eBooks

Rekonstruktion und Erneuerung

Die neue Lehrwerkgeneration als Spiegel fremdsprachendidaktischer Entwicklungen

0516
2022
978-3-8233-9553-9
978-3-8233-8553-0
Gunter Narr Verlag 
Manuela Franke
Kathleen Plötner
10.24053/9783823395539

Aktuelle Lehrwerke für den Fremdsprachenunterricht sollen (und wollen) den Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, der Kultusministerkonferenz sowie Prinzipien der neokommunikativen Methode gerecht werden. In den letzten Jahren werden zudem Bedarfe an globaler Bildung und rassismus- und diskriminierungsfreien Inhalten sowie Wünsche nach digitalen Lösungen an das Lehrwerk herangetragen. Die Beiträge des Sammelbandes untersuchen die Konzeptionierung von Lehrwerken und den Einsatz derselben aus synchroner und diachroner Perspektive.

<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Aktuelle Lehrwerke für den Fremdsprachenunterricht sollen (und wollen) den Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, der Kultusministerkonferenz sowie Prinzipien der neokommunikativen Methode gerecht werden. In den letzten Jahren werden zudem Bedarfe an globaler Bildung und rassismus- und diskriminierungsfreien Inhalten sowie Wünsche nach digitalen Lösungen an das Lehrwerk herangetragen. Die Beiträge des Sammelbandes untersuchen die Konzeptionierung von Lehrwerken und den Einsatz derselben aus synchroner und diachroner Perspektive. Franke / Plötner Rekonstruktion und Erneuerung Manuela Franke / Kathleen Plötner (Hrsg.) Rekonstruktion und Erneuerung Die neue Lehrwerkgeneration als Spiegel fremdsprachendidaktischer Entwicklungen ISBN 978-3-8233-8553-0 <?page no="1"?> Rekonstruktion und Erneuerung <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Manuela Franke / Kathleen Plötner (Hrsg.) Rekonstruktion und Erneuerung Die neue Lehrwerkgeneration als Spiegel fremdsprachendidaktischer Entwicklungen <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24035/ 9783823395539 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8553-0 (Print) ISBN 978-3-8233-9553-9 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0367-1 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 7 13 55 77 105 125 145 175 195 219 Inhalt Manuela Franke & Kathleen Plötner Rekonstruktion und Erneuerung? Die neue und neueste Lehrwerkgeneration im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Lange Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung in Spanisch- und Französisch-Schüler: innenbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathleen Plötner Quo vadis, Grammatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anne-Marie Lachmund Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virtudes González El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español Michaela Rückl Lehrwerke für romanische Sprachen als Innovationsträger im Kontext curricular geförderter Mehrsprachigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sara Colombo Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht Janina M. Vernal Schmidt Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse einer Lehrwerklektion im historischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . Emma Dakla Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit aus Sicht von Französischlehrkräften der Primarstufe (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuela Franke Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung im Anfangsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="7"?> 1 Der Gebrauch des Begriffs ‚Lehrwerkgeneration‘ kann gerade in diesem Zusammen‐ hang hinterfragt werden und wird bspw. bei Brill (2005) kritisch diskutiert. Rekonstruktion und Erneuerung? Die neue und neueste Lehrwerkgeneration im Fokus Manuela Franke & Kathleen Plötner Lehrwerke für den Französisch-, Spanisch- und Italienischunterricht können auf eine jahrhundertelange Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte zu‐ rückblicken, die eng an die Entwicklung und Etablierung unterschiedlicher (Sprach)Lerntheorien und fremdsprachendidaktischer Konzepte sowie an bil‐ dungspolitische Vorgaben und Entscheidungen geknüpft ist. Um ein Lehrwerk zu einem wesentlichen Hilfsmittel für den Unterricht zu machen, ist eine enge Orientierung desselben an Curricula und Lehrplänen unumgänglich. Aktuelle Lehrwerke für den Fremdsprachenunterricht stellen sich der Herausforderung: Sie sollen (und wollen) einerseits den Anforderungen des GeR sowie Prinzipien der neokommunikativen Methode gerecht werden. Andererseits kommen in den letzten Jahren zusätzlich Forderungen nach globaler Bildung, rassismus- und diskriminierungsfreien Inhalten sowie digitalen Lösungen hinzu, die eben‐ falls berücksichtigt werden müssen. Ob dies schon immer gelingt, ob hier (Er)Neuerungen oder sogar Umbrüche festgestellt werden können oder aber, ob es sich eher um Rekonstruktionen bzw. um neue Präsentationsformen von tradierten Konzepten 1 handelt - die Untersuchung dessen ist Aufgabe der Lehrwerkforschung und Lehrwerkkritik, der sich der vorliegende Band zuordnet. Neben den inhaltlichen und methodischen Entwicklungen hat sich auch die Anzahl der verschiedenen Bestandteile eines Lehrwerks mit den wach‐ senden didaktisch-methodischen Herausforderungen gesteigert. 2014 umfasste ein Lehrwerk für eine Jahrgangsstufe beispielsweise bereits zwischen 30 und 40 verschiedene Lehrwerkkomponenten, wie etwa dem Schüler: innen- und Lehrer: innenbuch, Begleitheften (Grammatiktrainer, Vokabeltrainer, Arbeits‐ heft), auditiven und audiovisuellen Medien etc. (cf. Thaler 2014: 5). Lehrwerke <?page no="8"?> 2 Einen kurzen Überblick über den Wandel von analogen zu digitalen Lehrwerken liefern Funk & Kuhn (2020: 237 ff). sollen Lehrenden wie Lernenden als „multimedialer Verbund verschiedenster Materialien“ (Nieweler 2010: 175) den Unterrichtsalltag erleichtern sowie die von der KMK festgelegten Ziele, Kompetenzen und Inhalte umfassen (cf. Stöber 2010: 6). Als „Vermittler zwischen Curriculum und Unterrichtsgestaltung“ (Nieweler 2010: 175) gründen Lehrwerke auf sprachlichen, inhaltlichen und medialen Progressionen, die Lernende in einzelnen Kompetenzen schulen bzw. fördern (sollen). Arbeiten heute eine Vielzahl an Akteur: innen aus Theorie und Praxis bzw. aus Verlagswesen, Hochschule, Bildungsverwaltung, Schulpraxis etc. an der Konzeption von Lehrwerken mit - ein Beleg für die stärkere Theorie-Praxis-Ver‐ zahnung, die seit Jahren ein Desiderat im Bildungsbereich ist -, so waren diese zu früheren Zeitpunkten, etwa im 19. Jahrhundert, oftmals noch Produkte einzelner Personen. Durch die Kommerzialisierung der Lehrwerke, den Wandel des Bildungsbegriffs respektive die Popularisierung des Kompetenzbegriffs (cf. Lederer 2014), durch die Einführung und Stärkung von Bildungskonzepten wie etwa Differenzierung, Mehrsprachigkeit und Inklusion haben sich die Erwartungen an Lehrwerke in den letzten Jahren verändert. Zudem führen die zunehmende Medialisierung und Mediatisierung von Lebensbereichen zu Rekonstruktionen, Erneuerungen und Umbrüchen in ihrer Gestaltung und ihren Inhalten. Lehrwerke sind aufgrund ihrer Orientierung an und der Erfüllung von einer Vielzahl an Anforderungen seitens verschiedener Bildungsakteur: innen als Spiegel von gesellschaftlichen, bildungspolitischen sowie fachdidaktischen Entwicklungen zu erachten (cf. Haggarty & Pepin 2002). Aus einer didaktischen Perspektive werden sie aktuell als eine Kombination von „teaching, learning, and workbooks“ (Fuchs & Henne 2018: 25) bezeichnet. Als „Kinder ihrer Zeit“ (Surkamp 2017: 206) spiegeln sie bestenfalls die zum jeweiligen Zeitpunkt bzw. für den jeweiligen Zeitraum gültigen und ggf. auch umstrittenen Inhalte, Konzepte und Methoden des Fremdsprachenlehrens und -lernens wider. Dies zeichnet sich vor dem Hintergrund der voranschreitenden Digitalisierung und dem damit einhergehenden bzw. noch bevorstehenden Wandel der Lehrwerke 2 erneut ab. Eine Vielzahl der Lehrbücher liegt bereits als E-books vor; in der Regel wird aber (noch) die Printversion favorisiert. Im Gegensatz dazu ist das Begleitmaterial für Lehrende bereits hauptsächlich in digitaler Form erhältlich. Pandemiebedingt sind Fragen der Digitalisierung noch einmal in ein neues Licht gerückt worden und zukunftsweisende Maßnahmen erforderlich, die dem 8 Manuela Franke & Kathleen Plötner <?page no="9"?> autonomen Lernen mit dem Lehrwerk sowie synchronen und asynchronen Lernformaten zuträglich sind. Erste Apps zum Vokabellernen (z. B. Vokabel‐ trainer-App zu À plus ! ) sind nun auch auf dem Bildungsmarkt erhältlich, zur eher spärlichen Nutzung durch Lernende liegen bis dato nur Aussagen von Verlagsvertreter: innen vor. Digitalisierung und Lehrwerke in pandemischen und postpandemischen Zeiten bilden umso mehr ein interessantes Forschungsfeld, als dass lange Zeit Lehrwerke für Lehrkräfte weitaus wichtiger als die Rahmenbzw. Bildungspläne waren (Börner et al. 2011: 37). Insbesondere in der Spracherwerbsphase der Sekundarstufe I wird der Fremdsprachenunterricht - im Vergleich zur Primar- und Oberstufe - stark vom Lehrwerk gesteuert (für den Französischunterricht z. B. Fäcke 2017: 212; Thaler 2014: 6, Fuchs et al. 2010: 150). In einigen Bundesländern, so Nieweler (2000: 14-15), konnte sogar beobachtet werden, dass sich didaktische Innovationen zunächst im Lehrbuch manifestierten und erst anschließend in die Rahmen-/ Bildungspläne übernommen wurden. Aktuell stellt sich die Frage, wie sich Lehrwerke hier positionieren (können), welche digitalen Innovationen sie übernehmen, wie sie Medien(einsatz) thematisch und methodisch in ihren Reihen weiterentwickeln und ob sie sich weiterhin gegenüber anderen Materialangeboten durchsetzen können. Die Kommerzialisierung von und rasante Zunahme an Lehrwerken im 20. Jahrundert spiegeln sich auch auf der Ebene ihrer Beforschung wider. Während die Aufmerksamkeit zu Beginn der Lehrwerkforschung insbesondere auf den Inhalten lag, lässt sich in den letzten Jahren eine Diversifizierung der Forschungsinteressen verzeichnen: Wissenschaftler: innen fokussieren nun‐ mehr die Entstehungskontexte von Lehrwerken und deren politische, kulturelle und soziale Einbettung (cf. Fuchs & Bock 2018: 1 f). Zudem werden neben Studien zur Lehrwerkentwicklung zunehmend wissenschaftliche Lehrwerkanalysen zu zentralen fachdidaktischen Kompetenzen und Konzepten durchge‐ führt (z. B. Usener 2016), meist in Kombination mit ausführlichen Kritiken. Ein noch wenig beforschter Bereich, vor allem auch in der Romanistik, ist die Lehrwerkverwendung und -rezeption seitens der Lehrkräfte, Lernenden und Eltern. In diesem Band werden die ab 2012 publizierten Auflagen der (teilweise noch) aktuellen Lehrwerkgeneration von Cornelsen, Klett, Diesterweg & Co. für den schulischen Unterricht für die 2. und 3. Fremdsprachen beforscht. Mit Untersuchungen zu À plus ! 1 (2020), Découvertes 1 (2020) und Encuentros hoy 3 (2020) wird die nun anlaufende neueste Lehrwerkgeneration in drei Artikeln berücksichtigt. Obwohl Verlage - wie oben geschildert - eine Vielzahl an Ma‐ terialien zum Erwerb der zweiten und dritten Fremdsprachen anbieten, spiegelt 9 Rekonstruktion und Erneuerung? Die neue und neueste Lehrwerkgeneration im Fokus <?page no="10"?> sich auch in der Mehrzahl der Untersuchungen (zum Schüler: innenbuch) im vorliegenden Band wider, dass das Schüler: innenbuch und das dazugehörige Arbeitsheft - wie bereits 2010 von Kurtz festgehalten - als die wichtigsten Medien im schulischen Fremdsprachenunterricht erachtet werden. Die zuvor beschriebene Vielfalt an Anforderungen an Lehrwerke zeigt sich in der thema‐ tischen Diversität der lehrwerkanalytischen Beiträge des Sammelbandes, die sich mit dem aufgabenorientierten Ansatz, mit Grammatik, Aussprachschulung, Mehrsprachigkeitsförderung, Lernvideos und Rassismuskritik beschäftigen. Zudem beinhaltet der Band zwei empirische Studien zum Lehrwerkeinsatz in der Schule. Julia Lange widmet sich in ihrem Beitrag dem aktuellen Stand der Ausspra‐ cheschulung in Französisch- und Spanischlehrwerken. Zu diesem Zweck führt sie eine umfassende Analyse von jeweils fünf Schüler: innenbüchern und den dazugehörigen Arbeitsheften für das erste Lernjahr durch. Kathleen Plötner untersucht kontrastiv Entwicklungen in den Schüler: innen‐ büchern und Arbeitsheften von À Plus ! 1 aus den Jahren 2012 und 2020 hinsichtlich des Lehrlerngegenstands ‚Grammatik‘. Anne-Marie Lachmund widmet ihren Artikel verschiedenen Lernvideos in den Schüler: innenbüchern und Begleitmaterialien von À Plus ! 1 (2020) und Découvertes (2020). Sie stellt Funktionen, Vorteile und Formen von Lernvideos vor und prüft das Angebot der analysierten Lehrwerke hinsichtlich ihrer Qualität. Virtudes González untersucht die Umsetzung des aufgabenbasierten Ansatzes in Spanischlehrbüchern des Anfangsunterrichts. Michaela Rückl befasst sich vor dem Hintergrund curricular geförderter Mehrsprachigkeit mit der möglichen Innovationsfunktion von Lehrwerken für romanische Sprachen. Auch Sara Colombo fokussiert das Thema Mehrsprachigkeit. Sie stellt in ihrem Beitrag eine Untersuchung von Italienischlehrwerken hinsichtlich ihrer mehrsprachendidaktischen Konzeption vor. Janina Vernal-Schmidt befasst sich mit rassismuskritischen Ansätzen und deren Umsetzung am Beispiel der Darstellung der Kolonialisierung Amerikas in zwei Spanischlehrbüchern. 10 Manuela Franke & Kathleen Plötner <?page no="11"?> Emma Dakla arbeitet zum Einsatz von Lehrwerken in der Grundschule. Anhand einer Interviewstudie stellt sie die Erfahrungen von Lehrkräften mit Lehrwerken im Französischunterricht der Primarstufe vor. Manuela Franke legt ebenfalls den Fokus auf die Nutzung von Lehrwerken. In ihrem Aufsatz stellt sie erste Analyse-Ergebnisse zur Kompetenz Sprechen aus einer Untersuchung zur Lehrwerksverwendung basierend auf Beobachtungs‐ protokollen von Studierenden aus dem Spanisch- und Französischunterricht der Sekundarstufe I vor. Bibliographie Börner, Otfried & Edelhoff, Christoph & Rebel, Karlheinz & Schmidt, Torben & Schröder, Konrad (2011): „Funktion und Profil von Lehrwerken in der Epoche von Standards und Kompetenzen“. In: Gnutzmann, Claus & Königs, Frank & Küster, Lutz (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen, 40 (2). Tübingen: Narr, 31-48. Brill, Lilli Marlen (2005): Lehrwerke/ Lehrwerksgenerationen und die Methodendiskussion im Fach Deutsch als Fremdsprache. Aachen: Shaker. Fuchs, Eckhardt & Bock, Annekatrin (2018): „Introduction“. In: Fuchs, Eckhardt & Bock, Annekatrin (Hrsg.): The Palgrave Handbook of Textbook Studies. New York: Palgrave Macmillan, 1-9. Fuchs, Eckhardt & Henne, Kathrin (2018): „History of Textbook Research“. In: Fuchs, Eckhardt & Bock, Annekatrin (Hrsg.): The Palgrave Handbook of Textbook Studies. New York: Palgrave Macmillan, 25-56. Fuchs, Eckhardt & Niehaus, Inga & Stoletzki, Almut (2014): Das Schulbuch in der Forschung. Analysen und Empfehlungen für die Bildungspraxis. Göttingen: V&R unipress. https: / / repository.gei.de/ bitstream/ handle/ 11428/ 170/ 9783847103851_Fuchs%20et%20a l_Schulbuch%20in%20Forschung_WZ.pdf? sequence=1&isAllowed=y, Zugriff: 23.05.2021. Funk, Hermann & Kuhn, Christina (2020): „Die Arbeiten mit digitalen Lehrwerken“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. & Martinez, Hélène (Hrsg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Friedrich Verlag, 236-240. Haggarty, Linda & Pepin, Birgit (2002): „An Investigation of Mathematics Textbooks and Their Use in English, French and German Classrooms. Who Gets an Opportunity to Learn What? “. In: British Educational Research Journal 28, 4, 567-590. Kurtz, Jürgen (2010): „Zum Umgang mit dem Lehrwerk im Englischunterricht“. In: Fuchs, Eckhardt & Kahlert, Joachim & Sandfuchs, Uwe (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte - Produktion - Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 149-163. 11 Rekonstruktion und Erneuerung? Die neue und neueste Lehrwerkgeneration im Fokus <?page no="12"?> Lederer, Bernd (2014): Kompetenz oder Bildung. Eine Analyse jüngerer Konnotationsver‐ schiebungen des Bildungsbegriffs und Plädoyer für eine Rück- und Neubesinnung auf ein transinstrumentelles Bildungsverständnis. Innsbruck: innsbruck university press. Nieweler, Andreas (2010): „Lehrwerke“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon. Fremdsprachendidaktik. Stuttgart: Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, 175-176. Nieweler, Andreas (2000): „Sprachenlernen mit dem Lehrwerk - Thesen zur Lehrbuch‐ arbeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Fery, Renate & Raddatz, Volker (Hrsg.): Lehrwerke und ihre Alternativen. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 13-19. Stöber, Georg (2010): „Schulbuchzulassung in Deutschland. Grundlagen, Verfahrens‐ weisen uns Diskussionen“. In: Eckert. Beiträge 3, 1-24. http: / / lernenimspiel.de / wordpress/ wp-content/ uploads/ 2016/ 05/ Stoeber_Schulbuchzulassung.pdf, Zugriff: 23.05.2021. Thaler, Engelbert (2014): „Lehrwerk-Kompetenz“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht Basisheft, 1/ 2014. Cornelsen, 4-8. Usener, Jana (2016): Lehrwerke und interkulturelle Kompetenz im Spanischunterricht. Analyse und Perspektiven. Universität Halle: Dissertation. d-nb.info/ 1116950545/ 34, Zugriff: 04.05.2021. 12 Manuela Franke & Kathleen Plötner <?page no="13"?> Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung in Spanisch- und Französisch-Schüler: innenbüchern Julia Lange In der vorliegendem Studie wird die Gestaltung der Ausspracheschulung in fünf Französisch-Schüler: innenbüchern und fünf Spanisch-Schüler: in‐ nenbüchern (eingesetzt in Nordrhein-Westfalen) untersucht. Die Analyse zeigt, dass die Schüler: innenbücher der Beziehung zwischen Schreibung und Aussprache die höchste Bedeutung zuordnen. Andere Aussprache‐ schwierigkeiten auf segmentalem und besonders auch auf suprasegmen‐ talem Niveau stehen dahinter zurück. Eine Optimierung der Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenzen erscheint sinnvoll, um segmentale und v. a. suprasegmentale Ausspracheschwierigkeiten besser bzw. überhaupt einbeziehen zu können. Was die rein phonetisch-phonologische Ausspra‐ cheschulung angeht, so werden Teilkompetenzen der Aussprache wie diskriminierendes oder identifizierendes Hören oft übersprungen. Auch sind die Ausspracheübungen in den Schülerbüchern kaum wiederholend angelegt. 1 Einleitung Die Aussprachevermittlung steht im modernen Fremdsprachenunterricht als Teil der sprachlichen Mittel im Dienst der Herstellung von kommunikativer Kompetenz. Hierbei gerät sie noch leichter als Grammatik, Wortschatz oder pragmatische Elemente in die Gefahr, vernachlässigt zu werden (cf. Mertens 2011: 66: 81). Während didaktische Rahmenlinien, wie etwa der aktuelle Kernlehrplan NRW, der Aussprache eine ähnlich hohe Bedeutung beimessen wie anderen sprachlichen Mitteln (cf. KLP NRW 2019: Sekundarstufe I: 19-20), ist die Bedeu‐ tung und die Gestaltung der Aussprachevermittlung im Fremdsprachenunter‐ richt noch größtenteils unklar. Zum aktuellen Forschungsstand in Hinblick auf die Aussprachevermittlung in Französischlehrwerken schreiben Horvath <?page no="14"?> 1 Der historische Überblick bei Reimann (2016: 4-30) ist die einzige mir bekannte Studie, die in Hinblick auf die Ausspracheschulung (auch) Spanisch-Lehrwerke berücksichtigt. 2 Die während des Erstspracherwerbs entstandenen ausspracherelevanten kognitiv-neu‐ ronalen Strukturen beeinflussen die spätere Sprachwahrnehmung sämtlicher phone‐ tisch-phonologischer Eindrücke enorm. Bereits Trubetzkoy (1967: 47-49) sprach hier von den sogenannten ‚phonologischen Sieben‘ bzw. ‚cribles phonologiques‘. Die starke Wirksamkeit der kategorialen Wahrnehmung im Bereich der Sprachlaute ist in der Erstspracherwerbsforschung lange bekannt (cf. Klann-Delius 2016³: 25-27, Schade & Barattelli 2003: 83) und wurde auch schon früh für die Wahrnehmung fremdsprachli‐ cher oder nichtsprachlicher Laute festgestellt (cf. Warren 1970, Bieritz 1971: 4-9). u. a. (2019: 92): „Ein systematischer Vergleich der derzeit im deutschsprachigen Raum eingesetzten Französischwerke [sic] bleibt ein Desiderat.“ Bei den Spa‐ nisch-Lehrwerken ist die Forschungslage ebenfalls unbefriedigend. 1 Die vorlie‐ gende Studie soll ein erster Ansatzpunkt sein, um dieses Desiderat zu bereinigen. 2 Bewertungsgrundlage: Forschungsstand zur Aussprachedidaktik Als Grundlage für die Bewertung der Analyseergebnisse werden im Folgenden zunächst die wichtigsten Ansprüche an eine gelingende Aussprachedidaktik im Überblick zusammengetragen. 2.1 Aufbrechen der Strukturen der L1 durch bewusstes und häufiges Hören und darauf aufbauendes Sprechen Dem bewussten und aufmerksamen Hören kommt in der fremdsprachlichen Aussprachevermittlung eine besondere Rolle zu, denn erst durch ausreichend umfangreiche und systematische Höreindrücke können Lernende überhaupt in die Lage versetzt werden, neue kognitive Kategorien im Bereich der Aussprache zu erwerben (Kaunzner ²2017: 5-6). Grund hierfür ist, dass die phonologischen Kategorien der L1, die während des Erstspracherwerbs erworben werden, kognitiv besonders fest verankert sind. 2 Da durch direkte Vergleiche neue Laute besser wahrgenommen und erfasst werden können, „[…] spielen diskriminatorische Übungen zur Sensibilisierung […] (le vent - le vin) […] eine wichtige Rolle“ (Nieweler 2017: 119, cf. auch Dieling & Hirschfeld 2000: 49-50). Das aufmerksame Hören sollte aus diesen Gründen am Beginn der Aussprachevermittlung stehen (ebd., Hirschfeld 2011: 13-14, Mordellet-Roggenbuck 2005: 17-18). Es ist darauf zu achten, dass zu denselben Ausspracheproblemen sowohl Hörübungen als auch Sprechübungen angeboten werden und die Sprechübungen auf den Hörübungen aufbauen (Dieling & Hirschfeld 2000: 48, Göbel & Graffmann 1977: 3-6). 14 Julia Lange <?page no="15"?> 3 Zum Beispiel die Liaison im Französischen und die Diphthongierung im Spanischen an den Wortgrenzen. Da die Veränderung stark verfestigter neuronaler Netzwerke und motori‐ scher Bewegungsmuster sehr anstrengend ist, sollten Lerneinheiten zur Aus‐ sprache kurz und häufig sein und ausreichend Wiederholungen enthalten; dies bedeutet konkret, dass Ausspracheübungen nicht eine ganze Unterrichtseinheit, sondern nur kurze Teile dieser einnehmen, dafür jedoch in mehreren Unter‐ richtseinheiten aufgegriffen werden sollten (Hirschfeld 2000: 15, Kaunzner ²2017: 7, Cauneau 1992: 21, Göbel & Graffmann 1977: 3). 2.2 Die Bedeutung von Suprasegmentalia Unter Suprasegmentalia werden im Folgenden lautliche Phänomene ver‐ standen, die den Einzellaut überschreiten. Dazu zählen hier Prozesse zwischen Lauten und Silben 3 , Wort-/ Phrasenakzent (Betonung bestimmter Silben im Wort oder in der Wortgruppe) und Intonation. Sprachwahrnehmung verläuft über zwei Wege, den Weg top-down (es wird zunächst eine Gesamtbedeutung wahrgenommen, die im zweiten Schritt mit Details ausgefüllt wird) und den Weg bottom-up (Einzelbestandteile einer Äußerung werden zu einer Gesamtbedeutung zusammengeführt) (Barattelli & Schade 2003: 86). Bedeutung wird also immer in entscheidendem Maß auch über Rhythmus und Satzmelodie vermittelt. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, schlussfolgern einige Autor: innen, dass es sinnvoll ist, suprasegmentale Phänomene in der Aussprachevermittlung möglichst früh, bereits vor der Beschäftigung mit einzelnen Lauten, anzusetzen. Mordellet-Roggenbuck (2005: 23-24) wählt die Prosodie als ersten Gegenstand der Aussprachevermittlung im Französischunterricht: Pourquoi […] placer ce chapitre [sur la prosodie] en début de cours ? D’une part, parce que les faits prosodiques sont décisifs pour la compréhension et pour la prononciation de l’énoncé oral. Klimow […] va même jusqu’à affirmer que la prosodie de la langue prédestine l’articulation. Ainsi, dit-il, si la prosodie en cours de langue étrangère est bien mise en place dès le début de l’enseignement, l’articulation des sons suivra automatiquement. […] Cauneau (1992: 36-37) berichtet vom Erfolg eines solchen Ansatzes im Rahmen der verbo-tonalen Methode von Guberina: Auf der Suche nach einer Verbesserung der Ausspracheschulung beobachtete [Prof. Guberina] Schauspieler einer französischen Theatertruppe […] Mit seinen Mitarbei‐ tern achtete er besonders auf Intonation, Rhythmus und Körpersprache der Schau‐ 15 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="16"?> 4 Da es im Spanischen einen Wortakzent und keinen Phrasenakzent gibt, ist das Hör‐ verstehen hier vermutlich für Lernende mit Deutsch als L1 zumindest diesbezüglich etwas einfacher. Dennoch verfügt auch das Spanische über dem Deutschen unbekannte prosodische Phänomene (cf. Kap. 4.2.4.). spieler. […] Er ermunterte seine Studenten zur Nachahmung - mit Erfolg; sie bekamen tatsächlich eine bessere Aussprache. Von da an wurden Intonation, Rhythmus und Körpersprache wichtige Elemente in der Ausspracheschulung. […] Dieling & Hirschfeld (2000: 32) argumentieren, dass „erfahrungsgemäß […] Artikulationsabweichungen vom Hörer viel eher verarbeitet und auch viel eher toleriert [werden] als Verstöße gegen den Sprechrhythmus, gegen den Wort- und Satzakzent oder falsche melodische Muster“. Auch Reimann (2016: 37-38) und Hirschfeld (2011: 15) erwähnen die Wichtigkeit einer frühen Vermittlung prosodischer Kompetenz. Allerdings verläuft die Aussprachevermittlung heute meist entgegengesetzt. Erst sind Einzellaute und danach - wenn sie nicht vollständig weggelassen werden - prosodische Phänomene Gegenstand der Ausspracheschulung (Mor‐ dellet-Roggenbuck 2005: 23, Dieling & Hirschfeld 2000: 32). Grund hierfür ist vermutlich, dass die Realisierung prosodischer Elemente als für zu schwierig für das Anfänger: innenniveau angesehen wird: „L’expérience montre que la prononciation en groupes rythmiques est une des grandes difficultés des débutants en français“ (Mordellet-Roggenbuck 2005: 38). Übersehen wird jedoch, dass - abgesehen von den oben genannten Vorteilen des frühzeitigen Vermittelns prosodischer Strukturen - das Hörverstehen zumindest in Französisch 4 entscheidend behindert wird, wenn prosodische Phänomene nicht von Anfang an eingebunden werden: […] l’auditeur de langue maternelle française orientera son écoute vers la fin du groupe rythmique porteur de l’accent alors que le germanophone ‘attend’ des proé‐ minences actuelles pour chaque mot et sera dérouté de ne pas les trouver en français s’il n’y est pas préparé (Mordellet-Roggenbuck 2005: 34). Mordellet-Roggenbuch schlägt deswegen vor, prosodische Strukturen im An‐ fänger: innenunterricht zu vermitteln durch häufiges aufmerksames Hören verschiedenster Hörtexte aus diversen Medien (Mordellet-Roggenbuck 2005: 34), durch einfache, kurze Wortgruppen wie ça va, ça va très bien, elle est là, ils ont seize ans (Mordellet-Roggenbuck 2005: 38) und durch eine Konzentration auf die Grundschemata der Intonation unter Vermeidung der individuellen und expressiven intonatorischen Mittel (Mordellet-Roggenbuck 2005: 36). 16 Julia Lange <?page no="17"?> 5 Darüberhinausgehend schlagen Dieling & Hirschfeld (2000: 63-64) vor, die Relevanz von Aussprache mit den Schüler: innen zu reflektieren und sie ihre Einstellungen zum Ausspracheerwerb formulieren zu lassen. Wild (2015: 185) betont, dass die Lernenden sich bewusst dafür entscheiden müssen, ihre Aussprache zu verbessern. 2.3 Beachten von psychologischen Barrieren Gerade im Bereich der Ausspracheschulung muss beachtet werden, dass der Er‐ werb einer neuen Aussprache in vielfältiger Weise auf psychologische Barrieren treffen kann, beispielsweise können öffentliche Ausspracheübungen als peinlich erlebt werden (Hirschfeld 2011: 13, Dieling & Hirschfeld 2000: 63, Mertens 2011: 67). Eine der Lösungen, die für dieses Problem gesehen wird, ist das Gestalten von Ausspracheübungen als Spiel (cf. Dieling & Hirschfeld 2000: 64). 5 2.4 Die Rolle der Imitation (Zuhören und Nachsprechen) in der Ausspracheschulung Mertens (2011: 67-68) fand in seiner Befragung von Studierenden zu ihrem schulischen Französischunterricht unter anderem heraus, dass die Imitation in der Aussprachevermittlung eine große Rolle spielt. Er beurteilt dies größtenteils negativ, indem er klarstellt, dass der Imitation ein behavioristischer Lernbegriff zugrunde liegt, und indem er Imitation mit „der impliziten, beiläufigen Arbeit an der Aussprache“ in Verbindung bringt (Mertens 2011: 67). Das Problem an der Imitation ist weniger der methodische Ansatz der Imitation an sich, sondern ihr ausschließlicher, unreflektierter und ungezielter Einsatz (Dieling & Hirschfeld 2000: 56). Ein Imitationsauftrag setzt nämlich mehrere Kompetenzen voraus: erstens, das genaue Hören und zweitens, die prä‐ zise Steuerung der Sprechwerkzeuge (Dieling & Hirschfeld 2000: 56). Um eine erfolgreiche Imitationsleistung zu erzielen, sollte zunächst das genaue Hören geübt werden (siehe Kap. 2.1.). Auch sollte die Aussprachevermittlung nicht bei der Imitation stehen bleiben, sondern mit produktiven und angewandten Sprechübungen fortfahren, wie es z. B. das Konzept von Dieling & Hirschfeld (2000: 57-62) vorsieht. 2.5 Die Rolle kognitivierender Vermittlung Mehrere Autor: innen heben hervor, dass Kognitivierung den Ausspracheerwerb erleichtern und beschleunigen kann. Grünke (2019: 43-44, 52) fand in seiner Untersuchung zum Erwerb der spanischen Spiranten [β, ð, ɣ] heraus, dass die Bewusstmachung einen positiven Einfluss auf den Erwerb der Spiranten hatte oder sogar ein ausschlaggebender Punkt für den Erwerbsfortschritt war. Für Kaunzner (2017³: 6) ist das Wechselspiel von imitativem und kognitivem Lernen wichtig. Für Reimann, der der Kognitivierung viel Raum in seiner Konzeption einer 17 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="18"?> Ausspracheschulung einräumt, ist das Wechselspiel von „Kognition bzw. Kogniti‐ vierung, Emotion (affektive Komponente der Aussprache) und Motorik (Zunge als Muskel, Trainingsbedarf! )“ zentral (Reimann 2016: 38). Göbel & Graffmann (1977: 3) sehen die Bewusstmachung des relevanten Aussprachephänomens als Voraussetzung für eine gelingende Vermittlung an. Dieling & Hirschfeld (2000: 35-36) erläutern, dass kognitivierende Vermittlungsformen besonders für ältere Schüler: innen sinnvoll sind, während jüngere Schüler: innen oft noch relativ viel Fortschritt durch Imitation machen können. Mordellet-Roggenbuck (2005, 16) weist allerdings aufgrund ihrer „observations pratiquées en classe de français à l’école primaire“ darauf hin, dass es auch bei Schüler: innen im Grundschulalter nicht ausreichend ist, sich ausschließlich auf die imitative Methode zu verlassen. Kognitivierende Vermittlung kann einerseits über lehrer: innen- oder schüler: innenerstellte mündliche oder schriftliche Informationstexte erfolgen (z. B. wie sie Reimann 2016: 42-46, 50-60 vorstellt), andererseits mittels Erschlie‐ ßung (Dieling & Hirschfeld 2000: 35-36). Die Erschließung ist heute vor allem im Bereich des Verhältnisses von Schreibung und Lautung gängige Praxis in den Französisch- und Spanisch-Lehrwerken (siehe Kap. 4.2.2. und 4.3.3.), wird jedoch in der fachdidaktischen Literatur außer von Dieling & Hirschfeld (2000: 35-36) und Hirschfeld (2011: 15) kaum erwähnt. Ein vieldiskutiertes Mittel der kognitivierenden Vermittlung von Aussprache ist die Verwendung des Internationalen Phonetischen Alphabets. Nieweler (2017: 119) hält fest: „Die Beherrschung der Lautschrift wird heute nur noch passiv verlangt.“ Wichtig ist ihm vor allem der Nutzen des IPA für die selbstständige Erarbeitung neuen Vokabulars. Dieling & Hirschfeld (2000: 41-42) führen Vor- und Nachteile des IPA im Fremdsprachenunterricht auf und kommen zu dem Schluss, dass die Vorteile des IPA überwiegen, auch wenn die Probleme - vor allem die Komplexität - nicht zu verleugnen sind. Wichtige Pro-Argumente sind für die Autorinnen z. B. die Nützlichkeit des IPA für selbstständige Wortschatzarbeit, für die Sichtbarmachung von Gegenständen der Hör- und Sprechübungen, die Eindeutigkeit und Korrektheit des IPA in der Darstellung bestimmter Laute - ein Vorteil, den orthographische Lautumschriften wie z. B. schö süi für je suis nicht unbedingt aufweisen - und die Möglichkeit, den Unterschied von Lautung und Schreibung auf kognitiver Ebene zu verdeutlichen (Dieling & Hirschfeld 2000: 41). Das IPA wird auch in den Konzeptionen der Aussprachevermittlung von Reimann (2016) und Mordellet-Roggenbuck (2005) verwendet. 18 Julia Lange <?page no="19"?> 6 Im Analyseteil wird bei den Titeln der Schüler: innenbücher die Bandnummer wegge‐ lassen. Es handelt sich immer um die Bandnummer 1 (erstes Lernjahr). 3 Korpus und Analysefragen Es werden fünf Französisch- und fünf Spanisch-Schüler: innenbücher unter‐ sucht. Die untersuchten Schüler: innenbücher sind in Nordrhein-Westfalen zugelassen und für Schüler: innen im ersten Lernjahr und in der Sekundarstufe I konzipiert (eine Ausnahme ist Encuentros hoy 1  6 für Spanisch als dritte Fremd‐ sprache; Encuentros hoy 1 wird zur Ergänzung des Korpus herangezogen, um die Zahl der Schüler: innenbücher auf beiden Seiten gleich hoch zu halten). Es wird für jedes Schüler: innenbuch die im Jahr 2020 gültige Ausgabe herangezogen. Folgende Schüler: innenbücher werden untersucht: Titel, Band ( Jahr) Autor: innen Verlag Línea amarilla 1 (2006) Bade, Peter u.a. Klett ¿Qué pasa? 1 (2018) Martos Villa, Pilar u.a. Diesterweg ¡Apúntate! 1 (2016) Balser, Joachim u.a. Cornelsen ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (2014) Arriagada, Melania u.a. Klett Encuentros hoy 1 (2018) Goreczka-Hehl, Carolina u.a. Cornelsen Tout va bien 1 (2013) Belaval-Nink, Sandrine u.a. Westermann À plus ! 1 (2012) Blume, Otto-Michael u.a. Cornelsen Tous ensemble 1 (2013) Darras, Isabelle u.a. Klett Découvertes 1 Série jaune (2012) Bruckmayer, Birgit u.a. Klett Découvertes 1 Série bleue (2012) Bruckmayer, Birgit u.a. Klett Tab. 1: Untersuchte Schüler: innenbücher Die Analysefragen sind: 1. In welchen Abschnitten der Schüler: innenbücher kommt Aussprachever‐ mittlung in welcher Form vor? 2. Welche Phänomene der Aussprache des Französischen/ des Spanischen werden wie häufig und in welcher Form angesprochen? Die in den Schüler: innenbüchern thematisierten Aussprachephänomene, die von den 19 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="20"?> 7 An dieser Stelle kann nicht in die Diskussion um die Begriffe Aufgabe und Übung eingestiegen werden. In den Schüler: innenbücher selbst ist die Verwendung der Begriffe Aufgabe und Übung heterogen. Deswegen wird hier auf den Ausdruck Arbeitsauftrag ausgewichen. 8 Unterteile von Arbeitsaufträgen wie z. B. 2a) oder 2b) wurden in der quantitativen Auswertung als ein Arbeitsauftrag gezählt. Ein Unterarbeitsauftrag kann im Folgenden aus pragmatischen Gründen aber einfach als Arbeitsauftrag bezeichnet werden. 9 Zwei von fünf Spanisch-Schüler: innenbüchern verzeichnen aussprachebezogene Themen im Inhaltsverzeichnis (¡Apúntate! , Encuentros hoy). Bei den Franzö‐ sisch-Schüler: innenbüchern sind es vier von fünf (die einzige Ausnahme ist Tous ensemble). Schüler: innen erworben werden sollen, werden im Folgenden als Gegen‐ stände der Ausspracheschulung bezeichnet. 3. Welche aussprachebezogenen Arbeitsaufträge treten wie häufig und in welcher Form auf ? Mit Arbeitsauftrag ist im Folgenden eine nummerierte Übung bzw. Aufgabe 7 im Schüler: innenbuch gemeint. 8 Bei den Spanisch-Schüler: innenbüchern wird zusätzlich darauf geachtet, welche Varietät des Spanischen als Aussprachenorm vermittelt wird. Zusätzlich zum Schüler: innenbuch gibt es heute oft zahlreiche Zusatzmateri‐ alien, die hier leider nicht berücksichtigt werden können. Auch konzentriert sich die Analyse auf das erste Lernjahr. Eine Analyse all dieser Lehrwerke in ihrer gesamten Bandbreite an Materialien und Medien wäre jedoch notwendig, um ein vollständiges Bild über die Aussprachevermittlung in aktuellen Französisch- und Spanischlehrwerken zu erhalten. 4 Analyseergebnisse 4.1 In welchen Abschnitten der Schüler: innenbücher kommt Aussprachevermittlung in welcher Form vor? In folgenden Schüler: innenbuch-Abschnitten kamen ausspracherelevante Ge‐ genstände vor: Inhaltsverzeichnis 9 , Lerneinheiten (siehe Kap. 4.2. und 4.3.), Selbstreflexions-/ Selbstevaluationsaufgaben und Abschlussaufgaben der Lern‐ 20 Julia Lange <?page no="21"?> 10 Am Selbstreflexions-/ Selbstevaluationsteil lässt sich erkennen, dass die Aussprache‐ vermittlung hinter anderen kommunikativen Kompetenzen zurücksteht. Nur ein Schüler: innenbuch (¿Qué pasa? ) enthält einige konkret aussprachebezogene Arbeitsauf‐ träge zur Selbstreflexion, z. B. Welcher spanische Laut fällt dir noch schwer und in welchen Wörtern kommt er vor? (S. 33). Zwei Spanisch- und zwei Französisch-Schüler: innenbü‐ cher enthalten Arbeitsaufträge, die die Aussprache in einem sehr globalen Kontext ansprechen, etwa wenn beim Vortragen eines Texts auf die Aussprache geachtet werden soll. 11 Im Grammatikteil treten Aussprachehinweise akzidentell (z. B. in Form von Unter‐ bögen, um die Liaison zu markieren) oder als gelegentliche Infokästen auf. 12 Nur zwei Lernstrategien kommen in fast allen Schüler: innenbüchern vor: Die Lernstra‐ tegie, zu der am häufigsten geraten wird, ist, eine Vokabel oder einer Formel laut vorzulesen oder laut vorzusprechen (drei Schüler: innenbücher in Spanisch, vier in Französisch). Oft empfohlen wird auch das Auswendiglernen eines Satzes oder einer Formel zur Automatisierung der Aussprachgewohnheiten (drei Schüler: innenbücher in Spanisch, drei in Französisch). Weitere Lernstrategien, die nicht ganz so häufig genannt werden, kommen ebenfalls vor, können hier leider aus Platzmangel nicht weiter besprochen werden. 13 Es finden sich in fast allen Schüler: innenbüchern (nicht in Tous ensemble) in den Listen der Classroom Phrases und Operatoren aussprachebezogene Formulierungen, meistens eine Imitationsaufforderung (z. B. Escucha, lee y repite in ¡Apúntate! , S. 161, Répétez in Découvertes Série jaune, S. 198-199) und eine Phrase, mit der nach der Aussprache eines Worts gefragt werden kann (z. B. ¿Cómo se pronuncia…? in ¿Qué pasa? , S. 185, Comment est-ce qu’on […] prononce … (en français)? in Tout va bien, angelegte Karte). einheiten 10 , Grammatikteil 11 , Vokabellisten zu den Lerneinheiten, Strategie-/ Me‐ thodenteil 12 , Anhang (Informationstext) zur Aussprache des Französischen/ Spa‐ nischen (siehe Kap. 4.1.1. und 4.1.2.), Liste der Classroom Phrases und der Operatoren. 13 4.1.1 Anhang zur Aussprache des Spanischen/ Französischen Fast alle Schüler: innenbücher enthalten im Anhang Tabellen mit einer Übersicht über die Laute des Spanischen/ des Französischen. Nur ein Schüler: innenbuch enthält im Anhang keinen solchen Abschnitt (¡Vamos! ¡Adelante! ). Hauptzweck dieser Übersichten in den Französisch-Schüler: innenbüchern ist wahrscheinlich, den Schüler: innen das Lesen der IPA-Transkriptionen der Vo‐ kabeln im Vokabelteil (siehe Kap. 4.1.2.) zu ermöglichen. Darüberhinausgehend soll in den Übersichten auch Wissen vermittelt werden, welches benötigt wird, um sich die Aussprache eines neuen Worts von der Schreibung ausgehend zu erschließen: Die tabellarischen Übersichten der spanischen/ französischen Pho‐ neme werden von einer Darstellung der wichtigsten Graphem-Phonem-Korre‐ spondenzen begleitet, meistens, indem erst das spanische/ französische Phonem in IPA angegeben wird und dessen Aussprache daraufhin mit einem spani‐ schen/ französischen Beispielwort, in dem das entsprechende Graphem fettge‐ 21 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="22"?> 14 Oft kommen Beispielwörter aus dem Deutschen/ Englischen und weitere Erklärungen zur Aussprache hinzu. 15 In den Spanisch-Schüler: innenbüchern sind die Lauttabellen fehlerbehaftet, besonders, was den yeísmo und [ɾ, r] betrifft. Der Laut [ɾ] wird in ¿Qué pasa? und in Línea amarilla als [r] wiedergegeben, der Laut [r] als [rr]. Weiterhin wird, obwohl die Aussprache der Sprecher: innen der Hördateien zu den Schüler: innenbüchern durch yeísmo gekennzeichnet ist, für das Graphem ll meistens der Lautwert [λ] statt [ʝ] angegeben (Encuentros hoy, Línea amarilla, ¿Qué pasa? ), für das Graphem y häufig [j] statt [ʝ] (¡Apúntate! , Encuentros hoy). In ¿Qué pasa? und Línea amarilla wird sogar für y auch der Lautwert [λ] angegeben. Unabhängig von der Fehlerhaftigkeit dieser Angaben ist zu bemerken, dass / ʎ/ und / ʝ/ in vielen Gegenden der Hispanophonie zu / ʝ/ zusammengefallen sind (yeísmo), besonders in Lateinamerika, aber auch in vielen Regionen Spaniens (cf. Real Academia Española ²2018: 193). Es käme also sowohl der Richtigkeit als auch der Einfachheit zugute, in den Schüler: innenbüchern ganz auf [ʎ] zu verzichten und immer [ʝ] anzugeben, besonders, da, wie erwähnt, die muttersprachlichen Sprecher: innen der Hörmaterialien den yeísmo (also [ʝ]) realisieren. 16 Passend hierzu sind weitere häufige Gegenstände dieses Bereichs die Interpunktions‐ zeichen und die Groß- und Kleinschreibung. 17 Die Richtung Deutsch-Französisch ist vermutlich als reine Gedächtnisstütze für bereits erlernte Vokabeln gedacht, deren Aussprache den Schüler: innen bekannt sein sollte. Die Richtung Französisch-Deutsch soll darüber hinaus wahrscheinlich auch als Nach‐ druckt ist, erläutert wird. 14 In Línea amarilla und in ¿Qué pasa? ist sogar die tabellarische Übersicht nach Graphemen und nicht nach Phonemen geordnet. 15 Vier Spanisch-Schüler: innenbücher (nicht ¡Vamos! ¡Adelante! ) enthalten zu‐ sätzlich Erklärungen zum Wortakzent in Zusammenhang mit der Setzung der Tilde. Dagegen enthält kein Französisch-Schüler: innenbuch in diesem Teil In‐ formationen zu suprasegmentalen Elementen. Hier ist die Bedeutung erkennbar, die dem Erwerb des Schriftsystems beigemessen wird: Suprasegmentale Phäno‐ mene werden vor allem behandelt, wenn sie orthographisch relevant sind. 16 4.1.2 Vokabellisten zu den Lerneinheiten und Wörterbücher In Spanisch weist kein Schüler: innenbuch Aussprachehinweise in den Vokabel‐ listen zu den Lerneinheiten oder in den Wörterbüchern auf. In Französisch ist dies umgekehrt immer der Fall: Alle Französisch-Schüler: innenbücher be‐ inhalten in der Vokabelliste IPA-Transkriptionen nach jedem Vokabeleintrag. Zusätzlich werden in variierendem Umfang Ausspracheerklärungen zu ausge‐ wählten Vokabeln vorgenommen. Vor dem Vokabelteil findet sich eine tabel‐ larische Übersicht zu den Lauten des Französischen, welche das Lesen der IPA-Notationen ermöglichen soll (siehe Kap. 4.1.1.). Im Wörterbuchteil ist in den Französisch-Schüler: innenbüchern grundsätzlich nur die Richtung Franzö‐ sisch-Deutsch mit IPA-Transkriptionen versehen, jedoch nicht die Richtung Deutsch-Französisch. 17 22 Julia Lange <?page no="23"?> schlageteil für noch unbekannte Wörter dienen können, z. B. beim Erarbeiten eines neuen Lektionstextes. 18 Es wurden nur Arbeitsaufträge gezählt, nicht die kognitiv im Anhang zur Aussprache, im Grammatikteil, im Strategie-/ Methodenteil oder im Vokabelteil vermittelten Gegen‐ stände. 19 Hierbei handelt es sich z. B. um Arbeitsaufträge wie das Imitieren/ Vorlesen/ Vortragen von Gedichten oder Liedern, um detailliertes Hörverstehen oder um Schüler: innen‐ buchstellen ohne Arbeitsauftrag (cf. Kap. 4.3.2.). Die Unterschiede zwischen Französisch und Spanisch sind wohl auf die höhere Komplexität des französischen Schriftsystems zurückzuführen. Die Transkription der Vokabeln ins IPA soll die Schwierigkeit überbrücken, dass die Schüler: innen sich die Aussprache neuer Vokabeln (noch) nicht anhand des Schriftbilds erschließen können. 4.2 Gegenstände der Aussprachevermittlung 4.2.1 Quantitativer Überblick über die Gegenstände der Aussprachevermittlung In den Schüler: innenbüchern werden Gegenstände aus den Bereichen Verhältnis von Schreibung und Lautung, Einzellaute und Suprasegmentalia thematisiert. Im Folgenden wird tabellarisch ein grober Überblick darüber gegeben, wie oft diese Gegenstandsbereiche in den aussprachebezogenen Arbeitsaufträgen der untersuchten Schüler: innenbücher anzutreffen sind. 18 Genauere Beschrei‐ bungen zu den Gegenständen werden im Anschluss vorgenommen. Gegenstandsbereich Spanisch Französisch Verhältnis von Schreibung und Lautung 29 39 Laute 21 34 Suprasegmentalia 4 17 Ohne konkreten Gegenstand 19 31 33 Summe 85 123 Tab. 2: Anzahl der Arbeitsaufträge pro Gegenstandsbereich im Korpus Insgesamt liegt der Schwerpunkt auf dem Verhältnis von Schreibung und Lautung. Diese Tendenz verstärkt sich noch, wenn man beachtet, dass viele Ar‐ beitsaufträge zur Schrift häufig als Arbeitsaufträge zu den Phonemen ‚getarnt‘ sind (siehe Kap. 4.2.3.). 23 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="24"?> 20 ¡Vamos! ¡Adelante! geht einen Sonderweg. Hier werden nur die Lautwerte von g+a,o,u und g+e,i explizit erschlossen, c+e,i und z tauchen in einem Arbeitsauftrag mit Zungen‐ brecher auf, c+a,o,u wird überhaupt nicht thematisiert. 21 In der Hördatei zu diesem Arbeitsauftrag wird [ʝ] gesprochen (yeísmo). Grund für das starke Gewicht der Schrift in der Ausspracheschulung ist sicherlich, dass Unsicherheiten entstehen, wenn in der Fremdsprache starke Abweichungen zwischen Lautung und Schreibung - wie etwa besonders im Französischen - bestehen (cf. auch Pustka 2020, Mordellet-Roggenbuck 2014, Kramer 2010). Zusätzlich sind sichere Kenntnisse des Schriftsystems der Fremd‐ sprache vonnöten, wenn das Erlernen von Vokabeln zu einem (Groß-)Teil auf der Basis schriftlichen Inputs (z. B. Vokabellisten) erfolgt. Der Bereich der Suprasegmentalia ist im Spanischen deutlich unterrepräsen‐ tiert. Im Französischen erklärt sich der höhere Anteil im Bereich Suprasegmen‐ talia durch die Behandlung der Liaison (siehe Kap. 4.2.4.). Abgesehen davon wird auch in Französisch an Suprasegmentalia nicht viel behandelt. Überlegungen zu Gründen hierfür finden sich in Kap. 4.2.4. 4.2.2 Verhältnis von Schreibung und Lautung Da die spanischen Grapheme g+a,o,u vs. g+e,i, j sowie c+a,o,u vs. c+e,i und z andere Lautwerte als im Deutschen besitzen, werden sie in fast allen Spa‐ nisch-Schüler: innenbüchern behandelt. 20 Während die Lautwerte von g+a,o,u,e,i und c+a,o,u,e,i meistens systematisch durch die Schüler: innen erschlossen werden sollen, werden j und z nicht immer systematisch erschlossen, sondern hier sollen teilweise einfach die Hörbeispiele imitiert werden (z. B. in ¿Qué pasa? , S. 16). Zusätzlich wird in allen fünf Spanisch-Schüler: innenbüchern durch Arbeits‐ aufträge und/ oder Infokästen die Aussprache von g+u+e,i vs. g+u+a,o themati‐ siert, auch hier, weil diese Grapheme und die ihnen entsprechenden Lautkom‐ binationen im Deutschen (außer in Fremdwörtern) nicht vorkommen. Obwohl auch ll, ch, r und rr, v und b sowie h andere Lautwerte haben als im Deutschen oder sogar dem Deutschen unbekannt sind, kommen diese Grapheme selten in den Schüler: innenbüchern vor. Zum Graphem ll gibt es nur in einem Schüler: innenbuch einen Arbeitsauftrag (¡Apúntate! ). 21 Zu ch findet in ¡Vamos! ¡Adelante! eine Erschließung statt, zu r und rr in ¿Qué pasa? , zu v und b in Encuentros hoy und ¡Apúntate! , zu h in ¡Vamos! ¡Adelante! . Die Grapheme ñ, y und s kommen gar nicht bzw. nur im Rahmen des Alphabets vor (siehe unten). In Französisch sind bereits große Abweichungen zwischen den Schüler: in‐ nenbüchern festzustellen, wenn es darum geht, wie häufig das Verhältnis von Schreibung und Lautung thematisiert wird. Tout va bien enthält 11 verschiedene 24 Julia Lange <?page no="25"?> 22 Weitere Grapheme für [e, ɛ, ə] kommen seltener vor. Sie sind nur Gegenstand von Erschließungen, wenn sie Teil von Verbendungen (z. B. -ez, -er in À plus ! S. 37) oder des bestimmten Artikels im Singular und Plural sind (siehe unten). Ansonsten treten in den Beispielwörtern zu den Arbeitsaufträgen noch die Grapheme e und/ oder ai für [ɛ] auf (Tous ensemble, Tout va bien, Découvertes Série bleue und Série jaune), aber es wird nicht explizit nach einer Erschließung zu diesen Graphemen gefragt. 23 In Découvertes Série bleue (S. 107) kommt g+u im Strategieteil in den Beispielwörtern guitare und fatigué vor. Gegenstände in diesem Bereich, À plus ! 7, Découvertes Série bleue und Série jaune sowie Tous ensemble jeweils 4. Dem Deutschen (außer in Fremdwörtern) unbekannt ist der Einsatz von Akzenten wie dem französischen accent aigu, accent grave und accent circonflexe. Deswegen sind die französischen Grapheme é, è, ê in den Schüler: innenbüchern der häufigste Gegenstand. 22 Das Graphem e mit dem Lautwert [ə] wird nur in Tout va bien (S. 31) explizit in eine Regelerschließung eingebunden; ansonsten kommt es vor allem im Rahmen von Arbeitsaufträgen mit hörendem Erkennen zur Aussprache der bestimmten und unbestimmten Artikel le bzw. les vor (Tous ensemble, À plus ! ). In Tous ensemble kommen im Arbeitsauftrag zu [e, ɛ] die Grapheme é, è, ai, jedoch nicht ê vor (S. 56). Eine große Lernschwierigkeit, da ebenfalls im Deutschen unbekannt, sind die stummen Verbendungen und die Homophonie der finiten Verben im Singular und in der 3. Ps. Pl. im Französischen. Deswegen finden sich hierzu in drei Schüler: innenbüchern (Tout va bien, À plus ! , Tous ensemble) Erschließungsauf‐ gaben und in den beiden anderen (Découvertes Série bleue und Série jaune) Infokästen. Die französischen Grapheme mit den Lautwerten / g/ , / ʒ/ und / ʃ/ , d. h. g+a,o,u, g+e,i, j und ch weichen ebenfalls vom Graphemsystem des Deutschen ab und spielen deswegen in den Französisch-Schüler: innenbüchern eine Rolle. Aber auch dies geschieht selten und wenig systematisch. Explizite Arbeitsaufträge zur Regelerschließung aller dieser Grapheme gibt es nur in Tout va bien (S. 52, 120). Darüber hinaus kommen die Grapheme ge, j und ch in allen Schüler: in‐ nenbüchern vor, oft in Arbeitsaufträgen, in denen die Laute [ʒ] und [ʃ] in den gegebenen Beispielwörtern imitiert oder erkannt werden sollen. Die Grapheme gi und g+a,o,u werden häufig weggelassen (Tous ensemble, À plus ! , Découvertes Série jaune und Découvertes Série bleue). 23 Dasselbe gilt für die Grapheme mit dem Lautwert / s/ und / z/ , d. h. c+e,i, ss, ç, s, x und z: In allen Schüler: innenbüchern behandelt wird für den Laut / s/ das Graphem s am Wortanfang und für den Laut / z/ das Graphem s in der Liaison. Fast alle Schüler: innenbücher behandeln darüber hinaus für den Laut / s/ die Grapheme ç und ce (nicht Tous ensemble), das Graphem ci kommt ausschließlich 25 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="26"?> 24 Allerdings enthält Tout va bien keinen Arbeitsauftrag bezüglich der Schreibung, son‐ dern einen Imitationsauftrag: {Tout va bien, S. 15} Attention à la prononciation! 5a) Ecoutez et répétez les mots. {…} [u] Bonjour, Hambourg, autoroute, vous, souris, Filou, nous [y] une, Julie, rue, tu, salut. 5b) Ecoutez et répétez les phrases. {…} Bonjour, je suis Filou. Et vous? Je suis une souris. Salut, tu es Julie? {…} in Tout va bien vor. Das Graphem s in intervokalischer Position für den Laut / z/ kommt in drei Schüler: innenbüchern vor (nicht in Tous ensemble und nicht in À plus ! ). Das Graphem z für den Laut / z/ wird in allen Schüler: in‐ nenbüchern außer in À plus ! thematisiert. Darüber hinaus kommen für den Laut / s/ vor: s vor stimmlosen Konsonanten (Tout va bien, Découvertes Série bleue und Série jaune), ss (Tout va bien, À plus ! ), x im Wort soixante (Tout va bien). Für den Laut / z/ kommt noch x im Wort sixième vor (À plus ! ). Alle diese Grapheme werden fast ausschließlich durch Arbeitsaufträge mit Imitieren, häufig auch Höridentifizieren bearbeitet. Die Grapheme c+a, und c+o für / k/ in Abgrenzung zu c+e,i für / s/ kommen nur jeweils ein Mal vor, c+u kommt gar nicht vor. Grapheme für / k/ werden abgesehen von diesen Fällen und mit qu ein weiteres Mal in Tout va bien überhaupt nicht thematisiert. Auch die Grapheme der Nasalvokale, ebenfalls dem Deutschen unbekannt, werden in sehr verschiedenem Ausmaß eingebunden. In Tout va bien findet zu allen Nasalen eine Erschließung der zugehörigen Grapheme statt. In À plus ! sind die Grapheme der Nasale in den Beispielwörtern zu einem Arbeitsauftrag (erkennendes Hören) fett markiert. Es bleibt der Lehrkraft überlassen, ob sie die Grapheme einbinden möchte. In Découvertes Série bleue kommen im Strategieteil an einer Stelle, wo auf die Übertragungsfähigkeit des Wissens zu Graphem-Phonem-Korrespondenzen auf neue Wörter hingewiesen wird, auch einige Grapheme von Nasalen vor. Schließlich widmen sich drei Schüler: innenbücher (Tous ensemble, Tout va bien, À plus ! ) den Graphemen ou und u, die im Französischen und im Deutschen unterschiedliche Lautwerte haben. 24 Weitere Grapheme, die angesprochen werden, sind h aspiré/ h muet (Info‐ kästen im Grammatikteil bzw. Vokabelteil in Tout va bien und in À plus ! ), oi (Erschließungsauftrag in Tout va bien, Imitationsauftrag in Tous ensemble) und ll (Imitationsauftrag in Tout va bien). Zusätzlich zu erwähnen ist, dass alle Schüler: innenbücher das Alphabet in der Fremdsprache behandeln, dies jedoch vorrangig mit dem Ziel der Vermittlung der Buchstabennamen als Vokabeln (z. B. sp. a, be, ce, de, e, efe, ge, hache usw./ fr. [a, be, se, de, e, ɛf, ʒe, aʃ] usw.). 26 Julia Lange <?page no="27"?> 25 Cf. die Zusammenstellung von Lernschwierigkeiten im Bereich der Schrift beim Sprachenpaar Deutsch-Spanisch von Moreno Muñoz 2002: 120-127. 26 Cf. zum Beispiel die von Berthelé & Dherbey-Chapuis 2020: 2-5, 8) erstellte Liste mit Lernschwierigkeiten im Bereich der Schrift beim Sprachenpaar Deutsch-Französisch. 27 ¿Qué pasa? (S. 188-189) geht in der Lauttabelle im Anhang darauf ein, dass [θ] aus dem Englischen bekannt ist: ce [… ist] [θ] vor e und i wie englisch ‚thick‘. Insgesamt ist zur Auswahl der in den Schüler: innenbüchern behandelten Gegenstände im Bereich der Schrift festzuhalten, dass in Spanisch zwar wichtige Unterschiede zwischen dem deutschen und dem spanischen Schriftsystem wie c/ g+a,o,u, c+e,i, j und z in allen Schüler: innenbüchern behandelt werden, jedoch nicht alle; etwa fehlen oft b vs. v, ll und h. 25 In Französisch lässt die Auswahl zwar eine Orientierung an häufigen Unterschieden zwischen Deutsch und Französisch erkennen (z. B. Grapheme der Nasalvokale, Grapheme von / e, ɛ, ə/ , / ʒ/ , / s/ und / z/ ), 26 jedoch bleibt die Auswahl äußerst lückenhaft und heterogen. 4.2.3 Laute Alle Spanisch-Schüler: innenbücher außer Encuentros hoy behandeln die dem Deutschen fremden Laute [r, ɾ]. Ein Arbeitsauftrag findet sich in ¡Apúntate! (beim Hören [r] bzw. [ɾ] erkennen), eine Erschließung der Artikulations‐ weise in ¡Vamos! ¡Adelante! und in ¿Qué pasa? , hier zusammen mit einer Graphem-Phonem-Erschließung. Zungenbrecher sind enthalten in ¡Apúntate! , ¡Vamos! ¡Adelante! , ¿Qué pasa? und Línea amarilla. Obwohl alle Spanisch-Schüler: innenbücher die Grapheme c+e,i (einige auch z, siehe Kap. 4.2.2.), die den Lautwert / θ/ haben, behandeln, kommt die Artikula‐ tion des im Deutschen unbekannten Lauts [θ] selbst nur in drei Schüler: innen‐ büchern vor, und dies fast ausschließlich in Zungenbrechern, die imitiert werden sollen (¡Apúntate! , ¡Vamos! ¡Adelante! , ¿Qué pasa? ). Zwar werden auf den zuge‐ hörigen Hördateien die Zungenbrecher von Sprecher: innen vorgesprochen, die die Unterscheidung von / s/ und / θ/ machen (siehe Kap. 4.2.5.), jedoch wird die Art und Weise der Artikulation von [θ] nie reflektiert. 27 Ähnliches gilt für die Artikulation von [x]. Zwar ist der Laut im Rahmen der Graphem-Phonem-Korrespondenzen von g+e,i in allen und von j in mehreren Spanisch-Schüler: innenbüchern Thema (siehe Kap. 4.2.2.). In seiner Eigenschaft als Laut kommt [x] jedoch nur in zwei Schüler: innenbüchern durch zu imitie‐ rende Zungenbrecher vor (¿Qué pasa? und Línea amarilla). Da es im Deutschen das dem spanischen / x/ von der Artikulation her ähnliche Phonem / x/ gibt, liegt nahe, dass der Gegenstand hier eigentlich die Grapheme des Spanischen für das Phonem / x/ sein sollen. 27 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="28"?> 28 {Línea amarilla, S. 57} Die Vokale werden im Spanischen offener gesprochen als im Deutschen. Probiert aus, wie der Klang sich mit der Mundstellung verändert: {deutsch} das Los {versus spanisch} los (padres). Der Vergleich in Línea amarilla ist nicht gut, denn im Spanischen und im Deutschen existieren offene und geschlossene Vokale. Allerdings ist die Distribution im Deutschen phonematisch (bedeutungsunterscheidend, z. B. Ofen vs. offen) und im Spanischen möglicherweise durch den Lautkontext bedingt (die Distributionsregeln sind hier nicht immer eindeutig, cf. RAE ²2011: 94-95). Auch, wenn im Spanischen „verhältnismäßig offene Realisierungen von / e/ und / o/ als [ɛ] und [ɔ] [typisch sind]“ (Dufter 2013: 173), sollte an dieser Stelle nicht mit der Vokalöffnung gearbeitet werden, sondern mit den unterschiedlichen Graphem-Phonem-Korrespon‐ denzen im Spanischen und Deutschen, die der Grund für die Interferenz in der Aussprache des männlichen bestimmten Pluralartikels los als [los] sind (o ist im Deutschen geschlossen, außer wenn es vor ss oder s + Konsonant steht wie etwa in Schloss, drosseln, abgeschlossen, kosten, Oskar usw.). 29 Zum Beispiel entspricht im Standarddeutschen sam Wortbzw. Silbenanfang vor Vokal dem stimmhaften / z/ (z. B. in Sonne), im Französischen entspricht sjedoch / s/ (z. B. in In zwei Schüler: innenbüchern wird die Aspiration der stimmlosen spanischen Plosive [p, t, k] durch Lernende mit Deutsch als L1 zum Gegenstand gemacht (¡Vamos! ¡Adelante! , Línea amarilla). Die Aspiration soll jeweils mit Artikulati‐ onstricks spürbar und kontrollierbar werden (¡Vamos! ¡Adelante! , S. 97: Eine brennende Kerze darf beim Aussprechen von Wörtern mit [p, t, k] nicht flackern; Línea amarilla, S. 57 (Teil Lernstrategien): Papierschnipsel auf der offenen Hand dürfen sich nicht bewegen.) Línea amarilla spricht schließlich die Vokalöffnung, etwa in den Beispielwör‐ tern dt. das Los und sp. los (padres), an, wobei erneut nicht Lautphänomene, sondern auch hier das Verhältnis von Schreibung und Lautung das eigentliche Lernziel ist. 28 Auch in den Französisch-Schüler: innenbüchern wird oft die Artikulation eines Lauts statt den die eigentliche Lernschwierigkeit beinhaltenden Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenzen behandelt. In allen fünf Französisch-Schüler: innenbüchern werden die Laute [s] und [z] behandelt. Meistens geschieht dies durch Imitieren oder Erkennen von [s] bzw. [z] beim Hören. Immer wird die Artikulation von [s] und [z] verknüpft mit den Bildern von einer Biene und einer Schlange (außer in Découvertes Série bleue S. 35, hier kommen ein Autoreifen und summendes Handy vor). Das Standarddeutsche besitzt grundsätzlich auch die Lautopposi‐ tion / z/ : / s/ (z. B. reisen versus reißen), sodass es auf den ersten Blick verwir‐ rend erscheinen mag, dass ausgerechnet [s] und [z] derartige Lernschwierig‐ keiten bereiten. Beim Sprachvergleich Deutsch-Französisch fällt auf, dass nicht die Phoneme / z/ und / s/ , sondern die Graphem-Phonem-Korrespondenzen in beiden Sprachen verschieden sind. 29 Vermutlich liegt im Übertragen der deut‐ 28 Julia Lange <?page no="29"?> soleil). Diese Graphem-Phonem-Korrespondenzen sind natürlich auf unterschiedlichen Distributionen der Phoneme / s/ und / z/ zurückzuführen. 30 Hinzu kommt die Liaison mit [z], eine Lernschwierigkeit, die häufig, jedoch nicht ausschließlich in die Arbeitsaufträge zu den Lauten [s] : [z] eingebunden wird. 31 In Découvertes Série bleue und Série jaune wird allerdings nicht explizit zur Erschließung aufgefordert, sondern dieser Arbeitsauftrag bleibt implizit. Er ist Voraussetzung für das im selben Arbeitsauftrag stattfindende angewandte Hören (Diktat von Beispielwör‐ tern). 32 Tous ensemble und À plus ! : Hörendes Erkennen von [ə] und [e] in le und les (bestimmter Artikel im Singular versus Plural), nur Tous ensemble: Imitieren von Wörtern mit [ɛ] und [e], Tout va bien: Erkennen von [ɛ] und [e]. schen Graphem-Phonem-Korrespondenzen auf das Französische die Hauptfeh‐ lerquelle. 30 In den Arbeitsaufträgen wird aber nicht explizit nach den Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenzen gefragt (außer in Tout va bien): {Découvertes Série jaune, S. 32} 4a) Hört die Sätze an. Wenn ihr [s] hört, macht mit den Armen Schlangenlinien und zischt wie eine Schlange. Wenn ihr [z] hört, breitet die Arme aus und summt wie eine Biene. {Die Sätze sind: } vous êtes, Toulouse, nous sommes, le stylo, en vacances, nous habitons, le garçon, le magasin, je déteste ça, ells sont, elles habitent, bizarre. 4b) Ecoutez et répétez {les phrases de l’exercice 4a}. In allen Schüler: innenbüchern kommen weiterhin die Laute [ɛ, e, ə] vor (siehe auch Kap. 4.2.2.). Diese Laute gibt es im Deutschen in vergleichbarer Form (die stärksten Abweichungen vom Französischen bestehen wohl beim Schwa, cf. Meisenburg & Selig 1998: 64), sodass auch hier die Lernschwie‐ rigkeiten vermutlich primär auf Unterschieden der deutschen und franzö‐ sischen Grapheme beruhen. Im Vergleich zu [s] und [z] ist in den Fran‐ zösisch-Schüler: innenbüchern bei [ɛ, e, ə] allerdings die Erschließung der französischen Graphem-Phonem-Korrespondenzen häufiger - vermutlich, da die Graphem-Phonem-Korrespondenzen hier noch komplexer sind und weil die Grapheme von [ɛ, e, ə] unter anderem mit den im Schriftbild auffälligen Diakritika accent aigu, accent grave und accent circonflexe verbunden sind (siehe Kap. 4.2.2.). So sollen in drei Schüler: innenbüchern erst Hörbeispiele gehört werden, daraufhin wird die Erschließung der Graphem-Phonem-Korrespon‐ denzen vorgenommen (Tout va bien, Découvertes Série bleue und Série jaune). 31 Daneben gibt es jedoch in allen Schüler: innenbüchern außer in Découvertes Série bleue und Série jaune auch Arbeitsaufträge, in denen entweder nur Hörbeispiele mit [ɛ, e, ə] imitiert oder der im Hörbeispiel vorkommende Laut benannt werden soll. Hierbei werden jedoch immer nur zwei der drei Laute behandelt. 32 Der dritthäufigste Gegenstand in den Französisch-Schüler: innenbüchern auf Lautebene sind die Nasale. Vier Bücher enthalten Arbeitsaufträge (hörendes 29 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="30"?> Erkennen) zu den Nasalen (Tout va bien, À plus ! , Découvertes Série bleue und Série jaune). Allerdings beziehen nur Tout va bien, À plus ! und Découvertes Serie jaune alle drei Nasale [ɑ̃, ɔ̃, ɛ̃] ein. In Découvertes Série bleue geht es nur um [ɛ̃] und [ɔ̃]. Tous ensemble thematisiert die Nasale gar nicht. In Découvertes Série jaune wird die Artikulation der Nasale direkt thematisiert, und zwar in einen Merkkasten, in dem ein Artikulationstrick beschrieben wird, der bei der Aussprache der Nasale helfen soll: {Découvertes Série jaune, S. 11} Findet ihr es schwierig, durch die Nase zu sprechen? Versucht es mal so: Sprecht ein langes A und legt dann langsam den Kopf in den Nacken. Ebenso oft wie die Nasale spielen die Frikative [ʒ] und [ʃ] eine Rolle. Alle Schüler: innenbücher enthalten hierzu Arbeitsaufträge, in denen die Hörbei‐ spiele imitiert oder der im Hörbeispiel auftretende Laut identifiziert werden soll. Obwohl es nicht in den Arbeitsaufträgen formuliert wird, kann auch bei [ʒ] und [ʃ] vermutet werden, dass weniger der Lauterwerb, sondern viel mehr der Erwerb von Graphem-Phonem-Korrespondenzen angestrebt wird: Der Laut [ʒ] kommt im Deutschen in Lehnwörtern aus dem Französischen wie etwa Jalousie, Genie, Visage vor (er kann jedoch entstimmt werden), den Laut [ʃ] gibt es im Deutschen. Zudem legen die Arbeitsaufträge in Tout va bien und Tous ensemble zu [ʒ] und [ʃ] nahe, dass es eigentlich um die Graphem-Phonem-Korrespon‐ denzen geht: Tout va bien enthält einen Arbeitsauftrag explizit zur Erschließung der Graphem-Phonem-Korrespondenzen. Im Arbeitsauftrag in Tous ensemble sind die Grapheme fett und bunt markiert. Weitere Gegenstände auf Lautebene in den Französisch-Schüler: innenbü‐ chern (Tout va bien, Découvertes Série bleue) sind [f] und [v] (auch hier geht es vermutlich eigentlich um die vom Deutschen abweichenden Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenzen), h aspiré und h muet (Tout va bien, À plus ! , cf. auch Kap. 4.2.2.), [wa], [ɥi], [œ] (Tout va bien) und [y], [i], [ɥ] (À plus ! ). Auswertend ist festzuhalten, dass die Schüler: innenbücher durchaus die wichtigsten Phoneme des Spanischen/ Französischen berücksichtigen, die im Deutschen nicht existieren (sp. / ɾ : r/ und / θ/ sowie die französischen Nasalvo‐ kale). Darüber hinaus zielen aber viele Arbeitsaufträge, die sich vorgeblich mit fremdsprachlichen Lauten beschäftigen, in Wirklichkeit auf das Verhältnis von Schrift und Lautung. Insbesondere bleibt so unberücksichtigt, dass die stimmlosen Plosive / p, t, k/ im Deutschen aspiriert sind, jedoch nicht im Spani‐ schen/ Französischen, und dass die stimmhaften Plosive / b, d, g/ im Deutschen entstimmt artikuliert werden, jedoch nicht im Spanischen/ Französischen (cf. Gabriel & Meisenburg & Selig 2013: 61, Meisenburg & Selig 1998: 51-52). Für das 30 Julia Lange <?page no="31"?> 33 In den Schüler: innenbüchern wird dabei der phonetische Wortakzent mit dem ortho‐ graphischen Wortakzent vermischt, d. h. ob ein Wort auf -n oder -s endet, wird auch als Signal dafür angesehen, ob ein Wort palabra llana oder palabra aguda ist. In Wirklichkeit entscheidet nur, ob ein Wort auf Vokal oder auf Konsonant endet, ob das Wort palabra llana oder palabra aguda ist (RAE ²2018: 376). Die Regel zur Setzung des orthographischen Akzents (Tilde) besteht, weil Flexionsendungen wie die Pluralendungen auf -s und die Verbendungen auf -n meistens keine Auswirkungen auf den Ort des Wortakzents haben (cf. RAE ²2018: 368). Französische wäre außerdem wichtig, die Auslautverhärtung stimmhafter Kon‐ sonanten am Wortauslaut im Deutschen zu berücksichtigen (cf. Meisenburg & Selig 1998: 51), die oft besonders bei finalem / ʒ, z, v/ ins Französische interferiert wird (cf. Bieritz 1971: 111). 4.2.4 Suprasegmentalia Vier Spanisch-Schüler: innenbücher behandeln den Wortakzent des Spanischen und die Setzung der Tilde, drei davon im Anhang zur Aussprache des Spanischen anhand eines Informationstextes, eins durch eine Erschließung im Lektionsteil (¿Qué pasa? , S. 67). Der Wortakzent wird vermutlich vor allem eingebunden, weil er die Aussprache eines Worts von der Schreibung her ermöglicht und weil er die Voraussetzung für die Regel zur Setzung der Tilde - d. h. für einen Gegenstand zur Orthographie - bildet: 33 {¿Qué pasa? , S. 67} 19a) Escucha y repite las palabras. Después escribe las palabras en tu cuaderno y subraya la sílaba acentuada. {…} 19b) Completa la regla en tu cuaderno. Vervollständige die Regeln in deinem Heft. Wo werden die Wörter im Spanischen betont? {Merkkasten mit Lücken zum Vervollständigen durch die Schüler: innen: } Alle Wörter, die auf … oder auf die Konsonanten … oder … enden, werden auf der vorletzten Silbe betont. Alle Wörter, die auf … enden (aber nicht auf die Konsonanten … oder …), werden auf der letzten Silbe betont. {Weiterer Merkkasten: } Alle Wörter, die anders als nach dieser Regel betont werden, tragen einen Akzent auf der betonten Silbe, z. B. alemán oder música. {…} Wahrscheinlich aus Gründen der Einfachheit ist von palabras esdrújulas nie die Rede. Beispiele für esdrújulas werden unter den Ausnahmen genannt. Die bedeutungsunterscheidende Funktion des Wortakzents in Verbalpara‐ digmen wird fast nie thematisiert, nur Línea amarilla (S. 67) enthält einen Arbeitsauftrag, in dem die Schüler: innen ein Gedicht mit Verbformen in der passenden Betonung aufsagen sollen. Intonatorische Strukturen, die Gliederung der Äußerung in grupos fónicos und Resyllabierungsphänomene werden fast nicht bzw. gar nicht behandelt. Dies 31 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="32"?> entspricht der aktuell häufigsten Konzeption der Aussprachevermittlung, in der segmentale Phänomene den Vorrang haben (siehe unten und Kap. 2.2.): In einem einzigen Schüler: innenbuch (¡Apúntate! ) kommen die Grundintona‐ tionsmuster Aussage- und Fragesatz sowie die intonatorische Trennung zweier grupos fónicos (No está en la habitación vs. No, está en la habitación) in insgesamt zwei Arbeitsaufträgen vor. Resyllabierungsphänomene werden in keinem Spanisch-Schüler: innenbuch thematisiert. Nur im Rahmen der Lernstrategien zur Verbesserung der Aus‐ sprache wird in zwei Schüler: innenbüchern ganz am Rande und ganz grob angemerkt: Achte darauf, dass du die Wörter bindest (Encuentros hoy, S. 163) und sehr ähnlich in ¡Apúntate! (S. 152). Dabei beruht in der Art und Weise, wie die Silben in der Wortgruppe verteilt werden, einer der wichtigsten Ausspracheunterschiede zwischen dem Deut‐ schen und dem Spanischen: Im Deutschen orientieren sich die Silbengrenzen innerhalb einer Wortgruppe an den Wortgrenzen (Gabriel & Meisenburg & Selig 2013: 144-145). Im Spanischen (und auch im Französischen, siehe unten) werden dagegen die Silbenstrukturen derart (neu) verteilt, dass es möglichst viele konsonantisch anlautende und möglichst wenig vokalisch anlautende Silben gibt (Gabriel & Meisenburg & Selig 2013: 144-147). Hierzu dienen etwa die Vokalfusion gleicher Vokale im Wortauslaut und -anlaut (z. B. habla alemán [aβlaleman], die Diphtongierung, z. B. mi hermano [mjɛɾmano] und die sinalefa, z. B. este acto [ɛste‿akto] sowie die Bindung eines Auslautkonsonanten an den vokalischen Anlaut des Folgeworts, z. B. el otro [e.lo.tɾo] (Cleggs & Fails 2018: 405). Demgegenüber kann im Deutschen eine vokalisch anlautende Silbe durch Glottisschlag von der vorhergehenden getrennt werden (Gabriel & Meisenburg & Selig 2013: 145), d. h. die oben angeführten Beispiele würden realisiert als habla | alemán [ablaʔaleman], mi | hermano [miʔɛɾmano], este | acto [ɛsteʔakto] und el | otro [elʔo.tɾo]. In allen Französisch-Schüler: innenbüchern sind die zentralen suprasegmen‐ talen Gegenstände zwei ausgewählte Silbenprozesse, nämlich die Elision und die Liaison. Die in den Schüler: innenbüchern behandelte Form der Elision, die Reduktion der Auslautvokale von Pronomen, Artikeln und Präpositionen vor vokalisch anlautenden Wörtern, gibt es im Deutschen nicht. Zusätzlich ist die Elision ein grammatikalisch relevantes Thema. Sie spielt deswegen vor allem im Rahmen von Konjugationen (Personalpronomen plus finite Verbform) und der Bildung von Nominalphrasen (Artikel/ Präposition plus Substantiv) eine Rolle. Die Liaison wird in den Schüler: innenbüchern zwar häufig, aber sehr unsys‐ tematisch thematisiert. In allen Schüler: innenbüchern mehr oder weniger stark 32 Julia Lange <?page no="33"?> 34 Tout va bien, S. 35, Aufgabe 6: Lisez les mots. {Damit ist gemeint, dass man die angegebenen Beispiele laut vorlesen soll, nachdem man sie von der CD abgehört hat.} Achtet auf die unterschiedliche Aussprache der Zahlen. Exemple: dix‿ordinateurs, dix voisines. {Hör- und Lesebeispiele: } une copine - deux amis - trois étages - quatre collèges - six chiens - huit infirmières - huit souris - dix apéritifs - treize tickets - vingt appartements - un ami […]. präsent ist die Liaison auf [z]. Die Liaison auf andere Laute tritt ebenfalls auf, jedoch noch unsystematischer. In Tout va bien gibt es zur Liaison einen Arbeitsauftrag, der im Kontext des grammatikalischen Themas Pluralartikel plus Substantiv die Erschließung der Liaison explizit zum Thema hat: {Tout va bien, S. 29} a) Écoutez bien! Wann hört ihr das -s des Pluralartikels, das eigentlich stumm ist? Formuliert eine Regel. b) Lisez les mots. Lest die folgenden Wortverbindungen laut vor. Beachtet dabei die formulierte Regel. {Wörter a)}: les maisons, des appartements, les livres, les ordinateurs, des cahiers, les salades, les ananas, des autoroutes, les parfums, les cinémas, des restaurants. {Wörter b)}: les maisons, des appartements, les livres, les ordinateurs, des cahiers, les salades, les ananas, les autoroutes, les parfums, les cinémas, des restaurants. Zusätzlich gibt es in Tout va bien (S. 25) einen Arbeitsauftrag, bei dem Wort‐ gruppen aus Zahlwort plus Substantiv imitiert und später selbst produziert werden sollen, was die Regelerschließung zur Liaison auf -s, -x, -n und -t implizit voraussetzt. 34 Weiterhin enthält Tout va bien im Grammatikteil einen Infokasten zur Liaison auf -n (S. 152). In Découvertes Série bleue und in Série jaune beginnt die Einführung in die Liaison mit einem Lied, das nachgesungen (imitiert) werden soll, und das Formu‐ lierungen mit c’est‿un(e) enthält, d. h. beide Découvertes-Schüler: innenbücher beginnen mit der Liaison auf -t. In Découvertes Série bleue (S. 108) findet sich zudem im Lektionsteil ein Infokasten zur Formulierung fait-il. In Découvertes Série bleue und in Tous ensemble taucht die Liaison auf -s in einem Arbeitsauftrag zum Kontrast von [z] : [s] auf (siehe Kap. 4.2.3.). In Découvertes Série jaune wird die Liaison auf -s und -x durch Imitation anlässlich des Erwerbs der Zahlwörter eingeübt (S. 50). In À plus ! gibt es für die Liaison keine gesonderten Arbeitsaufträge; meistens kommt die Liaison auf [z] nur in den Lektionen oder in den Grammatikteilen einfach in Form von Unterbögen zwischen Artikel und Substantiv oder Perso‐ nalpronomen und finiter Verbform vor. Im Grammatikteil und im Vokabelteil enthalten alle Schüler: innenbücher (À plus ! auch im Anhang zur Aussprache) hin und wieder Hinweise darauf, dass 33 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="34"?> bei bestimmten Vokabeln die Liaison gemacht wird; meistens wird mit einem Unterbogen darauf hingewiesen: {Découvertes Série jaune, S. 145} Les‿amis [z] wie in Saal, Rose. ‿ bedeutet, dass zwei Wörter wie ein einziges ausgesprochen werden. Auf diese Art und Weise ist die Liaison auf -n in allen Schüler: innenbüchern am Rande zu finden, die Liaison auf -f kommt derart in Tous ensemble vor. Im Grammatik- und Vokabularteil wird die Markierung der Liaison auf [z] gern mit dem Bild einer Biene kombiniert, um auf die Stimmhaftigkeit von [z] hinzuweisen (Tout va bien, S. 198-199, À plus ! , S. 60, Découvertes Série bleue, S. 149 und Série jaune, S. 145). Unbeachtet bleiben auch in den Französisch-Schüler: innenbüchern viele wei‐ tere Silbenprozesse, besonders der Stimmweiterklang bei vokalischem Silben‐ auslaut vor vokalischem Silbenanlaut (z. B. et à elle [e‿a‿ɛl], die Bindung eines Auslautkonsonanten an den vokalischen Anlaut des Folgeworts (enchaînement consonantique), z. B. une idée [y.ni.de], und die Schwa-Reduktion, z. B. je le vois [ʒəlvwa] (cf. Meisenburg & Selig 1998: 120-140). Vor dem Hintergrund der Form der Silbenrealisierung im Deutschen (siehe oben) würden die angeführten Beispiele realisiert werden als et | à | elle [eʔaʔɛl], une | idée [ynʔi.de], je | le | vois [ʒələvwa]. Die Intonation der geschlossenen Frage und des Aussagesatzes wird in Tout va bien, À plus ! und Tous ensemble im Grammatikteil behandelt. Der Grund für die Thematisierung der Intonation ist auch hier ein grammatikalisches Thema, nämlich die Bildung von Fragen ohne est-ce que. Hier macht nur die Intonation den Unterschied zwischen geschlossener Frage (etwa Ça va? in Tous ensemble, S. 131) und Aussagesatz (Ça va, ebd.) aus. Der Intonationsverlauf wird in allen drei Schüler: innenbüchern durch Pfeile über den Beispielsätzen dargestellt. In À plus ! erfolgt im Anschluss an den Informationstext ein Arbeitsauftrag (Frage- und Aussagesätze sollen beim aufmerksamen Hören als solche erkannt werden). Im Gegensatz zu den Spanisch-Schüler: innenbüchern kommt der Wortbzw. Phrasenakzent des Französischen in keinem Französisch-Schüler: innenbuch vor. Nur in Découverts Série bleue (S. 150) und Série jaune (S. 149) wird im Vokabularteil beim Wort super auf die unterschiedliche Betonung im Deutschen und im Französischen hingewiesen. Problematisch an der mangelnden Einbindung des französischen Phrase‐ nakzents ist, dass sich der Wortakzent des Deutschen sehr stark von den französischen Betonungsmustern unterscheidet. Im Deutschen kann der Wort‐ akzent jede Silbe eines Worts treffen, bei Erbwörtern gerade auch eine der ersten Silben im Wort (Grab-Kempf 1988: 220-221). Das Französische weist 34 Julia Lange <?page no="35"?> 35 Zusätzlich tragen die ungewohnten Resyllabierungsphänomene zu Schwierigkeiten beim Hörverstehen bei. demgegenüber einen gebundenen Phrasenakzent mit Betonung der letzten Silbe des groupe rythmique auf (Meisenburg & Selig 1998: 154-155). Durch diese Unterschiedlichkeit der beiden Sprachen sind zunächst vor allem im Bereich des Hörverstehens Lernschwierigkeiten zu erwarten, da die Aufmerksamkeit beim Hören französischer Äußerungen nicht an die Zielsprache angepasst ist (Mordellet-Roggenbuck 2005: 34, cf. Kap. 2.2). 35 Die Tatsache, dass insgesamt nur wenig Suprasegmentalia in den Schüler: in‐ nenbüchern behandelt werden und die wenigen behandelten Suprasegmentalia mit orthographischen oder grammatikalischen Themen zusammenhängen, ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Suprasegmentalia als schwerere Gegenstände angesehen werden als Segmentalia (cf. Kap. 2.2.). Diese Einstellung entsteht vermutlich auch dadurch, dass durch die Fremdheit des spanischen und besonders des französischen Schriftsystems Aussprachefehler auf segmentalem Niveau entstehen und somit der Eindruck, dass die Behandlung von Schrift- und Einzellautphänomenen Vorrang haben sollte. 4.2.5 Die Aussprachenorm in den Spanisch-Schüler: innenbüchern Kein Schüler: innenbuch klärt explizit über die Entscheidung für die Vermittlung einer bestimmten Varietät auf. Die Aussprachenorm in den Spanisch-Schüler: in‐ nenbüchern wurde anhand der Aussprachegegenstände und der Hörmaterialien (wenn vorliegend) ermittelt. In allen Büchern ist die Aussprachenorm ein Kastilisch, welches durch die Unterscheidung zwischen / s/ und / θ/ und yeísmo sowie durch apikales [s] und velares [χ] charakterisiert ist. Es kann hier nicht in die Diskussion zur sprachlichen Norm im Spanischunterricht eingestiegen werden. Für Schüler: innen mit Deutsch als L1 müsste allerdings die kastilische Norm schwerer zu erwerben sein als z. B. eine durch prädorsales [s], keine Unterscheidung von / θ/ und / s/ sowie durch yeísmo gekennzeichnete „norma culta pan-hispánica“, wie sie Cleggs & Fails (2018) für den Spanischunterricht vorschlagen. 4.2.6 Sprachbewertungen bezüglich der Aussprache des Französischen/ Spanischen Sprachbewertungen zählen nicht zu den Gegenständen, die bei der Vermittlung einer Fremdsprache in Hinblick auf deren Aussprache unbedingt erwartet 35 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="36"?> 36 Ob dies von Seiten der Autor: innen bewusst oder unbewusst vorgenommen wurde, ist unklar. 37 Ein Lese-/ Hörtext in Línea amarilla thematisiert statt der Leichtigkeit des Spanischen Ausspracheschwierigkeiten des Spanischen und des Deutschen. Möglicherweise ist das Ziel des Textes, die Schüler: innen zu ermutigen, indem sie sich bewusst werden, dass auch ihre L1 (Deutsch) schwer ist, wenn sie das Gefühl haben, dass der Erwerb des Spanischen schwer sei. werden. Die Schüler: innenbuchanalyse zeigt jedoch, dass derartige Bewer‐ tungen gelegentlich mit eingebaut werden. 36 Zwei Schüler: innenbücher äußern aussprachebezogene Sprachbewertungen (¡Vamos! ¡Adelante! und Tout va bien). Es wird an jeweils einer Stelle in ¡Vamos! ¡Adelante! und in Tout va bien behauptet, dass die jeweilige Sprache leicht sei, 37 wobei dies in Tout va bien so angelegt ist, dass die Aussage als Ironie verstanden werden kann: {¡Vamos! ¡Adelante! S. 14} 9) Die spanische Aussprache ist ganz leicht. Hört euch das Alphabet auf der CD an und sprecht die Buchstaben nach. {Tout va bien, S. 107} 5) Complétez le texte avec les verbes „apprendre“ ou „comprendre“ au pluriel.: {…} Thomas: {…} mes copains et moi, nous ne ~ pas bien le français. Karim: Comment? Vous ne ~ pas le français? Mais le français, c’est facile. Attends. En France, les enfants ~ le français comme ça: „Quand un gendarme rit dans la gendarmerie, tous les gendarmes rient dans la gendarmerie.“ Ah, ah, ah… Alors, c’est à toi maintenant. Thomas: C’est l’horreur, je ne comprends pas. Attends, … quand un gendarme … hm … rit, qu’est-ce que c’est „rit“? Karim: C’est ah, ah, ah … Thomas: Ah, c’est „ha, ha, ha“, c’est „lachen“. Karim: Oui, c’est ça. Alors, le français, c’est facile, non? An anderen Stellen suggeriert Tout va bien entsprechend auch, dass die Aus‐ sprache des Französischen schwer ist: {Tout va bien, S. 11} (6) Keine Angst vor der französischen Aussprache! Hier hilft euch die Lautschrift. Wo könnt ihr sie nachschlagen? Tout va bien äußert zudem ein sprachbezogenes Stereotyp, als es im Gramma‐ tikteil um die Liaison geht: {Tout va bien, S. 152} Le français, oh là là! Deshalb klingt die französische Sprache wie Musik in unseren Ohren. Den zitierten Textstellen liegen gängige Stereotype zugrunde (Spanisch bzw. dessen Aussprache sei leicht, Französisch bzw. dessen Aussprache sei schwer). Entsprechende Äußerungen sind in den Schüler: innenbüchern allgemein jedoch sehr selten. 36 Julia Lange <?page no="37"?> 38 In diese Zählung wurden alle aussprachebezogenen Arbeitsaufträge einbezogen, d. h. sowohl die explizit aussprachebezogenen als auch die hintergründig aussprachebezo‐ genen Arbeitsaufträge und die Schüler: innenbuch-Stellen mit Aussprachebezug, aber ohne Arbeitsauftrag (siehe Kap. 4.3.2.). - Ein zusätzliches Bild ergibt sich durch die quantitative Bedeutung der Ausspracheschulung in den Schüler: innenbüchern allge‐ mein. Wenn man die Zahl der aussprachebezogenen Arbeitsaufträge in Relation zur Gesamtzahl aller Arbeitsaufträge in den Schüler: innenbüchern setzt, ergibt sich, dass alle Spanisch-Schüler: innenbücher insgesamt 1502 Arbeitsaufträge enthalten, davon waren 85 (5,7 %) aussprachebezogen. Alle Französisch-Schüler: innenbücher enthalten insgesamt 1253 Arbeitsaufträge, davon waren 123 (9,8 %) aussprachebezogen. (Gezählt wurden alle Arbeitsaufträge in den Lektionen (Lerneinheiten und Differenzierungsteil), die eine Nummerierung aufwiesen. Lektionstexte wurden dann mitgezählt, wenn sie eine Nummerierung aufwiesen. Unterarbeitsaufträge wie 3a), 3b) usw. wurden als ein Arbeitsauftrag gezählt.) 4.3 Formen von Arbeitsaufträgen und Übungstypen 4.3.1 Anzahl der aussprachebezogenen Arbeitsaufträge Insgesamt waren in den Schüler: innenbüchern 208 aussprachebezogene Arbeitsaufträge zu finden. Davon fallen 85 Arbeitsaufträge auf die Spanisch-Schüler: innenbücher und 123 Arbeitsaufträge auf die Franzö‐ sisch-Schüler: innenbücher. 38 In Französisch gibt es mehr aussprachebezogene Arbeitsaufträge als in Spa‐ nisch, d. h. der Aussprachevermittlung kommt in den Französisch-Schüler: in‐ nenbüchern insgesamt mehr Gewicht zu. In Kap. 4.2.1. war bereits festgestellt worden, dass den Graphem-Phonem-Korrespondenzen sowohl in Spanisch als auch in Französisch der höchste Stellenwert in den Schüler: innenbüchern zukommt. Da das System der Graphem-Phonem-Beziehungen im Französischen deutlich komplexer ist als im Spanischen, ist es logisch, dass in den Franzö‐ sisch-Schüler: innenbüchern mehr Aussprachevermittlung vorkommt. 4.3.2 Explizite und hintergründige aussprachebezogene Arbeitsaufträge In fast allen Schüler: innenbüchern (eine Ausnahme ist Línea amarilla) sind einige Arbeitsaufträge mit einer immer wiederkehrenden Überschrift als aus‐ sprachebezogen gekennzeichnet. Diese Arbeitsaufträge heißen hier ‚explizite aussprachebezogene Arbeitsaufträge‘. Explizite aussprachebezogene Arbeits‐ aufträge haben meist das Verhältnis von Schreibung und Lautung, seltener die Artikulation von Lauten zum Gegenstand. Dies entspricht der allgemeinen Schwerpunktsetzung auf der fremdsprachlichen Schrift (siehe Kap. 4.2.1.). Die Überschriften/ Namen der expliziten Arbeitsaufträge lauten wie folgt: 37 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="38"?> Spanisch-Schüler: innenbücher ¿Qué pasa? (Diesterweg) ¿Cómo se pronuncia? , auch: Trabalenguas Encuentros hoy (Cornelsen) Pronunciación, auch: Escuchar y hablar ¡Vamos! ¡Adelante! (Klett) Practicamos la pronunciación ¡Apúntate! (Cornelsen) Pronunciar, auch: Escuchar Línea amarilla (Klett) Keine einheitlichen Überschriften Französisch-Schüler: innenbücher Tout va bien (Diesterweg) Attention à la prononciation! , auch: Écouter et … (z. B. chanter) À plus ! (Cornelsen) Découvrir les lettres et les sons, auch: Ecouter et prononcer Tous ensemble (Klett) Jeu de sons Découvertes Série bleue (Klett) Jeu de sons Découvertes Série jaune (Klett) Jeu de sons Tab. 3: Namen der expliziten aussprachebezogene Arbeitsaufträge Es fällt auf, dass in den Spanisch-Schüler: innenbüchern nicht vor dem Wort pronunciación/ pronunciar zurückgeschreckt wird, während es in den Franzö‐ sisch-Schüler: innenbüchern eher vermieden wird. Dafür werden aussprachebe‐ zogene Arbeitsaufträge in den Französisch-Schüler: innenbüchern, besonders bei Klett (jeu, découvrir), eher mit einem spielerischen und unverbindlicheren Charakter assoziiert (cf. Kap. 2.3. und Kap. 4.2.6.). Darüber hinaus gibt es zahlreiche Arbeitsaufträge, die die Aussprachekom‐ petenz neben anderen Kompetenzen mitschulen. Diese Arbeitsaufträge heißen hier ‚hintergründige aussprachebezogene Arbeitsaufträge‘. Häufig handelt es sich dabei um Arbeitsaufträge, in denen eigene oder fremde Alltags- oder Prosatexte, Lieder oder Gedichte vorgetragen oder nachgesprochen/ -gesungen werden sollen. Oft sollen auch neue Vokabeln gehört und nachgesprochen werden (Imitationsaufträge; besonders beliebt ist dies bei den Zahlwörtern) oder die Arbeitsaufträge enthalten angewandtes Hören (z. B. Teildiktate, d. h. Lückentexte). In Spanisch werden außerdem Arbeitsaufträge, die Supra‐ segmentalia betreffen, nicht als explizit aussprachebezogen gekennzeichnet (Hördiskriminieren bzw. -identifizieren intonatorischer Strukturen in ¡Apúntate! 38 Julia Lange <?page no="39"?> 39 Inhalt dieser Infokästen ist Wissen, das zur Bearbeitung eines Arbeitsauftrags not‐ wendig ist (z. B. zu einem Höridentifikationsauftrag wird erklärt, wie das stimmhafte [z] und das stimmhafte [s] klingen, Tout va bien, S. 115) oder zusätzliches Wissen, z. B. werden im Kontext des Alphabets die Namen von Diakritika genannt (z. B. á = a con acento, ä = a con dos puntos, ¡Vamos! ¡Adelante! , S. 15 oder bei der Graphem-Phonem-Er‐ schließung von wird c+e,i erklärt, dass in Lateinamerika der Seseo üblich ist, ¡Vamos! ¡Adelante! , S. 31). 40 Nicht in Découvertes Série jaune. Découvertes Série bleue (S. 107) enthält nur im Strategieteil eine Stelle, in der darauf hingewiesen wird, dass einmal erkannte Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenzen dabei helfen können, sich die Aussprache eines neuen Worts zu erarbeiten. und Erschließung des Wortakzents und der Setzung der Tilde in ¿Qué pasa? , beschrieben in Kap. 4.2.4.). Neben expliziten und hintergründigen aussprachebezogenen Arbeitsauf‐ trägen treten gelegentlich Texte, Gedichte, Lieder oder Sprüche (Zungenbre‐ cher) auf, die überhaupt keinen Arbeitsauftrag aufweisen, sodass es der Lehr‐ kraft überlassen bleibt, ob und wie diese Texte als aussprachebezogene Übung genutzt werden. Diese Schüler: innenbuchstellen wurden hier behandelt als ‚Schüler: innenbuchstellen ohne Arbeitsauftrag‘. 4.3.3 Form der kognitivierenden Vermittlung Die Schüler: innenbücher enthalten Informationstexte im Anhang zur Aus‐ sprache des Spanischen/ Französischen, im Strategie- und Vokabelteil (siehe Kap. 4.1.). Zusätzlich finden sich in den Lehreinheiten kurze Informationstexte zur Aussprache in Form von Merk- oder Infokästen. 39 Neben diesen Informati‐ onstexten sind Erschließungs-Arbeitsaufträge relativ beliebt. Fast immer wird mittels Erschließungen das Verhältnis von Schreibung und Lautung behandelt (siehe Kap. 4.2.2.): Alle fünf Spanisch-Schüler: innen‐ bücher enthalten dazu insgesamt 13 Arbeitsaufträge. In Französisch sind in vier Schüler: innenbüchern insgesamt 15 Arbeitsaufträge zu diesem Gegenstand zu finden. 40 Typischerweise lassen die Arbeitsaufträge zur Erschließung des Verhältnisses von Schrift und Lautung die Schüler: innen zuerst Lautung und Schreibung von Beispielwörter vergleichen und dann eine Regel formulieren: {Encuentros hoy, S. 35} 10a) El profesor lee la lista de los alumnos que participan en el intercambio. Der Lehrer liest die Liste der Schüler vor, die am Austausch teilnehmen. Höre zu und sprich die Vornamen nach. 10b) Formuliert zu zweit eine Regel, wie im Spanischen g, j und c ausgesprochen werden. Zusätzlich lassen drei Französisch-Schüler: innenbücher (Tous ensemble, Tout va bien, À plus ! ) in je einem Arbeitsauftrag erschließen, dass bestimmte Ver‐ 39 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="40"?> 41 In ¡Vamos! ¡Adelante! , S. 77 und ¿Qué pasa? , S. 16, 33. Hier werden die Schüler: innen nach Höreindrücken gefragt, wie r und rr in den Beispielwörtern gesprochen werden. 42 Tout va bien lässt die Schüler: innen die Aussprache der bestimmten Artikel le und les vergleichen und die Erkenntnis laut formulieren (S. 31). Diese Erkenntnis, die Beschreibung der Artikulation von Schwa und [e], dient einerseits grammatikalischen Zwecken und andererseits wiederum dem Erwerb der französischen Schreibung. 43 ¿Qué pasa? , S. 67, siehe auch Kap. 4.2.4. 44 Tout va bien enthält als einziges Schüler: innenbuch einen Arbeitsauftrag, der zur Erschließung der Regeln der Liaison mit [z] vor anlautendem Vokal führt (S. 29) und einen Arbeitsauftrag, der die Erschließung der Liaison voraussetzt (S. 35). Auf S. 29 sollen Höreindrücke mit dem Schriftbild verglichen und anschließend eine bendungen nicht ausgesprochen werden bzw. dass die gebeugten Verben der Konjugation auf -er im Präsens homophon sind. An den Formulierungen vieler Arbeitsaufträge mit Erschließungen von Schriftphänomenen fällt auf, dass die Erschließung gar nicht immer erfragt wird, sondern dass erhofft wird, dass sich automatisch durch bestimmte Aktivitäten - z. B. beim Vergleich der eigenen Aussprache mit der Aussprache von der Hördatei/ CD - eine Erkenntnis einstellt. Manchmal wird nicht richtig deutlich, dass es sich um eine Erschließung handelt: {¡Vamos! ¡Adelante! , S. 119} 13 Escuchad estas palabras: azul, empezar, zoo, plaza, zorro, pez, zumo, kápiz, vez, izquierda. 14 Leed esta frase y comprobad con el CD. Los zapatos azules de Cecilia tienen diez peces naranjas como zanahorias. {Tout va bien, S. 102} 3) Attention à la prononciation! a) Ecoutez bien! b) Lisez les mots. {Wörter: } journal, Paul Gauguin, jeudi, collège, groupe, guitariste, gymnase, sondage, baguettes, génial. {keine weiteren Arbeitsaufträge und keine typographischen Mar‐ kierungen in den Beispielwörtern J. L.} Bei solchen Arbeitsaufträgen ist es von großer Wichtigkeit, dass sich die Lehrkräfte darüber bewusst sind, dass das Verhältnis von Schreibung und Lautung das Lernziel des Arbeitsauftrags ist. Sonst erfolgt gegebenenfalls keine explizite Regelerschließung und entsprechend auch keine ausreichende Bewusstwerdung bei den Schüler: innen. Viel seltener werden Artikulationsweisen von Lauten und Suprasegmentalia erschlossen. Zwei Spanisch-Schüler: innenbücher binden eine Erschließung der Artikulationsweise von sp. [ɾ] vs. [r] ein. 41 Ein Französisch-Schüler: in‐ nenbuch enthält eine Erschließung von fr. [ə] vs. [e]. 42 Dabei wird relativ allgemein danach gefragt, wie der jeweilige Laut in gehörten Beispielwörtern ausgesprochen wird. Die Erschließung von Suprasegmentalia erfolgt in einem Spanisch-Schüler: innenbuch 43 zum Wortakzent und zur Setzung der Tilde und in einem Französisch-Schüler: innenbuch 44 zur Liaison (es werden Höreindruck 40 Julia Lange <?page no="41"?> Regel formuliert werden. Dieser Arbeitsauftrag ist an ein grammatikalisches Lernziel angeschlossen, nämlich die Bildung der Konstruktion Pluralartikel plus Substantiv im Plural. 45 ¡Vamos! ¡Adelante! , S. 97. und Schriftbild verglichen). Zusätzlich enthält ein Spanisch-Schüler: innenbuch einen Arbeitsauftrag, in dem die Schüler: innen die eigene Aussprache von Bei‐ spielwörtern mit stimmlosen Plosiven mit der Aussprache muttersprachlicher Spanischsprecher: innen vergleichen, damit die Schüler: innen zur Erkenntnis kommen, dass die eigene Aussprache dieser Plosive aspiriert ist. 45 4.3.4 Übungstypen in den aussprachebezogenen Arbeitsaufträgen Die Analyse der Arbeitsaufträge, die in den Spanisch- und Franzö‐ sisch-Schüler: innenbüchern auftreten, orientiert sich an der Übungstypologie von Dieling & Hirschfeld (2000: 47-62), da diese Übungstypologie die größte Bandbreite von Aussprachekompetenzen zu berücksichtigen schien. Für die Analyse wurde die Übungstypologie von Dieling & Hirschfeld (2000: 47-62) ver‐ einfacht: Es wurden nur die Übungstypen Imitation, Hördiskriminieren, Höri‐ dentifizieren, angewandtes Hören, produktive Sprechübungen, Vortragen/ Vor‐ lesen und frei Sprechen einbezogen. Die einzelnen Übungstypen werden im Folgenden im jeweils betreffenden Kapitel kurz erläutert. 4.3.4.1 Imitation Imitationsaufträge (Zuhören und Nachsprechen) sind im Korpus am häufigsten. Sie treten 85 Mal im gesamten Korpus auf. Dies teilt sich auf in 46 Arbeitsauf‐ träge, in denen die Imitation in Kombination mit weiteren Arbeitsaufträgen wie Erschließung oder Höridentifikation auftritt, und 39 andere Arbeitsaufträge, in denen ausschließlich Imitation stattfindet (siehe Kap. 4.3.5.). Arbeitsaufträge, die ausschließlich ‚Imitieren‘ lauten, finden sich in den Spa‐ nisch-Schüler: innenbüchern 15 Mal und in den Französisch-Schüler: innenbü‐ chern 24 Mal. Beliebt ist die reine Imitation, wenn sie dazu dient, neue Vokabeln, kommunikative Formeln und grammatische Formen (finite Verbformen, nur in Französisch) zu erwerben: {¡Apúntate! , S. 24-25} {Gegenstand ist das Alphabet} 1) Escucha y repite las palabras. Höre zu und wiederhole die Wörter. 2) Escucha y canta la canción del alfabeto. Höre zu und singe das Alphabetlied. {À plus ! , S. 19} 8) Ecoute et chante. Mit diesem Rap kannst du die Formen des Verbs être auswendig lernen. Hör zu und singe mit. 41 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="42"?> 46 Wörter oder Sätze, die sich bis auf einen Laut, bis auf den Wortakzent oder bis auf die Intonation vollständig gleichen (z. B. sp. pero vs. perro, fr. ils ont vs. ils sont). Wenn die Imitation gemeinsam mit anderen aussprachebezogenen Arbeitsauf‐ trägen auftritt, können dies Kombinationen aus Imitation und Erschließung, Hö‐ ridentifikation, angewandtem Hören, produktiven Sprechübungen (fast immer Zungenbrecher) und Vorlesen/ Vortragen sein. Oft erfolgt dabei zuerst der Imitationsauftrag und danach der andere Arbeitsauftrag, sodass die Imitation als eine Art Hilfestellung für den anderen Arbeitsauftrag fungiert (siehe Kap. 4.3.5.): {¡Vamos! ¡Adelante! , S. 31} 21) Escuchad estas palabras y repetid. Hört euch folgende Wörter an und wiederholt sie. Wie wird das ‚c‘ ausgesprochen? casa, Carmen, Colombia, {…} 22) Formulad la regla. {…} 23) Leed estas palabras {…}: Cecilia, cuándo, {…} {À plus ! , S. 33} 4a) Ecoute et répète: [ɑ̃] maman, chambre, {…} [ɔ̃]: Simon, bonjour, {…} [ɛ̃]: Albin, un {…} 4b) Welche Wörter enthalten den Laut [ɑ̃, ɔ̃, ɛ̃]? Zeichne eine Tabelle {…} und ordne die folgenden Wörter zu. Hör sie dir anschließend an, sprich sie nach und überprüfe deine Ergebnisse: comment, rentrée, cinquième, lampe {…} 4d) Übe diesen Zungenbrecher. Wer spricht ihn an schnellsten? L’oncle Albin est à Berlin avec Simon, le cousin de Valentin. 4e) A toi. Denke dir einen Zungenbrecher aus. Du kannst die Wörter von a-c verwenden. 4.3.4.2 Hördiskriminieren Hördiskriminieren bedeutet, dass Minimalpaare 46 einander gegenübergestellt werden, damit der Lautungsunterschied deutlich wird. Im Korpus ist Hördiskri‐ minieren fast nicht vorhanden, obwohl es von der Literatur wegen seines Po‐ tentials, Wahrnehmungskategorien zu modifizieren, als bedeutend angesehen wird (siehe Kap. 2.1.). Echte Minimalpaare werden im ganzen Korpus nur ein einziges Mal ange‐ boten: In einem Arbeitsauftrag zu intonatorischen Strukturen in ¡Apúntate! . {¡Apúntate! , S. 88} 4a) ¡Escucha bien! ¿Cuál de las siguientes frases escuchas? Apunta en tu cuaderno. Welchen der folgenden Sätze hörst du? Notiere die Lösung in deinem Heft. (1a) Mateo no quiere jugar al baloncesto. (1b) ¿Mateo no quiere jugar al baloncesto? (2a) Porque no vamos al cine. (2b) ¿Por qué no vamos al cine? (3a) Julia lleva gafas. (3b) ¿Julia lleva gafas? (4a) El jueves Ana va a un concierto. (4b) ¿El jueves Ana va a un concierto? Daneben gibt es im Korpus zwei weitere Arbeitsaufträge, in denen Minimal‐ paare einander gegenübergestellt werden. Diese Minimalpaare werden jedoch 42 Julia Lange <?page no="43"?> 47 {¡Apúntate! S. 53} Pronunciar. 9a) ¡Escucha bien! Höre zu. Wie oft hörst du das Wort perro im Text? {Hördatei, nicht im Buch: } Mi perro se llama Rufo. Es un perro muy simpático. En el parque, siempre estamos con mis amigos. Y mis amigos juegan con Rufo. ¡Qué perro tan inteligente! , dicen mis amigas. {sic} Si, Rufo es genial. 9b) Escucha y practica el trabalenguas. {…} Un perro en el barro con su rabo barre. Con su rabo barre un perro en el barro. innerhalb von Sätzen oder in Dialogen angeboten, sodass der Kontrast des Minimalpaars verringert wird. {Découvertes Série bleue S. 125} 4) Vont, font, sont ou ont? Ecoutez. Quel verbe est-ce que vous entendez? Après chaque phrase, notez la forme et l’infinitif du verbe dans votre cahier. Wie bereits gesagt, sind die Minimalpaare in allen drei Arbeitsaufträgen in ganze Sätze eingebunden bzw. stellen, im Fall der Intonation, ganze Sätze dar. Somit kann vermutet werden, dass Hördiskriminieren kaum vorkommt, weil vermieden werden soll, die Schüler: innen mit isoliertem, aus dem Kontext gelösten Sprachmaterial zu konfrontieren. In jedem Fall ist die häufigere Form des Hörauftrags das Höridentifizieren. 4.3.4.3 Höridentifizieren Höridentifikationsübungen sind für Dieling & Hirschfeld (2000: 52-53) Übungen, in denen ein in einem Wort oder einer Wortgruppe gehörter Laut direkt erkannt werden muss, ohne dass wie beim Hördiskriminieren ein Vergleich mit einem anderen Wort oder einer anderen Wortgruppe vorliegt. In den Französisch-Schüler: innenbüchern sind Arbeitsaufträge zum Höriden‐ tifizieren ziemlich häufig. Hier kommen sie insgesamt 30 Mal vor (11 Mal in Tout va bien, 8 Mal in À plus ! , 4 Mal in Découvertes Série bleue, 6 Mal in Découvertes Série jaune, 1 Mal in Tous ensemble). Hingegen sind sie in den Spanisch-Schüler: innenbüchern fast nicht vorhanden (nur 1 Mal in ¡Apúntate! ). 47 Höridentifikationsaufträge sind in den Schüler: innenbüchern derart aufge‐ baut, dass den Schüler: innen eine Auswahl an Wörtern aus ihrem Repertoire präsentiert wird, wobei sie bei jedem Wort zu entscheiden haben, ob ein bestimmter Laut in dem Wort vorkommt oder nicht und gegebenenfalls auch, um welchen Laut es sich handelt. {À plus ! , S. 18} 6) Achte auf den Unterschied zwischen Singular und Plural. Hebe die Hand, wenn von mehreren Personen oder Sachen die Rede ist. {Hördatei: } les professeurs, les élèves, l’école, les filles, les surveillants, les écoles, le garçon, l’élève, les garçons, la cour, les classes, l’ami, les amis, la récréation, elles sont en cinquième, il est cool, elle est en sixième, elles sont à Strasbourg 43 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="44"?> 48 Arbeitsaufträge zum detaillierten Hörverstehen sind ebenso wie Arbeitsaufträge zum allgemeinen Hörverstehen im Korpus omnipräsent, wurden hier jedoch nicht unter‐ sucht, weil die Schnittstellen zu semantischen/ semiotischen Kompetenzen so groß sind, dass Aussprachekompetenzen gar nicht mehr zu isolieren sind. Oft ist Höridentifizieren der Arbeitsauftrag, der erteilt wird, um eine Erschlie‐ ßung von Schriftphänomenen zu erreichen, wobei nicht immer explizit nach der Regelerschließung gefragt wird (siehe auch Kap. 4.2.3. und 4.3.3.): {Découvertes Série jaune, S. 32} 4a) Hört die Sätze an. [s] Salut! Wenn ihr [s] hört, macht mit den Armen und Schlangenlinien und zischt wie eine Schlange. [z] la musique Wenn ihr [z] hört, breitet die Arme aus und summt wie eine Biene. [Hördatei: ] vous êtes, Toulouse, nous sommes, le stylo, en vacances, nous habitons, le garçon, le magasin, je déteste ça, elles sont, elles habitent, bizarre. {Hervorhebungen im Original, J. L.} Bei genauerer Betrachtung der Wortbeispiele stellt sich in einigen Fällen auch die Frage, warum Höridentifizieren und nicht Hördiskriminieren geübt wird. Zum Beispiel enthält der Arbeitsauftrag in Découvertes Série jaune (S. 32) das Beispiel elles sont, aber nicht das Beispiel elles ont. Der grammatikalisch orien‐ tierte Arbeitsauftrag in À plus ! (S. 18) hätte leicht auf einem Hördiskriminieren aufbauen können, indem Beispiele wie das Minimalpaar le garçon : les garçons hintereinander präsentiert werden und von Beispielen mit Elision getrennt werden. Aus didaktischer Sicht wird hier jedenfalls ein Kompetenzschritt über‐ sprungen, denn bevor ein neuer/ fremder Laut erkannt (identifiziert) werden kann, muss er vorher sicher von anderen Lauten unterschieden werden können, und zu dieser Kompetenz soll das Hördiskriminieren führen (siehe Kap. 2.1.). Es steht in Frage, ob bei Gegenständen wie etwa den Nasalen der direkte Beginn der Ausspracheschulung mit Höridentifizieren nicht zu schwer ist. 4.3.4.4 Angewandtes Hören und allgemeines Hörverstehen Beim angewandten Hören wird laut Dieling & Hirschfeld (2000: 54-56) pho‐ netisches Hören mit Hörverstehen verbunden, beispielsweise in Diktaten, Teildiktaten (vor allem Lückentexten) und Hörverstehensübungen, bei denen nach genaueren Informationen aus dem Hörtext gefragt wird (detailliertes Hörverstehen). 48 Arbeitsaufträge mit angewandten Hörübungen in Form von Diktaten oder Teildiktaten kommen im Korpus 22 Mal vor. Einen Großteil machen Teildiktate oder Diktate aus, in denen die Schüler: innen zuvor erworbene Vokabeln oder Grammatikkenntnisse anwenden müssen. 44 Julia Lange <?page no="45"?> 49 Vor allem in Spanisch-Schüler: innenbüchern treten häufig als Zungenbrecher dekla‐ rierte Beispielsätze auf, bei denen unklar ist, warum diese Zungenbrecher genannt werden. Es ist entweder keine besondere Ausspracheschwierigkeit festzustellen, wie im folgenden Beispiel: {¡Vamos! ¡Adelante! , S. 128} {Überschrift: Trabalenguas. Kein Arbeitsauftrag vorhanden} En Madrid hay una plaza, en la plaza, una esquina, en la esquina, una casa, en la casa, una mesa, en la mesa, una taza, en la taza, la leche, en la leche, la nata, en la nata, una mosca./ La mosca, en la nata, la nata, en la leche, la leche, en la taza, la taza, en la mesa, la mesa, en la casa, la casa, en la esquina, la esquina, en la plaza. La plaza, en Madrid. Oder es gibt durchaus Ausspracheschwierigkeiten, aber weniger die konkrete Schwierigkeit eines Zungenbrechers, die darin liegt, dass wegen besonderen Laut-/ Silbenkombinationen eine erhöhte Aussprachegeschwindigkeit zu Laut- oder Silbenverdrehern führt. Es handelt sich also meistens nicht um Zungenbrecher im eigentlichen Sinn, sondern um phonetische Übungssätze: {À plus ! , S. 33} 4d) Übe diesen Zungenbrecher. Wer spricht ihn am schnellsten? L’oncle Albin est à Berlin avec Simon, le cousin de Valentin. Das Etikett Zungenbrecher dient hier vermutlich dazu, phonetische Übungssätze als Spiel zu deklarieren, in dem Fehler wie vorprogrammiert auftreten und entsprechend erlaubt sind. Nur ein Arbeitsauftrag in den Spanisch-Schüler: innenbüchern und fünf Arbeitsaufträge in den Französisch-Schüler: innenbüchern setzen direkt an spezifischen Aussprachegegenständen an. Diese Gegenstände sind zuvor an anderer Stelle oder direkt zuvor im selben Arbeitsauftrag thematisiert worden, und zwar sind das der Wortakzent und die Tilde in ¿Qué pasa? , die Liaison in Tout va bien, die orthographischen Akzente in Tout va bien, Découvertes Série bleue und Découvertes Série jaune und die Homophonie der Verben im Singular und 3. Ps. Pl. Präsens in À plus ! ). 4.3.4.5 Produktive Sprechübungen Zu den produktiven Sprechübungen (Dieling & Hirschfeld 2000: 57-58) zählen Arbeitsaufträge, die auf die Artikulation eines bestimmten Aussprachegegens‐ tands im Lautkontext zielen, wobei die Beispielwörter oder -sätze gezielt zur Übung des Gegenstands ausgewählt oder entworfen wurden und der Gegen‐ stand vorher in vorbereitenden Hörübungen vorgekommen ist. Solche Sprech‐ aufgaben/ -übungen können teilweise von den Schüler: innen selbst entworfen werden (z. B. Zungenbrecher mit einer konkreten Ausspracheschwierigkeit). Bei Arbeitsaufträgen mit produktiven Sprechübungen in den Schüler: innen‐ büchern sollen die Schüler: innen oft ihre zuvor erworbenen Kompetenzen (etwa zum Verhältnis von Schreibung und Lautung) anwenden, indem sie etwa Bei‐ spielwörter oder -sätze (in Spanisch oft Zungenbrecher 49 ) laut lesen/ sprechen. Seltener sollen die Schüler: innen die Beispielwörter/ -sätze selbst finden oder vor dem Sprechen im Text Markierungen vornehmen. 45 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="46"?> 50 Die einzige Ausnahme sind vier Arbeitsaufträge zur Liaison in Tout va bien. Insgesamt kommen im Korpus 25 Arbeitsaufträge mit produktiven Sprech‐ übungen vor (11 Mal in Spanisch und 14 Mal in Französisch). Bis auf Décou‐ vertes Série bleue enthalten alle Schüler: innenbücher solche Arbeitsaufträge. Allerdings haben sie in Spanisch ¡Apúntate! (5 Mal) und in Französisch Tout va bien (9 Mal) den größten Anteil. Die übrigen Schüler: innenbücher enthalten jeweils nur ein oder zwei Arbeitsaufträge mit produktiven Sprechübungen. {¡Apúntate! S. 34} 2a) Escucha y repite. Höre zu und sprich nach. Achte auf die Aussprache von ll. 1. Mira, la chica allí: ¿cómo se llama? - ¿Ella? Se llama Julia. 2. ¿Dónde está la silla? - Allí, al lado del sillón. 3. En el pasillo hay cosas de Mateo. 2b) Lee las palabras. Lies die Wörter vor: la gallina, la estrella, el caballo, el castillo, la botella. 2c) Escucha y practica el trabalenguas [sic] {…}: La gallina se llama Estrella y vive con un caballo en un castillo de Sevilla. Bei den Arbeitsaufträgen mit produktiven Sprechübungen fällt besonders auf, dass die Aussprachevermittlung in den Spanisch- und Französisch-Schüler: in‐ nenbüchern nicht oder kaum wiederholend angelegt ist. Oft ist der Gegenstand dieser Arbeitsaufträge im Schüler: innenbuch nur ein Mal, höchstens zwei Mal vorgekommen, und dies meistens in dem Arbeitsauftrag, der dem produktiven Sprechauftrag direkt vorangeht. 50 Besonders problematisch ist dies bei Ausspra‐ chephänomenen, die nicht ohne Weiteres von den Schüler: innen bewältigt werden können, wie etwa die französischen Nasale oder auch spanisch [ɾ, r]. In À plus ! gibt es im ganzen Buch nur einen einzigen Arbeitsauftrag zu den Nasalen. 4.3.4.6 Vortragen/ Vorlesen und frei Sprechen Beim Vortragen/ Vorlesen und frei Sprechen wird ein eigener oder ein fremder Text mit starker bis gar keiner Anlehnung an die Textvorlage laut vorgetragen (Dieling & Hirschfeld 2000: 59-61). Vor dem Vortragen/ Vorlesen sollten sich die Lernenden auf die konkreten Ausspracheschwierigkeiten des Textes vorbereiten (ebd.). Auf das freie Sprechen sollte ein Feedback zur Ausspracheperformanz folgen (Dieling & Hirschfeld 2000: 61-62). Bei Texten, die vorgetragen/ vorgelesen werden sollen, handelt es sich fast immer um Gedichte, Lieder/ Raps und Alltagstexte. Meistens sind die Texte vom Schüler: innenbuch vorgegeben. Alle Schüler: innenbücher enthalten Arbeitsauf‐ träge, in denen Texte vorgetragen werden sollen. 8 Arbeitsaufträge finden sich in den Spanisch-Schüler: innenbüchern und 20 Arbeitsaufträge in den Fran‐ zösisch-Schüler: innenbüchern. Die höhere Zahl in den Französisch-Schüler: in‐ 46 Julia Lange <?page no="47"?> nenbüchern liegt darin begründet, dass hier häufig grammatische Gegenstände oder Vokabular (z. B. die Zahlwörter) als Gedichte oder Raps angeboten werden, vermutlich, um das Interiorisieren dieser Gegenstände zu erleichtern. Wenn das Vortragen/ Vorlesen für die Ausspracheschulung genutzt werden soll, muss ein Arbeitsauftrag vorliegen, der explizit die Aussprache einbezieht. In fünf von 28 Arbeitsaufträgen zum Vortragen/ Vorlesen im Korpus ist dies der Fall, vier aus Spanisch-Schüler: innenbüchern (die Ausnahme ist ¡Apúntate! ) und einer aus einem Französisch-Schüler: innenbuch (Tout va bien). Vier dieser Arbeits‐ aufträge sind sehr allgemein formuliert, d. h. die Schüler: innen sollen nicht auf konkrete Aussprachephänomene, sondern generell auf ihre Aussprache achten. Nur ein Arbeitsauftrag bittet darum, dass die Schüler: innen auf die passende Betonung achten sollen (Línea amarilla), was mit dem grammatischen Lernziel (finite Verbformen im Präsens) zusammenhängt. {Línea amarilla, S. 37} {Gedicht „Niños de Somaila“ von Gloria Fuertes: Yo como, tú comes, él come, nosotros comemos, vosotros coméis, ellos no} 6a) Lest die Gedichte: Was drücken sie aus? 6b) Schreibt ein ähnliches Gedicht {…} 6c) Lest die Gedichte vor und achtet dabei auf eine passende Betonung. In den übrigen 23 Arbeitsaufträgen zum Vortragen/ Vorlesen soll oft imitiert werden: {Encuentros hoy, S. 135} Canciones populares {Sektion ¡Más México! , Lieder: La cucaracha, La bamba} 4a) Escucha y canta las canciones. 4b) Welche Lieder aus deiner Region/ deinem Land würdest du einem Mexikaner/ einer Mexikanerin vorstellen? {Hördatei mit lateinamerikanischer Aussprache, J. L.} Arbeitsaufträge zum freien Sprechen, in denen die Aussprache berücksichtigt wird, sind noch seltener. Es finden sich nur drei solcher Arbeitsaufträge im ganzen Korpus in zwei Schüler: innenbüchern (¡Apúntate! und À plus ! ). Alle drei Arbeitsaufträge kommen im Rahmen der Abschlussaufgaben von Lerneinheiten vor. Sie sind äußerst allgemein formuliert: {¡Apúntate! , S. 37} Dein spanischer Brieffreund Julio möchte wissen, wie dein Lieb‐ lingsplatz aussieht und was du dort machst. {…} Notiere dir Stichpunkte für deine Präsentation und übe sie. Achte auf deine Aussprache und die Betonung. 4.3.5 Kombinationen von Übungstypen in den aussprachebezogenen Arbeitsaufträgen 28 % aller Arbeitsaufträge in den Schüler: innenbüchern bestehen aus Kombina‐ tionen verschiedener Übungstypen gegenüber 72 % der Arbeitsaufträge, die nur einen einzigen Übungstyp beinhalten. Unter den Arbeitsaufträgen, die nur aus 47 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="48"?> einem einzigen Übungstyp bestehen, ist die Imitation mit Abstand am häufigsten (35 %). Am zweithäufigsten sind Arbeitsaufträge, die nur ‚Vortragen/ Vorlesen‘ lauten (15 %). Die übrigen Übungstypen sind seltener. Höridentifizieren ge‐ schieht in 8 % der Fälle, Hördiskriminieren nur in knapp 1 % der Fälle (siehe Kap. 4.3.4.2.). Was die Kombinationen verschiedener Übungstypen in einem Arbeitsauftrag betrifft, so gibt es so viele verschiedene Kombinationen von Übungstypen, dass keine eindeutige Tendenz zu einer bestimmten Kombination festzustellen ist (insgesamt wurden im Korpus 18 Möglichkeiten festgestellt, eine bestimmte Auswahl verschiedener Übungstypen zu kombinieren). Allerdings kommt die Imitation in den Kombinationen verschiedener Übungstypen äußerst häufig vor: 74 % aller Arbeitsaufträge, die verschiedene Übungstypen kombinieren, enthalten einen Imitationsauftrag. Der zweithäu‐ figste Übungstyp, der gern kombiniert wird, ist die Erschließung - sie findet sich in 26 % der Arbeitsaufträge, die verschiedene Übungstypen verbinden. Darüberhinaus werden die Übungstypen eher unsystematisch miteinander kombiniert. Beispielsweise finden sich in den Schüler: innenbüchern für das Ver‐ hältnis Lautung-Schreibung sechs verschiedene Kombinationen von Übungs‐ typen, wobei jede einzelne dieser Kombinationen eine eigene Auswahl aus Imitation, Erschließung, produktiver Sprechübung und Höridentifizieren trifft. Insgesamt ist festzustellen, dass komplexe Kompetenzen wie Vortragen/ Vor‐ lesen häufig sind und bereits früh gefordert werden, während Übungstypen wie Hördiskriminieren und Höridentifizieren, die Teilkompetenzen der Aussprache fördern, seltener sind oder gar nicht vorkommen (siehe auch Kap. 4.3.4.5.). 5 Auswertung und Schluss Heute ist die Ausspracheschulung nicht mehr allzu sehr das „Stiefkind“ (Göbel & Graffmann 1977) des Fremdsprachenunterrichts. In den Spanisch- und Fran‐ zösisch-Schüler: innenbüchern sind durchaus Bestrebungen zu erkennen, auch die Aussprache einzubinden. Die Ausspracheschulung in den analysierten Schüler: innenbüchern ist maß‐ geblich davon geprägt, dass dem Verhältnis von Schreibung und Lautung die größte Bedeutung zugemessen wird. Die meisten behandelten Gegenstände sind Graphem-Phonem-Korrespondenzen (siehe Kap. 4.2.1., 4.2.2. und 4.2.3.). 48 Julia Lange <?page no="49"?> 51 Kramer (2010: 111-112) unterscheidet hier interessanterweise danach, ob erlernt wird, sich die Aussprache eines geschriebenen Worts zu erarbeiten, oder ob ein gehörtes Wort aufgeschrieben werden soll. Ersteres befindet Kramer aufgrund der hohen Sys‐ tematizität der Graphem-zu-Phonem-Korrespondenzen im Französischen als „‘leichtʼ“ (Kramer 2010: 112), während er Zweiteres als sehr schwer erachtet: „[…] niemand kann wissen, wie ein Wort oder, viel schlimmer, ein aus verschiedenen ‚mots phonétiques‘ zusammengefügter Satz zu schreiben ist‘“ (Kramer 2010: 111). Da das Französische ein komplexes Schriftsystem aufweist, 51 enthalten die Französisch-Schüler: innenbücher somit einen höheren Anteil an Arbeitsauf‐ trägen zur Aussprachevermittlung als die Spanisch-Schüler: innenbücher (siehe Kap. 4.2.1.). Auch der intensivere Gebrauch des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA) in den Französisch-Schüler: innenbüchern (siehe Kap. 4.1.2.) wird so verständlich: Die Transkriptionen in IPA sollen hier vermutlich als Hilfestellung zur Überbrückung des schwierigen Schriftbilds dienen. Diese Schwerpunktsetzung scheint dazu zu führen, dass phonetisch-phono‐ logische segmentale und suprasegmentale Phänomene zurückgestellt werden. Zwar behandeln alle Schüler: innenbücher die spanischen und französischen Laute, die dem Deutschen fremd sind, d. h. auf dem Anfänger: innenniveau in Spanisch [ɾ, r] und in Französisch die Nasale. Weitere zentrale Aussprache‐ schwierigkeiten in beiden Sprachen, wie die Aspiration der stimmlosen Plosive, die deutsche Auslautverhärtung, der deutsche Knacklaut bei vokalischem An‐ laut und die Wahrnehmung von Wortgruppen als prosodische Einheit (in Zusammenhang mit den Silbenprozessen im Spanischen und im Französischen) werden dafür nicht oder nur sehr selten thematisiert (siehe Kap. 4.2.3. und 4.2.4.). Diese Schwierigkeiten können jedoch ein großes Hindernis im Bereich des Hör‐ verstehens sein (siehe Kap. 2.2.) und auch in der gesprochenen Kommunikation die Verständlichkeit von Schüler: innenäußerungen deutlich behindern. Somit sollte überlegt werden, wie der Schrifterwerb im Französisch- und Spanischunterricht effizienter und effektiver gestaltet werden kann. Aktuell ließen sich in den Schüler: innenbüchern diesbezüglich folgende Problematiken feststellen: Methodisch wird das Verhältnis von Schreibung und Lautung oft mittels Erschließungen erarbeitet (siehe Kap. 4.3.3.). Besonders in Französisch enthält dabei jedoch nicht jeder Arbeitsauftrag, der das Verhältnis von Schreibung und Lautung zum Lernziel hat, auch die explizite Aufforderung, eine Regel zu suchen und mündlich oder schriftlich zu formulieren, sodass die Effektivität des Arbeitsauftrags davon abhängt, ob die Lehrkraft das Lernziel erkennt und die Bewusstwerdung gezielt fördert (siehe Kap. 4.2.3. und 4.3.3.). Weiterhin war die Auswahl der behandelten Graphem-Phonem-Korrespondenzen besonders in 49 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="50"?> 52 Ein Rückgriff auf den Ansatz von Nina Catach, in dem Logogramme, Morphogramme und Phonogramme unterschieden werden, wie etwa bei Mordellet-Roggenbuck (2014: 118-120), erscheint hier ergiebig. Möglicherweise wären auch dem phonics-Ansatz aus dem Englischunterricht für Lerner: innen mit Englisch als L1 und L2 Ideen und Anre‐ gungen zu entnehmen, besonders die Idee, dass orthographische Regelmäßigkeiten bewusst gemacht und darauf aufbauend im Lese- und Schreibkontext möglichst häufig wiederholt angeboten werden (cf. Papp 2020: 8, cf. auch Landerl & Treutlein & Schöler 2013). Französisch, teilweise auch in Spanisch oft unsystematisch und heterogen (siehe Kap. 4.2.2. und 4.2.3). Hinzu kommt, dass die Behandlung des Schriftsystems, ähnlich wie bei den anderen Gegenständen der Ausspracheschulung, in den Spanisch- und in den Französisch-Schüler: innenbüchern nicht wiederholend angelegt ist, sodass die Lehrkraft darauf angewiesen ist, eigene Wiederholungen im Unterricht einzubauen (siehe Kap. 4.3.4.4. und 4.3.4.5.). Es wäre deswegen zu überlegen, ob die Entwicklung einer systematischeren Methode zum Schrifterwerb nicht sinnvoll wäre. Damit segmentalen und be‐ sonders suprasegmentalen Ausspracheschwierigkeiten überhaupt mehr Raum gegeben werden kann, erscheint dies sogar von hoher Wichtigkeit. Eine solche Methode müsste idealerweise wiederholte Bewusstmachung, prinzipiengeleitete Auswahl der thematisierten Grapheme und häufige Kon‐ frontation mit den zu erwerbenden Graphemen beim Rezipieren von schriftli‐ chem Input verbinden. Auch wäre zu reflektieren, ob und wie sich Ganzwort‐ methode und die Vermittlung von Phonem-Graphem-Korrespondenzen mit Gewinn ergänzen können. 52 Über den Schwerpunkt auf Graphem-Phonem-Korrespondenzen hinaus konnte in Hinblick auf die methodische Gestaltung der Ausspracheschulung in den Schüler: innenbüchern festgestellt werden, dass Kombinationen ver‐ schiedener Übungstypen in den Arbeitsaufträgen am häufigsten sind (siehe Kap. 4.3.5.). Innerhalb dieser Kombinationen, aber auch unter den Arbeitsauf‐ trägen, die nur einen einzigen Übungstyp enthielten, war jedoch die Imitation am häufigsten (siehe Kap. 4.3.5. und 4.3.4.1.). Die Imitation soll hierbei oft als erster Schritt zur Bewältigung eines schwierigeren Übungstyps dienen (siehe Kap. 4.3.4.1.). Es treten in den Schüler: innenbüchern neben Arbeitsaufträgen mit Imita‐ tion (gelegentlich auch mit Höridentifizieren) direkt Arbeitsaufträge auf, die (nur) Vorlesen/ Vortragen erfragen, obwohl hierfür zunächst kleinschrittigere Teilkompetenzen der Aussprache geübt werden müssten (siehe Kap. 4.3.5.). Zusätzlich wird, wie bereits oben gesagt, derselbe Gegenstand der Ausspra‐ chevermittlung häufig nur ein Mal, maximal zwei Mal angesprochen (siehe Kap. 4.3.4.4. und 4.3.4.5.). Problematisch ist dies beim Erwerb der dem Deutschen 50 Julia Lange <?page no="51"?> fremden Phoneme sp. [ɾ, r] und fr. [ɛ̃, ɔ̃, ɑ̃], da die für den Erwerb notwendigen Grundlagen nicht geschaffen werden. Es ist erforderlich, dass die Lehrkraft eigene, ergänzende Wiederholungen in den Unterricht einbaut, bevor zu kom‐ plexen Aussprachekompetenzen übergegangen wird (siehe Kap. 4. .5.). Da im Fremdsprachenunterricht sehr viele Kompetenzen parallel gefördert werden müssen, ist es verständlich, dass die Schüler: innenbücher eine Auswahl treffen müssen. Deswegen könnte überlegt werden, ob die systematisch ge‐ plante Aussprache- und Schriftvermittlung nicht ein Thema für ein Zusatzheft zum Schüler: innenbuch wäre. Bibliographie Primärliteratur Arriagada, Melania u. a. (2014): ¡Vamos! ¡Adelante! 1. Stuttgart: Klett. Bade, Peter u. a. (2006): Línea amarilla 1. Stuttgart: Klett. Balser, Joachim u. a. (2016): ¡Apúntate! 1. Berlin: Cornelsen. Belaval-Nink, Sandrine u. a. (2013): Tout va bien 1. Braunschweig: Diesterweg. Blume, Otto-Michael u. a. (2012): À plus ! 1. Berlin: Cornelsen. Bruckmayer, Birgit u. a. (2012): Découvertes 1. Série bleue. Stuttgart: Klett. Bruckmayer, Birgit u. a. (2012): Découvertes 1. Série jaune. Stuttgart: Klett. Darras, Isabelle (2013): Tous ensemble 1. Stuttgart: Klett. Goreczka-Hehl, Carolina u. a. (2018): Encuentros hoy 1. Berlin: Cornelsen. Martos Villa, Pilar u. a. (2018): ¿Qué pasa? 1. Braunschweig: Diesterweg. Sekundärliteratur Barattelli, Stefan & Schade, Stefan (2003): „Kognitionswissenschaftliche Beiträge zu Sprachproduktion und Sprachrezeption“. In: Rickheit, Gert & Herrmann, Theo & Deutsch, Werner (Hrsg.): Psycholinguistik. Berlin u. a.: de Gruyter, 80-91. Berthelé, Raphaël & Dherbey-Chapuis, Nathalie (2020): „L’apprentissage des correspon‐ dances phonème-graphème en français langue étrangère“. In: SHS Web of Conferences 78 [7 e Congrès Mondial de Linguistique française]. https: / / www.shs-conferences.org/ a rticles/ shsconf/ abs/ 2020/ 06/ shsconf_cmlf2020_09011/ shsconf_cmlf2020_09011.html, Zugriff: 17.4.2021. Bieritz, Wulf D. (1971): Phonologische Interferenzen und ihre programmierte Korrektur. Psycholinguistische Untersuchungen zur Erstellung eines Sprachlaborprogramms der korrektiven französischen Phonetik für Studienanfänger der Romanistik. Dissertations‐ schrift, Ruhr-Universität Bochum. Cauneau, Ilse (1992): Hören, Brummen, Sprechen. Angewandte Phonetik im Unterrichtsfach ‚Deutsch als Fremdsprache‘. München: Klett. 51 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="52"?> Cleggs, J. Halvor & Fails, Willis C. (2018): Manual de fonética y fonología españolas. London, New York: Routledge. Dieling, Helga & Hirschfeld, Ursula (2000): Phonetik lehren und lernen. München: Goethe-Institut. Dufter, Andreas (2013): „Phonetik und Phonologie des Spanischen“. In: Born, Joachim & Folger, Robert & Laferl, Christopher F. & Pöll, Bernhard (Hrsg.): Handbuch Spanisch. Berlin: Erich Schmidt, 173-178. Gabriel, Christoph & Meisenburg, Trudel & Selig, Maria (2013): Spanisch: Phonetik und Phonologie. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Gallo Valdivieso, María del Pilar & Mariscal Altares, Sonia (2014): Adquisición del lenguaje. Madrid: Editorial Síntesis. Göbel, Heinz & Graffmann, Heinrich (1977): „Ein Stiefkind des Unterrichts in Deutsch als Fremdsprache: Ausspracheschulung“. In: Zielsprache Deutsch 3, 2-8. Grab-Kempf, Elke (1988): Kontrastive Phonetik und Phonologie Deutsch-Spanisch. Frank‐ furt a. M. u. a.: Peter Lang. Grünke, Jonas (2019): „Lautsprachliches Wissen und Spirantisierung im universitären Spanischerwerb: Eine Studie zu verschiedenen Lernniveaus“. In: Zeitschrift für Roma‐ nische Sprachen und ihre Didaktik 13(2), 35-56. Hirschfeld, Ursula (2011): „Phonetik im Kontext mündlicher Fertigkeiten“. In: Babylonia 2, 10-17. Horvath, Julia & Kamerhuber, Julia & Bäumler, Linda & Jansen, Luise & Pustka, Elissa (2019): „Aussprache im Französischunterricht: Ergebnisse einer Online-Umfrage unter bayrischen und österreichischen Lehrerinnen und Lehrern“. In: Zeitschrift für Roma‐ nische Sprachen und ihre Didaktik 13(2), 81-124. Kaunzner, Ulrike (2017²): Aussprachekurs Deutsch. Tübingen: Stauffenburg. Klann-Delius, Gisela (2016³): Spracherwerb. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler. Kernlernplan (KLP) Nordrhein-Westfalen (2019) Sekundarstufe I, https: / / www.schule ntwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ lehrplan/ 202/ g9_f_klp_%203410_2019_06_23.pdf, Zu‐ griff: 1.3.2021. Kramer, Johannes (2010): „Gibt es leichte und schwere Schulsprachen? Überlegungen zum Englischen, Spanischen, Italienischen und Französischen“. In: Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik 4(1), 105-119. Landerl, Karin & Treutlein, Anke & Schöler, Hermann (2013): „(Frühe) Schrifteinführung im Englischunterricht - Überlegungen zu Zeitpunkt und Methode auf Grundlage von psycholinguistischen Studien“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 24(1), 3-27. Meisenburg, Tudel & Selig, Maria (1998): Phonetik und Phonologie des Französischen. Stuttgart: Klett. Mertens, Jürgen (2011): „Zum Stellenwert der Ausspracheschulung im Französischun‐ terricht. Versuch einer mehrperspektivischen Rekonstruktion“. In: Reinfried, Marcus 52 Julia Lange <?page no="53"?> & Rück, Nicola (Hrsg.): Innovative Entwicklungen beim Lehren und Lernen von Fremd‐ sprachen. Festschrift für Inez de Florio Hansen. Tübingen: Narr, 61-91. Mordellet-Roggenbuck, Isabelle (2014): „Vom Nutzen der Wissensvermittlung im Bereich der Orthographie am Beispiel des Französischen“. In: Tinnefeld, Thomas (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld zwischen Sprachwissen und Sprachkönnen. Saarbrücken: HTW, 111-124. Mordellet-Roggenbuck, Isabelle (2005): Phonétique du français. Théorie et applications didactiques. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Moreno Muñoz, Consuelo (2002): „El español y el alemán en contraste. Niveles foné‐ tico-gráfico y morfosintáctico“. In: Carabela 51, 119-145. Nieweler, Andreas (2017): „Sprechen“. In: Nieweler, Andreas (Hrsg.): Fachdidaktik Fran‐ zösisch: Tradition - Innovation - Praxis. Stuttgart: Klett, 119-120. Papp, Szilvia (2020): Phonics and Literacy instruction for young learners in EFL. Cambridge: Cambridge University Press. Cambridge papers in ELT se‐ ries]. https: / / www.cambridge.org/ gb/ files/ 8915/ 8687/ 2095/ CambridgePapers_In_ELT -Phonics__Literacy_minipaper_ONLINE.pdf, Zugriff: 29.3.21. Pustka, Elissa (2020): „Und immer wieder die Schrift! Alte und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Aussprachefallen des Französischen“. In: Französisch heute 1, 5-11. Real Academia Española (2018²): Nueva gramática de la lengua española, Fonética y fonología. Madrid: Espasa. Reimann, Daniel (2016): Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen. Berlin: LIT Verlag. Riehl, Claudia Maria (2004): Sprachkontaktforschung. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Schade, Ulrich & Barattelli, Stefan (2003): „Kognitionswissenschaftliche Beiträge zu Sprachproduktion und Sprachrezeption“. In: Rickheit, Gert & Herrmann, Theo & Deutsch, Werner (Hrsg.): Psycholinguistik. Berlin u. a.: de Gruyter, 80-91 [Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Band 24]. Trubetzkoy, Nicolai S. (1967 4 ): Grundzüge der Phonologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Warren, Richard M. (1970): „Perceptual restoration of missing speech sounds“. In: Science 167, 392-393. Wild, Kathrin (2015): „Der Nutzen von Kognition und Emotion für Aussprachelern‐ prozesse“. In: Badstübner-Kizik, Camilla & Bakuradze, Ana & Maragno, Renate & Missaglia, Federica & Möllering, Martina & Winkelbauer, Sonja (Hrsg.): Beiträge zur Internationalen Deutschlehrertagung 2013. Band 2.2, Bozen: Bozen-Bolzano University Press, 175-188. 53 Zum aktuellen Stand der Ausspracheschulung <?page no="55"?> 1 Das Schüler: innenbuch À plus ! 1 ist 2021 vom Georg-Eckert-Institut mit dem Preis „Schulbuch des Jahres“ in der Kategorie „Sprachen“ ausgezeichnet worden. 2 Der Begriff der Grammatik wird i. e. S. auf Syntax und Morphologie bezogen, i. w. S. lassen sich auch Phonologie und Semantik zu ihr zählen (cf. Imo 2016: 56). Im vorlie‐ Quo vadis, Grammatik? Zur Umsetzung fachdidaktischer Forderungen in den Lehrwerken À plus ! 1 (2012 und 2020) 1 Kathleen Plötner Grammatik(vermittlung) in Lehrwerken war jahrzehntelang Gegenstand lebhafter Diskussionen und ist immer wieder umfangreicher Kritik aus‐ gesetzt, die von Vorwürfen der konstruierten Progression über fehlende kommunikative Ausrichtung bis hinzu Spracherwerbsverzerrung reicht. Der weitgehende Konsens von Grammatikvermittlung im Sinne einer die Sprachfertigkeiten unterstützenden Grammatik (‚dienende Funktion‘) wird in aktuellen fremdsprachlichen Lehrwerken insbesondere durch den Aufbau der einzelnen Unités nach Kompetenzzielen und mit Fokus auf handlungs- und meist produktionsorientierte Lernaufgaben ersichtlich. Der formal-inhaltliche Aufbau der Lehrwerke lässt jedoch nur im Ansatz vermuten, wie sich Grammatikübungen in diese einfügen. Im vorliegenden Artikel werden die Schüler: innenbücher und Carnets d’activités von À plus ! für das 1. Lernjahr Französisch aus den Publikationsjahren 2012 und 2020 quantitativ und qualitativ kontrastiert und hinsichtlich ausgewählter di‐ daktischer Forderungen und Kritiken an Grammatikübungen untersucht. 1 Einführung 1.1 Der Lehrlerngegenstand ‚Grammatik‘ Die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit dem Lehrlerngegen‐ stand ‚Grammatik‘ 2 ist eng an die Entwicklung von Sprachlerntheorien und <?page no="56"?> genden Artikel wird sich an einer engeren Definition orientiert, die in den vorgestellten Studien (außer in solchen auf Basis lexiko-grammatischer Ansätze) die geläufige ist. Grammatik muss stets als „Systematisierungsbemühung[…] verschiedener Menschen“ verstanden werden, die „von den Sprachanwendern nicht unabhängig ist“ (Inányi 2016: 323). Sprachlehrlernmethoden geknüpft. Kritik am „strong belief in the efficacy of grammar, chiefly formal grammar“ (DeBoer 1959: 414), die zunächst im amerikanischen Kontext geäußert wurde, sollte im deutschen Forschungs- und Bildungskontext bis ins 21. Jahrhundert andauern. So schreibt Freudenstein (2000: 55) um die Jahrtausendwende Diskussionen über Grammatik und deren Vermittlung eine „prominente Spitzenstellung“ unter Bildungsakteur: innen (in Deutschland) zu. Dabei geht es nicht ausschließlich um das Lehren von Gram‐ matik, sondern, ganz im Auftrag funktional-grammatischer, pragmatischer und kommunikativer Ansätze, um die fehlende Einbettung von grammatischen Strukturen in kommunikative Prozesse sowie um die Frage einer lerner: in‐ nenindividuellen Grammatik (Helbig 1981, Tschirner 2004). Auch wenn die Diskussionen über Grammatik und deren Vermittlung in den letzten Jahren weniger geworden sind - u. a. ist ein Konsens in Form der ‚dienenden Funk‐ tion‘ von Grammatik spür- und im aufgabenbasierten Ansatz sowie in den Bildungsplänen und in fremdsprachendidaktischen Handbüchern rezipierbar -, so sind diese dennoch nicht in Gänze verschwunden und erhalten u. a. durch lexiko- und konstruktionsgrammatische Ansätze neue Impulse (etwa Segermann 2007, Bürgel & Siepmann 2015, Plötner & Segermann 2021, Schafroth 2021). Die Kritik an Grammatik fällt hier jedoch geringer aus und geht nicht mehr von der Notwendigkeit „to re-invent the wheel of foreign language teaching“ aus, sondern fordert lediglich das Aufgreifen konstruktionsgramma‐ tischer Ideen, damit Sprachlernen „more smoothly“ (Herbst 2016: 46) erfolgen könne. In den romanischen Fächern führen in den letzten Jahren insbesondere sinkende Lerner: innenzahlen an Schule und Hochschule zu (er)neu(t)en Diskus‐ sionen über die Rolle und Funktion der Grammatik und ggf. ihren Einfluss auf die Einstellung der Lernenden zum Fremdsprachenunterricht (Plötner 2017, Venus 2017, Henk 2019, Fritz 2020). Hierbei lässt sich feststellen, dass ’Grammatik(überforderung)‘ als einer der Gründe für die Abwahl des Faches genannt wird und Grammatik scheinbar einen nicht zu vernachlässigen Teil des Unterrichts einnimmt, wobei empirische Studien, die einerseits den Anteil an Grammatik im Unterricht belegen und andererseits Grammatiküberforderung als Abwahlmotiv genauer untersuchen, noch fehlen. Zudem eröffnen in den letzten Jahren digitale Medien einen möglicherweise stärker spielerischen (und daher motivierenderen? ) Zugang zu Grammatik, etwa in Form von Quiztools 56 Kathleen Plötner <?page no="57"?> 3 Unter den Begriffen ‚Spracherwerb‘ und ‚Spracherwerbsprozess‘ werden sowohl Phasen des (gesteuerten) Lernens als auch des (ungesteuerten) Erwerbs gefasst. 4 Im vorliegenden Beitrag wird zwischen den Bezeichnungen ‚Aufgabe‘ und ‚Übung‘ nicht unterschieden, da der Übergang zwischen beiden fließend ist. Wendt (1998: 420) plädiert daher für ‚Üben‘ als Sammelbezeichnung für jedwede Form der Überprüfung von Lerner: innensprache. Im vorliegenden Artikel wird zunächst der Umfang an Grammatikaufgaben/ -übungen klassifiziert. Hinsichtlich des Zugangs wird der Fokus auf die Untersuchung zuvor festgelegter Indikatoren (siehe Abschnitt 2) gelegt. wie Kahoot und Quizlet sowie Escape Games, den es noch zu beforschen gilt. Auch die aktuell sehr prominenten Erklärvideos und damit einhergehende Formen des Storytelling (cf. Lachmund, im vorliegenden Band) verändern und etablieren möglicherweise (neue) Zugänge zu Grammatik. 1.2 Forschungsanliegen Das Lehrwerk, als Lehrmaterialbündel sowie als Gesamtwerk, begleitet die Lernenden meist durch ein Schuljahr und bildet dementsprechend die primäre strukturell-materielle Grundlage des Spracherwerbs. Es stellt den sprachlichen und inhaltlichen Aufbau und Ablauf für den fremdsprachlichen Spracherwerb 3 zur Verfügung und soll den Spracherwerbsprozess vorbereiten, begleiten und überprüfen bzw. zur Evaluation desselben dienen. Dies geschieht u. a. durch ein vielseitiges Angebot an auditiven und schriftlichen Lehrbuchtexten und Übungsformaten sowie Strategievorschlägen, (Auto)Evaluationstests etc. Ob‐ wohl Verlage eine Vielzahl an unterschiedlichen (Zusatz)Materialien zum Er‐ werb der zweiten und dritten Fremdsprache anbieten, wird das Lehrlernbuch oder Schüler: innenbuch (als Teil des Gesamtwerks ‚Lehrwerk‘) als das wich‐ tigste Medium im schulischen Fremdspracherwerbsprozess benannt (cf. Boh‐ nensteffen 2011: 126-130, Börner et al. 2011: 37, Nieweler 2000: 14-15, Richards 1993: 45). Diese prominente Stellung ist durch die Covid-19-Pandemie und den bis dahin ungeahnten Digitalisierungsschub möglicherweise rückläufig. Seit der Einführung des Distanzlernens sind ggf. andere mediale Formen und Materia‐ lien verstärkt im Einsatz, dennoch muss davon ausgegangen werden, dass das Schüler: innenbuch weiterhin einen prominenten Einfluss auf die Vermittlung von Fremdsprachen hat und als ‚Mittler‘ zwischen Lehrplan, Lehrsituation und Lernenden fungiert (cf. Cakir 2006: 25). Das Schüler: innenbuch ist dabei auch als ein zentrales Element zur Umsetzung „der dienenden Funktion der Grammatik […] in unterrichtliches Handeln“ (LISUM 2011: 7) anzusehen. Im vorliegenden Beitrag soll der Fokus auf dem Umfang von Grammatikübungen und -aufgaben 4 sowie deren inhaltlich-struktureller Gestaltung im 57 Quo vadis, Grammatik? <?page no="58"?> 5 Das Schüler: innenbuch wird im Folgenden mit SB 2012 bzw. SB 2020 und das Cahier d’activités mit CdA 2012 bzw. CdA 2020 abgekürzt. ersten Lernjahr in der neuen Lehrwerksgeneration 5 von À plus ! 1 (SB und CdA 2020) liegen. Diese werden mit dem Vorgängermodell (SB und CdA 2012) kontrastiert, um Entwicklungen zwischen den SB und CdA aufzuzeigen. Es gilt zu untersuchen, ob und wie fachdidaktische Soll-Beschreibungen umgesetzt werden. Nach Darstellung fachdidaktischer Vorwürfe gegenüber Grammatikvermitt‐ lung und -übungen sowie daran geknüpte Forderungen werden Analysekate‐ gorien zur Lehrwerkanalyse hergeleitet. Anschließend wird unter Abschnitt 4 der begriffliche Zugang zu Grammatikübungen und der Umfang selbiger in den Ausgaben von 2012 und 2020 bestimmt und kontrastiert. Zudem wird exemplarisch der Zugang zur Konjugation der Verben auf -er analysiert, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Lehrwerken herauszuarbeiten und diese auf die Umsetzung fachdidaktischer Forderungen zu prüfen. 2 Die ‚ideale‘ Grammatik im Lehrwerk … In der nunmehr seit über 15 Jahre andauernden Ära der Kompetenzentwicklung und Aufgabenorientierung, in Zeiten der (Umsetzungsversuche didaktischer Prinzipien wie) Lebensweltorientierung und Lerner: innenautonomie sowie einer zunehmenden partizipatorischen Lern- und Evaluationskultur werden an das Lehrwerk zahlreiche Forderungen gestellt, die die Grammatikvermittlung nicht verschont ließen und lassen. Sofern man überhaupt noch von ‚Vermittlung‘ sprechen darf, ist ‚Grammatik‘ unter Berücksichtigung der kommunikativen Bedürfnisse der Lernenden, in sprachlich bedeutsamen und authentischen Kontexten und im Sinne eines spiralen Aufbaus umzusetzen (cf. ‚Kriterien an Lehrwerke‘ in Börner et al. 2011: 43). Hinzu kommen ggf. Bezüge zu weiteren Sprachen und Kulturen bzw. die Nutzung des und Einbettung in das gesamtsprachliche(n) Wissen(s) und Können(s) der Lernenden (Mehrspra‐ chigkeitsdidaktik). Den Prinzipien des ‚kommunikativen‘ und ‚handlungsorien‐ tierten‘ Fremdsprachenunterrichts folgend wird die Anwendungsphase als die essentiellste Phase im Lernprozess erachtet (cf. Rogina 2007: 34). Grammatik ist im Sinne des Spiralcurriculums nicht ein isolierter Bereich des Spracherwerbs, sondern eine „Lernhilfe im gestalteten Spracherwerb“ (Börner et al. 2011: 37). Grammatische Strukturen werden - in natürlicher Sprache eingebettet - entdeckt und dann ‚spiralig‘ und zeitlich versetzt in „Übungen und Aufgaben regelhaft und remedial weiter behandelt“ (Börner et al. 2011: 37). Die 58 Kathleen Plötner <?page no="59"?> Konzipierung einer Spiralität soll sicherstellen, dass basale Strukturen immer wieder geübt und gefestigt, aber gleichzeitig auch erweitert werden. Dieser Blick auf grammatische Strukturen ist konstruktionsgrammatisch gefärbt; Börner et. al. (2011: 37) sprechen von einer „Lexikogrammatik“. Grammatik im Sinne einer funktionalen und kontextualisierten Grammatik wird oftmals über didaktische Texte realisiert: Letztere werden um ein gramma‐ tisches Phänomen herum verfasst und sollen folglich ebendieses kommunikativ einbetten. Ob es primär um Grammatik oder Textarbeit oder um beides geht, bleibt hierbei der/ dem Betrachter: in überlassen. Hier wird immer wieder auf die induktive Grammatikarbeit hingewiesen: Diese gilt der deduktiven Gram‐ matikarbeit als ‚überlegen‘, da sie handlungsorientierter sei (cf. Bredel 2013: 98), allerdings gibt es auch Stimmen, die deduktive und explizierende Formate - je nach Lerner: in - als vorteilhaft für Verständnisprozesse erachten bzw. ein variantenreiches Übungsangebot befürworten (Interface-Position, cf. Raabe 2007: 286). Zentral sind also folgende Prinzipien: ● Einbettung in ‚natürliche‘/ ‚authentische‘ Sprache (cf. Iványi 2016, Tschirner 2004) ● Berücksichtigung pragma-kultureller Kontexte (cf. Barquero Pipín 2020) ● Grammatik als Prozess, Betonung der Anwendungsphase (cf. Rogina 2007) ● induktive Grammatikarbeit (cf. Bredel 2013) ● Nutzung/ Darstellung von Lexikogrammatik (cf. Segermann 2007) ● Spiralität (cf. Börner et al. 2011) 3 Vorwürfe an Grammatik (im Lehrwerk) Grammatikdarstellungen und Grammatikvermittlung waren und sind starker Kritik seitens verschiedenster Bildungsakteur: innen, insbesondere aus dem fremdsprachendidaktischen Hochschulbereich, ausgesetzt. Dabei ist nicht immer ganz eindeutig feststellbar, ob es sich um eine Kritik an der Auswahl der Grammatik und/ oder am Umfang oder aber an der Art der Grammatikvermitt‐ lung und -anwendung handelt. An dieser Stelle soll zunächst zwischen Grammatik (als Lehrlerngegenstand) mit und ohne Bezug zum Lehrwerk unterschieden werden. Außerhalb des Lehrwerks lassen sich prinzipiell folgende Vorwürfe älteren und jüngeren Publikationsdatums ausfindig machen, deren Listung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: 59 Quo vadis, Grammatik? <?page no="60"?> ● Grammatik ist eine Fremdkonstruktion (cf. Tschirner 2004, Raabe 2007). ● Grammatik fokussiert die Schriftlichkeit (cf. Iványi 2016: 308). ● Grammatik verzerrt den Spracherwerb (cf. Düwell 2000). Im Rahmen von Lehrwerken (und mit Bezug zu Grammatikübungen) lassen sich diese Vorwürfe erweitern durch: ● Sprachliche Progressionen werden an der Zunahme von Grammatikformen gemessen (‚Dogma der Grammatikprogression‘, etwa Schröder 2010: 93, Barquero Pipín 2020: 257-270). ● Grammatik zielt auf die Unterscheidung zwischen ‚zielsprachig‘ vs. ’nicht-zielsprachig‘ ab/ Grammatikübungen sind stark fehleranfällig (Ler‐ nende machen zwangsläufig Fehler, die ihnen vor Augen geführt werden; cf. Rogina 2007: 34, Stahns 2013: 84 ). Aus den genannten Vorwürfen können folgende Indikatoren, die vier Kate‐ gorien zugeordnet werden, für die Analyse von Lehrlernbüchern abgeleitet werden: a Spracherwerbsverzerrung a1 Anzahl gesamt: Grammatikübungen umfassen einen Großteil der Übungen. a2 Test: Grammatik wird als zentraler Indikator für Sprachprogression ge‐ testet. b Prävalenz der Schriftlichkeit b1 Medium: Grammatik wird durch schriftliche Texte eingeführt. b2 Anzahl Medium: Schriftliche Grammatikübungen überwiegen gegenüber mündlichen. b3 Diaphase: Es wird keine Unterscheidung zwischen schriftsprachlicher und mündlicher Grammatik getroffen. c Fehleranfälligkeit c1 Polarität: Grammatikübungen fokussieren ‚korrekt‘/ ‚nicht korrekt‘. c2 Statik: Grammatik wird als unveränderlich dargestellt. d Kommunikativer Anteil d1 Kontext: Grammatikformen werden ohne sprachlichen Kontext einge‐ führt. d2 Kontext: Grammatikformen werden ohne sprachlichen Kontext geübt. 60 Kathleen Plötner <?page no="61"?> 6 Wortschatz- und Grammatiktrainer werden im vorliegenden Artikel nicht untersucht. d3 Anzahl Sozialform: Grammatikformen werden überwiegend in Einzelar‐ beit geübt. Aus den Indikatoren sollen im vorliegenden Artikel zunächst zwei - da sie sich für eine quantitative Auszählung gut eignen - untersucht werden, und zwar: - a1 Anzahl gesamt: Grammatikübungen umfassen einen Großteil an Übungen. Die Gesamtzahl an Grammatikaufgaben/ -übungen wird ins Verhältnis zur Gesamtzahl an Aufgaben gesetzt. Unteraufgaben, etwa 6a und 6b, werden einzeln gezählt. - b2 Anzahl Medium: Schriftliche Grammatikübungen überwiegen gegen‐ über mündlichen. Hierbei wird ausschließlich registriert, ob die Aufgaben schriftlich oder mündlich gelöst werden sollen. Die Einteilung richtet sich nach den Aufga‐ benstellungen und nach vorgegeben Mustern (z. B. im Arbeitsheft ist Platz für die schriftliche Realisierung eingeplant). Um eine Veränderung der SB und CdA zwischen 2012 und 2020 festzustellen, wären signifikante Unterschiede in den genannten Bereichen notwendig, wobei die Indikatoren ‚Vorwürfe an Grammatik‘ eine geringe kommunikative und stark normorientierte, da schriftsprachliche Grammatikvermittlung’ repräsen‐ tieren, die zu einem höheren Anteil im älteren À plus ! 1 erwartet wird. Auf qualitativer Ebene sollen aus der Kategorie (d) folgende Indikatoren exemplarisch für die Konjugation von Verben auf -er untersucht werden: - d1 Kontext: Grammatikformen werden ohne sprachlichen Kontext einge‐ führt. - d2 Kontext: Grammatikformen werden ohne sprachlichen Kontext geübt. 4 Grammatik in À plus ! 1 - eine kontrastive Analyse Die Reihen À plus ! 1 (2012, 2020) bieten neben dem SB und dem CdA einen Wortschatztrainer und einen Grammatiktrainer (101 Grammatikübungen. Mit Lösungen), die beide kleinschrittige Übungen zu den sprachlichen Mitteln des SB enthalten. 6 Auch im CdA selbst lassen sich zahlreiche Übungen finden, die für einen aussagekräftigen Vergleich zwischen den Lehrwerken daher neben jenen des SB mindestens untersucht werden müssen. Es stellt sich u. a. die Frage, ob 61 Quo vadis, Grammatik? <?page no="62"?> sich das prozentuale Verhältnis zwischen der Gesamtzahl an Übungen und der Anzahl an Grammatikübungen im SB auch im CdA widerspiegelt. 4.1 Sprachliche Verortung von Grammatik 4.1.1 Grammatik im SB Im SB 2012 werden die drei horizontalen Kategorien des Inhaltsverzeichnisses mit „Kommunikative Inhalte“, „Sprachliche Mittel“ und „Methodische Kompe‐ tenzen“ ausgewiesen. Unter dem Bereich der sprachlichen Mittel sind der Themenwortschatz, grammatische und lexikogrammatische Strukturen (z. B. il y a, je voudrais) und Aussprachephänomene (hier insbesondere Kontrastierung von Phonemen) gelistet. Auf vertikaler Ebene findet sich in jeder Unité unter dem Abschnitt „Répères“ ein „Überblick über Redemittel und Grammatik“. In den übergeordneten horizontalen Kategorien des Inhaltsverzeichnisses un‐ terscheidet das SB 2020 zwischen den Teilbereichen „Kompetenzerwartungen“ (die im Grunde konkrete Lernziele umfassen), „Sprachliche Mittel“ (unter die der Themenwortschatz, lexikogrammatische Strukturen und traditionelle Grammatikbereiche wie Possessivbegleiter fallen) und „Methodische und Me‐ dienkompetenzen“. Es lässt sich eine stärkere Hinwendung zu methodischen Kompetenzen feststellen, da diese - im Vergleich zum SB 2012 - systematisch benannt und nicht nur vereinzelt an einigen wenigen Stellen im Lehrbuch mit‐ gedacht werden. Im Vergleich lässt sich notieren, dass in beiden SB Grammatik als Teilbereich der sprachlichen Mittel - so wie auch im Rahmenplan - erfasst wird und als Unterstützung verschiedener Kompetenzbereiche fungiert. Vertikal lässt sich im SB 2020 der wiederkehrende Abschnitt „Grammaire en contexte“, der mit „Überblick über die Grammatik“ und „Redemittelsammlung mit Übersetzung und Audios“ ausgewiesen ist. Grammatik erhält folglich weiterhin einen eigenen wiederkehrenden Platz im Lehrlernbuch, wird aber zusätzlich als „en contexte“ deklariert. „Grammaire en contexte“ (2020) folgt im grundlegenden Verständnis funktional-grammatischen Ansätzen, umfasst aber lediglich die grammatische Struktur einiger weniger Beispiele bzw. eines Mo‐ nobeispiels, oftmals in Sprechblasen innerhalb comicartiger Zeichnungen ver‐ packt. En contexte muss hier stark hinterfragt werden: Die pseudo-kontextuali‐ sierten Beispiele folgen bedingt der Logik der Frequenz (bspw. häufig gebrauchte Wendungen im Schulkontext). Es wurde allerdings versucht, schüler: innenre‐ levante Wendungen auszuwählen, etwa ein Gespräch zwischen Elternteil und Kind: -„Tu regardes encore des vidéos. -Non, je travaille pour l’ecole…“ (S. 55). Die Lehrlernbücher, insbesondere die Lehrerfassungen, ebnen den Weg zum Verständnis und zur unterrichtlichen Umsetzung des aufgabenbasierten Ansatzes, denn in beiden steht die kommunikative Lernaufgabe im Mittelpunkt 62 Kathleen Plötner <?page no="63"?> der jeweiligen Lektion. Im Gegensatz zur älteren Ausgabe entfällt im SB 2020 das „Du brauchst“-Kästchen für die Lernaufgabe zu Beginn der Unité und es bleibt lediglich die Kategorie „Du lernst/ In dieser Unité lernst du“ auf einem orangefarbenden Untergrund links unten auf der linken Doppelseite erhalten. Die Lernaufgabe befindet sich auf dem gleichfarbigen Untergrund oben rechts auf dem rechten Teil der Doppelseite. In der Lehrer: innenfassung (2020) findet sich die Darstellung der Lernaufgabe inklusive des „Dafür lernen S“-Kästchens. Die (lexiko-)grammatischen Strukturen der jeweiligen Lektion werden also nur noch der Lehrkraft zu Beginn mitgeteilt und bleiben für die Schüler: innen (zunächst) ‚unsichtbar‘. Hintergrund mag hier sein, den Fokus von den (lexiko-)grammatischen Strukturen zur Lernaufgabe zu lenken und den Lernenden folglich ein aufgaben- und produktionsorientiertes Verständnis des Spracherwerbs zu vermitteln. Diese Darstellung reagiert auf den Vorwurf der Spracherwerbsverzerrung (siehe Kriterium b), da sie die Lernaufgabe ohne sprachliche Mittel vorstellt und so den Lernenden diese unabhängig vom lexikogrammatischen Zuwachs präsentiert. 4.1.2 Grammatik im CdA Das CdA 2012 leitet Übungen zur Grammatik entweder durch die Überschrift „grammaire“ ein oder aber stellt die konkreten Bezeichung der grammatischen Übungen im Titel voraus. Letzteres erfolgt ausschließlich im Testteil „Fais le point“, z. B. „Der bestimmte und unbestimmte Artikel“ (S. 21). Einige Zuord‐ nungen sind nicht eindeutig, etwa wenn der Einsatz von Präpositionen als „Vocabulaire“ gilt (von mir aber in der Auszählung als Grammatik-Einsetzübung eingestuft wird). In einigen Abschnitten wird auch von „Grammaire et vocabu‐ laire“ gesprochen, so bei Adjektiven, die erst gefunden/ zusammengesetzt und anschließend dekliniert werden müssen (S. 28). Das CdA 2020 gebraucht die Bezeichnung „Grammaire/ Grammatik“ nicht. Grammatische Übungen werden in den Volet-Abschnitten der Unités ausschließ‐ lich unter „S’entraîner“ gefasst und unter „Fais le point“ - wie auch bereits im CdA 2012 üblich - mit dem konkreten grammatischen Thema benannt. Es wird vermutet, dass die Bezeichnung „Grammaire“ hier vermieden und stattdessen ein Aktivitätsverb gebraucht wird, um die möglicherweise negative Konno‐ tation des Grammatik-Begriffes zu umgehen. Dass sich unter „S’entraîner“ zahlreiche formbasierte Übungen zur Verbkonjugation finden lassen, weist auf die von mir bereits mehrfach diskutierte zentrale Bedeutung der Verbkonjuga‐ tion als Grammatik-Kategorie par excellence im Fremdsprachenerwerb hin (cf. Plötner 2017, 2019). 63 Quo vadis, Grammatik? <?page no="64"?> 7 Diese Übungen wurden allerdings nicht als Grammatik-Übung klassifiziert, da sie nur die Unterscheidung der Phoneme fokussieren. Hörübungen, in denen allerdings die Unterscheidung zwischen Genus und Numerus (etwa bei Artikeln oder Adjektiven) thematisiert wird, sind als Grammatik-Übungen gelistet. 4.2 Umfang von Grammatikübungen 4.2.1 Klassifizierung von Grammatikübungen Die Klassifizierung von Grammatikübungen kann nicht ohne Weiteres und nur durch eine z. T. subjektive Einschätzung der Forschenden geschehen; sie ist zudem von verschiedenen Merkmalskategorien abhängig. Merkmalskategorien für Grammatikübungen können unterschiedlich komplex gestaltet werden, u. a. sind Zielsetzung, Lernendentätigkeit (z. B. produktiv oder rezeptiv), Darstellung des grammatischen Inputs (etwa in Syntagmen, Einzelsätzen oder Mini-Dia‐ logen) und Steuerung (cf. Raabe 2007: 284) wichtige Kategorien, die für eine Ty‐ pologie von Grammatikübungen herangezogen werden. Raabe (2007: 285) geht - gerade auch aufgrund der Mischformen, die sich aus den verschiedenen Merk‐ malskategorien ergeben können - von Prototypen, etwa den „imitativ-reaktiven Übungsformen“ aus, zu denen Substitutions-, Ergänzungs- und Einsetzübungen zählen. Kommunikative(re) und handlungsorientierte Übungsformen sind al‐ lerdings weitaus schwieriger zu bestimmen, da nicht nur verschiedene Hand‐ lungen - etwa ,Auswählen‘, ’Beantworten/ Fragen‘, ‚Darstellen‘, ‚Sortieren‘ (cf. Raabe 2007: 285, mit Bezug auf Klippel 1998) - im Übungsformat eingesetzt werden, sondern auch nicht mehr eindeutig ist, ob hier schon eine ‚kleine‘ Form des Sprechens/ Schreibens vorliegt. Die Übergänge zwischen Grammatik- und Schreibsowie Sprechübungen können als fließend erachtet werden, z. B. bei den information-gap-activities, insbesondere auch vor einem lexikogramma‐ tischen Hintergrund. Grammatische Übungen, die über auditive und visuelle Kanäle angeleitet werden, sind stärker als solche identifizierbar, da oftmals nur die grammatische Struktur erkannt und herausgearbeitet, ggf. sortiert werden muss und keine inhaltlichen Aspekte wiedergegeben werden sollen. Es können auch Übergange zu phonetischen Übungen festgestellt werden, etwa bei der Unterscheidung zwischen [-] und [e] während der Konjugation der Verben auf -er. 7 Aufgrund der dargelegten Problematik wird im vorliegenden Artikel davon Abstand genommen, die einzelnen Grammatikübungen genauer zu klassifi‐ zieren, jedoch war es für die Auszählung der Übungen von Bedeutung, Gram‐ matikübungen von den restlichen Übungen der analysierten Materialien zu unterscheiden. Als Grammatikübungen werden solche gezählt, die 64 Kathleen Plötner <?page no="65"?> 8 Die Übungen wurden von drei Personen gezählt bzw. als Grammatikübungen denomi‐ niert. Unterschiede in der Auszählung wurden final von mir mit Blick auf die erwähnten Kriterien bereinigt. ● als Grammatikübung deklariert sind, ● einen erkennbaren und vorangigen Bezug zu grammatischen oder le‐ xiko-grammatischen Inhalten haben (regel-, form- oder anwendungsba‐ siert). 8 In die zweite Auszählungskategorie fallen somit auch Übungen, die ggf. das gelenkte Sprechen oder Schreiben unter Verwendung (meist unmittelbar zuvor eingeführter) (lexiko-)grammatischer Strukturen beinhalten. An diesen wird die von Raabe (2007: 283) in Bezug auf Grammatikübungen beschriebene „Verbindung zwischen anfänglichem Verstehen und freier Produktion fremd‐ sprachlicher Strukturen“ sichtbar und es handelt sich z. T. um Übergangsbzw. Mischformen. 4.2.2 Prozentuale Verteilung von Grammatikübungen Sowohl im SB 2020 als auch im CdA 2020 hat sich die Anzahl an Grammatikü‐ bungen im Vergleich zum Vorgängermodell reduziert, dies jedoch in einem unterschiedlich prozentualen Verhältnis. Insgesamt sind in den beiden CdA die Zahl an grammatischen Übungen fast identisch (105 und 99). Im Verhältnis zur absoluten Zahl an Übungen ist jedoch ein Unterschied von rund 6,5 % feststellbar, wobei dieser dennoch nicht so hoch wie zwischen den SB ausfällt. Im SB 2020 hat sich die absolute Zahl an Übungen (wie auch im CdA) erhöht, die Zahl an Grammatikübungen ist gleichzeitig stark zurückgegangen. Grammatikübungen machen nurmehr 17,7 % aller Übungen im SB aus, wohingegen sie 2012 noch 31 % des Buches umfassten. 65 Quo vadis, Grammatik? <?page no="66"?> 0% 20% 40% 60% 80% 100% SB (2012) SB (2020) 403 = 100% 479 = 100% 125 = 31,01% 84 = 17,53% Vergleich À plus ! 1 (2012/ 2020) SB-Übungen total Übungen Grammatikübungen Graphik 1: Gesamtanzahl Übungen und Grammatikübungen im SB 0% 50% 100% CdA (2012) CdA (2020) 250 = 100% 278 = 100% 105 = 42,00% 99 = 35,61% Vergleich À plus ! 1 (2012/ 2020) CdA-Übungen total Übungen Grammatikübungen Graphik 2: Gesamtanzahl Übungen und Grammatikübungen im CdA 66 Kathleen Plötner <?page no="67"?> Es lässt sich also festhalten, dass vor allem zwischen den SB ein markanter Unterschied hinsichtlich der Anzahl an Grammatikübungen vorhanden ist, wo‐ hingegen im CdA der Unterschied nur marginal bzw. lediglich im prozentualen Verhältnis zur Gesamtanzahl an Übungen ins Gewicht fällt. Das Kriterium a1 (Anzahl gesamt) kann für das SB als gering eingestuft werden, da hier weniger als ein Fünftel aller Übungen explizit die Grammatik betreffen. Zudem sind einige Übungen, die als zur Grammatik gehörend gezählt wurden, an der Schnittstelle zwischen Grammatik und Lexik sowie der Förderung von mündlichen oder schriftlichen Fertigkeiten zu verorten und können nicht als ausschließlich auf die Grammatik abzielend klassifiziert werden. Die CdA vergleichend kann kein signifikanter Rückgang an Grammatikübungen verzeichnet werden; dies ist auch nicht verwunderlich, da diese im besonderen Maße für die Praxis der sprachlichen Mittel zuständig sind. 4.2.3 Prozentuale Verteilung des Mediums (Übungsformen) Im Folgenden sind die Grammatikübungen nach der medialen Kommunikati‐ onsform (mündliche oder schriftliche Produktion, Hörverstehen und Misch‐ formen) unterteilt. Dies dient der Überprüfung von b2 Anzahl Medium: Schriftliche Grammatikübungen überwiegen gegenüber mündlichen. Übungen, in denen mehrere mediale Kommunikationsformen möglich und diese nicht explizit ausgewiesen sind, werden in der Graphik unter „nicht angegeben“ verzeichnet. 67 Quo vadis, Grammatik? <?page no="68"?> 48 23 1 6 25 28 100 86 3 9 3 48 23 2 4 1 1 2 0 20 40 60 80 100 120 140 SB (2012) SB (2020) CdA (2012) CdA (2020) Mediale Übungsformen SB & CdA (2012/ 2020) 1=mündlich 2=schriftlich 3=Hör(seh)verstehen 4=nicht angegeben 5=Mischform Graphik 3: Mediale Grammatik-Übungsformen im SB und CdA Geht man von der Gesamtzahl der Grammatikübungen im SB und CdA aus, so wird Grammatik primär schriftlich geübt. Mit Blick auf das SB kann jedoch nicht von einer Dominanz schriftlicher Grammatikübungen gesprochen werden, hier bemüht sich das Lehrbuch um ein ausgewogenes Verhältnis. Zudem wird deutlich, dass im SB mündliche Grammatikübungen zwischen den Jahren 2012 und 2020 reduziert wurden. Eine auditive Tendenz zeigt sich in der zunehmenden Integration von Gram‐ matik-Übungen, die auf selektiven Hör(seh)verstehensprozessen basieren, z. B. das formorientierte Hören morphologischer Endungen (z. B. SB 2020: 9). 68 Kathleen Plötner <?page no="69"?> 9 À plus ! 1 (2012) umfasst acht Unités, wohingegen À plus ! 1 (2020) nur noch fünf Unités anbietet, die jedoch mit 18 Seiten pro Lektion etwas umfangreicher als die des Vorgängermodells ausfallen. 10 An dieser Stelle ist weder die Einführung des bestimmten Artikels im Genus noch im Numerus erfolgt. Lernende zeigen u. a. Ungenauigkeiten in der Reproduktion, entwickeln gleichzeitig aber auch Fragen zu den verschiedenen Möglichkeiten, da Phrasen wie j’aime la pizza, j’aime la salade und j’aime le sport sowie j’aime les tomates, j’aime les tortues etc. angeboten werden (diese Beobachtungen konnten im eigenen Unterricht getätigt werden und wurden mir von drei weiteren Französisch-Lehrkräften bestätigt). 11 In der Lehrer: innenhandreichung wird von „festen Wendungen“ und „Chunks“ gespro‐ chen (z. B. S. 12 und S. 47) . 4.2.4 Die Einführung der Konjugation auf -er Die Verben auf -er werden in beiden Lehrwerken in der zweiten Unité  9 einge‐ führt und geübt. Als unanalysierte chunks werden sie jedoch bereits davor gebraucht: In À plus ! 1 (2012) in der Phrase je m’appelle und den Fragen Tu t’appelles comment ? und Il/ Elle s’appelle comment ? , die den Lernenden als Redemittel unter „Qu’est-ce qu’on dit“ zur Verfügung gestellt werden. In À plus ! 1 (2020) werden die Verben auf -er als unanalysierte chunks in je m’appelle, j’habite und j’aime/ je n’aime pas sowie den dazugehörigen Fragen eingeführt. Damit stellt das SB 2020 den Lernenden eine größere Auswahl an Redemitteln in und vor der ersten Lektion zur Verfügung. Es wird versucht, die Lernenden zum Sprechen anzuregen, insbesondere durch die Kombination der Phrase j’aime/ je n’aime pas + Artikel + Nomen 10 , der eine eigene Doppelseite (S. 12-13) noch vor der Unité 1 gewidmet ist. In der Unité 1 werden die eingeführten chunks  11 konsequent in den Texten und Übungen gebraucht, ohne dass die Lernenden auf ihre Form oder Bedeutung aufmerksam gemacht werden. Der lexikogrammati‐ sche Ansatz ist hier unübersehbar und das SB folgt dem Prinzip der Spiralität. À plus ! 1 (2012) nutzt diesen Ansatz zwar in Form von Redemittellisten, lässt aber kommunikative Potentiale einfacher Strukturen ungenutzt und konzentriert sich auf prototypische sprachliche Muster des Sich-Vorstellens. Das SB 2012 führt die Konjugation auf -er über Aktivitätsverben ein. Die Lernenden sortieren zunächst Phrasen mit Aktivitäten chronologisch nach einem Textverlauf (S. 35). Die Semantisierung erfolgt hier insbesondere mit Bezug auf die Lektionsfigur Yasmin, die in allen drei Textabschnitten eine aktive Rolle einnimmt. Bilder zur Semantisierung des Textes helfen den Lernenden, die einzelnen Aktivitäten nachzuvollziehen. In Folgeaufgaben werden die Ak‐ tivitätsverben in gelenkten Dialogen aktiv gebraucht sowie die Unterschiede in der Aussprache der morphologischen Endungen systematisiert ([-] vs. [e]). Zum Abschluss erfolgt das Hören und Schreiben eines poème, der in der korrekten 69 Quo vadis, Grammatik? <?page no="70"?> Reihenfolge die Konjugation des Verbes écouter (ohne 3.P.Pl.) beinhaltet (S. 37). Die Übung ummantelt Grammatik mit einem Gedicht, das aber mehr Konjugationsübung ist, da das flektierte Verb und vor allem das Flektieren des Verbs im Mittelpunkt stehen. Zur weiteren Systematisierung werden die Lernenden nicht aufgefordert. Im CdA 2012 werden zunächst immer zwei Verbformen in Einzelsätzen zur Entscheidung angeboten, dabei stehen sich die morphologischen Endungen der Personen je-tu, tu-il, il-ils sowie vous-nous gegenüber. Im Anschluss erfolgt noch eine zweite Übung, in der die Endungen von Verben auf -er (der Verbstamm ist bereits vorhanden, etwa regard_) einzusetzen sind. Gleich darauf folgt bereits eine Übung zum Imperativ, was insofern verwundert, als dass hier nicht auf das gleiche morphologische Muster zurückgegriffen wird (für Befehle an die 2. Person Singular wird die morphologische Form der 3. Person Singular gebraucht). Eine Anwendungsübung, die aber sehr unspezifisch bleibt und den Lernenden keinerlei sprachliche Gerüste zur Verfügung stellt, findet sich im Anschluss: „Schreibe mit jedem Verb von a einen Satz in dein Heft“ (CdA 2012: 18, Hervorhebung im Original). Die fehlende kontextuelle Einbettung wird u. a. hier deutlich. Das SB 2020 nähert sich der Konjugation auf -er in der zweiten Unité ebenfalls über Aktivitätsverben. Dabei betreibt es zunächst die Anreicherung des Wortschatzes über Audios und Texte zu Aktivitäten mit Famille und Freunden (Qu’est-ce que tu fais avec ta famille et tes amis ? , S. 47). Anhand von Bild-Text-Kombinationen werden die neuen Vokabeln semantisiert. Bevor eine Systematisierung der Konjugation erfolgt, sollen die Lernenden sich auf die Aussprache der Endungen der unkonjugierten und konjugierten Verben auf -er konzentrieren. Das anschließende Lied (S. 48), in dem die Verben konjugiert werden und das wahrscheinlich der Memorierung der Konjugationen dienen soll, wird von den Lernenden mit Gesten (zu den jeweiligen Aktivitäen) semantisiert. Hier verbindet das SB 2020 Grammatik mit Rhythmik (z. T. ge‐ reimt), möchte aber gleichzeitig nur, dass die Lernenden die Verben semantisch erkennen. Inwiefern hierdurch die Konjugation oder Bedeutung der Verben oder ggf. die Aussprache oder aber alle Bereiche gleichzeitig gefördert werden, kann nur vermutet werden. Im Anschluss verweist das SB auf das CdA. Dieses enthält ebenso keine Übungsangebote, in denen die verschiedenen morphologischen Endungen herausgearbeitet und systematisiert werden, allerdings findet sich folgender Hinweis: „Kannst du die sechs Personalendungen -e, -es, -e, -ons, -ez, -ent schon auswendig? Damit kannst du alle Verben auf -er konjugieren“ (CdA 2020: 30). Diesem Hinweis folgt eine gelenkte Schreibübung mit vorstruk‐ turierten Sätzen, aber noch unflektierten Verben. Auf der Seite davor werden 70 Kathleen Plötner <?page no="71"?> die Personalpronomen den konjugierten Verben zugeordnet. Das CdA 2020 geht die Verbindung von Personalpronomen und Verbkonjugation also von links nach rechts an (erst Pronomenzuordnung zu flektierten Verben, anschlie‐ ßend Verbkonjugation mit vorgegebenen Pronomen) und gibt anschließend lexikogrammatische Hilfestellungen für die Formulieren längerer Sätze wie Le week-end, je dessine souvent des mangas avec des amis. Man verfolgt hier den Ansatz, Lernende Satzstrukturen reproduzieren zu lassen, die sie zwar grammatisch (noch) nicht erfassen, aber zumindest inhaltlich begreifen können. Interessant wäre hierzu die Sichtweise von Lehrkräften zu erheben bzw. zu beforschen, wie Schüler: innen mit dieser sprachlichen Komplexität umgehen. Die Auswahl an Verben hat sich in beiden SB zwar nicht grundlegend, aber z. T. verändert: Die Verben chatter, écouter, jouer, travailler, regarder (SB 2012 und 2020) sowie dessiner, habiter, parler, rigoler (nur SB 2020) und chanter, rentrer, rêver, téléphoner (nur SB 2012) lassen sich in unmittelbarer Umgebung der Grammatikeinführung feststellen. Dessiner hat vor allem in dessiner des mangas Einzug erhalten. Rêver, chanter und téléphoner im SB 2012 werden im Zusammenhang mit Entspannungszeit am Nachmittag gebraucht. Beide SB orientieren sich hier an den Lernenden. Regarder dient im SB 2020 als Modellverb unter dem Abschnitt „Grammaire“ und chanter sowie écouter dienen im SB 2012 als Konjugationsbeispiele im Abschnitt „Répères“. Écouter wird im SB 2012 zur Veranschaulichung der Liaison genutzt; dieser Teil entfällt im SB 2020, obwohl das bereits bekannte aimer hätte genutzt werden können. Möglicherweise sieht man hier von einer expliziten Veranschaulichung aufgrund von Platzgründen oder aber (visueller) Überforderung ab. Fazit Das prämierte Lehrlernbuch À plus ! 1 (2020) umfasst im Vergleich zu seinem Vorgänger (2012) weniger Angebote für Grammatikübungen und folgt damit der fachdidaktischen Forderung, Grammatik einen kleineren Raum im Fremd‐ sprachenunterricht einzuräumen. Der lexiko-grammatische Zugang wird durch chunks, die in zahlreichen auditiven und kommunikativen Übungen sowie in Texten genutzt werden, umgesetzt. Die explizite Systematisierung lexiko-gram‐ matischer Strukturen erfolgt nur teilweise, wie anhand der Verben auf -er dar‐ gelegt werden konnte. Auch hier zeigt sich, dass sich an lexiko-grammatischen Ansätzen orientiert wird: Die Nutzung steht oftmals vor der Systematisierung oder es wird auf letztere sogar vollständig verzichtet. Beide Lehrwerke bieten Grammatik in vielseitigen Übungen an, etwa als Rap, Gedicht oder als ‚klassi‐ 71 Quo vadis, Grammatik? <?page no="72"?> sche‘ Einsetzübung, auch in dialogischer Form (z. B. Tandembögen) realisiert. Einsetzübungen überwiegen in den CdA. In Bezug auf die eingangs formulierten Analysekategorien können folgende Aussagen getroffen werden: ● a1 Anzahl Grammatikübungen: Der Rückgang an Grammatikübungen zeigt sich am deutlichsten im Vergleich zwischen SB 2012 und SB 2020, im letzteren umfassen Grammatikübungen nurmehr 17 %. Der Vorwurf der Spracherwerbsverzerrung durch eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Grammatikübungen ist nicht mehr haltbar. Für das CdA 2020 fällt der Rückgang weniger hoch aus: Mit rund 35 % aller Übungen umfasst Grammatik hier noch mehr als ein Drittel aller Übungen. Sie wird allerdings nicht mehr als solche deklariert, sondern unter „S’entraîner“ gefasst, was ein Bild des (geistig-)dynamischen Sich-Trainierens kreiert. Ob sich Grammatik durch diese und weitere Maßnahmen (etwa gaming) zu einer beliebten Übungskategorie entwickelt, sollte in weiteren Untersuchungen beforscht werden. Lediglich Grammatikübungen anders zu bezeichnen, aber darunter die gleichen Übungen zu fassen, erscheint als pseudokommunikative Stra‐ tegie seitens der Verlage und Autor: innen. ● b2 Anzahl Medium: Bezüglich der Unterscheidung zwischen schriftlichen und mündlichen Grammatikübungen ist ebenso ein Unterschied zwischen SB und CdA feststellbar. Während das SB ein eher ausgewogenes Angebot beider Übungsformen anbietet und zudem eine Vielzahl an Aufgaben ohne vorgegebene mediale Form zur Verfügung stellt, sind die CdA auf schriftlich zu lösende Grammatikübungen fixiert. Eine leichte Tendenz lässt sich zu auditiven selektiv-analytischen Grammatikübungen feststellen, die das bewusste Hören grammatischer Unterschiede in der gesprochenen Sprache fokussieren. Sie stellen eine sinnvolle Ergänzung grammatischer Übungstypen innerhalb des kommunikativen Ansatzes dar. Eine Prävalenz der Schriftlichkeit bezüglich grammatischer Übungen ist folglich für das CdA, nicht aber für das SB zu verzeichnen. ● d1/ d2 Kontext: Vor allem das SB 2020, aber auch das SB 2012 sind um eine Kontextualisierung grammatischer Formen bemüht, diese glückt jedoch nicht immer (siehe Kritik an grammaire en contexte). In den CdA werden grammatische Formen auch isoliert betrachtet und geübt, dennoch sind auch hier viele Grammatikübungen, insbesondere im CdA 2020, kontextua‐ lisiert. Isolierte Grammatikeinführungen können für die untersuchten Lehr‐ werke nicht festgestellt werden, da lexiko-grammatische Strukturen über chunks bereits vor der Systematisierung eingeführt und genutzt werden. Vor der Fokussierung auf die morphologische Form (und auf Regeln) stehen 72 Kathleen Plötner <?page no="73"?> die Semantisierung und der Gebrauch der Strukturen. Ein klarer Fokus auf Kommunikation kann somit festgestellt werden. Die Analysen zeigen, dass zwischen den SB und den CdA unterschieden werden muss. Während Erstere Grammatikübungen sparsam einsetzen und die münd‐ liche Ebene als gleichberechtigte Ebene neben der schriftlichen nutzen, sind Letztere weiterhin auf die schriftliche Lösung der Übungen ausgerichtet und umfassen eine Vielzahl an Grammatikübungen (im Verhältnis zur Gesamtanzahl an Übungen), insbesondere Einsetzübungen. Eine anderweitige Nutzung durch die Lehrkraft ist dennoch oft möglich. Wünschenswert wären m. E. insbeson‐ dere noch die Exploration und Umsetzung diverser Zugänge zu Grammatik und die stärkere Nutzung spielerischer Übungsaktivitäten, gerade auch im CdA als Ort des Übens sprachlicher Mittel. Bibliographie Primärliteratur CdA 2012: À plus ! 1. Carnet d’activités. Mit Förderheft und Audios online. Berlin: Cor‐ nelsen. CdA 2020: À plus ! 1. Carnet d’activités. Interaktive Übungen mit Differenzierungen auf zwei Niveaus. Berlin: Cornelsen. SB 2012: À plus ! 1. Nouvelle Édition. Französisch für Gymnasien. Berlin: Cornelsen. SB 2020: À plus ! 1. Französisch für das Gymnasium. Berlin: Cornelsen. Sekundärliteratur Barquero Pipín, Antonio Carlos (2020): Lengua, cultura, interculturalidad. El tratamiento de la competencia pragmática como parte de la competencia comunicativa en los libros de texto de ELE en el ámbito escolar alemán. Potsdam: Universitätsverlag. Bohnensteffen, Markus (2011): „Englischlehrwerke und ihre unterrichtliche Verwendung - Ergebnisses einer nicht repräsentativen Umfrage“. In: Gnutzmann, Claus & Königs, Frank & Küster, Lutz (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen, 40(2). Tübingen: Narr, 120-133. Börner, Otfried & Edelhoff, Christoph & Rebel, Karlheinz & Schmidt, Torben & Schröder, Konrad (2011): „Funktion und Profil von Lehrwerken in der Epoche von Standards und Kompetenzen“. In: Gnutzmann, Claus & Königs, Frank & Küster, Lutz (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen, 40(2). Tübingen: Narr, 31-48. Bredel, Ursula (2013): Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. 2. Auflage, Pader‐ born, München u. a.: Schöningh, UTB. 73 Quo vadis, Grammatik? <?page no="74"?> Bürgel, Christoph & Siepmann, Dirk (2015): „L’élaboration d’une grammaire pédago‐ gique à partir de corpus : l’exemple du subjonctif “. In: Tinnefeld, Thomas (Hrsg.): Grammatikographie und Didaktische Grammatik - gestern, heute, morgen. Gedenk‐ schrift für Hartmut Kleineidam anlässlich seines 75. Geburtstages. Saarbrücken: htw saar, 159-185. Cakir, Gülcan (2006): Zur Frage der Authentizität in Lehrwerken des Deutschen als Fremdsprache. Hamburg: Kovač. De Boer, John (1959): „Grammar in language teaching“. In: National Council of Teachers of English (Hrsg.): Elementary English, Volume 26, number 6, 413-421. Düwell, Henning (2000): „Grammatik und Motivation“. In: Düwell, Henning & Gnutz‐ mann, Claus & Königs, Frank G. (Hrsg.): Dimensionen der Didaktischen Grammatik. Festschrift für Günther Zimmermann zum 65. Geburtstag. Bochum: AKS-Verlag Bo‐ chum, 27-54. Freudenstein, Reinhold (2000): „Grammatik lernen? Nein, danke! Grammatik erwerben? Ja, bitte! “. In: Düwell, Henning & Gnutzmann, Claus & Königs, Frank G. (Hrsg.): Dimensionen der Didaktischen Grammatik. Festschrift für Günther Zimmermann zum 65. Geburtstag. Bochum: AKS-Verlag Bochum, 55-65. Fritz, Julia (2020): Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Eine qualitative Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundar‐ stufe I. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. Helbig, Gerhard (1981): Sprachwissenschaft - Konfrontation - Fremdsprachenunterricht. Leipzig: Enzyklopädie. Henk, Katrin (2019): Strukturerwerb im Französischunterricht. Hypothesen aus gebrauchs‐ basierter Sich und ihre empirische Überprüfung. Landau: Empirische Pädagogik e. V. Herbst, Thomas (2016): „Foreign language learning is construction learning - what else? Moving towards Pedagogical Grammar“. In: Gilquin, Gaëtanelle & De Knop, Sabine (Hrsg): Applied Construction Grammar. Berlin, Boston: de Gruyter, 21-51. Imo, Wolfgang (2016): Grammatik. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler. Iványi, Rudolf (2016): „Zu einigen Widersprüchen der Grammatikvermittlung. Zugleich ein Plädoyer für einen differenzierten Umgang mit sprachlicher Korrektheit im DaF-Unterricht“. In: Feld-Knapp, Ilona (Hrsg.): Grammatik (CM-Beiträge zur Lehrer‐ forschung). Budapest: Eötvös-József-Collegium, 306-327. LISUM (2011): Unterrichtsentwicklung. Handreichung moderne Fremdsprachen. Gram‐ matik im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht für Französisch, Russisch, Spanisch, Englisch. Ludwigsfelde-Struveshof. Nieweler, Andreas (2000): „Sprachenlernen mit dem Lehrwerk - Thesen zur Lehrbuch‐ arbeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Fery, Renate & Raddatz, Volker (Hrsg.): Lehrwerke und ihre Alternativen. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 13-19. 74 Kathleen Plötner <?page no="75"?> Plötner, Kathleen & Segermann, Krista (2021): „Das Bausteinkonzept als Konstruktions‐ lernen“. In: Bürgel, Christoph & Gévaudan, Paul & Siepmann, Dirk (Hrsg.): Sprach‐ wissenschaft und Fremdsprachendidaktik. Konstruktionen und Konstruktionslernen. Tübingen: Stauffenburg, 173-194. Plötner, Kathleen (2019): „Repenser l’apprentissage des verbes en cours de français langue étrangère“. In: Balaş, Oana-Dana & Gebăilă, Anamaria & Voicu, Roxana (Hrsg.): Fraseologia e paremologia. Prospettive evolutive, pragmatica e concettualizzazione. Riga: Edizioni accademiche italiane, 453-472. Plötner, Kathleen (2017): „Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht. Zur Situation des Spanisch- und Französischunterrichts an Berliner Gymnasien“. In: Bürgel, Christoph & Reimann, Daniel (Hrsg.): Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen: Aussprache, Wortschatz und Morpho‐ syntax in Zeiten der Kompetenzorientierung (Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung). Tübingen: Narr, 215-239. Raabe, Horst (2007 5 ): „Grammatikübungen“. In: Bausch, Karl-Richard & Christ, Herbert & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: A. Francke Verlag, 283-287. Richards, Jack C. (1993): „Behind the textbook: The role of commercial materials in Language Learning“. In: Perspective 5(1), 43-53. Rogina, Irene (2007): „Neue Wege im Grammatikunterricht - am Beispiel italienischer Universitäten“. In: Taylor, Christopher (Hrsg.): Aspetti della didattica e dell’apprendi‐ mento delle lingue straniere: contributi dei collaboratori del Centro linguistico d’Ateneo, Dipartimento di scienze del linguaggio, dell’interpretazione e della traduzione. Trieste, EUT Edizioni Università di Trieste, 29-42. Schafroth, Elmar (2021): „Konstruktionsgrammatik und Fremdsprachenlernen: Chancen und Lösungsansätze (illustriert am Französischen)“. In: Bürgel, Christoph & Gé‐ vaudan, Paul & Siepmann, Dirk (Hrsg.): Sprachwissenschaft und Fremdsprachendi‐ daktik: Konstruktionen und Konstruktionslernen. Tübingen: Stauffenburg, 97-123. Schröder, Konrad (2010): „Grammatik und Grammatikvermittlung“: In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler, 92-95. Segermann, Krista (2007): „Formaneignung und Inhaltsmotivierung im Fremdsprachen‐ unterricht: Ein unlösbares Dilemma? “. In: Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 46 (2007), 29-58. Stahns, Ruvens (2013): Kognitive Aktivierung im Grammatikunterricht. Videoanalysen zum Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag. Schafroth, Elmar (2021): „Konstruktionsgrammatik und Fremdsprachenlernen: Chancen und Lösungsansätze (illustriert am Französischen)“. In: Bürgel, Christoph & Gé‐ 75 Quo vadis, Grammatik? <?page no="76"?> vaudan, Paul & Siepmann, Dirk (Hrsg.): Sprachwissenschaft und Fremdsprachendi‐ daktik. Konstruktionen und Konstruktionslernen. Tübingen: Stauffenburg, 97-123. Tschirner, Erwin (2004): „Kommunikative Grammatik oder wie man lernt, grammatisch richtig zu sprechen“. In: Domínguez, María José & Lübke, Barbara & Mallo, Almudena (Hrsg.): El alemán en su contecto español. Deutsch im spanischen Kontext. Actas IV Congreso de la Federación de Asociaciones de Germanistas y Profesores de Alemán en España. Santiago de Compostela: Universitätsverlag, 39-62. Venus, Theresa (2017): Einstellungen als individuelle Lernervariable. Schülereinstellungen zum Französischen als Schulfremdsprache - Deskription, Korrelation und Unterschiede. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. Wendt, Michael (1998): „Zur Analyse von Übungen und Aufgaben für den Französisch‐ unterricht“. In: Französisch heute 4/ 98, 420-434. 76 Kathleen Plötner <?page no="77"?> 1 Diese Ergebnisse spiegeln einerseits die Auto-Vervollständigungsfunktion im You‐ Tube-Suchfeld wider, die sich an Suchanfragen der Nutzer: innen orientiert, anderer‐ seits können unter dem Suchbegriff „Französisch Lernvideo“ die beliebtesten, meist geklickten Videos, welche primär grammatikalische Phänomene des Französischen erklären, gefunden werden: www.youtube.com/ results? search_query=lernvideo+fran z%C3%B6sisch, Zugriff: 01.06.2021. Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) Eine kontrastive Analyse Anne-Marie Lachmund Erklärvideos erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und werden von Lernenden primär zum Nachbereiten von Unterricht, zur Prüfungsvorbe‐ reitung oder zum Erledigen von Hausaufgaben genutzt. Das Potential von Erklärvideos zum selbstständigen Arbeiten nutzen Lehrkräfte darüber hinaus im Rahmen von Homeschooling oder Flipped Classroom. Auch die Lehrwerke der neuen Generation (ab 2020) für den Französischunterricht bieten Erklärvideos als ergänzendes Material an. Der Beitrag beschäftigt sich zunächst mit Funktionen, Vorteilen, Formen und einigen Einsatzsze‐ narien von Erklärvideos, um anschließend anhand von Kriterien guter Erklärvideos das Angebot in den Lehrwerken À plus ! 1 (2020) und Découvertes 1 (2020) kontrastiv zu analysieren. 1 Einleitung Subjonctif oder indicatif, ma chambre vocabulaire oder passé simple erklärung deutsch (sic! ) - dies sind nur einige der häufigsten Suchanfragen von Französi‐ schlernenden auf der weltweit größten Video-Plattform YouTube 1 . Ob Alltags‐ situation oder schulisches Wissen: Zu (fast) jedem Thema findet sich im Internet auch ein passendes Video. Allein die Khan-Academy, einer der bekanntesten Ka‐ <?page no="78"?> 2 Die Khan-Academy verzeichnet 6,6 Millionen Abonnent: innen und hält über 8000 Erklärvideos bereit: www.youtube.com/ results? search_query=khan+academy, Zugriff: 01.06.2021. Diese Beobachtung deckt sich mit Rummler und Wolfs (2012) Erkenntnis, dass vor allem für nachhilfeintensive Fächer wie Mathematik Lernvideos zur Verfügung stehen und der Sprachunterricht hier noch im Rückstand ist. 3 YouTube ist die am häufigsten für diese Medienbeschäftigung konsultierte Plattform: 58 Prozent (im Vergleich zu 2019: 49 %) konsumieren regelmäßig am liebsten auf YouTube Videos. näle 2 für englischsprachige Erklärvideos für Naturwissenschaften, verzeichnet auf ihrem YouTube-Channel weit über 4000 mathematische Lehrfilme. Das Anschauen von Videos im Internet nimmt einen prominenten vierten Platz in der täglichen Medienbeschäftigung von deutschen Jugendlichen im Jahr 2020 ein: 66 % der 12bis 19-Jährigen konsumieren täglich auf YouTube 3 am liebsten Musikvideos, Comedy- oder Nachrichtenvideos. Weiter hinten im Ranking liegt das Aufrufen von Erklärvideos oder schulrelevanten Tutorials, welche die Jugendlichen mit 21 % regelmäßig nutzen ( JIM-Studie 2020: 46). Laut der repräsentativen Studie Jugend/ YouTube/ Kulturelle Bildung sind Erklärvideos für 47 % aller 12bis 19-Jährigen wichtig (37 %) bzw. sehr wichtig (10 %) für die in der Schule behandelten Themen (Rat für kulturelle Bildung 2019: 28). In einer von Arnold/ Zech (2019: 12) durchführten Befragung von Schüler: innen eines süddeutschen Gymnasiums gaben 90 % an, sich vor einer Klassenarbeit noch einmal Erklärvideos anzusehen. Gleichzeitig stellen nur 65 % dieser Befragten den Gehalt dieser Videos auch ernsthaft in Frage und weitere 80 % wissen nicht, nach welchen Gütekriterien ein Erklärvideo überhaupt beurteilt werden sollte. Diese Zahlen spiegeln einerseits die hohe Relevanz von Erklärvideos für Jugendliche wider, andererseits legen sie die beunruhigenden Umstände der Plattform offen, von der die Jugendlichen diese hauptsächlich beziehen. Der auf YouTube bereitgestellte Content steht provokativ im Widerspruch zu staatlich abgesicherten, qualitativ überprüfbaren und reglementierten Bildungssettings, wie sie die Institution Schule vorgibt. Da heutzutage jede: r - ob Amateur: in oder Profi - eigenproduzierte Videos, die ohne redaktionelle Betreuung oder Vorgaben und damit ohne geprüften Bezug zu Bildungsplänen entstehen, veröffentlichen kann, machen Plattformen wie YouTube und Sofatutor dem in‐ stitutionellen Bildungsangebot Konkurrenz - und damit auch den Lehrwerken. Man könnte argumentieren, dass diese Art Videos Bildung frei verfügbar macht und sie individuell, je nach gesetztem Lernziel und Bedürfnissen sowie an das Vorwissen angepasst, ausgewählt werden. Das unterhaltende und dabei rein interessengeleitete Lernen, das die Erklärvideos und Tutorials auf Plattformen wie YouTube versprechen - sich jederzeit das aneignen zu können, was man wissen möchte -, ist jedoch für die Anwendung in schulischen Kontexten nicht 78 Anne-Marie Lachmund <?page no="79"?> 4 Die Autor: innen Ebner und Schön (2017: 3) setzen sich für eine trennscharfe Unter‐ scheidung von Lehr-/ Lernvideos und Erklärvideos ein: Sie verstehen unter ersterem allgemein asynchrone audiovisuelle Formate, die in didaktischer geeigneter Weise aufbereitet sind oder in einem didaktisch aufbereiteten Kontext zum Einsatz kommen. Erklärvideos gelten somit als eine Unterform mit dem Ziel, neuartige und komplexe Zusammenhänge oder Konzepte so anschaulich und ggf. auch vereinfacht darzustellen, dass sie von den Zuschauer: innen auch ohne Vorkenntnisse verstanden werden können. Der vorliegende Beitrag fokussiert sich demnach auf Erklärvideos, unternimmt aber keine trennscharfe Abgrenzung, da in der folgenden Lehrwerkanalyse auch Misch‐ formen auftreten, die erst bestimmt werden müssen. als ganz unproblematisch einzuschätzen. „Jede/ r darf nach eigenem Gusto und »geprüftem« Können Anderen etwas erklären - was und wie auch immer. Lernende ihrerseits können sich aus einem fast unüberschaubaren Angebot mehr oder weniger zufällig das heraussuchen, was interessiert oder gefällt“ (Dorgerloh & Wolf 2020: 8). Neben den weitgehend ungeprüften Inhalten ist vor allem der Google-Algo‐ rithmus in den Blick zu nehmen, der entscheidet, was der User als Nächstes sehen wird - natürlich im steten Verfolgen kommerzieller Interessen wie der Maximierung der Verweildauer auf der Plattform mithilfe eingestreuter Werbeclips. Auch konstatieren Studienergebnisse von Kulgemeyer und Peters (2016), dass die Likes, die Anzahl der Aufrufe oder die Betrachtungsdauer keinen Zusammenhang zur Erklärqualität eines Videos aufweisen, jedoch häufig als Parameter für eine Vertraulichkeit oder Funktionalität eines Lehrvideos heran‐ gezogen werden. Umso mehr zu begrüßen ist die Öffnung der Lehrwerke der neuen Generation (ab 2020) für jene digitale Vermittlungsform, die Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist. Vor allem die enge Verknüpfung zu den vom Lehrwerk bereit‐ gestellten Unterrichtsmaterialien verschafft den verlagseigenen Videos einen Vorteil (u. a. Nutzung lizenzierter Abbildungen). Im Folgenden werden nach einer Definition die Funktionen und Vorteile von Lernbzw. Erklärvideos für verschiedene Unterrichtsszenarien angeführt, einige Formen dieser vorgestellt und Kriterien guter Lernvideos diskutiert, um final die in den Lehrwerken À plus ! 1 (2020) und Découvertes 1 (2020) bereitgestellten Videos hinsichtlich ihres Einsatzes und ihrer Funktionalität zu untersuchen. 2 Was ist ein Erklärvideo? Erklär- oder Lernvideos, wie sie häufig synonym 4 verwendet werden, sind meist kurze Clips von drei bis fünf Minuten, in denen Inhalte und Sachverhalte (zumeist von einer Off-Stimme oder einer/ einem sichtbaren Sprecher: in) defi‐ 79 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="80"?> 5 Auch die Einbettung in eine Kommentarfunktion trägt zur Interaktivität bei, da in den Kommentarspalten einerseits Rückfragen zum Video gestellt werden können, die von der produzierenden Person oder anderen Usern beantwortet werden, andererseits entbrennen in den Kommentarspalten auch Diskussionen um den Inhalt oder die Machart, was als eine Art Feedback an die produzierende Person verstanden werden kann. niert und/ oder erklärt werden. Beispielsweise kann erklärt werden, wie etwas funktioniert oder wie abstrakte Konzepte und Zusammenhänge dargestellt werden können (Wolf 2015). Zu Erklärvideos gehören beispielsweise auch Videotutorials, wie sie auf YouTube zu finden sind. Diese sollen jedoch in diesem Beitrag nicht vertieft betrachtet werden, da sie als ein Spezialfall von Erklärvideos zu verstehen sind, in denen eine beobachtbare Fertigkeit explizit zum Nachahmen vorgemacht wird. Tutorials konzentrieren sich auf die Lösungsschritte mit der Frage „Wie wird es gemacht“ und legen weniger Gewicht auf die Erklärung oder Begründung (Wolf 2020: 17). Aufgrund ihrer markanten Kürze ist ein konstitutives Merkmal von Erklär‐ videos die Reduktion, da das Zeitlimit eine Auswahl der relevantesten Inhalte voraussetzt. Dieser Umstand hängt mit dem digitalen Nutzungsverhalten zu‐ sammen, bevorzugt kurze Einheiten anzusehen, die wichtigsten Informationen gut strukturiert und auf das Wesentliche reduziert vermittelt zu bekommen und dafür eher die Häufigkeit/ Anzahl der anzuschauenden Videos zu erhöhen. Das Ziel von Erklärvideos ist, über ein Thema aufzuklären bzw. anzuleiten, weshalb sie häufig mit einem „Call-to-Action“-Charakter gekennzeichnet sind (didaktischer Aufbau: Input und im Anschluss die Aufforderung, das Gelernte anzuwenden). Jener Charakter - und dessen (ursprüngliche) Einbettung in ein soziales Netzwerk - machen das Lernvideo im Unterschied zum Dokumentar‐ film interaktiv 5 , da es auf die Zuschauer: innen eingeht, diese häufig direkt anspricht und zur Eigenhandlung anleitet. Jene direkte Ansprache, die einen Lebensweltbezug und somit Authentizität herstellt, verortet das Lernvideo in einer konzeptionellen Mündlichkeit. Auch wenn dem Video ein Skript zugrunde liegt, so betont die Art und Weise der Vermittlung und die Nutzung der Gestaltungselemente den gesprochenen Charakter. So kann beobachtet werden, dass eher ein informelles Register vorgezogen wird, um Nähe herzustellen; es wird „fast ausschließlich geduzt, wenig hierarchisch und von oben herab kommuniziert. Häufig wird Humor in den Erklärungen eingesetzt, auch setzen sich die Erklärenden humorvoll mit dem eigenen Nicht-Können […] ausein‐ ander.“ (Wolf 2020: 20). Auch wird die Schwierigkeit eines zu erklärenden Gegenstands häufig zunächst anerkannt, um die Lernenden vorzubereiten, aber auch um zu ermutigen, diverse Wege zum Können auszuprobieren, wodurch 80 Anne-Marie Lachmund <?page no="81"?> 6 Besonders hoch ist die Behaltensleistung, wenn der Sprechtext mit den Visualisie‐ rungen synchronisiert ist und mit „deiktischen“ Hinweisen (z. B. „Wie Sie unten links erkennen können…“) ergänzt wird. Durch diese Synchronisierung wird die (visuelle) Aufmerksamkeit der Lernenden gesteuert (Schmidt-Borcherding 2020: 67). Zu den lernpsychologischen Grundlagen des multimedialen Lernens, cf: Mayer (2009): The Cambridge Handbook of Multimedia Learning, 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press; Zur Theorie der dualen Kodierung, zu der z. B. auch die Loci-Methode gehört, cf: Carney, R. N. & Levin, J. R. (2002): Pictorial Illustrations Still Improve Students‘ Learning From Text. In: Educational Psychology Review, 14(1), S. 5-26. doi.org/ 10.1023/ A: 1013176309260. eine „fehlertolerante, positive Lernatmosphäre“ vorherrscht, was die Merkfä‐ higkeit tendenziell verbessern kann (ibid.). Zur Merkfähigkeit tragen auch die multimedialen und dadurch auch multi‐ sensualen Eigenschaften bei: Lernvideos zeichnen sich oft durch wiedererkenn‐ bare Musik oder durch unterhaltende, humoristische Elemente aus, z. B. witzige bildliche Einlagen, schauspielerisch übersteigerte Darstellung usw. Mit der Verbindung aus Bewegtbild, Text, Musik, Stimme und Zeichen wie Icons, Emojis oder einfliegende Hinweise (auch akustisch zu verstehen) handelt es sich um ein hybrides, intermediales Medium, das eine hohe Anschaulichkeit mitbringt und durch seine kognitiv-anregende Natur die Behaltensleistung aufgrund der inhärenten dualen Kodierung 6 erhöht (Schmidt-Borcherding 2020: 63). 3 Welche Funktionen und Vorteile hat ein Erklärvideo und wie kann es im (Fremdsprachen-)Unterricht eingesetzt werden? Mit zunehmender Digitalisierung entwickelt sich auch die Rolle der Lehrkräfte weiter. Die lernbegleitenden Funktionen der Lehrkräfte gewinnen an Gewicht. Gerade die zunehmende Heterogenität von Lerngruppen, auch im Hinblick auf die inklusive Bildung, macht es erforderlich, individualisierte Lernarrangements zu entwickeln und verfügbar zu machen. Digitale Lernumgebungen schaffen hier die notwendigen Frei‐ räume; allerdings bedarf es einer Neuausrichtung der bisherigen Unterrichtskonzepte, um die Potenziale digitaler Lernumgebungen wirksam werden zu lassen. (KMK 2017: 8) Wenn Schüler: innen auf der Suche nach einem Lernvideo sind, um Unterricht zu wiederholen, den sie nicht verstanden haben (73 %), Hausaufgaben und Hausarbeiten zu erledigen (70 %), schulisches Wissen zu vertiefen (66 %) oder Prüfungen vor- und nachzubereiten (58 %), dann tun sie dies meist in Autonomie zuhause (Erhebung vom Rat für kulturelle Bildung 2019: 28). Jener Aspekt der Individualisierung fördert das selbstbestimmte und selbstorganisierte Lernen 81 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="82"?> 7 Unter Flipped Classroom wird die Umkehrung des Unterrichts verstanden, indem Unterrichtsinhalte zu Hause häufig mittels Lernvideos erarbeitet werden, vertiefteres Anwenden dann aber im Präsenzunterricht erfolgt. Dies erlaubt eine höhere Übungszeit mit schulischer Interaktion und Kooperation und das Auslagern von Selbstlernphasen in den autonomen Bereich (Wieland 2020). durch Zeit/ Ort-Unabhängigkeit. Diese freiere Gestaltung des Lernarrangements - besonders gefordert im Zuge des Homeschoolings respektive im Rahmen der Covid-19-Pandemie - ermöglicht Differenzierungschancen, sowohl inhaltlich und arbeitstechnisch (z. B. durch gleichzeitiges Bearbeiten unterschiedlicher Themen, Multitasking) als auch zeitlich und örtlich (z. B. individuelles Lern‐ tempo, virtuelle Räume, Videotelefonie etc.) (Pammer 2015). Damit können in Formaten wie dem Flipped Classroom  7 Unterrichtsinhalte vorgeschaltet werden, weil die Erklärung eines grammatikalischen Phänomens beispielsweise in Eigenregie zuhause erfolgt, woraufhin Nachfragen, Vertiefungsfragen oder auch Übungen zur Festigung und Anwendung unter schulischer Instruktion folgen. Besonders das Lerntempo soll hier noch einmal als entscheidender Faktor angeführt werden, erlaubt die Darbietungskontrolle (durch Navigati‐ onselemente wie „Pause“ oder „Wiederholen“) doch ein flexibles, individuell anpassbares Tempo sowie die Betrachtung des Inhaltes nach unterschiedlichen Kriterien/ Perspektiven (Scheiter 2014). Mayer (2014) betitelt diese Funktion als Segmentationsprinzip, wodurch die Verarbeitung und Integration von multime‐ dialen Informationen besser gelingt, wenn die Menge und das Tempo sowie der Zeitpunkt selbst bestimmt werden können. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Navigation wiederum Kapazitäten aus dem Arbeitsgedächtnis benötigt. Nicht nur als Hausaufgabe oder im Rahmen von Blended Learning-Settings eignen sich Lernvideos, sondern sie können auch in instruktiven Unterrichts‐ settings eingesetzt werden. Hier spricht besonders das binnendifferenzierende Potential von Erklärvideos für sich, wenn z. B. Lernstationen ergänzt werden (Input/ Erarbeitung), Hilfestellungen oder erweiternde Hinweise angeboten oder Lösungsblätter mittels Videolösung/ Sicherungsaufschrieb ersetzt werden. Zudem kann Feedback mithilfe eines kurzen, von der Lehrkraft produzierten Erklärvideos stärker individualisiert angeboten werden, indem die z. B. in der Klassenarbeit gemachten Fehler noch einmal von der Lehrkraft erklärt werden. Zusammenfassend begünstigt der Videoeinsatz die Erfüllung der neuen Lehrer: innenrolle in einer individuelleren Lernkultur, da die Lehrkraft in die Lage versetzt wird, stärker als Betreuer: in, Beobachter: in und Diagnostiker: in zu agieren und individuelle Lernprobleme zu begleiten (vgl. KMK 2017: 8, 82 Anne-Marie Lachmund <?page no="83"?> 8 Eben jene Statik zeigt die Grenzen von Lernvideos auf und kann ein Grundkriterium, nämlich die Auswahl nach Vorwissen und Interessen wie unter 2. beschrieben, aushe‐ beln: Die Adaption der Erklärung an Vorwissen und Interessen der Adressatengruppen gelingt im gelenkten Unterrichtsgespräch weitaus besser, da Nach-, Diagnose- oder Verstehensfragen angepasst an die Lerngruppe spontan formuliert werden (können) (Kulgemeyer 2020: 70). 9 Die Abwägung, ob Lernvideos in der Schulpraxis die zeitintensiven Referate ersetzen sollen/ können, geht sowohl mit einleuchtenden Vorteilen als auch potentiellen Hinder‐ nissen einher: Genau wie bei einem Referat wird das Lernvideo in Autonomie (und unter Zeitdruck) zuhause vorbereitet und zu einem festgelegten Zeitpunkt „eingereicht“. Es muss Stoff reduziert, ein Skript gegliedert, eine Visualisierung überlegt werden. Vorteilhaft ist in der Phase der Vorbereitung besonders das zielgerichtete Wiederholen und Üben, bis die Tonspur die gewünschte Qualität erreicht. Die Sichtung des Videos ist im Vergleich zum Referat allerdings zeit- und ortsunabhängig, sowohl für die Lehrkraft als auch für die Mitschüler: innen, und bringt die bereits genannten Vorteile der Wiederholbarkeit etc. mit. Auch kann die Tonspur von höherer Qualität sein und Aufregung/ Angst beim Sprechen vor der Klasse minimiert werden. Natürlich ersetzen das Sichten und Feedbacken des Videos nicht die Interaktion wie bei einem Referat im Klassenraum, wo es möglich ist, auch die Zuhörer: innen zwischendurch einzubeziehen; andererseits ist es durchaus möglich, nach dem Schauen des Videos Fragen zu stellen. Zitat oben). Als Ersatz für Lehrer: innenvorträge soll und kann das statische 8 Video nicht fungieren, hingegen kann die Medienkompetenz trainiert werden, wenn beispielsweise Lernvideos (mit dem Ziel des Wissenserwerbs) miteinander verglichen und kritisch überprüft werden, z. B. anhand des vom Lehrwerk bereitgestellten Wissens. So kann das Video als Wissensträger problematisiert und dadurch der reflexive Umgang mit Medien gefördert werden (Redecker 2017: 19, Punkt 6.1 Informations- und Medienkompetenz des DigCompEdu). Final darf natürlich das didaktische Potential von Erklärvideos für das Kon‐ zept „Lernen durch Lehren“ nicht außer Acht gelassen werden, da mittlerweile nahezu alle Schüler: innen über ein Smartphone mit ausreichend guter Kamera und Mikrofon verfügen und auch häufig das Wissen sowie die technischen Voraussetzungen für das Anfertigen eigener Erklärvideos vorhanden sind. So können Erklärvideos zur Überprüfung des Verständnisses in Anknüpfung an den Lernstoff, als Präsentation einer Gruppenarbeit oder aber als Ersatz für ein Referat 9 erstellt werden. Jene Ideen werden somit den Forderungen eines handlungs- und produktorientierten Unterrichts mit zeitgemäßen Formen der Sicherung und des Medienlernens gerecht und können je nach Ziel Erarbei‐ tungs-, Sicherungs-, Vertiefungs- und Wiederholungsprojekt sein. Für all diese schüler: innenorientierten Methoden gilt, stets im Vorhinein sowohl transpa‐ rente Kriterien für die Produktion als auch für die Evaluation vermittelt zu haben. 83 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="84"?> 10 Ich orientiere mich hierbei an den Ausführungen von Kulgemeyer (2020) und Dorgerloh (2020), welche ich zusammenführe, wobei die Spezifika des Fremdsprachenunterrichts und die damit einhergehenden Inhalte, Ziele, Methoden des Fremdsprachenlernens eine Anpassung (Reduzierung bzw. Ergänzung) der bereits vorhandenen Kriterien bedingen. 4 Was macht ein gutes Erklärvideo aus? Es wurden bereits einige konstitutive Eigenschaften von Erklärvideos angespro‐ chen, die in der folgenden Übersicht noch einmal ergänzt, präzisiert und auf den spezifischen fremdsprachendidaktischen Kontext angepasst werden sollen. Grundlegend dienen Erklärvideos der Veranschaulichung zur Lösung eines Problems oder zur Erklärung einer Sache. Im Kontext des Fremdsprachen‐ unterrichts passt dies besonders zur Vermittlung von sprachlichen Mitteln (Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Orthographie), wo ein Erwerb von dekla‐ rativem und prozeduralem Wissen im Vordergrund steht. Ebenfalls geeignet ist die Vermittlung von Lernstrategien und Lerntechniken (für das Fremdsprachen‐ lernen) oder auch das soziokulturelle Orientierungswissen für den facheigenen Sprachunterricht zur Ausbildung der Interkulturellen Kompetenz. Ganz gleich für welchen Bereich ein Erklärvideo erstellt worden ist, alle vereint der Nutzen‐ bezug und die Visualisierung, wodurch das „Lernen am Modell“ erleichtert und die Theorie mit Praxis verbunden wird (Krammer et al. 2012). Da die Videos selbsterklärend sein müssen, sollten folgende Gestaltungskriterien beachtet werden 10 . Ein gutes Erklärvideo sollte demnach: 1. das Erklärziel früh nennen (was wird man am Ende des Videos wissen bzw. besser können) 2. die Relevanz des Erklärten global betonen, damit die Essenz des Vermit‐ telten deutlich wird 3. auf bekannte Missverständnisse oder Hürden hinweisen, die aufgeklärt werden (am besten zu Beginn) 4. sich kurzfassen 5. langsam erklären 6. direkte, informelle sowie einfache Ansprache wählen (Fachtermini, Syn‐ onyme und Exkurse vermeiden) 7. Visualisierungen nutzen (ohne visuell und auditiv zu überladen, um Ab‐ lenkung zu vermeiden), die kohärent und synchron zur Versprachlichung sind 8. zeitlose, modellhafte Beispiele auswählen (mit Regelhaftigkeit beginnen, Ausnahmen explizieren bzw. reduzieren) 84 Anne-Marie Lachmund <?page no="85"?> 11 Kulgemeyer (2020: 72) ergänzt in seiner Aufstellung didaktischer Kriterien für gute Erklärvideos, dass wenn eine Routine erlernt werden soll (z. B. das Lösen einer Gleichung), es sogar effektiver ist, erst diverse Beispiele zu nennen und daraus die Regel abzuleiten. Dieser Ansatz könnte z. B. zur Wortschatzarbeit, für Chunks, Redemittel oder auch Lernstrategien für den Fremdsprachenunterricht relevant sein. 12 MySimpleShow, ein beliebtes Tool zum Erstellen von Erklärvideos, setzt das Element des Storytellings bewusst in den Vordergrund, indem Vorlagen ausgewählt werden können, die bereits narrative Vorschläge mit dem Ziel des Erklärvideos verknüpfen, z. B. „Buchinterpretation“ oder „historisches Ereignis“. Es wird ein dramaturgischer Aufbau vorgeschlagen (Einleitung, Schluss…) mit Vorlagen zu passenden Illustrationen. 9. Analogien wählen wo es möglich ist (für eine bessere Anknüpfung an das Vorwissen aus L1/ L2 etc.) 10. gute Übungen im Anschluss anleiten, um eine maximale Kognitivierung zu erreichen („Call-to-Action“) Seidel & Blomberg & Renkl (2013) schlagen hinsichtlich des didaktischen Auf‐ baus eines Erklärvideos eine deduktive Vermittlung vor, die von der Regel zum Beispiel führen soll, um die Regel zu bestätigen. Sie räumen ein, dass durchaus ein kurzes Eingangsbeispiel gerne das Interesse wecken darf, aber die Regel sollte nicht Schritt für Schritt aus dem Beispiel angeleitet werden (Regel-Bei‐ spiel-Struktur) 11 . Gerade diese ‚Vorgabe‘ muss für den Fremdsprachenunterricht (z. B. Erklärung eines grammatikalischen Phänomens) explizit diskutiert und je nach Ziel und Einsatz des Erklärvideos abgewogen werden. Sicherlich spricht der Aspekt der Statik und Nachhaltigkeit für eine deduktive Vermittlungsweise, ebenso wie der Aspekt der Wiederholbarkeit zur Eliminierung von Wissens‐ lücken, doch stehen Prinzipien des modernen Fremdsprachenunterrichts wie Kontextualisierung, kommunikative Einbettung in eine handlungsorientierte Situation (Stichwort: Storytelling) oder auch selbstentdeckendes, hypothesen‐ geleitetes Lernen dem entgegen. Auch je nach Komplexität sollte eine Abwä‐ gung erfolgen und die Eigenaktivität während des Videoschauens im Blick behalten werden, durch beispielsweise angeleitete Übungen zwischendurch oder Quizfragen zur Überprüfung. Ob und wie mit diesen Elementen am Ende umgegangen wird - Schritt-für-Schritt-Abarbeiten oder Auslassen durch Überspringen - ist den Video-Rezipient: innen je nach angestrebtem Ziel im Lernprozess mit dem Video selbst überlassen. Ein weiteres Kriterium für ein gutes Erklärvideo, das der rein deduktiven, nüchtern-strukturierten Vermitt‐ lungsform entgegensteht, ist laut des Miterfinders der Legetechnik-Erklärvideos eine gute Geschichte: LeFever (2012) würde nach eigener Aussage niemals einen neuen Begriff einfach definieren, sondern ihn immer in einer Geschichte erklären (Storytelling) 12 . Geschichten sprechen User stärker an als Videos mit 85 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="86"?> 13 Die Einteilung orientiert sich grundlegend an Becher (2012), der eine Untersuchung von YouTube-Erklärvideos für den Englischunterricht vorgenommen hat, jedoch wurden die Eigenschaften von mir hinsichtlich der jüngeren technischen und ästhetischen Entwicklungen ergänzt und aktualisiert. hoher Abstraktion, weshalb der narrative Aspekt als grundlegendes Wiederer‐ kennungsmerkmal von Erklärvideos gelten soll. Bevor die zusammengetragenen Kriterien und Prinzipien in den verlagsei‐ genen Erklärvideos ausgewählter Französischlehrwerke überprüft werden, soll eine Übersicht über aktuell angewendete Formen von Erklärvideos das nötige Vokabular und Hintergrundwissen bereitstellen. 5 Welche Formen von Erklärvideos gibt es? Aktuell gibt es verschiedene Formen von Erklärvideos, die ganz eigene Ästhe‐ tiken begründen und je nach gewünschtem Outcome angewendet werden. In der folgenden Übersicht 13 sollen nur die bekanntesten Formen kurz dargestellt werden, um eine Typologie für Erklärvideos zu präsentieren. Screencast (auch Screen Capture) - Bildschirmabfilmen Der Bildschirminhalt des: der Produzent: in wird über eine entsprechende Software mitgeschnitten und als Video ausgegeben. Die Lehrperson kann Bild-im-Bild selbst er‐ scheinen, falls dies gewollt ist. Standardmäßig ist die Auf‐ nahme eines Audiosignals parallel zur Bildaufnahme mög‐ lich. Screencast eignet sich besonders für Tutorials oder How-to-Videos, z. B. „Wie man sich in unserem Schulnetz‐ werk anmeldet“. Whiteboard/ Tafel - analog oder digital Die Lehrperson befindet sich vor einer Tafel oder einem Whiteboard und nutzt dieses Medium für Skizzen, Notizen und Schaubilder. In der digitalen Variante werden Bilder, Grafiken und Text animiert, man hört z. B. eine Off-Stimme und parallel dazu wird eine Zeichnung o. Ä. angefertigt. Auch kann die Person in eine virtuelle Umgebung, also vor einen virtuellen Hintergrund, gestellt werden. Zettel/ Stift - Legevideo Die Aufnahme zeigt die Hände des Lehrenden und eine beschreibbare Unterlage. Der vorgetragene Inhalt wird so, meist zeitgleich, durch Skizzen usw. verdeutlicht. Beim analogen Legevideo werden meist farbig abgestufte, be‐ schriftete oder ikonische Karteikärtchen nach und nach auf eine Oberfläche eingelegt und parallel kommentiert (aus dem Off). Ein Tool zum Erstellen von Erklärvideos, das weitgehend bekannt ist, ist MySimpleShow, wobei der Fokus auf Lege-Wisch-Videos (eine Hand wischt Illustrationen im Zuge einer Animation weg) mit Storytelling-Elementen liegt. 86 Anne-Marie Lachmund <?page no="87"?> 14 Im Folgenden wird die Abkürzung SB für Schüler: innenbuch genutzt. Mischformen Beschreibt eine Mischung aus den obigen und weiteren Methoden, z. B. dem Stop-Motion-Video, bei dem einzelne Bilder aneinandergefügt werden, sodass ein Film entsteht. So stehen beispielsweise Animationen, Bilder und Videos in einem Clip nebeneinander oder eine Mischform aus Videoeinblendungen in Abwechslung mit einer abgefilmten Sprecher: in. Häufig wird dies ergänzt durch Folien, die die wichtigsten Kernpunkte verschriftlichen. Tabelle 1: Typologie von Erklärvideos 6 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken des ersten Lernjahrs der neuen Generation Videos sind spätestens seit den Lehrwerksgenerationen ab 2004 ein fester Bestandteil im verlagseigenen Angebot zum Erlernen von Fremdsprachen. Zur Förderung des Hör-Sehverstehens bieten sie eine kombinierte Kompetenz‐ schulung. Sie wurden zunächst in Form einer ergänzenden DVD mit Filmaus‐ schnitten verfügbar gemacht, jedoch mehr und mehr vom digitalen Unterrichts‐ assistenten abgelöst. Betrachtet man beispielsweise das Videoangebot des À plus ! 1 Nouvelle Édition von 2012/ 14, so dienen die Videos auf beiliegender DVD dem Ziel „Regarder et comprendre“ (z. B. als Einstieg vor einer Unité mit Impressionen aus der Lehrwerkstadt, SB 14 , S. 10, oder als globale Hör-Sehverstehensaufgabe einer Szene in der Schulbibliothek mit dem Auftrag „Finde so viel wie möglich über die Personen heraus. Wo finden die Szenen statt? “, SB, S. 18). Mit 13 Videos (bei 8 Unités) bestehend aus teils kontextlosen Szenen mit Überschriften wie „Szene mit Jugendlichen nach der Schule“ (S. 53) erschöpft sich das Videoangebot auf Arbeitsaufträge zum Global- oder Detailverstehen zu Wetterberichten (S. 143), thematisch angepassten Dialogen wie „Rachida und Laura suchen ein Geburtstagsgeschenk und backen einen Kuchen“ (S. 126) oder Straßeninterviews (S. 111) mit landeskundlichen Themen. Ähnlich verhält es sich mit dem Angebot der Découvertes-Reihe Série Bleue oder Série Jaune-Ausgabe (ab 2012) für das erste Lernjahr, allerdings wurde das Lehrwerk im Nachhinein mit einem ergänzenden Video-Format up-to-date-ge‐ setzt: So können nun Schüler: innen und Lehrkräfte, die (noch) mit der 2012er Ausgabe arbeiten, zusätzlich von Erklärfilmen profitieren. Diese Brückenlösung des nachträglichen Aufrüstens basiert auf Grammatik-Erklärfilmen zu den „kniffligsten Themen des Faches Französisch“, um „die schwierigen Inhalte aus dem Unterricht auf visuelle Weise unterhaltsam vermittelt zu bekommen“, so 87 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="88"?> 15 CdA steht im Folgenden für Cahier/ Carnet d’Activités (Arbeitsheft). die Ankündigungen auf der Verlagswebsite (Klett 2021). Die 12 DVD-Filme be‐ handeln somit ausschließlich grammatikalische Themen des ersten Lernjahres wie beispielsweise Pronomen, Verneinung, Passé und Futur composé, Mengen‐ angaben usw., die mit multimedialen Übungen zur Überprüfung kombiniert werden. Anhand dieses ergänzenden Angebots zeigt sich der Übergang und die Öffnung hin zu einem variableren Videoangebot, das Filme mit dem Ziel der Förderung des Hör-Sehverstehens um Erklärvideos erweitert, welche nicht mehr nur im Rahmen von lehrerbasierten Settings genutzt werden, da das Erweiterungsangebot vor allem Schüler: innen (und deren Eltern) ansprechen, die die DVD erwerben, um Unterrichtsthemen in Autonomie wiederholen zu können. In den neuen Lehrwerken für den Französischunterricht von Klett und Cornelsen (ab 2020) hingegen werden Erklärvideos mit dem Unterrichtsstoff konsequent von Anfang an verknüpft, wobei sich die Gestaltung und Zielset‐ zung der Filme unterscheidet: Setzt Découvertes weiterhin auf Erklärfilme zu grammatikalischen Regeln, welche durch landeskundliche Erklärvideos ergänzt werden, bleibt À plus ! überwiegend dem Videoeinsatz zur Schulung des Hör-Sehverstehens à la „Regarder et comprendre“ treu, nutzt Erklärvideos darüber hinaus aber auch zur Wortschatzvermittlung und Grammatikerklärung. Im Folgenden werden die genannten Formen analysiert und mit den im Beitrag zusammengetragenen Kriterien guter Lernvideos abgeglichen. 6.1 Erklärvideos im Lehrwerk Découvertes 1 (2020) Der Umgang mit digitalen Medien und das Heranführen an Medienkompetenz bilden einen Schwerpunkt im Découvertes 1 (2020). Neben den funktionalen kommunikativen Kompetenzen wird in jeder Unité zum Erfüllen der Tâche ein Bereich namens „Le coin médias“ (gekennzeichnet mit MK) angeboten, in dem die Schüler: innen (muttersprachliche) Anleitungen und Tipps für z. B. Suchstrategien im Internet („Welche Suchbegriffe gebt ihr ein? “, SB, S. 59) oder Lernstrategien, z. B. „Mit Tonaufnahmen lernen“ (SB, S. 92), kennenlernen oder Alternativaufgaben lösen können, z. B. statt einer Präsentation in der Klasse „Videos aufnehmen: Ihr könnt euch auch in einem Video vorstellen. Sprecht zuvor darüber, ob ihr einverstanden seid, euch gegenseitig zu filmen, und zu welchem Zweck die Videos eingesetzt werden.“ (SB, S. 40). Diese Hinweise sollen für Fragen rund um bewusste Einwilligung/ Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, Netiquette (Regeln für die digitale Kommunikation in den sozialen Netzwerken, CdA 15 , S. 48), sowohl Umgang mit als auch Gefahren im 88 Anne-Marie Lachmund <?page no="89"?> 16 Die Abkürzung „Mag“ steht für magazine. Netz (z. B. Nachteile von YouTube durch Werbung usw., SB, S. 67) sensibilisieren, als auch zur Reflexion anregen, z. B. zum eigenen Medienverhalten (SB, S. 57). Der Umgang mit Videos hingegen wird als intuitiv erlernt vorausgesetzt, denn dazu gibt es keine gesonderte Anleitung. Die Nutzung von Videos hat sich im Découvertes 1 (2020) im Vergleich zu seinem Vorgänger stark verändert. Das monologische oder dialogische Videoangebot mit Aufgaben zum Ziel „Regarder et comprendre“ wurde aufgefächert und erweitert, weshalb kurz die unterschiedlichen drei Arten von Videos gegenübergestellt werden sollen, von denen es in jeder Unité mindestens eins gibt (insgesamt gibt es 36 Videos): - Semantisierende Videos, die Lehrbuchtexte visualisieren und so eine Ergän‐ zung zum Leseverstehen anbieten (Überbegriff: „Lola und ihre Clique“), ohne spezifische Aufgaben im Schülerbuch bereitzuhalten. Es gibt in der digitalen Mediensammlung zu diesen Videos immer ein Arbeitsblatt mit Hör-Sehverstehensaufträgen, da die Videos Informationen bereithalten, die über den Lehrbuchtext hinausgehen, z. B. „Tipp: Im Video erfährst du mehr über die Familie Bertucat.“ (SB, S. 31) - Hör-Sehverstehensvideos, die zum freien Sprechen animieren sollen, indem kurze Alltagsgespräche zu Redeanlässen wie „sich verabreden“, „nach dem Alter fragen“ oder „Eintrittskarten kaufen“ als Modelldialoge fungieren. Aufgaben gibt es hierzu nicht, weder im Schüler: innenbuch noch in der Mediensammlung, jedoch simulieren einige Videos eine Interaktion, wenn z. B. in einem Monolog kurze Pausen mit Rückfragen eingeblendet werden, auf die der/ die Zuschauer: in antworten soll. So geht es beispielsweise im Video 9 (SB, S. 34) um Hobbies und Vorlieben, von denen verschiedene Spre‐ cher: innen berichten und Rückfragen stellen wie „Comment tu t’appelles ? Qu’est-ce que tu aimes ? Est-ce que tu aimes le tennis ? “ - Reportagen im „Découvertes Mag 16 “, in denen u. a. eine Schule vorgestellt, von französischen Feiertagen oder auch Städten wie Paris oder Nizza berichtet wird, entsprechen am ehesten den traditionellen Videos zur Förderung des Hör-Sehverstehens, da sie in eine Phasierung zur Schulung rezeptiver Fertigkeiten in Activités avant, pendant et après le visionnage eingebettet sind. Zusätzlich zu diesen drei Kategorien - und für diesen Beitrag mit Blick auf Erklärvideos besonders interessant - sind die „Erklärfilme“, unterteilt in Gram‐ 89 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="90"?> 17 Die drei kurzen Erklärfilme zur Landeskunde, die Capsules, gekennzeichnet durch das Kürzel „KAP’S“, werden vom deutsch-französischen Institut Erlangen bereitgestellt. 18 Lediglich ein Video findet sich im Differenzierungsangebot des Lehrwerks, wobei es sich um einen Landeskunde-Erklärfilm der KAP’s handelt: In der Unité 6, demnach ganz zum Ende, wird das Video 1 über Paris als Hör-Sehverstehensvideo noch einmal eingesetzt, zu dem Fragen im Arbeitsheft beantwortet werden (S. 117) bzw. eine eigene Capsule unter Aufgabe b erstellt werden soll ohne weitere Hinweise/ Hilfestellungen (aber zum gleichen Thema: Nizza). Der Einsatz des Videos an dieser Stelle und mit den genannten Zielen erweckt dadurch den Eindruck, lediglich als Additum zur Differenzierung zu dienen. matik und Landeskunde 17 , die im Folgenden vertieft betrachtet werden, um diese auf die bereits angeführten Kriterien guter Erklärvideos zu überprüfen. Insgesamt 13 Grammatik-Erklärfilme ergänzen den Grammatikteil des Schüler: innenbuchs und des Arbeitsheftes, allerdings fehlt im Unterschied zu den oben angeführten Videos der drei Kategorien eine Übersicht mit den behandelten Themen im Schüler: innenbuch, was das gezielte Auffinden der Videos, so wie es bei der Stichwortsuche z. B. auf YouTube üblich ist, erschwert. Vielmehr werden im jeweiligen grammaire-Part in roten Kästchen Hinweise auf den Erklärfilm gegeben sowie das grammatische Beiheft mit den Erklärfilmen verknüpft. Ihrem Ursprungscharakter, Videos nach Bedarf zum Wiederholen von Stoff, Vorbereitung einer Klassenarbeit oder dem Verstehen von Inhalten im eigenen Tempo zuhause zu konsumieren, hätten die Erklärfilme noch stärker gerecht werden können, wenn auch das dafür vorgesehene Zusatzmaterial „Trainings‐ buch“ oder „Fit für Tests und Klassenarbeiten mit Mediensammlung“ (beides 2020) ebenfalls Hinweise auf die Erklärfilme beinhalten würden. Auch wird das im Beitrag skizzierte Potential von Erklärvideos zur Differenzierung 18 nicht ausgeschöpft, da sich das unter Différenciation vorgesehene Material im Schülerbuch auf schriftliche bzw. Audio-Aufgabenvorschläge beschränkt. Thematisch reichen die Grammatik-Erklärfilme vom (un-)bestimmten Ar‐ tikel über Verben auf -er, Possessivbegleitern, Präpositionen, Verneinung bis hin zum Futur composé und den Adjektiven. Sie alle haben eine Länge zwischen zwei und fünf Minuten, was sich an den allgemeinen Konditionen von Lernvideos orientiert. Es handelt sich bei der Machart um digitale Animationen von Text und Standbild/ Foto, kommentiert im synchronen Modus von einer langsam und deutlich sprechenden (erwachsenen) Stimme aus dem Off. Das Erklärvideo ist auf Deutsch, fast alle Beispiele, die von Muttersprachler: innen gesprochen werden, werden von der deutschen Stimme übersetzt. Die Off-Stimme spricht die Zuschauer: innen direkt an, denn jeder Erklärfilm beginnt formelhaft mit 90 Anne-Marie Lachmund <?page no="91"?> der Ankündigung: „In diesem Film lernst du, wie du über Personen oder Dinge sprechen kannst. Dazu brauchst du z.B. …“. Damit wird dem ersten Kriterium, das Erklärziel früh zu nennen, Rechnung getragen. Das grammatische Phä‐ nomen wird in einen Anwendungskontext und in eine kommunikative Aktivität eingebettet. Ein Rahmen zu diesem Einführungssatz wird hergestellt, indem die Anfangsfolie noch einmal zum Schluss genutzt wird, ergänzt mit einem grünen Häkchen und der Kommentierung: „Jetzt weißt du wie man im Französischen…“. Die direkte Ansprache an die Lernenden erfolgt auch durch Verweise wie „in deinem Buch…“ oder in Erinnerung an bereits Bekanntes wie „Das kennst du schon! “. In einigen Videos, wie dem ersten Erklärfilm (V5) zum unbestimmten Artikel im Singular, werden die Schüler: innen zum Mitdenken durch Zwischenfragen wie „Was fällt dir auf ? “ animiert. Dies ist gekoppelt an eine kurze Pause und ein bestärkendes „Genau! “ als Reaktion auf eine imaginäre Antwort. Durch farbliche Hervorhebungen und deiktische Zeichen wie Pfeile und Bögen zur Aussprache/ Liaison werden die Zuschauer: innen in ihrem Verstehensprozess geleitet. Ein Sprachenvergleich mit der Muttersprache, der in einigen Filmen angewendet wird, dient dem Aufzeigen von Analogien oder Unterschieden/ Hürden, wenn beispielsweise die bestimmten Artikel im Deutschen nicht analog ins Französische übertragbar sind (unterstützt durch Warnzeichen wie ein rotes Ausrufezeichen). In den ersten fünf Grammatik-Erklärfilmen gibt es keine kommunikative Situation oder gar eine Story, in die die Erklärungen eingebettet ist; die Beispielsätze sind kontextlos. Dies ändert sich mit Erklärfilm V18 zu den Possessivbegleitern, wo der Lehrwerkcharakter Jules seinen Austauschschüler Jan am Bahnhof abholt und auf dem Weg nach Hause Fotos zeigt, zu denen Jan Fragen hat (wir sehen stellvertretend nur ein Foto von Jan und eins von Jules, keine Szene). So werden über die visualisierten Dialogteile mit Bildunter‐ stützung die Besitzverhältnisse geklärt (mon, ma, mes) und Beispielsätze dienen zur Ableitung der Regel. Die Vermittlungsansätze können als grundsätzlich deduktiv eingeschätzt werden, allerdings wird in der Mehrzahl der Filme anhand von Beispielen (und Übersetzungen) die Regel verdeutlicht und die Zuschauer: innen werden zum Mitdenken animiert, z. B. „Aber was passiert nun? Hör gut zu! “. Auch wird hier auf die globale Relevanz des Erklärten hingewiesen und es werden Hürden angesprochen (z. B. Genus: „…das Thema wird dich in der Grammatik noch oft beschäftigen.“). Die Handlungen bleiben leider auf diesem Niveau und erzählen letztlich doch keine Geschichte, wenn sich z. B. drei Kinder fragen, wo ihre Freunde sind („Il est où, notre copain Tom? “), um die Possessivbegleiter im Plural einzuführen, oder wenn wir im Video V36 zu den Adjektiven Nizza „kennenlernen“ als „schöne 91 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="92"?> 19 Bzw. gibt es dazugehörende Aufgaben teils erst später im Differenzierungsteil als Additum wie bei Video 1 (siehe vorherige Fußnote). Stadt wegen ihrer Lage“, über die sich eine Gruppe von Menschen unterhält. Jene verkürzte Hinführung versucht eine Situationshaftigkeit zu simulieren, doch bleibt auch hier ein Storytelling-Charakter aus. Dies mag auch an der Verwen‐ dung von Standfotos mit Sprechblasen anstelle von Bewegtbildern liegen, denn so fehlt es an Dynamik, Interaktion, Visualisierung. Wiederkehrend beobachtet werden kann die Wichtigkeit der Aussprache, was das sprachliche Mittel Grammatik mit Aussprache/ Intonation und Orthographie verknüpft. Dazu wird die Liaison, welche mehrfach in verschiedenen Synonymen angegeben wird, durch Bögen und die stimmhafte Aussprache mit einem Bild von einer Biene symbolisiert. Auch die Zeichen der phonetischen Umschrift werden visualisiert, deren Kenntnis und damit Nützlichkeit (vs. Überladung) doch anhand des Lernjahres kritisch hinterfragt werden muss. Der Schwerpunkt aller Grammatik-Erklärfilme bildet die Darstellung der grammatikalischen Regel (die mündlich kommentiert wird, aber nicht in Merk‐ satzform verschriftlicht ist). Auch wirken die Videos wegen ihre formellen An‐ sprache distanziert und formelhaft, dies zeigt sich auch an der Verwendung von Fachtermini wie Genus oder Konjugation. Zwar sollen motivierende Sätze wie „Das ist ganz einfach! “ eine Leichtigkeit französischer Grammatik simulieren, jedoch wird diese Haltung durch keine der ästhetischen Gestaltungsmerkmale unterstützt: Es fehlt an Musik, Humor, Persönlichkeit (die schon durch eine si‐ mulierte Hand wie im Lege-Wisch-Videostil oder Zwischenkommentare erzeugt werden könnte). Durch das stetige Anknüpfen an Vorwissen, ein didaktisches Prinzip der Lerner: innen- und Prozessorientierung, wird eine lineare Sichtung aller Erklärfilme vorausgesetzt (V6: „Aus dem ersten Erklärfilm weißt du bereits…“), was jedoch dem ursprünglichen Nutzungsverhalten von Videos als individuelle Unterstützung je nach Bedarf entgegensteht. Der „Call-to-Ac‐ tion“-Charakter, also die Aufforderung zum Festigen und Anwenden des Ge‐ lernten, wird ausgelagert, indem es in der Mediensammlung von Klett zum Erklärfilm noch ein interaktives Übungsangebot gibt. So kann der Erklärfilm mit oder ohne Übungen konsumiert werden. Neben den Grammatik-Erklärfilmen kategorisiert das Lehrbuch auch die KAP’S als Erklärfilme. Die drei Filme des deutsch-französischen Instituts Erlangen mit einer Länge von 1.47-2.36 Minuten beschäftigen sich mit lan‐ deskundlichen Themen wie „Les Fêtes de Noël en France“ (Video 3). Der Verweis auf KAP’S ist im Schüler: innenbuch und im Arbeitsheft zu finden. Nicht zu jedem Video gibt es Aufgaben 19 , so heißt es bei Video 1, in welchem 92 Anne-Marie Lachmund <?page no="93"?> die Sehenswürdigkeiten von Paris erklärt werden, im Arbeitsheft (S. 15) nur: „Regardez la capsule „Paris, capitale mondiale du tourisme““. Video 2 zur Fête de la musique hingegen wird intensiv als Hör-Sehverstehensvideo eingesetzt, indem im Arbeitsheft entweder Fragen bearbeitet werden (Multiple Choice oder Freitext, S. 56) oder aber das Video Ausgangslage für weitere Recherchen sein soll, deren Informationsergebnisse in ein Interview fließen (S. 61, Aufgabe 4). Der Aufbau der Videos ist einheitlich: eine kindliche, französisch-mutter‐ sprachliche Stimme steigt, unterlegt mit leichter Hintergrundmusik, mit den Worten „Le DFI Erlangen présente KAP’S“ ein und nennt das Thema des Videos (z. B. „Aujourd’hui, les Français et la musique“ wie bei Video 2), wobei die Lege-Wisch-Technik gewählt worden ist - eine Ästhetik, die stark an das Format von MySimpleShow, allerdings mit einem breiten Farbspektrum, erinnert. Sobald die Erklärung einsetzt, wechselt der/ die Sprecher: in in eine maskuline erwachsene Stimme. Die Videos sind französischsprachig, allerdings fungiert die kindliche Stimme als bilinguale Vermittlerin, die die erwachsene Stimme entweder unterbricht, um zu kommentieren (z. B. „Super spécial! “ oder „Geilo“ als jugendsprachlich nahe Betonung) oder aber humoristische Elemente der Zustimmung oder Abneigung einfließen lässt (z. B. „Non, pas la flûte! […] C’est horrible! “ wie im Video 2). So entsteht der Eindruck einer Interaktion zwischen den beiden Sprecher: innen. Die schriftliche Visualisierung beschränkt sich auf die Schlüsselwörter (wobei wenige Wörter auch auf Deutsch angegeben werden wie bei spectateurs = Zuschauer, Video 2), welche farbenfroh und mit unterschiedlichen Schriftarten die Aufmerksamkeit steuern. Die Landeskunde-Videos setzen, wie es die Bezeichnung schon suggeriert, auf kulturelle Besonderheiten Frankreichs und erklären ein Phänomen in Hinblick auf Verbreitung, Relevanz, Zahlen und Fakten. Oft werden hierbei auch nationale Stereotype humoristisch dargestellt, wie in Video 3: „Les Français adorent manger! “ oder „On préfère le vin.“. Ein spezieller Blick wird dabei immer auf Les jeunes gerichtet mit ihren Vorlieben, Hobbies und Aktivitäten, die wie‐ derkehrend mit Statistiken belegt werden (z. B. die Top-3-Lieblingsgeschenke zu Weihnachten), die zum eigenen Abgleich einladen. Am Beispiel vom Video 2 zu Les Français et la musique folgt zum Abschluss ein „Call-to-Action“-Aufruf auf Deutsch, sich auch in der eigenen Stadt umzuschauen, was diese am 21. Juni im Rahmen der Fête de la musique zu bieten hat. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Erklärfilme zur Gram‐ matik von Découvertes 1 (2020) einigen Kriterien guter Erklärvideos entspre‐ chen, wie z. B. der direkten Ansprache, dem „Call-to-Action“-Charakter, dem Suchen von Analogien und dem Bemühen zur induktiven Erschließung anhand des reichen Angebots an Beispielen. Durch ihren Fokus der Regeldarbietung 93 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="94"?> kommen jedoch die (globale) Relevanz des Phänomens, die Hürden oder häu‐ figen Missverständnisse, die es mitbringt, oder auch die informelle Ansprache zu kurz. Damit steht oft eine Begründung oder Erklärung (im verstehensorien‐ tierten Sinn) aus. Des Weiteren fällt die steile Progression ins Gewicht, wenn bei der Einführung der Verneinung direkt die umgangssprachliche Nutzung (und das Wegfallen einiger Partikel) thematisiert wird oder der (breite) Rekurs auf die Aussprache von der Anwendung der Grammatik ablenkt. Auch sind die Visua‐ lisierungen und kindgerechten Gestaltungsmerkmale wie Storytelling, Humor, Musik stark auf eine strukturierte, formelhafte Repräsentation reduziert. Die landeskundlichen Capsules bestechen durch ihren (simuliert) interak‐ tiven, mehrsprachigen Charakter und ihr farbenfrohes Design, das humor‐ voller und musikalischer ist als die Grammatik-Erklärfilme. Die Optik eines Lege-Wisch-Videos erzeugt Dynamik und knüpft an bekannte Formate an, was den Wiedererkennungswert und die innere Strukturierung stützt. Ihr Bezug zur Zielgruppe ist gegeben, allerdings werden auch hier Storytelling-Elemente ausgespart, welche z. B. in Verbindung der Sprecher: innen als Vater-Kind-Duo hätten angelegt werden können. In der kontrastiven Analyse der Videotypen ist zu konstatieren, dass es sich bei den KAP’s allerdings nicht vollumfänglich um Erklärvideos handelt, sondern eher um Informationsvideos, was auch ihr Einsatz in Hör-Sehverstehensaufgaben bestätigt. Es gibt prinzipiell kein Erklärziel mit anschließendem Übungscharakter, das über das deklarative Sachwissen hinaus‐ geht, aber da der Verlag sie unter „Erklärfilme zur Landeskunde“ einordnet, wurden sie der Vollständigkeit halber mit in die Analyse aufgenommen und zu Vergleichszwecken angeführt. Hieran zeigt sich einmal mehr die begriffliche Unschärfe der verwendeten Termini und die relative Neuartigkeit des Mediums Erklärvideo. 6.2 Erklärvideos im Lehrwerk À plus ! 1 (2020) Auch im À plus ! 1 (2020) hat die (vergleichsweise junge) Medienkompetenz eine prominente Rolle inne: Die Kategorie „Methodische Kompetenzen“ (aus der Voredition Nouvelle Édition von 2012) wurde ergänzt und so lernen die Schüler: innen z. B. „ein Online-Wörterbuch“ zu verwenden, einen Vortrag mit „digitaler Hilfe“ einzuüben oder eine „Filmaufnahme“ zu planen (SB 2020). Die Förderung der Medienkompetenz zieht sich ebenso wie bei Découvertes 1 wie ein roter Faden durch die Tâches finales (den Tremplin), jedoch nicht in vergleich‐ barem Umfang und vergleichbarer Tiefe. Der Einsatz von Videos hingegen hat in À plus ! 1 per se eine herausragende Stellung inne, was bereits mit dem Einstieg in das Lehrwerk mit dem Vorkurs C’est parti ersichtlich ist, welcher rein videobasiert den ersten Kontakt mit der Fremdsprache gestaltet: Für die 94 Anne-Marie Lachmund <?page no="95"?> 20 Eine Unité mit einem Umfang von 17-19 Seiten hat mindestens fünf Videos im Angebot. Insgesamt gibt es 36 Videos im Schüler: innenbuch. Im CdA finden sich keine Hinweise auf Videos, sondern nur auf Audios. sieben Seiten stehen in der frei zugänglichen Online-Mediensammlung sieben Videos zur Verfügung. Mit diesen kurzen Videos soll das Hör-Sehverstehen angebahnt werden, indem die Videos zum Mit- oder Nachsprechen anregen, mit Aufgaben angereichert sind (SB, S. 8-15) und die Screenshots aus den Videos im Schüler: innenbuch einen transmedialen Vergleich und eine schriftbzw. textbasierte Weiterarbeit ermöglichen. Inhaltlich betrachtet fokussieren sich die Videos auf das Paar Léo und Marine, die vor der (gleichbleibenden) Kulisse ihres Jugendzimmers kurze Szenen spielen und dabei ganz bewusst Codes des Theaters und Schauspielerns einsetzen: Sie verändern durch Accessoires ihr Aussehen und werden zur Tourist: in, zur Mitschüler: in, zur Nachbar: in. Dabei unterstützt sie eine Comic-Ästhetik von einfliegenden Wörtern wie „Miam“ oder humorvolle Situationen, in denen sie sich irren oder schwindeln. Durch bekannte Geräusche (z. B. Schulklingel) und Gegenstände, die sie sich themen‐ bezogen reichen (oder reichen lassen), versetzt man sich an die imaginären Orte. Jene einfachen Mittel ermöglichen ein Identifikationspotential mit den Figuren und motivieren im Sinne eines ermutigenden Modellcharakters für eigenes Theaterspielen im Klassenraum. Ab der Unité 1 nehmen die Videos weitere Funktionen ein: Mit neun 20 Videos für 17 Lehrbuchseiten wird auch hier die Wichtigkeit erkenntlich, aller‐ dings überwiegen Videos zur Förderung des Hör-Sehverstehens in der Sektion „Regarder et comprendre“. Oft zielen die Hör-Sehaufträge auf ein globales Verstehen ab, z. B. S. 46: „Regarde la vidéo. Qu’est-ce qu’on apprend sur la famille […] ? “ Statt wie in den vergangenen Lehrwerken lediglich eine Audio-Version des Lesetextes bereitzustellen, existiert nun eine textgetreue Videoversion des Lesetextes, wenn z. B. die Charaktere des Buches von ihrem Zimmer, ihren Familien, ihren Freund: innen erzählen (z. B. S. 23). Auch wird durch die Transformation in ein Video eine neue Situativität angebahnt, wenn beispiels‐ weise schriftliche Dialoge zu Video-Telefonaten umfunktioniert werden, die die Smartphone-Optik nachstellen (S. 42). Eine Neuheit stellt die video-unterstützte Sektion im Fakultativteil einer jeden Unité namens „Atelier Théâtre“ dar: In insgesamt fünf kurzen Szenen spielen französische Jugendliche Theater, welches sich an französischen bzw. frankophonen Comedians (z. B. Atelier 1 Gad Elmaleh, S. 35; Atelier 2 Louis de Funès, S. 57), BD-Stars (Atelier 3 Astérix, S. 83), Sprachspielen (Atelier 4, S. 105) oder Fabeln (Atelier 5, S. 127) orientiert. Die Theaterszenen werden mit 95 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="96"?> 21 Vorteilhaft ist an dieser im Buch immer gleichbleibenden, sehr allgemeinen Formulie‐ rung, dass das Video welches verlinkt wird, vom Verlag ausgewechselt werden kann und somit immer aktuell ist, auch wenn das Buch bereits einige Jahre in Gebrauch ist. 22 Die Karaoke-Version existiert für jedes der Wortschatzvideos, allerdings soll nicht nur der Tonspur gefolgt werden, sondern wie bei einem Karaoke-Video den Untertiteln, die durch eine gelbe Hervorhebung anzeigen, wann und was laut ausgesprochen werden soll. Darüber hinaus ist Eile geboten, da die erwachsene Stimme wenig Zeit zum Nachsprechen lässt. dem Auftrag „Explique ce qui se passe“ als Redeanlass in Vorbereitung auf ein mögliches Nachstellen der Situation angereichert. Weitere fakultative Ateliers erstrecken sich mithilfe von Kooperationen mit dem französischsprachigen Fernsehsender TV5MONDE, welcher auch Bildungs- und Didaktikmaterial anbietet, auf aktuelle Themen zur „monde francophone“. Hierbei wird man im Online-Angebot auf die Website des Senders geleitet und es können dort Videos mit korrespondierenden Hör-Sehverstehen‐ saufgaben geschaut werden. Im Schüler: innenbuch wird dieser Teil angekündigt als „Passe à la vitesse supérieure ! Regarde cette 21 vidéo authentique […]“ (S. 104, 126…), als Schritt hin zu erhöhtem Sprechtempo und Schwierigkeitsgrad. Genauer betrachtet werden sollen nun zwei Kategorien, die am ehesten als Erklärvideos gelten, nämlich die fünf Wortschatzvermittlungsvideos (im Schüler: innenbuch eingebunden) und die 18 Grammatik-Erklärfilme (im Gram‐ matikheft eingebunden). Die fünf Videos zur Wortschatzvermittlung sind immer am Anfang der neuen Unité angesiedelt und ähneln sich stark in ihrem Aufbau und ihrer Optik: In schwarz-weißen Bildern unterlegt mit einer leichten, beschwingten Hintergrundmusik und passenden Geräuschen (z. B. Fußballchören bei le stade) folgen wir einer Hand, die in Windeseile Gegenstände, Orte und Personen skizziert (sketching), welche von einer maskulinen, erwachsenen Stimme betitelt werden. Alle Videos nennen das Thema, z. B. „La ville“ oder „La chambre“; es gibt aber kein Erklärziel im herkömmlichen Sinn. Indes benennt eine Off-Stimme die Zeichnungen, welche zu Wiederholungszwecken von einer kindlichen Stimme mit nachfragendem Charakter repetitiert werden. Dies bejaht wiederum die erwachsene Stimme mit einer nochmaligen Wiederholung (S1: „L’hôtel.“ … S2: „L’hôtel ? “ … S3: „Oui, c’est l’hôtel.“, Video 1, S. 18). Weitere Interaktionen gibt es darüber hinaus nicht; das Ziel der häufigen Wiederholung des für die Lernenden unbekannten Vokabulars ist die Verknüpfung des Gehörten mit einer Verbildlichung und die Möglichkeit des Nachsprechens, indem die Lernenden in der Karaoke-Version 22 die Rolle des Kindes einnehmen. Eine Verknüpfung mit den Lehrwerkcharakteren wird bei Video 2 (S. 40) zu „Ma famille“ bemüht, in dem Léo als Comic-Figur im Sketch-Stil seine 96 Anne-Marie Lachmund <?page no="97"?> 23 Es sei angemerkt, dass außer im Video von Léo und Marine (V2) keine Beziehungsgefüge offenbart werden, sondern nur anhand der gewählten Stimmen eine Relation (und Hierarchie) abgeleitet werden kann. Familienmitglieder vorstellt und Marine die Rolle der nachfragenden, wieder‐ holenden Mit-Sprecherin einnimmt (sie stellt auch gezielte Nachfragen wie „Et le garçon là, c’est qui ? “ oder bejaht „D’accord.“). Die kommentierende Stimme strukturiert auch innerlich das Video, wenn diese nach einer umfänglichen Einführung neuer Vokabeln Zweifel äußert wie „C’est un peu compliqué…“ und einmal mehr die Rolle und potentiellen Gedanken der zuschauenden Lernenden antizipiert. Im Video 3 zu „La chambre“ erklärt eine kindliche Stimme einer erwachsenen Person das Kinderzimmer, die die Ausführungen kommentiert. Neben Vokabular zu Einrichtungsgegenständen werden auch die Präpositionen eingeführt und visualisiert. Ab Video 4, was sich „Mon emploi du temps“ widmet, ändert sich der Video-Stil vom schwarz-weißen Skizzen-Stil, ausgeführt von einer Hand, zum farbenfrohen Animationsstil, bei dem die Wörter digital erscheinen. In diesem Video nennt eine männliche, erwachsene Stimme Stundenfächer, die von einer kindlichen Stimme wiederholt und dabei kommentiert werden. Die Visualisie‐ rung der Vokabeln erfolgt als Eselsbrücken, wenn beispielsweise bei allemand das ‚m‘ sich in die Skizze des Brandenburger Tors verwandelt und die kindliche Stimme Vorlieben und Abneigungen äußert (z. B. „J’adore ! “ oder „C’est un peu compliqué.“). Hintergrundgeräusche ergänzen die Vorstellungen der jeweiligen Schulfächer. Im fünften Video wird ein Storytelling angedeutet, indem eine erwachsene Stimme auf die Frage eines Kindes „Qu’est-ce qu’il y a à manger ? “ antwortet und Nahrungsmittel benennt, die als eingefärbte Piktogramme (samt Schrift‐ bild) im Stil einer Lege-Wisch-Optik einfliegen und vom Kind kommentiert werden. Diese Aktivität mündet in eine kommunikative Handlung, da das Kind aufgefordert wird, einen Einkaufszettel zu schreiben und das zu notieren, was der Vater 23 sagt (symbolisiert, indem eine Hand einen Stift überreicht). Diese Aktivität ist in ein humoristisches Setting eingebettet, da das Kind die Vokabeln so ganz beiläufig wiederholt und auch hier kommentiert (z. B. „Il faut tout ça ? “ oder „Ah, c’est beaucoup quand-même“), sodass die Dynamiken eines Gesprächs angedeutet werden. Das Video endet mit der anvisierten Handlung des Einkaufs und der Übergabe des Einkaufszettels, wobei die erwachsene Stimme fragt: „Et qui va au supermarché ? “, gekontert von der kindlichen Stimme mit „Pas moi ! “. Einen Übergang vom Wortschatzvermittlungsvideo zu einem Erklärvideo stellen zwei Rezeptvideos (S. 120 und 121) dar, die sowohl die Zutaten als 97 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="98"?> auch die Zubereitungsschritte benennen. Dabei werden die (realen) Handlungen einer Person abgefilmt, die parallel beschrieben werden, weshalb die Machart eher an ein Tutorial erinnert. Der Einstieg mit „Bonjour, aujourd’hui on fait des madeleines“ und die gewählte instrumentale Hintergrundmusik erinnern stark an die auf YouTube sehr beliebten Koch- und Rezeptvideos, in denen Hobbyköche und -bäcker: innen vor einer Kamera Videoanleitungen vollführen sowie Tipps und Tricks geben. Auch Cornelsen hat sich für den Einsatz von Grammatik-Erklärfilmen ent‐ schieden, welche jedoch im Unterschied zu Découvertes 1 nur mit dem Gram‐ matikbeiheft in der Online-Mediensammlung nach Eingabe des Zugangscodes zu finden sind. Damit werden die Grammatik-Erklärfilme ihrem Ursprungscha‐ rakter gerecht, Videos nach Bedarf zu konsumieren, z. B. zum Wiederholen von Stoff, zum Auffrischen in Vorbereitung einer Klassenarbeit oder zum Verfolgen der Grammatikregeln im eigenen Tempo zuhause, jedoch würden Verweise im Schüler: innenbuch oder im Arbeitsheft mehr auf das (umfangreiche) Vide‐ oangebot aufmerksam machen bzw. die Videos auch zur Differenzierung im Unterricht Einsatzmöglichkeiten finden. Ein kleines Symbol kennzeichnet im Grammatikheft, an welcher Stelle ein Erklärfilm eingesehen werden kann, allerdings fehlt wie in Découvertes 1 eine Übersicht mit den zur Verfügung stehenden Themen, was das gezielte Auffinden der Videos, so wie es bei der Stichwortsuche z. B. auf YouTube üblich ist, erschwert. Das längste der insgesamt 18 Videos ist das erste zum bestimmten Artikel mit 4.18 Minuten, was das Kriterium „Länge bzw. Kürze“ eines guten Erklärvideos bestätigt. Es handelt sich bei der Machart durchgehend um digitale Animationen von Text und Bild (keine Fotos, sondern vom Lehrwerk inspirierte Illustrationen im Zeichenstil), die an einen abgefilmten Bildschirm einer Präsentation (Screen‐ cast) erinnern, kommentiert im synchronen Modus von einer (erwachsenen) femininen Stimme aus dem Off. Das Erklärvideo ist auf Deutsch und im Gegen‐ satz zu den Découvertes-Grammatik-Erklärfilmen übernimmt eine Stimme beide Sprachen. Die Off-Stimme spricht die Zuschauer: innen direkt an, denn jeder Erklärfilm beginnt formelhaft mit der Ankündigung: „Salut! In diesem Video lernst du […] im Französischen kennen“. Damit wird dem ersten Kriterium, das Erklärziel früh zu nennen, zwar Rechnung getragen, allerdings fehlt die Kontextualisierung eines grammatischen Phänomens in einer kommunikativen Absicht (vgl. Découvertes 1). Konsequent wird nicht nur das grammatische Phänomen im Deutschen benannt, sondern auch die französische Entsprechung ergänzt, sodass früh von einer Einführung und Anwendung der Fachtermini in der Zielsprache ausgegangen werden kann. Mit Beispielen unterlegt wird die grammatische Regel erläutert und wo möglich ein Sprachenvergleich (auch 98 Anne-Marie Lachmund <?page no="99"?> mit Motivation wie „Das ist einfacher als im Deutschen“, Video 1, oder mit den Vorkenntnissen aus dem Englischen, Video 2) angestellt. Auf Hürden wird mittels eines einfliegenden Dreiecks mit Ausrufezeichen zusammen mit einem akustischen „Attention ! “ hingewiesen. Wie bei Découvertes 1 werden Hinweise auf Lernstrategien (wie den Artikel zusammen mit dem Nomen zu lernen oder diese mit unterschiedlichen Farben wie rot/ blau zu schreiben) oder Aussprachebesonderheiten angeführt. Eine Aktivierung und imaginäre Ansprache erfolgt, indem die Lernenden zum Nachsprechen animiert werden, was bereits durch die Themenauswahl der Videos erkenntlich ist: Im Vergleich zu Découvertes 1 erklärt sich die hohe Anzahl der Erklärfilme auch dadurch, dass der Konjugation im Präsens von être, avoir, aller, faire, prendre, vouloir und pouvoir je ein eigenes Video gewidmet wird. Jene unregelmäßigen Verben in den Fokus zu setzen ist anhand der Schwierig‐ keiten bei Aussprache und Schreibung nachvollziehbar, jedoch werden diese anhand mangelnder Erklärung für Einsatz und Funktionalität (im Vergleich zu Themen wie Verneinung oder Possessivbegleiter) eher zu Übungsvideos mit angeleiteter Festigung. Damit beschränken sich fünf Videos auf die tabellarische Aufstellung der Konjugation eines unregelmäßigen Verbs im Präsens, das in kontextlosen Beispielsätzen einem Tafelbild gleich präsentiert wird, woran sich eine mündliche Einsetzübung anschließt mit integrierter Überprüfung. Ein „Call-to-Action“-Charakter ist damit gegeben, jedoch beschränkt sich das Üben auf das Nennen der konjugierten Form (je prends, tu prends usw.). Auch das Loben für das simulierte Mit- und Nachmachen wirkt formelhaft und repetitiv mit „Super“. Damit das Dargebotene besser behalten werden kann, werden je nach Möglichkeit musikalische Elemente eingesetzt, wenn beispielsweise die Darbietung der être-Konjugation an einen Rap erinnert oder die Verneinung durch signalgrammatische Phänomene (Umschließen nach dem Hamburger-Modell) unterstützt wird. Durch farbliche Hervorhebungen und deiktische Zeichen wie Pfeile und Bögen zur Aussprache/ Liaison werden die Zuschauer: innen in ihrem Verstehensprozess geleitet. Auch À plus ! 1 entscheidet sich für die reduzierte Darstellung der phonetischen Umschrift. Alle Videos enden mit einer Zusammenfassung, meist in tabellarischer Auflistung, und einer Verabschiedung. Im Vergleich zu den Grammatik-Erklärfilmen aus Découvertes 1 fehlt es an aktivierenden Aufrufen zum Mitdenken (z. B. Zwischenfragen wie „Was fällt dir auf ? “), die induktives Hypothetisieren stützen könnten. Die Filme sind bewusst deduktiv gehalten und Storytelling-Elemente stehen aus. Es ist demnach fraglich, warum die Wortschatzvermittlung bei „Ma famille“ am Lehrbuchcharakter 99 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="100"?> Léo orientiert ist, der korrespondierende Grammatik-Film allerdings diese Verknüpfung nicht ausschöpft. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Erklärfilme zur Gram‐ matik von À plus ! 1 (2020) wenigen Kriterien guter Erklärvideos entsprechen, wie z. B. der direkten Ansprache, dem „Call-to-Action“-Charakter (mit übermä‐ ßigem Einsetzübungsangebot direkt im Video, das allerdings monoton auf die Orthografie und Aussprache von Einzelwörtern fokussiert ist), dem Suchen von Analogien und der Reduktion auf das Wesentliche. Durch ihren Fokus der Regeldarbietung kommen jedoch die (globale) Relevanz des Phänomens, die kommunikative Kontextualisierung (wieso benötige ich diese Grammatik? ) oder auch die informelle Ansprache zu kurz. Damit steht oft eine Begründung oder Erklärung aus. Auch sind die Visualisierungen und kindgerechten Gestal‐ tungsmerkmale wie Storytelling, Humor, Musik stark auf eine strukturierte, formelhafte Repräsentation reduziert; werden statt Bewegtbilder oder Fotos nur Illustrationen verwendet. 7 Schlussfolgerung Der vorliegende Beitrag orientierte sich am Nutzungsverhalten der Lernenden im Umgang mit Erklärvideos (auf YouTube) und formulierte daran angelegt Kriterien guter Lernvideos. Wie diese in den Lehrwerken Découvertes und À plus ! der neuen Generation für das erste Lernjahr umgesetzt worden sind, sollte die Analyse und Gegenüberstellung beantworten. Bei dieser ist zunächst deutlich erkennbar gewesen, dass sich die Themen der Erklärvideos (und Videos im weiteren Sinn) mehrheitlich an der Progression des Lehrwerks orientieren, womit bereits eine Auswahl für die Lernenden getroffen wird und ein YouTub’‐ sches „Lern was du willst“ nicht mehr gegeben ist. Die Art und Weise der Vermittlung ist dabei höchst standardisiert, d. h. professionelle Didaktiker: innen haben sich an den Vermittlungsformen der Lehrkräfteprofession orientiert und bieten somit gesicherte Zweiterkläransätze außerhalb des Unterrichtsgesche‐ hens an. Dabei wird die auf YouTube vorherrschende Vielfalt an Erklärvideos oder die von Programmen wie MySimpleShow zur Erstellung dieser samt Storytel‐ ling-Elementen reduziert auf Formate von animierter, rein digitaler Bildabfolge. Sie können noch eher mit dem Screencast verglichen werden, aber auf eine weitaus professionellere Art. Das Abfilmen einer Lehrperson vor einer Tafel oder Whiteboard wurde nicht gewählt. Es sprechen durchgehend zumeist erwachsene deutschsprachige Off-Stimmen neben Muttersprachler: innen. Wie gezeigt werden konnte, befinden sich unter dem analysierten Videoangebot 100 Anne-Marie Lachmund <?page no="101"?> einige Lege-Wisch-Videos, die das einst händische Legevideo digital imitieren. Allen gemeinsam ist die Verknüpfung von Text, Bild und Ton sowie das konti‐ nuierliche Wiederholen und Animieren zum Nachsprechen, was das Einprägen der neuen Wörter und Strukturen vereinfachen soll. Für einen dauerhaften Lernerfolg sind aktives Zuhören, korrektes Nachsprechen und weitere Repeti‐ tionen notwendig, worin sich der „Call-to-Action“-Charakter in der Mehrzahl der Videos erschöpft (Becher 2012: 24). Es konnte festgestellt werden, dass sich besonders zur Grammatikvermitt‐ lung eine hohe Anzahl an Erklärvideos vorfinden lässt, deren Einsatz jedoch formelhaft und standardisiert erscheint, was sich mitunter am anschließenden Übungsangebot ablesen lässt. Gerade zur Grammatikvermittlung hat der Einsatz eines Erklärvideos ein hohes Potential, das mit dem Lehrwerkangebot aktuell noch nicht ausgeschöpft wird; reduziert sich die Grammatikvermittlung hier wieder auf Regel, Beispiel und Ausnahme - ein altbekannter Anklagepunkt des von den Schüler: innen häufig als „grammatiklastig“ wahrgenommenen Fremdsprachenunterrichts (Lüning 2008). Die Balance muss allerdings auch gehalten werden hinsichtlich visueller und thematischer Überlastung (wenn bspw. die Ausspracheregel zusammen mit der Grammatikregel vermittelt wird), da eines der wichtigsten Kriterien guter Erklärvideos die Reduktion auf das Wesentliche der Problematik darstellt. Der Schlüssel liegt m. E. in der ausbalan‐ cierten Gestaltung von Storytelling-Elementen, die die dienende Funktion von Grammatik als der Kommunikationssituation untergeordnet betonen könnten und auf altersangemessene, ästhetisch-ansprechende, humorvolle Weise beson‐ ders den motivationalen Aspekt des Fremdsprachenlernens bedienen. Lehrwerke À plus 1 (2020): À plus ! 1. Carnet d’Activités. Interaktive Übungen mit Differenzierungen auf zwei Niveaus. Berlin: Cornelsen. À plus 1 (2020): À plus ! 1. Französisch für das Gymnasium. Schülerbuch. Berlin: Cornelsen. À plus 1 (2020): À plus ! 1. Grammatikheft mit Lösungen und Erklärfilmen. Berlin: Cornelsen. À plus 1 (2012): À plus ! 1. Nouvelle Édition. Französisch für Gymnasien. Schülerbuch. Berlin: Cornelsen. Découvertes 1, Ausgabe 1. oder 2. Fremdsprache (2020): Découvertes 1. Schülerbuch. Stuttgart: Klett. Découvertes 1, Ausgabe 1. oder 2. Fremdsprache (2020): Découvertes 1. Cahier d’Activités mit Mediensammlung. Stuttgart: Klett. Découvertes 1, Ausgabe 1. oder 2. Fremdsprache (2020): Découvertes 1. Trainingsbuch. Stuttgart: Klett. 101 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="102"?> Découvertes 1, Ausgabe 1. oder 2. Fremdsprache (2020): Découvertes 1. Fit für Tests und Klassenarbeiten mit Lösungen und Mediensammlung. Stuttgart: Klett. Sekundärliteratur und Internetquellen Arnold, Sebastian & Zech, Jonas (2019): Kleine Didaktik des Erklärvideos. Erklärvideos für und mit Lerngruppen erstellen. Braunschweig: Westermann. Becher, Alexander (2012): Lernvideos auf YouTube. Masterarbeit TU Dresden. https: / / www3.sachsen.schule/ fileadmin/ _special/ gruppen/ 40/ MASTERARBEIT.pdf, Zugriff: 31.03.2021. Carney, Russell N. & Levin, Joel R. (2002): „Pictorial Illustrations Still Improve Students‘ Learning From Text“. In: Educational Psychology Review, 14(1), 5-26. doi.org/ 10.1023/ A: 1013176309260. Dorgerloh, Stephan (2020): „Mit Erklärvideos unterrichten? - Erfahrungsberichte aus der Schulpraxis“. In: Dorgerloh, Stephan & Wolf, Karsten D. (Hrsg.): Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos. Weinheim: Beltz, 87-115. Dorgerloh, Stephan & Wolf, Karsten D. (Hrsg.) (2020): Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos. Weinheim: Beltz. Draghina, Mario (2020): „Das Augsburger Grundgerüst für die gelingende Erstellung von Erklärvideos und ihren sinnvollen Einsatz im Schulalltag“. In: Medienlabor der Universität Augsburg, 1-9. Ebner, Martin & Schön, Sandra (2017): „Lern- und Lehrvideos: Gestaltung, Produktion, Einsatz“. In: Wilbers, Karl & Hohenstein, Andreas (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Expertenwissen aus Wissenschaft und Praxis. Strategien, Instrumente, Fallstudien. Lose‐ blattsammlung, 4.61, o.A.: o.A., 1-14. Feierabend, Sabine & Rathgeb, Thomas & Kheredmand, Hediye & Glöckler, Stephan (2020): JIM-Studie. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienum‐ gang 12bis 19-Jähriger. https: / / www.mpfs.de/ fileadmin/ files/ Studien/ JIM/ 2020/ JIM -Studie-2020_Web_final.pdf, Zugriff: 31.03.2021. Klett-Verlagswebsite (2021): Produktinformationen zu Découvertes 1, Série jaune und Série bleue, Erklärfilme. https: / / www.klett.de/ produkt/ isbn/ 978-3-12-622252-5, Zu‐ griff: 30.06.2021. Krammer, Kathrin & Lipowsky, Frank & Pauli, Christine & Schnetzler, Claudia L. & Reusser, Kurt (2012): „Unterrichtsvideos als Medium zur Professionalisierung und als Instrument der Kompetenzerfassung von Lehrpersonen“. In: Kobarg, Mareike & Fischer, Claudia & Dalehefte, Inger Marie & Trepke, Franziska & Menk, Mar‐ leen (Hrsg.): Lehrerprofessionalisierung wissenschaftlich begleiten - Strategien und Methoden. Münster: Waxmann. 102 Anne-Marie Lachmund <?page no="103"?> Kulgemeyer, Christoph (2020): „Didaktische Kriterien für gute Erklärvideos“. In: Dor‐ gerloh, Stephan & Wolf, Karsten D. (Hrsg.): Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos. Weinheim: Beltz, 70-75. Kulgemeyer, Christoph & Peters, Cord H. (2016): „Exploring the explaining quality of physics online explanatory videos“. In: European Journal of Physics, 37(6), 1-14. LeFever, Lee (2012): The Art of Explanation. New York: John Wiley & Sons. Lüning, Marita (2008): „Grammatik im Kontext“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch. Sonderheft: Prinzipien und Methoden des Spanischunterrichts. Seelze: Friedrich, 26-31. Mayer, Richard E. (2014) (Hrsg.): The Cambridge Handbook of Multimedia Learning, 2. Aufl. Cambridge (MA): Cambridge University Press. MySimpleShow (2021): Videomaker. https: / / videomaker.simpleshow.com/ de/ ? utm_sour ce=cultofpedagogy&utm_campaign=partnership&utm_medium=display_300x250&g clid=CN_3sr_lxtUCFW4B0wodGW8GMA, Zugriff: 31.05.2021. Obermoser, Susanne (2018): „Einsatz moderner Medien im Unterricht. Unterstützung von Lernprozessen durch Lehr- und Lernvideos? “. In: Haushalt in Bildung & Forschung 7, 59-74. Pammer, Erich (2015): „Individualisierung, Differenzierung, Diversität, Inklusion“. In: Akin-Hecke, Meral & Röthler, David & Eiselmair, Peter & Andraschko, Monika (Hrsg.): Lehrende arbeiten mit dem Netz. Wien: Edition mono/ monochrom. Rat für Kulturelle Bildung (2019): Studie Jugend/ YouTube/ Kulturelle Bil‐ dung. https: / / www.rat-kulturelle-bildung.de/ fileadmin/ user_upload/ pdf/ Studie_You TubeYouTube_Webversion_final.pdf, Zugriff: 31.05.2021. Redecker, Christine (2017): European framework for the digital competence of educators: DigCompEdu. Seville: Joint Research Centre. https: / / ec.europa.eu/ jrc/ sites/ jrcsh/ files/ digcompedu_german_final.pdf, Zugriff: 31.05.2021. Rummler, Klaus & Wolf, Karsten D. (2012): „Lernen mit geteilten Videos: aktuelle Ergeb‐ nisse zur Nutzung, Produktion und Publikation von online-Videos durch Jugendliche“. In: Sützl, Wolfgang & Stalder, Felix & Maier, Ronald & Hug, Theo (Hrsg.): Media, Knowledge and Education: Cultures and Ethics of Sharing/ Medien - Wissen - Bildung: Kulturen und Ethiken des Teilens. Innsbruck University Press, 253-266. Scheiter, Katharina (2014): „The learner control principle in multimedia learning“. In: Mayer, Richard E. (Hrsg.): The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. 2. Aufl., Cambridge (MA): Cambridge University Press, 487-512. Schmidt-Borcherding, Florian (2020): „Zur Lernpsychologie von Erklärvideos: Theoreti‐ sche Grundlagen“. In: Dorgerloh, Stephan & Wolf, Karsten D. (Hrsg.): Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos. Weinheim: Beltz, 63-70. Seidel, Tina & Blomberg, Geraldine & Renkl, Alexander (2013): „Instructional strategies for using video in teacher education“. In: Teaching and Teacher Education 34, 56-65. 103 Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020) <?page no="104"?> Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bun‐ desrepublik Deutschland KMK (2017): Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“. https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ pdf/ PresseUndAktuelles/ 2017/ Strate gie_neu_2017_datum_1.pdf, Zugriff: 30.06.2021. Wieland, Katharina (2020): „La classe inversée. Flipped classroom im Französischunter‐ richt“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht Französisch 4, 7-9. Wolf, Karsten D. (2020): „Sind Erklärvideos das bessere Bildungsfernsehen? “. In: Dor‐ gerloh, Stephan & Wolf, Karsten D. (Hrsg.): Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos. Weinheim: Beltz, 17-24. Wolf, Karsten D. (2015): „Bildungspotenziale von Erklärvideos und Tutorials auf You‐ Tube“, in: merz 1(59), 30-36. YouTube (2021): Khan-Academy (Official Channel), https: / / www.youtube.com/ results? s earch_query=khan+academy, Zugriff: 01.06.2021. YouTube (2021): Stichwortsuche „Französisch Lernvideo“, https: / / www.youtube.com/ re sults? search_query=lernvideo+franz%C3%B6sisch, Zugriff: 01.06.2021. 104 Anne-Marie Lachmund <?page no="105"?> 1 En el presente artículo nos referiremos a libro de texto para indicar el libro de alumno (Lehrbuch), a diferencia del método, que sería la obra completa con todos sus materiales complementarios (Lehrwerk) (Barquero 2020: 246). El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español Virtudes González In diesem Beitrag wird auf die Rolle von Lehrbüchern in der Aufgaben‐ orientierung eingegangen. Dabei werden schulische Lehrbücher für den Spanischunterricht im Hinblick auf die Konzeption von Lernaufgaben und den zugrundeliegenden Lehr- und Lernkonzepten analysiert. Introducción Se puede partir de la idea de que en el libro de texto 1 se ven reflejados por una parte los principios de enseñanza y aprendizaje del equipo de autoría y por otra parte los principios y los usos docentes que tanto dicho equipo como el equipo de redacción y de marketing de las editoriales asumen que los destinatarios de este consideran esenciales (Richards 2006: 6, citado por Barquero 2020: 251, Barquero 2020: 285). Según Nieweler (2000: 14-15) el libro de texto supone un primer nivel de materialización de las ideas didácticas. Por este motivo es importante tenerlo en cuenta y determinar los planteamientos didácticos que lo rigen para ayudar a comprender el grado de aceptación de estos. El presente artículo tiene como objetivo analizar hasta qué punto los libros de texto de español como lengua extranjera publicados en Alemania para el ámbito escolar reflejan uno de estos principios actualmente en boga: el enfoque por tareas. En primer lugar, presentaremos el enfoque por tareas como un principio innovador para la clase de español, dado que, a pesar de que el enfoque tiene ya algunos años de vida, sigue suponiendo una innovación respecto a los usos habituales de la clase tradicional. A continuación, se explorará la posición del enfoque por tareas sobre el uso de libros de texto en el aula de idiomas. Posteriormente expondremos el resultado de un estudio realizado <?page no="106"?> sobre tres libros de texto de español destinados al primer nivel de la enseñanza secundaria (Sekundarstufe I) y que incluyen tareas en sus capítulos o unidades e intentaremos determinar cómo se articulan en ellos el trabajo con tareas y hasta qué punto se ven reflejadas en estos libros las teorías sobre el enfoque por tareas. Enfoque por tareas como innovación pedagógica Aunque el enfoque por tareas cuenta con numerosas publicaciones tanto en el ámbito didáctico puramente dicho (cf. Bär 2013) como en el de la lingüística aplicada (cf. Van den Branden et al. 2009), podemos afirmar que se trata de un enfoque novedoso en el ámbito escolar. En general se puede considerar que la innovación en el ámbito pedagógico no viene dada tanto por una cuestión cronológica sino por el grado de novedad que perciben las personas integrantes del sistema de educación formal (Markee 1993: 231). Aunque el enfoque por tareas ha sido considerado en los últimos años en el ámbito escolar alemán como el modo ideal de implementar y articular el enfoque en las competencias (Bär 2013: 7-8), hasta ahora no disponemos de estudios empíricos que muestren el grado de aceptación que tiene en el sistema escolar alemán. Si atendemos a la situación en otros países (p.ej. East 2012 para Nueva Zelanda) vemos que el profesorado puede llegar a tener grandes dificultades en comprender y aplicar el enfoque por tareas a su práctica docente habitual puesto que sus principios se alejan de los usos y de la enseñanza de idiomas habitual. Mientras que el enfoque por tareas parte de un modelo constructivista del aprendizaje, el modelo clásico de una clase de idiomas se ha basado tradicional‐ mente en una concepción instructivista de la enseñanza, en el que la progresión se organiza en torno a elementos lingüísticos aislados y la unidad de trabajo se articula en los tres pasos clásicos del PPP (presentación - práctica - producción) (Estaire 2011: 2). Mientras que este modelo es el tradicionalmente aceptado en el ámbito escolar, los modelos constructivistas parten de que el aprendizaje tiene lugar de forma más holística y menos centrada en unidades aisladas de la lengua, ya que tienen en cuenta los procesos naturales de adquisición y aprendizaje (Estaire 2011: 2 y ss.). Podríamos decir que mientras las propuestas instructi‐ vistas basadas en el PPP están constituidas por procedimientos habituales en los contextos formales de enseñanza, los enfoques constructivistas tienen su referente en el aprendizaje en situaciones naturales: P.ej. cuando una persona aprende a montar en bicicleta no tiene primero una clase teórica en la que se presentan los distintos elementos de la bicicleta ni las leyes de la aerodinámica para luego pasar a una práctica controlada quizá en una bicicleta estática para 106 Virtudes González <?page no="107"?> 2 “El aprendizaje de lenguas extranjeras basado en tareas se parece a los procesos de adquisición de lenguas extranjeras y en este enfoque tiene lugar de forma implícita (a través del contacto con la lengua extranjera y su uso en una interacción significativa) y de forma explícita (a través de una reflexión específica sobre la lengua y de descubrimiento de regularidades).“ (traducción V.G.) -¡finalmente! poder pasar a montarse en una verdadera bicicleta, sino que realmente empieza en una bicicleta de verdad desde el principio. Además de contar con apoyos, está claro que los primeros desplazamientos en bicicleta serán muy cortos y en lugares alejados del tráfico, quizá en un parque, para ir aumentado de dificultad prescindiendo de los apoyos poco a poco y realizando trayectos más largos y con condiciones de contorno cada vez más complejas. Este tipo de aprendizaje naturalístico se parece bastante a los procesos de aprendizaje que tienen lugar en el enfoque por tareas, lo que supone un alejamiento claro del modelo PPP. En el caso del enfoque por tareas, la unidad de aprendizaje no son las unidades lingüísticas per se sino que el aprendizaje se articula en torno a “tareas”, es decir a actividades comunicativas con un objetivo claro, similar a las actividades comunicativas que se realizan fuera del aula. La progresión del aprendizaje no consiste pues en aprender cada vez formas lingüísticas más complicadas sino en realizar tareas cada vez más complejas, mientras que se presta atención a los elementos lingüísticos necesarios para llevar a cabo dichas tareas: Aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen ähnelt Fremdsprachenerwerbsprozessen und findet nach diesem Ansatz implizit (durch den Kontakt mit der Fremdsprache und deren Anwendung in der inhaltsbezogenen Interaktion) und explizit (durch gezieltes Nachdenken über die Sprache und Entdeckung von Regelmäßigkeiten) statt. (Martinez 2011: 91) 2 Desde este punto de vista se puede concluir que el enfoque por tareas, cuyos planteamientos teóricos surgen en torno a los años 80 y 90 del siglo XX, supone un cambio de paradigma con la enseñanza tal y como se ha concebido tradicionalmente en el ámbito escolar y que enlaza más bien con planteamientos de las reformas educativas del siglo XIX y principios del XX, que han dejado una huella solamente puntual en los sistemas educativos (Long 2015: 63 y ss). Como hemos indicado anteriormente, esta innovadora forma de ver y arti‐ cular el aprendizaje de idiomas goza de popularidad en el ámbito de la didáctica de lenguas extranjeras y eso se refleja no solo en las publicaciones especializadas, sino que también tiene un claro anclaje curricular. Mientras que el MCER habla de la tarea como el elemento central en el aprendizaje de idiomas, a un nivel más normativo el plan de estudios de la asignatura de español (Kerncurriculum) en 107 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="108"?> 3 “La enseñanza debe ser concebida de tal forma que siga los principios del enfoque por tareas“ (traducción V.G.) el estado de Baja Sajonia indica que “Der Unterricht ist so zu konzipieren, dass er den Prinzipien des aufgabenorientierten Lernens (enfoque por tareas) entspricht“ 3 (Ministerio de Educación de Baja Sajonia 2017: 10). En el esfuerzo de aplicar este enfoque a las clases de idiomas, han surgido varias corrientes y modelos de trabajo, que se diferencian bastante entre sí. La divergencia más radical es la que separa al enfoque por tareas en sí (task-based language teaching) del uso de tareas como complemento comunicativo a una enseñanza basada en un PPP (presentación, práctica, producción), en el que la tarea se convierte en la última P (producción). Este segundo enfoque (task-sup‐ ported language teaching), menos radical y más adaptable a usos tradicionales de enseñanza, sigue organizando la progresión en torno a unidades lingüísticas, pero incluye tareas en las que se pueden practicar estas de una forma comuni‐ cativamente relevante (Müller-Hartmann y Schocker-von Ditfurt 2011). Por otra parte, en Alemania se han desarrollado varios modelos que proponen distintas vías de diseñar unidades didácticas con tareas, adaptando estas a la realidad escolar (cf. Caspari 2019). La idea de incluir tareas en el aprendizaje ha calado también en los libros de texto de español, de tal forma que los que se publican recientemente en Alemania tienen todos alguna forma de tarea en sus lecciones o unidades, sea como principio organizador de todo el proceso de enseñanza (enfoque POR tareas o task-based language teaching) o como complemento a una lección y a una progresión clásicas organizadas en torno a elementos lingüísticos (enfoque CON tareas o task-supported language teaching). El papel de los libros de texto en el enfoque por tareas En el enfoque por tareas el elemento central de aprendizaje, que articula el mismo y que da forma a la progresión, como hemos indicado anteriormente, es la tarea, entendida como una actividad comunicativa relevante para el aprendiente (Estaire 2011: 4). Eso supone que en realidad cada curso debería diseñarse teniendo en cuenta las necesidades comunicativas de sus aprendientes: The first step in LT [language teaching] course design is (or should be) to conduct a NA [needs analysis]. […] Using the results of a systematic NA as the input to syllabus design 108 Virtudes González <?page no="109"?> 4 „El primer paso en el diseño de un curso de idiomas es (o debería ser) llevar a cabo un análisis de necesidades. […] El uso de los resultados de un análisis sistemático de necesidades como input para el diseño de un curso es uno de los factores que distingue el enfoque por tareas en la enseñanza de idiomas […] y es un factor deseable en la educación basada en tareas en general.” (traducción V.G.) is one of the features that distinguises TBLT [task-based language teaching] […] and is a desirable feature of task-based education, in general. (Long 2015: 88) 4 Según Long, ese análisis de necesidades no solo debería tener en cuenta el nivel de dominio lingüístico del alumnado sino qué necesita este o qué desea hacer con la lengua que se está aprendiendo (Long 2015: 87 y ss.). Desde ese punto de vista, la versión más estricta del enfoque por tareas rechaza el uso de libros de texto porque por su propia naturaleza estos no son capaces de tener en cuenta las necesidades e intereses de un grupo de alumnos y alumnas en concreto. A pesar del recelo hacia los libros de texto de la versión más extrema del enfoque por tareas, ya desde finales de los años 90 se empezaron a publicar libros basados en este enfoque para la asignatura de español. El pionero fue Gente (Martín Peris y Sans Baulenas 1998), de la editorial Difusión, destinado a la enseñanza de adultos. Gente joven (Alonso et al. 2005), de la misma editorial, fue el primero que se dirigió a niños y adolescentes. Ya en el campo editorial alemán, el primer libro de texto publicado que afirmaba estar diseñado con los principios del enfoque por tareas fue Adelante (Barquero et al. 2010), y a partir de ese momento lo habitual es que cada libro de texto que se publique incluya tareas al final de cada capítulo. Como se puede apreciar, ha calado la idea de que sí es posible concebir libros por tareas o, al menos, con tareas y eso implica evidentemente que sí es posible usar un libro de texto trabajando con el enfoque por tareas. Según Caspari (2011: 340-341), las exigencias a los libros de texto que trabajen con tareas son las siguientes: ● Transparencia en los objetivos y métodos de trabajo ● Foco central en una competencia parcial ● Más cantidad de textos, tareas y ejercicios para responder a la heteroge‐ neidad ● Presencia de tareas comunicativas y no sólo ejercicios de formas lingüísticas ● Presencia y uso de estrategias de aprendizaje ● Elevar el nivel de exigencia en el plano receptivo ● Progresión en espiral centrada en temas y necesidades comunicativas. 109 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="110"?> 5 “Al contrario de los diferentes enfoques de enseñanza propagados, los enfoques metódico-didácticos no han cambiado en lo esencial, lo que significa que el enfoque metodológico del PPP (presentation, practice, production o presentación, práctica, produc‐ ción) es el dominante en la mayoría de los libros de texto y la mayoría de las veces sigue siéndolo.“ (traducción V.G.) 6 “Enfoque por tareas como principio esencial, fomento de competencias, estrategias y autoevaluación.“ (traducción V.G.) 7 “Los nuevos métodos siguen claramente exigencias didácticas e intentan responder a los conocimientos científicos.“ (traducción V.G.) Lo interesante sería comprobar si realmente el enfoque por tareas está siendo tenido en cuenta a la hora de concebir los libros de texto para la asignatura de español en el entorno escolar o si estas exigencias se han quedado en desiderata. Según Tomlinson (2012: 158 y ss.), citado por Fäcke y Mehlmauer-Larcher (2017: 9) se da primordialmente el segundo caso: Im Gegensatz zu den verschiedenen propagierten Sprachlehransätzen hätten sich oftmals die eigentlichen methodisch-didaktischen Ansätze nicht wesentlich verändert, was so viel bedeute, dass ein methodischer PPP-Ansatz (presentation, practice, production) in den meisten Lehrwerken vorherrsche und dies oftmals noch tue.  5 Según este autor el procedimiento metodológico del PPP, con su consiguiente enfoque instructivista, sigue siendo el núcleo estructurador de los libros de texto de idiomas. Quizá sea esa la razón por la que algunos autores y autoras defienden la posibilidad de hacer un trabajo por o con tareas en el aula de idiomas usando libros tradicionales. (Martín Peris 1999 & Müller-Hartmann & Schocker von Ditfurt 2011, Raith 2013). Sin embargo, existen ya algunos estudios que demuestran que efectivamente el enfoque por tareas se refleja en algunos libros de texto escolares para la asignatura de español. Ya en el 2011, Martinez analizó tres áreas: “Aufgabenori‐ entierung als Kernprinzip, Kompetenzaufbau, Strategien und Selbstevaluation  6 “ (2011: 88) de siete libros de texto de las asignaturas de francés y de español y llega a la conclusión de que “[die] neuere Lehrwerke [folgen] durchaus fachdidaktischen Anforderungen und [suchen] wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entsprechen“  7 (2011: 101). También Fäcke (2016) afirma que los libros de texto actuales usan el enfoque por tareas para implementar el enfoque por competencias (Fäcke 2016: 38-39) y en concreto determina que “Das Lehrwerk ¡Adelante! (Barquero & Collado Revestido & Corpas & Dienhoff & Domínguez & Kuhlmann & Navarro & Reiter, 110 Virtudes González <?page no="111"?> 8 “El método ¡Adelante! (Barquero, Collado Revestido, Corpas, Dienhoff, Domínguez, Kuhlmann, Navarro & Reiter, 2010) está basado de forma consecuente en el task based language learning (aprendizaje de idiomas por tareas).” (traducción V.G.) 2010) ist konsequent an task based language learning ausgerichtet.“  8 (2016: 38). Según esta autora, uno de los elementos centrales del enfoque por tareas que se reflejan en los libros de texto es la presentación contextualizada de los recursos lingüísticos y el trabajo inductivo con la gramática (2016: 39). Hinger y Mathies (2019) analizan exhaustivamente las actividades propuestas por Gente Joven 4 (2016) y ¡Adelante! Nivel intermedio (2011) y llegan a la conclusión de que dos tercios de estas cumplen todos los criterios que corresponden al enfoque por tareas. Sin embargo, indican como crítica la falta de propuestas evaluativas y la existencia de un excesivo número de actividades preparatorias (ejercicios), lo que en su opinión parece contradecir los principios del enfoque por tareas, ya que un exceso de ejercicios preparatorios puede llevar a pensar en un PPP y menos en una tarea, en la que las personas que aprenden deben enfrentarse a actividades comunicativas que supongan un cierto desafío y que no impliquen limitarse a “practicar” lo aprendido previamente. Análisis de libros de texto escolares En el presente estudio se desea comprobar si los libros de texto de nivel inicial de la asignatura de español publicados para el ámbito escolar alemán en el primer nivel de la enseñanza secundaria (Sekundarstufe I) tienen en cuenta los principios del enfoque por tareas y, si lo hacen, cómo los aplican. Los principios analizados son los siguientes: 1° El aprendizaje se estructura en torno a tareas y no en torno a unidades lingüísticas (Estaire 2011). ● Las tareas se caracterizan por lo siguiente (Ellis 2003, citado por Conejo s.a.: 2): - “Es un plan de trabajo.” - “Está centrada en el significado”. Esto quiere decir que una actividad en la que el principal objetivo sea manipular estructuras lingüísticas (p.ej. practicar la conjugación de un determinado tiempo verbal) no es una tarea. - “Implica procesos reales de uso de la lengua.” - “Puede requerir el uso de cualquiera de las destrezas lingüísticas, así como de varias a la vez.” - “Pone en marcha procesos cognitivos.” - “Termina con un producto claramente comunicativo.” 111 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="112"?> 9 Véase https: / / www.cornelsen.de/ reihen/ encuentros-metodo-de-espanol-120000150000 / 3-fremdsprache-edicion-3000-120000150007 10 Véase https: / / www.klett.de/ lehrwerk/ vamos-adelante-ausgabe-2-fremdsprache-ab-20 14/ konzeption 11 Véase https: / / www.ccbuchner.de/ reihe-0-0/ arriba-351/ 2° Las unidades didácticas basadas en tareas pueden organizarse (Caspari 2011): ● de forma focalizada, es decir, en torno a una competencia parcial, ● de forma integrada sin un foco central en una competencia parcial. 3° Las fases de trabajo de una unidad didáctica basada en tareas son (Willis 1996: 38): ● pre-tarea (introducción al tema y la tarea) ● tarea (tarea, planificación, informe) ● post-tarea (language focus: análisis y práctica). Para el análisis se han seleccionados tres libros de texto de nivel inicial que presentan tareas en todas sus unidades. Encuentros 1 Edición 3000 (Marín Amann et al. 2010) concluye todas sus unidades didácticas con la actividad “Punto final”, que según el índice y la página web de la editorial Cornelsen está concebida como “Lernaufgabe” (tarea) 9 . ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (Arriagada et al. 2014) presenta “Tareas finales” en cada lección. La página web de la editorial Klett ofrece una explicación relativamente detallada sobre las tareas finales y las minitareas que aparecen en cada lección y afirma que el manual es “100 % aufgabenorientiert” (100 % enfoque por tareas) 10 . Por último ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015), que obtuvo el título de segundo mejor libro del año 2018 en la categoría “Idiomas“, termina cada unidad con “Tu reto”. Sin embargo, la página web de la editorial C.C. Buchner no hace ninguna referencia explícita a las tareas o al enfoque por tareas 11 . Con estos tres libros de texto se ha llevado a cabo un análisis de tipo “au‐ ditoría”, que, según Ezeiza, “persigue, no tanto detallar sus características o estudiar el grado de cumplimiento de una serie de requisitos, sino más bien poner en evidencia el constructo metodológico que subyace a su propuesta” (Ezeiza 2009: 21). En este caso concreto el objetivo final es evidenciar hasta qué punto la tarea es el elemento organizador del aprendizaje (enfoque por tareas, task-based language teaching) o si se trata de un añadido comunicativo (PPP con tareas, task supported language teaching). El análisis se llevó a cabo en las siguientes fases: 112 Virtudes González <?page no="113"?> 12 Para la cuestión de la complejidad y la dificultad de la tarea véase Robinson 2001. 13 En este sentido rellenar un texto con huecos no sería un producto auténtico, puesto que es una actividad que tiene lugar básicamente en el aula de lenguas extranjeras con el fin de ejercitar algún elemento lingüístico y no es una actividad comunicativa que podamos encontrar habitualmente en el llamado “mundo real“, es decir fuera del aula de idiomas. 1 Progresión de las tareas finales Un primer análisis del índice puede ayudar a determinar si la progresión se articula en torno a las tareas en sí y si está centrada en temas y necesidades co‐ municativas (Estaire 2011, Caspari 2011). En el caso de los tres libros analizados (v. tabla 1), podemos ver que las unidades y las tareas presentan una progresión temática. En los tres libros de texto las tareas finales invitan primero al alumnado a hablar de sí mismo, para pasar a hablar del entorno más inmediato (colegio, familia, concertar citas con amigos/ as) y para proponer finalmente tareas más complejas 12 como la organización de una excursión, de un desfile de modas o la presentación de una región. Como se aprecia en la tabla 1 (ver anexo), existe una variedad de productos y se puede considerar que la mayoría de ellos son productos auténticos, es decir que se podrían encontrar también fuera de la clase de idiomas. 13 Sin embargo, tareas como escribir y representar un diálogo tienen un carácter solo pedagógico y no consiguen reflejar las condiciones de comunicación de una tarea real de interacción oral. 2 Análisis de la tarea final de una unidad Para analizar una tarea con más detalle se eligió al azar la unidad 3 de cada libro con el fin de comparar la estructura y no el contenido de las tareas. Se intentó buscar respuesta a las siguientes preguntas: (Ellis 2003, citado por Conejo s.a.) ● ¿Hay una transparencia de objetivos y métodos? ● ¿Es un plan de trabajo con fases diferenciadas y con evaluación? ● ¿Está centrada en el significado? ● ¿Implica procesos reales de uso de la lengua? ● ¿Termina con un producto claramente comunicativo? ● ¿Requiere el uso de destrezas lingüísticas de forma centrada o de forma integrada? (Caspari 2011) Este análisis detallado de las tareas seleccionadas nos ofrece una imagen más diferenciada. Aunque el índice de Encuentros 1 (Marín Amann et al. 2010) indica que el foco central de la unidad 3 es la comprensión auditiva selectiva y la 113 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="114"?> interacción oral, esos dos aspectos no se reflejan realmente en las dos tareas que se proponen, que son escribir un guion para una escena y grabarlo o dibujar un cómic con tres o cuatro escenas (p. 58). El tema de ambas tareas es idéntico: concertar una cita con la pandilla para comprar un regalo para un/ a amigo/ a y entregárselo luego en la fiesta de cumpleaños. Aunque pueda parecer que se están llevando a cabo tareas de interacción oral, en realidad se trata de formatos que generan una oralidad fingida. Tanto al escribir un guion como al dibujar un comic el alumnado se ve en la necesidad de escribir diálogos, pero este proceso de escritura no implica realmente procesos reales de uso de la lengua oral. Asimismo, estas tareas finales no se presentan como un plan de trabajo y, aunque parecen estar centradas en el significado, no se hace hincapié en él, ya que no se propone ninguna actividad con ellas. En este sentido el libro de texto no cumple con todos los principios del enfoque por tareas, ya que las tareas finales analizadas parecen estar más encaminadas a ejercitar elementos lingüísticos que a poner en marcha procesos comunicativos reales. Por el contrario, las tareas finales de ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (Arriagada et al. 2014) (escribir un texto para presentarse y presentar a la clase en una página web o hacer un folleto del colegio para una clase de intercambio, p. 68-69) y ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015) (hacer un folleto del colegio para un/ a compañero/ a nuevo/ a de España, p. 51) sí presentan la tarea como un plan de trabajo, organizado en varios pasos, están centradas en el significado y no en la mera ejercitación de elementos lingüísticos, y promueven procesos reales de uso de la lengua, con lo que se puede afirmar que en estos casos los manuales sí han reflejado en su diseño de materiales los principios del enfoque por tareas. En el caso de ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015) se puede apreciar que el marco de la tarea es algo artificioso porque no parece muy probable que a una persona nueva que llega a clase se le prepare un folleto (probablemente se le haría una visita guiada por el colegio nuevo). Como aspecto positivo se puede destacar que se presenta un modelo de folleto que puede servir como inspiración para la realización de la tarea. 3 Análisis de las actividades previas a la tarea final de una unidad El análisis de las actividades previas a la tarea final puede ayudar a determinar si la concepción del aprendizaje que sustenta el libro de texto es más bien instructivista o constructivista. Para llevar a cabo dicho análisis se intentó buscar respuesta a las siguientes preguntas: ● ¿Existe una congruencia temática o lingüística con la tarea final? 114 Virtudes González <?page no="115"?> 14 Usando la terminología del MCER llamamos aquí actividades de lengua a la compren‐ sión auditiva, comprensión audiovisual, comprensión lectora, expresión oral, interac‐ ción oral, expresión escrita, interacción escrita y mediación. ● ¿El propósito central de la actividad está centrado en la atención a la forma (léxico, morfosintaxis, etc), es decir, es un ejercicio (cf. Bär 2013: 7), o en el desarrollo de actividades de lengua 14 , es decir se trata de una tarea facilitadora? ● ¿Las actividades centradas en la forma tienen un carácter inductivo (acti‐ vidades de autodescubrimiento) o deductivo (ejercitación)? ● ¿Qué tipo de elementos lingüísticos se trabajan: morfológicos, sintácticos, textuales, discursivos, pragmáticos, léxicos, ortográficos, fonológicos y suprasegmentales? ● ¿Hay propuestas de diferenciación? El resultado de este análisis constata la idea de que los tres libros de texto analizados presentan un grado diferente de adaptación del enfoque por tareas en su concepción. En Encuentros 1 (Marín Amann et al. 2010) no hay una página previa donde se presente la tarea y los elementos lingüísticos necesarios para ella. Parece que son los elementos lingüísticos (la hora, los meses, el vocabulario de los lugares del tiempo libre, los verbos con diptongo, los verbos reflexivos, hacer, aceptar y rechazar una propuesta, concertar una cita) los que dan pie a la tarea y no viceversa, lo que hubiera sido acorde con el enfoque por tareas. Por otra parte, no se presentan los elementos pragmáticos necesarios para llevar a cabo la tarea (entregar y recibir un regalo) y sí se presentan elementos lingüísticos (p.ej. los verbos reflexivos), que no son necesarios para la misma. ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (Arriagada et al. 2014) empieza la unidad con una página en la que se presenta la tarea y los elementos lingüísticos necesarios para llevarla a cabo. La lección se articula en torno a pequeñas unidades que presentan y ejercitan distintos elementos lingüísticos necesarios para la tarea. El trabajo con los elementos lingüísticos conlleva una presentación inductiva, ejercicios y también actividades de comunicación. Todos esos elementos están temática y metodológicamente bien ensamblados. Aun así, también se presentan algunos elementos lingüísticos superfluos, como los números hasta 100. Justo antes de la tarea aparece una lista con las funciones lingüísticas necesarias para la misma. ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015) presenta al principio de la lección la situación, lo que se va a aprender y lo que se repasa y propone el reto (tarea final). Justo antes de la tarea final aparecen bajo el título “Los temas de conversación” el vocabulario y la gramática de la lección. Aunque el título de 115 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="116"?> esta sección puede ser confuso, dado que en esta unidad se trata de una tarea escrita, tiene la función de recordar todos los elementos aprendidos y que pueden utilizarse en la tarea final. Todas las actividades tienen congruencia temática con la tarea final pero no todos los elementos lingüísticos presentados se necesitan o se pueden usar en ella, p.ej. las frases del aula o las instrucciones de los profes. 4 Análisis de las actividades posteriores a la tarea final de una unidad En cuanto a la fase post-tarea, no aparece reflejada en ninguno de los libros de texto analizados. En Encuentros 1 (Marín Amann et al. 2010) no hay ninguna propuesta para hacer algo con los productos finales, ni con carácter comuni‐ cativo ni en una fase de atención a la forma (focus-on-form). Después de la unidad hay unos resúmenes de tipo funcional, un test gramatical, otro funcional, un repaso repaso (facultativo) y la sección “Anímate”, también facultativa, con canciones, fotos y textos sobre tradiciones en torno a los cumpleaños. Tampoco hay propuestas para la fase post-tarea en ¡Vamos! ¡Adelante! 1. Des‐ pués de la unidad hay una sección de referencia llamada “Palabras y gramática”, que presenta una red de vocabulario del colegio, una lista de palabras para ampliar el vocabulario y la gramática de la lección. Sin embargo, la indicación previa a la tarea de que existe en internet una lista de comprobación para la misma supone que se tiene en cuenta una fase de autocorrección. Además, la última fase de la tarea propone una actividad con los productos finales: comparar el propio producto final con el de otra persona de la clase y dar un feedback sobre él. ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015) tampoco tiene una fase post-tarea. Aunque el último paso de la tarea es comprobar la tarea antes de terminarla, no hay después ninguna propuesta de actividad con los productos finales. Al final de la tarea se hace referencia a un autocontrol (ficha de autoevaluación) disponible en internet sobre los contenidos de la unidad, algunos de los cuales no se corresponden con los necesarios para hacer el reto. Resultados Para hacer un balance completo sobre cada libro de texto habría que analizar todas las unidades del mismo y además tener en cuenta los otros elementos del método, especialmente los cuadernos de ejercicios y las guías didácticas. Sin embargo, ya con el presente análisis se puede apreciar una diferencia en la forma de concebir las tareas en cada uno de los libros de texto. Encuentros 1 (Marín 116 Virtudes González <?page no="117"?> Amann et al. 2010) cumple algunas de las recomendaciones de Caspari (2011), como la presencia de algunas actividades comunicativas y de estrategias de aprendizaje y propuestas de diferenciación. Sin embargo, la tarea está concebida para la práctica de elementos lingüísticos y resulta altamente artificiosa. Tiene una función de mero complemento comunicativo dentro de una lección conven‐ cional y no está desarrollada como un plan de trabajo. En general se observa que no se ve el aula como un espacio real de comunicación (p.ej. la situación de la tarea final es ficticia y no incluye al alumnado en sus gustos, intereses, etc.) y hay muy pocas actividades que se puedan considerar realmente comunicativas. Por otra parte, el foco metodológico que indica el índice para la lección no se corresponde con las actividades comunicativas necesarias para desarrollar las tareas finales. En resumen, este libro de texto parece organizar sus unidades en torno a elementos lingüísticos, mientras que las tareas tienen una función complementaria, están poco elaboradas y no están preparadas adecuadamente en la fase pre-tarea. En el caso de ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (Arriagada et al. 2014) las tareas finales analizadas son el elemento central de la lección y parecen estructurar la progre‐ sión del libro de forma temática. Se presentan de forma transparente al principio de la unidad, que contiene tanto ejercicios como actividades comunicativas, también con vacío de información (p.ej. completar un horario en parejas, cuyos miembros tienen diferentes versiones incompletas del mismo, p. 64). Aunque se presentan algunos elementos lingüísticos que no serán necesarios para llevar a cabo la tarea, sí se percibe una congruencia temática. Entre las actividades de atención a la forma destacan las de tipo inductivo, lo que hace poco necesaria una instrucción directa. Las tareas finales son similares a las del mundo real y exigen el desarrollo de la creatividad del alumnado. Aunque las tareas finales propuestas están centradas en la expresión escrita, esta no se practica de forma sistemática a lo largo de la lección. Sin embargo, sí están estructuradas como un plan de trabajo, que consta de tres fases e incluyen un feedback entre iguales (peers). Como crítica tenemos que indicar que la conceptualización de algunos elementos lingüísticos se podría considerar incompleta o incluso incorrecta. Por ejemplo, las posibilidades de respuesta a la pregunta “¿Te gusta la informática? ” se limitan a dos: ”Sí, me gusta./ No, no me gusta.” (p. 63). Sin embargo completar las posibilidades de respuesta con “¿Y a ti? A mí también./ A mí no./ A mí sí./ A mí tampoco.” sería muy útil para lograr una verdadera interacción. Por otra parte el intercambio “¿Es su goma? No, es nuestra goma” (p. 67) para introducir los posesivos no reproduce el uso real de estos, puesto que en la respuesta, en lugar de un adjetivo, normalmente se usa un pronombre: “No, es la nuestra“. Estos problemas en la conceptualización lingüística tienen un efecto en la interacción: 117 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="118"?> en el primer caso la limitan, en el segundo la hacen artificiosa. También en los textos vemos algún defecto de conceptualización en el caso de dos chats (p. 65) que en realidad son monólogos, lo que es muy poco realista en este tipo de texto, que es un género textual típico de la interacción escrita. El manual más joven de los analizados, ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015), también presenta la tarea como un plan de trabajo estructurado en pasos, y con un producto final claro y realista. Además, las tareas del libro presentan una progresión de forma temática enmarcada en las lecciones que tienen un hilo conductor verosímil: la historia de una familia hispanoalemana de Düsseldorf que va a vivir a Sevilla. Sin embargo, a lo largo de la unidad analizada se presentan recursos lingüísticos que no son necesarios para la realización de la tarea, como las instrucciones del profesorado y las frases de la clase. Este fenómeno se refleja también en el autocontrol, una ficha de autoevaluación que se ofrece al final de la unidad y parece indicar que la tarea se concibe más como un complemento comunicativo que como el elemento estructurador de la lección. Por otra parte, sí se anuncia la tarea al principio del capítulo y se indican los elementos lingüísticos que se introducen en la lección, aunque sin hacer referencia en si se van a necesitar o no para la realización del reto final. En el caso analizado la tarea está centrada en la expresión escrita, aunque esta competencia parcial no se desarrolla sistemáticamente a lo largo de la unidad. También en este libro hay poca necesidad de una instrucción directa, ya que abundan las actividades de corte inductivo. Las ofertas de diferenciación se encuentran en ejercicios y en tareas facilitadoras. Aunque solo se propone una tarea final, mientras que en los otros libros de texto se ofrecen dos a elegir, sí existe diferenciación en forma de ayuda a la hora de generar ideas. También en este libro de texto encontramos ocasionalmente que el lenguaje presentado conlleva un análisis del lenguaje algo deficiente (p.ej. presentar las instrucciones con el imperativo y enmarcadas con signos de admiración, cf. Barquero 2020: 361). Por otra parte, las actividades de interacción oral se limitan a escribir diálogos, lo que no refleja de forma óptima los procesos reales de comunicación de la interacción oral. Conclusiones En general podríamos confirmar en parte la tesis de Tomlinson (v. a.) de que efectivamente el PPP está muy extendido en los libros de texto. Tanto Encuentros 1 (Marín Amann et al. 2010) como ¡Arriba! 1 (Hohmann & Wolf-Zappek 2015) parecen presentan tareas como complemento comunicativo a unas lecciones organizadas por el sistema PPP. Sin embargo, la importancia de la tarea como 118 Virtudes González <?page no="119"?> 15 En original: Inhaltsorientierung, Lernerorientierung, Ganzheitlichkeit, Authentizität, Pro‐ duktorientierung, Relevanz, Differenzierung/ Individualisierung, Transparenz. actividad comunicativa dentro de las unidades didácticas analizadas es evidente y podríamos afirmar que se trata de un PPP modificado o enriquecido con tareas (enfoque con tareas, task-supported language teaching). Por otra parte, en ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (Arriagada et al. 2014) son las tareas las que determinan la concep‐ ción de la unidad analizada (enfoque por tareas, task-based language teaching), que está ya lejos del esquema básico del PPP al entrelazar la presentación del material lingüístico con la práctica y la producción de una forma mucho más sistemática. En todos los materiales analizados se percibe el esfuerzo por editoriales y equipos de autoría por incluir principios didácticos actuales, no solo el uso de tareas, sino también la orientación a los contenidos, la enseñanza centrada en el alumnado, la enseñanza holística, la autenticidad, la orientación a un producto final, la relevancia de las tareas, la individualización y la transparencia 15 (Caspari 2011: 333-334). Parece existir una adaptación de principios innovadores a la realidad del aula con el fin de dotar al alumnado de un papel más activo, especialmente en los dos manuales más recientes, en el que este tiene que descubrir nuevas formas lingüísticas y puede usar de forma real y auténtica la lengua meta. Sin embargo, existen aspectos mejorables y sería deseable el uso de un análisis más riguroso del lenguaje presentado, quizá teniendo en cuenta corpus y gramáticas comunicativas e incluyendo aspectos pragmáticos de la comunicación. También sería importante presentar muestras de lengua y actividades en las que la interacción oral y escrita sean más realistas. Podríamos pues determinar que los tres manuales analizados no se han desarrollado ni a través de procedimientos puramente basados en la experiencia y la intuición (erfahrungsorientiert-intuitives Verfahren), que según Funk es un tipo de procedimiento que lleva a perpetuar la tradición de la práctica docente, ni que parten puramente de la teoría (praxisbezogene reflektierte Theorie), lo que hubiera llevado a desarrollar una implementación de la “macroteoría” . En los casos de los manuales analizados estaríamos ante el desarrollo de innovaciones parciales apoyadas teóricamente, es decir, de una práctica que reflexiona teniendo en cuenta la teoría (theoretisch-reflektierte Praxis) (Funk 2006: 56), lo que demuestra que, al menos en el primer nivel de materialización de los libros de texto (Nieweler 2000: 14-15), el enfoque por tareas sí se está implementando en cierta medida en la asignatura de español en el contexto escolar alemán. Dadas las limitaciones de rango del presente estudio, sería deseable que pudiéramos contar con otros estudios más amplios sobre el mismo 119 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="120"?> tema y que analizaran también la posición del profesorado y del alumnado respecto a las tareas de los libros de texto en concreto y respecto al enfoque por tareas en general. En cualquier caso, tener en cuenta el libro de texto y analizar los principios en los que se basa es de vital importancia, ya que evidenciar los principios pedagógicos que lo rigen puede ayudar al profesorado a tomar decisiones informadas a la hora de elegir el método con el que quiera trabajar y contribuye a articular el trabajo con el mismo más allá de las declaraciones del departamento de marketing de las editoriales. Anexo Encuentros 1 ¡Vamos! ¡Adelante! 1 ¡Arriba! 1 • Representar un diálogo: el primer día del cole. • Hacer una encuesta (fa‐ milia, amigos, habita‐ ción). • Diseñar un cómic: buscar juntos un regalo. • Presentar el colegio/ la clase en un blog. • Preparar una página para una revista juvenil. • Hacer un álbum de recu‐ erdos. • Presentar una región es‐ pañola. • Hacer un collage sobre los lugares favoritos. • Os presentáis con un collage o rap. • Presentáis vuestro barrio o vuestro lugar favorito. • Presentáis vuestra es‐ cuela en un folleto. • Quedáis con amigos para el fin de semana. • Organizáis juntos una fiesta. • Organizáis un desfile de moda o diseñáis el uni‐ forme del colegio. • Te presentas en una fi‐ esta a los otros invitados y tienes una conversa‐ ción con ellos. • Presentas tu colegio en un folleto. • Presentas tu familia y tu casa o tu animal favo‐ rito, p. ej. con un póster o un vídeo. • Quedas al teléfono con amigos para ir al cine. • Explicas dónde vives en un artículo de una re‐ vista juvenil. • Presentas tu rutina ma‐ tinal p. ej. en un vídeo o en un póster. • Organizas una visita guiada por tu ciudad para tus compañeros de intercambio y grabas tus propuestas en un audio. • Planeas una excursión de fin de semana a una ciudad española para tu clase de español y pre‐ sentas tu propuesta a la clase. Tabla 1: Tareas finales 120 Virtudes González <?page no="121"?> Lista de referencias Bibliografia primaria Arriagada, Melanie & Campagna, Lourdes & Cid Sánchez, Celia (2014): ¡Vamos! ¡Adelante! 1, Stuttgart: Klett Verlag. Barquero, Antonio & Collado, Cristina & Corpas, Jaime & Dienhoff, Olivier & Domín‐ guez, Yolanda & Kuhlmann, Erika & Navarro, Javier & Reiter (2010): Adelante. Stuttgart: Klett Verlag. Hohmann, Melanie & Wolf-Zappek, Sabine (2015): ¡Arriba! 1 Nuevos enfoques para ti. Bamberg: C.C. Buchner Verlag. Amann Marín, Sara & Schleyer, Jochen & Vicente Álvarez, Araceli & Wlasak-Feik, Christine (2010): Encuentros 1. Edición 3000. Berlin: Cornelsen Verlag. Bibliografia secundaria Alonso, Encina & Martínez Salles & Matilde; Sans, Neus (2005): Gente Joven. Barcelona: Editorial Difusión. Bär, Marcus (ed.) (2013): Kompetenz- und Aufgabenorientierung im Spanischunterricht. Beispiele für komplexe Lernaufgaben. Berlin: Edición Tranvía, Verlag Walter Frey. Barquero, Antonio (2020): Lengua, cultura, interculturalidad. El tratamiento de la compe‐ tencia pragmática como parte de la competencia comunicativa en los libros de texto de ELE en el ámbito escolar alemán. Potsdam: Universitätsverlag. Caspari, Daniela (2011): “Lernaufgaben und Lehrwerke - ein Widerspruch? Beobach‐ tungen aus Sicht des Französischunterrichts”. En: Reinfried, Marcus & Rück, Nicola (edd.): Innovative Entwicklungen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Tü‐ bingen: Narr, 331-344. Caspari, Daniela (2019): “Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht - unterschiedliche Konzepte im Vergleich”. En: Ruisz, Dorottya & Rauschert, Petra & Thaler, Engelbert (edd.): Living Language Teaching. Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdspra‐ chenunterricht. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag (Studies in English language teaching), 213-232. Conejo López-Largo, Emilia: ¡Manos a la tarea! Editorial Difusión. https: / / biblioteca.marco.edu.mx/ files/ Educacion%20Basada%20en%20Competencias/ 8-Formaci%C3%B3n%20por%20Competencias/ Manos%20a%20la%20tarea.pdf [ext‐ raído el 30/ 04/ 2020]. Consejo de Europa (2002): Marco común europeo de referencia para las lenguas: aprendi‐ zaje, enseñanza, evaluación. Consejo de Europa. https: / / cvc.cervantes.es/ ensenanza/ bi blioteca_ele/ marco/ [extraído el 04/ 10/ 2020]. East, Martin (2012): Task-Based Language Teaching from the Teachers' Perspective. Insights from New Zealand. Amsterdam: John Benjamins Pub. Co. 121 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="122"?> Estaire, Sheila (2011): “Principios básicos y aplicación del aprendizaje mediante tareas”. En: marcoELE - Revista de didáctica del español como lengua extranjera (12), 1-26. Ezeiza Ramos, Joseba (2009): “Analizar y comprender los materiales de enseñanza en perspectiva profesional: algunas claves para la formación del profesorado”. En: suplementos marcoEle (9), 1-58. Fäcke, Christiane (2016): “Lehrwerkforschung - Lehrwerkgestaltung - Lehrwerkrezep‐ tion. Überlegungen zur Relevanz von Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht”. En: Michaela Rückl (ed.): Sprachen & Kulturen vermitteln und vernetzen. Münster, New York: Waxmann, 34-48. Fäcke, Christiane & Mehlmauer-Larcher, Barbara (2017): “Forschungsdiskurse zur Ana‐ lyse und Rezeption fremdsprachlicher Lehrmaterialien. Eine Einleitung”. En: Fäcke, Christiane & Mehlmauer-Larcher, Barbara (edd.): Fremdsprachliche Lehrmaterialien. Forschung, Analyse und Rezeption. Frankfurt am Main: Peter Lang, 7-18. Funk, Hermann (2006): “Aufgabenorientierung in Lehrwerk und Unterricht. Das Problem der Theorie mit der Vielfalt der Praxis”. En: Bausch, Karl-Richard & Burwitz-Melzer, Eva & Königs, Frank & Krumm, Hans-Jürgen (edd.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunter‐ richts. Tübingen: Narr, 52-61. Hinger, Barbara & Mathies, Victoria (2019): “Evaluating Task-Based Materials: A Com‐ parison of two Spanish Textbooks (Gente Joven, 2016, and ¡Adelante! , 2011)”. Póster presentado en el congreso internacional Task-Based Language Teaching celebrado en la Carlton University de Ottawa. Long, Michael H. (2015): Second Language Acquisition and Task-Based Language Teaching. First Edition. Malden, MA: Wiley-Blackwell. Markee, Numa. (1993): “The Diffusion of Innovation in Language Teaching”. En: Annual Review of Applied Linguistics (13), 229-243. Martín Peris, Ernesto (1999): “Libros de texto y tareas”. En: Zanón, Javier (ed.): La enseñanza de español mediante tareas. Madrid: Edinumen, 25-52. Martín Peris, Ernesto & Sans Baulenas, Neus (1998): Gente. Barcelona: Editorial Difusión. Martinez, Hélène (2011): “Kompetenzorientierung und Lehrwerke für Französisch und Spanisch: Zwischen Tradition und Innovation”. En: FLuL 40 (2), 83-105. Ministerio de Educación de Baja Sajonia (2017): Kerncurriculum für das Gymna‐ sium Schuljahrgänge 6 - 10. Spanisch. Niedersächsisches Kultusministerium. Han‐ nover. https: / / db2.nibis.de/ 1db/ cuvo/ datei/ sn_gym_si_kc_druck_2017.pdf [Extraído el 30/ 04/ 2020]. Müller-Hartmann, Andreas & Schocker-von Ditfurth, Marita (2011): Task-Supported Language Learning. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh. 122 Virtudes González <?page no="123"?> Nieweler, Andreas (2000): “Sprachenlernen mit dem Lehrwerk. Thesen zur Lerhbuch‐ arbeit im Fremdsprachenunterricht”. En: Fery, Renate & Raddatz, Volker (edd.): Lehrwerke und ihre Alternative. Frankfurt am Main: Peter Lang, 13-19. Tomlinson, Brian (2012). Materials development for language learning and teaching. En: Language Teaching (45/ 2), 143-170 Raith, Thomas (2013): “Trotz Schulbuch kompetenzförderlich unterrichten? Aufgaben aus dem Lehrwerk reflektieren und erfolgreich einsetzen”. En: Unterrichtspraxis (4), 9-12. Robinson, Peter (2001): “Task Complexity, Cognitive Resources, and Syllabus Design. A Triadic Framework for Examining Task Influences on SLA”. En: Peter Robinson (ed.): Cognition and Second Language Instruction. Cambridge: CUP, 287-318. Van den Branden, Kris & Bygate, Martin & Norris, John (2009): Task-Based Language Teaching. A Reader. Amsterdam: John Benjamins. Willis, Jane R. (1996): A Framework for Task-Based Learning. Harlow, Essex: Longman (Longman handbooks for language teachers). Internet https: / / www.ccbuchner.de/ reihe-0-0/ arriba-351/ [extraído el 30/ 04/ 2020] https: / / www.cornelsen.de/ reihen/ encuentros-metodo-de-espanol-120000150000/ 3-frem dsprache-edicion-3000-120000150007 [extraído el 30/ 04/ 2020] https: / / www.klett.de/ lehrwerk/ vamos-adelante-ausgabe-2-fremdsprache-ab-2014/ konz eption [extraído el 30/ 04/ 2020] 123 El enfoque por tareas en los libros de texto alemanes para la clase de español <?page no="125"?> Lehrwerke für romanische Sprachen als Innovationsträger im Kontext curricular geförderter Mehrsprachigkeit? Evidenzbasierte Überlegungen am Beispiel der österreichischen Sekundarstufe Michaela Rückl Werden bildungspolitische Vorgaben und spracherwerbstheoretische Er‐ kenntnisse ernst genommen, so muss die neue Lehrwerkgeneration He‐ terogenität als Potenzial begreifen und durch lernerorientierte Ansätze einen Bezug zur Lebenswelt der Schüler: innen schaffen, um ihre indi‐ viduellen Lernausgangslagen sowohl in sprachlich-kultureller als auch in leistungsbedingter Hinsicht zu valorisieren. Plurale Ansätze, die auf die Umsetzung dieser Anforderungen zielen, stehen jedoch nach wie vor im Spannungsfeld mit sprachspezifischen, nach Sprachniveaus struk‐ turierten Lehrplänen. Dies kann didaktischen Innovationen über eine entsprechende Lehrwerkgestaltung entgegenwirken. Dazu kommt, dass Lehrpersonen aufgrund ihrer Vorbildung (noch) nicht ausreichend mit dem inferentiellen Lernverständnis vertraut sind, das diesen Ansätzen zugrunde liegt. Ob und wie sich plurale Ansätze in Lehrwerken auf Lehren und Lernen auswirken, hängt damit auch von den Lehrpersonen ab, die angehalten sind, ihren Unterricht neu auszurichten. Im Beitrag werden auf der Grundlage empirischer Daten aus einem unterrichtsbezogenen Lehr‐ werkforschungsprojekt Fragen zu einer möglichen Innovationsfunktion von Lehrwerken für romanische Fremdsprachen im Kontext curricular geförderter Mehrsprachigkeit erörtert, die aktuelle Lehrpläne und Begu‐ tachtungsrichtlinien ebenso betreffen wie Lehrwerkkonzeptionen und flankierende Implementierungsmaßnahmen. <?page no="126"?> 1 Einführung Kommunikativer Fremdsprachenunterricht ist aufgrund seines ursprünglichen Entstehungskontextes nicht auf Mehrsprachigkeit, sondern auf zielsprachige Kommunikation ausgelegt (Byram & Méndez García 2009). Das Verständnis von kommunikativer Kompetenz als Sprachhandeln in einer vielsprachigen und globalisierten Welt schafft jedoch eine Verbindung zur Mehrsprachigkeit: Lernenden wird hier eine emanzipierte Teilhabe an sozialen Handlungsräumen zugestanden, die über die „Einsozialisierung in eine (fremde) Sprachbzw. Spre‐ chergemeinschaft“ hinausgeht (Breidbach 2019: 169). Mit dieser veränderten Sicht auf Lernende, die mit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR, Europarat 2001) eingeleitet wurde, ist Mehrsprachigkeit in der Zwischenzeit nicht nur demographische Rahmenbedingung, sondern allgemein akzeptiertes Ziel des Fremdsprachenunterrichts, der sich nicht mehr an „multiple monolingualisms“ orientieren kann (Kramsch 2018: 22). Mehrsprachigkeitsdidaktische Verfahren, die auf Valorisierung heterogener Ressourcen abheben, entsprechen dieser Sichtweise und sollten im aktuell vorherrschenden neo-kommunikativen Unterricht keine grundsätzliche Neu‐ orientierung erfordern (Reimann 2018), sondern als Möglichkeit begriffen werden, Kompetenz-, Lerner- und Handlungsorientierung zu erweitern und zu schärfen. Diese Ausrichtung muss sich auch in den Spracherwerbskonzepten der neuen Lehrwerkgeneration niederschlagen: Durch Orientierung an den Lernerressourcen können lebensweltliche Bezüge geschaffen werden, um indi‐ viduelle Dispositionen der Schüler: innen sowohl in sprachlich-kultureller als auch in leistungsbedingter Hinsicht zu valorisieren. Plurale Ansätze, die auf die Umsetzung dieser Anforderungen zielen (Candelier 2018), stehen jedoch nach wie vor im Spannungsfeld mit sprachspezifischen, nach Sprachniveaus struk‐ turierten Lehrplänen. Dies kann didaktischen Innovationen über eine entspre‐ chende Lehrwerkgestaltung entgegenwirken. Dazu kommt, dass Lehrpersonen aufgrund ihrer Vorbildung (noch) nicht ausreichend mit dem inferentiellen Lernverständnis vertraut sind, das diesen Ansätzen zugrundeliegt (Meißner & Senger 2001: 22). Ob und wie sich plurale Ansätze in Lehrwerken auf Lehren und Lernen auswirken, hängt damit auch von den Lehrpersonen ab. Im Beitrag werden auf der Grundlage einer Analyse aktueller Lehrpläne und Lehrwerke für die österreichische Sekundarstufe folgende Fragen zu einer mög‐ lichen Innovationsfunktion von Lehrwerken für romanische Fremdsprachen im Kontext von Heterogenität erörtert: 126 Michaela Rückl <?page no="127"?> 1 Für eine Detailanalyse vgl. Rückl (2018). 1. (Inwiefern) begünstigen aktuelle Lehrpläne eine plurale Ausrichtung von Lehrwerken? (Abschnitt 2) 2. (Wie) können Hinweise auf plurale Ansätze in Lehrplänen operationalisiert und systematisch in die Lehrwerkkonzeption integriert werden, um hete‐ rogene Lernausgangslagen von Schüler: innen zu valorisieren? (Abschnitt 3) 3. Welche Begleitmaßnahmen sind in der Lehrer: innenbildung notwendig, um plurale Ansätze im Unterricht zu implementieren? (Abschnitt 4) 4. Welchen Beitrag kann eine unterrichtsbezogene Lehrwerkforschung 5. leisten, um die Wirkung von Lehrwerken fassbar zu machen? (Abschnitt 5) 2 Plurale Ansätze in aktuellen Lehrplänen - eine Bestandsaufnahme am Beispiel der österreichischen Sekundarstufe Entsprechend der Vorgaben des GeR, „mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz“ auszubilden (Europarat 2001: 163), hebt der neo-kommunikative Fremdsprachenunterricht darauf ab, Lernende in ihrer diesbezüglichen Eigen‐ heit anzunehmen und sie auf ein Agieren in einer sprachlich und kulturell vielfältigen Welt vorzubereiten, was bedeutet, ihre „Spracherfahrung“ in für sie relevanten kulturellen Kontexten zu erweitern (ibid.: 17). Diese Vorgabe impliziert die Ausbildung mehrsprachiger und mehrkultureller Kompetenz und wird durch die Ergänzung entsprechender Deskriptoren im aktuellen Compa‐ nion Volume (Council of Europe 2018) mit Bezug auf den Referenzrahmen für Plurale Ansätze (REPA) (Candelier, Camilleri-Grima, Castellotti, Pietro, Lörincz, Meißner, Schröder-Sura & Noguerol 2009) gestärkt und präzisiert. Sie findet sich auch in den aktuellen Lehrplänen der österreichischen Sekundarstufe wieder, allerdings hauptsächlich in den Präambeln und - wie die nachstehende Zusammenschau zeigt - mit deutlich unterschiedlicher Intensität. 1 Österreichische Schüler: innen der Sekundarstufe, die ihre Schullaufbahn mit einer (Diplomund) Reifeprüfung abschließen möchten, besuchen entweder eine Allgemeinbildende Höhere Schule (AHS) oder eine Berufsbildende Höhere Schule (BHS). Romanische Sprachen werden in beiden Schulformen als zweite Fremdsprachen (2. FS) im Pflichtfachbereich unterrichtet, als dritte Fremdspra‐ chen (3. FS) im Wahlpflicht- oder Freifachbereich, wobei der Unterrichtsbeginn nach Jahrgängen gestaffelt ist. 127 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="128"?> 2.1 Allgemeinbildende Höhere Schulen (AHS) Als Voraussetzung für ein weiterführendes Studium fördert die achtstufige österreichische AHS eine fundierte Allgemeinbildung (Stadtschulrat Wien 2017), wobei ab der Unterstufe eine Schwerpunktsetzung im Rahmen der Grundformen ‚Gymnasium‘, ‚Realgymnasium‘ und ‚Wirtschaftskundliches Re‐ algymnasium‘ gegeben ist. Ab der 5. Schulstufe können Schüler: innen in ein Oberstufenrealgymnasium oder Schulformen mit Sonderbestimmungen einsteigen. Im aktuellen, im Schuljahr 2017/ 18 in Kraft getretenen Lehrplan ist vorgesehen, sprachliche Schwerpunktsetzungen durch schulautonome Wahl‐ pflichtfachangebote zu stärken, die gleichzeitig standortspezifischen Vorausset‐ zungen und Bedarfen Rechnung tragen (Bundesministerium für Bildung 2017b: 300-302). Dementsprechend werden Tschechisch, Slowenisch, Bosnisch/ Kroa‐ tisch/ Serbisch, Ungarisch, Slowakisch und Polnisch explizit als mögliche 1. oder 2. Fremdsprachen im Pflichtfachbereich angeführt (ibid.: 20, 123, 217, 243), was in der Realität aber höchst selten umgesetzt wird. Die Stundentafeln sehen Englisch weiterhin als 1. Fremdsprache in allen Lernjahren mit Zielniveau B2 vor. Als 2. Fremdsprachen, die entweder in Schulstufe 7 (6-jährig) oder 9 (4-jährig) einsetzen, stehen Französisch, Italienisch und Spanisch zur Wahl, an einigen Schulen auch Russisch. Herkunftssprachenunterricht wird unter der Bezeichnung ‚Muttersprachlicher Unterricht‘ als Freifach oder unverbindliche Übung angeboten (ibid.: 244), was dem Ziel, ein solides muttersprachliches Fundament für (Fremd-)Sprachenlernen zu schaffen (Hufeisen 2011: 271), nur ansatzweise genügt. In den Beschreibungen der einzelnen Sprachenfächer sind mehrsprachig‐ keitsfördernde Elemente durchaus erkennbar. So sollen im Deutschunterricht Sprachvarietäten und der Umgang mit innerer und äußerer Mehrsprachigkeit sowie schülerseitige Bedarfe in Bezug auf Deutsch als Zweit- (Dritt- oder Viert-)Sprache thematisiert werden (Bundesministerium für Bildung 2017b: 46, 115, 119). Im Lateinunterricht sind Sprachreflexion und kontrastiver Sprachver‐ gleich zu fördern, um das allgemeine Sprachverständnis und die individuelle Sprachkompetenz in der Muttersprache zu stärken sowie ein Basiswissen zur Struktur der modernen europäischen Sprachen zu schaffen (ibid.: 59 f., 139, 141). Im Fremdsprachenunterricht schließlich wird die Bedeutung von Lern- und Lesestrategien mit Bezug auf lebensbegleitendes autonomes Sprachenlernen und handlungsorientierte Fremdsprachenkompetenz stärker hervorgehoben (ibid.: 53). Zudem wird explizit festgehalten, dass der Tertiärspracheneffekt genützt und durch reflektierenden Sprachvergleich allgemeine Sprachlernkom‐ petenz ausgebildet werden sollen. Übergeordnetes Lernziel bleibt die Förderung kommunikativer Kompetenz, wobei auch Sprachmittlung zu trainieren ist (ibid.: 128 Michaela Rückl <?page no="129"?> 123-127) und rezeptives Sprachvermögen das produktive übersteigen (ibid.: 54- 56) soll. Insgesamt zeigt sich, dass die Lehrinhalte der semestrierten fachspezifi‐ schen Module weiterhin fertigkeitsorientiert angelegt sind (ibid.: 56, 127). Weder das in der Präambel verortete Unterrichtsprinzip ‚Interkulturelles Lernen‘ noch die in den allgemein didaktischen Grundsätzen explizit urgierte Förderung von „Ausdrucks-, Denk-, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit“ in allen Fächern, die Vermittlung von Lerntechniken, u. a. durch „Anknüpfen an die Vorkenntnisse und Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler“ (ibid.: 8, 10 f.) oder die Aufforderung, Mehrsprachigkeit und Interkulturalität als schülersei‐ tiges Potential in fächerübergreifende Projektarbeit einfließen zu lassen (ibid.: 13, 17, 20) werden konkretisiert. Entsprechende Deskriptoren oder Bezüge zum REPA fehlen und damit auch die Vorgabe einer adäquaten Progression. 2.2 Berufsbildende Höhere Schulen (BHS) Auch die fünfjährigen Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) führen zur Diplom- und Reifeprüfung. Sie bieten dasselbe Fremdsprachenspektrum wie die AHS, wobei an den beiden nachfolgend beschriebenen Schulformen die 2. FS ab Schulstufe 9 einsetzt, die 3. FS bei 2bis 3-jähriger Dauer ab Schulstufe 10 oder 11, hauptsächlich im Freifachbereich, seltener als Wahlpflichtfach. Der Fokus der Handelsakademie (HAK) liegt auf allgemeiner in Ver‐ bindung mit kaufmännischer Bildung, was einen unmittelbaren Einstieg in Wirtschafts- und Verwaltungsberufe ermöglicht, der durch die Arbeit in einer Übungsfirma und ein 300-stündiges Pflichtpraktikum vorbereitet wird (Hak: cc 2014: 4 f.; Bundesministerium für Bildung 2017a). Die Vernetzung von Sach- und Sprachfächern sowie von Sprachwissen und Sprachanwendung hat ebenfalls Praxisbezug und wird hauptsächlich durch das Fach ‚Business Behaviour‘ und Content and Language Integrated Learning (CLIL), als mehrsprachigkeitsför‐ derndes Verfahren, vorangetrieben (Hak: cc 2014: 1, 4, 5, 13 f.). Dieser prinzipiell positive Ansatz perpetuiert bei genauerer Analyse die für viele gängige Lehrpläne typische „Gefahr der lediglich additiven jeweiligen Zweisprachigkeit(en)“ (Hufeisen 2011: 271). So sollen Schüler: innen Sprachen zwar als Bereicherung und Kommunikationsmittel in einer globalisierten Welt und plurikulturellen Gesellschaft erkennen, der Fokus liegt aber auf der „Not‐ wendigkeit von Mehrsprachigkeit für die berufliche Entwicklung“ (Hak: cc 2014: 15). Dabei soll vorhandene Mehrsprachigkeit genutzt werden, um sich in „un‐ terschiedlichen Situationen des Berufslebens im In- und Ausland angemessen“ zu verhalten (ibid.: 2). Sprachenübergreifende oder sprachenvergleichende Aktivitäten werden nicht angeregt, auch der zeitliche Rahmen für Sprachenfä‐ cher ist mit 2-3 Wochenstunden pro Jahrgang sehr eng. Dem entsprechend 129 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="130"?> finden sich nur implizite Anregungen zur Sprachenvernetzung. In ‚Englisch einschließlich Wirtschaftssprache‘ (1. FS, Zielniveau B2) sollen Schüler: innen „Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu anderen Sprachen“ erkennen und Spracherwerbsstrategien anwenden, um „sich klar auszudrücken und auch als Sprachmittlerin und Sprachmittler zu agieren“ (ibid.: 15). Lernstrategien werden in die unverbindliche Übung ’Kompetenzorientiertes, eigenverantwortliches Lernen‘ ausgelagert, was ihre Rolle schwächt. Für die ‚Lebende Fremdsprache‘ (2. FS, Zielniveau B1) stehen maximal 12 Wochenstunden, aufgeteilt auf 5 Jahrgänge, zur Verfügung. 3. Fremdsprachen sind als schulautonome Freige‐ genstände belegbar (ibid.: 9, 153). Die Modulbeschreibungen rekurrieren auf situationsadäquate Kommunikation (ibid.: 2), wobei eine möglichst hohe Kor‐ rektheit in den jeweiligen Einzelsprachen anzustreben ist. Auch der Deutschun‐ terricht ist - ohne erkennbare Anbindung an Herkunfts- oder Fremdsprachen - fertigkeitsorientiert anzulegen. Vermittelt werden sollen „profunde Kenntnisse in den Fertigkeiten Lesen, Sprechen, Zuhören und Schreiben“ (ibid.: 2, 18). Sprach-, Sprech- und Schreibrichtigkeit können in der unverbindlichen Übung ‚Unterstützendes Sprachtraining Deutsch‘ gefördert werden (ibid.: 154). Auch die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW), die durch eine „ganzheitliche Ausbildung“ (Bundesministerium für Bildung 2015: 2) über die Studienreife hinaus zur Ausübung von Berufen in den Bereichen ‚Wirtschaft‘, ‚Verwaltung‘, ‚Tourismus‘ und ‚Ernährung‘ befähigt, sieht ein 12-wöchiges Pflichtpraktikum und CLIL als sprachen- und fächervernetzendes Verfahren vor (ibid.: 105). Dies zeigt sich auch auf organisatorischer Ebene, die auf eine flexible Koppelung inhaltlich verbundener Fächer zielt, wodurch Kompetenzerwerb „über die Schulstufen und Semester systematisch, vernet‐ zend und nachhaltig“ erfolgen soll (ibid.: 11). Dabei ist der Unterricht in sprachheterogenen Klassen als Chance zu sehen, Schüler: innen auf die Teilhabe an einer mehrkulturellen Gesellschaft vorzubereiten (ibid.: 12). Das Stundenausmaß für Sprachenfächer ist etwas höher: 15 Stunden Eng‐ lischunterricht und je 13 Stunden Unterricht in Deutsch und der 2. Fremdsprache verteilen sich auf 5 Jahre. Im letzten Jahrgang kommt eine Stunde dazu, in der die 1. und 2. FS mit dem Ziel der mehrsprachigen Kompetenzerweiterung und der intensiven Förderung von Sprachmittlung von den jeweiligen Fachlehrkräften gemeinsam unterrichtet werden. Der Erwerb einer 3. FS oder die Vertiefung der 1. oder 2. FS sind auch an der HLW nur als Freifach oder unverbindliche Übung möglich. Spezielle sprachliche Fördermaßnahmen sind lehrplanmäßig nicht vorgesehen (ibid.: 105). Zusätzlich zu den einzelsprachig ausgerichteten Definitionen der Lernergeb‐ nisse werden mehrsprachigkeitsfördernde Aspekte, wie die Einschätzung ei‐ 130 Michaela Rückl <?page no="131"?> gener sprachlicher Fähigkeiten, die Nutzung aller vorhandenen Sprachenkennt‐ nisse zur Entwicklung von Mehrsprachigkeit, der Erwerb von Strategien sowie die Bedeutung von innerer und äußerer Mehrsprachigkeit explizit als Lernziele genannt. Sprachbewusstsein soll vor allem im Unterrichtsfach ‚Deutsch‘ geför‐ dert werden, wobei unter der Rubrik ‚Reflexion‘ der Fokus auf eigene und andere Kulturen sowie auf interkulturelle Kommunikation erweitert wird (ibid.: 18). Dies entspricht den didaktischen Grundsätzen, die dem (Fremd-)Sprachenun‐ terricht in der Präambel zugrunde gelegt werden: „Mehrsprachige Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen“ soll durch sprachenübergreifende Methoden und Aufgabenstellungen gefördert werden (ibid.: 12). 2.3 Zwischenfazit Entsprechend der Richtlinien des GeR sind in den 2014-2017 in Kraft getretenen semestrierten Lehrpläne sowohl Kompetenzorientierung als auch kommuni‐ kativ-handlungsorientierte Ansätze deutlich erkennbar, was in einer globalen Bezugnahme auf mehrsprachigkeitsfördernde Aspekte resultiert. In den modu‐ larisierten Fächerbeschreibungen fehlen konkrete Lernziele und Hinweise auf unterrichtsmethodische Verfahren zur Valorisierung, Zusammenführung und Weiterentwicklung lernerseitiger Ressourcen jedoch nach wie vor, was den Dispositionen kognitiv reifer Schüler: innen, die auf Lernerfahrungen aus dem parallelen Unterricht typologisch nah verwandter Sprachen und ggf. auf her‐ kunftssprachliche Kenntnisse und Erfahrungen zurückgreifen könnten, nicht gerecht wird. Das Bildungsziel einer curricularen statt additiven Mehrsprachig‐ keit, das bereits seit geraumer Zeit moniert wird (u. a. Krumm 2004), kann aufgrund dieser Befunde für die österreichische Sekundarstufe II nicht als er‐ reicht gelten. Dass auch europaweit weiterhin große Anstrengungen notwendig sind, wird durch den aktuellen Bericht des Rates der Europäischen Kommission mit Bezug auf die 2002 in Barcelona vereinbarten sprachenpolitischen Ziele fest‐ gehalten. Der umfassende Ansatz für das Lehren und Lernen von Sprachen sieht vor, die „Entwicklung von Sprachenkompetenz und sprachlichem Bewusstsein […] fächerübergreifend in die Lehrpläne“ aufzunehmen, wobei das „gesamte Sprachenrepertoire der Lernenden […] in der Schule valorisiert und gefördert werden und zudem als pädagogische Ressource für weiteres Lernen […] genutzt werden [kann]. Die Schüler und Schülerinnen können einander beim Lernen helfen, ihre Sprache(n) anderen erklären und Sprachen vergleichen.“ (Rat der Europäischen Union 2019: 20) Es ist also hoch an der Zeit, (inter-)nationalen Initiativen und Vorarbeiten, wie dem vom Österreichischen Kompetenz-Zentrum beauftragten Curriculum 131 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="132"?> Mehrsprachigkeit (Reich & Krumm 2013) Beachtung zu schenken. Hier wurden mehrsprachigkeitsorientierte Lehr-/ Lernziele in bis 2011 gültigen österreichi‐ schen Lehrplänen aller Schultypen und -stufen zusammengefasst, erweitert und systematisiert, um Weiterentwicklungsmöglichkeiten des kommunikativen Ansatzes aufzuzeigen. Auch die Deskriptoren des REPA, die mehrsprachiger Handlungskompetenz zugrundeliegende Bereiche wie ‚Wissen‘ (knowledge, K), ‚Einstellungen und Haltungen‘ (attitudes, A) und ‚Fertigkeiten‘ (skills, S) spezifizieren (Candelier et al. 2009), sollten dringend in die Lehrpläne integriert werden, um deklaratives und prozedurales Wissen sowie Einstellungen und Haltungen im Kontext von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität systematisch aufzubauen. Ein systematischer Einbezug der Zusatzskalen zu pluricultural repertoire, plurilingual repertoire und plurilingual comprehension, wie sie der Companion Volume zum GeR bietet (Council of Europe 2018), würde zur Ope‐ rationalisierung von Mehrsprachigkeitskompetenz beitragen, was im Kontext von Standardisierung von großer Bedeutung ist. Die österreichischen Lehrpläne der Primarstufe und der Sekundarstufe I werden derzeit überarbeitet. Dass der Fokus nunmehr auf ‚reflexiver Grund‐ bildung‘ liegt deutet auf eine Kurskorrektur hin (Greiner, Kaiser, Kühberger, Maresch, Oesterhelt & Weiglhofer 2019). Der übergreifende Ansatz, der Denk- und Handlungszusammenhänge im traditionellen Fächerkanon der allgemein‐ bildenden Sekundarstufe I hervorhebt, stützt plurale Ansätze. Ähnlich wie bei einem Gesamtsprachencurriculum (Hufeisen 2019) soll fachspezifische Kompe‐ tenzentwicklung im Fächerdialog gefördert werden, um (über-)fachliche Wis‐ sensstrukturen nachhaltiger aufzubauen. Auf die Sekundarstufe II übertragen könnte dieser Ansatz auch die Ausbildung mehrsprachiger Kompetenz, ver‐ standen als „capacity to successively acquire and use different competences in different languages, at different levels of proficiency and for different functions“, nachhaltig fördern (Council of Europe 2007: 24). 3 Lernerseitige Ressourcenvalorisierung durch plurale Ansätze in Lehrwerken Insgesamt schaffen die neuen Lehrpläne Freiräume für ressourcenorientiertes, mehrsprachigkeitsförderndes Lehren und Lernen. Für die Umsetzung in Lehr‐ werkkonzeptionen gilt es jedoch, eine Passung mit schultypenspezifischen Lehrplänen zu erreichen, die von nationalen Approbationskommissionen über‐ prüft wird. Dieses Spannungsfeld wird durch marktwirtschaftliche Interessen von Verlagen, die möglichst große Zielgruppen adressieren möchten, noch verstärkt. Obwohl sich plurale Ansätze von einer didaktischen Randerscheinung 132 Michaela Rückl <?page no="133"?> zum Schlüsselkonzept für den Aufbau mehrsprachiger und mehrkultureller Kompetenz entwickelt haben und konzeptionelle Vorschläge für die Lehrwerkentwicklung bereits seit geraumer Zeit vorliegen (Meißner 1999), verwundert es also nicht, dass ihre systematische Umsetzung noch immer die Ausnahme und nicht die Regel ist (Schöpp 2015). Eine Vorreiterrolle nimmt die Schweiz ein, wo vor allem im Rahmen des kan‐ tonübergreifenden Projekts Passepartout entsprechende Lehrwerke entwickelt, beforscht und durch Lehrer: innenfortbildungsprogramme begleitet wurden (Egli Cuenat, Grossenbacher, Gubler & Lovey 2018). Die österreichische Lehr‐ werkreihe Romanische Sprachen interlingual lernen wurde hingegen als Eigen‐ projekt der Universität Salzburg entwickelt. Sie führte den interkomprehensiven in einen integrativ-sprachenübergreifenden Ansatz über und erreichte dadurch die Approbation für den Unterricht von Italienisch, Französisch und Spanisch als 3. Fremdsprachen (Rückl 2018: 183 ff.). Integrativ-sprachenübergreifende Ansätze heben darauf ab, im Sinne der langjährigen lehrplanseitigen Forderung, ‚Tertiärspracheneffekte‘ zu nutzen, worunter eine Ökonomisierung von Erwerbsprozessen durch das Anknüpfen an Transferbasen bekannter Sprachen zu verstehen ist (BM: UKK 2004). Dies ist für romanische Sprachen besonders bedeutsam, da morphosyntaktischer Transfer bereits in den Anfangsstadien des L3-Erwerbs durch die typologische Nähe begünstigt wird (Rothman 2011). Lehr-/ Lernmaterialien und in der Folge auch Lehrwerke beziehen daher Muttersprache(n) und Fremdsprache(n) gleicher‐ maßen mit ein. Interkomprehension wird auf Interproduktion ausgeweitet (vgl. jüngst Cognigni & Carlo 2018), was in der Förderung aller Teilkompetenzen mit unterschiedlicher Progression resultiert. Sprachrezeption kann dabei schneller gesteigert werden als Sprachproduktion (Meißner 1999: 146). Charakteristisch sind anregungsreicher, an den Lernerbiographien der Verwender: innen ausge‐ richteter Input und ein inferentieller, auf mentale Eigentätigkeit ausgerichteter Lernbegriff: Statt (didaktischer) Reduktion soll die Verarbeitungsbreite und -tiefe durch selbstständiges, hypothesengeleitetes Arbeiten gesteigert werden, was mit kognitiv anspruchsvollen Tätigkeiten, wie Wahrnehmen, Entdecken, Vergleichen, Analysieren, Hypothesenbilden und Reflektieren einhergeht. Mehrsprachigkeitsdidaktische Formate sind daher von Anfang an als komplexe Lernaufgaben zu konzipieren (Meißner, Tesch & Vázquez 2011: 104-117). Dass dies bereits in den ersten Unterrichtsstunden möglich ist, soll anhand eines Beispiels aus der Reihe Romanische Sprachen interlingual lernen illustriert werden (Rückl, Moriggi, Rigamonti & Holzinger 2012: 12). Dabei werden die Schüler: innen angeleitet, italienische Eigennamen zunächst in die Kategorien ‚Familiennamen‘ sowie ‚männliche und weibliche Vornamen‘ einzuordnen 133 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="134"?> 2 K 4.1 Wissen, dass es verwandte Sprachen gibt/ Wissen, dass es Sprachfamilien gibt +++; K 6 Wissen, dass zwischen Sprachen/ Varietäten Ähnlichkeiten/ Unterschiede bestehen +++; 3 A 2.4 Sensibilität für Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Sprachen/ Kul‐ turen ++; A 3.2 Neugier zu entdecken, wie eigene/ andere Sprache(n)/ Kultur(en) funk‐ tionieren +++; A 16.2.1 Sich als Mitglied einer (pluralen) sozialen/ kulturellen/ sprachlichen Gemein‐ schaft akzeptieren (betrachten) +; 4 S 1.1.4 Hypothesen über Strukturen/ Funktionieren einer Sprache/ Kultur aufstellen können auf der Grundlage der simultanen Beobachtung verschiedener Sprachen/ Kul‐ turen +++; S 3.3.1 Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen schriftlichen Zeichen wahrnehmen können +++; S 3.5 Allgemeine Ähnlichkeit zwischen zwei/ mehreren Sprachen wahrnehmen können +++). und vorzulesen, um zu überprüfen, ob sie die im Vorfeld selbständig erarbei‐ teten Struktur- und Ausspracheregeln beherrschen. In einem nächsten Schritt sollen die Vornamen dann ins Französische und Spanische, als typologisch nahverwandte Sprachen, aber auch in weitere bekannte (Fremd-)Sprachen übertragen werden. Auf diese Weise können Mutter- und Herkunftssprachen in den Lernprozess einbezogen werden. Auf einer inhaltlich-kulturellen Ebene geht es darum herauszufinden, warum Vornamen in manchen Sprachen keine Entsprechungen haben (Lakunen), welche Namen in der eigenen Mutter- oder Herkunftssprache am gängigsten sind und warum ihr Klang vertraut oder fremd anmutet. Stereotypen, die oft Teil der Vorkenntnisse von Schüler: innen sind, können auf diese Weise aufgegriffen und korrigiert werden. Der sprachenüber‐ greifende Ansatz dient hier als Basis für nachhaltige Vergleichs-, Transfer- und Reflexionsprozesse. Ziel ist es, kulturspezifische Denk- und Handlungsweisen besser verstehen zu lernen und sich persönlicher Einstellungen bewusst zu werden. Kulturelle Zusatzinformationen sind immer von Fragen begleitet, die zum Vergleich mit eigenen Gewohnheiten und zur Reflexion über kulturell bedingte Verhaltensmuster anregen sollen. Anhand der Deskriptoren des REPA kann gezeigt werden, dass es um weit mehr als Aussprache und Orthographie geht: Der Erwerb differenzierten Sprachwissens 2 wird an die Reflexion von Einstellungen und Haltungen 3 angebunden, gleichzeitig werden Fertigkeiten trainiert 4 . Die meisten Deskriptoren haben dabei den Vermerk ’+++‘ oder ’++‘, was in der Nomenklatur des REPA bedeutet, dass das beschriebene Lernziel ‚nur‘ oder ‚eher‘ durch plurale Ansätze erreicht werden kann (Candelier et al., 2009). Das Beispiel zeigt, wie Leitfragen helfen können, durch Identifikations‐ transfer Grammatikregeln selbst zu entdecken, um dem Sprachsystem „auf 134 Michaela Rückl <?page no="135"?> die Spur zu kommen“ (Rückl et al. 2012: XI). Schüler: innen müssen die Mög‐ lichkeit bekommen, sie entsprechend ihrer heterogenen Lernausgangslagen zu beantworten, um eine individuelle zielsprachliche Hypothesengrammatik und mehrsprachige Korrespondenzgrammatik entwerfen zu können (Strathmann & Meißner 2019: 390). Tabellen, halbleere Raster, Mindmaps und Infographiken können, im Sinne eines Scaffolding-Verfahrens, als Merk- und Systematisie‐ rungshilfen dienen. Im Zuge einer anschließenden Reflexion in Partner- und Gruppenarbeit können Ergebnisse verschriftlicht und anschließend mit den Lösungen verglichen werden. Schüler: innen stehen dazu mehrsprachige Über‐ sichten zu grammatischen Teilsystemen zur Verfügung, die sprachliches Wissen ergänzen, sichern und strukturieren, als Basis zum Weiterlernen. In plenaren Nachbesprechungen können etwaige Fehlschlüsse analysiert und korrigiert werden. Der Wechsel von Sozialformen dynamisiert die Unterrichtsgestaltung. Im Bereich der Wortschatzarbeit machen mehrsprachige Raster Interlexeme bewusst und leiten an, neue Wörter nicht nur kontextgebunden, sondern auch durch Sprachvergleich zu inferieren. Sie umfassen je eine vorstrukturierte Spalte für die Zielsprache, die vorgelernte romanische Sprache und Deutsch und bieten Platz für weitere Herkunfts- oder Fremdsprachen, die Schüler: innen entsprechend ihrer individuellen Sprachbiographien beherrschen. Ein vierspra‐ chiges Glossar unterstützt das Erkennen von Sprachbrücken auf der Formebene. Im Anschluss an formalisierende Strukturarbeit sollen Fragen im Kontext „interkultureller Schnappschüsse“ Neugier wecken, für kulturelle Komplexität sensibilisieren und zum Nachdenken über kulturspezifische Besonderheiten anregen. Die realitätsnahe Rahmenhandlung einer Reise in zielsprachige Länder bietet dabei vielfältige Identifikationsmöglichkeiten in Bezug auf eigene Erfah‐ rungen, Gewohnheiten und Vorlieben. Durch den initiierten interlingualen Transfer kann latent vorhandenes Wissen enaktiv in deklaratives und/ oder prozedurales Wissen umgewandelt werden, was vor allem Sprachverstehen beschleunigt (Strathmann & Meißner 2019: 391), das daher konsequent steiler angelegt ist als Sprachproduktion. Zielniveau für Hör- und Leseverstehen ist B1 im Vergleich zu A2 für mündliche und schriftliche Produktion. In einer österreichweiten, longitudinal angelegten Studie zur Wirkung von Lehrwerken auf die Entwicklung zielsprachiger Kompetenz wurde die Kon‐ zeption approbierter einzel- und mehrsprachig angelegter Lehrwerke (eLW und mLW) verglichen, um daraus Wirkungshypothesen abzuleiten. Die mehr‐ perspektivische Studie bezieht sich bei getrennter Auswertung auf die Unter‐ richtsfächer Italienisch und Spanisch als 3. FS an verschiedenen Schultypen der Sekundarstufe II. Sie bezieht Daten aus 16 Klassen ein, die entweder die analysierten mLW (Experimentalklassen) oder eLW (Kontrollklassen) regulär 135 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="136"?> im Unterricht nutzten. Für die gegenwärtige Fragestellung werden im Folgenden relevante Ergebnisauszüge aus unterschiedlichen Datensätzen berichtet. Sie beziehen sich auf die mehrdimensional angelegte vergleichende Lehrwerkana‐ lyse, die erreichten Lösungsquoten der Schüler: innen beim Bearbeiten von Lehrwerkaufgaben zu sprachlichen Mitteln, die Lehrwerknutzung im Unterricht und die Einstellung der unterrichtenden Lehrpersonen zu Mehrsprachigkeit und sprachenübergreifendem Lernen (für eine umfassende Darstellung der Studie siehe Rückl (im Erscheinen)). Auf Makroebene betreffen die Unterschiede die Progression, die in den mLW deutlich steiler ist, während Struktur und Komponenten von eLW und mLW sehr ähnlich sind. Eine kommunikative Ausrichtung, die sich thematisch eng an GeR-basierten Domänen orientiert (Europarat 2001: 21, 26, 52-54), ist in allen Lehrwerken durchgängig erkennbar, sodass keine systematischen Unterschiede feststellbar sind. Unterschiede zeigen sich hingegen in der Aufmachung, wobei in den eLW niveauspezifische Themen kapitelweise behandelt werden, während die mLW einem durchgängigen Handlungsstrang folgen. Die Analyseergebnisse beider Teilstudien bestätigen somit den normierenden Einfluss der GeR-ba‐ sierten Lehrplanvorgaben und zeigen zudem eine starke inhaltlich-thematische Konstanz. Der normierende Einfluss zeigt sich auch auf der Mesoebene in beiden Teilstudien: In den eLW und mLW werden dieselben neun Teilbereiche gefördert (Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Sprechen, Wortschatz, Grammatik, Aussprache, IKK und Strategien), wobei die Gewichtung in einigen Bereichen differiert: Während der relative Aufgabenanteil zur Förderung von Lernstrate‐ gien in allen Lehrwerken etwa gleich hoch ist, ist der Anteil an IKK-Aufgaben in den mLW beider Teilstudien signifikant höher. Auch fertigkeitsbezogene kommunikativ-funktionale Kompetenzbereiche sind in den mLW stärker ge‐ wichtet als sprachliche Mittel. Dieses Ergebnis erklärt sich aus der steileren Progression und dem hypothesengeleiteten Ansatz und kann als Beleg für die lernökonomische Funktion mehrsprachigkeitsdidaktischer Verfahren gelten. Die frequenzanalytischen und inferenzstatistischen Ergebnisse auf Mikro‐ ebene, die sich auf Aufgabenformate, Aufgabenfoci und Textsorten beziehen, liegen kompetenzbereichsspezifisch vor. Sie sollen exemplarisch anhand der Aufgaben zu sprachlichen Mitteln erläutert werden. Im Bereich Wortschatz gibt es mit 16 Aufgabenformaten insgesamt die größte Vielfalt, wobei erheb‐ liche Unterschiede zwischen den eLW und mLW bestehen: Der Anteil an sprachenvergleichenden und kognitiv anspruchsvollen Formaten ist in den mLW signifikant höher als in den eLW, bei annähernd gleicher Progression. In den mLW wird jedoch quantitativ mehr Wortschatz eingeführt. Auch die Auf‐ 136 Michaela Rückl <?page no="137"?> gabenfoci sind unterschiedlich ausgerichtet: In den mLW sind Aktivierung von Vorwissen und selbstständiges Erarbeiten von Wortschatz stärker gewichtet. Bei der Erarbeitung und Festigung von Grammatik ist die Vielfalt mit 11 Aufgabenformaten ähnlich groß, wobei sich bei sprachenvergleichenden und kognitiv anspruchsvollen Aufgaben in beiden Teilstudien höchst signifikante Unterschiede zeigen: In den mLW gibt es etwa 10-mal so viele Aufgaben zur Hypothesenbildung, Grammatik wird ausschließlich induktiv erarbeitet. Sprachenvergleichende Aufgaben kommen ausschließlich in mLW vor, wobei der Anteil mit etwa einem Fünftel hoch ist. In den mLW ist anhand der ermit‐ telten Taxonomiestufen zudem eine höhere kognitive Anforderung erkennbar. Gleichzeitig ist die Anzahl der Einführungsschritte geringer: Die vertiefenden Analysen auf Mikroebene zeigen im Bereich des Verbalparadigmas, dass Prä‐ sens, Perfekt, Imperfekt und Konditional in den mLW mit einer deutlich steileren Progression eingeführt werden. Dies gilt tendenziell auch für nicht flektierte und deklinierte Wortarten. Zudem werden grammatische Paradigmen in den mLW bereits auf niedrigeren Kompetenzniveaus vollständig erarbeitet. Aus den Lösungsquoten der Schüler: innen ergibt sich bei Wortschatzaufgaben, für die hohe Beliebtheits- und Okkurrenzwerte ermittelt wurden, ein hoher Mittelwert von 82.0, der auf Klassenebene zwar oszilliert, ohne jedoch konsistente Unter‐ schiede zwischen den Experimental- und Kontrollklassen zu zeigen. Aufgaben, die Sprachwechsel oder Analyse erfordern, erzielen ähnlich hohe Ergebnisse, was als Indikator für einen angemessenen Grad der kognitiven Anforderung inferierender, hypothesengeleiteter Wortschatzarbeit gelten kann. Grammati‐ kaufgaben fallen den Schüler: innen schwerer. Dennoch liegt der Mittelwert der Gesamtstudie noch bei 74.0, wobei die Lösungsquoten auch hier nicht mit dem Grad der kognitiven Anforderung zusammenhängen: Experimentalk‐ lassen erzielen bei höheren Anforderungen in beiden Teilstudien ähnlich hohe Lösungsquoten wie Kontrollklassen. Die Daten zur Unterrichtsbeobachtung, die mit den Ergebnissen der Befragungen von Schüler: innen und Lehrer: innen abgeglichen wurden, belegen einen tendenziell lehrwerkbasierten Unterricht, wobei sich das Lehrwerkangebot auf die Formatvielfalt und den Grad der kognitiven Anforderung der Unterrichtsarbeit auswirkt. Mit Nutzungsquoten von 75 %-100 % bei Grammatikarbeit, 40 %-100 % bei Wortschatzarbeit und 70 %-100 % bei Textarbeit erweisen sich Lehrwerke als Leitmedien, woraus ein starker Einfluss der jeweiligen Spracherwerbskonzepte auf die Vermittlung im Unterricht ableitbar ist. Die Ergebnisse bestätigen die An‐ nahme, Lehrwerke wären das im (Anfangs-)Unterricht am meisten eingesetzte Medium (Fäcke 2016: 35) und somit „stabilisierender Faktor, Planungsgrundlage und Leitmedium“ (Koenig 2010: 178). Eine Innovationsfunktion in Bezug auf plu‐ 137 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="138"?> rale Ansätze lässt sich aus der Okkurrenz sprachenvergleichender Aktivitäten bei der Erarbeitung sprachlicher Mittel ableiten, die in Experimentalklassen signifikant häufig beobachtbar waren. Das gilt auch für hypothesengeleitete und kognitiv anspruchsvolle Aktivitäten (Rückl im Erscheinen). 4 Mehrsprachigkeitsdidaktische Grundbildung für Lehrer: innen als Begleitmaßnahme zur Implementierung integrativer Lehrwerke Die Studie belegt weiterhin eine tendenziell positive Einstellung zu Mehrspra‐ chigkeit und sprachenübergreifendem Lernen von Lehrpersonen, was die Er‐ gebnisse bundesdeutscher Fragebogenstudien bestätigt (Behr 2007, Neveling 2012, Heyder & Schädlich 2015). Gleichzeitig zeigt sich, dass von der Lehrwerk‐ konzeption nicht unmittelbar auf die Unterrichtsgestaltung geschlossen werden kann, insbesondere nicht, wenn es um die Gewichtung von Inhalten geht (zu Detailergebnissen siehe Rückl im Erscheinen). Erste Ergebnisse aus der Rezeptionsforschung bestätigen ebenfalls, dass Lehrwerksteuerung im Zusammenhang mit Lehrer: innenhandeln zu sehen ist. So stellt Fäcke (2016: 43) gerade bei mehrsprachigkeitsfördernden Aktivitäten, die auf selbstständiges und selbstreflexives Lernen sowie auf Lernstrategien abheben, nur eine punktuelle Nutzung fest, was im Sinne einer gut entwickelten Lehrwerkkompetenz sinnvoll und berechtigt erscheinen mag (Kurtz 2010: 149, 155, 160-161). Bei der Umsetzung mehrsprachigkeitsdidaktischer Verfahren, die in Lehrwerken ohnehin nicht als systematisch integriert gelten können (Schöpp 2015), kommt jedoch hinzu, dass (noch) wenig vertraute Aufgaben konstruktivistischer Prägung Lehrpersonen vor besondere Herausforderungen stellen, was Fragen der Professionalisierung aufwirft. Vetter (2012: 207) schlägt auf Basis einer in Österreich durchgeführten Studie drei wesentliche Ausbildungsprinzipien für Lehrer: innen romanischer Sprachen vor, die fachliches Wissen, didaktische Umsetzung und persönliche Einstellungen verbinden: Mehrsprachigkeit thematisieren, Binnendifferenzie‐ rung und Lernerautonomie stärker an Mehrsprachigkeit anbinden und positive Lernerfahrungen in sprachenübergreifenden Settings ermöglichen. Dass Reflexivität und positive Wertschätzung mehrsprachiger Repertoires mit individuellen Dispositionen zusammenhängen, zeigt eine jüngst mit deutschen Lehramtsstudierenden durchgeführte Studie. In der Konsequenz wird auch hier empfohlen, theoretische Vorbereitung und praktische Be‐ schäftigung mit mehrsprachigkeitsdidaktischen Unterrichtsmaterialien auf der Basis sprachenbiographischer Arbeit in die Erstausbildung zu integrieren (Melo-Pfeifer 2018: 335-336). Beide Studien belegen die Notwendigkeit eines 138 Michaela Rückl <?page no="139"?> Theorie-Praxis-Transfers und setzen voraus, dass sich Lehrpersonen im Laufe ihrer Aus- und Fortbildung entsprechende Kompetenzen und Ressourcen, be‐ zogen auf savoirs, savoir-faire und savoir-être, aneignen (Martinez 2015). Qualifizierungsarbeiten in Anbindung an Praktika bieten dabei vielfältige Lerngelegenheiten, um ein neues Selbstverständnis in Bezug auf (Mehr)Spra‐ chenlernen und -lehren zu entwickeln. Es wird auch von zentraler Bedeutung sein, Fachgruppen in den Schulen zu etablieren, in denen tragfähige Kon‐ zepte unter Beteiligung der Schüler: innen erarbeitet, erprobt und erforscht werden können. Reflektierte Erforschung des eigenen Unterrichts, Handlungs‐ forschungsprojekte und Design-Based-Research könnten im Sinne einer engeren Verbindung von Forschung und Praxis dazu beitragen, eine grundständig forschende Haltung zu entwickeln: Die Bandbreite sollte dabei von der Er‐ forschung (eigener) mehrsprachiger Lernerfahrungen und Fremdsprachener‐ werbsprozesse im universitären Kontext über empirische Fallstudien in Qua‐ lifizierungsarbeiten bis zur theoriegeleiteten, reflektierten Umsetzung in der Schulpraxis reichen. In Österreich wurden bereits Pflichtmodule für die neuen Lehramtscurri‐ cula erarbeitet, um Basiskompetenzen für die Förderung sprachlicher Bildung in allen Unterrichtsfächern zu vermitteln (ÖSZ 2014). Zudem werden Fortbil‐ dungsreihen zu sprachsensiblem und inklusivem Unterricht mit Fokus auf Mehrsprachigkeit angeboten (ÖSZ 2018). Mittlerweile gibt es auch standort‐ spezifische Studienergänzungsmodule, die Lehramtsstudierenden ermöglichen, sich, zumindest im Wahlfachbereich, studienbegleitend Zusatzkompetenzen anzueignen. Diese Angebotslage muss aufgrund der thematischen Brisanz aber dringend erweitert und ausdifferenzeirt werden - nicht nur in Österreich: Eine deutsche Studie zur Lehrer: innenbildung für zweite und weitere Fremdsprachen belegt, dass der Themenkomplex „Mehrsprachigkeit“ in sprach- und bildungs‐ politischen sowie in fachdidaktischen Dokumenten mit steigender Intensität diskutiert wird, das sprachenübergreifende Lehrveranstaltungsangebot aber vergleichsweise gering und wenig differenziert ist (Pilypaityte 2013: 287-288). 5 Fazit mit Ausblick auf den Stellenwert unterrichtsbezogener Lehrwerkforschung Die dargelegten Befunde weisen darauf hin, dass Lehrwerke eine Katalysator‐ funktion bei der Implementierung pluraler Ansätze in den Unterrichtsalltag übernehmen können. Wenn mehrsprachigkeitsfördernde Grundsätze in Lehr‐ plänen operationalisiert, systematisch in die Lehrwerkkonzeption integriert und in der Unterrichtspraxis erforscht werden, kann Lehrwerkentwicklung, 139 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="140"?> über die stete Anpassung approbierter Lehrwerke an europäische und nationale Bildungsziele hinaus (Rat der Europäischen Union 2019), einen forschungsba‐ sierten und praxisinformierten Prozess befeuern, der das commitment interdiszi‐ plinärer und interinstitutioneller Teams sowie die Unterstützung von stakehol‐ dern erfordert. Als flankierende Maßnahmen müssen angehende Lehrer: innen bereits während ihres Studiums mit der Thematik vertraut gemacht werden und gleichzeitig selbst Mehrsprachigkeitskompetenz aufbauen können. Lernge‐ legenheiten, die eigene Erfahrungen mit pluralen Ansätzen ermöglichen, sollten auch in der Lehrer: innenfortbildung an spracherwerbstheoretische und mehr‐ sprachigkeitsdidaktische Inhalte gekoppelt werden. Schließlich braucht es auch empirische Unterrichtsforschung zur Effizienz mehrsprachigkeitsdidaktischer Lehrwerkkonzepte, und zwar in Bezug auf alle Teilkompetenzen, an denen Un‐ terrichtserfolg heute festgemacht wird. Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Kooperation mit Schulen scheinen im Sinne eines Design-based Research Ansatzes geeignet, um mehrsprachigkeitsdidaktische Lehrwerke konzeptuell weiterzuentwickeln und gleichzeitig Erkenntnisse zu Lehr- und Lernprozessen zu gewinnen. Eine evidenzbasierte, unterrichtsbezogene Aktualisierung und Optimierung von Lehrwerken dürften auch den Bedarfen von Lehrenden und Lernenden als Lehrwerknutzer: innen am besten entsprechen. Literatur Behr, Ursula (2007): Sprachenübergreifendes Lernen und Lehren in der Sekundarstufe I: Ergebnisse eines Kooperationsprojektes der drei Phasen der Lehrerbildung. Tübingen: Narr. BM: UKK (2004): Lehrplan AHS Oberstufe, Lebende Fremdsprache (Erste, Zweite). www.bm ukk.gv.at/ medienpool/ 11854/ lebendefremdsprache_ost_neu0.pdf, Zugriff: 30.4.2020. Bundesministerium für Bildung (2017a): Berufsbildende Schulen - HAK. www.abc.berufs bildendeschulen.at/ kaufmaennische-schulen/ , Zugriff: 30.4.2020. Bundesministerium für Bildung (2017b): Semestrierter Lehrplan AHS. www.ris.bka.gv.at/ GeltendeFassung.wxe? Abfrage=Bundesnormen&; Gesetzes‐ nummer=10008568&FassungVom=2017-09-01, Zugriff 30.4.2020. Bundesministerium für Bildung (2015): Lehrplan für die höhere Lehranstalt für Wirtschaft‐ liche Berufe. www.abc.berufsbildendeschulen.at/ download/ 2074/ HLW.pdf, Zugriff: 30.4.2020. Breidbach, Stephan (2019): „Kommunikativer Fremdsprachenunterricht und Mehrspra‐ chigkeit“. In: Fäcke, Christiane & Meißner, …Franz-Joseph (Hrsg.) (2019): Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 166-173. 140 Michaela Rückl <?page no="141"?> Byram, Michael & Méndez García, Mari-Carmen (2009): „Communicative Language Teaching“. In: Knapp, Karlfried & Seidlhofer, Barbara (Hrsg.): Handbook Foreign Language Learning and Communication. Berlin: de Gruyter, 491-516. Candelier, Michel (2018): „Nachwort: Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen als fächerübergreifender Begegnungsort im Curriculum - Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext“. In: Melo-Pfeifer, Sylvia & Reimann, Daniel (Hrsg.): Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. Tübingen: Narr., 341-354. Candelier, Michel & Camilleri-Grima, Antoinette & Castellotti, Véronique & Pietro, Jean-François de & Lörincz, Ildikó & Meißner, Franz-Joseph & Schröder-Sura, Anna & Noguerol, Artur (2009): RePA. Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. Graz: EFSZ. Cognigni, Edith & Carlo, Maddalena de (2018): „Per un’etica della comunicazione plurilingue: produttività del concetto di interproduzione“. In: Santipolo, Matteo & Mazzotta, Patrizia (Hrsg.): L’educazione linguistica oggi: Nuove sfide tra riflessioni teoriche e proposte operative: scritti in onore di Paolo E. Balboni. Torino: UTET università, 111-117. Council of Europe (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion Volume with New Descriptors. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Council of Europe (2007): From Linguistic Diversity to Plurilingual Education: Guide for the Development of Language Education Policies in Europe: Main Version. www.coe.int / t/ dg4/ linguistic/ Source/ Guide07_Executive_20Aug_EN.doc, Zugriff: 30.4.2020. Egli Cuenat, Mirjam & Grossenbacher Künzler, Barbara & Gubler, Brigitta & Lovey, Gwendoline (2018): „Plurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien: Einblicke in aktuelle Entwicklungen mit besonderem Fokus auf die Schweiz“. In: Melo-Pfeifer, Sylvia & Reimann, Daniel (Hrsg.) Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. Tübingen: Narr, 107-138. Europarat (2001): Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin et al.: Langenscheidt. Fäcke, Christiane & Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.) (2019): Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. Fäcke, Christiane (2016): „Lehrwerkforschung - Lehrwerkgestaltung - Lehrwerkrezep‐ tion. Überlegungen zur Relevanz von Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht“. In: Rückl, Michaela (Hrsg.): Sprachen & Kulturen: vermitteln und vernetzen. München et al.: Waxmann, 34-48. Greiner, Ulrike & Kaiser, Irmtraud & Kühberger, Christoph & Maresch, Günter & Oesterhelt, Verena (2019): Reflexive Grundbildung bis zum Ende der Schulpflicht: Konzepte und Prozeduren im Fach. Münster: Waxmann. 141 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="142"?> Hak: cc (2014): Handelsakademie - Lehrplan 2014. www.hak.cc/ node/ 3600, Zugriff: 30.4.2020. Heyder, Karoline & Schädlich, Birgitt (2015): „Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenunterricht: Eine Befragung von Lehrern in Niedersachsen“. In: Fernández Ammann, Eva Maria & Kropp, Amina & Müller-Lancé, Johannes (Hrsg.): Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Berlin: Frank & Timme, 233-251. Hufeisen, Britta (2019): „Gesamtsprachencurriculum“. In: Fäcke, Christiane & Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.): Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 84-87. Hufeisen, Britta (2011): „Gesamtsprachencurriculum: Überlegungen zu einem prototypi‐ schen Modell“. In: Baur, Rupprecht & Hufeisen, Britta (Hrsg.): Vieles ist sehr ähnlich: Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als bildungspolitische Aufgabe. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 265-282. König, Michael (2010): „Lehrwerkarbeit“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze: Kallmeyer, 177-182. Kramsch, Claire (2018): „Is there still a Place for Culture in Multilingual FL Education? “. In: Language Education and Multilingualism 1, 16-33. Krumm, Hans-Jürgen (2004): „Von der additiven zur curricularen Mehrsprachigkeit“. In: Bausch, Karl-Richard & Königs, Frank G. & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Mehr‐ sprachigkeit im Fokus: Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 105-112. Kurtz, Jürgen (2010): „Zum Umgang mit dem Lehrwerk im Englischunterricht“. In: Fuchs, Eckhardt & Kahlert, Joachim & Sandfuchs, Uwe (Hrsg.): Schulbuch konkret: Kontexte, Produktion, Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 149-163. Martinez, Hélène (2015): „Mehrsprachigkeitsdidaktik: Aufgaben, Potenziale und Heraus‐ forderungen“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 44: 2, 7-19. Meißner, Franz-Joseph & Tesch, Bernd & Vázquez, Graciela (2011): „Interkomprehension und Kompetenzförderung mit Blick auf die Konstruktion von Lehrwerken“. In: Meißner, Franz-Joseph & Krämer, Ulrich (Hrsg.): Spanischunterricht gestalten: Wege zu Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität. Seelze: Kallmeyer, 81-122. Meißner, Franz-Joseph & Senger, Ulrike (2001): „Vom induktiven zum konstruktiven Lehr-und Lernparadigma. Methodische Folgerungen aus der mehrsprachigkeitsdidak‐ tischen Forschung“. In: Meißner, Franz-Joseph & Reinfried, Marcus (Hrsg.): Bausteine für einen neokommunikativen Französischunterricht. Lernerzentrierung, Ganzheitlich‐ keit, Handlungsorientierung, Interkulturalität, Mehrsprachigkeitsdidaktik. Tübingen: Narr, 21-50. Meißner, Franz-Joseph (1999): „Lehr- und Lernmaterialien für den neuen Lernkontext“. In: Bausch, Karl-Richard & Christ, Herbert & Königs, Frank G. & Krumm, Hans-Jürgen 142 Michaela Rückl <?page no="143"?> (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 146-157. Melo-Pfeifer, Sylvia (2018): „Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen aus der Perspek‐ tive künftiger Lehrerinnen und Lehrer der romanischen Sprachen“. In: Melo-Pfeifer, Sylvia & Reimann, Daniel (Hrsg.), Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. Tübingen: Narr, 321-339. Neveling, Christiane (2012): „Sprachenübergreifendes Lernen im Spanischunterricht aus der Perspektive von Lehrerinnen und Lehrern: eine Fragebogen-Studie“. In: Leitzke-Ungerer, Eva & Blell, Gabriele & Vences, Ursula (Hrsg.): English - Espanol: Vernetzung im kompetenzorientierten Spanischunterricht. Stuttgart: Ibidem, 219-235. ÖSZ (2018): Materialbank des Österreichischen-Sprachen-Kompetenz-Zentrums. www.oes z.at, Zugriff: 30.4.2020. ÖSZ (Hrsg.) (2014): Basiskompetenzen Sprachliche Bildung für alle Lehrenden: Deutsch als Unterrichtssprache - Deutsch als Zweitsprache - alle mitgebrachten und schulisch erlernten (Bildungs-)Sprachen - Sprache/ n in den Sachfächern. Ein Rahmenmodell für die Umsetzung in der Pädagog/ innen/ bildung. oesz.at/ OESZNEU/ UPLOAD/ Basiskomp etenzen_sprachliche_Bildung_FINAL.pdf, Zugriff: 30.4.2020. Pilypaityte, Lina (2013): Fremdsprachenlehrerausbildung zwischen Qualitätsansprüchen und Realität: Auseinandersetzung mit exemplarisch ausgewählten Forderungen an die deutsche Fremdsprachenlehrerausbildung. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Rat der Europäischen Union (2019): Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2019 zu einem umfassenden Ansatz für das Lehren und Lernen von Sprachen. eur-lex.europa.eu/ legal -content/ DE/ TXT/ PDF/ ? uri=CELEX: 32019H0605(02)&from=EN, Zugriff: 30.4.2020. Reich, Hans & Krumm, Hans-Jürgen (2013): Sprachbildung und Mehrsprachigkeit: ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht. Münster et al.: Waxmann. Reimann, Daniel (2018): „Mehrsprachigkeitsdidaktik“. In: Melo-Pfeifer, Sylvia & Rei‐ mann, Daniel (Hrsg.), Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. Tübingen: Narr, 29-77. Rothman, Jason (2011): „L3 syntactic transfer selectivity and typological determinacy: The typological primacy model“. In: Second Language Research 27: 1, 107-127. Rückl, Michaela (im Erscheinen): Mehr zielsprachliche Kompetenz durch mehrsprachig‐ keitsdidaktische Ansätze in Lehrwerken? Eine mehrperspektivische Feldstudie zur Wir‐ kung von Lehrwerken auf den gesteuerten Erwerb von Italienisch und Spanisch als 3. Fremdsprachen an der österreichischen Sekundarstufe II. Stuttgart: Ibidem. Rückl, Michaela (2018): „Die Rolle von Lehrwerken für die Umsetzung eines Gesamtspra‐ chencurriculums. Konzeption und Implementierung der Lehrwerkreihe Romanische 143 Lehrwerke als Innovationsträger im Kontext curricularer Mehrsprachigkeit? <?page no="144"?> Sprachen interlingual lernen im Kontext der neuen Lehrplanvorgaben für die öster‐ reichische Sekundarstufe II“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 29: 2, 169-191. Rückl, Michaela & Moriggi, Rachele & Rigamonti, Enrica & Holzinger, Gabriele (2012): Scopriamo l’italiano: Italienisch interlingual. Wien: Verlag Hölder-Pichler-Tempsky. Schöpp, Frank (2015): „Ansätze zum interlingualen Sprachenvergleich in neueren Lehr‐ werken für den spätbeginnenden Italienisch- und Spanischunterricht“. In: Lavric, Eva & Pöckl Wolfgang (Hrsg.): Comparatio delectat II: Akten der VII. Internationalen Ar‐ beitstagung zum romanischdeutschen und innerromanischen Sprachvergleich. Frankfurt am Main: Peter Lang, 861-877. Stadtschulrat Wien (2017): Schultypen der allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS). www.wien.gv.at/ bildung/ stadtschulrat/ schulsystem/ ahs/ schultypen.html, Zu‐ griff: 30.4.2020. Strathmann, Jochen & Meißner, Franz-Joseph (2019): „Romanische Interkomprehension unterrichten: Konzepte, Erfahrungen, Empirie“. In: Fäcke, Christiane & Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.): Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 387-392. Vetter, Eva (2012): „Teachers of Italian, Spanish and French: Limitations and Possibilities of their Education towards Multilingualism“. In: European Studies 29, 189-212. 144 Michaela Rückl <?page no="145"?> Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht Sara Colombo Obwohl mehrsprachigkeitsfördernde Ansätze seit Jahren im Zentrum der fachdidaktischen Diskussion stehen und die Vorteile eines sprachvernetz‐ enden Fremdsprachenunterrichts durch empirische Studien seit längerer Zeit belegt sind, scheint Mehrsprachigkeit sich in Lehrwerken und in der didaktischen Praxis weiterhin nicht durchgesetzt zu haben. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die nach 2012 erschienene Lehrwerkgenera‐ tion für das Schulfach Italienisch in Nordrhein-Westfalen quantitativ und qualitativ bezüglich ihrer mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzeption und Umsetzung zu untersuchen. 1 Einleitung Nicht nur in unserer globalisierten Welt, sondern auch im Unterricht ist Mehr‐ sprachigkeit ein brisantes Thema, das aber nicht unumstritten behandelt wird. So scheint bei genauer Betrachtung die Mehrsprachigkeit von einer inneren Dichotomie charakterisiert zu sein: Einerseits sind mehrsprachigkeitsfördernde Ansätze seit den 1990er Jahren in das Zentrum der fachdidaktischen Diskussion (Meißner & Reinfried, 1998) geraten. Dabei sind die Vorteile eines sprach‐ vernetzenden Fremdsprachenunterrichts durch empirische Studien (Bär 2009; Morkötter 2016) seit längerer Zeit bewiesen, sodass Mehrsprachigkeit auch in offiziellen (bildungspolitischen) Dokumenten (auf europäischer und nationaler Ebene sowie auf Länderebene) Platz eingeräumt wird. Andererseits scheint sich die systematische Förderung von Mehrsprachigkeit jedoch weiterhin weder in Lehrwerken noch in der Schulpraxis durchgesetzt zu haben (Martinez 2015: 14; Rückl 2017: 246 und 251). In diesem Zusammenhang spielen Lehrwerke im Unterricht eine wichtige Rolle, da sie als Mittler zwischen Theorie und Praxis fungieren (sollen). <?page no="146"?> 1 Für die vorliegende Arbeit dient die englische Originalfassung (Common European Framework for Languages = CEFR) als Basis und Quelle für Zitate. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, die aktuell genutzte Lehrwerk‐ generation (nach 2012 erschienen) für den schulischen Italienischunterricht in Nordrhein-Westfalen quantitativ und qualitativ hinsichtlich ihrer mehrspra‐ chigkeitsdidaktischen Konzeption und deren Umsetzung zu untersuchen. Nach einigen Überlegungen über die Rekonzeptualisierung der Mehrspra‐ chigkeit auf europäischer Ebene und im Bereich der deutschsprachigen Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik (Abs. 2) folgt der Versuch, mehrsprachigkeitsdidaktische Spuren in offiziellen Bildungsunterlagen zu verorten (Abs. 3). Daraufhin wird der Forschungsstand über Mehrsprachigkeit in Lehrwerken für das Schulfach Italienisch skizziert (Abs. 4), bevor abschließend die Analyse präsentiert wird (Abs. 5 und Abs. 6). 2 Rekonzeptualisierung der Mehrsprachigkeit Obwohl diverse Versuche einer Definition und etliche Klassifizierungsvor‐ schläge der Mehrsprachigkeit zu verzeichnen sind, zielt dieser Beitrag in erster Linie darauf ab, den Fokus auf die in den letzten Jahrzehnten vollzogene Rekonzeptualisierung des Begriffs zu legen. Selbst in seiner aktualisierten Version räumt der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) (CEFR 2018) 1 der Mehrsprachigkeit - im Vergleich zu der ersten Version (CEFR 2001) - dank einer detaillierten Auflistung von Deskriptoren, die hingegen in der 2001 veröffentlichten Version fehlen, mehr Aufmerksamkeit ein. Insbesondere beschreibt der GeR Mehrsprachigkeit wie folgt: „Plurilingualism is presented in the CEFR as an uneven and changing compe‐ tence, in which the user/ learner’s resources in one language or variety may be very different in nature to those in another. […] the fundamental point is that plurilinguals have a single, inter-related, repertoire that they combine with their general competences and various strategies in order to accomplish tasks.“ (CEFR, 2018: 28) [m. Hervorhebungen] Aus diesem Zitat kann man in erster Linie schließen, dass Mehrsprachigkeit als dynamische Kompetenz in divenire zu definieren ist; zweitens wird Mehr‐ sprachigkeit als Netz konzeptualisiert: Schon vorhandene Kompetenzen und Strategien sowie die gesamten sprachlichen Ressourcen, die einem Individuum zur Verfügung stehen, sind nicht isoliert, sondern stehen in Verbindung zu‐ einander und können durch Vernetzungen aktiviert und abgerufen werden. 146 Sara Colombo <?page no="147"?> 2 Auch Bausch & Helbig-Reuter (2003) sprechen von integrativer Mehrsprachigkeit, die im Gegensatz zur additiven Mehrsprachigkeit des Individuums auf Wechselwirkungen und Vernetzungen zwischen den diversen Sprachen, welche miteinander in Relation gebracht werden, beruhe (2018: 42). 3 Anhand von Ähnlichkeiten in den theoretischen Begründungen identifiziert Reimann (2016, 2018) drei Phasen der modernen Mehrsprachigkeitsdidaktik (1990er Jahre, 2000er Jahre und nach 2010). Drittens wird der integrative Charakter der Mehrsprachigkeit 2 hervorgehoben, da sie auf vorhandenen Kompetenzen und Strategien in mehreren Sprachen aufbaut, welche stets vernetzt und kombiniert werden, sodass sie ein neues zusammengesetztes und integriertes Kompetenzgefüge bilden. Einen Beitrag, der als Rekonzeptualisierung bzw. „(Re)-modellierung“ (Rei‐ mann 2016: 15) der Mehrsprachigkeit im deutschsprachigen Raum betrachtet werden kann, leistet Reimann mit seinem Konzept der aufgeklärten Mehrspra‐ chigkeit (Reimann 2015, 2016, 2018). In Anlehnung an Butzkamm (1973), der das Postulat der aufgeklärten Einsprachigkeit bezüglich der Wertschätzung der zu erlernenden Fremdsprache und ihrer Rolle im kommunikativem Fremd‐ sprachenunterricht aufstellte, prägt Reimann den neuen Terminus, um die jüngeren Entwicklungen nach 2010 im Bereich der Mehrsprachigkeit und ihrer Didaktik zu bezeichnen 3 . Nach Reimann (2015, 2016, 2018) wird die aufgeklärte Mehrsprachigkeit durch sieben Diskurs- und Handlungsfelder gekennzeichnet: 1) produktive Fertigkeiten und Teilkompetenzen, 2) Englisch, Latein, Griechisch und weitere Schulfremdsprachen, 3) Deutsch als Muttersprache/ Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 4) Herkunfts- und Familiensprachen, 5) rezeptive Varietätenkompetenz, 6) multilingualer Sachfachunterricht und 7) transkultu‐ relle kommunikative Kompetenz. Diese Diskurs- und Handlungsfelder wurden teilweise in der modernen Mehrsprachigkeitsdidaktik als Merkmale identifiziert, teilweise stellen sie aber noch Desiderata dar, die aufgrund der (noch spärlichen) empirischen Erkenntnisse in den mehrsprachig ausgerichteten Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten. 3 Verortung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze in offiziellen Unterlagen Forschungsergebnisse in der Psycho- und Neurolinguistik gelten als wissen‐ schaftliche Beweise, die die Annahme der Existenz eines holistischen, interde‐ pendenten, mehrsprachigen Repertoires bestätigen (Herdina & Jessner 2002; Paradis 2004 und vgl. auch Zappatore 2003). Da mehrsprachige Ansätze viele 147 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="148"?> 4 In Deutschland existiert ein komplexes System von Instanzen, die an Beschlüssen im Bildungsbereich teilnehmen und dabei auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln sind. 5 Das Weißbuch (1995) erklärt Mehrsprachigkeit zum Ziel des Fremdsprachenunterrichts. 6 Mit dem Motto „2 languages other than the mother tongue“ wurde ein quantitatives Kriterium für die Mehrsprachigkeitsbestimmung festgelegt. 7 In den europäischen Unterlagen wird terminologisch das Binom plurilingual und pluricultural verwendet, um die Untrennbarkeit von Sprache und Kultur zu betonen (vgl. CEFR 2018). 8 Eine schnelle Recherche des Begriffs pluriling* durch die Suchfunktion ergibt 58 Treffer im CEFR (2001) und 151 in der aktualisierten Version (CEFR 2018). Vorteile beim Fremdsprachenlehren und -lernen mit sich bringen, wäre ihre Implementierung in offiziellen Dokumenten im Bereich Lehren und Lernen wünschenswert. Ob und wie dies tatsächlich realisiert wurde, wird an dieser Stelle diskutiert, indem die wichtigsten Dokumente auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene analysiert werden 4 . Seit dem Weißbuch (1995) 5 und dem Barcelona-Ziel (2002) 6 sind wiederholte Bemühungen zur Definition und Beschreibung der Mehrsprachigkeit auf euro‐ päischer Ebene zu verzeichnen, wie bei einer Analyse des GeR ersichtlich wird. Dass mehrsprachige und mehrkulturelle Kompetenz 7 in den letzten zwanzig Jahren an Bedeutung gewonnen hat, wird auch durch einen Vergleich zwischen der ersten (2001) und der aktualisierten Version des GeR (2018) ersichtlich, die sich nicht nur quantitativ - hinsichtlich der Anzahl von Nennungen des Adjektivs plurilingual  8 - sondern auch qualitativ unterscheiden. Während in der ersten Version lediglich eine Beschreibung skizziert wurde, wird der Mehrspra‐ chigkeit in der aktualisierten Version des GeR (2018) mehr Platz eingeräumt, in primis durch die Deskriptoren, die für die Beschreibung der plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz hinzugefügt würden (vgl. CEFR 2018: descriptive scheme 46 und 157 ff.), sowie des Weiteren durch verschiedene Hinweise auf diverse Dokumente die mehrsprachige Bildung betreffend (u. a. auf den RePA). Die Deskriptorenskala (nach GeR-Niveaus gemessen) bezieht sich auf die zwei großen Bereiche von Sprache und Kultur (die entsprechende Kompetenz wird im GeR immer durch die Adjektive mehrsprachig und mehrkulturell bezeichnet, was das untrennbare Binom Sprache-Kultur pointiert) und setzt den Akzent sowohl auf eine produktive (Building on pluricultural repertoire, Building on plurilingual repertoire) als auch auf eine rezeptive (Plurilingual comprehension) mehrsprachige Kompetenz (CEFR 2018: 157-162). Während der GeR die mehrsprachige Kompetenz in Verbindung mit den Kompetenzniveaus beschreibt, schildert sie der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (RePA) - immer in Form von Deskriptoren - je nach den im GeR definierten allgemeinen Kompetenzen, d. h. savoir, savoir-faire, 148 Sara Colombo <?page no="149"?> 9 https: / / carap.ecml.at/ Descriptorsofresources/ tabid/ 2654/ language/ de-DE/ Default.aspx (letzter Zugriff: 20.05.2020). 10 Mit 19.485 Schüler: innenn (von insgesamt 47.670 in ganz Deutschland) im Schuljahr 2018/ 2019 gilt NRW als Hochburg des Italienischen (Statistisches Bundesamt 2020: 104ff). savoir-être und savoir-apprendre. Ziel des RePA ist es, „eine Konkretisierung der (Teil-)Kompetenzen und Ressourcen [zu ermöglichen], die in einer Kom‐ munikationssituation mobilisiert werden können [,] und […] eine wichtige Grundlage für die Konstruktion von Aufgaben sowie von sprachübergreifenden Curricula zur Förderung der mehrsprachigen und mehrkulturellen Kompetenz [zu liefern]“ (Martinez 2015: 11). Der RePA unterscheidet zwischen vier pluralen Ansätzen (Eveil aux langues, Interkulturelles Lernen, Interkomprehension zwi‐ schen nah verwandten Sprachen und Integrative Sprachendidaktik) und liefert Deskriptoren von Kompetenzen und Ressourcen, deren Entwicklung durch plurale Ansätze gefördert wird und die im Allgemeinen bezwecken, „die Kom‐ petenz, Anderssein auf sprachlicher und kultureller Ebene zu bearbeiten; [und] die Kompetenz, ein mehrsprachiges und plurikulturelles Repertoire aufzubauen und zu erweitern“ (RePA) 9 . Trotz seines großen Potenzials als Hilfestellung für die Unterrichtskonzeption und -planung wurde der RePA in Deutschland nur verhalten rezipiert (Melo-Pfeifer & Reimann 2018). Auf nationaler Ebene stellen die Bildungsstandards für das Abitur vom Jahre 2012 (KMK 2012), die die Aufnahme von Mehrsprachigkeitskonzepten im Unterricht bekräftigen, den Wendepunkt im Bereich Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik im deutschen Schulsystem dar, da die „Grundanliegen der Mehrsprachig‐ keitsdidaktik zu verbindlichen Kompetenzen des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe geworden“ (Reimann, 2018: 39) sind. So wird dem schulischen Fremdsprachenunterricht eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von Mehrsprachigkeit zugeschrieben (KMK 2012: 11): Betont wird beim Lernen der Zielsprache der Zusammenhang mit den bereits vorhandenen Sprachkennt‐ nissen (Erstsprache, ggf. Zweitsprache, Fremdsprachen) für die Entwicklung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz (KMK 2012: 21-22). In Anbetracht des Prinzips der Kulturhoheit der deutschen Bundesländer werden auf Länderebene Kernlehrpläne für jedes Fach genehmigt. In Nord‐ rhein-Westfalen, dem Bundesland mit der höchsten Anzahl an Italienisch ler‐ nenden Schüler: innen (Statistisches Bundesamt 2020) 10 , ist der Italienisch-Kern‐ lehrplan für die Sekundarstufe II (Gymnasium/ Gesamtschule), der den alten Lehrplan vom Jahre 1999 abgelöst hat, 2014 in Kraft getreten. Nach einer Analyse des aktuellen Kernlehrplans ist festzustellen, dass im Allgemeinen die Ausbildung der individuellen Mehrsprachigkeit explizit als Ziel des Fremdsprachenlernens benannt wird: „Fremdsprachenlernen mit dem Ziel individueller Mehrsprachigkeit 149 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="150"?> 11 Damit sind Eveil aux langues, Interkomprehension zwischen verwandten Sprachen und die integrierte Fremdsprachendidaktik gemeint. gewinnt angesichts der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung Europas und der Globalisierung stetig an Bedeutung“ (MSW NRW 2014: 11). Bei näherer Betrachtung wird der Umgang mit anderen Sprachen als Potenzial im Bereich der Sprachlernkompetenz (Lernmethoden und Lernstrategien) und der Sprachbewusstheit zwar genannt, aber nur vage wie folgt formuliert: „Kom‐ petenzen sowie Einstellungen und Haltungen, welche die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Fremdsprachen erworben haben, sollen ihnen helfen, weitere Sprachen zu lernen“ (MSW NRW 2014: 12). Die Annahme, dass „seit der Jahrtausendwende in nahezu allen Lehrplänen für die modernen Fremdsprachen explizit auf mögliche Synergieeffekte zwischen der Zielsprache und anderen (Fremd-)Sprachen eingegangen wird“ (Schöpp 2015b: 52), scheint im Falle des nordrhein-westfälischen Italienisch-Kernlehrplans für die gymnasiale Oberstufe cum grano salis zu gelten. Denn es fehlt der konkrete Verweis auf jene Sprachen, die das Lernen begünstigen können/ sollen, sowie der explizite Bezug auf die Erstsprache der Lernenden (sei sie Deutsch oder eine andere Sprache), die eben‐ falls eine wichtige Rolle beim Lernen einer neuen Fremdsprache spielen kann. Im Kernlehrplan findet man lediglich einen allgemein formulierten Bezug auf „andere Sprachen“ (MSW NRW 2014: 17, 25, 26, 34, 43, 50, 51, 58) und auf das „bisher erreichte Mehrsprachigkeitsprofil“ (MSW NRW 2014: 25, 34, 42, 50, 58). Die sprachlichen Ebenen, die durch ein sprachvernetzendes Lernen positiv beeinflusst werden können, bleiben ebenfalls unerwähnt. Ist der Bezug auf das Potenzial von sprachlich orientierten pluralen Ansätzen 11 eher angedeutet, dann wird im analysierten Kernlehrplan für Italienisch dem kulturell ausgerichteten pluralen Ansatz des interkulturellen Lernens mehr Platz eingeräumt. So werden die Lernenden aufgefordert, die Begegnung mit der neuen Sprache und Kultur anhand eines Vergleichs mit der eigenen zu reflektieren, um ein Fremdverstehen zu entwickeln sowie sich über Ähnlichkeiten, Unterschiede oder Besonderheiten bewusst zu werden. Die tiefere Behandlung des kulturellen Aspekts und die Förderung einer vernetzenden interkulturellen Reflexion findet in den Zielen des Italienischunterrichts in NRW ihre Selbstlegitimierung: Die interkulturelle kommunikative Kompetenz gilt nämlich als zu entwickelnder Kompetenzbereich des höheren Leitziels der interkulturellen Handlungsfähigkeit (MSW NRW, 2014: 11f. sowie 16ff.). Abschließend ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass der GeR in den nordrhein-westfälischen Kernlehrplänen für Italienisch Verortung findet (durch 150 Sara Colombo <?page no="151"?> 12 Für die zögerliche Rezeption des RePA in Deutschland vgl. Melo-Pfeifer & Reimann (2018). explizite Bezüge auf die zu erreichenden Niveaus nach jedem Schuljahr), während der RePA völlig unerwähnt bleibt 12 . 4 Studien über Mehrsprachigkeit in Lehrwerken für Italienisch: Forschungsstand Dank ihrer Funktion als Mittler zwischen Theorie und Praxis dienen Lehrwerke seit geraumer Zeit als Objekt didaktisch orientierter wissenschaftlicher For‐ schung. Insbesondere sind diverse Forschungsbemühungen zu verzeichnen, die Mehrsprachigkeit in Lehrwerken als Schwerpunkt haben und eine Antwort auf die Forschungsfrage zu liefern versuchen, ob und in welchem Umfang mehrsprachigkeitsdidaktische Elemente in Lehrwerken zu finden sind. Eine eher zurückhaltende Antwort darauf formuliert Hufeisen noch im Jahr 2011: „Lehrwerke und Lehrmaterialien, die systematisch sprachübergreifend und an mehrsprachigkeitsdidaktischen Prinzipien ausgerichtet sind, sind noch rar gesät […], und es wird sie kaum in regulären Lehrwerken geben. Dort kann man allenfalls mehrsprachigkeitsdidaktische Ausflüge erwarten […]“ (Hufeisen 2011: 109) [m. Hervorhebungen]. Der Mangel an Systematik wird dabei durch die wenigen (und punktuellen) Ausflüge in die Welt der Mehrsprachigkeit ersichtlich. Zwar entspricht der Auf‐ satz von Hufeisen (2011) nicht mehr dem aktuellsten Stand der Forschung, doch ist er weiterhin von Relevanz, da die dort formulierte These als Anhaltspunkt für die meisten in Folge vorgestellten Studien dient. Da das Ziel dieses Beitrags die Analyse von Italienisch-Lehrwerken der neue(re)n Generation hinsichtlich ihrer mehrsprachigkeitsdidaktischen Kon‐ zeption ist, werden zunächst Ergebnisse ähnlicher Studien präsentiert, um die oben genannte These von Hufeisen (2011) zu überprüfen. In der folgenden Tabelle werden die bisher bekannten Studien aufgelistet, die zum Thema „Mehrsprachigkeit in Lehrwerken für das Schulfach Italienisch“ 151 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="152"?> 13 In der Tabelle sind Studien über das Thema „Mehrsprachigkeit in Lehrwerken für das Schulfach Italienisch“ erfasst, die im deutschsprachigen Raum erschienen sind. Der Artikel von Schöpp (2020), der das sprachkontrastierende Vorgehen mit Fokus auf Grammatik in den Lehrwerken Ecco und Scambio vergleicht, war bis zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Beitrags noch nicht erschienen. Schöpp (2015b) und Rückl (2017) befassen sich im Allgemeinen mit dem Thema und bieten keine Lehrwerkanalyse an. Insbesondere plädiert Schöpp (2015b) für eine stärkere Berücksichtigung der Brücken‐ sprache Englisch im Italienischunterricht und erwähnt dabei das Strategienkapitel im Lehrwerk Scambio 1 als gutes Beispiel (S. 52f.), während Rückl (2017) das Design einer Interventionsstudie zur Wirksamkeit von Lehrwerken für den Anfangsunterricht (Italienisch und Spanisch) vorstellt (S. 257ff.). 14 Deutschsprachige Länder, in denen die Lehrwerke genehmigt und verwendet wurden und auf die sich die Studien beziehen. im deutschsprachigen Raum erschienen sind und die dazu dienen, den einschlä‐ gigen Forschungsstand zu skizzieren. 13 Autor Untersuchte Lehrwerke Land 14 Rückl & Rigamonti & Moriggi (2013) Scopriamo l’italiano (2012) Ö Schöpp (2015a) Giro (2011), In Piazza (2012) DE Schöpp (2015b) - DE Michler (2015) Appunto 1-2-3 (2006, 2007, 2008), In Piazza (2003, 2012, 2013) DE Rückl (2017) - Ö Tab. 1: Studien über Mehrsprachigkeit in Lehrwerken für Italienisch als Fremdsprache im deutschsprachigen Raum Rückl & Rigamonti & Moriggi (2013: 73) betonen, dass trotz der etlichen Bemü‐ hungen auf europäischer Ebene zur Förderung des Lernens mehrerer Sprachen - vom Barcelona-Ziel im Jahre 2002 bis zu ErasmusPlus -, „la situazione attuale mostra la carenza di concetti e materiali didattici capaci di mettere in relazione tra loro le lingue apprese a scuola e rendere l’apprendimento più „economico“ e veloce“, wodurch die These von Hufeisen (2011) bestätigt wird. Rückl & Rigamonti & Moriggi (2013) untersuchen das Lehrwerk Scopriamo l’italiano (2012), das zusammen mit seinen Entsprechungen für das Spanische (Descubrimos el español, 2012) und das Französische (Découvrons le français, 2012) eines der ersten Lehrwerke darstellt, das auf einem didaktischen Mehr‐ sprachigkeitskonzept basiert: 152 Sara Colombo <?page no="153"?> 15 Flash im Sinne eines Reflexionsmoments über kulturspezifische Bedeutungen und Assoziationen (z. B. über das panromanische Wort pane): „un „Flash (inter-)culturale, con informazioni e domande specifiche, stimola la formazione di ipotesi a livello di significati“ (Rückl & Rigamonti & Moriggi 2013: 80). „[i]l concetto mira a trarre beneficio da esperienze e conoscenze pregresse degli studenti e dalle vicinanze linguistiche tra le lingue romanze, per rendere più veloce e [sic! ] efficace lo sviluppo di competenze linguistico-comunicative e interculturali nella seconda lingua romanza appresa in un contesto scolastico.“ (Rückl & Rigamonti & Moriggi 2013: 73-74) Das Lehrwerk, das für das österreichische Schulsystem entwickelt wurde, bietet Folgendes an: ● realitätsnahe kommunikative Situationen zur Aktivierung der Vorkennt‐ nisse ● Aktivitäten zur Förderung des grammatischen Transfers ● Gelegenheiten zum bewussten linguistischen Vergleich mit dem Ziel, einen mehrsprachigen Wortschatz zu entwickeln ● Gelegenheiten zur Entwicklung der interkulturellen Kompetenz durch flash  15 ● einen mehrsprachigen Ansatz zur Entwicklung aller sprachlich-kommuni‐ kativen Kompetenzen ● eine (Selbst-)Evaluation der erreichten Kompetenzen (cfr. Rückl/ Riga‐ monti/ Moriggi, 2013). Schöpp (2015a) untersucht Giro (2011) und In piazza (2012), zwei Lehrwerke für Italienisch, die für die Sekundarstufe II in Deutschland zugelassen und verwendet wurden, ausdrücklich um die These von Hufeisen (2011) zu verifi‐ zieren und somit zu überprüfen, ob und wie die Prinzipien der pluralen Ansätze in diesen Lehrwerken wiederzufinden sind. In seiner Analyse stellt Schöpp (2015a) einige kritische Punkte bezüglich der mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzeption der untersuchten Lehrwerke fest: ● Fokus auf Lexik, jedoch ohne Systematik ● Ausklammern von Parallelen auf phonetischer und morphologischer Ebene ● Fokus auf dem Üben von rezeptiver Mehrsprachigkeit und Vernachlässi‐ gung von produktiver Mehrsprachigkeit ● geringe Berücksichtigung von grammatischem Transfer ● geringe Aufmerksamkeit auf den Transfer von Strategie 153 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="154"?> Zusammenfassend gibt es in den untersuchten Lehrwerken keine Spur eines Konzepts, das gezielt dem interlinguistischen Vergleich zur Förderung der language awareness von Lernenden nutzt, wodurch die These von Hufeisen (2011) bestätigt wird: „Das Potenzial der schülerseitig vorhandenen Mehrsprachigkeit zur Ausbildung von Sprachenbewusstheit sowie als lernstrategisch nutzbare Gegebenheit im Sinne der Vernetzung mehrerer Sprachen miteinander wird von den untersuchten Lehrwerken allenfalls ansatzweise zur Kenntnis genommen, eine effektive Nutzung dieses Poten‐ zials erfolgt nicht.“ (Schöpp, 2015a: 871) In einem anderen Aufsatz thematisiert Schöpp (2015b) die große Rolle des Englischen als Brückensprache für das Italienischlernen, dessen Potenzial aber noch nicht völlig ausgeschöpft werde. Neben praktischen Vorschlägen für den Italienischunterricht gibt Schöpp (2015b) lediglich ein Beispiel aus dem Lehrwerk Scambio 1 (2015) bezüglich des sprachlernstrategischen Transfers, insbesondere zum Identifizieren und Erschließen neuer Vokabeln: Durch visu‐ elle Hilfsmittel (Tabellen) werden die Lernenden für den interlinguistischen Vergleich sensibilisiert. Da der Fokus der Studie jedoch an anderer Stelle liegt, begrenzt sich Schöpp (2015b) auf nur ein Beispiel aus diesem Lehrwerk und lie‐ fert keine vollständige Analyse bezüglich seiner mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzeption. In ihrem den Lehrwerken für Italienisch gewidmeten Exkurs untersucht Michler (2015) Appunto 1-2-3 (2006, 2007 und 2008) sowie In piazza (2003, 2012 und 2013) und kommt zu dem Ergebnis, dass die Mehrsprachigkeit in diesen Lehrwerken auf die lexikalische Ebene (und ausschließlich über einzelne Wörter, die im Vokabel-Teil durch visuelle Hilfsmittel - wie Tabellen und Listen - hervorgehoben werden) beschränkt bleibt: „[ J]enseits lexikalischer Bezüge [sind] praktisch keine explizit mehrsprachigkeitsdidaktischen Tendenzen vor‐ handen […]“ (Michler 2015: 92). Die Sprachen, die im interlingualen Vergleich miteinbezogen werden, sind Latein, Englisch, Französisch (als Fremdsprachen) und Deutsch (als Erstsprache). Was lernstrategische Aspekte anbelangt, werden in den untersuchten Lehrwerken einige Strategien zum Erschließen von unbe‐ kannten Wörtern durch Kognitivierung vermittelt. Der Fokus wird vor allem auf die Entwicklung von Mehrsprachigkeitskompetenz auf rezeptiver und sehr selten auf produktiver Ebene gelegt. Jedoch betont Michler (2015: 92-93), dass das Trainieren von rezeptiven Fertigkeiten auch positiven Einfluss im produktiven Bereich haben kann. Zuletzt - wenn auch mit unterschiedlichem Schwerpunkt (Sekundarstufe II in Österreich und empirische Studie zur Messung der Effizienz und des Potenzials 154 Sara Colombo <?page no="155"?> 16 Darunter werden die nach 2012 erschienenen Lehrwerke verstanden. 17 In Anbetracht der Kulturhoheit der deutschen Bundesländer wurde die Analyse auf ein einziges Land beschränkt. Für die Gründe der Auswahl von Nordrhein-Westfalen (in der Folge NRW) vgl. Abs. 3 dieses Beitrags. von Lehrwerken im Fremdsprachenunterricht) - bleibt noch die Studie von Rückl (2017) zu erwähnen. Trotz der Aktualität des Themas „Mehrsprachigkeit“ und der anerkannten Bedeutung der Förderung einer curricularen (und nicht einfach additiven) Mehrsprachigkeit, bleibt Mehrsprachigkeit in der Schule schwierig zu implementieren - aus unterschiedlichen Gründen, wie etwa die Lehramtsausbildung (einige Lehrer: innen verfügen nicht über mehrsprachige Kompetenzen und/ oder haben das Thema während des Studiums nicht behan‐ delt), Qualität der Lehrwerke, die „nach wie vor einzelsprachig angelegt sind“ (Rückl 2017: 246), Konkurrenzsituation der Fremdsprachen, Zeitmangel (vor allem in den Anfangsphasen der Aneignung einer Fremdsprache) und hohe zu erreichende Kompetenzniveaus in der Fremdsprache. 5 Fragestellungen, Korpus und Methodologie Dank seiner Funktion als Mittler zwischen Theorie und Praxis spielt das Lehr‐ werk eine führende Rolle im Fremdsprachenunterricht: „il libro di testo rappre‐ senta ancora lo strumento per eccellenza nella lezione di lingue straniere e […] l’integrazione di esercizi plurilingui viene ad avere una posizione chiave“ (Schöpp 2015a: 861). Inwieweit aber mehrsprachigkeitsdidaktische Prinzipien in Italienisch-Lehrwerken der neueren Generation 16 umgesetzt werden, bleibt noch zu erforschen (vgl. hierzu Abs. 4). Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, die vom Schulministerium Nordrhein-Westfalen 17 genehmigten Lehrwerke für den schulischen Italienischunterricht quantitativ und qualitativ hinsichtlich ihrer mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzeption und deren Umsetzung zu untersuchen. Insbesondere soll auf die folgenden Fragen eingegangen werden: 1. Welche Bedeutung messen die Lehrwerke der individuellen Mehrsprachig‐ keitsförderung in Bezug auf die Aufgabenquantität bei? 2. Hinsichtlich der Qualität von mehrsprachigen Spuren: Welche Typolo‐ gien von mehrsprachigkeitsgerichteten Verweisen können identifiziert werden? Welche Sprachen werden im interlingualen Vergleich eingesetzt? Welche sprachlichen Ebenen werden fokussiert? Welche kognitiven Auf‐ gaben werden beim sprachvernetzenden Assoziieren genutzt? 155 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="156"?> 18 Im deutschen Schulsystem hat Italienisch normalerweise den Status als dritte Fremd‐ sprache. 19 Neben Scambio wurde auch das Lehrwerk Ecco vom Schulministerium NRW genehmigt, welches aber aus Platzgründen an dieser Stelle nicht untersucht wird. 20 Gedruckte Lehrer: innenhandreichungen für das Lehrwerk Scambio werden vom Verlag nicht angeboten (private Kommunikation). Hingegen stehen Lehrer: innenmaterial auf CD oder zum Herunterladen (zu SB 1) bzw. digitales Lehrmaterial (zum SB 2) zur Verfügung: Es handelt sich hier u. a. um zusätzliche Kopiervorlagen und Lösungen zu den Übungen sowie um das Schulbuch in digitaler Form; ebenfalls Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung und methodisch-didaktische Hinweise zur Einführung der Lektionstexte werden angeboten. Allerdings wurden in einer präliminaren Recherchearbeit spezifische Hinweise zur Mehr‐ sprachendidaktik nicht gefunden. Eine detailliertere Forschung, was als künftiges Vorhaben angestrebt wird, wäre jedoch notwendig. 21 In der Beschreibung auf der Internetseite des Buchner Verlags wird Scambio als „neues Lehrwerk für Italienisch als 3. Fremdsprache in der Sekundarstufe I, das durchgehend kontextualisiert auf Kompetenzorientierung und Differenzierung abzielt“ definiert (www. ccbuchner.de/ reihe/ scambio-a-336) [m. Hervorhebungen]. Gegenstand der Analyse ist das Lehrwerk Scambio - Ausgabe A, das für das Schulfach Italienisch als dritte Fremdsprache 18 in NRW genehmigt wurde. 19 Es wurden alle Bände untersucht, die für das Lehren und Lernen des Italienischen in der gymnasialen Oberstufe vorgesehen sind: Scambio 1 (2015), das aus dem Schüler: innenband 1 (SB1 abgekürzt) und dem grammatischen Beiheft 1 (GB1 ab‐ gekürzt) besteht, und Scambio 2 (2016), das sich aus dem Schüler: innenband 2 (SB2 abgekürzt) und dem grammatischen Beiheft 2 (GB2 abgekürzt) zusammensetzt. 20 Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass Scambio kein explizit mehrsprachiges Lehrwerk ist 21 ; somit ist die Förderung von Mehrsprachigkeit nicht das primäre Ziel dieses Lehrwerks. Nichtsdestotrotz wird im Prologo (SB1: 3) sofort auf die Hilfe-Funktion anderer bereits bekannten Sprachen hingewiesen, die das Erlernen des Italienischen als neue Sprache erleichtern können. Wenn also Mehrsprachigkeit in vielerlei Hinsicht ein aktuelles Thema ist und ihren Vor‐ teilen beim Lernen ein nahezu programmatischer Wert im Vorwort von Scambio eingeräumt wird, dann ist das Interesse an der Forschung mehrsprachiger Anteile in diesem Lehrwerk nachvollziehbar. Ziel dieses Beitrags ist nicht, den Mangel an mehrsprachigkeitsorientierten Übungen zu kritisieren oder im umgekehrten Fall die Fülle von solchen Übungen zu loben, sondern vielmehr eine Bestandsaufnahme der mehrsprachigen Konzeption dieses Lehrwerks zu geben und damit den einschlägigen Forschungsstand zu aktualisieren. Im ersten Teil werden die Ergebnisse der quantitativen Analyse präsentiert: Zunächst wurden all die Übungen bzw. Erklärungen, die Bezüge auf Sprach‐ vernetzungen enthalten, identifiziert und gezählt. Da öfters einzelne Übungen aus mehreren Teilen bestehen (so besteht z. B. E10 (SB1: 16-17) aus den 156 Sara Colombo <?page no="157"?> Unterpunkten 1, 2, 3, 4 und 5), zählt jeder Unterpunkt als eigene Entität für das Abzählen. Das gleiche Kriterium gilt auch für die Erklärungen in den grammatischen Beiheften. Der zweite Analyseteil ist den Ergebnissen der qualitativen Analyse gewidmet: So wurden die mehrsprachigkeitsorientierten Verweise im untersuchten Lehrwerk identifiziert und den Kategorien explizit vs. implizit und sprachlich vs. kulturell zugeordnet. Obwohl diese Kategorien sich verflechten und stets miteinander kombiniert sind, werden sie separat vorgestellt. Die Verflechtungen werden dann durch Beispiele und Beispielkom‐ mentare veranschaulicht. 6 Lehrwerkanalyse Bezüge auf mehrsprachige Ansätze sind über das untersuchte Lehrwerk Scambio (SB1 und SB2) verteilt und in fast allen Abschnitten zu finden: Prologo, Indice (nur SB2), Unità, Extra, Pagine facoltative (nur SB1), Strategie und Vocabolario. Nur in zwei Kapiteln (Ingresso und Esercizi differenziati) fehlt der Verweis auf andere Sprachen, der in den grammatischen Beiheften wiederum vorhanden ist (GB1 und GB2). Was die Verteilung von mehrsprachigen Übungen in SB1 und in SB2 anbelangt, findet sich die höchste Konzentration in den Lektionen (jeweils 6 Unità pro Buch) und in den Extras, die zusammen den Hauptteil der Schüler: innenbände bilden. Beim Zusammenzählen der Bezüge auf andere Sprachen in den einzelnen Übungen (vgl. Kap. 5) und beim Vergleich mit den gesamten Übungszahlen entsteht ein Bild, das den Mangel an mehrsprachigkeitsbezogenen Übungen im Lehrwerk zeigt, wie die folgenden Grafiken darstellen: Schüler: innenband 1 (SB1) Übungen mehrsprachigkeitsbezogene Übungen Schüler: innenband 2 (SB2) Übungen mehrsprachigkeitsbezogene Übungen Abb. 1: Verteilung von mehrsprachigkeitsbezogenen Übungen in Scambio (Schüler: in‐ nenband 1 und 2) 157 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="158"?> 22 Der Lexik wird z. B. im SB die entsprechende Sektion Vocabolario gewidmet und die Grammatik in GB ausführlich behandelt. Obwohl die absolute Anzahl an sprachvernetzenden Übungen mit dem zu erreichenden Kompetenzniveau steigt (18 in SB1 und 24 in SB2), stellt sich ihr prozentualer Anteil wegen der größeren gesamten Übungsanzahl in SB2 als niedriger dar. Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass mehrsprachigkeitsbe‐ zogene Übungen in den Schüler: innenbänden noch einen sehr geringen Teil darstellen, und somit wird ihr Status als „Ausflüge“ (Hufeisen 2011: 109) in die Welt der Mehrsprachigkeit bestätigt. Eine gegensätzliche Tendenz ist bei den grammatischen Beiheften festzustellen. Hier findet man öfters Bezüge zu anderen Sprachen, die entweder als Text formuliert oder in tabellarischer Form dargestellt werden, in der Regel mit der Brückenfunktion, einen leichteren Zugang zu grammatischen Regeln anzubieten: Grammatisches Beiheft 1 (GB1) Erklärungen mehrsprachigkeitsbezogene Erklärungen Grammatisches Beiheft 2 (GB2) Erklärungen mehrsprachigkeitsbezogene Erklärungen Abb. 2: Verteilung von mehrsprachigkeitsbezogenen Erklärungen in Scambio (Gramma‐ tisches Beiheft 1 und 2) Dies würde den Befunden in Schöpp (2015a) widersprechen: So stellt er in seinem Aufsatz fest, dass grammatische Verweise auf andere Sprachen in den untersuchten Lehrwerken nur in geringer Zahl vorkommen, während „kon‐ trastierende Darstellungen grammatischer Phänomene […] vollständig fehlen“ (S. 870). Die Diskrepanz in der Verteilung von mehrsprachigen Verweisen in SB und GB der Reihe Scambio lässt sich auf die strukturelle Organisation des Lehrwerks selbst 22 und auf die Natur der Aufgaben zurückführen: In den 158 Sara Colombo <?page no="159"?> 23 Die typographischen Konventionen des Originals werden in den Beispielen beibehalten und m. Hervorhebungen durch Unterstreichung markiert, wenn nicht anders ange‐ geben. 24 Die Abkürzungen stehen für die Sprachen: DE (Deutsch), ENG (Englisch), FRZ (Fran‐ zösisch), ITA (Italienisch), LAT (Latein) und SPA (Spanisch). Lektionen von SB sind die Übungen diversifiziert und fokussieren sich jeweils auf unterschiedliche Aspekte der Sprache (variierend zwischen rezeptiven und produktiven Fertigkeiten, Lexik, Grammatik etc.), bei denen mehrsprachigkeits‐ didaktische Verweise mehr oder weniger große Ansatzmöglichkeit bieten. Neben quantitativen sind aber auch qualitative Beobachtungen notwendig, um aussagekräftigere Äußerungen bezüglich der Natur der intersprachlichen Verweise anzubieten. Demnach wurden einer qualitativen Analyse zufolge die mehrsprachigkeitsorientierten Bezüge, die im Lehrwerk identifiziert wurden, in zwei große Kategorien gruppiert. Zur ersten Kategorie gehören explizite und implizite Bezüge, die in der Form bzw. Formulierung der Arbeitsanweisung auf der syntagmatischen Ebene zu finden sind. Der Verweis auf andere Sprachen - und lato sensu das Miteinbeziehen von pluralen Ansätzen - ist explizit, wenn die Lernenden in der Aufgabenstellung zum interlingualen bzw. interkulturellen Vergleich explizit aufgefordert werden, wie folgende Beispiele 23 veranschauli‐ chen: (1) Per capire il significato di alcune parole che [Yannik] non conosce, pensa ad altre lingue. Aiutalo a tradurre i seguenti vocaboli: [hier folgt eine Tabelle mit Vokabeln auf ITA-LAT-ENG-FRZ und die letzte Spalte (DE) ist leer und soll von den Lernenden ausgefüllt werden] 24 (SB2: 28) (2) Trova una regola per spiegare l’uso diverso di durante e mentre. Pensa all’inglese: funziona come con while e during! (SB2: 20) (3) Attenzione alla differenza tra potere e sapere! Beachte den Unterschied zwischen potere und sapere. Leggi le seguenti affermazioni e traducile in tedesco. Che cosa hanno in comune i verbi in grassetto? In che cosa si differenziano? Formula una regola e poi controlla nella grammatica. (SB1: 63) (4) Proprio quando Max sta per andare a dormire, Anna Maria gli chiede che cosa di solito mangia per colazione. Con l’aiuto delle foto di una bella colazione tedesca Max spiega alla madre di Giuliano com’è la colazione in Germania. Scrivi il dialogo tra la madre e Max. (SB1: 38) Um einen erleichterten Zugang zum Verständnis der vorgestellten Phänomene anzubieten, werden die Lernenden für eine kontrastiv-vergleichende Vorge‐ hensweise sensibilisiert (durch explizite Nennung von anderen Sprachen oder 159 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="160"?> durch Vergleichsaufgaben, die mit dem Verb paragonare eingeführt werden, wie in Bsp. 5-6). Die explizit genannten Sprachen, auf die sich die Lernenden stützen können, sei es um unbekanntes Vokabular zu erschließen (Bsp. 1) oder um syntaktische bzw. grammatikalische Hypothesen aufzustellen (Bsp. 2, 3), sind die Erstsprache (Deutsch) und andere Fremdsprachen (Englisch, Latein, Fran‐ zösisch). Der explizite Bezug ist nicht nur auf der Ebene der Sprache, sondern auch auf der der Kultur zu beobachten. Das kulturelle Wissen der Lernenden über die eigene (deutsche) Kultur dient als Basis, um über kulturspezifische Besonderheiten nachzudenken bzw. interkulturelle Vergleiche anzustellen (Bsp. 4 - Vergleich zwischen deutschem und italienischem Frühstück): (5) Paragona le tradizioni con quelle che conosci. Come festeggiate il carnevale nella tua città/ regione? Descrivilo! (SB2: 145) (6) Come festeggiate questi eventi a casa vostra? Parlatene e paragonate le usanze con quelle italiane. (SB2: 142) In den Schüler: innenbänden wird die Präsentation ausgewählter kultureller Phänomene und Bräuche, die für die italienische Kultur charakteristisch sind (Weihnachten, Karneval etc.), zur Gelegenheit für die Lernenden, interkulturelle Beobachtungen zu machen, indem sie zum Vergleich der eben vorgestellten Phänomene in der eigenen (deutschen) Kultur aufgefordert werden. Auf der sprachlichen Ebene werden solche expliziten kulturvernetzenden Aufgaben z. B. durch nella tua città/ regione (Bsp. 5), a casa vostra (Bsp. 6), da voi ausgedrückt. In GB1 und GB2 werden außerdem ikonische Mittel verwendet, um den expliziten Vergleich zwischen den Strukturen der Erstsprache und der Ziel‐ sprache hervorzuheben: So stellen die kleinen Abbildungen zweier Jugendlicher mitsamt der entsprechenden deutschen bzw. italienischen Flagge (Bsp. 7) ein sofort erkennbares visuelles Hilfsmittel zu den (meistens) in tabellarischer Form präsentierten Unterschieden bei sprachlichen Phänomenen dar: (7) (GB1: 13) Neben expliziten Bezügen, die sofort erkennbar sind, lassen sich in den unter‐ suchten Lehrwerken aber auch implizite Verweise auf mehrsprachige Ansätze 160 Sara Colombo <?page no="161"?> feststellen. Im Gegensatz zu den expliziten Bezügen fehlt bei den impliziten jeglicher Verweis auf andere Sprachen sowie die Aufforderung zu kontrastiver Beobachtung bzw. Vergleich in den Arbeitsanweisungen. Zu dieser Kategorie gehören Übungen, in denen die Überschriften übersetzt werden: So findet man im SB1 (bis zur Hälfte der Lektion 4) eine zweisprachige Aufgabenerklärung auf Italienisch und auf Deutsch, wie in den folgenden Beispielen: (8) Tutto sbagliato! Alles falsch! Max è stanco e non ha capito bene. Correggi le informazioni sbagliate. Max ist müde und hat nicht alles verstanden. Korrigiere die falschen Informationen. (SB1: 26) (9) Ma di chi è? Di chi sono? Wem gehört dies? Che cosa indica la prepo‐ sizione di nella frase „Questi sono i giochi di Simone.“? Was gibt die Präposition di im Satz „Questi sono i giochi di Simone.“ an? (SB1: 31) Die Nebeneinanderstellung der beiden Sprachen (Bsp. 8 und 9), die durch unterschiedliche typographische Konventionen visuell markiert sind (die deut‐ sche Übersetzung ist in grau), und die Übersetzung in die Erstsprache der Lernenden könnte tatsächlich Anlass zum impliziten interlingualen Vergleich geben - implizit weil nicht explizit in der Arbeitsanweisung danach gefragt wird. Auch in den grammatischen Beiheften wird diese Strategie verwendet und die Übersetzung ins Deutsche (in Kursiv gesetzt) betrifft sogar alle Beispielsätze: Das fokussierte grammatische Phänomen, das Unterschiede zum Deutschen aufweist, wird dabei hervorgehoben und fett markiert, wie in Bsp. 10: (10) Hai già telefonato al nonno? Hast du schon deinen Opa angerufen? No, non gli ho ancora telefonato. Nein, ich habe ihn noch nicht angerufen. (GB2: 9) Außerdem finden sich implizite Bezüge zum interlingualen und interkulturellen Vergleich in den Kästchen Attenzione! und Info, die Informationen über Gewohn‐ heiten in Italien und alltägliche italienische Begriffe geben, die den Lernenden unbekannt sind oder besondere Schwierigkeiten bereiten könnten, wie in den folgenden Beispielen: (11) Attenzione! Diciamo taglia per la misura dei vestiti e numero per la misura delle scarpe! (SB1: 102) (12) Attenzione con la taglia, ragazze! In Germania 36 38 40 42 44… In Italia 40 42 44 46 48… (SB1: 109) (13) Info - La colazione italiana. La colazione è il primo pasto della giornata. Tradizionalmente gli italiani bevono un caffè, un caffellatte, una tazza di latte o di tè e mangiano biscotti; pane, burro e marmellata oppure brioches, fresche o confezionate. Solo pochi italiani mangiano prodotti 161 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="162"?> 25 Bis auf einen Fall: Die Info-Box über Le pagelle di fine anno/ Die Jahreszeugnisse (SB1: 49) ist zweisprachig (ITA und DE). 26 Im Bsp. 11 sind beide Begriffe taglia und numero im Original unterstrichen. come i cereali e di solito non mangiano cose salate per colazione. Molti italiani fanno colazione fuori casa, al bar. (SB1: 39) (14) Info - Occhio al cognome! In Italia, i figli normalmente hanno il cognome del padre. Dopo il matrimonio il cognome della moglie o del marito non cambia e non c’è il doppio cognome. (SB1: 125) Die Kästchen sind in der Zielsprache erfasst 25 und sie fokussieren einzelsprach‐ lich (also ohne Vergleiche) italienische Bräuche oder Besonderheiten der ita‐ lienischen Sprache/ Kultur (la colazione italiana, taglia e numero, le taglie, il cognome (SB1); i voti, la sagra (SB 2)). Eine Ausnahme bildet nur ein Kästchen, in dem die Kleidergrößen in Italien und Deutschland kontrastiv gegenübergestellt werden (Bsp. 12) und das dabei spezifische kulturelle Informationen über beide Länder gibt. Obwohl es auf den ersten Blick fraglich sein könnte, solche Infor‐ mationen einem Mehrsprachigkeitskonzept zuzuordnen, wird dieser Zweifel bei genauerer Überlegung schnell überwunden. Denn für jemanden, der über eine gute sprachliche und interkulturelle Kompetenz im Italienischen und Deutschen verfügt, ist es sofort auffällig, dass hier kulturelle und sprachliche Unterschiede bzw. Besonderheiten betont werden, die ohne Erklärung zu einem negativen Transfer oder zu Missverständnissen führen können. Bleibt auf der Verbalisierungsebene der kontrastive Bezug zur Sprache/ Kultur der Lernenden hier unausgesprochen, ist er auf semantischer Ebene durchaus präsent und in Form eines impliziten Vergleichs erkennbar (Bsp. 13, das typisch italienische süße Frühstück; Bsp. 14 italienische Nachnamen), bei dem manchmal die Begriffsunterschiede visuell markiert werden (Bsp. 11, taglia vs. numero) 26 , ohne dass der Verweis auf den Unterschied explizit genannt wird. Die zweite Kategorie, in der die Ergebnisse der qualitativen Lehrwerkanalyse gruppiert wurden, wird im Gegensatz zur ersten nicht durch die Form bzw. die Formulierung der mehrsprachigen Bezüge (auf syntagmatischer Ebene) definiert, sondern durch ihren Inhalt und die zu entwickelnden Kompetenzen. So kann man zwischen denjenigen mehrsprachigen Spuren unterscheiden, die eher der Ebene der Sprache und denen, die eher der Kultur zugeordnet werden können. In den kulturell ausgerichteten Übungen zur Förderung der interkultu‐ rellen Kompetenz wird nur Bezug auf das Deutsche genommen: Durch linguis‐ tisch-kognitive Aufgaben wie spiegare und riflettere werden die Lernenden auf‐ gefordert, die kulturellen Besonderheiten der eigenen Erstsprache bzw. Kultur bezüglich verschiedener Themen (Frühstück, Schulsystem, Einkaufen, Feste und 162 Sara Colombo <?page no="163"?> 27 Nur im Vocabolario-Teil wird der Fokus in SB1 auch auf andere Sprachen (ENG, LAT, FRZ) erweitert. Gesten in SB1 und Feste, Gebräuche und Tourismus in SB2) zu erklären, um die Reflexion und die Bewusstmachung über kulturelle Unterschiede zwischen Italien und Deutschland anzuregen und somit die interkulturelle Kompetenz zu fördern. Wie schon erörtert, sind die meisten interkulturellen Vergleiche in den Arbeitsanweisungen implizit ausgedrückt (vgl. Bsp. 13 und 14), obwohl sie auch explizit sein können (Bsp. 5-6 und 15): (15) E i gesti in Germania? - Quali gesti tedeschi conosci? Paragonali con quelli italiani. Welche deutschen Gesten kennst du? Vergleiche sie mit den italienischen Gesten. (SB1: 124) In den sprachlich ausgerichteten mehrsprachigen Übungen, die zum Trainieren der sprachlichen Kompetenzen dienen, sind Unterschiede zwischen SB1 und SB2 in der Anzahl der einbezogenen Sprachen anzumerken: Während der erste Band (SB1) fast ausschließlich Bezüge auf das Deutsche (das als Erstsprache oder lingua di scolarizzazione der Lernenden gelten sollte) anbietet - bis auf einen Verweis auf das Englische -, werden die mehrsprachigen Bezüge mit dem steigenden Kompetenzniveau im zweiten Band (SB2) erweitert, indem nicht nur Deutsch, sondern auch Latein, Englisch, Französisch (mögliche vor‐ gelernte Fremdsprachen) und „altre lingue“ explizit in den Vergleichen erwähnt werden. 27 Das Heranziehen anderer Sprachen und die linguistisch-kognitiven Aufgaben, die vorgesehen sind, reichen von tradurre bzw. riassumere zu spiegare, über riflettere bis osservare: Die kontrastierende Darstellung der linguistischen Systeme bezweckt, die Lernenden für Parallelen und Unterschiede zu sensibi‐ lisieren, und dient dem übergeordneten Ziel, die Sprachmittlungskompetenz und die grammatische Kompetenz zu entwickeln. Es ist anzumerken, dass die Anzahl an Sprachmittlungsübungen mit dem höheren Kompetenzniveau steigt (4 Übungen in SB1 und 8 in SB2), während die Anzahl der Sprachen, die bei der Sprachmittlung miteinbezogen werden, konstant bleibt und auf das Deutsche (Erstsprache) und das Italienische (Zielsprache) begrenzt ist. Die kognitiven Aufgaben der Sprachmittlung werden sowohl in die Zielsprache (DE → ITA, Bsp. 16) als auch in die Erstsprache vorgesehen (ITA → DE, Bsp. 17 vor allem in SB1): (16) In vacanza in Italia? Certo, ma…attenzione! - Sul giornale Yannik ha trovato consigli per turisti che vanno in vacanza in Italia. Vuole sapere da Fabrizio se è veramente così per spiegarlo ai suoi genitori. Aiutalo a riassumere in italiano le informazioni più importanti con l’aiuto di un 163 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="164"?> dizionario bilingue e a scrivere un’e-mail a Fabrizio. Reise-Knigge: So geht Italien - In der Bar und im Restaurant: Wie Sie südlich des Brenners „Bella Figura“ machen. […] (SB2: 31) (17) Il cinema italiano in Germania - A colonia c’è la „Settimana del cinema italiano“ e Lukas, un amico di Max in Germania, vuole andare a vedere il film „NOI 4“. Max conosce questo film e trova un sito internet dove parlano del film. Adesso scrive un’e-mail (in tedesco! ) al suo amico. Parla della trama e spiega perché il film è interessante. (SB1: 101) Die grammatische Kompetenz wird durch Übersetzungsübungen trainiert und ist mit einer induktiven Reflexion über beide linguistischen Systeme (Italie‐ nisch und Deutsch) oder sogar mit anderen Fremdsprachen (wie in Bsp. 18) verbunden: (18) Esserci: c’è o ci sono? Esserci: c’è oder ci sono? - Leggi queste frasi e decidi. Lies diese Sätze und entscheide. […] Quando usiamo c’è e quando invece usiamo ci sono? E come li traduciamo in tedesco? E in inglese? (SB1: 31) Auch in SB2 wird die grammatische Kompetenz durch das Übersetzen trainiert, darüber hinaus werden auch weitere Übungen vorgesehen, bei denen durch die Aufforderung zur Reflexion über Ähnlichkeiten und/ oder Unterschiede der Sprachsysteme (nicht nur Italienisch und Deutsch, sondern auch Englisch, Französisch und altre lingue che conosci) die Lernenden dazu geführt werden, induktiv Regeln zu formulieren und dabei zu erklären, wie die Sprache funktio‐ niert (Bsp. 19, 20): (19) Le ragazze dicono che „si sarebbe annoiato“ e che „avrebbe brontolato“. Secondo il contesto, che forme sono? Che cosa esprimono? Pensando ad altre lingue che conosci (per esempio il francese) sai dire come si formano? Controlla i tuoi risultati con l’aiuto della grammatica. (SB2: 115) (20) Le forme del futuro anteriore - Nel testo hai incontrato alcune forme del futuro anteriore. Elencale. Partendo da altre lingue che conosci, puoi dire come si formano? E che cosa esprimono? Formula la regola e poi controllala con l’aiuto della grammatica. (SB2: 116) Neben Grammatik sind in den Schüler: innenbänden die sprachlichen Ebenen, die durch den Rückgriff auf andere Sprachen fokussiert werden, vorwiegend Lexik und (in kleineren Anteilen) Syntax. Insbesondere was die Lexik anbe‐ langt, findet man in SB1 und SB2 Spuren von mehrsprachigen Ansätzen - nicht nur in den Lektionen selbst, sondern vor allem in den Teilen Strategia und 164 Sara Colombo <?page no="165"?> 28 Die Sprachen werden durch ihre Anfangsbuchstaben, die fett markiert sind, also L, F und E, angegeben. Vocabolario, in denen das sprachvernetzende Vorgehen gleichzeitig mehrere Sprachen involviert, und zwar Italienisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Latein. Bei der Analyse wurde festgestellt, dass die Wahl der im interlingualen Vergleich miteinbezogenen Sprachen bestimmten Funktionen entspricht. So dient der gleichzeitige Rückgriff auf mehreren Sprachen (romanische Sprachen und Erstsprache) dazu, unbekanntes Vokabular zu erschließen; der Bezug nur auf das Lateinische gibt etymologische Informationen, um die diachrone Ent‐ wicklung des Italienischen zu erklären; die Gegenüberstellung und der Vergleich zwischen Italienisch und Deutsch dient nicht nur als Hilfe zum Vokabellernen, sondern auch zur Sensibilisierung und Bewusstmachung bestimmter lexikali‐ scher Phänomene (z. B. italianismi und Abkürzungen). Überraschenderweise werden aber selbst im Strategie-Teil die Vorteile des Rückgriffs auf bereits er‐ lernte Fremdsprachen präsentiert, bedauerlicherweise aber nur um unbekanntes Vokabular zu erschließen (SB1: 143-144) und nicht etwa als Strategie des Vokabelmemorierens (SB1: 139 ff.). Im Vocabolario-Teil werden lexikalische Parallelen in tabellarischer Form dar‐ gestellt (SB1 und SB2): Neben der italienischen Vokabel (erste Spalte) werden die deutsche Übersetzung (zweite Spalte) sowie (wenn möglich) die - in dieser Rei‐ henfolge - lateinische, französische und englische Entsprechung (dritte Spalte) aufgelistet. 28 Der transparente Wortschatz, der zur Bedeutungsherleitung und zum Vokabellernen dient, erlaubt in diesem Fall einen positiven Transfer, der dank der visuellen Unterstützung des interlingualen Sprachvergleichs gefördert wird. Die den Vergleich begünstigende tabellarische Darstellung, die in SB1 nur im Strategie- und Vocabolario-Teil zu finden ist, wird hingegen in SB2 bereits in den Lektionen angeboten: Hier werden die Lernenden aufgefordert, die mehrsprachigen Hinweise (ITA, LAT, ENG, FRZ) in den dargebotenen Tabellen für die Übersetzung der Vokabel ins Deutsche zu benutzen (Bsp. 21): (21) Evelyn cerca prima di capire il significato di alcune parole che non conosce. Per questo pensa ad altre lingue. Aiutala a tradurre i seguenti vocaboli: [Tabelle folgt] (SB2: 95) Wenn transparenter Wortschatz als Brücke zur Bedeutungsherleitung fungiert, wird „irreführender Wortschatz“ zur Vermeidung von Missverständnissen bzw. lexikalischen Fehlern angeführt, jedoch lediglich in einer Übung über false friends (Bsp. 22): 165 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="166"?> 29 Vgl. Schmidts noticing hypothesis (1995). (22) Häufig vorkommende lexikalische Fehler (falsi amici) - Finde heraus, welches die korrekte Form ist und übersetze dann den Satz ins Deutsche. (SB2: 169) Neben Lexik gibt es im untersuchten Lehrwerk auch mehrsprachige Übungen im Bereich der Syntax: In SB1 werden z. B. die Lernenden aufgefordert, durch Beobachtung den Satzbau und die Stellung der Satzglieder im Italienischen und im Deutschen kontrastiv zu fokussieren (Bsp. 23): (23) La posizione delle parole nella frase. Die Wortstellung im Satz. Guarda queste frasi e decidi: dove mettiamo il soggetto nella frase? E il verbo? Dove mettiamo l’oggetto diretto e dove l’oggetto indiretto? E quali parole corrispondono al tedesco Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ? (SB1: 64) Somit sollten die Lernenden durch Bewusstmachung (awareness-raising ap‐ proach) für Parallelen bzw. Unterschiede sensibilisiert werden. Während die mehrsprachigen Bezüge im Bereich der Syntax nur vereinzelt in SB1 vor‐ kommen, findet man sie in den grammatischen Beiheften (GB1 und GB2) in größerer Anzahl. Die Sprachvernetzung im Bereich der Syntax erfolgt kon‐ trastiv zwischen Deutsch und Italienisch: Dank der visuellen Gegenüberstellung sollte der tabellarische Vergleich zwischen dem deutschen und italienischen Satzbau bei den Lernenden das Erkennen von interlingualen Unterschieden und Parallelen stimulieren (noticing  29 ). Dazu wird auch die entsprechende Erklärung gegeben, in der Unterschiede oder Parallelen zwischen Erstsprache Deutsch, Zielsprache Italienisch und vorgelernter Fremdsprache Englisch explizit ange‐ führt werden (Bsp. 24): (24) L’ordine delle parole nelle frasi subordinate - Die Wortstellung in Nebensätzen [Tabelle mit Beispielsätzen auf ITA und DE folgt]. Beachte: Im Deutschen steht das Prädikat eines Nebensatzes am Ende, im Italienischen dagegen nicht! Die Wortstellung bleibt also im Vergleich zum Hauptsatz (ähnlich wie im Englischen) unverändert. (GB1: 23) Auch in GB2 wird für die interlinguale Syntaxarbeit das Englische herange‐ zogen: Hier dient der interlinguale Vergleich zwischen drei Sprachen dazu, das Verstehen eines bestimmten syntaktischen Phänomens (messa in rilievo) zu erleichtern (Bsp. 25): 166 Sara Colombo <?page no="167"?> (25) La messa in rilievo - Die Hervorhebung „It was only by chance that their team won.“ (= „Nur durch Zufall gewann ihre Mannschaft.“) In diesem Satz lässt sich eine typische Konstruktion des Englischen erkennen. Diese wird, wie die Übersetzung zeigt, im Deutschen seltener benutzt […]. Das Englische und das Italienische sind dagegen stärker an die Abfolge Subjekt - Prädikat - Objekt gebunden […]. (GB2: 69) Ein sprachvernetzendes Vorgehen findet man auch in den grammatischen Beiheften auf der Ebene der Lexik, wenn auch vereinzelt im Vergleich zu den Schüler: innenbänden, und selbstverständlich in der Grammatik, da die Erklä‐ rungen grammatischer Regeln in den Fokus gerückt werden. Eben in diesem Bereich sind die meisten Verweise auf mehrsprachige Ansätze zu verzeichnen (Bsp. 26): (26) (GB2: 16) In GB1 werden sprachvernetzende Vergleiche auch für eine andere sprachliche Ebene vorgesehen, und zwar die Phonetik: Der Vergleich mit dem Deutschen wird angeführt, um Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Aussprache und in der Graphie zu verdeutlichen (Bsp. 27): (27) La pronuncia - Die Aussprache. Grundsätzlich werden im Italieni‐ schen die Vokale meist offener (z. B. cosa, caffè) und die Konsonanten weicher als im Deutschen gesprochen […]. (GB1: 5) Die Erklärung wird an dieser Stelle durch eine Tabelle mit Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenz vervollständigt, in der Ähnlichkeiten mit der deutschen und englischen Aussprache betont werden (Bsp. 28): 167 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="168"?> (28) / ʧ/ wie engl. Chat (GB1: 5) Wie eben erörtert, dient der Rückgriff auf andere Sprachen in den gramma‐ tischen Beiheften zur Erklärung bestimmter Phänomene in den Bereichen Grammatik, Lexik, Syntax und Phonetik. Interessant zu betonen ist es, dass in den grammatischen Beiheften der Um‐ gang mit Sprachen, die als Vergleichsbasis fungieren, qualitativ und quantitativ anders ist: Der Verweis auf vorgelernte Fremdsprachen wie Latein, Englisch und Französisch erfolgt auf einer häufigeren Basis als in den Schüler: innenbänden, in denen in der Regel Bezug auf das Deutsche und in selteneren Fällen auf das Englische genommen wird. Außerdem werden auch mehr Sprachen einbezogen: Neben Deutsch, Englisch, Französisch und Latein wird auch Spanisch herange‐ zogen, wobei dies ein Einzelfall bleibt (Bsp. 29): (29) (GB1: 36) Wie in den Schüler: innenbänden wurde auch für die grammatischen Beihefte festgestellt, dass die Wahl der im interlingualen Vergleich einbezogenen Spra‐ chen bestimmten Funktionen entspricht: Während Englisch, Französisch und Spanisch als Brücke mit einer Lernhilfefunktion erwähnt werden, um Paral‐ lelen und Unterschiede zu betonen, wird das Lateinische als Brückensprache herangezogen, um auf lexikalischer Ebene einen etymologischen Anhaltspunkt anzubieten (Bsp. 30) oder auf der Ebene der Verbmorphologie als Hilfe für die Konjugation von unregelmäßigen Verbformen zu dienen (Bsp. 31): (30) plurale delle parti del corpo - Der Plural bei Körperteilen. Viele Kör‐ perteile weisen im Plural ein anderes Geschlecht als im Singular auf. Die Pluralendung auf -a lässt sich mit dem Neutrum Plural des lateinischen 168 Sara Colombo <?page no="169"?> Ursprungswortes erklären, z. B. lateinisch: brachium - brachia italienisch il braccio - le braccia. (GB2: 22) (31) Merkhilfe: Manche unregelmäßigen Formen lassen sich leicht von den lateinischen PPP-Formen ableiten, vgl. z. B. factum - fatto; lectum - letto; scriptum - scritto. (GB1: 40) 7 Schlussbemerkungen Ziel des vorliegenden Beitrags war es, Lehrwerke der neu(er)en Generation (nach 2012 erschienen) für das Schulfach Italienisch in Nordrhein-Westfalen quantitativ und qualitativ bezüglich ihrer mehrsprachigkeitsdidaktischen Kon‐ zeption und Umsetzung zu untersuchen. Die quantitative Analyse des Lehr‐ werks Scambio hat Unterschiede in der Verteilung von mehrsprachigen Bezügen in den Schüler: innenbüchern, wo sie noch einen geringen Teil darstellen, und grammatischen Beiheften gezeigt. Einer qualitativen Analyse zufolge wurden die mehrsprachigkeitsorientierten Verweise in Kategorien gruppiert: explizite vs. implizite Bezüge sowie sprachliche vs. kulturelle Bezüge. Explizite Bezüge findet man, wenn die Lernenden in der Arbeitsanweisung zum interlingualen oder interkulturellen Vergleich explizit aufgefordert werden. Bei impliziten Bezügen auf mehrsprachige Ansätze fehlt hingegen jeglicher Verweis auf andere Sprachen sowie die Aufforderung zur kontrastiven Beobachtung in den Aufgabenstellungen bzw. Erklärungen. Somit bleiben mehrsprachige Bezüge auf der Verbalisierungsebene unausgesprochen, während sie auf semantischer Ebene durchaus in Form eines impliziten Vergleichs vorhanden sind, der durch zwei verschiedene Strategien präsentiert wird. Sind die mehrsprachigen Bezüge kulturell ausgeprägt, dann werden die Lernenden zur Reflexion und Bewusst‐ machung über kulturelle Unterschiede zwischen Italien und Deutschland aufge‐ fordert mit dem Ziel, die interkulturelle Kompetenz zu fördern. In den sprachlich ausgerichteten mehrsprachigen Anteilen, die zum Trainieren der sprachlichen Kompetenzen dienen, sollen durch die kontrastierende Darstellung der linguis‐ tischen Systeme die Lernenden für Parallelen und Unterschiede sensibilisiert werden. Sie dienen dem vorrangigen Ziel, die Sprachmittlungskompetenz und die grammatische Kompetenz zu fördern. Durch die Analyse wurde festgestellt, dass das sprachvernetzende Vorgehen in den Büchern der Reihe Scambio nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unterschiedlich ist: Anders als in den Schüler: innenbänden erfolgt der Verweis auf vorgelernte Fremdsprachen auf einer regulären und häufigen Basis in den grammatischen Beiheften, in denen außerdem mehr Sprachen als Vergleichs‐ basis fungieren (Deutsch, Englisch, Französisch und Latein - und in einem 169 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="170"?> Einzelfall auch Spanisch) - wobei die Wahl der im interlingualen Vergleich einbezogenen Sprachen bestimmten Funktionen entspricht. Der Rückgriff auf andere Sprachen dient im Lehrwerk zur Erklärung bestimmter Phänomene in den Bereichen Lexik, Grammatik, (in kleineren Anteilen) Syntax und (verein‐ zelt) Phonetik, wenn auch mit variierender Frequenz und mit unterschiedlichem Schwerpunkt, je nachdem ob sie in den Schüler: innenbänden oder in den grammatischen Beiheften behandelt werden. Der explizite oder implizite intersprachliche und interkulturelle Vergleich im untersuchten Lehrwerk begünstigt den positiven Transfer und dient dem Ziel, die Reflexion über diverse Sprachsysteme (Erstsprache, Zielsprache und vorgelernte Fremdsprachen) und Kulturen zu fördern: Durch induktive und explorative Methoden sollten die Lernenden durch Bewusstmachung (aware‐ ness-raising approach, noticing) für Parallelen bzw. Unterschiede sensibilisiert werden. Obwohl sich spürbare Unterschiede zu der unmittelbar vorhergehenden Lehrwerkgeneration (vgl. Schöpp 2015a, Michler 2015) auf einer quantitativen und qualitativen Ebene feststellen lassen, sind die mehrsprachigen Bezüge in Scambio, was die Frequenz (in den Schüler: innenbänden) und die mitein‐ bezogenen sprachlichen Ebenen anbelangt, noch nicht mit abschließender Systematik im Buchgewebe integriert: So würde sich durchaus anbieten, das Potenzial des Rückgriffs auf andere Sprachen bzw. Kulturen auch in bisher unberücksichtigten Bereichen wie Pragmatik und Morphologie (insbesondere Wortbildungsverfahren) auszuschöpfen. Darüber hinaus werden die neuesten Forschungsentwicklungen der deutschsprachigen Mehrsprachigkeitsdidaktik (vgl. Reimann 2016, 2018) nicht in Gänze berücksichtigt: So werden Herkunfts- und Familiensprachen im intersprachlichen (und interkulturellen) Vergleich nicht miteinbezogen sowie das Potenzial der Mehrsprachigkeit im Bereich der produktiven Fertigkeiten und des multilingualen Sachfachunterrichtes vernachlässigt. Auch eine multimediale (und multimodale) Ausnutzung der Vorteile von Synergien zwischen Sprachen und Kulturen könnte nicht nur als Lernhilfe zum Einsatz kommen, sondern auch dazu beitragen, die Motivation beim Fremdsprachenlernen zu erhöhen und somit einen wichtigen Schritt zur Bildung von Mehrsprachigkeitsprofilen zu leisten. Es ist anzunehmen, dass ein stärkerer Verweis auf das Potenzial von Synergieeffekten zwischen den Sprachen sowie ein expliziter Bezug auf den RePA in den offiziellen Unterlagen auf Länderebene die systematische Implementierung von Mehrsprachigkeit in Lehrwerken begünstigen würde. 170 Sara Colombo <?page no="171"?> Literatur Primärliteratur Bernhofer, Verena (Hrsg.) (2015): Scambio 1. Unterrichtswerk für Italienisch. Ausgabe A - Grammatisches Beiheft 1. Bamberg: C.C. Buchner. Bernhofer, Verena (Hrsg.) (2015): Scambio 1. Unterrichtswerk für Italienisch. Ausgabe A - Schüler: innenband 1. Bamberg: C.C. Buchner. Bernhofer, Verena (Hrsg.) (2016): Scambio 2. Unterrichtswerk für Italienisch. Ausgabe A - Grammatisches Beiheft 2. Bamberg: C.C. Buchner. Bernhofer, Verena (Hrsg.) (2016): Scambio 2. Unterrichtswerk für Italienisch. Ausgabe A - Schüler: innenband 2. Bamberg: C.C. Buchner. In dem Beitrag zitierte (jedoch nicht analysierte) Lehrwerke Giunta, Luigi & Lüttgens, Iris & Pietsch, Anne-Kathrin & Saviano, Ottavio (2011): Giro. Arbeitsbuch Italienisch für die Oberstufe. Paderborn: Schöningh. Jäger, Andreas & Mörl, Karma (Hrsg.) (2006): Appunto 1. Unterrichtswerk für Italienisch. Bamberg: C.C. Buchner. Jäger, Andreas & Mörl, Karma (Hrsg.) (2007): Appunto 2. Unterrichtswerk für Italienisch. Bamberg: C.C. Buchner. Jäger, Andreas & Mörl, Karma (Hrsg.) (2008): Appunto 3. Unterrichtswerk für Italienisch. Bamberg: C.C. Buchner. Rückl, Michaela & Moriggi, Rachele & Rigamonti, Enrica & Holzinger, Gabriele & Seel‐ eitner, Isolde & Castillo de Kastenhuber, Claudia & Lara Fernández, Carlos de (2012): Scopriamo l’italiano. Italienisch interlingual. Wien: Verlag Hölder-Pichler-Tempsky. Schmiel, Sonja & Stöckle, Norbert (Hrsg.) (2003): In piazza - Italienisch in der Oberstufe. Bamberg: C.C. Buchner. Schmiel, Sonja & Stöckle, Norbert (Hrsg.) (2012): In piazza - Ausgabe A. Schüler: innen‐ band. Bamberg: C.C. Buchner. Schmiel, Sonja & Stöckle, Norbert (Hrsg.) (2012): In piazza 1 - Ausgabe B. Bamberg: C.C. Buchner. Schmiel, Sonja & Stöckle, Norbert (Hrsg.) (2013): In piazza 2 - Ausgabe B. Bamberg: C.C. Buchner. Zieglmeier, Susanne & Volk, Philipp (Hrsg.) (2015): Ecco 1. Metodo di italiano. Berlin: Cornelsen. Zieglmeier, Susanne & Volk, Philipp (Hrsg.) (2015): Ecco 2. Metodo di italiano. Berlin: Cornelsen. Zieglmeier, Susanne & Volk, Philipp (Hrsg.) (2015): Ecco 3. Metodo di italiano. Berlin: Cornelsen. 171 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="172"?> Sekundärliteratur Bär, Marcus (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schüler: innenn der Klassen 8 bis 10. Tübingen: Narr. Bausch, Karl Richard & Helbig-Reuter, Beate (2003): „Überlegungen zu einem integra‐ tiven Mehrsprachigkeitskonzept: 14 Thesen zum schulischen Fremdsprachenlernen“. In: Neusprachliche Mitteilungen 4, 194-201. Butzkamm, Wolfgang (1973): Aufgeklärte Einsprachigkeit: Zur Entdogmatisierung der Methode im Fremdsprachenunterricht. Heidelberg: Quelle & Meyer. CEFR (2018) = Council of Europe: Common European Framework of Reference for Lang‐ uages: Learning, Teaching, Assessment. Companion Volume with New Descriptors. https: / / rm.coe.int/ cefr-companion-volume-with-new-descriptors-2018/ 1680787989, Zugriff: 04.10.21. CEFR (2001) = Council of Europe: Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Cambridge: Cambridge University Press. https: / / rm.coe.int/ 1680459f97, Zugriff: 04.10.21. Herdina, Philip & Jessner, Ulrike (2002): A Dynamic Model of Multilingualism: Perspectives of Change in Psycholinguistics. Clevedon: Multilingual Matters. Hufeisen, Britta (2011): „Wie sich mehrsprachigkeitsdidaktische Ideen in Lehrmaterialien umsetzen lassen - Vorstellung einiger konkreter Beispiele“. In: FLuL (40,2), 106-119. KMK (2012) = Ständige Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutsch‐ land: Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012). https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschlues se/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf, Zugriff: 04.10.2021. Martinez, Hélène (2015): „Mehrsprachigkeitsdidaktik: Aufgaben, Potenziale und Herasu‐ forderungen“. In: FLuL 44, Heft 2, 7-19. Meißner, Franz-Joseph & Reinfried, Marcus (Hrsg.) (1998): Mehrsprachigkeitsdidaktik: Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen. Tübingen: Narr. Melo-Pfeifer, Silvia & Reimann, Daniel (Hrsg.) (2018): Plurale Ansätze im Fremdsprachen‐ unterricht in Deutschland: State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven. Tübingen: Narr. Michler, Christine (2015): „Mehrsprachigkeit in Lehrwerken für den Französischunter‐ richt an Gymnasien. Mit einem Exkurs zu Lehrwerken für den Spanisch- und Italienischunterricht“. In: Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik 9(1), 79-97. Morkötter, Steffi (2016): Förderung von Sprachlernkompetenz zu Beginn der Sekundarstufe: Untersuchungen zu früher Interkomprehension. Tübingen: Narr. MSW NRW (2014) = Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nord‐ rhein-Westfalen (Hrsg.): Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/ Gesamt‐ 172 Sara Colombo <?page no="173"?> schule in Nordrhein-Westfalen. Italienisch. Frechen: Ritterbach Verlag. https: / / www.sc hulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ lehrplan/ 126/ KLP_GOSt_Italienisch.pdf, Zugriff: 04.10.2021. Paradis, Michel (2004): A Neurolinguistic Theory of Bilingualism. Amsterdam & Philadel‐ phia: John Benjamins. Reimann, Daniel (2018): „Mehrsprachigkeitsdidaktik“. In: Melo-Pfeifer, Sílvia & Reimann, Daniel (Hrsg.): Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven. Tübingen: Narr, 29-77. Reimann, Daniel (2016): „Aufgeklärte Mehrsprachigkeit - Sieben Forschungs- und Handlungsfelder zur (Re-)Modellierung der Mehrsprachigkeitsdidaktik“. In: Rückl, Michaela (Hrsg.): Mehrsprachigkeit und Inter-/ Transkulturalität im Sprachenunterricht und in der Lehrer_innenbildung. Münster: Waxmann, 15-33. Reimann, Daniel (2015): „Aufgeklärte Mehrsprachigkeit - neue Wege (auch) für den Spanischunterricht“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 51, 4-11. RePA (2009) = Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. Kompetenzen und Ressourcen. Überarbeitete Fassung. Straßburg: Europarat. https: / / archive.ecml.at/ mtp2/ publications/ C4_RePA_090724_IDT.pdf, Zugriff: 04.10.2021. Rückl, Michaela (2017): „Brauchen wir mehrsprachigkeitsdidaktische Lehrwerke für den Unterricht von Italienisch und Spanisch an der Sekundarstufe II? “. In: Fäcke, Christiane & Mehlmauer-Larcher, Barbara (Hrsg.): Fremdsprachliche Lehrmateria‐ lien: Entwicklung, Analyse und Rezeption. KFU -Kolloquium Fremdsprachenunterricht. Frankfurt: Peter Lang, 245-271. Rückl, Michaela & Rigamonti, Enrica & Moriggi, Rachele (2013): „Scopriamo l’italiano - un approccio didattico plurilingue all’italiano come lingua straniera“. In: Rückl, Michaela & Santoro, Elisabetta & Vedder, Ineke (Hrsg.): Contesti di apprendimento di italiano L2. Tra teoria e pratica didattica. Firenze: Cesati, 73-86. Schmidt, Richard (1995): „Consciousness and Foreign Language Learning: a Tutorial on the Role of Attention and Awareness in Learning“. In: Schmidt, Richard (Hrsg.): Attention and Awareness in Foreign Language Learning. Honolulu: University of Hawai’i at Manoa, 1-63. Schöpp, Frank (2020): „Sprachvergleiche in Italienischlehrwerken für den Sekundarstufe I der 2010er Jahre“. In: Schädlich, Birgit (Hrsg.): Perspektiven auf Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht - Regards croisés sur le plurilinguisme et l᾽apprentissage des langues. Berlin: Springer, 75-100. Schöpp, Frank (2015a): „Ansätze zum interlingualen Sprachvergleich in neueren Lehr‐ werken für den spät beginnenden Italienisch- und Spanischunterricht“. In: Lavric, Eva & Pöckl, Wolfgang (Hrsg): Comparatio delectat II. Akten der VII. Internationalen Arbeitstagung zum romanisch-deutschen und innerromanischen Sprachvergleich. Inns‐ bruck 6.-8. September 2012. Frankfurt: Peter Lang, 861-77. 173 Mehrsprachigkeit in Lehwerken für den schulischen Italienischunterricht <?page no="174"?> Schöpp, Frank (2015b): „Überlegungen zur unterrichtspraktischen Gestaltung einer engeren Vernetzung des schulischen Englisch- und Italienischunterrichts“. In: FLuL 44, Heft 2, 47-59. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2020): Bildung und Kultur. Allgemeinbildender Schulen. Schuljahr 2018/ 2019, Fachserie 11, Reihe 1. Wiesbaden. https: / / www.destatis.de/ , Zugriff: 04.10.21. Weißbuch (1995) = Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung: Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft. https: / / europa.eu/ documents/ comm/ white_ papers/ pdf/ com95_590_de.pdf, Zugriff: 04.10.2021. Zappatore, Daniela (2003): „Die Abbildung des mehrsprachigen Sprachsystems im Gehirn: Zum Einfluss verschiedener Variablen“. In: Bulletin Suisse de linguistique appliquée (VALS-ASLA), 78, 61-77. Internetseiten https: / / carap.ecml.at/ Descriptorsofresources/ tabid/ 2654/ language/ de-DE/ Default.aspx, Zugriff: 04.10.21. https: / / www.ccbuchner.de/ reihe/ scambio-a-336, Zugriff: 04.10.21. 174 Sara Colombo <?page no="175"?> 1 Einige Abschnitte des Artikels (1, 2 und 3.1) stellen überarbeitete Versionen von Veröffentlichungen der Autorin dar (Vernal Schmidt 2020, 2021). Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse einer Lehrwerklektion im historischen Vergleich Janina M. Vernal Schmidt 1 Einführung ins Thema 1 Der vorliegende Beitrag hat zum einen das Ziel, die Notwendigkeit eines rassimuskritischen Blicks auf im schulischen Fremdsprachenunterricht ge‐ genwärtig eingesetzte Spanischlehrwerke herauszuarbeiten. Auf diese Weise können Veränderungsperspektiven für einen Spanischunterricht, der weniger diskriminierende Strukturen aufweist, erarbeitet und in der Spanischdidaktik verankert werden. Zum anderen soll nachgezeichnet werden, ob und inwie‐ fern sich in Spanischlehrwerken gesellschaftspolitische Debatten zum Thema Rassismus und Kolonialgeschichte widerspiegeln. Die im Rahmen der interkul‐ turellen kommunikativen Kompetenzen anzubahnenden Grundhaltungen wie Respekt, Kritikfähigkeit, Ambiguitätstoleranz und Reflexion von Stereotypen sind zweifellos wichtige Bausteine für ein verantwortungsvolles Miteinander in (internationalen) Kommunikationssituationen. Um jedoch die Kontinuität von Diskriminierungen, Verletzungen und Ausschlüssen in (inter-)nationalen Handlungskontexten zu durchbrechen, ist eine rassismus- und herrschaftskri‐ tische Ausrichtung des Spanischunterrichts von hoher Relevanz. ‚Rassismus‘ verstehe ich als ein gesellschaftsstrukturierendes Merkmal, das als diskursives Phänomen Macht- und Dominanzverhältnisse schafft, Privile‐ gien legitimiert, fortträgt und materielle und symbolische Ausschlüsse produ‐ ziert (cf. Fereidooni & El 2017: 477). Rassistische Denkweisen treten „in der Figur der zumeist herabwürdigenden und benachteiligenden binären Unterscheidung zwischen einem sozial konstruierten natio-ethno-kulturellen Wir und einem Nicht-Wir [auf, JMVS], die durch ein komplexes, diachron und synchron <?page no="176"?> 2 In zahlreichen Studien konnte institutionelle Diskriminierung an deutschen Bil‐ dungsinstitutionen herausgearbeitet werden (cf. für einen Überblick Hasse/ Schmidt 2012). Diskriminierungen und rassismusrelevante Handlungsroutinen findet man im Lehrer: innenzimmer (cf. Fereidooni & El 2017), im Klassenzimmer (cf. z. B. Weber 2003, Rose 2012) sowie im Seminarraum (cf. Klein & Heitzmann 2012). 3 Rassismuskritik stellt indessen keine neue Analyseperspektive dar - v. a. die deutschen Erziehungswissenschaften beschäftigen sich seit Beginn der 1990er Jahre mit dem Zusammenhang von Diversität, (migrations-)gesellschaftlichen Prozessen von Einverzweigtes System gesellschaftlicher Praktiken […] aufrechterhalten und legi‐ timiert“ (Scharathow et al. 2011: 11) werden. Strukturelle Machtungleichheiten durchdringen und prägen die gesamte Gesellschaft, dabei stellt Rassismus als „flexible symbolische Ressource“ (Scherschel 2006) Subjekten und Bildungsin‐ stitutionen Deutungs- und Interpretationsmuster zur Verfügung 2 (cf. Broden & Mecheril 2010: 14). Dennoch werden antirassistische Kämpfe und rassismuskritische Ansätze noch immer v. a. in den USA verortet. Eine breite gesellschaftliche Auseinander‐ setzung mit der deutschen Rassismusgeschichte und mit aktuellen Problemen im Zusammenhang mit Rassismus hat in Deutschland erst kürzlich eingesetzt. Dies lässt sich bspw. an der empathischen Haltung vieler Menschen mit der Black-Lives-Matter-Bewegung ablesen. Auch die rassistischen Morde in Hanau und Halle im Jahr 2020 haben das Rassismusproblem in Deutschland schmerz‐ lich verdeutlicht. In der Folge erlangten wichtige Themen wie Alltagsrassismus, die deutsche Kolonialgeschichte oder systemischer Rassismus (z. B. racial profiling) hohe mediale Aufmerksamkeit (cf. Alexopoulu 2021). Auch die For‐ schung zu rassismusrelevanten und kolonialgeschichtlichen Themenbereichen erhielten letztlich mehr Resonanz und Sichtbarkeit auf gesellschaftlicher und politischer Ebene (cf. Conrad 2019). In schulischen Settings lernen Lerner: innen oft - ohne dass dies inten‐ diert wäre - unterrichtlich legitimierte rassismusrelevante Deutungsangebote und Handlungsmuster durch Lehrmaterialien sowie durch lehrerseitige Ver‐ mittlungsprozesse kennen. Von Rassismus und Diskriminierung betroffene Schüler: innen leiden unter solchen Inhalten und Verhaltensweisen (cf. z. B. Marmer 2017, Karabulut 2020, Velho 2011, Yeboah 2017). Zugleich reproduzieren Lernende schulisch legitimiertes rassistisches Wissen mitunter ganz selbstver‐ ständlich. Insofern stehen (zukünftige) Lehrpersonen in der besonderen Verant‐ wortung, rassismusrelevante Inhalte zu erkennen, zu dekonstruieren und ihre Verbreitung aufzuhalten. Hier hilft der Ansatz der Rassismuskritik, der mit Linnemann, Mecheril und Nikolenko (2013) als eine Haltung und Perspektive verstanden wird, die nach „Selbstverständnissen und Handlungsweisen, von denen weniger Gewalt ausgeht“, sucht 3 (ebd.: 11). Dabei sollen und können nicht 176 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="177"?> und Ausschlüssen und der Rolle von (Bildungs-)Institutionen (Georgi 2018: 64 f.). In den Fremdsprachendidaktiken ist der rassismuskritische Ansatz bisher vereinzelt eingebracht worden (cf. zuletzt Bonköst 2020, Vernal Schmidt 2020), umfassender in der Deutsch-/ DaZ-Didaktik (cf. z. B. Simon 2020). 4 Damit ist der Prozess der Abgrenzung, Hierarchisierung und Privilegierung einer Mehrheit (= „Wir“-Gruppe) gegenüber einer Minderheit (Gruppe der „Anderen“) durch Zuschreibungen in Bezug auf Religion, Sprache, Ethnizität etc. gemeint. Die Hierarchien werden durch Diskriminierung aufgrund ebendieser Zuschreibungen hergestellt. Letztendlich dient das Othering der Stabilisierung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. 5 In diesem Sinne muss natürlich auch meine eigene privilegierte Position als relativ selten von Rassismus betroffene Akademikerin of Color sowie meine Involviertheit in die rassistischen und ausbeuterischen Strukturen der deutschen Gesellschaft und globalen Wirtschaft immer wieder mitreflektiert werden. unmittelbar anwendbare Handlungsvorgaben für Lehrende erstellt werden; vielmehr geht es darum, gegen bestehende rassistische Strukturen wie Othering  4 und Exotisierungen von Menschen zu arbeiten sowie sich selbst und eigene Normalitätsauffassungen immer wieder in Frage zu stellen. 5 Für den vorliegenden Beitrag gehe ich zunächst im zweiten Abschnitt auf die Rolle des (Spanisch-)Lehrwerks im Zusammenhang mit Darstellungen koloni‐ alhistorischer Inhalte ein, um so eine Ausgangsbasis für die rassismuskritischen Analysen zu schaffen. Im dritten Abschnitt zeige ich an ein und derselben Lehrwerklektion aus der Ausgabe von 2013 und der Ausgabe von 2020, wie die rassismus- und herrschaftskritische Perspektive für Analysen von Texten, Aufgaben und Abbildungen in Lehrwerken fruchtbar gemacht und ein Erkennen von Ein- und Ausblendungen bestimmter Perspektiven sowie rassialisierende Muster ermöglicht werden können. Ich schließe mit einem Ausblick auf das Potenzial von rassismus- und herrschaftskritischen Perspektiven für den Spa‐ nischunterricht und plädiere für die Verankerung dieser Perspektive innerhalb der Spanischdidaktik. 2 Lehrwerke und die Rolle (visueller) Repräsentation von kolonialhistorischen Inhalten Spanischunterricht ist v. a. in der Sekundarstufe I, mitunter aber auch in der Oberstufe an der Arbeit mit dem Lehrwerk orientiert (cf. Fäcke & Mehl‐ mauer-Larcher 2017: 8). Lehrwerke vereinen eine Vielzahl verschiedener Text‐ sorten, die didaktisch und methodisch aufgearbeitet und in einer gewissen Progression angeordnet werden. Prinzipiell lassen sich Lehrwerke in ein soziales Feld verorten, das von den gesellschaftlichen Funktionen der Schule bestimmt wird, die als Institution der Integration in die Gesellschaft betrachtet werden 177 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="178"?> kann (cf. Fend 2008: 46 ff.). Dabei ist Schule ein Ort der Hervorbringung kultureller Hegemonie (cf. Haug 2004), denn in die multimodalen Lehr- und Lernmaterialien sind neben sprachlichen auch kulturelle Gehalte eingelassen, „die Repräsentationen der Gesellschaft, Bilder, Beschreibungen, Erklärungen und Rahmen“ umfassen (Hall 2000: 155). Die Texte bringen demnach ein bestimmtes Wissen über die Welt und die Gesellschaft sowie über die in diesen lebenden Menschen hervor, sie stellen Sinn- und Identitätsangebote sowie Deutungsmuster zur Verfügung. Sie bieten als „Beobachtungsmedium […] Beschreibungsformen zur Erklärung von Wirklichkeit an“ (Höhne 2005: 82; kursiv im Original). Somit konstituieren Lehrwerke Erfahrungen, die für die Lernenden zu Routinen angemessener Deutungen werden können. In Lehrwerken verbinden sich gesellschaftliche Werthaltungen unterschied‐ licher Gruppen, die am Werk mitarbeiten. In Verbindung mit den Bildungsstan‐ dards und den auf diesen fußenden Lehrplänen für das Fach im jeweiligen Bundesland wird das Wissen bestimmt, das für die nachkommenden Genera‐ tionen als relevant betrachtet wird (cf. Hiller 2012: 167-168). Das Lehrwerk ist also zugleich Produkt gesellschaftlicher, fachwissenschaftlicher, pädagogischer, verlagsinterner sowie fachdidaktischer Aushandlungsprozesse und Produzent von Diskursen mit bestimmten Wahrheitsauffassungen. Es spannt ein relativ „festes Netz aus Überzeugungen und Annahmen über ‚die Welt‘“ auf (Höhne 2005: 86), das eine strukturierende und normierende Wirkung auf die Verständ‐ nisweisen der Zielgruppen entfalten kann (cf. Schumann 2016: 15-16). Zugleich ist der handlungspraktische Umgang mit Lehrwerken von schulischen Normen geprägt und in kontingente Handlungskontexte eingebettet (cf. Höhne 2005: 86): „Das Schulbuchwissen ist […] ein öffentlich sanktionierter Rahmen zur Analyse und Interpretation von Wirklichkeit“ (Hiller 2012: 125). Damit ist jedoch keinesfalls gesagt, „dass Handlungen oder Denken [der Lernenden vom Lehrwerk, JMVS] determiniert werden“ (Höhne 2005: 85). Die lehrwerkseitigen Interpretationsangebote können auch abgelehnt werden, Schüler: innen sowie Lehrpersonen können sich anders positionieren, Kritik an Aussagen im Lehr‐ werk kann akzeptiert und anerkannt werden (cf. ebd.). Aktuelle Lehrwerke bedienen sich einer Vielzahl von Bildern (Fotos, Ge‐ mälde, Comics etc.) (Heinze 2010: 10). Spezifische Motive, die in Lehrwerken immer wieder für bestimme Themen verwendet werden (cf. Grindel & Anklam 2010: 94), können als „Schlüsselbilder“ fungieren und zum Aufbau eines „kol‐ lektiven Bildgedächtnis[ses]“ beitragen (ebd.). Insofern können „sich gesell‐ schaftliche Deutungsmuster durch eine bestimmte erinnerungspolitische Praxis in die Bilder einschreiben“ (Grieb 2015: 11 mit Bezug auf Burri 2008: 346). Dafür spricht auch, dass Bilder aus kolonialen Kontexten weiterhin vorrangig 178 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="179"?> 6 So z. B. geschehen mithilfe eines Beschwerdebriefs rassismuskritischer NRO und politischen Bildner: innen an den Klett-Verlag zur Buchreihe „Meine Indianerhefte“: ww w.glokal.org/ wp-content/ uploads/ 2018/ 09/ OffenerBrief_Klett.pdf, Zugriff: 09.08.2021. auf die „‚Illustration‘ des Textes reduziert“ (Heinze 2010: 10) werden. Die Dekonstruktion von kolonialen, rassismusrelevanten Wissensordnungen in den Darstellungen bleibt meist aus (cf. Michels 2009: 160). Hinzu kommt, dass es Lehrpersonen oft an der visuellen Kompetenz mangelt (cf. Hecke 2011), um subtile Bildbotschaften zu dechiffrieren. Und auch die Aufgabenstellungen verschenken oft das Potential für eine genauere Analyse von Perspektive, Zweck oder Eigenlogik des Bildes. Dies unterstützt wiederum die Reproduktion eines vermeintlich objektiven, kolonialen Bildgedächtnis als Deutungs- und Sinnangebot für Schüler: innen, wie z. B. Davenas (2014), Kerber (2005) und Grieb (2015) in empirischen Untersuchungen zum Thema deutscher und europäischer Kolonialismus im Schulbuch herausarbeiten konnten. Insofern ist es notwendig, dass sich Lehrpersonen der Aufgabe einer rassismuskritischen Revision von Unterrichtsmaterialien stellen, diese überarbeiten und sich gegen rassifizierende Repräsentationen stark machen. 6 3 Analyse rassismusrelevanter Darstellungen und Bezeichnungspraktiken im Spanischlehrwerk Bilder wie Comics oder Fotos von Orten und Personen werden in Lehrwerken oft zur Präsentation und Vermittlung soziokulturellen und historischen Orien‐ tierungswissens sowie zur Förderung der Empathie mittels Perspektivenein‐ nahmen im Rahmen der Ausbildung interkultureller (kommunikativer) Kompe‐ tenzen eingesetzt. Aus einer rassismuskritisch informierten Perspektive ist es wichtig, dass Bilder und die durch sie angebotenen Blickposition nicht neutral sind, sondern auch dazu beitragen können, hegemoniale Deutungsmuster zu reproduzieren und legitimieren (cf. Grieb 2015: 13). Es besteht aber auch hier die Möglichkeit, spezifische Blickregimes bspw. sexistischer oder rassistischer Art, zu unterlaufen (cf. ebd.) und den dominanten Interpretationen subversive Lesarten gegenüberzustellen. Insofern wird das hier betrachtete Lehrmaterial, dessen thematische Klammer die Kolonialisierung und das koloniale Erbe der Spanier (bewusst in männlicher Form) darstellt, mit einer rassismuskritischen Brille betrachtet und ausgewertet. Ich habe diesen historischen Ausschnitt ausgewählt, da man die Eroberung Amerikas „als paradigmatischen Kulturkontakt bezeichnen kann, aus dem auch heutiges (performatives) Gegenwartswissen abgeleitet wird“ (Schumann 2016: 22 f.). So entsteht eine geschichtlich begründete Position, deren Ausgestaltung 179 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="180"?> den Schüler: innen in Bezug auf die Gegenwart vorgeschlagen wird (cf. ebd.: 23). Damit lässt sich an die o. g. Gründe für eine rassismuskritische Analyse anschließen. Ich möchte betonen, dass anhand der Analyseergebnisse keine Aussagen darüber gemacht werden können und sollen, wie das Lehrmaterial im kon‐ kreten Spanischunterricht von Lehrpersonen eingesetzt wird. Es werden einzig die Deutungs- und Sinnpotentiale sowie die Identifikationsangebote und dar‐ gestellten Handlungsoptionen, die das Material unter anderem eröffnet, in Betracht gezogen. Die erste leitende Frage ist demnach, inwieweit visuelle Repräsentationen im Lehrwerk von kolonialen, exotisierenden Bildern und ras‐ sismusrelevanten Benennungspraktiken durchzogen sind und wenn ja, ob das Lehrwerk explizit in seinen Aufgabenstellungen einen affirmativen oder einen kritischen Umgang mit solchen Inhalten anbietet. Die zweite Fragestellung bezieht sich auf Veränderungen bzgl. der o. g. Repräsentationen in derselben Lehrwerklektion durch den Vergleich der Versionen von 2013 und 2020. 3.1 Methode Für die methodische Vorgehensweise konzentriere ich mich auf die drei ersten Dimensionen des fünfdimensionalen Analysemodells von Bilderbüchern nach Staiger (2014), also auf die narrative, verbale und bildliche Ebene. Für die visuelle Analyse von Bildern halte ich mich u. a. an die Ausführungen von Abel und Klein (2016) zur medienspezifischen Formensprache von Comics und Karikaturen. Zur Auseinandersetzung mit Fotos und Texten sowie den damit eng verbundenen Blickverhältnissen ist das Konzept des cultural gaze von Silverman (1997) hilfreich. Es verweist auf die sozialen, kulturellen und ideologischen Implikationen des „Blicks“, der vorrangig die vorherrschende he‐ gemoniale Ordnung stabilisiert. So dienen dargebotene Blickpositionen oft der Stabilisierung und Reproduktion eines kollektiven, kolonialen Bildgedächtnis „als Archiv von Praktiken und symbolischen Formen zur Prägung von Blickver‐ hältnissen“ (Strohschein 2007: 14). Vor dem Hintergrund des kolonialen Erbes Lateinamerikas und den Auswirkungen des Kolonialismus interessieren mich v. a. der rassifizierte, der androzentrische und der koloniale Blick. Diese Analy‐ seinstrumente verknüpfe ich mit der Text- und Kontextanalyse zur Aufdeckung rassistischer Darstellungen nach Hornscheidt und Göttel (2004). Weiterhin trage ich grundlegende Fragen aus dem „rassismuskritischen Leitfaden“ (Autor: in‐ nenkollektiv 2015) an die Materialien aus den Lehrwerken heran und versuche, diese materialbezogen zu beantworten (cf. ebd.: 20 f.). So lassen sich folgende Fragen formulieren: Wer spricht in Sachtexten, Aufgaben und Bildern? Wessen Perspektiven werden in den Texten, Aufgaben und den Bildern dargestellt? 180 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="181"?> 7 Dieser Abschnitt basiert auf einer Analyse der Autorin Vernal Schmidt (2020). Die Analyse wurde in einigen Punkten überarbeitet und an einigen Stellen um neue Aspekte erweitert. Wessen Blickwinkel und Stimmen sind dort (nicht) repräsentiert? Wer nimmt welchen Raum im Sachtext, der Aufgabe und dem Bild ein? Wessen Wissen wird als relevant erachtet? Welche Kategorien und Begriffe werden benutzt? Welche unhinterfragten Normalitätsannahmen weisen die Texte, Aufgaben und Bilder auf ? 3.2 Rassismuskritische Analyse der Darstellung der Kolonialisierung Amerikas im Versionenvergleich 3.2.1 Von kolonialhistorischen Darstellungen und einseitigen Perspektiven… 7 In der Lektion 2 mit dem Titel „El nuevo mundo“ (‚Die neue Welt‘) aus dem Spa‐ nischlehrbuch Encuentros Edición 3000 (Schleyer et al. 2013) wird die spanische Expansionspolitik des 15. und 16. Jahrhunderts anhand unterschiedlicher Text‐ arten wie Sachtexten, Comics und Aufgaben mit verschiedenen Schwerpunkten vermittelt. Ich gehe im Folgenden knapp auf die thematische Einleitung der Lektion 2 und auf die Unterlektion 2A ein. Im vorliegenden Artikel sollen v. a. der Comic und die dazugehörigen Aufgaben aus der Unterlektion 2B „La conquista de Tenochtitlan“ im Mittelpunkt der Analyse stehen. Der Geschichtscomic zählt zur Kategorie der real-geschichtlichen Nacherzählung, die einen historiographi‐ schen Anspruch erhebt und sich der faktischen Nachprüfbarkeit verschreibt (cf. Munier 2000: 109). Er ist besonders interessant, da er vermeintlich triftiges historisches Wissen über die leicht zugängliche visuelle Ebene vermittelt. In der Einleitung der Lektion 2 und der Unterlektion 2A aus Encuentros Ed. 3000 kann insgesamt ein eurozentristischer Schwerpunkt als Perspektive auf die Kolonialisierung Amerikas ausgemacht werden. So wird der Begriff nuevo mundo nicht infrage gestellt, obgleich bereits seit Jahrhunderten hoch entwickelte Menschengruppen in Amerika lebten. Weiterhin werden Perso‐ nenbezeichnungen wie conquistador, descubridor und indio verwendet, die an koloniale Ausdrücke und rassifizierende Konzepte anschließen. Der gemeinhin positiv konnotierte Begriff ‚Entdecker‘ verschleiert darüber hinaus die gewalt‐ volle Inlandnahme der amerikanischen Gebiete. Diese ging mit der Versklavung der einheimischen Bevölkerung und der Verschleppung afrikanischer Menschen einher. Dem Comic in der Unterlektion 2B ist ein Sachtext zur Ankunft Cortés und seiner Truppen in Amerika sowie zum Aufeinandertreffen der Spanier 181 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="182"?> mit Moctezuma vorangestellt. Im Text lässt sich auf mehreren Ebenen die hie‐ rarchisierende Konstruktion der gegensätzlichen Figuren des ‚gottgesandten‘ Cortés als heldenhafter, rational denkender Repräsentant des entwickelten Spa‐ niens gegenüber dem abergläubischen, ängstlichen und passiven Aztekenführer Moctezuma herausarbeiten. Dieser grundlegende Deutungsrahmen wird nun in einem Comic auf der visuellen Ebene weitergeführt. Gezeigt wird der Zeitraum vom ersten persönli‐ chen Kontakt zwischen Moctezuma und Cortés bis zur gewaltvollen Einnahme der Stadt durch die Spanier (hier und im Folgenden bewusst in der männlichen Form) geschehen. Folgende Ereignisse sind in den Panels abgebildet: ● Die Ankunft der Spanier in Tenochtitlan (Panel 1-3) ● Cortés‘ Reise und das Massaker an den Aztek: innen (Panel 4) ● Der Aufstand der Aztek: innen, Moctezumas Tod und die Noche Triste (Panel 5-7) ● Die Rückkehr der Spanier nach Tenochtitlan (Panel 8) Es gibt einen allwissenden Erzähler, der im Blocktext am Rand der Panels explizit verbalsprachlich auftaucht. Dieser kommentiert und überbrückt ab dem dritten Panel, auf meist distanzierte Art und Weise aus einer retrospektiven Position, historische Ereignisse, die im Comic nicht dargestellt werden. Dabei fällt auf, dass die nur kurz erwähnten Ereignisse wie die ‚Reise von Cortés‘ und das Massaker der verbliebenen Spanier an den Aztek: innen, eigentlich wichtige historische Vorkommnisse darstellen, um eine differenzierte und realistischere Wahrnehmungsweise der ‚Eroberung Tenochtitlans‘ entwickeln zu können. Durch das Weglassen genauerer Infos zu Cortés‘ Reise, welche die Expedition von Narváez zum Ziel hatte, wird ein geglättetes Bild der inneren Gespaltenheit des Kollektivakteurs ‚Spanier‘ hergestellt. Zum anderen bleibt so der Anschluss einer Vielzahl lokal ansässiger verbündeter Kämpfer mit eigenen strategischen Absichten an Cortés Truppen und damit deren Handlungsmacht unerwähnt. In der aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschung zur Kolonisierung Amerikas stehen jedoch die Aushandlungsprozesse und Widerstände statt der Untermauerung falscher Darstellungen und Mythen im Fokus (cf. Schumann 2016: 13). Ähnlich kurz abgehandelt wird das von Pedro de Alvarado verant‐ wortete Massaker von Tóxcatlin in Cortés‘ Abwesenheit. In Bezug auf die Verteilung der Sprechanteile im gesamten Comic fällt auf, dass in acht von insgesamt zwölf Sprech-/ Denkblasen Cortés zur Sprache kommt. Dabei werden die Sprechakte und Gedanken in lateinischer Schrift 182 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="183"?> 8 Diese Darstellung lädt zu einem rassifiziernden Blick ein, der über das kolonialge‐ schichtlich etablierte rassistische Differenzkonstrukt Hautfarbe funktioniert (cf. Arndt 2015: 332-342). So wird u. a. die christliche Farbsymbolik der Farbe Weiß mit den Eigenschaften rein, unschuldig und tugendhaft und der Farbe Schwarz hingegen mit den Konnotationen Schande, Ungehorsam, Sünde, Promiskuität und Gefahr symbolisch auf die Orte Spanien (Europa) und Mexiko (Lateinamerika) und die dort lebenden Menschen übertragen (cf. ebd.). und einem einfach verständlichen Spanisch vermittelt. Demgegenüber stehen vier Sprechblasen auf der Seite aztekischer Figuren, wobei zwei davon direkte Sprechakte Moctezumas und eines Azteken sind und zwei davon Übersetzungen ins Spanische von Malinche darstellen. Hinzu kommt noch die sehende Wahr‐ nehmungsinstanz im Comic. Über deren Perspektive konstituiert sich der Inhalt des jeweiligen Panels. Hier wird Cortés in jedem der acht Panels bei verschie‐ denen Handlungsschritten gezeigt - er steht somit eindeutig im Zentrum. Im zweiten Panel sieht man über einen Over-Shoulder-Shot mit Cortés mit, was zu einer hohen Identifikation einlädt. Darüber hinaus werden einzig seine Gedanken in Denkblasen den Schüler: innen zugänglich gemacht, wodurch ebenfalls ein Hineinversetzen in seine Figur vereinfacht wird. Demgegenüber finden die aztektischen Stimmen kaum eine direkte Repräsentation. Sie bleiben aufgrund der Unbekanntheit der Zeichen, in denen Moctezumas Sprechakte ohne Übersetzung in die lateinische Schrift und ins Spanische wiedergegeben werden, fremd und können nur mit Malinches Hilfe verständlich gemacht werden. In Bezug auf die Figurenkonfiguration wird an der äußerlichen Darstel‐ lung erkenntlich, wer welche Figur darstellen soll, denn sie haben keine Namen. Dafür greifen die Schüler: innen vermutlich auf ihr Weltwissen, die Informationen aus dem Sachtext und die kolonialen Bilder aus den vorigen Unterlektionen zurück. Damit können sie die stereotypen und cartoonhaft dar‐ gestellten Figuren korrekt zuordnen. Die Spanier sind durchgehend hellhäutig dargestellt, sie haben hellere Haare, tragen Bärte, stecken in einer Ritterrüstung und verfügen über Metallschwerte, Lanzen, Messer, Gewehre und Pferde. Die Aztek: innen sind dunkelhäutiger dargestellt, die weiblich gelesenen Figuren tragen Gewänder, die männlich gelesenen sind am Oberkörper frei und tragen einen Lendenschurz in Erdtönen - einzig Moctezuma trägt einen bunten Kopf‐ schmuck und bunte Kleidung. Alle haben schwarzes langes Haar, das die männ‐ lich gelesenen Figuren zu einem Dutt zusammengebunden haben und sie sind mit Obsidianschwertern, Steinschleudern und Schutzschildern ausgerüstet. 8 Es fällt auf, dass v. a. die Spanier mit einer expressiven Körpersprache versehen werden. Die Körpersprache Moctezumas in Panel 5 und 6 lässt hingegen auf 183 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="184"?> ein defensives Verhalten schließen. Die aztekischen Figuren in den weiteren Panels wirken oft wie ein Publikum. Aus der ihnen zugewiesenen Blickposition können sie die Handlung - die Spanier: innen ziehen in die Stadt ein - nur wie ein Theaterstück verfolgen, ein Eingreifen ist ihnen nicht möglich. Das letzte Panel zeigt eine männlich gelesene aztekische Figur auf Knien in unterwürfiger Position. Auch dieses angebotene Blickverhältnis ist ein hierarchisch und hegemonial geprägtes. So lässt sich resümieren, dass den Aztek: innen wenig bis gar keine aktive Mitgestaltung an der Geschichte zugesprochen wird. Den Großteil des Raums im Comic nehmen die Spanier: innen und die Darstellung derer grausamen Handlungen ein. Sie sind die Handelnden, deren Perspektive von den Schüler: innen verfolgt werden kann und soll. Es handelt sich also um die Darbietung kolonialer Blickpositionen, zu deren Übernahme die Lernenden immer wieder eingeladen werden. Dies zeigt sich auch an der Erwähnung der Noche Triste, die als einziges historisches Ereignis im Comic exakt datiert wird. Darüber werden historische Faktizität und Legitimität verliehen. Hinzu kommt, dass für die Erzählung der Ereignisse um die ‚Traurige Nacht‘ herum drei von acht Panels verwendet werden, während bspw. das Blutbad in Tóxcatl lediglich in einem Nebensatz erwähnt und in einer kleinen Abbildung visualisiert wird. Das kolonialhistori‐ sche Wissen, das hier relevant gesetzt wird, ist eindeutig ein spanisches Wissen. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Erobererperspektive im Comic mit ihren Vorstellungen von Hierarchie- und Machtverhältnissen, über Othering und Exotisierungen sowie über die unkritische Vermittlung kolonialer Wissens‐ bestände und Blickpositionen wie auch schon im vorigen Sachtext fortgeführt und verfestigt wird. Der Comic ist mit fehlerhaften Darstellungen, Fiktionen und Mythen gespickt, die im aktuellen geschichtswissenschaftlichen Diskurs überwunden sind. Die Frage, wie auf didaktischer Ebene mit dem dominanten Narrativ des dichotomen, von Machtasymmetrie gekennzeichneten Kulturverhältnisses um‐ gegangen werden soll, lässt sich an den Aufgabenstellungen aus der Lektion un‐ tersuchen. Diese hätten das Potential, eine kritisch-emanzipative Aufarbeitung der dominanten Interpretation bei den Lernenden anzuregen. In einer der zwei Aufgabenstellungen zum Comic sollen die Schüler: innen sich in die Perspektive von Cortés versetzen. In einer weiteren Aufgabe ist es ihnen freigestellt, in welche Figur sie sich für die Erstellung des inneren Monologs begeben. Als Beispiel ist der Beginn eines Gedankengangs von Malinche vorgeschlagen. Zur Vorbereitung für die letzte Aufgabe dient eine andere Aufgabe, in welcher die Schüler: innen sich aussuchen sollen, ob sie für Malinche, Moctezuma oder Cortés eine Biographie unter Zuhilfenahme des im Lehrwerkanhang befindli‐ 184 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="185"?> chen Pequeño diccionario de cultura y civilización, das in knapper Form landes‐ kundliche Informationen über Persönlichkeiten, Traditionen etc. Auskunft gibt, zusammenstellen (cf. Schleyer et al. 2013: 158-164). Die Perspektivenübernahme in die Figuren soll demnach von einer stark verdichteten und fragmentierten kolonialen Repräsentation und einem äußerst kleinen Ausschnitt aus einem landeskundlichen Wörterbuch ausgehend erfolgen, obgleich die Schüler: innen für die Sinnsysteme und Lebenswelten der Figuren eigentlich kaum bis gar keine Anhaltspunkte haben. So verbleiben insbesondere die aztekischen Figuren „passive und reaktive Sozialfiguren, die als Repräsentanten für eine andere Welt und eine andere Geschichte stehen, über die man nichts erfährt: die tabula rasa der Spanier, und letzten Endes auch die tabula rasa der Imagination der Schüler_innen. Den Kulturkontakt aus ihrer Sicht zu beschreiben […] kann nur nahelegen, dass man sich in [sic! ] empathisch in eine Leere hineinversetzen soll, die nur in ihrem Verhältnis zu aktiven Spaniern gefüllt und bewertet werden kann: als unfair, aggressiv etc.“ (Schumann 2016: 55). An die Ergebnisse Schumanns anschließend, kann resümiert werden, dass aufgrund der nicht vorhandenen Vielstimmigkeit und Multiperspektivität bei der Darstellung der Kolonisierung Amerikas, die Aufgabe der Imagination einer Polyphonie an die Schüler: innen weitergegeben wird. Somit wird die Lebenswelt der ‚Anderen‘ zu einer Anforderung an das Vorstellungsvermögen der Lernenden und aus der Schulbuchnarration ausgelagert. Wenn es aber keine weiteren Anknüpfungspunkte als das kolonial geprägte Wissen für die Lernenden gibt, ist es wahrscheinlich, dass die Lernenden auf hegemoniale und rassistisch geprägte Diskurse über das ‚Andere‘ zurückgreifen. Diese stellen ihnen Lehrwerke, Gesellschaft, Politik und weitere (Bildungs-)Medien zur Verfügung (cf. ebd.). Es stellt sich nun die Frage, ob und wie sich die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hin zu einer stärkeren Wahrnehmung und Beschäftigung mit Rassismus und Kolonialgeschichte, in der überarbeiteten Version der hier betrachteten Lehrwerklektion widerspiegelt. 3.2.2 …zu einer kritischeren und mehrperspektivischen Darstellung der Kolonialisierung Amerikas In der Neufassung des Lehrwerks - Encuentros hoy 3 (Steveker 2020) - wird der Titel der Lektion zur Kolonialisierung Amerikas nicht mehr nur in Anfüh‐ rungszeichen, sondern nun als Frage formuliert: ¿El nuevo mundo? . Dies weist gleich zu Beginn auf die Infragestellung der Prämissen, die dem Begriff nuevo mundo unterliegen, und der damit verknüpften Idee der sog. ‚Entdeckung‘ 185 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="186"?> und ‚Eroberung‘ der mittel- und südamerikanischen Territorien hin. Diese Vermutung bestätigt sich in Aufgabe 3 der Lektion: Nach mehrmaliger Sichtung eines Videos mit dem Thema der aztekischen Welt vor und nach der spanischen Kolonialisierung und den dazugehörigen Hör-Seh-Verstehens-Aufgaben wird die Titelfrage explizit aufgegriffen. Für wen handelte es sich denn nun eigentlich tatsächlich um eine ‚neue Welt‘? Auf diese Weise werden die Schüler: innen zur Übernahme einer kritischeren Sichtweise, die nicht allein auf der spanischen Blickposition basiert, für die Auseinandersetzung mit der Kolonialisierung angeregt. In Aufgabe 6, einer Grammatikübung zur Wiederholung der Vergangen‐ heitsformen, werden Informationen zum Leben von Hernán Cortés, zum Azte‐ kenreich sowie zu den sog. conquistadores vergeben. Es fällt auf, dass - in Kontinuität zur Version aus 2013 - das Narrativ, die Aztek: innen und Mocte‐ zuma hätten die Spanier als Gesandte der Gottheit Quetzalcoatl angesehen, als gesichertes historisches Wissen präsentiert wird. Ein weiteres Mal bleibt unerwähnt, dass diese „Legende der weißen Götter“ aus spanischer Quelle stammt: Cortés gibt in seinem zweiten Berichtsbrief an den spanischen König die angebliche Begrüßungsrede Moctezumas wieder. In neueren geschichtswis‐ senschaftlichen Publikationen wird diese Erzählung jedoch in Frage gestellt (cf. z. B. Townsend 2003) und gilt als ein „typisch europäische[r] Vergöttlichungs‐ mythos“ (Bernhard 2014: 121). Anders als die Vorgängerausgabe erwähnt der Text zu den ‚conquistadores‘ jedoch zwei Schlüsselmomente für die ‚Eroberung’: Erstens wird die große Anzahl der indigenen Verbündeten Cortés‘, die ebenso die Herrschaft und die Tributpflicht gegenüber Moctezumas beenden wollten, erwähnt. Zweitens wird auf die aus Europa importierten Krankheiten und deren tödlichen Auswirkungen auf die ansässige Bevölkerung eingegangen. Damit wird der „über Jahrhunderte hochgehaltenen Topos der indigenen Passivität“ (Bernhard 2014: 130) durchkreuzt und dem Eindruck des passiven Erleidens der Ureinwohner sowie dem Mythos der spanischen Übermenschen, der die Gesamtdarstellung der Kolonisierung in der Ausgabe von 2013 dominiert hat, widersprochen (cf. Bernhard 2014: 131). Der in der vorigen Version betrachtete Comic und das über ihn vermittelte geschichtliche Wissen in Bezug auf die Kolonialisierung wurde in der aktuellen Version durch mehrere neue Texte und Aufgaben ersetzt. Erstens wird nun eine virtuelle Zeitreise ins Jahr 1519 kurz vor Cortés‘ Ankunft in Tenochtitlan vorgeschlagen. Dazu werden die Lerner: innen anhand eines bebilderten Sacht‐ extes von einem/ r Azteken/ Aztekin dazu eingeladen, ihr/ ihm durch die Stadt zu folgen. So erfahren sie zahlreiche Fakten über den Alltag der Aztek: innen aus der Sicht eines Mitglieds der später Kolonisierten. Über die dazugehörigen 186 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="187"?> Aufgaben wird versucht, eine Brücke zwischen der damaligen und der heutigen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen zu schlagen. In drei der vier comic‐ haften Zeichnungen werden den Text begleitende Alltagsszenen aus dem Leben der Aztek: innen visualisiert. Anders als zuvor werden die Aztek: innen somit nicht als handlungsunfähige, vorrangig passive Menschen dargestellt, sondern als selbstbestimmt lebende Personen mit einer Geschichte, Traditionen und Ritualen sowie einer Sprache, die auch heute noch in Mexiko und Mittelamerika gesprochen wird. Zweitens wird die Geschichte der Kolonialisierung Mexikos im Rahmen einer Mediationsaufgabe durch Auszüge eines Interviews mit Prof. Stefan Rinke auf Zeit Online (Löbbert 2019) neu gerahmt. Im Interview spricht Rinke von einem „Massaker an der Zivilbevölkerung“ und ordnet die Kolonialiserung als „größte demographische Katastrophe der Neuzeit“ ein (Steveker 2020: 64). Angespro‐ chen auf den Quetzalcoatl-Mythos zweifelt der Interviewte die „Legende der weißen Götter“ an und verweist darauf, dass vermeintlich triftiges historisches Wissen oft perspektivisch gebrochen ist und somit kritisch betrachtet und mitunter dekonstruiert werden muss. Dies wiederum steht im Widerspruch zu der in derselben Lektion präsentierten Erzählung zum aztekischen Glauben an die ‚weißen Götter‘ in dem Sachtext zum Aztekenreich. Die Aufgabenstellung zum Interview verlangt von den Lernenden, einen Artikel zum Thema „La conquista de México - una tragedia para los aztecas“ basierend auf dem Inter‐ viewauszug zu verfassen. Dadurch wird nun eine sehr kritische Perspektive auf die Kolonialisierung Amerikas durch die Spanier vom Lehrwerk aus dominant gesetzt. Das Thema Kolonialisierung endet mit dieser Sprachmittlungsaufgabe in dieser Lektion. Es zeigt sich also, dass die eurozentristische Eroberer-Perspektive, welche die Lektion in der Vorgängerausgabe noch dominierte, in der aktuellen Ausgabe von 2020 durch ein kritischeres Deutungsangebot zur Kolonialisierung ergänzt wird. Ob die Mediationsaufgabe, die zu einer inhaltstreuen Übertragung der Textinhalte und der Sichtweise des Interviewten ins Spanische führen soll, indessen zum emanzipativ-kritischen Denken und zu einer Infragestellung des weiterhin erkennbaren Narrativ der ‚Eroberung‘ Mexikos anregt, ist an‐ zuzweifeln. Positiv anzumerken ist, dass im Rahmen der virtuellen Zeitreise einem Mitglied der aztekischen Gruppe die Stimme und somit auch z. T. die Deutungshoheit - wenn auch nur fiktional - über das Dargestellte verliehen wird. Bedauernswert hingegen ist, dass die Chance verpasst wird, bspw. in Ergänzung zum Interviewauszug mit Prof. Rinke, einer Lateinamerikanistin of Color die Stimme zu geben und so einen weiteren Schritt zur Dekolonialisierung des kolonialen Wissens zu vollziehen. 187 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="188"?> 4 Fazit und Ausblick Die Analyse der Lektion zur Kolonialisierung Amerikas in der älteren und neueren Version hat nicht mit Kritik gespart. In vielen Momenten transpor‐ tieren die Repräsentationen und Aufgaben der Version aus 2013 eine domi‐ nante Interpretation der Kolonialisierung Mexikos/ Lateinamerikas und regen Schüler: innen zur Übernahme problematischer Sichtweisen und Blicke auf die ‚Anderen‘ an. Die fraglichen Setzungen, die stets auf eine Trennung von ‚fremd‘ und ‚eigen‘ rekurrieren, und an dichotome, stereotype und rassistische Zuschreibungen sowie an eurozentristische Erzählungen wie den ‚Entdecker‐ diskurs‘ anschließen, werden in der älteren Version keineswegs konsequent herausgefordert. Das Lehrwerk selbst bietet im Zusammenhang mit diesem Thema generell nur wenig Raum für Differenzierung und kritisch-emanzi‐ pativ-reflexives Lernen. Dies hat sich im Laufe der letzten Jahre verändert: In der aktuellen Version des Lehrwerks ist das Bemühen um eine kritischere Betrachtung und Darstellung der gewaltvollen Inbesitznahme Lateinamerikas durch die Spanier nachzuvollziehen. Lang gepflegte und häufig wiederholte Narrative wie die Erobererperspektive, der spanische Heldenmythos und der Quetzalcoatl-Mythos werden, wenn auch noch nicht ganz so konsequent wie es m. E. nötig wäre, durchkreuzt. So konnte auch in der neueren Version noch An‐ schlüssen an koloniales Wissen und die Verwendung von kolonialhistorischem Vokabular herausgearbeitet werden. Auch ist weiterhin eine Ausblendung von lokalen professionellen und v. a. von weiblichen Stimmen zu verzeichnen. Insgesamt lässt sich durch diese exemplarische Analyse und den Vergleich zweier Versionen einer Lehrwerklektion eine positive Tendenz in Richtung eines kritischeren Umgangs mit der Kolonialgeschichte Spaniens und Lateinamerikas erkennen. Dies korrespondiert mit der in der Einleitung skizzierten zuneh‐ menden gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit Rassismus und euro‐ päischer Kolonialgeschichte. Dennoch ist auch zu konstatieren, dass die meisten Spanischlehrwerke noch immer zu wenig Anregungen für kritisch-emanzi‐ pativ-reflexives (historisches) Arbeiten bieten. Dementsprechend stellt dies eine Aufgabe dar, die von Lehrpersonen aller Schulfächer übernommen werden muss. Dafür bedarf es einer rassismuskritisch informierten Lehrer: innenausbil‐ dung (cf. Simon/ Fereidooni 2020), in deren Rahmen reflektierte und selbstkriti‐ sche Lehrpersonen zur Analyse und Dekonstruktion rassismusrelevanter (und natürlich auch sexistischer, abelistischer oder klassistischer) und kolonialhis‐ torischer Unterrichtsgegenstände befähigt sowie zur Reflexion ihrer eigenen Involviertheit in gesellschaftliche Machtverhältnisse angeregt werden. 188 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="189"?> Bibliographie Primärliteratur Schleyer, Jochen & Steveker, Wolfgang & Vila Baleato, Manuel & Wlasak-Feik, Christine (2013): Encuentros Edición 3000. Paso al bachillerato. Berlin: Cornelsen Verlag. Steveker, Wolfgang (Hrsg.) (2020): Encuentros hoy 3. Berlin: Cornelsen. Sekundärliteratur Abel, Julia & Klein, Christian (2016): „Leitfaden zur Comicanalyse“. In: Dies. (Hrsg.): Comics und Graphic Novels. Stuttgart: J. B. Metzler, 77-106. Alexopoulu, Maria (2021): Rassismus in Deutschland. Geschichte einer Einwanderungs‐ gesellschaft. https: / / www.demokratie-bw.de/ rassismusgeschichte#c70278, Zugriff: 01.10.2021. Arndt, Susan (2015): „Hautfarbe“. In: Arndt, Susan & Ofuatey-Alazard, Nadja (Hrsg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deut‐ sche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. 2. Auflage. Münster, UNRAST-Verlag, 332-342. Autor: innenkollektiv Rassismuskritischer Leitfaden (Hrsg.) (2015): Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lern‐ materialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. www.elina-marmer.com/ wp-content/ uploads/ 201 5/ 03/ IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf, Zugriff: 10.02.2020. Bernhard, Roland (2014): Geschichtsmythen über Hispanoamerika. Entdeckung, Eroberung und Kolonisierung in deutschen und österreichischen Schulbüchern des 21. Jahrhunderts. Göttingen: V&R Unipress. Bonköst, Jule (2020): „Konstruktionen des Rassediskurses in Englisch Schulbüchern“. In: Simon, Nina & Fereidooni, Karim (Hrsg.): Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoreti‐ sche Reflexionen und fachdidaktische Entwürfe rassismuskritischer Unterrichtsplanung. Wiesbaden: Springer VS, 19-47. Broden, Anne & Mecheril, Paul (2010): „Rassismus bildet. Einleitende Bemerkungen“. In: Broden, Anne & Mecheril, Paul (Hrsg.): Rassismsus bildet. Bildungswissenschaftliche Beiträge zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft. Bielefeld: transcript, 7-23. Burri, Regula Valérie (2008): „Bilder als soziale Praxis - Grundlegungen einer Soziologie des Visuellen“. In: Zeitschrift für Soziologie, 37 (4), 342-358. Conrad, Sebastian (2019): Rückkehr des Verdrängten? Die Erinnerung an den Ko‐ lonialismus in Deutschland 1919-2019. www.bpb.de/ apuz/ 297599/ rueckkehr-des-ve 189 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="190"?> rdraengten-die-erinnerung-an-den-kolonialismus-in-deutschland-19192019, Zugriff: 01.10.2021. Davenas, Marion (2014): „Kolonialrassismus im Schulbuch? Nordrhein-Westfalens Ge‐ schichtsbücher auf dem Prüfstand“. Berlin Postkolonial e. V. www.whitecharity.de/ w p-content/ uploads/ Davenas.pdf Fäcke, Christiane & Mehlmauer-Larcher, Barbara (2017): „Forschungsdiskurse zur Ana‐ lyse und Rezeption fremdsprachlicher Lehrmaterialien. Eine Einleitung“. In: Dies. (Hrsg.): Fremdsprachliche Lehrmaterialien - Forschung, Analyse und Rezeption. Frank‐ furt am Main [u. a.]: Peter Lang, 7-18. Fend, Helmut (2008): Neue Theorie der Schule - Einführung in das Verstehen von Bildungs‐ systemen. Wiesbaden: VS Verlag. Fereidooni, Karim & El, Meral (2017): „Rassismus im Lehrer_innenzimmer“. In: Ferei‐ dooni, Karim & El, Meral (Hrsg.): Rassismuskritik und Widerstandsformen. Wiesbaden: Springer VS, 477-492. Georgi, Viola B. (2018): „Diversity.” In: Gogolin, Ingrid & Georgi, Viola B. & Krüger-Pot‐ ratz, Marianne & Lengyel, Drorit & Sandfuchs, Uwe (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Pädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, 61-66. Grieb, Jana Maria (2015): Kolonialismus in Bildern. Eine postkoloniale Analyse deutscher Geschichtsschulbücher. www.whitecharity.de/ wp-content/ uploads/ 2015/ 12/ Grieb.pdf, Zugriff: 15.08.2021. Grindel, Susanne & Anklam, Ewa (2010): „Europa im Bild - Bilder von Europa: Europa‐ repräsentationen in deutschen, französischen und polnischen Geschichtsbüchern in historischer Perspektive“. In: Heinze, Carsten (Hrsg.): Das Bild im Schulbuch. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 93-108. Hall, Stuart (2000): „Die Konstruktion von ‚Rasse‘ in den Medien“. In: Räthzel, Nora (Hrsg.): Stuart Hall. Ideologie, Identität, Repräsentation. Hamburg: Argument, 108-166. Haug, Wolf Fritz (2004): „Hegemonie“. In: o.A.: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hamburg: Argument Verlag. Hasse, Raimund & Schmidt, Lucia (2012): „Institutionelle Diskriminierung“. In: Bauer, Ullrich & Bittlingmayer, Uwe H. & Scherr, Albert (Hrsg.): Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie. Wiesbaden: Springer VS, 883-900. Heinze, Carsten (2010): „Das Bild im Schulbuch. Zur Einführung“. In: Heinze, Carsten & Matthes, Eva (Hrsg.): Das Bild im Schulbuch. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 9-13. Hecke, Carola (2011): „Mit Bildern zu visueller Kompetenz im Französischunterricht“. In: Französisch heute, 41 (4), 158-163. Hiller, Andreas (2012): Das Schulbuch zwischen Internet und Bildungspolitik: Konsequenzen für das Schulbuch als Leitmedium und die Rolle des Staates in der Schulbildung. Marburg: Tectum-Verlag. 190 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="191"?> Hornscheidt, Antje & Göttel, Stefan (2004): „Manifestationen von Rassismus in Texten ohne rassistische Begrifflichkeiten. Ein Instrumentarium zum kritischen Lesen von Texten und eine exemplarische Textanalyse“. In: Arndt, Susan & Hornscheidt, Antje (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Naschlagewerk. Münster: Unrast, 224-251. Höhne, Thomas (2005): „Über das Wissen in Schulbüchern - Elemente einer Theorie des Schulbuchs“. In: Matthes, Eva & Heinze, Carsten (Hrsg.): Das Schulbuch zwischen Lehrplan und Unterrichtspraxis. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, 65-93. Karabulut, Aylin (2020): Rassismuserfahrungen von Schüler*innen. Institutionelle Grenz‐ ziehungen an Schulen. Wiesbaden: Springer VS. Kerber, Anne (2005): „Kolonialgeschichte in deutschen Schulbüchern -kritisch oder kritikwürdig? “. In: Lutz, Helma & Gawarecki, Kathrin (Hrsg.): Kolonialismus und Erinnerungskultur. Die Kolonialvergangenheit im kollektiven Gedächtnis der deutschen und niederländischen Einwanderungsgesellschaft. Münster: Waxmann, 81-93. Klein, Uta & Heitzmann, Daniela (Hrsg.) (2012): Hochschule und Diversity. Theoretische Zugänge und empirische Bestandsaufnahme. Weinheim, Basel: Beltz. Linnemann, Tobias & Mecheril, Paul & Nikolenko, Anna (2013): „Rassismuskritik. Begriffliche Grundlagen und Handlungsperspektiven in der politischen Bildung“. In: ZEP. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 36 (2), 10-14. Löbbert, Raoul (2019): „Der Kreuzzug am Ende der Welt“. Interview mit Stefan Rinke auf Zeit Online. www.zeit.de/ 2019/ 10/ conquista-mexiko-spanien-kreuzzug-katholizism us-christentum-weltreligion? utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F, Zugriff: 15.08.2021. Marmer, Elina (2017): „‚Man denkt, man kann sich alles erlauben, weil sie Schwarz sind‘ - Schüler_innen afrikanischer Herkunft über Rassismus in ihren Schulbüchern“. In: Fereidooni, Karim & El, Meral (Hrsg.): Rassismuskritik und Widerstandsformen. Wiesbaden: Springer VS, 557-572. Michels, Stefanie (2009): Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. MehrdeutigeRepräsentati‐ onsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika. Bielefeld: transcript Munier, Gerald (2000): Geschichte im Comic. Aufklärung durch Fiktion? Über Möglichkeiten und Grenzen des historisierenden Autorencomic der Gegenwart. Hannover: Unser Verlag. Rose, Nadine (2012): Migration als Bildungsherausforderung. Subjektivierung und Diskri‐ minierung im Spiegel von Migrationsbiographien. Bielefeld: transcript. Scharathow, Wiebke & Melter, Claus & Leiprecht, Rudof & Mecheril, Paul (2011): „Rassismuskritik“. In: Mecheril, Paul & Melter, Claus (Hrsg.): Rassismustheorie und -forschung. Bd. 1. Schwalbach/ Ts.: Wochenschau-Verlag, 10-12. 191 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="192"?> Scherschel, Karin (2006): Rassismus als flexible symbolische Ressource. Eine Studie über rassistische Argumentationsfiguren. Bielefeld: transcript Verlag. Schumann, Daniel (2016): Koloniale Wege in die moderne Welt - Zur Vergegenwärtigung der Eroberung Amerikas in aktuellen deutschen und mexikanischen Geschichtsschul‐ büchern. Eckert. http: / / www.edumeres.net/ urn/ urn: nbn: de: 0220-2016-0062, Zugriff: 08.03.2021. Silvermann, Kaja (1997): „Dem Blickregime begegnen“. In: Kravagna, Christian (Hrsg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Berlin: ID-Archiv, 41-64. Simon, Nina (2020): „Der Jugendroman ‚Unser wildes Blut‘. Rassismuskritische Analyse und deutschdidaktische Überlegungen“. In: Fereidooni, Karin & Simon, Nina (Hrsg.): Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoretische Reflexionen und fachdidaktische Ent‐ würfe rassismuskritischer Unterrichtsplanung. Wiesbaden: Springer VS, 411-434. Simon, Nina & Fereidooni, Karim (2020): „Rassismus(kritik) und Fachdidaktiken - (K)ein Zusammenhang? Einleitende Gedanken“. In: Simon, Nina & Fereidooni, Karim (Hrsg.): Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoretische Reflexionen und fachdidaktische Ent‐ würfe rassismuskritischer Unterrichtsplanung. Wiesbaden: Springer VS, 1-17. Staiger, Michael (2014): „Erzählen mit Bild-Schrifttext-Kombinationen. Ein fünfdimensi‐ onales Modell der Bilderbuchanalyse“. In: Knopf, Julia & Abraham, Ulf (Hrsg.): Bilder Bücher. 1. Theorie. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 12-23. Strohschein, Juliane (2007): weiße wahrnehmungen: der koloniale blick, weißsein und fotografie. Humboldt-Universität Berlin: Magisterarbeit. https: / / edoc.hu-berlin.de/ bit stream/ handle/ 18452/ 14840/ strohschein.pdf ? sequence=1, Zugriff: 15.08.2021. Townsend, Camilla (2003): “Burying the White Gods: New Perspectives on the Conquest of Mexico“. In: The American Historical Review, 108 (3), 659-687. Velho, Astride (2011): „Un/ Tiefen der Macht: Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf die Gesundheit, das Befinden und die Subjektivität. Ansätze für eine refle‐ xive Berufspraxis“. In: AMIGRA München (Hrsg.): Dokumentation Fachtagung ‚All‐ tagsrassismus und rassistische Diskriminierung. Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit‘. Dokumentation der Fachtagung, 12.10.10 München, 12-39. https: / / www.elina-marmer.com/ wp-content/ uploads/ 2014/ 02/ fachtagung_allt agsrassismus.pdf, Zugriff: 15.08.2021. Vernal Schmidt, Janina (2020): „Ein rassismuskritischer Blick auf eine Lehrwerklektion für den schulischen Spanischunterricht der Sekundarstufe II“. In: Simon, Nina & Fereidooni, Karim (Hrsg.): Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoretische Reflexionen und fachdidaktische Entwürfe rassismusskritischer Unterrichtsplanung. Wiesbaden: Springer VS, 435-472. Vernal Schmidt, Janina M. (2021): Kultur im Spanischunterricht. Neue Perspektiven für die fremdsprachliche Kulturdidaktik mit Filmen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 192 Janina M. Vernal Schmidt <?page no="193"?> Weber, Martina (2003): Heterogenität im Schulalltag: Konstruktion ethnischer und ge‐ schlechtlicher Unterschiede. Opladen: Leske + Budrich. Yeboah, Amma (2017): „Rassismus und psychische Gesundheit in Deutschland“. In: Ferei‐ dooni, Karim & El, Meral (Hrsg.): Rassismuskritik und Widerstandsformen. Wiesbaden: Springer VS, 143-161. 193 Die Darstellung der Kolonialisierung Amerikas - eine rassismuskritische Analyse <?page no="195"?> 1 Eine Übersicht, die die Angebote in den Bundesländern anschaulich darstellt, liefert Nieweler (2017). Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit aus Sicht von Französischlehrkräften der Primarstufe (Berlin) Emma Dakla Die Arbeit und der Umgang mit dem Lehrwerk im Unterricht sind noch wenig erforscht, es fehlen etwa Studien zu Einstellungen verschiedenster Akteur: innen hinsichtlich der/ des Lehrwerkarbeit/ -einsatzes sowie zur Gestaltung der Einstiegsphase mit dem Lehrwerk. Insbesondere für den Französischunterricht der Primarstufe mangelt es an entsprechenden Untersuchungen. Der vorliegende Artikel möchte dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen, indem er den Einstieg in die Lehrwerkarbeit im Französischunterricht der Primarsufe auf Grundlage von Expert: in‐ neninterviews untersucht. Er zielt u. a. darauf ab, Anforderungen an Lehrwerke in dieser Phase seitens der Lehrkräfte herauszuarbeiten. 1 Die Lehrwerkarbeit und der Französischunterricht Das Angebot, Französisch als erste Fremdsprache in der Grundschule zu lernen, ist in den Bundesländern sehr uneinheitlich geregelt 1 und reicht vom Status eines Pflichtfachs über eine Alternative zur Fremdsprache Englisch bis hin zur einfachen Arbeitsgemeinschaft. Das Ziel des Unterrichts in der Primarstufe ist nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17.10.2013 „[…] der Erwerb grundlegender kommunikativer Fähigkeiten und Fertigkeiten, die kontinuierlich entwickelt werden, sowie elementarer sprachlicher Mittel, die die Schülerinnen und Schüler in lebensnahen und kindgerechten Situationen erproben und festigen können […]“ (KMK 2013: 4). Der Französischunterricht in der Primarstufe ist durch didaktisch-methodische Prinzipien gekennzeichnet, die den pädagogischen Grundsätzen der Grundschule folgen. Die Schwerpunkt‐ <?page no="196"?> 2 Die Primarstufe erstreckt sich in der Regel auf vier Schuljahre. Nur in den Bundesländer Berlin und Brandenburg umfasst die Grundschulzeit sechs Schuljahre. Hier bezieht sich die Primarstufe auf die Grundschulzeit, die mit der 4. Klassenstufe abschließt. setzung ist je nach Bundesland und gewählter Konzeption in Bezug auf den frühen Fremdspracherwerb unterschiedlich (cf. KMK 2013). Das Lehrwerk in der Primarstufe 2 unterstützt in erster Linie den spielerisch und kreativ gestalteten Französischunterricht, indem es u. a. Wort-Bild-Karten, Poster, Spiele, Lieder oder die Handpuppe, die zum Einsatz kommen und über die z. B. Wortschatz und Redemittel be- und erarbeitet werden, zur Verfügung stellt. Vor allem im ersten Jahr, in dem der Unterricht kleinschrittig aufgebaut werden muss, spielen diese Bestandteile des Lehrwerks eine wichtige Rolle (cf. u. a. Rück 2004, Thiele 2012, Surkamp 2017). Sie eröffnen den Schüler: innen einen spielerischen, kreativen und motivierenden Zugang zu Frankreich samt der Zielsprache. Lehrwerke, die in der Sekundarstufe eingesetzt werden, unterliegen stär‐ keren Progressionen hinsichtlich der Förderung von funktional-kommunika‐ tiven Kompetenzen, der Gestaltung von Inhalten, Übungen und komplex(er)er Lernarrangements, die den Schüler: innen den Erwerb von neuen Sprachstruk‐ turen ermöglichen. Sprachlich-kulturelle Inhalte werden über audiovisuelle und schriftliche Materialien unter Berücksichtigung des Lebensweltbezugs und in kommunikativen Übungen in didaktisch-reduzierter Form und nach dem Prinzip des Spiralcurriculums dargeboten und trainiert, sind aber weniger spielerisch gestaltet (cf. u. a. Fäcke 2017, Nieweler 2017). Die unterschiedlichen Konzeptionen des Französischunterrichts verbunden mit den unterschiedlichen Rollen, die das Lehrwerk in beiden Schulformen einnimmt, führen in der Phase des Wechselns von der Primarstufe in die Sekundarstufe zu einer Übergangsproblematik, die in der Literatur vor der Neukonzeption des Fremdsprachenunterricht in der Primarstufe diskutiert wurde und noch immer diskutiert wird (cf. u. a. Gnutzmann et al. 2017, Fäcke 2017, Surkamp 2017, Burwitz-Melzer et al. 2016, Thaler 2012, Kolb 2011, Leupold 2010). Das Zusammentreffen dieser unterschiedlichen Konzeptionen und Ziel‐ setzungen begünstigt beim Übergang in die weiterführenden Schulen oftmals einen ‚Bruch‘, der von der Fremdsprachenforschung bestätigt wird, wenn auch speziell für das Fach Französisch kaum Forschungsdaten vorliegen (cf. Kolb 2016: 194). Die Schüler: innen müssen sich fast vollständig neuorientieren und reorganisieren, auch im Französischunterricht. Zu den häufig in der Literatur genannten Schwierigkeiten zählen u. a. der deutlich erhöhte Stundenumfang in der Sekundarstufe, der mit einer Erhöhung von Inhalte einhergeht. Dies wiederum führt zu einer signifikanten Erhöhung 196 Emma Dakla <?page no="197"?> 3 Die Dominanz der Mündlichkeit bezieht sich hier auf die übergeordneten Rollen, die das Sprechen und das Hören im frühen Fremdsprachenunterricht gegenüber dem Schreiben und dem Lesen einnehmen. Die Bedeutung der Mündlichkeit bleibt zwar weiterhin im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe zentral, doch findet der Unterricht nicht mehr vorrangig über das Lautbild statt (cf. u. a. Rück 2004: 36 f., Fäcke 2017: 111). der Lernanforderungen. Auch eine aktive Übernahme der Verantwortung für den eigenen Lernprozess (z. B. die selbstständige Erledigung von Hausaufgaben, die eigenständige Aneignung von Lernstrategien, das Lernen der Vokabeln oder das Einüben von grammatischen Regeln nach der Schule etc.) wird stärker erwartet. Ebenso erfolgt ein Wechsel von der Dominanz der Mündlichkeit 3 zur stärkeren Fokussierung auf Schriftlichkeit auf allen Ebenen des Lehr- und Lernprozesses. Auch wird in der Sekundarstufe die Einsprachigkeit wesentlich stärker ausgebaut (cf. u. a. Gnutzmann et al. 2017, Fäcke 2017, Surkamp 2017, Burwitz-Melzer et al. 2016, Thaler 2012, Kolb 2011, Leupold 2010). 2 Forschungsziel Seit den 1970er Jahren befasst sich die fremdsprachendidaktische Forschung mit dem zentralen Medium des Fremdsprachenunterrichts, dem Lehrwerk (cf. Elsner 2016: 443). Neben Lehrwerkkritik und -analyse sowie Lehrwerk‐ entwicklung zählt die Lehrwerkverwendung zu diesem Forschungsfeld (cf. Kurtz 2011: 3). Während in den letzten Jahren eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen zu den ersten beiden Zweigen durchgeführt wurde, ist der Zweig der Lehrwerkverwendung noch recht unerforscht (cf. hierzu u. a. Elsner 2016: 443, Kurtz 2011: 3 ff.). Vor allem die Nutzer: innen - nämlich die Lehrkräfte und die Schüler: innen - wurden bei bisherigen Untersuchungen zur Lehrwerk‐ verwendung wenig in den Blick genommen, wie u. a. auch Hallet & Königs (2019) und Elsner (2016) feststellen. Die vorliegende Untersuchung möchte einen Beitrag zur Erschließung dieser Forschungslücke liefern, indem sie sich mit dem Einstieg in die Arbeit mit Lehrwerken im Französischunterricht der Primarstufe aus der Perspektive von Französischlehrkräften dieser Schulform befasst. Es soll untersucht werden, welche Anforderungen sie, als Akteur: innen der Lehrwerkarbeit, an ein Lehr‐ werk in dieser Phase stellen. Der Fokus auf den Französischunterricht der Primarstufe ist bewusst gewählt worden, da aufgrund der späten flächende‐ ckenden Etablierung (2006/ 2007) des Fremdsprachenbeginns in der Primarstufe, hier das Forschungsdesiderat noch wesentlicher ist (cf. u. a. Börner 2017: 19 ff.). Zudem stellt der Übergang in den lehrgangsmäßigen Fremdsprachenunterricht eine besondere Problematik dar, die mit der Lehrwerkarbeit und der Gestaltung 197 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="198"?> 4 Englisch ist in der Regel die erste Fremdsprache, die in der Primarstufe in Berlin erworben wird. Es gibt jedoch einige Schulen, die neben Englisch auch Französisch ab der 3. Klassenstufe anbieten. Zum Teil werden an diesen Schulen ab der 1. bzw. 2. Klasse Französisch-AGs bzw. Schnupperstunden angeboten, sodass die Schüler: innen erste Kontakte mit der Sprache aufbauen können, um sich dann ab der 3. Klassenstufe für die Sprache zu entscheiden. Die befragten Lehrkräfte unterrichten Französisch an drei dieser Grundschulen. des Französischunterricht einhergeht. Die Untersuchung möchte auf folgende Fragen eine Antwort geben: ● Wie gestalten Französischlehrkräfte den Einstieg in die Lehrwerkarbeit in der Primarstufe? ● Welche Anforderungen an ein Lehrwerk werden in dieser Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit gestellt bzw. lassen sich ableiten? 3 Studiendesign 3.1 Erhebungskontext An der qualitativen Erhebung nahmen fünf Französischlehrkräfte teil. Die Lehrkräfte, allesamt Frauen, unterrichten an drei unterschiedlichen Berliner Schulen 4 , wobei drei der Schulen in unterschiedlichen Bezirken liegen. Unter ihnen war eine Muttersprachlerin und zwei von ihnen hatten eine Lehrbefähi‐ gung für die Primarstufe. Der Zugang zum Forschungsfeld erfolgte überwiegend über E-Mail-Kontakt. 3.2 Die Methode der Datenerhebung Um herauszufinden, wie die Lehrkräfte den Einstieg in die Lehrwerkarbeit gestalten und welche Anforderungen sie an Lehrwerke in dieser Phase stellen, wurde eine qualitative Datenerhebungsmethode gewählt, das Experteninter‐ view. Es wurde ein semi-strukturiertes Interview mit den Lehrkräften mithilfe eines Gesprächsleitfadens mit relevanten Fragen zu den Themenkomplexen der Untersuchung durchgeführt. Als Erhebungsform wurde das Video-Interview bzw. die Videotelefonie gewählt. Hierfür wurde auf das Softwareprogramm des Anbieters „Zoom“ zurückgegriffen, das eine simultane Aufnahme der Interviews mit Bild und Ton für eine spätere Transkription ermöglicht. 3.2.1 Aufbau des Leitfadens Der Aufbau des Leitfadens orientierte sich an den vier Phasen eines Interviews, wie sie u. a. Misoch (2019: 68 f.) beschreibt. Die Fragen in der Hauptphase des 198 Emma Dakla <?page no="199"?> 5 Nähere Information zum Programm unter: www.maxqda.de. Interviews wurden überwiegend deduktiv aus der Theorie abgeleitet, wobei die Antworten auf die Einstiegsfrage zum Zeitpunkt des Beginns mit der Lehrwerkarbeit aufgegriffen und vertieft wurden. Die Fragen des Leitfadens deckten folgende Themenkomplexe in dieser Reihenfolge ab: 1. Zeitpunkt und Gestaltung des Einstiegs 2. Das Lehrwerk in der Einstiegsphase der Lehrwerkarbeit 3. Erfahrungen und wahrgenommene Herausforderungen in dieser Phase 4. Anforderungen an das Lehrwerk für diese Phase Unter dem ersten Themenkomplex wurden die Lehrkräfte nach dem Zeitpunkt und damit verbunden die Klassenstufe, in der sie mit der Lehrwerkarbeit be‐ ginnen, gefragt. Dies dient zunächst der allgemeinen Erfassung dieser Phase, da beide Aspekte die Gestaltung des Einstiegs in die Lehrwerkarbeit beeinflussen. In diesem Zusammenhang wurden mit Fragen aus dem zweitem Themenkom‐ plex anschließend genauer die Gestaltung der Einstiegsstunden erfasst. Hierbei wurde erfragt, wie mit dem Lehrwerk in der Einstiegsphase bzw. in den Einstiegsstunden gearbeitet wird und welche Rolle es in dieser Phase einnimmt. Die Fragen des dritten Komplexes zielten darauf ab, die gemachten Erfahrungen sowie die festgestellten Herausforderungen in diesen Stunden seitens der Lehr‐ kräfte zu erfahren. Unter dem vierten Themenkomplex wurden die Lehrkräfte, die aufgrund ihres didaktisch-methodischen Wissens und ihrer gemachten Erfahrungen in dieser Phase nicht nur Expertinnen des Französischunterrichts, sondern auch Expertinnen in Bezug auf die Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit sind, nach Kriterien gefragt, die Französischlehrwerke in dieser Phase erfüllen sollten. Die Fragen regten zur Reflexion an, damit Rückschlüsse bezogen auf die Anforderungen an Lehrwerke in dieser konkreten Phase abgeleitet werden können. 3.3 Die Methode der Datenauswertung Die Transkription und die anschließende Auswertung wurden mit dem Ana‐ lysesoftwareprogramm MAXQDA 5 aus dem Hause VERBI durchgeführt. Die Auswertung erfolgte in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse. Das entwickelte Kategoriensystem für die Analyse basierte auf eine Kombination von deduk‐ tiver und induktiver Kategorienbildung. Auf Basis des verwendeten Leitfadens wurden in einem ersten Schritt einige Hauptkategorien deduktiv entwickelt, um das Datenmaterial zunächst nach übergeordneten Themen zu strukturieren. Anschließend wurden die Subkategorien zu diesen Hauptkategorien direkt aus 199 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="200"?> dem Material induktiv abgeleitet, wobei während des Prozesses des induktiven Kodierens neue Hauptkategorien bzw. Subkategorien aus dem Datenmaterial heraus aufgestellt wurden. 3.4 Ergebnisse der Erhebung Im nachfolgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Befragung dargestellt. Dabei findet eine zusammenfassende Darstellung und Analyse der Befunde pro Hauptkategorie samt der Subbzw. Subsubkategorien statt. 3.4.1 Einstieg in die Lehrwerkarbeit Im Zusammenhang mit der Definition des Begriffs ‚Lehrwerkarbeit‘, die in der Fachliteratur in der Regel nur umrissen wird, lieferten die Lehrkräfte eigene Definitionen. Alle brachten Lehrwerkarbeit mit dem systematischen und aktiven Arbeiten mit dem Lehrwerk und seinen Komponenten, mindestens mit dem Cahier d’activités im Unterricht in Verbindung. Dabei spielte weder die Komplexität der Aufgaben oder der Lerninhalte noch die Dominanz der Schrift bzw. der schriftsprachlichen Arbeit oder die Klassenstufe eine entscheidende Rolle. Das sporadische Arbeiten mit kopierten Arbeitsblättern aus dem Lehr‐ werk wurde klar von der Lehrwerkarbeit abgegrenzt. Die befragten Lehrkräfte, die sowohl in der Jahrgangsstufe 3 als auch 5 unterrichten, machten den Zeitpunkt, ab dem mit einem Lehrwerk systematisch gearbeitet wird, als Determinanten für den Einstieg in die Lehrwerkarbeit fest, unabhängig davon, ob dieses systematische Arbeiten mit einem Lehrwerk bereits ab der 3. Jahrgangsstufe oder erst ab der 5. Jahrgangsstufe beginnt. Von den fünf Lehrerinnen gaben zwei an ab der 3. Klassenstufe mit einem Lehrwerk zu arbeiten, während die anderen dies erst ab der 5. Klassenstufe tun. Mit dem Einstieg in die Lehrwerkarbeit werde der Französischunterricht erst konkret und für die Schüler: innen greifbar, da diese nun auf ein Hilfsmittel beim Sprach‐ erwerb zurückgreifen könnten. Zudem wurde der Einstieg in die Lehrwerkarbeit oft mit dem Beginn der Schriftlichkeit in Zusammenhang gebracht. Sowohl die Lehrkräfte, die ab der 3. Jahrgangsstufe mit einem Lehrwerk arbeiten, als auch die, die dies ab der 5. Jahrgangsstufe tun, verbanden die Phase des Einstiegs mit der Einführung (ab 3. Klassenstufe) bzw. einer stärkeren Dominanz (ab 5. Klassenstufe) der Schrift bzw. der Schriftsprache, da in den vorangegangenen Klassenstufen hauptsächlich mündlich, visuell sowie spielerisch gearbeitet wird. Beginnt die Arbeit mit dem Lehrwerk bereits ab der 3. Klassenstufe, findet, aufgrund der wie oben beschrieben, später einsetzenden Dominanz der Schrift, der Einstieg in die Lehrwerkarbeit zweimal statt, nämlich in der 3. und der 5. Klassenstufe. Als Gründe hierfür führten die Lehrkräfte hauptsächlich 200 Emma Dakla <?page no="201"?> 6 Die Abkürzung (B+1-5) steht stellvertretend für die fünf befragten Lehrkräfte. die Prinzipien des Fremdsprachenfrühbeginns und daraus resultierend den Aufbau und die Inhalte der jeweiligen Lehrwerke an. Die Lehrwerke der beiden Klassenstufen unterscheiden sich nicht nur auf der Ebene der Einbindung des Schriftbildes, sondern auch auf der Ebene der Inhalte und des Aufbaus. Das genutzte Lehrwerk ab der 5. Klassenstufe beginnt mit den Grundlagen der Zielsprache und weist gleichzeitig der Schriftsprache eine tragende Bedeutung zu, die für die Lernenden bis dahin kaum eine Rolle gespielt hat, sodass der Einstieg in die Arbeit mit diesem neuen Lehrwerk ab der 5. Klassenstufe einen „Bruch“ (B2 6 ) herbeiführt und zum Teil bewirkt, dass die Schüler: innen „manchmal so ein bisschen erschrocken“ (B3) sind. Die Arbeit mit dem neuen Lehrwerk ab der 5. Klassenstufe stellt somit einen zweiten Einstieg in die Lehrwerkarbeit dar. Die Lehrkraft (B2) beschreibt dies wie folgt: „[…] Es ist komplett ein anderes Lehrwerk und es geht irgendwie nochmal bei null los.“ 3.4.2 Die genutzten Lehrwerke Für die Lehrwerkarbeit ab der 3. Klassenstufe wird das Lehrwerk Les Loustics (2013) aus dem französischen Verlagshaus Hachette verwendet, das für den Unterricht der Primarstufe für Französisch als Fremdsprache „Français Langue Étrangère“ konzipiert ist. Es besteht aus drei Bänden, wobei die beiden Lehr‐ kräfte, die ab der 3. Klassenstufe mit einem Lehrwerk unterrichten, angaben, nur den ersten Band für den Unterricht der 3. und 4. Klassenstufe zu verwenden und anschließend direkt auf das Lehrwerk Découvertes Junior (2012) vom Klett-Verlag umzusteigen. Die Konzeption des Lehrwerks wurde als passend zur Altersstufe der jungen Schüler: innen aufgrund der detailreichen Bebilde‐ rungen, in Form von kindgerechten, „liebevollen“ (B2) sowie „schönen“ (B1) Zeichnungen beschrieben. Zudem wurde die Gesamtgestaltung als „modern“, „humorvoll“ und „ansprechend“ (B1) bewertet. Auf didaktisch-methodischer Ebene gaben die beiden Lehrkräfte an, dass die Kompetenzen Hörverstehen und Hörsehverstehen durch bekannte Lieder, Hörtexte mit sehr guten Spre‐ cher: innen sowie spielerische Aufgabenstellungen sehr gut geschult werden. Ein weiteres positiv bewertetes Element des Lehrwerks betrifft die Figuren, in Form einer Familie, die durch das Lehrwerk führen. Was die persönlichen Einstellungen und Meinungen zum Lehrwerk betreffen, gehen die Meinungen beider Lehrkräfte, trotz der positiven Bewertung, deutlich auseinander. Wäh‐ rend die Muttersprachlerin vom Lehrwerk „fast uneingeschränkt begeistert“ (B1) ist und sehr gern damit arbeitet, bemängelt die andere Lehrkraft die komplette Gestaltung des Lehrwerks in der Zielsprache und dessen Aufbau in 201 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="202"?> einzelne Themenfelder, die „immer als Paket unterrichtet“ (B2) werden. Zudem gab sie den Hinweis, dass das Lehrwerk von anderen Lehrkräften im Rahmen einer Regionalkonferenz negativ bewertet wurde, und gewissermaßen eine Position als Außenseiter einnehme. Ab der 5. Jahrgangsstufe arbeiten alle fünf Lehrkräfte mit dem Lehrwerk Découvertes Junior für die 5. und 6. Klassenstufe aus dem Klett-Verlag. Das Lehrwerk ist für den Französischunterricht, der ab der 5. Jahrgangsstufe beginnt, konzipiert und ist Teil der Reihe Découvertes, die über weitere Ausgaben für den Französischunterricht in der weiterführenden Schule verfügt. In Bezug auf dieses Lehrwerk bewerten vier der fünf Lehrkräfte besonders den Aufbau als sehr positiv. Er wird als übersichtlich sowie gut strukturiert beschrieben. In diesem Zusammenhang werden das verständliche Inhaltsverzeichnis, die kom‐ petenzorientierte Gestaltung mit Hinweisen zu den Zielen sowie die geförderten Kompetenzen in jeder Lektion und die gute Grammatikvermittlung genannt. Weitere positive Punkte waren die Übungen und Zusammenfassungen, die am Ende jeder Lektion in „Atéliers“ vorgesehen sind, bei denen die Schüler: innen die behandelten Inhalte der Lektionen wiederholen und festigen können. Diese strukturierte und „ganz klare“ (B4) Gliederung wurde als Vorteil in Bezug auf die Nutzung des Lehrwerks als Hilfsmittel beim Spracherwerb durch die Schüler: innen eingestuft. Bezogen auf die besonderen Bedürfnisse von Schüler: innen in der Primarstufe sahen die Lehrkräfte es als positiv an, dass Figuren in Form von Kindern und eines Hundes eingebaut wurden, die einen festen Bestandteil der erzählten Geschichten bilden und die Schüler: innen durch das Lehrwerk begleiten. Diese wiederkehrenden Figuren, die ungefähr im gleichen Alter wie die Lernenden sind, gäben ihnen eine Orientierung und trügen dazu bei, trotz der unterschiedli‐ chen Inhalte in den jeweiligen Lektionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Beständigkeit bei den jungen Fremdsprachenlernenden zu erzeugen. Aus diesem Grund räumten die Lehrkräfte den Lehrwerksfiguren auch in diesem Lehrwerk eine wichtige Bedeutung bei der Arbeit mit dem Lehrwerk ein. Auch wenn der Aufbau des Lehrwerks als altersangemessen eingestuft wurde, übten die Lehrkräfte viel Kritik in Bezug auf seine Aktualität und seine Angemessenheit für den Französischunterricht in der Primarstufe. Bezüglich der Gestaltung wurde das Lehrwerk von ihnen als „veraltet“ (B1), „nicht das Modernste“ (B3) oder „ein bisschen antiquiert“ (B5) und nicht mehr zeitgemäß beurteilt. Die Visualisierungen, vor allem die abgebildeten Situationen und die dargestellten Kinder, seien nicht mehr passend und nicht authentisch, da einige Elemente, z. B. Handys, vorkommen, die nicht der Lebenswelt heutiger Schüler: innen entsprächen. Viele der Lehrkräfte wiesen auf das Alter des 202 Emma Dakla <?page no="203"?> Lehrwerks hin, worauf sie diese Mängel zurückführten. Das Lehrwerk stammt aus dem Jahr 2012 und ist inzwischen 10 Jahre alt. Auch das Audiomaterial, bis auf das Lied zu Beginn des Lehrwerks, wurde von allen bemängelt. Die Sprecher: innen der Hörtexte wurden als nicht besonders gut verständlich und die Hörtexte selbst als zu schwer beschrieben, zum Teil sogar für die Lehrkräfte selbst. Ein weiterer Kritikpunkt, der einen erheblichen Einfluss auf den Einstieg in die Arbeit mit diesem Lehrwerk ausübt, betrifft die thematische Anordnung der Lerninhalte in den Lektionen. Diese werden als „Sammelsurium“ (B3), „zu bunt gemischt“(B4) und schwer nachvollziehbar bewertet. Besonders die große Diskrepanz bezüglich des Schwierigkeitsgrades innerhalb der ersten beiden Lektionen wurde kritisiert. Die Schwierigkeit zu Beginn der ersten Lektion wird aufgrund der Wiederholung bereits gelernter Inhalte aus den Klassenstufen 3 und 4 als zu leicht eingestuft, wobei anschließend ein großer Sprung mit der plötzlich starken Ausrichtung auf die Schriftlichkeit, z. B. durch längere Texte, und damit verbunden das vermehrte Lesen und Schreiben vollzogen werde. Viele Aufgabentypen visieren stärker das Lesen, was als problematisch beschrieben wird, da die Schüler: innen bis zur 5. Klassenstufe noch nicht im Lesen längerer Sätze geübt seien und somit nur über basale Kompetenzen im Bereich ‚Leseverstehen‘ verfügen, wodurch sie viele dieser Aufgabentypen in der Lektion nicht bewältigen könnten. Als Bruch wird auch die starke Reduzierung der spielerischen Elemente in diesem Lehrwerk im Vergleich zu dem Lehrwerk für die 3. und 4. Klassenstufe wahrgenommen. Zwei der Lehrkräfte führen diesen Aufbau auf die Orientie‐ rung des Lehrwerks an die Nachfolge-Lehrwerke aus der gleichen Reihe, die für den Unterricht der Sekundarstufe im Anschluss an die Primarstufe konzipiert sind, zurück. Hier stünde vor allem der reibungslose Übergang des Französischunterrichts in die weiterführenden Schulen im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang wird die Menge der behandelten Lerninhalte im Lehrwerk kritisiert. Das Lehrwerk wird als „zum Teil so dick und so bepackt“ (B3) beschrieben, sodass nur ein geringer Teil der Inhalte auch tatsächlich innerhalb der beiden Klassenstufen, für die das Lehrwerk vorgesehen ist, zu schaffen sei. Dies führe zu einem gewissen Druck bei den Lehrkräften diese Inhalte in den zwei Jahren behandeln zu müssen. Die kritisierte Überfrachtung des Lehrwerks wurde auch in Bezug auf die Zusatzmaterialen des Lehrwerks geäußert. Einerseits bewerteten die Lehrkräfte u. a. den digitale Unterrichtsas‐ sistenten, die CD-ROM zum Arbeitsheft und die Online-Sequenzen positiv und als Bereicherung für den Unterricht. Andererseits empfanden die Lehrkräfte den Umfang der angebotenen Zusatzmaterialien zum Teil als Belastung, sowohl in finanzieller als auch in arbeitstechnischer Hinsicht, wenn Lehrkräfte alle 203 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="204"?> Bestandteile anschaffen und die Bandbreite des Angebotes des Lehrwerks tatsächlich nutzen wollten. Es sei schwer, den Überblick über das Angebot zu be‐ halten, was eine genaue Auseinandersetzung damit erfordert, die wiederum eine zusätzliche Arbeitsbelastung bezüglich der Unterrichtsplanung mit sich bringe. Diese Fülle an Zusatzmaterialien führe zudem dazu, dass die Schüler: innen das Lehrwerk und die genutzten Zusatzmaterialien oft in der Schule ließen, „weil es einfach zu schwer ist“ (B2), wodurch sie die Vorteile und die Vielzahl an schülerorientierten Angeboten des Lehrwerks nicht ausschöpfen könnten. Bezogen auf die Eignung des Lehrwerks für den Einstieg in die Lehrwerk‐ arbeit ab dem dritten Lernjahr Französisch in der 5. Klassenstufe, konnten zwei unterschiedliche Bewertungen festgestellt werden. Während die einen die Wiederholung des Lernstoffes aus den vorherigen Lernjahren in der ersten Lektion als notwendig und hilfreich für den Einstieg ansahen, stuften die anderen diese Wiederholung als hinderlich ein. Die Befürworterinnen der Wie‐ derholung gaben an, dass die Schüler: innen in der Regel viele der behandelten Inhalte wieder vergessen haben und die erste Lektion eine gute Möglichkeit der Reaktivierung dieser Inhalte eröffne, um anschließend darauf aufbauend in die zweite Lektion einsteigen zu können. Zudem würde die Wiederholung dieser bereits bekannten Inhalte den Schüler: innen ein gewisses „Selbstvertrauen“ (B3) geben, da diese nun ab der 5. Klassenstufe nicht nur mit der lehrgangsmäßigen Arbeit mit einem Lehrwerk, sondern auch mit einem veränderten Französisch‐ unterricht, in dem die Schriftsprache und die Grammatik stärker dominieren, konfrontiert würden. Die Kritikerinnen dieser Wiederholung bewerten sie als kontraproduktiv für die kontinuierliche Arbeit mit dem Lehrwerk von Anfang an, da durch die Wiederholung der bereits beherrschten Inhalte die Schüler: innen keine Progression und Förderung erleben würden. Aus diesem Grund überspringen diese Lehrkräfte in der Regel diese erste Lektion bzw. behandeln sie zügig, um direkt bzw. schnell in die zweite Lektion einsteigen zu können. Dieses notwendige Überspringen der ersten Lektion habe jedoch zu Folge, dass sich die erzählte Geschichte im Lehrbuch verliere, wodurch die Figuren für die Lernenden nicht mehr ganz greifbar seien, worunter der Identi‐ fikationsprozess mit diesen wichtigen Bezugspersonen nur bedingt stattfinden könne. Trotz dieser unterschiedlichen Bewertungen waren sich alle Befragten darüber einig, dass die erste Lektion eine Sammlung aus unterschiedlichen Themenfelder ohne erkennbaren Zusammenhang und Struktur darstelle. 3.4.3 Gestaltung des Einstiegs Alle Lehrkräfte sehen direkt in den ersten Stunden der Lehrwerkarbeit mit dem neuen Lehrwerk, unabhängig davon, ob diese in der 3. oder 5. Klassenstufe 204 Emma Dakla <?page no="205"?> beginnt, eine Einführungsphase in das Lehrwerk vor. Diese Einführungsphase stellt einen ersten Kontakt mit dem Lehrbuch dar und war allen Befragten wichtig. Es wird unter anderem großen Wert daraufgelegt, dass sich die Schüler: innen mit den Protagonist: innen der Lehrwerke vertraut machen, um den Identifikationsprozess gleich zu Beginn zu fördern. Hierfür werden direkt zu Beginn die Figuren der Lehrwerke mit Hilfe von Visualisierungen vorgestellt. Auch die Erkundung des Lehrwerks steht in dieser Einführungsphase im Fokus. Die Schüler: innen erhalten so die Möglichkeit, das Lehrbuch kennenzulernen und sich mit ihm vertraut zu machen. Diese Erkundungsphase soll dazu beitragen, dass die Schüler: innen das Lehrbuch samt der genutzten Begleit‐ materialien als ‚Hilfsmittel‘ bzw. ‚Werkzeug‘ in ihrem Spracherwerbsprozess wahrnehmen und auch annehmen, was für einen autonomeren Rückgriff auf die angebotenen Hilfen des Lehrbuchs, z. B. bei Schwierigkeiten auf lexikalischer Ebene das Vokabelverzeichnis heranzuziehen, förderlich sei. Eine weitere wich‐ tige Rolle, die dieser Einführung zukommt, ist das Vertrautmachen mit den Symbolen und Aufgabenformaten des Lehrwerks, sodass ein besseres Arbeiten mit dem Lehrwerk während und außerhalb des Unterrichts gewährleistet werde. Des Weiteren biete die Erkundung des Lehrbuchs den Schüler: innen eine Orientierung über mögliche Themen und Inhalte ihres Französischunterrichts in den kommenden zwei Jahren. Zwei der befragten Lehrkräfte gestalteten diese Erkundungsphase im letzten Durchlauf, indem sie diese in Form einer Lehrwerk-Rallye durchführten. Die Rallye enthielt Fragen zum Lehrbuch, deren Bearbeitung die Schüler: innen durch das Lehrbuch führte. Eine Lehrkraft, die zum ersten Mal die Erkundungsphase als Rallye durchführte, berichtete von einer positiven Wirkung des systematischen Erkundens auf die spätere autonome Nutzung des Lehrwerks durch die Schüler: innen. Die konkrete Arbeit mit den ersten Lektionen des Lehrbuchs wird - laut An‐ gabe der Lehrerinnen - individuell und abhängig von der jeweiligen Lerngruppe gestaltet. Auch wenn die Befragten mehrheitlich angaben, dass Lehrbuch als Anregungsquelle und Materialsammlung zu betrachten, halten sich drei unter ihnen bspw. hinsichtlich der Inhalte und der Reihenfolge der Themenfelder stark an die Struktur des Lehrbuchs. Sie ergänzen diese durch neue Bezüge oder eine Vertiefung einzelner Themenfelder. Auch gestalten sie bei Bedarf Lektionen schülerorientierter als vom Lehrbuch vorgegeben. Das Lehrbuch bildet für sie den „Grundstock“ (B2), an dem sie sich orientieren. Die beiden anderen Lehrkräfte räumen dem Lehrbuch eine weniger hohe Stellung im Spracherwerbsprozess ein und gestalten die Arbeit mit dem Lehrbuch deutlich freier und differenzierter. Sie haben die ersten beiden Lektionen grundlegend umstrukturiert und eine eigene Reihenfolge der zu behandelten Themen dieser 205 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="206"?> Lektionen aufgestellt, denen sie zum Teil eigene Titel gegeben haben. Aufgrund der zuvor beschriebenen Wiederholung in der ersten Lektion, wählen sie Inhalte aus dieser Lektion aus und verbinden diese mit Themenfeldern und gramma‐ tischen Phänomenen, die erst in späteren Lektionen behandelt werden. Die Grundlage für diese Umstrukturierung stellt in erster Linie das Vorwissen der Lerngruppe dar. Die Lehrkräfte analysieren, welche Inhalte (die im Lehrbuch für eine spätere Lektion vorgesehen sind) mit dem aktuellen Lernstand verknüpft werden können, um nach dem Prinzip des Spiralcurriculums einen Lernzuwachs bei den Schüler: innen zu initiieren. Dies bedeutet, dass in der Arbeit mit den ersten Lektionen Vertrautes mit Neuem kombiniert wird, um bereits erworbene Kenntnisse zu vertiefen, zu erweitern und auf neue Zusammenhänge zu über‐ tragen, wobei die Schüler: innen sich nicht durch die Wiederholung langweilen, aber ebensowenig durch neue Inhalte überfordert werden sollen. Besonders die Erarbeitung von grammatischen Phänomenen wird unter Rückgriff auf bereits erworbenes Wissen durchgeführt. Es werden unterschied‐ liche Bezüge hergestellt. Dies erfolgt z. B. durch eine vorgezogene Bearbeitung landeskundlicher Themen oder die Übertragung von aus anderen Fächern bekannten Methoden in den Fremdsprachenunterricht. So werde die Arbeit mit dem Lehrwerk abwechslungsreich und interessant, sowohl für die Schüler: innen als auch für die Lehrkräfte. Von Anfang an legen alle fünf Lehrkräfte im Zusammenhang mit der Lehrwerkarbeit viel Wert auf die Erweiterung des Wort‐ schatzes, um die Auseinandersetzung mit der Orthografie zu fördern und den Er‐ werb von Kompetenzen auf der Ebene der Schriftsprache zu erleichtern. Hierfür werden direkt mit der Einführung des Lehrwerks kontinuierlich kurze Vokabel‐ tests geschrieben, die auch Schüler: innen mit einer Leserechtschreibschwäche zugutekämen. Unter anderem werden hierfür Unterrichtsstunden für die Be‐ sprechung von Vokabellernstrategien reserviert, in denen die Schüler: innen sich über die unterschiedlichen Strategien austauschen und sich ausprobieren können. Für die Befragten liegt der Schlüssel für einen erfolgreichen Einstieg in die Lehrwerkarbeit in einem dosierten Einsatz des Lehrwerks gepaart mit einer abwechslungsreichen Gestaltung der Lehrwerkarbeit und einer langsamen Annäherung an die schriftliche Sprachproduktion. 3.4.4 Herausforderungen In der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit begegnen die Lehrkräfte Heraus‐ forderungen, die zwei Kategorien zugeordnet werden können. Die eine große Gruppe von Herausforderungen geht - wie bereits erwähnt - auf die Schrift‐ sprache zurück und die andere wird vom genutzten Lehrwerk herbeigeführt. 206 Emma Dakla <?page no="207"?> Diese Phase des Übergangs von der gewohnten Dominanz der Mündlichkeit hin zur Schriftlichkeit birgt für die Schüler: innen einige „Hürden“ (B1). Da bis dahin das Hörverstehen und das Sprechen hauptsächlich im Mittelpunkt des Französischunterrichts standen, müssen sich die Lernenden erst einmal mit der Orthographie des Französischen sowie mit Phonem-Graphem-Zuordnungen, die eine der zentralen Herausforderungen beim Erwerb der französischen Sprache darstellen, auseinandersetzen. Die Lehrkräfte stehen somit vor der Herausforderung, die Schriftsprache ein‐ zuführen, ohne dabei die Schüler: innen zu überfordern, um ihnen dadurch nicht die Freude am Erlernen der Sprache zu nehmen. Eine weitere Herausforderung ist die Tatsache, dass die Grundschüler: innen/ Fremdsprachenlernenden in der Regel erst seit vier Jahren zur Schule gehen und sich noch mitten im Erwerb der deutschen Orthographie befinden, was eine zusätzliche Belastung darstellt. Ei‐ nige von ihnen haben bereits im Deutschen mit einer Leserechtschreibschwäche zu kämpfen. Neben der Orthografie bringt die Aneignung der Schriftsprache die Beschäftigung mit grammatikalischen Aspekten der Sprache mit sich, die eine weitere Herausforderung für die Schüler: innen in der Einstiegsphase der Lehrwerkarbeit, insbesondere ab der 5. Klassenstufe, darstellt. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, haben die Lehrkräfte unter‐ schiedliche Strategien entwickelt. Einige versuchen Bezüge zu anderen Spra‐ chen, z. B. zum Englischen, herzustellen oder betonen die Vorzüge der Ziel‐ sprache gegenüber der deutschen Sprache, um eine Öffnung gegenüber diesen neuen sprachlichen Phänomenen zu erreichen. Andere legen den Fokus auf die Wortschatzerweiterung, indem sie mit Kreuzworträtseln und Vokabeltests intensiv die Orthographie üben, bevor sie in die Grammatik oder in das Schreiben einsteigen. Andere wiederum legen weiterhin großen Wert auf das Hörverstehen sowie das Sprechen und führen die Schüler: innen behutsam an die Schrift heran, um den oben beschriebenen ‚Bruch‘ zu verhindern bzw. sanft zu gestalten, da die Schüler: innen auf der Ebene des Hörverstehens in der Regel bereits über hervorragende Kompetenzen aus den ersten beiden Lernjahren verfügen. Die geforderte Einsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht wird von der Mehrheit in dieser Phase dosiert eingesetzt. Zudem werden bewusst Inhalte behandelt, die einen kommunikativ-explorativen Zugang zum Land/ zu Ländern der Zielsprache ermöglichen, wodurch eine Brücke zu den neuen sprachlichen Phänomenen aufgebaut wird, damit der Fokus zu Beginn nicht zu stark auf die Produktion der Schriftsprache gelegt ist. Auch die Kompatibilität des Lehrwerks mit dem Lernstand und dem Sprach‐ niveau der Schüler: innen stellt eine Herausforderung dar. Besondere Schwie‐ 207 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="208"?> rigkeiten wurden in Zusammenhang mit dem Lehrwerk Découvertes Junior angegeben. Das Lehrwerk richtet sich an Lernende, die ab der 5. Klassenstufe Französisch lernen. Der Einstieg in den Französischunterricht beginnt jedoch an den Grundschulen in Berlin, die statt Englisch, Französisch als erste Fremd‐ sprache anbieten, in der Regel deutlich früher, nämlich ab der 3. Jahrgangsstufe. Zum Teil haben die Schüler: innen bereits ab der ersten Klasse den ersten Kontakt mit der Zielsprache und fangen somit ab der 5. Klassenstufe nicht vollständig von vorne an. Sie bringen bereits Kenntnisse sowie Kompetenzen mit, die das Lehrwerk aufgrund der angedachten Zielgruppe nicht berücksichtigt bzw. nicht aufgreift. Eine weitere Herausforderung ist der gleichzeitige Sprung, den das Lehrwerk in Bezug auf die Kompetenz Leseverstehen vorschlägt, worin die Lernenden noch nicht geschult sind und somit nach der Unterforderung zu Beginn sogleich eine Überforderung erleben. Neben der oben bereits beschriebenen Modifikation der ersten Lektionen mit dem Ziel eines vereinfachten Übergangs in die Arbeit mit Découvertes Junior, wird als weitere Strategie genannt, den zweiten Band des Lehrwerks Les Loustics noch zu Beginn der 5. Klassenstufe zu behandeln und dann erst zu Découvertes Junior überzugehen. Diese Vorgehensweise lässt vermuten, dass eine dreistufige Lehrwerkreihe nötig wäre, um den beschriebenen Bruch entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang bringt eine der Lehrkräfte, die auch mit Les Loustics ab der 3. Klassenstufe arbeitet, die Sinnhaftigkeit des zweijährigen Sprachkon‐ takts bzw. „der Annährung“ an die Zielsprache in den Klassenstufen drei und vier, der fast ausschließlich mündlich erfolgt, ins Spiel. Sie geht davon aus, dass eine nur einjährige Kontaktphase genügen würde, damit die schriftliche Produktion sehr früh eingeführt werden könne, um diesen späteren „Sprung“ gar nicht erst entstehen zulassen. Sie sieht die Problematik hauptsächlich in der Dominanz der Mündlichkeit in den ersten zwei Lernjahren begründet, die dazu führe, dass das Gelernte „sehr flüchtig“ sei und nur schlecht darauf aufgebaut werden könne. 3.4.5 Wirkfaktoren auf den Einstieg in die Lehrwerkarbeit Neben den erläuterten Herausforderungen, die das genutzte Lehrwerk und die Schriftsprache mit sich bringen, wirken weitere Faktoren auf die Gestaltung des Einstiegs in die Lehrwerkarbeit ein, die nicht direkt mit dem Fremdsprachen‐ unterricht verbunden sind, aber dennoch einen bedeutenden Einfluss auf diesen ausüben. Diese betreffen die organisatorische, strukturelle und personale Ebene. Die organisatorische Ebene umfasst die Organisation des Französischunter‐ richts in der Primarstufe. Bei der Gestaltung der Lehrwerkarbeit müssen immer die didaktisch-methodischen Prinzipien der Schulform, die Klassenstufe, das 208 Emma Dakla <?page no="209"?> Alter sowie die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Lerngruppe berück‐ sichtig werden. Diese Aspekte scheinen besonders in der Phase des Einstiegs in die Lehrwerkarbeit in der Grundschule von noch größerer Bedeutung zu sein, da es sich dabei um eine kritische Phase im Spracherwerbsprozess handelt, insbesondere mit dem Einstieg in die Lehrwerkarbeit ab der 5. Jahrgangsstufe innerhalb der Primarstufe. Hierbei müssen die Lehrkräfte den Spagat zwischen der spielerischen Vermittlung, die der Grundschule eigen ist, und den Anfor‐ derungen des Rahmenlehrplans bewältigen, der jedoch ab der 5. Klassenstufe den Spracherwerb bereits auf einer kognitiv höheren Ebene fordert und dabei gleichzeitig der Heterogenität der Lerngruppe, z. B. in Form von besonderen Förderbedarfen (etwa Leserechtschreibschwäche oder Muttersprachler: innen mit fortgeschrittenen Sprachkenntnissen) gerecht werden. Zu den strukturellen Faktoren, die auf die Gestaltung einwirken, zählen u. a. die Ausstattung der Schule mit digitalen Endgeräten, z. B. mit einem Smartboard, sodass digitale Lehrwerkskomponenten in Form von Unterrichts‐ assistenten, online Ressourcen oder interaktiven Übungen auch genutzt werden können, um eine schüleraktive, schülerorientierte und abwechslungsreiche Lehrwerkarbeit zu gestalten. Ein weiterer struktureller Faktor beinhaltet die Kooperation der Lehrkräfte des Fachbereich Französisch an den jeweiligen Schulen. Hier gaben die Lehrkräfte eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Kollegium des Fachbereiches und die Einigung auf gemeinsame didaktische und methodische Richtlinien ab dem ersten Lernjahr als unerlässlich an, um einen möglichst reibungslosen sowie erfolgreichen Einstieg in die Lehrwerkarbeit zu ermöglichen, die den Lernstand und die Kompetenzen der Schüler: innen adäquat berücksichtigt. Der dritte Wirkfaktor geht auf die Person der Lehrkraft zurück. Persönliche Einstellungen zum Französischunterricht, subjektive Theorien und übernom‐ menen Prinzipien aus der zweiten Phase der Lehrkräfteausbildung beeinflussen nicht nur die Gestaltung der Einstiegsphase, sondern auch den Umgang mit dem Lehrwerk und die Arbeit mit den Lektionen. Des Weiteren hat die Bereitschaft der Lehrkraft, immer wieder eine kritische Evaluation des eigenen Unterrichts, der verwendeten Methoden und der didaktischen Vermittlung der Inhalte vorzu‐ nehmen auf die Gestaltung bzw. Adaptation des Einstiegs in die Lehrwerkarbeit einen entscheidenden Einfluss. 3.4.6 Veränderungsvorschläge Die Veränderungswünsche, die die Lehrkräfte in Bezug auf die von ihnen verwendeten Lehrwerke äußerten, bezogen sich überwiegend auf das Lehrwerk Découvertes Junior (2012). Die Mehrheit der Vorschläge zielte auf die Gestaltung 209 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="210"?> und die Ausstattung des Lehrwerks ab und resultierte in der Regel aus den bemängelten Elementen (siehe Abschnitt 3.4.2). Von der Mehrheit wurde die Ausstattung des Lehrwerks mit authentischem und gut verständlichem Video- und Audiomaterial gefordert. Dieses sollte zudem stärker das Lernjahr sowie das Alter der Schüler: innen berücksichtigen, sodass es weder zu einer Unter-, noch Überforderung der Lernenden komme. Hier haben insbesondere die Aussprache der Sprecher: innen und die dargestellten Situationen in den Hörtexten eine bedeutende Rolle inne. Die Forderung von authentischen Kommunikationssi‐ tuationen mit vielen gleichaltrigen Sprecher: innen soll eine bessere Identifika‐ tion mit der Zielsprache ermöglichen und den Schüler: innen die Sprache in ihrer Komplexität samt ihrer Phonologie erfahrbar machen. Die Lehrkräfte verbanden den Wunsch nach mehr Video- und Audiomaterial mit einer besser adaptierten Schulung der Kompetenzen: Hörverstehen, Hörsehverstehen sowie dem Sprechen. Aus diesem Grund forderten sie zu diesen Materialien auch entsprechende Höraufgaben. Bezüglich der Ausstattung legten sie den Fokus auf eine stärkere Einbindung digitaler Medien und Online-Ressourcen, etwa in Form von digitalen Unterrichtsassistenten oder interaktiven Übungsformaten. Dieser Wunsch resultiert aus der Tatsache, dass Schüler: innen heute überwie‐ gend in der digitalen Welt unterwegs sind und die Einbindung digitaler Medien und Online-Ressourcen nicht nur besser die Lebensrealität der Sprachlernenden widerspiegeln, sondern auch diese auf didaktisch-methodischer Ebene besser erreicht werden können. Außerdem sollen diese digitalen Aufgabenformate dazu beitragen, die heute dringend nötige Medienkompetenz, insbesondere im Umgang mit den soge‐ nannten neuen Medien, auch im Französischunterricht zu fördern. In Zusam‐ menhang mit dem Kompetenzerwerb wird zudem eine stärkere Berücksich‐ tigung der interkulturellen Kompetenz gleich zu Beginn gewünscht, damit Frankreich samt seiner Kultur für die Schüler: innen greifbarer und realer wird. Dies soll den Spracherwerb unterstützen, da eine Auseinandersetzung mit der Zielsprache über das reine Sprachsystem hinaus stattfindet. Ein weiterer Komplex von Veränderungswünschen bezieht sich auf die Gestaltung des Lehrwerks. Die Forderungen hier betrafen vor allem die Vi‐ sualisierungen. Diese sollten möglichst moderner und kindgerechter gestaltet werden, um auch hier eine bessere Identifikation mit den Protagonisten der Lehrwerke zu ermöglichen. Auch wenn der Aspekt der Identifikation mit den Figuren der im Unterricht verwendeten Lehrwerke grundsätzlich in allen Klassenstufen für den Spracherwerbsprozess und die Annahme des Lehrwerks durch die Schüler: innen förderlich ist, scheint sie noch wichtiger für die jungen Sprachlernenden der Primarstufe zu sein, da sie ein stärkeres Bedürfnis nach 210 Emma Dakla <?page no="211"?> Beständigkeit sowie wiederkehrenden Handlungen haben. Mit diesem Punkt eng verbunden ist die immense Bedeutung, die die Lehrkräfte dem Aspekt der Aktualität in Bezug auf die dargestellten Figuren und Situationen einräumen. Zudem wird Aktualität bezüglich der Qualität der Visualisierung in den Lehrwerken gefordert, damit Bilder, Ikons usw. in den Lehrwerken in ihrer Ästhetik den Anforderungen der jungen Lernenden entsprechen. Im Zusam‐ menhang mit den spezifischen Anforderungen in der Primarstufe wiesen die Lehrkräfte darauf hin, dass bei der Gestaltung des Lehrwerks berücksichtig werden müsse, dass einige Schüler: innen in der fünften Jahrgangsstufe noch recht verspielt seien, sodass spielerische Elemente, wie bspw. Rätsel oder andere spielerische Zugänge zu den Inhalten, eingebaut werden sollten. Diese geforderten spielerischen Elemente sollen den Grundschüler: innen den Zugang zu den stärker kognitiven Prozessen des Spracherwerbs, etwa bei der Aneignung von grammatischen Phänomenen, erleichtern. Grundsätzlich fordern die be‐ fragten Lehrkräfte die beschriebene Lernkultur und Spezifika der Grundschule bzw. Primarstufe in der didaktisch-methodischen Konzeption und in den Auf‐ gaben-/ Übungsformaten der Lehrwerke stärker zu berücksichtigen. 4 Diskussion der Erhebungsergebnisse 4.1 Einstiegsphase und Lehrwerkarbeit Das Lehrbuch samt seiner Komponenten nimmt eine wichtige Stellung inner‐ halb der Lehrmittel des Französischunterrichts ein, auch im Französischunter‐ richt der Primarstufe - zumindest bei der Mehrheit der untersuchten Lehrkräfte. Dies widerspricht der Vorstellung, dass das Lehrwerk im (Fremdsprachen-)Un‐ terricht der Primarstufe eine weniger bedeutende Rolle spiele, wie dies oft in der fremdsprachendidaktischen Literatur beschrieben wird (cf. dazu u. a. Thaler 2014: 6). Die Untersuchung hat herausgestellt, dass die Arbeit mit einem Lehrwerk im Französischunterricht sehr früh beginnen und der Einstieg in die Arbeit, aufgrund der unterschiedlichen Struktur des Französischunterricht in den Klassenstufen 3/ 4 sowie 5/ 6, zum Teil sogar zweimal stattfinden kann. Der Einstieg in die Lehrwerkarbeit kann in der 3. oder/ und in der 5. Klassenstufe stattfinden. In Zusammenhang mit dem Einstieg kann in Verbindung mit der späteren Dominanz der Schriftsprache ab der 5. Klassenstufe die Arbeit mit dem in der Regel neuen Lehrwerk einen zweiten Einstieg darstellen, wenn bereits ab der 3. Klassenstufe mit einem Lehrwerk gearbeitet wurde. Entscheidend für die Phase des Einstiegs ist, unabhängig davon, ob die Lehrwerkarbeit bereits ab der 3. oder ab der 5. Jahrgangsstufe beginnt, dass die Schriftsprache 211 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="212"?> in den Französischunterricht integriert wird, in vereinfachter Form in der 3. Klassenstufe und deutlich stärker ab Klassenstufe 5. Während in der Literatur oftmals die Bedeutung des Lehrwerks mit dem Unterricht der Sekundarstufe in Verbindung gebracht wird, hat sich gezeigt, dass aufgrund der besonderen Situation in Berlin/ Brandenburg (6-jährige Grund‐ schulphase) der schriftbasierte Fremdsprachenunterricht bereits ab der fünften Jahrgangsstufe einsetzt, wodurch die diskutierte Problematik des Übergangs hier bereits in der Grundschule stattfindet. Den Wechsel der Lernkultur durch‐ leben die Schüler: innen also innerhalb der gleichen Schulform, noch vor dem Übertritt in die Sekundarstufe (in Berlin/ Brandenburg ab Klasse 7), da die Do‐ minanz der Schriftsprache und die schriftliche Progression ab der 5. Klassenstufe stärker im Fokus stehen. Die sich darstellenden Herausforderungen für den Einstieg in die Lehrwerk‐ arbeit gehen mehrheitlich auf die Einführung der Schriftsprache und damit verbunden den Erwerb der Kompetenzen Leseverstehen, Schreiben und Ver‐ fügen über sprachliche Mittel zurück. Trotz des Rahmenlehrplans Berlin/ Bran‐ denburg, der für die Klassenstufe 1-10 konzipiert ist, um Kontinuität auch im Fremdsprachenerwerbsprozess zu gewährleisten, zeigen sich Schwierigkeiten, die von den Lehrkräften als „Sprung“ beschrieben werden. Diese Schwierig‐ keiten weisen klar daraufhin, dass hier eine bessere Anpassung der Lerninhalte an den Spracherwerb von Grundschüler: innen und an die Lernkultur dieser Schulform notwendig ist (cf. u. a. Dausend 2017). In diesem Zusammenhang sind weitere empirische Forschungen mit größeren Samples als das, das dieser Untersuchung zugrunde liegt, nötig, um die Problematik des Übergangs inner‐ halb der Grundschule umfassender zu beforschen. Mögliche, zukünftige Untersuchungen sollen jedoch nicht nur Französi‐ schlehrkräfte in der Grundschule anvisieren, sondern auch die Schüler: innen dieser Schulform stärker in den Fokus nehmen, die nach Hallet & Königs (2019) die dritte Komponente der Lehrwerkarbeit bilden, damit auf Basis der Ergeb‐ nisse Rückschlüsse gezogen und effektive Lösungsansätze gefunden werden können. Studien zum Übergang von der Primarzur Sekundarstufe, wie das Projekt zur Entwicklung von Lernaufgaben im Fach Englisch für das Ende der Grundschule und den Beginn der Sekundarstufe (Kolb 2011), könnten mög‐ liche Ansätze liefern, die bei der Lehrwerkkonzeption zu berücksichtigt sind. Bezogen auf den von Hallet & Königs (2019) vorgestellten Definitionsversuch des Begriffs ‚Lehrwerkarbeit‘ hat sich herausgestellt, dass Französischlehrkräfte als Expert: innen diese Definition teilen. Der sporadische Rückgriff auf ein Lehrwerk in Form von bspw. Kopien stellt auch für sie keine Lehrwerkarbeit dar. Das aktive Arbeiten im Unterricht mit dem Lehrbuch und/ oder anderen 212 Emma Dakla <?page no="213"?> Lehrwerkskomponenten bildet demnach ein entscheidendes Kriterium. Des Weiteren untermauern die Ergebnisse den Einfluss, den subjektive Theorien auf das Handeln von Lehrkräften ausüben (cf. u. a. Bausch et al. 2007, Surkamp 2017, Hallet & Königs 2019). Diese spiegeln sich in der Gestaltung des Einstiegs sowie den gesetzten didaktischen Schwerpunkten wider. Es konnte festgestellt werden, dass - je nach persönlicher Überzeugung - bspw. mehr Übungen zum Sprechen oder interkulturellen Aspekten im Unterricht angeboten werden. 4.2 Lehrwerkskonzeption und Lehrwerkauswahl Die Untersuchung hat auch aufgedeckt, dass das Lehrwerk, das eigentlich ein „Hilfsmittel“ sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden im Lehr- und Lernprozess sein sollte, zum Teil Herausforderungen mit sich bringt, die diesen Prozess erschweren können. Die sich hier auftuenden Probleme gehen auf die Rahmenbedingungen und Wirkfaktoren, die der Lehrwerkkonzeption zugrunde liegen, zurück. Aus Kostengründen wird seitens der Verlagshäuser versucht, so vielen Lehrplänen wie möglich zu entsprechen. Dies führt dazu, dass spezielle Bedürfnisse und Anforderungen von einzelnen Bundesländern, wie dies aufgrund der Übergangsproblematik innerhalb der Grundschule für den Französischunterricht in Berlin/ Brandenburg der Fall ist, nicht optimal berück‐ sichtig werden können. Die Untersuchung konnte in diesem Zusammenhang zeigen, dass ein großer Nachholbedarf in Bezug auf die bessere Anpassung der angebotenen Lehrwerke, speziell für den Einstieg in die systematische Nutzung des Lehrwerks ab der 5. Klassenstufe, innerhalb dieser Schulform erforderlich ist. Vor allem eine bessere Anpassung der ersten Lektionen, i. e.S. die Berück‐ sichtigung des Vorwissens und der Sprachkompetenzen der Sprachlernenden, sind hier für einen reibungslosen Einstieg von Bedeutung. Die Förderung der Schreibkompetenz müsste sukzessiv über mehrere Lek‐ tionen aufgebaut werden. Die ersten Lektionen sollten vielmehr an die vorhan‐ denen Kompetenzen der Schüler: innen im Bereich Hör-/ Hörsehverstehen sowie des Sprechens anknüpfen und im Sinne des Spiralcurriculums die Verknüpfung von Vorwissen mit neuen Inhalten vollziehen. Zudem sollte bereits in den ersten Lektionen die interkulturelle Kompetenz durch landeskundliche Inhalte gefördert werden. Mit dem Ausbau der Schriftlichkeit und des Wortschatzes sollten Lehrwerke Lernstrategien in die Lektionen einbauen, mit Hilfe derer die Schüler: innen diese neuen An- und Herausforderungen meistern können. Differenzierte Aufgabenformate innerhalb der ersten Lektionen sind notwendig, um die individuellen Bedarfe von bspw. Schüler: innen mit einer Leserecht‐ schreibschwäche oder frankophonen Muttersprachlern: innen gleichermaßen gerecht zu werden. 213 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="214"?> Von den Lehrkräften wird ein Kompromiss hinsichtlich des Lehrwerks Découvertes Junior geschildert. Aus Mangel an adäquaten Alternativen für den Französischunterricht ab Klassestufe 5 wird das Lehrwerk genutzt, obwohl die Mehrheit der Lehrerinnen nicht gern damit arbeitet. Hinsichtlich des Mangels an geeigneten Lehrwerken für den Unterricht der 3. Klassenstufe hat sich herausgestellt, dass zum Teil ohne Lehrwerk oder auch hier nur ein Kompromiss mit den vorhandenen Lehrwerken eingegangen wird, da diese als zu schwer für den frühen Fremdsprachenunterricht eingestuft werden. Obwohl es eine Fülle an Lehrwerken für den frühen Französischunterricht (ab Klasse 3) auf dem Markt gibt, stellt man bei genauerer Analyse fest, dass sie in der Regel ähnlich wie das Lehrwerk Les Loustics vollständig auf Französisch konzipiert sind, da sie in der Regel von französischen Verlagshäusern stammen und für den internationalen Markt bestimmt sind (cf. u. a. Fäcke 2017, Müller 2008). Dies deckt sich mit den Ergebnissen der hier vorgestellten Studie und ist eine mögliche Erklärung dafür, warum die Mehrheit der Lehrkräfte erst ab der 5. Klassenstufe mit einem Lehrwerk arbeitet. In Verbindung mit der Tatsache, dass nur die Muttersprachlerin unter den Lehrkräften sehr gern mit dem Lehrwerk Les Loustics arbeitet, müssten weitere Untersuchungen zu klären versuchen, inwieweit die Lehrwerke aufgrund ihrer sprachlichen Konzeption tatsächlich zu schwer für den Frühbeginn sind und inwiefern die Muttersprache bzw. die didaktisch-kulturelle Prägung von Fran‐ zösischlehrkräften ihre Einstellung zu Lehrwerken beeinflusst und sich somit auf die Auswahl sowie den Einsatz von Lehrwerken auswirkt. In Bezug auf die Problematik der Einsprachigkeit der Lehrwerke für den Frühbeginn (ab Klasse 3), wird Zweisprachigkeit (Deutsch/ Französisch) von den untersuchten Lehrkräften (L1 Deutsch) gefordert, um den Schüler: innen Orientierung zu bieten, wie dies z. B. bei dem Lehrwerk Découvertes Junior der Fall ist. 4.3 Primarstufenunterricht und Lehrwerksbestandteile Die Untersuchung hat verdeutlicht, dass die Berücksichtigung der didaktischen und methodischen Prinzipien für den Fremdsprachenunterricht der Grund‐ schule, wie sie aus den Beschlüssen der KMK zu entnehmen sind und u. a. von (Rück 2004, Sambanis 2007, Surkamp 2017, Fäcke 2017 oder Nieweler 2017) genauer erläutert werden, auch für den Einstieg in die Lehrwerkarbeit von Bedeutung sind. Der Übergang zu einer neuen Arbeitsform und einer anderen Strukturierung der Lehr- und Lernprozesse, insbesondere ab der 5. Klassenstufe, stellt für die jungen Fremdsprachenlernenden eine immense Herausforderung dar. Damit die Herausforderung gemeistert werden kann, wird u. a. in den ersten Stunden des Einstieges in die Lehrwerkarbeit sehr viel Wert daraufgelegt, den 214 Emma Dakla <?page no="215"?> Schüler: innen die neuen Lehr- und Lernmittel auf spielerische und spannende Art und Weise näherzubringen. Dabei spielen die Figuren in den Lehrwerken eine zentrale Rolle. Von diesen Figuren des Lehrwerks ausgehend gestaltet sich die anschließende Lehrwerkarbeit mit den ersten Lektionen des Lehrwerks. Mit ihrer Hilfe werden Themen und Inhalte aus dem Lehrwerk eingeführt, behandelt, vertieft und auf ihre eigene Person übertragen. Im Jahr 2020 ist eine neue Ausgabe des Lehrwerks Découvertes Junior erschienen. Inwiefern diese die Forderungen der Lehrkräfte, die ich in der Studie herausarbeiten konnte, umsetzt und ob Primarstufenlehrkräfte ihr eine unproblematischere Gestaltung des Übergangs bescheinigen, kann Gegenstand kommender Untersuchungen sein. Literatur Primärliteratur Bernklau, Simone & Boivin, Laure & Darras, Isabelle & Fischer, Grégoire & Lange, Ulrike C. & Mischke, Christopher & Nieweler, Andreas & Obeling, Steffen & Putnai, Marceline (2020): Découvertes 1. Stuttgart: Klett. Bruckmayer, Birgit & Jouvet, Laurent & Lange, Ulrike C. & Nieweler, Andereas & Prudent, Sabine & Putnai, Marceline & Eyser, Michette & Mühlmann, Inge & Oberling, Steffen (2012): Découvertes - Junior: Doppelband für die Klassen 5 und 6. Stuttgart: Klett. Capouet, Marianne & Denisot, Hugues (2013): Les Loustics 1 - Méthode de francais. Paris: Hachette Livre. Sekundärliteratur Bausch, Karl-Richard & Christ, Herbert & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2007 5 ): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr Francke Attempto. Börner, Ottfried (2017): „Frühes Fremdsprachenlernen - Historische Entstehung und Entwicklung“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 2, 18-35. Burwitz-Melzer, Eva & Mehlhorn, Grit & Riemer, Claudia & Bausch, Karl-Richard & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2016): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen: Narr Francke Attempto. Dausend, Henriette (2017): „Übergänge im frühen Englischunterricht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 2, 70-84. Elsner, Daniela (2016): „Lehrwerke“. In: Burwitz-Melzer, Eva & Mehlhorn, Grit & Riemer, Claudia & Bausch, Karl-Richard & Krumm, Hans-Jürgen. (Hrsg): Handbuch Fremd‐ sprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen: Narr Francke Attempto, 441-445. 215 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="216"?> Fäcke, Christiane (2016): „Lehrwerkforschung-Lehrwerkgestaltung-Lehrwerkrezeption. Überlegungen zur Relevanz von Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht“, in: Rückl, Michaela ed. Sprachen & Kulturen: vermitteln und vernetzen. (Salzburger Beiträge zur Lehrer/ innen/ bildung: Der Dialog mit Fach- und Bildungswissenschaften. Bd. 2). Münster: Waxmann, 34-48. Fäcke, Christiane (2017 2 ): Fachdidaktik Französisch: Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto. Gnutzmann, Claus & Königs, Frank G. & Küster, Lutz (Hrsg.) (2011): „Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 2011/ 2. Gnutzmann, Claus & Königs, Frank G. & Küster, Lutz & Schramm, Karen (Hrsg.) (2017): „Frühes Fremdsprachenlernen“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 2017/ 2. Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. (Hrsg.) (2019 3 ): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze: Kallmeyer in Verbindung mit Klett Friedrich. KMK = Kultusministerkonferenz (2013): Fremdsprachen in der Grundschule - Sach‐ stand und Konzeptionen 2013. https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentli chungen_beschluesse/ 2013/ 2013_10_17-Fremdsprachen-in-der-Grundschule.pdf, Zu‐ griff: 02.10.2021. Kolb, Annika (2011): „Gemeinsame Sache machen: Lernaufgaben für die Primar- und die Sekundarstufe“. In: Elsner, Daniela & Wildemann, Anja (Hrsg.): Sprachen lernen - Sprachen lehren. Perspektiven für die Lehrerbildung in Europa. Frankfurt am Main: Peter Lang, 169-181. Kolb, Elisabeth (2016): „Schulische Übergänge“. In: Burwitz-Melzer, Eva & Mehlhorn, Grit & Riemer, Claudia & Bausch, Karl-Richard & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Narr Francke Attempto, 192-195. Kurtz, Jürgen (2011): „Zur Einführung in den Themenschwerpunkt“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 2, 3-14. Misoch, Sabina (2019 2 ): Qualitative Interviews. Berlin/ Boston: de Gruyter. Müller, Ralf (2008): Französisch in der Grundschule. Ein interkulturelles Unterrichtsdesign. Marburg: Tectum. Nieweler, Andreas (Hrsg.) (2017): Fachdidaktik Französisch: Das Handbuch für Theorie und Praxis. Stuttgart: Ernst Klett. Rahmenlehrplan Berlin-Brandenburg (2015): Teil C - Moderne Fremdsprachen: Jahr‐ gangstufen 1-10. https: / / bildungsserver.berlin-brandenburg.de/ fileadmin/ bbb/ unte rricht/ rahmenlehrplaene/ Rahmenlehrplanprojekt/ amtliche_Fassung/ Teil_C_Mod_Fr emdsprachen_2015_11_16_web.pdf, Zugriff: 02.10.2021. 216 Emma Dakla <?page no="217"?> Rück, Heribert (2004 2 ): Fremdsprachen in der Grundschule - Französisch und Englisch (Landauer Schriften zur Kommunikations- und Kulturwissenschaft, Bd. 4). Landau: Markus Knecht. Sambanis, Michaela (2007): Sprache aus Handeln: Englisch und Französisch in der Grund‐ schule (Landauer Schriften zur Kommunikations- und Kulturwissenschaft. Bd. 14). Landau: Empirische Pädagogik. Surkamp, Carola (Hrsg) (2017 2 ): Metzler Lexikon. Fremdsprachendidaktik: Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart: Metzler. Thaler, Engelbert (2012): Englisch unterrichten: Grundlagen - Kompetenzen - Methoden. Berlin: Cornelsen. Thaler, Engelbert (2014): „Lehrwerk-Kompetenz“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht, 4-8. Thiele, Sylvia (2012): Didaktik der Romanischen Sprachen. Praxisorientierte Ansätze für den Französisch-, Italienisch- und Spanischunterricht (Romanistische Arbeitshefte, Bd. 54). Berlin, Boston: de Gruyter. 217 Anforderungen an Französischlehrwerke in der Einstiegsphase in die Lehrwerkarbeit <?page no="219"?> 1 Unter dem Begriff „Lehrwerk“ wird eine Vielzahl von „unterschiedlichen Medien: Schü‐ lermaterial, Lehrermaterial, audiovisuelle Medien, Vorlagen, Aufgabensammlungen“ zusammengefasst (cf. Fuchs & Niehaus & Stoletzki 2014: 9). Aktuell werden Lehr‐ werke als „gedruckte und elektronische Mehrkomponentensysteme angeboten und ver‐ marktet“ (Kurtz 2020: 198). Der Grad der Abstimmung der verschiedenen Komponenten sowie die Möglichkeit von Lehrkräften, die vielfältigen Angebote zu überblicken, gilt es laut Kurtz (cf. ebd.) jedoch noch zu überprüfen. Auch die Frage, inwiefern digitale Lernangebote in der Unterrichtsrealität Berücksichtigung finden und ob die Ursachen dafür in der Ausstattung der Schulen oder den Einstellungen der Lehrkräfte zu suchen sind, bedarf noch der Klärung. Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung im Anfangsunterricht Eine empirische Untersuchung anhand von Beobachtungsprotokollen Manuela Franke Lehrwerke 1 nehmen - vor allem in der Sekundarstufe I - seit Jahrzehnten einen wesentlichen Einfluss auf Planungs- und Gestaltungsprozesse von Unterricht. Gleichzeitig moniert ein Allgemeinplatz wiederkehrender An‐ klage den lehrwerkbasierten Unterricht als „langweilig“ und „nicht gut“, wobei damit in der Regel ein „Abarbeiten“ des im Schüler: innenbuch vorgeschlagenen Materials assoziiert wird. Beide Behauptungen sind ins‐ besondere deshalb überraschend, da aktuell - vor allem auch für den Unterricht der romanischen Sprachen - nur wenig empirische Daten zum tatsächlichen Einsatz des Lehrwerks im Fremdsprachenunterricht vorliegen. Der folgende Beitrag hat zum Ziel, diese Forschungslücke ein Stück weit zu schließen und beschäftigt sich daher anhand von Teiler‐ gebnisse einer auf strukturierten Unterrichtsbeobachtungen basierenden, deskriptiv-statistisch ausgewerteten empirischen Studie mit der Frage, wie Lehrkräfte das durch die Lehrwerke vorhandene Angebot konkret zur Förderung der Sprechhandlungskompetenz einsetzen. <?page no="220"?> 2 Als Beispiel sei hier À plus ! (2020) von Cornelsen genannt, das 2021 den ersten Platz als Schulbuch des Jahres aufgrund seiner innovativen Verknüpfung von freiem Sprechen sowie darstellenden und kreativen Aufgaben belegte (cf. www.bpb.de/ presse/ 335006/ s chulbuecher-des-jahres-2021-innovativ-und-auf-augenhoehe). 1 Sprechkompetenzförderung mit dem Lehrwerk in der Sekundarstufe I Im Kontext des Lehrwerkeinsatzes wird oftmals von „Lehrwerksarbeit“ (König 2 2013) gesprochen, was den Eindruck entstehen lässt, „es ginge im Unterricht vorrangig darum, im Lehrwerk vorgezeichnete Arbeitspensen ‚zu erledigen‘, um die in den Bildungsstandards und Lehrplänen vorgegebenen Kompetenzerwar‐ tungen zu erfüllen“ (Kurtz 2020: 198). Es wurde bislang jedoch weder empirisch belegt, ob und inwiefern Lehrer: innen die Arbeit mit dem Lehrwerk als ein ‚Abarbeiten der Lehrwerksinhalte‘ verstehen (cf. Kurtz 2010), noch ob sie über die von Thaler (2014) beschriebene Lehrwerkkompetenz verfügen. Entsprechend der an Fremdsprachenlehrende herangetragenen Forderung, „optimale Bedingungen, Szenarien und Gelegenheiten zur Entwicklung der mündlichen Fertigkeiten [zu] schaffen“ (Wapenhans 2018: 256), ist auch in den Lehrwerken der neueren Generation eine stärkere Fokussierung auf die Mündlichkeit zu beobachten. 2 2014 formulierte Küster (2014: 131), dass im lehr‐ werkbasierten Fremdsprachenunterricht die Sprechhandlungen der Lernenden in der Regel „als direkte Reaktion auf mündliche Impulse der Lehrkraft bzw. auf schriftliche Stimuli des Lehrwerks“ (Küster 2014: 131) angelegt zu sein scheinen. Schüler: innen bekämen nur selten die Möglichkeit, mitteilungsbezogen und improvisierend zu kommunizieren, obwohl dies durch „Kleinformen, in denen es [das Sprechen] in einem überschaubaren Anspruchsrahmen schrittweise erprobt und erweitert“ (ebd.: 132) wird, leicht realisierbar sei. Es fehlt jedoch bislang an Studien zur Unterrichtspraxis von Lehrkräften, die Einblick in eben diese Unterrichtsszenarien - auch mit dem vom Lehrwerk angebotenen Material - geben könnten. 2 Studienergebnisse zum Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung Bei den im Folgenden dargestellten Ergebnissen handelt es sich um eine Teilauswertung einer Studie zum Einsatz des Lehrwerks durch Lehrkräfte im Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I. Im Rahmen der Gesamtstudie wurden im Wintersemester 2019/ 20, also noch vor Einsetzen 220 Manuela Franke <?page no="221"?> 3 Der Beobachtungsbogen, wurde in einem fremdsprachendidaktischen Kolloquium vorgestellt und diskutiert. 4 Unter Lehrwerkelement sind zum Beispiel Aufgabenstellungen, Lehrwerktexte, Hör‐ texte, Zeichnungen etc. zu verstehen. der Corona-pandemiebedingten Einschränkungen, insgesamt 184 Unterrichts‐ einheiten in den Fächern Französisch und Spanisch beobachtet: Fach Anzahl der Be‐ obachter: innen Anzahl Ein‐ zelstunden (45 Minuten) Anzahl Ein‐ zelstunden (60 Minuten) Anzahl Dop‐ pelstunden (90 Minuten) Französisch 16 32 - 48 Spanisch 18 43 8 53 Tab. 1: Beobachtete Unterrichtseinheiten mit dem Lehrwerk Die Beobachtung der Unterrichtsstunden fand strukturiert, basierend auf einem im peer-group  3 Verfahren entwickelten Beobachtungsbogen, statt. Der Beobach‐ tungsbogen wurde zudem vor dem Einsatz mit Studierenden erprobt und die Beobachter: innen zuvor gezielt geschult. Das Ziel der Gesamtstudie besteht darin, die lehrwerkbasierte Unterrichtspraxis von Lehrkräften zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden u. a. Lehrwerkskomponente (z. B. Arbeitsheft oder Schüler: innenbuch), Seitenzahl, Beginn und Ende der Arbeit mit dem jeweiligen Lehrwerkelement 4 und Aufgabennummer, durch die Lehrkraft formulierter Ar‐ beitsauftrag und die Sozialform festgehalten. Die Auswertung der Gesamtstudie erfolgt zunächst in Form einer quantitativen Haupterhebung, in deren Folge eine sequenzielle Vertiefung stattfindet. Im Folgenden werden am Beispiel der Sprechkompetenzförderung im ersten Lernjahr Spanisch (7. Klasse) erste Untersuchungsergebnisse vorgestellt. Hierfür wird folgende Frage fokussiert: Zu welchen Schüler: innen-Aktivitäten mit dem Lehrwerk, die auf die Förderung der Sprechhandlungskompetenz abzielen, fordern Lehrkräfte die Lernenden auf ? 2.1 Sample der Teilauswertung Für die hier vorgestellte Teilauswertung mit dem Fokus auf dem Lehr‐ werkeinsatz zur Förderung der Sprechkompetenz im Anfangsunterricht Spa‐ nisch werden insgesamt 42 Unterrichtseinheiten (18 Einzelstunden/ 24 Dop‐ pelstunden) in 7. Klassen (1. Lernjahr) an 15 verschiedenen Schulen in Brandenburg, an zwei Schulen in Berlin und an einer Schule in Magdeburg her‐ angezogen. Bei sechs der Schulen handelt es sich um Gesamtschulen, bei zehn 221 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="222"?> 5 Seit 2010 ersetzten die Integrierten Sekundarschulen im Land Berlin die Haupt-, Real- und Gesamtschule. um Gymnasien; eine Integrierte Sekundarschule 5 und eine Gemeinschaftsschule sind ebenfalls im Sample enthalten. Die Unterrichtseinheiten wurden von 18 verschiedenen Lehrkräften durch‐ geführt. Sechs der beobachteten Stunden können bei der Auswertung nicht berücksichtigt werden. Dem Ausschluss der Unterrichtseinheiten (UE) liegen folgende Ursachen zugrunde: Anzahl der nicht be‐ rücksichtigten UE Ausschlussgrund 2 Das Lehrwerk wird in der Unterrichtseinheit nicht einge‐ setzt. 3 Der Stundenablauf ist nicht eindeutig nachvollziehbar (z. B. unleserlich geschrieben, Uhrzeiten nicht eingetragen, zu viele Auslassungen bei der Mitschrift der Aussagen der beobachteten Lehrkräfte, nur ein Teil einer Doppelstunde beobachtet, usw.). 1 Das Lehrwerk wird nur zur Stütze bei der Arbeit mit einem Arbeitsblatt eingesetzt. Da das Arbeitsblatt aber nicht vor‐ liegt, kann die Funktion des Lehrwerks nicht genau nach‐ vollzogen werden. Tab. 2: Gründe für den Ausschluss von Beobachtungsprotokollen In den zur Auswertung herangezogenen Unterrichtseinheiten wurden die fol‐ genden Lehrwerke (siehe Abb. 1) eingesetzt: 222 Manuela Franke <?page no="223"?> 6 Sprechhandlungskompetenz wird hier als „sprachliches Handeln im Rahmen einer Kommunikationssituation“ (Blume & Nieweler 2018: 2) definiert. Während Sprachkom‐ petenz alle Grundfertigkeiten umfassendes Beherrschen der Fremdsprache meint, ver‐ steht man unter Sprechhandlungskompetenz die Befähigung zur „sprachlich richtig[en] und kommunikativ angemessen[en]“, mündlichen Verwendung von Sprache (Tschirner 2001: 92 zit. nach Neveling & Hover & Zausch 2012: 107). Schüler: innen sollen also in die Lage versetzt werden, ein Gespräch in der Zielsprache zu führen (cf. Blume & Nieweler 2018: 2). 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 ¿Qué pasa? Nueva edición (2019) ¡Apúntate! Nueva edición (2018) ¿Qué pasa? (2015) ¡Vamos adelante! (2014) Abb. 1: Eingesetzte Lehrwerke je Unterrichtseinheit 2.2 Auswertungssystem Die Auswertung der Beobachtungsprotokolle findet in deskriptiv-statistischer Form statt. Es werden alle Aktivitäten berücksichtigt, zu denen Lehrkräfte Schüler: innen im Kontext der Förderung von Sprechhandlungskompetenz 6 aufgefordert haben und die mit dem Lehrwerk in den beobachteten Stunden gestaltet wurden. Dazu zählen alle Aktivitäten, die per se dem Akt des Sprechens zugeordnet werden können, wie beispielsweise Ausspracheübungen oder das Vorführen eines Dialogs im Rollenspiel. Obwohl das Hörbzw. Hörsehverstehen eng mit vor allem dem dialogischen Sprechen verknüpft ist, wurden Aktivitäten im Kontext des Hör- oder Hörseh‐ verstehens nur dann ausgewertet, wenn sie als Basis für eine sich anschließende 223 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="224"?> Sprechhandlung dienten. Fragen von Lehrkräften zu Hör- oder Hörsehtexten, die von den Lernenden mündlich beantwortet werden sollten, wurden aber in der Analyse der Daten berücksichtigt. Aktivitäten, die zwar mündlich stattfanden, deren Funktion aber der reine Erwerb grammatikalischer Strukturen war (z. B. mündliches Einsetzen von Verben in einen Lückentext oder mündliches Konjugieren von Verben), werden nicht zur Vorbereitung auf Sprechhandlungen, sondern als primär mündliche Umwälzungsphasen interpretiert und entsprechend in der hier vorliegenden Auswertung nicht berücksichtigt. Handlungen, die nicht ausschließlich dem Sprechen zugeordnet werden können (z. B. Wortschatzerarbeitung und -festigung oder Lesen von Lektions‐ texten etc.), fanden nur dann Berücksichtigung, wenn sie direkt mit einer Sprechhandlung der Lernenden in Verbindung standen (z. B. zur Vorbereitung einer Kurzpräsentation). Für die Kategorisierung der Beobachtungsprotokolle wurden zunächst de‐ duktiv Kriterien erarbeitet, die auf den von Neveling & Hoyer & Zausch (2012) genannten folgenden vier Unterrichtsverfahren zur Förderung der Sprechkom‐ petenz fußen: 1. Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung des freien Sprechens, 2. Unterrichtsverfahren zur mündlichen Produktionskompetenz, 3. Unterrichtsverfahren zur Förderung der Gesprächskompetenz und 4. Unterrichtsverfahren zur Förderung der Diskussionskompetenz. Basierend auf den Bildungsstandards wird in der hier folgenden Auswertung statt mit dem Begriff „mündliche Produktionskompetenz“ mit „zusammenhän‐ gendem monologischem Sprechen“ operiert. Die Bezeichnung „freies Sprechen“ wird in „Sprechhandlung“ geändert, da letztere weiter gefasst ist und eine Befähigung zum „sprachliche[n] Handeln im Rahmen einer Kommunikations‐ situation“ (Blume & Nieweler 2018: 2) meint. Darüber hinaus werden die Oberkategorien III und IV in Anlehnung an die Bildungsstandards sowie den GeR unter dem Begriff „an Gesprächen teilnehmen“ zusammengefasst. Aus dem Datenmaterial ergab sich zusätzlich die Notwendigkeit einer Kategorie für Mischformen, sodass die folgenden Oberkategorien für die Analyse heran‐ gezogen wurden: - Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung von Sprechhandlungen (Kap. 2.3.1), - Unterrichtsverfahren zum zusammenhängenden monologischen Sprechen (Kap. 2.3.2), - Unterrichtsverfahren zum Teilnehmen an Gesprächen (Kap. 2.3.3) und - Mischformen (Kap. 2.3.4). 224 Manuela Franke <?page no="225"?> 7 Neben verschiedenen Französischlehrwerken wurden die Schüler: innenbücher der folgenden Spanischlehrwerke hinsichtlich der Ausspracheschulung analysiert: Línea amarilla 1 (2006), ¿Qué pasa? 1 (2018), ¡Apúntate! 1 (2016), ¡Vamos! ¡Adelante! 1 (2014) und Encuentros hoy 1 (2018). Die Oberkategorien und dazugehörigen Kriterien wurden zunächst deduktiv erarbeitet. Im Laufe des Auswertungsprozesses wurden basierend auf dem Da‐ tenmaterial induktive Veränderungen nötig, die durch eine qualitätssichernde Feedbackschleife verifiziert wurden (peer group: Teilnehmende eines fachdidak‐ tischen Forschungskolloquiums). Ein kurzer Abriss über die in den Lehrwerken angedachten Übungsformate zu den jeweiligen Kategorien, sowie die Erläute‐ rung der Oberkategorien und der zugeordneten Kriterien des Auswertungssys‐ tems finden zusammen mit der Ergebnispräsentation im jeweiligen Teil des nun folgenden Unterkapitel 2.3 statt. 2.3 Präsentation und Diskussion der Ergebnisse Es konnten in insgesamt 21 der 36 ausgewerteten Unterrichtseinheiten (5 Ein‐ zelstunden/ 16 Doppelstunden) Aktivitäten mit dem Lehrwerk, die der Sprech‐ förderung zugeordnet werden können, identifiziert werden. Im Folgenden findet eine Kategorisierung der Aktivitäten statt. 2.3.1 Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung von Sprechhandlungen Für den Bereich der Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung von Sprechhandlung werden zwei Unterkategorien gebildet, wobei die eine konkrete Aufgaben- und Übungsformate umfasst und die andere eher praktische, strategische Vorberei‐ tungen auf Sprechhandlungen beinhaltet: a) Schulung der Aussprache und b) Erstellen von Unterstützungssystemen für Sprechhandlungen. a) Schulung der Aussprache Julia Lange identifiziert in ihrer Untersuchung von Spanischlehrwerken (in diesem Band: 21ff.) 85 Arbeitsaufträge in fünf verschiedenen Schüler: innenbü‐ chern 7 , die die Schulung der Aussprache fokussieren. Dabei stellt sie fest, dass die häufigste Form der Ausspracheschulung in der Imitation (z. B. durch Zuhören und Nachsprechen) besteht. Außerdem werden komplexe Kompetenzen wie beispielsweise das Vortragen bzw. Vorlesen früh in Spanischlehrwerken inte‐ griert. Aktivitäten, die gezielt die Aussprache fördern, wie Hördiskriminieren oder -identifizieren, sind in den von Lange analysierten Spanischlehrwerken hingegen selten bis gar nicht zu finden. Dies wird deshalb als problematisch beschrieben, weil den produktiven Sprechübungen dadurch die kognitive Grundlage fehle. Die Analyse der Lehrwerksaufgaben ergab, dass 225 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="226"?> die Imitation […] oft als erster Schritt zur Bewältigung eines schwierigeren Übungstyps dienen [soll]. Häufig wird dabei direkt von der Imitation, gele‐ gentlich auch vom Höridentifizieren, zu Übungstypen übergegangen, für die komplexere Teilkompetenzen der Aussprache erforderlich sind (beispielsweise produktive Sprechübungen, Vorlesen/ Vortragen und frei Sprechen). (Lange, in diesem Band: 41ff.) Es stellt sich die Frage, wie Lehrkräfte mit einem so gestalteten Angebot an aussprachefördernden Schüler: innen-Aktivitäten umgehen. Welche Aufgaben‐ formate wählen sie aus und wie setzen sie diese in ihrem Unterricht ein? Unterkategorie Unterrichtseinheit und Ar‐ beitsschritt a.1 Lautes Vorlesen Fremdsprachlichen Text einzeln laut lesen BoSp.19/ 20_10.8; AS1 BoSp.19/ 20_1.1a+b; AS1 Fremdsprachlichen Text in verteilten Rollen laut lesen BoSp.19/ 20_5.1; AS2 a.2 Nachsprechen Einzelsätze nach dem Hören im Chor nach‐ sprechen BoSp.19/ 20_6.2a+b; AS2 a.3 Mitlesen Fremdsprachlichen Text hören und mitlesen BoSp.19/ 20_1.5a+b; AS1 BoSp.19/ 20_18.4a+b; AS1 a.4 Mitlesen und Nachsprechen 1. Fremdsprachlichen Text hören und mit‐ lesen 2. Fremdsprachlichen Text nachsprechen BoSp.19/ 20_18.2a+b; AS2 a.5 Mitlesen und lautes Vorlesen 1. Fremdsprachlichen Text hören und mit‐ lesen 2. Fremdsprachlichen Text in Partner: in‐ nenarbeit laut lesen 3. Fehlerlesen BoSp.19/ 20_6.3a+b; AS2 a.6 Schulung des Ge‐ hörs Hören von Einzelsätzen und Unterschiede in der Intonation markieren BoSp.19/ 20_7.1a+b; AS7 a.7 Sensibilisierung für die Aussprache Sich gegenseitig Rück‐ meldung zur Aussprache geben BoSp.19/ 20_2.5a+b; AS3 226 Manuela Franke <?page no="227"?> a.8 Lautes Lesen und Reflexion der ei‐ genen Aussprache 1. Fremdsprachlichen Text laut lesen 2. Eigene Aussprache‐ fehler und Beispiele dazu benennen BoSp.19/ 20_18.5a+b; AS2 a.9 Lautes Lesen und Beschäftigung mit Besonderheiten der Aussprache 1. Einzelbegriffe aus dem Lehrwerk laut vorlesen 2. Ausspracheregel er‐ schließen und for‐ mulieren BoSp.19/ 20_2.5a+b; AS2 Tab. 3: Aktivitäten zur Schulung der Aussprache b) Unterstützungssysteme für Sprechhandlungen Vor allem im Anfangsunterricht ist die Vermittlung von Strategien zur Unter‐ stützung des freien Sprechens von zentraler Bedeutung. Hierzu zählen unter anderem das Notieren von Stichworten, die in der zu übenden monologischen oder dialogischen Sprechsituation als Stütze dienen können (z. B. in Form von Chuletas oder der Knickblatttechnik). Ziel sollte hierbei allerdings nicht das wortwörtliche Vorschreiben, das in einem späteren Ablesen mündet, sein. Vielmehr geht es darum, den Schüler: innen Strategien an die Hand zu geben, wie Sprechhandlungen vorbereitet und unterstützt werden können. Unterkategorie Von der Lehrkraft mit dem Lehrwerk durchgeführte Akti‐ vität Unterrichtseinheit und Ar‐ beitsschritt b.1 Anfertigung einer schriftlichen Grund‐ lage für Sprechhand‐ lungen 1. Dialog anhand von Hilfen schreiben 2. Dialog laut im Plenum vorlesen BoSp.19/ 20_18.2a+b; AS3 Tab. 4: Aktivitäten zum Erstellen von Unterstützungssystemen für Sprechhandlungen Die Auswertung der Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung von Sprechhand‐ lungen zeigt, dass der Fokus im Anfangsunterricht Spanisch auf der Schulung der Aussprache liegt (siehe Abb. 2). In den 21 Unterrichtseinheiten, in denen Aktivitäten zur Förderung der Kompetenz „Sprechen“ stattfanden, werden insgesamt zwölf Aktivitäten mit dem Lehrwerk zur Vorbereitung von Sprech‐ handlungen durchgeführt, von denen siebenmal in verschiedenen Facetten laut vorgelesen und dreimal mitgelesen wird. Jeweils einmal wird mit- und dann 227 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="228"?> vorgelesen bzw. mitgelesen und nachgesprochen. Dabei werden verschiedene methodische Zugänge gewählt: Die Lernenden lesen im Plenum, in Einzel- oder Partner: innenarbeit oder im Chor. Ähnliches konnte für den Anfangsunterricht des Französischen festgestellt werden (cf. Franke, im Druck). Über das laute Vorlesen hinaus fanden Aktivitäten statt, in denen explizit auf die spanische Aussprache eingegangen wird. Eine Lerngruppe soll sich eine Ausspracheregel deduktiv erschließen und sich in derselben Unterrichtseinheit gegenseitig (ohne weitere sprachliche Vorbilder) Rückmeldung zu ihrer Aussprache geben. Eine andere Lerngruppe soll Besonderheiten der spanischen Aussprache in schriftli‐ chen Sätzen vermerken. 0 5 10 15 a) Schulung der Aussprache b) Erstellung von Unterstützungssystemen für Sprechhandlungen Abb. 2: Häufigkeit der Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung von Sprechhandlungen Beim Mitlesen und Nachsprechen können die Lernenden sich an einem Hörbei‐ spiel orientieren, wodurch die Ausspracheschulung noch stärker in den Fokus rückt als beim reinen Vorlesen. Beide Vorgehensweisen stellen den Lernenden ein Sprachbeispiel zur Verfügung, welches sie imitieren sollen. Dies ermöglicht ein ‚Vertrautmachen‘ mit der fremden Sprache; es können Satzmuster und gebräuchliche Ausdrücke erkannt werden, die für die ungewohnte Sprache notwendigen Muskeln können trainiert und Lippensowie Zungenbewegungen eingeübt werden. Dabei kann die Konzentration ganz auf der Aussprache liegen, während die Inhalte oder die Richtigkeit der Formulierung nicht bedacht werden müssen. Es findet also eine Sensibilisierung für die phonetischen Besonderheiten der jeweiligen Fremdsprache statt (cf. Franke, im Druck). Zusätzlich zu den nur einem Bereich zugeordneten Aktivitäten war in einer Unterrichtseinheit eine Mischform zwischen lautem Lesen und Reflexion der eigenen Aussprache zu beobachten (siehe Tabelle 3, a.9). 228 Manuela Franke <?page no="229"?> In einer Unterrichtseinheit wird ein Dialog vorgeschrieben und dann im Plenum laut vorgelesen, wodurch die im Lehrwerk eigentlich als freie Sprech‐ aktivität vorgeschlagene Tätigkeit zu einer vorbereitenden Strukturierung eines Dialogs wird. Zwar kann das Vorschreiben als legitime Unterstützung vor allem im Anfangsunterricht gesehen werden, jedoch führt es häufig zur Präsentation der Dialoge in Form von reinem Vorlesen, sodass streng genommen nicht mehr das Sprechen im Fokus steht. Um dies zu vermeiden, müsste dem Vorschreiben des Dialogs eine Übungsphase folgen, in der (z. B. mithilfe von Stichworten) ein freieres Sprechen eingeübt werden kann. So könnte eine derart gestaltete Sprechaktivität als Übergang zum freien Spre‐ chen dienen. Es würde sich dann dabei um die Aneignung einer Strategie handeln, die das freie Sprechen erleichtert und die insbesondere im Kontext monologischen Sprechens Anwendung finden kann. Für den Kontext des dialogischen Sprechens erscheinen Kommunikations- und Kompensationsst‐ rategien (z. B. Paraphrasierungsstrategien für fehlenden Wortschatz, Verein‐ fachungsstrategien für komplexere Strukturen, usw.), die ein Kommunizieren in der Fremdsprache ermöglichen, sinnvoller. Wie auch für den Französischunterricht beobachtet (cf. Franke, im Druck), wurden die Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung von Sprechhandlungen in der Regel als in sich abgeschlossene Einzelübungen durchgeführt, die nicht innerhalb der beobachteten Unterrichtseinheit in den Kontext einer größer angelegten Sprechaktivität mit dem Lehrwerk involviert waren. Ein im Sinne Siebolds (2007: 63) mehrschrittig angelegtes Lernarrangement kann in keiner der Stunden nachvollzogen werden. Inwiefern die beobachteten Unterrichts‐ verfahren eine Grundlage für bedeutungsvolle Sprechhandlungen in anderen Unterrichtseinheiten darstellten, kann anhand der Studienergebnisse nicht beurteilt werden. 2.3.2 Unterrichtsverfahren zur Förderung des zusammenhängenden monologischen Sprechens Das monologische Sprechen erlaubt einen hohen Grad an Planung und Vorbe‐ reitung. Dieser für den fremdsprachenunterrichtlichen Kontext vorteilhafte Sachverhalt ermöglicht auch eine Zunahme der „sprachliche[n] Komplexität und Elaboriertheit“ (Zydatiß 2 2017: 258) in Monologen. Die Kriterien für die Unterrichtsverfahren zur Förderung des zusammenhän‐ genden monologischen Sprechens wurden deduktiv entwickelt und basieren auf den von Neveling & Hoyer & Zausch (2012: 113) vorgeschlagenen folgenden drei Bereichen: 229 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="230"?> a) „Beschreiben“ (z. B. von Bildern oder Kleidung von Personen), b) „Erzählen“ (z. B. von den Unternehmungen des letzten Wochenendes) und c) „Informationen präsentieren“. Da nicht nur Informationen, sondern beispielsweise auch Personen oder Haus‐ tiere präsentiert werden können, wird das Kriterium hier „Präsentieren“ (z. B. Pläne für eine anstehende Klassenfahrt) genannt. Während a) „Beschreiben“ und c) „Präsentieren“ sich als „faktenbasierte […] Produktionskompetenz[…]“ definieren lässt, handelt es sich bei b) „Erzählen“ um eine „ästhetisch-subjektive Produktionskompetenz[…]“ (Neveling & Hoyer & Zausch (2012: 110). In den hier ausgewerteten Unterrichtseinheiten wurden lediglich im Bereich „Präsentieren“ Aktivitäten durchgeführt. Kategorie Von der Lehrkraft mit dem Lehrwerk durchge‐ führte Aktivität Unterrichtseinheit und Ar‐ beitsschritt a) Beschreiben findet nicht statt b) Erzählen findet nicht statt c) Präsentieren Einen Kurzvortrag halten BoSp.19/ 20_6.1a+b; AS1 BoSp.19/ 20_13.2a+b; AS4 Tab. 7: Aktivitäten zur Förderung des zusammenhängenden monologischen Sprechens Das Präsentieren in Form eines Kurzvortrags stellt die häufigste Aktivität zur Förderung des zusammenhängenden monologischen Sprechens im Rahmen des analysierten Korpus dar. In der Unterrichtseinheit BoSp.19/ 20_6.1a+b; AS1 soll im Rahmen einer als Minitarea bezeichneten Lernaufgabe ein Tier (falls vorhanden das eigene Haustier) vorgestellt werden. In BoSp.19/ 20_13.2a+b; AS4 werden die Zimmer der beiden Lehrwerksfiguren präsentiert. Wie be‐ reits erwähnt, zeichnet sich das zusammenhängende monologische Sprechen dadurch aus, dass es vorbereitet werden kann, was insbesondere für den Anfangsunterricht eine vorteilhafte Möglichkeit darstellt. In den hier beobach‐ teten Unterrichtseinheiten wurde dieser Vorteil nur im Fall der Minitarea genutzt; die Lernenden konnten sich in Einzelarbeit und unter Zuhilfenahme des Strategieteils aus dem Buch auf die Präsentation vorbereiten. Im Fall der Zimmerbeschreibung wird die Sprechhandlung ad hoc in Partner: innenarbeit durchgeführt, wodurch es zu einer spontanen Sprechhandlung mit hoher Beteiligung seitens der Lernenden kommt. 230 Manuela Franke <?page no="231"?> 8 Nach Levelts (1989) mehrfach validiertem Modell wird bei spontanen Sprechhand‐ lungen zunächst eine noch nicht verbalisierte Mittelungsabsicht lexikalisch und grammatikalisch enkodiert und in der Folge artikuliert. Die/ der Sprecher: in kann im Anschluss über das Hörverstehen die getätigte Äußerung hinsichtlich ihrer Korrektheit überprüfen. 9 Folgende Klassifizierungsproblematiken treten in diesem Zusammenhang etwa auf: Zählt eine Frage nach einem Preis oder dem Ort von Gegenständen zu Auskunftsge‐ sprächen oder Alltagsgesprächen? Wenn man einen Konsens aushandelt, muss man dann nicht auch Standpunkte begründen? 2.3.3 Unterrichtsverfahren zur Förderung des Teilnehmens an Gesprächen Das dialogische Sprechen stellt den alltäglicheren „Normalfall der Kommunika‐ tion“ dar und ist somit für den Fremdsprachenunterricht die relevantere Form des Sprechens (cf. Blume & Nieweler 2018: 2-3). Beim dialogischen Sprechen sind in der Regel spontane Reaktionen im Rahmen des interaktiven Austau‐ sches zweier oder mehrerer Personen erforderlich. Die sich so gestaltende Gesprächssituation geht mit einem „beständige[n] Zeitdruck, unter dem die Enkodierung der Nachricht erfolgen muss“ (Taubenböck 2007: 3) einher, der im Kontext des Fremdsprachenunterrichts von besonderer Brisanz ist. Lernende haben keine oder nur wenig Zeit, über die sprachliche Äußerung nachzudenken und geeignete Formulierungen zu finden und so kommt es häufig zu kurzen, sequenziell produzierten Äußerungseinheiten. 8 Gleichzeitig ist das dialogische Sprechen einerseits durch nonverbale Kommunikationsanteile, andererseits durch Wiederholungen, Verzögerungssignale, Korrekturen, Fragmentierungen und Diskursmarker geprägt (cf. ebd.: 3-4), die den Verstehensprozess unter‐ stützen und die Kommunikation erleichtern können. Neveling & Hoyer & Zausch (2012: 114-115) unterteilen die dialogische Teilnahme an Gesprächen in „Unterrichtsverfahren zur Förderung der Ge‐ sprächskompetenz“ und „Unterrichtsverfahren zur Förderung der Diskus‐ sionskompetenz“. Zusammengefasst werden hierunter sechs verschiedene Teilbereiche (Kontaktgespräche führen, Auskunftsgespräche führen, Alltagsge‐ spräche führen (Small Talk), Standpunkte begründen, einen Konsens aushan‐ deln, Konflikte lösen) aufgeführt. Diese Einteilung hat sich für die Auswertung als nicht sinnvoll erwiesen, da die Aktivitäten zum Sprechen nicht immer eindeutig diesen Kategorien zugeordnet werden können. 9 Darüber hinaus zeigte die Auswertung der beobachteten Unterrichtseinheiten, dass die im ersten Lernjahr üblichen Aktivitäten sich den vorgeschlagenen Teilbereichen nur bedingt zuordnen lassen. Stattdessen wurden daher induktiv die folgenden Unterkategorien aus dem Datenmaterial abgeleitet: 231 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="232"?> 10 Methodische Hinweise hierzu finden sich beispielsweise bei Thürmann (2020). a) Dialogisches Sprechen mit Unterstützungssystem (Scaffolding) Vor allem im Anfangsunterricht der zweiten oder dritten Fremdsprache, aber auch in höheren Klassenstufen, stellt die Diskrepanz zwischen dem Ausdrucks‐ wunsch und der Kommunikationsfähigkeit ein zentrales Problem für Lernende dar, dem sie nur mit entsprechenden Kommunikations- und Kompensationsst‐ rategien (z. B. Paraphrasierungsstrategien für fehlenden Wortschatz, Vereinfa‐ chungsstrategien für komplexere Strukturen, Modalitätsreduktionsstrategien, um Hilfe bitten usw.) begegnen können. Die Integration umfangreicherer, das Sprechen fokussierender Lernsettings in den fremdsprachlichen Unterricht bedarf nicht nur einer sprachlichen Vor‐ bereitung, sondern muss auch inhaltlich und strategisch angebahnt werden. Dies kann zum Beispiel ein diese drei Bereiche abdeckendes Scaffolding leisten, wodurch der Rückgriff auf die Muttersprache oder die Unterlassung einer Äußerung aufgrund sprachlicher Hindernisse (topic avoidance) u. U. vermieden werden kann (cf. Kieweg 2020: 355-256). Im Kontext des Fremdsprachenunter‐ richts hat sich in Anlehnung an Gibbons (2002) eine Einteilung in Mikro- und Makro-Scaffolding  10 als sinnvoll erwiesen. Micro-Scaffolding meint Un‐ terstützungsbedarfe, die sich „während des Unterrichtsvollzugs angesichts von Lernschwierigkeiten, […] inzidentell ergeben“ (Thürmann 2020: 116). Im Gegensatz dazu stehen Methoden des Makro-Scaffolding „im unmittelbaren Zusammenhang zu curricular angestrebten Zielen und Inhalten“ und sind somit als „wesentliches Element einer bifokalen Unterrichtsplanung“ (ebd.: 116) zu verstehen. Unter dem Kriterium „Dialogisches Sprechen mit Unter‐ stützungssystem (Scaffolding)“ sind Lernenden-Aktivitäten gemeint, die eine Form des Makro-Scaffoldings, z. B. durch die „Bereitstellung und Reflexion von sprachlichen und textuellen Mitteln“ (ebd.: 117) oder die Vorgabe einer Gesprächsstruktur durch einen Tandembogen oder Ähnliches, beinhalten. b) Fragen stellen und beantworten (ohne Einbettung in einen dialogischen Kontext) Die Grundlage für kommunikative Unterrichtsaktivitäten sollten stets mög‐ lichst authentische Redeanlässe darstellen, in deren Zentrum das Vorhandensein eines Grundes zur Kommunikation, also eines echten Mitteilungsbedürfnisses, steht. Um ein solches befriedigen zu können, ist (nicht nur) im fremdsprachen‐ unterrichtlichen Kontext die Fähigkeit, Fragen zu stellen und zu beantworten, die Basis. Trainiert werden kann diese beispielsweise durch Aktivitäten, die derart gestaltet werden, dass nur einem Teil der Schüler: innen eine Information 232 Manuela Franke <?page no="233"?> vorliegt, die die anderen Lernenden benötigen (information-gap-activity) (cf. Plikat 2012: 8, Blume & Nieweler 2018: 4). Das Kriterium „Fragen stellen und beantworten (ohne Einbettung in einen dialogischen Kontext)“ wurde induktiv aus Beispielen wie dem Folgenden abgeleitet: Aufforderung zur SuS-Aktivität aus dem Lehrwerk: Mirad los dibujos. En parejas preguntad y contestad como en el ejemplo. Arbeitet zu zweit. Fragt und antwortet wie im Beispiel. Ejemplo: ¿Dónde están Lucía y Clara? / Están en la playa. (BoSp.19/ 20_14.4a+b, AS2) Aufforderung zur SuS-Aktivität durch die Lehrkraft: Ok, machen wir die nächste Übung. [Hinweis der/ s Student: in zu L-Aktivität: zeigt die Seite hoch] La página 41, ejercicio 4b. A., lies die Aufgabenstellung und das Beispiel. […] (BoSp.19/ 20_14.4a+b, AS4) Diese Aktivität zur Förderung der Sprechhandlungskompetenz lässt sich weder dem „Spontanen dialogischen Sprechen“ noch dem „Dialogischen Sprechen mit Unterstützungssystem“ zuordnen, da die Lernenden durch die Vorgaben im Lehrwerk nur zum Teil spontane Äußerungen produzieren können und ein Scaffolding in Form eines Beispiels gegeben ist. Dennoch handelt es sich um eine Sprechhandlung, die in dialogischer Form stattfindet und der Kategorie „Teilnehmen an Gesprächen“ zugeordnet werden kann, so dass sie als Kriterium zur Datenauswertung herangezogen wird. c) Fragen beantworten (z. B. Fragen der Lehrkraft zu einem Text/ Bild aus dem Lehrwerk. Die Notwendigkeit dieses Kriteriums ergab sich ebenfalls aus den vorliegenden Daten. Die anhand folgenden Beispiels exemplifizierte Gesprächssituation konnte so oder in ähnlicher Form in mehreren Unterrichtseinheiten beobachtet werden (siehe hierzu Kap. 2.3.3): Aufforderung zur Schüler: innen-Aktivität durch die Lehrkraft: Abrid los libros en la página 26! […] Mirad las fotos! ¿Qué pasa en la historia? (BoSp.19/ 20_5.1, AS1) Es handelt sich hierbei um Fragen, die von den Lernenden mündlich beantwortet werden müssen. Dabei kann es sich um eine unterrichtsreale Gesprächssituation handeln, d. h. dass die Lehrkraft z. B. den Lernenden Fragen im Rahmen eines Unterrichtsgesprächs stellt, die dann von Schüler: innenseite beantwortet 233 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="234"?> werden. Hierbei handelt es sich um eine Form des dialogischen Sprechens, bei der der Gesprächsanlass auf den unterrichtlichen Kontext beschränkt ist und bei der keine Gleichberechtigung zwischen beiden Gesprächspartner: innen zustande kommt (die Lehrkraft gibt die Themen und Fragen vor, die Lernenden antworten). Auch besteht kein echtes Mitteilungsbedürfnis, da der Lehrkraft in der Regel die Antworten auf ihre Fragen bereits bekannt sind. Da es sich aber um eine für Lernende im Unterricht realistische Gesprächssituation in der Fremdsprache handelt, wird dieses Kriterium den Unterrichtsverfahren zur Förderung des Teilnehmens an Gesprächen zugeordnet. Unterkategorie Von der Lehrkraft mit dem Lehrwerk durchgeführte Akti‐ vität Unterrichtseinheit und Arbeitsschritt a) Dialogisches Sprechen mit Unterstützungs‐ system (z. B. Scaffolding) Dialog mit Hilfe von Notizen sprechen BoSp.19/ 20_2.5a+b; AS4 BoSp.19/ 20_7.3a+b; AS4 Mit Hilfe eines Tan‐ dembogens mündlich Fragen stellen und be‐ antworten BoSp.19/ 20_10.3; AS1 BoSp.19/ 20_7.1a+b; AS5 b) Fragen stellen und beant‐ worten (ohne Einbettung in einen dialogischen Kontext) Sich gegenseitig Fragen stellen und beant‐ worten BoSp.19/ 20_14.4a+b; AS4 BoSp.19/ 20_18.4a+b; AS4 BoSp.19/ 20_14.5a+b; AS1 c) Fragen beantworten (z. B. Fragen der Lehr‐ kraft zu einem Text/ Bild aus dem Lehrwerk) Fragen zu einem Bild mündlich beantworten BoSp.19/ 20_4.6; AS1 BoSp.19/ 20_14.4.a+b; AS2 Anhand von Fotos mündlich Vermutungen zu einer Fotostory an‐ stellen BoSp.19/ 20_5.1; AS1 BoSp.19/ 20_5.5; AS1 Tab. 8: Aktivitäten zur Förderung des Teilnehmens an Gesprächen 234 Manuela Franke <?page no="235"?> Musterdatei NFA_Sammelband.dot 244 Abb. 3: Häufigkeiten der Aktivitäten zur Förderung des dialogischen Sprechens Im Gegensatz zum zusammenhängenden monologischen Sprechen finden Aktivitäten zum dialogischen Sprechen verhältnismäßig häufig in den beobachteten Unterrichtseinheiten statt. Dies ist aber deshalb wenig überraschend, da auch das Antworten auf Fragen aus dem Buch oder der Lehrkraft hierunter gefasst wurde. Es wurden jedoch nur Fragen der Lehrkraft aufgelistet, die in eine Aktivität mit dem Lehrwerk eingebettet waren (z.B. Fragen nach Gegenständen auf einem Bild aus dem Schülerbuch). Nicht berücksichtigt wurden Fragen, die dem Unterrichtsgeschehen zuzuordnen sind (z.B. nach dem Stand einer zu erledigenden Aufgabe). Diese Art der Kommunikation fand in insgesamt sechs Fällen, in der Regel im Plenum, statt. Außerdem ist die Aktivität Fragen stellen und beantworten besonders beliebt (siehe Abb. 3.); diese konnte in vier Unterrichtseinheiten beobachtet werden, wobei die Fragen ausnahmslos eins zu eins aus dem Lehrwerk übernommen wurden. Diese Art der Aktivität zur Förderung der Sprechhandlung kann als Übergangsphase zum Führen freier Dialoge verstanden werden, da sie erlaubt, sprachliche Strukturen einzuüben und auszuprobieren. In einer Unterrichtseinheit wurde eine Sprechhandlungsaktivität mit einem 0 2 4 4 3 4 a) Dialogisches Sprechen mit Unterstützungssystem b) Fragen stellen und beantworten (ohne Einbettung in einen dialogischen Kontext) c) Fragen beantworten Abb. 3: Häufigkeiten der Aktivitäten zur Förderung des dialogischen Sprechens Im Gegensatz zum zusammenhängenden monologischen Sprechen finden Akti‐ vitäten zum dialogischen Sprechen verhältnismäßig häufig in den beobachteten Unterrichtseinheiten statt. Dies ist aber deshalb wenig überraschend, da auch das Antworten auf Fragen aus dem Buch oder der Lehrkraft hierunter gefasst wurde. Es wurden jedoch nur Fragen der Lehrkraft aufgelistet, die in eine Aktivität mit dem Lehrwerk eingebettet waren (z. B. Fragen nach Gegenständen auf einem Bild aus dem Schülerbuch). Nicht berücksichtigt wurden Fragen, die dem Unterrichtsgeschehen zuzuordnen sind (z. B. nach dem Stand einer zu erledigenden Aufgabe). Diese Art der Kommunikation fand in insgesamt sechs Fällen, in der Regel im Plenum, statt. Außerdem ist die Aktivität Fragen stellen und beantworten besonders beliebt (siehe Abb. 3.); diese konnte in vier Unterrichtseinheiten beobachtet werden, wobei die Fragen ausnahmslos eins zu eins aus dem Lehrwerk übernommen wurden. Diese Art der Aktivität zur Förderung der Sprechhandlung kann als Übergangsphase zum Führen freier Dialoge verstanden werden, da sie erlaubt, sprachliche Strukturen einzuüben und auszuprobieren. In einer Unterrichtseinheit wurde eine Sprechhandlungs‐ aktivität mit einem Tandembogen durchgeführt. Es handelt sich hierbei um eine Mischform zwischen Lesen und Sprechen, da die Lernenden große Teile des Dialoges lediglich ablesen und nur Einzelbegriffe oder Teilsätze in die Fremdsprache übertragen müssen. 235 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="236"?> 2.3.4 Mischformen aus den vorherigen Unterrichtsverfahren Basierend auf dem Datenmaterial konnten darüber hinaus folgende Misch‐ formen ermittelt werden: - a.1) Mischformen aus 2.3.1) Vorbereitung auf Sprechhandlungen und 2.3.2) Unterrichtsverfahren zur Förderung des zusammenhängenden monologi‐ schen Sprechens - a.2) Mischformen aus 2.3.1) Vorbereitung auf Sprechhandlungen und 2.3.3) Unterrichtsverfahren zur Förderung des Teilnehmens an Gesprächen Hierbei handelt es sich um mehrschrittige Unterrichtsszenarien, in denen die jeweiligen Aktivitäten nicht isoliert, sondern im Kontext weiterer, der Förderung der Sprechhandlungskompetenz dienlicher Handlungen erfolgten. Aktivitäten mit dem Lehrwerk werden dann als Mischform verstanden, wenn mindestens zwei aufeinanderfolgen, die basierend auf demselben Lehrwerks‐ element durchgeführt werden und jeweils den unterschiedlichen unter 2.3.1 bis 2.3.3 aufgeführten Kategorien zugeordnet werden können. Wurden mehrere Aktivitäten nacheinander ausgeführt, die alle zu derselben Kategorie gehörten, sind diese im entsprechenden Kapitel zu finden (z. B. 1. Fremdsprachlichen Text hören und mitlesen, 2. Fremdsprachlichen Text nachsprechen. siehe 2.3.1 Unterrichtsverfahren zur Vorbereitung auf Sprechhandlungen; a) Schulung der Aussprache). a) Mischformen aus 2.3.1) Vorbereitung auf Sprechhandlungen und 2.3.2) Unterrichtsverfahren zur Förderung des zusammenhängenden monologischen Sprechens Unterkategorie Von der Lehrkraft mit dem Lehrwerk durchgeführte Aktivität Unterrichtseinheit und Arbeitsschritt a.1 Lautes Vorlesen und Präsentieren 1. Fremdsprachlichen Text laut vorlesen 2. Personen mündlich vor‐ stellen BoSp.19/ 20_4.8; AS 1 Tab. 9: Aktivitäten zum Vorbereiten auf Sprechhandlungen und zur Förderung des zusammenhängenden monologischen Sprechens 236 Manuela Franke <?page no="237"?> b) Mischformen aus 2.3.1) Vorbereitung auf Sprechhandlungen und 2.3.3) Unterrichtsverfahren zur Förderung des Teilnehmens an Gesprächen Unterkategorie Von der Lehrkraft mit dem Lehrwerk durchge‐ führte Aktivität Unterrichtseinheit und Arbeitsschritt b.1 Fragen beant‐ worten und Chorsprechen 1. Mündlich Fragen im Plenum beantworten 2. Nachsprechen der Ant‐ worten im Chor BoSp.19/ 20_13.2a+b; AS1 b.2 Fragen beant‐ worten, Chor‐ sprechen und lautes Vorlesen 1. Fremdsprachlichen Text hören 2. Mündlich Fragen zum Hörtext beantworten 3. Fremdsprachlichen Text abschnittsweise hören und im Chor nachspre‐ chen 4. Fremdsprachlichen Text in verteilten Rollen lesen BoSp.19/ 20_7.3a+b; AS1 1. Fremdsprachlichen Text abschnittsweise hören und im Chor nachspre‐ chen 2. Einzelsätze aus dem fremdsprachlichen Text lesen 3. Fragen zum fremd‐ sprachlichen Text mündlich beantworten BoSp.19/ 20_7.4a+b; AS1 Tab. 10: Aktivitäten zur Vorbereitung auf Sprechhandlungen und zur Förderung des Teilnehmens an Gesprächen In vier Unterrichtseinheiten kam es zu einer Kombination von Unterrichtsver‐ fahren zur Vorbereitung einer Sprechhandlung mit dem Lehrwerk und Unter‐ richtsverfahren zur Förderung des zusammenhängenden monologischen Spre‐ chens bzw. des Teilnehmens an Gesprächen: Einmal wurde das laute Vorlesen eines Textes mit dem mündlichen Vorstellen von Personen kombiniert, also mit dem Halten eines Kurzvortrages; in den anderen drei Unterrichtseinheiten wurde die Vorbereitung auf Sprechhandlungen mit Teilnehmen an Gesprächen verbunden. So wurden im Fall der Unterrichtseinheit BoSp.19/ 20_13.2a+b; AS1 im Chor nachgesprochen und Fragen mündlich im Plenum beantwortet. 237 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="238"?> Interessanterweise fand die Vorbereitung der Sprechhandlung (Chorsprechen) nach der Beantwortung der Fragen statt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich beim reinen Beantworten von Fragen nur bedingt um eine echte Kommunikationssituation handelt, die im Sinne eines aufgabenorientierten Un‐ terrichts eines gezielten und kleinschrittigen Kompetenzaufbaus (z. B. durch die Erarbeitung von Redemitteln und dem Einüben von für den Dialog benötigten Satzstrukturen in unterschiedlichen Kontexten) bedarf. In zwei Fällen, in denen im Lehrwerk keine Aktivität vorgeschlagen wurde, wurde Chorsprechen und lautes Vorlesen als Vorbereitung auf eine Sprechhandlung mit dem Beantworten von Fragen verbunden. Es erfolgt zwar eine Kombination von Vorbereitung einer Sprechhandlung und Durchführung derselben, jedoch handelt es sich bei diesen im Falle der dialogischen Sprechhandlung nie um eine echte Kommu‐ nikation im Sinne eines Gesprächs zwischen zwei oder mehreren Personen. Auch bei der Kombination der Vorbereitung einer Sprechhandlung und dem monologischen Sprechen wird die der Vorbereitung zugeordnete Aktivität nicht als solche eingesetzt und fungiert stattdessen als eine rein in sich abgeschlossene Ausspracheschulung. 3 Fazit Am Ende der Sekundarstufe I soll in den Bereichen „an Gesprächen teilnehmen“ und „zusammenhängendes Sprechen“ die Niveaustufe B1 erreicht werden. Un‐ abhängig davon, wie realistisch diese Forderung sein mag, ist der Einbezug um‐ fangreicher Sprechaktivitäten in den Spanischunterricht zum Erreichen dieses Ziels unabdingbar. Die Integration dieser umfasst neben sprachlichen auch inhaltliche und strategische Vorbereitungen auf den Sprechprozess. Hierfür steht eine Vielzahl an (kooperativen) Methoden zur Verfügung, die eine konse‐ quente Förderung der Sprechkompetenz ermöglichen (cf. Rogge 2020: 149). Die hier dargestellten Forschungsergebnisse zielen darauf ab, Einblicke in die Unter‐ richtspraxis vor den pandemiebedingten Einschränkungen zu geben und einen Eindruck darüber zu vermitteln, wie Lehrende Aktivitäten zu Sprechförderung mit dem Lehrwerk aus Sicht von Lehramtsstudierenden gestalten. Basierend auf den gewonnenen Einblicken in die Unterrichtspraxis mit dem Lehrwerk können Routinen des Einsatzes von Lehrwerken sichtbar gemacht und der Umgang mit dem Lehrwerk gezielter in der Lehramtsausbildung reflektiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass der Fokus des Lehrwerkeinsatzes im Anfangs‐ unterricht Spanisch verständlicherweise in erster Linie auf der Auseinanderset‐ zung mit der Aussprache liegt, diese sich jedoch fast ausschließlich - dem von Lange (in diesem Band: 13-54) ermittelten, in Spanischlehrwerke angebotenen 238 Manuela Franke <?page no="239"?> Aktivitäten für das erste Lernjahr entsprechend - auf das Imitieren und das laute Vorlesen beschränkt. Andere Methoden der Ausspracheschulung, wie etwa das Erschließen von Ausspracheregeln oder das auf Aussprachephänomene fokussierte, selektive Hören, werden nur selten bis gar nicht eingesetzt. Die schon 2014 von Küster in Bezug auf den Französischunterricht kriti‐ sierte Praxis, bei der Lernende direkt auf mündliche Stimuli der Lehrkraft oder schriftliche Impulse des Lehrwerks reagieren müssen, ist zwar auch im vorliegenden Datenmaterial zum Spanischunterricht beobachtbar, wird aber durch Aktivitäten zum dialogischen beziehungsweise monologischen Sprechen ergänzt. Die festgestellten, mit dem Lehrwerk gestalteten Lernsettings erlauben es den Lernenden jedoch nach wie vor nur bedingt, fremdsprachige Kom‐ munikationsmuster schrittweise aufzubauen und auszuprobieren. Stattdessen überwiegt ein im Plenum organisiertes Nachsprechen, Vor- oder Mitlesen von Lehrwerkstexten. Auch das dialogische Sprechen wird häufig im Plenum und nur in Form von Fragen der Lehrkraft an die Lernenden gestaltet - eine Vorgehensweise, die bereits 2007 in einer Videostudie zum Englischunterricht beobachtet wurde (cf. Taubenböck 2007: 3). Die von Blume (2006: 2) gewünschte „ergiebige, mitteilungsbezogene Kom‐ munikation innerhalb der Lerngruppe“ findet - zumindest mit dem Lehrwerk - nach wie vor nur selten statt. Das „Pendeln zwischen ‚eigentlichem‘ Kommuni‐ zieren und dem Üben zwischen einem focus on message und einem focus on form“ (Butzkamm 2004: 20, Hervorhebung im Original) besteht im Anfangsunterricht Spanisch (noch) vermehrt aus Phasen der formfokussierten Spracharbeit, zu der auch das Aussprachetraining zu zählen ist. In den hier beobachteten Unterrichtseinheiten haben die Schüler: innen mit dem Lehrwerk nur selten umfassend die Möglichkeit zur mündlichen Sprach‐ anwendung und auch Kommunikations- und Kompensationsstrategien werden nicht vermittelt. So kommen längere und zusammenhängende Äußerungen, wie beispielsweise beim Präsentieren des eigenen Haustiers oder beim Sprechen eines Dialogs, nur selten vor. Durch das laute Vor- und Mitlesen sowie Nach‐ sprechen als feste Bestandteile lehrwerkbasierter Arbeitsphasen werden die besonders für den Anfangsunterricht relevanten Funktionen der „Aussprache‐ schulung, [des] Sprechtraining[s], [der] Sprachschulung, [des] Aufwärmtrai‐ ning[s], […] [und der] Integration stiller Schüler“ (Küppers 1999: 242) bereits weitestgehend erfüllt. Somit wird basierend auf der situativ-imitativen Methode (Beobachten und anschließendes Nachahmen von Sprechvorbildern) die Zu‐ nahme der Sprechkompetenz zumindest dann erreicht, wenn ein authentisches Sprachbeispiel nachgeahmt werden kann. Das laute Vorlesen ohne vorheriges Hören ist hiervon demnach ausgeschlossen. Das Imitationslernen dient sowohl 239 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="240"?> 11 Die Lernenden sollten sich gegenseitig Feedback zu ihrer Aussprache geben bzw. eigene Aussprachefehler benennen. der Vermittlung der prosodischen Merkmale (Betonung, Intonation, Rhythmus) als auch der nichtsprachlichen Elemente bei der Generierung einer mündlichen Äußerung (Mimik, Gestik, Körpersprache) (cf. Kieweg 2020: 353-354). Proble‐ matisch ist die imitative Aussprachevermittlung dann, wenn sie - wie in einem Großteil der mit dem Lehrwerk durchgeführten Aktivitäten - ohne eine Syste‐ matisierung lediglich isoliert, unreflektiert und ungezielt eingesetzt wird. Um erfolgreich imitieren zu können, bedarf es auch einem präzisen und gezielten Hören und in der Folge einer genauen Steuerung der Sprechwerkzeuge (cf. Dieling & Hirschfeld 2000: 56). Die Imitation sollte außerdem an eine produktive Anwendung von Sprache koppeln (cf. diesbezüglich Dieling & Hirschfeld 2000: 57-62). Ein zielführender Sprachlernprozess beinhaltet immer auch eine Reflexion der eigenen Sprachhandlungen und die Gelegenheit zur Selbstkorrektur (cf. Kieweg 2020: 356, Wapenhans 2018: 260). In den beobachteten Unterrichtsein‐ heiten konnte - mit dem Lehrwerk - jedoch nur zweimal und beide Male im Kontext der Ausspracheschulung ein Anregen zur Selbstbzw. Fremdreflexion 11 (BoSp.19/ 20_2.5a+b, AS2/ BoSp.19/ 20_18.5a+b, AS2) beobachtet werden. Bibliographie Blume, Otto-Michael & Nieweler, Andreas (2018): „Raus mit der Sprache! Mündlichkeit stärken im Französischunterricht“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Französisch 152, 2-8. Dieling, Helga & Hirschfeld, Ursula (2000): Phonetik lehren und lernen, München: Goethe-Institut. Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Stuttgart: Klett. Franke, Manuela (im Druck): „Zur Förderung der Sprechkompetenz im lehrwerkba‐ sierten Anfangsunterricht Französisch - eine empirische Studie zur Unterrichtsrea‐ lität“. In: Konzett-Firth, Carmen & Wojnesitz, Alexandra (Hrsg.): Multiperspektivische Zugänge zur Mündlichkeit im Französischunterricht/ Perspectives multiples de l’oralité dans l’enseignement du français. Tübingen: Narr. Fuchs, Eckhardt & Niehaus, Inga & Stoletzki, Almut (2014): Das Schulbuch in der For‐ schung. Analysen und Empfehlungen für die Bildungspraxis, V&R unipress: Göttingen. 240 Manuela Franke <?page no="241"?> Funk, Hermann & Kuhn, Christina (2020): „Die Arbeiten mit digitalen Lehrwerken“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. & Martinez, Hélène (Hrsg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Friedrich Verlag, 236-240. Gibbons, Pauline (2002): Scaffolding Language, Scaffolding Learning. Teaching Second Language Learners in the Mainstream Classroom. Portsmouth/ NH: Heinemann. König, Michael (2013 2 ): „Lehrwerkarbeit“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze: Klett/ Kallmeyer, 177-181. Küppers, Almut (1999): Schulische Lesesozialisation im Fremdsprachenunterricht. Eine explorative Studie zum Lesen in der Oberstufe. Tübingen: Narr. KMK = Kultusministerkonferenz (2004): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Ab‐ iturprüfung Spanisch. Neuwied: Luchterhand. KMK = Kultusministerkonferenz (2012): Bildungsstandards für die erste Fremdspra‐ chen (Englich/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. www.kmk.org/ file admin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortge f-FS-Abi.pdf, Zugriff: 04.10.2021. Kurtz, Jürgen (2010): „Zum Umgang mit dem Lehrwerk im Englischunterricht“. In: Fuchs, Eckhardt & Kahlert, Joachim & Sandfuchs, Uwe (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte, Produktion, Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 149-163. Kurtz, Jürgen (2020): „Lehrwerkarbeit“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. & Martinez, Hélène (Hrsg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Friedrich, 198-203. Levelt, Willem J. M. (1989): Speaking: From intention to articulation. Cambridge: Mitpress. Neveling, Christiane & Hoyer, Bettina & Zausch, Alexandra (2012): „Unterrichtsver‐ fahren zur Förderung der Sprechkompetenzen”. In: Französisch heute 43/ 1, 107-116. ohne Autor (2021): Schulbücher des Jahres 2021: Innovativ und auf Augenhöhe, einzu‐ sehen unter: www.bpb.de/ presse/ 335006/ schulbuecher-des-jahres-2021-innovativ-un d-auf-augenhoehe, letzter Zugriff: August 2021. Plikat, Jochen (2012): „Hable con ellos. Sprechkompetenz im Spanischunterricht gezielt fördern“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Spanisch 39, 4-9. Rogge, Michael (2020): „Entwicklung der Sprechfähigkeit“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. & Martinez, Hélène (Hrsg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Friedrich, 149-151. Siebold, Jörg. (Hrsg.) (2004): Let’s talk: Lehrtechniken. Vom gebundenen zum freien Sprechen. Berlin: Cornelsen. Taubenböck, Andrea (2007): „Sprache kommt von sprechen. Ein Plädoyer für mehr Mündlichkeit im Englischunterricht“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 41, 2-9. Thaler, Engelbert (2014): „Lehrwerk-Kompetenz“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 1, 5-8. 241 Der Einsatz des Lehrwerks am Beispiel der Sprechkompetenzförderung <?page no="242"?> Thürmann, Eike (2020): „Scaffolding“. In: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. & Martinez, Hélène (Hrsg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Friedrich, 397-400. Tschirner, Erwin (2001): „Die Evaluation fremdsprachlicher mündlicher Handlungskom‐ petenz: Ein Problemaufriss“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 30, 87-115. Wapenhans, Heike (2018): „Förderung der mündlichen Kommunikationsfähigkeit - An‐ forderungen an die schulische Praxis und die universitäre fachdidaktische Ausbildung von Russischlehrkräften“. In: Bergmann, Anka & Caspers, Olga & Stadle, Wolfgang (Hrsg.): Didaktisch der slawischen Sprachen - Beiträge zum 1. Arbeitskreis Berlin (12.-14.9.2016). Innsbruck: Innsbruck University Press, 255-269. Zydatiß, Wolfgang (2017 2 ): „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart: Springer, 256-258. 242 Manuela Franke <?page no="243"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Aktuelle Lehrwerke für den Fremdsprachenunterricht sollen (und wollen) den Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, der Kultusministerkonferenz sowie Prinzipien der neokommunikativen Methode gerecht werden. In den letzten Jahren werden zudem Bedarfe an globaler Bildung und rassismus- und diskriminierungsfreien Inhalten sowie Wünsche nach digitalen Lösungen an das Lehrwerk herangetragen. Die Beiträge des Sammelbandes untersuchen die Konzeptionierung von Lehrwerken und den Einsatz derselben aus synchroner und diachroner Perspektive. Franke / Plötner Rekonstruktion und Erneuerung Manuela Franke / Kathleen Plötner (Hrsg.) Rekonstruktion und Erneuerung Die neue Lehrwerkgeneration als Spiegel fremdsprachendidaktischer Entwicklungen ISBN 978-3-8233-8553-0