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Kollaboratives Schreiben

Eine rekonstruktive Studie zu Problemlösepraktiken im Französischunterricht

0530
2022
978-3-8233-9528-7
978-3-8233-8528-8
Gunter Narr Verlag 
Linda Pelchat
10.24053/9783823395287

Wie kollaborativ ist kollaboratives Schreiben? Die Arbeit untersucht, wie Schüler:innen zu zweit in der Fremdsprache Französisch schreiben. Dabei fokussiert sie Momente, in denen sich die Paare uneinig oder unsicher sind, und analysiert, wie sie diese Situationen lösen. Mittels eines gesprächsanalytischen Vorgehens werden fünf Problemlösetypen rekonstruiert. Damit liefert die Studie detaillierte Einblicke in kollaborative Schreibprozesse. Sie legt differenzierte Schlüsse sowohl für die Schreibtheorie als auch die tägliche Unterrichtspraxis nahe und zeigt die Komplexität dieser Schreibform auf.

9783823395287/Zusatzmaterial.html
<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Linda Pelchat Kollaboratives Schreiben Eine rekonstruktive Studie zu Problemlösepraktiken im Französischunterricht <?page no="1"?> Kollaboratives Schreiben <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Linda Pelchat Kollaboratives Schreiben Eine rekonstruktive Studie zu Problemlösepraktiken im Französischunterricht <?page no="4"?> Mit freundlicher Unterstützung der Barbara und Alfred Röver-Stiftung. Der ursprüngliche Titel dieser Arbeit lautete: „Fremdsprachliches Schreiben. Eine re‐ konstruktive Studie zu Problemlösepraktiken beim kollaborativen Schreiben im Fran‐ zösischunterricht“. Sie wurde an der Universität Kassel im Fachbereich Geistes- und Kulturwissenschaften eingereicht. Datum der Disputation: 20. Januar 2021. https: / / www.doi.org/ 10.24053/ 9783823395287 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8528-8 (Print) ISBN 978-3-8233-9528-7 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0336-7 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> Mein herzlicher Dank gilt allen, die mitgedacht, diese Arbeit begleitet, bereichert und ihren Teil zum Gelingen beigetragen haben. <?page no="7"?> 1 11 2 23 2.1 23 2.1.1 24 2.1.2 30 2.1.2.1 31 2.1.2.2 36 2.1.2.3 39 2.1.3 49 2.1.3.1 49 2.1.3.2 52 2.1.3.3 55 2.1.4 67 2.2 69 2.2.1 69 2.2.2 72 2.2.3 76 2.2.4 85 2.3 86 2.3.1 86 2.3.2 91 2.3.3 95 2.3.4 103 2.3.5 106 2.4 107 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreiben in der Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreiben im schulischen Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdsprachliches Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingungen und Spezifika des fremdsprachlichen Schreibens . . . . . . . . . . Kollaboratives Schreiben in der Fremdsprache . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elemente des kollaborativen Schreibens . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Schüler-Schüler-Interaktion . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemlösen in der Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ‚Fremdsprachliches Problemlösen‘ . . . . . . . . . . . . . Arbeitsdefinition: Fremdsprachliches Problemlösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenführung der theoretischen Grundlagen . . . . . . . <?page no="8"?> 3 113 3.1 113 3.1.1 113 3.1.2 117 3.1.3 124 3.1.4 129 3.1.5 141 3.2 149 3.2.1 150 3.2.2 159 3.2.2.1 163 3.2.2.2 180 3.2.2.3 191 3.2.2.4 204 3.2.2.5 213 3.2.3 225 3.2.3.1 225 3.2.3.2 227 3.2.3.3 236 3.2.4 243 3.2.5 253 4 257 4.1 257 4.2 265 4.2.1 265 4.2.2 277 4.3 284 293 321 321 322 322 324 Empirische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodisch-methodologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . Anlage der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Analysemethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analysevorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodenkritischer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyseergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empirische Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung der Problemlösetypen . . . . . . . . . . . . . . „Sich Distanzieren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Alleingang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Experte-Novize“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Aufgabenteilen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Kollaborieren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typübergreifende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorkommen der Problemlösetypen . . . . . . Problemlösetypen im Vergleich . . . . . . . . . Einschätzung der Problemlösetypen . . . . . Reflexionen zu Analysevorgehen und Ergebnissen Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . Theoretische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1: Schreibaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 2: Fragebogen I & II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragebogen I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragebogen II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 326 329 331 333 Anhang 3: Kollaborativ verfasste Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 4: Problemlösesequenzen (online zugänglich) . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Inhalt <?page no="11"?> 1 In dieser Arbeit werden punktuell Beiträge und Aussagen der Schülerinnen und Schüler zitiert, die über die der Analyse zugrunde liegenden 46 Fälle hinausgehen. Da im Anhang aus Platzgründen ausschließlich die Transkripte der 46 Fälle abgedruckt sind (s. Anhang 4), können vereinzelte Beiträge nicht im Transkript eingesehen werden. Sie werden im Text der Vollständigkeit halber dennoch mit Zeilenangaben wiedergegeben. 1 Einleitung zu zweit kriegen wir das bestimmt besser hin Said, SG06: 91 ach ich finds auch so schwierig zu zweit zu schreiben Said, SG06: 135 zu zweit hat man mehr ideen Elisa, Fragebogen II wir müssen zusammen schreiben elisa Markus, SG03: 422 Auf diese Weise äußerten sich Schülerinnen und Schüler einer 11. Klasse in dem vorliegenden Datensatz zum kollaborativen Schreiben. 1 Es handelt sich um Aus‐ sagen, die in Fragebögen notiert oder im Prozess des kollaborativen Schreibens im Französischunterricht geäußert wurden. Mit den hier ausgewählten Zitaten soll erstens in die hier zugrundeliegenden Daten eingestimmt werden. Die Schülerinnen und Schüler kommen selbst zu Wort und es soll gezeigt werden, dass und wie sie etwas zu sagen haben: Sie stehen in dieser Arbeit im Fokus. Zweitens verweisen ihre Äußerungen auf diejenigen Themen und Inhalte, die in der vorliegenden Studie bearbeitet werden: Es geht um eine Schreibform, die unter konkreten schulischen Rahmenbedingungen realisiert wird (wir müssen) und die sowohl auf einen erwarteten Mehrwert (mehr ideen, besser hinkriegen) als auch auf damit verbundene Herausforderungen (so schwer) hindeutet. Mit ihren Äußerungen wird das Feld aufgespannt, das in dieser Arbeit empirisch <?page no="12"?> 2 Dieser Satz war die Antwort einer Dyade auf die Frage Pourquoi écrivez-vous? Diese Frage sollten die Schülerinnen und Schüler - als Einstimmung und Vorbereitung auf das kollaborative Schreiben - zu Beginn der Datenerhebung in Gedichtform (Akrostichon) gemeinsam schriftlich beantworten. bearbeitet wird. Es wird untersucht, wie Schülerinnen und Schüler in dyadischer Konstellation eine Schreibaufgabe in einem realitätsnahen, schulischen Unterrichtssetting bearbeiten und was daraus für Theorie und Praxis resultieren kann. Erkenntnisinteresse Nous écrivons parce que nous devons. 2 Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist eine schreibdidaktische Motivation. Sie geht auf die Erfahrung zurück, dass erstens die Tätigkeit des Schreibens im Fremdsprachenunterricht gleichermaßen alltäglich, verankert und aufgrund der überwiegend schriftlichen Prüfungsformate grundlegend ist. Zweitens zeigt die Erfahrung auch, dass das Schreiben überwiegend dafür angewandt wird, sprach‐ liches Wissen zu trainieren und zu überprüfen, womit seine Funktion reduziert wird und woraus ein unfreiwilliges, möglichst korrektes Aneinanderreihen von Wörtern resultieren kann, wie es häufig zu beobachten ist (s. Zitat). Verbunden damit ist drittens festzustellen, dass der Fokus i. d. R. auf der Textebene liegt und dem Schreibprozess wenig Beachtung geschenkt wird, obwohl gerade dieser Einblicke und Aufschlüsse über Schwierigkeiten bei der Textproduktion geben kann (vgl. z. B. Grésillon / Perrin 2014: 82 f.; Lehnen 2000: 7, 2017: 299 f.). Eine Schreibform, die den Prozess in den Vordergrund rückt, ist das kolla‐ borative Schreiben. Dabei schreiben zwei oder mehr Personen gleichzeitig gemeinsam einen Text, was voraussetzt, dass sie sich austauschen. Auf diese Weise werden Einblicke in die komplexen Schreibprozesse gegeben und die interaktionale Ebene wird relevant. Das kollaborative Schreiben kann mit Aspekten einhergehen, die aus lerntheoretischer Sicht von besonderem Inter‐ esse sind. So konnte bspw. Storch in mehreren Studien feststellen, dass sich beim gemeinsamen Schreiben folgende Phänomene beobachten lassen: Die ge‐ meinsame Wissensbasis vergrößert den Ressourcenzugriff insgesamt (Pooling), die Interaktanten können sich ergänzen und unterstützen (Scaffolding), sie verbalisieren dabei ihr Vorgehen und ihre Überlegungen (Languaging), wodurch sie Bewusstheit erlangen und evtl. Lücken identifizieren können (vgl. z. B. Storch 2016: 389 f.). Diese Beobachtungen basieren auf Studien, die überwiegend mit fortgeschrittenen Lernenden, meist Erwachsenen im universitären Kontext für den Bereich English as a Second Language ( ESL ) und English as a Foreign 12 1 Einleitung <?page no="13"?> 3 Beim Dictogloss handelt es sich um eine Lerntechnik, die i. d. R. auf bestimmte gramma‐ tische Strukturen abzielt, bei der Lernende einen gehörten Text gemeinsam schriftlich rekonstruieren (vgl. z. B. Storch 2013: 52). 4 Storch stellt in einer Tabelle die bisherigen Arbeiten zum kollaborativen Schreiben zusammen, sortiert nach Lernenden, Kontext, der eingesetzten Aufgabe und Informa‐ tionen zur konkreten Umsetzung (vgl. dies. 2013: 45 ff.). 5 Bei den Language Related Episodes (LRE) handelt es sich um Sequenzen, in denen die Sprache und ihre Verwendung - bspw. in Form von Korrekturen und metasprachlichen Reflexionen - thematisiert wird (vgl. Jackson 2001; Storch 2016: 388 f.). Language ( EFL ) durchgeführt wurden. Der Fokus lag dabei überwiegend auf der sprachformalen Korrektheit bestimmter grammatischer Phänomene, ent‐ sprechend wurden überwiegend reproduzierende Formate wie das Dictogloss  3 eingesetzt (vgl. u. a. Storch 2013: 45 ff.). 4 Trotz dieser auch für den schulischen Fremdsprachenunterricht durchaus vielversprechenden Erkenntnisse wird das kollaborative Schreiben dort kaum eingesetzt und wenig beforscht, wie auch ein Blick in die Literatur bestätigt (vgl. Storch 2013: 1). Dies scheint im Widerspruch zu stehen mit den Potentialen, die aus Studien zum kollaborativen Schreiben bekannt sind. Diese Ausgangssituation wird in dieser Studie zum Anlass ge‐ nommen, das kollaborative Schreiben im Fremdsprachenunterricht einzusetzen und forschend zu begleiten. Anders als Storch und weitere, die den Fokus hauptsächlich auf die grammatische Korrektheit legen, soll in der vorliegenden Arbeit ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden, der die Interaktionen der Schülerinnen und Schüler in den Blick nimmt und damit auch einen Beitrag leistet zu der bislang wenig erforschten Perspektive der Schülerinnen und Schüler (vgl. Trautmann 2014: 78). Dies soll anhand der Gesprächsanalyse nach Deppermann (2008) umgesetzt werden, denn sie erfasst neben der linguistischen auch die interaktionale Ebene und basiert auf realitätsnahen Daten. Um den vielschichtigen Gegenstand des kollaborativen Schreibens im Hin‐ blick auf das fremdsprachliche Lernen und Lehren in angemessener Tiefe erforschen zu können, soll dieser weiter fokussiert werden. Das Augenmerk ist auf diejenigen Momente gerichtet, die aus fremdsprachendidaktischer Sicht als besonders vielversprechend einzustufen sind. Dazu gehören - versteht man das Fremdsprachenlernen als einen konstruktiven Prozess - insb. Momente, in denen eine intensive Auseinandersetzung mit der Fremdsprache stattfindet. Derartige Momente ergeben sich vor allem dann, wenn zwei oder mehr Personen zusammenarbeiten. Zu nennen sind hier bspw. Bedeutungsaushand‐ lungen (vgl. Schwab 2009: 314), Aushandlungsmomente (vgl. Lehnen 2014: 415), Prozesse der gemeinsamen Wissensbildung (vgl. Keller 2013: 241) oder auch Momente, in denen die Sprache selbst thematisiert wird, sog. Language Related Episodes ( LRE ) 5 . Der Ansatz, der in dieser Arbeit verfolgt wird, besteht 13 1 Einleitung <?page no="14"?> darin, Problemlöseprozesse, wie sie in der psychologischen Problemlösefor‐ schung beschrieben werden, in den vorliegenden Daten zu identifizieren und als Analyseeinheit zugrunde zu legen. Das Problemlösen geht, wie auch die vorher genannten Phänomene, einher mit einer aktiven Auseinandersetzung und Konfrontation mit den vorhandenen Ressourcen der Interaktanten sowie - bedingt durch das Setting des kollaborativen Schreibens - mit dem Einsatz sozialer Ressourcen. Ein Problem wird von den Schreibenden erstens festge‐ stellt, zweitens wird dieses mittels Denkprozessen bearbeitet und drittens dabei möglichst gelöst. Problem und Problemlösen wird hier im psychologischen Sinne verwendet und ist nicht wie im Alltagsverständnis impliziert negativ i. S. von ‚schwierig‘ ‚problematisch‘ zu verstehen (s. auch Kap. 2.3.1.). Da es sich hier um eine fremdsprachendidaktische Arbeit handelt, interes‐ sieren dabei insb. fremdsprachliche Problemlösesequenzen, also Sequenzen, die sich auf das Lösen fremdsprachlicher Probleme beziehen. Damit ist der Fokus auf diejenigen Bereiche gelenkt, die von den Schülerinnen und Schülern selbst als bearbeitungswürdig wahrgenommen werden. Es wird untersucht, wie sie ihre fremdsprachlichen Probleme gemeinsam bearbeiten, wobei die interaktionale Ebene miteingeschlossen ist. Auf diese Weise wird ein begrenztes und dennoch vielschichtiges fremdsprachendidaktisches Interesse verfolgt, das nach fremd‐ sprachlichen Phänomenen, individuellen, kognitiven Prozessen sowie sozialen Zusammenhängen fragt. Dieses Erkenntnisinteresse wird in den folgenden zwei Forschungsfragen konzentriert. Forschungsfragen Das Erkenntnisinteresse besteht darin, zu erfahren, welche Funktionen das kollaborative Schreiben im Französischunterricht erfüllen kann und welche Schlüsse daraus gezogen werden können. Dafür wird zunächst nach den Bear‐ beitungen der Schülerinnen und Schüler gefragt (Forschungsfrage 1). In einem zweiten Schritt werden diese eingeschätzt (Forschungsfrage 2): Forschungsfrage 1: Wie bearbeiten die Schülerinnen und Schüler ihre fremd‐ sprachlichen Probleme? Diese Frage legt den Fokus auf die Handlungen der Schülerinnen und Schüler. Auf einer beschreibenden Ebene wird erfasst, was sie wie und mit welchem Ziel tun. In ihren konkreten Handlungen wird nach Erklärungen für ihre Handlungen sowie nach musterhaften Bearbeitungen gesucht, die in ihren Gesprächspraktiken manifest werden. Praktiken werden in diesem Kontext in ihrem Sinne als in einer konkreten Situation stattfindende, wiederkehrende, 14 1 Einleitung <?page no="15"?> 6 Hier sei darauf verwiesen, dass der Begriff Praktik in verschiedenen Disziplinen eingesetzt und sehr unterschiedlich verwendet wird. Dieser Begriff wird in der vorlie‐ genden Arbeit eingesetzt, da er in der Gesprächsanalyse von Deppermann (2008) eine zentrale Rolle spielt. Eine Auseinandersetzung mit sprachlichen und kommunikativen Praktiken, in Bezug auf linguistische Fragestellungen legen bspw. Deppermann et al. (2016) in ihrem Sammelband Sprachliche und kommunikative Praktiken vor. Sie identifizieren in ihrem einleitenden Kapitel acht „Bestimmungsstücke“, von denen ausgehend sie sich dem Begriff annähern. Weiterführend vgl. auch Bourdieus (1987) Verständnis von Praxis, insb. Kap. 4. Die Logik der Praxis sowie Savigny et al. (2001), die sich disziplinübergreifend mit dem Phänomen beschäftigen und von einem practice turn sprechen. musterhafte Handlungen verstanden (vgl. Deppermann 2008). 6 Da es sich hier um Gesprächspraktiken handelt, die auf Problemlösesequenzen bezogen sind, werden diese fortan als Problemlösepraktiken bezeichnet. Aus diesen Praktiken wiederum sollen schließlich Problemlösetypen entwickelt werden. Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive drängt sich dabei die Frage nach einer Einschätzung dieser Bearbeitungen auf. Diese wird mit der zweiten Forschungsfrage angegangen: Forschungsfrage 2: Welche Funktionspotentiale können anhand dieser Bearbei‐ tungen rekonstruiert werden? Hier liegt der Fokus auf den Einschätzungen der Handlungen der Schüle‐ rinnen und Schüler. Es wird danach gefragt, welche möglichen Funktionen (Funktionspotentiale) durch die Bearbeitungen erfüllt werden können, also grundsätzlich möglich sind (z. B. ein sprachliches Problem zu lösen oder nicht zu lösen). Aus diesen Funktionen wiederum können Schlüsse gezogen werden auf damit verbundene eventuelle Lernpotentiale und Grenzen. Es geht also grundsätzlich um die Funktion und Bedeutung, die die Bearbeitungen der Schülerinnen und Schüler haben können. Die Beantwortung dieser Frage soll auch Aufschluss darüber geben, wie ‚erfolgreich‘ diese Bearbeitungen sind. Zielsetzung Ausgehend von einem fremdsprachendidaktischen Anspruch, der grundsätz‐ lich darauf abzielt, Lern- und Lehrprozesse (besser) zu verstehen, um diese letztendlich beeinflussen zu können, sollen mit der vorliegenden Arbeit detail‐ lierte Einblicke in den gemeinsamen fremdsprachlichen Schreibprozess der Schülerinnen und Schüler gegeben werden. Dabei wird ihre Perspektive in den Vordergrund gerückt, ihren Stimmen Gewicht verliehen, was methodisch durch einen gesprächsanalytischen Zugang umgesetzt wird. Ihre Handlungen werden in den Problemlösesequenzen herausgearbeitet und die damit einher‐ gehenden Funktionen und Ziele ermittelt, um zu verstehen, wie und wozu die 15 1 Einleitung <?page no="16"?> 7 Schmenk diskutiert die Gefahr von ‚Dilletantismus‘, die damit einhergeht, dass in der Fremdsprachenforschung so zahlreiche Bezugswissenschaften eine Rolle spielen, was bedingt, dass nicht alle Bereiche in der erwünschten Tiefe bearbeitbar sind. Sie schluss‐ folgert daraus einerseits Befreiung und fordert andererseits zu Selbstdisziplin auf: „Wir sind nicht unbedingtem Gehorsam verpflichtet, sondern wildern in all denjenigen Gefilden, die uns helfen können unseren Gegenstandsbereich besser bzw. genauer zu erfassen. […] Wohl wissend, dass uns dabei Grenzen auferlegt sind.‟ (Schmenk 2019: 32 f.). Schülerinnen und Schüler in einer bestimmten Weise handeln. Dabei wird nach Handlungsmustern und möglichen Zusammenhängen gesucht. Indem konkrete Praktiken aufgedeckt werden, können - so die Annahme - komplexe Abläufe, Prozesse und Zusammenhänge sichtbar werden. So wird ausgehend von einem konkreten Phänomen nach seiner Realisierung in einem bestimmten Kontext gefragt (vgl. auch Feilke 2016a: 273 ff.). Aus der Anlage der Arbeit und den damit verbundenen Zielsetzungen wird ersichtlich, dass es sich um eine Momentaufnahme eines begrenzten Phänomens handelt und keine Aussagen über Lerneffekte zulässt. Jedoch geht es in dieser Arbeit zentral um die Frage nach Funktionspotentialen und damit auch um mögliche Lerngelegenheiten. In diesem Sinne möchte diese Forschung in erster Linie dazu beitragen, Einblicke in die konkrete Anwendung des kollaborativen fremdsprachlichen Schreibens zu geben, auf Prozesse und Funktionen hinzu‐ weisen, daraus Potentiale und Risiken zu rekonstruieren und damit Informa‐ tionen zu liefern, die unmittelbar relevant für die Theoriebildung und die fremdsprachliche Unterrichtspraxis sein können (s. Kap. 4.2.). Auf diese Weise soll auf einen informierten und reflektierten Umgang mit dem kollaborativen Schreiben hingewirkt werden. Verortung der vorliegenden Arbeit Es handelt sich bei der vorliegenden Studie um eine fremdsprachendidaktische Arbeit, die naturgemäß interdisziplinär ausgerichtet ist. Sie ist interessiert an fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen im Kontext des Französischunter‐ richts. Diese können nicht losgelöst von dem gegebenen Kontext, den Akteuren und Akteurinnen sowie den angrenzenden Disziplinen betrachtet werden. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies i. S. eines „interdisziplinär-integrativen Ansatzes“ (Bausch et al. 2016: 20 f.) andere Disziplinen einzubeziehen und zu ‚nutzen‘, 7 um Erkenntnisse für das komplexe Feld der Fremdsprachendi‐ daktik zu generieren (vgl. Aguado 2019: 68 f.; Schmenk 2019; Wilden / Rossa 2019). Konkret bedeutet dies für diese Arbeit den Einbezug der (kollabora‐ tiven) fremdsprachlichen Schreibforschung, der Interaktionssowie der Prob‐ lemlöseforschung. Mit dem kollaborativen Schreiben wird der Fokus auf den 16 1 Einleitung <?page no="17"?> 8 In dieser Arbeit wird die im deutschen Sprachraum gängige Bezeichnung soziokulturell verwendet (vgl. z. B. Aguado 2010). Gemeint ist damit, was in der anglophonen Literatur als sociocultural theory, auch SCT, bezeichnet wird und auf die Arbeiten Vygotskijs zurückgeht. 9 Compernolle spricht von Second Language und meint damit jede weitere gelernte Sprache nach der Erstsprache (2015: 1). Der Sammelband von Lantolf / Poehner (2008) verwendet ebenfalls Second Language / L2 im weiten Sinne als Überbegriff für Zweit- und Fremdsprache. 10 Vor dem Hintergrund einer dialektischen Perspektive (wie sie Vygotskij vertritt), wonach Körper und Geist eine untrennbare Einheit bilden, geschieht Lernen sowohl durch die konkrete Erfahrung als auch mittels abstrakter, theoretischer Konzepte (vgl. Lantolf / Poehner 2008: 4 ff.). Bspw. wird ein Wal nach dem Erfahrungslernen als Fisch eingeordnet, wissenschaftlich betrachtet handelt es sich jedoch um ein Säugetier. Aufgabe von Schule ist es demnach einen Rahmen zu schaffen, in dem konkretes Erfahrungswissen mit abstraktem, theoretischem Wissen zusammengeführt wird, um ein tiefergehendes Verständnis zu ermöglichen. fremdsprachlichen Schreibprozess gelegt (Kap. 2.1.2.). Durch das kollaborative Schreiben (Kap. 2.1.3.) sind die Interaktanten gezwungen sich auszutauschen, Interaktion wird zu einer Bedingung, weshalb die Interaktionsforschung einbe‐ zogen wird (Kap. 2.2.). Die Problemlöseforschung wird insofern einbezogen, als Problemlösesequenzen die Analyseeinheit darstellen. Sie wird dafür genutzt, diejenigen Sequenzen aus den Daten auszuwählen, die als relevant eingestuft werden (Kap. 2.3.). Es geht hier also darum, die jeweiligen Forschungsbereiche zu nutzen, um den vorliegenden, vielschichtigen Forschungsgegenstand umfas‐ send bearbeiten zu können. Theoretisch gerahmt werden diese Forschungsbereiche mit der zugrunde liegenden, sprachlerntheoretischen Annahme, dem soziokulturellen Ansatz, 8 der die soziale Ebene prominent miteinschließt. Ausgehend von den Arbeiten des Entwicklungspsychologen Vygotskijs in der Weiterführung und Anwen‐ dung für den Kontext des Zweit- und Fremdsprachenlernens und -lehrens 9 von Lantolf / Poehner (2008) und Compernolle (2015) wird (Fremdsprachen-)Lernen verstanden als ein sozial eingebetteter konstruktiver Prozess, bei dem das Ver‐ haltens- und Handlungsrepertoire verändert bzw. erweitert wird (vgl. Tassinari 2010: 130). Folglich spielen die zwischenmenschliche, kommunikative Interak‐ tion und auch der jeweilige Kontext eine zentrale Rolle und beeinflussen sich wechselseitig (vgl. Compernolle 2015: 5; Vygotskij 1978: 79 ff.). 10 Für den Fremd‐ sprachenunterricht bedeutet dies, dass er ein Ort ist, an dem Sprache erstens vermittelt wird (Gegenstand) und zweitens Gelegenheiten gegeben werden, die Sprache anzuwenden (Medium). Dies erfolgt vor allem in Situationen, die realen Sprachverwendungssituationen nachempfunden, folglich simuliert werden (vgl. z. B. Edmondson / House 2011: 244). Bei der Frage der Vermittlung (mediation) 17 1 Einleitung <?page no="18"?> 11 Lantolf / Poehner (2008: 2) merken an, dass sich Vygotskij in seinen Arbeiten zwar auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bezieht, argumentieren aber dafür, dass seine Erkenntnisse nicht darauf zu beschränken seien. Vygotskij selbst definiert die ZPD wie folgt und bezieht sich dabei auf seine Beobachtungen mit Kindern: „It is the distance between the actual developmental level as determined by independent problem solving and the level of potential development as determined through problem solving under adult guidance or in collaboration with more capable peers.‟ (Vygotskij 1978: 86). wird aus soziokultureller Perspektive das von Vygotskij entwickelte Konzept der sog. Zone of Proximal Development ( ZPD ) bedeutsam. Damit beschreibt er seine Entdeckung, wonach Kinder mit Unterstützung zu Handlungen fähig sind, die sie alleine nicht realisieren könnten. 11 In dieser ZPD offenbare sich, so seine Argumentation, die zukünftige Entwicklung, das was noch nicht gereift, aber im Prozess der Reifung befindlich ist, trete zu Tage. Demnach betrachtet er die ZPD auch als Werkzeug, mit dem zukünftige Entwicklung erfasst werden kann: „what a child can do with assistance today she will be able to do by herself tomorrow.‟ (ders. 1978: 87; vgl. auch ebd.: 85 ff.). Mit diesem Konzept wird ein zentraler Bereich des Lernens erfasst, der in direkter Abhängigkeit zu menschlicher Interaktion steht und damit die soziale Ebene betont, eine Erkenntnis, die besonders im Bildungskontext viel rezipiert wurde (vgl. z. B. Bernié / Brossard 2014; Jegodtka 2016; Lengyel 2009; Vadeboncoeur 2017) und auch für die vorliegende Arbeit eine zentrale Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund möchte die vorliegende Studie ausgehend von Be‐ obachtungen einer realitätsnahen Unterrichtspraxis rekonstruktiv das kollabo‐ rative fremdsprachliche Schreiben untersuchen. Sie möchte damit einen Beitrag leisten zur kollaborativen fremdsprachlichen Schreibforschung und dabei die Perspektive der Schülerinnen und Schüler, die bislang dabei weitgehend außen vor gelassen wurde, in den Vordergrund rücken. Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit besteht aus vier Teilen. Auf die Einleitung, die einen groben Überblick über Erkenntnisinteresse, die damit verbundenen Forschungs‐ fragen sowie die Zielsetzung gibt (1) folgen die theoretischen Grundlagen (2). Darin werden diejenigen Forschungsfelder ausgeführt, auf denen die empiri‐ sche Untersuchung basiert. Im Kapitel zum Schreiben in der Fremdsprache (2.1.) wird einführend die Ausgangslange des Schreibens im schulischen Kon‐ text allgemein dargestellt sowie Funktionen und Einflussfaktoren aufgezeigt (2.1.1.). Daraufhin wird das fremdsprachliche Schreiben erläutert (2.1.2.). Dafür wird einführend eine Begriffsklärung vorgenommen (2.1.2.1.). Es folgt ein Forschungsüberblick (2.1.2.2.). Im anschließenden Kapitel werden die Spezifika 18 1 Einleitung <?page no="19"?> des fremdsprachlichen Schreibens herausgestellt (2.1.2.3.). Im Kapitel zum kollaborativen Schreiben (2.3.1.) wird diese Schreibform zunächst vorgestellt (2.1.3.1.). Der diesbzgl. Forschungsüberblick wird skizziert (2.1.3.2.) und dar‐ aufhin diejenigen Elemente ausführlich besprochen, die sich im Hinblick auf die vorliegende Arbeit als besonders relevant erweisen (2.1.3.3.). Das Schreibkapitel endet mit einer Zusammenfassung (2.1.4.). Das Kapitel zur Schüler-Schüler-Interaktion (2.2.) diskutiert einführend den Begriff (2.2.1.), gibt einen Forschungsüberblick (2.2.2.), widmet sich zentralen Aspekten der Schüler-Schüler-Interaktion (2.2.3.) und endet mit einer Zusam‐ menfassung (2.3.4.). In dem Kapitel zum Problemlösen (2.3.) wird zunächst einführend das Phä‐ nomen des Problemlösens dargestellt (2.3.1.). Auf den Forschungsüberblick (2.3.2.) folgt die Anwendung des Problemlösens auf den fremdsprachlichen Kontext (2.3.3.), die in einer Arbeitsdefinition mündet (2.3.4.). Eine Zusammen‐ fassung beschließt das Kapitel (2.3.5.). In dem abschließenden Kapitel zu den theoretischen Grundlagen (2.4.) wird eine zusammenfassende Betrachtung der drei Forschungsbereiche (Schreib-, In‐ teraktions- und Problemlöseforschung) in Bezug auf das hier zugrunde liegende Erkenntnisinteresse gegeben und es werden Schnittstellen aufgezeigt. Im dritten empirischen Teil dieser Arbeit (3) werden zunächst die metho‐ disch-methodologischen Grundlagen gelegt (3.1.). Dafür wird die Anlage der Studie vorgestellt (3.1.1.). Die Datenerhebung wird beschrieben (3.1.2.), die Wahl der Analysemethode begründet (3.1.3.) und die Vorgehensweise erläutert (3.1.4.). Dieser Teil endet mit einem methodenkritischen Rückblick (3.1.5.). Das Kapitel der Analyseergebnisse (3.2.) beginnt einführend mit Informa‐ tionen zur empirischen Datengrundlage (3.2.1.). Es folgen die Darstellungen der jeweiligen Problemlösetypen (3.2.2.). Das darauffolgende Kapitel (3.2.3.) enthält eine typenübergreifende Betrachtung. Dabei werden die Typen in Bezug auf ihr Vorkommen (3.2.3.1.) und im Vergleich untereinander behandelt (3.2.3.2.) und eingeschätzt (3.2.3.3.). Das in dieser Arbeit realisierte Analysevorgehen wird in Kapitel 3.2.4. reflektiert. Der empirische Teil endet mit einer zusammenfas‐ senden Betrachtung der Analyseergebnisse (3.2.5.). Der vierte und letzte Teil dieser Arbeit (4) widmet sich den Schlüssen, die aus den empirischen Analysen vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlagen gezogen werden können. Dafür wird zunächst die Studie zusammenfassend dargestellt (4.1.). Im Kapitel der Schlussfolgerungen (4.2.) wird diskutiert, welche Implikationen sich aus den vorliegenden Ergebnissen für die Theorie (4.2.1.) und die unterrichtliche Praxis (4.2.2.) ergeben können. Die Arbeit endet mit einer abschließenden Diskussion der Ergebnisse und einem Ausblick (4.3.). 19 1 Einleitung <?page no="20"?> 12 Die anglophone Literatur wird einbezogen, da viele prägende Impulse aus dem anglo‐ phonen Raum ausgingen und ausgehen (wie das Schreibmodell von Flower / Hayes, Peer-Feedback, kollaboratives Schreiben) und ein überwiegender Teil der Schreibfor‐ schung in Englisch publiziert wird, somit breit rezipiert und von großer Reichweite ist. Die frankophone Literatur wird mit einbezogen, da die französische Sprache den hier beobachteten Unterrichtsgegenstand und das Medium darstellt und somit dazu beitragen kann, Spezifika der französischen Sprache einzubeziehen. Lesehinweise Der Anspruch der vorliegenden Arbeit ist es, möglichst eindeutige Begriffe zu verwenden. Es wird versucht, das Gemeinte möglichst genau und unmissver‐ ständlich zu benennen. Dafür werden, sofern sinnvoll und notwendig, Begriffe bei ihrer Erstnennung eingeführt und ggf. diskutiert sowie das zugrunde gelegte Verständnis erläutert. Damit einher geht auch, sich möglichst konsequent innerhalb eines Diskurses zu bewegen, um Verwirrung und Unschärfe zu ver‐ meiden. Das bedeutet konkret, dass bspw. bezogen auf die Analyse weitgehend das Vokabular von Deppermann angewendet wird (Gesprächspraktik, Typ, Typologie etc.). Bei der zugrunde gelegten Literatur handelt es sich vorwiegend um deutsch‐ sprachige Quellen aus unterschiedlichen Fachrichtungen (Fremdsprachen-, Französisch-, Englischdidaktik, Allgemeinpädagogik, Psychologie). Darüber hinaus wird insb. auf anglophone und z. T. frankophone Literatur zurückge‐ griffen. 12 Mit der Verwendung vielsprachiger Quellen wiederum ist ein Wechsel zwischen Sprachen verbunden und damit einhergehend ein noch stärkerer Wechsel zwischen den Diskursen, der dann zu Entscheidungen zwingt, wenn Konzepte und damit verbundene Begriffe in einem anderen Sprachraum, einer anderen Disziplin nicht vorhanden sind oder unterschiedlich verwendet werden (wie z. B. die Kompetenzdebatte, die hauptsächlich im deutschsprachigen Raum geführt wurde). In dieser Arbeit wird angestrebt, in der Bewegung zwischen den Forschungsbereichen und Sprachen keine zentralen Ideen zu verlieren oder diese zu modifizieren, sondern stattdessen diese Vielfalt zu nutzen. Wes‐ halb, sofern Übersetzungen uneindeutig sind, möglichst originalsprachliche Begriffe eingesetzt werden. Gleichzeitig kann an manchen Stellen auf begriff‐ liche Unschärfe nur hingewiesen werden. In der anglophonen Forschung z. B. wird häufig nicht unterschieden, ob es sich um eine im informellen Kontext gelernte Zweitprache (Second Language) oder um eine Fremdsprache (Foreign Language) handelt. Stattdessen wird häufig beides unter Second Language subsumiert, worauf die Forscherinnen und Forscher z. T. selbst hinweisen (z. B. Compernolle 2015: 1; Storch 2013: 1). Dieses Vorgehen ist zwar einerseits verständlich und sinnvoll, da durchaus viele Überschneidungen vorliegen, die 20 1 Einleitung <?page no="21"?> eine gemeinsame Betrachtung nahelegen und damit auch das Forschungsfeld erweitern. Andererseits geht dies mit Informationseinbußen einher. Auf diese Weise können bspw. Einflussfaktoren, die spezifisch für den einen oder an‐ deren Kontext sind, nicht mehr zugeordnet werden (vgl. auch Reichert / Marx 2020: 37). Idealerweise wäre hier außerdem noch weiter zu differenzieren zwi‐ schen der erstgelernten Fremdsprache, i. d. R. Englisch, und weiteren gelernten Fremdsprachen, sog. Tertiärsprachen. Bei Letzteren liegen die Erfahrungen der erstgelernten Fremdsprache vor und können dementsprechend genutzt werden, was spezifische Lernbedingungen schafft. Aufgrund der begrenzten Forschungslage zum kollaborativen, fremdsprachlichen Schreiben allgemein und dem damit verbundenen notwendigen Rückgriff auf Erkenntnisse aus der anglophonen Schreibforschung kann diese Differenzierung in dieser Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Entsprechend wird in der vorliegenden Arbeit soweit möglich unterschieden zwischen der Erst- Zweit- und Fremdsprache. Der Begriff Erstsprache (und nicht die konnotierte Bezeichnung Muttersprache) wird verwendet, um die erstgelernte Sprache zu bezeichnen. Als Zweitsprache wird diejenige Sprache bezeichnet, die im informellen (meist familiären) Kon‐ text gelernt wurde. Als Fremdsprache werden die im institutionellen Rahmen erlernten Sprachen bezeichnet. Mit diesem Anspruch geht letztlich auch einher, eine möglichst genderneut‐ rale Sprache zu verwenden. Es wird von Schülerinnen und Schülern gespro‐ chen, wenn beide gleichermaßen gemeint sind. Geht es nur um männliche oder weibliche Personen wird die geschlechtsspezifische Bezeichnung gewählt. Grundsätzlich werden, soweit möglich, geschlechtsübergreifende Begriffe wie Interaktanten, Lehrkräfte etc. eingesetzt. Wird davon abgewichen, wird dies an der jeweiligen Stelle vermerkt und diskutiert bzw. begründet. Wenn gender‐ neutrale Benennungen die Lesbarkeit deutlich erschweren (wie bspw. Interak‐ tion zwischen Schülerinnen / Schülern und Schülerinnen / Schülern), wird das generische Maskulinum verwendet und damit Personen beiden Geschlechts bezeichnet. Wenn möglich, wird dabei auf feststehende Bezeichnungen zurück‐ gegriffen (z. B. Schüler-Schüler-Interaktion, Experte-Novize). 21 1 Einleitung <?page no="23"?> 1 Diejenigen Arbeiten, die sich dem kollaborativen Schreiben in der Fremdsprache widmen, werden nicht in diesem Kapitel, sondern in Kap. 2.1.3. aufgeführt. 2 Theoretische Grundlagen In diesem Kapitel werden diejenigen Bereiche und ihre theoretischen Hinter‐ gründe, die für das vorliegende Forschungsinteresse relevant sind, erläutert. Da es sich um eine fremdsprachendidaktische Arbeit handelt, spielen Bezugs‐ wissenschaften naturgemäß eine große Rolle (s. auch Kap. 1). Gegenstand sind Problemlösepraktiken von Schülerinnen und Schülern beim kollaborativen Schreiben im Französischunterricht. Demnach ist diese Arbeit in erster Linie in der fremdsprachendidaktischen Schreibforschung verortet (Kap. 2.1.). Mit dem kollaborativen Schreiben wird eine schreibprozessbetonte Schreibform unter‐ sucht, die mündlichen Austausch zwischen den Schreibenden bedingt. Deshalb werden auch Erkenntnisse aus der Schüler-Schüler-Interaktion herangezogen (Kap. 2.2.). Schließlich wird das Feld der Problemlöseforschung betrachtet, da Problemlösesequenzen als potentielle Lerngelegenheiten angesehen und deshalb als Analyseeinheit zugrunde gelegt werden (Kap. 2.3.). Der theoretische Teil schließt mit einer Zusammenführung, in der die jeweiligen Erkenntnisse aus den theoretischen Grundlagen zusammenfassend dargestellt und abschließend aufeinander bezogen dargelegt werden (2.4.). 2.1 Schreiben in der Fremdsprache In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen für das Schreiben in der Fremdsprache gelegt (2.1.). Dafür wird zunächst die Ausgangslage skizziert, indem die Rolle des Schreibens im Fremdsprachenunterricht und dessen Rah‐ menbedingungen in seinen wesentlichen Aspekten umrissen werden (2.1.1.). Das sich anschließende Kapitel widmet sich dem fremdsprachlichen Schreiben (2.1.2.). 1 Dabei wird einführend die Tätigkeit des Schreibens allge‐ mein erläutert (2.1.2.1.). Auf den Forschungsüberblick zum fremdsprachlichen Schreiben (2.1.2.2.) folgt das dritte Teilkapitel, in dem die Bedingungen und Spe‐ zifika des fremdsprachlichen Schreibens zusammengetragen werden (2.1.2.3.). Vor diesem Hintergrund wird in dem nächsten Kapitel das kollaborative Schreiben in der Fremdsprache (2.1.3.) erläutert. Es beginnt mit einer Einführung und begrifflichen Klärung des Gegenstandes (2.1.3.1.), gibt daraufhin einen <?page no="24"?> Forschungsüberblick (2.1.3.2.) und widmet sich dann den zentralen Elementen, die das kollaborative Schreiben in der Fremdsprache auszeichnen (2.1.3.3.). Das Kapitel zum Schreiben in der Fremdsprache endet mit einer Zusammen‐ fassung (2.1.4.), in der die zentralen Aussagen der jeweiligen Kapitel wiederge‐ geben werden. 2.1.1 Schreiben im schulischen Fremdsprachenunterricht Schreiben gehört zu den alltäglichen Handlungen des Fremdsprachenunterrichts. Schülerinnen und Schüler schreiben ab, fügen Endungen, Wörter oder ganze Sätze in Tabellen, Lückentexte und Grammatikübungen ein, notieren Hausaufgaben, Gedanken, Stichpunkte und schreiben kurze und gelegentlich auch längere zusammenhängende Texte. Diese Aufzählung führt einerseits die Vielseitigkeit und Eingebundenheit von Schreibhandlungen im Fremdsprachenunterricht vor Augen. Andererseits zeigt dies auch, dass das Schreiben verschiedene Funktionen erfüllt: es wird geschrieben, um zu memorisieren, zu üben, Gedanken zu struktu‐ rieren, sich auszudrücken, Gelerntes wiederzugeben etc. Diese Aufzählung verdeutlicht bereits, dass mit dem Schreiben unterschied‐ liche Funktionen verbunden sind. Bezogen auf die unterrichtliche Ebene interes‐ siert im Kontext des Fremdsprachenlernens und -lehrens insb. die Frage danach, welche Rolle das Schreiben im Lernprozess einnimmt. Das Schreiben erfüllt dort, neben der kommunikativen (vgl. u. a. Allwermann 2019b: 2; Börner 1989a: 350 f.; Nieweler 2004b: 2), eine gedächtnisstützende und -entlastende Funktion: Es wird zum Üben neuer Strukturen und Ausdrücke eingesetzt und kann bspw. in Form von Notizen für einen mündlichen Beitrag gedächtnisentlastend wirken. Vor dem Hintergrund, dass Denken und Schreiben in einem engen Zusammenhang stehen, lässt sich das Schreiben auch als „Denkwerkzeug“ (Molitor-Lübbert 2002: 33 f.; s. auch Fußnote 45, S. 41) charakterisieren. Das Schreiben in seiner heuristischen Funktion kann eingesetzt werden, um Gedanken schrittweise zu ‚verfertigen‘ (Kruse 2001: 3), zu schärfen, zu fassen, zu strukturieren, Zu‐ sammenhänge herzustellen etc. und damit neues Wissen zu schaffen - eine Funktion, die besonders für fortgeschrittene Schreibende relevant wird (vgl. u. a. Kruse 2001: 106; Molitor-Lübbert 2002; Scheuermann 2013: 18). Durch das Verschriftlichen werden Gedanken fixiert und sichtbar. Der raumzeitliche Abstand, der mit dem Verschriftlichen einhergeht, ermöglicht es, das Geschrie‐ bene zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort zu lesen und gibt so die Möglichkeit, Distanz zu dem Geschriebenen einzunehmen, dadurch die Wahrnehmung zu schärfen und evtl. eine neue Perspektive darauf zu eröffnen. Außerdem kann dabei ein „Nachdenken über die (niedergeschriebenen) Zwi‐ 24 2 Theoretische Grundlagen <?page no="25"?> 2 Berning spricht von „Schreibbewusstsein“ (2011: 13). 3 Segermann sieht bezogen auf das Fremdsprachenlernen allgemein gerade in der Wahrnehmung der Andersartigkeit das Potential von Fremdsprachenunterricht, denn „gerade durch den ‚Verfremdungseffekt‘ der anderen, nicht selbstverständlich be‐ herrschten Sprache könnte die Motivation gesteigert und der Lernprozess bewusster wahrgenommen werden.‟ (Segermann 2005: 243). 4 Auf den engen Zusammenhang von Schreiben und Sprechen kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden (vgl. z. B. Belcher 2011; Hirvela / Belcher 2016; Weissberg 2006; s. auch Fußnote 45, S. 41). 5 Interessant sind in diesem Zusammenhang die zwei unterschiedlichen Perspektiven auf das Schreiben i. S. v. writing to learn oder learning to write, die mit jeweils unter‐ schiedlichen Zielsetzungen einhergehen (ausführlicher dazu vgl. Hirvela et al. 2016). Im Kontext von Fremdsprachenunterricht wird das kollaborative Schreiben vor allem mit dem Ziel writing to learn eingesetzt, wobei davon auszugehen ist, dass damit auch ein learning to write einhergeht. schenprodukte des eigenen Denkens“ (Kruse 2001: 3) erfolgen. Dies wiederum ermöglicht, Bewusstheit über das eigene Denken und Wissen und somit auch über das Schreiben selbst 2 zu erlangen (vgl. Becker-Mrotzek 2011: 39; Berning 2002, 2011; Ehlich 2010; Krings 2016: 109; Krings 2020: 11; Tesch 2020: 58 f.), womit Reflexionsprozesse einhergehen können (vgl. u. a. Bräuer 2003; Dolz et al. 2011: 12; Frentz et al. 2005). Ein Umstand, der durch den „Verfremdungseffekt“ (Segermann 2005: 243), der mit dem Schreiben in der Fremdsprache verbunden ist, noch verstärkt werden könnte. 3 Angewendet auf das (Fremd-)Sprachen‐ lernen bedeutet dies auch, dass sich Schreibende auf die sprachliche Form konzentrieren (focus on form). Dies fördert eine Auseinandersetzung damit, die schließlich dazu führen kann, eventuelle Unsicherheiten und Wissenslücken aufzudecken und diese zu bearbeiten (vgl. u. a. Adams / Ross-Feldman 2011: 245; Philp et al. 2014: 23 ff.; Swain 1995, 1998, 2000). Außerdem ist beim Schreiben im Gegensatz zum Sprechen 4 die Fehlertoleranz sowohl seitens der Schreibenden als auch der Lesenden i. d. R. niedriger (und die Fehler werden sichtbarer, da die Augen von Lehrkräften für das Finden von Fehlern besonders trainiert sind). Dieser Umstand wiederum kann intensive Denk- und Wahrnehmungsprozesse bewirken. In diesem Zusammenhang erfährt das kollaborative Schreiben einen besonderen Stellenwert. Denn zu dem ohnehin auf die Bewusstheit lenkenden Schreiben kommt die interaktionale Ebene hinzu, die ihrerseits weitere, poten‐ tiell bewusstheitsfördernde Prozesse anstoßen kann (s. auch Kap. 2.1.3). Mit den hier erläuterten vielfältigen Funktionen und damit verbundenen Implikationen wird der enge Zusammenhang von Schreiben und Lernen sichtbar und legt den Schluss nahe, das Schreiben mit Scheuermann als umfassendes „Lernwerkzeug“ zu verstehen (vgl. dies. 2013 sowie Börner 1989a: 350 f.; Philp et al. 2014: 158). 5 25 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="26"?> 6 Die Literatur zum kreativen Schreiben ist i. d. R. praxisnah, häufig im Bereich Deutsch oder Deutsch als Fremdsprache angesiedelt und allgemein wenig beforscht, wie eine kurze Literaturrecherche zeigt (vgl. z. B. Chromik 2012; Gay 2018; Ruf 2016; Schmitz 2001). Besonders erwähnenswert für das Französischlernen ist Bara et al. (2011). Darin sind in übersichtlicher Form konkrete kreative Schreibaufgaben für den Fremdspra‐ chenunterricht auf Französisch enthalten. Auch auf die Ausgabe der Fachzeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 157 / 2019 sei an dieser Stelle verwiesen. Sie widmet sich dem Schreiben und zeigt konkrete Anwendungsmöglichkeiten (Poesie, Schreibwerkstatt u. a.) für den Französischunterricht auf. 7 Breidenstein (2006) erklärt in seinen ethnografischen Studien zum Schülerjob die Bedeutung, die allgemein Schülerprodukten zukommt, damit, dass Lernprozesse an sich nur schwer fassbar seien und Produkte im Gegenzug „handfest und unbezweifelbar“ (2006: 222). Auf diese Weise dokumentieren sie eine Leistung und verleihen „dem schulischen Tun ‚Sinn‘“ (ebd.). Bezogen auf die gesellschaftliche Ebene lassen sich dem Schreiben Funk‐ tionen zuordnen, die das Zusammenleben organisieren und sicherstellen: Mit‐ tels der Schriftsprache kann Wissen konserviert, dokumentiert und damit ein langfristiger Zugriff gewährleistet werden (Zeugnisliteratur, Geschichtsschrei‐ bung, Rechtsfragen u. a.). Des Weiteren kann mittels Schrift kommuniziert, informiert, beworben, Meinung gemacht und beeinflusst werden (Marketing, Journalismus u. a.). Bezogen auf die persönliche Ebene kann Schreiben in seiner therapeutischen (vgl. z. B. Unterholzer 2017) sowie expressiven, darunter auch literarischen und poetischen Funktion (vgl. z. B. Haußmann / Damm 2017; Ruf 2016) eingesetzt werden, was sowohl für den beruflichen und (hoch)schulischen Kontext eine Rolle spielen als auch - in Form von Schreibateliers oder kreativen Schreibformaten 6 - nutzbar gemacht werden kann. Die hier aufgezählten Funktionen sind größtenteils weder fremdsprachenspe‐ zifisch noch stellen sie eine exhaustive Erfassung dar. Sie dienen an dieser Stelle dazu, die zahlreichen Schreibfunktionen aufzuzeigen und die Vielfalt dieser Tätigkeit aufzufächern. Sie können wie folgt zusammengefasst werden: Schreiben in seiner a) materialisierenden und verstetigenden, b) kommunikativen, c) heuris‐ tischen sowie d) bewusstheitsstiftenden Funktion. Angesichts dieser zahlreichen Schreibfunktionen - Börner spricht von „Funktionsreichtum“ (vgl. ders. 1989a: 357) - und den damit einhergehenden, vielfältigen und lernrelevanten kognitiven Handlungen kann dem Schreiben allgemein, und dem Schreiben im schulischen Kontext umso mehr, ein hoher Stellenwert zuerkannt werden. Der hohe Stellenwert für den schulischen Kontext ist nicht zuletzt auch maßgeblich dadurch bedingt, dass dem Schreiben vor allem in der Leistungs‐ messung eine herausragende Rolle zukommt. 7 Die Prüfungsformate - insb. auf höheren Niveaus - sind überwiegend schriftlich dominiert und enthalten meist 26 2 Theoretische Grundlagen <?page no="27"?> 8 In den Bildungsstandards für das Abitur wird für die fortgeführten Fremdsprachen Englisch und Französisch ein verpflichtender schriftlicher Prüfungsteil festgeschrieben. Zudem wird das Schreiben darüber hinaus als zentrale Komponente in einer weiteren Kompetenz inkludiert: der sehr umfassenden Text- und Medienkompetenz (vgl. Kultus‐ ministerkonferenz 2012). Auch in Lehrplänen wird z. T. geregelt, dass in Klausuren der Sekundarstufe II ein zusammenhängender französischsprachiger Text erstellt werden muss (vgl. z. B. den Kernlehrplan Französisch Schulministerium NRW 2014: 62). 9 Tesch verweist in diesem Zusammenhang auf die beinahe fünfzigjährige Tradition kanonisierter Abituraufgabenformate, bestehend aus Zusammenfassung, Analyse und Kommentar (vgl. ders. 2020: 52). 10 Böhme et al. erklären dies wie folgt: „Obwohl sich die BS [Bildungsstandards] zum Kompetenzbereich Schreiben einer prozessorientierten Schreibdidaktik verpflichten, können im Rahmen großer Schulleistungsstudien ausschließlich Schreibprodukte be‐ urteilt werden, da sich Prozesse in großen, standardisierten Gruppentestungen nicht angemessen erheben lassen.“ (dies. 2017: 59; herv. i. O.). 11 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Textbewertung zwar einfacher umzusetzen, aber an sich sehr komplex und in der gängig durchgeführten Weise durchaus fragwürdig ist. Eine alternative Textbetrachtung schlägt Weber (2009) in ihrer Monografie Lehrerinnen und Lehrer lesen Texte. Untersuchung zur Lektüre und Beurteilung von Schülertexten vor. Darin fordert sie die lesenden Lehrkräfte auf sich in die Schülerinnen und Schüler hineinzuversetzen, zu versuchen sie zu verstehen und in ihren Texten nach ‚fachlichen Perlen‘ zu suchen. 12 Vgl. auch Hidden, die die Entwicklung von der Grammatik-Übersetzungsmethode bis heute für den Bereich Français Langue Étrangère (FLE) nachzeichnet (dies. 2013: 10 ff.) mindestens einen verpflichtenden schriftlichen Prüfungsteil. 8 Schreibprodukte werden demnach als maßgebliche Bewertungsgrundlage herangezogen. Das Schreiben wird hier in seiner evaluativen Funktion eingesetzt: Es dient dazu, Leistung zu erfassen (vgl. u. a. Tesch 2020: 52). 9 Dies lässt sich in erster Linie dadurch erklären, dass das Bewerten schriftlicher Leistungen eine zeitlich verzögerte Reaktion ermöglicht, somit einen Vergleich erleichtert und sich auch verwaltungstechnisch (Dokumentation, Überprüfbarkeit) einfacher bewältigen lässt (vgl. dazu auch Böhme et al. 2017: 59 10 ; Börner 1989a: 358). Hinzu kommen prüfungspraktische Gründe wie der Betreuungsaufwand - in Präsenzprüfungen werden bei schriftlichen Formaten deutlich weniger Prüfende pro Prüfling be‐ nötigt als in mündlichen - sowie die raumzeitliche Organisation der Prüfung. 11 Gleichzeitig ist in jüngster Zeit für den deutschen Raum eine Tendenz zu mündlichen Prüfungsformaten zu erkennen, beispielsweise mit dem Einführen einer sog. Präsentationsprüfung, wie sie z. B. das Land Berlin vorsieht (vgl. Rahmenlehrplan Französisch Senatsverwaltung Berlin 2014). Ein Blick in die historische Entwicklung zeigt, dass der Stellenwert des Schreibens im Laufe der jeweiligen, dominanten didaktischen Strömungen, die mit bestimmten vorherrschenden Methoden einhergingen, als unterschiedlich bedeutsam ausgelegt wurde. 12 Entsprechend wurde und wird immer wieder neu 27 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="28"?> oder Krings (2016, 2020), der eine knappe historische Einordnung in Bezug auf das fremdsprachliche Schreiben vornimmt. 13 Neben der bereits erwähnten praxisnahen Fachzeitschrift Der fremdsprachliche Unter‐ richt Französisch 53 / 2019 (hg. v. Allwermann 2019a), widmet sich auch die Zeitschrift Praxis Fremdsprachenunterricht 17 / 2020 (hg. v. Behr et al. 2020) dem Schreiben. Die aktuelle Ausgabe der wissenschaftlich ausgerichteten Fachzeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 49 / 2020 (hg. v. Küster et al. 2020) legt den Themenschwerpunkt ebenfalls auf das fremdsprachliche Schreiben. 14 S. hierzu bspw. den Sammelband von Zanetti (2015) herausgegeben, der Grundlagen‐ texte zum Schreiben versammelt. 15 Thiel spricht in Bezug auf Schule allgemein von einer Selektionsfunktion (dies. 2016: 14). Angesichts des oben erläuterten Stellenwerts spielt das Schreiben dabei eine zentrale Rolle. Feilke spricht in diesem Zusammenhang mit Bezug auf literale Praktiken vom Schreiben als ‚Kontrollpraktik‘ (Feilke 2016a: 262). diskutiert, welchen Stellenwert das Schreiben beim (Fremd-)Sprachenlernen und -lehren einnimmt und einnehmen soll und kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt - das zeigen diese Ausführungen sowie aktuelle Publikationen 13 -, ist unumstritten, dass diese grundlegende Kulturtechnik 14 in Bezug auf das Lernen und Lehren von Fremdsprachen hohe Relevanz aufweist. Darüber hinaus stellt das Schreiben - allgemein und bezogen auf den (Fremd-)Sprachenunterricht - eine zentrale Grundlage für Schulerfolg dar. In den Worten von Dolz et al. (2011: 9), die sich hier auf das Schreiben in der Erstsprache beziehen: L’apprentissage de la production écrite est l’une des finalités fondamentales de l’enseignement des langues. […] Le savoir-écrire […] c’est un constituant de la réussite scolaire de tous les élèves […]. Auch Graham / Perin sehen die Schreibfähigkeit als Indikator (predictor) für akademischen Erfolg und grundlegende Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (vgl. dies. 2007: 3; vgl. auch Becker-Mrotzek 2014: 51). Folglich leistet das Schreiben einen entscheidenden Beitrag für die Selekti‐ onsfunktion 15 in unserer Gesellschaft. Diesem Stellenwert widerspricht die in Deutschland im Unterricht allgemein tatsächlich zugewiesene Bedeutung und es fehlt, so stellt z. B. Philipp fest, ein systematischer Schreibunterricht (vgl. ders. 2015 Kap. 2.2.). Die Bedeutung des Schreibens ist damit in seiner alltäglichen Praxis nachge‐ zeichnet, theoretisch untermauert und zudem bildungspolitisch festgeschrieben und beeinflusst somit unumstritten den schulischen Alltag. Die spezifisch schulischen Rahmenbedingungen stellen einen weiteren Einflussfaktor dar und prägen maßgeblich die Schreibrealität im fremdsprachlichen Klassenzimmer (vgl. z. B. Petersen 2014: 68). Dazu gehören die institutionellen Vorgaben und Bedingungen: Die engen zeitlichen (45 bis 90 Minuten) und räumlichen Be‐ 28 2 Theoretische Grundlagen <?page no="29"?> 16 Sobel äußert sich kritisch bzgl. des dominierenden Lehrbucheinsatzes in Bezug auf das Leseverstehen (vgl. Sobel 2012: 239 ff.). 17 Keller betrachtet die Aufgabenstellung als „wichtigsten kontextuelle[n] Faktor“ (2013: 79), der den Schreibprozess beinflusst. Im Widerspruch zu der Relevanz und Präsenz von Aufgabenstellungen im Unterricht ist hier ein Desiderat festzustellen. 18 Wobei hier zu bedenken ist, dass die Erfassung des Leseverstehens durch Textpro‐ duktion erfolgt, also in einem anderen Medium. Darüber hinaus fällt bei der Lehr‐ buchanalyse auf, dass einige Aufgaben Schreibhandlungen enthalten, aber nicht als solche zugeordnet werden. Andererseits werden Aufgaben als Schreibaufgaben ge‐ kennzeichnet, die das Vervollständigen von Wortendungen erfordern, somit also nicht als Textproduktion im eigentlichen Sinne gelten können. schränkungen des Unterrichts (vgl. Becker-Mrotzek / Vogt 2009: 8; Thiel 2016), die bildungspolitischen Vorgaben (vgl. Christ 2016) sowie ein Unterricht, der sich für das Fach Französisch - insb. vom Anfangsunterricht bis hin zur Mittel‐ stufe - vorwiegend am Lehrbuch orientiert (vgl. Fäcke et al. 2016: 114; Sobel 2012: 239). Das Lehrbuch gilt gar als ‚Leitmedium‘ des Französischunterrichts (vgl. Schmelter 2011: 149) und wird damit zum großen Einflussfaktor des unterrichtlichen Geschehens: Es setzt den Rahmen und übt damit auch bis in die Prüfungen hinein Einfluss aus (vgl. Grotjahn / Kleppin 2017: 23; Schmelter 2011: 150). 16 Der dominierende Einsatz des Lehrbuchs geht einher mit typischen Aufgabenformaten und entsprechenden Aufgabenstellungen 17 , die wiederum die konkreten Schreibmöglichkeiten determinieren. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Schreibaufgaben in Lehrbüchern überwiegend darauf ausgelegt sind, grammatische Phänomene und den Wortschatz zu üben. Auch eine exemplarische Analyse für das Lehrwerk Cours intensif 2 (2007-2010), mit dem die hier beforschten Schülerinnen und Schüler gearbeitet haben, bestätigt dies. In den explizit als ‚schriftlich‘ gekennzeichneten Aufgaben wird das Schreiben eingesetzt, um kurze Texte zu produzieren (z. B. eine E-Mail verfassen), Grammatik anzuwenden und zu üben (z. B. bestimmte Verben in einen vorgegebenen Dialog einfügen) sowie das Textverständnis zu überprüfen (z. B. Zusammenfassung des Lehrbuchtextes). 18 Es handelt sich folglich um Übungen im engeren Sinne, wie sie bspw. Martinez in Anlehnung an Littlewood (2004) und Siebold (2007) in Abgrenzung zu Aufgaben erläutert (vgl. Martinez 2016c: 141 f.). Zu Recht wird in der Schreibforschung kritisiert, dass auf diese Weise, ein über den einzelnen Satz hinausgehendes Schreiben von Texten zu kurz komme (vgl. Grießhaber 2010: 233). Das Schreiben wird dabei überwiegend von seiner kommunikativen Funktion entkoppelt (vgl. Hallet 2016: 7; Porsch 2010: 62; Segermann 2005: 243; Thörle 2010). Außerdem erklärt sich damit auch, dass es im Unterricht häufig zur „Produktion bedeutungsloser Aufsätze [kommt]‟ (Kruse 2003: 106). 29 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="30"?> 19 SG steht für Schreibgespräch. S. auch Transkriptionen Anhang 4. 20 Mehr zu den Einstellungen der Schülerinnen und Schüler bzgl. des Französischunter‐ richts vgl. Fritz (2020), Grein (2016), Knoll (2017), Venus (2017). Letztere untersucht die Rolle von Elternarbeit und kommt zu dem Ergebnis, dass Eltern die Motivation der Schülerinnen und Schüler stark beeinflussen. Aus diesen Betrachtungen lässt sich folgern, dass einhergehend mit dem Ein‐ satz des Lehrbuchs tendenziell eine eher reduzierte und einseitige Anwendung des Schreibens stattfindet. Hinzu kommt einschränkend, dass der Besuch des Französischunterrichts für die meisten Schülerinnen und Schüler aufgrund der hohen Abwahlen nach der Mittelstufe endet (vgl. z. B. Caspari 2010: 13 f.; Fritz 2019, 2020): „ich hab franz abgewählt“ ( SG 19 08 Z.790). Auf diese Weise äußert sich bspw. Lina in der vorliegenden Studie, ohne dass sie dazu befragt worden wäre und spiegelt so eine typische Motivationslage und Einstellung gegenüber dem Schulfach Französisch wider. 20 Mit den hier aufgeführten Faktoren geht einher, dass die Schülerinnen und Schüler die französische Sprache wenig praktizieren; Grabe spricht von „limited practice“ (2001: 45). Daraus resultiert ein begrenztes Sprachniveau, das die Schreibmöglichkeiten einschränkt und wiederum negativ auf die Schreib‐ motivation zurückwirken kann. Die Darstellung der aktuellen Ausgangslage für das Schreiben im Fremdsprachenunterricht hat gezeigt, welche Rolle das Schreiben im Fremdsprachenunterricht einnimmt und dass das Schreiben sowohl (schul)praktisch als auch bildungspolitisch und historisch verankert ist. Dabei wurde deutlich, dass das Schreiben vordergründig zum Üben von grammatischen Formen eingesetzt und der potentielle Funktionsreichtum nicht ausgeschöpft wird. Dies lässt sich anhand der schulspezifischen Rahmenbe‐ dingungen erklären (Lehrbuch, zeitliche Beschränkung, Sprachniveau) und bedeutet im Umkehrschluss, dass diese spezifischen Bedingungen immer mit‐ zudenken sind. Welche Spezifika das Schreiben in einer Fremdsprache mit sich bringt und wie diese komplexe Tätigkeit gefasst werden kann, wird im folgenden Kapitel thematisiert. 2.1.2 Fremdsprachliches Schreiben In diesem Teilkapitel werden die theoretischen Grundlagen für das Schreiben in der Fremdsprache erläutert. Dafür wird einführend auf das Schreiben allgemein Bezug genommen (2.1.2.1.), um daraufhin den Forschungsstand zum Schreiben in der Fremdsprache für den deutschsprachigen Raum zu skizzieren (2.1.2.2.). In einem dritten Unterkapitel werden die Bedingungen und Spezifika des fremdsprachlichen Schreibens zusammengetragen (2.1.2.3.). 30 2 Theoretische Grundlagen <?page no="31"?> 21 Bezogen auf die schulischen Rahmenbedingungen siehe auch Ausführungen in Ka‐ pitel 2.1.1. Bezogen auf die vielschichtige Tätigkeit vgl. auch das Schreibentwicklungs‐ modell von Bereiter (1980, 2015). 22 Einen Überblick über verschiedene Schreibmodelle geben bspw. Donahue / Lillis (2014). Die Schreibmodell-Entwicklung skizzieren u. a. Frentz et al. (2005) und Gir‐ gensohn / Sennewald (2012). Göpferich (2015) widmet sich in zwei Kapiteln jeweils ausführlich Schreibprozess- (Kap. 6) und -kompetenzmodellen (Kap. 7). Das Forschungs‐ handbuch empirische Schreibdidaktik von Becker-Mrotzek et al. (2017) enthält zwei Kapitel zur Schreibkompetenz (Teil A, Kapitel 2 und 3). Dreyfürst (2014) gibt mit ihrer Zusammenstellung von Grundlagentexten einen Einblick in zentrale Positionen bzgl. Schreibtheorie, -didaktik und -beratung. Zanetti (2015) versammelt in seinem Band Grundlagentexte (u. a. von Lévi-Strauss, Foucault, Blanchot, Barthes, Flusser, Bereiter), die über schreibdidaktische Fragestellungen hinausreichen. 23 Anmerkungen zu Nutzen und Begrenztheit von Modellen vgl. auch Donahue / Lillis (2014), Grabe (2001). 24 Vgl. zu den Weiterentwicklungen des Modells z. B. Becker-Mrotzek (2014), Do‐ nahue / Lillis (2014). 2.1.2.1 Einführung Writing is best understood as a set of dis‐ tinctive thinking processes which writers orchestrate or organize during the act of composing. (Flower / Hayes 1981: 366) Beim Schreiben handelt es sich um eine vielschichtige Tätigkeit, die hohe Anforderungen auf verschiedenen Ebenen an die Schreibenden stellt und von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. 21 Zum Verfassen von Texten ist die Ko‐ ordinierung und Vernetzung grafomotorischer, grammatischer, orthografischer und lexikalischer, aber auch pragmatischer, textsorten- und adressatenspezifi‐ scher sowie lebensweltlicher Kenntnisse erforderlich (vgl. u. a. Becker-Mrotzek 2014: 54; Krings 2016: 107). Somit kann das Schreiben als eine komplexe Tätig‐ keit beschrieben werden, die sich aus zahlreichen, miteinander interagierenden Abläufen und Prozessen zusammensetzt, die von der schreibenden Person ‚orchestriert‘ werden. Einblicke in diese Prozesse werden durch Schreibmodelle möglich. 22 Dadurch, dass bei der Modellentwicklung die Komplexität redu‐ ziert wird, können Zusammenhänge aufgedeckt und Teilaspekte herausgear‐ beitet werden. 23 Ein bis heute wegweisendes, allgemeines Schreibprozessmodell wurde in den 1980er Jahren von Flower / Hayes (1981) entwickelt. Seitdem dient es als Grundlage für die Schreibforschung und wurde mehrfach, auch von Hayes selbst, weiterentwickelt. 24 Es handelt sich hierbei um ein Modell, das versucht, den Schreibprozess mit seinen einzelnen Teilprozessen und -komponenten zu erfassen. Es entstand anhand weniger fortgeschrittener Probanden und 31 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="32"?> Probandinnen, die in ihrer Erstsprache schrieben und deren Schreibprozesse mittels Laut-Denk-Protokollen erfasst wurden. Aufgrund dieser spezifischen Bedingungen ist dieses Modell begrenzt auf andere Kontexte übertragbar. Nichtsdestotrotz ist unbestritten, dass dieses „pioneering model“ (Göpferich 2015: 108) maßgeblich zum Verstehen des Schreibprozesses beigetragen hat und die Schreibforschung bis heute nachhaltig prägt. TASK ENVIRONMENT THE RHETORICAL TEXT PROBLEM Topic PRODUCED Audience Exigency FAR THE WRITER'S LONG-TERM MEMORY Knowledge of Topic, Audience, and Writing Plans 4 WRITING PROCESSES PLANNING TRANSLATING REVIEWING Z; | ORGANIZING | EVALUATING Cr; GOAL V z I IOAL | REVISING | Z SETTING I , I i' |I~.. MONITOR Figure 1. Structure of the writing model. (For an explanation of how to read a process model, please see Footnote 11, pages 386-387.) Abb. 01: Schreibmodell Flower / Hayes (1981: 370) Das Modell setzt sich aus drei Hauptkomponenten zusammen, die sich wechsel‐ seitig beeinflussen, was mit den bidirektionalen Pfeilen angezeigt wird (s. Abb. 01): 1. die Aufgabenumgebung (task environment), die mit der Schreibaufgabe den Impuls zum Schreiben gibt sowie das daraus resultierende Produkt, auf welches während des Schreibens immer wieder zurückgegriffen wird; 2. das Langzeitgedächtnis des Schreibenden (writer’s long term memory), welches Wissen über den Gegenstand und das Schreiben beisteuert; 3. der eigentliche Schreibprozess (writing process), der aus den Phasen des Pla‐ nens (planning), Formulierens (translating) und Überarbeitens (reviewing) besteht und ständig überwacht und koordiniert wird (monitor). Mit diesen drei Komponenten werden zentrale Einflussfaktoren herausgestellt, die wiederum Ansatzpunkte für didaktische Fragestellungen sein können. Eine 32 2 Theoretische Grundlagen <?page no="33"?> 25 Auch die in dieser Studie eingesetzte Schreibaufgabe basiert auf diesem dreischrittigen Aufbau (s. Kap. 3.1.2.). 26 Erinnert sei an dieser Stelle auf die Ausführungen in Kapitel 2.1.1. Becker-Mrotzek fasst dies unter dem Begriff „Schreibumgebung“ zusammen (vgl. ders. 2014: 54). 27 Hier spielt Petersen auf schultypische Aufgabenformate an, wie die Zusammenfassung, die dadurch besonders herausfordernd ist, da es nicht nur darum geht, einen Text zu schreiben, sondern ausgehend von einem Ausgangstext, der vorher rezipiert wurde, einen eigenen Text zu produzieren, der die Inhalte des Ausgangstextes korrekt erfasst und verdichtet darstellt (vgl. dies. 2014: 62 ff.). 28 Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das auf den deutschsprachigen Raum beschränkt zu sein scheint und mit der hierzulande geführten Kompetenzdebatte konkrete Anwendung findet dieses Modell auch bei der Konzeption schulischer Schreibaufgaben, die überwiegend dem dreischrittigen Grundaufbau von Pla‐ nungs-, Formulierungs- und Überarbeitungsphase folgen (vgl. z. B. Hidden 2013: 37 ff.). 25 Mit diesen unterschiedlichen Phasen und Komponenten, die auf komplexe Weise zusammenwirken, verdeutlicht das Modell einmal mehr, dass das Schreiben ein rekursiver, iterativer und interaktiver Prozess ist (vgl. Becker-Mrotzek 2014: 53; Krings 2016: 109). Schreiben - Schreibkompetenz - Textkompetenz Das Schreibmodell bestätigt einmal mehr die Komplexität der Schreibtätigkeit allgemein, die auch in dem nachfolgenden Zitat von Petersen (2014: 42), Schreibforscherin im Bereich Deutsch als Zweitsprache, betont wird: Da es sich beim Schreiben um einen hochkomplexen Prozess handelt, der dem Einfluss zahlreicher situativer Faktoren[ 26 ] unterliegt und in bestimmten Situationen auch mit Lese- und Verstehensprozessen verschränkt ist,[ 27 ] stellt die begriffliche Präzisierung und Modellierung der Schreibkompetenz eine besonders große Herausforderung dar. Schreiben ist nicht nur eine vielschichtige Tätigkeit, die bereits an sich schwer definier-, modellier- und greifbar und entsprechend auch schwer untersuchbar ist. Hinzu kommt - insb. für den deutschsprachigen Raum -, dass mit ver‐ schiedenen Begriffen gearbeitet wird, die nicht trennscharf verwendet werden. Das Schreiben oder die Schreibfertigkeit wird mehrfach mit Schreibkompetenz gleichgesetzt (vgl. auch Grießhaber 2010: 228). Problematisch daran ist, dass Schreibkompetenz - folgt man dem als grundlegend akzeptierten Kompetenz‐ verständnis von Weinert (2001) - so umfangreich ist, dass empirisch nur schwerlich damit gearbeitet werden kann (s. Zitat Petersen; vgl. auch Jost 2017: 174). Durch die Begriffserweiterung mit -kompetenz kommen zahlreiche Aspekte hinzu. Darüber hinaus wird Schreibkompetenz im deutschsprachigen Raum mehrfach mit der sog. Textkompetenz 28 gleichgesetzt, womit ein weiteres, 33 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="34"?> zusammenhängt. Aufgrund der Tatsache, dass dabei i. d. R. ein weites Textverständnis zu Grunde gelegt wird (wie z. B. in den Abitur-Bildungsstandards von 2012), erhöht sich einmal mehr die Komplexität des Konstrukts Textkompetenz, ein Umstand, der auch mit Blick in die Monografie Göpferichs (2015) deutlich wird. noch umfangreicheres Begriffsfeld aufgespannt wäre. Denn Textkompetenz umfasst die Fähigkeit, Texte rezipieren und produzieren zu können und betrifft damit neben der Schreibauch die Leseforschung, also zwei Bereiche, die für sich genommen bereits umfangreiche Forschungsfelder darstellen. Dies führt in der Forschung zu zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen: Einerseits ist zu beobachten, dass diese weiten Begriffe, um sie handhabbar zu machen, in Teilaspekte ausdifferenziert bzw. wieder eingeschränkt werden: Petersen (2014) bspw. spricht von „Schreibfähigkeit“ und versteht darunter bestimmte Aspekte von Schreibkompetenz; von Gunten (2012) spricht von „produktive[r] Textkom‐ petenz“ und grenzt damit das weite Verständnis wieder auf den schriftlichen As‐ pekt ein, so wie auch andere Forschende von Textkompetenz sprechen und sich dabei allein auf geschriebene Texte beziehen (z. B. Aguado 2011; Nardi / Knorr 2011; Thörle 2010). Andererseits ist eine Ausweitung der Begriffe zu beobachten. Stark gedehnt wird der Begriff des Schreibens bei der Ausweitung auf das sehr umfassende, bereits erwähnte, Verständnis von Textkompetenz (vgl. z. B. Feilke 2013, Portmann-Tselikas / Schmölzer-Eibinger 2002) oder gar der literalen Kompetenz (vgl. z. B. Becker-Mrotzek / Böttcher 2018; Preußer / Sennewald 2012; Tesch 2020). Diese Begriffsheterogenität spiegelt den Anspruch einer ganzheit‐ lichen Betrachtung wider (vgl. hierzu bspw. Thörle 2010: 110 f.). Gleichzeitig erschwert sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung insofern, als die Ver‐ gleichbarkeit von Ergebnissen dadurch eingeschränkt wird. Deshalb wird in der vorliegenden Arbeit vom (fremdsprachlichen) Schreiben (und nicht von Schreibkompetenz) gesprochen und dann jeweils weiter spezifiziert (Schreib‐ prozess, Schreibdidaktik u. a.). Dabei wird das Schreiben als vielschichtige Tätigkeit verstanden, die Wissen und Fertigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen voraussetzt, unterschiedliche Funktionen erfüllen kann und in einem Schreib‐ produkt mündet. Schreibprozess und -produkt Die oben erläuterte, vielfältige Begriffsverwendung könnte u. a. in den zwei unterschiedlichen Betrachtungsebenen begründet sein: der Prozess- und der Produktebene, auch als Performanz-Kompetenz-Problematik bezeichnet (vgl. u. a. Krings 2016: 108; Pohl / Steinhoff 2010: 261). Während in der Schreibfor‐ schung bis in die 1980er Jahre hinein das Schreibprodukt im Fokus stand, interessiert seither, einhergehend mit der kognitiven Wende, zunehmend 34 2 Theoretische Grundlagen <?page no="35"?> der Schreibprozess. In diesem Zusammenhang wurde versucht, u. a. mittels Laut-Denk-Protokollen, Einblicke in den Schreibprozess und die damit verbun‐ denen mentalen Aktivitäten zu erhalten (vgl. Grésillon / Perrin 2014: 82 f.). Davon ausgehend können Rückschlüsse auf Schwierigkeitsbereiche gezogen und mögliche Ursachen ausgemacht werden. Diese Erkenntnisse können wie‐ derum als didaktische Ansatzpunkt genutzt werden (vgl. Dolz et al. 2011). Zwar hängen Schreibprozess und das dabei entstehende Schreibprodukt in hohem Maße zusammen, dennoch werden sie in der Forschung überwiegend isoliert betrachtet. Dies mag damit zusammenhängen, dass jede Ebene für sich betrachtet bereits sehr komplex und schwer mess- und fassbar ist. Problematisch ist dies insofern, als in der Forschung zur Schreibkompetenz (wie auch in der schulischen Praxis, s. Kap. 2.1.1.) meist eine Reduktion auf die Produktebene stattfindet, auch wenn in der Forschung immer wieder dafür plädiert wird, dass die Schreibkompetenz nicht auf das Schreibprodukt reduziert werden solle, da sie sowohl produktive als auch prozessuale Aspekte umfasse (vgl. z. B. Keller 2013: 266; Thörle 2010: 108 ff.). Eine Erklärungsmöglichkeit ist, dass Texte leichter untersuchbar sind als Prozesse: Texte sind das, was sichtbar, unmittelbar zugänglich und letztlich bewertet wird. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass Erkenntnisse bzgl. des Schreibprodukts häufig mit Schreibkompetenz gleichgesetzt werden. Dabei wird außerdem häufig außer Acht gelassen, dass der Schreibprozess, der das Schreibprodukt zum Ergebnis hat, von vielfältigen materiellen und konzeptionellen Bedingungen abhängt (s. Kapitel 2.1.1) und damit sowohl intrawie interindividuell sehr unterschiedlich verlaufen kann. In den Worten Petersens (2014: 66): Bei Texten handelt es sich lediglich um die Manifestation konkret aktualisierter Schreibfähigkeiten, also um ein Phänomen der Performanz, das von vielen unter‐ schiedlichen Faktoren wie der Schreibaufgabe, der Motivation und Tagesform des Schreibers etc. beeinflusst wird und auf dessen Grundlage nur bedingt Aussagen über die zugrundeliegende Schreibkompetenz gemacht werden können. Demnach stellt das Schreibprodukt immer nur eine begrenzte Momentauf‐ nahme der Schreibkompetenz dar und kann nicht mit ihr gleichgesetzt werden (vgl. auch Bachmann 2005: 156; Girgensohn / Sennewald 2012: 56; Steinhoff 2010: 268). Gleichwohl besteht ein enger Zusammenhang. Dieser Umstand wird in der Forschung mehrfach problematisiert und theoretisch diskutiert, eine konsequente praktische Reaktion darauf - i. S. einer integrativen Betrach‐ tung - ist jedoch selten zu beobachten: entweder wird das Produkt oder der 35 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="36"?> 29 Eine Ausnahme stellt Eckerth (2003) dar, der i. S. eines integrativen Gegenentwurfs unterrichtliche Interaktionen im Fremdsprachenkontext sowohl aus der Prozessals auch der Produktperspektive erforscht und dabei die Wechselwirkungen zwischen den Personen, Unterrichtshandlungen und Materialien im Rahmen studentischer DaF-In‐ tensivkurse untersucht. 30 Einen Überblick über den Forschungsstand zur Schreibforschung allgemein geben Jakobs / Perrin (2014) im Handbook of Writing and Text Production, vgl. auch Gir‐ gensohn / Sennewald (2012). Das Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik von Becker-Mrotzek et al. (2017: 10) enthält ebenfalls einen kurzen Überblick über die deutschsprachige Schreibforschung. Cumming (2016: 70 ff.) bezieht in seinem Überblick über die Entwicklung der Schreibmodelle auch Modelle für das Schreiben in der Fremdsprache ein. Krings (2020) trägt den Forschungsstand zum fremd- und zweit‐ sprachlichen Schreiben zusammen. 31 Reichelt erklärt die begrenzte Forschungslage für den nordamerikanischen Raum damit, dass die nicht-englische fremdsprachliche Schreibforschung disparat ist, keinen gemeinsamen Rahmen hat (common framework) und sich eher in dem Feld ihrer jeweiligen Sprache verortet (vgl. dies. 2016: 181). Krings hingegen schätzt die For‐ schungsaktivitäten zum Schreiben in der Erst- und Fremdsprache, wobei er sich insb. auf den angelsächsischen Sprachraum bezieht, als sehr vielfältig und produktiv ein (vgl. Krings 2020: 4). 32 Diejenigen Publikationen, die sich dem kollaborativen Schreiben in der Fremdsprache widmen, werden in Kap. 2.1.3 erfasst. 33 Eckerths (2003) Studie setzt zwar Schreibaufgaben ein, allerdings konzentriert er sich auf den Zusammenhang von Aufgabe und Interaktion und ist damit eher dem Bereich der Interaktionsforschung zuzuordnen. Prozess beforscht. 29 Auch in der vorliegenden Arbeit steht, aufgrund begrenzter Kapazitäten und dem Schwerpunkt auf die Interaktionen der Schülerinnen und Schüler mit dem Fokus auf den Schreibprozess ‚nur‘ eine Seite im Zentrum. Die Textebene wird insofern berücksichtigt, als darauf verwiesen und das Geschriebene an entsprechender Stelle einbezogen wird. 2.1.2.2 Forschungsüberblick Ein Blick in die Publikationen der letzten Jahrzehnte zum Schreiben in der Fremdsprache im deutschsprachigen Raum 30 zeigt, dass die Forschungslage überschaubar ist. 31 Bis in die 1990er Jahre hinein werden nur wenige Artikel und Studien zum fremdsprachlichen Schreiben veröffentlicht (u. a. Antos / Krings 1989; Börner et al. 1996; Krings 1989; Zimmermann 1995). 32 Ab den 2000er Jahren werden, neben wenigen Sammelbänden (z. B. Akukwe 2017; Nardi / Knorr 2011) und einzelnen Aufsätzen (z. B. Callies 2013; Keller 2006; Pelchat 2014; Porsch 2020; Thörle 2010; Weirath 2000) vereinzelt Dissertationen (z. B. Eckerth 2003 33 ; Porsch 2010; Staschen-Dielmann 2012) bzw. eine Habilitation (Keller 2013) zum Schreiben in der Fremdsprache vorgelegt. Ab Mitte der 2000er Jahre sind mehrere Publikationen - sowohl Themenhefte, als auch Einzelbeiträge und 36 2 Theoretische Grundlagen <?page no="37"?> 34 Der Trend zur Erforschung des Schreibens im Hochschulkontext, das sog. academic writing, beginnt in Deutschland in den 2005er Jahren (in den USA ab Mitte der 1990er Jahre) und hält bis heute an. Bestätigt wird dieser auch durch die Gründung des Journal of Academic Writing (* 2011), hg. von der European Association for the Teaching of Academic Writing (die letzte Ausgabe ist jedoch von 2018) sowie des Journal of English for Academic Purposes (* 2002), hg. von Hilary Nesi und Guangwei Hu (British Association of Lecturers in English for Academic Purposes, BALEAP). 35 Eine auffällig produktive Schreibforschung verzeichnet der Bereich Deutsch als Zweit‐ sprache (vgl. z. B. Grießhaber 2010; Haberzettl 2015; Petersen 2014; Schmölzer-Eibinger 2011). Sammelbände - zum Schreiben im Hochschulkontext (sog. wissenschaftliches oder akademisches Schreiben) zu verzeichnen (z. B. Breuer 2015; Busch-Lauer 2014; Gnutzmann et al. 2015; Göpferich 2015; Nardi/ Knorr 2011), darunter eine kürzlich publizierte Promotion (Schnell 2020). 34 Abgesehen davon publizieren praxisorientierte Zeitschriften regelmäßig zum Schreiben in der Fremdsprache (z. B. Der Fremdsprachliche Unterricht. Franzö‐ sisch 72 / 2004a, 93 / 2008 sowie 157 / 2019a; Französisch Heute 3 / 2005; Praxis Fremdsprachenunterricht 3 / 2020). Auch die einschlägigen Fachzeitschriften, die vorwiegend an forschendes Publikum gerichtet sind, widmen sich in Form von Themenschwerpunkten oder in einzelnen Beiträgen immer wieder dem Schreiben (z. B. Fremdsprachen Lehren und Lernen 1 / 2015 sowie Fremdsprachen Lehren und Lernen 1 / 2020). Darüber hinaus enthalten Handbücher entspre‐ chende Artikel (z. B. Krings 2016, im Handbuch Fremdsprachenunterricht). Im Gegensatz zum Schreiben in der Erstsprache Deutsch (vgl. Becker-Mrotzek et al. 2017; Jakobs / Perrin 2014) und neuerdings auch Deutsch als Zweitsprache (Grießhaber et al. 2018) 35 liegt ein Handbuch für das Schreiben in der Fremd‐ sprache im deutschsprachigen Raum bislang nicht vor. Angesichts der hier aufgezeigten, begrenzten deutschsprachigen Forschungs‐ lage (die jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt), soll in der vorlie‐ genden Arbeit punktuell auf einschlägige Literatur aus anderen Sprachräumen zurückgegriffen werden. Zu nennen sind hier neben dem Handbook of Second and Foreign Language Writing (Manchón / Matsuda 2016) insb. die Monografie von Hidden (2013) zum Schreiben in der Fremdsprache Französisch. Letztere zeichnet sich dadurch aus, dass sie theoretisch verankert und gleichzeitig sehr anschaulich, praxisnah und konkret auf die Fremdsprache Französisch bezogen ist. 37 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="38"?> 36 Hier wird dem Verständnis von Marx / Mehlhorn (2016) gefolgt, die sich auf Selinker (1972) beziehen: Demnach bezeichnet Lernersprache „[…] das individuelle sprachliche System, das Lernende beim Aneignen einer Zielsprache im Verlaufe ihres Sprachlern‐ prozesses aufbauen und das ihren Äußerungen zugrundeliegt […].‟ (Marx / Mehlhorn 2016: 297). 37 Einen Überblick über die frankophone Forschungslage geben z. B. Vignier (2012) und Bouchard / Kadi (2021). 38 Einen Überblick über das fremd- und zweitsprachliche Schreiben aus anglophoner Perspektive bietet Silva (2016). Ebenfalls aus anglophoner Perspektive beschreibt Reichelt (2016) den Forschungsstand zum Schreiben in einer Fremdsprache, bei der sie explizit die englische Sprache ausklammert. 39 Silva erklärt diesen Umstand damit, dass es für Forschende deutlich einfacher sei, Zugang und Erlaubnis zu dieser Probandengruppe zu erhalten (ders. 2016: 20). In der Gesamtbetrachtung der hier aufgeführten Publikationen lassen sich fol‐ gende rekurrente Themen der fremdsprachlichen Schreibforschung identifizieren: - Analyse des Schreibprozesses (z. B. Börner 1989b; Krings 1989; Zimmer‐ mann 2000) - Erfassung von Textqualität bzw. Bewertung von Schreibprodukten (z. B. Akukwe 2017; Busch-Lauer 2014; Keller 2013; Porsch 2010) - Erfassung von Schreibkompetenz (z. B. Akukwe 2017; Porsch 2010; Harsch 2020) - Vermittlung von Schreibkompetenz bzw. schreibdidaktische Ansätze (z. B. Keller 2006, 2013; Hidden 2013; Porsch 2020) - Vergleich von Erst- und Fremdsprache bzw. Einfluss der Erstsprache (z. B. Breuer 2015, 2020; Weirath 2000) - Spezifika des Schreibens in einer Fremdsprache (Hidden 2013) - (korpuslinguistische) Untersuchung von Lernersprache 36 (z. B. Callies 2013; Pelchat 2014) - akademisches Schreiben (z. B. Gnutzmann et al. 2015; Schnell 2020) Zusammenfassend ist eine begrenzte Forschungslage bzgl. der fremdsprachli‐ chen Schreibforschung festzustellen, eine Tendenz, die auch mit der franko‐ phonen 37 und anglophonen 38 Forschungslage übereinstimmt. Auffällig ist dabei, dass überwiegend fortgeschrittene Schreibende 39 der englischen Sprache im uni‐ versitären Kontext beforscht werden. Insbesondere jüngere Schreiberinnen und Schreiber nicht-anglophoner Fremdsprachen im schulischen Kontext stellen, angesichts der Relevanz des Schreibens (s. Kap. 2.1.1.), ein dringliches Desiderat dar. Dieses Desiderat greift die vorliegende Arbeit auf. Sie setzt dabei den Fokus auf den Schreibprozess und die Interaktionen der Schülerinnen und Schüler und ist somit schreibtheoretisch einem soziokulturellen Ansatz zuzuordnen (vgl. Cumming 2016: 75 ff.). 38 2 Theoretische Grundlagen <?page no="39"?> 40 Vgl. auch bzgl. der allgemeinen Einstellungen gegenüber dem Fach Französisch Fußnote 20, S. 30. Zur Einstellung ggü. dem fremdsprachlichen Schreiben s. auch Busch-Lauer (2003 insb. S. 249), die ihre diesbzgl. Erfahrungen bei der Ausbildung von Medizinstu‐ dierenden wiedergibt. 41 Porsch äußert sich diesbzgl. kritisch und weist auf die eingeschränkte Vergleichbarkeit hin (vgl. dies. 2010: 41 ff.). Damit einher geht außerdem, dass das fremdsprachliche im 2.1.2.3 Bedingungen und Spezifika des fremdsprachlichen Schreibens Tout enseignant de FLE [Français Langue Étrangère] sait bien que ses élèves peinent souvent à écrire des textes - une tâche trop importante, trop complexe, nécessitant la mobilisation de trop de compétences de ni‐ veaux différents. (Allouche / Maurer 2011: 5) Ist das Schreiben allgemein bereits komplex (s. Kap. 2.1.2.1.), so ist es das fremdsprachliche Schreiben umso mehr. Ein Umstand, der sich auch im voran‐ gestellten Zitat andeutet. Folglich wird das Schreiben in der Fremdsprache Fran‐ zösisch oftmals als schwierig empfunden. 40 Inwiefern sich der Komplexitätsgrad (im Vergleich zum Schreiben in der Erstsprache) erhöht soll im Folgenden aus‐ geführt werden. Dafür wird das fremdsprachliche Schreiben aus fünf zentralen Perspektiven betrachtet: in seinem Verhältnis von Erst- und Fremdsprache, in Bezug auf die Rolle des Vorwissens, die begrenzten Ressourcen, den Einsatz von Kompensationsstrategien sowie in Bezug auf die Textebene. Verhältnis von Erst- und Fremdsprache In der fremdsprachlichen Schreibforschung wird überwiegend davon ausge‐ gangen, dass sich das Schreiben in der Fremdsprache nicht grundsätzlich, son‐ dern graduell von dem in der Erstsprache unterscheidet. Es wird angenommen, dass ähnliche Prozesse ablaufen und ähnliche Fähigkeiten vorausgesetzt werden (vgl. Börner 1989b: 60; Cumming 2016: 70 ff.; Krings 2016: 109). Hidden geht davon aus, dass die Unterschiede eher quantitativer als qualitativer Natur sind. Sie verweist dabei u. a. auf die längere Schreibzeit und die kürzer ausfal‐ lenden Endprodukte (Hidden 2013: 31 ff.). Aufgrund der Ähnlichkeiten des erst- und fremdsprachlichen Schreibprozesses wird bei dem Versuch, die Spezifik des fremdsprachlichen Schreibens zu erfassen, dieses hauptsächlich vor dem Kontrasthintergrund der Erstsprache analysiert und versucht, Erkenntnisse entsprechend zu übertragen. 41 So auch bei der Entwicklung fremdsprachlicher 39 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="40"?> Vergleich zum erstsprachlichen Schreiben als defizitär beschrieben wird, was sich auch in der Begriffsverwendung zeigt: Krings beispielsweise spricht von „fremdsprachlichen Kompetenz- und Wissensdefiziten“ sowie „L2-Problemen“ (vgl. Krings 1989: 397 f., 2016), Hidden von „‚recul‘ des aptitudes rédactionnelles“ (vgl. dies. 2013: 35). In dem Bestreben, das fremdsprachliche Schreiben möglichst sachlich zu beschreiben, werden in diesem Kapitel dessen Spezifika herausgestellt. Im Sinne Grabes wird versucht, die L2-Schreibenden in ihrer Andersartigkeit zu erfassen und entsprechend darauf zu reagieren: „These differences [Er bezieht sich auf das Ausprobieren der Fremdsprache, verschiedene kulturelle Hintergründe, Bezüge etc.] do not suggest simply a need for L2 writers to accommodate; rather, they suggest that L2 writers are sufficiently different in nature - and they have legitimate rights to theses differences - that teachers need to be appropriately prepared to teach them effectively and fairly.‟ (Grabe 2001: 46). 42 Auch diese Modelle basieren (ähnlich wie das von Flower / Hayes 1981) auf empirischen Arbeiten mit einer geringen Anzahl an Teilnehmenden sowie introspektiven Daten. Wang / Wens Studie basiert bspw. auf Laut-Denk-Protokollen von 16 Studierenden. Krings (1989) bezieht sich auf Daten von vier Versuchspersonen. Zimmermann (2000) wertet Laut-Denk-Protokolle von 52 Englisch-Studierenden aus. 43 Grabe stellt mit Bezug auf Cumming fest „that there is still not a strong, clear, and useful explanatory model of the writing construct.‟ (Grabe 2001: 46). Schreibmodelle. Es liegen einige wenige Schreibmodelle vor, die sich auf die Fremdsprache beziehen. Sie legen mehrheitlich das Modell von Flower / Hayes zugrunde und erweitern dieses um die Spezifik des fremdsprachlichen Schrei‐ bens (vgl. insb. Börner 1989a; Krings 1992; Wang / Wen 2002; Zimmermann 1995, 2000). 42 Zwar liegt in den Worten Grabes bislang kein allgemeines, zufriedenstellendes Schreibmodell für die Fremdsprache vor (vgl. ders. 2001: 46), 43 gleichwohl haben die vorgelegten Modelle erstens dazu beigetragen, schul‐ spezifische Faktoren in Betracht zu ziehen. Zu nennen sind hier zuvorderst der Korrekturtext der Lehrperson, der den Zieltext beeinflusst sowie Schreibhilfen, die bereitgestellt werden (vgl. Börner 1989a). Zweitens stellen die Modelle diejenigen Aktivitäten heraus, bei denen die Fremdsprache eine dominierende Rolle einnimmt bzw. die ausschließlich in der Fremdsprache erfolgen, wie häufige Simplifizierungen, Unterbrechungen bedingt durch fremdsprachliche Wissensdefizite u. a. (vgl. Krings 1989; Zimmermann 1995). Weng / Wan (2002) ordnen in ihrem Modell die einzelnen Aktivitäten des Schreibprozesses der jeweiligen Sprache zu (s. nachfolgende Abbildung). 40 2 Theoretische Grundlagen <?page no="41"?> 44 Vgl. hierzu auch Breuer (2020), die die aktuellen Erkenntnisse bzgl. des Schreibens in der Fremd- und Erstsprache zusammenträgt und dabei auch erläutert, welche Teilprozesse in welcher Sprache ablaufen und wie sich diese gegenseitig beeinflussen können. Sie bespricht dabei auch einen bislang wenig untersuchten Bereich: die Flüssigkeit des Schreibens (im Sinne von Tippen auf der Tastatur) in der Fremdsprache im Vergleich zu dem in der Erstsprache, wobei erste Ergebnisse darauf hinweisen, dass die fremdsprachlichen Ausführungen weniger automatisiert ablaufen. 45 Mehr zu dem komplexen Zusammenspiel von Denken, Schreiben und Sprache vgl. z. B. Hirvela / Belcher (2016), Klenk (2020), Vygotskij (2017). Abb. 02: A descriptive model of the L2 composing process (Wang / Wen 2002: 242) Demnach erfolgt der Bereich der Aufgabenumgebung mit der Aufgabenstellung (Input: Writing Task) und dem resultierenden Schreibprodukt (Textual output) ausschließlich in der Fremdsprache. Im eigentlichen Schreibprozess dominiert die Fremdsprache bei der Analyse der Aufgabenstellung (Task Examining) sowie der Texterzeugung (Text Generating). Bezogen auf das Langzeitgedächtnis dominiert sie, wenn es darum geht, die entsprechenden Ausdrücke und Formen in der Fremdsprache zu finden (Linguistic Knowledge). 44 Die Modelle zeigen einmal mehr die Komplexität des fremdsprachlichen Schreibens und das Ineinandergreifen verschiedener Teilprozesse. Dabei spielen sowohl die Erstals auch die Fremdsprache eine Rolle und beeinflussen sich wechselseitig. 45 41 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="42"?> 46 Vgl. hierzu entsprechende Ansätze, die das Potential von Sprachvergleichen, Trans‐ fermöglichkeiten u. a. nutzen, wie die Sprachbewusstheit, Mehrsprachigkeitsdidaktik sowie Interkomprehension (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2012; Fäcke / Meißner 2019; Martinez / Meissner 2006; Mordellet-Roggenbuck 2011). Der Sammelband Schulische Mehrsprachigkeit in traditionell polyglotten Gesellschaften von Willems et al. (2019) bietet Einblicke in die aktuelle schulische Situation. 47 Reichert / Marx diskutieren in ihrem Artikel Erkenntnisse zu Transfer und Transversa‐ lität von Schreibfähigkeiten in Bezug auf mehrsprachiges Schreiben (vgl dies. 2020: 40 ff.). Sie kommen zu dem Schluss, dass Schreiben in erster Linie eine sprachenüber‐ greifende (transversale) Fähigkeit darstellt und stellen positive Transferaktivitäten zwischen den jeweiligen Sprachen fest. Die Rolle des Vorwissens Wenn Schülerinnen und Schüler in einer Fremdsprache schreiben, verfügen sie i. d. R. bereits über grafomotorische Schreibfertigkeiten, ein Strategierepertoire, Weltwissen und Vorerfahrungen mit Sprache und Texten sowie eine gewisse ko‐ gnitive Reife (vgl. u. a. Börner 1989a: 351; Porsch 2010: 29). Dieses umfangreiche Vorwissen bringen sie in den Lernprozess des fremdsprachlichen Schreibens ein. Auf diese Weise können auch Wissen und Fertigkeiten, die in anderen Sprachen vorliegen, für die neu zu erlernende Fremdsprache zugrunde gelegt und nutzbar gemacht werden. Vorwissen und Vorerfahrung - und dazu gehört sowohl das Sprachals auch das Schreib- und Textwissen im weiten Sinne - spielen eine zentrale Rolle für jegliches weitere Lernen und prägen dieses (vgl. z. B. Gruber / Stamouli 2015: 32 ff.; Renkl 2015). Als entsprechend bedeutsam wird die Rolle der Erstsprache sowie weiterer gelernter Sprachen eingeschätzt (vgl. z. B. Königs 2015; Krings 2016: 109; Riemer 2013; Weirath 2000: 411). Daraus ergibt sich ein Potential, welches dort sichtbar wird, wo vorhandenes Wissen direkt übertragen werden kann, wie z. B. bei der Bezeichnung für Löwe, die in meh‐ reren Sprachen Ähnlichkeiten aufweist: eng. lion → fra. lion → esp. león → ital. leone → por. le-o. Derartige lexikalische Sprachvergleiche können das Erlernen von Wortschatz erleichtern und beschleunigen. Auch auf sprachstruktureller Ebene stellen Sprachvergleiche und Sprachwissen eine zentrale Grundlage dar, wie bspw. das Wissen über Flexion. 46 Neben den hier angedeuteten positiven Transfermöglichkeiten kann es ebenso zu negativem Transfer kommen. 47 Ein Beispiel dafür ist das Phänomen des sog. ‚falschen Freundes‘: so entspricht dem englischen Verb to regard eben nicht das französische Wort regarder, sondern considérer. Es wird davon ausgegangen, dass positive Transferleistungen von der Erstin die Fremdsprache - und dazu gehört auch das Text- und Schreibwissen - insb. dann möglich sind, wenn bereits ein gewisses Sprachniveau in der Fremd‐ sprache vorhanden ist (vgl. u. a. Hidden 2013: 35; Wolfersberger 2003). Im 42 2 Theoretische Grundlagen <?page no="43"?> Zusammenhang mit dem Phänomen des Transfers wird in der Forschung häufig der Frage nachgegangen, inwiefern Schreiben als Übersetzen aus der Erstin die Fremdsprache betrachtet werden kann und welche Konsequenzen daraus für die fremdsprachliche Produktion resultieren. Einerseits kann beobachtet werden, dass das Formulieren in der Fremdsprache häufig ein Übersetzen aus der Erst‐ sprache ist (vgl. u. a. Hidden 2013: 37). Andererseits stellen bspw. Zimmermann (2000) und Weirath (2000) in ihren Studien fest, dass Schreibende überwiegend direkt in der Fremdsprache formulieren. Wang / Wen (2002) kommen in ihrer Studie mit 16 chinesischen Englischlernenden zu dem Ergebnis, dass der Einsatz der Erstsprache niveauabhängig ist: während fortgeschrittene Schreibende ihren Text direkt in der Fremdsprache formulieren, tendieren weniger fortge‐ schrittene Schreibende dazu, Satz für Satz aus der Erstin die Fremdsprache zu übersetzen. Der Einsatz der Erstsprache wird in der Fremdsprachenforschung mitunter kontrovers diskutiert. Dabei wird die Warnung formuliert, dass die Textproduk‐ tion auf ein Übersetzen von der Erstin die Fremdsprache beschränkt bleibt, was mit negativem Transfer verbunden wird (insb. auf syntaktischer Ebene) und die Gefahr birgt, nicht in die Fremdsprache ‚einzutauchen‘. Allerdings zeichnet sich in den letzten Jahren diesbzgl. eine gemäßigtere Haltung ab. Die Erstsprache wird für bestimmte Kontexte und gewisse Arbeitsschritte (wie z. B. als Transferbasis oder zum Aufrechterhalten der Kommunikation) als sehr hilfreich angesehen (vgl. u. a. Hidden 2013: 35 ff.). Sie stellt, wie das Vorwissen aus anderen Bereichen auch, eine wichtige Ressource dar. Vorhandene Ressourcen Bedingt durch den üblicherweise spät einsetzenden Lernbeginn sowie die zeitlich, räumlich und inhaltlich beschränkten Anwendungsmöglichkeiten im schulischen Kontext (s. Kap. 2.1.1), ist das Schreiben in der Fremdsprache meist wenig entwickelt und somit auch nur eingeschränkt automatisiert. Kognitive Ressourcen stehen dabei in einem begrenzten Ausmaß zur Verfügung. Wird ein großer Teil der zur Verfügung stehenden Ressourcen bereits für ‚basale Tätigkeiten‘ (wie die Orthografie einfacher Wörter) aufgewendet, fehlen diese an anderer Stelle. Denn je mehr einzelne Teilprozesse automatisiert sind, desto mehr Kapazitäten stehen für andere Aktivitäten zur Verfügung (vgl. u. a. Kuiken / Vedder 2007, 2014; Weigle 2013: 38). Durch die geringe Automatisierung wird das Arbeitsgedächtnis - bei der an sich ohnehin bereits komplexen Schreibtätigkeit - stark gefordert bzw. gar überlastet (vgl. Hidden 2013: 34; Krings 2016: 109). Dies bedeutet, dass die Schreibenden aufgrund geringer oder fehlender Automatisierung und Routinen insb. mit orthografischen, gram‐ 43 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="44"?> 48 Börner stellt fest, dass über die Hälfte aller Sprachprobleme den Wortschatz und knapp ¼ die Orthografie betreffen (ders. 1989b: 56 ff.). 49 Vgl. hierzu u. a. Bohnensteffen (2010), Kleppin (2007). 50 Wrobel (1997, 2002) bearbeitet dieses Phänomen für das Schreiben allgemein. matischen, lexikalischen Fragen absorbiert sind und ihnen wenig Kapazitäten bleiben, um ihre Gedanken zu entwickeln und einen kohärenten Text zu produzieren. Stattdessen wenden sie viele Ressourcen dafür auf, entsprechende Ausdrücke und Strukturen zu suchen, was dazu führt, dass der Schreibprozess insgesamt zäher verläuft; er wird verlangsamt, fragmentiert, unterbrochen oder gar blockiert (vgl. Breuer 2015, 2020; Hidden 2013: 34; Krings 2016: 109; Weirath 2000: 409). In einem engen Zusammenhang damit steht die begrenzte Verfügbarkeit sprachlicher Mittel, die in mehreren Studien als ein sehr häufig auftretendes, typisches Merkmal festgestellt wird (vgl. z. B. Krings 2016: 109; Manchón et al. 2014: 242; Porsch 2010: 40). Demnach beansprucht die Phase der Formulierung während des Schreibprozesses besonders viel Zeit. Hidden merkt an, dass die Hälfte der Zeit bei der Formulierungsphase für die Suche nach Lexik und dem Klären morphosyntaktischer Probleme aufgewendet wird (vgl. dies.: 34). 48 Die Tatsache, dass sich Schreibende überwiegend auf die lokale Ebene konzen‐ trieren, könnte damit zusammenhängen, dass genau diese Ebene (insb. in Bezug auf normsprachliche Abweichungen) von Lehrpersonen bei der Textkorrektur und -bewertung besonders stark ins Gewicht fällt und i. d. R. von ihnen als ihr „Kerngeschäft“ (Keller 2013: 99) betrachtet wird. Auf die Problematik der Fehlerfokussierung kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. 49 Als typisch für den fremdsprachlichen Formulierungsprozess konnten Zimmermann (2000) und Keller (2013) die sog. Vor-Formulierung  50 herausarbeiten. Dabei handelt es sich um tentative Formulierungen, die (auch mündlich oder gedanklich) mehrfach wiederholt und modifiziert werden, bis sie als richtig und passend eingeschätzt und notiert werden. Diese Vorgehensweise beschreibt Berning in Anlehnung an Ortner (2000), bezogen auf das Schreiben allgemein, besonders treffend: Schreiben […] ist etwas Tentatives, also ein ständiges Suchen und Finden. Was wir suchen, sind Anschlussmöglichkeiten für das nächste Wort, den nächsten Satz oder den nächsten Einfall. (Berning 2011: 7) Bei diesen tentativen Formulierungen geht es beim fremdsprachlichen Schreiben überwiegend darum, auf basaler Ebene eine fremdsprachliche Ent‐ sprechung zu finden. Es handelt sich vorwiegend um Suchbewegungen auf lokaler, überwiegend auf der lexikalischen Ebene (vgl. Börner 1989b; Hidden 44 2 Theoretische Grundlagen <?page no="45"?> 51 Bereiter spricht im Rahmen seines Schreibentwicklungsmodells von „Suchverfahren“ (ders. 2015: 399). 52 Strategien werden in Anlehnung an Martinez (2016b: 373) verstanden als Handlungs‐ pläne, die intentional eingesetzt werden, um ein Lernziel zu erreichen. Larios et al. (2016) problematisieren, dass eine Definition des jeweils angewandten Strategiebegriffs in vielen Studien fehlt (vgl. dies. 2016: 271 f.). Manchón et al. (2014) setzen sich mit dem Strategiebegriff auseinander und unterscheiden zwischen einer weiten und engen Definition (vgl. dies. 2014: 230 ff.). 2013). Dadurch, dass viele kognitive Ressourcen für derartige lokale Suchbewe‐ gungen 51 eingesetzt werden, besteht die Gefahr, das Textganze aus dem Blick und damit ggf. auch den roten Faden zu verlieren: Ce scripteur malhabile qui se préoccupe presque exclusivement de l’orthographe et de la grammaire des phrases (et cela aussitôt qu’il commence à écrire) perd rapidement de vue le sens de son texte. (Cornaire / Raymond 2008: 67) Für die Schreibenden können die begrenzten Ressourcen zu einem Spannungs‐ verhältnis dazwischen führen, was sie ausdrücken möchten und können. Es kommt insofern zu einem Ungleichgewicht, als die Schreibenden bereits eine gewisse kognitive Reife erlangt und entsprechende Ansprüche entwickelt haben, ihre Gedanken aber nicht derart auszudrücken vermögen und folglich permanent sprachlich hinter ihren Gedanken - in Börners Worten - „hinter‐ herhinken“. Er bezeichnet dieses Phänomen als „fremdsprachliche Regression“ (ders. 1989a: 351 f.). Außerdem führt den in der Fremdsprache Schreibenden der Vergleich zu dem, was sie in ihrer Erstsprache (oder auch einer anderen fortgeschritteneren Fremdsprache) mühelos könnten, diese Grenzen ständig vor Augen, was Frustration und Motivationseinbußen zur Folge haben kann (vgl. Börner 1989a: 351 ff.; Weirath 2000: 411). Hidden vergleicht die Situation, in der sich fremdsprachlich Schreibende befinden, mit der junger, unerfahrener, erst‐ sprachlich Schreibender. Beide sind stark herausgefordert und konzentrieren sich auf die lokale Ebene (vgl. dies. 2013: 35). Ein zentraler Unterschied jedoch besteht darin, dass letztere sich nicht in dem Maße darüber bewusst und entsprechend weniger frustriert sein dürften, da sie keinen Vergleich am eigenen Leib erfahren. Kompensationsstrategien Eine Folge aus der vorhergehend konstatierten Begrenzung von Ressourcen ist der verstärkte Einsatz von Kompensationsstrategien. 52 Es ist eine Möglichkeit bzw. Notwendigkeit, auf Wissenslücken zu reagieren und mit ihnen umzugehen. Insbesondere weniger erfahrene Schreibende greifen häufig auf Kompensati‐ onsstrategien zurück (vgl. Manchón et al. 2014: 242). Folglich ist es für Schrei‐ 45 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="46"?> 53 Auch in der allgemeinen Schreibforschung wird der zentrale Stellenwert von Strategien betont (vgl. z. B. Becker-Mrotzek / Böttcher 2018: 74 f.; Graham / Perin 2007). An dieser Stelle sei auch verwiesen auf den Überblick zu Schreibstrategien von Sennewald (2014). 54 Aufgrund des Erkenntnisinteresses erfolgt hier die Klassifikation ausgehend von der Funktion der Kompensationsstrategie, auch wenn damit unterschiedliche Ebenen (kognitive, soziale) betroffen sind. In der vorliegenden Arbeit soll zwischen reaktiven und produktiven Strategien unterschieden werden. Edmondson / House unterscheiden Reduktions- und aktive Problemlösungsstrategien, wobei sie Letztere ausdifferenzieren nach Abrufungs- und Kompensationsstrategien (vgl. dies. 2011: 240). 55 Die Aktivität des Ratens ist aus einer externen Perspektive, i. d. R. nicht eindeutig zu identifizieren, da hierzu die Absicht sowie der Wissensstatus der ratenden Person bekannt sein müsste (s. auch Kap. 3.2.4.). bende in der Fremdsprache umso wichtiger, über entsprechende Strategien und Werkzeuge zu verfügen. 53 Nachfolgend sollen diejenigen Strategien aufgeführt werden, die häufig zur Kompensation beim fremdsprachlichen Schreiben ein‐ gesetzt werden. 54 Dazu gehören: - Rückgriff auf die Erstsprache - inter- und intralinguale Vergleiche - Vermeiden durch Umformulieren, Simplifizieren, Aufgeben - Raten ausgehend von dem situativen oder sprachlichen Kontext - externe Unterstützung durch Wörterbuch, Nachfragen Eine häufig verwendete Kompensationsstrategie ist der Rückgriff auf die Erst‐ sprache. Weirath (2000) konnte in ihrer Studie beispielsweise beobachten, dass ihre Probandinnen und Probanden häufig unmittelbar in der Fremdsprache schreiben und nur bei unbekannten Wörtern stocken und sich vorläufig des erstsprachlichen Äquivalents bedienen. Damit nutzen sie die Erstsprache als ‚Lückenfüller‘ bzw. ‚Gedankenstütze‘ und verhindern so, dass der Schreibpro‐ zess unterbrochen wird (vgl. dies. 411). Die Erstsprache, wie jede andere erlernte Sprache, kann auch i. S. eines inter- oder intralingualen Vergleichs als Transferbasis genutzt werden (s. obenstehende Ausführungen). Eine weitere Möglichkeit, mit unsicherem Wissen umzugehen, besteht darin, Vermeidungsst‐ rategien einzusetzen. Gemeint ist damit die Anpassung der Ausdrucksabsicht an das sprachliche Können (durch Umformulieren oder Simplifizieren), was häufig mit inhaltlichen Einbußen einhergeht und auch dazu führen kann, die Äußerungsabsicht völlig aufzugeben. Eine andere Möglichkeit besteht darin, zu raten; sich trotz eines unsicheren Wissensstatus’ für einen Ausdruck, eine grammatische Form zu entscheiden, ohne diese geprüft zu haben. 55 Von den Kompensationsstrategien, die eine unmittelbare Reaktion auf Wis‐ senslücken darstellen (reaktive Strategien), können diejenigen Strategien unter‐ 46 2 Theoretische Grundlagen <?page no="47"?> 56 Hierbei scheint es sich um ein Phänomen zu handeln, dass das schulische Schreiben allgemein betrifft. Steinig bemängelt in Bezug auf Texte von Viertklässlern, dass diese häufig keine stringente Struktur sowie eine defizitäre Absatzgliederung aufweisen, was sich u. a. in Ein-Satz-Absätzen zeigt (vgl. Steinig 2009: 187 f.; vgl. auch Pelchat 2014: 418 f.). schieden werden, die zur Klärung von vorhandenem oder der Produktion neuen Wissens führen (produktive Strategien). Zu nennen sind hier die metakogni‐ tiven Strategien wie das Planen, Kontrollieren und Evaluieren sowie die kogni‐ tiven Strategien des Abrufens (bei dem aktiv nach einem Wort oder einer Form gesucht wird) und des Generalisierens fremdsprachlichen Wissens, das bspw. zu neuen Wortschöpfungen führen kann, indem vorhandenes (fremd)sprachliches Wissen auf andere unbekannte Kontexte übertragen wird. Während die hier aufgeführten Strategien auf dem internen Wissen und Können der Schreibenden basieren, können bei Unsicherheiten und Wissenslü‐ cken auch externe Ressourcen herangezogen werden. Darunter fallen insb. der Einsatz eines Wörterbuchs und sonstige Möglichkeiten des Nachschlagens und Überprüfens sowie eine explizite Hilfsanforderung. Fremdsprachliche Texte Die bisherigen Ausführungen beziehen sich überwiegend auf die Ebene des Schreibprozesses. Die dabei aufgedeckten Spezifika des fremdsprachlichen Schreibens - geringer Automatisierungsgrad, begrenzte Ressourcen, verlang‐ samter und unterbrochener Schreibprozess, Einsatz von Kompensationsstra‐ tegien - spiegeln sich auf der Textebene wider. So ist festzustellen, dass fremdsprachliche Texte häufig kurz sind, bedingt durch den verlangsamten Schreibprozess. Zudem enthalten sie gehäuft normsprachliche Abweichungen. Zu dem begrenzten Wissen und der damit verbundenen Fehleranfälligkeit kommt hinzu, dass die eigenen Fehler schwer erkannt werden und die Schrei‐ benden zudem häufig nicht wissen, wie sie diese überarbeiten. Entsprechend beschränken sich Korrekturen in der Phase der Überarbeitung überwiegend auf die lokale Ebene. Auffällig ist außerdem, dass die Texte häufig wenig strukturiert sind, was mit der kognitiven Überlastung in Zusammenhang gebracht werden kann (vgl. Hidden 2013: 33 ff.) 56 sowie der Tatsache, dass der Fokus hauptsächlich auf der sprachlichen Formulierung und weniger auf der Vermittlung einer Aussage liegt und demzufolge wenig Zeit für die Planung aufgewendet wird. Stattdessen hangeln sich die Schreibenden von Wort zu Wort oder von Satz zu Satz, womit sich auch das Phänomen von wenig strukturierten und inhaltlich häufig wenig aussagekräftigen Texten sowie Ein-Satz-Absätzen erklären lässt. Ebenfalls mit den begrenzten Ressourcen und der geringen Automatisierung 47 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="48"?> 57 An dieser Stelle sei auf den Genre-Ansatz verwiesen, den Hallet (2016) für den Englischunterricht entwickelt und in dem er Formen und Mustern einen zentralen Stellenwert einräumt. einhergehend, variiert der Wortschatz wenig, es kommt häufig zu Wiederho‐ lungen und es wird eine einfache Syntax gewählt (vgl. Cornaire / Raymond 2008: 64; Hidden 2013). Diese Ausführungen zeigen den engen Zusammenhang von Schreibprozess und -produkt auf. Analysen, die sich nicht allein auf die sprachliche Korrektheit konzentrieren, stehen noch weitgehend aus. Ein weiterer Aspekt, der in der Forschung bislang selten in Betracht gezogen wird, sind die zielsprachlichen kulturellen Begebenheiten, die sich bezogen auf das Schreiben in bestimmten Textsorten wiederfinden. Dies betrifft das fremdsprachliche Schreiben insofern, als dass es, wie Nieweler anmerkt, „stets eingebunden [ist] in kulturelle Normen wie auch in spezifische Schreibkon‐ ventionen“ (Nieweler 2004b: 2; vgl. auch Hidden 2013: 41 ff.). Er nennt zur Erläuterung das Beispiel des Curriculum Vitaes. Einen CV nach französischen Richtlinien zu erstellen setzt voraus, die entsprechenden Formeln und Muster kennen und anwenden zu können. Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, hier bleibt m. E. allerdings fraglich, inwiefern im schulischen Fremdsprachen‐ unterricht tatsächlich mit zielsprachenspezifischen Textsorten gearbeitet wird. Abgesehen von einem CV , mit dem sich ein Schüler oder eine Schülerin evtl. für ein Praktikum in Frankreich bewerben möchte, werden derartige Anforderungen erfahrungsgemäß in der Realität kaum an die Schülerinnen und Schüler gestellt. Vielmehr handelt es sich bei den praktizierten Schreibformaten um ein beschränktes Repertoire an schulbuchtypischen Schreibaufgaben, die sich nicht oder kaum an den zielsprachlichen Textformen orientieren, was verständlich aber durchaus zu kritisieren ist (s. auch Kap. 2.1.1.). 57 Zusammenfassend Zusammenfassend kann die vielschichtige Tätigkeit des fremdsprachlichen Schreibens mit den hier erläuterten Spezifika charakterisiert werden. Es handelt sich um eine Tätigkeit, die sowohl von der Erstals auch von weiteren zur Verfü‐ gung stehenden Sprachen beeinflusst wird. Kognitiv besonders herausfordernd wird das fremdsprachliche Schreiben durch begrenzte Anwendungsmöglich‐ keiten und Ressourcen. Damit einher geht ein geringer Automatisierungsgrad, der sich in intensiven Suchprozessen manifestiert und den Schreibprozess beeinflusst. Letzterer wird verlangsamt oder gar unterbrochen. Die Folge sind eine Fokussierung auf die Sprachform und ein verstärkter Einsatz von Kompen‐ 48 2 Theoretische Grundlagen <?page no="49"?> 58 Diese Erkenntnisse wiederum können und sollen Ausgangspunkt für schreibdidakti‐ sche Überlegungen sein. Hier ist nicht der Ort, schreibdidaktische Ansätze ausführlich zu beschreiben, dennoch soll auf einige Ansätze, die z. T. aus der Deutschdidaktik stammen, verwiesen werden: die Untergliederung des Schreibprozesses in einzelne Teilprozesse durch entsprechende Aufgabenstellungen, der Einsatz von Textmustern, die Arbeit mit Schreibstrategien, fehlertolerante Ansätze (vgl. auch Hidden 2013 Kap. 5 und 6; Philipp 2015; Schmölzer-Eibinger 2011). 59 An dieser Stelle sei verwiesen auf Tesch (2020) insb. S. 60 sowie das darin enthaltene Erratum, welches in der nachfolgenden Ausgabe der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 2 / 49 (2020) abgedruckt ist. sationsstrategien. Diese Umstände spiegeln sich entsprechend auf der Textebene wider (Fehler, Umfang, Struktur). 58 2.1.3 Kollaboratives Schreiben in der Fremdsprache Nachdem in den vorliegenden Teilkapiteln die Grundlagen für das Schreiben in einer Fremdsprache zusammengetragen wurden, wird in dem folgenden Kapitel auf eine spezifische Form des Schreibens eingegangen: das kollaborative Schreiben. Im Folgenden wird das kollaborative Schreiben zunächst eingeführt und begrifflich geklärt (2.1.3.1.). Daraufhin wird ein Forschungsüberblick ge‐ geben (2.1.3.2.) und abschließend werden diejenigen Elemente erläutert, die für das kollaborative Schreiben, wie es in der vorliegenden Studie angewandt wird, zentral sind (2.1.3.3.). 2.1.3.1 Einführung Schreiben wird i. d. R. als solitäre Angelegenheit verstanden (vgl. Brauckhoff et al. 2011: 222). Beim sog. kollaborativen Schreiben (collaborative writing) jedoch schreiben zwei oder mehr Personen gemeinsam. Diese Schreibform wurde im Zusammenhang mit der Schreibprozessforschung ab den 1980er Jahren ausgehend vom anglophonen Raum entwickelt und beforscht. Dabei wird der Schreibprozess in zweierlei Hinsicht präsent und sichtbar und somit auch potentiell bewusstheitsfähig (vgl. Nunan 1992: 3; Philp et al. 2014: 31; Storch 2013: 7). Denn das gemeinsame Schreiben erfordert einen Austausch und Einigung darüber, auf welche Art und Weise und mit welchem Ziel die Schreibenden vorgehen. 59 Einerseits werden Außenstehenden durch diese Aushandlungsprozesse Einblicke in den Schreibprozess gewährt, die insb. für Forschende und Lehrende aufschlussreich sein können. Es treten Informationen zu Tage, die für Außenstehende ansonsten nur schwerlich und wenig direkt und natürlich zugänglich wären. Es werden Einblicke in sowohl kognitive als auch soziale Prozesse ermöglicht, die helfen die Textproduktion nachzuvollziehen, 49 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="50"?> 60 Lehnen unterscheidet verschiedene Zugänge zum gemeinsamen Schreiben, worunter sie „unterschiedliche Verfahren der Zusammenarbeit bei der Textproduktion“ (dies. 2014: 415) subsumiert: a) theoretisch, b) methodologisch und c) didaktisch (vgl. dies. S. 418). In der vorliegenden Arbeit werden alle drei Ebenen relevant: Ausgehend von Schreibgesprächen (methodologischer Zugang) werden Schreibprozesse untersucht (theoretischer Zugang) in Hinblick auf potentielle Lerngelegenheiten (didaktischer Zugang). 61 Lehnen stellt für den Bereich des Deutschunterrichts fest, dass zunehmend kooperative Schreibformen eingesetzt werden, wobei sie sich allerdings auf kooperative Schreib‐ formen im weiten Sinne bezieht (vgl. dies. 2014: 414). 62 Eine Ausnahme stellen Woitkowski (2012) und Brauckhoff et al. (2011) dar, sie ver‐ wenden die Bezeichnung kollaboratives Schreiben und untersuchen dieses für die Erstsprache. Stüber (2011) spricht ebenfalls von kollaborativem Schreiben, konzentriert sich bei seiner Arbeit allerdings auf den technischen Aspekt (Softwareentwicklung). Schmidt-Wetzel (2015) verwendet in ihrer Untersuchung, die im Kunstunterricht der Sekundarstufe II angesiedelt ist, den Begriff Kollaboration, bezieht sich dabei jedoch nicht auf das Schreiben. 63 Baudrit (2012: 33) erklärt dies bezogen auf den frankophonen Raum damit, dass mit den jeweiligen Entstehungshintergründen (europäisch vs. nordamerikanisch) unterschied‐ liche Konzeptionen des kollaborativen Lernens einhergehen. da diese sich in der Interaktion manifestiert (vgl. u. a. Bouchard / Mondada 2005: 12; Grésillon / Perrin 2014; Lehnen 2017: 306; Weinzierl / Wrobel 2017: 223 f.). Andererseits tritt für die Schreibenden selbst der Produktionsprozess in den Vordergrund: Dadurch, dass sie ihren Schreibprozess miteinander gestalten und koordinieren, müssen sie ihr Vorgehen gemeinsam planen und damit auch ihre Ideen besprechen, diskutieren, verhandeln. Diese Aushandlungen werden, ausgehend von der Annahme, dass Lernen vor allem im sozialen Austausch geschieht (vgl. Vygotskij 1978), - als zentrale und potentiell lernreiche Momente verstanden (vgl. Krings 2016: 110; Lehnen 2014: 415, 424; Storch 2013: 156; s. auch Kap. 1). 60 Dass das kollaborative Schreiben im deutschsprachigen Schulkontext trotz der erwartbaren positiven Effekte - sowie vor dem Hintergrund der allge‐ mein anerkannten Potentiale kooperativer Arbeitsformen (vgl. z. B. Fachanfor‐ derungen Französisch Schleswig-Holstein Sek II 2015: 32) - bislang wenig umgesetzt wird (vgl. Storch 2013: 1), 61 mag neben seiner Unbekanntheit und der hohen sozialen Anforderungen auch mit der nicht einheitlichen Begriffs‐ verwendung zusammenhängen. Während der Begriff collaborative writing in der anglophonen Forschung gängig ist, sind im deutschen Sprachraum unterschied‐ liche Bezeichnungen für diese Schreibform vorzufinden, wobei die Verwendung des Adjektivs kollaborativ wenig gebräuchlich ist. 62 Die unterschiedlichen Entstehungshintergründe könnten als Erklärung herangezogen werden. 63 Im deutschsprachigen Raum wird der Oberbegriff kooperativ präferiert. Für die 50 2 Theoretische Grundlagen <?page no="51"?> 64 Lehnen behandelt in ihrem Kapitel zum kooperativen Schreiben unterschiedliche Formen und differenziert diese auf einem Kontinuum. Sie unterscheidet dabei zwischen kollaborativem und arbeitsteiligem Schreiben. Die Spuren der Zusammenarbeit fallen je nach gewählter Form unterschiedlich aus (vgl. dies. 2017: 299). 65 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass Arbeitsteilung in anderen Definitionen von Kollaboration durchaus enthalten sein kann. Der Anthropologe und Psychologe Toma‐ sello (2009) bspw. sieht Arbeitsteilung als ein Kriterium einer vollständig kollaborativen Aktivität: „In addition to a joint goal, a fully collaborative activity requires that there be some division of labor and that each partner understand the other’s role.‟ (ders. S. 67). Auch in dem Collaborative Problem-Solving Framework (2017), das die theoretische Grundlage für die Untersuchung des kollaborativen Problemlösens in der PISA-Studie 2015 darstellt, wird Arbeitsteilung als ein Merkmal von Kollaboration herangezogen (vgl. OECD 2017: 3). deutschsprachige Forschung ist festzustellen, dass überwiegend nicht zwischen den Adjektiven kollaborativ und kooperativ unterschieden wird und teilweise verschiedene kooperative Schreibformen zusammengefasst werden: Lehnen (2014) und Dausendschön / Gülich / Krafft (1992) bspw. verwenden die Bezeich‐ nung gemeinsam schreiben, Faistauer (1997) spricht von zusammen schreiben und an anderer Stelle von kooperativem Schreiben. Auch Becker-Mrotzek betitelt seinen Aufsatz mit gemeinsamem Schreiben und spricht dann von kooperativer Textproduktion (vgl. ders. 2013). Der Prozess des gemeinsamen Schreibens wird in der Forschung mehrfach auch als konversationelle Schreibinteraktion bezeichnet (vgl. Berthoud / Gajo 2005; Dausendschön-Gay et al. 1992; Dausend‐ schön-Gay / Krafft 1996; Lehnen 2000), Lehnen spricht auch von kollaborativem Formulieren (2014: 415). Schindler (2004) und Faistauer (1997) bezeichnen diesen gemeinsamen Schreibprozess als Schreibgespräch, da es sich um einen spezifi‐ schen Gesprächstyp handelt. Im Folgenden wird diese Schreibform als kollabo‐ ratives Schreiben und die Interaktion, die dabei entsteht, als Schreibgespräch bezeichnet. Vor diesem Hintergrund soll das in dieser Arbeit zugrunde gelegte Ver‐ ständnis des kollaborativen Schreibens weiter spezifiziert werden: In Anleh‐ nung an die enge Definition von Storch (2013, 2016) wird das kollaborative vom kooperativen Schreiben abgegrenzt (vgl. auch Melo-Pfeifer 2009: 70 f.). 64 Während kooperative Vorgehensweisen Arbeitsteilung 65 sowie einzelne, ge‐ meinsam durchgeführte Schreibphasen (z. B. Textüberarbeitung) beinhalten können, bezeichnet kollaboratives Schreiben nach Storch (2013: 3) die gleich‐ zeitige, gemeinsame Produktion eines Textes: […] collaborative writing describes an activity where there is a shared and negotiated decision making process and a shared responsibility for the production of a single text. 51 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="52"?> 66 Einen kurzen Überblick über die Entstehungshintergründe des kollaborativen Schrei‐ bens gibt Storch (2016) im Handbook of Second and Foreign Language Writing. 67 Für den deutschsprachigen Raum liegen einige Arbeiten zum kollaborativen Schreiben in der Erstsprache vor (vgl. z. B. Becker-Mrotzek 2013; Brauckhoff et al. 2011; Lehnen 2000, 2014, 2017; Schindler 2004; Woitkowski 2012). Schmölzer-Eibinger (2011) setzt kollaborative Schreibelemente in ihrer Untersuchung zur Förderung von Textkompe‐ tenz bei Zweitsprachenlernenden Deutsch ein. Mittels verschiedener Beispiele stellt sie, eingebettet in ein umfassendes Förderkonzept, die Möglichkeiten des gemeinsamen Schreibens vor. Für den Bereich Deutsch als Fremdsprache liegen die Arbeiten von Faistauer (1997) und Müller (1997) vor. Im frankophonen Raum untersuchen Bou‐ chard / Mondada (2005) kollaborative Schreibprozesse in der Erstsprache. Bezogen auf die Produktebene resultiert beim kollaborativen Schreiben ein einziger Text, aus dem die jeweiligen Beiträge nicht extrahiert werden können. Entsprechend wird er auch von den Beteiligten gemeinsam verantwortet (shared ownership) (Storch 2016: 387). Die Schreibenden gehen in Lehnens Worten eine Ko-Autorschaft (dies. 2014: 424) ein. Auf der Prozessebene bedeutet dies, dass die Schreibenden fortwährend interagieren und ihren Schreibprozess gemeinsam durchführen. Auf interaktionaler Ebene setzt dies voraus, dass sich die Schreibenden ein gemeinsames Ziel setzen, sich auf eine Vorgehensweise einigen, diese koordinieren und sich beide engagieren (vgl. Murray 1992: 114; Storch 2013: 3). Demnach wird in dieser Arbeit mit dem kollaborativen Schreiben eine Ar‐ beitsform bezeichnet, bei der zwei oder mehr Personen gemeinsam gleichzeitig einen Text produzieren, und damit genannte Folgen auf der Prozess- und Produktebene einhergehen. 2.1.3.2 Forschungsüberblick Aufgrund der begrenzten Forschungslage zum fremdsprachlichen kollabo‐ rativen Schreiben werden im Folgenden einschlägige Publikationen aus unterschiedlichen Sprachräumen (neben dem deutschsprachigen insb. der anglophone) zusammengetragen und ein Überblick erstellt, ohne dabei Voll‐ ständigkeit zu beanspruchen. 66 Erste Publikationen zum kollaborativen Schreiben in der Fremdsprache 67 liegen ab den 1990er Jahren vor (vgl. u. a. Dausendschön-Gay et al. 1992; Dausendschön-Gay / Krafft 1996; Faistauer 1997; Hirvela 1999; Müller 1997; Murray 1992; Swain / Lapkin 1998). Ab Mitte der 2000er Jahre erscheinen im anglophonen Raum zahlreiche Studien zum kollaborativen Schreiben im Fremdsprachenkontext. Im Vordergrund steht dabei überwiegend die Frage nach den Potentialen, die mit dem kollaborativen Schreiben einhergehen können. In diesem Zusammenhang werden mehrfach individuell und kollabo‐ 52 2 Theoretische Grundlagen <?page no="53"?> 68 Hierzu liegen bislang keine Publikationen vor, weshalb an dieser Stelle auf die Projekt‐ beschreibung von Gabriele Blell (Leibniz Universität Hannover) Digital Narratives oder wie Lehramtsstudierende digital und kollaborativ erzählen verwiesen sei (s. https: / / ww w.engsem.uni-hannover.de/ de/ blell/ forschungsprojekte/ Zugriff: 20. 08. 2020). rativ geschriebene Texte verglichen (z. B. Dobao 2012; Faistauer 1997; Storch 2005; Storch / Wigglesworth 2007). Darüber hinaus werden der Einsatz un‐ terschiedlicher Aufgabenformate (z. B. Colina / García Mayo, María del Pilar 2007; Swain / Lapkin 2001), der Einsatz von Metasprache (z. B. Brooks / Swain 2011; Gutiérrez 2008; Swain 1998) und Rückmeldung (z. B. Hanjani 2016; Storch / Wigglesworth 2010; Wigglesworth / Storch 2012) untersucht. Dabei wird häufig die Analyseeinheit Language Related Episode ( LRE ) (s. Fußnote 5, S. 13) eingesetzt, um damit Lerngelegenheiten zu operationalisieren. Dabei geht es überwiegend darum zu untersuchen, ob und inwiefern sprachliche Probleme bei der gemeinsamen Bearbeitung (korrekt) gelöst werden (vgl. z. B. Philp et al. 2014; Storch 2013). Andere Studien widmen sich möglichen Einflussfaktoren und Gelingensbedingungen wie bspw. verschiedenen Sozialformen (z. B. Dobao 2012), der Zusammenstellung der Schreibenden (z. B. Storch / Aldosari 2012), der Rolle des Sprachniveaus (z. B. Leeser 2004; Watanabe / Swain 2007) sowie der Rolle der Erstsprache (z. B. Storch / Aldosari 2010). In wenigen Studien wird die interaktionale Ebene fokussiert (z. B. Pelchat 2017; Storch 2002, 2008) und die individuellen Voraussetzungen wie Einstellungen und Vorerfahrungen der Schreibenden (z. B. Storch 2005) erfasst. Nicht zuletzt geht es auch in der kolla‐ borativen Schreibforschung mitunter um den Einsatz verschiedener Aufgaben‐ formate und technischer Möglichkeiten wie Wiki, Blog etc. (z. B. Gabel / Schmidt 2018; Qotb 2014; Rodrigues 2013; Steinberger 2017). Aktuell wird das kollabo‐ rative Schreiben auch in der Hochschullehre eingesetzt und erforscht. Blell untersucht in ihrem Forschungprojekt Digital Narratives, welches 2018 begann, kollaborative Erzählprozesse von Lehramtsstudierenden Englisch. 68 Stierwald (2019) erforscht das kollaborative Schreiben im Romanistikstudium. Abgesehen von wenigen Monografien (z. B. Faistauer 1997; Müller 1997; Storch 2013) erscheinen die Artikel zum kollaborativen Schreiben in der Fremd‐ sprache vereinzelt in Zeitschriften (z. B. in Language Teaching Research sowie Journal of Second Language Writing). Dass das kollaborative Schreiben in der anglophonen Schreibforschung seinen anerkannten Platz hat, zeigt sich nicht zuletzt auch durch einen entsprechenden Eintrag von Storch im Handbook of Second and Foreign Language Writing von Manchón / Matsuda (2016). Immerhin enthält das Handbuch Fremdsprachenunterricht von Burwitz-Melzer et al. (2016) in seinem Eintrag zum Schreiben den Hinweis darauf, dass kooperative Schreib‐ 53 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="54"?> 69 Der Tabelle, in der Storch die diesbzgl. Arbeiten systematisch aufführt, lässt sich entnehmen, dass sehr häufig das sog. Dictogloss eingesetzt wird (s. auch Fußnote 3, S. 13). formen eine wichtige Rolle für den Schreibprozess spielen; Krings (2016: 110) formuliert wie folgt: Kooperative Schreibprozesse sollten fester Bestandteil des fremdsprachlichen Schreibunterrichts sein. Denn zum einen lenken sie durch die in ihnen auftretenden Aushandlungsprozesse den Fokus zwangsläufig vom Produkt auf den Prozess und zum anderen erweitern sie den Schreiberfahrungshorizont der Lernenden. Zu den wenigen praxisbezogenen Publikationen gehört der Grundlagenbeitrag zum kollaborativen Schreiben im Fremdsprachenunterricht von Pelchat (2020) in der Zeitschrift Praxis Fremdsprachenunterricht sowie einzelne Beiträge in den Zeitschriften Der fremdsprachliche Unterricht Französisch (Obeling 2019) und Französisch heute (Lange 2017). Nachfolgende Aufzählung gibt einen Überblick über die in der kollaborativen Schreibforschung mehrfach behandelten Themen: - Einblicke in Schreibprozesse (z. B. Dausendschön-Gay / Krafft 1996; Hanjani 2016; Storch 2008) - Analyse der Schreibprodukte (z. B. Dobao 2012; Storch 2005; Storch / Wigg‐ lesworth 2007) - Einflussfaktoren (z. B. Dobao 2012; Storch 2013, 2016) - Einsatz von Metasprache (z. B. Gutiérrez 2008; Storch 2008) - Einsatz neuer ‚Medien‘ wie Wiki, Blog u. a. (z. B. Rodrigues 2013; Steinberger 2017) Ein vergleichender Blick in die Forschungslage ergibt, dass das kollaborative Schreiben im Fremdsprachenkontext bisher hauptsächlich für die englische Sprache bei fortgeschrittenen erwachsenen Fremdsprachenlernenden im Hoch‐ schulkontext untersucht wurde. Bei diesen (Fall-)Studien - mit überwiegend experimentellem Design und niedriger Probandenzahl - kommen zudem mehr‐ heitlich Aufgabenformate zum Einsatz, die sich auf die Sprachform konzen‐ trieren, meist reproduzierend sind und darauf abzielen, den Grad an norm‐ sprachlicher Korrektheit zu erfassen. 69 Hirvela et al. (2016) und auch Storch (2013: 72) kritisieren diesen einseitigen Fokus auf die grammatische Korrektheit. Stattdessen betont Storch, dass es vor allem darauf ankomme, das kollaborative Schreiben mit all seinen zahlreichen Einflussfaktoren besser zu verstehen und unterstreicht, dass dies nur mit Studien möglich sei, die über quantitative Analysen hinausgehen. Sie schlussfolgert: 54 2 Theoretische Grundlagen <?page no="55"?> 70 Aufgrund der begrenzten Forschungslage wird bei Phänomenen, die nicht fremdspra‐ chenspezifisch sind, auch Literatur aus der erstsprachlichen kollaborativen Schreib‐ forschung hinzugezogen, insb. Lehnen (2014, 2017). Da es sich beim kollaborativen Schreiben um eine Aktivität handelt, die auch andere Bereiche wie die Interaktionsfor‐ schung berührt, soll an den entsprechenden Stellen angrenzende Literatur einbezogen werden (u. a. Eckerth 2003, Schwab 2009). Dies ist auch der Grund, weshalb sich z. T. Inhalte insb. mit dem Kapitel 2.2. überlagern. Darauf wird jeweils im Text hingewiesen. 71 Diese Phänomene werden in unterschiedlichen Kontexten (nicht nur) des Fremdspra‐ chenlernens vor allem im anglophonen Forschungskontext Second Language Acquisi‐ tion (SLA) beforscht und werden mehrheitlich im Zusammenhang mit einer soziokul‐ turellen Grundannahme betrachtet. 72 In der anglophonen Literatur existieren sowohl die Bezeichnungen negotiation of meaning als auch negotiation for meaning. In dieser Arbeit wird Erstere verwendet. In Qualitative, longitudinal, classroom based research is needed, so that the human dimension of interaction is brought to the fore. (Storch 2016: 401) In diesem Sinne möchte die vorliegende Arbeit - auch wenn sie nicht longitu‐ dinal ausgerichtet ist, so doch zumindest in Form einer Momentaufnahme - einen Beitrag zur kollaborativen Schreibforschung für den schulischen Fremd‐ sprachenunterricht leisten und umfassende Einblicke in die Interaktion der Schülerinnen und Schüler geben. 2.1.3.3 Elemente des kollaborativen Schreibens Nachfolgend sollen diejenigen Erkenntnisse aus der kollaborativen Schreibfor‐ schung zusammengetragen werden, die für die vorliegende Studie besonders relevant sind. Der Fokus liegt somit auf der schreibprozessbezogenen interakti‐ onalen Ebene, weshalb Studien, die die Textebene fokussieren, nicht oder wenig ausführlich behandelt werden. 70 Ein zentrales Merkmal kollaborativen Schreibens ist der mündliche Aus‐ tausch zwischen den Schreibenden. Dieser wiederum zieht folgende Phänomene nach sich, die beim kollaborativen Schreiben auftreten können und eng mitein‐ ander verknüpft sind: Aushandlungsprozesse, Languaging, Noticing, Rückmel‐ dung, Pooling, Scaffolding, Ko-Konstruktion. 71 Abgesehen von diesen sprachbe‐ zogenen Phänomenen prägen zwei Elemente das kollaborative Schreiben auf der interaktionalen Ebene maßgeblich: Rollen und Interaktionstypen. Weitere, übergreifende Einflussfaktoren, die für das kollaborative Schreiben erarbeitet wurden, werden am Ende des Kapitels behandelt. Aushandlungsprozesse Ein charakteristisches Element des kollaborativen Schreibens sind die bereits erwähnten Aushandlungsprozesse (negotiations of meaning) 72 zwischen den 55 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="56"?> der deutschsprachigen Forschung wird auch von Aushandlungsprozessen (z. B. Krings 2016; Schwab 2009; Weinzierl / Wrobel 2017: 224) und Bedeutungsaushandlung (z. B. Bonnet 2007: 93; Eckerth 2003) gesprochen. In Anlehnung an Schwab (2009: 316, 324), sollen Aushandlungsprozesse hier in einem weiten Sinne verstanden werden und somit nicht nur formale Aspekte, sondern auch die soziale Ebene miteinbeziehen. 73 Schwab (2009) untersucht gesprächsanalytisch mündliche Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden im Englischunterricht (Kontext Hauptschule) und fragt auch nach den Beteiligungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler. Er stellt fest, dass von Lehrpersonen eingebrachte Initiativen überwiegen und spricht sich für mehr Beteiligung der Schülerinnen und Schüler aus (vgl. ders.: 389). 74 Teilweise wird in der Theorie der Einsatz des kollaborativen Schreibens mit der Erhöhung der Sprechanteile für Schülerinnen und Schüler begründet. In der vorlie‐ genden Arbeit steht das Schreiben im Fokus. Das Sprechen ist ein ‚Nebenprodukt‘, ein integrativer Teil der Schreibhandlung, der sich aus der sozialen Konstellation ergibt. Demnach bedeutet Sprechen in diesem Zusammenhang nicht das Sprechen in der Fremdsprache üben, auch da die Kommunikation z. T. in der Erstsprache realisiert wird. Jedoch ergeben sich durch das miteinander Sprechen bestimmte Effekte wie Languaging, Pooling, Scaffolding (s. hierzu nachfolgende Ausführungen). Schreibenden. Sie entstehen allein aufgrund der Konstellation von mehreren Personen und stellen eine Voraussetzung für das kollaborative Schreiben dar: Die Schreibenden müssen sich austauschen, verständigen und einigen, um schreiben zu können. Während Aushandlungsprozesse in einem lehrperson‐ zentrierten Unterricht eher selten vorkommen (vgl. z. B. Schwab 2009: 316), 73 sind sie beim kollaborativen Schreiben ein grundlegender Bestandteil. Sie be‐ treffen diejenigen Sequenzen im Schreibgespräch, in denen Wissen offengelegt, Vorschläge und Begründungen eingebracht, miteinander verhandelt und geklärt werden. Sie dienen vor allem dazu, gemeinsam Wissen zu organisieren, Ge‐ danken zu entwickeln und Fragen zu klären. In diesen Aushandlungen tauschen sich die Schreibenden aus. Der Impuls für diesen Austausch entsteht bei ihnen selbst während der Bearbeitung der gegebenen Schreibaufgabe, folglich aus einem konkreten (Informations-)Bedürfnis heraus; Storch spricht in diesem Zusammenhang von „genuine need to communicate“ (dies. 2013: 43; vgl. auch Eckerth 2003: 69). 74 Dabei kann eine potentiell intensive Auseinandersetzung mit dem zu bearbeitenden Gegenstand entstehen. Entsprechend werden diese Aushandlungsprozesse in der Forschung auch als Schlüsselmomente verstanden (vgl. Krings 2016: 110; Lehnen 2014: 415, 424; Schwab 2009: 314; s. Kap. 1.). Aufgrund der hohen emotionalen Intensität können Aushandlungen, in denen Kontroversen verhandelt und ggf. auch Konflikte bearbeitet werden, zur Elabo‐ ration der Gedanken beitragen (vgl. z. B. Huber 2010: 407) und als ein entschei‐ dender und oft produktiver Teil von Aushandlungsprozessen betrachtet werden (vgl. Eckerth 2003: 275; Schindler / Wolfe 2014: 165 f.). Gleichwohl ist für eine einvernehmliche Lösung ein gewisses Maß an kooperativer Grundhaltung und 56 2 Theoretische Grundlagen <?page no="57"?> 75 Eckerth stellt in seiner Analyse zu dyadischen Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern fest, dass 80 % der kontroversen Annahmen über die Fremdsprache zu zielsprachenkonformen Lösungen führen (ders. 2003: 274). Schwab merkt in diesem Zusammenhang zu Recht an, dass sich die Studien überwiegend auf zielsprachenkon‐ forme Lösungen fokussieren und damit andere, ebenfalls sehr relevante Effekte nicht erfassen (vgl. Schwab 2009: 368). 76 Storch weist darauf hin, dass Long mit seiner Interaction Hypothesis erstmals die Bedeutung der interaktionalen Ebene für das Sprachenlernen betont (dies. 2013: 8). Übereinstimmung notwendig und dies macht das kollaborative Schreiben auch „zu einem aufwendigen, kognitiv und sprachlich anspruchsvollen Verfahren der Textproduktion.‟ (Lehnen 2017: 299). Aus sprachlerntheoretischer Perspektive interessant ist dabei, dass Aushandlungsprozesse zwischen Schülerinnen und Schülern (auch außerhalb des kollababorativen Schreibens) überwiegend zu zielsprachenkonformen Lösungen führen (vgl. u. a. Eckerth 2003). 75 Ob und in‐ wiefern diese Aushandlungsprozesse erfolgreich (i. S. von zielsprachenkonform) verlaufen, hängt maßgeblich vom jeweiligen Sprachniveau, der Schreibaufgabe sowie der Zusammenstellung der Schreibenden und insb. davon ab, ob es ihnen gelingt, eine kooperative Arbeitsweise zu etablieren (vgl. Storch 2013: 43, sowie Kap. 4; s. auch nachfolgende Ausführungen zu Einflussfaktoren). Languaging & Noticing Mit den Konzepten Languaging und Noticing, die beide in den 1990er Jahren im anglophonen Forschungskontext Second Language Acquisition ( SLA ) erar‐ beitet wurden, kann der umfassende Aushandlungsprozess weiter konkretisiert und dabei die spezifisch fremdsprachliche Aktivität betont werden. In den Aushandlungsprozessen verbalisieren die Schreibenden ihre Gedanken und Fragen, sie beginnen Sätze zu formulieren, zu reformulieren. Dieser Prozess des Verbalisierens, der Einblicke in die Denkprozesse ermöglicht, wird von Swain als Languaging bezeichnet (Swain 2006, 2010). Sie geht davon aus, dass Lernen in erster Linie durch Sprachproduktion geschieht (Output Hypothesis, Swain 2000) und nicht allein dadurch, dass die Lernenden verständlichem (comprehensible) Input ausgesetzt werden, wie dies mit Krashens (1992) und, in Fortführung dessen, mit Longs Interaction Hypothesis (1985) 76 nahegelegt wird. Mit Languaging beschreibt Swain eben diese sprachlichen Aktivitäten, mit denen Fremdsprachenlernende versuchen, ihre sprachlichen Probleme zu lösen. Dabei kann unterschieden werden nach Languaging, das an sich selbst oder an eine oder mehrere andere Personen gerichtet ist. Letzteres wird auch als kolla‐ borativer Dialog (collaborative dialogue, vgl. Swain 2000) oder Schreibgespräch (s. S. 51) bezeichnet. Durch das Sprechen werden Gedanken externalisiert. Sind die Gedanken einmal ausgesprochen, können sie weiter genutzt, bearbeitet und 57 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="58"?> 77 In der einschlägigen Forschung wird überwiegend von noticing gaps gesprochen. 78 Zum Zusammenhang von Sprechen und Schreiben s. Literaturhinweise in Fußnote 45, S. 41. es kann darauf reagiert werden: „Verbalised thinking becomes an artefact that can be further explored.‟ (Storch 2016: 389). Gleichzeitig kann das Aussprechen eine handlungspraktische, organisatorische Funktion erfüllen, wenn es dafür eingesetzt wird, die Vorgehensweise abzustimmen, die anzustrebenden Ziele zu klären etc. (vgl. Hyland 2011: 187). Eine zentrale Voraussetzung für Languaging ist, dass ‚Lücken‛ 77 oder Unter‐ schiede zwischen realisiertem und zielsprachlichem Ausdruck wahrgenommen werden. Dieses Phänomen wird als Noticing bezeichnet und geht auf die sog. Noticing Hypothesis von Schmidt (1990) zurück. Noticing beschreibt das Wahrnehmen einer Lücke, die bei der Sprachproduktion sichtbar wird und stellt somit den Auslöser sowie die Grundlage für Lernprozesse dar. Hier spielt die soziale Komponente insofern eine Rolle, als dass die Bearbeitungsmöglich‐ keiten vervielfältigt werden: Dadurch, dass sich zwei oder mehr Personen in den Bearbeitungsprozess einbringen, können mehr Unterschiede und Lü‐ cken festgestellt werden, als dies bei einer einzelnen Person der Fall wäre (vgl. Adams / Ross-Feldman 2011: 244; s. auch nachfolgende Ausführungen zu Pooling). Eine Bearbeitung der Lücke erfordert jedoch entsprechende (insb. sprachliche, inhaltliche, lebensweltliche, schreib- und textbezogene) Ressourcen und setzt ebenfalls voraus, dass sich die Interaktanten selbst und einander vertrauen. Williams stellt fest, dass sich Lernende tendenziell vorwiegend auf das Wissen der Lehrperson stützen, mit steigendem Sprachniveau aber zunehmend ihrem eigenen Wissen und dem ihrer Mitschülerinnen und -schüler vertrauen (vgl. Williams 2011: 89 f.). Damit hängen Languaging und Noticing eng zusammen. Languaging ist die Sprachproduktion und somit gewissermaßen das Medium und Noticing der Auslöser. Gemeinsam bewirken sie Folgendes: Dadurch, dass die Schreibenden ihre Gedanken und Formulierungsvorschläge verbalisieren, wenden sie die Sprache, bevor sie diese niederschreiben, mündlich an, sie sprechen, bevor sie schreiben. 78 Dies bedeutet (i. S. von Swains Output Hypothesis), dass sie Sprache anwenden. Sie testen ihre Hypothesen, probieren Wörter, Ausdrücke und Formulierungen aus. Dabei werden Lücken und Unsicherheiten unvermeidbar sichtbar, was dazu führen kann, dass sich die Schreibenden ihrer (nicht) vor‐ handenen Ressourcen bewusst werden. Die Feststellung von Unwissen oder Unsicherheit ist der erste Schritt zu deren Lösung und kann entsprechende Handlungen nach sich ziehen, die ggf. zu einer Lösung führen können (vgl. Storch 2013: 42 f.). Auch kann das Sprechen über die Sprache und das Schreiben 58 2 Theoretische Grundlagen <?page no="59"?> 79 Diese Ausführungen überlagern sich z. T. mit denen in Kapitel 2.2. Da Rückmeldungen mit den damit einhergehenden Phänomenen in beiden Zusammenhängen eine wichtige Rolle spielen, sollen sie jeweils mit Fokus auf die je relevanten Aspekte (Schreibprozess vs. Interaktion) ausgeführt werden. 80 Nach dem Kommunikationsmodell von Watzlawick (1969) wird diese Beobachtung insb. im 3. Axiom formuliert. 81 In der Literatur wird auch von Reparaturen gesprochen. In der vorliegenden Arbeit wird hier nicht weiter differenziert und ausschließlich der Begriff Korrekturen verwendet. dazu führen, sich über Vorgehensweisen, bestimmte Phänomene, Einstellungen etc. bewusst zu werden (vgl. Lehnen 2017: 306). Aufgrund dieser Funktionen - Sprache ausprobieren, Lücken bearbeiten, Bewusstheit erlangen - können diese Momente als potentielle Sprachlerngelegenheiten betrachtet werden (vgl. u. a. Hyland 2011: 187; Storch 2013: 43). Rückmeldung 79 Das Sprechen beim kollaborativen Schreiben führt nicht nur dazu, dass Lücken wahrgenommen und bearbeitet werden, es ‚provoziert‘ gewissermaßen eine Reak‐ tion auf das Gesagte. Denn in der Regel folgt in einer sozialen Interaktion auf eine Äußerung (Aktion) eine Reaktion, also eine Rückmeldung im weiten Sinne (vgl. Watzlawick 1969). 80 Diese Rückmeldung kann mehr oder weniger bewusst und demnach mehr oder weniger explizit oder implizit erfolgen. Mit einer Äußerung kann bspw. explizit um Hilfe gebeten und damit Unterstützung angefordert werden (vgl. z.B. Storch 2013: 37). Dies kann aber auch, wie die folgenden Analysen zeigen werden, auf weniger explizite Weise geschehen, z.B. durch eine fragende Intonation oder Zögern. Gleichzeitig können auch Rückmeldungen erfolgen, die nicht angefordert wurden, bspw. in Form einer fremdinitiierten Korrektur. 81 Das Sprechen kann folglich Fremd- und Selbstkorrekturen nach sich ziehen und somit unmittelbar zu Modifikationen führen. Durch Bestätigungs- und Klärungs‐ anfragen, den sog. comprehension check (ist das richtig? ), confirmation check (oder? ), und clarification request (was meinst du damit? ), können Unsicherheiten beseitigt, Missverständnissen vorgebeugt, der Schreibprozess abgestimmt und in Fluss gehalten werden (vgl. z.B. Storch 2013: 43). Dadurch, dass sich die Schreibenden unmittelbar und aus einem konkreten Bedürfnis heraus gegenseitig Rückmeldung geben und sich sowohl hierarchisch als auch sprachlich auf einer vergleichbaren Ebene befinden, ist davon aus‐ zugehen, dass diese Rückmeldung passgenau und konkret ist. Sie entspricht tendenziell dem Lernstand und ist somit für die beteiligten Schülerinnen und Schüler i. d. R. verständlich(er) - was für Rückmeldungen von Lehrpersonen nicht unbedingt zutrifft - aber als ein zentrales Kriterium wirksamer Rückmel‐ dung betrachtet wird (vgl. Eckerth 2003: 285; Hattie 2011: 115 ff.). Es ist folglich 59 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="60"?> 82 Synonym hier auch als Modelllernen bezeichnet. davon auszugehen, dass die Rückmeldung eher akzeptiert wird und dass die Schreibenden weniger Hemmungen haben, sich gegenseitig ihr Unwissen und ihre Unsicherheit mitzuteilen als dies bspw. in einem frontalen Unterrichtsset‐ ting oder ggü. der Lehrperson der Fall wäre (vgl. Storch 2013: 38). Varonis / Gass charakterisieren eine Partnerkonstellation zwischen ähnlich gestellten Fremd‐ sprachenlernenden entsprechend als ein „non-threatening forum“ (1985: 87). Außerdem stellen Hoshii / Schuhmacher in ihrer Studie mit Studierenden fest, dass Lernende sensibel für die Schwierigkeiten von Mitlernenden sind und ihnen auch unaufgefordert Unterstützung anbieten (vgl. dies. 2017: 87). Damit deutet sich an, dass Rückmeldung beim kollaborativen Schreiben ein wichtiges Element darstellt. Pooling - Scaffolding - Ko-Konstruktion Ein weiterer Effekt, der sich durch die interaktive Situation beim kollaborativen Schreiben ergibt, ist das sog. Pooling. Als Pooling wird in der kollaborativen Schreibforschung die Tatsache beschrieben, dass zwei Schreibende auf mehr als nur eine Wissens- und Erfahrungsressource zurückgreifen und diese Res‐ sourcen gemeinsam nutzen können (vgl. Adams / Ross-Feldman 2011: 263; Storch 2013: 37 f.). Auf diese Weise erweitert sich ihr Ressourcenzugriff beträcht‐ lich, der gesamte Lebens- und Spracherfahrungsschatz der beteiligten Personen kann eingebracht und genutzt werden. Die Chancen, Lücken zu bemerken und dabei sprachliche Probleme zu lösen, steigen damit erheblich. So können sich die Schreibenden ergänzen (s. Scaffolding) und dabei auch mit- und voneinander lernen, i. S. des Lernens am Modell 82 nach Bandura (1971). Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass sie sich verständigen und einigen müssen, was eine grundlegend kooperative und respektvolle Haltung einander gegenüber voraussetzt. Während der Begriff Pooling zunächst neutral den Umstand einer (im Vergleich zu einer einzelnen Person) erweiterten Ressourcenlage beschreibt, wird mit der Bezeichnung Collective Scaffolding eine zielgerichtete Funktion verbunden und diejenigen Momente beschrieben, in denen Lernende ihr jewei‐ liges Wissen einbringen, um möglichst zielsprachenkonforme Lösungen zu erreichen (vgl. Storch 2013: 15 mit Bezug auf Donato 1994). Indem sie ihre jeweiligen Ressourcen durch das Verbalisieren einbringen und sich dabei auch entsprechende Rückmeldungen geben, können sie sich gegenseitig unterstützen mittels des sog. Scaffoldings. Mit Scaffolding wird - angelehnt an das Bild eines Baugerüsts, das sukzessive wieder entfernt wird, sobald sich das Gebaute selbst trägt - der Umstand beschrieben, dass der Lernprozess einer Person 60 2 Theoretische Grundlagen <?page no="61"?> 83 Ko-Konstruktion wird mit Dausendschön-Gay et al. (2015) in einem weiten Sinne verstanden „als das gemeinsame Handeln von Interaktionspartnern zur Fortsetzung einer Interaktion auf ein Ziel hin.‟ (dies. 2015: 22). Interessant ist in diesem Zusam‐ menhang ihr Hinweis darauf, dass ko-konstruktive Verfahren beim gemeinsamen Schreiben besonders deutlich werden und ähnlich eines „Lupeneffekt[s]“ sichtbar werden (dies. 2015: 23). Vgl. auch kritische Ausführungen bzgl. der Verwendung des Begriffs Ko-Konstruktion bei Jacoby / Ochs (1995). durch unterschiedliche Hilfestellungen einer anderen Person unterstützt wird. Hyland bezeichnet Scaffolding als zentral für das Schreibgespräch, da es die Brücke zwischen dem Sprechen und dem Schreiben darstelle und die einzelnen Schreibenden dadurch evtl. zu einer Leistung befähigt, die sie ohne diese Unterstützung nicht hätten erreichen können (vgl. ders. 2011: 170). Interessant werden diese Leistungen vor allem auch dann, wenn man mit Vygotskij davon ausgeht, dass sie gewissermaßen ‚Vorboten‘ für zukünftige Leistungen sind und somit die Entwicklung miteinbeziehen (s. auch Zitat S. 18). Beim kollaborativen Schreiben kann Scaffolding zwischen den jeweiligen Schreibenden entstehen. Es impliziert eine Wissensdifferenz: Die Person, die mehr weiß, hilft der anderen, wobei sich beide möglichst ergänzen und so von den jeweiligen Ressourcen profitieren können. Das kollaborative Schreiben kann auch als Ko-Konstruktion  83 beschrieben werden (vgl. z. B. Lehnen 2017: 299; Melo-Pfeifer 2009: 70 f.; Storch 2016: 387). Damit wird zunächst das aktive Zusammenführen der vorhandenen Ressourcen beschrieben, ohne dabei unbe‐ dingt eine Wissensdifferenz anzunehmen, aber gleichwohl in der Annahme, dass Aushandlungs- und Kooperationsprozesse stattfinden, die zu neuen Per‐ spektiven führen können (vgl. Grell 2013). Derartige ko-konstruktive Prozesse werden beim kollaborativen Schreiben angestrebt. Sie manifestieren sich insb. in sog. kollaborativen Äußerungen, also Gesprächssequenzen, in denen mehrere Personen gleichzeitig gemeinsam ein Thema bearbeiten, sich dabei ergänzen, voneinander profitieren und auf diese Weise im besten Fall neues Wissen generieren. Dies schließt, wie Günther in Bezug auf ko-konstruktive Gesprächs‐ situationen feststellt, konfrontative Elemente nicht unbedingt aus (vgl. dies. 2015: 58). Ko-Konstruktion fokussiert das aktive Miteinander und das, was daraus resultieren kann; Scaffolding hebt den Aspekt des Unterstützens hervor und Pooling beschreibt eine mögliche Aktivität, die durch die Ausgangssituation bedingt ist. Bei allen drei Begriffen geht es letztlich darum, dass durch das Miteinander eine neue Qualität hervorgebracht wird. 61 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="62"?> Rollen In der Interaktion, die sich durch das kollaborative Schreiben ergibt, entstehen einerseits die soeben erläuterten ‚Sprechanlässe‘ (Aushandlungsprozesse, Lang‐ uaging, Rückmeldung) mit den damit einhergehenden Effekten (Pooling, Scaf‐ folding, Ko-Konstruktion). Andererseits werden dabei bestimmte Rollen und Interaktionsformen ausgebildet. Dadurch, dass sich die Schreibenden selbst organisieren und koordinieren (vgl. Hyland 2011: 187), können sie verschie‐ dene Rollen einnehmen und diese nach Bedarf auch wechseln (vgl. Murray 1992: 112). Allerdings beobachten Storch und Lehnen, dass sich beim gemein‐ samen Schreiben bestimmte Rollen und Arbeitsbedingungen etablieren und bestehen bleiben (vgl. Lehnen 2000: 251 ff.; Storch 2016: 393). Dabei können die Schreibenden auch Rollen einnehmen, die ansonsten typischerweise von Lehrpersonen übernommen werden, wie z. B. die Expertenrolle. So führen die Schreibenden auch (sprachliche) Handlungen wie das Korrigieren, Erklären, Widersprechen durch, die üblicherweise von Lehrpersonen realisiert werden. Durch die unterschiedlichen Rollen und damit einhergehenden Funktionen wird das Handlungsspektrum der Schreibenden erweitert (vgl. Storch 2013: 39 ff.). Zwar befinden sich die Schülerinnen und Schüler hier prinzipiell in einer gleichgestellten Beziehung (s. auch Kap. 2.2.1 und 2.2.3.) und tragen letztendlich gleichermaßen die Verantwortung für das Endprodukt. Gleichwohl gehen mit den jeweiligen Rollen bestimmte Handlungen, Erwartungen und Verpflich‐ tungen einher. Murray stellt in ihrer Studie fest, dass die Person, die die Schreib‐ rolle übernimmt, meist weniger inhaltlich beiträgt, aber dafür die Kontrolle ausübt, da sie letztendlich entscheidet, was wie aufgeschrieben wird (dies. 1992: 112). Die Tatsache, dass es sich dabei um einen gemeinsam verantworteten Text handelt, kann einerseits dazu führen, dass die Schreibenden weniger Druck in Bezug auf den zu erbringenden Text empfinden (vgl. z. B. Lehnen 2014: 424). Gleichzeitig kann aber auch gerade die gemeinsame Verantwortung dazu führen, den Druck zu erhöhen, da sie sich bspw. voreinander beweisen müssen (vgl. Storch 2013: 73). Hier deutet sich an, dass die Frage nach den Verantwort‐ lichkeiten einen Einfluss auf die Interaktion hat (vgl. auch Kap. 3.2.3.2.). Der Wechsel von Rollen, der mit einem Wechsel der Modi Schreiben und Lesen verknüpft sein kann, begünstigt einen Perspektivwechsel, der wiederum ermöglicht, zeitliche und räumliche Distanz zu dem Geschriebenen einzu‐ nehmen (vgl. Murray 1992: 113 f.). Derartige Distanzierungen sind u. a. dem Überarbeitungsprozess zuträglich und können auch i. S. eines ‚erweiterten Le‐ 62 2 Theoretische Grundlagen <?page no="63"?> 84 Wie Tesch bemerkt sind „Schreiber […] die ersten Leser ihrer eigenen Texte.‟ (ders. 2020: 58), dies wird in dem kollaborativen Setting um eine zusätzliche Perspektive erweitert. 85 Dies ist ein Teil der Erklärung dafür, dass kollaborativ im Vergleich zu individuell verfassten Texten zielsprachenkonformer sind. Da es in der vorliegenden Arbeit nicht vordergründig um die zielsprachenkonforme Sprachverwendung auf der Textebene geht, wird hier auf entsprechende Arbeiten verwiesen (vgl. u. a. Adams / Ross-Feldman 2011; Dobao 2012; Faistauer 1997; Storch 2005: 153, 168, 2013: 75; Storch / Wigglesworth 2007). 86 Angewendet auf die konkrete Situation wird das Kriterium mutuality hier als wechsel‐ seitige Bezugnahmen verstanden und entsprechend auch so bezeichnet. 87 Durch das hier verwendete, abschwächende Adjektiv wird angezeigt, dass die Ausprä‐ gung mehr oder weniger stark ausfallen kann. setests‛ 84 dienen: Das von der einen Person Geschriebene wird von einer anderen Person gelesen, wodurch evtl. Fehler oder Aspekte, die die schreibende Person nicht wahrgenommen hat, aufgedeckt werden können (vgl. Becker-Mrotzek 2011: 55; Brauckhoff et al. 2011: 222 f.; Lehnen 2014: 415). Darüber hinaus begünstigt bzw. ermöglicht die Distanzierung Reflexion und Bewusstheit (vgl. Becker-Mrotzek 2011: 54; Bräuer 2003: 33). 85 Die von den Schreibenden in einem vorgegebenen Rahmen zu definierenden Rollen ermöglichen es einerseits, verschiedene Rollen auszuprobieren und die Perspektive zu wechseln. Andererseits erfordert dies gegenseitiges Ver‐ ständigen über und Anerkennen von Rollen sowie die Wahrnehmung entspre‐ chender Verantwortung. Interaktionstypen Beim kollaborativen Schreiben wird zwar ein bestimmtes Verhalten im Umgang miteinander erwartet und angestrebt, gleichzeitig ist dies nicht zwingend kollaborativ (vgl. z. B. Storch / Wigglesworth 2007: 171). Welche Formen das kollaborative Schreiben auf der zwischenmenschlichen Ebene annehmen kann, untersucht Storch (2002). Ausgehend von ihren Analysen entwickelt sie ein Interaktionsmodell, in dem sie vier unterschiedliche Interaktionsmuster be‐ schreibt und entlang der Dimensionen Gegenseitigkeit (mutuality) und Gleich‐ berechtigung (equality) anordnet (s. Abb. 03). Als kollaborativ (collaborative) bezeichnet sie eine Interaktion, die sich durch hohe Gegenseitigkeit bzw. wechselseitige Bezugnahmen 86 und eine ausgeprägte Gleichberechtigung auszeichnet: „equality and mutuality are relatively[ 87 ] high“ (vgl. Storch 2016: 393). Die Schreibenden beteiligen sich an der Bearbeitung, bringen ihre Ressourcen ein und beziehen sich dabei auch aufeinander, indem sie auf die Vorschläge der anderen reagieren, was voraussetzt, dass sie sich gegenseitig wertschätzen. Die Interaktanten sind entsprechend engagiert und 63 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="64"?> 88 In dem 2016 abgedruckten Modell bezeichnet Storch diesen Typ zusätzlich auch als cooperative. Abb. 03: A model of dyadic interaction (Storch 2002: 128) tragen so zur gemeinsamen Lösung der Aufgabe bei (vgl. dies. 2016: 393 ff.). Storch stellt einen direkten Zusammenhang von Interaktionsmuster und den Effekten des kollaborativen Schreibens auf das Lernen fest. Beim kollaborativen Typ handelt es sich um den Idealtypus kollaborativen Schreibens, denn „[…] it is a collaborative relationship, where there is a high degree of equality and mutuality, which has been found to be the most conducive to language learning.‟ (dies. 2013: 157; vgl. auch dies. 2016: 397). Als dominant / dominant bezeichnet Storch eine Interaktionsform, bei der die Interaktanten einen Beitrag leisten, sich aber wenig mit den Beiträgen der Anderen auseinandersetzen. 88 Merkmale dafür sind ein hohes Maß an Gleichberechtigung und wenig realisierter Bezugnahmen (high equality and low mutuality) (dies. 2016: 393 f.). Mit der Interaktionsform dominant / passiv wird selbsterklärend eine Form erfasst, bei der eine Person dominiert und damit auch kontrolliert, während die andere wenig beiträgt. Mit dem Muster expert / novice wird auf ein Verhältnis von tutor-tutee verwiesen. Darin übernimmt eine Person 64 2 Theoretische Grundlagen <?page no="65"?> 89 Kritisch anzumerken ist hier, dass Storch i. d. R. Lerngelegenheiten gleichsetzt mit ‚korrekt‘ gelösten Language Related Episodes. Sie setzt damit Quantität (viele korrekt gelöste LREs = positiv) mit hoher Leistung gleich und nimmt damit eine auf die korrekte Sprachform fokussierte Perspektive ein (s. auch Ausführungen Kap. 4.2.1.). 90 Als Beispiele für eine meaning focused task nennt Storch composition, data commentary report und jigsaw; für eine grammar focused task das dictogloss (vgl. dies. 2016: 391). 91 Storch diskutiert die jeweiligen Vor- und Nachteile von Gruppen- und Paarkonstellationen und stellt fest, dass eine Gruppengröße von 3-4 Personen optimal ist (dies. 2013: 162 f.; vgl. auch Huber 2010: 406). Insbesondere bei größeren Gruppen besteht die Gefahr, dass negative Effekte wie der Trittbrettfahrer-Effekt auftreten (vgl. z. B. Bierhoff 2017). (tutor) eine führende Rolle, unterstützt und bestärkt dabei die andere Person (tutee). Erstere wird typischerweise von einer Lehrperson realisiert (vgl. Storch 2016: 394). Mit diesem Modell zeigt Storch, dass kollaboratives Schreiben nicht unbe‐ dingt kollaborativ wie im intendierten Sinne erfolgt und führt mögliche Aus‐ prägungen vor. Sie schlussfolgert: „simply assigning students to work in pairs does not guarantee collaboration.‟ (Storch 2016: 395). Vielmehr sind zahlreiche weitere Faktoren zu bedenken. Einflussfaktoren Abgesehen von den hier erläuterten Phänomenen, die das kollaborative Schreiben charakterisieren und diese Schreibform beeinflussen, lassen sich mit Storch drei weitere übergreifende Einflussfaktoren ausmachen: die Schreib‐ aufgabe, das Sprachniveau sowie die Zusammenstellung der Schreibenden (vgl. Storch 2013, 2016). Storch stellt fest, dass der eingesetzte Aufgabentyp die Lerngelegenheiten, die beim kollaborativen Schreiben entstehen können, beeinflusst. So entstehen bspw. in Aufgaben, die bestimmte grammatische Formen (grammar focused) fokussieren, mehr Lerngelegenheiten 89 - gemessen an der Quantität und Kor‐ rekheit der Language Related Episodes - als dies in inhaltsbezogenen (meaning focused) Aufgaben der Fall ist (vgl. Storch 2013: 45 ff.). 90 Als zweiten Faktor nennt Storch (2013, 2016) die Zusammenstellung der Paare bzw. Gruppe. Dabei ist zunächst danach zu unterscheiden, ob es sich um eine Gruppe (welcher Größe? ) oder ein Paar handelt. Dobao (2012) vergleicht Klein‐ gruppen-, Partner- und Individualkonstellationen und stellt fest, dass diejenigen Texte, die in Gruppen verfasst wurden, normsprachlich am korrektesten sind und in den Kleingruppen auch am meisten LRE s produziert werden, was sie auf den erweiterten Wissenspool der Schreibenden zurückführt. 91 Im Gegensatz dazu sind die Beteiligungsmöglichkeiten in einer dyadischen Konstellation zahlreicher und die Chancen, dass sich beide mit dem Text identifizieren und eine Ko-Autorschaft 65 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="66"?> 92 Siehe Erläuterungen bzgl. der nicht genderneutralen Begriffsverwendung in dieser Arbeit in Kap. 3.2.4. eingehen, steigen ebenfalls (vgl. Storch 2013: 162). Eine weitere damit verbundene Frage betrifft den Vorgang der Zusammenstellung: Sie kann entweder freiwillig, von den Beteiligten selbst gewählt oder durch die Lehrperson bestimmt werden. Storch kommt zu dem Ergebnis, dass selbstgewählte Zusammenstellungen beson‐ ders produktiv sind und führt dies darauf zurück, dass sich die Interaktanten wohlfühlen und dadurch ehrlich und einfacher austauschen können. Je nach Zielsetzung können jedoch auch andere Auswahlkriterien (z. B. Sprachniveau) eine Rolle spielen. Wenn das Ziel bspw. die Produktion von viel korrektem Output ist, könnte eine Konstellation Experte-Novize 92 erstrebenswert sein (vgl. Storch 2013: 57 ff.; Storch / Aldosari 2012). Das Sprachniveau, welches die Schreibenden jeweils einbringen, stellt nach Storch den dritten wesentlichen Einflussfaktor dar. Studien, die versuchen den Einfluss des Sprachniveaus zu messen, vergleichen die Arbeitsweisen von Paaren, die abhängig vom Sprachniveau unterschiedlich zusammengestellt sind. Während Leeser (2004), der ausschließlich die Quantität der produzierten LRE s als Maßstab nimmt, zu dem Ergebnis kommt, dass das kollaborative Schreiben insb. für Dyaden mit hohem Sprachniveau sinnvoll sei, schließen Storch / Aldosari (2012) aus ihrer Studie, bei der sie auch die Qualität der LRE s miteinbeziehen, dass neben dem Sprachniveau vor allem der Interaktionstyp, den die Dyaden ausbilden, entscheidend ist. Damit weisen sie auf die Bedeutung der sozialen Dimension hin. Der Einfluss des Sprachniveaus erklärt zwar z. T. die Herausbildung be‐ stimmter Interaktionstypen (s. Storchs Modell 2002), ist aber nicht die einzige Erklärung. So stellt Storch (2005) fest, dass insb. die Ziele und Einstellungen der Interaktanten in Bezug auf die Aufgabe entscheiden, ob sie kollaborieren oder nicht. Kollaborative Interaktionen entstehen dann, wenn die Schreibenden die‐ selben Ziele verfolgen und ihre jeweiligen Beiträge wertschätzen. Daraus leitet sie ab, dass individuelle Einstellungen und Erfahrungen sowie der Vertrautheitsgrad mit dem kollaborativen Schreiben weitere Einflussfaktoren darstellen (vgl. Storch 2013: 117). Storch schlussfolgert, dass das kollaborative Schreiben von zahlreichen Faktoren bestimmt wird und eine Einschätzung immer im Gesamtzusammenhang erfolgen sollte, unter Einbezug der Zielsetzungen, der vorhandenen Ressourcen sowie der konkreten Rahmenbedingungen (vgl. dies. 2016: 400). 66 2 Theoretische Grundlagen <?page no="67"?> Zusammenfassend Vor dem Hintergrund dieser Erläuterungen kann das kollaborative Schreiben in der Fremdsprache zusammenfassend beschrieben werden als das interaktiv erarbeitete und mündlich kommunizierte Herstellen von Gedanken und Formu‐ lierungen, die teilweise schriftlich fixiert werden. Der mündliche Austausch kann unterschiedliche Phänomene bewirken, die aus sprachlerntheoretischer Perspektive besonders interessant sind und mit weiteren Effekten einhergehen: Aushandlungsprozesse, Languaging, Noticing, Rückmeldung, Pooling, Scaffol‐ ding, Ko-Konstruktion. Darüber hinaus werden auf sozialer Ebene Rollen und Interaktionstypen relevant. Demnach handelt es sich beim kollaborativen Schreiben um eine anspruchs‐ volle, vielschichtige Tätigkeit, die in den Modi Sprechen und Schreiben abläuft. Sie ist zudem eine sozial herausfordernde Tätigkeit (Austausch, Konsens, Rol‐ lenzuweisung u. a.), die von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird (Aufga‐ bentyp, Zusammenstellung, Sprachniveau, Einstellungen). Sie bietet potentielle Lerngelegenheiten (Bewusstheit, Ausprobieren, Korrektur), bringt aber auch entsprechende Herausforderungen, insb. auf der sozialen Ebene, mit sich. 2.1.4 Zusammenfassung Die Ausgangssituation, wie sie in dem einführenden Kapitel (2.1.1.) skizziert wurde, hat gezeigt, dass das Schreiben in der Fremdsprache im schulischen Kontext alltäglich, zudem theoretisch untermauert und auch bildungspolitisch fest verankert ist. Es handelt sich folglich um eine praxisrelevante Tätigkeit, die einen hohen Stellenwert genießt. Es wurde ebenfalls aufgezeigt, dass das Schreiben mit zahlreichen Funktionen einhergehen kann (insb. kommu‐ nikative, heuristische und bewusstheitsstiftende Funktion), im schulischen Fremdsprachenunterricht jedoch vorwiegend einseitig angewendet wird, näm‐ lich um grammatische Formen zu üben. Zudem wurde auf die Bedeutung der Rahmenbedingungen hingewiesen, die mit den gegebenen raumzeitlichen Bedingungen, den eingeschränkten Schreibanlässen und einem begrenzten Sprachniveau ihrerseits die aktuelle Situation im fremdsprachlichen (und insb. Französisch-)Klassenzimmer prägen. Demnach erhalten Schülerinnen und Schüler nur beschränkt Möglichkeiten, das Schreiben in seiner Vielschichtigkeit und Multifunktionalität zu erfahren. Das Schreiben ist eine vielschichtige Tätigkeit, die den Einsatz vielfäl‐ tiger Kenntnisse sowie die Koordination verschiedener Aktivitäten erfordert (2.1.2.1.). Ein Einblick in diese Abläufe und Prozesse wurde mit dem Schreibmo‐ dell von Flower / Hayes (1981) gegeben. Im Anschluss daran wurde die unein‐ 67 2.1 Schreiben in der Fremdsprache <?page no="68"?> heitliche Begriffsverwendung (Schreib-/ Textkompetenz) im deutschsprachigen Raum problematisiert und in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis von Schreibprodukt und -prozess erörtert. Zudem zeigt der Forschungsüberblick eine begrenzte Forschungslage vor allem in Bezug auf das Schreiben in einer nicht-anglophonen Fremdsprache im schulischen Kontext für jüngere Schüle‐ rinnen und Schüler auf (2.1.2.2.). Das fremdsprachliche Schreiben wird überwiegend vor der Kontrastfolie des erstsprachlichen Schreibens betrachtet (2.1.2.3). Es ist beeinflusst von der Erst‐ sprache sowie weiterer gelernter Sprachen sowie dem Vorwissen. Ein weiteres Merkmal besteht darin, dass das fremdsprachliche Schreiben einhergeht mit begrenzten Anwendungsmöglichkeiten und damit verbunden einer begrenzten Ressourcenlage. Beim fremdsprachlichen Schreiben entstehen intensive Such‐ prozesse, die den eigentlichen Schreibprozess unterbrechen. Dabei wird häufig die Sprachform fokussiert. Eine weitere Konsequenz der begrenzten Ressourcen zeigt sich in dem Einsatz von Kompensationsstrategien. Auf der Textebene spie‐ geln sich diese Bedingungen in kurzen Texten, die gehäuft sprachliche Fehler, einen begrenzten Wortschatz sowie eine unzureichende Struktur aufweisen. Mit dem kollaborativen Schreiben wird eine Schreibform bezeichnet, die den Schreibprozess fokussiert (2.1.3.). Angelehnt an die enge Definition von Storch (2013) wird das kollaborative Schreiben verstanden als die gleichzeitige gemein‐ same Textproduktion von zwei oder mehr Personen. Sie erfordert verbalen Austausch und dieser wiederum gibt einerseits Einblick in den Schreibprozess (und macht ihn damit analysierbar). Andererseits ergeben sich für die Schreibenden durch die Aushandlungsprozesse potentielle Lerngelegenheiten (2.1.3.1.). Der Forschungsüberblick zum kollaborativen Schreiben zeigt für den deutschsprachigen Kontext ein fast vollständiges Desiderat auf. Vor dem Hin‐ tergrund der anglophonen Forschungslage mangelt es insb. an Studien, die im schulischen Kontext angesiedelt sind und mit qualitativen Methoden die interaktionale Ebene untersuchen (2.1.3.2.). Ein charakteristisches Merkmal des kollaborativen Schreibens ist der münd‐ liche Austausch, der mit dem gemeinsamen Schreiben einhergeht (2.1.3.3.). Dieser zieht folgende sprachbezogenen Phänomene nach sich, die in unter‐ schiedlichen Ausprägungen beim kollaborativen Schreiben entstehen können: Aushandlungsprozesse, Languaging, Noticing, Rückmeldung, Pooling, Scaffol‐ ding, Ko-Konstruktion. Diese Elemente können mit potentiellen Lerngelegen‐ heiten in Verbindung gebracht werden. Sie basieren darauf, dass sich die Inter‐ aktanten austauschen und dabei möglichst voneinander profitieren. Auf sozialer Ebene stellt sich die Frage, welche Rollen und Interaktionstypen ausgeprägt 68 2 Theoretische Grundlagen <?page no="69"?> 93 Hier wird in Anlehnung an Huber (2010) der nicht genderneutrale Begriff Schüler-Schüler-Interaktion gewählt, da dieser treffend und handhabbar ist und in Analogie zur etablierten Begriffsverwendung Lehrer-Schüler-Interaktion steht: Gemeint sind Interaktionen zwischen Schülerinnen / Schülern und Schülerinnen / Schülern; die Interaktionen umfassen also gemischt oder getrennt geschlechtliche Konstellationen. Dabei wird die Bezeichnung Schüler und nicht Lerner verwendet, da der besondere Status und die spezifischen Bedingungen präsent bleiben sollen. Die genderneutrale Bezeichnung Peer-Interaktion wird nicht verwendet, da sie in der deutschsprachigen Forschung in Bezug auf Peergroup verwendet wird und nicht neutral eine Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern bezeichnet (vgl. Breidenstein 2008b). werden. Damit deutet sich an, dass das kollaborative Schreiben von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Neben potentiellen Lerngelegenheiten - bedingt dadurch, dass Bewusstheit erlangt, ausprobiert, sich unterstützt, voneinander gelernt wird - stellt das kollaborative Schreiben in der Fremdsprache auch Anforderungen, insb. auf der sozialen Ebene. 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion 93 im Fremdsprachenunterricht Das Kapitel zu Schüler-Schüler-Interaktion nimmt einführend eine Begriffsklä‐ rung vor (2.2.1.). Es folgt ein Forschungsüberblick zu Schüler-Schüler-Interak‐ tion im Fremdsprachenunterricht (2.2.2.). In dem sich anschließenden Kapitel werden zentrale Aspekte der Schüler-Schüler-Interaktion erläutert (2.2.3.). Eine Zusammenfassung beendet das Kapitel (2.2.4.). 2.2.1 Einführung Interaktion (lat. inter - inmitten, zwischen & actio - Tätigkeit, Handlung) bezeichnet das grundlegende, umfassende und omnipräsente Phänomen des aufeinander bezogenen Handelns von zwei oder mehr Personen und das damit verbundene wechselseitige Aufeinandereinwirken (vgl. Naujok et al. 2008: 779). In der vorliegenden Arbeit findet eine Einschränkung der beteiligten Personen auf Schüler und Schülerinnen statt, da sich die Studie auf den Schulkontext bezieht: im Fokus stehen Schüler-Schüler-Interaktionen. Für die begriffliche Klärung und Herleitung des Terminus Schüler-Schüler-In‐ teraktion soll zunächst die Bezeichnung und Verwendung des Begriffs Interak‐ tion näher bestimmt werden. Ein Blick in die Forschung offenbart eine nicht einheitliche Verwendung dieses Begriffs. Er wird mehrfach synonym oder im 69 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="70"?> 94 Auch im Duden werden mehrere Begriffe als Synonyme zu Interaktion aufgeführt: Beziehung, Kommunikation, Wechselbeziehung, Zusammenspiel. 95 Bonnet (2009) vergleicht in seiner Studie individuelle Performanzen und Gruppenper‐ formanzen im bilingualen Chemieunterricht und entwickelt in diesem Zusammenhang ein Modell interaktionaler Kompetenz. Zusammenhang mit Kommunikation und Kooperation eingesetzt (vgl. Naujok et al. 2008: 779). 94 Dies kann damit erklärt werden, dass Austausch zwischen Menschen - hiermit findet eine Einschränkung auf soziale Interaktion statt - auf Interaktion basiert, die mit Kommunikation einhergeht, die wiederum ohne ein gewisses Maß an kooperativem Verhalten nicht möglich ist (vgl. u. a. Perrez et al. 2010: 359). Dabei zeichnen sich pädagogische Interaktionen laut Perrez et al. dadurch aus, dass „Aktionen und Reaktionen der beteiligten Personen in einem zyklischen Zusammenhang [stehen].‟ (dies. 2010: 365). Damit wird betont, dass alle Beteiligten einen Beitrag leisten, wechselseitig aufeinander einwirken und damit auch voneinander abhängen. Unterricht kann in diesem Zusammenhang als eine Form stark institutionalisierter Interaktion betrachtet werden, in der die Vermittlung und der Erwerb von Wissen und Fähigkeiten durch Kommunikation erfolgt und eine kooperative Einstellung aller Beteiligten voraussetzt - Interaktion ist dabei die notwendige Bedingung (conditio sine qua non) (Bonnet 2009: 93). 95 Demnach besteht auch Fremdsprachenunterricht maßgeblich aus Interaktionen, in denen sich die Handlungen der Beteiligten wechselseitig beeinflussen. Entsprechend wird (nicht nur) in der fremdsprach‐ lichen Interaktionsforschung angenommen, dass die Qualität von Unterricht stark von der Qualität der Interaktionen abhängt (vgl. Edmondson / House 2011: 243). Der enge Zusammenhang von Interaktion und Unterricht wird auch von weiteren Forschenden betont (z. B. Hallet / Königs 2019: 191; Tesch 2010, 2016), wobei einige so weit gehen, Interaktion und Unterricht gleichzusetzen (vgl. z. B. Schelle et al. 2010; Vollmer 2000). Die Begriffe Interaktion und Kommunikation werden ebenfalls häufig in Verbindung genannt und nicht trennscharf verwendet. Interaktion kann im Ver‐ hältnis zu Kommunikation als Oberbegriff verstanden werden, da Interaktion als das übergreifende Phänomen aufgefasst werden kann, das sich „im Medium menschlicher Kommunikation [manifestiert].‟ (Schmidt-Wetzel 2015: 29; vgl. auch Schwab et al. 2017b: 7). Besonders im Kontext des (Fremd-)Sprachenler‐ nens wird der Zusammenhang von Interaktion und Kommunikation (womit mündliche Sprachproduktion gemeint ist) häufig hergestellt (vgl. z. B. Hallet 2016; Ravazzolo et al. 2015; Tesch 2010, 2019). Gleichzeitig unterscheiden sich diese Begriffe darin, dass Interaktion wechselseitige Bezugnahmen voraussetzt, während Kommunikation auch als monologisches Sprechen realisiert sein kann. 70 2 Theoretische Grundlagen <?page no="71"?> 96 Die aktuellere Ausgabe von 2014 (6. Auflage) hingegen ist anders strukturiert. Sie enthält keine Einträge zu Interaktion, dafür ein Kapitel zu Lernen in Gruppen (vgl. Krapp / Seidel 2014). 97 Diese Beobachtungen können durch weitere Beispiele ergänzt werden: Der Erzie‐ hungswissenschaftler Breidenstein (2006) widmet in seiner Monografie Teilnahme am Unterricht: ethnographische Studie zum Schülerjob je ein kurzes Kapitel der Gruppen- und der Partnerarbeit aus ethnografischer Perspektive. Die Deutschdidaktiker Be‐ cker-Mrotzek / Vogt (2009) widmen in ihrer Monografie Unterrichtskommunikation. Lin‐ guistische Analysemethoden und Forschungsergebnisse ein Kapitel dem Schülergespräch i. S. einer Diskussion (Kap. 3.3) und ein weiteres dem Gruppenunterricht (Kap. 4.3). Thiel (2016) widmet in ihrer Monografie Interaktion im Unterricht: Ordnungsmechanismen und Störungsdynamiken (von 149 Seiten) ein Kapitel (6 Seiten) dezidiert den Peer-Bezie‐ hungen. 98 Steininger (2016) beschreibt Partner- und Gruppenarbeit als eine Schüler-Schüler-Kon‐ stellation, die kooperativ vorgeht. 99 Mit Tandem werden überwiegend Konstellationen beschrieben, die das selbstständige außerschulische Lernen bezeichnen (vgl. bspw. Funk et al. 2017). Ein weiteres Begriffspaar, das ebenfalls häufig gemeinsam auftritt und z. T. auch synonym verwendet wird, ist Interaktion und Kooperation bzw. kooperatives Lernen. Schmidt-Wetzel stellt fest, dass der Begriff Kooperation im Gegensatz zu Interaktion häufig verwendet wird und bemängelt die daraus resultierende begriffliche Unschärfe (vgl. dies. 2015: 26 f.). Diese Feststellung soll mit zwei weiteren Beobachtungen verdeutlicht werden: Das Kapitel zur Psychologie der pädagogischen Interaktion in dem Lehrbuch Pädagogische Psychologie von Krapp (2010) besteht aus 62 Seiten, wovon sich 31 der pädagogischen Interaktion in der Schule und darin wiederum zwei Seiten dezidiert Schüler-Schüler-Interaktionen widmen; ein weiteres Teilkapitel widmet sich der Förderung des sozialen Lernens durch Gruppenarbeit (8 Seiten). 96 In dem Beitrag zu Interaktion im Unterricht im Handbuch der Schulforschung von Helsper / Böhme (2008) widmet sich ein Unterkapitel der Schüler-Schüler-Interaktion, behandelt dabei jedoch fast aus‐ schließlich das kooperative Lernen (vgl. Naujok et al. 2008: 788 ff.). 97 Diese Ausführungen zeigen, dass es sich bei Interaktion um einen weiten, um‐ fassenden und mit anderen, ebenfalls umfänglichen Begriffen eng verknüpften Terminus handelt. Mit der Bezeichnung Schüler-Schüler-Interaktion wird das Bedeutungsspektrum reduziert und auf den schulischen Kontext eingegrenzt. Dabei bleibt Schüler-Schüler-Interaktion noch in Beziehung zu setzen bzw. abzugrenzen von Gruppen- und Partnerarbeit, 98 Tandemlernen und Peer-Inter‐ aktion: Da der Fokus der vorliegenden Studie auf dyadischen Interaktionen im Fremdsprachenunterricht liegt, interessieren hier weder die Sozialform der Gruppenarbeit noch die sog. Tandem-Konstellationen 99 . Der Begriff Peer-Inter‐ aktion bezeichnet in der anglophonen Literatur zwar auch Schüler-Schüler-In‐ 71 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="72"?> 100 Breidenstein weist auf diesen Unterschied zwischen deutschsprachiger und anglo‐ phoner Forschung in seinem Artikel zu Peer-Interaktion und Peer-Kultur im Handbuch der Schulforschung hin und erklärt ihn mit einem Übersetzungsproblem (ders. 2008b: 945). Für die deutschsprachige Forschung vgl. bspw. das Handbuch Peerforschung von Köhler et al. (2016). 101 Bezogen auf den Fremdsprachenunterricht erfolgt dies erfahrungsgemäß und in An‐ betracht des Leitmediums Lehrbuch vorwiegend in Form von mündlichen, reproduzie‐ renden Musterdialogen, mit denen die Sprache geübt werden soll. 102 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Partnerarbeit leistet Breidenstein (2006) in seinem Kapitel 4.5 Partnerarbeit. Er stellt fest, dass der Einsatz von Partnerar‐ beit häufig auf pragmatische Gründe zurückgeführt werden kann: der Frontalunterricht soll aufgelockert werden, entsprechende Materialien werden nur als halber Klassensatz benötigt u. a. In diesem Zusammenhang bemerkt Breidenstein auch, dass obwohl Grup‐ penarbeit deutlich weniger häufig als Partnerarbeit umgesetzt wird, Erstere deutlich mehr beforscht ist (vgl. ders. 2006: 158). Dies mag auch damit zusammenhängen, dass in der Forschung häufig nicht zwischen Partner- und Gruppenarbeit differenziert wird. teraktionen (bspw. Philp et al. 2014; Storch 2013), wird aber auch weiter gefasst verstanden als Gruppe von Personen i. S. einer gleichaltrigen Bezugsgruppe (peer group), womit der soziale Bezug betont wird. In der deutschsprachigen For‐ schung wird die Bezeichnung Peer überwiegend in letzterem Sinne verstanden (vgl. Breidenstein 2008b), weshalb diese Bezeichnung für die vorliegende Studie nicht geeignet ist. 100 Eine weitgehende Übereinstimmung bzgl. der Bedeutung liegt hingegen mit der im unterrichtlichen Kontext sehr häufig praktizierten Form der dyadischen Schüler-Schüler-Interaktion, der Sozialform Partnerarbeit vor. Da in der vorliegenden Studie jedoch nicht die Sozialform, sondern die Ak‐ tivitäten der Schülerinnen und Schüler Gegenstand sind, wird die Bezeichnung Schüler-Schüler-Interaktion favorisiert. In Abgrenzung und im Verhältnis zu den oben ausgeführten Begriffen wird Schüler-Schüler-Interaktion in der vorliegenden Arbeit verwendet, um eine zwischenmenschliche, dyadische, face-to-face Konstellation zu bezeichnen, in der sich die Beteiligten mit und in ihren Handlungen wechselseitig aufeinander beziehen. Dieser Austausch findet im Kontext des Fremdsprachenunterrichts statt und ist somit durch den institutionellen Rahmen geprägt. 2.2.2 Forschungsüberblick Schüler-Schüler-Interaktionen werden im Unterricht allgemein und in einem kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht im Besonderen sehr häufig in Form von Partnerarbeit praktiziert 101 und finden tagtäglich Anwen‐ dung (vgl. z. B. Breidenstein 2006: 158; Philp et al. 2014: 2). 102 Im Widerspruch dazu steht ein allgemeines Forschungsdesiderat von Schüler-Schüler-Interak‐ 72 2 Theoretische Grundlagen <?page no="73"?> 103 Auch die Literaturrecherche mit den Suchbegriffen Interaktion* & Schüler* ergibt fast ausschließlich Treffer zu Lehrer-Schüler-Interaktion. Dieser Umstand widerspricht der Lernerorientierung, wie sie seit gut 30 Jahren propagiert wird, wonach die Schü‐ lerinnen und Schüler (zumindest theoretisch) im Fokus stehen (vgl. u. a. Martinez 2016a). Eine Erklärung könnte darin liegen, dass im pädagogischen Zusammenhang die Perspektive der Lehrperson häufig im Mittelpunkt steht, da ihr eine prägende Rolle im Unterrichtsgeschehen zukommt, sie maßgeblich für den Lernerfolg verantwortlich gemacht wird und entsprechend intensiv beforscht wird. Darauf deuten auch die zahlreichen Publikationen zur Persönlichkeit der Lehrkraft in den vergangenen Jahren hin (vgl. u. a. Haag / Streber 2020; Loebell / Martzog 2017; Rotter et al. 2019; Schultze 2018). Ein Grund dafür, dass Schüler-Schüler-Interaktionen deutlich weniger beforscht werden, könnte auch in dem schwierigen Zugang zum Feld liegen, verbunden mit datenschutzrechtlichen, forschungsethischen und organisatorisch-praktischen Fragen. 104 Ebenfalls einbezogen werden Interaktionen von Lernenden (learner-learner interaction) im weiteren Sinne, folglich auch Studierende. 105 Arbeiten zum kollaborativen Schreiben, die auf dyadischen Interaktionen basieren, werden nicht hier aufgeführt, sondern in dem entsprechenden Kapitel 2.1.3. Einen Überblick über den anglophonen Forschungsstand geben z. B. Doehler (2013), Spada / Lightbown (2011). Einen Überblick über den frankophonen Forschungsstand gibt Traverso (2012). tionen. In der Interaktionsforschung dominiert vielmehr ein lehrpersonzent‐ rierter Blick. Dabei steht meist die Interaktion der Lehrperson mit den Schülerinnen und Schülern aus der Perspektive der Lehrperson im Fokus (vgl. z. B. Perrez et al. 2010; Schweer 2017). 103 Diesen ersten Beobachtungen wird im Folgenden nachgegangen. Aufgrund der begrenzten Forschungslage werden in der vorliegenden Arbeit relevante Publikationen zu dyadischen Schüler-Schüler-Interaktionen 104 im Fremdsprachenkontext aus dem deutsch‐ sprachigen, frankophonen und anglophonen Raum in chronologischer Abfolge zusammengetragen. 105 Seit den 1980er Jahre sind vermehrt Arbeiten zu Interaktionen im Fremd‐ sprachenkontext zu verzeichnen. Wie bereits in der (kollaborativen) Schreib‐ forschung kamen auch hier Impulse aus der anglophonen Forschung, insb. im Zusammenhang mit der Entwicklung der Konversationsanalyse (vgl. Sacks et al. 1974; Sinclair / Coulthard 1975). Erste Studien, die sich dezidiert verschie‐ denen Aspekten der Schüler-Schüler-Interaktion widmen, werden ab Mitte der 1980er Jahre publiziert (z. B. Swain / Lapkin 1998; Varonis / Gass 1985). Seither sind einzelne Monografien (darunter einige Dissertationen) entstanden, die sich unterschiedlich dezidiert mit der Schüler-Schüler-Interaktion befassen. Eckerth (2003) und Hoffmann (2008) untersuchen jeweils im Bereich Deutsch als Fremdsprache Interaktionen von Studierenden. Payant (2012) beforscht mehrsprachige Studierende in Mexiko und untersucht dabei den Einfluss ver‐ schiedener Sprachen auf die Entwicklung der Tertiärsprache. Zu den Arbeiten, 73 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="74"?> 106 Tesch (2016, 2019) systematisiert die methodisch-methodologischen Grundlagen der Dokumentarischen Methode im Hinblick auf die Sinnkonstruktion im Fremdsprachen‐ unterricht, wobei wiederum die Interaktionen im Klassenzimmer im Vordergrund stehen. 107 Content and Language Integrated Learning (CLIL) ist ein Bildungsansatz, der das fach- und sprachenintegrierte Lernen bezeichnet. die sich dezidiert Schülerinnen und Schülern widmen, gehören die von Schwab (2009), der die Schülerbeteiligung im lehrpersonzentrierten Englischunterricht einer Hauptschulklasse untersucht, sowie Fasel Lauzon (2013), die Erklärungs‐ sequenzen innerhalb eines lehrpersonzentrierten Unterrichts analysiert und sich dabei auf die Ressourcen und Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler konzentriert. Tesch (2010) untersucht ausgehend von der Dokumentarischen Methode Klassenzimmerinteraktionen unter dem Aspekt der Bearbeitung kom‐ plexer Lernaufgaben für den Französischunterricht. Gegenstand der Analyse sind sowohl Schüler-Schüler-Interaktionen (vor allem in Gruppen- und Paarar‐ beitsphasen) als auch Lehrer-Schüler-Interaktionen. 106 Ebenfalls mit der Doku‐ mentarischen Methode rekonstruiert Bracker (2015) in ihrer Studie mit einem literaturdidaktischen Schwerpunkt für das Fach Englisch Schülergespräche, allerdings in Gruppen. Neben einzelnen Artikeln (wie z. B. Eckerth 2008; Sato 2016) sind au‐ ßerdem (insb. im anglophonen Raum) Sammelbände erschienen, die Interak‐ tionen im Fremdsprachenkontext fokussieren und dabei z. T. auch Beiträge zu Schüler-Schüler-Interaktionen enthalten. Für den deutschsprachigen Raum sind hier zu nennen Bausch (2000) sowie für den französischsprachigen Hugon (2012). Der von Mackey / McDonough (2013) herausgegebene Sammelband Second Language Interaction in Diverse Educational Contexts enthält mehrere Beiträge zu Gruppen- oder Partnerinteraktionen. Der Sammelband Content and Language Integrated Learning by Interaction von Kupetz / Becker (2014) bezieht sich auf den CLIL 107 -Kontext und enthält einen Beitrag zu Lerner-Lerner-Scaf‐ folding. Ravazzolo et al. (2015) widmen sich in ihrer Monografie Interactions, dialogues, conversations: l’oral en français langue étrangère der fremdsprachli‐ chen, mündlichen Interaktion aus linguistischer Perspektive (in Abgrenzung zu natürlichen erstsprachlichen Gesprächssituationen) und beziehen dabei auch Mimik und Gestik ein. Philp et al. (2014) untersuchen in ihrer Monografie umfassend Peer Interaction, wobei sie sich überwiegend auf dyadische Interak‐ tionen beziehen. Im Vordergrund steht für sie die Frage nach dem Lernpotential, das Schüler-Schüler-Interaktionen für das Fremdsprachenlernen haben können. Auch Compernolle (2015) untersucht, mit ähnlich positiver Grundannahme, in Anlehnung an die Arbeiten Vygotskijs, das Lernpotential von Interaktionen 74 2 Theoretische Grundlagen <?page no="75"?> und bezieht sich dabei mehrfach auf Lerner-Lerner-Interaktionen. In dem Sammelband von Schwab et al. (2017a) Interaktion im Fremdsprachenunterricht widmen sich drei der neun Beiträge der Schüler-Schüler-Interaktion. Zwei davon untersuchen Gruppeninteraktionen (Feick 2017; Hoshii / Schumacher 2017) und ein einziger dezidiert Schüler-Schüler-Interaktionen (Pelchat 2017). Dieser Überblick zeigt, dass in dem großen Feld der Interaktionsfor‐ schung für den fremdsprachlichen Kontext nur vereinzelt Publikationen zu finden sind, die sich explizit dyadischen Schüler-Schüler-Interaktionen bzw. Lerner-Lerner-Interaktionen widmen. Dieses Forschungsdesiderat offenbart sich auch in den einschlägigen Handbüchern und Einführungen. Darin werden Schüler-Schüler-Interaktionen nur marginal behandelt bzw. spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Die Einführung in die Sprachlehrforschung von Edmondson / House (2011) widmet zwar ein ganzes Kapitel der Interaktion im Fremdsprachenunterricht, geht dabei aber fast ausschließlich auf die Interaktion zwischen Lehrperson und Schülerschaft ein. Auch Gardner konzentriert sich in seinem Beitrag Conversation Analysis in the Classroom (2013) in dem Handbuch für Konversati‐ onsanalyse hauptsächlich auf lehrpersonfokussierte Interaktionen. Cuq / Gruca (2017) widmen in ihrem einführenden Handbuch Cours de didactique du français langue étrangère et seconde ein Kapitel (von einer Seite) der Interaktion im Fremdsprachenunterricht (s. dies. Kap. 4.4.4.). In dem Handbuch Fremdsprachen‐ didaktik (Hallet 2013) wird Interaktion in dem Kapitel von Hallet / Königs (2013) zu Classroom discourse und Interaktion in Bezug auf mündliche Kommunikation abgehandelt. Das Handbuch Fremdsprachenunterricht, herausgegeben von Bur‐ witz-Melzer et al. (2016), enthält ebenfalls ein Kapitel zum Zusammenhang von Sprechen und Interagieren (Schmidt 2016). Darüber hinaus widmet sich ein Kapitel der Partner- und Gruppenarbeit (Steininger 2016). Einträge, die sich explizit der Schüler-Schüler-Interaktion widmen, fehlen gänzlich. Abgesehen von der begrenzten Forschungslage ist festzustellen, dass Schüler-Schüler-Interaktionen überwiegend nicht separat als solche behandelt, sondern unter der jeweiligen Sozialform als Partner- oder Gruppenarbeit sub‐ sumiert werden. Damit steht nicht die spezifische Interaktionsform an sich, sondern die Sozialform im Vordergrund. Hinzu kommt die bereits erwähnte Begriffsvielfalt (s. Kap. 2.2.1.). Mit der Vielzahl und Umfänglichkeit der verwen‐ deten Bezeichnungen (Interaktion, mündliche Kommunikation, Kooperation, Partner-, Gruppenarbeit u. a.) geht ebenfalls einher, dass Interaktionsstudien z. T. primär nicht als solche erkennbar sind, da sie bspw. dem Schlagwort Kooperation und nicht der Schüler-Schüler-Interaktion zugeordnet werden. Die Komplexität führt außerdem dazu, dass sich die jeweiligen Phänomene teilweise 75 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="76"?> 108 Es ergeben sich thematische Überschneidungen zwischen Schüler-Schüler-Interaktion und dem kollaborativen Schreiben, da Erstere die soziale Konstellation dieser Schreib‐ form darstellt. überlappen, wie auch in der vorliegenden Arbeit (kollaboratives Schreiben & Schüler-Schüler-Interaktion). Zusammenfassend kann ein Missverhältnis zwischen der alltäglichen Praxis von Schüler-Schüler-Interaktionen und der diesbzgl. Forschungslage konstatiert werden. Diese Situation betrifft die Forschungslage allgemein, auch über die Fremdsprachendidaktik hinaus und wird auch bei einem Blick in die einschlä‐ gigen Handbücher deutlich. Die vorliegende Arbeit möchte diesem Desiderat begegnen. 2.2.3 Aspekte der Schüler-Schüler-Interaktion Wie in dem vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, handelt es sich bei Schüler-Schüler-Interaktionen um ein vielschichtiges Phänomen, das von zahl‐ reichen Faktoren beeinflusst wird. Nachfolgend sollen diejenigen Erkenntnisse aus der Forschung zur Schüler-Schüler-Interaktion zusammengetragen werden, die sich für die vorliegende Studie als besonders relevant erweisen. Sie betreffen folgende Aspekte: Voraussetzungen und Einflussfaktoren, Mitschülerinnen und -schüler als Referenzsystem, Schüler-Schüler-Interaktion als Sprechgelegenheit sowie Rückmeldung. 108 Aufgrund der begrenzten Forschungslage sollen neben den genannten fremdsprachendidaktischen Publikationen ergänzend auch Ar‐ beiten aus der (pädagogischen) Psychologie, Schulpädagogik sowie vereinzelt anderen Fachdidaktiken einbezogen werden. Voraussetzungen und Einflussfaktoren Grundlegende Voraussetzung für die Realisierung von Interaktionsprozessen ist eine kooperative Grundhaltung der Interaktanten, die mit einem kooperativen Verhalten i. S. des Grice’schen Kooperationsprinzips einhergeht. Es wird ange‐ nommen, dass sich die Interaktanten austauschen möchten und dies auf eine möglichst effektive Weise - bezogen auf die Quantität, die Qualität, die Relevanz und die Modalität des Gesprächsbeitrag - tun (vgl. Grice 1975). Folgende Aspekte kooperativen Verhaltens können aus der Arbeit des Psychologen und Anthropologen Tomasello Why we cooperate (2009) ergänzend hinzugezogen werden. Als Basis für kooperatives Verhalten nennt Tomasello Kommunikation, gegenseitiges Vertrauen, das Verständnis und die Akzeptanz der jeweiligen Rollen, eine gemeinsame Zielsetzung und damit verbunden eine geteilte Intenti‐ onalität, die sich in einem Wir-Gefühl (sense of ‚we‘) ausdrücken kann. Dies alles 76 2 Theoretische Grundlagen <?page no="77"?> 109 Die Lernendenvariable Alter und damit verbundene Charakteristiken werden hier ausgeklammert, da es sich in der vorliegenden Studie um eine altershomogene Gruppe handelt (vgl. diesbzgl. Ausführungen Philp et al. 2014 Kap. 7). geht einher mit Erwartungen, die Interaktanten aneinander stellen, verbunden mit Rechten und Pflichten. Die Interaktanten befinden sich demnach in einer wechselseitigen Abhängigkeit. Sie müssen ihre Beziehung und ihr Handeln miteinander koordinieren und kommunizieren (vgl. Tomasello 2009: 57 ff.). Für den schulischen Kontext bedeutet dies, dass die Interaktanten nicht nur mit den jeweils eigenen und gegenseitigen Erwartungen konfrontiert sind, sondern auch den Erwartungen in Bezug auf die zu bearbeitende Aufgabe, das erwartete Verhalten in der Klasse u. a. Inwiefern der Austausch in der Schüler-Schüler-Interaktion gelingt und tatsächlich kooperativ erfolgt, hängt maßgeblich von individuellen Variablen, der Zusammenstellung der Lernenden sowie den Rahmenbedingungen ab. Es wird davon ausgegangen, dass die Einstellungen und Erwartungen, die die Schülerinnen und Schüler sich selbst, sich gegenseitig sowie der Aufgabe, dem Unterricht und der Lehrperson gegenüber stellen und einnehmen, maßgeblich ihre Handlungen beeinflussen (vgl. u. a. Huber 2010; Philp et al. 2014; Storch 2005). Von ihren Einstellungen, Vorerfahrungen und damit verbundenen Erwar‐ tungen hängt maßgeblich ab, wie sie miteinander umgehen und wie sie die gestellte Aufgabe wahrnehmen und bearbeiten. Ein weiterer Einflussfaktor, der für den Fremdsprachenkontext besonders von Belang ist, betrifft das Sprachniveau der Schülerinnen und Schüler (learner proficiency). 109 Allerdings sind die Erkenntnisse aus diesbzgl. Forschungen nicht konsistent, auch wenn übereinstimmend davon ausgegangen wird, dass ein minimales Sprachniveau Voraussetzung ist. Während in einigen Studien festgestellt wird, dass vor allem diejenigen Interagierenden erfolgreich (i. S. von erfolgreicher Aufgabenbear‐ beitung entsprechend des Erwartungshorizonts) sind, die über ein ähnliches Sprachniveau verfügen (vgl. z. B. Leeser 2004), stellen andere Studien fest, dass auch heterogen zusammengesetzte Konstellationen erfolgreich sein können (vgl. z. B. Eckerth 2003: 285). Auch die Forschungen, die die Konstellation Experte-Novize in den Blick nehmen, kommen zu der Feststellung, dass diese für beide Seiten gewinnbringend verlaufen kann: die Person, die die Expertenrolle einnimmt, kann durch ihre Ausführungen ihr eigenes Wissen festigen, ggf. prüfen, durchdringen und für relative Sicherheit bürgen, während die Person in der Novizenrolle, dank dieser Ausführungen ihr Wissen aufbaut, versteht i. S. des Scaffoldings (s. S. 60 f.). Allerdings verweisen Philp et al. darauf, dass durch den Expertenstatus ein Hierarchiegefälle entstehen kann, welches die Gemeinschaft evtl. negativ beeinflusst (vgl. dies. 2014: 6). 77 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="78"?> Bei der Zusammenstellung der Dyaden sind entsprechend sowohl die sprach‐ lichen als auch die persönlichen und sozialen Voraussetzungen zu berücksich‐ tigen. Je nach Zielsetzung kann hier von der Lehrperson Einfluss genommen werden. Soll es darum gehen, möglichst viel zielsprachenkonformen Output zu produzieren, bietet sich eine Zusammenstellung an, die das Sprachniveau berücksichtigt. Soll es darum gehen, einen Raum zu schaffen, in dem mög‐ lichst angstfrei Sprache produziert wird, sind soziale und individuelle Kriterien (wie Geschlecht, Beziehung) stärker zu berücksichtigen (vgl. Storch / Aldosari 2012). Sind Dyaden freundschaftlich verbunden, ist eine größere gemeinsame Basis sowie gegenseitiges Vertrauen vorhanden, welches dazu führen kann, Hemmungen zu reduzieren und sich auch in einem spielerischen Umgang un‐ tereinander ausdrücken kann (vgl. Philp et al. 2014: 89 ff.). Gleichzeitig können soziale Aspekte auch Lerngelegenheiten verhindern, wenn z. B. nicht korrigiert wird, um die andere Person nicht zu verletzen (vgl. Philp et al. 2014: 101). Grundsätzlich erweist sich eine freiwillige Zusammenstellung als positiv (vgl. Storch 2013: 163). Thiel merkt jedoch kritisch an, dass die Zusammenstellung von Paaren und Gruppen im Unterricht häufig nicht freiwillig erfolgt, was negative Konsequenzen für die Interaktion haben kann (vgl. dies. 2016: 20 f.; vgl. auch Huber 2010: 400). In Abhängigkeit von der Zusammenstellung der Dyaden können sich unter‐ schiedliche Interaktionstypen herausbilden. Storch entwickelt für das kollabo‐ rative Schreiben in Bezug auf die Dimensionen gegenseitige Bezugnahmen und Gleichberechtigung vier Typen (s. Kap. 2.1.3.3.). Naujok (2000) erarbeitet in ihrer Studie zu Schülerkooperationen im Wochenplanunterricht in der Grundschule drei Kooperationstypen: Beim Typ Nebeneinanderher-Arbeiten erfolgt punktuell interaktiver Austausch, der Typ Helfen ist geprägt durch eine intensive, einseitig fokussierte Beteiligung und der Typ Kollaborieren zeichnet sich durch eine intensive Interaktion in Form einer symmetrischen Beziehung und eine gemein‐ same Aufgabenbearbeitung aus (vgl. dies. 172 ff.). Es wird deutlich, dass die individuellen und sozialen Einflussfaktoren vielfältig sind und je nach Kontext möglichst berücksichtigt werden sollten. Interaktion wird als situiertes, in einen Kontext eingebundenes und dadurch maßgeblich beeinflusstes Ereignis beschrieben (vgl. Perrez et al. 2010: 360 f.). Entsprechend prägen die jeweiligen Rahmenbedingungen die Interaktion we‐ sentlich. Im institutionellen Rahmen des fremdsprachlichen Klassenzimmers bewegen sich die Akteurinnen und Akteure innerhalb von Regeln, etablierten Routinen und Erwartungen und beeinflussen sich nicht nur gegenseitig; dies führt auch dazu, dass soziale Normen herausgebildet werden, die das Verhalten bestimmen und das Handlungsspektrum einschränken können (vgl. dies. 2010: 78 2 Theoretische Grundlagen <?page no="79"?> 110 Im Kontext des selektiven deutschen Schulsystems kann von einer tendenziellen Leistungshomogenität ausgegangen werden. 401). Auch die raumzeitlichen und materiellen Bedingungen (vgl. Perrez et al. 2010: 387 f.; Ravazzolo et al. 2015) und insb. die Lehrperson spielen eine bedeutende Rolle (vgl. u. a. Philp et al. 2014: 101). Letztere bestimmt die Rah‐ menbedingungen maßgeblich. Zwar zieht sich die Lehrperson während der Schüler-Schüler-Interaktionen selbst aus dem Geschehen zurück, gleichwohl beeinflusst sie dieses entscheidend, da sie die Interaktion mitsteuert. Sie bereitet im Vorfeld die Aktivität vor, wählt die Aufgabe, formuliert eine Aufgaben‐ stellung, stellt die Dyaden zusammen, strukturiert den Ablauf und begleitet schließlich die Bearbeitung. Zudem prägt sie das Klassenklima, welches sie lang- und kurzfristig etabliert hat (vgl. Edmondson / House 2011: 261; Steininger 2016: 345; Thiel 2016 insb. Kap. 4). Mitschülerinnen und -schüler als Referenzsystem Im Gegensatz zu anderen Interaktionsformen - wie bspw. die zwischen Lehr‐ person und Schülerinnen und Schülern oder Experten und Novizen - zeichnet sich die Schüler-Schüler-Interaktion durch eine symmetrische, hierarchisch gleichgestellte Beziehung aus. Die Schülerinnen und Schüler besuchen eine Klasse und weisen damit verschiedene Merkmale von Gleichheit auf: sie sind alters- und weitgehend leistungshomogen, 110 befinden sich kognitiv und so‐ zial-moralisch auf einem ähnlichen Entwicklungsstand und verfügen zudem (insb. was den Schulalltag angeht) über einen ähnlichen Erfahrungshintergrund (vgl. Philp et al. 2014: 3; Thiel 2016: 43). Außerdem sind sie mit ähnlichen Erwartungen konfrontiert und verbringen einen Großteil ihrer Zeit gemeinsam in dem institutionellen Rahmen der Schule (vgl. u. a. Becker-Mrotzek/ Vogt 2009: 8; Nicht 2013: 111; Perrez et al. 2010a: 360; Thiel 2016: 43 ff.). Dies führt dazu, dass sich die Schülerinnen und Schüler untereinander vergleichen. Dabei dienen sie sich nicht nur gegenseitig als Maßstab, auch die Institution Schule fördert und fordert mit ihrer Leistungserwartung den Vergleich bzw. basiert gar auf ihm. Zudem legen Lehrpersonen bei ihrer Bewertung überwiegend die soziale Bezugsnorm an, was die Vergleichssituation befördert und Konkurrenzdruck schafft (vgl. z. B. Huber 2010: 401; Rheinberg 2016). Schülerinnen und Schüler sind sich untereinander (und den Lehrpersonen) demnach ein zentrales Refe‐ renzsystem (vgl. Breidenstein 2008b: 945; Nicht 2013: 111; Thiel 2016: 43). Dieses Referenzsystem spielt zum einen in der Leistungsbewertung eine große Rolle. Es kann zu Konkurrenz, Druck und Einfluss auf die Leistung führen und somit auch erhebliche Folgen für das Wohlbefinden, aber auch langfristig für 79 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="80"?> 111 Thiel weist daraufhin, dass die Klassenkonstellation z. T. regelrecht genutzt wird, um mit Publikumseffekt eine beschämende Situation herzustellen (dies. 2016: 66 f.). 112 Thiel (2016) beschreibt Unterricht als „Bühne“, Becker-Mrotzek/ Vogt (2009) bezeichnen ihn als „öffentliches Ereignis“. die Schullaufbahn haben (vgl. Brademann / Helsper 2010; Perrez et al. 2010: 401). Dieser Aspekt steht eng im Zusammenhang mit der Selbstdarstellung (vgl. Thiel 2016 Kap. 4.3.) und kann, aufgrund der i. d. R. hohen Leistungserwartung und des tagtäglichen Zusammenkommens, erhebliche Konsequenzen für das Selbstwert‐ gefühl des Einzelnen und damit auch für die Beziehungen im Klassenraum und für die konkreten Schüler-Schüler-Interaktionen haben. Dies hängt wiederum von der jeweiligen subjektiven Bedeutung ab, die der Situation beigemessen wird und den Erwartungen, die damit verbunden sind (vgl. Huber 2010: 401; Perrez et al. 2010: 367). In jedem sozialen Gefüge und so auch im Klassenzimmer kommt es für die Beteiligten darauf an, sich selbst auf eine bestimmte Weise darzustellen, ihr Gesicht zu pflegen (facework), ein sog. Impression Management zu betreiben. Diese Selbstpräsentation bedeutet möglichst das eigene Gesicht zu wahren, zu schonen oder ggf. wiederherzustellen. Gesichtsverlust bedroht nicht nur den Einzelnen persönlich, sondern wirkt sich auch auf die Interaktion aus, weshalb ein Gesichtsverlust möglichst vermieden wird (vgl. Brown / Levinson 1987; Goffman 1955; Thiel 2016: 66 ff.). 111 In Anbetracht der Tatsache, dass Unterricht ein öffentlicher Raum ist 112 , der kaum Rückzugsmöglichkeiten bietet, nicht auf Freiwilligkeit beruht (Schulpflicht) und zudem hierarchisch organisiert ist und über einen längeren Zeitraum in dieser Konstellation besteht, sind gesichtsbedrohende (face-threatening) Situationen durchaus zu erwarten. Als ge‐ sichtsbedrohend wird eine Situation beschrieben, in der das Gesicht des Anderen bedroht wird, um das eigene zu wahren. Im schulischen Kontext kann das bspw. das öffentliche Verkünden von Noten oder eine zurechtweisende Rückmeldung durch die Lehrperson vor der Klasse sein. Auf gesichtsbedrohende Situationen kann auf unterschiedliche Weise reagiert werden: Es kann versucht werden, sich zu rechtfertigen, der getätigten Aussage zu widersprechen oder auch die andere Person selbst zu bedrohen (vgl. Thiel 2016: 66 ff.). Das Gesichtskonzept spielt auch und gerade im schulischen Klassenzimmer eine zentrale Rolle und vermag Verhalten zu erklären. Demnach hat diese (werk)tagtägliche Bezugsgruppe einen großen Einfluss auf die persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler und somit auch auf die Entwicklung ihrer Identität. Dadurch, dass sie sich ihr Verhalten gegenseitig spiegeln, können sie ihre eigenen Fähigkeiten und Verhaltensweisen in Bezug zu denen ihrer Mitschülerinnen und -schüler setzen und folglich eine Selbsteinschätzung vornehmen und Schlüsse daraus ziehen (vgl. Perrez et al. 2010: 400 f.; Thiel 2016: 43 ff.). 80 2 Theoretische Grundlagen <?page no="81"?> 113 Mit IRF-Gesprächsmuster wird das für den Schulunterricht typische kommunikative Grundmuster beschrieben, bei dem die Lehrperson initiiert (Initiation), ein Schüler oder eine Schülerin reagiert (Response) und diese Antwort von der Lehrperson eingeschätzt, bewertet wird (Feedback) (vgl. Sinclair/ Coulthard 1975). Zum anderen nehmen die Mitschülerinnen und -schüler eine zentrale Rolle für die „Vergemeinschaftung“ (Thiel 2016: 44) ein. Wenn sie sich in Freund‐ schaftsgruppen zusammenschließen, können sie ein Zugehörigkeitsgefühl, Stolz, Vertrauen, Schutz und Unterstützung erfahren. In ihrer Gruppe können sie sich ausprobieren, Modell sein oder sich jemanden zum Modell nehmen und Wirkungen testen, um die Erwartungen der anderen abzuschätzen. Im gegenteiligen Fall kann dies mit dem Gefühl der Ausgeschlossenheit, mit negativen Erfahrungen und mit Beschämung einhergehen (vgl. z. B. Perrez et al. 2010: 400 f.; Thiel 2016: 44 f.). Aufgrund dieser vielfältigen und für die Entwick‐ lung der Individuen prägenden Funktion herrscht in der psychologischen und allgemeinpädagogischen Interaktionsforschung Einigkeit bzgl. der zentralen Bedeutung, die Mitschülerinnen und -schüler füreinander haben (vgl. bspw. Nicht 2013; Thiel 2016). Aus diesem Grund kann Schule als sehr prägender und vielfältiger Erfahrungsraum beschrieben werden, entsprechend schlussfolgert Nicht: „Schule ist in diesem Sinne nicht allein als Lernort zu verstehen, sondern als komplexes soziales Erfahrungsfeld, das ein fester Bestandteil des Alltags von Heranwachsenden ist.‟ (2013: 116). Schüler-Schüler-Interaktion als Lern- und Sprechgelegenheit Der soziokulturellen Annahme folgend, dass soziale Interaktion nicht nur be‐ günstigend, sondern gar grundlegend für jedwedes Lernen ist, sollten Schüle‐ rinnen und Schüler vielfältige Interaktionsgelegenheiten erhalten, die möglichst über das schultypische IRF -Gesprächsmuster 113 hinausgehen. Denn bei dieser dreischrittigen Grundstruktur dominiert die Lehrperson das Gespräch, was die Partizipationsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler einschränkt, da ihre Rolle - überspitzt gesagt - darauf beschränkt bleibt, die (für die Lehrperson) korrekte Antwort zu benennen (vgl. Becker-Mrotzek / Vogt 2009 Kap. 2.4). Keller spricht in diesem Zusammenhang von „traditionell rigiden Interaktionsmecha‐ nismen“ (ders. 2013: 241). In diesem Sinne wird auch der Einsatz von Partner- und Gruppenarbeit meist mit der Erhöhung der Interaktionsanteile und somit der Sprechzeit für Schülerinnen und Schüler begründet. Zudem wird davon ausgegangen, dass in Schüler-Schüler-Konstellationen die soziale Kompetenz gefördert wird (vgl. Steiniger 2016: 343 f.). Ein weiteres Argument für den Einsatz von Schüler-Schüler-Interaktionen liefert die Feststellung, dass selbstinitiierte Äu‐ ßerungen von Schülerinnen und Schülern ihnen einen größeren Gestaltungsraum 81 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="82"?> 114 Vgl. auch die Ausführungen zu Rolle in Kap. 2.1.3.3. 115 Siehe auch Überlegungen in Fußnote 74, S. 56. bieten. Ihnen wird Verantwortung übertragen, womit wiederum eine größere Bandbreite unterschiedlicher sprachlicher Handlungen einhergehen kann (vgl. Schwab 2009: 381; Steininger 2016: 344). Außerdem können selbstinitiierte Äu‐ ßerungen als „spracherwerbsrelevanter“ (Henrici 1995: 43) eingeschätzt werden als diejenigen, die von der Lehrperson fremdinitiiert werden, was u. a. mit der Intensität des Verarbeitungsprozesses erklärt wird. Mit einer Schüleraktivierung und Vielfalt an Partizipationsmöglichkeiten geht außerdem einher, dass die Schülerinnen und Schüler verschiedene Rollen einnehmen können und nicht nur darauf reduziert sind, auf die Lehrperson zu reagieren, wie dies in einem lehrpersonzentrierten Unterricht der Fall ist. Dies kann sowohl das sprachliche Repertoire als auch den Handlungsspielraum erweitern, dabei spielerische Interaktionen begünstigen und zudem einen Per‐ spektivwechsel ermöglichen (vgl. Ahn 2016; Klippel 2000; Perrez et al. 2010: 375; Schmidt-Wetzel 2015: 237 ff.; Steininger 2016: 344; Storch 2013: 60 ff.). 114 Klippel (2000: 124) bspw. betont in ihrem Aufsatz zu pädagogischen Situationen im Fremdsprachunterricht die Bedeutung, die spielerische Interaktionen haben können und begründet: Ihr sozialer Kontext und ihr affektives Potential, d. h. die Berücksichtigung aller Interaktionsdimensionen, machen Spiele und Improvisationen zu hervorragenden Sprachlernsituationen. Auch Vygotskij (1978: 102) betont die Bedeutung, die das Spiel allgemein für die Entwicklung hat, er beschreibt dies wie folgt: In play a child always behaves beyond his average age, above his daily behavior; in play it is as though he were a head taller than himself. As in the focus of a magnifying glass, play contains all developmental tendencies in a condensed form and is itself a major source of development. Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts steht letztlich immer die Frage nach den Austausch- und Anwendungsmöglichkeiten der Sprache im Vordergrund. 115 In diesem Zusammenhang sehen Swain / Lapkin (1998) den mündlichen Aus‐ tausch (sie sprechen von dialogue) als Kommunikationsmittel einerseits und als kognitives Werkzeug andererseits und betrachten vor diesem Hintergrund Dialog als Lerngelegenheit (vgl. dies.: 320 f.). Andere Forschende betonen in ähnlichem Sinne die Bedeutung von Aushandlungsprozessen, Languaging und Ko-Konstruktionen. Denn mittels des verbalen Austauschs werden Gedanken 82 2 Theoretische Grundlagen <?page no="83"?> 116 Vgl. auch die Ausführungen zu Rückmeldung in Bezug auf das kollaborative Schreiben Kap. 2.1.3.3. in Worte gefasst. Die Beteiligten können sich auf diese Äußerungen beziehen, diese modifizieren, sie in Frage stellen, analysieren etc. (vgl. Eckerth 2008; Swain 2000). In diesem Sinne können bspw. fremdsprachliche Formulierungsversuche durch das Verbalisieren gemeinsam bearbeitet und damit potentiell bewusst werden. Aguado fasst diesen Gedanken in der Formel „Aufmerksamkeit durch Interaktion! ‟ (Aguado 2002: 116; vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Langua‐ ging & Noticing in Kap. 2.1.3.3.). Neben seiner bewusstheitsstiftenden Funktion biete die Schüler-Schüler-In‐ teraktion, so Philp et al. (2014: 36), auch den Raum, Sprache auszuprobieren und damit zu experimentieren. Sie fassen das Potential von Schüler-Schüler-In‐ teraktionen in ihrem Zitat wie folgt zusammen: Perhaps a primary strength of peer interaction is that it allows learners the space to experiment with language, to try out language forms without being corrected, to struggle a little and discover the limitations of their knowledge, and to confirm or query the ways they express things. Most significantly, it can promote noticing of form and awareness of gaps to be resolved in due course. Der Austausch kann somit zu Bereicherung und Bewusstheit führen, gleich‐ zeitig kann er auch eine Belastung darstellen, vor allem in Bezug auf die soziale Ebene. Er erfordert Koordination sowie Einigung und diese werden dann schwierig, wenn Wissensressourcen unsicher sind, Fragen nicht geklärt werden können und z. T. widersprüchliche Sichtweisen vorliegen. Dies kann zu Verunsicherung führen oder auch dazu, dass sich eine Person zurückzieht oder aber auf ihrer Meinung beharrt und damit eine Konsensfindung erschwert (vgl. Huber 2010: 410). Die Ausführungen zeigen, dass sich durch Schüler-Schüler-Interaktionen ein umfangreiches Repertoire an Lern- und Sprechgelegenheiten und, damit verbunden, Auseinandersetzungen mit der Sprache ergeben können, die gleich‐ zeitig Herausforderungen darstellen. Rückmeldung in Schüler-Schüler-Interaktionen 116 In ihrem verbalen Austausch können sich die Schülerinnen und Schüler Rück‐ meldung geben. Diese kann verschiedene Formen annehmen: Fremd- und Selbst‐ korrektur sowie Handlungen der Rückversicherung wie comprehension und confirmation check sowie clarification request. Korrekturhandlungen können auf das Erkennen einer Unsicherheit oder Wissenslücke durch Noticing (s. Ausfüh‐ 83 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="84"?> 117 Schwab berichtet aus der Forschung eine Präferenz zur Selbstkorrektur, im Fremdspra‐ chenunterricht jedoch dominiere i. d. R. die Fremdkorrektur durch die Lehrperson (vgl. ders. 2009: 325, 336). 118 Eckerth stellt fest, dass die wahrgenommene Sicherheit (die er aus metasprachlichen und metakognitiven Äußerungen ableitet) des eigenen fremdsprachlichen Wissens ein wichtiger Einflussfaktor für die Schülerinnen und Schüler ist (vgl. ders. 2003: 271). Schülerinnen und Schüler sind, so stellt auch Schmidt-Wetzel (2015) in ihrer Studie zu kollaborativen Prozessen im Kunstunterricht fest, häufig sicherheitsbedürftig. Auch in der vorliegenden Studie deutet sich an, dass der Umgang mit (Un-)Sicherheit ein relevantes Thema für die Schülerinnen und Schüler darstellt (s. weiterführende Überlegungen Kap. 4.2.1.). rungen S. 57 ff.) zurückgehen oder dadurch hervorgerufen werden, dass bspw. eine Person etwas weiß, was die andere (noch) nicht weiß. Die Schülerinnen und Schüler können sich selbst (Selbstkorrektur) oder gegenseitig (Fremdkor‐ rektur) korrigieren. Diese Korrekturen können selbst- oder fremdinitiiert sein. 117 Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Schüler-Schüler-Korrekturen all‐ gemein überwiegend erfolgreich i. S. von normsprachlich korrekt verlaufen (vgl. Brooks / Swain 2011: 79 ff.; Eckerth 2008; Philp et al. 2014 insb. Kap. 3). Dies steht der verbreiteten skeptischen Einschätzung von Schüler-Schüler-Rückmeldung entgegen, denn wie auch Schwartz in Bezug auf Zweitsprachenlernende des Englischen konstatiert: „They [ ESL -learners] can learn more from one another than they think they can.“ (Schwartz 1980: 152). Neben der potentiellen sprachformalen oder inhaltlichen Modifikation, können Rückmeldungen dazu dienen, rasch Fragen und Unklarheiten zu besei‐ tigen, die in einer öffentlichen Besprechung im Klassenraum vermutlich nicht erfolgt wären (vgl. Philp et al. 2014: 93 ff.). Zudem können sie dazu führen, sich der eigenen Wissensbestände bewusst zu werden, diese ggf. zu hinterfragen und das Gespräch in Gang zu halten (vgl. Schwab 2009: 325). Damit können Korrekturhandlungen sowohl als Unterstützung i. S. eines Scaffoldings als auch als Zusammenfügen und gegenseitiges Ergänzen der jeweiligen Wissens- und Erfahrungsbestände (Pooling) fungieren (s. auch diesbzgl. Ausführungen S. 60 f.). Eine weitere Form der Rückmeldung sind die Handlungen der Rückversiche‐ rungen (s. o.). Auch sie können dazu dienen, Unsicherheiten 118 und Fragen zu klären oder auch bloß das Abbild einer einvernehmlichen Bearbeitung sein, in dem Sinne, dass die andere Person in die Entscheidung miteinbezogen wird. Sprachlerntheoretisch relevant sind Rückmeldungen unter Schülerinnen und Schülern insofern, als ihnen hohes Lernpotential zugewiesen werden kann. Dieses Potential wird u. a. darauf zurückgeführt, dass Korrekturen und Erklärungen zwischen Schülerinnen und Schülern (sprachlich und thematisch) angepasster sind, als diejenigen der Lehrperson und zudem unmittelbar er‐ 84 2 Theoretische Grundlagen <?page no="85"?> folgen und meist auf einem konkreten Informationsbedürfnis beruhen, somit kontextualisiert sind. Schwab bemerkt darüber hinaus in seiner Analyse von Schülerbeteiligungen im lehrpersonzentrierten Unterricht, dass Korrekturen von Mitschülerinnen und -schülern direkter und „weniger diplomatisch“ (ders. 2009: 348) seien als diejenigen von Lehrpersonen. Hinzu kommt, dass ange‐ nommen werden kann, dass die Hemmschwelle, sich gegenseitig zu fragen, zu korrigieren, auszuprobieren in einer Schüler-Schüler-Interaktion niedriger ist und die Sprachproduktionen somit ‚gewagter‘ sind, was auch bedeuten kann, dass mit Unsicherheiten offener und aktiver umgegangen wird (vgl. Eckerth 2003: 285 f., 2008: 132 f.; Philp et al. 2014: 91 f.; s. auch Kap. 2.1.3.3.). 2.2.4 Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel widmet sich Schüler-Schüler-Interaktionen im Kontext von Fremdsprachenunterricht. Dafür beschreibt es zunächst diesen Begriff vor dem Hintergrund und in Abgrenzung zu anderen z. T. synonym verwendeten Begriffen (2.2.1.). Mit Schüler-Schüler-Interaktion wird eine zwischenmensch‐ liche, dyadische face-to-face Konstellation beschrieben, in der die Interaktanten sich aufeinander beziehen und somit auch wechselseitig beeinflussen. Dieser Austausch geschieht im institutionellen Rahmen von Fremdsprachenunterricht. Obwohl Schüler-Schüler-Interaktionen Teil der tagtäglichen Unterrichtspraxis sind, offenbart sich im Überblick über den Forschungsstand insb. für den deutschsprachigen Raum ein Desiderat (2.2.2.). Folgende Aspekte der Schüler-Schüler-Interaktion erweisen sich in Bezug auf die vorliegende Studie von Belang und werden in dem Kapitel (2.2.3.) ausgeführt: Voraussetzung für das Funktionieren einer dyadischen Schüler-Schüler-Inter‐ aktion ist eine beidseitige kooperative Grundeinstellung. Zu den zentralen Einflussfaktoren gehören neben den persönlichen Einstellungen, Erwartungen und dem Sprachniveau auch soziale Faktoren, wie die Zusammenstellung der Dyade sowie die Rahmenbedingungen, die maßgeblich von der Lehrperson beeinflusst werden. Die Bedeutung, die Mitschülerinnen und -schüler füreinander haben, zeigt sich darin, dass sie sich aufgrund der hohen Vergleichbarkeit ein Referenzsystem sind: Sie konkurrieren miteinander, sind sich aber auch Modell und ‚Versuchs‐ feld‘. Zentral ist in diesem Zusammenhang auch das Gesichtskonzept, da Schü‐ lerinnen und Schüler im Unterricht in besonderem Maße gesichtsbedrohenden Situationen ausgesetzt sein können und diese ebenfalls ihre Interaktionen beeinflussen können. 85 2.2 Schüler-Schüler-Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="86"?> Schüler-Schüler-Interaktionen, so wurde ausgeführt, können auch mit zahl‐ reichen Lerngelegenheiten einhergehen. Begründet werden diese mit einer erhöhten Sprechzeit sowie vielfältigeren Sprechgelegenheiten (im Vergleich zu frontalen Unterrichtskonstellationen), dem sozialen Lernen sowie potentiell bewusstheitsfördernden Effekten. Rückmeldungen spielen dabei insofern eine Rolle, als sie aus lerntheoretischer Perspektive (sie erfolgen tendenziell pass‐ genau, unmittelbar) als potentiell förderlich eingestuft werden. 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache In dem ersten Teilkapitel wird einführend das Phänomen des Problemlösens be‐ schrieben (2.3.1.). Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über den Forschungs‐ stand zu diesem Themengebiet (2.3.2.). Die Anwendung des Problemlösens auf die Fremdsprache mit den damit verbundenen begrifflichen Abgrenzungen und Zusammenhängen diskutiert das Kapitel 2.3.3. Daran anknüpfend wird eine Arbeitsdefinition für das Problemlösen in der Fremdsprache abgeleitet, mit der in den Datenanalysen Problemlösesequenzen identifiziert werden sollen (2.3.4.). Eine Zusammenfassung beschließt das Kapitel (2.3.5.). 2.3.1 Einführung Als Problem wird in der allgemeinen Psychologie ein Zustand beschrieben, der als unbefriedigend wahrgenommen wird. Es liegt eine Diskrepanz zwischen einem Ist- und einem Sollzustand vor. Diese Diskrepanz ergibt sich aufgrund einer Hürde, die nicht unmittelbar überwunden oder einer Lücke, die nicht unmittelbar geschlossen werden kann, da keine offensichtliche Lösung vorliegt (vgl. u. a. Funke 2011: 138; Hussy 1984: 114; Newell / Simon 1972: 72). Das Problem kann folglich als Diskrepanzwahrnehmung beschrieben werden. Dies setzt das Vorhandensein eines angestrebten Zieles voraus - Ziele haben somit eine „handlungssteuernde Funktion“ (Funke 2011: 138 ff.). Demnach sind Pro‐ bleme nicht ‚objektiv‘ vorhanden, sondern abhängig von der Person und den gegebenen Umständen, wie in dem folgenden Zitat deutlich wird: Überall dort, wo Menschen handelnd Ziele verfolgen, können potenziell Probleme entstehen. Probleme sind nicht ‚gegeben‘, sondern ‚gemacht‘ - gemacht durch ziel‐ gerichtete Handlungen, die in einer bestimmten Situation nicht weitergeführt werden können. (Funke 2011: 141) 86 2 Theoretische Grundlagen <?page no="87"?> 119 Unter das Begriffsfeld Problemlösen werden sämtliche Begriffe, die den Problemlö‐ seprozess betreffen, subsumiert: Problem, Problemlösen, Problembearbeitung und Problemlösung. 120 Funke bspw. betrachtet das Entscheiden (decision making) als eine kognitive Aktivität innerhalb der umfangreicheren Aktivität des Problemlösens (vgl. ders. 2014: 496). Er beschreibt das Problemlösen auch „als eine Serie von Entscheidungen“, die zusätzliche Komponenten beinhaltet (Funke 2011: 140). Bei der Auseinandersetzung mit dem Begriffsfeld 119 Problemlösen zeigt sich, dass die Abgrenzung zu anderen Phänomenen z. T. diffizil ist, was mit der omnipräsenten alltagssprachlichen Verwendung und der Vielschichtigkeit des Phänomens zusammenhängen mag. Zudem ist das Problemlösen schwer fassbar, da dessen Teilbereiche und damit verbundenen Aktivitäten nicht direkt ein‐ sehbar sind, sondern nur durch Externalisierungen (intro- oder retrospektive Daten sowie Lösungsergebnisse) und nur in begrenztem Maße zugänglich werden. Insbesondere der Versuch einer Abgrenzung zu ähnlich gelagerten Phänomenen wie Entscheidungs- 120 , Planungs-, Such- und Formulierungsprozessen offenbart dies. In der Forschung ist häufig die Verwendung eines weiten Begriffsverständnisses zu beobachten: Flower / Hayes (1980) beispielsweise und darauf bezugnehmend Bryson et al. (1991), Frentz et al. (2005), Heine (2010) u. a. bezeichnen das Schreiben selbst als Problemlösen bzw. Problemlöseprozess. Auch im Handbook of Second and Foreign Language Writing (Manchón / Matsuda 2016) wird, geht man nach dem Schlagwortregister, Problemlösen (problem solving) gleichgesetzt mit Strategie oder Schreiben (s. darin S. 643). Im Bereich der Gesprächsanalyse ist die Verwendung des Begriffs Problem i. S. von Kom‐ munikationsproblem oder auch die Verwendung des Begriffs Problemlösen festzustellen (z. B. Becker-Mrotzek / Vogt 2009; Henrici 1995: 40). Auch Dep‐ permann verwendet ein weites Verständnis von Problem. Er beschreibt in seiner methodologisch-methodischen Monografie Gespräche analysieren (2008), die in der vorliegenden Arbeit eingesetzt wird, Probleme als „alle Aufgaben, Funktionen, Zwecke und Ziele, an denen die Interaktanten die Gestaltung ihrer Gesprächsbeiträge ausrichten.‟ (ders. 2008: 81). Teilweise wird gar das Lernen selbst als Problemlösen beschrieben (vgl. Neber 2009). Anhand dieser Beispiele - die keineswegs exhaustiv, sondern exemplarisch und durch das vorliegende Forschungsinteresse geprägt und entsprechend ausgewählt wurden - zeigt sich ein sehr weites Verständnis des Phänomens. Damit geht die Gefahr einher, dass das Begriffsfeld an Schärfe und Präzision verliert, somit die Erforschung 87 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="88"?> 121 Auch ist zu beobachten, dass Problem und Problemlösen häufig nicht genau definiert und abgegrenzt werden, bzw. die Definition von Problem in Arbeiten zum Problemlösen häufig ausgespart wird bzw. im Zusammenhang mit dem Problemlösen definiert und erklärt wird (z. B. Börner 1989b; Breuer 2015). 122 Funke beschäftigt sich eingehend mit dem sog. komplexen Problemlösen und nennt folgende Merkmale: Komplexität, Vernetztheit, Dynamik, Intransparenz (i. S. fehlender Informationen) sowie Polytelie (Vielzieligkeit) (vgl. ders. 2011: 154 ff.). erschwert und die Vergleichbarkeit einschränkt. 121 Das Verständnis, das in der vorliegenden Arbeit angelegt wird, soll nachfolgend erläutert werden. In der Problemlöseforschung werden verschiedene Problemtypen unter‐ schieden: Es kann differenziert werden zwischen wohl und schlecht definierten (wellvs. ill-defined) sowie zwischen einfachen und komplexen Problemen. Wäh‐ rend wohl definierte Probleme klare Ausgangs- und Zielbedingungen haben und die zur Bewältigung notwendigen Mittel bekannt sind (z. B. ein Schachproblem), liegt bei schlecht definierten Problemen weder das Problem noch die angestrebte Lösung offensichtlich vor (z. B. Nahost-Konflikt) (vgl. Funke 2011: 152 f.). Die ausschlaggebenden Kriterien in Hinblick auf den Schwierigkeitsgrad sind dem‐ nach der Bekanntheitsgrad der für die Bearbeitung des Problems einzusetzenden Mittel sowie die Klarheit der Zielkriterien. Zu weiteren Kriterien, die die Problem‐ bearbeitung beeinflussen, gehören die Komplexität des Problems, die geforderte kognitive Aktivität, die Domäne und das Verhältnis zur Zeit (Zeitdruck, kurz- oder langfristige Probleme) (vgl. Funke 2011: 151 ff.). Insbesondere die erstgenannten Kriterien - Wissen über Mittel und Zielkriterien - werden für die Unterscheidung von einfachen und komplexen Problemen herangezogen. Während ein einfaches Problem wohl definiert ist und darin besteht eine „singuläre Lücke, die bekannt ist, in einem Handlungsplan zu füllen […]‟ (Funke 2011: 154), ist ein komplexes Problem dadurch charakterisiert, dass mehrere unbekannte Lücken vorliegen bzw. sich im Laufe der Bearbeitung ergeben. Mit Intransparenz beschreibt Funke ein weiteres Merkmal komplexer Probleme und meint damit, dass diejenigen Informationen, die zur Lösung notwendig sind, nicht vollständig vorliegen, weshalb Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden (vgl. ders. 2006: 402 f.). Bezogen auf die Lösung sind komplexe Probleme dadurch gekennzeichnet, dass sie polytelisch (vielzielig) sind, d. h. es gibt nicht eine korrekte Lösung, sondern es müssen verschiedene Ziele berücksichtigt und bei der Bearbeitung priorisiert werden. Somit handelt es sich bei komplexen gleichzeitig um ‚schlecht definierte‘ Probleme (vgl. Funke 2011: 154 ff.). 122 88 2 Theoretische Grundlagen <?page no="89"?> 123 Synonym wird Hürde auch als Lücke (gap) (vgl. u. a. Funke 2003, 2011; Manchón 2001), Barriere (vgl. u. a. Dörner 1987; Hussy 1984), Widerstand (vgl. Becker-Mrotzek / Vogt 2009: 40) oder Hindernis (vgl. Funke 2011: 138) beschrieben. 124 Flower / Hayes (1980: 22) beschreiben das Problemlösen als Denkprozess, Manchón (2001: 55), Heine (2010) und Geist (2013) als Suchprozess. 125 Hier wird von Problembearbeitung und nicht von Problemlösung gesprochen, da erstens der gesamte Prozess i. d. R. als Problemlösen bezeichnet wird und es somit zu Unklarheit kommen kann. Zweitens beschreibt der Begriff Bearbeitung neutral die Aktivität und enthält noch keinerlei Information darüber, ob das Ziel erreicht, das Problem gelöst werden wird. 126 Dabei können unterschiedliche Problemlösestile angewandt werden: Veränderungsori‐ entierung, Verarbeitungsstil, Entscheidungsfokus (vgl. Funke 2011: 157). 127 Vgl. auch die diesbzgl. Ausführungen in den Kapiteln zum kollaboratives Schreiben (2.1.3.) und Schüler-Schüler-Interaktion (2.2.). Problemlösen wird als das zielgerichtete Beseitigen der Diskrepanz, das Über‐ winden der Hürde 123 verstanden, in dem Bestreben den anvisierten Zielzustand zu erreichen. Dafür muss das Problem bearbeitet werden. Diese Bearbeitung ist eine Handlung, die Nachdenken bzw. eine bewusste kognitive Aktivität erfor‐ dert, da der Weg zum Ziel zunächst nicht bekannt ist (vgl. Funke 2011: 138 ff.). 124 Das vorgehend dargelegte Verständnis impliziert, dass routiniert ablaufende, automatisierte Handlungen nicht als Problemlösen zu verstehen sind (vgl. z. B. Funke 2003: 25). Ab wann eine Handlung allerdings als automatisiert, routiniert einzuordnen ist, bleibt schwer bestimmbar, da nur begrenzt Zugriff auf kognitive Prozesse, zugrunde gelegte Erfahrungen etc. möglich ist (s. auch Kap. 3.2.4.). Die Problembearbeitung  125 beinhaltet verschiedene Teilprozesse, wie die men‐ tale Repräsentation des Problems (gemeint ist damit die Wahrnehmung eines Problems), die Informationssuche, das Nachdenken über mögliche Lösungen und Lösungswege, die Entwicklung sowie Ausführung eines (Lösungs-)Plans, die Antizipation von Handlungsfolgen (vgl. u. a. Funke 2011: 140). Einen großen Einfluss auf die Vorgehensweise und den Verlauf der Problembearbeitung hat neben des Problemtyps (s. o.) sowie den Personenmerkmalen der Zugriff und Einsatz von Hilfsmitteln, die Problemlösestrategien, wie das Ausprobieren oder die Mittel-Ziel-Analyse (vgl. Funke 2011: 157 f.). Je nach Problem sind zu dessen Bearbeitung unterschiedliche Lösungswege möglich. 126 Diese Lösungswege sind in Abhängigkeit von der Passung der verfügbaren Mittel mehr oder weniger ef‐ fektiv (vgl. Funke 2011: 145 f.; Ohlsson 2012: 106). Die Problembearbeitung kann individuell, von einer Einzelperson oder in Partner- oder Gruppenkonstellation erfolgen und wird auch als kollaboratives Problemlösen (collaborative problem solving) bezeichnet (z. B. Hesse et al. 2015; OECD 2017). Bei der kollaborativen Problembearbeitung kommt ein weiterer großer Einflussbereich, die soziale Ebene (Sympathie, Vertrautheit, Beziehung u. a.), hinzu. 127 Dies bedeutet auch, 89 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="90"?> 128 Hier tut sich eine starke Parallele zum kollaborativen Schreiben auf: Auch hier wird davon ausgegangen, dass Einblicke in Schreibprozesse und Vorgehensweisen sichtbar und somit zugänglich werden. 129 Angelehnt an Heine (2010), die in ihrer Dissertationsschrift die kognitiven Prozesse beim Bearbeiten einer Schreibaufgabe in einer bilingualen 10. Klasse im CLIL-Kontext fokussiert, soll auch hier der Problemlöseprozess in drei Hauptphasen untergliedert werden: problem state, problem space und goal state (hier werden die entsprechenden deutschen Bezeichnungen verwendet). Der Autorin ist bewusst, dass sich diese Phasen jeweils weiter ausdifferenzieren lassen und weitere Teilaktivitäten beinhalten. Für vorliegende Zwecke jedoch scheint dieser dreischrittige Grundaufbau ausreichend und dem Erkenntnisinteresse angemessen. Für eine feingliedrigere Aufteilung vgl. bspw. Newell / Simon (1972), die vier Schritte unterscheiden; Funke (2011) beschreibt fünf Phasen des Problemlösens: 1. Problemidentifikation, 2. Ziel- und Situationsanalyse, 3. Planerstellung, 4. Planausführung, 5. Ergebnisbewertung (vgl. ders. 2011: 146 ff.). Neber (2009: 144) geht für den schul‐ pädagogischen Kontext von vier Komponenten aus: Ausgangszustand, Zielzustand, Transformationsmethode und Einschränkungen. dass die Vorgehensweise zwischen den Teilnehmenden abgestimmt und koordi‐ niert werden muss. Folglich externalisieren die Interaktanten durch verbale und nonverbale Handlungen und Signale Teile ihrer Herangehens- und Sichtweise und machen sie dadurch sichtbar und somit zugänglich (vgl. Dexheimer 2017; Hesse et al. 2015: 39). 128 Auf die Phase der Problembearbeitung folgt diejenige der Problemlösung. Ist der angestrebte Zielzustand erreicht (oder als erreicht erklärt) und eine Lösung gefunden, kann die Problembearbeitung eingestellt werden. Die Phase der Lösung kann einhergehen mit einem Abgleich oder auch einer Einschätzung des erreichten Zustandes, der geleisteten Aktivität und der ursprünglichen Zielsetzung (vgl. u. a. Ohlsson 2012: 122). Sollte die Bewertung negativ ausfallen, da der neue Zustand nicht dem angestrebten Soll-Zustand entspricht, kann es zu einer erneuten Bearbeitung, zu einem Abbruch der Aktivität oder auch zu einer Modifikation des Zieles kommen (vgl. Funke 2011: 150). Zu bedenken ist hierbei, dass die Einschätzung der Lösung je nach Perspektive, Grad der Betei‐ ligung, Interesse und Erwartung unterschiedlich ausfallen kann. Während die Beteiligten bspw. ein Problem als gelöst wahrnehmen, könnten Außenstehende zu einer anderen Einschätzung kommen, wenn die erreichte Lösung nicht mit der von ihnen erwarteten Lösung übereinstimmt. Der Weg von der Problemfeststellung über die Bearbeitung hin zum ange‐ strebten Zielzustand wird als Problemlöseprozess beschrieben. Der grundlegende Ablauf dieses Prozesses kann als aus drei zentralen Phasen bestehend dargestellt werden (vgl. Heine 2010: 27 f.): 129 90 2 Theoretische Grundlagen <?page no="91"?> 130 Diese Phase wird auch als ‚Suche im Problemraum‘ beschrieben (vgl. z. B. Heine 2010; Newell/ Simon 1972). Problemlöseprozess 1. Identifikation 2. Bearbeitung 3. Lösung Abb. 04: Phasen des Problemlöseprozesses 1. Es liegt ein Problem in oben beschriebenem Sinne vor und wird von den Beteiligten als solches wahrgenommen. 2. Es wird versucht, das vorliegende Problem mit entsprechenden Handlungen so zu bearbeiten, dass der angestrebte Zielzustand erreicht werden kann. 130 3. Die Bearbeitung wird beendet, da der angestrebte Zielzustand erreicht und der Istin den Sollzustand überführt oder die Bearbeitung aufgegeben wurde. Ausgehend von diesem Verständnis wird der Problemlöseprozess als aus drei Phasen bestehend verstanden. Das Problem wird 1. identifiziert, 2. bearbeitet und 3. gelöst (s. Abb. 04). Diese drei Phasen werden in der vorliegenden Studie als grundlegende Komponenten des Problemlöseprozesses angenommen. Sie sind, so die Annahme, rekonstruierbar und bilden die wesentlichen Phasen des Problemlöseprozesses ab (s. auch Kap. 2.3.4.). 2.3.2 Forschungsüberblick In diesem Kapitel wird ein allgemeiner kurzer Überblick über die Entwick‐ lung der psychologischen Problemlöseforschung gegeben. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Anwendung des Problemlösens im schulischen fremdsprachlichen Kontext liegt, soll anschließend die diesbzgl. Forschung aus dem deutschsprachigen Raum zusammengetragen werden. Die Anfänge der Problemlöseforschung sind in der allgemeinen Psychologie zu verorten. Sie reichen in den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück und werden vor allem mit den Namen Duncker (1935), Dörner (1987), Newell / Simon (1972), Thorndike (1898) verbunden. Zu Beginn konzentriert sich dieser Forschungs‐ bereich in erster Linie auf das Problemlösen einfacher Probleme von Einzelper‐ sonen. In experimentellen Testsituationen sollen Probandinnen und Probanden einfache vorgegebene Probleme überwiegend logischer Natur, z. B. im Bereich der Physik, Mathematik oder dem Schachspiel, lösen. Die Bearbeitung wird dabei i. d. R. anhand der erreichten Lösung im Abgleich mit der erwarteten 91 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="92"?> 131 Zu den neueren, ähnlich gelagerten Studien gehören bspw. Reindl (2016) und Schröter (2015). 132 Problemlösen wird seit 2003 (mit Papier und Stift) in der PISA-Studie erhoben. Nachdem 2012 (mit Computereinsatz) individuelles Problemlösen untersucht wurde, setzte die PISA-Studie 2015 erstmals den Schwerpunkt auf das kollaborative Problemlösen und erarbeitete in diesem Zuge einen Rahmen (framework), in dem das Phänomen definiert, beschrieben und dessen Relevanz abgeleitet wurde: „Collaborative Problem Solving (CPS) is a critical and necessary skill across educational settings and in the workforce.‟ (OECD 2017: 3). 133 Zum Beispiel sollen in Zusammenarbeit mit einer computersimulierten, anderen Person die besten Konditionen für Fische im Aquarium oder ein Logo für ein Sportereignis erarbeitet werden (vgl. OECD 2017 Appendix C). 134 Ziel der PISA-Studie ist es, Problemlöseprozesse zu messen und zu evaluieren, um damit letztlich die vorhandene und erwünschte Problemlösekompetenz erfassen und be‐ stimmen zu können. Dabei werden insb. Merkmale der Bearbeitung (Geschwindigkeit, Korrektheit der Lösungen u. a.) erfasst. Dies hat den Vorteil, Variablen kontrollieren zu können und somit Vergleichbarkeit herzustellen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine zwischenmenschliche Bearbeitung, stattdessen wird eine Computersimulation eingesetzt. Durch den Einsatz des Computers wird die Komplexität erheblich reduziert, da so diejenigen Faktoren ausgeblendet werden, die für eine menschliche Interaktion (Emotion, gegenseitige Beeinflussung u. a.) charakteristisch sind (vgl. Fischer et al. 2015; Hesse et al. 2015). Vgl. auch die grafische Darstellung von Faktoren und Prozessen im Framework OECD (2017: 14). Lösung bzw. anhand des Lösungsweges (u. a. Messung der Bearbeitungsge‐ schwindigkeit) bewertet. Von der Bearbeitung wird dann wiederum auf die Problemlösekompetenz rückgeschlossen (vgl. z. B. Hussy 1984; Klieme et al. 2001; Klieme et al. 2005; Klix / Rautenstrauch-Goede 1967). 131 Seit den 1980er Jahren widmet sich die Forschung auch zunehmend kom‐ plexen Problemen (vgl. Ohlsson 2012). Damit einher geht auch die Ausweitung ihres Anwendungsfeldes auf wirtschaftliche, gesellschaftspolitische Fragestel‐ lungen und auch auf den Kontext der Berufs- und Bildungsforschung (z. B. Csapó / Funke 2017; Dexheimer 2017; Klieme et al. 2005). Zunehmend wurden auch Problemlöseprozesse nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von Dy‐ aden oder Gruppen untersucht. Ein prominentes Beispiel für das kollaborative Problemlösen im Bildungsbereich liegt mit der PISA -Studie 2015 vor (vgl. OECD 2017). 132 Darin wird das kollaborative Problemlösen erfasst, indem Aufgaben 133 mittels Computersimulation interaktiv bearbeitet werden. 134 In seinem Rückblick auf die psychologische Problemlöseforschung der letzten 30 Jahre kritisiert Funke (2014) u. a. den Einsatz bestimmter Aufgabenformate in Bezug auf den Problemtyp (überwiegend einfach) und die fehlende Rea‐ litätsnähe sowie - von Seiten der Forschenden - die oberflächliche, nicht ganzheitliche Analyse des Phänomens. Daraus leitet er folgende Desiderata ab: 92 2 Theoretische Grundlagen <?page no="93"?> 135 Es liegt die Beschreibung eines Promotionsvorhabens zum kollaborativen Problemlösen für den bilingualen Bereich Englischdidaktik von Troschke vor (s. http: / / www.home.un i-osnabrueck.de/ rtroschk/ html/ dissertation.html Zugriff: 20. 08. 2020). Diese fokussiert inhaltliche, sprachliche und soziale Bedeutungsaushandlungen. Sie bezeichnet sie als Problemlösen, ohne dies genauer zu definieren. Die Erhebung von Videodaten erfolgte außerhalb des Unterrichts. Allerdings ist über den Verlauf dieses Vorhabens - abgesehen von zwei Publikationen - keine weitere Information aufzufinden (vgl. Troschke 2006, 2007). Er spricht sich aus für den Einsatz realweltlicher, komplexer Probleme, für eine ganzheitliche Betrachtung des Phänomens, die nicht allein auf die kognitive Aktivität reduziert ist, sondern auch die Aspekte Emotion und Motivation miteinbezieht. Dies wiederum erfordere den Einsatz eines entsprechenden Forschungsdesigns mit introspektiven Methoden und Einzelfallstudien (vgl. ders. 2014: 494 ff.). Ohlsson stellt in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand fest, dass das Problemlöseverhalten (problem finding behavior) bislang wenig beforscht ist, was damit zusammenhängen könnte, dass sowohl die Realisierung eines entsprechenden Forschungsdesigns als auch die Datenauswertung als aufwändig einzuschätzen ist (vgl. Ohlsson 2012: 120). Ausgehend von der psychologischen Problemlöseforschung hat sich die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen auch auf andere Disziplinen aus‐ geweitet und wird in unterschiedlichen Bereichen angewandt, wie bspw. der Schreib- und Gesprächsforschung (zumindest was die Verwendung der Termi‐ nologie angeht). In der deutschen Fremdsprachenforschung ist der Einsatz des Begriffs Problemlösen vereinzelt zu beobachten. Mehrere Forschende verwenden den Terminus Problem, ohne sich hierbei (explizit) auf das psychologische Konstrukt zu beziehen: Krings bspw. beobachtet ein weites Spektrum von „L2-Problemen“, deren Ursprung er auf „fremdsprachliche Wissensdefizite“ zurückführt und meint damit orthografische, morphosyntaktische, lexikosemantische und kom‐ munikativ-stilistische Probleme (vgl. ders. 1989: 398 ff.). Börner (1989b) stellt „Schreibprobleme“, Henrici (1995) „Verständigungsprobleme“ auf der Inhalts- und Sprachebene fest. Folglich verwenden sie den Begriff, um damit eine Schwierigkeit im alltagssprachlichen Sinne bzgl. der Kommunikations- oder Verständigungsschwierigkeit bzw. das Fehlen des benötigten Wissens zu be‐ nennen. Die Begriffe Problemlösen und Problemlöseprozess werden ebenfalls vereinzelt verwendet, um den Schreibprozess bzw. Teile davon zu charakteri‐ sieren. Troschke (2006, 2007) interessiert sich für die Bedeutungsaushandlungen beim kollaborativen Problemlösen von bilingualen Englisch-Lernenden und un‐ terscheidet diese nach inhaltlichen, sprachlichen und sozialen Aspekten. Dabei setzt sie kollaboratives Problemlösen und Bedeutungsaushandlung gleich. 135 93 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="94"?> 136 Beim sog. Lauten Denken handelt es sich um eine Erhebungsmethode, bei der Proban‐ dinnen und Probanden versuchen, simultan ihre Denkprozesse zu verbalisieren und somit partiell Zugang zu ihren Denkprozessen schaffen (vgl. Aguado 2019: 79 ff.). 137 Hierbei handelt es sich um eine Form des retrospektiven Lauten Denkens bzw. Lauten Erinnerns. Im Anschluss an die zu befragende Situation oder Handlung sollen die Pro‐ bandinnen und Probanden nachträglich ihre Denkprozesse verbalisieren (vgl. Aguado 2019: 81). Heine (2010) und Geist (2013) untersuchen in ihren Dissertationen komparativ (L1 vs. L2) das individuelle Problemlösen und die dabei zum Einsatz kommenden, kognitiven Prozesse (Heine) bzw. sprachbezogene Problemlösestrategien (Geist) beim Schreiben im Kontext des bilingualen Englischunterrichts mittels Laut‐ denkprotokollen 136 . Dabei bringt Geist Noticing und Problemlösestrategien in Zusammenhang. Sie rekonstruiert in ihrer Studie mit zehn Jugendlichen aus Lautdenkprotokollen und Stimulated Recall  137 -Interviews ausgehend von der Analyseeinheit LRE Problemlösestrategien wie das Umschreiben, die Nutzung fremdsprachlicher Ressourcen, die Verwendung der Kenntnisse aus der Mutter‐ sprache oder einer anderen Fremdsprache (vgl. Geist 2013: 2). Heine setzt in ihrer Dissertation Problemlösen und Aufgabenlösen gleich (vgl. dies. 2010: 24 ff.). Breuer (2015) legt den Schwerpunkt ebenfalls auf die Herangehensweise der Schreibenden und fokussiert in ihrer Dissertation - vergleichend Deutsch und Fremdsprache Englisch für das wissenschaftliche Schreiben - Problemlösestra‐ tegien von Studierenden und interessiert sich dabei vor allem für die Flüssigkeit des Schreibprozesses, Fehler und Überarbeitungsaktivitäten. Diese Ausführungen zeigen, dass der Begriff Problemlösen überwiegend in seiner weiten Bedeutung verwendet und teilweise mit anderen Begriffen (Aufgabe, Schreibprozess) gleichgesetzt wird. Daraus resultiert einerseits Un‐ schärfe, andererseits können Überschneidungen aufgezeigt werden. Anders als im Großteil der psychologischen Problemlöseforschung handelt es sich in den hier genannten Arbeiten überwiegend um Studien mit qualitativem Design (introspektive Methoden), mit geringer Teilnehmerzahl, wobei i. d. R. die Hand‐ lungen der Teilnehmenden im Fokus stehen und sich Probleme aus konkreten Handlungen ergeben (wobei das jeweils angelegte Verständnis von Problemlösen kritisch zu hinterfragen ist). Dieser Umstand lässt sich aus dem fremdsprachen‐ didaktischen Erkenntnisinteresse heraus erklären. Denn dieses richtet sich in erster Linie auf den Lernprozess. Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen nicht von außen vorgegebene (künstlich hergestellte) Probleme, stattdessen interessieren die bei der Bearbeitung von Aufgaben konkret entstehenden, fremdsprachlichen Probleme. Diese Annahme liegt auch der vorliegenden 94 2 Theoretische Grundlagen <?page no="95"?> Studie zugrunde. Problemlösesequenzen werden als Analyseeinheit eingesetzt, um Einblicke in die komplexen kollaborativen Schreibprozesse zu erhalten. 2.3.3 ‚Fremdsprachliches Problemlösen‘ Der Forschungsstand hat die enge Verbindung und Überlagerung der Bereiche, die hier gemeinsam betrachtet werden sollen - Schreib-, Fremdsprachen- und Problemlöseforschung - bereits angedeutet (Kap. 2.3.2.). Diese Zusammenhänge sollen in diesem Teilkapitel vertiefend betrachtet und dabei soll ausgelotet werden, inwiefern das Problemlösen auf die Fremdsprache übertragen werden kann. Problemlösen in der Fremdsprache? Beim Verwenden einer Fremdsprache lässt sich häufig beobachten, insb. bei No‐ vizen, dass die Sprachproduktion oder -rezeption unterbrochen wird. Dies hängt meist damit zusammen, dass sie nach dem passenden Wort oder der adäquaten grammatischen Struktur suchen müssen, da diese ihnen nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Um diese Hürde zu überwinden, können sie verschiedene Handlungen durchführen, z. B. nachfragen, nachschlagen, versuchen aus ihrem Wissen abzuleiten. Haben sie eine Lösung gefunden oder den angestrebten Zielzustand aufgegeben, ist der Bearbeitungsprozess beendet. Diese Vorgänge weisen starke Parallelen zum oben beschriebenen Phänomen des Problemlösens mit den Phasen der Problemidentifikation, -bearbeitung und -lösung auf. Inwie‐ fern diese Handlungen als Problemlösen im psychologischen Sinne verstanden werden können bzw. Ähnlichkeiten aufweisen, soll nun diskutiert werden. Für die vorliegende Arbeit sind dabei folgende Begriffe bedeutsam und sollen näher betrachtet und ggf. voneinander abgegrenzt werden: Bezogen auf die erste Phase (Problemidentifikation) ist der Zusammenhang von Aufgabe, Schwierigkeit und Problem zu diskutieren. Bezogen auf die zweite Phase (Problembearbeitung) ist der Begriff des Noticing zu klären sowie der Unterschied zwischen dem For‐ mulierungs- und Aushandlungsprozess im Vergleich zur Problembearbeitung. Schließlich gilt es, bezogen auf die methodische Ebene (genauer: die Analyse‐ einheit), den Zusammenhang von sprach- und problembezogenen Sequenzen zu beleuchten. Aufgabe - Schwierigkeit - Problem Sowohl in der Forschung als auch in der alltagssprachlichen Verwendung werden die Begriffe Aufgabe, Schwierigkeit und Problem z. T. synonym ver‐ wendet. Im Duden wird Problem definiert als „1. schwierige [ungelöste] Auf‐ gabe, schwer zu beantwortende Frage, komplizierte Fragestellung; 2. Schwierig‐ 95 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="96"?> keit‟ (Dudenredaktion o. J. herv. LP ). Auch die etymologische Herleitung deutet auf einen engen Zusammenhang zwischen diesen Begriffen hin - „lateinisch problema < griechisch próblēma = das Vorgelegte; die gestellte (wissenschaft‐ liche) Aufgabe, Streitfrage […]‟ (ebd.). Problem wird somit beschrieben als ein bestimmter Typ Aufgabe, der sich durch eine Schwierigkeit, i. S. einer Hürde, auszeichnet. Dieses alltagssprachliche Verständnis von Problem liegt zugrunde, wenn in der fremdsprachlichen Forschung von „Formulierungs-‟ (vgl. Weirath 2000: 409), „Schreib-‟ (vgl. Göpferich 2015: 107) oder „L2-Problemen“ (vgl. Krings 1989: 398) gesprochen wird. Hier werden auftretende Hürden den jeweiligen Handlungen zugeordnet und damit spezifiziert. Somit kann eine Schwierigkeit als Moment der Hürde, als eine notwendige Komponente i. S. eines Auslösers für die Problemidentifikation und die darauffolgende Bearbei‐ tung betrachtet werden. Analog kann eine Aufgabe (wie sie bspw. in den klassischen Problemlöseexperimenten eingesetzt wird) Auslöser für eine Problembearbeitung sein und damit einen Problemlöseprozess zur Folge haben. Zwar kann eine Aufgabe Anstoß für einen Problemlöseprozess sein, ist dies aber nicht zwingend. Für eine Abgrenzung von Aufgabe und Problem kommt erschwerend hinzu, dass in der Problemlöseforschung den Probandinnen und Probanden Probleme in Form von zu lösenden Aufgaben bzw. Aufgabenstel‐ lungen dargelegt werden, wie z. B. in der PISA -Studie 2015 (vgl. OECD 2017). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Probleme mittels Aufgaben operationali‐ siert werden können. Auch in dem vorliegenden Untersuchungssetting liegt eine Aufgabe zugrunde, die von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden soll. Es wird angenommen, dass bei der Bearbeitung derselben Schwierigkeiten auftreten, die wiederum Problemlöseprozesse nach sich ziehen. In dieser Arbeit werden allerdings Aufgabe und Problem nicht gleichgesetzt, da es um diejenigen Probleme geht, die für die Schülerinnen und Schüler beim Bearbeiten einer Aufgabe konkret entstehen. Nicht die Aufgabenbearbeitung an sich wird hier als Problemlösen verstanden, sondern das Bearbeiten von Fragen und Themen, innerhalb der Aufgabenbearbeitung, die sich auf die Fremdsprache beziehen. Dörner (1987) und Funke (2003) gehören zu den wenigen, die versuchen, Auf‐ gabe und Problem voneinander abzugrenzen. Sie führen ein Unterscheidungs‐ kriterium an, welches sich auf die unterschiedlichen Verhaltensanforderungen, die zur jeweiligen Bearbeitung von Aufgaben oder Problemen notwendig sind, bezieht: Während bei Aufgaben reproduktives Denken notwendig sei, erfordere Problemlösen ein produktives, neuartiges, nicht-routiniertes Verhalten (vgl. u. a. Funke 2003: 25). Ab wann jedoch eine Handlung(sabfolge) zur Routine wird und somit nicht mehr Problemlösen (sondern das Bearbeiten einer Aufgabe) darstellt, ist schwer abzugrenzen - gerade von einem externen Standpunkt aus, 96 2 Theoretische Grundlagen <?page no="97"?> 138 Das Konzept des Noticing wird in dieser Arbeit in Kap. 2.1.3.3., S. 57 ff. eingeführt. da die Erfahrungen der handelnden Person nicht hinreichend bekannt sind und deshalb nicht eingeschätzt werden kann, ob ihre Handlung neuartig war oder auf bereits erworbenem Wissen oder Erfahrung aufbaut. Ist das Nachschlagen im Wörterbuch Teil eines Problemlöseprozesses oder Routine? Hängt dies von der gegebenen Situation ab? Woran ist (Nicht-)Routine zu erkennen? Es kann damit argumentiert werden, dass das Nachschlagen im Wörterbuch eine bewusste kognitive Aktivität erfordert und somit ein wesentliches Kriterium für Problemlöseprozesse erfüllt. Außerdem ist es schwer eine klare Grenze zu ziehen, zu dem, was ganz fremd ist. Wir greifen doch immer auf unser Wissen und unsere Erfahrung zurück und verwenden Analogien (auch bei mathematisch logischem Vorgehen). Wir wissen, dass ein Schalter gedrückt und ein Drehknopf gedreht werden muss, haben dies aber auch irgendwann gelernt. Wann etwas völlig neuartig ist, ist folglich schwer zu definieren. Aus diesem Grund sollen in der vorliegenden Arbeit Problemlösesequenzen, die Routinecharakter aufweisen, dennoch einbezogen werden. Die damit verbun‐ denen Fragen aber sollen mitbedacht werden und in die anschließende Reflexion mit einfließen. Die Ausführungen haben gezeigt, dass die drei Begriffe Aufgabe, Schwierigkeit und Problem zusammenhängen und eine eindeutige, abgrenzbare Definition schwer möglich ist. Gleichzeitig wird auch ersichtlich, dass sie nicht gleichzu‐ setzen sind. Noticing 138 als Voraussetzung für die Problembearbeitung Während die oben erläuterten Begriffe Aufgabe, Schwierigkeit und Problem in Zusammenhang mit dem Problembearbeitungsprozess gebracht werden können, kann Noticing als Voraussetzung und Auslöser für die Problemidentifi‐ kation gesehen werden. Noticing bezeichnet das Wahrnehmen einer Diskrepanz, welches zur Problemidentifikation und schließlich zur Problembearbeitung führen kann. In einem interaktiven Setting von mehreren Personen kann Noticing verbalisiert werden und somit die Grundlage für Rückmeldungen und damit auch Korrekturhandlungen darstellen: Es wird eine Diskrepanz wahrge‐ nommen und dem Gegenüber kommuniziert. Dies kann z. B. in Form einer Korrektur geschehen. Es ist anzunehmen, dass die korrigierte Person sich nicht unbedingt ihres ‚Fehlers‘ bewusst ist, demnach keine Diskrepanz wahrnimmt und folglich von sich aus auch keine Problembearbeitung begonnen hätte. Eine Fremdkorrektur kann allerdings Anstoß für eine Diskrepanzwahrnehmung sein oder auch Verunsicherung bewirken und einen Bearbeitungsprozess zur 97 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="98"?> 139 Ab wann es sich um einen Suchprozess und damit eine Problembearbeitung handelt, ist jedoch nicht immer eindeutig zu rekonstruieren (s. auch Ausführungen Kap. 2.3.4.). 140 Siehe diesbzgl. Ausführungen in dieser Arbeit Kap. 2.1.3.3. sowie 2.1.2.3. Folge haben. Entsprechend sind Korrekturhandlungen nicht mit Problemlöse‐ handlungen gleichzusetzen, können Letztere aber bewirken. Selbstkorrektur wiederum kann auf einen Denkprozess und eine Diskrepanzwahrnehmung hindeuten und ebenfalls zu einer Problembearbeitung führen. Die Handlungen der Rückversicherung können ebenfalls ein Indikator für Denkprozesse sein. Darüber hinaus können diese Handlungen dazu dienen, Unsicherheit anzuzeigen oder aber sie sind Ausdruck der gemeinsamen Arbeits‐ weise, bei der geklärt und ratifiziert wird. Handlungen des Nachfragens und Rückversicherns können für die andere Person ein Impuls sein, erneut über etwas nachzudenken. Allerdings ist aus den Daten allein oftmals nicht eindeutig zu rekonstruieren, welche Funktion die jeweilige Rückmeldung hat. Handelt es sich um eine ‚echte Frage‛, die auf einem Informationsbedürfnis basiert oder geht es darum, die andere Person in die Entscheidung einzubeziehen? Das Anbringen eines Vorschlags ergänzt um eine Frage oder bestimmte, bestätigende Partikel wie oder? und doch könnte eine Manifestation für Letzteres sein, während das explizite Nachfragen, i. S. eines Klärungsbedarfs, eine inhaltlich klärende Handlung erbittet. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Fragen zahlreiche Funktionen erfüllen können (vgl. z. B. Rost-Roth 2006) und - wie die folgenden Analysen zeigen werden - auch Teil von Problemlösehandlungen sein können, dies aber nicht zwingend sind: Wenn bspw. ein Schüler seine Partnerin fragt, diese ihm eine Antwort gibt, die sein Informationsbedürfnis befriedigt, so handelt es sich nicht um ein Problemlösen, sondern um das rasche Klären eines Sachverhalts. Eine Problembearbeitung ist es in dem Moment, wenn ein Suchprozess von einem oder beiden Interaktanten realisiert wird. 139 Das Phänomen des Noticing kann somit als Auslöser für eine Problemidenti‐ fikation fungieren und damit Anstoß für Rückmeldungen sein, die wiederum Potential für eine Problembearbeitung enthalten. Formulierungs- und Aushandlungsprozesse 140 Nachfolgend sollen die Phänomene des Formulierens und Aushandelns in Bezug auf das Problemlösen betrachtet werden. Formulieren wird in dem Schreibmodell von Flower / Hayes (1981) als eine von drei Teilhandlungen des Schreibprozesses gefasst. Dabei geht es darum, die Information, die übermittelt werden soll, in geschriebene Sprache zu fassen, wofür sie den Begriff Transla‐ 98 2 Theoretische Grundlagen <?page no="99"?> 141 Interessanterweise geschieht dies beim kollaborativen Schreiben über den Zwischen‐ schritt der mündlichen Formulierung. 142 Wrobel (1997) merkt an, dass der Formulierungsprozess bislang noch nicht befriedigend modelliert wurde und erarbeitet in Anlehnung an Levelts Sprachproduktionsmodell (1995) die Rolle sog. Prätexte. Wrobel (2002) nimmt an, dass mental repräsentierte Prätexte eine Vorstufe der Textäußerung darstellen und somit eine zentrale Rolle für den Formulierungsprozess spielen. 143 Dieser Terminus wird in Fußnote 5 auf Seite 13 eingeführt. ting verwenden (dies. 1981: 373 f.). 141 Das Formulieren kann als ein tentatives Vorgehen beschrieben werden, bei dem Wörter, bestimmte Ausdrucksweisen, gesucht, abgewogen, ausgewählt und mit der Aussageabsicht abgeglichen werden. 142 Im Unterschied zum Problembearbeiten besteht beim Formulieren nicht unbedingt eine Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand, es liegt nicht unbedingt eine Hürde zugrunde, die es zu überwinden gilt. Ähnlichkeit weisen Formulierungs- und Problembearbeitungsprozess insofern auf, als sie beide als Suchprozess beschrieben werden können. Aushandlungsprozesse können Teil der zweiten Phase des Problemlöseprozesses, der Problembearbeitung, sein. Sie werden zwar durch ein wahrgenom‐ menes Problem ausgelöst und entsprechen einer zielgerichteten Handlung, ihr Fokus liegt jedoch auf der Aktivität des Aushandelns, wohingegen Problemlösen alle drei Phasen und somit auch die Einbeziehung des Endprodukts, sprich der Lösung, beinhaltet. Es kann folglich konstatiert werden, dass sowohl Formulierungsals auch Aushandlungsprozesse Teil des Problemlösens sein können, aber nicht zwangsläufig sind. Beim Problemlösen handelt es sich um ein umfassenderes, übergreifenderes Phänomen. Language related episode (LRE) 143 = Problemlösesequenz? Während die vorhergehenden Begriffsklärungen mit den einzelnen Phasen des Problemlöseprozesses in Verbindung stehen, befasst sich der vorliegende Abschnitt mit der methodischen Ebene: der Erfassung von Problemlöseprozessen. Eine Begriffsklärung ist für die vorliegende Arbeit insofern relevant, als die sog. Language Related Episode ( LRE ) in der fremdsprachlichen (insb. anglophonen) Forschung mehrfach als Analyseeinheit eingesetzt und z. T. mit dem Problemlösen in Zusammenhang gebracht wird (vgl. u. a. Geist 2013; Philp et al. 2014: 42; Storch 2013 Kap. 3). Eine LRE kann einen Problemlöseprozess darstellen, der sich auf die sprachliche Ebene bezieht. LRE und Problemlö‐ sesequenzen sind jedoch nicht identisch. Überschneidungen zwischen rein sprachbezogenen ( LRE ) und Problemlösesequenzen können insofern auftreten, als sprachbezogene Sequenzen häufig die Folge eines Problems bzw. eine Problemlösung darstellen und somit in eins fallen. Dass eine Gleichsetzung von 99 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="100"?> 144 Geist argumentiert, dass sprachliche Korrektheit nur eine beschränkte Aussagekraft bzgl. des Lernstandes besitzt, denn es kann sich bei korrekten Aussagen um einfache chunks handeln und nicht-normsprachliche Äußerungen können Ausdruck einer höheren Entwicklungsstufe sein. Deshalb schlägt sie vor, nicht die Korrektheit der Lösungen zu untersuchen, sondern die Gründe für die Entscheidungen der Lernenden zu erfahren (vgl. dies. 2013: 37). Storch stellt fest, dass nicht allein die Anzahl von LREs entscheidend ist, sondern auch die Art und Weise wie diese bearbeitet werden. Entsprechend differenziert sie diese nach simple und elaborate, um die Qualität der Interaktionen zu erfassen (vgl. dies. 2013: 85 f.). LRE s und Problemlösesequenzen allerdings zu kurz greift, wird u. a. darin deut‐ lich, dass LRE -Sequenzen auch (metasprachliche) Reflexionen und Evaluationen abbilden können und somit kein Problem in oben definiertem Sinne - mit den dazugehörigen drei Phasen - darstellen. Anders gelagert ist außerdem das Erkenntnisinteresse: Während bei der Analyse von LRE s überwiegend die Frage nach der sprachlichen Korrektheit im Vordergrund steht, ist das Erkenntnisinteresse bei Problemlösesequenzen neben der Evaluation der er‐ reichten Lösung auch auf die kognitive Aktivität und den Lösungsweg gerichtet. Mittels LRE -Analysen können zwar ähnlich gelagerte Phänomene untersucht werden und diese sind z. T. auch deckungsgleich, es handelt sich dabei aber nicht zwingend und vordergründig um Problemlösesequenzen. Demgemäß soll die Analyse in der vorliegenden Arbeit nicht auf LRE -Sequenzen basieren, sondern auf denjenigen Sequenzen, die Kriterien eines Problemlöseprozesses im oben definierten Sinne erfüllen. Diese werden in der Arbeitsdefinition weiter operationalisiert (s. Kap. 2.3.4.). Das ‚fremdsprachliche Problemlösen‘ Nachdem die begrifflichen Grundlagen geklärt wurden, soll nun versucht werden das Phänomen des Problemlösens auf den fremdsprachlichen Kontext zu übertragen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Erkenntnisinteresse in der fremdspra‐ chendidaktischen Forschung größtenteils auf die sprachliche Ebene gerichtet ist. Dies ergibt sich aus dem Gegenstand der Fremdsprachendidaktik heraus, da der Fokus naturgemäß auf dem Lehren und Lernen der Sprache liegt. In der Forschung geht es häufig darum, das Erreichen zielsprachenkonformer Sprach‐ produktion zu messen bzw. zu fördern, was mit dem Ideal des Erreichens eines muttersprachlichen Niveaus erklärt werden kann (z. B. Edmondson / House 2011: 243 f.). Betrachtet man hingegen Fremdsprachendidaktik aus einer ganz‐ heitlichen Perspektive, muss das Erkenntnisinteresse über die sprachliche Korrektheit hinaus reichen, wenn es darum gehen soll, Mittel und Wege zu finden, um Sprache zu lernen und zu lehren (vgl. z. B. Geist 2013; Storch 2013). 144 100 2 Theoretische Grundlagen <?page no="101"?> 145 Dass dies nicht unbedingt bewusst erfolgen muss, wird u. a. von Deppermann betont. Er spricht in Anlehnung an Bergmann (1981: 22) von ‚unproblematischen Problemen‘ und bezeichnet damit Probleme, die von den Teilnehmenden nicht als Probleme wahrgenommen werden, da sie „mit eingespielten Praktiken gelöst werden und so den Interaktanten gar nicht erst als Problem bewußt werden.‟ (Deppermann 2008: 80 f.). Diese Betrachtungsweise bedeutet, dass Probleme von außen beobachtet werden können, sie den Beteiligten aber nicht unbedingt bewusst sein müssen bzw. für sie nicht unbedingt ein Problem darstellen. 146 Siehe das hier angelegte Verständnis von Lernersprache Fußnote 36, S. 38. Entsprechend soll in der vorliegenden Arbeit sowohl die fremdsprachliche als auch die soziale Ebene berücksichtigt werden. Es wird davon ausgegangen, dass mit dem Phänomen des Problemlösens Momente erfasst werden können, die sowohl die fremdsprachliche als auch die soziale Ebene einbeziehen und somit aus fremdsprachendidaktischer Perspektive von besonderem Interesse sind. Problemlöseprozesse werden demnach als potentielle Lerngelegenheiten verstanden. Nachfolgend wird erläutert, wodurch sich ‚fremdsprachliches Pro‐ blemlösen‘ auszeichnet. Anders als in der traditionellen psychologischen Problemlöseforschung werden in der fremdsprachlichen Forschung überwiegend diejenigen Probleme betrachtet, die von den Probandinnen und Probanden selbst - im Rahmen einer vorgegebenen Aufgabenbearbeitung - als solche individuell wahrgenommen und bearbeitet werden. Es geht folglich um konkrete Probleme, die sie in bestimmten Situationen bearbeiten und die ihnen mehr oder weniger bewusst sind. 145 Ein weiterer Unterschied zur klassischen Problemlöseforschung ist, dass beim Verwenden von Sprache - in Abhängigkeit von Aussageabsicht und Kontext - mehrere Lösungsmöglichkeiten gegeben sind, wohingegen bei logischen Problemen i. d. R. eine einzige Lösung möglich ist. Es handelt sich also um von den Probandinnen und Probanden konkret wahrgenommene Probleme, die häufig komplex sind insofern, als überwiegend nicht eine einzige Lösung möglich ist, ggf. mehrere Lücken gleichzeitig vorhanden sind und die Informationen zu ihrer Bearbeitung nicht vollständig vorliegen. Ein Einblick in die Problembearbeitung kann mittels Laut-Denk-Protokollen oder in kollaborativem Setting erfolgen. Diese Einblicke lassen Rückschlüsse auf kognitive Prozesse, Herangehensweisen und die vorliegenden (z. T. fehlende oder unsichere) Ressourcen zu. Bezogen auf die fremdsprachendidaktische Perspektive lassen sich hier Einblicke in Wissensstände, vorhandene Unsi‐ cherheiten, typische Schwierigkeitsbereiche, praktizierte Lösungswege u. a. erwarten. Darin spiegeln sich aktuelle Lernstände und der Entwicklungsstand der Lernersprache 146 . Fremdsprachenspezifisch ist in dieser Phase des Problem‐ löseprozesses der hohe Bedarf an fremdsprachlichen Klärungen, der mit einer 101 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="102"?> 147 Breidenstein merkt kritisch an, dass es im Unterricht überwiegend darum geht ein Produkt herzustellen, das letztendlich selten wertgeschätzt wird: Es wird eine Aufgabe bearbeitet, ein Übungsblatt ausgefüllt etc. Er erklärt diese ‚Produktorientierung‘ damit, dass sie dem schulischen Tun Sinn verleiht, sie macht das Geschehen im Klassenzimmer, das auf Lernprozesse ausgerichtet ist, ‚fassbar‘ und ‚handhabbar‘. Denn Informationen darüber ob und welche Lernprozesse ablaufen sind i. d. R. nur schwerlich zugänglich (vgl. Breidenstein 2006: 214 ff.). 148 Da in der vorliegenden Studie nicht die sprachliche Korrektheit, sondern die Hand‐ lungen der Schülerinnen und Schüler im Fokus stehen, spielt die normative Perspektive eine nachgelagerte Rolle. Erst in einem zweiten Schritt, wenn es darum gehen soll, ihre ‚Leistung‘ in Hinblick auf Lernpotential einzuschätzen, kann die normative Perspektive hinzugezogen und die von den Schülerinnen und Schülern erreichten Lösungen aus externer, normativer Sicht bewertet werden (s. auch Ausführungen Kap. 4.3.). Diskrepanz zwischen Ausdrückenwollen und -können einhergehen kann sowie dem Einsatz entsprechender (Kompensations-)Strategien. Voraussetzung ist das Wahrnehmen einer Diskrepanz zwischen einer erwarteten Norm und der eigenen Leistung. Dabei impliziert eine Aufgabe, die bspw. im Schulkontext eingesetzt wird, ein bestimmtes Zielprodukt. Mit der Aufgabe wird eine Normer‐ wartung gesetzt, mit der die Schülerinnen und Schüler umgehen. Der Anreiz, eine eventuell entstehende Diskrepanz zu überwinden, geschieht folglich aus einem Zwang heraus - in der Schule sind nun einmal vorwiegend Aufgaben zu bearbeiten. 147 Bezogen auf die letzte Phase des Problemlöseprozesses stellt sich die Frage, wie die Lösung einzuschätzen ist: Wann ist bei der fremdsprachlichen Problem‐ bearbeitung eine Lösung als erreicht anzusehen und von wem? Die Betrachtung der Lösung kann sowohl von den Schülerinnen und Schülern selbst als auch von außen in Bezug auf den Ausgangszustand erfolgen: Entspricht die erreichte der anfangs intendierten Lösung? Oder wurde sie modifiziert z. B. vereinfacht oder gar ganz aufgegeben? Aus der Perspektive Außenstehender könnte die erreichte an der intendierten Lösung gemessen und abgeglichen werden. In diesem Fall handelt es sich üblicherweise um eine normative Perspektive, die ‚typische Schulnorm‛, eine zielsprachenkonforme Sprachproduktion. 148 Aus der Perspektive der Beteiligten hingegen könnte eine Lösung dann als erreicht gelten, wenn die Bearbeitung beendet wird. Wenn die Interaktanten ihre Problembearbeitung beenden, da sie zu einer anderen Aktivität übergehen, scheinen sie, so die Annahme, ihre Bearbeitung abgeschlossen zu haben. Damit wäre das Aufschreiben ein Akt der Beendigung. Die Beendigung der Bearbeitung wiederum kann erfolgen, da die erreichte Lösung als befriedigend betrachtet oder aber die Bearbeitung aufgegeben wird. Welcher der beiden Fälle vorliegt kann überwiegend aus den Daten (Kommentaren und Handlungen) 102 2 Theoretische Grundlagen <?page no="103"?> rekonstruiert werden, evtl. findet darin auch ein (metasprachlicher) Abgleich zwischen anvisiertem und erreichtem Ziel statt. Wird ein Problem festgestellt, aber (aus unterschiedlichen Gründen: z. B. Bequemlichkeit, fehlenden Ressourcen) nicht bearbeitet, wie es in den vorlie‐ genden Daten mehrfach zu beobachten ist, handelt es sich nicht um einen Problemlöseprozess. Findet jedoch eine Bearbeitung statt, die an einer Stelle aufgegeben wird, kann es sich um einen Problemlöseprozess handeln. Ein erneutes Aufgreifen des Problems kann darauf hindeuten, dass die Lösung mit Unsicherheit behaftet ist, das Problem als (noch) nicht zufriedenstellend gelöst betrachtet wird oder sich im Verlauf der weiteren Bearbeitung Überlegungen ergeben, die eine erneute Bearbeitung bewirken. Bei einer kollaborativen Bear‐ beitung besteht zudem die Möglichkeit, dass die Einstellung bzgl. der Lösung nicht zwingend geteilt wird. Die erreichte Lösung könnte für einen der beiden Interaktanten nicht zufriedenstellend gelöst sein. Gibt sich diese Person aber damit zufrieden, akzeptiert sie das erreichte Ergebnis, obwohl es evtl. von ihrer ursprünglich anvisierten Lösung abweicht. Widerrufen kann sie diese Akzeptanz, indem sie später erneut die Problembearbeitung aufgreift. Da die Interaktanten in dem kollaborativen Setting die Verantwortung teilen, kann Akzeptanz, zumindest vorläufig, als Zustimmung gewertet werden. Da es sich hier um eine rekonstruktive Studie handelt, zählt allein, was die Schülerinnen und Schüler in dem beobachteten Moment tun. Eine andere Reaktion bei diver‐ gierenden Meinungen könnte darin bestehen, sich auf eine Lösung zu einigen und einen Konsens zu finden. Dieser Konsens kann von beiden Beteiligten gleichermaßen akzeptiert sein, aber er kann auch durch eine hierarchische Beziehung, die gesetzte Relevanz bei der Problembearbeitung (Unterordnung, reibungsloser Ablauf, Zeitdruck etc.) beeinflusst werden. Die Betrachtung der Lösung hängt folglich insb. von der Perspektive (Lehrende vs. Lernende) und dem angesetzten Vergleichsmaßstab (Zielzustand? Normativität? ) ab. 2.3.4 Arbeitsdefinition: Fremdsprachliches Problemlösen Nachdem in den vorherigen Kapiteln zahlreiche Verbindungen zwischen dem psychologisch definierten Problemlösen und ähnlich gelagerten fremdsprach‐ lichen Phänomenen festgestellt sowie die Spezifika des fremdsprachlichen Problemlösens herausgearbeitet wurden, soll nun die Anwendung auf die vorliegende Studie mittels einer Arbeitsdefinition erfolgen. Das Phänomen Problemlösen soll auf die konkreten, hier vorliegenden Bedingungen - das kollaborative, dyadische Schreiben im schulischen Französischunterricht - an‐ gewandt werden, um ausgehend von Problemlösesequenzen die Interaktionen 103 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="104"?> 149 Über seine Arbeiten in der allgemeinen und theoretischen Psychologie, mit dem Spezialgebiet Denken und Problemlösen, hinaus, beteiligte er sich bspw. bei der Konzeptualisierung und Erfassung der Problemlösekompetenz in der PISA-Studie 2015 (vgl. Csapó / Funke 2017; Fischer et al. 2015). 150 Es handelt sich um Sprachhandlungen, die a) den Schreibprozess abbilden; b) auf Einstellungen verweisen; c) Rückschlüsse auf den Einsatz von Hilfsmitteln zulassen; sowie para- und nonverbale Signale, die Emotionen wiedergeben und Kommentare, die die Vorgehensweise bewerten u. a. Je nach Explizitheitsgrad und Eindeutigkeit in den Handlungen ist der Interpretationsspielraum unterschiedlich groß, kann aber insb. wenn der Kontext (Aufgabenstellung, Setting u. a.) miteinbezogen wird und die Folgehandlungen (i. S. Deppermanns 2008 der Analyseschritt der interaktiven Konse‐ quenzen) in Betracht gezogen werden, begründet aus den Daten abgeleitet werden. von Schülerinnen und Schülern zu analysieren. Damit bildet das Phänomen des Problemlösens den theoretischen Rahmen, um fremdsprachendidaktisch relevante Sequenzen zu identifizieren, die anschließend analysiert werden. Die Arbeitsdefinition basiert auf dem Verständnis des Psychologen Joachim Funke, der die diesbzgl. Forschung im deutschen Raum maßgeblich geprägt hat. 149 Die Arbeitsdefinition wird ausgehend von der Theorie in Wechselwirkung mit den empirischen Daten erarbeitet. Die Indikatoren für die jeweiligen Phasen sind aus den Daten der vorliegenden Studie rekonstruktiv ermittelt. 150 Es handelt sich somit um einen zirkulären Prozess, der Theorie und Empirie verbindet und aufeinander bezieht. Deshalb ist dieses Kapitel auch an dieser Stelle am Übergang zwischen Theorie und Empirie angesiedelt. Wie in dem vorhergehenden Kapitel erläutert, zeichnet sich der hier zu be‐ trachtende fremdsprachliche Problemlöseprozess dadurch aus, dass ein Problem in der kollaborativen Zusammenarbeit beim Bearbeiten einer Aufgabe entsteht und wahrgenommen wird. Es handelt sich demnach um diejenigen Sequenzen, die von den Schülerinnen und Schülern selbst als bearbeitungswürdig behandelt werden. Sie nehmen eine Hürde wahr und unternehmen daraufhin eine zielge‐ richtete Handlung. Dabei bearbeiten sie diese mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Mitteln so lange, bis der angestrebte Zielzustand erreicht oder aufgegeben wird. Es handelt sich dabei überwiegend nicht um wohl-definierte Probleme, sie weisen vielmehr Merkmale komplexer Probleme auf (s. auch Kap. 2.3.1.). Der Problemlöseprozess kann als aus drei grundlegenden Situationen bzw. Phasen bestehend beschrieben werden: 104 2 Theoretische Grundlagen <?page no="105"?> Situation Phase Indikatoren 1. Zustand ist unbefriedigend, Diskrepanzwahrnehmung zwischen Ist- und Sollzustand Problem feststellen Lücke oder Hindernis feststellen, Markierung von Unwissen oder Unsicherheit 2. Auseinandersetzung mit Pro‐ blem (1) mit dem Ziel den Soll-Zustand (3) zu erreichen Problem be‐ arbeiten Such-, Denk-, und Aushandlungs‐ prozesse; Aktivitäten, die die Be‐ arbeitung anzeigen (z. B. Hilfs‐ anforderung, Fragen, Wissen abrufen, Herleiten, Einsatz des Wörterbuchs) 3. Bearbeitung (2) beendet, da Lösung erreicht oder Bearbei‐ tung aufgegeben Problem lösen Übergehen zu anderer Aktivität; ggf. eine Einschätzung bzgl. des Problems (1), des Prozesses (2) oder der Lösung (3) Tab. 01: Ablauf des Problemlöseprozesses In der ersten Phase des Problemlöseprozesses wird ein Problem festgestellt. Der Zustand ist unbefriedigend, es wird eine Diskrepanz wahrgenommen zwischen dem Ist- und Soll-Zustand, d. h. die angenommene Norm und die eigene Leistung stimmen nicht überein. Ein Indikator hierfür ist das Feststellen einer Lücke oder eines Hindernisses. Auch die Markierung von Unwissen oder Unsicherheit - bspw. erkennbar daran, dass die Sprachproduktion stockt, Unwissen expliziert oder um Hilfe gebeten wird - deuten auf eine Diskrepanzwahrnehmung hin. In der zweiten Phase der Problembearbeitung findet eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit dem Problem statt. Mittels Such-, Denk- und Aushand‐ lungsprozessen sowie Bearbeitungsaktivitäten (wie Einsatz des Wörterbuchs, Wissen herleiten u. a.) wird versucht das Ziel zu erreichen. Die dritte Phase, die Problemlösung, beendet die Bearbeitung, da das Ziel erreicht oder die Bearbeitung aufgegeben wurde. Indikatoren dafür sind das Übergehen zu einer anderen Aktivität und ggf. ein Abgleich zwischen Soll- und Ist-Zustand, bei dem die Art des Problems, der Bearbeitungsprozess oder auch die Lösung eingeschätzt werden. In einem kollaborativen Setting können die verschiedenen Phasen auch un‐ terschiedlich wahrgenommen werden. Beispielsweise kann eine Person ein Pro‐ blem wahrnehmen, welches der anderen nicht bearbeitungswürdig erscheint. Wird eine Bearbeitung dennoch angegangen, übernimmt ggf. die suchende Person eine initiierende Rolle, so dass die Bearbeitung nicht kollaborativ erfolgt, sondern maßgeblich von ihr alleine umgesetzt wird, oder aber die andere Person lässt sich ebenfalls darauf ein und übernimmt dabei evtl. gar eine Expertenrolle. 105 2.3 Problemlösen in der Fremdsprache <?page no="106"?> Dieses Verständnis von Problemlöseprozess soll den folgenden Analysen zugrunde gelegt werden. Das leitende Erkenntnisinteresse ist darauf gerichtet, wie die Schülerinnen und Schüler mit der französischen Sprache umgehen und welche Funktionspotentiale aus derartigen Problemlöseprozessen für das Lehren und Lernen der Fremdsprache Französisch abgeleitet werden können. Deshalb soll in der Analyse eine Einschränkung auf fremdsprachliche Problemlösesequenzen erfolgen. Da es sich nicht in erster Linie um Aufgaben- oder Aufgabenbearbeitungsforschung handelt, werden diejenigen Sequenzen, in denen die Aufgabe(-nbearbeitung) thematisiert wird, nicht separat analysiert. Allerdings kann der Bezug zur Aufgabenstellung durchaus in den auf die Fremd‐ sprache bezogenen Sequenzen enthalten sein und wird an den jeweiligen Stellen ebenfalls diskutiert. Auch Probleme auf der sozial-interaktionalen Ebene sind in dem gegebenen Setting durchaus zu erwarten. Da es sich hier allerdings nicht um eine psychologische, soziologische oder allgemein-pädagogische Arbeit handelt, steht dieses Themenfeld nicht im Zentrum des Interesses, fließt jedoch durch die Interaktionsanalysen sowie die Wahl der Methode - Gesprächsanalyse nach Deppermann (2008) - zwangsläufig in die Untersuchung ein. Es wird somit ein Fokus auf die Handlungen der Schülerinnen und Schüler gelegt, bezogen auf fremdsprachliche Problemlösesequenzen, die beim kollaborativen Schreiben entstehen. Damit geht eine umfassende Betrachtung einher, die Erkenntnisse für die fremdsprachliche, kollaborative Schreibforschung und darüber hinaus erwarten lässt. 2.3.5 Zusammenfassung In dem ersten Teilkapitel (2.3.1.) wurde zunächst das Phänomen des Problem‐ lösens aus psychologischer Perspektive beschrieben. Es folgte die Erläuterung von unterschiedlichen Problemtypen, der einzelnen Phasen des Problemlöse‐ prozesses sowie der Begriffsverwendung. Daraufhin wurde ein Überblick über den Forschungsstand gegeben (2.3.2.). Dabei zeigt sich, dass der Begriff Problemlösen auch in der Fremdsprachenforschung verwendet wird. Im Unter‐ schied zu psychologischen Analysen handelt es sich dabei hauptsächlich um qualitative Analysen, die ein weites Verständnis von Problem(lösen) anlegen und von den konkret ‚gemachten‘ Problemen der Lernenden ausgehen. In dem darauffolgenden Kapitel wurde die Anwendung des Problemlösens auf den fremdsprachlichen Kontext erarbeitet und dabei wurden begriffliche Abgrenzungen zu Aufgabe, Schwierigkeit, Problem, Noticing, Formulierungs- und Aushandlungsprozessen sowie der Analyeseinheit LRE vorgenommen (2.3.3.). Fremdsprachliche Problemlöseprozesse, wie sie hier verstanden werden, 106 2 Theoretische Grundlagen <?page no="107"?> zeichnen sich dadurch aus, dass die Probleme beim Bearbeiten aus einem konkreten Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler heraus entstehen und dabei Merkmale komplexer Problemtypen aufweisen, da es nicht immer nur eine ‚richtige‘ Lösung gibt und diese mit Unsicherheit verbunden sein kann. Wie die erreichte Lösung einzuschätzen ist, hängt maßgeblich von der Perspektive und dem angesetzten Vergleichsmaßstab ab. Durch das kollaborative Setting ist zu erwarten, dass Einblicke in Lernstände gegeben werden, da die Schülerinnen und Schüler ihre Denk-, Such-, Aushandlungs- und Formulierungsprozesse zu einem Großteil verbalisieren. Es ist davon auszugehen, dass sie einen hohen Klärungsbedarf in Bezug auf die Fremdsprache haben und Diskrepanzen zwischen Ausdrückenwollen und -können bestehen. Damit einher geht auch der Einsatz von Kompensationshandlungen. Vorliegend geht es somit um die Betrachtung der Problemlöseprozesse aus Sicht der Schülerinnen und Schüler. Es wird aus den Daten rekonstruiert, wie sie ihre ‚fremdsprachlichen Probleme‘ bearbeiten. Mittels einer Arbeitsdefinition sollen auf die Fremdsprache bezogene Problemlösesequenzen in den Daten identifiziert und als Analyseeinheit eingesetzt werden (2.3.4.). Dabei wird der Problemlöseprozess als dreischrittige Abfolge verstanden, die anhand empirisch ermittelter Indikatoren rekonstruiert wird. In diesem Sinne soll das Problem‐ lösen als theoretischer Ansatz, als heuristisches Mittel betrachtet werden, um kollaborative fremdsprachliche Schreibprozesse umfassend zu beleuchten. Die Betrachtung der Daten mit Fokus auf Problemlösesequenzen sowie das kollaborative Setting ermöglichen es, die empirischen Daten auf ein für fremd‐ sprachendidaktische Fragestellungen relevantes Phänomen einzugrenzen und dabei verschiedene Ebenen einzubeziehen: die soziale bzw. interaktionale, schreibdidaktische und fremdsprachenbezogene Ebene. 2.4 Zusammenführung der theoretischen Grundlagen Dieses Kapitel beschließt den Teil der theoretischen Grundlagen. Darin werden die zentralen Erkenntnisse, die in den jeweiligen Teilkapiteln zum fremdsprach‐ lichen Schreiben (Kap. 2.1.), der Schüler-Schüler-Interaktion (Kap. 2.2.) sowie dem Problemlösen (Kap. 2.3.) für den Fremdsprachenkontext erarbeitet wurden, zusammengeführt. Ausgehend von der Schreibforschung erfolgt mit dem kollaborativen Schreiben ein Fokus auf den Schreibprozess, lässt diesen sichtbar und zu‐ gänglich werden. Dabei ist Interaktion eine Voraussetzung für das kolla‐ borative Schreiben. Aufgrund der dyadischen Konstellation kommt es zu 107 2.4 Zusammenführung der theoretischen Grundlagen <?page no="108"?> Schüler-Schüler-Interaktionen, die in Hinblick auf Problemlösesequenzen ausgewertet werden. Diese drei Bereiche - fremdsprachliches Schreiben, Schüler-Schüler-Interaktion, Problemlösen - bilden den theoretischen Hinter‐ grund der vorliegenden Studie und begründen Erkenntnisinteresse und Vorge‐ hensweise. Während die fremdsprachliche und kollaborative Schreibforschung sowie die Forschung zu Schüler-Schüler-Interaktion die theoretische Basis bilden, wird das Problemlösen als theoretischer Ansatz genutzt, um die Datense‐ quenzen auszuwählen. Gerahmt wird diese Arbeit durch einen soziokulturellen Ansatz. Nachfolgend sollen die zentralen Erkenntnisse aus den jeweiligen Kapiteln dargelegt und anschließend ihre Zusammenhänge aufgezeigt werden. Fremdsprachliches Schreiben Das fremdsprachliche Schreiben ist ein fester und anerkannter Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts (Kap. 2.1.1.). Es findet tagtäglich Anwendung, wird jedoch vorwiegend einseitig zum Üben grammatischer Formen eingesetzt. Demnach wird das Schreiben für die Schülerinnen und Schüler dort meist nur eingeschränkt in seiner Vielschichtigkeit und Multifunktionalität erfahrbar. Das Schreiben in der Fremdsprache ist eine vielschichtige Tätigkeit, denn zu dem ohnehin bereits komplexen Schreiben in der Erstsprache kommen hier fremdsprachenspezifische Faktoren hinzu, die den Schreibprozess beein‐ flussen (Kap. 2.1.2.). Begrenzte Anwendungsmöglichkeiten und Ressourcen (insb. fremdsprachliche), geringe Automatisierung u. a. führen dazu, dass der Schreibprozess verlangsamt oder gar unterbrochen wird, sich die Schülerinnen und Schüler überwiegend auf die Sprachform konzentrieren und daraus Texte resultieren, die häufig kurz sind, zahlreiche sprachliche Fehler sowie eine unzureichende Struktur aufweisen. Das kollaborative Schreiben ist eine Schreibform, bei der zwei oder mehr Personen gemeinsam einen Text produzieren (Kap. 2.1.3.). Da sie sich dabei austauschen müssen, werden Großteile des Schreibprozesses verbalisiert. Dieser Austausch kann interaktionale sprachbezogene Phänomene wie Aushandlungs‐ prozesse, Languaging, Rückmeldung u. a. bewirken, die potentielle Lerngelegen‐ heiten darstellen können. Er geht aber gleichzeitig auch mit Herausforderungen einher, insb. auf der sozialen Ebene. Schüler-Schüler-Interaktion Mit Schüler-Schüler-Interaktion wird eine zwischenmenschliche, dyadische face-to-face Konstellation beschrieben, in der die Interaktanten sich aufeinander beziehen und somit auch wechselseitig beeinflussen (Kap. 2.2.). Dies setzt eine beidseitige, kooperative Grundeinstellung voraus. Beeinflusst wird ihre 108 2 Theoretische Grundlagen <?page no="109"?> Interaktion von persönlichen und sozialen Faktoren sowie den gegebenen Rah‐ menbedingungen. Zu nennen sind hier die Bedeutung, die Mitschülerinnen und -schüler als Referenzsystems füreinander haben. Potentielle Lerngelegenheiten ergeben sich durch die (im Vergleich zu lehrpersongesteuertem Unterricht) vielfältigeren Sprechgelegenheiten, die das sprachliche Repertoire und den Handlungsspielraum erweitern und damit Möglichkeiten eröffnen, die Sprache auszuprobieren, damit zu spielen, sich ihrer bewusst zu werden. Die dyadische Konstellation bedingt Austausch und Reaktion: Die Schülerinnen und Schüler reagieren aufeinander, korrigieren sich und geben sich Rückmeldung, diese erfolgt unmittelbar, konkret und direkt und entspricht damit wesentlichen Kriterien ‚guter Rückmeldung‛. Problemlösen Auslöser für das Problemlösen ist ein Problem, das als Diskrepanzwahrnehmung zwischen dem Ist- und dem angestrebten Soll-Zustand beschrieben werden kann. In dem Bestreben, sich dem erwünschten Zielzustand anzunähern wird das Problem mittels kognitiver Prozesse zielgerichtet bearbeitet, bis eine Lösung erreicht ist (Kap. 2.3.). Dieser sog. Problemlöseprozess weist Parallelen zu typischen fremdsprachlichen Situationen auf und soll auf den Fremdsprachen‐ kontext angewendet werden. Es werden Charakteristika des fremdsprachlichen Problemlösens erarbeitet: Fremdsprachliche Probleme sind ‚gemacht‘ bzw. ergeben sich in der konkreten Aufgabenbearbeitung und weisen Merkmale komplexer Probleme auf. Bei der Bearbeitung sind Diskrepanzen zwischen dem Ausdrückenwollen und -können zu erwarten, auf die mit Kompensations‐ handlungen reagiert werden kann. Eine Einschätzung der Lösung ist abhängig von der Perspektive. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses wird eine Arbeitsdefinition für das ‚fremdsprachliche Problemlösen‘ erarbeitet, mit der im empirischen Teil dieser Arbeit Problemlösesequenzen in den Daten identifi‐ ziert werden. Dabei wird eine dreischrittige Grundstruktur angenommen: Ein Problem wird identifiziert, bearbeitet und schließlich gelöst. Kollaboratives fremdsprachliches Schreiben - Schüler-Schüler-Interaktion - Problemlösen In der Auseinandersetzung mit diesen drei Forschungsfeldern zeigt sich, dass es sich jeweils um sehr umfassende Bereiche handelt. Dabei zeigen sich an mehreren Stellen Überlagerungen von Begriffen und Konzepten, was Unklar‐ heiten bewirken kann und daher Begriffsklärungen nahelegt. Beispielsweise werden Schreiben und Problemlösen, Problem und Aufgabe, Interaktion und Kommunikation u. a. gleichgesetzt. Darauf reagiert die vorliegende Arbeit, 109 2.4 Zusammenführung der theoretischen Grundlagen <?page no="110"?> indem den Kapiteln jeweils einführend Begriffsklärungen vorangestellt und Überschneidungen an den jeweiligen Stellen diskutiert werden. Andererseits spricht dieser Umstand auch für die Nähe und den engen Zusammenhang der Forschungsfelder: das kollaborative Schreiben bspw. be‐ dingt Interaktion. Sowohl beim kollaborativen Schreiben als auch bei der Schüler-Schüler-Interaktion findet Austausch statt. Dieser führt zu Phäno‐ menen, die aus beiden Perspektiven bedeutsam sein können und denen ähnliche Einflussfaktoren und Bedingungen zugrunde liegen (Languaging, Rückmel‐ dung, Scaffolding u. a.). Deshalb werden Themen und Erkenntnisse aus der Interaktionsforschung auch für die kollaborative Schreibforschung relevant: z. B. Noticing als Grundlage, um Bewusstheit zu erlangen, die Zusammenstellung der Dyade, Rückmeldung als potentielle Lerngelegenheit u. a. Ein weiteres, übergreifendes Phänomen stellt der mündliche Austausch der Interaktanten dar. Beim kollaborativen Schreiben werden durch das Verbalisieren Einblicke in Schreibprozesse, aber darüber hinaus auch in Interaktions- und Problemlö‐ seprozesse gegeben. Interessant ist dabei auch, dass der Aspekt der Bewusstheit in drei Bereichen eine zentrale Rolle spielt. 1. Schreiben an sich ist bereits bewusstheitsfördernd. 2. Das Schreiben in einer Fremdsprache ist es durch den Verfremdungseffekt und die mögliche Distanzierung sowie den damit verbundenen Perspekti‐ venwechsel umso mehr. 3. Beim kollaborativen Schreiben ergeben sich durch die dyadische Kon‐ stellation weitere Möglichkeiten, Bewusstheit zu erlangen (Languaging, Noticing, Rückmeldung). Damit können bewusstheitsfördernde Momente in dreifacher Hinsicht auf‐ treten, sind gewissermaßen potenziert, was erwarten lässt, dass dies auch in den Datenanalysen sichtbar werden wird. Die Auseinandersetzung mit den Forschungsständen zu diesen drei Bereichen offenbart für den deutschsprachigen Raum Desiderate: Das fremdsprachliche Schreiben von Schülerinnen und Schülern ist wenig beforscht, noch weniger ist es das kollaborative Schreiben. Bezogen auf die Interaktionsforschung ist insb. ein Desiderat bzgl. der Schüler-Schüler-Interaktion festzustellen. Das kollabora‐ tive Problemlösen stellt für den fremdsprachlichen Kontext komplettes Neuland dar. Somit behandelt die vorliegende Arbeit an unterschiedlichen Stellen in diesen drei Forschungsfeldern noch wenig erforschte Aspekte. Jedoch geht es nicht darum, Desiderate in den einzelnen Forschungsfeldern zu bearbeiten. Vielmehr bilden diese Bereiche die theoretische Grundlage für die umfassende Erforschung des kollaborativen Schreibens im Fremdsprachenunterricht. Es 110 2 Theoretische Grundlagen <?page no="111"?> wird davon ausgegangen, dass durch die Verknüpfung dieser drei Bereiche eine umfassende Auseinandersetzung mit dem kollaborativen fremdsprachlichen Schreiben möglich ist und dass dieses aufgrund seiner Vielschichtigkeit eine umfassende Betrachtung gleichsam erfordert. Demnach möchte sich die vorlie‐ gende Arbeit als schreibtheoretischer Beitrag aus fremdsprachendidaktischer Perspektive verstanden wissen, der die soziale Ebene in den Vordergrund rückt und ausgehend von einem problemlösetheoretischen Ansatz eine umfassende Analyse leistet. 111 2.4 Zusammenführung der theoretischen Grundlagen <?page no="113"?> 3 Empirische Untersuchung In diesem Teil der Arbeit wird die empirische Untersuchung vorgestellt. Im Zentrum stehen Problemlösepraktiken von Schülerinnen und Schülern einer 11. Klasse, die beim kollaborativen Schreiben im Französischunterricht realisiert werden. Diese werden gesprächsanalytisch untersucht und in Bezug auf ihre fremdsprachendidaktischen Funktionspotentiale ausgewertet. Dafür werden zu‐ nächst die methodisch-methodologischen Grundlagen der vorliegenden Arbeit geklärt (3.1.), um daraufhin die empirischen Analysergebnisse darzustellen (3.2.). 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen Ziel dieses Kapitels ist es, die methodisch-methodologischen Grundlagen der vorliegenden Studie zu erläutern. Nachdem einführend die Anlage der Studie dargelegt wird (3.1.1.), widmet sich das nächste Unterkapitel der Datenerhebung (3.1.2.). Daraufhin werden die gewählte Analysemethode (3.1.3.) sowie das Analyseverfahren (3.1.4.) beschrieben und die daraus resultierenden Einschrän‐ kungen besprochen (3.1.5.). 3.1.1 Anlage der Studie Zunächst soll die Studie verortet und die grundlegenden Prinzipien der Heran‐ gehensweise erläutert werden. Verortung der Studie Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine qualitative Studie im Bereich der fremdsprachlichen Lehr- und Lernforschung. Diese kann in Hinblick auf ihren Kontext weiter spezifiziert und verortet werden. Es handelt sich um eine Studie, die im institutionellen Schulunterricht, genauer dem Französischunterricht, angesiedelt ist. Ausgehend von einer Momentaufnahme aus der Unterrichtspraxis einer 11. Klasse werden Problemlösepraktiken von Schülerinnen und Schülern beim kollaborativen Schreiben aus dyadischen Schreibgesprächen rekonstruiert. Die Praktiken der Schülerinnen und Schüler werden in einem realitätsnahen Unterrichtssetting und somit im „praktischen Vollzug von Unterricht“ (Breidenstein 2008a: 201) beforscht, ohne dabei den In- oder Output messen zu wollen, sondern stattdessen Zugang zu ihren Relevanz‐ <?page no="114"?> 1 Verwiesen sei hier auf den Ansatz der Forschungsgemeinschaft Rekonstruktive Fremd‐ sprachenforschung (RFF), die mit einer regelmäßig stattfindenden Tagung sowie einer Zeitschrift die Vernetzung und Beförderung rekonstruktiv-praxeologischer Fremdspra‐ chenforschung vorantreibt (s. https: / / www.rekonstruktive-fremdsprachenforschung.d e/ Zugriff: 20. 08. 2020). 2 Auf die Authentizitätsdebatte kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden (z. B. Cuq / Gruca 2017 Kap. 2; Riedner 2018). Es wird davon ausgegangen, dass Schule und Fremdsprachenunterricht zur Realität der Schülerinnen und Schüler gehört, weshalb diese per se für sie authentisch i. S. von Teil ihres Lebens sind (vgl. z. B. Fasel Lauzon 2013: 19 ff.; Gnutzmann 2000: 92). Eckerth argumentiert in seiner Studie, dass die Interaktionen insofern authentisch sind, als sie auf einem tatsächlichen Informations‐ bedürfnis beruhen (vgl. ders. 2003: 69), ein Argument, dass auch auf die vorliegende Studie angewendet werden kann. setzungen zu erhalten (vgl. z. B. Bonnet 2020: 9; Deppermann 2008: 91). Damit ist diese Arbeit einem rekonstruktiven Ansatz verpflichtet, wie ihn in ähnlicher Weise z. B. Bonnet (2020) und Tesch (2019: 14) vertreten: Im Vordergrund stehen das Wie und Warum der Handlungen der Schülerinnen und Schüler. 1 Ziel ist es, innerhalb des komplexen Geschehens im fremdsprachlichen Klassenraum, welches auch die sozialen Beziehungen berücksichtigt, einen umfassenden Einblick in die Handlungen und Interaktionen der Schülerinnen und Schüler zu erhalten und dabei die Funktionen ihrer Handlungen zu rekonstruieren (s. auch Kap. 1.). In den Worten von Batstone / Philp (2013: 109): Classroom negotiation will inevitably be shaped by its social and pedagogic context in fundamental ways. In order to better understand interaction-driven learning, we need to pay more attention to the complexity of classroom interaction and its many facets. Dies wird in der Anlage der Studie sowohl auf der Ebene der Datenerhebung (Kap. 3.1.2.) als auch der Ebene der Datenauswertung (Kap. 3.1.3. und 3.1.4.) berücksichtigt. Demnach werden die Daten auch in einer möglichst realitäts‐ nahen und natürlichen Unterrichtsumgebung, also an dem Ort, an dem sie im alltäglichen Geschehen entstehen, erhoben (vgl. Eckerth 2008: 123 f.; Nunan 1992: 10). 2 Damit einher gehen viele Variablen, Störfaktoren und Einflüsse sowie der Einfluss des Beobachterparadoxons durch die Anwesenheit der Forscherin. Diese Art der Forschung ist ein Eingriff in den Unterricht, gleichzeitig erfolgt er im Rahmen der unterrichtlichen Routinen. Es soll ein möglichst ‚typischer Fran‐ zösischunterricht‘ detailliert erfasst werden. Die Daten werden im regulären Französischunterricht einer 11. Klasse erhoben, und es kommt eine Aufgabe zum Einsatz, die curricular eingebettet und mit der Lehrperson abgesprochen ist. Der auf diese Weise erhobene Datentyp kann als ‚semi-natürlich‘ bezeichnet werden, da es sich um eine Situation handelt, die durch ein wissenschaftliches Interesse bestimmt, dementsprechend arrangiert und geprägt ist (aufgrund der 114 3 Empirische Untersuchung <?page no="115"?> eingesetzten Aufgabe, der Präsenz der Forscherin). Gleichzeitig befinden sich die Schülerinnen und Schüler jedoch in einem alltäglichen Französischunterricht, in dem sie eine Schreibaufgabe bearbeiten, (fast so) wie sie dies normalerweise tun (vgl. Lehnen 2000: 19). Dabei soll auch das ‚Natürlichkeitsprinzip‛, wie es von Deppermann verstanden wird, berücksichtigt werden, welches arrangierte Settings nicht per se ausschließt. Er argumentiert wie folgt: Valide Aufnahmen bekommen wir, wenn Existenz und Ausformung des interessierenden Phänomens von der Aufnahme nicht beeinflußt werden. Entgegen einer unter Gesprächsanalytikern weitverbreiteten Meinung erfordert das Natürlichkeitsprinzip daher nicht, grundsätzlich auf Aufnahmen unter Laborbedingungen, Rollenspiele oder Mediendokumente zu verzichten. Jedes Datum hat vielmehr seine eigene Art von ‚Natürlichkeit‛, in bezug auf die es adäquat untersucht werden kann. Statt generell ‚natürliche Daten‘ zu fordern, ist es deshalb zutreffender, wenn man verlangt, daß das Datenmaterial und die Art seiner Erhebung und Auswertung geeignet sein müssen, die Forschungsfragen in bestmöglicher Weise zu beantworten. Arrangierte Gespräche werden erst dann problematisch, wenn bei der Analyse ihr Entstehungskontext nicht berücksichtigt wird und vorschnelle Generalisierungen auf andere Kontexte vorgenommen werden. (ders. 2008: 25) Für die Anlage der vorliegenden Studie bedeutet dies a) einen Erhebungskontext zu wählen, der (zumindest annähernd) einem regulären Französischunterricht entspricht; b) es setzt ein bestimmtes Vorgehen bei der Datenerhebung voraus (insb. Kennenlernen und gegenseitiges Vertrautmachen); sowie c) es erfordert ein Analyseverfahren, welches die erhobenen Daten mit Berücksichtigung dieses Erhebungskontextes zu fassen vermag. Mit der Gesprächsanalyse nach Deppermann (2008) liegt ein solches vor (Kap. 3.1.3.). Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine qualitative Studie: Ausgehend von weitgehend ‚natürlichen‘ Praxisdaten werden mittels rekonstruktiver Verfahren die Handlungen der Schülerinnen und Schüler beschrieben, interpretativ erklärt, daraus hypothesengenerierend Schlüsse für die kollabora‐ tive Schreibtheorie gezogen sowie theoretische und didaktische Implikationen abgeleitet. Grundlegende Prinzipien der Herangehensweise Die vorhergehend beschriebene Anlage der Studie legt eine Herangehensweise nahe, deren Prinzipien im Folgenden näher erläutert werden sollen. Dabei stützt sich die vorliegende Arbeit auf die Grundannahmen der qualitativen Sozialfor‐ schung von Flick et al. (2019), Schirmer (2009) sowie methodisch angewendet Deppermann (2008). Folgende Prinzipien, die wiederum bestimmte Güte- und 115 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="116"?> 3 Allgemein zu den Güte- und Qualitätskriterien qualitativer Sozialforschung (vgl. u. a. Schirmer 2009: 64 ff.), Gütekriterien für die Gesprächsanalysen nach Deppermann (2008: 105 ff.). Bezüglich forschungsethischer Aspekte im Fremdsprachenkontext merkt Viebrock (2015) zu Recht kritisch an, dass diese in der fremdsprachendidaktischen Forschung bislang kaum beachtet werden. Qualitätskriterien 3 implizieren, betrachten sie als wesentlich: Offenheit, Zweifel und Iterativität. Die Prinzipien Offenheit und Zweifel beziehen sich auf die Haltung des forschenden Subjekts zu seinem Forschungsgegenstand. Es wird davon ausge‐ gangen, dass es kein „theorieloses Wissen“ (Schirmer 2009: 76) gibt und jedes Subjekt durch eine bestimmte Sichtweise geprägt ist. Deppermann spricht von „theoriebedingten Vorurteilen“ (ders. 2008: 19), denn jeder Forschung liegen atheoretische, vortheoretische und theoretische Annahmen zugrunde, die diese maßgeblich beeinflussen (vgl. u. a. Schirmer 2009: 56 f.). Auch wenn außer Frage steht, dass eine Loslösung von diesen Vorannahmen nie vollständig möglich ist, wird in dieser Arbeit, wie in der qualitativen Sozialforschung allgemein auch, versucht, Offenheit und Neugier gegenüber dem Forschungsgegenstand einzunehmen und zu bewahren. Es wird angestrebt, keine bereits existierenden Theorien an den Forschungsgegenstand heranzutragen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass vorhandene Annahmen bestätigt und keine neuen Erkenntnisse produziert werden (vgl. u. a. Deppermann 2008: 90). Vielmehr wird versucht, eine Haltung einzunehmen, die durch Zweifel und permanentes Infragestellen gekennzeichnet ist: „Die ForscherIn muss mit einer theoretischen Einstellung vorgehen, die nicht von der fraglosen Gültigkeit einer Deutung ausgeht, sondern von einer Haltung des ‚prinzipiellen Zweifels‛, der ‚künstli‐ chen Dummheit‛ […]‟ (Schirmer 2009: 48). Deppermann beschreibt dies als eine „Haltung methodischer Fremdheit“ (ders. 2008: 89) und fordert einen möglichst unvoreingenommenen Umgang mit den Daten (ebd.: 19). Aus der daraus resultierenden Forderung nach Offenheit und Zweifel leitet (nicht nur) Schirmer ab, dass Reflexion ein „fester Bestandteil methodischen Vorgehens sein [müsse]‟ (dies. 2009: 48). Der Anspruch einer reflexiven Haltung bzgl. des methodischen Vorgehens bedeutet, den Forschungsprozess selbstkritisch und zweifelnd zu begleiten, transparent darzustellen und beinhaltet zudem die Selbstreflexion der Forscherinnen und Forscher (vgl. Aguado 2019: 71 f.; Schirmer 2009: 60; s. Kap. 3.1.5. sowie 3.2.4.). Insbesondere Letzteres spielt in dem vorliegenden Setting eine Rolle, da die forschende Person in den Datenerhebungsprozess involviert ist (Aufgabenstellung, Anwesenheit) und somit selbst einen maßgeblichen Einflussfaktor darstellt. Dieser Einflussfaktor bleibt zwar auch bei eingehender Reflexion bestehen und muss fortlaufend mit‐ 116 3 Empirische Untersuchung <?page no="117"?> bedacht werden, lässt sich durch eine reflexive Haltung jedoch teilweise sichtbar machen, somit einbeziehen und ggf. relativieren. Die reflexive Haltung bezieht sich nicht nur auf die Rolle der forschenden Person im Verhältnis zu dem For‐ schungsgegenstand und den Probandinnen und Probanden, sondern impliziert auch den Austausch mit anderen, insb. in der Auseinandersetzung mit den Daten bei der Analyse und Interpretation derselben, was mit einer Validierung der Analysen in Interpretationswerkstätten umgesetzt werden kann. Demzufolge berührt eine reflexive Haltung sowohl die Ebene der Datenerhebung als auch die Ebene der Datenanalyse. Bezogen auf die konkrete Vorgehensweise bedeutet dies, dass die einzelnen Arbeitsschritte dokumentiert und reflektiert werden. Denn die „reflexive Dokumentation des Forschungsprozesses“ stellt ein Mittel dar, um die Verlässlichkeit der Forschung zu erhöhen (Schirmer 2009: 81; s. auch dies. 130 ff.). Mittels dieser Vorgehensweise wird versucht Transparenz sowie Nachvollziehbarkeit herzustellen, dabei glaubwürdige und kritisierbare Ergebnisse zu produzieren und folglich einen Beitrag zu nachvollziehbarer und reproduzierbarer Forschung zu leisten (vgl. u. a. Eckerth 2003: 70; Schirmer 2009: 76). Das dritte Prinzip Iterativität steht in engem Zusammenhang mit den Prinzi‐ pien Offenheit, Zweifel und der damit einhergehenden reflexiven Haltung. Es bezieht sich auf den gesamten Forschungsprozess und charakterisiert diesen als zyklische Bewegung, als ein wiederholendes Betrachten, erneutes In-Bezie‐ hung-Setzen und Infragestellen. Es impliziert einen ständigen Abgleich und ein Ins-Verhältnis-Setzen von Theorie und Empirie. Dieses Vorgehen wird in der vorliegenden Studie mit der gewählten Methode konkret umgesetzt, da die Gesprächsanalyse nach Deppermann „ein spiralförmiges Verhältnis von Gegenstandskonstitution und Gegenstandsanalyse“ (ders. 2008: 20) vorsieht und dies in entsprechenden Arbeitsschritten umgesetzt wird und somit dem methodischen Vorgehen inhärent ist (s. auch Kap. 3.1.4.). 3.1.2 Datenerhebung Dieses Teilkapitel stellt die einzelnen Phasen der Datenerhebung chronologisch dar - Vorbereitungs-, Entwicklungs- und Durchführungsphase - und endet mit der Zusammenstellung der erhobenen Daten. Vorbereitungsphase Der Hauptstudie ging eine Vorstudie voraus, in der a) geklärt werden sollte, inwiefern die Erhebung von Schreibprozessdaten mittels des kollaborativen Schreibens realisierbar ist und die b) dazu dienen sollte, mögliche Erhebungs‐ 117 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="118"?> 4 Diese Schreibaufgabe ist angelehnt an eine Schreibaufgabe aus den DELF-Prüfungen. Darin sollten sich die Schreibenden im Rahmen eines fiktiven Schüleraustauschs in einer Mail vorstellen. 5 Das sog. Oberstufengymnasium setzt ab der Einführungsphase, ab Klasse 11 bzw. 10 (bei G8), ein und ermöglicht insb. Schülerinnen und Schülern aus integrierten Gesamtschulen das Abitur. 6 Es überwiegt die Herkunftssprache Deutsch. Ein Schüler gibt Afghanisch, eine Schü‐ lerin Polnisch als Herkunftssprache an. Die Anzahl der Lernjahre der Fremdsprache instrumente und -bedingungen zu eruieren. Für diese erste Datenerhebung konnten zwei 15-jährige Jugendliche gewonnen werden, die außerhalb der Schulzeit gemeinsam eine Schreibaufgabe 4 in einer vorgegebenen Zeit bearbei‐ teten. Die Auswertung dieser Daten ermöglichte zwei Erkenntnisse: Erstens konnte bestätigt werden, dass durch das gemeinsame Bearbeiten der vorgege‐ benen Schreibaufgabe unmittelbare Einblicke in den Schreibprozess gegeben werden, da sich die Schreibenden austauschen und absprechen. Zweitens ist es den beiden Jugendlichen gelungen, gemeinsam einen Text zu schreiben. Die Vorstudie konnte so die zugrundeliegende Annahme der Arbeit bestätigen, wonach sich das kollaborative Schreiben zur Erhebung von Schreibprozessdaten grundsätzlich eignet. Nach der Vorstudie wurden im nächsten Schritt die Probandinnen und Pro‐ banden für die Hauptstudie ausgewählt. Dafür wurde auf bestehende Kontakte zu Schulen und Lehrpersonen zurückgegriffen, in dem Bestreben, einen mög‐ lichst realitätsnahen Datenausschnitt zu erfassen. Darüber hinaus bestimmten auch pragmatische Kriterien - wie organisationspraktische Gründe bzgl. Daten‐ schutz, Kontakt zur und Bereitschaft der Lehrperson - die Entscheidungen bei der Datenerhebung. Die Wahl fiel auf eine 11. Klasse eines Oberstufengymna‐ siums 5 in einer kleineren, deutschen Großstadt. Die 11. Klasse kann insofern als typisch betrachtet werden, als Schülerinnen und Schüler das Fach Französisch überwiegend bis zur 11. Klasse besuchen und anschließend häufig abwählen (s. Kap. 2.1.1.). Demnach handelt es sich bei dem bis dahin erreichten Sprachniveau um einen Lernstand, der realistischer- und typischerweise erlangt wird. Die für die vorliegende Studie ausgewählte Klasse besteht aus 21 Schüle‐ rinnen und Schülern. Schlussendlich liegen für diese Studie von 16 Schülerinnen und Schülern vollständige Datensätze vor (s. auch Tabelle 03). Die Probandinnen und Probanden sind zwischen 15 und 17 Jahre alt und befinden sich am Übergang zum Abitur. Dadurch, dass es sich um ein Oberstufengymnasium han‐ delt, sind heterogene Ausgangsbedingungen bzgl. schulischer Vorerfahrungen, sprachlicher und kultureller Hintergründe anzunehmen, was sich in den Fra‐ gebögen bestätigt. 6 Trotz des sehr kleinen Datensatzes, der aus einer Klasse 118 3 Empirische Untersuchung <?page no="119"?> Französisch variiert zwischen 4-6, für Englisch zwischen 7-10 und Spanisch von 0-1 Jahren. 7 Dieser Schritt stellt insb. im Kontext von Unterrichtsforschung ein wesentliches Quali‐ tätskriterium qualitativen Forschens dar (vgl. Eckerth 2003: 280). Dabei geht es vor allem darum, sich als Forschende einen ersten Eindruck zu verschaffen, um abschätzen zu können, ob das angedachte Projekt in diesem konkreten Kontext realisierbar ist. Für die Beziehung des Forschenden zu seinem Gegenstand und den Forschungsobjekten setzt dies wiederum - sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der Datenauswertung - bestimmte Umgangsformen und Vorgehensweisen voraus, wie bspw. die Einhaltung forschungsethischer Standards bzgl. Datenschutz, Transparenz, Freiwilligkeit, Anony‐ mität (vgl. Viebrock 2015) sowie bezogen auf die Datenauswertung die kommunikative Validierung der Interpretationen in Gruppen von Forschenden (s. auch Kap. 3.1.5. und 3.2.4.). eines Oberstufengymnasiums besteht, wird ein relativ breites Spektrum an sprachlichen Vorerfahrungen u. a. abgedeckt. Nachdem das datenschutzrechtliche Verfahren geklärt wurde, konnte das Einverständnis der Probandinnen und Probanden sowie der Lehrperson, Schul‐ leitung und des zuständigen Kultusministeriums eingeholt werden. Daraufhin erfolgte das Kennenlernen und Vertrautmachen mit dem Untersuchungsfeld durch Hospitationen sowie Gespräche mit der Lehrperson. Es diente auch dazu, die Passung und Eingebundenheit des Forschungsprojekts in die Unterrichts‐ reihe zu gewährleisten, um damit wiederum möglichst natürliche Daten zu erhalten (vgl. Eckerth 2003: 287 f.; s. Kap. 3.1.1.). 7 Auswahl und Entwicklung der Erhebungsinstrumente Das für diese Studie gewählte Setting ist neben den schulischen Rahmenbedin‐ gungen maßgeblich geprägt durch die Auswahl der Erhebungsinstrumente sowie die Art ihres Einsatzes. Es werden folgende Erhebungsinstrumente eingesetzt: 1. Schreibaufgabe 2. Fragebogen I und II Während bei der Schreibaufgabe die hier primär interessierenden Schreibpro‐ zessdaten erhoben werden, dienen die standardisierten Fragebögen, die vor (I) und nach der Erhebung ( II ) eingesetzt wurden i. S. flankierender Daten dazu, Metadaten zu den Schülerinnen und Schülern zu erfassen. Dazu gehören neben Alter, Geschlecht, Herkunftssprache und gelernten Sprachen in Lernjahren insb. Vorerfahrungen und Einstellungen zum (kollaborativen) Schreiben und Partner‐ arbeit sowie die Erfahrungen, die sie in der vorliegenden Studie gemacht haben. Die Fragebögen wurden mehrfach pilotiert und überarbeitet, so dass sie auch vom zeitlichen Umfang her (ca. 15 Min.) adäquat umzusetzen waren (s. Anhang 2). 119 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="120"?> 8 Vgl. hierzu auch den Sammelband zu Aufgaben allgemein von Thonhauser (2008) sowie bzgl. Schreibaufgaben Bachmann / Becker-Mrotzek (2010), Frentz (2008) und Schmölzer-Eibinger (2015). 9 Die Beschreibung eines Ortes (Stadt, Sehenswürdigkeit, Region etc.) wird im Franzö‐ sischunterricht erfahrungsgemäß häufig umgesetzt, es handelt sich um eine typische Lehrbuchaufgabe auf dem Niveau A2-B1 (vgl. z. B. Landesinstitut für Schulentwicklung BaWü 2016 Anhang V und VI). Um dem Anspruch gerecht zu werden, möglichst realitätsnahe Daten zu erheben, sollte bei der Entwicklung der Schreibaufgabe zunächst eine Einbin‐ dung in den Unterricht erfolgen. Die Aufgabe wurde nach Absprachen mit der Lehrperson und der Sichtung der Bildungsdokumente thematisch und curri‐ cular in den Unterrichtskontext zum Thema deutsch-französische Beziehungen eingebettet. Nach der ersten Vorstudie wurde die Schreibaufgabe zudem in einer anderen 11. Klasse eingesetzt und anschließend geringfügig überarbeitet. Inhaltlich sollte bei der Schreibaufgabe die persönliche Erfahrung der Schüle‐ rinnen und Schüler im Vordergrund stehen und nicht, wie in den überwiegenden Fällen der fremdsprachlichen Schreibforschung, ein grammatisches Phänomen (s. Kap. 2.1.1.). Entsprechend wurde eine offene Aufgabenstellung gewählt, die das Erleben der Schülerinnen und Schüler erfragt und ihnen eine kreative Ausgestaltung und damit auch Entscheidungsspielraum lässt (vgl. Leuders 2014: 38). 8 Dabei wurde sichergestellt, dass es sich um einen Aufgabentyp handelt, der den Schülerinnen und Schülern vertraut ist. 9 Es wurde eine Schreibaufgabe entwickelt, die thematisch in die Unterrichtseinheit eingebunden ist und den Schülerinnen und Schülern dennoch Freiraum gibt: die Beschreibung eines Ortes ihrer Wahl in Deutschland bzw. in Frankreich (s. Anhang 1). Andererseits sollte die Schreibaufgabe gewährleisten, dass der Schreibpro‐ zess inkl. seiner verschiedenen Phasen erfasst wird. Dafür wurde, angelehnt an das Schreibprozessmodell von Flower / Hayes (1981), eine Aufgabe mit dreitei‐ liger Struktur entwickelt. Auf diese Weise wurde der komplexe Schreibprozess in seine einzelnen Teilschritte - insb. die Phasen Planen, Formulieren und Überarbeiten - zerlegt, um sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler all diese Phasen auch durchlaufen (s. auch Kap. 2.1.2.). Die den Schülerinnen und Schülern vorgelegte Schreibaufgabe war wie folgt aufgebaut: Zunächst sollte die Dyade Orte auf einer Landkarte markieren, die sie interessiert (Phase: Einstimmung und Vorbereitung). Anschließend sollten sie sich auf einen Ort einigen und dazu Stichworte sammeln (Phase: Planen). Im nächsten Schritt wurde eine möglichst präzise und detaillierte Beschreibung des ausgewählten Ortes (Phase: Formulieren) in mind. 120 Wörtern verlangt. Anschließend wurde die Dyade aufgefordert ihren Text mithilfe einer Checkliste 120 3 Empirische Untersuchung <?page no="121"?> 10 Die Form des Laut-Lesens wurde gewählt, da angenommen wird, dass durch das laute Lesen die Bewusstheit erhöht und dadurch ggf. Unstimmigkeiten und Fehler aufgedeckt werden, i. S. von Languaging. 11 Zum einen ist diese Entscheidung dadurch begründet, dass derartige komparative Studien darauf ausgelegt sind, zu untersuchen welche Texte ‚besser‘ i. S. von zielspra‐ chenkonformer sind und darum geht es in der vorliegenden Studie nicht. Zum anderen war durch das derart umgesetzte Erhebungsverfahren im Gegensatz zum kollabora‐ tiven beim individuellen Schreiben kein vergleichbarer Einblick in den individuellen Schreibprozess gegeben, weshalb ein Vergleich von individuellen und kollaborativen Schreibprozessen nicht möglich ist. Ein Vergleich wäre durch Laut-Denk-Daten, die beim individuellen Schreiben erhoben werden könnten, denkbar. 12 Eine kritische Reflexion bzgl. der Schreibaufgabe findet sich in Kap. 3.1.5. laut zu lesen 10 und auf formale Korrektheit und inhaltliche Verständlichkeit hin zu prüfen und ggf. zu korrigieren (Phase: Überarbeiten). Der abschließende Arbeitsschritt bestand darin, eine Überschrift für den Text zu finden. Da ursprünglich eine komparative Auswertung der individuellen vs. kollabo‐ rativen Schreibprozessdaten angedacht war und die Klasse aus aufnahmetechni‐ schen Gründen ohnehin zweigeteilt werden sollte, wurde eine doppelte Bearbei‐ tung der Schreibaufgabe geplant und umgesetzt. Alle Schülerinnen und Schüler bearbeiteten die Schreibaufgabe sowohl individuell als auch kollaborativ. Um die Vergleichbarkeit der Schreibprozesse zu gewährleisten, sollte die Aufgabe möglichst ähnlich sein, ohne dabei jedoch einen zu starken Wiederholungseffekt zu produzieren. Aus diesem Grund wurden zwei geringfügig unterschiedliche Varianten der Schreibaufgabe eingesetzt: Eine Schreibaufgabe bezieht sich auf einen Ort in Frankreich, die andere auf einen Ort in Deutschland. Schlussendlich wurden die individuellen Schreibdaten nicht ausgewertet, da der Fokus nicht auf einem Vergleich der Schreibform individuell vs. kollaborativ liegen sollte. Statt‐ dessen erfolgt hier eine Konzentration auf die Handlungen der Schülerinnen und Schüler beim kollaborativen Schreiben, weshalb vorliegend ausschließlich die kollaborativen Schreibhandlungen interessieren und in die Analyse einbezogen wurden. 11 Aufgrund dieser Spezifizierung des Erkenntnisinteresses ergibt sich der Einsatz von zwei Aufgaben-Varianten, die inhaltlich (Ort in Frankreich oder Deutschland) geringfügige Unterschiede aufweisen. Dieser bedingt einen Wiederholungseffekt insofern, als die Schülerinnen und Schüler beim zweiten Erhebungszeitpunkt bereits individuell eine sehr ähnliche Aufgabe wie beim ersten Erhebungszeitpunkt bearbeitet haben, auf die sie ggf. zurückgreifen. 12 Damit wurde eine Schreibaufgabe eingesetzt, die inhaltlich offengehalten ist und Ausgestaltungsmöglichkeiten zulässt. Gleichzeitig sollte sie an die Gewohn‐ heiten der Schülerinnen und Schüler angepasst und dabei zeitlich sowie vom Ablauf her vorgegeben sein, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen. 121 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="122"?> 13 Storch betont, dass das Vertrautsein mit dieser Schreibform die Umsetzung des kolla‐ borativen Schreibens beeinflusst (vgl. dies. 2013: 166). Aus dieser ersten kollaborativen Übung resultierten kurze Texte, in denen die Schülerinnen und Schüler dyadisch in Form eines Akrostichons die Frage Pourquoi écrivez vous? beantworten sollten (s. auch einführendes Zitat in Kap. 1., S. 12). Durchführung der Erhebung Die Datenerhebung fand im Frühjahr 2015 im regulären Französischunterricht statt und hatte folgenden Ablauf: Auf die erste Kontaktaufnahme folgten Hospitationen sowie ein erstes Kennenlernen, bei dem die Schülerinnen und Schüler über das Forschungsprojekt informiert wurden, sie die Arbeitsform des kollaborativen Schreibens ausprobieren konnten 13 und Fragebogen und Einverständniserklärung ausfüllten. Die eigentliche Datenerhebung erfolgte in einer Doppelstunde an zwei Erhebungsterminen (s. auch Kap. 3.1.5.). Dabei wurde die Klasse zweigeteilt. Während der eine Teil der Klasse mit der Lehrperson verblieb und die Aufgabe individuell bearbeitete, war die Forscherin bei dem Teil der Klasse anwesend, der die Aufgabe zu zweit bearbeitete. Fortan werden nur diejenigen Daten berück‐ sichtigt, die in die vorliegende Untersuchung einbezogen wurden. Nachfolgend zur Übersicht folgende Ablauftabelle. Datum Thema Erhobene Daten 11 / 2014- 01 / 2015 Hospitationen - Beobachtung und Notizen - Gespräche mit der Lehrperson 26. 02. 2015 Einführung in das Forschungsprojekt - Audioaufnahmen: Kurztext zu Pourquoi écrivez vous? - Fragebogen I - Einverständniserklärung 12. 03. 2015 Erhebung 01 (5 Dyaden) - Audioaufnahmen: Schreibaufgabe - Fragebogen II - Beobachtung und Notizen 15. 04. 2015 Erhebung 02 (3 Dyaden) - Audioaufnahmen: Schreibaufgabe - Fragebogen II - Beobachtung und Notizen Tab. 02: Ablauf Erhebung Die Zusammenstellung der Paare erfolgte spontan zu Beginn der Erhebung und war den Schülerinnen und Schülern freigestellt, da davon ausgegangen werden kann, dass die Beteiligung in einer selbstgewählten Paarkonstellation 122 3 Empirische Untersuchung <?page no="123"?> 14 Allerdings ist hierbei zu bedenken, dass sich ‚Freiwilligkeit‘ innerhalb der gegebenen Umstände in einem engen institutionellen Rahmen bewegt. Die Schülerinnen und Schüler sollen spontan entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten möchten. Diese Entscheidung ist sicherlich davon geprägt, wer zufällig nebeneinandersitzt, wer so‐ wieso befreundet ist, wer übrig bleibt etc. 15 Siehe hierzu auch Kap. 3.1.5. am höchsten ist (s. auch Kap. 2.1.3.3.). 14 Für die Bearbeitung der Schreibaufgabe standen ca. 60 Minuten zur Verfügung. Der Ablauf der Aufgabenbearbeitung wurde durch die Ansage der Zeit und den angekündigten Wechsel zu den jeweiligen Teilaufgaben durch die Forscherin strukturiert. Die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler wurden durch ein Audioaufnahmegerät aufge‐ zeichnet, welches sich auf dem Tisch einer jeden Dyade befand. Die Tische waren möglichst weit voneinander entfernt im Raum angeordnet, um Störge‐ räusch zu minimieren und eine gewisse Aufnahmequalität zu gewährleisten. Die Forscherin war anwesend, beantwortete - abgesehen von Unklarheiten bzgl. der Aufgabenstellung und des Ablaufs - allerdings keine Fragen. Das einzige Hilfsmittel, das zur Verfügung stand, war ein analoges deutsch-französisches bzw. französisch-französisches Wörterbuch. 15 Erhobenes Datenmaterial Ausgehend von einer Schreibaufgabe, die theoriegeleitet und möglichst kon‐ textsensitiv entwickelt wurde, konnten durch eine kollaborative Bearbeitung in selbstgewählten Dyaden mittels Aufnahmegeräten Audiodaten gewonnen werden, die Einblicke in dyadische Schreibprozesse geben. Es handelt sich dabei um eine (schreib-)„handlungsbegleitende Kommunikation“ (Deppermann 2008: 62) oder sog. Schreibgespräche, die im regulären Französischunterricht entstanden sind. Die Datengrundlage der vorliegenden Studie besteht aus einem Klassensatz. 16 Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse eines Oberstufengymnasiums haben die Schreibaufgabe (s. Anhang 1) in Dyaden bearbeitet, ihr Einverständnis gegeben und einen vollständigen Datensatz vorgelegt (N=16; 8 Dyaden). Somit besteht der Datensatz aus acht Audioaufnahmen, die während der Be‐ arbeitung der Schreibaufgabe zu zwei unterschiedlichen Erhebungszeitpunkten entstanden sind (Länge: ca. 60 Min.) sowie den kollaborativ verfassten Texten, die dabei geschrieben wurden. Ergänzt werden diese Audio- und Textdaten durch Metadaten, die mittels Fragebögen erhoben wurden (s. Anhang 2). 123 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="124"?> 16 In der gesprächsanalytischen Forschung werden sowohl die Begriffe Konversationsals auch Gesprächsanalyse verwendet, z. T. synonym. In Anlehnung an Deppermann (2008) wird hier der Begriff Gesprächsanalyse favorisiert. Das seiner Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Gesprächsanalyse legt Deppermann (2008) ausführlich ab S. 49 dar. Datentyp Menge Beschreibung Audiodaten 8 Audioaufnahmen der Schreibgespräche à ca. 60 Mi‐ nuten Textdaten 8 Bearbeitungen der Schreibaufgabe (kollaborativ ver‐ fasste Texte) Metadaten 16 Fragebogen I und II Tab. 03: Erhobene Daten 3.1.3 Wahl der Analysemethode Teachers and researchers cannot read learners’ minds, so they must infer what learners know by observing what they do. (Lightbown / Spada 2013: 41) Zwar können wir nicht in die Köpfe der Schülerinnen und Schüler schauen, um Erklärungen für ihre Handlungen zu erhalten, aber wir können sehr wohl einen Großteil ihrer Handlungen beobachten und daraus Rückschlüsse auf kognitive Prozesse ziehen (vgl. z. B. Gardner 2013: 607). Materialisiert - und somit ‚öffentlich‘ und damit auch analysierbar - werden ihre Handlungen in der vor‐ liegenden Untersuchung durch das kollaborative Schreiben, im Schreibgespräch sowie im Text. Es soll nun darum gehen, aus diesem Datenmaterial heraus die Handlungen der Schülerinnen und Schüler zu rekonstruieren. Untersuchungs‐ gegenstand sind auf die Fremdsprache bezogene Problemlösepraktiken von Schülerinnen und Schülern beim kollaborativen Schreiben. Im Fokus stehen ihre Handlungen, die sie in einer konkreten Situation unter den gegebenen Bedingungen durchführen. Es soll nachvollzogen werden, was für sie - bezogen auf Problemlösesequenzen - relevant ist und welches Funktionspotential mit ihren Handlungen einhergeht. Ein Analyseverfahren, das sich für das vorliegende Erkenntnisinteresse und die vorliegenden Rahmenbedingungen anbietet, ist das gesprächsanalytische Vorgehen nach Deppermann (2008). 16 Es handelt sich dabei um ein Untersu‐ chungsverfahren, das sich auf Gesprächsdaten stützt. Es wurde für die Linguistik 124 3 Empirische Untersuchung <?page no="125"?> 17 Gesprächsanalytische Untersuchungsverfahren allgemein werden neben der Linguistik insb. in der Soziologie und darüber hinaus auch in der fremdsprachendidaktischen Forschung eingesetzt (z. B. Gardner 2013; Lenhard 2016; Schwab 2009). 18 Dies wird auch mit der sog. Display-These beschrieben (vgl. Schegloff 1997). 19 Diese Forderung betrifft auch die Forschungsfrage, was widersprüchlich ist, da diese i. d. R. theoretische Vorannahmen beinhaltet. Gleichzeitig betont Deppermann (2008) auch, dass es notwendig sei, eine Forschungsfrage zu stellen, um damit das Untersu‐ chungsinteresse zu kanalisieren und um damit den Analyseprozess überhaupt bewäl‐ tigen zu können. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, dessen Auflösung, so entwickelt und dort vorrangig angewandt. Das Verfahren ist aber gleichzeitig auch transdisziplinär ausgerichtet. 17 Die Gesprächsanalyse, so wie sie in den 1960er Jahren von Sacks et al. (1974) erarbeitet und u. a. von Deppermann (2008) für linguistische Untersuchungen weiterentwickelt wurde, fragt danach, wie Menschen miteinander Gespräche führen: Sie untersucht, nach welchen Prinzipien und mit welchen sprachlichen und anderen kommunikativen Ressourcen Menschen ihren Austausch gestalten und dabei die Wirklichkeit, in der sie leben, herstellen. (ebd.: 9) Sie basiert auf der Annahme, dass Sinn und Ordnung im Gespräch durch die Beteiligten sichtbar hergestellt 18 und damit zugänglich werden; eben diese „Prin‐ zipien der Organisation und Sinnbildung in Gesprächen [gilt es] zu entdecken“ (ebd.: 19). Dabei kommt ihrer sequentiellen Organisation insofern Bedeutung zu, als sie den Gesprächsprozess bedingt und damit Erklärungsansätze liefert. Eine Äußerung ist immer in Bezug zu dem vorher Geäußerten zu setzen und dokumentiert das Verständnis dessen. Gleichzeitig schafft sie vorwärtsgerichtet einen neuen Kontext, verbunden mit entsprechenden Erwartungen; sie steht demnach in einem „doppelten zeitlichen Horizont“ (ebd.: 49). Indem Hand‐ lungen in ihrem zeitlichen Verlauf beobachtet werden, können diese erstens beschrieben (welche Form haben sie? ) und zweitens ihre Funktion rekonstruiert werden (wozu dienen sie? ). Somit ist Gesprächsanalyse interessiert an Form und Funktion und insb. deren Zusammenhang. Davon ausgehend sollen schließlich Muster und Gesprächspraktiken aufgedeckt werden. Als materialgestütztes Verfahren basiert die Gesprächsanalyse auf empirischen, möglichst ‚authen‐ tischen‘ (i. S. von nicht speziell für Forschungszwecke hergestellten) Daten. Charakteristisch ist dabei ein „radikales Empirieverständnis‟ (Deppermann 2008: 10 f. herv. i. O.), welches ein materialgestütztes Vorgehen erfordert. Die Erkennt‐ nisse sollen lückenlos aus den Daten heraus generiert, während des gesamten Forschungsprozesses soll Offenheit bewahrt werden. 19 Es wird versucht, die 125 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="126"?> Deppermann, möglich ist, wenn man die zunehmende Konkretisierung bzw. Verände‐ rung der Forschungsfrage als Teil des Forschungsresultates versteht (ebd.: 19 f.). 20 Allerdings diskutiert Deppermann (2008) kritisch, inwiefern welcher Kontext einzube‐ ziehen ist. Er spricht von einem ‚Wissensparadox‘ (ebd.: 84 ff.). jeweiligen Handlungen der Beteiligten in dem gegebenen Kontext zu verstehen, ihre Handlungen zu beschreiben und danach zu fragen, wozu sie eingesetzt werden können. Deppermann spricht diesbzgl. auch von Funktionspotentialen und meint damit die Leistungen und Gefahren, die Handlungen für bestimmte Zwecke haben können (ebd.: 81 ff.). Ziel der Gesprächsanalyse ist es: [über die Beschreibung von Einzelfällen hinaus] zu einer fallübergreifenden, systema‐ tischen Typologie und zu abstrakteren, allgemeinen Aussagen über Gesprächsprak‐ tiken zu gelangen. Zu zeigen ist hier, daß unterschiedliche Ereignisse in gleicher Weise organisiert sind und nach welchen Prinzipien und unter welchen Bedingungen Varianten entstehen. (Deppermann 2008: 108) Für die fremdsprachendidaktische Forschung ist diese Methode insofern beson‐ ders interessant, als sowohl die sprachliche als auch die soziale Ebene bearbeitet werden, was erwarten lässt, dass Erkenntnisse produziert werden, die zwar die sprachliche Ebene betonen, aber gleichzeitig über das rein Sprachliche hinaus reichen und somit der Komplexität des Gegenstands Fremdsprachenunterricht Rechnung tragen. Zudem hat die Sprache in ihrer Doppelfunktion als „Lern‐ gegenstand und Verständigungsmittel“ (Solmecke 2006: 72) eine besondere Be‐ deutung und lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen analysieren (Metasprache, Zielsprache, Erstsprache, Lernersprache), was mit der ausgewählten Methode berücksichtigt werden kann. Zu beachten ist hierbei auch, dass die Sprachhand‐ lungen oft gleichzeitig Schreibhandlungen bzw. schreibbegleitende Äußerungen sind und damit auch Einblicke in Schreibprozesse erwarten lassen. Die Wahl eines gesprächsanalytischen Vorgehens liegt überdies im Da‐ tentyp (fremdsprachenunterrichtliches Schreibgespräch) und im Analysefokus begründet. Es handelt sich um (schreib)handlungsbegleitende Gesprächsdaten zwischen zwei Personen, was eine gesprächsanalytische Betrachtung nahelegt. Die sequenzielle Analyse, wie sie für die Gesprächsanalyse konstitutiv ist, ermöglicht zudem die Erhaltung und Hervorhebung des Prozesscharakters und lässt darüber hinaus erwarten, dass der dreiteilige Problemlöseprozess dabei ebenfalls sichtbar und analysierbar wird (s. Kap. 3.2.). Zudem wird durch die Berücksichtigung der interaktiven Komponente die sozialen Ebene einbezogen und somit ein wesentliches Element des kollaborativen Schreibens miterfasst. Auch wird in der Gesprächsanalyse der Kontext berücksichtigt, 20 ein Umstand, der gerade für den schulunterrichtlichen Rahmen ein zentrales Erklärungsmo‐ 126 3 Empirische Untersuchung <?page no="127"?> 21 Sowohl Breidenstein als auch Gardner sprechen sich für den Einsatz gesprächsanaly‐ tischer Verfahren für Studien im unterrichtlichen Kontext aus, da diese erstens eine detaillierte Beschreibung der Handlungen der Schülerinnen und Schüler ermöglichen (Gardner 2013: 609) und sich zweitens besonders dafür eignen, die sozialen Beziehungen im Klassenraum zu erfassen (Breidenstein 2008b: 961). 22 Je nachdem ob ein Phänomen auf der Mikro- oder Makroebene angesiedelt ist, werden nach Deppermann (2008) unterschiedliche Bearbeitungsschritte relevant. So erlaubt beispielsweise die Beschränkung auf ein bestimmtes Phänomen in Form von Mikro‐ analysen einen detaillierten Einblick und ermöglicht, - bzw. legt sogar dringend nahe -, nicht das gesamte Datenmaterial auszuwerten, sondern sich auf die für die Forschungsfrage besonders relevanten Sequenzen zu konzentrieren (vgl. ebd. Kap. 2.1.). ment darstellt. 21 Die Gesprächsanalyse ermöglicht somit einen umfassenden Blick auf die Daten, der je nach Erkenntnisinteresse ausgeschärft werden kann. Demnach ist die Gesprächsanalyse gleichzeitig flexibel, anpassbar an die jeweilige Studie und deshalb auch in unterschiedlichen Disziplinen einsetzbar. Forschungspraktisch spricht für den Einsatz der Gesprächsanalyse das vor‐ strukturierte, mehrschrittige Analysevorgehen, das je nach Erkenntnisinteresse variiert bzw. angepasst werden kann. 22 Deppermann versteht die Analyse als „kreative Tätigkeit‟ und bietet - nach dem Prinzip eines „Werkzeugkasten[s]‟ (ders. 2008: 9, 18 herv. i. O.), - unterschiedliche Arbeitsschritte an, die er mit konkreten Operationalisierungsmöglichkeiten direkt anwendbar macht. Er schlägt, sortiert nach Analysegesichtspunkten, eine Reihe von Untersuchungs‐ fragen vor, mittels derer die Analyse durchgeführt werden kann. Dadurch wird die Vorgehensweise in sehr konkrete Arbeitsschritte untergliedert, was den Forschungsprozess vorstrukturiert und die Vergleichbarkeit zwischen Studien erhöht. Innerhalb der Deppermann’schen Gesprächsanalyse kann die vorliegende Studie wie folgt eingeordnet werden. Es handelt sich in erster Linie um eine funktionale Analyse auf mikroskopischer Ebene, denn es wird danach gefragt, welche Funktion die von den Schülerinnen und Schülern realisierten Problem‐ lösepraktiken haben können und welche Ressourcen sie dabei einsetzen (vgl. ebd.: 16). Etwas anders als für linguistische oder soziologische Fragestellungen gelagert ist das Erkenntnisinteresse dieser fremdsprachendidaktischen Arbeit: Es soll weniger darum gehen, grundlegende linguistische Ordnungsprinzipien aufzuzeigen, sondern vielmehr darum, das Funktionspotential eines Phänomens mit seinen zahlreichen Faktoren und Implikationen für das kollaborative fremd‐ sprachliche Schreiben zu untersuchen. Dafür scheint die Gesprächsanalyse nach Deppermann eine geeignete Grundlage zu sein und ein adäquates Repertoire an Werkzeugen zur Verfügung zu stellen. 127 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="128"?> 23 Mayring selbst problematisiert den Begriff, da dieser zu sehr den Inhalt betone. Er schätzt die Bezeichnung „kategoriengeleitete Textanalyse“ (2015: 13) als treffender ein. 24 Eine Anwendung für den fremdsprachlichen Kontext entwickeln bspw. Bonnet (2012) und Tesch (2016, 2019). Als mögliche alternative materialgestützte Analyseverfahren können bei‐ spielsweise die Grounded Theory (Glaser / Strauss 1980), die Qualitative Inhalts‐ analyse nach Mayring (2015) oder auch die Dokumentarische Methode nach Bohnsack (2013) in Betracht gezogen werden. Die Grounded Theory bietet sich insb. dafür an, in einem weitgehend unerforschten Forschungsfeld erste Zusam‐ menhänge und Hypothesen aus dem Material heraus zu entwickeln. Sie zielt auf Theorieentwicklung ab und zeichnet sich durch Flexibilität und Offenheit aus. Dabei handelt es sich weniger um eine konkrete Methode als vielmehr um ein Forschungsparadigma, das mit konkreten Analysestrategien (wie das Kodieren, Einsetzen von Erinnerungshilfen, Fallvergleich u. a.) verbunden ist. Die Qualitative Inhaltsanalyse 23 nach Mayring (2015) ist ein qualitativ-quan‐ titatives Mischverfahren der empirischen Sozialforschung, das in erster Linie dafür entwickelt wurde, größere Textdatenmengen wie Interviewtranskripte, Protokolle oder offene Antworten in Fragebögen systematisch zu analysieren. Im Zentrum der Analyse, die mittels eines Ablaufmodells unter Beachtung einzelner Arbeitsschritte erfolgt, stehen Kategorien, mithilfe derer bestimmte Aspekt aus den Daten herausgearbeitet und ggf. eingeschätzt werden sollen. Dabei werden quantitative Arbeitsschritte (z. B. Frequenzanalyse) mit quali‐ tativ-interpretativen Auswertungsschritten verbunden. Im Vordergrund stehen die im Material manifesten Themen und Inhalte, die im Hinblick auf Hypothe‐ senfindung und Theoriebildung ausgewertet werden sollen und weniger die Interaktionsprozesse oder sequentielle Gesprächsprozesse. Die maßgeblich von Bohnsack (2013) entwickelte Dokumentarische Methode, die im deutschsprachigen Raum vor allem in der qualitativ-empirischen Bil‐ dungs- und Sozialforschung und in den letzten Jahren auch verstärkt in der fremdsprachendidaktischen Forschung angewandt wird (vgl. Gerlach / Tesch 2020: 1) eignet sich besonders für Gruppendiskussionen, narrative Interviews sowie Bild- und Videointerpretationen. 24 Schwerpunkt dieser Methode ist, anhand wenig vorstrukturierter Daten, die Relevanzsysteme der Erforschten zu analysieren und dabei ihre sozial geteilten Orientierungen, die sich im Gespräch manifestieren und ihr Handeln bestimmen, zu rekonstruieren und dabei Regelmäßigkeiten und Muster aufzudecken. Sie geht davon aus, dass Äußerungen neben der wortwörtlichen Bedeutung weitere Sinnschichten bein‐ halten. Diese sollen mit zwei Interpretationsschritten (der formulierenden und 128 3 Empirische Untersuchung <?page no="129"?> reflektierenden Interpretation) freigelegt werden und können schließlich in einer Typenbildung münden. Zwar weisen die benannten Methoden Aspekte auf, die für die vorliegende Studie gewinnbringend sein könnten und sich z. T. auch mit denen der Ge‐ sprächsanalyse überlagern (z. B. Relevanzsysteme, vorstrukturierte Vorgehens‐ weise, Typenbildung). Da in der vorliegenden Studie jedoch die Handlungen der Schülerinnen und Schüler in ihrer sequenziellen Struktur beschrieben, erklärt und auf ihr Funktionspotential in Bezug auf das fremdsprachliche Lehren und Lernen hin eingeschätzt werden, ist ein linguistisch geprägtes, gesprächsanalytisches Vorgehen als am meisten geeignet anzusehen. Sowohl der Datentyp als auch das Erkenntnisinteresse mit einem relativ engen Fokus auf die Problemlösepraktiken der Schülerinnen und Schüler lässt sich gut mit diesem Vorgehen vereinbaren. 3.1.4 Analysevorgehen In diesem Kapitel wird das Analysevorgehen, wie es in der vorliegenden Studie durchgeführt wurde, dargelegt. Es richtet sich maßgeblich nach Deppermann (2008) - weshalb auch die von ihm verwendeten Termini verwendet werden - und besteht aus folgenden Analyseschritten: Aufbereitung des Datenmaterials, Transkription, detaillierte Sequenzanalyse, Ableitung der Gesprächspraktik, fallübergreifende Analysen, Typenbildung. Es folgt eine Erläuterung der ein‐ zelnen Schritte und von deren konkreten Umsetzungen im Rahmen dieser Studie. Aufbereitung des Datenmaterials Als grundlegenden ersten Analyseschritt benennt Deppermann die Aufberei‐ tung des Datenmaterials. Diesen untergliedert er in die Erstellung von Ge‐ sprächsinventaren sowie die Näherbestimmung des Untersuchungszieles und die Selektion von Analyseausschnitten: Die sog. Gesprächsinventare sind eine erste verschriftlichte, grobe Darstellung der Audioaufnahme, die mittels eines vorstrukturierten Formblatts tabellarisch erfolgt. Ziel dieses ersten Schrittes ist es, einen Überblick über die Daten zu erhalten, erste Auffälligkeiten systema‐ tisch zu erfassen und sich dadurch dem interessierenden Phänomen anzunähern (vgl. Deppermann 2008 Kap. 4). Ausgehend von dieser Inventarisierung kann die Bearbeitbarkeit der For‐ schungsfrage (möglichst in Arbeitsgruppen) eingeschätzt, geprüft und ggf. modifiziert bzw. präzisiert und das zu untersuchende Datenmaterial sukzessiv eingegrenzt werden (vgl. Deppermann 2008: 35 f.). Die Auswahl erster Ge‐ 129 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="130"?> 25 Für den vorliegenden Datensatz ist der Beginn der Aufnahme insofern interessant, als sich darin die anfängliche allgemeine Unsicherheit der Schülerinnen und Schüler mit der Erhebungssituation zeigt, die sich im weiteren Verlauf der Bearbeitung legt, gar fast in Vergessenheit zu geraten scheint. Vorliegend steht jedoch die Bearbeitung einer konkreten Schreibaufgabe im Fokus und die Handlungen, die die Schülerinnen und Schüler dabei vollziehen. Deshalb eignen sich hierfür die Initialpassagen weniger, stattdessen werden diejenigen Sequenzen relevant, in denen sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit der Fremdsprache auseinandersetzen, so wie dies bei Problemlö‐ sesequenzen angenommen wird. sprächspassagen, die in diesem Analysestadium nicht unbedingt abgeschlossen ist, kann nach folgenden Faustregeln durchgeführt werden: Die Gesprächspas‐ sagen sollten erstens in direktem Zusammenhang mit den grundlegenden For‐ schungsfragen stehen und zudem Fälle sein, die sehr klar oder auffällig scheinen. Zweitens sollten sie in sich abgeschlossene Einheiten bilden, deren Beginn und Ende erkennbar markiert ist. Drittens eignen sich Initialpassagen für den Analysebeginn besonders, da diese oftmals sehr informativ sind. 25 Viertens sind Entscheidungen über Auslassungen von Gesprächsabschnitten, die durchaus sinnvoll sein können, umsichtig zu prüfen. Anhand dieser ersten Auswahl von Gesprächspassagen kann die Analyse beginnen und das Erkenntnisinteresse konkretisiert werden. Je nach Erkenntnisinteresse kann auch eine Kollektion aller vorhandener Sequenzen angelegt werden. Dies ist insb. dann sinnvoll, wenn eine Typenbildung angestrebt oder alle Vorkommen eines Phänomens in den Daten erfasst werden sollen, birgt jedoch die Gefahr, voreilig Kategorien festzulegen, die nicht aus detaillierten Materialanalysen entwickelt wurden (vgl. Deppermann 2008: 36 ff.). Konkrete Umsetzung in der vorliegenden Studie: Auf die Erstellung der Gesprächsanalyse erfolgte die Auswahl der zu analysierenden Sequenzen, so wie von Deppermann vorgeschlagen: Es wurden Passagen gewählt, die das primäre Forschungsinteresse betreffen. Da dieses auf Problemlösesequenzen gerichtet ist, wurde eine Arbeitsdefinition (s. Kap. 2.3.4.) eingesetzt, um die betreffenden Sequenzen möglichst eindeutig und nachvollziehbar identifizieren zu können. Dieses Vorgehen widerspricht i. S. der Offenheitsforderung einem leitenden Prinzip der Gesprächsanalyse, da diese Arbeitsdefinition aus der Theorie heraus entwickelt und folglich stark davon geprägt ist. Gleichzeitig wurde sie im Wechselspiel mit den Daten erarbeitet und stellt konkrete Kriterien zur Verfügung, die die Auswahl der Sequenzen vergleichbar macht. Damit ist die Vorgehensweise transparent und kriteriengeleitet, aber eben auch klar von einem theoretischen Konstrukt beeinflusst. Um einen Überblick über das Phänomen und dessen Bandbreite innerhalb des gegebenen Klassensatzes zu erhalten, wurde eine Kollektion aller fremdspra‐ 130 3 Empirische Untersuchung <?page no="131"?> 26 Dies ermöglicht eine gute Kenntnis des gesamten Materials. Allerdings geht dies auch mit einer Datenfülle einher, deren Bewältigung forschungspraktisch eine Herausforde‐ rung darstellen kann (vgl. auch Aguado 2019: 70). 27 Hier sowie in allen zitierten Transkriptausschnitten wird bewusst Kleinschreibung verwendet, da Großschreibung in den hier angewandten Transkriptionskonventionen (GAT 2) verwendet wird, um Betonung zu markieren (s. Transkriptionskonventi‐ onen S. 162). chenbezogenen Problemlösesequenzen erstellt. 26 Für die Auswahl der Problem‐ lösesequenzen - eine Problemlösesequenz entspricht einem Fall - wurde das ‚problembehaftete‘ Element, das von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet wurde, zugrunde gelegt. Es handelt sich um Sequenzen, in denen einzelne Wörter, aber auch Ausdrücke und sprachliche Phänomene bearbeitet werden. Bei der Begrenzung der Sequenzen wurden Markierungen wie Pausen, The‐ menwechsel oder metasprachliche Überleitungen berücksichtigt. Benannt und klassifiziert wurden diese Sequenzen nach dem ‚problembehafteten‘ Element in der Sprache, in der es die Schülerinnen und Schüler selbst thematisieren. So wird das zu bearbeitende Element und die damit verbundenen Fragen bereits sichtbar, z. B. die Problemlösesequenz verkehr  27 (französische Entsprechung gesucht) oder la / le boulangerie (passendes Genus gesucht). Teilweise ergeben sich aus einem ursprünglich lexikalischen Problem weitere damit verbundene Probleme, z. B. orthografische. Diese wurden der ursprünglichen Sequenz zugeordnet und erweitern diese, da sie mit ihr im Zusammenhang stehen. Wurde ein Problem zu einem späteren Zeitpunkt erneut bearbeitet, folglich wieder aufgegriffen, wurden die Passagen dazwischen nicht mitanalysiert, da eine Wiederaufnahme z. T. zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt erfolgt und zwischenzeitlich ganz andere Themen bearbeitet worden sind. Die auf diese Weise erfassten Problemlösesequenzen wurden pro Dyade ta‐ bellarisch dokumentiert, um einen Überblick zu erhalten, mögliche Zusammen‐ hänge und Auffälligkeiten festzustellen und davon ausgehend eine begründete Auswahl für die folgenden detaillierten Sequenzanalysen treffen zu können: die Grundlage für die spätere Typenbildung. Transkription Mit der Transkription erfolgt eine mediale Übertragung von mündlichen zu schriftlichen Daten, die auch ethische Prinzipien berücksichtigt. In dieser Phase der Verschriftlichung der Audiodokumente entscheidet sich, welche Passagen wie (fein) transkribiert werden. Diese Entscheidung richtet sich maßgeblich nach dem 131 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="132"?> 28 In der Zeilenschreibweise beginnt jede Äußerung mit einer neuen Zeile, wohingegen in der von HIAT (halbinterpretative Arbeitstranskription) verwendeten Partiturschreib‐ weise die Gleichzeitigkeit der Gesprächsbeiträge, wie bei Musiknoten, dargestellt wird (vgl. Selting 2001: 1060 f.). 29 Hierbei handelt es sich um ein Produkt der Firma VERBI, das computergestützt vorgeht und für qualitative Daten- und Textanalysen eingesetzt werden kann (s. https: / / www. maxqda.de/ was-ist-maxqda Zugriff: 20. 08. 2020). Erkenntnisinteresse und der angewandten Analysemethode. In der gesprächs‐ analytischen Tradition hat sich die sog. Zeilenschreibweise 28 durchgesetzt. Konkrete Umsetzung in der vorliegenden Studie: In diesem Arbeitsschritt wird grundlegend Deppermann gefolgt. Da aber die im Fokus stehenden Problemlösesequenzen häufig lang sind und z. T. an anderer Stelle erneut aufgegriffen werden, erschien es angebracht, das gesamte Gespräch zu transkri‐ bieren und somit den jeweiligen Kontext zu erhalten und nicht, wie Depper‐ mann (2008: 36 f.) vorschlägt, nur diejenigen Sequenzen zu transkribieren, die anschließend auch ausgewertet werden. Als Transkriptionssystem wurde das gesprächsanalytische Transkriptionssystem GAT 2 gewählt (Selting et al. 2009). Die Realisierung eines sog. Minimaltranskripts - ergänzt um die Markierung von Intonation und Tonhöhenbewegung - erschien ausreichend, da die Hand‐ lungen der Schülerinnen und Schüler im Fokus stehen und keine linguistische Fragestellung bearbeitet wird, die bspw. intonatorische Feinheiten erforderlich gemacht hätte. Vielmehr wurde zugunsten der Lesbarkeit entschieden. Ent‐ sprechend wurden z. B. Fragen durch Fragezeichen markiert, wenn aus dem Kontext erkennbar wird, dass es sich um eine Frage handelt, auch wenn die Intonation nicht unbedingt steigt (s. Transkriptionskonventionen S. 162). Die Transkription erfolgte in und mit der Software MAXQDA 29 , was den Vorteil brachte, dass Audiodokument und Transkription verknüpft bleiben und somit gezielt vergleichend, zwischen den Medien wechselnd, vorgegangen werden kann. Außerdem kann auf diese Weise die Transkription mit wenig Aufwand im Nachhinein modifiziert oder auch verfeinert werden. Detaillierte Sequenzanalyse Der Arbeitsschritt der detaillierten Sequenzanalyse beinhaltet eine intensive Auseinandersetzung mit den ausgewählten Gesprächssegmenten auf Grundlage der Audioaufnahme und des Transkripts. Deppermann betont, dass insb. zu Beginn der Analyse auf beide Datenträger zurückgegriffen werden sollte, da eine Transkription bereits eine erste Interpretation des Audiodokuments darstellt. Diese Auseinandersetzung erfolgt systematisch mithilfe von kon‐ kreten Fragen, die nach folgenden Analysegesichtspunkten geordnet sind: 132 3 Empirische Untersuchung <?page no="133"?> 30 Deppermann (2008: 36) betont die Bedeutung des Austauschs mit anderen Forschenden insb. in der Phase der Überprüfung und Präzisierung der Forschungsfrage. 31 Hierzu merkt Deppermann an, dass Äußerungen oftmals mehrere Handlungen dar‐ stellen können und erläutert dies an folgendem Beispiel: Die Aussage „Du hast mich Paraphrase und Handlungsbeschreibung, Äußerungsgestaltung und Formulie‐ rungsdynamik, Timing, Kontextanalyse, Folgeerwartungen, interaktive Konse‐ quenzen, Sequenzmuster und Makroprozesse (vgl. Deppermann 2008: 53 f.; s. auch folgende Ausführungen). Deppermann empfiehlt, die Analyse mit mög‐ lichst prototypischen Gesprächssequenzen zu beginnen und dabei zunächst alle Fragen an die zu analysierende Sequenz zu stellen. Auf diese Weise werden diese Fragen gewissermaßen erprobt und der Interpretationsraum möglichst lange für potentielle Entdeckungen und mögliche Zugänge zu den Daten offenge‐ halten. Erst nachdem die Forschungsfrage zugespitzt und mit den in den Daten vorhandenen Phänomen abgeglichen wurde, erfolgt eine Einschränkung der Analysefragen. Ziel dieser detaillierten Sequenzanalysen ist es, Interpretationen und Hypothesen zu entwickeln, wovon ausgehend in einem nächsten Schritt Gesprächspraktiken herausgearbeitet werden (vgl. ebd.: 54, 79). Konkrete Umsetzung in der vorliegenden Studie: Ausgehend von wenigen, als prototypisch eingeschätzten Problemlösesequenzen wurden im Arbeitsschritt der detaillierten Sequenzanalyse zunächst sämtliche Analysefragen in Form eines Fließtextes beantwortet und nach den jeweiligen Analysegesichtspunkten strukturiert. Abschließend wurden die dabei aufgedeckten Charakteristika stichpunktartig aufgeführt. Ergänzend zu der individuell durchgeführten Ana‐ lyse wurden einige dieser umfassenden Analysen in Interpretationswerkstätten anderen Forschenden vorgestellt, gemeinsam diskutiert und damit kommuni‐ kativ kollegial validiert. 30 Im Laufe der Analysen und der fortschreitenden Konkretisierung der For‐ schungsfrage haben sich folgende Analysefragen als aufschlussreich erwiesen. Sie werden im Folgenden dem jeweiligen Analysebereich zugeordnet und kurz erläutert, welche Art der Information in den vorliegenden Daten damit zugänglich werden kann: Aus dem Analysebereich I Paraphrasierung & Handlungsbeschreibung können mit folgenden Fragen erste Informationen über die sprachliche Handlung gewonnen werden (Deppermann 2008: 56): - „Wozu dienen die Äußerungen der Gesprächsteilnehmer? ‟ - „Welche Art von sprachlicher Handlung wird vollzogen? ‟ - „Mit welchen Aufgaben oder Anforderungen befassen sich die Interak‐ tanten? ‟ 31 133 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="134"?> zuerst beleidigt“ kann eine Behauptung aber gleichermaßen einen Gegenvorwurf oder eine Rechtfertigung darstellen. Deshalb produziere insb. dieser erste Analyseschritt nur vorläufige Erkenntnisse, die zur Orientierung dienen und dem sich eingehendere Analysen anschließen müssen (vgl. ebd.: 55). Aus dem Analysebereich II Äußerungsgestaltung werden unterschiedliche Merkmale von Äußerungen erfasst und ins Verhältnis gesetzt (z. B. Lautstärke und Wortwahl). Bezüglich der Formulierungsdynamik können mittels folgender Frage Hinweise auf Unsicherheit oder Suchprozesse gewonnen werden: - „Ist der Beitrag durch Stockungen, Wiederholungen, Formulierungspro‐ bleme, Selbst-Korrekturen o. ä. gekennzeichnet? ‟ Diese Frage ist in dieser Studie insofern von Interesse, als Unsicherheit und Suchprozesse, die sich darin ausdrücken können, als Indikator für die Phase der Problemfeststellung angesehen werden können und zudem charakteristisch für die fremdsprachliche Sprachproduktion sind. Aus der Untersuchung des Analysebereichs III Timing werden mit folgenden Fragen Informationen sichtbar, die Hinweise auf die Beziehung der Interak‐ tanten (hierarchisch, gleichberechtigt) geben (Deppermann 2008: 62): - „Nach welchen Prinzipien wird der Sprecherwechsel organisiert? ‟ - „Wer spricht wann? Wer folgt auf wen? ‟ - „Gibt es Passagen, in denen parallel gesprochen wird? Werden sie als problematisch oder als bestätigend behandelt? ‟ Im Analysebereich IV Kontextanalyse lässt die Frage nach den vorliegenden Kontextannahmen der Schülerinnen und Schüler darauf schließen, welche Kontexte zugrunde gelegt werden und wie diese ggf. verhandelt werden. Sie können damit auch als Erklärungen für evtl. entstehende Missverständnisse dienen (vgl. ebd.: 67). In dem Analysebereich V Folgeerwartung wird untersucht, wie die Interak‐ tanten aufeinander reagieren und nach Informationen gesucht, die Rückschlüsse über ihre Beziehung zulassen könnten. Dieser Analysebereich überlagert sich insofern mit dem darauffolgenden, da er auf die Reaktionen aufeinander und die damit verbundenen Erwartungen abzielt. Dabei wird erfasst, ob sie aufeinander eingehen und welcher Art die gewählten Folgen sind (präferiert, dispräferiert oder ignorierend). Als präferierte wird eine Folge beschrieben, wenn die ge‐ schaffenen Erwartungen eingelöst werden (Frage → entsprechende Antwort). Als dispräferiert wird eine Folge dann bezeichnet, wenn die Erwartung nicht eingelöst aber angezeigt wird, dass diese Erwartung bekannt ist (Frage → erklä‐ rende Antwort dafür, dass diese nicht beantwortet werden kann). Ignorierend ist 134 3 Empirische Untersuchung <?page no="135"?> eine Folge, wenn die Erwartung nicht eingelöst und auch nicht angezeigt wird, dass diese Erwartung bekannt oder berücksichtigt wird (Frage →Reaktion, die keine Antwort auf die Frage darstellt) (vgl. ebd.: 70). Der zentrale Analysebereich VI umfasst die sog. interaktiven Konsequenzen. Sie sind erstens sehr umfangreich und stellen zweitens ein Prüfkriterium für die Interpretation der Handlungen dar. Sie geben Auskunft über die Beziehung der Interaktanten zueinander und können damit zur Charakterisierung ihrer Interaktion herangezogen werden (ebd.: 74 f.): - „Wie reagieren folgende Sprecher auf vorangegangene Beiträge? ‟ - „(Wie) berücksichtigen Interaktanten Partneräußerungen? ‟ - „Akzeptieren Folgesprecher vorangegangene Beiträge? Stimmen sie dem Vorangegangenen zu? Initiieren sie eine Korrektur des vorangegangenen Beitrags oder nehmen sie selbst eine vor? ‟ - „Welcher Art sind die Resultate von Aushandlungsprozessen? Werden sie fixiert, oder bleiben sie implizit? ‟ Der Analysebereich VII Sequenzmuster & Makroprozesse befindet sich im Ver‐ gleich zu den vorhergehenden Analysebereichen auf einer anderen Ebene, da die Aktivitäten bereits nach übergreifenden Mustern durchsucht werden. Da es vorliegend um die mikroskopische Betrachtung des Phänomens Problemlösen geht, sind hier die Fragen bzgl. der Sequenzmuster bedeutsam (ebd. 78): - „Mit welchen Teilaktivitäten wird eine Interaktionsaufgabe bearbeitet, was tragen sie zur Aufgabenbewältigung bei? Bilden sie ein Sequenzmuster, aus welchen Positionen besteht es, und wie hängen diese zusammen? ‟ - „Von wem werden die einzelnen Positionen realisiert? Welche Beteiligungs‐ rechte und -pflichten haben die Gesprächsteilnehmer? Wer initiiert Aktivi‐ tätskomplexe? Wer bestimmt, welche Schritte zu vollziehen sind und ob Abweichungen stattfinden (können)? Werden Aktivitätsphasen einseitig oder kooperativ (etwa durch Ratifikation) getragen? ‟ Zusätzlich zu der Beantwortung dieser Analysefragen in Form eines Fließtextes wurden die zentralen Informationen zu den Sequenzen tabellarisch erfasst, um einen Überblick zu erhalten. Dafür wurde die Kollektion der Problemlöse‐ sequenzen erweitert und nach folgenden vier Ebenen strukturiert: 1. Problemtyp: Was ist der Ausgangspunkt für die Problemlösesequenz? (z. B. Lexik, Orthografie) 2. Bearbeitung: Welche Mittel und Ressourcen werden eingesetzt (z. B. Wör‐ terbuch, Sprachvergleich)? Wie gehen sie dabei vor (kollaborativ, arbeits‐ teilig, allein)? 135 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="136"?> 32 Da in der vorliegenden Studie Problemlöseprozesse den Analysefokus bilden, wird von Problemlösepraktiken gesprochen. Gemeint sind damit aus Gesprächen rekonstruierte Praktiken, die sich auf ein fremdsprachliches Problem beziehen. 3. Lösung: Welche Art der Lösung wurde erreicht (anvisierte, modifizierte, zielsprachenkonforme)? 4. Ergebnis: Wozu hat die Bearbeitung geführt? (z. B. Genus klären, Präposi‐ tion wählen) Diese Vorgehensweise soll mit dem folgenden Beispiel einer Sequenz veran‐ schaulicht werden. Die Interaktanten der Dyade 04 versuchen den Ausdruck die sonne scheint ins Französische zu übertragen, aber sind sich der Lexik unsicher. Sie probieren aus, wie der Ausdruck lauten könnte, fragen nach und setzen das Wörterbuch ein. Dabei gehen sie aufgabenteilig vor. Die von ihnen erreichte Lösung entspricht der von ihnen anvisierten und ist zudem zielsprachenkonform: sie erarbeiten den Ausdruck le soleil brille. 1. Problemtyp 2. Bearbeitung 3. Lösung 4. Ergebnis Mittel Ressource Arbeits‐ weise Lexik unsicher Ausprobieren, Nachfragen, Wörterbuch unsicheres Wissen aufgaben‐ teilig anvisierte Lösung, zielsprachen‐ konform Lexik erarbeitet le soleil brille Tab. 04: Beispiel tabellarische Erfassung einer Problemlösesequenz Ableitung der Gesprächspraktik Ausgehend von den Ergebnissen aus den detaillierten Sequenzanalysen, die in Form von ersten Interpretationen oder Hypothesen formuliert sein können, geht es nun darum, Gesprächspraktiken zu identifizieren. 32 Eine Gesprächspraktik beinhaltet zwei Seiten, die eng miteinander verknüpft sind: eine „prozedurale ‚Wie‘-Seite und eine funktionale ‚Wozu‘-Seite“ (Deppermann 2008: 79). Sie enthält somit Informationen darüber, wie etwas realisiert wird (deskriptiv) und wozu diese Handlung dient (funktional). Entsprechend kann davon ihr Funktionspotential - welche Funktion kann diese Praktik erfüllen? - abgeleitet werden. Auch für diesen Analyseschritt entwickelt Deppermann Werkzeuge, mit denen die wesentlichen Merkmale der Gesprächspraktik erfasst werden können. Dabei umfasse die ‚Wie‘-Seite „[…] grundsätzlich alle Sachverhalte, die 136 3 Empirische Untersuchung <?page no="137"?> für ihre Identität, ihren Vollzug, ihre Interpretation und ihre Funktionsweise maßgeblich sind.‟ (ebd.: 80) und betreffe damit sowohl Aspekte der sequentiellen als auch der fallübergreifenden Analyse (s. folgende Ausführungen). Die Merk‐ male der ‚Wozu‘-Seite können mithilfe eines Fragenkatalogs erarbeitet und in Abgleich mit den interaktionalen Konsequenzen an den Daten geprüft werden (vgl. ebd.: 83 f.). Betrachtet man eine Gesprächssequenz als Lösung, so ergibt sich die Funktion der dort angewandten Gesprächspraktik aus den Problemen, die in dieser Sequenz gelöst bzw. bearbeitet wurden. Anders formuliert: die Funktion ergibt sich aus dem Anspruch heraus, das gegebene Problem zu lösen: Mit der Oberflächengestalt des Gesprächs haben wir also gewissermaßen eine Lösung vor uns, und die Frage ist, welche Probleme da gelöst - oder wenigstens bearbeitet - wurden. Ist dies geklärt, wäre auch verstanden, wozu die einzelnen Gesprächsprak‐ tiken eingesetzt werden. (ebd.: 80 f. herv. i. O.) Dies bedeutet auch, dass die bearbeiteten Probleme nicht unbedingt von den Interaktanten als solche wahrgenommen werden, da sie oftmals „routine‐ mäßg, mit eingespielten Praktiken gelöst werden.‟ (ebd.: 81). Aus der distanzierten Sicht von Forschenden aber können eben diese Probleme aufgedeckt, beschrieben und es kann ihre Funktion rekonstruiert werden. Es ist davon aus‐ zugehen, dass eine Gesprächspraktik nicht unbedingt nur eine Funktion erfüllt, sondern vielmehr ein Spektrum an möglichen Funktionen in unterschiedlichen Situationen abdecken kann, sie ein sog. Funktionspotential bereithält. Demnach können Praktiken „Leistungen für unterschiedliche Aufgaben und Zwecke erbringen“, bergen damit aber auch „Gefahren‟, da sie zu neuen Problemen führen können (Deppermann 2008: 81 herv. i. O.). Da sich Funktionen von Gesprächspraktiken sowohl aus vorhergehenden als auch aus zukünftigen Interaktionsbedingungen erklären, stellt der Analyseschritt der interaktiven Konsequenz eine wichtige Prüfinstanz dafür dar (ebd.: 82). Neben den konkreten Werkzeugen in Form von Fragekatalogen, mit denen das Analysevorgehen strukturiert wird, stellen der Einsatz von Hintergrund- und Kontextwissen sowie Variationsverfahren weitere zentrale Analyseres‐ sourcen dar. Auch hierfür entwickelt Deppermann jeweils Fragensammlungen bzw. Aspekte, die es bei der Analyse zu beachten gilt. Während der Einsatz von Hintergrundwissen in der Forschung z. T. als kritisch bzw. paradox be‐ trachtet wird, da Hintergrundwissen (er bezieht sich auf das Alltagswissen, ethnografisches und theoretisches Wissen) einerseits immer schon da und zudem unerlässlich ist, ist es doch auch immer zu hinterfragen (vgl. ebd. Kap. 6.4). In der Konsequenz fordert er maximale Offenheit bzgl. der Interpre‐ tationen (Entwicklung versch. Konzepte und Interpretationen) und schlägt vor, 137 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="138"?> 33 Siehe die analyseleitenden Fragen zu Hintergrund- und Kontextwissen (Deppermann 2008: 90). 34 Siehe den entsprechenden Fragenkatalog (Deppermann 2008: 93 f.). immer nur dasjenige Wissen einzusetzen, an dem sich die Interaktanten selbst orientieren. Deppermann (2008) konstatiert: Eine reflektierte Verbindung von vielfältigem Wissen mit der Haltung methodischer Fremdheit ist daher die unabdingbare Voraussetzung, um zu sensiblen, reichhaltigen und scharfsinnigen Ideen zu gelangen, die dann am Gesprächsmaterial auszuarbeiten und zu belegen sind. (ebd.: 89) 33 Im Sinne eines materialgestützten Verfahrens sind die entwickelten Interpreta‐ tionen und Hypothesen aus den Daten heraus erklärbar und damit lückenlos vereinbar, denn das Gesprächsgeschehen muss in eine „konsistente Ordnung gebracht“ (ebd.: 89) werden. Ein weiteres Werkzeug, um Interpretationen und Hypothesen zu prüfen und abzusichern, stellen sog. Variationsverfahren dar. Da konkret realisierte Handlungen immer eine Auswahl aus möglichen alternativen Handlungen sind, kann ihre Spezifik im Vergleich und im Kontrast mit diesen möglichen alter‐ nativen Handlungen herausgearbeitet werden. „Methodisch bedeutet dies, das Faktische mit dem Möglichen zu vergleichen“ (ebd.: 92). Es geht folglich darum, „bestimmte Merkmale zu variieren und nach den Konsequenzen dieser Variation zu fragen.‟ (ebd. herv. i. O.). Dies kann mit folgenden Techniken systematisch geprüft werden: Ersetzungs-, Weglass-, Ergänzungs- und Umstellproben u. a. 34 Konkrete Umsetzung in der vorliegenden Studie: Die Erarbeitung von Problemlösepraktiken erfolgte grundlegend nach den hier dargelegten Analy‐ seschritten. Ausgehend von detaillierten Sequenzanalysen prototypischer Fälle wurde die beobachtete Praktik zunächst benannt, in ihren wesentlichen Zügen das Wie und Wozu beschrieben sowie ihre Merkmale erfasst. Mittels Variati‐ onstechniken wurde ermittelt, welche möglichen Funktionen und Gefahren mit der jeweils realisierten Praktik einhergehen können. Hintergrund- und Kontextwissen wurden eingesetzt, sofern sich dies als relevant erwies. Fallübergreifende Analyse Nachdem erste Hypothesen und Interpretation zu Gesprächspraktiken an wenigen Gesprächsausschnitten entwickelt wurden, folgt die Prüfung und Ausarbeitung in fallübergreifenden Analysen, denn: 138 3 Empirische Untersuchung <?page no="139"?> Erst anhand von Kontrasten und Ähnlichkeiten mit anderen Aktivitäten können Konstitutiva und Funktionen von Gesprächspraktiken klar herausgearbeitet werden. (Deppermann 2008: 91) Hier kommt es darauf an, eine große Varianz des Phänomens zu erreichen, um aus den Kontrasten empirisch nachvollziehbare Gesprächspraktiken ableiten zu können. Dafür werden möglichst ähnliche und unterschiedliche Fälle auf verschiedenen Dimensionen anhand eines Tertium Comparationis miteinander verglichen. In dieser Arbeit wird der Falldefinition von Deppermann (2008) gefolgt: Ein Fall entspricht einer Gesprächssequenz. Mit Fallvergleich ist der Vergleich unterschiedlicher Gesprächssequenzen gemeint, die aus denselben und / oder unterschiedlichen Gesprächen entspringen können (ebd.: 94). Ziel der fallüber‐ greifenden Analysen ist es, einerseits das Gesprächsphänomen typologisch differenziert und in seinem jeweiligen Kontext verständlich zu machen („kon‐ textsensitive Lösung‟). Andererseits interessiert sich die Gesprächsanalyse für „kontextunabhängige Grundstrukturen‟. Der Fallvergleich wird von Depper‐ mann als „spiralförmiger Prozeß‟ (ebd.: 94 herv. i. O.) beschrieben, der folgende Untersuchungsschritte enthält, die so lange wiederholt werden, bis eine theo‐ retische Sättigung erreicht ist: 1. Gegenstandskonstitution, 2. Sampling, 3. Gegenstandsanalyse (vgl. ebd.: 92 ff.). Bei dem Analyseschritt der Gegenstandskonstitution wird von den Ergeb‐ nissen der detaillierten Sequenzanalysen ausgegangen. Die dort erarbeitete Gesprächspraktik und damit zusammenhängenden Hypothesen sollen mittels Fragen systematisch geprüft werden. In dem darauffolgenden zweiten Analy‐ seschritt des Samplings werden diejenigen Fälle im Datenmaterial gesucht, anhand derer diese Fragen geklärt werden können. Anschließend werden im dritten Analyseschritt der Gegenstandsanalyse die gewählten Vergleichsfälle nach dem Verfahren der detaillierten Sequenzanalyse untersucht, unter Berück‐ sichtigung der im ersten Schritt gestellten Fragen. Im dritten Analyseschritt kann sich ergeben, dass der Untersuchungsgegenstand neu definiert bzw. verändert werden muss. In diesem Fall muss erneut mit der detaillierten Sequenzanalyse begonnen werden, da sich so eine weite Sicht auf die Daten ergibt, die dann wiederum sukzessiv einzugrenzen ist. Die benannten Analyseschritte 1-3 werden nun so lange wiederholt, bis sich ein festes Muster herausbildet und damit eine theoretische Sättigung erreicht ist (vgl. ebd.: 96). Zur Analysevertiefung können folgende Strategien bei der fallübergreifenden Analyse angewandt werden, um Gesprächspraktiken herauszuarbeiten, die wiederum die Grundlage für eine Typenbildung sein können. Dazu gehört die Analyse von Kookkurenzen, die Beachtung der 139 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="140"?> Varianz von Komponenten und Formen, marginale Fälle und das Verhältnis zu benachbarten Praktiken, abweichende Fälle und Reparaturverfahren sowie strategische Nutzungen. Auf diese Weise wird das Vorkommen einer Praktik in unterschiedlichen Kontexten geprüft, um festzustellen, inwiefern sie von dem gegebenen Kontext abhängt. Zudem kann eine systematische Testung von denjenigen Hypothesen, die sich aus bisherigen Analysen ergeben haben, Aufschluss darüber geben, ob es sich um eine Praktik handelt (vgl. Deppermann 2008 Kap. 6.5). Konkrete Umsetzung in der vorliegenden Studie: Für die Auswahl der Fälle für die fallübergreifende Analyse wurde eine Kollektion von Problemlösese‐ quenzen erstellt. Die Analyse selbst wurde in Fließtext umgesetzt und die detaillierten Sequenzanalysen um diejenigen Fragen ergänzt, die für die Prüfung der Hypothesen über die Gesprächspraktik entwickelt wurden und mittels derer geklärt werden sollte, ob es sich bei dem jeweiligen Fall um eine bestimmte Praktik handelt oder nicht. Dabei wurden Fälle berücksichtigt, die minimale und maximale Kontraste zu der Praktik darstellen. Als Tertium Comparationis wurden Vergleichsmomente aus möglichst unterschiedlichen Ebenen eingesetzt (z. B. klare Rollenverteilung, ähnliches Problem, kollaboratives Formulieren). Dabei wurden auch die benannten Strategien für die fallübergreifende Analyse eingesetzt, insb. was die Fallauswahl angeht (Varianz von Komponenten und Formen sowie marginale Fälle und benachbarte Praktiken). Die Analyse wurde dann beendet, wenn sich in den fallübergreifenden Analysen keine neuen Erkenntnisse ergaben und angenommen werden konnte, dass das Wesen der Problemlösepraktik erfasst worden ist oder sämtliche Fälle des Datenmate‐ rials erfasst wurden. Darüber hinaus wurde in diesem Analyseschritt nach Forschungserkenntnissen aus anderen Studien gesucht, die die hier erarbeiteten Erkenntnisse stützen oder ergänzen und somit zur Vertiefung und Bestätigung beitragen konnten oder Anschlussmöglichkeiten eröffneten (vgl. Deppermann 2008: 90, 109). Typenbildung Zwar widmet Deppermann (2008) der Typenbildung kein separates Kapitel, führt jedoch an mehreren Stellen aus, dass die Typenbildung oftmals das Ziel eines gesprächsanalytischen Vorgehens sei (ebd.: 98, 108). Da in der vorliegenden Studie eine Typenbildung angestrebt wird, soll das hier realisierte Vorgehen in Anlehnung an Deppermann sowie Kelle / Kluge (2010) beschrieben werden. Konkrete Umsetzung in der vorliegenden Studie: Ausgehend von den Merk‐ malen der jeweiligen Praktiken, die sich in den fallübergreifenden Analysen herauskristallisiert haben, wurden die beobachteten Praktiken auf einer abs‐ 140 3 Empirische Untersuchung <?page no="141"?> 35 Weiterführende Reflexionen bzgl. des Analysevorgehens werden in Kap. 3.2.4. darge‐ legt. trakteren Ebene in ihrem Wesen als Typen zusammengefasst und beschrieben. In ihrer Gesamtheit stellen sie Varianten von Problemlösepraktiken dar und bilden damit eine Typologie von Problemlösepraktiken ab (vgl. Deppermann 2008: 98; Kelle / Kluge 2010: 85). Bei der Benennung der Typen wurde versucht die von den Schülerinnen und Schülern realisierten Handlungen und ihre dabei ausgeprägte Beziehung zu beschreiben. Sie sollte möglichst selbsterklärend und bildhaft sein (s. auch Kap. 3.2.4.). 3.1.5 Methodenkritischer Rückblick Nachdem die grundlegende Anlage der Studie (3.1.1.), das dabei realisierte Vorgehen bei der Datenerhebung (3.1.2.), die Analysemethode (3.1.3.) sowie das Analysevorgehen (3.1.4.) erläutert wurden, sollen nun die Einschränkungen, die mit diesen Entscheidungen einhergehen, in Form eines methodenkritischen Rückblicks ausgeführt werden. Hierbei sollen rückblickend Überlegungen an‐ gestellt werden, in Hinblick auf die Datenerhebung, den Einsatz des Mikrofons, die eingesetzte Schreibaufgabe, die Rolle der Forscherin, die Datenaufberei‐ tung sowie auf den hier zugrundeliegenden Datensatz. 35 Der Forschungspro‐ zess soll transparent dargestellt, Entscheidungen nachvollziehbar und somit hinterfragbar gemacht werden, um daraus auch Rückschlüsse für künftige Forschungsvorhaben ziehen zu können. Zugrunde liegen Gespräche, Rückmel‐ dungen und Diskussionen im Austausch mit anderen Forschenden sowie die forschungsbegleitenden Notizen der Forscherin. Datenerhebung Zunächst ist festzuhalten, dass sich das kollaborative Schreiben in der vor‐ liegenden Studie grundsätzlich als Methode der Datenerhebung eignet. Es werden umfassende und erstaunlich direkte Einblicke in den Schreibprozess ge‐ geben. Diese Schreibgesprächsdaten wirken (abgesehen vom Gesprächsbeginn) spontan und unverstellt. Sie weisen introspektive Qualitäten insofern auf, als umfassende Einblicke in die Handlungen, Wissensstände, Einstellungen etc. der Schülerinnen und Schüler gegeben werden, vereinzelt erinnern Sequenzen an 141 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="142"?> 36 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung Breidensteins, dass sich Part‐ nerarbeit „in gewisser Weise der Beobachtung [entziehe]‟, da eine weitere anwesende Person das Interaktionsgeschehen maßgeblich beeinflusse und sie deshalb „eigentlich keine zusätzliche Person [dulde]‟ (ders. 2006: 165). Mit dem kollaborativen Schreiben scheint eine Datenerhebungsmethode vorzuliegen, die einen direkten Einblick in diese Form der Partnerarbeit erlaubt. Laut-Denk-Daten. Diese Schreibgespräche stellen die zentrale Datengrundlage der vorliegenden Studie dar. 36 Das Forschungsvorhaben ging mit einer aufwändigen Datenerhebung einher, da die Studie ursprünglich anders - mit mehr Probandinnen und Probanden sowie das individuelle und kollaborative Schreiben vergleichend - ausgelegt war. Es wurden Daten in zwei Klassen in unterschiedlichen Bundesländern er‐ hoben. Dabei verfassten alle Teilnehmenden jeweils individuell und kollaborativ einen Text. Um eine Vergleichbarkeit der individuellen und kollaborativen Texte zu ermöglichen, wurde für die Datenerhebung eine ähnliche Schreibaufgabe eingesetzt, was einen Wiederholungseffekt bewirkte, da manche Schülerinnen und Schüler beim Schreiben ihres kollaborativen Textes auf die Erfahrungen des ersten zurückgreifen konnten; dies betrifft die Dyaden 06-08. Dies kann ein Teil der Erklärung dafür sein, dass die Dyade 07 ihre Bearbeitung in nur 32 Minuten umsetzte. Allerdings erwiesen sich die Bearbeitungen der Dyaden 06 und 08 nicht rascher als die der übrigen Dyaden. Eine weitere Folge war, dass manche kollaborativ über einen französischen und andere über einen deutschen Ort schrieben. Dies kann von den Schülerinnen und Schülern als unterschiedlich schwierig empfunden werden, da mehr oder weniger Ressourcen und Erfahrungen zur Verfügung stehen. Damit sind etwas ungleiche Erhebungsbedingungen verbunden, die bei der Analyse mitbedacht werden müssen. Da in dieser Studie schließlich nur der Schreibprozess beim Verfassen der kollaborativen Texte berücksichtigt wurde, wäre im Nachhinein betrachtet der Einsatz einer einzigen Schreibaufgabe und möglichst ein einziger Erhebungszeitpunkt (damit sich die Schülerinnen und Schüler nicht darüber austauschen) zu bevorzugen. Ein Aspekt, der in den Daten aus retrospektiver Sicht noch mehr hätte einbezogen werden können, ist die Frage der Beziehung in den Dyaden: Haben sie bereits zusammengearbeitet? Sind sie befreundet etc.? Aus den Daten wird zwar anhand der Gesprächsthemen und des Vertrautheitsgrades teilweise ersichtlich, ob und wie gut sie sich kennen. Eine explizite diesbzgl. Hintergrundinformation wäre an mancher Stelle hilfreich gewesen und hätte evtl. eindeutigere Aussagen zugelassen. Diese Informationsabfrage hätte ohne viel Aufwand in den Fragebogen integriert werden können. 142 3 Empirische Untersuchung <?page no="143"?> Schlussendlich wurden in dieser Arbeit nicht alle Daten ausgewertet, da sich das Erkenntnisinteresse erst im Laufe des Forschungsprozesses auf Problemlö‐ sepraktiken in kollaborativen Schreibgesprächen zugespitzt hat. Dies führte zum einen dazu, dass vielfältige und umfangreiche Daten mit viel Kontext vor‐ lagen, die es ermöglichten, in die Schüler-Schüler-Interaktion einzutauchen und ‚heiße Ohren‘ zu bekommen. Zum anderen erforderte dies, diese ‚Datenfülle‘ zu organisieren, daraus begründet auszuwählen und den Überblick zu behalten (vgl. z. B. Aguado 2019: 70). Eine Möglichkeit, Umfang und Ziel des Forschungs‐ projekts vorab einzuschätzen und auf seine Praktikabilität hin auszutesten, ist die Durchführung einer Vorstudie. Dies wurde hier zwar realisiert, allerdings außerhalb der Schule mit zwei Schülerinnen, weshalb nicht alle Kontextfaktoren einbezogen waren. Daraus leitet sich die Empfehlung ab, die Vorstudie möglichst bereits mit einer Schulklasse durchzuführen. In dem vorliegenden Projekt konnte die erste Erhebung, die nicht als Vorstudie geplant war, nachträglich als eine solche genutzt werden: Auf die Schwächen, die sich in der ersten Erhebung gezeigt haben, wurde in der zweiten Erhebung, die hier ausschließlich berücksichtigt wird, entsprechend reagiert. Einsatz des Mikrofons Eine Besonderheit der Erhebungssituation bestand im Einsatz des Mikrofons. Ausgehend von den Reaktionen kann darauf geschlossen werden, dass dieses die Schülerinnen und Schüler, insb. anfangs, verunsicherte. Teilweise flüsterten sie, räusperten sich, kicherten. Allerdings schien diese anfängliche Unsicherheit im Laufe der Bearbeitung in den Hintergrund zu rücken, das Mikrofon schien gar vergessen zu sein, was u. a. aus den sehr direkten Ansprachen untereinander herauszuhören ist: dicker das passt da nicht h IN (.) viel zu groß ( SG 05: 1230). Es wurde auch mit der Aufnahmesituation gespielt: Die Probandinnen und Probanden sprachen z. T. mit fast theatralischer Stimme Französisch, drei Mal wendeten sie sich explizit an die Zuhörerschaft. Einmal um ggü. der Forscherin kichernd zu bemängeln, dass kein Schmierpapier zur Verfügung stand ( SG 01: 1163). Ein andermal um beim auswert(en) bitte die schreckliche schreibweise von ben [zu] entschuldigen ( SG 02: 829) und ein drittes Mal um dem Partner die Verantwortung zuzuweisen ( SG 03: 1067). Der Einsatz des Mikrofons beeinflusst offensichtlich die Bearbeitungen, gleich‐ zeitig wirken die Aussagen und Handlungen der Schülerinnen und Schüler überwiegend direkt und ungefiltert. Insgesamt ist von einem geringen Effekt der Aufnahmesituation auf die Vorgehensweise der Teilnehmenden auszugehen. 143 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="144"?> 37 So wurde es von der Lehrperson in der Klassenhälfte, in der sie anwesend war, den Schülerinnen und Schülern ohne Rücksprache mit der Forscherin vorgeschlagen. Hier deutet sich einerseits die Offenheit der Aufgabe an und gleichzeitig zeigt sich, dass die Lehrperson, wenn sie Verantwortung übernimmt, ihre Rolle evtl. anders versteht als die Forscherin. Schreibaufgabe Von einem weitaus größeren Effekt auf die Bearbeitungsweise ist durch die Schreibaufgabe auszugehen, da sie den Impuls für sämtliche Handlungen gibt. Aus schreibdidaktischer Sicht kritisch zu bewerten ist in dieser Hinsicht zuvor‐ derst die Aufgabenstellung. Sie kann als problematisch eingeschätzt werden, da sie weder eine situative Einbettung - und damit auch keinen konkreten Adressaten - noch eine Zielsetzung enthält und der dabei entstehende Text nicht weiter bearbeitet oder in einer Form wertgeschätzt wird: Sie schreiben einen Text für das Forschungsprojekt relativ losgelöst vom normalen Unterrichtsge‐ schehen (vgl. Nieweler 2006: 210). Inhaltlich decken die von den Schülerinnen und Schülern verfassten Texte ein Spektrum ab, das von einer Beschreibung eines Ortes, wie sie von einem Reiseunternehmen formuliert sein könnte, 37 über eine intim persönliche Bezie‐ hung zu einem Ort hin zu einer schulbuchtypischen Beschreibung einer Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten reicht, wobei letztere eindeutig dominieren. Laut Aufgabenstellung erfordert die eingesetzte Schreibaufgabe einen persönlichen Bericht, in dem informiert, erzählt und angeregt (donner envie) werden soll. Damit ist ein Text zu erwarten, der im Präsens verfasst ist, der lokale Präposi‐ tionen und ggf. wertende Ausdrücke enthält. Rückblickend betrachtet könnte die Schreibaufgabe optimiert werden, indem sie um Situierung und Zielsetzung ergänzt würde (z. B. Bachmann / Be‐ cker-Mrotzek 2010; Becker-Mrotzek / Böttcher 2018). Dies könnte bspw. dadurch erfolgen, dass die Ortsbeschreibungen in einer Form publiziert oder mit einer französischen Partnerklasse ausgetauscht und mit dieser diskutiert würden. Relativierend kann ergänzt werden, dass die hier eingesetzte Aufgabenstellung mit Blick auf den Lehrplan typisch oder zumindest nicht ganz ungewohnt ist. Zudem erfolgten im Vorhinein Absprachen mit der Lehrperson sowie eine thematische Verortung der Aufgabe innerhalb der Unterrichtsreihe. Diese konnte allerdings nur grob erfolgen, da die Aufgabe für zwei Klassen in unterschiedlichen Bundesländern funktionieren sollte. Ziel war es, einen möglichst authentischen Einblick in die Bearbeitungs‐ weisen der Schülerinnen und Schüler zu erhalten. Fest steht, dass mit der hier realisierten Datenerhebung der Unterrichtsalltag beeinflusst wurde. Sind Rückschlüsse auf die anvisierten ‚natürlichen Handlungen‘ dennoch möglich? 144 3 Empirische Untersuchung <?page no="145"?> Die Schülerinnen und Schüler wurden im Rahmen ihrer regulären Unterrichts‐ stunde mit einer offenen und wenig definierten Aufgabenstellung konfrontiert. Sie konnten in Form eines kleinen Projekts eine Schreibform ausprobieren und dabei ihr Performanzspektrum zeigen. Vor dem Hintergrund, dass es hier darum geht, zu erfassen, wozu die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind und wie sie das kollaborative Schreiben angehen, kann die Frage, i. S. Deppermanns bejaht werden (s. S. 115). ‚Natürlicher‘ in Bezug auf den Unterrichtsalltag wären die Daten, wenn die Aufgabe von der Lehrkraft ausgewählt oder erstellt und eingesetzt würde. Zu bedenken ist hierbei jedoch, dass die Forscherin die Ver‐ antwortung und konkrete Ausgestaltung der Erhebung an die Lehrkraft abgeben und dabei auch auf den lebendigen Einblick in das Unterrichtsgeschehen und die Bearbeitung der Aufgabe verzichten würde. Grundsätzlich stellt sich in Bezug auf die Schreibaufgabe die Frage, ob sich eine Aufgabenstellung, die sich auf das persönliche Erleben bezieht, überhaupt für das kollaborative Schreiben eignet. Die vorliegende Aufgabenstellung setzt voraus, dass sich die Teilnehmenden auf einen Ort einigen, dies bedeutet evtl. bereits einen Kompromiss einzugehen, was von den Schülerinnen und Schülern im Fragebogen mehrfach als negativ bewertet wird. Auf die Frage, was schlecht funktioniert habe und warum, antwortet bspw. Lina im ersten Fragebogen: Sich darauf einigen, über was wir schreiben. Jeder wollte etwas anderes. Die Erfahrungen in diesem Projekt deuten darauf hin, dass sich Aufgabenstellungen mehr oder weniger für die Umsetzung des kollaborativen Schreibens eignen können. Während kreativ persönliche Texte eher dafür geeignet scheinen, individuell geschrieben zu werden, damit sich die Schreibenden auf sich kon‐ zentrieren können und der Schreibfluss weniger unterbrochen wird, können Texte, denen eine strukturierte Auseinandersetzung zugrunde liegt, wie z. B. Argumentationen, davon profitieren, wenn sich mehrere Personen beteiligen. Ob sich diese Annahme bestätigten lässt, müsste anhand von Schreibprozess- und Textanalysen eingehend untersucht werden. Nachdem die Schreibaufgabe an sich diskutiert wurde, sollen nun ihre Bear‐ beitungsmöglichkeiten kritisch bedacht werden. Die Teilnehmenden verfügen über folgende Ressourcen: Neben ihrem jeweiligen eigenen Wissen und dem der anderen Person steht ihnen als externes Hilfsmittel ein Wörterbuch zur Verfügung. Aus organisatorischen Gründen konnten allerdings nicht alle Schü‐ lerinnen und Schüler gleichermaßen über ein eigenes deutsch-französisches Wörterbuch verfügen. Dies führte dazu, dass sie sie zum Teil untereinander aus‐ liehen (verbunden mit Aufwand und Ablenkung) oder sie ein französisch-fran‐ zösisch Wörterbuch bekamen, was ihnen, den Beobachtungen und Reaktionen nach, keine große Hilfe zu sein schien. Daraus resultierten unterschiedliche Er‐ 145 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="146"?> hebungsbedingungen, was z. T. von den Schülerinnen und Schülern bemängelt wurde. Denkbar wäre hier, auch zur Beschleunigung der Bearbeitung - denn die Arbeit mit dem Wörterbuch erwies sich in einigen Dyaden als sehr langwierig - der Einsatz des Internets und darüber verfügbarer Wörterbücher oder entspre‐ chender Applikationen. Allerdings war der Einsatz von Mobiltelefonen in der betreffenden Schule verboten. Außerdem wäre dies evtl. damit einhergegangen, dass die Schülerinnen und Schüler weniger auf ihre eigenen Ressourcen und stattdessen auf Informationen aus dem Netz zurückgegriffen hätten, was zu ungleichen Bearbeitungsbedingungen hätte führen können. Deshalb wäre hier der Einsatz aktueller Wörterbücher für alle Dyaden wünschenswert. Auch angesichts der Tatsache, dass das Wörterbuch i. d. R. ein zugelassenes Hilfsmittel auch für Prüfungen ist und somit den Gepflogenheiten in der Schule entspricht. Idealerweise fände im Vorhinein eine Übung zur Nutzung der Wörterbücher statt oder wäre anderweitig gewährleistet, dass sie im Umgang damit geübt sind. In Bezug auf die vorliegenden Ressourcen ist ebenfalls die Situation zu bedenken, dass evtl. nur eine Person den für die Beschreibung ausgewählten Ort kennt. Denn dann sind die Rollen bereits prädestiniert: eine Person bringt sich inhaltlich ein, die andere kümmert sich um die sprachliche Seite. Daraus könnte sich ergeben, dass eine Person die Rolle Sprachexpertise übernimmt, nicht weil sie dies möchte oder besonders dafür geeignet ist, sondern weil sich die andere Person auf den Inhalt konzentriert. Diese Befürchtung kann empirisch etwas relativiert werden. In den Daten zeigt sich, dass selbst dann, wenn die Person den zu beschreibenden Ort nicht kennt, sie sich trotzdem mit inhaltlichen Beiträgen beteiligen kann (wie z. B. in Dyade 07). Dennoch bleibt festzuhalten, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen beider Personen die Bearbeitungsmöglichkeiten maßgeblich bestimmen. Bei der Bearbeitung des letzten Aufgabenteils, bei der eine Überarbeitung des Textes gefordert war, zeigten die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler, dass sie nicht gewohnt sind, laut zu lesen, was von der Lehrperson ebenfalls rückgemeldet wurde. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sie sich ge‐ nieren (vor dem Mikrofon und voreinander) oder aber sie diese Methode kritisch hinterfragen und Argumente dagegen anführen, wie dies in mehreren Dyaden während des Schreibgesprächs geschehen ist (z. B. Dyade 02 ggü. der Überarbeitungsmethode Fußnote 48, S. 157). Dem kann entgegnet werden, dass es zwar der eigene Text ist. Aber durch das kollaborative Schreiben ist es eben auch nicht nur der eigene Text, womit potentiell Distanz ermöglicht wird, insb. für die Person, die nicht geschrieben hat. Dies kann helfen Dinge zu sehen, die man allein aus der Innenperspektive nicht gesehen hätte. 146 3 Empirische Untersuchung <?page no="147"?> Diese Ausführungen zeigen, dass die Konzeption und der konkrete Einsatz der Schreibaufgabe ganzheitlich zu durchdenken sind und es dabei sowohl praktische als auch theoriegeleitete Aspekte zu berücksichtigen gilt. Rolle der Forscherin Sowohl die Konzeption der eingesetzten Schreibaufgabe als auch die Datener‐ hebung erfolgte durch die Forscherin. Dies ermöglichte ihr einen lebhaften Ein‐ blick in ihr Forschungsfeld einerseits. Andererseits beeinflusste die Forscherin mit ihrer Präsenz und Teilnahme an der Datenerhebung auch ihr Forschungsfeld und riskierte eine Beeinflussung der Daten, i. S. des Beobachterparadoxons. Diesbezüglich ist der Eindruck entstanden, dass die Schülerinnen und Schüler bereitwillig an der Studie teilgenommen und sich bemüht haben. Aber nicht nur: Ein Schüler hat die Teilnahme abgelehnt und die Dyade 03 hat sich trotz - oder gerade aufgrund der Zuhörerschaft? - viel mit sich selbst beschäftigt. Ein Ein‐ fluss durch die Konstellation Forscherin-Teilnehmende ist zwar festzustellen, scheint die Dyaden - so der Gesamteindruck - aber nicht außer Maßen dazu angehalten haben, sich anders als sonst zu verhalten. Zu bedenken ist auch, dass die Forscherin in dieser besonderen Konstellation auch die führende Funktion der Lehrkraft übernahm, weshalb sie je nach Situation reagieren und sich positionieren musste. Es wurde hier minimal ein‐ gegriffen: Fragen, die nicht die Aufgabenstellung betrafen, sondern sprachlicher Natur waren, wurden nicht beantwortet: Ziel war es, zu beobachten, was die Schülerinnen und Schüler mit der Aufgabe tun. Diese Erhebungssituation war kein Schulalltag, aber dadurch, dass die Erhebung im Rahmen einer Franzö‐ sischstunde und in Absprache mit der Lehrperson erfolgte, wurde versucht, möglichst nah an das typische Verhalten und Können der Schülerinnen und Schüler heranzukommen, trotz Anwesenheit der Forscherin. Datenaufbereitung Bezüglich der Datenaufbereitung erwies sich als problematisch, dass Stimmen und Handlungen nicht immer eindeutig zuzuordnen waren. Ersteres spielte insb. dann eine Rolle, wenn in einer Dyade zwei Schüler mit tiefen Stimmen vorkommen, wie in den Dyaden 02 und 05. Letzteres betrifft Handlungen wie das Nachschlagen im Wörterbuch, das Schreiben und Überarbeiten. Hier konnte zum Teil durch das Hinzuziehen der geschriebenen Texte und das Zuordnen der Handschrift aufgeklärt werden. Bei dem Arbeitsschritt der Transkription müssen diese Zuordnungen getroffen werden. Kann keine eindeutige Zuord‐ nung sichergestellt werden, hat dies Auswirkungen auf die Rekonstruktion. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und vermindert die Reliabilität der 147 3.1 Methodisch-methodologische Grundlagen <?page no="148"?> 38 Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen sind beim Einsatz von Videografie ungleich höher als bei Audioaufnahmen. Daten. Auch wenn versucht wurde, möglichst alle Daten im Blick zu haben (Aufnahme, Text und Transkript), konnten manche Zuordnungen nicht restlos aufgeklärt werden. Eine mögliche aber u. a. aus Datenschutzgründen derzeit je nach Bundesland aufwändige Lösung für künftige Projekte wäre der Einbezug von Videodaten. 38 Mithilfe dessen könnten eindeutige Zuordnungen gewähr‐ leistet werden. Sie würden allerdings das Datenvolumen nochmals erheblich vergrößern und weitere Koordinationsarbeit verlangen. Datensatz Wie bereits angesprochen sind die für diese Studie erhobenen Daten sehr umfangreich. Aus methodischer als auch forschungsökonomischer Sicht ist es notwendig, die Datenauswahl einzuschränken. Der Fokus wurde auf die Schreibgespräche gelegt. Die dabei entstandenen Texte sind nicht Untersu‐ chungsgegenstand und werden in diesem Rahmen nicht gesondert ausgewertet. Diese Entscheidung ist aus methodischer und forschungsökonomischer Sicht sinnvoll, aber dennoch bedauerlich, da ursprünglich angestrebt wurde sowohl Schreibprodukt als auch -prozess in die Studie einzubeziehen. Letztendlich wird hier, wie in den meisten anderen schreibdidaktischen Arbeiten auch, ‚nur‘ ein Bereich erfasst. Maßgeblich zurückzuführen ist dies auf die Komplexität der jeweiligen Gegenstände sowie die Kapazitäten, die in Einzelprojekten, wie dies bei Dissertationen überwiegend der Fall ist, nur begrenzt zur Verfügung stehen. Einschränkungen der vorliegenden Studie Aus den vorhergehenden Erläuterungen ergeben sich zusammenfassend be‐ trachtet folgende Einschränkungen. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine begrenzte Momentaufnahme, deren Daten auf einem Klassensatz basieren. Erkenntnisse, die davon ausgehend entwickelt werden, sind damit nur begrenzt generalisierbar. Hier sei jedoch auch angemerkt, dass sich die Qualität gesprächsanalytischer Studien nicht an einer hohen Fallzahl, sondern vielmehr an detaillierten Einzelfallanalysen messen lässt (vgl. Deppermann 2008: 28, 108 ff.). Im Fokus stehen die Handlungen von Schülerinnen und Schülern in Bezug auf Problemlöseprozesse in einem interaktiven Setting. Diese wurden anhand von ‚Praxisdaten‘ umfassend gesprächsanalytisch ausgewertet, ihre Handlungen wurden beschrieben, nach Erklärungen gesucht und sie wurden in Hinblick auf ihr Funktionspotential eingeschätzt. Damit wurden Handlungen und Prozesse in einem bestimmten Moment rekonstruiert. Über längerfristige 148 3 Empirische Untersuchung <?page no="149"?> Lerneffekte jedoch können keine Aussagen getroffen werden, da der weitere Verlauf nicht erfasst wurde, i. S. Gardners denn „ CA [Conversation Analysis] is an excellent methodology for describing action, but not learning“ (Gardner 2013: 607). Mit der vorliegenden Studie können folglich Aussagen darüber getroffen werden, was gemeinsam unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Damit ist der Analysefokus zwar auf ein komplexes und umfassendes aber - angesichts der Vielfalt interaktionaler Dimensionen - auf ein relativ begrenztes Phänomen beschränkt. Es wird nicht die gesamte Schreibinteraktion betrachtet, sondern ein theoretisch begründeter Ausschnitt intensiv beleuchtet. Zusammenfassend Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: Die Studie basiert auf umfangrei‐ chen, vielfältigen Daten, die an das natürliche Unterrichtsgeschehen angelehnt sind. Es handelt sich damit nicht um ‚natürliche Daten‘ im engen Sinne, sondern um solche, die dem nahekommen und die entsprechend ihres Entstehungs‐ kontextes zu behandeln sind. Sie wurden durch die Forscherin erhoben und damit auch beeinflusst (Beobachterparadoxon). Hinzu kommen praktisch-or‐ ganisatorische Einschränkungen in Bezug auf die Erhebungsbedingungen (ein‐ geschränkte Vergleichbarkeit). Der Einfluss der Forscherin zeigt sich auch hinsichtlich der Erhebungsinstrumente, wobei hier vor allem die eingesetzte Schreibaufgabe kritisch betrachtet wurde. Sie ist verbesserungswürdig, hat jedoch auch ihren Zweck erfüllt: Es wurden Schreibprozesse ausgelöst und vielfältige Bearbeitungsweisen angestoßen, die umfangreiches Analysematerial liefern. Die Analysen sind folglich in diesem Lichte zu betrachten. 3.2 Analyseergebnisse Dieses Kapitel präsentiert die empirischen Analyseergebnisse, die in der vorlie‐ genden Studie gewonnen werden konnten. Es beginnt mit allgemeinen Erkennt‐ nissen bzgl. der empirischen Datengrundlage (3.2.1.). Daraufhin werden einfüh‐ rend übergreifende Aspekte der Problemlösetypen erläutert (3.2.2.). Es folgen die Darstellungen der einzelnen Problemlösetypen, die anhand von exemplarischen Fallanalysen erläutert werden (3.2.2.1.-5.). In den anschließenden Teilkapiteln werden die Analyseergebnisse typübergreifend in ihren Zusammenhängen betrachtet. Dafür wird zunächst das Vorkommen der Problemlösetypen in Bezug auf die Dyaden untersucht (3.2.3.1.), bevor die Problemlösetypen vergleichend betrachtet (3.2.3.2.) und eingeschätzt (3.2.3.3.) werden. In Kapitel 3.2.4. wird das 149 3.2 Analyseergebnisse <?page no="150"?> 39 Zu der Datengrundlage der Studie s. Kap. 3.1.2. 40 Der Kategorie Grammatik werden Problemlösesequenzen zugeordnet, die Phänomene wie den passenden Genusangleich, Konjugation, Teilungsartikel, Relativpronomen, Possessivpronomen u. a. betreffen, wohlwissend, dass es sich dabei um eine wenig differenzierte Kategorisierung handelt. Dieses Vorgehen wird damit begründet, dass es in der vorliegenden Studie nicht um die Analysen einzelner linguistischer Kategorien geht, sondern vielmehr übergreifende interaktionale Phänomene im Fokus stehen. Analysevorgehen reflektiert. Die empirische Untersuchung endet mit einem zusammenfassenden Überblick (3.2.5.) 3.2.1 Empirische Datengrundlage Ziel dieses Kapitels ist es, die vorliegende empirische Datengrundlage vorzu‐ stellen. Dafür werden die in den Daten identifizierten fremdsprachlichen Problemlösesequenzen in ihrem Vorkommen beschrieben. Anschließend werden die Problemlöseprozesse, wie sie hier beobachtet wurden, nachvollzogen. Am Schluss werden die Arbeitsweisen der Dyaden charakterisiert. Vorkommen fremdsprachlicher Problemlösesequenzen Um das Spektrum des in der vorliegenden Studie untersuchten Phänomens des Problemlösens aufzuzeigen und ein grundsätzliches Verständnis davon zu er‐ möglichen, werden einführend allgemeine Erkenntnisse bzgl. der fremdsprach‐ lichen Problemlösesequenzen, wie sie anhand der Arbeitsdefinition in den Daten ermittelt wurden, zusammengetragen. Dafür sollen die Problemlösesequenzen auch quantitativ betrachtet werden, um die Datengrundlage der Fallanalysen möglichst transparent darzustellen und einen Eindruck von der Größenordnung und Verteilung des Phänomens in den vorliegenden Daten zu vermitteln. Diese Quantifizierungen haben allein einen illustrierenden Charakter. In den zugrunde liegenden, acht Schreibgesprächen 39 konnten 128 Problem‐ lösesequenzen identifiziert werden, die sich auf fremdsprachliche Aspekte beziehen. Davon wurden 46 Sequenzen für die detaillierten Fallanalysen her‐ angezogen. Als Fall wurde eine Problemlösesequenz, wie sie ausgehend von der Arbeitsdefinition ermittelt wurde, festgelegt. Ein Fall entspricht demnach einer Passage des Schreibgesprächs, in der die Schülerinnen und Schüler ein fremdsprachliches Problem bearbeiten und die ausgehend von der Arbeitsde‐ finition mittels bestimmter Kriterien als solche identifiziert werden (s. auch Kap. 2.3.4.). Das Vorkommen der Problemlösesequenzen in den jeweiligen Dyaden reicht von 10 bis 24 Sequenzen. Diese sind den Kategorien Lexik, Orthografie, Grammatik 40 und Syntax zuzuordnen. Dabei fällt auf, dass der Be‐ 150 3 Empirische Untersuchung <?page no="151"?> 41 Zugunsten der Übersichtlichkeit sind hier Sequenzen, in denen bspw. eine lexikalische Frage und anschließend eine orthografische Frage bearbeitet wird, nach dem auslö‐ senden Element (hier überwiegend Lexik) zugeordnet, was entsprechend dazu führt, dass die Anzahl der Lexik-Sequenzen proportional höher ist. reich Lexik überproportional häufig und in allen Schreibgesprächen mehrfach auftritt. Er nimmt mit 70 Vorkommen eine dominante Position ein. 41 Diese Präsenz spiegelt sich auch in den Selbstaussagen der Schülerinnen und Schüler wider, wonach sie im Fragebogen Lexik mehrfach als einen ‚Problembereich‘ beschreiben. Mit je knapp 20 Vorkommen sind Problemlösesequenzen vertreten, die die Bereiche Orthografie und Grammatik betreffen. In einer einzigen Dyade treten zweifach syntaxbezogene Problemlösesequenzen auf (Dyade 04). Aus diesen Beobachtungen lässt sich ableiten, dass sich die Schülerinnen und Schüler überwiegend mit lexikalischen Fragen auseinandersetzen. Diese scheinen für sie besonders bearbeitungswürdig zu sein in dem Sinne, dass sie diesbzgl. häufig Klärungsbedarf haben. Andererseits zeigt sich darin ebenfalls, dass und wie sie gemeinsam lexikalische und andere Fragen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bearbeiten. Dabei deutet sich an, dass sich die Problemlöse‐ sequenzen überwiegend auf die (Einzel-)Wort-Ebene beziehen. Allerdings zeigt sich in den Daten auch, dass sich die Problemlösesequenzen bezogen auf das zu bearbeitende Problem überschneiden können, sodass verschiedene Sequenzen auch ineinander übergehen und sich überlappen. Mehrfach sind Sequenzen zu beobachten, in denen zuerst eine Lexikfrage geklärt und anschließend weitere, damit zusammenhängende Bereiche, insb. Orthografie, bearbeitet werden. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass es sich für die Schülerinnen und Schüler um neue Lexik handelt, deren Orthografie es ebenfalls zu thematisieren gilt (z. B. SG 01 fluss). Zeitlich reichen die einzelnen Sequenzen von sehr kurzen Bearbeitungen von wenigen Sekunden bis hin zu Bearbeitungen, die sich über eine Dauer von mehreren Minuten erstrecken. Sequenzen können auch durch Einschübe (i. S. v. kurzen Themenwechseln) unterbrochen oder mit zeitlicher Verzögerung (z. B. in der Phase der Überarbeitung, wie in SG 03 qui / que sont) erneut aufgegriffen werden. Beschreibung der Problemlöseprozesse Ausgehend von und in Ergänzung zu den Ausführungen in Kap. 2.3.4. soll der in den vorliegenden Daten beobachtete Problemlöseprozess beschrieben werden. Der Problemlöseprozess beginnt mit einer für die Probandinnen und Probanden unbefriedigenden Ausgangssituation. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass in einer Situation nicht auf Wissen zugegriffen werden kann, dass Wissen unsicher ist, dass Unwissen vorhanden ist oder dass zwischen den beiden Interaktanten 151 3.2 Analyseergebnisse <?page no="152"?> 42 In den vorliegenden Daten deutet sich an, dass die Schülerinnen und Schüler gewohnt sind, die Lehrperson als Expertin anzusehen und sich bei Fragen zunächst an sie zu wenden. Denn obwohl dies in der vorliegenden Studie ausdrücklich ausgeschlossen wurde, wurde die Forscherin in ihrer Expertenrolle mehrfach um Hilfe gebeten (z. B. SG05 seine). Diese Beobachtung wird auch von der Lehrperson, die zeitgleich den anderen Teil der Klasse beim individuellen Schreiben betreute, bestätigt. Auch sie berichtete, dass es sehr ungewohnt war (für sie und die Klasse) nicht auf die Fragen der Schülerinnen und Schüler zu reagieren. Uneinigkeit herrscht. Dies wird von den Schülerinnen und Schülern auf unter‐ schiedliche Weise markiert: - durch eine Frage (was heißt schön? SG 01: 441), - eine handlungsauffordernde Ansage (ja dann such du mal nach << deutsch ausgesprochen > vieille > SG 03: 215), - den Wechsel von einer Sprache in eine andere, um den intendierten Inhalt anzuzeigen (people äh: : : wie heißt es auf französisch? SG 01: 348), - durch das Infragestellen einer Ressource (sicher? SG 03: 930), - durch Selbstinitiation (ich guck einfach SG 01: 827), - das Markieren von Unsicherheit (ich glaube nicht dass man das sagt aber ich weiß nicht SG 03: 92) - oder auch durch Kichern (z. B. SG 01 menschenmenge). All diese Handlungen machen deutlich, dass für mindestens einen der beiden Interaktanten eine Bearbeitung notwendig erscheint oder erwünscht ist. In dieser Phase kann vorhandenes (evtl. unsicheres) Wissen bereits eingebracht werden. Beispielsweise in der Form, dass eine Frage gestellt und gleichzeitig um einen oder mehrere Lösungsvorschläge ergänzt wird; diese können vor- oder nachgelagert sein. Dieses Muster (Frage + Lösungsvorschlag) ist in den Daten mehrfach zu beobachten (z. B. SG 01 menschen, fleuve). Dieses Muster zeigt an, dass Wissen vorhanden ist, zur Disposition gestellt wird und darauf reagiert werden kann. Ausgehend von diesem ersten Vorschlag kann eine Bearbeitung erfolgen. In der Phase der Problembearbeitung sind seitens der Schülerinnen und Schüler Handlungen zu beobachten, die auf Denk- und Suchprozesse bzw. Auseinandersetzungen mit der französischen Sprache schließen lassen. Bei diesen Handlungen kann auf externe oder interne Ressourcen zurückgegriffen werden. Diese Ressourcen können von den Interaktanten auf unterschiedliche Weise eingebracht und auch miteinander kombiniert werden. Zu den externen Ressourcen gehören u. a. der Einsatz des Wörterbuchs und die Hilfsanforde‐ rung, 42 zu den internen Ressourcen gehören z. B. der Sprachvergleich, das aktive Herleiten aus vorhandenen Wissensbeständen oder auch Kompensationshand‐ 152 3 Empirische Untersuchung <?page no="153"?> 43 Eine mögliche Erklärung dafür, dass es hier dennoch überprüft wird, könnte im Setting begründet sein: Es ist denkbar, dass die kollaborative Arbeitsweise verstärkt zu Verunsicherung führt und Dinge in Frage gestellt werden, die eigentlich nicht fraglich sind und entsprechend lieber einmal zu viel geprüft wird, auch bedingt durch die gemeinsame Verantwortung. lungen wie das Raten, Vereinfachen, Umgehen bzw. Vermeiden des Problems etc. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass mehrfach mit dem Klang der Wörter gearbeitet wird: Wörter werden ausgesprochen, dadurch ausprobiert und für alle Beteiligten hörbar gemacht. Es vollzieht sich so eine Sprech- und Hörprobe. Diese Handlung, die Teil des Phänomens Languaging ist (s. S. 57 ff.), wird hier als Klangprobe bezeichnet. Es deutet sich folgendes Muster an: Mehrfach ist zu beobachten, dass zuerst versucht wird mittels interner Ressourcen zu klären (z. B. Klangprobe). Wenn dies nicht gelingt, werden weitere externe Ressourcen (wie das Wörterbuch) einbezogen (z. B. SG 01 fluss). Abgesehen davon ist in dieser Phase der Einsatz von Handlungen, die der Versicherung dienen, zu beobachten. Dazu gehören das Buchstabieren sowie der Sprachwechsel. Bei beiden Vorgängen geht es darum, das Gemeinte zu verdeutlichen bzw. sicherzugehen, dass etwas auf eine ganz bestimmte Weise verstanden wurde (z. B. SG 01 voll Z. 935, peut / pourrait Z. 1083). Es ist auch fest‐ zustellen, dass Probleme als solche bearbeitet werden, von denen anzunehmen ist, dass sie eigentlich keine Probleme darstellen sollten. Beispielsweise wird in Dyade 01 das Wort maison thematisiert und schließlich nachgeschlagen, ein Wort, das orthografisch keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und zum Anfangswortschatz gehören sollte. 43 Gelingt es der Dyade ihr Problem zu lösen, entscheiden sie sich für eine Variante, notieren sie und beenden damit ihre Bearbeitung. Dies ist in den meisten Problemlösesequenzen zu beobachten. Allerdings kommt es gelegentlich auch dazu, dass die Bearbeitungen nicht zur Klärung, sondern stattdessen zu Verunsicherung führen, da unterschiedliche Wissensstände vorliegen und keine eindeutige Aufklärung möglich ist. Gelingt es ihnen nicht ihr Problem zu lösen, dann verschieben sie die Bearbeitung evtl. auf einen späteren Zeitpunkt, da dort der Zugriff auf eine andere Res‐ source erwartbar ist. Entweder gelingt es ihnen dann eine ‚bessere‘ Lösung zu erreichen oder aber sie kehren zu ihrer ursprünglichen Lösung zurück und belassen es dabei (z. B. SG 04 nachmittag, öffnen). In einem einzigen Fall wird eine Bearbeitung begonnen und ohne (für die Forscherin) sichtbares Ergebnis beendet, folglich aufgegeben ( SG 05 manière). Ein Hinweis darauf, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Situation als unbefriedigend wahrnehmen, ihre Unsicherheiten oder Diskrepanzen weiterhin bestehen, zeigt sich darin, dass sie ihre Bearbeitungen wieder aufgreifen und zu einem späteren Zeitpunkt 153 3.2 Analyseergebnisse <?page no="154"?> erneut versuchen, ihr Problem zu lösen (z. B. SG 04 öffnen). Wer wie viel zur Lösung beiträgt variiert. In den meisten Problemlösesequenzen jedoch gelingt es den Interaktanten, ihr Problem gemeinsam, vereinzelt auch individuell (s. Kap. 3.2.2.2.) zu klären. Nur selten sind die erreichten Lösungen offensichtlich nicht einvernehmlich, wie bspw. in der Dyade 03 (z. B. SG 03 qui / que sont). Arbeitsweisen der Dyaden Der hier in seinen grundlegenden Zügen beschriebene Problemlöseprozess ver‐ läuft mit wenigen Ausnahmen (z. B. SG 03 qui / que sont, tu peux / t) gemeinsam, einvernehmlich und in kooperativer Grundhaltung. Dabei sprechen sich die Interaktanten i. d. R. ab, gehen rollenteilig vor (einer schreibt, der andere for‐ muliert) und wechseln diese Rollen teilweise (z. B. Dyade 06, 08). Prinzipiell haben die Interaktanten das gleiche Rederecht und sind gleichberechtigt. Je nach sozialem Status, angenommenem Sprachniveau u. a. kristallisieren sich dabei jedoch bestimmte Rollen heraus, die auch hierarchisch geprägt sein können (z. B. Experte-Novize). Je nach Rolle kann sich das Rederecht zugunsten einer Person verlagern, wobei nicht unbedingt der ‚sprachkompetenteren‘ in der Dyade mehr Gewicht zukommt. Das Spektrum der Arbeitsweisen reicht von harmonisch, ausgeglichen (Dy‐ aden 04, 06, 07, 08) bis sich neckend, provozierend (Dyaden 03, 02). In der Regel sind sich die Interaktanten jedoch zugewandt und reagieren i. S. der Sache (nämlich der Aufgabenbewältigung) aufeinander. Nur sehr vereinzelt werden Äußerungen der anderen Person ignoriert (Dyade 02 ich bin grad raus Z. 722). Liegen gegensätzliche Auffassungen vor, gelingt es ihnen entweder einen Konsens zu finden oder aber es findet eine einseitige Verantwortungszuweisung bzgl. der Lösung, ggf. eine Distanzierung von der Lösung, statt, wie z. B. in SG 03 qui / que sont. Nur selten kommt es zu Missverständnissen i. S. v. unterschiedli‐ chen Kontextannahmen, diese können im Verlauf der Bearbeitung überwiegend aufgeklärt werden (z. B. SG 08 see, kirche). In den Arbeitsweisen spiegeln sich auch die spezifischen Rahmenbedin‐ gungen der vorliegenden Studie wider. Es fällt auf, dass in den Problemlösese‐ quenzen überwiegend aufgabenbezogene, zielgerichtete Handlungen durchge‐ führt werden. Da es sich um eine schreibbegleitende Kommunikation handelt, geht es nicht vordergründig um einen mündlichen Austausch, sondern darum, gemeinsam den Schreibprozess zu bewältigen und den dafür benötigten Aus‐ tausch zu realisieren. Dies zeigt sich in kurzen Sprecherwechseln. Auch die Tatsache, dass die Aufgabenbearbeitung vom Aufbau und zeitlichen Ablauf vorstrukturiert ist und es sich um ein Forschungsprojekt handelt, mag erklären, 154 3 Empirische Untersuchung <?page no="155"?> 44 Grein / Vernal Schmidt (2020) beschäftigen sich in ihrem Artikel ausführlich mit dem Phänomen des Schülerjobs in Bezug auf den Fremdsprachenkontext. 45 Dem Spannungsverhältnis von Normen und Praktiken im Kontext des Fremdspra‐ chenunterrichts widmet sich bspw. das DFG-Projekt Normen und Praktiken des fremdsprachlichen Klassenzimmers: Eine rekonstruktive Studie zum Unterricht roma‐ nischer Sprachen im Kontext von Bildungsreformen und gesellschaftlichem Wandel von Prof. Dr. Bernd Tesch an der Universität Tübingen (s. https: / / uni-tuebingen.de/ fak ultaeten/ philosophische-fakultaet/ fachbereiche/ neuphilologie/ romanisches-seminar/ p ersonal/ lehrstuehle/ tesch/ #c877474 Zugriff: 20.08. 2020). dass sich die Schülerinnen und Schüler vorwiegend der Aufgabenbearbeitung widmen und wenig mit unterrichtsexternen Themen beschäftigen. Bezogen auf die Arbeitsweise insgesamt, dominiert in den Dyaden eine Einstellung, die als pragmatisch bezeichnet werden kann. Es geht den Interak‐ tanten in erster Linie darum, mit möglichst wenig Aufwand einen möglichst fehlerfreien Text zu produzieren. Hier lässt sich an das von Breidenstein (2006) rekonstruierte Phänomen des Schülerjobs anknüpfen. Damit beschreibt er die Handlungen von Schülerinnen und Schülern als eine durch Routine und Pragmatismus geprägte Herangehensweise, die auch auf einen Unterhal‐ tungswert abzielt. Dabei geht es vor allem darum, die vorgegebenen Aufgaben ‚zu erledigen‛, die erforderlichen Produkte herzustellen und dabei den Bearbei‐ tungsprozess möglichst angenehm zu gestalten. Dies impliziert, dass etwas getan wird, ohne hinterfragt zu werden und gleichzeitig wird diesem Tun gegenüber auch Distanz eingenommen (vgl. Breidenstein 2006: 260 f.). 44 Hin‐ weise auf eine derartige Einstellung sind in dem vorliegenden Datensatz in mehreren Dyaden zu finden. Im Schreibgespräch thematisieren Schülerinnen und Schüler mehr oder weniger explizit Ansichten, die mit dem Konzept Schülerjob erklärt werden können. So erfolgt bspw. die Wahl des Ortes für den Text in einer Dyade ausgehend davon, worüber sie am meisten wissen ( SG 01). Eine andere Dyade entscheidet sich für einen Ort und nimmt dabei in Kauf, dass der Text dann ggf. langweilig wird ( SG 04). Eine andere Dyade entscheidet sich für einen Satz, der inhaltlich nicht notwendig ist, aber dazu beiträgt, sich den angestrebten 120 Wörtern anzunähern ( SG 06). Hier lässt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der gesetzten (mit einer Aufgabe in Verbindung stehenden) und angenommenen Norm (fehlerfreie Textproduktion) sowie der konkreten unterrichtlichen Praxis erkennen. 45 Neben den dominierenden Momenten im Schreibgespräch, in denen die Aufgabe pragmatisch abgearbeitet wird, sind auch Momente enthalten, die auf einen relativ ungezwungenen und spielerischen Umgang mit der französischen Sprache verweisen. Dazu gehört die Verwendung von Spontanfranzösisch. Ge‐ meint ist damit, dass die Interaktanten ihr Schreibgespräch spontan kurzzeitig 155 3.2 Analyseergebnisse <?page no="156"?> 46 Hier werden auch Passagen des Transkripts hinzugezogen, die nicht als Problemlösese‐ quenz eingeordnet wurden, da sie einen Einblick in die Erwartungen, Sichtweisen etc. der Schülerinnen und Schüler geben, auf die an dieser Stelle nicht verzichtet werden soll. auf Französisch fortführen. Allerdings beschränken sich diese Momente auf kurze Ausdrücke: Elisa in Dyade 03 reagiert z. B. mehrfach auf Französisch auf die Äußerungen ihres Partners (z. B. arrête Z. 4; normalement ici (.) j’ai trouvé Z. 950; c’est tout? Z. 984). Auch in den Dyaden 02, 03, 05 und 07 werden einzelne französische Ausdrücke, teils in überspitzter Weise, eingesetzt (Dyade 02: ah oui Z. 77; excusez-moi Z. 602; Dyade 05 verwendet siebenfach ah oui). Darüber hinaus sind vereinzelt Sprachspiele zu beobachten. In Dyade 04 spielen Emma und Lea-Sophie mit dem Wort frisch (fraîche - fresh - crème fraîche Z. 761-763) und Pauline in Dyade 01 mit dem Wort circonflexe (circonflexe - cornflakes, Z. 1156). Ein weiterer spielerischer Umgang mit der französischen Sprache ist auch in der Dyade 03 zu beobachten. Darin setzt Markus mehrfach das Wörterbuch ein, um daraus Einträge vorzulesen, die nicht im Zusammenhang mit der Bearbeitung stehen, wie pfropfen, albanisch, adventskranz, golfschläger, glotze. Die Sprache erhält hierdurch eine belustigende Funktion und trägt damit auch zur Unterhaltung i. S. Breidensteins (2006) bei. Ein Phänomen, das sich aus den Erhebungsbedingungen heraus erklärt und ebenfalls mit dem Unterhaltungswert in Zusammenhang gebracht werden kann, ist der Einsatz des Mikrofons (s. auch Kap. 3.1.5.). Dieses nutzen die Schülerinnen und Schüler mehr oder weniger explizit, um sich an die Forscherin zu wenden. In mehreren Schreibgesprächen 46 äußern sie sich kritisch bspw. in Bezug auf die fehlenden Wörterbücher, diskutieren den Sinn und Aufbau der vorgegebenen Aufgabe (z. B. Dyade 01: 1145 und Dyade 05: 930) oder thematisieren ihre Einstellungen ggü. des Fachs Französisch (Dyade 08). Dabei nutzen sie das Mikrofon auch, um sich voneinander abzugrenzen, wenn es z. B. um das Schriftbild geht, welches nicht ordentlich genug sei ( SG 02: 829) oder um die Zuordnung eines möglichen Fehlers (z. B. SG 03 qui / que sont). Diese Handlungen geben Einblicke in die Einstellungen der Schülerinnen und Schüler und damit auch die Normerwartungen, die sie der Aufgabenbearbeitung zugrunde legen. Abschließend sollen die jeweiligen Dyaden in ihrer Arbeitsweise überblicks‐ artig charakterisiert werden, um eine Zuordnung in den folgenden Analysen zu ermöglichen. Grundlage hierfür sind die Gesprächsinventare sowie ihre Handlungen in den jeweiligen Fallanalysen. 156 3 Empirische Untersuchung <?page no="157"?> 47 Aufgrund der Tatsache, dass ihre Stimmen beide tief sind, ist eine eindeutige Zu‐ ordnung der Gesprächsbeiträge nicht immer möglich. Dies ist bei der Analyse zu berücksichtigen, da es dabei möglicherweise zu falschen Zuordnungen kommt, die die Interpretation verfälschen können (s. auch Ausführungen Kap. 3.1.5.). 48 Steffen führt aus: „ich weiß ja nicht genau (diese methode nicht allzu gut) weil man NIe Alle fehler finden kann, die man wirklich gemacht hat weil, für einen selbst erscheinen die ja meistens richtig (1) es ist zwar eine gute methode um nochmal drüber zu gucken um die fehler die man selbst erkennt zu verbessern, aber insgesamt ist das meiner meinung nach keine gute alternative zum fehlerkorrigieren (1) das muss auf anderen wegen erfolgen“ (SG02: 839). Erste Datenerhebung Dyade 01 In Jean und Paulines Bearbeitungsweise nimmt Pauline eine dominie‐ rende Rolle ein: Sie tritt als Sprachexpertin auf, formuliert z. T. ohne Absprache und direkt auf Französisch, bringt Vorschläge ein, gibt An‐ weisungen. Jean schreibt (kurzzeitig übernimmt Pauline), beteiligt sich, fragt viel nach. Jean betont zweifach seine schlechten Französischkennt‐ nisse, wohingegen Pauline sagt, dass sie nur Einsen in den Vokabeltests geschrieben habe und es deshalb ja wissen müsse. Insgesamt entsteht der Eindruck einer höflichen kooperativen Arbeits‐ weise, die von Pauline dominiert wird: Sie beteiligen sich beide und sprechen sich überwiegend ab. Sie thematisieren auch kritisch die Schreibaufgabe sowie ihre Bearbeitung. Sie wechseln relativ spät das Thema ihres Textes, als sie feststellen, dass ihnen inhaltlich wenig einfällt und scheinen dabei Zeitdruck zu spüren. Dyade 02 Toms und Steffens 47 Arbeitsweise ist dadurch gekennzeichnet, dass sie insb. zu Beginn viel kichern und witzeln und dabei Spontanfranzösisch anwenden. Sie einigen sich nicht sofort auf den zu beschreibenden Ort und fordern sich teilweise gegenseitig heraus (ist das dein ernst, dicker? Z. 528). Tom schreibt und Steffen macht überwiegend die Ansagen, markiert dabei z. T. Sicherheit. Er zieht sich kurzzeitg aus der Bearbeitung heraus (ich bin grad raus Z. 722) und überlässt damit Tom die Verantwortung. Sie kommentieren und bewerten ihre eigene Leistung (haben wir jetzt ernsthaft in ner halben stunde so wenig müll aufs papier bekommen? Z. 587), Steffen kritisiert das Schriftbild (Z. 822-829) sowie die vorgegebene Methode der Überarbeitung. 48 Dyade 03 Die Zusammenarbeit von Elisa und Markus ist durch Spiel, Provokation und mehrfaches Ablenken gekennzeichnet: Sie lachen, kichern, ahmen sich nach, machen sich Vorwürfe (Elisa: junge (.) du machst mich fertig Z. 240; Markus: du mich auch (.) ganz ehrlich Z. 241; Markus: du streber Z. 528). Sie thematisieren die jeweiligen Rollen und damit verbundenen Aufgaben, setzen vereinzelt Spontanfranzösisch ein. Markus verwendet das Wörterbuch häufig, um mit den Wörterbucheinträgen zu spielen. Ihre Arbeitsweise ist insgesamt als unruhig zu beschreiben. Dyade 04 Emma und Lea-Sophie sind beide ähnlich engagiert, gehen aufeinander ein, bestärken sich gegenseitig, treffen gemeinsam Entscheidungen. Dabei kommunizieren sie beide mehrfach ihre Unsicherheit. Es gelingt ihnen nicht immer diese zu bewältigen, obwohl sie ihre Probleme z. T. 157 3.2 Analyseergebnisse <?page no="158"?> 49 Siehe Fußnote 47. 50 Deppermann (2008: 86) stellt fest, dass reibungslos ablaufende Interaktionen darauf basieren, dass viel ‚geteiltes Wissen‘ (shared knowledge) i. S. Clarks (1996) vorliegt und deshalb viel weniger expliziert werden muss. 51 Allerdings handelt es sich für sie auch um den zweiten Durchlauf. In den anderen Dyaden des zweiten Durchlaufs (06 und 08) ist dieser Wiederholungseffekt jedoch nicht spürbar (s. auch Ausführungen Kap. 3.1.5.) erneut aufgreifen. Während Emma tendenziell einen hohen sprachlichen und inhaltlichen Anspruch hat und mehrfach versucht, die gefundenen Lösungen noch zu verbessern, ist Lea-Sophie, die die Schreibrolle wahr‐ nimmt, eher dafür, die gefundenen Lösungen zu belassen. Ihre Arbeits‐ weise lässt sich als harmonisch und konzentriert beschreiben. Dyade 05 Die Zusammenarbeit zwischen Lukas und Christian 49 wirkt ausgeglichen und wenig anstrengend: Sie bringen sich beide ein, lachen viel (auch über sich selbst), singen, albern herum, bewerten ihre Arbeit (good job Z. 912). Teilweise sind sie sich nicht einig, aber es gelingt ihnen, einen Konsens zu finden. Sie wechseln die Schreibrolle, setzen mehrfach Spontanfranzösisch ein und verbringen recht viel Zeit damit, Wörter nachzuschlagen. Zweite Datenerhebung Dyade 06 Saids und Philipps Arbeitsweise verläuft überwiegend ruhig, konzentriert und zügig. Sie einigen sich schnell, greifen ihre Ideen gegenseitig auf, sprechen sich ab, nehmen sich ernst, sind ehrlich und höflich. Aus den Gesprächsthemen und den Umgangsformen entsteht der Eindruck, dass sie sich nicht gut kennen. Sie bewerten mehrfach ihren Text und ihre Ideen. Sie wechseln zwischendurch die Schreibrolle. Dyade 07 Jana und Karin arbeiten ruhig, konzentriert und ausgeglichen an ihrem Text. Dabei formulieren sie mehrfach direkt auf Französisch. Sie gehen aufeinander ein, beteiligen sich beide, bestärken sich mehrfach positiv, entscheiden und entwickeln gemeinsam. Ihr Umgangston ist höflich und sie scheinen sich gut zu verstehen, über viel ‚geteiltes Wissen‛ 50 zu verfügen, voneinander profitieren zu können und Spaß zu haben. Die Schreibaufgabe bearbeiten sie in nur 32 Minuten vergleichsweise sehr schnell. 51 Dyade 08 Lina und Johanna gelingt es häufig, rasch zu klären. Dabei hat Johanna sowohl sprachlich als auch inhaltlich (nur sie kennt den Ort) die Exper‐ tenrolle inne und dominiert die Arbeitsweise. Lina fragt viel, schreibt anfangs, später übernimmt Johanna. Sie scheinen miteinander vertraut evtl. befreundet zu sein. Sie schätzen ihren Text kritisch ein und erklären damit ihre diesbzgl. Einstellungen: Lina wählt Französisch ab und Jo‐ hanna scheint das Fach als Leistungskurs anzusteuern. Tab. 05: Kurzbeschreibung der Dyaden 158 3 Empirische Untersuchung <?page no="159"?> Dieser erste umfassende Einblick in die Problemlösesequenzen und die dabei beobachteten Arbeitsweisen der Dyaden fächert ihre Vielschichtigkeit auf und eröffnet zahlreiche erkenntnisversprechende Untersuchungsfährten. Vor diesem Hintergrund soll mit dem Fokus auf fremdsprachliche Problemlösese‐ quenzen in den folgenden Kapiteln ein Ausschnitt aus diesen Daten vertiefend ausgewertet werden. 3.2.2 Darstellung der Problemlösetypen In diesem Kapitel wird einführend der Weg von der Problemlösesequenz bis zur Entwicklung der Typen skizziert. Es folgt eine Erläuterung derjenigen Voraussetzungen, die alle Typen betreffen. Abschließend wird der Aufbau der nachfolgenden Fallanalysen (Kap. 3.2.2.1.-5.) und es werden die hierbei verwendeten Transkriptionskonventionen vorgestellt. Von der Gesprächssequenz zum Problemlösetyp Von den ausgewählten fremdsprachlichen Problemlösesequenzen der acht Dy‐ aden wurden 46 detaillierte Sequenzanalysen und anschließende Fallvergleiche durchgeführt. Wie bereits in den Kapiteln 3.1.4. und 3.2.1. ausgeführt entspricht eine Problemlösesequenz einem Fall. Mittels der detaillierten Sequenzanalysen konnten unterschiedliche Problemlösepraktiken herausgearbeitet und in fünf Typen kategorisiert werden. Bei der Typentwicklung wurde - im Einklang mit dem Erkenntnisinteresse - der Fokus auf die interaktionale Ebene gelegt, darauf, wie die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf ein fremdsprachliches Problem interagieren, wie sie sich einbringen und aufeinander beziehen. Folgende Typen haben sich dabei abgezeichnet. Sie werden auf einer Achse, bezogen auf das Miteinander von potentiell verletzend bis sehr kooperativ, aufgeführt und in dieser Reihenfolge dargelegt: „Sich Distanzieren“, „Alleingang“, „Experte-No‐ vize“, „Aufgabenteilen“, „Kollaborieren“. Typübergreifende Voraussetzungen Bevor in den einzelnen Fallanalysen die jeweils charakteristischen Aspekte erarbeitet werden, sollen hier - um Wiederholungen zu vermeiden und die gemeinsame Basis zu verdeutlichen - zusammenfassend diejenigen Vorausset‐ zungen erläutert werden, die für alle Typen gleichermaßen zutreffen. Diese können jeweils mehr oder weniger ausgeprägt sein bzw. für die jeweilige Praktik mehr oder weniger relevant werden. Erstens ergibt sich durch das kollaborative Schreiben die Situation, dass die Interaktanten miteinander kommunizieren müssen. Sie müssen sich aus‐ 159 3.2 Analyseergebnisse <?page no="160"?> tauschen, ihr Vorgehen abstimmen und koordinieren. Es ist also qua Setting ein Mindestmaß an Kommunikation erforderlich, was auch ein gegenseitiges Verstehen einschließt. Würden sie nicht kommunizieren, könnte eine Person zwar alleine schreiben, es würde sich dann aber nicht mehr um kollaboratives Schreiben handeln (s. Kap. 2.1.3.). Damit einher geht zweitens ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft. Die Schülerinnen und Schüler müssen grundsätzlich bereit sein, miteinander zu interagieren, sich zumindest etwas aufeinander einzulassen, was wiederum Vertrauen und ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen voraussetzt. Dies setzt wiederum gegenseitige Wertschätzung voraus sowie eine re alistische Einschätzung der Beiträge und Ressourcen der anderen Person; sie müssen wertgeschätzt und ihnen muss vertraut werden (s. Kap. 2.1.3.3. sowie 2.2.3.). Drittens setzt diese Zusammenarbeit voraus, dass diejenigen Ressourcen verfügbar sind und eingebracht werden können, die zu einer Bearbeitung der Problemlösesequenzen notwendig sind. Diese können unterschiedlicher Natur sein (intern oder extern) und auch unterschiedlich auf die Interaktanten verteilt, wie sich in den Analysen zeigen wird. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ohne die entsprechenden Ressourcen keine Bearbeitung möglich ist. Sind Ressourcen vorhanden, ergibt sich durch das kollaborative Schreiben viertens, dass durch das Zusammentun von mehreren Wissensbeständen, rein quantitativ, der Zugriff auf Ressourcen insgesamt vergrößert wird und sich die Interaktanten damit gegenseitig beeinflussen können. Alleine durch die dyadische Konstellation stehen somit potentiell mehr Ressourcen - sprachliche, lebensweltliche, aber auch erfahrungsbezogene etc. - zur Verfügung. Dass es sich dabei evtl. um unsichere oder nicht zielsprachenkonforme Wissensbestände handelt, ist hier zweitrangig. Was an dieser Stelle interessiert, ist, inwiefern sich beide einbringen und mit dem ‚Eingebrachten‘ etwas machen, aufeinander Bezug nehmen, miteinander arbeiten. Weisen die zur Verfügung stehenden Ressourcen eine Schnittmenge auf, können sich die Interaktanten gegenseitig bestätigen. Gehen die jeweils vorhandenen Ressourcen darüber hinaus, können sich die Interaktanten gegenseitig bereichern und von ihrem jeweiligen Wissen profitieren, indem sie sich bspw. gegenseitig ergänzen, bestärken, korrigieren (s. auch Ausführungen zu Pooling und Scaffolding S. 60 f.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass folgende Vorausset‐ zungen in allen hier entwickelten Typen gegeben sind: Ein Mindestmaß an Kommunikation und Kooperationsbereitschaft sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen, wodurch der Ressourcenzugriff potentiell erweitert und gegensei‐ tige Unterstützung und Ergänzung möglich wird. 160 3 Empirische Untersuchung <?page no="161"?> 52 Die Benennung der Zwischenüberschriften orientiert sich an den von Deppermann (2008) verwendeten Termini. 53 An dieser Stelle wird nur der Textausschnitt eingefügt, auf den sich die Schülerinnen und Schüler bei der Problembearbeitung beziehen, bzw. den sie dabei produzieren. Die vollständigen Texte sind im Anhang 3 einsehbar. 54 In den einzelnen Darstellungen der Problemlösetypen (Kap. 3.2.2.1.-5.) werden Abgren‐ zungen zwischen denjenigen Typen vorgenommen, die sich besonders ähnlich sind. Eine übergreifende Betrachtung, in der die Typen voneinander abgegrenzt werden, erfolgt in Kapitel 3.2.3. Aufbau der Fallanalysen Die Kapitel der sich anschließenden Fallanalysen (3.2.2.1.-5.) sind wie folgt aufgebaut: Jeder Problemlösetyp wird in Anlehnung an die Struktur der de‐ taillierten Sequenzanalyse erläutert. 52 Jede Fallanalyse beginnt einführend mit einem Transkriptauszug von einer Dyade, ergänzt um den dazugehörigen Textauszug. 53 Es handelt sich dabei jeweils um einen exemplarischen Fall, der für den darzustellenden Problemlösetyp als prototypisch eingeschätzt wird (vgl. Deppermann 2008: 52). Anhand dieses Datenauszugs wird die Analyse in drei Schritten nachvollzogen: Erstens wird die Praktik beschrieben (Paraphrase, Handlungsbeschreibung) und aus den Handlungen werden Erklärungen abge‐ leitet (Zielsetzungen und Funktionspotentiale). Zweitens wird daraus der Typ im Fallvergleich entwickelt und ausgeschärft (Vergleich Ähnlichkeit, Ausprä‐ gungsgrade, Vergleich Kontrast, Abgrenzung zu ähnlichen Typen 54 ). Drittens wird der Typ theoretisch untermauert, indem mögliche theoretische Anknüp‐ fungspunkte herangezogen werden. Die Fallanalyse endet mit einer kurzen Zusammenfassung. 161 3.2 Analyseergebnisse <?page no="162"?> 55 Im Gegensatz zum Minimaltranskript wird hier bei den Pausenangaben nur zwischen kurzer Pause und geschätzter Pause mit Sekundenangabe unterschieden. Phänomene des Ein- und Ausatmens werden hier ebenfalls nicht gesondert berücksichtigt, da sie für das vorliegende Erkenntnisinteresse nicht relevant scheinen. Transkriptionskonventionen In Anlehnung an Selting et al. (2009) wurden die hier realisierten Transkripte grundlegend nach dem gesprächsanalytischen Transkriptionssystem GAT 2 er‐ stellt. Dabei wurde nach den Prinzipien des Minimaltranskripts vorgegangen. 55 Diese wurden um wenige Regeln (insb. bzgl. der Tonhöhenbewegung und Akzentsetzung) aus dem Basistranskript ergänzt: (.) kurze geschätzte Pause unter einer Minute (2) Pause von 2 Sekunden (uv) unverständliche Passage (also) vermuteter Wortlaut (also / alo) mögliche Alternativen [] Überlappungen und Simultansprechen ((Blättern)) nonverbale Ereignisse <<lachend> ah bon> sprachbegleitende para- und außersprachliche Hand‐ lungen und Ereignisse mit Reichweite und_äh Verschleifungen innerhalb von Einheiten ((…)) Auslassungen im Transkript ? steigende Tonhöhenbewegung am Ende der Intonati‐ onsphrasen : Dehnung, Längung akZENT Fokusakzent Hinweis: In den Transkriptionen richtet sich die Schreibung grundsätzlich nach der Aussprache und weicht damit ggf. von der Schreibweise ab, die die Schülerinnen und Schüler in ihrem Text gewählt haben. 162 3 Empirische Untersuchung <?page no="163"?> 3.2.2.1 „Sich Distanzieren“ Datenauszug 1 SG03 qui/ que sont (Z. 434-472; Zeit: 23: 32-25: 47 & Z. 1046-1079; Zeit: 01: 01: 16-01: 03: 42) 445 MA: auch einfach nur [modernes hinschreiben ]> [oder warte warte warte warte] aussi maisons (.) (die) [(uv) ] 446 EL: [il y a] des maisons (.) très vieilles mais aussi des maisons que sont? doch [(uv) ] 447 MA: [können] wir nicht einfach nur schreiben des maisons mode_modernes? 449 MA: ja das hört sich besser an 450 EL: wir können einfach schreiben di: e (.) modErnen häuser 451 MA: jetzt hast du jetzt hast du das da [schon stehen] 452 EL: [und nicht ] die häuser die modern sind 453 MA: das hört sich viel besser an 454 EL: na <<seufzend> oh: > (2) il y a des maisons très vieilles (.) mais aussi des maisons modErnes (1) <<flüsternd> aber egal (.) (ich habs doch schon)> heißt das modern oder nicht? [<<flüsternd> (uv)> ] (.) ((lacht)) 455 MA: <<genervt> ((blättert)) [jetzt ich guck doch] grad nach (uv)> 456 EL: ((lacht)) 457 MA: so: 458 EL: markus (2) mo: : de: rn da (.) modern 459 MA: wo? 460 EL: da: 461 MA: ja hier moderne (4) und s hinten dran oder? 462 EL: ne: oder? (.) ich mein es sind ja nicht mehrere moderne sondern es ist mehrere häuser die modern sind 463 (2) 464 MA: häuser die modern sind? 465 EL: ja wie (.) il y a des maisons très vieilles (.) mais aussi des maisons que sont 434 (5) 435 MA: schreib schon mal auf (.) mais aussi: (.) maisons (.) QUE (.) sont (1) jetzt mu_muss ich erstmal (uv) ((blättert, 10)) 436 EL: heißt es QUE oder QUI sont? 437 MA: qui ist nur bei personen also que [ist bei] objekten 438 EL: [sicher? ] 439 MA: jaja 440 EL: aber es hört sich schöner an ((lacht)) 441 MA: ja: aber (.) ne_ne ich glaub QUI ist nur bei [personen] 442 EL: [il y a ] des maisons très vielles (.) mais aussi (1) des mais: (2) des maisons (.) m (.) modernes [soll ich einfach modernes] schreiben? [(uv) ] ne: que sont 443 MA: 444 EL: <<trotzig> dann eben que SOnt> (1) <<flüsternd> ich hätte 448 EL: 163 3.2 Analyseergebnisse <?page no="164"?> munich (.) nous trouvons que munich est une ville très belle (.) il y a (.) des maisons très vielles mais aussi des maisons que sont modernes (2) que oder qui sont? 1048 MA: was? 1049 EL: ich find maison que sont hört sich irgendwie komisch an (.) egal (1) c’est un parfait contrast [de vielle et ] moderne 1050 MA: [(das ist dann auch) glaub ich que] (.) statt qui 1051 EL: ((liest ca. 1 Minute ihren Text)) wie wird pourquoi eigentlich geschrieben? 1052 MA: p o u r 1053 EL: naja (.) aber zusammen? oder auseinander? 1054 MA: [k u o i ] zusammen 1055 EL: [zusammen oder] auseinander? (.) sicher? 1056 MA: ja und da oben kommt (.) que 1057 EL: <<etwas aufgebracht> n_das hört sich aber scheiße an mit que> 1058 MA: das ist (aber richtig) 1059 EL: <<Stimme leicht erhoben, genervt> nein das hört sich doof an> 1060 MA: qui wird nur wenn (.) [personen (uv) ] 1061 EL: [(ich schreib das aber)] 1062 MA: das ist aber falsch 1063 EL: plus il y a [beaucoup des petites cafés] 1064 MA: [das ist nicht richtig ] 1065 EL: QUE SONT? 1066 MA: ja 1067 EL: très charm (.) <<spricht ins Mikrofon> wenn das dann nachher falsch ist ne (.) dann bist DU dran schuld (.) ER hat das gemacht mit [dem que nicht ich] ich wollte qui schreiben> 1068 MA: [(alles klar (uv))] 1069 MA: (alles klar (uv)) 1070 EL: wahrscheinlich stimmts auch noch (.) aber (.) <<aufgebracht> AUA du musst mich nicht immer knei: fen> 1071 MA: <<geheuchelt mitleidig> ooh> 1072 EL: oh das hat voll weh getan warum kneifst du mich immer? 1073 MA: das war (ja) nicht fest (.) [sondern] ganz locker 1074 EL: [doch ] (.) (uv) 1075 MA: tus nicht 1076 (1) 1077 EL: ((uv) hat das gar nicht weg (uv)) 1078 MA: heul doch 1079 (7) 466 MA: punkt 467 EL: nicht mit s hinten dran 468 MA: ja doch mit s hinten dran [das sind] mehrere häuser 469 EL: [okay ] 470 (3) 471 MA: <<ausatmend> so: > 472 EL: ähm (4) was heißt also? ((…)) 1046 (15) 1047 EL: soll ich dir mal unseren text vorlesen? (1) ((liest ihren Text)) munich (.) nous trouvons que munich est une ville très belle (.) il y a (.) des maisons très vielles mais aussi des maisons que sont modernes (2) que oder qui sont? 1048 MA: was? 1049 EL: ich find maison que sont hört sich irgendwie komisch an (.) egal (1) c’est un parfait contrast [de vielle et ] moderne 1050 MA: [(das ist dann auch) glaub ich que] (.) statt qui 1051 EL: ((liest ca. 1 Minute ihren Text)) wie wird pourquoi eigentlich geschrieben? 1052 MA: p o u r 1053 EL: naja (.) aber zusammen? oder auseinander? 1054 MA: [k u o i ] zusammen 1055 EL: [zusammen oder] auseinander? (.) sicher? 1056 MA: ja und da oben kommt (.) que 1057 EL: <<etwas aufgebracht> n_das hört sich aber scheiße an mit que> 1058 MA: das ist (aber richtig) 1059 EL: <<Stimme leicht erhoben, genervt> nein das hört sich doof an> 1060 MA: qui wird nur wenn (.) [personen (uv) ] 1061 EL: [(ich schreib das aber)] 1062 MA: das ist aber falsch 1063 EL: plus il y a [beaucoup des petites cafés] 1064 MA: [das ist nicht richtig ] 1065 EL: QUE SONT? 1066 MA: ja 1067 EL: très charm (.) <<spricht ins Mikrofon> wenn das dann nachher falsch ist ne (.) dann bist DU dran schuld (.) ER hat das gemacht mit [dem que nicht ich] ich wollte qui schreiben> 1068 MA: [(alles klar (uv))] 1069 MA: (alles klar (uv)) 1070 EL: wahrscheinlich stimmts auch noch (.) aber (.) <<aufgebracht> AUA du musst mich nicht immer knei: fen> 1071 MA: <<geheuchelt mitleidig> ooh> 1072 EL: oh das hat voll weh getan warum kneifst du mich immer? 1073 MA: das war (ja) nicht fest (.) [sondern] ganz locker 1074 EL: [doch ] (.) (uv) 1075 MA: tus nicht 1076 (1) 1077 EL: ((uv) hat das gar nicht weg (uv)) 1078 MA: heul doch 1079 (7) 466 MA: punkt 467 EL: nicht mit s hinten dran 468 MA: ja doch mit s hinten dran [das sind] mehrere häuser 469 EL: [okay ] 470 (3) 471 MA: <<ausatmend> so: > 472 EL: ähm (4) was heißt also? ((…)) 1046 (15) 1047 EL: soll ich dir mal unseren text vorlesen? (1) ((liest ihren Text)) 164 3 Empirische Untersuchung <?page no="165"?> Abb. 05: Textauszug SG03, 2. Satz Paraphrase Elisa und Markus arbeiten in dem vorliegenden Transkriptauszug an ihrem zweiten Satz über München. Markus fordert Elisa auf zu schreiben. Sie fragt nach, ob das korrekte Relativpronomen que oder qui sei (Z. 436). Markus erinnert eine (nicht korrekte) Regel, wonach qui bei Personen und que bei Objekten zu verwenden sei (Z. 437). Elisa rückversichert sich und wendet als Gegenargument gegen que die Klangprobe an: aber es hört sich schöner an (Z. 440). Markus bestätigt, bleibt aber bei seiner Erklärung, allerdings markiert er nun Unsicherheit (ich glaub Z. 441). Elisa formuliert den Satz und schlägt eine Alternative vor, mit der sie das Relativpronomen umgehen könnten (Vorschlag Vermeidung). Markus bleibt bei seiner Version que sont und Elisa stimmt wider‐ willig zu (Z. 444). Markus hat eine neue Idee, er überlegt und Elisa wiederholt den Satz fragend intoniert (Z. 446). Markus bestätigt und argumentiert mit der Klangprobe (allerdings ist hier der Bezug unklar: Bezieht er sich auf seinen oder Elisas Vorschlag? ). Elisa wiederholt ihren Vorschlag auf Deutsch (Z. 450), aber Markus wendet ein, dass der Satzanfang bereits geschrieben sei. Elisa führt ihre begonnenen Ausführungen zu Ende. Markus argumentiert mit der Klangprobe: das hört sich viel besser an (Z. 453). Elisa seufzt, wiederholt ihren Vorschlag, verwirft ihn und fragt nach dem Wort modern. Markus schaut im Wörterbuch nach. Elisa sieht den Eintrag, Markus fragt nach, Elisa zeigt ihn und Markus liest vor. Er schlägt eine Pluralangleichung vor (und s hinten dran oder? Z. 461), die schlussendlich auch von Elisa akzeptiert wird (Z. 469) und sie gehen zum nächsten Satz über. Circa 35 Minuten später sind Elisa und Markus dabei, ihren Text zu überarbeiten. Es handelt sich um die letzte Problemlösesequenz in ihrem Schreibgespräch. Elisa greift das vorhergehend bearbeitete Problem erneut auf. Sie schlägt vor, den Text laut vorzulesen und beginnt damit. Bei dem zweiten Satz fragt sie erneut, ob que oder qui sont richtig ist. Markus scheint nicht zugehört zu haben und fragt zurück (was? Z. 1048). Elisa erläutert, dass sich que sont komisch anhöre und liest weiter. Markus spricht sich für que aus und markiert dabei Unsicherheit (glaub ich Z. 1050). Elisa liest den Text weiter vor. Anschließend 165 3.2 Analyseergebnisse <?page no="166"?> 56 Die Bezeichnung Sprachgefühl wird hier nach Eichler / Nold (2007), die diese im Kontext von Sprachbewusstheit erläutern, als implizites Wissen verstanden. Dieses entwickle sich für die Fremdsprache im Vergleich zum muttersprachlichen Lernprozess langsamer, da im institutionellen Fremdsprachenkontext vorwiegend ein Umgang mit der Sprache dominiert, der sich auf explizites Wissen und bewusstmachende Verfahren stützt. fragt sie nach der Schreibweise von pourquoi. Markus beginnt zu buchstabieren, Elisa präzisiert ihre Frage bzgl. Getrennt- oder Zusammenschreibung. Markus buchstabiert weiter und antwortet dann auf ihre konkrete Frage, parallel dazu wiederholt sie ihre Frage und rückversichert sich dann hinsichtlich Markus’ Antwort (sicher? Z. 1055). Er bestätigt und korrigiert ein weiteres qui in dem Text zu que. Elisa wendet die Klangprobe als Gegenargument an: das hört sich aber scheiße an mit que (Z. 1057). Markus beteuert die Richtigkeit (Z. 1058). Elisa argumentiert erneut mit dem Klang: nein das hört sich doof an (Z. 1059). Markus setzt zu seiner erinnerten Regel an (qui wird nur wenn personen Z. 1060). Elisa spricht parallel und sagt, dass sie bei ihrer Version bleiben möchte. Markus wendet ein, dass es falsch sei (Z. 1062). Elisa liest den Text weiter. Markus wiederholt, dass es so nicht richtig sei. Elisa spricht laut und mit steigender Intonation die von Markus vorgeschlagene Variante que sont? (Z. 1065) aus. Markus bestätigt. Elisa liest den Text weiter und spricht dann ins Mikrofon. Sie sagt, dass allein Markus für die Wahl des Relativpronomens que verantwortlich sei, wenn es falsch sei und dass sie qui schreiben wollte (Z. 1067). Markus bestätigt. Elisa relativiert, indem sie die Möglichkeit einräumt, dass er Recht haben könnte. Daraufhin beschwert sie sich, weil Markus sie gekniffen hat. Er verharmlost, sie betont den Schmerz und fragt, warum er sie immer kneife. Markus relativiert und sagt, dass es nicht fest gewesen sei. Handlungsbeschreibung Von Elisa initiiert, klären Markus und sie hier die Wahl des passenden Relativ‐ pronomens. Sie greifen dabei auf jeweils unterschiedliche Ressourcen zurück: Während Markus sein erinnertes Regelwissen einbringt - dieses allerdings mit Unsicherheit markiert und gleichzeitig dessen Richtigkeit beteuert (Z. 1058, 1062, 1064) -, stützt sich Elisa vorwiegend auf ihr Sprachgefühl 56 und argumentiert mehrfach mit dem Klang. Der Einsatz dieser Ressourcen führt zu keiner Klärung. Daraufhin macht Elisa einen Vorschlag, der die Verwendung des fraglichen Relativpronomens durch eine Umformulierung vermeidet. Allerdings lassen sich weder Elisa noch Markus voneinander überzeugen. Im Gegenteil, sie lassen sich nicht aufeinander ein, Aussage steht gegen Aussage, sie zweifeln ihre Ressourcen gegenseitig an, widersprechen sich und werden sich nicht einig. 166 3 Empirische Untersuchung <?page no="167"?> Elisa notiert que. Am Ende der Aufgabenbearbeitung nimmt Elisa die Frage des passenden Relativpronomens erneut auf. Auch nun kommt es zu keiner Einigung: Elisa zweifelt die Wahl des Relativpronomens que an, wohingegen Markus mehrmals dessen Richtigkeit beteuert, gleichwohl etwas verunsichert scheint. Schließlich belässt es Elisa bei Markus’ Variante und distanziert sich gleichzeitig öffentlich davon, indem sie ins Mikrofon spricht und klarstellt, dass Markus diese Lösung zu verantworten hat. Darauf reagiert Markus zunächst uneindeutig bestätigend (alles klar (uv) Z. 1068 f.) und geht dann zu einer körperlichen Handlung über: er kneift sie. Woraufhin sie heftig reagiert: oh das hat voll weh getan warum kneifst du mich immer? (Z. 1072) und er seine Handlung relativiert. Zielsetzungen Mit folgenden Erklärungsansätzen lassen sich die Handlungen von Elisa und Markus rekonstruktiv aus den Daten heraus deuten. Sie stehen in engem Zu‐ sammenhang mit der anzweifelnden Grundhaltung, die vor allem Elisa Markus entgegenbringt sowie mit der Art des Problems, welches sie hier bearbeiten: Ein übergreifendes Ziel ihrer Bearbeitung besteht darin, ihr sprachliches Problem zu lösen, nämlich die Frage nach dem passenden Relativpronomen. Dabei ist Elisa diejenige, die schreibt und Markus durch ihre Fragen zum Sprachexperten macht. Er nimmt diese Rolle an, antwortet auf ihre Fragen, aber sie zweifelt seine Antwort an, woraufhin er Unsicherheit markiert und sie damit indirekt in ihrem Zweifel bestätigt, diesen zumindest nicht entkräftet. Wäre er selbst sicher, könnte er Sicherheit markieren oder seine Regel begründet darlegen. Stattdessen stehen nun seine unsichere Aussage und Elisas Zweifel, die sie mit der Klangprobe begründet, im Raum. Gleichzeitig besteht Markus bis zum Schluss auf seiner Variante und korrigiert auch ein weiteres qui im Text zu que. Entweder scheint er sich also sicher genug zu sein oder er handelt einfach konsequent, evtl. auch um keine doppelten Fehler zu machen. Fest steht, dass es sich bei den eingesetzten Ressourcen ausschließlich um persönliche Wissens‐ bestände handelt. Anscheinend vertraut keiner der beiden dem eingebrachten Wissen des anderen (und evtl. auch nicht vollends dem eigenen). Oder aber es geht beiden in erster Linie darum, Recht zu haben, sich durchzusetzen oder auch darum, sich gegenseitig zu provozieren, wobei die Provokationen überwiegend von Elisa auszugehen scheinen. Für Letzteres sprechen ihre übertriebenen Reaktionen, das mehrfache Lachen und Kichern, die Widersprüche zwischen Aussage und Handlung. Aber auch Markus provoziert Elisa. Allerdings nicht in dieser Sequenz, sondern an anderer Stelle. Beispielsweise dadurch, dass sie ihn anweist, ein bestimmtes Wort nachzuschlagen und er stattdessen andere Wörter 167 3.2 Analyseergebnisse <?page no="168"?> nachsieht, vorliest, kommentiert und damit ablenkt. Diese möglichen Gründe (Recht haben, sich durchsetzen, provozieren) schließen sich dabei gegenseitig nicht aus und können gleichzeitig zutreffen. Nachdem Elisas Vorschlag eines ‚dritten Weges‘ mit der Vermeidung von que durch die Umformulierung des Satzes abgelehnt ist, verharren beide auf ihrer Position, es findet keine weitere Annäherung statt, es werden keine Handlungsalternativen eingebracht; statt‐ dessen werden die bereits angebrachten Argumente wiederholt, die Fronten sind zunehmend verhärtet. Dies sind Hinweise darauf, dass es hier weniger um eine sachliche Klärung, als um eine Frage der Macht geht. Eine weitere Erklärung für den hier beschriebenen Verlauf der Bearbeitung lässt sich in einen Zusammenhang mit der Art des Problems bringen. Es handelt sich um ein Problem, dessen Lösung mit den zur Verfügung stehenden Res‐ sourcen - Wörterbuch und persönlichen Ressourcen der Interaktanten - nicht eindeutig geklärt werden kann, da die Frage umfassenderes Wissen und eine gemeinsame Einigung erfordert. Sie könnte bspw. mit Hilfe eines Grammatikre‐ gelwerks oder einer Internetrecherche geklärt werden. Persönliche Ressourcen werden hier zwar eingebracht, aber gleichzeitig angezweifelt und somit nicht produktiv eingesetzt. Die spätere, von Elisa initiierte Wiederaufnahme deutet einmal mehr darauf hin, dass sie die Lösung anzweifelt und mit der bisherigen Bearbeitung nicht zufrieden ist. Aber auch in der wiederaufgenommenen Bearbeitung kommt es zu keiner Einigung. Stattdessen notiert Elisa Markus’ Variante. Damit setzt sich formal gesehen Markus’ Variante durch bzw. Elisa akzeptiert und realisiert seine Lösung, aber gleichzeitig distanziert sie sich öffentlich davon, indem sie ihre Verantwortung abweist und Markus die allei‐ nige Verantwortung zuweist. Dies formuliert sie in Form einer eingeschränkten Schuldzuweisung: Sollte die Lösung falsch sein, sei es seine Schuld. Auffällig ist, dass Elisa Markus die Verantwortung lediglich im Falle einer falschen Lösung zuweist, um im Falle eines Fehlers keinerlei Schuld zu tragen. In diesem Sinne akzeptiert sie seine Lösung, es findet schlußendlich ein Konsens statt, aber eben nur unter bestimmten Bedingungen, nämlich wenn die Lösung sprachformal korrekt ist. Auf diese Weise geht Elisa ‚nicht im Konsens unter‛, es bleibt ein Unterschied: Sie akzeptiert mit Einschränkung, ohne voll hinter der Bearbeitung zu stehen. Dadurch, dass Elisa ins Mikrofon spricht und sich an die Forscherin wendet, tut sie dies öffentlich und erhöht damit den Druck und das Verletzungspotential für Markus. Diese Situation baut sich im Verlauf der Sequenz sukzessiv auf: Sie beginnt mit einer mehrmaligen Ablehnung von Markus’ Variante, geht über mehrfachen Widerspruch und mündet schließlich in einer öffentlichen Distanzierung. Dabei spricht Elisa ihn zunächst betont und direkt an und weist ihm Schuld zu (dann bist DU dran schuld Z. 1067). 168 3 Empirische Untersuchung <?page no="169"?> 57 Bei der Bearbeitung ist jeweils ebenfalls möglich, dass es den Schülerinnen und Schülern nicht gelingt, ihr Problem zu lösen, da bspw. die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung stehen oder Unsicherheiten sie behindern. Diese Möglichkeit ist gegeben, wird in den nachfolgenden Darstellungen der einzelnen Problemlösetypen in dem Teilkapitel zu den Funktionspotentialen jedoch nicht jedes Mal ausgeführt, sondern nur als Möglichkeit benannt. 58 Hier kann angeknüpft werden an die Doppelbindungstheorie, die von Bateson et al. (1956) entwickelt wurde, um schizophrene Erkrankungen zu beschreiben. Dabei handelt es sich um eine Situation, in der Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und mit widersprüchlichen Botschaften konfrontiert werden. Damit befinden sie sich Anschließend spricht sie in der dritten Person über ihn, wendet sich also explizit an die Forscherin und verstärkt somit noch den Distanzierungseffekt: ER hat das gemacht (Z. 1067) Markus’ Reaktion auf diese Verantwortungszuweisung bestätigt die hier dargelegte Interpretation: Er geht zu einer körperlichen Handlung über, kneift Elisa. Damit geht es offensichtlich nicht mehr um den sprachlichen Gegenstand, sondern darum, Position zu beziehen, sich zu wehren. Da er mit Worten bislang nichts erreichen konnte, setzt er hier eine körperliche Handlung ein. Anders hingegen wirken Elisas Worte: Sie sind mächtig in dem Sinne, dass sie öffentlich sind und damit die Verantwortung verbal festgehalten und durch die Audioaufnahme gar zeitlich fixiert wird. Dass ihr hiermit eine Provokation gelungen ist, zeigt sich in Markus’ Reaktion. Elisa hat somit ihr Gesicht gewahrt, sich durchgesetzt, während Markus ggf. als der ‚Schuldige‘ fungiert. Funktionspotentiale Aus diesen Beschreibungen und Erklärungsansätzen können folgende mögliche Funktionen hergeleitet werden: Der Ausgang der Bearbeitung zeigt, dass es Elisa und Markus schlussendlich - und nach erneuter Bearbeitung - gelingt, sich für ein Relativpronomen zu entscheiden und ihr Problem damit zu lösen, auch wenn Elisa von dieser Lösung nicht überzeugt scheint ((Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems 57 ). Der von ihr eingebrachte Zweifel kann unterschiedliche Konsequenzen haben: Wird dem Gegenüber, wie dies hier geschieht, mit einer anzweifelnden Grundhaltung begegnet, kann dies zum einen bedeuten, dass ihm kein Vertrauen entgegen‐ gebracht wird (Vertrauensentzug). Zum anderen kann dies dazu führen, dass Elisa ihn in seiner Rolle nicht akzeptiert, obwohl er seine Rolle formal in der realisierten Beziehung innehat. So wird bspw. Markus einerseits zum Sprachexperten gemacht und handelt auch entsprechend, gleichzeitig wird er nicht als solcher akzeptiert, was zu ungeklärten Rollenverhältnissen i. S. der Doppelbindungstheorie 58 und damit letztendlich zu Verletzung führen kann 169 3.2 Analyseergebnisse <?page no="170"?> in einem Dilemma, da sie diesen Anforderungen (aufgrund deren Widersprüchlichkeit) nie vollständig gerecht werden können (vgl. auch Double-bind hypothesis 2013). (‚Rollenverwirrung‛). Ein weiteres Szenario ist das Aufgeben der Rolle durch die angezweifelte Person, die sich evtl. ganz aus der Bearbeitung zurückzieht, da ihre Beiträge sowieso nicht anerkannt werden (Ausstieg). Positiv gewendet kann die Handlung des Anzweifelns ein Impuls für eine Problembearbeitung sein und eine eindeutige Klärung nach sich ziehen. In dem vorliegenden Fall spricht zwar wenig für die Realisierung dieser Funktion, aber in anderen Fällen in diesem Datensatz kann sie rekonstruiert werden, wie z. B. in SG 07 capitale, wo auf das Anzweifeln eine Prüfhandlung mit eindeutiger Klärung folgt (Prüfhandlung). Elisa zweifelt Markus’ Vorschlag an und setzt mehrfach eine Klangprobe als Gegenargument ein. Er hält mit erinnertem Regelwissen dagegen. Zwei verschiedenartige Ressourcen - Sprachgefühl vs. erinnertes Wissen - werden eingebracht und miteinander konfrontiert, was zu gegenseitiger Ergänzung und Bereicherung führen kann (Bereicherung). Andererseits birgt dies die Gefahr, wie in dem vorliegenden Fall zu beobachten, dass diese Ressourcen nicht anerkannt werden und es dann darum geht, sich gegenseitig zu überzeugen bzw. einen Konsens zu finden. Hierbei kann die Frage der Macht eine bedeutende Rolle spielen, wenn sich beide um jeden Preis durchsetzen und recht haben wollen. Dann steht nicht die Sache im Fokus, sondern die eigene Person. Diese Konfrontation kann u. a. dazu führen, dass sich die Bearbeitung lange hinzieht oder auch unter persönlichen Befindlichkeiten leidet (Machtkampf). In Verbindung mit der Machtfrage steht der Aspekt des Gesichtwahrens bzw. der Gesichtsbedrohung (face-threatening), wie es im Gesichtskonzept beschrieben wird (s. auch Kap. 2.2.3.): Während Elisa hier offensichtlich be‐ strebt ist, ihr eigenes Gesicht zu wahren, indem sie sich von Markus’ evtl. ‚falscher‘ Lösung distanziert (Gesichtwahren), handelt sie gegenüber Markus gesichtsbedrohend. Sie schützt somit ihr Gesicht auf Kosten von Markus. Dies realisiert sie mit einer öffentlichen Schuldzuweisung, die als Angriff verstanden werden kann, der wiederum Folgen nach sich zieht, die diese Situation noch verstärken. Wird diese Schuldzuweisung von Markus als Gesichtsbedrohung wahrgenommen, kann er verletzt sein i. S. eines persönlichen Angriffs und einem damit verbundenen Vertrauensbruch. Dies wiederum kann zu einem Motivationsverlust seitens des Bedrohten führen, der sich zu Gleichgültigkeit bis hin zum Ausstieg aus der Bearbeitung steigern kann (Gesichtsbedrohung). Gelingt wie in dem vorliegenden Fall keine Einigung auf sachlicher Ebene, kann trotz Uneinigkeit dennoch eine Lösung erreicht werden, indem eine Ver‐ 170 3 Empirische Untersuchung <?page no="171"?> lagerung auf die soziale Ebene stattfindet: Markus und Elisa gelingt es, unter den gegebenen Bedingungen auf diese Art, ihr Problem zu lösen. Auch wenn dieser Lösungsweg durch die einseitige Verantwortungszuweisung Verletzungspoten‐ tial birgt, ist er nicht per se als destruktiv anzusehen, denn auf diese Weise finden sie eine Lösung, einen ‚bedingten‘ Konsens (Verantwortungszuweisung). Drei weitere Funktionen, die vor allem in dieser Dyade auftreten, sind Spiel, Neckerei und Provokation. Dies bestätigt sich auch in weiteren Fällen dieser Dyade und tritt dort sehr deutlich hervor: Sie spielen mit dem Wörterbuch (insb. Markus), lesen sich Einträge vor, die nicht zu ihrer Problembearbeitung beitragen und z. T. spielerisch beleidigend (tu es un tas Z. 397) oder auch sexuell konnotiert sind (geschlecht heißt (.) le sexe ((kichert)) Z. 627). Ihre Reaktionen können z. T. als kindliches Verhalten beschrieben werden (heul doch Z. 1078). Außerdem kichern sie viel, thematisieren Körperliches (z. B. ihr Aussehen), re‐ agieren mit übertriebenen, gar theatralisch anmutenden Handlungen (z. B. SG 03 in der natur Z. 304 f.) und provozieren sich gegenseitig: So macht bspw. Elisa eine Ansage, um sie gleich wieder zu revidieren, widerspricht und setzt es dann doch so um ( SG 03 in der natur Z. 305-309). Das gemeinsame Spiel und Spaßhaben steht im Vordergrund und ist eng verbunden mit provokativem Verhalten, das wiederum ein Verletzungsrisiko birgt (Spiel, Neckerei und Provokation). Zusammenfassend können folgende rekonstruierte Funktionspotentiale auf‐ gezählt werden: (Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems, Vertrauens‐ entzug, Rollenverwirrung, Ausstieg, Prüfhandlung, Bereicherung, Machtkampf, Gesichtswahrung und -bedrohung, Verantwortungszuweisung, Spiel, Neckerei und Provokation. Fallvergleich Die Grundlage für die Erarbeitung des Typs „Sich Distanzieren“ bilden drei Fälle, die alle in der Dyade SG 03 an verschiedenen Stellen des Schreibgesprächs auf‐ treten. Neben dem hier einführend wiedergegebenen Transkriptauszug ( SG 03 qui / que sont), lassen sich zwei weitere Sequenzen diesem Typ zuordnen ( SG 03 dans la nature, tu peux / t). Dyadenintern werden folgende Kontrastfälle hinzu‐ gezogen SG 03 beliebt bei touristen, all diese dinge, parfait. Dyadenübergreifend dienen nachstehende Kontrastfälle dazu, den Typ klarer herauszustellen: SG 02 171 3.2 Analyseergebnisse <?page no="172"?> 59 Die Problemlösesequenzen SG03 beliebt bei touristen, SG04 nous schreiben, SG05 mitte, bâtiment mieux sowie SG07 bootstour werden hier in Bezug auf offensichtliche Teilas‐ pekte (wie z. B. Konsensbildung) als Kontraste hinzugezogen, es liegen in diesen Fällen jedoch keine detaillierten Sequenzanalysen zugrunde. Da sie hier als Kontrastfälle herangezogen werden, sind sie jedoch im Anhang enthalten (s. Anhang 4). beaucoup de, SG 04 nous schreiben, SG 05 mitte, seine, bâtiment mieux, SG 07 bootstour, SG 08 là. 59 Vergleich Ähnlichkeit Im Vergleich der drei ähnlichen Fälle (minimale Kontraste) aus Dyade 03 kristallisieren sich folgende übergreifende Merkmale heraus, die in dem Typ „Sich Distanzieren“ zusammengefasst werden können: 1. Beteiligung: beide beteiligen sich 2. Ressourcen: beide bringen Ressourcen ein 3. Anzweifeln: eingebrachte Ressourcen werden angezweifelt 4. Dissens: es wird keine sachliche einvernehmliche Klärung erreicht 5. Verantwortung: Durch Zu-/ Abweisen von Verantwortung wird Distanzie‐ rung realisiert 6. Art des Problems: Problem ist mit den vorhandenen Ressourcen nicht eindeutig lösbar Das prägende Merkmal des Typs „Sich Distanzieren“ ist, dass sich zwar beide In‐ teraktanten aktiv bei der Bearbeitung beteiligen (1. Beteiligung) und Ressourcen einbringen (2. Ressourcen) - was voraussetzt, dass sie über entsprechende Ressourcen verfügen -, aber dass diese Ressourcen angezweifelt werden. In allen drei Fällen ist Elisa diejenige, die einerseits Markus qua Amt zum Sprach‐ experten macht (sie schreibt, fragt ihn), ihm gleichzeitig nicht vertraut und ihn dieses Amtes wieder enthebt (3. Anzweifeln). Auf welcher Grundlage sie seine Ressourcen anzweifelt und seine Rolle zurückweist, ist aus den Daten nicht eindeutig rekonstruierbar. Machtspiel und Provokation scheinen eine Motivation zu sein, stellenweise wirkt es so, als ob sie seine Vorschläge aus Prinzip anzweifelt. Rein sprachformal betrachtet sind Elias Zweifel nur in dem zitierten Fall SG 03 qui / que sont angebracht, denn Markus liegt tatsächlich falsch. In den anderen zwei Fällen hat Markus sprachformal gesehen recht. Dennoch zweifelt sie seine Ressourcen an, was darauf hindeutet, dass es sich hier um eine prinzipiell anzweifelnde Grundhaltung ihm gegenüber handelt. Fest steht, dass Elisa insgesamt eine dominierende Rolle einnimmt: Sie gibt häufig Anweisungen, sie ist diejenige, die den überwiegenden Teil der Sequenzen initiiert (16 von 20) und viele Entscheidungen trifft. Er hingegen bringt sich 172 3 Empirische Untersuchung <?page no="173"?> zwar auch ein, ggf. verteidigt er sich auch, aber er akzeptiert überwiegend ihre Beiträge. Das vierte übergreifende Merkmal sagt aus, dass es den Interaktanten zunächst nicht gelingt, einen Konsens und damit eine sachliche und einver‐ nehmliche Klärung zu erreichen. Jeder beharrt auf seiner Position, es findet keine Annäherung statt (4. Dissens). Eine Lösung gelingt erst dadurch, dass die gemeinsame Verantwortung von Elisa aufgekündigt und allein Markus zugewiesen wird. Auf diese Weise distanziert sie sich von der realisierten Lösung und akzeptiert diese gleichzeitig eingeschränkt (5. Distanzierung). Daraufhin kann die gemeinsame Bearbeitung fortgeführt werden. Die Tatsache, dass es zu einer derartigen Bearbeitung kommt, hängt auch mit der Art des Problems zusammen. In allen drei Fällen handelt es sich um Probleme, die mit den vorhandenen Ressourcen nicht eindeutig zu lösen sind (6. Art des Problems). Entweder, da die Interaktanten selbst nicht über die entsprechenden und als sicher wahrgenommenen Ressourcen verfügen, oder da ihnen externe Ressourcen nicht zugänglich sind bzw. nicht hilfreich erscheinen. Der Typ „Sich Distanzieren“ beschreibt somit eine Bearbeitungsweise, bei der, trotz des Einbringens der jeweiligen Ressourcen, ausgehend von einer anzweifelnden Haltung, Dissens erzeugt und schließlich der ‚Wir-Bezug‘ auf‐ gegeben, gar verletzt wird. Stattdessen findet Distanzierung statt, die durch eine einseitige Verantwortungszuweisung realisiert wird und als ‚Du-Bezug‘ beschrieben werden kann. Im Zentrum dieses Problemlösetyps scheint weniger die sachliche als die persönliche Ebene zu stehen: die Faktoren Spaß und Macht treten in den Vordergrund. Ausprägungsgrade Die drei erarbeiteten Fälle des Typs „Sich Distanzieren“ weisen verschiedene Ausprägungsgrade hinsichtlich der Bearbeitungsintensität, der Art der Verant‐ wortungszuweisung und damit zusammenhängend dem potentiellen Verlet‐ zungsrisiko auf. Die drei Fälle variieren zum einen hinsichtlich der Bearbeitungsintensität, die mit der Dauer der Bearbeitung und der Anzahl der Wiederaufnahmen beschrieben werden kann. Der Fall SG 03 dans la nature wird zwei Mal wieder‐ aufgenommen und erneut bearbeitet. Der Fall SG 03 qui / que sont wird ein Mal wiederaufgegriffen, der Fall SG 03 tu peux / t hingegen besteht aus einer einzigen kurzen Sequenz ohne Wiederaufnahme. Sowohl die Problemlösesequenzen als auch die zugehörigen Wiederaufnahmen werden hier jeweils von Elisa initiiert. Dies deutet darauf hin, dass sie die Sequenzen als nicht befriedigend gelöst wahrnimmt. 173 3.2 Analyseergebnisse <?page no="174"?> In den drei Fällen variiert zudem der Grad der Explizitheit, mit dem die Verantwortungszuweisung realisiert wird. Er steigert sich im Verlauf der Bear‐ beitung von scherzhaft, drohend zu explizit und öffentlich in dem Kulminati‐ onspunkt SG 03 qui / que sont. Während die ersten zwei Zuweisungen implizit durch Kommentare erfolgen SG 03 dans la nature: auf deine kosten (Z. 309) sowie SG 03 tu peux / t: hoffe ich für dich (Z. 716), erfolgt die Zuweisung in der letzten Problemlösesequenz SG 03 qui / que sont explizit und zudem an die Öffentlichkeit adressiert: wenn das dann nachher falsch ist ne dann bist DU dran schuld Er hat das gemacht mit dem que nicht ich ich wollte qui schreiben (Z. 1067). Der Grad der potentiellen Verletzung, der sich daraus ergibt, ist u. a. abhängig davon, auf welche Weise die Verantwortungszuweisung realisiert wird. Eine explizite und öffentlich adressierte Zuweisung birgt ein vergleichsweise sehr hohes Verletzungspotential und lässt eine andere Reaktion erwarten als bspw. eine implizite Zuweisung per scherzhaftem Kommentar. Demnach sind auch Markus’ Reaktionen auf die Verantwortungszuweisungen unterschiedlich: Im ersten Fall (dans la nature) weist er zunächst die Verantwortung ab, kichert dann und kommentiert relativierend die Tragweite eines möglichen ‚Fehlers‘. Er sagt, dass sie noch nicht am Text selbst, sondern ‚nur‘ an der Stichwortsuche arbeiten (Z. 315) und räumt möglichen fehlerhaften Entscheidungen damit kein allzu großes Gewicht ein. Im zweiten Fall (tu peux / t) reagiert er gelassen, lacht und kommentiert, dass er sich in diesem Bereich auskenne. Er scheint sich der Korrektheit seines Wissens sicher zu sein, reagiert entsprechend selbstbewusst und markiert so seine Sicherheit (Z. 717). Im dritten Fall (qui / que sont) markiert er auf Elisas Anzweifeln hin Unsicherheit und geht schließlich zu einer körperlichen Handlung über und kneift Elisa, fügt ihr damit potentiell (ebenfalls) eine Verletzung i. S. einer Vergeltung zu (Z. 1068-1070). Dieses Reaktionsspektrum deutet darauf hin, dass die Reaktionen auf die alleinige Verantwortungszuweisung in verschiedenen Zusammenhängen stehen, erstens wie sicher sich Markus seiner Ressourcen ist, zweitens wie explizit und öffent‐ lich die Zuweisung erfolgt ist und drittens welche Tragweite einer eventuellen Nicht-Korrekheit zugeschrieben wird. Vergleich Kontrast Der Einbezug dyadeninterner und -übergreifender Kontrastfälle (maximale Kontraste) soll dazu beitragen, den Typ „Sich Distanzieren“ weiter auszu‐ schärfen. In der Auswahl der nachfolgenden Kontrastfälle wurden folgende Tertia Comparationis gewählt: Bearbeitung eines ähnlichen Problems, es steht Aussage gegen Aussage, Anzweifeln, Verlagerung von der sachlichen auf die persönliche Ebene sowie Formen der Distanzierung. 174 3 Empirische Untersuchung <?page no="175"?> Der Vergleich von Fällen mit Problemen, die mit den vorhandenen Res‐ sourcen nicht eindeutig gelöst werden können und ähnlich zu denjenigen Problemen des Typs „Sich Distanzieren“ sind (Erarbeitung eines Ausdrucks, Passung Pronomen, Konjugation unsicher), zeigt, dass es dieser Dyade auch durchaus gelingen kann, ihr Problem auf sachlicher Ebene zu klären, wie bspw. in den Fällen SG 03 beliebt bei touristen oder auch SG 03 all diese dinge, in denen jeweils ein Ausdruck erarbeitet wird. Andere Kontrastfälle aus anderen Dyaden zeigen, dass wenn die jeweiligen Rollen anerkannt werden und sich beide bemüht mit ihren Ressourcen einbringen, auch ‚schwer lösbare‘ Probleme gelöst werden können - wobei ‚gelöst‘ noch nichts darüber aussagt, ob es sich um eine zielsprachenkonforme Lösung handelt oder nicht, sondern nur, dass eine Lösung gefunden und die Bearbeitung damit beendet wurde (z. B. SG 01 peut / pourrait). Der Vergleich mit Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, zeigt, dass es nicht unbedingt zu einem Dissens kommen muss, wenn unterschiedliche Auffassungen vorliegen. Eine sachliche Konsensbildung ist ebenso möglich. In der Dyade SG 05 befinden sich mehrere Problemlösesequenzen, in denen Aussage gegen Aussage steht und es den Interaktanten dennoch gelingt, einen Konsens herzustellen ( SG 05 mitte, seine, bâtiment mieux). Dies gelingt, da sie ihre Frage eindeutig mit dem Wörterbuch klären können - die Konsensbildung ist also auch abhängig von der Art des Problems. Zudem ist entscheidend, dass beide Interaktanten die jeweils eingebrachten Ressourcen akzeptieren, ihnen trauen und dass sie Sicherheit markieren und damit überzeugen können, wie z. B. in SG 05 bâtiment mieux. Wie in anderen Fällen ersichtlich, kann die Handlung des Anzweifelns zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Es muss nicht unbedingt dazu kommen, dass unterschiedliche Auffassungen miteinander in Konflikt geraten und Dis‐ tanzierung stattfindet: In SG 03 parfait beispielsweise fragt Elisa nach der Schreibweise von parfait. Markus beginnt zu buchstabieren, stockt, korrigiert sich. Elisa schlägt eine andere Variante vor und zweifelt damit Markus’ Variante an. Er widerspricht, ist verunsichert, beginnt im Wörterbuch zu suchen und bestätigt schließlich die Richtigkeit von Elisas Vorschlag. Die Handlung des Anzweifelns führt hier zu einer eindeutigen und einvernehmlichen Konsensbil‐ dung und Klärung mit dem Wörterbuch; dies ist aufgrund der vorhandenen Ressourcen möglich, folglich auch abhängig von der Art des Problems (hier: eindeutig lösbar mit Wörterbuch). Weitere detaillierte Sequenzanalysen zeigen, dass Anzweifeln sowohl auf den Beitrag des anderen als auch den eigenen Beitrag bezogen sein, somit selbst- oder fremdinitiiert zu einer Prüfhandlung 175 3.2 Analyseergebnisse <?page no="176"?> führen kann oder auch dazu, dass durch Regelwissen überzeugt wird (z. B. SG 08 berge, SG 01 visiter). Fälle, in denen eine Verlagerung von der sachlichen auf die persönliche Ebene erfolgt, sind in dem Datensatz nur selten anzutreffen - insgesamt überwiegt eine pragmatische Herangehensweise und ein Abarbeiten mit ko‐ operativer Grundhaltung. Ein Fall einer derartigen Verlagerung, neben den bereits erwähnten aus der Dyade SG 03, liegt in SG 02 beaucoup de vor: Darin geht es um den korrekten Anschluss an die Mengenangabe beaucoup. Tom und Steffen sind unterschiedlicher Auffassung, bzw. Steffen ist verwirrt und hat Klärungsbedarf. Hinzu kommt ein Missverständnis, vermutlich verursacht durch falsche Aussprache von des und de. Steffen erinnert sich vage an eine Regel, wohingegen Tom davon überzeugt ist, dass er recht hat und versucht, Steffen zu überzeugen. Dazu markiert er mehrfach Sicherheit (glaubs mir es ist richtig so Z. 421) und erhebt seine Stimme. Erst an relativ später Stelle nennt er die Regel, die er erinnert und als richtig bewertet. Dadurch, dass er laut wird und auf die Korrektheit seiner Regel beharrt, indem er Steffen auffordert ihm zu glauben, wechselt er auf die persönliche Ebene und versucht den Konflikt auf einer rational-sachlichen Ebene mit Dominanz zu lösen. Schlussendlich lässt sich Steffen überzeugen oder akzeptiert Toms Beitrag, was sich auch an anderer Stelle bestätigt, als er die in diesem Zusammenhang geklärte Regel anderweitig anwendet. Anders als in den Fällen aus SG 03 findet hier die Verlagerung auf die persönliche Ebene nicht durch Distanzierung und Verantwortungszuweisung statt, sondern indem Tom versucht, zu dominieren, Autorität aufzubauen und damit zu überzeugen. Vergleichbar sind dabei die Haltungen der dominierenden Personen: Tom dominiert, lässt sich nicht wirklich auf Steffens Problem ein - evtl. versteht er es nicht - und reagiert potentiell verletzend (dicker nu wirfs nicht durcheinander Z. 421). Auch Elisa dominiert und verhält sich potentiell verletzend. Neben den drei erläuterten Fällen der Dyade 03 ist ein weiterer Fall aufzu‐ finden, in dem eine Handlung vorkommt, die mit Distanzierung beschrieben werden kann. In dem Fall SG 08 là bewertet Johanna den gemeinsam erarbeiteten Text kritisch, sie lacht ihn gar aus, wie ihre Partnerin Lina anmahnt (Z. 770). Lina ihrerseits gibt ihre Einstellung gegenüber dem Fach Französisch preis, indem sie kichernd sagt, dass sie franz abgewählt [habe] (Z. 790, 792). Damit relativieren beide Schülerinnen ihre Leistung in dem Sinne, dass sie diese entschuldigen bzw. erklären: Lina kommuniziert, dass sie das Fach Französisch nicht interessiert und Johanna macht deutlich, dass sie den Text für verbesserungswürdig hält. Sie nehmen hier eine Distanzierung vor, aber nicht i. S. v. Verantwortungszu‐ weisung, sondern durch eine kommentierende Stellungnahme, die sich auf 176 3 Empirische Untersuchung <?page no="177"?> ein Gesamtergebnis, den Text ( Johanna) bzw. die Leistung und Motivation bzgl. des Fachs Französisch allgemein (Lina) bezieht. Da hier allerdings die zentralen Merkmale des Typs „Sich Distanzieren“ wie Anzweifeln, Dissens, Verantwortungszu-/ -abweisung nicht vorliegen, handelt es sich hier zwar um eine Art der Distanzierung, aber sie ist nicht zugehörig zu diesem Typ. Der Fallvergleich hebt die charakteristischen Merkmale des Typs „Sich Distanzieren“ hervor, zeigt mögliche Ausprägungsgrade auf und hilft, durch Kontrastfälle Abgrenzungen vorzunehmen. Die Kontrastfälle sowohl innerhalb als auch außerhalb der Dyade zeigen, dass bestimmte Handlungen und Be‐ dingungen, die für den Typ „Sich Distanzieren“ kennzeichnend sind, auch in anderen Dyaden vorkommen, dort aber unter anderen Voraussetzungen auftreten und andere Funktionen erfüllen. Abgrenzung zu anderen Typen Aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen den Typen „Alleingang“ und „Sich Distanzieren“ folgt hier eine Abgrenzung dieser beiden Typen: In beiden Typen gehört der Umgang mit Verantwortungsübernahme zu den übergreifenden Merkmalen. Im „Alleingang“ allerdings übernimmt eine Person selbstinitiiert die Hauptverantwortung, wohingegen beim „Sich Distanzieren“ die Verantwor‐ tungsübernahme fremdinitiiert, aufoktroyiert wird. Der zentrale Unterschied besteht also darin, dass die Person im Alleingang selbstinitiiert und selbstbe‐ stimmt handelt, ihrer Handlung auch nicht unbedingt ein Anzweifeln des Anderen vorausgeht (es kann auch selbstbezogen sein). Somit ist die Handlung für die verantwortungstragende Person potentiell nicht bedrohend, wohingegen sie dies in dem Typ „Sich Distanzieren“ ist. Eine weitere Ähnlichkeit besteht zwischen den Handlungen der Distanzie‐ rung und der momentanen Nichtbeteiligung, wie sie im Typ „Alleingang“ vorkommt: Ähnlich sind sie insofern, als es in beiden darum geht, selbst keine Verantwortung zu übernehmen. Beim Typ „Sich Distanzieren“ handelt es sich allerdings um eine aktive und für die andere Person potentiell gesichtsbedro‐ hende Abweisung von Verantwortung, um das eigene Gesicht zu wahren. Anders bei der Nichtbeteiligung im Alleingang: Hier geht es um ein momentanes Aussteigen, das unterschiedliche Gründe haben kann, z. B. Müdigkeit oder Unwissen. Theoretische Anknüpfungspunkte Folgende theoretische Anknüpfungspunkte bieten sich für eine erweiterte Betrachtung des Phänomens an, bzw. können herangezogen werden, um die hier dargelegten Befunde theoretisch zu stützen: 177 3.2 Analyseergebnisse <?page no="178"?> Im Gegensatz zu den anderen, hier erarbeiteten Typen lässt sich der Typ „Sich Distanzieren“ keinem der in Storchs (2002) Modell dargestellten Interak‐ tionstypen zuordnen. Nimmt man die darin von ihr eingesetzten Dimensionen, anhand derer sie die vier Typen beschreibt, ließe sich der Typ „Sich Distanzieren“ beschreiben als einseitig dominiert (equality) - wobei sich beide Interaktanten beteiligen und einbringen, aber hierarchisch ein leichtes Ungleichgewicht be‐ steht - mit geringen Bezugnahmen (mutuality). In ihrer Konzeption setzt Storch Kooperationsbereitschaft und Einigung unter den Interaktanten heraus. Im Typ „Sich Distanzieren“ kommt es jedoch zum Dissens und ein Konsens gelingt nur, indem die Bearbeitung auf eine andere, persönliche Ebene verlagert wird, was mit Gesichtsbedrohung einhergehen kann. Somit kommt in diesem Typ mit der Verlagerung auf die persönliche Ebene im Vergleich zu Storchs Modell eine soziale Dimension hinzu, die sich mit den gegebenen Rollenverständnissen erklärt. Ein ‚negativ-Bezug‘ lässt sich mit Tomasellos (2009) Theorie zu koopera‐ tivem Verhalten herstellen. Als Basis für kooperatives Verhalten nennt er u. a. gegenseitiges Vertrauen, Rollenwahrnehmung und -verständnis sowie ein Wir-Gefühl (ebd.: 57). All dies trifft in dem hier beschriebenen Typ nicht zu: die Handlung des Anzweifelns ist zurückzuführen auf mangelndes Vertrauen und kann wiederum dazu führen, dass die jeweiligen Rollen nicht akzeptiert werden. Zudem wird durch den Akt der Distanzierung das Wir-Gefühl gefährdet und das Gemeinsame in Frage gestellt. Daraus lässt sich schließen, dass es sich beim Typ „Sich Distanzieren“ um einen Typ handelt, der nicht kooperativ ausgerichtet ist. Gleichzeitig sind kooperative, gar kollaborative Elemente auch nicht per se ausgeschlossen, aber es dominiert eben nicht eine kooperative Grundhaltung, wie sie bspw. in dem Typ „Kollaborieren“ ausgeprägt ist (s. Kap. 3.2.2.5.). Vielmehr steht die persönliche Ebene im Vordergrund. Direkt anschließen lässt sich auch an die Höflichkeitstheorie von Brown / Le‐ vinson (1987) und das darin enthaltene Konzept von Gesicht (face). Während, laut Theorie, i. d. R. versucht wird, gesichtsbedrohende Akte (face-threatening acts) zu vermeiden, wird ein derartiger Akt von Elisa provoziert. Es handelt sich um einen expliziten, nicht misszuverstehenden gesichtsbedrohenden Akt, der für Markus den Reaktionsdruck erhöht. Elisa bedroht offenkundig und explizit (on record) das negative Gesicht von Markus, stellt ihn damit bloß, provoziert ihn und zieht sich damit (auf den ersten Blick) geschickt aus der Affäre: Sie schützt sich selbst, indem sie Markus angreift und bedroht damit sein positives Gesicht. Auch an Imos (2016) Praktiken des Zweifelns lässt sich anschließen. Er untersucht, wie Zweifel im Gespräch realisiert wird und stellt fest, dass dies 178 3 Empirische Untersuchung <?page no="179"?> mit verbalen, non- und paraverbalen Mitteln möglich ist. Zweifel kann sowohl implizit (prosodisch oder z. B. durch Lachen) als auch explizit (z. B. metasprach‐ lich, mit Gegenargumenten, dem Ausdruck von Skepsis) erfolgen und wird gemeinsam hergestellt. Die Äußerung einer Person wird von der anderen infrage gestellt und entsprechend angezeigt. Dies kann dazu führen, dass die eingebrachte Äußerung revidiert, modifiziert, relativiert, also in einer Form bearbeitet wird. Ebendies ist in den vorliegenden Fallanalysen zu beobachten. Es konnte die Handlung des Anzweifelns rekonstruiert werden, die explizit auf das von der anderen Person eingebrachte Wissen gerichtet ist. Die Entwicklung der Funktionspotentiale hat gezeigt, welche Folgen die Handlung des Anzweifelns nach sich ziehen kann (u. a. Prüfhandlung, Machtkampf, Gesichtsbedrohung). Zusammenfassend Zusammenfassend kann der Typ „Sich Distanzieren“ wie folgt beschrieben werden: Die eingebrachten Ressourcen einer Person werden angezweifelt. Es kommt zu keiner konsensualen Einigung, stattdessen weist die anzweifelnde Person ihrem Gegenüber die alleinige Verantwortung dafür zu und distanziert sich auf diese Weise. „Sich Distanzieren“ bedeutet, dass die gemeinsame Ver‐ antwortung für das Produkt und / oder den Prozess aufgehoben wird, indem sie einer Person alleine zugewiesen wird. Damit wird der ‚kollaborative Pakt‘ verletzt, der qua Aufgabenstellung durch das kollaborative Schreiben gesetzt ist. Dies führt dazu, dass ebenfalls das ‚Wir‘ verletzt wird. Es kommt zu einer Verlagerung von der sachlichen auf die persönliche Ebene, die Beziehung zwi‐ schen den Interaktanten rückt in den Vordergrund. Neckereien und Machtspiele gewinnen an Relevanz. 179 3.2 Analyseergebnisse <?page no="180"?> 3.2.2.2 „Alleingang“ (Z. 67 6 -68 5 ; Zeit 34: 02-34: 37) Datenauszug 2 SG01 joli/ joliment 676 (1) 677 JE: <<leise> quel[_que]> 678 PA: [_que] cho: se 679 (4) 680 PA: plu: : : : s (.) joli? (.) (uv) 681 (5) 682 PA: quelque chose plus joli (2) joliment? (1) nein warte ist es ein a adjektiv oder ein adverb? 683 JE: das weiß ich auf keiner sprache 684 PA: da: s ist ein adjektiv (.) also joli ist richtig (.) punkt 685 (6) Abb. 06: Textauszug SG01, 6. Satz Paraphrase In der vorliegenden Sequenz sind Pauline und Jean dabei, den sechsten Satz ihres Textes über Paris zu schreiben. Während Jean die Schreibrolle innehat, ist Pauline diejenige, die den inhaltlichen Beitrag liefert. Beim Diktieren von quelque chose plus joli (Z. 682) wird sie unsicher, ob sie das Adjektiv joli oder das entsprechende Adverb einsetzen muss und probiert das Adverb mit steigender Intonation aus (joliment? Z. 682). Sie expliziert ihre Unsicherheit und benennt die Frage, die sie hat: nein warte ist es ein adjektiv oder ein adverb? (Z. 682). Jean reagiert darauf, indem er sein allgemeines Unwissen bekundet: das weiß ich auf keiner sprache (Z. 683). Pauline überlegt und stellt kurz darauf fest, dass es ein Adjektiv sein muss und wählt das entsprechende Wort joli. Damit ist diese Sequenz beendet und sie gehen zum nächsten inhaltlichen Punkt ihres Satzes über. Handlungsbeschreibung Bei der hier beschriebenen Problemlösesequenz übernimmt Pauline weitgehend die Bearbeitung in einer führenden Rolle. Sie initiiert die Sequenz, benennt das Problem und bearbeitet es selbst mit ihren eigenen Ressourcen: Sie leitet 180 3 Empirische Untersuchung <?page no="181"?> die Antwort aus ihrem vorhandenen grammatischen Wissen her: da: s ist ein adjektiv (.) also joli ist richtig (.) punkt (Z. 684). Folglich dominiert sie den Bearbeitungsprozess und übernimmt die Verantwortung. Jean beteiligt sich minimal: er reagiert auf Paulines Frage, bekundet aber diesbzgl. sein Unwissen. Gleichzeitig akzeptiert er ihre Lösung kommentarlos und schreibt diese nieder. Es handelt sich hier um eine einseitige, von Pauline dominierte Problembe‐ arbeitung. Sie bearbeitet das Problem im Alleingang. Initiative, Engagement, Verantwortung und Ressourcen gehen von ihr aus und sind damit einseitig ver‐ teilt. Dabei betont sie schlussfolgernd explizit die Richtigkeit ihrer Überlegung (Z. 684) und beendet die Bearbeitung eindeutig, indem sie einen Punkt diktiert. Jean hält sich zurück, akzeptiert ihr Vorgehen und leistet selbst keinen Beitrag zur Problemlösung. Zielsetzungen Folgende Erklärungen für diese Form der Problembearbeitung lassen sich aus den Daten rekonstruieren. Sie betreffen die Verteilung der Ressourcen, die Rollenverteilung, die wahrgenommene Relevanz des Problems sowie die Dominanz einer Person in einem asymmetrischen Verhältnis. Pauline formuliert, ist unsicher und versucht zu klären, welche die passende Wortform ist. Sie möchte ihre Unsicherheit überwinden und setzt dafür ihre internen Ressourcen ein (Klangprobe und Herleiten). Wie sich im Verlauf der Bearbeitung zeigt - und die Selbstaussagen von Jean deuten ebenfalls darauf hin - scheinen in dieser Sequenz die Ressourcen einseitig verteilt zu sein, was den weiteren Handlungsverlauf maßgeblich prägt: Durch diese Einseitigkeit sind die Handlungsoptionen bei einer Person konzentriert. Daraus kann sich eine dominante Rolle für diese Person ergeben, was sich wiederum in der asymmetrischen Beteiligung in der Problembearbeitung spiegelt. Dementspre‐ chend werden auch die Ressourcen einseitig eingesetzt. Es werden diejenigen Ressourcen eingesetzt, die vorhanden sind: Wenn Jean nichts beitragen kann und Pauline über die notwendigen Ressourcen verfügt, liegt es nahe, dass sie diese auch einsetzt. Sie fragt zwar nach, kann dann aber auf ihre eigenen Ressourcen zurückgreifen, wie sich im Gesprächsverlauf zeigt. Ihre Frage - auf die Jean auch reagiert, allerdings ohne antworten zu können - könnte in diesem Fall wie ein Selbstgespräch bzw. eine Art Lauten Denkens fungieren (vgl. Aguado 2019: 79 ff.): Paulines Denkprozess wird durch das Verbalisieren abgebildet, sie denkt laut nach und scheint sich nach ihrer Überlegung sicher zu sein, welche die gesuchte Wortform ist (Z. 684). Offensichtlich benötigt sie hier - trotz ihrer Frage, die als Hilfsanforderung verstanden werden kann und von 181 3.2 Analyseergebnisse <?page no="182"?> Jean auch als diese verstanden wird - letztlich keine Hilfe, da sie ihre eigenen Ressourcen zur Lösung einsetzen kann. Bei einer asymmetrischen Verteilung von Ressourcen ist naheliegend, dass die ‚ressourcenstarke‘ Person aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus rasch handelt und das Problem klärt, statt zu diskutieren oder auf eine (wenig erfolgsversprechende) Reaktion zu warten. Dass Pauline hier nicht lange auf Unterstützung wartet, sondern stattdessen ihre Lösung präsentiert, spricht dafür, dass sie keine Hilfe benötigt und auf ihre eigenen Kräfte vertraut. Eine weitere Erklärung für die einseitige Ressourcenverteilung könnte in der Rollenverteilung liegen: Pauline ergreift hier die Initiative. Schließlich ist sie in den hier praktizierten, klar aufgabenteilig verteilten Rollen diejenige, die den Inhalt und die sprachlichen Fragen beisteuert, während Jean sich darum kümmert, die Gedanken möglichst korrekt zu notieren und damit die Verantwortung für das Schreiben und das daraus resultierende Textprodukt trägt. Beide beteiligen sich an der Bearbeitung, aber Pauline führt innerhalb dessen einen momentanen Alleingang durch, sie klärt ihre sprachliche Frage ohne Jean. Beide nehmen ihre Rolle wahr und konzentrieren sich darauf, aber gehen nicht darüber hinaus, wie dies bspw. in Fällen des Typs „Kollaborieren“ zu beobachten ist. Durch eine klare Rollenverteilung kann wiederum paralleles Arbeiten stattfinden, was die gesamte Bearbeitung beschleunigen kann: Die Ressourcen und Kapazitäten sind verteilt, jeder konzentriert sich auf seine Aufgabe und treibt diese voran. Dies führt im Gegenzug dazu, dass sie weniger miteinander arbeiten und ggf. wenig(er) mit- und voneinander lernen. Eine Erklärung für die Dominanz von Pauline könnte darin liegen, dass es sich hier um ein Problem handelt, dass nur für Pauline (oder zumindest vorrangig für sie) bearbeitungswürdig erscheint, dass also der Bedarf und das damit verbundene Ziel (zu klären, ob ein Adjektiv oder Adverb korrekt ist) einseitig vorliegt. Auch hier ist es naheliegend, dass diejenige Person, bei der Bedarf besteht, sich initiativ zeigt und sich verstärkt um eine Lösung der Frage bemüht. Sie führt einen Alleingang durch, klärt ‚ihr Problem‘ selbstständig. Ein asymmetrisches Verhältnis, in dem eine Person dominiert, könnte sich auch daraus ergeben, dass einer Person viel Respekt entgegengebracht wird und dadurch ein asymmetrisches, hierarchisches Verhältnis begründet wird. Wobei klarzustellen ist, dass Dominanz immer durch zwei Seiten konstituiert wird: Eine, die die Initiative ergreift und eine, die die Initiative der anderen Person zulässt. Allerdings zeigt sich in der Dyade allgemein - und auch die Selbstaus‐ sagen bestätigen dies -, dass Pauline zwar von beiden als die Sprachexpertin gesehen wird (und Jean sein Französischniveau mehrfach ‚schlecht macht‛), aber 182 3 Empirische Untersuchung <?page no="183"?> dies nicht unbedingt dazu führt, dass Jean alles akzeptiert, was sie sagt. Es ist also nicht davon auszugehen, dass er sich in dieser Sequenz nur aus Respekt zurückhält und alles akzeptieren würde, was sie tut. Viel plausibler erscheint, dass er nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt und seine Kapazitäten mit seiner Schreibrolle bereits aufgebraucht sind. Funktionspotentiale Aus diesen Beschreibungen und möglichen Erklärungen wiederum lassen sich folgende, mögliche Funktionen ableiten: Pauline gelingt es im Alleingang mit ihren Ressourcen die passende Wort‐ form zu klären, was ihr auch nicht hätte gelingen können ((Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems). Aufgrund der einseitigen Ressourcenverteilung und der damit einhergehenden einseitigen Bearbeitung kann es durch den gezielten Einsatz der benötigten Ressourcen zu einer raschen - und damit pragmatisch-ökonomisch gesehen - effektiven Klärung kommen (rasche Klä‐ rung). Dies birgt gleichzeitig die Gefahr, dass sich die wenig beteiligte Person ausgeschlossen und / oder übergangen fühlt, was wiederum zu einem Motiva‐ tionsverlust bzgl. der weiteren Bearbeitung führen könnte (Ausschluss). Eine Nicht-Beteiligung bei der Problembearbeitung kann überdies dazu führen, dass ein potentieller Lerngewinn nicht stattfindet. Eine einseitige Bearbeitung kann darüber hinaus dazu führen, dass erstens die gemeinsame Verantwortung relativiert bzw. kurzzeitig von einer Person monopolisiert wird. Diese einseitig dominierte Übernahme an Verantwortung bedeutet für die betreffende Person eine Verpflichtung i. S. v. Normerfüllung und Erwartung (Erwartungsdruck), eröffnet ihr aber gleichzeitig auch einen Hand‐ lungsspielraum mit Einflussmöglichkeiten (Einflussnahme). Bei der anderen Person wiederum kann dies dazu führen, dass sie sich noch mehr zurückzieht (Rückzug). Eine weitere Möglichkeit wäre, dass sie sich in dieser Zeit zurück‐ lehnen, pausieren und damit ggf. kurz erholen kann (Pausieren). Dabei könnte sich die initiierende Person im Stich gelassen fühlen, da sie sich einsetzt, ohne dabei aktive Unterstützung zu erhalten (im Stich gelassen fühlen). Für den vorliegenden Fall bleibt die Frage, ob Pauline diese Unterstützung überhaupt braucht und sucht. Ausschluss scheint in dem vorliegenden Fall kein Thema zu sein: Jean hat prinzipiell eine Beteiligungsmöglichkeit (er wird gefragt und erhält Einblick in den Denkprozess Paulines) und akzeptiert in Taten (nicht in Worten), indem er Paulines Lösung notiert. Pauline scheint ihrerseits nicht enttäuscht von Jeans Reaktion, sie klärt das Problem sachlich. Ein Potential für Jean ergibt sich in dieser Sequenz dadurch, dass Pauline ihre Überlegungen verbalisiert und das Problem expliziert. So besteht für ihn 183 3.2 Analyseergebnisse <?page no="184"?> die Möglichkeit, erstens sich prinzipiell zu beteiligen: Er weiß, worum es geht und könnte sich einbringen, wird sogar durch eine Frage - zumindest formal - einbezogen. Zweitens kann er an Paulines Gedankengang teilhaben: Sie teilt ihr Wissen mit, indem sie ihre Gedanken laut ausspricht und ermöglicht ihm damit an ihrem Denkprozess teilzuhaben und ggf. dabei zu lernen, i. S. des Modelllernens nach Bandura (1971) (Lernen am Modell). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Analyse folgende Funktionspotentiale rekonstruiert werden konnten: (Nicht-)Lösen des fremd‐ sprachlichen Problems, rasche Klärung des Problems, Ausschluss einer Person, Verantwortungsübernahme, verbunden mit Erwartungsdruck und Einfluss‐ nahme, Rückzug einer Person, Möglichkeit des Pausierens, sich im Stich gelassen fühlen, voneinander lernen. Fallvergleich Der hier beschriebene Typ „Alleingang“ wurde zunächst anhand des exemplarischen, eingangs zitierten Datenauszug SG 01 joli / joliment erarbeitet. Dar‐ aufhin wurde er dyadenintern an zwei weiteren Fällen dieser Dyade entwickelt: SG 01 menschen, peut / pourrait. Dyadenübergreifend konnten folgende Fälle (minimale Kontraste) bei der Typentwicklung hinzugezogen werden: SG 03 all diese dinge, SG 04 nachmittag, SG 05 manière, SG 08 là, berge. Kontrastfälle (ma‐ ximale Kontraste) konnten sowohl innerhalb ( SG 01 voll, schön, fluss) als auch außerhalb der Dyade ( SG 02 beaucoup de, SG 05 près la seine, SG 07 capitale, SG 08 kirche) gefunden und für die Ausschärfung des Typs „Alleingang“ hinzugezogen werden. Vergleich Ähnlichkeit Der Vergleich mit ähnlichen Fällen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Dyade 01 erlaubt die Herausarbeitung des Typs „Alleingang“. Dieser kann durch die folgenden, übergreifenden Merkmale charakterisiert werden: 1. Ressourcen: einseitige Verteilung von Ressourcen 2. Verantwortung: einseitige Wahrnehmung von Verantwortung 3. Beteiligung: einseitig dominierte Beteiligung (i. S. v. Initiative und Engage‐ ment) 4. Bedarf: individueller Bedarf liegt vor 5. Rollen: klare Rollenverteilung Das umfassende erste Merkmal beschreibt, dass eine einseitige Verteilung - und damit verbunden auch ein einseitiger Einsatz - von Initiative, Engagement und Ressourcen vorliegt (1. Ressourcen). Damit einher geht zweitens eine einseitige 184 3 Empirische Untersuchung <?page no="185"?> Wahrnehmung von Verantwortung (2. Verantwortung). Das dritte Merkmal, das als Konsequenz der ersten beiden verstanden werden kann, erfasst die einseitig dominierte Beteiligung: Dies beinhaltet, dass eine Person initiiert, die Bearbeitung maßgeblich realisiert, dabei ggf. das Problem auch kommuniziert und damit prinzipiell eine Beteiligungsmöglichkeit bietet, während die andere Person dies akzeptiert und sich selbst zurückhält (3. Beteiligung). Viertens liegt ein individueller Bedarf vor, mit dem eine individuelle Zielsetzung einhergeht. Das bedeutet, dass die initiierende Person einen individuellen Bedarf hat und somit auch die Motivation, Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Sie verfolgt damit ein Ziel, das nicht unbedingt von der anderen Person geteilt wird (4. Bedarf). Das fragliche Problem ist evtl. nur für eine der beiden Beteiligten ein Problem bzw. bearbeitungswürdig. Das fünfte Merkmal betrifft die Rollenver‐ teilung und besagt, dass eine klare aufgabenteilige Rollenverteilung vorliegt (5. Rollen). Zusätzlich zu diesen Merkmalen lässt sich der Typ „Alleingang“ durch einen ‚Ich-Bezug‘ charakterisieren: Eine Person dominiert und klärt dasjenige Pro‐ blem, das für sie relevant ist, ohne die andere Person dabei groß einzubeziehen, sie klärt im Alleingang und verlässt sich dabei maßgeblich auf sich selbst. Ausprägungsgrade Neben den eben erläuterten, grundsätzlichen Merkmalen werden im dyadenin‐ ternen und dyadenübergreifenden Vergleich zwischen ähnlichen Fällen (mini‐ maler Kontrast) folgende Ausprägungen sichtbar. Sie betreffen die Beteiligung, die Dauer des Alleingangs und die Rollenverteilung. Der Grad der Beteiligung für diejenige Person, die nicht dominiert, variiert von überhaupt keiner (ignorierende Folge SG 05 manière) über verzögerte ( SG 03 all diese dinge, SG 04 nachmittag) bis zu einer minimalen Beteiligung ( SG 01 menschen). Dies hängt wiederum mit den verschiedenen Beteiligungsmöglich‐ keiten zusammen, die für eben diese Person mehr oder weniger gegeben sind. Die Beteiligungsmöglichkeiten können als direkte Aufforderung realisiert sein durch direkte oder indirekte Fragen bzw. Aussagen (z. B. indem Unsicherheit kommuniziert wird) oder auch als indirekte Beteiligungsmöglichkeit durch das Lautdenken. In SG 01 menschen bspw. ergeben sich durch das Lautdenken und die expliziten Fragen für Jean zwar prinzipiell Beteiligungsmöglichkeiten - er wird formal zumindest angesprochen und kann durch das Lautdenken Paulines Gedanken nachverfolgen -, allerdings lässt Pauline kaum Zeit für Antworten, wodurch sich die Frage stellt, ob es sich um wirkliche Fragen handelt, vielmehr scheint sie vor Publikum (hier: Jean) laut zu denken. 185 3.2 Analyseergebnisse <?page no="186"?> Die Gründe für die (Nicht-)Beteiligung variieren ebenfalls. Allerdings lassen sich diese nicht eindeutig rekonstruktiv herleiten, sie könnten durch eine anschließende Befragung der Schülerinnen und Schüler aufgedeckt werden. Ein Grund für eine realisierte Nicht-Beteiligung könnte darin liegen, dass parallel gearbeitet wird ( SG 04 nachmittag): Jeder beschäftigt sich mit seiner Aufgabe und reagiert nicht oder kaum auf den anderen, da keine Kapazitäten vorhanden sind, um mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten (eingeschränkte Kapazitäten). Ein anderer Grund könnte sein, dass Unwissen vorliegt: Die befragte Person weiß oder nimmt an, dass sie keinen produktiven Beitrag leisten kann oder will und hält sich deshalb zurück, wie in SG 01 peut / pourrait sowie SG 08 là. Ein weiterer Grund könnte im fehlenden Vertrauen in das eigene Wissen oder das der anderen Person liegen, was dazu führen kann, dass es die dominante Person vorzieht, selbstinitiiert zu überprüfen, wie in SG 08 berge oder SG 03 all diese dinge (s. mehr dazu unter Vergleich Kontrast). An dieser Stelle ist anzumerken, dass eine zeitweise Nichtbeteiligung nicht zwingend bedeutet, dass Verantwor‐ tung nicht wahrgenommen wird. Es kann sich um ein momentanes Aussteigen handeln und darum, dass eine Entscheidung überlassen wird, z. B. aufgrund von Ermüdung, nicht geteilter Unsicherheit oder da kein produktiver Beitrag geleistet werden kann oder will (wie in SG 07 capitale, SG 01 menschen). Der Vergleich mit ähnlichen Fällen aus anderen Dyaden zeigt auch, dass es zu einer momentanen, einseitigen Beteiligung kommen kann, die durch einen individuellen Bedarf begründet ist. In der Sequenz SG 08 berge bspw. bringt sich Lina insofern ein, als sie Johannas Vorschlag für die französische Entsprechung für das Wort Berge selbstinitiiert mit dem Wörterbuch überprüft und damit den Status von Johannas Wissen in Frage stellt. Sie handelt hier im Alleingang, um Sicherheit zu erlangen, verfolgt demnach einen individuellen Bedarf, denn Johanna scheint sich ihres Wissens sicher zu sein. Dieser Fall kann als Grenzfall betrachtet werden, da in dieser Sequenz eine sehr kurzzei‐ tige Nicht-Beteiligung erfolgt. Es beteiligen sich beide bei der Bearbeitung - Johanna hat einen Vorschlag eingebracht -, aber Lina dominiert und überprüft im Alleingang den Vorschlag von Johanna. Ähnliches ist in der Sequenz SG 07 capitale zu beobachten. Während sie grundsätzlich als aufgabenteilige Bearbeitung beschrieben werden kann und zu diesem Typ zugeordnet ist, enthält sie kollaborative Elemente (wie das gemeinsame Formulieren), aber auch ein „Alleingang"-Element. Karin überprüft hier ebenfalls selbstinitiiert den von Jana eingebrachten Vorschlag mit dem Wörterbuch. Diese Sequenz stellt ebenfalls einen Grenzfall dar. Denn der Schwerpunkt dieser Sequenz ist das gemeinsame, aufgabenteilige Vorgehen. Diese Grenzfälle verdeutlichen, dass 186 3 Empirische Untersuchung <?page no="187"?> ein Alleingang in diesen Daten eine momentane kurzfristige Aktion und keine sich durchziehende Arbeitsweise ist. Ein weiterer Aspekt ist die Rollenverteilung. Sie variiert in den jeweiligen Fällen geringfügig: Grundsätzlich ist sie aufgabenteilig realisiert, wobei die Bearbeitung insgesamt von einer Person dominiert wird. In einem Fall ( SG 03 all diese dinge) kommt Markus seiner Rolle nicht nach, bzw. tut nicht das, was Elisa von ihm verlangt, nämlich ein bestimmtes Wort im Wörterbuch nachzuschlagen (dinge). Stattdessen liest er andere Wörterbucheinträge vor, die nichts damit zu tun haben (dauerkarte, dauerwelle Z. 906-908), boykottiert damit das Voranschreiten der Bearbeitung und provoziert Elisa auf diese Weise. Schlussendlich führt dieses Verhalten zu einem Rollenwechsel: Elisa nimmt das Wörterbuch in die Hand und klärt das Wort selbstständig, daraufhin führen sie die Bearbeitung gemeinsam fort. Der Rollenwechsel spiegelt Elisas dominierendes Verhalten. Vergleich Kontrast Durch den Vergleich mit Kontrastfällen (maximale Kontraste) soll der Typ „Alleingang“ weiterentwickelt werden. Als Tertia Comparationis dienen hier die Merkmale einseitige Verteilung, einseitige Beteiligung, individueller Bedarf und klare Rollenverteilung. Innerhalb der Dyade SG 01 können die Fälle voll und schön als klar rollenteilig identifiziert werden. Dabei ist die Rollenteilung als Experte-Novize ausgeprägt und es kommt beidseitig zum Einsatz von Ressourcen, wenn auch Pauline dabei dominiert, z. T. Hilfestellung gibt und mehr Verantwortung übernimmt. Entsprechend werden diese Sequenzen dem Typ „Experte-Novize“ zugeordnet. In dem Fall SG 01 fluss liegt ebenfalls eine klare Arbeitsteilung vor: Pauline bringt ihr Lexikwissen ein, ist sich unsicher und überprüft dann selbstinitiiert mit dem Wörterbuch. Jean in seiner Schreibrolle kümmert sich um die korrekte Schreibweise und fragt nach: fleuve? (.) wie geschrieben? mit v? (Z. 266). Pauline übernimmt die Rolle der Sprachexpertin, Jean die des Schreibens. Sie gehen aufgabenteilig und jeweils selbstverantwortlich vor. Durch den Vergleich wird deutlich, dass klare Rollenverteilung für die Dyade 01 ein mehrfach vorzufin‐ dendes Merkmal in ihren Bearbeitungen ist, diese aber unterschiedlich ausge‐ prägt sein kann und die Problemlösesequenzen nur im Zusammenhang mit dem Vorkommen anderer charakteristischer Merkmale einem Typ zugeordnet werden können. Auch dyadenübergreifend lassen sich Kontrastfälle anführen, in denen Merk‐ male des Typs „Alleingang“ realisiert werden und die dennoch dem Typ „Experte-Novize“ zugeordnet sind. Bei diesen Fällen liegt einseitige Verteilung 187 3.2 Analyseergebnisse <?page no="188"?> und Beteiligung - und damit zusammenhängend einseitig dominierter Einsatz von Ressourcen - vor, bspw. SG 02 beaucoup de, SG 05 près la seine, SG 08 kirche. Während beim „Alleingang“ gehandelt wird, ohne die andere Person einzubeziehen, geht eine Bearbeitung im Modus „Experte-Novize“ mit einer entsprechenden Haltung einher, z. T. mit didaktischem Anspruch, und in jedem Fall mit einer hierarchischen Beziehung. Wohingegen beim „Alleingang“ aus unterschiedlichen Gründen eine momentane Nichtbeteiligung der anderen Person vorliegt. Kontrastfälle, in denen eine einseitige Verteilung von Ressourcen, Beteiligung und damit verbunden auch Verantwortung vorliegt, zeigen, dass dies allein kein entscheidendes Merkmal des Typs „Alleingang“ ist. In SG 08 kirche bspw. stellt sich Lina als unwissend und fragend dar, während Johanna klar die Sprachexpertin ist und ihre Ressourcen einbringt. Sie führen ihre Rollen auf diese Weise aus und befinden sich in einer hierarchischen Beziehung. Einseitig verteilte Ressourcen können folglich auch dazu führen, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Eine einseitige Verteilung kann folglich zu unterschiedlichen Bear‐ beitungsweisen führen und stellt an sich kein Unterscheidungskriterium dar. Durch den Fallvergleich konnte der Typ „Alleingang“ mit seinen Merkmalen und möglichen Ausprägungsgraden herausgestellt und mittels der Kontrastfälle von anderen Typen abgegrenzt werden. Es handelt sich um eine kurzfristige Aktivität, die von einer Person verfolgt wird, ohne Beteiligung der anderen. Durch den Einbezug von Kontrastfällen zeigt sich auch, dass Pauline und Jean nicht ausschließlich im „Alleingang“ handeln. Abgrenzung zu anderen Typen Wie vorhergehend bereits angedeutet, enthalten die Typen „Alleingang“ und „Experte-Novize“ beide das Merkmal einer einseitigen Verteilung von Res‐ sourcen und einseitigen Beteiligung. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass beim Typ „Experte-Novize“ eine hierarchische Beziehung vorliegt, wohin‐ gegen beim „Alleingang“ eine Person für eine gewisse Dauer nicht an der Bearbeitung beteiligt ist. Die Typen unterscheiden sich darin, dass die Person im Alleingang einseitig engagiert und verantwortet handelt, wohingegen sich in einem „Experte-Novize“-Verhältnis beide einbringen, aber die Ressourcen ungleich verteilt sind, weshalb es zu einer gemeinsamen Bearbeitung mit führender Rolle kommt. Die einseitige Verteilung von Ressourcen kann folglich sowohl eine Merkmalsausprägung für den Typ „Experte-Novize“ als auch für den Typ „Alleingang“ darstellen. Entscheidend für den „Alleingang“ ist, dass die Initiative - oftmals begründet durch einen individuellen Bedarf - von einer Person ausgeht. 188 3 Empirische Untersuchung <?page no="189"?> Eine weitere Abgrenzung lässt sich in Bezug auf die Wahrnehmung von Verantwortung vornehmen. Durch die einseitige Wahrnehmung bzw. das Überlassen von Verantwortung an eine Person wird im Typ „Alleingang“ die gemeinsame Verantwortung kurzzeitig ausgesetzt, bzw. wird einseitig domi‐ niert wahrgenommen. Im Gegensatz zum Typ „Sich Distanzieren“ wird hier von einer Person selbstinitiativ Verantwortung ergriffen, von der anderen Person überlassen und akzeptiert, wohingegen beim Typ „Sich Distanzieren“ ein explizites Zu-/ Abweisen stattfindet, das potentiell gesichtsverletzend ist. Theoretische Anknüpfungspunkte Folgende theoretische Anknüpfungspunkte lassen sich heranziehen: Zum einen weist der Typ „Alleingang“ Parallelen zu dem Interaktionstyp dominant / passiv in Storchs model of dyadic interaction auf: Einer trägt viel bei, dominiert und kon‐ trolliert, während der andere wenig beiträgt (vgl. Storch 2016: 394 f.). Allerdings handelt es sich beim „Alleingang“ um eine kurzzeitige, einseitig initiierte und dominierte Handlung innerhalb einer kooperativen Bearbeitung. Es liegt nicht zwingend grundsätzlich ein dominant-passives Muster vor, sondern lediglich für diesen Moment des Alleingangs. Zum anderen lässt sich mit Storch (2013, 2016) und Tomasello (2009) ein theoretischer Bezug im negativen Sinne anführen: Anders als im kollaborativen Schreiben bzw. im kooperativen Verhalten erwartet, handelt es sich hier um die individuelle Wahrnehmung von Verantwortung. Die gemeinsame Verant‐ wortung ist kurzzeitig zugunsten einer individuellen Verantwortung verlagert, nicht das Wir-Gefühl, sondern ein Ich-Gefühl steht im Vordergrund. Gleichzeitig bedeutet dies nicht, dass die Kooperation an sich aufgegeben wird, vielmehr geht es darum, dass eine Person kurzzeitig ihrem individuellen Bedürfnis nachgeht und die andere Person dabei nicht beteiligt ist. Ein weiterer Anknüpfungspunkt kann in der psychologischen Forschung im Bereich der Eigeninitiative gesehen werden, da zentrale Merkmale - wie Selbst‐ initiative, Wissen über Einflussmöglichkeiten, Zutrauen von Einflussnahme - vorliegen (vgl. Wiegel / Frese 2018). Dieser Forschungszweig wiederum steht im engen Zusammenhang mit der Theorie der Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura 1992): Pauline verfügt über eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung, da sie davon ausgeht, dass sie mit ihrem Handeln Einfluss nehmen kann. Jean hingegen überlässt ihr die Verantwortung und zieht sich tendenziell von der Bearbeitung zurück, weshalb sich ein Alleingang ergeben kann. Ein Anknüpfungspunkt aus methodischer Sicht ergibt sich an das introspek‐ tive Verfahren des Lauten Denkens. Dabei handelt es sich um eine Erhebungs‐ methode, die darauf basiert, dass die Probandinnen und Probanden zumindest 189 3.2 Analyseergebnisse <?page no="190"?> partiell Zugang zu ihren Denkprozessen haben und diese auch verbalisieren können, wodurch sich für Außenstehende Einblicke in ihre mentalen Aktivi‐ täten und Wissensstände ergeben (vgl. Aguado 2018, 2019). Aguado diskutiert die Grenzen dieses Verfahrens und stellt fest, dass der kritisierten ‚Künstlichkeit‘ dieser Erhebungsmethode im Fremdsprachenkontext damit begegnet werden kann, dass eine Aufgabe gemeinsam bearbeitet wird. Da es sich für Fremdspra‐ chenlernende um ein vertrautes Format handelt und sie gewohnt sind sich auszutauschen, können bei einer gemeinsamen Aufgabenbearbeitung auf relativ natürliche Weise Lautdenk-Daten entstehen (dies. 2019: 80). Diese Annahme liegt auch dem kollaborativen Schreiben zugrunde. Interessant an dem Typ „Alleingang“ ist, dass in zwei Sequenzen ( SG 01 menschen, peut / pourrait,) der individuelle Denkprozess einer Person sichtbar wird, obwohl sie alleine agiert. Allein durch die Präsenz einer anderen Person, so die hier vertretene Annahme, verbalisiert sie ihren Denkprozess und liefert damit Informationen, die sich die andere Person - in der Annahme des Modelllernens - zunutze machen kann. Zusammenfassend Der Typ „Alleingang“ lässt sich durch eine einseitig verteilte und von einer Person dominierte Bearbeitungsweise charakterisieren (Ich-Bezug). Er setzt voraus, dass die Person, die einen Alleingang durchführt, über die benötigten Ressourcen und Motivation i. S. eines Bedürfnisses nach Klärung verfügt und die andere Person diesen Alleingang akzeptiert. In den hier zugrunde gelegten Fällen handelt es sich um momentane, kurzfristige Alleingänge innerhalb einer grundsätzlich kooperativen Arbeitsweise. 190 3 Empirische Untersuchung <?page no="191"?> 3.2.2.3 „Experte-Novize“ Datenauszug 3 SG01 visiter (Z. 529-549; Zeit 24: 52-26: 11) 529 JE: u: nd viellei: cht (.) (wollen wir jetzt) zu dem punkt mit tOUr de eiffel? (.) ähm (2) (äh ich find) (.) aussi? (4) ähm 530 PA: aussi on pourrait? (.) man könnte? 531 JE: ja genau 532 (7) 533 PA: <<deutsche Aussprache> on> (2) [pourrait (4) doppel t] (.) äh doppel r ((kichert)) 534 JE: [((schreibt)) ] (2) mist 535 PA: ähm (.) [aller ] 536 JE: [visiter] le 537 PA: visite: r le (.) tour de eiffel (.) (das ist gut <<leicht kichernd> aufs wort)> 538 JE: visi 539 (2) 540 PA: t[er ] 541 JE: [das] wird anders geschrieben oder? 542 PA: <<deutsche Aussprache> visiter> 543 JE: das sieht aber falsch aus [(uv) ] 544 PA: [das ist] aber (.) nach (.) pOUvoir kommt meistens (.) ähm grundform 545 JE: le (.) [((schreibt))] 546 PA: tour [d’eiffel ] 547 JE: kann ich das jetzt sofort in die nächste zeile schreiben? (2) das hätt ich vielleicht anders machen müssen ne? (.) ach komm ich schreibs (nach/ noch) da oben 548 PA: ja wollt ich grad sagen quetsch noch dahin 549 (4) Abb. 07: Textauszug SG01, 4. Satz Paraphrase In der vorliegenden Sequenz sind Pauline und Jean dabei, den vierten Satz ihres Textes über Paris zu schreiben. Jean hat hier die Schreibrolle inne und schlägt vor, mit dem zuvor notierten Stichpunkt (tour d’Eiffel) fortzufahren. Er beginnt die Formulierung stockend. Pauline übernimmt, formuliert direkt auf Französisch und überträgt dies auf Deutsch (Z. 530). Jean bestätigt zustimmend. Pauline diktiert on pourrait und Jean schreibt. On realisiert sie in deutscher Aussprache und zu pourrait gibt sie einen orthografischen Hinweis (Z. 533). 191 3.2 Analyseergebnisse <?page no="192"?> Als nächstes diktiert sie das Verb aller. Jean schlägt alternativ das Verb visiter vor. Pauline übernimmt diesen Vorschlag, führt den Satz weiter und bewertet die Wahl dieses spezifischeren Verbs als positiv (Z. 537). Jean schreibt und spricht das zu Schreibende mit, Pauline steigt ein und diktiert das Wort zu Ende. Jean zweifelt diese Schreibweise an (Z. 541). Pauline wiederholt erneut dieselbe Wortform (Infinitiv) in deutscher Aussprache. Jean wiederholt seine Zweifel, argumentiert mit dem ‚falschen Aussehen‘ (Z. 543). Pauline widerspricht und führt ihr Regelwissen an: nach (.) p OU voir kommt meistens (.) ähm grundform (Z. 544). Jean geht zum nächsten Wort über und Pauline diktiert den restlichen Satzteil. Jean fragt nach, ob er die verbleibenden Wörter in die nächste Zeile schreiben soll und macht einen Vorschlag, dem Pauline zustimmt. Handlungsbeschreibung In der hier anskizzierten Problemlösesequenz wird ersichtlich, dass sich sowohl Jean als auch Pauline aktiv beteiligen, sich gegenseitig bestärken, einbringen und beide mitdenken. Sie erarbeiten ihren Satz gemeinsam mit jeweiligen Schwerpunktaufgaben: Jean schreibt und Pauline formuliert. Dabei übernimmt Pauline eine führende Rolle insofern, als sie diejenige ist, die (ungefragt) Hilfe‐ stellung gibt - Übersetzung, deutsche Aussprache, orthografische Hinweise -, ihre sprachlichen Ressourcen einbringt, derer sie sicher scheint, und Regel‐ wissen anführt, um zu begründen bzw. zu erklären (Z. 544). Jean bringt ebenfalls seine Ressourcen ein (lexikalisches Wissen), akzeptiert Paulines Beiträge und rückversichert sich. Zwar zweifelt er ihr Wissen an einer Stelle auch an, aber er lässt sich schlussendlich überzeugen und akzeptiert damit Pauline als Sprachexpertin. Bei dieser Problembearbeitung adressieren sich die Beteiligten als Experte und Novize und akzeptieren jeweils diese Adressierungen. Pauline trägt als Expertin die Entscheidungshoheit, hat (angenommenes) fremdsprachliches Mehrwissen und bringt dieses bei der Bearbeitung ein (z. B. Z. 544). Zudem gibt sie Jean Hilfestellung. Dieser nimmt in dieser Konstellation die Novizenrolle ein: Er fragt nach, denkt mit, spricht sich mit Pauline ab und vertraut ihr schlussendlich. Zielsetzungen Folgende Erklärungen für diese Form der Problembearbeitung lassen sich aus den Daten rekonstruieren. Sie betreffen die Rollenausprägung in Experte und Novize, die sich insb. in einer asymmetrischen Verteilung von Ressourcen und Verantwortung manifestiert. 192 3 Empirische Untersuchung <?page no="193"?> Auf sprachlicher Ebene geht es Pauline und Jean in dem exemplarischen Fall darum zu klären, wie das Verb visiter in ihrem Satz geschrieben wird. Dabei übernimmt Pauline die Expertenrolle. Die Rollenausprägung in Expertin und Novize zeigt sich zunächst in einer einseitig dominierten Ressourcenverteilung. Die Expertin verfügt - so die beiderseitige Annahme - über mehr Ressourcen (i. S. v. sprachlichem Wissen, Erfahrung, Fähigkeiten). Daraus ergibt sich ein Gefälle bzgl. des Ressourceneinsatzes und der Verantwortungsübernahme. Folg‐ lich wird ihr mehr Autorität zugesprochen: Ihre Ressourcen sind in dieser Rollenkonstellation hierarchisch höhergestellt, ihre Worte haben mehr Gewicht. Der Novize verlässt sich dabei grundsätzlich auf die Ressourcen der Expertin, akzeptiert deren Autorität und gibt damit die Hauptverantwortung an sie ab. Er fordert nach seinen Bedürfnissen Hilfestellung ein und rückversichert sich, er hat folglich einen höheren Abstimmungsbedarf als die als Expertin adressierte. In der Annahme, dass die Expertin einen Wissensvorsprung vor dem Novizen hat, kann diese ihm gefragt aber auch ungefragt Hilfestellung geben. Sie reagiert damit auf die durch den Novizen geäußerten Bedürfnisse (wie Rückversicherung) bzw. die Bedürfnisse, die sie bei ihm annimmt. Ein Beispiel für Letzteres ist in dem oben zitierten Datenauszug realisiert: Pauline spricht das zu schreibende Wort auf Deutsch aus, um Jean damit eine Hilfestellung zu geben bzw. um sicherzugehen, dass er dieses Wort korrekt schreibt. Dies bedeutet sie geht von der Möglichkeit aus, dass Jean es ohne Hilfe nicht korrekt schreiben könnte. Auch der Sprachwechsel, den sie an einer Stelle vollzieht (aussi on pourrait? (.) man könnte? Z. 533) ist dahingehend zu erklären: Sie möchte sichergehen, dass das Wort korrekt notiert wird und übt damit Kontrolle aus, die wiederum ein angenommenes (Mehr-/ Besser-)Wissen voraussetzt. Pauline übernimmt Verantwortung für die korrekte Schreibweise, was im Interesse beider ist. Eine andere Motivation könnte sein, dass sie Wissen vermitteln und helfen möchte und deshalb vorbzw. eingreift, indem sie Hilfestellungen in Form von Vereinfachungen und Vereindeutigungen gibt. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern eine derartige ungefragte Hilfestellung potentiell lernförderlich ist (s. nachfolgende Ausführungen). Funktionspotentiale Aus diesen Erklärungsansätzen lassen sich folgende mögliche Funktionen ableiten: Jean ist sich hinsichtlich der Schreibweise von visiter unsicher. Pauline hingegen ist sich sicher und führt ihr Regelwissen an (Infinitiv nach pouvoir). Jean nimmt dies an und schreibt das Wort entsprechend. Auf diese Weise gelingt es ihnen, ihr fremdsprachliches Problem zu lösen. Es ist ebenfalls denkbar, dass 193 3.2 Analyseergebnisse <?page no="194"?> ihnen die Problemlösung nicht gelingt ((Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems). Dadurch, dass die Expertenrolle klar Pauline zugewiesen und sie als Autorität anerkannt ist, kann es zu einer raschen Klärung des Problems kommen. Damit verbunden ist eine pragmatische Vorgehensweise, die schnell zur Lösung führt, was durch die klar zugewiesene Autorität begünstigt wird (rasche Klärung). Eine Gefahr besteht darin, dass eine Person den Expertenstatus erhält und ausfüllt, ohne aber die Expertise zu haben. Dies könnte dazu führen, dass nicht nur kein potentieller Lerneffekt stattfindet, sondern stattdessen gar Verwirrung entsteht (Verwirrung). Außerdem könnte die hierarchische Beziehung dazu führen, den Unterschied und nicht das Gemeinsame zu betonen, was wiederum zu Motivationsverlust führen könnte (Motivationsverlust). Auch könnte die Autorität ausgenutzt bzw. die damit einhergehende Macht des Experten missbraucht werden (Machtmissbrauch). Andererseits ergibt sich - wenn tatsächlich ein Expertenstatus besteht - eine potentielle Lerngelegenheit sowohl für den Novizen als auch für den Experten. Der Experte kann durch das Verbalisieren und Erklären seines Wissens selbst lernen, da er dieses für sich organisiert und sich dabei evtl. auch auf einer Metaebene damit auseinandersetzt - i. S. der Unterrichtsmethode Lernen durch Lehren, wie sie von Martin (2002) entwickelt wurde (Lernen durch Lehren). Für den Novizen kann die Bearbeitung mit einem Experten insofern förderlich sein, als er etwas mit Hilfestellung erreichen kann, das er ohne diese nicht erreicht hätte (i. S. v. Scaffolding und der Zone of Proximal Development). Die Tatsache, dass hier zwei Lernende miteinander interagieren, die sich hierarchisch auf einer Ebene befinden und kein klassisches Lehrkraft-Lernende-Verhältnis vorliegt, könnte dazu führen, dass sich die Lernenden gegenseitig besser verstehen und ihre jeweiligen Beiträge annehmen können. Somit können also die Lern‐ chancen - im Vergleich mit einer Lehrperson - relativ hoch sein (s. auch Kap. 2.2.3.). Die Gefahr, dass der Novize von der Bearbeitung ausgeschlossen wird, dass er nicht mehr folgen kann, besteht hier allerdings ebenfalls, insb. wenn der Wissensabstand zu groß ist, evtl. unbekannte Fachtermini oder un‐ verständliche Erklärungen eingesetzt werden oder der Experte entweder nicht didaktisch motiviert ist oder ihm die Vermittlung nicht gelingt. Damit eröffnet diese Konstellation dem Novizen ein Lernpotential - durch Modelllernen und Scaffolding -, vorausgesetzt er kann teilhaben, es besteht ein tatsächlicher Expertenstatus i. S. eines Wissensvorsprungs und es gelingt dem Experten, zu vermitteln (Lernen am Modell). Ist der Experte jedoch ‚übereifrig‘ und gibt zu viel Hilfestellung, - vor allem ungefragte -, kann dies dazu führen, dass der Novize nicht mehr selbst nach‐ denkt, ihm dadurch ggf. seine eigene Unsicherheit und Fragen nicht bewusst 194 3 Empirische Untersuchung <?page no="195"?> 60 Gemeint ist damit ein Phänomen, das vor allem in Gruppenkonstellationen beobachtet werden kann, wonach eine Person zulasten der anderen Beteiligten ihre Anstrengung verringert oder überhaupt keinen Beitrag leistet; auch beschrieben als soziales Faulenzen (vgl. z. B. Bierhoff 2017). werden, er sich nicht mit dem Gegenstand auseinandersetzt. Hier besteht die Ge‐ fahr, dass ihm das Denken abgenommen wird und er nur noch die Anweisungen des Experten befolgt (Unselbstständigkeit). Dies - auch unabhängig davon, ob er ungefragte Hilfestellung erhalten hat oder ob er sich selbst zurückzieht - könnte zur Folge haben, dass der Novize sich zurücknimmt, sich noch weniger einbringt, als er könnte und die Verantwortung dem Experten überlässt, was wiederum mit Motivationsverlust einhergehen kann. Dieses Verhalten kann unterschiedliche Gründe haben: Es kann dadurch bedingt sein, dass er durch das Verhalten des Experten dazu gedrängt wird, sich zurückzuziehen, dass er sich von sich aus so verhält und aus Bequemlichkeit die Situation nutzt (Trittbrett‐ fahrer-Effekt) 60 oder sich aufgrund von fehlendem Selbstvertrauen zurückzieht (Rückzug). Aus diesen Interpretationsansätzen lässt sich schließen, dass der Experte in dieser Konstellation viel Verantwortung trägt, da er maßgeblich mitbestimmt, ob, was und wie der Novize lernt. In der vorhergehenden Analyse konnten folgende Funktionspotentiale re‐ konstruiert werden: (Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems, rasche Klärung des Problems, Verwirrung, Machtmissbrauch, Lernen durch Lehren, Lernen am Modell, Unselbstständigkeit, Trittbrettfahrer-Effekt sowie Rückzug einer Person. Fallvergleich Der hier zu beschreibende Typ „Experte-Novize“ wurde auf Grundlage der eingehend zitierten Sequenz, von fünf weiteren Fällen der Dyade 01 (hochhaus, menschenmenge, schön, voll, die guten und schlechten seiten) sowie Fällen aus den Dyaden 02 beaucoup de, 05 près la seine sowie 08 kirche entwickelt. Als Kontrastfälle wurden dyadenintern die Fälle SG 01 joli / joliment, menschen, peut / pourrait sowie dyadenübergreifend die Fälle SG 05 manière und SG 08 là eingesetzt. Vergleich Ähnlichkeit Der Vergleich mit ähnlichen Fällen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Dyade 01 erlaubt es den Typ „Experte-Novize“ herauszuarbeiten. Dieser kann durch die folgenden übergreifenden Merkmale charakterisiert werden: 195 3.2 Analyseergebnisse <?page no="196"?> 1. Beteiligung: beide beteiligen sich mit unterschiedlicher Gewichtung 2. Ressourcen: einseitig dominierte Verteilung von Ressourcen 3. Verantwortung: einseitig dominierte Wahrnehmung von Verantwortung 4. Rollen: Rollenausprägung als Experte-Novize a) Experte: korrigiert, verfügt über mehr Ressourcen, gibt Hilfestellung b) Novize: fragend, hilfebedürftig, rückversichernd Im Gegensatz zum Typ „Alleingang“ zeichnet sich der Typ „Experte-Novize“ dadurch aus, dass sich beide Interaktanten an der Bearbeitung des Problems beteiligen (1. Beteiligung) (s. auch Kap. 3.2.2.2.). Sie bringen beide - mit unterschiedlicher Gewichtung - sprachliche und organisatorische Beiträge ein, denken beide mit, sind engagiert und befassen sich schwerpunktmäßig mit einer Aufgabe. Ihre Grundhaltung ist kooperativ. Ähnlich wiederum wie beim „Alleingang“ ist die Verteilung von Ressourcen und Verantwortung hier asymmetrisch - eine Person verfügt über bzw. bringt mehr Ressourcen und Ver‐ antwortung ein als die andere, allerdings bringen sich hier (im Gegensatz zum „Alleingang“) dennoch beide ein, nur eben mit unterschiedlicher Gewichtung (2. Ressourcen; 3. Verantwortung). Dabei ergibt sich eine Rollenausprägung, die hier als Experte-Novize beschrieben wird (4. Rollen). Der Experte bringt mehr Ressourcen und Verantwortung ein, was ihn dazu veranlasst, zu korrigieren und Hilfestellung zu geben. Der Novize befindet sich in der Rolle des Fragenden, Hil‐ febedürftigen, der sich rückversichert, ggf. auch anzweifelt, sich aber schließlich überzeugen lässt. Dieses Verhältnis lässt sich auch in einem ‚Ich-Dir-Bezug‘ beschreiben. Denn es beinhaltet eine Richtung i. S. einer Vermittlung von einer Person A zu einer Person B und schafft damit eine Hierarchie. Ausprägungsgrade Innerhalb der ähnlich gelagerten Fälle variiert die Ausprägung einiger Merk‐ male dyadenintern und -übergreifend. Sie betreffen die Stärke des Hierarchie‐ gefälles, die konkrete Ausgestaltung der Rollen, den Sicherheitsgrad bzgl. der eingesetzten Ressourcen sowie die Selbstdarstellung. Während das Gefälle zwischen Experten- und Novizenstatus in einigen Fällen sehr deutlich ist, besteht in anderen ein weniger deutliches Gefälle. In dem Fall SG 01 menschenmenge bspw. treffen mehrere Merkmale in starker Ausprägung zu - Pauline ist eindeutig die Sprachexpertin, tritt wissend und dominierend auf; Jean befindet sich klar in einer untergeordneten, fragenden Rolle -, wohingegen das Gefälle in dem Fall SG 01 voll weniger deutlich ausgeprägt ist. Selbiges trifft auf den Fall SG 01 hochhaus zu. Hier bringen zwar beide ihr Sprachwissen ein, allerdings verhält sich Pauline darin auf besondere Weise ‚didaktisch‘. Auf Jeans 196 3 Empirische Untersuchung <?page no="197"?> 61 Allerdings ist hierbei grundsätzlich mitzudenken, dass es sich um Rollenadressierungen handelt, was bedeutet, dass der Expertenstatus nicht unbedingt mit einem tatsächlichen Expertentum übereinstimmen muss. Auch hängt die eingebrachte und erwartete Expertise von der realisierten Aufgabenverteilung ab: Die Person, die schreibt, kümmert sich vorwiegend um die orthografische Korrektheit, die andere Person, konzentriert sich auf den Inhalt und die Formulierung. Frage antwortet sie nicht mit ja oder nein, sondern gibt die notwendigen Infor‐ mationen, damit er die Antwort selbst findet. Oder aber sie weiß die Antwort selbst nicht und umgeht auf diese Weise ihrer Bloßstellung. Allerdings ist die zweite Erklärung eher unwahrscheinlich, da sie selbst den Wörterbucheintrag gefunden hat. Ihr Verhalten kann als typisches Verhalten einer Lehrperson bezeichnet werden, was ihren Status als Expertin einmal mehr betont. 61 Die verschiedenen Ausprägungsgrade hinsichtlich der konkreten Ausgestal‐ tung der Rollen betreffen in erster Linie die Beteiligungsmöglichkeiten, die dem Novizen zur Verfügung stehen bzw. die er sich nimmt. Trifft der Experte Entscheidungen alleine (wie das unabgesprochene Diktieren oder konkrete Handlungsanweisungen)? Oder bezieht er den Novizen ein (durch Fragen oder Rückversicherung)? Behält er sein Wissensmonopol und bringt nur die Lösung ein oder möchte er vermitteln und gibt dem Novizen die Chance, ihm bspw. durch zusätzliche erklärende Information folgen zu können? Wie reagiert der Novize auf die Beiträge des Experten? Nimmt er sie an? Bringt er sich selbstinitiativ ein? Fordert er bei Bedarf Klärung ein? In den hier analysierten Fällen besteht überwiegend ein Beteiligungsspielraum für den Novizen, der in unterschiedlichem Maße genutzt wird: Von Novizenseite ist mehrfach zu beobachten, dass er sich selbst einbringt, die Initiative ergreift, wie bspw. in SG 01 menschenmenge, wo er sich mit zwei Vorschlägen (bzgl. Textaufbau und einem Ausdruck) einbringt. Auch nimmt er nicht immer fraglos die Beiträge des Experten an, sondern stellt sie teilweise in Frage, wie in der eingehend analysierten Sequenz als auch in SG 01 menschenmenge zu finden, wenn Jean die Schreibweise von touristes anzweifelt. Er stellt zwei Nachfragen: hä auch wirklich mit e s? (Z. 625), kommt da nicht einfach nur? (Z. 627). Daraufhin erläutert Pauline, dass er es mit der englischen Version verwechsle (Z. 628). Er notiert das Wort schließlich, aber rückversichert sich abschließend erneut (Z. 629). In dieser Sequenz stellt Jean einerseits Paulines Wissen in Frage, aber fordert andererseits auch seine Bedürfnisse nach mehr Klarheit ein: Er fragt nach und erhält eine Erklärung von ihr, die ihn akzeptieren lässt, auch wenn eine restliche Unsicherheit zu bestehen scheint (Rückversicherung). Ein anderes Beispiel dafür, dass der Novize so lange nachfragt, bis er zumindest einigermaßen überzeugt ist, ist der Fall 02 beaucoup de. Hier ist Steffen verwirrt, 197 3.2 Analyseergebnisse <?page no="198"?> da er sich vage an eine Regel erinnert, wie der Ausdruck beaucoup de verwendet wird und versucht, diese zu erinnern, zu verstehen und anzuwenden. Tom widerspricht ihm anfangs, korrigiert ihn dann, aber erklärt nicht. Zusätzlich erschwerend kommt ein Missverständnis hinzu: die Verwechslung aufgrund derselben Aussprache von des und de. Erst nach mehrmaligem Hin und Her gelingt es Tom, das Missverständnis zu klären und er nennt die Regel: beaucoup de schreibt man IMM er ohne s (Z. 414). Für Steffen scheint die Sache dennoch nicht restlos geklärt. Er fragt weiter, versucht zu verstehen. Daraufhin fordert Tom ihn auf, ihm zu glauben und das Wort entsprechend zu notieren (Z. 421). Zwar scheint für Steffen noch keine Klärung erreicht, aber er fragt nicht weiter nach und interessanterweise zeigt sich im weiteren Verlauf, dass er die Regel auch an anderer Stelle selbstständig anwendet, also doch verstanden oder zumindest akzeptiert zu haben scheint (s. auch folgende Ausführungen). Ein weiteres Beispiel, in dem der Novize mehrfach nachfragt und eine Klärung einfordert, ist SG 08 kirche. In dieser Sequenz verhalten sich Johanna und Lina deutlich als Expertin und Novizin. Die Sprachexpertin Johanna verwendet einen Fachterminus (apostrophiert Z. 419-435) und Wörter, die Lina nicht kennt (vielle Z. 396-410) bzw. - aufgrund von falscher Aussprache - nicht erkennt (l’église; l’ežliz ausgesprochen Z. 412-419). Lina fragt nach und es gelingt den beiden schließlich, die Fragen zu klären. Allerdings ist hier zu bemerken, dass Johanna Apostroph und Accent verwechselt hat, was das Missverständnis herbeiführt oder zumindest begünstigt (Z. 419-425). Diese Beispiele zeigen, dass sich der Novize durchaus initiativ und fordernd einbringen kann - er möchte verstehen und nachvollziehen - und übernimmt damit auch Verantwortung für sein Lernen. Von Expertenseite zeigt sich, dass die vom Novizen eingeforderte Unterstüt‐ zung nicht immer realisiert wird bzw. dass der Experte seinen Gedankengang teilweise nicht ausreichend expliziert, sodass dieser von außen nicht nach‐ vollzogen werden kann. Dies kann bspw. geschehen, wenn er Fachtermini verwendet. Der Einsatz von Fachtermini deutet auf ein solides Sprachniveau hin, darauf, dass sich der Experte auf einer Metaebene mit dem Phänomen befassen und es zudem einer positiven Selbstdarstellung dienen kann. Einer‐ seits bringt die Verwendung von Fachtermini den Vorteil, ein Problem sehr präzise benennen zu können. Andererseits kann sie auch Ausschluss oder Missverständnis bewirken, wie in dem Fall, in dem der Fachterminus nur dem Experten bekannt ist bzw. verwechselt wird, wie in SG 08 kirche. Ein weiterer Aspekt, der in den Fällen unterschiedlich ausgeprägt ist, ist die Hilfestellung durch den Experten. Konkret realisiert wird sie mit den folgenden Handlungen: Buchstabieren, deutsche Aussprache eines französischen Wortes, 198 3 Empirische Untersuchung <?page no="199"?> Übersetzen des französischen Ausdrucks, Wiederholung der entsprechenden Information, um sicherzugehen, dass der Novize auch verstanden hat, was vor‐ aussetzt, dass der Experte ein niedrigeres Sprachniveau des Novizen annimmt. Es handelt sich hierbei um Formen der Vereinfachung und Vereindeutigung. Diese verschiedenen Formen der Hilfestellungen stehen auch im Zusammen‐ hang mit dem Anspruch, den der Experte verfolgt: Möchte er sein Wissen vermitteln? Verfolgt er ein didaktisches Interesse und gelingt es ihm, dieses umzusetzen? Geht es ihm darum, das Problem möglichst rasch zu lösen oder gar sich qua seiner Autorität durchzusetzen? Oder darum, sich zu erhöhen, seine Rolle auszukosten? In den Daten lassen sich verschiedene Ausprägungen für die Realisierung eines ‚didaktischen Anspruchs‘ des Experten finden: sie reichen von einem ‚lehrerhaften‘ Verhalten ( SG 01 hochhaus), über unaufgeforderte ( SG 01 visiter) und erbetene Hilfestellungen ( SG 08 kirche) bis hin zum Einsatz von Autorität ( SG 02 beaucoup de; s. nachfolgende Ausführungen). Die Vermittlung wiederum hängt maßgeblich mit dem Sicherheitsgrad zu‐ sammen, der dem zu vermittelnden Inhalt entgegengebracht wird. Tendenziell weist der Experte im Vergleich zum Novizen einen erhöhten Sicherheitsgrad auf. Es liegt die Annahme zugrunde, dass er einen Wissensvorsprung hat und sich dessen auch bewusst ist, wodurch sich eine Hierarchie ergibt. Dennoch kann auch der Experte Unwissen bekunden, wie z. B. in SG 01 hochhaus. Auch in SG 02 schön fragt Pauline zuerst nach, kann dann doch auf ihr lexikalisches Wissen zurückgreifen, aber rückversichert sich dennoch (Z. 448, 450). Dies sind Hinweise auf ihre Unsicherheit bzgl. der Wortbedeutung bzw. Passung, denn gleichzeitig zögert sie nicht, als sie das Wort buchstabiert. Die Einschätzung der Sicherheit bzgl. der eigenen Ressourcen kann also mehr oder weniger aus‐ geprägt sein und mehr oder weniger deutlich markiert werden: In dem eingangs zitierten Datenauszug bspw. ist zu beobachten, dass Pauline eher vorsichtig formuliert. Sie tritt zwar sicher auf, aber bleibt in ihren Aussagen vorsichtig und relativierend, sie scheint absolute Aussagen zu scheuen und verwendet stattdessen bspw. kommt meistens (Z. 547). Anders hingegen agiert Steffen aus Dyade 02: Er markiert im Fall SG 02 beaucoup de mehrfach seine Sicherheit (glaubs mir es ist rIchtig so Z. 421), wird dabei lauter und bestimmend, fordert Tom auf, ihm zu glauben. Er verhält sich als Sprachexperte, vermittelt allerdings sein Wissen nicht so, dass es für Steffen verständlich ist. Stattdessen markiert er seine Sicherheit - durch das Lauterwerden und die Glaubensaufforderungen - und setzt damit Autorität ein. Ein ähnliches Verhalten ist in der Dyade 05 zu beobachten: Auch Lukas widerspricht Christian und besteht auf der Richtigkeit seiner Aussage in SG 05 près la seine. Schließlich wendet er dann aber ein, dass beide Varianten (seine und die von Christian) möglich seien, sich dadurch nur 199 3.2 Analyseergebnisse <?page no="200"?> ein Bedeutungsunterschied ergebe. Damit weicht er zwar die vorher vertretene Sicherheit etwas auf, da er hier eingesteht, dass Christians Variante auch korrekt sei. Schließlich bestimmt er qua seiner Autorität, dass sie es dennoch bei der gewählten Variante belassen. Es ist festzuhalten, dass Experten tendenziell über mehr Sicherheit und Novizen über mehr Unsicherheit verfügen. Überwiegt der Ressourceneinsatz einer Person deutlich im Vergleich zur anderen, kann dies ein Merkmal für ein Experte-Novize-Verhältnis sein, auch wenn der Experte teilweise selbst Unsicherheit und Unwissen zeigt. Entscheidend dabei ist, ob gleichzeitig weitere Merkmale zutreffen. Ein weiteres Merkmal bezüglich dessen der Ausprägungsgrad in den Fällen variiert, ist die Selbstdarstellung. Tendenziell verbindet sich mit der Experten‐ rolle ein eher positives und mit der Novizenrolle ein eher negatives Selbstbild. Wie deutlich dies realisiert wird, variiert je nach Fall. In SG 01 menschenmenge stellt sich Jean in seiner Rolle als Novize eher unvorteilhaft dar. Er vermit‐ telt den Eindruck, dass er nicht schnell versteht, viel falsch macht. Dabei verwendet er spontane, umgangssprachliche Ausdrücke (was? , fünffach hä? ) und Schimpfwörter (ahh shit, scheiße, ah mist). Die Novizin Lina in SG 08 kirche stellt sich zwar ebenfalls als unwissend dar (du weißt dass ich das nicht kann Z. 425), aber zeigt gleichzeitig ihre Wissbegierde durch ihr beharrliches Nachfragen und unterstellt damit ihrer Experten-Partnerin Johanna, dass sie sie auflaufen lässt. Eine weitere Möglichkeit, sich vor dem Novizen (und durch die Audioaufnahme auch vor der Forscherin) positiv darzustellen, ist die bereits genannte Verwendung von Fachtermini, mittels derer ein Wissensvorsprung und damit auch Macht demonstriert werden kann, wie in dem Fall SG 08 kirche. Vergleich Kontrast Mit einigen Beobachtungen aus den herangezogenen Kontrastfällen (maximale Kontraste) soll der Typ „Experte-Novize“ weiter konkretisiert werden. Als Tertia Comparationis werden eingesetzt: einseitig dominierte Beteiligung, einseitig dominierte Verteilung von Ressourcen, einseitige Wahrnehmung von Verant‐ wortung. Das Vergleichsmoment der einseitig dominierten Beteiligung sowie Vertei‐ lung von Ressourcen und Verantwortung greift dyadenintern für die Kon‐ trastfälle SG 01 menschen, joli / joliment, peut / pourrait. Darin dominiert Pauline und verhält sich als Sprachexpertin. Die Beteiligungsmöglichkeiten für Jean hingegen sind potentiell vorhanden, aber nur sehr begrenzt gegeben (kaum Zeit, lautes Denken). Jean beteiligt sich nicht oder kaum, stattdessen zieht er sich zurück und Pauline klärt im Alleingang (s. auch Kap. 3.2.2.2.). Auch 200 3 Empirische Untersuchung <?page no="201"?> dyadenübergreifend lassen sich Fälle heranziehen, die sich, trotz ähnlich ausge‐ prägter Merkmale, nicht dem Typ „Experte-Novize“ zuordnen lassen, z. B. SG 05 manière, SG 08 là. Der Vergleich zeigt, dass es bei einer einseitig dominierten Verteilung von Ressourcen und Verantwortung sowohl zu einer gemeinsamen aber hierarchischen Bearbeitung wie beim Typ „Experte-Novize“ als auch zu einer kurzzeitig individuellen Bearbeitung wie im Typ „Alleingang“ führen kann. Die einseitig dominierte Wahrnehmung von Verantwortung ist ein weiteres Vergleichsmoment. Sie geht i. d. R. einher mit einer einseitigen Verteilung von Ressourcen, wie in den bereits erläuterten Fällen. Folgende weitere Ausprä‐ gungen sind in den Daten zu finden: a. Initiative und Bedarf geht von einer Person aus und damit liegt die Verantwortungsübernahme allein bei ihr, wie in dem Fall SG 01 joli / joliment sowie weiteren Fällen des Typs „Alleingang“. b. Die Wahrnehmung von Verantwortung kann aber auch zwischen den Personen aufgabenbezogen verteilt sein, in dem Sinne, dass jede Person sich selbstverantwortlich um ihre Aufgabe kümmert, wie z. B. in dem Fall SG 04 formen, sowie weiteren Fällen des Typs „Aufgabenteilen“. c. Eine Person bestimmt, wer wofür die Verantwortung zu übernehmen hat, wie in den Fällen SG 03 qui / que sont, tu peux / t und in der natur. Der Vergleich zeigt unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten von Verant‐ wortungsübernahme, die mit den jeweiligen Typen im Zusammenhang stehen. In dem Typ „Experte-Novize“ ist die Wahrnehmung von Verantwortung für den Experten insofern naheliegend, als dieser eine führende Rolle übernimmt, ein Wissensvorsprung (theoretisch) gegeben ist und ggf. ein didaktischer Anspruch zugrunde liegt. Dies bedeutet jedoch - was sich auch in dem Vergleich mit Kontrastfällen zeigt, in denen Rollen zugewiesen aber nicht (wie erwünscht oder erwartet) ausgefüllt werden -, dass Vertrauen eine grundlegende Voraussetzung dafür darstellt, die Rollenausprägung Experte-Novize überhaupt realisieren zu können. Der Novize muss dem Experten vertrauen. In der Dyade 03 macht Elisa Markus durch ihre Handlungen (Nachfragen) formal zum Sprachexperten, entzieht ihm dieses Vertrauen aber wieder, indem sie seine Beiträge anzwei‐ felt und sich schließlich von ihm distanziert (s. Kap. 3.2.2.1.). Unter diesen Umständen ist ein Experte-Novize-Verhältnis nicht möglich, denn es erfordert Vertrauen und Akzeptanz der jeweiligen Rollen und den damit verbundenen, schwerpunktmäßigen Aufgaben. Im dyadeninternen und dyadenübergreifenden, kontrastiven Fallvergleich wurde herausgestellt, dass sich der Typ „Experte-Novize“ durch eine einseitige 201 3.2 Analyseergebnisse <?page no="202"?> Dominanz auszeichnet. Derartige Ungleichgewichte sind auch in anderen Typen zu beobachten, entscheidend für den Typ „Experte-Novize“ ist jedoch, dass damit ein bestimmtes Rollenverständnis einhergeht, welches von beiden Seiten getragen wird. Abgrenzung zu anderen Typen Aufgrund sich überschneidender Merkmale sollen nachfolgend die Typen „Al‐ leingang“ und „Aufgabenteilen“ vom Typ „Experte-Novize“ abgegrenzt werden. Während sich der „Alleingang“ dadurch auszeichnet, dass die Bearbeitung einseitig engagiert und verantwortet ist, zeichnet sich der Typ „Experte-Novize“ durch eine gemeinsame, wenn auch etwas ungleich verteilte Bearbeitung aus. Beide sind am Bearbeitungsprozess beteiligt. Der zentrale Unterschied zum Typ „Aufgabenteilen“ liegt darin, dass dort mit verteilten Rollen jeweils bestimmte Verantwortungsbereiche wahrgenommen und Entscheidungen individuell getroffen werden. Beim Typ „Experte-Novize“ hingegen liegt eine klare, einseitig dominierte Verteilung der Ressourcen vor, die eine Hierarchie zur Folge hat. Theoretische Anknüpfungspunkte Die vorhergehend ausgeführten Analysen lassen sich mit folgenden theoreti‐ schen Ansätzen in Verbindung bringen. Erstens weist der Typ „Experte-Novize“ eine klare Parallele zum Interaktionstyp expert / novice in Storchs (2002) model of dyadic interaction auf. Sie bezeichnet dieses Verhältnis als tutor-tutee: eine Person (tutor) übernimmt eine führende Rolle und unterstützt und bestärkt dabei die andere Person (tutee), was normalerweise von einer Lehrperson realisiert wird. In dem hier vorliegenden Datensatz ist zu beobachten, dass Unterstützung i. S. v. erklärenden Hinweisen mehrfach realisiert wird. Momente, in denen der Experte den Novizen bestärkt in dem Sinne, dass er ihn ermutigt bspw. etwas auszuprobieren, ihm kleinschrittig im Erarbeitungsprozess hilft, so wie das in einem klassischen Experte-Novize-Verhältnis erwartbar ist, sind nicht anzutreffen. Dies erklärt sich dadurch, dass es hier in erster Linie darum geht, die Aufgabe gemeinsam zu bearbeiten (und nicht um den individuellen Lernprozess des Novizen) und sich die Interaktanten bezogen auf ihr Sprachwissen und ihre Beziehung hierarchisch auf einer ähnlichen Ebene befinden, was keine sehr große Wissensdifferenz erwarten lässt. Dennoch ist in den Daten eine Sequenz vorhanden, in der die Expertin ein ‚typisch lehrerhaftes‘ Verhalten realisiert. Damit stimmen die Grundideen des Typs mit dem von Storch überein, sind jedoch durch das spezifische Setting geprägt. 202 3 Empirische Untersuchung <?page no="203"?> Anknüpfen lässt sich zweitens in ähnlicher Weise an Naujoks Kooperati‐ onstyp Helfen. Auch dieser beschreibt ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Interaktanten mit vielfältigen Bezugnahmen. Dabei fokussieren sich beide auf die Aufgabe einer Person (vgl. Naujok 2000: 176 ff.). Der letztgenannte Aspekt trifft für den hier vorliegenden Typ auf andere Weise zu, denn aufgrund des kollaborativen Settings geht es darum, eine gemeinsame Aufgabe zu bewäl‐ tigen. Also konzentrieren sich qua Setting beide auf ihre gemeinsame Aufgabe. Dennoch kann dabei ein ‚didaktischer Anspruch‘ i. S. eines Helfen-Wollens vorkommen. Bezeichnend sind die ungleiche Ressourcenverteilung und die spezifische Rollenausprägung. Drittens erweist sich das Konzept der Zone of Proximal Development nach Vygotskij (1978; s. auch Kap. 1.) in Bezug auf die Situation des Novizen als fruchtbar. Durch Unterstützung - hier direkt realisiert durch Erklärungen, aber auch indirekt durch die Beteiligung am Gedankengang durch Lautes Denken oder Klangproben u. a. - kann es dem Novizen gelingen, etwas zu erreichen, das er aus eigener Kraft evtl. nicht erreicht hätte. Ausgehend davon lassen sich in Verbindung mit den Lernmethoden Lernen durch Lehren (Martin 2002) und Lernen am Modell (Bandura 1971), in denen es jeweils darum geht, von- und miteinander zu lernen, Lernpotentiale aufzeigen. Während die Methode Lernen durch Lehren insb. für den Experten lernrelevant ist, steht beim Modelllernen tendenziell der Novize im Fokus und profitiert von der Zusammenarbeit. Eben‐ dies wird bei einem Experte-Novize-Verhältnis angestrebt: Es wird erwartet, dass der Novize vom Experten lernen kann und der Experte durch die gegebene Situation ebenfalls. Zusammenfassend Der Typ „Experte-Novize“ beschreibt eine Bearbeitungsform, in der ein hierarchisches Verhältnis mit einer spezifischen Rollenausprägung vorliegt (Ich-Dir-Bezug). Dies geht mit unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten und -erwartungen einher. Grundsätzlich ist dabei der Experte der Wissende und Führende, wobei er Autorität durch Wissensvorsprung, Verantwortung, Kontrolle vermittelt. Demgegenüber ist der Novize der Fragende, der sich zwar einbringt, aber unsicherer auftritt und letztendlich dem Experten vertraut. 203 3.2 Analyseergebnisse <?page no="204"?> 3.2.2.4 „Aufgabenteilen“ Datenauszug 4 SG04 die sonne scheint (Z. 324-343; Zeit: 21: 00-22: 34) 324 EM: ja: : oder nein beziehungsweise wir beschreiben jetzt (.) also es ist ein schöner tag 325 LE: ja okay (.) [il est un: ] [beau: ] (.) jour? (.) il est ((schreibt)) 326 EM: es ist ein [schöner tag] (.) [die sonne] scheint 327 (4) 328 LE: beau jour oder jour beau? 329 EM: un bEAU [un j ] un bon jour 330 LE: [beau jour] ((schreibt)) 331 EM: die sonne (.) scheint auf den asphALt oder so (.) le [solEil ] brou: ille 332 LE: [was heißt? ] (1) brouille? 333 EM: also da_nein das ist ja heiß also die bruzelt ((lacht)) die bruzelt auf den 334 LE: ich guck schnell ((blättert)) 335 EM: scheint? oder (.) brennt? brennt klingt so böse (.) scheint 336 (5) 337 LE: <<leise> oh ne: das ist auf französisch> ((blättert)) 338 (4) 339 LE: sch: : : : (.) sch: : ((blättert, 9)) <<leise> scheinen> <<deutsche Aussprache> briller> <<deutsche Aussprache> briller? > (.) oh da war ich gar nicht so <<lachend> weit weg> mhm (1) ich schreib jetzt einfach mal brille ich weiß nämlich nicht wie man das kon_jugiert ja so (.) (wir haben) ähm (1) so 340 EM: 341 LE: 342 EM: 343 LE: Abb. 08: Textauszug SG04, 2. Satz Paraphrase Lea-Sophie und Emma schreiben in dem vorliegenden Transkriptauszug den zweiten Satz ihres Textes über Paris. Emma legt fest, dass sie ihren Text in Form einer Beschreibung verfassen und beginnt einen Formulierungsvorschlag auf Deutsch (Z. 324). Lea-Sophie stimmt ihr zu und beginnt die Formulierungen ins Französische zu übertragen, dabei intoniert sie das Wort jour fragend und beginnt zu schreiben. Parallel wiederholt Emma den Satzanfang auf Deutsch und führt ihn weiter (Z. 326). Lea-Sophie fragt bzgl. der Syntax von beau jour nach. 204 3 Empirische Untersuchung <?page no="205"?> Daraufhin probiert Emma diese aus (Z. 329). Parallel entscheidet Lea-Sophie sich für die Variante beau jour und schreibt diese nieder. Emma führt ihre Formulierung auf Deutsch fort und überträgt sie ins Französische. Lea-Sophie stellt eine Nachfrage bzgl. des von Emma verwendeten Wortes. Emma beginnt ihre Gedanken auf Deutsch auszuführen, verwendet das Wort bruzeln, lacht, wiederholt das Wort erneut (Z. 333). Lea-Sophie nimmt sich das Wörterbuch und beginnt zu blättern, während Emma das Alternativverb scheinen anführt und überlegt, ob dieses oder brennen passender ist. Sie entscheidet sich für das Verb scheinen. Lea-Sophie sucht währenddessen im Wörterbuch und findet den Eintrag briller, den sie in deutscher Aussprache vorliest (Z. 339). Emma wiederholt ihn fragend und kommentiert lachend, dass ihr vorheriger Vorschlag (brouille) dem sehr ähnlich kam: oh da war ich gar nicht so <<lachend> weit weg> (Z. 340). Lea-Sophie stimmt ihr zu (mhm) und informiert darüber, dass sie brille schreibe, da sie bzgl. der Konjugation unsicher sei (Z. 341). Emma bestätigt. Handlungsbeschreibung In dem vorangehend beschriebenen Datenauszug beteiligen sich sowohl Lea-So‐ phie als auch Emma aktiv bei der Problembearbeitung und gehen dabei klar aufgabenteilig vor: Lea-Sophie schreibt und überträgt anfangs die deutschen Formulierungsvorschläge ins Französische. Außerdem versucht sie, ihre Fragen bzgl. Syntax und Lexik zu klären - durch Ausprobieren und selbstinitiierten Wörterbucheinsatz - und wendet sich dabei auch an Emma. Emma reagiert darauf, indem sie selbst die Wortstellung ausprobiert. Ansonsten steuert Emma inhaltliche Beiträge bei, arbeitet an der Formulierung und der Wortwahl. Mit ihren jeweiligen Aufgaben übernehmen sie gleichzeitig auch Verantwortung dafür und treffen selbstständig Entscheidungen, die damit in Zusammenhang stehen: Während Lea-Sophie sich für eine Wortstellung und die Schreibweise des Wortes briller entscheidet, gibt Emma vor, welche Textform sie realisieren und wählt das Verb scheinen aus. Insgesamt reagieren sie wenig aufeinander (Ausnahmen: gemeinsame Formulierung, Ausprobieren der Syntax, Nachfrage brouille), akzeptieren die jeweiligen Beiträge und sind hauptsächlich mit ihren eigenen Aufgaben befasst. Bei ihrer Bearbeitung kommuniziert Lea-Sophie Unsicherheit und Unwissen, Emma expliziert ihre Überlegungen bei der Suche nach der passenden Wortwahl. Zielsetzungen Für ihre hier realisierten Handlungen lassen sich folgende Erklärungen aus den Daten rekonstruieren. Sie hängen vorwiegend mit der Aufgabenverteilung 205 3.2 Analyseergebnisse <?page no="206"?> zusammen, die wiederum mit der Übernahme und Abgabe von Verantwortung verknüpft ist: Lea-Sophie und Emma verfolgen in diesem Fall das Ziel, den Ausdruck die sonne scheint ins Französische zu übertragen. Dabei gehen sie aufgabenteilig vor. Die Verteilung von Aufgaben bedeutet, dass sich jeweils Zuständigkeitsbereiche ergeben. Voraussetzung dafür ist, dass die Ressourcen auch vorhanden sind. Mit der Verteilung von Zuständigkeitsbereichen wiederum geht Verantwortungs‐ übernahme einher. Dies bedeutet, dass die Interaktanten für ihre jeweiligen Bereiche individuell verantwortlich sind. Wenn sie alleine Entscheidungen treffen - wie in dem vorhergehenden Transkriptauszug - ist dies ein deutli‐ cher Hinweis darauf, dass sie erstens ihre Verantwortung wahrnehmen und dass diese zweitens von der anderen Person auch akzeptiert wird. Durch das Verbalisieren (bspw. von Unsicherheit) besteht hier allerdings die Möglichkeit, diese individuelle Verantwortung etwas zu relativieren, insofern als dadurch eine Beteiligungsmöglichkeit für die andere Person eröffnet wird. Dadurch z. B., dass Lea-Sophie ihre Unsicherheit (Z. 325, 328) und ihr Unwissen (Z. 332, 341) kommuniziert, wird eine Teilhabe potentiell ermöglicht. Derselbe Effekt ergibt sich dadurch, dass Emma laut überlegt (Z. 333-335): Auch wenn ihre Überlegungen primär selbstadressiert scheinen, ermöglichen sie durch das Ver‐ balisieren Beteiligung. Diese Beteiligungsmöglichkeit kann eine Reduzierung der individuell wahrgenommenen Verantwortung bewirken. Da die Aufgabenteilung mit geteilter Verantwortung einhergeht, sind Akzep‐ tanz und gegenseitiges Vertrauen - neben dem Vorhandensein der jeweiligen Ressourcen - eine zentrale Voraussetzung für eine derartige Vorgehensweise: Jeder trägt seinen Teil zur Aufgabenbearbeitung bei und dieser wird auch akzeptiert. Daraus ergibt sich grundsätzlich eine symmetrische Beziehung, denn beide Interaktanten bringen sich gleichberechtigt ein und verfolgen auf diese Weise ein gemeinsames Ziel, zu dem beide ihren individuellen Teil beitragen. Funktionspotentiale Folgende mögliche Funktionen können aus diesen Erklärungsansätzen herge‐ leitet werden: Lea-Sophie und Emma gehen aufgabenteilig vor und erarbeiten auf diese Weise gemeinsam den gesuchten Ausdruck, was ihnen auch nicht hätte gelingen können ((Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems). Durch die Verteilung von Aufgaben wird prinzipiell ermöglicht, dass jede denjenigen Aufgaben nachgeht, die sie interessieren, die ihnen liegen, wofür sie die Kapazitäten mitbringen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Kapazitäten erstens vorhanden sind und zweitens so unter den Interaktanten verteilt sind, dass sie auch 206 3 Empirische Untersuchung <?page no="207"?> nach Interesse und Kapazität aufgeteilt werden können. So kann es bspw. sein, dass keiner der Interaktanten die Schreibrolle übernehmen möchte und einer dennoch diese Aufgabe übernimmt und sich entsprechend unsicher fühlt ((Nicht-)Passung Aufgabe-Ressource), womit die Gefahr eines Motivationsver‐ lustes und eines geringen Selbstvertrauens verbunden sein kann. Ist diese Bedingung aber erfüllt, wird durch die Konzentration auf einen Teilbereich Spe‐ zialisierung ermöglicht, die wiederum durch eine günstige Verteilung der Res‐ sourcen zu Effizienssteigerung führen kann (spezialisierte Bearbeitung). Sind die Verantwortlichkeiten geklärt, wird ein reibungsloser Ablauf wahrscheinlich, da nicht weiter diskutiert werden muss und sich jeder um seine Aufgabe kümmert (reibungsloser Ablauf). Gleichzeitig geht mit der Arbeitsteilung und damit verbundenen Spezialisierung das Risiko einher, dass das Gesamte aus dem Blick gerät und die Bearbeitung zu einem „Nebeneinanderher-Arbeiten“ (vgl. Naujok 2000: 174 ff.) wird (Nebeneinanderher-Arbeiten). Zu erwarten ist außerdem, dass sich die Interaktanten durch die Fokussierung auf Zuständig‐ keitsbereiche wenig(er) an den Beiträgen des anderen beteiligen, was sich in wenig gegenseitigen Bezugnahmen (low mutuality, Storch 2016: 303 f.) zeigt und zu weniger gemeinsamem Nachdenken führen kann. Sofern aber eine Verbalisierung der Gedanken oder des Wissensstatus’ realisiert wird (s. o.), ergibt sich das Potential voneinander zu lernen, i. S. des Modelllernens (Lernen am Modell). Folgende Funktionen können aus dem hier beschriebenen Fall abgeleitet werden: (Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems, (Nicht-)Passung von Aufgabe und Ressourcen, spezialisierte Bearbeitung, reibungsloser Ablauf, Nebeneinanderher-Arbeiten, Lernen am Modell. Fallvergleich Der Typ „Aufgabenteilen“ wurde anhand folgender Fälle entwickelt: Als typi‐ scher Fall wurde der vorliegende Datenauszug SG 04 die sonne scheint gewählt. Darüber hinaus konnten in dieser Dyade vier weitere Fälle desselben Typs herausgearbeitet werden ( SG 04 cher, formen, sehenswürdigkeiten, guingamp). Außerhalb der Dyade konnten folgende Sequenzen ebenfalls diesem Typ zugeordnet werden: SG 01 fluss und kunstwerk, SG 03 alt, SG 06 shoppingcenter, SG 06 circa. Als Kontrastfälle werden herangezogen: dyadenintern SG 01 joli / joliment sowie dyadenübergreifend SG 04 öffnen, SG 06 samstags, SG 07 künstlerviertel. 207 3.2 Analyseergebnisse <?page no="208"?> Vergleich Ähnlichkeit Im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen (minimale Kontraste) lassen sich folgende übergreifende Merkmale herausstellen, die den Typ „Aufgabenteilen“ charakterisieren: 1. Beteiligung: beide sind aktiv beteiligt 2. Ressourcen: Verteilung von Ressourcen ist aufgabenspezifisch 3. Ziel: beide verfolgen ein gemeinsames Ziel 4. Bearbeitung: sie bearbeiten aufgabenteilig 5. Verantwortung: Übernahme und Abgabe von Verantwortungsbereichen 6. Beziehung: gleichberechtigte Beziehung und Bearbeitung 7. Bezüge: wenig Bezugnahmen untereinander Ein übergreifendes Merkmal des Typs „Aufgabenteilen“ besteht darin, dass sich beide Interaktanten aktiv an der Bearbeitung des Problems beteiligen (1. Betei‐ ligung). Sie bringen beide gleichermaßen Ressourcen ein, konzentrieren sich dabei aber auf ihre jeweiligen Aufgabenbereiche (2. Ressourcen) und verfolgen auf diese Weise ein gemeinsames Ziel, zu dem sie mit ihren Einzelaufgaben beitragen (3. Ziel). Auf dieser Grundlage kommt es zu einer aufgabenteiligen Bearbeitung (4. Bearbeitung): Beide Interaktanten widmen sich bestimmten Aufgaben und führen diese schwerpunktmäßig aus. Dies bedingt, dass sie dafür jeweils Verantwortung übernehmen bzw. an die andere Person abgeben und Einzelentscheidungen treffen. Es kommt zu individuellen Verantwortlichkeiten (5. Verantwortung). Einher geht damit eine grundsätzlich gleichberechtigte Be‐ ziehung, die sich auch in der Art der Bearbeitung widerspiegelt (6. Beziehung). Dadurch, dass sich jeder auf seine Aufgabe(n) konzentriert, werden tendenziell wenig Bezugnahmen realisiert (7. Bezugnahmen). Beschreiben lässt sich diese Beziehung auch durch ein ‚Ich & Du-Bezug‛: Beide beteiligen sich aktiv, bringen sich und ihre Kapazitäten gleichberechtigt ein und verlassen sich auf den anderen. Sie teilen dabei die Aufgaben auf und übernehmen dafür jeweils Verantwortung. Ausprägungsgrade Folgende für den Typ „Aufgabenteilen“ charakteristische Merkmale variieren dyadenintern und -übergreifend in ihren Realisierungsformen: die Umsetzung der Aufgabenteilung, die Verantwortungsübernahme und damit verbunden der Status des Wissens sowie der Grad der Bezugnahmen. Die Aufgabenteilung wird in den meisten Fällen recht eindeutig und be‐ ständig umgesetzt, am deutlichsten dann, wenn sich die Interaktanten mit sehr unterschiedlichen Aufgaben befassen und parallel selbstverantwortlich 208 3 Empirische Untersuchung <?page no="209"?> daran arbeiten (z. B. SG 04 sonne scheint, SG 01 fluss). Aber es kommt auch vor, dass die Interaktanten sich kurzzeitig gemeinsam einer Aufgabe widmen (z. B. SG 06 circa, shoppingcenter) oder gar die Aufgabengebiete wechseln und neu zuweisen oder aushandeln (z. B. SG 01 kunstwerk). In manchen Fällen wird die Aufgabenverteilung auch explizit thematisiert: Elisa weist bspw. Markus an, das Wort alt im Wörterbuch zu überprüfen: ja dann such du mal nach <<deutsche Aussprache> vieille> ( SG 03: 215). Dabei zeigt sich, dass wenn Aufgaben nicht klar zugewiesen sind, die Klärung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zusätzliche Kapazitäten in Anspruch nimmt und den Ablauf ggf. stören kann, wie z. B. in dem Fall SG 01 kunstwerk. Bezogen auf die Verantwortungsübernahme besteht in mehrerlei Hinsicht Spielraum bzgl. der Ausprägungsgrade: Wird die individuelle Verantwortung ggf. durch Rückfragen oder kommunizierte Unsicherheit erweitert? Oder werden Entscheidungen alleine und ohne Absprache getroffen? In vielen Fällen wird der eingeschätzte Status der eingesetzten Ressourcen transparent darge‐ stellt, wie z. B. in SG 04 cher: Darin fragt Lea-Sophie, wie cher geschrieben wird und vermutet, dass dieses Wort einen Akzent enthält, was Emma unsicher bestätigt. Daraufhin überprüfen sie mit dem Wörterbuch. Wird der Status des Wissens, wie in diesem Fall, offen kommuniziert, hat dies den Vorteil, dass darauf reagiert, ggf. bestätigt, angezweifelt, nachgeschaut oder korrigiert werden kann. Zudem wird dadurch die individuelle Verantwortung erweitert, da die andere Person potentiell miteinbezogen und die Verantwortung damit ein Stück weit geteilt wird. In anderen Fällen (z. B. SG 06 circa) hingegen geschieht dies nicht, sodass die Verantwortung allein bei der bearbeitenden Person verbleibt oder aber das gesuchte Wort kann eindeutig mit dem Wörterbuch geklärt werden ( SG 01 kunstwerk). In diesem Rahmen bewegen sich die Realisierungen von Verantwortungs‐ übernahme für den Typ „Aufgabenteilen“. Ein zwingendes Merkmal bleibt dabei die Verteilung der Verantwortung auf beide Schultern. Dies setzt gegenseitiges Vertrauen und beiderseitige Akzeptanz für die Verantwortungsübernahme voraus. Mit den Fällen SG 03 alt und SG 01 kunstwerk liegen diesbzgl. zwei Grenz‐ fälle vor: Es wird in beiden Fällen klar aufgabenteilig vorgegangen, allerdings gibt jeweils eine Person der anderen Anweisungen (Elisa →Markus; Pauline →Jean), wodurch sich die Frage stellt, ob hier noch eine gleichberechtigte Beziehung vorliegt. Zudem ist Elisa von Markus’ Antwort nicht überzeugt, was schließlich dazu führt, dass sie eine Klärung mit dem Wörterbuch einfordert. Diese beiden Fälle sollen als Grenzfälle für den Typ „Aufgabenteilen“ betrachtet werden, da die Interaktanten grundsätzlich arbeitsteilig vorgehen, beide mit‐ denken und engagiert dabei sind. 209 3.2 Analyseergebnisse <?page no="210"?> Ein weiterer Aspekt ist der Grad der Bezugnahmen zu den jeweiligen Bei‐ trägen der Interaktanten. Dieser kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. In der Regel ist eine Person initiierend (häufig in der Schreibrolle) und die andere Person reagierend, sie versucht zu unterstützen und nimmt damit Bezug auf die Bedürfnisse der initiierenden Person (z. B. SG 04 cher, formen). Es kann aber auch vorkommen, dass es zu minimalen Bezugnahmen untereinander kommt, gerade dann, wenn beide parallel an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten und diese ohne Absprache durchführen, wie in SG 04 sonne scheint. Vergleich Kontrast Anhand von Vergleichsfällen (maximaler Kontrast) soll der Typ „Aufgaben‐ teilen“ weiter ausdifferenziert werden. Als Tertia Comparationis werden ein‐ gesetzt: gleichberechtigte Beziehung, in der sich beide aktiv beteiligen sowie individuelle Verantwortung. Innerhalb der Dyade SG 04 kann der Fall öffnen als Kontrastfall herange‐ zogen werden. Darin haben die Interaktanten prinzipiell eine gleichberechtige Beziehung und bringen sich beide aktiv ein: Sie bearbeiten gemeinsam und treffen Entscheidungen in Abstimmung. Dadurch, dass sie sich dabei gegenseitig bestärken und bestätigen (ja das ist super gut Z. 801) und sich gemeinsam an der Bearbeitung desselben Gegenstands (der Klärung der französischen Entsprechung für öffnen in der dritten Person Plural) beteiligen, geht ihre Vor‐ gehensweise über eine reine Aufgabenteilung hinaus. Vielmehr kann ihre Be‐ arbeitung als kollaborativ charakterisiert werden: Sie entwickeln gemeinsam die inhaltliche Idee für ihren Text, formulieren kollaborativ, suchen gemeinsam im Wörterbuch. Auch dyadenübergreifend lassen sich Kontrastfälle heranziehen, in denen bei gleichberechtigter Beziehung kollaborative Bearbeitungsformen realisiert werden (z. B. SG 06 samstag, SG 07 künstlerviertel). Dies zeigt, dass es auf Grundlage einer gleichberechtigten Beziehung zu einer aufgabenteiligen oder aber auch zu einer kollaborativen Vorgehensweise kommen kann (s. auch folgende Abgrenzung sowie Kap. 3.2.4.). Ein weiteres, unterscheidendes Merkmal ist die individuell wahrgenommene Verantwortung. In dem Fall SG 01 fluss bspw. zweifelt Pauline ihr eigenes Wissen an und führt daraufhin mit dem Wörterbuch eine Überprüfung durch. Sie verspürt individuell einen Klärungsbedarf und bemüht sich darum, Sicherheit zu erlangen. Potentiell könnte sich Jean daran beteiligen, sie fragt ihn auch, lässt ihm aber kaum Zeit zu reagieren, sondern nimmt das Wörterbuch selbst in die Hand. Außerdem ist er damit beschäftigt, zu schreiben. Jeder geht hier seiner Schwerpunktaufgabe nach (Pauline: Klärung der Lexik; Jean: Schreiben). Während in Fällen, wie dem eben anskizzierten aufgabenteiligen Vorgehen, eine 210 3 Empirische Untersuchung <?page no="211"?> individuelle Verantwortungsübernahme einhergeht, charakterisiert letzteres Merkmal auch Fälle des Typs „Alleingang“. Anders ist dort, dass die individuelle Verantwortungsübernahme nicht abgestimmt, die andere Person nicht einbe‐ zogen wird, obwohl sie betroffen ist, wie z. B. in dem Fall SG 01 joli / joliment. Individuelle Verantwortungsübernahme bedeutet folglich nicht zwingend den Ausschluss der anderen Person, sondern kann i. S. eines aufgabenteiligen Vor‐ gehens als eine parallele gleichberechtigte Bearbeitung ausgeprägt sein. Durch die kontrastive Betrachtung konnte der Unterschied zwischen einem Nebeneinander (Aufgabenteilen) und Miteinander (Kollaborieren) bei ähnlichen Grundvoraussetzungen - gleichberechtigte Beziehung sowie beidseitige Betei‐ ligung - verdeutlicht werden. Zudem konnte herausgestellt werden, dass das Merkmal einer individuellen Verantwortungsübernahme in Zusammenhang mit den damit verbundenen Handlungen zu sehen ist. Abgrenzung zu anderen Typen Aufgrund sich überschneidender Merkmale sollen an dieser Stelle die Typen „Kollaborieren“ und „Alleingang“ von dem Typ „Aufgabenteilen“ unterschieden werden. Ähnlich wie beim Typ „Kollaborieren“ bringen sich auch hier beide Interak‐ tanten ein und beteiligen sich an der Bearbeitung. Unterschiedlich hingegen ist daran, dass sie aufgabenteilig vorgehen und nicht, wie prägend für das Kol‐ laborieren, beide gleichzeitig am selben Gegenstand arbeiten, sich gegenseitig bestärken und mitdenken. Während dort das Verbindende, Gemeinsame, das Wir (das Miteinander) im Vordergrund steht, dominiert beim Typ „Aufgaben‐ teilen“ das parallele, selbstverantwortete Arbeiten (das Nebeneinander). Der Unterschied zum Typ „Alleingang“ besteht im Wesentlichen darin, dass beim „Aufgabenteilen“ beide parallel arbeiten, sich jeder um seinen Aufgabenteil kümmert und sich dafür einbringt. Damit wird die Verantwortung auf beide verteilt und die Ressourcen beider eingebracht, sie verfügen über einen gleich‐ berechtigten Status, was beim „Alleingang“ nicht der Fall ist. Dort geht es vielmehr um einen individuellen Bedarf, der auf eigene Faust geklärt wird. Die Hauptverantwortung liegt beim „Alleingang“ somit bei einer Person. Theoretische Anknüpfungspunkte Der Typ „Aufgabenteilen“ kann mit folgenden theoretischen Ansätzen in Verbin‐ dung gebracht werden. Zunächst kann auch hier Storchs model of dyadic interaction (2002) herangezogen werden. Ein Interaktionstyp, den sie darin beschreibt, ent‐ spricht weitgehend dem hier erarbeiteten Typ „Aufgabenteilen“. Sie beschreibt den Typ dominant/ dominant bzw. cooperative als Interaktionsform, bei der beide 211 3.2 Analyseergebnisse <?page no="212"?> 62 Allerdings spricht hier Tomasello von „fully collaborative activitiy“ (ders. 2009: 67, herv. LP) und unterscheidet demnach nicht zwischen kooperativ und kollaborativ, wie dies in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Storch geschieht (s. auch Ausführungen Kap. 2.1.3.1.). Interaktanten einen Beitrag leisten, sich aber wenig mit den Beiträgen des anderen auseinandersetzen. Als Merkmale nennt sie ein hohes Maß an Gleichberechtigung und wenig realisierte Bezugnahmen (vgl. Storch 2016: 393f.). Entscheidend ist, dass beide ein gemeinsames Ziel verfolgen und dafür jeweils schwerpunktmäßig Auf‐ gaben übernehmen. Damit geht tendenziell einher, dass sie sich wenig aufeinander beziehen, da sie auf ihre jeweilige Aufgabe fokussiert sind. In ähnlicher Weise können Parallelen zu dem von Naujok entwickelten Koope‐ rationstyp Nebeneinanderher-Arbeiten gezogen werden. Darin beschreibt sie eine Arbeitsweise, die sich dadurch auszeichnet, dass ein interaktiver Austausch nur punktuell realisiert wird und sich ansonsten jeder seiner Aufgabe widmet (vgl. Naujok 2000: 174 f.). Es handelt sich folglich, wie bei Storch, um das Merkmal der gegenseitigen Bezugnahme, das in diesem Fall unterrepräsentiert ist. Des Weiteren kann hier die Arbeit von Tomasello (2009) herangezogen werden. Darin beschreibt er Voraussetzungen und Elemente kooperativen Verhaltens, die auch bei dem hier entwickelten Typ zutreffen. Neben einem gemeinsamen Ziel nennt er Arbeitsteilung und das gegenseitige Verständnis der jeweiligen Rollen als zentrale Merkmale für eine „vollständig kollaborative Aktivität“ (ebd.: 67). 62 Arbeitsteilung setze gegenseitiges Vertrauen sowie Koor‐ dination und Kommunikation voraus und schaffe so wechselseitige Abhängig‐ keiten (ebd.: 54 ff.). Hier lässt sich direkt anknüpfen an das von Johnson / Johnson (2009) entwickelte Prinzip der positiven Interdependenz, wonach Zusammen‐ arbeit besonders effektiv verläuft, wenn die Interaktanten wechselseitig so voneinander abhängen, dass die Bearbeitung nur dann gelingt, wenn alle ihren Teil beitragen. Das Aufgabenteilen ist dann ergiebig, wenn die Aufgaben so auf die Interaktanten verteilt sind, dass eine positive Abhängigkeit erzeugt wird. Zusammenfassend Das differenzierende Merkmal des Typs „Aufgabenteilen“ ist die Verteilung von Aufgaben, die mit dem (Auf-)Teilen von Verantwortung und Ressourcen einhergeht. Dies setzt voraus, dass sich jeder hauptsächlich um seine Aufgaben kümmert und dafür Verantwortung übernimmt. Der Bearbeitungsmodus kann als ‚Ich & Du‘ beschrieben werden, bei dem jede Person Entscheidungshoheit bezogen auf ihren Bereich ausübt. Bezugnahmen aufeinander werden begrenzt realisiert, aber die Interaktanten reagieren aufeinander, verfolgen ein gemein‐ sames Ziel und koordinieren sich. 212 3 Empirische Untersuchung <?page no="213"?> 3.2.2.5 „Kollaborieren“ Datenauszug 5 SG07 künstlerviertel (Z. 293-327; Zeit: 16: 11-18: 29) 295 KA: okay (2) auß_vielleicht können wir jetzt so anfangen so mit außerdem kannst du noch 296 JA: ja 297 KA: montmartre besuchen (1) das (.) ist doch das künstlerviertel ne? 298 JA: mh 299 KA: kann man ja auch noch so (.) dazu sagen 300 JA: ja 301 ((Blättern, 21)) 302 KA: en plus (.) vielleicht so en plus (.) ähm (.) on peut (.) äh visiter montmartre und dann 303 JA: oder vielleicht außerdem MUSS man (.) il faut 304 KA: ja außerdem il faut (.) visiter montmartre 305 JA: ((schreibt, 7)) komma ähm le quartier (.) de 306 KA: de l’ar_l’art? (2) also <<leicht lachend> a [r t> ] 307 JA: [((lacht leicht))] (2) ich weiß nicht ob das so richtig ist (1) qua_quartier? 308 KA: ja ich glaub schon (.) (warte) 309 JA: de (.) les (.) ((Blattgeräusch)) künstler 310 (2) 311 KA: <<leise> hier> 312 (3) 313 JA: da ist kunst 314 KA: ja 315 (6) 316 KA: kunstgalerie 317 (3) 318 JA: künstler l’artiste (1) le quartier d’artistes 319 KA: ja 320 JA: des artIstes (.) oder [(uv) ? ] 321 KA: [ja des] artistes 322 JA: ((schreibt)) <<deutsche Aussprache> ar_tis_tes> 323 KA: ja (.) ähm (1) und dann halt so schreiben (.) da dort gibt es (1) ja einfach nur il y a 324 JA: il y a (.) ähm 325 KA: sacré cœur 326 JA: ((Blättergeräusch)) (il il y a) sacré cœur (2) <<leise und ((schreibend))> il y a (.) la (.) sa> (.) cœur (1) und vielleicht u: nd ähm man kann sich davor malen lassen 327 KA: ja genau Abb. 09: Textauszug SG07, 7. Satz 213 3.2 Analyseergebnisse <?page no="214"?> 63 Ein ungleicher Wissensstand kann die Bearbeitung beeinflussen. Wenn nur eine Person inhaltlich beitragen kann, wird evtl. eine Rollenverteilung nahegelegt, die nicht mit den tatsächlichen Interessen und Kapazitäten übereinstimmt. Allerdings liegt hier ein Gegenbeispiel dafür vor: Obwohl Karin selbst nicht in Paris war, macht sie inhaltliche Vorschläge (s. auch Kap. 3.1.5.). Paraphrase Karin und Jana schreiben in dem vorliegenden Transkriptauszug den siebten Satz ihres Textes über Paris. Karin beginnt mit einem Formulierungsvorschlag (außerdem kannst du noch Z. 295), den Jana bestätigt. Karin führt fort (mont‐ martre besuchen Z. 297) und stellt diesbzgl. eine inhaltliche Rückfrage an Jana, die im Gegensatz zu Karin bereits in Paris war. 63 Jana bestätigt und Karin schlägt vor, dies dann auch so zu notieren (Z. 299). Jana bestätigt erneut und es wird im Wörterbuch geblättert. Nun beginnt Karin ihren Vorschlag ins Französische zu übertragen (Z. 302). Jana greift diese Idee auf, modifiziert dabei das Verb - von on peut zu il faut - und verleiht dem Satz so mehr Aufforderungscharakter. Karin stimmt diesem Vorschlag zu und realisiert den Satz entsprechend (304). Jana notiert und spricht mit, was sie schreibt. Sie versucht das Wort künstlerviertel ins Französische zu übertragen (ähm le quartier de Z. 305). Karin übernimmt und arbeitet daran weiter, intoniert dabei fragend (de l’ar_l’art? Z. 306) und buchstabiert leicht lachend das Wort art. Jana lacht ebenfalls und zweifelt die Richtigkeit an (Z. 307). Karin bestätigt unsicher (ja ich glaube schon Z. 308) und beginnt dann im Wörterbuch zu suchen. Jana probiert derweil das Wort weiter aus (de les künstler Z. 309). Sie finden schließlich den Eintrag zu künstler und Jana bildet damit das gesuchte Substantiv quartier d’artistes (Z. 318). Karin bestätigt. Jana korrigiert sich (von d’artistes zu des artistes Z. 320) und fragt Karin. Diese wiederholt bestätigend (Z. 321) und Jana notiert le quartier des artistes (Z. 322). Daraufhin gehen sie zum nächsten Satz über. Handlungsbeschreibung Karin und Jana erarbeiten in der vorliegenden Sequenz gemeinsam das Wort künstlerviertel. Jana übernimmt das Schreiben und Karin initiiert den Satz mit einem Formulierungsvorschlag. Jana betätigt sich ebenfalls an der Formulie‐ rung. So beteiligen sich beide an der Bearbeitung und bringen ihre internen Ressourcen ein: Sie tragen ihre individuellen Wissensbestände bei (Lexik- und Wortbildungswissen) und kommunizieren hierbei auch ihre damit verbundenen Unsicherheiten; Jana: ich weiß nicht ob das so richtig ist (Z. 307); Karin: ich glaube schon (Z. 308). Als Hilfsmittel setzen sie das Wörterbuch ein, das sie gemeinsam durchsuchen (externe Ressource). Der Bearbeitungsprozess verläuft reibungslos und quasi automatisch: Sie müssen sich nicht erst gegenseitig 214 3 Empirische Untersuchung <?page no="215"?> auffordern oder überzeugen, sondern vollziehen selbstinitiiert und in Absprache miteinander die nächsten Schritte: Jana führt Zweifel an der Richtigkeit des gemeinsam erarbeiteten Ausdrucks quartier de l’art (Z. 305 f.) an. Diese können von Karin nicht vollständig ausgeräumt werden und daraufhin überprüft Karin selbstinitiiert mit dem Wörterbuch (Z. 307-321). Ihre gegenseitige Grundhal‐ tung lässt sich als respektvoll, ehrlich und engagiert beschreiben. Beide bringen sich ein, indem sie beispielsweise beide Satzvorschläge formulieren. Dadurch, dass sie jeweils das relativierende Adverb vielleicht einsetzen, markieren sie, dass es sich um einen modifizierbaren Vorschlag handelt (Z. 295, 302). Sie kommunizieren transparent und explizit verbal den ‚Sicherheits‘-Status ihrer Ressourcen: ich weiß nicht ob (Z. 307); ich glaube schon (Z. 308). Diese durch gegenseitigen Respekt geprägte Grundhaltung zeigt sich auch darin, dass sie aufeinander eingehen, dass sie bspw. die Ideen der Partnerin aufgreifen und fortführen (kollaboratives Formulieren, Z. 302-304), sich gegenseitig bestätigen (Z. 296, 298, 304) und bestärken, indem sie ihre jeweiligen Vorschläge aufgreifen. Sie verstehen sich ohne viele Worte, verfügen folglich über viel ‚geteiltes Wissen‘ (s. Fußnote 50, S. 158) und akzeptieren grundsätzlich die Vorschläge der Partnerin. Hinweise darauf finden sich in kollaborativen Formulierungen, schnellen Anschlüssen und unmittelbaren Reaktionen, die mit den Erwartungen übereinstimmen (präferierte Folgen) sowie in den inhaltlichen Fortführungen inkl. minimaler Modifizierungen (wie von on peut zu il faut). Somit übernehmen beide durch ihre Handlungen und ihre Haltung gemeinsam Verantwortung und tragen gleichermaßen zur Lösung ihres Problems bei. Zielsetzungen Vor dem Hintergrund dieser Bearbeitungsweise lassen sich aus den Daten folgende Erklärungen für die Handlungen von Jana und Karin rekonstruieren. Sie beziehen sich auf das beidseitige Engagement und ihre Grundhaltung. In dem Fall SG 07 künstlerviertel suchen Jana und Karin eine französische Entsprechung für das Wort künstlerviertel. Aus ihren Handlungen und Reak‐ tionen aufeinander wird ersichtlich, dass sich beide einbringen wollen und sich engagiert beteiligen. Sie möchten an der Sache mitwirken, haben Ideen und möchten diese realisieren. Dabei können sie sich gegenseitig ergänzen und bereichern. Das beiderseitige Engagement zeigt sich in der vorliegenden Sequenz z. B. in raschen Anschlüssen und darin, dass die Ideen der Partnerin jeweils aufgegriffen werden: Karin bspw. bringt das montmartre ins Spiel, was Jana inhaltlich bestätigt, annimmt und dann sprachlich prüft. Auch die Wortbildung zu künstlerviertel erarbeiten sie gemeinsam. Jana fällt das Wort quartier ein und Karin trägt den anderen Teil zur Wortbildung bei (Z. 305-322). 215 3.2 Analyseergebnisse <?page no="216"?> Neben der damit zugrunde liegenden Erwartungshaltung von- und miteinander profitieren zu können, kann diese Bearbeitungsform auch dadurch begründet sein, dass die Interaktanten Spaß an der gemeinsamen Arbeit haben und sich offensichtlich gerne aufeinander einlassen: sie hören sich zu, nehmen wechsel‐ seitig Vorschläge an, und entwickeln diese weiter (Z. 302-304), beflügeln sich im besten Fall gegenseitig bzw. lassen sich mitreißen. Es findet eine Konzentration auf den Gegenstand der Bearbeitung statt, was bestenfalls in einem Flow-Erleben (s. auch folgende Ausführungen) münden kann. Das offensichtlich gute Verhältnis und das gegenseitige Vertrauen der beiden Interaktanten wird auch in den jeweiligen Selbstaussagen bestätigt: In dem Fragebogen, den sie nach der Bearbeitung ausgefüllt hat, schreibt Jana, [wir] waren uns immer einig und als Grund, wieso alles […] gut funktioniert [hat] führt sie an: wir verstehen uns gut. Sie zieht folgendes Fazit aus der gemeinsamen Bearbeitung mit Karin: Partnerarbeit ist gut wenn man mit dem Partner gut klarkommt und beide mitmachen; auch Karin zieht ein positives Fazit. Sie notiert im Fragebogen nach der Bearbeitung der Schreibaufgabe: Wir konnten uns gut ergänzen und haben uns gegenseitig geholfen, sowohl bei Rechtschreibung / Grammatik, als auch bei inhaltlichen Fragen. Dass die Interaktanten auf diese Weise handeln, zeigt darüber hinaus, dass sie sich jeweils verantwortlich fühlen und eine entsprechende Grundhaltung einnehmen. Sie bringen sich ein, weil sie dies wollen und können (und über die jeweiligen Ressourcen verfügen) und weil sie Verantwortung wahrnehmen. Sie vertrauen und akzeptieren sich gegenseitig und bringen Offenheit und Einfüh‐ lungsvermögen füreinander auf. Sie kommunizieren offen ihre Unsicherheit, was für eine ehrliche Haltung spricht und der anderen Person Beteiligungs‐ möglichkeiten eröffnet. Auf dieser Grundlage realisieren die Schülerinnen eine gleichberechtigte, symmetrische Beziehung, in der die Verantwortung auf beiden Schultern ruht und sie sich gegenseitig bestärken und befruchten. Funktionspotentiale Aus der vorangehend beschriebenen Bearbeitungsform kann auf folgende Funktionspotentiale geschlussfolgert werden: Die Analyse des Falls SG 07 künstlerviertel zeigt, dass es Jana und Karin hier gelingt, kollaborativ einen französischen Ausdruck zu erarbeiten und ihr Problem damit zu lösen. Es wäre ebenfalls denkbar, dass ihnen die Problemlö‐ sung nicht gelingt ((Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems). Bei der kollaborativen Arbeitsweise beteiligen sich beide, beziehen sich dabei stark aufeinander und ergänzen sich, indem sie ihre Ressourcen einbringen. Auf diese Weise bearbeiten sie ein Problem, welches sie alleine evtl. nicht bearbeitet 216 3 Empirische Untersuchung <?page no="217"?> 64 Anhaltspunkte dafür finden sich auch in anderen, als kollaborativ identifizierten Problemlösesequenzen. Ein starkes Beispiel hierfür stellt der Fall SG04 wiegen sich im wind dar: Laut Selbstaussagen hätte Lea-Sophie diesen Ausdruck, da zu schwierig (das können wir nicht schreiben Z. 494), nicht weiterverfolgt, lässt sich aber darauf ein, da Emma darauf beharrt. Schlussendlich gelingt es ihnen, einen elaborierten Ausdruck zu erarbeiten: se balancent au gré du vent. 65 In den Fällen SG03 peux / t und SG02 beaucoup de u. a. kommt es zu gegenseitiger Verunsicherung. In Fällen des Typs „Kollaborieren“ ist dieses Phänomen jedoch nicht zu beobachten. hätten, da sich eine Person eine Bearbeitung evtl. nicht zugetraut oder nicht ausreichend dafür motiviert gewesen wäre, wohingegen die andere Person bspw. Wissen, Zuversicht und Motivation mitbringt. Der Bearbeitungstyp „Kollaborieren“ kann also dazu führen, dass die Interaktanten durch ihre Zusammenarbeit nicht nur etwas bearbeiten, das sie alleine nicht bearbeitet hätten. Es kann auch angenommen werden, dass sie gemeinsam dazu in der Lage sind, etwas zu erreichen, das sie jeweils alleine nicht erreicht hätten, aber durch ihr Zusammenwirken möglich wird (Emergenz). 64 Andererseits kann es bei einer kollaborativen Vorgehensweise auch dazu kommen, dass beide Interaktanten unsicher sind und sich somit nicht unterstützen können oder sich gar gegenseitig verunsichern (Verunsicherung). Wenn sie diese Unsicherheit nicht bewältigen können, kann dies zu Frustration oder gar zur Aufgabe des Problems führen (s. auch Ausführungen zum Umgang mit Unsicherheit, Kap. 4.2.1.). 65 Kommunizieren die Interaktanten jedoch ihre Unsicherheit, ergibt sich die Möglichkeit, gemeinsam daran zu arbeiten, was zu einer Prüfhandlung führen kann. Es kann ihnen also auch gelingen, gemeinsam ihre Unsicherheit zu bewältigen, wie in dem eingangs zitierten Fall SG 07 künstlerviertel, in dem Karin sich nicht ganz sicher ist und eine Überprüfung mit dem Wörterbuch durchführt. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass, wenn Unsicherheit sachlich kommuniziert wird, produktiv damit umgegangen werden und ein Anlass für Prüfhandlungen sein kann (Prüfhandlung). Ein intensives Miteinander kann zudem eine positive Grundstimmung her‐ vorrufen, die wiederum die Bearbeitung positiv beeinflussen kann, i. S. eines gegenseitigen Bestärkens oder gar Flow-Erlebens. Gleichzeitig kann dies auch dazu führen, dass die Interaktanten vorhandene Zweifel oder Kritik zugunsten eines Harmoniebedürfnisses nicht äußern und die Beziehung über die Sache stellen. Eine positive Grundstimmung schließt kritische Nachfragen und / oder Korrekturen allerdings nicht per se aus. Im Gegenteil: Auch und gerade kritische Auseinandersetzungen können als potentielle Lernanlässe gesehen werden (positive Grundstimmung). 217 3.2 Analyseergebnisse <?page no="218"?> 66 Für diesen Fall liegt keine detaillierte Sequenzanalyse zugrunde. Er soll dennoch als Vergleichsfall einbezogen werden, da es sich hierbei um ein eindeutiges Beispiel für eine gleichberechtigte Beziehung mit aufgabenteiligem Vorgehen handelt. Eine weitere Funktion betrifft den Ablauf der Bearbeitung. Verstehen sich die Interaktanten - wie in SG 07 künstlerviertel - sehr gut, kann es zu einem reibungslosen Ablauf bei der Bearbeitung kommen. Sie müssen nicht viel erklären, sich verständigen oder verhandeln, denn sie sind sich weitgehend einig und verfügen über viel geteiltes Wissen. Ein potentielles Risiko hingegen könnte sich daraus ergeben, dass die Rollenverteilung und damit verbunden die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeitsbereiche bei kollaborativen Bear‐ beitungsweisen nicht eindeutig zugeordnet sind. Dies könnte zur Folge haben, dass sich während der Bearbeitung Fragen bzgl. der Zuständigkeitsbereiche ergeben, die geklärt werden müssen und einem raschen Ablauf entgegenwirken (Ablauf). Folgende Funktionspotentiale konnten für den Fall SG 07 künstlerviertel rekonstruiert werden: (Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems, Emer‐ genz, gegenseitige Verunsicherung, Durchführen von Prüfhandlungen, positive Grundstimmung, reibungsloser Ablauf vs. Klärung von Zuständigkeitsberei‐ chen. Fallvergleich Grundlage für die Entwicklung des Typs „Kollaborieren“ sind folgende Fälle: Als prototypischer Fall wurde die eingangs zitierte Problemlösesequenz SG 07 künstlerviertel gewählt. Vier weitere Fälle aus SG 07 werden für die Typen‐ bildung zugrunde gelegt (sich zeichnen lassen, wenn es sonne ist, in einem kleinen café, am ufer). Dyadenübergreifend wurden folgende Fälle dieses Typs herausgearbeitet: SG 04 öffnen, wiegen sich im wind, SG 06 samstag, SG 02 wir interessieren uns. Als Kontrastfälle wurden dyadenintern die Fälle SG 07 capitale und dyadenübergreifend SG 03 tu peux / t, SG 04 formen, SG 05 le / la boulangerie  66 , SG 06 circa sowie SG 06 wasserspiele eingesetzt. Vergleich Ähnlichkeit Der Vergleich unter ähnlich gelagerten Fällen (minimale Kontraste) erlaubt den Typ „Kollaborieren“ anhand folgender übergreifender Merkmale zu be‐ schreiben: 1. Beteiligung: beide bringen sich in ähnlichem Maße ein 2. Rollen: die Rollen sind verteilt, aber können wechseln und darüber hinaus‐ gehen 218 3 Empirische Untersuchung <?page no="219"?> 3. Beziehung: gleichberechtigte Beziehung 4. Verantwortung: beide übernehmen gleichberechtigt Verantwortung 5. Gemeinsame Sache: beide arbeiten gleichzeitig an derselben Sache 6. Bezugnahme: sie beziehen sich viel aufeinander Das umfassende Merkmal der gemeinsamen Beteiligung bedeutet, dass beide Interaktanten ihre jeweiligen Ressourcen einbringen und somit engagiert an der Bearbeitung mitwirken (1. Beteiligung). Die Beschreibung ‚in ähnlichem Maße‘ präzisiert dahingehend, dass beide ihren (ähnlichen) Teil beitragen und nicht eine Person dominiert. Dies schließt nicht aus, dass die Interaktanten jeweils schwerpunktmäßig Aufgaben realisieren und damit bestimmte Rollen einnehmen (z. B. die Schreibrolle), aber sie gehen auch darüber hinaus, wie in dem vorhergehenden Transkriptauszug, in dem sie beide gemeinsam formu‐ lieren und sich beide bei der Wörterbuchsuche beteiligen (2. Rollen). Daraus ergibt sich zum einen eine Beziehung, die durch Gleichberechtigung gekenn‐ zeichnet ist (3. Beziehung). Zum anderen geht dieses Merkmal damit einher, dass beide Interaktanten für ihr jeweiliges Handeln gleichermaßen Verant‐ wortung übernehmen (4. Verantwortung). Ein weiteres Merkmal besteht darin, dass die Interaktanten gleichzeitig an derselben Sache arbeiten und sich nicht - wie bspw. im Typ „Aufgabenteilen“ - jeweils mit unterschiedlichen Aufgaben befassen. Hinweise darauf, dass sich beide Interaktanten gleich‐ zeitig einer Sache widmen, sind kollaborative Formulierungen, paralleles Sprechen, gegenseitiges Bestätigen und Bestärken sowie sich ergänzende Bei‐ träge zum selben Gegenstand. Daraus können sich interaktive Resultate wie kollaborative Momente, Ko-Konstruktionen und Emergenzeffekte ergeben (5. Gemeinsame Sache). Eng verbunden mit dem vorhergehenden Merkmal ist dasjenige der gegenseitigen Bezugnahme: Durch das gemeinsame Arbeiten am selben Gegenstand ist ein Bezug aufeinander (wenngleich nicht zwingend) zu erwarten (6. Bezugnahme). Beim Kollaborieren handelt es sich um ein gleichberechtigtes Miteinander an derselben Sache, zu der beide ihren Teil beitragen und dabei die Beiträge der anderen Person wahrnehmen und darauf reagieren. Charakterisieren lässt sich dies auch durch einen ‚Wir-Bezug‛: Im Zentrum steht das Gemeinsame, zugunsten dessen sich beide engagieren. Ausprägungsgrade Innerhalb der hier betrachteten, ähnlich gelagerten Fälle variieren Merkmale hinsichtlich einiger Ausprägungsgrade: Sie betreffen die gegenseitige Grund‐ haltung, den Grad der Gleichberechtigung innerhalb der Beziehung zwischen den Interaktanten sowie den Ablauf der Bearbeitung. 219 3.2 Analyseergebnisse <?page no="220"?> Der Vergleich ähnlicher Fälle zeigt, dass die Grundhaltung, mit der sich die Interaktanten gegenübertreten, variiert, von eher harmonisch-respektvoll mit viel Zustimmung, positiven Bestätigungen und gegenseitigem Beflügeln (z. B. Dyade 04 und 07) zu eher angespannt mit Gereiztheit und Ungeduld (z. B. SG 02 wir interessieren uns). Entsprechend kann das Maß, in dem sie sich gegenseitig bestätigen und positiv bestärken, mehr oder weniger ausgeprägt sein. Grundsätzlich aber sind sich die Interaktanten in den betrachteten Fällen einig und bemühen sich gleichermaßen zur Lösung beizutragen. Zum anderen variiert der Grad der Gleichberechtigung in ihrer Beziehung. Während in manchen Fällen beide Interaktanten bestimmend und aktiv sind (z. B. SG 07 künstlerviertel), liegen auch Fälle vor, in denen sich eine Person stärker als die andere einbringt, wie z. B. in SG 02 wir interessieren uns. Letzterer stellt insofern einen Grenzfall dar, als sich zwar beide einbringen und auch gemeinsam an einer Sache arbeiten, allerdings eine Person dabei in dem Sinne dominiert, dass sie mehr Verantwortung und Ressourcen einbringt, korrigiert und Anweisungen gibt. Dieser Grenzfall enthält eine kollaborative Arbeitsweise mit einer Tendenz zu einem „Experte-Novizen“-Verhältnis. Abhängig davon, ob sich beide in ‚ähnlichem Maße‘ einbringen, ist auch die Realisierung kollaborativer Momente, denn diese können nur gemeinsam her‐ vorgebracht werden und setzen die Arbeit an derselben Sache voraus. Die Menge kollaborativer Momente variiert in den jeweiligen Fällen: In SG 06 samstag bspw. werden wenig explizit kollaborative Elemente realisiert, auch wenn beide ihr jeweiliges Wissen einbringen, wohingegen in SG 07 künstlerviertel mehrere kollaborative Elemente realisiert werden: gemeinsames Entwickeln von Ideen (Z. 295-304), kollaboratives Formulieren (Z. 305-322). Dies wiederum steht im Zusammenhang mit dem Grad der gegenseitigen Bezugnahmen: Sind die Gesprächsbeiträge durch zahlreiche Bezugnahmen eng miteinander verwoben - wie z. B. in SG 04 wiegen sich im wind, kann dies mit der Realisierung zahl‐ reicher kollaborativer Elemente einhergehen. Im Gegenzug sprechen wenig Bezugnahmen für eine weniger stark ausgeprägte Kollaboration. Dass sich beide einbringen, bedeutet noch nicht, dass sie sich auch kollaborativ verhalten. Eine gegenseitige Bezugnahme ist notwendig für diesen Bearbeitungstyp, ansonsten kann es sich ebenso um ein Nebeneinanderher-Arbeiten handeln, in dem die Interaktanten aufgabenteilig vorgehen. Gleichwohl schließt kollaboratives Verhalten kritische Nachfragen, Korrekturen etc. nicht aus. Ein weiteres Merkmal, das innerhalb der Fälle variiert, ist der Verlauf der Bearbeitung. Sie reicht von reibungslos, quasi automatisch - in dem Fall SG 07 künstlerviertel sind kaum dezidierte Absprachen notwendig, da gegenseitiges Verständnis vorliegt und die Kommunikation gut funktioniert - bis hin zu 220 3 Empirische Untersuchung <?page no="221"?> etwas stockend, da Missverständnisse oder Einschübe den Ablauf verzögern, von der Sache wegführen und Kapazitäten beanspruchen, wie in der Sequenz SG 02 wir interessieren uns zu beobachten. Dies hebt die Bedeutung gegenseitigen Verstehens hervor und zeigt, dass gute Kommunikation eine wichtige Grundlage für das gemeinsame Bearbeiten darstellt. Vergleich Kontrast Im Vergleich mit Kontrastfällen (maximale Kontraste) soll der Typ „Kollabo‐ rieren“ weiter ausgeführt werden. Als Tertia Comparationis werden eingesetzt die Realisierung kollaborativer Elemente, die Bearbeitung eines ähnlichen Problems (Wortbildung) sowie die Merkmale beidseitige Beteiligung und Res‐ sourcen. Innerhalb der Dyade SG 07 kann der Fall capitale als Kontrastfall herange‐ zogen werden. Darin entwickeln Jana und Karin gemeinsam (also kollaborativ) ihren ersten Satz. Jana beginnt den Satzanfang, Karin steigt ein und überprüft dann selbstinitiiert das Wort capitale. Sie bestätigt und gibt Jana daraufhin noch einen orthografischen Hinweis (ja, la capitale (.) mit e hinten Z. 128). Es handelt sich hier, trotz eines eindeutig kollaborativen Moments, schwerpunktmäßig um ein aufgabenteiliges Vorgehen, wobei Jana formuliert und schreibt, während Karin sich um die Klärung der Lexik kümmert, weshalb dieser Fall als Grenzfall dem Typ „Aufgabenteilen“ zugeordnet wird. Außerhalb der Dyade kann der Fall SG 06 wasserspiele kontrastierend heran‐ gezogen werden. Darin bearbeiten Said und Philipp ein ähnliches Problem wie in dem exemplarischen Fall SG 07 künstlerviertel und gelangen zu einer ähnlichen Lösung. Ausgehend von Saids internen Ressourcen versuchen sie sich an der Wortbildung für die französische Entsprechung von wasserspiele. Said macht einen Vorschlag (jour de l’eu? (.) de l’eau? Z. 401), den Philipp bestätigt (ja (.) s_das hätte ich jetzt auch (.) gesagt Z. 402) und daraufhin klären sie die Orthografie von jour bzw. jeu. Said scheint sich unsicher zu sein, fragt Philipp. Dieser bietet sich an, im Wörterbuch nachzuschauen und liefert die gesuchte Information. Said ist an dieser Stelle initiierend, er schreibt und bringt zudem den inhaltlichen Impuls und sein Sprachwissen ein, während Philipp darauf reagiert und ihn (ähnlich eines ‚Gehilfen‘) dabei unterstützt. Es handelt sich um ein arbeitsteiliges Vorgehen, ihnen gelingt eine rasche Klärung. Dabei experimentieren sie mit der Sprache, wenden sie konstruktiv-kreativ an und bilden auf diese Weise gemeinsam ein für sie vermutlich neues Wort. Im Vergleich mit anderen Fällen zeigt sich, dass eine gleichberechtigte Beziehung und eine beidseitig aktive Beteiligung - beides Merkmale für den Typ „Kollaborieren“ - auch mit einem aufgabenteiligen Vorgehen einhergehen kann 221 3.2 Analyseergebnisse <?page no="222"?> (z. B. SG 04 formen, SG 05 le / la boulangerie, SG 06 circa). In dem Fall SG 05 le / la boulangerie bspw. bringt Lukas einen inhaltlichen Vorschlag ein, den Christian, der die Schreibrolle innehat, bestätigt. Lukas ist sich des Genus nicht sicher und Christian leitet das Genus aus der Orthografie ab. Lukas ist unsicher, widerspricht, Christian ist sich zwischenzeitlich sicher (hundertprozentig (1) hundertprozentig Z. 363). Schließlich überprüft Lukas mit dem Wörterbuch und gibt Christian recht. Beide bringen sich hier gleichermaßen und gleichberechtigt ein und kümmern sich schwerpunktmäßig um ihre Aufgabe, weshalb dieser Fall (wie auch die Fälle SG 04 formen und SG 06 circa) dem Typ „Aufgabenteilen“ zugeordnet wird. Der Vergleich mit dem Fall SG 03 tu peux / t zeigt, dass sich eine Bearbeitung - trotz der Übereinstimmung wesentlicher Merkmale - sehr unterschiedlich, fast gegensätzlich entwickeln kann. Sowohl im Fall SG 07 künstlerviertel als auch bei SG 03 tu peux / t beteiligen sich beide Interaktanten und bringen beide Ressourcen ein. Während beim „Kollaborieren“ das gemeinsame ‚Wir‘ im Fokus steht, dominiert beim „Sich Distanzieren“ eine Bearbeitung, die durch Zweifel gekennzeichnet ist: die von Markus eingebrachten internen Ressourcen werden von Elisa angezweifelt (s. auch Kap. 3.2.2.1.). Dies führt schließlich zu einer Verantwortungszuweisung durch Elisa und wird für Markus potentiell gesichtsverletzend. Folglich wird deutlich, dass die Bearbeitungsweise einen gegensätzlichen Verlauf einnimmt, im Vergleich zum Fall SG 07 künstlerviertel, in dem die Interaktanten sich bestärken und voneinander profitieren. Durch die Kontrastfälle konnte herausgestellt werden, dass die Realisierung kollaborativer Elemente nicht zwingend bedeutet, dass die Bearbeitung insge‐ samt als kollaborativ charakterisiert werden kann. Der Vergleich mit dem Fall SG 06 wasserspiele zeigt, dass es auch innerhalb anderer als der kollaborativen Bearbeitungsweisen zu kreativ-produktiven Wortbildungen kommen kann. Die Kontrastfälle, die dem Typ „Aufgabenteilen“ zugeordnet sind, unterstreichen die Nähe dieser beiden Typen, wohingegen der Vergleich mit SG 03 tu peux / t verdeutlicht, dass auch Fälle von Typen entgegengesetzter Pole (kollaborativ vs. potentiell verletzend) durchaus Überschneidungen aufweisen können. Abgrenzung zu anderen Typen Aufgrund ihrer Nähe sollen hier die Typen „Aufgabenteilen“ und „Kollabo‐ rieren“ voneinander abgegrenzt werden. Sowohl der Typ „Aufgabenteilen“ als auch der Typ „Kollaborieren“ zeichnen sich durch eine symmetrische, gleichberechtigte Beziehung der Interaktanten aus. Der Unterschied besteht darin, dass sich die Interaktanten beim kollabora‐ tiven Vorgehen gemeinsam auf eine Sache konzentrieren, wohingegen sie sich 222 3 Empirische Untersuchung <?page no="223"?> beim aufgabenteiligen Vorgehen beide auf ihre jeweilige Sache fokussieren. Während ersteres bedeutet, dass gemeinsam über etwas nachgedacht, an etwas gearbeitet und sich somit ggf. ergänzt werden kann, wird beim aufgabenteiligen Vorgehen relativ selbstverantwortlich eine Teilaufgabe bearbeitet, die zum Gesamtziel beiträgt. Zwar zeichnet sich der Typ „Kollaborieren“ u. a. dadurch aus, dass eine gemeinsame Beteiligung am selben Gegenstand realisiert wird, aber auch hier kommt es (zumindest schwerpunktmäßig) zur Verteilung von Aufgaben. Beispielsweise schreibt eine Person und hat damit die Schreibrolle inne, aber beteiligt sich dennoch an der Wortsuche. Je nach schwerpunktmä‐ ßigen Aufgaben befassen sie sich mit bestimmten Fragen bzw. Aufgaben mehr oder weniger. Die Person, die schreibt, benötigt evtl. konkrete orthografische Hinweise aufgrund ihrer Schreibrolle, wie in SG 07 capitale. Demnach liegt beim Typ „Kollaborieren“ keine völlig freie, flexible Aufgabenverteilung vor, aber auch keine starke Aufteilung wie im Typ „Aufgabenteilen“, stattdessen ist dieser Typ gekennzeichnet durch schwerpunktmäßige Aufgaben. Typisch für das „Kollaborieren“ ist, dass die Interaktanten über ihre schwerpunktmäßigen Aufgaben hinausgehen und nicht nur ihre Aufgabe bearbeiten. Theoretische Anknüpfungspunkte Der Typ „Kollaborieren“ weist starke Parallelen sowohl zu Storchs (2002) model of dyadic interaction als auch zu Naujoks (2000) Kooperationstypen auf. Als collaborative bezeichnet Storch eine Interaktion, die sich durch viele Bezugnahmen und Gleichberechtigung auszeichnet. Beide beteiligen sich an der Bearbeitung, steuern ihr Wissen bei und gehen aufeinander ein (vgl. dies. 2016: 393 f.). Naujok beschreibt in ihrer Studie den Typ „Kollaborieren“ sehr ähnlich: Sie charakterisiert ihn durch eine intensive Interaktion, eine symmetrische Beziehung und einen Fokus auf die gemeinsame Aufgabe (vgl. Naujok 2000: 181 f.). Damit vereint der hier erarbeitete Typ „Kollaborieren“ die zentralen Merkmale dieser beider Typen in sich: Es handelt sich um eine gleichberechtigte, symmetrische Beziehung, in der ein intensiver Austausch mit gegenseitiger Bezugnahme stattfindet und sich beide auf eine gemeinsame Sache fokussieren. Neben dem Modell lassen sich weitere Anknüpfungspunkte zu Storchs Arbeit und allgemein an die Forschung zum kollaborativen Schreiben aufzeigen. Insbesondere die Unterscheidung von kooperativ und kollaborativ, die Storch in Anlehnung an Dillenbourg et al. (1996) herausarbeitet, liefert theoretische Anknüpfungspunkte. Als kollaborativ bezeichnet sie Handlungen, die sich durch beiderseitiges Engagement (mutual engagement) und eine koordinierte Bemühung (coordinated effort) auszeichnen (vgl. dies. 2016). Sie beschreibt das 223 3.2 Analyseergebnisse <?page no="224"?> 67 Entsprechend ihres engen Verständnisses von kollaborativ unterscheidet Storch (2016) Prozesse der Ko-konstruktion und Ko-operation, wie sie in dem folgenden Zitat ausführt: „This trait distinguishes collaborative writing from group projects, where each author may have a responsibility to produce one section of the project report. This division of labour would best be described as a cooperative writing activity where authors co-contribute rather than co-construct a written text.‟ (ebd.: 387 herv. LP). kollaborative Schreiben als geteilten Entscheidungsprozess, der ausgehandelt wird und dementsprechend eine gemeinsame Verantwortung voraussetzt. Als ein Spezifikum, das aus ihrer Sicht mit einem großen Vorteil verbunden ist, nennt sie das Pooling der vorhandenen Ressourcen (vgl. Storch 2013: 3). In Zusammenhang mit den vorhergehend beschriebenen Merkmalen kann dies zu kollaborativen Momenten und ko-konstruktiven Prozessen 67 führen. Dies wie‐ derum kann mit einem Flow-Erleben einhergehen, wie es in der Flow-Theorie nach Csikszentmihalyi beschrieben wird, als „ein vollkommenes Aufgehen in der Tätigkeit (Absorbiertsein)‟ (Schiefele / Schaffner 2015: 158). Die hier angeführten Merkmale stehen in engem Zusammenhang mit den von Tomasello (2009) beschriebenen Voraussetzungen für kooperatives Verhalten. Denn kollaboratives Verhalten (in der hier verwendeten Defini‐ tion von kollaborativ, s. Kap. 2.1.3.1.) setzt gelingende Kommunikation bzw. gegenseitiges Verständnis voraus, basierend auf gegenseitigem Vertrauen. Damit einher geht eine gemeinsame Zielsetzung (joint goal), die wiederum gemeinsame Absichten (shared intentionality) voraussetzt und gegenseitige Abhängigkeiten schafft. Diese Abhängigkeiten wiederum sind verknüpft mit gegenseitigen Erwartungen, die mit Rechten und Verpflichtungen verbunden sind (ebd.: 54 ff.). Diese Ausführungen verdeutlichen, dass eine kollaborative Vorgehensweise sehr voraussetzungsreich ist, denn sie erfordert ein Sich-Aufeinandereinlassen, bei dem jede Person ihre Rolle wahrnimmt, ihren damit verbundenen Pflichten nachkommt, entsprechende Erwartungen erfüllt und der anderen Person ver‐ traut. Ebendies macht das kollaborative Schreiben zu einer herausfordernden Tätigkeit (vgl. z. B. Lehnen 2017: 299). Demnach beschreibt der hier entwickelte Typ „Kollaborieren“ in Überein‐ stimmung mit Storch und Naujok diejenige idealtypische Bearbeitungsweise, die beim kollaborativen Schreiben anvisiert wird. Mit Tomasello kann der Wir-Bezug und können die damit verbundenen Voraussetzungen noch deutli‐ cher hervorgehoben werden. 224 3 Empirische Untersuchung <?page no="225"?> Zusammenfassend Der Typ „Kollaborieren“ beschreibt eine Bearbeitungsweise, bei der beide Inter‐ aktanten ihre jeweiligen Ressourcen einbringen und sich engagiert beteiligen. Ihre Beziehung ist dabei tendenziell symmetrisch, denn sie bringen beidseitig Engagement und Ressourcen ein und nehmen gemeinsam Verantwortung wahr. Der wechselseitige Bezug und das Miteinander können mit einem Wir-Bezug beschrieben werden: Es geht um die Sache, an der beide gleichzeitig arbeiten und zu der beide gemeinsam beitragen. Auf diese Art kann es den Interaktanten gelingen, etwas zu lösen, dass sie alleine voraussichtlich nicht hätten lösen können. 3.2.3 Typübergreifende Betrachtung In diesem Teilkapitel werden die Analyseergebnisse bezogen auf die jeweiligen Problemlösetypen im Zusammenhang betrachtet und eingeschätzt. Dafür wird erstens das Vorkommen der Problemlösetypen in den Daten allgemein und in Bezug auf die jeweiligen Dyaden beleuchtet (3.2.3.1.). Zweitens werden die charakteristischen Merkmale der Typen mittels ihrer Merkmalsausprägungen erfasst, die Typen untereinander abgegrenzt und schließlich grafisch dargestellt (3.2.3.2.). Drittens werden die Typen hinsichtlich ihrer Funktionspotentiale in Bezug auf die damit verbundenen Lerngelegenheiten eingeschätzt (3.2.3.3.) 3.2.3.1 Vorkommen der Problemlösetypen Ausgehend von ausgewählten Problemlösesequenzen aus Schreibgesprächen von insgesamt acht Dyaden konnten auf Grundlage von 46 detaillierten Fallanalysen fünf Problemlösetypen entwickelt werden: „Sich Distanzieren“, „Alleingang“, „Experte-Novize“, „Aufgabenteilen“ und „Kollaborieren“. Diese fünf Typen sind in den jeweiligen Dyaden unterschiedlich häufig vertreten. Während bspw. der Typ „Sich Distanzieren“ dreifach in einer einzigen Dyade zu finden ist, kommen die Typen „Alleingang“ und „Aufgabenteilen“ in fünf der acht Dyaden mehrfach vor. In dem dieser Studie zugrundeliegenden Datensatz sind die Typen „Aufgabenteilen“ mit 13 Fällen, „Kollaborieren“ und „Experte-Novize“ mit je neun und „Alleingang“ mit acht Fällen in den Analysen vertreten. Diese numerische Darstellung dient dazu, das Analyse‐ vorgehen transparent zu gestalten und vorsichtig auf Tendenzen zu schließen, wenn auch der Datensatz der vorliegenden Studie begrenzt ist. Auffällig ist, dass es sich bei dem Typ „Sich Distanzieren“ um eine Bearbeitungsweise handelt, die eher selten auftritt, wohingegen die anderen Typen ähnlich häufig identifiziert werden konnten. 225 3.2 Analyseergebnisse <?page no="226"?> Die Tatsache, dass Typen in mehreren Dyaden auftauchen, lässt schlussfol‐ gern, dass die ihnen zugrunde liegenden Praktiken unter unterschiedlichen Bedingungen realisierbar sind und damit eine gewisse Flexibilität aufweisen. Beispielsweise finden sich Alleingänge in Dyaden, in denen eine eher hierar‐ chische Beziehung vorliegt (Dyaden 01 und 03) ebenso wie in Dyaden, deren Arbeitsweise sich durch eine ähnlich engagierte Beteiligung auszeichnet (Dyade 04) oder denen ein freundschaftlich anmutendes Verhältnis zugrunde liegt (Dyade 08). Dieser Umstand kann in Zusammenhang gebracht werden mit dem jeweils vorliegenden Bedarf, verbunden mit den gegebenen Möglichkeiten (Ressourcenverteilung u. a.). Entsprechend der jeweils aktuell vorliegenden Bedingungen und Voraussetzungen in einer Problemlösesequenz kann eine hierzu ‚passende‘ Praktik eingesetzt werden: Möchte eine Person rasch etwas klären und verfügt über die benötigten Ressourcen, bietet sich ein „Alleingang“ an. Können sich die Interaktanten nicht einigen und wollen recht behalten, können Praktiken des „Sich Distanzierens“ eine mögliche Handlungsoption darstellen. Können sie sich gegenseitig ergänzen und beflügeln, kann dies in einer kollaborativen Vorgehensweise münden. Auch wenn die jeweiligen Praktiken in verschiedenen Dyaden auftreten können, zeichnet sich ab, dass innerhalb einer Dyade ähnliche Praktiken reali‐ siert werden, dass eine Tendenz erkennbar wird. Dies deutet sich im vermehrten Auftreten von Praktiken eines Typs an oder auch darin, dass Handlungen vollzogen werden, die ähnlichen Typen zugehörig sind. So erweisen sich bspw. Praktiken des Typs „Experte-Novize“ als bezeichnend für die Arbeitsweise der Dyade 01. Darin hat Pauline eine dominierende Rolle. Sie verhält sich häufig als Sprachexpertin, gibt Handlungen vor und trifft Entscheidungen alleine. Passend zu diesem Verhalten realisiert Pauline auch Alleingänge. Dabei übernimmt sie ebenfalls maßgeblich die Verantwortung und bringt ihre Ressourcen ein. Zwischen den Interaktanten scheint also eine bestimmte Beziehung und damit verbundene Arbeitsweise zu bestehen, die den Einsatz dazu passender Praktiken nahelegt bzw. erklärt. Ähnliches ist auch in anderen Dyaden zu beobachten. So werden in der Dyade 04 mehrfach Bearbeitungsweisen des Typs „Aufgaben‐ teilen“ und „Kollaborieren“ realisiert, in der Dyade 07 „Kollaborieren“ und „Alleingang“. Bestimmte Praktiken scheinen sich sinnvoll zu ergänzen bzw. für Kombinationen anzubieten (s. auch Kap. 3.2.3.2.). Unerwartete, widersprüchlich anmutende Kombinationen von Praktiken innerhalb einer Dyade, wie „Sich Distanzieren“ und „Kollaborieren“, konnten in den Daten nicht festgestellt werden, was wiederum die Beobachtung bestätigt, dass sich pro Dyade eine Grundtendenz abzeichnet, die sich in ihrem Bearbeitungsmodus widerspiegelt (vgl. auch Lehnen 2000: 251 ff.; Storch 2016: 393). 226 3 Empirische Untersuchung <?page no="227"?> Trotz dieser Grundtendenz in den Bearbeitungen der Dyaden zeigen andere Beispiele, dass dennoch ein gewisser Spielraum besteht bzw. ein Spektrum im Bearbeitungsmodus innerhalb der jeweiligen Dyaden abgedeckt wird: Durch den Vergleich mit anderen Fällen innerhalb der Dyade 01 wird deutlich, dass Pauline und Jean nicht immer auf dieselbe Weise handeln (Pauline als Sprachexpertin oder Alleingängerin), sondern, dass sie sich auch durchaus beide gleichzeitig gemeinsam am selben Gegenstand beteiligen, sich gegenseitig bestärken, dabei auch kollaborative Elemente realisieren, wie in SG 01 visiter. Und auch in der Dyade 03, die im Vergleich zu den anderen Dyaden als weniger kooperativ eingestuft werden kann, lassen sich Bearbeitungen beobachten, die von „Sich Distanzieren“ über „Alleingang“ bis hin zu „Aufgabenteilen“ reichen. Es sind demnach pro Dyade Tendenzen hin zu einem Bearbeitungsmodus festzustellen. Zusammenfassend Durch die Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Dyaden und den reali‐ sierten Praktiken bzgl. ihres Vorkommens kann auf eine Flexibilität und damit einhergehend auf ein gewisses Realisierungsspektrum der Typen geschlussfol‐ gert werden. Zudem kann festgehalten werden, dass in den jeweiligen Dyaden tendenziell eine Bearbeitungsweise dominiert, was sich im gehäuften Vor‐ kommen von Praktiken bestimmter Typen bzw. einer Kombination derselben zeigt. Aufgrund der begrenzten Fallzahlen und des primären Forschungsinter‐ esses, welches nicht auf der Auswertung der einzelnen Dyaden liegt, sondern die Problemlösepraktiken fokussiert, können diese Feststellungen allerdings nur als erste, grobe Tendenzen gelten, die eingehender zu beforschen sind. 3.2.3.2 Problemlösetypen im Vergleich In der nun nachfolgenden vergleichenden Betrachtung sollen die fünf Problem‐ lösetypen in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden dargestellt werden, um ihre jeweilige Spezifik stärker herauszuarbeiten. Dafür wird zum einen eine Tabelle entwickelt, in der Merkmale erfasst werden, die in allen Typen in einem bestimmten Ausprägungsgrad vorkommen (s. Tab. 06). Zum anderen sollen die fünf Typen - auf Grundlage dieser Merkmalsausprägungen - im Vergleich betrachtet werden. 227 3.2 Analyseergebnisse <?page no="228"?> 68 Zu den einzelnen Merkmalen siehe in den jeweiligen Kapiteln der Problemlösetypen im Abschnitt Fallvergleich. Merkmalsausprägungen Im Laufe der einzelnen Fallanalysen konnten pro Typ jeweils übergreifende Merkmale herausgestellt werden. 68 Betrachtet man diese nun gemeinsam für alle Typen, fällt auf, dass sie sich mehrfach überschneiden. Der Umgang mit Verantwortung bspw. spielt in allen Typen eine Rolle und findet sich in allen übergreifenden Merkmalen der jeweiligen Typen in einer Form wieder. Dabei reicht der Ausprägungsgrad von Verantwortung zu-/ abweisen („Sich Distan‐ zieren“) bis hin zu einer gleichberechtigten Übernahme („Aufgabenteilen“, „Kollaborieren“). Neben dem Umgang mit Verantwortung haben sich in den Fall‐ analysen folgende weitere Merkmale herauskristallisiert. Sie haben sich ergeben aus der Beschreibung und Rekonstruktion der Fälle hinsichtlich der Handlungen der Schülerinnen und Schüler, den damit verbundenen Zielsetzungen sowie Funktionspotentialen und können in allen Typen zur Beschreibung herange‐ zogen werden: Beziehung, Ressourcen, Beteiligung, Bezugnahmen, Zielsetzung und Rollen. Es handelt sich um übergreifende und grundlegende Bereiche, die die menschliche Interaktion allgemein betreffen. Sie sollen nun mit den damit verbundenen Fragen konkretisiert werden: 1. Beziehung: Wie ist die Beziehung der Interaktanten grundsätzlich zu charakterisieren? 2. Verantwortung: Wie wird die Wahrnehmung von Verantwortung realisiert? 3. Ressourcen: Wie sind die Ressourcen zwischen den Interaktanten verteilt? 4. Beteiligung: (Wie) Beteiligen sich die Interaktanten an der Bearbeitung? 5. Bezugnahmen: (Wie) Werden Bezugnahmen zwischen den Interaktanten realisiert? 6. Zielsetzung: Welche Zielsetzungen werden verfolgt? 7. Rollen: Wie werden die Rollen verteilt und wie ausgestaltet? Aufgrund der Tatsache, dass diese Merkmale unterscheidungs- und beschrei‐ bungsrelevant für die Problemlösetypen sind, sollen sie in Form einer Ta‐ belle zusammengeführt und in Hinblick auf ihre jeweiligen Ausprägungen erfasst werden. Merkmalsausprägungen, die nicht aus den Fallanalysen entwi‐ ckelt, sondern nachträglich gedankenexperimentell und empirisch hinzugefügt wurden, sind in der Tabelle in Klammern dargestellt. Die Merkmale, die nur in einem Typ auftreten - dies betrifft ausschließlich den Typ „Sich Distanzieren“ und die Merkmale Dissens und Art des Problems -, werden nicht miterfasst, da hier in erster Linie die Überschneidungen interessieren. 228 3 Empirische Untersuchung <?page no="229"?> 69 Zur differenzierenden Beschreibung ihrer Kooperationstypen verwendet Naujok eben‐ falls das Gegensatzpaar symmetrisch-asymmetrisch (vgl. Naujok 2000). Merkmale Problemlösetypen Sich Distan‐ zieren Alleingang Experte- Novize Aufgabenteilen Kollabo‐ rieren Beziehung hierarchisch (hierar‐ chisch) (hierar‐ chisch) gleichrangig gleichrangig Verantwortung einseitig dominiert einseitig dominiert einseitig dominiert gleichberechtigt aufgabenbezogen gleichbe‐ rechtigt Ressourcen beidseitig einbringen, anzweifelnd einseitig einbringen einseitig dominiert aufgabenbezogen (beidseitig einbringen) Beteiligung beidseitig einseitig dominiert (beidseitig am selben Gegenstand) beidseitig (an unterschiedl. Gegenständen) beidseitig (am selben Gegenstand) Bezug‐ nahmen (ja) (wenig) (ja) wenig viel Zielsetzung (Ziel einseitig dominiert) (Ziel individuell) (Ziel einseitig dominiert) Ziel gemeinsam (Sinn und Ziel gemeinsam) Rollen (nicht anerkannt) klare Rollenver‐ teilung Ausprägung Experte- Novize (aufgabenbezogen) (verteilt aber darüber hinaus) Tab. 06: Merkmalsausprägungen der Problemlösetypen Die Tabelle der Merkmalsausprägungen enthält sieben Merkmale, die in ihren jeweiligen Ausprägungen (vertikal gelesen) die verschiedenen Typen charak‐ terisieren. Mit dem Merkmal Beziehung wird erfasst, ob Personen in einer hierarchischen oder gleichberechtigten Beziehung stehen. Mit den Merkmalen Verantwortung, Beteiligung, Ressourcen wird unterschieden, ob es sich um eine symmetrisch oder asymmetrische 69 bzw. um eine ein- oder beidseitige Verteilung handelt. Die Ausprägungen des Merkmals Bezugnahmen reichen von wenig über eingeschränkt bis hin zu stark ausgeprägt. Die Ausprägungen des Merkmals Zielsetzung reichen von individuellem Ziel bis hin zu gemeinsamem Sinn und Ziel, diejenigen des Merkmals Rolle von klar verteilt über eine spezielle Ausprägungsform (Experte-Novize) bis hin zu nicht anerkannt. Mittels der hier tabellarisch erfassten Merkmalsausprägungen lassen sich die Problemlösetypen konzentriert beschreiben und voneinander abgrenzen. Die 229 3.2 Analyseergebnisse <?page no="230"?> 70 In der Annahme, dass die Unterschiede zwischen den Typen von „Sich Distanzieren“ bis „Kollaborieren“ immer größer werden, wird von mehr oder weniger weit entfernten Typen gesprochen. Tabelle zeigt ebenfalls mögliche Kombinationen auf, lässt Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar werden und lässt damit auf sehr ähnliche oder unterschiedliche Typen schließen. Überschneiden sich bei Typen Ausprägungen innerhalb eines Merkmals oder auch über verschiedene Merkmale hinweg, kann dies ein Hinweis auf ähnliche Typen sein. Ein Blick in die Tabelle zeigt, dass dies die Paare „Alleingang“ und „Experte-Novize“ sowie „Aufgabenteilen“ und „Kollaborieren“ betrifft. Sie weisen je drei bis vier Überschneidungen auf. Dennoch dürfen daraus keine voreiligen Schlussfolgerungen gezogen werden, denn die Typen „Sich Distanzieren“, „Alleingang“ und „Experte-Novize“ weisen ebenfalls mehrfache Überschneidungen auf, unterscheiden sich bei näherem Hinsehen jedoch erheblich (s. nachfolgende Abgrenzungen). Die Tabelle stellt somit ein Werkzeug dar, das eingesetzt werden kann, um die Spezifik der jeweiligen Typen zu fassen und sie zuordnen und voneinander abgrenzen zu können. Gleichzeitig konnten durch die systematische Suche nach Zusammenhängen entsprechende Vergleichsdimensionen erarbeitet und davon ausgehend eine Typologie der Problemlösetypen i. S. Deppermanns (2008 insb. S. 98 sowie 108) erstellt werden. Nachfolgend werden in diesem Sinne diejenigen Typen miteinander verglichen, die eine Schnittmenge aufweisen und deren Unterschiede erklärungsbedürftig sind. Vergleich und Abgrenzungen der Problemlösetypen Nachdem die Typen ausgehend von ihren Merkmalsausprägungen typologisch erfasst wurden, sollen nun die fünf Typen miteinander verglichen und unter‐ einander abgegrenzt werden, um die jeweiligen Überschneidungen und Singu‐ laritäten weiter herauszuarbeiten. Dabei sollen diejenigen Typen und Merkmale, die große Schnittmengen aufweisen sowie diejenigen, die sich überschneiden, obwohl es sich um ‚weit entfernte‛ 70 Typen handelt, besonders berücksichtigt werden, um das Spezifikum der jeweiligen Typen möglichst eindeutig heraus‐ zustellen (s. auch die Abgrenzungen in den jeweiligen Fallanalysen). „Sich Distanzieren“ vs. „Alleingang“: Gemeinsam ist diesen Typen, dass eine hierarchische Beziehung vorliegt und dass die Verantwortung einseitig domi‐ niert wahrgenommen wird. Der Unterschied liegt darin, wie die Verantwor‐ tungsübernahme realisiert wird und welche Funktion sie zu erfüllen vermag. Während beim „Alleingang“ die Verantwortungsübernahme selbstinitiiert, frei gewählt und von der anderen Person akzeptiert wird, ist sie beim „Sich Distan‐ 230 3 Empirische Untersuchung <?page no="231"?> zieren“ fremdinitiiert, aufoktroyiert und zudem potentiell gesichtsbedrohend. Bei Letzterem geht es für die dominierende Person darum, das Gesicht zu wahren oder sich durchzusetzen, wohingegen das Überlassen der Verantwor‐ tung an die andere Person beim „Alleingang“ durch Müdigkeit, Unwissen oder Ähnliches begründet sein kann. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sich beim „Sich Distanzieren“ beide beteiligen und ihre Ressourcen einbringen, wohingegen beim „Alleingang“ eine Person dominiert. Zudem sind die Rollen beim „Alleingang“ klar verteilt und anerkannt, während sie dies beim „Sich Distanzieren“ nicht zwingend sind, die dominierte Person sich wehrt bzw. verteidigt. Die Haltung der Interaktanten zueinander ist in diesen beiden Typen eine andere, woraus sich die jeweilige Dominanz begründet und entsprechend unterschiedliche Funktionen erfüllt: Während beim „Sich Distanzieren“ das Anzweifeln zu Dissens führt, ein Verletzungsrisiko besteht und die Machtfrage eine Rolle spielt, geschieht der „Alleingang“ eigenverantwortlich und im Dienste der Sache. „Alleingang“ vs. „Experte-Novize“: Der Vergleich dieser beiden Typen offenbart drei sich überschneidende Merkmalsausprägungen: hierarchische Beziehung, einseitig dominierte Verantwortung und einseitig eingebrachte Ressourcen. Zwar handelt es sich bei beiden um eine hierarchische Beziehung, diese ist allerdings unterschiedlich begründet: Beim „Alleingang“ wird eine Person aufgrund einer individuellen Zielsetzung nicht miteinbezogen, beim Typ „Ex‐ perte-Novize“ ergibt sie sich durch ungleich verteilte Ressourcen und die jewei‐ ligen Rollenattribuierungen, weshalb es bei Letzteren zu einer gemeinsamen Bearbeitung mit führender Rolle kommt. Gemeinsam ist ihnen wiederum, dass die Verantwortung in beiden Typen einseitig dominiert wahrgenommen wird und die Ressourcen maßgeblich von einer Person eingebracht werden. Als Konsequenz zieht sich die dominierte Person zurück. Die Gründe für ihren Rückzug hingegen unterscheiden sich: Auf der einen Seite überlässt die Person A der Person B die Klärung aufgrund von Unwissen, Müdigkeit o. Ä. Auf der anderen Seite befindet sich die dominierte Person in der Novizenrolle und hält sich aufgrund (angenommener) beschränkter Ressourcen zurück. Die wesentliche Unterscheidung betrifft somit die Art der Zielsetzung und damit verbunden der Bezugnahmen aufeinander: Beim „Alleingang“ wird aus einem individuellen Bedarf heraus selbstinitiiert und alleine rasch geklärt, während die Bearbeitung beim Typ „Experte-Novize“ aufeinander bezogen und potentiell lehrend ist. Wird der „Alleingang“ durch Lautdenken begleitet, ergibt sich auch hier für die andere Person potentiell die Möglichkeit, durch Zusehen und Nachvollziehen des Gedankengangs vom Gegenüber zu lernen. 231 3.2 Analyseergebnisse <?page no="232"?> „Experte-Novize“ vs. „Aufgabenteilen“: Gemein ist diesen Typen, dass sich jeweils beide Interaktanten beteiligen. Ein Unterschied besteht darin, dass sich diese Beteiligung beim Typ „Experte-Novize“ auf denselben Gegenstand bezieht und beim „Aufgabenteilen“ auf unterschiedliche Gegenstände. Die Beteiligung ist unterschiedlich gerichtet. In den übrigen Merkmalsausprägungen treten keine weiteren Überschneidungen auf. Es deutet sich damit ein großer Unter‐ schied zwischen diesen Typen an, der auch in der Tabelle durch einen Sprung von einer hierarchischen zu einer gleichrangigen Beziehung abgebildet ist. „Aufgabenteilen“ vs. „Kollaborieren“: Im Vergleich dieser Typen lassen sich vier überschneidende Merkmalsausprägungen feststellen. Bei beiden Typen lässt sich eine gleichberechtigte Beziehung, Verantwortung und Beteiligung sowie ein Ressourceninput beider Interaktanten beobachten. Ihre Vorgehensweise unterscheidet sich in der Hinsicht, dass sie einerseits parallel und weitgehend selbstverantwortlich an unterschiedlichen Dingen arbeiten („Aufgabenteilen“) und sich andererseits gleichzeitig demselben Gegenstand widmen („Kollabo‐ rieren“), sich dabei ergänzen, bestärken und aufeinander Bezug nehmen. Somit ist die Verantwortung auf beide Schultern verteilt, aber unterschiedlich gerichtet: einmal bezogen auf die jeweiligen Teilaufgaben und einmal auf denselben, gemeinsamen Gegenstand. Der Unterschied lässt sich fassen in der Beschreibung eines kooperativen Nebeneinanders, bei dem sich die Interaktanten auf ihre jeweilige Sache fokus‐ sieren, während beim kollaborativen Miteinander der Fokus auf der gemein‐ samen Sache liegt, was zahlreiche Bezugnahmen impliziert. „Aufgabenteilen“ vs. „Alleingang“: Obwohl diese Typen in der Tabelle auf den ersten Blick keine Überschneidungen aufweisen, ähneln sie sich darin, dass in beiden eigenverantwortlich vorgegangen wird. Beim „Aufgabenteilen“ bear‐ beitet jeder seine Teilaufgabe und übernimmt dafür die Verantwortung, beim „Alleingang“ handelt eine Person eigenverantwortlich. Der Unterschied besteht darin, dass es sich beim „Aufgabenteilen“ um ein abgestimmtes, paralleles Arbeiten mit gleichberechtigtem Status handelt, bei dem die Verantwortung auf beide Interaktanten verteilt ist, während beim „Alleingang“ ein individueller Be‐ darf individuell geklärt und die Verantwortung dafür einseitig wahrgenommen wird. „Sich Distanzieren“ vs. „Experte-Novize“: In beiden Typen handelt es sich um eine hierarchische Beziehung, in der eine Person dominiert. Sie unterscheiden sich in Bezug auf die Anerkennung der Sprachexpertise. Bei Ersterem wird der Partner und sein Wissen angezweifelt („Sich Distanzieren“). Bei Zweiterem wird 232 3 Empirische Untersuchung <?page no="233"?> Anerkennung vorausgesetzt: Das Verhältnis basiert gar darauf, dass die Rolle als Sprachexperte anerkannt wird („Experte-Novize“). „Experte-Novize“ vs. „Kollaborieren“: Diese Typen weisen eine Überschneidung hinsichtlich der Beteiligung auf: Beide beteiligen sich an demselben Gegenstand, sie richten beide ihre Aufmerksamkeit auf dieselbe Sache. Der Unterschied liegt in ihrer Beziehung und damit verbunden, dem Umgang mit Verantwortung und Ressourcen. Für den Typ „Experte-Novize“ besteht ein hierarchisches, für „Kollaborieren“ ein gleichrangiges Verhältnis und dieses zieht entsprechende Konsequenzen (Dominanz vs. Gleichberechtigung) nach sich. Vergleichende Gesamtbetrachtung Im Vergleich der Typen lassen sich Unterschiede im Gemeinsamen heraus‐ stellen, was zu einer differenzierten Beschreibung der fünf Problemlösetypen beiträgt. Dabei kann die Relevanz bestimmter Merkmale herausgestellt bzw. der Zusammenhang zwischen den Merkmalen aufgezeigt werden. Insbesondere das übergreifende Merkmal Beziehung wirkt sich auf die an‐ deren Merkmale aus bzw. impliziert bestimmte Ausprägungsgrade: Eine hierar‐ chische Beziehung bspw. zeigt sich in einer asymmetrischen Wahrnehmung von Verantwortung. Der Vergleich dokumentiert neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede und zeigt an manchen Stellen an, dass diese Unterschiede in feinen Nuancen liegen. Er deutet zudem auf zahlreiche Überschneidungen hin und damit auf die Nähe der Typen zueinander, wobei Merkmale vereinzelt in sehr unterschiedlichen Typen auch dieselbe Ausprägung aufweisen, wie z. B. die symmetrische Verteilung von Ressourcen, die sowohl im Typ „Sich Distanzieren“ als auch im Typ „Kollaborieren“ vorkommt. Auch lässt sich von einzelnen Ausprägungen nicht zwingend auf den Gesamtcharakter eines Typs schließen. Beispielsweise impliziert ein hohes Maß an gegenseitigen Be‐ zugnahmen eine ausgeprägte Kooperation. Dass dem nicht zwingend so ist, wird durch zwei Beispiele dargelegt: Trotz zahlreicher Bezugnahmen handelt es sich beim „Sich Distanzieren“ um eine vergleichsweise wenig kooperative Bearbei‐ tungsweise. Wohingegen beim „Aufgabenteilen“ wenig Bezugnahmen realisiert werden und die Bearbeitung trotzdem sehr kooperativ sein kann. Entscheidend ist, wie diese Bezugnahmen realisiert werden und in welchem Gesamtkontext sie stehen (gleichrangige Beziehung, gleichberechtigte Verantwortung etc.). Einzelne Ausprägungsgrade lassen folglich nur begrenzt Rückschlüsse zu und sind immer im Gesamtzusammenhang zu betrachten. Die einzelnen Typen lassen sich folglich als ein spezifisches Merkmalsbündel beschreiben. Dabei können Überschneidungen mit den anderen Typen auftreten. Entscheidend für die eindeutige Zuordnung und Beschreibung eines Typs ist die übergreifende 233 3.2 Analyseergebnisse <?page no="234"?> Beteiligungsstruktur innerhalb eines Falls, die in den Ausprägungsgraden der jeweiligen Merkmale erfasst wird: wer beteiligt sich wie, womit und wozu? Können diese Fragen beantwortet werden, sind die zentralen Merkmalsausprä‐ gungen beinhaltet, die den jeweiligen Typ beschreiben. Darstellung der Problemlösetypen In der folgenden Darstellung sollen die Typen abschließend und zusammenfas‐ send visualisiert werden. Ausgangspunkt dafür sind, neben den in der Tabelle 06 dargestellten Merkmalsausprägungen und den Abgrenzungen zwischen den Typen, die Bezeichnungen der Problemlösetypen, mit denen versucht wird, das Übergreifende, Charakteristische zu fassen sowie die Beziehungsstruktur, die die Interaktanten untereinander ausprägen. Abgebildet wird damit, wie sie zueinanderstehen und wie sie sich aufeinander beziehen. In Anlehnung an Tomasello (2009), der kooperative Aktivitäten u. a. dadurch charakterisiert, dass dabei ein gemeinsames ‚Wir‘ geschaffen wird (vgl. ebd.: 41, 57), sollen alle Problemlösetypen derart benannt werden, dass die Beziehung der Interaktanten abgebildet wird: „Sich Distanzieren“ kann mit einem Du-Bezug beschrieben werden. Eine Person dominiert, weist die Verantwortung der anderen Person zu und damit die eigene Verantwortung ab. Der „Alleingang“ lässt sich mit einem Ich-Bezug charakterisieren: eine Person handelt aufgrund ihres Bedarfs eigenverantwortlich, verlässt sich auf sich selbst. In der Konstellation „Ex‐ perte-Novize“ handelt ebenfalls eine Person (Ich) bestimmend und richtet sich dabei auf die andere Person (Du). Diese Beziehung kann daher mit einem Ich-Dir-Bezug gefasst werden. Auch beim „Aufgabenteilen“ gibt es ein Ich und Du, allerdings stehen diese gleichberechtigt nebeneinander und ergänzen sich, es ergibt sich ein Ich- & Du-Bezug, wobei das Und-Zeichen das Verbindende markiert. Beim „Kollaborieren“ verschmelzen die zwei Personen zu einem Wir. Das Gemeinsame steht im Zentrum, was durch einen Wir-Bezug beschrieben werden kann. Diese je Typ unterschiedlich ausgeprägten charakteristischen Bezüge helfen das Wesen eines jeden Typs herauszustellen und münden in der nachfolgenden grafischen Darstellung (s. Abb. 10): 234 3 Empirische Untersuchung <?page no="235"?> Sich Distanzieren Alleingang Experte-Novize Aufgabenteilen Kollaborieren Abb. 10: Darstellung der Problemlösetypen Diese grafische Darstellung der Problemlösetypen soll um folgende Kurzbe‐ schreibungen ergänzt werden: „Sich Distanzieren“ Eine Person distanziert sich von der anderen, verletzt sie damit potentiell. „Alleingang“ Eine der beiden Personen tritt deutlich hervor, dominiert, wäh‐ rend die andere in den Hintergrund tritt, verblasst. „Experte-Novize“ Sie befinden sich in einem hierarchischen Verhältnis, in dem eine Person mehr Ressourcen einbringt. „Aufgabenteilen“ Es findet ein gleichberechtigtes Nebeneinander statt. „Kollaborieren“ Es kommt zu einem intensiven Miteinander mit zahlreichen Bezugnahmen und gegenseitigem Bestärken. Tab. 07: Kurzbeschreibung der Problemlösetypen Diese Darstellung verdeutlicht einmal mehr, dass es bei den Typen um unter‐ schiedliche Hierarchien, um Beziehungen, um eine Gerichtetheit geht. Sie hebt das jeweilige Wesen der Problemlösetypen hervor und veranschaulicht auf einen Blick, wirkt damit allerdings auch komplexitätsreduzierend. Zusammenfassend Die vergleichende Betrachtung der Problemlösetypen hat Folgendes deutlich gemacht. Es handelt sich um Typen, die sich durch übergreifende Merkmale menschlicher Interaktion beschreiben und voneinander abgrenzen lassen. Die einzelnen Typen bestehen aus Merkmalsbündeln, wobei sich einzelne Merkmale überschneiden und unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Ihr jeweiliges Charakteristikum kann in einer grafischen Darstellung verdeutlicht werden. 235 3.2 Analyseergebnisse <?page no="236"?> 3.2.3.3 Einschätzung der Problemlösetypen Nachfolgend werden zunächst die einzelnen Problemlösetypen in ihren Charak‐ teristika gesamtheitlich sowie hinsichtlich ihrer jeweiligen Funktionspotentiale eingeschätzt. Im Anschluss darauf erfolgt eine Gesamtbetrachtung aller Prob‐ lemlösetypen in Bezug auf die damit einhergehenden Lernpotentiale. „Sich Distanzieren“ Der Typ „Sich Distanzieren“ kommt mit insgesamt drei Fällen sehr selten in dem vorliegenden Datensample vor, tritt nur in der Dyade 03 auf und verfügt somit über eine ‚Sonderstellung‘. Bei diesen Fällen geht es darum, dass die eingebrachten Ressourcen von einer Person angezweifelt werden und sich die Interaktanten nicht einvernehmlich, sachlich einigen können. Dadurch verläuft ihre Bearbeitung nur zäh. Beide bringen Ressourcen ein, probieren sich aus und versuchen sich zu einigen bzw. sich jeweils durchzusetzen, was in einen Machtkampf münden kann. Schließlich wird eine Lösung notiert, aber die anzweifelnde Person weist die alleinige Verantwortung von sich ab und der anderen Person zu. Damit haben sie eine Lösung erreicht. Allerdings hat sich dabei die Bearbeitung von der sachlichen auf die persönliche Ebene verlagert. Die Auseinandersetzung richtet sich nicht mehr vordergründig auf den fremd‐ sprachlichen Gegenstand und die Lösung des sprachlichen Problems. Vielmehr geht es darum, recht zu haben bzw. die Verantwortlichkeit für diese Lösung zu klären. Gleichzeitig kann die Auseinandersetzung auch die Möglichkeit eröffnen, miteinander zu spielen, sich zu necken und zu provozieren. Dies kann Folgendes bewirken: Die anzweifelnde Haltung, die Person A Person B entgegenbringt, kann zum Vertrauensentzug führen und schließlich zum Aus‐ stieg aus der Bearbeitung seitens der Person B, da ihr sowieso nicht vertraut wird. Des Weiteren kann ihr Gesicht bedroht werden dadurch, dass und wie die Verantwortungszuweisung erfolgt. Wird sie öffentlich vollzogen und ist die anzweifelnde Person selbst unsicher, ist die Verletzungsgefahr höher. Die anzweifelnde Person wiederum kann durch die Abweisung von Verantwortung ihrerseits ihr Gesicht wahren. Damit erweist sich dieser Typ auf der sozialen Ebene insofern als herausfordernd, als die Interaktanten mit Handlungen des Anzweifelns, mit Dissens, mit Provokation und mit Gesichtsbedrohung umgehen müssen. Auf den ersten Blick können die Praktiken des Typs „Sich Distanzieren“ etwas schockierend bzw. negativ wirken, insb. aufgrund von potentiell gesichts‐ bedrohenden Handlungen sowie des insgesamt wenig kooperativ ausgerich‐ teten Verhaltens, das sich stellenweise als provokativ und konfliktgeladen beschreiben lässt. Dennoch ist dieser Typ nicht per se als destruktiv oder negativ 236 3 Empirische Untersuchung <?page no="237"?> einzuschätzen. Interessant ist er insofern, als er eine Möglichkeit darstellt, aus dem kollaborativen Setting auszubrechen und gleichzeitig eine Form der Bearbeitung und Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten. Wenn keine konsensuale Einigung erreicht werden kann, ist „Sich Distanzieren“ eine Möglichkeit, sich aus der qua Schreibform gesetzten gemeinsamen Verantwortung zu entziehen indem einer Person die alleinige Verantwortung übertragen wird, wodurch sich ein Lösungsweg ergibt. „Alleingang“ Der Typ „Alleingang“ beschreibt eine von Person A initiierte und durchgeführte Bearbeitungsweise, die unter Ausschluss der Person B geschieht. Es handelt sich um eine individuell motivierte, verantwortete und durchgeführte Handlung, die evtl. nur für eine Person bedeutsam ist, die aber grundsätzlich der Dyade zu Gute kommen kann. Die Zusammenarbeit ist dabei kurzfristig ausgesetzt bzw. stark einseitig verlagert. Sie kann einerseits durch einen individuellen Bedarf be‐ gründet werden. Andererseits kann ein „Alleingang“ damit erklärt werden, dass eine Auszeit benötigt wird, kein Beitrag geleistet werden kann / möchte oder kein Bedarf besteht. Mit der daraus resultierenden einseitigen Verantwortungs‐ übernahme kann Erwartungsdruck, aber auch das Gefühl von Einflussnahme verbunden sein. Ein „Alleingang“ kann dazu führen, dass der Bearbeitungspro‐ zess beschleunigt wird, da die Entscheidung einer Person überlassen wird und keine Koordinierung oder Diskussion erforderlich ist. Die Alleingänge in den hier analysierten Fällen führen tatsächlich zu einer raschen Klärung des Problems und sind folglich kurz. Person B kann in dieser Zeit pausieren oder Person A zuschauen, ggf. eingreifen und dabei etwas lernen, oder aber sie ist Widerwillens ausgeschlossen und fühlt sich im Stich gelassen. Potentiell besteht jedenfalls überwiegend eine Beteiligungsmöglichkeit. Der „Alleingang“ stellt eine Möglichkeit dar, innerhalb einer Zusammenarbeit zu agieren und gleichzeitig kurzfristig Einzelinteressen zu verfolgen, ohne dabei potentiell verletzend zu sein, im Gegensatz zum Typ „Sich Distanzieren“. Es handelt sich um eine selbstinitiierte Handlung, die vom Gegenüber akzeptiert wird und deshalb weder Rechtfertigung erfordert noch Verletzungsgefahr birgt. „Experte-Novize“ In den Bearbeitungsformen, die dem Typ „Experte-Novize“ zugeordnet sind, dominiert der Experte in der Hinsicht, dass er über mehr (angenommene) Ressourcen verfügt und damit mehr Verantwortung übernimmt, was auch mit einem pädagogischen Anspruch verbunden sein kann. Die als Novize agierende Person erkennt diese Rolle an, hält sich zurück, erfragt, rückversichert sich. 237 3.2 Analyseergebnisse <?page no="238"?> Dabei besteht das Risiko, dass sie sich zurückzieht und vieles dem Experten überlässt, wobei grundsätzlich für den Novizen (innerhalb seiner Rolle als Fragender) die Möglichkeit besteht, sich zu beteiligen. Der Experte wiederum kann seine Macht missbrauchen (sich durchsetzen aufgrund seines Status) und für Verunsicherung sorgen oder Verwirrung stiften, wenn er bspw. nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt. Der Typ „Experte-Novize“ enthält aber auch das Potential, dass beide voneinander lernen können. Der Novize kann vom Experten lernen, da dieser einen Wissensvorsprung hat, ihm evtl. Dinge erklärt, vorbildhaft vorführt, i. S. des Modelllernens. Der Experte kann dadurch lernen, dass er sein Wissen verbalisiert, evtl. begründet und erklärt, i. S. des Lernens durch Lehren. Die Konstellation ist hier besonders interessant, da ein gegenseitiges Verstehen unter Klassenkameraden und -kameradinnen wahrscheinlicher ist (s. auch Kap. 2.1.3.3. sowie 2.2.3.). Bemerkenswert ist hier zudem, dass die Interaktanten mit der Expertenposition eine Rolle einnehmen und ausprobieren, die sie im herkömmlichen Unterricht eher selten realisieren können. Bei einer ungleichen Verteilung von Ressourcen sind beide Interaktanten in einer hierarchischen Beziehung in spezifischen Rollen beteiligt („Experte-No‐ vize“) und können im besten Fall von- und miteinander lernen. „Aufgabenteilen“ Die Praktiken des Typs „Aufgabenteilen“ zeichnen sich maßgeblich dadurch aus, dass Teilaufgaben von den Interaktanten übernommen werden. Sie handeln damit in Bezug auf ein gemeinsames Ziel vorwiegend eigenverantwortlich. Dies bedeutet, Verantwortung zu teilen sowie vorhandene Ressourcen beider Interak‐ tanten einzusetzen und i. S. eines Poolings zu nutzen. Ein Lerneffekt ist jedoch nicht unbedingt gegeben, da jeder vordergründig mit seiner Aufgabe beschäftigt bleibt und somit eher wenig Kapazitäten vorhanden sind, um bei der anderen Person mitzudenken und aufeinander reagieren zu können. Entsprechend sind wenig Bezugnahmen aufeinander zu beobachten. Dafür besteht das Potential einer raschen Bearbeitung, da sich beide auf Teilaufgaben konzentrieren und spezia‐ lisieren können. Idealerweise koinzidieren diese mit den jeweiligen Interessen und Kapazitäten der bearbeitenden Personen. Ist dem nicht so, können die Teil‐ aufgaben nur schlecht bewältigt werden - im Gegensatz zum Typ „Kollaborieren“ oder „Experte-Novize“, bei denen verstärkt aufeinander eingegangen wird. Zudem besteht beim „Aufgabenteilen“ durch die Fokussierung auf Einzelaufgaben die Gefahr, dass das Gesamte aus dem Blick gerät. Es ist anzunehmen, dass es sich beim „Aufgabenteilen“ um eine für die Interaktanten pragmatische Herangehensweise handelt. Es wird die Tatsache 238 3 Empirische Untersuchung <?page no="239"?> genutzt, dass zwei Personen vorhanden sind und sich jede einbringen kann. Diese Bearbeitungsweise setzt voraus, dass sie sich abstimmen, jeweils entspre‐ chende Ressourcen einbringen können und sich gegenseitig vertrauen. „Kollaborieren“ Beim „Kollaborieren“ bringen sich beide Interaktanten ähnlich engagiert mit ihren jeweiligen Ressourcen ein und beziehen sich dabei viel aufeinander. Dem‐ nach übernehmen sie auch gemeinsam die Verantwortung für ihre Bearbeitung. Auf diese Weise können sie i. S. v. Scaffolding und Pooling voneinander profi‐ tieren und bestenfalls gemeinsam neues Wissen generieren. Dies kann zudem eine positive Grundstimmung begünstigen, evtl. ein Flow-Erleben bewirken. Indem sie aufeinander eingehen und sich gegenseitig bestärken, können sie in der Lage sein, Bearbeitungen gemeinsam zu realisieren, die sie aufgrund von fehlender Motivation oder eines geringen Selbstwerts alleine nicht hätten realisieren können oder wollen. Gleichzeitig können sich die Interaktanten auch gegenseitig verunsichern, wenn sie bspw. nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen. Unsicherheiten können aber auch, werden diese sachlich kommuniziert, Anlass für Prüfhandlungen sein. Grundsätzlich ist beim Kollaborieren ein reibungsloser Ablauf der Bearbei‐ tung wahrscheinlich, da die Interaktanten aufeinander eingehen, sich verstehen. Allerdings kann es dazu kommen, dass Zuständigkeitsbereiche während der Bearbeitung geklärt werden müssen, da die Rollenverteilung nicht eindeutig festgelegt ist. Sozial herausfordernd ist dieser Typ insofern, als er gegenseitiges Verstehen und ein Einlassen auf das Gegenüber voraussetzt. Beim „Kollaborieren“ tragen beide Interaktanten ähnlich engagiert ihren Teil bei und können sich gegenseitig ergänzen und bestärken. Auf diese Art kann es ihnen gelingen, etwas zu lösen, das sie alleine voraussichtlich nicht hätten lösen können. Dieser Typ zeigt, dass Zusammenarbeit mehr sein kann als Arbeitsteilung und dass dabei insb. die soziale Ebene entscheidend beeinflusst, wie die Bearbeitung verläuft. Gesamtbetrachtung der Problemlösetypen Die Einschätzungen der jeweiligen Problemlösetypen ergeben folgendes Ge‐ samtbild: In allen Typen findet Austausch zwischen den Interaktanten statt, außerdem wird von allen Dyaden eine Aufgabenbearbeitung (Textproduktion) realisiert. Die Interaktanten verhalten sich dabei mehr oder weniger kooperativ und beziehen sich mehr oder weniger aufeinander. Sie nehmen unterschiedliche Haltungen ein und entwickeln Beteiligungsstrukturen, die mit entsprechenden Folgen einhergehen können (s. auch Kap. 3.2.3.2.). Die damit verbundenen 239 3.2 Analyseergebnisse <?page no="240"?> möglichen Funktionen zeigen die jeweiligen Potentiale und Gefahren der Typen auf. Es ergibt sich ein breites Spektrum unterschiedlicher Funktionen, wobei un‐ terschiedliche Bearbeitungstypen auch dieselben Funktionen aufweisen können wie z. B. rasche Bearbeitung, Modelllernen. Damit wird auch deutlich, dass die Funktionspotentiale eng an die jeweiligen Bedingungen der Typen geknüpft sind. Daraus kann abgeleitet werden - und darauf deuten die Ergebnisse bzgl. des Vorkommens der Typen (s. Kap. 3.2.3.1.) ebenfalls hin -, dass jeder Typ in bestimmten Situationen seinen Sinn hat bzw. jeder Typ unter bestimmten Bedingungen erst möglich ist. Daraus wiederum lässt sich schließen, dass eine Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit (i. S. seines Funktionspotentials) nur in Abhängigkeit von den gegebenen Bedingungen und Kontexten (wie Ressourcen, Beteiligung) erfolgen kann bzw. aussagekräftig ist. Beispielsweise kann eine rasche Klärung des Problems sowohl im „Alleingang“ als auch beim „Aufgabenteilen“ erfolgen. Die jeweiligen Zielsetzungen und Voraussetzungen müssen miteinbezogen und die jeweiligen Vorteile aber auch mögliche Gefahren mitbedacht werden. Vor diesem Hintergrund kann die Frage danach, welcher Typ potentiell lernförderlich und demnach anzustreben ist, nur bedingt beant‐ wortet werden. Es können sinnvollerweise nur Einschätzungen in Hinblick auf bestimmte Fragen (Soll es bspw. in erster Linie um eine möglichst rasche Aufgabenbearbeitung gehen? Oder darum, dass die Interaktanten möglichst frei die Fremdsprache anwenden? ) gegeben werden, die dann im Gesamtkontext zu betrachten sind. Aus sprachlerntheoretischer Perspektive kann festgehalten werden, dass Praktiken des Typs „Sich Distanzieren“ als wenig erstrebenswert einzuschätzen sind. Der darin realisierte Grad an Kooperativität ist gering, der kollaborative Pakt wird gar kurzzeitig missachtet, die Bearbeitung verläuft - aufgrund des Dissens - eher zäh sowie sozial herausfordernd und es findet eine Verlagerung weg vom fremdsprachlichen Gegenstand statt. Dafür rückt die persönliche Ebene in den Vordergrund und ermöglicht den Interaktanten, sich mit sich auseinanderzusetzen. Es ist erwartbar und natürlich, dass bei Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern, insb. in bestimmten Altersgruppen, ein Fokus auf die persönliche Ebene gelegt wird, dass es ihnen auch darum geht, miteinander zu spielen, sich zu provozieren, ihre (Anziehungs-)Kräfte zu messen etc. Dafür wurde mit dem Typ „Sich Distanzieren“ eine mögliche, wenn auch extreme (bis hin zu öffentlicher Gesichtsbedrohung), Realisierungsform identi‐ fiziert. Es ist anzunehmen, dass derartige Praktiken durchaus im schulischen Klassenzimmer anzutreffen sind und nicht nur dort. Demnach ist dieser Typ auch aus allgemeinpädagogischer, psychologischer und interaktionistischer Perspektive interessant. 240 3 Empirische Untersuchung <?page no="241"?> Im „Alleingang“ wird die Zusammenarbeit ebenfalls kurz außer Kraft gesetzt, allerdings besteht hier der Fokus weiterhin auf der Lösung des fremdsprachli‐ chen Problems, weshalb diese Vorgehensweise sprachlerntheroetisch gesehen positiv einzuschätzen ist, aber im Vergleich zu einer individuellen Vorgehens‐ weise keinen Mehrwert enthält. Schulpraktisch interessant ist dieser Typ in‐ sofern, als er eine übliche Situation im schulischen Fremdsprachenunterricht außerhalb des kollaborativen Schreibens und weiterer kooperativer Methoden darstellt: Die Schülerinnen und Schüler klären ihre fremdsprachlichen Probleme eigenständig. Beim „Alleingang“ geschieht ebendies, aber unter anderen Be‐ dingungen, nämlich innerhalb eines kooperativen Settings. Entsprechend ist eine weitere Person präsent und kann reagieren. Es handelt sich um eine rasche, selbstverantwortete, wenig kooperative Vorgehensweise, bei der sich eine Person auf sich selbst verlässt, ihre Ressourcen nutzt und die andere diesen Alleingang akzeptiert und im besten Fall durch das Zusehen lernt. In der Forschung zum kollaborativen Schreiben wird das Potential vor allem darin gesehen, dass Pooling und Scaffolding ermöglicht wird. Damit können die Typen „Experte-Novize“, „Aufgabenteilen“ und „Kollaborieren“ sprachlernthe‐ oretisch als potentiell lernförderlich identifiziert werden, da sie jeweils diesbzgl. Funktionspotentiale aufweisen: Beim Typ „Experte-Novize“ werden die Ressourcen einseitig dominiert eingebracht und somit erfolgt ein Pooling und Scaffolding in erster Linie in eine Richtung, vom Experten zum Novizen. Der Experte fungiert dabei als Modell, weshalb diese Konstellation auch aus Perspektive der sozial-kognitiven Lerntheorie (Bandura 1971) als erstrebenswert angesehen werden kann. Aller‐ dings ergeben sich potentielle Lerneffekte damit bislang nur für den Novizen. Durch die vermittelnde, erklärende Position aber kann der Experte i. S. des Lernens durch Lehren auch selbst lernen. Die Tatsache, dass er hier Experte sein darf, eine Rolle, die üblicherweise den Lehrpersonen vorbehalten ist, macht diese Konstellation pädagogisch gesehen ebenfalls interessant. Somit enthält dieser Typ in mehrerlei Hinsicht Potential. Der Fokus auf eine einzige Person birgt allerdings ebenfalls Risiken und beeinflusst möglicherweise die Beziehungsstruktur der Schülerinnen und Schüler. Der Typ „Aufgabenteilen“ lässt sich maßgeblich durch Pooling beschreiben. Beide Interaktanten bringen sich mit ihren Ressourcen ein und nutzen sich so gegenseitig im Dienste der Sache. So notiert z. B. Lea-Sophie aus der Dyade 04 im Fragebogen, dass die (Wissens)ergänzung gut funktioniert habe. Allerdings sind hier wenig Lerneffekte (über die individuellen Handlungen hinaus) zu erwarten, da das parallele Arbeiten dazu führt, dass sich beide auf ihre Aufgabe konzentrieren und sich auf das Vorankommen der Bearbeitung insgesamt 241 3.2 Analyseergebnisse <?page no="242"?> ausrichten. Deshalb kann diese Form des Nebeneinanderher-Arbeitens eher als pragmatisches ‚Abarbeiten‘ (i. S. des Schülerjobs nach Breidenstein 2006) beschrieben werden: Wenn es darum gehen soll, rasch voranzukommen und voneinander zu profitieren, ohne mit- oder voneinander zu lernen, wird dieser Typ relevant. Außerdem wird er relevant vor dem Hintergrund des Prinzips der positiven Interdependenz ( Johnson / Johnson 2009), das einen Effekt beschreibt, der besonders im Kontext des kooperativen Lernens angestrebt wird: Das Gesamtziel wird gemeinsam erreicht, indem jeder und jede seine individuelle Verantwortung wahrnimmt und seinen Teil beiträgt. Ebendies geschieht beim Aufgabenteilen. Vor dem Hintergrund konstruktivistischer Lerntheorien stellt die gemein‐ same Konstruktion und Entwicklung von Wissen und Ideen, wie sie beim kol‐ laborativen Typ möglich ist, ein zentrales Ziel des (Fremdsprachen-)Unterrichts dar. Derartige anvisierte Momente - wie kollaborativ formulieren, gemeinsam eine Idee entwickeln, sich gegenseitig bestärken, aufeinander eingehen - sind bei Praktiken des Typs „Kollaborieren“ verstärkt zu beobachten. Damit einher geht ein hoher Grad an Kooperativität, der dazu führt, dass das Gemeinsame im Zentrum steht, was sich in einem Wir-Gefühl (i. S. Tomasellos 2009) äußern kann. Vor diesem Hintergrund beschreibt auch Storch (2013, 2016) den hier entwickelten Typ „Kollaborieren“ als die idealtypische Bearbeitungsweise, die beim kollaborativen Schreiben anvisiert wird. Sie begründet dies in erster Linie durch Pooling und Scaffolding. Diese Handlungen können hier in beide Richtungen erfolgen, denn beide Interaktanten bringen sich ähnlich engagiert ein und beziehen sich aufeinander. Grundlage dafür wiederum ist, dass sie sich gegenseitig verstehen, sich aufeinander einlassen wollen und können. Aus sprachlerntheoretischer Sicht erweist sich dieser Typ folglich als erstrebens‐ wert, birgt jedoch auf sozialer Ebene auch besondere Herausforderungen (vgl. Lehnen 2017: 299). Dieser Typ erfordert ein sehr großes Maß an Vertrauen, das mit Offenheit und einem sich aufeinander Einlassen einhergeht, denn nur so wird ein ‚Miteinanderdenken‘ möglich. Schlussfolgerungen Die Gesamtbetrachtung zeigt, in Bezug worauf die jeweiligen Typen bedeutsam sein können und dass eine im Unterricht vorgegebene Zusammenarbeit sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Dabei wird deutlich, dass die soziale Ebene i. S. v. Beteiligungsstrukturen einen großen Einfluss auf die Realisierung der Problemlösepraktiken hat. Es konnte zudem festgestellt werden, dass jeder einzelne Typ ein Spektrum an Funktionspotentialen beinhaltet. Diese werden, je nach Erkenntnisinteresse, mehr oder weniger relevant und bedingen entspre‐ 242 3 Empirische Untersuchung <?page no="243"?> chende Voraussetzungen. Hervorzuheben sind die beiden Extreme, innerhalb derer sich die hier entwickelten Problemlösetypen bewegen. Während der Typ „Sich Distanzieren“ sprachlerntheoretisch gesehen als weniger potentiell lern‐ förderlich einzuschätzen ist, aber dafür schulpraktisch gesehen relevant wird, stellt der Typ „Kollaborieren“ das andere Extrem dar. Es handelt sich um den idealtypischen Fall, der beim kollaborativen Schreiben angestrebt wird. Für alle Einschätzungen gilt, dass sie nicht losgelöst, sondern im Gesamtzusammenhang zu betrachten sind: Die jeweiligen Vorteile, aber auch potentielle Risiken und Voraussetzungen sowie angestrebte Ziele, sind mitzubedenken. Damit sind zwar erste Einschätzungen hinsichtlich der Potentiale vorge‐ nommen, allerdings sagen sie noch nichts über den möglichen Lerngewinn aus. Aussagen über das fremdsprachliche oder soziale Lernen können hier ebenfalls nicht getroffen werden, dafür müssten Ziele und Methoden der Studie andere sein (s. hierzu auch Kap. 3.2.4.). Was aber aus den Daten ersichtlich wird, ist, dass Austausch und Kommunikation stattfinden und diese Anstoß zu Reflexion, Bewusstwerden und schließlich zu Lernen sein können. Zudem lassen sich aus den rekonstruktiv ermittelten Funktionspotentialen Einschätzungen hin‐ sichtlich bestimmter Fragen treffen, woraus in einem nächsten Schritt Schluss‐ folgerungen für die Theorie sowie für die Umsetzung im fremdsprachlichen Klassenzimmer abgeleitet werden können (s. Kap. 4.2.). 3.2.4 Reflexionen zu Analysevorgehen und Ergebnissen In diesem Kapitel wird das Analysevorgehen sowie die dabei erreichten Ergeb‐ nisse der vorliegenden Studie kritisch beleuchtet und i. S. eines transparenten Forschungsvorgehens reflektiert. Diskutiert wird dabei der Einsatz der Ge‐ sprächsanalyse allgemein, die gewählte Analyseeinheit, die Bezeichnung der Typen sowie die Typentwicklung. Einsatz der Gesprächsanalyse Der Einsatz der Gesprächsanalyse nach Deppermann (2008) kann retrospektiv als sinnvoll für die vorliegende Studie eingeschätzt werden. Sie eignet sich für den fremdsprachendidaktischen Kontext besonders aufgrund der thematischen Passung durch den Fokus auf die Sprache und den Einbezug der interaktionalen Ebene. Allerdings können gesprächsanalytisch ‚nur‘ Typen und ihre jeweiligen Funktionspotentiale ermittelt werden, woraus sich Aussagen über potentielle Lerngelegenheiten, nicht aber über einen tatsächlichen Lerngewinn treffen lassen (s. auch Kap. 4.3.). 243 3.2 Analyseergebnisse <?page no="244"?> Die Gesprächsanalyse ermöglicht eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und stellt eine konsequente, methodische Umsetzung bereit. Innerhalb eines Rahmens hilft sie, die einzelnen Analyseschritte in Wechselwirkung mit dem Forschungsinteresse zu konkretisieren und auf die Forschungsfrage hin zuzuspitzen. Sie enthält zahlreiche konkrete Fragestel‐ lungen, Arbeitsschritte und eindeutige Begriffsverwendungen, erleichtert so den Forschungsprozess erheblich und macht ihn darüber hinaus handhabbar und vergleichbar. Dennoch bleibt innerhalb dessen viel festzulegen und zu konkretisieren, wie die konkrete Realisierung der Fallanalysen, die Organisation der Daten, die Auswahl der Untersuchungsfragen. In der praktischen Umsetzung herausfordernd - aber als grundlegende Hal‐ tung sehr begrüßenswert - ist dabei auch die Forderung nach Offenheit, die eine ständige Reflexion und ein Infragestellen impliziert. Es wurde versucht, Abstand von den eigenen Interpretationen etc. zu nehmen, die eigene Vorgehensweise zu hinterfragen. Sich von den rezipierten Theorien und Lebenserfahrungen freizumachen ist jedoch nicht möglich, weshalb ein transparenter Umgang damit angestrebt wurde: ein Balanceakt zwischen vorhandenem, angestrebtem und empirisch ermitteltem Wissen. Eine diesbzgl. methodische Unterstützung ist in der Gesprächsanalyse angelegt: Zum einen sollen insb. am Anfang der Analyse die Daten möglichst breit analysiert, Interpretationen in möglichst verschiedene Richtungen angestellt werden, um sich nicht vorschnell festzulegen. Auch wenn es zunächst mühsam erschien, am Anfang der Analyse alle Analysefragen zu beantworten, die sich z. T. überlagern, hat sich dies mehrfach als ergiebig erwiesen, da erste Eindrücke bekräftigt oder widerlegt werden konnten. Außerdem ‚zwingt‘ die Beantwor‐ tung sämtlicher Fragen in der Tat zu einer gewissen Offenheit, veranschaulicht gleichzeitig die Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Betrachtungsebenen und ist insofern auch sinnvoll, da diese Dopplungen i. S. einer Kontrolle bzw. Bestätigung fungieren können: Wenn bspw. mit der Beantwortung von Fragen auf unterschiedlichen Ebenen dasselbe Ergebnis erreicht wird, kann dies als Bestätigung dienen. Zum anderen zwingt der Analyseschritt der detaillierten Sequenzanalyse zu einem genauen Blick in die Daten, wobei neben Transkript möglichst auch die Rohdaten (Audioaufnahme) einbezogen wurden. Durch die Materialnähe wurden die Schülerstimmen immer wieder hörbar gemacht und damit der Verselbstständigung der Analyse entgegengewirkt. Auch in einem fortgeschrit‐ tenen Stadium der Analyse haben sich so z. T. neue Interpretationen ergeben. Eine Herausforderung der detaillierten Sequenzanalyse bestand darin, dass sie in Textform erfolgte. Pro Fall entstanden so mehrere Seiten Fließtext (ca. 244 3 Empirische Untersuchung <?page no="245"?> 2-3), was sich als unübersichtlich und langwierig erwies. Aus diesem Grund wurde ergänzend mit Tabellen gearbeitet, in denen die Erkenntnisse aus dem Fließtext in ein übersichtlicheres Format übertragen wurden. Die tabellarische Darstellung der Problemlösesequenzen ermöglichte eine schnelle Erfassung des Phänomens sowie das Aufdecken von Zusammenhängen und Überlagerungen. Auch wurden dabei die konkret realisierten Bearbeitungsformen inkl. der ein‐ gesetzten Mittel, Ressourcen und Arbeitsweisen der Schülerinnen und Schüler erfasst (s. Tab. 04, S. 136). Gleichzeitig birgt diese von den Ausgangsdaten abstrahierte Darstellungsform die Gefahr, Komplexität zu reduzieren: Es wird eine einzige Interpretation notiert. Dadurch wird der Bezug zu den Daten gefährdet. Dem wurde entgegengewirkt, indem die Tabelle für einen Überblick genutzt und ansonsten vorwiegend mit den Rohdaten selbst gearbeitet wurde. Herausfordernd erwies sich im Analyseprozess z. T. auch die eindeutige Rekonstruktion bestimmter Aussagen und Handlungen der Schülerinnen und Schüler. Dies betrifft z. B. Handlungen wie das Raten. Beim Raten wird auf Wissen zurückgegriffen, das unsicher ist. Aber aus welchen Handlungen kann Raten eindeutig rekonstruiert werden? Zögern, Suchprozesse und metasprach‐ liche Kommentare (wie ich rate mal ) können zumindest Hinweise darauf liefern. Zuordnungen zur Kategorie Hilfsanforderung sind ebenfalls schwer eindeutig zu treffen. Eine Hilfsanforderung kann explizit mittels einer Bitte, einer Aussage realisiert werden, aber auch indirekt, indem die andere Person die Möglichkeit eröffnet, am Bearbeitungsprozess teilzunehmen oder auch dadurch, dass sie selbst laut ausprobiert und damit anzeigt, dass sie unsicher ist und ggf. Klärungsbedarf hat. Einen Interpretationsspielraum bieten auch Aussagen wie keine ahnung, die mehrfach in den Schreibgesprächen auftreten (z. B. SG 05 seine Z. 297). Sie können darin begründet sein, dass kein Wissen vorhanden ist, aber auch darin, dass die Person sich aus der Verantwortung zieht, sich nicht beteiligen möchte. Derartige Uneindeutigkeiten hängen damit zusammen, dass die Zielsetzungen, die die Interaktanten mit ihren Aussagen verfolgen, verschieden sein können und nur begrenzt Einblick in die jeweiligen Wissensstände gegeben ist. In den vorliegenden Analysen ließen sie sich zwar teilweise aus dem Kontext heraus rekonstruktiv klären. War dies nicht möglich, wurde versucht, diese Uneindeutigkeit in der Interpretation transparent zu kommunizieren. Eine nachträgliche Befragung der Interaktanten könnte diese Uneindeutigkeiten ausräumen. Dies war in dem vorliegenden Projekt nicht umsetzbar, da die Schülerinnen und Schüler zu diesem Zeitpunkt die Schule bereits verlassen hatten. 245 3.2 Analyseergebnisse <?page no="246"?> Analyseeinheit fremdsprachliche Problemlösesequenz Ausgehend von theoretischen Überlegungen und Erkenntnissen wurde die Problemlösesequenz als Fall definiert und mittels einer Arbeitsdefinition in den Schreibgesprächen identifiziert. Damit erfolgte die Auswahl der Fälle the‐ oriebezogen und nicht allein aus den Daten heraus. Dies macht die Vorgehens‐ weise nachvollziehbar. Es ist aber auch denkbar, dass die Analyse ohne einen problemtheoretischen Hintergrund, wie er hier angelegt wurde, interessante Erkenntnisse hätte liefern können. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Momente zu untersuchen, die sprachlerntheoretisch als vielversprechend einzustufen sind. Dafür wurden fremdsprachliche Problemlösesequenzen ausgewählt, da angenommen wird, dass darin eine intensive Auseinandersetzung mit der Fremdsprache erfolgt. Alternativ wären auch Bedeutungsaushandlungen (nego‐ tiations of meaning) oder Language Related Episodes ( LRE ) als Analyseeinheit denkbar gewesen. Der Mehrwert bei der Problemlösesequenz besteht darin, dass der dreischrittige Problemlöseprozess potentielle Lerngelegenheiten annehmen lässt und dabei (fremd-)sprachliche, soziale und kognitive Aspekte umfasst (s. auch Kap. 2.3.4.). Es kann auch die Frage gestellt werden, ob ein im Vorhinein gesetzter Fokus auf die Sprachform, wie dies hier realisiert wurde, nicht bereits zu sehr die Fremdsprache fokussiert und damit evtl. andere, ‚echte Probleme‘ der Interak‐ tanten ausschließt. Dem kann entgegnet werden, dass die fremdsprachlichen Probleme erfahrungsgemäß im Unterricht einen großen Raum einnehmen und deshalb sowohl für Lehrpersonen als auch Schülerinnen und Schüler bedeutsam sind. Zudem erfolgte die Auswahl der Analyseeinheiten in der vorliegenden Studie zwar nach einem auf die Fremdsprache bezogenen Kriterium, durch das gesprächsanalytische Vorgehen jedoch spielen kontextuelle und soziale Aspekte in den Analysen ebenfalls eine entscheidende Rolle. In dieser Studie wurde mit einer Arbeitsdefinition von fremdsprachlichem Problemlösen gearbeitet, die das Problemlösen auf seine drei wesentlichen Schritte herunterbricht und damit die Komplexität des Phänomens reduziert. Zwar wurde die Identifikation der Problemlösesequenzen so operationalisierbar gemacht, dennoch blieb es eine Herausforderung, sie eindeutig zu identifizieren, immer dieselben Kriterien anzulegen und klare Grenzen zu ziehen: Ab wann ist es (k)eine Problemlösesequenz? Ab wann ist es Routine? Dies kann aus den Handlungen der Interaktanten nicht immer eindeutig rekonstruiert werden. Insbesondere die Grenze zu Routinehandlungen ist schwer zu ziehen. So wurden in dem vorliegenden Datensatz auch Problemlösesequenzen einbezogen, in denen ein lexikalisches Thema auf routinierte Weise bearbeitet wurde. Ob es sich dabei um einen Problemlöseprozess oder um Routine handelt, war schwer 246 3 Empirische Untersuchung <?page no="247"?> zu unterscheiden: Denn wo beginnt das (wirklich) Neue? In der vorliegenden Studie wurde versucht, dies dadurch zu lösen, dass Sequenzen dann als Problem‐ lösen eingestuft wurden, wenn darin die drei Schritte des Problemlöseprozesses nachvollzogen werden konnten (s. Kap. 2.3.4.). Erschwerend kommt hier das alltägliche Problemverständnis i. S. von Schwie‐ rigkeit hinzu sowie die uneinheitliche Verwendung des Begriffs (s. auch Kap. 2.3.1). Damit einher geht auch die Frage der Perspektive: Für wen besteht die Schwierigkeit? Von außen betrachtet kann etwas, z. B. da es sprachformal nicht korrekt ist, als Problem betrachtet werden. Dies bedeutet aber nicht un‐ bedingt, dass es für die Interaktanten ein Problem darstellt. In der vorliegenden Studie geht es darum, was die Schülerinnen und Schüler als bearbeitungswürdig behandeln, darum, womit sie sich auseinandersetzen und nicht darum, ob es zielsprachenkonform geschieht. Ob eine Sequenz für die Schülerinnen und Schüler ‚bearbeitungswürdig‘ ist - also aus analytischer Perspektive eine Problemlösesequenz -, wird allein in ihren Handlungen sichtbar, die aus den Daten rekonstruiert werden können. Sich von diesem Alltagsverständnis freizuma‐ chen und sich auf die Perspektive der Schülerinnen und Schüler einzulassen, stellt eine Herausforderung dar. Davon zeugen auch zahlreiche Gespräche und Rückmeldungen in Kolloquien und Vorträgen. Als forschungspraktisch schwierig umzusetzen erwies sich auch die Begren‐ zung der Fälle. Wann die Bearbeitung eines Problems beginnt und wo sie aufhört, ist in den Daten nicht immer eindeutig festzustellen. Dies kann damit zusammenhängen, dass es sich hier um eine schreibbegleitende Kommunikation handelt, die häufig einen Formulierungsprozess in Bezug auf einen Text abbildet. Dieser beinhaltet, so die Annahme, im Gegensatz zu einem freien Gespräch weniger klare Übergänge mit Pausen, Themenwechseln etc. Stattdessen kann er mit einem Suchprozess verglichen werden, bei dem nach und nach, nicht unbe‐ dingt chronologisch, eine Äußerung entsteht. Erschwert wird die Begrenzung der Sequenz auch dadurch, dass fremdsprachliche Probleme z. T. gleichzeitig unterschiedliche Ebenen betreffen, die Sequenzen entsprechend miteinander verwoben sind und ineinander übergehen. Überwiegend aber handelt es sich bei den hier identifizierten Problemlösesequenzen um die Bearbeitung von Einzel‐ wörtern. Dies kann auch damit im Zusammenhang stehen, dass das Schreiben für die Schülerinnen und Schüler in erster Linie ein Aneinanderreihen von einzelnen Wörtern ist, so lange bis die geforderte Anzahl an Wörtern erreicht ist. Schüleraussagen deuten in diese Richtung. Wenn dem so ist, dann bilden die auf kleine Strukturen bezogenen Analyseeinheiten die kleinschrittige Vorge‐ hensweise der Schülerinnen und Schüler ab. Mit sprachlich fortgeschritteneren Probandinnen und Probanden wäre dann anzunehmen, dass die Problemlöse‐ 247 3.2 Analyseergebnisse <?page no="248"?> 71 Darauf deutet auch hin, dass in der PISA-Studie 2015 das kollaborative Problemlösen als sog. innovative Domäne getestet wurde. 2022 soll das kreative Denken als innovative Domäne getestet werden (s. https: / / www.pisa.tum.de/ kompetenzbereiche/ kreatives-d enken/ Zugriff: 20. 08. 2020). sequenzen aus größeren sprachlichen Einheiten bestünden. Grundsätzlich bleibt zu überlegen, ob es sinnvoll sein könnte, die Fälle nach anderen, umfassenderen Gesichtspunkten auszuwählen, um sich mehr Offenheit zu bewahren und noch mehr aus den Daten herauszuarbeiten. Die Anwendung und Übertragung der Problemlösetheorie auf den fremd‐ sprachlichen Kontext mag aus theoretischer Sicht vielversprechend sein, 71 andererseits erweist sie sich forschungspraktisch - trotz der Arbeitsdefini‐ tion - als schwer greifbar. Dies ist auch in anderen Forschungskontexten festzustellen: Das Problemlösen wird vielfach reduziert auf das Bearbeiten i. S. einer bestimmten, logisch hergeleiteten Lösung, wie bspw. das kollaborative Problemlösen in der PISA -Studie 2015 mit einem computerbasierten simulierten Teammitglied (s. Kap. 2.3.1.). In dieser Studie wird Problemlösen darauf redu‐ ziert, ein sprachliches Problem zu lösen, wie z. B. ein Lexikproblem. Wie sinnvoll ist ein derartig reduziertes Problemlöseverständnis? Welche Aussagekraft kann damit einhergehen? Diese Fragen können hier nicht beantwortet werden, sollen aber die Diskrepanz zwischen der Komplexität des Gegenstandes und seiner Operationalisierbarkeit aufzeigen und die vorliegenden Ergebnisse in das ent‐ sprechende Licht rücken. In dieser Arbeit steht nicht das Problemlösen an sich im Vordergrund, vielmehr wurden Problemlösesequenzen als Ausgangspunkt genommen, um möglichst ganzheitlich Momente zu erfassen, die fremdspra‐ chendidaktisch als relevant eingestuft werden. Bezeichnung der Typen Bei der Typenbezeichnung wurde eine möglichst eindeutige, aktive und bildhafte Benennung angestrebt. Nachfolgend soll die Wahl der Bezeich‐ nungen „Sich Distanzieren“, „Experte-Novize“ sowie „Aufgabenteilen“ disku‐ tiert werden, da diese nicht unbedingt selbsterklärend sind: „Sich Distanzieren“ beschreibt eine Aktivität, die in eine Richtung erfolgt. Elisa distanziert sich von Markus. Deshalb enthält diese Typbezeichnung das richtungsanzeigende Reflexivpronomen sich. Im Unterschied zu den anderen Typbezeichnungen wird hier die Beziehung der Interaktanten fokussiert und weniger deren Bearbeitungsweise. „Sich Distanzieren“ betrifft die eigene Po‐ sitionierung zum Ergebnis der Bearbeitung und drückt auch eine Haltung gegenüber der anderen Person aus. Durch die Handlung des Sich Distanzierens wird der Bearbeitungsprozess aufrechterhalten. Mit dieser Bezeichnung wird 248 3 Empirische Untersuchung <?page no="249"?> betont, dass die Beziehung der Interaktanten zentral ist und ihre Bearbeitung maßgeblich beeinflusst. In Bezug auf die gewählte Bezeichnung „Experte-Novize“ kann nach mögli‐ chen (genderneutralen) Alternativen gefragt werden: Dafür kommen die Paare dominant-passiv, führend-geführt, initiativ-reaktiv in Betracht. Es sollte eine Bezeichnung gewählt werden, die die dominierende Haltung eines Interak‐ tanten sowie die spezifischen Rollenadressierungen erfasst, welche mit einem pädagogischen Anspruch verbunden sein kann. Dies schien mit „Experte-No‐ vize“ am treffendsten realisiert. Zudem handelt es sich bei dieser Bezeichnung um eine im anglophonen Raum übliche Bezeichnung (z. B. Storch 2013). Gegen diese Wahl ist einzuwenden, dass die einzelnen Begriffe zu stark sind, denn weder handelt es sich bei der einen Person um einen Experten noch bei der anderen um einen Novizen. Prinzipiell befinden sich beide auf derselben hierarchischen Ebene, auf einem ähnlichen Sprachniveau und verfügen über einen ähnlichen Erfahrungshorizont. Was die Bezeichnung „Experte-Novize“ enthält, ist mehr als eine hierarchische Einstufung. Sie gibt für beide Personen bestimmte Rollen vor. Dabei geht es in dem vorliegenden Datensatz um eine Ausprägung innerhalb einer gleichberechtigten Dyade und diese lässt sich mit diesem starken Gegensatzpaar plastisch und etwas überspitzt beschreiben. Die Bezeichnung „Aufgabenteilen“ wurde derjenigen des „Kooperierens“ aus dem Grund vorgezogen, da Kooperation die Grundbedingung in allen Typen darstellt. Außerdem handelt es sich um einen Überbegriff, der großflä‐ chig und unscharf verwendet wird, was zusätzlich Verwirrung stiften könnte (s. auch Kap. 2.1.3.1.). Storch bezeichnet ihren ähnlichen Typ als cooperative bzw. dominant / dominant (2016: 393 f.). Die von ihr gewählte Beschreibung dominant / dominant trifft zwar auch hier insofern zu, als sich beide gleichbe‐ rechtigt einbringen, die Bezeichnung „Aufgabenteilen“ beschreibt jedoch die tatsächliche Aktivität der Interaktanten, weshalb diese hier bevorzugt wird. Typentwicklung Die Tabelle, die bei der Typentwicklung erarbeitet wurde, ist gleichzeitig Hilfs‐ mittel und Ergebnis für selbige (s. Tab. 06, S. 229). Darin werden die einzelnen Merkmale möglichst innerhalb eines Typs konsistent und gleichzeitig in Ab‐ grenzung zu anderen Typen maximal und minimal differenzierend dargestellt. Sie ‚zwingt in die Kategorien‛, schärft den Blick für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede und stellt so auch die Grundlage für die Entwicklung einer Typologie des Problemlösens dar. Dabei fällt auf, dass sich die Merkmale auf die allgemein menschliche Interaktion beziehen. Es werden grundlegende Bereiche der menschlichen Interaktion wie Beziehung, Verantwortung, Ressourcen, Betei‐ 249 3.2 Analyseergebnisse <?page no="250"?> 72 Bonnet (2012) bezeichnet Schule auch als ‚Anwesenheitsraum‘ (ebd.: 299). ligung, Bezugnahmen, Zielsetzung und Rolle zur Beschreibung der Typen heran‐ gezogen. Die hier erarbeitete Typologie des Problemlösens weist auf den ersten Blick - obwohl sie ausgehend von fremdsprachenbezogenen Daten entwickelt wurde - keinerlei fremdsprachenspezifischen Merkmale auf. Dieser Umstand mag in einer fremdsprachendidaktischen Arbeit zunächst überraschen. Daraus kann erstens gefolgert werden, dass es sich bei dem hier untersuchten Phänomen des Problemlösens um ein grundlegendes und übergreifendes Phä‐ nomen handelt, das auch im fremdsprachlichen Kontext eine Rolle spielt. Dafür sprechen ebenfalls die aus den Daten rekonstruierten Handlungen sowie die theoretischen Anknüpfungspunkte, die für jeden Problemlösetyp herausgestellt werden konnten. Zweitens, und hier kommt das Fremdsprachenspezifische hinzu, werden die Ergebnisse sehr wohl fremdsprachenspezifisch und konkret, wenn man aus den damit einhergehenden Funktionspotentialen entsprechende Lerngelegenheiten und Risiken ableitet, die wiederum in theoretischen und didaktischen Implikationen münden können (s. Kap. 4.2.). Denn in den Analysen zeigen sich auf unterschiedlichen Ebenen fremdsprachenspezifische Erkennt‐ nisse sowie Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit dem hier realisierten Erhebungskontext - dem kollaborativen fremdsprachlichen Schreiben im Fran‐ zösischunterricht - stehen: Auf der Ebene der Schreibgespräche zeigt sich, dass es sich um eine schreib‐ begleitende Kommunikation handelt, die sich u. a. in kurzen Sprecherwechseln manifestiert sowie in tentativen Formulierungsaktivitäten, wobei das Vokabular thematisch durch die vorgegebene Schreibaufgabe geprägt ist. Dabei werden auch Einblicke in die Schreibprozesse und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler gegeben. Auf der Ebene der konkreten Handlungen lassen sich in den Analysen schließlich Phänomene aufzeigen, die fremdsprachenspezifisch sind, wie der Umgang mit Unsicherheit, der Einsatz der Klangprobe und des Wörterbuchs, ein spielerischer Einsatz der Sprache, Kompensationshandlungen. Auf der Ebene der Bearbeitungsweisen ist mitzudenken, dass sich die Schü‐ lerinnen und Schüler gezwungenermaßen im Unterricht befinden 72 und eine Schreibaufgabe auf eine vorgegebene Weise zu bearbeiten haben. Dies lässt erwarten, dass trotz einer in diesem Rahmen ‚freiwilligen‘ Zusammenstellung der Dyaden nicht alle Schülerinnen und Schüler motiviert sind und entspre‐ chende Herangehensweisen ausbilden. Vor diesem Hintergrund sind die domi‐ nierende, pragmatische Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler sowie die unterschiedlichen Problemlösetypen zu sehen. 250 3 Empirische Untersuchung <?page no="251"?> Auf der Ebene der Funktionspotentiale lassen sich ebenfalls Merkmale fest‐ stellen, die spezifisch für die vorliegenden Bedingungen sind: Denn es werden diejenigen Funktionen ermittelt, die für den vorliegenden Kontext möglich und relevant werden, wie das Lösen eines fremdsprachlichen Problems, das rasche Klären, das gegenseitige Verunsichern etc. Davon wiederum lassen sich jeweils Lernpotentiale und Risiken ableiten, die in theoretischen und didaktischen Implikationen münden können (s. Kap. 4.2.). Es handelt sich um große, grundlegende Kategorien, innerhalb derer die Schülerinnen und Schüler agieren. Letztlich ist jede Interaktion mit diesen Kategorien zu beschreiben. Die konkrete Ausführung kann jedoch bezogen auf die Fremdsprache erfolgen und damit sehr wohl fremdsprachenspezifisch sein. Abgesehen von dieser übergreifenden Einschätzung fällt in Bezug auf die einzelnen Merkmale der Typologie auf, dass bestimmte Merkmalsausprägungen miteinander vorkommen. So sind z. B. die Ausprägungsgrade der Merkmale Ver‐ antwortung, Ressourcen und Beziehung überwiegend kongruent. Handelt es sich um eine hierarchische Beziehung, so erfolgt die Verantwortungswahrnehmung einseitig dominiert und die Ressourcen werden einseitig eingebracht. Im Ge‐ genzug dazu erfolgt bei gleichrangiger Beziehung die Verantwortungswahrneh‐ mung gleichberechtigt. Daraus lassen sich zwei mögliche Schlussfolgerungen ziehen. Erstens scheinen die übergreifenden Merkmale zusammenzuhängen, sich gegenseitig zu bedingen: Eine bestimmte Art der Wahrnehmung von Ver‐ antwortung geht einher mit einer bestimmten Art der Beziehung etc. Zweitens sind die Merkmale nicht ausreichend trennscharf, da sie voneinander abhängen, was nahelegt, sie nicht als Einzelmerkmale aufzuführen. Es wäre denkbar, die Merkmale Ressourcen und Beteiligung in einem Merkmal zu fassen, da eine hohe Beteiligung mit dem Einbringen von Ressourcen einhergeht. Die Daten zeigen allerdings, dass dem nicht unbedingt so sein muss und dass die Ausprägung variieren kann: Beim „Aufgabenteilen“ beziehen sich die Interaktanten auf unterschiedliche Gegenstände, wohingegen sie sich beim „Kollaborieren“ auf denselben Gegenstand beziehen. Dies spricht dafür, diese einzelnen Merkmale beizubehalten und zeigt gleichzeitig auf Zusammenhänge zwischen den Merk‐ malen hin. Zu diskutieren ist auch die Abgrenzung zwischen zwei Typen, die sich beim Analysevorgehen mehrfach als schwierig erwiesen hat (s. auch Kap. 3.2.3.2.): Die Typen „Aufgabenteilen“ und „Kollaborieren“ stimmen in mehreren Merkmalen überein und beschreiben beide eine gleichrangige, kooperativ engagierte Bear‐ beitung. Sie unterscheiden sich in erster Linie darin, worauf sie sich beziehen: auf einzelne Aufgaben oder eine gemeinsame Aufgabe. Diese Unterscheidung spiegelt sich zwar in den Merkmalen Ressourcen, Beteiligung, Bezugnahmen 251 3.2 Analyseergebnisse <?page no="252"?> und Zielsetzung wider, ist in der Praxis allerdings nicht immer so eindeutig zu erfassen. Daraus kann gefolgert werden, dass es sich bei diesen Typen um zu ähnliche und damit nicht sinnvolle Typen handelt oder aber es führt dazu, hinreichende, merkmalsdifferenzierende Bereiche zu identifizieren und damit ihre Daseinsberechtigung zu zeigen. Der Leserschaft sei überlassen, welches Argument sie überzeugt. Bei der Abgrenzung zwischen den Typen „Aufgabenteilen“ und „Alleingang“ stellen sich folgende Fragen: Ab wann ist es ein paralleles Arbeiten? Ab wann ein Alleingang oder ein minimaler Alleingang innerhalb eines aufgabenteiligen Vorgehens? Inwiefern kann beim Alleingang festgestellt werden, dass sich der andere nicht beteiligt und weshalb? Aufgrund der dyadischen Konstellation kann immer parallel gearbeitet werden. Wenn einer schreibt, kann dies bereits als eine Aufgabe betrachtet werden. Wenn dann die andere Person selbstinitiiert ein Wort klärt, kann dies entweder bedeuten, dass beide aufgabenteilig vorgehen (eine schreibt, die andere klärt) oder aber es handelt sich um einen Alleingang, da sich die andere (schreibende) Person nicht an der Klärung beteiligt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Abgrenzung zwischen diesen Typen im Hinblick auf den Bedarf und die Handlungen des Anderen schwer eindeutig zu fassen sind. Denn aus der forschenden Beobachtung kann rekonstruktiv nicht unbedingt nachvollzogen werden, ob es sich erstens um einen individuellen Bedarf handelt und ob sich die andere Person zweitens nicht beteiligt, da sie die Verantwortung überlässt, keinen Bedarf hat, pausiert, o. Ä. oder da sie in dieser Zeit einer anderen Aufgabe nachgeht. In diesem Fall würde es sich um ein aufgabenteiliges Vorgehen handeln. Weitgehend ausgeschlossen bzw. wenig einbezogen und beteiligt ist die andere Person in beiden Typen. Diese Fragen hängen auch mit der Fallbestimmung und damit verbunden der Festlegung und Zuordnung der Sequenzen zusammen. Gelöst wurde dies, indem anhand von Grenzfällen wie z. B. SG 01 fluss Begrenzungen markiert und diskutiert wurden. Zumindest etwas Aufschluss könnte auch hier der Einbezug von Videodaten geben, wenn die beobachtbaren Handlungen einbezogen werden könnten. Eine anschließende Befragung der Interaktanten zu Beteiligung und Bedarf in der jeweiligen Situation könnte ebenfalls klärend hinzugezogen werden. Zusammenfassend Aus den Reflexionen zum Analysevorgehen und den erzielten Ergebnissen lassen sich zusammenfassend folgende Schlüsse ziehen: Mit der Gesprächsanalyse wurde eine Methode gewählt, die es ermöglicht, die Handlungen der Interaktanten tiefgründig zu beforschen, ihnen Gehör zu verschaffen und dabei Aussagen über Lernpotentiale und Risiken zu treffen. 252 3 Empirische Untersuchung <?page no="253"?> Dabei wurde der Analyseprozess möglichst nachvollziehbar und transparent dargestellt. Als besonders diskussionswürdig erwiesen sich dabei die Festlegung der Problemlösesequenzen als Analyseeinheit mittels der Arbeitsdefinition, die eindeutige Rekonstruktion bestimmter Handlungen sowie die Abgrenzungen zwischen bestimmten Typen. Die Ausführungen in diesem und den vorhergehenden Kapiteln haben gezeigt, dass die Analysen unter spezifischen Bedingungen entstanden und vor ebendiesem Hintergrund zu interpretieren sind. Um die Reichweite der Ergebnisse einzuschätzen, müssen diese Hintergründe und Nebenbedingungen berücksichtigt werden. Bezogen auf das Analysevorgehen wird deutlich, dass mit der Analyseeinheit der Problemlösesequenz ein begrenzter Ausschnitt der Daten erfasst wurde und dass als Analyseergebnis ‚nur‘ Aussagen über potentielle Lerngelegenheiten und Risiken möglich sind. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei den Merkmalen bei der Typentwicklung um allgemeine, mensch‐ liche Interaktionsformen handelt, kann angenommen werden, dass derartige Bearbeitungsweisen auch in anderen Bereichen vorkommen. Es wurde ein begrenzter Ausschnitt der Wirklichkeit tiefgehend erfasst. An mehreren Stellen haben sich Anhaltspunkte dafür gezeigt, dass die Erkenntnisse dieser Studie auch darüber hinaus anwendbar sind und vorsichtig auf andere Bereiche übertragen werden können (theoretische Anknüpfungspunkte, über‐ greifende Merkmale), was sie einerseits bekräftigt und andererseits für weitere Vorhaben fruchtbar machen kann. 3.2.5 Zusammenfassung Abschließend sollen die zentralen Erkenntnisse aus den einzelnen Analyseka‐ piteln zusammenfassend dargestellt werden. Im einführenden Kapitel zur empirischen Datengrundlage (3.2.1.) wurden die Daten, auf denen die Analysen basieren, vorgestellt. Dafür wurden die Problemlösesequenzen und -prozesse sowie die Arbeitsweisen der Dyaden allgemein beschrieben. In dem Kapitel Darstellung der Problemlösetypen (3.2.2.) wurden ausgehend von Problemlösesequenzen Typen entwickelt. Die Typentwicklung geht von den konkret beobachtbaren fremdsprachlichen Problemlösepraktiken der Dy‐ aden aus, beschreibt diese, kristallisiert im Vergleich mit anderen Fällen ihre übergreifenden Merkmale heraus und abstrahiert auf dieser Grundlage die jeweiligen Typen. Hierbei konnten fünf Problemlösetypen herausgearbeitet werden: „Sich Distanzieren“, „Alleingang“, „Experte-Novize“, „Aufgabenteilen“ und „Kollaborieren“. Sie alle beschreiben typische Vorgehensweisen, die von 253 3.2 Analyseergebnisse <?page no="254"?> den Schülerinnen und Schülern beim Bearbeiten von fremdsprachlichen Prob‐ lemlösesequenzen realisiert werden. Sie fokussieren die interaktionale Ebene und fragen nach den Funktionspotentialen, die mit den hier realisierten Bear‐ beitungen einhergehen können. Die Bearbeitungen setzen ein Mindestmaß an Kommunikation, Kooperation und gegenseitigem Verstehen sowie das Vor‐ handensein von Ressourcen voraus. Zu diesen gemeinsamen Voraussetzungen kommen für jeden Typ weitere Merkmale hinzu, die in den jeweiligen Fallanal‐ ysen ausgeführt werden. Dazu gehören insb. die Frage nach der Beziehung, der Verantwortungsübernahme, der Beteiligungsstruktur, den Bezugnahmen, der Rollenausprägung sowie den Zielsetzungen. Darüber hinaus konnten für jeden Problemlösetyp entsprechende Funktionspotentiale, wie das rasche Klären, Ver‐ trauensentzug, Durchführen von Prüfhandlungen u. a. rekonstruiert werden. Die typübergreifende Betrachtung im Kapitel 3.2.3. untersucht die Problem‐ lösetypen in Bezug auf die Dyaden, vergleicht die Typen untereinander und liefert erste Einschätzungen hinsichtlich der damit verbundenen Lerngelegen‐ heiten: Der Datensatz der vorliegenden Studie basiert auf Schreibgesprächen von acht Dyaden, woraus 46 Fälle detailliert sequentiell analysiert wurden, die unterschiedlich auf die Dyaden verteilt sind (Kap. 3.2.3.1.). Aus dieser Ver‐ teilung können vorsichtige Schlüsse auf das Vorkommen der jeweiligen Typen gezogen werden. Diesem Gedanken folgend wäre der Typ „Sich Distanzieren“ ein seltener Typ, da er nur dreifach und in einer einzigen Dyade vorkommt. Aus dem Vorkommen der jeweiligen Typen in den Dyaden insgesamt ist zu beobachten, dass pro Dyade tendenziell ein Bearbeitungsmodus dominiert, was sich im vermehrten Vorkommen von Praktiken eines Typs bzw. einer entsprechenden Kombination (z. B. „Alleingang“ und „Experte-Novize“) zeigt. Aus diesen Erkenntnissen kann geschlossen werden, dass Typen bestimmte Bedingungen erfordern. Für eine gewisse Flexibilität der Typen spricht, dass sie unter unterschiedlichen Bedingungen realisierbar sind. Im Vergleich der Typen untereinander (Kap. 3.2.3.2.) konnte herausgestellt werden, dass sich ein Typ als Merkmalsbündel beschreiben lässt, welches immer im Gesamtzusammenhang zu sehen ist. Ausgehend von den Merkmalen Beziehung, Verantwortung, Beteiligung, Ressourcen, Bezugnahmen, Zielsetzung und Rollen wurde eine Typologie des Problemlösens erstellt, wobei die Betei‐ ligungsstruktur ein übergreifendes Merkmal zu sein scheint. Anhand dieser Typologie wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Typen ersichtlich, die durch Abgrenzungen hervorgehoben, diskutiert und schließlich grafisch dargestellt wurden. Die Einschätzungen der einzelnen Problemlösetypen (Kap. 3.2.3.3.) deuten mit den ermittelten möglichen Funktionen die jeweiligen Potentiale und Risiken 254 3 Empirische Untersuchung <?page no="255"?> an, die damit einhergehen können. Die Funktionspotentiale umfassen ein breites Spektrum: Sie reichen von einer raschen Bearbeitung über das mit- und voneinander Lernen bis hin zu Gesichtsbedrohung. Es zeigt sich dabei auch, dass die Funktionspotentiale eng an bestimmte Bedingungen gebunden sind, was bedeutet, dass eine Einschätzung der ‚Leistungsfähigkeit‘ bestimmter Problem‐ lösepraktiken nur im Zusammenhang mit den jeweiligen Bedingungen und Zielsetzungen sinnvoll möglich ist. Aus sprachlerntheoretischer Perspektive erweisen sich Praktiken des Typs „Kollaborieren“ als besonders interessant, da hier die dyadische Konstellation im Dienste der Sache genutzt wird. In dem Kapitel 3.2.4. Reflexionen zu Analysevorgehen und Ergebnissen werden diskussionswürdige Aspekte erläutert. Mit dem Ziel, den Forschungsprozess möglichst transparent darzustellen, werden die gewählten Entscheidungen und Vorgehensweisen diskutiert und mögliche Schlüsse gezogen: Es wird der Einsatz der Gesprächsanalyse sowie der Analyseeinheit besprochen. Diskutiert werden ebenfalls die Bezeichnung der Typen sowie die Typentwicklung. In Bezug auf Letztere wird erläutert, dass es sich bei den Merkmalen, die der Typentwicklung zugrunde liegen, um große, allgemeine, sich bedingende Kategorien handelt, die nicht fremdsprachenspezifisch sind. Daraufhin wird argumentiert, worin das Fremdsprachenspezifische dieser Studie liegt. Abschließend ist festzuhalten, dass mit der Gesprächsanalyse nach Depper‐ mann (2008) Problemlösetypen und damit einhergehende Funktionspotentiale aus dem vorliegenden Datensatz ermittelt werden konnten, die Hinweise auf mögliche Lerngelegenheiten geben. Dabei wurden Bedingungen und Zusam‐ menhänge sichtbar gemacht, Herausforderungen dargestellt und begründete Lösungswege aufgezeigt. Die auf diese Weise erarbeiteten Analyseergebnisse gehen auf Daten zurück, die unter sehr spezifischen Bedingungen erhoben und ausgewertet wurden. Dies ist bei der Einschätzung der Ergebnisse sowie der Frage nach der Generalisierbarkeit mitzudenken. 255 3.2 Analyseergebnisse <?page no="257"?> 4 Schlussbetrachtung In diesem Kapitel werden die zentralen Aussagen dieser Arbeit zusammenfas‐ send präsentiert, eingeschätzt und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen. Dafür werden zunächst die Analyseergebnisse vorgestellt und die Forschungs‐ fragen beantwortet (4.1.). Davon ausgehend werden im folgenden Kapitel theoretische sowie didaktische Implikationen abgeleitet (4.2.). Die Arbeit endet mit einer Diskussion der Ergebnisse und einem Ausblick (4.3.). 4.1 Zusammenfassung der Studie In diesem Kapitel soll die vorliegende Studie in ihrer Gesamtheit kurz be‐ schrieben werden. Dafür werden Untersuchungsgegenstand, Zielsetzung, Ana‐ lysevorgehen sowie die Analyseergebnisse zusammenfassend dargestellt und abschließend eingeschätzt. Gegenstand Gegenstand der vorliegenden Studie sind die fremdsprachlichen Problemlöse‐ praktiken von Schülerinnen und Schüler, die beim dyadischen kollaborativen Schreiben im Französischunterricht einer 11. Klasse entstanden sind. Zugrunde liegen theoretische Auseinandersetzungen mit dem fremdsprachlichen kolla‐ borativen Schreiben sowie der Schüler-Schüler-Interaktion und dem Problem‐ lösen (Kap. 2.). Dabei ergeben sich folgende Grundannahmen: Durch das kol‐ laborative Schreiben in dyadischer Konstellation findet verbaler Austausch zwischen den Schülerinnen und Schülern statt. Dieser expliziert und begleitet den Schreibprozess, erfordert Reaktionen untereinander und ermöglicht bzw. erfordert dabei auch eine Auseinandersetzung mit der Fremdsprache. Diese Auseinandersetzungen manifestieren sich, so die Annahme, auch und besonders in Problemlösesequenzen, weshalb diese als Analyseeinheit zugrunde gelegt wurden. Dabei bringen die Schülerinnen und Schüler Ressourcen ein und teilen diese (Pooling), was dazu führen kann, dass sie sich gegenseitig Rückmeldung geben, sich unterstützen und ergänzen (Scaffolding). Auf interaktionaler Ebene bedeutet dies, dass sie sich austauschen und einigen müssen und entsprechend bedeutsam füreinander werden. <?page no="258"?> Zielsetzung Ziel der vorliegenden Arbeit war es, das kollaborative Schreiben im Kontext des schulischen Französischunterrichts - hier exemplarisch für eine 11. Klasse - eingehend zu untersuchen, um erstens Erkenntnisse über diese Schreibform zu erhalten und zweitens deren Potentiale und Grenzen für den Fremdspra‐ chenunterricht aufzuzeigen. Im Mittelpunkt standen dabei die Handlungen der Schülerinnen und Schüler. Die Analyse sollte Informationen darüber liefern, was diese wie mit welchem Ziel tun. Insbesondere interessierte dabei, wie die Schülerinnen und Schüler ihre fremdsprachlichen Probleme bearbeiten und welche Funktionspotentiale dabei rekonstruiert werden können (Kap. 1.). Es wurde davon ausgegangen, dass die Analyse von Problemlösepraktiken Rückschlüsse auf Theorie und Praxis des kollaborativen Schreibens ermöglichen (Kap. 4.2.). Analyseverfahren Ein Analyseverfahren, das sich für dieses Vorhaben eignet, liegt mit der Gesprächsanalyse nach Deppermann (2008) vor (Kap. 3.1.). Sie interessiert sich zuvorderst für die sprachliche Ebene, bezieht die soziale Ebene ein und ermöglicht dadurch einen umfassenden Einblick in die vorliegenden Schreibge‐ spräche. In der Annahme, dass Problemlöseprozesse Momente darstellen, in denen eine intensive Auseinandersetzung mit der Fremdsprache stattfinden, wurden fremdsprachliche Problemlösesequenzen als Analyseeinheit verwendet und damit als Fall definiert. Ausgehend von einer theoriebasierten Definition von Problemlöseprozessen wurden aus audiografierten Schreibgesprächen von acht Dyaden 46 Fälle detailliert sequenziell analysiert. Damit konnten die konkreten Bearbeitungen (Problemlösepraktiken) der Schülerinnen und Schüler in Fallanalysen rekonstruktiv beschrieben, ihre Handlungen erklärt und daraus Problemlösetypen abstrahiert werden (Kap. 3.2.). Analyseergebnisse Mit dieser gesprächsanalytischen Vorgehensweise konnten in den vorliegenden Daten folgende Antworten auf die Forschungsfragen gefunden werden: Antwort auf die Forschungsfrage 1: Wie bearbeiten Schülerinnen und Schüler ihre fremdsprachlichen Probleme? Abgesehen von einigen wenigen Momenten, in denen Dissens entsteht bzw. sich die Interaktanten zunächst uneinig sind - insb. in Fällen der Dyaden 03 und 05 -, handeln die Schülerinnen und Schüler grundlegend kooperativ, abgestimmt und einvernehmlich (s. Kap. 3.2.1. sowie 3.2.2.). Ihre Arbeitsweise ist durch eine pragmatische Einstellung in Bezug auf die Aufgabenbearbeitung 258 4 Schlussbetrachtung <?page no="259"?> gekennzeichnet: Sie ‚erledigen‘ die Aufgabe und versuchen mit möglichst wenig Aufwand einen möglichst fehlerfreien Text zu produzieren und damit den angenommenen Erwartungen zu entsprechen. Dabei realisieren sie auch spielerische Elemente - wie Spontanfranzösisch, Sprachspiele, das Spiel mit dem Wörterbuch -, die die Bearbeitung für sie unterhaltsam werden lassen (vgl. Breidenstein 2006). Die meiste Zeit jedoch verbringen sie damit, ihre fremdsprachlichen Probleme zu bearbeiten. Dabei setzen sie sich mit der Fremdsprache auseinander: Sie finden französische Entsprechungen mit dem Wörterbuch, leiten auf Grundlage ihrer eigenen Wissensressourcen Wörter und Ausdrücke her, setzen sich mit ihrem unsicheren Wissen auseinander, führen Prüf- und Versicherungshandlungen durch, setzen die Klangprobe ein, diskutieren das passende Verb, die korrekte Konjugationsform etc. (Kap. 3.2.1.). Ausgehend von den konkreten, beobachtbaren Handlungen der Schülerinnen und Schüler können ihre Vorgehensweisen in fünf Problemlösetypen abstra‐ hierend dargestellt und ihre charakteristischen Züge erfasst werden: „Sich Distanzieren“, „Alleingang“, „Experte-Novize“, „Aufgabenteilen“ und „Kollabo‐ rieren“ (s. auch nachfolgende tabellarische Übersicht, sowie Kap. 3.2.2.1.-5.). Diese fünf Problemlösetypen werden nicht von allen Schülerinnen und Schü‐ lern realisiert, sondern sind unterschiedlich häufig in den acht Dyaden ver‐ treten. Pro Dyade dominiert tendenziell ein Bearbeitungsmodus, der sich darin zeigt, dass Praktiken bestimmter Typen gehäuft vorkommen bzw. bestimmte zueinander passende Kombinationen realisiert werden. Gleichzeitig weisen die Typen insofern eine gewisse Flexibilität auf, als sie in unterschiedlichen Dyaden vorkommen, folglich unter unterschiedlichen Bedingungen realisierbar sind (Kap. 3.2.3.1.). Indem die übergreifenden Merkmale aller Typen in ihren jeweiligen Ausprägungen vergleichend erfasst werden, können diese in einer Typologie des Problemlösens zusammengeführt werden (Kap. 3.2.3.2.). Dabei zeigt sich, dass sich die Typen insb. hinsichtlich der Beteiligungsstruktur innerhalb der Dyaden unterscheiden: Wer beteiligt sich wie und womit, mit welcher Zielsetzung und nimmt wofür Verantwortung wahr? Demnach basiert die Typenbildung - mit den übergreifenden Merkmalen Beziehung, Verantwor‐ tung, Ressourcen, Beteiligung, Bezugnahmen, Zielsetzung und Rollen - auf einer Beschreibungsebene, die allgemein die menschliche Interaktion betrifft, was darauf hindeutet, dass es sich hierbei um Phänomene handelt, die auch in anderen Kontexten erwartbar sind. Gleichzeitig zeigen sich in den Analysen auf unterschiedlichen Ebenen auch fremdsprachenspezifische Erkenntnisse sowie Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit dem hier realisierten Erhebungskon‐ text stehen. Dazu gehören die dominierende, pragmatische Arbeitsweise der Dy‐ aden, (kollaborative) Formulierungsaktivitäten sowie fremdsprachenspezifisch 259 4.1 Zusammenfassung der Studie <?page no="260"?> der Umgang mit Unsicherheit, die Klangprobe, der Einsatz des Wörterbuchs, das Spiel mit der Sprache sowie Kompensationshandlungen. Damit konnte detailliert herausgearbeitet werden, wie Schülerinnen und Schüler im Französischunterricht einer 11. Klasse fremdsprachliche Probleme beim kollaborativen Schreiben bearbeiten. Antwort auf die Forschungsfrage 2: Welche Funktionspotentiale können anhand dieser Bearbeitungen rekonstruiert werden? Nachdem mit der ersten Forschungsfrage geklärt werden konnte, wie das kol‐ laborative Schreiben verläuft, bezieht sich die zweite Forschungsfrage darauf, was es bewirken kann bzw. welche Funktionen dabei sichtbar werden. Mit ihren Bearbeitungen verfolgen die Schülerinnen und Schüler vordergründig das Ziel, ihr fremdsprachliches Problem zu lösen, was ihnen - aus ihrer Sicht - auch überwiegend gelingt. Sie bearbeiten ihre fremdsprachlichen Fragen so lange, bis sie zu einer für sie passablen Lösung gelangen (nur ein Fall verbleibt ungelöst, SG 05 manière). Dies kann bedeuten, dass sie zu einer (nicht) zielsprachlichen Lösung gelangen, ihr Ziel modifizieren, Kompensationshandlungen einsetzen, ihre Bearbeitung ggf. später erneut wiederaufgreifen und fortführen. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass sie ihre Unsicherheit dabei bewältigen (s. Ausführungen zum Umgang mit Unsicherheit Kap. 4.2.1.). Abgesehen von dieser zentralen Funktion des Lösens eines fremdsprachli‐ chen Problems, können aus der Analyse ihrer Bearbeitungen weitere Funk‐ tionen abgeleitet werden. In den fünf Problemlösetypen offenbart sich ein breites Spektrum möglicher Funktionen. Einen Überblick über die Merkmale und Funktionspotentiale der jeweiligen Problemlösetypen gibt die nachfolgende tabellarische Darstellung (s. Tab. 08): 260 4 Schlussbetrachtung <?page no="261"?> Problemlösetypen Merkmale Funktionspotentiale Sich Distanzieren - Beziehung hierarchisch - Ressourcen beidseitig - Anzweifeln der Ressourcen - Dissens liegt vor - Verantwortung zu- / abgewiesen - Problem nicht eindeutig lösbar - (Nicht-)Lösen des Problems - Vertrauensentzug - Rollenverwirrung - Ausstieg - Prüfhandlung - Bereicherung - Machtkampf - Gesichtswahrung/ -bedrohung - Verantwortungszuweisung - Spiel, Neckerei und Provokation Alleingang - Ressourcen einseitig - Verantwortung einseitig - Beteiligung einseitig individueller Bedarf klare Rollenverteilung - (Nicht-)Lösen des Problems rasche Klärung des Problems - Ausschluss einer Person - Verantwortungsübernahme - Rückzug einer Person - Pausieren sich im Stich gelassen fühlen voneinander Lernen Experte-Novize - Beteiligung unterschiedlich - Ressourcen einseitig - Verantwortung einseitig - Rollenausprägung in Experte und Novize - (Nicht-)Lösen des Problems rasche Klärung des Problems - Verwirrung - Machtmissbrauch - Lernen durch Lehren - Lernen am Modell - Unselbstständigkeit - Trittbrettfahrer-Effekt - Rückzug einer Person Aufgabenteilen - Beteiligung beidseitig - Ressourcen aufgabenspezifisch gemeinsames Ziel - Bearbeitung aufgabenteilig - Verantwortung gleichberechtigt aufgabenbezogen - Beziehung gleichrangig wenig Bezugnahmen - (Nicht-)Lösen des Problems - (Nicht-)Passung Aufgabe- Ressource spezialisierte Bearbeitung reibungsloser Ablauf - Nebeneinanderher-Arbeiten - Lernen am Modell Kollaborieren - Beteiligung ähnlich - Rollen verteilt aber darüber hinaus - Beziehung gleichrangig - Verantwortung gleichberechtigt gemeinsame Sache viele Bezugnahmen - (Nicht-)Lösen des Problems - Emergenz gegenseitige Verunsicherung - Prüfhandlung positive Grundstimmung reibungsloser Ablauf - Klärung von Zuständigkeiten Tab. 08: Übersicht Problemlösetypen 261 4.1 Zusammenfassung der Studie <?page no="262"?> Diese Darstellung enthält neben den Merkmalen der Typen, die insb. die erste Forschungsfrage betreffen, die Angabe der Funktionspotentiale, die für die jeweiligen Typen rekonstruktiv ermittelt wurden. Zusammenfassend lassen sich in Bezug auf die Bearbeitung der fremdsprach‐ lichen Probleme folgende, mögliche Funktionen ermitteln: - (Nicht-)Lösen des fremdsprachlichen Problems durch Klärung des Genus, der Konjugation, Erarbeitung eines Worts oder Ausdrucks u. a. - rasche Klärung des Problems durch eine einseitige Bearbeitung - reibungsloser Ablauf durch gegenseitiges Verstehen - Klärung von Zuständigkeitsbereichen aufgrund unklarer Rollenverteilung - pausieren, während die andere Person bearbeitet - sich auf bestimmte Aufgaben spezialisieren - parallel nebeneinanderher arbeiten - sich gegenseitig verwirren und verunsichern - Versicherungs- und Prüfhandlungen durchführen, um Unsicherheiten zu bewältigen - mit- und voneinander lernen durch Modelllernen, Lernen durch Lehren - voneinander profitieren (Emergenzeffekt) In Bezug auf das Beziehungsgefüge der Dyade kann die Vorgehensweise der Schülerinnen und Schüler zu folgenden Situationen führen: - Ressourcen und Äußerungen werden angezweifelt - es kommt zu Machtkämpfen oder Machtmissbrauch - Verantwortung wird zubzw. abgewiesen - Verantwortungsübernahme durch eine Person - eine Person entzieht der anderen ihr Vertrauen - das Gesicht einer Person wird gewahrt bzw. bedroht - eine Person fühlt sich aus der Bearbeitung ausgeschlossen - eine Person fühlt sich im Stich gelassen - Rückzug, Unselbstständigkeit oder Ausstieg einer Person - der Effekt des Trittbrettfahrens wird genutzt - Spiel, Neckereien und Provokation stehen im Vordergrund - eine positive Grundstimmung wird geschaffen 262 4 Schlussbetrachtung <?page no="263"?> 1 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine eindeutige Ermittlung von Funk‐ tionen z. T. eine Herausforderung darstellt, insb. was den Zusammenhang von Funktion und Folge betrifft. Eine positive Grundstimmung, wie sie bspw. in dem Typ „Kollabo‐ rieren“ festgestellt wurde, kann gleichzeitig eine Folge einer guten Zusammenarbeit und freundschaftlichen Beziehung sein, kann jedoch auch positiv auf die Bearbeitung zurückwirken und kann auch Selbstzweck (Zusammenarbeit angenehm gestalten) sein. Diese Aufzählungen zeigen ein großes Spektrum möglicher Funktionen auf. 1 Die hier ermittelten Funktionspotentiale können je nach Perspektive und Zielsetzung als Potentiale oder Risiken interpretiert werden: Beispielsweise kann sich das Anzweifeln negativ auf eine Beziehung auswirken und zu Vertrauensentzug, gar zu Gesichtsbedrohung führen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, produktiv damit umzugehen, indem eine Prüfhandlung erfolgt, die die Zweifel ausräumt. Es lässt sich ableiten, dass die Funktionspotentiale mit entsprechenden Lern‐ gelegenheiten verbunden werden können. Ob und inwiefern diese tatsächlich realisiert werden, ist eng an bestimmte Bedingungen geknüpft. Folglich weist jeder Typ ein Funktionsspektrum auf, das unter bestimmten Bedingungen möglich ist, wobei sich manche Funktionen auch überschneiden können. Dies wiederum deutet darauf hin, dass die Funktionen in einem engen Zusammen‐ hang mit den jeweiligen Bedingungen stehen. Je nach Zielsetzung eignet sich ein bestimmter Typ mehr oder weniger eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Seine Leistungsfähigkeit steht folglich im Zusammenhang mit den jeweiligen Voraussetzungen und Zielsetzungen. Allgemeine Aussagen über Potentiale und Risiken sind demnach nur bedingt möglich und sinnvoll (Kap. 3.2.3.2.-3.). Vor diesem Hintergrund können die fünf Problemlösetypen im Hinblick auf ihr fremdsprachliches Lernpotential für den Kontext des Fremdsprachenun‐ terrichts eingeschätzt werden. Aus sprachlerntheoretischer Perspektive lässt sich der Typ „Sich Distanzieren“ als potentiell wenig lernförderlich einstufen, richtet sich dabei doch der Fokus auf die persönliche Ebene und damit weg vom fremdsprachlichen Gegenstand. Beim „Alleingang“ werden die Ressourcen einer einzigen Person eingesetzt und können eine rasche Klärung bewirken. Sie gleicht der individuellen Bearbeitung durch eine Person. Sprachlerntheoretisch besonders interessant sind diejenigen Typen, in denen Pooling und Scaffolding realisiert werden. Dazu gehört der Typ „Experte-Novize“, bei dem der Novize vom Experten (Scaffolding und Modelllernen) und letzter durch das Lehren lernen kann. Beim Typ „Aufgabenteilen“ wird in erster Linie das Pooling genutzt: Jeder bringt sich ein, indem er sich auf seine Aufgabe konzentriert, weshalb wenig Bezugnahmen stattfinden. Beim Typ „Kollaborieren“ profitieren beide von den jeweiligen Ressourcen, da sie gemeinsam an einer Sache arbeiten, 263 4.1 Zusammenfassung der Studie <?page no="264"?> beide ihren Teil dazu beitragen und aufeinander eingehen. Es handelt sich um eine idealtypische Bearbeitungsweise, die über eine übliche Zusammenarbeit (i. S. v. Arbeitsteilung) hinausgeht. Gleichzeitig erweist sie sich aber auch als voraussetzungsreich, da ein hohes Maß an gegenseitigem Verstehen und Auf‐ einandereinlassen sowie das Vorhandensein entsprechender Ressourcen dafür grundlegend sind (Kap. 3.2.3.3.). Grundsätzlich ist bei der Einschätzung zu betonen, dass es sich um eine de‐ skriptive Ebene handelt. Es geht hier darum, Phänomene zu erfassen, verbunden mit ihren Potentialen und Risiken. Die ermittelten Funktionspotentiale sagen über Mögliches aus. Welche Funktion schließlich umgesetzt wird, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Gesamteinschätzung der Analyseergebnisse Einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass es sich hier um Erkennt‐ nisse handelt, die auf die Analyse von Problemlösesequenzen zurückgehen und dass die Daten unter spezifischen - aber für Fremdsprachenunterricht durchaus möglichen - Bedingungen entstanden sind: Sie wurden zu zwei Erhebungszeit‐ punkten in einer 11. Klasse im Französischunterricht mit einer Schreibaufgabe, die dyadisch bearbeitet wurde, erhoben. Es kann davon ausgegangen werden, dass die erarbeiteten Ergebnisse Schlüsse auf das kollaborative Schreiben zulassen. Denn mit den Problemlösesequenzen wurde ein zentraler und rele‐ vanter Bereich der Schreibgespräche erfasst. Zudem wurden zusätzlich zu den Schreibgesprächen auch die Gesprächsinventare sowie Informationen aus den Fragebögen in die Analyse einbezogen. Mit dieser Arbeit konnte gezeigt werden wie das kollaborative Schreiben im Französischunterricht ‚funktionieren‘ und was es i. S. v. Funktionspotentialen bewirken kann. Mit diesen Ergebnissen kann an die Arbeiten von Storch (2002, 2013, 2016), Naujok (2000) und Lehnen (2000, 2014, 2017) angeknüpft werden. Darüber hinaus lassen sich Bezüge zu Tomasellos (2009) Arbeit zu menschlicher Ko‐ operation, dem Gesichtskonzept (Brown / Levinson 1987), den Lernmethoden Modelllernen (Bandura 1971) sowie Lehren durch Lernen (Martin 2002), der Methode des Lauten Denkens (Aguado 2018, 2019), den Konzepten der Zone of Proximal Development (Vygotskij 1978), der Selbstwirksamkeit (Bandura 1992), der Eigeninitiative (Wiegel / Frese 2018), der positiven Interdependenz ( Johnson / Johnson 2009), des Flow-Erlebens (Schiefele / Schaffner 2015) und den Praktiken des Zweifelns (Imo 2016) herstellen. Diese theoretischen Bezüge ver‐ orten, bestätigen und vertiefen die vorliegende Arbeit und weisen auf zukünftige Studien. Die hier entwickelten Problemlösetypen sind insb. anschlussfähig an Storchs Interaktionsmodell (2000) sowie Naujoks Kooperationstypen (2000). 264 4 Schlussbetrachtung <?page no="265"?> Es lassen sich mehrere Parallelen feststellen und dabei auch Abweichungen aufzeigen, die sich durch den gegebenen Kontext und das vorliegende Erkennt‐ nisinteresse erklären (Kap. 3.2.2.1.-5.). Mit dem Typ „Sich Distanzieren“ wurde eine Bearbeitungsweise aufgedeckt, die in dieser Form aus theoretischer Sicht neuartig zu sein scheint. Sie zeigt besonders deutlich, dass der Umgang mit Verantwortung die Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler entscheidend prägen kann. Kollaborativ zu schreiben bedeutet qua Schreibform, gemeinsam die Verantwortung zu tragen, was Verstehensprozesse, Konsensbildung und Kompromissbereitschaft voraussetzt. Dass dies eine Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler darstellen kann, wird vor allem in der Dyade 03 deut‐ lich. Darüber hinaus zeigt die Typentwicklung, dass die zwischenmenschliche Ebene einen großen Einfluss auf die Vorgehensweisen der Interaktanten hat. Zwar unterstreicht Storch (2013) bereits die Bedeutung, die die Beziehung für den Verlauf des kollaborativen Schreibens hat, aber die vorliegende Studie geht insofern darüber hinaus, als sie die auf fremdsprachliche Problemlöseprozesse bezogenen Handlungen der Schülerinnen und Schüler fokussiert und versucht, die einzelnen Handlungen vielschichtig zu erklären und davon Funktionspo‐ tentiale abzuleiten. Auf diese Weise konnte eine umfassende Typologie des fremdsprachlichen Problemlösens erstellt werden, die auf sehr spezifischen Bedingungen basiert, mit ihren Erkenntnissen jedoch auch darüber hinausweist. 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis In der vorliegenden Studie wurde aufgezeigt, wie Schülerinnen und Schüler vorgehen, wenn sie kollaborativ schreiben und welche Funktionspotentiale damit einhergehen können. Welche Schlüsse sich daraus für Theorie und Praxis ziehen lassen, soll nun erläutert werden. Dafür werden die vorliegenden Ergebnisse an bestehende Forschungen angebunden. Es soll in Form von Thesen dargestellt und weitergedacht werden, was dies für die Theoriebildung bedeuten kann (4.2.1.). Anhaltspunkte für eine konkrete Umsetzung in der schulischen Praxis werden in den didaktischen Implikationen erarbeitet (4.2.2.). 4.2.1 Theoretische Implikationen Mit der vorliegenden Arbeit und den dabei generierten Erkenntnissen kann an die kollaborative fremdsprachliche Schreibtheorie angeknüpft und diese größ‐ tenteils bestätigt und z. T. erweitert werden. Die vorliegende Datengrundlage sind sog. Schreibgespräche. Darin verbalisieren die schreibenden Schülerinnen 265 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="266"?> 2 Einsatz-Absätze, fehlender roter Faden u. a. deuten darauf hin. Um diesbzgl. gesicherte Aussagen treffen zu können, müssten die Texte jedoch eingehender beforscht werden. und Schüler ihre Vorgehensweise und geben damit vielfältige und tiefgründige Einblicke in ihren Schreibprozess und offenbaren dessen tentative Struktur (vgl. Berning 2011: 7), aber sie geben darüber hinaus auch Einblicke in ihre Beziehung und Einstellungen (z. B. ggü. Fehlern, der zu bearbeitenden Aufgabe). Interessant ist dabei, dass innerhalb der dyadischen Arbeitsweise nicht nur die gemeinsame Bearbeitung sichtbar wird, sondern auch individuelle, kognitive Prozesse abgebildet werden, die starke Parallelen zu Lautdenk-Daten aufweisen (vgl. Aguado 2019). Die kollaborativen Schreibgespräche weisen introspektive Qualitäten auf, die sowohl über individuelle kognitive als auch soziale Prozesse Aufschluss geben. Bezogen auf das fremdsprachliche Schreiben ist festzustellen, dass die Schüle‐ rinnen und Schüler sehr viel Zeit für lexikalische Fragen aufwenden und häufig das Wörterbuch einsetzen. Die Daten deuten ebenfalls darauf hin, dass der Formulierungsprozess oftmals als mühsam wahrgenommen und teilweise un‐ terbrochen wird, um Fragen zu klären, die sich auf die Fremdsprache beziehen, was sich durch den (im Vergleich zum Schreiben in der Erstsprache) gerin‐ geren Automatisierungsgrad erklärt und sich entsprechend auf der Textebene spiegelt. 2 Auffallend ist ebenfalls, dass die Schülerinnen und Schüler bei der Textproduktion überwiegend kleinschrittig vorgehen und bei der Formulierung häufig Wort für Wort zusammensetzen. Neben Kompensationshandlungen wie dem Vermeiden ist auch zu beobachten, dass die Aussageabsicht z. T. an vorhan‐ dene Sprachkapazitäten angepasst wird. Mit diesen Beobachtungen können die diesbzgl. Erkenntnisse der fremdsprachlichen Schreibforschung in diesen Daten ebenfalls bestätigt werden. Darüber hinaus deuten sich mit der sog. Klangprobe und dem Umgang mit Unsicherheit zwei fremdsprachenspezifische Phänomene an, die in den Daten mehrfach sichtbar werden und in dieser Form bislang noch nicht herausgestellt wurden (s. nachfolgende Ausführungen). Die Annahme, dass ein kollaborativer Schreibprozess durch das gemeinsame Vorgehen weniger komplex und damit erleichtert wird (da mit zwei Personen mehr kognitive Ressourcen zur Verfügung stehen und die Aufgaben ggf. aufge‐ teilt werden können) - wie dies bspw. von Müller (1997: 68 f.) angenommen wird -, kann in den Daten nicht bestätigt werden. Vielmehr deuten diese darauf hin - und die Selbstaussagen und Texte sehen ebenfalls eher danach aus -, dass die Schülerinnen und Schüler von ihrer Tätigkeit absorbiert sind bzw., dass die zusätzlichen sozialen Aspekte (sich abstimmen, organisieren, gegenseitig verstehen, Kompromisse finden etc.) die Komplexität des Schreibprozesses eher 266 4 Schlussbetrachtung <?page no="267"?> erhöhen. Diese Situation ist durch das kollaborative Setting, welches Austausch und Koordination erfordert, bedingt. Zu den weiteren Merkmalen dieser Schreibform gehören die Phänomene des Languaging, Pooling und Scaffolding, die in den Daten mit den damit einhergehenden Effekten (wie Lücken wahrnehmen, sich unterstützen und ergänzen) ebenfalls identifiziert werden können. Darüber hinaus wird bei den vorliegenden Analysen die Bedeutung der sozialen Ebene sichtbar. Anzu‐ knüpfen ist hier an die Forschungen zu Schüler-Schüler-Interaktion, mithilfe derer Phänomene wie der Umgang mit Macht, Verantwortung, Gesichtsbe‐ drohung und die Bedeutung, die Mitschülerinnen und -schüler füreinander haben, herausgearbeitet werden konnten. Außerdem konnten dabei die Vor‐ aussetzungen kollaborativer Arbeitsweisen (wie kooperative Grundhaltung, Vertrauen, gegenseitige Wertschätzung) konkretisiert werden. Erkenntnisver‐ sprechend ist das kollaborative Schreiben in der Hinsicht, als es - bedingt durch die soziale Konstellation, den geschützten Raum, die freie Rollendefinition, passgenaue Rückmeldung - unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung ermöglicht bzw. bedingt. Fremdsprachliche Themen und Fragen werden ge‐ meinsam erarbeitet, dabei muss sich die Dyade austauschen und schließlich auf einen Gedanken und eine schriftliche Form einigen. Diese vielfältigen Auseinandersetzungen ermöglichen soziale, fremdsprachliche sowie schreibbe‐ zogene Erfahrungen, die über den herkömmlichen Fremdsprachenunterricht hinausreichen. Beim kollaborativen Schreiben kann - dies zeigen die Daten - die Sprache gemeinsam ausprobiert, hinterfragt und spielerisch verwendet werden. Außerdem ergeben sich in dreifacher Hinsicht Möglichkeiten der Bewusstwerdung: 1. das Schreiben mit seiner bewusstheitsstiftenden Funktion, 2. verstärkt durch den Verfremdungseffekt, der mit der Fremdsprache einher‐ gehen kann, 3. wiederum verstärkt durch die soziale Interaktion im kollaborativen Setting und damit verbundene mögliche Perspektivwechsel. Diese Bewusstwerdungsprozesse können sich auf fremdsprachliche Phäno‐ mene, die eigenen Wissensstände, die soziale Ebene, die realisierte Vorgehens‐ weise sowie die Textproduktion beziehen. Es ist zu erwarten, dass sich da‐ durch die im Fremdsprachenunterricht i. d. R. nur eingeschränkten Schreib- und Sprachverwendungsfunktionen (das Üben grammatischer Formen) erweitern lassen. Der Schreibprozess kann bewusst und dabei gezielt thematisiert und letztlich gesteuert werden. Außerdem kann er in einem kreativen Sinne und nicht hauptsächlich dafür genutzt werden, möglichst zielsprachenkonforme 267 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="268"?> Sprachverwendung zu üben. Hinzu kommt dabei auch die soziale Konstellation, die Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens eröffnet und Herausforderungen mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund soll das kollaborative Schreiben nun zusammenfas‐ send in vier Thesen beschrieben werden: Das kollaborative Schreiben als gemeinsamer Lernraum Das zentrale Argument, mit dem Storch (2013) und andere für den Einsatz des kollaborativen Schreibens plädieren, kann mit dieser Arbeit bestätigt werden: Es können mehrere Momente rekonstruiert werden, die auf ein mit- und voneinander Lernen schließen lassen (s. z. B. Kap. 3.2.2.5.). Diese potentiellen Lerngelegenheiten ergeben sich im Austausch der Interaktanten dadurch, dass sie miteinander kommunizieren und ihre Ressourcen teilen (Pooling). Auf diese Weise können sie miteinander diskutieren, sich gegenseitig anregen und ggf. über Unsicherheiten und Wissenslücken bewusst werden, denn das Ver‐ balisieren (Languaging) ermöglicht bzw. erfordert Bewusstwerdung. Darüber hinaus können sie sich ergänzen und unterstützen (Scaffolding) und durch das Zusehen voneinander lernen (Modelllernen) und gemeinsam Wissen konstru‐ ieren (Ko-Konstruktion). Auf diese Weise kann gemeinsam gelingen, was alleine möglicherweise nicht gelungen bzw. nicht in Angriff genommen worden wäre. Die vorliegenden Analysen zeigen ebenfalls, in Einklang mit Storch (2013, 2016) und Anderen, dass insb. kollaborative Bearbeitungsweisen, wie sie im Typ „Kollaborieren“ verstärkt vorzufinden sind, diesbzgl. ein hohes Potential aufweisen und als idealtypisch gelten können. Allerdings wird auch sehr deutlich, dass die Einschätzung einer Handlung mit den jeweiligen Bedingungen zusammenhängt. Als zentral hat sich in dieser Arbeit auch die soziale Ebene herausgestellt (s. Kap. 3.2.3.3.). Damit kann das kollaborative Schreiben als gemeinsamer Lernraum be‐ schrieben werden, in dem ein mit- und voneinander Lernen stattfinden kann. Das kollaborative Schreiben als Suchraum In den Daten konnten mehrfach Momente identifiziert werden, in denen auf unterschiedliche Weise sprachliche Formen erprobt werden. In dem Prozess, sich schrittweise gemeinsam der angestrebten Form anzunähern bzw. diese zu entwickeln, werden Überlegungen und Formulierungsvorschläge verbalisiert. Es offenbart sich dabei die tentative Struktur des Schreibprozesses, wie sie in der Schreibtheorie beschrieben wird: Das Schreiben gleicht einem Suchprozess, bei dem Wörter und Sätze schrittweise erarbeitet und dabei auch ausprobiert (vorformuliert) werden (vgl. u. a. Berning 2011; Krings 2016: 109; Wrobel 2002). 268 4 Schlussbetrachtung <?page no="269"?> Indem sich die Schreibenden austauschen, können sie aufeinander reagieren. Dabei können auch mögliche Lücken sichtbar und zum Anlass genommen werden, weiter zu suchen. Ermöglicht oder zumindest begünstigt wird dieser Suchprozess dadurch, dass sich die Interaktanten beim kollaborativen Schreiben in sozialer Interaktion befinden. Darin sind sie gezwungen sich auszutauschen und tun dies in einem kleinen und damit geschützten Rahmen (z. B. Storch 2013: 38). Interessant ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung von Unterricht als ein ‚Probehandeln‘. Wird Unterricht als ein Ort betrachtet, in dem das zu Lernende ausprobiert, zunächst in einer simulierten Situation angewendet wird, bevor es in die Realität überführt wird (z. B. Edmondson / House 2011: 244; Ehlich 2010: 58; Leuders 2014: 35), so müssen auch entsprechende Gelegenheiten ge‐ schaffen werden. Dies scheint mit dem kollaborativen Schreiben gegeben. Denn im Vergleich zu einem frontalen Unterrichtssetting sind hier die Möglichkeiten des Suchens und Ausprobierens potenziert. Auch die Daten bestätigen diese Vielzahl an Möglichkeiten. Sie beziehen sich auf die Fremdsprache, aber auch auf die Beziehung der Schülerinnen und Schüler, denn sie experimentieren nicht nur mit der Fremdsprache, sondern probieren sich auch selbst in ihrer Dyade aus. Sie testen ihr Verhalten, provozieren Reaktionen, spielen mit dem Machtverhältnis etc. Eine Handlung, die den Suchprozess abbildet und in den Daten mehrfach realisiert und als fremdsprachenspezifisch eingeschätzt wird, ist ein Phänomen, das in dieser Arbeit als Klangprobe bezeichnet wurde. Der Begriff beschreibt das Vorgehen, bei dem (unsichere) Wörter und Ausdrücke ausgesprochen und auf diese Weise sprechend ausprobiert und dabei hörbar gemacht werden (i. S. v. Languaging). Es ergibt sich eine Hörprobe in dem Sinne, dass die aussprechende und dabei hörende Person sowie diejenige Person, die nur hört, einen akusti‐ schen Zugang zu dem betreffenden Wort oder Ausdruck erfahren, womit sich eine weitere Ebene eröffnet. Diese erlaubt evtl. einen Rückgriff auf weitere Ressourcen, wie das Sprachgefühl und kann auf der Suche nach der passenden Formulierung, der passenden Konjugation und auch der Schreibweise eines Wortes unterstützen. Die Klangprobe stellt eine konkrete Möglichkeit dar, die Wörter vor dem Schreiben auszuprobieren, sie damit einer Sprech- und Hörprobe zu unterziehen, sie ‚anklingen‘ zu lassen. Aufgrund der dyadischen Konstellation ist anzunehmen, dass die Schüle‐ rinnen und Schüler insgesamt freier mit der Sprache umgehen, als dies bspw. in einem frontalen Unterricht der Fall wäre, da die Hemmschwelle - im Vergleich zu einer Klassensituation - herabgesetzt, das Publikum auf eine Person reduziert ist (vgl. Storch 2013: 38; Varonis / Gass 1985: 87). So ist auch zu erklären, dass mehrere Dyaden die französische Sprache spielerisch, gar theatralisch 269 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="270"?> anwenden, was in dieser Arbeit als Spontanfranzösisch bezeichnet wurde (insb. Dyade 02 und 03). Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Schülerinnen und Schüler mit Wörterbucheinträgen spielen (wie in Dyade 03 besonders häufig), neue Wortbildungen schaffen, folglich kreativ mit Sprache umgehen (z. B. SG 06 wasserspiele und SG 07 künstlerviertel). Mit diesen ‚Spielgelegenheiten‘ tut sich eine weitere Ebene auf: Ein spielerischer Umgang mit der Fremdsprache, der mit Kreativität und Spaß verbunden ist. Dabei handelt es sich um eine Beobach‐ tung, die aus sprachlerntheroetischer Perspektive durchaus interessant ist (vgl. Klippel 2000; Vygotskij 1978; s. Ausführungen S. 82), in anderen Studien zum kollaborativen Schreiben allerdings nicht berichtet wird. Bei der Übertragung dieser Erkenntnis auf das kollaborative Schreiben allgemein ist jedoch Vorsicht geboten, denn dieses Verhalten ist vermutlich auch durch die Erhebungs- und Aufnahmesituation begünstigt worden, was sich z. B. daran zeigt, dass der Einsatz des Mikrofons z. T. spielerisch genutzt wurde (s. Kap. 3.1.5.). Fest steht, dass ein geschützter Raum, wie er beim kollaborativen Schreiben entsteht, Freiheiten und damit Möglichkeiten des Ausprobierens bietet. Damit kann das kollaborative Schreiben als Suchraum fungieren, in dem Ideen, Wörter und Formulierungen ausprobiert und auditiv getestet werden können, was einschließt, damit zu experimentieren, zu spielen und dabei auch miteinander Verhaltensweisen auszuprobieren. Kollaboratives Schreiben als Ver(un)sicherungsraum Das Aussprechen und Ausprobieren beim Schreiben kann, wie soeben erläutert, Suchprozesse auslösen. Diese wiederum können dazu führen, dass Wissen ver‐ sichert oder auch verunsichert wird. Dabei scheint die Tätigkeit des Schreibens eine wesentliche Rolle zu spielen. Es ist davon auszugehen, dass durch das Schreiben eventuelle Unsicherheiten aufgedeckt werden können, die sich allein durch das Sprechen nicht ergeben hätten. Dafür lassen sich sowohl in den vorliegenden Daten Beispiele als auch in bestehenden Studien Anhaltspunkte finden (vgl. z. B. Becker-Mrotzek 2011: 54; Bräuer 2003: 33). Dies ist damit zu erklären, dass beim Schreiben - dadurch, dass zeitlich und räumlich Abstand von dem Geschriebenen genommen werden kann - Bewusstheit befördert wird sowie damit, dass orthografische Entscheidungen getroffen werden müssen. Dieser Umstand ist für die Fremdsprache Französisch aufgrund der großen Diskrepanz von Lautung und Schreibweise besonders von Belang (vgl. u. a. Segermann 2005; Stein 2014). Ein eindeutiges Beispiel dafür, dass ein Wort durch das Schreiben ‚zum Problem wird‘ bzw. dabei Unsicherheiten deutlich werden, ist der Fall SG 04 guingamp. Darin wird beim Buchstabieren des Namens der 270 4 Schlussbetrachtung <?page no="271"?> 3 Als Lea-Sophie nachfragt, wie dieses Wort zu schreiben sei, beginnt Emma dieses zu buchstabieren und stellt dabei fest, dass sie unsicher ist. Sie lösen diese Situation, indem sie das gesuchte Wort unter einem Überbegriff subsumieren, folglich kompensieren und die Orthografie des eigentlich angestrebten Wortes nicht klären. Ein anderer Lösungsweg wäre denkbar, allerdings ist in diesem Fall das gesuchte Wort nicht im Wörterbuch enthalten und die individuelle Ressource unsicher, sodass sie auf eine Kompensationshandlung zurückgreifen. In diesem Fall wird die bestehende Unsicher‐ heit nicht überwunden. 4 Für mehr Informationen s. auch: https: / / www.ew.uni-hamburg.de/ forschung/ fakultae re-forschungsschwerpunkte/ ungewissheit.html (Zugriff: 20. 08. 2020). 5 Darin fragt Elisa, wie parfait geschrieben wird, woraufhin Markus buchstabiert, dann aber stockt, seine Version anzweifelt und sich korrigiert. Er ist verunsichert und schlägt das Wort schließlich im Wörterbuch nach. französischen Gemeinde guingamp deutlich, dass die Interaktanten dieses Wort zwar aussprechen aber nicht schreiben können. 3 In der Forschung wird der Umgang mit Unsicherheit und das Phänomen der Ver(un)sicherung bislang kaum bearbeitet. Es werden zwar Phänomene beschrieben, die Unsicherheit voraussetzen, wie die Rückversicherung (confir‐ mation check). Eine Auseinandersetzung mit Unsicherheit an sich findet jedoch nicht statt, obwohl das Lernen meist mit Unsicherheit einhergeht und es sich damit um ein sehr präsentes und zentrales Phänomen handelt: Denn zu lernende Inhalte und Fertigkeiten sind so lange mit Unsicherheit behaftet, bis sie vollständig verstanden bzw. automatisiert sind. Eine Ausnahme bildet eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern an der Universität Hamburg, die aktuell das Thema Ungewissheit im Bildungskontext zu ihrem fakultären Forschungsschwerpunkt macht und auch in Bezug auf Englischunterricht sowie aus professionstheoretischer Perspektive untersucht (vgl. Bonnet / Bracker Da Ponte 2018; Paseka et al. 2018). 4 In dem vorliegenden Datensatz können mehrere Momente rekonstruiert werden, in denen offensichtlich Unsicherheit eine Rolle spielt. Diese sollen nachfolgend erläutert werden. Unsicherheit kann, wie in dem umrissenen Fall SG 04 guingamp, dann her‐ vortreten, wenn das Wort aufgeschrieben werden soll und somit orthografische Entscheidungen zu treffen sind. Abgesehen davon sind Handlungen des An‐ zweifelns erstens Ausdruck davon, dass Unsicherheit oder Zweifel bzgl. einer Äußerung besteht und sie können zweitens ihrerseits zu Verunsicherungen führen, wie in dem Fall SG 03 parfait. 5 Handlungen des Anzweifelns können zur Klärung führen, können aber auch das Gegenteil bewirken, wenn die Interaktanten nicht über ausreichend sichere Ressourcen verfügen und keine weiteren externen Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Indem eine Äußerung in einem kollaborativen Setting ausgesprochen oder aufgeschrieben wird, steht sie im Raum und damit auf dem Prüfstand und 271 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="272"?> 6 Darin sind sich die Interaktanten bzgl. der passenden Präposition unsicher (au oder dans un café). Sie ersetzen schlussendlich café durch restaurant und schreiben à une restaurante. Dies ändert bzgl. der Präposition zwar nichts - sie ist hier ebenso nicht zielsprachenkonform -, aber sie scheinen froh über diese Lösung zu sein. Es ist anzunehmen, dass sie bei der Präposition in Verbindung mit restaurant nicht unsicher sind. So gelangen sie, ohne ihre Unsicherheit bewältigt zu haben, mit einer Vermeidungsstrategie zu einer Lösung. kann folglich auch angezweifelt werden. Die Prüfinstanzen sind die Person, die ausgesprochen hat, sowie die weiteren, in der Interaktion beteiligten Personen. Welche Handlungen dies nach sich zieht, hängt maßgeblich mit dem Status zusammen, der den eingebrachten Ressourcen jeweils zugesprochen wird, sowie mit den vorhandenen Ressourcen. Werden Ressourcen angezweifelt und damit infrage gestellt, können darauf Prüfhandlungen folgen, in denen versucht wird, das Angezweifelte zu klären. Ist sich die Person selbst unsicher und zweifelt ihr eigenes Wissen an, kann dies ebenfalls Anlass für selbstinitiierte Prüfhandlungen sein, wie z. B. in SG 07 künstlerviertel. Wird der Status der Ressourcen als unsicher markiert, kann dies als Hilfsaufforderung oder auch als Rückversicherung interpretiert werden. In jedem Fall kann diese Unsicherheit Anlass für eine Prüfhandlung sein. Sind beide Interaktanten unsicher, können sie sich nicht unterstützen. Au‐ ßerdem können sie sich dann gegenseitig evtl. noch mehr verunsichern, wie in SG 03 parfait, oder auch SG 03 tu peux / t sowie SG 02 beaucoup de. Gelingt es ihnen nicht, ihre Unsicherheit zu bewältigen, kann dies zu Frustration führen und auch dazu, dass sie das Problem aufgeben. Eine weitere Möglichkeit, mit Unsicherheit umzugehen, besteht darin, Kompensationshandlungen durchzuführen. Diese ermöglichen eine Lösung, ohne die Unsicherheit zu bewältigen, sie aber zu umgehen, wie in dem oben erwähnten Fall SG 04 guingamp oder SG 07 in einem kleinen café. 6 In dem vorliegenden Datensatz sind auch Beispiele dafür zu finden, dass es ihnen gelingt, gemeinsam ihre Unsicherheit zu bewältigen, wie in SG 07 künstlerviertel. Darin ist Karin sich nicht ganz sicher, kommuniziert ihre Unsicherheit und führt eine Überprüfung mit dem Wörterbuch durch und bewältigt dabei ihre Unsicherheit (s. auch SG 07 sich zeichnen lassen). Hier zeigt sich, dass wenn Unsicherheit sachlich kommuniziert wird, produktiv damit umgegangen werden kann: Sie kann Anlass für Prüfhandlungen sein und schließlich dazu führen, die Unsicherheit zu bewältigen. Neben diesen Momenten, in denen Unsicherheit eine Rolle spielt, sind in den Daten ebenso Momente zu finden, in denen Sicherheit kommuniziert wird. Wird der Status von Ressourcen als sicher markiert - wie bspw. in dem Fall SG 02 beaucoup de (glaubs mir Z. 421) - kann dies dafür eingesetzt werden, 272 4 Schlussbetrachtung <?page no="273"?> die eigene Position bzw. Aussage zu bekräftigen und die andere Person von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Gelingt es der Person nicht, die andere mit ihren internen Ressourcen zu überzeugen, können ggf. externe Ressourcen zur Klärung hinzugezogen werden. Eine in den Daten häufig zu beobachtende Prüf‐ handlung ist die Klärung mit dem Wörterbuch, die jedoch nicht in allen Fällen eine eindeutige Klärung ermöglicht, wie u. a. bei Fragen bzgl. der Konjugation, speziellen Eigennamen (z. B. SG 04 guingamp). Darüber hinaus sind folgende Handlungen der Versicherung bzw. Vereindeu‐ tigung im vorliegenden Datensatz zu finden: Das Sehen bzw. Zeigen eines Wortes (z. B. im Wörterbuch), das den Sehsinn hinzuzieht, sowie das Buchsta‐ bieren. Das Buchstabieren basiert auf verbalisiertem, expliziertem orthografi‐ schem internem Wissen oder es erfolgt mit Rückgriff auf das Wörterbuch und wird vorgelesen. Es kann dazu dienen, den Schreibprozess zu unterstützen, indem orthografische Unsicherheiten geklärt bzw. aufgedeckt werden (z. B. SG 03 parfait, château, SG 05 seine). Das Buchstabieren kann aber auch eingesetzt werden, um Missverständnissen vorzubeugen und sicherzugehen, dass die andere Person verstanden hat und das entsprechende Wort korrekt schreibt (z. B. SG 01 voll). Begünstigt werden derartige Ver(un)sicherungsräume dadurch, dass mehrere Personen an der Interaktion beteiligt sind, sich ergänzen und Rollen tauschen können, was einen Perspektivwechsel ermöglichen kann, sowie dadurch, dass das Schreiben Bewusstheit schafft und zu einer orthografischen Entscheidung zwingt. In den Daten konnten unterschiedliche Momente beschrieben und erklärt werden, in denen Unsicherheit eine Rolle spielt sowie Momente, in denen versucht wird, Sicherheit herzustellen. Das kollaborative Schreiben schafft demnach unterschiedliche Möglichkeiten, mit (Un-)Sicherheit umzugehen. Das kollaborative Schreiben als sozialer Raum Die Fallanalysen sowie die typologische Betrachtung in dieser Arbeit haben gezeigt, dass die interaktionalen Bedingungen die Bearbeitungen der Schüle‐ rinnen und Schüler maßgeblich beeinflussen. Sie haben das Augenmerk auf die soziale Ebene gelenkt und diese als eine zentrale Einflussgröße herausgestellt. Im Folgenden soll der Aspekt der Verantwortung ausgeführt werden, der sich in den vorliegenden Analysen als zentral erwiesen hat. Dabei wird gezeigt, dass das kollaborative Schreiben als ein Raum verstanden werden kann, in dem das zwischenmenschliche Miteinander eine entscheidende Rolle spielt: Es beeinflusst die Zusammenarbeit und damit auch die fremdsprachlichen Auseinandersetzungen maßgeblich. 273 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="274"?> 7 Wobei Storch die Menge der produzierten Language Related Episodes als Maß nimmt und viele LREs mit vielen Lerngelegenheiten gleichsetzt (vgl. dies. 2016: 391 ff.; s. auch Fußnote 89, S. 65). 8 Implizit enthalten ist der Aspekt der Verantwortung insofern, als er ein Teil der Erklärung dafür sein kann, wieso es zu bestimmten Interaktionsmustern kommt: In dem Typ expert-novice bspw. dominiert eine Person und dies bedeutet im Umkehrschluss, dass diese auch die Verantwortung übernimmt. Auch Storch kommt zu dem Schluss, dass die Beziehungen zwischen den Interaktanten eine große Rolle für den Verlauf des kollaborativen Schreibens spielen. Sie führt die Zusammenstellung der Interaktanten und die Beziehung, die sie dabei ausbilden, als einen der drei zentralen Einflussfaktoren - neben der Aufgabe und dem Sprachniveau - an. 7 Mögliche Interaktionsformen stellt sie in ihrem Modell dar, in dem sie vier Interaktionstypen entlang der Dimensionen Bezugnahmen (mutuality) und Gleichberechtigung (equality) beschreibt (vgl. u. a. Storch 2002, 2013; s. Kap. 2.1.3.3.). Außerdem betont sie die Bedeutung, die die Einstellungen und Zielsetzungen der Interaktanten haben. Eine Zusammenarbeit sei dann möglich, wenn Zielsetzungen geteilt werden und eine gegenseitige Wertschätzung zugrunde liegt (vgl. Storch 2016: 395). Mit Tomasello können diese Voraussetzungen um das Wir-Gefühl ergänzt werden (vgl. ders. 2009: 57). Diese umfassenden Voraussetzungen zeigen einmal mehr, dass und wie voraussetzungsreich das kollaborative Schreiben auf der sozialen Ebene ist. Ein Aspekt, der in Storchs Modell implizit enthalten ist, aber nicht expliziert wird, ist der Aspekt der Verantwortung. 8 In ihrer Definition des kollaborativen Schreibens hält sie zwar die „gemeinsame Verantwortung“ (dies. 2013: 3) als ein zentrales Merkmal des kollaborativen Schreibens fest, führt in ihren Arbeiten allerdings nicht aus, was dies bedeutet bzw. wie sich dies in der Interaktion konkret auswirken kann. Die vorliegenden Analysen haben gezeigt, dass die Wahrnehmung von Verantwortung ein zentrales Merkmal des kollaborativen Schreibens ist. Dies soll hier eingehender erläutert werden. Die Handlungen der Schülerinnen und Schüler in dieser Studie zeigen, dass sie das Schreiben als Verantwortung wahrnehmen. Die schreibende Person trägt letztendlich die Entscheidungshoheit und damit die Verantwortung für die korrekte Schreibweise. Diese wahrgenommene Verantwortung bei Schreib‐ handlungen kann damit erklärt werden, dass das Schreiben eine größere Hürde darstellt als das flüchtige Sprechen, bei dem genuschelt und leicht korrigiert werden kann. Aus schreibtheoretischer Perspektive kann dies dahingehend erklärt werden, dass Schreiben bedeutet zu fixieren und dafür gedacht ist, zu überdauern, im Gegensatz zum flüchtigen Gesprochenen (vgl. z. B. Krings 2020: 274 4 Schlussbetrachtung <?page no="275"?> 9 An dieser Stelle sei verwiesen auf Arbeiten, die den Unterschied zwischen der geschrie‐ benen und gesprochenen Sprache (konzeptionelle Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit) thematisieren (z. B. Ehlich 1994; Feilke 2016b; Koch / Oesterreicher 1994). 10 Breidenstein stellt, einer ähnlichen Argumentationslogik folgend, in seiner Analyse eines Paars im Physikunterricht fest, dass eine Schülerin die Verantwortung dafür übernimmt, dass etwas ‚zu Papier gebracht wird‛, was er in Zusammenhang bringt mit ihrer Aufgabe als Schreiberin (vgl. ders. 2006: 171). 3). 9 Für den schulischen Kontext wird dies sicherlich dadurch verstärkt, dass der Fokus i. d. R. auf der sprachformalen Korrektheit liegt und Textproduktionen überwiegend dazu dienen, diese zu überprüfen. Entsprechend schwer kann die wahrgenommene Verantwortung in einem kollaborativen Setting wiegen. 10 Die qua Schreibform gesetzte, grundsätzlich gemeinsame Verantwortung kann innerhalb der Dyaden unterschiedlich wahrgenommen werden. Sie kann auch zeitweise zugunsten von einer Person verlagert werden, ohne dabei die Zusammenarbeit allgemein infrage zu stellen. Dies scheint sich insb. bei einer einseitigen Verteilung von Ressourcen und / oder einer einseitigen Interessen‐ lage anzubieten, wie sich bei den Problemlösetypen „Alleingang“ und „Sich Distanzieren“ zeigt. Mit dem Problemlösetyp „Sich Distanzieren“ wurde sehr deutlich, dass die Wahrnehmung und ggf. Zu- und Abweisung von Verantwor‐ tung einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Bearbeitung haben und dass dies mit Gesichtsbedrohung einhergehen kann (s. Kap. 3.2.2.1.). Die Möglichkeit, die gemeinsame Verantwortung aufzuheben, ist in Storchs Modell (2002) nicht enthalten, da sie davon auszugehen scheint, dass die Inter‐ aktanten kooperieren. Die hier verwendeten Daten zeigen jedoch, dass eine Zusammenarbeit auch zeitweise ausgesetzt und dabei die Verantwortung einseitig verlagert werden kann. Da es sich hier offensichtlich um ein relevantes Phänomen handelt, welches mehrfach und in unterschiedlicher Ausprägung in den Daten auftritt, wird hier dafür plädiert, dies in der Modellbildung zu berücksichtigen. Aufgrund der Komplexität der jeweiligen Bereiche erweist sich eine Darstellung entlang der Dimensionen Bezugnahmen (mutuality) und Gleichberechtigung (equality), wie sie von Storch realisiert wird, als zu wenig aussagekräftig hinsicht‐ lich der sozialen Dimension, weshalb in dieser Arbeit ergänzend eine grafische Darstellung vorgeschlagen wird. Sie bildet das Beziehungsgefüge bildhaft und schematisch ab und es lassen sich z. T. mögliche Effekte ablesen. So wird in dem Typ „Kollaborieren“ durch eine Überschneidung der beiden Kreise ein neuer Raum geschaffen, der das bei der Zusammenarbeit neu Entstehende symbolisiert (s. Abb.10, S. 235). Das kollaborative Schreiben kann folglich auch und vor allem als sozialer Raum betrachtet werden, in dem es um den Umgang miteinander und die konkrete Ausgestaltung der Beziehung geht. 275 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="276"?> Zusammenfassend Diese Ausführungen haben gezeigt, dass die Ergebnisse dieser Studie anschluss‐ fähig sind, insb. an die Forschungen zum kollaborativen, fremdsprachlichen Schreiben und gleichzeitig darüber hinausreichen. Sie erweitern sie, indem sie die Perspektive der Schülerinnen und Schüler hervorheben und aufzeigen, was dies konkret für die Interaktanten bedeuten kann. Mit der Klangprobe, mit Spiel‐ gelegenheiten, dem Umgang mit Unsicherheit, Handlungen des Ver(un)sicherns und der Vereindeutigung sowie der Wahrnehmung von Verantwortung konnten Aspekte herausgearbeitet werden, die bislang auf diese Art und für diesen Kontext nicht beschrieben wurden und die sich aus fremdsprachendidaktischer Sicht als relevant erweisen. Neuartig ist auch der Typ „Sich Distanzieren“. Er ergänzt das Spektrum der bekannten Kooperationsbzw. Interaktionsformen und zeigt, in welchem Maß die Wahrnehmung von Verantwortung das soziale Miteinander bestimmen kann und inkludiert damit eine mögliche und im schulischen Kontext durchaus erwartbare Verhaltensform, nämlich eine Form, mit Dissens umzugehen. Abschließend werden diese Überlegungen als Thesen zum kollaborativen Schreiben formuliert. Es handelt sich um Thesen, da ‚nur‘ Momente in spezifischen Kontexten zugrunde liegen und in der Arbeit deutlich wurde, dass eine globale Einschätzung wenig sinnvoll ist. In diesen Thesen werden Möglichkeitsräume aufgezeigt, die sich beim kollaborativen Schreiben ergeben und von den Schülerinnen und Schülern ausgefüllt und genutzt werden können. 1. Das kollaborative Schreiben ist ein gemeinsamer Lernraum, in dem mit- und voneinander gelernt wird. 2. Das kollaborative Schreiben ist ein Suchraum, in dem ausprobiert, experimentiert und gespielt wird. 3. Das kollaborative Schreiben ist ein Ver(un)sicherungsraum, in dem geprüft, geklärt und verunsichert wird. 4. Das kollaborative Schreiben ist ein sozialer Raum, in dem miteinander gehandelt wird. Abb. 11: Thesen zum kollaborativen Schreiben Mit diesen Thesen werden diejenigen Bereiche erfasst, die sich in der vor‐ liegenden Untersuchung als zentral herausgestellt haben. Das kollaborative Schreiben kann Raum geben zu lernen, zu suchen, zu ver(un)sichern und sich im Miteinander auszuprobieren. Mit diesen Möglichkeitsräumen zeigt sich, was das kollaborative Schreiben bewirken und welche Prozesse es initiieren kann. 276 4 Schlussbetrachtung <?page no="277"?> 11 Siehe hierzu auch die Überlegungen von Murray (1992: 114 ff.), die sich auf eine Umsetzung mit Gruppen bezieht, den praxisorientierten Beitrag in der Zeitschrift Praxis Fremdsprachenunterricht von Pelchat (2020), das Kapitel 8. Conclusions: Pedagogical Implications and Research Directions von Storch (2013), sowie die Empfehlungen von Aguado (2010: 822), die sie aus ihren Überlegungen zu interaktionistisch-soziokultu‐ rellen Ansätzen ableitet. 4.2.2 Didaktische Implikationen Ausgehend von den Analyseergebnissen, den theoretischen Implikationen und praktischen Erfahrungen bei der Durchführung dieser Studie wird nun disku‐ tiert, was dies konkret für den Einsatz des kollaborativen Schreibens im Fremd‐ sprachenunterricht bedeuten kann und was bei einer Umsetzung zu beachten ist. 11 Da es sich bei den vorliegenden Daten um eine Momentaufnahme einer Klasse mit einer einzigen Schreibaufgabe handelt, die rekonstruktiv aus der forschenden Perspektive erschlossen wurde, können keine verallgemeinernde Schlüsse gezogen und auch nicht die Position der Lehrkraft vertreten werden. Vielmehr wird hier die Annahme von Lantolf geteilt, wonach Forschung nicht unmittelbar zur Verbesserung der Praxis führen, sondern vielmehr dazu bei‐ tragen könne, Einblicke zu geben (vgl. Lantolf 2011: 42). Es soll somit den Lehrkräften vorbehalten sein, Schlussfolgerungen aus den Analyseergebnissen zu ziehen. Gleichwohl wird davon ausgegangen, dass aus dem forschenden Zugang, wie er hier umgesetzt wurde, Einflussfaktoren identifiziert wurden, die sehr wohl (zumindest vorsichtige) Rückschlüsse und Hinweise auf konkrete Ausgestaltungen in der Praxis zulassen. In dem Anspruch, Theorie und Praxis zu verbinden, sollen diese hier erläutert werden. Aus den theoretischen Ausführungen und Analysen wurde ersichtlich, dass mit dem kollaborativen Schreiben vielfältige Lernpotentiale und Risiken ver‐ bunden sind, die unter bestimmten Voraussetzungen (wie kooperative Grund‐ haltung, Koordination) realisiert werden können. Aus einer fremdsprachendi‐ daktischen Perspektive geht es vor allem darum, die Lerngelegenheiten, die mit dem kollaborativen Schreiben einhergehen können, möglichst zu nutzen und damit verbundene Risiken zu minimieren. Nachfolgend werden diejenigen As‐ pekte angeführt, die sich in Bezug auf den Einsatz des kollaborativen Schreibens als bedeutsam erwiesen haben (s. Tab. 09). 277 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="278"?> Schreibprozess Der Schreibprozess tritt in den Vordergrund, wird sichtbar, gleich‐ zeitig wird er auch verlangsamt und damit zäh, die Schreibenden können durch die vermehrte Interaktion den roten Faden verlieren. Austausch Der Austausch ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit der Sprache, lässt eventuelle Unsicherheiten bewusst werden, führt zu Reaktionen untereinander. Er erfordert gegenseitiges Verstehen, Einigung, Zeit und Energie. Pooling & Scaffolding Die Schülerinnen und Schüler verfügen gemeinsam über mehr Res‐ sourcen (Pooling) und können sich dadurch ergänzen, unterstützen und mitsowie voneinander lernen (Scaffolding), sie können sich aber auch gegenseitig verwirren und verunsichern. Rückmeldung Die gegenseitige Rückmeldung kann unmittelbar, passgenau und damit effektiv erfolgen, sie kann aber auch fehlerhaft sein und zu Verwirrung führen. Soziale Ebene Die Schülerinnen und Schüler können sich bestärken, motivieren, gegenseitig unterstützen und miteinander spielen, aber sie müssen sich auch einigen, einander vertrauen, sich aufeinander einlassen. Dies bedeutet auch, dass sie sich ablenken und die Einigungsprozesse herausfordernd sein können. Rolle Rollen können ausprobiert, selbst definiert und gewählt werden, was voraussetzt, dass sich die Schülerinnen und Schüler auf Rollen und damit verbundene Aufgaben und Verantwortungsbereiche einigen. Der Wechsel von Rollen begünstigt einen Perspektivwechsel, der die Qualität des Textes beeinflussen kann. Gemeinsame Verantwor‐ tung Das kollaborative Schreiben setzt gemeinsame Verantwortung voraus. Dies kann als entlastend wahrgenommen werden, da die Verantwortung so auf zwei Schultern verteilt wird. Gleichzeitig kann dies auch als Druck empfunden werden, da sich die Schülerinnen und Schüler ggf. voreinander beweisen wollen. Die Verantwortung kann unterschiedlich verteilt sein und auch zeitweise ausgesetzt werden. Tab. 09: Aspekte des kollaborativen Schreibens Hier zeigt sich, dass die einzelnen Aspekte nicht pauschal als positiv oder ne‐ gativ zu beurteilen sind, sondern immer in Abhängigkeit von Voraussetzungen und Zielsetzungen zu betrachten sind. Es wird auch deutlich, dass es dabei hilfreich ist, die beim kollaborativen Schreiben ablaufenden Prozesse und die konkreten Handlungen der Schülerinnen und Schüler zu kennen, um eingreifen und sie steuern zu können. Im Umkehrschluss bedeutet dies für die Lehrperson, dass sie bei den Voraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schülern ansetzt und versucht, einen Rahmen zu schaffen, in dem das kollaborative Schreiben möglichst gewinnbringend verläuft. Dazu gehört es erstens, entsprechende 278 4 Schlussbetrachtung <?page no="279"?> 12 Bei Edupad und Etherpad handelt es sich um webbasierte Texteditoren, die das gemein‐ same Arbeiten an einem Textdokument ermöglichen (s. https: / / etherpad.org/ sowie https: / / edupad.ch/ Zugriff: 20. 08. 2020). Voraussetzungen auf sozialer Ebene zu schaffen und zweitens, den konkreten Einsatz dieser Schreibform zu durchdenken, zu planen und vorzubereiten. Die Analysen und theoretischen Ausführungen haben gezeigt, dass das kollaborative Schreiben sozial voraussetzungsreich ist. Es erfordert Austausch, dieser setzt nicht nur Kommunikation, sondern auch Engagement, Kooperati‐ onsbereitschaft und die gemeinsame Wahrnehmung von Verantwortung voraus, die mit Vertrauen, Akzeptanz und Konsensbildung einhergeht. Letztere wird von den Schülerinnen und Schülern in den Fragebögen mehrfach als negativer Aspekt aufgeführt (z. B. jeder wollte etwas anderes). Für die Lehrkraft bedeutet die Schaffung optimaler Voraussetzungen konkret, dass sie die Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet, das in diesem Setting angelegte Miteinander zu nutzen und dass sie in Erfahrung bringt, welche Voraussetzungen (Ein‐ stellungen, Freundschaftsverhältnisse etc.) in ihrer Klasse vorliegen. Je nach Altersstufe kann es für die Schülerinnen und Schüler hilfreich sein, sich darüber bewusst zu werden, wie Kommunikation funktionieren kann und was die jeweiligen Aspekte in einem Miteinander bedeuten. Dafür können folgende Fra‐ gestellungen Diskussionsgrundlage sein: Wie sprechen wir miteinander? Wie geben wir uns zu verstehen, wenn wir etwas nicht wissen, unsicher sind? Wie gehen wir mit Unsicherheit um? Wie koordinieren wir unsere Zusammenarbeit? Welche Rollen nehmen wir ein und wie gehen wir mit Verantwortung um? Abgesehen davon können die sozialen Beziehungen grundsätzlich befördert werden, indem ein positives Klassenklima geschaffen und eine Feedback-Kultur aufgebaut wird (vgl. z. B. Buhren 2015; Felten 2020). In praktischer Hinsicht ist zu überlegen, wie und vor allem mit welcher Ziel‐ setzung das kollaborative Schreiben eingesetzt werden soll. Es ist eine Aufgabe zu wählen oder zu erarbeiten, die sich dafür anbietet und demgemäß aufgebaut ist (s. Kap. 3.1.5.). Ebenfalls anzudenken ist der Einsatz digitaler Formate, wie z. B. Wiki, Edupad, oder Etherpad. 12 Sie ermöglichen eine interaktive Bearbeitung sowie eine zeitliche und räumliche Distanz, die evtl. damit einhergeht, dass die sozialen Herausforderungen (Einigungsprozess, Machtdemonstration u. a.) entschärft werden. Mit diesen digitalen Werkzeugen werden die jeweiligen Beiträge sichtbar und damit nachvollziehbar und der Werdegang des Textes dokumentiert, jedoch kommt es hierbei nicht zu gemeinsamen Formulierungs‐ aktivitäten. Bei der konkreten Umsetzung der Aufgabe sind ebenfalls die raumzeitlichen Bedingungen zu bedenken: Dazu gehören (in einer Präsenzsituation) die Bear‐ 279 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="280"?> 13 Siehe hierzu die jeweiligen Argumente bei Storch (2013: 162 ff.). 14 Kritisch zu bedenken ist hier jedoch, woran der ‚Experten- und Novizenstatus‘ festge‐ macht wird (die Note allein ist wenig aussagekräftig). Außerdem ist das Verhältnis der Schülerinnen und Schüler miteinzubeziehen. Denn eine derartige Zusammenstellung bedeutet nicht automatisch, dass die erwarteten Lernprozesse möglich werden, es kann genauso gut dazu führen, dass der Experte dominiert, seine Macht missbraucht bzw. sich ausgenutzt fühlt etc. beitungsdauer sowie die Wahl eines angemessenen Raums. Denn dadurch, dass mehrere Schülerinnen und Schüler gleichzeitig sprechen, kann der Lärmpegel deutlich ansteigen. Die Klasse könnte getrennt oder nach draußen verlegt werden. In Bezug auf die Aufgabe ist, ebenfalls abhängig von der Zielsetzung, zu entscheiden, wie viel die Lehrperson eingreifen möchte, ob und welche Hilfs‐ mittel zur Verfügung stehen sollen. Gegebenenfalls ist eine Einführung dieser vorher sinnvoll, wie in dem vorliegenden Projekt der Einsatz des Wörterbuchs. Zu überlegen ist auch, wie mit dem produzierten Text verfahren wird: Soll er überarbeitet, bewertet, publiziert werden? Dabei ist auch grundsätzlich zu fragen, ob eine gemeinsame Bearbeitung sinnvoll ist, bzw. zu überlegen, welcher Mehrwert durch diese Schreibform erwartet wird. Wenn es darum gehen soll, die Ideen und Ressourcen der Schülerinnen und Schüler möglichst umfangreich zu nutzen, kann das kollaborative Schreiben hierfür ein geeignetes Format darstellen. Die Erfahrung des vorliegenden Projektes deutet darauf hin, dass argumentative, durchstrukturierte Aufgabenformate eher davon profitieren, dass zwei oder mehr Köpfe daran arbeiten, als kreativ-persönliche (s. auch Kap. 3.1.5.). Das kollaborative Schreiben kann auch eine geeignete Form sein, wenn es darum gehen soll, den Schreibprozess an sich wahrzunehmen oder sich seiner fremdsprachlichen Lücken bewusst zu werden. Wie die vorliegende Studie gezeigt hat, kann es auch ein Raum sein, um die Fremdsprache auszu‐ probieren und mit ihr zu spielen. Passend zur gewählten Aufgabe ist auch über die Konstellation (Gruppe oder Dyade) 13 und deren Zusammenstellung zu entscheiden. Als zentrale Ent‐ scheidungskriterien führt Storch (2013) neben der Aufgabe das Sprachniveau (also die vorhandenen Ressourcen) sowie die Beziehung der Personen an. Soll bspw. möglichst viel sprachformal korrekter Output produziert werden, bietet sich ein Experte-Novize-Verhältnis an. Hier können bestenfalls beide mit- und voneinander lernen (Lernen am Modell, Lernen durch Lehren). 14 Soll eine Vielzahl kollaborativer Momente ausgelöst werden, kommt es auch darauf an, dass sich die Interaktanten gut verstehen und einander vertrauen. Ein freundschaftliches Verhältnis scheint hier zuträglich zu sein, wie bspw. in der Dyade 08. 280 4 Schlussbetrachtung <?page no="281"?> 15 Siehe hierzu auch Fußnote 6, S. 26, in der auf entsprechende, praxisbezogene Literatur verwiesen wird. Bevor die konkrete Umsetzung beginnt, scheint es je nach Vorerfahrung und Grundstimmung in der Gruppe angebracht - auch angesichts der wenig differenzierten Begriffsverwendung von Kooperation (s. Kap. 2.1.3.1.) - das kollaborative Schreiben einzuführen. Storch schlägt vor, das kollaborative Schreiben ggf. vorzuführen und vor allem zu erläutern, wie es funktioniert und welche Vor- und Nachteile damit verbunden sein können (vgl. Storch 2013: 166 f.). Bei einer Einführung in und Vorbereitung auf das kollaborative Schreiben empfiehlt es sich ebenfalls, die individuellen Einstellungen und Erfahrungen zum (fremdsprachlichen) Schreiben, aber auch zu (kooperativen) Arbeitsformen zu thematisieren, da diese die Motivation entscheidend beeinflussen (vgl. u. a. Storch 2013 Kap. 8). Konkret kann dies bspw. in Form von Fragebögen und ggf. anschließender Diskussion erfolgen. In der vorliegenden Studie haben sich die Schülerinnen und Schüler sehr unterschiedlich zum kollaborativen Schreiben geäußert. Es wurden Vor- und Nachteile benannt. Vorteile wurden vor allem darin gesehen, dass man sich gegenseitig unterstützen und mehr Ideen haben kann. Als nachteilig und anstrengend wurde mehrfach der Einigungsprozess benannt. Die Einstellungen und Voraussetzungen, die die Schülerinnen und Schüler mitbringen, gilt es möglichst zu nutzen und darauf zu reagieren. In der Phase der Vorbereitung bietet es sich ebenfalls an, den Schreibpro‐ zess zu thematisieren und anhand dessen die Spezifika des kollaborativen fremdsprachlichen Schreibens zu verdeutlichen: Was geschieht beim Schreiben allgemein? Was kommt hinzu, wenn in der Fremdsprache geschrieben wird? Was bedeutet es, kollaborativ zu schreiben? Eine Möglichkeit, den Schreib‐ prozess bewusst wahrzunehmen, kann zudem mit kreativen Schreibformaten angeregt werden. Zu denken ist hier bspw. an das automatische Schreiben oder auch ein vergleichendes Schreiben in der Erst- und Fremdsprache. Mit einer anschließenden Reflexion können diese Schreibtechniken dazu führen, sich des Schreibprozesses und seiner Bestandteile bewusst zu werden. 15 Wenn es darum gehen soll, das (fremdsprachliche) Schreiben voranzutreiben, kommt es, wie zahlreiche Schreibforscherinnen und -forscher betonen, vor allem darauf an, möglichst häufig vielfältige Schreibgelegenheiten zu schaffen (vgl. z. B. Hyland 2011) und dabei diejenigen Ressourcen zu nutzen, die vor‐ handen sind. Erinnert sei hier an die in Kap. 2.1.1. erwähnten, zahlreichen Schreibfunktionen, die im Fremdsprachenunterricht meist nur sehr einge‐ schränkt realisiert werden. In Bezug auf die Ressourcen ist hier insb. an die Mit‐ schülerinnen und Mitschüler zu denken und die Beobachtung, dass durch eine 281 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="282"?> dyadische Konstellation verschiedene Möglichkeitsräume geschaffen werden (s. Kap. 4.2.1.). Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive besonders interes‐ sant ist hierbei der Umstand, dass durch den verbalen Austausch eine Ausein‐ andersetzung mit der Fremdsprache und dem Schreiben stattfindet, die die Sprachverwendung um Prozesse der Bewusstwerdung erweitern kann. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Schülerinnen und Schüler häufig mit Unsicherheiten konfrontiert sind. Hier kann aus Perspektive der Lehrkraft angesetzt werden, indem sie die Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet. Dies kann dadurch geschehen, dass eine Verlagerung weg von einer fehlerfo‐ kussierten Sicht hin zu einem spielerischen, kreativ-produktiven Umgang mit Sprache erfolgt und damit die Hemmschwelle herabgesetzt wird. Es ist allerdings auch zu bedenken, dass die Schülerinnen und Schüler i. d. R. das Bedürfnis haben, ihre Unsicherheit zu bewältigen und nicht mit ihrer Unsicherheit alleine gelassen werden, da dies ein hohes Frustrationsrisiko birgt und sie in ihrem Lernprozess nicht voranbringt. Vielmehr sollten deshalb ent‐ sprechende Gelegenheiten geschaffen werden, ihre jeweiligen Unsicherheiten zu bewältigen und diese somit produktiv als Ansatzpunkt zu nutzen, um neues Wissen aufzubauen. Hierfür könnte es hilfreich sein, diejenigen allgemeinen und fremdsprachenspezifischen Handlungen - wie den Umgang mit dem Wörterbuch, Klangprobe - aufzuzeigen, auszuprobieren und zu diskutieren, die für den Umgang mit Unsicherheit relevant werden können und damit den Schülerinnen und Schülern ein mögliches Handlungsspektrum vor Augen führen und selbiges erweitern helfen. Abschließend seien diese Überlegungen in Form von Fragen konzentriert dargestellt, die sich an Personen richten, die das kollaborative Schreiben einsetzen möchte. Diese Fragen sollen dazu dienen, die damit verbundenen Überlegungen möglichst konkret greifbar zu machen, ohne dabei zu viel vorwegzunehmen: 1. Soziale Ebene: Welche sozialen Voraussetzungen bringt meine Gruppe mit? 2. Zusammenstellung: Wer arbeitet mit wem? Wie viele Personen arbeiten zu‐ sammen? 3. Aufgabe: Welche Aufgabe soll mit welchem Ziel eingesetzt werden? 4. Zielsetzung: Was bedeutet es, kollaborativ zu schreiben und wozu soll es hier eingesetzt werden? 5. Einstellungen: Welche Einstellungen und Erfahrungen bringt meine Klasse mit, in Bezug auf das (kollaborative) Schreiben, die Fremdsprache sowie kooperative Arbeitsformen? 282 4 Schlussbetrachtung <?page no="283"?> 6. Rahmen: Welcher Rahmen kann wie geschaffen werden? 7. Fremdsprache: Welcher fremdsprachliche / schreibdidaktische Aspekt soll im Vordergrund stehen? Abb. 12: Fragen zum Einsatz des kollaborativen Schreibens Für die Lehrperson bedeutet dies, dass sie in ihrer Vorbereitung die erwähnten Aspekte (s. Abb. 11 und 12) bedenkt. Dies kann sie dahingehend unterstützen, einen entsprechenden Rahmen für das kollaborative Schreiben zu schaffen. Dies bedeutet jedoch auch, dass sie sich bei der Bearbeitung selbst zurück‐ zieht und es den Schülerinnen und Schülern überlässt, diesen Rahmen zu nutzen. Dafür muss die Lehrkraft Kontrolle abgeben, den Schülerinnen und Schülern und ihren Fähigkeiten vertrauen (erinnert sei hier an Erkenntnisse bzgl. Schüler-Schüler-Korrektur s. Kap. 2.2.3.) und das Setting möglichst so auslegen, dass positive Effekte auftreten können. Dies erfordert eine umsichtige und reflektierte Vorbereitung, bei der es möglichst viele Einflussfaktoren zu berücksichtigen gilt. Zusammenfassend Die in den theoretischen Schlussfolgerungen aufgezeigten Möglichkeitsräume (s. Kap. 4.2.1.) und damit verbundenen Lernpotentiale gilt es bei einer Um‐ setzung des kollaborativen Schreibens zu nutzen. In Kapitel 4.2.2. wurden Einflussfaktoren aufgezeigt und Umsetzungsvorschläge dafür angedacht. Aus didaktischer Perspektive bedeutet dies, möglichst günstige Voraussetzungen für das kollaborative Schreiben zu schaffen oder zumindest den Grundstein dafür zu legen. Bezogen auf das fremdsprachliche Lehren und Lernen bedeutet dies in erster Linie, Raum zu geben für eine vielfältige und angstfreie Sprachverwen‐ dung. Es wurde mehrfach deutlich, dass es sich beim kollaborativen Schreiben um ein komplexes Geschehen handelt, das von der Lehrperson nicht vollständig gesteuert werden kann. Sie muss dabei die Kontrolle abgeben, den Schülerinnen und Schülern und ihren Fähigkeiten vertrauen. Umso wichtiger wird die um‐ sichtige und bedachte Vorbereitung, mit der die Lehrperson durchaus Einfluss nimmt. 283 4.2 Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis <?page no="284"?> 16 An dieser Stelle sei erneut darauf verwiesen, dass es sich hier um eine qualitativ-re‐ konstruktive und somit nicht um eine repräsentative Studie i. S. standardisierter Verfahren handelt. Die Ergebnisse sind damit im statistischen Sinne nicht verallgemei‐ nerbar. 17 Bei Letzteren geht es darum, sich auf diejenigen Wörter oder Konstruktionen zu konzentrieren, die von den Schülerinnen und Schülern erstmals verwendet (also ‚frisch‘ gelernt) wurden. Es wird versucht, diese beim Posttest erneut zu evozieren, um zu prüfen, ob sie nachhaltig gelernt wurden (vgl. z. B. Payant 2012; Storch 2016: 396). Zusätzlich könnten neben speziell auf diese Konstruktionen ausgerichteten Items auch Befragungen einbezogen werden, um die Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler zu erfahren. Allerdings stellt sich hier die Frage der Verlässlichkeit der Aussagen. 4.3 Diskussion und Ausblick In diesem abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusam‐ menfassend dargestellt und kritisch beleuchtet sowie mögliche Fortführungen und Vertiefungen angedacht. Diskussion der Ergebnisse Ausgangspunkt dieser Arbeit war es, mit Fokus auf die Handlungen der Schü‐ lerinnen und Schüler zu untersuchen, wie das kollaborative Schreiben im Französischunterricht ‚funktionieren‘ kann und welche Rückschlüsse daraus in Bezug auf das fremdsprachliche Lernen und Lehren gezogen werden können. Dafür wurden in einer 11. Klasse Schreibprozessdaten erhoben und gesprächs‐ analytisch dahingehend ausgewertet, wie die Schülerinnen und Schüler ihre fremdsprachlichen Probleme bearbeiten und welche Funktionen damit ein‐ hergehen können. So konnten fünf Problemlösetypen entwickelt und sehr unterschiedliche, damit verbundene Funktionspotentiale rekonstruiert werden. Auf diese Weise konnten potentielle und theoretisch begründete Lerngelegen‐ heiten anhand der Daten identifiziert werden. 16 Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive mag die Frage nach einem Lernzuwachs - der meist an einer sprachformal korrekten Sprachverwendung festgemacht wird - besonders interessieren. Für die vorliegende Studie betrifft dies insb. die Frage danach, wie die Lösungen, die die Schülerinnen und Schüler erarbeitet haben, auf normativer Ebene zu bewerten sind. Diese Frage ist sinnvoll, stellt aber nicht das hier verfolgte Erkenntnisinteresse dar und würde eine andere Anlage der Studie erfordern. Um Aussagen über Lerneffekte machen zu können, könnte ein Forschungsdesign entwickelt werden, bei dem ein Pre-Posttest-Verfahren inkl. Follow-up eingesetzt wird, sofern möglich ergänzt um dyadenspezifische, sog. tailor-made Posttests. 17 An dieser Stelle kann jedoch auf die Studien von Storch 284 4 Schlussbetrachtung <?page no="285"?> 18 In diesen Arbeiten untersuchen die Autoren auf der gesellschaftlichen Ebene die Phänomene der gegenseitigen Unterstützung (entraide, Chapelle / Servigne 2019) und der Zusammenarbeit (together, Sennett 2015). u. a. und die dabei ermittelten Erkenntnisse verwiesen werden (s. Kap. 2.1.3.3.). Mit der vorliegenden Studie wurde hingegen versucht, bewusst die normative Ebene möglichst außen vor zu lassen und das kollaborative Schreiben mit der gewählten Forschungsmethode und einer umfassenden Analyseeinheit breit anzugehen. Indem die Handlungen der Schülerinnen und Schüler ins Zentrum gerückt wurden, wird die interaktionale Ebene fokussiert und mit der Frage verbunden, welche Lerngelegenheiten unter den spezifischen Bedingungen des schulischen Fremdsprachenunterrichts möglich sind. Die daraus resultierenden umfassenden Detailanalysen produzieren Ergebnisse auf unterschiedlichen Ebenen und nicht ‚nur‘ in Bezug auf richtig oder falsch. Sie offenbaren mögliche Lerngelegenheiten, aber eben auch Risiken bzw. Herausforderungen sowie damit einhergehende Bedingungen und Einflussfaktoren. Nachfolgend sollen die Ergebnisse dieser Arbeit dargelegt und in Bezug auf ihre Relevanz für das fremdsprachliche Lernen und Lehren diskutiert werden. Ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit besteht in der Erarbeitung der fünf Problemlösetypen. Dabei zeigt sich, dass das kollaborative Schreiben nicht unbe‐ dingt kollaborativ verläuft, vielmehr ein Spektrum möglicher Bearbeitungs‐ weisen - die ein Mindestmaß an Kooperation(sbereitschaft) beinhalten - sichtbar wird. Mit den fünf Problemlösetypen kann an die bestehende For‐ schung, insb. an Storch (2002, 2013, 2016) und Naujok (2000), angeknüpft und diese gleichzeitig um den Problemlösetyp „Sich Distanzieren“ erweitert werden. Mit den Typen „Aufgabenteilen“ und „Kollaborieren“ konnte darüber hinaus ein Beitrag zur Begriffsdiskussion geleistet und aufgezeigt werden, dass eine begriffliche Unterscheidung von Kooperation und Kollaboration möglich und sinnvoll ist (s. Kap. 3.2.4.). Der Typ „Kollaborieren“ ist ein Beispiel dafür, dass Zusammenarbeit mehr sein kann als ein aufgaben- oder arbeitsteiliges Vorgehen in dem Sinne, dass die herkömmlichen Rollen verlassen werden und gemeinsam etwas erreicht werden kann, das jede Person für sich genommen vermutlich nicht erreicht hätte (vgl. weiterführend z. B. Sennett 2015; Servigne / Chapelle 2019). 18 Aus sprachlerntheoretischer Sicht (und nicht nur aus dieser) ist der Typ „Kollaborieren“ interessant, da die Interaktanten voneinander profitieren und sich auf eine fruchtbare Weise mit Sprache auseinander setzen. Dies führt aber nicht per se zu Lerneffekten (das gemeinsam erarbeitete Wissen kann z. B. falsch sein). Zu bedenken ist hierbei auch, dass der Typ „Kollaborieren“ sozial besonders voraussetzungsreich ist. Gleichzeitig zeigen die vergleichenden Betrachtungen der Problemlösetypen, dass in anderen Typen ebenfalls intensive 285 4.3 Diskussion und Ausblick <?page no="286"?> Auseinandersetzungen mit der Fremdsprache entstehen können, wie z. B. die kreativ-produktive Wortbildung im Fall SG 06 wasserspiele, in der ein aufgaben‐ teiliges Vorgehen realisiert wird. In Zusammenhang mit den Problemlösetypen wurden vier Thesen auf‐ gestellt, die Möglichkeitsräume beschreiben, die sich beim kollaborativen Schreiben ergeben können (s. Kap. 4.2.1.). Diese Räume sind allerdings nicht direkt an bestimmte Typen gekoppelt, sondern abhängig von Kontext und Zielsetzung (s. Kap. 3.2.3.2.). Aus sprachlerntheoretischer Sicht sind dabei der gemeinsame Lern-, Suchsowie Ver(un)sicherungsraum besonders relevant: Eine neue Sprache zu lernen bedeutet Wissen aufzubauen. Mit den vorliegenden Daten konnte rekonstruiert werden, wie Schülerinnen und Schüler mit be‐ grenzten Ressourcen (jeweils eigenes Wissen und Wörterbuch) gemeinsam Wissen generieren, indem sie ihre Ressourcen miteinander teilen, sich ergänzen, unterstützen, Hilfestellung einfordern. Es konnte dabei auch gezeigt werden, dass sich hier ein Suchraum ergeben kann, in dem ausprobiert, experimentiert und gespielt wird. Bei diesen ‚Spielgelegenheiten‘ handelt es sich um eine Beobachtung, um die die kollaborative Schreibforschung ergänzt werden kann. Bislang wurde einhergehend mit dem geschützten Raum, der sich durch das kol‐ laborative Schreiben ergibt, argumentiert (vgl. u. a. Storch 2013; Varonis / Gass 1985), dass sich die Schülerinnen und Schüler direkte, unmittelbare Rückmel‐ dung geben und auch die Expertenrolle ausprobieren können, nicht aber, dass es sie zum spielerischen Umgang mit Sprache animiert. Eine Sprache zu lernen bedeutet aber auch, und das haben die Daten ebenfalls sehr deutlich gemacht, mit Unsicherheit umzugehen. Die Analysen zeigen, dass und wie Such- und Prüfhandlungen erfolgen: u. a. durch Sprachvergleich, Klangprobe, den Einsatz des Wörterbuchs. Zu beobachten sind auch Handlungen der Vereindeutigung, wie das Buchstabieren oder Zeigen (auf das jeweilige Wort) sowie Handlungen, die dazu dienen, Sicherheit zu markieren, um von den eingesetzten Ressourcen zu überzeugen. Diese Handlungen können zu Klärungen aber auch zu Verunsi‐ cherung führen. Mit dem Umgang mit (Un-)Sicherheit deutet sich ein zentraler Forschungsbereich an, der das Lernen allgemein betrifft und (nicht nur) für die Fremdsprachendidaktik noch weitgehend unerforscht ist (s. Kap. 4.2.1.). Mit der vorliegenden Arbeit konnten konkrete, fremdsprachenspezifische Formen des Umgangs mit Unsicherheit aufgedeckt und es konnte auf einen neuen Forschungsbereich hingewiesen werden, der insb. an die psychologische For‐ schung anknüpfen kann, z. B. an Lantermann (2009), der eine Psychologie der Unsicherheit entwickelt. Zudem konnte aufgedeckt werden, dass das kollaborative Schreiben auch und vor allem ein sozialer Raum ist. Durch die typologische Betrachtung wurden 286 4 Schlussbetrachtung <?page no="287"?> diejenigen Merkmale herausgearbeitet, mit denen die fünf Problemlösetypen beschrieben werden können. Davon lassen sich Voraussetzungen ableiten, die erfüllt sein müssen, um eine bestimmte Bearbeitungsform durchzuführen, die wiederum je nach Zielsetzung mit bestimmten Lerngelegenheiten einhergehen kann. Diese Merkmale und daraus abgeleiteten Voraussetzungen betreffen allgemein das soziale Miteinander (Umgang mit Verantwortung, mit Macht etc.). Sie sind damit weder schulnoch fremdsprachenspezifisch, beeinflussen aber maßgeblich auch das Geschehen im Fremdsprachenunterricht. Das Wissen darüber wiederum gibt Handlungsoptionen sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schülerinnen und Schüler. Deshalb sind diese Ergebnisse auch trotz oder gerade aufgrund der Allgemeingültigkeit für den Fremdsprachenkontext relevant. Diese Studie hat gezeigt, wie das kollaborative Schreiben in einem konkreten Setting funktioniert und was es für Theorie und Praxis bedeuten kann. Dabei konnte die bestehende Forschung zum kollaborativen Schreiben weitgehend bestätigt und um Einblicke in die Perspektive der Schülerinnen und Schüler erweitert werden. Die Relevanz der zwischenmenschlichen Ebene wurde her‐ ausgestellt und ein neuer Problemlösetyp („Sich Distanzieren“) erarbeitet. Dar‐ über hinaus wurden in Form von Thesen Möglichkeitsräume aufgezeigt, die auf fremdsprachendidaktische Themen deuten und Phänomene aufdecken, die weiter zu erforschen sind (4.2.1.). In Bezug auf die unterrichtliche Praxis wurden Anhaltspunkte für die Umsetzung des kollaborativen Schreibens erarbeitet (4.2.2.). Ausblicke In der Weiterführung dieser Überlegungen, die größtenteils auf den spezifischen Bedingungen dieser Studie gründen, sollen abschließend Überlegungen darüber angestellt werden, wie die vorliegende Studie ausgebaut werden könnte bzw. welche Aspekte sich für eine vertiefende Analyse besonders anbieten. Wie mehrfach erläutert, liegt der vorliegenden Studie ein begrenzter Daten‐ satz von acht Schreibgesprächen zugrunde. Es kann folglich eine Momentauf‐ nahme erfasst werden, ein begrenzter Einblick zu einem konkreten Zeitpunkt. Eine mögliche Erweiterung könnte darin bestehen, andere Klassenstufen und Schulformen in die Erhebung miteinzubeziehen, um damit mehr Repräsentati‐ vität zu erreichen und um zu erfahren, inwiefern es sich um Ergebnisse handelt, die auf allgemeine oder eben gruppen- oder altersspezifische Effekte zurückzu‐ führen sind. Allerdings muss dann gewährleistet sein, dass die Daten auch gleichermaßen tiefgründig bearbeitet werden können. Alternativ könnten an‐ stelle der Detailanalysen einzelne Aspekte in den Schreibgesprächen fokussiert 287 4.3 Diskussion und Ausblick <?page no="288"?> werden (wie z. B. die Aufgabenbearbeitung). Zu denken ist grundsätzlich auch an eine Ergänzung um quantitative Analysen: Deppermann (2008: 107) schlägt bspw. vor, die Aussagen, die bei einem gesprächsanalytischen Vorgehen erar‐ beitet wurden, korrelationsstatistisch zu prüfen. Außerdem könnten ergänzende Befragungen in Form von retrospektiven Interviews durchgeführt werden. Eine weitere Möglichkeit der Erweiterung besteht darin, den Zeitfaktor zu verändern und die Studie longitudinal auszurichten, wodurch repräsentativere Aussagen in Bezug auf den Datensatz (nicht nur Momentaufnahmen) und zudem eventuelle Entwicklungen nachvollzogen werden könnten. Neben Veränderungen bzgl. der Anlage der Studie könnte auch der Fokus der Arbeit verändert werden. Vielversprechend könnte hier sein, den Schwerpunkt weg von der interaktionalen Ebene hin auf die Ebene der Aufgabenbearbei‐ tung zu richten und danach zu fragen, wie routiniert, rasch, risikobereit die Schülerinnen und Schüler handeln und mit welchen Haltungen (pragmatisch, gleichgültig, perfektionistisch) dies einhergeht. Hier ist zu erwarten, dass ent‐ sprechende Typen entwickelt werden könnten, die Auskunft über die vorherr‐ schenden Einstellungen und Vorgehensweisen der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Aufgabenbearbeitung geben könnten. In den Daten zeichnen sich bspw. folgende Haltungen ab: „Riskieren“ vs. „Auf Nummer sicher gehen“, „Perfekt“ vs. „Hauptsache fertig“. Ein anderer, eher fremdsprachendidaktisch ausgerichteter Fokus könnte darin bestehen, die von den Schülerinnen und Schülern erarbeiteten Problem‐ lösungen stärker zu betonen und sie dabei auch (aber nicht ausschließlich) hinsichtl. ihrer sprachformalen Korrektheit zu untersuchen. Erste Einschät‐ zungen deuten darauf hin, dass die produzierten Lösungen überwiegend norm‐ sprachlich korrekt sind (vgl. auch die Ergebnisse von Storch 2013, 2016 u. a.). Soll es darum gehen, zu erfahren, auf welchem Weg sie zu ihren Lösungen gelangen, auf welche Ressourcen sie zurückgreifen und wie erfolgreich sie dabei sind, bietet es sich an, den Bearbeitungsprozess zu untersuchen und nicht einseitig fehlerfokussiert vorzugehen. Wobei kritisch zu durchdenken ist, wie ‚erfolgreich‘ definiert und erfasst werden kann. Soll es darum gehen, Lerneffekte zu messen, bieten sich vergleichende Verfahren an. Sie können auf einzelne sprachliche Einheiten gerichtet sein (inwiefern werden beim kollaborativen Schreiben neue Wörter oder Konstruktionen nachhaltig gelernt? ) oder auch auf größere Einheiten, wie bspw. die Textebene. Hier ist in erster Linie an den Vergleich von individuellen und kollaborativen Texten zu denken, wie er von Storch u. a. eingesetzt wird. Im Hintergrund steht dabei die Frage, ob und inwiefern das kollaborative Schreiben gegenüber dem individuellen Vorteile hat. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass eine normsprachlich korrekte 288 4 Schlussbetrachtung <?page no="289"?> Sprachverwendung nicht unbedingt mit hoher Textqualität einhergeht. Soll die Bewertung der Texte im Vordergrund stehen, sind Kriterien für Textqualität und deren Einschätzung zu entwickeln, die je nach Zielsetzung den normsprach‐ lichen Aspekt miteinschließen können und bereits für sich genommen ein umfassendes, komplexes Feld darstellen (s. hierzu auch Fußnote 11, S. 27). Interessant könnte auch der Zusammenhang zwischen der Art des Problems und dem gewählten Lösungsweg sein. In den Daten deutet sich bspw. an, dass zur Klärung orthografischer Probleme zunächst interne Wissensressourcen (Buchstabieren, Klangprobe) mobilisiert werden und bei weiterhin bestehender Unsicherheit wird mit dem Wörterbuch geklärt. Mit folgenden Fragen könnten dieser und ähnliche Zusammenhänge vertiefend untersucht und dabei erfasst werden, über welches Handlungsspektrum die Schülerinnen und Schüler ver‐ fügen: Wie werden orthografische Probleme bearbeitet? Gibt es hierfür typische, mehr oder weniger geeignete Vorgehensweisen? Ergänzend könnten die Schü‐ lerinnen und Schüler direkt dazu befragt werden, um die Beobachtungen mit Selbsteinschätzungen zu konfrontieren und um zu erfahren, wie bewusst sie vorgehen. Anzusetzen ist auch an den einzelnen, konkreten Handlungen der Schüle‐ rinnen und Schüler, die mit Problemlösesequenzen nicht unbedingt zu erfassen sind, sprachlerntheoretisch aber ergiebig sein könnten. Sie legen je nach Erkenntnisinteresse ggf. andere Analyseeinheiten (z. B. LRE ) und Analysevor‐ gehen (z. B. Dokumentarische Methode, Qualitative Inhaltsanalyse) nahe. Hier ist an das Spielen mit der Sprache zu denken oder auch den Einsatz von Me‐ tasprache, Klangprobe, Sprachvergleich und des Wörterbuchs. Diese Aspekte könnten detailliert analysiert und auch für andere Kontexte erhoben sowie ggf. verglichen werden: Was machen die Schülerinnen und Schüler mit welchem Ziel und Erfolg? Mit den Antworten auf diese Fragen, so wird angenommen, könnte auf den Stellenwert der jeweiligen Handlungen geschlossen und ggf. abgeleitet werden, wie ihr Handlungsspektrum erweitert werden könnte. Grundsätzlich wäre es hier wünschenswert, nachdem die in einer Klasse realisierten und gän‐ gigen Handlungen erhoben wurden, in einem nächsten Schritt zu untersuchen, welche Handlungen wünschenswert i. S. v. potentiell lernrelevant sein könnten. Dafür würde sich eine komparative Studie anbieten, in der z. B. die Handlungen von Schreibexperten mit denen der Schülerinnen und Schüler verglichen und eingeschätzt werden könnten. Aus schreibdidaktischer Perspektive besonders interessant wäre es, den Fokus auf das Schreiben und die damit verbundenen Einstellungen zu richten. In den vorliegenden Schreibgesprächen werden Einblicke in den Schreibprozess gegeben und diese enthalten auch Hinweise darauf, wie die Schülerinnen 289 4.3 Diskussion und Ausblick <?page no="290"?> und Schüler das Schreiben wahrnehmen. Es deutet sich an, dass es ihnen überwiegend darum geht, mit möglichst minimalem Aufwand die Erwartungen (in diesem Fall 120 Wörter) zu erfüllen. Ihre Texte erweisen sich überwiegend als wenig strukturiert und inhaltlich wenig zusammenhängend. Eingehender zu beforschen wäre hier, was das Schreiben allgemein und in Bezug auf Schule und Fremdsprachenunterricht für sie bedeutet, welches Verständnis eines ‚guten Textes‘ sie haben etc. Es sind, ausgehend von ersten Beobachtungen in den vorliegenden Daten, vertiefende Einblicke darin zu erwarten, wie die Schülerinnen und Schüler ihren Text und Schreibprozess bewerten, welches Fehlerverständnis sie dabei anlegen, wie sie ihre Vorgehensweise, aber auch die gegebene Aufgabenstellung wahrnehmen und reflektieren. Hier würde sich besonders anbieten die Texte einzubeziehen, um mögliche Zusammenhänge zwischen der Einstellung gegenüber dem Schreiben, konkretem Schreibprozess und -produkt zu erfassen. Ergiebig könnte auch eine komparative Betrachtung von Schreibexperten und weniger geübten Schreibenden sein, um eventuelle Unterschiede in der Vorgehensweise und den Resultaten herauszuarbeiten. Angesichts der Komplexität der jeweiligen Bereiche scheint es hier jedoch angebracht, sich auf Einzelaspekte zu fokussieren. Beispielsweise könnte hier ergiebig sein, sich jeweils einem Thema (wie Aufgabenbearbeitung, Umgang mit Fehlern, Einstellung zum kollaborativen Schreiben) zu widmen und dieses auf der Schreibprozess- und Schreibproduktebene zu untersuchen und in Bezie‐ hung zu setzen: die Erwartung seitens der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte sowie die konkreten Realisierungen. Ein weiterer Aspekt, der sich als zentral für das Lernen allgemein und das Lernen einer Fremdsprache im Speziellen erweist, ist der Umgang mit (Un-)Sicherheit. Dieser Aspekt konnte in der vorliegenden Arbeit als relevant identifiziert werden. Es scheint sich dabei um ein Phänomen zu handeln, welches es noch weitgehend zu erschließen gilt. Hier könnte z. B. eingehender analysiert werden, ob und wie die Schülerinnen und Schüler ihre Unsicherheit bewältigen, auf welche Ressourcen sie dabei zurückgreifen, an welcher Stelle sie nicht weiterkommen, welche Funktion die Handlung des Anzweifelns haben kann, wie und wozu sie Sicherheit markieren u. a. Nachdem mögliche Fokusse angedacht wurden, soll nun abschließend eine Möglichkeit vorgestellt werden, auf welchem Weg die theoretisch fundierten Einsichten in die Praxis gelangen, sprich wie die Schülerinnen und Schüler gefördert und unterstützt werden könnten. Ausgehend von den Analysen und konkreten Bestandsaufnahmen könnten einzelne Aspekte oder konkrete Handlungen, die sich als problematisch i. S. v. verbesserungswürdig herausge‐ stellt haben, aufgegriffen und ausgehend davon konkrete Übungen entwickelt 290 4 Schlussbetrachtung <?page no="291"?> werden. Eine Möglichkeit wäre die Konzeption, Erprobung und Begleitung entsprechender Module. Beispielhaft für eine derartige Vorgehensweise kann hier das von Schmölzer-Eibinger (2011) entwickelte 3-Phasen-Modell zur För‐ derung von Textkompetenz angeführt werden, das speziell für das Lernen in der Zweitsprache Deutsch erarbeitet wurde. Darin entwickelt sie zunächst Indikatoren, mittels derer sie die Textkompetenz erfassen möchte. Daraufhin erarbeitet sie konkrete, flexibel einsetzbare Aufgaben und Verfahren, die zur Förderung der Textkompetenz der Schülerinnen und Schüler eingesetzt werden können. Übertragen auf das kollaborative fremdsprachliche Schreiben könnte dies bedeuten, dass eine Art Leitfaden entwickelt wird, der Informationen darüber enthält, wie und wozu diese Schreibform (nicht) eingesetzt und mit welchen konkreten Fragen und Übungen dies realisiert werden kann. In einem ersten Modul wären die Voraussetzungen zu behandeln (Einstellungen, sprach‐ liche Ressourcen und soziale Bedingungen), daraufhin die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf diese Schreibform (theoretischer Input Schreib‐ prozess, Potentiale und Grenzen des kollaborativen Schreibens) und drittens die Entwicklung unterschiedlicher Einsatz-Szenarios, um a) den Schreibprozess wahrzunehmen, b) möglichst vielfältige Ideen zu generieren etc. Denkbar und wünschenswert wäre hierfür eine Kooperation von Forschenden, die den theoretischen Hintergrund erarbeiten und Lehrkräften, die die Praktikabilität einschätzen, die Rahmenbedingungen kennen und letztlich schaffen. Fazit Die Fortführungen der vorliegenden Arbeit, wie sie hier angedacht wurden, können Aussagen darüber geben, ob und wie die Möglichkeitsräume, die sich beim kollaborativen Schreiben ergeben können, bestehen und fremdsprachen‐ didaktisch genutzt werden könnten. Diese Ausblicke verorten die vorliegende Arbeit und eröffnen zahlreiche Ansatzpunkte für zukünftige Studien und Projekte. Dabei wurde stets dafür plädiert, den Blick mehr auf die Schülerinnen und Schüler zu lenken, sie selbst zu Wort kommen zu lassen, ihnen zuzuhören. Denn dass sie etwas zu sagen haben und dies häufig sehr differenzierte und unerwartete Einblicke gibt, konnte mit der vorliegenden Studie gezeigt werden. 291 4.3 Diskussion und Ausblick <?page no="293"?> Literatur Adams, Rebecca Jane & Ross-Feldman, Lauren (2011). Does writing influence learner attention to form? In Diane Belcher (Hrsg.). The oral-literate connection. Perspectives on L2 speaking, writing, and other media interactions (S. 243-267). 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Anhang 1: Schreibaufgabe Lien avec le pays - La France/ L’Allmagne à travers un endroit. Un endroit en France/ Allemagne … Réfléchir à des endroits en France/ Allemagne … [Landkarte von Deutschland/ Frankreich] 1. Notez des endroits (Orte) en France/ Allemagne que vous aimez ou qui vous intéressent et marquez-les sur la carte. (5 mn) Décrire un endroit en France/ en Allemagne … 1. Décrivez un endroit en France/ Allemagne que vous aimez ou qui vous intéresse (par ex. une rue, un café, une ville, un endroit dans la nature). Donnez envie de découvrir cet endroit ! a. Choisissez un endroit dans votre liste et entourez-le. b. Notez d’abord vos idées. (10 mn) c. Décrivez maintenant votre endroit de manière précise et détaillée (les caractéristiques, l’atmosphère, etc.). Ecrivez au moins 120 mots. (40 mn) Réviser le texte : 1. Prenez un crayon d’une autre couleur. Check-list : 1. Lisez votre texte une première fois et vérifiez : ☐ ... la forme des verbes (ils viennent). ☐ ... les accords en nombre et en genre (langue (f.) française; belles places). 2. Lisez votre texte une première fois et vérifiez : ☐ ... la compréhension (logique, liens entre les phrases). ☐ ... l’intérêt du texte (détails intéressants, atmosphère, etc.). a. Relisez votre texte à voix haute et corrigez-le, si nécessaire, à l’aide de la check-list. (15 mn) b. Trouvez un titre pour votre texte, écrivez-le. Ça y est. Vous avez terminé cet exercice ! <?page no="322"?> Anhang 2: Fragebogen I & II Fragebogen I Liebe Schülerin, lieber Schüler, in meinem Forschungsprojekt untersuche ich das Schreiben im Französischunterricht. Dafür benötige ich auch ein paar Informationen über Sie. Deshalb möchte ich Sie bitten diesen Fragebogen auszufüllen. Ihre Angaben werde ich selbstverständlich vertraulich behandeln und umgehend anonymisieren. Vielen Dank für Ihre Teilnahme! L. Pelchat (wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Kassel) 1. Allgemeine Angaben 1.1. Alter: ___________ 1.2. Geschlecht: weiblich ☐ männlich ☐ 1.3. Meine Muttersprache ist Deutsch ☐ andere: ____________________ 1.4. Welche Fremdsprachen haben Sie wie lange in der Schule gelernt? Englisch ☐ ________ Jahre Französisch ☐ ________ Jahre Spanisch ☐ ________ Jahre _____________ ☐ ________ Jahre _____________ ☐ ________ Jahre 1.5. Haben Sie längere Zeit ausserhalb Deutschlands gelebt? ja ☐ in ___________ von _____ bis _____ (Monat / Jahr) nein ☐ 2. Angaben zum Schreiben 2.1. Im Allgemeinen schreibe ich … sehr gern ☐ eher gern ☐ eher ungern ☐ sehr ungern ☐ Weil: … _______________________________________________________________ ______________________________________________________________________ 2.2. Schreiben fällt mir … sehr leicht ☐ eher leicht ☐ eher schwer ☐ sehr schwer ☐ Weil: … _______________________________________________________________ 322 Anhang <?page no="323"?> ______________________________________________________________________ 2.3. Französisch schreibe ich … sehr gern ☐ eher gern ☐ eher ungern ☐ sehr ungern ☐ Weil: … _______________________________________________________________ ______________________________________________________________________ 2.4. Schreiben in französischer Sprache fällt mir … sehr leicht ☐ eher leicht ☐ eher schwer ☐ sehr schwer ☐ Weil: … _______________________________________________________________ ______________________________________________________________________ 3. Angaben zum kollaborativen Schreiben 3.1. Partnerarbeit mache ich … sehr gern ☐ eher gern ☐ eher ungern ☐ sehr ungern ☐ Weil: … _______________________________________________________________ ______________________________________________________________________ 3.2. Haben Sie schon einmal mit einer anderen Person gemeinsam einen Text ge‐ schrieben? ja ☐ nein ☐ 3.3. Wenn ja, was hat gut funktioniert? ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Warum? ______________________________________________________________ ______________________________________________________________________ 3.4. Was hat schlecht funktioniert? ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Warum? ______________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Platz für Kommentare: […] Vielen Dank für Ihre Teilnahme! 323 Anhang 2: Fragebogen I & II <?page no="324"?> Fragebogen II Beantworten Sie abschließend bitte individuell folgende Fragen: 1. Angaben zur Partnerarbeit 1.1. Was hat bei der Partnerarbeit gut funktioniert? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Warum? ___________________________________________________________ __________________________________________________________________ 1.2. Was hat bei der Partnerarbeit schlecht funktioniert? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Warum? ___________________________________________________________ __________________________________________________________________ 2. Angaben zum kollaborativen Schreiben 2.1. Wie sind Sie beim Schreiben vorgegangen? ☐ Wir haben drauflosgeschrieben ☐ Wir haben zuerst geplant ☐ Wir sind hin- und hergesprungen ☐ Wir … ______________________________________________________ 2.2. Was ist Ihnen beim Schreiben leicht-, was schwergefallen? Leichtgefallen ist mir: Schwergefallen ist mir: _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ 2.3. Worüber haben Sie häufig nachgedacht (z. B. Konjugation, Textaufbau, Zeiten)? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Warum? ___________________________________________________________ __________________________________________________________________ 2.4. Was haben Sie gemacht, wenn Sie etwas nicht wussten oder unsicher waren? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ 324 Anhang <?page no="325"?> 2.5. Hätten Sie sich Unterstützung gewünscht? Wenn ja, wann und in welcher Form? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ 2.6. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Text? Markieren Sie auf dem Pfeil. sehr zufrieden sehr unzufrieden 1 2 3 4 5 6 Warum? __________________________________________________________ __________________________________________________________________ 2.7. Wenn Sie die Aufgabe nochmals bearbeiten würden, würden Sie etwas anders machen? Wenn ja, was und warum? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ 3. Was nehmen Sie aus dieser Stunde mit? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Platz für Kommentare: […] Vielen Dank für Ihre Teilnahme! 325 Anhang 2: Fragebogen I & II <?page no="326"?> Anhang 3: Kollaborativ verfasste Texte Zur besseren Lesbarkeit werden die hier wiedergegebenen Texte maschinen‐ schriftlich dargestellt und dabei soweit möglich die Textentstehungsspuren (wie nachträgliche Einfügungen, Korrekturen) sichtbar gemacht. Dyade 01: Jean und Pauline La ville Paris Les mieux et les mauvaises chos côtés de Paris Paris est une bonne beau et grande ville. Il y a beaucoup des parcs et jolies fleuves comme la Seine. Quand il fait beau, on peut aller dans une café et manger des crêpes. Aussi on pourrait visiter lea tour d’Eiffel. Mais quand on fait ça on va être là avec beaucoup des personnes et plupart des touristes. On peut pourrait penser que la tour d’Eiffel est très moche, alors on veut voir quelque chose plus joli, Qquelque chose comme la musée d’art, la Louvre. C’est une grande maison et une vielle maison. Dévant ce maison il y a une pyramide ce pyramide est reçue de verre. Dans la musée on peut trouver grande œuvres d’art. Par example la Mona Lisa des l’artiste Leonardo da Vinci. Mais c’est aussi une attraction pour beaucoup des touristes. A la fin* Paris est une beau ville mais elle est aussi surchargé. *on peut dire Dyade 02: Tom und Steffen Le port d’Hambourg Nous nous intéressons par le port d’Hambourg parce que le marchandage, les bateaux, l’organisation et l’atmosphère sont très intéressantes. Le marchandage au Hambourg est universel. Beaucoup de differentes choses sont transporter à beaucoup d’endroits. Le port est grand et beaucoup de bateaux lui passent pour transporter les choses. C’est très difficile d’organiser tout le trafic. C’est pourquoi le port a cet grand. L’atmosphère est très calme, naturale et détente. Il y a beaucoup de restaurantes où on peut manger et regarder les bateaux. Mais il est très intéressant en matin aussi quand les pêcheurs vendent leurs captures du poisson. Dyade 03: Elisa und Markus Munich Nous trouvons que Munich est une ville très belle. Il y a des maison très vielle mais aussi des maisons que sont modernes. C’est un parfait contrast de vielle et moderne. En plus il y a beaucoup des petites cafés que qui sont très charmant. Aussi Munich est plus grande que Kassel et il a y plus de boutique. 326 Anhang <?page no="327"?> Mais si tu n’aimes pas la vie en ville tu peutx aller dans la nature. La tu peux marcher où visites l’atractions comme la château Neuschwanstein. La ville est très Munich est très aimée chez les tourists les tourists. Une raison pourquoi la ville est comme aimée c’est l’Oktoberfest. Tous ces choses fait font Munich une ville interessante. Dyade 04: Emma und Lea-Sophie Un jour de la Champs-Élysées À Paris, il y a beaucoup d’attraction touristique et nous écrivons de la Champs-Élysées. Il est un beau jour et le soleil brille. Beaucoup de gens sont dans les rues et ils profitent le beau temps. Les femmes font du shopping dans les boutiques dans le Champs d-Élysées. Les hommes attent dans les café innombrables. Les arbre se balancent au gré du vent. Un clown drôle fait des animaux d’un des ballons et touts tous les enfants sont joyeux. Il y a beaucoup d’artists qui font des portraits pour les touristes de pays différents. A l’après-midi, il est beaucoup de trafic. L’air n’est plus très frais. Le soir arrive et des restaurants ouvert. Beaucoup de Des gens avec beaucoup d’argent mangent dans les restaurants très cher des spécialités français. Les femmes portent des robes chique et des hommes portent des costumes. Dyade 05: Lukas und Christian Le tour Eiffel, un endroit trés mouvementé Paris, le centre-ville de France, est un ville dans le centre et un peu en haut en France. L’attraction le plus importante est le tour eiffel. On peut faire beaucoup à l’endroit. Par exemple on peut se promener dans les grands parcs et sur les prés jolies. Ou on peut faire une tour sur un bateau sur le grand fleuve, il s’appelle „Seine“. C’est très bon pour se reposer. Quand on veut manger quelque chose, on peut aller chez une petite boulangerie ou chez un café devant le tour eiffel. En plus, on peut choisir un musée de beaucoup pour visiter des œuvres ou des bâtiments mieux vieux. Pour le soir, manger du fromage et du baguette et boire du vin dans une bonne restaurant à la Seine est très merveilleux. Dyade 06: Said und Philipp KCassel Cassel est une petite ville dans le millieu en de l’Allemagne. La Ville a à peu près 200 000 habitantes. La centre-ville est très grande mais dégagé. Il y a beaucoup de magasins et un centre commercial le „City Point“.* C’est le préfére centre des habitants de KCassel.* En puis on a une super view vue sur la Hercules et 327 Anhang 3: Kollaborativ verfasste Texte <?page no="328"?> sa la musée. La Hercules est grande et il est une „Weltkulturwerbe“. Samedi soir il y a jeu de l’eau dans la Hercules et becoupe de habitantes admirent la admirent la. La Hercules a sur une mont et en haut on peut contemler tous le Cassel contempler. Dans le soir, quand les lumieres ont avec la lumieres, il est très beau. * Aussi Il y a becoupé des magasins, que vendre becoupe de chose aussi. Dyade 07: Jana und Karin Un jour parfait à Paris Notre endroit, c’est Paris. Cette ville c’est la capitale de la France. Il y a beaucoup des endroits beaux. Par example le symbole de la ville, la Tour Eiffel. Après on peut promener au bord de la Seine et peut-être va au Paris pPlage quand il est été. A l’eau il a y beaucoup des bateaux et avec on peut faire une tour avec les. En plus il faut visiter Montmatre, le quartier d’ des artistes. Il y a la Sacre Cœur et devant on peut se laisser dessiner et manger qc. quelque chose au a une restaurante petite. Quelque qc chose il faut faire c’est passer la Champs Élysee. Il y a beaucoup des magasins, à de Chanel à d Dior toutes les marques sont existentes disponible. C’est un jour parfait à Paris! Dyade 08: Lina und Johanna Les vacances au Königssee Un bon endroit pour faire les vacances est le Königssee. Dans l’hiver on peut faire du ski parce que il y a d beaucoup de la neige. Il fait beau et il y a le soleil. Dans l’été on peut nager dans le lac et il y a aussi des bateaus avec on peut aller à St. Bartholome. C’est une île avec un très vielle église. Il y a des bell belle arbres et les petit arbres. Ils sont joli. Le Königssee est en Bavière. Les personnes qui habitent la sont très gentilles. Quand on n’aime pas aller avec le bateau, on peut faire un promenade dans les environs, parce qu’ils parce qu’ils sont beaux. Comme on aime le Bavière ou les lacs et les montages, on faut aller la. 328 Anhang <?page no="329"?> Anhang 4: Problemlösesequenzen (online zugänglich) online verfügbar unter www.meta.narr.de/ 9783823385288/ Anhang_4.pdf 329 Anhang 4: Problemlösesequenzen (online zugänglich) <?page no="331"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 01: Schreibmodell Flower / Hayes (1981: 370) . . . . . . . . . . . . . . . 32 Abb. 02: A descriptive model of the L2 composing process (Wang / Wen 2002: 242) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abb. 03: A model of dyadic interaction (Storch 2002: 128) . . . . . . . . . 64 Abb. 04: Phasen des Problemlöseprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Abb. 05: Textauszug SG03, 2. Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Abb. 06: Textauszug SG01, 6. Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Abb. 07: Textauszug SG01, 4. Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Abb. 08: Textauszug SG04, 2. Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Abb. 09: Textauszug SG07, 7. Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abb. 10: Darstellung der Problemlösetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Abb. 11: Thesen zum kollaborativen Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Abb. 12: Fragen zum Einsatz des kollaborativen Schreibens . . . . . . . 282 <?page no="333"?> Tabellenverzeichnis Tab. 01: Ablauf des Problemlöseprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Tab. 02: Ablauf Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Tab. 03: Erhobene Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Tab. 04: Beispiel tabellarische Erfassung einer Problemlösesequenz . . . 136 Tab. 05: Kurzbeschreibung der Dyaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Tab. 06: Merkmalsausprägungen der Problemlösetypen . . . . . . . . . . . . . 229 Tab. 07: Kurzbeschreibung der Problemlösetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Tab. 08: Übersicht Problemlösetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Tab. 09: Aspekte des kollaborativen Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 <?page no="334"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Wie kollaborativ ist kollaboratives Schreiben? Die Arbeit untersucht, wie Schüler: innen zu zweit in der Fremdsprache Französisch schreiben. Dabei fokussiert sie Momente, in denen sich die Paare uneinig oder unsicher sind, und analysiert, wie sie diese Situationen lösen. Mittels eines gesprächsanalytischen Vorgehens werden fünf Problemlösetypen rekonstruiert. Damit liefert die Studie detaillierte Einblicke in kollaborative Schreibprozesse. Sie legt differenzierte Schlüsse sowohl für die Schreibtheorie als auch die tägliche Unterrichtspraxis nahe und zeigt die Komplexität dieser Schreibform auf. ISBN 978-3-8233-8528-8