlands. Anarchie in de schrijftaal. In: Onze Taal 2/ 3, 46-48. Bennis, Hans (2010): Syntaxis van het Nederlands. Amsterdam: Amsterdam University Press. Bennis, Hans, Leonie Cornips & Marc van Oostendorp (2004): Verandering en verloedering. Normen en waarden in het Nederlands. Amsterdam: Amsterdam University Press - Salomé. Berteloot, Amand (2006): Mittelalter. In: Ralf Grüttemeier & Maria-Theresia Leuker (Hg.): Niederländische Literaturgeschichte. Stuttgart/ Weimar: Metzler, 1-58. Berteloot, Amand (2003): Van du naar ghi. Een keerpunt in het pronominale systeem van het Nederlands. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taalen Letterkunde 119, 204-215. Berteloot, Amand (2002): Konjugation im Umbruch. Die Endungen der zweiten Person Singular im Mittelniederländischen vom 13. bis zum 15.-Jahrhundert. In: Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. Band 12: Niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft im europäischen Kontext - Der skandinavische Norden und Europa: Sprache, Literatur und Kultur. Bern etc. ( Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A - Band-64), 53-60. Berteloot, Amand (1995): Das Mittelniederländische als Urkundensprache im 13. Jahrhundert. In: Kurt Gärtner & Günter Holtus (Hg.): Beiträge zum Sprachkontakt und zu den Urkundenspra‐ chen zwischen Maas und Rhein (= Trierer Historische Forschungen, 29). Trier: THF, 173-196. Van Bezooijen, Renée (2001): Poldernederlands; hoe kijken vrouwen ertegenaan? In: Nederlandse Taalkunde 6, 257-271. Van Bezooijen, Renée, & C. Giesbers (2003): Breekt ie echt dooj? De verspreiding van de Gooise r in het Standaardnederlands. In: Jan Stroop (Hg.): Waar gaat het Nederlands naartoe? Panorama van een taal. Amsterdam: Bakker, 204-214. Blancquaert, Edgar & Willem Pée (Hg.) (1925-1982): Reeks Nederlands Dialectatlassen (RND). Antwerpen: De Sikkel. Bloemhoff, Henk & Nanne Streekstra (2015): Basisboek Historische Taalkunde. Groningen: Kleine Uil educatief. Boogaard, Marianne & Mathilde Jansen (2018): Alles wat je altijd al had willen weten over taal. De Taalcanon. 3. Aufl. Amsterdam: Meulenhoff. Booij, Geert E. (2019): The Morphology of Dutch. 2. Aufl. Oxford: Oxford University Press. Booij, Geert E. (1995): The Phonology of Dutch. Oxford: Oxfod University Press. Booij, Geert E. & Ariane van Santen (2017): Morfologie. De woordstructuur van het Nederlands. 3. Aufl. Amsterdam: Amsterdam University Press. Den Boon, Ton (2010): Modern verdwijnwoordenboek. Van aamborstigheid tot zwijmelgeest en 748 andere verdwenen woorden. Utrecht/ Antwerpen: Van Dale. Boonen, Ute K. (2023a): Duitsch-Dutch-Deutsch: Zum Verhältnis von (Oberländisch-)Deutsch und Niederländisch(-Deutsch). In: Adelige Streitkultur, hg. v. Gerd Detlefs. Rhein-Maas. Geschichte, Sprache und Kultur 12, 137-178. Boonen, Ute K. (2023b): Nieuwe woorden bouwen, bijvoorbeeld met lego: zij legoot sie spielt mit Lego sy speel lego's. Conversie contrastief in het Nederlands, Duits en Afrikaans. In: Roczniki Humanistyczne, Vol. 71, No 5 (2023) Special Issue, 65-81. Boonen, Ute K. & Ingeborg Harmes (2012): Welk Nederlands voor Duitstaligen? Nederlandse taalverwerving en Nederlandse taalkunde vanuit Duits perspectief. In: De manke usurpator. Over Verkavelingsvlaams, hg.-v. Kevin Absilis, Jürgen Jaspers & Sarah Van Hoof, Gent: Academia Press, 349-370. Bouckaert, Remco et al. (2012): Mapping the Origins and Expansion of the Indo-European Language Family. In: Science, Vol. 337, Issue 6097, 957-960. Brachin, Pierre (1987): Die niederländische Sprache. Ein Überblick. Hamburg: Buske. Braun, Friederike (1984): Die Leistungsfähigkeit der von Brown/ Gilman und Brown/ Ford ein‐ geführten anredetheoretischen Kategorien bei der praktischen Analyse von Anredesystemen. In: Werner Winter (Hg.): Anredeverhalten. Tübingen: Narr, 41-72. Van Bree, Cor (1997): Wat is er met “gaan” aan de hand? In: Han Nijdam, M. L. Gerla, K. H. van Dalen-Oskam (Hg.): Leven in de oudgermanistiek. Leiden: Vereniging van Oudgermanisten, 72-77. 294 Literaturverzeichnis Van Bree, Cor (1996): Historische taalkunde. Leuven/ Amersfoort: Acco. Van Bree, Cor (1987): Historische grammatica van het Nederlands. (https: / / www.dbnl.org/ tekst/ bree001hist02_01/ ; abgerufen am 09.03.2022). Brieven en andere bescheiden betreffende Daniël van der Meulen (https: / / resources.huygens.kna w.nl/ brievenvandermeulen; abgerufen am 17.12.2022). Broekhuis, Hans & Norbert Corver (2019): Syntax of Dutch. Coordination and Ellipsis. Amster‐ dam: Amsterdam University Press (library.oapen.org/ bitstream/ id/ d9fea667-d017-431a-b2bc -c0e5361c66e8/ 431436.pdf, abgerufen am 06.03.2022). Broekhuis, Hans, Norbert Corver & Riet Vos (2015): Syntax of Dutch. Verbs and Verb Phrases. Amsterdam: Amsterdam University Press (library.oapen.org/ bitstream/ id/ d9fea667-d017-43 1a-b2bc-c0e5361c66e8/ 431436.pdf, abgerufen am 06.03.2022). Brown, Roger & Albert Gilman (1960): The pronouns of power and solidarity. In: Thomas A. Sebeok (Hg.): Style in language. Cambridge: MIT, 253-276. Bußmann, Hadumod (2008): Lexikon der Sprachwissenschaft. 4. Aufl. u.-M.-v. Hartmut Lauffer. Stuttgart: Kröner. De Caluwe, Johan & Magda Devos (1998): Noord/ Zuid-verschillen in de Nederlandse morfologie. In: Eric Hoekstra & Caroline Smits (Hg.): Morfologiedagen 1996. Cahier van het Meertens Instituut, nr 10, Amsterdam, 21-33. Carstens, Wannie & Edith H. Raidt (2017/ 2019): Die storie van Afrikaans. Uit Europa en van Afrika. Biografie van ’n taal. Teil 1 und 2. Pretoria: Protea Boekhuis. Ten Cate, Abraham P. & Peter Jordens (2008): Phonetik des Deutschen. Ein kontrastiv deutsch-nie‐ derländisches Lehrbuch für den Hochschulunterricht. Groningen: Publicatie van de afdeling Duits. Chafe, Wallace (1994): Discourse, consciousness, and time: the flow and displacement of conscious experience in speaking and writing. Chicago: The University of Chicago Press. Chomsky, Noam (1957): Syntactic Structures. Den Haag: Mouton. Clemen, Gudrun (1998): Hecken in deutschen und englischen Texten der Wirtschaftskommu‐ nikation: eine kontrastive Analyse. Dissertation. Siegen. (http: / / www.ub.uni-siegen.de/ pub/ diss/ fb3/ 1999/ clemen/ clemen.pdf.). De Clerck, Walter (1981): Zuidnederlands Woordenboek. ’s-Gravenhage/ Antwerpen: Martinus Nijhoff. Cornelisse, Paulien (2012): En dan nog iets. Amsterdam/ Antwerpen: Contact. Coupé, Griet (2009): Modal verbs in long verb clusters. An innovation in Early Modern Dutch. In: Stavroula Tsiplakou, Marilena Karyolemou & Pavlos Pavlou (Hg.): Language Variation - European perspectives II: Selected papers from the 4 th International Conference on Language Variation in Europe (ICLaVE 4), Nicosia, June 2007. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins, 59-70. Van Craenenbroeck, Jeroen & Guido Vanden Wyngaerd (2015): Formele semantiek. Een inleiding in de formele analyse van betekenis. Amsterdam: Amsterdam University Press. Crompvoets, Herman (1988): De beide Limburgen als dialectologisch slagveld. In: J. Goossens (Hg.): Woeringen en de oriëntatie van het Maasland (=-Bijlagen van de Vereniging voor Limburgse Dialecten Naamkunde, Nr.-3). Hasselt, 89-109. Literaturverzeichnis 295 Cruse, Alan (2000): Meaning in language. An introduction to semantics and pragmatics. Oxford: Oxford University Press. Van Dale Groot Woordenboek der Nederlandsche Taal (2022). Utrecht: Van Dale. Van Dale Groot Woordenboek hedendaags Nederlands (2010). Utrecht: Van Dale. Van Dale Pocketwoordenboek Nederlands als tweede taal (2020). Utrecht: Van Dale. Debrabandere, Peter (2005): Verschillen tussen het Nederlandse en het Belgische Neder‐ lands. (http: / / www.itidutchnetwork.org/ documents/ Antwerp/ lezing%20Antwerpen%20Les‐ sius%2012-06-2005.pdf; abgerufen am 15.02.2009). Decroos, B. (2000): Wat is er met ‘gaan’ aan de hand-…? (een aanvulling op Van Bree 1997). In: Veronique De Tier et al. (Hg.): Nochtans was scherp van zin. Gent: Universiteit van Gent, Vakgroep Nederlandse taalkunde, 111-116. Delftse bijbel (= Bible in duytsche) hg. v. Jacob Jacobszoon van der Meer & Mauricius Yemantszoon van Middelborch, Delft 1477, transkribiert v. Nicoline van der Sijs (2008). (http: / / www.bij‐ belsdigitaal.nl). Deneckere, Gita, Bruno De Wever, Tom de Paepe & Guy Vanthemsche (2020): Een geschiedenis van België. Amsterdam/ Leuven: Academia Press. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854- 1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. Online-Version vom 21.07.2013. Dirven, René & Marjolijn Verspoor (Hg.) (1999): Cognitieve inleiding tot taal en taalwetenschap. Leuven/ Amersfoort: Acco. Doedens, Anne, Yolande Kortlever & Liek Mulder (2020): Geschiedenis van Nederland. Het verhaal van prehistorie tot heden. Zutphen: WalburgPers Algemeen. Donalies, Elke (2011): Basiswissen Deutsche Wortbildung. 2. Aufl. Tübingen/ Basel: Francke. Van Donselaar, Jan (2005): Het Surinaams-Nederlands in Suriname. In: Nicoline van der Sijs (Hg.): Wereldnederlands. Oude en jonge variëteiten van het Nederlands. Den Haag: Sdu, 111-130. Driessen, Christoph (2020): Geschichte der Niederlande: Von der Seemacht zum Trendland. Regensburg: Friedrich Pustet. Driessen, Christoph (2018): Geschichte Belgiens. Die gespaltene Nation. Regensburg: Friedrich Pustet. Dryer, Matthew S. & Martin Haspelmath (Hg.) (2011): The World Atlas of Language Structures Online. München: Max Planck Digital Library (wals.info/ ). Duden Das Aussprachewörterbuch: Aussprache und Betonung von über 132.000 Wörtern und Namen, hg. v. der Dudenredaktion. 7. Aufl. Mannheim: Dudenverlag. E-ANS (=-Elektronische Fassung der Algemene Nederlandse Spraakkunst) (2021--) hg.-v. P. A. Coppen et al. (ans.ruhosting.nl/ e-ans/ ). Van Eemeren, Frans H. & Wim K.B. Koning, (Hg.) (1981): Studies over taalhandelingen. Amster‐ dam: Boom. Eickmans, Heinz (2017): „Auß der Niederländischen Sprach ins HochTeutsch ubergesetzt.“ Zur begrifflichen Kontrastierung der Bezeichnungen für Niederländisch und Deutsch in Übersetzungen des 17.-Jahrhunderts. In: Markus Denkler, Stephan Elspaß, Dagmar Hüpper, Elvira Topalović (Hg.): Deutsch im 17. Jahrhundert. Studien zu Sprachkontakt, Sprachvariation 296 Literaturverzeichnis und Sprachwandel. Gedenkschrift für Jürgen Macha. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 223-241. Eickmans, Heinz (2012a): Niederlande (Koninkrijk der Nederlanden). In: Franz Lebsanft, Monika Wingender (Hg.): Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Ein Handbuch zur Sprachpolitik des Europarats. Berlin/ Boston: De Gruyter, 153-171. Eickmans, Heinz (2012b): Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT). In: Ulrike Haß (Hg.): Große Lexika und Wörterbücher Europas. Europäische Enzyklopädien und Wörterbücher in historischen Porträts. Berlin/ Boston: De Gruyter, 271-291. Eickmans, Heinz (2003): Aspekte einer niederrheinischen Sprachgeschichte. In: Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann et al. (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Aufl., 3. Teilband, Berlin/ New York: De Gruyter, 2629-2639. Elsen, Hilke (2011): Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin/ Boston: De Gruyter Studium. Erkens, Ben (1999): ’t is hiej versjrikkelik gezèllig. (http: / / www.limburgzingt.nl/ gelee-tz.htm; abgerufen am 02.04.2013). Van Es, G.A. (Hg.) (1976): Sint Servaeslegende. In Dutschen dichtede dit Heynrijck die van Veldeken was geboren. 2. Aufl. Noorduijn/ Culemborg: Tjeenk Willink. Evans, Vyvyan (2015): The crucible of language. How language and mind create meaning. Cambridge: Cambridge University Press. (Expositio) Willerammi Eberspergensis Abbatis in Canticis Canticorvm. Die Leidener Handschrift. Neu hg.-v. Willy Sanders (1971). Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters, Heft 9. München: Wilhelm Fink. FAND-= Fonologische Atlas van de Nederlandse Dialecten, hg.-v. Jan Goossens, Johan Taeldeman & Geert Verleyen (1998: deel I; 2000: deel II + III); Chris De Wulf, Jan Goossens & Johan Taeldeman (2005: deel IV): Gent: Koninklijke Academie voor Nederlandse Taalen Letterkunde. Fillmore, Charles J. (1992): ‘Corpus Linguistics’ or ‘Computer-Aided Armchair Linguistics’. In: Jan Svartvik (Hg.): Directions in Corpus Linguistics. Proceedings of Nobel Symposium 82 Stockholm. Berlin: Mouton De Gruyter, 35-60. Fleischer, Wolfgang & Irmhild Barz (1995): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. u.-M.-v. Marianne Schröder. Tübingen: Niemeyer. Fromkin, Victoria & Robert Rodman (1995): Universele taalkunde. Een inleiding in de algemene taalkunde, bearbeitet von A. Neijt. Dordrecht: Foris. Fromkin, Victoria & Robert Rodman (1993): An Introduction to Language. 5. Aufl. Fort Worth: Harcourt College Publisher. Gabriel-Kamminga, Mirjam & Johanna Roodzant (2005): PONS Grammatik kurz und bündig Niederländisch. Stuttgart: Klett. Geeraerts, Dirk et al. (1999): Wat er in een woord zit? Lexicologie. In: René Dirven & Marjolijn Verspoor (Hg.), Cognitieve inleiding tot taal en taalwetenschap. Leuven/ Amersfoort: Acco, 31-59. Literaturverzeichnis 297 Geeraerts, Dirk (1986): Woordbetekenis. Een overzicht van de lexicale semantiek. Leuven/ Amers‐ foort: Acco. Geeraerts, Dirk et al. (1999): Convergentie en divergentie in de Nederlandse woordenschat. Amsterdam: Meertens Instituut. Ghyselen, Anne-Sophie (2016): From diglossia to diaglossia: a West Flemish case-study. In: Marie-Hélène Côté, Remco Knooihuizen & John Nerbonne (Hg.): The future of dialects. Selected papers from Methods in Dialectology XV. Berlin: Language Science Press, 35-63. Goossens, Jan (2013): Historische Phonologie des Niederländischen. Berlin/ Boston: De Gruyter. Goossens, Jan (1998): r-Methatese vor Dental im Westen der kontinentalen Germania. In: Eva Schmitsdorf, Barbara Meurer & Nina Hartl (Hg.): Lingua Germanica. Studien zur deutschen Philologie. Jochen Splett zum 60. Geburtstag. Münster: Waxmann, 10-22. Goossens, Jan (1977): Inleiding tot de Nederlandse dialectologie. Groningen: Wolter-Noordhoff. Goossens, Jan (1971): Was ist Deutsch - und wie verhält es sich zum Niederländischen? Bonn: Königl. Niederländ. Botschaft: Reihe Nachbarn, Bd.-11; auch in: Heinz Eickmans, Loek Geeraedts & Robert Peters (Hg.): Ausgewählte Schriften zur niederländischen und deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft (= Niederlande-Studien; Bd. 22). Münster et al.: Waxmann, 331-358. Gobardhan-Rambocus, Lila (2007): Nederlands in Suriname, een geslaagd resultaat van taalpo‐ litiek. In: Jane Fenoulhet et al. (Hg.): Neerlandistiek in contrast. Bijdragen aan het Zestiende Colloquium Neerlandicum. Amsterdam: Rozenberg, 499-507. De Grauwe, Luc (2004): Zijn olla vogala Vlaams, of zit de Nederlandse filologie met een koekoeksei in (haar) nest(en)? In: Tijdschrift voor Nederlandse Taalen Letterkunde, 120, 44-56. De Grauwe, Luc (1979-1982): De Wachtendonckse Psalmen en Glossen. Een lexikologisch-woord‐ geografische studie met proeve van kritische leestekst en glossaria. Band I und II, Gent: KANTL. Grezel, Jan Erik (2002): U of jij: wat moet je nou? Aanspreekvormen in Nederland en Vlaanderen. In: Onze Taal 10, 264-267; vgl. Grezel 2007: kennislink.nl (nemokennislink.nl/ publicaties/ u-o f-jij-wat-moet-je-nou/ ; abgerufen am 17.12.2022). Grice, Herbert Paul (1975): Logic and Conversation. In: Peter Cole & Jerry L. Morgan (Hg.): Syntax and Semantics. Vol. 3: Speech Acts. New York: Academic Press, 41-58. Groeneboer, Kees (2007): Erfenis met toekomst: Het Nederlands in Indonesië. In: Sica Mag 34 (juni 2007), 11-13. Groeneboer, Kees (1993): Weg tot het Westen. Leiden: KITLV Uitgeverij. De Groot, Casper (1995): De absentief in het Nederlands: een grammaticale categorie. In: Forum der Letteren 36, 1-18. Grundy, Peter (2020): Doing Pragmatics. 4. Aufl. London: Hodder Education. Van der Gucht, Fieke et al. (2017): Atlas van de Nederlandse taal - Editie Vlaanderen. 3. Aufl. Tielt: Lannoo. Haarmann, Harald (2002): Sprachenalmanach: Zahlen und Fakten zu allen Sprachen der Welt. Frankfurt a. Main: Campus Verlag. De Haas, Wim, & Mieke Trommelen (1993): Morfologisch handboek van het Nederlands. Een overzicht van de woordvorming. ’s Gravenhage: Sdu. 298 Literaturverzeichnis Van Haeringen, Coenraad Bernardus (1940): De taaie levenskracht van het sterke werkwoord. In: De Nieuwe Taalgids 34, 241-255. Hagers, M. & R. Schtutz (o.A.): Onder Woorden. Woordenboek van Nederlandse intensiveringen. (onderwoorden.nl/ ). Handbook of the International Phonetic Association. A Guide to the Use of the International Phonetic Alphabet (1999), hg. v. International Phonetic Association. Cambridge: Cambridge University Press. Hamans, Camiel (2011): An early sociolinguistic approach towards standardization and dialect variation. G.G. Kloeke’s theory of Hollandish expansion. In: Gerda Hassler (Hg.): History of Linguistics. Selected papers from the eleventh International Conference on the History of the Language Sciences 2008. Amsterdam: John Benjamins, 369-387. Harmes, Ingeborg (2019): ‘Van zienaazappelzap naar sinaasappelsap: focus op uitspraak.’ nach‐ barsprache niederländisch 34, 48-73. Harmes, Ingeborg (2017): A Synchronic and Diachronic Study of the Dutch Auxiliary ‘Zou(d’n)’. In: Juana I. Marín-Arrese, Gerda Haβler & Marta Carretero (Hg.): Evidentiality Revisited: Cognitive Grammar, Functional and Discourse-Pragmatic Perspectives. Amsterdam: John Ben‐ jamins, 149-169. Harmes, Inge (2006): Shall-zullen-sollen: een contrastieve analyse. In: Matthias Hüning et al. (Hg.): Nederlands tussen Duits en Engels. Handelingen van de workshop op 30 september en 1 oktober 2005 aan de Freie Universität Berlin. Leiden: Stichting Neerlandistiek Leiden, 243-258. Haspelmath, Martin (2002): Understanding Morphology. London: Arnold. Haspelmath, Martin et al. (2001): Typologie und sprachliche Universalien (=-Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft). Bde. 1 und 2. Berlin: De Gruyter.- Haugen, Einar (1966): Dialect, language, nation. In: American Anthropologist 68, 922-935. Hauser, Marc D., Noam Chomsky & W. Tecumseh Fitch (2002): The Faculty of Language: What is it, who has it, and how did it evolve. In: Science 198, 1569-1579. Haverkate, Henk (2006): Zou ik misschien toch nog eventjes een klein vraagje mogen stellen? Nederlandse omgangsvormen in intercultureel persepectief. De rol van beleefdheid in onze taal en cultuur. Amsterdam: Rozenberg. Heemskerk, Josée & Wim Zonneveld (2000): Uitspraakwoordenboek. Utrecht: Spectrum. Van Heuven, Vincent (2003): Vervlakt het Nederlands? Over intonatie. In: Jan Stroop (Hg.): Waar gaat het Nederlands naartoe? Panorama van een taal. Amsterdam: Bakker, 215-223. Hietbrink, Willem (1996): Kwispelen met taal. Met Oertaalwoordenboek. Rotterdam: Phoenix & Den Oudsten. Hiligsmann, Philippe & Florence Noiret (2010): Modale partikels in het Nederlands en hun vertalingen in het Frans. In: Johan De Caluwe & Jaques van Keymeulen (Hg.): Voor Magda: artikelen voor Magda Devos bij haar afscheid van de Universiteit Gent. Gent: Academia Press, 281-292. Hilpert, Martin (2014): Construction Grammar and its application to English. Edinburgh: Edin‐ burgh University Press. Hinskens, Frans & Johan Taeldeman (2013): Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Volume 3: Dutch. Berlin/ Bosten: De Gruyter Mouton. Literaturverzeichnis 299 Horn, Laurence R. & Gregory Ward (Hg.) (2004): The Handbook of Pragmatics. Malden et al.: Blackwell. Van der Horst, Joop (2013): Taal op drift. Lange-termijnontwikkelingen in taal en samenleving. Amsterdam: Meulenhoff. Van der Horst, Joop (2008a): Het einde van de standaardtaal. Een wisseling van Europese taalcultur. Amsterdam: Meulenhoff. Van der Horst, Joop (2008b): Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis. Leuven: Leuven University Press. Van der Horst, Joop & Kees van der Horst (1999): De geschiedenis van het Nederlands in de twintigste eeuw. Den Haag: Sdu. Van Hout, Roeland (1989): De structuur van taalvariatie. Een sociolinguïstisch onderzoek naar het stadsdialect van Nijmegen. Dordrecht: Foris. Van Hout, Roeland & Uus Knops (1988): Language Attitudes in the Dutch Language Area. Dordrecht: Foris . Houtkoop, Hanneke & Tom Koole (2000): Taal in actie. Bussum: Coutinho. Hüning, Matthias (2010): Adjective + Noun constructions between syntax and word formation in Dutch and German. In: Alexander Onysko & Sascha Michel (Hg.): Cognitive Perspectives on Word Formation (= Trends in Linguistics. Studies and Monographs, 221). Berlin/ New York: De Gruyter Mouton, 195-215. Hüning, Matthias (2004): Over woorden en woordgroepen. A+N-verbindingen in het Nederlands en in het Duits. In: Stefan Kiedron & Agata Kowalska-Szubert (Hg.): Thesaurus polyglottus et flores quadrilingues. Festschrift für Stanislaw Predota zum 60. Geburtstag. Wroclaw: Oficyna Wydawnicza ATUT/ Wroclawskie Wyawnictwo Oswiatowe, 159-171. Hüning, Matthias & Barbara Schlücker (2010): Konvergenz und Divergenz in der Wortbil‐ dung. Komposition im Niederländischen und im Deutschen. In: Antje Dammel, Sebastian Kürschner, Damaris Nübling (Hg.): Kontrastive Germanistische Linguistik. 2 Teilbände. Hil‐ desheim/ Zürich/ New York: Georg Olms Verlag, 783-825. Impe, Leen & Dirk Speelman (2007): Vlamingen en hun (tussen)taal: een attittudineel mixed guise-onderzoek. In: Handelingen van de koninklijke Zuid-Nederlandse maatschappij voor taal-, letterkunde en geschiedenis 61, 109-128. Jacobi, Irene (2009): On variation and change in diphthongs and long vowels of spoken Dutch. Dissertation. Amsterdam UvA-DARE (Digital Academic Repository). Jansen, Mathilde et al. (2017): Atlas van de Nederlandse Taal - Editie Nederland. Tielt: Lannoo. Janssens, Guy & Ann Marynissen (2011): Het Nederlands vroeger en nu. Leuven: Acco. Janssen, Theo (Hg.) (2002): Taal in gebruik. Een inleiding in de taalwetenschap. Den Haag: Sdu. Janssen, Theo (1989): Tempus: interpretatie en betekenis. In: De Nieuwe Taalgids 89, 205-329. Janssen, Theo & Arie Verhagen (2002): Zinnen en cognitie. In: Theo Janssen (Hg.): Taal in gebruik. Een inleiding in de taalwetenschap. Den Haag: Sdu uitgevers, 77-96. Jaspers, Jürgen (Hg.) (2009): De klank van de stad. Stedelijke meertaligheid en interculturele communicatie. Leuven: Acco. Jongbloet-van Houtte, Gisela & Daniël van der Meulen (Hg.) (1986): Brieven en andere bescheiden betreffende Daniël van der Meulen. ’s-Gravenhage: Martinus Nijhoff. 300 Literaturverzeichnis Joosten, Frank (2002): De uitspraak van letterwoorden in het Nederlands. In: Nederlandse taalkunde 7, 238-263. Karel ende Elegast. In: Instituut voor Nederlandse Lexicologie (samenstelling en redactie): Cd-rom Middelnederlands. Den Haag/ Antwerpen: Sdu/ Standaard 1998 [Ausgabe Duinhoven 1969]. Kempen, Willem (1962): Woordvorming en funksiewisseling in Afrikaans. Kaapstad et al.: Nasio‐ nale Boekhandel. Kloeke, Gesinus Gerhardus (1927): De Hollandsche expansie in de zestiende en zeventiende eeuw en haar weerspiegeling in de hedendaagsche Nederlandsche dialecten. ’s Gravenhage: Martinus Nijhoff. Klooster, Wim (2001): Grammatica van het hedendaags Nederlands. Een volledig overzicht. Den Haag: Sdu. Kloots, Hanne & Steve Gillis (2011): Van ‘armen’ tot ‘zwerk’: sjwa-insertie in het Standaardned erlands. In: Over taal 50 (2), 34-36. Koenen, M.J. (2006): Woordenboek Nederlands. Nederlandse Taalunie. Kolkman, Marieke (2011): ‘De paard kijkt naar ons’ Hoelang heeft het lidwoord het nog? In: Onze Taal 11, 318-319. Kooij, Jan & Marc van Oostendorp (2003): Fonologie. Uitnodiging tot de klankleer van het Nederlands. Amsterdam: Amsterdam University Press. Koster, Jan (1975): Dutch as an SOV language. In: Linguistic Analysis 1, 111-136. Kremer, Ludger (2000): Duzen und Siezen. Zur Verwendung der Anredepronomina im Deutschen und Niederländischen. In: Germanistische Mitteilungen 52, 13-31. Kroeger, Paul R. (2018): Analyzing meaning. An introduction to semantics and pragmatics. Berlin: Language Science Press. (Online verfübar unter: langsci-press.org/ catalog/ 144). Kürschner, Sebastian (2006): De Nederlandse meervoudsallomorfie tussen Duitse complexiteit en Engelse eenvoud. In: Matthias Hüning, Ulrike Vogl, Ton van der Wouden & Arie Verhagen (Hg.): Nederlands tussen Duits en Engels: Handelingen van de workshop op 30 september en 1 oktober 2005 aan de Freie Universität Berlin. Leiden: SNL, 103-122. Lademacher, Horst (1983): Geschichte der Niederlande. Politik - Verfassung - Wirtschaft. Darm‐ stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Lakoff, George (1987): Women, Fire, and Dangerous Things. What categories reveal about the Mind. Chicago: University of Chicago Press. Lakoff, George & Mark Johnson (1980): Metaphors we live by. Chicago: University of Chicago Press. Lanseloet van Denemerken. In: Instituut voor Nederlandse Lexicologie (samenstelling en re‐ dactie): Cd-rom Middelnederlands. Den Haag/ Antwerpen: Sdu/ Standaard 1998 [Ausgabe P. Leendertz jr. 1897]. Lawler, John M. (2005): Frequently Asked Questions About Linguistics. (personal. um‐ ich.edu/ ~jlawler/ lingfaq.html, Stand 06.03.2005). Van Leeuwen, Joke (2015): Waarom een buitenboordmotor eenzaam is. 4. Druck. Rekkem: Stichting Ons Erfdeel. Literaturverzeichnis 301 Leidse Willeram [=-Expositio Willerammi Eberspergensis Abbatis in Canticis Canticorvm: die Leidener Handschrift.] Neu hg.-v. Willy Sanders. München: Wilhelm Fink, 1971. Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters, Heft 9. Librado, P. et al. (2021): The origins and spread of domestic horses from the Western Eurasion steppes. In: Nature 598, 634-640. Liedtke, Frank (2016): Moderne Pragmatik.Grundbegriffe und Methoden. Tübingen: Narr. Le livre des mestiers. Dialogues français-flamands composés au XIVe siècle par un maître d’école de la ville de Bruges, hg.-v. H. Michaelant (1875). Paris: Libraire Tross. 1875. 4°. Van Loey, Adolphe (1948): Middelnederlandse spraakkunst. Deel I. Vormleer. Groningen: Wol‐ ters-Noordhoff (9. Druck, 1980). Van Loey, Adolphe (1949): Middelnederlandse spraakkunst. Deel II. Klankleer. Groningen: Wol‐ ters-Noordhoff (7. Aufl., 1979). Van Loon, Jozef (2014): Historische fonologie van het Nederlands. 2. Aufl., Schoten: Universitas. Het Luikse Diatessaron, hg.-v. C.C. de Bruin (1970). Met de Engelse vertaling van A.J. Barnouw. Leiden. Verzameling van Middelnederlandse bijbelteksten. Kleine reeks, afdeling-1: evange‐ liënharmonieën deel I. MAND = Morfologische Atlas van de Nederlandse Dialecten hg. v. Georges De Schutter et al. (2005: Teil 1); Ton Goeman et al. (2008: Teil 2): Amsterdam: Amsterdam University Press. Martin, Willy (2011): Lexicologie en lexicografie: een stand van zaken. In: Over Taal 50 (1), 76-79. Martin, Willy (2010): Het Nederlands als vaktaal. In: Albert Oosterhof et al. (Hg.) (2010): Nederlands in hoger onderwijs en wetenschap? Gent: Academia Press, 115-116. Martin, Willy, Willy Smedts & Leen van Cleyenebreugel (2009): Prisma Handwoordenboek Nederlands. Met onderscheid tussen Nederlands-Nederlands en Belgisch-Nederlands. Houten: Prisma Woordenboeken en Taaluitgaven. Meibauer, Jörg (2008): Pragmatik. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg. Mijts, Eric (2007): Het Nederlands in de Nederlandse Antillen en Aruba. In: Jane Fenoulhet et al. (Hg.): Neerlandistiek in contrast. Bijdragen aan het Zestiende Colloquium Neerlandicum. Amsterdam, 509-518. Mulisch, Harry (1997): De ontdekking van de hemel. Amsterdam: Bezige Bij. Multatuli: Ideën, hg.-v. G.L. Funke (1879) (zitiert nach dbnl.org). Multatuli: Max Havelaar of De koffiveilingen der Nederlandsche Handelmaatschappy, hg.v. Mimi Douwes Dekker (1900). 9. Druck. Amsterdam: Elsevier (zitiert nach dbnl. org). Musan, Renate (2017): Informationsstruktur. 2. Aufl. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Neijt, Anneke (1991): Universele fonologie. Dordrecht: Foris Publications. De nieuwe rarekiek van den ouden korporaal Smit (1877). Anonym. Haarlem: J.M. Schalekamp. Nieuwenhuijsen, Peter M. (1995): Het verschijnsel taal. Een kennismaking. Bussum: Coutinho. Nolles, Jurriaan (24.09.2021). Laatste tolk Fries verdwijnt uit rechtbank Leeuwarden: ‘Overheid wil niet onderhandelen over tarief ’. In: Algemeen Dagblad. (ad.nl/ binnenland/ laatste-tolk-fri es-verdwijnt-uit-rechtbank-leeuwarden-overheid-wil-niet-onderhandelen-over-tarief~ac8f6 c5d/ ; abgerufen am 08.03.2022). North, Michael (2013): Geschichte der Niederlande. München: C.H. Beck. Nortier, Jacomine (2009): Nederland meertalenland. Amsterdam: Aksant. 302 Literaturverzeichnis Nübling, Damaris et al. (2017): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 5. Aufl. Tübingen: Narr. Ooms, Miet (2020): Buurtaal. Praktische gids voor het Nederlands in België en Nederland. Gorredijk: Sterck & De Vreese. Van Oostendorp, Marc (2004): Taalvariatie in Nederland: Limburgse tonen. (vanoostendorp.nl/ p df/ atlascursus02.pdf). Van Oostendorp, Marc (1999): 1950-1959. Honderd jaar revolutie. Taalwetenschap in de twintigste eeuw. In: Peter Burger, Jaap de Jong (Hg.): Taalboek van de eeuw. Den Haag - Antwerpen: Sdu/ Standaard, 120-135. Van Oostendorp, Marc (1996): Tongval; Hoe klinken Nederlanders? Amsterdam: Prometheus. (va noostendorp.nl/ fonologie/ tongval/ index.html). Van Oostendorp, Marc & Ton van der Wouden (1998): Corpus Internet. In: Nederlandse Taalkunde 3, 347-361. Osthoff, Hermann & Karl Brugmann (1878 ff.): Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1878-1890 als Documenta Semiotica. Hildesheim/ New York: Georg Olms Verlag (1974/ 1975). Paardekooper, Petrus Cornelis (1963): Beknopte ABN syntaksis. Im Selbstverlag. Peters, Robert (2006): Der Ortspunkt Zwolle im Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete. In: Taal & Tongval 58, 123-147. Philippa, Marlies et al. (2003-2009): Etymologisch Woordenboek van het Nederlands. Amsterdam: Amsterdam University Press. Pittner, Karin & Judith Berman (2021): Deutsche Syntax - ein Arbeitsbuch. 7. Aufl. Tübingen: Narr Francke Attempto. Pollmann, Thijs & J. A. le Loux-Schuringa (1988): Woorden, klanken, zinnen, talen. Een inleiding in de taalkunde. 2. Aufl. Leiden: Nijhoff. Postma, Gertjan (2006): Van groter dan naar groter als - structurele oorzaken voor het verval van het comparatieve voegwoord dan. Nederlandse Taalkunde 11, 2-22. Pronk, Lijntje (2022): Dan nou maar eens even. Hoe gebruik je modale partikels in het Nederlands. Taalbureau TXT. Quak, Arend (2008): Echt Oudnederlands? (Oratie uitgesproken door Prof.dr. A. Quak bij de aanvaarding van het ambt van bijzonder hoogleraar in de Oud-Germaanse Filologie aan de Universiteit Leiden vanwege het LUF). Leiden: Universiteit Leiden. Reichenbach, Hans (1947): Elements of symbolic logic. New York: Macmillan. Renkema, Jan (2011): Een verkennend onderzoek naar taalverruwing. In: Internationale Neer‐ landistiek 49(1), 25-43. Renkema, Jan (2004): Alles wat waar is, is koud zonder waarde. Onze Taal, 73, 120-122. Van Rheeden, Hadewych A. (1995): Het Petjo van Batavia: ontstaan en structuur van de taal van de Indo’s. Amsterdam: Universiteit van Amsterdam, Instituut voor Algemene Taalwetenschap. Rietveld, A. C. M. & V. J. van Heuven (2016): Algemene fonetiek. 3. Aufl. Bussum: Coutinho. Robinson, Tjalie (1984): Ik en Bentiet. Den Haag: Moesson. Römer, Christine (2006): Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen/ Basel: A. Francke Verlag. Literaturverzeichnis 303 Römer, Christine & Brigitte Matzke (2010): Der deutsche Wortschatz. Struktur, Regeln und Merkmale. Tübingen: Narr. Rosenkranz, S. (2008): Niederlande Mordsgouda. In: Stern 26, 19.06.2008. Ruigendijk, Esther et al. (2021): Inleiding Nederlandse taalkunde. Amsterdam: Amsterdam University Press. Salverda, Reinier (2006): Over de sterke werkwoorden in het Nederlands, Engels en Duits. In: Matthias Hüning et al. (Hg.), Nederlands tussen Duits en Engels. Handelingen van de workshop op 30 september en 1 Okotber 2005 aan de Freie Universität Berlin. Leiden: SNL, 163-181. Sanders, Ewoud (2005): De scrabblemythe: “staat een woord niet in het woordenboek, dan bestaat het niet”. In: Onze taal 74 (7-8), 184-186. SAND-= Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten, hg. v. Sjef Barbiers et al. (2005: deel 1); Sjef Barbiers et al. (2007: deel 2): Amsterdam: Amsterdam University Press. Van Santen, Ariane (1997): Hoe sterk zijn sterke werkwoorden? In: Ariane van Santen & Marijke van der Wal (Hg.): Taal in tijd en ruimte. (SNL reeks). Leiden: NN, 45-56. Sapir, Edward (1921): Language. An Introduction to the Study of Speech. Book Jungle (12 Nov 2008). De Saussure, Ferdinand (1916): Cours de linguistique générale. Lausanne: Payot. Schlizio, Boris U., Ute Schürings & Alexander Thomas (2009): Beruflich in den Niederlanden. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlütter, Janna (2012): Ursprünge in der Türkei: Die Deutsche Sprache kommt aus Anatolien. In: Tagesspiegel. (https: / / www.tagesspiegel.de/ wissen/ urspruenge-in-der-tuerkei-diedeutsche-sprache-kommt-aus-anatolien/ 7048426.html; abgerufen am 09.11.2022). Schmidt, Wilhelm (2020): Geschichte der deutschen Sprache. Teil 1. 12. Aufl. u.-L.-v. Helmut Langner, Elisabeth Berner & Norbert Richard Wolf. Stuttgart: S. Hirzel. Schmidt, Wilhelm (2007): Geschichte der deutschen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanistische Studium. 10. Aufl. u.-L.-v. Helmut Langner & Norbert R. Wolf. Stuttgart: S. Hirzel. Schönfeld, Moritz (1970): Historische grammatica van het Nederlands. (8. Druck, Edition A. van Loey). Zutphen: N.V. W.T. Thieme & Cie. Schürings, Ute (2007): Leben und Arbeiten in den Niederlanden. Eine kurze Einführung in die niederländische Arbeits- und Betriebskultur. In: Gerd Busse (Hg.): Grenzüberschreitendes Lernen und Arbeiten. Euregio Rhein-Waal, 1-19. Schutz, Rik & Ludo Permentier (2016): Met zoveel woorden. Gids voor trefzeker taalgebruik. Amsterdam: Amsterdam University Press. Searle, John Rogers (1969): Speech acts. An Essay in the Philosophy of Language. Cambridge: Cambridge University Press. Senft, Gunter (2014): Understanding Pragmatics. London: Routledge. Sente Servaes. In: Maurits Gysseling (1977): Corpus van Middelnederlandse teksten (tot en met het jaar 1300), (Corpus Gysseling), Cd-rom Middelnederlands. Den Haag/ Antwerpen: Sdu/ Standaard 1998. Van der Sijs, Nicoline (2019): 15 eeuwen Nederlandse taal. Gorredijk: Sterck & De Vreese. Van der Sijs, Nicoline (Hg.) (2011): Dialectatlas van het Nederlands. Amsterdam: Prometheus. 304 Literaturverzeichnis Van der Sijs, Nicoline (2010): Nederlandse woorden wereldwijd. Den Haag: Bim Media Bv. Van der Sijs, Nicoline (2005a): De geschiedenis van het Nederlands in een notendop. Amsterdam: Bert Bakker. Van der Sijs, Nicoline (Hg.) (2005b): Wereldnederlands. Oude en jonge variëteiten van het Nederlands. Den Haag: Sdu. Van der Sijs, Nicoline (2004): Taal als mensenwerk. Het ontstaan van het ABN. Den Haag: Sdu. Van der Sijs, Nicoline (2001): Chronologisch Woordenboek. De ouderdom en herkomst van onze woorden en betekenissen. Amsterdam/ Antwerpen: Uitgeverij L.J. Veen. Van der Sijs, Nicoline (1996): Leenwoordenboek. De invloed van andere talen op het Nederlands. Den Haag: Sdu. Van der Sijs, Nicoline, Lauren Fonteyn & Marten van der Meulen (2021): Wat gebeurt er in het Nederlands? ! Over taal, frequentie en variatie. Gorredijk: Sterck & De Vreese. Van der Sijs, Nicoline, Jan Stroop & Fred Weerman (Hg.) (2011): Wat iedereen van het Nederlands moet weten en waarom. 5. Aufl. Amsterdam: Bakker. Van der Sijs, Nicoline et al. (Hg) (2009): Het verhaal van het Nederlands in twaalf eeuwen. Amsterdam: Prometheus. Simoens, Kristof (2009): Frans klinkt lekkerder dan Duits. In: De Standaard. (https: / / www.stand aard.be/ cnt/ dmf20090819_038; abgerufen am 08.03.2022). Simon, Horst (2002): Für eine grammatische Kategorie >Respekt< im Deutschen. Synchronie, Diachronie und Typologie der deutschen Anredepronomina (=-Linguistische Arbeiten 474). Berlin: de Gruyter. Simons, Marylin (2003): Carrousel. Paramaribo: Okopipi. Slippers, Jana, Anske Grobler & Neels van Heerden (2010): Afrikaans se unieke posisie en uitdagings in ’n veeltalige Suid-Afrika. In: Acta Academica 42(1), 132-167. Smedts, Willy & Petrus Cornelis Paardekooper (Hg.) (1999): De Nederlandse taalkunde in kaart. Leuven/ Amersfoort: Acco. Smessaert, Hans (2019): Basisbegrippen Taalkunde. Semantiek en Pragmatiek. Leuven: Acco. Smessaert, Hans (2010): Morfologie van het Nederlands. Een inleiding. Leuven/ Amersfoort: Acco. Smessaert, Hans (2009): Basisbegrippen semantiek. Leuven/ Amersfoort: Acco. Smessaert, Hans et al. (2019): Morfologie en syntaxis. Leuven/ Amersfoort: Acco. Smessaert, Hans & Wivine Decoster (2012): Basisbegrippen fonetiek en fonologie. Leuven: Acco. Smirnova, Elena & Tanja Mortelmans (2010): Funktionale Grammatik. Konzepte und Theorien. Berlin: De Gruyter. Stegeman, Jelle (2021): Grote geschiedenis van de Nederlandse taal. 2 Bde.,Amsterdam: Amsterdam University Press. Van Sterkenburg, Piet (2011): Van woordenlijst tot woordenboek. Een geschiedenis van woorden‐ boeken van het Nederlands. Schiedam: Scriptum. Van Sterkenburg, Piet (2009): Een kleine taal met een grote stem. Hedendaags Nederlands. Schiedam: Scriptum. Stroop, Jan (2010): Hun hebben de taal verkwanseld; d. Over Poldernederlands, ‘fout’ Nederlands en ABN. Amsterdam: Athenaeum-Polak & Van Gennep. Literaturverzeichnis 305 Stroop, Jan (2009): Groeten en wensen. In: Swanenberg, A. P. C. et al.: Moi, adieë en salut; Groeten in Nederland en Vlaanderen. Groesbeek: Stichting Nederlandse Dialecten, 13-23. (janstroop. nl/ oudesite/ artikelen/ Groetenenwensen.shtml). Stroop, Jan (Hg.) (2003): Waar gaat het Nederlands naartoe? Panorama van een taal. Amsterdam: Uitgeverij Bert Bakker. Stroop, Jan (1998): Poldernederlands. Waardoor het ABN verdwijnt. Amsterdam: Bakker. Suter, Martin (2010): Der Koch. Zürich: Diogenes. De Sutter, Gert (2017): De vele gezichten van het Nederlands in Vlaanderen. Een inleading tot de variatietaalkunde. Leuven/ Den Haag: Acco. Tetel Andresen, Julie & Philipp M. Carter (2016): Languages in the World: How History, Culture and Politics Shape Language. Chichester: Wiley Blackwell. Van den Toorn, Maarten et al. (1997): De geschiedenis van de Nederlandse taal. Amsterdam: Amsterdam University Press. Tops, Evie (2010): Variatie en verandering van de / r/ in Vlaanderen. Brussel: VUBPress. Traxler, Matthew J. (2011): Introduction to Psycholinguistics: Understanding Language Science. Malden et al.: Wiley-Blackwell. Vanacker, Hans (1983): De ‘Nederlandsche Taalen Letterkundige Congressen’ (1849-1912) en hun rol bij de vernederlandsing van het onderwijs. In: Neerlandia 87, 3-9. Vandekerckhove, José (2005): De bokkensprongen van de taal. Over woordenschat in het Nederlands. In: André Mottart (Hg.): Achtiende conferentie Het Schoolvak Nederlands. Gent: Academia Press, 139-152. Vandeweghe, Willy (2013): Grammatica van de Nederlandse zin. M.-m.-v. Magda Devos & Fons De Meersman. 8. Aufl., Antwerpen/ Apeldoorn: Garant. Vandeweghe, Willy (2010): Modale partikels en vertaling. In: Internationale Neerlandistiek 48 (2), 19-30. Vekeman, Herman W. J. & Andreas Ecke (1992): Die Geschichte der niederländischen Sprache. Bern/ New York: Peter Lang. Van de Velde, Hans (1996): Variatie en verandering in het gesproken Standaard-Nederlands (1935-1993). Nijmegen: Proefschrift K.U. Nijmegen. Van de Velde, Hans, Marinel Gerritsen & Roeland van Hout (1995): De verstemlozing van de fricatieven in het Standaard-Nederlands. Een onderzoek naar taalverandering in deperiode 1935-1993. In: De Nieuwe Taalgids 88, 422-445. Vendler, Zeno (1967): Linguistics in philosophy. Ithaca: Cornell University Press. Verhagen, Arie (2005): Constructiegrammatica en ‘usage based’ taalkunde. In: Nederlandse Taalkunde 10, 197-222. Verkuyl, Hendrik (2000): Semantiek. Het verband tussen taal en werkelijkheid. Amsterdam: Amsterdam University Press. Verkuyl, Henk (1972): On the compositional nature of the aspects. Dordrecht: Reidel. Vermaas, Johanna Aleida Maria (2002): Veranderingen in de Nederlandse aanspreekvormen van de dertiende t/ m de twintigste eeuw. Dissertation. Utrecht: LOT. Verschueren, Jef (1999): Understanding Pragmatics. London: Arnold. 306 Literaturverzeichnis Vismans, Roel (2016): Jojoën tussen u en je Over de dynamiek van het gebruik van Nederlandse aanspreekvormen in het radioprogramma Casa Luna. In: Internationale Neerlandistiek 54 (2), 117-136. Vismans, Roel (2007): Student tussen twee vuren: intercultureel tutoyeren. In: Jean-Marie Va‐ lentin et al. (Hg.): Akten des XI. Internationalen Germanistenkongress, Paris 2005. Germanistik im Konflikt der Kulturen, Band-2. Bern: Peter Lang, 175-182. De Vogelaer, Gunther & Evie Coussé (2008): De kracht van disambiguering: nieuwe meer‐ voudspronomina van het Middelnederlands tot nu. In: Taal & Tongval, Themanummer 21 (Dialectgeografie en interne factoren), 13-35. De Vries, Jan W., Roland Willemyns & Peter Burger (1994): Het verhaal van een taal. Negen eeuwen Nederlands. Amsterdam: Prometheus. De Vries, Matthias & Lammert Allard te Winkel (1898): Woordenlijst voor de spelling der Nederlandsche taal. ’s Gravenhage: Nijhoff. Wagenaar, Pyter (2004): Handboek Taaletiquette. Tips voor taal en omgang. Den Haag: Uitgeverij BZZTôH. Van der Wal, Marijke J. (1995): De moedertaal centraal. Standaardisatie-aspecten in de Nederlanden omstreeks 1650. Den Haag: Sdu. Van der Wal, Marijke J. & Cor van Bree (2015): De geschiedenis van het Nederlands. 8. Aufl. Utrecht: Het Spectrum. Weerman, Fred (2003): Een mooie verhaal: veranderingen in uitgangen. In: Jan Stroop (Hg.): Waar gaat het Nederlands naartoe? Panorama van een taal. Amsterdam: Bert Bakker, 249-260. Weijnen, Antoon (1966): Nederlandse dialectkunde. Assen: Van Gorcum. Weiland, Petrus (1805): Nederduitsche Spraakkunst. Amsterdam: Johannes Allart. Weiland, Petrus (1799-1811): Nederduitsch taalkundig woordenboek. Amsterdam: Johannes Allart. Wenzel, Veronika (2004): Partikels in het Nederlands als vreemde taal. In: Neerlandica Extra Muros 42 (1), 33-43. Wielenga, Friso (2018): Geschichte der Niederlande. 3. Aufl. Ditzingen: Reclam. Van Wijk, Nicolaas (1940): Het Getijdenboek van Geert Grote. Leiden: E.J. Brill (zitiert nach dbnl.org). Wilmink, Willem & W.P. Gerritsen ( 7 2003): De reis van Sint Brandaan. Een reisverhaal uit de twaalfde eeuw. Utrecht: Aula. Wischerhoff, Oliver (1998): Von „abartig“ bis „zauberhaft“. Was Deutsche von der niederländi‐ schen Sprache halten. nachbarsprache niederländisch 13/ 1-2, 16-42. Woordenboek der Nederlandsche Taal (1864-1998), hg. v. Matthias de Vries et al., ’s-Gravenhage: Martinus Nijhoff. Wolf, Henk (2018): Basisboek Syntaxis. Groningen: Kleine Uil educatief. Van der Wouden, Ton (1996): Hoeven. In: TABU 26, 164-182. Van der Wouden, Ton & Johanneke Caspers (2010): Nederlandse partikelbeschrijving in inter‐ nationaal perspectief: waar zijn we eigenlijk en waar moet het toch naar toe? In: Internationale Neerlandistiek 48 (2), 52-62. Van Woudenberg, René (2002): Filosofie van taal en tekst. Budel: Damon. Literaturverzeichnis 307 Internetquellen (Links) https: / / www.ad.nl/ binnenland/ laatste-tolk-fries-verdwijnt-uit-r echtbank-leeuwarden-overheid-wil-niet-onderhandelen-over-tarief~ac8f6c5d/ ? refer‐ rer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Algemeen Bureau voor de Statistiek Suriname (2021). Demografische Data 2017-2019. Online verfügbar unter https: / / statistics-suriname.org/ wp-content/ uploads/ 2021/ 05/ DEMOGRAFIS CHE-DATA_DEMOGRAPHIC-DATA-2017-2019-.pdf (abgerufen am 08.03.2022) Ban Boneiru Bèk (24.08.2014). Nederlands-Antilliaanse woorden in Groene Boekje. Online verfügbar unter https: / / www.banboneirubek.com/ content/ nederlands-antilliaanse-woorden -groene-boekje (abgerufen am 08.03.2022) De Belgische Grondwet. Gecoördineerde tekst van 17 februari 1994. http: / / www.senaat.be/ www/ ? MIval=/ index_senate&; MENUID=22000&LANG=nl (abgerufen am 17.03.2022) https: / / belgien.net/ (abgerufen am 05.03.2022) Centraal Bureau voor de Statistiek. Bevolkingsteller. Online verfügbar unter https: / / www.cbs.n l/ nl-nl/ visualisaties/ dashboard-bevolking/ bevolkingsteller (abgerufen am 08.03.2022) Database van de Zudelijk-Nederlandse Dialecten: http: / / www.dsdd.ivdnt.org (abgerufen am 05.03.2022) http: / / www.dbnl.org (abgerufen am 05.03.2022) https: / / dutchplusplus.ned.univie.ac.at (abgerufen am 05.03.2022) Eerste Kamer der Staten-Generaal. Rijkswet wijziging Statuut in verband met de opheffing van de Nederlandse Antillen. Online verfügbar unter http: / / www.eerstekamer.nl/ wetsvoorstel/ 3 1959_aanpassingswet_openbare (abgerufen am 08.03.2022) Elektronische Woordenbank van de Nederlandse dialecten (eWND): http: / / www.ewnd.ivdnt.or g (abgerufen am 05.03.2022) https: / / www.encyclo.nl/ (abgerufen am 05.03.2022) https: / / etymologiebank.nl/ trefwoord/ hen2 Historische woordenboeken Nederlands en Fries: https: / / gtb.ivdnt.org/ search/ (abgerufen am 05.03.2022) Linguapolis (2008): Taalsituatie in Brussel. http: / / webh01.ua.ac.be/ linguapolis/ lara/ Nederlands/ 5/ Microsoft%20Word%20-%20transcriptie%20TAALSITUATIE%20IN% 20BRUS‐ SEL%20LARA.pdf (abgerufen am 08.03.2022) http: / / www.literatuurgeschiedenis.org (abgerufen am 16.12.2022) https: / / www.mareonline.nl/ wetenschap/ taal-verspreidde-zich-toch-niet-te-paard-maar-te-voet/ https: / / moocmnl.kantl.be/ (abgerufen am 05.03.2022) https: / / www.mijnwoordenboek.nl/ (abgerufen am 05.03.2022) Nederlandse Taalunie (2009): Taalpeil 2009. Online verfügbar unter http: / / taalunieversum.org/ publicaties/ taalpeil-2009 (abgerufen am 08.03.2022) http: / / neon.niederlandistik.fu-berlin.de/ de/ service (abgerufen am 05.03.2022) Openbaar Lichaam Bonaire. Online verfügbar unter https: / / bonairegov.com/ (abgerufen am 08.03.2022) 308 Literaturverzeichnis Onze Taal (06.06.2013): Duitse universiteit wil enkel nog vrouwelijke functieaanduidingen. Online verfügbar unter http: / / onzetaal.nl/ nieuws/ duitse-universiteit-wil-enkel-nog-vrouwe lijke-functieaanduidingen (abgerufen am 09.06.2013) https: / / www.remonstranten.nl/ adrem/ jaargang-2018/ december-2018/ shit-het-evange‐ lie-van-matteus-in-straattaal/ (abgerufen am 08.03.2022) Rijksdienst voor Ondernemend Nederland. Factsheet Suriname. Online verfügbar unter https: / / www.rvo.nl/ onderwerpen/ internationaal-ondernemen/ landenoverzicht/ suriname/ factsheet-suriname (abgerufen am 08.03.2022) Statbel. België in cijfers (16.06.2023): Op 1 januari 2021 telde de wettelijke Belgische bevolking 11.521.238 inwoners. Online verfügbar unter https: / / statbel.fgov.be/ nl/ themas/ bevolking/ str uctuur-van-de-bevolking (abgerufen am 08.03.2022) https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 19316/ umfrage/ gesamtbevoelkerung-von-schwed en/ https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 19296/ umfrage/ gesamtbevoelkerung-von-daenem ark/ http: / / www.taalcanon.nl (abgerufen am 05.03.2022) http: / / www.taalentongval.eu = https: / / www.aup-online.com/ content/ journals/ 00398691 (abge‐ rufen am 09.03.2022) http: / / www.taalportaal.org (abgerufen am 05.03.2022) http: / / www.taalunie.org (abgerufen am 08.03.2022) http: / / www.vandale.nl (abgerufen am 05.03.2022) Vlaamse overheid. Taalwetwijzer. Online verfügbar unter https: / / www.vlaanderen.be/ taalwetw ijzer/ (abgerufen am 08.03.2022) http: / / nl.wikisage.org/ wiki/ Straatbijbel http: / / www.woerterbuchnetz.de (abgerufen am 05.03.2022) https: / / www.woorden.org/ (abgerufen am 05.03.2022) World Atlas of Language Structures Online: https: / / wals.info/ (abgerufen am 06.03.2022) Internetquellen (Links) 309 Register Ein Konkordanz der Fachbegriffe mit ihrer niederländischen Übersetzung findet sich im On‐ line-Shop des Narr Verlags (https: / / www.narr.de/ Niederländische-Sprachwissenschaft-18351-1). 1. Lautverschiebung-42, 278 2. Lautverschiebung-44f., 64, 262, 264, 278 Ablaut-122, 265 Absentiv-205 Accomplishment-194, 196, 203 Achievement-194, 196, 201, 203 activity-194 Adjektivphrase-156, 158 Adjunkt-170f., 175, 178 Adressat-155, 161, 163, 210f., 224, 228 Adverbiale-169f., 175f. Adverbphrase-156 Affigierung-103, 113, 122f. Affix-101f., 108f., 112, 124, 281 Affrikat-134f. Agens-174 Akronym-114f., 272 Aktionsart-121f., 194, 202, 206 Aktivität-196, 203f. Akzent- de klemtoon-43, 139, 142, 151 het accent-237, 245, 250 Akzeptanz-28, 55, 58, 63, 264 Allomorphie-111f., 121, 145, 264 Allophon-143f., 151 kombinatorisches-144 Altniederländisch-43, 45-48, 64, 261f., 275, 277, 281f. alveolar-133, 136, 142, 144, 148ff. Ambiguität-162f., 165, 178, 181, 218, 282 Analogie-265f., 269, 287 analytische Definition-85 analytische Sprache-282 Anlaut-140f., 144, 150, 278f. Anredeform-228-231, 284f. Antezedent-175f. Antonym-76, 78, 88 binär-76 logisch-76 Antonymie-76 mehrfach-77 Apokope-278 Apparent-Time-Methode-246, 270, 287 Approximant-135, 144, 246 arbiträr-70f., 98, 204 Archaismus-271 Arealtypologie-33 Argument-170f., 173ff. Artikulationsart-132 Artikulationsort-132, 136ff., 148ff. Aspekt-121f., 197, 202, 206 egressiv-202 ingressiv-202 progressiv-203 Assimilation-147ff., 151, 265, 278 Fernassimilation-148 Kontaktassimilation-148 Nasal-Assimilation-149 progressiv-148f. regressiv-148f. Stimmassimilation-149 Attitüde-139, 249f. Attribut-175, 211 prädikativ-175f. Auslaut-140f., 144, 146 Auslautverhärtung-146f., 149, 151 Ausrufesatz-139 Aussagesatz-139, 160, 169f., 205, 283 Äußerung-29, 181, 183f., 188, 193, 200, 213, 215, 219-223, 225f. Authentizität-252, 255 Bahuvrihi-Komposition / -Kompositum 105ff., 123 Bedeutung-181 grammatisch-197, 203 lexikalisch-118, 186, 197, 203, 206 Bedeutungserweiterung-72-75, 88, 275 Bedeutungsgeneralisierung-275 Bedeutungsumschreibung-85 Bedeutungsverengung-72f., 75, 88, 275 Bedeutungswandel-97, 103, 275f., 287 belgisches Niederländisch-27, 79, 82, 86, 88, 120, 229, 246, 280 Benrather Linie-44 Bilabial-133, 136, 141, 148ff., 255 binär-105, 142 Bindewort-176 Blend-114 Blending-114, 116, 124, 272 Botschaft-210-213, 217, 222, 224, 231 Clipping-114, 116, 124 Coercion-203 Construal-184, 189, 194 Crossing-257f. deduktiv-167f. Definition-63, 85, 167f. Degemination-149 deiktisch-212f. Deletion- n-Deletion-150f. t-Deletion-149, 151 Denotation-76 denotational-188 dental-133, 262 Derivation-102, 108ff., 117, 123, 272, 284 deskriptiv-30 Destandardisierung-63, 251 Determinativkomposition / -kompositum 105, 107, 123 de-Wort-105, 120 Diachronie-82, 84ff., 270, 284, 287 Diaglossie-245 Dialekt-16, 19, 25, 31f., 37, 44, 47, 49f., 53, 56, 58f., 61, 63, 83, 120, 237-241, 243ff., 248f., 251-254, 257f., 282 Schreibdialekt-53 Dialektausgleich-245-248, 253 Dialektkontinuum-245 Dialektologie-238, 241f., 259 Dialektrenaissance-251ff. Dialektverlust-244-248, 253 Dichotomie-270 Diglossie-245 Diminutiv-111f., 145, 241, 254 Diphthong-58, 138, 143, 240f., 253, 279 Diphthongierung-58, 138, 241, 278f. direktional-159 distinktives Merkmal-85, 141f., 148, 151 ditransitiv-171, 173f. Doppeldeutigkeit-211, 218 Dorsal-134 Drift-265, 287 Durativität-195 Dynamizität-195 Einheitsplural-240f. einstellig-171 Ellipse-166, 258 emotionale Bedeutungskomponente-76 Empfänger-174, 210-213, 215, 217, 219, 221- 226, 231 Epenthese-121, 278 Schwa-Epenthese-149, 151 Ereigniszeit-200f. Erstspracherwerb-266 Ethnolekt-238 Multi-Ethnolekt-256 Etymologie-74, 84f., 274 Volksetymologie-274 Exklamativsatz-139 Expansionstheorie-242 Fachsprache-75, 83, 86, 88, 237 Register 311 Feldermodell-169 Fernassimilation-148 feste Verbindung-85, 206, 283 finites Verb-160, 167ff., 171, 174, 176ff., 197f., 283 Flämische Bewegung-59 Flexion-49, 98, 118, 120f., 123f., 236, 273, 282 Flexionsendungen-48, 61, 101, 121 Flexionsformen-48, 280 Flexionsverlust-48, 265, 279f., 283 Flexiv-118 Fragesatz-139, 187 Fragetest-160, 164, 178 Frikativ-134ff., 140, 143f., 146-150, 240, 249, 279 Fugenelement-107f. Funktionswort-100, 197, 227, 254 Gefühlswert-76, 88, 276 genealogisch-33 Generalisierung-72, 74f. Genus-85, 115, 118, 120f. Genus commune-120 Genus verbi-121 gerundet-136f., 151 gesichtsbedrohend-224f. gesichtsbeschützend-224f. Gleitlaut-134f. glottal-150 Glottal-134 Glückensbedingung-187, 222 Grammatikalisierung-284 Grammatikalität-167 Graphem-131 Halbvokal-134f., 150 Hauptsatz-166, 170, 176ff., 283 unabhängig-176 het-Wort-105, 120 historisch-genetisch-33 historisch-vergleichende Methode-269, 287 Höflichkeit-223f., 286 Höflichkeitsstrategie-224, 231 negative-224, 226 positive-224 holländischer Expansion-243 Holonymie-78 Homograph-139 Homonym-84f. Homonymie-85 Hyperonym-76ff., 85, 88 Hyperonymie-77 Hyponym-76f., 85, 88 Hyponymie-77 Idiolekt-237, 248 Idom-204 ik-ich-Linie-263 Ikonizität-158 Illokution-220 Imperativ-99, 168, 176f., 224ff. Implikatur-183, 186, 219, 224, 231, 287 konversationelle Implikatur-219 Indirektheit-223ff. Indoeuropäisch-38, 40, 42 Proto-Indoeuropäisch-38 Infix-101 Informant-249f. Informationsfrage-221 Inhaltswort-100, 158, 197, 205 Inlaut-140f., 144, 146, 150, 278 Instrument-174 Integrationisten-60 Intensivierung-116, 281 Intonation-139, 142, 151, 167, 258 intransitiv-103, 110, 171 Isoglosse-263 iterativ-203 Jargon-104, 235, 237 Kasus-118, 120, 171f., 174, 279, 282 Kasusmarkierung-171, 173f., 265 Kasussystem-262, 270 312 Register kategorialer Wert-109 klitische Form-19, 49 Koartikulation-148, 151 Kode-211ff., 231 Kodifikation-55 Kofferwort-114 Kognat-269, 276, 287 Kommunikation-15, 31, 69f., 209-215, 218f., 225f., 230f., 258, 284 Kommunikationsmodell-210 Komplement-167, 175 komplementäre Distribution-112, 121, 143f., 151 Komplementierer-158, 167 komplex-100ff. Komposition/ Kompositum-103-108, 110f., 117, 123, 272, 284 adjektivisch-104 endozentrisch-105f. exozentrisch-106 linksverzweigend-105 nominal-104 rechtsverzweigend-105 rekursiv-104 verbal-104 kompositional-194, 197, 205f. Kompositionalität-183, 197, 203f., 206 Kompostion/ Kompositum- rekursiv-104 Kongruenz-28f., 171 Konjunktion-79, 100, 165, 167, 178, 283 Konnotation-76, 86, 88, 246, 276f. Konsonant-33, 99, 122, 132-136, 139f., 143, 145-150 Konstituente 155-160, 162-165, 167, 169, 171, 176, 178, 181, 193, 218f. Konstituententest-159f. Konstriktion-134 konstruieren-189 Konstruktikon-205 Konstruktion-19, 47, 166f., 169, 174, 181, 185, 187, 194f., 197, 203-206, 245, 265f., 283 abstrakt-204 spezifisch-204 Konstruktionsgrammatik-205f. Kontaktassimilation-148 Kontaktmedium-211, 213 Kontaktvarietät-243, 255f., 268 Kontext 32, 70, 73, 76, 88, 155, 162f., 174, 182f., 185, 199, 201, 209-213, 215-219, 221, 223, 226, 231, 257f., 261, 284, 286f. Konversationsmaximen-214, 231 Konversion-102, 112f., 117, 123f. Konzeptualisierung-184, 189, 191f., 198, 206 konzeptuelle Bedeutung-188, 190, 193 Kooperationsprinzip-213-216, 219 Koordination-165f. Koordinator-158, 165 Kopf-105f., 157f., 160, 163f., 175, 178 Kopula-172, 196 Kopulativkomposition/ -kompositum 105, 107 Korpus-32, 269f. korpusbasiert-86, 88 Korpuslinguistik-32 Kreolsprache-243, 268, 287 Labial-133 labiodental-150 Labiodental-133 Lateral-134f. Lateralen-134 Laute-32, 42, 129-135, 139ff., 143-151, 236, 242, 245f., 253f., 262, 277f. Lautgesetz-39, 241, 269 altniederländisch-278 Lautwandel-277, 287 Lehnwort-23, 131, 272ff. Lekt-238, 256 Lemma-81-86, 88 lexikalische Diffusion-242, 263 lexikalische Lücke-78 Lexikalisierung-272 Lexikografie-81 Register 313 Lexikologie-70f., 87, 262 Lexikon-70, 82, 117, 183, 203-206 mentales Lexikon-73, 78, 204f. Lingua franca-21, 63 Linguistik-30, 183, 209f., 283f., 287 linguistische Kompetenz-29 linguistische Variable-246 Lippenrundung-136ff., 141, 151 Liquida-134f., 150 Lokaldeixis-213 lokativ-159 Lokution-220 Makrostruktur-84ff., 88 Matched-Guise-Technik-250 Maxime der Art und Weise-215, 217f. Maxime der Qualität-215f. Maxime der Quantität-215 Maxime der Relation-216 Mehrsprachigkeit-267 Melioration-275, 277 Meronymie-78 Metapher-72-75, 85f., 88, 169, 191f., 275f. konzeptuell-190-193 metaphorisch-74, 191f. Metathese-278 Metonymie-72-75, 86, 88, 107, 275f. Mikrostruktur-84ff., 88 Minimalpaar-140f., 143, 146, 151 mitigation-286 Mittelfeld-169f., 219 Mittelniederländisch-38, 47-50, 57, 64, 261f., 270, 275-278, 280-285 Modalpartikel-226f. Modalverb-199 modernes Niederländisch-48, 62, 64, 261, 270, 278, 280, 282 Monogenese-33 monomorphem(at)isch-100 Monophthong-137, 243, 279 Monosemie-72 Morphem-98-101, 105, 111, 113f., 117, 119, 123f., 145, 204f., 264, 281 Derivationsmorpheme-279f. Flexionsmorphem-118, 279 frei-100f., 103, 106, 108, 111, 123 gebunden-101, 108, 205 grammatisch-100 lexikalisch-100, 102 Nullmorphem-113 Pluralmorphem-105, 120, 197, 264 Wortbildungsmorphem-102 Morphologie-32, 34, 97f., 117, 124, 145, 236, 262, 273 Flexionsmorphologie-117 Morphonologie-145 Morpho-Phonologie-145 motiviert-98 Nachfeld-169f. Nasal-134ff., 148, 150 Nasal-Assimilation-149 Nebenordnung-165 Nebensatz-166, 176ff., 283 abhängig-170, 172, 176 infinit-168 Negation-281f. negative Höflichkeitsstrategie-224, 226 Neologismus-80, 83f., 117, 272 Neuniederländisch 38, 45, 55f., 58, 64, 278, 281 nicht-kompositional-204f. nicht-propositionale Bedeutung-185 nicht-wahrheitskonditional-186 niederländisches Niederländisch-27, 79, 86, 88, 120, 229, 246 Nominalphrase-155ff. Norm 26ff., 31, 56, 58, 60, 82, 246, 248, 251, 254 normativ-30, 167f., 268 Nullaffix-113 Numerus-118-121 Objekt-169, 171, 173f., 177, 206 Akkusativobjekt-172f. Dativobjekt-173 314 Register direkt-27, 103, 110, 170, 172ff., 176ff., 181, 194, 196 Genitivobjekt-173 indirekt-27, 170, 173f., 178, 283 Präpositionalobjekt-170, 175, 178 Objekte-171 Obstruent-135, 147, 149 Öffnungsgrad-136ff., 142, 151 ökonomisches Prinzip-265 onomasiologische Methode-71, 76, 87f. Orthografie-130 palatal-140, 143f., 147f., 150 Palatal-133 Palatalisierung-255 Paradigma-118, 122ff., 159 Partikel-226f., 231 Vergleichspartikel-31 Partikularisten-60 Partizip Perfekt-101, 110, 122, 147, 197f., 204, 265f. Partizip Präsens-122, 172 Patiens-174 Peergroup-248 Pejoration-275ff. Performanz-29 Perlokution-220, 222 Personaldeixis-213 Phon-130, 140, 143, 150 Phonem-140-144, 146, 149, 151 Phonetik-32, 34, 130, 140, 142, 150 akustisch-130 artikulatorisch-130 auditiv-130 Phonologie 32, 34, 140, 142, 145, 151, 210, 236, 262 phonologischer Prozess-144f., 149ff., 265 Phrase-43, 97, 112, 139, 156, 158 Phrasenstrukturbaum-163f. Pidgin-243, 268, 287 plosiv-142 Plosiv-134f., 141, 143, 146f., 149f., 262 Plural-48f., 99, 105, 119, 121f., 157, 171, 236, 249, 264, 280 Pluralbildung-119f., 264, 266 Pluralform-99, 108, 119f., 264, 266 plurizentrische Sprache-27f. Polygenese-33 polymorphem(at)isch-100 polysem-72, 75f., 87 Polysem-87 Polysemie-72, 85, 202 Portmanteauwort-114 positive Höflichkeitsstrategie-224 postalveolar-148, 150 Postalveolar-133 Postposition-159, 193 Prädikat-118, 168, 171f., 175f., 178, 197 nominales-172 verbales-172 Prädikation-220 Prädikatsnomen-172 Präfix-101, 110, 124, 281 Pragmatik-32, 34, 182, 209f., 217, 236, 284 pragmatische Angemessenheit-225, 228, 231 pragmatische Universalien-214 Präposition-22, 100, 104, 112, 118, 156, 173, 175, 192f., 198, 265, 282ff. Präpositionalphrase-156 Präpositionen-79, 159, 191 präskriptiv-30 Prestige-56, 58, 62, 247-250, 256, 267f., 274 Prestigevariante-248f. soziales Prestige-248 Produktivität-58, 102, 279ff. progressiv-121, 195, 203, 205 Progressiv-204 Prokope-278 Pronominalisierungstest-159f., 178 Proposition-181, 184-188, 193, 206, 220 analytisch-186 synthetisch-186 propositionale Bedeutung-185-188 propositionaler Inhalt-184f., 187, 190 Register 315 Propositionen-186 Prosodie-139, 151 Psycholinguistik-32 Purismus-274 Quelle/ Source-192 Quellensprache-23 Real-Time-Methode-270, 287 Reanalyse-266 Rechtschreibung-26, 30, 49, 82f., 99, 130f., 146f., 262, 265, 273, 277 Reduplikation-103, 114, 116, 124 Referent-71ff., 76, 170, 175, 204, 212, 227 referentielle Bedeutung-156, 188 Referenz-220 Referenzzeit-200f. Regiolekt-245 Regionalsprache-17f., 253 Reinterpretation-266, 287 Rekursion-160f., 178 rekursiv-161, 166, 178 Rezipient-173f. Rheinischer Fächer-44, 263f. Rhein-Maasländisch-50f. Righthand-Head-Rule-105 Satz-155f., 158ff., 162, 164-171, 174, 176, 178, 181, 183ff., 187-190, 193f., 196f., 201, 204, 218 deklarativ-176 exklamativ-177 Satzart-168, 176f. Satzbedeutung-181-186, 188, 194, 197, 204 Satzglied-156, 168-172, 175f., 178, 282 Satzgliedanalyse-168, 170 Satzglieder-169 Satzklammer-169, 171, 176 Satzpartikel-235 Satzsemantik-181 Satztyp-139, 169, 176ff. Schwa 46, 48, 137, 139, 149f., 241, 255, 264, 266, 278 Schwa-Epenthese-149 segmental-139 Selektion-55, 57 auf Makroniveau-56 auf Mikroniveau-57 Semagramm-85f. Semantik-32, 71, 155, 183, 197, 200f., 262, 275 formal/ wahrheitskonditional 184, 187, 190, 193 kognitiv/ konzeptuell-184, 190f., 193f., 206 logisch-187 wahrheitskonditional/ formal-194 semantisches Feld-78, 88 semantisches Netz-78, 88 semasiologische Methode-71f., 87 Semiotik-32, 34, 69f. semiotisches Dreieck-71 Sender-210-215, 221f., 224ff., 231 simplex-100 Singular-48, 99, 119, 171, 246, 280 Situation-184-190, 194, 196, 202 atelisch-195f., 201f. durativ-196, 203 dynamisch-194ff., 203 nicht-durativ-195 nicht-dynamisch-196 punktuell-195f. statisch-195 telisch-195f., 202 Situation / State of Affairs-194 Situationstyp 181, 184, 194-197, 199-203, 206 Solidarität-228, 248, 250, 284f. Sonorant-135, 137, 147 soziale Schicht-238, 245, 248, 250 Soziolekt-238, 245, 256f. Soziolinguistik-32, 34, 236, 238, 246-250, 257, 259 Spiegelkonstruktion-167f. Sprachbenutzer- innen 29, 70, 74, 79f., 87, 102f., 140, 145, 167, 174, 184f., 189, 193, 204, 206, 209, 218, 225, 231, 237, 257, 265 316 Register Sprachbund-33 sprachextern-32, 34 Sprachfamilie-33, 38ff., 64, 269 Sprachgeschichte-259, 261, 269, 279ff. äußere-261f., 287 innere-261f., 287 sprachintern-32, 34, 248 Sprachkontakt-21, 242, 259, 267, 272, 287 Sprachlaut-130f., 139f., 150, 220, 257 Sprachtod-267, 287 Sprachvariation-236, 244, 248, 258f. Sprachverfall-268, 287 Sprachwandel-42, 58, 241f., 248f., 261-270, 284, 287 Sprachwissenschaft-23, 28-32, 34, 155, 181, 185, 194, 199, 210, 236, 241, 246, 269, 284 Sprechakt-187, 219-223, 227, 231 assertiv-221f. direkt-224 direktiv-221f., 224, 226 expressiv-221 indirekt-223f. informativ-221 kommissiv-221 konstitutiv-221, 223 obligativ-221 Sprechstil-238, 256ff. Sprechzeit-200f. Sprossvokal-149 Standardisierung 55, 58, 61-64, 245f., 251, 254 Standardniederländisch-26f., 59, 235ff., 253f., 282 Standardsprache-26ff., 56ff., 62ff., 138, 148f., 235f., 240, 244-248, 250f., 254f., 257f., 261, 268, 282 Standardsprachen-244 Stapelsuffix-119 state-194 Status-228f. Steigerungsform-120f. Stichwort-81, 85 Stimmassimilation-149 stimmhaft-122, 135, 141f., 147, 149f., 279 Stimmhaftigkeit-132, 135f., 141, 146, 148ff. stimmlos-122, 135, 141, 143, 146f., 149f., 240, 249, 279 Stylisation-257 Subjekt-118, 156, 167ff., 171-174, 176ff., 181, 197, 204, 218f., 240, 246f., 249, 261, 268 Subordination-166, 178 Substitutionstest-159f. Suffigierung-109 Suffix-101ff., 109, 111f., 118f., 123f., 147, 280 Suppletion-123 suprasegmental-139 surinamisches Niederländisch-22, 27f., 79, 255f. synchron-84, 246, 258, 270, 284, 287 Synchronie-270 Synkope-278 Synonym-76, 78, 83, 85, 88 Synonymdefinition-85 Synonymie-76 Syntax-32, 124, 155, 183, 203-206, 236, 262 synthetische Sprache-282 systemlinguistisch-32 Taxonomie-77 Telizität-195f. Tempora/ Zeitformen-198-202, 204 Temporaldeixis-213 Tempus-121, 197f., 201f., 206 Thema-174, 215, 219 thematische Rollen-174 Tonhöhe-139 Topikalisierung-169, 185, 218 topologisches Modell-169, 176ff. transitiv-103, 110, 171f. transkribieren-131 Transkription-131, 138f. transparent-98, 105 Trill-134 Typologie-33, 177, 282 Register 317 Uerdinger Linie-263 ungerundet-137, 151 Universalien-33 Unterordnung-166 uvular-134, 140, 143f., 150 Uvular-134 Valenz-171f. Valenzreduktion-171 Variable-246f. Variante-19, 28, 55, 57, 61f., 79, 82, 88, 111, 115ff., 122, 131, 159, 177, 226, 228, 235, 238, 243, 246-250, 257 freie Varianten-151 kombinatorische Varianten-151 Variation-34, 49, 63, 83, 143f., 151, 235f., 238, 251, 255, 257ff., 264, 268, 287 frei-144 geografisch/ horizontal-238, 244 sozial/ vertikal-244 Variationslinguistik-236 Varietät-27, 56, 62f., 111, 170, 235-238, 243ff., 249, 251, 253f., 256f., 259, 263f. Varietäten-237 velar-134, 140, 143, 147, 150, 241 Velar-133 Verbalphrase-156 Verbpartikel-104, 169 Verbreitung-16, 22, 40, 55, 57, 264 Verschiebeprobe-159f., 178 Verschiebung der Wortstellung-283 Verstimmlosung-146f., 150 Vokal-33, 46, 48f., 99, 112, 132, 134-145, 148, 150, 248, 255, 278, 282 geschlossener-137 halbgeschlossener-137 halboffener-137 Halbvokal-134f. hinterer-137 Hinterzungenvokal-137 hoher-137, 142 Mittelzungenvokal-137 mittlerer-137, 142 offener-137 tiefer-137f., 142 vorderer-137 Vorderzungenvokal-137 zentraler-137 Vokalverlängerung-150f. Volkssprache-37, 45, 54ff., 59, 64, 244 Vorfeld-169f., 177, 218f. Wahrheitsbedingung-184, 186ff., 193, 206 wahrheitskonditional-186, 188 Wahrheitswert-186f. Wellenmodell-40 Wellentheorie-242 Wortbildung-97, 102f. Wörterbuch-31, 56f., 60, 81-88, 97, 100, 102, 131, 181, 235, 251, 269, 271ff., 275 Dialektwörterbuch-83, 239 etymologisch-83 korpusbasiert-86, 88 terminologisch-83 Wörterbuchartikel-84, 87 Wortverschmelzung-114 Zeichen-69f., 134 phonetisch-131 Ziel/ Target-192 Zirkumfix-101, 110, 122, 124 Zusammenbildung-111 Zusammenrückung-104 Zustand/ state-194, 196, 199, 202 zweistellig-171, 173 Zweitspracherwerb-266f. 318 Register Dieser Band führt kompakt und umfassend in die Sprachwissenscha� und Geschichte des Niederländischen ein. Zehn Kapitel bieten eine Übersicht über die wich�gsten Teilgebiete der niederländischen Sprachwissenscha�, unter anderem Morphologie, Syntax, Seman�k und Pragma�k. Die Autor: innen, die aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland stammen, thema�sieren dabei die nahe Verwandtscha� zwischen der deutschen und niederländischen Sprache sowie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varietäten des Niederländischen. Die Einführung ist für die Verwendung im universitären Unterricht durch Lehrende und Studierende - auch mit nur geringen Niederländischkenntnissen - gleichermaßen geeignet. Übungen und kleinere Arbeitsau�räge jeweils am Kapitelende regen die Studierenden zur weiteren Beschä�igung mit den Themen an. Zahlreiche Beispiele und graphische Darstellungen sorgen für eine anschauliche und ansprechende Vermi�lung der Inhalte. Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet und aktualisiert. S�mmen zum Buch: „[...] eine gut lesbare, übersichtliche und aktuelle Einführung in die niederländische Sprachwissenscha�“. (Marc van Oostendorp, NederL 11/ 2023) „Es ist den Autor: innen gelungen, deutschsprachigen Studierenden eine klare Übersicht zu vermi�eln.“ (Peter Debrabandere, Neerlandia 2/ 2014) „Den Autor: innen gebührt größte Anerkennung.“ (Camiel Hamans, Werkwinkel 10/ 2015) ISBN 978-3-8233-8351-2 Boonen / Harmes Niederländische Sprachwissenscha� Niederländische Sprachwissenscha� Eine Einführung 2., vollständig überarbeitete Auflage Ute K. Boonen / Ingeborg Harmes in Zusammenarbeit mit Roland de Bonth, Ronny Boogaart, Truus Kruyt, Michaela Poß und Gunther De Vogelaer