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Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten

Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Fokus der Mehrsprachendebatte

0812
2024
978-3-8233-9439-6
978-3-8233-8439-7
Gunter Narr Verlag 
Joachim Schlabach
Constanze Bradlaw
Britta Hufeisen
10.24053/9783823394396

Dieser Band stellt verschiedene Lebens- und Lernbereiche rund um Mehrsprachigkeit und Mehrsprachenlernen vor und fokussiert dabei gesellschaftliche Mehrsprachigkeit sowie Aspekte schulischen und universitären Mehrsprachenlernens. Er beleuchtet unter anderem den Komplex der Herkunftssprachen im Verhältnis zur Umgebungs- und Zielfremdsprache Deutsch, diskutiert Gesamtsprachencurricula und reflektiert die Sprachenarbeit mit Geflüchteten. Alle Beiträge sind wissenschaftlich fundiert, richten sich sprachlich an Studierende und veranschaulichen die Sachverhalte durch Beispiele nicht nur aus deutschsprachigen Ländern. Sie verdeutlichen, dass Mehrsprachenlernen ein globales Phänomen mit je ähnlichen oder auch ganz unterschiedlichen Vorzügen und Herausforderungen ist und sich die Auseinandersetzung damit lohnt. Die Aufgaben ermuntern zur Re¬flexion der eigenen Mehrsprachigkeit bzw. der eigenen Lebens- und Lernsituation im gesellschaftlichen und institutionellen Umfeld.

<?page no="0"?> 11 Joachim Schlabach / Constanze Bradlaw / Britta Hufeisen (Hrsg.) Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Fokus der Mehrsprachendebatte <?page no="1"?> Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten <?page no="2"?> Kompendium DaF / DaZ Herausgegeben von Jörg Roche (München) Band 11 <?page no="3"?> Joachim Schlabach / Constanze Bradlaw / Britta Hufeisen (Hrsg.) Mehrsprachenlernen in gesellschaftli‐ chen und institutionellen Kontexten Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Fokus der Mehrspra‐ chendebatte <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823394396 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2512-8043 ISBN 978-3-8233-8439-7 (Print) ISBN 978-3-8233-9439-6 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0527-9 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 7 11 1 13 1.1 14 1.2 26 1.3 43 2 55 2.1 56 2.2 74 2.3 88 3 103 3.1 104 3.2 116 3.3 134 4 149 4.1 150 4.2 169 4.3 183 Inhalt Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit - ein modernes Phänomen? | Lennart Bartelheimer Migrationen und ihre sprachlichen Abbildungen in der deutschen Sprache | Constanze Bradlaw und Katharina Neuber . . . . . . . . . . . . . . Sprachwandel | Madeleine Schmorré . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionen von Mehrsprachigkeit am Beispiel EU | Sandra Sulzer (Südtirol), Lennart Bartelheimer (Frankreich), Joachim Schlabach (Finnland) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herkunftssprachen an Hochschulen am Beispiel des Polnischen | Barbara Stolarczyk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Universitärer L3-Unterricht in den USA - Zur Geschichte und zum Konzept | Will Travers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Redewendungen und andere idiomatische Phraseologismen | Madeleine Schmorré . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturspezifik von Textsorten | Constanze Bradlaw und Lukas Daum Semantische Herausforderungen in international geführten Diskursen | Niklas Simon und Lukas Daum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bild und Sprache als Phänomene multimodaler Kommunikation | Lukas Daum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelles Bildverstehen | Lukas Daum und Stefanie Nölle-Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linguistic Landscapes - Die Erforschung sprachlicher Landschaften | Katharina Neuber und Stefanie Nölle-Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 5 195 5.1 196 5.2 214 5.3 231 6 247 6.1 248 6.2 263 6.3 275 7 285 7.1 286 7.2 299 7.3 312 8 325 9 365 377 379 381 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit und DaF/ DaZ im Spiegel schulischer Bildungsinstitutionen in Deutschland | Constanze Bradlaw . . . . . . . . Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht | Manfred Sablotny . Mehrsprachigkeit im Kontext Sprachenpolitik, -planung und -management an deutschen Hochschulen | Constanze Bradlaw . . . . . Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leselernhilfe für Schüler und Schülerinnen mit Deutsch als Zweitsprache | Sandra Sulzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachmittlung von Kindern und Jugendlichen in Migrationskontexten | Stefanie Nölle-Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachangst | Sarasi Kannangara . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der EuroComGerm-Ansatz als Grundlage für schulischen Interkomprehensionsunterricht | Birgit Kordt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schulische und auch universitäre Gesamtsprachencurricula: Konzepte, Projekte, Forschungsfragen | Britta Hufeisen und Joachim Schlabach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herkunftssprachen- / Erstsprachenunterricht als Teil des schulischen Lernens | Simone Naphegyi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung hat gerade in Zeiten der Globalisierung ständig zugenommen. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen vor allem in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgt das Kompendium DaF / DaZ. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online- Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb und die Mehrsprachigkeit. In diesen Materialien und Kursen werden daher Ergebnisse aus verschiedenen Forschungsrich‐ tungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt. Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung Die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen gehört zu einem der wichtigs‐ ten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche, wenn es darum geht, die Herausforderungen des Zusammenlebens auf einer Welt mit begrenzten Ressourcen zu meistern. Die vielen sozialen, ökologischen, politischen, wirtschaftli‐ chen, ethnischen und demographischen Konflikte der Welt zeigen, wie schwierig es ist, unterschiedliche Interessen über Kommunikation auszugleichen und nachhal‐ tige Lösungen zu finden. Die verfügbaren Instrumente, namentlich die zahlreichen Großveranstaltungen und Versammlungen internationaler Organisationen, sind ein bedauerliches und meist teures Zeugnis auch für die mangelnde Fähigkeit der Verant‐ wortlichen und ihrer Institutionen, die Prozesse der Kommunikation zu verstehen, zu beachten und zu fördern. Bereits 1949 hat Erich Kästner diese Unfähigkeiten in „Die Konferenz der Tiere“ plastisch illustriert und einen wirkungsvollen Lösungsweg skizziert, der zwar zur Sprache (in Form eines Vertrags) führt, aber gleichzeitig ihr Scheitern auf dem Weg dorthin abbildet. Die Herausforderungen bestehen dabei auf verschiedenen Ebenen: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinatio‐ nalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbünden, Weltorganisa‐ tionen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Klima, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Der Notwendigkeit, die großen sozialen, ökologischen und wirt‐ schaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu <?page no="8"?> lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen gegenüber, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft, die mehr als ein beliebiges Nebeneinander von Kulturen anstrebt, die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesell‐ schaften als überwunden geglaubt galten. Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne äußeren Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multikulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und transkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechts- und linkspopulistischen Bewegungen in der ganzen Welt und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika, Asien, Amerika und Europa zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Frem‐ denfeindlichkeit, Populismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikul‐ turalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus- Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kultu‐ ren ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz, Wertschätzung und gegenseitiges Verständnis zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und er auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs inne, die weit über die Beherrschung von Grammatik und Aussprache hinausgeht. Diese Funktion hat mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca oder eine anderweitig neutralisierte Sprachvarietät erfüllt werden, schon gar nicht durch eine künstlich genormte. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist daher in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung und muss daher die Köpfe und Herzen der Menschen erreichen. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zu‐ gangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle Aspekte im Fremd‐ sprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern- und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie 8 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="9"?> der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachenunterricht und Sprachenerwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und der Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern sys‐ tematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe. Dieser Band, der von einem Team der Technischen Universität Darmstadt herausgeberisch betreut wurde, vertieft, aktuali‐ siert und erweitert wichtige Aspekte der Mehrsprachigkeit, die teilweise mit anderer Perspektivik auch in den vorangehenden Bänden behandelt werden. Das betrifft vor allem Band 4 ‚Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen‘, der unter anderem kogni‐ tive, historische und sprachenpolitische Aspekte der Mehrsprachigkeit präsentiert und die individuelle und kollektive Modellierung von Mehrsprachigkeit behandelt, zum Beispiel im Kontext der Migration, in der Dynamik ihres Erwerbs sowie in der Vielfalt von Sprachvarietäten vom Codeswitching über die Schriftlichkeit bis hin zu Ethnolekten, Xenolekten, Pidgins und Kreolsprachen. Der vorliegende Band fokussiert gesellschaftliche Aspekte der Mehrsprachigkeit im Kontext von Migration, Sprachwandel, Bildung, Schule und Hochschule sowie Sprachenmanagement. Dabei geht er ausführlich auf die europäischen Mehrsprachigkeitsbedingungen, auf die Sprachmittlung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und das Europäische Interkomprehensionskonzept EuroComGerm sowie den L3-Erwerb ein und beleuchtet sprach- und bildkulturelle sowie semiotische Aspekte multimodaler Kommunikation, unter anderem in Phraseologismen, in der Kulturspezifik von Text‐ sorten, im Bildverstehen und in linguistischen Landschaften. Damit dockt der Band auch an die sprachkulturellen und kognitionslinguistischen Darstellungen zu konzep‐ tuellen Metaphern, zur Bildverarbeitung, zur kulturellen Textsortenspezifik und zur Kulturkontrastivik in der kognitiven Sprachdidaktik in den Bänden 1 und 2 des Kompendiums an. Diese beiden Bände liegen in bearbeiteter Form auch in englischer Sprache vor (Roche/ Suñer: Language Learning and Cognition. Münster: Lit, 2023; Roche/ Jessen: Applied Cognitive Linguistics for Language Teachers. Münster: Lit, 2023). Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ 9 <?page no="10"?> Künstliche Intelligenz statt Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb? Angesichts der Schwierigkeiten im praktischen Umgang mit Mehrsprachigkeit und ihrem Erwerb und angesichts vielversprechender digital-automatisierter Alternativen, die sich an Entwicklungen der künstlichen Intelligenz orientieren, stellt sich die Frage, ob heute und in Zukunft Sprachenerwerb und Mehrsprachigkeit noch nötig seien, oder nicht einfach als Hürde des Alltags maschinell bei Bedarf umgangen werden können. So wie man mit einem Verkehrsmittel von A nach B kommt, ohne unbedingt selbst einen PKW-, LKW-, Bus-Führer- oder einen Pilotenschein zu besitzen. Zweifellos kann die Kommunikation sinnvoll durch digitale Medien unterstützt und in verschiedenen Situationen auch gestaltet werden. Diese Nutzung ist jedoch von dem abhängig, was die menschliche Sprache als Input entwickelt hat und zur Verfügung stellt. Kreativer Sprachgebrauch ist maschinell kaum herzustellen. Vor allem aber bleibt natürlich die Frage nach den Adressaten bestehen: wer rezipiert die automatisierte Sprache im Endeffekt und wie gewinnen menschliche Gehirne - und eben auch Herzen - von den Möglichkeiten mehrsprachiger und mehrkultureller Perspektivierungen? Das sind vermutlich auch weiterhin vor allem menschlich-intelligente Gehirne. Sollen diese grundsätzlich für die Leistungspotentiale von Sprache sensibilisiert und trainiert werden, sollen sie die Möglichkeiten und Mehrwerte mehrsprachiger Kompetenzen erfahren, schätzen und effizient nutzen lernen, und sollen daraus auch die bekannten Transfereffekte auf andere Bereiche der menschlichen Kognition gewonnen werden, dann werden der Gebrauch und Erwerb von Sprachen längst nicht hinfällig, sondern müssten eher eine verstärkte Aufmerksamkeit bekommen. Dies allerdings legt nahe, dass Sprachen in der Gesellschaft eine höhere Wertschätzung erfahren, dass Sprachkul‐ tur und Sprachenkulturen im pragmatischen Sinne gepflegt werden und das Sprach‐ lehrmethoden, Curricula und Lehrmaterialien sowie die entsprechende Ausbildung von Lehrkräften eine radikale Modernisierungskur erfahren, deren Ziel nicht das Festhalten an nationalstaatlich geprägten Sprach- und Bildungsideologien und auch nicht medialer und sprachenpolitischer Aktionismus ist, sondern die Erarbeitung und Umsetzung von pragmatischen, funktionalen Mehrsprachigkeitskonzepten, die der dynamischen Entwicklung der menschlichen Kognition ebenso gerecht werden wie den komplexen Anforderungen mehrsprachiger und -kultureller Lebenswelten. Ein friedliches menschliches Miteinander ist das Ergebnis kommunikativer Aushandlungs‐ prozesse. Ohne (Fremd-)Sprachenkenntnisse sind gesellschaftliche Teilhabe sowie politisches Mitgestalten nicht möglich. Zum Aufbau dieses Wissens, zur Bildung schlechthin, beizutragen, ist deshalb grundlegend für den Bestand demokratischer und pluralistischer Systeme. Dazu leisten die Bände des Kompendiums einen wich‐ tigen Beitrag: Sie versammeln die wichtigsten wissenschaftlichen Grundlagen und Forschungsergebnisse für eine praxistaugliche Umsetzung und empirische Lern- und Lehrforschung. Jörg Roche (aktualisiert 2024) 10 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="11"?> Geleitwort Mit dem vorliegenden Band ergänzen wir weitere und neue Puzzleteile aus den großen Wissenschafts- und Didaktikgebieten des Mehrsprachenlernens und -lehrens. Derzei‐ tige und ehemalige Mitglieder des Fachgebiets Sprachwissenschaft-Mehrsprachigkeit am Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft des Fachbereichs Gesellschafts- und Ge‐ schichtswissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt sowie befreundete Kolleginnen und Kollegen tragen dazu bei, aus ihrer eigenen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Perspektive das Thema zu beleuchten bzw. teilweise neu zu betrachten. Zwar gibt es durch die strukturierte Anordnung eine gewisse Progression in dem Band; dennoch stehen die einzelnen Teile auch für sich und können daher nach eigenen Präferenzen und in individueller Reihenfolge bearbeitet werden. Begonnen wurde das kollaborativ angelegte Publikationsabenteuer, gemeinsam einen Sammelband in der vorliegenden Reihe zu schreiben, durch die ursprünglich geplanten verantwortlichen Herausgeberinnen Lea Luise Kimmerle sowie Maike Schikora, die das Unternehmen jedoch schließlich nicht weiterführen und beenden konnten. Daher übernahmen der jetzt genannte Herausgeber sowie die beiden Her‐ ausgeberinnen die Weiterentwicklung, Weiterführung und Beendigung des Bandes. Dabei profitierten wir von der technischen und herausgeberischen Expertise Joachims als einem der Schriftleiter der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht. MehrSprachen Lernen und Lehren, vom untrüglichen Gespür Constanzes für gute Texte und von meiner jahrzehntelangen Erfahrung im Publikationswesen. Ich kümmerte mich oft um Aufträge der beiden, las Korrektur, schrieb die eine oder andere Kapi‐ teleinleitung, arbeitete aber insgesamt deutlich weniger an der Fertigstellung des Bandes als die beiden anderen Joachim Schlabach und Constanze Bradlaw. Ihnen sei an dieser Stelle im Namen aller Beitragenden herzlich für ihre Arbeit, ihre Zeit und ihr Durchhaltevermögen gedankt. Dank sagen wir alle zusammen für die Geduld des Reihenherausgebers und des Verlags, die beide immer daran geglaubt haben, dass dieser Band (irgendwann) erscheinen wird. Hier ist er nun. Britta Hufeisen, Technische Universität Darmstadt, im Frühsommer 2024 <?page no="13"?> 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten Im ersten Kapitel des Kompendiumbandes Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten führen wir in das übergeordnete Thema dieses Bandes ein, indem wir zunächst einige historische Gesichtspunkte sowie Aspekte des Sprachwan‐ dels in den Blick nehmen. Die Grundthese dieses Bandes lautet: Sprachen sind keine voneinander unabhängigen und starren Gebilde, die auf unerklärliche Weise entstan‐ den sind und die ohne Berührungspunkte nebeneinander (ko)existieren. Sprachen haben eine Geschichte, spiegeln durch ihren Gebrauch gesellschaftliche und politische Verhältnisse wider, beeinflussen sich gegenseitig, entwickeln sich permanent weiter und sind mitunter Objekt teils sehr kontroverser gesellschaftlicher und politischer Debatten - gestern wie heute. Anhand exemplarischer historischer und gegenwärtiger Geschehnisse und Vor‐ gänge zeigen wir in Lerneinheit 1.1 auf, auf welche Weise Sprach(en)gebrauch und Mehrsprachigkeit Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher Debatten waren beziehungsweise sind und wie Sprach(en)konflikte zum Teil Symptome tiefgehender sozialer und politischer Konfrontationen waren und sind. In Lerneinheit 1.2 neh‐ men wir exemplarisch die deutsche Sprache in den Blick und zeigen auf, dass das aktuell gebräuchliche Deutsch letztlich das Resultat der immerwährenden menschli‐ chen Migrationsbewegungen ist, denn Migrationsphänomene werden stets begleitet von Sprachenkontaktphänomenen. Dieser Sprachwandel durch Migration ist nichts Außergewöhnliches, sondern stellt den Normalfall in der Entwicklungsgeschichte von Sprachen dar. Um das genauer zu erläutern, gehen wir in Lerneinheit 1.3 auf Sprachwandelprozesse ein und zeigen auf, durch welche Mechanismen Sprachen sich - insbesondere durch sich ändernde Kommunikationsbedürfnisse - fortwährend weiterentwickeln. Wir setzen uns in diesem ersten Kapitel also mit Phänomenen des Sprachwandels auseinander, um eine Grundlage für die weiteren Kapitel dieses Bandes zu schaffen. Dabei beleuchten wir einige Ursachen für mehrsprachige Entwicklungsprozesse sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Reaktionen und Auswirkun‐ gen. <?page no="14"?> 1.1 Mehrsprachigkeit - ein modernes Phänomen? Lennart Bartelheimer Zur Einführung in den Band nehmen wir in der ersten Lerneinheit das Thema Mehrsprachigkeit aus historischer Perspektive in den Blick. Wir stellen ausge‐ wählte Beispiele von Mehrsprachigkeitsdebatten aus Geschichte und Gegenwart vor, vergleichen diese und zeigen deren politische und gesellschaftliche Aus‐ wirkungen auf. Dabei spielt insbesondere der Blick auf die Situation in der ehemaligen kaiserlichen und königlichen (k. u. k.) Doppelmonarchie Österreich- Ungarn eine Rolle, aber auch die laufende (schul)politische Debatte über den Fremdsprachenunterricht. Durch Vergleiche mit gelegentlichen Zeitsprüngen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zeigen wir, dass trotz aller historischer Unterschiede das Thema der Mehrsprachigkeit kein neues Phänomen ist, sondern bereits im Kontext der Geschichte nicht selten von höchster Relevanz war - und zwar auf ganz verschiedenen Ebenen. Wir möchten damit den Blick auf die Multiperspektivität des Themas Mehrsprachigkeit und seiner Entwicklung eröffnen und so einen Rahmen und eine Basis für alle weiteren Inhalte des Bandes schaffen. Wir verstehen Mehrsprachigkeit als ein sich stets weiterentwickelndes Feld, das sich im Fluss befindet und tagesaktuell betrachtet werden kann und muss, bei dem sich aber auch immer ein Blick auf Vergangenes lohnt, um das Verstehen des Gegenwärtigen zu schärfen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ anhand ausgewählter Beispiele etwas über die historische Relevanz von Mehrsprachigkeit in Politik und Gesellschaft erfahren und diese reflektieren können; ▶ damit verknüpfend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen histori‐ schen und gegenwärtigen politischen Diskussionen rund um das Thema Mehrsprachigkeit aufzeigen können; ▶ dadurch in das Thema des Bandes eingestimmt werden und die Vielfalt und den Facettenreichtum des Themenkomplexes Mehrsprachigkeit erkennen können. Reflexionsaufgabe Überlegen Sie, welche Gegebenheiten die Bezeichnung „Vielvölkerstaat“ bein‐ haltet. Welche Implikationen ergeben sich in (mehr)sprachlicher Hinsicht? Vor welchen sprachenpolitischen Entscheidungen steht die Regierung eines solchen Staates? Beziehen Sie in Ihre Überlegungen dann die Situation dieses Staates zu 14 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="15"?> einem etwa hundert Jahre zurückliegenden Zeitpunkt mit ein. Inwiefern unter‐ scheiden sich Vergangenheit und Gegenwart in sprachlicher Hinsicht? Inwiefern hilft es, die Vergangenheit zu kennen, um die Gegenwart zu verstehen? 1.1.1 Was bedeutet Mehrsprachigkeit - individuelle, gesellschaftliche bzw. soziale Dimension und politische Dimension Ein jüdisches Kind mußte schon mit drei Jahren lesen lernen, viele Stunden des Tages unter der Fuchtel der strengen Cheder-Lehrer mit Buchstabieren und bald auch mit Übersetzen schwerer hebräischer Texte zubringen. Die christlichen Kinder aber kamen erst mit sechs oder gar sieben Jahren in die Schule, man lehrte sie allmählich lesen - und nur in der Sprache, die sie schon kannten. […] Und das erklärte zum Beispiel auch, warum wir mit unseren Bediensteten in ihrer Sprache verkehrten, anstatt daß sie die unsere sprachen. Und weil wir Verbannte waren - in der Galuth, mußten wir zwei-, dreimal so viel lernen wie die anderen. Wir klagten zwar über diesen Zwang, wir waren aber deshalb nicht unzufrieden, im Gegenteil. Ihm verdanke ich zum Beispiel, daß ich Sprachen, daß ich jede Sprache liebe, daß der Zauber der Worte auch auf den bejahrten Mann noch so verführerisch wirkt wie auf das Zablotower Kind, das sich immerfort zurecht finden musste zwischen dem Ukrainischen und Polnischen, dem Jiddischen, Hebräischen und Deutschen. Nicht jede Sprache klang mir schön, doch empfand ich sehr früh, daß jede etwas Besonderes an sich hatte und daß die Welt nicht die gleiche wäre, wenn ihr auch nur eine von ihnen fehlte. Wasser, Woda, Majim bedeuten das gleiche, ebenso wie - das lernte ich etwas später - aqua, eau und water. Aber ich ahnte recht bald, daß in jedem dieser Worte etwas mitschwang, das vielleicht nicht wirklich in ihm steckte, aber von ihm angerufen, mitgenannt wurde. Das slawische „Woda“ ist noch heute für mich eine Flüssigkeit, die man aus dem Brunnen schöpft, das hebräische „Majim“ sprudelt aus einer Quelle, das deutsche Wasser kommt aus dem Wasserhahn, den ein kleines Kind beliebig öffnen und schließen kann. (Sperber 1983: 63-64) In diesem Auszug aus seinen Memoiren beschreibt der 1905 geborene Schriftsteller und Philosoph Manès Sperber eindrucksvoll die mehrsprachige Realität der Gesellschaft seiner Jugendjahre in der jüdischen Gemeinde in Zabłotów im damals zu Österreich- Ungarn gehörenden Galizien. Dieses Beispiel aus einer durch die Shoah fast vollständig in Europa vernichteten Kultur gibt einen anschaulichen Einblick in die Vielschichtig‐ keit und die variationsreichen Ausprägungen des Themas Mehrsprachigkeit. Drei Dimensionen von Mehrsprachigkeit werden hier bereits deutlich: Die erste Dimension ist die individuelle Dimension. Sperber beschreibt seinen individuellen Lernprozess, der ihm selbst zunächst als anstrengend, im Nachhinein aber als sehr nützlich zur Herausbildung seines Wissens und seiner Persönlichkeit erschien. Der Schriftsteller legt eindrücklich dar, dass Sprache(n) eben nicht nur eine oder mehrere Sammlung(en) von Wortbedeutungen ist beziehungsweise sind, sondern 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 15 <?page no="16"?> dass jede Sprache ihre Einzigartigkeiten hat, dass bereits einfache Wörter wie Wasser in einer bestimmten Sprache zwar denotativ übersetzt werden können, häufig aber konnotativ Bedeutungen mittransportieren, die nicht so einfach übertragen werden können. Sprache trägt so nicht zuletzt durch ihre Vieldeutigkeit dazu bei, eine indivi‐ duelle Realität für jede einzelne Person zu konstruieren. Das Wissen über verschiedene Deutungsmuster und das Vorhandensein von Interpretationsmöglichkeiten erweitern den Horizont und wirken sich auf die folgende, zweite Dimension aus, in der es um die Fähigkeit zur Kommunikation mit anderen Menschen geht. (Individuelle Aspekte der Mehrsprachigkeit werden im Kapitel 6 thematisiert.) Die zweite Dimension ist die gesellschaftliche beziehungsweise soziale Dimension. Sperber beschreibt eine Gesellschaft, in der Mehrsprachigkeit eine Selbstverständlich‐ keit ist, im Alltag als Normalität betrachtet und aktiv gelebt wird. Es geht hier insbe‐ sondere um die Kommunikation zwischen Menschen in einer kulturell heterogenen Gesellschaft (Näheres zu diesen Themen in den Kapiteln 2 und 5). In dem von Sperber beschriebenen Fall erfolgt die Verständigung auf schriftlichem Wege sogar über drei ganz unterschiedliche Schriftsysteme hinweg: das kyrillische (Ukrainisch, Russisch), lateinische (Polnisch, Deutsch) und hebräische ( Jiddisch, Hebräisch) Alphabet. Die dritte Dimension ist schließlich die politische Dimension. Sprache war immer auch ein politisches Gestaltungsinstrument (wie wir in den Lerneinheiten 1.2, 3.1 und 3.2 aufzeigen) und ein Mittel zur Ausübung von Macht (siehe hierzu insbesondere die Lerneinheit 2.1). Wer wessen Sprache zu sprechen beziehungsweise zu erlernen und zu verwenden hat, spiegelte stets gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse wider; auch dies wird im Bericht Sperbers bereits deutlich. Ein Thema, das von Sperber in diesem Kontext gleich zu Anfang genannt wird, und das in der heutigen Diskussion um Mehrsprachigkeit eine große Rolle spielt, ist der Schulunterricht (hierauf wird in den Kapiteln 4 und 7 eingegangen). Gerade daran entzünden sich die mitunter heftigsten und kontroversesten Debatten in der Gegenwart, während es in der Vergangenheit eher Fragen der Sprachen als nationale Unterscheidungsmerkmale waren. Beide Gesichtspunkte sind jedoch, wie wir an den nachfolgend dargestellten Beispielen noch sehen werden, durchaus miteinander verwoben und sowohl in der Vergangenheit wie auch heute nicht immer klar voneinander zu trennen. 1.1.2 Mehrsprachigkeit als kontrovers diskutierte gesellschaftliche Realität Die mehrsprachigen Realitäten sind heute in vielen Ländern - auch innerhalb Eu‐ ropas - durchaus unterschiedlich (was in Kapitel 2 thematisiert wird). Ein Blick beispielsweise auf Indien mit seinen insgesamt mehr als 120 Landessprachen zeigt, dass mehrsprachige Gesellschaften, wie sie auch Sperber beschreibt, keineswegs der Vergangenheit angehören. Dennoch hat sich in vielen Ländern, wie Deutschland oder auch Frankreich (siehe hierzu Lerneinheit 2.2), im Laufe des 20. Jahrhunderts das Bild einer idealerweise einsprachigen Gesellschaft als Normalzustand durchgesetzt, 16 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="17"?> in der Mehrsprachigkeit lange Zeit eher als gesellschaftlich problematische Begleit‐ erscheinung der modernen Einwanderungsgesellschaft wahrgenommen wurde und zum Teil heute noch wird. Sprachen werden, nicht ganz zu Unrecht, auch heute noch mit kulturellen und sozialen Aspekten verknüpft; aus diesen Verknüpfungen werden dann aber - wie im unten dargestellten Interviewbeispiel - häufig fragwürdige Kausalzusammenhänge vom kulturellen Status bestimmter Nationen abgeleitet. Transferaufgabe 1 Recherchieren Sie zur Sprachensituation in Indien: ▶ Welche Sprachen werden dort gesprochen und wo? ▶ Noch über 70 Jahre nach der Unabhängigkeit von Großbritannien konnte sich Hindi auf gesamtstaatlicher Ebene in Indien nicht als (alleinige) Amts- und Verkehrssprache durchsetzen. Auch die ehemalige Kolonialsprache Englisch ist dort (noch) Verkehrs- und Amtssprache. Welche Gründe könnte dies haben? Vergleichen Sie die Sprachensituation in Indien mit der in Österreich-Ungarn bzw. der Europäischen Union. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede können Sie entdecken? Da eine eher defizitorientierte und problemzentrierte Sichtweise auf Mehrsprachigkeit eine lange Tradition hat, wollen wir im Folgenden anhand einiger exemplarischer Beispiele einen Blick auf historische Ausprägungen von Mehrsprachigkeit und Ereig‐ nisse, die damit in Bezug stehen, werfen. Anhand dieser Beispiele wollen wir aufzeigen, welche gesellschaftlichen und politischen Diskussionen geführt wurden, und sie Beispielen aus der mehrsprachigen Gegenwart gegenüberstellen. Der vergleichende Blick zwischen Geschichte und Gegenwart zeigt, dass viele Phänomene der und Diskussionen über die Mehrsprachigkeit, die heutzutage oft als vermeintlich neue Erscheinungen der globalisierten Welt oder von Migrationsbewegungen dargestellt werden, nicht neu sind. Zwar wiederholt sich Geschichte nie eins zu eins, aus historischen Ereignissen lassen sich dennoch wiederkehrende Muster ableiten, die für das Lernen aus der Vergangenheit für die Zukunft von besonderer Bedeutung sein können und damit auch für die Weiterentwicklung des persönlichen Verständnisses von Mehrsprachigkeit und unseren Umgang damit. 1.1.3 Sprachenpolitik in Österreich-Ungarn und Baden-Württemberg - zwei Beispiele Als ein historischer Untersuchungsgegenstand bietet sich uns das Geburtsland von Sperber, Österreich-Ungarn, an. Die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe dieses Staates bedürfen für Leserinnen und Leser im 21. Jahrhundert allerdings einer näheren Erklärung: Die sogenannte Donaumonarchie, deren Nationalitätenkonflikte 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 17 <?page no="18"?> letztlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten, und die schließlich selbst zu Kriegsende auseinanderbrach, galt lange Zeit in der historischen Forschung als das, was wir heute als failed state bezeichnen würden: ein Staatengebilde, das aufgrund innenpolitischer Entwicklungen und Gegebenheiten auseinanderbrechen musste. Im konkreten Fall Österreich-Ungarns war der ausschlaggebende Faktor, der den Staat hat implodieren lassen, dass er dem im 19. Jahrhundert aufkommenden Ideal des ethnisch, kulturell und sprachlich homogenen Nationalstaats in keiner Weise entsprach. Die neuere Forschung betrachtet diesen Umstand allerdings differenzierter. So sieht man im historischen Österreich-Ungarn - wenn auch fehlgeschlagene, aber immerhin unternommene - Ansätze für die gesteuerte Organisation eines staatlichen Gebildes, in dem Menschen verschiedener Kulturen unter Bewahrung der eigenen Sprachen miteinander leben können. Unter diesen gescheiterten Ansätzen finden sich auch sol‐ che, aus denen das sich aktuell einigende Europa, als mitunter fragiles Staatengebilde, lernen könnte (vergleiche hierzu beispielsweise Burger 1994). Heute kann es uns sogar „als ein Laboratorium für den innovativen Umgang mit sprachlicher Vielfalt in einem mehrsprachigen Staatswesen“ (Haslinger 2008: 109) erscheinen. In Österreich-Ungarn jedoch, das Anfang des 20. Jahrhunderts nach Russland der zweitgrößte Flächenstaat in Europa war, hatte bereits 20 Jahre vor seinem endgültigen Auseinanderbrechen im Ersten Weltkrieg ein Sprachenstreit zu einer existenzbedrohenden Staatskrise geführt. Dabei ging es um die aus heutiger Sicht sehr modern wirkenden Badeni- Sprachenverordnungen, die das Verhältnis der Sprachen Deutsch und Tschechisch in den damals gemischt bevölkerten Gebieten Böhmen und Mähren (der heutigen Tschechischen Republik) regeln sollten. Auf diese Krise werden wir noch zu sprechen kommen. 1.1.3.1 Fremdsprachenunterricht in Baden-Württemberg - Englisch, Französisch oder gar nichts? Auch die Gegenwart zeigt, dass politische Eingriffe in den Sprachengebrauch und starke Reaktionen darauf keinesfalls der Vergangenheit angehören. In der Schulpolitik gibt es wenige Themen, die kontroverser diskutiert werden. Selten erhitzen sich die Gemüter in solchem Maße, wie wenn es um Fragen zu mehrsprachigem Aufwachsen von Kindern, Fremdsprachenunterricht, herkunftssprachlichem Unterricht (früher „muttersprachlicher“ Unterricht; siehe hierzu Lerneinheit 7.3.) in der Schule oder gar um eine Pflicht zum Gebrauch der deutschen Sprache auch während der Pausen auf dem Schulhof geht. Gefürchtet wird die sogenannte doppelte Halbsprachigkeit, also die Annahme, dass Menschen, die in früher Kindheit mit „zu vielen“ Sprachen konfrontiert werden, keine dieser Sprachen ausreichend gut erlernen. Hieran anschlie‐ ßend stellt sich die Frage, welche Sprachen wann in der Schulbiografie sinnvoll zu erwerben sind. Dazu liefert uns die Debatte um den Französischunterricht in Baden-Württemberg ein anschauliches zeitgenössisches Beispiel aus dem deutschen Bildungsföderalismus (der auch in Lerneinheit 5.1 thematisiert wird). Im Bundesland 18 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="19"?> Baden-Württemberg ist der Fremdsprachenunterricht aufgrund der geografischen und politischen Eigenarten ein besonders kontrovers diskutierter Gegenstand. 2003 wurde hier der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule eingeführt - und zwar ab der ersten Klasse: Während im größten Teil des Bundeslandes Englisch auf den Stunden‐ plan der Erstklässlerinnen und Erstklässler gesetzt wurde, lernten diese im grenznah zu Frankreich gelegenen Rheintal stattdessen Französisch. Von den Befürworterinnen und Befürwortern als „Pädagogischer Meilenstein“ (Ministerium für Kultus 2003: 3) gefeiert, gab es in den folgenden Jahren immer wieder massive Kritik an dem Projekt und gerichtliche Klagen dagegen. Verwies beispielsweise der Baden-Württembergische Philologenverband auf den vermeintlich „längst als minimal befundenen Nutzen des frühen Fremdsprachenlernens“ (Philologenverband 2017a), kam von Seiten der Eltern und auch der Schülerinnen und Schüler hauptsächlich Kritik an der durch die Politik festgelegten Fremdsprache: im Rheintal Französisch und im übrigen Bundesland Englisch. Der Grundgedanke des Projektes, im Rheintal eine bessere Verständigung mit den Menschen im benachbarten Frankreich zu fördern, sei durch „Zwangsfranzösisch“ (Braun 2011) nicht erreichbar, da das Französische - anders als das Englische - auch im Rheintal nicht alltäglich sei: „Seither büffeln die Sechsbis Zehnjährigen französische Vokabeln - obwohl sie oft lieber englische Songtexte übersetzen und die Begleittexte ihrer Star-Wars- oder Pokémon-Karten durchschauen würden“ (Braun 2011). Während sich Öffentlichkeit und Wissenschaft nach wie vor über den Nutzen des Projektes streiten (zur Pro-Argumentation vergleiche Maldacker/ Ziedler 2017, zur Contra-Argumentation vergleiche Philologenverband 2017a), wurden auf juristischem und politischem Wege Fakten geschaffen. Das Vorhaben, Französisch im Rheintal auch ab Klasse 5 als verbindliche Fremdsprache einzuführen, wurde 2007 gerichtlich gestoppt (vergleiche Schmiedekampf 2007). Zehn Jahre später wurde dann auch in Baden-Württembergs Grundschulen der Beginn des Fremdsprachenunterrichts von der ersten in die dritte Klasse verschoben, was einerseits begrüßt (vergleiche Philologenverband 2017b), andererseits als „falsches Signal“ (Maldacker/ Ziedler 2017) kritisiert wurde. Begründet wurde dieser Schritt allerdings nicht mit sprachlichen Beweggründen, sondern mit Lehrkräftemangel. Da auch die Interpretationen der herangezogenen Studien über den frühen Fremdsprachenunterricht sehr unterschied‐ lich ausfallen (vergleiche Völzing 2017), bleibt abzuwarten, wie endgültig dieser Schlussstrich des Herbstes 2017 tatsächlich sein wird. Mehrsprachigkeit bleibt ein Politikum mit dem Potenzial, allseits die Gemüter auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu erhitzen - wenngleich es glücklicherweise kaum mehr zu erwarten sein dürfte, dass ein Baden-Württembergischer Ministerpräsident von Abgeordneten aus dem Rheintal wegen solcherlei Angelegenheiten zum Zweikampf gefordert werden würde. Mit dieser Erkenntnis kehren wir fast exakt 120 Jahre zurück in die Geschichte der k. u. k.-Monarchie, wo genau so etwas passiert ist. Hier zeigt sich ein anderes als das von Sperber gezeichnete Bild einer vergleichsweise friedlichen mehrsprachigen Koexistenz. 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 19 <?page no="20"?> 1.1.3.2 Die Badeni-Sprachenverordnung: Sprachenpolitik zwischen Verfassung, Parlament und Pistole Am 25. September 1897 fand in Wien ein Pistolenduell statt. Die Duellanten waren Graf Kasimir Felix Badeni, der amtierende Ministerpräsident Cisleithaniens (der Name der westlichen Reichshälfte Österreich-Ungarns) und der Parlamentsabgeordnete Karl Hermann Wolf, welcher das Duell letztlich für sich entscheiden konnte. Ursache für diesen Tiefpunkt europäischer Parlamentsgeschichte waren die Sprachenverordnun‐ gen für die Provinzen Böhmen und Mähren, die die Regierung unter Badeni ein knappes halbes Jahr zuvor erlassen hatte. Sie hatten den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn schon damals an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Was war geschehen? Die Monarchie der Habsburger war seit dem sogenannten Ausgleich mit Ungarn im Jahr 1867 ein föderales Staatsgebilde, dessen beide Reichsteile Cis- und Transleithanien weitgehende innenpolitische Autonomie genossen, inklusive eigener Regierungen und eigener Parlamente. Beide Reichsteile entwickelten sich seither auseinander: Während die östliche Reichshälfte zunehmend zentralistisch regiert und durch die ungarische Sprache und Kultur dominiert wurde, zerfiel die westliche Reichshälfte in viele kleinere Länder, die ihrerseits eine nicht geringe Autonomie besaßen. Die verschiedenen Nationalitäten - nach offizieller Zählung gab es elf - waren laut Verfassung gleichberechtigt. Deshalb ist es problematisch, in diesem Zusammenhang von Österreich zu sprechen. Diese Bezeichnung wurde in erster Linie von den Deutsch‐ österreicherinnen und Deutschösterreichern gebraucht und von vielen Angehörigen nichtdeutscher Nationalitäten abgelehnt. Da eine allgemein akzeptierte Bezeichnung jedoch nicht gefunden werden konnte, wurde die offizielle Bezeichnung der westlichen Reichshälfte von ihrem Parlament abgeleitet und nannte sich „die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“. Offizielles Kürzel im Verwaltungsverkehr war „k.k.“ - im Gegensatz zu „k.u.k.“, was den österreichisch-ungarischen Gesamtstaat betraf; inoffiziell gebräuchlichste Bezeichnung war Cisleithanien (vergleiche Hamann 2012: 127-135). Schon auf dieser ganz praktischen verwaltungstechnischen Ebene spielen Sprache und Sprach(en)gebrauch eine wichtige Rolle. Dies trifft auf die gesamte cisleithanische Politik zu, denn eine einheitliche offizielle Landessprache gab es hier - anders als im ungarischen Reichsteil - nicht. Die Nationalitäten wurden über ihre Sprachen definiert. So wurden bei Volkszählungen die Menschen entsprechend ihrer Umgangssprache den entsprechenden Nationalitäten zugeordnet. Das Jiddisch Manès Sperbers galt hierbei als Deutsch: grundsätzlich wurde das Judentum zwar nicht als Nationalität anerkannt, besaß allerdings alle bürgerlichen Rechte (vergleiche Hamann 2012: 128). Die Gleichberechtigung der Nationalitäten war im Artikel 19 des „Staatsgrundge‐ setzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ von 1867 geregelt. Dieser lautet wie folgt: Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletz‐ liches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. 20 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="21"?> Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unter‐ richtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbil‐ dung in seiner Sprache erhält. (Staatsgrundgesetz 1867) Der Verfassungsartikel zeigt in Bezug auf Mehrsprachigkeit eine deutliche Ambivalenz auf: Einerseits wird im Absatz 2 die Gleichberechtigung jeder „landesüblichen“ Sprache festgehalten, andererseits wird durch Absatz 1 und insbesondere Absatz 3 bestimmt, dass niemand zum Erlernen einer anderen Landessprache verpflichtet werden kann. Dieses in seiner Intention vielleicht durchaus gut gemeinte „Sprachenzwangsverbot“ (Burger 1994: 80) wirkte sich letztlich verhängnisvoll aus, da es in einem zunehmend nationalistisch aufgeladenen politischen Klima eher eine Abschottung der Nationen ge‐ geneinander denn ihre gegenseitige Verständigung begünstigte. In dieser Gemengelage waren die Sprachenverordnungen der Regierung unter Badeni von 1897 ein Versuch, für die schon lange schwelenden Konflikte in den sowohl von ethnischen Deutschen als auch von Tschechen bewohnten Gebieten Böhmens und Mährens eine für alle Seiten akzeptable und auch für den Verwaltungsapparat handhabbare Kompromisslösung zu finden. Was besagten die Verordnungen? Nachdem bereits 1880 die Sprachen Deutsch und Tschechisch im äußeren Amtsgebrauch gleichgestellt worden waren (was die Behörden dazu verpflichtete, an sie gestellte Anträge in derjenigen Sprache zu beantworten, in der sie gestellt wurden), sollte die Gleichstellung auch auf den inneren und innersten Amtsgebrauch (die Kommunikation zwischen Behörden und innerhalb einer Behörde) und offiziellen Schriftverkehr ausgeweitet werden. Das hätte de facto „die zweisprachige Amtsführung fast aller Zivilbehörden“ (Burger 1994: 79) bedeutet. Hierfür - und das war der eigentliche Auslöser des Konflikts - wurde verfügt, dass alle staatlichen Beamten in Böhmen und Mähren, sofern sie nicht bereits zweisprachig waren, binnen drei Jahren mündliche und schriftliche Kenntnisse in beiden Sprachen nachzuweisen gehabt hätten (vergleiche Burger 1994: 79). Aufgabe zur Inputverarbeitung Machen Sie sich Gedanken zum Thema „Sprachenlernen unter Zwang“. ▶ Welche Aspekte werden im Text beschrieben? Welche Effekte (positive? negative? ) hat das Lernen unter „Zwang“? ▶ Erscheint es sinnvoll, Menschen zum Lernen anderer Sprachen zu zwingen? Was spricht dafür, was dagegen? Mit dem Abstand von mehr als einem Jahrhundert betrachtet, fällt es uns heute vielleicht schwer, hier eine besondere Ungerechtigkeit zu erkennen. Durch die Ver‐ ordnungen sollten die Rechte der deutschsprachigen Bevölkerung in keiner Weise 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 21 <?page no="22"?> eingeschränkt oder beschnitten werden, die Rechtsgültigkeit der deutschen Sprache wurde nirgendwo reduziert. Es sollten lediglich bis dahin bestehende Einschränkungen für den Gebrauch der tschechischen Sprache beseitigt und durch die Zweisprachigkeit eine echte Gleichstellung zwischen beiden Volksgruppen hergestellt werden. Das erscheint bei einem deutschsprachigen Bevölkerungsanteil von 37 % in Böhmen beziehungsweise 28 % in Mähren (vergleiche Burger 1994: 80) aus heutiger Sicht nach‐ vollziehbar. Im damaligen, durch den nationalistischen Zeitgeist geprägten, politischen und gesellschaftlichen Klima stieß die Regierung mit diesen Verordnungen allerdings regelrecht in ein Wespennest. Ein Sturm der Entrüstung brach gegen die Verordnungen los; der Verlust ihrer bisherigen sprachlichen Privilegien wurde von großen Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung als „Vergewaltigung des Deutschtums“ ( Jaworski 2009: 3) erachtet. Hier mischte sich der teils über Jahrzehnte aufgebaute Nationalismus mit Ängsten vor dem eigenen sozialen Abstieg (vergleiche Krzoska 2005: 151-154). Schließlich verfügten viele ethnische Deutsche - auch Beamte - in diesen Gebieten nicht über tschechische Sprachkenntnisse, während viele Tschechen (wohl auch aus Gründen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, wie sie auch Sperber beschreibt) zweisprachig waren (vergleiche Burger 1994: 80). Die nationalistische Stimmung wurde angeheizt durch deutschnationale Politiker wie Karl Hermann Wolf, den Duellgegner Badenis. Er hatte im Parlament formuliert, dass das Erlernen des Tschechischen als „Sprache eines solchen culturell minderwertigen Volkes“ (Protokolle 1897: 523; vergleiche auch Burger 1994: 82) den Deutschen in Böhmen nicht zumutbar sei. Auch durch damals neue Medien wie nationalistische Postkarten wurde der Streit weiter transportiert und erlangte eine zuvor kaum gekannte Reichweite. Karikaturen mit markigen Sprüchen wie „Auf, Germanen! Schützet eure Marken! “ ( Jaworski 2009: 11) zeigen, dass der Streit längst über einen reinen Sprachenkonflikt hinaus gegangen war. Auch die Tatsache, dass Ministerpräsident Badeni polnischer Abstammung war, wurde von den Deutschnationalen als Argument gegen seine Regierung sowie das gesamte gemischtnationale politische Establishment der Monarchie angeführt (vergleiche Ha‐ mann 2012: 379). In den Folgemonaten kam es erst in böhmischen, dann in anderen österreichischen und schließlich auch in deutschen Städten zu Protestdemonstrationen und Tumulten, während das Parlament in Wien durch Obstruktion lahmgelegt wurde: Dauerreden, Störrufe, Beleidigungen bis hin zu Handgreiflichkeiten machten jede politische Arbeit dort unmöglich. Nach dem Duell zwischen Badeni und Wolf sowie einer Massenschlägerei im Parlament, die nur durch das Eingreifen der Polizei beendet werden konnte, war die Regierung Badeni zum Rücktritt gezwungen (vergleiche Hamann 2012: 380). Die Nachfolgeregierung milderte die Sprachenverordnungen zunächst ab und hob sie ein Jahr später ganz auf. Das wiederum löste wütende Proteste von tschechischer Seite und Tumulte in Prag aus. Im deutsch-tschechischen Sprachenstreit konnte bis zum Ende der Donaumonarchie keine Einigung erzielt werden, nicht zuletzt deshalb, weil auf allen Seiten ein enormer politischer Schaden entstanden war. Was von der Badeni-Krise blieb, war die massive Verrohung der 22 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="23"?> politischen Sprache sowie der individuellen und parlamentarischen Umgangsformen (vergleiche Jaworski 2009: 9). 1.1.4 Sprache(n) als Ursache sozialer Probleme und EU-Sprachenpolitik - alte Geister und neue Rezepte 120 Jahre und zwei Weltkriege nach diesem Sprachenstreit sind die expliziten natio‐ nalistischen Argumentationen zwar weitgehend aus den Mehrsprachigkeitsdebatten verschwunden. Dennoch tauchen sie mehr oder weniger implizit immer wieder auf. So erschien 2018 ein Interview mit einer Berliner Grundschulrektorin in einer Boulevardzeitung, das über weite Strecken die sozialen Probleme des Stadtteils Neu‐ kölln beschreibt: Hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Bildungsstände der vorwiegend eingewanderten Bevölkerung, damit zusammenhängend fehlende Tagesstruktur in den Familien und fehlende Unterstützung der Kinder durch Eltern oder Geschwis‐ ter. Aufmacher des Interviews waren allerdings keine sozialen Probleme, sondern sprachliche: „Nur eins von 103 Kindern spricht zu Hause Deutsch“ (Bruns 2018). Garniert mit markigen Sprüchen, die sich Vokabeln aus völkischem und militärischem Repertoire („wir sind arabisiert“, „wir stehen an der Front“) (Bruns 2018) bedienen, wird die Ursache der geschilderten Probleme als eine herkunftssprachliche gedeutet, und Mehrsprachigkeit im Kausalzusammenhang mit Herkunft als Grund für die sozialen Probleme beschrieben. Zu der Erkenntnis, dass genau solche Schlüsse jedoch zu kurz gegriffen sind, und dass die Themenvielfalt der Mehrsprachigkeit viel komplexer ist, wollen wir mit den Lerneinheiten des vorliegenden Buches einen Beitrag leisten. Transferaufgabe 2 Am 21. Februar ist „Internationaler Tag der Muttersprache“. ▶ Recherchieren Sie zu den Hintergründen seiner Entstehung. ▶ Diskutieren Sie: Ist ein solcher Tag in einer globalisierten Welt - in der schon jetzt viele Menschen mehrsprachig sind und perspektivisch noch viel mehr Menschen mehrsprachig sein werden - zeitgemäß? Was spricht dafür, was spricht dagegen? Oder sollte es vielleicht eher „Tag der Muttersprachen“ heißen? … ▶ Diskutieren Sie die Begriffe „Muttersprache“ versus „Erstsprache“, indem Sie für beide Argumente sammeln. ▶ [evtl. Abschlussaufgabe: ] Diskutieren Sie anhand des Textes der Lerneinheit und Ihrer Erkenntnisse aus den bereits bearbeiteten Aufgaben das Verhältnis zwischen Sprache, Kultur, nationaler Identität und Politik. Wie wir gesehen haben, ist Mehrsprachigkeit keinesfalls ein neues Phänomen unserer heutigen globalisierten Gesellschaft. Sie existierte seit jeher und führte auch früher schon zu teils heftigen Kontroversen, insbesondere wenn es um Sprachenpolitik ging. 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 23 <?page no="24"?> Das zeigt der Vergleich zwischen der Habsburgischen Monarchie und der Europäischen Union. Die europäische Sprachenpolitik unterscheidet sich jedoch deutlich von derje‐ nigen des historischen kaiserlichen Österreich: Anstelle des „Sprachenzwangsverbots“ (Burger 1994: 80) im Habsburgerreich, das letztlich die Entfremdung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen voneinander begünstigte, beschloss der Europäische Rat im März 2002, die Mehrsprachigkeit der EU-Bürgerinnen und -Bürger durch das Barce‐ lona-Ziel 1+2 zu fördern. Diese Maßnahme sieht vor, dass jedes Kind in der EU neben seiner/ n Erstsprache(n) mindestens Grundkenntnisse zweier Fremdsprachen erlernen sollte (vergleiche Europäischer Rat 2002: 19). Doch auch diese Forderung löst Diskus‐ sionen aus, wie wir beispielhaft an der Debatte um das „Zwangsfranzösisch“ (Braun 2011) in Baden-Württemberg gezeigt haben. Dabei ist es mit Sicherheit richtig, dass ein Lernen unter Zwang keinesfalls einen optimalen Zustand darstellt. Ebenso richtig ist allerdings auch, dass sich manche Lerneffekte und Lernerfolge erst retrospektiv angemessen einordnen und beurteilen lassen, wie es der bereits eingangs zitierte Manès Sperber formulierte: „Wir klagten zwar über diesen Zwang, wir waren aber deshalb nicht unzufrieden, im Gegenteil“ (Sperber 1983: 63). Experiment Diskutieren Sie die Folgen des „Sprachenzwangsverbots“ Österreich-Ungarns vergleichend mit der 1+2-Formel der EU. Was sind die Intentionen/ Ziele, was die Folgen? [Das könnten Sie auch als Debattier-Experiment gestalten. Bilden Sie dazu im Kurs zwei Gruppen und sammeln Sie Pro- und Contra-Argumente für beide Politiken. Veranstalten Sie anschließend eine Podiumsdiskussion, in der die verschiedenen Standpunkte diskutiert werden. Wählen Sie dazu eine/ n neutrale/ n Moderator/ in und schicken Sie aus jeder Gruppe 2-3 Personen zur Diskussion aufs Podium.] 1.1.5 Zusammenfassung - Mehrsprachigkeit als Chance Die Frage, was und wie aus historischen Begebenheiten und Entwicklungen zu lernen ist, ist so alt wie die Geschichtsschreibung selbst. Die hier dargestellten Beispiele zeigen jedoch, dass sich der historische Vergleich gerade im Bereich der Mehrsprachigkeit lohnt. ▶ Das Beispiel Sperbers und seines Geburtslandes Österreich-Ungarn zeigt eine Gesellschaft, in der Mehrsprachigkeit einerseits zum gelebten Alltag gehörte, andererseits aber zum thematischen Austragungsort politischer und sozialer Konflikte wurde. ▶ Auch in der Gegenwart kann das Thema Mehrsprachigkeit zu Konflikten führen, wie das Beispiel des Fremdsprachenstreits in der Schulpolitik Baden- Württembergs zeigt. 24 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="25"?> ▶ Damals wie heute wurden und werden dabei sprachliche Konflikte mit ethni‐ schen bzw. sozialen vermischt. ▶ Vor diesem Hintergrund ist das Barcelona-Ziel 1+2 der Europäischen Union ein Versuch, durch Mehrsprachigkeit eine Chance zu eröffnen, das gegen- und wechselseitige Verständnis zu fördern. ▶ Maßnahmen - sprachenpolitische auf der institutionellen ebenso wie didakti‐ sche auf der unterrichtlichen Ebene - müssen sehr differenziert betrachtet werden, damit sie nicht kontraproduktiv wirken. Wie wir gezeigt haben, ist das Thema Mehrsprachigkeit in Geschichte und Ge‐ genwart enorm vielfältig und facettenreich. Wir laden alle Leserinnen und Leser dazu ein, mit Hilfe dieses Buches ihr eigenes Wissen über Mehrsprachigkeit zu erweitern, ihre eigenen Erfahrungen, Hintergründe und Einstellungen zu reflektieren und Mehrsprachigkeit so auch als Bereicherung des (eigenen) Lebens wahrzunehmen. 1.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Weshalb ist das Beispiel Österreich-Ungarn geeignet, um einen historischen Bezug zum Themenkomplex Mehrsprachigkeit herzustellen? 2. Welche drei Dimensionen von Mehrsprachigkeit erfahren wir durch das autobio‐ graphische Zitat Sperbers? Veranschaulichen Sie Ihre Antwort unter Angabe eines konkreten Beispiels. 3. Was wird als „doppelte Halbsprachigkeit“ bezeichnet? 4. Worin bestand die Krise, die durch die sogenannte „Badeni-Verordnung“ 1897 ausgelöst wurde? 5. Was ist der grundlegende Unterschied zwischen der Sprachenpolitik Österreich- Ungarns und der der Europäischen Union? 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 25 <?page no="26"?> 1.2 Migrationen und ihre sprachlichen Abbildungen in der deutschen Sprache Constanze Bradlaw und Katharina Neuber Migrationen und ihre vielschichtigen Einflüsse auf Sprachen bilden seit einigen Jahren verstärkt einen Gegenstand öffentlich und privat geführter Diskurse, auch in Deutschland. Beide sind jedoch keine neuartigen Phänomene unserer gegenwärtigen Zeit, sondern sie bilden Konstanten menschlichen Daseins und menschlicher Lebensgestaltung des homo migrans. Auch sprachlich haben Migrationsbewegungen für alle an ihnen Beteiligten Auswirkungen. Mit Fokus auf die deutsche Sprache beziehen wir Forschungserkenntnisse aus verschie‐ denen Teildisziplinen der Linguistik ein, die für unser Thema wichtig sind. Das sind zum Beispiel die Migrationslinguistik und die Sprachenkontaktforschung. Wir werden die Begriffe deutsche Sprache und Migration zueinander in Bezie‐ hung setzen und sprachliche Abbildungen von Migration, wie beispielsweise Jugendsprachen, mithilfe konkreter Bezüge veranschaulichen. Wir machen deutlich, dass Sprachen in einen (gesellschafts)politischen Zusammenhang zu stellen sind, wenn wir sprachliche Entwicklungen innerhalb von Sprachenräu‐ men oder zwischen diesen fassen und verstehen wollen. Phänomene wie die als Superdiversität (Super-Diversity) bezeichnete urbane Mehrsprachigkeit in den Ballungszentren unserer Welt im 21. Jahrhundert stehen in einer wechsel‐ seitigen Bedingtheit mit den komplexen Transformationsprozessen heutiger Gesellschaften. In diesem Zusammenhang erschließt sich, dass individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein Verständnis für die Auswirkungen von Migration auf die Entwicklung der deutschen Sprache bekommen und dies in einen historischen Bezug setzen können; ▶ sprachliche Abbildungen von Migration in Deutschland unter linguistischen Gesichtspunkten, insbesondere aus der Sicht der Migrationslinguistik, be‐ trachten und erklären können; ▶ Einflüsse politischer und ökonomischer Entwicklungen und daraus resultie‐ rende historische Sprach(en)wandlungsprozesse nachvollziehen und erklä‐ ren können; ▶ für Mehrsprachigkeit und das Vermischen von Sprachen in Gesellschaften sowie Gemeinschaften in Folge von Sprachenkontakten als Normalfall sen‐ sibilisiert werden; 26 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="27"?> ▶ das Phänomen Jugendsprachen als aktuelles Phänomen der deutschen Spra‐ che in den Kontext von Migration einordnen können. Reflexionsaufgabe Kennen Sie Menschen, die selbst eine Migrantin oder ein Migrant sind? Gehören Sie selbst oder Familienangehörige zu dieser Personengruppe? Überlegen Sie, vor welchen sprachlichen Herausforderungen Sie oder die Ihnen bekannten Migran‐ tinnen und Migranten standen oder stehen und warum. Reflektieren Sie zudem, welche Auswirkungen diese Situation auf ihren weiteren Lebensweg hatte oder hat, und wie die Herausforderungen bewältigt wurden oder werden. Führen Sie dazu gegebenenfalls ein kurzes Interview. 1.2.1 Historische Kontextualisierungen und linguistische Bezüge Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Sprache als eine solche zu definieren und so zum Beispiel von einer Sprachvarietät abzugrenzen. Aus Gründen der vermeintlichen Eindeutigkeit und Klarheit werden Sprachen häufig über ihr Vorhandensein innerhalb eines bestimmten geografischen Raumes definiert. Ist dieser Raum ein Staat, sprechen wir von Nationalsprachen. Diese stellen jedoch häufig kein homogenes Gebilde dar, sondern bergen viele sprachliche Facetten, die ihrerseits wieder Spiegelbilder sozialer, politischer, gesellschaftlicher und vieler weiterer Gegebenheiten, Bedingungen und Entwicklungen sind. Sprachen können als primär sozial konstruiert betrachtet werden und sind dann immer auch Ausdruck von Machtverhältnissen (vergleiche Blommaert/ García/ Kress/ Larsen-Freeman 2019; García/ Wei 2014; Otheguy/ García/ Reid 2015). Transferaufgabe 1 Gesellschaftliche Machtverhältnisse bilden sich auch durch den Gebrauch von Sprachenregistern ab, zu denen nicht unbedingt alle Sprecherinnen und Sprecher Zugang haben. So bestehen im Deutschen im medizinischen Bereich parallel zu den lateinischen Fachausdrücken, die in der Regel die Ärztinnen und Ärzte verwenden, vulgärsprachliche deutsche Ausdrücke, die in der Regel die Patientinnen und Patienten verwenden - beispielsweise ‚Gelbsucht‘ für ‚Hepatitis‘, ‚Blinddarm‘ für ‚Appendix‘ oder ‚Schlaganfall‘ für ‚Apoplex‘. Dies kann im Kontext von Migration oder Arbeitsmigration, aber auch im erstsprachlichen Patientinnen- und Patientengespräch durchaus problematisch sein. Überlegen Sie mögliche Implikationen für die Situationen Diagnose und Therapie. Inwiefern kann ein lebensnaher DaF/ DaZ-Unterricht diese Implikationen thematisieren? Wie könnten konkrete Unterrichtsideen gestaltet werden? 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 27 <?page no="28"?> Selbst wenn wir Sprachen als Nationalsprachen spezifizieren, können diese ein Konglo‐ merat aus mehreren „Sprachsystemen“ (Ammon 2015: 107) bilden. Der Sprachgebrauch innerhalb der einzelnen Sprachsysteme kann unterschiedlichen Konventionen und Regeln folgen. Diese situationsabhängigen Konventionen leiten sich aus ihren jeweili‐ gen komplexen sozialen Kontexten ab. Wir sprechen von Sprachregistern. Als Antwort auf die Frage „Mit wem sprichst du welches Deutsch? “ kann die deutsche Sprache „als eine Menge von Varietäten“ (Ammon 2015: 108) zusammengefasst werden. Der sprachliche Weg von den Anfängen der deutschen Sprache bis zu unserem heute in der Bundesrepublik Deutschland gebräuchlichen Standarddeutsch ist lang. Diese dynamischen Veränderungsprozesse finden kontinuierlich statt und werden mit dem Begriff Sprachwandel gefasst (siehe Lerneinheit 1.3). Unser Thema verknüpft die beiden Schlüsselbegriffe dieser Lerneinheit, Migration und Sprachen, miteinander, die in einem Wechselverhältnis zueinander stehen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Menschen als homo migrans (vergleiche Burmeister 2016: 43; Schlaudt 2020: 1). Zahllose wechselseitige, sprachliche und kultu‐ relle Beeinflussungen begleiteten diesen Jahrtausende langen Prozess menschlichen Wanderns. Für die Entwicklung der deutschen Sprache erscheinen uns zwei histori‐ sche Situationen als besonders entscheidend, nämlich der Sprachenkontakt mit dem Lateinischen und die Reformation. Auf beide wollen wir im Folgenden schlaglichtartig eingehen. Im Laufe der Entstehung des Imperium Romanum erstreckte sich die römische Expansion auch auf weite Teile des Siedlungsgebiets germanischer Stämme. Die Entsendung römischer Soldaten und ihre oft langjährige Stationierung können wir dabei ebenfalls als eine Form von Migration definieren. In den besetzten Gebieten existierte dann neben den Sprachen der einzelnen Stämme auch die lateinische als Herrschaftssprache. Die Bedeutung des Lateinischen gewann im Laufe der Christia‐ nisierung noch stärker an Bedeutung, denn sie war die Sprache des Klerus und, neben dem Griechischen, für Jahrhunderte die unangefochtene Bildungs- und Wissen‐ schaftssprache in Europa. Christliche Klöster mit ihren Bibliotheken und Schreibstuben stellten bedeutende kulturelle Zentren dar, die vor allem durch die Anfertigung hand‐ schriftlicher Abschriften maßgeblich zur Verbreitung von Schriftzeugnissen beitrugen. Die klösterlichen Übersetzungen in damalige Formen des Deutschen sowie Glossie‐ rungen, also Formen der Kommentierung und Erläuterung eines Ursprungstextes, erweiterten den deutschen Wortschatz erheblich. Als das älteste deutsche Buch gilt ein Zeugnis des frühen Sprachenkontakts, nämlich ein lateinisch-deutsches Wörterbuch, der Abrogans, aus der Zeit um 765 (vergleiche Meid 2004: 12). Ein unterschiedlicher Sprachengebrauch im Mündlichen und Schriftlichen begann sich zu etablieren. Als einen weiteren, für die deutsche Sprache entscheidenden historischen Moment erachten wir die Zeit der Reformation. Luther und seinen Mitstreitern gelang es, die Allmacht des Lateinischen als Schrift-, Bildungs- und Wissenschaftssprache zur säkularen und insbesondere klerikalen Herrschaftssicherung ins Wanken zu bringen. Die Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen und Hebräischen ins 28 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="29"?> („Volks“-)Deutsche sowie die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg führten zu einer massenhaften Verbreitung der neuen Ideen in deutscher Sprache vor allem via Flugschriften. In seinem Sendbrief vom Dolmetschen (1530) formulierte Luther die ihn leitenden Übersetzungsprinzipien. Die poetischen Wortschöpfungen und die bildliche Sprachgewalt seiner Übertragungen ins Deutsche wirken bis heute und trugen maßgeblich zur Prestigesteigerung des Deutschen bei. Das Zeitalter der Reformation markiert in Europa historisch den Beginn der Neuzeit (ab circa 1500) und sprachlich den Beginn des Neuhochdeutschen, zu dem auch unsere heute verwendeten Formen des Deutschen zählen. Eine Periodisierung der deutschen Sprache finden Sie in Lerneinheit-1.3. Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Lesen Sie den folgenden Auszug aus Martin Luthers Sendbrief vom Dolmetschen (1530). Jedoch habe ich anderswo „sola fide“ gebraucht und will auch beides, „solum“ und „sola“, haben. Ich hab mich des beflissen im Dolmetschen, daß ich rein und klar Deutsch geben möchte. Und ist uns sehr oft begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, haben’s dennoch zuweilen nicht gefunden. Im Hiob arbeiteten wir also, Magister Philips, Aurogallus und ich, daß wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen konnten fertigen. Lieber - nun es verdeutscht und bereit ist, kann’s ein jeder lesen und meistern. Es läuft jetzt einer mit den Augen durch drei, vier Blätter und stößt nicht einmal an, wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen sind, wo er jetzt drüber hingehet wie über ein gehobelt Brett, wo wir haben müssen schwitzen und uns ängsten, ehe denn wir solche Wacken und Klötze aus dem Wege räumeten, auf daß man könnte so fein dahergehen. Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist. Aber den Wald und die Stubben ausroden und den Acker zurichten, da will niemand heran. Quelle: https: / / www.bibel-in-gerechter-sprache.de/ wp-content/ uploads/ sendbrief.pdf 1. Können Sie die hier beschriebenen Nöte des Übersetzens nachvollziehen? Welchen Ansprüchen wollten Luther und seine Mitübersetzer genügen? 2. Im Jahr 2000 wurde die Gute Nachricht Bibel veröffentlicht. Sie stellt eine Über‐ tragung in heute gebräuchliches und verständliches Deutsch aus hebräischen, aramäischen und griechischen Ausgangstexten dar. Auffallend sind eine Fülle an Fußnoten, die den Bibeltext immer wieder kontextualisieren und erläutern. In ihrem Nachwort heißt es: Neu ins Blickfeld trat bei der Revision von 1997 [der Bibel in heutigem Deutsch] der Ge‐ sichtspunkt einer frauengerechten Wiedergabe. Es ging dabei nicht um ein Zugeständnis an den „Zeitgeist“, sondern um das berechtigte Anliegen heutiger Frauen, sich durch die Sprachform der Übersetzung nicht ausgegrenzt zu sehen; außerdem waren traditionelle 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 29 <?page no="30"?> Fehlübersetzungen aufgrund der früher vorherrschenden männerzentrierten Sichtweise auf den Prüfstand zu stellen. (Deutsche Bibelgesellschaft 2000: 348) Auch aufgrund dieser Sichtweise gab es viel Kritik an dieser neuen Übersetzung. Überlegen Sie mögliche Gründe hierfür und formulieren Sie Ihren eigenen Stand‐ punkt. Formen der Migration Der Begriff Migration leitet sich aus dem lateinischen Wort migrare ab und bedeutet ‚(aus)wandern‘, ‚aus-, wegziehen‘, ‚übersiedeln‘. Die Geschichte des Menschen als eine des unablässigen Wanderns gestaltet sich analog zu ihrer zeitlichen Dimension sehr vielfältig. Ursprünglich wohl vor allem in Form von Nomadismus, erfolgen Wanderbewegungen vielfach als Reaktion auf äußere Einflüsse, oft als Flucht vor etwas oder jemandem. Als ein historisches Beispiel kann hierfür die als Völkerwanderung bezeichnete massenhafte Migrationsbewegung ganzer Ethnien zwischen etwa 375 und 568 n. Chr. gen Westen dienen. Sie wurde vor allem durch den Einfall der Hunnen in fremde Siedlungsgebiete im Osten Europas ausgelöst und stellt eine Fluchtbewegung dar (vergleiche Historisches Museum der Pfalz Speyer 2007: 39-46). Mit Blick auf die Gegenwart stellen wir fest, dass sich historische und gegenwärtige Migrationsbe‐ wegungen zum einen sehr ähneln, zum anderen sind neue Formen hinzugekommen. So spielt Nomadismus sowohl in vergangener als auch in gegenwärtiger Zeit eine Rolle, Arbeits- oder Bildungsmigration sind hingegen zeitgenössische Formen. In dieser Lerneinheit verstehen wir unter Migration in unserer heutigen Zeit Folgendes: Migration bezeichnet im Allgemeinen die längerfristige Verlegung des Lebensmittelpunkts über eine größere Entfernung und administrative Grenze hinweg: etwa vom Dorf in die Stadt, zwischen Landesteilen oder über Staatsgrenzen hinweg. Damit unterscheidet sich diese Form menschlicher Mobilität von anderen, etwa dem täglichen Pendeln zur Arbeit oder touristischem Reisen, denn eine Verlegung des Lebensmittelpunktes findet bei diesen Mobilitätsformen nicht statt. Darüber, wie groß die Entfernung und wie lange der Zeitraum sein muss, um menschliche Bewegung als Migration bezeichnen zu können, gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Einen Richtwert bietet die Definition der Vereinten Natio‐ nen, die Migration als Wohnsitznahme in einem anderen Land mit einer Dauer von mehr als drei Monaten (Kurzzeitmigration bzw. temporäre Migration) oder mehr als einem Jahr (Langzeitbzw. dauerhafte Migration) fasst. (Bundeszentrale für politische Bildung 2018) Diese „in der Neuzeit [verschiedenen] Erscheinungsformen globaler räumlicher Bevöl‐ kerungsbewegungen“ (Oltmer 2016a: 18) lassen sich mit folgender Tabelle unterschei‐ den: 30 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="31"?> Formen Merkmale, Teilphänomene und Beispiele Arbeitswanderung Migration zur Aufnahme unselbstständiger Erwerbstätigkeit in Gewerbe, Landwirtschaft, Industrie und im Dienstleistungsbe‐ reich Bildungs- und Ausbil‐ dungswanderung Migration zum Erwerb schulischer, akademischer oder berufli‐ cher Qualifikationen (Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrlinge/ Auszubildende) Dienstmädchen-/ Hausarbeiter- und Haus‐ arbeiterinnenwanderung Migration im Feld der haushaltsnahen Dienstleistungen, häufig gekennzeichnet durch relativ enge Bindung an eine Arbeitgeber‐ familie, ungeregelte Arbeitszeiten und prekäre Lohnverhältnisse Entsendung Grenzüberschreitende, temporäre Entsendung im Rahmen und im Auftrag von Organisationen/ Unternehmen: <Expatri‐ ats>/ <Expats>; Kaufleute und Händlerwanderungen zur Etablie‐ rung/ Aufrechterhaltung von Handelsfilialen; Migration im Rah‐ men eines militärischen Apparates (Söldner, Soldaten, Seeleute), von Beamten oder von Missionaren Gesellenwanderung Wissens- und Technologietransfer durch Migration im Hand‐ werk, Steuerungsinstrument in gewerblichen Arbeitsmärkten durch Zünfte Gewaltmigration Migration, die sich alternativlos aus einer Nötigung zur Abwan‐ derung aus politischen, ethno-nationalen, rassistischen oder re‐ ligiösen Gründen ergibt (Flucht, Vertreibung, Deportation, Um‐ siedlung) Heirats- und Liebeswan‐ derung Wechsel des geographischen und sozialen Raumes wegen einer Heirat oder einer Liebesbeziehung Lebensstil-Migration Migration finanziell weitgehend unabhängiger Personen (nicht selten Senioren) aus vornehmlich kulturellen, klimatischen oder gesundheitlichen Erwägungen Nomadismus/ Migration als Struktur Permanente oder wiederholte Bewegung zur Nutzung natürli‐ cher, ökonomischer und sozialer Ressourcen durch Viehzüchter, brandrodende Bauern, Gewerbetreibende oder Dienstleister Siedlungswanderung Migration mit dem Ziel des Erwerbs von Bodenbesitz zur land‐ wirtschaftlichen Bearbeitung Sklaven- und Menschen‐ handel Migration (Deportation) zur Realisierung von Zwangsarbeit, d. h. jeder Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendwelcher Strafen verlangt wird Wanderarbeit Arbeitswanderung im Umherziehen, ortlose Wanderarbeitskräfte finden sich vor allem im Baugewerbe (Eisenbahnbau, Kanalbau, andere Großbaustellen) Wanderhandel Handelstätigkeit im Umherziehen, meist Klein- und Kleinsthan‐ del, z.-B. Hausierer Tabelle 1.1: Migrationsformen (Oltmer 2016a: 18-19) 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 31 <?page no="32"?> Diese Unterscheidungen sind wesentlich für unseren Kontext Mehrsprachigkeit. Ob ein Mensch freiwillig oder gezwungenermaßen, geplant oder überstürzt seinen Le‐ bensort wechselt, ob er sich darauf lange, auch sprachlich, vorbereiten kann oder in Folge eines ungewollten Gestrandetseins eine neue Sprache erlernen muss - die Frage nach ihrem Flucht- oder Migrationsgrund ist für die ex- und intrinsische Motivation von Lernern von entscheidender Bedeutung und kann für den Lernerfolg maßgeblich sein. Seit den 1990er Jahren hat das Themenfeld Migration vor allem als Gewaltmigration (vergleiche Oltmer 2016b), also als Folge von Krieg, Vertreibung, Verfolgung oder Klimaveränderungen, an Relevanz und auch Brisanz zugenommen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt, dass sich Stand Mai 2024 114 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht befanden (vergleiche UNO Flüchtlingshilfe o. J.). Vermutlich wird diese Zahl weiter anwachsen und die Thematik damit weiterhin aktuell bleiben (vergleiche Oltmer 2018). Flucht wird so zu einer globalen Herausforderung unseres Jahrhunderts. Experiment 1 Im Laufe der bundesdeutschen Debatte um geflüchtete Menschen wurde die Verwendung des Wortes Flüchtling stark kritisiert. Alternativ wird häufig von Geflüchteten gesprochen. Recherchieren Sie verschiedene Standpunkte dieser Debatte und beziehen Sie Stellung. Konfrontieren Sie dann eine/ n Bekannte/ n mit Ihrer Stellungnahme. Wie reagiert Ihr Gegenüber? Einige der aktuell vor Gewalt flüchtenden Menschen versuchen, sich in die EU zu retten. Insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 kamen viele Geflüchtete auch nach Deutschland. Sehr schnell organisierten Bürgerinnen und Bürger in ehrenamtlicher Tätigkeit Hilfsangebote, darunter auch zahlreiche Deutschkurse (siehe Lerneinheit 5.1 und 6.1). In der Debatte um Gelingensfaktoren für gesellschaftliche Integration und Partizipation wurden von Anfang an auch sprachliche Dimensionen diskutiert, um Versäumnisse aus vergleichbaren historischen Situationen nicht zu wiederholen. Im Gegensatz zur bundesdeutschen Bildungsdebatte im Kontext Arbeitsmigration der 1950er bis 1970er Jahre wurden sprachliche Aspekte von Immigration nun offen dis‐ kutiert. Das hatte große Bedeutung für das Anbieten und die Gestaltung von DaF-/ DaZ- Sprachenunterricht für Geflüchtete. Sowohl in Fachkreisen als auch in der Gesellschaft wurde die Bezeichnung der geflüchteten Menschen diskutiert. Insbesondere um eine Abgrenzung zum überwiegend als negativ konnotierten Begriff Flüchtling zu schaffen sowie um alle geflüchteten Menschen unabhängig von ihrem rechtlichen Status in Deutschland zu umfassen, setzte sich in der Folge die Bezeichnung Geflüchtete durch. Für den Kontext Migration relevante Teildisziplinen der Linguistik Eine für unser Thema besonders relevante Teildisziplin ist die Migrationslinguistik. Sie ist ein noch recht junges sowie interdisziplinäres Arbeits- und Forschungsfeld 32 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="33"?> innerhalb der Sprachwissenschaft, das (sozio)linguistische Aspekte von Migrations‐ prozessen sowie die daraus entstehenden Sprachen- und Kulturenkontaktphänomene erforscht und analysiert. Dabei geht es zunehmend weniger um kulturelle Brüche oder sprachliche Konflikte als vielmehr um die graduellen Übergänge zwischen Kulturen und Sprachengemeinschaften - dies auch im Sinne von sprachlicher und sozialer Integration, was wiederum für die Sprachen- und Integrationspolitik wichtig wird. Die Migrationslinguistik interessiert sich für Migrationsbewegungen jeglicher Form, wie beispielsweise die europäische Massenemigration nach Nord- und Südamerika sowie Australien im 19. und 20. Jahrhundert, koloniale Eroberungen durch europäi‐ sche Staaten weltweit, aber auch aktuell für die Konsequenzen der internationalen Wirtschafts- und Handelskontakte und der damit einhergehenden Arbeitsmobilität, Binnenmigration, Zweitsprachenerwerbsphänomene, Landflucht oder auch neue For‐ men von Migration und Kulturenkontakt. Die enorme Anzahl von Sprachenkontakten in urbanen Ballungsräumen, die als Super-Diversity oder Metrolingualism gefasst wird, und die hier oft zu beobachtende sprachliche Praxis des Translanguagings oder auch Code Meshings stehen dabei ebenso im wissenschaftlichen Fokus wie sprachliche Sonderformen (vergleiche Stehl 2011: 33-36). Dazu zählen auch Jugend‐ sprachen, worauf im letzten Abschnitt dieser Lerneinheit näher eingegangen wird. Zum Forschungsstand in der Migrationslinguistik kann gesagt werden, dass es sich bisher vornehmlich um regional begrenzte Untersuchungen handelt. Die Anfänge dieser Teildisziplin in den 1980er Jahren waren durch Themen der durch Migration bedingten Zweisprachigkeit geprägt. Mittlerweile betrachtet die Migrationslinguistik Migrationsprozesse und deren sprachliche Ergebnisse unter dem Begriff Sprachenkon‐ taktphänomene in größeren (zeitlichen) Zusammenhängen. Dabei betreffen Vorgänge der Integration oder Assimilation nach der Ankunft in der Empfängerkultur nicht nur die jeweiligen Individuen selbst, sondern auch deren Nachkommen. Hier finden Prozesse der wechselseitigen Akkulturation und Veränderungen in der jeweiligen lo‐ kalen Sprachenlandschaft statt. Sprachlich bilden sich diese Prozesse beispielsweise in sogenannten „Ausländer-Varietäten“ des „Türkendeutschen“ oder „Kiezdeutschen“ ab. Während traditionelle Ansätze die Untersuchung sprachlicher Resultate von Migration oder soziolinguistische Profile von Migrantinnen und Migranten fokussieren, zielt die neuere Migrationslinguistik auf eine umfassende Analyse von sprachdynamischen und auf sich stets im Wandel befindende Migrationsprozesse ab (vergleiche Stehl 2011: 37-41). Die Linguistic Landscape-Forschung, die in Lerneinheit 4.3 erläutert wird, untersucht die zunehmende Multilingualisierung urbaner und ruraler Räume als Folge von Migration und Globalisierung (vergleiche Ziegler 2018: 127). Wie wir oben gesehen haben, können persönliche Fluchterfahrungen der Lerner mitunter ein Hemmnis für erfolgreiches Lernen darstellen. So können in Unterrichts‐ situationen traumatische Erinnerungen unbeabsichtigt ausgelöst und dadurch extreme Verhaltensweisen provoziert werden. In diesem Zusammenhang ist das Phänomen des Akkulturationsstresses zu erwähnen, mit dem sich auch die Psycholinguistik beschäftigt: Darunter verstehen wir heute diejenigen Folgen, die sich aus den Anfor‐ 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 33 <?page no="34"?> derungen und Problemen beim Einleben in fremde Sprachen und Kulturen ergeben. Bereits der Migrationsprozess selbst und damit einhergehende veränderte Lebenssi‐ tuationen können von den Betroffenen als belastend empfunden werden und enormen Stress verursachen. Dieser wird noch intensiver wahrgenommen, wenn die Migration unfreiwillig oder ohne Vorbereitungszeit erfolgt, wie bei vor Kriegen oder Katastro‐ phen Geflüchteten. Als Akkulturation wird der individuelle Annäherungsprozess bezeichnet, der in der Auseinandersetzung mit neuen Kulturen und Sprachen im Einwanderungsland entsteht. Andere Lehr-Lerntraditionen in den Herkunftsländern können ebenso wie die Frage, ob die Zuwanderung (auch sprachlich) geplant und vorbereitet werden konnte, Stress auslösen und einen bestimmenden Einfluss auf den Lernprozess haben (vergleiche Roche 2016: 179-181). Der Prozess [der Akkulturation] verläuft oft krisen- und konflikthaft und kann auch die Gestalt eines Kulturschocks annehmen. Der Akkulturationsstress kann […] durch von der Aufnahmegesellschaft gestellte hohe Anforderungen an die sprachliche und kulturelle Assimilation von Einwanderern [erhöht werden]. (Boeckmann 2010: 5) Eine weitere für unseren Zusammenhang relevante linguistische Teildisziplin, die Kontaktlinguistik, beschäftigt sich unter anderem mit Sprach(en)wandelphänomenen, Pidgin- und Kreolsprachen, Sprachenwechsel, Sprachenverlust, Sprachenpolitik sowie Sprachenkonflikten (vergleiche Riehl 2014b). Als ebenfalls mit Migrationsphänomenen beschäftigte Teildisziplin untersucht die Historiolinguistik historische und aktuelle Migrationsprozesse sowie aus ihnen resultierende Sprachenkontaktphänomene (ver‐ gleiche Nübling/ Dammel/ Duke/ Szczepaniak 2017). Mit Themen wie Variations- und Wandelforschung, deutsche Stadtsprachenforschung, Medienwandel oder den Einflüs‐ sen des Englischen auf die deutsche Sprache beschäftigt sich die Soziolinguistik (siehe Auer 2015). Schließlich untersucht die Varietätenlinguistik (vergleiche Roche/ Terrasi- Haufe 2018: 199-232) Dialekte, Soziolekte, Fach- und Sondersprachen zum Beispiel unter geografischen, sozialen, funktionalen und situativen Gesichtspunkten (verglei‐ che Felder 2016; Löffler 2005). Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 1. Für seinen autobiografisch gefärbten Roman Herkunft wurde Saša Stanišić 2019 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Nach Ausbruch der Bosni‐ enkriege floh er als Vierzehnjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland. Über seine Ankunft in Heidelberg schreibt er: Niemand verstand uns, wir verstanden niemanden. Das Einzige, was ich auf Deutsch sagen konnte, war Lothar Matthäus. Nun kamen dazu: „Mein Name ist“, „Fluchtling“, „Heidelberg“ und „Šokolade“. Die letzten beiden waren recht einfach (Stanišić 2019: 124). 34 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="35"?> a. Interpretieren Sie die Schreibweisen Fluchtling und Šokolade. Beziehen Sie in Ihre Überlegungen auch mit ein, dass die Darstellung aus der Perspektive eines Jugendlichen erfolgt. b. Überlegen Sie, welche Sichtweise auf die neue Heimat in diesem kurzen Abschnitt zum Ausdruck kommt. Setzen Sie Ihre Überlegungen in Bezie‐ hung zu folgendem Zitat von Brigitta Busch: Autobiografische literarische Texte, die Spracherfahrungen wie das Eintauchen in eine neue Sprachwelt, Sprachwechsel oder Sprachverlust thematisieren, stellen eine wichtige, wenn auch nicht unumstrittene Quelle dar, um Rückschlüsse auf emotiona‐ les Spracherleben in bestimmten politisch-historischen Zusammenhängen zu ziehen (Busch 2017: 15). c. Recherchieren Sie zur Person Saša Stanišić mit Schwerpunkt auf seinen literarischen Werdegang. Recherchieren Sie dann seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchpreises, in der er sich bezüglich der Verleihung des Literaturnobelpreises im selben Jahr an den österreichischen Autor Peter Handke kritisch äußert. Sammeln Sie Äußerungen, die diese Kontroverse zum Gegenstand haben, und beziehen Sie Stellung. 2. Im österreichischen Südkärnten leben auch Angehörige der slowenischen Minderheit. Hier wurde jahrzehntelang eine Kontroverse um zweisprachige Ortsschilder ausgetragen, der sogenannte Ortstafelstreit. Sehen Sie dazu den folgenden Bericht: https: / / www.youtube.com/ watch? time_continue=1&v=IQ F75alB_BU&feature=emb_logo a. Michael Zablatnik berichtet vom Verschwinden des Slowenischen und sagt: „Die meisten Leute haben sich germanisieren lassen oder sind dem Druck erlegen.“ Deutsche Zuhörerinnen und Zuhörer könnten bei dem Wort germanisieren zusammenzucken - warum? b. Im Film heißt es: „Hier in Südkärnten hat fast jeder slowenische Vor‐ fahren. Doch insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg war der Anpas‐ sungsdruck groß und die Diskriminierung der slowenischen Minderheit als ‚Vasallen‘ des kommunistischen Jugoslawien an der Tagesordnung. Viele verleugnen seither ihre Herkunft.“ Nehmen Sie Stellung zu dieser Aussage. Beziehen Sie in Ihre Überlegungen auch die historischen Di‐ mensionen ein, die Sie in Lerneinheit 1.1 kennengelernt haben. 1.2.2 Sprachliche Abbildungen von Migrationen: Sprachentod und Sprachenerhalt Zusammenfassend können wir sagen, dass Sprachen und ihr Gebrauch von einer Vielzahl innerer und äußerer Faktoren abhängen; sie sind eingebettet in situative, 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 35 <?page no="36"?> kulturelle, soziale, politische, historische, gesellschaftliche, individuelle und weitere Kontexte. Sprachen sind also veränderlich und dynamisch. Durch eine auch im Zuge technischer Innovationen enorm gestiegene Mobilität finden Sprachen- und Kulturenkontakte selbst zwischen geografisch weit voneinander entfernten Orten statt. Der in Folge von Migration zu beobachtende Sprachwandel umfasst auch die Phänomene Sprachentod und Sprachenerhalt. Je nach Vitalität der beteiligten Sprachen bleiben Plurilingualität und Multilingualität in Folge von Sprachenkontakt über einen längeren Zeitraum im Sinne eines Sprachenerhalts stabil oder werden im Zuge eines Sprachenwechselprozesses zugunsten einer einzigen Sprache aufgegeben. Das führt im gravierendsten Fall zum Sprachentod (vergleiche Riehl 2014a: 79). Wir betrachten Sprachensterben als einen Prozess der Sprachengefährdung: Eine Sprache verliert allmählich ihre Sprecherinnen und Sprecher, ihre Funktionen, ihr Prestige und ihre Ausdrucksmöglichkeiten, am Ende kann ein Sprachentod stehen. Dieser Prozess kann eine Folge von Sprachenwechsel sein (vergleiche Yu 2013: 59-60). Ein derartiger Language Shift kann als allmählicher Wandel stattfinden, bei dem die Erstsprache(n) der Sprecher und Sprecherinnen zunehmend durch die Zweitsprache verdrängt wird oder werden. Dies passiert häufig in Migrationssituationen. Der Language Shift kann aber auch externe Ursachen haben, zum Beispiel militärische Eroberungen. Dann ver‐ drängen die Sprachen der Eroberer zunehmend die einheimischen Sprachen (vergleiche Riehl 2014a: 66, 68). Insbesondere politische Faktoren und staatliche Institutionen spielen also eine wichtige Rolle für Prozesse des Sprachensterbens, wobei das Nicht‐ eingreifen des Staates als eine wichtige Ursache der Sprachengefährdung angesehen werden kann (vergleiche Yu 2013: 39, 41). Wie wir insbesondere auch in Lerneinheit 1.1 gesehen haben, sind die historischen Begebenheiten, in denen Sprachenkontakt auch mit dem Deutschen stattfand, zahl‐ reich. Im Folgenden wollen wir deshalb lediglich exemplarisch auf besonders folgen‐ reiche Situationen eingehen. Dazu gehört das Zeitalter des Kolonialismus, in dem die Sprachen der europäischen Eroberer stets als Instrument der Herrschaftssicherung dienten. Das Deutsche Kaiserreich als viertgrößte Kolonialmacht im 19. Jahrhundert bildete keine Ausnahme, sein koloniales Sprachenregime wirkt fort: Deutsch hat bis heute in Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, den Status einer Nationalsprache; in Papua-Neuguinea wird die Kreolsprache Unser‐ deutsch noch von wenigen Sprecherinnen und Sprechern gepflegt. Indigene Sprachen wurden von den Kolonialherren in vielfacher Weise diskreditiert, herabgewürdigt oder sogar verboten (vergleiche Kellermeier-Rehbein/ Schulz/ Stolberg 2018), was schließlich Sprachentode zur Folge hatte. Ethnophaulistische Benennungen wie Neger, Rothaut oder Schlitzauge dokumentieren den Rassismus der Wilhelminischen Zeit (vergleiche Theweleit 1979/ 2019; Klemperer 1947/ 2018; Schlesier 2007). Die sprachlichen Zuweisungen und der allgemeine Duktus dieser Epoche setzte sich in der Weimarer Republik fort und bereitete auch sprachlich auf die menschenverach‐ tenden Gräuel des Nationalsozialismus vor. Von der NS-Ideologie zum Hauptfeind erklärt, waren Menschen jüdischen Glaubens nach der sogenannten Machtergreifung 36 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="37"?> im Zuge der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 verbaler und physischer Gewalt, Verfolgung und Ermordung zunehmend schutzlos ausgesetzt. Nur wenigen der Verfolgten gelang die Flucht. Individuelle Mehrsprachigkeit, also verschiedene Sprachen oder Sprachvarietäten in unterschiedlichen Domänen und Kontexten ver‐ wenden zu können, konnte in diesem Zusammenhang Teil der Überlebensstrategie sein, wusste man doch nie, in welches Land es einen verschlagen würde (vergleiche Weissberg-Bob 1991: 48). Transferaufgabe 2 Jeanine Meerapfel wurde 1943 in Argentinien als Tochter einer französischen Mut‐ ter und eines deutschen Vaters nach deren Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland geboren. Seit 2015 ist sie Präsidentin der Deutschen Akademie der Künste und wurde 2021 in diesem Amt erneut bestätigt. In einem 1990 geführten Interview berichtet sie: [M]eine erste Sprache, also meine Muttersprache, [war] spanisch bzw. französisch […]. Meine Mutter war Französin. Meine Eltern lebten getrennt. Ich bin zuerst bei meiner Mutter aufgewachsen. Bei meinem Vater habe ich dann deutsch gehört. Aber ich habe nie deutsch gesprochen. Ich wollte auch kein deutsch sprechen. Es war eine Sprache, die ich nicht mochte. […] Ja, z. B. Französisch war eine ganz wichtige Sprache. Ich ging in eine französische Schule, und meine Mutter sprach mit mir französisch. Dann habe ich englisch gelernt, dann italienisch, immer mit dem Satz meiner Eltern im Hintergrund: ,Man muß alle Sprachen kennen, um überall leben zu können, denn man weiß ja nie, wo man landen wird, wo man wird leben müssen.‘ Es war ein ganz wichtiger Bestandteil meiner Erziehung, daß meine Eltern gesagt haben: ,Du mußt Sprachen können.‘ (Meerapfel 1991, zitiert nach Weissberg-Bob 1991: S.-47-48). 1. Welche Gründe könnte es dafür geben, dass Meerapfel als Kind die deutsche Sprache „nicht mochte“? Berücksichtigen Sie dabei auch die Lebens- und Beziehungsgeschichte ihrer Eltern. 2. Wie plausibel finden Sie die Erklärung der Mutter, weshalb die Tochter „alle Sprachen kennen muß“? Wie wirkt sich eine solche Ausgangslage auf die intrinsische Motivation zum Sprachenlernen aus? Inwieweit finden Sie die Aussage der Mutter auch in Hinblick auf aktuelle Fluchtgründe einleuchtend? Für viele Überlebende der Shoah wurde die deutsche Sprache zu einer schmerzhaften Bürde; einige dieser sogenannten Displaced Persons weigerten sich für den Rest ihres Lebens, jemals wieder die Sprache ihrer Verfolgerinnen und Verfolger zu sprechen (vergleiche Doerry 2006; Pavlenko 2007, hier insbesondere 192-226). Die Entnazifizie‐ rungsbemühungen der Nachkriegsjahre galten auch dem Sprachgebrauch, „denn zu verschwinden hat ja nicht nur das nazistische Tun, sondern auch die nazistische Gesinnung, die nazistische Denkgewöhnung und ihr Nährboden: die Sprache des 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 37 <?page no="38"?> Nazismus“ (Klemperer 1947/ 2018: 10). In der Folge wurden zahlreiche Begriffe oder auch ganze Redewendungen wie Rasse, Volk, entartet oder bis zur Vergasung zu sogenannten Stigmawörtern, deren Verwendung in der Alltagssprache heute als (politisch) inakzeptabel gilt (vergleiche Heine 2019; Schmitz-Berning 2007). Wir sehen also, dass auch übergeordnete politische Geschehnisse Auswirkungen auf individuelle Sprachenbiografien haben können. Neben den Phänomenen des Sprachensterbens und -tods im Kontext Migration gibt es jedoch auch den Sprachenerhalt. Dieser ist ein Prozess des Aufhaltens und der Umkehrung von Sprachengefährdung. Dabei spielt der Sprachengebrauch in verschiedenen Domänen eine entscheidende Rolle (vergleiche Yu 2013: 40, 60). Diglos‐ sie- oder Polyglossie-Situationen können dann aufrechterhalten werden, das heißt, dass in mehrsprachigen Gesellschaften oder Gruppen die jeweiligen Sprachen auf unterschiedliche Domänen, wie Familie, Freunde, Arbeitsplatz, verteilt sind (vergleiche Riehl 2014a: 66). Beim Sprachenerhalt verwenden die jeweiligen Sprachengemein‐ schaften ihre Herkunftsbeziehungsweise Familiensprache(n) weiter, was für das Überleben beispielsweise einer Minderheitensprache ohne Nationalstaat, sogenannten autochthonen Minderheiten, entscheidend ist (vergleiche Riehl 2014b: 70-71; Yu 2013: 42). Mehrsprachige Situationen beziehungsweise „lebensweltliche Mehrsprachigkeit“ (Gogolin/ Hansen/ McMonagle/ Rauch 2020: 3) dieser Art spielen auch in der Bundesre‐ publik im Kontext von Migrationsbewegungen eine Rolle. Im Zuge von Sprachenerhalt können sogenannte Sprachinseln entstehen. Hier wird die Herkunftssprache als kulturelles Erbe der Gemeinschaft oft sehr bewusst gepflegt, und zwar auf dem Sprachstand zum Zeitpunkt der Auswanderung. In Nordamerika trifft dies auf Gemeinschaften wie beispielsweise die Amischen, Hutterer oder Menno‐ niten zu. Das Deutsche ist bei ihnen vorrangig Ausdruck von Religionszugehörigkeit und wird in engen sozialen Netzwerken als identitätsstiftendes und die Gemeinschaft erhaltendes Element gepflegt. Die Chancen für einen Sprachenerhalt stehen oft gut, denn der Zugang zur Schriftlichkeit im Deutschen ist beispielsweise durch schulischen Unterricht, Gottesdienste oder eigene Medien gewährleistet (vergleiche zum Beispiel die Zeitschrift Hiwwe wie Driwwe, deren Artikel sämtlich in Pennsylvaniadeutsch erscheinen, siehe hierzu Hans-Bianchi 2016). Formen des Austauschs mit dem oder sogar Aufenthalte im Herkunftsland durch die Emigrierten oder deren Nachkommen unterstützen ebenfalls den Sprachenerhalt (vergleiche Riehl 2014b: 70, 73; zu Deutsch als Minderheitensprache siehe Ammon 2015: 255-405). Ein weiteres Beispiel einer Sprachinsel ist die Gruppe der Russlanddeutschen, die sowohl die deutsche Sprache in Staaten der ehemaligen Sowjetunion als auch die russische Sprache in Deutschland pflegten beziehungsweise pflegen. In Bezug auf das Deutsche wurden Vereine gegrün‐ det, die sich mit der Sprachen- und Kulturenpflege beschäftigen, auch hier auf dem Sprachstand zum Zeitpunkt der Aussiedlung. 38 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="39"?> Experiment 2 Recherchieren Sie einen Ort der Sprachenpflege in Ihrer Umgebung. Welche Tä‐ tigkeitsbereiche umspannt er? Welche konkreten Maßnahmen der Sprachenpflege werden dort umgesetzt? Die Beziehung zu der/ den Herkunftssprache(n) und ihr Gebrauch hängen auch davon ab, welcher Auswanderergeneration die Sprecherinnen und Sprecher ange‐ hören und mit welcher Umgebungskultur sie sich identifizieren beziehungsweise welcher sie angehören möchten. Berichten jüngere Menschen oft von Gefühlen des Hin- und Hergerissenseins zwischen ihren Sprachen, so stehen Gefühle des Sich- Entwurzelt-Fühlens bei älteren Menschen im Vordergrund (vergleiche Panicacci/ Dewaele 2017). Als letztes Beispiel für Phänomene des Sprachenerhalts nennen wir Migrantengrup‐ pen in urbanen Ballungsgebieten, die zu den allochthonen Minderheiten zählen. Auch sie bewahren ihre Sprachen und Kulturen in der anderssprachigen und -kultu‐ rellen Umgebung (vergleiche Riehl 2014b: 71, 79). Hierzu gehören die sogenannten „Gastarbeiter“ in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihre Nachkommen. Auf ihre Sprachen und aktuelle sprachliche Entwicklungen wollen wir im nachfolgenden Abschnitt näher eingehen, denn Jugendsprachen stellen als Weiterentwicklung des sogenannten Gastarbeiter- oder Kiezdeutsch ein aktuelles Anschauungsbeispiel für (sprachliche) Migrationseffekte dar. 1.2.3 Effekte von Migration auf die deutsche Sprache heute am Beispiel Jugendsprachen Seit Mitte der 1970er Jahre bekommt das Thema Mehrsprachigkeit und Migration auch in der Linguistik in Deutschland vermehrt Aufmerksamkeit. So gab es unter anderem Projekte zum Erwerb des Deutschen durch die „Gastarbeiter“: Das Heidel‐ berger Projekt Pidgindeutsch zeigte beispielsweise, dass der erfolgreiche Erwerb des Deutschen als Zweitsprache durch Migrantinnen und Migranten von deren sozialer Integration und Einreisealter abhing, und verfolgte die These vom Pidgin-Charakter des „Gastarbeiterdeutschs“ (vergleiche Auer 2015: 395). Dieses enthält einige Elemente von Pidginisierung, wie beispielweise das Vorkommen vereinfachter Strukturen durch Einwortsätze oder das Weglassen von Verben, Präpositionen oder Artikeln. Zudem konstituiert sich das „Gastarbeiterdeutsch“ aus einer Vielzahl von Lernervarietäten. Inzwischen lebt die zweite, dritte oder vierte Generation der „Gastarbeiter“ als deren Nachkommen in Deutschland. Ihre Varietät oder ihr Stil hat deshalb eine eigene Be‐ nennung als „Türkendeutsch“, „Kanaksprak“ oder „Kiezdeutsch“ erhalten. Sie können unter Ethnolekte oder auch Soziolekte des Deutschen subsumiert werden, da es sich bei diesen Sprachformen um einen Teil des sprachlichen Repertoires der Sprecherinnen und Sprecher handelt und sie verschiedene Varietäten und Sprechstile umfassen kön‐ 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 39 <?page no="40"?> nen (vergleiche Riehl 2014a: 115-117). Ob jugendsprachliche Sprechweisen als Varietät des Deutschen oder als sozialer beziehungsweise ethnischer Stil betrachtet werden, hängt von der dazu eingenommenen Perspektive ab und ist nicht immer eindeutig entscheidbar (vergleiche Auer 2013: 20). Diese Varietäten oder Stile unterscheiden sich von der gesprochenen deutschen Umgangssprache der Deutscherstsprecher und -sprecherinnen durch einige typische Merkmale. Diese können sich auf alle sprachli‐ chen Ebenen erstrecken (vergleiche Riehl 2014a: 115-119), unterliegen Veränderungen in rasanter Geschwindigkeit und sind vor allem in dominant türkischen Communities entstanden (vergleiche Auer 2013: 14). Jugendliche mit türkischem Migrationshinter‐ grund verwenden das sogenannte „Türkendeutsch“ in ihrer Peergroup auch, um ihre spezifische Zuordnung als „Türkendeutsche“ auszudrücken. Wenn Deutsche ohne Migrationshintergrund diese Varietät oder diesen (sozialen) Stil benutzen, greifen sie häufig auf eine auch durch die Medien stilisierte Form des Türkendeutsch zurück, was als sekundärer Ethnolekt bezeichnet wird. Auch Menschen mit anderen Migra‐ tionshintergründen verwenden diese sprachlichen Formen. Wir sprechen dann von Multiethnolekten. Diese besonderen jugendsprachlichen Ausdrucksweisen wirken auch auf die deutsche Sprache zurück, vielfach handelt es sich dabei um Formen grammatischer Vereinfachungen (vergleiche Riehl 2014a: 117-119). Von Jugendsprachen sollte im Plural gesprochen werden, da diese sehr vielfältig sind. Es existiert, wie oben gezeigt, ein enormer herkunftssprachlicher Einfluss auf jugendsprachliche Ausdrucksformen als Resultat von Migrationsbewegungen, Spra‐ chenkontakt und Mehrsprachigkeit (vergleiche Hinrichs 2013). Jugendsprachliche Ausdrücke und deren Veränderungen unterliegen des Weiteren einem medialen Einfluss. Hier gibt es starke Verbindungen zur Musikkultur, im Besonderen zur Deutsch-Rap-Szene (vergleiche Bahlo/ Becker/ Kalkavan-Aydin/ Lotze/ Marx/ Schwarz/ Șimșek 2019). Im Zusammenhang mit Musik sind Anglizismen (siehe Lerneinheit 1.3) von großer Bedeutung. Die Dominanz des Englischen in Liedtexten spielt hier ebenso eine Rolle für aktuelle jugendsprachliche Sprechweisen wie die Globalisierung und Internationalisierung unserer Welt heute (vergleiche Zifonun 2000). Wir stellen also fest, dass Minderheitensprachen in einem Rückkopplungseffekt auch die Entwicklung der Mehrheits- oder Umgebungssprache beeinflussen. 40 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="41"?> Abbildung 1.1: Wortwolke jugendsprachliche Ausdrücke 2022 (eigene Darstellung) Experiment 3 Kennen Sie die jugendsprachlichen Ausdrücke aus der Wortwolke? Was bedeuten sie und in welchen Zusammenhängen werden sie verwendet? Ergänzen Sie die Wortwolke um weitere jugendsprachliche Ausdrücke. Führen Sie dazu gegebenen‐ falls eine kleine Umfrage in Ihrem Bekanntenkreis durch. 1.2.4 Zusammenfassung ▶ Migrationsbewegungen waren schon immer fester Bestandteil menschlicher Lebensweise. Die dabei entstandenen/ entstehenden Sprachenkontakte wa‐ ren/ sind wichtige Impulsgeber für Entwicklungen der beteiligten Sprachen. ▶ In der neueren deutschen Geschichte begegnet uns Migration vor allem in den Erscheinungsformen Gewalt-, Arbeits- und Fluchtmigration. Sie evozieren spezifische Situationen, die auch in (mehr)sprachlicher Hinsicht wichtige Fragestellungen und Problemlagen aufwerfen. 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 41 <?page no="42"?> ▶ So wie wir Einwanderung auch als Auswanderung begreifen können, hängen Wahrnehmung, Interpretation und Bewältigung der mit Migration einherge‐ henden Phänomene sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene stark von der dabei eingenommenen Perspektive ab. ▶ Auch sprachlich bilden sich Migration und Migrationsprozesse ab. Viele Teildisziplinen der Linguistik, insbesondere die Migrationslinguistik, setzen sich mit damit in Verbindung stehenden Phänomenen, wie zum Beispiel Sprachenerhalt, Sprachensterben und Jugendsprachen - als gegenwärtige Abbildung von Migration -, auseinander. ▶ Das Verständnis von Sprachen als dynamische und veränderliche Systeme hilft dabei, Prozesse des Sprachwandels als Kontinuum der menschlichen Sprachengeschichte zu begreifen und anzuerkennen. Die wissenschaftliche Erforschung und Kontextualisierung der damit einhergehenden Erscheinun‐ gen und Geschehnisse erfolgt meist interdisziplinär, da das Zusammenwirken gesamtgesellschaftlicher, politischer, historischer und sprachlicher Aspekte zur Bearbeitung und zum Verständnis des Themenfeldes von großer Relevanz ist. 1.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Inwiefern sind Migrationsbewegungen ein historisches Phänomen? Beziehen Sie in Ihre Antwort die Begriffe Sprachenkontakt, Sprachenerhalt und Sprachentod mit ein. 2. Warum ist es für Sie als Lehrende oder Lehrender im Kontext DaF/ DaZ hilfreich, individuelle Informationen über die Zuwanderungsgründe Ihrer Lerner zu ken‐ nen? 3. Definieren Sie den Begriff Migration. Setzen Sie ihn in Zusammenhang mit Sprache im Allgemeinen und mit der deutschen Sprache im Speziellen. 4. Worin unterscheidet sich die Migrationsdebatte in der Bundesrepublik Deutsch‐ land der 1950er bis 1970er Jahre von der in den Jahren 2015 bis heute? Beziehen Sie in Ihre Antwort auch die jeweiligen Beweggründe für Migration ein. 5. Worin bestehen die sprachlichen Herausforderungen und Chancen der Super- Diversity vor allem in urbanen Ballungszentren unserer Welt heute? Was bedeuten diese Chancen und Herausforderungen hinsichtlich multilingualer und multikul‐ tureller Klassenzimmer? 6. Wodurch zeichnen sich die aktuellen Jugendsprachen aus? Warum enthalten sie auch viele Elemente aus Herkunftssprachen? Worin liegen die Überschneidungen zu Sozio- und Ethnolekten? 42 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="43"?> 1.3 Sprachwandel Madeleine Schmorré Sprachwandel betrifft alle Ebenen von Sprache und ist zumeist als Erstes in konzeptionell mündlicher Kommunikation bemerkbar. Wie jede Sprache verändert sich auch die deutsche in vielen Bereichen stetig. Die Regeln des Standarddeutschen, welches sich am Deutsch seiner Sprecherinnen und Sprecher orientiert, werden deshalb immer wieder angepasst. Auslöser für Sprachwan‐ del sind der durch Migration und Globalisierung verstärkte Sprachenkontakt (siehe Lerneinheit 1.2) oder Veränderungstendenzen innerhalb einer Sprache, die sprachökonomischer Natur sind. Zudem verändern auch Medien und technische Entwicklungen unsere Kommunikationswege und -formen. Wir nähern uns diesem Phänomen, indem wir Beispiele für Sprachwandel kennenlernen und mögliche Gründe als Auslöser für Veränderungen innerhalb von Sprachen dis‐ kutieren. Sprachwandelphänomene können zum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten werden, wenn Sprecherinnen und Sprecher sie entweder als Bedrohung beziehungsweise Sprachverfall oder aber als Bereicherung der deutschen Spra‐ che wahrnehmen (zum Beispiel Anglizismen). Im Unterricht eignet sich das Thema aus diesem Grund für Reflexionen über Sprache. Darüber hinaus ist ein Aufgreifen dieses Themas im (Fremd-)Sprachenunterricht auch deshalb relevant, weil Sprachenlerner in authentischen Situationen jenseits einer konstruierten Unterrichtssituation in der Regel nicht nur mit standardsprachlichem Deutsch konfrontiert werden. Deshalb stehen Lehrkräfte vor der Aufgabe, vom Standard‐ deutschen abweichendes Lehrmaterial und die sprachlichen Äußerungen der Lerner ständig bewerten zu müssen (vergleiche Schiewe 2018: 51). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ verstehen können, wieso und wie Sprache sich verändert; ▶ den Zusammenhang zwischen Standarddeutsch und gesprochener Sprache in diesem Kontext benennen können; ▶ die von Sprachwandel betroffenen Bereiche anhand von konkreten Beispie‐ len aufzeigen können; ▶ erfahren, wie Sie Sprachwandel in Ihrem Fremdsprachenunterricht berück‐ sichtigen können. 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 43 <?page no="44"?> Reflexionsaufgabe Sammeln Sie sprachliche Ausdrücke in Ihrer Erstsprache, die Sie selbst benutzen oder benutzt haben, die von älteren Generationen abgelehnt wurden. Überlegen Sie anschließend: Warum wurden sie abgelehnt? Sind diese Ausdrücke heute noch gebräuchlich? Haben sie sich verändert? Wenn ja, wie? 1.3.1 Gründe für Sprachwandel Sprache passt sich an die sich ändernden Bedürfnisse einer Gesellschaft an (vergleiche Eichinger 2018: 25), und deshalb unterliegt auch das Standarddeutsche auf verschie‐ denen sprachlichen Ebenen einem stetigen Wandel. Dieser Wandel macht sich in der Regel zunächst im mündlichen Sprachgebrauch bemerkbar und findet mit der Zeit dann auch in der Sprache der Medien beziehungsweise journalistischen Texten Eingang in das geschriebene Deutsch (vergleiche Denkler/ Meer 2008: 19). Wenn sich neue sprachliche Abweichungen über Jahre hinweg bei den Sprecherinnen und Sprechern durchsetzen, werden sie zunehmend als zulässige Regeln wahrgenommen und irgendwann in das Regelwerk des Deutschen integriert. Was uns heute als ein in vielen Bereichen häufig wiederkehrender Fehler auffällt, stellt in der Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit eine Regel dar (vergleiche Keller 2004: 5). Ein wei‐ terer Grund für Sprachwandel sind Veränderungen durch die Digitalisierung, die die geschriebene Kommunikation beeinflussen: „Die technischen Möglichkeiten und die sozialen Bedürfnisse der digitalen Ära produzieren neue, multimediale, internet‐ basierte Kommunikationsformen wie SMS, Chats, WhatsApp Messenger, die neue dialogische, kurzdauernde Schreibformen benötigen“ (Foschi Albert 2018: 112). Für den Fremdsprachenunterricht ist dies besonders relevant, wenn es um die Auswahl des Lehrmaterials geht. Hierfür können Kommunikationsformen über Social Media nicht ausgeblendet werden, wenn man berücksichtigt, dass gesellschaftliche Teilhabe zunehmend darüber geschieht (vergleiche Dürscheid 2018). Wie wir in der vorausgegangenen Lerneinheit gesehen haben, lässt sich Sprachwan‐ del auch durch Sprachenkontakt und Sprachenmischungen infolge von Migration beziehungsweise durch die Sprachen der Migrantinnen und Migranten und Ethnolekte sowie durch Subkulturen und Jugendsprachen beobachten (vergleiche Eichinger 2018: 18). Sprachenmischungen und Mehrsprachigkeit sind aber keineswegs ein Phänomen der Neuzeit, sondern immer schon da gewesen. Im deutschsprachigen Raum spielte beispielsweise das Lateinische seit der Expansion des Römischen Reiches und später im Zuge der Christianisierung Mitteleuropas eine zunehmende Rolle und war über Jahrhunderte Herrschafts-, Bildungs-, und Wissenschaftssprache (siehe Lerneinheit 1.2). Ein weiteres Beispiel ist das Französische, das sich ab dem 17. Jahrhundert als Sprache des Adels in Europa und der Neuen Welt etablierte. Da das Phänomen schon sehr alt ist, fallen uns Sprachenmischungen, die sich im Deutschen im Laufe der Jahrhunderte etabliert haben, häufig nicht auf. Im Vergleich zum Deutschen, 44 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="45"?> das sich durch seinen Kontakt mit anderen Sprachen als sehr entlehnungsfreudig erweist, gibt es Sprachen, die weniger entlehnungsfreudig sind, wie beispielsweise das mit wenigen anderen Sprachen in Kontakt getretene Isländische. Hier werden Fremdwörter vermieden und stattdessen heimisches (natives) Sprachmaterial für neue Wörter verwendet: kvikmyndahús (‚Lebendige-Bilder-Haus‘) für Kino oder sjón‐ varp (‚Sichtwurf ‘) für Fernseher (vergleiche Nübling/ Dammel/ Duke/ Szczepaniak 2017: 178-179). 1.3.2 Orientierung am Standarddeutschen und Abweichungen Beim Fremdsprachenlehren und -lernen benötigen wir Regeln, die für diese Sprache gelten. Für das Deutschlernen ist das Standarddeutsche, das feste Regeln liefert, eine Orientierungshilfe. Grammatikbeschreibungen folgen dabei immer einer schrift‐ sprachlichen Standardvarietät, wie sie beispielsweise in Pressetexten vorkommt (vergleiche Günthner 2013: 223-224). Ein Beispiel hierfür sind die Regeln für die Schreibweise deutscher Wörter. Die aktuelle Form des Deutschen als Standardspra‐ che und die Einigung auf klare Rechtschreibregeln ist ein Ergebnis langwieriger ge‐ sellschaftlicher und institutioneller Aushandlungsprozesse. Im Zuge der Ausbildung eines deutschen Nationalstaates gewann die Idee einer alle Deutschen vereinenden Sprache identitätsstiftenden Charakter. Die nach Gründung des Deutschen Kaiser‐ reichs 1871 verstärkten Bestrebungen, die deutsche Sprache zu vereinheitlichen und zu standardisieren, gründeten auch auf dem Bemühen, eine Verbindlichkeit bei (schulischen) Bewertungen zu erreichen. So machte der Gymnasialdirektor Konrad Duden in den 1870er Jahren die persönliche Erfahrung, dass die Beurteilung der Rechtschreibleistungen seiner Schülerschaft von den fränkischen, thüringischen und sächsischen regionalen Sprachtraditionen seiner Lehrkräfte abhing (vergleiche Stanze 1994: 58). Den Versuchen, eine orthografische Norm festzulegen, war die parallele Existenz verschiedener sogenannter Regelbücher vorangegangen, und Duden begann nun, Regeln für sein Wörterbuch, das in der ersten Auflage 1880 erschien, zu erarbeiten. Seine Orthografie wurde nach langwierigen Debatten 1901 von der II. Orthographischen Konferenz in Berlin als landesweit amtlich verbindlich festgelegt und besitzt bis heute Gültigkeit als Standard-Nachschlagewerk (vergleiche Dudenverlag-Redaktion o. J.; Stanze 1994: 2). Die Bestrebungen zur Einführung fester Schreibweisen gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20.-Jahrhunderts führten somit erst nach und nach zu einer Vereinheitlichung der deutschen Orthografie. Deshalb ist beispielsweise vor dieser Zeit entstandene deutsche Literatur im Original, nicht nur wegen veralteter Ausdrucksweisen, sondern auch aufgrund der abweichenden Schreibweisen der Wörter, heute erschwert lesbar. 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 45 <?page no="46"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung Lesen Sie den folgenden Text von Goethe in der Originalversion in der Schriftart Fraktur [Am 28. August 1749, Mittags mit dem Abbildung 1.2: Aus Goethes Dichtung und Wahrheit (Goethe 1811: 3) Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Constellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und culminirte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond der so eben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.] - Was fällt Ihnen in diesem Absatz auf, wenn Sie die Sätze mit dem heutigen Standarddeutschen vergleichen? Regionale und individuelle Unterschiede im Sprachsystem und somit starke Abwei‐ chungen zur Standardsprache gibt es auch im Bereich der Aussprache. Das lässt sich anhand einer Erfahrung, die Fremdsprachenlerner häufig früh machen, verdeutlichen. Im Fremdsprachenunterricht wird zum Großteil eine möglichst überregionale und überindividuelle Sprachvarietät gelehrt und gelernt. Die hier gelehrte Aussprache tritt vielleicht am wahrscheinlichsten in Nachrichtenformaten (zum Beispiel in der Tagesschau) auf, sie entspricht aber nicht uneingeschränkt derjenigen von im Alltag erlebten Sprachsituationen. Lernern fällt in deutschsprachigen Gegenden oder bei der Konfrontation mit authentischem Hörmaterial deshalb schnell auf, dass es im Bereich der Aussprache starke Abweichungen zur Standardsprache, zum Beispiel in Form von dialektalen Einfärbungen, gibt. Wir können festhalten, dass das Standarddeutsche für das Sprachenlehren und -lernen hilfreich ist, weil es den Lernern sowie auch den Lehrkräften als Anhaltspunkt dafür dient, was richtig und was falsch ist. Im Unterricht ist es aber wichtig zu vermitteln, dass es sich beim Standarddeutschen um ein Konstrukt handelt, das zum Zwecke der Vereinheitlichung der deutschen Sprache geschaffen wurde, und dass in realen Kommunikationssituationen immer Abweichungen auftauchen. Zudem gilt es zu beachten, dass die Regeln, die wir lehren und lernen, nicht unveränderlich sind. Prozesse des Sprachwandels finden fortlaufend statt, und die daraus resultierenden Veränderungen werden wiederum in Grammatikbeschreibungen und in Wörterbüchern permanent aktualisiert. 46 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="47"?> 1.3.3 Phänomene des Sprachwandels Viele der heute in weiten Teilen der Erde gesprochenen Sprachen, wie zum Beispiel die romanischen und slawischen, aber auch außereuropäische Sprachen wie unter ande‐ rem das Armenische oder die iranischen Sprachen, haben sich aus einer gemeinsamen Ursprache, dem Indoeuropäischen, entwickelt. Dazu zählt auch das Deutsche, das sich als Althochdeutsch, einer frühen Sprachstufe des Deutschen, mit der sogenannten zweiten Lautverschiebung im 6. und 7. Jahrhundert n. Chr. aus dem Germanischen herausbildete. Der sprachliche Weg von den Anfängen der deutschen Sprache bis zu unserem heute gebräuchlichen Standarddeutsch reicht dementsprechend weit zurück. Zu unterschiedlichen Zeiten beeinflussten verschiedene Sprachen und Kulturen das Deutsche bis zu seiner heutigen Form. Die Periodisierung der deutschen Sprache, also ihre zeitliche Einteilung in Sprachstufen, kann unterschiedlichen Kriterien folgen. Die Einteilung kann sich entweder an Phänomenen innerhalb des Sprachsystems (zum Beispiel auf phonologischer Ebene an Lautverschiebungen) oder an Phänomenen außerhalb des Sprachsystems (zum Beispiel an kulturhistorischen Geschehen wie an der Erfindung und Ausbreitung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts) orientieren (vergleiche Nübling et al. 2017: 17). Die folgende Tabelle bildet eine Periodisierung nach innersprachlichen Kriterien ab: Germanisch Westgerma‐ nisch Althoch‐ deutsch Mittelhochdeutsch Frühneu‐ hochdeutsch Neuhochdeutsch 1. Jtsd. v.-Chr. - ca. 200 n. Chr. 200 - 500 n. Chr. 500/ 750 - 1050 1050 - 1350 1350 - 1650 Seit 1650 Tabelle 1.2: Periodisierung des Deutschen und seiner Vorgeschichte nach innersprachlichen Kriterien (Darstellung in Anlehnung an Nübling et al. 2017: 18) Wir wollen im Folgenden einige Phänomene der zweiten Lautverschiebung (auch (alt)hochdeutsche Lautverschiebung genannt) herausgreifen und erläutern, weil diese die Herausbildung des Deutschen aus den vorherigen Sprachstufen markiert. Die Konsonanten p, t, k waren von diesem Lautwandel betroffen und wurden im Alt‐ hochdeutschen je nach Position im Wort zu den Frikativen ff, ss, hh oder pf, tz, kh (vergleiche Glück/ Rödel 2016: 392). In anderen germanischen Sprachen fanden diese Lautverschiebungen nicht statt, was sich beispielsweise anhand des Vergleichs zwischen dem englischen Wort apple und dem deutschen Apfel zeigen lässt. Auch anhand des Wortes Pfingsten, das auf das griechische Wort pentēkostḗ (πεντηκοστὴ) zurückgeht, lässt sich die zweite Lautverschiebung veranschaulichen. Der Wandel des Lautes p zu pf hat hier stattgefunden, was darauf schließen lässt, dass das Wort vor oder während der zweiten Lautverschiebung entlehnt wurde (vergleiche Pfeifer 2005: 997). Im Gegensatz dazu findet man in anderen germanischen Sprachen, in denen die zweite Lautverschiebung nicht stattfand, bei den Entsprechungen für Pfingsten ein p 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 47 <?page no="48"?> am Wortanfang, wie zum Beispiel in pentecost (englisch), Pinksteren (niederländisch) oder pingst (schwedisch). Man geht davon aus, dass die zweite Lautverschiebung von Süden Richtung Norden verlaufen ist, wobei es verschiedene Theorien über die genaue räumliche Ausbreitung gibt. Hinweise auf die Ausbreitung liefert zum Beispiel die sogenannte Benrather-Linie oder maken-machen-Linie, die eine dialektale Grenze markiert. Sie trennt das Hochdeutsche vom Niederdeutschen, in dem die zweite Lautverschiebung nicht oder nur teilweise stattfand (vergleiche Glück/ Rödel 2016: 98 und 393). Dies ist nur ein Beispiel aus der Geschichte der deutschen Sprache, das zeigt, dass sich das Deutsche durch regelhafte Veränderungen (in diesem Fall aus den anderen germanischen Sprachen heraus) entwickelt hat. Diese sprachlichen Entwicklungen, welche zum heutigen Deutsch führten, erstreckten sich über mehrere Jahrhunderte. Zeitpunkt, Dauer und Gründe für die Entstehung der verschiedenen Sprachzweige sind innerhalb der historischen Linguistik (siehe Lerneinheit 1.2) nicht abschließend geklärt. Im Folgenden wollen wir auf aktuelleren Sprachwandel eingehen, der für das Ge‐ genwartsdeutsch eine Rolle spielt. Sprachwandelphänomene verlaufen unterschiedlich schnell und werden von Sprecherinnen und Sprechern deshalb nicht in allen Bereichen wahrgenommen. So nehmen wir beispielsweise neue Wörter relativ schnell in den deutschen Wortschatz auf und nehmen diese zum Teil auch als neue Wörter wahr. Veränderungen in anderen Bereichen bemerken wir hingegen nicht so schnell, wie zum Beispiel auf morphologischer und syntaktischer Ebene. Diese sind sogar teilweise nur retrospektiv beschreibbar (vergleiche Bittner/ Köpcke 2008: 65). Es sind aber, wie nachfolgend anhand einiger Beispiele demonstriert wird, alle Ebenen der Sprache vom Sprachwandel betroffen. Morphologischer und syntaktischer Wandel Will man den morphologischen Wandel im Deutschen systematisch erfassen, muss man diesen über einen längeren Zeitraum betrachten. In einer umfassenden Analyse der Veränderungsprozesse im Deutschen anhand von Korpora des 20. Jahrhunderts zeigt Eichinger (2013), dass der Wandel im Bereich der Flexionen von Substantiven, Adjektiven und Verben keinen willkürlichen, sondern einen systematischen Prozess darstellt. Eine verbreitete Theorie hierbei ist, dass Sprachen zur Vereinfachung tendie‐ ren. Bei den Verben äußert sich dieser Prozess beispielsweise in einer Vereinfachung der Konjugation von starken Verben hin zu schwachen Verben. So hat sich mittlerweile schraubte als die Präteritumform von schrauben durchgesetzt und die im früheren Sprachgebrauch übliche Form schrob verdrängt (vergleiche Keller 2004: 5). Heute werden noch weniger als die Hälfte der 400 aus dem Althochdeutschen überlieferten ablautenden und unregelmäßigen Verben stark flektiert (vergleiche Bittner/ Köpcke 2008: 69). Das Aufkommen neuer Konjugationsformen passiert nicht plötzlich, son‐ dern stufenweise und es dauert viele Jahre, bis eine veraltete Form durch die neue abgelöst wird. Deshalb können solche neuen Formen auch generationenübergreifend als Regelbrüche wahrgenommen werden. Aktuelle Veränderungsprozesse erkennt 48 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="49"?> man daher besonders gut daran, dass verschiedene Formen nebeneinander existieren: Neben dem inzwischen gängigen einfachen Präteritum backte von backen wird derzeit noch die veraltete Form buk im Duden als zulässige Form aufgeführt. Eine weitere Beobachtung ist der in der gesprochenen Sprache häufig fehlende Wechsel von e zu i bei Imperativen, wie zum Beispiel bei den Verben lesen (les statt lies) oder essen (ess statt iss). Zudem tauchen in der gesprochenen Sprache häufig Tilgungen im Auslaut auf, wie zum Beispiel der in der 1. Person Singular Präsens Indikativ weggelassene Schwa-Laut am Wortende (ich hab statt ich habe oder ich geh statt ich gehe) (vergleiche Bittner/ Köpcke 2008: 64). Die Tilgung des Schwa-Lautes ist eine der am häufigsten zu beobachtenden lautlichen Reduktionsformen im gesprochenen Deutsch, die auf Ausspracheerleichterungen zurückzuführen sind (vergleiche Rogozińska 2017: 216). Auch syntaktischer Wandel offenbart sich zunächst in der konzeptionell mündlichen Sprache, also in der gesprochenen Alltagssprache oder, in geschriebener Form, im elektronischen Nachrichtenaustausch in Form von Chats oder SMS. Ein weiteres Phänomen ist beispielsweise die Verwendung von progressiven am-Konstruktionen (vergleiche Günthner 2013: 224). Die in anderen Sprachen vorkommenden Zeitformen, die Verlaufsformen darstellen (zum Beispiel im Englischen das present progressive oder past progressive), gibt es im Standarddeutschen nicht. Zwar ließe sich das, was mit am-Konstruktionen im Deutschen ausgedrückt wird, auch mittels dem Standarddeut‐ schen entsprechenden Formulierungen ausdrücken: Ich arbeite gerade noch. Trotzdem tauchen vor allem im mündlichen Sprachgebrauch Konstruktionen wie Ich bin noch am Arbeiten auf. Die Verbzweitstellung bei Nebensätzen, die mit weil oder obwohl eingeleitet wer‐ den, ist ebenfalls eine Abweichung vom Standarddeutschen und immer häufiger im Gegenwartsdeutschen zu beobachten (vergleiche Günthner 2008). Sie wird deshalb allmählich zur akzeptierten Norm und zunehmend von DaF/ DaZ-Lernern erlernt. Eine Erklärung für diese neue Satzstellung ist nach Keller (2004) die, dass weil-Sätze mit Verbzweitstellung vielmehr auf die Frage ,Woher weißt du das? ‘ antworten, anstatt einen kausalen Zusammenhang auszudrücken, wie in folgendem Beispieldialog: „Ist Peter noch hier? - Nein, der ist schon weg, weil sein Auto steht nicht mehr im Hof “ (Keller 2004: 8). Wortschatz Der Wortschatz der deutschen Sprache wächst fortlaufend durch das Hinzukommen neuer Wörter. Er besteht zum einen aus Erbwörtern. Sie sind die ältesten Wörter, die bereits in den frühesten Sprachperioden des Deutschen vorkamen und alle weiteren durchlaufen haben, wie zum Beispiel Bruder; germanisch: brōþēr; althochdeutsch: bruoder (vergleiche Pfeifer 2005: 175). Neben Erbwörtern setzt sich das lexikalische System noch aus Lehn- und Fremdwörtern zusammen (vergleiche Nübling et al. 2017: 178). Für die Aufnahme neuer Wörter in das lexikalische System einer Sprache spielt der Sprachenkontakt eine wesentliche Rolle, durch den in den Wortschatz der deutschen Sprache nicht nur neue Wörter eingewandert, sondern aus diesem 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 49 <?page no="50"?> heraus auch ausgewandert sind (zum Beispiel Kindergarten oder Zeitgeist). Aber auch aus dem bereits vorhandenen Wortschatz werden neue Wörter, sogenannte Neologismen, gebildet. Neue Wortzusammensetzungen setzen sich durch und werden in den Wortschatz einer Sprachgemeinschaft aufgenommen, wenn neue Gegenstände, Sachverhalte oder Handlungen innerhalb der Sprachgemeinschaft wichtig werden und benannt werden wollen. Ein Beispiel hierfür ist der in den letzten Jahren entstandene Neologismus Filterblase, mit dem kurz gefasst die Selektion von Informationen im Internet ausgedrückt wird. Unser Wortschatz verändert sich auch stetig durch den semantischen Wandel, den Wörter durchlaufen können. Dabei kann diesen eine zusätzliche Bedeutung zukommen, zum Beispiel durch auf Ähnlichkeit beruhende Metaphern: Maus für die Computermaus. Die Bedeutung von Wörtern kann sich aber mit der Zeit auch verän‐ dern. Das Wort Weib, das heute einen abfälligen Ausdruck für eine Frau darstellt, hatte im Althochdeutschen keine negative Konnotation, sondern war die allgemeine und neutrale Bezeichnung für eine Frau. Im Bereich des semantischen Wandels sind auch Wortverschiebungen, -erweiterungen und -verengungen möglich (vergleiche Nübling et al. 2017: 141-145). Zwar kann es passieren, dass man diesen Bedeutungswandel bemerkt, weil jüngere Generationen ein Wort anders verwenden, als man es selbst gelernt hat. Da sich dieser Bedeutungswandel aber über einen längeren Zeitraum erstreckt, fällt er den Sprecherinnen und Sprechern nicht so schnell auf. Bedeutungsveränderungen und Neologismen, die aus dem Bestand der bereits vorhandenen deutschen Wörter gebildet wurden, nehmen wir nicht als einen so großen Faktor des Sprachwandels wahr wie das Hinzukommen neuer Fremdwörter. Grund hierfür ist, dass Letztere durch ihre Schreibweise und ihren Klang vom deutschen Sprachsystem abweichen. Manche befürchten, dass sie das Deutsche zu stark verändern und lehnen diese sogar ab (siehe Abschnitt 1.3.4). Wir haben bereits gelernt, dass es im Deutschen schon immer eine Vielzahl an Wörtern fremdsprachlichen Ursprungs gab. Haben sich diese in ihrer Schreibweise und klanglich sowie morphologisch an das Deutsche angepasst, so handelt es sich um sogenannte Lehnwörter. Solche Lehnwörter, zum Beispiel aus dem Lateinischen, findet man in nahezu allen Bereichen der Alltagssprache, wie zum Beispiel Fenster (fenestra), Markt (mercatus), signieren (signare). Ein Beispiel für ein sehr junges neues Wort lateinischen Ursprungs ist prokrastinieren, das es auch im Englischen gibt (to procrastinate), und das sich Mitte der 2000er Jahre in den deutschen Wortschatz integriert hat (vergleiche Klosa-Kückelhaus 2020: 2). Wie gut sich ein Wort in das Deutsche integriert, hängt auch davon ab, ob das Wort phonetische Fremdmerkmale enthält. Für das französische Lehnwort Cousine-ist mittlerweile auch die (eingedeutschte) Schreibweise Kusine zulässig. Für das männliche Pendant Cousin besteht jedoch durch den Nasalvokal [ɛ̃] der zweiten Silbe, den es im Deutschen nicht gibt, eine Integrationsbarriere (vergleiche Nübling et al. 2017: 180-181). Von der lautlichen Integrierbarkeit hängt auch ab, wie lange es dauert, bis ein Fremdwort zu einem Lehnwort wird. Die Zuordnung Lehnwort oder Fremdwort hängt wiederum von den jeweiligen Definitionen ab. Sie ist nicht immer eindeutig, 50 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="51"?> da sich Wörter beispielsweise in das grammatische System einer Sprache integriert haben können, aber weiterhin Fremdphoneme enthalten können: Beim Plural von Computer wurde beispielsweise nicht die englische Pluralform computers übernommen, sondern eine im Deutschen gebräuchliche Form der Pluralendung. Nicht nur die Aussprache oder Schreibweise eines Wortes, sondern auch die Angleichung an das deutsche Flexionssystem wird als Kriterium für die Zuordnung zu den Lehnwörtern hinzugezogen (vergleiche Denkler/ Meer 2008: 17). Im Deutschen gibt es schätzungsweise 4.000 bis 6.000 Wörter englischen Ursprungs (vergleiche Denkler/ Meer 2008: 16). Diese findet man, worauf bereits in der Lernein‐ heit 1.2 hingewiesen wurde, häufig in den aktuellen Jugendsprachen. Anglizismen werden vor allem durch die Massenmedien verbreitet und, wenn sie sich durchgesetzt haben, in den Wortschatz des Deutschen übernommen. Die meisten stammen aus den Bereichen Werbung (Flyer), Sport (Foul), Technik (Hardware), Wirtschaft (Boom), Mode (Shirt) und Jugendkultur (Chillout) (vergleiche Denkler/ Meer 2008: 16; Foschi Albert 2018: 110). Fremdwörter aus nichteuropäischen Sprachen sind zwar seltener, existieren aber ebenfalls im Deutschen: Fengshui (chinesisch), Shisha (arabisch) oder Manga (japanisch). Die aus anderen europäischen Sprachen stammenden Fremdwörter der letzten Jahrzehnte kommen vor allem aus den Bereichen Ernährung, Sport und Freizeit, wie die folgende Auswahl zeigt: Hygge (dänisch), Parkour (französisch), Skyr (isländisch), Barista (italienisch), Zumba (spanisch), Physalis (griechisch) (vergleiche Klosa-Kückelhaus 2020: 1-2). Von Fremdwörtern zu unterscheiden sind Scheinentlehnungen beziehungsweise Wörter, die den Anschein erwecken, als seien sie wie ein Fremdwort in die Sprache gewandert. Scheinentlehnungen aus dem Englischen nennt man Pseudoanglizismen (vergleiche Nübling et al. 2017: 182). Dabei sind englische lexikalische Bestandteile im Wort enthalten, allerdings existieren diese Wörter im Englischen nicht oder nicht mit dieser Bedeutung. Beispiele hierfür sind Handy (mobile phone), Beamer (projector), Smoking (tuxedo) oder Homeoffice (working from home). Durch mangelnde Kenntnis des Englischen könnte man fälschlicherweise annehmen, dass sie von Erstsprecherinnen und -sprechern verstanden werden. Hier kann es aber zu erheblichen Missverständ‐ nissen kommen, zum Beispiel beim im Deutschen (und auch in anderen Sprachen) mittlerweile etablierten Ausdruck Public Viewing für das gemeinsame Ansehen von (Sport-)Veranstaltungen auf Großleinwänden. Im Englischen wird public viewing im Zusammenhang mit der öffentlichen Aufbahrung von Leichen verwendet. Transferaufgabe Idee: Recherchieren Sie aktuelle Sprachwandelprozesse auf morphologischer, syn‐ taktischer oder auf der Wortschatzebene in Ihrer Erstsprache und überlegen Sie, warum sich diese durchsetzen werden oder bereits durchgesetzt haben. Diskutieren Sie Ihre Überlegungen unter Berücksichtigung der Gründe für Sprachwandel, mit denen Sie sich in dieser Lerneinheit auseinandergesetzt haben. Entwickeln Sie zum 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 51 <?page no="52"?> Thema Sprachenreflexion eine Unterrichtseinheit, in der sich die Lerner ebenfalls mit einem aktuellen Sprachwandelprozess beschäftigen. Zunächst erarbeiten die Lerner sich darin den syntaktischen, morphologischen und/ oder semantischen Wandel und anschließend diskutieren sie über die Gründe dafür. 1.3.4 Sprachwandel im Kontext der Debatte um Sprachverfall Wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, hat Sprachwandel schon immer stattgefun‐ den. Gründe sind unter anderem die seit Jahrhunderten existierende gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als Normalfall, die Veränderungen von Sprachen infolge von Migra‐ tion und dem gegenseitigen Sprachenkontakt (siehe Lerneinheit 1.2). Des Weiteren verändern sich Sprachen zum einen aus sprachökonomischen Gründen und zum anderen durch die Anpassung an die sich verändernden Kommunikationsbedürfnisse der Sprecherinnen und Sprecher. Dennoch werden Sprachwandelphänomene nicht immer im sprachhistorischen Kontext gedeutet, sondern als Indizien für einen ver‐ meintlichen Sprachverfall herangezogen. Dass die Vorstellung, die deutsche Sprache würde verfallen, weit verbreitet ist, beweist auch die Rezeption des Themas in den Massenmedien durch laienlinguistische Darstellungen (vergleiche Foschi Albert 2018: 107-108). Ein Argument, das im Zusammenhang mit Sprachverfall häufig angeführt wird, ist die vorgebliche Verschlechterung der Sprachkompetenz bei jüngeren Sprecherinnen und Sprechern. Der vermeintliche Sprachverfall soll sich in deren Verwendungsweise des Deutschen manifestiert haben. Jedoch basieren diese Behauptungen häufig auf sub‐ jektiven Erfahrungsberichten und sind nicht ausreichend empirisch belegt. Vielmehr zeigen bisherige Studien, dass bei der Untersuchung der sprachlichen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern differenziert werden muss. Im Bereich der Recht‐ schreibung scheinen die Kompetenzen im Vergleich zu früher tendenziell schlechter geworden zu sein, in einigen anderen Bereichen scheinen sie hingegen konstant geblieben oder sich sogar verbessert zu haben, wie im Bereich der Wortschatzkompe‐ tenz. Zudem erfordern Veränderungen im Bereich der Kommunikationsmedien von Schülerinnen und Schülern das Erlernen neuer Kommunikationsformen, die in den Jahrzehnten zuvor von früheren Generationen nicht erlernt werden konnten (verglei‐ che Denkler/ Meer 2008: 23-25; Foschi Albert 2018: 107). All diese Aspekte spielen hinein in die Frage, ob messbare Veränderungen und Verschiebungen sprachlicher Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern unbedingt eine Verschlechterung ihrer sprachlichen Leistungen darstellen. Solche Ergebnisse lassen sich auch wertungsfrei als eine Widerspiegelung des Sprachwandels in seinen sozialen Dimensionen interpretie‐ ren (vergleiche Foschi Albert 2018: 112). Aktueller Sprachwandel wird von verschiedenen Sprecherinnen und Sprechern zum einen unterschiedlich stark wahrgenommen und zum anderen auch unterschied‐ lich toleriert. Begegnen wir anderen sprachlichen Strukturen oder Ausdrücken als 52 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="53"?> denjenigen, die wir gelernt haben und gewohnt sind, nehmen wir diese als Normab‐ weichung oder Fehler wahr. Der Maßstab ist hierbei immer die eigene Sprache. Jede Generation nutzt andere Ausdrücke und Formulierungen als ihre Eltern oder Großeltern. Abweichungen werden von einigen sogar als Bedrohung für die deutsche Sprache gewertet, was häufig in der vermeintlichen Sorge mündet, dass „fremde Elemente die Homogenität der deutschen Sprache zerstören und dadurch die Identität des Sprachwesens und der Sprecher selbst gefährden“ (Foschi Albert 2018: 110). Der Gedanke einer Bedrohung der Sprache geht also häufig auch mit der Angst einher, dass nicht nur die Sprache sich verändert und verschlechtert, sondern sich dies wiederum negativ auf die Sprecherinnen und Sprecher und deren Identität auswirkt. Darum gibt es Bestrebungen, bestimmte Veränderungen und Tendenzen innerhalb der deutschen Sprache verhindern oder rückgängig machen zu wollen. Sprachpuristische, also auf die „Reinigung“ einer Sprache von Fremdwörtern hin abzielende Interessen, zeigen sich beispielsweise in einer ablehnenden Haltung gegenüber Anglizismen. Anders als rückwärtsgewandte Bewertungen von Sprache und Sprachwandel ver‐ folgt Sprachkritik das Ziel, Sprachbewusstheit zu schaffen, unseren Sprachgebrauch zu hinterfragen und einen Wandel auszulösen (vergleiche Schiewe 2018: 51). Beispiele hierfür sind das Bemühen um gendergerechte Sprache oder die seit 1991 jährlich stattfindende Wahl des Unworts des Jahres. Letztere hat zum Ziel, Ausdrücke in der öffentlichen Kommunikation beziehungsweise innerhalb der Sprache der Medien aufzudecken, die aus sachlicher oder sittlicher Sicht gegen die Menschenwürde oder gegen die Prinzipien der Demokratie verstoßen, gesellschaftliche Gruppen diskrimi‐ nieren oder mit denen Sachverhalte verharmlost oder irreführend dargestellt werden (vergleiche https: / / www.unwortdesjahres.net/ unwort/ kriterien-und-auswahlverfahre n/ ). 1.3.5 Zusammenfassung ▶ Grammatikbeschreibungen und das Standarddeutsche sind abstrakte Kon‐ strukte, welche dem Sprachwandel unterliegen. ▶ Sprachwandel muss als etwas, das schon immer in allen Bereichen von Sprache stattgefunden hat und auch weiterhin stattfinden wird, begriffen werden. ▶ Der Wortschatz einer Sprache verändert sich durch das Hinzukommen von Neologismen und neuer Fremdwörter, die zu Lehnwörtern werden können. ▶ Im Vergleich zum Wortschatzwandel läuft der Wandel auf syntaktischer und morphologischer Ebene langsamer ab und geschieht für Sprecherinnen und Sprecher relativ unbemerkt. ▶ Im DaF/ DaZ-Unterricht können neue Wörter zusammen mit ihren Bedeutun‐ gen und ihrem Stellenwert im Deutschen vor dem Hintergrund technischer Neuerungen und Veränderungen in der Gesellschaft diskutiert werden. 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten 53 <?page no="54"?> ▶ Abweichungen vom Standarddeutschen im geschriebenen und gesprochenen Deutsch bieten die Möglichkeit, den Unterschied zwischen umgangssprachli‐ chen und standardsprachlichen Formulierungen vor dem Hintergrund des Sprachwandels zu reflektieren. 1.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. In welchem Bereich fallen uns Sprachwandelphänomene am deutlichsten auf ? Woran liegt das? 2. Welche Bereiche sind noch von Sprachwandel betroffen? Nennen Sie konkrete Beispiele. 3. Welche Herausforderungen ergeben sich für Deutschlerner und für Sie als DaF/ DaZ-Lehrkraft aufgrund von Sprachwandel? 54 1 Mehrsprachigkeit in geschichtlichen Kontexten <?page no="55"?> 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten In diesem zweiten Kapitel knüpfen wir an die historischen Dimensionen von Mehr‐ sprachigkeit und die damit verbundenen Sprachwandelphänomene an, die wir im vorherigen Kapitel kennengelernt haben. Wir vertiefen den Grundgedanken der unmittelbaren Auswirkungen politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen und Begebenheiten auf die (mehr)sprachige Lebensrealität. Die spezifischen Kontexte erge‐ ben sich in Lerneinheit 2.1 aus einem geografischen Fokus, indem wir Dimensionen von Mehrsprachigkeit dreier europäischer Länder beziehungsweise Regionen, Frankreich, Finnland und das in Italien gelegene Südtirol, genauer in den Blick nehmen. Wir stellen fest, dass gegenwärtige sprachenpolitische Diskurse oft historisch bedingt und gewachsen sind; diese zu kennen hilft, Perspektiven, Standpunkte und Kontroversen nachvollziehen und einordnen zu können. In Lerneinheit 2.2 wenden wir uns einem Teilgebiet der Linguistik zu, das sich mit Herkunftssprachen beschäftigt. Nach der Vorstellung der sich unterscheidenden Definitionen der deutschsprachigen und der angloamerikanischen (heritage language) Begriffe, konzentrieren wir uns auf die Herkunftssprache Polnisch in einem spezifischen Lehr-Lernkontext, nämlich dem hochschulischen. Dabei wenden wir uns der Frage zu, inwiefern die sprachlichen Kompetenzen von Herkunftssprachlerinnen und -sprachlern von Dozentinnen und Do‐ zenten wertgeschätzt, aktiviert und genutzt werden können. Die folgende Lerneinheit 2.3 schließt hier direkt an, indem der räumliche Bezug zu Hochschulen bestehen bleibt. In den USA als Einwanderungsland gab es schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts an einigen Hochschulen mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgerichtete Sprachenkurse. Nach einem kurzen Abriss der Entwicklungsgeschichte der speziell für spanischsprachige Studierende konzipierten Portugiesischkurse lernen Sie die ihnen zugrundeliegenden Konzepte näher kennen. <?page no="56"?> 2.1 Dimensionen von Mehrsprachigkeit am Beispiel EU Sandra Sulzer (Südtirol), Lennart Bartelheimer (Frankreich), Joachim Schlabach (Finnland) In dieser Lerneinheit beschäftigen wir uns mit verschiedenen Formen von Mehr‐ sprachigkeit innerhalb der EU. Dabei wurden exemplarisch Südtirol, Frankreich und Finnland ausgewählt, um unterschiedliche Formen der Mehrsprachigkeit am Beispiel von Ländern bzw. Regionen darzustellen. Während in Südtirol Mehrsprachigkeit aufgrund historischer Gegebenheiten nicht nur gelehrt, son‐ dern auch gelebt wird, wird die Mehrsprachigkeit in Frankreich kaum bis gar nicht gefördert. Finnland steht als ein Beispiel dafür, dass Mehrsprachigkeit, ebenfalls überwiegend historisch bedingt, einen vergleichsweise hohen Stellen‐ wert genießen kann. Zu allen drei Beispielen besprechen wir neben gesellschaft‐ lichen Rahmenbedingungen auch die sprachenpolitische Diskussion. Zusätzlich beschäftigen wir uns mit der Sprachenkompetenz in der Gesellschaft und gehen auf die Umsetzung von Mehrsprachigkeit im Bildungssektor ein. Zum Schluss zeigen wir die Sichtbarkeit von und den Bedarf an Sprachen auf. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erfahren, dass Mehrsprachigkeit in der Politik verschieden stark gefördert wird; ▶ kennenlernen, wie Mehrsprachigkeit in verschiedenen Ländern unterschied‐ lich akzeptiert und gelebt wird; ▶ exemplarisch verschiedene landesspezifische Formen von Mehrsprachigkeit kennen, darüber Auskunft geben und die Auswirkungen auf die Gesellschaft reflektieren können; ▶ landesspezifische Formen von Mehrsprachigkeit mit ihren Chancen und Herausforderungen (er)kennen und damit umgehen können. Reflexionsaufgabe 1 In Deutschland leben 21,9 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (ver‐ gleiche Bundesministerium des Inneren und für Heimat 2021: 10), und dementspre‐ chend werden im Privaten sehr viele Sprachen genutzt, während im öffentlichen Raum vorwiegend Deutsch und in einigen wenigen Bereichen Englisch verwendet wird. Überlegen Sie: Warum ist das so? Wieso werden nicht Sprachen wie das Türkische und Polnische in öffentlichen Bereichen genutzt? 56 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="57"?> Reflexionsaufgabe 2 Welche Länder sind Ihnen bekannt, in denen mehrere Sprachen offiziell anerkannt sind und auch verwendet werden? Wie funktioniert in diesen Ländern die Kom‐ munikation zwischen den Einwohnern und Einwohnerinnen? Warum werden mehrere Sprachen verwendet? 2.1.1 Südtirol: Südtirol · Alto Adige · Südtirol Gesellschaftliche (und historische) Rahmenbedingungen Die sprachliche Entwicklung Südtirols ist sehr stark mit der politischen Vergangen‐ heit, aber auch der gegenwärtigen Situation verbunden (vergleiche Grote 2011: 109-110). Die Auseinandersetzung damit hilft, die Thematik besser einordnen zu können. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde der Siegermacht Italien 1919 durch den Friedensvertrag von Saint Germain der südliche Teil Tirols zugesprochen (vergleiche Romeo 2014: 80). Die darauffolgende Annexion Südtirols im Jahr 1920 fand größtenteils gegen den Willen der Südtiroler Bevölkerung statt (vergleiche Steininger 1999: 10). Bereits kurze Zeit nach der Angliederung begann die Italianisie‐ rung der deutschsprachigen Bevölkerung über diverse Wege. Während 1910 nur 2,9 % der Einwohner und Einwohnerinnen der italienischen Sprachgruppe angehörten, waren es 1921 bereits 10,6 % (ASTAT 2007: 19). Um die Italianisierung voranzu‐ treiben, wurde die deutsche Sprache im öffentlichen Bereich verboten, deutsche Ortsnamen wurden in italienische abgeändert, die ansässigen deutschsprachigen Beamten und Beamtinnen versetzt und durch italienischsprachige ersetzt (vergleiche Di Michele 2008: 145). Aufgrund des Verbots der deutschen Sprache an Grundschulen im Jahr 1923 entstanden sogenannte Katakombenschulen, in denen der verbotene deutschsprachige Unterricht in den darauffolgenden Jahren im Verborgenen (unter anderem in Kellern und Scheunen) stattfand (vergleiche Romeo 2014: 83). Ab 1925 war Italienisch die alleinige Amtssprache in Südtirol, und ein Jahr später ordnete die Regierung den Austausch deutscher und ladinischer Familiennamen durch italienische oder lateinische an. 1938 wurde den deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolerinnen und Südtirolern die Option einer Umsiedlung ins Deutsche Reich angeboten (vergleiche Steininger 1999: 41). 86 % der Bevölkerung entschieden sich dafür, da den Dableibern eine noch weitreichendere Italianisierung drohte. Dies wiederum führte zu einem inneren Zwiespalt in der Bevölkerung. Die Umsiedlung kam aufgrund des Beginns des Zweiten Weltkriegs 1939 nur bedingt zustande (vergleiche Romeo 2014: 91). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs forderten sowohl die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols als auch Österreicher und Ös‐ terreicherinnen eine Wiedervereinigung Tirols, die von den Siegermächten jedoch abgelehnt wurde (vergleiche Steininger 1999: 64-65). Das 1946 bei der Pariser Frie‐ denskonferenz von der österreichischen und italienischen Regierung unterzeichnete 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 57 <?page no="58"?> Pariser Abkommen umfasste die Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache und ermöglichte somit den Unterricht in beiden Erstsprachen, den Gebrauch beider Sprachen in öffentlichen Ämtern, die zweisprachige Ortsnamensgebung, das Wiedererlangen der deutschen Familiennamen und eine Verteilung der Stellen im öffentlichen Dienst nach dem ethnischen Proporz (vergleiche Südtiroler Landesre‐ gierung 2019: 64-67). Es dauerte aber noch bis 1972, bis das erste Autonomiestatut unterzeichnet wurde, das aus 137 Maßnahmen bestand, zu denen beispielsweise die Ernennung des Deutschen zur Amtssprache und die Gleichbehandlung aller Sprachgruppen zählte. Das Statut wurde im Laufe der nächsten zwanzig Jahre umgesetzt (vergleiche Südtiroler Landesverwaltung o.-J.). Sprachenpolitische Diskussion Wir wissen nun, dass in Südtirol neben Italienisch auch Deutsch Amtssprache ist. Seit 1989 genießt auch das Ladinische in den ladinischen Ortschaften den Status einer Amtssprache (vergleiche Bauer 2002: 147; Bonell/ Winkler 2010: 352; Südtiroler Landesregierung 2019: 135, 169). Zur Festlegung der eigenen Sprachgruppe, müssen alle „in Südtirol ansässige[n] und nicht entmündigte[n] italienische[n] Staatsbürger über 14 Jahren“ (Bonell/ Winkler 2010: 91), unabhängig von ihrer Erstsprache, in der Sprachgruppenzugehörigkeitser‐ klärung entscheiden, welcher Sprachgruppe sie sich zugehörig fühlen. Bei der letzten Zählung im Jahr 2011 entschieden sich 69,41-% der Südtiroler und Südtirolerinnen für die deutsche, 26,06 % für die italienische und 4,53 % für die ladinische Sprachgruppe (vergleiche ASTAT 2012: 4). Während die italienischsprachige Bevölkerung hauptsächlich in Städten und die ladinischsprachige vorwiegend regional begrenzt im Gadertal und im Grödnertal lebt, verteilt sich die deutschsprachige Bevölkerung auf ganz Südtirol. Sprachenkompetenz in der Gesellschaft Zusätzlich zur deutschen Standardsprache wird in Südtirol im privaten und im öf‐ fentlichen Raum Südtirolisch gesprochen und geschrieben. Dabei handelt es sich um einen Dialekt, der an die Bayrische Mundart angelehnt ist (vergleiche Egger 1977: 7) und abhängig von der Region variiert. Viele deutschsprachige Südtiroler und Südtirolerinnen kommen bis zum Schuleintritt nur über Medien mit der deutschen Standardsprache in Kontakt und sehen sie deshalb als ihre erste Fremdsprache an (vergleiche ASTAT 2015: 137; Egger 1977: 12-15). Die folgende Tabelle gibt einen Einblick in sprachliche Unterschiede: 58 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="59"?> Standarddeutsch Dialekt Standarddeutsch Dialekt Hahn Gigger Ei Gòggele Kopf Grind Nacken Gnack Mir ist kalt. I hon zu kolt. Letztes Jahr war der Pass schneefrei. Fertn wor dor Poss åper. hinauf hinunter àui òì hinüber herum ùmi ùmanånd Tabelle 2.1: Beispiele für Unterschiede zwischen dem Standarddeutschen und dem Dialekt in Südtirol (angelehnt an Demetz: 2008) Durch das Verbot der deutschen Sprache in der Vergangenheit sind viele ältere deutsch‐ sprachige Südtirolerinnen und Südtiroler nicht in der Lage, sich im CALP-Bereich schriftlich und mündlich korrekt auszudrücken, da sie eine italienischsprachige Schule besuchten und ihre Fähigkeiten in der deutschen Bildungssprache nur rudimentär ausgebildet wurden. Die italienischsprachige Bevölkerung in Südtirol kommt ursprünglich aus verschie‐ denen Regionen Italiens und spricht zur besseren Verständigung in Südtirol Standard‐ italienisch. Im familiären Umfeld wird zum Teil im Dialekt gesprochen. Während wir bei den deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtirolern keinen Unterschied im Bildungsniveau bezogen auf die Nutzung der Hochsprache oder des Dialekts feststellen können, sieht es im Italienischen anders aus. Der Dialekt wird hier häufiger in bildungsschwächeren Familien gesprochen, während die Nutzung der Hochsprache mit dem Bildungsstand steigt (vergleiche ASTAT 2006: 107). Das Ladinische, das zu den romanischen Sprachen zählt und als romanischer Dialekt eingeordnet wird, wird nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung gesprochen, und es ist nur in wenigen Tälern die vorherrschende Sprache. Personen, die außerhalb dieser Täler wohnen, verfügen meist über keine Ladinischkenntnisse. Experiment 1 Obwohl die jeweilige Zweitsprache in Südtirol bereits ab der 1. Grundschulklasse gelehrt wird und die deutsch- und italienischsprachigen Südtiroler und Südtiroler‐ innen auch außerhalb der Schule stetig mit der Zweitsprache in Kontakt kommen, bestehen viele die Zweisprachigkeitsprüfung, die für die Vergabe öffentlicher Stellen relevant ist, nicht. Bis 2014 bestand der zu erbringende Sprachnachweis aus einem Lesetext, zu dem es Fragen in der anderen Sprache gab sowie einer münd‐ lichen Prüfung. Heute entspricht die Prüfung einer klassischen Sprachprüfung, bei der die vier Fertigkeiten überprüft werden. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 59 <?page no="60"?> Schauen Sie die zwei Prüfungen an und überlegen Sie, welche Probleme es früher gegeben hat und welche Probleme heute für das Nicht-Bestehen der Prüfung verantwortlich sein könnten. Alte Prüfung: siehe Zusatzmaterial unter https: / / files.narr.digital/ 9783823384397/ Zusatzmaterial.zip Aktuelles Beispiel für eine Prüfung: https: / / www.provinz.bz.it/ bildung-sprache/ z weisprachigkeit/ zweisprachigkeitspruefung/ niveau-b1.asp In Südtirol werden die Sprachkenntnisse der Südtiroler und Südtirolerinnen, die in der öffentlichen Verwaltung arbeiten, seit 1977 über eine Zwei- und Dreispra‐ chigkeitsprüfung nachgewiesen (vergleiche Abel 2011: 122). In einer von der L1 unabhängigen Sprachenprüfung werden bei der Zweisprachigkeitsprüfung sowohl Deutsch als auch Italienisch überprüft. Nach dem Bestehen der Prüfung erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Zweisprachigkeitsnachweis, der es ihnen ermöglicht, sich auf Landesstellen zu bewerben, die dem nachgewiesenen Niveau entsprechen. So müssen beispielweise Reinigungskräfte die Zweisprachigkeitsprü‐ fung auf dem Niveau A2 bestehen, während Sachbearbeiterinnen im Rathaus das Niveau B2 nachweisen müssen. In ladinischen Regionen ist der Nachweis des Ladi‐ nischen als dritte Sprache notwendig. Neben den erforderlichen Sprachkenntnissen müssen die Bewerber und Bewerberinnen für Stellen in der öffentlichen Verwaltung der geforderten Sprachgruppe angehören, denn diese Stellen werden mittels ethni‐ schen Proporzes verteilt. Das bedeutet, dass die vorhandenen Stellen anteilig an die Sprachgruppen der im Ort lebenden Bevölkerung vergeben werden. Wenn wir uns die Resultate der Zweisprachigkeitsprüfungen anschauen, können wir erkennen, dass die Sprachenkenntnisse der Südtiroler und Südtirolerinnen unabhängig von der Erstsprache nicht dem erwarteten Niveau entsprechen, das man nach 9-13 Jahren Schule vermuten würde: Niveau Angetretene Kandidaten und Kandidatinnen Prüfung bestanden C1 1.897 48,9 % B2 2.649 39,4 % B1 1.148 50,9 % A2 1.043 74,2 % Tabelle 2.2: Bestandene Zweisprachigkeitsprüfungen (ASTAT 2023: 2) Sprachen in Schule und Hochschule In Südtirol findet auf schulischer Ebene eine strikte Sprachentrennung statt. Alle drei Sprachgruppen verfügen über eigene Schulämter und zum Teil unterschiedliche 60 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="61"?> curriculare Vorgaben. Während die Kinder an deutschsprachigen Schulen bis vor wenigen Jahren erst in der zweiten Klasse mit der Zweitsprache Italienisch in Kontakt kamen, lernten die Schüler und Schülerinnen an italienischsprachigen Schulen ab der ersten Klasse Deutsch. Der Unterricht in der Zweitsprache erinnert sehr stark an den Fremdsprachenunterricht. An ladinischsprachigen Schulen werden die Kinder dreisprachig alphabetisiert. Ab der zweiten Klasse Grundschule nimmt das Ladinische den Stellenwert einer „Behelfssprache“ (Autonome Provinz Bozen o. J.) ein, was bedeutet, dass sie nur zur Unterstützung genutzt wird. Alle Schulfächer bis auf den Religionsunterricht und das Fach Sprache und Kultur werden ab diesem Zeitpunkt wöchentlich wechselnd auf Deutsch und Italienisch unterrichtet. Ab der Mittelschule ändert sich die Umsetzung des paritätischen Modells, indem die Sprachen je nach Schuljahr variieren (vergleiche Autonome Provinz Bozen o. J.). Das Ladinische wird im Gegensatz zum Italienischen und Deutschen in den nicht-ladinischen Regionen nicht unterrichtet. Zusätzlich zu den zwei Amtssprachen lernen Südtirolerinnen und Südtiroler ab der vierten Klasse der Grundschule Englisch. Abhängig von der gewählten Oberschule (Klassen 9-13) besteht die Möglichkeit, weitere Fremdsprachen, beispielweise Französisch, Russisch, Spanisch oder Latein (vergleiche Autonome Pro‐ vinz Bozen 2011: 17-28), zu lernen. An der mehrsprachigen Universität Bozen werden die Veranstaltungen auf Deutsch, Italienisch und Englisch angeboten. Studierende der Bildungswissenschaften, die in der ladinischen Abteilung studieren, besuchen zusätzlich ladinischsprachige Veranstaltun‐ gen (vergleiche Franceschini 2018: 406; Saxalber 2018: 253). Durch das mehrsprachige Studium erweitern Studierende nicht nur ihre Fachkenntnisse, sondern lernen Spra‐ chen, die ihnen nach Abschluss des Studiums bessere Jobmöglichkeiten bieten. Um an der Universität Bozen studieren zu können, müssen Bachelorstudierende in zwei der drei zuvor genannten Sprachen das Niveau B2 vorweisen. Die dritte Sprache muss zum Eintrittszeitpunkt noch nicht beherrscht werden, aber bis zum Ende des Studiums auf das Niveau B2 gebracht werden. Für Masterstudierende gelten höhere Anforderungen in Hinblick auf das Sprachenniveau, die sich je nach Studiengang unterscheiden (vergleiche Universität Bozen 2020). Sichtbarkeit und Verwendung der Sprachen Die Mehrsprachigkeit können wir in Südtirol an vielen Stellen wiederfinden: Orts- und Straßenschilder sind zweisprachig, in ladinischen Regionen sogar dreisprachig; Medikamente werden mit einem zweisprachigen Beipackzettel verkauft, und offizielle Dokumente gibt es in zwei-, teilweise sogar dreisprachiger Ausfertigung. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 61 <?page no="62"?> Abbildung 2.1: Dreisprachiges Willkommensschild (Text auf Ladinisch, Deutsch und Italienisch) (Bild: Karen Fleischhauer) Abbildung 2.2: Dreisprachiges Schild an der Bushaltestelle (Text auf Deutsch, Ladinisch und Italienisch) (Bild: Karen Fleischhauer) Durch die Mehrsprachigkeit beziehungsweise das direkte Übersetzen entstehen im Deutschen häufig Wortneuschöpfungen und Interferenzen, die für deutschsprachige Personen aus anderen Ländern nicht unmittelbar verständlich sind. Hierzu gehört zum Beispiel auf lexikalischer Ebene die Identitätskarte, die aus dem Italienischen carta d’identità übernommen wurde und mit dem deutschen Personalausweis gleichzusetzen ist. Wer seinen Führerschein macht, benötigt einen Fahrübungsschein, der meist als foglia rosa bezeichnet wird. Neben den drei Amtssprachen, die zur „alten Mehrsprachigkeit“ (Colombo/ Stopf‐ ner/ De Camillis 2020: 3) gehören, finden in den letzten Jahren immer mehr Sprachen Einzug in das Sprachrepertoire Südtirols. Durch Zuwanderung, Tourismus, interna‐ tionale Wirtschaftsbeziehungen und das Internet verbreiten sich weitere Sprachen in Südtirol, die zu einer noch umfangreicheren Vielsprachigkeit führen (vergleiche Colombo et al. 2020: 2). Aufgrund des dynamischen Prozesses ist es noch nicht absehbar, wie sich die Mehrsprachigkeit in der Zukunft weiter verändern wird. Eine Förderung der Mehrsprachigkeit, wie von Colombo et al. (2020: 2) angesprochen, erscheint aber aufgrund der zuvor genannten Faktoren eine gute Möglichkeit zu sein, um die Sprachenvielfalt zu erhalten. 62 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="63"?> Abbildung 2.3: Viersprachige Leuchttafel in Bozen (Deutsch, Italienisch, Ladinisch, Englisch) (Bild: Sandra Sulzer) 2.1.2 Frankreich: France Gesellschaftliche und historische Rahmenbedingungen Frankreich verfügt über eine der rigidesten Sprach(en)politiken Europas, die im Wesentlichen auf gesellschaftliche Einsprachigkeit und normative Sprachpflege ausgerichtet ist. Beides hat in Frankreich eine lange Tradition, ebenso die politische Reglementierung der Sprache und des Sprachgebrauchs. So regelte bereits die Ordonnance de Villers-Cotterêts von 1539, dass in Rechtsangelegenheiten ausschließ‐ lich die französische Sprache zu verwenden sei. In europäischen Adelskreisen war Französisch zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert die führende Sprache für politische und kulturelle Belange, die allerdings - auch in Frankreich - zunächst den politischen, intellektuellen und kulturellen Eliten vorbehalten blieb. Nicht zuletzt war sie zu jener Zeit von regionalen Dialekten geprägt, und in vielen französischen Regionen wurden regionale Sprachen wie Okzitanisch, Baskisch oder Bretonisch gesprochen. Diese Regionalsprachen entstammen zum Teil ebenfalls dem Latein (wie Okzitanisch), sind zum Teil keltischen Ursprungs (wie Bretonisch) oder iso‐ liert entstanden (wie Baskisch). Im zunehmend zentralistisch regierten Frankreich wuchsen die Bestrebungen, die Sprache zu vereinheitlichen und zu normieren. Dies gipfelte 1635 in der Gründung der Académie française, die bis heute eine bedeutende Rolle in der französischen Sprach(en)politik spielt. Zwar stellte die Französische Revolution ab 1789 einen Umbruch des politischen Systems dar, die sprach(en)poli‐ tischen Bestrebungen in Richtung gesellschaftlicher Einsprachigkeit wurden durch die Revolutionsregierungen jedoch noch verstärkt und unter der Parole „une nation, une langue“ zum politischen Programm. Durch die Etablierung des Französischen als einzige Verkehrssprache sollte das französische Bürgertum überhaupt erst in die Lage der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe versetzt werden. Die im Land weit verbreiteten Dialekte und Regionalsprachen (patois genannt) wurden 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 63 <?page no="64"?> als aristokratisches Relikt und feudales Herrschaftsinstrument stigmatisiert, die es zu beseitigen galt. Umsetzen ließ sich diese Politik allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die allgemeine Schulpflicht im Land durchgesetzt wurde und Französisch als ausschließliche Unterrichts- und Umgangssprache etabliert werden konnte (vergleiche Helfrich 2007: 265-266). Zudem wurde im Zeitalter der entstehen‐ den Nationalstaaten die Sprache, wie in vielen anderen Ländern auch, als nationales Identifikationsmerkmal der französischen Nation zunehmend wichtiger. Dies führte zu einer starken politischen und gesellschaftlichen Hegemonie der französischen Sprache, die im 20.-Jahrhundert - nun gegen den zunehmenden Einfluss des Engli‐ schen als internationale Verkehrssprache - weiter ausgebaut wurde. Ab 1972 wurden die ersten Terminologiekommissionen eingesetzt, um für (vorwiegend technische) Anglizismen französische Neologismen zu definieren. Deren Verwendung wurde durch das Sprachengesetz von 1975 (Loi Bas-Lauriol) verbindlich vorgeschrieben, welches ebenso Vorschriften für die Verwendung der französischen Sprache in etlichen Bereichen des öffentlichen Lebens enthält (vergleiche Braselmann 2008: 9). Im Jahr 1992, demselben Jahr, in dem der Europarat (unter Enthaltung Frankreichs) die ECRML (Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen) verabschiedete, wurde durch eine Verfassungsänderung die französische Sprache als „langue de la République“ in Art. 2 der französischen Verfassung verankert - wohl auch als Reaktion auf die Charta (vergleiche Helfrich 2007: 271). 1994 erfolgte durch ein weiteres Sprachengesetz (Loi Toubon) die Ausweitung der Vorschriften zur Verwendung der französischen Sprache. Die in der ursprünglichen Version dieses Gesetzes noch vorgesehene Ausweitung der Bestimmungen auch auf den privaten Bereich trat zwar nie in Kraft, aber im öffentlichen Bereich wurde der Gebrauch der französischen Sprache weitgehend reglementiert: Beschriftungen im öffentlichen Raum, wie Anzeigen und Schilder, müssen, sofern sie nicht auf Französisch verfasst sind, eine ebenso gut lesbare französische Übersetzung enthalten (Art. 3 und 4; siehe als Beispiel Abb. 4), Französisch wurde als alleinige Unterrichtssprache definiert (Art. 11), und auch bei Veranstaltungen wie wissenschaftlichen Kongressen muss die Kongresssprache Französisch sein (Art. 6) (vergleiche Braselmann 2008: 9-10). Was den Schulunterricht betrifft, ist in den letzten Jahren allerdings eine Öffnung in Richtung Mehrsprachigkeit erkennbar: So wurde Art. 11 mittlerweile gestrichen, und auf regionaler Ebene gibt es zahlreiche Initiativen zur Förderung der „patois“ (vergleiche Hélot/ Erfurt 2016). 64 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="65"?> Abbildung 2.4: Lufthansa-Werbebanner am Pariser Flughafen Charles de Gaulle (Quelle: https: / / uploa d.wikimedia.org/ wikipedia/ de/ 7/ 7a/ Lufthansa_werbung_paris_cdg.JPG) Experiment 2 Sie sind Shampoo-Produzent und wollen ihr Produkt (Slogan: „Für Ihr Haar nur das Allerbeste“) in Frankreich auf den Markt bringen. Hierfür wollen Sie: a. eine großangelegte Werbeplakataktion starten b. einen wissenschaftlichen Kongress zum Thema Haarpflege veranstalten Wie würden Sie Ihre Plakate gestalten und den Kongress organisieren? Worauf müssen Sie hierbei in Frankreich besonders achten? Sprachenpolitische Diskussion Die sprachenpolitische Diskussion und die sprach(en)politischen Maßnahmen der letz‐ ten Jahrzehnte haben in Frankreich zwei Dimensionen: Einerseits den stark normativen Anspruch, die französische Sprache zu erhalten und vor fremdsprachlichen Einflüssen (insbesondere Anglizismen) zu schützen - also eine eher sprachpolitische Dimension. Andererseits sollen sie den Gebrauch der französischen Sprache im Inland sicherstellen und im Ausland fördern und verbreiten (auch hier insbesondere gegen das Englische 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 65 <?page no="66"?> als internationale Lingua Franca) - also eine eher sprachenpolitische Dimension. Beides wird sehr kontrovers diskutiert. Die Haltung, einerseits auf europäischer und internationaler Ebene für Plurilingualismus einzutreten und andererseits im eigenen Land plurilingualistische Bestrebungen zu bekämpfen, ist von der Kritik häufig als Doppelmoral beschrieben worden (vergleiche Wright 2000: 415). Und die Politik der normativen Spracherhaltung habe Anglizismen sogar befördert: Im Französischen „führte das starre Festhalten an der klassischen Norm zu Unflexibilität und zu ge‐ ringerer Innovationsbereitschaft, als sie anderen Sprachen eigen ist, um auf neue Bezeichnungsnotwendigkeiten mit eigenen sprachlichen Mitteln zu reagieren. Gerade dadurch wurde Entlehnungen besonderer Vorschub geleistet“ (Braselmann 2008: 7). Während bei den sprachpolitischen Maßnahmen - insbesondere der Neologismenbil‐ dung - eine zunehmende Pragmatisierung erkennbar ist (vergleiche Braselmann 2008: 17), ist der Umgang mit anderen Sprachen als Französisch im Inland nach wie vor Ge‐ genstand kontroverser Diskussion und politischer Initiativen. Dies zeigt insbesondere der Umgang mit der ECRML in den letzten 20 Jahren. Nach ihrem Inkrafttreten 1998 urteilte der französische Verfassungsrat 1999, dass sie in Teilen gegen die französische Verfassung - die ja seit 1992 die französische Sprache festschreibt - verstoße und daher von Frankreich nicht ratifiziert werden dürfe (vergleiche Ministère de la Culture 2013: 23-24). Die darauffolgende öffentliche Diskussion (vergleiche Helfrich 2007) führte in den folgenden Jahren immer wieder zu entsprechenden Gesetzesinitiativen. Der bislang letzte Vorschlag zur Verfassungsänderung und Ratifizierung wurde zwar 2014 von der Nationalversammlung verabschiedet und 2015 im Senat debattiert, in Kraft gesetzt wurde er jedoch bislang nicht, sodass die ECRML in Frankreich (als einzigem Gründungsmitglied der EU) bis heute nicht ratifiziert ist (vergleiche Council of Europe o.-J.). Sprachenkompetenz in der Gesellschaft Die bereits beschriebenen Traditionen und nicht zuletzt die Tatsache, dass viele Migranten und Migrantinnen nach Frankreich aus den ehemaligen französischen Kolonien, wie etwa dem Maghreb kommen und folglich bereits Französisch sprechen, haben dazu geführt, dass die französische Gesellschaft sehr einsprachig geprägt ist - eine Brückensprache wie Englisch wird hier zur Kommunikation nicht benötigt. Dies und insbesondere die durch die politischen Vorgaben sehr starke Stellung des Französischen erklärt die von ausländischen Touristen und Touristinnen längst zum Klischee erhobene Beobachtung, dass besonders in ländlichen Regionen selbst Eng‐ lischkenntnisse eher spärlich vorhanden sind, sowie die immer mal wieder erhobenen Klagen über das vergleichsweise schlechte Abschneiden französischer Studierender in TOEFL-Tests (vergleiche Baumard 2009). In Bezug auf Erhalt, Verwendung und Sichtbarkeit der patois zeigt sich zunehmendes Interesse, das in erster Linie von der regionalen Politik und Zivilgesellschaft getragen wird (vergleiche Hélot/ Erfurt 2016). 66 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="67"?> Auch die Frage des Sprachenunterrichts ist in Frankreich durch kontroverse Dis‐ kussionen und bisweilen einen politischen Zickzack-Kurs geprägt. War es bis zur Jahrtausendwende üblich, in Klasse 6 mit Englisch und in Klasse 8 mit einer weiteren Fremdsprache zu beginnen, wurden 2003 die sog. classes bilangues eingerichtet, in denen die zweite Fremdsprache bereits ab Klasse 6 gelehrt wird. Die im Zuge der Schulreform von 2015 angestellten Planungen, diese „bilingualen“ Klassen wieder abzuschaffen, wurden nach Protesten zurückgenommen. Allerdings besuchen nur rund 10 % der Schüler und Schülerinnen eine solche Klasse (vergleiche Villinger 2018). Dafür wurde zum Schuljahr 2017/ 2018 der Beginn der zweiten Fremdsprache auf die Klasse 7 vorverlegt (vergleiche Ministère de l‘Europe, o.J.). Sichtbarkeit und Verwendung der Sprachen Was die Sichtbarkeit von Sprachen in der Öffentlichkeit angeht, ist nach wie vor die französische Sprache dominant, und diese Vormachtstellung wird nach wie vor durch Gesetze abgesichert, etwa das Loi Toubon, oder durch Mindestquoten für französisch‐ sprachigen Inhalt im Rundfunk. Allerdings werden insbesondere die Regionalsprachen zunehmend sichtbar, beispielsweise durch das Aufstellen zweisprachiger Ortsschilder in der Bretagne. Was den Bedarf an Fremdsprachen angeht, ist er zumindest im Freizeitbereich nach wie vor eher gering. Die Tradition, den Urlaub in erster Linie im eigenen Land zu verbringen, ist in Frankreich ungebrochen. 2019 entschieden sich 80 % für Ferien im eigenen Land (vergleiche Mollaret 2019). Ein größerer Bedarf ist in beruflichen Kontexten gegeben, bedingt insbesondere durch die europäische Wirtschaftsintegration. Besonders die starke wirtschaftliche Verbindung mit Deutsch‐ land führt zu einer großen Nachfrage nach Menschen mit Deutschkenntnissen in Frankreich, die allerdings kaum gedeckt werden kann. Deutsch ist an französischen Schulen nach wie vor recht unbeliebt: Während im Schuljahr 2016/ 17 Spanisch mit 57 % die beliebteste zweite Fremdsprache französischer Schüler und Schülerinnen war, lag Deutsch weit abgeschlagen bei rund 16 %. Ähnlich unbeliebt ist der Deutschlehrer- und Deutschlehrerinnenberuf: 2016 konnte bei einer landesweiten Ausschreibung nicht einmal jede zweite offene Stelle besetzt werden (vergleiche Villinger 2018). Ob allerdings dieser Trend angesichts der sich nach wie vor stetig verstärkenden politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Frankreich und Deutschland - insbesondere nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU - anhalten wird, bleibt abzuwarten. Im April 2021 ergab sich allerdings in Bezug auf die patois eine Entwicklung, nachdem sie durch eine Parlamentsinitiative gegen die Position der Regierung zu einem förderungswürdigen Kulturgut erklärt wurden (vergleiche Voll 2021). Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, muss die Zukunft zeigen. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 67 <?page no="68"?> Transferaufgabe 1 Im März 2002 beschloss der Europäische Rat, die Mehrsprachigkeit der EU-Bür‐ gerinnen und EU-Bürger zu fördern. Diese Förderung bzw. Maßnahme der EU sieht vor, dass jedes Kind in der EU mindestens die Grundkenntnisse zweier Fremdsprachen erlernen soll (siehe Mitteilung der Kommission 2005). Trotz dieser Maßnahme der EU, welche häufig als 1+2 bezeichnet wird, handhaben die verschiedenen Länder ihre Formen von Mehrsprachigkeit unterschiedlich. Vergleichen Sie die Maßnahmen in Südtirol mit denen in Frankreich und überlegen Sie: Wird das Ziel erreicht, und falls nicht, welche Schwierigkeiten können Sie benennen? Das so genannte 1+2-Ziel wird nicht in allen EU-Ländern erreicht, warum greift die EU nicht ein, um ihr Ziel zu erreichen? Was könnten die Gründe für die Förderung der Mehrsprachigkeit von Seiten der EU sein? Was möchte die EU damit erreichen? Überlegen Sie die Ihnen am wichtigsten erscheinenden Aspekte. Text zur Maßnahme: Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaf‐ ten (2005) - II Eine Multilinguale Gesellschaft https: / / eur-lex.europa.eu/ legal-con tent/ DE/ TXT/ ? uri=celex%3A52005DC0596 2.1.3 Finnland: Suomi · Finland Gesellschaftliche (und historische) Rahmenbedingungen Finnland ist ein heute weltoffenes Land an der nordöstlichen Peripherie der EU mit vornehmlich positiven Rahmenbedingungen für Mehrsprachigkeit. Bereits in der Verfassung von Finnland gibt es einen eigenen Paragrafen zum Recht auf Sprache und Kultur. Danach ist das Land offiziell zweisprachig mit den zwei Nationalspra‐ chen Finnisch und Schwedisch. Zudem werden dort auch die Rechte von den zwei Minderheiten der Sámi und der Roma mit den Sprachen Samisch und Romanes sowie Gebärdensprache aufgeführt. Des Weiteren gibt es zwei Gesetze zu Sprache und zu Sprachenkompetenz; Ersteres sichert die sprachlichen Rechte der einzelnen Bürger, verpflichtet aber auch, beide Landessprachen zu lernen. Zudem regelt es, welche Kommunen auf Basis von Angaben zur Erstsprache (in Finnland zumeist nur als „Muttersprache“ bezeichnet) ihrer Einwohner einsprachig und welche zweisprachig sind. Letzteres bestimmt, welche landessprachlichen Kompetenzen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im öffentlichen Dienst vorweisen müssen. Die Mehrheit der Bevölkerung (87,6 %) gibt Finnisch als ihre Erstsprache an, während der entsprechende Wert für Schwedisch bei 5,2 % liegt (vergleiche Statistics Finland 2019). Die schwedischsprachige Bevölkerung lebt vornehmlich an der Küste und viele Finnlandschweden sind praktisch zweisprachig. Die Bedeutung von Schwedisch lässt sich mit der Geschichte begründen: Finnland war für eine lange Zeit bis 1809 Teil des schwedischen Königreichs. Schwedisch war damit Amts- und Kultursprache. Nach 68 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="69"?> 1809 war Finnland Teil des russischen Zarenreichs und gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs mit dem Aufkommen nationaler Ideen auch die Bedeutung der finnischen Sprache. Nachdem Finnland sich in den Wirren von Oktoberrevolution und Ende des Ersten Weltkriegs 1917 als unabhängig erklären konnte, ist Finnisch die stärkere Sprache, wiewohl die Verfassung als Kompromiss die Gleichwertigkeit beider Sprachen festschreibt. In Bildungskreisen war zudem bis 1945 Deutsch als Kultursprache in den Bereichen Theologie (Finnland ist mehrheitlich evangelisch-lutherisch), Philosophie und Wissenschaft verbreitet. Sprachenpolitische Diskussion Die sprachenpolitische Diskussion gehört in Finnland zum Alltag, auch wenn man es heute nicht mehr wie in den 1920er bis 1930er Jahren, kurz nach der Gründung als unabhängiger Staat, als Sprachenstreit bezeichnen kann. Die Diskussion dreht sich vor allem um die Stellung von Schwedisch - ein Schlagwort dafür ist der Begriff „Zwangsschwedisch“ (pakkoruotsi), der auf die Pflicht, in der Schule beide Landessprachen zu lernen, verweist. Für die Rechte der Schwedischsprachigen tritt in der Regel die Schwedische Volkspartei (Svenska folkpartiet) ein - eine kleine Partei, die sich für die Interessen der Finnlandschweden einsetzt und sich damit über die Sprache definiert -, während die rechtspopulistische Partei Perussuomalaiset (in etwa ‚Basisfinnen‘) sich für die Abschaffung von Schwedisch als obligatorischem Schulfach einsetzt. In vielen vor allem öffentlichen Diskussionen geht es beispielsweise darum, ob nun eine Beschilderung einsprachig Finnisch, zweisprachig Finnisch und Englisch oder dreisprachig mit Schwedisch sein sollte. Zudem wird diskutiert, ob man seine Kinder auf die schwedisch- oder die finnischsprachige Schule schickt oder in welcher Sprache (Finnisch, Englisch oder Schwedisch) wir in einer Helsinkier Kneipe bedient werden. Wichtige sprachenpolitische Änderungen der letzten Jahre waren beispielsweise, dass Schwedisch nun kein obligatorisches Abiturfach mehr ist und dass die bislang zweisprachige Kommune Espoo ihre Dienste nun auch auf Englisch anbietet. Diese Bedeutungszunahme von Englisch wird unter Sprachexperten mit einem weiteren Schlagwort bezeichnet ‚Englisch als dritte Landessprache‘ (kolmas kotimainen). In der Fachöffentlichkeit und in den Medien wird vermehrt beklagt, dass in den Schulen immer weniger Sprachen gelernt werden und dass sich die einstmals breite Sprachenkompetenz zunehmend verengt. In diesem Kontext entstand im Auftrag des Bildungsministeriums der Bericht Monikielisyys vahvuudeksi [Mehrsprachigkeit als Stärke. Bericht zu Zustand und Niveau der finnischen Sprachressourcen] (vergleiche Pyykkö 2017), der einen Überblick gibt und Vorschläge für Sprachenstrategien zur Stärkung der Mehrsprachigkeit formuliert (siehe auch die Kurzfassung Multilingualism as a strength unter www.minedu.fi/ en/ multilingualism). Es ist jedoch zu bezweifeln, inwieweit die in dem Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen auch in der Praxis umge‐ setzt werden. Denn aufgrund der neoliberalen Deregulierung des gesamten finnischen Bildungssystems sind die kommunalen Schulträger und auch die Hochschulen recht autonom und entscheiden häufig nach anderen Kriterien (vergleiche Reuter 2020: 893). 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 69 <?page no="70"?> Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf die Umsetzung von mehrsprachigkeits‐ didaktischen Ansätzen, die sich in den Rahmenlehrplänen finden. Einerseits gibt es von der obersten Schulbehörde - nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem oben angeführten Bericht - viele positive Signale und Strategien, die jedoch andererseits nur dann umgesetzt werden können, wenn auch auf der ausführenden Ebene die Vor‐ aussetzungen dafür gegeben sind (zu Mehrsprachigkeit in den Lehrplänen vergleiche Grasz 2020). Aufgabe zur Inputverarbeitung In der Publikation Multilingualism as a strength (Mehrsprachigkeit als Stärke) (siehe auch https: / / minedu.fi/ en/ multilingualism) werden verschiedene Maßnah‐ men vorgeschlagen, wie man die Mehrsprachigkeit in Finnland stärken kann. Lesen Sie das Kapitel „Fewer languages are being studied in school“ auf S. 8-9, in dem zuerst die Entwicklungen bei der Sprachenwahl in der Schule beschrieben und abschließend fünf sprachenpolitische Maßnahmen vorgeschlagen werden. Überlegen Sie und diskutieren Sie mit Ihren Lernpartnern: Wie ist die Lage in Ihrem Land oder einem Land Ihrer Wahl und welche Maßnahmen würden Sie vorschlagen? https: / / minedu.fi/ documents/ 1410845/ 5875747/ Multilingualism_tiivistelm%C3%A4.pd f/ be86bffa-d55f-4935-bff4-2fd150c82067/ Multilingualism_tiivistelm%C3%A4.pdf Sprachenkompetenz in der Gesellschaft Ganz allgemein kann man davon ausgehen, dass die meisten Finnen mehrsprachig sind. Nach einer finnischen Studie von 2012 gibt die Hälfte der Finnen an, dass sie drei Fremdsprachen (hier einschließlich Schwedisch) auf einem niedrigen jedoch nicht näher definierten Niveau beherrschen. Die am häufigsten gesprochenen Sprachen sind der Studie zufolge Englisch (90 %), die zweite Landessprache Schwedisch (71 %) gefolgt von den so genannten kleinen Sprachen Deutsch (37 %), Französisch (15 %), Spanisch (12 %) und Russisch (11 %) (vergleiche Pyykkö 2017: 14-15). Da Sprachenkompetenz nicht nur mit Sprachenlernen, sondern auch mit ihrer Verwendung zusammenhängt, wollen wir einen Blick auf die Medien werfen. Bei den Zeitungen gibt es finnisch- und schwedischsprachige Verlagshäuser mit regionalen und überregionalen Zeitungen. Das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen verfügt über Radio- und Fernsehkanäle in beiden Landessprachen. Generell werden Filme und O-Töne in Reportagen nicht synchronisiert. Im Finnischen sind Dialekte schwach ausgeprägt und spielen eine untergeordnete Rolle. Bezüglich der Verwendung in internationalen Kontexten ist, beziehungsweise war, Schwedisch für die nordische Zusammenarbeit wichtig, da die sogenannte skan‐ dinavische Interkomprehension (jeder spricht die eigene Sprache und versteht die des anderen) eine gegenseitige Verständigung ermöglicht. Wird der Kreis der Beteiligten jedoch über den skandinavischen Norden hinaus erweitert, zum Beispiel 70 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="71"?> durch Vertreter der baltischen Staaten, oder wird die Schwedischkompetenz als nicht ausreichend angesehen, so verliert Schwedisch diese Funktion an das Englische. Experiment 3 Es gibt die Hypothese, dass Regionen mit mehreren Sprachen, also mit Minderhei‐ tensprachen, häufig wirtschaftlich erfolgreicher sind als einsprachige Regionen. a. Überlegen Sie, welche Regionen in Europa sowohl mehrsprachig und vermut‐ lich besonders ‚reich‘ sind. b. Sehen Sie dann ein Video, in dem diese Hypothese formuliert wird: ‚Johan Häggman: Minoriteternas Europa‘ [Das Europa der Minoritäten]. Das Video ist auf Schwedisch (Finnlandschwedisch), und Sie verstehen bestimmt unter Zuhilfenahme Ihres germanischen Wortschatzes (und anderer Verstehensstra‐ tegien) die wesentlichen Teile. c. Machen Sie ein Gedankenexperiment und formulieren Sie Belege und Argu‐ mente, die diese Hypothese bestätigen, und solche, die sie widerlegen. https: / / vimeo.com/ 131081505 Sprachen in Schule und Hochschule Da nur wenige Leute außerhalb von Finnland Finnisch verstehen, haben Sprachen und Sprachenlernen hier traditionell einen hohen Wert. Auf allen Bildungsstufen, von der Gemeinschaftsschule bis zum Universitätsstudium, sind neben dem Unterricht in der Muttersprache die zweite Landessprache sowie eine Fremdsprache für alle Lernenden obligatorisch. Vor dem Hintergrund von Bildungsgerechtigkeit als grundlegendes Prin‐ zip bieten die kommunalen Bildungsträger für Lerner mit Migrationshintergrund bei Bedarf vor Eintritt in die Regelschule Heranführungskurse in einer der Landessprachen sowie muttersprachlichen Herkunftssprachenunterricht an. In der Gemeinschaftsschule (Klassen 1-9) beginnt der obligatorische Sprachenun‐ terricht in der Klasse 1 zunächst mit dem Unterrichtsfach „Muttersprache“ (äidin‐ kieli/ modersmål) und mit der ersten Fremdsprache, der so genannten „langen Sprache“ (Vorverlegung im Jahr 2020, davor war der Beginn in Klasse 3). In Klasse 6 folgt die zweite Landessprache. Weitere Fremdsprachen sind fakultativ und können ab Klasse 3 und später starten. In der gymnasialen Oberstufe ( Jahrgangsstufe 10-12) werden alle Fächer in 4-6-wöchigen Kursen angeboten und die Lerner wählen selbst, wie viele Kurse sie in welchen Sprachen belegen. Im Abitur sind die Muttersprache und eine Sprache (entweder die zweite Landessprache oder eine Fremdsprache) obligatorisch; fakultativ können weitere Sprachen in die Abiturprüfung eingehen. Insgesamt sind jedoch heute nur drei Sprachen, die beiden Landessprachen und eine Fremdsprache, obligatorisch. Die kommunalen Bildungsträger entscheiden dabei autonom, welche Fremdsprachen sie anbieten, was in der Praxis die Wahlmöglichkeit stark begrenzt. Nicht zuletzt deshalb lernen seit den 1990er Jahren die Schüler und Schülerinnen immer 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 71 <?page no="72"?> weniger Sprachen. Fast alle lernen, als „lange Sprache“, Englisch und immer weniger lernen eine weitere Fremdsprache (vergleiche Pyykkö 2017: 24-43; aktuelle Zahlen unter vipunen.fi). Sprachen sind auch Bestandteil aller Hochschulstudiengänge und werden dort als studienbegleitender Sprachenunterricht angeboten. Neben den beiden Landessprachen wird eine fachbezogene funktionale Kompetenz in einer Fremdsprache verlangt. In einzelnen meist wirtschaftlich ausgerichteten Studiengängen sind neben den beiden Landessprachen zwei Fremdsprachen obligatorisch, teilweise mit einem Anteil von 12-15-% der gesamten Studienleistungen. Die nach Englisch häufig gewählten Sprachen sind (in dieser Reihenfolge) Deutsch, Spanisch, Französisch, Russisch, Italienisch sowie asiatische Sprachen. Vereinzelt gibt es explizit plurilinguale Lernangebote. Zudem wird die Nutzung von Sprachen durch den Studienaustausch gefördert; in der Lehre, vor allem im Masterbereich, und in der Forschung wird zunehmend mehr Englisch verwendet. Sichtbarkeit und Verwendung der Sprachen Im öffentlichen Raum dominiert in weiten Teilen Finnlands die finnische Sprache sowohl bei der Beschilderung in den Straßen als auch an öffentlichen Einrichtungen. Beide Landessprachen sieht man nur in den zweisprachigen Kommunen im Küsten‐ gebiet, wobei die jeweilige Mehrheitssprache zuerst angeführt wird. Im privatwirt‐ schaftlichen Kontext, beispielsweise in Geschäften, dominiert weitgehend Finnisch. In touristisch bedeutenden Regionen und dazugehörigen Einrichtungen sind weitere Sprachen sichtbar. Neben Englisch war das früher besonders Russisch in Geschäften an der Landesgrenze zu Russland und ist das heute Chinesisch in den Urlaubsdestina‐ tionen in Lappland. Im Bereich der Wirtschaft gibt es regelmäßig Studien, die den Bedarf an Sprachen beschreiben. Grundtenor aller Studien ist, dass im Kontext der Internationalisierung Englisch allein nicht genügt und dass weitere Sprachen (wie Schwedisch, Russisch, Deutsch (vergleiche Breckle und Schlabach 2017) und ferner Estnisch, Chinesisch, Französisch und Spanisch) benötigt werden und diese, dann auch häufig mit Englisch kombiniert, in mehrsprachigen Situationen genutzt werden. Die Diskussion dazu ist nicht abgeschlossen und die Veränderungen durch Digitalisierung und Internationali‐ sierung bringen immer neue Faktoren mit sich. Transferaufgabe 2 Sie haben jetzt die Mehrsprachigkeit in verschiedenen EU-Ländern kennengelernt. Wie sieht die Mehrsprachigkeit in anderen Ländern Europas aus? Beschäftigen Sie sich mit der Schweiz. Welche Sprachen werden in der Schweiz gesprochen? Wie beziehen die Schule und die Hochschule die Mehrsprachigkeit der Schweiz ein? Erarbeiten Sie eine Übersicht über die mehrsprachlichen Besonderheiten der Schweiz. 72 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="73"?> 2.1.4 Zusammenfassung Südtirol, Frankreich und Finnland unterscheiden sich in ihrer Mehrsprachigkeit hinsichtlich mehrerer Aspekte: ▶ Die Geschichte hat zwar in allen drei Ländern Einfluss auf die Mehrsprachig‐ keit, jedoch unterscheiden sich die Länder hinsichtlich deren Ausgestaltung: Während Frankreich einen monolingualen Weg gewählt hat, legen Finnland und Südtirol großen Wert auf Mehrsprachigkeit. ▶ Die englische Sprache wird in Frankreich und Südtirol als Schulfremdsprache gelehrt, wohingegen sie in Finnland über die Verwendung in der Gesellschaft einen höheren Stellenwert bekommt. ▶ Dialekte sind in Südtirol sehr wichtig; in Frankreich und Finnland hingegen spielen sie eine untergeordnete Rolle. Die aufgezeigten Unterschiede machen deutlich, welche Relevanz Sprachenpolitik für die gesellschaftliche Entwicklung und für den Status von Sprachen hat. Zusätz‐ lich wird sichtbar, dass der bewusste Umgang mit Sprachenvielfalt wichtig ist und dass sprachliche Minderheiten geschützt werden müssen, um die gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. 2.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum gibt es in Südtirol drei Amtssprachen? 2. Was ist der ethnische Proporz? 3. Wie sieht das Sprachenrepertoire an der Uni Bozen aus? 4. Erklären Sie den Unterschied zwischen Sprachpolitik und Sprachenpolitik. 5. Was ist die beliebteste zweite Fremdsprache in Frankreich? 6. Wie wichtig war in Finnland Schwedisch und wie wichtig ist es heute? 7. Welche Sprachen lernen die Schüler und Schülerinnen in Finnland? 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 73 <?page no="74"?> 2.2 Herkunftssprachen an Hochschulen am Beispiel des Polnischen Barbara Stolarczyk Deutsche Hochschulen und Universitäten sind mehrsprachig. Die Mehrsprachig‐ keit äußert sich nicht nur in den Schulfremdsprachen, wie Englisch und Franzö‐ sisch, sondern auch in Herkunftssprachen, die die heutigen Studentinnen und Studenten mitbringen. Diese Lerneinheit bietet einen Überblick über die Situation von Herkunftssprecherinnen und -sprechern an deutschen Hochschulen. Nach einer theoretischen Heranführung an das Thema Herkunftssprachen wird ein Versuch unternommen, die stark heterogene Lernergruppe zu charakterisieren, indem auf ihr Potenzial hingewiesen und auf ihre Bedarfe eingegangen wird. Im Weiteren werden herkunftssprachliche Kursangebote für Polnisch am Her‐ kunftssprachenzentrum der Technischen Universität Darmstadt kurz vorgestellt. Abschließend werden die Vorteile der Herkunftssprachen im Hinblick auf die Sprecherinnen und Sprecher selbst, die Hochschulen und die deutsche Gesellschaft hervorgehoben (siehe zu dieser Lerneinheit auch Lerneinheiten 6.1 und 7.3). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein Verständnis für das Phänomen Herkunftssprachen entwickeln können; ▶ die Heterogenität der herkunftssprachlichen Lernergruppe einschätzen und dabei auf die individuellen Bedarfe eingehen können; ▶ sich die unterschiedlichen didaktischen Herangehensweisen im Unterrich‐ ten von fremd- und herkunftssprachigen Lernergruppen vergegenwärtigen können; ▶ sich den Nutzen der Förderung von Herkunftssprachen für die Lerner und Lernerinnen selbst, die Hochschulen und die Gesellschaft bewusstmachen können. Reflexionsaufgabe Sprechen Sie noch eine andere Sprache außer der Umgebungssprache in Ihrer Familie? Kennen Sie jemanden in Ihrem Freundeskreis, der eine andere Sprache neben der Umgebungssprache in seiner Familie spricht? Denken Sie über den Stellenwert dieser Sprache für sich/ einen selbst bzw. für die Familie und die Gesellschaft nach. In welchen Lebensbereichen verwenden Sie bzw. Ihr Bekannter oder Ihre Bekannte diese Sprache? Können Sie bzw. kann Ihre Bekannte bzw. Ihr Bekannter sich vorstellen, sie auch beruflich zu nutzen? Welches Prestige hat diese Sprache in der Gesellschaft? Warum? 74 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="75"?> 2.2.1 Fakten und Zahlen zu Herkunftssprachen an deutschen Hochschulen Deutschland, ein Land, in dem Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen leben, ist vielsprachig. Die „lebensweltliche Mehrsprachigkeit“ (Gogolin 2004) ist eine Gegebenheit und auch Ausdruck der vielfältigen Herkunft der deutschen Bevöl‐ kerung. Laut Statistischem Bundesamt lebten 2018 20,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Dabei definiert das Bundesamt diese Gruppe folgendermaßen: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“ (Statistisches Bundesamt 2019: 4). Seit 2016 wird in der Erhebung und Aus‐ wertung der statistischen Daten zusätzlich die im Haushalt vorwiegend gesprochene Sprache berücksichtigt. Diese Ergänzung ist für den vorliegenden Beitrag besonders relevant, denn daraus könnten vorsichtig Schlüsse gezogen werden, wie verbreitet Herkunftssprachen in der deutschen Bevölkerung sind und welche Stellung somit die „lebensweltliche Mehrsprachigkeit“ einnimmt. Ausgehend von den erhobenen statis‐ tischen Daten sind die meistgesprochenen Sprachen in der deutschen Bevölkerung - neben Deutsch - Türkisch, Polnisch und Russisch (vergleiche Statistisches Bundesamt 2019: 4). Dies beobachten wir auch an deutschen Hochschulen. Im Sommersemester 2016 hatte jede fünfte an einer deutschen Hochschule immatrikulierte Person einen Mi‐ grationshintergrund. Die meisten Angehörigen dieser Gruppe sind türkischer oder polnischer Herkunft (mit je 12 Prozent) gefolgt von Personen mit russischer Herkunft (9 Prozent). Die Mehrheit der Studentinnen und Studenten (71 Prozent) wurde in Deutschland, 29 Prozent in einem anderen Land geboren (vergleiche Middendorff et al. 2017: 11). Dabei sind die Herkunft und der Geburtsort nicht zwingend Indikatoren für die tatsächlichen sprachlichen Kenntnisse der jungen Menschen. Dennoch können wir annehmen, dass sie durch ihre Familie in Deutschland und im Herkunftsland einen erleichterten Zugang zu der jeweiligen Sprache und Kultur haben und somit möglicherweise einen besonderen Bezug zu ihnen entwickelt haben könnten. Viele sind sich ihrer familiären Wurzeln bewusst und entscheiden sich, ihre Herkunftssprache zu lernen oder zu vertiefen. Manche beschließen gar, ihre Herkunftssprache zu studieren. So stellt Mehlhorn (2020: 1292) fest, dass die Mehrheit der Lehramtsstudierenden, die Russisch studieren, bilingual (Russisch-Deutsch) in Deutschland aufgewachsen ist. Auch Vossmiller beobachtete in ihrer Studie zu Bildungsentscheidungen von mehrsprachigen Studentinnen und Studenten, „dass […] die familiäre Bildung und Bindung einen wesentlichen Antrieb für die Studierenden darstellt, sich mit der Herkunftssprache institutionell auseinanderzusetzen“ (Vossmiller 2020: 1285). Auf her‐ kunftssprachliche Studentinnen und Studenten mit der dominanten Sprache Deutsch, die ihre Herkunftssprache im Studium wiederentdecken, macht auch Hettiger aufmerk‐ sam. Gleichzeitig weist er auf die große Heterogenität dieser Gruppe hin (Hettiger 2019: 320). Der Heterogenität der herkunftssprachlichen Studierenden werden wir uns in den folgenden zwei Unterkapiteln genauer zuwenden. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 75 <?page no="76"?> 2.2.2 Die Herkunftssprache---Definitionen Neben typischen Schulfremdsprachen wie Englisch oder Französisch bringen viele Studierende eine oder mehrere Herkunftssprachen mit. In der aktuellen Diskussion über die Didaktik des Fremdsprachenunterrichts taucht immer öfter der Begriff Herkunftssprache(n) auf. In einschlägigen Werken zur Erforschung der Herkunftsspra‐ chen finden sich zahlreiche Definitionen, die je einen oder mehrere Aspekte des Phänomens Herkunftssprache in den Fokus nehmen. Der in Deutschland mittlerweile etablierte Begriff „Herkunftssprache“ (vergleiche Brehmer/ Mehlhorn 2018: 17) lässt sich aufgrund der starken Heterogenität der Gruppe der Herkunftssprecherinnen und -sprecher schwer definieren, zudem wird er nicht einheitlich verwendet. Unter Bezugnahme auf angloamerikanische Definitionen bezeichnen Brehmer und Mehlhorn (2015: 3) die Herkunftssprache im deutschen Kontext als „die zuerst erwor‐ bene Sprache eines Individuums, das selbst in einer Familie aufwächst, in der nicht (ausschließlich) die Sprache der umgebenden Mehrheitsgesellschaft verwendet wird“. Brehmer und Mehlhorn machen jedoch auf einen wichtigen Unterschied zwischen der englischsprachigen und deutschsprachigen Definition bzw. Konnotation der Begriffe aufmerksam. Während sich der angloamerikanische Begriff heritage language „auf eine Sprache, die den Kindern von den Eltern bzw. einem Elternteil im Zuge der sprachlichen Primärsozialisation mitgegeben wird, d. h. die das Kind von den Eltern als kulturelle und ggf. auch sprachliche Ressource ‚erbt‘“ (Brehmer/ Mehlhorn 2018: 18-19) bezieht, deutet der deutsche Begriff auf eine existierende direkte biografische Beziehung des Individuums zu seinem Herkunftsland hin. Sie muss nicht zwingend gegeben sein, denn viele Herkunftssprecherinnen und -sprecher wurden bereits im Aufnahmeland geboren, was wiederum eine existierende emotionale Bindung zum Herkunftsland ihrer Eltern bzw. Großeltern nicht ausschließt (vergleiche Brehmer/ Mehlhorn 2018: 19). Ferner weisen Brehmer und Mehlhorn darauf hin, dass die Herkunftssprache sich spätestens mit Eintritt des Kindes in die Schule (hier die deutsche Schule) nicht mehr so weiterentwickelt wie bei monolingual Aufwachsenden. Dadurch werden sprachliche Kompetenzen nicht gleichmäßig bzw. nicht ausreichend oder sogar kaum ausgebildet (vergleiche Brehmer/ Mehlhorn 2015: 4, 2018: 18). Diese theoretischen Definitionsunterschiede des Terminus Herkunftssprache spie‐ geln sich in mehr oder minder gelungenen Versuchen, die Zielgruppe an einigen deutschen Hochschulen zu benennen und anzusprechen, wider. Da die Identifikation von Herkunftssprecherinnen und -sprechern äußerst schwierig ist und viele Studie‐ rende sich des Potenzials und des Wertes (vergleiche Hettiger 2019: 315-318) ihrer Herkunftssprache selbst nicht bewusst sind, ergreifen einige Sprachenzentren an Hochschulen die Initiative, Sprachkurse für diese Zielgruppe einzurichten, und formu‐ lieren verschiedenste Kursbezeichnungen, wie z. B. „Russisch/ Türkisch für Insider“ an der Technischen Universität Braunschweig; „Russisch/ Türkisch als Erstsprache“ an der Universität Bremen; „Russisch/ Türkisch als Migrationssprache“ oder als „Fa‐ miliensprache“ an diversen Hochschulen (vergleiche Hettiger 2019: 327-328) sowie „Fachsprache Russisch/ Polnisch“ am Herkunftssprachenzentrum der Technischen Uni‐ 76 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="77"?> versität Darmstadt. Diese Vielfalt an Kursbezeichnungen resultiert zum einen aus der Heterogenität und somit den Bedarfen der zu unterrichtenden Zielgruppe, zum anderen aus den Gegebenheiten an der jeweiligen Hochschule. Im Folgenden widmen wir uns der Charakteristik der Herkunftssprecherinnen und -sprecher im hochschulischen Kontext. 2.2.3 Herkunftssprecherinnen und -sprecher - ihr Potenzial und ihre Bedarfe Brehmer und Mehlhorn unternehmen den Versuch, einen ‚typischen‘ Herkunftsspre‐ cher zu beschreiben und fassen seine wichtigsten Merkmale zusammen. Charakterisiert wird eine Person, ▶ die im früheren Kindesalter das Herkunftsland der Eltern verlassen hat bzw. bereits im Aufnahmeland geboren wurde, ▶ die die Herkunftssprache innerhalb der Familie gelernt hat, ▶ die die Umgebungssprache simultan oder additiv erworben hat, ▶ die außerhalb der Familie vorwiegend die Umgebungssprache verwendet, was zur Folge hat, dass diese zu ihrer dominanten Sprache wird, ▶ die über hohe sprachliche Kompetenzen in der Herkunftssprache verfügen kann, jedoch damit konfrontiert wird, dass die Nichtverwendung der Sprache zu einem Abbau der Sprachkenntnisse führt bzw. sie nicht weiter ausbauen kann (vergleiche Brehmer/ Mehlhorn 2018: 28-29). Im Folgenden werden wir uns mit dem letztgenannten Merkmal näher befassen, und zwar mit den Sprachkenntnissen in der Herkunftssprache im Kontext der Hochschule. Brehmer und Mehlhorn merken an: Herkunftssprecher können ein individuell unterschiedliches Spektrum an Kompetenzen in der Herkunftssprache aufweisen, das von rudimentären rezeptiven Kompetenzen in der Her‐ kunftssprache bis (nahezu) balancierter Sprachbeherrschung sowohl in der Herkunftssprache als auch in der Mehrheitssprache reichen kann. (Brehmer/ Mehlhorn 2015: 4) Unterricht in herkunfts- und fremdsprachlichen Kursen Wegen ihres oft unstrukturierten oder kaum vorhandenen oder nicht kontinuierlichen Erwerbs in der Familie und/ oder eines punktuellen Herkunftssprachenunterrichts während ihrer schulischen Bildung (vergleiche Reich 2014) „zeichnet sich die Gruppe der HerkunftssprecherInnen durch eine große Heterogenität in vielerlei Hinsicht“ (Kurbangulova 2018: 39) aus und befindet sich im Kontinuum zwischen Erstsprach‐ lerinnen und -sprachlern und Fremdsprachenlernern. Mehlhorn stellt in Anlehnung an Kagan und Dillon (2001) sowie Böhmer (2016) den Übungsbedarf der Fremdspra‐ chenlerner dem der Herkunftssprecherinnen und -sprecher gegenüber und schlägt unterschiedliche didaktische Herangehensweisen vor. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 77 <?page no="78"?> Tabelle 2.3: Übungsbedarf der Fremd- und Herkunftssprachenlerner (Mehlhorn 2016: o.S.) Die Herkunftssprecherinnen und -sprecher an Hochschulen hatten oder haben einen natürlichen und oft täglichen Kontakt mit der jeweiligen Sprache durch ihre familiären Beziehungen, was sie von Fremdsprachenlernern unterscheidet. Ihre herkunftssprach‐ lichen Kenntnisse ermöglichen ihnen eine hohe Progression und eine Fokussierung auf bestimmte Lernfelder und Fertigkeiten. So schlägt Mehlhorn die Fokussierung auf die Bildungssprache, die induktive Grammatik und die höhere Komplexität rezeptiver und produktiver Arbeitsaufträge mit allmählicher Verbesserung der Lexik, Grammatik und Rechtschreibung im herkunftssprachlichen Unterricht vor. Potenzial und Bedarfe der herkunftssprachlichen Gruppen Es besteht unter Sprachenlehrkräften an Hochschulen ein Konsens darüber, dass sich die Sprecherinnen und Sprecher durch eine hohe kommunikative Kompetenz in ihrer Herkunftssprache auszeichnen (vergleiche u. a. Bahr 2020: 129 für Türkisch; Krauß/ Różańska 2018: 304 für Polnisch; Ramos/ Romano 2017 für Spanisch). Hettiger (2019: 323) schlägt ein typisiertes herkunftssprachliches Kompetenzprofil vor, in dem er das Hörverstehen für gut, das Schreiben und Sprechen für häufig weniger gut ausgebildet hält. Er spezifiziert dann nach einzelnen Sprachebenen - Lexik, Morpho-Syntax sowie Phonetik und Phonologie. Auf der Ebene der Lexik wird das Vokabular in der häuslichen Domäne gut beherrscht, oft fehlt jedoch das formelle Sprachregister, und es bestehen häufig Schwierigkeiten bei der Wahl eines situationsgerechten Registers. Auf der morpho-syntaktischen Ebene sind spezifische grammatische Probleme (vor allem mit irregulären Formen) zu beobachten, auf der 78 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="79"?> Ebene der Phonetik und Phonologie sind Abweichungen in der Aussprache im Ver‐ gleich zu Erstsprachlern ohne Migrationserfahrung hörbar (vergleiche Hettiger 2019: 323). Im Folgenden schauen wir uns die einzelnen Ebenen genauer an, indem wir die Sprachkompetenzen der Herkunftssprecherinnen und -sprecher anhand von konkre‐ ten Beispielen aus herkunftssprachlichen Kursen für Polnisch im universitären Kontext betrachten. Lexik Auf der Ebene der Lexik verfügen die Herkunftssprecherinnen und -sprecher zumeist über einen relativ breiten Wortschatz, der wiederum im Bereich der Grundstufe, also bis zu der Niveaustufe B1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR), zu verorten ist und sich somit auf begrenzte Verwendungskontexte beziehungs‐ weise Situationen bezieht. Solche Aufträge, wie z. B. „Beschreiben Sie Ihr letztes Wochenende“ oder „Führen Sie ein Small Talk-Gespräch mit Ihrem Partner/ Ihrer Partnerin“, also umgangssprachliche Themen aus dem privaten Bereich, der „familiäre Beziehungen und individuelle soziale Gewohnheiten“ (Europarat 2001: Kapitel 2.1.4) umfasst, erfordern eine gute Beherrschung der Umgangssprache, der Jugendsprache und der entsprechenden Idiomatik sowie der Alltagsfloskeln - und diese bringt die Zielgruppe meistens mit. Defizite im Bereich der Lexik bestehen zumeist in der öffentlichen Domäne, die „alles, was mit normaler sozialer Interaktion zu tun hat (in Geschäften und Behörden, in öffentlichen Einrichtungen, bei kulturellen und bei Freizeitaktivitäten in einem öffentlichen Kontext, im Umgang mit Medien usw.)“ (Europarat 2001: Kapitel 2.1.4), einbezieht. Hierbei sind meistens Schwierigkeiten beim Einsatz des entsprechenden Sprachregisters beobachtbar. Die Herkunftssprecherinnen und -sprecher sind sich der Unterschiede zwischen der formellen und informellen Sprache und Sprachkonventionen zumeist nicht bewusst. Dies manifestiert sich oft in einfachsten Anrede- und Abschiedsformeln zum Beispiel im Unterricht, wenn die Lehrkraft in einem Polnischkurs mit dem umgangssprachlichen Cześć (zu Deutsch: ‚Hallo‘) begrüßt wird, anstatt mit dem in Polen in solchen Kontexten üblichen Dzień dobry (zu Deutsch: ‚Guten Tag‘). Im beruflichen Bereich zeigen sich bei Herkunftsspre‐ cherinnen und -sprechern im Vergleich zu Erstsprachlern ohne Migrationserfahrung auch Schwierigkeiten in der passenden Formulierung bestimmter Arbeitsvorgänge und im Gebrauch der Fachsprache (siehe Tab. 2.3). Häufig sind ihre Erläuterungen eher umgangssprachlich und allgemein formuliert, was zu Missverständnissen, länge‐ ren Sprachaushandlungen oder Sprachmittlung führen kann. Auch im Bereich des Bildungswesens, also im „(meist institutionellen) Lern- und Lehrkontext, in dem es um den Erwerb spezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten geht“ (Europarat 2001: Kapitel 2.1.4), besteht Handlungsbedarf (siehe Tab. 2.3). Während sie über alltägliche Themen meistens gut kommunizieren können, fällt es ihnen nicht leicht, über ihren Studien‐ alltag, ihr Studienfach oder studienbezogene Inhalte zu sprechen. Viele kennen die äquivalente Bezeichnung ihres Studienfaches in der Herkunftssprache nicht und sind 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 79 <?page no="80"?> nicht in der Lage, die in diversen Wörterbüchern vorgeschlagenen Bezeichnungen zu verifizieren. Vor allem für Studierende sind (akademische) Bildungs- und Fachsprachen von größter Wichtigkeit und bilden den Schwerpunkt universitärer Kursangebote für Herkunftssprecherinnen und -sprecher. Zur Ebene der Lexik ist allgemein noch anzumerken, dass die Studentinnen und Studenten es als schwierig empfinden, Wörter synonymisch zu beschreiben oder Textpassagen zu paraphrasieren. Dies resultiert zum einen aus der Unkenntnis synonymischer Wendungen, zum anderen aus der ungenügenden Beherrschung wenig frequenter Wörter und Kollokationen. Darüber hinaus fällt auf, dass bestimmte Strategien zur Worterfassung, wie beispielweise die Verwendung eines Synonyms, Antonyms oder einer Definition, nicht genutzt werden. Diese Strategien sind ein Bestandteil jedes fremdsprachlichen Kurses. Trotzdem lassen sie sich nicht automatisch auf die Herkunftssprache übertragen und erfordern eine Thematisierung und Einübung im herkunftssprachlichen Kurs. Dies bedeutet, dass der Prozess der Bewusstmachung von Lernstrategien Teil des herkunftssprachlichen Kur‐ ses sein sollte. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt ist das Codeswitching, also das Hin- und Herwechseln zwischen der dominanten Sprache (hier Deutsch) und der Herkunftssprache innerhalb einer Äußerung (vergleiche dazu Brehmer/ Mehlhorn 2018: 46-49). So sind Äußerungen wie diese Po zajęciach pójdę do mensy (korrekte Form: Po zajęciach pójdę na stołówkę, zu Deutsch: ‚Nach dem Unterricht werde ich in die Mensa gehen‘) für die Mitglieder einer soziolektischen Gruppe zwar verständlich, trotzdem werden sie sicherlich zu Irritationen und Nachfragen bei Erstsprachlern ohne Migrationserfahrung führen. Morpho-Syntax Auf der Ebene der Morpho-Syntax lässt sich beobachten, dass die Herkunftsspreche‐ rinnen und -sprecher über eine intuitive Beherrschung der Grammatik verfügen und sich auf ihr „Bauchgefühl“ verlassen können und auch sollten. Das kleinschrittige und aufeinander aufbauende Vorgehen beim Erwerb von grammatischen Kenntnissen, wie dies bei Fremdsprachenlernern der Fall ist (siehe Tab. 2.3), erzeugt bei Herkunfts‐ sprecherinnen und -sprechern oft Irritationen, denn zum einen kennen sie kaum die Metasprache, zum anderen setzt bei ihnen der Prozess der Sprachbewusstheit ein. Dies kann dazu führen, dass sie ihre bisher als selbstverständlich empfundenen Kenntnisse der Herkunftssprache in Frage stellen, was sich wiederum auf die Sprechflüssigkeit negativ auswirken kann. Zusätzlich kann der Grammatikunterricht dazu führen, dass die Herkunftssprecherinnen und -sprecher sich selbstständig neue Grammatikregeln erschließen, die jedoch nicht immer korrekt sind. Ferner kommt es dadurch des Öfteren zu Interferenzen und negativem Transfer aus der dominanten Sprache (hier Deutsch) in die Herkunftssprache. Dies ist am Beispiel des Polnischen oft in der Syntax beobachtbar, wenn die deutsche Verbklammer bei Modalverben oder Nebensätzen ins Polnische übertragen wird. Darüber hinaus gibt es auch Erwerbsfehler, die auf die Herkunftssprache selbst und nicht die dominante Sprache zurückzuführen sind. Damit sind Fehler gemeint, 80 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="81"?> die von Erstsprachlerinnen und -sprachlern auch begangen werden, wie zum Beispiel die Verwendung falscher Formen in der dritten Person Plural bei stark frequentierten Verben wie rozumieć und umieć (zu Deutsch.: ‚verstehen‘ und ‚können‘) der Konjuga‐ tionstypen -m, -sz: anstatt oni/ one rozumieją/ umieją (zu Deutsch.: ‚sie verstehen/ sie können‘) bilden sie die Formen rozumią/ rozumiom oder umią/ umiom. Phonetik, Phonologie und Orthografie Auf der Ebene der Phonetik und Phonologie sowie Orthografie treffen wir in der Praxis, vor allem bei Herkunftssprecherinnen und -sprechern des Russischen, aber erstaunlicherweise auch des Polnischen, auf Studierende, die sich mündlich in ihrer Herkunftssprache gut ausdrücken können, jedoch oft über keine Kenntnis des Schrift‐ systems verfügen. Im Falle des Russischen ist dies aufgrund des kyrillischen Alphabets nachvollziehbar, im Falle des Polnischen doch überraschend. Viele Studierende, die nicht über Kenntnisse des polnischen Alphabets verfügen, haben Vorurteile in Bezug auf den hohen Schwierigkeitsgrad der polnischen Schriftsprache. Die Vorurteile kön‐ nen meist innerhalb von wenigen Kurssitzungen und einem geeigneten Input sowie einem entsprechenden Training abgebaut werden. Des Weiteren neigen viele Studie‐ rende dazu, das Mündliche eins zu eins zu kodieren, ohne auf die Rechtschreibregeln zu achten, beziehungsweise polnische Laute mit deutschen Graphemen zu versehen, zum Beispiel wysoky menschtchisna (zu Deutsch: ‚ein großer Mann‘) - die korrekte Schreib‐ weise ist: wysoki mężczyzna. Auch hier sind Erwerbsfehler feststellbar, die auf die Herkunftssprache zurückzuführen sind. Dies äußert sich vor allem in der inkorrekten Schreibweise der polnischen Laute ż/ rz, u/ ó oder h/ ch, die sich in der Aussprache nicht voneinander unterscheiden, in der Schreibweise jedoch sehr wohl. Die Verwechslung dieser Laute kann einem Erstsprachler trotz eines expliziten Orthografietrainings in der Schule dennoch passieren, wobei wiederum bei Fremdsprachenlernern die Schrift von Anfang an bewusst mitgelernt wird. Diese Tatsache macht sie für Verwechslungen und somit orthografische Fehler dieses Typus weniger anfällig. In der Phonetik und Phonologie sind Herkunftssprecherinnen und -sprecher durch ihren Zugriff auf einen erstsprachlichen Input seitens ihrer Familie klar im Vorteil, dennoch haben sie manchmal einen merklichen fremdsprachlichen beziehungsweise deutschen Akzent bei bestimmten Lauten. Sporadisch fehlt ihnen die Bewusstheit für Formen mit feinen, aber doch bedeutungstragenden Unterschieden, was bei Minimal- Paaren deutlich wird, z. B. Kasia - kasza (zu Deutsch: Kasia - Mädchenvorname ‚Kati‘; kasza - ‚Buchweizen‘), proszę - prosię (zu Deutsch.: proszę - ‚bitte‘; prosię - ‚Ferkel‘). An dieser Stelle soll auch auf die Bedeutung von Sprachvarietäten kurz eingegangen werden, wobei in Bezug auf das Polnische vor allem der schlesische Dialekt hervorzuheben ist. In Kursen für Polnisch als Herkunftssprache aber auch Fremdsprache stellen Personen mit schlesischem Dialekt eine nicht zu überschätzende Gruppe dar. Trotz ihres enormen sprachlichen Potenzials vor allem als „Expertinnen und Experten“ (vergleiche Brehmer/ Mehlhorn 2018: 82), die Studierende ohne Vor‐ kenntnisse in Arbeitsgruppenphasen unterstützen, brauchen sie ein explizites Training 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 81 <?page no="82"?> der polnischen Aussprache, denn ihre Aussprache unterscheidet sich aufgrund der dialektalen und familiären Einflüsse sehr stark von der Standardsprache. Sprachmittlung als starke Kompetenz Eine Kompetenz, die bei der Zielgruppe der Herkunftssprecherinnen und -sprecher oft als Stärke angesehen wird, ist die Sprachmittlung (siehe hierzu Lerneinheit 6.2). Mehlhorn stellt fest, dass Jugendliche, die mit Polnisch und Deutsch bilingual aufgewachsen sind, „in der Regel über Sprachmittlungserfahrungen aus dem Alltag“ (Mehlhorn 2018: 73) verfügen. Deshalb plädiert sie dafür, das bereits bestehende Potenzial auszubauen. Auch De Florio-Hansen (2015: 26) und Reimann (2014: 4) unterstreichen die Relevanz der Förderung der Sprachmittlungskompetenz bei Lernern mit Migrationsgeschichte. Małolepsza betrachtet sprachmittelnde Aufgaben als einen Beitrag zum Wissensaustausch in heterogenen Gruppen und sieht darin gleichzeitig eine Förderung der Sprachentwicklung (vergleiche Małolepsza 2018: 106). Sprach‐ mittlung ist in der Definition nach Rössler (2008: 58) „die adressaten-, sinn- und situationsgerechte Übermittlung von Inhalten geschriebener und gesprochener Texte von einer Sprache in die andere“. Sprachmittlerinnen und -mittler werden mit Input in jeglicher Form (seien es mündliche Aussagen oder schriftliche Texte) konfrontiert und sollen den Inhalt mit emotionalem und kulturellem Gehalt in eine andere Spra‐ che übertragen, und zwar so, dass der Adressat die Mitteilungsabsicht verstehen kann, was „möglicherweise erklärende Zusätze, Auslassungen und Paraphrasierungen“ (Mehlhorn 2018: 71) erfordert. So sind die Herkunftssprecherinnen und -sprecher als Personen mit Insiderwissen über die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten in beiden Ländern gerade für solche Tätigkeiten prädestiniert. In dem Versuch, Herkunftssprecherinnen und -sprecher zu charakterisieren, spie‐ geln sich ihre Stärken und Schwächen wider. Mit ihren Kenntnissen der jeweiligen Sprache und Kultur stellen sie eine sehr heterogene Lernergruppe dar. Sie können ihre Kenntnisse meist nicht selbst einschätzen und neigen zu Geringschätzung oder Überschätzung. Umso wichtiger ist es, diese Lerner mithilfe geeigneter Einstufung und maßgeschneiderter Kursangebote in ihrem Lernprozess zu begleiten und zu fördern. Vor diesem Hintergrund sehen wir uns die Angebote zum Erlernen und Vertiefen einer Herkunftssprache im universitären Bereich an. Transferaufgabe 1 Sie sind Lehrkraft am Institut für deutsche Sprache an einer brasilianischen Universität und unterrichten dort Deutsch als Fremdsprache. Sie beobachten seit einiger Zeit, dass Studierende mit der Herkunftssprache Deutsch immer öfter Ihre Kurse besuchen. Aus diesem Grund möchten Sie einen zusätzlichen Kurs nur für Herkunftssprecherinnen und -sprecher anbieten. Schreiben Sie eine aussagekräftige Kursbeschreibung, in der Sie diese Zielgruppe anwerben. 82 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="83"?> 2.2.4 Herkunftssprachliche Angebote und ihr Nutzen im universitären Bereich In den letzten Jahren ist das Interesse an Herkunftssprachen und ihrer Didaktik im uni‐ versitären Kontext gestiegen (vergleiche Bahr 2020: 126). Trotzdem ist die tatsächliche Anzahl an Kursangeboten recht überschaubar. In der deutschen Hochschullandschaft werden herkunftssprachliche Kurse im Rahmen einer philologischen Ausbildung (bei‐ spielsweise zu Polonistik vergleiche Krauß/ Różańska 2018; zu Russistik Mehlhorn 2020; Vossmiller 2020) oder an Sprachenzentren angeboten. Im Folgenden schauen wir uns die Praxis am Sprachenzentrum der Technischen Universität Darmstadt exemplarisch an. Aufgabe zur Inputverarbeitung Seit 2014 besteht die Möglichkeit einer Zertifizierung für Herkunftssprachen durch das hochschulspezifische Ausbildungs- und Zertifizierungssystem für den Fremdsprachenunterricht - UNIcert® (https: / / www.unicert-online.org/ wp-conten t/ uploads/ 2019/ 04/ info_unicert_herkunftssprachen_2014.pdf). Die Hochschule Landshut bietet als eine der wenigen Hochschulen UNIcert®-Prü‐ fungen für die Herkunftssprache Russisch an. Gehen Sie bitte auf folgende Seite: ht tps: / / www.haw-landshut.de/ hochschule/ fakultaeten/ interdisziplinaere-studien/ sp rachen.html. Rufen Sie das Modulhandbuch auf und suchen Sie Informationen zu Russisch als Herkunftssprache. Analysieren Sie die Modulbeschreibungen anhand der Kriterien: ▶ Zielgruppe ▶ Voraussetzung für die Teilnahme ▶ Ziele und Inhalte des Moduls ▶ Lehrmaterial Die Sprachenzentren, die Herkunftssprachen fördern möchten, stehen oft vor der Frage, ob die Herkunftssprecherinnen und -sprecher in einem Kurs mit Fremdspra‐ chenlernern gemeinsam oder in einem für sie speziell konzipierten Kursformat unter‐ richtet werden sollen. Diese Entscheidung kann nicht pauschal getroffen werden, denn sie hängt zusammen mit den Fragen ▶ des Bedarfes: Wie viele Herkunftssprecherinnen und -sprecher sind an einem solchen Angebot interessiert und wie können sie auf das Angebot aufmerksam gemacht werden? ▶ der Finanzierung: Wie können solche Kurse finanziert werden? ▶ des Personals: Sind geeignete Lehrkräfte mit einer entsprechenden Ausbildung vor Ort und wie können sie gegebenenfalls weitergebildet werden? 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 83 <?page no="84"?> Am 2016 gegründeten Herkunftssprachenzentrum (HerSZ) der TUDa sind sich die Leh‐ renden des Potenzials und der Relevanz der Herkunftssprachen für diese Lerngruppe bewusst und liefern ein Angebot, das die Herkunftssprecherinnen und -sprecher und ihre Bedarfe in ihrer Gesamtheit in den Mittelpunkt stellt. Es werden verschiedene Kursformate in den Herkunftssprachen Arabisch, Kurdisch, Polnisch, Russisch und Türkisch angeboten, in denen Herkunftssprecherinnen und -sprecher ihre vorhande‐ nen Sprachkenntnisse ausbauen, verbessern und später auch beruflich nutzen können. Die herkunftssprachlichen Kurse fangen ab dem Niveau B1.2 an und gehen besonders auf die spezifischen Bedarfe der Zielgruppe ein. Eine weitere Besonderheit dieser Kurse ist ihre fachsprachliche Ausrichtung. Die Ziele der Kurse sind, sich sowohl mündlich als auch schriftlich adäquat in der Bildungs- und Fachsprache verständigen zu können, fachbezogene Präsentationen zu halten, eigene Positionen zusammenhängend und strukturiert formulieren und begründen zu können sowie fachbezogene Texte zu verfassen. Darüber hinaus nehmen interkulturelle Inhalte einen großen Raum ein, was zur verstärkten Bewusstmachung interkultureller Unterschiede und zur Förderung der interkulturellen Kompetenz maßgeblich beiträgt. Kursangebot am HerSZ am Beispiel des Polnischen Die Sprachenkenntnisse der Studierenden, die die Angebote des HerSZ wahrnehmen, weisen starke Unterschiede auf und variieren von den Niveaustufen B1 bis hin zu C1. Um den Herausforderungen des herkunftssprachlichen Unterrichts zu begegnen, werden im Bereich Polnisch vier verschiedene Kursformate angeboten, die jeweils andere didaktische Ziele verfolgen und sich in der Umsetzung stark unterscheiden: ▶ Projektkurse (B2), die die Lernenden in den Mittelpunkt stellen und sie durch le‐ bensnahe und lernerorientierte Aufgabenstellungen zum selbstständigen Handeln in der Herkunftssprache animieren (vergleiche Stolarczyk 2021). ▶ Tandemkurse (A2-B1/ B2), die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partner‐ universitäten in Polen durchgeführt werden (vergleiche Adamczak-Krysztofo‐ wicz/ Stolarczyk 2014). ▶ Selbstgesteuertes Lernen (B2/ C1), bei dem die Studierenden selbst die Inhalte und Schwerpunkte nach ihren eigenen Bedürfnissen und persönlichen Interessen bestimmen. ▶ Fachsprachliche Polnischkurse (B2) - schriftliche und mündliche Kommunikation. Bei dem Kurs „Fachsprache Polnisch - schriftliche Kommunikation“ handelt es sich um einen semesterbegleitenden Kurs, der studien- und berufsrelevante Textsorten fokussiert. Zu Beginn des Kurses dürfen die Studierenden über Textsorten abstimmen, die im Laufe des Semesters bearbeitet werden sollen. In der Regel sind dies fünf Textsorten, wie beispielweise E-Mail-Korrespondenz, Bewerbung und Lebenslauf, Bericht, Protokoll, wissenschaftlicher Aufsatz, Abstract etc. Die jeweilige Textsorte sollte von Studierenden in Form einer Präsentation vorbereitet werden, indem deren Aufbau, Merkmale sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der deutschen 84 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="85"?> und der polnischen Form anhand eines aussagekräftigen Beispiels vorgestellt werden. Danach folgt eine Übungsphase, in der die Textsorten unter Anleitung schrittweise verfasst und besprochen werden. Unbekannte grammatikalische Phänomene werden am Text besprochen und eingeübt (siehe Tabelle 2.3). Im Anschluss wird selbstständig ein Text zu der jeweiligen Textsorte geschrieben, der von der Lehrkraft bewertet wird. Auf diese Weise werden im Semester fünf Texte verfasst, die in die Kursnote eingehen. Der errechnete Durchschnitt aus der Bewertung aller fünf Texte ergibt die Gesamtnote, die den Leistungsnachweis darstellt. Darüber hinaus findet in jeder Sitzung eine Presseschau statt. Die Studierenden sind aufgefordert, einschlägige polnische Informationsportale und Online-Fachzeitschriften regelmäßig zu lesen und von einem für sie interessanten Ereignis kurz zu berichten. Somit trainieren die Studierenden zum einen das Leseverstehen und erweitern ihren fachsprachlichen Wortschatz, zum anderen erhalten sie Informationen über aktuelle Entwicklungen im Herkunftsland. Die Presseschau bietet ferner eine gute Plattform für sprachliche Aktivitäten in der Gruppe, wie z. B. komplexe Inhalte zusammenfassen, berichten, die eigene Meinung äußern und begründen, die Meinung der anderen kommentieren, miteinander diskutieren etc. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, ein Orthografietraining zu absolvieren. Dies passiert jedoch auf freiwilliger Basis mit geeigneten Print- und Online-Materialien, die durch die Kursleitung zur Verfügung gestellt werden. Der Heterogenität der Zielgruppe muss bei der Konzeption und Durchführung von herkunftssprachlichen Kursen Rechnung getragen werden, indem auf die individuellen Bedürfnisse der Studierenden geachtet wird und Kursinhalte dementsprechend ange‐ passt bzw. modifiziert werden. Binnendifferenzierend zu arbeiten, kann an dieser Stelle unterstützen und die jeweils unterschiedlichen Bedarfe berücksichtigen. Durch die Bereitstellung einer offenen Lernumgebung, in der die Lernenden ihre individuellen Vorlieben und Kompetenzen möglichst optimal einbringen können z.B.: durch Wahlaufgaben (die Lernenden wählen ihren Interessen entsprechend zwischen verschiedenen Aufgaben und Texten), durch die Auswahl von Kooperationspartnern bei Partner-, Gruppen- und Projektarbeit, durch Stationenarbeit (Ma‐ łolepsza/ Mehlhorn 2020: 76) könnten die Studierenden in ihrem Lernprozess unterstützt und könnte Über- oder Unterforderung vorgebeugt werden. Transferaufgabe 2 Das Secondos-Programm an der Universität Regensburg ist ein Angebot für Studierende mit bikulturellem Hintergrund und kann in Kombination mit dem Studienfach absolviert werden. Gehen Sie bitte auf die Seite https: / / www.uni-regensburg.de/ europaeum/ studium/ secondos/ programm/ index. html und erfahren Sie mehr über die Ziele, die Zielgruppe und den Ablauf des 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 85 <?page no="86"?> Programms. Überlegen Sie, welche Vor- und Nachteile solche Programme mit sich bringen, und erstellen Sie ein ähnliches Angebot für eine fiktive Universität. Der Nutzen von Herkunftssprachen für Hochschule und Gesellschaft Auch wenn uns in der Praxis immer mehr Angebote für den herkunftssprachlichen Unterricht begegnen, überwiegt doch die fehlende Bewusstheit für die Wertigkeit der Ressource Herkunftssprache. Unter dem niedrigen Prestige der Herkunftssprachen leiden nicht nur ihre Sprecherinnen und Sprecher selbst, indem sie ihr Potenzial aufgrund der fehlenden kulturellen Wertschätzung selbst nicht als solches anerkennen (vergleiche Hettiger 2019: 316-318), sondern auch die Hochschulen, die sich auf Prestigesprachen wie Englisch, Französisch und Spanisch konzentrieren, anstatt die sprachliche Vielfalt ihrer Studierenden zu fördern und somit „einen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration und zu einer kulturell reichhaltigen und mehrsprachigen Gesellschaft zu leisten“ (Hettiger 2019: 326). Nun liegt es an den Herkunftssprecherinnen und -sprechern und den Hochschulen, den Status Quo zu ändern und die „brachliegende Mehrsprachigkeitskompetenz“ (Hettiger 2019: 317) wahrzunehmen und gewinnbringend einzusetzen. Im universitä‐ ren Kontext können die Herkunftssprecherinnen und -sprecher als Brückenbauer zwischen Sprachen und Kulturen dazu beitragen, dass bilaterale Beziehungen für Forschungsprojekte aufgebaut und sprach- und länderübergreifender Transfer aktu‐ eller Forschungsergebnisse und Techniken gestärkt werden (vergleiche Brandl/ Ars‐ lan/ Langelahn/ Riemer 2013: ii). Auch für den Arbeitsmarkt stellen sie durch ihr „Eingebundensein in Netzwerke […], die nationalstaatliche Grenzen überspannen und familiärer, sozialer, wirtschaftlicher, politischer, religiöser sowie kultureller Art sein können“ (Romano-Bottke 2018: 188), ein enormes Potenzial dar. Hierbei kann der Kompetenz der Sprachmittlung besonderer Wert beigemessen werden, denn durch sie eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten des gezielten Einsatzes der Herkunftssprache: als Ingenieur auf der Baustelle, Anwältin in der Kanzlei, Arzt im Krankenhaus oder Mitarbeiterin eines Unternehmens, das Handelsbeziehungen mit dem jeweiligen Herkunftsland unterhält. Die herkunftssprachlichen Absolventinnen und Absolventen deutscher Hochschulen könnten Weichensteller für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Kulturen innerhalb Deutschlands und der ganzen Welt sein. 2.2.5 Zusammenfassung ▶ Ein Fünftel der an deutschen Hochschulen immatrikulierten Personen hat einen Migrationshintergrund. Daher kann angenommen werden, dass diese Personen neben Deutsch eine weitere Familiensprache sprechen oder einen erleichterten Zugang dazu haben. Durch familiäre Bindungen befinden sie 86 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="87"?> sich in einer besonderen Motivationslage, ihre Herkunftssprache zu erlernen beziehungsweise zu verbessern. ▶ Der Begriff Herkunftssprache wird unterschiedlich definiert. Im Wesentlichen wird sie als eine Sprache verstanden, die in der Familie gesprochen wird und sich von der Umgebungssprache unterscheidet. ▶ Die Herkunftssprecherinnen und -sprecher sind eine heterogene Lernergruppe und unterscheiden sich stark in Bezug auf die sprachlichen Niveaus, die Ausprägung der Fertigkeiten, die Art des Spracherwerbs, die Spracherfahrung und die Motivation. ▶ Trotz steigenden Bewusstseins für „lebensweltliche Mehrsprachigkeit“ fällt das spezifische Sprachenkursangebot für diese Zielegruppe an deutschen Universitäten relativ gering aus. ▶ Bei der Konzeption und Durchführung von herkunftssprachlichen Kursen muss die Heterogenität dieser Zielgruppe berücksichtigt werden, und es wäre wünschenswert, wenn ihr mit binnendifferenzierenden Maßnahmen begegnet würde. ▶ Das Potenzial der Herkunftssprecherinnen und -sprecher als Sprachen- und Kulturmittler kann sich auf die internationale Zusammenarbeit in Forschung und Lehre positiv auswirken. 2.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was zeichnet Herkunftssprecherinnen und -sprecher aus? 2. Welche Übungsbereiche bestehen bei dieser Zielgruppe und wie können sie didaktisch gestaltet werden? 3. Welche Faktoren sollen bei der Planung und Konzeption von herkunftssprachli‐ chen Kursen berücksichtigt werden? 4. Welche Vorteile für die Herkunftssprecherinnen und -sprecher selbst und die Gesellschaft bringt die Förderung der Herkunftssprache an Hochschulen? 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 87 <?page no="88"?> 2.3 Universitärer L3-Unterricht in den USA - Zur Geschichte und zum Konzept Will Travers Seit einem halben Jahrhundert - beziehungsweise wie wir sehen werden, ei‐ gentlich schon seit fast 200 Jahren - gibt es an den Universitäten in den USA immer mehr institutionalisierte Bemühungen, L3-Unterricht anzubieten. Teils als Reaktion auf historische Ereignisse, teils als Reaktion auf die Realität einer globalisierten Welt nutzen Sprachenlehrerinnen und -lehrer die Potenziale ihrer mehrsprachigen Lerner, um einzelne Fremdsprachen effizienter zu unterrichten. Insbesondere die immer größere Verbreitung des Spanischen als inoffizielle zweite Sprache der USA hat dazu beigetragen, dass vielerorts spezielle L3-Kurse in anderen romanischen Sprachen wie Portugiesisch, Katalanisch, Italienisch und Französisch angeboten werden. Weitere Ansätze spezifischer L3-Kurse gibt es für die Kombination Persisch mit Vorkenntnissen der arabischen Schrift und Japanisch mit Vorkenntnissen der chinesischen Schrift. Diese Lerneinheit zielt darauf, Sie mit dieser in den USA zunehmend verbreiteten Praxis vertraut zu machen und gleichzeitig ein Verständnis für die Vorteile zu entwickeln, die dieses Unterrichtskonzept beinhaltet. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie: ▶ die Entwicklungen des L3-Sprachenunterrichts in den USA kennen; ▶ die Vorteile des L3-Unterrichts in einer mehrsprachigen Gesellschaft aufzei‐ gen können; ▶ die Besonderheiten des jeweiligen L3-Unterrichts erkennen; ▶ die wichtigsten Vorteile des L3-Unterrichts aus der Sicht der Lerner begrei‐ fen; ▶ diese Erkenntnisse auf Ihren eigenen Unterrichtskontext übertragen können. Reflexionsaufgabe 1 Denken Sie an Ihre eigenen Erfahrungen beim Erlernen Ihrer zweiten Fremd‐ sprache zurück. Was war dabei anders als beim Erlernen der ersten Fremdspra‐ che? Abgesehen davon, dass Sie damals jünger und damit kognitiv weniger leistungsfähig waren, wie haben sich Ihre früheren Sprachlernerfahrungen auf Ihre Vorgehensweisen beim Lernen der zweiten (dritten, vierten etc.) Sprache ausgewirkt? Sind Ihnen nun beim Sprachenlernen bestimmte sprachliche Bereiche wie Strukturen, Vokabeln oder Redewendungen wichtiger als andere? Haben Sie nun mehr Selbstvertrauen in Ihre Fähigkeit, Sätze korrekt zu bilden oder diese kor‐ 88 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="89"?> rekt auszusprechen? Sind Sie im Unterricht nun motivierter und haben vielleicht weniger Angst? Und schließlich: Wie können Sie als Sprachenlehrerin oder -lehrer dafür sorgen, dass Ihre Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Vorerfahrungen optimal ausnutzen? 2.3.1 Ursprünge des L3-Sprachenunterrichts in den USA In den USA kann die Entwicklung von L3-Unterricht bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Zu der Zeit gab es an der Harvard University eine neuartige Reihe von Kursen, die von einem Emigranten aus dem sizilianischen Palermo, er nannte sich damals Pietro Bachi, angeboten wurde (vergleiche Scalia 1965). Nachdem Bachi 1826 berufen wurde, Italienisch zu unterrichten, erweiterte er schon bald sein Angebot und bot 1828 Spanisch und 1831 auch Portugiesisch an (vergleiche Marraro 1944). Die zugrunde liegende Methodik dieser Kurse wird bei der Betrachtung seiner Lehrbücher deutlich: 1829 publizierte er eine 400 Seiten umfassende Grammatik des Italienischen und zwei ergänzende Monografien. Eine davon enthielt die Anleitung, wie man vorhandene Italienischkenntnisse auf das Spanische übertragen kann (vergleiche Bachi 1832), und die andere die Anleitung, wie man das Spanische für den Portugiesischerwerb nutzen kann (vergleiche Bachi 1831). Auch wenn dieser erste Vorstoß in die L3-Lehre wahrscheinlich nur so lange dauerte, wie Bachi an der Harvard University angestellt war (vergleiche Doyle 1937), bleibt sein Einfluss durch diese kontrastierenden Lehrmaterialien auf das Gebiet der L3-Lehre unauslöschlich. Portugiesisch, Tschechisch und Bulgarisch Dass es mehr als 100 Jahre dauern sollte, bis weitere institutionelle Bemühungen unternommen wurden, um eine andere Sprache als Englisch in den Fremdsprachen‐ unterricht in den USA miteinzubeziehen, zeigt deutlich, wie weit Bachi tatsächlich seiner Zeit voraus war. Um den Fortgang der Geschichte in den Kontext zu setzen, ist es notwendig, die geopolitischen Gegebenheiten in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg zu verstehen. Nach Kriegsende hatte die US-Regierung gute Gründe, sich weiterhin in globalen Angelegenheiten zu engagieren, und begann schließlich, das Sprachenlernen in großem Umfang zu fördern. Damals hatten vorausschauende Hispanisten und Hispanistinnen dafür plädiert, die bei Portugiesischlernern üblicherweise vorhandenen Vorkenntnisse in Spanisch explizit für die Sprachvermittlung des Portugiesischen zu nutzen (vergleiche z. B. Holton 1954; Percas 1948). Diese beiden Faktoren sollten perfekt ineinandergreifen, und zwar durch erhöhte staatliche Mittel. Sie wurden aufgrund des Title VI des National Defense Education Act (NDEA) aus dem Jahr 1958 bereitgestellt, denn darin wurden Fremdsprachenkenntnisse als entscheidendes Kriterium für die nationale Sicherheit der USA angesehen. Vor allem dem Wunsch, mit der Sowjetunion konkurrenzfähig zu bleiben, ist es geschuldet, dass der NDEA ein weitaus größeres Ex‐ 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 89 <?page no="90"?> perimentieren und Ausprobieren als jemals zuvor im Portugiesischunterricht erlaubte. Zu diesem Zeitpunkt war Portugiesisch die am dritthäufigsten gesprochene Sprache auf dem amerikanischen Kontinent (vergleiche Ellison 1967). Die USA stand also vor einer lange angekündigten Wende im Sprachenunterricht. Obwohl es schwierig bleibt, genau festzulegen, wo und wann Portuguese for Spanish Speakers (abgekürzt PSS) erstmalig angeboten wurde, bringt uns die Luso-Brazilian Studies Survey, die 1969 Portugiesischprogramme an US-Universitäten und High Schools untersuchte (vergleiche Cavaco 1974), der Antwort näher. Eine Auswertung der Umfrageergebnisse zeigt, dass im akademischen Jahr 1969-1970 nicht weniger als 13 Hochschuleinrichtungen PSS in der einen oder anderen Form anboten, wobei die Einschreibung zur Teilnahme an bestimmte Vorkenntnisse in der spanischen oder einer anderen romanischen Sprache geknüpft war (die Zahlen beruhen auf Selbstauskünften und sind geschätzte Angaben). In manchen Fällen waren diese Kurse die einzigen Angebote an Portugiesischunterricht, was auch eine bis heute andauernde Gegebenheit an vielen Universitäten der USA widerspiegelt, da Portugiesisch noch immer sehr selten als erste Fremdsprache (L2) gelernt wird. Tatsächlich zeigt eine aktuelle landesweite Umfrage unter Portugiesischlehrern und -lehrerinnen, dass auf jeden Lerner auf Anfängerniveau, der zu Kursbeginn nur Englisch sprach, drei Lerner kommen, die zuvor bereits Spanisch gelernt hatten (vergleiche Milleret 2012). Eine ähnliche Situation gibt es bei den slawischen Sprachen. Nachdem in den 1980er Jahren engagierte Slawisten und Slawistinnen feststellten, wie wahrscheinlich es ist, dass Lerner einer slawischen Sprache zuvor bereits Russisch erlernt haben, haben sie den L3-Ansatz für sowohl Tschechisch (an der Princeton University) als auch Bulgarisch (an der Ohio State University) übernommen und in Pionierarbeit ebenfalls L3-Lehrbücher in jedem ihrer Experimente eingesetzt (vergleiche Gribble 1987; 2013; Townsend 1981; Townsend/ Komar 2000). Russisch übernahm in diesem L3-Unterricht von Tschechisch bzw. Bulgarisch die Rolle einer Pivot-Sprache, als einer weit verbreiteten L2, die explizit für das Erlernen einer verwandten L3 genutzt wird. Doch gerade, als die Idee eines L3-Unterrichts unter Zuhilfenahme von Russisch sich wohl hätte ausbreiten können, brachte das Ende des Kalten Krieges sinkende Zahlen an Russischlernern, was das Potenzial dieser Sprache als Pivot-Sprache deutlich verringerte. Für das Spanische war die Situation durch die zunehmende Einwanderung aus Lateinamerika genau umgekehrt. In den drei Jahrzehnten nach 1980 hat sich in den USA die Zahl der zu Hause Spanisch Sprechenden auf über 35 Millionen mehr als verdreifacht (vergleiche Shin/ Ortman 2011). Folglich gab es in den 1990er Jahren Fortschritte für PSS, nicht nur durch erweiterte Kursangebote, sondern auch durch die Einführung des ersten speziellen Lehrbuchs für Kurse auf College-Niveau an den Universitäten, das sowohl Portugiesisch als auch Englisch und Spanisch nutzte (vergleiche Simões 2008). In den folgenden 20 Jahren kam es zu einer beachtlichen Zu‐ nahme der PSS-bezogenen Forschung (vergleiche z. B. Simões/ Carvalho/ Wiedemann 2004; Wiedemann/ Scaramucci 2008), der Gründung einer unregelmäßig stattfinden‐ 90 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="91"?> den wissenschaftlichen Konferenz (vergleiche z. B. Carvalho/ Freire/ Da Silva 2010) und schließlich der Veröffentlichung eines modernen kommunikativ ausgerichteten Lehrbuchs (vergleiche Bateman/ Mattos/ Brasileiro/ Pérez Knapp/ Oliveira 2017). Dieses Lehrbuch entstand auf der Grundlage einer landesweiten Umfrage, die ermittelte, welche Inhalte PSS-Lehrer und -Lehrerinnen bevorzugten (vergleiche Bateman 2014). Um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie verbreitet der PSS-Unterricht inzwischen war, wurde - durch dieselbe Umfrage - aufgezeigt, dass an 50 der befragten 107 Bil‐ dungseinrichtungen PSS-Anfängerkurse und an 24 dieser 107 weiterführende Kurse im zweiten Semester angeboten wurden (vergleiche Bateman 2017). Da die teilnehmenden nur 53 % von allen befragten Institutionen ausmachen, kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl an PSS-Kursen etwas höher liegen dürfte. Italienisch, Katalanisch und Französisch Verglichen mit Portugiesisch ist der Unterricht in den anderen romanischen Sprachen für Spanischsprachige in den USA noch nicht so weit entwickelt, wobei ihnen unter‐ schiedlich viel Raum in den jeweiligen Lehrplänen zukommt. So sind beispielsweise nach PSS Italian for Spanish Speakers (abgekürzt ISS) die am häufigsten angebotenen Sprachkurse für zweisprachige Lerner. Diese Kurse werden oft auch als Italian for Speakers of Romance Languages bezeichnet, um den Kreis für mögliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen und damit die Anzahl an Kursanmeldungen zu erhöhen. Obwohl ISS als Schwerpunkt sprachwissenschaftlicher Forschung kaum vorkommt, wurden vor allem die Erfahrungen zweier Universitäten ausführlich dokumentiert: California State University in Long Beach (CSULB), wo ISS seit 2009 ein fester Bestandteil des Sprachangebots ist (vergleiche Donato/ Oliva 2015) und Florida State University, welche es seit 2012 anbietet (vergleiche Fornara/ Zanini-Cordi 2015). Ein auffälliges Merkmal dieser beiden ISS-Programme ist der Fokus auf Interkomprehension als Lehr- und Lernstrategie (siehe Lerneinheit 7.1) (vergleiche Donato/ Pasquarelli-Gascon 2015). Indem sie geschickt Ideen aus Europa an ihren Kontext, bei dem Spanisch neben Englisch verbreitet ist, anpassten, hat das Team der CSULB einen Ansatz entwickelt, der inzwischen von mehreren anderen Universitäten übernommen wurde. Bislang haben mindestens 25 Universitäten ISS-Programme in unterschiedlichen Formen geschaffen, von denen einige sogar fest verankerte, mehrere Semester umfassende und aufeinander aufbauende Kurse für Spanischsprachige eingerichtet haben. Im Vergleich zu ISS ist das Angebot an Katalanischkursen für Zweisprachige relativ leicht zu überschauen, da das Instituto Ramón Llull (abgekürzt IRL, ein katalanisches Kulturinstitut zur Förderung der Sprache und Kultur im Ausland) eine Übersicht über Universitäten, die Katalanischstudien als Schwerpunkt anbieten, auf seiner Webseite (h ttp: / / llull.cat) veröffentlicht. Darüber konnten 20 Universitäten in den USA identifiziert werden, die Einführungskurse in das Katalanische anbieten, wovon sich mindestens 70-% dieser Kurse an zweisprachige Lerner richten. Innerhalb dieser Gruppe von 14 L3-Kursen lassen sich drei Trends beobachten, die das Katalanische von den anderen hier behandelten Sprachen unterscheiden. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 91 <?page no="92"?> Erstens: Obwohl L3-Kurse per Definition für Zweisprachige konzipiert sind, werden Vorkenntnisse in einer anderen Sprache in fast einem Drittel dieser Katalanischkurse nur als Empfehlung, nicht aber als Voraussetzung angegeben. Zweitens heißt es für die meisten dieser Kurse, dass Vorkenntnisse in einer beliebigen romanischen Sprache ausreichen, anstatt explizit Spanisch als Pivot-Sprache zu benennen. Schließlich wird bei den meisten dieser Kurse im Titel weder ausdrücklich auf Spanischsprachige noch auf Sprecher einer romanischen Sprache hingewiesen, was auf eine klare Präferenz für eine allgemeinere Ausrichtung hindeutet. Zwar scheinen diese Formulierungen eher eine Offenheit gegenüber verschiedenen Lernern auszudrücken, was für eine weniger häufig unterrichtete Sprache, für deren Kursangebot die Anmeldezahlen gesteigert werden sollen, durchaus sinnvoll sein mag. Doch dies könnte auch dazu führen, dass Lehrer und Lehrerinnen entmutigt werden, auf andere Sprachen im Unterricht zurückzugreifen. Da die besondere Stärke des L3-Unterrichts gerade darin liegt, den Lernern zu helfen, Verbindungen zu ihrem Vorwissen in anderen Sprachen herzustellen, ist es für die Katalanischlehrer und -lehrerinnen umso wichtiger, die Auswirkungen dieser Trends zu verstehen. Und deshalb hat das IRL nun die einmalige Gelegenheit, einzugreifen, denn keine der anderen hier betrachteten Sprachen hat eine ähnliche Möglichkeit, so zentral und einheitlich die passgenauen L3-Ressourcen zu erstellen und/ oder vorzugeben, die sich für die meisten L3-Katalanischlerner als besonders hilfreich erweisen können. Zum Abschluss dieses Abschnitts kommen wir zu Französisch. Obwohl nach jüngs‐ ten Schätzungen die Anmeldezahlen für diese Sprache fast dreimal so hoch waren wie für Portugiesisch, Italienisch und Katalanisch zusammen (vergleiche Looney/ Lusin 2019), ist Französisch die Sprache unter den vier hier genannten, die am seltensten für zweisprachige Lerner angeboten wird. Diese Zurückhaltung der Französischab‐ teilungen gegenüber der Einführung des L3-Unterrichts ist zwar in Anbetracht der Anmeldezahlen vielleicht verständlich, zeugt aber von einer Fehleinschätzung des wahren Werts dieses Unterrichtskonzepts. Genau wie die vor Jahrzehnten aus der Herkunftssprachenbewegung hervorgegangenen Kurse (vergleiche z. B. Valdés 2005) ist der L3-Unterricht so konzipiert, dass die Lerner ihre sprachlichen Vorerfahrungen einbringen können - ein Konzept, das für das Französische nicht weniger gilt als für die drei anderen Sprachen. Es gibt jedoch auch eine Reihe zukunftsorientierter Universitäten, die positive Gegenbeispiele liefern. So bietet die University of Florida seit über 20 Jahren einen accelerated French course (FRE 3070) an, also einen gestrafften und somit beschleunigten Französischkurs für Studenten und Studentinnen, die bereits eine andere romanische Sprache beherrschen. Um ebendiese zweisprachigen Studenten und Studentinnen zu gewinnen, lockerte die Stanford University 2010 die Voraussetzungen für ihre accela‐ rated first-year sequence (FRENLANG 1A und 2A), so dass sich jeder Student und jede Studentin mit Kenntnissen einer romanischen Sprache einschreiben konnte, anstatt nur diejenigen, die bereits Vorkenntnisse in Französisch hatten. Die Idee eines Kurses, der speziell auf Spanischsprachige zugeschnitten ist, scheint jedoch bereits einige 92 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="93"?> Jahre zuvor an der CSULB entstanden zu sein. Der Kurs French for Spanish Speakers (FSS), der wie die oben erwähnten Italienischkurse eine auf Interkomprehension basierende Lehrmethodik verwendet, begann bereits 2007 und hat sich nicht zuletzt aufgrund finanzieller Unterstützung aus dem National Endowment for the Humanities (vergleiche Muller 2015) zu einem der beständigsten Programme überhaupt entwickelt. Andere Universitäten und Hochschulen mit FSS-Kursen sind Long Beach City College, Humboldt State University, Georgetown University und University of California, Irvine, während die University of Chicago und University of Wisconsin-Madison jeweils ihr eigenes L3-Französischprogramm für Lerner, die eine romanische Sprache sprechen, eingeführt haben. Spanisch, Persisch und Japanisch Weitere Beispiele für L3-Unterricht sind nicht einfach ausfindig zu machen. Doch je bekannter die L3-Kurse für Spanischsprachige werden, desto mehr werden diese Ansätze Nachahmer in anderen Pivot-Sprachen finden. Unsere Erfahrungen an der Georgetown University hierzu sind aufschlussreich, da zwei weitere Kurse seit der Einführung von FSS im Jahr 2016 folgten. Zunächst wird seit 2017 ein Parallelkurs mit dem Namen Spanish for French Speakers angeboten, der parallel zum FSS-Kurs läuft und zusätzlich in gemeinsamen Tandem-Sitzungen die Möglichkeit zum Austausch mit den Tandempartnerinnen und -partnern bietet. Dies geschah in völliger Unkenntnis der Tatsache, dass sowohl an der Stanford University als auch an der University of Florida bereits in den 1990er Jahren gestraffte Spanischkurse für Sprecher anderer romanischer Sprachen eingerichtet wurden. Ähnlich verhielt es sich, als 2018 an der Georgetown University ein neuer zweisemestriger Einführungskurs in Persian for Arabic Speakers aufgebaut werden sollte und man mit Überraschung erfuhr, dass das Davidson College bereits seit vier Jahren einen ähnlichen Kurs im Angebot hatte. Ein weiteres Beispiel für eine Pivot-Sprache, die in diesem Fall vor allem wegen ihrer Schriftzeichen und weniger wegen ihrer typologischen Nähe gewählt wurde, ist ein spezieller Japanischkurs für Studierende, die bereits mit chinesischen Schriftzeichen vertraut sind (Elementary Japanese 1A, 2017 an der University of California, Los Angeles eingeführt). Da das Interesse an L3-Unterricht stetig wächst, werden weitere Bemühungen der Gegenwart und Vergangenheit zum Vorschein kommen und damit breiter bekannt werden. Zusammenfassend zeigt es sich, dass die L3-Methode aus der Unterrichtspraxis heraus durch und mit Kreativität und Einfallsreichtum von Lehrern und Lehrerinnen überhaupt erst entstehen konnte. Während diese Unterrichtsform in der Vergangenheit an verschiedenen Universitäten und unabhängig voneinander jeweils im Alleingang entwickelt wurde, kann sich die Forschungsgemeinschaft nun, da etliche Beispiele bekannt sind, dafür einsetzen, dass in Zukunft diese Entwicklungsarbeit institutsüber‐ greifend und zusammen mit Curriculumsentwicklern, Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern sowie mit Sprachlehrerinnen und -lehrern gemeinsam geleistet werden kann. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 93 <?page no="94"?> 2.3.2 Vorteile des L3-Unterrichts für Lerner und Bildungseinrichtungen Nach der Darstellung der Entwicklung und dem aktuellen Stand des L3-Unterrichts in den USA werden in der zweiten Hälfte dieser Lerneinheit die Vorteile dieser Art des L3- Unterrichts erläutert. Die Darstellung wird ergänzt durch Übungen, die zum Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung mit den darin enthaltenen Aspekten anregen sollen. Dies ist verknüpft mit der Hoffnung, dass dieser Ansatz, der die Mehrsprachigkeit der Lerner berücksichtigt und explizit auf sie eingeht, bei der curricularen und didaktischen Weiterentwicklung auch an Ihrer Institution Eingang finden möge. Bevor wir fortfahren, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass es in diesem Abschnitt nicht darum gehen wird, die Vorteile eines L3-Lerners im Allgemeinen zu besprechen. Eine solche Besprechung würde den Rahmen dieser Lerneinheit sprengen, und es gibt bereits viele ausgezeichnete Quellen, die seine Stärken im Vergleich zu einsprachigen Personen, die eine zweite Sprache lernen, detailliert beschreiben (vergleiche z. B. De Angelis 2007; Hufeisen 2000; einen hervorragenden Überblick über die einschlägige Forschung in deutscher Sprache bietet Marx/ Hufeisen 2004). Stattdessen legen wir hier unser Augenmerk besonders darauf, was L3-Lerner gewinnen, wenn sie gemeinsam in speziell für Zweisprachige konzipierten Kursen lernen, statt an herkömmlichen Fremdsprachenkursen teilzunehmen. Wir beginnen damit, einige der Vorteile zu skizzieren, die sich vor allem für die Lerner ergeben, bevor wir mit den Vorteilen auf institutioneller Ebene schließen. Vorteile für den Spracherwerb Das Erlernen einer L3 im Unterricht mit Hilfe einer verwandten Pivot-Sprache bringt für den zweisprachigen Lerner eine Reihe von eindeutigen Vorteilen. Da der L3-Unter‐ richt in den meisten Fällen so konzipiert ist, dass in einer bestimmten Zeit mehr Un‐ terrichtsstoff behandelt wird als in einem herkömmlichen Fremdsprachenunterricht, kann der effizientere Spracherwerb als erster Vorteil benannt werden. In vielen Fällen bedeutet dies, Situationen zu schaffen, die - bewusst oder unbewusst - die Aktivierung früherer Spracherfahrungen der Lerner fördert. Indem sie lernen, ihr vorhandenes Wissen über die inneren Strukturen mehrerer Sprachen zu abstrahieren, sind die Lerner in der Lage, dieses metasprachliche Wissen selektiv anzuwenden und gegebenenfalls zu modifizieren, um Zugang zu einer bestimmten angestrebten Form oder Struktur zu erhalten. Der Lerner kann auf diese Weise eine beträchtliche Zeitersparnis erzielen, was der nicht-redundanten Natur der sprachlichen mentalen Repräsentation, wie sie das Cumulative Enhancement Model (vergleiche Flynn/ Foley/ Vinnitskaya 2004) postuliert, entspricht. Ein gutes Beispiel hierfür sind etwa die Formen des imparfait im Französischen und imperfecto im Spanischen (das Imperfekt in den romanischen Sprachen ist eine Kombination aus Vergangenheitsform und imperfektivem Aspekt, die sich deutlich vom Imperfekt in der deutschen Sprache unterscheidet, welches präziser als Präteritum 94 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="95"?> bezeichnet wird). Für einsprachige Englischsprachige ist dies in der Regel ein eher schwieriges Konzept, da es im Englischen zwei entsprechende Strukturen gibt, je nachdem, ob die vergangene Handlung habitual, also gewohnheitsmäßig, war, (z. B. As a child I would spend summers at the beach) oder ongoing, also fortlaufend (z. B. I was a fantastic swimmer). Hat ein Lerner jedoch die Verschmelzung dieser Strukturen z. B. im Spanischen erfolgreich gemeistert, dann wird das Erlernen des Imperfekts im Französischen oder Italienischen zu einer vergleichsweise einfachen Angelegenheit, bei der er sich nur die entsprechenden Endungen und eine Handvoll unregelmäßiger Verbstämme einprägen muss. Für jemanden, der eine zweite romanische Sprache lernt, kann die dafür benötigte Unterrichtszeit in Stunden statt in Wochen angesetzt werden. Reflexionsaufgabe 2 Denken Sie an Ihre eigenen Erfahrungen im Unterrichten von Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache. Gibt es nach Ihrer Beobachtung grammatische Strukturen oder Konzepte im Deutschen, die sich manche Lerner leichter aneignen als andere? Könnte dies daran liegen, dass sie mit einer ähnlichen Struktur oder einem ähnlichen Konzept in einer anderen Sprache bereits vertraut waren? Der L3-Unterricht profitiert auch davon, dass der Lehrer und die Lehrerin nicht nur Vorkenntnisse aktivieren kann, indem er oder sie auf Entsprechungen zwischen der Pivot- und der Zielsprache hinweist, sondern auch potenzielle Quellen für Verwirrungen explizit ansprechen kann (vergleiche Travers 2022). In den meisten Sprachenkursen in den USA, bei denen keine Kenntnisse einer anderen Sprache als Englisch vorausgesetzt werden, wäre diese Methode bestenfalls unpraktisch. Der Lehrer oder die Lehrerin müsste den pädagogischen Wert, im Unterricht eine Sprache zu benutzen, die nicht jeder Lerner spricht, abwägen. Diese Situation ist typisch für die Erfahrung vieler Französisch- und Italienischlehrer und -lehrerinnen, die aus Rücksicht auf alle anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen kein Feedback eigens für ihre spanischsprachigen Lerner geben. Im Gegensatz dazu bietet der L3-Unterricht die perfekte Gelegenheit, die Vorteile der Fehlerkorrektur so weit wie möglich zu nutzen und im Interesse von allen Erklärungen zu geben, die sich am Vorwissen der Lerner orientieren. Aufgabe zur Inputverarbeitung Stellen Sie sich vor, Sie unterrichten Deutsch als Fremdsprache und 25 % Ihrer Lerner sprechen eine romanische Sprache als L1 oder L2. Im Laufe des Unterrichts stellen Sie fest, dass diese immer wieder Sätze wie unten sagen: (1) Ich stelle das Glas auf der Tisch. / Das Glas steht auf der Tisch. (2) Fatima ist eine Freundin von mir. Seine Muttersprache ist Arabisch. (3) Deutsch ist eine Sprache sehr schwierige. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 95 <?page no="96"?> Woran könnte es liegen, dass nur die Lerner, die eine romanische Sprache sprechen, diese Art von Fehler zu machen scheinen? Wie würden Sie auf diese Fehler jeweils reagieren? Schreiben Sie Ihr Feedback für jeden dieser Fälle auf. Würde sich Ihre Reaktion ändern, wenn Sie wüssten, dass 100 % der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine romanische Sprache sprechen? Warum (nicht)? Könnte es hilfreich sein, im Zuge Ihrer Erklärungen auf Englisch zu verweisen? Ein weiterer Vorteil für den Spracherwerb betrifft vor allem diejenigen Lerner, die eine Pivot-Sprache als L2 gelernt haben. Da im Fremdsprachenunterricht in den USA andere Sprachen als Englisch in der Regel nicht systematisch in den Unterricht integriert werden, kann es passieren, dass die L3-Lerner in einem L2-Unterricht am Ende des Semesters feststellen, dass ihre nun wachsenden Kenntnisse der Zielsprache die Kenntnisse ihrer zuvor erlernten L2 zu verdrängen beginnen. Diese Art von Verlust der Pivot-Sprache kann aus einer Vielzahl von Gründen auftreten, wird aber bei einem niedrigeren Sprachniveau, einer geringen Häufigkeit der Verwendung und einer größeren Nähe (oder empfundenen Nähe) zwischen L2 und L3 noch verschärft. Eine der besten Möglichkeiten, diesem Verlust entgegenzuwirken, besteht jedoch darin, bewusst über die L2 nachzudenken und sie regelmäßig anzuwenden, und genau dazu bietet der L3-Unterricht den Lernern die Gelegenheit. Darüber hinaus besteht durch den expliziten Vergleich beider Sprachen die Möglichkeit, die Kenntnisse der Pivot-Sprache zu vertiefen und Unklarheiten zu beseitigen, bevor sie sich verfestigen (vergleiche Travers 2017). Auf diese Weise kann es zwar immer noch zu der einen oder anderen Verwirrung kommen, die aber dank der Innovationen in der L3-Didaktik wahrscheinlich weitaus geringer ausfallen wird, als es sonst der Fall gewesen wäre. Reflexionsaufgabe 3 Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass eine Fremdsprache, die Sie gerade zu lernen begonnen haben, dazu führte, dass Sie einige Aspekte dessen, was Sie in einer anderen Fremdsprache wussten, „vergessen“ haben - entweder vorübergehend oder dauerhaft? Wenn ja, denken Sie über die Faktoren nach, die diesen Verlust verursacht haben könnten. Emotionale Vorteile Im Unterricht genießen zweisprachige Lerner darüber hinaus hinsichtlich emotionaler Aspekte eine Reihe von Vorteilen beim Erlernen einer L3-Sprache, darunter vor allem ein höheres Maß an Motivation aufgrund der schnellen Fortschritte, die sie in einer zuvor unbekannten Sprache machen. Die Tatsache, dass diese Lerner bereits mindestens zwei Sprachen gelernt haben, macht es unwahrscheinlich, dass sie die gleiche Frustration erleben wie diejenigen, die zum ersten Mal eine Fremdsprache erlernen und erst noch erfahren müssen, wie es sich anfühlt, die Beherrschung einer 96 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="97"?> zweiten Sprache zu erlangen. An dieser Stelle muss auch darauf hingewiesen werden, dass nicht jeder L3-Lerner bereits Erfahrung im Erlernen einer Fremdsprache hat. Dies gilt in den USA vor allem für einige Lerner, deren Herkunftssprache Spanisch ist und die zweisprachig aufgewachsen sind, und sich vielleicht sogar zum allerersten Mal in einem Fremdsprachenunterricht befinden. Aber die Fertigkeiten und Kenntnisse, die sie möglicherweise noch nicht durch formale, schulische Ausbildung entwickelt haben (z. B. schriftliche und stilistische Fertigkeiten, grammatische Kenntnisse und metalinguistische Bewusstheit), gleichen sie in der Regel in anderen Bereichen aus (z. B. Gespür für Sprachkultur und Kontext, Wortschatz, fließendes Sprechen, Aussprache). Aufgrund der Vorteile, die ihnen durch ihre Zweisprachigkeit zuteilwerden, profitieren sie von der Teilnahme am L3-Unterricht in ähnlicher Weise wie ihre formal erfahrene‐ ren Kommilitonen und Kommilitoninnen. Und so ergibt sich der erste reine Vorteil auf emotionaler Seite eines L3-Unterrichts aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, die im Laufe des Semesters aufgebaut wird und sich auf der gemeinsamen Pivot-Sprache gründet. Zu wissen, dass jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin sowohl Englisch als auch Spanisch beherrscht, mit all den damit verknüpften sprachlichen und kulturellen Kenntnissen, gibt den Lernern das Gefühl, dass sie viel mehr mit ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen gemeinsam haben, als es in einem herkömmlichen Sprachkurs der Fall wäre. Reflexionsaufgabe 4 Denken Sie an Ihre eigenen Erfahrungen als Lerner im Fremdsprachenunterricht. Wodurch fühlten Sie sich mit Ihren Mitlernern verbunden? Als letzter didaktischer Vorteil ist zu nennen, dass sich - verglichen mit vielen der zumeist obligatorischen Anfänger-Sprachkursen an US-Universitäten - im L3-Unterricht zumeist Studenten und Studentinnen befinden, die ein wirkliches Interesse daran haben, die Zielsprache zu lernen. Die Motivation der Lerner für das Erlernen einer weiteren Sprache ist dabei durchaus unterschiedlich: Einige haben ein echtes Interesse an Sprache und Kultur und wollen beides von Anfang an durchdringen, während andere vorerst schnell die Grundlagen in einer Sprache erlernen möchten und erst später konkretere Ziele für sich festlegen. Da sich die Gruppe jedoch hauptsächlich aus erfahrenen Lernern zusammensetzt, die wissen, was ein gutes Sprachniveau ausmacht und wie man es erreicht, ist die Arbeit des Lehrers oder der Lehrerin viel einfacher und erfreulicher. Verbunden ist damit auch, dass die Lerner wissen, dass ihre Mitlerner den Spracherwerb ebenfalls ernst nehmen, wodurch die Messlatte für alle höher gelegt wird. Um den letzten Vorteil auf der emotionalen Seite zu verstehen, ist es wichtig, die Erfahrungen des L3-Lerners zu betrachten, der an einem Fremdsprachenunterricht teilnimmt, der in den USA für einsprachige Englischsprachige konzipiert ist. Wir greifen erneut das Beispiel des Erlernens des Imperfekts im Italienischen oder Franzö‐ sischen auf: In einem typischen Fremdsprachenkurs kann die Beschäftigung mit der 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 97 <?page no="98"?> Struktur dieser Sprachen und Feinheiten ihrer Anwendung mehrere Wochen dauern. Demgegenüber benötigt ein L3-Lerner vielleicht nur eine kurze Auffrischung der entsprechenden Struktur im Spanischen. Für Lerner mit Spanisch als Erstsprache ist die Situation jedoch etwas komplizierter, da es notwendig sein kann, ihnen diese Struktu‐ ren, die sie längst souverän anwenden, bewusst zu machen. Dies geschieht, indem man ihnen zeigt, wie sie Merkmale ihrer Sprache erkennen können. In einem typischen für einsprachige Lerner ausgerichteten Fremdsprachenunterricht verlieren die zwei- oder mehrsprachigen Lerner wahrscheinlich das Interesse, weil der Unterricht nur langsam voranschreitet. Im L3-Unterricht ist dieses Problem jedoch gelöst, und die zwei- und mehrsprachigen Lerner werden sich kaum langweilen und dann das Interesse verlieren. Gerade durch die Einrichtung von gezielt ausgerichtetem L3-Unterricht gelingt es, dass Fremdsprachenunterricht nicht demoralisierend, sondern vielmehr emotional unterstützend wirkt. Das fördert nicht nur die Motivation zum Weiterlernen und hat einen positiven Einfluss darauf, sich überhaupt für einen solchen Sprachkurs anzumelden. Institutionelle Vorteile Zum Abschluss des Abschnitts zu den Vorteilen des L3-Unterrichts listen wir im Folgenden kurz die Vorteile für die Bildungseinrichtungen auf, an denen diese Kurse angeboten werden. Diese Vorteile erstrecken sich nicht nur auf die Bildungs- und Forschungsgemeinschaften dieser Einrichtungen, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt, da durch diesen Unterricht die Mehrsprachigkeit gefördert wird. Der erste Vorteil ist, dass dank gestraffter Lehrpläne jetzt mehr Lerner eine Fremdsprache lernen, die sonst vielleicht nie daran gedacht hätten, dies zu tun. Dies ist eine positive Entwicklung für alle Studienprogramme, die neue Teilnehmer und Teilnehmerinnen ansprechen wollen, und bietet die Chance, dass sich mehr Menschen spezifische Fremdsprachenkenntnisse in einer Fremdsprache aneignen. Selbst Studenten und Studentinnen im letzten Semester ihres Studiums können sich noch für das Erlernen einer Sprache entscheiden, wenn sie denn wissen, dass sie in einem Semester den Stoff eines ganzen Jahres bewältigen können. Ferner können die Lerner, die mit einem gestrafften L3-Unterricht starten, schneller Fortschritte machen und so Kurssequenzen schneller absolvieren. Hieraus ergeben sich zwei konkrete Vorteile. Zum einen können sich die Studenten und Studentinnen, wenn sie sich am Ende des Semesters entscheiden, weiterhin diese Sprache zu lernen, viel früher für die content courses (d. h. weiterführende Fachkurse zu verschiedenen Themen, die in der Fremdsprache unterrichtet werden, aber nicht mehr das Erlernen der Sprache als Hauptziel haben) anmelden. Ebenso gilt: Wenn Studenten und Studentinnen ein Umfeld suchen, in dem sie komplett in die Sprache eintauchen können, um damit ihre Fähigkeiten weiter zu verbessern, werden sie sich wahrscheinlich auch noch früher für ein Auslandsstudium entscheiden. Untersuchungen haben gezeigt, dass Studenten und Studentinnen, die zu Beginn ihres Auslandsaufenthaltes schon fortgeschrittenere Kenntnisse der Grammatik und des Wortschatzes der Zielsprache haben, in größerem 98 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="99"?> Maße von ihrer Auslandserfahrung profitieren können (vergleiche z. B. DeKeyser 2010). Darüber hinaus ist der Trend zu beobachten, dass für L3-Lerner im ersten und zweiten Studienjahr häufiger Spanisch Erstsprache ist, während Studenten und Studentinnen im dritten und vierten Jahr eher Spanisch als Fremdsprache gelernt haben. Dank der gestrafften Einführung in die L3 haben diese Studenten und Studentinnen im ersten und zweiten Studienjahr nun mehr Zeit, sich auf ein Auslandsstudium vorzubereiten, was ihre Teilnahme daran sehr viel wahrscheinlicher macht. Besonders da die Sprecher von Herkunftssprachen häufig aus einkommensschwächeren Haushalten stammen, könnte das Endergebnis eine ethnisch und sozioökonomisch vielfältigere Gruppe sein, die nun gemeinsam an einem Programm teilnimmt, das manchmal als eher elitär angesehen wird. Fazit ist, dass für content courses und Studienprogramme im Ausland, die, um angeboten werden zu können, hohe Anmeldezahlen benötigen, jeder eingeschriebene Student oder jede eingeschriebene Studentin entscheidend für den weiteren Erfolg ist und L3-Kurse genau den Schub geben könnten, der hier benötigt wird. Der letzte Vorteil für die Universitäten und Hochschulen besteht darin, dass dieser Unterricht auch neue Gebiete für die linguistische Forschung schafft, insbesondere im Hinblick auf Unterrichtsmethoden, die den L3-Erwerb am besten fördern. Da sich die L3-Kurse bereits aus zwei- und mehrsprachigen Lernern zusammensetzen, bieten sie für die unterschiedlichsten und vielfältigsten Studien der Sprachenlehr-/ -lernfor‐ schung direkten Zugang zu Lernergruppen mit ähnlichem Hintergrund, Zielsprachen und linguistischen Profilen (z. B. Französischlerner, die zweisprachig in Spanisch und Englisch sind, wobei Spanisch ihre Herkunftssprache ist). Die Tatsache, dass diese Studenten und Studentinnen wahrscheinlich sprachbegeis‐ tert sind, bedeutet, dass viele von ihnen bereit sind, an solchen Studien teilzunehmen, deren potenziellen Nutzen sie leicht selbst erfassen können. Da heutzutage immer mehr Fremdsprachenlerner mehrsprachig sind, sollte die Tendenz nicht mehr sein, ihre unterschiedlichen sprachlichen Hintergründe zu ignorieren oder gar als etwas zu Vermeidendes zu behandeln. Stattdessen sollte sich die Sprachenlehr-/ -lernforschung an diese veränderte Realität anpassen, wobei L3-Unterricht eine einfache Möglichkeit bietet, eine vielfältige Gruppe mehrsprachiger Sprachenlerner zusammenzustellen und für Forschungszwecke zu gewinnen. Transferaufgabe 1 Wie sieht das typische sprachliche Profil der Fremdsprachenlerner aus, die Sie unterrichten? Ist es üblich, dass diese Lerner Englisch oder andere Sprachen beherrschen? Ist es wahrscheinlich, dass sie im Ausland studieren? Wie sieht die Kursabfolge für die verschiedenen Sprachen an Ihrer Bildungseinrichtung aus? Überlegen Sie, ob ein gestraffter Anfängerkurs (a) mehr Lerner in die Lage versetzen könnte, die nächste Stufe zu erreichen, oder (b) helfen könnte, neue Lerner zu gewinnen. Falls ja, entwickeln Sie eine Skizze für einen entsprechenden Kurs. 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 99 <?page no="100"?> Transferaufgabe 2 Wie sieht das sprachliche Profil der typischen Deutschlerner aus, die Sie unter‐ richten? Woher kommen sie und welche andere(n) Sprache(n) sprechen sie? Überlegen Sie, inwiefern Sie Erkenntnisse aus der Literatur über Deutsch als Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) oder Deutsch als zweite Fremdsprache (z. B. Kursiša/ Neuner 2006; Neuner/ Hufeisen/ Kursiša/ Marx/ Koithan/ Erlenwein 2009) in Ihren Deutschunterricht einbauen können. 2.3.3 Zusammenfassung ▶ Der universitäre L3-Unterricht in den USA hat eine lange Geschichte, die verschiedene Sprachen umfasst. ▷ In erster Linie geht es dabei um Portugiesisch für Spanischsprachige. ▷ In den letzten Jahren werden in den L3-Kursen immer mehr andere Pivot- Sprachen verwendet und Zielsprachen unterrichtet. ▶ Der L3-Unterricht bringt mehrere Vorteile mit sich, sowohl für die Lerner als auch für die Institutionen, die diese Initiativen initiieren. ▷ Zu den sprachlichen Vorteilen gehören ein effizienterer L3-Erwerb sowie ein Rückgang des negativen Transfers (insbesondere aus der Pivot- Sprache) und des Verlusts der Pivot-Sprache. ▷ Zu den emotionalen Vorteilen gehören hochmotivierte Kommilitonen, eine größere Gemeinschaft dank des gemeinsamen Sprachhintergrunds und eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass Lerner das Interesse verlie‐ ren, im Gegensatz zu einem gemischten Klassenzimmer, in dem L2- und L3-Lerner gemeinsam unterrichtet werden. ▷ Zu den institutionellen Vorteilen gehören eine höhere Zahl von Teil‐ nehmern an Sprachkursen, ein größeres Interesse an weiterführenden Kursen und am Auslandsstudium sowie die Schaffung neuer Standorte für die Mehrsprachigkeitsforschung. 2.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche war die erste L3, die in den Vereinigten Staaten offiziell unterrichtet wurde, und welche beiden Sprachen hatten die Lerner alle gemeinsam? 2. Welche Weltereignisse spielten eine Rolle beim Aufstieg und Fall des Russischen als Pivot-Sprache und dem Wachstum der PSS in den 1980er und 1990er Jahren? 3. Welche beiden Pivot-Sprachen wurden eher wegen der Vertrautheit der Schüler mit der Schrift als wegen einer engen typologischen Beziehung zur Zielsprache gewählt? 100 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten <?page no="101"?> 4. Was sind die Gründe für die Annahme, dass der L3-Unterricht den Lernern hilft, den Verlust der Pivot-Sprache zu vermeiden? 5. Warum sind L3-Lerner im L3-Unterricht wahrscheinlich motivierter als im tradi‐ tionellen Fremdsprachenunterricht? 2 Mehrsprachigkeit in spezifischen Kontexten 101 <?page no="103"?> 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten In diesem Kapitel des Kompendiums geht es um die Sprache Deutsch und darum, wie aus sprachwissenschaftlicher Sicht ihre unterschiedlichen Verwendungsweisen, aber auch ihre verschiedenen strukturellen und systematischen Eigenheiten betrachtet werden können. Während Sie sich in Lerneinheit 3.1 - Redewendungen und andere idiomatische Phraseologismen - damit beschäftigen, wie die Sprache im übertragenen und metaphorischen Sinn benutzt wird, wie sie verstanden oder auch missverstanden werden kann, schauen Sie sich in Lerneinheit 3.2 - Kulturspezifik von Textsorten - genauer an, inwiefern nicht nur einzelne Wörter oder grammatische Einheiten spezifisch für das Deutsche sind, sondern auch längere zusammenhängende Texte. Natürlich gibt es Textsorten, die sprachen- und kulturübergreifend gleich zu sein scheinen, wie beispielsweise Rezepte oder Lebensläufe, aber es gibt auch solche, die in spezifischen Ausprägungen nur in einzelnen Sprachen auftauchen. Ein Beispiel im Deutschen wäre die Textsorte „Hausarbeit“, die in geisteswissenschaftlichen Fächern häufig als Studienleistung geschrieben werden muss. Den inhaltlichen Zusammenschluss von verschiedenen, aber zusammenhängenden einzelnen Texten und Kommunikationsverläufen nennen wir Diskurse. In Lernein‐ heit 3.3 - Semantische Herausforderungen in international geführten Diskursen - betrachten wir sie in internationalen Zusammenhängen. Hier wird sprachliche Kommunikation also nicht lediglich sprachen- und kulturübergreifend, sondern auch textübergreifend untersucht und interpretiert. Die spannende Herausforderung ist in allen Lerneinheiten, dass sie nicht so klar wie Lexik im Wörterbuch oder Syntax in einer Grammatik nachgeschlagen werden können, sondern dass ein Zusammenspiel verschiedener Kompetenzen erforderlich ist, um die hier fokussierten drei Themen zu untersuchen. <?page no="104"?> 3.1 Redewendungen und andere idiomatische Phraseologismen Madeleine Schmorré In dieser Lerneinheit beschäftigen wir uns mit den sogenannten Phraseologis‐ men, von denen es in der deutschen Sprache sehr viele gibt und die je nach Definition verschiedene Arten von festen Wortverbindungen umfassen. Wenn wir Phraseologismen aus Sicht von Fremdsprachenlernern betrachten, stellt das Merkmal der Idiomatizität, also der übertragenen Bedeutung, eine Besonder‐ heit in Bezug auf ihre Semantik dar: Die Bedeutungen eines Großteils dieser Mehrwortausdrücke, besonders im Falle von Redewendungen, sind nicht auf Anhieb und ohne Vorwissen erkennbar. Redewendungen wie jemandem die Daumen drücken, etwas auf dem Kerbholz haben oder das Kind mit dem Bade ausschütten sind stark idiomatische Phraseologismen, die für DaF/ DaZ-Lerner eine Herausforderung darstellen können. Ihre Bedeutungen ergeben sich nicht aus der Bedeutung der einzelnen darin enthaltenen Wörter, sondern kommen über ihre zugrundeliegenden Metaphern, ihre Bildlichkeit oder über kulturelle und historische Bezüge zustande. Wir nehmen in dieser Lerneinheit speziell die idiomatischen Phraseologismen mit übertragener Bedeutung in den Blick und zeigen - aus der Mehrsprachigkeitsperspektive - ihre Übersetzbarkeit und Beziehung zu Phraseologismen in anderen Sprachen als der deutschen auf. Auf‐ grund ihrer semantischen Komplexität gibt es keine allgemeingültige Anleitung für das Verstehen und Nachvollziehen fremdsprachlicher Phraseologismen, da ihre Verstehbarkeit vom Vorwissen, den bereits bekannten Sprachen und der idiomatischen Kompetenz einer Person abhängt. Die Beschäftigung hiermit kann den Fremdsprachenunterricht bereichern, weil sie kulturhistorische Einblicke in eine Sprachgemeinschaft sowie Reflexionen über semantische Aspekte von Sprachen und die Wirkkraft von Sprachbildern ermöglichen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Phraseologismen in Texten entdecken, zuordnen und deren Funktion benen‐ nen können; ▶ den Idiomatizitätsgrad benennen und den Schwierigkeitsgrad für das Verste‐ hen einschätzen können; ▶ Hilfestellungen für Lerner zur (selbstständigen) Herleitung der Bedeutung aufzeigen können; ▶ die Möglichkeiten der Beschäftigung mit Phraseologismen und den damit verbundenen Mehrwert im DaF/ DaZ-Unterricht kennenlernen. 104 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="105"?> Reflexionsaufgabe Sind Ihnen die Begriffe Phraseologismus, Phrasem, phraseologische Einheit oder Ähnliches schon einmal begegnet? Was verstehen Sie darunter? Sammeln Sie konkrete Beispiele. 3.1.1 Gegenstandsbereich - Was sind Phraseologismen? In jeder Sprache gibt es feststehende Ausdrücke, die von Sprecherinnen und Sprechern zur Erfüllung verschiedener kommunikativer Absichten reproduziert werden. Sie kommen in Form von Routineformeln wie Anreden oder Abschiedsformeln (Sehr geehrte Damen und Herren, Mit freundlichen Grüßen) vor. Andere tauchen in unspezi‐ fischeren Situationen auf und dienen zum Beispiel der Bekräftigung (Ganz ehrlich, …). Von Deutschlernern werden solche Ausdrücke auch im institutionellen Fremd‐ sprachenunterricht schon ab der Niveaustufe A1 erlernt. Da für eine erfolgreiche Kommunikation zumindest eine minimale Beherrschung gewisser Phraseologismen erforderlich ist (vergleiche Zenderowska-Korpus 2017: 153), spielen Phraseologismen beim Fremdsprachenlernen von Anfang an eine wichtige Rolle. In der Phraseologismusforschung gibt es verschiedene Auffassungen darüber, wel‐ che Eigenschaften bestimmen, ob ein Mehrwortausdruck als Phraseologismus zählt. Dadurch variiert je nach Auffassung die Größe dieses Bereichs der Sprache, und es eröffnen sich weite bis nahezu unüberschaubare Forschungsfelder. Die drei in der Forschung am häufigsten angeführten Eigenschaften von Phraseologismen sind die der Polylexikalität, der Festigkeit und der Idiomatizität. Diese sind zwar nicht immer eindeutig zuordbar, ermöglichen aber Eingrenzungen und Klassifikationen im Bereich der Phraseologismen. Für die Klassifikationen ist insbesondere die Eigenschaft der Idiomatizität wichtig, da diese von Forscherinnen und Forschern mehrheitlich als Kann-Kriterium aufgefasst wird. Daraus resultiert auch die häufig formulierte Einteilung in a) Phraseologismen im engeren Sinne, zu denen nur die idiomatischen gehören, und b) Phraseologismen im weiteren Sinne, zu denen nahezu jeder feststehende Mehrwortausdruck gezählt werden kann (vergleiche Burger 2002: 392). Polylexikalität Nach unserer Definition bestehen Phraseologismen aus mindestens zwei getrennt voneinander geschriebenen Wörtern, sie sind also polylexikal (vergleiche Burger 2015: 15). Schon hier gehen die Meinungen auseinander, da manche Forscherinnen und Forscher bestimmte Komposita aufgrund ihres idiomatischen Charakters ebenfalls zu den Phraseologismen zählen. Beispiele hierfür sind Bauernfängerei oder Lauschangriff, die in diesem Zusammenhang Einwortphraseme genannt werden (vergleiche Burger 2002: 393). Aus dem Kriterium der Polylexikalität resultiert, dass wir - ungeachtet des Idiomatizitätskriteriums - Ausdrücke wie vielen Dank oder blinder Passagier 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 105 <?page no="106"?> als Phraseologismen betrachten können. Die Obergrenze, also die maximale Länge eines Phraseologismus, wird nicht in einer Wortanzahl bemessen, sondern ergibt sich aus syntaktischen Kriterien. Hier wird eine Unterscheidung zwischen satzwerti‐ gen und satzgliedwertigen Phraseologismen getroffen. Satzwertig sind Sprichwörter oder Gemeinplätze, wie zum Beispiel Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. oder Geld allein macht auch nicht glücklich. Nicht alle Phraseolo‐ gismusforscherinnen und -forscher zählen diese Fälle, die im Vergleich zu anderen Phraseologismen einen vollständigen Satz bilden, dazu (vergleiche Wotjak 2005: 373). Mehrheitlich werden für die Obergrenze nur satzgliedwertige Ausdrücke, zu denen auch die Redewendungen gehören, festgelegt (vergleiche Ehrhardt 2014: 3; Lüger 1999: 54). Satzgliedwertige Ausdrücke sind solche, die alleine noch keinen vollständigen Satz bilden: Es handelt sich um lexikalische Ausdrücke, mit denen Objekte, Tätigkeiten, Eigenschaften u.ä. bezeichnet werden und die normalerweise als Nominationseinheiten in Formulierungen eines Sprechers eingebettet sind; als solche bilden sie Teile von Aussagen, nicht bereits Aussagen selbst. Dies gilt ebenso für Wortgruppen des Typs jemandem platzt der Kragen […], [sie] bedürfen beim Gebrauch noch der Auffüllung einer Leerstelle. (Lüger 1999: 54) Festigkeit Die Festigkeit von Phraseologismen bezieht sich zum einen auf struktureller Ebene auf das (in verschiedenen deutschsprachigen Texten nachweisbare) wiederholte Auftreten des Mehrwortausdrucks, das auf dessen Gebräuchlichkeit in der Sprache hindeutet. Im Vergleich zu freien Wortverbindungen bestehen Phraseologismen demnach aus einer Kombination von Wörtern, die derart aneinandergereiht, beziehungsweise in der jeweiligen Kombination, in verschiedenen Texten wiederholt auftauchen. Phraseolo‐ gismen sind aber auch in einem pragmatischen Sinne fest, weil ihre Verwendbarkeit an spezifische Situationen oder kommunikative Handlungen gekoppelt ist (vergleiche Burger 2002: 397). Festigkeit meint in einem dritten Sinne auf psycholinguistischer Ebene die ganzheitliche Speicherung des Mehrwortausdrucks im mentalen Lexikon (vergleiche Burger 2015: 17; Hallsteinsdóttir 2001: 21). Die strukturelle Festigkeit von Phraseologismen, die sie von freien Wortverbindun‐ gen unterscheidet, äußert sich auch in ihren Restriktionen bezüglich ihrer Veränder‐ barkeit (vergleiche Burger 2015: 19-24). Der Ausdruck jemandem platzt der Kragen drückt aus, dass jemand über etwas sehr wütend wird. Will man ausdrücken, dass sich jemand beispielsweise beherrscht hat, würde man nicht sagen: Ihm ist der Kragen dabei nicht geplatzt. Passender wäre hier die Verwendung eines anderen Phraseologismus: Er hat die Fassung bewahrt. Diese Beispiele demonstrieren, dass man Phraseologismen zwar nicht beliebig verändern kann, jedoch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass Phraseologismen nur bis zu einem gewissen Grad fest sind und eine gewisse Flexibilität aufweisen: 106 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="107"?> (1) Ihr platzte gestern der Kragen. (2) Mir platzt (noch) der Kragen. (3) Hättest du das noch erwähnt, dann wäre ihm wahrscheinlich der Kragen geplatzt. Abgesehen von möglichen Ergänzungen (Sätze 1 und 2) und der Veränderlichkeit durch grammatisch-morphologische Anpassungen, wie zum Beispiel die der Verbmodi oder Tempora (Satz 3), gibt es für viele Phraseologismen auch varietätenbedingt verschiedene Nebenformen, zum Beispiel den Austriazismus jeden Schilling zweimal umdrehen (statt Pfennig) (vergleiche Burger 2015: 208). Idiomatizität Den Kernbereich der Phraseologismen bilden diejenigen, die einen idiomatischen Charakter haben. Idiomatische Ausdrücke haben eine übertragene Bedeutung. Das bedeutet, dass sich die Gesamtbedeutung nicht aus ihren einzelnen Konstituenten ergibt. Sie haben eine wörtliche und eine figurative Lesart, was anhand von zwei Beispielen erläutert werden soll: (4) etwas liegt auf der Hand (= etwas ist offensichtlich) (5) ein ungläubiger Thomas (= ein Skeptiker; jemand, der an allem zweifelt) Die wörtliche Lesart von (4) führt noch nicht zur eigentlichen Bedeutung des Phraseo‐ logismus (etwas ist offensichtlich). Wir können relativ leicht einen Zusammenhang zwischen dem Vorstellungsbild, das die wörtliche Lesart hervorruft (etwas wird auf der Handfläche für jeden sichtbar dargeboten), und der übertragenen Bedeutung herstellen. Das Zustandekommen der Bedeutung lässt sich mit der Motiviertheit eines idiomatischen Phraseologismus erklären (dazu mehr in dieser Lerneinheit in Abschnitt 3.1.3). Anders ist es im Falle von (5). Um hier zu entschlüsseln, worin der Zusammenhang zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung besteht, benötigt man erweitertes Wissen: in diesem Fall gewisse Bibelkenntnisse. In beiden Fällen unterscheidet sich die wörtliche sehr stark von der übertragenen Bedeutung. Phraseologismen sind unterschiedlich stark idiomatisch, weshalb in der Phraseo‐ logismusforschung eine Einteilung in vollidiomatisch, teilidiomatisch und nicht‐ idiomatisch vorgenommen wird. Bei vollidiomatischen Phraseologismen ist jede Konstituente idiomatisch (6), bei teilidiomatischen Phraseologismen nur ein Teil (7). Die idiomatische(n) Konstituente(n) sind in den folgenden Beispielen jeweils unterstri‐ chen: (6) roter Faden (7) einen Streit vom Zaun brechen Bei nichtidiomatischen Phraseologismen handelt es sich unter anderem um feste Wortverbindungen wie strukturelle Phraseologismen (in Bezug auf, weder … noch) oder Routineformeln (Viele Grüße) (vergleiche Burger 2002: 398; Donalies 2009: 21; Römer/ Matzke 2010: 52; Wotjak 2005: 372). Grenzfälle, die weder nichtidiomatischen 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 107 <?page no="108"?> noch teilidiomatischen Phraseologismen eindeutig zugeordnet werden können, stellen die sogenannten Kollokationen dar (vergleiche Hausmann 2004; Ulrich 2018). Ihr Idiomatizitätsgrad ist umstritten, weil es verschiedene Auffassungen darüber gibt, ob sie eine Komponente beziehungsweise ein Wort mit übertragener Bedeutung enthalten und somit teilidiomatisch wären, oder ob dieses Wort polysem, also mehrdeutig, ist, wodurch sie als nichtidiomatisch eingestuft werden können: Nicht selten finden sich unter den Items solche, die bei näherer Betrachtung als teilidiomatisch aufgefasst werden können, je nachdem, ob man die Bedeutung des jeweiligen Verbs als metaphorisch versteht (oder als ein Fall von Polysemie), z. B. Opfer fordern, den Tod finden, die Sprache verlieren, heiße Spur, bitter nötig. (Burger 2015: 39) Im Falle (voll)idiomatischer Phraseologismen stellt sich für die Fremdsprachendidaktik die Frage, in welchem Umfang und mit welchem Ziel diese im Fremdsprachenunterricht behandelt werden sollten. Hallsteinsdóttir, Šajánková und Quasthoff (2006) ermittelten über Frequenzuntersuchungen und Geläufigkeitsbefragungen ein phraseologisches Optimum für den DaF-Unterricht. Davon bilden insgesamt 143 den für den Einsatz im DaF-Unterricht vorgeschlagenen Kernbereich und sind als Liste, bestehend aus Phraseologismen verschiedener Art und unterschiedlichen Idiomatizitätsgrads (zum Beispiel auf Anhieb, Schlange stehen und zwischen den Zeilen lesen (können)), der genannten Untersuchung angehängt (vergleiche Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff 2006: 133-136). 3.1.2 Textuelle und pragmatische Eigenschaften An der Schnittstelle zwischen Phraseologie und Textlinguistik werden Eigenschaften von Phraseologismen, die diese im Text erfüllen, untersucht. Hier gilt, dass generelle Aussagen über die Funktion eines Phraseologismus nicht möglich sind, da für die Interpretation immer die Textsorte und die kommunikative Situation berücksichtigt werden müssen (vergleiche Lenk/ Stein 2011: 8). Manche Phraseologismen haben eine textkonstituierende Funktion, die entsteht, weil sie an spezifische Textsorten gebunden sind und durch ihr Vorkommen im Text diese Textsorte konstituieren beziehungsweise auf sie hinweisen (vergleiche Beckmann/ König 2002: 424). Darüber hinaus tragen auch andere phraseologische Verfahren zur Textbildung bei, so etwa das Spiel mit wörtlichen/ phraseologischen Lesarten, die Positionierung von Phrasemen (z. B. am Anfang oder Ende eines Abschnitts/ Texts), die Etablierung bestimmter Stilebenen oder die Verwendung metakommunikativer Gliederungsformeln. (Lüger/ Zenderowska-Korpus 2017: 10) Demnach dienen Phraseologismen auch der Textgliederung und Textorganisation, indem sie an bestimmten Stellen des Textes oder der Textabschnitte platziert werden. So stehen beispielsweise Abschieds- und Grußformeln immer am Ende oder Anfang eines Schreibens (siehe Lerneinheit 3.2). 108 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="109"?> Für die Herstellung von Textkohärenz sorgen Phraseologismen im Text durch satzübergreifende Beziehungen, die von Verweisen innerhalb des Textes (zum Bei‐ spiel siehe unten) (vergleiche Beckmann/ König 2002: 425) bis hin zu semantischen Verknüpfungen (vergleiche Bachmann-Stein 2011: 26-30) reichen. Letztere spielen beispielsweise häufig in der kommerziellen Werbung eine Rolle, wenn über eine Abbildung eine Verbindung zu einem bildlichen Phraseologismus aus dem Textteil hergestellt und somit die wörtliche Lesart eines idiomatischen Phraseologismus ak‐ tiviert wird (vergleiche Stöckl 2004: 39-40). Dies ist beispielsweise der Fall in der Werbung eines Automobilherstellers für ein Cabriolet, die mit dem Spruch „Wer Gegenwind liebt, zeigt sich offen“ versehen ist. Wie Rentel (2011: 59) zeigt, findet hier eine Remotivierung statt, da der Werbespruch in einer zweiten, wörtlichen Lesart verstanden werden soll. Gegenwind wird hierbei mit Fahrtwind gleichgesetzt und sich offen zeigen bedeutet in diesem Fall mit geöffnetem Verdeck fahren. Der Werbeslogan kann demnach zum Beispiel mit der folgenden phraseologischen Lesart interpretiert werden: „Wer Diskussionen/ Auseinandersetzungen/ Kontroversen liebt, der ist Gegenargumenten und alternativen Sichtweisen gegenüber aufgeschlossen“ (Rentel 2011: 59). Wie wir im Zusammenhang mit der Festigkeit gesehen haben, sind Negationen oder andere Modifikationen von Phraseologismen häufig nicht möglich. Gerade in der Werbung werden aber Modifikationen häufig eingesetzt, weil dadurch Effekte entstehen, die kreativ und sprachspielerisch genutzt werden. So kann zum Beispiel auch durch eine Modifikation im Falle von idiomatischen Phraseologismen deren wörtliche Bedeutung aktualisiert werden (vergleiche Janich 2005: 49). Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 In der Werbung eines Reiseveranstalters heißt es: Ein idealer Ort, um dem grauen Alltag die sonnige Schulter zu zeigen ( Janich 2006: 179). Welche Redewendung wurde hier modifiziert? Recherchieren Sie ihre Bedeutung und überlegen Sie, welchen Effekt die Modifikation der Redewendung in dieser Werbung hat. Die Gebundenheit bestimmter Phraseologismen an gewisse Textsorten stellt einen weiteren Aspekt ihrer Festigkeit aus pragmatischer Perspektive dar. Die kommunika‐ tiv-pragmatische Eigenschaft von Phraseologismen konzentriert sich auf die Funktion von Phraseologismen und geht dabei über eine reine Bedeutungsbeschreibung, die in systemlinguistischen Ansätzen erfolgt, hinaus (vergleiche Beckmann/ König 2002: 421; Lüger/ Zenderowska-Korpus 2017: 7). Pragmatische Phraseologismen können situationsunabhängig sein, in dem Sinne, dass sie in vielen Kontexten auftauchen und beispielsweise der Gesprächssteuerung dienen (zum Beispiel Ich glaube oder Nicht wahr? ). Es gibt jedoch auch welche, wie Ich eröffne die Verhandlung, die sehr restringent beziehungsweise sehr stark situationsgebunden sind (vergleiche Beckmann/ König 2002: 424). 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 109 <?page no="110"?> 3.1.3 Idiomatizität und Verstehbarkeit Wie verdeutlicht wurde, ist für Fremdsprachenlerner die Bedeutung von idiomatischen Phraseologismen, also dem Kernbereich der Phraseologismen, nicht immer ohne Vor‐ wissen verständlich. Manche Phraseologismen sind verstehbarer als andere. Verstehbar meint hier die potentiell mögliche Herleitbarkeit der Bedeutung (vergleiche Burger 2015: 67-69). Die Verstehbarkeit ergibt sich zum einen aus der Motiviertheit (siehe weiter unten). Zum anderen ist der Kontext, in dem ein Phraseologismus verwendet wird, entscheidend dafür, ob er verstanden wird. Es spielen außerdem individuelle Faktoren der Lerner eine Rolle, wie beispielsweise ihre idiomatische Kompetenz (vergleiche Ehrhardt 2014). Weiterhin kann es entscheidend sein, ob ein ähnlicher Phraseologismus in der Erstsprache oder den weiteren Sprachen des Lerners existiert, über den sich, wenn er bekannt ist, die Bedeutung herleiten ließe. Ein Beispiel hierfür ist das Paar der folgenden Redewendungen in Deutsch und Farsi, die beide jemanden unterstützen bedeuten. (8) jemandem unter die Arme greifen (9) تسد ریز لاب یسک ندرک (wörtlich: jemandem unter die Flügel greifen) Es gibt Phraseologismen, die zwar wörtlich das Gleiche bedeuten, aber deren Bedeu‐ tungen unterschiedlich nuanciert sind (sogenannte Quasisynonyme/ Quasiäquivalente (Dobrovolʹskij/ Piirainen 2009: 148)). Vor allem bei solchen Phraseologismen, die sich in zwei Sprachen ähnlich sind und deren Bedeutungsunterschiede erst im Kontext erkennbar werden, besteht die Gefahr, dass sie von fremdsprachigen Diskursteilneh‐ merinnen und -teilnehmern (siehe Lerneinheit 3.3) gleichgesetzt werden und sich dadurch Missdeutungen ergeben (vergleiche Dąbrowska-Burkhardt 2017: 141-147). Der polnische Ausdruck ucieczka do przodu, der wörtlich die Flucht nach vorn bedeutet, stellt zusammen mit dem entsprechenden deutschen Phraseologismus ein Äquivalenz‐ paar dar, deren Bedeutungen sich unterscheiden: In der deutschen Sprache bezeichnet das Idiom Flucht nach vorn eine besondere Art von Ri‐ siko, die mit der Hoffnung auf einen gewissen Gewinn verbunden ist. Im Polnischen hingegen bezieht sich das Idiom ucieczka do przodu auf diejenigen, die vor Schwierigkeiten fliehen, indem sie sich anderswo abzusichern versuchen, dabei aber den wirklichen Problemen aus dem Weg gehen. (Dąbrowska-Burkhardt 2017: 142) Redewendungen können sich also trotz ihrer wörtlichen Übereinstimmung in ihrer Bedeutung teilweise unterscheiden und deswegen nicht in allen Kontexten als Äqui‐ valente fungieren. Nicht nur die Ausgangssprachen einer Person bedingen verschiedene Wege der Bedeutungsherleitung, sondern auch die Art, wie die phraseologische Bedeutung zustande kommt, spielt eine Rolle. Die Verbindung zwischen der wörtlichen und der übertragenen Bedeutung eines Phraseologismus ergibt sich aus dessen Motiviertheit (weitere, zum Teil synonym verwendete Begriffe aus der Forschungsliteratur in diesem Kontext sind Motivation, Motivierung oder auch Transparenz) (vergleiche 110 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="111"?> Dobrovolʹskij/ Piirainen 2009: 18). Wir stellen hier einige Typen der Motiviertheit vor, da sie es ermöglichen, im Fremdsprachenunterricht idiomatische Phraseologismen nicht nur als arbiträre Wortverbindungen zu behandeln, sondern sie kognitiv zu erfassen. Motiviertheit von Phraseologismen Die Fremdsprachendidaktik plädiert für einen kognitiv orientierten Umgang mit Phra‐ seologismen. Er verfolgt unter anderem das Ziel, die metaphorische und idiomatische Kompetenz der Lerner weiterzuentwickeln (vergleiche Beißner 2001; Gündoğdu 2007; Kispál 2011; Koch 2010; Weininger 2013). Diese Form des Zugangs ist anspruchsvoller als unreflektiertes Auswendiglernen der Wortverbindungen. Er bezieht zum Beispiel das phraseologische Bild mit ein, wodurch sowohl die Verstehensals auch die Behaltensleistung unterstützt werden (vergleiche Beißner 2001: 124-125; Kestner 2017: 14). Wenn wir davon ausgehen, dass Phraseologismen nicht arbiträr sind, die Anein‐ anderreihung der darin vorkommenden Wörter also in keinem willkürlichen Zusam‐ menhang zur phraseologischen Bedeutung stehen, dann nehmen wir an, dass ein Zusammenhang zwischen der wörtlichen Lesart eines Phraseologismus und seiner Bedeutung besteht. Experiment 1 Recherchieren Sie die Bedeutung des Ausdrucks jemandem einen Korb geben und im nächsten Schritt, woher der Ausdruck stammt. Suchen Sie nach 10 weiteren Phraseologismen und deren Bedeutungen. Recherchieren Sie auch hier, woher die Ausdrücke stammen und fassen Sie die Phraseologismen nach ihrer Art des Zusammenhangs in Gruppen zusammen. Der Phraseologismus jemandem einen Korb geben dürfte den meisten Sprecherinnen und Sprechern mit der Erstsprache Deutsch bekannt sein, auch wenn sie die gängige Erklärung, die auf einen mittelalterlichen Brauch zurückgeht (Duden 2008: 441), nicht kennen. Für die Erklärung einer Vielzahl idiomatischer Ausdrücke innerhalb einer Sprache, darunter auch Phraseologismen, wurden im Rahmen der in den 1980er Jahren von Lakoff und Johnson formulierten Konzeptuellen Metapherntheorie Denkmuster heran‐ gezogen. Die zentrale Idee dieser Theorie ist, dass unser Denken in erfahrungsbasierten Denkmustern beziehungsweise konzeptuellen Metaphern strukturiert ist, was sich auf unser Wahrnehmen, Denken, Handeln und unsere Sprache auswirkt (vergleiche Lakoff/ Johnson 2011: 11). Dem Phraseologismus einen Tiefpunkt erreichen liegen beispielsweise nach der Konzeptuellen Metapherntheorie die Metaphern GUT IST OBEN und SCHLECHT IST UNTEN zugrunde (vergleiche Debatin 1995: 243). Unbekannte Phraseologismen in einer Fremdsprache können nach dieser Theorie 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 111 <?page no="112"?> verstanden werden, wenn die jeweilige konzeptuelle Metapher als Denkmuster bei Lernern vorhanden ist oder aufgrund ihres Ursprungs in physischen Erfahrungen von ihnen nachvollzogen werden kann. Eine Sensibilisierung für die unterschiedlichen Versprachlichungen der zugrundeliegenden Deutungsmuster und Deutungsrahmen kann dazu beitragen, die interkulturelle Handlungskompetenz der Lerner zu fördern (vergleiche Kestner 2017; Koch 2010; Szatmári 2009). Da metaphorische Ausdrücke bestimmte Denkmuster aktivieren, können sie im Unterricht auch genutzt werden, um die Bewusstheit dafür zu erhöhen, dass mit der Wortwahl stets Meinungen und Überzeugungen transportiert werden. Einen Zugang zur Bedeutung eines Phraseologismus schafft auch das phraseologi‐ sche (Vorstellungs-)Bild, wobei mit Bildhaftigkeit nicht nur rein visuelle Vorstellungen gemeint sind, sondern alle auf sensorischen Wahrnehmungen beruhenden mentalen Vorstellungen. Bei den folgenden Phraseologismen hängt ihre Bedeutung mit der Vorstellung einer sensorischen Wahrnehmung zusammen: etwas in die Hand nehmen (taktil/ haptisch), den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen (visuell), den Braten riechen (olfaktorisch), die bittere Pille schlucken (gustatorisch), wer nicht hören will, muss fühlen (auditiv/ haptisch), festen Boden unter den Füßen haben (motorisch) (vergleiche Burger 2015: 93; Stöckl 2004: 224). Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Die Metaphorizität und die damit verbundene Bildhaftigkeit ist eine Eigenschaft idiomatischer Phraseologismen, durch die sie nachvollziehbarer und verstehbarer werden. Die Eigenschaft von Phraseologismen oder anderen lexikalisierten Me‐ taphern kann aber auch genutzt werden, um Überzeugungen und Meinungen wiederzugeben (zum Beispiel in den Medien). Recherchieren Sie das Experiment von Thibodeau und Boroditsky (2011) und beschreiben Sie anhand dessen, wie die Wahl der Metapher unsere Meinung und Einstellung beeinflussen kann. Vor allem solche Phraseologismen, denen historisches Wissen, literarisches Wissen oder Wissen über kulturgebundene Konventionen zugrunde liegt (vergleiche Dobro‐ volʹskij/ Piirainen 2009: 37), sind schwieriger zu verstehen, weil sie sich nicht alleine aus dem Bild oder einer von diesen Wissensarten unabhängigen Metapher erklären lassen. Experiment 2 Recherchieren Sie die Bedeutung der Redewendung ein rotes Tuch für jemanden sein. Stellen Sie Vermutungen über ihre Motiviertheit an. Überprüfen Sie Ihre Vermutungen, indem Sie die Bedeutung recherchieren. 112 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="113"?> Nach der Frame-Semantik (siehe Lerneinheit 3.3) benötigt man, um eine Verbindung zwischen dem Phraseologismus ein rotes Tuch für jemanden sein und seiner Bedeutung ein Anlass dazu sein, jemanden immer wiederkehrend zu reizen/ äußerst wütend zu machen herstellen zu können, Wissen, das Bestandteil des Frames STIERKAMPF ist (vergleiche Dobrovolʹskij/ Piirainen 2009: 24-27). Äquivalenzen und Übersetzbarkeit Für die Übersetzbarkeit von Phraseologismen spielen Entsprechungsbeziehungsweise Äquivalenzkategorien eine Rolle. Wie wir gesehen haben, haben manche Phraseo‐ logismen in einer anderen Sprache phraseologische Entsprechungen mit nahezu identischer Bedeutung und/ oder identischer Form und/ oder identischem Bild (verglei‐ che Hallsteinsdóttir 2001: 88; Koller 2007: 605-606). Andere hingegen haben keine phraseologische Entsprechung und können nur mit Einwortlexemen oder mittels Umschreibungen übersetzt werden. Nicht nur bei der Übersetzung von Texten, sondern auch beim Erstellen von Wörterbüchern stellen Phraseologismen deshalb eine große Herausforderung dar. Übersetzerinnen und Übersetzer müssen bei Phraseologismen immer wieder neu abwägen, wie weit sie den übersetzten Text zugunsten der Les- und Verstehbarkeit vom Original wegführen. Bei der Übersetzung von Phraseologismen in Einzellexeme gehen häufig semantische und pragmatische Eigenschaften sowie der mit Phraseologismen verbundene Mehrwert verloren, durch den der Text eine gewisse „Expressivität“ oder „Lebendigkeit“ erhält (vergleiche Bachmann-Stein 2011: 35-36; Sabban 2010: 192-193). Oft stellen für Fremdsprachenlerner Übersetzungen von Kollokationen ein Pro‐ blem dar. Kollokationen, deren Zugehörigkeit zu Phraseologismen nach wie vor umstritten ist, stellen aufgrund ihres wenig bis nichtidiomatischen Charakters (siehe Lerneinheit 3.1.3) keine ebenso große Verstehenshürde dar wie stark idiomatische Phraseologismen. Jedoch kommt es bei der Sprachproduktion häufig zu auffälligen Wortverbindungen, wenn Ausdrücke aus der Erstsprache oder anderen Fremdsprachen übersetzt werden. Diese müssen nicht unbedingt falsch sein, können aber das Verstehen behindern; den Tisch ausstatten oder den Tisch vorbereiten statt den Tisch decken sind Beispiele hierfür (vergleiche Häcki Buhofer/ Dräger/ Meier/ Roth 2014). Aufgabe zur Inputverarbeitung 3 Lesen Sie die folgenden Äußerungen von Deutschlernern mit der Erstsprache Polnisch (aus Zenderowska-Korpus 2017: 158). Überlegen Sie, was sie eigentlich sagen wollten. Recherchieren Sie gegebenenfalls die polnischen Übersetzungen und überlegen Sie, was hier passiert ist. *Tote Natur *Ich habe Mitleid! *Vom Berg *Blinde Gasse 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 113 <?page no="114"?> Berücksichtigt man alle Bedeutungsaspekte von Phraseologismen, zeigt sich schnell, dass es streng genommen keine Eins-zu-eins-Äquivalenzen gibt. Lediglich auf der systemlinguistischen Beschreibungsebene, also beim Vergleich der Form, Bedeutung und des phraseologischen Bildes, ergeben sich manchmal Volläquivalenzen. Bei der Sprachverwendung findet man nahezu keine Phraseologismen für die Kategorie der Volläquivalenz (vergleiche Hallsteinsdóttir 2001: 90). Anders ausgedrückt: Selbst bei den äußerst seltenen Fällen von Phraseologismenpaaren aus zwei Sprachen, die in ihrer Form, ihrer Bedeutung und im phraseologischen Bild äquivalent sind, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass sie je nach Kontext verschiedene Bedeutungsschwer‐ punkte haben. Sie stellen deshalb bei Übersetzungen nicht unbedingt die beste oder treffendste Möglichkeit der Übersetzung dar. Je nachdem, welche Bedeutung des Phraseologismus überwiegt, kommen verschiedene Übersetzungen in Frage. Anhand des Bedeutungsspektrums des Phraseologismus am Ball bleiben demonstriert Sabban mögliche französische Übersetzungen: (10) am Ball bleiben - a. sich kontinuierlich (über aktuelle Entwicklungen in einem Bereich) informieren - - → se tenir au courant - b. eine bestimmte Entwicklung oder Lage aufmerksam verfolgen - - → rester attentif sur ce point/ surveiller la situation - c. in gleicher Weise weitermachen wie bisher (z.-B. um Pläne umzusetzen) - - → maintenir le cap (vergleiche Sabban 2010: 197) 3.1.4 Zusammenfassung ▶ Im Fremdsprachenunterricht kommen Phraseologismen schon ab der niedrigs‐ ten Sprachniveaustufe vor, zum Beispiel in Form von konventionellen Gruß- und Anredeformeln. ▶ Die Fremdsprachendidaktik plädiert für eine kognitive Erfassung der Bedeu‐ tung von Phraseologismen statt eines unreflektierten Auswendiglernens der Wortverbindungen. ▶ Es gibt viele Phraseologismen, deren Bedeutung sich - häufig sprachenüber‐ greifend - über konzeptuelle Metaphern erklären lassen, obwohl sie sich strukturell und in ihrem Bild, also in der sprachlichen Manifestierung der Metapher, unterscheiden. ▶ Phraseologismen und andere lexikalisierte Metaphern transportieren zwangs‐ läufig immer auch gewisse Überzeugungen. ▶ Die Lerner können mithilfe von Phraseologismen lernen, die Konnotationen der Bilder, die bei bestimmten Ausdrücken mitschwingen (sollen), zu erkennen und gegebenenfalls kritisch zu betrachten. 114 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="115"?> ▶ Da die Beschäftigung mit Phraseologismen und ihren Eigenschaften zu einer höheren Sprachenbewusstheit führen und zu einem sprachenkritischeren Textumgang befähigen kann, sollten Phraseologismen nicht nur im Fremd‐ sprachenunterricht, sondern in jedem Sprachenunterricht Thema sein. 3.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Merkmale besitzen Phraseologismen? 2. Was ist der Unterschied zwischen Phraseologismen im engeren Sinne und Phrase‐ ologismen im weiteren Sinne? 3. Wieso stellt das Merkmal der Idiomatizität eine besondere Herausforderung für Fremdsprachenlerner dar? 4. Wieso tauchen Phraseologismen häufig in der Werbung auf ? 5. Inwieweit können Phraseologismen Meinungen beeinflussen? 6. Welche Strategien können Lerner anwenden, um sich die Bedeutung von Phrase‐ ologismen herzuleiten? 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 115 <?page no="116"?> 3.2 Kulturspezifik von Textsorten Constanze Bradlaw und Lukas Daum Mit der kommunikativ-pragmatischen Wende in der Linguistik ab den 1970er Jahren wandten sich Linguistinnen und Linguisten verstärkt der Sprache als in einem kommunikativen Gebrauch stehend und somit der Funktionalität von Sprache(n) zu. Zeitgleich rückten Textsorten mehr und mehr in den Fokus der Sprachwissenschaft. Bis dahin war eine germanistische Auseinanderset‐ zung mit Textsorten vorwiegend im Rahmen der literaturwissenschaftlichen Gattungslehre erfolgt, also in der Ausdifferenzierung der drei Großgattungen Lyrik, Epik und Drama. Diese Neufokussierung betrachtet auch Gebrauchs‐ textsorten wie zum Beispiel Nachrichtentexte, Werbetexte und Kochrezepte, also Textsorten, mit denen Sprachenlerner in ihrem Alltag früh in Berüh‐ rung kommen. Hintergrund hierfür ist nicht zuletzt die Forderung nach der Schaffung von Bedingungen, die Lernern der deutschen Sprache eine gesamt‐ gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Die Folgen waren weitreichend und führten auch zur Neukonzipierung fremdsprachlicher Lehrwerke, die seitdem Situationen konstruieren, welche auch die sprachlichen Gegebenheiten der gesellschaftlichen Realität widerspiegeln. Die wissenschaftliche Auseinander‐ setzung hat Typologien hervorgebracht, die dabei helfen festzustellen, was einzelne Textsorten charakterisiert; sie hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, den großen Einfluss von Textsortenwissen auf den Schreibprozess zu ermitteln und damit auch den didaktischen Stellenwert hervorgehoben. Auch Gespräche werden als musterhaft erkannt und können in die Textsor‐ tenbeschreibung und -analyse einbezogen werden. Die Musterhaftigkeit von Text wird sowohl im erstals auch im fremdsprachlichen Unterricht oft anhand besonders eingängiger Merkmale erlernt und geübt. Textsorten folgen kulturellen Konventionen und zeigen in der Praxis (inter)kultureller Begeg‐ nung Abweichungen. Die Sensibilisierung für Aspekte dieser Kulturspezifik von Textsorten kann deshalb einen wertvollen Beitrag leisten, sowohl für gelingende Textproduktion als auch für kontextualisiertes Textverstehen - in der eigenen und in fremden Kulturen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die internationale Vielfalt von Textsorten auch anhand von Beispielen kennenlernen; ▶ die Relevanz von implizitem Textsortenwissen und -verständnis insbeson‐ dere im Unterrichtskontext erkennen und explizieren können; 116 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="117"?> ▶ das Argument, dass Textsorten einer Kulturspezifik unterliegen, nachvoll‐ ziehen können; ▶ Ideen für Ihre Unterrichtsgestaltung, insbesondere bezüglich der Schreibför‐ derung, entwickeln können. Reflexionsaufgabe Versetzen Sie sich innerlich in Ihre Schulzeit zurück. Welche Textsorten haben Sie dort als Schülerin oder Schüler im Erstsprachen- und später im Fremdsprachen‐ unterricht kennengelernt? Mit welchen weiteren Textsorten kommen Sie nun in Ihrem Studium in Berührung? Inwiefern hilft Ihnen Ihr schulisches Vorwissen, um diese neuen Textsorten einzuüben? 3.2.1 Textsorten und deren kulturelle Konventionen 3.2.1.1 Über die Relevanz von Textsortenwissen In der Regel haben wir im Alltag wenige Probleme damit, die uns begegnenden verschiedenen Textsorten dem zu ihnen passenden Zweck zuzuordnen: Im Bahnhof können wir auf einen Blick unterscheiden, welcher Aushang ein Fahrplan und welcher ein Werbeplakat ist; in der Buchhandlung finden wir uns durch Hinweisschilder über den Regalen zurecht und können oft schon durch äußere Gestaltungsmerkmale der Bücher schnell zwischen Reiseführern, Krimis und Kochbüchern differenzieren. Grund dafür ist, dass die Konzepte dieser Textsorten fest in unserem Alltagswissen verankert sind und uns dabei helfen, die uns umgebende Welt wahrzunehmen und sich in ihr zu orientieren. Doch bereits in einer regulären Tageszeitung finden wir eine Vielzahl an ganz unterschiedlichen Textsorten. Fällt es uns am Beispiel der Zeitung noch relativ leicht, zwischen Todesanzeigen, Interviews und Berichten zu unterscheiden, ist die Differenzierung zwischen einem Kommentar und einer Glosse schon anspruchsvoller und setzt ein tiefergehendes Textsortenwissen voraus. Zwar handelt es sich bei diesen beiden Textsorten um meinungsbetonte und damit ähnliche Formen, doch ist die Aussage in einer Glosse überspitzt und leicht satirisch formuliert. Das Wissen um und die Akzeptanz von solchen satirischen Textsorten ist nicht universell. Tatsächlich haben diese in Westeuropa eine lang zurückreichende kulturelle Verankerung (z. B. Jonathan Swift 1726: Gullivers Reisen; Voltaire 1759: Candide), die sich nicht vollständig in andere kulturelle Systeme übertragen lässt. Satirische Textsorten sind in manchen Kulturen nicht üblich oder sogar unbekannt. Geübte Schreiberinnen und Schreiber beachten beim Verfassen eines Textes die for‐ malen und inhaltlichen Kriterien der jeweiligen Textsorte. So stellt etwa das Schreiben einer Inhaltsangabe andere Anforderungen an uns als das einer Nacherzählung. Beide sind, neben vielen anderen Textsorten, typische Gegenstände des schulischen Erstspra‐ chenunterrichts in Deutschland. Auch wird oft zum Beispiel der Umgang mit sowohl 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 117 <?page no="118"?> analytischen als auch kreativen Textsorten eingeübt und damit eine Grundlage an Textsortenwissen aufgebaut. Das Wissen um die spezifischen Merkmale einer Textsorte wird also von L1-Sprechern und -Sprecherinnen meist in vielen Jahren schulischen Übens erlangt und damit kulturell verfestigt. Im Laufe dieses Lernprozesses können Textsortenspezifika derart vollständig internalisiert werden, dass mit zunehmender Kennerschaft das Wissen um sie nicht mehr aktiv abgerufen werden muss, sondern „halbbewusst“ (Spitzmüller 2005: 82) in die Textproduktion und -rezeption einfließt. Wenn wir uns diesen Umstand im Lehr-Lernkontext DaF/ DaZ vergegenwärtigen, kann dies helfen, etwaige Schwierigkeiten unserer Lerner im Umgang mit zu übenden Textformaten zu antizipieren, nachzuvollziehen und aufzulösen. Die Kompetenzen der Verortung von Einzeltexten zu einer Sorte, der bewusste Umgang damit, und die Herstellung von Texten unter Berücksichtigung der gültigen Konventionen für Textsorten sind eine Grundfertigkeit kommunikativer Praxis (vergleiche Adamzik 2019: 136). Sie sollten beim Erlernen von Sprachen unbedingt erworben werden, um in der Zielsprache sowohl produktiv als auch rezeptiv effektiv kommunizieren zu können. Dies spielt eine besondere Rolle bezüglich der erfolgreichen Teilnahme an Diskursen, da hier gesellschaftsrelevante Themen ausgehandelt werden (siehe Lerneinheit 3.3 ). Die profunde Kenntnis der Kommunikationsgepflogenheiten ist oft Voraussetzung für das Verstehen der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure sowie insbesondere für eine eigene effektive Partizipation an Diskursen. Mit linguistischem Blick auf Literatur können bewusste Verstöße gegen diese Kon‐ ventionen im Sinne eines kreativen Prozesses mitunter radikal Neues hervorbringen. Textsortenwissen ist damit auch zentral für den Literaturunterricht sowie für das Verständnis von künstlerischer und kultureller Tradition. Denken wir an die Dichtung Friedrich Hölderlins, Georg Büchners Woyzeck, Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz oder auch Bertolt Brechts Episches Theater: Autorinnen und Autoren wie diese haben durch die Missachtung von Konventionen, Regeln und Traditionen Neues geschaffen und Althergebrachtes revolutioniert. Wir sehen also, dass Textsorten oft tradierte Systeme sind und dabei einer gesellschaftlichen, politischen und auch technologischen Dynamik (siehe Lerneinheit 4.1) unterliegen können. Sie sind veränderlich, können als Ganzes oder in Teilen verschwinden oder neu entstehen und berühren damit auch Aspekte individuellen und epochalen Stils. Einleitend haben wir besprochen, dass wissenschaftliche Typologien dabei helfen, sowohl Einzeltextsorten zu verstehen als auch den abstrakten Textsortenbegriff auf konkrete Kommunikationsmerkmale anzuwenden. Brinker/ Cölfen/ Pappert (2018, Erstauflage 1985) stellt ein Grundlagenwerk der Analyse von Textsorten dar. Die fol‐ gende Definition ist vor dem Hintergrund einer kommunikativ-handlungsorientierten Anschauung von Sprache verfasst und hilft, sowohl Texteigenschaften als auch den Nutzen von Textsorten zu bestimmen: Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativfunktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. 118 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="119"?> Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltags‐ wissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben. (Brinker et al. 2018: 139, Hervorhebungen durch Autorin und Autor dieser Lerneinheit) Es fällt auf, dass von allen genannten Eigenschaften die Konventionalität an erster Stelle steht und später erneut aufgegriffen wird, indem die konventionellen Struktu‐ ren der Texte einer Sprachgemeinschaft als Produkt ihrer historischen Entwicklung gewertet werden. Zusammenfassend können wir das als Kulturspezifik von Textsorten bezeichnen. In Zusammenhang mit der eingangs beschriebenen Relevanz für das Lesen und das Schreiben von Texten ist schlussendlich unverkennbar, dass die Beherrschung von Textkonventionen ein integraler Bestandteil erfolgreicher Kommunikation ist. Auch aus ethnologischer Perspektive, also der Reflexion dessen, was kulturelle Arte‐ fakte sind, ist die Betrachtung von Textsorten relevant, denn „bereits die Tatsache, dass Textsorten existieren, also das Faktum, dass Gemeinschaften über Textsorten als Mittel ihres Handelns verfügen, ist ein kulturelles Phänomen“ (Fix 2008: 260). Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 1.a) Kennen Sie das Gedicht Anna Blume von Kurt Schwitters? Unter http: / / www.planetlyrik.de/ rudolf-augstein-zu-kurt-schwitters-gedicht-an-anna-blu me/ 2018/ 10/ finden Sie interessantes Material, unter anderem auch eine Original-Aufnahme einer Autorenlesung des Gedichts. Verfassen Sie einen kurzen Steckbrief zu dem Gedicht und seinem kommunikativen Kontext. 1.b) Das Gedicht wird der Stilrichtung Dadaismus zugeordnet. Recherchieren Sie diese Kunstform. Inwiefern können Sie die von ihr zum Zeitpunkt ihres Auftretens verursachten gesellschaftlichen Irritationen nachvollziehen? 2. Dem Wortkünstler Karl Valentin wird das Bonmot zugeschrieben „Kunst kommt von Können. Wenn es von Wollen käme, hieße es Wunst.“ Recherchie‐ ren Sie die Person Karl Valentins. Inwiefern ist die Bezeichnung Wortkünstler berechtigt? 3.2.1.2 Textsorten und charakteristische Texteigenschaften Experiment 1 Problematisieren Sie die folgende Anrede aus einer authentischen E-Mail im uni‐ versitären Kontext: „Hallo Professor. Ich hoffe alles gut bei dir. Ich will fragen kann ich Kurs wechseln.“ Welche Tipps zur Textsorte könnte man dem Autor geben? Formulieren Sie aus der Perspektive der angeredeten Professorin. Überlegen Sie 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 119 <?page no="120"?> dann, welchen Stellenwert Textkonventionen im Schriftlichen / im Mündlichen bezüglich Angemessenheit für Sie selbst haben. Im Folgenden wollen wir herausfinden, welche Eigenschaften von Texten besonders bedeutsam für die Zuordnung eines Textes zu einer Textsorte sind. Diese Kriterien sind zwar vor dem Hintergrund der linguistischen Textanalyse verfasst, zeigen aber auch auf, welche Elemente von Textsorten elementar für ein Verstehen der Textsorten sind, und haben damit didaktische Relevanz. Anregungen für diesen Transfer werden mit den Kriterien (A) bis (E) gegeben. Zum Basiskriterium (A) Textfunktionen benennt Brinker et al. (2018) fünf Funktio‐ nen. Sie stehen in Tradition der Sprechakttheorie nach Searl und dessen Differenzierung der Illokution (der allgemeinen kommunikativen Funktion von Sprachhandlungen). Dabei ist zu beachten, dass diese Text(sorten)-Funktionszusammenstellung aus der Perspektive eines Sprachhandelnden erstellt ist; sie ist also produktionsorientiert. In (interkulturell) komplexen Kommunikationssituationen ist der erste Schritt, eine inten‐ dierte Wirkung eines Textes festzustellen oder zu erkennen. Erst im Zusammenhang damit können dann Aspekte der tatsächlichen Wirkung bewertet werden. Ein solches Rezeptionsmodell ist das textfunktionale Ertragsmodell von Adamzik (2004: 116), welches wir aber zugunsten der intentionsorientierten Funktionsdarstellung der Brinkerschen Textsortenanalyse hier nicht vertiefen wollen. Nach der (im Folgenden typografisch eingerückten) Darstellung der fünf Funktionen, nämlich Informations-, Appell-, Obliga‐ tions-, Kontakt- und Deklarationsfunktion (allesamt aus Brinker et al. 2018: 106-121), werden die weiteren Textsortenmerkmale (siehe die durch Unterstreichung markierten Begriffe im Zitat oben) (B) Kommunikationsform, (C) Thema, (D) thematische Darstel‐ lung und (E) typische sprachliche und nichtsprachliche Mittel erläutert. ▶ Die Informationsfunktion bedeutet eine Vermittlung von Wissen über Sachver‐ halte der Welt, über Gedanken oder über Einstellungen. Beispiele typischer Textsorten, die von dieser Funktion geprägt sind, sind Berichte, Gutachten, Rezen‐ sionen, Nachrichtenartikel oder Lehrtexte. Eine besondere Spanne im Vorgehen liegt hier zwischen sachbetonter und meinungsbetonter Darstellung (vergleiche Brinker et al. 2018: 106). ▶ Die Appellfunktion ist Textsorten zu eigen, die entweder dazu genutzt werden, jemanden zu einem Verhalten zu bewegen oder jemandes Anschauungen oder Werte zu ändern. Typische Textsorten mit dieser Textfunktion sind Gesetze, Bittschriften, Aufrufe, Gebrauchsanweisungen oder Tutorials sowie verschiedene Textsorten der Werbung. Bei Werbeanzeigen z. B. geht mit der intendierten Verhaltensbeeinflussung - etwa den Kauf eines bestimmten Produkts zu erzielen - eine Meinungsbeeinflussung einher. Zum Produkt soll eine positive Einstellung aufgebaut werden, um die Verhaltensänderung zu bestärken, sprich das Kaufver‐ halten zu steuern. Die sprachlichen Mittel sind im Deutschen vielfältig: Infinitive, Imperative, Fragen, implizite Aufforderungen oder das Gerundivum bis hin zu 120 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="121"?> komplexen Strategien der persuasiven Kommunikation (vergleiche Brinker et al. 2018: 109-113). Verschiedene sprachliche Mittel sind in Bezug auf Einzeltextsorten meist mehr oder weniger angemessen, worauf in interkulturellen didaktischen Situationen besonders hingewiesen werden muss, um Fauxpas vorzubeugen. Die im Experiment eingangs gewählte Anrede Hallo Professor ist zum Beispiel zu wenig förmlich; der Appell zur Genehmigung eines Wechsels in einen anderen Kurs in Form einer freundlichen Bitte mit der korrekten Anrede Sehr geehrte Frau Professorin wäre üblich. ▶ Bei Texten mit Obligationsfunktion verpflichtet sich der/ die Sprachhandelnde zu einer bestimmten Handlung. Beispiele für hier zugehörige Textsorten finden wir in Verträgen oder Gutscheinen. Diese Textsorten sind, da mit einer Obligation meist eine juristische Verpflichtung einhergeht, oft der weiter unten näher dargestellten institutionell-offiziellen Form der Kommunikation zuzuordnen (vergleiche Brinker et al. 2018: 117-118). Wir werden diskutieren, dass hier häufig besonders standar‐ disierte Texte verlangt werden. ▶ Die Kontaktfunktion ist Textsorten zu eigen, die der Pflege sozialer Beziehungen dienen. Textsorten mit dieser Funktion sind zum Beispiel Glückwunschkarten oder E-Mails, Kondolenzbekundungen, Urlaubspostkarten, Beschwerdenachrichten oder Weihnachtsgrüße. Nicht selten sind diese textuellen Rituale der Kontaktpflege an kulturelle Anlässe geknüpft. Oft ist nicht der konkrete Inhalt, z. B. in welcher Art die Glückwünsche zum Geburtstag formuliert werden, entscheidend. Vielmehr ist häufig relevant, dass die Kommunikation überhaupt stattfindet und damit die soziale Erwartung einer spezifischen Kontaktaufnahme erfüllt wird, die dann oft mit einer Gefühlsäußerung verbunden ist (vergleiche Brinker et al. 2018: 118-119). ▶ Die Textsorten der Deklarationsfunktion dienen dazu, durch ihre Existenz eine neue Realität zu schaffen. Typische Textsorten sind Urkunden, Grundbücher und (Gerichts-)Urteile. Diese Textsorten sind an gesellschaftlich/ politisch legitimierte Institutionen gebunden und damit offiziell - andernfalls würde der Text keine Wirkung erzielen. Sprachlich sind diese Texte üblicherweise sehr standardisiert und verdeutlichen ihre Funktion durch performative Äußerungen. Performative Äußerungen zeigen die Funktion, die mit ihnen verbunden ist, ganz explizit. Ein Beispiel ist der Satz Hiermit erkläre ich Herrn Sommer zum Gewinner des Kuchenwettbewerbs. Die Einleitung Im Namen des Volkes signalisiert den meisten L1-Sprecherinnen und -Sprechern unzweifelhaft, dass das nun Folgende eine Urteilsverkündung sein wird (vergleiche Fix 2008: 267). Das Textsortenkriterium der Kommunikationsform (B) ist, anders als die Textfunk‐ tion, aus dem Kommunikationskontext ableitbar. Maßgeblich wird die Kommunikati‐ onsform durch das Kommunikationsmedium und den sogenannten Handlungsbereich (öffentlich, privat, institutionell-offiziell) bestimmt (vergleiche Brinker et al. 2018: 142). Das Medium gibt zahlreiche Rahmenbedingungen der Kommunikation vor: Interna‐ tional teilstandardisierte Formate wie E-Mails geben einen festen Rahmen für Adress- und Betreffzeilen vor, Face-to-face-Gespräche verfügen außerdem noch über non- und 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 121 <?page no="122"?> paraverbale Komponenten. Als eine solche kann das authentische Verhalten eines Deutschlerners aus dem Iran eingestuft werden: Zu Beginn des täglich stattfindenden Deutschunterrichts an einer deutschen Universität in den 2010er Jahren erhob er sich, sobald die Lehrerin den Raum betrat, und setzte sich erst nach deren Aufforderung dazu oder nachdem sich die Lehrerin selbst gesetzt hatte. Auch nach ihrem freundlichen Hinweis, dass diese Form der Begrüßung in Deutschland, zumal unter Erwachsenen, unüblich sei, behielt er seine Verhaltensweise mit Verweis auf die Gepflogenheiten in seinem Herkunftsland bis zum Ende des vierwöchigen Intensivkurses bei, da ihm dieses Verhalten im Umfeld der Universität offenbar mit seinem herkunftskulturellen Hintergrund wichtig war. Tatsächlich weisen institutionelle Handlungsfelder oft be‐ sondere Anforderungen auf, weshalb wir weiter unten akademische Textsorten separat beleuchten wollen. Das Thema (C) als Kriterium für Textsorten ist selten durch eine Auflistung aller möglichen Inhaltsfelder darzustellen (vergleiche Brinker et al. 2018: 144). Oft sind zum Beispiel im Fall von Romanen oder Zeitungsartikeln zu viele Möglichkeiten für Themen gegeben. Gerade im interkulturellen Kontext ist oft relevant, welche Einschränkungen oder Tabus bestehen, also worüber oder auf welche Art und Weise man keinesfalls in einer gewissen Situation - oder in einer gewissen Textsorte - kommunizieren sollte. Das Thema lässt sich außerdem gut eingrenzen durch seinen Bezug auf den Zeitpunkt der Kommunikationssituation: Beschreibt ein Text Vergangenes (wie in einem Protokoll) oder Künftiges (etwa bei einem Plakat für ein Konzert), oder ist er dauerhaft gültig (wie zum Beispiel die Beschriftung eines Grabsteins)? Oft wird durch Textsorten auch klar, wie das Thema zu Absender und Rezipientin situiert ist: Sind etwa Absender oder Rezipientin selbst Thema, wie beispielsweise in einer Bewerbung oder einem Arbeitszeugnis? Diese basalen Informationen über das Thema sind manchmal bereits durch die Verwendung einer Textsorte impliziert und werden nicht in jedem Text aufs Neue transparent gemacht. Neben dem thematischen Gegenstand an sich ist die Form seiner thematischen Entfaltung (D) für viele Textsorten konstituierend: Ist Deskription, Argumentation, Narration oder gar ein ganz konkreter, festgelegter struktureller Aufbau erforderlich? In einem Plädoyer etwa ist Argumentation notwendig; bei in Deutschland typischen schulischen Textsorten wie der Nacherzählung ist das Narrativ verlangt, während eine Inhaltsangabe beschreibend vorgehen soll. Diese Grundstrategien der Entfaltung bieten grobe Orientierung. Auch ist es möglich, konkretere textstrukturelle Aspekte heranzuziehen, um Textsorten zu beschreiben. Ein spannendes Beispiel für eine kulturell vergleichende Textsortenanalyse stellen Zhao/ Zeng (2013) mit dem Artikel „Wandel der Textsorte, Wandel der Kultur“ vor. In Struktogrammen wird die thematische Entfaltung der Textsorte Rezension kulturell kontrastierend dargestellt. Dies geschieht diachron an deutschen und an chinesischen Beispielen der frühen 1990er Jahre und der Jahre 2008 bis 2010. Damit wird ein Wandel der chinesischen Textsorte dargestellt und mit kulturellen Veränderungen in Gestalt einer Angleichung an international übliche Konventionen begründet. Konkret haben sich die chinesischen Rezensionen unter anderem in ihrer Perspektive verändert: 122 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="123"?> Während 1990 noch würdigende Darstellungen üblich waren (vergleiche Zhao/ Zeng 2013: 144), wurde in diesen um 2010 sehr häufig und direkt formuliert Kritik geäußert (vergleiche Zhao/ Zeng 2013: 158). Die ursprüngliche Differenz der kritisch-wertenden deutschen Rezension zur würdigenden, Positives herausstellenden chinesischen Text‐ sorte hat sich damit in den letzten Jahrzehnten offenbar relativiert. Abbildung 3.1: Verkehrsschild an einer italienischen Straße (Bild: Lukas Daum) Als letzten Punkt zur Beschreibung von Textsorten benennen Brinker et al. (2018: 147) typische sprachliche und nichtsprachliche Mittel (E). Die Formen sprachlicher Besonderheiten sind sehr vielfältig und müssen an konkreten Beispielen eingeübt werden. Ganz zentral ist der Versuch, Begründungen und Spielräume für die sprach‐ liche Gestaltung von Textsorten mit Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten. Nur ein erster Schritt können normative Ratschläge sein, wie man sie oft in Lehrbüchern findet (Beispiele sind u. a. die Regeln, die Wörter ich oder man in deutschsprachigen, wissenschaftlichen Texten zu vermeiden). Nachvollziehbarer ist es, die sprachliche Gestalt vor dem Hintergrund der Kriterien (A) bis (D) herzuleiten. In Bezug auf nichtsprachliche Mittel sei hier auf Lerneinheit 4.1 verwiesen, die Multimodalität und insbesondere Text und Bild in ihrer Symbiose behandelt. Unter dem Begriff der Multimodalität wird die ganze Bandbreite menschlicher Kommunikationsformen 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 123 <?page no="124"?> gefasst und erforscht. Auch hier steht das Konzept des Menschen als sozialem Wesen, der im engen Austausch mit seiner Umgebung lebt, im Zentrum der Überlegungen. Seine Möglichkeiten des Meaning Making, also des Verleihens von Bedeutung, gelten ebenfalls als Ausdruck eines kulturellen Beziehungsnetzes: Meanings arise in social life, in social action and interaction, even though signs-as-meanings are always individual. The social is the domain of (at least some) regularity; it is shaped by the aggregation of the experiences of its many members, over past time and now.” (Kress 2010: 108) Zur Verdeutlichung dieser Auffassung können wir als konkretes Beispiel Hinweis‐ schilder im Straßenverkehr heranziehen. So ist es offensichtlich von übergeordneter Wichtigkeit, dass Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer rasch deren Botschaft als Kombination aus Text und Bild erfassen und adäquat darauf reagieren. In Abbildung-3.1 etwa ist es für Touristen in Unkenntnis der italienischen Sprache schwer zu erkennen, für wen ein Durchfahrtsverbot gilt. Deshalb sind viele Verkehrsschilder ohne die Modalität der Sprache entworfen (dazu mehr in Kapitel 4). Beim Entschlüsseln von Schildern spielen grundlegende sozio-kulturelle Übereinkünfte einer Gesellschaft wie die Leserichtung/ Fahrtrichtung des Verkehrs oder die Festlegung der Farbe Rot als Signal- und Warnfarbe eine ausschlaggebende Rolle. Die Unkenntnis dieser Übereinkünfte kann zum Beispiel im Straßenverkehr schwerwiegende Folgen haben. Überfährt man etwa das Schild aus dem Beispiel mit einem nicht ausreichend geländetauglichen Wagen (an welche der Appell des Schilds gerichtet ist), droht man auf einer engen Gebirgsstraße stecken zu bleiben. Um diese Gefahr möglichst abzuwenden, wurden im Zuge der Aufnahme von Geflüchteten ab Herbst 2015 von deutschen Verkehrsbehörden sehr schnell arabischsprachige Broschü‐ ren in Umlauf gebracht, die die Migrantinnen und Migranten in ihrer Herkunftssprache über einige der wichtigsten Verkehrsregeln im deutschen Straßenverkehr informierte. Von vielen Lehrkräften wurden diese in ihren DaF-Kursen für Geflüchtete integriert. Ein weiteres Beispiel sind Land- und Straßenkarten: eine korrekte Lagebestimmung und Wegfindung gelingen nur dann, wenn wir wissen, dass moderne europäische Karten stets nach Norden ausgerichtet sind. Transferaufgabe 1 Kennen Sie die Formel Sesam öffne dich? In welchen Kontexten ist sie Ihnen schon begegnet? Falls Sie Ihnen nicht geläufig ist, recherchieren Sie sie bitte. Inwiefern stellt die Textsorte Zauberspruch ein Problem für die Textsortenanalyse nach Brinker dar? Gehen Sie zur Erarbeitung dessen fünf Kategorien durch. Ergänzen Sie eine Eigenschaft, die für viele unterhaltende Textsorten relevant ist, und die notwendig ist, um jemandem Zaubersprüche in ihrem jeweiligen Kontext zu erläutern. Ein anderer Aspekt der oben genannten Formel ist deren sprachlich feste, wörtliche Zusammengehörigkeit: Denken Sie an Lerneinheit 3.1 zurück. Inwiefern können textsortentypische Phraseologismen nützlich für den Schreibunterricht sein? 124 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="125"?> Dass viele Aspekte dieses linguistischen Hintergrundwissens über Textsorten von di‐ daktischer Relevanz sind, wird in schulischen Curricula/ Lehrplänen deutlich, in denen Textsortenwissen explizit als Lernziel benannt wird (vergleiche beispielhaft Hessisches Kultusministerium o.J.: 42). Auch ist Textsortenwissen basal für den sogenannten prozessorientierten Schreibunterricht, der als wichtige Säule schreibförderlichen Un‐ terrichts im Allgemeinen gilt (vergleiche Merz-Grötsch 2010: 60). Wissen über die vorliegende oder zu produzierende Textsorte gilt im Rahmen von Schreibprozessen als (notwendigerweise) im Langzeitgedächtnis verankertes Wissen. Schreiben wird durch Bekanntheit der Textsorte maßgeblich unterstützt und ist, wie wir bereits weiter oben gesehen haben, grundlegend für erfolgreiche Kommunikation. DaF-Lehrwerke vermitteln daher heute vermehrt dieses spezifische Hintergrundwissen. 3.2.2 Textsorten und ihre kulturellen Bezüge Im Vorhergehenden wurde auf den wichtigen Umstand hingewiesen, dass Texte eine Ausdrucksform des Menschen darstellen, um mit seiner Umwelt in Verbindung zu tre‐ ten. Insofern sind sie ganz grundlegend als Kommunikationsinstrumente zu verstehen, die miteinander in einer Art Wechselbeziehung stehen und als „Instrument[e] kultu‐ rellen Handelns“ (Fix 2008: 258) aufzufassen sind. Als solche sind sie eng verbunden mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die ihrerseits Ausdruck von Geschichte, Tradition, Werten, Konventionen und vielem mehr sind. Vereinfacht gesagt kann also jede Kultur charakteristische Kommunikationsformen hervorbringen. Wir sprechen von Kulturspezifik. Ein Beispiel hierfür sind chinesische Chengyus ( ), idiomatische Ausdrücke, die in der Regel aus vier Schriftzeichen bestehen und sich oft auf Begeben‐ heiten der chinesischen Geschichte beziehen. Dieses implizite kontextuelle Wissen und damit die im Ausdruck versteckte und oft eigentlich intendierte Anspielung bleibt fremdsprachlichen Chinesischlernern häufig verborgen und ist ein Gegenstand der sinologischen Hermeneutik. So verbirgt sich hinter dem Chengyu (zhĭ sāng mà huái) ‚Auf den Maulbeerbaum zeigen, aber die Akazie schelten‘ verkürzt dargestellt eine Herrschaftskritik, da die Akazie als kaiserlicher Baum galt. Experiment 2 Ein besonders drastisches Beispiel für kulturelle Konflikte, die sich an Texten entspannen, ist das folgende: Aufgrund von provozierenden, satirischen Karikatu‐ ren religiöser Symbole gab es einen terroristischen Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo in den 2010er Jahren. Recherchieren Sie dies, falls Ihnen die konkreten Umstände nicht bekannt sind. Inwiefern sehen Sie in diesem Beispiel kulturelles Konfliktpotential für Ihren Unterricht? Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Kulturen mit einer mündlich und solchen mit einer schriftlich geprägten Erzähltradition. Zur ersteren gehören die mündlich 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 125 <?page no="126"?> überlieferten mythischen Geschichten vieler indigener Völker zum Beispiel Afrikas und Australiens, zur letzteren nordeuropäische Erzählformen zum Beispiel in Gestalt der altnordischen Sagas, die ab circa dem Jahr 1000 verschriftlicht wurden. Im Kontext DaF/ DaZ ist das insofern von grundlegender Relevanz, als dass Lerner aus Kulturen mit mündlicher Erzähltradition in der Regel größere Schwierigkeiten mit schriftlichen Kommunikationsformen haben, weil sie darin auch in ihrer Herkunftssprache eher ungeübt sind (vergleiche Roche 2016: 169-199). Neben der individuellen Bildungssozi‐ alisation der Lerner spielt also Vorwissen in Form von bereits bekannten Textmustern der Herkunftskultur eine Rolle und die Möglichkeit, oder auch Unmöglichkeit, dieses Vorwissen im Kontext von im deutschsprachigen Raum üblichen Textsorten zu akti‐ vieren oder auch zu übertragen (zur Rolle des Vorwissens im Verstehensprozess siehe die Lerneinheiten 2.2 und 7.1). Sprachenunterricht sollte so optimal wie möglich das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler aktivieren. Unterricht verlangt nicht nur eine ausführlich erklärende Einführung und Kontextualisierung. Im Extremfall kann aufgrund kultureller Unterschiede ein Textsortenverständnis derart erschwert sein, dass erst innere und oft unbewusste Lernwiderstände überwunden werden müssen, um einen Zugang zur Textsorte zu entwickeln. Auch der Umgang mit Texten als Formen geistigen Eigentums kann kulturell variieren. So ist die Notwendigkeit, insbesondere im akademischen Kontext, fremde Texte oder Textauszüge, sei es als Zitat oder als Paraphrase, als solche kenntlich zu machen, nicht in allen (Wissens-)Gesellschaften verankert. In manchen, zum Beispiel einigen ostasiatischen, Kulturen gilt das wörtliche Zitieren - bei besonders berühmten Autorinnen und Autoren ohne deren Nennung, was in westlichen Kultu‐ ren als Plagiat gewertet würde - sogar als besonders wertschätzende Geste. Dass Plagiate beispielsweise im Hochschulkontext gegen Hochschulgesetze verstoßen, ist oft nicht hinlänglich bekannt. Manche Lerner kommen aus dysfunktionalen Staaten, in denen keine verlässliche Rechtsstaatlichkeit und Rechtsverbindlichkeit vorhanden sind oder diese zusammengebrochen sind oder abgeschafft wurden (vergleiche Collier 2014). Dementsprechend sorg- und ahnungslos kann der Umgang mit Texten anderer Autoren und Autorinnen mitunter sein. In diesem besonderen Fall kann eine Missach‐ tung der für akademische Textsorten maßgeblichen Zitationskonventionen rechtliche Konsequenzen haben: Eine (propädeutische) Sensibilisierung ist deshalb zentral für internationale Studierende. Die Herstellung landeskundlicher Bezüge im Unterricht kann dazu dienen, die Diver‐ sität von Textsorten zu veranschaulichen und zu erklären. Die beliebte Aufgabenstellung Schreiben Sie eine E-Mail erfährt in aktuellen Lehrwerken so zwar eine Einteilung in formelles und informelles Schreiben; der explizite Hinweis und seine kulturelle bzw. gesellschaftliche Einordnung, dass diese Textsorte korrekte, das heißt der Situation angemessene, Grußformeln zu Beginn und am Ende des Textes verlangt, fehlt oft. Diesen Hinweis als zu erfüllende Anforderung zu explizieren, kann Sie in Ihrem Bemühen unterstützen, die transkulturelle Kompetenz Ihrer Lerner zu stärken. Es erhöht deren Verständnis für die Sinnhaftigkeit der Einhaltung von Konventionen, denn ein Verstoß 126 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="127"?> gegen Textsortennormen kann als unangemessen oder unhöflich wahrgenommen wer‐ den und damit kommunikationsstörend wirken. Hierzu zählt auch die Verwendung von Redemitteln und/ oder Chunks im DaF-Unterricht, die ebenfalls kontextualisiert und kontrastiert werden können (siehe hierzu Lerneinheit 3.1). Die Thematisierung eines Schreibstils, der die sprachliche Diskurspraxis reflektiert einsetzt (siehe Lerneinheit 3.3), kann ebenfalls dazu beitragen, das Interesse für aktuell stattfindende Aushandlungsprozesse in unserer Gesellschaft zu intensivieren und das Verständnis der Lerner zu erhöhen. Die oben angesprochene zeitliche Dynamik der Konventionen von Textsorten bedingt dabei allerdings auch eine Begrenzung der Gültigkeit bzw. die Einführung neuer Textsorten und ihrer Konventionen und berührt auch Aspekte des Sprachwandels (siehe Lerneinheit 1.3). So wirkt beispielsweise die Grußformel Sehr geehrte Damen und Herren heute leicht antiquiert, der Gebrauch von Hochachtungsvoll ist heute wohl nur noch als ironisch gemeinte Verabschiedungs‐ formel zu verwenden. In diesem Zusammenhang ist auch ein politisch korrekter Schreibstil zu nennen, der durch Einbettung in seinen gesellschaftspolitischen Kontext leichter nachzuvollziehen und zu respektieren ist. Als Beispiel hierfür können wir die explizite Nennung aller Geschlechter anführen, das sogenannte Gendern. Ein Beispiel für eine literarische Textsorte sind Versformen in der Lyrik. So stellen japanische Haikus als lyrische Kleinform spezifische Anforderungen an die Komposi‐ tion. Ein streng festgelegter Aufbau nach Silben und die geforderte Kürze „zwingen zu extremer inhaltlicher Verdichtung“ (Braak/ Neubauer 2001: 139). Da im Original ein Schriftzeichen ein Wort repräsentiert, stellt die Übernahme der Gestaltungsregeln von Haikus in Buchstabenschriften besondere Anforderungen an die Übersetzung. Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 1. Recherchieren Sie, was unter dem Begriff „Karikaturenstreit“ verstanden wird. 2. In der Folge dieses „Streites“ entstand ein Diskurs darüber, was unter die „Meinungsfreiheit“ in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften fällt und zu tolerieren ist. Dieser Konflikt spitzte sich im Laufe der 2010er Jahre insbeson‐ dere nach der Veröffentlichung weiterer religionskritischer Karikaturen in der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo zu. Dieses Problem kennen Sie bereits aus dem Experiment weiter oben. Überlegen Sie: inwiefern könnte es sich hier um ein interkulturelles Missverständnis infolge einer Unkenntnis der Textsorte Karikatur handeln? 3. Ein weiterer trauriger Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war die Ermor‐ dung des französischen Lehrers Samuel Paty im Jahr 2020. Recherchieren Sie diesen Vorfall. 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 127 <?page no="128"?> 3.2.2.1 Kulturspezifika von Argumentationsketten Ob eine Aufgabenstellung, die das Einhalten spezifischer Regeln verlangt, korrekt ausgeführt wird, ist wesentlich davon abhängig, ob sie verstanden wurde. „Die entscheidenden Kriterien für richtiges oder falsches Verstehen liegen nicht beim Verstehenden, sondern beim Zu-Verstehenden“ (Rusch 1994: 216; vergleiche Galliker 2013: 111). Auch dieser Aspekt liegt im Bereich von Transkulturalität und kann Ebenen des semantischen Verstehens oder Nicht-Verstehens berühren. Die Aufforderung, sich „kritisch“ mit etwas auseinanderzusetzen, kann so Konnotationen auslösen, die in demokratischen Gesellschaften eher selten anzutreffen sind. In diesen wird die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und das generelle In-Frage-stellen-Dürfen als ein Bildungsziel verstanden. Kritisches Denken als solches ist deshalb erwünscht und po‐ sitiv besetzt. Je autoritärer und autokratischer ein politisches System jedoch organisiert ist, desto mehr wird auch unabhängiges und freiheitliches Denken eingeschränkt. Bei Lernern aus Ländern mit einer kommunistischen Vergangenheit oder Gegenwart kann darüber hinaus häufig ein historisch gewachsenes Misstrauen bezüglich des Begriffs ‚Kritik‘ hinzukommen. Dieser wird hier vielfach mit der Kampagnenpolitik in marxistisch-leninistischen oder maoistischen beziehungsweise mit diesen in einer Tradition stehenden Strömungen assoziiert. Hier ist ‚Kritik‘ vielfach mit ‚Selbstkritik‘ untrennbar verbunden und stellt(e) eine Art unheilvollen, öffentlich vollzogenen Ritus des Sich-selbst-Beschuldigens dar (vergleiche Roetz 2006, 2016). Textsorten, denen kritische Elemente inhärent sind, werden also gern im deutschen Unterricht und Universitätsalltag didaktisch genutzt - zum Beispiel Reflexionen, Stellungnahmen, Feedbackbögen und Evaluationen -, müssen aber gegebenenfalls sensibel eingeführt und betrachtet werden. Ein weiteres Beispiel für die Wirkung kultureller Muster sind Lerner aus Ländern, in denen eine Sichtweise vorherrscht, die zumindest im Öffentlichen wenig Differenzierung zulässt und die Welt und die Sicht auf sie gerne in Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse, Richtig oder Falsch, kurz binär einteilt. In diesem Fall können Schwierigkeiten auftauchen, zum Beispiel im Rahmen des Unterrichts die Aufgabenstellung Verfassen Sie eine Stellungnahme auszuführen. Diese Textsorte verlangt eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Fragestellung in Form einer Argumentationskette, die die bezüglich der Themenstellung einzunehmende Positio‐ nierung nachvollziehbar begründet und sowohl die Proals auch die Kontra-Perspek‐ tive darstellt. Die Nachvollziehbarkeit und Stichhaltigkeit der angeführten Argumente entscheiden schließlich darüber, ob dem Fazit des Autors oder der Autorin beigepflich‐ tet werden kann, und nicht etwa der Umstand, dass ihm oder ihr beispielsweise allein in Folge seiner/ ihrer hohen sozialen Stellung oder seines/ ihres Ansehens Zustimmung gebührt. Grundlegend für eine begründete Stellungnahme ist die Unterscheidung zwischen These und Argument. Diese zu erlernen ist auch für in Deutschland bildungssoziali‐ sierte Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung, die manchen selbst am Ende ihres Schulwegs immer noch Schwierigkeiten bereitet. Die Argumentationskette folgt dabei in der Regel dem Schema +,+,+,+,-,-,-,-,Fazit oder +,-,+,-,+,-,+,-,Fazit. In Frankreich 128 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="129"?> wird dementgegen im vorletzten Jahr vor dem Baccalauréat, dem französischen Abitur, damit begonnen, vorrangig ein dialektisches Argumentationsschema einzuüben. Da‐ neben gibt es, abhängig vom zu setzenden Schwerpunkt, zwar weitere Modelle wie zum Beispiel das analytische, das dialektische ist jedoch das weithin gebräuchlichste. Es folgt streng der Reihung „thèse, antithèse, synthèse / dépassement“ und kulminiert in der „dissertation française“, deren Struktur dann im Grunde genommen allen uni‐ versitären Textsorten zugrunde liegt. Wir sehen: auch Argumentationsketten können kulturell determiniert sein. 3.2.2.2 Vermischung kultureller Praktiken bei der Textproduktion (Hybridtextsorten) Werden Kulturspezifika und Sprachen bei der Textproduktion vermischt, werden also beispielsweise typische deutsche Textmerkmale eines Referats bei einer englischsprachi‐ gen Abfassung verwendet, entstehen sogenannte Hybridtextsorten (vergleiche Daum/ Hufeisen 2019: 15). Dies kann dann leicht passieren, wenn der Verfasser oder die Verfasserin die spezifischen Textsortenmerkmale in einer anderen Sprache mitsamt deren Textkultur kennt. Es erfolgt eine Übertragung von aus der Herkunftssprache bekannten und geläufigen Textmustern in das Format der Zielkultur. Insbesondere im Hochschulkontext kann dies zu Irritationen beziehungsweise fehlerhaften Texten führen. Genügt das Vorwissen des Verfassers oder der Verfasserin nicht den (impliziten) Textsortenanforderungen und bleibt dies im Vorfeld unentdeckt und unkorrigiert, droht ein Misslingen - und eine entsprechend schlechte Bewertung des Geschriebenen, obwohl die Zielsprache grammatisch und orthografisch richtig eingesetzt wurde. Eine kulturell bedingte, mangelnde Textsortenkenntnis ist also vielfach schwer zu identifizieren. Weiter ist zu beachten, dass nicht nur eine Wissenschaftssprache Deutsch existiert, sondern sich auch die einzelnen Fachbereiche und Fachgebiete in ihrem Sprachge‐ brauch unterscheiden. Wir sprechen dann von Fachsprache oder auch Fachjargon. Werden nun im deutschsprachigen Raum ungebräuchliche Textkonventionen wie bei‐ spielsweise das Essay, eine Textsorte, die ursprünglich typisch für in angelsächsischer Texttradition stehende Länder war, auf die hiesigen übertragen, kann dies zu Miss- oder Fehlinterpretation führen (vergleiche Hufeisen 2002). Will man jedoch Texte von Lernenden in einem Rahmen analysieren, in dem man nicht nur die Daten untersucht, sondern auch Erklärungen für auftauchende besondere Phänomene wie z. B. Abweichungen von der Textnorm, die sich nicht auf individuelle Stile zurückführen lassen, liefern möchte, so ist ein mehrperspektivisches Herangehen unerlässlich. (Hufeisen 2002: 75) Texte von Schülerinnen und Schülern oder Studentinnen und Studenten sollten deshalb stets vor deren Bildungsbiografien gesehen werden; mangelnde Textsortenkompetenz in einer Zielkultur kann zu vielfältigen Problemen bei der Textproduktion und bei der Bewertung von Texten führen. 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 129 <?page no="130"?> 3.2.2.3 Im Kontext DaF/ DaZ an Hochschulen besonders relevante Textsorten Textsortenwissen spielt auch im DaF/ DaZ-Unterricht im akademischen beziehungs‐ weise für das akademische Umfeld eine Rolle - insbesondere auch an Studienkollegs oder in Kursen, die auf ein Studium in Deutschland vorbereiten oder ein solches beglei‐ ten. Deutschlerner stehen dabei vor besonderen Herausforderungen: Sie müssen sich nicht nur generell mit (eventuell unbekannten oder ungeübten) wissenschaftssprach‐ lichen Strukturen, sondern auch mit spezifischen Fach- und Wissenschaftssprachen in ihrem Fachgebiet auseinandersetzen (siehe hierzu Lerneinheit 5.1) sowie die sich in ihnen abbildenden kulturellen Konventionen und Normen erschließen. Wissen um die an Hochschulen anzutreffende Domänenspezifik kann den Anpassungs- und Integra‐ tionsprozess wesentlich erleichtern. Im Folgenden gehen wir auf damit verbundene Aspekte näher ein. Textsorten im akademischen Kontext Hochschulen als Orte der Forschung und Lehre sind Orte der Wissensgenerierung und -vermittlung. Beides geschieht über das Medium Sprache. Als Wissenschaftssprache verfügt auch das Deutsche über für den akademischen Kontext typische Textmuster. Sie zu vermitteln und einzuüben haben die Lehrwerkverlage und die Forschung in den letzten Jahren zunehmend als Desiderat identifiziert, bestehende DaF/ DaZ-Lehrwerke um entsprechende Komponenten ergänzt oder neue Lehrwerke konzipiert und publiziert. Die alltägliche Wissenschaftssprache ist, als ein ausgearbeitetes Präsuppositionssystem für die Kommunikation in allen wissenschaftlichen Zusammenhängen, eine Substruktur der Sprache, die im Unterricht Deutsch als Fremdsprache zu vermitteln ist. Diese Substruktur ist für viele LernerInnen von besonderer Bedeutung. Ihr Erwerb umfaßt unterschiedliche Dimensionen von Sprache und ist von erheblicher kommunikativer Relevanz. (Ehlich 1995: 347) Bemerkenswert ist, dass sich aufgrund dieser Anforderung an sprachliche Bildung besondere Textsorten entwickelt haben, die nahezu ausschließlich in Kontexten von Bildung auftreten: In der Schule sind dies zum Beispiel die Erörterung und die Beschreibung, in der Universität die Hausarbeit oder das Exposé (vergleiche Roelcke 2020: 187). Textsorten mit grafischen Elementen Visualisierungen, also Verbildlichungen, dienen in der Regel dem besseren Verständnis komplexer Sachverhalte und können so eine wichtige Hilfestellung bieten, um den Inhalt zu erschließen. Die Interpretation von Grafiken ist ebenfalls in der Regel fester Bestandteil von Abschlussbzw. Zulassungsprüfungen wie DSH, TestDaF oder Goethe-Zertifikat. In muslimisch geprägten Kulturen ist die bildliche Darstellung von Lebewesen - Tier und Mensch - jedoch unüblich und daher ungewohnt. Es kann sogar passieren, dass die Lerner sie aus Gründen des religiösen Bilderverbots (u. a. dargestellt in Noyes 2016) ablehnen. Darüber hinaus kann es aufgrund einer in der Herkunftssprache anderen Lese- 130 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="131"?> und Blickrichtung zu Fehlinterpretationen kommen. Eine ausführliche Darstellung zu Bild- Text-Kommunikationen finden Sie in Kapitel 4. In einer authentischen Unterrichtssituation wurde folgende Aufgabe aus einem DaF- Lehrwerk B2/ C1 in einem Deutschkurs für geflüchtete Studieninteressierte behandelt, dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrheitlich über Arabisch als Erstschrift verfügten. Abbildung 3.2: Beispiel für Leserichtung eines Diagramms ohne explizite Achsbeschriftung, (Bildquelle: Bayerlein/ Buchner 2019: 19) Die meisten Studierenden des genannten Kurses konnten die Aufgabe nicht korrekt lösen, da die Grafik - entsprechend der arabischen Leserichtung - von rechts nach links gelesen wurde. Wir halten an dieser Stelle also fest, dass auch bildliche Darstellungen wie Grafiken, die eigentlich das inhaltliche Verständnis erleichtern sollen, kulturspezifischen Konventionen unterliegen und daher expliziert und entschlüsselt werden sollten. Textsorte Debatte Im Einführungsteil haben wir gelernt, dass auch mündliche Kommunikationsformen wie beispielsweise ein Gespräch nach linguistischer Definition eine Textsorte darstel‐ len können. Zum Einführen und gezielten Einüben der Unterscheidung von These und Argument hat sich im Unterricht das Führen von Debatten bewährt. Dabei können auch grundlegende kommunikative Notwendigkeiten wie Aussprechenlassen, genau Zuhören, auf das konkret Gesagte/ Gehörte reagieren eingeübt werden. Transferaufgabe 2 1. Untersuchen Sie die beiden untenstehenden Inhaltsfelder: Unterstreichen Sie alle Merkmale gelb, unterstreichen Sie beispielhafte Textsorten blau. Recherchieren Sie außerdem ein Curriculum aus einem anderen Land, am besten in einer Ihnen bekannten, anderen Sprache. Gehen Sie dafür analog vor, sofern Textsortenwissen als Lernziel oder textsortenadäquates Schreiben als Kompetenz benannt werden. Wo liegen Gemeinsamkeiten, wo finden Sie Unterschiede? 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 131 <?page no="132"?> (Hessisches Kultusministerium o.J.: 42) Bildungsstandards und Inhaltsfelder Das neue Kerncur‐ riculum für Hessen. Sekundarstufe I - Gymnasium. Abgerufen am 07.12.2020 https: / / kultusmi nisterium.hessen.de/ sites/ default/ files/ media/ kerncurriculum_deutsch_gymnasium.pdf 2. Auch die Textsorte der Bewerbung auf einen Arbeitsplatz folgt länderspezifi‐ schen Kriterien und wird nicht selten im Sprachenunterricht behandelt. So ist es in Deutschland nach wie vor üblich, dem Lebenslauf ein aktuelles Porträtfoto der Bewerberin / des Bewerbers beizufügen, in Groß-Britannien dagegen nicht. Recherchieren Sie weitere Unterschiede dieser oder einer anderen Textsorte, die sich im interkulturellen Vergleich ergeben. 3.2.3 Zusammenfassung ▶ Texte stellen eine Form und ein Instrument menschlicher Kommunikation dar. Da Kommunikation auf sehr verschiedene Arten und zu sehr verschiedenen Zwecken stattfindet, bedienen wir Menschen uns folglich unterschiedlicher Textsorten, um durch Musterhaftigkeit möglichst effizient zu kommunizieren. ▶ Im Kontext Mehrsprachigkeit ist wichtig zu betonen, dass sich in Textsorten kulturspezifische Aspekte und Konventionen widerspiegeln. Erstsprecherin‐ nen und -sprecher haben ihr Textsortenwissen häufig implizit erworben und in vielen Jahren bildungsinstitutioneller, aber auch zwischenmenschlicher (Aus-)Bildung geschärft und verfeinert. ▶ In der Linguistik begegnen uns Textsorten sowohl in schriftlicher als auch mündlicher Gestalt. Sie sind stets auch Ausdruck ihrer Zeit und deren Moden, sind also veränderlich, anpassungsfähig und somit dynamisch. Die ihnen zugrundeliegenden Regeln sollten beachtet und befolgt werden, der bewusste 132 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="133"?> Verstoß gegen sie kann jedoch auch zur Überwindung überkommener Vorstel‐ lungen beitragen und radikal Neues hervorbringen. ▶ Im Kontext DaF/ DaZ hilft das Wissen um die Kulturspezifik von Textsorten, unsere Lerner beim Erwerb der den diversen Textsorten inhärenten sprachli‐ chen Strukturen zu unterstützen. Das Sichtbarmachen impliziter Komponen‐ ten sensibilisiert darüber hinaus für die Kulturspezifik der Erstsprache(n) und trägt dazu bei, interkulturelle (Text-)Kompetenzen auf- und auszubauen. ▶ Wir haben gesehen, dass das unkritische Übertragen von Textsortengepflogen‐ heiten aus einer vertrauten in eine weniger vertraute Textkultur Irritationen oder Konflikte auslösen kann. Im Unterrichts- oder Lehrkontext können derartige Texte als fehlerhaft eingestuft und entsprechend schlecht bewertet werden. ▶ Die Beschäftigung mit der Kulturspezifik von Textsorten ist in vielen Bereichen von Bildung und Wissenschaft unerlässlich, denn sie ermöglicht Zugang und Verständnis zu Sprachräumen und deren Diskursen. Damit hat sie wesentli‐ chen Anteil an einer gelingenden Kommunikation, in der eigenen aber auch in fremden Kulturen. 3.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Benennen Sie die in der Lerneinheit dargestellten Kategorien zur Beschreibung von Textsorten. 2. Welche Textfunktionen können Textsorten haben? Nennen Sie je mindestens eine Beispieltextsorte. 3. Nennen Sie Beispiele für festgelegte Passagen, die bestimmte Textsorten generisch enthalten. 4. Welche Kommunikationsfunktion kann man dem Satz Hiermit erkläre ich Herrn Sommer zum Gewinner des Kuchenwettbewerbs zuordnen? 5. Was versteht man in der Linguistik unter Hybridtextsorten? 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 133 <?page no="134"?> 3.3 Semantische Herausforderungen in international geführten Diskursen Niklas Simon und Lukas Daum In dieser Lerneinheit möchten wir Sie für die Bedeutung von Diskursen und Wissen für die Sprachhandlungskompetenz in mehrsprachigen Kontexten sensibi‐ lisieren. Dazu möchten wir Ihnen das abstrakte Konzept des Diskurses anhand eines thematischen Beispiels - dem Klimawandeldiskurs - veranschaulichen und Ihnen grundlegende Ideen der Diskurslinguistik vermitteln. Es wird deutlich, dass Diskurse heute meist mehrsprachig geführt werden und sich durch ihre thematische Begründung hervorragend für die Vermittlung von gesellschaftsrelevantem Wissen eignen. Viele für den (Sprachen-)Unterricht relevante Themen aus dem Alltag und der Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern bilden sich in Diskursen ab. Anschließend möchten wir mit der Frame-Semantik eine kognitive Semantikthe‐ orie vorstellen, die den Fokus auf das für das Verstehen relevante Wissen von Sprecherinnen legt und somit einen wichtigen Aspekt der Sprachverwendung in Diskursen darstellen kann. Verstehensrelevantes Wissen und die durch die Frame-Semantik dargestellte Vorstellung von Bedeutungen sind besonders rele‐ vant für das Verstehen mehrsprachiger Diskurse. Und nicht zuletzt auch für das Sprachenlernen, denn eine wichtige Schlussfolgerung dieser Theorie ist, dass sprachliche Bedeutung nicht eine absolute und an Einzelsprachen gebundene Eigenschaft von Wörtern ist, sondern aus kollektivem, diskursivem Weltwissen entsteht und damit kulturell bedingt ist. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erklären können, was für Germanistinnen und Germanisten ein Diskurs ist; ▶ feststellen, dass verschiedene Texte unterschiedlicher Autorinnen mithilfe einer abstrahierenden Methodik verglichen werden können; ▶ ein Verständnis entwickeln, welche Rolle unser Weltwissen für die Bedeu‐ tung einer Äußerung spielt; ▶ die Bedeutung von Wörtern mithilfe der Frame-Theorie beschreiben können; ▶ die Relevanz der Diskursanalyse für die Erforschung und das Verständnis interkultureller und mehrsprachiger Kommunikation einschätzen können. Reflexionsaufgabe In dieser Lerneinheit erhalten Sie ein Modell zur Darstellung und zur Fassung komplexer Kommunikation, an der mehrere gesellschaftliche Gruppen beteiligt sein können. Welches gesellschaftspolitische Thema bewegt Sie? Führen Sie eine 134 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="135"?> (Web-)Recherche zu diesem Thema mithilfe eines zentralen Schlagwortes durch. Welche Protagonisten und Protagonistinnen erkennen Sie? Welche Textsorten nutzen diese? Finden Sie Beiträge, in denen Ihr Schlagwort gar nicht explizit vorkommt, es aber trotzdem eine Verknüpfung zu ihrem Thema gibt? Wie ist diese Verknüpfung beschaffen? 3.3.1 Was sind Diskurse? Die fachsprachlichen Begriffe, mit denen Germanistinnen und Germanisten oder Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer arbeiten, sind oft auch aus der Alltagssprache bekannt. Sie sind also polysem oder mehrdeutig. Das betrifft neben dem im Folgenden beleuchteten Terminus Diskurs auch Termini wie Text, Wort, Satz oder Gespräch. Auch Sie hatten sicherlich bereits vor Ihrem Studium eine Ahnung davon, was ein Text ist. Falls Sie jemand gebeten hätte, einen Lexikoneintrag zum Lemma Text zu schreiben, wäre das aber womöglich eine schwierige Aufgabe für Sie gewesen. Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Schreiben Sie einen Lexikoneintrag zum Lemma Text. So verhält es sich auch mit dem Diskurs. Der Begriff Diskurs ist uns aus bildungssprach‐ lichen Registern der deutschen Sprache bekannt. In der allgemeinen Bildungssprache bedeutet Diskurs „Erörterung“ oder wahrheitssuchendes philosophisches „Gespräch“ (Ehlich 2016: 154). Die Philosophen Foucault und Habermas haben den Begriff schließlich in ihrem Fach geprägt, woraus wiederum mehrere neue Bedeutungen hervorgegangen sind. Der für uns relevante Diskursbegriff ist historisch in einer Foucault’schen Tradition zu sehen und zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: 1. Diskurse sind die größten linguistischen Einheiten. Nach abnehmendem Umfang sortiert folgen nach ihnen Texte, Sätze, Wörter, Morpheme (= Wortbestandteile) und Phoneme (= Laute, die zu Wortbedeutungen zusammengesetzt werden kön‐ nen) (vergleiche Warnke 2019: 36). 2. Diskurse sind transtextuell. Das bedeutet, sie bestehen immer aus mehreren, miteinander verwobenen kommunikativen Äußerungen, wie mündlichen Aus‐ sagen, Gesprächen, Bildzeichen (siehe Kapitel 4 in diesem Band) und Texten verschiedenster Textsorten. Diese unterschiedlichen Sprachäußerungen bilden einen Zusammenhang, indem sie entweder (möglicherweise ohne das direkt auszusprechen) aufeinander Bezug nehmen oder durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweise miteinander verknüpft sind. Damit stellen sie einen sogenannten intertextuellen Zusammenhang her (vergleiche Warnke 2019: 37). 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 135 <?page no="136"?> 3. Jeder Diskurs bezieht sich auf einen Themenkomplex (ausführlich in Busse/ Teubert 2013: 16-17). Eine Umschreibung des Begriffs Diskurs ist zum Beispiel das gesellschaft‐ liche Zeitgespräch zu einem bestimmten Thema (vergleiche Hermanns 2007: 189). Besondere Vorsicht ist bei der Klärung des Diskursbegriffes in Abgrenzung zu der aus dem Englischen stammenden Bedeutung von discourse als ‚Rede‘ geboten: In der Linguistik wird diese zweitgenannte Bedeutung, insbesondere in Form von Diskursanalyse, noch heute neben unserem Begriff genutzt und meint dann Rede- oder Gesprächsanalyse. Diskurse können also sehr große Gebilde sein. Das macht sie interessant, da in ihnen gesellschaftsrelevante Themen ausgehandelt werden. Da moderner (Sprachen-)Unter‐ richt üblicherweise auch politische Perspektiven beleuchtet, ist die Beschäftigung mit dem Wesen von Diskursen für uns notwendig. Da die einzelnen Diskursbestandteile (zum Beispiel Texte oder andere Äußerungen) bereits mehrsprachig und interkulturell konstituierte Gegenstände sein können, sind viele Diskurse folglich ebenfalls mehr‐ sprachig und interkulturell. Das stellt Herausforderung und Ressource zugleich dar. Unterschiedliche Perspektiven können den Diskurs bereichern. Zum Beispiel dann, wenn Wissensbestände verschiedener Kulturen und Individuen darin einfließen. Ein solcher interkultureller Faktor kann aber auch Irritationen hervorrufen, wenn Sprach‐ handlungen kulturtypisch unterschiedlich ausgeführt werden und die Sensibilität dafür noch nicht vorhanden ist (verkürzte Darstellung einer Auswahl der linguistischen Perspektive auf Aspekte interkultureller Begegnungen in Günther 2010: 332). Auch die Vielfalt der Themen, welche im Zentrum von Diskursen stehen können, ist sehr groß. Zum Beispiel gibt es den Diskurs über das Bienensterben, den Migrationsdiskurs, Diskurse rund um den Bildungsbereich oder den später in dieser Lerneinheit fokus‐ sierten Klimawandeldiskurs. Dementsprechend gibt es auch in der wissenschaftlichen Diskursanalyse eine Vielzahl an Erkenntnisinteressen (vergleiche Hermanns 2007: 199). Aufgrund des Umfangs und der Vielseitigkeit von Diskursen können strukturierte Methoden und Modelle der Diskursanalyse auch für die Aufarbeitung von komplexen Themen im Unterricht relevant sein: Die Methoden der linguistischen Diskursanalyse erleichtern das Schaffen eines Überblicks sowie das Begreifen und Verstehen von komplexen und facettenreichen gesellschaftlichen Prozessen. Auch die Wahl der Sprache und die Wortwahl, mit denen gesellschaftliche Aushandlungen in Diskursen stattfinden, lassen Rückschlüsse und Annahmen über die Beteiligten zu. Diskurse finden sprachlich sowohl schriftlich als auch mündlich statt. Um den Diskursbegriff noch besser zu verstehen, soll nun anhand eines Modells exemplarisch dargestellt werden, was einen Diskurs ausmacht und wie man ihn untersuchen kann. Das Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analysemodell (DIMEAN) wird bereits seit über einem Jahrzehnt von Linguistinnen und Linguisten angewandt und wurde erneut in Warnke (2019) beschrieben. Anschließend wird exemplarisch eine erfolgreiche Methode der Diskursanalyse, die Frameanalyse, vorgestellt. Diese ermöglicht einen fokussierten Zugang zum Verständnis von Diskursen. Dreh- und Angelpunkt des DIMEAN-Modells sind diejenigen, die mit ihren sprach‐ lichen Beiträgen am Diskurs teilnehmen und damit Sprachhandlungen ausführen: die 136 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="137"?> sogenannten Akteure. Der linguistische Gegenstand des Diskurses besteht nicht bloß aus miteinander verknüpften Texten, sondern wird auch durch die Menschen und Gruppen, die diese hervorbringen, und durch deren unterschiedliches Wissen und deren Einstellungen geformt (vergleiche Warnke 2019: 40). Die Analyse des Diskurses kann rein beschreibend und neutral, also deskriptiv, erfolgen oder die durch unter‐ schiedliche Wissens- und Handlungsmöglichkeiten hervorgerufenen Machtstrukturen und Hierarchien der am Diskurs Beteiligten herausarbeiten. Letztere bezeichnen wir als kritische Diskursanalyse (vergleiche Lakoff/ Johnson 2011). Nehmen wir als konkretes Beispiel den Klimawandeldiskurs. Hier sind handelnde Akteurinnen und Akteure unter anderem politische Parteien in unterschiedlichen politischen Systemen, Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, Bürger mit un‐ terschiedlichen Einstellungen, Industrien sowie Staaten und ihre Regierungen. Auf Abbildung 3.3 sehen wir einen winzigen Ausschnitt aus dem Diskurs: Aktivistinnen der Fridays for Future-Bewegung demonstrieren vor dem Bundeskanzleramt in Berlin, also dem Amtssitz des Bundeskanzlers/ der Bundeskanzlerin. Sie halten Transparente in die Luft und stellen, durch Pappmaché-Köpfe als solche erkennbar gemacht, zur Zeit der Aufnahme bekannte deutsche Regierungsmitglieder, neben den Aktivistinnen selbst weitere Akteure des Diskurses, dar. Bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass die Transparente auf Deutsch und Englisch geschrieben sind. Es ist anzunehmen, dass es sich um einen internationalen Diskurs mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern und Akteuren aus verschiedenen Ländern handelt. Mehrsprachigkeit spiegelt sich also in diskursiven Äußerungen wider. Abbildung 3.3: Aktivistinnen demonstrieren, auf Politikerinnen bezugnehmend, vor dem Bundeskanz‐ leramt in Berlin. Dieses Bild wurde wiederum in der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen. Bild: Protest vor dem Kanzleramt: picture alliance/ dpa | Christoph Soeder 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 137 <?page no="138"?> Die Akteure sind diejenigen, die mit konkreten Sprachhandlungen - mit Texten - im Diskurs auftauchen und wechselwirken. Sie verbinden im Modell eine intratextuelle Ebene mit einer transtextuellen Ebene. Abbildung 3.4: Stark komprimierte Darstellung von DIMEAN nach Warnke 2019: 50 Intratextuell betrachtet, also mit Fokus auf die Merkmale eines einzelnen isolierten Texts, können Auffälligkeiten wie die Größe eines Wortes bis hin zur Gestalt und dem Aufbau des Gesamttextes bedeutsam für den Diskurs sein. Im Kontext der Mehrspra‐ chigkeit sind Fragen nach der besonderen Bedeutung des Vorhandenseins von Mehr-, Zwei- oder Einsprachigkeit bedeutsam. Die Wahl von Sprache(n) bedingt, welche Teile der Gesellschaft adressiert werden und auf welche Art und Weise sowie in welchem Umfang das geschieht. Auch gilt es zu beachten, ob sich die Texte anders oder gar in interkultureller Gestalt manifestieren. Das passiert etwa in einer Hybridtextsorte, wo Textsortenspezifika einer Kultur und Sprache mit denen einer anderen kombiniert werden (siehe Lerneinheit 3.2). Der hierarchische Status der beteiligten Akteurinnen und Akteure variiert. Davon abhängig ist etwa, inwiefern Diskursregeln mitgestaltet und bestehende Praktiken aufgegriffen werden können. Sie hängen stark mit unterschiedlichen (Sprach-)Kultu‐ ren zusammen. Foucault betont, dass Aussagen im Diskus nicht bloß von einem Akteur hervorgebracht werden, sondern - aufgrund der eben beschriebenen Wechselwirkung - immer im Geflecht des gesamten Diskurses zu sehen sind. Die transtextuelle Ebene nimmt die Überblicksperspektive ein, also die Perspektive über den gesamten Diskurs. Das Modell (DIMEAN, siehe oben Abbildung 3.4) legt also nahe, mit wissenschaftlichen Methoden das Überindividuelle herauszuarbeiten. Empfehlenswert ist dabei ein Vorgehen mit drei methodischen Ansätzen, was man trianguliertes Vorgehen nennt. Eine Theorie, die bei dem überblickenden Vergleich 138 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="139"?> von Bedeutungen der womöglich sehr unterschiedlichen Einzeltexte hilft, ist die der Frame-Semantik. Sie wird als beispielhaftes Konzept für die Untersuchung der transtextuellen Ebene im Detail im nachfolgenden Abschnitt vorgestellt. Mit einer derart abstrahierenden Methode können Beziehungsstrukturen aus Texten von unter‐ schiedlich politisch gesinnten, mächtigen, kulturellen, verschiedensprachigen oder institutionellen Akteuren herausgearbeitet werden. Experiment 1 Recherchieren Sie Beispiele für das diskursive Verhalten von Akteuren aus mindes‐ tens drei unterschiedlichen Kontinenten, die am Klimawandeldiskurs partizipieren. Möglich wären die oben im Beispiel in Abbildung 3.3 genannten Akteure. Stellen Sie Thesen über deren hierarchisches Verhältnis zueinander und die kulturellen Diskurspraktiken bei diesem Thema auf. Wir verstehen nun, aus welchen Ebenen Diskurse bestehen. Daraus wird deutlich: Da die Einzeltexte der intratextuellen Ebene von den herrschenden Diskursprakti‐ ken - also den sich über die Zeit verändernden sprachlichen Gepflogenheiten des Gesamtdiskurses - geprägt werden, nehmen Diskurse auch stets am gesellschaftlichen Sprachwandel teil (siehe Lerneinheit 1.3 in diesem Band). In Lerneinheit 1.3 wird deutlich, dass sich Sprachwandel oft zuerst in der mündlichen Sprache niederschlägt. Das lässt sich zum Beispiel bei der zunehmenden Verwendung von Anglizismen in der deutschen Sprache feststellen. In Bezug auf die Untersuchung von Diskursen müssen wir hier zwei Dinge feststellen: Auch, wenn in der Diskurslinguistik meist von Text gesprochen wird, sind damit durchaus auch Gespräche gemeint - in der Diskurslingu‐ istik wird also ein sehr weiter Textbegriff genutzt. Zweitens muss erwähnt werden, dass unterschiedliche Akteure unterschiedliche Diskurspraktiken nutzen - also sehr unterschiedlich beschaffene Einzeltexte hervorbringen - und damit gleichzeitig auf die Bildung und Ausgestaltung von Diskursregeln einwirken. Tendenzen des Sprach‐ wandels sind also auf der transtextuellen Ebene feststellbar und bilden, zum Beispiel neben den Frames, eine relevante Vergleichsgrundlage. Texte werden zunehmend mehrsprachig gestaltet, für manche Textsorten, etwa Chats oder Kommentarforen in den sozialen Medien, ist dies bereits konstituierend (vergleiche Brinker/ Cölfen/ Pappert 2018: 154). Aufgrund der eingangs beschriebenen, sehr weitreichenden Dimension von internationalen Diskursen, werden diese in unserer vernetzten Welt über Länder- und Sprachengrenzen hinweg geführt. Allein die Auswahl einer oder mehrerer Sprachen, die ein Akteur zur Gestaltung seiner Diskursbeiträge trifft, ist schon ein bedeutungs‐ tragender, sprachlicher Sachverhalt. Welche Akteurinnen und Akteure mit welchen Sprachen bei der Betrachtung eines Diskurses ausgewählt werden, ist zentral für die Perspektive auf den Diskurs und wird im Folgenden als Frage der Korpusbildung beleuchtet. 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 139 <?page no="140"?> Zuletzt wollen wir also die Frage klären, die für das Verstehen von Diskursen grundlegend ist: Was gehört alles zu dem jeweiligen Diskurs? Diese Frage ist für Wissenschaftlerinnen, die Diskurse untersuchen, oder Lehrer, die ihre Lerngruppe mit Material aus einem bestimmten Diskurs konfrontieren, besonders relevant. Die Korpusbildung ist deshalb eine zentrale Herausforderung in der Darstellung, Unter‐ suchung und Beschreibung von Diskursen, denn das Korpus wird in der Analyse als stellvertretend und damit repräsentativ für den Diskurs angesehen. Es sollte dem‐ entsprechend auch stellvertretend für die fokussierten Akteurinnen sein (vergleiche Hermanns 2007: 190). Busse (vergleiche 2013: 148) weist darauf hin, dass manchmal explizite Hinweise zur Zugehörigkeit zu einem Diskurs in den Texten selbst auftau‐ chen, dies aber keinesfalls eine Voraussetzung für die (korrekte) Zuordnung zu einem bestimmten Diskurs sei. Die Zuordnung von Einzeltexten oder Akteurinnen und Ak‐ teuren sieht er bereits als Vorgang des Interpretierens (vgl. ebd.). Bei unserem Beispiel des Klimawandeldiskurses bedeutet das, dass Schüler der Fridays for Future-Bewegung mit einem Plakat der Aufschrift skolstrejk för klimatet zwar mit ihrem Einzeltext eindeutig als Akteurinnen und Akteure dem Diskurs über den Klimawandel zugeordnet werden können. Bei dieser Zuordnung hilft neben dem schwedischen klimatet ein Plakat mit dem englischen Namen der Bewegung Fridays for Future. So kann durch programmatische Texte von Fridays for Future-Gruppen relativ problemlos aufgezeigt werden, dass die Forderungen dieser Gruppierung für einen aktiven Klimaschutz eintreten. Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Erstellen Sie eine Materialsammlung zum Klimadiskurs mit folgenden Eigenschaf‐ ten: ▶ Thematischer Bezug zum Klimadiskurs, ▶ Mindestens zwei verschiedene Positionen, die sich jeweils in mindestens zwei Texten abbilden. ▶ Recherchieren Sie auch nicht-deutschsprachige Beiträge. Reflektieren Sie, inwiefern Thema, Sprache, Stil und Positionen zueinander in Relation stehen und inwiefern dies für Lerngruppen relevant ist. 3.3.2 Frame-Semantik als Konzept zum transtextuellen Verständnis Eine Theorie, die sich für linguistische Diskursanalysen als gewinnbringend erwiesen hat, ist die sogenannte Frame-Semantik, weil sie den für Diskursanalysen besonders relevanten Aspekt des kontextuellen Wissens bei der Sprachverwendung in den Blick nimmt. Es gibt eine Vielzahl an Methoden - etwa Argumentationsanalysen oder korpuslinguistische Verfahren -, die in linguistischen Diskursanalysen zum Einsatz kommen können. Der Vorteil eines frame-semantischen Zugangs zu Diskursen liegt 140 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="141"?> darin, dass sich viele dieser Methoden gut in ihn integrieren lassen und er sehr anschaulich ist. Auch Schülerinnen und Schülern können frame-semantische Bezüge durch die gute Visualisierbarkeit verständlich gemacht werden. Kognitive Semantik Die Frame-Semantik ist eine kognitive Semantiktheorie. Sie ist verwandt mit anderen kognitiven Sprachauffassungen, die besonders in den USA ab den 1970er und 1980er Jahren entstanden, wie beispielsweise der in Lerneinheit 6.1. erwähnten Theorie der konzeptuellen Metaphern (vergleiche Lakoff/ Johnson 2011). Gemeinsam ist solchen Theorien vor allem ein Bruch mit klassischen Sprachkonzeptionen, die Sprache meist als von weiteren Faktoren unabhängiges und eigenständiges System betrachten. Für kognitive Sprachtheorien kann Sprache jedoch nur in Verbindung mit anderen geistigen Fähigkeiten des Menschen begriffen werden. Bedeutung ist ihrer Ansicht nach nicht „in den Wörtern“ an sich angelegt - genau genommen gibt es eine rein sprachliche Bedeutung in diesem Sinne gar nicht. Vielmehr verweisen Wörter auf das in mentalen Konzepten gespeicherte Weltwissen von Sprecherinnen (vergleiche Busse 2012: 536-537). Durch die Art und Weise dieses Verweises „entsteht“ Bedeutung in sprachlichen Äußerungen in Korrelation zur Wissensentwicklung immer neu (vergleiche Fauconnier 1997; Lakoff 1986). Experiment 2 Reflektieren Sie, an welches Thema Sie denken, wenn Sie den folgenden Satz lesen: Während die Meeresspiegel steigen, setzt Deutschland immer noch auf Braunkohle. Warum denken Sie an dieses Thema? Auf welche Weise ist dieses Thema ‚im Satz enthalten‘? Wie also stellt die Sprache eine Verbindung zu unserem Wissen her? Und wie kann man sich dieses Wissen vorstellen? Um diese Fragen zu beantworten, greifen kognitive Semantiktheorien auch auf Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie zurück. Dabei wird angenommen, dass unser Wissen von der Welt in Konzepten gespeichert ist - den Frames. Sie bilden einen strukturierenden Rahmen zur Organisation umfangreicher Wissensbestände. Wesentlich ist, dass diese Frames nicht ungeordnet vorliegen, son‐ dern eine interne Struktur aufweisen. Die Frame-Semantik versucht zu beschreiben, wie Sprache mit solchen Wissensstrukturen interagiert, um Bedeutung zu erzeugen. Kasusrahmentheorie Um zu begreifen, was mit der Struktur von Frames gemeint ist, lohnt ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Theorie. Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Frame-Semantik war die sogenannte Kasusrahmentheorie von Charles Fillmore (vergleiche Busse 2008, 2012: 34; Fillmore 1982: 114). Deren Ausgangsgedanke war es, 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 141 <?page no="142"?> dass Verben eine Reihe bestimmter anderer sprachlicher Elemente notwendig machen, sobald sie in einem Satz auftauchen. So ist z. B. Peter schlägt für Sprecher des Deutschen kein vollständiger Satz, da hier nur das Subjekt des Prädikates realisiert ist. Das Akkusativobjekt, das man automatisch erwartet (wen oder was schlägt Peter? ), fehlt. Diese Kraft des Verbs, Leerstellen in einem Satz zu erzeugen, wird auch als seine Valenz bezeichnet. Das Modell der auf Tesniere zurückgehenden Valenzgrammatik ist also eng mit der hier beschriebenen Frame-Theorie verwandt. Aufgabe zur Inputverarbeitung 3a Informieren Sie sich über die Grundzüge der Valenzgrammatik. Auf welcher Grundidee basiert diese? Szenen und Frames Die Frame-Semantik weitet diesen ursprünglich syntaktischen Gedanken auf eine semantische Ebene aus: Beim Lesen (oder Hören) des Verbs schlägt wird im Verstehen eine Szene aktiv (vergleiche Fillmore 1982: 116), die mehrere miteinander verbundene Elemente beinhaltet: Jemand (Subjekt), der jemand anderen oder etwas (Objekt) schlägt. Diese Szene ist in unserem Weltwissen verankert. Sie beinhaltet allerdings deutlich mehr als nur die Information über die erforderlichen Satzglieder: Wir wissen auch, dass es sich um einen physischen Prozess handelt, bei dem die Schlagende als Handelnde (Agens) agiert, während die Geschlagene diejenige ist, der die Handlung widerfährt (Patiens). Die Verbform schlägt verweist so auf einen Frame SCHLAGEN, der eine innere Struktur aufweist. Tatsächlich wissen wir aber sogar noch deutlich mehr: So nehmen wir z. B. automatisch an, dass Agens und Patiens sich nicht an zwei unterschiedlichen Enden der Welt aufhalten, dass der Prozess selbst nur etwa eine Sekunde dauert, dass Peter wahrscheinlich Aggressionen gegen das Patiens hegt, dass das Patiens - sollte es lebendig sein - wahrscheinlich Schmerz empfinden wird und so weiter. Unser Frame SCHLAGEN ist also durch unser Erfahrungswissen und unsere Lebenswelt reichhaltig gefüllt und in mentalen Strukturen organisiert und sortiert. Aufgabe zur Inputverarbeitung 3b Lesen Sie den Satz Sabine fährt zur Arbeit und verdeutlichen Sie sich die daraus resultierende Szene. Welche Aussagen könnten Sie über diese Szene treffen, obwohl sie nicht im Wortlaut des Satzes enthalten sind? Könnten Sie beispielsweise etwas über die Uhrzeit aussagen? Wie könnten Sie das frame-semantisch erklären? In der Frame-Semantik wird dieser ursprünglich vor allem auf die Bedeutung von Verben bezogene Gedanke auf alle sprachlichen Einheiten übertragen: Diese verweisen auf Weltwissen, das selbst wieder strukturiert in Frames vorliegt. Frames beinhalten deutlich mehr als nur ‚sprachliche‘ Information: Sie sind organisierte Pakete aus 142 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="143"?> Annahmen, Wertungen und Handlungsmustern, die unsere Weltwahrnehmung und -interpretation leiten und ihr Sinn und Gestalt verleihen (vergleiche Fillmore/ Baker 2010). In der deutschsprachigen Literatur werden Frames deshalb auch ‚Wissensrah‐ men‘ genannt (vergleiche Busse 2008: 70-71). Frame-Strukturen Die einzelnen Bestandteile eines Frames nennt man Frame-Elemente (FEs). Dabei werden verschiedene Typen unterschieden: Zunächst öffnet ein Frame eine Reihe an Leerstellen (Slots). Diese können in konkreten Äußerungen mit konkreten Informatio‐ nen gefüllt werden. In unserem Beispiel Peter schlägt ist die Rolle des Agens ein Slot, der mit Peter als Füllwert (Filler) besetzt wird. Manche Slot-Besetzungen sind so typisch für einen Frame, dass sie ein fester Bestandteil von ihm werden. Diese Frameelemente werden Defaults genannt. Die einzelnen Frame-Elemente, die Slots im Frame besetzen können, sind selbst wiederum Frames, die ihrerseits eine Struktur mit Slots, Fillers und Defaults aufweisen. Das Weltwissen, auf das in sprachlichen Äußerungen zurückge‐ griffen wird, bildet somit also eine komplexe Netzwerkstruktur (vergleiche Busse 2012: 628; Ziem 2008). Frame-Strukturen lassen sich auf verschiedene Weise darstellen, etwa als Tabellen, Listen oder als Netzwerk- oder Strukturgrafiken (vergleiche Busse 2012: 708). Abbildung 3.5 zeigt beispielsweise eine grafische Repräsentation des Frames CAR ‚Auto‘. Die Knoten stellen einzelne Frame-Elemente dar, für die jeweils mögliche Filler angegeben sind. Die Linien (oder fachsprachlich Kanten) bezeichnen die Relationen der Frame-Elemente zueinander. Abbildung 3.5: Der Frame CAR (eigene Darstellung nach Barsalou 1992: 30) Verstehensrelevantes Wissen Die Bedeutung einer Äußerung durch den Verweis auf die Netzwerkstruktur unseres Weltwissens entsteht laut der Frame-Semantik, indem eine Rezipientin zur Interpre‐ tation einer Äußerung auf Frames zurückgreift. Dazu identifiziert sie die einzelnen Konstituenten und deren Relation in der sprachlichen Struktur einer Äußerung und 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 143 <?page no="144"?> ‚vergleicht‘ diese mit den Frame-Strukturen ihres Weltwissens. Einzelne Wörter können beim Verstehen Frames direkt aufrufen, wie etwa das Verb schlagen den Frame SCHLAGEN aufruft wie in unserem Beispiel weiter oben. Man spricht davon, dass ein Frame, der zu dieser Struktur passt, evoziert wird, um diese Äußerung zu interpretieren. Außerdem können die Wörter einer Äußerung auf typische Füllwerte (Defaults) weiterer Frames verweisen. So beinhaltet etwa der Satz Lena bläst die Kerzen auf dem Kuchen aus Wörter, die auf typische Füllwerte des Frames GEBURTSTAG verweisen (Kuchen, Kerzen, ausblasen). In beiden Fällen wird das im Frame gespeicherte Weltwissen im Verstehensprozess auf den von der Äußerung dargestellten Sachverhalt übertragen. So können auch nicht explizierte Frameelemente bei der Interpretation einer Äußerung mitverstanden werden (vergleiche Busse 2012). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass zum Verstehen einer Äußerung zwischen Sprecherin oder Sprecher und Hörerin oder Hörer ein geteilter Vorrat an „verstehens‐ relevantem Wissen“ (Busse 2012) vorliegen muss - etwa ein Wissen um den Vorgang des Schlagens oder den Ablauf von Geburtstagen. Inhalt und Struktur dieses Wissens ist ein Resultat der Beschaffenheit der Lebenswelt, der menschlichen Körperlichkeit und vor allem der Teilhabe an einer Kultur- und Sprachgemeinschaft (vergleiche Busse 2012; Fillmore/ Baker 2010). Verständigungsprobleme sind also nicht nur Code-bedingt. Sie können auch das Resultat von kultur- und sprachspezifischen Unterschieden der Frame-Struktur sein, die das Weltwissen von Sprecherin und Hörerin ausmacht. 3.3.3 Frames und Diskurs Versuchen wir nun im Folgenden, das bisher Besprochene auf unser Experiment zu Beginn dieser Lerneinheit zu übertragen. Wir können nun nachvollziehen, dass zum Verstehen des Satzes Während die Meeresspiegel steigen, setzt Deutschland immer noch auf Braunkohle der Frame KLIMAWANDEL evoziert wird. Dies geschieht, da durch Meeresspiegel steigen und Braunkohle zwei Frame-Elemente von KLIMAWANDEL im Text explizit erwähnt werden. Dabei bilden diese Elemente sogar eine wesentliche Struktur innerhalb des Frames ab, nämlich die von URSACHEN des Klimawandels auf der einen Seite und seinen AUSWIRKUNGEN auf der anderen Seite. Das Nomen Braunkohle verweist auf den komplexen Frame BRAUNKOHLE, in dem schematisch unser Wissen darüber gespeichert ist, dass Braunkohle als Energieträger in Kraftwer‐ ken zur Stromerzeugung verbrannt wird, wobei CO 2 in die Atmosphäre gelangt. An dieser Stelle geraten nun Diskurse in den Blick einer frame-semantischen Perspektive auf sprachliche Bedeutung: Unser Wissen um Inhalte und Strukturen von Frames erwerben wir durch den alltäglichen Sprachgebrauch und unsere Teilhabe in unserer gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebenswelt. Wie oben erklärt, wird diese Teilhabe am kommunikativen Alltag wesentlich durch die Teilhabe an gesellschaftli‐ chen und öffentlichen Diskursen mitbestimmt. Unser Weltwissen und somit auch unsere Frames sind also abhängig von Diskursen. Und diese sind - als sprachliche Strukturen - ihrerseits abhängig von unseren Frames (vergleiche Ziem 2005). 144 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="145"?> Betrachten wir das Beispiel aus unserem Experiment unter dieser Perspektive, können wir noch mehr erkennen: Nämlich einen Frame, den man ENERGIEPOLITIK nennen könnte und der durch Deutschland setzt auf Braunkohle evoziert wird. Ob dieser Frame beim Verstehen der Äußerung evoziert wird, hängt auch davon ab, ob eine Rezipientin weiß, dass Braunkohle in Deutschland trotz negativer Folgen für das Klima in großem Umfang zur Energiegewinnung genutzt wird. Das wiederum ist ein wichtiges Thema des Klimawandeldiskurses in Deutschland. Kennt man die‐ sen Diskurs, dann versteht man das im Beispielsatz ausgedrückte spannungsreiche Verhältnis der Frames ENERGIEPOLITIK und KLIMAWANDEL. Das Wissen über den deutschen Klimawandeldiskurs bildet so den eigentlichen Verstehenshintergrund unseres Beispielsatzes, der über die reine ‚Wörterbuchbedeutung‘ von Braunkohle deutlich hinausreicht. Aufgabe zur Inputverarbeitung 3c Überlegen Sie, ob Sie Beispiele für Themen aus den Nachrichten kennen, bei denen das Spannungsverhältnis zwischen Energiepolitik und Klimawandel eine Rolle spielt. Recherchieren Sie Beispiele für Nachrichten-Headlines, die dies zum Ausdruck bringen und überlegen Sie, ob sich dabei etwas über die Struktur des KLIMAWANDEL-Frames erkennen lässt. Suchen Sie im Internet nach Ergebnissen zu den Suchbegriffen Braunkohle und lignite und vergleichen Sie die Ergebnisse. Reflektieren Sie daran anschließend die Einbindung von Frame-Wissen in Diskurse und das jeweilige Bedeutungspotential von Wörtern in internationalen Diskursen. Tatsächlich ist es wohl unser Wissen um genau diese diskursiv geprägte Vernetzung der beiden Konzepte, die für uns beim Verstehen des Beispielsatzes leitend ist: Weil wir ganz ähnliche Äußerungen aus Diskursen zum Thema Klimawandel kennen, konnten wir schnell auf die Frames KLIMAWANDEL und ENERGIEPOLITIK zur Interpretation des Satzes zurückgreifen. Die Evozierung von Frames ist also relativ zu Diskursen, indem innerhalb von Diskursen bestimmte Elemente bestimmten Frames zugeordnet werden und Frames miteinander verbunden werden. Zum Beispiel lässt sich auch eine Positionierung der Sprecherin erkennen: Wir erkennen in unserem Beispielsatz Während die Meeresspiegel steigen, setzt Deutschland immer noch auf Braunkohle eine ablehnende Haltung, ausgedrückt durch das abwertende „immer noch“, der Sprecherin gegenüber der aktuellen Energiepolitik im Kontext des Klimawandels. Dass dies so ist, liegt auch an der engen Verwandtschaft von Frames und Argumentationen, die sich in den meisten Fällen nur vor einem Diskurshintergrund vollständig erklären lässt. In unserem Beispielsatz ist es Teil unseres Wissens, dass im Diskurs über die deutsche Energiepolitik der Klimawandel beziehungsweise die unerwünschten Folgen des Kli‐ mawandels von Kohlegegnern als Argument für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger genutzt wird, die als eine maßgebliche Ursache des Klimawandels 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 145 <?page no="146"?> gesehen werden. Das Klimawandel-Argument der Kohlegegner beruht auf der inter‐ nen Struktur des KLIMAWANDEL-Frames, zu dem wesentlich die Slots URSACHEN und FOLGEN gehören, die auch mit den Defaults BRAUNKOHLE und STEIGENDE MEERESSPIEGEL gefüllt sind. An dieser Stelle kann ein, in der Rhetorik und der Argumentationstheorie schon lange bekanntes, allgemeines Argumentationsmuster (Topos) greifen, der sogenannte Konsequenztopos: Dieser besagt in seiner negativen Formulierung, dass eine Handlung, die zu unerwünschten Konsequenzen führt, unter‐ lassen werden soll. Diese Aussage ist auf die Struktur des KLIMAWANDEL-Frames übertragbar: Wird der KLIMAWANDEL-Frame in einer Äußerung evoziert, kann das Steigen der Meeresspiegel als Argument für den Kohleausstieg genutzt werden. Somit sind Argumentationen in Diskursen immer abhängig vom konzeptuellen Wissen und den evozierten Frames. Frames stellen in Diskursen nicht nur die Grundlage für Argumentationen dar. Das Evozieren von Frames kann auch Bestandteil einer rhetorischen Strategie sein. So werden die Protest-Maßnahmen von der Fridays for Future-Bewegung in Anknüpfung an den schwedischen Begriff skolstreijk als Klimastreik bezeichnet. Durch diese Bezeichnung überträgt sich das konzeptuelle Wissen des STREIK-Frames auf die Protestaktionen. Dies beinhaltet z.-B. ein hierarchisches Verhältnis von zwei AKTEURsgruppen, von denen die eine über eine Entscheidungsgewalt über die andere verfügt, umfasst weiter Gewaltlosigkeit, den Ausdruck von Unzufriedenheit mit Rückgriff auf das Konzept der GERECHTIGKEIT als MOTIVATION und die Arbeitsniederlegung als MASSNAHME. Zu beachten ist, dass manche prototypischen Elemente des ursprünglichen STREIK-Frames nicht auf die Klimaproteste übertrag‐ bar sind, so etwa die Rollen von Arbeitgeber und -nehmer, Streikbrecher, Löhne oder Tarifverträge. Dennoch gehört es in Deutschland auch zum Wissen um das Konzept STREIK, dass diese Maßnahme als rechtmäßiger und gesetzlich verankerter Ausdruck von Unzufriedenheit im öffentlichen Raum sichtbar gemacht wird. Die spezifische Benennung der Protestaktionen unter Rückgriff auf den Frame STREIK liefert somit also zugleich einen Ausdruck eines zugrundeliegenden Rollenverhält‐ nisses, eine Handlungsaufforderung an eine (unterspezifizierte) Adressatengruppe sowie die Legitimation der Maßnahme. Frame-semantische Analysen können für Diskursanalysen also in zweierlei Hin‐ sicht interessant sein: Zum einen lässt sich prüfen, welches Wissen in Diskursäuße‐ rungen als Bestandteil von Diskursstrategien evoziert wird. Zum anderen lassen sich Strukturen im Wissen einer Diskursgemeinschaft erkennen, die die Grundlage ihres sprachlichen Handelns bilden. Insbesondere lassen sich so auch sprach- und kultur‐ spezifische Wissensstrukturen herausarbeiten. Die Analyse der evozierten Frames im Sprachgebrauch in mehrsprachigen Diskursen kann somit Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Verständnischancen und -hindernisse herausarbeiten und für sie sensibilisieren. 146 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="147"?> Transferaufgabe Prüfen Sie anhand von Verwendungskontexten der Lexeme strike, Streik, scioppero ob stets derselbe Frame STREIK zugrunde liegt. Finden Sie Unterschiede? Wir wollen weiter am KLIMAWANDEL-Diskurs arbeiten: Nutzen Sie dafür die in vielen Sprachen verfügbare Online-Enzyklopädie Wikipedia. Suchen Sie zuerst auf Deutsch den Artikel zum Klimawandel heraus. Über ein Auswahlfeld in der linken Spalte können Sie durch die verfügbaren Sprachen dieses Themas navigieren. Vielleicht sprechen/ lesen Sie einige Sprachen nicht: Welche Parameter kann man trotzdem vergleichen? Stellen Sie Hypothesen zur Vergleichbarkeit der Frame-Elemente von Bildmaterial, Überschriften und Text auf. Erstellen Sie Arbeitsmaterial, bei denen einer Lerngruppe synchron Aufgaben zugewiesen werden, um ‚Patenschaften‘ für verschiedensprachliche Artikel zu übernehmen und anschließend sprachvergleichend transtextuell vorzugehen. Welche Vorteile birgt diese transtextuelle Auseinandersetzung für (mehrsprachige) Lerngruppen? 3.3.4 Zusammenfassung ▶ Diskurs ist eine Dimension des alltäglichen Sprachgebrauchs, die als Aushand‐ lung eines Themas durch Kommunikation mehrerer Akteurinnen und Akteure zu verstehen ist. Ein Beispiel ist der Klimawandeldiskurs. Diskurse umfassen eine Vielzahl von Texten, zu denen auch mündlich geführte Gespräche gehö‐ ren. ▶ Das sprachliche Handeln in gesellschaftlichen und vor allem öffentlichen Kontexten findet in Diskursen statt. ▶ Sprache als in Diskurse eingebettet zu verstehen ist eine bedeutende und bereichernde Perspektive für mehrsprachige Kontexte: Öffentliche Themen werden oft international oder zumindest parallel in unterschiedlichen Ländern diskutiert. Heute sind selbst national geführte Diskurse meist mehrsprachig. ▶ Das Wissen einer Sprecher- und Diskursgemeinschaft ist wichtiger Teil des sprachwissenschaftlichen Interesses. Eine semantische Theorie, die dieses Wissen zu beschreiben versucht, ist die Frame-Semantik. ▶ Die frame-semantische Beschreibung nimmt den Zusammenhang von sprach‐ lichen Strukturen und Strukturen im Wissen einer Sprechergemeinschaft in den Blick. Gerade bei der Sprach(en)verwendung in Mehrsprachigkeitskontex‐ ten geht es immer auch darum, auf welche Weise sprachliche Zeichen auf komplexe sprach- und kulturspezifische Wissensstrukturen verweisen. 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten 147 <?page no="148"?> 3.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Inwiefern können Akteurinnen und Akteure an Diskursen teilnehmen? 2. Weshalb sind Mehrsprachigkeit und Interkulturalität zentrale Eigenschaften vieler Diskurse? 3. Welche Arten von Einzeläußerungen können Diskurse einschließen? 4. Was sind Frame-Elemente? 5. Was bedeutet verstehensrelevantes Wissen aus Perspektive der Frame-Semantik? 6. Wie hängen Frame-Semantik und linguistische Diskursanalyse zusammen? 148 3 Mehrsprachigkeit in linguistischen Kontexten <?page no="149"?> 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten In Kapitel 4 wenden wir uns multimodalen Aspekten von Kommunikation zu. Die enorme Diversität unserer Gegenwart bildet sich auch in einer großen und stetig zu‐ nehmenden Vielzahl von Kommunikationsformen ab, die insbesondere durch die Digi‐ talisierung eine hochdynamische Vielfalt entwickeln. Oft benötigen wir umfangreiches Hintergrundwissen, um die transportierten Bedeutungen in ihrer Vielschichtigkeit entschlüsseln zu können. Dabei sind Bilder zur Kommunikation im öffentlichen Raum oder zum Weitergeben von Informationen genauso wie Sprache mit Unterstützung von Mimik und Gestik selbst archaisch. Uralte Medien bestehen also gegenwärtig parallel neben Formen sich rasant entwickelnder digitaler Technik. Diese große Bandbreite an Kommunikationsformen stellt auch Medien für die Wissensvermittlung zum Beispiel im Unterricht bereit. Unterricht - gerade Sprachenunterricht - sollte diese Kommunikationsmöglichkeiten bekanntmachen, einüben und einen kritischen Umgang mit Medien zum Ziel haben; wir sprechen in diesem Zusammenhang von Digital Literacy. Mit dieser Absicht wollen wir in Lerneinheit 4.1 untersuchen, wodurch sich verschiedene Kommunikationsarten überhaupt voneinander unterscheiden und welche Aspekte es sind, die gerade auch hinsichtlich interkultureller Kommunikation besonderer Beachtung bedürfen, um Kommunikation gelingen zu lassen und so zum Beispiel zur aktiven Teilnahme an geführten Diskursen und ihrem Verstehen zu befähigen. In Lerneinheit 4.2 betrachten wir das Bild als Kommunikationsgegenstand und lernen daran beispielhaft, wie Verstehensprozesse ablaufen und wie wir dazu beitragen können, dass Kommunikation verständlich ist. In Lerneinheit 4.3 begeben wir uns in den öffentlichen Raum und betrachten sprachliche Landschaften, sogenannte Linguistic Landscapes. Wir reflektieren dabei die Sprachen, mit denen wir stetig oder manchmal auch nur unterschwellig in Kontakt sind. Dabei lernen wir die Forschungs‐ richtung des Linguistic Landscapings auch hinsichtlich von Einsatzmöglichkeiten im (Fremd-)Sprachenunterricht kennen. <?page no="150"?> 4.1 Bild und Sprache als Phänomene multimodaler Kommunikation Lukas Daum Durch die voranschreitende Digitalisierung steigt nicht nur die Anzahl bildlicher Darstellungen in den sogenannten neuen Medien wie PC und Smartphone, auch die Gestaltungsvielfalt der gedruckten Texte nimmt zu. Deshalb interessieren sich Linguistinnen und Linguisten seit einiger Zeit sehr für Bild-Sprache-Kom‐ munikation, ein Gebiet, das in der Forschung als visuelle Wende bezeichnet wird (vergleiche Ballstaedt 2012: 17; Bucher 2011: 123). Das Wissen um Sprache- Bild-Verknüpfungen und die Potenziale solcher Kommunikationsformen sind auch für Lehrer und Lehrerinnen relevant. Die neuen Medien erlauben nicht nur, schriftliche Sprache mit Bildern zu verknüpfen, sondern auch Musik und Geräusche, haptische Elemente und auch gesprochene Sprache in immer neuen Kompositionen miteinander zu verzahnen. Die vielfältigen Kombinationsmög‐ lichkeiten werden genutzt, um Informationen zu präsentieren, zu unterhalten, Wissen zu vermitteln oder zu manipulieren. In dieser Lerneinheit beschäftigen wir uns konkret mit verschiedenen Arten von Bildern, die genutzt werden, um Texte zu rahmen, zu ergänzen oder gar zu ersetzen - wie es beispielsweise in Lehrmaterialien der Fall ist. Welche Typen von Bildern es gibt und wie das Verhältnis zwischen Bild und Sprache beschaffen sein kann, ist außerdem für die Auswahl von Lehrmaterial oder bei der wissenschaftlichen Analyse von multimodalen Texten zentral. Fragen dieser Art spielen auch hinsichtlich (inter)kultureller Besonderheiten, Hürden und Potenziale eine große Rolle. Auch wenn Mehrsprachigkeit auf den ersten Blick womöglich keine Eigenschaft von gegenständlichen Modalitäten wie Bildern zu sein scheint, werden wir herausfinden, dass hier doch eine hohe Sensibilität für ihren Einsatz in Lehr- und Vermittlungskontexten gefordert ist. Dabei wollen wir den Blick auf andere Modalitäten nicht verlieren, denn viele Erkenntnisse sind übertragbar auf die Reflexion unterschiedlichster Medien und Formate. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Beschreibungsmöglichkeiten für bildliche Elemente und Zeichen kennenler‐ nen; ▶ multimodale Kommunikation in Hinblick auf deren kulturelle Besonderheit reflektieren können; ▶ den Begriff der Multimodalität erklären können; ▶ semantische Beziehungen zwischen Texten und Bildern analysieren können; 150 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="151"?> ▶ semiotische Eigenschaften von Bildern und Text in Bezug auf kulturelle Konventionen benennen können; ▶ den Nutzen von visuellen Darstellungsformen in Lehrsituationen reflektie‐ ren können. Reflexionsaufgabe Stellen Sie sich vor: Ein Kinofilm ohne Musik, ein Kinderbuch ohne Bilder und eine Bedienungsanleitung ohne Sprache. Was stellt bei der Rezeption dieser Medien jeweils ein Problem dar? Würden Sie sich Musik, Bilder und Sprache in den betreffenden Medien wünschen? Das Möbelhaus IKEA etwa gibt nicht selten Bedienungsanleitungen ohne oder mit sehr wenig Sprache heraus - was könnte der Grund dafür sein? 4.1.1 Zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit multimodaler Kommunikation Der Begriff der Multimodalität tritt im aktuellen Forschungsgeschehen der Linguistik häufig auf, so auch in der Forschung zur Wissensvermittlung. Multimodalität bedeutet eine vielseitige Kommunikation: Möglicherweise wird über mehrere Sinneskanäle oder mit Hilfe verschiedener Zeichensysteme kommuniziert. Um eine in der Wissensver‐ mittlung und Kommunikation besonders wichtige Modalität weiter zu differenzieren, gehen wir außerdem auf verschiedene Typen von Bildern und deren besondere kommunikative Eignungen ein (Abschnitt 4.1.3) und betrachten weiter, wie Bilder mit Schriftsprache in komplexen Texten gemeinsam zu Bedeutungen führen (siehe 4.1.4). Mogl (2020: 3) weist darauf hin, dass Multimodalität gerade im mehrsprachigen Unterricht von besonderer Bedeutung ist: Nicht nur die nachfolgend beschriebene Präsenz der Multimodalität im Alltag vieler Menschen begründet dies, vielmehr müssen auch mehrsprachige Kompetenzen etwa beim Hören, Lesen oder Betrachten von Bildern und Filmen erworben werden. Um Multimodalität in der Wissensvermittlung wird es deshalb in Abschnitt 4.1.5 gehen. Bei der für viele Menschen alltäglichen Kommunikation via Smartphones sehen wir, dass die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung zu einer großen Bandbreite an Modalitäten geführt haben. Nur noch selten werden einzelne Modalitäten isoliert angeboten, sondern oft in Kombination miteinander: Videochats oder Dialoge zusam‐ mengesetzt aus Textnachrichten, Audio-Nachrichten, Piktogrammen und Bildern sind mit dem Smartphone für viele Menschen möglich geworden und alltägliche Beispiele für multimodale Kommunikation. Ballstaedt (2012: 17-18) stellt fest, dass auch die Veranschaulichung mittels Bildern, zum Beispiel in der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte, stark zugenommen hat. Die Reflexion von Multimodalität ist also nicht nur relevant für unsere alltägliche Kommunikation, sondern auch für die bewusste und 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 151 <?page no="152"?> geschickte Darstellung von Wissen. Zudem kann die Beschäftigung mit Multimodalität motivierend sein, denn Sprachenvorbilder von jugendlichen Lernern aus den oben genannten Medien agieren nicht selten mehrsprachig (vergleiche Mogl 2020: 3). Den Ausgangspunkt der Diskussion über den Begriff der Multimodalität bildet die Beschreibung des Zusammenspiels zweier archaischer Kanäle: von verbaler Kommunikation und gleichzeitig gestisch-mimischer Kommunikation. Hier findet die Kommunikation über zwei verschiedene Sinneskanäle statt, nämlich über den auditiven und den visuellen Sinn (vergleiche Staffeldt 2016: 449-450). Wir sprechen von verschiedenen Modalitäten. Damit wird deutlich, dass multimodale Kommunikation nicht bloß für technisch geprägte Kommunikation relevant ist. Multimodalität kann auf unterschiedliche Kommunikationsformen bezogen sein. In diesem Beitrag wollen wir in Anlehnung an den Begriff Multimodalität deshalb auch von Modalität/ Modalitäten sprechen, Kanal/ Kanäle wird in der Literatur oft mit der gleichen oder einer ähnlichen Bedeutung verwendet. Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Hören Sie das Video https: / / www.youtube.com/ watch? v=NE-6j3YTiAE zuerst mit geschlossenen Augen an. Weckt die Musik Assoziationen bei Ihnen auch in Bezug auf den Titel des Stücks „Auf einem persischen Markt“? Formulieren Sie Ihre Assoziationen in Form von Stichpunkten. Sehen Sie sich das Video nun an. Wie verändern sich Ihre Assoziationen - sind neue Elemente dazugekommen? Verdeutlichen Sie dies anhand Ihrer Stichworte. Inwiefern könnten Attribute wie eurozentrisch oder unauthentisch auf dieses Video zutreffen? Recherchieren Sie und schreiben Sie einen Videokommentar, der dies knapp erörtert. Denken Sie nach, inwiefern ein solcher assoziativer Zugang über verschiedene Modalitäten für Ihren Unterricht nützlich sein könnte. 4.1.2 Der multimodale Zeichencharakter von Bild und (Schrift-)Sprache Zunächst wollen wir herausfinden, welche Zeichentypen es gibt. Mit ihnen können wir dann die Eigenschaften und Bedeutung von Bild und Sprache herausarbeiten. Das Wissen über semiotische Eigenschaften und die Klassifikation von Zeichen ist zentral für deren Reflexion im Kontext interlingualer und interkultureller Kommunikation: zum Beispiel in der Vermittlung von Wissen in einer heterogenen Lerngruppe. Zum Abschluss dieser Lerneinheit erarbeiten wir eine Definition dessen, was Multimodalität für uns bedeutet, wofür die nachfolgende semiotische - zeichenbeschreibende - Klassifikation ebenfalls nützlich sein wird. Wir beginnen mit dem Rückbezug auf die Grundlagen der Semiotik mit der Klassi‐ fikation verschiedener Zeichen. Nach Peirce gibt es drei verschiedene Zeichentypen (Darstellung in Anlehnung an Keller 2018: 158-178): ikonische Zeichen, indexi‐ 152 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="153"?> kalische Zeichen (auch symptomatische Zeichen oder Symptome genannt) und symbolische Zeichen. Ikonische Zeichen stehen zu dem, was sie bezeichnen, in einem Ähnlichkeitsverhältnis. Fotos oder Zeichnungen von Personen oder von Gegenständen sind Beispiele für Ikonen. In der Modalität des Geräuschs können manche Menschen Vogelstimmen mittels Pfeifen imitieren. Abbildungen 4.1a und 4.1b sind größtenteils von ikonischem Zeichencharakter: Sie bilden zweidimensional die eigentlich räumlich ausgedehnte, dreidimensionale Pflanze ab. Um jemandem zu zeigen, was ein Oleander ist, eignen sich also beide Abbildungen. Abbildung 4.1a: Botanische Zeichnung eines Oleander-Asts aus Hendrik van Rheede et al. (1678-1693): Hortus Malabaricus, zuletzt abgerufen am 02.07.2021 von https: / / commons.wikime dia.org/ wiki/ File: Nerium_oleander00.jpg? uselang=de-formal Abbildung 4.1b: Fotografie eines Oleanders (Bild: Lukas Daum) Indexikalische Zeichen stehen in einem sogenannten Kontiguitätsverhältnis zu den bezeichneten Dingen: Sie sind durch zeitliche, logische, ontologische oder räumliche Verwandtschaft Repräsentationen im Sinne von Nachbildungen des Dargestellten. Lautes Bellen in einem Hörspiel steht zum Beispiel (ontologisch bedingt) als indexika‐ lisches Zeichen für die Anwesenheit eines Hundes; Fußspuren stehen für die Tatsache, dass jemand an dieser Stelle gelaufen ist; ein Blitz ist indexikalisch für das Vorhanden‐ sein von elektrischer Spannung sowie elektrischem Strom und ein beißender Geruch kann ein indexikalisches Zeichen dafür sein, dass das Essen auf dem Herd angebrannt ist. Diese Beziehungen werden also nicht durch Ähnlichkeiten, sondern durch Wissen gedeutet. Auch dieses Wissen muss erlernt werden, da indexikalische Zeichen eine Interpretationsleistung erfordern: etwa, dass Rötungen der Haut für eine Maserner‐ krankung stehen können (Beispiel aus Keller 2018: 161). Bemerkenswert ist, dass dieser Zeichentyp in der interkulturellen Kommunikation von basalen Emotionen wie Freude, 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 153 <?page no="154"?> Ärger, Furcht oder Trauer anhand von den dafür indexikalischen Gesichtszügen von Menschen international gut verständlich ist (vergleiche Kuhl 2010: 110-111). Die symbolischen Zeichen als dritter und letzter Zeichentyp sind arbiträr - das bedeutet kulturell vereinbart und nur mit Kenntnis dieser Vereinbarung verstehbar. Alle Sprachzeichen sind arbiträr, aber etwa auch Verkehrsschilder, Symbole in Apps und Programmen oder auf Landkarten und auch stimmlich-sprachliche Laute. Solche symbolischen Zeichen werden häufig für bildliche Darstellungen wie Diagramme, Charts und viele Skizzen verwendet, wie wir sie auch in Lehrwerken finden können. Sie sind Teil kultureller Konventionen und damit kulturspezifisch und müssen entspre‐ chend erlernt werden. Experiment 1 In den folgenden Lerneinheiten werden Sie sich weiter mit Zeichen im Raum und dem Konzept der Linguistic Landscape (Lerneinheit 4.3) auseinandersetzen. Gehen Sie vorbereitend und ohne Kenntnis jener Lerneinheiten in einen nahegelegenen, öffentlichen Raum, in dem interkulturelle Begegnungen stattfinden können, wie einen Park, eine Behörde oder ein Gemeindezentrum. Suchen Sie dort mindestens drei Beispiele jedes Zeichentyps nach Peirce. Überlegen Sie, ob diese Zeichen auch für Menschen aus einem anderen Kulturraum verständlich sind. Bereits anhand dieser wenigen Beispiele wird deutlich, wie vielfältig und unterschied‐ lich Zeichen in unserer Kommunikation sind. Daran schließt sich die Frage an, was die verschiedenen Zeichentypen mit Multimodalität zu tun haben. Diese Frage soll am Ende dieses Abschnitts durch Stöckls Auffassung von Modalitäten geklärt werden. Stöckl (2016: 6) weist auf zwei besonders häufige Auffassungen von multimodalen Systemen hin: Einerseits bestehe eine Art von Alltagsverständnis, bei dem Sprache und Bild, Sprache und Musik oder Sprache und Film als multimodale Arrangements wahr‐ genommen werden. Diese Auffassung von Multimodalität wird von Wildfeuer/ Bate‐ man/ Hiippala (2020) geteilt, die zeigen, dass Modalitäten ihre Bedeutungsmöglichkei‐ ten und Interpretation teilweise daraus beziehen, dass diese von Kulturen in deren Diskursführung gepflegt werden. Modalitäten haben eine sogenannte Semantik des Diskurses (vergleiche Wildfeuer et al. 2020: 142) (Vorsicht: Wildfeuer et al. haben einen Begriff von Diskurs, der grob mit Kommunikationsgepflogenheiten umschrieben werden könnte und damit wenig kompatibel zum Diskurs in Lerneinheit 3.3 ist): unsere im Alltag als unterschiedlich wahrgenommenen Kommunikationsformen wie Sprache, Bild, Geräusch und Musik können als Modalitäten betrachtet werden. Daneben besteht eine rein psychologisch motivierte Klassifikation, die jedem Sin‐ neskanal (und aus diesem Grund wird oft von Kanälen im Zusammenhang mit Multimodalität gesprochen) eine eigene Modalität zuschreibt: Demnach gäbe es die Modalitäten des Visuellen, des Auditiven, des Olfaktorischen, des Taktilen und des Gustativen. Dieses Verständnis ist für den linguistischen Kontext und unser Verständ‐ 154 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="155"?> nis nicht optimal, denn ein Text mit Bildern wäre nach der psychologisch motivierten Klassifikation nicht multimodal, da diese Kommunikationsformen als rein visuell klassifiziert würden. Mit dieser engen psychologischen Definition werden außerdem weitere Begriffe wie Multicodalität und Multimedialität notwendig, um weitere wich‐ tige Unterscheidungen treffen zu können. Weidenmann (2009) etwa betont, dass Multimedialität nur dann vorläge, wenn etwa PC und Text zusammen fungieren - wie es bei Lehrwerken mit begleitender Software oft angeboten wird. Darüber hinaus läge Multicodalität dann vor, wenn Text und Bild oder eine Grafik mit Beschriftungen vorhanden sind. Multimodalität läge nur dann vor, wenn mehrere Sinneskanäle ange‐ sprochen werden wie zum Beispiel durch eine audiovisuelle Lernsoftware. Übungen zum Hör-Seh-Verstehen sind sogar über ihren Namen als multimediales Lernangebot aus Visuellem und Auditivem definiert. Solche Übungen sind auf die Notwendigkeit einer multimodalen Kompetenz bei Lernern ausgerichtet, auf die wir in Abschnitt 4.1.3 eingehen. Die erstgenannte Begriffsverwendung ist nur schwer kompatibel mit dieser psychologischen Nutzung des Multimodalitätsbegriffs. Wir werden sehen, dass die psychologische Perspektive auf unsere Wahrnehmung relevant ist und in Stöckls Begriff von Modalität eingebunden ist. Unser Ziel ist es nicht, eine möglichst feine, theoretische Ausdifferenzierung vor‐ zunehmen, sondern einen Begriff von Multimodalität zu finden, der anschlussfähig an Alltagskommunikation ist, sodass ein Mehrwert für Lehrende und Lernende bei der Betrachtung von authentischen Kommunikationsgenständen entsteht. Dies ist insbesondere dann zentral, wenn es darum geht, immer neue Kommunikationsformen zu bewerten: Stetig aufs Neue werden wir mit voranschreitender Digitalisierung und Internationalisierung konfrontiert, die mit der Steigerung kommunikativer Vielfalt verbunden sind. Der oben bereits erwähnte, mehrdimensionale Begriff von Modalität nach Stöckl (2016: 7) kann eine Differenzierung leisten, die für gebräuchliche Modali‐ täten wie Sprache, Geräusche, Musik und Bild geeignet ist. Die Dimensionen, in denen sich Modalitäten dabei entfalten, sind a) die psychologische Wahrnehmung (oben auch Wahrnehmungskanal genannt - wir stellen außerdem fest, dass die psychologische Beschreibung damit als Teil von Multimodalität erhalten bleibt, aber eben nun als ein Aspekt neben anderen), b) die mediale Realisierung (dabei geht es nicht bloß um das Medium selbst, etwa Papier, sondern auch um die Technik der Kommunikation, also z. B. ob etwas händisch gezeichnet oder fotografisch gedruckt ist) und c) die Nutzung von semiotischen Systemen. Zur Beschreibung der semiotischen Komponenten eines komplizierten Zeichens, wie eine bildliche Darstellung es sein kann, können die zuvor beschriebenen Zeichentypen nach Peirce zu Hilfe genommen werden. Multimodale Kommunikationsgegenstände, die die Modalität des Bildes verwenden, sind zum Beispiel Comics, Webseiten, Bilder im Museum mit erläuterndem Text oder mit Audioguide oder Zeichnungen mit Graffiti auf der Wand einer Eisenbahnunter‐ führung. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 155 <?page no="156"?> Experiment 2 Im nachfolgenden Abschnitt wollen wir uns mit verschiedenen Bildern als Teilphä‐ nomene multimodaler Kommunikation auseinandersetzen. Dafür wollen wir die eben kurz angesprochenen Kommunikationsgegenstände auf ihren multimodalen Charakter hin untersuchen, um insbesondere die Unterschiede der Materialität und der genutzten semiotischen Systeme herauszuarbeiten. Diese Analyse wird exemplarisch an der Modalität des Bildes deutlich machen, dass weitere Differen‐ zierungen der Modalitäten zu deren Beschreibung aufgrund der Vielfalt der Phä‐ nomene nötig sind. Beschreiben Sie auf diese Art die Modi der eben aufgezählten Erscheinungsformen von Bildern mit Hilfe der drei Dimensionen nach Stöckl. 4.1.3 Unterschiedliche Bildtypen und deren kommunikative Eignung Bevor wir uns dem multimodalen Zusammenspiel von Bild und Sprache widmen, müssen wir klären, welche verschiedenen Bilder es gibt beziehungsweise was alles mit Bild gemeint sein kann. Wir müssen also eine Klassifikation für verschiedene Bildtypen finden und den kommunikativen Charakter von Bildern im interkulturellen Kontext reflektieren. Stöckl (2011: 45) stellt Teilfähigkeiten einer multimodalen Kompetenz heraus, und nennt als erstes „Sorten bzw. Typen von Bildern kategorisierend […] erkennen“. Diese Darstellung deutet nicht nur auf die Relevanz einer Bewusstheit bezüglich verschiedener Bildtypen in der kommunikativen Verwendung hin. Mehr noch weist die Notwendigkeit einer multimodalen Kompetenz darauf hin, dass auch multimodale Kommunikationsformen nicht automatisch einen kommunikativen Vorteil bieten, sondern, dass Modalitäten eingeübt werden müssen (ausführlich in Lerneinheit 4.2 in diesem Band). Und auch für die bewusste Gestaltung von Bildern ist die Kenntnis von Bildtypen zentral, denn unterschiedliche Bildtypen eignen sich für unterschiedliche Informationen besonders gut und sind in Bezug auf ihre Anforderungen an Kommu‐ nikationspartnerinnen verschieden (vergleiche Ballstaedt 2012: 19). Die Typen von Bildern werden im Folgenden nach Ballstaedt (2012: 19-20) dargestellt, der (externe) Bilder als „alle nichtsprachliche[n] Formen der visuellen Kommunikation“ (Ballstaedt 2012: 18) einordnet und damit einen weiten Begriff vom Bild vertritt. Experiment 3 Sie kennen verschiedene Bildtypen womöglich bereits aus alltagssprachlichen Kontexten oder können bereits aus deren Benennung ein erstes Verständnis entwickeln. Schreiben Sie zunächst ausgehend von diesem Verständnis (am besten mit Bleistift) Beispiele für die unterschiedlichen Bildtypen in die Freifelder von Abbildung 4.2. Ergänzen und korrigieren Sie gegebenenfalls diese Beispiele wäh‐ rend der Lektüre des weiteren Textes. 156 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="157"?> Abbildung 4.2: Typen von Bildern nach Ballstaedt (2012: 19), die leeren Felder warten auf eigene Beispiele und Beispiele aus dem Text (siehe Experiment 3) Die erste Unterscheidung erfolgt in darstellende und nicht darstellende Bilder. Nicht dar‐ stellende Bilder zeichnen sich durch einen hohen Grad an Abstraktheit aus. Solche Bilder können Gegenstände abstrakter Kunst oder Ornamentik sein. Da sie keinen eigentlichen Sachverhalt der Realität vermitteln, haben sie auch keinen Zeichenbezug und lassen sich nur schwer mit der eingangs dargestellten Systematik nach Peirce deuten. Manche Muster oder Ornamente haben aber einen symbolischen Charakter: Denken Sie an den Trauerrand auf Kondolenzkarten, an orientalisch anmutende Verzierungen auf einer Speisekarte eines libanesischen Restaurants oder das bayerische blau-weiße Rautenmuster auf Tischdecken. Die beiden letzten Beispiele sind im Kontext der Interkulturalität besonders spannend, da sie (womöglich klischeehaft) auf Kulturkreise verweisen. Abbildungen zählen wie alle folgenden Bildtypen zu den darstellenden Bildern. Abbildungen sind Faksimile der Wirklichkeit. Sie versuchen, Objekte, Personen, Handlungen oder Ereignisse nachzubilden. Technisch ist dies unter anderem durch Fotografien, Zeichnungen oder digitale, programmierte Grafiken möglich. Abbilder blenden - oft medial bedingt, wie bei einer Schwarz-Weiß-Fotografie oder der Detail‐ treue eines niederländischen Stilllebens des 17. Jahrhunderts - Facetten der bewussten oder unbewussten Wirklichkeit aus. Hier erkennen wir konkrete Beispiele für die Dimension b) der medialen Realisierung nach Stöckl. Eine Reflexion der kulturellen Komponente von Abbildern, die eben nur in einer bestimmten Perspektive einen Ausschnitt der Welt zeigen, nehmen wir in Lerneinheit 4.2 vor. Bei der Fotografie in Abbildung 4.3 handelt es sich ebenfalls um eine Abbildung nach Ballstaedt. Es ist ein multimodaler Text, der sowohl aus Schrift, chinesischen und lateinischen Schriftzeichen in deutscher Sprache, Zahlen, Währungssymbolen und Bildern besteht. Die Abbildungen stellen eine Veranschaulichung dessen dar, was man durch eine Bestellung erhalten kann: Es handelt sich also um eine Speisekarte (denken Sie in diesem Zusammenhang an unsere Diskussion über Textsorten in Lerneinheit 3.3). Die sprachlichen 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 157 <?page no="158"?> Zeichen dienen zur Kommunikation bei der Bestellung: Sie geben dem Gericht einen Namen. Weder aus Text noch aus Abbildungen sind zum Beispiel Zutaten oder Inhaltsstoffe ersichtlich, welche in diesem kommunikativen Kontext aber häufig angegeben werden. Diese textsortentypische Nennung von Inhaltsstoffen wäre mit Hilfe von beschreibendem Text oder mit Piktogrammen (auf diese gehen wir unten ein) möglich. Abbildung 4.3: Bestelltafel aus einem chinesischen Imbiss in Deutschland (Bild: Constanze Bradlaw) Visualisierungen (auch logische oder analytische Bilder genannt) sind sehr vielfältige Erscheinungen: Ihnen ist gemein, dass sie Abläufe oder Zusammenhänge sichtbar machen, die eigentlich nicht visuell erfassbar sind. Schaubilder, wie Mind-Maps, Diagramme, oder concept-maps verleihen nicht sichtbaren Zusammenhängen eine metaphorische, optische Struktur und können damit Verstehensprozesse unterstützen oder ermöglichen. Experiment 4 Sie sehen in Abbildung 4.4 Notentabelle und -spiegel einer kleinen Lerngruppe. Welche Elemente dieser Visualisierungen müssen zu deren Verständnis als Vorwis‐ sen bekannt sein? 158 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="159"?> Abbildung 4.4: Notentabelle und -spiegel Die in Abbildung 4.4 dargestellte Auswertung einer Klassenarbeit mit Hilfe von Tabelle und Diagramm stellt gleich zwei Sonderformen der Visualisierung dar: Die Tabelle gliedert und setzt durch ihre vertikalen und horizontalen Spalten und Zeilen Dinge miteinander in Beziehung, ohne diese Beziehung aber näher zu explizieren. Anhaltspunkte geben die Spaltenüberschriften, die durch Fettdruck typografisch her‐ vorgehoben werden. Typografie als Element des Designs erfüllt häufig Funktionen der Orientierung. Auch sie müssen erlernt werden (Funktionen zur Interaktion mit und Na‐ vigation durch multimodale Inhalte werden eingehend in Lerneinheit 4.2. beschrieben). Rahmenlinien sind bei Tabellen üblich, wobei ein fetter oder doppelter Rahmenstrich bedeuten kann, dass eine Summation durchgeführt wird: ein deutliches Beispiel für eine komplexe und gleichzeitig unscheinbare Konvention. Ein Notenspiegel wird oft als Balkendiagramm ausgeführt. Auch Tortendiagramme oder Messwertkurven, beide sind im naturwissenschaftlich-technischen Bereich gebräuchlich, wären denkbar und bergen weitere zahlreiche Lerngegenstände mit ihren spezifischen kulturellen Traditionen. Die dem Säulendiagramm zugrundeliegende kartesische Darstellung ist im europäischen Kulturraum seit der Renaissance bekannt und wird Kindern früh auf ihrem Bildungsweg nahegebracht (vergleiche Ballstaedt 2012: 24). Experiment 5 Erklären Sie einer ortsfremden Person, wie sie von Ihrer Adresse zur nächstge‐ legenen Fahrradwerkstatt kommt. Fertigen Sie also eine Wegbeschreibung an. Nun nehmen Sie eine Straßenkarte zur Hand und zeichnen den Weg ein. Welche Einträge sollte die Karte optimalerweise enthalten? Weshalb ist die Darstellung auf der Karte vermutlich einfacher zu befolgen als die Wegbeschreibung? Karten sind Darstellungen von geografischen Bereichen. Karten zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Raum durch Projektion auf eine zweidimensionale Fläche (im besonderen Fall des Globus auf eine dreidimensionale Kugeloberfläche) abbilden. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 159 <?page no="160"?> Abbildung 4.5: Piktogramm zur Kennzeichnung glutenfreier Le‐ bensmittel (Bildquelle: https: / / w ww.dzg-online.de/ informationen-z ur-lizenzierung-bei-der-dzg.808.0. html, abgerufen am 16.12.20) Auch von Karten gibt es zahlreiche, pragmatisch-funktional ausgerichtete Formen wie Lagepläne, Landkarten, Wanderkarten, Liniennetze im öffentlichen Nahverkehr oder Straßenatlanten. Moderne Formen der Karten vereinen verschiedene Gestalten oft in einem digitalen Kartenangebot, bei dem verschiedene Darstellungen interaktiv ausgewählt werden können und nahezu unbegrenzte Zusatzinformationen zum Kar‐ tenmaterial zur Verfügung gestellt werden. Besonders wichtig ist es also, Schülerinnen und Schülern früh verschiedene Formen von Karten mit ihren spezifischen Funktionen nahezubringen. Karten - abstrakt gesprochen: Bilder - haben gegenüber Schrifttexten ein hohes semiotisches Potenzial, eine besondere Eignung, zur Darstellung von räum‐ lichen Gegebenheiten (vergleiche Nöth 2000: 490-491). Wegbeschreibungen eignen sich aufgrund der Modalität der Sprache schlechter, um räumliche Gegebenheiten darzustellen. Optimal ist allerdings auch hier ein multimodales Zusammenwirken, wie bei Navigationsgeräten, wo die Potenziale beziehungsweise Stärken der Modalitäten, wie einerseits räumliche Darstellung durch Bilder andererseits das Appellieren durch Sprache mit konkreten Handlungsanweisungen, sich ergänzen. Im Unterricht etwa können wir Reflexion fast ausschließlich durch die Modalitäten der Sprachen ausdrü‐ cken (vergleiche Nöth 2000: 491). Ballstaedt (2012: 21) beschreibt Piktogramme und darunter die in elektronischen Medien üblichen Icons als „einfache, schematisierte Bildchen“, die aktivierend wirken. Sie zeichnet der Anspruch aus, frei von Spra‐ che und möglichst unabhängig von Kultur zu kom‐ munizieren. Dieser Anspruch kann natürlich nicht vollständig erfüllt werden. Inwiefern er berechtigt ist, stellt - womöglich auch in Bezug auf Medium und Verwendungskontext - eine spannende Frage dar. Der Totenkopf des Gift-Piktogramms - ein indexikalisches Zeichen - etwa wirkt vermutlich weitgehend abschre‐ ckend, doch allein Toiletten-Piktogramme können in unterschiedlicher Ausgestaltung mehr oder weniger kulturell festgelegt sein: Die Dame mit dem Rock und der Langhaarfrisur konkurriert im europäischen Kul‐ turraum mit dem Venussymbol. Bei der Diskussion um die Bestelltafel in Abbil‐ dung 4.3 wurde angesprochen, dass auch Piktogramme Informationen zu Inhaltsstoffen liefern können, die dann nicht sprachlich - etwa im Deutschen oder Chi‐ nesischen - ausgedrückt werden müssten. 160 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="161"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Fertigen Sie eine ausführliche Beschreibung aller Komponenten von Abbildung 4.5 an. Gehen Sie danach darauf ein, um welche Zeichentypen (Index, Ikon, Symbol) es sich dabei jeweils handelt. Diskutieren Sie, welches Vorwissen nötig ist, um das Piktogramm zu verstehen. Noch vielfältiger wird die Perspektive, wenn wir die in digitalen Medien eingesetzten Icons betrachten. Die Diskette als Speichericon in der Steuerungszeile von elektroni‐ schen Textprogrammen hat eine ikonische Zeichenmotivation, die aber Menschen, die nach dem Jahr 2000 geboren sind, womöglich kaum mehr vom dargestellten Objekt her bekannt sein dürfte und für diese so rein symbolische Funktion hat. Beispielsweise werden in zahlreichen Anwendungen - Programmen oder Apps -drei übereinanderstehende Punkte als Symbol für das Einstellungsmenü genutzt. Diese textfreie Programmnavigation stellt für ungeübte Nutzerinnen und Nutzer aufgrund des hohen Abstraktionsgrades oft ein Verstehensproblem dar. Das Feld der Emoticons, aus Textzeichen hergestellte Piktogramme, die eine Emotion darstellen oder eine Aussage illustrieren, sowie das der Emojis, die denen sehr ähnlich sind, aber grafisch ausgefeilter und ohne Textsymbole auskommen, wird immer größer und erfreut sich auch in interkultureller Kommunikation großer Beliebtheit. Diese relativ junge Form der bildlichen Kommunikation, die mit der großen Verbreitung der Smartphones seit Ende der 2000er Jahre an Vielfältigkeit und Häufigkeit stark zugenommen hat, ist ein guter Lehrgegenstand für den Unterricht: Eine hohe Sensibilität im Umgang mit dieser Kommunikationsform ist eine wünschenswerte Kompetenz, da Emoticons sehr gut an die Kommunikationssituation angepasst werden sollten. Emojis können als stilistisch unangemessen wahrgenommen werden, etwa in Situationen, in denen formale Standardsprache verlangt ist (vergleiche Albert 2020: 209). Die Art und Weise der Verwendung von Emojis geht weit über das bloße Illustrieren mit Abbildungen hinaus und stellt oft eine abstrakte, neue Bedeutungsebene des Bildzeichens dar, wie etwa die Verschiebung der Bedeutung hin zur Ironie oder das Ausdrücken einer Einstellung wie Freude oder Scham begleitend oder erläuternd zu einer Aussage. Piktogramme bilden also eine vielfältige Gruppe von Bildern, die durch ihre Eigenschaft der Handlungs- oder Emotionsaktivierung eine eminente Funktion im Kommunikationsgeschehen haben können. Wir fassen zusammen, was uns bisher zu Bild-Text-Arrangements bekannt ist: Nichtarbiträre Gegenstände wie Abbilder und abstrakte, arbiträre Gegenstände wie Symbole bergen in Texten spezifische Bedeutungen. Abbildungen, farbliche Gestaltungen, Zeichnungen und andere visuelle Darstellungen haben in der Kommunikation genauso Bedeutung wie Buchstaben, Worte und andere sprachliche Zeichen. Doch wie nehmen diese Bezug aufeinander? Woraus entsteht eine Kohärenz aus den unterschiedlichen Modalitäten? Wie verhalten sich die Bedeutungen zueinander? Bilder und Texte 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 161 <?page no="162"?> können sich gegenseitig auf vielfältige Art und Weise inhaltlich ergänzen, was im Folgenden durch eine Übersicht über semantische Beziehungen spezifiziert wird. 4.1.4 Bild-Sprache-Relationen Im europäischen, schriftsprachlich geprägten Kulturraum können Kombinationen aus Bild und Schrift als besonders zentral für Kommunikation angesehen werden, weshalb der Erwerb einer multimodalen Kompetenz mit Schwerpunkt auf diesen Modalitäten für den DaF/ DaZ-Unterricht besonders wichtig ist. Lerneinheit 4.2 geht explizit und umfangreich auf Verstehensprozesse ein, die durch diese ganz besonderen multimodalen Arrangements hervorgerufen werden können. Im Folgenden betrachten wir die Möglichkeiten der semantischen Anreicherung aus Bild und Schrifttext, die sich durch die Komposition und Kombination unterschiedlicher Modi ergeben können. Tatsächlich können auch Bild-Sprache-Relationen vielfältige Ausprägungen in allen oben beschriebenen Dimensionen nach Stöckl umfassen. So stellen bewegte Bilder eine medial andersartige Kommunikation dar als die oben dargestellten fixierten Bilder; Sprache kann mündlich oder schriftlich sein. Natürlich ist auch die Verknüpfung anderer Modi möglich und spannend: Beispiele sind etwa zahlreiche Anwendungen - Apps oder Programme - am Computer, welche visuell in Schrifttext und Bild, auditiv etwa in Sprache, Musik und Geräusch und gegebenenfalls sogar taktil durch den Einsatz von speziellen Eingabegeräten (vibrierende Joysticks oder Buzzertasten) gestaltet sind. Weiter nutzen Medien wie Funkkollegs, Film oder Theater Modalitäten in unterschied‐ licher technischer Gestalt. Sogar eine Verkehrsampel, die ein optisches Signal (oft rote, gelbe und grüne Farbe) sowie Geräusche und Vibrationen am Drücker als Signal für blinde Verkehrsteilnehmer nutzen kann, ist ein Sender multimodaler Kommunika‐ tion. Die im Folgenden nach Nöth (2000: 492-494) dargestellten Relationen können in vielfältiger Weise auf diese Beispiele angewandt werden, da die semantischen Beziehungen allgemein sind. Als für semantische Beziehungen relevante Eigenschaft definiert Nöth (2000: 492) „den Beitrag des einen für das andere Medium [wir verstehen hier anstelle von Medium den Begriff Modalität] im Rahmen der Gesamtbotschaft“. Diese Beziehungen sind nicht bloß relevant, um zu hinterfragen, ob dargestelltes Wissen auf mehreren Ebenen präsent ist, sondern auch um zu hinterfragen, welche spezifischen Informationen in Diskursen mit welcher Modalität dargestellt werden. Wir stellen hier also eine deutliche Verbindung zu Lerneinheit 3.3 her und bereichern diese um die Perspektive auf nicht-sprachliche Modalitäten. 1. Als Redundanz wird die Beziehung bezeichnet, bei der aus Perspektive einer Mo‐ dalität die andere Modalität keinen neuen Beitrag leistet, sondern lediglich bereits enthaltene Informationen wiederholt. Man spricht auch von Mehrfachcodierung, deren didaktischer Nutzen umstritten ist. Leisen (2005, erweiterte Darstellung unten in Abbildung 4.6) verweist etwa im naturwissenschaftlichen Unterricht auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Darstellungsformen, um unterschiedliche Lerntypen und verschiedenes Vorwissen anzusprechen. Dagegen kann eine zu 162 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="163"?> starke Redundanz zu Langeweile und Unachtsamkeit führen. Der redundante Mo‐ dus ist nicht zwangsläufig notwendig, um ein vollständiges Informationsangebot zu erhalten. 2. Die Dominanz beschreibt den Fall, bei dem ein Modus mehr Informationen enthält als der andere. Dominanz liegt zum Beispiel bei vielen grafisch gestalteten Speisekarten, etwa in Schnellrestaurants oder Restaurants mit viel internationalem Publikum vor, bei denen auf mehrsprachig gestaltete Speisekarten verzichtet wird: Ein aussagekräftiges Foto des Gerichts, ggf. mit zusätzlichen Symbolen zu Zutaten, Preis und Bestellziffer genügen hier, um durch gestisches Deuten eine Bestellung abzugeben (siehe Abbildung 4.3 oben). Zusätzlicher Text, wie Bezeichnung des Gerichts, der Zutaten oder der Inhaltsstoffe, ist dann untergeordnet. Typisch ist diese Beziehung mit einer Bilddominanz auch in der Werbung oder bei Kunstbild‐ bänden (vergleiche Nöth 2000: 493). Multimodale Cluster müssen von Leserinnen rekonstruiert werden: Diese Dominanz muss verstanden werden, um den Inhalt nachzuvollziehen. Für Bild-Sprache-Beziehungen ist dafür die Direktionalität ausschlaggebend (wer dominiert wen? ) (vergleiche Bucher 2011: 128). Dies hebt die Relevanz dessen hervor, was wir in Lerneinheit 4.2 zur Interaktion in und mit multimodalen Angeboten erfahren. 3. Komplementarität ist die Beziehung, bei der alle Modi beachtet werden müssen, um eine Information zu erhalten. Typische Beispiele sind hier Comics oder Legenden unter Karten oder Abbildungen. Sie sind rezeptiv anspruchsvoll, da sie ein Verständnis aller in ihnen enthaltenen Komponenten verlangen. 4. Diskrepanz bedeutet, dass es der Rezipientin oder dem Rezipienten einer Botschaft schwerfällt, einen Zusammenhang der Modalitäten festzustellen. Dies kann durch unzureichende Verknüpfung oder durch ungünstige Platzierung der Modalitäten begründet sein. In Karikaturen zum Beispiel oder in investigativer Berichterstat‐ tung können bewusst Widersprüche verschiedener Modalitäten herbeigeführt werden, um eine Position zu hinterfragen: in diesem Fall spricht man von Kontra‐ diktion. Mikołajczak (2016) zeigt mit Hilfe dieser Relationen und am Beispiel der Berichterstat‐ tung über die Ukraine in verschiedenen Tageszeitungen auf, dass Informationen nicht nur sprachlich, sondern auch mit Hilfe von Grafiken und Typografie kommentiert und bewertet werden. In diesem Fall stellt sich eine starke Komplementarität zwischen den Modalitäten heraus. Das macht deutlich, dass ein aufmerksamer Umgang in Bezug auf Bildmaterial im Rahmen der sprachlichen Bildung geübt werden muss. Schnell können grafische Darstellungen sonst unterschwellig Informationen transportieren, wohingegen wir bei Lernerinnen und Lernern eine visuelle Kompetenz der bewussten Rezeption und reflektierten Bewertung erreichen wollen. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 163 <?page no="164"?> Experiment 6 In Anlehnung an die Feststellung von Mikołajczak (2016) wollen wir uns mit der Gestaltung von Nachrichtenformaten auseinandersetzen: Wenden Sie die semantischen Beziehungen auf eine Schlagzeile einer Tageszeitung an - gerne eine Boulevardzeitung wie BILD, die starke visuelle Effekte einsetzt. Gehen Sie genauso für eine dezenter gestaltete Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder die Süddeutsche Zeitung vor. Welche Beziehungen zwischen den Modalitäten finden Sie jeweils vor? Welche Kontraste können Sie benennen? Können Sie einen Interpretationsansatz zu Ihren Ergebnissen aufstellen? Ein multimodaler Sprachenunterricht sollte dafür sensibilisieren, dass sich alle Darstel‐ lungsformen für Suggestion eignen und die Bewertung von Informationsquellen von der Sensibilität der Betrachterinnen und Betrachter abhängt. Die spürbare Zunahme seit Ende der 2010er Jahre an offensichtlichen Fehlinformationen im Nachrichtenge‐ schehen, die insbesondere durch Politiker mit großem Einfluss auf oder selbst im Besitz von Medien, wie der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi oder Donald Trump in den USA, betrieben wird, macht dies besonders notwendig. Kontextunabhängig formuliert Stöckl außerdem als Teilkompetenzen multimodaler Kommunikation „Sprachtext im Abgleich mit der visuellen Botschaft zu verstehen“ und „die Bildlichkeit der Sprache und der Textfläche […] in den Prozess des Gesamt‐ verstehens einzubeziehen“ (Stöckl 2011: 45). Eine multimodal ausgerichtete Sprach- und Medienkritik ist eine komplexe Aufgabe gerade im interkulturellen Unterricht, die hier nur angerissen werden kann. 4.1.5 Multimodalität in der Wissensvermittlung Nach der Diskussion von Chancen und Schwierigkeiten im Umgang mit multimodalen Kommunikationsgegenständen wenden wir uns nun multimodalen Darstellungen in der Wissensvermittlung zu. Tatsächlich sind unsere Lehrgegenstände im Kontext DaF/ DaZ fast immer multimodal. Wir haben bereits ermittelt, dass unterschiedliche Modi spezifische Eignungen für (unterrichtliche) Darstellungen verschiedener Sach‐ verhalte aufweisen und wollen dies nun weiter an Beispielen vertiefen. „Manche Modalitäten generieren Sinn fast axiomatisch, automatisiert; bei anderen schreiben wir Sinn erst nach gründlicher Reflexion der Zeichen und ihrer Strukturen zu.“ (Stöckl 2016: 10) Tatsächlich können wir feststellen, dass verschiedene Modi unter‐ schiedliche Leistungsfähigkeiten besitzen (vergleiche Fritz 2013: 127). Bei Geräuschen zum Beispiel stellt Stöckl fest, dass es schwerer möglich ist, diese mit Sinn zu füllen. Vielmehr interpretieren wir diese unbewusst, um unsere Umgebung zu taxieren, was multimodal zum Beispiel im Film ausgenutzt wird. Für Bilder konnten wir die einzelnen Typen, die - wie Karten oder Diagramme - spezifische Funktionen erfüllen, bereits anhand von Beispielen illustrieren. Reflexion ist vor allem durch Sprache möglich, 164 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="165"?> wozu andere Modalitäten in dieser Tiefe kaum im Stande sind: Mit Hilfe von Sprache kann man Musik, Bilder, Denkweisen oder Lernprozesse reflektieren (vergleiche Fritz 2013: 128). Daraus könnte man nun folgern, dass Bilder einen einfacheren Zugang zu neuem Wissen bieten als Texte. Weidenmann (2009: 77) spricht hier jedoch von „naiven Annahmen“ in Bezug auf multimodale Wahrnehmung. Er bemängelt, dass allein die Existenz mehrerer Modi schnell als Garant für einen hochwertigen Wissenszugang gelten würde. Für eine kreative und fachdidaktisch-sachgerechte Aufarbeitung ist also auch die Reflexion der multimodalen Darstellungsform nötig. Dass Kinder heute früh an Wissensvermittlung mittels multimodaler Lehrgegen‐ stände gewöhnt werden, macht dies umso nötiger. Janich/ Korbach stellen fest, dass Sachbücher für Kinder zahlreiche und verschiedenartige Modalitäten beinhalten und sogar die Haptik durch die Verwendung von Materialien wie Stoff oder Metall an‐ sprechen können ( Janich/ Korbach 2019: 213). Weiter werden mittlerweile interaktive Angebote gemacht, bei denen Kinder auditive Elemente beim Lesen aufrufen können. Diese oftmals spielerische Erweiterung des Rezeptionsgeschehens hat großen und verschiedenartigen Einfluss auf die Darstellung und Verteilung des Wissens in den einzelnen Modalitäten und wird von Janich/ Korbach (2019: 227) als Erleichterung des Wissenserwerbs gewertet. Insbesondere wird die Unterstützung in den einzelnen Modalitäten (konstruktive Lesehinweise zum Beispiel), die einen spielerischen Wis‐ senserwerb ermöglicht, hervorgehoben. Eine Überforderung könnte aber passieren, wenn eine vielfältige Nutzung von Modalitäten mit uneinheitlichen Funktionen ge‐ schieht, die nicht in Bezug etwa auf die Textsorte oder das Unterrichtsfach eingeübt sind (vergleiche Janich 2016: 72). Daraus folgt, dass Modalitäten im Kontext der Wissensvermittlung explizit eingeübt werden und gegebenenfalls zur Entlastung von Lerngruppen nach und nach systematisch eingeführt werden müssen. Um die Reflexion von Lehrangeboten zu erleichtern, gibt es Aufstellungen, die Komplexität mit Darstellungsformen in Verbindung bringen. Leisen (2005) präsentiert, in Abbildung 4.6 dargestellt, eine Gliederung verschiedenartiger unterrichtlicher Darstellungsebenen in Bezug auf deren Abstraktionsgrad. Mit der bildlichen Ebene meint er das, was wir oben als Abbilder bezeichnen, und mit der symbolischen Ebene abstrakte, arbiträr-symbolische Elemente. Eine redundante Darstellung auf mehreren Abstraktionsebenen kann eine Differenzierung von Inhalten für verschiedene Lerner schaffen. Auch bei Stöckl (2016: 12) ist eine ähnliche Gliederung vorzufinden, die über die üblichen Darstellungsformen des Unterrichts hinausgeht. Er ordnet vier Modi von stark konventionell/ schwach motiviert bis hin zu wenig konventionell/ stark motiviert wie folgt: Sprache, Musik, Bild, Geräusch. „Sind die Form-Inhalts-Zuordnungen der Zeichen willkürlich (arbiträr) und erklärt sich die Funktionsweise des Kodes nicht aus Umwelterfahrung oder Analogien, so ist die jeweilige Zeichenmodalität stark konventionell und nicht motiviert“ (ebenda). Abstraktheit und Motiviertheit können wir also als gegensätzliche Eigenschaften ansehen: Je abstrakter etwas ist, desto weniger ist es an uns aus der gegenständlichen Welt bekannte Dinge angelehnt. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 165 <?page no="166"?> Entsprechend schwieriger sind solche Gegenstände begreifbar, da sie eine Vorbildung voraussetzen. Abbildung 4.6: Darstellungsebenen und ihr Abstraktionsgrad (Leisen 2005: 8) Im Sprachenunterricht können Aufgaben, die den Wechsel der Darstellungsebene und der Modalität intendieren, förderlich sein. Ein neues Arrangement von Wissen in einer anderen Modalität fördert die Kompetenzen der Rezeption, der Produktion und der Übersetzung. Wie Mogl (2020) am Beispiel der Produktion eines Hörspiels auf Basis einer Bildergeschichte in einer mehrsprachigen Lerngruppe aufzeigt, führt der Wechsel hin zur Modalität der gesprochenen Sprache - im Hörspiel unterstützt durch Musik und Geräusch - gar zu einer Reflexion von Verständigungsproblemen in Bezug auf Herkunftssprachen (vergleiche Mogl 2020: 16). Bei der Produktion einer mehrsprachigen Theateraufführung in einer Lerngruppe werden sogar noch zusätzlich die gegenständliche (dazu zählen auch nonverbale Mittel) und bildliche Ebene genutzt, weshalb das per se multimodale Theaterspiel sehr förderlich für Sprachenlerngruppen sein kann (vergleiche Henning 2020: 69-70). Ein situationsangemessener Einsatz der Modalitäten - insbesondere in Bezug auf deren Anspruch an Lerner - ist also zentral für eine optimale Lernumgebung. Diesen Gedanken werden wir auch in Bezug auf den Prozess des Verstehens von Bild und Text (und insbesondere in Bezug auf den zentralen Faktor für Verstehen des Vorwissens) in Lerneinheit 4.2 weiterführen. 166 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="167"?> Transferaufgabe Sie sehen hier eine Fotografie aus dem Hauptbahnhof in Bonn. Auf dem linken Kachelmosaik ist das Zeichen Om aus dem Sanskrit, aus Om mani padme hum, einem der bekanntesten buddhistischen Mantras. Warum befindet sich eine solche Wandgestaltung an eben diesem Ort? Recherchieren Sie, was sie bedeuten kann, und entwerfen Sie eine multimodale Umgebung, um diese Ressource am Bahnhof zum Lernort zu machen. Seien Sie dabei kreativ und erarbeiten Sie ein Konzept mit mehreren Modalitäten. Ihr Konzept soll ein Lernziel für Touristinnen enthalten: die beiden Darstellungen zu verknüpfen und in Beziehung zum Buddhismus setzen zu können. Gestalten Sie Geräusche, Musik und Text, die dem Rahmen dieses Transitortes gerecht werden - also knapp, eindeutig und für möglichst viele Menschen verstehbar. Bild: Constanze Bradlaw 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 167 <?page no="168"?> 4.1.6 Zusammenfassung Sie haben gelernt, dass ▶ es verschiedene Zeichentypen gibt, die sich in den verschiedenen Modalitäten manifestieren, und die unterschiedlich abstrakt oder konkret sind; ▶ multimodale Kommunikation helfen kann, kulturelle Gegenstände zu begrei‐ fen (z. B. durch beschreibende Texte oder hinweisende Symbole), dass diese aber auch kulturell verankert sind und verstanden/ erlernt werden müssen; ▶ verschiedene Modalitäten wie Sprache und Bild in ihren Informationen vielfäl‐ tig einander ergänzen oder auch widersprechen können; gerade in Lehr-Lern- Kontexten ist eine begründete und angepasste Zusammenstellung notwendig für erfolgreiche Vermittlungsprozesse; ▶ Modalitäten (vor allem am Beispiel des Bildes) selbst vielfältige Gruppen sind, die weiter differenziert werden müssen, um Chancen und Schwierigkeiten verschiedener Formen zu begreifen. 4.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche drei Dimensionen nach Stöckl gibt es, in denen Modalitäten Unterschiede aufweisen können? 2. Geben Sie für diese drei Dimensionen beispielhaft jeweils zwei verschiedene Realisierungsmöglichkeiten für die Modalitäten Sprache und Bild. 3. Welche inhaltlichen Beziehungen nach Nöth können verschiedene Darstellungs‐ formen zueinander haben? 4. Zählen Sie die Ihnen bekannten Formen bildlicher Darstellung auf und geben Sie jeweils ein Beispiel dazu. 5. Was können Vorteile einer multimodalen Wissensvermittlung in Kinder-Lehrme‐ dien sein? 6. Warum ist es wichtig, eine kritische Kompetenz im Umgang mit multimodalen Medien zu schulen? 168 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="169"?> 4.2 Interkulturelles Bildverstehen Lukas Daum und Stefanie Nölle-Becker Bilder sind gerade in Lehrsituationen nicht einfach nur hübsch anzusehen, son‐ dern besonders vielseitige, kulturell beeinflusste Kommunikationsgegenstände. Deshalb benötigen wir Vorwissen über die Zusammenhänge und Strategien, um die Bedeutung von Bildern und Bild-Text-Kombinationen zu erschließen. Dabei gehen wir davon aus, dass Bedeutungen von Bild und Text in der Auseinanderset‐ zung zwischen Lesenden und dem Material erschlossen werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund der jeweiligen Kommunikationskultur und -situation. Indem wir den Prozess des Verstehens, insbesondere des Verstehens von Bild- Texten, beleuchten und Kriterien zur Reflexion von Textgestaltung betrachten, erhalten wir eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit Interpretations‐ prozessen von Bildern. Die Rolle des Vorwissens sowie Ebenen der kulturellen Markierung von Bildern geben Aufschlüsse darüber, wie Fehlinterpretationen entstehen und regen zum Nachdenken über die Nutzung von Bildern in interkul‐ turellen und mehrsprachigen Kommunikations- und Unterrichtssituationen an. Abschließend beschäftigen wir uns mit Strategien zur Förderung einer visuellen Kompetenz im Umgang mit Bildern im Fremdsprachenunterricht. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Probleme beim Verstehen von Bildern benennen können; ▶ Texteigenschaften im Zusammenhang von Bild-/ Textverstehen beurteilen können; ▶ Textverstehen prozedural skizzieren und Kriterien der Verständlichkeit nen‐ nen können; ▶ ein Verständnis für Bilder als kulturelle Produkte erhalten; ▶ den Einfluss von kulturellem Vorwissen bei der Rezeption und der Dekodie‐ rung von Bildern erläutern können; ▶ Strategien zur Herausbildung visueller Kompetenz kennen. Reflexionsaufgabe 1 Stellen Sie sich vor, Sie betrachten ein Plakat für eine Veranstaltung in Ihrem Heimatort. Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit Sie Text und Bild verstehen können? Denken Sie nun an ein Plakat in einem Urlaubsort, dessen Sprache Sie nicht sprechen. Welche Faktoren wären nun wichtig für Sie und sind diese die gleichen wie zuvor? Überlegen Sie auch, welche Bildzeichen für Sie mehr oder weniger hilfreich wären. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 169 <?page no="170"?> 4.2.1 Bilder im DaF/ DaZ-Unterricht als kulturelle Produkte In allen Kontexten, in denen sich mehrsprachige Menschen begegnen oder unterschied‐ liche Sprachenrepertoires aufeinandertreffen, geht es auch um Rezeptionsprozesse. Es geht also darum, wie wir einander verstehen, wie wir Texte und Bilder wahrnehmen und diese interpretieren. In Lerneinheit 6.2 erfahren wir, dass häufig Sprachmittler‐ innen und Sprachmittler notwendig sind, die nicht nur zwischen Sprachen überset‐ zen, sondern auch kulturelle Erwartungen kommunizieren. Denn wenn wir uns in mehrsprachigen Kontexten bewegen, dann treffen wir neben verschiedenen Sprachen immer auch auf kulturelle Prägungen, die unsere Sicht auf die Welt beeinflussen und unsere Erwartungshaltung vordefinieren. Genau dies ist ausschlaggebend für die Art und Weise, mit der wir Texte und Bilder rezipieren, und kann das Verstehen erleichtern oder erschweren. Denn mit Sprache erwerben wir auch kulturelle Normierungen, die unser Denken beeinflussen. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass der Begriff der Kultur vielschichtig ist und viele Deutungsmuster beinhaltet. Wir können Kultur als ein Orientierungssystem betrachten, das wir im Laufe unseres Erwachsenwerdens erworben haben, als „ein System kollektiven Wissens bzw. kollektiv geteilter Sinnkonstruktionen, mit deren Hilfe Menschen ihre Wirklichkeit deuten“ (Schmidt 1994: 599). Dieses System bildet jedoch keine objektive, unveränderliche Gegebenheit. Vielmehr werden kulturelle Zuweisungen und Deutungszusammenhänge in der Auseinandersetzung von Indivi‐ duen mittels Bild-Text-Medien ausgehandelt (vergleiche Günther 2010: 333). Heringer betrachtet Kultur daher als „Potenzial für gemeinsames sinnträchtiges Handeln“ (Heringer 2010: 107). Wenn Menschen mit vielfältigen sprachlichen und kulturellen Hintergründen in mehrsprachigen Kontexten aufeinandertreffen, ergeben sich inter‐ kulturelle Kommunikationssituationen. Interkulturalität bedeutet demnach einen „Prozess, der sich im Wesentlichen auf die Dynamik des Zusammenlebens von Mit‐ gliedern unterschiedlicher Lebenswelten, auf ihre Beziehungen zueinander und ihre Interaktionen untereinander bezieht“ (Bolten 2007: 22). In einem Aushandlungsprozess erschließen die beteiligten Personen ihre Deutungsmuster durch die Kommunikation in einer der verwendeten oder einer weiteren Sprache (vergleiche Biechele 2006: 26). Diese subjektiven Denkweisen auf Basis unserer Erfahrungen in der Interaktion mit anderen prägen den Blick auf die uns umgebende Welt. Dabei gilt es immer, die Konzeption von Kultur als Abstraktion und „bewegliches Konstrukt“ (Olbers 2009: 9), das Veränderungen unterworfen ist, zu berücksichtigen. Alle Erzeugnisse des Menschen können dabei als kulturell geprägte Produkte angesehen werden. Dies bezieht sich auch auf Bilder, die im Folgenden fokussiert werden sollen. Im Hinblick auf das Sprachenlernen können wir zunächst feststellen, dass Bilder so‐ wohl als eigenständiges Medium als auch in Verbindung mit schriftsprachlichen Texten im Unterricht eine immer größere Rolle spielen. Das gilt auch in der außerschulischen Wissensvermittlung Kindern gegenüber, etwa im (Bilder-)Sachbuch, und kann deshalb als Normalfall angesehen werden (vergleiche Janich 2016: 53). Dabei ist zu beachten, dass mit Text in dieser Lerneinheit auch immer Bilder gemeint sind, die neben, mit 170 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="171"?> und anstelle von Sprache stehen. Die allgemein zunehmende Visualisierung unserer Lebenswelt, die auch als Visual Turn bezeichnet wird (vergleiche Hecke/ Surkamp 2015: 6), führt zu einer Vielzahl von Bildern in aktuellen Sprachlehrwerken. Sie erfüllen ver‐ schiedene Funktionen: Als Fotografien oder Visualisierungen illustrieren und ersetzen sie die sprachlichen Inhalte, als Bildergeschichte bieten sie Anlass zur Produktion von Texten oder sollen als Symbol einer Kultur landeskundliche Informationen vermitteln (vergleiche Hallet 2015: 33-35) (zu Multimodalität siehe Lerneinheit 4.1.). Gerade im Bereich DaF/ DaZ vermitteln visuelle Darstellungen in Lehrwerken Informationen über Deutschland und seine Einwohnerinnen und Einwohner aus der Perspektive der Zielkultur (vergleiche Biechele 2006: 17). In all diesen Beispielen haben Bilder eine instrumentale Funktion, indem sie der Vermittlung von sprachlichen Zielen dienen (vergleiche Hallet 2015: 33). Dabei wird leicht übersehen, dass Bilder nicht eindeutig sind oder selbstverständlich erfasst werden können. Vielmehr zeigt sich die implizite Annahme, „dass Bildbedeutungen sich auf intuitive Weise erschließen lassen“ (Hallet 2015: 35). Dass dies zu Missverständnissen führen kann, da Bilder bestimmte kulturelle Kodierungen beinhalten, erfahren wir im Folgenden. Die visuellen Darstellungen in DaF-Lehrwerken bilden die Lebensweise von Men‐ schen in Deutschland ab und bieten Aufschluss über ihr Verhältnis zueinander und ihre Position in Raum und Zeit (vergleiche Biechele 2006: 35). Wir sehen Menschen in be‐ stimmten sozialen Kontexten oder bei der Ausübung tradierter Handlungen, wodurch kulturelle Vorstellungen über die Lebensbedingungen (Familie, Mahlzeiten, Wohnen, Arbeiten, Freizeit) transportiert werden (vergleiche Biechele 2006: 35). Fotografien erscheinen dabei auf den ersten Blick als scheinbare Abbilder der Realität. Doch wenn wir Bilder betrachten, so repräsentieren diese als „kulturelle Produkte“ immer auch „die Perspektive der jeweiligen Kultur“ und deren Traditionen (vergleiche Biechele 2006: 19). Bilder tragen also immer ein ganzes Bündel an spezifischen Mustern und Konventionen in sich, die es zu interpretieren gilt. Daher kann es bei der Interpretation von Bildern leicht zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen kommen, wenn Deutschlerner über unterschiedliche kulturelle Orientierungsrahmen verfügen oder ihnen relevantes Vorwissen über die Zielkultur fehlt. Das Bildverstehen spielt beispielsweise im „Deutsch-Test für Zuwanderer“ eine wichtige Rolle, da eine Prüfungsaufgabe im Bereich Sprechen eine Bildinterpretation verlangt (vergleiche Bachtsevanidis 2012: 117) . Hier ist die Verunsicherung der Prüf‐ linge oftmals groß und führt zu einer hohen Nachfrage nach Hilfestellungen, wie eine Vielzahl an Erklärvideos zur Testaufgabe „Bildverstehen“ im Internet (beispielsweise auf YouTube) zeigt. Experiment 1 Betrachten Sie in einem Ihnen vorliegenden Lehrbuch für DaF/ DaZ oder auf den im Internet verfügbaren Probeseiten des Lehrbuches Schritte (Link: https: / / www.hueber.de/ seite/ pg_probe_sri) die bildlichen Darstellungen. Wo finden sich 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 171 <?page no="172"?> Vorstellungen, die Konventionen oder Muster des Zusammenlebens von Menschen in Deutschland transportieren? Welche dieser Darstellungen bieten Anlass zu Missverständnissen oder setzen Vorwissen über die deutsche Kultur voraus? Doch wie funktioniert Verstehen eigentlich? Welche Prozesse laufen bei der Verarbei‐ tung von Bildern und Texten ab? Wir beschäftigen uns zunächst mit Verstehenspro‐ zessen und Verständlichkeit, um dann zu klären, warum in mehrsprachigen Kontexten besondere Hilfestellungen zur Verbesserung des Verstehens notwendig sein können. 4.2.2 Verstehen von Bild-Texten: Verstehensprozesse und Verständlichkeit Die Frage nach dem Verstehensprozess ist die Grundfrage jeder didaktischen Aus‐ einandersetzung mit unserer Lebenswelt. Nicht nur beim Erklären und Didaktisieren für andere, sondern auch in der Reflexion der eigenen Verstehensprozesse stellen sich verschiedene Fragen: Welche Sinneskanäle sind geeignet? Für welche Gegenstände zei‐ gen Schüler und Schülerinnen besonderes Verständnis? Welche äußeren und inneren Faktoren beeinflussen den Lernprozess? Grundlegende Annahmen für den Erwerb des Lesens als Schlüsselkompetenz erfahren wir in Lerneinheit 6.1. Dass die unterschiedli‐ chen Zeichenmodalitäten beispielsweise verschiedene Abstraktionsniveaus aufweisen und deshalb unterschiedlich zugänglich sind, zeigt Lerneinheit 4.1 auf. Anhand einer groben Gliederung in Top-down- und Bottom-up-Verstehensprozesse beschäftigen wir uns mit ausgewählten Aspekten des Verständnisses von multimodalen Texten. Dabei betrachten wir Bilder im Zusammenhang mit Texten. Diese gemeinsame Betrachtung hat in Bezug auf interkulturelles Verstehen zwei Gründe: Einerseits lassen sich Bilder als non-lineare Symbolsysteme gut mit multimodalen Texten vergleichen (oder sogar als solche auffassen), andererseits sind Bilder sehr oft von Texten gerahmt oder umgekehrt. Nachfolgend klären wir zunächst Grundzüge des Verstehensprozesses und widmen uns dann der Verständlichkeit als Texteigenschaft, welche das Verstehen unterstützen soll. Der Bottom-up-Prozess wird auch als textgeleitetes Verstehen bezeichnet. In diesem Prozess nehmen die Leserinnen und Leser unter Einbeziehung ihres Vorwissens neue Inhalte auf. Angeleitet vom Text und den darin hergestellten Kohärenzbeziehun‐ gen entschlüsseln sie diese Inhalte und bauen so ihr eigenes mentales Abbild auf. Leisen bezeichnet diesen Ablauf des Textverstehens auch als „Herauslesen“ (siehe Abbildung-4.7). Der Top-down-Prozess beschreibt ein Verstehen, bei dem Leserinnen und Leser, angeleitet von den bereits vorhandenen mentalen Modellen, Inhalte wahrnehmen. Dadurch können Lerneffekte dann stattfinden, wenn neue Inhalte im Text in Beziehung zu bereits Bekanntem stehen. Eine solche Beziehung kann zum Beispiel auch ein Widerspruch sein. Fix bezeichnet Verstehensprozesse deshalb als „relationale Prozesse“ 172 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="173"?> (Fix 2008: 265), da neues Wissen stets mit Bekanntem verknüpft wird. Text- und Bildverstehen sind also Vorgänge, bei denen das Neue im Kommunikationsangebot und das bereits Bekannte im Kopf entscheidend sind: Top-down- und Bottom-up-Prozesse treten also miteinander auf. Dieses Bekannte bildet die Grundlage für den Top-down- Prozess und wird im Weiteren als Vorwissen bezeichnet, was wir in Abschnitt 4.2.3 ausführlich diskutieren werden. Beide Prozesse werden in der folgenden Abbildung visualisiert. Abbildung 4.7: Prozesse des Textverstehens (nach Leisen, Josef: Leseverstehen. http: / / www.sprachsen siblerfachunterricht.de/ lesen abgerufen am 18.12.2020) Als größte Einflussfaktoren auf das Textverstehen benennt Fix (2008: 265) inhaltliches Vorwissen, Weltwissen und Erwartungen an den Text, wobei sie Letztgenanntes insbesondere als Textsortenwissen konkretisiert. Weiterführende Informationen zu diesem Aspekt der Relevanz von Textsorten in der interkulturellen Kommunikation sind in Lerneinheit 3.3 in diesem Band dargestellt. Dort wird klar, dass Textsorten vor allem eine pragmatisch-funktionale Hilfestellung beim Verstehen von Texten bieten, während in dieser Lerneinheit die semantischen Verstehensprozesse im Vordergrund stehen: „Die semantischen Prozesse erfüllen eines der Hauptziele des Textverstehens, nämlich die Klärung der Frage, welche Bedeutung dem übermittelten Text zugeordnet werden soll“. (Strohner 2008: 194) Das semantische Textverstehen kann in Form von drei Teilprozessen dargestellt werden: Beim Referenzprozess wird das Ziel verfolgt, die Gegenstände der Kommuni‐ kation zu identifizieren. Während des Kohärenzprozesses werden diese Gegenstände wiederum in Bezug zueinander gesetzt. Mit dem Interferenzprozess wird - basierend auf den Erkenntnissen der beiden anderen Teilprozesse - ein Sinnzusammenhang hergestellt (vergleiche Strohner 2008: 193-199). Insbesondere der Referenzprozess basiert auf dem Vorhandensein von kulturellem Vorwissen über Inhalt und Form des Textes. Strohner (2008: 194) gibt dafür das Beispiel der Moses-Illusion, welche eben nur mit Vorwissen des Alten Testaments zu verstehen ist: Auf die Frage nach der 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 173 <?page no="174"?> Anzahl an Tieren je Art, die Moses mit auf die Arche genommen hat, antworteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Studie aus den 1980er Jahren mit zwei Tieren - tatsächlich ist allerdings Noah der Protagonist dieser Erzählung, in der Moses gar nicht auftaucht. Das Vorwissen im Kontext der Bibel ist hier einerseits gut ausgeprägt, denn die Teilnehmer wissen um die biblische Geschichte der Arche Noah. Diese Studie zeigt andererseits, dass der Referenzprozess oft nur oberflächlich ablaufen kann und maßgeblich durch das Vorwissen unterstützt wird - was für das Textverstehen besonders relevant ist. Beim Kohärenzprozess werden die Zusammenhänge zwischen den Sachverhalten und Aussagen des Textes hergestellt, wobei Arbeits- und Langzeit‐ gedächtnis beziehungsweise deren Entlastung maßgeblich Anteil am Erfolg dieses Prozesses haben (detailliert Strohner 2008: 197). All diese Prozesse laufen wechselseitig ab. Diesen Gedanken führt Bucher (2011) aus, indem er den Verstehensprozess als Prozess der Interaktion zwischen Leserin‐ nen und Lesern und Text beschreibt. Bucher betont, dass es gerade non-lineare Kommunikationsformen wie bebilderte Texte, aber auch Websites und Zeitungen sind, denen besonders komplexe Abläufe des Verstehens zugrunde liegen. Er wirft auch für Lehrkräfte spannende Fragen auf: Welche Einzelinhalte nehmen Rezipientinnen als bedeutungstragende Symbole wahr, und welches Verständnis entsteht daraus (vergleiche Bucher 2011: 130)? Zentral ist die Frage, auf welchem Weg Leserinnen und Leser ein non-lineares Angebot durchlaufen: Wie etwa wird der Wechsel der Betrachtung von Bild und Sprache gesteuert? In Bezug auf die Differenzierung in Topdown- und Bottom-up-Verstehen werden bei der Interaktion beide Prozesse aktiviert: Das Angebot stimuliert - Wahrnehmung und Selektion sind aber Handlungen des Rezipienten. Tatsächlich ist durch verschiedene Studien mit Eye-tracking-Verfahren die Relevanz beider Prozesse nachgewiesen, die mit unterschiedlichen Rezeptionser‐ wartungen (etwa kursorisches Lesen vs. konkretem Rechercheauftrag) verschieden stark auftreten (vergleiche Bucher 2011: 143). Ein verständlicher Text ermöglicht also der adressierten Rezipientin eine optimale Steuerung der Lektüre. Bucher hat eine Problemliste erstellt, die eine Grundlage für die Analyse und Reflexion der Verständ‐ lichkeit multimodaler Kommunikationsmittel sein kann. Bevor wir diese Problemliste betrachten, ist allerdings zuerst zu klären, was Textverständlichkeit für Linguistinnen überhaupt ausmacht. Deshalb stellen wir die Frage: Was ist Verständlichkeit? Verständlichkeit ist eine Eigenschaft zum Beispiel von Texten oder Bildern. Aller‐ dings ist sie keine absolute Eigenschaft, also keine, die in jedem spezifischen Fall gleich zu bewerten ist. Beispielsweise können Texte in Lehrbüchern für Lehrerinnen und Lehrer meist sehr gut verständlich sein, für Schüler und Schülerinnen kann derselbe Text aber völlig unverständlich sein. Verständlichkeit ist also eine relative Eigenschaft und damit abhängig und in Bezug stehend zu kontextuellen Umständen. Diese Um‐ stände hat Heringer in seinem Modell zum kommunikativen Rahmen herausgearbeitet. Die vier Felder dieses Rahmens werden in der folgenden Grafik dargestellt: 174 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="175"?> Abbildung 4.8: Kommunikativer Rahmen, Darstellung in Anlehnung an Heringer 1984: 64 Alle vier Felder haben Einfluss aufeinander. Die Darstellung verdeutlicht, dass Ver‐ ständlichkeit eine Eigenschaft ist, die nur durch Berücksichtigung aller Felder zu optimieren ist. Dieses Modell ist kommunikationstheoretisch perspektiviert: Ziel ist eine erfolgreiche Sprachhandlung mit einem optimal angepassten - verständlichen - Kommunikationsprodukt (vergleiche Lutz 2015: 190). Mit diesem Hintergrund können wir uns Buchers Problemliste zuwenden. Der Begriff Problemliste basiert auf einem neutralen, nicht negativ wertenden Konzept von ‚Problem‘. Ein Problem ist hier eine zu lösende Aufgabe, die Rezipientinnen beim Verstehen von multimodalen Kommunikationsgegenständen begegnet. Neben dem eben dargestellten, kommunikationsorientierten Verständlichkeitsbegriff muss diese Liste vor dem oben erläuterten Verstehensprozess, der das Verstehen als zyklischen, iterativen Interaktionsprozess zwischen Text und Leserin wahrnimmt, betrachtet werden. In der folgenden Darstellung wird zuerst das jeweilige Problem beleuchtet und anschließend ein kurzes Beispiel gegeben (Problemliste nach Bucher 2011: 140-141): 1. Beim Identifizierungsproblem muss die Kommunikationsempfängerin ihren Kom‐ munikationspartner (Autor, Gegenüber, Zeichnerin) und dessen Kommunikations‐ angebot wahrnehmen und einordnen. Mittel zur Erkennung des Partners können nicht nur Klarnamen sein, sondern auch Logos (etwa das einer Firma), Kürzel und Monogramme. 2. Das Orientierungsproblem stellt Empfänger vor die Frage nach dem Kommuni‐ kationsstand. Viele Kommunikationsgegenstände weisen einen zeitlichen, inhalt‐ lichen oder räumlichen Verlauf auf. Das Erkennen der eigenen Perspektive im Angebot ist eine zentrale Herausforderung, um das Angebot erfolgreich zu nutzen. Beispiele für Orientierungshilfen sind (Inhalts-)Verzeichnisse, Standortangaben, (Zwischen-)Überschriften, Seitenzahlen oder Zeitmarker. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 175 <?page no="176"?> 3. Ein Problem der Hierarchisierung haben Rezipientinnen beim Einordnen verschie‐ dener Inhalte oder Elemente im Kommunikationsgeschehen. Kernfragen sind: Was ist zentral, was peripher, was gleich wichtig? Neben der Typografie können (symbo‐ lische) Markierungen, Helligkeit oder Farbakzente sowie Textstrukturkonventionen (was wird textsortentypisch zuerst dargestellt? ) Hierarchisierungshilfen sein. 4. Auch das Navigationsproblem ist vor dem Hintergrund der Non-Linearität von Bildern und multimodalen Texten plausibel und belegt die Notwendigkeit von Interaktion bei deren Rezeption. Zentrale Aufgabe ist bei diesem Problemlösungs‐ schritt, von einem inhaltlichen Element zum nächsten zu gelangen. Im Text kann dies durch explizite Verweise auf andere Texte/ Textteile oder Grafiken geschehen. Bildlich kann eine gesteuerte Navigation zum Beispiel durch Pfeile oder Markierungen erfolgen. 5. Ein Rahmungsproblem entsteht aus der Vielzahl an angebotenen und möglicherweise sehr verschiedenen Elementen. Es ist notwendig, besonders Relevantes im Angebot zu identifizieren. Gewährleistet wird dies üblicherweise durch Layout, zeitliche/ räumliche Nähe oder Markierungen. Zentrale Erkenntnisse müssen für Lerner deutlich markiert sein, zum Beispiel durch eine farbliche Umrandung von Merksätzen. 6. Ein Sequenzierungs- und Einordnungsproblem betrifft die Verknüpfung der mit Hilfe der vorhergehenden Schritte identifizierten Inhalte. Eine Unterstützung kann durch leserinnenorientierte Darstellungen wie Cluster gegeben werden oder mit Hilfe von expliziten Verweisen (sprachliches Zeigen durch Kohäsionsmittel oder Links sowie Symbole). Diese Problemliste mag auf den ersten Blick nicht für interkulturell ausgerichtete Verstehensuntersuchungen ausgelegt sein, doch der Nutzen für Sprachenunterricht ist deutlich: Es müssen Strategien zur Bewältigung der Probleme geübt und die typischen, dargestellten Unterstützungsangebote der Texte bekannt gemacht werden. Auch in Bezug auf Interkulturalität ist die Liste ausreichend abstrakt formuliert und kann damit sowohl für die Analyse (und ggf. Überarbeitung) von Texten als auch für die Analyse von Rezeptions- und Verstehensprozessen genutzt werden. Auf dieser Basis gibt es bereits die Erkenntnis, dass die durch die Problemliste modellierte Interaktion bei der Rezeption mit kulturellen Gewohnheiten und kulturtypischen mentalen Modellen korrespondiert (vergleiche Bucher 2011: 143-144). Aufgabe zur Inputverarbeitung Die Problemliste von Bucher (2011) ist auf viele Kommunikationsangebote an‐ wendbar. Einerseits ist das ihre Stärke, andererseits macht es uns das Verständnis aufgrund der notwendigen Abstraktheit schwer. Analysieren Sie mit Hilfe der Liste sowohl eine Webseite Ihres Lieblingsnachrichtenformats als auch eine Werbean‐ zeige Ihrer Wahl. Wofür kann diese Problemliste in Lehrsituationen nützlich sein? 176 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="177"?> Nachdem wir uns mit Bildern als kulturellen Produkten und allgemein mit dem Prozess des Verstehens und der Navigation durch multimodale Inhalte beschäftigt haben, wollen wir nun im Speziellen betrachten, wie sich diese Prozesse auf das Verstehen von Bildern im Sprachenunterricht auswirken. In Lehr-Lern-Situationen, in denen Sprecherinnen und Sprecher mit unterschiedlichen Sprachenrepertoires zusammenkommen, ist es besonders relevant, sich dieser Prozesse bewusst zu werden und sie zu begleiten, um das Verstehen zu sichern. Dies gilt insbesondere auch, wenn wir uns mit der Wahrnehmung von Bildern beschäftigen. 4.2.3 Die Rolle des Vorwissens bei der Wahrnehmung von Bildern und Visual Literacy Wie wir oben bereits erfahren haben, verläuft der Verarbeitungsprozess bei der Wahrnehmung von Bildern in zwei Richtungen: Top-down und Bottom-up. Dabei wird im Top-down-Prozess das neue Wissen auf der Basis des Vorwissens verarbeitet. Bezo‐ gen auf interkulturelle Abbildungen können hier beispielsweise Fehlinterpretationen entstehen, wenn tradierte Sehgewohnheiten durch ungewohnte Perspektiven oder die Darstellung tabuisierter Szenen herausgefordert werden. Indem der optisch erfasste Inhalt analysiert und mit dem Vorwissen abgeglichen wird, kann die Betrachterin oder der Betrachter eine Hypothese bilden, die als Interpretation an den Gegenstand herangetragen wird. In diesem subjektiven Prozess erfolgt die Bedeutungszuweisung über die Möglichkeit, „an eigene Erfahrungen und Kenntnisse andocken zu können“ (Bolten 2007: 32). Dabei erschließen wir uns einen Sinn, indem wir Vergleiche ziehen und etwas, das wir schon kennen, auf einen anderen Zusammenhang übertragen. Wir konstruieren die Realität in einem kulturspezifischen subjektiven Prozess, indem wir uns auf die Einstellungen und Erfahrungen beziehen, die wir erworben haben (vergleiche Bolten 2007: 33). Unsere Interpretation von Bildern wird daher - das macht der Top-down-Prozess deutlich - durch unseren subjektiven, kulturell geprägten Wissensschatz bestimmt: „Bildrezipienten […] treffen auf Bilder, interpretieren sie auf der Basis eigener, kulturell geprägter Vorstellungen sowie Wissensmuster in Bezug auf Bildinhalte und Darstellungsformen“ (Biechele 2006: 19). Unsere Wahrnehmung ist abhängig von unseren Erfahrungen. Dies kann zu Unterschieden in der Interpreta‐ tion führen: „Kulturelle Unterschiede in der Rezeption derselben Angebote belegen ebenfalls, dass die Selektion der Elemente und Aspekte, die relevant für das Verstehen sind, von den jeweiligen Akteuren und ihren kulturspezifischen Schemata abhängen“ (Bucher 2011: 143). Reflexionsaufgabe 2 Woran kann es liegen, dass wir Bilder, die in anderen Ländern entstanden sind, nicht erschließen können oder falsch deuten? Denken Sie an Nachrichtenübertra‐ gungen aus anderen Kulturen, bei denen Ihnen die Bilder der Inszenierung fremd 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 177 <?page no="178"?> vorkamen. Können Sie hier abstrahieren oder interpretieren, weshalb Ihnen z. B. die bildliche Symbolik oder eine Form der Darstellung fremd vorkam? Achten Sie einmal beim Betrachten von Nachrichtenformaten auf solche möglichen Probleme. Aus den vorherigen Ausführungen wird deutlich, dass wir uns den Inhalt eines Bildes über unsere kulturell erworbenen Deutungsmuster erschließen. Daher soll im Folgenden die Rolle des Vorwissens genauer betrachtet werden, das ja bereits in Hinblick auf das Verstehen nach Fix hervorgehoben wurde. Nach Biechele drückt sich die kulturelle Markierung von Bildern in unterschiedli‐ chen Bereichen des Vorwissens aus, welches zu ihrer Erschließung benötigt wird (vergleiche auch im Folgenden Biechele 2006: 33-34). Zum einen verfügen wir über Weltwissen, das sich auf den Inhalt des Bildes bezieht, also die Frage danach, was abgebildet ist. Dies beinhaltet das Thema und umfasst Raum und Zeit. Wenn wir die Bedeutung von bestimmten Handlungen oder Tätigkeiten kennen, die dargestellte Situation und die Bedeutung von Gegenständen oder Kleidungsstücken nachvollziehen können, dann können wir auch die Rolle der abgebildeten Personen, ihre Beziehungen zueinander und ihre Gestik und Mimik deuten. Denken wir beispielweise an ein Zeitungsfoto einer Familie mit einem Kind, das eine Schultüte trägt, dann ist das Vor‐ wissen um die Tradition, Kindern an ihrem ersten Schultag eine Tüte mit Geschenken mitzugeben und es zur Einschulung zu begleiten, unabdingbar zur Deutung des Inhalts. Betrachten wir das folgende Beispiel: Abbildung 4.9: Schild mit dem Appell ‚Schwimmen verboten‘ (Bild: Stefanie Nölle-Becker) Um dieses Schild richtig deuten zu können, müssen wir wissen, dass die abgebildete Handlung schwimmen darstellen soll - die abgebildete Figur bewegt sich im Wasser (dargestellt durch eine geschlängelte Linie). Da dieses Schild an einem Baum im Wald 178 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="179"?> weit oberhalb eines Flusses angebracht ist, erschließt sich dieser Zusammenhang nicht sofort. Die räumliche Situierung kann als kommunikative Rahmenbedingung (siehe Modell aus Abbildung-4.8) also auch zur Verständlichkeit beitragen. Weiterhin spielt das Code-Wissen eine wichtige Rolle, das sich auf den Zeichencode bezieht und die Art der Darstellung bezeichnet. Auch diese ist kulturell geprägt und wichtig zur Interpretation des Bildes. Denn die Art des Bildes, seine Komposition und die dargestellte Perspektive geben Aufschluss über die Konventionen, die bei der Bildherstellung eine Rolle gespielt haben und fallen uns vor allem dann auf, wenn sie unseren gewohnten Darstellungsweisen nicht entsprechen. In diesen Bereich fallen auch Farben und Konturen, Leserichtung sowie weitere Details der Darstellung. Weitere Perspektiven auf diese kulturellen Konventionen für Bilder finden Sie in Lerneinheit 4.1. Auf unser Beispiel aus Abbildung 4.9 bezogen bedeutet dies, dass der rote Kreis, der von einem roten Strich durchzogen wird, ein Verbot bedeutet. Die rote Farbe als Signalfarbe ist ebenfalls kulturell tradiert. Farben haben in unterschiedlichen Gesellschaften verschiedene Bedeutungen. Zusätzlich müssen wir nach Biechele auch das übergreifende Bildwissen berück‐ sichtigen, das sich auf die Bildart und dessen Traditionen bezieht (analog Textsorten und ihren Traditionen, die in Lerneinheit 3.3 erarbeitet wurden). Auch der Produzent oder die Produzentin des Motivs, seine Entstehungsgeschichte und Quellen, sowie die verwendete Technik können eine Rolle im Verstehensprozess eines Bildes spielen. Die Kenntnis, dass das Schild „Schwimmen verboten“ ein offizielles Schild mit regulatori‐ schem Charakter darstellt (siehe dazu auch die Erforschung von Schildern als Linguistic Landscapes in Lerneinheit 4.3.), kann zur Entschlüsselung des Schildes als Verbotsschild beitragen und eine Gefährdung von Personen verhindern. Bild: Constanze Bradlaw Experiment 2 Hier sehen Sie ein weiteres Hinweisschild. In welcher Hinsicht benötigen Sie Vorwissen zur Entschlüsselung des Schildes? Wo können Irrita‐ tionen durch unbekannte Konventionen entste‐ hen? - 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 179 <?page no="180"?> Die Vorwissensbereiche Weltwissen, Code-Wissen und übergreifendes Bildwissen gehören zum deklarativen Wissen, das wir bei der Dekodierung von Bildern benötigen. Um diese aber adressieren und thematisieren zu können, ist auch prozedurales Wis‐ sen notwendig, welches Strategien zur Rezeption von Bildern beinhaltet (vergleiche Biechele 2006: 41). Die oben dargestellte Problemliste zeigt uns Textstellen auf, wo prozedurales Wissen besonders notwendig ist. Daher fordern Fachleute das Einüben einer Visual Literacy oder visuellen Kompetenz im Fremdsprachenunterricht, um „visuelle Informationen zu extrahieren und zu verstehen, aber auch selbst visuelle Informationen erstellen und mit anderen kommunizieren zu können“ (Hecke/ Surkamp 2015: 6 nach Lewalter 1997). Die Visual Literacy soll Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, Konventionen und Bereiche kultureller Markierung zu erkennen und verbalisieren zu können. Die Wahrnehmung von Texten soll demnach bewusst als kri‐ tische Auseinandersetzung unter Berücksichtigung des Kontextes und des kulturellen Hintergrundes erfolgen (vergleiche Hecke/ Surkamp 2015: 14). Mithilfe eines methodischen Vorgehens, welches das interkulturelle Bildverstehen in drei Phasen aufteilt, können wir Lernern eine visuelle Kompetenz im Umgang mit Bildern vermitteln (vergleiche im Folgenden Biechele 2006: 38). Dazu beschäftigen wir uns im Unterricht zunächst mit der Ebene der Perzeption, auf der wir den Wahr‐ nehmungsprozess thematisieren und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten des Dargestellten anerkennen. In diesem Zusammenhang kann in der Interaktion mit den Lernern die Rolle des Vorwissens besprochen sowie Bekanntes und Fremdes benannt werden. Zudem kann es sinnvoll sein, Erwartungen und implizite Vorstellungen zu sammeln. Dem folgt in der zweiten Phase die Rezeption, in der es darum geht, Vermu‐ tungen über das Gesehene anzustellen und Möglichkeiten zu schaffen, Bedeutung in Bezug auf die eigenen Deutungsmuster herzustellen. Wenn wir das Bild zunächst als Gesamtkomposition betrachten und dann übergehen in eine immer stärkere Fokus‐ sierung auf Details, können unterschiedliche Aspekte adressiert werden (vergleiche Bachtsevanidis 2012: 117). Zudem können wir mithilfe von Vergleichen Ähnlichkeiten benennen und Unterschiede herausstellen. Diese sollen aber nicht der Abgrenzung dienen, sondern vielmehr ermöglichen, sich in der Auseinandersetzung mit neuen Sichtweisen der kulturellen Determiniertheit der eigenen Sichtweise bewusst zu werden. Durch die Differenz lernt man nicht nur etwas über die gebräuchlichen Formen der neuen Darstellungskultur, sondern auch über bereits bekannte Kulturen. Nach der Perzeption und der Rezeption schließt sich als dritte Phase die Interpretation an. Auf der Basis der ersten beiden Schritte versuchen die Lerner, Bedeutungen herzuleiten und die ersten Hypothesen zu bewerten. Eine Stellungnahme kann dabei werten, aber vor allem aufzeigen, in welcher Hinsicht möglicherweise fehlendes Vorwissen eine schlüssige Interpretation nicht zulässt oder Irritationen aufgrund kulturell unterschiedlicher Wertvorstellungen aufgetreten sind. Wir haben gesehen, inwiefern das Bildverstehen im Fremdsprachenunterricht zur Entwicklung interkultureller Kompetenz beiträgt. Diese beinhaltet unter anderem, dass wir uns unserer eigenen kulturellen Prägungen bewusst werden und in der Lage 180 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="181"?> sind, empathisch eine fremdkulturelle Perspektive einzunehmen sowie Unterschiede auszuhalten (vergleiche Biechele 2006: 30). Indem wir uns in interkulturellen Lehr- Lernsituationen mit dem Verstehen von Bildern beschäftigen, üben wir diese Fähigkei‐ ten ein und werden in die Lage versetzt, mit der Vielzahl von Bildern in unserem Alltag kompetent umzugehen. Transferaufgabe Das Arbeiten mit Bildern als visuellen Impulsen kann nach allem, was wir erarbeitet haben, nicht nur anstrengend und schwierig sein, sondern auch inspirieren und Spaß machen. Recherchieren Sie Bilder von Weihnachtsbäumen aus unterschied‐ lichen Ländern und von unterschiedlichen Kontinenten. Suchen Sie online und übersetzen Sie Ihre Suchbegriffe in verschiedene Sprachen. Gestalten Sie damit eine Materialsammlung für Lerngruppen, die an das Thema der Interkulturalität herangeführt werden sollen. Formulieren Sie Arbeitsaufträge zu unterschiedli‐ chen Lernzielen: Bildbeschreibung, Bildvergleiche, Reflexion der Tradition des Weihnachtsbaums auch in nicht-genuin christlichen Kulturen und (sicherlich werden manche Bilder auch Schrift enthalten) Funktionen von Bild und Text. Achten Sie dabei insbesondere darauf, dass die Arbeitsaufträge die Staffelung der Prozessschritte Perzeption, Rezeption und Interpretation berücksichtigen und eine reflektierte Wahrnehmung der Differenzen befördern. Sicherlich lesen Ihre Schülerinnen und Schüler Informationen auch in Online- Enzyklopädien wie Wikipedia nach. Vergleichen Sie auch hier kontrastiv in zwei verschiedenen Sprachenversionen die Artikel zum Weihnachtsbaum (bzw. zum entsprechenden übersetzten Begriff). Nutzen Sie die Problemliste von Bucher um festzustellen, wie Textteile (Sprachabschnitte, Bilder und weitere Medien) aufgenommen und interpretiert werden könnten. 4.2.3 Zusammenfassung ▶ Verstehen ist ein komplexer Prozess, der sowohl von Rezipientinnen und Rezi‐ pienten als auch vom ihnen vorliegenden Kommunikationsangebot beeinflusst und bestimmt wird. ▶ Im Zusammenhang der interkulturellen Kommunikation wird deutlich, dass kulturelle Prägung und Arbitrarität vielfältig Einfluss auf das Verstehen haben. Kurzgefasst bedeutet das, dass nicht nur Leseprozesse kulturell und individuell verschieden ablaufen, sondern auch die Zeichen unterschiedliche Bedeutungen tragen können. ▶ Text und Leser können mehr oder weniger kompatibel zueinander sein, was sich durch eine höhere oder niedrigere Verständlichkeit des Textes für 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 181 <?page no="182"?> einen Leser bemerkbar macht; das Verständlichkeitsmodell von Heringer zum kommunikativen Rahmen drückt dies aus. ▶ Kompetenzen der optischen Wahrnehmung, Interpretation und der Interaktion mit einer grafisch-bildlichen Darstellung rücken als Visual Literacy immer mehr in den Fokus von Forschung und Unterrichtsgestaltung. ▶ Visual Literacy kann geschult werden, indem man die Vorwissensbereiche Weltwissen, Code-Wissen und Bildwissen in den Rezeptionsprozess mit ein‐ bezieht. Diese Schulung stellt einen Schlüssel zur gemeinsamen Deutungsaus‐ handlung von Abbildungen oder Bild-Texten durch Lerner und Lehrerinnen im DaF-Unterricht dar. ▶ Die Probleme, welche beim Lesen etwa von Texten mit Bildern bewältigt werden müssen, hat Bucher in einer Liste zusammengefasst. Das Material kann diesen Problemen leserinnenorientiert begegnen, sodass der Bottom-up- Teilprozess besser gelingen kann. 4.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welches sind die drei Vorwissensbereiche, die Einfluss auf das interkulturelle Verstehen von Bildern haben können? 2. Welche Prozesse haben Einfluss auf die Abfolge des Rezipierens von Bildtexten? 3. Welche kontextuellen Umstände haben Einfluss auf die Eigenschaft der Verständ‐ lichkeit? 4. Was bedeutet Visual Literacy und mit welchen Schritten kann diese methodisch im Unterricht DaF/ DaZ geübt werden? 182 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="183"?> 4.3 Linguistic Landscapes - Die Erforschung sprachlicher Landschaften Katharina Neuber und Stefanie Nölle-Becker Nachdem wir uns mit der multimodalen Verbindung von Bild und Sprache sowie Verstehensprozessen in interkulturellen Kommunikationszusammenhängen be‐ schäftigt haben, wenden wir nun den Blick auf die Sichtbarkeit von Sprachen im Alltag. Wenn wir eine Straße entlanggehen, begegnen wir einer Vielzahl von sprachlichen Zeichen. Ob als Ladenschild, Verbotsschild, Wegweiser, Graffiti, Aufkleber oder Namenszug - wir bewegen uns in einer sprachlichen Landschaft mit einer Vielzahl an Schriftzeichen, Worten oder Sätzen. Häufig sind diese mit Bildern oder Piktogrammen verknüpft, in auffallenden Schrifttypen gedruckt oder als Graffiti über andere Zeichen gesprüht. Oftmals fallen uns diese Zeichen in unserer gewohnten Umgebung gar nicht mehr auf, sondern werden erst dann beachtet, wenn ihre Kodierung, zum Beispiel aufgrund eines anderen Schriftsystems, zu einem Problem wird: Auf welchem Schild der griechischen Ferieninsel steht, dass es hier zum Museum geht? Die Erforschung dieser sprach‐ lichen Zeichen im Kontext von Mehrsprachigkeit erfolgt mit der Methode des Linguistic Landscapings, die wir in dieser Lerneinheit behandeln. Dabei wird es auch darum gehen, konkrete Anwendungsbeispiele für den Sprachenunterricht im Kontext von Mehrsprachigkeit herauszuarbeiten. Zudem widmen wir uns in dieser Lerneinheit dem didaktischen Potenzial von Linguistic Landscapes im (Fremd-)Sprachenunterricht sowie ausgewählten Projekten und Ansätzen, wie Linguistic Landscaping in der Lehr-Lern-Praxis eingesetzt werden kann. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ für die Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum sensibili‐ siert werden; ▶ ein Verständnis dafür entwickeln, was eine Linguistic-Landscape ausmacht; ▶ zentrale Begriffe erklären und vier Diskurstypen zur Kategorisierung von schriftlichen Zeichen unterscheiden können; ▶ anhand unterschiedlicher Herangehensweisen zur Erforschung von Lingu‐ istic-Landscapes einen Einblick in die Forschungsmethodik erhalten; ▶ für die Potenziale von Linguistic-Landscaping in Hinblick auf die Förderung von Sprachenbewusstheit und Cultural-Awareness-sensibilisiert werden; ▶ Impulse erhalten, um die Methode in Ihrem Lehr-Lern-Kontext anwenden zu können. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 183 <?page no="184"?> Reflexionsaufgabe Achten Sie bei Ihrem nächsten Gang durch Ihre Nachbarschaft auf mehrsprachige Beschilderungen. Welche Sprachen kommen vor? Auf wen geht die Urheberschaft dieser Zeichen zurück, und welchem Zweck dienen sie? Was sagen die gefundenen Sprachen über diese Gegend aus? 4.3.1 Linguistic Landscapes als Forschungsfeld Vielfältige Erscheinungsformen von Sprachen im öffentlichen Raum wie beispielsweise Beschilderungen bieten uns Anlass zu einer Vielzahl von Erkenntnissen. Dazu gehören die Anzahl und der Status der in einem Gebiet verwendeten Sprachen, (inter)kulturelle Prägungen und historische sowie ethnische Zusammensetzungen von bestimmten Gebieten sowie Erkenntnisse über öffentliche Diskurse (vergleiche Androutsopou‐ los 2008). Diese Aspekte untersucht seit den 1990er Jahren das soziolinguistische Forschungsfeld der Linguistic Landscapes (einen Überblick geben Ziegler/ Marten 2021). Ihren Ursprung hat die Forschungsrichtung in der Untersuchung von urbanen Räumen in mehrsprachigen Städten. So untersuchten die beiden kanadischen Forscher Landry und Bourhis, die den Begriff der Linguistic Landscape geprägt haben, die Repräsentation von Englisch und Französisch im bilingualen Québec und zogen daraus Rückschlüsse auf das Machtverhältnis zwischen den Sprachen und die Auswirkungen auf die französische Sprachengemeinschaft (vergleiche Landry/ Bourhis 1997; siehe auch Gorter 2013: 194). Wir bezeichnen mit einer Linguistic Landscape demnach die betrachtete Sprachenlandschaft, während der Begriff des Linguistic Landscapings für deren Untersuchung angewandt wird (vergleiche Ricart Brede 2014: 3). Dabei erforschen wir die Funktion und den Gebrauch öffentlich sichtbarer Sprache und betrachten insbesondere Verteilung, Rolle und Funktion der vorhandenen Sprachen an einem festgelegten Ort: „Im Zentrum dieses neuen, alltagsweltlichen Zugangs zu Mehrsprachigkeit steht die Frage, in welcher Weise sichtbare Mehrsprachigkeit den öffentlichen Raum prägt und inwieweit sich ethnisch-kulturelle Diversität in sprach‐ lich sichtbarer Diversität niederschlägt“ (Ziegler/ Eickmanns/ Schmitz/ Uslucan/ Gehne/ Kurtenbach/ Mühlan-Meyer/ Wachendorff 2018: 13). Aus diesem Grund eignet sich der Zugang des Linguistic Landscapings besonders zur Erforschung von Mehrsprachigkeit. Sichtbare Sprachen werden dabei als Abbild von kultureller und sprachlicher Vielfalt an einem Ort betrachtet, und ihr Vorhandensein oder Fehlen als Ausdruck von Repräsentation und (Nicht-)Teilhabe interpretiert (ver‐ gleiche Androutsopoulos 2008). So beschreiben Ziegler et al. ihr Forschungsprojekt Metropolenzeichen folgendermaßen: „Dabei wird das Ziel verfolgt, den Status und die Akzeptanz von Sprachen […] bestimmen zu können, um so Hinweise auf Identitäts‐ markierungen, Machtverhältnisse und die Kultur des Zusammenlebens in einer von Diversität geprägten Gesellschaft zu erhalten“ (Ziegler et al. 2018: 13). Zu diesem Zweck untersuchte ein interdisziplinäres Team der Universität Bochum bestimmte 184 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="185"?> Viertel der Städte Duisburg, Bochum, Essen und Dortmund, um eine Vorstellung von der Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet zu erhalten (vergleiche Ziegler et al. 2018). Dafür wurden sämtliche Zeichen in diesem Gebiet fotografiert, kategorisiert und ausgewertet, zusätzlich wurden Interviews geführt. Zu den Forschungsergebnissen kann an dieser Stelle gesagt werden, dass Deutsch die vorherrschende Sprache war, allerdings erwies sich das Vorkommen anderer Sprachen als Repräsentation der Einwohnerinnen und Einwohner der Gebiete (vergleiche Schmitz 2018: 27). Weiterhin hat sich inzwischen das verwandte Forschungsgebiet des Linguistic Soundscapings entwickelt, um gesprochene Sprache erfassen und erforschen zu können (vergleiche Pappenhagen/ Redder/ Scarvaglieri 2013: 132-133). Die Erforschung der Sprachenlandschaft Bei der Erforschung der Sprachenlandschaft unterscheiden wir nach Landry/ Bourhis (1997: 25) zwei Hauptfunktionen. Als erste Hauptfunktion ist die informative Funktion zu nennen, die uns konkrete Informationen über den tatsächlichen Ort und ihre Bewohnerinnen und Bewohner bietet. So erfahren wir beispielsweise, welche Sprachen wir zur Kommunikation in einem Geschäft oder Restaurant verwenden können, ob wir uns in einer zweisprachigen Stadt befinden oder welche Struktur einen spezifischen Stadtteil prägt (vergleiche Androutsopoulos 2008). Die zweite Hauptfunktion besteht in der symbolischen Funktion, indem wir die Sprachenlandschaft als Abbild des gesellschaftlichen Zusammenlebens betrachten (vergleiche Androutsopoulos 2008). Wir können uns fragen, welche Sprachen vorhanden sind oder fehlen, und was uns das in Hinblick auf die öffentliche Sichtbarkeit bestimmter Sprachengruppen zeigt. Mit einer historischen Perspektive, beispielsweise im Rahmen der im weiteren Verlauf dieser Lerneinheit vorgestellten Erinnerungsorte, können wir untersuchen, ob bestimmte Gruppen ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen haben. Die methodische Erforschung einer Linguistic Landscape beginnt mit der Festlegung des Erkenntnisinteresses, der Entwicklung einer Fragestellung und der Definition des Forschungsraumes. Ausgehend von der Annahme, dass öffentlich sichtbare Schrift Interaktionsmöglichkeiten schafft und somit Räume in „Handlungs-Räume“ (Auer 2010: 275) umwandelt, bestimmen wir, ob Außen- oder Innenräume, Stadtviertel, Straßenzüge, abgegrenzte Areale wie Parks oder ein Schulhof erforscht werden. Wenn ein Vergleich zum Beispiel zweier Stadtviertel vorgesehen ist, so sind Kriterien für die Vergleichbarkeit der Räume zu berücksichtigen (beispielsweise Anzahl der Straßen oder Gebäude, die Bevölkerungs- oder die Infrastruktur). Je nach Fragestellung muss auch beachtet werden, wie repräsentativ die erfassten Zeichen für das Forschungs‐ gebiet im Ganzen sein sollen (vergleiche Backhaus 2007: 61). Die Festlegung des Forschungsgebietes ist grundlegend für das weitere Vorgehen, bei dem systematisch und meist mit Hilfe von Fotografien alle Schriftzeichen in diesem Gebiet erfasst werden. Diese können sich auf einer Vielzahl von Untergründen, wie Schildern, Aufklebern oder Plakaten, befinden. Mithilfe eines Mobiltelefons oder einer Kamera ist die Erfor‐ schung der Sprachenlandschaft ohne großen Aufwand möglich. Hierbei erfassen wir 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 185 <?page no="186"?> am besten alle Einheiten mit schriftlichen Zeichen in separaten Aufnahmen. Im Projekt Metropolenzeichen wurden so insgesamt über 25.000 Zeichen fotografiert. Als nächstes werden alle Belege einzeln nach zuvor festgelegten Kategorien in einer Tabelle oder einer anderen geeigneten Darstellung kodiert. Dabei wird in der Forschung zum einen nach der Urheberschaft unterschieden, also ob es sich um ein amtlich autorisiertes, offizielles Zeichen (Top-down-Kommunikation) oder um ein privates oder kommerzi‐ elles Zeichen (Bottom-up-Kommunikation) handelt (vergleiche Androutsopoulos 2008). Weitere mögliche Kategorien bilden die Erscheinungsform, also ob es sich um ein Schild, Plakat, einen Aufkleber, eine Aufschrift oder Inschrift handelt (vergleiche Schmitz 2018: 27), sowie der Diskurstyp, bei dem die Art der Information klassifiziert wird. Hier werden nach Scollon und Scollon (2003: 167) vier Diskurstypen unterschie‐ den (siehe auch Ziegler et al. 2018: 79): Infrastrukturelle, regulatorische, kommerzielle und transgressive. Infrastrukturelle Zeichen informieren über die Benennung und Merkmale von Einrichtungen. Diese finden wir zum Beispiel auf Wegweisern, Stra‐ ßenschildern sowie an institutionellen Gebäuden. Der zweite Diskurstyp umfasst die regulatorischen Zeichen, also Verhaltensregeln und Verbote an einem bestimmten Ort, wie Verkehrs- oder Verbotsschilder. Namen von Geschäften, ihre Angebote und ihre Werbung machen drittens die kommerziellen Zeichen aus. Graffiti oder Aufkleber, die oft als Überschichtung und unautorisiert angebracht werden, werden viertens als transgressive Zeichen bezeichnet. In ihrer Studie Metropolenzeichen fanden Ziegler et al. noch weitere Funktionen, die sie den vier Diskurstypen nicht zuordnen konnten, wie Gedenktafeln (kommemorative Zeichen), Gedichte an einem Baum (nicht transgressive künstlerische Zeichen) und andere Botschaften (wie Wahlplakate) (vergleiche Schmitz 2018: 28). Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Welcher Diskurstyp kommt im Ruhrgebiet wohl am häufigsten vor? Begründen Sie Ihre Überlegungen und Vermutungen. Recherchieren Sie anschließend das Ergebnis der Studie Metropolenzeichen und überprüfen Sie Ihre Vermutungen. Lagen Sie richtig? Überrascht Sie das Ergebnis? Notieren Sie Ihre Überlegungen. Zur Erforschung von Mehrsprachigkeit an einem Ort möchten wir wissen, welche Sprachen in unserem Forschungsgebiet vorhanden sind. Dazu bestimmen wir die auf den Bildern vorkommenden Sprachen und können uns auf dieser Basis Gedanken über die Herkunft und Zuordnung von Wörtern, Schriftsysteme in anderen Sprachen sowie die Übersetzung von Begriffen machen. Somit führt die Beschäftigung mit Linguistic Landscapes zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit Sprachen, weshalb sie sich auch für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht hervorragend eignet, wie wir im nachfolgenden Abschnitt sehen werden. Zu diesem Zweck betrachten wir die Anzahl der Sprachen auf einem Bild: Finden sich ein, zwei oder mehr Sprachen auf einem Schild? Auch diese Befunde kodieren wir in unserer Tabelle. 186 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="187"?> Kategorie Befund Ort Stadt und Stadtteil (Beschreibung des Ortes) Diskurstyp infrastrukturell, regulatorisch, kommerziell, transgressiv, kommemorativ, künstlerisch Sprachen zum Beispiel Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch, … Urheberschaft Top-down oder Bottom-up Erscheinungsform Aufkleber, Schild, Inschrift, Plakat, gesprüht, … Anzahl der Sprachen einsprachig, zweisprachig, dreisprachig, mehrsprachig mögliche weitere Kategorien: Typographie, Alphabet, Größe, Text-Bild-Kombination, … Tabelle 4.1: Mögliche Kategorien zur Kodierung sprachlicher Zeichen (eigene Darstellung nach Ziegler et al. 2018: 14) Betrachten wir eine mögliche Kodierung anhand des folgenden Beispiels: Abbildung 4.10: Beispiel ei‐ nes mehrsprachigen Bildes (Bild: Stefanie Nölle-Becker) Ort Brügge (Belgien), Place t’Zand Diskurstyp regulatorisch Sprachen mehrsprachig: Niederländisch, Franzö‐ sisch, Deutsch, Englisch Urheberschaft Top-down Erscheinungsform Plakat auf Schild Modalität Bild und Text Typographie Versalien Aufnahmedatum Juli 2020 (Covid-19-Pandemie) Tabelle 4.2: Beispielhafte Kodierung des mehrsprachigen Bildes Das Plakat bildet offizielle Hinweise der Stadt Brügge während der Corona-Pandemie ab und ist daher dem regulatorischen Diskurs zuzuordnen, der top-down erfolgt. In diesem Fall fällt die Zuordnung der Sprachen, auch aufgrund der Kenntnisse des Ortes, leicht, da im offiziell dreisprachigen Belgien je nach Region Niederländisch, Französisch, Deutsch gesprochen werden, und die Stadt Brügge viele Touristinnen und Touristen anzieht. Diese Sprachenbestimmung ist nicht immer eindeutig, weshalb es 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 187 <?page no="188"?> sinnvoll sein kann, sich auf Wörterbücher oder andere Korpora zur Festlegung der Sprachenherkunft zu beziehen. Ist beispielsweise das Wort Restaurant ein deutsches oder ein französisches Wort? Da es im Duden steht, können wir auf dieser Basis argumentieren, dass es sich um ein deutsches Wort handelt. Probleme können auch Namen und englische Lehnwörter bereiten (vergleiche Backhaus 2007: 62), die durch Sprachwandelphänomene entstanden sind, wie wir in Lerneinheit 1.3 erfahren haben. Bei dem obigen Beispiel wurden des Weiteren das Vorhandensein von Bild und Text, Besonderheiten der Typographie sowie zur inhaltlichen Kontextualisierung das Aufnahmedatum festgehalten, da dies zur Entschlüsselung der Botschaft notwendig erscheint. Viele Schilder sind multimodal, indem sie eine Kombination von Text und Bild abbilden - wesentliche Aspekte der Multimodalität haben wir in Lerneinheit 4.1 kennengelernt. Eine Berücksichtigung des Bild-Text-Verhältnisses kann je nach Fragestellung, die wir untersuchen möchten, sehr aufschlussreich sein, ebenso wie die Anordnung der Zeichen oder typographische und weitere gestalterische Elemente. Für ein wissenschaftliches Vorgehen ist es daher ratsam, zu Beginn ein Erkenntnisinteresse und Forschungsfrage(n) festzulegen, die sich dann auch auf die Kategorienbildung und die Auswahl des Forschungsortes auswirken. Nach der Erhebung und Kategorienbildung folgt die Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der jeweiligen Forschungsfrage. Haben wir nach der symbolischen Funk‐ tion einer Sprachenlandschaft gefragt, so betrachten wir die Ergebnisse in Hinblick darauf, was uns die belegte Sprachenvielfalt (oder auch die fehlenden Sprachen) über die Repräsentationen und Machtverhältnisse in einem Gebiet sagen. Wir können auch einzelne Diskurse auswählen und beispielsweise nur die sichtbaren Sprachen auf transgressiven Zeichen betrachten. So kann uns die Sprachenlandschaft auf anschau‐ liche und leicht zugängliche Weise viele Aufschlüsse über die Sprachenwahl sowie die Akteurinnen und Akteure in unserer Gesellschaft geben. Für den (Fremd-)Sprachen‐ unterricht ergeben sich damit zahlreiche mögliche Projektansätze, die verschiedene Kompetenzen fördern, worauf wir nachfolgend näher eingehen. 4.3.2 Linguistic Landscaping aus fremdsprachendidaktischer Perspektive Die Fremdsprachendidaktik ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet. Um das Fremd‐ sprachenlernen sowohl innerhalb als auch außerhalb von Lehr-Lern-Institutionen zu fördern, erweist sich der Ansatz des Linguistic Landscapings als besonders geeignet, da der Einsatz dieses Konzepts im Unterricht auf die Entwicklung und Förderung einer umfassenden Bewusstheit sowie Aufmerksamkeit für Sprachen und Kulturen zielt. Wie wir in dieser Lerneinheit bereits gesehen haben, sind die verschiedenen Formen von Linguistic Landscapes häufig als multimodale Bild-Schrift-Zeichen (siehe hierzu Lerneinheit 4.1) im öffentlichen Raum zu finden - so werden die schriftli‐ chen Zeichen oder Texte mit anderen semiotischen Zeichen, wie Bildern, Symbolen oder Piktogrammen, verknüpft. Daher können wir Literacy, im Sinne von Lese-, 188 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="189"?> Schreib- und Textkompetenzen, auch multimodal verstehen und eine bildlinguistische Herangehensweise zugrunde legen. Durch den Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht können wir dem Appell des iconic, visual oder pictorial turn nach verstärktem Bildeinsatz im Fremdsprachenunterricht sehr gut nachkommen (vergleiche Ballweg 2018: 300; Janíková 2018: 137, 144, 147, 167). Auch im Kontext der aktuellen Mehrsprachigkeitsdidaktik haben Linguistic Landscapes im Unterricht ein enormes Potenzial, weil sie „vielseitige, mehrperspektivische Einblicke in die sprachli‐ che und kulturelle Vielfalt im Alltagsleben der jeweiligen Gesellschaft“ ( Janíková 2018: 138) ermöglichen. Außerdem können wir weiteren Zusammenhängen nachgehen, wie Fragen der Sprachenvielfalt, der Präsenz und Funktion von einzelnen Sprachen und sprachenpolitischer Konsequenzen, der Beziehungen zwischen mehreren Sprachen oder der Sprachenhierarchien (vergleiche Janíková 2018: 138-139; Schiedermair 2018: 174). In diesem Zusammenhang sehen wir das Ziel in der Sensibilisierung „für die Wahrnehmung unterschiedlicher Sprachen und somit auch für die Diskrepanz zwi‐ schen den gesprochenen Sprachen eines Ortes und den eben dort sichtbaren Sprachen“ ( Jentges/ Sars 2018: 33) im Vordergrund. Des Weiteren kann die Perspektive der Autorinnen und Autoren oder auch die der Rezipientinnen und Rezipienten fokussiert werden, wie beispielsweise im Projekt von Ballweg, in dem die Dekodierung und Rezeption von multimodalen Zeichenensembles durch neu zugewanderte Menschen untersucht wurden. Linguistic Landscapes bieten in der zielsprachigen Umgebung eine vielseitige und gut zugängliche Lernumgebung, stellen jedoch auch eine Herausforde‐ rung für Neuzugewanderte dar, weil diese die Aussagen der Zeichen sprachlich und kulturell nicht immer verstehen können. Die Wahl und Nutzung der unterschiedlichen Rezeptions- und Dekodierungsstrategien hängen von individuellen und kontextuellen Faktoren ab - unter anderem dem Alter oder dem Alphabetisierungs- und Bildungsgrad (vergleiche Ballweg 2018: 297, 302; Janíková 2018: 139). Mehrdimensionale Förderung anhand von Linguistic Landscapes Durch den Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht können wir die übergreifenden sprachendidaktischen Ziele Language Awareness und Cultural Awareness erreichen: Die Fähigkeit zum reflektierten Umgang mit Sprachen sowie zur Wahrnehmung von Unterschieden auf verschiedenen sprachlichen Ebenen wird gestärkt, das heißt, wir fördern die Sprachenbewusstheit und Sprachenaufmerksamkeit in verschiedenen Dimensionen. Welche dies sind, erläutern wir im Folgenden. ▶ Mit der emotionalen Dimension ist die Entwicklung von Haltungen und Einstel‐ lungen der Lerner gemeint, indem Aufmerksamkeit erregt und Interesse geweckt werden. Weil viele Linguistic Landscapes einen hohen Grad an Emotionalität haben - beispielsweise durch ihre gefühlvollen, witzigen oder provozierenden Erzählungen über die Sprachen oder Menschen -, wird wiederum die Motivation zum Fremdsprachenlernen gesteigert. Dabei spielt die individuelle Bedeutsamkeit von Linguistic Landscapes zum Beispiel bezüglich der eigenen Biografie oder 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 189 <?page no="190"?> eigener Erfahrungen eine große Rolle (vergleiche Ballweg 2018: 310; Janíková 2018: 141-142, 166). ▶ Bei der sozialen Dimension geht es um die Beziehungen zwischen den beteiligten Akteurinnen und Akteuren sowie ihr sprachliches Verhalten, das im Kontext ihrer jeweiligen Zugehörigkeits- oder Differenzkategorien - wie unter anderem ihre soziale Schicht, ihr Geschlecht oder ihre Ethnie - gesehen werden kann. ▶ Eine politische Dimension können wir zum Beispiel durch die Verwendung von politischen Linguistic Landscapes, wie Wahlplakaten, im Fremdsprachenunterricht erreichen, wodurch eine kritische Sprachenaufmerksamkeit gestärkt werden und eine Sensibilisierung für das machtvolle oder sogar manipulative Potenzial von Sprachen stattfinden kann. So können wir politische Diskurse thematisieren, indem wir beispielsweise aktuelle politische Auseinandersetzungen auf öffentli‐ chen Plakaten und ihre handschriftlichen Kommentierungen zueinander in Bezug setzen (vergleiche Janíková 2018: 142; Schiedermair 2018: 175). ▶ Eine kognitive Dimension liegt vor allem in der Auseinandersetzung mit Sprachen‐ strukturen: Dies kann unter anderem durch das Erkennen von sprachlichen Struk‐ turen, Regeln, Ähnlichkeiten oder Unterschieden sowie durch das Wahrnehmen von sprachlichen Variationen erfolgen. Dadurch können wir Sprachen bezüglich ihres Aufbaus reflektieren sowie das Sprachenwissen fördern und erweitern, indem wir einzelne Sprachen und Varietäten vergleichen und beispielsweise Codemixing, Neologismen oder Entlehnungen bewusst wahrnehmen. ▶ Die performative Dimension umfasst vor allem die Förderung der Fähigkeiten der Lerner, das jeweilige Kommunikationsziel durch ihr erworbenes Sprachenwissen effektiv zu erreichen. Dafür liefern Linguistic Landscapes viel sprachlichen Input. Mit Performanz ist schließlich die enge Verknüpfung von Sprachenwissen und Sprachenkönnen gemeint, was für die Herausbildung und Entwicklung von Spra‐ chenlernstrategien wichtig ist (vergleiche Janíková 2018: 142-143). Durch den Einsatz von Linguistic Landscapes stärken wir zudem Cultural Awareness, denn sie zeigen auch die Begegnung von Menschen mit verschiedenen sprachlichen sowie kulturellen Hintergründen. Wie wir aus Lerneinheit 4.2 wissen, steht fremd‐ sprachliches Lernen in enger Verbindung mit kulturellem Lernen. Indem wir Linguistic Landscapes als Material in den Unterricht einbeziehen, können wir das Unterrichtsziel der Herausbildung und Stärkung einer interkulturellen Kompetenz erreichen, weil dieser Gegenstand (inter)kulturell spezifisch ist und vielfältige Einblicke in die Alltags‐ kultur von öffentlichen Räumen gewährt (vergleiche Janíková 2018: 143-144, 166). Sie bieten als öffentliche Diskursräume Zugang zu gesellschaftlichen Diskursen sowie Aushandlungsprozessen und stellen somit ein produktives Konzept für eine moderne Kulturendidaktik dar. So können wir dem Paradigmenwechsel in der Landeskunde nachkommen, indem in der Kulturenvermittlung von gesellschaftlichen Diskursen ausgegangen wird, die in Linguistic Landscapes im öffentlichen Raum sichtbar werden. Damit legen wir den Fokus nicht nur auf den gegenwärtigen Zustand, sondern auf 190 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="191"?> die Aushandlungs- und Konstruktionsprozesse, die sich auf vergangene, aktuelle und potenzielle Strukturen beziehen (vergleiche Schiedermair 2018: 173, 175-176). Mit der Betrachtung von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht verfol‐ gen wir schließlich sprachen-, kulturen-, medienbezogene und pädagogisch-didakti‐ sche Unterrichtsziele: Sprachenbezogen stärken wir Sprachenkenntnisse, -fertigkeiten und -mittlungskompetenzen. Kulturenbezogene Ziele beinhalten die erläuterte Cultu‐ ral Awareness. Medienbezogene Ziele erreichen wir durch gesteigerte Medienaufmerk‐ samkeit und die Entwicklung einer kritischen Medienkompetenz, denn Linguistic Landscapes sind in unterschiedlichen Kommunikationsformen und durch verschiedene Kommunikationsmittel geprägt. Hierauf werden wir in Bezug auf die App Lingscape im nachfolgenden Abschnitt weiter eingehen. Dabei zielt die Herausbildung und Er‐ weiterung der Beobachtungs-, Recherche-, Analyse- und Reflexionskompetenz auf die pädagogisch-didaktische Ebene. So verbinden wir fächer- und sprachenübergreifend Lernen im Fremdsprachenunterricht mit der authentischen Lebenswelt der Lerner. Die Autonomie der Lerner steigern wir durch die Unterrichtsform: Diese sollten wir so of‐ fen gestalten, dass die Lerner sich Inhalte selbstständig erarbeiten, thematische Schwer‐ punkte selbst setzen und damit eigenverantwortlich Entscheidungen treffen, ihren Wissenserwerb organisieren und steuern können. Sie können mit Linguistic Landscapes beispielsweise die Unterrichtsmaterialien selbst sammeln, eigenständig kategorisieren und analysieren, was wiederum die Motivation und Aktivierung im Fremdsprachen‐ unterricht steigert. Daher ist besonders der Projektunterricht für die Arbeit mit Linguistic Landscapes geeignet. So werden die verschiedenen Kompetenzen, die in den Lehrplänen und Curricula definiert sind, durch die Arbeit im Projekt ausgebildet und erweitert. Wir können Linguistic Landscapes in die vorhandenen methodischdidaktischen Konzepte integrieren. Durch handlungsorientierte Unterrichtsmethoden und die beschriebenen möglichen Vorgehensweisen sowie Einsatzmöglichkeiten im Unterricht werden Linguistic Landscapes zu individuellen Lernlandschaften, da die Themen nicht vorgegeben werden, sondern das Ergebnis individueller Entscheidungen der Lerner darstellen (vergleiche Janíková 2018: 146, 148-149, 167; Schmitz 2018: 26; Schiedermair 2018: 189). 4.3.3 Linguistic Landscaping in Lehr-Lern-Kontexten Die Didaktik der Linguistic Landscapes hat, wie bereits geschildert, unterschiedliche methodisch-theoretische Bezugsrahmen. Nachfolgend gehen wir auf ausgewählte Beispiele ein, wie Linguistic Landscapes in konkreten Lehr-Lern-Kontexten angewendet werden können, und zeigen dadurch exemplarisch die enorme Bandbreite sowie das große Potenzial von Linguistic Landscapes im (Fremd-)Sprachenunterricht. Mit dem Ansatz des Spottens (im Sinne von ‚entdecken‘ oder ‚erkennen‘ aus dem Englischen to spot) suchen wir nach Spuren einer Sprache, und zwar in einer Umgebung, in der diese Sprache nicht die dominante ist (vergleiche Pasewalck 2018: 350, 352). Dies zeigen 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 191 <?page no="192"?> beispielsweise Marten und Saagpakk anhand von Projekten zum Spot German-Ansatz (siehe hierzu Marten/ Saagpakk 2017). Experiment 1 Testen Sie den Ansatz des Spottens und suchen Sie nach deutschsprachigen oder anteilig deutschsprachigen Linguistic Landscapes in einer nicht-dominant deutschsprachigen Umgebung. Wenn Sie sich in einer dominant deutschsprachigen Umgebung befinden, testen Sie dies mit einer anderen Sprache - zum Beispiel einer Minderheitensprache oder einer regionalen Varietät. Ein weiteres Beispiel ist das oben erwähnte Konzept der Erinnerungsorte, das beispiel‐ weise Badstübner-Kizik in ihren Projekten umsetzt (siehe hierzu Badstübner-Kizik 2018). Erinnerungsorte sind Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses einer Gemeinschaft, in denen prägende historische Ereignisse und Erfahrungen sichtbar werden. So können wir mit dem Konzept der Linguistic Landscapes untersuchen, wie Erinnerung in Form von Schrift sowie Bild-Schrift-Kombinationen im öffentlichen Raum sichtbar wird (vergleiche Janíková 2018: 164). Eine Funktion öffentlicher Schriftzeichen ist nach Auer „vergangener Ereignisse oder verstorbener Menschen zu gedenken“ (Auer 2010: 294). Experiment 2 Welche Erinnerungsorte können Sie entweder in Ihrem Heimat-, Wohn- oder Arbeitsort entdecken? Suchen Sie sich einen exemplarischen Erinnerungsort aus und besuchen Sie diesen. Wie und in welchen Sprachen wird Erinnerung anhand dieser Linguistic Landscape sichtbar? Eine leicht zugängliche didaktische Nutzung bietet die App Lingscape, die an der Universität Luxemburg entwickelt wurde und als Crowdsourcing-Projekt die Sammlung von mehrsprachigem Datenmaterial unter Einbezug der interessierten Bürgerinnen und Bürger vorantreibt. Sie besteht aus einer Übersichtskarte mit einer Darstellung aller gesammelten Quellen, einem Foto-Upload und einem Projektmodus, der sich besonders für verschiedene Lehr-Lern-Kontexte eignet, da in einem passwortgeschütz‐ ten Bereich Material gesammelt, mit zusätzlichen Annotationen versehen und ausge‐ wertet werden kann. Die Webseite bietet eine interaktive Karte und Fallbeispiele schulischer Projekte, zum Beispiel von deutschen Auslandsschulen, sowie konkrete Unterrichtsideen zur Durchführung von Linguistic Landscape-Projekten mithilfe der Lingscape-App. Diese können eine höhere Motivation, die Hinführung zu selbststän‐ digem Lernen sowie die Verknüpfung von Lernprozessen und Alltagserleben befördern (vergleiche Purschke 2018: 71-72, 74). Zudem eröffnet das Arbeiten an Linguistic Landscape-Projekten einen Zugang zu wissenschaftlichen Arbeitsweisen und kritischer Reflexion von gesellschaftlichen Macht- und Kommunikationsstrukturen. 192 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="193"?> Transferaufgabe Gehen Sie auf die Webseite des Lingscape-Projekts (Link: https: / / lingscape.uni. lu/ ) und öffnen Sie die interaktive Karte oder laden Sie die Lingscape-App auf Ihr Mobiltelefon herunter. Beschäftigen Sie sich mit den Inhalten und probieren Sie die App aus. Sammeln Sie Aspekte, mit deren Hilfe Medienkompetenz in Linguistic Landscaping-Projekten gefördert werden kann. Wie wir an verschiedenen Beispielen gesehen und ausprobiert haben, eignet sich die Forschungsmethode des Linguistic Landscapings sehr gut für Lehr-Lern-Kontexte, in denen die Lerner angeleitet selbstständig forschend tätig werden können. Die Durchführung eines Forschungsprojekts zu Linguistic Landscapes ermöglicht es Ler‐ nern, einen Forschungsprozess komplett oder in Teilen eigenständig zu durchlaufen, weil dadurch die verschiedenen Stationen im Forschungszyklus von der Entwicklung einer eigenen Fragestellung über die Datenerhebung und -aufbereitung bis hin zur -auswertung und -interpretation sowie zur Beantwortung der Forschungsfrage(n) wie oben beschrieben durchlaufen werden (siehe Sonntag/ Rueß/ Ebert/ Friederici/ Dei‐ cke 2017). Hierzu wurden in dieser Lerneinheit verschiedene Möglichkeiten und Anwendungsbeispiele aufgezeigt, die Lehrerinnen und Lehrer sowie Dozentinnen und Dozenten in vielfältigen Kontexten einsetzen können. Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Führen Sie ein Linguistic Landscaping-Projekt in Ihrer Lehr-Lern-Institution oder einer öffentlichen Einrichtung durch, indem Sie die nachfolgenden Schritte berück‐ sichtigen. 1. Legen Sie einen Gebäudeabschnitt fest und begründen Sie Ihre Auswahl kurz. 2. Überlegen Sie sich eine konkrete Fragestellung, die Sie anhand des festge‐ legten Raumes beantworten wollen. Diese sollte nach Möglichkeit einen Mehrsprachigkeitsbezug haben. Dabei können Sie beispielsweise verschiedene Sprachen, gesellschaftliche Themen oder bestimmte Diskurstypen ermitteln wollen. 3. Erheben Sie Ihre Daten, indem Sie den festgelegten Raum vollständig abfoto‐ grafieren. 4. Bereiten Sie Ihre gewonnenen Daten auf, indem Sie die Fotos in Kategorien sortieren, die für Ihr Erkenntnisinteresse relevant sind. 5. Werten Sie die Daten aus und halten Sie Ihre Ergebnisse fest, indem Sie Ihre Fragestellung beantworten. Interpretieren Sie Ihre Ergebnisse. 6. Reflektieren Sie Ihr durchgeführtes Linguistic Landscape-Projekt, indem Sie Herausforderungen und Chancen identifizieren. Überlegen Sie sich Übertra‐ gungsmöglichkeiten für Ihre Lehr-Lern-Praxis. 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten 193 <?page no="194"?> 4.3.4 Zusammenfassung ▶ Mit dem in dieser Lerneinheit vorgestellten Ansatz der Linguistic Landscapes erforschen wir die öffentlich sichtbare Sprachenlandschaft und analysieren das Vorkommen von Sprachen, Diskursen und Interaktionen anhand von Zeichen, die uns in unserem täglichen Umfeld umgeben. Wir erlangen dadurch Aufschluss über reale Erscheinungen des Sprachengebrauchs, das Vorhanden‐ sein von Sprachen in einer festgelegten Region sowie über Aspekte von Kommunikation, Macht und Teilhabe. ▶ Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive bietet der Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht ein enormes Potenzial, da wir damit verschiedene sprachen-, medien-, kulturenbezogene, methodisch-didaktische sowie pädagogische Ziele erreichen können. Insbesondere die Förderung der Language Awareness in affektiver, sozialer, politischer, kognitiver und performativer Dimension sowie der Cultural Awareness können wir durch Linguistic Landscaping im Fremdsprachenunterricht verfolgen. ▶ Anhand von verschiedenen Projekten sowie Ansätzen zur Anwendung von Linguistic Landscaping in Lehr-Lern-Kontexten, wie unter anderem dem Spot German-Ansatz oder den Erinnerungsorten, haben wir Umsetzungsmöglich‐ keiten für die Praxis kennengelernt und ihr Ausprobieren angeregt. 4.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist damit gemeint, wenn wir von der Erforschung der Linguistic Landscape sprechen? Gehen Sie bei Ihrer Antwort auch auf zentrale Begriffe ein, die Sie in dieser Lerneinheit kennengelernt haben. 2. Um ihre semiotische Bedeutung einordnen zu können, werden die schriftlichen Zeichen nach Scollon/ Scollon (2003) in vier Diskurstypen unterschieden. Nennen Sie diese und erklären Sie kurz ihre Bedeutung, indem Sie auch Beispiele anführen. 3. Die Arbeit an Linguistic Landscapes im (Fremd-)Sprachenunterricht bietet eine Vielzahl an Lernpotenzialen und kann insbesondere Language Awareness und Cultural Awareness schulen. Führen Sie die Dimensionen, die hierbei gefördert werden, sowie weitere Lernpotenziale auf. 4. Nennen Sie konkrete Beispiele für Unterrichtsprojekte im Zusammenhang mit Linguistic Landscapes und erläutern Sie kurz das jeweilige Vorgehen. 194 4 Mehrsprachigkeit in multimodalen Kontexten <?page no="195"?> 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten Sprachen und Sprach(en)gebrauch sind stets auch Ausdruck politischer und gesell‐ schaftlicher Machtverhältnisse und deshalb Ergebnis von gezielter institutioneller Steuerung. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Sprachenpolitik und Spra‐ chenmanagement. Diese sprachenpolitische Steuerung findet sowohl auf Makro- (Staat), Meso- (Institutionen) und Mikroebene (einzelne Lernangebote, Fächer, Kurse und dergleichen) statt. Wie sich Sprachenmanagement in unterschiedlichen Settings gestaltet, nämlich in Schulen, Hochschulen und im Fremdsprachenunterricht, unter‐ suchen wir in Kapitel 5. Die Befähigung zur Partizipation an Diskursen, einen auch in Lerneinheit 4.2 zentralen Aspekt weiterführend, ist in hohem Maße an sprachliche Kompetenzen gebunden. Wie sich die schulische Hinführung auch zum Zwecke einer Einbindung in demokratische Mitbestimmungsprozesse im bundesdeutschen Bildungsföderalismus gestaltet, untersuchen wir in Lerneinheit 5.1. Dazu ist eine grundlegende Kenntnis der Vielzahl an möglichen Bildungswegen in Deutschland hilfreich, die aus diesem Grund hier in aller Kürze vorgestellt werden. Die in der darauf folgenden Lerneinheit 5.2 vorgestellten konkreten Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht unter Einbeziehung wichtiger Erkenntnisse der Mehr- und Tertiärsprachendidaktik überführen theoretische Konzepte in Optionen der prakti‐ schen Unterrichtsgestaltung. Wir fokussieren dabei insbesondere die Förderung von Sprachen- und Sprachenlernbewusstheit, denn beide sind auf der kognitiven Ebene für das erfolgreiche (Fremd-)Sprachenlernen essenziell. In Lerneinheit 5.3 wenden wir uns schließlich institutionell bedingten Aspekten von Mehrsprachigkeit an deutschen Hochschulen zu. Insbesondere die Internationalisierung der tertiären Bildungsinsti‐ tutionen generiert zusammen mit einer stark gestiegenen Mobilität insbesondere von Studierenden europa- und weltweit teilweise problematische Implikationen. Aus ihnen ergeben sich wiederum für den Umgang mit Mehrsprachigkeit relevante Frage‐ stellungen, beispielsweise bezüglich eines neuen monolingualen Habitus infolge der Dominanz des Englischen als Lingua Academica. <?page no="196"?> 5.1 Mehrsprachigkeit und DaF/ DaZ im Spiegel schulischer Bildungsinstitutionen in Deutschland Constanze Bradlaw Prozesse der Mitbestimmung finden in Demokratien in allen öffentlichen gesell‐ schaftlichen Bereichen statt und erstrecken sich idealerweise auch aufs Private. Demokratien leben per definitionem vom Engagement und der Bereitschaft aller Bürgerinnen und Bürger, Verantwortung zu übernehmen. Fragen nach Partizipation, Integration und Inklusion, also demokratische Elemente, die sich nicht zuletzt über Sprache(n) gestalten, stehen deshalb im Fokus politischer Handlungs- und Steuerungsstrategien. Dies tun sie umso mehr, wenn Zugänge zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe aus sprachlichen Gründen ein‐ geschränkt oder unmöglich sind. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn (bil‐ dungs)sprachliche Kompetenzen von Bildungseinrichtungen wie Schulen nicht in ausreichendem Maße vermittelt werden konnten oder wenn Zuwandernde über (noch) keine ausreichenden Sprachenkenntnisse verfügen. Der Bildungspo‐ litik als einem politischen Handlungs- und Steuerungsinstrument kommt aus diesem Grund eine besondere Bedeutung und Verantwortung zu. Im Folgenden wollen wir einen Überblick über wichtige Bildungsinstitutionen in Deutschland geben und dabei aufzeigen, in welch enger wechselseitigen Bedingtheit sich politische Steuerungsprozesse und gesellschaftliche Entwicklungen befinden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein Verständnis für die Zusammenhänge zwischen der föderalen Staatsform und der Bildungspolitik in Deutschland entwickeln; ▶ die Ausgestaltung bildungspolitischer Maßnahmen auch als Ausdruck insti‐ tutioneller Sprachenpolitik begreifen; ▶ die Zusammenhänge zwischen sprachen- und bildungspolitischen Entschei‐ dungen auf nationaler Ebene kennenlernen; ▶ die engen Verbindungen zwischen gesellschaftlichen, politischen sowie wirtschaftlichen Entwicklungen und bildungspolitischen Entscheidungen erkennen können. Reflexionsaufgabe Überlegen Sie: Welche Bildungsinstitutionen kennen Sie, die im In- und Ausland die deutsche Sprache vermitteln? Mithilfe welcher Maßnahmen, zum Beispiel in Form von Lehrplänen, wird der Sprachenunterricht hier organisiert? Welche Fragen ergeben sich aus dieser/ diesen Vorgehensweise/ n? 196 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="197"?> 5.1.1 Politische Rahmenbedingungen Sprachliche Aspekte betreffende bildungspolitische Maßnahmen erstrecken sich in Deutschland auf alle Altersgruppen. Sie reichen vom frühen Kindesalter, zum Beispiel in Form von vorschulischer Förderung, bis ins hohe Erwachsenenalter, zum Beispiel in Form von Zweitschrifterwerb neu Zugewanderter oder in Form von Angeboten der Volkshoch‐ schulen. In dieser Lerneinheit konzentrieren wir uns auf schulische Bildungsmaßnahmen, da sich hier das Zusammenspiel gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich relevanter Entwicklungen und sich daraus ableitende Handlungsbedarfe besonders prägnant abbildet. Der Zugang zu Bildung ist in Deutschland ein Grundrecht, muss als solches allen offenstehen und damit einkommensunabhängig sein. Artikel 7 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland legt fest: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ Daraus ergibt sich für den Staat ein Auftrag. Doch wie organisiert der Staat diesen Auftrag? Für das Verständnis der Gestaltung deutscher Bildungspolitik ist das Wissen um die föderale Staatsform der Bundesrepublik Deutschland grundlegend. Dieser Föderalismus bedingt, dass die Bildungshoheit weitestgehend bei den 16 Bundes‐ ländern liegt. Auch das ist im Grundgesetz festgelegt und hat dazu geführt, dass die einzelnen Bundesländer eine eigene Bildungspolitik entwickelt haben. Entsprechend divers ist folglich die Ausgestaltung der konkreten Bildungspolitik in den jeweiligen Schul- und Hochschulgesetzen, wir sprechen von Bildungsföderalismus. Die Schulgesetze der einzelnen Bundesländer regeln die Details aller damit in Bezug stehenden Themen wie beispielsweise die konkrete Umsetzung der in Deutschland herrschenden Schulpflicht in Form von Lehrplänen und -fächern, Stundentafeln und Ferienzeiten oder die Ausbil‐ dungsmodalitäten von Lehrerinnen und Lehrern. Bundesländerübergreifende Belange wie die gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen diskutieren und klären die für Bildungspolitik zuständigen Kultusministerinnen und -minister in einem regelmäßigen Turnus in der Kultusministerkonferenz (vergleiche Wrase 2013). Die große Vielfalt der deutschen Bildungslandschaft ruft jedoch auch eine seit Jahrzehn‐ ten andauernde Kritik hervor, die ihre Kehrseite, die Uneinheitlichkeit, bemängelt. Oft wird dabei insbesondere das angeblich stetig sinkende Bildungsniveau von Schülerinnen und Schülern beklagt (exemplarisch Liessmann 2006, 2014). Die Kritiker fokussieren dabei oftmals den höchsten zu erreichenden Schulabschluss, die Allgemeine Hochschulreife. Sie unterstellen eine durch den Bildungsföderalismus verursachte Ungleichheit der in den Abiturprüfungen formulierten Aufgabenstellungen sowie divergierende Bewertungs‐ standards (exemplarisch Brodkorb/ Koch 2020), oft verbunden mit Rufen nach einem bundesweit einheitlich geregelten Zentralabitur. Dies ist insofern bildungspolitisch rele‐ vant, als dass der Hochschulzugang in Deutschland und damit der Zugang zu höherer Bildung auch von der Abiturnote abhängen. Der Zugang zu besonders nachgefragten Studiengängen einer Universität kann beispielsweise über die Festlegung einer Mindestnote eingeschränkt werden (Numerus Clausus). Gleichzeitig sind die Zugangsmöglichkeiten zu höherer Bildung in Deutschland besonders vielfältig. Doch die individuellen Bildungswege verlaufen mitunter nicht stringent, sodass die Vielzahl an (Weiter-)Bildungsangeboten als ein Ausdruck großer Flexibilität und Möglichkeiten des deutschen Bildungssektors gewer‐ 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 197 <?page no="198"?> tet werden kann. So ist auch nach dem Abschluss einer beruflichen Ausbildung (Lehre) eine akademische Qualifizierung an einer Hochschule, und zwar über den sogenannten „Zweiten Bildungsweg“ möglich. Die folgende Darstellung gibt einen Überblick: Abbildung 5.1: Bildungsinstitutionen in Deutschland, Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: XX 198 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="199"?> Transferaufgabe 1 Vergleichen Sie die vielfältigen Möglichkeiten in Deutschland, einen hohen Grad der Bildung und Weiterbildung zu erreichen, mit denen Ihres Herkunftslandes oder mit einem anderen Land. Welche Unterschiede gibt es und was resultiert daraus? Recherchieren Sie dann, was in Deutschland unter dem Begriff Bildungsurlaub verstanden wird. Gibt es eine ähnliche Möglichkeit zur Weiterbildung in anderen Ländern? Sie könnten sich in Ihrer Recherche auf drei Länder der Europäischen Union begrenzen. Was stellen Sie fest? Tauschen Sie Ihre Ergebnisse und Überle‐ gungen mit anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen aus. Die auf der Kultusministerkonferenz 1997 beschlossene und 2003 mit dem sogenann‐ ten Konstanzer Beschluss erstmals umgesetzte Einführung sogenannter Bildungs‐ standards begegnen dieser Kritik. Diese Standards gelten bundesweit und definieren abschlussbezogene Qualitätsmaßstäbe für einzelne Fächer, erstrecken sich also nicht auf die Curricula in Gänze. Für das Abitur als Zulassungsvoraussetzung für ein Hochschulstudium sind dies beispielsweise lediglich die Fächer Deutsch, Mathematik sowie die beiden Fremdsprachen Englisch und Französisch. Übergeordnetes Ziel ist es, „die Gleichwertigkeit der schulischen Ausbildung, die Vergleichbarkeit der Schul‐ abschlüsse sowie die Durchlässigkeit des Bildungssystems innerhalb der Bundesre‐ publik Deutschland“ (Kultusministerkonferenz 1997) zu gewährleisten. Um diesem Ziel näher zu kommen, gibt es seit 2017 einen Aufgabenpool für die oben genannten Fächer. Dabei handelt es sich „entsprechend der Anzahl der Fächer strenggenommen um vier Aufgabenpools“ (Kultusministerkonferenz 2017: 1). Aus diesen stellen die Kultusministerinnen und -minister der 16 Bundesländer die Abiturprüfungen für ihr jeweiliges Bundesland zusammen. „Es ist ausdrücklich vereinbart worden, die Aufgaben nur ‚so viel wie nötig und so wenig wie möglich‘ zu verändern. Perspek‐ tivisch werden solche Anpassungen nicht mehr erforderlich sein, da innerhalb der Kultusministerkonferenz z. B. auch die derzeit zum Teil noch unterschiedlichen Vorgaben für die Dauer von Prüfungsklausuren und Bewertungsmaßstäbe angegli‐ chen werden.“ (Kultusministerkonferenz 2017: 2) Die Formulierung illustriert die Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Einigungsprozessen und die nach wie vor existierende Uneinheitlichkeit, wobei auch Fragen der Bildungsgerechtigkeit sowie der Beziehung zwischen Bildungssozialisation und Bildungserfolg berührt werden. In einem Hochtechnologieland wie der Bundesrepublik Deutschland ist die Ausbildung ausreichend qualifizierter Arbeitskräfte makroökonomisch von hoher Relevanz. Doch in Deutschland hängt der schulische Bildungserfolg stark von der Familiensituation der Schülerinnen und Schüler ab: „Nach wie vor ist in Deutschland ein gerade im internationalen Vergleich enger Zusammenhang zwischen familialen Lebensverhältnissen, Bildungsbeteiligung sowie Zertifikats- und Kompetenzerwerb nachweisbar […])“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 40). Elterliche Bemühungen der Inanspruchnahme privat bezahlten Förderunterrichts stehen in 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 199 <?page no="200"?> direktem Zusammenhang mit deren Bildungsanspruch und -ideal sowie ihrer Finanz‐ kraft. Häufig wollen Erziehungsberechtigte zum Beispiel in Form von Nachhilfestun‐ den ihren Kindern zu einem möglichst hohen Schulabschluss verhelfen, um deren berufliche Karrierechancen zu optimieren. Dieses mit dem Schlagwort „Schattenbil‐ dungssystem“ belegte Phänomen wird von Bildungsforscherinnen und -forschern in seiner Relevanz für das Abschneiden auch in internationalen Bildungsrankings wie beispielsweise den PISA-Studien betont (vergleiche Entrich 2012). Dem deutschen Bildungssystem wird, sehr zum Leidwesen der jeweils verantwort‐ lichen Politikerinnen und Politiker, immer wieder aufs Neue ebendiese mangelnde Bildungsgerechtigkeit vorgeworfen und in Studien attestiert. Die unterstellte Bil‐ dungsungerechtigkeit stellt einen neuralgischen Punkt dar, denn laut §§1601 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) obliegt es den Eltern, bis zum Abschluss einer ersten Ausbildung für den Unterhalt der Kinder aufzukommen. Dieser Zeitpunkt kann durchaus in den späten 20er Jahren des Kindes liegen, denn als Abschluss zählt auch das Absolvieren eines Studiums in Regelstudienzeit. Nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle, die Derartiges regelt, liegen die Unterhaltskosten, die studie‐ rende Kinder gegenüber ihren unterhaltspflichtigen Eltern geltend machen dürfen, aktuell bei 860 Euro monatlich (Deutsches Studierendenwerk o. J.). Um Kindern einkommensschwacher Familien eine berufliche Ausbildung oder ein Studium zu ermöglichen und so auch dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit näher zu kommen, gibt es seit dem 1. September 1971 das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Es regelt „ob und in welcher Höhe Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende finanzielle Zuschüsse oder zinslose Darlehen erhalten können“ (Bun‐ deszentrale für politische Bildung 2016). Der Bildungsauftrag der Schulen formt mit dem Erziehungsauftrag der Eltern Schnittmengen, denn „[d]er Staat ist bei der Gestaltung des Schulwesens nicht auf die reine Wissensvermittlung beschränkt, sondern kann eigene Erziehungsziele verfolgen und insbesondere darauf abzielen, die Schüler zu selbstverantwortlichen Mitgliedern der Gesellschaft heranzubilden“ (Deutscher Bundestag 2019: 5). Dieser Umstand birgt spätestens dann Konfliktpotenzial, wenn die politischen Erziehungs- und Bildungsideale des Elternhauses nicht mit denen eines demokratischen und pluralistischen Rechtsstaats übereinstimmen, oder auch, wenn pädagogische Maß‐ nahmen oder im Unterricht behandelte Themen wie zum Beispiel Sexualkunde oder die Evolutionstheorie Anlass zu Kritik seitens der Erziehungsberechtigten (und vice versa) geben. Insbesondere aus der schulrechtlichen Sonderstellung, die dem Religi‐ onsunterricht mit Artikel 7 des Grundgesetzes eingeräumt wird, erwachsen immer wieder Streitfälle, die grundlegende Fragen der Trennung von Staat und Religion sowie das staatliche Neutralitätsgebot berühren. An dieser Stelle sei beispielhaft auf den „Kruzifixstreit“ in Bayern und an die in mehreren Bundesländern geführte „Kopftuchdebatte“ verwiesen. Mitunter haben auch einzelne politische Geschehnisse Auswirkungen auf schulischen Unterricht. So wurde die Debatte um muslimischen Religionsunterricht und den Mangel an dazu legitimierten Lehrkräften beziehungs‐ 200 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="201"?> weise das In-Frage-Stellen der Verbände, die diesen Unterricht organisieren, im Zuge des Putschversuchs 2016 in der Türkei neu befeuert (Hollenbach 2018). Letzten Endes geht es konfessionsunabhängig darum, dass „der Religionsunterricht dazu da [ist], dass man weiß, was im Religionsunterricht passiert. Das ist besser, als wenn er außerhalb des Schulunterrichts stattfindet. Faktisch ist es die Kontrolle einer gefährlichen sozialen Macht der Religion, die über hohe Mobilisierungsfähigkeit verfügt.“, so der Politikwissenschaftler Willems in einem 2018 geführten Interview (Hollenbach 2018). Ein weiterer Kritikpunkt ist die Abhaltung muslimischen Religi‐ onsunterrichts in einer nicht-deutschen Sprache, da sich die vermittelten Inhalte aus primär sprachlichen Gründen der Kontrolle schulischer Aufsichtsbehörden entziehen. Die Verzahnung von gesamtpolitischen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Aspekten mit bildungspolitischen Erwägungen und Entscheidungen wird also im Unterrichtsfach Religion in besonders hohem Maße sichtbar, ist aber nicht auf dieses beschränkt. So findet eine vergleichbare Debatte im Fach Biologie statt, wo ultrareligiöse Gegner der Evolutionstheorie, sogenannte „Kreationisten“, versuchen, auf die Unterrichtsinhalte einen Einfluss auszuüben, der ihren eigenen, die Erkenntnisse der Evolutionstheorie negierenden Überzeugungen entspricht. Experiment 1 Sollten schulische Klassenzimmer mit religiösen Symbolen geschmückt werden dürfen? Führen Sie mehrere kurze Interviews in Ihrem Bekannten-/ Freundeskreis durch. Sortieren Sie die Antworten in Pro- und Kontra-Argumente. Was stellen Sie fest? Überrascht Sie das Ergebnis? Warum? 5.1.2 Bildungspolitik und Mehrsprachigkeit Für den Kontext Mehrsprachigkeit und DaF/ DaZ sind die aufgeführten politischen Rahmenbedingungen hochrelevant. Es geht um integrative Aspekte wie die Einbin‐ dung der mehrsprachlichen und -kulturellen Ressourcen sowohl von Schülerinnen und Schülern sowie deren Erziehungsberechtigten als auch von Lehrkräften; Aus‐ wahl, Angebot, Zeitpunkt der Einführung und Dauer fremdsprachlichen Unterrichts; angestrebte Sprachenniveaus; Angebot herkunftssprachlichen Unterrichts in wel‐ chen Sprachen; Vermittlung interkultureller Kompetenzen und vieles mehr. Das Land Hessen hat beispielsweise entschieden, dass ab dem Jahr 2023 auch portugie‐ sischer und arabischer Herkunftssprachenunterricht (siehe Lerneinheit 7.3) an den weiterführenden Schulen angeboten werden darf. Doch von welchen Lehrerinnen und Lehrern? Die gleichzeitige Entscheidung, Türkisch nicht in das Fremdsprachen‐ curriculum aufzunehmen, hat den Vorwurf der Diskriminierung evoziert und wird kontrovers diskutiert. Kontroversen finden auch bezüglich der Lehrmittel statt. Die an deutschen Schulen herrschende Lehrmittelfreiheit eröffnet den Schulen einerseits einen großen Handlungsspielraum, andererseits trägt sie dazu bei, dass sich der 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 201 <?page no="202"?> Unterricht in einem Fach auch innerhalb einer Stadt oder Gemeinde von Schule zu Schule unterscheiden kann. Die Frage von Bildungs- und Unterrichtsstandards birgt deshalb in Deutschland viele Implikationen. Einen Überblick über den Stand verschiedener bildungsrelevanter Aspekte aller Bundesländer bietet der INSM-Bil‐ dungsmonitor (vergleiche Institut der deutschen Wirtschaft 2020). Seit 2004 werden hier anhand von inzwischen 98 Indikatoren die Bildungssysteme der 16 Bundesländer miteinander verglichen und mit Hilfe eines Punktesystems ein Ranking erstellt. So können Entwicklungen nachvollzogen, Fortschritte festgestellt oder Handlungsbe‐ darfe identifiziert werden. Da letztlich jede Form der (sprachlichen) Schulbildung auch zum Ergreifen eines Berufs befähigen und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen soll, sind bil‐ dungspolitische Fragen und Aufgaben mit wirtschaftlichen Überlegungen verknüpft. Die Untersuchung der Ursachen von Schulabbrüchen sind deshalb ebenso von Belang wie beispielsweise Einzelmaßnahmen wie die schulische Förderung der MINT-Fächer. Hinter diesem Akronym verbergen sich die Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Die Förderung der mit ihnen inhaltlich verwandten Schulfächer stellt eine Maßnahme dar, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken soll, der von deutschen Wirtschaftsunternehmen seit vielen Jahren beklagt wird. Auch Fragen bezüglich des generellen Bildungszugangs und -stands (neu) Zugewanderter können in einen wirtschaftlichen Zusammenhang gestellt werden, geht es hier doch um Möglichkeiten des Zugangs zum und der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt und damit um Unabhängigkeit von finanzieller staatlicher Unterstützung. Vor diesem Hintergrund ist die kontinuierlich gefallene, jedoch seit 2013 wieder steigende Abbre‐ cherquote an deutschen Schulen von besonderem Interesse für die Bildungsforschung. „Entscheidend für die spätere individuelle und gesamtwirtschaftliche Produktivität sind die im Bildungsprozess erworbenen Kompetenzen. […] [W]enn Deutschland die Leistungen der Schüler um 25 Punkte steigern könnte, könnte die Wirtschaftskraft in Deutschland in der langen Frist um 7,3 Prozent oder 14 Billionen Euro steigen.“ (Institut der deutschen Wirtschaft 2020: 53) Auf die Korrelation zwischen (bildungs)sprachli‐ chen Kompetenzen und Bildungserfolg weisen zahlreiche Untersuchungen hin. So fachen beispielsweise die Ergebnisse der PISA-Studien und das dortige oft schlechte Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich regelmäßig die Bildungsde‐ batte an (siehe dazu auch Lerneinheit 6.1). 202 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="203"?> Abbildung 5.2: Anteil (in Prozent) der Schulabgänger ohne Abschluss bezogen auf alle Schulabsolven‐ ten, Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft 2021: 66 Auch Entwicklungen außerhalb des deutschen Staatsgebietes beeinflussen die inländi‐ sche Politik. So hat die seit 2015 weltweit stark zugenommene Fluchtmigration auch in die Bundesrepublik Deutschland diverse gesellschaftspolitische Diskurse initiiert und befeuert, zu deren zentralen Diskussionspunkten oft sprachliche Aspekte zählen. Im Bereich Bildung geht es dabei beispielsweise um Fragen der Rolle und Gewichtung der Mehrheitssprache Deutsch, um den vorherrschenden „monolingualen Habitus“ (Gogo‐ lin 1994) oder auch um Aspekte von Lehr-Lern-Situationen im Kontext Migration (siehe die Lerneinheit 1.2). Die lebensweltliche Realität in der Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten deutlich an Diversität gewonnen, auch in sprachlicher Hinsicht. Damit eng verbunden stellen sich vermehrt Fragen mit sprachlichem Bezug: Welche Rolle spielt Deutsch? Welche weiteren Sprachen werden in naher Zukunft an Bedeutung gewinnen? (Und sollten deshalb gefördert werden.) Ausgehend von der Prämisse, „Sprache ist das Medium der fachlichen Vermittlung und begleitet jeden Lernprozess“ (Drumm 2016: 1), können wir vielleicht einen Schritt weitergehen und sagen: „Sprachen sind das Medium der fachlichen Vermittlung, ohne die gesteuerte Lehr-Lern-Prozesse nicht möglich sind.“ Im Kontext Schule tragen Lehrkräfte deshalb eine besondere Verantwortung, denn sie sind auch sprachliche Vorbilder. Insofern sollten die sprachlichen Kompetenzen der Lehrkräfte auf einen besonders genauen Prüfstand gestellt werden. Dies gilt sicherlich für das Fach Deutsch in besonderem Maße, jedoch werden, wie sich aus der vorgenannten Prämisse ableiten lässt, in allen Unterrichtsfächern die Inhalte über Sprachen vermittelt. Auch Lehrkräfte nicht-sprachlicher Fächer sollten sich bewusstmachen und sich dafür sensibilisieren, 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 203 <?page no="204"?> dass Fachsprache nicht gleichbedeutend mit Alltagssprache ist. Explizite Spracharbeit in allen Fächern befördert nicht nur das Verständnis der Inhalte, sondern befähigt, insbesondere auch aber nicht ausschließlich, mehrsprachige Schülerinnen und Schüler zu einem angemessenen und selbstsicheren Umgang mit Bildungssprachen. Überle‐ gungen dieser Art bilden den Gegenstand des sogenannten „sprachensensiblen Unter‐ richts“. Zudem wird Mehrsprachigkeit zunehmend als förderungswürdige Ressource verstanden, beispielsweise im hessischen Sprachförderungsprogramm zur Förderung von Deutsch als Bildungssprache (Hessisches Kultusministerium o. J., Punkt 6) und zeigt sich auch im Ausbau von Herkunftssprachenangeboten. Im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit ist an dieser Stelle unbedingt das Unter‐ richtsmodell des bilingualen Sachfachunterrichts zu nennen, das mit dem unter dem englischen Akronym CLIL (Content and Language Integrated Learning) bekannten Modell verwandt, aber nicht gleichbedeutend ist. Vorläufer dieses ursprünglich in Kanada entwickelten Modells waren in Europa auch die zweisprachigen deutschfranzösischen Bildungsgänge, die 1963 aus dem entsprechenden Kooperationsvertrag beider Staaten zur unterrichtlichen Integration beider Landessprachen entwickelt wurden. Circa seit Mitte der 1990er Jahre wurden unter diesem Begriff neue Formen des Unterrichtens etabliert, die fachliche mit fremdsprachlichen Inhalten verbinden. In der Regel erfolgt dies über die Kombination Deutsch/ Englisch. Dabei bleibt es weitest‐ gehend der Lehrkraft selbst im jeweiligen Unterrichtskontext überlassen, auf welche Komponente sie den Schwerpunkt legt. Und dies wiederum ist maßgeblich abhängig von ihren (fremd)sprachlichen Kompetenzen. Diese Situation wirft viele Fragen auf und lässt sich aus (mehr)sprachlicher Perspektive als kritisch wahrnehmen, da auch hier die englische Sprache dominiert und Studien zu Langzeiteffekten bilingualen Sachfachunterrichts ausstehen. 5.1.3 Geografische Einflussfaktoren Experiment 2 Überlegen Sie, inwiefern geografische Gegebenheiten Einfluss nehmen können auf sprachenpolitische Aspekte der Bildungspolitik eines Landes. Unterscheiden Sie dabei zwischen innerstaatlichen und außerstaatlichen Faktoren. Bedenken Sie auch Grenzsituationen zu Nachbarstaaten unter Einbeziehung der gestiegenen Mobilität. Die geografische Lage Deutschlands in der Mitte des europäischen Kontinents bedingt die Nachbarschaft zu neun Ländern. Aus den daraus hervorgehenden Grenzsituationen ergeben sich auch Fragen des institutionellen Sprachengebrauchs. So erhielten die Schülerinnen und Schüler Baden-Württembergs entlang des Rheins mit Eintritt in die erste Klasse im Schuljahr 2003/ 04 fremdsprachlichen Unterricht im Fach Französisch gemäß einer Entscheidung des Landtags vom Mai 2002. „Mit der Entscheidung für Fran‐ 204 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="205"?> zösisch werden gewachsene Strukturen und Nachbarschaftsbeziehungen gefestigt, die Tür für Mehrsprachigkeit geöffnet und das Anschlusskonzept gewährleistet.“ (Minis‐ terium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2002: 2) Diese Entscheidung war, da der erste Fremdsprachenunterricht an deutschen Schulen in der Regel im Fach Englisch erfolgt, nicht unumstritten und wurde schließlich 15 Jahre später gekippt: Over the years, lawsuits had already been filed again and again against the state of Baden- Württemberg and its decades-long practice of starting with French rather than English as the first foreign language in schools in areas along the Rhine River (bordering France) […]. (Bartelheimer/ Hufeisen/ Montanari 2019: 51) Ähnliche Sprachensituationen finden wir in weiteren Grenzregionen, beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern mit den Sprachen Polnisch und Russisch oder Schleswig- Holstein mit Dänisch (siehe dazu auch Lerneinheit 1.1). Der Gebrauch der deutschen Sprache ist plurizentrisch, also nicht auf das Staats‐ gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Auch in Belgien, Luxemburg, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein ist Deutsch eine (Amts-)Sprache. Diesem Umstand begegnen die Autorinnen und Autoren einiger DaF/ DaZ-Lehrwerke mit der Umsetzung des Konzepts DACH/ DACHL. Regionalsprachliche Abweichungen vom Standarddeutschen werden thematisiert sowie kulturelle, historische und gesellschaft‐ liche Gesichtspunkte in landeskundlicher Rahmung vermittelt. Dies ist mitunter schwierig, denn „[d]er Blick auf den deutschsprachigen Raum stellt sich aus Polen, Dänemark oder Frankreich […] anders dar als aus Ungarn, Slowenien oder Italien und wieder anders aus der Perspektive Japans, Südafrikas oder der USA.“ (Badstübner-Kizik 2020: 16) Der Blick auf den deutschsprachigen Raum kann sich allerdings auch aus einer quasi innerdeutschsprachigen Perspektive als mehrdeutig und kompliziert erweisen. So liegt einer unter der Bezeichnung „Sommerstreit“ ausgetragenen Kontroverse die Frage zugrunde, ob berühmte historische Personen wie Wolfgang Amadeus Mozart (geboren in Salzburg, heute Österreich) oder Sigmund Freud (geboren in Příbor, heute Tschechien) als „deutsch“ bezeichnet werden dürfen (Bohunovsky/ Altmayer 2020: 80-85). Der Begriff „Landeskunde“ wird heute oft kritisch gesehen. Seine Lösung von rein traditionellen Bezügen und die Herstellung diskursiver Zusammenhänge kann dazu beitragen, an interdisziplinäre und internationale Debatten […] [anzuschließen], wonach nicht mehr die (außersprachlichen) ‚Realitäten‘ als objektive Gegebenheiten im Zentrum geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung stehen, sondern die sprachlich-symbolischen Prozesse und Ressourcen der Herstellung und Aushandlung von Bedeutung in Diskursen. Bevorzug‐ ter Gegenstand einer in diesem Sinne kulturwissenschaftlich transformierten ‚diskursiven Lande-kunde‘ [sic] sind dann auch nicht mehr ‚Land und Leute‘, sondern die (thematischen) Diskurse, die in einer Sprache geführt werden, sowie die Ressourcen der Bedeutungszuschrei‐ bung (‚Deutungsmuster‘), die dabei verwendet werden. (ebd.: 86) 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 205 <?page no="206"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung a. Untersuchen Sie ein Ihnen bekanntes DaF/ DaZ-Lehrwerk hinsichtlich seiner landeskundlichen Elemente. Welche Beobachtung machen Sie? Setzen Sie sie in Bezug zu der im Text genannten Kritik von Badstübner-Kizik 2020. b. Führen Sie eine kurze Umfrage in Ihrem Bekannten-/ Freundeskreis durch zu der Frage „Was ist deutsch? “ Lassen sich die Ergebnisse kategorisieren? Welches wären diese Kategorien? Inwiefern begegnen Ihnen hier Stereotype? Überlegen Sie: Wie würden Sie in Ihrem DaF/ DaZ-Unterricht Stereotypen begegnen? c. Wofür ist Deutschland bekannt in der Welt? Gehen Sie auf folgenden Link: https: / / www.studying-in-germany.org/ what-is-germany-known-for. Hier er‐ scheint unter „Table of Contents“ unter den Top 3 „Beer“, „Football“, „Bread and Sausages“. Entspricht diese Reihung Ihrer persönlichen Präferenz? Versuchen Sie, sich in die Lage einer/ s Deutschen zu versetzen: Was würde diese Reihung in Ihnen vermutlich auslösen? 5.1.4 Zusammenhänge zwischen Bildungspolitik und gesellschaftlichen Entwicklungen Zwischen Bildungserfolg und familiärer Herkunft bestehen unbestreitbar Zusammen‐ hänge: Die Entwicklungschancen von Kindern werden maßgeblich von den Elternhäusern geprägt und mitbestimmt. Daher ist ein Blick auf die sozioökonomische Ausstattung der Elternhäuser von besonderer Bedeutung. Jedes dritte Kind mit Migrationshintergrund ist armutsgefährdet; ausländische Kinder waren sogar mehrheitlich einem Armutsrisiko ausgesetzt (53 %). […] Kinder mit Migrationshintergrund besuchten 2019 also seltener das Gymnasium und häufiger die Hauptschule als Kinder ohne Migrationshintergrund. So besuchten 35 % aller Kinder mit Migrationshintergrund ein Gymnasium, gegenüber 46 % aller Kinder ohne Migrations‐ hintergrund. (Petschel 2021 o.S.) Um aus diesen Zusammenhängen politische Maßnahmen ableiten zu können, bedarf es einer belastbaren Datenlage. Bis zum Jahr 2005 unterschied die amtliche Statistik dabei ausschließlich nach in- und ausländischer Staatsangehörigkeit, seither gibt es ebenfalls die Kategorie „Migrationshintergrund“ (vergleiche Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2021), um Integrationsverläufe nachverfolgen zu können. Das Statistische Bundesamt hält jedoch lediglich Daten zu Schülerinnen und Schülern nach Schulform und in- oder ausländischer Staatsangehörigkeiten bereit (vergleiche Statistisches Bundesamt 2020). Das heißt, die in der amtlichen Schulstatistik erfassten Daten zur Kategorie „Migrationshintergrund“ beruhen letztlich auf Annahmen: 206 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="207"?> Grundsätzlich ist der Migrationshintergrund schwierig zu erfassen. Es existieren verschie‐ dene Definitionen nebeneinander. Aufgrund der verfügbaren Daten hat sich die Kultusmi‐ nisterkonferenz auf drei Merkmale verständigt. Danach ist bei Schüler/ innen ein Migrati‐ onshintergrund anzunehmen, wenn mindestens eines der folgenden Merkmale zutrifft: 1. Keine deutsche Staatsangehörigkeit, 2. Nichtdeutsches Geburtsland, 3. Nichtdeutsche Ver‐ kehrssprache in der Familie bzw. im häuslichen Umfeld (auch wenn der Schüler/ die Schülerin die deutsche Sprache beherrscht). (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2021: 32) Nach Definition des Statistischen Bundesamtes verfügen demgegenüber diejenigen Menschen über einen Migrationshintergrund, die […] die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen oder die mindestens ein Elternteil haben, auf das dies zutrifft. Im Einzelnen haben folgende Gruppen nach dieser Definition einen Migrationshintergrund: Ausländerinnen und Ausländer, Eingebürgerte, (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler, Personen, die durch die Adoption deutscher Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, sowie die Kinder dieser vier Gruppen. Die Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges haben (gemäß Bundesvertriebenengesetz) einen gesonderten Status; sie und ihre Nachkommen zählen daher nicht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund. (Statistisches Bundesamt o.-J.) Die Tatsache, dass bildungspolitisch relevante offizielle Organe keine einheitliche Begriffsdefinition von „Migrationshintergrund“ verwenden, ist grundsätzlich proble‐ matisch. Ebenso gerät der Begriff selbst vor allem aufgrund seines Stigmatisierungs‐ potenzials seit einigen Jahren zunehmend in die Kritik. Die in hohem Maße heterogene und sprachlich diverse Bevölkerungsgruppe der Migrantinnen und Migranten ist seit der vermehrten Zuwanderung infolge von Flucht- und Gewaltmigration in den 2010er Jahren stark in den Fokus bildungs- und sprachenpolitischer Debatten gerückt. Viele Wirtschaftsverbände sahen im Zustrom Geflüchteter anfangs eine mögliche schnelle Lösung ihres Fachkräftemangels. Für den Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt wurde das Sprachniveau B1 nach GeR festgelegt. Dieses erweist sich jedoch oftmals als nicht ausreichend, um die mannigfaltigen Kommunikationssituationen am und um den Ausbildungs- oder Arbeitsplatz herum zu bewältigen. Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- oder Migrationshintergrund gestaltet sich nicht nur gewohnt föderal-divers (Bartelheimer et al. 2019: 69-70), im Vergleich zu jungen Menschen ohne Migrationshintergrund sind sie auch an Hochschulen „nach wie vor unterrepräsentiert, und das trotz ihrer hohen Bildungsaspirationen und ihres starken Studieninteresses“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 190). Die Suche nach Zusammenhängen zwischen Bildungssozialisation und Bildungserfolg veranlasste die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu einer Sonderauswertung der PISA-Daten von 2018; sie folgert: In Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien, Dänemark, Finnland, Luxemburg, Slowenien und Schweden ist unter Migranten und deren Nachkommen der Anteil leistungsschwacher 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 207 <?page no="208"?> Schüler besonders hoch. In diesen Ländern erreichen Schülerinnen und Schüler mit Migrati‐ onshintergrund mehr als doppelt so häufig wie Schüler ohne Migrationshintergrund nicht die schulischen Grundkenntnisse. (OECD 2018a) Der Anteil dieser Schülergruppe liegt dabei im Alterssegment der im Jahre 2015 15- Jährigen mit über 28 % nicht nur deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 23-%, sie schneidet in der Bewertung auch deutlich schlechter ab: In Deutschland liegt der Anteil der Schüler mit sehr schwachen Leistungen (Leistungen unterhalb PISA Level 2) unter den im Ausland geborenen Schülern bei 43 Prozent und ist damit fast zweieinhalb Mal so hoch wie bei der Gruppe der Schüler ohne ausländische Wurzeln. Im OECD-Schnitt ist das Verhältnis 1 zu 1,7. (OECD 2018b) Hierfür werden auch sprachliche Gründe verantwortlich gemacht: Ein weiterer Grund für den hohen Anteil leistungsschwacher Schüler können Schwierigkei‐ ten mit der Sprache sein. So spricht mit knapp 80 Prozent ein vergleichsweise hoher Anteil der Migranten erster Generation zuhause nicht die Unterrichtssprache. Im OECD-Schnitt sind es rund 60 Prozent. Bei Migranten zweiter Generation sind es knapp 50 Prozent, verglichen mit dem OECD-Schnitt von gut 40-Prozent […]. (ebd.) Diese Feststellungen erhöhen den Handlungsdruck auf die Akteurinnen und Akteure in Politik, Behörden und Bildungsinstitutionen. Transferaufgabe 2 Zu Personen mit Migrationshintergrund steht im Text dieser Lerneinheit: „Diese in hohem Maße heterogene und sprachlich diverse Bevölkerungsgruppe ist seit der vermehrten Zuwanderung infolge von Flucht- und Gewaltmigration in den 2010er Jahren stark in den Fokus bildungs- und sprachenpolitischer Debatten gerückt.“ Setzen Sie diese Aussage in Bezug zu Lerneinheit 1.2 und arbeiten Sie heraus, inwiefern die genannte Fokussierung Auswirkungen auf die (fremd)sprachlichen Aspekte der bundesdeutschen Bildungspolitik hat. Die Einkommenssituation der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland steht dabei in einer direkten Wechselwirkung mit bildungspolitischen Maßnahmen. So rücken Familien, in denen alle Elternteile beziehungsweise Erziehungsberechtigte erwerbs‐ tätig sind oder sein müssen, in den Fokus von Bildungspolitik, wenn es beispielsweise darum geht, ganztägige Unterrichts- und Betreuungsangebote zu erarbeiten. Auch der Versuch des aktiven Erhalts oft gut ausgebildeter weiblicher Arbeitskraft steht unmittelbar mit diesen Angeboten in Beziehung: die (sprachliche) Erziehungsarbeit ist in Familien sowohl für alleinerziehende als auch für doppelverdienende Eltern(teile) allein aus Zeitmangel eingeschränkt. Wenn jedoch insbesondere für Mütter die Rückkehr in den Beruf attraktiv gemacht werden soll, muss das erziehungs- und betreuungstechnisch kompensiert werden. Die genannten Faktoren aber auch die 208 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="209"?> allgemein gestiegenen Lebenshaltungskosten lassen vorschulische sowie ganztägige Betreuungsangebote aus gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Gründen daher notwendig erscheinen: „Auch in Bezug auf den schulischen Erfolg von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gilt eine frühe Förderung, u. a. durch den Besuch von frühkindlichen Einrichtungen, als besonders förderlich.“ (Institut der deutschen Wirtschaft 2021: 69) Die Zahl der ausländischen Schulabgänger ohne Abschluss lag im Bundesdurch‐ schnitt im Jahr 2020 bei 18,2% (Institut der deutschen Wirtschaft 2020). Einen Grund für diesen mangelnden schulischen Erfolg verorten Bildungsforscherinnen und -forscher unter anderem in sprachlichen Defiziten. Um das Problem ungenügender Bildung speziell in dieser Bevölkerungsgruppe gar nicht erst entstehen zu lassen, ist zunehmend auch die frühkindliche Bildung ein Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen und Untersuchungen (Arnaus Gil et al. 2019; Montanari/ Panagiotopoulou 2019; Scharun 2017; Seifert 2016). Untersuchungen speziell zur Bildungssituation von Kindern mit Migrationshintergrund belegen, dass „Sprachleistungen von 5Jährigen [sic] Kindern mit Migrationshintergrund umso besser sind, je früher sie eine Kindertageseinrichtung besuchen.“ (Institut der deutschen Wirtschaft 2020: 60) Dabei werden immer öfter Modelle zugrunde gelegt, die das Ineinandergreifen aller vorhandenen Sprachen fördern „im Sinne einer alltagsintegrierten Sprachbildung, […] [was] insbesondere für junge Kinder aus (migrationsbedingt) mehrsprachigen Familien den (alltäglichen) Übergang in die Bildungsinstitutionen erleichtern [würde].“ (Panagiotopoulou 2016: 17; Hervorhebung im Original) In diesem Zusammenhang sei auch auf das ursprünglich als pädagogisches Konzept entworfene „Translanguaging“ (exemplarisch García/ Li 2014) verwiesen, dem seit einigen Jahren im Mehrsprachigkeitsdiskurs starke Auf‐ merksamkeit zuteil wird. Das Aufeinandertreffen von mehrsprachigen Individuen und monolingual ausgerichteten Bildungseinrichtungen birgt jedoch besonderes Konflikt‐ potenzial. Was passiert, wenn die Familiensprache(n) weder die Umgebungssprache(n) noch die Mehrheitsprache(n) noch die Bildungssprache(n) ist/ sind? Worauf genau sollen vorschulische und schulische Bildungsinstitutionen sprachlich vorbereiten? Fragen wie diese berühren auch Aspekte wie den der Hierarchisierung von Sprachen und deren Prestige, den der sprachlichen Angemessenheit von Registern oder den der Bewertung von mündlichen und schriftlichen Textproduktionen in (schulischen) Bildungseinrichtungen. Neuere Betrachtungen dieses Themenfeldes fassen die neuen konzeptionellen Entwürfe im gesellschaftlichen Umgang mit Mehrsprachigkeit unter den Begriff eines „Multilingual Turns“ (Panagiotopoulou 2016: 24). Experiment 3 Recherchieren Sie den Begriff Brennpunktschule. Suchen Sie eine „Brennpunkt‐ schule“ möglichst in Ihrer Nähe und finden Sie heraus, wie viele (Herkunfts-)Spra‐ chen an dieser Schule vorhanden sind. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, mit einer Lehrerin oder einem Lehrer zur (herkunfts)sprachlichen Situation insbesondere 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 209 <?page no="210"?> in ihrem/ seinem Unterricht zu sprechen? Welche Aspekte würden Sie in Ihrem eigenen Unterricht berücksichtigen wollen? 5.1.5 Träger institutioneller Sprachenpolitik in Deutschland Neben vorschulischen, schulischen und hochschulischen Institutionen gibt es eine Reihe weiterer Einrichtungen, in deren Kontext die sprachlichen Gegebenheiten und Entwicklungen unserer Gesellschaft eine große Rolle spielen und sie zugleich beein‐ flussen und steuern. Wir befinden uns hier im Bereich des „Sprachenmanagements“: Grundsätzlich von metasprachlichen Aktivitäten der beteiligten Akteure abhängig sind beispielsweise sprachliche Standardisierungsprozesse, Kodifizierung der Orthografie, Abma‐ chungen über die Stellung einer Sprache als Amtssprache in einem Staat oder die Bestimmung von Arbeitssprache(n) in einer internationalen Organisation. Das gilt auch für die Planung schulischer Curricula, in denen festgelegt wird, welche Sprache als erste oder zweite Fremdsprache ins Bildungssystem eines Landes eingeführt wird. Auch alltagssprachliche small talks über das (hohe oder niedrige) Prestige des Englischen in konkreten soziosituativen Kontexten gehören zum metasprachlichen Verhalten der Sprecher. (Dovalil/ Šichová 2017: 10) [Hervorhebung im Original] Zu den sprachenpolitisch steuernden Institutionen zählen neben den 16 Kultusminis‐ terien der Bundesrepublik Deutschland und den angegliederten Staatlichen Schuläm‐ tern als quasi nach innen gerichtete Aufsichts- und Verwaltungsorgane viele weitere. Auch eingetragene Vereine wie das „Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungs‐ wesen - Wissenschaftliche Einrichtung der Länder an der Humboldt-Universität zu Berlin e.V.“ (IQM), das für die Ausarbeitung der geltenden Bildungsstandards und Abituraufgaben für den in Abschnitt 1 beschriebenen Aufgabenpool verantwortlich zeichnet und die Kultusministerien berät, zählen dazu sowie Einrichtungen wie das „Institut für Deutsche Sprache“ und die „Gesellschaft für deutsche Sprache“. Die „Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina“, kurz „Leopoldina“, vertritt die deutsche Wissenschaft im Ausland und berät Politik und Öffentlichkeit. Als solche spielte sie eine große Rolle in Bezug auf Beschulungsfragen vor allem in der Anfangszeit der Covid-19-Pandemie. Daneben gibt es weitere Einrichtungen, die die deutsche Sprache nach außen, über die Landesgrenzen hinaus beziehungsweise jenseits von ihnen, vertreten und bewerben. Die vermutlich drei wichtigsten sind der Deutsche Akademische Aus‐ tauschdienst (DAAD), die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) sowie die Goethe-Institute. Durch die starke Zunahme von internationaler Mobilität hat die Bedeutung der (fremd)sprachlichen Vorbereitung eines Auslandsaufenthaltes zuge‐ nommen. So stehen Maßnahmen zur Beförderung von Deutsch als Fremdsprache weltweit damit direkt in Verbindung, wobei die meisten Lerner nach wie vor aus 210 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="211"?> dem europäischen Raum, konkret Polen und Russland, stammen. (Auswärtiges Amt 2020: 24) Abbildung 5.3: Weltweite Verteilung der Deutschlernenden nach Regionen, Quelle: Auswärtiges Amt 2020: 6 Europäische Mobilitätsprogramme wie Erasmus oder Erasmus+ richten sich mit ihren Angeboten auch an Schülerinnen und Schüler im In- und Ausland. Darüber hinaus gibt es schulische Austauschprogramme, die schon früh die Neugierde auf andere Menschen, Länder und Sprachen wecken sollen. Die sprachliche Vorbereitung darauf ist ebenfalls Aufgabe des schulischen Fremdsprachenunterrichts. 5.1.6 Zusammenfassung Nicht nur Digitalisierung, Globalisierung sowie Urbanisierung haben die Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen vieler Menschen und Familien verändert. Verän‐ derte Lebenswelten sind auch ein Ergebnis der generell gestiegenen Mobilität infolge von (weitgehend freiwilliger) Migrationsbereitschaft und -vermögen von Menschen weltweit. Jedoch auch die in den 2010er Jahren stark gestiegene (weit‐ gehend unfreiwillige) Fluchtmigration nach Europa und damit auch in die Bundes‐ republik Deutschland stellt heutige Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Fragen des Umgangs mit und der Auswirkungen von Mehrsprachigkeit sind dadurch ins Zentrum bildungspolitischer Diskurse gerückt. Die diesbezüglichen Prozesse und Entwicklungen können, wie im Fall des europäischen Einigungs‐ prozesses, politisch intendiert und gefördert werden. Sie haben Auswirkungen auf den individuellen, gesellschaftlichen und institutionellen Sprachengebrauch. Politische Steuerungs- und Handlungsstrategien bündeln sich dabei in besonderem Maße in der Bildungspolitik. Sie zielen darauf ab, alle Bevölkerungsgruppen 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 211 <?page no="212"?> als handlungskompetente, mündige Bürgerinnen und Bürger an allen, einen demokratischen und pluralistischen Rechtsstaat konstituierenden und erhaltenden Prozessen partizipieren zu lassen. Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht, der freie Zugang zu Bildung ist in der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetzt verankert und zeugt damit von seinem hohen politischen sowie gesellschaftlichen Stellenwert. Die bildungs‐ politischen Debatten werden oft von der Kritik an der Uneinheitlichkeit des bun‐ desdeutschen Bildungssystems und an seinen Mängeln in der Chancengleichheit dominiert. Sie spiegeln das große Interesse am Thema sowie die enorme Relevanz wider, die Bildungspolitik für die Gestaltung individueller Lebens- und Berufswege hat. Transferaufgabe 3 1. Mehrsprachigkeit ist häufig ein Begleitphänomen ethnischer Diversität eines Staates. Recherchieren Sie die Begriffe Vielvölkerstaat, Amtssprache und Min‐ derheitensprache. Setzen Sie diese Begriffe in Bezug zu sprachenpolitischen Entscheidungen a. in Indien b. in China Worin unterscheiden sich die Sprachenpolitiken hinsichtlich der Amts‐ sprache(n) beider Staaten und welche (historischen) Ursachen liegen ihnen zugrunde? 2. In der Monographie „Der Kaiser reist inkognito. Joseph II. und das Europa der Aufklärung“ (2021. München: Penguin Verlag) schmückt die Autorin Monika Czernin auf Seite 184 aus: „Joseph blätterte in ihren [der ungarischen Beamten] Berichten. Wenn er nur endlich allein [ohne seine Mutter Maria Theresia] regieren würde, dann würde er eine einheitliche Amtssprache in seinen Ländern einführen, vor allem aber dieses verdammte Latein abschaffen. Was für ein Unsinn, denkt er voller Missmut, eine Nation in einer Sprache zu regieren, die nur noch von den Gelehrten gesprochen wird, sonst aber tot ist.“ a. Teilen Sie diese Joseph II. zugeschriebene Einschätzung? Begründen Sie Ihre Position. b. Recherchieren Sie die Entwicklung des Unterrichtsfaches Latein an bundesdeutschen Gymnasien unter besonderer Berücksichtigung der Humanistischen Gymnasien. Halten Sie das Unterrichtsfach Latein für zeitgemäß? Warum? 3. In Deutschland gibt es sogenannte Reformschulen. In diesem Zusammenhang sind die Namen Friedrich Fröbel, Rudolf Steiner, Maria Montessori und Alexan‐ der Sutherland Neill zu nennen. Recherchieren Sie diese Personen. Arbeiten Sie dann in einem nächsten Schritt Unterschiede in deren pädagogischen Leitlinien 212 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="213"?> heraus, indem Sie auch den historischen Kontext berücksichtigen. Gibt es ähnliche Ansätze in anderen Ländern? Worin sehen Sie die Berechtigung? Warum sehen Sie keine Berechtigung? 4. Häufig wird der pädagogische Grundsatz der Reformpädagogin Maria Mon‐ tessori in dem ihr zugeschriebenen Satz „Hilf mir, es selbst zu tun.“ auf den Punkt gebracht. Wie könnte dieser Ansatz im Kontext Mehrsprachigkeit funktionieren? Beziehen Sie in Ihre Antwort das linguistische Modell der Interkomprehension ein. 5.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Inwiefern stehen Prozesse der Mitbestimmung in Demokratien in enger Verbin‐ dung mit Fragen des Sprachengebrauchs? Beziehen Sie in Ihre Antwort die Begriffe Partizipation, Integration und Inklusion mit ein. 2. In welchem Zusammenhang steht der Bildungsföderalismus der Bundesrepublik Deutschland mit Aspekten der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit? Beziehen Sie sich in Ihrer Antwort auf rechtliche und gesetzliche Regelungen. 3. Was versteht man unter dem Begriff „Zweiter Bildungsweg“ und weshalb spielt er insbesondere für Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund eine Rolle? 4. Inwiefern nimmt die zunehmende Diversifizierung der bundesdeutschen Lebens‐ welten Einfluss auf sprachenpolitische Entscheidungen der Bildungspolitik? 5. Weshalb steht der Begriff Landeskunde in der Kritik? 6. Nennen Sie mindestens vier sprachenpolitisch steuernde, bundesdeutsche Institu‐ tionen, die für den DaF/ DaZ-Kontext relevant sind. 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 213 <?page no="214"?> 5.2 Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht Manfred Sablotny Die Einbeziehung vorhandener sprachlicher, metasprachlicher, lerntheoretischer und kultureller Vorkenntnisse und -fertigkeiten in den Fremdsprachenunterricht (im Folgenden: FSU) erleichtert das Erlernen von Fremdsprachen und ermöglicht eine an den Bedürfnissen der Lerner ausgerichtete Unterrichtsgestaltung. Diese Lerneinheit befasst sich mit dem bewussten Umgang mit Mehrsprachigkeit im FSU und geht auf Möglichkeiten zur Berücksichtigung mehrsprachlicher Ansätze im Unterrichtsgeschehen ein. Auf der sprachlichen Ebene gilt es, die Sprachenbe‐ wusstheit und die Sprachlernbewusstheit der Beteiligten zu fördern, während im Hinblick auf die soziokulturelle Ebene eine interkulturelle Bewusstheit gefestigt und erweitert werden soll. Die Mehr- und Tertiärsprachendidaktik betont in diesem Zusammenhang die Brückenfunktionen bereits bekannter Sprachen und Sprachlernerfahrungen für das Erlernen einer neuen Fremdsprache. Sie ermög‐ lichen bereits in den frühen Phasen des FSU eine inhaltlich ansprechende und in die Tiefe gehende Gestaltung eines Unterrichts, in dem die Lerner im Lernprozess ihrer kognitiven Entwicklung entsprechend ernstgenommen und unterstützt werden. Dabei spielen sowohl positive als auch negative Transferprozesse eine wichtige Rolle. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ verschiedene Aspekte von Mehrsprachigkeit im FSU erkennen und benennen können; ▶ Vorkenntnisse und -erfahrungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede als Potenzial für den FSU wahrnehmen und nutzen können; ▶ eine bedarfsgerechte Auswahl von Themen und Texten vornehmen können; ▶ eigenständig Übungen und Aufgaben erstellen können, die den sprachlichen und soziokulturellen Hintergrund der Lerner nutzen und die Bewusstheit für Mehrsprachigkeit fördern. Reflexionsaufgabe Erinnern Sie sich zurück an Ihre eigenen Sprachlernerfahrungen. Welche Sprachen haben Sie in der Schule gelernt, welche später? Inwieweit wurde im Unterricht auf bereits bekannte Sprachen zurückgegriffen? Überlegen Sie sich, inwiefern bereits vorhandene Wissensbestände für das Erlernen einer neuen Fremdsprache hilfreich sein können und wie man sie sinnvoll in den Unterricht einbeziehen kann. 214 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="215"?> 5.2.1 Grundprinzipien der Tertiärsprachendidaktik Der Erwerb einer Fremdsprache vollzieht sich stets vor dem Hintergrund bereits vorhandener Kenntnisse in einer Erstsprache und dem vorhandenen Weltwissen der Lerner. Häufig sind auch andere bereits erlernte Fremdsprachen ein Teil dieser Konstellation, so etwa, wenn Deutsch, wie es weltweit der Regelfall ist, als zweite oder weitere Fremdsprache nach Englisch gelernt wird. Das individuelle Vorwis‐ sen, das durch das soziokulturelle Umfeld genauso wie durch die individuellen Lernerfahrungen bestimmt wird, ist eine wichtige Stütze für die Verankerung neuer Sprachkenntnisse im mentalen Lexikon und die angemessene Konzeptualisierung der Fremdsprache. Die Grundvoraussetzungen beim Erlernen einer L2 oder L3 unterscheiden sich in einigen bedeutenden Punkten von denen beim Erlernen der L1. Im Faktorenmodell (vergleiche Hufeisen 2010) treten hier neben die für die L1 relevanten neurophysiologischen Faktoren wie Spracherwerbsfähigkeit und Alter sowie die lernerexternen Faktoren wie Lernumwelt(en), Art und Umfang des Inputs sowie Lerntraditionen im jeweiligen Kulturkreis beim Erlernen der L2 emotionale, kognitive und linguistische Faktoren. Hierunter fallen als emotionale Aspekte etwa Motivation, Lern- und Sprechangst, Einstellungen zu den Sprachen und den zielsprachigen Kulturen, individuelle Lebenserfahrungen und als kogni‐ tive Aspekte Sprachbewusstheit, metalinguistische Bewusstheit, Lernbewusstheit, Lerntyp und Lernstrategien. Beim Lernen einer weiteren Fremdsprache kommen zusätzlich fremdsprachenspezifische Faktoren hinzu. So verfügen die Lerner nun bereits über individuelle Fremdsprachenlernerfahrungen und haben einen gewissen Schatz an Fremdsprachenlernstrategien aufgebaut; außerdem verfügen sie, bewusst oder unbewusst, über Interlanguages der bereits gelernten (Fremd-)Sprachen und der Zielfremdsprachen. Dieses Vorwissen gilt es im Unterricht zu nutzen. Kognitives Lernen im FSU umfasst in erster Linie ein „Vergleichen und Besprechen“ sowie eine „bewusste Aktivierung von allem, was die Lernenden an Sprachwissen und Sprachlernerfahrungen ‚im Kopf‘ haben“ (Neuner 2003: 28). Für uns als Lehrkräfte bedeutet das jedoch nicht, dass wir die jeweiligen Vorfremdsprachen perfekt beherrschen müssten. Vielmehr geht es darum, das Potenzial, das sich aus dem sprachlichen und soziokulturellen Vorwissen ergibt, auf sinnvolle Weise mit in den Unterricht einzubeziehen. Neuner (2003: 28-32) hat in diesem Zusammenhang fünf Prinzipien der Tertiärsprachendidaktik definiert, die als Leitlinien für die Ge‐ staltung eines Unterrichts dienen können, der kognitive Aspekte berücksichtigt. In der folgenden Übersicht werden sie mit Hinweisen für ihre didaktische Umsetzung wiedergegeben. 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 215 <?page no="216"?> Prinzip Didaktische Umsetzung I. Prinzip Kognitives Lernen: Entfal‐ tung von Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstheit Bewusstheit und Wissen über Sprachen und über den eigenen Fremdsprachenlernprozess fördern (deklaratives und prozedurales Wis‐ sen); vergleichen und besprechen; bewusste Aktivierung von vorhandenem Sprachwissen und von Sprachlernerfahrungen (diskutieren, vergleichen, vermuten, Hypothesen bilden, …) II. Prinzip Verstehen als Grundlage und Ausgangspunkt des Lernens Wahrnehmung, Integration und Verankerung des Neuen als Ziel; Verstehensprozesse und Lernver‐ halten besprechen (wahrnehmen, nachdenken, vergleichen, interpretieren, Vermutungen anstel‐ len und Hypothesen bilden, einordnen und an‐ docken, …); Orientierung auch in unbekanntem sprachlichem Material einüben III. Prinzip Inhaltsorientierung für die Lerner interessante und altersgerechte Themen wählen, Brauchbarkeit des Inhalts ver‐ deutlichen, Eigeninitiative fördern (Sprachphä‐ nomene selbstständig erarbeiten, Hypothesen bilden, Ergebnisse präsentieren, …) IV. Prinzip Textorientierung ergibt sich aus Verstehens- und Inhaltsorien‐ tierung; induktive Erarbeitung von Sprachsys‐ temen durch vergleichende Analyse von Paral‐ leltexten, globale Verstehensstrategien anhand von authentischen Texten entwickeln und ein‐ üben; (globales/ selektives/ detailliertes Verste‐ hen; zusammenfassen, auswerten, kommentie‐ ren, ergänzen und weiterführen, …) V. Prinzip Ökonomisierung des Lern‐ prozesses zunächst Konzentration auf Transferbrücken, bewusste Thematisierung von Unterschieden und Einübung von interferenzanfälligen Be‐ reichen; Besprechung und Erprobung von Lernstrategien und -techniken; Anregung und Motivierung der Lerner, Hinführung zu selbst‐ ständigem Lernen (diskutieren, fragen, verglei‐ chen, nachdenken, Hypothesen bilden, auspro‐ bieren, zusammenarbeiten, …) Tabelle 5.1: Prinzipien der Tertiärsprachendidaktik (vergleiche Neuner 2003: 28-32). Aus dieser Übersicht ergibt sich eine deutliche Fokussierung auf Texte und Inhalte, die für die jeweiligen Lerner inhaltlich und formal angemessen, ansprechend und motivierend sein sollten. Durch die Einbeziehung des bereits vorhandenen Wissensbestandes werden Vergleichs- und Verstehensprozesse angeregt, die Unterschiede und Übereinstimmungen in den linguakulturellen Systemen verdeutlichen und für die rezeptive und produktive Verwendung nutzbar machen. Dabei spielt der Austausch in der Gruppe, der in unter‐ schiedlichen Phasen des Unterrichts etwa in Form von Diskussionen und Präsentationen erfolgen kann, eine genauso entscheidende Rolle wie die bewusste Einbeziehung und The‐ matisierung relevanter Phänomene, Strategien und Techniken durch die Lehrkraft. Durch 216 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="217"?> den steten Rückbezug auf bereits vorhandenes (Gruppen-)Wissen und die Ausnutzung von Transferbrücken (vergleiche Meißner 2000) wird die Arbeit für beide Seiten erleichtert. Das doppelte Ziel von Transferbrücken besteht darin, zum einen das Sprachenrepertoire auszubauen und zum anderen eine Erweiterung der Sprachlernbewusstheit durch die Bewusstmachung von Sprachlernprozessen und Sprachlernerfahrungen herbeizuführen (vergleiche Neuner 2003: 24-26). In beiden Bereichen bietet das bereits vorhandene Vor‐ wissen Transferpotenzial im Hinblick auf das Erlernen der neuen Fremdsprache. Zwischen dem Englischen und dem Deutschen gibt es beispielsweise vielfache sprachliche Ähnlich‐ keiten und Übereinstimmungen in den Bereichen Wortschatz, Syntax und Morphologie, die für den Deutschunterricht genutzt werden können (siehe Lerneinheit 7.1). Zugleich können im Sinne eines positiven Transfers in zuvor gelernten Fremdsprachen bereits erworbene Lerntechniken und -strategien, Verstehens- und Kommunikationsstrategien erneut aufgegriffen und bewusstgemacht werden und stehen dann auch beim Erlernen der Folgefremdsprachen zur Verfügung. Transferpotenzial besteht darüber hinaus jedoch auch im Hinblick auf die Unterschiede auf sprachlicher und kultureller Ebene zwischen Bekanntem und Neuem. So gibt es etwa, wie in Tabelle 5.2 zu sehen ist, zwischen dem Englischen und dem Deutschen im Bereich der Morphosyntax Unterschiede, was die Wortfolge im Satz, die Verwendung von Verben mit Präpositionen und die Komparation der Adjektive angeht, die zu fehlerhaften Bildungen führen können (vergleiche Sablotny 2018: 163). Bei der Gegenüberstellung mit dem im vorliegenden Beispiel als Erstsprache angeführten Standardchinesischen (in Tab. 5.2 in deutscher Übersetzung wiedergegeben) wird deutlich, dass etwa beim Satzbau eine Übereinstimmung mit dem Englischen und ein Unterschied zum Deutschen vorliegen (Satz 2), während in der Morphologie das Chinesi‐ sche als nichtflektierende Sprache sowohl vom Englischen als auch vom Deutschen stark abweicht, indem es auf eine Markierung der Verben, Adjektive und Personalpronomen verzichtet. Fehlerhafte Äuße‐ rung Interferenzquelle Richtig wäre Chinesische Syntax *Wir können anrufen dich morgen. We can call you to‐ morrow. Wir können dich morgen anrufen. wir---morgen---kön‐ nen---anrufen---ge‐ ben---du *Zuerst, sie macht ihre Hausaufgaben. First, she does her homework. Zuerst macht sie ihre Hausaufgaben. zuerst - sie - machen - sie---de [Possessiv‐ partikel]---Hausauf‐ gaben *Ich fürchte mich nicht von dir. I am not afraid of you. Ich fürchte mich nicht vor dir. ich---nicht---fürch‐ ten---du *Das ist mehr kompli‐ ziert. This is more compli‐ cated. Das ist komplizierter. das---im Vergleich-- -kompliziert Tabelle 5.2: Interferenzbeispiele Morphosyntax (Sablotny 2018: 163) 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 217 <?page no="218"?> Der bewusste Umgang mit diesen potenziellen Quellen für negativen Transfer (In‐ terferenz) durch wiederholte Thematisierung und Einübung im Unterricht fördert das sprachliche und kulturelle Wissen und hilft, Fehler und Missverständnisse bei der Kommunikation in der neuen Fremdsprache zu vermeiden. Der Begriff der Transferdifferenz verweist in diesem Zusammenhang zugleich auf die Unterschiede zwischen den mentalen Konzepten in verschiedenen Linguakulturen und auf die Aufgabe des Lerners, Bedeutung von und zwischen Sprachkulturen zu konstruieren sowie die Aufgabe der Didaktik, die Lerner dabei zu unterstützen. Im Transdifferenz- Ansatz wird hingegen auf einer inter- und transkulturellen Ebene neben dem Verste‐ hen des Fremden auch das Nichtverstehen und Missverstehen besonders fokussiert. Differenzen werden dabei als orientierungsstiftende Elemente verstanden, ohne eine Auflösung der Fremdheit. Neben diesen vergleichenden Vorgehensweisen gehören auch Methoden wie Codeswitching, Sprachmittlung und Übersetzung, bei denen mehrere Sprachen zusammen verwendet werden, zum Repertoire des mehrsprachig ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts (vergleiche Gehring 2018: 186-190). Stets geht es darum, (fremdkulturelle) Kommunikationssituationen angemessen gestal‐ ten zu können. Die kognitive Sprachdidaktik zielt dabei weniger auf die bloße metasprachliche Bewusstmachung ab, sondern betont Handlungs- und Bedeutungs‐ aspekte von sprachlichen Äußerungen unter den jeweiligen kulturellen Vorausset‐ zungen. Konzepte und Bedeutungen werden als Elemente linguakultureller Systeme aufgefasst und den Interessen und Bedürfnissen der Lerner entsprechend transparent gemacht. Auch die unter dem Begriff der Language Awareness zusammengefassten methodischen Kompetenzen in den Bereichen Lernorganisation und Lernbewusst‐ heit gehören hierzu und können durch entsprechende Aufgabenstellungen im FSU gefördert werden. Caspari und Kleppin (2008: 118-119) unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen den Einzelaspekten Sprachlernkompetenz, Sprachlernbe‐ wusstheit, Sprachbewusstheit und Sprachenbewusstheit. Auf die Sinnhaftigkeit der Einbeziehung der Selbstkompetenz und der sozialen Kompetenz in die Unterrichts- und Aufgabenplanung sei an dieser Stelle lediglich hingewiesen. Sprachangst, mit der sich Lerneinheit 6.3 befasst, steht als Teil der Selbstwahrnehmung der eigenen Sprachkompetenzen ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit dem Begriff Language Awareness. 218 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="219"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Prinzipien der Tertiärsprachendidaktik. Was passt zusammen? Verbinden Sie. ▸ Kognitives Lernen ▸ Verstehen als Grundlage des Ler‐ nens ▸ Inhaltsorientierung ▸ Textorientierung ▸ Ökonomisierung des Lernprozes‐ ses ▸ Arbeit mit unbekanntem sprachlichem Mate‐ rial üben ▸ Besprechung und Erprobung von Lernstrate‐ gien und -techniken ▸ eigenes Sprachwissen verbalisieren ▸ globale Verstehensstrategien entwickeln ▸ interessante Themen wählen ▸ mit anderen über Sprachlernerfahrungen sprechen ▸ Transferbrücken nutzen ▸ vergleichende Analyse von Paralleltexten ▸ Wahrnehmung und Integration des Neuen Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Ergänzen Sie die fehlenden Fachbegriffe. ▶ Durch die Thematisierung von … können sowohl der Sprachbesitz als auch das Sprachlernbewusstsein erweitert werden. ▶ … aus bekannten Sprachen sind häufig Ursachen für Fehler und Missverständ‐ nisse bei der Kommunikation in der neuen Sprache und müssen im Unterricht thematisiert werden. ▶ Im …-Ansatz gelten sowohl Elemente des Verstehens als auch solche des Nicht- oder Missverstehens als wichtige Orientierungshilfen bei der Beschäftigung mit der fremden Kultur. ▶ Sprachlernkompetenz, Sprachlernbewusstheit, Sprachbewusstheit und Spra‐ chenbewusstheit können unter dem Begriff … zusammengefasst werden. 5.2.2 Die Rolle der Lehrkräfte Die Umsetzung einer kognitiv ausgerichteten Mehrsprachigkeitsdidaktik unter Be‐ rücksichtigung und Einbeziehung von bereits vorhandenem sprachlichem und meta‐ sprachlichem Wissen erfordert sowohl von Lernerseite als auch von den Lehrkräften einerseits eine gewisse Aufgeschlossenheit und andererseits ausbaufähige Sachkennt‐ nisse im Umgang mit relevanten Hilfsmitteln. Dazu gehören traditionelle Formate wie Druckerzeugnisse genauso wie digitale Medien, die sich sowohl in der Unterrichtspla‐ nung und im Unterrichtsmanagement (z. B. Lern- und Lehrplattformen sowie Unter‐ 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 219 <?page no="220"?> richtsmanager zu spezifischen Lehrwerken) als auch in der Unterrichtsdurchführung einsetzen lassen (z. B. Internetseiten, Audio- und Videodateien sowie Lernprogramme). Jedoch ist es nicht immer so, dass diese Grundvoraussetzungen von vornherein gegeben sind. Oftmals bestehen falsche oder unvollständige Vorstellungen bezüglich der für eine Einbeziehung anderer (Fremd-)Sprachen in den Deutschunterricht nötigen fremdsprachlichen Kompetenzen. Als Lehrkräfte sind wir hier stetig gefordert, unsere Fertigkeiten und Kenntnisse den Anforderungen im Unterrichtsalltag entsprechend auszubauen und anzupassen. Ein interessanter Ansatz in Bezug auf die Mehrsprachig‐ keitsdidaktik findet sich diesbezüglich in dem auf die Entwicklung und Förderung mul‐ tiliteraler Kompetenzen (multiliteracies) ausgerichteten und von der EU geförderten Projekt MuViT (Multilingual Virtual Talking Books) (vergleiche Wildemann/ Hoodgar‐ zadeh/ Esteve/ Walter 2014). Innerhalb des MuViT-Projektes wurde neben den Inhalten für Schülerinnen und Schüler auch ein passendes, modular angelegtes Modell für die Lehrerfortbildung im schulischen Sprachunterricht entworfen. Ausgehend von einem reflexiven Erfahrungslernen zielt es auf eine entsprechende Sensibilisierung für Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik in der Lehrerbildung ab, um so die Furcht vor dem Unbekannten zu nehmen und die nötigen Kompetenzen zu fördern. Dabei werden im ersten Modul die Lehrkräfte mit den Fragen „Wie habe ich Sprachen gelernt? Wie ist die Situation in meinen/ unseren mehrsprachigen Klassen? Welche Erfahrungen habe ich/ haben wir mit solchen Klassen gesammelt? Wo liegen die Herausforderungen? Was verstehe ich unter einem mehrsprachigen Klassenzimmer? “ (Wildemann et al. 2014: 234) zur Refle‐ xion der eigenen Vorstellungen und Haltungen angehalten. Im zweiten Modul werden die theoretischen Grundlagen mit den Schwerpunkten Mehrsprachigkeit, Language Awareness und Multiliteralität erarbeitet, mit Hilfe derer sich die Lehrkräfte dann im dritten Modul mit ihrer eigenen Handlungspraxis auseinandersetzen (vergleiche Wildemann et al. 2014: 236-239). Experiment Versuchen Sie, bezogen auf Ihre persönliche Situation, die fünf Fragen zur Re‐ flexion aus dem Projekt MuViT zu beantworten. Sehen Sie für sich weitere Möglichkeiten, die fünf Prinzipien der Tertiärsprachendidaktik im Unterricht zu berücksichtigen? Machen Sie eine Liste: ▶ Welche Themen sind für Ihre Lerner von Interesse? ▶ Wo finden Sie geeignete Texte für die Arbeit im Unterricht? ▶ Welche konkreten Beispiele für Transferbrücken fallen Ihnen ein? ▶ Welche Hilfestellungen können Sie den Lernern für die Orientierung in einem unbekannten Text bieten? Bereits didaktisierte authentische, semiauthentische oder synthetische Texte für den Einsatz im Unterricht finden sich beispielsweise in den verschiedenen Deutsch-Lehr‐ werken, in den einschlägigen Sprachlernzeitschriften und auf Onlineportalen für den 220 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="221"?> DaF/ DaZ-Unterricht der großen Verlagshäuser, aber auch auf Seiten verschiedener privater Initiativen. Eine Websuche mit entsprechenden Suchbegriffen (z. B. didakti‐ sierte Texte DaF) fördert hier einen reichhaltigen Fundus an größtenteils kostenlosem Material zu Tage. Daneben lassen sich mit entsprechender Vorbereitung und Anpassung auch Origi‐ naltexte aus den Medien verwenden. Zu denken ist hier etwa an Zeitungen und Zeitschriften, literarische Texte sowie Internetforen und -seiten zu ansprechenden Themen, aber auch an Plakate, Gebrauchsanweisungen und Kochrezepte. Eine Gegen‐ überstellung von Texten einer bestimmten Textsorte in verschiedenen Sprachen kann als Anlass zu einem Austausch über die unterschiedlichen linguakulturellen Systeme und ihre Konventionen genutzt werden. Bei der Vorentlastung sollte die Aktivierung vorhandenen Wissens in Bezug auf die Thematik und den Wortschatz im Mittelpunkt stehen. Dabei sollten wo immer möglich auch die Vorfremdsprachen einbezogen werden. Daneben gilt es zu versuchen, einen Bezug zur Erfahrungswelt der Lerner herzustellen, um so das Interesse zu wecken, die Motivation zu steigern und die Relevanz der Texte aufzuzeigen. Frage- und Aufga‐ benstellungen wie Was verbinden Sie mit dem Thema? / Wie ist das bei Ihnen? / Wie machen Sie das? / Haben Sie schon einmal …? etc. zielen in diese Richtung. Durch ein Vergleichen, Besprechen und Diskutieren in Kleingruppen lässt sich darüber hinaus eine größere Perspektivenvielfalt und damit eine Vertiefung der Verstehensgrundlage erreichen. 5.2.3 Themen und Textsorten Nachdem wir uns mit den Grundprinzipien der Tertiärsprachendidaktik befasst und gesehen haben, dass Texten in der Mehrsprachigkeitsdidaktik eine besonders wichtige Rolle zukommt, stellt sich die Frage, welche Themen und Textsorten sich besonders für den FSU eignen. Wichtige Anhaltspunkte bieten hier Häussermann und Piepho (1996: 286-287). Sie empfehlen in ihrer Aufgaben- und Übungstypologie für den DaF- Unterricht hinsichtlich der Themenwahl zur Schulung des Leseverständnisses Texte, die über Bezüge zum Lebensumfeld der Lerner verschiedene Einstiegsmöglichkeiten bieten, Emotionen bei den Lernern hervorrufen, sie zum Rätseln anregen, genügend Diskussionsstoff bieten, vom Schwierigkeitsgrad her angemessen sind und sich in Form und Inhalt von anderen, bereits behandelten Texten unterscheiden. Eine erste Annäherung an die Themenwahl ist auch über die Analyse von Ähnlich‐ keiten im Wortschatz zwischen der L2 und der L3 möglich. So verfügt die deutsche Sprache über eine große Zahl von Wörtern und Begriffen, die sich über das Englische erschließen lassen (vergleiche Jones/ Tschirner 2006; Neuner/ Hufeisen/ Kursiša/ Marx/ Koithan/ Erlenwein 2009; Tschirner 2008). Eine bestehende Liste zum gemeinsamen englisch-deutschen Wortschatz enthält etwa 1000 Einträge und insgesamt 18 Haupt‐ kategorien von Einkaufen bis Umwelt und umfasst ebenso allgemeine Begriffe, Struk‐ turwörter und Verben. Die am stärksten vertretenen Themenfelder dieser Liste sind 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 221 <?page no="222"?> Politik und Gesellschaft (138 Übereinstimmungen), Freizeit und Unterhaltung (114 Übereinstimmungen) sowie Personalien/ Informationen zur Person (113 Übereinstim‐ mungen) (vergleiche Sablotny 2018). Ausgehend von dem Lebensumfeld und den Interessen der Lerner lassen sich zunächst einige universelle Themen, die für sie aufgrund ihrer sozialen Situation, ihres Alters und ihrer Ausbildung direkt relevant sind und emotionale Anknüpfungspunkte bieten, herausarbeiten. Hierzu gehören etwa die Themenfelder Wohnen, Schule und Universität, Freizeit, Sprachen und Sport, aber auch Themen aus Wirtschaft und Politik, falls sie für die Lerner von Bedeutung sind. Darüber hinaus sind in Abhängigkeit von den jeweils vorliegenden soziokulturellen Traditionen auch Themen wie Reisen und Essen von besonderem Interesse. Der mit diesen Themen im Zusammenhang stehende benötigte Wortschatz betrifft neben den genannten Hauptkategorien Politik und Gesellschaft, Freizeit und Unterhaltung sowie Personalien/ Informationen zur Person auch die Kategorien Ausbildung (82 Einträge) Wohnen (51 Einträge), Reisen und Verkehr (49 Einträge), Verpflegung (41 Einträge) und Sprache (38 Einträge). Neben einer Eingrenzung der Themenfelder ist für die Textarbeit auch die Überle‐ gung, welche Textsorten eingesetzt werden sollen, von Bedeutung. Konkrete Anhalts‐ punkte für eine an den Bedürfnissen im Alltag orientierte Auswahl von für den DaF-Unterricht geeigneten Textsorten bieten die Kann-Beschreibungen in „Profile Deutsch“, der Referenzbeschreibung zum GeR. Dort werden 153 Textsorten von Absage bis Zusammenfassung sowie die folgenden 33 schriftlichen und mündlichen Textmuster, in denen diese Textsorten realisiert werden, unterschieden (vergleiche Glaboniat/ Müller/ Rusch/ Schmitz/ Wertenschlag 2002: 162-164): Schriftliche Textmuster Mündliche Textmuster Anzeige Bedienungsanleitung Bericht Bewerbungsschreiben Brief offiziell Brief privat Handout Interview Kochrezept Kommentar Lebenslauf Protokoll Schild Verkaufsanzeige privat Vertrag Werbeanzeige Wettervorhersage Zeitungsnachricht Zusammenfassung Ansage Auskunftsgespräch Bewerbungsgespräch Diskussion gesteuert Durchsage Erzählung Interview Kaufgespräch Nachrichten Präsentation Prüfung Rede Referat Smalltalk Tabelle 5.3: Schriftliche und mündliche Textmuster nach Glaboniat et al. (2002: 162-164) 222 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="223"?> Auch die Angaben im Rahmenplan „Deutsch als Fremdsprache“ für das Auslandsschul‐ wesen (Bausch/ Bergmann/ Grögor/ Heinrichsen/ Kleppin/ Menrath/ Thürmann 2009) stellen eine Orientierungshilfe dar. Das eigentliche Zielpublikum ist hier zwar ein anderes, nämlich „die Deutschen Schulen im Ausland sowie die Schulen, die als Sprachdiplomschulen anerkannt sind“ (Bausch et al. 2009: 4), jedoch lassen sich die dortigen Angaben aufgrund der Zielsetzung einer Förderung der Ausbildung individueller kommunikativer Mehrsprachigkeit (vergleiche Bausch et al. 2009: 6-7) durchaus auch auf andere Lernszenarien übertragen. In Kapitel 4.3 des Rahmenplans werden die Textsorten Sach- und Gebrauchstexte, literarische bzw. fiktionale Texte, sowie medial vermittelte Texte angeführt (Bausch et al. 2009: 44-45). Von besonderem Interesse sind hier neben den genannten Textsorten auch die Strategien für den Einsatz unterschiedlicher rezeptiver Teilkompetenzen sowie Lese- und Hör-/ Hör- Sehstrategien, die der Rahmenplan im Hinblick auf die angestrebten Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler folgendermaßen zusammenfasst: Im Einzelnen können sie z.B. sich in Vorbereitung auf das Hör-/ Hör-Sehverstehen oder Leseverstehen bewusst machen, worauf sie sich konzentrieren und auf welche Inhalte sie im Besonderen achten wollen, die Bedeutung von unbekannten Wörtern, Wendungen und Textpassagen mit unterschied‐ lichen Methoden erschließen (z. B. Bedeutung von unbekannten Wörtern, Strukturen oder Redewendungen durch „intelligentes Raten“ aus dem Kontext erschließen oder durch Analogie‐ bildungen zu äquivalenten Strukturen aus einer anderen bekannten Sprache), ein Repertoire unterschiedlicher Rezeptionsstrategien aufbauen und funktionsgerecht einsetzen (z.-B. selektive Informationsentnahme, globales und detailliertes, kritisches/ bewertendes, genießendes/ wertschätzendes Hör-/ Hör-Sehverstehen bzw. Leseverstehen). (Bausch et al. 2009: 35-36) Thurmair (2010: 288) nennt in Bezug auf den Umgang mit verschiedenen Textsorten im DaF-Unterricht wichtige Anhaltspunkte für die Auseinandersetzung und den Vergleich zwischen den Kulturen: Dabei ist, was kulturelle Unterschiede betrifft, sowohl der (eher seltene) Fall anzunehmen, dass bestimmte Textsorten in einer anderen Kultur gar nicht existieren, als auch der Fall, dass Textsorten kulturell andere Textfunktion(skombination)en aufweisen, dass die Position in der Handlungsabfolge oder die durch eine Textsorte eröffneten Handlungsspielräume unterschiedlich sind, dass kulturell unterschiedliche Teiltexte auftreten, die Textstruktur divergiert oder dass die sprachliche Ausgestaltung kulturell variiert. Eine besonders einfache und ansprechende Möglichkeit der kontrastiven Gegenüber‐ stellung von Textsorten und damit auch einen Anknüpfungspunkt für eine interkultu‐ relle Landeskunde bietet etwa ein Vergleich von Koch- und Backrezepten, als einer weit verbreiteten Textsorte, die den Lernern in ihrer konventionellen Gestaltung in der Regel bereits bekannt ist. Durch die in unterschiedlichen Sprachen ähnlichen Strukturen dieser Textsorte sind die Inhalte leicht zu erschließen: die benötigten 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 223 <?page no="224"?> Zutaten sind listenförmig aufgeführt und enthalten Mengenangaben. Abbildungen unterstützen häufig das Verstehen. Die Funktion des Textes ist leicht erkennbar und die Anweisungen sind chronologisch geordnet. Neben einem Vergleich der sprachli‐ chen Strukturen ermöglicht diese Textsorte einen einfachen Zugang zu dem unter soziokulturellen Gesichtspunkten besonders ergiebigen Feld der Speisen und Getränke (vergleiche hierzu auch das Beispiel bei Sablotny 2018: 178-179). Mehr zum Thema der Kulturspezifik von Textsorten finden Sie in Lerneinheit 3.2. Aufgabe zur Inputverarbeitung 3 Welche Kriterien sollte man bei der Textauswahl im FSU anlegen? 5.2.4 Aufgabenerstellung Wie wir gesehen haben, zielt eine kognitiv ausgerichtete Fremdsprachendidaktik so‐ wohl auf sprachliche und metasprachliche Aspekte als auch auf Handlungsaspekte von sprachlichen Äußerungen ab und macht sich dabei die Erfahrungen, Einsichten und Kenntnisse der Lerner zunutze. Nachdem wir im vorherigen Abschnitt erfahren haben, welche Themen und Textsorten für die Verwendung im FSU besonders relevant sind, wenden wir uns nun der praktischen Umsetzung zu und sehen uns unterschiedliche Formate und Inhalte konkreter Aufgabenstellungen und sprachlicher Produkte an. Das folgende Beispiel einer Lerneinheit in den ersten Wochen Deutschunterricht illustriert eine einfache Möglichkeit, neben dem Deutschen auch andere Fremdsprachen sinnvoll in mehrsprachig gestaltete Dialoge zu integrieren. Auf diese Weise können zu einem frühen Zeitpunkt authentische handlungsorientierte Szenarien eingeübt werden, in denen die Lerner mit Hilfe eines noch sehr eingeschränkten Wortschatzes bereits mehrsprachig agieren können. Vorbereitung: Die Lehrkraft thematisiert im Unterricht das Thema Dolmetschen und fragt nach Situationen, in denen gedolmetscht wird. Anschließend wird eine dreispra‐ chige (L2 Englisch, L3 Deutsch, L4 Französisch) Liste mit Redemitteln zum Thema Kennenlernen verteilt. Zusätzlich erhalten alle eine Tonaufnahme dieser Redemittel in Form einer Audiodatei. Die Wendungen in der L2 und L3 sind bereits bekannt, in der L3 aber noch nicht gefestigt. Es bestehen keine Vorkenntnisse in der L4. Nach der gemeinsamen Einübung der Aussprache der L4-Wendungen im Plenum üben die Lerner weiter in Einzelarbeit. Durchführung: Die Lerner erhalten das folgende Arbeitsblatt. Nachdem sie den Dia‐ log in die richtige Reihenfolge gebracht haben, üben sie ihn zunächst in Vierergruppen mehrmals ein, um dann einzelne Fragen und Antworten durch andere Redemittel aus der Liste (Beruf, Telefonnummer, Alter etc.) zu ersetzen. Anschließend präsentieren einige Gruppen ihren Dialog im Plenum. Den Abschluss bildet eine gemeinsame Reflexionsrunde über Gedanken und Empfindungen bei der Durchführung dieser Übung. 224 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="225"?> Arbeitsblatt Situation: A und B sind in einem Café. Sie sprechen zwei verschiedene Sprachen, C und D arbeiten als Dolmetscher/ innen (A and B are in a café. They speak two different languages, C and D work as interpreters.) A spricht Deutsch, B spricht Französisch, C dolmetscht Deutsch-Französisch, D dol‐ metscht Französisch-Deutsch. Wer sagt was? Notieren Sie den Dialog in der richtigen Reihenfolge. Lesen Sie den Dialog und überlegen Sie: Wer sind A und B? Warum sprechen Sie miteinander? Üben Sie dann mehrmals den Dialog in Ihrer Gruppe. Wechseln Sie auch die Rollen. Variieren Sie mit Fragen aus der Liste. (A speaks German, B speaks French, C acts as interpreter from German to French, D acts as interpreter from French to German. Who says what? Write down the dialogue in the correct order. Read the dialogue and reflect: Who are A and B? Why are they talking to each other? Practice the dialogue in your group several times. Change roles. Practice variations with other questions from the list.) A--A--A--A--A--B--B--B--C--C--C--C--C--D--D--D C: Bien. / / ___ Bonjour! Je m’appelle … Comment vous appelez-vous? / / ___ Café ou thé? / / ___ Café. / / ___ Gut. / / ___ Guten Morgen! Mein Name ist … Wie heißen Sie? / / ___ Ich wohne in … / / ___ Ich wohne in … Wo wohnen Sie? / / ___ J’habite à … / / ___ J’habite à … Où habitez-vous? / / ___ Je m’appelle … / / ___ Kaffee oder Tee? / / ___ Kaffee. / / ___ Mein Name ist … / / ___ Où habitez-vous? / / ___ Wo wohnen Sie? Neben der Erstellung analoger schriftlicher oder mündlicher Texte (siehe die Textmus‐ ter-Beispiele oben) bietet auch der Bereich der digitalen Medien vielfältige Möglich‐ keiten, Lernprodukte zu entwickeln. Der Vorteil eines digitalen Formats liegt darin, dass so erstellte Produkte auch einer je nach Bedarf unterschiedlich breit angelegten Öffentlichkeit leicht zugänglich gemacht werden können. Das erhöht die soziale Rele‐ vanz des Lernprozesses für die Lerner und kann motivationssteigernd sein, besonders dann, wenn die Themen die tatsächlichen Interessen der Lerner widerspiegeln. Zu denken ist hier etwa an Einträge in Blogs, Vlogs und Foren, an selbst erstelltes Bild- und Fotomaterial, an Folien-Präsentationen, sowie an Video- und Audiodateien und Mischformen, die sowohl (kurs)intern, auf Plattformen wie Moodle, als auch öffentlich auf Plattformen wie YouTube, Vimeo und SoundCloud hochgeladen und geteilt werden können. So können etwa Videopräsentationen erstellt werden, in denen es um (Vergleiche von) Phänomene(n) aus den folgenden Bereichen geht: Sprache und Mehrsprachigkeit (Struktur, Wortschatz, eigene Erfahrungen und Lerntipps etc.), Literatur (Zusammenfassungen, Illustrationen, Hintergründe, Interpretationen etc.), Musik und Kunst (Lebensläufe, Komponisten und Interpreten, Lieder und Texte, Ma‐ nagement, im Alltag etc.), Kultur und Kulturvergleich (Familie, Wohnkultur, Esskultur, politische Kultur, Tourismus, Bildungswesen, Kulturmanagement etc.), Technologie (Programmieren, Games, im Alltag, Ausbildung etc.) oder Ausdrucks- und Handlungs‐ 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 225 <?page no="226"?> konventionen (Begrüßen, Verhandeln, Auffordern/ Bitten, wissenschaftliche Texte Er‐ stellen etc.). Sowohl die L1 als auch die L2 können hier als Anknüpfungspunkte für den Kompetenzausbau in der L3 dienen. So erstellte ein Student in einem Semester‐ projekt, in dem die Lerner (Niveau A2.1) ausgehend von ihren individuellen Interessen ein Deutsch-Lernprodukt zur öffentlichen Verbreitung erstellen sollten, eine selbst illustrierte deutschsprachige Zusammenfassung eines englischsprachigen Romans in Form eines Videos mit deutschen und englischen Untertiteln. Eine andere Studentin stellte kulinarische Spezialitäten aus ihrer Heimatstadt auf Deutsch vor und unterlegte das mit Videoaufnahmen vom Ort des Geschehens. Auch Ergebnisse von ein- oder mehrsprachig durchgeführten Umfragen oder Interviews zu Themen, die für die Lerner relevant sind, können auf diese Weise in der L3 präsentiert und über entsprechende Plattformen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Eine Studentin desselben Kurses stellte 73 Studentinnen und Studenten an verschiedenen Hochschu‐ len ihres Heimatlands in einer Internetbefragung die Frage, ob ein einmonatiger Studienaufenthalt in Deutschland im Hinblick auf den Ausbau der Deutschkenntnisse sinnvoll sei, und führte vier kurze persönliche Interviews zum Thema. Die Antworten in den Interviews erfolgten auf Deutsch (3 Interviews) und Englisch (1 Interview). Die Ergebnisse präsentierte die Studentin dann im Videoformat mit deutschen und chinesischen Untertiteln. Diese und weitere Beispiele für Videoprodukte aus dem Semesterprojekt können auf der Seite https: / / www.youtube.com/ channel/ UCfeb5Mxp minvzBt11f Yak6w/ videos eingesehen werden. Eine weitere interessante Möglichkeit, die bewusste Wahrnehmung von Sprache und Kultur und den bewussten Umgang mit linguakulturellen Systemen im FSU zu fördern und sprachliche wie auch interkulturelle Kompetenzen zu stärken, stellt der Ansatz des Linguistic Landscaping und Soundscaping (siehe Lerneinheit 4.3) dar. Lerner können hierbei sowohl in der eigenen als auch in der zielsprachigen Umgebung Schilder, Werbeflächen und andere Zeichen bzw. gesprochene Sprache im Hinblick auf unterschiedliche Fragestellungen untersuchen, um dann Hypothesen und Vermutungen zu äußern, Vergleiche anzustellen und ihre Ergebnisse in der Gruppe zur Diskussion zu stellen. Indem die Aufgabenstellungen entweder konkret auf inhaltliche und formale As‐ pekte der Texte selbst ausgerichtet werden oder aber lernstrategische Überlegungen anstoßen und zum interkulturellen Vergleich anregen, können Kompetenzen in den folgenden Bereichen angesprochen und gefördert werden: ▶ formale und inhaltliche Texterschließung (z. B. Textsorten bestimmen, Überschrif‐ ten finden, inhaltliche Fragen zum Text beantworten, unbekannte Wörter und Wendungen aus dem Textkontext erschließen); ▶ Aussprache (z.-B. Regelmäßigkeiten finden und Vergleiche anstellen); ▶ Sprachbewusstheit (durch Vergleiche zwischen L1, L2 und L3 auf Wort- und Satzebene, beispielsweise Analyse von Verbformen, Satzbau und Wortarten); ▶ Lerntechniken (z. B. sprachliches und inhaltliches Vorwissen nutzen, Katego‐ risierung von Wortschatz, Arbeit mit Farben, Bedeutungen aus dem Kontext 226 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="227"?> erschließen, Mutmaßungen über die Grammatik anstellen, andere um Hilfe bitten, Recherchen im Internet durchführen); ▶ interkulturelle Kompetenzen (z. B. kritische Auseinandersetzung mit Eigen- und Fremdperspektiven über die Beschäftigung mit relevanten Themenfeldern); ▶ soziale Kompetenzen (z. B. Gruppenaustausch und -diskussionen zu den Aufgaben und zu persönlichen Erfahrungen mit der Thematik). Exemplarisch sollen zum Abschluss einige Musterfragen und -aufgaben, mit deren Hilfe auch im Anfangsstadium bereits eine tiefergehende Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten stattfinden kann, angeführt werden. Als Textquelle können hierfür beispielsweise die frei zugänglichen Texte des mehrsprachigen Onlinelexikons Wikipedia herangezogen werden, die durch ihre klare Struktur und Aufgliederung in einzelne Sinneinheiten das Verständnis erleichtern. Je nach Sprachniveau kann dabei eine Vereinfachung der Texte sinnvoll sein. Zu beachten ist, dass sich die ausgewählten Texte inhaltlich nicht nur auf die Zielsprache und ihre Kultur beziehen können, sondern auch auf die linguakulturellen Systeme der L1 oder L2. So könnte beispielsweise ein deutschsprachiger Text zum Freizeitverhalten Jugendlicher im Herkunftsland genauso sinnvoll eingesetzt werden wie ein Text über Sport in Deutschland. Die angeführten Fragen wurden im Hinblick auf die Konstellation Deutsch nach Englisch auf Englisch formuliert, um bereits in den Aufgabenstellungen Parallelen zwischen der L2 und der L3 nutzen zu können (siehe Lerneinheit 7.1) und so indirekt das Textverständnis zu unterstützen. Aufgaben vor dem Lesen ▶ What are your associations with the topic of …? ▶ Can you name any … (topic-related item) in English / in your L1? ▶ Are there any popular … (topic-related item) events in your hometown? ▶ How would you describe yourself in relation to … (topic-related item)? ▶ Do you know of any problems related to … (topic-related item) (in your home country)? Aufgaben zum Global- und Detailverstehen ▶ Look at the paragraph titles of the text. What do you expect to read about? ▶ Read the text and mark any words that you know from English. ▶ How many names can you find in the text? Which ones do you know? ▶ Listen to your teacher read the text and quietly read along. ▶ According to the text, what is the reason for …? ▶ Which types of … (topic-related item) are mentioned in the text? ▶ Right or wrong? … is/ was … ▶ Which countries / events / people / … are mentioned in the text? ▶ What could be the meaning of the following words in the text: … (words that can be deduced from the context or through their English equivalents)? 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 227 <?page no="228"?> Aufgaben zu Aspekten der Grammatik, der Phonologie und der Kategorisierung von Wortschatz ▶ Have a look at the spelling of the words in the text. Some of the words are capitalized. What do they have in common? Which word class do they belong to? ▶ What other word classes do you know from English? ▶ Can you find any verbs in the text? Mark them. ▶ Look at the following verbs related to the topic. Can you guess their meaning? V1 / V2 / V3 / … ▶ Where do we find the verb in an English sentence? How about (other languages)? ▶ How do you express passive voice/ past tense/ … in English, how about (other languages)? ▶ In German, we use a form of “werden” (wird, wurde) plus the past participle of a verb to express passive voice, i.e. “… wurde … eingeführt”. Can you find other examples in the text? What are the English/ (other languages) equivalents to “werden” in the passive? ▶ What is the relationship between the two verb forms “…” and “…”? ▶ Listen to your teacher reading paragraph 1/ 2/ 3/ … of the text. What is the pronun‐ ciation of “ei”, “ai”, “ie”, “ä”, and “au”? ▶ Listen again. What is the pronunciation of “sch” and “ch”? ▶ Listen to the pronunciation of the letter w in “…” and “…”. In which way does it differ from the English w? What is the sound equivalent in English for the German letter w? ▶ What is the difference between the German and the English pronunciation of “th” in “…” and “…”? ▶ Listen to your teacher reading out the year numbers in the text. Do you hear any similarities to English or other languages? Weiterführende Fragen zur Einzelarbeit und zum Austausch in der Gruppe ▶ Try to summarize the techniques and strategies that you used while working with the text. Which of them do you find useful? ▶ What did you learn about the German language and its culture working with this text? ▶ What further knowledge/ information/ skills would you need in order to write a similar text about …? ▶ What is/ are the most popular … (topic-related item) in Germany? Use the internet to find information. ▶ How many … (topic-related item) from your home country can you name? ▶ Why do you think … (topic-related item) is so/ not popular in your home country? ▶ Have you ever … (topic-related activity)? What did you like about it, what not? ▶ Is there any information in the text that is no longer current? Can you update it? 228 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="229"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung 4 Welchen Hauptvorteil bieten digitale Formate für die Erstellung von Lernproduk‐ ten gegenüber analogen Formaten? Welche Formen digitaler Lernprodukte kennen Sie? Transferaufgabe Erstellen Sie eine Unterrichtseinheit basierend auf dem Wikipedia-Eintrag zum Thema Politisches Lied (https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Politisches_Lied). Ziehen Sie auch entsprechende englischsprachige und - falls vorhanden - L1-sprachige Seiten heran. ▶ Wie steigen Sie am besten in das Thema ein? ▶ Welche Aufgabenstellungen eignen sich für Ihre Lerner im Hinblick auf die Arbeit mit den Texten? ▶ Wie können Sie die Vorkenntnisse und -fertigkeiten Ihrer Lerner aktivieren und den bewussten Umgang mit Sprache(n) und Kulturen fördern? ▶ Versuchen Sie die sprachlichen, strukturellen und/ oder kulturellen Ähnlich‐ keiten und Unterschiede zwischen den Texten herauszuarbeiten und überlegen Sie, wie Sie sie im Unterricht besprechen. ▶ Welche Rolle spielt die L1 dabei, welche die L2 und L3? 5.2.5 Zusammenfassung ▶ Kognitiv ausgerichtete Fremdsprachendidaktik zielt sowohl auf sprachliche und metasprachliche Aspekte als auch auf Handlungsaspekte von sprachlichen Äußerungen ab und macht sich dabei die Erfahrungen, Einsichten und Kennt‐ nisse der Lerner zunutze. ▶ Neben den beim Erwerb einer L1 relevanten neurophysiologischen und lernerexternen Faktoren spielen beim Erwerb einer Fremdsprache auch emotionale, kognitive und linguistische Faktoren wie Motivation, Lern- und Sprechangst, Einstellungen, Lebenserfahrungen, sprachliche und meta‐ sprachliche Bewusstheit, Lernbewusstheit, (Fremd-)Sprachenlernerfahrungen, (Fremd-)Sprachenlernstrategien und Interlanguages eine Rolle. ▶ Im mehrsprachig ausgerichteten FSU werden bereits vorhandene linguakultu‐ relle Wissensbestände, Fertigkeiten und Kenntnisse bewusst gemacht, bespro‐ chen und für das Erlernen der Fremdsprache genutzt. ▶ Aufgaben befassen sich mit Texten und Inhalten, die auf die jeweiligen inhaltlichen und sprachlichen Bedürfnisse der Lerner zugeschnitten sind. 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 229 <?page no="230"?> ▶ Transferpotenzial ergibt sich durch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen linguakulturellen Systemen. ▶ Fremdsprachenlehrkräfte müssen für Mehrsprachigkeit sensibilisiert werden. Sie sind stets gefordert, ihre eigenen Handlungsansätze zu reflektieren und ihre Kenntnisse und Kompetenzen den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend auszubauen. ▶ Bei der Textauswahl und der Aufgabenerstellung ist auf Vielfalt in Form und Inhalt, Bezüge zum Lebensumfeld der Lerner, angemessenen Schwierigkeits‐ grad, emotionale Ansprache und genügend Diskussionsanlässe zu achten. ▶ Aufgabenstellungen können zum einen auf inhaltliche oder formale Aspekte abzielen. Zum anderen können sie auch genutzt werden, um lernstrategische Überlegungen und interkulturelle Vergleiche anzustoßen. 5.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen und erläutern Sie die wichtigsten Prinzipien der Tertiärsprachendidaktik. 2. Welche Möglichkeiten der Einbeziehung bereits vorhandener Vorfremdsprachen in den FSU können Sie nennen? 3. Welche Faktoren spielen nach dem Faktorenmodell beim Erlernen einer Fremd‐ sprache eine Rolle? Welche zusätzlichen Faktoren für das Erlernen einer L2 oder L3 können Sie nennen? 4. Inwiefern kann der gemeinsame Wortschatz ein Kriterium für die Themenwahl sein? 5. Welche Aspekte umfasst der Begriff Language Awareness? 6. Beschreiben Sie die Rolle der Lehrkräfte im mehrsprachig orientierten Unterricht. 230 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="231"?> 5.3 Mehrsprachigkeit im Kontext Sprachenpolitik, -planung und -management an deutschen Hochschulen Constanze Bradlaw Die Institutionen des tertiären Bildungssektors sind in Deutschland durch ihre unterschiedliche inhaltliche Schwerpunktsetzung und Organisationsform divers und fokussieren verschiedene Zielgruppen. Neben ihren originären Aufgaben der Forschung und Lehre gewinnt der Bereich Transfer seit einigen Jahren stark an Bedeutung und strategischer Relevanz. In diesem auch als Third Mission bezeichneten Aufgaben- und Tätigkeitsfeld zeigt sich die wechselseitige Be‐ dingtheit und Verflechtung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher sowie politischer Fragestellungen mit wissenschaftlichen in einem besonders hohen Maß. Die stark gestiegene Mobilität von Menschen, Gütern und Wissen sowie die sich global stellenden, mitunter existenziellen Herausforderungen, schaffen neue Gebote und Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Austausches, auch im Wissenschaftsbetrieb. Bi- und multilaterale Kooperationsabkommen sowie Universitätsallianzen stellen eine wichtige Form des gebündelten und vereinten Agierens auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene dar; auch sollen sie die Anzahl internationaler Studierender und die Gewinnung ausländischer Dozentinnen und Dozenten, Forscherinnen und Forscher erhöhen. Diese Ent‐ wicklung hin zu mehr Internationalität, Heterogenität und Diversität berührt Fragen des institutionellen Sprachengebrauchs an Hochschulen allgemein und in den internationalen Studiengängen im Besonderen. So gewinnt Englisch als Lingua Franca in ihrer Bedeutung als Lingua Academica auch im deutschen Wissenschaftssektor stetig an Bedeutung. Diese Entwicklung verursacht inso‐ fern ein Dilemma, als dass sie im Widerspruch zu Schutz und Förderung der Mehrsprachigkeit durch die Institutionen der Europäischen Union steht. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein Verständnis für die Lehr-Lern-Traditionen an deutschen Hochschulen entwickeln; ▶ die Zusammenhänge zwischen europäischer Sprachenpolitik und Hochschul‐ entwicklungen in Deutschland kennenlernen; ▶ die Einbettung deutscher Hochschulen in den Kontext europäischer und in‐ ternationaler (Wirtschafts)Beziehungen und Mobilitätskonzepte verstehen; ▶ Internationalisierungsstrategien und Sprach(en)politiken an deutschen Hochschulen kontextualisieren können. 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 231 <?page no="232"?> Reflexionsaufgabe Überlegen Sie, wie Ihnen bekannte Formen des Hochschulwesens gestaltet und organisiert sind. Liegen ihnen beispielsweise demokratische Strukturen zugrunde? Folgen Sie einem Bildungsideal, das sich eventuell in einem Leitbild, einer Vision oder einem Motto widerspiegelt? 5.3.1 Deutsche Bildungsideale im Spiegel der Geschichte Hochschulen als Sammelbegriff für Institutionen des tertiären Bildungssektors sind in Deutschland der Ort der höchstmöglichen Bildungsabschlüsse. Doch was verste‐ hen wir unter „Bildung“? Als einer der prägendsten Begründer des traditionellen deutschen Bildungsideals gilt Wilhelm von Humboldt. In vor allem zweien seiner Schriften, nämlich „Theorie der Bildung des Menschen“ (nicht genau datierbares, zu seinem Frühwerk zählendes Fragment) und „Grenzen der Wirksamkeit des Staates“ (1851), führt er seine Vorstellungen aus. Als Bildungsziel definiert Humboldt die Herausbildung einer ganzheitlichen Persönlichkeit, indem die inneren Anlagen jedes Menschen zur Reife gebracht werden. Diese Ideenentwicklung gründet auf einem egalitären Menschenbild. Wichtige Reformen in Preußen, darunter die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, gingen voraus: „Das in der Ständegesellschaft vorherr‐ schende Prinzip der Statusvererbung sollte nun durch das bürgerliche Leistungsprin‐ zip ersetzt werden: Nicht mehr ständische Herkunft sollte dafür ausschlaggebend sein, welche Berufe und gesellschaftlichen Positionen dem Einzelnen offenstehen, sondern individuelle Talente, Fähigkeiten und Leistungen.“ (Edelstein/ Veith 2017: 1) Humboldt wurde 1809 damit beauftragt, das preußische Bildungswesen zu refor‐ mieren und entwickelte ein dreigliedriges, aufeinander aufbauendes Schulsystem. Gegen den Widerstand seiner konservativen Gegner ließen sich Humboldts Pläne vorerst jedoch nicht durchsetzen: „Zwar öffnete die Einführung der Schulpflicht Kindern aus allen Schichten zumindest den Zugang zur Elementarbildung, doch in den höheren Schulen und Universitäten blieben die Mittel- und Oberschicht noch weitgehend unter sich.“ (Becker 2014: 1) Das Humboldts Konzept zugrundeliegende humanistische Bildungsideal und seine Überzeugung, Bildung solle ausnahmslos allen Mitgliedern der Gesellschaft zuteilwerden, sind noch heute in Bildungsdebatten angeführte Argumente für Chancengleichheit. Die möglichst breite Förderung und die vergleichsweise späte Spezialisierung in deutschen Schulcurricula lassen sich ebenfalls hierauf zurückführen. Für den Bildungsauftrag der Hochschulen sind sie richtungsgebend. [D]ie Grundprinzipien der Denkschrift [„Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“ von 1810] haben für die Verfasstheit der deutschen Hochschulen auch heute noch Gültigkeit: die Einheit von Forschung und Lehre, die Freiheit der Wissenschaft im Sinne ihrer Unabhängigkeit von unmittelbaren politischen 232 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="233"?> oder gesellschaftlichen Verwertungsinteressen, die Einheit der Wissenschaft unter dem Dach der Universität, die Bildung durch Wissenschaft, die Oberaufsicht des Staates und seine Alimentierung [= Finanzierung] der Universitäten ergänzt durch das Recht der Universitäten, ihre inneren und akademischen Angelegenheiten selbst zu regeln. Insbesondere betonte die Denkschrift aber, dass Forschung und forschendes Lernen die nie abzuschließende Suche nach Wahrheit sei, die aber dennoch unablässig verfolgt werden müsse. (Kehm 2015: 1) Betrachtet man Bildung als ein Menschenrecht, so wie es Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention formuliert, bedeutet dies, dass sie allen Menschen unein‐ geschränkt zugänglich sein sollte. Faktoren wie Chancengleichheit, Bildungsgerech‐ tigkeit und Zugangsmöglichkeiten spielen auch deshalb eine wichtige Rolle im bundes‐ deutschen Bildungsdiskurs (siehe hierzu Lerneinheit 5.1). Die in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes verankerte Freiheit von Forschung und Lehre gilt als zentrales Gut. Das hat auch historische Gründe: In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur waren die deutschen Hochschulen ebenso wie alle anderen staatlichen Institutionen „gleichgeschaltet“: Weitgehend alle Positionen, vorerst in Politik und Verwaltung, später in allen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, wurden sehr schnell mit Funktionären, Parteimitgliedern oder Sympathisanten der NSDAP besetzt. Ihnen kritisch Gegenüberstehende sowie von ihnen Verfolgte wie Menschen jüdischen Glaubens verloren ihre Anstellungen und erhielten Berufsverbot. Viele Angehörige der Hochschulen als Wissenschafts- und Bildungsgemeinschaften waren nationalsozialistisch indoktriniert, ließen sich als willfährige Gefolgsleute instrumen‐ talisieren oder waren selbst aktive Mitglieder der NSDAP (vergleiche Hofer 1982: 77, 98-101). Heute gilt: In ihrem Handeln agieren die deutschen Hochschulen auf dem Boden des deutschen Grund‐ gesetzes, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wie in der Magna Charta Universitatum niedergelegt, ist die Freiheit von Forschung und Lehre unabdingbare Grundvoraussetzung für das universitäre Leben und das erfolgreiche Agieren von Hochschulen. (Hochschulrektorenkonferenz 2020: 2) 5.3.2 Deutsche Bildungspolitik: Forschung, Lehre und Third Mission Bildungspolitik liegt in Deutschland in der Hoheit der 16 Bundesländer und wird nicht zentral gesteuert. Die sich daraus ergebende Diversität des föderalen deutschen Bildungssystems bildet sich auch in der Hochschullandschaft ab. „Im Wintersemester 2018/ 2019 gab es in Deutschland insgesamt 426 staatlich anerkannte Hochschulen, darunter 180 Universitäten (einschließlich Theologischer und Pädagogischer Hoch‐ schulen sowie Kunsthochschulen) und 246 Fachhochschulen (einschließlich Verwal‐ tungsfachhochschulen).“ (Freitag/ Blaeschke 2021: 1) Alle Typen differieren in ihrem Studiengangangebot sowie ihrer curricularen Ausrichtung, und auch die Bedingungen für ihren Hochschulzugang unterscheiden sich. Dies generiert einerseits eine große 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 233 <?page no="234"?> Vielfalt mit zahlreichen Studienmöglichkeiten, andererseits können Probleme bei der Anerkennung, Kompatibilität oder beim Wechsel zwischen Hochschulen entstehen. Die Entwicklung Deutschlands hin zu einer Wissensgesellschaft zeigt sich auch in deutlich gestiegenen Studierendenzahlen: Im Wintersemester 2018/ 2019 waren nahezu 2,9 Millionen Studierende an deutschen Hoch‐ schulen eingeschrieben - so viele wie nie zuvor. Das war ein Anstieg um 42 % verglichen mit dem Wintersemester 2008/ 2009. Dieser Anstieg ist auf einen längerfristigen Trend zur Höherqualifizierung zurückzuführen. (ebd.) Die heutige Zeit ist maßgeblich bestimmt von wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen weltweit produzierenden und agierenden Unternehmen. Umfangreiche Handelsabkommen regeln die Konditionen des internationalen Warenverkehrs und beeinflussen so die Gestaltung und Fortentwicklung ganzer Volkswirtschaften. Das hat Auswirkungen auf individuelle Bildungsverläufe, denn die Wahl des Studienfa‐ ches steht auch in Verbindung mit Berufsaussichten und -chancen, also Fragen der „Employability“. Ökonomische Aspekte in Zeiten der Industrie 4.0 wie Inno‐ vationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit rücken die Notwendigkeit akademischer Qualifizierung von Fachkräften in das Zentrum wirtschaftsstrategi‐ scher Planungen privater Unternehmen, aber auch staatlicher Bildungsinstitutionen. Dies betrifft die Ausbildung in- und ausländischen Nachwuchses gleichermaßen, wobei versucht wird, insbesondere das Interesse an einem Studium der sogenann‐ ten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu wecken. Die traditionellen Kernaufgaben der Hochschulen, Forschung und Lehre, stehen angesichts der vielfältigen Herausforderungen unserer globalisierten und digitalisierten Welt auf dem Prüfstand. Die Hochschulrektorenkonferenz erweiterte deshalb im Jahr 2020 diese Kernaufgaben um die des Transfers und misst nun „[…] den Hochschulen mit ihrem Auftrag in Bildung, Forschung und Transfer eine zentrale Rolle als Agenten des Wandels zu“ (Hochschulrektorenkonferenz 2020: 2). Unter dem Begriff Third Mission fassen wir den Technologie-, Wissens- und Ideenaustausch zwischen den akademischen und den außer-akademischen Welten: „Immer geht es dabei darum, dass wechselseitig etwas aus der Hochschule in die Wirtschaft, die Gesellschaft oder die Politik hineingetragen wird, oder aus diesen Bereichen in die Hochschule gelangt. Darunter fallen zum Beispiel Patente (Technologietransfer), Weiterbildungsprogramme (Wissenstransfer) oder Fragestellungen, die aus der Ge‐ sellschaft aufgegriffen werden (Ideentransfer).“ (Roessler 2020: 4) Dieser Bereich hat in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung stetig zugenommen und ist für die Hochschulen, insbesondere für die Technischen Universitäten und Technischen Hochschulen, von großer Relevanz bezüglich ihrer nationalen und internationalen Sichtbarkeit und Bedeutung. 234 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="235"?> Abbildung 5.4: Transfer an deutschen Hochschulen (Befragung von CHE), Quelle: Roessler 2020: 3 Aufgabe zur Inputverarbeitung Weltweit gibt es eine große Anzahl an Hochschulrankings. Sie dienen unter anderem der Orientierung für Studieninteressierte oder für an einem Wechsel des Studienortes Interessierte. Recherchieren Sie zwei Hochschulrankings und vergleichen Sie die ihnen zugrundeliegenden Kriterienkataloge. Wählen Sie dann eine deutsche Hochschule und vergleichen Sie die Rankings in Bezug auf diese Hochschule. Gibt es Unterschiede in der Bewertung? Inwiefern könnten diese in Bezug mit den Bewertungskriterien stehen? Überlegen Sie auch, welche positiven und welche negativen Auswirkungen Hochschulrankings für die Gestaltung von Studiengängen haben können. Würden Sie sich bei der Wahl des Studienortes vom Abschneiden Ihrer Wunsch-Hochschule in einem Ranking beeinflussen lassen? Warum? 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 235 <?page no="236"?> 5.3.1 Sprache(n) und Fremdsprachen an deutschen Hochschulen Hochschulen sind Lehr-Lern-Orte, an denen die „Wissenssicherung und -erwei‐ terung durch Interaktion zwischen Gelehrten zur Wissensgenerierung in der Auseinandersetzung zwischen Lehrenden und Studierenden“ (Albrecht 2019: 826) stattfindet. Zugang zu und Vermittlung von Wissen sowie der diskursive Austausch zur Generierung von Wissensbeständen erfolgen dabei über das Me‐ dium Sprache(n) - auch in Disziplinen und Themenbereichen, die als nicht sprachenaffin gelten. Die verschiedenen Fachrichtungen können sich durch die in ihrer Fachkultur herrschenden Konventionen und Normen unterscheiden: „Eine Fachkultur beschreibt […] die in einer Wissenschaftlergemeinschaft ver‐ breiteten Einstellungen und Überzeugungen, (Fach-)Ideologien sowie alltägliche Wissenschafts-, Schreib- und Sozialisierungspraktiken.“ (Rabe 2016b: 58) Häu‐ fig werden diese Sprachenkonventionen jedoch nicht expliziert, weil sie viel‐ leicht für unwichtig gehalten werden oder weil sich die Beteiligten gar nicht bewusst sind, dass sie Sprachenkonventionen befolgen. Wir sprechen in die‐ sem Zusammenhang vom sogenannten Hidden Curriculum. Mit diesem Begriff werden die Praktiken einer spezifischen Wissensgemeinschaft zusammengefasst, die Neulingen oder in anderen Wissenschaftskulturen Beheimateten (vorerst) verborgen sind. Zu ihnen zählen beispielsweise Textsortenwissen, Zitationsre‐ geln und dem Kontext angemessene bildungssprachliche Ausdrucksweisen. Die Unterscheidung zwischen sogenannter Umgangssprache (BICS, Basic Interperso‐ nal Communication Skills) und Bildungssprache (CALP, Cognitive Academic Language Proficiency) ist dabei von grundlegender Bedeutung, denn viele Faktoren, unter anderem die Bildungssozialisation, bedingen die individuelle Sprachenentwicklung und -verwendung. Diese von Cummins (1979) eingeführten Begriffe ordnen die unterschiedlichen Anforderungen von Kommunikationssituationen grundlegend zwei Feldern zu und definieren deren spezifische Sprachenhandlungskompetenzen. Für den Bildungskontext ist die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung bedeutend: auch L1-Sprecher und -Sprecherinnen verwenden ihre Erstsprache(n) auf unterschiedlichen Sprach(en)niveaus. Eine Untersuchung zu Sprachenwahl und -verwendung an Univer‐ sitäten belegt, „dass die Standardsprache in bestimmten Situationen an der Universität klar dominiert, dass aber bei weitem nicht von einer ausschließlichen Verwendung von Standardsprache gesprochen werden kann, und dass sie auch nicht die Varietät ist, die von allen als die einzig angemessene beurteilt wird“ (Dannerer 2018: 184, Hervorhebung im Original). An deutschen Hochschulen stellen die Herausbildung spezifischer Fachsprachen sowie die Verwendung von Wissenschaftssprachen Studierende insbesondere aus dem Ausland oft vor sprachliche und transkulturelle Herausforderungen (siehe auch Lerneinheit 3.2). Hörsehverstehen als eine weitere Fertigkeit neben Schreiben, Lesen, Sprechen und Hören ist im Zusammenhang mit dieser Lernergruppe besonders relevant, denn die beiden Hauptformen der universitären Lehre in Deutschland, Vorlesung und Seminar, erfordern Hörsehverstehen in hohem Maße. Darüber hinaus 236 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="237"?> wird, wenn Vorträge durch das Zeigen von Folien begleitet werden, Medienlite‐ ralität benötigt; wollen die Studierenden wichtige Informationen mitschreiben, erfordert dies zusätzlich Mitschreibefertigkeiten. In universitären Veranstaltungs‐ formen muss also eine Vielzahl an Reizen auf mehreren Sinneskanälen zeitgleich empfangen und verarbeitet werden, Hören, Sehen/ Lesen und Schreiben finden parallel statt, die Unwiederholbarkeit der dabei in Echtzeit ablaufenden Aktionen erhöht die Wichtigkeit ausreichend vorhandener Fertigkeiten. Um auf ein Studium in Deutschland gut vorzubereiten, können deshalb diesbezügliche Hinweise oder Unterrichtsinhalte im DaF/ DaZ-Unterricht hilfreich für den Studienerfolg sein. Doch auch in Deutschland bildungssozialisierte Studierende stehen mitunter vor sprach‐ lichen Hürden: „Studierende mit Deutsch als Erstsprache wurden insgesamt erst spät als Schreibnovizen wahrgenommen und mit dem Entstehen der Schreibzentren an den Universitäten hochschuldidaktisch unterstützt […].“ (Dannerer 2018: 179) In Schreibzentren können sich Hochschulangehörige professionelle Beratung und Unterstützung für ihren Schreibprozess von den dortigen Schreibberaterinnen und Schreibberatern einholen und sich über an deutschen Hochschulen gebräuchliche Textsorten informieren. An deutschen Hochschulen begegnet uns heute eine Fülle von Sprachen und ihrer Varietäten. Auch hier finden wir eine stetig weiter zunehmende sprachliche und kulturelle Diversität infolge gestiegener Mobilität, mitunter starker Migrationsbewe‐ gungen sowie der sich daraus ergebenden Zunahme an Herkunftssprachen - und damit mehr Mehrsprachigkeit. Die Erforschung von „Wissenschaftsspracherwerb und entsprechender Vermittlungsverfahren, der Mehrsprachigkeitskonstellationen und -praktiken in den verschiedensten Kontexten, sowie in der Entwicklung und beglei‐ tenden Erforschung von hochschulpolitischen und sprachenpolitischen Konzepten zur Sprachverwendung an den Hochschulen“ (Fandrych 2018: 160) ist deshalb in den letzten Jahren „enorm intensiviert worden“ (ebd.: 143). Für die Steuerung der sich daraus ergebenden Situationen und Bedarfe kann eine Rolle spielen, ob an der jeweiligen Hochschule sprachenpolitische Überlegungen und/ oder Ausarbeitungen existieren. Derartige Sprachenstrategien stehen oft in einem inhaltlichen Zusammen‐ hang mit Internationalisierungsstrategien und sind Ausdruck der institutionellen Sprachenpolitiken von Hochschulen. An ihrer Ausgestaltung sind viele Akteurinnen und Akteure beteiligt: 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 237 <?page no="238"?> Abbildung 5.5: Akteure des hochschulpolitischen Diskurses in Deutschland, eigene Darstellung nach Hettiger 2019: 114 Beide Themenfelder, Internationalisierungs- und Sprachenstrategien, sind eng mit eu‐ ropäischen und globalen Mobilitätskonzepten verknüpft. Die Gesamtlage ist komplex: Die mittlerweile ausgediente Gleichsetzung von Internationalität und physischer Mobilität erlaubte in früheren Zeiten, Internationalisierung quantitativ relativ leicht zu erfassen […]. […] Ziele, Voraussetzungen und Umsetzungen hochschulischer Internationalisierung sind in den vergangenen zehn Jahren beobachtbar differenzierter, komplexer und mithin auch schwieriger quantifizierbar geworden. (Hettiger 2019: 23) Die Ziele der Internationalisierungsbemühungen deutscher Hochschulen sind dabei vielfältig und entfalten eine enorme Dynamik. Es geht um die Mobilisierung inlän‐ discher Studierender und die Gewinnung Studierender, Nachwuchs- und Gastwis‐ senschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland, aber auch um wirtschaftliche Interessen wie Kooperationsabkommen und 238 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="239"?> Projektfördermittel. Die damit verbundenen Bemühungen werden in der Regel unter den Begriff „Internationalisierung“ subsumiert und häufig von der Umstellung der Lehrsprache von Deutsch auf Englisch in den sogenannten internationalen Studien‐ gängen flankiert. Die Gleichsetzung von international = englisch ist jedoch insofern problematisch, als dass sie die mehrsprachige Realität der deutschen Hochschulland‐ schaften ignoriert und zu einer neuen Einsprachigkeit im Sinne eines „English Only“ tendiert. Kritische Stimmen sprechen hier von „Anglisierung“ (z. B. Rabe 2016a) oder „Englishization“ (z. B. Hu 2018: 372) und sehen teilweise „[…] eine starke Tendenz zu einer sprachlichen Monotonisierung, zu einem Monolingualismus […]“ (Ehlich 1995: 325). Der Gebrauch des Englischen variiert innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft: Aufgrund dieser unterschiedlichen Sozialstruktur der Forschung ist der Gebrauch von Eng‐ lisch, wegen seiner weltweiteren [sic] Verbreitung, in den Naturwissenschaften dringlicher als in den Geisteswissenschaften. (Ammon 2015: 541-542) Viele Forschungsrichtungen untersuchen den Gebrauch des Englischen im Kontext Hochschule aus verschiedenen Perspektiven und hinsichtlich verschiedener, auch linguistischer Aspekte (vergleiche exemplarisch Onysko 2021). Im Folgenden konzen‐ trieren wir uns auf einen sprachenpolitischen Blickwinkel. 5.3.2 Bologna, Barcelona und Berlin - institutionelle Sprachenpolitiken und deutsche Hochschulen Institutionelle Sprachenpolitik findet auf verschiedenen Ebenen statt. In Europa ist sie eng mit dem Komplex Internationalisierung verknüpft, wobei nicht klar definiert ist, was hierunter konkret zu verstehen ist: While researchers and practitioners alike agree that the concept of internationalisation has widened considerably over the last 20 or even 30 years, there is no full consensus on what the phenomenon includes and excludes. There is no shortage of definitions. Yet as a result of the attempt to adapt to an ever-increasing number of issues, themes and activities regarded as part of internationalisation, they are very general and thus offer little practical guidance. On top of this, some often quoted definitions are self-referential, i.e. they presuppose a consensus on the meaning of the term international. (European Commission 2020: 124) Zum anderen betrachtet die EU „Mehrsprachigkeit als ein wichtiges Element der Wett‐ bewerbsfähigkeit Europas“ (Hériard 2019: 1), wodurch sprachliche mit ökonomischen Aspekten verknüpft werden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass der Europarat in den Jahren 2007 bis 2010 sogar eigens einen Kommissar für Mehrsprachigkeit berufen hatte (vergleiche Bartelheimer/ Hufeisen/ Montanari 2019: 61). 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 239 <?page no="240"?> 5.3.2.1 Politische Rahmenbedingungen Die Europäische Union setzt sich mit Stand Juni 2022 aus 27 Mitgliedstaaten zusammen. Auch nach dem Austritt Großbritanniens am 1. Januar 2021 bleibt Englisch eine der 24 Amtssprachen. Daneben gibt es über 60 weitere Sprachen als Regionalsprachen. (Europäische Union o. J.) Individuelle Mehr- und gesellschaftliche Vielsprachigkeit gelten als Grundvoraussetzungen europäischer Sprachenpolitik und sollen in ihrer ganzen Fülle erhalten bleiben. Ziel ist es, die „Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern in ihrer eigenen Sprache“ sowie den Erhalt der „reiche[n] sprachliche[n] Vielfalt Europas“ (Europäische Union o. J.) zu ermöglichen und das Sprachenlernen in Europa zu befördern. Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal, denn „[e]inen solchen Ansatz gab es noch nie - weder in mehrsprachigen Staaten noch in internationalen Organisationen“ (Europäische Union o. J.). Die Anfänge der Geschichte der Europäi‐ schen Union liegen, nach den schmerzvollen Erfahrungen zweier Weltkriege, in dem Versuch, über wirtschaftliche Zusammenschlüsse und Abkommen einen weiteren Kriegsausbruch in Europa für alle Zukunft zu verhindern. Diese letztlich in ökono‐ mischen Überlegungen fußende Gründungsintention zieht sich deutlich durch alle den Gründungsverträgen folgenden Erweiterungen, die sich auf Mehrsprachigkeit beziehen. So fordert beispielsweise der Rat der Europäischen Union (nichtamtlich häufig als EU-Ministerrat bezeichnet) in einer Entschließung, (d)ie Mehrsprachigkeit besser in den Dienst der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sowie der Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu stellen, indem sie [die Mitgliedstaaten und die Kommission] […] darauf hinwirken, dass Sprachkenntnisse bei der Entwicklung der Berufslaufbahn von Arbeitnehmern, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen, mehr Berücksichtigung finden […]. (Rat der Europäischen Union 2008) Dabei zeichnet sich zunehmend das Abrücken vom sprachlichen Ideal eines native speaker ab zugunsten einer „funktionalen Mehrsprachigkeit“. Mit diesem Begriff soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache diese in unterschiedlichen Kontexten verwenden, wozu sie sich in der Regel verschiedener Register bedienen und unterschiedliche Kompetenzen und Fertigkeiten benötigen (vergleiche Bradlaw/ Hufeisen/ Nölle-Becker 2022). Das Erreichen von aus‐ reichender und angemessener Sprachenhandlungskompetenz variiert demnach je nach Situation und muss sich deshalb nicht stets auf dem höchstmöglichen Niveau bewegen, und nicht alle Fertigkeiten müssen gleich stark ausgebildet sein. Im GeR ist dieses Ver‐ ständnis folgendermaßen formuliert: „eine ausgewogene Beherrschung verschiedener Sprachen ist nicht das Ziel, sondern vielmehr die Fähigkeit (und Bereitschaft), ihren Gebrauch der jeweiligen sozialen und kommunikativen Situation anzupassen […].“ (Council of Europe 2020: 145) 240 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="241"?> Transferaufgabe Stellen Sie sich vor, Sie absolvieren im Rahmen Ihres Masterstudiums ein Aus‐ landssemester in einem Land, in dem Sie schon immer einmal eine Zeitlang leben wollten, das Ihnen aber bislang unbekannt geblieben ist. Auf Ihren Aufenthalt haben Sie sich sprachlich vorbereitet und ein Niveau von B1 erreicht. Da Ihre Lehrangebote auf Englisch stattfinden, das Sie auf einem Niveau von C1 sowohl mündlich als auch schriftlich beherrschen, freuen Sie sich schon sehr auf Ihren Aufenthalt im Wunschland. Überlegen Sie: Welche sprachlichen Kompetenzen benötigen Sie im Kontext Ihres Hochschulstudiums und welche in Ihrem Alltag? In welchen Kommunikationssituationen werden Sie vermutlich die Landessprache verwenden? Auf welchen GeR-Niveaustufen werden Sie die jeweiligen Sprachen‐ handlungskompetenzen voraussichtlich benötigen? In allen Mitgliedsstaaten der EU gelten die vier Freizügigkeitsrechte, die innerhalb der Grenzen der EU Bewegungsfreiheit für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen garantieren. In unserem Kontext ist das Recht auf freie Wahl des Wohn- und Arbeitsorts gemäß Art. 48 EGV wohl am relevantesten. Aus ihm ergibt sich nämlich die politisch intendierte Förderung der Mobilität von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, aus denen sich wiederum neue sprachenpolitische Implikationen ergeben. So stellen die einzelnen Schritte, Bedingungen und Voraussetzungen hin zur Schaffung eines Europäischen Hochschulraums einen jahrzehntelangen Prozess dar, der für die deutschen Hochschulen einen radikalen Umbau der meisten ihrer Studiengänge bedeutete. Er wird unter dem Stichwort „Bologna-Prozess“ gefasst und befördert parallel die Internationalisierung der europäischen und deutschen Hochschulen. In der Praxis bedeutet letztere oft den Ausbau sogenannter internationaler Studiengänge, in denen die Lehr- und Unterrichtssprache in der Regel von Deutsch auf Englisch umgestellt wird. Daraus ist ein eigenes Forschungsfeld entstanden, dessen Gegenstand unter dem Begriff EMI (English Medium of Instruction) gefasst wird. Abbildung 5.6: Zunahme englischsprachiger Studiengänge an deutschen Hochschulen (eigene Dar‐ stellung, basierend auf Daten aus dem Hochschulkompass der HRK) 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 241 <?page no="242"?> Die Öffnung der Hochschulen für Menschen aus aller Welt wird als Ausdruck von Multikulturalität, Diversität und gesellschaftlicher Willkommenskultur im Allgemei‐ nen positiv bewertet und sehr begrüßt, die sprachliche Umstellung aufs Englische bringt jedoch ganz eigene Fragestellungen und Problemlagen mit sich (vergleiche exemplarisch Airey 2020; Earls 2013, 2014; Fandrych/ Sedlaczek 2012; Rabe 2016a). Das Bekenntnis der EU zur in ihr gelebten Mehrsprachigkeit, deren Schutz und Förderung stehen zu der monolingualen Dominanz des Englischen in einem Widerspruch und verursachen so ein sprachenpolitisches Dilemma. 5.3.2.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Europa und auch Deutschland waren historisch betrachtet bis in die Gegenwart hinein vor allem Herkunftsorte großer Auswanderungsbewegungen. Mit der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung der Welt ab Beginn der 1990er Jahre bewirkten innereu‐ ropäische Migrationsbewegungen große Zuwanderungen, die, wenn auch mittlerweile aus anderen Teilen der Welt und zumeist aus Krisengebieten erfolgend, nach wie vor anhalten. Laut Statistischem Bundesamt hatten im Jahr 2019 21,2 Millionen Menschen, also 26,0 % der Bevölkerung in Deutschland, einen Migrationshintergrund. (Statisti‐ sches Bundesamt 2022) Interessant ist, dass „[k]napp zwei Drittel (65 %) aller Personen mit Migrationshintergrund […] aus einem anderen europäischen Land Eingewanderte und ihre Nachkommen [sind]. Dies entspricht 13,8 Millionen Menschen, von denen 7,5 Millionen Wurzeln in anderen EU-Mitgliedsstaaten haben“ (ebd.). Das Themenfeld der (akademischen) Qualifizierung und Einbindung Zugewanderter in Gesellschaft und Arbeitsmarkt berührt auch sprachliche Frage- und Problemstellungen (siehe Lerneinheit 1.2). Das in der Europäischen Kommission herrschende Verständnis von Bildung als eine Art „Entwicklungsmotor“ und Garant für die wirtschaftliche Prosperität der EU ist in vielen Dokumenten verknüpft mit mehrsprachlichen Aspekten (vergleiche exemplarisch European Commission 2007) und birgt viele Implikationen. So wurde im Nachgang der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 die Strategie 2020 der Europäischen Kommission verabschiedet. Sie formuliert unter anderem als Zielsetzung, „de[n] Anteil der Bevölkerung im Alter zwischen 30 und 34, der ein Hochschulstudium abgeschlossen hat, von derzeit 31 % bis 2020 auf mindestens 40 %“ zu steigern, denn „[e]in höheres Bildungsniveau erhöht beispielsweise die Beschäftigungsfähigkeit, und eine erhöhte Beschäftigungsquote hilft, die Armut einzugrenzen.“ (Europäische Kommission 2010) Der Erreichung dieser Ziele zumindest näher zu kommen, verlangt auch eine Klärung in Bezug auf die binneneuropäische Vergleichbarkeit und die Harmonisierung von Bildungsverläufen. Insbesondere der starke Zustrom Geflüchteter auch nach Europa in den Jahren 2015 bis 2019 stellt die europäischen Gesellschaften vor das Problem, eine gelingende Bildungsintegration von Migrantinnen und Migranten zu gestalten. Die Studienabbruchquote ist allerdings bei der Studierendengruppe der Bildungsaus‐ länderinnen und -ausländer, also Menschen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung 242 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="243"?> im Ausland erworben haben, signifikant höher als bei den Bildungsinländerinnen und -inländern. Abbildung 5.7: Studienabbruchquoten im Zeitraum 2005 bis 2014, Quelle: Kercher 2018: 6 Auf der Suche nach möglichen Ursachen werden von den Betroffenen auch sprachliche Problemlagen genannt: Zu den Herkunfts- und Studienaspekten, die Einfluss auf das Erfahren von Schwierigkeiten nehmen, gehören auch die Deutschkenntnisse der Studierenden. Bildungsausländer/ innen mit sehr guten sprachlichen Fähigkeiten in Deutsch haben weniger Integrationsprobleme als jene mit geringen Fähigkeiten. Von den Studierenden mit guten Deutschkenntnissen berich‐ ten nur 12 % von starken Problemen bei der Verständigung in deutscher Sprache, von den Studierenden mit geringen Deutschkenntnissen hingegen 76 %. (Deutscher Akademischer Austauschdienst 2019: 159) Die uns aus der Studienabbruchforschung vorliegenden Daten legen einen engen Zusammenhang zwischen Sprachenkompetenzen und Studienerfolg nahe (vergleiche exemplarisch Pineda 2018; Wisniewski/ Lenhard/ Möhring/ Spiegel 2022). 5.3.2.3 Institutionelle Sprachenpolitik im Europäischen Hochschulraum Um die Studierendenmobilität zu fördern, wurden zahlreiche Programme entwickelt, unter denen Erasmus beziehungsweise Erasmus+ eines der ältesten und erfolgreichsten ist. Weitere Programme sind zum Beispiel Sokrates, Leonardo da Vinci und Horizont 2020. Sie alle sollen daran mitwirken, die europäische Mehrsprachigkeit zu befördern, 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 243 <?page no="244"?> um so letztlich die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten beziehungsweise zu steigern: „Für einen gut funktionierenden Binnenmarkt braucht die Union mobi‐ lere Arbeitskräfte. Kenntnisse in mehreren Sprachen verbessern die Chancen am Arbeitsmarkt und geben den Menschen die Freiheit, in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten oder zu studieren.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005) Darüber hinaus werden zunehmend Projekte im Bereich der transnationalen Bildung konzipiert und implementiert, also Projekte, bei denen „Hochschulen aus einem Land die akademische Verantwortung für Studienangebote in einem anderen Land mit dortigen Studieninteressierten als Adressaten tragen“ (Deutscher Akademischer Austauschdient 2019: 42). Eine weitere in unserem Kontext zu nennende Institution zur Förderung von Mehrsprachigkeit ist das 1994 gegründete Europäische Fremdsprachenzentrum (EFSZ) des Europarats mit Sitz in Graz. Insofern kann der Europarat selbst als eine Spra‐ chenpolitik betreibende Institution eingestuft werden, ebenso wie der Europäische Rat. Dessen Forderung an die Bürgerinnen und Bürger der EU, neben ihrer Erstspra‐ che mindestens zwei weitere (Fremd-)Sprachen zu lernen, findet in der unter dem Schlagwort Barcelona-Ziel 1+2 gefassten Formel komprimiert ihren Ausdruck. Diese Formel vereinfacht jedoch die Komplexität von Mehrsprachigkeit, denn sie lässt unter anderem die Tatsache außer Acht, dass viele Menschen mit mehr als einer Erstsprache aufwachsen und vernachlässigt Aspekte der sogenannten „inneren Mehrsprachigkeit“ der Menschen (vergleiche Hettiger 2019: 275-279). Zur Harmonisierung des (Fremd-)Sprachenlernens in Europa wurde in den 1990er Jahren der Gemeinsame europäische Referenzrahmen (GeR) entwickelt. Er ist in das Gesamtziel des Europarats einzuordnen, „eine größere Einheit unter seinen Mitglied‐ staaten zu erreichen“ und dieses Ziel „durch gemeinsame Schritte auf kulturellem Gebiet“ zu verfolgen“ (Europarat 2001: 14). Sein Spektrum wurde mit dem Erscheinen des Begleitbands 2020 erweitert: Erstmals findet sich Gebärdensprache im Sprachen‐ kanon wieder, weiter wurden Mediation im Sinne von Sprachmitteln (siehe Lerneinheit 6.2) sowie plurilinguale und -kulturelle Kompetenzen neu aufgenommen. Wichtig ist, dass die Skalierungen eine Art Orientierungswerte darstellen: „Der GeR betont, dass alle Niveaus ‚Referenzniveaus‘ sind, und dass die Benutzer / innen sie unter bestimmten Umständen noch weiter unterteilen möchten […].“ (Council of Europe 2020: 46) Die GeR-Niveaus bestehen aus sechs Stufen, wobei diese Einteilung nach wie vor akademische Sprachenanforderungen unberücksichtigt lässt und deshalb Anlass für Kritik gibt (siehe die Ausführungen zu BICS und CALP weiter oben sowie exemplarisch Althaus 2018). Dem DAAD als eine dem Auswärtigen Amt angegliederte Institution kommt im DaF/ DaZ-Kontext sicherlich eine Schlüsselrolle zu, denn im Zuge der Außenwissenschafts‐ politik des Auswärtigen Amtes und der Umsetzung von dessen Strategie zur Interna‐ tionalisierung von Wissenschaft und Forschung aus dem Jahr 2008 wurde folgendes Credo formuliert: „Forschung und Wissenschaft sind integrale Bestandteile deutscher Außenpolitik.“ (Pieper 2011) Beide Tätigkeitsfelder können sich ohne (internationalen) 244 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="245"?> Austausch der in ihnen Wirkenden nicht weiterentwickeln und stehen ebenfalls in engem Zusammenhang mit ökonomischen Interessen, auch der Bundesrepublik Deutschland: Um unsere starke Position in der globalen Wissensgesellschaft weiter auszubauen und im weltweiten Wettbewerb eine herausragende Stellung dauerhaft zu sichern, müssen wir die besten Forscher und Wissenschaftler anziehen und unsere internationalen Wissenschaftsbe‐ ziehungen weiter ausbauen und vertiefen. (ebd.) In Zusammenhang hiermit ist die Entwicklung von Bildungsangeboten des DAAD wie Dhoch3 (siehe https: / / www.daad.de/ de/ der-daad/ was-wir-tun/ die-deutsche-sprac he-foerdern/ das-projekt-dhoch3/ ) zu stellen: „Mit dem Projekt Dhoch3 leistet der DAAD einen wichtigen Beitrag zur anwendungsbezogenen Ausbildung künftiger Deutschlehrkräfte, zur Digitalisierung der Lehre und der virtuellen Vernetzung von Forschung und Lehre im Fach Deutsch.“ (Auswärtiges Amt 2021: 73-74, Hervorhebung im Original) 5.3.3 Zusammenfassung Die in dieser Lerneinheit vorgenommene Einbettung deutscher Hochschulpolitik in einen europäischen Kontext steckt voller Bezüge für das Thema Mehrsprachig‐ keit: In der EU gibt es 24 offizielle Amtssprachen. Zahlreiche Verträge regeln die Bedingungen des durch den Einigungsprozess entstandenen europäischen Binnenmarktes. Zu den verbrieften Rechten gehört auch das der Freizügigkeit. Aus ihr leitet sich die Förderung von Mobilität aller Bürgerinnen und Bürger der EU ab. Die Möglichkeit zur konkreten Umsetzung dieses Rechts bedingt, dass die einzelnen Mitgliedstaaten eine gewisse Homogenität aufweisen müssen. Sie soll verhindern, dass aus Mobilität Nachteile erwachsen. Um diese Homogenität herzu‐ stellen, werden fortlaufend Prozesse initiiert, die die unterschiedlichen Standards und Normen der EU-Mitgliedstaaten einander angleichen sollen. Dies betrifft auch den europäischen Bildungssektor und die Schaffung eines Europäischen Hoch‐ schulraums. Für die deutschen Hochschulen bedeutet(e) dies eine radikale Neu‐ strukturierung. Dieser Vorgang wird unter dem Begriff „Bologna-Prozess“ gefasst und steht in engem Zusammenhang mit den Internationalisierungsbemühungen der deutschen Hochschulen. Die Schaffung eines Europäischen Hochschulraums verlangt Maßnahmen der Homogenisierung und Kohärenz auf nationaler Ebene („Harmonisierung“). Dies geschieht nicht unwidersprochen. Insbesondere die umfassende Umstellung vor allem in den internationalen Master-Studiengängen auf englischsprachige Lehre und die zunehmende Bedeutung des Englischen als Lingua Franca und Lingua Academica berühren Fragen der Bildungsgerechtigkeit, der Zugangsmöglichkeiten zu höherer Bildung und der Gestaltung von Forschung und Lehre. Sie steht in Widerspruch zum europäischen Postulat des Schutzes 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten 245 <?page no="246"?> und der Förderung von Mehrsprachigkeit im Sinne der Barcelona-Formel 1+2 und bildet einen zentralen Streitpunkt der bundesdeutschen Bildungsdebatten an Hochschulen. Auch die Tatsache, dass sich die beiden traditionellen Bildungsaufga‐ ben deutscher Hochschulen heute nicht länger in Forschung und Lehre erschöpfen, sorgt vielerorts für eine Neuausrichtung. Die sogenannte Third Mission als Aus‐ tausch zwischen den gestaltenden (internationalen) Akteuren von Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bedingt einen grundlegenden Strukturwandel der bundesdeutschen Hochschulen. Insbesondere die Technischen Universitäten stehen unter dem Zugzwang, sich stärker unternehmerisch zu positionieren. Um diese Prozesse insbesondere in Bereichen, die international ausgerichtet sind (wie beispielsweise bei Kooperationsabkommen) vorzubereiten und zu begleiten, bedarf es auch sprachlicher Regelungen. Sprachenpolitik ist hier ein wichtiges Steuerungsinstrument staatlicher beziehungsweise überstaatlicher Institutionen. Die unter dem Schlagwort „Globalisierung“ zu subsumierenden ökonomischen Prozesse führen dabei aktuell zu einer sprachlichen Dichotomie. Einerseits wird, insbesondere in den Metropolregionen weltweit, „sprachliche Supervielfalt zu einem Dauerzustand“ (Ammon 2015: 75), andererseits scheint sich jedoch eine neue Monolingualität in Form von English Only durchzusetzen. 5.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Weshalb hat die „Freiheit von Forschung und Lehre“ in Deutschland einen so hohen Stellenwert und wie bildet sich das juristisch ab? 2. Welche weitere Leistungsdimension von Hochschulen neben Forschung und Lehre gewinnt zunehmend an Bedeutung und warum? 3. Weshalb spielen sprachliche Aspekte am Lehr-Lern-Ort Hochschule fachunabhän‐ gig eine Rolle? 4. Was verstehen wir unter dem Begriff „English Only“? 5. Das deutsche Hochschulsystem ist in den vergangenen Jahrzehnten fundamental umgebaut worden. Mit welchem Begriff fassen wir diesen Umbau? 6. Wozu dient der Gemeinsame europäische Referenzrahmen (GeR)? 246 5 Mehrsprachigkeit in strukturellen Kontexten <?page no="247"?> 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten Neben den in den vorherigen Kapiteln fokussierten gesellschaftlichen und politischen und damit kollektiven Aspekten unserer lebensweltlichen Mehrsprachigkeit gibt es natürlich auch zahlreiche individuelle Bezüge und Auswirkungen. In Kapitel 6 nähern wir uns ihnen aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln, die die Komplexität der indivi‐ duellen Dimensionen widerspiegeln und verdeutlichen. In Lerneinheit 6.1 wenden wir uns einem Thema zu, das in einem außer-institutionellen Rahmen verortet ist: ehren‐ amtlichen Leselernhilfen für Schüler und Schülerinnen. Lesen gilt als Schlüsselkompe‐ tenz für den individuellen Bildungserfolg, wird in sämtlichen (Unterrichts-)Fächern benötigt und ist deshalb für den DaF/ DaZ-Kontext von hoher Relevanz. Wie Lesekom‐ petenz in nicht-schulischen Konstellationen erfolgreich gefördert wird, erfahren wir hier unter anderem an dem Beispiel des Leseförder-Projekts MENTOR. Auch in der sich anschließenden Lerneinheit 6.2 stehen Kinder und Jugendliche mit Migrations- oder Zuwanderungshintergrund im Mittelpunkt der Betrachtung. In der Rolle von Sprachenmittlerinnen und Sprachenmittlern in hauptsächlich familiärem Umfeld wird ihnen mitunter viel abverlangt, denn ihnen obliegt häufig das sprachliche Übertragen und Vermitteln von Inhalten, die der Welt der Erwachsenen angehören. Daneben erfahren wir, wie wir die bei Prozessen der Sprachenmittlung geübten Kompetenzen in den Sprach(en)unterricht integrieren können. Den Aspekt psychisch-emotionaler Herausforderung im Kontext Mehrsprachigkeit vertiefen wir in Lerneinheit 6.3. und betrachten das Phänomen Sprachangst. In Abgrenzung zum Begriff Sprechangst, einer Angst, die insbesondere bei Redeanlässen auftreten kann, tritt Sprachangst in fremdsprachlichen Situationen auf und kann durch die spezifischen Lehr-Lern-Tradi‐ tionen stark kulturell geprägt sein. Mit Sprachangst verbundene psycholinguistische Einflussfaktoren auf fremdsprachliche Performanz zu kennen, hilft, Hemmungen im Unterricht zu minimieren. Beispiele konkreter Unterrichtsszenarien zeigen uns, wie wir unsere Lerner dabei unterstützen können, auch in der Fremdsprache angstbefreit gelingend kommunizieren zu lernen. <?page no="248"?> 6.1 Leselernhilfe für Schüler und Schülerinnen mit Deutsch als Zweitsprache Sandra Sulzer In dieser Lerneinheit beschäftigen wir uns mit den Leselernprozessen von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund sowie mit Unterstüt‐ zungsangeboten, die von Ehrenamtlichen zum Thema Leseförderung entwickelt wurden. Diese Unterstützungsangebote wurden etabliert, da beobachtet wurde, dass bei vielen Kindern die Lesezeit im schulischen Deutschunterricht nicht ausreicht, um zu kompetenten Leserinnen und Lesern zu werden. Kinder mit Zuwanderungshintergrund schneiden laut IGLU- und PISA-Studie beim Lesen besonders schlecht ab. Um diese leseschwachen Kinder zu unterstützen und ihr Interesse am Lesen zu wecken, wurden seit dem „PISA-Schock“ im Jahr 2000 (vergleiche Artelt et al. 2001) verschiedene Lese-Projekte von Ehrenamtlichen ins Leben gerufen. Exemplarisch für diese Projekte schauen wir uns das Leseförder‐ projekt MENTOR näher an, das deutschlandweit zu den größten ehrenamtlichen Leseförderprojekten zählt. Zusätzlich beschäftigen wir uns in dieser Lerneinheit mit den Herausforderungen, die sich beim Lesen und Lesenlernen in der Zweit‐ sprache ergeben. Ferner setzen wir uns mit zwei Bildungsstudien, nämlich IGLU und PISA, mit dem Fokus auf Lesen auseinander, um die Relevanz des additiven Angebots zum Regelunterricht zu unterstreichen. Abschließend wenden wir uns der Rolle des Leselernhelfers und der Leselernhelferin und den Grenzen ihres Engagements zu und lernen Impulse für den DaF/ DaZ-Unterricht kennen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ vertieftes Wissen zur Kompetenz Lesen generieren und sich mit dem Lese‐ prozess als komplexem kognitiven Prozess beschäftigen; ▶ sich den Herausforderungen des Lesenlernens in der Zweitsprache bewusst‐ werden und dafür sensibilisiert sind; ▶ erläutern können, welche Besonderheiten Leseförderung in der Zweit- oder Fremdsprache mit sich bringt; ▶ am Beispiel des Projekts MENTOR den Einsatz von Ehrenamtlichen einord‐ nen können; ▶ die Chancen und Grenzen der ehrenamtlichen Leselernhilfe kennen; ▶ Ideen und Inhalte aus den Leseförder-Projekten auf Ihren Unterricht über‐ tragen können. 248 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="249"?> Reflexionsaufgabe 1 In dieser Lerneinheit beschäftigen Sie sich mit dem Thema Leseförderung. Machen Sie sich Gedanken darüber, welche Rolle das Lesen im Unterricht spielt und zu welchen Schwierigkeiten es führen kann, wenn die Lesekompetenz nicht ausreicht, um am Unterrichtsgeschehen teilhaben zu können. 6.1.1 Die Fertigkeit Lesen Lesen ist ein Vorgang, der mit primären Wahrnehmungsprozessen beginnt. Deren Ergebnis ist die Buchstaben-/ Silben-Erkennung. Er verläuft weiter über die Zuordnung von Gespro‐ chenem und Gedrucktem (= phonologisches Rekodieren) bis zur Identifikation von Wörtern und dem Erfassen von Wortbedeutungen. (Ehlers 2006: 31, Hervorhebung durch Autorin der Lerneinheit) Beim Lesen handelt es sich um eine unverzichtbare Schlüsselkompetenz, die sich auf alle Schulfächer auswirkt und großen Einfluss auf die Bildungskarriere hat (vergleiche Ehlers 2014: 215). „Lesen ist in einer ‚Informationsgesellschaft‘ und ‚Wissenskultur‘ das elementare Medium des Lernens“ (Rosebrock/ Nix 2017: 7) und ermöglicht die „Teilhabe am kulturellen, beruflichen und sozialen Leben“ (Becker-Mrotzek/ Lindauer/ Pfost/ Weis/ Strohmeier/ Reiss 2019: 21). Während in der Grundschule das Erlernen des Lesens zentral ist, liegt der Fokus in den Sekundarstufen auf dem Lernen durch das Lesen (vergleiche Rosebrock/ Nix 2017: 92). Das Lesen sollte nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch in anderen Schulfächern geübt werden (vergleiche Becker-Mrotzeck et al. 2019: 22). Jedoch müssen „die basalen Fertigkeiten und die grundlegenden, übergrei‐ fenden Lesestrategien [im Deutschunterricht] erlernt werden“ (Becker-Mrotzeck et al. 2019: 22). Um kompetent lesen zu lernen, durchlaufen Lerner verschiedene Stadien im Lese‐ lernprozess, die im Folgenden an das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs von Günther (1986: 33) angelehnt sind. Bereits im Kindergartenalter kommen Kinder durch Vorlesen mit konzeptioneller Schriftlichkeit in Berührung (vergleiche Stark 2017: 127). Das Vorlesen ermöglicht den Kindern, sich durch Imitation „literale Routinen an[zu]eignen“ (Becker/ Müller-Brauers/ Stude 2017: 108). In der präliteral-symbolischen Phase versuchen Kinder beispielsweise, eine vorgelesene Geschichte mit den Bildern aus dem Bilderbuch in Verbindung zu setzen, werden aber auch häufig von den Vorle‐ serinnen und Vorlesern dazu ermuntert. Dabei handelt es sich um eine erste Form der Verstehens-Überprüfung. Zusätzlich imitieren viele Kinder die vorlesenden Personen und ahmen das Lesen nach, indem sie öfter gemeinsam gelesene Textabschnitte, die sie zum Teil auswendig aufsagen können, wiedergeben und dadurch in die Rolle des Erzählers schlüpfen (vergleiche Feldmeier 2010: 29). In der logographemischen Phase können Kinder erste Wörter anhand von Wortbildern erkennen - dies können Perso‐ nennamen, aber auch zum Beispiel Firmenlogos sein. Zu diesem Zeitpunkt können die 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 249 <?page no="250"?> Kinder noch keine Buchstaben lesen, sondern nehmen Text als Bild wahr. Sie achten auf die Länge des Wortes und besonders auffällige Merkmale, die ihnen das Sich- Merken des Wortes erleichtern. Sie besitzen sozusagen einen Sichtwortschatz, den sie erkennen können, während sie neue und noch unbekannte Wörter nicht lesen können (vergleiche Feldmeier 2010: 30). In der alphabetischen Phase kommen die Kinder mit der phonologischen Rekodierung in Kontakt (vergleiche Niebuhr-Siebert/ Baake 2014: 118). Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die Kinder in einer Phase, in der sie eine reine Aneinanderreihung von Lauten vornehmen. Sie können jetzt Graphem-Phonem- Korrespondenzen erkennen und beim Lesen anwenden, schaffen es jedoch noch nicht, sinnerfassend zu lesen. Während in der alphabetischen Phase noch Buchstabe für Buchstabe gelesen wird, erreichen die Kinder in der orthographischen Phase ein Niveau, auf dem sie das Lesen in Silben oder ganzen Wörtern meistern - es findet eine erste Automatisierung des Lesens statt, die aber erst in der integrativautomatisierten Phase abgeschlossen wird. Das automatisierte Erkennen von Wörtern führt zu einer flüssigeren Leseweise und sinnentsprechendem Lesen. Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Wir haben gerade festgestellt, dass die Literalität bereits vor dem Schuleintritt entwickelt werden kann und mit diesem weiter voranschreitet. Schauen Sie sich das folgende Video an und überlegen Sie, warum die in der Aufnahme vorkommenden Kinder im Kleinkindalter bereits so gut lesen können. https: / / www.youtube.com/ watch? v=67sRaBaKZBs Beantworten Sie im nächsten Schritt die folgenden Fragen: 1. In welcher Phase des Lesenlernens befinden sich die Kinder und woran erkennen Sie das? 2. Was können wir aus diesem Projekt auf den Leselernprozess in der Grund‐ schule übertragen? 3. Gibt es Bildungsbereiche, in denen diese Methode Anwendung finden kann? Das Lesenlernen ist ein langwieriger Prozess. Bislang ging man davon aus, dass Kinder mit Zuwanderungshintergrund durch die Sozialisation im Kindergarten und in der Schule Schwierigkeiten beim Erlernen der Zweitsprache überwinden und aus‐ gleichen können (vergleiche Günther/ Günther 2007: 149). Schauen wir uns allerdings aktuelle Ergebnisse der PISA-Studie (vergleiche Reiss/ Weis/ Klieme/ Köller 2019) und IGLU-Studien (vergleiche Hußmann/ Wendt/ Bos/ Bremerich-Vos/ Kasper/ Lankes/ McEl‐ vany/ Stubbe/ Valentin 2017) an, ist anzunehmen, dass dies ein Trugschluss war und gezielte außerschulische Förderung unabdingbar ist. Die Gründe für das schlechtere Abschneiden von Kindern mit Zuwanderungshin‐ tergrund im Vergleich zu Kindern ohne sind nicht eindeutig geklärt (vergleiche Ehlers 2014: 215), jedoch lassen die zuvor genannten Studien eine erste Spezifizierung möglicher Faktoren zu. Zu diesen 250 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="251"?> gehören soziale Faktoren, wie Bildungsmilieu der Eltern, der ökonomische Status, das Prestige der Herkunftssprache innerhalb einer Gesellschaft, und pädagogische Faktoren, wie die Verwendung der Zweitsprache als Unterrichtssprache oder die Alphabetisierung in der Erstsprache. Weitere Einflussfaktoren sind die demographische Verteilung von Minderhei‐ tengruppen und Sprachkontakte/ -häufigkeit in der Zweitsprache. (Ehlers 2014: 221) Eine besondere Gruppe von DaZ-Lernern bilden die Geflüchteten. Durch eine (unter Umständen mehrjährige) Flucht über mehrere Transitländer und/ oder den mitunter dauerhaften Aufenthalt in Flüchtlingscamps ohne geeignete Bildungsangebote konn‐ ten viele Kinder ihre literalen Fähigkeiten nicht oder nur gering entwickeln. Zusätzlich können traumatische Erlebnisse während der Flucht (vergleiche Brenzel/ Brücker/ Fen‐ del/ Guichard/ Jascke/ Keita/ Kosyakova/ Oblrich/ Trübswetter/ Vallizadeh 2019: 27-28) oder auch schon im Heimatland (vergleiche Brenzel et al. 2019: 20-22) Einfluss auf ihren Lernprozess nehmen. Nicht nur geflüchtete, sondern allgemein viele der zugewanderten Kinder erleben im Zielland eine unter Umständen völlig unbekannte (Bildungs-)Kultur. Außerdem beginnt für sie, wie auch für L1-Sprecherinnen und -Sprecher bei Schuleintritt, ein neuer Lebensabschnitt. Fortan müssen sie sich mit neuen kognitiven, motorischen und kommunikativen Anforderungen auseinanderset‐ zen (vergleiche Günther/ Günther 2007: 150-151), wodurch sie neben dem Erlernen der Zielsprache so gefordert werden, dass das Lesenlernen für sie gegebenenfalls keine hohe Priorität einnimmt. Zum Einfluss der Erstauf die Zweitsprache im Bereich Lesen erklärt Ehlers (2004: 6; vergleiche Grotjahn 1995: 536), dass die sprachlichen Kompetenzen in der Zweitsprache tendenziell größeren Einfluss auf die Lesefähigkeit in der Zweitsprache haben als die Lesekompetenz in der Erstsprache. Experiment 1 Lesen Sie die folgenden Wörter laut vor: ▶ Altbaucharme ▶ Urinstinkt ▶ Bratheringe ▶ Blumentopferde ▶ Hoffensterchen ▶ Ministereoanlage ▶ Kreischorverband ▶ Rotzeder ▶ Baumentaster Konnten Sie die Wörter auf Anhieb problemlos lesen? Überlegen Sie, warum es (möglicherweise) schwierig war, diese Wörter zu lesen. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 251 <?page no="252"?> Der Leselernprozess von Kindern, deren L1 nicht Deutsch ist, zeichnet sich durch folgende Besonderheiten aus: ▶ Phonologische Bewusstheit: Ein wichtiger Aspekt, dem beim Lesen und Lesen‐ lernen in der Zweitsprache viel Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, ist die phonologische Bewusstheit. Dabei handelt es sich um eine Fertigkeit, die üblicherweise bereits vor dem Schuleintritt erworben wird. Bei der phonologi‐ schen Bewusstheit ist im weiteren Sinne „die Identifikation und Manipulation übergeordneter sprachlicher Einheiten wie Silben, Onsets und Reime gemeint“ (Gerlach 2019: 16), während wir im engeren Sinne ausschließlich von der „Pho‐ nemebene (Phonembewusstheit)“ (Gerlach 2019: 16) sprechen. Viele Phoneme, die in der deutschen Sprache vorhanden sind, fehlen in anderen Sprachen. Die Kinder müssen also zusätzlich zum Erlernen der Sprache und dem Lesenlernen auch in ihrer L1 nicht-existierende Phoneme kennenlernen, produzieren, identi‐ fizieren und verwenden. Im Türkischen gibt es beispielweise keine Affrikate wie / pf/ und / ts/ (Bredel/ Fuhrhop/ Noack 2011: 193-194). Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Lesen Sie die folgenden Wörter laut: VERNETZUNG VERKETTUNG VEREINIGUNG VERBENDUNG VERKNÜPFUNG (vergleiche Feldmeier 2010: 9) Haben Sie diese Wörter im ersten Lesedurchgang richtig gelesen? Viele lesen Ver-Bendung und fragen sich, ob es hier einen Tippfehler gibt und es eigentlich Verbindung heißen soll. Nur wenige lesen das Wort auf Anhieb korrekt. Warum ist es bei diesen Wörtern wichtig, über gute Deutschkenntnisse zu verfü‐ gen? Welche Unterscheidung muss bei diesen Wörtern aufgrund eines grammatischen Phänomens beachtet werden? Wie würden Sie DaZ-Lernenden diesen Unterschied erklären? ▶ Der Bereich Prosodie kann für Lerner ebenfalls eine Hürde beim Vorlesen dar‐ stellen, da sich die sprachlichen Kategorien zwischen den Sprachen unterscheiden können beziehungsweise nicht in allen vorkommen (vergleiche Kalkavan 2012: 29). Unterschiede kann es vor allem in der Akzentuierung und dem Rhythmus geben. Zusätzlich muss laut Mehlhorn/ Trouvain (2007: 3) „zwischen Intonations- und Tonsprachen oder zwischen silbenzählenden und akzentzählenden Sprachen“ unterschieden werden. Zu den silbenzählenden Sprachen zählen die meisten 252 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="253"?> romanischen Sprachen, zu den akzentzählenden Sprachen zählt das Deutsche, aber auch die meisten slawischen Sprachen (vergleiche Mehlhorn/ Trouvain 2007: 3). ▶ Morphosyntaktisches Wissen: Die Grammatik hat ebenfalls einen Einfluss auf das Leseverhalten der Lerner. Durch eine unbekannte Syntax kann es bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache zu Verständnisproblemen kommen (vergleiche Ballis/ Hackl 2018: 121; Ferling 2008: 41). Diese können dazu führen, dass die Sätze nicht identifiziert und syntaktische und semantische Signale nicht erkannt werden. Das fehlende Wissen zur Morphosyntax kann auch mit rudimentärem metasprachlichen Wissen einhergehen (vergleiche Kalkavan 2012: 21), nämlich dann, wenn der Lerner beispielsweise nicht weiß, welche Bedeutung der Inter‐ punktion zukommt. ▶ Konzeptuelles Wissen: Das Wissen über Textsorten kann das Lesen in der Zweit‐ sprache ebenfalls beeinflussen. Es kann unter anderem Auswirkungen auf die „Verarbeitung der Textkohärenz bzw. [das] Nicht-Erkennen von kohärenzstiften‐ den Texteinheiten“ (Kalkavan 2012: 20) haben. Beispielsweise kann die Unkenntnis von Textmarkern wie „Es war einmal“, der üblicherweise die Textsorte „Märchen“ einleitet, die Einordnung und damit auch das Kontextualisieren von Texten erschweren. ▶ Geringerer oder fehlender Wortschatz sowie semantische Interferenzen: Kinder, die in der Zweitsprache lesen (lernen), haben als Sprachanfängerinnen und Sprach‐ anfänger einen vorerst begrenzten Wortschatz. Resultierend daraus verfügen sie über einen kleineren Sichtwortschatz, der zu einer geringeren Leseflüssigkeit und zu einer verringerten Lesegeschwindigkeit führt (vergleiche Grotjahn 1995: 537). Schüler und Schülerinnen, die schon länger mit der zweiten Sprache vertraut sind, verfügen zwar über einen größeren Wortschatz - dieser deckt aber häufig nicht alle Themenbereiche ab, sondern wird laufend mit dem alltäglichen Gebrauch erworben oder begleitend in der Schule ausgebaut. Durch den mangelhaften Wortschatz können die Lerner nicht automatisiert Begriffe erkennen, da ihnen das sprachliche Repertoire fehlt und sie dadurch länger für das Entziffern eines unbekannten Wortes benötigen (vergleiche Niebuhr-Siebert/ Baake 2014: 121; Ehlers 2014: 220; Ballis/ Hackl 2018: 121; Ferling 2008: 41). Zusätzlich ist das sinnentnehmende Lesen aufgrund des eingeschränkten Wortschatzes nur bedingt möglich. Außerdem können die Schüler und Schülerinnen nur vereinzelt Gemein‐ samkeiten zwischen Wörtern erkennen (beispielweise hören, Gehör, Hörer), wenn der dafür notwendige Wortschatz fehlt (vergleiche Niebuhr-Siebert/ Baake 2014: 121). Interferenzen in Form von Falschen Freunden können für die Lerner eine Herausforderung darstellen. Etliche Wörter erscheinen in ähnlicher Form in anderen Sprachen, haben dort jedoch eine andere Bedeutung. Caldo bedeutet im Italienischen beispielsweise nicht etwa ‚kalt‘, wie man es aufgrund der Ähnlichkeit vermuten könnte, sondern ‚warm‘. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort volpe, was auf Deutsch mit ‚Fuchs‘ und nicht mit ‚Wolf ‘ übersetzt wird. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 253 <?page no="254"?> Transferaufgabe 1 Überlegen Sie, ob Sie Falsche Freunde aus anderen Sprachen kennen. Haben Sie in der Vergangenheit Begriffe aufgrund solcher Ähnlichkeiten falsch verwendet? Welche Möglichkeiten gibt es, um diese Fehler zu umgehen? Wie kann man die Lerner dafür sensibilisieren? Sobald Leser und Leserinnen weniger als 90 Prozent des Textes dekodieren können, ist der Text für sie nicht verständlich. Erst ab 90 bis 95 % wird der Text mit Hilfsmitteln wie einem zweisprachigen Wörterbuch verständlich, und ab 96 % bekanntem Wortschatz kann der Text verstanden werden (vergleiche Rosebrock/ Nix 2017: 37). Experiment 2 Lesen Sie die beiden Texte. Überlegen Sie, warum Sie den ersten Text trotz falscher Buchstabenreihenfolge lesen können und warum Sie beim zweiten Text Schwierigkeiten haben. Wnen Kiednr zur Scluhe kmemon, ist im Almglneieen die grudlennegde Pshae iehrs müchinlden Spchraerbewrs agbeschosseln. Sie kneönn die gsepochenre Srphace irher Ugmebnug laitluch rcihitg wideegrbeen und vferüegn üebr enein atkvein Wrotchastz von ewta 4000 Wöertrn. Zewi Dttriel dvaon snid Sutbsitnave, ein Veiterl Vberen und leidgiclh ein Zföwltel Akdtijeve. Nur knpap ein Füftnel des Gseatmwoetrsachzts behezit scih auf Geitsiges oder Gefhüle, die üebrwignedee Mherehit bzencheiet kroenkte Dgine und Peronsen. Originaltext: Hessisches Kultusministerium (2007): Lese-Info 8: Deutsch als Zweit‐ sprache. Lesenlernen unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit. https: / / kultu sministerium.hessen.de/ sites/ default/ files/ media/ lese_info_8.pdf (01.09.2021). Die Erttuilming ectehr Retrisktneion für die Bidnlug von ung ist so shcwrieig, wiel es als netrulaer Sutabsntievirer mit vileen anedren Subtivstaneirungspyten in Kounkrrnez sthet und man nihct wieß, ob Bidlugnen unmagramticsh oder eifnach blieockrt snid. Originaltext: Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band-1: Das Wort. 3. Durchgesehene Auflage, Stuttgart & Weimar: Metzler, 278. Die Anordnung der Buchstaben ist angelehnt an eine Studie von Rawlinson (1976). ▶ Weitere Unterschiede: Wenn Kinder erste Lesekenntnisse in der Erstsprache erworben haben, können sie das bereits erworbene Wissen auf die Zweitsprache übertragen. Der Einfluss der Erstsprache kann positiv sein, wenn sie „die zuerst erworbene Lesefähigkeit auf das Lesen in einer zweiten Sprache transferieren“ (Ehlers 2014: 220) und ihre Erfahrungen für das Lesen in der Zweitsprache nutzen. Allerdings kann der Transfer aus der Erstsprache auch zu Problemen führen, 254 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="255"?> nämlich dann, wenn Kinder Elemente in die Zweitsprache übertragen, die sich in den Sprachen unterscheiden. Beispielsweise kann die Leserichtung ein solches Problem darstellen. Wenn Kinder arabisch alphabetisiert wurden, kann es für sie schwierig sein, die Leserichtung von rechts nach links zu wechseln und fortan von links nach rechts zu lesen (siehe Lerneinheit 6.2). Eine zusätzliche Herausforderung kann auch die Alphabetisierung in einem anderen Schriftsystem darstellen. Viele kyrillische Grapheme entsprechen oder ähneln dem lateinischen Schriftsystem, allerdings weisen sie häufig eine andere Graphem-Phonem-Korrespondenz auf. Kyrillisches Graphem (Russisch) Aussprache entspricht dem deutschen Phonem <Pp> <Cc> <Hh> / Rr/ / Ss/ / Nn/ Abbildung 6.1: Graphem-Phonem-Korrespondenz Russisch-Deutsch ▶ Nicht abgeschlossener Erstspracherwerb: Erfolgt der Erwerb von Literalität in der Zweitsprache, kann sich bei Minderheitenkindern die Muttersprache nicht weiterentwickeln und sie können im Unterschied zu deutschen Kindern die verschiedenen Stadien des Schriftspracherwerbs in der nur ungenügend beherrschten Zweitsprache nicht rückbinden an ihre sprachliche kognitive Entwicklung in der Muttersprache. (Ehlers 2002: 51) Dadurch können nicht nur Probleme bei der Verwendung der Erstsprache entstehen, sondern auch in der Zweitsprache (siehe Lerneinheiten 2.2 und 7.3). ▶ Kulturelle Unterschiede, aber auch fehlendes Wissen über die unbekannte Kultur können Einfluss auf das Leseverstehen haben (vergleiche Ballis/ Hackl 2018: 111; Niebuhr-Siebert/ Baake 2014: 121), insbesondere wenn sich die Konzepte der neuen Kultur von jenen der Herkunftskultur unterscheiden oder den Lesern und Leserinnen nicht bekannt sind. Inhalte der Lesetexte sollten idealerweise mit dem Vorwissen verknüpft werden, allerdings gilt es zu beachten, dass die Lerner unterschiedliches Vorwissen mitbringen (vergleiche Ferling 2008: 41-42). Aber auch fehlendes Weltwissen kann dazu führen, dass eine Kontextualisierung erschwert oder gar nicht möglich ist. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 255 <?page no="256"?> 6.1.2 Aktuelle Erkenntnisse zur Lesekompetenz Im Folgenden betrachten wir zwei internationale Bildungsstudien, in denen umfang‐ reiche Daten zur Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern erhoben wurden, nämlich PISA und IGLU. In der letzten großen PISA-Studie (Programme for International Student Assessment), die im Jahr 2018 durchgeführt wurde, ist auffällig, dass in fast allen Staaten, die daran teilgenommen haben, die Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund (36 % aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer) (vergleiche Weis/ Müller/ Mang/ Heine/ Mahler/ Reiss 2019: 151) über eine geringere Lesekompetenz verfügen. „In Deutschland ist der Unterschied mit 52 Punkten zwischen Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund (524 Punkte) und Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund (472 Punkte) relativ groß“ (Weis et al. 2019: 149). Besonders Jugendliche der ersten Generation (also Personen, die selbst zugewandert sind) weisen eine sehr geringe Lesekompetenz (405 Punkte) auf. Jugendliche der zweiten Generation (in Deutschland geboren, jedoch Eltern im Herkunftsland geboren) verfügen im Vergleich zur ersten Generation über eine bessere Lesekompetenz, wobei Jugendliche ohne Zuwanderungshintergrund bei den Lesetests die höchsten Werte erzielen konnten. Schüler und Schülerinnen, die im Elternhaus nicht Deutsch sprechen, erreichen im Durchschnitt 45 Punkte weniger (vergleiche Weis et al. 2019: 155). Bei der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (kurz IGLU und außerhalb Deutschlands als Progress in International Reading Literacy Study PIRLS bezeichnet), die seit 2001 alle fünf Jahre durchgeführt wird und die Lesekompetenzen der Schüler und Schülerinnen im internationalen Vergleich am Ende des vierten Schuljahres (vergleiche Bos/ Valtin/ Hußmann/ Wendt/ Goy 2017: 13) untersucht, konnten ähnliche Werte fest‐ gestellt werden. 2016 erzielten die Grundschulkinder aus Deutschland 537 Punkte, was im internationalen Vergleich ein Ergebnis im Mittelfeld darstellt. Bei einer Befragung der Lehrer und Lehrerinnen stellte sich heraus, dass 17 % der Schüler und Schülerinnen Förderbedarf haben, jedoch nur 11 % Unterstützung erhalten (vergleiche Bos et al. 2017: 25-26). Schauen wir uns nun die Zahlen zu den Kindern mit Zuwanderungshintergrund an: Besonders in den niedrigen Kompetenzstufen sind sie überrepräsentiert (vergleiche Wendt/ Schwippert 2017: 220). Während Schüler und Schülerinnen, die in der Familie Deutsch sprechen, 549 Punkte erzielten, kamen ihre Mitschüler und Mitschülerinnen, die nie oder nur selten im privaten Umfeld Deutsch sprechen, lediglich auf 509 Punkte (vergleiche Wendt/ Schwippert 2017: 224). Kinder, deren Eltern im Ausland geboren wurden, erreichten im Durchschnitt 49 Punkte weniger als Kinder, deren Eltern in Deutschland geboren wurden. Diese 49 Punkte entsprechen den Punkten, die ein Kind in einem Schuljahr dazulernt (vergleiche Wendt/ Schwippert 2017: 226). Da sich viele Ehrenamtliche in der Leseförderung engagieren, wäre es an dieser Stelle interessant, Ergebnisse zum Erfolg und der Relevanz zu sichten. Allerdings sind diese Studien selten, da der Erfolg schwer messbar ist und sich nicht allein auf die Leseförderung zurückführen lässt. Zusätzlich erfährt die Spracharbeit der Ehrenamtli‐ chen wenig Akzeptanz von Seiten der Wissenschaft. Viele Forscher und Forscherinnen 256 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="257"?> plädieren dafür, Spracharbeit in der Hand von Experten und Expertinnen zu belassen (vergleiche Krumm o.J.: 1). Allerdings belegen die zuvor aufgezeigten Studien, dass es notwendig ist, außerschulische Leseförderung anzubieten, was Wendt/ Schwippert bestätigen, indem sie sagen, dass sich keine Hinweise darauf erkennen [lassen], dass es dem deutschen Schulsystem, trotz vielfäl‐ tiger Bemühungen, bisher gelungen ist, dem bildungspolitischen Ziel, der systematischen Reduktion von zuwanderungsbezogenen Disparitäten, näher zu kommen (Wendt/ Schwippert 2017: 232). Transferaufgabe 2 An Ihrer Schule möchte die Rektorin einen „Tag des Lesens“ einführen, der einmal im Schuljahr stattfinden soll. Sie überträgt Ihnen die Aufgabe, den Bereich Deutsch als Zweitsprache zu übernehmen: Sie sollen sich ein Programm für zugewanderte Kinder überlegen, das einerseits die Lesekompetenz der Kinder fördert, anderer‐ seits den Heranwachsenden Spaß macht und sie zum Lesen motiviert. Um der Heterogenität der Gruppe gerecht zu werden und den Schülerinnen und Schülern mehr Auswahl zu bieten, nutzen Sie das Stationenlernen als Unterrichtsform. Überlegen Sie sich Inhalte in Form von Unterrichtsentwürfen für die Klassen 5 bis 9. Berücksichtigen Sie, dass sich Ihre Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihres Alters, ihrer Sprachkenntnisse, Motivation und Lesekompetenz unterscheiden. 6.1.3 Ehrenamtliche Leselern-Projekte Um die Lesekompetenz von leseschwachen Schülern und Schülerinnen zu verbessern, wurden in den letzten Jahren deutschlandweit unterschiedliche, hauptsächlich ehren‐ amtlich organisierte Initiativen gestartet. Die meisten Leseförderangebote finden in Bibliotheken statt und umfassen Veranstaltungen wie Vorleseaktionen, Bücherkisten, Bilderbuchkino, Bibliotheksführerscheine, (Vor-)Lesenächte und Ähnliches. Weitere Angebote findet man auch in Kindertageseinrichtungen und bei Jugendämtern (ver‐ gleiche Ehmig/ Reuter 2011: 29-30). Ferner werden immer wieder Initiativen von Vereinen oder Stiftungen ins Leben gerufen. Dazu zählen auch die Leselernhelfer und Leselernhelferinnen, die in einigen Regionen auch Lesepaten und Lesepatinnen genannt werden. Da die Leselernhelfer und Leselernhelferinnen meist sehr ähnlich agieren, werden wir uns an dieser Stelle exemplarisch ein Projekt näher anschauen: das Projekt MENTOR - Die Leselernhelfer Bundesverband e. V. - eines der größten, wenn nicht sogar das größte Ehrenamtsprojekt zu Spracharbeit. Das Projekt MENTOR Das Projekt MENTOR wurde im Jahr 2003 vom Buchhändler Otto Stender in Hannover initiiert. Heute gehören zum 2008 gegründeten Bundesverband rund 100 Vereine und 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 257 <?page no="258"?> 10 kooperierende Initiativen. Derzeit setzen sich 13.000 ehrenamtliche Leselernhelfer und Leselernhelferinnen bundesweit an 1.900 Schulen und Bibliotheken in 180 Städten für eine Verbesserung der Lesekompetenz von rund 16.600 Schülern und Schülerinnen ein (vergleiche MENTOR o. J.; Gorny 2020: 16). Beim Leseprojekt MENTOR können Schüler und Schülerinnen im Alter von 6 bis 16 Jahren vorwiegend von Grund- und Hauptschulen teilnehmen (vergleiche MENTOR Hessen 2018). Leselernhelfer und Leselernhelferinnen unterstützen vor allem leistungsschwächere Schüler und Schüle‐ rinnen, bei denen es sich häufig um Kinder mit Deutsch als Zweitsprache handelt, und arbeiten dabei im Eins-zu-eins-Betreuungsprinzip, um sie besonders effektiv und passgenau fördern zu können. Zusätzlich wird im Konzept viel Wert darauf gelegt, dass die Leseförderung in einer angenehmen Atmosphäre einbis zweimal wöchentlich für jeweils eine Stunde stattfindet. Das Ziel der Leserlernhelfer und Leselernhelferinnen ist es, die Stärken der Lerner zu aktivieren und auszubauen, das Selbstwertgefühl der Kinder zu steigern und eine vertrauensvolle Beziehung zum Mentor beziehungsweise zu der Mentorin aufzubauen. Dabei stehen nicht die curricularen Vorgaben der Schulen im Vordergrund, „sondern der Lesewunsch des Kindes und seine individuelle Tagesverfassung“ (MENTOR 2020: 7). Auch die Auswahl des Lesetextes erfolgt ganz nach den Bedürfnissen des Kindes und kann von einem Kochrezept bis zur neuesten Ausgabe einer Kinderzeitschrift alle Genres umfassen. In der Lesestunde wird nicht nur gelesen - auch das Vorlesen, Rätselraten, sich gegenseitig Geschichten erzählen, Basteln, Spielen und so weiter sind erlaubt (vergleiche MENTOR 2020: 7). Durch die Vielfalt an Lesetexten sowie die Vielzahl der Aktivitäten und die damit verbundene Kommunikation erweitern die Kinder ihren Wortschatz. Zusätzlich trainieren sie ihre Lesefertigkeit in der jeweiligen Leselernphase und steigern ihre Leseflüssigkeit. Das Vorlesen durch den Leselernhelfer bzw. die Leserlernhelferin, aber auch durch die Kinder selbst verbessert sowohl die Hörverstehensfertigkeit als auch die phonologische Bewusstheit. Die Lesestunde findet nach dem Unterricht in einer Schule oder Bibliothek statt. Auch wenn die Lesestunden nicht an den Schulunterricht gekoppelt sind, findet eine Kooperation mit den Schulen statt. Einige Vereine kooperieren auch mit den örtlichen Bibliotheken (vergleiche Franzmann/ Weber 2015: 189-190). Lehrkräfte schlagen Schüler und Schülerinnen für eine Teilnahme am Projekt vor und organisieren ein Kennenlerntreffen in der Schule zwischen Kindern und Ehrenamtlichen. Zusätzlich kümmert sich die Lehrkraft um das Einverständnis der Erziehungsberechtigten. Die dafür notwendige Einverständniserklärung liegt in mehreren Sprachen vor, um so auch die Kinder, deren Eltern nicht Deutsch als L1 haben, zu erreichen (vergleiche MENTOR 2020: 24-25). Qualifizierung der Leselernhelfer und Leselernhelferinnen Die Mentoren und Mentorinnen werden im Vorfeld ihres Engagements zu einer Ein‐ stiegsqualifizierung eingeladen. Zusätzlich finden regelmäßig Treffen statt, bei denen sich die Ehrenamtlichen über Erfolge, aber auch Herausforderungen mit den anderen 258 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="259"?> Leselernhelfern und Leselernhelferinnen austauschen und gemeinsam diskutieren können (vergleiche MENTOR 2020: 21-22). In der Einstiegsqualifizierung werden die Ehrenamtlichen darüber aufgeklärt, dass sie weder fachspezifischen Nachhilfeunterricht geben noch mit den Kindern Themen wiederholen, die im Unterricht eventuell nicht verstanden wurden, sondern die Kinder lediglich auf kreative Weise zum Lesen motivieren sollen (vergleiche MENTOR 2020: 22). In der mehrstündigen Qualifizierung werden die Mentoren und Mentorinnen für den Umgang mit den leseschwachen Schülern und Schülerinnen geschult und auf Herausforderungen beim Leselernen vorbereitet. Ferner werden die Ehrenamtlichen mit Arbeitsmaterialien und Informationsmaterial zum Nachschlagen ausgestattet (ver‐ gleiche Franzmann/ Weber 2015: 191). Förderung von Mehrsprachigkeit Stender (2008: 32) vertrat bereits 2008 die Meinung, dass es wichtig sei, Mentoren und Mentorinnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch, die aber gut Deutsch sprechen, wobei das Niveau der Sprachkenntnisse nicht näher erläutert wird, als Leselernhelfer und Leselernhelferinnen anzuwerben. Dadurch erhoffte er sich, eine ausgeglichene Förderung der Erst- und der Zweitsprache der Kinder und Jugendlichen zu erreichen. In den verschiedenen Ehrenamts-Initiativen wurden in den letzten Jahren diverse Leseprojekte ins Leben gerufen, in denen die Mehrsprachigkeit im Fokus steht. Beispielweise bot der Mentor.Ring Hamburg 2017 einen Weiterbildungstag unter dem Motto „Lesen fördern - Welten öffnen“ sowie Workshops zum Umgang mit Mehr‐ sprachigkeit, dem Arbeiten mit mehrsprachigen Büchern, der Wortschatzförderung und Interkulturalität an (vergleiche Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulent‐ wicklung 2017: 31-40). In Osnabrück wurden mehrsprachige Vorleseveranstaltungen für Kinder organisiert, bei denen Kinderbuchklassiker wie „Pippi Langstrumpf “ in einer Bibliothek vorgelesen wurden (vergleiche Kreibich/ Aufenanger 2009: 44). Ferner stellt die Akademie für Leseförderung verschiedene Literaturlisten zu Materialien rund um das Lesen in mehrsprachigen Kontexten zur Verfügung (siehe Akademie für Leseförderung Niedersachsen o.-J.). 6.1.4 Chancen und Grenzen der ehrenamtlichen Leselernhilfe Wie wir erfahren haben, unterstützen Leselernhelfer und Leselernhelferinnen Kinder und Jugendliche dabei, Spaß am Lesen zu entwickeln. Sie motivieren sie dazu, sich mit verschiedenen Textsorten und Themen auseinanderzusetzen und fortdauernd Texte zu lesen und zu verstehen. Dabei ist es wichtig, abzugrenzen, welche Verantwortung ein Mentor oder eine Mentorin übernehmen kann. Ehrenamtlichen wird nicht die Aufgabe übertragen, den Kindern das Lesen beizubringen, sondern sie sollen sie für das Lesen begeistern. Viele Gruppen, die dem Bundesverein MENTOR angehören, haben sich dazu entschlossen, Schüler und Schülerinnen erst ab der zweiten Klasse zu fördern, 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 259 <?page no="260"?> um den Ehrenamtlichen nicht die schwierige Aufgabe des Lesenlehrens aufzubürden (vergleiche Franzmann/ Weber 2015: 192). Leselernhelfer und Leselernhelferinnen sind keine Nachhilfelehrer, sondern Lesevorbilder, die Kinder und Jugendliche inspirieren sollen. Sie sind auch keine Hausaufgabenbetreuer und müssen keinen Lernzuwachs bei den Lernern nachweisen (vergleiche MENTOR 2020: 7). Die Ehrenamtlichen arbeiten mit den Lehrkräften zusammen und erhalten so im Vorfeld, aber auch laufend, Infor‐ mationen zu den Interessen der Kinder und Jugendlichen und über ihre Schwächen und Stärken. Zusätzlich unterstützen die Lehrenden die Leselernhelfer und Leselern‐ helferinnen mit Vorschlägen für die ersten Lesetreffen (vergleiche Franzmann/ Weber 2015: 193). Um einerseits die Ehrenamtlichen nicht zu überfordern, aber andererseits die Lehre‐ rinnen und Lehrer zu unterstützen, wäre es wünschenswert, wenn eine engere Koope‐ ration erreicht werden könnte. So könnten Schwachstellen des deutschen Schulsystems ausgeglichen und sowohl Lehrer und Lehrerinnen als auch Leselernhelferinnen und Leselernhelfer entlastet werden. Daraus könnten sich neue Projekte ergeben, in denen Ehrenamtliche mit guten Sprachkenntnissen in der L1 der Kinder und Jugendlichen diese beim Lesen und Lesenlernen unterstützen. Reflexionsaufgabe 2 Machen Sie sich Gedanken darüber, wie Leseförderung für Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Zweitsprache in der Schule aussehen könnte. Wie können die Lehrer und Lehrerinnen die Schüler und Schülerinnen dabei unterstützen, sowohl eine höhere Sprachals auch eine höhere Lesekompetenz zu erlangen? 6.1.5 Impulse für den DaF/ DaZ-Unterricht Um die Lesekompetenz der Schüler und Schülerinnen zu erhöhen, können die DaF/ DaZ-Lehrerinnen und -Lehrer einige Aspekte der außerschulischen Förderung in ihren Unterricht einbeziehen. Es ist wünschenswert, dass Lehrerinnen und Lehrer neben den curricularen Vorgaben den Lernern auch die Möglichkeit geben, eigene Leselektüre auszuwählen, um so das Interesse am Lesen zu steigern. Zusätzlich sollte der Faktor Spaß eine höhere Relevanz im schulischen Unterricht erhalten. Durch aktivierende Lesespiele, motivierende Lesewettbewerbe und eine angenehme Atmosphäre beim Lesen, beispielsweise mit einer Leseecke im Klassenraum, kann die Leseleidenschaft der Lerner entfacht werden. Hauptanliegen des Ehrenamtsprojekts ist das Aktivieren der Stärken der Kinder und Jugendlichen - ein Punkt, den die Lehrerinnen und Lehrer in der Schule stärker berücksichtigen sollten. Für die Leseförderung sollten zusätzliche Angebote der Schulen außerhalb der Unterrichtszeiten durch Hauptamtliche erfolgen, um so die Ehrenamtlichen zu entlasten und die Lerner gut auf die schulische Zukunft vorzubereiten. Weiterhin wurde die Einbindung der Ressource Mehrsprachigkeit schon vor Jahren als Bildungsziel in Curricula festgelegt und sollte auch in Hinblick auf die 260 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="261"?> literale Kompetenz eingebracht werden. Hierbei könnte u. a. die Herkunftssprache (siehe Lerneinheiten 2.2 und 7.3) eine Rolle spielen, indem Sprachenvergleiche ange‐ stellt und vorhandene Kenntnisse aufgegriffen werden. Transferaufgabe 3 Sie planen, zusammen mit einem Kollegen Lese-Tandems in der vierten Klasse einer Grundschule einzuführen, um die Lesekompetenz der Kinder (unabhängig von ihrer Erstsprache) zu verbessern und sie auf die weiterführenden Schulen vorzubereiten. Für die Förderung und Unterstützung des Projekts müssen Sie auch die Eltern der Kinder davon überzeugen. Überlegen Sie sich Argumente, die den Nutzen dieses Projektes untermauern. Erstellen Sie dazu eine Präsentation, die Sie an einem Elternabend vorführen. Gehen Sie dabei auf die Relevanz ein und verwenden Sie auch statistische Daten und Studien, um Ihr Anliegen zu vertreten. 6.1.6 Zusammenfassung Wie wir in dieser Lerneinheit erfahren haben, ist Lesen ein komplexer Vorgang von hoher Relevanz: ▶ Die Fertigkeit Lesen ist nicht nur im Sprachenunterricht relevant, sondern in allen Fächern. Ohne die nötige Lesekompetenz ist es schwierig, dem Unterricht zu folgen. Das Lesen sollte nicht nur im Sprachenunterricht, sondern in allen Fächern trainiert werden, wobei das Lesenlernen natürlich im Sprachenunter‐ richt stattfindet. ▶ Die Lesekompetenz beeinflusst den Verlauf der Bildungskarriere und des späteren Berufslebens. ▶ Viele Faktoren wirken sich auf das Lesenlernen von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache aus. Dazu gehören unter anderem die phonologische Be‐ wusstheit und Prosodie, das teilweise noch unbekannte morpho-syntaktische Wissen, eingeschränkter Wortschatz und kulturelle Unterschiede. ▶ Da der schulische Input häufig nicht ausreicht, wurden zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler diverse ehrenamtliche Leselernprojekte, so auch die Initiative MENTOR, entwickelt. Das Ziel der ehrenamtlichen Leseförderung ist es, die Kinder für das Lesen zu begeistern. 6.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Aus welchen Phasen besteht der Leselernprozess? 2. Warum ist die phonologische Bewusstheit beim Lesen relevant? 3. Wie wirken sich kulturelle Unterschiede auf das Lesen aus? 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 261 <?page no="262"?> 4. Warum betreuen Leselernhelfer und Leselernhelferinnen Kinder erst ab der zwei‐ ten Klasse? 5. Warum erzielen Kinder mit Zuwanderungshintergrund bei den Studien PISA und IGLU besonders schlechte Ergebnisse? 262 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="263"?> 6.2 Sprachmittlung von Kindern und Jugendlichen in Migrationskontexten Stefanie Nölle-Becker Wie wir in Lerneinheit 6.1 gesehen haben, liegt die sprachliche Kompetenz in der Zielsprache Deutsch/ im Deutschen von Kindern mit Zuwanderungshintergrund laut Bildungsstudien häufig hinter der von Kindern mit Deutsch als L1. Die zuvor vorgestellten Projekte versuchen, Kinder mit Deutsch als Zweitsprache zu unterstützen und zu fördern. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Ressourcen der Kinder zu nutzen, die diese durch das Aufwachsen mit verschiedenen Sprachen besitzen, um ihre Leistungen im Lesen und Schreiben zu verbessern. In diesem Kontext bietet das Sprachmitteln eine weitere Möglichkeit für Lehrende, konkrete mehrsprachige Sprachhandlungen in den Unterricht einzubeziehen Wie wir aus Befragungen wissen, machen fast alle Kinder in Migrationskontex‐ ten in verschiedener Hinsicht Erfahrungen mit dem Sprachmitteln, also dem spontanen Übertragen von einer Sprache in die andere - sei es als Ad-hoc- Dolmetscherinnen und -Dolmetscher in Behörden oder Arztpraxen, in Schulen oder beim Übersetzen von Texten zum Beispiel in Form von Briefen im familiären Kontext. In dieser Lerneinheit beschäftigen wir uns daher mit dem Prozess des Sprachmittelns als komplexe sprachliche Aufgabe. Die damit verbundenen psy‐ chischen und emotionalen Herausforderungen sowie mögliche positive Implika‐ tionen fasst ein Forschungsüberblick zusammen. Im Anschluss daran betrachten wir einen Ansatz, diese außerhalb des unterrichtlichen Kontextes erworbenen Fähigkeiten stärker in den Unterricht einzubinden und zu nutzen (siehe zu dieser Lerneinheit auch Lerneinheiten 2.2 und 7.3). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ sich mit Laienübersetzertätigkeiten von Kindern und Jugendlichen ausein‐ andersetzen und die Begriffe Sprachmitteln und Community Interpreting kennen; ▶ sich mit dem Sprachmittlungsprozess als einem komplexen kognitiven Prozess beschäftigen; ▶ positive und negative Implikationen des Sprachmittelns von Kindern und Jugendlichen benennen können; ▶ Möglichkeiten zur Einbindung der Ressource in den Unterricht kennen. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 263 <?page no="264"?> Reflexionsaufgabe Stellen Sie sich vor, Sie ziehen in ein anderes Land um und haben einen leichten Autounfall mit Blechschaden. Im Laufe der Klärung des Unfallschadens erhalten Sie einen Brief von der Autoversicherung. Da Sie die Landessprache erst wenig sprechen, verstehen Sie das Schreiben nur ansatzweise. Wie gehen Sie vor, um herauszufinden, was in dem Schreiben steht? 6.2.1 Definition und Einordnung des Begriffes Sprachmittlung Bevor wir uns näher mit Übersetzungsleistungen von Kindern und Jugendlichen beschäftigen, werden wir zunächst den Begriff genauer bestimmen. Während Über‐ setzen als schriftliche und Dolmetschen als mündliche Übertragung in der Translati‐ onswissenschaft eindeutig definiert werden (vergleiche Ahamer 2012: 53), bezeichnet die Fremdsprachendidaktik mit dem Begriff des Sprachmittelns „eine sinngetreue Übertragung des Gesagten in die andere Sprache, die das gegenseitige Verstehen und die Kommunikation ermöglicht“ (Hallet 2008). Das kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Neben den Fertigkeiten Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören wird seit einigen Jahren dem Sprachmitteln eine bedeutende Rolle im Fremdsprachenunterricht zu‐ gesprochen. Dies hat dazu geführt, dass im überarbeiteten und 2020 auf Deutsch erschienenen Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) erstmals eigene Deskriptoren für diese Tätigkeiten beschrie‐ ben werden. Dort wird als Überbegriff die Bezeichnung „Mediation“ gewählt (zur Begriffswahl siehe Council of Europe 2020: 30), während wir den in Deutschland derzeit noch üblicheren Terminus der Sprachmittlung verwenden. Auf der Grundlage eines handlungsorientierten Ansatzes bezeichnet Sprachmittlung im Fremdsprachen‐ unterricht eine „sinngemäße - mündliche oder schriftliche - Übertragung eines ausgangssprachlichen Inhalts in die Zielsprache [ …], ohne dass formale textuelle Äquivalenz angestrebt wird oder vonnöten ist“ (Königs 2016: 111). Der Fokus liegt also auf dem Inhalt, und somit dem Erreichen des realen Kommunikationszieles (vergleiche Katelhön 2018: 261), so dass es sich um eine freiere Übertragung handelt als das Übersetzen, bei dem eine exakte Wiedergabe angestrebt wird. Bei der freien Übertragung eines Inhaltes von einer in die andere Sprache (oder Varietät) erhalten „Sprachhandlungen wie Paraphrasieren, Zusammenfassen und Erklärungen sowie die Verwendung von Sprachlernstrategien verstärkt Relevanz“ (vergleiche Katelhön 2018: 261). Auch zur Schulung von Mehrsprachigkeit und sprachenvernetzendem Lernen können Sprachmittlungsaufgaben über zwei oder mehr Sprachen beitragen (vergleiche Katelhön 2018: 264). Hallet bezeichnet das Sprachmitteln als „komplexe Kompetenz“ (Hallet 2008: 3), die auf mehrere Fertigkeiten zugleich zugreift, da ein Text hörend oder lesend verstanden 264 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="265"?> und sprechend oder schreibend vermittelt, also kommuniziert werden muss. Die folgende Darstellung bildet den kommunikativen Vorgang des Sprachmittelns ab: Abbildung 6.2: Der Sprachmittlungsprozess, eigene Darstellung nach Hallet 2008: 4 Im folgenden Abschnitt wird das Sprachmitteln gesprochener Sprache als komplexer Prozess vorgestellt, der verschiedene Kompetenzen beansprucht (vergleiche zu den folgenden Ausführungen Knapp 2009: 176-177). In einer konkreten Kommunikations‐ situation hören wir das gesprochene Wort, es wird also das Hörverstehen aktiviert. Dem folgt die Verarbeitung des Gesprochenen, wir bilden eine Hypothese zur Erschlie‐ ßung des Sinnes. Dieser Verstehensvorgang geschieht in Top-down- und Bottom-up- Prozessen, die in Lerneinheit 4.2 genauer beschrieben werden. Eine erste mentale Textbasis wird als Grundlage für die Sprachproduktion gebildet. Hierbei kann die Reihenfolge von Inhalten verändert oder eine Kürzung vorgenommen werden, ebenso wie eine Kennzeichnung von Urheberschaft und Anpassung von Höflichkeitsformeln. Die übersetzende Person fügt beispielsweise ein: „der Doktor hat gesagt, dass“ und fasst wesentliche Aussagen zusammen. Das mentale Produkt wird dann in die Zielsprache umgesetzt, wobei der Erfolg der Übertragung „von der Verfügbarkeit der jeweiligen sprachlichen Mittel [abhängt], vor allem aber davon wie weit [der] M[ittler] even‐ tuelle lernersprachlich bedingte Äußerungsbeschränkungen durch paraphrasierende Kommunikationsstrategien kompensieren kann“ (Knapp 2009: 177). Hierbei kommt nach Hallet die „sprachlich-kommunikative Kompetenz“ zum Tragen, welche die Text‐ rezeption und Textproduktion umfasst und den Kommunikationszweck herausstellt (vergleiche Hallet 2008: 4). Dabei findet als pragmatische Tätigkeit eine Steuerung des Gespräches statt, indem die mittelnde Person bei Bedarf eigene Erläuterungen hinzufügt oder durch Nachfragen das Verständnis sichert. Diese wird von Hallet als „interaktionale Kompetenz“ (Hallet 2008: 5) bezeichnet. Als grundlegender Bestandteil des Sprachmittelns wird weiterhin die interkulturelle Kommunikation angesehen, da mit dem Vermitteln zwischen zwei Sprachen häufig auch zwei Kulturen miteinander in Bezug gesetzt werden. Dies verlangt aber von der vermittelnden Person eine ausgeprägte „interkulturelle Kompetenz“ (Knapp 2009: 177), indem sie Unterschiede antizipiert, mögliche Probleme der Verständigung aufzeigt und mit Verweis auf kultu‐ relle Vorstellungen erklären kann (vergleiche Hallet 2008: 5). Wenn es beispielweise um Höflichkeitsformeln geht, die in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich formu‐ liert werden und bei einer Übersetzung kommentiert und möglicherweise angepasst werden müssen, können wir die Anforderungen leicht nachvollziehen. Sie können die Differenzierung der Anrede „du“ und „Sie“ sowie Höflichkeitsrituale des Verneinens betreffen, die der Erläuterung bedürfen. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 265 <?page no="266"?> Solche und andere Kompetenzen aktivieren und trainieren die Kinder und Jugend‐ lichen mit Zuwanderungshintergrund, die wir im Folgenden betrachten werden. Sprachmitteln liegt dann in der Form „alltäglichen, spontanen Dolmetschens“ (Knapp 2009: 175) durch Dritte für Personen vor, die einander aufgrund fehlender Sprachkennt‐ nisse nicht verstehen würden. Für diese Form der nicht professionellen Übersetzung, die sowohl mündliche als auch schriftliche Texte betrifft, wird auch der Begriff Community Interpreting verwendet. Er bezieht sich auf das Sprachmitteln in Insti‐ tutionen zwischen Angehörigen einer sprachlichen Minderheit und der offiziellen Mehrheitssprache (vergleiche Ahamer 2012; Knapp 2009: 175). Dieses Ungleichgewicht zwischen Minderheiten- und Mehrheitssprache ist ein weiterer relevanter Faktor beim Sprachmitteln in dem von uns betrachteten Zusammenhang. Insbesondere in der Psychologie hat sich der Terminus des Language Brokering für Sprachmitteln etabliert, der auch in deutschen Studien unübersetzt verwendet wird, außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses jedoch kaum Verwendung findet: „Lan‐ guage Brokering bezeichnet das Dolmetschen und Übersetzen zwischen der Sprache des Aufnahme- und des Herkunftslandes, welches Jugendliche in Migrantenfamilien für ihre Eltern durchführen […], und das meist daraus folgt, dass sich die Jugendli‐ chen schneller an eine neue Sprache und Kultur anpassen als ihre Eltern.“ (Schulz/ Titzmann/ Michel 2013: 161) Wir halten am Begriff des Sprachmittelns fest, da er den Aspekt der Vermittlung (als Übersetzung von Brokering) bereits beinhaltet und in Deutschland gut eingeführt ist, wie sich beispielsweise auch an seiner Verwendung als Oberbegriff für alle translatorischen Aktivitäten durch die Bundesbeauftragte für Integration zeigt (beispielsweise in der Studie „Sprachmittlung im Gesundheitswesen“, vergleiche Wächter/ Vanheiden 2015). Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Erstellen Sie eine Tabelle mit zwei Spalten, in die Sie die Begriffe „Übersetzen“ und „Sprachmitteln“ eintragen. Suchen Sie im Internet eine Definition von „Übersetzen“ heraus und tragen Sie dann Merkmale zu beiden Begriffen ein. Erstellen Sie dann unter Einbeziehung der Listeneinträge jeweils eigene Definitionen von „Übersetzen“ und „Sprachmitteln“. 6.2.2 Erkenntnisse aus der Forschung Es ist „ein sehr schönes Fünf-Minuten-Erwachsenengefühl“ - so beschreibt der Sozio‐ loge Vassilis Tsianos in einem Interview seine Erfahrungen als Sprachmittler für seine griechischen Eltern (Tsianos/ Billerbeck 2013). Hier werden wichtige Dimensionen des Handlungsfelds angesprochen: Kinder und Jugendliche schlüpfen in die Rolle von Erwachsenen, wodurch sie zum einen überfordert werden können, weil sie Situationen bewältigen sollen, die oftmals in den Sphären der Erwachsenenwelt liegen. Sie sind aber 266 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="267"?> auch stolz darauf, ihre Familienangehörigen zu unterstützen und über Kompetenzen zu verfügen, die ihre Eltern oder Angehörigen nicht besitzen. Untersuchungen zu den Rahmenbedingungen des Sprachmittelns von Kindern und Jugendlichen stammen vor allem aus dem angloamerikanischen Raum und kommen häufig aus der Entwicklungspsychologie und der Pädagogik. Im deutschsprachigen Raum ist die translationswissenschaftliche Studie von Vera Ahamer zu nennen, die Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene und Lehrerinnen und Lehrer in Österreich zu der Thematik befragt hat. Alle Studien kommen zu dem Schluss, dass informelles Sprachmitteln „in fast allen Migrantenfamilien auftritt“ (Schulz et al. 2013: 169; verglei‐ che Weisskirch 2017b: 1) und „eine gängige Praxis“ darstellt (Ahamer 2012: 67). Die von Ahamer befragten Jugendlichen messen daher diesen sprachlichen Tätigkeiten auch keine besondere Bedeutung bei und betrachten sie als „Selbstverständlichkeit“ (Ahamer 2012: 209). Sie stellen einen für sie normalen Aspekt ihres Familienlebens dar, wie ihn jedes Familienmitglied zum Meistern des Lebens in der neuen Gesellschaft leisten muss (vergleiche Weisskirch 2017b: 2). Im alltäglichen Leben im Aufnahmeland ergeben sich für Familien in Migrationskontexten eine Vielzahl an Anforderungen, bei denen Sprache als Mittel der Partizipation und Kommunikation eine tragende Rolle spielt. Beim Einkauf, im Umgang mit Behörden, Schulen, Ärztinnen, Vermietern, Banken oder Versicherungen, um nur einige Beispiele zu nennen, finden sich die Menschen in Kommunikationssituationen wieder, die ihre sprachlichen Handlungskompetenzen überschreiten können. In dieser Situation werden häufig die Kinder und Jugendlichen einer Familie zur Unterstützung herangezogen, da diese durch den Schulbesuch und Austausch mit Gleichaltrigen oftmals die Zweitsprache schneller erlernen als ihre Eltern (vergleiche Ahamer 2012: 152; Schulz et al. 2013: 161). Seit den großen Migrationsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 ist das Thema der Sicherstellung von Verständigung beispielsweise in der Kommunikation mit Behörden und im Gesundheitssektor zunehmend in den Fokus gerückt worden. Mittlerweile gibt es in Deutschland verschiedene Qualifizierungsmöglichkeiten, Ver‐ mittlungsdienste sowie erste Regelungen zur Kostenübernahme der Leistungen von professionellen Dolmetschdiensten. Dennoch konstatieren die Autorinnen und Auto‐ ren in einer Studie zu Sprachmittlung im Gesundheitswesen, dass unter anderem die fehlende gesetzliche Regelung zur Erstattung der Dolmetscherkosten dazu führen kann, dass bei der Aufklärung von Patientinnen und Patienten Barrieren für eine erfolgreiche Behandlung bestehen bleiben (vergleiche Wächter/ Vanheiden 2015: 9). Indem die Kinder für ihre Eltern Kommunikationskanäle herstellen, ermöglichen sie ihnen die Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben. Gesellschaftspolitisch wird es aber als kritisch bewertet, dass diese Ressourcen durch die Familien selbst gestellt werden müssen und professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer oft nicht zur Verfügung stehen (vergleiche Ahamer 2012). Denn gesetzliche Regelungen zum Datenschutz, zur ärztlichen Schweigepflicht und nicht zuletzt zum Jugendschutz können bei dem Einsatz von Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern gerade im Ge‐ sundheitswesen, bei Behörden und Institutionen nicht eingehalten werden, wie einige 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 267 <?page no="268"?> Forscherinnen und Forscher kritisieren (vergleiche Degener 2009; Meyer 2011: 209). Die Jugendlichen können dabei mit Themen konfrontiert werden, die sie überfordern. Das Risiko von Fehlübersetzungen und Missverständnissen ist zudem so groß, dass Ahamer die Institutionen selbst in der Pflicht sieht, die Verständigung sicherzustellen (vergleiche Ahamer 2012: 57). Die Altersunterschiede verstärken zudem die Situation hierarchischer Ungleichheit zwischen Menschen mit der Mehrheitsbzw. Minderhei‐ tensprache (vergleiche Ahamer 2012: 67). Aus moralisch-ethischer Sicht können wir das Sprachmitteln von Kindern und Jugendlichen daher als problematisch betrachten. Bereiche der Sprachmittlung Betrachten wir die vielfältigen Zusammenhänge, in denen Kinder und Jugendliche sprachmittelnd aktiv werden, so können wir sehen, dass die Ursachen nicht nur in einer mangelnden Ausstattung von Institutionen mit professionellen Übersetzerinnen und Übersetzern liegen, sondern auch an den kommunikativen Herausforderungen des Alltags im Aufnahmeland (vergleiche Weisskirch 2017b: 2). Dabei gibt es „keinen Bereich des öffentlichen Lebens, in dem die befragten Jugendlichen nicht bereits gedolmetscht hätten“ (Ahamer 2012: 193). In Ahamers Studie gaben diese an, am häufigsten Briefe zu übersetzen, womit zusammenfassend verschiedene Mitteilungen von Behörden gemeint sind (Ahamer 2012: 193). Das familiäre Umfeld überwiegt also als Ort des Sprachmittelns. Ebenso werden in diesem Zusammenhang auch Fernsehsendungen, elektronische Nachrichten und Gebrauchsanweisungen genannt. Dies deckt sich mit den Angaben der Kinder aus der Studie von Orellana et al., die ebenfalls eine Vielzahl vor allem textbasierter Inhalte vermitteln (vergleiche Orellana/ Reynolds/ Dorner/ Meza 2003: 22). Dem folgen mündliche Kommunikation in institutionellen Umfeldern wie Gesundheitswesen, Schule, Bank, Post, Krankenhaus oder Finanzamt sowie weitere Behörden (Ahamer 2012: 193), die mit dem Begriff des Community Interpreting bezeichnet werden. Außerdem gibt es das Dolmetschen im Alltag, also an der Supermarktkasse, im Gespräch mit Nachbarn oder im Sportverein, das aufgrund seines informellen Charakters eine ganz andere Bedeutung für die Sprachmittelnden haben kann als die respekteinflößende Situation in einer Ausländer‐ behörde. In Studien hat sich daher auch gezeigt, dass „die Dolmetscherfahrungen der Kinder sehr stark vom jeweiligen Interaktionskontext abhängen“ (Ahamer 2012: 13). Aus diesem Grund existieren auch keine eindeutigen Ergebnisse der psychologischen Forschung, die darauf schließen lassen, dass Kinder durch Sprachmittlung in ihrer psychischen Entwicklung beeinträchtigt oder besonders profitieren würden (verglei‐ che Ahamer 2012: 155; Kam/ Guntzviller/ Stohl 2017: 26; Weisskirch 2017b: 2). Hier muss differenziert betrachtet werden, welche individuellen Voraussetzungen vorliegen und welche Inhalte in welchen Kontexten übersetzt werden. Im Folgenden betrachten wir einige emotionale Aspekte, die Studien als relevante Begleitfaktoren des Sprachmittelns belegen. Laut einer Befragung unter 22 Sprach‐ mittlerinnen und Sprachmittlern zwischen 10 und 20 Jahren, die Degener in ihrem Artikel zitiert, empfinden die meisten Kinder Spaß beim Dolmetschen, freuen sich zu 268 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="269"?> helfen und genießen die Anerkennung (vergleiche Degener 2009). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn „die Gespräche […] thematisch nicht zu brisant und sprachlich nicht zu anspruchsvoll [sind] und die Gesprächspartner […] Anerkennung für die Dolmetschleistung [zeigen]“ (Degener 2009). Dabei spielt Stolz eine wichtige Rolle: Die Kinder sind stolz, ihre Eltern unterstützen zu können, sie fühlen sich anerkannt und treten in der Rolle des Kompetenzinhabers auf (vergleiche Ahamer 2012: 155; Weisskirch 2017a: 9). Auch die sprachliche Unterstützung von Gleichaltrigen spielt eine Rolle. Eine Stärkung von Kreativität und Selbstvertrauen durch Sprachmitteln kann sich vorteilhaft auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken (vergleiche Kam et al. 2017: 41). Neben Stolz auf und Freude über die eigene Bedeutung für die Familie, kann das Sprachmitteln aber auch zu Konflikten führen, wenn die Kinder die Erwachsenenrolle einnehmen und so ein Rollentausch erfolgt (vergleiche Ahamer 2012: 164; Weisskirch 2017a: 7). Als weitere negative Implikationen neben Loyalitätskonflikten werden ein Gefühl von Scham (u. a. über die Sprachlosigkeit und Ohnmacht der Eltern) sowie Überforderung genannt (vergleiche Ahamer 2012: 165, 370). Neben dem Zeitaufwand, der durch den Einsatz für die Familie entsteht (vergleiche Ahamer 2012: 235), stellt die psychische Überforderung einen weiteren negativen Aspekt dar. Sie stellt sich ein, wenn die zu sprachmittelnden Themen sowohl den Erfahrungshorizont und Kenntnisstand der Kinder übersteigen als auch Bereiche berühren, die mit Ängsten oder Tabuisierungen verbunden sind. Wenn es um die finanzielle Situation der Familie oder einen Krankheitsbefund geht, können wir gut nachvollziehen, dass diese Themen die Kinder überfordern und belasten können. Daher kommt auch der Psychologe Sebastian Schulz, der das Sprachmitteln russischstämmiger Kinder untersucht hat, zu dem Schluss, dass das Alter in der Einschätzung des Sprachmittelns eine wichtige Rolle spielt. Er fasst zusammen, dass vor allem jüngere Jugendliche (im Alter zwischen 10 und 15 Jahren) mit Problemen zu kämpfen haben, die durch Stress aufgrund der größeren Verantwortung entstehen können (vergleiche Schulz et al. 2013: 168). Ältere Jugendli‐ che (in der Studie bis 18 Jahre) scheinen durch höhere Bewältigungskompetenzen eher in der Lage zu sein, mit der herausfordernden Situation umzugehen. Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Überlegen Sie sich drei konkrete Mittlungssituationen aus drei unterschiedlichen institutionellen Umfeldern, in denen Kinder und/ oder Jugendliche aus Migrations‐ kontexten für ihre Familien dolmetschen müssen. Welche Vorteile und welche Nachteile ergeben sich in dieser Situation für alle beteiligten Personen? Wo sehen Sie Gefahren? Sprachliche Implikationen Nachdem wir Einsatzgebiete und psychologische Implikationen des Sprachmittelns be‐ trachtet haben, wenden wir uns nun der sprachlichen Dimension des Sprachmittelns zu. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 269 <?page no="270"?> Auch hier können wir negative und positive Effekte feststellen. Kinder und Jugendliche können beim Sprachmitteln nicht nur in psychologischer, sondern auch in sprachlicher Hinsicht überfordert werden, denn Fachsprachen, wie sie im Gesundheitswesen oder im Rechtswesen eingesetzt werden, können die jugendlichen Übersetzerinnen und Überset‐ zer vor große Hürden stellen. Selbst bei großer Sprachkompetenz in der Alltagssprache bedeuten diese Sprachmittlungskontexte, dass „die dafür notwendige Terminologie, das Wissen um die Funktionsweise der jeweiligen Institution […] aber höchstwahrscheinlich den für Kinder und Jugendlichen normalen Erfahrungshorizont übersteigen“ werden (Ahamer 2012: 74). Das unterschiedliche Alter der am Gespräch Beteiligten verstärkt diese Ungleichheit im sozialen Gefüge. Darüber hinaus sind diskursive Anforderungen zur Sicherstellung der Kommunikation gefragt, die neben der Vermittlungskompetenz auch verschiedene soziale Prozesse anstoßen und Loyalitätskonflikte auslösen können (vergleiche Ahamer 2012: 161). Die im ersten Teil angeführten komplexen Vorgänge während des Prozesses des Sprachmittelns führen zu einer kognitiven Belastung, da zeitgleich das Gehörte verarbeitet, der Inhalt des Gesagten extrahiert und eingeordnet sowie formuliert werden muss. Strategien hierfür liegen den Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern oft nicht bewusst vor und werden gezielt - wenn überhaupt - erst im schulischen Fremdsprachenunterricht vermittelt. Gleichzeitig bieten viele dieser Punkte auch Anlass zu einer positiven Bewertung des Sprachmittelns. Auch hier gibt es allerdings keine generalisierenden Befunde, wie Ahamer in ihrem Forschungsüberblick zeigt. Durch ihre Beschäftigung mit verschie‐ denen Diskurstypen und Textsorten sowie mit Bildungs- und Fachsprache entwickeln die Kinder demnach vielfältige diskursive Strategien und erweitern ihren Wortschatz (vergleiche Ahamer 2012: 157). Im Fremdsprachenunterricht zeigen sich positive Auswirkungen des Sprachmittelns auf die Sprachenbewusstheit, wie die Anwendung von Strategien, das Anstellen von Vergleichen, das Ableiten und Bewusstwerden syntaktischer Strukturen, die sich auch in diesem Kontext nachweisen lassen und die als sprachförderlich für den Erwerb der Zweit- oder Drittsprache angesehen werden (vergleiche Ahamer 2012: 157; Königs 2015: 10). Ahamer kommt daher zu dem Schluss, dass Sprachmitteln sich als „durchaus förderlich für Lesekompetenz, Stilistik, metalinguistische Sprachkompetenz, Antizipationsfertigkeit und somit insgesamt auch für den Schulerfolg erweist“ (Ahamer 2012: 158; siehe auch Kam et al. 2017: 26). Hier kommt der kulturelle Vermittlungsprozess zum Tragen, den die Kinder und Jugendlichen in interkulturellen Mittlungssituationen leisten müssen und der Fähigkei‐ ten wie Selbstdistanz und das empathische Sich-Hineinversetzen in andere voraussetzt. Auch dies kann zwar zu einer Überforderung führen, aber gleichzeitig positive Effekte haben. Nämlich dann, wenn sich die Kinder beim Sprachmitteln mit ihrer Erstsprache und Herkunftskultur beschäftigen und möglicherweise motiviert werden, diese auszu‐ bauen (vergleiche Tsianos/ Billerbeck 2013; Weisskirch 2017b: 2). 270 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="271"?> 6.2.3 Ansätze zur Förderung von Literalität in der Schule Dass sich sprachmittelnde Aktivitäten im Fremdsprachenunterricht positiv auf den Spracherwerb auswirken, ist in der Forschung unbestritten (vergleiche Königs 2010: 1042). Wie wir gesehen haben, gibt es außerdem Ansatzpunkte dafür, dass sich Sprachmittlung von Kindern und Jugendlichen auch außerhalb der Schule positiv auf den Spracherwerb auswirken kann. Es ist daher hilfreich, Strategien zur Bewältigung der Aufgabe anzubieten (vergleiche Schulz et al. 2013: 169). Der folgende Abschnitt stellt einen solchen Ansatz vor. Wie wir bereits erfahren haben, findet ein großer Teil der Übertragungen aus einer Sprache in die andere im familiären Umfeld statt. Dies ist der Ausgangspunkt der Forschung von Marjorie Faulstich Orellana et al. Die Autorinnen ordnen ihre Beobachtungen der Strategien der jugendlichen Sprachmittlerinnen und Sprachmittler in den größeren Zusammenhang der Family Literacy ein als Brückenschlag zwischen frühen literalen Erfahrungen in der Familie und späterer Lese- und Schreibkompetenz in der Schule (siehe dazu auch Lerneinheit 6.1). Sie fordern daher die Einbeziehung der besonderen Fähigkeiten jugendlicher Sprachmittlerinnen und Sprachmittler in den Unterricht. Dazu erforschen sie anhand von Tagebucheintragungen, teilnehmender Beobachtung in den Familien sowie Unterrichtsbeobachtungen die mündliche Übertra‐ gung von Textdokumenten, vor allem Briefen, die mexikanischstämmige Kinder in den USA für ihre Eltern ausführen. Sie bezeichnen diese Form der Sprachmittlung als „paraphrasing“ und weisen auf Übereinstimmungen zu einer Unterrichtspraxis hin, in der Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler bitten, im Englischunterricht einen Text in eigenen Worten wiederzugeben oder zusammenzufassen (vergleiche Orellana et al. 2003: 15). Ihre Beobachtungen zeigen verschiedene Strategien auf, die jugendliche Übersetzerinnen und Übersetzer verwenden, unter anderem lautes Lesen, unbekannte Wörter im Wörterbuch nachschlagen, Adressatenorientierung sowie gemeinsame Bedeutungskonstruktion im Gespräch. Diese Aktivitäten setzen die Autorinnen in Bezug zu paraphrasierenden Aktivitäten im Englischunterricht, bei denen die Schülerinnen und Schüler Passagen in ihren Schulbüchern lesen und mit eigenen Worten wiedergeben sollen. Sie argumentieren, dass sich hier eine große Chance bietet, die Ressourcen von bilingualen Kindern und ihre durch Sprachmittlung erworbenen Strategien positiv zur Verbesserung der Kompetenzen in der Zweitsprache im Unterricht einzusetzen. Denn der Rückgriff auf diese Strategien führe einerseits zu einer Aufwertung der Kinder und ihrer Herkunftssprachen, zum anderen würden alle Kinder unabhängig von ihrem sprachlichen Hintergrund von diesen Aktivitäten im Unterricht profitieren. Als konkrete Beispiele nennt die Autorin Partnerarbeit zur Interpretation eines unbekannten Textes mit anschließender Präsentation, das Über‐ setzen eines Textes für die Familie zu Hause mit begleitendem Tagebucheintrag über die verwendeten Strategien sowie das Mitbringen von Texten aus dem Alltag, deren Bedeutung im Gruppenaustausch konstruiert wird. Dies führe zu einem Austausch über Strategien und Sprachen an sich und fördere daher die Sprachenbewusstheit. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 271 <?page no="272"?> Experiment Suchen Sie einen passenden Text, der im Unterricht eingesetzt werden könnte, um die besonderen Kompetenzen junger Sprachmittlerinnen und Sprachmittler aufzugreifen. Erstellen Sie einen Unterrichtsentwurf, der Mehrsprachigkeit und Strategien der Sprachmittlung berücksichtigt. Der Wert des hier vorgestellten Ansatzes liegt darin, dass die sonst eher als defizitär betrachteten Kompetenzen von herkunftssprachlichen Schülerinnen und Schülern in den Mittelpunkt gestellt und ihre Strategien für alle nutzbar gemacht werden können. Dies geht über Impulse zur Sprachmittlung, wie sie im konventionellen Fremdsprachenunter‐ richt anhand nicht-authentischer Situationsanlässe vermittelt werden, hinaus. 6.2.4 Chancen und Grenzen Wir haben erfahren, dass Sprachmittlung ein komplexer Prozess ist, der verschie‐ dene Kompetenzen involviert und aufgrund seiner Bedeutung für das Gelingen von Kommunikation in vielsprachigen Gesellschaften eine hervorgehobene Stellung im überarbeiteten GeR erhalten hat (vergleiche Council of Europe 2020: 42). Gerade im zwei- oder mehrsprachigen Sprachenerwerb spielt die Sprachenbewusstheit eine wichtige Rolle, um Analogien zu bemerken, Ableitungen herzustellen und Vergleiche zu ziehen (vergleiche Budde 2016: 1). Es ist Konsens in der Fremdsprachendidaktik, dass Sprachmittlung wesentlich zur Ausbildung von Sprachenbewusstheit beiträgt (vergleiche Knapp 2009: 178). Dies ist auch für den außerunterrichtlichen Kontext anzunehmen, da ähnliche Strategien eingesetzt werden und eine aktive, bewusste Auseinandersetzung mit Sprache(n) stattfindet. Weitere Kompetenzen, die das Sprach‐ mitteln schult, sind das Hörverstehen sowie das interkulturelle Vermitteln. Zudem betrachten wir die Beschäftigung mit der eigenen Herkunft, Sprache und Kultur als stärkenden Effekt für die Kinder und Jugendlichen in migrantischen Mittlungssituati‐ onen (vergleiche Weisskirch 2017b: 2). Wie der griechischstämmige Soziologe Tsianos berichtet, hat die Übersetzungstätigkeit dazu geführt, dass er sich verstärkt mit der Sprache seiner Eltern auseinandergesetzt hat: „die Tatsache, dass ich nicht imstande war, etwas auszusprechen, und das heißt auch, zu denken, hat mich dazu motiviert, extra besser Griechisch zu lernen, für mich persönlich“ (Tsianos/ Billerbeck 2013). Neben der Stärkung der eigenen Identität kann dies auch zu positiven Einflüssen auf die Zweitsprache führen. Umso bedauerlicher sind Berichte, nach denen Schülerinnen und Schüler in der Schule angehalten werden, ihre Herkunftssprache nicht zu sprechen, bei Bedarf jedoch als Übersetzerinnen und Übersetzer z. B. für Eltern fungieren sollen (vergleiche Ahamer 2012: 371). Hier bedarf es weiterer Forschung und Überlegungen wie von Orellana et al., die Ressourcen mehrsprachiger Kinder wertzuschätzen und zum Nutzen der gesamten Klasse einzubringen. Wenn Mehrsprachigkeit als Bildungsziel in der Praxis 272 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="273"?> gelebt werden soll, so bedeutet dies nicht, künstliche Situationen wie die Übersetzung eines Reiseführers für Austauschschülerinnen und -schüler im Englischunterricht zu konstruieren. Vielmehr bedeutet gelebte Mehrsprachigkeit, in der unterrichtlichen Praxis Sprachvergleiche zuzulassen und aktive Bewusstwerdung zu fördern, um den Schülerinnen und Schülern Strategien an die Hand zu geben, mit denen sie authentische sprachmittelnde Situationen erfolgreich lösen können. Dabei ist das angeführte Kon‐ zept von Orellana et al. nur ein Ansatz, der sich auf eine bestimmte Unterrichtspraxis, nämlich das Zusammenfassen eines Schulbuchtextes, bezieht. Auf diese Weise können natürliche Sprachmittlungshandlungen dazu beitragen, die Dichotomie zwischen dem sprachlichen Erleben im Elternhaus und der schulischen Praxis aufzubrechen, die Schader als hinderlich für einen erfolgreichen Zweitsprachenerwerb ansieht, weshalb er für eine Aufhebung der „sozialräumliche[n]“ Trennung der Verwendungsbereiche von Erstsprachen und Deutsch plädiert (vergleiche Schader 2004: 29). Wenn die Herkunftssprachen einen festen Platz in der Schule fänden, gäbe es keine separate Spra‐ chenverwendung mehr in Schule und Elternhaus. Das Sichtbarmachen der Sprachen ermögliche daher die Adressierung und Einbeziehung der bi- oder plurikulturellen Identitäten der Schülerinnen und Schüler und führe folglich zu deren Stärkung (vergleiche Schader 2004: 27). Im Gegensatz zu dem herausgehobenen Prestige der klassischen Schulfremdsprachen zeigt sich auf diese Weise Sprachengerechtigkeit. 6.2.5 Zusammenfassung ▶ In dieser Lerneinheit beschäftigten wir uns mit dem Sprachmitteln von Kindern und Jugendlichen, das als sinngemäße Übertragung von einer in die andere Sprache mit dem Ziel der Verständigung definiert wird. ▶ Dabei widmeten wir uns zunächst der Komplexität des Mittlungsprozesses, der verschiedene Kompetenzen beansprucht und sprachenvernetzendes Lernen fördern kann. ▶ Ein Forschungsüberblick hat gezeigt, dass fast alle Kinder und Jugendlichen in Migrationskontexten bereits für ihre Familienmitglieder übersetzt haben, wobei die Textsorten von Briefen über Behörden- und Arztgespräche bis zu informellen Nachbarschaftsgesprächen eine Vielzahl von Interaktionskontex‐ ten aufweisen. Dieser Kontext wird als ausschlaggebend dafür angesehen, wie die beteiligten Kinder und Jugendlichen ihr Sprachmitteln erleben. ▶ Als Brücke zum institutionellen Sprachenlernen haben wir einen Ansatz vorge‐ stellt, der konkrete Anregungen zur Integration der außerschulischen mehrspra‐ chigen Fähigkeiten in den Unterricht durch Sprachmittlungsaufgaben bietet. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 273 <?page no="274"?> 6.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche drei Kompetenzen werden nach Hallet durch das Sprachmitteln geschult? 2. Nennen Sie drei positive und drei negative Implikationen des Sprachmittelns von Kindern und Jugendlichen und erläutern Sie, weshalb der Kontext ausschlaggebend für eine Bewertung in der einen oder der anderen Hinsicht gesehen werden kann. 3. Wie versucht die amerikanische Forscherin Marjorie Faulstich Orellana, die Res‐ sourcen mehrsprachiger Kinder im schulischen Kontext nutzbringend zu integrie‐ ren? 274 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="275"?> 6.3 Sprachangst Sarasi Kannangara Zahlreiche Sprachenlerner kennen das Gefühl von Angst, unabhängig da‐ von, ob diese in einer formalen Sprachlernsituation beziehungsweise in einem Unterricht oder bei der Anwendung der Zielsprache im Alltag erfah‐ ren wird. Besonders im modernen Zweit- und Fremdsprachenunterricht, in dem die kommunikative Kompetenz das übergeordnete Lehr- und Lernziel bildet, stellen sowohl die mündlichen Kompetenzen als auch die Bereitschaft zum Sprechen eine wichtige Voraussetzung dar (vergleiche Bose/ Schwarze 2007: 2). In der Literatur findet sich eine Vielfalt von Begriffen, die in Verbindung mit sprechängstlichen Verhaltensweisen bei der mündlichen Sprachproduktion verwendet werden. Die Phänomene Sprechangst, Rede‐ angst, Publikumsangst, Kommunikative Befangenheit, Lampenfieber etc. beziehen sich auf Situationen, in denen die Menschen in ihrer Erstsprache handeln. Sprech- oder Redeangst wird sowohl durch tatsächliches als auch durch antizipiertes Sprechen vor einer Gruppe beziehungsweise einem Publikum hervorgerufen. Solche Situationen variieren und umfassen zum Beispiel das Halten einer Rede oder die aktive Teilnahme an einer Diskussion (vergleiche Pollay 2012: 13). Sprechangst wird oft im Kontext der Erstspra‐ che erforscht, ohne Angst bei fremdsprachlichem Handeln zu fokussieren (vergleiche Fronterotta 2011: 137). Dennoch wissen wir, dass Sprechen in einer Fremdsprache noch weitere Herausforderungen mit sich bringt. Aufgrund dessen fokussieren wir in dieser Lerneinheit besonders die Angst, die für Zweit- und Fremdsprachenlernen und -anwendung spezifisch ist. In der in dieser Lerneinheit zugrundeliegenden Definition nennen MacIntyre und Gardner diese Art von Angst language anxiety, also Sprachangst. Der Begriff fasst Gefühle der Anspannung sowie Befürchtungen, die in zweit- und fremdsprachlichen Kontexten wie Sprachproduktion, -rezeption und -lernen auftreten (MacIntyre/ Gardner 1994: 284). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ für das mögliche Vorhandensein von Angst in Zweit- und Fremdsprachen‐ lernsituationen sensibilisiert werden; ▶ einen Einblick in die Angstforschung erhalten und dabei zwischen ver‐ schiedenen Arten von Angst unterscheiden lernen sowie die besonderen Charakteristika der Sprachangst erkennen; ▶ Sprachangst in einem mehrsprachigen Kontext reflektieren und dabei die Besonderheiten erkennen; 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 275 <?page no="276"?> ▶ die Tipps und Vorschläge für eine angstfreie Lernsituation erwägen und überlegen, inwiefern diese in Ihrem eigenen Sprachunterricht einsetzbar sind, um schließlich eigene Vorschläge ausarbeiten zu können. Reflexionsaufgabe Führen Sie ein Interview mit mindestens drei Menschen, die über Sprachlern- und -lehrerfahrung verfügen und beantworten auch Sie selbst die Interviewfragen. Vergleichen Sie die Antworten. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es? ▶ Welche Erfahrung haben Sie bezüglich Sprachangst als Sprachenlerner oder Sprachenlehrer und -lehrerin gemacht? ▶ Welche Situationen und Aktivitäten steigern Ihrer Meinung nach Angst im Sprachunterricht? ▶ Wie manifestiert sich Sprachangst im Unterricht? ▶ Gibt es Sprachen, deren Verwendung mehr Angst auslöst als andere Sprachen? Woran könnte das liegen? 6.3.1 Die Existenz von Angst in Zweit- und Fremdsprachenlernsituationen In der Forschungsliteratur existieren zahlreiche quantitative und qualitative Studien, in denen Zweit- und Fremdsprachenlerner über ihre Sprachangst berichten (vergleiche Nerlicki/ Riemer 2012: 88). In früheren Studien wird Sprachangst am häufigsten mit der Sprachlernleistung in Zusammenhang gebracht. In einer quantitativen Studie von Gardner und MacIntyre postulieren sie, dass Sprachangst der einzige affektive Faktor ist, der mit Sprachlernleistung eine signifikante negative Korrelation aufweist (vergleiche Gardner/ MacIntyre 1993: 183-184). Aida (1994) bestätigt diese Ergebnisse in ihrer Forschung über Japanisch-Lerner dahingehend, dass die Sprachangst einen negativen Einfluss auf die Abschlussnoten des Japanisch-Kurses hat (vergleiche Aida 1994: 163). MacIntyre et al. (MacIntyre/ Noels/ Clément 1997) fanden in ihrer Studie heraus, dass Sprachangst sowohl mit der feststellbaren als auch mit der selbst wahr‐ genommenen Sprachkompetenz in der L2 negativ korrelierte. Weiterhin zeigte diese Studie, dass ängstliche L2-Lerner im Gegensatz zu entspannten Lernern ihre eigenen Sprachkompetenzen unterschätzten (vergleiche MacIntyre et al. 1997: 278). In der späteren Forschung zu Sprachangst wird von der Fixierung auf die Sprachlernleis‐ tung und Sprachkompetenz abgewichen. Dewaele (2002) analysierte zum Beispiel die Beziehung zwischen Sprachangst und soziodemografischen Faktoren. Er fand heraus, dass die Kommunikation in den Sprachen, die in der Gesellschaft als Presti‐ gesprachen anerkannt sind, bei Sprachlernern insbesondere aus unteren sozialen Schichten hohe Sprachangst erzeugen kann (vergleiche Dewaele 2002: 30). Dewaele 276 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="277"?> (2007b) stellt weiterhin fest, dass Privatgespräche mit Freunden und Freundinnen als weniger beängstigend wahrgenommen werden als Interaktionen mit Fremden. Eine öffentliche Rede, besonders, wenn sie in einer Fremdsprache gehalten werden muss, löst einen hohen Grad an Sprachangst bei den Forschungsteilnehmern und -teilnehmerinnen aus (vergleiche Dewaele 2007b: 404). In einer quantitativen Studie von Baran-Łucarz (2011) wurde aufgezeigt, dass sowohl die tatsächlichen als auch die subjektiv wahrgenommenen Aussprachekompetenzen eine negative Beziehung mit der Sprachangst aufweisen. Dabei zeigten die Werte der subjektiv wahrgenommenen Aussprachekompetenzen eine viel stärkere negative Beziehung als die tatsächlichen (vergleiche Baran-Łucarz 2011: 509). Dewaele und MacIntyre analysierten den Zusam‐ menhang zwischen Sprachangst und Spaß am Fremdsprachenlernen (foreign language enjoyment). Die statistischen Ergebnisse zeigten, dass zwischen den beiden Konstruk‐ ten eine starke negative Korrelation besteht. Dennoch sind Sprachangst und Spaß am Fremdsprachenlernen zwei verschiedene Konstrukte, die unabhängig voneinander existieren können (vergleiche Dewaele/ MacIntyre 2014: 265). Tzoannopoulou (2016) untersuchte die Beziehung zwischen Sprachangst und Angst vor negativer Evaluation in einem universitären Englischunterricht in Griechenland und stellte fest, dass die Lerner mit einem höheren Grad an Sprachangst dazu neigen, ein höheres Maß an Angst vor negativer Bewertung zu erleben. Weiterhin wurde festgestellt, dass Kommunikation mit Lehrern und Lehrerinnen, Kommilitonen und Kommilitoninnen sowie Erstsprachlern und Erstsprachlerinnen, Tests, Korrekturen und Bewertungen von Lehrkräften, sowie negative Einstellungen gegenüber dem Englischunterricht Sprachangst bei den Studenten und Studentinnen auslösen. Zu den Ursachen für die Angst vor negativer Bewertung zählen die negative Beurteilung, die Missbilligung der anderen sowie die Angst vor dem Fehlermachen und dabei einen schlechten Eindruck zu hinterlassen (vergleiche Tzoannopoulou 2016: 835). In diesem Zusammenhang besteht kein Zweifel daran, dass die Sprachangst nicht nur für Fremdsprachenlerner, sondern auch für den Fremdsprachenunterricht ein bekanntes Phänomen darstellt. Deshalb werden wir den Blick auf unsere eigene Sprachlern- und -lehrerfahrung richten. 6.3.2 Angstdefinitionen Angst wird manchmal als eine unabhängige Variable separat verwendet (vergleiche Dewaele 2002; Horwitz/ Horwitz/ Cope 1986; MacIntyre 1995) und manchmal als Bestandteil eines größeren Konstrukts. Zum Beispiel kennzeichnet Clément (1980) Angst als eine Komponente des Selbstbewusstseins, und Gardner und Smythe (1981) integrieren Sprachangst in ihre Skala zu Motivation und Einstellungen. Das erste konzeptuelle Konstrukt von sprachenlern-spezifischer Angst wird von Horwitz, Hor‐ witz und Cope 1986 in ihrem Aufsatz Foreign Language Classroom Anxiety (FLCA) vorgestellt. Nach Horwitz et al. besteht dieses Konstrukt aus drei leistungsbezogenen Ängsten: 1. Angst vor Kommunikation, 2. Prüfungsangst, 3. Angst vor negativer 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 277 <?page no="278"?> Evaluation. Bei Angst vor Kommunikation, die auch als Rede- oder Sprechangst bezeichnet wird, handelt es sich um die Angst vor der Kommunikation mit Menschen. Prüfungsangst (test anxiety) wird, wie der Begriff schon andeutet, durch Angst vor Versagen in Prüfungen gekennzeichnet. Die dritte Art der Angst, Angst vor negativer Evaluation, kann als Furcht vor den Bewertungen der anderen, Vermeidung von solchen Bewertungssituationen und die Erwartung von negativen Bewertungen durch andere definiert werden. Dennoch postulieren Horwitz et al., dass Sprachangst nicht lediglich aus einer Kombination der drei obengenannten Angstkomponenten besteht, sondern es sich vielmehr um ein komplexes Konstrukt aus Selbstwahrnehmungen, -überzeugungen, Emotionen und Verhaltensweisen handelt, die mit dem Lernen einer Zweit- oder Fremdsprache zusammenhängen (vergleiche Horwitz et al. 1986: 127-128). Weiterhin zu beachten sind die vorhandenen Lernererfahrungen, besonders in einem Fremdsprachenlernkontext, und die Lerntraditionen, die zur Angst in den zweit- und fremdsprachlichen Lernkontexten beitragen (vergleiche Kannangara 2023: 186-188). Die folgende Grafik beschreibt, dass es sich bei der Sprachangst um kein einfaches lineares Konstrukt handelt, sondern die Komponenten einander beeinflussen, vonein‐ ander abhängen und miteinander interagieren. Abbildung 6.3: Eigene Abbildung in Anlehnung an Horwitz et al. (1986) 278 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="279"?> Obwohl der Großteil der zweit- und fremdsprachenspezifischen Angstforschung die negativen Auswirkungen der Sprachangst auf Lern- und Kommunikationsprozesse belegt, existieren in der Forschung auch Studien, die die positive Auswirkung von Sprachangst nachweisen. Manche Forscher und Forscherinnen vertreten den Stand‐ punkt, dass ein geringes Maß an Angst sogar lernfördernd sein kann (vergleiche Nerlicki/ Riemer 2012: 89). Alpert und Harber (1960) waren die ersten Forscher, die zwischen hemmender (debilitating) und fördernder (facilitating) Angst unterschieden. Sie entwickelten weiterhin zwei Angstskalen, in denen die gegensätzlichen Ängste gemessen werden können (vergleiche Young 1992: 159). Kleinmann (1977) untersuchte dieses Konzept in Bezug auf L2-Lernen und fand heraus, dass die Lerner mit hohen Werten auf der fördernden Angstskala dazu tendieren, in einem Sprachtext schwierige linguistische Strukturen nicht zu vermeiden (vergleiche Kleinmann 1977: 104-105). In Interviews mit Young äußerten mehrere Sprachenexperten, nämlich Hadley, Terrell und Rardin, dass die Angst in Form von Aufmerksamkeit und Wachsamkeit in einer gesteuerten Sprachlernumgebung lernfördernd sein kann (vergleiche Young 1992: 167). Aus psychologischer Sicht kann Sprachangst in drei Kategorien unterteilt werden: 1. trait anxiety, 2. state anxiety und 3. situation-specific anxiety. Trait anxiety (auf Deutsch etwa ‚Ängstlichkeit‘) definiert Angst als ein allgemeines Charaktermerkmal, das über verschiedene Situationen stabil bleibt. Die zweite Dimension von Angst, state anxiety (auf Deutsch etwa ‚Angst in Stresssituationen‘, vergleiche Riemer 2016: 268) fasst das momentane Erleben von Angst als einen temporären emotionalen Zustand. Der dritte Ansatz begreift die spezifischen Formen von Angst, die in einer bestimmten Situation konsistent auftreten. Im Gegensatz zu state anxiety stellt situa‐ tion-specific anxiety eher ein stabiles Phänomen dar, obwohl sie im Laufe der Zeit je nach Erfahrung ab- oder zunehmen kann (vergleiche MacIntyre/ Gardner 1991: 87; Nerlicki/ Riemer 2012: 89). Laut MacIntyre (2007) herrscht trotz Schwierigkeiten in der Konzeptualisierung ein Konsens unter den Forschern und Forscherinnen, dass Sprachangst für Zweit- und Fremdsprachenlernen und die in ihnen stattfindende Kommunikation spezifisch ist und durch den fremdsprachlichen Kontext ausgelöst wird. MacIntyre führt weiterhin aus, dass trait anxiety, die nicht mit Sprachenlernen und -anwendung zusammenhängt, sondern eine stabile Charaktereigenschaft darstellt, in der empirischen Forschung keine konsistente Beziehung zur Sprachlernleistung aufweist. Im Gegensatz dazu zeigen mehrere Studien, die sprachlern- und -anwen‐ dungsspezifische Angstskalen verwenden, zuverlässig negative Beziehungen zu einer Vielzahl von sprachlernleistungsbezogenen Faktoren (vergleiche MacIntyre 2007: 565). Dewaele (2007a) argumentiert, dass Sprachangst häufig nur im Zusammenhang mit Fremdsprachenlernern erforscht wird. Aus diesem Grund kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob die Sprachangst im Verlauf des Lernens weiterer Fremdsprachen stabil bleibt (vergleiche Dewaele 2007a: 175). 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 279 <?page no="280"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung Überlegen Sie, welche Art von Angst in den folgenden Situationen beschrieben wird: trait, state oder situation-specific? 1. Stefan hat in der Schule Englisch als L2 gelernt und lernt jetzt Spanisch als L3 an der Universität. Er fühlt sich sehr nervös, wenn er vor der Klasse auf Spanisch reden muss. Im schulischen Englischunterricht zitterte und schwitzte er, wenn er einen Vortrag halten musste. Wenn er in seiner L1 Deutsch ein Referat hält, fühlt er sich entspannt. 2. Gülden stressen oft schon Kleinigkeiten. Sie fühlt sich häufig nervös, banale Alltagsaktivitäten überwältigen sie. Sie ist überzeugt, dass andere sie stets negativ bewerten. 3. Maya schreibt am nächsten Tag eine Klassenarbeit in Englisch, ihrer L2. Sie kann die Nacht zuvor nicht schlafen, denn sie hat Angst davor, schlechte Noten zu bekommen. Sie glaubt, dass ihre Englischkompetenzen nicht ausreichen, um die bevorstehende Prüfung zu bestehen. In zwei Tagen schreibt sie eine Mathearbeit und ist sicher, dass sie einfach zu bestehen sein wird. 4. Es ist spät in der Nacht und Eduardo läuft nach der Arbeit nach Hause. Niemand ist auf der Straße, und es ist stockdunkel. Er fühlt sich sehr unwohl und schwitzt. Er beeilt sich, damit er es schnell nach Hause schaffen kann. 5. Nandani kann ihre L2, Englisch, eigentlich gut sprechen, aber sie hat Angst, Fehler zu machen, weil sie glaubt, dass die anderen sie auslachen würden. In ihrem Land hat Englisch einen hohen Stellenwert. Sie vermeidet oft Situatio‐ nen, in denen sie Englisch reden muss, um sich nicht zu blamieren. 6.3.3 Angst in Bezug auf Mehrsprachigkeit Insbesondere in zwei Mehrsprachigkeitsmodellen werden affektive Faktoren berück‐ sichtigt, nämlich im dynamischen Modell (Dynamic Model of Multilingualsm, DMM) von Herdina und Jessner (2002) und im Faktorenmodell 2.1 von Hufeisen (2018). Das dynamische Modell, das psycholinguistisch verortet ist, beschreibt den M-Faktor (Multilingualism Factor), der eine Funktion der Interaktionen zwischen zwei oder mehreren Sprachen darstellt. Über ihn verfügen bi- und multilinguale Personen. So unterscheidet sich ein mehrsprachiges Sprachsystem von einem einsprachigen dahingehend, dass es besondere Sprachlernfähigkeiten sowie Sprachmanagement- und Spracherhaltkompetenzen beinhaltet. Dadurch erfolgen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Änderungen in den weiteren Sprachlernprozessen (vergleiche Herdina/ Jessner 2002: 129-130). Darüber hinaus weisen sie auf individuelle Fakto‐ ren, die die Entwicklung des mehrsprachigen Sprachsystems entweder positiv oder negativ beeinflussen können. Dabei wird in Übereinstimmung mit MacIntyre und Gardner (1994) Sprachangst als ein entscheidender Faktor anerkannt, der sowohl die 280 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="281"?> Sprachlernleistung als auch den Sprachlernprozess beeinträchtigen kann (vergleiche Herdina/ Jessner 2002: 138-140). Das angewandt-linguistisch orientierte Faktorenmo‐ dell 2.1 von Hufeisen beschreibt chronologisch die verschiedenen Stufen des multiplen Sprachenlernens vom Erstspracherwerb über L2-Erwerb und L3-Erwerb bis hin zum Ln-Erwerb. Hufeisen nennt eine Reihe von emotionalen Faktoren, die beim L1- Erwerb keine Rolle spielten und erst ab dem L2-Lernen relevant werden. Zu diesen emotionalen Faktoren gehört unter anderem auch Lernangst. Weiterhin zeigt das Modell einen deutlichen qualitativen Sprung im Lernprozess zwischen der L2 und der L3, wobei Fremdsprachenlernerfahrungen und Fremdsprachenlernstrategien besondere Bedeu‐ tung zukommt (vergleiche Hufeisen 2018b: 182-186). Wie weiter oben ausgeführt, gibt es nur wenige Studien in der Angstforschung, die einen mehrsprachigen Kontext erforschen. Dewaele (2007b) untersuchte eine Gruppe von Monolingualen bis Quadrolingualen in Bezug auf ihre Redeangst (communicative anxiety: CA) und Sprachangst (foreign language anxiety: FLA). Die Studie zeigte interessante Ergebnisse auf: 1) Redeangst tritt am seltensten in der L1 auf und 2) CA und FLA sind in den früher erworbenen Sprachen niedriger als in den Sprachen, die später gelernt werden. Der Grad der Angst variiert zwischen L1 und L2 am stärksten und schwächt sich in später gelernten Sprachen allmählich ab. Drei- und Viersprachige erleben weniger Angst beim Sprechen ihrer L2 als die Zweisprachigen. Dewaele vertritt die Auffassung, dass Personen aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit bessere Kommunikatoren und Kommunikatorinnen geworden sind, und dabei sowohl ihr Selbstbewusstsein als auch ihre wahrgenommenen Sprachkompetenzen gestiegen sind (vergleiche Dewaele 2007b: 404-406). 6.3.4 Angstfreier Sprachunterricht Bevor wir pädagogische und didaktische Überlegungen anstellen, wie wir einen Sprachunterricht möglichst angstfrei gestalten können, müssen wir uns zunächst über die Ursachen der Sprachangst bewusst werden. Nerlicki und Riemer (2012) entnehmen authentischen Lernererzählungen sieben Ursachen für Sprachverwendungsängste: 1. Angst vor möglichen Fehlern: Häufig sind Befürchtungen der Lerner, beim Spre‐ chen Fehler zu machen, rein hypothetischer Natur. Sie behaupten schon vor der tatsächlichen Sprachanwendung, dass ihre eigenen Kompetenzlücken diese negativ beeinflussen können. 2. Geringes Vertrauen in Bezug auf die eigene Kompetenz: Der Mangel an Selbstver‐ trauen bezüglich ihrer eigenen Kompetenz veranlasst Lerner daran zu zweifeln, das angestrebte Kommunikationsziel erreichen zu können. 3. Unrealistische Erwartungen: Die Lerner glauben, dass sie möglichst schnell die Kompetenzen eines Erstsprachlers oder einer Erstsprachlerin erreichen müssen, um die Sprache fehlerfrei, fließend und akzentfrei anwenden zu können. 4. Vergleich mit anderen Lernern: Wenn die Lerner das Gefühl haben, dass sie mit ihren Mitlernern nicht mithalten können, werden Angstgefühle ausgelöst. 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 281 <?page no="282"?> 5. Angst vor Fehlerkorrektur: Nicht nur die Art und Weise der Fehlerkorrektur, sondern auch das Unterbrechen während einer mündlichen Produktion erzeugen Angstgefühle bei den Lernern. 6. Angst vor Publikum: Viele Lerner fühlen sich unwohl, wenn sie vor einer Gruppe sprechen, und befürchten, sich dabei zu blamieren. 7. Angst vor Erstsprachlern und Erstsprachlerinnen: Diese kann als eine Folge von Angst vor Fehlern und vor Verständigungsproblemen aufgefasst werden (vergleiche Nerlicki/ Riemer 2012: 91-94). Nun gilt es, die Frage zu beantworten, wie man eine Lernumgebung schaffen kann, in der die Lerner möglichst wenig Sprachangst erfahren. In der Forschung existiert dazu jedoch keine eindeutige Antwort. Hier sind nicht nur die individuellen, son‐ dern auch die kulturellen Unterschiede der Lerner zu beachten. Die Lerntraditionen einer bestimmten Lernergruppe können von einer anderen stark abweichen. Es ist vorstellbar, dass manche Lernaktivitäten oder Klassenzimmerkonstellationen, die von einer Gruppe als angenehm wahrgenommen werden, auf eine andere Gruppe angst- oder stresserzeugend wirken (vergleiche Horwitz 2001: 119). MacIntyre und Gardner (1991) vertreten die Auffassung, dass die Angst während der ersten Erfahrungen in der Fremdsprache nicht als Sprachangst betrachtet werden kann. Sprachangst nimmt erst dann ihre stabile Form an, wenn negative Erfahrungen andauernd vorkom‐ men. So wird Angst im Fremdsprachenlernkontext zu einem regelmäßigen Ereignis, aus dem eine situationsspezifische stabile Sprachangst entstehen kann (vergleiche MacIntyre/ Gardner 1991: 110). Die negativen Lernerfahrungen beim Sprachenlernen können also dazu führen, dass die Lerner eine stabile Sprachangst entwickeln. Wenn es sich um einen Sprachunterricht handelt, in dem die Lerner ihre L3, L4 oder Ln lernen, sollten bei der Entwicklung eines angstfreien Unterrichtsraums deren vorherige Sprachlernerfahrungen beachtet werden. Obwohl es nicht möglich ist, eine wirksame Formel vorzuschlagen, die in jedem Sprachunterricht funktionieren kann, gibt es mehrere Faktoren, die wir als Sprachenlehrer und -lehrerinnen bei der Gestaltung eines angstfreien Sprachenunterrichts beachten können. Die Rolle der Lehrer und Lehrerinnen wurde in mehreren Forschungen als ein entscheidender Faktor für die Generierung einer angstfreien Lernumgebung hervorgehoben. Einerseits wird die Un‐ terstützung der Lehrer und Lehrerinnen als eine Voraussetzung für die Überwindung von Angst identifiziert. Andererseits wird die Lehrkraft als eine Hauptquelle des Hervorrufens von Angst wahrgenommen. Als Lehrerunterstützung können sowohl die Hilfestellungen der Lehrer und Lehrerinnen als auch die freundschaftliche Beziehung zwischen der Lehrkraft und der Lernergruppe verstanden werden. Dabei ist es wichtig, mit den Lernern offen zu sprechen, ihnen zu vertrauen und sich für ihre Ideen aufrich‐ tig zu interessieren (vergleiche Horwitz 2001: 119-120). Wie wir bereits diskutiert haben, spielen sowohl negative Selbstbewertung als auch die negative Evaluation von anderen (Lehrkraft und/ oder Mitlerner) eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Sprachangst. Aus diesem Grund ist es hilfreich, einerseits zum Beispiel bei der Korrektur auf personenbezogene negative Bewertungen zu verzichten, andererseits 282 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="283"?> mögliche Konkurrenzsituationen in der Lernergruppe zu vermindern oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Weiterhin zeigen mehrere Studien, dass die Sprachenlerner bei mündlichen Lernaktivitäten einen hohen Grad von Angst erleben (vergleiche 2001: 120). Besonders wichtig ist, Aufgaben möglichst spielerisch und an der Lernergruppe orientiert zu gestalten. In erster Linie sollten Sprachenlehrer und -lehrerinnen die Angstgefühle ihrer Lerner als legitim anerkennen. Sie könnten dann versuchen, ihren Lernern im Unterricht möglichst viele positive Erfahrungen zu ermöglichen, die der Sprachangst entgegenwirken (vergleiche Onwuegbuzie/ Bailey/ Dayley 1999: 232). Vor allem ist es notwendig, die eigene Lernergruppe und ihre Ziele, Interessen und bisherigen Sprachlernerfahrungen kennenzulernen, um den Unterricht möglichst angstfrei zu gestalten. Transferaufgabe Sie möchten Ihren eigenen Sprachunterricht möglichst angstfrei gestalten? Stellen Sie zu den folgenden Punkten Überlegungen an. Um die lernerbezogenen Informa‐ tionen zu erhalten, könnten Sie Interviews oder Diskussionen mit Ihrer Zielgruppe führen. Entwerfen Sie auf Grundlage Ihrer Erkenntnisse ein Unterrichtskonzept. Diskutieren Sie es gegebenenfalls mit Kolleginnen und Kollegen. 1. Lernergruppe: Welche Sprachlernerfahrungen haben Sie bis jetzt gesammelt? 2. Lernaktivitäten: Welche Lernaktivitäten werden im Unterricht gern gemacht? Welche nicht? 3. Lehrerpersönlichkeit Wie ist Ihre Beziehung zu den Lernern? Was könnten Sie vielleicht unterneh‐ men, um Ihre Lerner bei der Überwindung von Angst zu unterstützen? 4. Lehr-Lern-Traditionen Gibt es Lehr-Lern-Traditionen in Ihrem Land, die Ihrer Meinung nach Sprach‐ angst hervorrufen? 6.3.5 Zusammenfassung Sprachenlernen ist ein komplexer Prozess, der nicht nur kognitive, sondern auch emotionale Vorgänge berührt. In dieser Lerneinheit konzentrierten wir uns beson‐ ders auf einen emotionalen Faktor, der oft mit Defiziten der Sprachlernleistung sowie mit mangelnder Kommunikationsbereitschaft der Lerner in der Zweit- oder Fremdsprache in Verbindung gesetzt wird, nämlich Sprachangst. In der Angstforschung wird Sprachangst als eine situationsspezifische Angst, die in zweit- und fremdsprachlichen Kontexten wie Sprachproduktion, -rezeption und -lernen auftritt, dargestellt. Das komplexe Konstrukt der Sprachangst, das Angst vor Kommunikation, Angst vor negativer Bewertung, sowie Prüfungsangst bein‐ 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten 283 <?page no="284"?> haltet, wird durch zahlreiche weitere Faktoren wie Selbstüberzeugungen, bisherige Sprachlernerfahrungen, Lerntraditionen beeinflusst. Auf Grund dieser Komplexi‐ tät ist es weder möglich, eine allgemein geltende Lösung zur Angstüberwindung noch eine einheitliche Erfolgsformel für einen angstfreien Sprachunterricht zu finden. Vielmehr geht es darum, für mögliche Angst in Zweit- und Fremdsprachen‐ lernsituationen sensibilisiert zu werden und in enger Zusammenarbeit mit der jeweiligen Lernergruppe herauszufinden, welche angsterregenden Faktoren in den zweit- und fremdsprachlichen Lern- und Anwendungssituationen auftreten und wie man diese überwinden kann. 6.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie die drei Hauptkomponenten der Sprachangst nach Horwitz et al. und schildern Sie eine Beispielsituation zu jeder Komponente. 2. In welchen Situationen kann Angst eine lernfördernde Rolle spielen? 3. Welche Rolle spielt Sprachangst (aus Sicht der Mehrsprachigkeitsforschung) beim multiplen Sprachenlernen? 284 6 Mehrsprachigkeit in individuellen Kontexten <?page no="285"?> 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten In den vorherigen Kapiteln haben wir Mehrsprachigkeit in verschiedenen Kontexten erkundet und dabei wiederholt gesehen, dass der Umgang mit Mehrsprachigkeit häufig mit Herausforderungen verbunden ist. Im letzten Kapitel betonen wir nun die Chancen und Möglichkeiten und zeigen, wie man Mehrsprachigkeit in den Bildungsinstitutio‐ nen fördern kann, indem man sie konsequent in das Curriculum integriert. In Lerneinheit 7.1 lernen Sie mit der Interkomprehension einen didaktischen Ansatz kennen, der die Ähnlichkeiten zwischen verwandten Sprachen nutzt und damit das Erlernen rezeptiver Fähigkeiten in einer zweiten oder dritten Fremdsprache erleichtert. Das EuroComGerm-Konzept nutzt die bereits vorhandenen Kenntnisse in Englisch als Unterstützung für das Verstehen von anderen germanischen Sprachen. In dieser Lern‐ einheit können Sie diese Strategien anhand von Beispielen aus dem Niederländischen und Norwegischen selbst ausprobieren. In Lerneinheit 7.2 steht das Schulentwicklungsinstrument Gesamtsprachencurri‐ culum im Mittelpunkt. Dieses Konzept zielt darauf ab, mehr Lerngelegenheiten für mehr Sprachen in der Schule zu schaffen. Die Idee ist, dass zunächst die Dauer des Fremdsprachenunterrichts verkürzt und anschließend über bilingualen Sachfachun‐ terricht das Sprachenlernen in den Fächern weitergeführt wird. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die bislang üblichen Grenzen zwischen den Unterrichtsfächern durch‐ lässiger werden. Sie lernen dabei auch ein verwandtes Konzept kennen, bei dem über die Sprachgrenzen hinweg mehrere Sprachen in einem Sprachfach gelernt werden können. In Lerneinheit 7.3 geht es um das komplexe Vorhaben, migrationsbedingte Mehr‐ sprachigkeit in das schulische System zu integrieren. Nach einer begrifflichen Klärung des Felds lernen Sie ein Gesamtkonzept kennen, wie Sprachenbildung wiederum die Fächergrenzen überwindet und damit Schülerinnen und Schüler unterstützt, ihre sprachlichen Ressourcen zu gebrauchen, sie zu erweitern und für das bildungssprach‐ liche Verständnis nutzbar zu machen. <?page no="286"?> 7.1 Der EuroComGerm-Ansatz als Grundlage für schulischen Interkomprehensionsunterricht Birgit Kordt Diese Lerneinheit erläutert zunächst das Prinzip der Interkomprehension, d. h. es geht um die Nutzung von Sprachverwandtschaft zur Verständigung über Sprachengrenzen hinweg. Interkomprehension kann spontan in der mündlichen oder schriftlichen Kommunikation genutzt werden, aber es können auch syste‐ matisch Strategien erarbeitet werden. Anschließend wird der EuroCom-Ansatz als eine mögliche Form der Interkomprehensionsdidaktik beschrieben. Dieser Ansatz wird dann in seiner Ausprägung für die germanischen Sprachen genauer dargestellt (EuroComGerm). Es werden unterschiedliche Strategien vorgestellt, die es ermöglichen, auf der Basis des Deutschen (und Englischen) Texte in wei‐ teren germanischen Sprachen zu erschließen. Das so erworbene Leseverstehen (und möglicherweise Hörverstehen) kann die Basis für den späteren Erwerb produktiver Kompetenzen in diesen Sprachen bilden. So kann der Spracherwerb erleichtert und beschleunigt werden. Es folgen Überlegungen zu einer möglichen Umsetzung des EuroComGerm-Ansatzes im schulischen Kontext sowie illustrie‐ rende Beispiele mit der Möglichkeit zum eigenen Ausprobieren (siehe zu dieser Lerneinheit auch Lerneinheit 7.2). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ das Prinzip der Interkomprehension kennenlernen; ▶ einen Ansatz der Interkomprehensionsdidaktik (EuroCom) mit seinen grundlegenden Strategien nachvollziehen und reflektieren können; ▶ am Beispiel des EuroComGerm-Ansatzes Möglichkeiten kennenlernen, In‐ terkomprehension für verschiedene Altersgruppen im schulischen Kontext zu realisieren; ▶ durch eigenes Ausprobieren einen Einblick in die Chancen und Herausfor‐ derungen des interkomprehensiven Lesens auf der Grundlage der EuroCom‐ Germ-Strategien gewinnen; ▶ Ideen für eigene interkomprehensive Projekte entwickeln. Reflexionsaufgabe In dieser Lerneinheit beschäftigen Sie sich damit, wie das bereits vorhandene individuelle sprachliche Repertoire genutzt werden kann, um rezeptive Kompeten‐ zen (Lese- und Hörverstehen) in weiteren (verwandten) Sprachen zu erwerben. Welche Sprachen gehören zu Ihrem persönlichen sprachlichen Repertoire? Haben 286 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="287"?> Sie beim Aufbau Ihrer sprachlichen Kompetenzen die Erfahrung gemacht, dass Sie von bereits vorhandenem sprachlichen Wissen profitiert haben? Machen Sie sich Notizen zu Ihren Erfahrungen. 7.1.1 Interkomprehension Experiment 1 (für Nicht-Niederländischkundige mit sehr guten Deutsch‐ kenntnissen) Sehen Sie sich das folgende Video an, das es Ihnen erlaubt, eine Geschichte auf Niederländisch sowohl zu hören als auch zu lesen: https: / / www.youtube.com/ wat ch? v=MTdpIvFZvVA. Sicherlich haben Sie keine Probleme, die gesamte Geschichte zu verstehen, und vermutlich konnten Sie auch spontan viele einzelne Wörter erschließen. Sehen Sie sich das Video noch einmal an und achten Sie nun auch auf Einzelheiten. Notieren Sie, welche Aspekte Ihres Vorwissens Ihnen das Verständnis ermöglichen. Gerade haben Sie sich im interkomprehensiven Hören und Lesen geübt und über seine Gelingensbedingungen nachgedacht. Mit dem Begriff Interkomprehension wird ein vor allem durch Sprachverwandtschaft mögliches Verstehen über Sprachengrenzen hinweg beschrieben. Dies kann sowohl in mündlicher Kommunikation geschehen, wenn die Beteiligten zwar unterschiedliche Sprachen sprechen, aber einander verste‐ hen, oder auch beim Lesen (und Hören) von Texten in einer weder bewusst erlernten noch im Alltag erworbenen Sprache. In dieser Lerneinheit wird es um letztere Form der Interkomprehension gehen. Beim Lernen einer neuen Sprache machen Menschen häufig die Erfahrung, dass ihnen Wörter oder grammatische Phänomene aus einer vorgelernten verwandten Sprache bekannt vorkommen. Eine Person mit sehr guten Spanischkenntnissen wird beispielsweise wenige Probleme beim Lesen eines portugiesischen Textes haben. Solche spontanen interkomprehensiven Erschließungsprozesse lassen sich durch die geschickte Nutzung von Erschließungs- und Kontrollstrategien mit dem Ergebnis optimieren, dass eine grundlegende Lesekompetenz in kurzer Zeit erarbeitet werden kann und Sprachenbewusstheit und Sprachlernbewusstheit profitieren. Meißner (2004) geht zwar davon aus, dass es bei der Begegnung mit zumindest teilweise transpa‐ renten sprachlichen Produkten bereits zu automatischen „[s]pontangrammatische[n] Operationen“ im Kurzzeitgedächtnis kommt (Identifikation von bereits Bekanntem, Erkennen von Regularitäten) (43), die bei Interesse an diesen Beobachtungen zu im „Mehrsprachenspeicher“ gespeicherten Wissensbeständen werden (43-44). Nachhalti‐ ges mehrsprachiges Lernen bewirkt aber - so Meißner (2004) - erst der „didaktische Monitor“: 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 287 <?page no="288"?> Der didaktische Monitor erhöht durch Sensibilisierung die Menge der durch Perzeption der mentalen Verarbeitung zugeführten Sprachen- und Lerndaten. Ohne das hier in Gang gesetzte Monitoring bleibt der Mehrsprachenerwerb eher inzidentell. Des Weiteren vergrößert die durch das Monitoring initiierte Erhöhung der mentalen Verarbeitungsbreite und -tiefe die Speicherung der lernrelevanten Informationen. (Meißner 2004: 44) Zum interkomprehensiven Erschließen gehört die Nutzung des gesamten Weltwissens. Insbesondere das Textsortenwissen ist für den interkomprehensiven Leseprozess äußerst hilfreich. Die so erworbene Lesekompetenz kann als Selbstzweck betrachtet werden oder aber als Grundstein für den (selbstständigen) Aufbau weiterer Kompetenzen. Inter‐ komprehensives Lernen fördert die Lernerautonomie (vergleiche Bär 2012: 17). Bis auf historisch oder geografisch bedingte Ausnahmen wurden im Jahr 2020 in Europa nur selten andere Fremdsprachen als Englisch, Französisch, Deutsch oder Spanisch gelernt (vergleiche European Commission 2023: 23). Durch die Nutzung der lernerleichternden und -beschleunigenden Wirkung interkomprehensiver Verfahren können Menschen Kompetenzen in einer größeren Zahl verschiedener Sprachen erwerben. Wichtige Aspekte der Interkomprehensionsdidaktik sind ▶ möglichst weitgehende Authentizität der Materialien und Aufgaben, ▶ Unterstützungsangebote für die Schülerinnen und Schüler, ▶ Förderung von Sprachenbewusstheit, ▶ Sensibilität bezüglich individueller und kultureller Lernvoraussetzungen, ▶ Förderung der Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler und ▶ die Erarbeitung von Strategien (vergleiche Mewald 2018: 3). Eine große Stärke interkomprehensiven Lernens ist seine positive Wirkung nicht nur auf den Erwerb von Kompetenzen in einer weiteren Sprache, sondern auch auf die Fes‐ tigung der Kompetenzen in den bei der Erschließung aktivierten vorgelernten Sprachen (vergleiche Meißner 2004: 47). Interkomprehensive Ansätze sehen den wechselseitigen Einfluss der Sprachen aufeinander („cross-linguistic influence“, vergleiche Kellerman 1987: 1) als eine große Erleichterung für den Ausbau des individuellen sprachlichen Repertoires. Dies tat auch schon der deutsche Gelehrte Ludwig Schlözer, der im 18. Jahrhundert innerhalb kurzer Zeit autodidaktisch Russisch so weit erlernte, dass er authentische Texte verstehen konnte. Aufbauend auf seine Kenntnis von 15 Sprachen folgte er einer von ihm selbst mit 15 Jahren entwickelten und mit Hilfe verschiedener Lehrer verfeinerten Methode, die das Auswendiglernen durch intelligentes Analysieren und Erschließen ersetzte (vergleiche Schlözer 1802: 43). Schlözer hält es für entscheidend, sich auf den Wortstamm (von ihm in Anlehnung an die Terminologie beim Hebräi‐ schen „Wurzel“ genannt) zu konzentrieren (43-44), um so abgeleitete Wörter leicht erschließen zu können (44). Er berichtet, er habe beim Erlernen des Russischen 90 % der Wörter aus anderen Sprachen (Deutsch, Latein, Griechisch) nach klaren Regeln ableiten können (44). Schlözer hält Regelhaftigkeiten bei der Wortbildung für besonders 288 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="289"?> wichtig. Er erklärt, es sei wichtig, Wörter in ihre Einzelteile zu zerlegen, um so ihre Bedeutung direkt erschließen zu können oder sie sich zumindest nach der Verwendung des Wörterbuchs besser merken zu können (46). Ihm ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass grammatische Endungen in Tabellen zusammengestellt werden können und für das Leseverstehen nicht in ihren Feinheiten auswendig gelernt werden müssen (47). Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Erklären Sie, inwiefern man bei Schlözers Sprachlernmethode von einem interkom‐ prehensiven Verfahren sprechen kann. Fassen Sie die oben zusammengestellten Informationen zu seiner Methode in eigenen Worten stichpunktartig zusammen. 7.1.2 Der EuroComGerm-Ansatz Der EuroCom-Ansatz systematisiert die zentralen Strategien, die durch die Nutzung des bereits vorhandenen sprachlichen Repertoires das interkomprehensive Lesen innerhalb einer Sprachfamilie ermöglichen. Gearbeitet wird mit der Metapher der „7 Siebe“, denn „[i]n sieben Aussiebevorgängen schöpft der Lerner - wie der Goldsucher, der aus dem Wasser das Gold heraussiebt - aus der neuen Sprache alles das heraus, was ihm bereits gehört, weil er es aus seiner Sprache schon zu eigen hat“ (Klein/ Stegmann 2000: 14), sodass nur eine geringe Anzahl nicht transparenter Wörter übrig bleibt. Den EuroComGerm-Ansatz gibt es in der Ausprägung für die romanischen Sprachen (EuroComRom, vergleiche Klein/ Stegmann 2000), für die germanischen Sprachen (EuroComGerm, vergleiche Hufeisen/ Marx 2014) und für die slawischen Sprachen (Slavische Interkomprehension, vergleiche Tafel 2009). Die folgenden „sieben Siebe“ sind für die Erschließung von Texten in anderen germanischen Sprachen (z. B. Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Isländisch) ausgehend vom Deutschen (und Englischen) hilfreich: Kognaten (internationale Wörter und gemein‐ samer germanischer Wortschatz), Lautentsprechungen, Graphien und Aussprachen, Wortbildung, Funktionswörter, Morphosyntax und Syntax (vergleiche Hufeisen/ Marx 2014: 11-16). Sie werden im Folgenden näher erläutert: 1. Kognaten, d. h. Wörter, die auf dasselbe Wort zurückgehen und sich deshalb typischerweise in Form und Bedeutung ähnlich sind, können bei der Erschließung eine große Hilfe sein. Dabei kann es sich entweder um Internationalismen oder um Wörter des gemeinsamen germanischen Wortschatzes handeln. Bei dem Versuch, verwandte Wörter zu erkennen, ist es sinnvoll, vor allem auf die im Wort vorkommenden Konsonanten zu achten. 2. Da sich im Laufe der Jahrhunderte Wörter in ihrer Lautgestalt verändert haben und somit nicht mehr notwendigerweise unmittelbar als verwandt zu erkennen sind, ist es hilfreich, einige häufig auftretende Lautentsprechungen, die sich durch unterschiedliche Lautwandelphänomene ergeben haben, zu kennen. So findet sich z. B. im gemeinsamen germanischen Wortschatz bei Wörtern mit [b] 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 289 <?page no="290"?> im Hochdeutschen der Laut [v] oder ein ähnlicher Laut in anderen germanischen Sprachen: Deutsch Englisch Niederländisch Dänisch Norwegisch Isländisch Rabe raven raaf ravn ravn hrafn (Das Schwedische nutzt kein kognates Wort zur Bezeichnung dieses Vogels.) 3. Manchmal lässt sich die Verwandtschaft von Wörtern besser durch ihr Ausspre‐ chen als anhand ihrer Schreibweise erkennen. Insofern ist das Hören von Texten immer eine große Hilfe ebenso wie die Kenntnis davon, welche Buchstaben bzw. Buchstabenkombinationen für welche Laute stehen. 4. Eine weitere hilfreiche Strategie besteht darin, Wörter in ihre Einzelmorpheme zu zerlegen. Oft genügt diese Segmentierung, um sie zumindest teilweise zu erschließen, insbesondere deshalb, weil Prä- und Suffixe vielfach aufgrund der Sprachverwandtschaft bzw. aufgrund von Entlehnungen aus dem Lateinischen und Griechischen gut zu erkennen sind. 5. Es gibt eine recht überschaubare Zahl kleiner, schwer zu erschließender, aber für das Verständnis wichtiger Wörter, die sich für jede Sprache in einer Liste zusammenstellen lassen, die dann bei der Erschließung konsultiert werden kann (vergleiche Hufeisen/ Marx 2014). 6. Aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs sind sich die germanischen Sprachen in ihrer Morphosyntax (z. B. Kasusendungen, Konjugationsformen) an vielen Stellen sehr ähnlich, und diese Nähe lässt sich bei der Erschließung von Texten nutzen. (Vom Deutschen und Englischen aus betrachtet gibt es allerdings eine gramma‐ tische Besonderheit in den nordskandinavischen Sprachen: den enklitischen Artikel, d.-h. der bestimmte Artikel wird an das Substantiv angehängt.) 7. Auch der Satzbau ist in der germanischen Sprachfamilie für Deutschsprachige gut als Erschließungshilfe nutzbar. Es ist wichtig, die Erschließungsergebnisse immer auf ihre innere Logik zu überprüfen (vergleiche Lutjeharms 2019: 327). Eine übertriebene Angst vor Falschen Freunden, d. h. fälschlicherweise angenommenen Form- und Bedeutungsäquivalenzen, sollte wegen ihrer hemmenden Wirkung auf die Konstruktion von Sinn in verwandten Fremdspra‐ chen vermieden werden (vergleiche Dabène 1995: 104); auch wird ihre Anzahl häufig überschätzt. Falsche Freunde können sogar insofern eine positive Rolle spielen, als ihre Diskussion Einblicke in kulturhistorisch interessante Entwicklungen geben kann (vergleiche Klein 2004: 23). Sprachliches und außersprachliches Vorwissen müssen einander bei der Erschließung und der Überprüfung der Erschließungsergebnisse ergänzen. 290 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="291"?> 7.1.3 Die Umsetzung des EuroComGerm-Ansatzes in der Schule Die Darstellung des EuroComGerm-Ansatzes im Grundlagenwerk (Hufeisen/ Marx 2014) ist aufgrund ihrer Detailliertheit und Fachterminologie für einen direkten Einsatz in der Schule weder gedacht noch geeignet (vergleiche Marx/ Möller 2019: 343). Eine Konsultation ist dennoch empfehlenswert. Durch eine didaktische Reduktion und eine terminologische Transformation lassen sich die dargestellten Strategien in Form einer Detektivausrüstung in der Schule erarbeiten bzw. vermitteln (vergleiche Kordt 2015). Soll die „Detektivausrüstung“ auf alle germanischen Sprachen anwendbar sein, ist es beispielsweise notwendig, auf die Berücksichtigung sprachspezifischer Besonderheiten bei der Erarbeitung der Lautentsprechungen (zunächst) zu verzichten. 1. DNA-ANALYSE → Nutzung der Ähnlichkeit von Wörtern aufgrund von Sprach‐ verwandtschaft FINGERABDRUCK → Erkennen internationaler Wörter 2. COMPUTERDATENBANK MIT INFORMATIONEN ÜBER BANDEN („Bande“ verstanden als eine Liste über Laute, die einander nahestehen) → Nutzung von Lautentsprechungen beim Entschlüsseln (insbesondere: p/ pp - f/ ff/ pf; v - b; d - t; k - ch; t - z/ s/ ss/ ß/ tz) 3. ABHÖRMIKROFON → Aussprache als Hilfe beim Entschlüsseln eines Wortes 4. TASCHENMESSER → Zerlegen zusammengesetzter Wörter, deren Bestandteile man entschlüsseln kann 5. LUPE → besondere Aufmerksamkeit für kleine Wörter, die meistens schwierig abzuleiten sind 6. MIKROSKOP → Erkennen von Wortbestandteilen, die grammatische Informatio‐ nen geben (z.-B. Plural) 7. GPS-ORTUNG → Bestimmen der Satzglieder als Verständnishilfe Der Vergleich von entdeckendem Lernen mit detektivischer Arbeit ist auch in anderen Kontexten schon benutzt worden und bietet sich an, um die Bedeutung von Genauig‐ keit, Logik, aber auch Sprachgefühl deutlich zu machen. Die Detektivausrüstung dient als Merkhilfe bezüglich der verschiedenen EuroComGerm-Strategien bei gleichzeitiger Reduzierung der notwendigen Fachterminologie. Andererseits suggeriert sie, dass für eine sorgfältige Arbeit immer der flexible Einsatz unterschiedlicher Hilfsmittel von Bedeutung ist, die einander ergänzen. Das Ergebnis des Erschließungsprozesses ist umso zuverlässiger, je mehr Indizien es stützen, denn es besteht auch die Gefahr falscher Fährten z. B. bei formaler Ähnlichkeit und gleichzeitiger semantischer Dif‐ ferenz von Lexemen. Das Bild des Werkzeugs legt den wiederholten Gebrauch in unterschiedlichen Situationen nahe, d. h. in der Metaphorik ist der Gedanke des Transfers angelegt - im Fall der EuroComGerm-Strategien auf die Erschließungsarbeit innerhalb weiterer Sprachfamilien oder eventuell in Teilen auch über die Grenzen von Sprachfamilien hinaus - sowohl beim schulischen Sprachenerwerb als auch bei Begegnungen mit Sprachen im Alltag. Die Metapher ist ausbaufähig, um weitere Aspekte der Erschließungsarbeit zu veranschaulichen. So ist es sinnvoll, den Lernern zu 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 291 <?page no="292"?> vermitteln, dass in einem ersten Schritt ein globales Verstehen eines Textes angestrebt werden sollte, bevor in einem zweiten die Beschäftigung mit den für das Leseziel notwendigen Details folgt. Dies lässt sich damit vergleichen, dass bei der detektivischen Arbeit zunächst die Fußabdrücke gesucht werden, bevor man sich mit ihrem genauen Profil beschäftigt. Gearbeitet wird von Anfang an mit Texten, die nicht zum Zweck des Sprachenler‐ nens geschrieben wurden. Selbst bei extrem kurzen, diskontinuierlichen Texten lassen sich Erschließungsstrategien auch mit 11-12-jährigen Schülerinnen und Schülern einüben. Dazu hören die Schülerinnen und Schüler die Texte auch und lesen sie nicht nur. Wenn es nicht möglich ist, eine Person zu finden, die den Text vorliest, kann zur Not auch auf ein Text-zu-Sprache-Programm zurückgegriffen werden. Vergleichbare Texte zu dem nun folgenden lassen sich leicht im Internet finden. Der Text wird begleitet von folgendem Aufgabenvorschlag: Notiere, warum es dir gelingt, den schwedischen Text zu verstehen. Achte dabei zuerst nicht auf die Unterstreichung einzelner Buchstaben bei den schwedischen Wörtern. Skriv ditt namn här: ____________________________________ Du ska färglägga bilden: äpple röd blad - grön stjälk - brun mask - rosa bok - svart och vit bakgrund - blå Abbildung 7.1: https: / / www.publicdomainpictures.net/ es/ view-image.php? image=162489&picture=el -gusano-inquisitivo 5. Juli 2023 Mögliche Antworten sind: Ähnlichkeit schwedischer Wörter mit deutschen Wörtern, Ähnlichkeit schwedischer Wörter mit englischen Wörtern, Bild, Zusammenhang (alles Farben), Gestaltung des Blattes (Strich hinter der Aufforderung oben auf der Blattseite als Hinweis auf Eintragung des Namens), Ausschlussverfahren (mask bleibt übrig), Logik (och vermutlich ‚und‘). 292 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="293"?> Nachdem so induktiv einige zentrale Erschließungsstrategien erarbeitet worden sind, kann in einem weiteren Schritt die Detektivausrüstung eingeführt werden, z. B. mit den folgenden Hinweisen zu obiger Malaufgabe: Ihr habt eine Menge von „Werkzeugen“ beschrieben, mit denen man Texte in einer unbekannten Sprache verstehen kann. Wir sehen jetzt mal genau nach, was alles zur Ausrüstung des Sprachdetektivs oder der Sprachdetektivin gehört: 1. Manche Wörter hast du bestimmt auf den ersten Blick erkannt. Das liegt daran, dass viele Wörter im Schwedischen, Deutschen und Englischen einen gemeinsamen Ursprung haben. Diese Sprachen haben sich alle aus derselben Sprache entwickelt. Außerdem haben alle diese Sprachen Wörter aus anderen Sprachen übernommen. Eine DNA-Analyse oder die Suche nach Fingerabdrücken helfen dir also bei deiner sprachdetektivischen Arbeit. 2. Andere verwandte Wörter sind nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen, aber zum Glück finden sich ein paar typische Entsprechungen. Es lohnt sich, diese aufzuschreiben. Dann kannst du verwandte Wörter besser erkennen. Es handelt sich dabei aber nicht um Regeln, die man bei allen Wörtern anwenden kann! Unsere Tabelle muss auch noch ergänzt werden. Sieh dir die unterstrichenen Buchstaben in der Malaufgabe an und vervollständige die Tabelle: Schwedisch Hochdeutsch pp - d - t zwei Möglichkeiten: k - v - s, sk - 3. Wir sollten auch immer Abhörmikrofone dabeihaben. Die Aussprache hilft oft, wenn die Schreibweise fremd erscheint. Manchmal ist aber auch die Schreibweise hilfreicher. Erinnerst du dich noch an die Aussprache des Buchstaben å? Dieser Buchstabe steht übrigens am Ende des schwedischen Alphabets. 4. Manchmal brauchst du für die sprachdetektivische Arbeit ein Taschenmesser, um ein Wort zu zerlegen. Dann kann man oft die einzelnen Bestandteile besser verstehen. Du hast wahrscheinlich wegen des Zusammenhangs färglägga als ‚ausmalen‘ gedeutet. Du kannst es aber auch zerlegen. Dann erkennst du in färg und lägga vielleicht die Bestandteile ‚Farbe‘ und ‚legen‘. 5. Die Lupe gehört natürlich auch zu deiner Ausrüstung. Gerade kleine, häufige und wichtige Wörter sind oft schwer zu erschließen. Du kannst eine kleine Liste 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 293 <?page no="294"?> anlegen. Das Wort och ist ein solches Wort. Vermutlich hast du dir gedacht, dass es ‚und‘ heißt. (Es ist übrigens mit dem deutschen Wort ‚auch‘ verwandt.) 6. Manchmal brauchst du sogar ein Mikroskop, weil einzelne Buchstaben sehr wichtig sind. Sie zeigen z. B., in welcher Zeit ein Verb steht oder ob ein Substantiv im Singular oder Plural steht. Beim Schwedischen gibt es in der Grammatik eigentlich nur einen Bereich, der sich deutlich vom Deutschen unterscheidet. Findest du den Artikel in dem Satz „Du ska färglägga bilden“ (Du sollst das Bild ausmalen.)? 7. GPS zur Ortsbestimmung ist auch hilfreich. Das hast du bestimmt ganz auto‐ matisch benutzt. Du hast bei dem Satz „Du ska färglägga bilden“ vermutlich angenommen, dass an erster Stelle das Subjekt, dann das Prädikat und dann das Objekt steht, und das ist auch richtig. Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Es ergeben sich für die Erschließung der Sprachen Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Isländisch in Vergleich mit dem Hochdeutschen vor allem die unten stehenden Lautentsprechungen. Diese Lautentsprechungen bestehen auch zwischen dem Englischen und Deutschen. Finden Sie innerhalb von sieben Minuten möglichst viele Paare Englisch/ Deutsch. Drei Beispiele sind bereits eingetragen. Das deutsche Wort Kopf geht tatsächlich auf das gleiche Wort zurück wie das englische Wort cup, und seine heutige Bedeutung entwickelte sich etwa zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert „und zwar über ‚Gefäß, Schalenförmiges‘ zu ‚Hirnschale‘ und ‚Haupt‘“ (Pfeifer 2003: 717). Wahrscheinlich finden Sie viele Wörter, bei denen sich die Bedeutungen auseinanderentwickelt haben. p/ pp - f/ ff/ pf z.B. cup - Kopf v - b z.B. sieve - Sieb d - t - k - ch z.B. cake---Kuchen t-z/ s/ ss/ ß/ tz - Das Lesen nicht-didaktisierter Texte erfordert angemessenes Scaffolding, das über eine entsprechend formulierte Aufgabenstellung gegeben werden kann. Damit die Schülerinnen und Schüler optimal ihren Strategienfundus nutzen und ausbauen, kann es sinnvoll sein, ihnen (Teil-)Ergebnisse zur Verfügung zu stellen, sodass sie sich auf die für den Lösungsweg notwendigen Strategien konzentrieren können (vergleiche Hattie 2012: 110). Eine Möglichkeit ist die Präsentation eines Textes mit einer Übersetzung, in der Fehler zu finden sind: Hier ist ein norwegischer Text mit deutscher Übersetzung, in der allerdings sieben Fehler zu finden sind. Benutze deinen sprachdetektivischen Spürsinn, um sie zu finden. Notiere möglichst viele Indizien, mit denen du belegen kannst, dass es sich tatsächlich um Fehler handelt. An vielen Stellen kann dir das Englische helfen. 294 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="295"?> 1 Nansen ble født på Store Frøen gård i Vestre Aker rett utenfor Christiania (Oslo). […] Nansen hadde 2 seks halvsøsken og en bror. Han gikk på skole i Kristiania [alternative Schreibweise des Namens der 3 Stadt] og interesserte seg allerede her for naturfagene. Etter skolegangen ønsket han å bli offiser i 4 marinen, men etter råd fra faren begynte han i stedet å studere zoologi ved Det Kongelige Frederiks 5 Universitet i Kristiania i perioden 1880-1882. I 1882 fikk han en stilling som 2. konservator ved 6 Bergens Museum, der han skrev avhandlingen om slimålens nervesystem, som resulterte i en 7 doktorgrad i 1888. Mens han arbeidet i Bergen, fikk han sjansen til å bli med selfangstskuta D/ S 8 Viking fra Arendal til Nordishavet og Grønland, hvor han fikk sin første arktiske og ideen til 9 skiferden over Grønlands innlandsis. […] 10 Nansen døde 68 år gammel 13. mai 1930 og ble bisatt 17. mai. Gravferden fra Universitetets aula ble 11 en nasjonal begivenhet med to minutters stillhet og flagg på halv stang over hele landet. (https: / / no.wikipedia.org/ wiki/ Fridtjof_Nansen; 2023-09-21; s. dort auch Angaben zu den im Artikel verwendeten Quellen) Nansen wurde auf dem Bauernhof Store Frøen in Vestre Aker etwas außerhalb von Christiania (Oslo) geboren. […] Nansen hatte sechs Halbgeschwister und eine Schwester. Er ging in Kristiania zur Schule und interessierte sich hier bereits für die Künste. Nach der Schulzeit wollte er Offizier in der Marine werden, aber auf Anraten seines Vaters begann er zusätzlich, Zoologie an der Königlichen Frederiks- Universität in Kristiania in der Zeit von 1880 bis 1882 zu studieren. 1882 bekam er eine Stelle als zweiter Konservator am Museum von Bergen, wo er die Abhandlung über das Nervensystem des Schleimaals verfasste, die 1888 zu einem Doktortitel führte. Während seiner Arbeit in Bergen bekam er den Auftrag, auf dem Robbenfang-Kutter D/ S Viking von Arendal zum Arktischen Ozean und nach Grönland dabei zu sein, wo er seine erste arktische Erfahrung bekam und die Idee für die Hundeschlittenfahrt über Grönlands Inlandeis. […] Nansen starb am 13. Mai 1930 im Alter von 68 Jahren und wurde am 17. Mai beigesetzt. Der Trauerzug aus der Aula der Universität wurde zu einem nationalen Ereignis mit drei Schweigeminuten und Fahnen auf Halbmast im halben Land. Experiment 2 Versuchen Sie selbst, die Aufgabe zu lösen. Sie haben sicher die (meisten) Fehler gefunden und sich dabei intensiv mit dem Text beschäftigt. Wenn Sie selbst ähnliche Aufgaben für Ihren Unterricht entwerfen, wählen Sie für einzubauende Fehler solche Wörter, an denen sich allgemeine Erkenntnisse für die Interkomprehension gewinnen lassen. Am obigen Beispiel lässt sich dieser Ratschlag verdeutlichen: Z. 2: Es ist naheliegend anzunehmen, dass durch den gemeinsamen germanischen Wortschatz engste Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb dieser Sprachfamilie beste‐ hen. Das Wort bror ist sowohl dem deutschen Wort ‚Bruder‘ als auch dem englischen 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 295 <?page no="296"?> Wort ‚brother‘ in seinen Konsonanten ähnlich. Ebenfalls ist es möglich, neben den Parallelen auf die innerhalb der germanischen Sprachfamilie existierenden Differenzen einzugehen. Das betrifft beispielsweise manche Verwandtschaftsbezeichnungen, denn einige Sprachen unterscheiden, ob es sich um Großmutter und Großvater mütterlicher‐ seits oder väterlicherseits handelt. Z. 3: Das Wort naturfagene erfordert eine Segmentierung: naturˡfagˡene. Das erste Morphem ist als internationales Wort mit lateinischer Wurzel unmittelbar verständlich. Bei dem zweiten Morphem hilft die Lautentsprechung k/ ch bzw. in diesem Fall g/ ch, wodurch sich das Wort ‚Fach‘ ergibt. Aus dem Kontext lässt sich erschließen, dass die Endung richtig übersetzt ist mit dem bestimmten Artikel im Plural - eine Möglichkeit, den enklitischen Artikel (erneut) zu thematisieren. Die sich zunächst ergebende Übersetzung ‚Naturfächer‘ lässt sich dann mit ‚naturwissenschaftliche Fächer‘ an den üblichen deutschen Sprachgebrauch anpassen. Z. 4: Bei i stedet lässt sich verdeutlichen, dass mitunter das Englische als Brücken‐ sprache eine Erschließung ermöglicht - in diesem Fall über das Wort ‚instead‘. Z. 7: Das Wort sjansen eignet sich besonders dafür, auf die Bedeutung der Aussprache für die Erschließung hinzuweisen. In diesem Fall wird durch sie die Nähe zum deutschen Wort ‚Chance‘ unmittelbar deutlich. Das Wort zeigt beispielhaft, dass Lehnwörter (‚Chance‘ hat aus dem Französischen Eingang in die deutsche und die norwegische Sprache gefunden) mitunter in den verschiedenen Sprachen, in denen sie aufgenommen wurden, sehr unterschiedlich geschrieben werden. Z. 9: Nach der Segmentierung des Wortes skiˡferdˡen sollten sich die drei Elemente leicht deuten lassen. Das Wort ski ist inzwischen in zahlreichen Sprachen ein Lehnwort aus dem Norwegischen, aus ferd wird durch die Anwendung der Lautentsprechungen ‚Fahrt‘, und am Ende findet sich wieder der enklitische Artikel. Das Wort ‚Ski‘ ist mit dem deutschen Wort Scheit (‚abgespaltenes Stück Holz‘) verwandt (Pfeifer 2003: 1299, 1190). Z. 11: Über das Englische sollte die Korrektur des Zahlwortes in ‚zwei‘ unmittelbar gelingen, aber durch Anwendung der Lautentsprechungen wird auch die Verwandt‐ schaft von to mit dem deutschen Wort ‚zwei‘ deutlicher. Z. 11: Vom Inhalt her sollte die Beflaggung auf Halbmast nur „im halben Land“ (korrekt: im ganzen Land) als wenig plausible Übersetzung erscheinen. Auch sprachlich fällt auf, dass das Konsonantenskelett der beiden Wörter (hel und ‚halb‘) in nicht erklärbarer Weise voneinander abweicht. Identisch mit dem Konsonantenskelett des norwegischen Wortes ist hingegen das des deutschen Wortes ‚heil‘ sowie - von der Aussprache ausgehend - das des englischen Wortes ‚whole‘, das noch besser als das deutsche Wort zur richtigen Übersetzung ‚ganz‘ führt. Außerdem erscheint in derselben Zeile das norwegische Wort ‚halb‘. An diesem Punkt lässt sich darauf hinweisen, dass bei genauem Lesen sich nach kürzester Zeit mit der zu erschließenden Sprache selbst argumentieren lässt. Dieser Text eignet sich insofern als Impuls, als er nicht nur Möglichkeiten für wei‐ terführende sprachliche Beobachtungen bietet, sondern er auch inhaltlich interessant 296 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="297"?> ist. Er enthält eine große Lücke in der Biografie Nansens, die durch arbeitsteilige Gruppenarbeit im Anschluss an die Arbeit mit diesem Text geschlossen werden kann. Auf der Website https: / / snl.no/ Fridtjof_Nansen lassen sich beispielsweise Texte finden, die verschiedene Aspekte von Nansens Leben als Wissenschaftler, Polarforscher, Diplomat und Flüchtlingskommissar beleuchten. Transferaufgabe Lesen Sie das Buch „Anna leert een nieuwe taal“, betrachten Sie die Bilder und hören Sie die zugehörige Audio-Datei. Sie finden beides unter der folgenden Adresse: https: / / learning-corner.learning.europa.eu/ learning-materials/ anna-lear ns-new-language_nl. Entwerfen Sie ein Arbeitsblatt unter Einarbeitung des EuroComGerm-Ansatzes - wenn es Ihnen angemessen erscheint unter Rückgriff auf die Metapher der Detektivausrüstung - für 11-12-jährige Schülerinnen und Schüler. Wählen Sie einen angemessen langen Textausschnitt mit vielen Kognaten. Die Bilder bieten sich zum Scaffolding an (für Anregungen vergleiche auch Kordt 2020). 7.1.4 Zusammenfassung ▶ Interkomprehension bezeichnet die mündliche oder schriftliche Kommunika‐ tion zwischen zwei oder mehr Personen, die zwar keine gemeinsame Sprache nutzen, sich aber aufgrund der Sprachverwandtschaft ihrer jeweiligen Spra‐ chen miteinander verständigen können. ▶ EuroCom bietet eine Reihe von Strategien, die das interkomprehensive Lesen innerhalb einer Sprachfamilie ermöglichen. ▶ EuroComGerm ist die Spezifizierung dieses Ansatzes für die germanischen Sprachen. Genutzt werden Kognaten (Internationalismen und Germanismen), Lautentsprechungen, Graphien und Aussprachen, Wortbildung, Funktions‐ wörter, Morphosyntax und Syntax. ▶ Durch didaktische Reduktion und metaphorische Veranschaulichung kann auch im schulischen Kontext nach dem EuroComGerm-Ansatz gearbeitet und gelernt werden. 7.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Erklären Sie, was man unter Interkomprehension versteht. 2. Nennen Sie die in den „sieben Sieben“ des EuroComGerm-Konzepts genannten Erschließungsstrategien. 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 297 <?page no="298"?> 3. Erörtern Sie die Chancen und Herausforderungen bei der Umsetzung des Euro‐ ComGerm-Konzepts in der Schule. 298 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="299"?> 7.2 Schulische und auch universitäre Gesamtsprachencurricula: Konzepte, Projekte, Forschungsfragen Britta Hufeisen und Joachim Schlabach Diese Lerneinheit stellt das Konzept eines Gesamtsprachencurriculums vor, das als Entwicklungsinstrument darauf zielt, sowohl die Sprachencurricula miteinander als auch diese mit den Curricula der Sachfächer zu vernetzen. Idealerweise ist es nicht nur fächer-, sondern auch jahrgangs- und altersübergrei‐ fend (vergleiche ZFF-Themenheft Hufeisen/ Schlabach 2018) und wird entweder systematisch in den Unterricht aller Fächer integriert oder in Form von Projekten (vergleiche Kordt 2015) oder sogar eigenen Fächern (vergleiche Allgäuer-Hackl 2020; Schlabach 2017) umgesetzt. Das Konzept ist zudem nicht nur als Grundlage für die schulische Tertiärsprachendidaktik, sondern auch für die Verbindung zwischen Schule und Universität geeignet. Erläutert wird das Prinzip der (wirk‐ lich) plurilingualen schulischen Fächer und universitären Lehrveranstaltungen, die forschungsbasiert den Ansatz der doppelten Mehrsprachendidaktik darstel‐ len. Diskutiert wird abschließend exemplarisch das Konzept eines Forschungs‐ projekts, das die Implementierung eines Gesamtsprachencurriculums an einer Schule in Liechtenstein begleitet. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ strukturelle und systematische Merkmale eines prototypischen Gesamtspra‐ chencurriculums kennen und beschreiben können; ▶ Argumente für die Einführung eines Gesamtsprachencurriculums in die fremdsprachendidaktische Diskussion einbringen können; ▶ ein Gesamtsprachencurriculum als Schulentwicklungsinstrument nutzen können, um die eigene Bildungsinstitution plurilingual weiterzuentwickeln; ▶ gesamtsprachencurriculare Elemente in Ihren eigenen Unterricht implemen‐ tieren können. Reflexionsaufgabe Überlegen Sie, welche fächerübergreifenden Ansätze Sie aus Ihrer eigenen Schul- und Universitätszeit bzw. aus Ihrer beruflichen Arbeit kennen. Beschreiben Sie sie stichwortartig in Bezug auf ihre jeweilige Schwerpunktsetzung (z.-B. in Bezug auf Fach/ Fächer, Sprache/ n, Jahrgänge, Regelunterricht oder Projekte) und ihre Nachhaltigkeit (Kompetenzen in den Sachfächern und/ oder den Sprachen). 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 299 <?page no="300"?> 7.2.1 Was ist ein Gesamtsprachencurriculum? Sowohl schulische als auch universitäre gesamtsprachencurriculare Überlegungen basieren auf der Notwendigkeit und dem Wunsch, den monolingualen Habitus aufzubrechen, faire mehr- und vielsprachige Lerngemeinschaften zu ermöglichen (vergleiche Gogolin 2005), English only zu vermeiden, ohne Englisch aufzugeben, und Lernern Strategien an die Hand zu geben, effektiver und effizienter mehr Sprache und mehr Sprachen zu lernen, um nicht nur das europäische L1 + 2-Ziel oder Barcelona- Ziel (vergleiche Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005) zu erreichen, sondern um durchaus auch in mehr Sprachen (sprach)handlungskompetent zu werden, mit diesen Sprachen jonglieren zu können, zwischen ihnen wechseln zu können, sie situations- und kontextadäquat verwenden zu können und sich all dessen fortwährend bewusst zu sein, um die Prozesse steuern zu können und auch für die so genannten Sachfächer nutzbar zu machen. Das Ziel dabei ist, die Grenzen zwischen den einzelnen Fächern, Alters- und Jahrgangsstufen aufzubrechen, um ein vernetztes Arbeiten zu ermöglichen, vorzustellen, auszubilden und zu entwickeln. Ein prototypisches Gesamtsprachencurriculum könnte so aussehen; man liest es von links nach rechts und von unten nach oben: Abbildung 7.2: Plurilinguales Gesamtsprachencurriculum (aus Hufeisen 2018a: 142) 300 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="301"?> Bereits in der vorschulischen Zeit, in der Kindertagesstätte, dem Kindergarten und der Vorschule soll durch spezifische Aktivitäten die mehrsprachige tägliche Kommunika‐ tion vorgestellt und gelebt werden. Kinder wachsen mit ihren eigenen - oft bereits mehrsprachigen - Sprachenrepertoires in eine für Sprachen offene Gesellschaft hinein und lernen, dass alle Sprachen willkommen sind, dass sie mehrere Sprachen benutzen können, dass sie offen für Sprachen sein können und dass sie in mehreren Sprachen handlungskompetent werden dürfen und sollen. In der Schule soll diese Grundsatzhaltung weitergeführt werden: Es wird immer die - in Bezug auf die deutschsprachigen Länder - Umgebungssprache Deutsch angeboten, und zwar sowohl im Erstsprachenfachunterricht als auch im Deutsch als Zweitspra‐ chenunterricht, die in enger Abstimmung miteinander agieren. Parallel wird der Her‐ kunftssprachenunterricht (siehe Lerneinheit 7.3) zur Aufrechterhaltung und Weiter‐ entwicklung der Familien- oder Heimsprache angeboten. Die reinen Sprachenangebote werden auf wenige Jahre konzentriert, bis sie jeweils in verschiedenen Sachfächern als bilingualer Sachfachunterricht bzw. Content and Language(s) Integrated Learning aufgehen. Projekte sorgen für die Möglichkeit, große fächerübergreifende Fragestel‐ lungen in jahrgangs- und altersübergreifenden Phasen zu bearbeiten. Sprachmittlung (siehe Lerneinheit 6.2) spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Ermöglichung der Kommunikation aller Beteiligten in einer Arbeitsgruppe und auch darüber hinaus, indem Sachverhalte plurilingual verhandelt werden. Später in der Universität oder in der Ausbildung können solchermaßen plurilinguale Herangehensweisen systematisch fortgeführt und weiterentwickelt werden. Das alles müssen alle Beteiligten lernen, und das wiederum setzt Lehrende voraus, die dies selbst können und wollen und die darüber hinaus auch bereit und in der Lage sind, diese Kompetenzen und diese Haltung in den eigenen Unterricht zu integrieren. Dies betrifft übrigens keineswegs nur Lehrende von (Fremd-)Sprachen, sondern alle Lehrende an jedweder Bildungsinstitution, denn alle Fächer, auch die nichtsprachli‐ chen, sind sprachlich gefasst, und alle Inhalte, Versuche, Laborabläufe, Grafiken, Tabel‐ len, Beweise, Bilder, Noten, Bewegungsabläufe, Landkarten usw. werden in irgendeiner Form versprachlicht. (Diese Feststellung gilt natürlich ebenso für Gebärdensprache; hier wird die Versprachlichung des Gesagten noch sichtbarer und deutlicher.) Diese Annahme bedeutet zugleich, dass alle Lehrkräfte einer Bildungseinrichtung sich der Tatsache, dass Kommunikation Versprachlichung bedeutet, bewusst sein müssen und sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen können, dass Versprachlichen nur die Angelegenheit von Sprachenlehrenden sei. Gesamtsprachencurricula sind zunächst eine bildungspolitische Schul- und Hoch‐ schulentwicklungsmaßnahme, die allerdings für Bildungseinrichtungen und -institu‐ tionen für verschiedenste Altersgruppen und Qualifikationsstufen hochrelevant sind: Die Schulen sind seit geraumer Zeit und auch in die nächste Zukunft hinein damit konfrontiert, migrierte Schüler und Schülerinnen aufzunehmen, zu unterrichten und zu integrieren; d. h. die zusätzlichen und weiteren Herkunftssprachen sind inklusive ihrer kulturellen Rahmung in den Curricula und in den Fächern oder Projekten 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 301 <?page no="302"?> (vergleiche hierzu die Studie zu mehrsprachigem Theaterspiel von Henning 2020) zu berücksichtigen. Die Universitäten sind mit einer ähnlichen Situation konfrontiert und suchen darüber hinaus mit Internationalisierungsstrategien ihre Institutionen über ihre Landesgrenzen hinaus zu öffnen, nicht nur um den Wissenschaftsaustausch (Forschung und Forschende) zu intensivieren, sondern auch, um so genannte interna‐ tionale Studierende einzuladen, wenigstens Teile ihres Studiums vor Ort zu absolvieren. Dabei bleiben die Universitäten allzu oft im Paradigma des Englischsprachigen hängen, oft genug vor der impliziten oder sogar expliziten Annahme, dass die Nichtkenntnis der jeweiligen Landessprache bei Bewerberinnen und Bewerbern immer automatisch bedeutet, dass die Studieninteressierten dann Englisch in einem Maße können, dass sie ertragreich studieren können. Englisch ist jedoch durchaus nicht bei allen Austausch‐ studierenden oder migrierten Studieninteressierten oder Studierenden vorhanden bzw. oft erweist sich die mögliche Vorfremdsprache Französisch bzw. der vorgängige Französischunterricht als sehr viel hilfreicher für das Erlernen der Umgebungs- und Studiensprache Deutsch als die Vorfremdsprache Englisch (vergleiche Bartelhei‐ mer/ Hufeisen/ Janich 2017; 2018; Fischer/ Hufeisen 2010; 2012). Auf der nächsten Ebene sind gesamtsprachencurriculare Überlegungen planerische Hilfen: Wie und wo können und müssen Sprachen mit Sachinhalten verbunden wer‐ den? Welche sprachen- und fächerübergreifenden Inhalte eignen sich hier besonders? Welche kooperierenden Wege müssen seitens der Lehrenden beschritten werden? In der Schule lässt sich dies relativ umstandslos in bilingualem Sachfachunterricht und konsequentem Sprachmitteln - der Begleitband des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens nennt es nun Mediation (vergleiche GeR-Begleitband Council of Europe 2020) - beziehungsweise durchgängigem Translanguaging umsetzen, in fächer- und sprachenübergreifenden Projektwochen, idealerweise immer wieder auch in jahr‐ gangs- und altersübergreifenden Gruppen und Arbeitsgemeinschaften. Das Gleiche gilt im Prinzip auch für universitäres Lernen in den studienbegleitenden fachorientierten Sprachen- und Kommunikationskursen. Dabei ist erneut erwähnenswert, dass ein Stu‐ diengang an einer deutschen Universität, der einen Doppelabschluss mit einer Univer‐ sität in Italien vorsieht, selbstverständlich Italienischlernen integriert und idealerweise - mit rotierenden Lehrenden aus Italien? - einige Lehrveranstaltungen auf Italienisch anbietet. Studierende eines Studiengangs in Finnland, der die Sprachen Deutsch und Französisch integriert, reisen natürlich in entsprechende Zielländer, verwenden diese Sprachen und benötigen nicht vordringlich oder gar ausschließlich Englisch zum Sprachhandeln vor Ort (vergleiche Althaus/ Hufeisen/ Kleppin/ Koreik/ Luckschei‐ ter/ Roche/ Rösler/ Thimme/ Werner 2014). Sowohl die Herkunftssprachen Geflüchteter als auch die Herkunftssprachen anderer Personen mit Migrationsgeschichte finden an verschiedenen Stellen systematisch ihren Platz im prototypischen Gesamtsprachencurriculum: Eben erst neu eingewan‐ derte Lerner erhalten neben intensivem Unterricht in der Umgebungssprache auch die Möglichkeit, durch spracherhaltende Maßnahmen ihre Herkunftssprache(n) und -kultur(en) weiter zu entwickeln. So können zwei- und mehrsprachige kultursensible 302 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="303"?> Identitäten entstehen, die Sachverhalte, Entwicklungen und Prozesse in allen jeweils benötigten Sprachen des eigenen Repertoires (vergleiche das Konzept der dominant language constellation nach Aronin 2016; 2019; Lo Bianco/ Aronin 2020) operationali‐ sieren und so bewerten können, dass die Sprecher und Sprecherinnen bewusst adäquate Sprachhandlungsentscheidungen fällen können. Die fortlaufende Integration der jeweiligen Herkunftssprachen in die Fächer erfolgt über systematisches Sprachmitteln beziehungsweise stete Mediation sowie Translan‐ guaging (vergleiche Dietrich-Grappin 2017), um die Konzeptualisierung auch hier sicherzustellen. Weitere Maßnahmen sind die politischen Entscheidungen, Herkunfts‐ sprachen nach Bedarf und Nachfrage auch als curriculare Fremdsprachen anzubieten und zu unterstützen, um auch Nichtherkunftssprechenden die Möglichkeit zu geben, diese Sprachen zu lernen. Auf der konkretesten Ebene des tatsächlichen Lehrens und Lernens werden sowohl systematisch und geplant als auch situationsbedingt und ad hoc alle Sprachen einbe‐ zogen, die in einer jeweiligen Lerngruppe vorzufinden sind. Zu dieser Ebene betrachten wir im dritten Teil dieses Beitrags konkrete Beispiele (vergleiche Hufeisen 2019; Hufeisen/ Schlabach 2018). Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Überlegen Sie, wie an einer der Institutionen, an der Sie lernen, lehren oder auch verwalten, gesamtsprachencurriculare Aspekte, wie Sie sie oben beschrieben finden, ausprobiert und dann verdauert werden könnten. Welche Maßnahmen ließen sich umgehend und ohne weitere strukturelle Maßnahmen sofort umsetzen und welche könnten mittelfristig eingeführt werden? Welche Herausforderungen sehen Sie? Listen Sie diese auf und überlegen Sie, was getan werden müsste, um die damit verbundenen weiteren Maßnahmen doch zu realisieren. 7.2.2 Theoretische Verortung Sprachenlerntheoretisch basieren die hier diskutierten gesamtsprachencurricularen Überlegungen sowie der ursprüngliche Prototyp (vergleiche Hufeisen 2011; 2018a; Hufeisen/ Jessner 2009) auf dem Faktorenmodell des Mehrsprachenlernens 2.0/ Factor Model of Multiple Language Learning 2.0 (vergleiche Hufeisen 2018b; Huf‐ eisen/ Jessner 2019). Mit seinen fremdsprachenspezifischen Faktoren weist es darauf hin, dass die erworbenen und erlernten Fremdsprachen in jeder Hinsicht miteinander interagieren, dass die Lernenden mit jeder neuen Fremdsprache routinierter werden, ihre Lernstrategien perfektionieren können und das Potenzial der vor ihnen liegenden Affordanzen (Lernmöglichkeiten) erkennen und ausnutzen können (vergleiche Kordt 2018a; 2018b). Ab dem Lernen einer L3 sind diese Affordanzen besonders ausgeprägt und ermöglichen Lernen auf der Basis von Synergien, die vorher nicht vorhanden 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 303 <?page no="304"?> waren (im dynamischen Modell der Mehrsprachigkeit nach Herdina/ Jessner 2002 ist dies der M-Faktor). Sprachenerwerbstheoretisch ebenfalls interessant in diesem Zusammenhang ist das Konzept der Brückensprache aus der Interkomprehensionsdebatte, nach der Spra‐ chen einer Sprachfamilie einen hilfreichen Übergang zu weiteren Sprachen darstellen, den Lernprozess intensivieren und vertiefen sowie die Rezeption mit den festgelegten Strategien sicher auch erleichtern können (vergleiche EuroComRom Klein/ Stegmann 2000; slawische Interkomprehension Tafel 2009; EuroComGerm Hufeisen/ Marx 2014). Erfolgreich angewendet und beforscht wurde dieses Konzept nicht nur in Schulklassen der Sekundarstufe (vergleiche Kordt 2015), sondern auch in Universitätssprachenkur‐ sen (vergleiche Behrend 2016). Allerdings konzentriert sich bei diesem Ansatz die Arbeit tatsächlich auf sprachliche Kontexte - allenfalls die Texte stammen aus anderen und theoretisch aus allen Fachgebieten - und nimmt den fächerübergreifenden Ansatz und die Kombination aus Sprachen- und Fachlernen weniger in den Fokus. Außerdem gibt es bisher wenige Forschungsberichte zur Anwendung auf andere Sprachenfamilien als die oben beschriebenen. Schülerinnen und Schüler, die mit der Erfahrung einer viel- und mehrsprachigen Schule an die Universität kommen oder in die berufliche Ausbildung gehen, erwarten sicher eine ebenso offene und plurilinguale zweite Etappe ihrer Ausbildung. Auf einige gehen wir im folgenden Teil näher ein. 7.2.3 Vorstellung einiger konkreter Projekte In diesem Abschnitt werden zwei Projekte mit verwandten forschungsbasierten Ent‐ wicklungskonzepten zu plurilingualen Curricula vorgestellt, zunächst ein Projekt an einer Universität und anschließend ein Projekt an einer Schule. Beiden Projekten gemeinsam ist, dass die Institutionen offen sind für neue Ansätze sowohl in der Sprachlehre, die dann nicht mehr monolingual ausgerichtet ist, als auch bei der Entwicklung von neuen Konzepten. 7.2.3.1 Plurilinguale Geschäftskommunikation an der Turku School of Economics An der School of Economics der Universität Turku (Finnland; im Folgenden abgekürzt als TSE) wird traditionell den Sprachen ein hoher Stellenwert zugmessen, vor allem deshalb, weil die finnische Wirtschaft stark internationalisiert ist und die Unternehmen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen benötigen, die mit Geschäftspartnern in verschiede‐ nen Sprachen interagieren können (siehe Lerneinheit 2.1). Diese Anforderung kommt auch im Lernziel für die Absolventen zum Ausdruck, wonach sie am Ende ihres Studiums in mehreren Sprachen kommunizieren können sollen. Die Studierenden lernen in den studienbegleitenden und überwiegend fachbezogenen Sprachen- und Kommunikationskursen neben den beiden Landessprachen Finnisch und Schwedisch 304 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="305"?> zwei Fremdsprachen (zur Auswahl stehen Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Chinesisch, Japanisch). Nach wie vor sind die meisten Sprach‐ kurse einzelsprachlich ausgerichtet und bilden die Basis für die unten beschriebenen neu eingeführten plurilingualen Kurse. Letztere wiederum verstehen sich als notwen‐ dige Ergänzung, indem sie diese mehrfache Einsprachigkeit aufheben und überwinden. Sprachenbedarfsanalyse Das Konzept der plurilingualen Kurse basiert auf einer didaktisch ausgerichteten Sprachenbedarfsanalyse, einem Entwicklungsinstrument, das im Bereich der Fach‐ sprachendidaktik ein bewährtes Forschungsinstrument ist (vergleiche Huhta/ Vogt/ Johnson/ Tulkki/ Hall 2013). In dem Projekt werden die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten für die gelingende Kommunikation in mehrsprachigen Situationen untersucht und erfasst. Die Basis dafür bildet eine Online-Befragung von 214 im internationalen Geschäftsleben tätigen Alumni mit dem Studienfach International Business. Ausgangspunkt der Studie ist die Frage, inwieweit Mehrsprachigkeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in international operierenden Unternehmen relevant ist und welche Kompetenzbeschreibungen für ihre Ausbildung notwendig sind. Die TSE-Alumni verwenden in ihrem Arbeitsalltag zwei, drei oder auch vier Sprachen gleichzeitig, wobei es keine typischen Sprachenkombinationen gibt. Häufig werden jedoch Kombinationen mit Englisch genannt. Die Einstellung der Alumni zu Mehrspra‐ chigkeit ist allgemein sehr positiv: Fast alle agieren gern in mehrsprachigen Situationen und glauben, dass Mehrsprachigkeit das effiziente Kommunizieren fördert, während die Mehrheit die Aussage, Englisch allein wäre ausreichend, ablehnt. Ein charakteris‐ tisches Merkmal von mehrsprachiger Kommunikation ist Sprachenwechsel; flüssig zwischen Sprachen zu wechseln, wird als eine Basisfertigkeit erkannt. Auftretende Probleme sind dabei Wortfindungsschwierigkeiten sowie Interferenzen zwischen den Sprachen, vor allem zwischen eng verwandten Sprachen und mit Sprachen, in denen man sich nicht ausreichend kompetent fühlt. Demgegenüber bilden mehrsprachige Ressourcen Affordanzen, diese Probleme zu überwinden: Wortfindungsprobleme kön‐ nen mit Codeswitching, also dem kurzzeitigen Wechsel in eine andere Sprache, zügig bewältigt werden; Transfer zwischen eng verwandten Sprachen hilft beim Verstehen von Äußerungen in Sprachen, in denen man sich nicht als sprachhandlungskompetent erlebt oder empfindet; und durch Sprachmittlung beziehungsweise Mediation ist es möglich, auftretende Verständnisprobleme durch Umschreibung und Erklärung in einer anderen Sprache aufzulösen (ausführlich in Schlabach 2017). Als zentrales Ergebnis kann nun mit Ausrichtung auf die Praxis an der TSE das Lernziel plurilinguale Kompetenz definiert werden: Plurilinguale Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, in drei oder mehr Sprachen zu kommuni‐ zieren, und beinhaltet integral Sprachenwechsel, Codeswitching, Mediation und Transfer. Diese sprachenübergreifenden Aktivitäten bilden die Brücke zwischen den genutzten Spra‐ 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 305 <?page no="306"?> chen. Sie können als Fertigkeiten gelehrt und gelernt und in mehrsprachigen Situationen als kommunikative Strategien genutzt werden. (Henning/ Schlabach 2018: 119) Konzept der plurilingualen Kurse Auf Basis der Bedarfsanalyse und der theoretischen Verortung im Faktorenmodell für Mehrsprachenlernen (vergleiche Hufeisen 2010; 2018b) wurde an der TSE ein neues Sprachenfach Monikielinen yritysviestintä | Multilingual business communication entwickelt (siehe auch www.utu.fi/ tse-multilingual). Die Kurse in diesem Fach sind solche Sprachlernangebote, die grundsätzlich zwei oder mehr Sprachen zum Unter‐ richtsgegenstand haben und diese auch als Arbeits- und Unterrichtssprachen verwen‐ den. Bei diesen Lernangeboten geht es weniger um die additive Entwicklung von einzelsprachlichen Kompetenzen, sondern vielmehr darum, die Trennung zwischen den Sprachen zu überbrücken. Mehrsprachigkeit ist hier Voraussetzung und Ziel, und der Ansatz ist doppelt mehrsprachig: Zum einen werden gleichsam mit Bezug auf das Vorgelernte die mitgebrachten mehrfach einzelsprachlichen Kompetenzen verbunden, und zum anderen werden mit der gleichzeitigen Verwendung von mehreren Sprachen die plurilingualen Fertigkeiten und Strategien erlernt. Die Lernenden bauen auf ihren einzelsprachlichen Fertigkeiten auf, trainieren orientiert an den bekannten mehrspra‐ chendidaktischen Ansätzen die zwischensprachliche Vernetzung (Aufbau und Nutzen von Transferbrücken und Förderung von Mehrsprachigkeitsbewusstheit), lernen aber auch, in realitätsnahen mehrsprachigen Situationen, mit zwei, drei und mehr Sprachen komplexe Aufgaben zu bewältigen. Um einen Eindruck aus der didaktischen Werkstatt zu geben, werden im Folgenden einige Kann-Beschreibungen aufgelistet. Diese kon‐ kreten Einzellernziele stehen als Bindeglied zwischen dem allgemeinen Lernziel und der Lehrpraxis. Kann-Beschreibungen sind in einem zweisprachigen Kurs mit Deutsch und Schwe‐ disch beispielsweise: ▶ Sprachenwechsel: Kann in einem Gespräch zwischen den Sprachen Deutsch und Schwedisch flüssig hin- und herwechseln. Kann in einer Präsentation Folien (slides) mit Stichwörtern das in Sprache A (z. B. Schwedisch) Dargestellte in Sprache B (z.-B. Deutsch) versprachlichen. ▶ Codeswitching: Kann in einer Äußerung für einen kleinen Teil (ein Wort oder eine Wortgruppe) eine andere adäquate Sprache verwenden, z. B. um auftretende Wortfindungs‐ schwierigkeiten zu bewältigen. ▶ Mediation: Kann Inhalte aus einem Lesetext/ Hörtext in Sprache A (z. B. Schwedisch) in Sprache B (z.-B. Deutsch) mündlich zusammenfassen. 306 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="307"?> Kann die zentralen Informationen in einem Schaubild in Sprache A (z. B. Schwe‐ disch) in Sprache B (z. B. Englisch) darstellen und erklären und zusätzlich auf Fragen in Sprache C (z.-B. Deutsch) eingehen. ▶ Transfer: Kann sprachliche Ähnlichkeiten in beispielsweise deutsch- und schwedischspra‐ chigen Texten erkennen und sie für das Verstehen und für eigene Sprachproduk‐ tion nutzen (vergleiche Hufeisen/ Marx 2014). Bewertung Eine besondere Herausforderung sind die Bewertungsverfahren für plurilinguale Lern‐ inhalte. In der Regel werden durch Ableitung der Kann-Beschreibungen Bewertungs‐ kriterien entwickelt, die ergänzt durch qualitative Charakterisierung beispielsweise zu Flüssigkeit (z.-B. der Sprachenwechsel erfolgt mit viel / mit wenig / ohne Stocken), Umfang (z. B. die Mediation gelingt in wenigen / einigen / allen Teilaspekten) und Flexibilität (z. B. eine Aktivität erfolgt nach Vorbereitung / spontan) auf verschiedenen Niveaus als Raster darstellbar sind. Grundsätzlich werden alle Kurse kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt. Zudem werden Einzelaspekte in kursbegleitenden Studien untersucht. Auf Basis der Evaluationen kann festgestellt werden, dass die plurilingualen Kurse funktionieren und die Studierenden es schätzen, mit wenig Aufwand in nur einem Kurs die Kommunikation in zwei oder drei Sprachen zu trainieren. Es scheint, dass die gewohnte monolinguale Ausrichtung und das Streben nach einsprachigen Interaktio‐ nen aufgehoben werden kann. Zu beachten ist jedoch, dass die plurilingualen Kurse ein erklärungsbedürftiges Produkt sind und aktiv beworben werden müssen, da diese Kurse im Kontext aller angebotenen Sprachkurse für einige Studierende auf den ersten Blick nicht in das bekannte Schema von einzelsprachlicher Sprachkompetenz passen. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Studierenden grundsätzlich offen sind für die Ausrichtung auf plurilinguales und effizientes Kommunizieren und dass eher die lehrenden Kollegen und Kolleginnen skeptisch oder unsicher sind, wenn sie in ihrem Unterricht mit anderen Sprachen zu tun haben. In Planung sind derzeit weitere Kurse mit neuen Sprachenkombinationen und anderen fachlichen Ausrichtungen, teilweise auch mit niederschwelligen Schnupper-Angeboten (siehe auch die ausführlicheren Darstellungen in Kursiša/ Schlabach 2020). Das Sprachfach Multilingual business communication ist heute Teil des allgemeinen Lehrangebots der studienbegleitenden Sprach- und Kommunikationskurse und als ergänzendes Fach in das Curriculum implementiert. Das im folgenden Abschnitt dargestellte Projekt steht demgegenüber erst am Anfang des Entwicklungsprozesses. Es ist ebenfalls ein Curriculum-Entwicklungsprojekt, das explizit Forschungsbeglei‐ tung vorsieht und in das Ansätze und Erfahrungen aus dem universitären Projekt miteinfließen. 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 307 <?page no="308"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Überlegen Sie, ob es an einer Ihnen bekannten Hochschule solche oder vergleich‐ bare mehrsprachige Lernangebote gibt. Wenn ja, welche didaktischen Faktoren wie Lernziele, -inhalte und praktische Umsetzung sind ähnlich und was ist dabei ganz anders? Wenn nein, welche Faktoren könnten die Ursache dafür sein, dass es keine mehrsprachigen Lernangebote gibt? 7.2.3.2 Forschungsbegleitete Einführung eines Gesamtsprachencurriculums an der formatio Privatschule In einem Schulentwicklungsprojekt will die formatio Privatschule in Triesen (Fürsten‐ tum Liechtenstein) am Oberstufengymnasium und später in der gesamten Schule ein Gesamtsprachencurriculum einführen. In dem Kooperationsprojekt formatio·plu‐ rilingual·digital zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt wird dieser Implementierungsprozess wissenschaftlich begleitet und gefördert. Das hier skizzierte Forschungsprojekt soll den Erfolg der Implementierung nachhaltig sichern, und zwar über eine Studie, die die Einführung von plurilingualen Kompetenzen für das mehrspra‐ chig ausgerichtete Lernen innerhalb des Gesamtsprachencurriculums an der formatio erforscht. Vorgestellt werden im Folgenden zunächst die Rahmenbedingungen für die Schulentwicklung, die Anlage und die Konzeption der Forschung sowie ein Ausblick auf die Implementierung. Rahmenbedingungen Erfolgreiche Schulentwicklungsprojekte vollziehen sich auf der Ebene von Einzelschu‐ len und erscheinen dann besonders wirksam, wenn Schulleitung sowie Lehrerinnen und Lehrer in den Entscheidungsprozess eingebunden sind, die administrativ-organi‐ satorischen Rahmenbedingen die Veränderungen fördern sowie unterrichtsbezogene Fortbildung Teil des Prozesses ist (vergleiche Rolff 2007: 622-623). Die Rahmenbedin‐ gungen an der formatio Privatschule sind dabei überwiegend förderlich. Die Schule befindet sich im Fürstentum Liechtenstein, in dem das gesellschaftliche und wirtschaft‐ liche Leben stark auf internationalem Austausch basiert. Die Schule hat einen privaten Träger und steht im Wettbewerb mit anderen öffentlichen und privaten Schulen in der Region, was bedeutet, dass sie kontinuierlich bestrebt ist, besser zu werden und den sich wandelnden Ansprüchen ihrer Schüler und Schülerinnen sowie ihrer Stakeholder gerecht zu werden. Zudem ist die Schule, anders als öffentliche Schulen in Österreich oder in Deutschland, ziemlich frei in der Ausgestaltung ihrer Curricula. Sie ist recht klein, was sie als Organisation wendig und flexibel macht, ist weitgehend autonom bei der Beschäftigung und Fortbildung der Lehrkräfte, und sie bezieht sich schulstufenabhängig auf unterschiedliche Lehrpläne und Examensvorgaben, wie etwa die österreichische Zentralmatura als Schulabschlussprüfung, nicht zuletzt, weil sie als österreichische Auslandsschule gewisse curriculare Vorgaben einzuhalten hat. Zu ih‐ 308 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="309"?> ren Prinzipien zählt die Schule u. a. Weltoffenheit und gegenseitige Wertschätzung, ein angstfreies Lernklima und Leistungsorientierung sowie unternehmerisches Denken und Handeln (siehe Darstellung der Privatschule auf www.formatio.li). Mit Blick auf Mehrsprachigkeit hat die Schule seit ihrer Gründung einen sprachli‐ chen Schwerpunkt. Die gesamte Schule ist von der Primarstufe an bilingual Deutsch- Englisch ausgerichtet und bis zum Oberstufengymnasium werden dazu drei weitere klassische Tertiärsprachen (Französisch, Spanisch und Latein) unterrichtet. Der Spra‐ chenunterricht wird ergänzt durch internationale Austauschprogramme und externe Sprachzertifikate. In unterschiedlichen Zusammenhängen spielen weitere Sprachen bzw. Sprachvarietäten wie die regionalen Dialekte sowie die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund eine Rolle. Erste sprachenüber‐ greifende didaktische Werkzeuge wie Teamteaching mit Fach- und Sprachlehrkräften, bilingualer Unterricht, gemeinsame Grammatikterminologie und mehrsprachiges Le‐ xikon sind bereits eingeführt. Das Schulentwicklungsprojekt formatio·plurilingual·digital ist ein komplexes und umfangreiches Reformvorhaben, bei dem neben dem Ziel Einführung des Gesamtspra‐ chencurriculums auch Aspekte der 21 st century skills nach VUCA (volatility, uncertainity, complexity, ambiguity) umgesetzt werden sollen. Das Projekt wird vom Schulträger finanziert und von der Schulleitung koordiniert. Aktiv beteiligt sind an der Schule die Lehrpersonen des Oberstufengymnasiums sowie extern eine Fortbildungskoordinatorin, die die begleitenden Fortbildungen organisiert. Die Erforschung der Gelingensbedingun‐ gen des Schulentwicklungsprojekts läuft auf mehreren Strängen, wobei die Einführung und Weiterentwicklung des Gesamtsprachencurriculums zentral ist. Forschungskonzept Das Forschungsprojekt zur Einführung eines Gesamtsprachencurriculums an der formatio Privatschule setzt bei einer systemischen Analyse der gegebenen Aspekte ein und geht dabei von zwei Prämissen aus, die mit Rückgriff auf das oben beschriebene universitäre Entwicklungsprojekt und mit Bezug auf die Bedingungen an der Schule diskutiert werden. (1) Organisationsbezogene Veränderungen in Schulentwicklungs‐ projekten gelingen eher, wenn der Projektzuschnitt an die lokalen organisatorischen Bedingungen angepasst ist (vergleiche Rolff 2007: 623). Zu fragen ist also, inwiefern passen die Kategorien des Gesamtsprachencurriculums zu den Kategorien des lokalen angestrebten Schulcurriculums? Bieten die Ansätze des oben beschriebenen universi‐ tären Projekts Möglichkeiten für eine Anpassung? (2) Zudem wird vom Washback- Effekt (vergleiche Hinger/ Stadler 2018: 50; McKinley/ Thompson 2018) ausgegangen, wonach sich Tests und Prüfungen auf das Lernen und das Curriculum auswirken. Diesbezüglich wäre zu eruieren, inwieweit das eher sprachenpolitisch ausgerichtete und prozessbezogene Gesamtsprachencurriculum auch Kategorien und Vorschläge auf der Produktebene, also für Lernziele und Prüfungsformate, aufnehmen und berück‐ sichtigen kann. Diese Kategorieebene ist für die Schule von besonderer Bedeutung, denn die formatio Privatschule ist als leistungsorientierte Schule auf den Erwerb von 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 309 <?page no="310"?> Kompetenzen ausgerichtet, was durch die kompetenzbasierte Abschlussprüfung der österreichischen Matura dokumentiert wird. Aus diesen Gründen wird hier für das Projektkonzept wie folgt geschlossen: Will man ein auf plurilinguales Lernen ausge‐ richtetes Curriculum einführen und soll diese Veränderung auch nachhaltig Bestand haben, so muss auch in der Abschlussprüfung das Ergebnis des plurilingualen Lernens einen Platz haben. Untersucht werden soll, inwieweit plurilinguale Lernziele wie beispielsweise plurilinguale Kompetenzen in dem Projekt tatsächlich und erfolgreich umgesetzt werden. Implementierung Im Fokus des Projekts steht die Einführung des neuen und maturarelevanten pluri‐ lingualen Sprachfachs ‚Netzwerk Sprache‘ zunächst im Oberstufengymnasium, also zu einem Zeitpunkt, wenn alle Sprachen bereits einzelsprachlich eingeführt sind. Vorgesehen sind als zentrale Ausrichtung die Vernetzung von Einzelsprachen in den verschiedenen didaktischen Kompetenzbereichen savoir (deklaratives Wissen), savoir faire (Fertigkeiten), savoir être (persönlichkeitsbezogene Kompetenzen) und savoir apprendre (Lernfähigkeit; vergleiche dazu die Begrifflichkeit im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen GeR (Europarat 2001: 103-109) als Bezug für die Ma‐ tura). Die geplanten Lerninhalte basieren einerseits auf den bewährten Ansätzen der Mehrsprachendidaktik, wie etwa Förderung von Reflexion über Sprachen und Spra‐ chenlernen, Entwicklung von meta- und zwischensprachlicher Bewusstheit (vergleiche Allgäuer-Hackl 2020) sowie mehrsprachigen Strategien wie etwa in EuroComGerm (vergleiche Hufeisen/ Marx 2014; Kordt 2018a). Hinzukommen andererseits Inhalte mit verschiedenen Situationen der plurilingualen Sprachenverwendung, um plurilin‐ guale Kompetenzen auch sprachhandelnd einzuüben. Es ist zu erwarten, dass die angestrebten funktional ausgerichteten plurilingualen Kompetenzen am Ende des Schulentwicklungsprojekts erreicht werden. Im Prinzip ist das Konzept Gesamtspra‐ chencurriculum auch auf andere Schulen und Schultypen übertragbar. Zu untersuchen wäre, welcher Grad von organisatorischer Flexibilität in der Schuladministration und in den Schulen dafür benötigt wird. Transferaufgabe Bei der Einführung des Gesamtsprachencurriculums an der Privatschule wird von der Prämisse ausgegangen, dass Mehrsprachigkeit auch ein eigenes und prüfungs‐ relevantes Fach ist. Überlegen Sie und machen Sie konkrete Vorschläge: Welche didaktischen Entscheidungen (Ziele, Inhalte, Methoden) müssen getroffen werden, um ein neues Fach im Bereich Mehrsprachigkeit einführen zu können? Wie würden Sie die Lernziele wissenschaftlich oder empirisch belastbar beschreiben? Wie würden Sie Teillernziele und Bewertungskriterien ableiten? Zusatzfrage, falls Sie selbst an einer Schule unterrichten: Welche Bedingungen müssten von Seiten der Schule erfüllt sein, damit sich ein Gesamtsprachencurriculum implementieren 310 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="311"?> ließe? Zusatzfrage, falls Sie in einer Institution mit der curricularen Planung befasst sind: Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile von gesamtsprachencurricularen Mehrsprachenansätzen? 7.2.4 Zusammenfassung ▶ Ein Gesamtsprachencurriculum ist ein Entwicklungsinstrument, mit dem der monolinguale Habitus in Sprachlernangeboten überwunden werden kann. ▶ Es ist ein Modell, das den Weg zeigt, wie man sowohl mehr als auch effekti‐ ver und effizienter Sprachen lernen kann, wobei alle Sprachen, egal ob Her‐ kunftssprache, Umgebungssprache oder traditionelle (Schul)Fremdsprache(n), Berücksichtigung finden und als gleichwertig betrachtet werden. ▶ Grundprinzipien sind gemeinsames und vernetztes Lernen, bei dem die Gren‐ zen zwischen Fächern, Alters- und Jahrgangsstufen aufgehoben werden. Dafür kooperieren Lehrerinnen und Lehrer aus den verschiedenen (Sprachen- und Sach)Fächern miteinander. ▶ Sprachenlernen beginnt mit reinen Sprachenangeboten und wird nach einer gewissen Zeit über bilingualen Sachfachunterricht fortgesetzt. ▶ Die Schüler und Schülerinnen verwenden mehrere Sprachen, sie wechseln zwischen Sprachen und praktizieren Translanguaging, sie mitteln zwischen Sprachen und nutzen Brückensprachen. All das fördert die Entwicklung von mehrsprachiger Bewusstheit. ▶ In forschungsbasierten Entwicklungsprojekten wird die Einführung von Ge‐ samtsprachencurricula mit Fokus auf plurilinguale Kompetenz begleitet. 7.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben und definieren Sie das Konzept eines Gesamtsprachencurriculums. 2. Benennen Sie die wichtigsten Merkmale anhand der beiden Beispiele, die im Text vorgestellt werden. 3. Erörtern Sie die unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten eines Gesamtspra‐ chencurriculums auf schulischer und universitärer Ebene. 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 311 <?page no="312"?> 7.3 Herkunftssprachen- / Erstsprachenunterricht als Teil des schulischen Lernens Simone Naphegyi Diese Lerneinheit beschäftigt sich mit dem institutionellen Unterrichtsangebot in den Herkunftsbzw. Erstsprachen von Schülerinnen und Schülern. Zunächst wird nach dem Versuch einer begrifflichen Annäherung der Blick auf die histo‐ rischen Zusammenhänge am Beispiel Österreich gelenkt. Anschließend wird die Entwicklung von unterrichtlichen Angeboten aufgegriffen sowie ein konkretes Kooperationsprojekt aus dem hochschulischen Bereich dazu vorgestellt. Die Ergebnisse der qualitativen Beforschung dieses Projekts schließen diese Lernein‐ heit ab und geben Hinweise darauf, welche Entwicklungen im hochschulischen Bereich zur Sensibilisierung angehender Lehrkräfte für ein Gesamtkonzept zur sprachlichen Bildung möglich sind (siehe zu dieser Lerneinheit auch Lerneinhei‐ ten 2.2 und 6.1). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ sich Gedanken zur begrifflichen Fassung für dieses unterrichtliche Angebot machen; ▶ die historischen Zusammenhänge zur Entstehung des Herkunftsbzw. Erst‐ sprachenunterrichts kennen und beschreiben können; ▶ erklären können, weshalb der Besuch von Herkunftsbzw. Erstsprachenun‐ terricht für die sprachliche Entwicklung von Schülerinnen und Schülern von Bedeutung ist; ▶ Überlegungen anstellen, welche unterrichtlichen Kooperationen mit dem Herkunftsbzw. Erstsprachenunterricht möglich sind; ▶ ermutigt werden, die Herkunftsbzw. Erstsprachen der Lerner in Ihrem Unterricht zuzulassen und einzubeziehen. Reflexionsaufgabe Woran denken Sie, wenn Sie die Begriffe Herkunftssprachen-, Muttersprachen- oder Erstsprachenunterricht hören? Haben Sie persönliche Erfahrungen mit diesen Unterrichtsangeboten (als Schüler oder Schülerin, Lehrperson, Kollege oder Kolle‐ gin, Schulleiter oder Schulleiterin)? Notieren Sie sich dazu Stichworte im Rahmen einer sogenannten SWOT-Analyse. Gehen Sie dabei auf Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken) ein. 312 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="313"?> 7.3.1 Eine begriffliche Annäherung Für das unterrichtliche Angebot in den Sprachen, die im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und aktuellen Migrations‐ bewegungen in das schulische System Einzug gefunden haben bzw. finden, werden im deutschsprachigen Raum unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet. Sie bestehen meist aus Komposita mit dem Grundwort Unterricht oder attributiven Erweiterungen dazu. Ihre Bestimmungswörter werden nachfolgend diskutiert. Muttersprachlicher Unterricht (MU): Der Begriff Muttersprache wird im digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) als „in der Kindheit meist im Kontakt mit den Eltern (und ohne besonderen Unterricht) erlernte Sprache“ definiert und geht auf den mittelhochdeutschen Begriff mōdersprāke zurück (vergleiche DWDS o. J.). Den Terminus Muttersprache sehen Linguisten und Linguistinnen seit vielen Jahren aus mehreren Gründen als problematisch oder unwissenschaftlich an, wenn möglich sollte er sogar vermieden werden. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zum Sprachgebrauch sprachwissenschaftlicher Laiinnen und Laien, wo der Gebrauch des Wortes Muttersprache noch sehr üblich ist (vergleiche Stegu 2022). Krumm (2021: 41) stellt fest, dass außerhalb der Wissenschaften Muttersprache als - wie er es nennt - „Hochwertwort“ benutzt und verstanden wird. Damit bringt er zum Ausdruck, dass dieser Begriff „die der Familie und insbesondere den Müttern zugeschriebene Funktion als erste Sozialisationsinstanz“ signalisiert. Erstsprachenunterricht (ESU): Angelehnt an den Begriff L1 (first language) hat sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten der Begriff Erstsprache im sprachwissenschaft‐ lichen Diskurs etabliert. Im digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache wird dieser Begriff als fachsprachlich kategorisiert und als „gewöhnlich im frühkindlichen Alter meist ungesteuert erworbene, später weiter ausgebaute und beherrschte Sprache mit zentraler kommunikativer Bedeutung für das Individuum“ (DWDS o. J.) definiert. Im Gegensatz zur Begriffsklärung von Muttersprache, wo die Eltern für die Sprachweiter‐ gabe explizit benannt werden, wird hier nicht darauf Bezug genommen, wer für die Sprachweitergabe zuständig ist. Neben der familiären spielt auch die sozio-kulturelle Umgebung eine zentrale Rolle, „sind es doch die Erstsprachen, mit denen der Mensch auch in die Gesellschaft, in erste Wert- und Wertvorstellungen hineinwächst“ (Krumm 2021: 41). In der DWDS-Wortverlaufskurve des DWDS-Zeitungskorpus taucht der Begriff Erstsprache erstmals 1979 auf (vergleiche DWDS o. J.). Das bedeutet, dass in einer Vielzahl bedeutender überregional verbreiteter Tages- und Wochenzeitungen, die seit 1945 auf deren Begriffsverwendung hin wissenschaftlich analysiert werden, der Begriff Erstsprache bis zu diesem Zeitpunkt nicht verwendet wurde. Herkunftssprachenunterricht (HSU): Der Begriff Herkunftssprache wird im deut‐ schen Sprachraum in Anlehnung an den im angloamerikanischen Raum verwendeten Begriff heritage language verwendet (vergleiche Brehmer/ Mehlhorn 2018) (siehe auch Lerneinheit 2.2). Unter der Übersetzung des englischen Wortes heritage als ‚Erbe‘ werden Dinge (hauptsächlich wertvolle Dinge wie Gebäude oder Literatur usw.) verstanden, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Der Begriff 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 313 <?page no="314"?> heritage language wird im angloamerikanischen Sprachgebrauch verwendet, um die Verbindungen zwischen einer nicht dominanten Sprache einer Person, einer Familie oder einer Gemeinschaft und der dominanten Sprache der Mehrheitsgesellschaft zu beschreiben (vergleiche Kelleher 2010). Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache gibt für den Begriff Herkunftssprache keine eigenständige Bedeutungserklärung an und verweist auf die Synonymgruppe Muttersprache, A-Sprache, Erstsprache und L1 (DWDS o.-J.). Daneben gibt es in Abständen immer wieder Versuche, der Komplexität der frühen sprachlichen Sozialisation und dem daraus resultierenden unterrichtlichen Angebot begrifflich gerecht zu werden. In der neuesten Version des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) wird beispielsweise der Begriff „Sprache A“ verwendet (ver‐ gleiche de Cillia/ Lehner/ Pitzl/ Stegu/ Vetter 2021). Krumm (2021: 41) spricht sich für die Begriffe „Nähesprache(n)“ oder auch „Familiensprache(n)“ aus und meint damit die Sprachen, „die im Leben der Kinder eine wichtige Rolle spielen“. Angesichts der Komplexität der Sprachen und der Komplexität sprachlichen Verhaltens und Handelns decken Begrifflichkeiten immer nur einen Ausschnitt dessen ab, was in der Realität ge- und erlebt wird. Busch beschreibt dieses begriffliche Dilemma mit folgenden Worten: Begriffe wie Mutter- oder Erstsprache vermögen die komplexen Prozesse und Praktiken der frühen sprachlichen Sozialisation also nicht abzubilden. Egal, welchen Begriff wir verwenden, ob Muttersprache, L1, Herkunftssprache, Erstsprache, ist es immer irreführend, denn mit diesen Begriffen - selbst wenn sie in den Plural gesetzt werden - werden fluide Praktiken verdinglicht, wird Prozesshaftes fixiert. (Busch 2022: 7) Die Bestimmungswörter Mutter-, Erst- oder Herkunftweisen außerdem auf die Eindeutigkeit einer Zugehörigkeit, Herkunft oder Abstammung hin. „Dem liegt ein Gesellschaftsbild zugrunde, das weder der erhöhten Mobilität Rechnung trägt noch Formen der frühen sprachlichen Sozialisation außerhalb des traditionellen Familien‐ verbandes, in Patchworkfamilien, LGBTQ+-Konstellationen oder auch“ (Busch 2022: 8) in elementaren Bildungseinrichtungen. Dennoch braucht es im schulisch-institutionellen Kontext einen gewissen Pragma‐ tismus, immer in dem Wissen, dass jegliche Begriffsverwendung der Komplexität nicht gerecht werden kann und deshalb Arbeitsbegriffe verwendet werden müssen. Während in Deutschland meist die Bezeichnung Herkunftssprachenunterricht verwendet wird, spricht man in der Schweiz vom Unterricht in „Heimatlicher Sprache und Kultur“ (HSK) (Schader/ Truniger o. J.). Das österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat sich im Zuge einer grundlegenden Lehrplanreform (BGBl. II Nr. 1/ 2023, 2023) für den Begriff Erstsprachenunterricht für das unterrichtliche Angebot in den Sprachen ausgesprochen, die im Kontext von Migrationsbewegungen gesellschaftliche Bedeutung erlangt haben. Seit dem Schuljahr 2023/ 24 heißt der ehemals „Muttersprachliche Unterricht“ in Österreich „Erstsprachenunterricht“. 314 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="315"?> Aufgabe zur Inputverarbeitung 1 Zur Inputverarbeitung der begrifflichen Annäherung verwenden wir die Methode „Elevator Pitch“. Stellen Sie sich vor, Sie treffen beim Warten auf einen Fahrstuhl auf eine Lehrperson aus Ihrem Kollegium, die kopfschüttelnd sagt: „Immer diese Begriffsdiskussionen. Ich weiß gar nicht, was das bringen soll, dass es jetzt im österreichischen Lehrplan Erstsprachenunterricht heißt.“ Sie steigen mit dieser Person in den Fahrstuhl ein und haben eine Minute Zeit, die Inhalte aus dem Kapitel zur begrifflichen Annäherung zusammenzufassen. Stoppen Sie die Zeit und machen Sie eine Audioaufnahme Ihrer Erläuterung. 7.3.2 Historische Zusammenhänge und Entwicklungen am Beispiel Österreich Im Zuge der Arbeitsmigrationsbewegung ab den 1970er Jahren haben sich in Europa drei Grundpositionen für die Institutionalisierung herkunftsbzw. erstsprachlichen Unterrichts herausgebildet. Die „skandinavische“ Variante sieht einen vom Einwan‐ derungsstaat finanzierten und verantworteten Unterricht in den Sprachen der Ein‐ wandererfamilien vor. Die sogenannte „französische“ Variante basiert auf bilateralen Verträgen zwischen den Einwanderungs- und Herkunftsstaaten. Die „britische“ Vari‐ ante verortet das unterrichtliche Angebot in den Sprachen der Einwanderungsfamilien im Verantwortungsbereich der Migranten-Communities (vergleiche Reich 2017: 82). Der institutionelle Umgang mit den Herkunftsbzw. Erstsprachen der Schüler und Schülerinnen in Österreich folgt dem skandinavischen Beispiel. So liegt die zentrale Zuständigkeit beim österreichischen Bildungsministerium in Wien, die kon‐ krete Umsetzung verantworten die Bildungsdirektionen der einzelnen Bundesländer. Erstsprachenunterricht wird an Schulen aller allgemeinbildenden Schularten als Teil des Regelangebots (vergleiche Reich 2017: 82) im Rahmen einer unverbindlichen Übung im Primarbereich oder als Freigegenstand im Sekundarbereich angeboten. In Deutschland existiert bundesweit kein einheitliches Konzept für den Herkunftsspra‐ chenunterricht. Als Sache der Bundesländer liegen verschiedene Zuständigkeits- und Organisationsformen vor (vergleiche Woerfel/ Gogolin 2021). Auffallend ist die breite Palette an Sprachen, die in österreichischen Schulen im Gegensatz zu Deutschland angeboten werden (vergleiche Löser/ Woerfel 2020). Diese Praxis kommt dem Ziel der Europäischen Union näher, „die ‚funktionale Mehrsprachigkeit‘ und die ‚Fähigkeiten zur Interkomprehension‘ der europäischen Bevölkerung auszubauen“ (Löser/ Woerfel 2020: 586). Exemplarisch werden nachfolgend am Beispiel Österreich die historischen Zusammenhänge und die Entwicklungen dieses unterrichtlichen Angebots aufgezeigt. Seit mehr als 50 Jahren wird in Österreich Unterricht in verschiedenen Erstsprachen für mehrsprachig aufwachsende Schülerinnen und Schüler angeboten. Der ursprüng‐ lich als Rückkehrhilfe gedachte Unterricht geht auf die Epoche der Arbeitsmigrati‐ onsbewegung ab den 1970er Jahren zurück (vergleiche Naphegyi 2022). Österreich 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 315 <?page no="316"?> befand sich zu dieser Zeit in einer Phase starken Wirtschaftswachstums, und Arbeits‐ kräfte wurden in der aufstrebenden Industrie dringend gebraucht. Daraus resultierten Anwerbeabkommen in den 1960er Jahren mit dem damaligen Jugoslawien und der Türkei (vergleiche Gächter 2008). Nach und nach kam es dann vermehrt zum Zuzug der Familien dieser Arbeitskräfte bzw. zu Familiengründungen in Österreich. In der Folge wurde ab 1972 muttersprachlicher Zusatzunterricht in Österreich in den Sprachen Serbokroatisch, Slowenisch und Türkisch als sogenannte Schulversuche angeboten. Sie fanden zunächst nur im westlichsten und flächenmäßig kleinsten Bundesland Vorarlberg statt (vergleiche Çınar/ Davy 1998). Schulversuche mussten von der zuständigen Schulleitung jedes Jahr aufs Neue für den jeweiligen Schulstand‐ ort beantragt und von der Schulaufsichtsbehörde in Österreich bewilligt werden. Als Ziel des muttersprachlichen Zusatzunterrichts galt die Rückkehrorientierung. Die mehrsprachig aufwachsenden Schülerinnen und Schüler sollten im Schulsystem jener Länder anschlussfähig sein, in denen ihre Eltern bzw. sie selbst vor ihrem Zuzug nach Österreich lebten. Die Einschätzung der Behörden war nämlich, dass der Aufenthalt in Österreich zeitlich begrenzt sein würde und die Arbeitsmigranten und ihre Familien früher oder später in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Der Besuch des muttersprachlichen Unterrichts sollte nach erfolgter Rückkehr das Verfahren zur Anerkennung von Schulzeugnissen, die im Ausland erworben wurden, vereinfachen. Als Grundlage für die inhaltliche Konzeptionierung dieses Unterrichts dienten Lehrpläne, die von den jeweiligen Herkunftsländern zur Verfügung gestellt wurden. Es wurde allerdings ausdrücklich vereinbart, dass die Lehrpläne den in Österreich geltenden gesetzlichen Vorschriften entsprechend überarbeitet werden müssten (vergleiche Çınar/ Davy 1998). In den 1990er Jahren wurden in Österreich die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, damit für den „Muttersprachlichen Unterricht“ ein eigener, sprachenüber‐ greifender Lehrplan erstellt werden konnte, der ab dem Schuljahr 1992/ 93 bis zum Jahr 2023 Gültigkeit hatte. Inhaltliche Verknüpfungen des additiven Unterrichtsan‐ gebots in den Muttersprachen mit dem Gesamtunterricht in der Primarstufe oder anderen Sprachen- und Sachfächern im Sekundarbereich waren strukturell in den Fachlehrplänen nicht vorgesehen. Im Schuljahr 1999/ 00, also nur sieben Jahre nach der Einführung des Lehrplans, wurden österreichweit bereits 14 Sprachen angeboten. Bei der zuletzt durchgeführten Erhebung im Schuljahr 2020/ 21 waren es laut Auskunft des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Österreich über 25 Sprachen. Mit dem Inkrafttreten der neuen Lehrpläne in Österreich im Schuljahr 2023/ 24 (BGBl. II Nr. 1/ 2023, 2023) ändert sich auch die Begrifflichkeit für dieses Unterrichtsangebot. Der Erstsprachenunterricht ist nun erstmals in ein Gesamtkonzept zur sprachlichen Bildung (Fast-Hertlein/ Ringhofer 2023) integriert. Zu diesem Gesamtkonzept (siehe dazu auch Lerneinheit 7.2) gehören neben dem Erstsprachenunterricht der Sprachen‐ unterricht in den Unterrichtssprachen Deutsch und in den schulischen Fremdsprachen (in der Primar- und Sekundarstufe I meist Englisch), der DaZ-Unterricht sowie die fach‐ 316 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="317"?> übergreifende sprachliche Bildung in allen Unterrichtsfächern, wie in Abbildung 7.3 zu sehen ist. Abbildung 7.3: Erstsprachenunterricht im Kontext eines Gesamtkonzepts zur Sprachenbildung, Fast- Hertlein/ Ringhofer (2023)/ BIMM Aufgabe zur Inputverarbeitung 2 Sehen Sie sich im folgenden Video „Lehrpläne für den Erstsprachenunterricht im Kontext eines Gesamtkonzepts zur Sprachenbildung“ https: / / www.youtube.com/ w atch? v=6VC-f V5IL50 von Lisa Fast-Hertlein und Daniella Ringhofer die ersten vier Minuten an. Beschreiben Sie anschließend, wie der Erstsprachenunterricht und die Mehrsprachigkeit als essenzielle Teile in das Gesamtkonzept zur Sprachenbildung in Österreich eingebunden werden. 7.3.3 Sprachliche Ressourcen nutzen und erhalten „Unsere Sprachen - gesprochen, gebärdet, geschrieben - sind für jeglichen Wissens‐ erwerb, unsere soziale Zugehörigkeit und unser Selbstwertgefühl unverzichtbar.“ In diesem Zitat verwendet Tracy (2022: 32) den Begriff Sprache im Plural und bringt damit zum Ausdruck, dass für die genannten Bereiche alle einem Individuum zur Verfügung stehenden Sprachen von Bedeutung sind. In ihrer Stellungnahme zum österreichischen Integrationsbericht von 2019 konstatieren die Mitglieder des Verbands für angewandte Linguistik, dass „die Erkenntnis, dass die Erstsprache/ n die Basis für den Erwerb der Zweitsprache und aller weiteren Sprachen darstellt/ darstellen, […] 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 317 <?page no="318"?> mittlerweile schon Einzug in Medienberichte und den Alltagsdiskurs gehalten [hat]“ (verbal - Verband für Angewandte Linguistik 2019: 2). Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang der Interdependenzhypothese (vergleiche Cummins 2000) zu, wonach auf- und ausgebaute Kenntnisse in der L1 auf den Erwerb weiterer Sprachen (ebenso umgekehrt) und auf weitere kognitive Fertigkeiten übertragen werden können (vergleiche dazu auch Brehmer/ Mehlhorn 2018). Aus der Sicht der Sprachwissenschaft und der Sprachendidaktik wird betont, dass „die Festigung der Familiensprache […] für die Identitätsentwicklung und als Fundament für das Erlernen der Zweitsprache von großer Bedeutung [sei]“ (Krumm 2021: 221 in Anlehnung an Gogolin/ Neumann 2009). Hufeisen (2003) konnte aufzeigen, dass mit verschiedenen Modellen zum multiplen Sprachenlernen aus wissenschaftstheoretischen Perspektiven versucht wurde bzw. wird, Transfer- und Interaktionsphänomene der Sprachensysteme von Individuen zu erklären. Diese Modelle unterliegen der Annahme, „dass die erworbenen oder zu erwerbenden Lernersprachen einander in verschiedenen Weisen beeinflussen bzw. miteinander interagieren und in diesem Zusammenspiel die Gesamtheit der Sprachen in einem lernenden Individuum ausmachen“ (Hufeisen 2003: 99). Im Dynamischen Mo‐ dell der Mehrsprachigkeit (DMM) zeigen Herdina/ Jessner (2002), dass es zur Regression von Sprachen eines Individuums kommen kann, wenn diese nicht gepflegt werden und keine Anwendung finden. Das Argument des Spracherhalts (vergleiche dazu Allgäuer- Hackl/ Pellegrini 2019) kann als weiteres Argument für das unterrichtliche Angebot in den Herkunftsbzw. Erstsprachen geltend gemacht werden. Bezugnehmend auf Cummins (2000) und Cummins/ Baker/ Hornberger (2001) ver‐ weisen Allgäuer-Hackl/ Naphegyi/ Sammer/ Steinböck-Matt (2018) in ihrem Modell für die Schul- und Unterrichtsentwicklung „5 Bausteine umfassender sprachlicher Bildung“ im Zusammenhang mit institutioneller Sprachbildung und -förderung auf die Bedeutung sprachenübergreifender innerer Bilder und Konzepte für eine umfassende sprachliche Bildung. Dabei betonen sie, wie wichtig es ist, vorhandene Erfahrungen und damit aufgebaute innere Bilder und Konzepte der Lebenswelt(en) im Unterricht aufzugreifen und für das gemeinsame Lernen nutzbar zu machen. Das umfasst, diese entweder von Grund auf aufzubauen oder vorhandene Alltagskonzepte weiterzuent‐ wickeln, sie mit allen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu versprachlichen und somit für Bildungsinhalte verständlicher zu machen. De Cillia (2017: 4) nimmt einen weiteren Aspekt zur Förderung der Erstsprache in den Fokus: „Auch wenn dieser Zusammenhang empirisch noch nicht restlos geklärt ist, gilt in der Forschung als gesichert, dass zweisprachige Kinder nicht nur von einer möglichst früh einsetzenden Förderung in der L2 profitieren, sondern auch von einer Literalisierung in der Erstsprache und einem langfristigen L1-Unterricht.“ Am Beispiel eines zweisprachigen Bilderbuches zeigen Gürsoy/ Wichert (2020) auf, dass sprachliche Handlungen (zum Beispiel „sich entschuldigen“) universell sind und Inhalte des Deutschunterrichts mit dem herkunftssprachlichen Unterricht koordiniert werden können. Dies setzt voraus, 318 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="319"?> dass Lehrkräfte für den herkunftssprachlichen Unterricht aktiv in das Schulprogramm auf‐ genommen sind und dass alle Lehrkräfte sich bereitfinden, miteinander kollegial zu arbeiten. Aus der Perspektive der mehrsprachigen Lernenden ermöglicht ein Sprachunterricht, der sprachliche Mittel nicht kontextfrei, sondern textorientiert vermittelt, eine realisierbare Anbahnung zur Entwicklung von Biliteralität. (Gürsoy/ Wichert 2020: 20) Aufgabe zur Inputverarbeitung 3 Lesen Sie in der Broschüre „5 Bausteine umfassender sprachlicher Bildung“ von Allgäuer-Hackl et al. (2018) https: / / sprachelesen.vobs.at/ fileadmin/ web/ material / sprache/ 5Bausteine/ vs/ A_Broschuere_5Bausteine_VS.pdf die Beschreibung zum Baustein „Innere Bilder und Konzepte“ auf den Seiten 6-8. An welchen Stellen sehen Sie Verknüpfungen dieser Beschreibung zum Herkunftsbzw. Erstsprachen‐ unterricht? 7.3.4 Kooperationen schaffen Auf die fehlende Verzahnung des meist additiv angebotenen Sprachenunterrichts mit dem Regelunterricht (vergleiche Schroeder 2003) wird seit Jahren hingewiesen und auch die Lehrkräfte des Zusatzangebotes kritisieren die mangelnde Integration des Sprachenangebots in das Gesamtcurriculum (vergleiche Woerfel/ Küppers/ Schroeder 2020). Bildungsgerechtigkeit setzt voraus, dass Bildungsinstitutionen Spracherfahrun‐ gen, Sprachkontakte und eventuell schon gelernte Sprachen der Lernenden wertschät‐ zen und einbeziehen (vergleiche Krumm 2022: 44). Um dieser Forderung nachzukom‐ men, bedarf es einer Sensibilisierung angehender (Primarstufen-)Lehrkräfte für die Umsetzungsformate, die Ausgestaltung und die Inhalte des Erstsprachenunterrichts sowie dem Aufzeigen zukünftiger Kooperationsmöglichkeiten (vergleiche Allgäuer- Hackl/ Naphegyi 2022: 153). Diese Überlegungen und die künftige Ausrichtung der Sprachenfächer in Österreich entlang eines Gesamtkonzepts (vergleiche Fast-Hert‐ lein/ Ringhofer 2023) sowie die Forderung, dass Lehrkräfte nicht-sprachlicher Fächer, ihren Unterricht sprachbildend gestalten und ihn - im Idealfall - mit dem Erstspra‐ chenunterricht koordinieren sollten (vergleiche Gürsoy 2022; Gürsoy/ Roll/ Enzenbach 2020; Reich 2014), waren richtungsweisend. Sie führten zu einem Kooperationsprojekt der Bildungsdirektion Vorarlberg und der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, das nachfolgend exemplarisch als ein mögliches Umsetzungsmodell zur Sensibilisierung für und zur Schaffung von Kooperationsmöglichkeiten beschrieben wird. Seit der „PädagogInnenbildung Neu“, einer grundlegenden Reformation der Ausbil‐ dung der Lehrpersonen in Österreich ab dem Jahr 2015, sind die Pädagogischen Hoch‐ schulen in Österreich in Verbünden zusammengeschlossen und befugt, ihre Curricula entlang gesetzlicher Rahmenvorgaben mit Inhalten zu befüllen. An der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg wird seit dem Studienjahr 2019/ 20 der Schwerpunkt „Deutsch und Mehrsprachigkeit“ in einem Umfang von 60 ECTS im Bachelorstudium Lehramt 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 319 <?page no="320"?> Primarstufe angeboten. Im Rahmen dieses Schwerpunktes wird ein Modul unter dem Titel „Mehrsprachigkeit“ abgehalten, in dem die Studierenden ein Projekt mit Bezug zum Thema „Migration und Mehrsprachigkeit“ planen und umsetzen. Im Studienjahr 2022/ 23 wurde im Rahmen dieser Lehrveranstaltung ein Kooperationsprojekt der Pädagogischen Hochschule mit der Bildungsdirektion Vorarlberg geplant, umgesetzt und reflektiert (vergleiche dazu Naphegyi/ Can im Druck). Die 27 Studierenden aus dem 5. und 7. Studiensemester hatten den Auftrag, sich in Kleingruppen über geplante, frei gewählte Zugänge dem Erstsprachenunterricht anzunähern bzw. sich einen Einblick in dieses unterrichtliche Angebot zu verschaffen. 7 der 27 Studierenden waren mehrspra‐ chig aufgewachsen bzw. hatten einen mehrsprachigen familiären Hintergrund. Alle Lehrpersonen des Erstsprachenunterrichts, die in Vorarlberg tätig sind, wurden über diese Projektidee durch einen Beauftragten der Bildungsdirektion und die Autorin die‐ ser Lerneinheit informiert und instruiert. Den Studierenden wurden die Kontaktdaten aller in Vorarlberg tätigen Lehrpersonen für den Erstsprachenunterricht zur Verfügung gestellt. Nach dem Entwurf der verschiedenen Zugangsformate begann die Kontakt‐ aufnahme seitens der Studierenden mit den Lehrpersonen des Erstsprachenunterrichts. Die 27 Studierenden wählten aus den 13 im Bundesland Vorarlberg angebotenen Sprachen die Sprachen Albanisch, Arabisch, Armenisch, Italienisch, Polnisch, Serbisch und Kroatisch, Spanisch sowie Türkisch. Die ausgearbeiteten Zugänge beinhalteten: ▶ Auseinandersetzungen mit und zu den jeweiligen Sprachstrukturen - Sprachen‐ vergleiche, ▶ gemeinsam geplante, umgesetzte und reflektierte Unterrichtssequenzen, ▶ Hospitationen entlang eines eigens dafür von den Studierenden angefertigten und erprobten Beobachtungsbogens, ▶ Interviews mit den Lehrpersonen, ▶ Feldzugänge über die Befragung von Schülerinnen und Schülern, ▶ Dokumentenanalysen zu verwendeten Unterrichtsmaterialien. So vielseitig wie die Zugänge waren auch die Fragestellungen, mit denen sich die Stu‐ dierenden dem Erstsprachenunterricht annäherten. Eine Fragestellung aber beschäf‐ tigte explizit und implizit vor allem all jene Studierenden, die keine Sprachkenntnisse in der jeweiligen Erstsprache hatten: „Wie kann ich Mehrsprachigkeit realistisch im Unterricht umsetzen, wenn ich die Sprache NICHT spreche? “ (Studierende_01_Erst‐ sprache Deutsch und Studierende 22_5. Semester_Erstsprache Russisch). 7.3.4.1 Ergebnisse aus den Projektberichten der Studierenden Das Projekt wurde mit Projektberichten aus den einzelnen Gruppen und Reflexionsbe‐ richten der Studierenden abgeschlossen. Die Reflexionsberichte bildeten die Grundlage für eine qualitativ ausgerichtete strukturierende Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018). Die Kategorienbildung verlief induktiv am Material. 320 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="321"?> Aus den qualitativ analysierten Rückmeldungen der Studierenden geht eindeutig hervor, dass die Studierenden durch dieses Projekt die wichtige Bedeutung des Erst‐ sprachenunterrichts und praktische Vernetzungsmöglichkeiten auf der Unterrichts‐ ebene erkennen konnten. Alle Studierenden werteten die gesammelten Erfahrungen durchwegs sehr positiv. Die persönliche Einordnung des unterrichtlichen Angebots erfolgte nach der Projektdurchführung teilweise unter neu gewonnenen Gesichtspunk‐ ten, wie die nachfolgenden Zitate aus den Reflexionsberichten zeigen: Ob der Muttersprachenunterricht seine Zwecke erfüllt? Ich würde die Frage zu 100 Prozent mit Ja beantworten. Natürlich müssen die Kinder zuhause mit ihren Eltern weiter die Sprache üben und verwenden - wie in allen Sprachen. Doch der Unterricht gibt den Kindern eine gute Grundlage, auf die sie aufbauen können. Sie bekommen einen Einblick in die Sprache und entdecken Strukturen und Regeln, die für die Sprache wesentlich sind. Der einzige Nachteil besteht darin, dass die Stunden zu wenig sind. (Studierende_08_5. Semester/ Erstsprache Türkisch) Für die mehrsprachig aufwachsenden Studierenden boten die Erfahrungen im Zuge dieses Projekts zusätzlich Reflexionsgelegenheiten zum eigenen Sprachverhalten bzw. -unterricht, wie dies exemplarisch aus den nachfolgenden drei Stellungnahmen her‐ vorgeht. Da ich mit der polnischen Sprache aufgewachsen bin, war es für mich eine sehr interessante Erfahrung einen Polnischunterricht zu besuchen. Ich hatte bislang nie die Gelegenheit dazu, diesen Unterricht zu besuchen, deshalb war ich gerade über diese Aufgabe sehr erfreut. Als wir den Unterricht besucht haben, war ich total glücklich darüber, dass ich alles verstanden habe, was die Lehrperson und die Kinder gesagt und erzählt haben. Es war so ein Moment voller Stolz, dass auch ich eine andere Sprache verstehen und sprechen kann. Ich war auch überrascht, dass laufend Polnisch gesprochen wurde. Außerdem war ich fasziniert davon, wie gut einzelne Kinder sprechen und lesen konnten - das konnte ich in diesem Alter nicht, auch jetzt nicht. (Studierende_02_5. Semester/ Erstsprache Polnisch) Für mich war es eine Herausforderung, einen Türkischunterricht zu planen und zu unter‐ richten. Am Anfang fiel es mir schwer, vor einer Klasse zu stehen und nur türkisch zu sprechen, obwohl Türkisch meine Erstsprache ist. Denn ich habe mich daran gewöhnt, auf Deutsch zu unterrichten. (Studierende_20_5. Semester/ Erstsprache Türkisch) Ganz neugierig und aufmerksam hörte ich dem Arbeitsauftrag zu. Denn diesmal fühlte ich mich dabei so aufgeregt, dass meine Gedanken in mir nicht stillstehen konnten. Plötzlich schwirrten ganz viele Gedanken in meinem Kopf. Denn ich konnte bzw. durfte endlich einmal einen Türkischunterricht besuchen gehen. Das hat mich wirklich sehr gefreut. Ich hätte nicht gedacht, dass ich erst in meinem Studium diese Gelegenheit bekommen würde. Es war tatsächlich wie ein Aufbruch, den ich gegen Ende meiner Karrierezeit wagen konnte bzw. durfte. (Studierende_07_5. Semester/ Erstsprache Türkisch) 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 321 <?page no="322"?> Ein immer wieder genanntes Element bei der qualitativen Analyse war das der Selbsterfahrung. Die Teilnahme am Erstsprachenunterricht eröffnete den Studierenden die Möglichkeit, sich in die Lage von Schülerinnen und Schülern beim Erwerb des Deutschen zu versetzen. Ich konnte mir bis zur Hospitationseinheit nicht vorstellen, wie im muttersprachlichen Unterricht unterrichtet wird. […] Ich habe mich gerade beim Hospitieren oft etwas verloren gefühlt, da ich kein Wort verstanden habe. Ich habe auch die Witze nicht verstanden und konnte oft nicht mitlachen, wenn die Kinder etwas Lustiges gesagt haben. Ich kann mir nun gut vorstellen, wie sich ein Kind, welches kein Wort Deutsch versteht, in einer Klasse fühlen muss. (Studierende_11_5. Semester/ Erstsprache Deutsch) Die intensive Auseinandersetzung über Sprach(en)vergleiche im Vorfeld der Unter‐ richtshospitationen und die Gespräche mit den Lehrpersonen des Erstsprachenunter‐ richts ermöglichten es den Studierenden, nicht nur über theoretische Literaturrecher‐ che Einblicke in unterschiedliche Erstsprachen der Schüler und Schülerinnen zu erlangen, sondern über diese auch in den Interviews zu reflektieren. Wie bereits eingangs erwähnt, spiegeln sich in den Reflexionsberichten durchgängig die positiven Erfahrungen wider, die die Studierenden im Rahmen dieses Projekts sammeln konnten. 7.3.4.2 Fokusgruppeninterview mit den Lehrpersonen des Erstsprachenunterrichts Um die Sichtweise der Lehrpersonen zu analysieren, wurden die teilnehmenden Lehrpersonen mittels eines Fokusgruppeninterviews zu ihren Projekterfahrungen mit den Studierenden befragt. Die Teilnahme an der Gruppendiskussion war freiwillig. Fünf Lehrpersonen aus vier unterschiedlichen Sprachenfächern (Arabisch, Armenisch, Spanisch und Türkisch) nahmen an einer einstündigen Gruppendiskussion teil. Gruppendiskussionen (auch Fokusgruppen) sind geplante Diskussion, mit denen Einstellungen zu einem bestimmten, durch das Forschungsinteresse definierten Be‐ reich in einer „offenen, freundlichen Atmosphäre“ (Vogl 2019: 695) erhoben werden. In einer Gruppe werden dazu Kommunikationsprozesse initiiert, die einem alltäglichen Gespräch ähneln. Dabei geht es nicht nur um den Austausch von Argumenten, sondern es wird auch erzählt, erinnert und gegenseitig ergänzt. Entscheidend ist die Interaktion der Gruppenmitglieder (vergleiche Vogl 2019). Im Ergebnis wurde das Projekt von den Lehrpersonen sehr positiv aufgenommen und als Bereicherung für den Unterricht erlebt. Die Lehrpersonen freuten sich beson‐ ders über das Interesse an ihrem Unterricht und die neuen pädagogischen Konzepte, die die Studierenden mit ihnen teilten, wie in den folgenden Zitaten exemplarisch zum Ausdruck kommt: […] die studentin hat mir neue pädagogische sachen auch schon gegeben (.) ähm (.) da bin ich froh (.) das ist immer neu (.) neuigkeiten lernen für mich […] ich bin seit 26 jahren (.) ja ich wollte das immer ein bisschen frischer nehmen (.) da bin ich froh […] (Lehrperson_Sp5) 322 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="323"?> […] die studentinnen waren froh bei mir im unterricht und interessieren sich sehr (.) aber wegen [Anm. der Autorin: Benennung der Sprache] (.) ähm (.) unsere muttersprache (.) konnten sie nicht uns verstehen (.) trotzdem konnten sie (.) die methoden bemerken (.) wie läuft unser unterricht […] (Lehrperson_Sp4) […] das war SUPER (.) die (.) ich habe zuerst meine studentinnen vorgestellt (.) oder (.) jetzt kommen unsere zukünftigen lehrerinnen (.) die schüler waren schon gut (.) ok (.) ich wollte nicht, dass sie passiv bleiben hinten (.) ich wollte (.) dass sie aktiv werden (.) wir haben einfach gespielt (.) namenwörter auf deutsch (.) und dann sagten sie meine schüler auf türkisch (.) oder (.) wir waren zusammen aktiv (.) das war im spiel oder beim lernen (.) das war gut (.)[…]“ (Lehrperson_Sp5) Auf die Frage nach der Weiterentwicklung des Pilotprojekts bzw. zur Aufnahme eines solchen Angebots in die schulpraktischen Studien im Grundstudium antworteten die Lehrpersonen des Erstsprachenunterrichts erwartungsgemäß mit völliger Zustim‐ mung. Seit mehr als 50 Jahren wird Muttersprachlicher Unterricht/ Erstsprachenunterricht in Vorarlberg angeboten. Eine strukturelle Verankerung, die es zukünftigen Lehrper‐ sonen ermöglichen soll, Einblicke in dieses Unterrichtsangebot zu gewinnen, ist bisher in der Ausbildung der Primarstufenlehrpersonen nicht vorgesehen. Die Ergebnisse aus dem Pilotprojekt zeigen, dass eine Auseinandersetzung der Studierenden mit Erstspra‐ chenunterricht auf niederschwellige Weise erfolgen kann und mögliche zukünftige Kooperationsmöglichkeiten damit leichter versteh- und erlebbar gemacht werden können. Unterrichtlichem Handeln im Sinne einer gesamtsprachlich ausgerichteten Bildung (siehe dazu Lerneinheit 7.2) kommen wir so schrittweise näher. Transferaufgabe Die Schulleitung Ihrer Grundbzw. Volksschule möchte die Kooperation zwischen den Lehrpersonen des Gesamtunterrichts und den Lehrpersonen des Herkunftsbzw. Erstsprachenunterrichts intensivieren. Damit sich das Kollegium vorstellen kann, wie das geschehen soll, werden Sie von der Schulleitung gebeten, gemeinsam mit einer Lehrperson des Herkunfts-/ Erstsprachenunterrichts einen Vorschlag für eine gemeinsam verantwortete und mehrsprachig angelegte Unterrichtssequenz auszuarbeiten und im Rahmen der nächsten pädagogischen Konferenz zu präsen‐ tieren. Überlegen Sie sich ein Unterrichtsthema, das sich für die Kooperation eignen würde und gestalten Sie dazu einen Unterrichtsvorschlag. 7.3.5 Zusammenfassung ▶ Die begriffliche Fassung des Unterrichtsangebots in den Sprachen, die im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen in das schulische System Einzug gefunden haben, ist komplex. Im Sinne der schulisch-institutionellen Verwen‐ 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten 323 <?page no="324"?> dung ist ein gewisser Pragmatismus notwendig, da keine Begrifflichkeit die Komplexität sprachlichen Handelns zur Gänze abbildet. ▶ Das unterrichtliche Angebot in den Herkunftsbzw. Erstsprachen hat sich in den letzten 50 Jahren in Österreich vom Schulversuch zum festen Angebot in allgemeinbildenden Schulen entwickelt und wurde 2023 im Rahmen einer Lehrplanreform hier erstmals in ein Gesamtkonzept zur Sprachenbildung integriert. ▶ Der Erstbzw. Herkunftssprachenunterricht unterstützt Schülerinnen und Schüler dabei, ihnen zur Verfügung stehende sprachliche Ressourcen zu nutzen und auszubauen sowie Konzepte aus der Alltagssprache für das bildungssprachliche Verständnis nutzbar zu machen und trägt somit zum Sprachenerhalt bei. ▶ Durch die Verzahnung von erstbzw. herkunftssprachlichem Unterricht mit anderen Unterrichts- und Sprachenfächern können sprachliche und konzep‐ tuelle Ressourcen im unterrichtlichen Handeln nutzbar gemacht werden. ▶ Mögliche Kooperationsmöglichkeiten mit Lehrpersonen des Herkunftsbzw. Erstsprachenunterrichts können bereits im Lehramtsstudium niederschwellig erprobt werden und die Perspektive von zukünftigen Lehrpersonen auf dieses unterrichtliche Angebot erweitern. 7.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben Sie, was unter dem unterrichtlichen Angebot in den Herkunfts- oder Erstsprachen von Schülerinnen und Schülern verstanden wird. 2. Erläutern Sie, wie sprachliche Ressourcen von Schülerinnen und Schülern durch dieses Unterrichtsangebot genutzt werden können und welche Transfereffekte in der Forschungsliteratur beschrieben werden. 3. Analysieren Sie, weshalb Kooperationsmöglichkeiten mit Lehrpersonen des Her‐ kunfts- oder Erstsprachenunterrichts im Sinne eines Gesamtkonzepts zur Spra‐ chenbildung anzustreben sind. 324 7 Mehrsprachigkeit in curricularen Kontexten <?page no="325"?> 8 Literaturverzeichnis Abel, Andrea (2011): Sprachen in der Ausbildung - Schulsystem und Lehrerausbildung in Südtirol. 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Damit wird ausgedrückt, dass die Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen und ihren Bedeutungen keinen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, sondern auf festgelegten Konventionen beruhen. Austriazismus: Bezeichnung für Ausdrücke, die in den österreichischen Varietäten gebräuchlich und im restlichen deutschsprachigen Raum größtenteils ungebräuchlich (Spital für Kranken‐ haus) oder unverständlich (Karfiol für Blumenkohl) sind. Automatisierung des Lesens: Sobald Kinder automatisiert lesen, konzentrieren sie sich nicht mehr darauf, einzelne Buchstaben, Silben oder Wörter zu erkennen, sondern können ihren Fokus auf den Inhalt richten, denn das Erkennen der Wörter, unabhängig von ihrer Länge, erfolgt unmittelbar. B BICS → CALP Barcelona-Ziel, Barcelona-Formel, 1+2-Formel: Formel, die erstmalig in einem offiziellen EU- Dokument das Bildungsziel formuliert, neben der Erstsprache mindestens zwei Fremdspra‐ chen ab einem frühen Alter zu erlernen. Ziel ist eine Sprachenhandlungskompetenz, die Kommunikation und Verständigung ermöglicht und dem Kontext angemessen ist. Offen bleibt, dass eine Person mehrere Erstsprachen besitzen kann. Diese Forderung wurde 2002 als Ergebnis einer Tagung des Europäischen Rats in Barcelona veröffentlicht, daher die Bezeichnung. Bildungsföderalismus: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderaler Staat mit 16 Bundeslän‐ dern. Die Bildung ist eine staatliche Aufgabe, um die sich fast ausschließlich die Bundesländer mit teilweise unterschiedlichen bildungspolitischen Maßnahmen kümmern; wir sprechen von Bildungsföderalismus. Bilingualer Sachfachunterricht: Sachfachunterricht, in dem neben der Umgebungssprache auch eine Fremdsprache verwendet wird; wichtig ist, dass es sich um Sachfachunterricht in einer Fremdsprache handelt, nicht um Fremdsprachenunterricht mit fachlichen Inhalten. Im bilin‐ gualen Sachfachunterricht ist immer eine Konzeptualisierung auch in der Umgebungssprache zu leisten, nicht ausschließlich in der Fremdsprache. Dabei gilt es auch, zwischen dem sprachensensiblen Sachfachunterricht und dem sachfächersensiblen Sprachenunterricht eine <?page no="366"?> gelingende Variante zu wählen, die sowohl dem jeweiligen Sachfach als auch dem jeweiligen Sprachenfach gerecht wird. →-CLIL Binnendifferenzierung → binnendifferenzierend Binnendifferenzierend (Methodik/ Didaktik): Man arbeitet binnendifferenzierend, wenn man die unterschiedlichen Voraussetzungen und Interessen von Lernern anerkennt und bei der Planung und Umsetzung des Unterrichts berücksichtigt. Beispiele der Binnendifferenzierung: Thematische Differenzierung, methodische Differenzierung, Differenzierung durch indivi‐ duelle Medienauswahl. Bottom-up-Prozess (Textverstehen): Teilprozess des Verstehens, bei dem Inhalte aus dem Text‐ material herausgelesen werden. → Top-down-Prozess. Brückensprache: Eine Brückensprache ist eine Sprache, die ein Mensch bereits beherrscht und die verwandt ist mit einer Sprache, die er lernt oder lernen möchte. Durch → Interkom‐ prehension kann der Rückgriff auf die Brückensprache beim Lernen der Zielsprache sehr hilfreich sein. Dies wird beispielsweise beim EuroComGerm- und EuroComRom-Ansatz angewandt. C CALP → Cognitive academic language proficiency CLIL: Abkürzung für Content Language Integrated Learning. Dieser Begriff fasst eine spezielle Unterrichtspraxis. Sachfachunterricht wird in einer Sprache erteilt, die nicht die Umgebungs‐ sprache ist, sondern üblicherweise eine Fremdsprache. Das Konzept beruht auf einem monolingualen Sprachgebrauch und unterscheidet sich deshalb vom → bilingualen Sach‐ fachunterricht. Codeswitching: Hierbei handelt es sich um ein weit verbreitetes Phänomen in einer mehrspra‐ chigen Gesellschaft. Es bezeichnet das Hin- und Herwechseln zwischen zwei Sprachen. Das Codeswitching kann auf der Wort- oder Satzebene sowie innerhalb einer Äußerung stattfinden. Cognitive Academic Language Proficiency (CALP): Während es sich bei BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) um die grundlegende alltägliche Sprachkompetenz handelt, geht es bei CALP um die bildungssprachliche Kompetenz. Community Interpreting: Community Interpreting bezeichnet alle informellen, mündlichen Über‐ tragungen von einer Ausgangssprache in eine Zielsprache, die in einem Kontext zwischen einem Individuum und einer Institution stattfinden. Cumulative Enhancement Model: Das Cumulative Enhancement Model geht davon aus, dass alle zuvor erworbenen Sprachen das L3-Lernen erleichtern können und dass der kumulative Effekt dieser Sprachen einen insgesamt positiven Effekt darstellt. Cultural Awareness: Cultural Awareness bedeutet kulturelle Bewusstheit beziehungsweise Auf‐ merksamkeit sowie interkulturelle Sensibilisierung. Dies kann durch den Einsatz von Lingu‐ istic Landscapes beispielsweise im (Fremd-)Sprachenunterricht gefördert werden, weil sie in ihrer Vielfalt neben unterschiedlichen Sprachen auch verschiedene kulturelle Hintergründe oder Besonderheiten zeigen. So kann schließlich auch (inter)kulturelles Lehren sowie Lernen stattfinden und interkulturelle Kompetenz herausgebildet beziehungsweise gestärkt werden. 366 9 Glossar <?page no="367"?> D Denotat: (von lat. denotare: bezeichnen) Das Denotat bezeichnet in der Semantik die explizite Bedeutung eines Begriffes oder einer Äußerung, also den außersprachlichen Gegenstand oder Sachverhalt, der durch den Begriff oder die Äußerung dargestellt wird. Ihm steht das stärker implizit geprägte → Konnotat gegenüber. Diskurs: Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft, der viele Texte, Bilder und Gesprä‐ che umfasst, von mehreren Akteuren gestaltet wird und thematisch gebunden ist. Diskurspraxis: Bestehende Aussagen und Texte beeinflussen durch ihr Vorhandensein auch neue, entstehende Elemente des Diskurses. Bestehende Praktiken haben zwangsläufig Aus‐ wirkung auf neue. Diskurstyp: Bei der Untersuchung der Linguistic Landscape werden die erforschten Zeichen als Ausdruck von Diskursen betrachtet, die sich in der Schrift materialisieren und in verschiedene Typen unterschieden werden können. Diese kennzeichnen z. B. soziale Aktivitäten, definieren die Lokalität und interagieren mit den Nutzerinnen und Nutzern des öffentlichen Raums. Doppelte Halbsprachigkeit: Dieser Begriff bringt die Befürchtung zum Ausdruck, dass zwei‐ sprachig aufwachsende Kinder und Jugendliche in keiner ihrer beiden Sprachen die vollen sprachlichen Kompetenzen erreichen können, wie das einer einsprachig aufwachsenden Person möglich wäre, die sich quasi mit uneingeschränkter Konzentration auf den Ausbau einer einzigen Sprache fokussiert. E ECRML (European Charter for Regional or Minority Languages): Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen wurde 1992 vom Europarat verabschiedet und trat 1998 in Kraft. Bis Anfang 2022 wurde sie von 34 Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet und von 25 ratifiziert. Ihre Ziele sind der Schutz und der Erhalt der autochtonen europäischen Regional- und Minderheitensprachen als Teil des europäischen kulturellen Erbes. Hierfür sieht sie Maßnahmen zur Förderung und Schaffung einer gesicherten Rechtsstellung für Regional- und Minderheitensprachen in ihren jeweiligen Sprachgebieten vor. EMI: Abkürzung für English (as) Medium (of) Instruction. Diese Unterrichtspraxis bezieht sich auf den Gebrauch von Englisch als Lehrsprache in Kontexten, in denen weder die reguläre Unterrichtssprache noch die Umgebungssprache Englisch ist. Enklitischer Artikel: Ein enklitischer Artikel steht nicht vor dem Substantiv, sondern wird an dieses angehängt. Erbwort: Ein Wort, das schon seit den frühesten Sprachstufen einer Sprache in dessen lexikali‐ schem System enthalten ist und sich daraus entwickelt hat (zum Beispiel Bruder). Erstsprache: Erstsprache wird im Alltag zuweilen noch als Muttersprache bezeichnet. Es handelt sich um die Sprache (und bei Zwei- und Mehrsprachigen um die Sprachen), die ein Mensch in den ersten Lebensjahren erwirbt. Zumeist ist/ sind die Erstsprache(n) auch die starke(n) Sprache(n), die man „am besten kann“, in der/ denen man sich „zu Hause“ fühlt und die man auch am häufigsten verwendet. In Spracherwerbsmodellen steht die Erstsprache als L1 vor dem Erlernen der L2. Ethnolekt: Die deutsche Sprache verfügt über verschiedene Varietäten. Diese können nach unterschiedlichen-geografischen, sozialen, funktionalen und situativen Gesichtspunkten 9 Glossar 367 <?page no="368"?> unterteilt werden. Dabei sind-Ethnolekte-Sprachstile beziehungsweise Sprachvarietäten, die in bestimmten ethnischen-Gruppen gesprochen werden, wie zum Beispiel das sogenannte „Türkendeutsch“ als spezifische-Jugendsprache mit dem Fokus ihrer ethnischen Herkunft. Ethnophaulistisch: Ethnophaulistische Ausdrücke werten die mit ihnen belegten Personen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Zuordnung ab. Diese Form der sprachlichen Herabwürdigung zielt insbesondere in öffentlichen Diskursen darauf ab, aufgrund der sol‐ cherart evozierten scheinbaren Minderwertigkeit von Angehörigen der betroffenen Ethnien Ungerechtigkeiten beziehungsweise Ungleichheiten im gesellschaftlichen (Macht-)Gefüge zu festigen. Ethnophaulistische Ausdrücke können sich zu Schimpfwörtern, aber auch zu tabuisierten Benennungen entwickeln. F Faktorenmodell zum Mehrsprachenlernen (Factor Model of Multiple Language Learning): Ein Modell, das diachron die komplexer werdenden Voraussetzungen und Bedingungen beim Lernen von Sprachen beschreibt und erklärt. Falsche Freunde: Mit dem Begriff falsche Freunde (Englisch false friends, Französisch faux amis) bezeichnet man Wörter und Wortverbindungen in zwei (oder mehr) Sprachen, die ähnlich erscheinen, jedoch unterschiedliche Bedeutungen tragen. Für Fremdsprachenlerner können sie eine Herausforderung darstellen, bergen sie doch Risiken für Verständigungs- und Übersetzungsprobleme. Beispiele: Italienisch caldo bedeutet ‚warm ‘ und nicht ‚kalt‘; Englisch billion bedeutet ‚Milliarde‘ und nicht ‚Billion‘. Family Literacy: Als Unterkategorie von Literacy bezeichnet der Begriff alle frühen literalen Erfahrungen, die ein Kind in der Familie macht, z.-B. Vorlesen, erste Leseversuche und erste Schreibversuche. Frame: Das mit Begriffen verbundene Wissen, welches als eine Art konzeptuelle Struktur von Wissenselementen (sogenannte → Frame-Elemente) charakterisiert werden kann. Beim Sprachverstehen aktivieren sprachliche Strukturen wie bspw. Wörter die mit ihnen verbun‐ denen Frames, wodurch eine miteinander verknüpfte Wissensstruktur entsteht. Frame-Element: Wissenselement, das in → Frames eine Slot-Position besetzen kann. Da die Slots eines Frames in je konkreten Situationen unterschiedlich ausgefüllt werden, stellen Frame-Elemente die typischen, möglichen Spielräume von Begriffen und dem Wissen über die Begriffe dar. Fremdwort: Ein Wort, das durch Sprachenkontakt aus einer anderen Sprache (= Gebersprache) in das lexikalische System einer Sprache aufgenommen wurde und im Vergleich zu den meist älteren Lehnwörtern phonologisch, orthografisch und morphologisch nicht oder weniger an die Nehmersprache angepasst ist (zum Beispiel Cousin aus dem Französischen). G Geflüchtete: Als Geflüchtete bezeichnen wir Migrantinnen und Migranten, die aus Zwang ihr Herkunftsland verlassen mussten. Aktuell gibt es auch viele Menschen, die aus wirtschaftli‐ chen Motiven sowie aus Gründen des Klimawandels zu einem Lebensortwechsel gezwungen sind. In Abgrenzung zu Flüchtlingen, also Personen, die im Verlauf oder in Folge des Zweiten 368 9 Glossar <?page no="369"?> Weltkriegs fliehen mussten, werden die gegenwärtig schutzsuchenden Personen unter dem Begriff Geflüchtete gefasst. GeR: Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) des Europarats wurde 2001 als Bezugsrahmen zur Beschreibung von sprachlichen Kompetenzen veröffentlicht und beinhaltet Skalen mit Kann-Beschreibungen, die die Kommunikation in die Stufen A1 bis C2 einteilt. Der 2020 erschienene Begleitband umfasst vor allem ein erweitertes Konzept von Mediation sowie neue Deskriptoren-Skalen zu Mediation, zu plurilingualen/ plurikulturellen Kompetenzen und weitere ergänzende Deskriptoren. Gesamtsprachencurriculum: Das Gesamtsprachencurriculum ist ein sprachen-, fächer- und altersübergreifendes Entwicklungs-, Planungs- und Durchführungsinstrument an Schulen. Durch die konsequente Verzahnung von Sprachen- und Sachfächern wird eine gemeinsame Bearbeitung beider Fächergruppen gewährleistet, so dass in den sogenannten Sachfächern sprachensensibel und in den Sprachenfächern sachfächersensibel gearbeitet wird. Dabei werden verschiedene Formen der Umsetzung in den Vordergrund gerückt, wie z. B. Teamtea‐ ching oder Projektarbeit bei starker Handlungs-, Lernenden- und Inhaltsorientierung. Lerner sollen so zu stärkerer Selbstständigkeit geführt werden, indem Lehrkräfte sich vor allem als Begleitung verstehen. Graphem-Phonem-Korrespondenz: Damit ist die Laut-Buchstaben-Zuordnung gemeint. Lerner müssen sich die Fähigkeit erarbeiten, geschriebene Buchstaben mit gesprochenen Lauten in Zusammenhang bringen zu können. H Herkunftssprache(n): Herkunftssprachen sind die Sprachen, die Lehrende oder Lerner zumeist im familiären Umfeld erworben haben, und die sich von der Umgebungssprache unterschei‐ den. Heterogenität: Unter Heterogenität sind Unterschiede zwischen Lernern zu verstehen, die sich auf Sprachkenntnisse in der Herkunftssprache, wie Lexik, Morphosyntax und Phonetik sowie Orthografie beziehen. Hybridtextsorte: Das Produzieren eines Textes, der die ihm zugrundeliegenden kulturspezifi‐ schen Textsortenkonventionen einhält, setzt das Vorhandensein dieser spezifischen Textsorte in der Zielsprache beziehungsweise die Kenntnis dieser Konventionen voraus. An deutschen Universitäten ist beispielsweise insbesondere in geisteswissenschaftlichen Studiengängen das Anfertigen einer Hausarbeit eine sehr übliche Prüfungsleistung. Die Textsorte Hausarbeit ist in vielen anderen Ländern jedoch unbekannt. Wird diese typisch deutsche Textsorte nun, zum Beispiel in einem auf Englisch stattfindenden internationalen Studiengang, auf Englisch verfasst, ist das Ergebnis ein sogenannter Hybridtext. I Idiomatizität: Begriff aus der Phraseologie, der sich auf die (graduelle) semantische Eigenschaft von sprachlichen Ausdrücken mit übertragener Bedeutung bezieht. Bei idiomatischen Phra‐ seologismen setzt sich die Gesamtbedeutung nicht aus der Bedeutung der einzelnen Bestand‐ teile zusammen. Man unterscheidet zwischen vollidiomatischen (etwas auf dem Kerbholz 9 Glossar 369 <?page no="370"?> haben), teilidiomatischen (blinder Passagier) und nichtidiomatischen Phraseologismen (Mit freundlichen Grüßen). Ikon: Zeichen, das in einem Ähnlichkeitsverhältnis zu seinem gemeinten Gegenstand oder Sachverhalt steht, wie zum Beispiel eine Zeichnung, welche auf einer Speisekarte das Gericht Pizza visualisiert. Indexikalisches Zeichen: Das indexikalische Zeichen besitzt ein natürliches Verhältnis zum Bezeichneten. Zum Beispiel ist ein charakteristisches, kribbelndes Gefühl bei einem leichten elektrischen Schlag ein Zeichen für elektrische Spannung. Das Verhältnis zwischen Zeichen (Gefühl des Kribbelns) und elektrischer Spannung ist dabei biologisch-sensorisch. Interdependenzhypothese: Die Interdependenzhypothese geht von der Annahme aus, dass sich die Kompetenzen in der Erst- und der Zweitsprache wechselseitig beeinflussen. Grundlage dieser Annahme ist, dass die Kompetenz in beiden Sprachen (sowie gegebenenfalls in weiteren Sprachen) durch eine gemeinsame Basis beeinflusst wird. Diese gemeinsame Basis in Form von inneren, gedanklichen Bildern und internen Konzepten macht konzeptuelles und metasprachliches Wissen dem jeweils anderen Sprachsystem zugänglich. Interferenz: Eine Interferenz ist eine Übertragung von sprachlichen Strukturmerkmalen von der einen auf die andere Sprache, mit einem inkorrekten Ergebnis. Die Übertragung kann sowohl syntaktischer, semantischer oder pragmatischer Natur sein. Die Übertragung mit einem korrekten Ergebnis nennt man Transfer. Interkomprehension: Dieser Begriff beschreibt ein vor allem durch Sprachenverwandtschaft mögliches Verstehen über Sprachengrenzen hinweg. Dies kann sowohl in mündlicher Kommunikation geschehen, wenn die Beteiligten zwar unterschiedliche Sprachen sprechen, aber einander dennoch verstehen, oder auch beim Lesen (und Hören) von Texten in einer weder bewusst erlernten noch im Alltag erworbenen Sprache. Interkulturalität: Interkulturalität bezeichnet Beziehungsgestaltungen und Prozesse, die sich durch das Aufeinandertreffen und Wirken unterschiedlicher Personengruppen mit verschie‐ denen kulturellen Hintergründen herausbilden. Diese sind stark veränderlich, können zu Neuem führen, aber auch (Verstehens-)Probleme verursachen. Interlanguages: Lernervarietäten, die neben Eigenschaften der bereits erlernten Sprachen und der Zielsprache von diesen unabhängige Merkmale aufweisen. Sie stellen unterschiedliche Stadien der Entwicklung des lernersprachlichen Systems dar. J Jugendsprachen: Hierbei handelt es sich um einen Sammelbegriff für sämtliche, sich ständig ändernde Sprachvarietäten von Jugendlichen, die spezifisch sind für je eine Gruppe. Diese können nach verschiedenen Gesichtspunkten, wie zum Beispiel nach ethnischer Herkunft der Sprecherinnen und Sprecher (→ Ethnolekt), unterteilt werden. Gemeinsam sind den Jugendsprachen für sie typische und von Standardsprachen abweichende Elemente, die der Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen (→ Soziolekt) dienen. 370 9 Glossar <?page no="371"?> K Kann-Beschreibungen: Sprachlich-kulturelle Kompetenzbeschreibungen als Deskriptoren für die Beurteilung von Korrektheit und Angemessenheit sprachlicher Äußerungen, die im GeR auch die Zielvorgaben für den Lernprozess bilden. Kognat: Kognaten sind Wörter in verschiedenen Sprachen, die sich aus demselben Wort entwickelt haben, aber das Gleiche, etwas Ähnliches oder etwas Unterschiedliches bedeuten können. So bleibt die Bedeutung in den zwei Sprachen entweder gleich (bok, Buch, book), oder ähnlich (söka, suchen, seek) oder unterschiedlich (ledig, ledig im Sinne von deutsch ‚unverheiratet‘ und schwedisch ‚frei‘). Kompositum: Komposita sind Wörter, die aus mindestens zwei Wörtern gebildet wurden, wie zum Beispiel Klassenzimmer, Stuhllehne oder hellgrün. Konnotat: (von lat. connotatio: Mitwahrnehmung) Im Gegensatz zum → Denotat bezeichnet das Konnotat in der Semantik denjenigen Inhalt eines Begriffes oder einer Äußerung, der jenseits der expliziten Bedeutung implizit mittransportiert wird. Zum Dekodieren von Konnotationen ist neben reinen Sprachkenntnissen auch kulturelles und semantisches Hintergrundwissen notwendig. Anschauliche Beispiele für Konnotationen sind „Insider-Jokes“, die nur dann verstanden werden, wenn der Kontext der Äußerung bekannt ist. L L3-Unterricht: Unterricht in der zweiten Fremdsprache der Lerner. Typischerweise wird ein bestimmtes Niveau an Kenntnissen in einer zuvor angeeigneten Sprache (→ Pivot-Sprache) vorausgesetzt. Ladinisch: Das Ladinische ist eine Minderheitensprache, die in Italien in einigen Regionen als Amtssprache anerkannt ist. Es handelt sich dabei um einen romanischen Dialekt, der heute nur noch von ca. 30.000 Menschen gesprochen wird und je nach Region leicht variiert. Language Awareness: Ein Oberbegriff, der die methodischen Lern- und Organisationskompeten‐ zen bezeichnet, die für das Erlernen einer (Fremd-)Sprache von Bedeutung sind. Hierzu zählen Sprachlernbewusstheit, Sprachbewusstheit, Sprachenbewusstheit, Sprachenaufmerksamkeit und Sprachlernkompetenz. Die Begriffe Sprachenbewusstheit sowie Sprachenaufmerksam‐ keit weisen auf die Fähigkeit zum reflektierten Umgang mit Sprachen sowie zur Wahrneh‐ mung von Unterschieden auf verschiedenen sprachlichen Ebenen hin. Language Shift: In plurilingualen Gesellschaften können Sprachen, auch offiziell zum Beispiel in Form sogenannter → Amtssprachen, nebeneinander gebraucht werden. Dominiert eine dieser Sprachen zunehmend und wird der Gebrauch einer anderen Sprache zugunsten des Gebrauchs dieser einen schließlich aufgegeben, sprechen wir von einem Language Shift oder Sprachenwechsel, der zu einem teilweisen oder totalen → Sprach(en)verlust führen kann. Lautentsprechungen: Kognaten sind nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, weil sie sich in ihrer Lautgestalt auseinanderentwickelt haben. Vergleicht man verwandte Sprachen, kann man feststellen, welche Laute einander entsprechen. Lehnwort/ Entlehnung: Ein Wort, das ursprünglich aus einer anderen Sprache stammt, und phonologisch oder phonetisch, orthografisch und morphologisch an die Nehmersprache angepasst wurde (zum Beispiel Fenster aus dem Lateinischen fenestra). 9 Glossar 371 <?page no="372"?> Linguakulturelles System (Linguakultur): Die untrennbare Verbindung zwischen einer Sprache und der Kultur, der sie entstammt, und die sie zugleich mitgestaltet. Diese Verbindung spiegelt sich häufig in unterschiedlichen Wahrnehmungen und sprachlichen Beschreibungen der Welt wider. Linguistic Landscape: Mit Linguistic Landscapes werden öffentlich sichtbare Sprachenlandschaf‐ ten bezeichnet. Der Begriff stammt von den kanadischen Forschern Landry und Bourhis und bezieht sich auf die Erforschung von Funktion und Gebrauch öffentlich sichtbarer Sprachen vor allem in urbanen Räumen. Die soziolinguistische Forschungsrichtung betrachtet insbe‐ sondere Verteilung, Rolle und Funktion der vorhandenen Sprachen an einem festgelegten Ort und ist somit auch im Kontext von Mehrsprachigkeit und Sprachenplanung verortet. Das methodische Vorgehen wird als Linguistic Landscaping bezeichnet. Literacy: Unter Literacy verstehen wir verschiedene Lese-, Schreib- und Textkompetenzen, wie beispielsweise Lese- und Sinnverstehen, Vertrautheit mit Lese-, Erzähl- und Schriftkulturen sowie schriftsprachliche Ausdrucksfähigkeiten. Im konkreten Zusammenhang mit Linguistic Landscapes gehören zu Literacy auch multimodale Verstehensleistungen, weil diese im öffentlichen Raum häufig als multimodale Bild-Schrift-Zeichen vorliegen. M Medienliteralität: Ausreichendes Textwissen und Textverständnis ist grundlegend für Verste‐ hensprozesse. Das gilt besonders in Gesellschaften, in denen moderne Medien eine wichtige Rolle spielen. Mit der Digitalisierung haben sich schriftliche Kommunikationsformen weiter diversifiziert. Dadurch ist auch die Bedeutung von Textinterpretation gestiegen. Damit diese Textinterpretation gelingt, benötigen wir eine angemessen ausgebildete Medienliteralität. Mehrwortausdruck: → Phraseologismus Metasprache: Der Begriff Metasprache bezeichnet das Wissen über eine Sprache, das ermöglicht, eine Sprache zu beschreiben und zu erklären. Migration: Als homo migrans war der Mensch schon immer ein wandernder, jedoch variieren seine Beweggründe für Ortswechsel sowohl historisch als auch individuell. Grundsätzlich sollte unterschieden werden, ob die Migration erzwungen wurde, dann ist sie oft ungeplant, oder ob sie freiwillig und gegebenenfalls geplant erfolgte. Die individuelle Motivations‐ lage ist insbesondere für den Kontext DaF/ DaZ von Bedeutung, denn sie beeinflusst das (Fremd-)Sprachenlernen und -lehren unmittelbar. Migrationshintergrund: Nach behördlicher Definition hat eine Person einen Migrationshinter‐ grund, wenn sie entweder selbst nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist oder wenn sie mindestens einen Elternteil hat, der nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist. Migrationslinguistik: Sie ist eine Teildisziplin der Linguistik, die sich mit Aspekten rund um das Thema Migration und deren sprachlichen Abbildungen auseinandersetzt. Das Spektrum umfasst sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Aus- und Wechselwirkungen von Migrationsbewegungen. Sie bildet zahlreiche Schnittmengen mit weiteren linguistischen Teildisziplinen. MINT: Akronym für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Im schulischen und hochschulischen Kontext bezieht sich der Ausdruck auf Fächer, die zu diesen Wissen‐ 372 9 Glossar <?page no="373"?> schaftsgebieten einen Bezug haben. Im beruflichen Kontext bezieht er sich auf Berufsbilder mit entsprechenden Bezügen. Diesen Fächern wird in Deutschland, wo Ingenieurwissen‐ schaften ein hohes Prestige genießen und ein Fachkräftemangel bei technischen Berufen herrscht, eine wichtige Rolle beigemessen. Modalität: Kommunikationskanäle unterschiedlicher medialer und semiotischer Beschaffenheit, wie Sprache, Bild, Geräusch und Musik. Motiviertheit: Motiviertheit drückt im Zusammenhang mit idiomatischen Phraseologismen aus, dass es einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen der phraseologischen Bedeutung und der wörtlichen Bedeutung eines Phraseologismus gibt. Die Art der Motiviertheit beein‐ flusst, ob und wie jemand diesen Zusammenhang nachvollziehen kann. Multimodalität: Verschiedene Modalitäten treten gemeinsam auf und schaffen damit einen komplexen Kommunikationsgegenstand. Einen solchen zu produzieren oder zu entschlüs‐ seln, erfordert eine besondere multimodale, kommunikative Kompetenz. Multimodalität kann gleichzeitig verstehensförderlich sein. N Nationalsprache: Der Begriff wird unterschiedlich verstanden. Im Sinne von Landessprache be‐ zeichnet Nationalsprache die Sprache oder die Sprachen, die in einem Staat einen besonderen Status haben. Dieser Status ist in einigen Ländern (wie etwa in Finnland, jedoch nicht in Deutschland) in der Verfassung verankert. Nationalsprache als Begriff verweist auch auf die Vorstellung von Kulturnation und damit auf die Funktion von Sprache bei der Bildung von Nationalstaaten. Neologismus: Ein Neologismus (oder Wortneuschöpfung) ist ein neues Wort, das durch Entlehnungen, Bedeutungsveränderungen oder die Schaffung eines neuen Wortes durch bereits vorhandene lexikalische Mittel, zustande kommt (zum Beispiel das im Zuge der Coronapandemie entstandene Wort Ellenbogengruß). nichtidiomatisch: → Idiomatizität O Onset: Darunter versteht man einen Silbenanlaut. P Phonologische Bewusstheit: Bei der phonologischen Bewusstheit handelt es sich um eine kognitive Fähigkeit, die eine bewusste Auseinandersetzung, Analyse und Manipulation einer Lautstruktur gesprochener Sprache ermöglicht (beispielsweise durch Reime, das Auswech‐ seln von Anlauten usw.). Phraseologismus: Phraseologismen sind Mehrwortausdrücke beziehungsweise feste Wortver‐ bindungen in einer Sprache, die aus mindestens zwei Wörtern bestehen und als lexikalische Einheiten erlernt und gespeichert werden. Phraseologismen im weiteren Sinne umfassen die Gesamtheit aller Phraseologismen und beinhalten unter anderem Verabschiedungsformeln (auf Wiedersehen), strukturelle Phraseologismen (sowohl … als auch) oder geflügelte Worte (viel Lärm um nichts). Phraseologismen im engeren Sinne bilden den Kernbereich der Phraseologismen und bestehen aus den stark idiomatischen Redewendungen (jemanden auf die Palme bringen). 9 Glossar 373 <?page no="374"?> PISA: Abkürzung für Programme for International Student Assessment. Seit dem Jahr 2000 führt die OECD alle drei Jahre unter ihren Mitgliedstaaten sowie Partnerländern gleichnamige Er‐ hebungen durch. Sie messen die Leistungen von Schülerinnen und Schülern einer bestimmten Altersgruppe in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Die Ergebnisse werden in einem Ländervergleich veröffentlicht und in Begleitpublikationen kommentiert. Pivot-Sprache: Jede weit verbreitete Minderheitensprache, die gezielt als Brückensprache für das Erlernen einer verwandten Sprache genutzt wird. Plurilinguale Kompetenz: Das Konzept der plurilingualen Kompetenz(en) beschreibt die jeweils individuelle Fähigkeit, in drei oder mehr Sprachen zu kommunizieren, und beinhaltet integral mehrsprachige Aktivitäten wie Sprachenwechsel, Codeswitching, Sprachenmittlung und Transfer innerhalb einzelner Sprechakte. Nach dem Gemeinsamen europäischen Refe‐ renzrahmen umfasst sie die Fähigkeit, das individuelle zusammenhängende, uneinheitliche plurilinguale Repertoire flexibel kontext- und domänenspezifisch einzusetzen. Im GeR sind plurilinguale Kompetenzen untrennbar mit plurikultureller Kompetenz gepaart. Prestigesprache: In der Soziolinguistik ist sprachliches Prestige die hohe Wertschätzung und soziale Bedeutung, die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft bestimmten Sprachen oder Dialekten entgegenbringen. So genießt eine Prestigesprache eine positive soziale Bewertung. Prosodie: Darunter versteht man die lautlichen Aspekte einer Sprache. Zu ihr gehören unter anderem die Intonation, der Wortakzent, der Rhythmus, die Lautstärke und das Tempo. Pseudoanglizismus: → Scheinentlehnung aus dem Englischen. R Register: Soziolinguistischer Begriff, der die Kontextabhängigkeit sprachlicher Handlungen fasst. So sprechen wir mit einem kleinen Kind in einer anderen Art und Weise als mit unserer Arbeitskollegin, die E-Mail an unsere Vorgesetzte formulieren wir anders als die an unseren besten Freund. Wir bedienen uns also unterschiedlicher Register. Rekodierung/ rekodieren: Beim Rekodieren handelt es sich in der Linguistik um die Zuordnung von Graphemen zu Phonemen, also das Erkennen und miteinander Verknüpfen von geschrie‐ benen Buchstaben und Lauten. Remotivierung: Eine Remotivierung findet statt, wenn ein idiomatischer Phraseologismus in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet wird, wie es häufig in Werbung oder Sprachspielen der Fall ist (Beispiel: Ein Zitronenfalter faltet keine Zitronen.). S Scaffolding: Mit dieser Metapher (englisch: ‚Baugerüst‘) sind Hilfestellungen gemeint, die Lerner in ihrem Lernprozess und bei der Lösung von Aufgaben unterstützen. Scheinentlehnung: Ein Wort, das phonologisch und orthografisch darauf hindeutet, dass es aus einer anderen Sprache entnommen wurde, in dieser aber nicht oder mit einer anderen Bedeutung existiert (zum Beispiel die → Pseudoanglizismen Handy oder Homeoffice). Sichtwortschatz: Es handelt sich dabei um Wörter, die anhand ihrer Merkmale visuell erkannt werden, ohne dass der Leser oder die Leserin sie Buchstabe für Buchstabe lesen muss. Slot: Slot bezeichnet die Kategorien, in denen wir unser Wissen zu Begriffen abspeichern. Diese Slots sind unterschiedlich für verschiedene Begriffe und können von Person zu Person 374 9 Glossar <?page no="375"?> variieren. Ein Beispiel: Beim Begriff Stecker ist dessen Form ein Slot, ein weiterer die Farbe. Viele Menschen in Deutschland denken bei dem Begriff an den Schuko-Stecker mit seinen zwei runden Kontakten. In Großbritannien hingegen existiert eine andere Form mit eckigen Kontakten. Dieser Slot und auch die Farbe von Steckern kann von Laien beschrieben werden. Weitere Slots sind darüber hinaus Elektrikerinnen und Elektrikern bekannt, etwa die Slots der Spannungsfestigkeit, des Materials und der Strombelastbarkeit. Soziolekt: Auch im Deutschen werden verschiedene Sprachvarietäten je nach Kontext ge‐ braucht. Diese können nach unterschiedlichen-geografischen, sozialen, funktionalen und situativen Gesichtspunkten unterteilt werden. Soziolekte bilden hierbei Sprachstile bezie‐ hungsweise Sprachvarietäten, die in bestimmten sozialen Gruppen vorkommen oder nur dort gesprochen werden, wie beispielsweise Jugendsprachen mit dem Fokus auf die soziale Gruppe der Jugendlichen. Sprachangst: Sprachangst unterscheidet sich von → Sprechangst insoweit, dass sie sich auf zweit- und fremdsprachliche Lern- und Anwendungskontexte konzentriert. Sie enthält Komponenten wie Angst vor negativer Evaluation, kommunikative Befangenheit sowie Textangst. Sprach(en)bewusstheit → Language Awareness Sprach(en)erhalt: Wenn Sprachen zumeist in zwei- oder mehrsprachigen Gesellschaften dauer‐ haft bestehen oder erhalten bleiben, wird von Sprachenerhalt gesprochen, das heißt, dass zwei oder mehr Sprachen parallel nebeneinander existieren. Der Begriff Sprachenerhalt wird vor allem in Kontexten der Sprachengefährdung verwendet, das heißt, wenn bestimmte Sprachen in ihrem Erhalt bedroht sind. Sprach(en)verlust (language attrition): Verlust von Sprachkenntnissen, der typischerweise durch mangelnde Anwendung über eine gewisse Zeit verursacht wird. Vor allem bei später erlernten Sprachen kann dies durch das Erlernen einer verwandten Sprache und ein niedrigeres Sprachniveau zu Beginn noch verstärkt werden. Sprachenkonventionen: Hierunter verstehen wir gesellschaftliche Übereinkünfte, die normative Regeln des Sprachgebrauchs darstellen. Sie sind in der Regel kulturell geprägt und können zum Beispiel im Bereich der Textsortenspezifik stark divergieren. Sprachmittlung: Mit Sprachmittlung (im GeR-Begleitband Mediation genannt ), auch Sprachen‐ mittlung, ist die erklärende und auch zusammenfassende Übertragung von Information aus einer in eine andere Sprache gemeint, um den Diskurs zwischen Kommunikationsparteien zu erleichtern oder auch erst zu ermöglichen. Dabei geht es eben nicht um präzises oder professionelles Übersetzen oder Dolmetschen, sondern um die sinngemäße Übertragung, die auch kulturspezifische Besonderheiten berücksichtigt, die zuweilen zunächst diskursiv auszuhandeln ist. Sprach(en)tod: Wenn in zwei- oder mehrsprachigen Situationen beziehungsweise Gesellschaf‐ ten eine oder mehrere Sprachen zugunsten einer einzigen Sprache aufgegeben werden, spricht man für diese Sprachen von Sprachentod. In zwei- oder mehrsprachigen Kontexten beziehungsweise Gesellschaften kann es aus unterschiedlichen Gründen zu Sprachenge‐ fährdungssituationen sowie zu Sprachenwechseln kommen, sodass kaum bis nicht mehr 9 Glossar 375 <?page no="376"?> verwendete Sprachen von Sprachensterben bedroht sind, am Ende dieses Prozesses steht schließlich der Sprachentod. Sprechangst: Sprechangst wird auch Redeangst, kommunikative Befangenheit genannt. Es geht um die Angstgefühle, die man vor und während des Sprechens vor anderen erlebt. Sie ist nicht zu verwechseln mit →-Sprachangst. Stil: Ausgestaltung von (sprachlicher) Kommunikation, die mehr oder weniger angemessen sein kann je nach Zielgruppe und Situation. In bildungssprachlichen Textsorten treten zum Beispiel Fachwortschatz, komplexere Syntax und unpersönliche Formulierungen oftmals gemeinsam auf und schaffen einen akademischen Stil. Symbol: Zeichen, welches kulturell festgelegt ist und nur durch erlerntes Wissen gedeutet werden kann. Alle Sprachzeichen der europäischen Sprachen sind beispielsweise Symbole. T teilidiomatisch → Idiomatizität Textfunktion: Textfunktion ist ein konstituierendes Merkmal für Textsorten, die ihren typischen Gebrauch beschreibt, zum Beispiel Information oder Appell. Textsorte: Textsorten fassen Texte in einer Gruppe zusammen, die sich insbesondere durch ihre spezifische Funktion, aber auch durch andere situative Gegebenheiten beschreiben lassen. Dabei haben sich kulturell besondere sprachliche Routinen entwickelt, die Textsorten auch auf ihrer Oberfläche kennzeichnen können, wie zum Beispiel die Grußformel Mit freundlichen Grüßen in der schriftlichen, formellen Kommunikation in den Textsorten E-Mail oder Brief. Top-down-Prozess (Textverstehen): Teilprozess des Verstehens, der Bedeutung auf Basis des Vorwissens zuweist. → Bottom-up. Transtextualität: Diskurse geschehen über einzelne Kommunikationsbeiträge hinweg. Aus einer großen Menge an zur Verfügung stehenden Texten entstehen im Diskurs Bedeutungen und Netze aus Aussagen, auch durch intertextuelle Vernetzung. V Verständlichkeit: Eigenschaft von Kommunikation. Strukturelle, inhaltliche und semiotische Parameter beeinflussen, inwiefern ein Text wahrgenommen und zur Schaffung von Bedeu‐ tung bei Rezipientinnen dient. Verstehensprozess: Der kognitive Prozess, bei dem bei der Rezeption (Hören oder Lesen) dem Gehörten oder dem Gelesenen Bedeutung zugeordnet wird. Verstehensrelevantes Wissen: Das für die Interpretation einer sprachlichen Äußerung erforder‐ liche Wissen. Es ist in → Frame-Strukturen organisiert und wird im Sprachgebrauch evoziert. Wie (auch) gesellschaftliches Wissen wird es in Diskursen immer wieder (re)produziert. Visual Literacy: Als Unterkategorie von → Literacy die Fähigkeit, visuelle Texte kritisch zu reflektieren. Diese soll dazu befähigen, Konventionen und Bereiche kultureller Markierung erkennen und verbalisieren zu können. Vollidiomatisch → Idiomatizität 376 9 Glossar <?page no="377"?> Register affektiver Faktor-276 Akkulturation-34 Akteure und Akteurinnen-137 Amtssprache-57 Arbitrarität-111 Aussprache-46 Austriazismus-107 Automatisierung des Lesens-250 Barcelona-Ziel 1+2-24, 244, 300 BICS-236 Bildungsföderalismus-197 bilingualer Sachfachunterricht-204, 301 binnendifferenzierend-85 Bottom-up-Prozess-172 Brückensprache-66 CALP-59, 236 CLIL-204 Codeswitching-80 Community Interpreting-266 Cultural Awareness-189 Cumulative Enhancement Model-94 deklaratives Wissen-180 Denotat-16 Diskurs-135 Diskurspraxis-139 Diskurstyp-186 doppelte Halbsprachigkeit-18 ECRML (European Charter for Regional or Minority Languages)-64 EMI-241 enklitischer Artikel-290 Erbwort-49 Erstsprache-68, 313 Ethnolekt-39 ethnophaulistisch-36 Faktorenmodell des Mehrsprachenlernens-303 Falsche Freunde-253 Family Literacy-271 Fremdwort-45, 49 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GeR)-264 Gesamtsprachencurriculum-300 Graphem-Phonem-Korrespondenz-250 heritage language-76 Herkunftssprache-76, 301, 313 Heterogenität-75 Hidden Curriculum-236 Historiolinguistik-34 Hybridtextsorte-129 Idiomatizität-107 Ikon-152 Indexikalisches Zeichen-153 Interdependenzhypothese-318 Interferenz-62, 218 Interkomprehension-70, 287, 304 Interkulturalität-170 Interlanguages-215 Jugendsprachen-40 Kann-Beschreibungen-222 Kognaten-289 Kompositum-105 Konnotat-16 Kontaktlinguistik-34 L3-Unterricht-88f. Ladinisch-59 Language Awareness-189, 218 Language Shift-36 <?page no="378"?> Latein-28 Lautentsprechung-289 Lehnwort-49 linguakulturelles System-216 Linguistic Landscape-184 Literacy-188 Medienliteralität-237 Mehrwortausdruck-105 Metasprache-253 Migration-28 Migrationshintergrund-75 Migrationslinguistik-32 MINT-202 Modalität-152 Motiviertheit-107, 110f. Multimodalität-151 Nationalsprache-68 Nationalsprachen-27 Neologismus-50 Onset-252 phonologische Bewusstheit-252 Phraseologismus-105 Pidginisierung-39 PISA-202 Pivot-Sprache-90 plurilinguale Kompetenz-305 Prestigesprache-276 Prosodie-252 prozedurales Wissen-180 Pseudoanglizismus-51 Reformation-28 Register-240 Rekodierung/ rekodieren-249 Remotivierung-109 Scaffolding-294 Scheinentlehnung-51 Sichtwortschatz-250 Slot-143 Soziolekt-34 Soziolinguistik-34 Sprach(en)bewusstheit-270 Sprach(en)erhalt-36 Sprach(en)tod-36 Sprach(en)verlust (language attrition)-96 Sprachangst-276 Sprachenkonventionen-236 Sprachinsel-38 Sprachkritik-53 Sprachlernbewusstheit-217 Sprachmittlung-82, 264, 301 Sprachstufe-47 Sprachverfall-52 Sprechangst-278 Standarddeutsch-44 Stil-118 Symbol-153 Textfunktion-120 Textsorte-116 Textsortenkriterium-121 Third Mission-234 Top-down-Prozess-172 Transferbrücke-217 Translanguaging-209 Varietätenlinguistik-34 Verständlichkeit-174 Verstehensprozess-173 verstehensrelevantes Wissen-143 Visual Literacy-180 zweite Lautverschiebung-47 378 Register <?page no="379"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1.1: Wortwolke jugendsprachliche Ausdrücke 2022 (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abbildung 1.2: Aus Goethes Dichtung und Wahrheit (Goethe 1811: 3) . . . . . . . . 46 Abbildung 2.1: Dreisprachiges Willkommensschild (Text auf Ladinisch, Deutsch und Italienisch) (Bild: Karen Fleischhauer) . . . . . . . . . . 62 Abbildung 2.2: Dreisprachiges Schild an der Bushaltestelle (Text auf Deutsch, Ladinisch und Italienisch) (Bild: Karen Fleischhauer) . . . . . . . . . 62 Abbildung 2.3: Viersprachige Leuchttafel in Bozen (Deutsch, Italienisch, Ladinisch, Englisch) (Bild: Sandra Sulzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abbildung 2.4: Lufthansa-Werbebanner am Pariser Flughafen Charles de Gaulle (Quelle: https: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ de/ 7/ 7a/ Lufth ansa_werbung_paris_cdg.JPG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Abbildung 3.1: Verkehrsschild an einer italienischen Straße (Bild: Lukas Daum) 123 Abbildung 3.2: Beispiel für Leserichtung eines Diagramms ohne explizite Achsbeschriftung, (Bildquelle: Bayerlein/ Buchner 2019: 19) . . . 131 Abbildung 3.3: Aktivistinnen demonstrieren, auf Politikerinnen bezugnehmend, vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Dieses Bild wurde wiederum in der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen. Bild: Protest vor dem Kanzleramt: picture alliance/ dpa | Christoph Soeder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Abbildung 3.4: Stark komprimierte Darstellung von DIMEAN nach Warnke 2019: 50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Abbildung 3.5: Der Frame CAR (eigene Darstellung nach Barsalou 1992: 30) . . 143 Abbildung 4.1a: Botanische Zeichnung eines Oleander-Asts aus Hendrik van Rheede et al. (1678-1693): Hortus Malabaricus, zuletzt abgerufen am 02.07.2021 von https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Ne rium_oleander00.jpg? uselang=de-formal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Abbildung 4.1b: Fotografie eines Oleanders (Bild: Lukas Daum) . . . . . . . . . . . . . . 153 Abbildung 4.2: Typen von Bildern nach Ballstaedt (2012: 19), die leeren Felder warten auf eigene Beispiele und Beispiele aus dem Text (siehe Experiment 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Abbildung 4.3: Bestelltafel aus einem chinesischen Imbiss in Deutschland (Bild: Constanze Bradlaw) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Abbildung 4.4: Notentabelle und -spiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Abbildung 4.5: Piktogramm zur Kennzeichnung glutenfreier Lebensmittel (Bildquelle: https: / / www.dzg-online.de/ informationen-zur-lizen zierung-bei-der-dzg.808.0.html, abgerufen am 16.12.20) . . . . . . . 160 Abbildung 4.6: Darstellungsebenen und ihr Abstraktionsgrad (Leisen 2005: 8) . 166 <?page no="380"?> Abbildung 4.7: Prozesse des Textverstehens (nach Leisen, Josef: Leseverstehen. http: / / www.sprachsensiblerfachunterricht.de/ lesen abgerufen am 18.12.2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Abbildung 4.8: Kommunikativer Rahmen, Darstellung in Anlehnung an Heringer 1984: 64 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Abbildung 4.9: Schild mit dem Appell ‚Schwimmen verboten‘ (Bild: Stefanie Nölle-Becker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Abbildung 4.10: Beispiel eines mehrsprachigen Bildes (Bild: Stefanie Nölle- Becker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Abbildung 5.1: Bildungsinstitutionen in Deutschland, Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: XX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Abbildung 5.2: Anteil (in Prozent) der Schulabgänger ohne Abschluss bezogen auf alle Schulabsolventen, Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft 2021: 66 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Abbildung 5.3: Weltweite Verteilung der Deutschlernenden nach Regionen, Quelle: Auswärtiges Amt 2020: 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Abbildung 5.4: Transfer an deutschen Hochschulen (Befragung von CHE), Quelle: Roessler 2020: 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Abbildung 5.5: Akteure des hochschulpolitischen Diskurses in Deutschland, eigene Darstellung nach Hettiger 2019: 114 . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Abbildung 5.6: Zunahme englischsprachiger Studiengänge an deutschen Hochschulen (eigene Darstellung, basierend auf Daten aus dem Hochschulkompass der HRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Abbildung 5.7: Studienabbruchquoten im Zeitraum 2005 bis 2014, Quelle: Kercher 2018: 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Abbildung 6.1: Graphem-Phonem-Korrespondenz Russisch-Deutsch . . . . . . . . . 255 Abbildung 6.2: Der Sprachmittlungsprozess, eigene Darstellung nach Hallet 2008: 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Abbildung 6.3: Eigene Abbildung in Anlehnung an Horwitz et al. (1986) . . . . . 278 Abbildung 7.1: https: / / www.publicdomainpictures.net/ es/ view-image.php? ima ge=162489&picture=el-gusano-inquisitivo 5. Juli 2023 . . . . . . . . 292 Abbildung 7.2: Plurilinguales Gesamtsprachencurriculum (aus Hufeisen 2018a: 142) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .