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Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen

Eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch mit philologischer und philosophischer Einführung

1212
2022
978-3-8233-9555-3
978-3-8233-8555-4
Gunter Narr Verlag 
Daniel Graziadei
Florencia Sannders
10.24053/9783823395553

Die Totalität eines wachsamen Zustands des Wachens verneint der Titel des 1928 erschienenen Erstlingswerks No toda es vigilia la de las ojos abiertos des argentinischen Philosophen Macedonio Fernández, das nun erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist. Bei dem Autor handelt es sich um den wichtigsten Vorläufer von Jorge Luis Borges, der 1952 über den eben Verstorbenen sagte, dass er ihn jahrelang bis hin zum passioniert-devoten Plagiat imitiert habe. Das Werk ist eine leidenschaftliche, träumerisch-verspielte Kritik an jeglicher Philosophie der Vernunft. Ein dekolonialer Angriff auf die großen europäischen Philosophen (von Kant bis Hobbes) voller Ironie und Parodie erwartet Sie! Die Publikation umfasst eine Einführung in Autor und Werk (Michael Rössner) sowie eine philosophische Einordnung (Victor Ferretti), die Übersetzung (Daniel Graziadei und Florencia Sannders) sowie ein Nachwort der Übersetzerin und des Übersetzers.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-8233-8555-4 Die Totalität eines wachsamen Zustands des Wachens verneint der Titel des 1928 erschienenen Erstlingswerkes No toda es vigilia la de las ojos abiertos des argentinischen Philosophen Macedonio Fernández, das nun erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist. Bei dem Autor handelt es sich um den wichtigsten Vorläufer von Jorge Luis Borges, der 1952 über den eben Verstorbenen sagte, dass er ihn jahrelang bis hin zum passioniert-devoten Plagiat imitiert habe. Das Werk ist eine leidenschaftliche, träumerisch-verspielte Kritik an jeglicher Philosophie der Vernunft. Ein dekolonialer Angriff auf die großen europäischen Philosophen (von Kant bis Hobbes) voller Ironie und Parodie erwartet Sie! Die Publikation umfasst eine Einführung in Autor und Werk (Michael Rössner) sowie eine philosophische Einordnung (Victor Ferretti), die Übersetzung (Daniel Graziadei und Florencia Sannders) sowie ein Nachwort der Übersetzerin und des Übersetzers. Graziadei / Sannders (Hrsg.) Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Daniel Graziadei / Florencia Sannders (Hrsg.) Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch mit philologischer und philosophischer Einführung <?page no="1"?> Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="2"?> Studia philologica Monacensia Edunt Andreas Dufter et Bernhard Teuber Volumen 22 · 2022 Collegium consultorum Comité scientifique - Advisory Board - Wissenschaftlicher Beirat Lina Bolzoni (Scuola Normale Superiore di Pisa) Anthony Cascardi (University of California at Berkeley) Pedro Cátedra (Universidad de Salamanca) Victoria Cirlot (Universitat Pompeu Fabra, Barcelona) Marie-Luce Démonet (Université François Rabelais, CESR, Tours) Carlos Garatea Grau (Pontificia Universidad Católica del Perú, Lima) Barbara Kuhn (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) Frank Lestringant (Université Paris-Sorbonne) María Jesús Mancho Duque (Universidad de Salamanca) Wolfgang Matzat (Eberhard-Karls-Universität Tübingen) Paulo de Sousa Aguiar de Medeiros (University of Warwick) Wolfram Nitsch (Universität zu Köln) Uli Reich (Freie Universität Berlin) Maria Selig (Universität Regensburg) Elisabeth Stark (Universität Zürich) <?page no="3"?> Daniel Graziadei / Florencia Sannders (Hrsg.) Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch mit philologischer und philosophischer Einführung <?page no="4"?> Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Instituts für Romanische Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Umschlagabbildung: © Mario Steigerwald Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823395553 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach CPI books GmbH, Leck ISSN 2365-3094 ISBN 978-3-8233-8555-4 (Print) ISBN 978-3-8233-9555-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0387-9 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhalt Daniel Graziadei Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Michael Rössner Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt: Die vielen Gesichter des Macedonio Fernández . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Victor A. Ferretti Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Macedonio Fernández Grundlagen der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Macedonio Fernández Die Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Macedonio Fernández Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Daniel Graziadei und Florencia Sannders Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon - Abschließende Bemerkungen der Übersetzer*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 <?page no="7"?> Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung Daniel Graziadei Wenn ich nicht schlafe, dann träume ich mich schlafend und wache ich auf, so ist noch lange nicht gesagt, ob ich wirklich aufgewacht bin oder ob ich erst beim nächsten Aufwachen bemerken werde, dass ich in eine Träumerei hineingewacht war, mich also wachend geträumt hatte, was schlussendlich konstante Zweifel an der und ein fortwährendes Grübeln über die Erkenntnis und Differenzierung der Zustände hervorruft. Sie lesen hier den ersten Satz der Einleitung zu einem Band, der auch vollkommen anders strukturiert sein könnte: Diese Einleitung könnte genauso gut das Nachwort sein und das Nachwort der Übersetzer*innen könnte auch als Vorwort dienen. Lesen Sie das Buch also bitte unbedingt in der Reihenfolge, die Ihnen am besten zusagt, aber lesen Sie irgendwann irgendwie die Übersetzung von Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de las ojos abiertos. Schließlich ist sie der Anlass für diesen Band. Die radikale Hinterfragung von Aufbau und Abfolge philosophischer Abhandlungen und die damit einhergehende Herausforderung wissenschaftlicher Argumentation und Beweisführung ist funktionaler Teil dieser literarisch-philosophischen Abhandlung. In der Kombination aus kühnem philosophischem Gedankenspiel und kompromissloser schriftstellerischer Kunstfreiheit entfaltet der argentinische Autor hier ein herausforderndes Konstrukt, das seine Aktualität nicht zu verlieren scheint. Macedonio beginnt mit einer direkten Hinwendung an seine jungen Leser. Auch ich wende mich an Sie, junge und geistig junggebliebene Leser*innen, die sich an dieses außergewöhnliche Werk wagen. Herzlich willkommen und hereinspaziert in diese Textlandschaft! Was Sie erwartet Der erste Beitrag in diesem Band ist eine Einführung in das Leben und Werk des Macedonio Fernández, von dem Jorge Luis Borges behauptete, er hätte ihn bis zum Plagiat hin imitiert. Michael Rössner, ein herausragender Kenner argentinischer <?page no="8"?> Literatur und einst junger Freund des alten Jorge Luis Borges, führt Sie im ersten Kapitel an Werk und Autor heran. Der Universitätsprofessor im Ruhestand ist, so wie die meisten, dank Borges über die Schriften des Macedonio Fernández gestolpert. 1994 finden sich erste Verweise in dem Artikel „ Transgressionen: Zu dem wirkungsästhetischen Potential der Gattungsmischung in nicht-einordenbaren Texten der modernen Literatur “ 1 und eine weit dezidiertere Diskussion seiner Poetik in „ Textsortenlabyrinthe: Zu den Textstrategien bei Macedonio Fernández, Jorge Luis Borges und Julio Cortázar “ . 2 Rössner, der Macedonio in zweitgenannten Artikel als den „ hierzulande noch zu wenig bekannten ‚ Ahnherrn ‘ der argentinischen ‚ literatura fantástica ‘“ nennt, nimmt sich in den Folgejahren der Aufgabe seiner Einführung an. 3 Im vorliegenden Band bringt er uns Macedonio Fernández unter dem Titel „ Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt: Die vielen Gesichter des Macedonio Fernández “ näher. Rössner beginnt bei der bereits benannten Mythifizierung von Macedonio durch Borges, legt in der Folge den Übergang vom Juristen zum vor allem mündlich agierenden Kaffehausliteraten offen und diskutiert seine literarische Bedeutung - von der Avantgarde von Buenos Aires seiner Zeit bis zur Literatur unserer Zeit. Der zweite Beitrag dieses Bandes, „ Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos (1928) und die Nichtichheit des Seins “ , stellt Macedonio Fernández als extravaganten Vertreter der literarischen Philosophie vor. Victor Andrés Ferretti vollzieht hierin einen „ Parcours durch Macedonios phänomenale Gedankenführung “ und legt dabei die philosophisch-philologischen Herausforderungen offen, die Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen ausstellt. Dabei zeigt der literarische Übersetzer und Universitätsprofessor für Spanische und Portugiesische Literaturwissenschaft in Augsburg die philosophischen Traditionslinien auf, die im Werk verhandelt werden, und diskutiert, 1 Michael Rössner: „ Transgressionen: Zu dem wirkungsästhetischen Potential der Gattungsmischung in nicht-einordenbaren Texten der modernen Literatur “ , in: Anette Sabban u. Christian Schmitt ed.: Sprachlicher Alltag: Linguistik - Rhetorik - Literaturwissenschaft. Festschrift für Wolf-Dieter Stempel 7. Juli 1994, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1994, pp. 455 - 476. 2 Michael Rössner: „ Textsortenlabyrinthe: Zu den Textstrategien bei Macedonio Fernández, Jorge Luis Borges und Julio Cortázar “ , Iberomania 39 (1994), 79 - 92. 3 vgl. Michael Rössner: „ Fernández, Macedonio: Adriana Buenos Aires “ , in: H. L. Arnold ed.: Kindlers Literatur Lexikon (KLL), Stuttgart: J. B. Metzler, Stuttgart 2022. https: / / doiorg.emedien.ub.uni-muenchen.de/ 10.1007/ 978-3-476-05728-0_3566-1 und den von Rössner übersetzten und redigierten Beitrag von Ana María Cartolano: „ Das literarische Kaffehaus in Buenos Aires in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts “ , in: Michael Rössner ed.: Literarische Kaffeehäuser, Kaffeehausliteraten, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999, pp. 423 - 456. 8 Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung <?page no="9"?> welche Implikationen dies für unser heutiges Lesen und Denken auf Spanisch, Deutsch und zwischen den Sprachen mit sich bringt. Zu Macedonio Fernández ist Ferretti über seine Forschung 4 zu Jorges Luis Borges gelangt. Seither ‚ verläuft ‘ er sich immer wieder gern in den Gedankengängen von Macedonios experimentellem Roman Museo de la Novela de la Eterna (primera novela buena). Er ist damit bestens gewappnet, alle Leser*innen mit klärenden Anmerkungen und weiterführenden Verweisen an diese literarisch-philosophischen Gedankengänge heranzuführen. Derart gut philologisch und philosophisch vorbereitet, können Leser*innen, die der Reihe nach lesen, das dritte Kapitel in Angriff nehmen: den Hauptteil der Arbeit, die Übersetzung aus dem Argentinischen Spanisch ins Deutsche von Florencia Sannders und dem Verfasser dieses Vorworts, Daniel Graziadei. Die in Argentinien geborene und derzeit in München lehrende Literaturwissenschaftlerin Florencia Sannders gelangte ebenfalls über Borges zu Macedonio und es überraschte sie, bei Macedonio Borges avant la lettre zu finden. In ihrer persönlichen Universitätserfahrung an bonaerensischen Universitäten war Macedonio zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht präsent, derzeit wird er jedoch nicht nur hier im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Argentinien wiederentdeckt. Persönlich habe ich Macedonio Fernández in meinem literaturwissenschaftlichen Studium kennengelernt, als studentische Hilfskraft wohnte ich in den frühen 2000ern einer wissenschaftlichen Übung und 2012 als Assistent dem Hauptseminar „ Macedonio Fernández als Modell für die neuere argentinische Literatur “ von Michael Rössner bei und wurde somit in philologisch präzisen und textnahen Lektüren an seine Poetik und Wirkmacht herangeführt. Da die verspielte (Selbst-)Ironie seiner Texte mit meiner eigenen ethischen und ästhetischen Position als Literaturwissenschaftler und Literat kompatibel sind, war ich sehr leicht für dieses Übersetzungsprojekt zu gewinnen. Als Florencia Sannders in einem Gespräch 2018 verlauten ließ, dass es an der Zeit wäre, Macedonio Fernández ins Deutsche zu übersetzen, war ich überredet, bevor sie überhaupt eine konkrete Übersetzungsidee formuliert hatte. Nach kurzem Nachdenken und einigen Lektüren fiel die Wahl sehr schnell auf das eigenartige, eigenwillige und eigensinnige Werk No toda es vigilia la de los ojos abiertos, dessen Titel wir mit Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen übersetzt haben. Neben der editio princeps von 1928 haben wir uns dazu entschieden, auch zwei etwas pointierte Aufsätze von 1908 zu übersetzen: „ Bases en Metafísica “ 4 Siehe u. a. Victor A. Ferretti: „ Zum Tlön ’ schen Fundament “ , in: Maha El Hissy u. Sascha Pöhlmann ed.: Gründungsorte der Moderne. Von St. Petersburg bis Occupy Wall Street, Paderborn: Wilhelm Fink 2014, pp. 235 - 249. Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung 9 <?page no="10"?> und „ La Metafísica “ . Diese beginnen die erweiterten Ausgaben von 1967, 1990 und 2015 und erlauben es, bereits an den Ursprüngen des idealistisch-metaphysischen Denkens von Macedonio Fernández anzusetzen und dem hochgradig spielerischen, aber teils auch sehr komplexen Text von 1928 eine leichter lesbare und direktere, frühere Schreibweise voranzustellen. Über unsere Zusammenarbeit, unseren Zugang und unsere Überarbeitungsschritte, die Herausforderungen und Probleme referieren wir im abschließenden Kapitel, dem Nachwort der Übersetzer*innen. Zu den Bildern in dieser Ausgabe Im Laufe der Vorbereitung dieser Publikation fragte unsere Lektorin, Kathrin Heyng, ob wir Herausgeber*innen Bildideen für die Titelseite hätten. Florencia Sannders und ich waren uns schnell einig, dass es sich hierbei um keine der üblichen fotografischen Abbildungen des Autors handeln durfte. Die Titelseiten diverser Ausgaben und die Bildersuche in der Internet-Suchmaschine Ihrer Wahl kennen zumeist vier Schwarz-Weiß-Darstellungen, deren Fotografen nicht nennenswert scheinen: Das eine Foto zeigt einen Mann mittleren Alters mit forschem Blick, Kurzhaarfrisur und Schnauzer, der mit leicht gesenktem Haupt und durchdringendem Blick in die Kamera blickt und den Betrachter vom Tode und der Vergangenheit her herauszufordern scheint. Zwei weitere Fotografien zeigen einen alten, vollbärtigen Macedonio mit Altersflecken auf der Stirn und halblangen, zerzausten weißen Haaren, in einen schwarzen Mantel gehüllt, draußen, scheinbar beim Spaziergang in einem Park, der den Blick weit zweifelnder und sanfter nach rechts und ebenfalls direkt auf die Kamera gerichtet hat. Die vierte viel verwendete Fotografie scheint aus derselben Serie zu stammen, hat einen anderen Hintergrund und der Blick ist nicht auf die Kamera, sondern eher voraus auf den einzuschlagenden Weg gerichtet. Alle vier exponieren sehr deutlich die Manifestation des Todes und der Vergänglichkeit, die Roland Barthes der Fotografie zuschreibt, 5 und alle vier zeigen Männer, die nicht mit dem radikalen und der Jugend zugewandten Duktus des hier vorliegenden Bandes übereinzustimmen scheinen. Auch die weniger bekannten anderen Fotografien - im Kreise der Familie, auf einer Parkbank oder bei einem der berühmt-berüchtigten Kaffeehausaufenthalten in einer Gruppe Literaten - wurden unserem Anliegen nicht gerecht. Schlussendlich soll es bei dieser Übersetzung und den dazu verfassten Begleittexten nicht in erster Linie um die historische Figur, sondern um das philosophisch-schriftstellerische Schaffen und Denken des Macedonio Fernández gehen. Da die Evidenz des Künstlerkörpers nur Zweifel, Fragen zum Wesen der Dinge und dem Status der 5 Roland Barthes: La chambre claire - Note sur la photographie, Paris: Gallimard 1980. 10 Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung <?page no="11"?> Ontologie, aber keine Authentizität, geschweige denn Wahrheit generieren kann - das offenbart Victor Ferretti in seinem Artikel zu Macedonios Philosophie ebenso wie das übersetzte Werk selbst - sollte unserer Meinung nach eine andere Visualität zum Zuge kommen. Eine, die sich mit eben diesem Komplex oder zumindest mit dem Titel des Werks auseinandersetzen sollte. Wie der einleitende Artikel von Michael Rössner zum Autor und seinem Werk bereits verdeutlicht, stand Macedonio ja durchaus im (Kaffeehaus-)Dialog mit seinen Zeitgenossen und den Nachfolgegenerationen. Aus dem Wissen um diese Struktur des Austausches und des kreativen Zusammenlebens entstand bald die Idee, zwei zeitgenössische Künstler, mit denen ich persönlich im künstlerischen Austausch stehe, 6 zu fragen, ob sie auf den Titel des Bandes, No toda es vigilia la de las ojos abiertos, künstlerisch und wenn möglich in Schwarz- Weiß reagieren könnten. Bei den Künstlern handelt es sich um Helmut Geier und Mario Steigerwald. Beide sagten zu und beide lieferten. Helmut Geier wurde in Meran (Südtirol) geboren und studierte Malerei und Grafik an derAkademie der Bildenden Künste in München, wo er zum Zeitpunkt der Drucklegung weiterhin lebt und sich u. a. der freien und gegenständlichen Malerei widmet und musiziert. Die Collage vor der Übersetzung, auf Seite 38, stammt von ihm. Helmut Geier kannte Macedonio Fernández und sein Schaffen vor dieser Arbeit nicht, Titel und Exposé des Projekts verhalfen ihm zu einer ersten Annäherung. In einer Zeit, in der er wenig Rückzugsmöglichkeiten hatte, war diese Annäherung eine Herausforderung, aber schlussendlich war bereits der allererste Impuls ausschlaggebend. Geier versteht No toda es vigilia la de las ojos abiertos als einen bewusst halbwissenschaftlichen Dilettantismus, der eine starke Provokation impliziert, die wissenschaftliche Standards und gesellschaftliche Normen hinterfragt. Dabei begreift er Macedonio als spezielle Figur seiner Zeit, in einer konstanten Auseinandersetzung mit seiner Verwurzelung im europäischen Diskurs einerseits, und den antagonistischen Elementen aus dem lateinamerikanischen Kulturkreis der kolonialen Vermischung andererseits, die in Form eines transzendentalen, spiritistischen und okkulten Wissens greifbar wird. Seine Collage verarbeitet eine Fotografie von Fred Holland Day (1864 - 1933), die den beschreibenden Titel „ [Nude youth with laurel wreath and staff] “ trägt, 1906 entstanden und Teil der Louise Imogen Guiney Collection der 6 Während meine persönlichen Kooperationen mit Helmut Geier zu transmedialen Kompositionen aus colorierten Skizzen, Poesie und Musik (The Muddy Roots) und zu Auftritten unter den Titeln „ Knochenwerfen “ (2012) bzw. „ Sehnenfasern “ (2013) in München führten, bin ich mit Mario Steigerwald durch das Kunstkollektiv mo|men|tos künstlerisch verbunden, das ebenfalls transmedial, aber auch mehrsprachig agiert und in erster Linie Fotografie, Malerei, Installationen und Literatur auf Bühnen, ins Netz, in Innenhöfe, Ausstellungsräume und Treppenhäuser bringt. Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung 11 <?page no="12"?> Library of Congress der Vereinigten Staaten von Amerika ist. 7 In seinen dem Piktorialismus zugerechneten Werken verwendet Holland Day häufig historisierende Motive und achtet auf eine deutliche Inszenierung von Körperlichkeiten, um die malerische Qualität der Fotografie zum Vorschein zu bringen. Aus eben diesem Grund sind seine Abzüge auch zumeist Unikate. Dieser jugendliche Akt mit Lorbeerkranz und Stab erfüllt diese ästhetischen Aspekte und zeigt dabei eine homosexuelle Erotik, die ebenfalls typisch ist für sein fotografisches Schaffen. Der Jüngling - Geier vermutet, dass es sich um Holland Days Protégé Khalil Gibran (1883 - 1931) handeln könnte 8 - kann als Referenz auf den im Text angesprochenen jungen Leser verstanden werden. Die Gestik gibt dem Körper die Haltung eines Spähers, Lorbeerkranz und entblößter Oberkörper rufen arkadische, heroische und insgesamt antike Motive auf. Geier sieht darin einen Wächter über Traum und Wirklichkeit oder einen Wandelnden zwischen dem Diesseits und dem Jenseits des Bewusstseins - der Imagination. Der starke Kontrast erzeugt eine losgelöste Stimmung, die Geier hier besonders interessierte. Es ist nicht klar, ob der Jüngling sich die rechte Hand schützend und beschattend vor die Augen hält, um besser sehen und in die Ferne schauen zu können, oder ob seine Finger die Stirn berühren, um einen autohypnotischen Zustand hervorzurufen. Schirmt die Hand das helle Licht der Wahrheit oder der Realität ab? Hält er sich die Stirn, wie ein Denker, der in sich schaut? Es stellt sich somit auch die Frage nach der räumlichen und zeitlichen Gerichtetheit: Ist der Blick in sich gekehrt oder nach außen gekehrt, zurückschauend oder vorausschauend? Die linke Hand hält einen Stab, vielleicht auf einen Zeremonienstab oder eine erloschene Fackel, vielleicht stützt sie sich aber auch auf eine imaginäre Lanze. In der Bearbeitung von Helmut Geier verschwinden Lorbeerkranz und Stab beinahe ganz bzw. können nur noch erahnt werden. Umso deutlicher tritt die spähende Haltung hervor, die im Schatten liegenden Augen - egal ob offen oder geschlossen - scheinen die 7 Fred Holland Day „ [Nude youth with laurel wreath and staff] ” , The Louise Imogen Guiney Collection, Library of Congress, Prints & Photographs Division. LCCN 96502115 https: / / www.loc.gov/ item/ 96502115/ 8 Gibran gelangte 1895 mit seiner Mutter und seinen Geschwistern aus dem heutigen Libanon nach Boston und wurde dort von Holland protegiert und fotografiert. Die Familie kehrte 1897 in das osmanische Reich zurück, von wo aus Gibran 1899 über Paris wieder nach Boston gelangte und dort weiter Holland Modell stand. Der junge Mann sollte bald ein für den Libanon, die U. S. A. und die Welt bedeutender Literat und Maler werden, der seinerseits die Verbindung zwischen Malerei und Literatur auslotete und dessen literarisches Aufbegehren mit Friedrich Nietzsche, seine spirituelle Mythologie mit der Poetik von William Blake und die mystischen Aspekte seines Schreibens u. a. mit dem Sufismus in Verbindung gebracht wurden. Auch hier ergäben sich einige Anknüpfungspunkte zu Macedonio Fernández. 12 Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung <?page no="13"?> Betrachter direkt anzustarren, herauszufordern. Der Blick und die Mimik erscheinen ernster als im Original. Zugleich rückt der Jüngling einige Ebenen in den Hintergrund: Er späht hinter Farbschlieren, gegenständlich gezeichneten Pflanzen und abstrakten Linien hervor, die die Konsequenzen der achteckigen Rahmung des Originals in einem Passepartout zeichnerisch weiterführen. Diese Darstellung eines Polyeders abstrahiert den Oktagonschliff eines Edelsteins; ein geometrisches Gerüst, das als mehrdimensionaler Vermittler zwischen Raum und Zeit fungiert. Hierbei handelt es sich um eine digitale Nachbearbeitung: die geometrischen Linien wurden digital eingefügt. Außerdem wurde das Goldocker der Originalcollage digital in Schwarz-Weiß überführt. Das längliche Objekt, das das jugendliche Model auf dem Foto in der Hand hält, wird aufgrund der zeichnerischen Überlappung auch zum Stängel der gezeichneten Pflanze, die Blätter und Blütenstände außerhalb des Fotos aufweist und damit Ebenen überschreitet bzw. zusammenführt. Als ein Symbol für Leben, Streben, Treiben, Erblühen, dann Verwelken, Zerfall und letztendlich wiederkehrende Erneuerung ist die Pflanze hier mehrdeutig, zumal verschiedene Wachstumszustände vereint scheinen: ein neuer Trieb hier, eine Knospe da, eine Blüte und ein verwelktes Blatt dort; Vergangenes, Gegenwärtiges, Zukünftiges - eine biologische Zeitschleife zeigt sich und eine Anlehnung an biologische Studien aus der Zeit vor der Fotografie. Allerdings wurde die Zeichnung mit einem Kopierstift angefertigt. Dessen Linien wirken beim Zeichnen erst wie die eines normalen Bleistifts, in Kontakt mit Wasser, in diesem Fall mit der goldgelben Lasur aus Ocker und Chromgelb, wird die Skizze aber blau. Damit wird im Produkt eines Zeichenvorgangs ein photographischer Prozess entfacht, ein Blau entsteht und verweist auf die Ursprünge der Fotografie und ihre Experimentierfreudigkeit. Das Palimpsest aus Malerei, Zeichnung und Fotografie zusammen mit den deutlich erkennbaren Rändern des Werks scheinen direkt auf die Frage der Aushandlung zwischen Realität, Wirklichkeit, Wachzustand, Schlaf, Traum, Träumerei und Künstlichkeit zu reagieren, diese Frage zwar nicht zu beantworten, aber visuell zu verstärken. Mario Steigerwald kam in Montevideo (Uruguay) zur Welt und verließ das Land 1974 während der dictadura cívico-militar, der zivil-militärischen Diktatur, die von 1973 bis 1985 andauerte, die Verfolgung, Folter und das Verschwinden jeglicher politischen Opposition zur Folge hatte und auch ihn nicht unversehrt gehen ließ. 9 Nach einiger Zeit in Genf studierte Steigerwald an der École Supérieure Artistique „ Le 75 “ in Brüssel Fotografie und Graphikdesign. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Übersetzung lebt Mario Steigerwald in 9 Vgl. das Portrait von Fiona Rachel Fischer: „ Begegnung mit sich selbst “ , Süddeutsche Zeitung 27. Mai 2022. Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung 13 <?page no="14"?> München, wo er u. a. fotografiert, schreibt, malt und Mobiles erschafft. Das Bild auf der Titelseite sowie das Bild hinter der Übersetzung, auf S. 186, stammen von ihm. Er wusste vor meiner Anfrage zwar wer Macedonio Fernández war, was sein Gewicht im literarischen Feld des Cono Sur ist, aber er hatte noch nichts von ihm gelesen. Dennoch steht seine eigene Dichtung in der intertextuellen Tradition, die Borges, Bioy Casares, Cortázar und andere Autoren des Südens Südamerikas an Macedonio bindet: Poetiken des Paradoxons, der Zweifel am ontologischen Status der Realität, der surrealistischen Bildgebungen und der Zentralität des Wachtraums. Genauso finden sich in seinen Werken jene starke Aushandlung zwischen Ich, Imagination und Umwelt, die das hier übersetzte Werk prägt, diese Durchbrechung der Normen durch Neologismen und die Zentralität des einzigartigen (und sonderbaren) Moments. Bei Mario Steigerwald findet sich diese Poetik im spanischsprachigen Dichten (akzentbefreit und mit arbiträren Kommasetzungen), in seiner idiosynkratischen Stadtfotografie (in schwarz-weiß, Menschen in ihrer Aushandlung mit Architektur und Natur), in seinen Mobiles (aus objets trouvés erstellt, farbig, groß, fast schon sperrig), aber auch in seiner Malerei. 10 Bei den hier abgedruckten Bildern sind unterschiedliche Materialien zum Einsatz gekommen und erneut ist das zufällige objet trouvé und seine bewusste recyclage, in Form eines nachhaltigen make-do zentral. 11 In der Poetik und Rhetorik von Macedonio Fernández finden sich konstant Strategien, die die Ambiguität des Inhalts und die Polysemie fördern. Diese Strategien der Herausforderung der persönlichen Beschäftigung mit der Sinnstiftung und der Mehrdeutigkeit sind in den ausgewählten Bildern von Mario Steigerwald ebenfalls präsent. Für die Arbeit, die die Titelseite des Bandes ziert, wurde Acryl auf das Papier eines Notizbuches aufgetragen; der benutzte Pinsel besteht aus einem Holzstäbchen und einem Schwämmchen, das aus einer erschöpften und ausgemusterten Tintenpatrone stammt. Es kann als ein Zitat auf einen Rohrschachtest gelesen werden. Hier hatten die Herausgeber*innen höchst unterschiedliche Assoziationen und waren dennoch der einhelligen Meinung: dieses Bild ist treffend. Treffend, da die Ästhetik des Erahnens und des Einbildens so gut zu den diskutierten Thesen passt. So sieht die eine den Rücken eines Mannes mit einem schwarzen Mantel, der von einer amorphen Materie umarmt wird und der andere sieht links Treppen, ein 10 Vgl. z. B. seine Beiträge in den mo|men|tos-Broschüren (2014 - 2021). 11 Durch die objets trouvés, die gefundenen Objekte, wird eine avantgardistische Praxis von DADA, Kubismus, Futurismus fortgesetzt, die wir heute v. a. mit den ready mades von Marcel Duchamp assoziieren. In dem Recycling steckt sowohl die Dekonstruktion und die Assemblage drin, führt aber über diese für die Theorieproduktion so fruchtbaren Techniken hinaus zu Antworten auf drängende, zeitgenössische Fragen und zu Strategien, die mit dem zurechtzukommen versuchen, was (noch) vorhanden ist. 14 Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung <?page no="15"?> schwarzes Blatt oder ein ölverseuchtes Flussdelta und ganz rechts einen zornigen (Toten-)Kopf. Die unauflösbare Mehrdeutigkeit, die bewusst ambigue Vielschichtigkeit, die klare Abstraktion, all dies sind Elemente, die als eine erste visuelle Heranführung an das Werk des Macedonio Fernández dienen sollen und können. Bei der Arbeit von Mario Steigerwald, die am Ende der Übersetzung zum Einsatz kommt (S. 186), gehen die Meinungen nicht auseinander: Aus den schwarzen Linien vermeinen beide Herausgeber*innen zwei Männersilhouetten zu erkennen. Beide Silhouetten tragen Hut und scheinen miteinander im Gespräch vertieft zu sein; vom einen sieht man das Profil, vom anderen eher den Rücken. Das Bild kann auf all die dargestellten Dialoge und Debatten bezogen werden, die das hier übersetzte Werk Macedonios bevölkern; z. B. auf das Gespräch zwischen Hobbes und einem Bewohner Buenos Aires oder auf den durchgehenden Dialog der Schreib- und Denkinstanz mit den Lesenden. Für dieses Werk wurde dip eye liner auf Papier aufgetragen. Ein Produkt der Schönheitsindustrie, das jemand anscheinend nicht mehr besitzen und benutzen wollte und es auf offener Straße aussetzte, schließt damit einen Text ab, in dem immer wieder Menschen (und Tiere) im öffentlichen Raum von Buenos Aires aufeinandertreffen, sich derart zufällig begegnen, dass im Nachhinein immer wieder Zweifel entstehen, ob die Begegnung tatsächlich stattfand oder bloß erträumt war. Die schlanken Linien, die unscharfen, scheinbar in Auflösung begriffenen Silhouetten unterstreichen diesen Traumansatz und stellen ebenfalls die grundsätzliche metaphysische Frage: Habe ich etwas sehen und erleben dürfen oder habe ich mir dieses Erlebnis eingebildet? In der Hoffnung, dass Sie, junge und geistig junggebliebene Leser*innen, die Bilder, die Begleittexte und die übersetzte Gedankenwelt von Macedonio Fernández in diesem Band ebenso goutieren und reflektieren können, wie wir Herausgeber*innen sie im Laufe des Entstehungsprozesses dieses Bandes zu verstehen und genießen lernen durften, wünsche ich Ihnen eine gute Lektüre! München, im Oktober 2022 Daniel Graziadei Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung 15 <?page no="16"?> Literaturverzeichnis Primärliteratur Fernández, Macedonio: No toda es vigilia la de las ojos abiertos, Buenos Aires: M. Gleizer 1928. Fernández, Macedonio: No toda es vigilia la de las ojos abiertos y otros escritos metafísicos, ed. Adolfo Obieta, Buenos Aires: Ediciones Corregidor 1990. Fernández, Macedonio: No toda es vigilia la de las ojos abiertos y otros escritos metafísicos, ed. Adolfo Obieta, Buenos Aires: Ediciones Corregidor 2015. Sekundärliteratur Barthes, Roland: La chambre claire - Note sur la photographie, Paris: Gallimard 1980. Cartolano, Ana María: „ Das literarische Kaffehaus in Buenos Aires in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts “ , in: Michael Rössner ed.: Literarische Kaffeehäuser, Kaffeehausliteraten, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999, pp. 423 - 456. Day, Fred Holland: „ [Nude youth with laurel wreath and staff] “ The Louise Imogen Guiney Collection, Library of Congress, Prints & Photographs Division. LCCN 96502115 https: / / www.loc.gov/ item/ 96502115/ Ferretti, Victor A.: „ Zum Tlön ’ schen Fundament “ , in: Maha El Hissy u. Sascha Pöhlmann ed.: Gründungsorte der Moderne. Von St. Petersburg bis Occupy Wall Street, Paderborn: Wilhelm Fink 2014, pp. 235 - 249. Fischer, Fiona Rachel: „ Begegnung mit sich selbst “ , Süddeutsche Zeitung 27. Mai 2022. https: / / www.sueddeutsche.de/ muenchen/ fotografie-mario-steigerwald-uruguay-rationaltheater-1.5592788 Rössner, Michael: „ Transgressionen: Zu dem wirkungsästhetischen Potential der Gattungsmischung in nicht-einordenbaren Texten der modernen Literatur “ , in: Anette Sabban u. Christian Schmitt ed.: Sprachlicher Alltag: Linguistik - Rhetorik - Literaturwissenschaft. Festschrift für Wolf-Dieter Stempel 7. Juli 1994, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1994, pp. 455 - 476. Rössner, Michael: „ Textsortenlabyrinthe: Zu den Textstrategien bei Macedonio Fernández, Jorge Luis Borges und Julio Cortázar “ , Iberomania 39 (1994), 79 - 92. Rössner, Michael: „ Fernández, Macedonio: Adriana Buenos Aires “ , in: H. L. Arnold ed.: Kindlers Literatur Lexikon (KLL), Stuttgart: J. B. Metzler, Stuttgart 2022. mo|men|tos: Broschüren (2014 - 2021) https: / / momentossite.wordpress.com/ publikationen/ 16 Was hier in der Folge (er-)wacht: Einleitung <?page no="17"?> Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt: Die vielen Gesichter des Macedonio Fernández Michael Rössner Außerhalb Argentiniens, ja außerhalb von Buenos Aires, ist Macedonio Fernández bis zu seinem Tod 1952 ein weitgehend unbekannter Autor geblieben. Das ändert sich mit der Grabrede des damals bereits zu Ruhm gelangten Jorge Luis Borges, in der er nicht nur gestand, er habe ihn „ imitiert, bis zur Transkription, bis zum leidenschaftlichen und hingebungsvollen Plagiat “ 1 , sondern den Verstorbenen auch zum Ziel und Höhepunkt der Literatur schlechthin erklärte: „ Die, die ihm vorangegangen sind, können in der Geschichte glänzen, aber sie waren bloß Vorentwürfe für Macedonio, unvollendete und vorausgehende Versionen von ihm “ 2 . Auch wenn man die Regeln der Grabrede kennt - und auch wenn man Borges ‘ histrionischen Drang zur (ironischen? ) Herabsetzung seiner eigenen Bedeutung berücksichtigt - war und ist das aus seinem Mund ein beeindruckendes, ja überwältigendes Urteil. Es hat dazu geführt, dass Macedonio tatsächlich zu einem Mythos der argentinischen und langsam auch allgemeiner der lateinamerikanischen Literatur geworden ist, jemand, der in die Literatur erfolgreicherer Autoren wie Julio Cortázar, Ricardo Piglia und vieler anderer als expliziter oder impliziter Bezug eingegangen ist. Nicht unwichtig ist dabei auch die Beschreibung, die Borges von seinem eben verstorbenen Freund gibt: „ Ein Philosoph, ein Dichter und ein Romancier sterben in Macedonio Fernández, und diese Begriffe bekommen, wenn man sie auf ihn anwendet, einen Sinn, den sie üblicherweise hierzulande nicht haben “ . 3 Was ist darunter zu verstehen? Worin besteht die Einmaligkeit Macedonios, aus der sich die Neudefinition jener Begriffe ergeben soll, die auf einen „ homme des lettres “ angewendet werden? 1 „ Yo por aquellos años lo imité, hasta la transcripción, hasta el apasionado y devoto plagio. “ Jorge Luis Borges: „ Macedonio Fernández “ , Sur 209 - 210, 1952, p. 146. 2 „ Quienes lo precedieron pueden resplandecer en la historia, pero eran borradores de Macedonio, versiones imperfectas y previas. “ Ibid., p. 146. 3 „ Un filósofo, un poeta y un novelista mueren en Macedonio Fernández, y esos términos, aplicados a él, recobran un sentido que no suelen tener en esta república. “ Ibid., p. 145. <?page no="18"?> Zunächst einmal ist festzustellen, dass der Mythos Macedonio in den letzten Jahren auch zu einer verstärkten Beschäftigung der Forschung mit ihm geführt hat, und dass dabei einige Mystifikationen aufgedeckt wurden. Denn Borges hat Macedonio tatsächlich ab dem Zeitpunkt ihrer ersten Begegnung am 24. März 1921 im Hafen von Buenos Aires bei der Rückkehr der Familie nach sieben Jahren aus Europa „ gemacht “ 4 , nicht nur zur geheimnisvollen Größe der argentinischen Literatur, die überall aufzutauchen scheint, sondern auch zu einem in fortgeschrittenem Alter, nach dem tragischen Tod seiner Frau Elena ( „ Elena Bellamuerte “ ), 5 aus dem bürgerlichen Leben eines Juristen im Staatsdienst ausgestiegenen Kaffeehausliteraten, der mündlich unvergleichlich bessere Literatur produzierte als schriftlich. 6 Macedonios Vorgeschichte - oder: Wie aus einem juristischen Problem ein philosophisches und seine Übersetzung in die Literatur wird Allerdings hat die von Borges geschaffenen Figur Macedonio eine Vorgeschichte, die nicht nur das - gescheiterte - Projekt einer anarchistischen Kommune im Urwaldgebiet von Misiones umfasst, sondern auch zahlreiche kleinere Publikationen von Gedichten und Essays in Zeitschriften. Vor allem aber ist der Jurist Macedonio interessant, dessen Dissertation sich mit dem ungewöhnlichen Thema der „ Person “ im Recht befasst (De las personas, Dissertation vorgelegt am 22. Mai 1897, also zwei Jahre vor Borges ‘ Geburt). Der junge Jurist rechtfertigt die ungewöhnliche Themenwahl in der Einleitung mit der „ unwiderstehlichen Faszination, die brennende Probleme, symbolisiert in Begriffen mit einem unerschöpflichen Inhalt wie dem des Subjekts, auf einen spekulativen Geist ausüben “ 7 . Für Nicht-Juristen braucht diese „ Faszination “ ein paar 4 Macedonio stellt das selbst nicht ohne Ironie fest: „ Nací porteño y en un año muy 1874. Todavía no, pero muy poco después empecé a ser citado por Jorge Luis Borges, con tan poca timidez de encomios que por el terrible riesgo a que se expuso con esta vehemencia comencé a ser yo el autor de lo mejor que él había producido. Fui un talento de facto, por arrollamiento, por usurpación de la obra de él. “ Macedonio Fernández: „ Cirugía psíquica de extirpación “ , Sur 84, 1941, 30 - 38, hier 30. 5 Cf. Macedonio Fernández: „ Elena Bellamuerte “ , Sur 76. 1941, 14 - 20. 6 „ Antes de ser escritas, las bromas y las especulaciones de Macedonio fueron orales. Yo he conocido la dicha de verlas surgir, al azar del diálogo, con una espontaneidad que acaso no guardan en la página escrita. “ Jorge Luis Borges: „ Macedonio Fernández “ , Sur 209 - 210, 1952, 146 - 147. 7 „… la fascinación irresistible para una mente especulativa que ejercen los problemas arduos simbolizados en conceptos de un contenido inagotable como el de sujeto …“ ( „ De las personas, “ 6). Das Typoskript wurde auszugsweise in Mónica Buenos, „ Jorge Luis Borges and Macedonio Fernández: History of a Literary Friendship “ , in: Federico Fridman ed.: Macedonio Fernández: Between Literature, Philosophy, and the Avant-Garde New York: Bloomsbury Academic 2022, pp. 23 - 42, zugänglich gemacht. Zitat nach dortiger Seite 26. 18 Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt <?page no="19"?> Erklärungen: Der Begriff der Person oder des Rechtssubjekts hat nämlich in der Rechtswissenschaft eine zentrale Stellung. Nicht nur, dass man dort zwischen „ juristischen “ (Gesellschaften, Körperschaften, Vereinen, usw.) und „ natürlichen “ Personen zu unterscheiden hat, was an und für sich für einen Schriftsteller-Philosophen Anlass zu einigen kreativen Reflexionen zu bieten vermag; nein, die Person, das Subjekt, ist schlechterdings die Voraussetzung dafür, Rechtsakte und damit auch Rechtswirkungen zuordnen zu können. Eine besondere Bedeutung bekommt das natürlich im Straf- und im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht, wo es nicht nur um die objektive Verursachung von Tatfolgen geht, sondern auch um die „ subjektive “ Tatseite, also um die Frage der „ Schuld “ , die das Bewusstsein des rechtswidrigen Handelns voraussetzt, ohne die es keine Verantwortung, keine Haftung, keine Strafe geben kann. Wie kann ein junger Jurist, der im geistigen Klima der Jahrhundertwende aufwächst und vermutlich Ernst Machs provozierenden Satz „ Das Ich ist unrettbar “ aus seinem Buch Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen (1886) kannte 8 , diese Dekonstruktion des Subjekts mit der rechtlichen Notwendigkeit der Annahme eines solchen in Einklang bringen? Tatsächlich scheint es, als hätte Macedonio nicht auf die Auseinandersetzung mit dem jungen Borges und seinen avantgardistischen Freunden in den 1920er Jahren warten müssen, um die fundamentalen Aporien zu entwickeln, die ihn ein Leben lang beschäftigt haben und zu der Theorie des „ almismo ayoico “ (des „ entichten Seelismus “ ) geführt haben, die sein Werk durchzieht. Aber Macedonio ist anders als Mach - und dessen Schüler Robert Musil - niemand, der zu dieser Auflösung des Ich von den Naturwissenschaften herkommt, sondern eher von einer Mischung aus Poesie und radikaler Metaphysik. So ergibt sich für ihn auch nicht die Musilsche Utopie der taghellen Mystik, die mathematische Schärfe mit einem mystischem Seelenzustand verbindet, aber doch etwas nicht ganz Unähnliches, wie Ana Camblong festgestellt hat: die Verbindung von Mystik und pragmatistischem Ansatz in der Nachfolge des von Macedonio hochgeschätzten William James. 9 Diese Spannung prägt einige der frühen Texte Macedonios, die zum Großteil in dem Band Obras completas, Papeles antiguos 8 Wenigstens zitiert er Machs Analyse der Empfindungen in den Extractos de correspondencias espiritualistas - beziehungsweise, lässt sie von Juan B. Justo in einem Brief an sich selbst zitieren. Dieser wird in dem hier in der Folge übersetzten Werk im Kapitel „ Auszüge aus spiritualistischen Korrespondenzen “ in Ausschnitten wiedergegeben (vgl. S. 91). 9 siehe dazu: Ana Camblong: Macedonio. Retórica y política de los discursos paradójicos, Buenos Aires: Eudeba 2003 und Ana Camblong & Adolfo de Obieta: „ Primera Conversación: Adolfo de Obieta & Ana Camblong “ , in: Mónica Bueno ed.: Conversaciones imposibles con Macedonio Fernández: Primeras jornadas de homenaje, Buenos Aires: Corregidor 2001, pp. 5 - 25. Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt 19 <?page no="20"?> (1981) enthalten sind, teilweise aber auch in spätere Ausgaben der 1928 erstmals erschienenen Abhandlung No toda es vigilia la de los ojos abiertos aufgenommen wurden. Ausgangspunkt von Macedonios intellektueller Reflexion (und Borges bezeichnet ihn ja vor allem als „ pensador “ ) ist also nicht zuletzt das juristische Problem der notwendigen und doch unmöglichen Zuschreibung eines Handelns und seiner Konsequenzen an ein einheitliches „ Ich “ - ein Problem, das zur selben Zeit auch andere Autoren beschäftigte, wie etwa den in den 1920er Jahren in Argentinien sehr populären Luigi Pirandello in dem Roman Einer, keiner, hunderttausend, aber auch in zahlreichen Bühnenwerken, von denen eines, Quando si è qualcuno ( „ Wenn man Jemand ist “ ) sogar in Buenos Aires uraufgeführt wurde. Somit erscheint die von Borges vorangetriebene Mystifikation, dass erst das traumatische Erlebnis des frühen Todes seiner Frau Macedonio zum Philosophen und Literaten gemacht hätte, zumindest abgemildert. Offenbar war dieser Tod im Jahr 1920 nur der letzte Anstoß für einen Schritt, der für den Juristen als die logische Folge aus der kritischen Beschäftigung mit den Grundannahmen des Rechts erscheinen mochte, die schon den Staatsanwalt Fernández zu manch seltsamen und für die Angeklagten günstigen Plädoyers angeleitet hatte. 10 Diese Zweifel an der Existenz einer einheitlichen und konstanten persona führten Macedonio nämlich sehr bald zu einem grundlegenden Zweifel an der Tradition der abendländischen Philosophie seit Descartes berühmtem „ Cogito ergo sum “ , das gleichzeitig auch Friedrich Nietzsche als Illusion der „ grammatischen Gewohnheit “ entlarvt hat, der zufolge eine Tätigkeit immer ein tätig werdendes Subjekt voraussetze. 11 Das trifft sich nun exakt mit Macedonios Zweifeln an einem solchen, und davon ist auch in der radikalen Metaphysik von No toda es vigilia la de los ojos abiertos die Rede. Wie aber kann man weiter als 10 siehe dazu die Tagebucherzählung von Ricardo Piglia: „ Notes on Macedonio in a Diary “ , in: Federico Fridman ed.: Macedonio Fernández: Between Literature, Philosophy, and the Avant-Garde New York: Bloomsbury Academic 2022, pp.181 - 188. 11 „ Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Thatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird, - nämlich, dass ein Gedanke kommt, wenn ‚ er ‘ will, und nicht wenn ‚ ich ‘ will; so dass es eine Fälschung des Thatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt ‚ ich ‘ ist die Bedingung des Prädikats ‚ denke ‘ . Es denkt: aber dass dies ‚ es ‘ gerade jenes alte berühmte ‚ Ich ‘ sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine ‚ unmittelbare Gewissheit ‘ . Zuletzt ist schon mit diesem ‚ es denkt ‘ zu viel gethan: schon dies ‚ es ‘ enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schliesst hier nach der grammatischen Gewohnheit ‚ Denken ist eine Thätigkeit, zu jeder Thätigkeit gehört Einer, der thätig ist, folglich -‘ . “ Friedrich Nietzsche, „ Erstes Hauptstück: Von den Vorurtheilen der Philosophen § 17 “ in: Jenseits von Gut und Böse, Leipzig: C. G. Naumann 1886. 20 Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt <?page no="21"?> Jurist Recht auf Personen anwenden, an deren Existenz man nicht glaubt? Der Schritt vom juristischen Schreibtischtäter zum philosophischen, der sich dem Konsequenzzwang der Wirkung seiner Gedanken in der Wirklichkeit entziehen konnte, lag nahe, und der heimgekehrte Sohn seines Freundes Jorge Borges, der Sehnsucht nach den Genfer Buchhandlungen und den Diskussionen in Madrider Kaffeehäusern empfand, 12 fand in dem Denker und Philosophen Macedonio Ersatz für das intellektuelle Klima Europas und begann ihn zu „ imitieren “ . Es ist daher wohl kein Wunder, dass der junge Borges nicht nur in seinen frühen Gedichten, sondern auch in dem später verworfenen Essayband Inquisiciones (1925) deutlich Einflüsse von Macedonios Reflexionen zeigt, allen voran in dem Essay „ La nadería de la personalidad “ ( „ Die Nichtigkeit des Personseins “ , 1922), der geradezu die Problematik der juristischen Dissertation zu zitieren scheint. Macedonio und die Avantgarde von Buenos Aires: die Gruppe Florida Macedonio hingegen versucht, anders als Pirandello, solche Überlegungen zwar nicht in „ realistische “ Erzählungen oder dramatische Handlungen zu übersetzen, aber er produziert Texte, die zwischen den Gattungen angesiedelt sind. Macedonio konfrontiert dabei den Leser bzw. die Leserin einfach auf Schritt und Tritt mit Widersprüchen, mit Absurditäten, mit Sprüngen aus einer Gattung in die andere und erlaubt es ihm/ ihr somit nie, sich in einer bequemen Leserhaltung einzurichten. Bei den literarischen Versuchen gibt es tatsächlich eine klare Differenz zwischen den Papeles del Recienvenido (den „ Schriften des Neuankömmlings “ ) aus der Dekade der 1920er Jahre und Macedonios frühen, zum Großteil in der von seinem Cousin herausgegebenen Zeitschrift „ El Progreso periódico literario, científico y artístico “ erschienenen Texten, in denen sich noch deutlich die Verwandtschaft zu der Gattung des zwischen Romantik und Realismus angesiedelten „ Costumbrismo “ erkennen lässt, etwa in „ El teatro aquí “ ( „ Das Theater hier bei uns “ ), in dem er sich über das bescheidene Niveau der meist aus Europa zu Tourneen nach Buenos Aires kommenden Theatermacher ereifert, oder „ La calle Florida “ , die mit einigen fast grotesken Porträts der Flaneure in der Prachtstraße von Buenos Aires aufwartet. Was Macedonios Stil später kennzeichnen wird, das absurde Spiel mit der Sprache, das Wörtlich-Nehmen von Metaphern und die Aktivierung des Lesers, das bleibt hier noch auf der Ebene 12 „ Yo heredé de mi padre la amistad y el culto de Macedonio. Hacia 1921 regresamos de Europa después de una estadía de muchos años. Las librerías de Ginebra y cierto generoso estilo de vida oral que yo había descubierto en Madrid me hacían mucha falta al principio. Olvidé esa nostalgia cuando conocí, o recuperé, a Macedonio “ J. L. Borges, Macedonio Fernández, Buenos Aires: Ediciones Culturales Argentinas, 1961, p. 53. Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt 21 <?page no="22"?> der einfachen Satire, wie der Schluss des letztgenannten Texts zeigt, wo er auf die selbstgestellte Frage, ob die Menschenmenge in dieser Straße aristokratisch (aristocrática), bürokratisch (burocrática) oder demokratisch (democrática) zu nennen wäre, schlussendlich dem Leser die Wahl überlässt - aber bloß zwischen „ burrocracia “ (Eselsherrschaft) und „ aburrocracia “ (Langeweileherrschaft). Dieser satirische Duktus ist als Parodie der Philosophie in seinem ersten philosophisch-literarischen Werk, dem dieser Band gilt, ebenso erkennbar. In den Texten aus den frühen 1920er Jahren, die in den Zeitschriften Proa und Martín Fierro der - ausgerechnet nach dieser Straße benannten - Avantgardegruppe „ Florida “ rund um Jorge Luis Borges, erscheinen, ist eine ganz andere Technik zu spüren, etwa in dem Text „ Konfessionen eines Neuankömmlings in der literarischen Welt “ (Confesiones de un recién llegado al mundo literario), erschienen in der von Borges und anderen herausgegebenen Avantgardezeitschrift Proa 1922 und später übernommen in den Band Papeles del Recienvenido (1929): Neuankömmling ist definitionsgemäß: jene unterschiedene Person, die sofort von allen wahrgenommen wird, die eben in ein Land der Unterschiedenen gelangt ist und die würdige Erscheinung eines Menschen hat, der nicht weiß, ob er sich die Hose verkehrt angezogen oder den rechten Hut auf den linken Kopf gesetzt hat, und sich nicht entscheiden kann, sich im öffentlichen Raum Gewissheit über die mangelnde Perfektion zu verschaffen, sondern sich auf eine Meditation über Sonnenfinsternisse, Blindheit der Passanten, Streik der Lichtverteiler, Unsichtbarkeit der Atome und von Papas Geld konzentriert, und so gelingt es ihm, nicht gesehen zu werden. 13 Hier erfolgt eine assoziative Reihung zunehmend absurder Bilder, was in der Technik gewisse Parallelen zu Dada-Texten zeigt; Macedonio verbindet das einerseits zwar immer noch mit durchaus satirischen Anspielungen auf die Realität von Buenos Aires, andererseits auch mit einer direkten Apostrophierung des Lesers, und er geht dabei mit dem Leser noch ein wenig rauer um als der erwähnte Pirandello, der in Einer, Keiner, Hunderttausend den Leser doch auch soweit zur Figur macht, dass er ihn von seinem Protagonisten im Disput 13 „ Recién llegado por definición es: aquella diferente persona notada en seguida por todos, que llegado recién a un país de los diferentes, tiene el aire digno de un hombre que no sabe si se ha puesto los pantalones al revés, o el sombrero derecho en la cabeza izquierda, y no se decide a cerciorarse del desperfecto en público, sino se concentra en una meditación sobre eclipses, ceguera de los transeúntes, huelga de los repartidores de luz, invisibilidad de los átomos y del dinero de papá, y así logra no ser visto “ . Macedonio Fernández: Papeles del Recienvenido. Obras Completas IV, Buenos Aires: Corregidor 1989, pp. 31 - 32 (Übersetzung M. R.) 22 Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt <?page no="23"?> besiegen und dann nach einer fiktionalen Landpartie ein wenig abschätzig behandeln lässt, weil er „ dick und verschwitzt ist “ 14 . In einem 1925 in Proa erschienenen Artikel mahnt Macedonio zum Beispiel den Leser, nicht so schnell zu lesen, „ denn meine Schreibe kommt dort nicht nach, wo Sie lesen. Wenn wir so weitermachen, bekommen wir ein Strafmandat wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Einstweilen schreibe ich nichts; gewöhnen Sie sich daran! “ 15 Und schon 1922 schreibt Macedonio einen Prolog „ dessen Fortsetzung vom Leser abhängt; ich trete sie ihm ab. “ 16 Diese Aktivierung des Lesers spielt eine zentrale Rolle für Macedonios Ästhetik. Sie wird in seinem großen Romanprojekt zum zentralen Thema werden. Aber schon früher beginnt Macedonio mit dem Leser ähnlich zu streiten wie Pirandellos Ich-Erzähler, wenn in dem Text „ Aufgetragene Autobiographie “ (Autobiografia en encargo) der Erzähler plötzlich in den direkten Dialog mit diesem Leser springt: … denn plötzlich mit vierzig Jahren habe ich erfahren, dass ich auf der rechten Seite schlafe. Auf welcher Seite schlafen Sie, Leser? Sie werden mir antworten. - Früher habe ich auf dem Rücken geschlafen, aber jetzt … - Wie, „ jetzt “ ? Jetzt schlafen Sie schon auf meiner ersten Seite ein? Lassen Sie mich doch ausreden … - Wie, „ lassen Sie mich ausreden “ ? Wollen Sie jetzt schon Autor sein? 17 Keinen Bruch gibt es hingegen hinsichtlich der metaphysischen Reflexionen, die jetzt auch in einem absurd-komischen Tonfall vorgetragen werden, wie in der ursprünglich 1928 in der Gaceta del Sur erschienenen „ Autobiographie “ , die mit der Feststellung einsetzt: Das Universum oder Wirklichkeit und ich, wir sind am 1. Juni 1874 geboren und es ist einfach hinzuzufügen, dass beide Geburten hier in der Nähe und in einer Stadt namens Buenos Aires erfolgten. Es gibt für jedes Geborenwerden eine Welt und das Nichtgeborenwerden hat nichts Persönliches an sich, es besteht lediglich darin, dass es keine Welt gibt. Geborenwerden und diese nicht finden ist unmöglich; es hat noch kein 14 Luigi Pirandello: Einer keiner hunderttausend (Uno, nessuno e centomila, 1925), übs. Piero Rismondo, überarbeitet von Michael Rössner, Werkausgabe Bd. 5, ed. Michael Rössner, Berlin: Propyläen 1998, p. 307. 15 „ No lea tan ligero, mi lector, que no alcanzo con mi escritura adonde está usted leyendo. Va a suceder si seguimos así que nos van a multar la velocidad. Por ahora no escribo nada; acostúmbrese. “ Macedonio Fernández: Papeles del Recienvenido y Continuación de la Nada. Obras Completas IV, Buenos Aires: Corregidor 1989, p. 29 (Übersetzung M. R.). 16 „ He aquí un prólogo cuya continuación depende del lector; se lo abandono “ Ibid., p. 21 (Übersetzung M. R.). 17 „ pues recién a los cuarenta años he sabido que duermo del lado derecho. ¿De qué lado duerme usted, lector? Usted me contestará: - Antes dormía de espaldas, pero ahora .. ¿Cómo ‚ ahora ‘ ? ¿Ya se duerme usted en mi primera página? Déjeme hablar … - ¡Cómo ‚ déjeme hablar ‘ ; ya quiere usted ser autor! “ Ibid., p. 84 - 85 (Übersetzung M. R.). Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt 23 <?page no="24"?> Ich gegeben, das bei seiner Geburt keine Welt vorgefunden hätte, deshalb glaube ich, dass wir die Wirklichkeit, die es gibt, selbst mitbringen und von ihr nichts zurückbliebe, wenn wir tatsächlich stürben, wie manche fürchten. “ 18 Hier ist der auch von Borges immer wieder beschworene extreme Idealismus Schopenhauerscher Prägung ( „ Die Welt ist meine Vorstellung “ ) ebenso enthalten wie die mit der Leugnung des Ich verbundene Idee der Unsterblichkeit, die hier aber eben geradezu augenzwinkernd im Gegensatz zu der quasi absurden Idee der Sterblichkeit ( „ wie manche fürchten “ ) vorgeführt wird. Macedonio als Kaffeehausliterat Der bei Macedonio immer wieder feststellbare Stil der Orientierung an der überraschenden Pointe, des Sprachspiels, aber auch der Apostrophierung des Gegenübers, hat freilich auch einen Bezug zu einem Rahmen, der in den 1920er und 1930er Jahren in Buenos Aires stark präsent war: dem Kaffeehaus als halbprivatem, halböffentlichem Raum der Literatur, in dem es sehr oft zu einem direkten Feedback zwischen Textproduzenten und Textrezipienten kommt. Nicht zuletzt wurde Macedonio deshalb auch im Panorama der Kaffeehausliteratur in Europa und Lateinamerika zwischen 1890 und 1950 als archetypischer Kaffeehausautor vorgestellt. 19 Dazu passt auch, dass viele der Texte, die später in den immer wieder erweiterten Ausgaben der Papeles de Recienvenido erschienen, ursprünglich für einen solchen Rahmen produziert wurden: etwa Trinksprüche (Brindis) - wie der berühmte Trinkspruch für das Bankett zu Ehren des Futuristen Marinetti, in dem Macedonio sich fragt, warum gerade er einen solchen Trinkspruch formulieren soll, wo ihm doch eigentlich die „ phonetische Aktivität des H im Spanischen “ (das bekanntlich nicht ausgesprochen wird) entsprochen hätte; aber auch Texte für die Ende der 1920er Jahre von dem peruanischen Dichter Alberto Hidalgo im Kellerraum des Hotels Royal begründete, tatsächlich nur mündlich kommunizierte „ Revista oral “ , die „ mündliche Zeitschrift “ , bei der alle 18 „ El Universo o Realidad y yo nacimos el 1°de junio de 1874 y es sencillo añadir que ambos nacimientos ocurrieron cerca de aquí y en una ciudad de Buenos Aires. Hay un mundo para todo nacer, y el no nacer no tiene nada de personal, es meramente no haber mundo. Nacer y no hallarlo es imposible; no se ha visto a ningún yo que naciendo se encontrara sin mundo, por lo que creo que la Realidad que hay la traemos nosotros y no quedaría nada de ella si efectivamente muriéramos, como temen algunos. “ Ibid., p. 83 (Übersetzung M. R.). 19 Vgl Michael Rössner ed.: Literarische Kaffeehäuser - Kaffeehausliteraten, Wien-Köln- Weimar: Böhlau 1999, insbesondere das Kapitel von Ana Maria Cartolano: „ Das literarische Kaffeehaus in Buenos Aires in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts “ , in: Michael Rössner ed.: Literarische Kaffeehäuser - Kaffeehausliteraten, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 1999, pp. 423 - 456. 24 Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt <?page no="25"?> Artikel nur vorgelesen und durch vom Band abgespielte Werbeeinschaltungen unterbrochen wurden. Im Kaffeehaus entwickelt Macedonio seit 1925 auch das Projekt seines Romans bzw. Roman-Zwillings aus dem „ letzten schlechten Roman “ Adriana Buenos Aires und dem „ ersten guten Roman “ Museo de la Novela de la Eterna. Schon 1926 verrät er in der Zeitschrift Martín Fierro einige Elemente davon, vor allem, dass die Humor-Struktur Parallelen zu den Kurztexten der Kaffeehauszeit aufweisen würde: … mein Roman lässt nur Lebende herein, bei sonstiger Gefahr der Konfusion mit der Geschichte, in der die Toten alles machen, das ganze vor sich hertreiben. In diesem Roman werde ich einige der hier versuchten Witze wiederholen, denn ich hoffe zu einem Extrem an Garantie und Ernsthaftigkeit meiner Scherze zu gelangen, indem ich sie in verschiedenen Wiederholungen erprobe. 20 Allerdings mussten sich die potentiellen Leser, bis zu Macedonios Tod, mit Anspielungen und kleinen Kostproben zufriedengeben, denn das lebenslange Romanprojekt erschien erst nach seinem Tod. Macedonio Fernández als literarische Figur: Museo de la Novela de la Eterna Vor allem aber wird Macedonio in diesen Jahren zum Vollender der gleichzeitig unabhängig in Frankreich von den Surrealisten entwickelten These der Einheit zwischen Kunst und Leben. Daraus erwächst eine Kunsttheorie, die in ihrer aktionistischen Komponente eine deutliche Verwandtschaft zur Dada-Bewegung aufweist; und wie bei Dada ist der Zweck von Macedonios Belarte die Befreiung des Rezipienten aus seinem entfremdeten Dasein. Dabei unterscheidet er zwei Gattungen, die er als Roman ( „ novela “ ) und „ humor “ bezeichnet: Die Gattung Roman befreit dieser Theorie zufolge von der Sterblichkeit, da sie den Rezipienten vorAugen führen soll, dass sie ebenso wenig wirklich existieren wie die fiktionalen Geschöpfe nichtrealistischer Romane, die Gattung „ humor “ hingegen befreit durch die absurde, auf Sprachspielen in der Tradition der Unsinnsliteratur beruhende Komik und die Tendenz zur Selbstaufhebung durch 20 „… mi novela no admite sino a vivientes so pena de confundirse con la Historia donde los muertos lo hacen todo, se lo llevan todo por delante. En dicha novela repetiré alguno de los chistes aquí intentados, pues espero llegar a un extremo de garantía y seriedad de mis bromas, ensayándolas en varias reiteraciones …“ Macedonio Fernández: Papeles del Recienvenido. Obras Completas IV, Buenos Aires: Corregidor 1989, p. 43. Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt 25 <?page no="26"?> gleichzeitige Affirmation einander widersprechender Behauptungen vom Diktat der Vernunft 21 . Damit bleibt die Technik absurden Humors nicht bloßes Spiel oder reine Sinndestruktion: Was hinzutritt, ist der Anspruch, eine Metaphysik zu schaffen, die die Grenzen des rationalen Denkens überschreitet, was schon im Titel seines Buches No toda es vigilia la de los ojos abiertos auf eine surrealistische Tradition verweist, die z. B. in Bretons Vases communicants zum Hauptthema erkoren wird: die gegenseitige Relativierung der Realität von Traum und Wachzustand, die letztlich zu dem mystischen Zustand führt, den Macedonio in No toda es vigilia wie folgt definiert: Mystischer Zustand ist Leben als ungeschaffenes selbstexistentes Wesen; und ich glaube, es ist auch Leben ohne die Unterscheidung Bild/ Empfindung, Traum/ Wirklichkeit, und ohne die Unterscheidung Neues/ Erinnertes, Neues/ Schon Bekanntes. Aus all diesen Gründen ist der mystische Zustand ein Leben ohne einen Grund für ein Tätigwerden. 22 Aber nicht nur diese Thematik verbindet No toda es vigilia mit dem Museo- Roman. Allein schon der vollständige Untertitel der metaphysischen Abhandlung nimmt Elemente des Romans vorweg: „ Arreglo de papeles que dejó un personaje de novela creado por el arte, Deunamor el No Existente Caballero, el estudioso de su esperanza ” . Es handelt sich also um nachgelassene Texte einer ausdrücklich als fiktional bezeichneten Figur, die noch dazu den Namen „ Nicht- Existierender-Herr “ führt; unter der Überschrift „ Solución “ (Lösung) meldet sich dann diese Figur direkt zu Wort und definiert sich als der, der sich nur als nicht Existierender zu erschaffen plante ( „ se pensó crear sólo en condición de no-existente “ ) und so zum Ausgangspunkt der umfassenden Überlegung der Aufhebung der Idee des Subjekts wird. Tatsächlich wird im Roman selbst Deunamor dann als „ Figur der Nichtexistenz (mit Präsenz) “ vorgestellt 23 , als einer, der - offenbar als alter ego Macedonios - sich nach dem Tod seiner geliebten Ehefrau verändert hat, bis er 21 Vgl. Daniel Attala: „ The Thought of Macedonio Fernández: A Dictionary ” , in: Federico Fridman ed.: Macedonio Fernández. Between Literature, Philosophy, and Avant-Garde, Bloomsbury Academic 2022 pp. 157 - 178, hier p. 168 sq. 22 „ Estado místico es vivir como autoexistente increado; y creo que es también vivir sin la discriminación imagen-sensación, ensueño-realidad, y sin la discriminación nuevorecordado, nuevo-ya-conocido. Por todo lo cual estado místico es vivir sin motivo ninguno de acción “ ( „ Descripcio-Metafísica “ ). Macedonio Fernández: No toda es vigilia la de los ojos abiertos, Obras Completas VIII, Buenos Aires: Corregidor 2015, p. 351. 23 Macedonio Fernández: Museo de la Novela de la eterna, ed. Fernando Rodríguez Lafuente, Madrid: Cátedra 2018, p. 224. 26 Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt <?page no="27"?> unter Verlust seiner Sensibilität „ zu einem Leib ohne Bewusstsein reduziert “ 24 war. Und Deunamor ist nicht die einzige Macedonio-Figur im Roman. Natürlich ist die Hauptfigur des „ Presidente “ , die die Figuren auf der Estancia „ La Novela “ versammelt, ein Bild des Autors, der scherzhaft einmal seine Kandidatur für die Präsidentenwahlen in Argentinien angemeldet hatte und das als gelebten Roman „ El hombre que será presidente “ ( „ Der Mann, der Präsident sein wird “ ) auffasste. Aber wichtiger als die Autorfiguren ist die des Lesers, der hier in zwei Ausführungen vorgestellt wird, als „ Sprunghafter “ (Lector salteado) und als „ Fortlaufender “ Leser (Lector seguido), wobei angesichts der Zersplitterung des Texts in zahlreiche unzusammenhängende Prologe der sprunghafte Leser plötzlich die Illusion hat, fortlaufend zu lesen und der fortlaufende die Sprunghaftigkeit entdecken muss. Kein Zweifel, dass hier eine der Wurzel für das Springmodell der Kapitel in einem der zentralen Romane des Booms der lateinamerikanischen Literatur, Julio Cortázars Rayuela (1963), zu suchen ist. Mehr noch als Cortázar aber insistiert Macedonio in seinem Museums-Roman darauf, dem Leser ständig in Erinnerung zu rufen, dass er sich in der Welt der Fiktion befindet - und da er da drinnen steckt, selbst zu einem Teil des Fiktiven wird: „ Es gibt einen Leser, mit dem ich mich nicht anfreunden kann: den Leser, der will, was zu ihrer Schande alle Romanciers anstreben, was diese jenem Leser geben - die Halluzination. Ich hingegen will, dass der Leser zu jeder Zeit weiß, dass er einen Roman liest und nicht das Leben beobachtet, dem ‚ Leben ‘ beiwohnt. “ 25 Macedonio als Textmaschine Vor allem beginnt der Roman nicht nur aufgrund der zahlreichen Prologe ewig nicht, er endet auch praktisch gar nicht, denn nach dem Wort ENDE geht es einfach weiter, und der Autor weist den Leser wieder auf seine aktive Rolle hin: „ erkenne an, dass dieser Roman durch seine Zahlreichen Nichtabschlüsse mehr in deiner Phantasie angeregt hat “ und damit seine Emanzipation bewirkt hat, während der „ abgeschlossene Roman uns alle wie Kleinkinder behandelt hat, die man füttern muss “ 26 - und so wendet sich der „ Finale Prolog “ schon im Titel „ An den, der diesen Roman schreiben will “ . Der erste Satz lautet dort: „ Ich lasse es als offenes Buch “ (offenbar hat das später Umberto Eco, der ähnlich wie Macedonio 24 Ibid., p. 198. 25 „ Hay un lector con el cual no puedo conciliarme: el que quiere lo que han codiciado para su descrédito todos los novelistas, lo que le dan éstos a ese lector: la Alucinación. Yo quiero que el lector sepa siempre que está leyendo una novela y no viendo un vivir, no presenciando ‚ vida ‘ . “ Ibid., p. 174. 26 Ibid., p. 416 - 417. Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt 27 <?page no="28"?> und Cortázar Sympathien zu Alfred Jarrys Pataphysik aufweist, zu seiner Opera aperta (1963) angeregt) und in der Folge fordert der Autor andere Autoren auf, „ den Text zu korrigieren und frei herauszugeben, mit oder ohne Erwähnung meines Werks oder meines Namens. “ 27 In verschiedenster Weise haben das tatsächlich viele getan: Nach Jorge Luis Borges zweifelsohne Julio Cortázar, der nicht nur in seinem Hüpfspiel Rayuela, sondern auch in den absurden Sprachspielen der Historias de cronopios y de famas deutlich an Macedonios Ideen anschließt, diese freilich auch mit der Tradition der französischen Avantgarde noch enger verknüpft, da er als Mitglied des Collège de Pataphysique auch Alfred Jarrys Pataphysik einbezieht, die als eine alternative Reflexionsform zu Macedonios radikaler Metaphysik betrachtet werden kann. Der Schluss des Romans nimmt also direkt Bezug auf das, was Macedonios Werk seit seinem Tod in der Realität mehr und mehr geworden ist: eine Art Generator literarischer Texte verschiedenster Art, die durch ihn angeregt werden; am beeindruckendsten vielleicht in Ricardo Piglias Roman La ciudad ausente ( „ Die abwesende Stadt, 1992), wo „ La Máquina “ , eine Maschine, die das Ergebnis des Versuchs ihres Witwers, seiner verstorbenen Elena Ewigkeit zu verleihen, darstellt, anstatt dessen das eigene Gedächtnis mit anderen Geschichten und offiziellen Diskursen mischt. Nun steht die Maschine im Museum und gilt als subversives Instrument. Und vielleicht ist es das, was Macedonios vielschichtige Persönlichkeit am besten erfasst: seine angestrebte Auflösung der abgegrenzten Persönlichkeit in einer Art nichticher unbegrenzter Kreativität, die nicht nur in der unmittelbar nachfolgenden Generation um Borges wesentliche Werke anregt, sondern schlechterdings - und durchaus subversiv - nicht mehr zum Schweigen zu bringen ist, solange menschliche Kultur auf diesem Planeten fortdauert. Literaturverzeichnis Attala, Daniel: „ The Thought of Macedonio Fernández: A Dictionary ” , in: Federico Fridman ed.: Macedonio Fernández. Between Literature, Philosophy, and Avant-Garde, Bloomsbury Academic 2022, pp. 157 - 178. Borges, Jorge Luis: „ Macedonio Fernández “ , Sur 209 - 210 (1952), 145 - 147. Borges, Jorge Luis: Macedonio Fernández, Buenos Aires: Ediciones Culturales Argentinas, 1961. Bueno, Mónica, „ Jorge Luis Borges and Macedonio Fernández: History of a Literary Friendship “ , in: Federico Fridman ed.: Macedonio Fernández: Between Literature, Philosophy, and the Avant-Garde, New York: Bloomsbury Academic 2022, pp. 23 - 42. 27 Ibid., p. 421. 28 Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt <?page no="29"?> Camblong, Ana & Adolfo de Obieta: „ Primera Conversación: Adolfo de Obieta & Ana Camblong “ , in: Mónica Bueno ed.: Conversaciones imposibles con Macedonio Fernández: Primeras jornadas de homenaje, Buenos Aires: Corregidor 2001, pp. 5 - 25. Camblong, Ana: Macedonio. Retórica y política de los discursos paradójicos, Buenos Aires: Eudeba 2003. Cartolano, Ana Maria: „ Das literarische Kaffeehaus in Buenos Aires in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts “ , in: Michael Rössner ed.: Literarische Kaffeehäuser - Kaffeehausliteraten, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 1999, pp. 423 - 456. Fernández, Macedonio: No toda es vigilia la de los ojos abiertos. Obras Completas VIII, Buenos Aires: Corregidor 2015. Fernández, Macedonio: Museo de la Novela de la eterna, ed. Fernando Rodríguez Lafuente, Madrid: Cátedra 2018. Fernández, Macedonio: Papeles del Recienvenido. Obras Completas IV, Buenos Aires: Corregidor 1989. Fernández, Macedonio: „ Elena Bellamuerte “ , Sur 76 (1941), 14 - 20. Nietzsche, Friedrich: „ Erstes Hauptstück: Von den Vorurtheilen der Philosophen § 17 “ in: Jenseits von Gut und Böse, Leipzig: C. G. Naumann 1886. Online verfügbar in: Digitale Kritische Gesamtausgabe von Nietzsches Werken und Briefen (eKGWB) ed. Paolo D ’ Iorio http: / / www.nietzschesource.org/ #eKGWB/ JGB-17 (zuletzt überprüft 12.07.2022). Pirandello, Luigi: Einer keiner hunderttausend. Bd. 5, ed. Michael Rössner, Berlin: Propyläen 1998. Rössner, Michael ed.: Literarische Kaffeehäuser - Kaffeehausliteraten, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 1999. Alles ist Macedonio, was uns vor die Augen kommt 29 <?page no="30"?> Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins Victor A. Ferretti No sé qué afinidades o divergencias nos revelaría el cotejo de la filosofía de Macedonio con la de Schopenhauer o la de Hume; bástenos saber que en Buenos Aires, hacia mil novecientos veintitantos, un hombre repensó y descubrió ciertas cosas eternas. J. L. Borges, „ Macedonio Fernández “ 1 Es verwundert wenig, dass das, was man eine literarische Philosophie nennen könnte, gerade im ästhetischen Lichtkegel von Phänomenologie und Subjektivismus gleißende Texturen hervorgebracht hat, wie u. a. Marcel Prousts Recherche, 2 Nathalie Sarrautes Tropismes 3 oder Jorge Luis Borges „ Tlön “ 4 prominent zeigten. Des Gleichen nachvollziehbar ist es, dass sich eine gewisse Poetizität für eine Reihe von philosophischen Schreibweisen ausbedingen lässt, wie etwa Fichte, Heidegger und Deleuze je unterschiedlich mit ihren Texten bezeugten. Hatte doch bereits Platon in seiner Politeia die ‚ Konkurrenz ‘ der Poiesis für die normative Philosophie erkannt (Bücher III u. X): eine konterdiskursive Devianz, die Aristoteles in seiner Poetik (Kap. 9) dann im Sinne einer ‚ philosophischen ‘ Kontingenz anerkannte, ehe Hans Vaihinger 1911 in seiner 1 Jorge Luis Borges: „ Macedonio Fernández “ , in: id. Obras completas IV, Buenos Aires: Emecé 1996, pp. 53 - 60, p. 60. „ Ich weiß nicht, welche Affinitäten oder Divergenzen uns ein Vergleich der Philosophie Macedonios mit der von Schopenhauer oder Hume offenbaren würde; es genügt zu wissen, dass in Buenos Aires um das Jahr neunzehnhundertzwanzig herum ein Mann bestimmte ewige Dinge neu überdachte und entdeckte. “ (Übers. DG u. FS). 2 Cf. Hermann Doetsch: „ Proust: À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit) “ , in: Handbuch Literatur & Philosophie, edd. Andrea Allerkamp, Sarah Schmidt, Berlin: De Gruyter 2021, pp. 540 - 544. 3 Cf. Doris Wendt: Nathalie Sarraute, München: et+k 2014, pp. 167 - 189. 4 Cf. Victor A. Ferretti: „ Tlön: Imaginationsräume und Ander-Welten “ , in: Handbuch Literatur & Raum, edd. Jörg Dünne, Andreas Mahler, Berlin: De Gruyter 2015, pp. 478 - 484. <?page no="31"?> Philosophie des Als Ob die epistemologische Relevanz von Fiktionalem ein für alle Mal klarlegte. 5 Gleichwohl stellt der argentinische Metaphysiker Macedonio Fernández (1874 - 1952) einen extravaganten Fall dar, insoweit es sich um einen poietischen Denker handelt, der in Avantgarde-Zeiten nicht nur einen Anti-Roman entworfen hat, der zu den metafiktionalsten Reflexionen des 20. Jahrhunderts gehört (und erst postum erschienen ist: Gemeint ist sein 1925 angebahntes Museo de la Novela de la Eterna); 6 nein, Macedonio ist auch ein Autor exzentrischer Philosophie gewesen, wobei er Letztere (freilich) anders begriff: War ihm doch die (Weisheits-)Wissenschaft zu relationistisch respektive inferenziell ausgerichtet und zu wenig am Phänomenalen an sich interessiert, 7 das für ihn zum eigentlichen Erkenntnisziel wurde, indem er eine sensualistische Metaphysik konzipierte, die - über Berkeley und Schopenhauer hinausgehend - dezidiert dem phänomenalen ‚ Ereignis ‘ galt - mit entsprechenden Auswirkungen auf ‚ das ‘ Subjekt. Der folgende Parcours durch Macedonios phänomenale Gedankenführung versteht sich als eine Annäherung an die Vigilia, durch deren Übertragung ins Deutsche die Auseinandersetzung mit geistreicher Metaphysik aus Lateinamerika über einen iberoromanistischen Horizont hinaus fast ein Jahrhundert später 8 möglich wird. * Wie für einige vor und nach ihm war auch für Macedonios Verständnis von Metaphysischem Schopenhauers einschlägige Willensphilosophie prägend, 9 5 Cf. id.: Bucolica mente - Zu Diskursivität und Medialität romanischer Bukolik in früher Neuzeit, Kiel: CERES 2017, pp. 40 - 49. 6 Macedonios furioser Anti-Roman liegt auf Deutsch vor als: Das Museum von Eternas Roman - (erster guter Roman), transt. Petra Strien, Berlin: AB 2014. 7 Cf. Macedonio Fernández: „ No toda es vigilia la de los ojos abiertos “ , in: id.: Museo de la novela de la eterna, ed. César Fernández Moreno, Caracas: Biblioteca Ayacucho 1982, pp. 65 - 134 [= Vigilia II], p. 80. - Zur kontrastierenden Lektüre sei auf Martin Heideggers zeitgenössische φαινόμενον [phainómenon] -Begriffsarbeit in Sein und Zeit verwiesen (cf. id.: Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer 18 2001, pp. 28 - 31). 8 Anmerkung der Herausgeber*innen: In dem vorliegenden Band wird die Erstausgabe der Vigilia aus dem Jahre 1928 und die ersten beiden Texte aus der erweiterten Ausgabe übersetzt. Eine vollständige Übersetzung aller metaphysischer Schriften von Macedonio Fernández bleibt weiterhin ein Desiderat. 9 Bertrand Russel hierzu: „ In one form or another, the doctrine that will is paramount has been held by many modern philosophers, notably Nietzsche, Bergson, James, and Dewey. It has, moreover, acquired a vogue outside the circles of professional philosophers. And in proportion as will has gone up in the scale, knowledge has gone down. This is, I think, the most notable change that has come over the temper of philosophy in our age. It was prepared by Rousseau and Kant, but was first proclaimed in its purity by Schopenhauer. For this reason, in spite of inconsistency and a certain shallowness, his philosophy has Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins 31 <?page no="32"?> insofern diese neben ihrer psychologisierenden Verve gerade auch so etwas wie eine paralogische Volte bereithält, die bei dem Argentinier in Richtung einer sensualistischen Ereignisphilosophie ausgerichtet wird, die klar immaterialistisch motiviert ist: Schopenhauer [Die Welt als Wille und Vorstellung] repite el distingo Sujeto-Objeto. ¿No son éstas meras entidades verbales, como el Tiempo, o, mejor, como el Yo, la Materia? La Metafísica sólo se ocupa del Ser, de la Existencia, de todo cuanto Existe y sólo en cuanto existe o es. En la sensación pura, o en la Contemplación absoluta, sujeto u objeto no aparecen. En la sensación no hay nada más que ella misma; la sensación no es sentida por nadie; es frío, es rojo, es agudo, es dulce, es dolor y nada más. Decir que además de la sensación de frío hay un sujeto que la siente es caer en el mismo concepto de la „ materia “ y equivale a decir que además del color, sabor, suavidad, resistencia, de una naranja, existe la materia de la naranja, el „ yo “ de ese cuerpo, de ese núcleo de posibilidad de sensaciones, una sustancia de sus apariencias, una „ sustancia “ , en fin, fuera del „ fenómeno “ , que es lo único que existe. 10 In einem kontemporären Kontrast zu Martin Heideggers Sein und Zeit (1927) postuliert Macedonio hier gleichsam sein Interesse für ein Sein ohne Sinnzusammenhänge. Kantisch verstanden 11 wird hier phänomenales Empfinden gegenüber einer (formalen) Anschauung großgeschrieben, wobei die reine Empfindung selbst unempfunden bleibt. Ihren diskursiven Treibschlag gewinnt diese Argumentation aus der accouplage von Nominalismus und Sensualismus: No hay más que un ensueño, una irrealidad; la de suponer una Causa a la Vigilia, a la Realidad. Esa Causa no sólo no es real sino que no es soñada ni soñable; es una considerable importance as a stage in historical development. “ Id.: History of Western Philosophy, London: George Allen & Unwin 9 1965, p. 727. 10 Macedonio: Vigilia II, p. 83. - Anmerkung der Herausgeber*innen: Diese sowie weitere Stellen wurden für diesen Beitrag eigens übersetzt: „ In Die Welt als Wille und Vorstellung wiederholt Schopenhauer die Unterscheidung Subjekt-Objekt. Sind dies nicht rein verbale Entitäten, wie die ZEit, oder, besser, wie das ICh oder die MAterie? Die Metaphysik beschäftigt sich nur mit dem SEin, mit der EXistenz, mit alldem, was Existiert und nur insofern es existiert oder ist. In der reinen Empfindung oder in der absoluten KOntemplation erscheinen weder Subjekt noch Objekt. In der Empfindung gibt es nichts, außer sie selbst; die Empfindung wird von niemandem empfunden; etwas ist kalt, rot, schrill, süß, es ist Schmerz und nichts weiter. Zu behaupten, dass es abgesehen von der Empfindung der Kälte auch ein Subjekt gäbe, das diese fühlt, bedeutet, demselben Begriff von ‚ Materie ‘ zu verfallen und dies ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass es neben der Farbe, dem Geschmack, der Weichheit und der Festigkeit einer Orange auch die Materie der Orange gäbe, das ‚ Ich ‘ dieses Körpers, dieses Kerns der Möglichkeit von Empfindungen, eine Substanz ihrer Erscheinungen, eine ‚ Substanz ‘ , kurzum, etwas außerhalb des ‚ Phänomens ‘ , das das einzige ist, das existiert. “ (Übers. DG u. FS). 11 Cf. Russell: History, p. 685. 32 Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins <?page no="33"?> verbalidad, es el nóumeno, es decir, el absurdo de una Causa del Mundo. El ensueño y la vigilia son plena e igualmente reales; lo único que es irreal es la autoexistencia, la existencia de lo no sentido, la supuesta existencia del mundo antes que lo percibamos y después que cesemos de percibirlo. [ … ] [§] El sentir y el imaginar es lo único existente: nada existe que lo cause; no existe ni en la vigilia ni en el ensueño algo sentido o imaginado, sino sólo el estado de sentir o imaginar que es la plenitud del ser, que no es sombra, representación, apariencia o efecto de nada. 12 Macedonio folgt hier einem radikalsensualistischen Impetus, bei dem die Um- Welt-Wahrnehmung so weit in ein Inneres gefaltet wird, dass dieses selbst nicht(s) mehr ist und zur Wahrnehmungsaktualität schlechthin wird. So lautet es in der Erstausgabe von 1928: Nada hay fuera de lo que yo siento; no hay lo que otros „ sienten “ (otras sensibilidades), ni lo que no siente ni es (la Materia). Todo el ser está en lo que „ yo “ siento; es plenitud de ser y no apariencia o representación de otra cosa. La vida, o sensibilidad, o mundo, o ser, es siempre esencial, plena y no imagen de „ sustancias “ . No hay externalidad psíquica (otras conciencias) ni física (materia). 13 Durch die distinctio von sentido wird erkennbar, dass es sich um keinen eigentlichen Solipsismus handelt, sondern um eine macedonisch bedeutsame Sinnbarkeit: [ … ] [C]arece de valor el juicio verbal „ yo existo “ , que no tiene verdad porque no tiene sentido, lo mismo que „ yo soy “ . „ Yo era, yo seré en tal tiempo “ , sí tiene sentido, pues equivale a: „ He sido contemporáneo a tal suceso y no he sido contemporáneo a tal otro suceso “ ; „ Yo seré o espero ser para la inauguración del certamen “ , también, porque va con un dato; pero „ Yo soy “ no es un dato. „ Yo he sido y seré “ quiere decir: „ Hay estados diferentes de los que actualmente siento “ ; pero „ Yo soy “ no es nada; „ Yo sufro “ , sí. 14 Man kann also so viel denken, wie man möchte, man wird deshalb nicht sein, was als leere Zustandsbeschreibung begriffen wird, ohne sentido. Als Verfechter eines absoluten Idealismus negiert Macedonio nicht nur eine außenweltliche Realität, 15 sondern konsequent auch etwaigen solipsistischen Subjektivismus kraft der Nichtichheit des Seins: Mi idealismo es de tres tesis y es el único enunciado de un idealismo absoluto: que sólo hay lo sentido; que es totalmente conocible y que el estado 16 o Ser, es 12 Macedonio: Vigilia II, p. 109 (eig. Hervorh.). Vgl. in der Übersetzung in diesem Band pp. 104 - 105. 13 Id.: No toda es vigilia la de los ojos abiertos, Buenos Aires: Gleizer 1928, p. 26. Vgl. in der Übersetzung in diesem Band p. 92. 14 Macedonio: Vigilia II, pp. 129 sq. Vgl. in der Übersetzung in diesem Band p. 177. 15 Cf. ibid., p. 76. 16 „ Llamo estado a toda ocurrencia de la sensibilidad, o sea: sentimientos, sensaciones de dolor y placer e imágenes. Esto es todo lo que existe en toda forma concebible de existencia o Ser. ” (Ibid, p. 127). Vgl. in der Übersetzung in diesem Band p. 173. Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins 33 <?page no="34"?> ayoico, 17 pues el Yo sería para el estado de externalidad tan genuino como la Materia. Sería dualista el idealismo con sujeto. 18 Phänomenal-transzendental lautet daher der Kernsatz (s)eines so verstandenen ‚ ayoistischen ‘ Seins: ¿Qué tengo ante mí, pues? El Fenómeno, el Ser en su plena realidad, es decir el color, el sonido, el contacto, el frío, el fenómeno, ocurriendo en el ser, es decir, ni en mí ni exteriormente a mí. 19 Gerade die hier stark gemachte Verlaufsform (ocurriendo) des Phänomens ist es dann auch, die dessen Ereignishaftigkeit kennzeichnet, die man durchaus „ äonisch “ bezeichnen könnte, 20 zeitigt doch das Phänomen eine Leerstelle, 21 wenn es sich zeigt als: „ fugaz e innominado “ , „ lo que no es sino deviene “ , „ lo que no ocupa ni un instante del Tiempo ni un punto del Espacio “ . 22 * Macedonios Effekt-Phänomen macht jedenfalls intelligibel, weshalb für den Avantgarde-Denker aus Buenos Aires gerade ein in-somnus zur ideal(istisch)en Textur wird, nach dem Sinnspruch: La vida es ensueño: 23 El ensueño y la vigilia son plena e igualmente reales; lo único que es irreal es la autoexistencia, la existencia de lo no sentido, la supuesta existencia del mundo antes que lo percibamos y después que cesemos de percibirlo. 24 Um das phänomenale Erstaunt-Sein zu erfahren, ist es nämlich wesentlich, nicht(s) hinzuwahrzunehmen: Tal es la Apercepción, que distanciándonos de la Visión simple da origen a esa pérdida de nuestro ambiente de familia con el Fenómeno, que, a su vez, en estados de 17 Für eine eingehende Betrachtung dieser Nichtichheit im Werk Macedonios cf. Diego Vecchio: Egocidios - Macedonio Fernández y la liquidación del yo, Rosario: Viterbo 2003. 18 Ibid., p. 131. Vgl. in der Übersetzung in diesem Band p. 180. 19 Ibid., p. 65 (eig. Hervorh.). „ Was habe ich also vor mir? Das PHänomen, das SEin in seiner vollkommenen Realität, das heißt die Farbe, den Klang, die Berührung, die Kälte, das Phänomen, das im Sein stattfindet, das heißt, weder in mir noch außerhalb von mir. “ (Übers. DG u. FS). 20 Cf. Gilles Deleuze: Logique du sens, Paris : Minuit 1969, pp. 13 - 21, bes. pp. 17 sq. 21 Cf. ibid., p. 80, wo Deleuze den „ présent vide de l ’ Aiôn “ für das Ereignis geltend macht. 22 Macedonio: Vigilia II, p. 81. „ flüchtig und unbenannt “ , „ das, was nicht ist, sondern wird “ , „ das, was weder einen Augenblick der ZEit noch einen Punkt im RAum einnimmt “ (Übers. DG u. FS). 23 Das Leben ist Träumerei: In Anspielung auf das barocke Versdrama La vida es sueño (Das Leben ist Traum) des Pedro Calderón de la Barca aus dem Jahre 1635. 24 Ibid., p. 109. Vgl. in der Übersetzung in diesem Band p. 104. 34 Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins <?page no="35"?> espíritu poco frecuente determina la aparición de la perplejidad o asombro de ser, o del ser. 25 In diesem stark gemachten metaphysischen Sinne 26 werden sodann jene imaginären Erkenntnisstadien präferiert, die eine Dekontextualisierung des Phänomenalen ermöglichen: La Metafísica es el conocimiento del Ser, no de las leyes, relaciones o modos de ser; precisamente es la consideración del ser con eliminación de toda relación y ubicación. Es el esfuerzo de visión no-aperceptiva de la Realidad. 27 Durch die Insistenz auf nicht rational vor- und nachgeordnetes Phänomenales trägt Macedonio mit seiner Metaphysik zugleich dazu bei, eine von Alexander G. Baumgarten in seiner Aesthetica (1750) unter anderen Vorzeichen begonnene Aufwertung der αἴσθησις [aísth ē sis] als dem Logischen beigeselltes sinnliches Erkenntnisdispositiv idealistisch auszumalen, um die Wahrnehmung konsequent von etwaiger Affigierung freizumachen: Esta domesticación del Fenómeno que la apercepción lleva adelante inacabablemente es la Ciencia, cotidiana y sistemática, doméstica y profesional. Merced a ella el hombre o la inteligencia ya no puede conocer otra vez el fenómeno ni aun al despertarse cada mañana: sólo un largo y disciplinado esfuerzo, que se llama Metafísica, puede desimpresionarlo, y persuadirlo de que aniquilados los „ estados “ y los objetos no sobrevivirían la Conciencia y la Materia, el Tiempo y el Espacio, como firmemente lo cree. 28 Weit mehr als ein Plädoyer für mehr sinnliche Erkenntnis ist Macedonios Insistenz auf ein entkoppeltes Phänomen als Versuch zu deuten, den „ sentido “ 25 Ibid., p. 85. „ Dieser Art ist die Apperzeption, die, indem sie uns von der einfachen VIsion entfernt, den Ursprung erzeugt dieses Verlustes unseres familiären Umgangs mit dem PHänomen, das, seinerseits, in seltenen Geisteszuständen die Erscheinung der Verwirrung oder der Verwunderung zu sein oder des Seins bestimmt. “ (Übers. DG u. FS). 26 „ La ‘ perplejidad de ser ’ , el ‘ asombro de existir ’ , el asombro ante toda Existencia, ante el hecho de que cualquier cosa sea o exista, de que haya ‘ existencia ’ , de que el ‘ ser ’ exista, o que el ‘ existir exista ’ , tal es la fuente de la Metafísica. “ (Ibid., p. 81; eig. Hervorh.). 27 Ibid., p. 80. „ Metaphysik ist die Erkenntnis des SEins, nicht der Gesetze, Beziehungen oder Seinsweisen; sie ist gerade die Betrachtung des Seins zusammen mit der Aufhebung jeglichen Verhältnisses und Ortes. Es ist die Bemühung einer nicht-apperzeptiven Vision der Realität. “ (Übers. DG u. FS). 28 Ibid., p. 93. „ Diese Domestizierung des Phänomens, die die Apperzeption unaufhörlich vorantreibt, ist die alltägliche und systematische, einheimische und professionelle WIssenschaft. Dank ihr kann der Mensch oder die Intelligenz das Phänomen bereits nicht mehr kennen, selbst beim allmorgendlichen Aufwachen: Nur eine lange und disziplinierte Anstrengung, die Metaphysik heißt, kann sie unbeeindrucken und sie davon überzeugen, dass im Gegensatz zu dem, was man üblicherweise glaubt, Bewusstsein und Materie, Zeit und Raum nicht überleben würden, falls ‚ Zustände ‘ und Objekte ausgelöscht würden. “ (Übers. DG u. FS). Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins 35 <?page no="36"?> vom ‚ sentido ‘ ineinander zu denken, 29 um Sinnbares nicht durch Sinnzuschreibung kurzzuhalten. Welche aporetischen Konsequenzen dies für eine wie auch immer zu verstehende Subjektivität hätte, macht Macedonio dann nachdrücklich, wenn er zum Ende seiner Vigilia entfaltet: Cuando se me contesta, por ejemplo, que „ yo “ es el cuerpo, digo que entonces tenemos imagen para la palabra yo y la palabra cuerpo queda sin imagen, error cuyo padecimiento se experimenta en la frase „ mi cuerpo “ ¿De quién? De Yo. El cuerpo de yo, es decir: „ El cuerpo de yo es mi yo “ . En las solas dos palabras „ mi yo “ ya está el absurdo: mi significa: de yo; „ mi yo “ equivale a „ el yo de yo “ . 30 Spätestens wenn die Rede vom „ eigenen Ich “ beginnt, tautologisch anzumuten, merkt man, dass das von Don Quijote in früher Neuzeit professionalisierte Spiel mit den Möglichkeiten des Selbst und die Dekonstruktion des Subjekts bei Nietzsche im späten 19. Jahrhundert noch in der klassischen Moderne für Aktualisierungen (Gestaltungs-)Raum lässt, der heutigentags - und das gälte hier besonders für Macedonios bisweilen herausforderndes Denken - nicht minder zugänglich erscheint. 31 Literaturverzeichnis Primärliteratur Aristoteles: Poetik - Griechisch/ Deutsch, transt. Manfred Fuhrmann, Stuttgart: Reclam 1994. Baumgarten, Alexander G.: Ästhetik - Teil 1 - §§ 1 - 613 - Lateinisch-Deutsch, ed. Dagmar Mirbach, Hamburg: Meiner 2007. Borges, Jorge Luis: Obras completas IV, Buenos Aires: Emecé 1996. Cervantes, Miguel de: Don Quijote de la Mancha, ed. Francisco Rico, Barcelona: Crítica 2001. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer 18 2001. Macedonio Fernández: No toda es vigilia la de los ojos abiertos, Buenos Aires: Gleizer 1928 [dig. https: / / halagomacedoniano.files.wordpress.com/ 2017/ 04/ macedonio-fernandezno-toda-es-vigilia1.pdf; 09.03.2022]. 29 Gemeint ist hier eine im Spanischen mögliche derivatio von Sinn und sinnlich Wahrgenommenem, die durch oben angeführte distinctio indiziert wird. 30 Ibid., p. 131. Vgl. in der Übersetzung in diesem Band p. 179. 31 Eine entsprechende Herleitung (früh)neuzeitlicher Ich-Fiktionen war Thema meiner Antrittsvorlesung am 2. Mai 2019 an der Universität Augsburg und ist unter dem Titel „ Yo sé quién soy … , y sé que puedo ser. Zu Autopoiesis und Fiktionen des Selbst “ in Vorbereitung für die Mesa Redonda-Schriftenreihe des Augsburger Instituts für Spanien-, Portugal- und Lateinamerika-Studien et al. 36 Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins <?page no="37"?> Id.: ‚ No toda es vigilia la de los ojos abiertos ‘ , in: id.: Museo de la novela de la eterna, ed. César Fernández Moreno, Caracas: Biblioteca Ayacucho 1982, pp. 65 - 134. Id.: Das Museum von Eternas Roman - (erster guter Roman), transt. Petra Strien, Berlin: AB 2014. Nietzsche, Friedrich: Werke in drei Bänden, Bd. 3, ed. Karl Schlechta, München: Hanser 1956. Platon: Phaidon - Politeia, transt. Friedrich Schleiermacher, Hamburg: Rowohlt 1962, pp. 67 - 310. Vaihinger, Hans: Die Philosophie des Als Ob - System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus, Leipzig: Meiner 7/ 8 1922. Sekundärliteratur Doetsch, Hermann: „ Proust: À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit) “ , in: Handbuch Literatur & Philosophie, edd. Andrea Allerkamp, Sarah Schmidt, Berlin: De Gruyter 2021, pp. 540 - 544. Ferretti, Victor A.: „ Tlön: Imaginationsräume und Ander-Welten “ , in: Handbuch Literatur & Raum, edd. Jörg Dünne, Andreas Maller, Berlin: De Gruyter 2015, pp. 478 - 484. Id.: Bucolica mente - Zu Diskursivität und Medialität romanischer Bukolik in früher Neuzeit, Kiel: CERES 2017. Id.: „ Yo sé quién soy … , y sé que puedo ser. Zu Autopoiesis und Fiktionen des Selbst “ , Mesa Redonda (in Vorb.). Russell, Bertrand: History of Western Philosophy, London: George Allen & Unwin 9 1965. Vecchio, Diego: Egocidios - Macedonio Fernández y la liquidación del yo, Rosario: Viterbo 2003. Wendt, Doris: Nathalie Sarraute, München: et+k 2014. Macedonio Fernández ’ No toda es vigilia la de los ojos abiertos und die Nichtichheit des Seins 37 <?page no="39"?> Grundlagen der Metaphysik 1 Stellen wir uns vor, dass wir, fern von jeglicher menschlichen Umgebung, an den Ufern eines Meeres nackt im Sand liegen, in einer warmen Dezembersiesta, nach einer langen Phase der Isolation, einsam im Angesicht der Natur, und dabei den Blick über das wilde Ufer schweifen lassen: unablässiges Wogen der Wellen, Weiß, Schaum, Meeresrauschen und verträumtes Schaukeln der fernen Verbindungslinie von Meer und Himmel. Stellen wir uns noch etwas anderes vor: die Jungfräulichkeit unserer Vision, die kindliche Vision. Was gäbe es in einer solchen Situation im GEiste 2 und in der äußeren REalität eines Kindes, und welche essentiellen, das heißt phänomenalen Aspekte könnte die Erfahrung eines erwachsenen Menschen hinzufügen? Absolut nichts kann die Erfahrung dem Phänomen hinzufügen, der Mensch dem Neugeborenen. Geräusche, Berührungen, Aromen, Temperaturen, Formen, Farben - eingeschlossen jene seines Körpers - , muskuläre und zönästhetische Empfindungen, schmerzhafte und angenehme: Derart ist die gesamte und einzig mögliche REalität des Kindes, weder äußerlich noch innerlich, weder materiell noch psychisch, weder räumlich noch zeitlich. In bestimmten Momenten der mentalen Erfüllung vergesse ich mein „ Ich “ , meinen Körper, meine Verbindungen, meine Erinnerungen, die Vergangenheit, alle Eindrücke und Handlungen, die meine Entfremdung und die gesamte lange Route der Vermeidung und Distanzierung bestimmten. Es scheint mir, als wäre ich immer da gewesen oder als würde ich gerade eben meine Existenz beginnen. Aber schon bald ist nicht einmal mehr meine eigene Existenz Gegenstand meines leisesten Gedankens; „ Zeit “ und „ Raum “ sind bereits aufgelöste Begriffe; alles findet ohne irgendeine Verortung statt; weder nahe noch getrennt, weder andauernd noch überdauernd, weder vorhergehend noch nachfolgend. Was habe ich also vor mir? Das PHänomen, das SEin in seiner vollen Realität; das heißt die Farbe, der Klang, die Berührung, die Kälte, das Phänomen, das in dem Sein stattfindet, das heißt weder in mir noch außerhalb von mir. Außerhalb davon existiert nichts und man kann höchstens sagen, dass sich die REalität nicht als eine Abfolge oder ein Schwärmen von Phänomenen präsen- 1 [Anmerkung des Herausgebers der erweiterten spanischsprachigen Ausgabe, Adolfo Obieta] Sammlung von Texten des Autors, teilweise neu geordnet. Diese Angabe gilt auch für andere unveröffentlichte Schriften, die dieser Ausgabe beigefügt sind (A. O.). 2 Im Folgenden werden alle Nomen, die im Original, entgegen den Regeln der spanischen Orthographie, großgeschrieben werden, mit zwei Großbuchstaben bedacht. <?page no="40"?> tiert, sondern als ein kontinuierlicher Allgemeinzustand in kontinuierlicher Abänderung, denn, in der Tat, wenn wir in einem Augenblick der Kontemplation dem „ Inneren “ und dem „ Äußeren “ die gleiche Aufmerksamkeit zugestehen, dann scheint sich zweiteres in einem Ganzen in Permanenz und mit partiellen Abänderungen zu zeigen, was die Phänomene wären, und auch das Innere scheint eine Permanenz oder Kontinuität zu sein, was die Zönästhesie wäre, auf die sich die partiellen Zustände, Modifikationen, Phänomene abzeichnen. Aber dies ist bloß ein Produkt der APperzeption; für das Kind, das seine Zönästhesie nicht in seinem Körper verortet und sie abwechselnd mit den Phänomenen externer Provenienz fühlt, wie eine vermischte Kette - ohne jegliche Klassifikation durch seine Intelligenz - externer und interner Phänomene, offeriert sich die gesamte psychisch-materielle REalität in Wahrheit als ein Schwärmen, wie ein Gewimmel der getrennten und ephemeren Phänomene. Es lässt sich nicht leugnen, dass das Bemühen, die Phänomene wahrzunehmen und sie mit vollkommener Verständlichkeit, das heißt frei von jeglicher Form und Verortung, zu betrachten, unsagbar schmerzhaft und ermüdend ist. Die Formen der Verursachung, des Raums und der Zeit, sind vergänglicher, aber die Zahl oder die Pluralität und die Differenzierung - die vielleicht ein und dasselbe sind - widerstehen ihrer Verdrängung. Nur in einem Zustand großer intellektueller Erhebung und nach einer langen Vorbereitung des Geistes finden wir uns in günstigen Bedingungen wieder; aber welchen Eindruck der Ohnmacht auch immer wir beim ersten Versuch haben mögen, es ist sicher, dass nichts so offensichtlich ist wie die unausweichliche Lösbarkeit des metaphysischen Versuchs; gleichzeitig ist nichts so sicher, wie die Tatsache, dass das ganze Problem zwischen der Vision des Kindes und dem geistigen Ganzen des Menschen liegt, und dass zwischen dem einen und dem anderen weder ein neues Phänomen noch eine neue Tatsache hinzugefügt wird. Wie also soll man sich einer Frage nähern, die so einfach und doch so rebellisch formuliert ist? Mir scheint, es gibt zwei Ideen oder Begriffe, die den Geist auf das metaphysische Problem vorbereiten. Es sind die folgenden: Wenn wir uns vorstellen, dass der konstitutive Phänomenismus der REalität oder des SEins, innerlich oder äußerlich, aus einem einzigen Phänomen gewebt wäre, immer aus demselben, das sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten zeigt, das sich wiederholt und sich sofort in großer Zahl vervielfältigt, dann erkennt man, dass die Pluralität desselben unmöglich, unvorstellbar ist, dass es keine Zahl ohne Qualität oder Unterschied geben kann. Wenn eine einzige Empfindung oder ein einziger Zustand von Gelb die ganze REalität wäre, könnten wir uns nicht vorstellen, dass sie sich hier und dort, heute und morgen zeigen würde, wir könnten uns nicht vorstellen, dass 40 Grundlagen der Metaphysik <?page no="41"?> wir mehrere Zustände oder Empfindungen von Gelb wahrnehmen würden, mehrmals das gleiche Phänomen. Es kann nicht eine Anzahl von gleichen Dingen geben, eine Vielzahl von qualitativ Identischem. Dies würde jedoch keineswegs bedeuten, dass die REalität durch ein einziges Phänomen konstituiert würde; vielmehr gäbe es keine wiederholten oder mehrfachen Präsentationen, sondern einen kontinuierlichen Zustand, zeitlich und räumlich kontinuierlich. Der andere Blickwinkel besagt: Wenn wir uns vorstellen, dass die REalität nur aus zwei Phänomenen oder Unterscheidungen oder Qualitäten oder Besonderheiten besteht, z. B. Schmerz und die Farbe Gelb, dann müssten wir das eine und das andere zwangsläufig in einer wechselseitigen Beziehung sehen, sowohl zeitlich als auch räumlich. Gelb würde zeitlich vor oder nach dem Schmerz auftreten, und räumlich würden sie weit entfernt oder nahe beieinander liegen. Allerdings könnten wir uns fragen, warum Gelb und Schmerz, einzigartige Phänomene, einzigartige REalität, nicht gleichzeitig auftreten können. Versucht man, sie als zwei einzigartige, gleichzeitige Phänomene zu begreifen, so wird sich zeigen, dass dies ebenso unmöglich ist, wie sich vorzustellen, dass sie denselben Raum einnehmen. Natürlich wird in beiden Fällen der Begriff eines Subjekts, das diese beiden Phänomene wahrnimmt, ausgeschlossen, denn dieses Subjekt, wie auch immer es konzipiert ist, würde sich als ein drittes Phänomen darstellen. Ich stelle jetzt eine dritte Position vor. Wenn wir uns vorstellen, dass es nur zwei Phänomene gibt, können wir nicht annehmen, dass sie gleichzeitig sind und denselben Raum einnehmen. Wir können uns aber auch nicht vorstellen, dass sie durch eine gewisse Zeitspanne und einen Bruchteil des Raums getrennt sind. Alles, was sie trennt, wäre ein anderes Phänomen: Raum und Zeit sind an sich nichts, da sie nicht in der Lage sind, zwei Phänomene zu trennen: Nur Phänomene können Phänomene zeitlich oder räumlich trennen. Es ist offensichtlich, dass Zeit und Raum nichts sind. Wenn nur zwei Phänomene existierten, würde allein die Tatsache dieser Pluralität die doppelte Beziehung von Position und Sukzession schaffen, und nicht nur wäre das eine in Position in Bezug auf das andere und das eine vorhergehend und das andere nachfolgend, sondern das eine wäre in zeitlicher und räumlicher Unmittelbarkeit, das heißt, dass eines unmittelbar auf das andere folgen würde, egal wie viel „ Zeit “ wir uns künstlich einbilden würden, die sie trennt, und das eine wäre neben dem anderen, egal wie viel „ Abstand “ wir uns zwischen dem einen und dem anderen vorstellen könnten. Das beweist die Unsinnigkeit von Raum und Zeit. Wir können sagen, dass sie nichts sind, da sie nicht in der Lage sind, zwei Phänomene in irgendeiner Weise zu trennen; nur ein anderes Phänomen, ein Drittes, kann dies tun. Grundlagen der Metaphysik 41 <?page no="42"?> Dasselbe gilt für die Kausalität: Wenn es nur zwei Phänomene gäbe, wären beide notwendigerweise Ursache und Wirkung, und auch gegenseitig Wirkung und Ursache, unabhängig von der zeitlichen und räumlichen Entfernung, die sie gedanklich voneinander trennt. Dementsprechend ist die Kausalität nichts. Um es noch einmal anders zu zeigen nehmen wir an, dass, wenn es nur ein Phänomen gäbe, dieses keine Ursache hätte, denn diese müsste ein anderes Phänomen sein und, dennoch, warum sollte dieses eine Phänomen keine, aber zwei oder mehr Phänomene sehr wohl eine Ursache benötigen? Es wird also deutlich, dass es keine wirkliche Voraussetzung für eine „ Ursache “ gibt. Ursache, Zeit, Raum haben also keine andere Bedeutung als die der Pluralität der Phänomene. Ist die Pluralität der Ursprung von Zeit und Raum, oder sind im Gegenteil Zeit und Raum der Ursprung der Pluralität? Ein günstigerer Ausgangspunkt, um eine klare Vorstellung von der Metaphysik zu erhalten, ist die Vorstellung, dass die REalität oder das SEin nur zwei Phänomene aufweise. Worin bestünde der Unterschied zwischen diesen Phänomenen? Wenn wir uns einbilden, dass wir solche zwei Phänomene für die ganze ewige REalität erfahren oder existieren, dann wird das Bewusstsein ihnen einen Namen geben: das eine wird es z. B. „ bitter “ und das andere „ heiß “ nennen: das wäre das ganze innere und äußere Universum. Welche Bedeutung hätte nun das Wort unterschiedlich in einem solchen Fall? Eine REalität, eine Absolute WElt aus zwei Phänomenen ist eine vollständige und voll existierende REalität. Ich behaupte, dass vollkommenes Wissen möglich ist; solches Wissen ist ein Fall der unbegrenzten Möglichkeit des SEins oder des Phänomens, dessen unbegrenzte Möglichkeit bedeutet, dass das Phänomen oder das Sein keiner Notwendigkeit, keiner notwendigen Beziehung oder Form unterworfen ist. Selbst wenn wir die Nichtigkeit des Gegensatzes zwischen Vergangenheit und Zukunft anerkennen würden, die offensichtlich ist und die Nichtigkeit der Zeit bedeutet, und damit zugeben würden, dass eine Beziehung, die in der gesamten Vergangenheit beobachtet wird, dasselbe ist, wie sie in der gesamten Zukunft als beobachtet anzusehen (womit die Grundlage der INduktion gegeben wäre), so behaupten wir, indem wir alle Notwendigkeit, alles Gesetz leugnen, dass die Vergangenheit uns keine konstante Beziehung präsentiert, und dies ist dasselbe, wie zu sagen, dass die Zukunft uns keine konstante Beziehung zwischen den Phänomenen präsentiert, und wir damit gezwungen sind zu sagen: Die Vergangenheit und die Zukunft, das heißt: das Phänomen, stellt für uns keine konstante Beziehung dar, weil die Vergangenheit und die Zukunft nicht existieren, es existieren nur die Phänomene. Hiermit habe ich lediglich beabsichtigt, im Geiste des Lesers einige mit den metaphysischen Positionen verbundene Ideen zu wecken. 42 Grundlagen der Metaphysik <?page no="43"?> Die Suche nach einer geistigen Position vor dem PHänomen, das uns die metaphysische Literatur vorführt, ist ein großes Schauspiel der Folter, des menschlichen Instinkts in einem ängstlichen und berauschenden Fieber. Ihre Situation heute und immer ist die aller menschlichen Suchen und moralischen Bedürfnisse: viel Gestammel, nichts gesagt. Es gibt keine Befriedigung für HEldentum oder REflektion, Hunger des VErhaltens oder der WAhrnehmung: Sie erreichen keine Perfektion, keine bewusste Zustimmung zu dem, was ausgeführt und erlangt wird, und das nicht wegen einer Unmöglichkeit, die dem SUbjekt oder der REalität angeboren ist - denn unmöglich ist Nonsens - , sondern wegen eines beinahe arithmetischen Zufalls: der Vielzahl von Anregungen und Aufforderungen, die die Einseitigkeit der Bestimmung behindern. Wir werden jedoch auch versuchen, eine vollständige geistige Anpassung vor dem SEin zu erreichen, die wir für vollständig erreichbar halten, ohne einen irreduziblen Rest von Unerklärbarkeit: eine vollkommene WAhrnehmung, eine vollständige intellektuelle Akzeptanz der Existenz der EXistenz, des PHänomens, des SEins, der REalität. Mit dem zuletzt Gesagten ist die Definition der MEtaphysik konkretisiert. Ohne in literarische Koketterie verfallen zu wollen, können wir wahrhaftig sagen, dass sie die Suche ist, nicht nach den Ursachen des SEins, sondern nach den Ursachen der Verwunderung über das Existieren und darüber, dass etwas existiert, nach den Ursachen der Verwunderung vor jeglicher Existenz, die die einzige Perplexität der MEtaphysik ausmacht. Sie zu finden und das Verfahren zur Unterdrückung jener seltsamen Knirschgeräusche festzustellen, die den Kontakt und den Handel der Intelligenz mit dem Phänomen begleiten und uns bei jedem Schritt jene Pseudofragen entreißen, die keine Fragen sind (intellektueller Effekt), sondern nur Zwischenrufe (emotionaler Effekt): Warum existiere ich? Was ist die Ursache der Welt? et cetera. Wir denken: 1. Dass die vollkommene Angemessenheit der INtelligenz dem PHänomen gegenüber erreichbar ist; dass es widersprüchlich und absurd wäre, wenn die INtelligenz in der Lage sein sollte, eine Frage zu umreißen, die sie nicht beantworten könnte; solche unbeantwortbaren Fragen wären wundersamere Geburten als die des SEins. Die primäre Haltung der INtelligenz in Anbetracht des PHänomens ist die der vollständigen Lösbarkeit; von ihm gequält, es seinerseits quälend, besitzt die INtelligenz die Unterbrechungen und Ermüdungen, nicht die intellektuelle Unmöglichkeit, die UNerkennbar genannt wird. Metaphysisch ist jenes Temperament, das beharrlich dazu neigt zu denken, dass die vollständigste und klarste Erklärung des Wesens und der Existenz der REalität erreicht werden kann. Wer nicht derart überzeugt ist, zumindest an Grundlagen der Metaphysik 43 <?page no="44"?> seinen guten Tagen geistigen Überschwangs, hat nie geahnt, was metaphysische Berufung ist, noch hat er je echte metaphysische Perplexität gekannt, die Perplexität des „ SEins “ . 2. Das Phänomen oder das Sein als Existenz ist der eigentliche Gegenstand der MEtaphysik; die Untersuchung des allgemeinsten Gesetzes der Phänomene ist der Gegenstand der PHilosophie (die von Spencer gefundene Formel des Gesetzes der EVolution macht heutzutage die gesamte PHilosophie aus); und die Organisation der GEsetze, der Ursachen, der nicht-universellen Beziehungen, ist das Geschäft der WIssenschaften: das häufige Geschehnis ist praktischerweise das gewöhnliche Geschäft der WIssenschaften. 3. Dass das Phänomen die einzige Realität ist: es ist alles Sein; es ist nicht die Erscheinung von irgendetwas, sondern die einzig mögliche Substanz. 4. Dass das Phänomen frei von allem, was nicht es selbst ist, kennengelernt, betrachtet, wahrgenommen werden kann; dass der Raum, die Zeit, jegliche kausale oder nicht-kausale Notwendigkeit und die Pluralität weder Phänomen noch Existenz sind; dass dies die einzigen Anhaftungen an das Phänomen sind; dass sie, wenn sie keine Existenzen sind, nichts sind und für uns nicht von Interesse sein können; dass eine kritische Untersuchung ihrer Konsistenz und ihrer Erscheinungsbedingungen sie auflöst, indem sie sie auf Erinnerungen oder Wiedererinnerungen an andere Phänomene reduziert, die auf den apperzeptiven Prozess zurückzuführen sind; dass sie daher leichte und vage psychologische Zustände und keine vom Phänomen verschiedenen Tatsachen sind; dass durch seine Flüchtigkeit, die das Phänomen von jenen anderen Phänomenen ablöst, welche nichts Besonderes sind wie Zeit und Raum, sondern bloße auditive, taktile usw. Phänomene, und die reine Betrachtung eines Phänomens erlangt, die metaphysische Verwunderung aufgelöst sein wird. 5. Dass die „ Lösung “ in der MEtaphysik sich nicht daraus ergibt, dass man diesen und jenen Phänomenen diese und jene Ursache zuordnet; „ Determinismus “ oder „ Kausalität “ ist der Gegenstand der WIssenschaft, denn die WIssenschaft ist ein Mittel, sie ist das Wissen, um vorherzusehen. (Die Begründung der KAusalität oder der INduktion ist ein Problem der MEtaphysik; aber die Zuordnung von allgemeinen und besonderen Ursachen zu den Phänomenen ist Problem der WIssenschaft). Die metaphysische Lösung ist ein intellektueller Frieden, der aus dem Kennen der Phänomene selbst geboren wird, nicht aus ihrer kausalen Ordnung oder ihrer Verortung im totalen Determinismus. Ein Phänomen zu kennen bedeutet, es frei von allen psychologischen Anhaftungen wahrzunehmen; und das erklärt sich dadurch, dass aufgrund der Beschaffenheit unserer Psyche jede Wahrnehmung oder jeder Zustand von Erinnerungen an andere Zustände begleitet wird, die augenblicklich entstehen und mit ihm verschmelzen, und zwar mit einer solchen Gleichzeitigkeit und Anhaftung, dass 44 Grundlagen der Metaphysik <?page no="45"?> sie weder getrennt von ihm wahrgenommen werden, noch es möglich zu sein scheint, sie zu trennen. Es ist die eigentliche Konstitution unseres Bewusstseins, die als Apperzeption bezeichnet wurde. 6. Dass die Ursachen für die tiefe Unruhe gegenüber der EXistenz, die wir metaphysische Perplexität nennen, die Verortungen sind, d. h. die ZEit, der RAum, das ICh, das ÄUßere, jene alten Knirschgeräusche in der geistigen Intimität mit dem Sein, jene vollständigen Nichtexistenzen, die dennoch so viel vermögen, um uns die EXistenz vorzustellen, das, was uns am vertrautesten und einleuchtendsten sein sollte, als ein realisiertes UNmögliches, als ein tatsächliches, alltägliches WUnder, als der SKandal der INtelligenz, als das INintelligible, das Gegenstück der INtelligenz. Die Ursache dieser Ursachen, der Ursprung dieser scheinbar unverzichtbaren Nichtexistenzen - Zeit, Raum usw. - ist, wie gesagt, die Apperzeption, der konstruktive, ubikative Prozess, der unserer psychologischen Struktur angeboren ist und am Zusammenfluss der inneren oder geistigen Assoziierung mit der äußeren oder materiellen Kausalität wirkt. Wir wissen, dass Zeit, Raum und Kausalität einer kritischen Prüfung nicht standhalten; dass auch Intensität und Ausdehnung verschwinden und nur das Phänomen mit zwei scheinbar untrennbaren und irreduziblen Inhärenzen übrigbleibt: Pluralität und Vielfalt. Aber was bedeutet das? Was nehmen wir uns vor? 7. Es gibt zwei Mechanismen, die uns die reine Wahrnehmung eines beliebigen Zustands ermöglichen. Es sind die beiden einzigen möglichen Methoden in der MEtaphysik: die KOntemplation und die LEidenschaft. Beide geben Gewissheit, unterdrücken die Ehrfurcht vor der Existenz oder die „ Verwunderung vor dem Sein “ , geben volle Einsicht. Kontemplation ist die Anstrengung der Aufmerksamkeit, die zur Läuterung der Wahrnehmung von Phänomenen oder Zuständen führt; sie entfernt uns durch eine dissoziative Anstrengung von der Effizienz und Besonderheit der Apperzeption; sie gelangt durch die konkrete und logische Betrachtung jeder Form des Ortes, das heißt durch den gewöhnlichen und obligatorischen Weg aller Wahrnehmungsanpassung, zur Vergänglichkeit dieser Formen, wodurch die metaphysische Perplexität auf natürliche Weise aufgelöst wird; die Fülle des VErstehens wird verwirklicht und das PHänomen erscheint uns selbst existent, das heißt intelligibel. Dann sieht sich der Mensch nicht mehr gezwungen, zu fragen: Wie kommt es, dass ich ich bin und nicht ein anderer? Wie kommt es, dass das „ Sein “ existiert? Was ist die Ursache für die WElt? Wie kann sie begonnen haben oder hat sie schon immer existiert? usw. Fragen, die in seinem Text eine Absurdität und einen Nonsens darstellen, die als solche oft lächerlich gemacht werden, und die dennoch eine unersetzliche Bedeutung haben. 8. Wir nennen die Phänomene unterschiedslos Zustände, da der Unterschied zwischen den Phänomenen der Materie oder des Äußeren und den inneren oder Grundlagen der Metaphysik 45 <?page no="46"?> psychologischen Phänomenen kein Unterschied der Wesensart ist, sondern ein Produkt der Apperzeption; das Bild ist mit der Empfindung identisch, abgesehen von einem Unterschied des Grades, das heißt der Intensität, der im Wachen wirksam ist, der aber in der Träumerei und im Delirium völlig ausgelöscht wird. Wir müssen alle Phänomene, egal ob physische oder psychische, Zustände nennen, denn es gibt keinen Unterschied zwischen eine Orange sehen und sich eine Orange vorstellen, es sei denn, wir akzeptierten die Existenz einer „ Materie “ als Substanz der Orange, die nicht als Substanz des Bildes der Orange existiert; aber diese „ Materie “ ist eine völlige Erfindung; niemand hat Materie kennengelernt oder wahrgenommen, und unsere Methode in der MEtaphysik darf prinzipiell nicht von Realitäten, von Seins- oder Existenzweisen abweichen; das Bild und die visuelle, taktile, olfaktorische usw. Empfindung einer Orange sind Realitäten, sie sind Dinge, die existieren, sie sind etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt „ ist “ ; die Materie der Orange ist eine Schöpfung, ein Wort, eine Abstraktion. Falls es irgendetwas anderes gibt als ihre Bilder oder Empfindungen, werden wir es zu gegebener Zeit sehen; vorläufig beschränken wir uns, wie Descartes, auf die Phänomene oder Zustände und zwar bloß auf die reinen, einfachen, nicht auf Hinzufügungen von Phänomenen oder auf Beziehungen von Phänomenen. 9. Weder die Beziehungen, noch die Materie, noch das „ Bewusstsein “ oder die Psyche, noch die Zeit, der Raum, die Zahl existieren, noch sind sie Realitäten: nur die Empfindung oder das Bild eines Objekts, einer Emotion, eines Zustands des Begehrens, eines Klangs, eines Geruchs (als psychologische Zustände), des Himmels, eines Hundes (als psychologische Zustände, d. h. die Wahrnehmung des Himmels, eines Hundes). Wir nennen alle diese psychologischen Zustände, weil wir wissen, dass wir auf diese Weise die Idee erwecken, die wir anstreben; aber da es keinen Unterschied in der Natur zwischen einer Empfindung und einem Bild gibt, müssen wir sie beide einfach Phänomene nennen, und dasselbe gilt für emotionale Zustände, Zustände der Leidenschaft, des Verlangens, der Aufmerksamkeit, etc. Das, was man die Außenwelt nennt (was den Körper einschließt, denn unser Körper ist außerhalb unserer psychologischen Zustände), muss als eine Abfolge von Empfindungen betrachtet und in die Zustände unserer Psyche einbezogen werden, was sie zum Gegenstand unserer Reflektion macht und auch die metaphysische Lösung für sie ohne Trennung verlangt. 10. Die AUßenwelt. Das, was sich als solches präsentiert, zeichnet sich durch einige gemeinsame Merkmale aus, die zur Bildung des Begriffs „ Materie “ führen; und es ist außerdem notwendig, dass es mehrere gemeinsame Merkmale aufweist, damit es, wie für die menschliche INtelligenz, als eine so schwer zu reduzierende Einheit gelten kann. 46 Grundlagen der Metaphysik <?page no="47"?> Zwischen einer Orange als Empfindung, die irreduzibel äußerlich zu sein scheint, und dem Zustand, den wir das Bild einer Orange nennen und den wir in unserem inneren Selbst oder unserer Psyche durch geistige Anstrengung herbeiführen, gibt es keinen Unterschied in der Natur. Wenn wir die Flamme einer Kerze betrachten und sie dann mit geschlossenen Augen heraufbeschwören, haben wir in unserer Psyche ihr gleiches, aber schwächeres Bild; aber dieses Bild ist von gleicher Intensität wie die Empfindung der Flamme, die wir aus 5 oder 8 Metern Entfernung wahrnehmen. Während das Bild im Wachen also gedämpfter ist, ist es in der Träumerei und im Delirium, wie wir festgestellt haben, von gleicher Intensität und Schärfe. Es gibt jedoch folgende Unterschiede, die nicht in der Natur, sondern in den Beziehungen liegen: 1) Die Orange wird von mehreren Bewusstseinen gesehen und das Bild der Orange ist nur eine Sache der Wahrnehmung eines Bewusstseins oder existiert nur in einem Bewusstsein. 2) Die Orange kann mir ohne geistige Anstrengung eine taktile Empfindung, eine andere der Temperatur, des Duftes, des Geschmacks und sogar des Geräusches oder Klangs geben, und das Bild kann das nicht, außer nach einer anhaltenden Anstrengung von Evokationen. Aber in der Träumerei und im Delirium verschwindet dieser Unterschied. 3) Die Veränderungen, die man an der Orange beobachten kann, Bewegungen durch Berührung, Stürze durch die Schwerkraft, werden nicht durch geistige Arbeit erzeugt, sondern durch eine Kausalkette von äußerem Determinismus, die nicht von meinem Willen abhängt. Andererseits kann das Bild der Orange aus meinem psychischen Feld entfernt werden, es kann plötzlich in dieses eingebracht werden, es kann in seiner Form, in seiner Intensität verändert werden, es kann durch eine andere Gruppe von Bildern ersetzt werden, die mit ihm im Bewusstsein auftauchen, es kann von einem Punkt zum anderen des idealen Feldes des Bewusstseins transportiert werden, usw., ohne Eingreifen meines Armes oder externer Agenten. Woraus ergibt sich der erste Unterschied? Man argumentiert: aufgrund der Beschaffenheit der materiellen Welt - auch unseres Körpers - und man sagt: die Orange ist ein Körper, auf den das Licht trifft und dessen Strahlen den Sehnerv all jener Menschen treffen, die in einer ähnlichen Situation in Bezug auf sie sind, während das Bild der Orange, das man in sich selbst erzeugen kann, ohne dass die Orange anwesend ist, ein psychischer Zustand ist, der mit der Schwingung der Gehirnzellen einhergeht. Wenn wir uns diese Zelle vorstellen, deren Schwingungen oder chemische Phänomene ohne Vermittlung eines anderen Faktors einen psychologischen Zustand hervorrufen, den wir das Bild oder die Erinnerung an eine Orange nennen, dann erkennen wir, dass diese Schwin- Grundlagen der Metaphysik 47 <?page no="48"?> gungen keine Lichtstrahlen aussenden, und selbst wenn sie es täten, würde die knöcherne Hülle des Gehirns verhindern, dass sie die Sehnerven anderer Personen in der Nähe vom Subjekt verletzten. Ungefähr so ließe sich die Erklärung dieses „ wesentlichen “ Unterschieds zwischen dem Äußeren, das viele gleichzeitig betreffen kann, und dem Psychologischen formulieren. Das heißt, dass selbst wenn man annähme - wovon niemand sicher ausgehen kann - , dass die Vibration der grauen Zelle nicht nur einen psychologischen Zustand eines leuchtenden Bildes erzeugen würde, sondern auch materielle Effekte (Lichtwellen), diese, aufgrund anderer materieller Eigenschaften - Undurchsichtigkeit des Schädels - , Dritte nicht beeinträchtigen würden. Das heißt wiederum, dass das Bild der Orange von anderen nicht wahrgenommen würde, und zwar aus demselben Grund, aus dem die Orange selbst nicht wahrgenommen würde, wenn ein undurchsichtiger Körper zwischen ihr und uns stünde. Es ist jedoch notwendig, die Wurzel dieser materiellen Konstruktion der WElt anzugreifen, denn in Wahrheit ist die Antwort nicht zufriedenstellend, da die gesamte REalität - mit Ausnahme der AFfizierung: UNlust und LUst - nur das BIld ist (denn die Orange existiert nicht oder die Materie der Orange existiert nicht, diese materielle Substanz, eine reine Erfindung unsererseits), 3 da die wahrgenommene Orange und die vorgestellte Orange gleichermaßen psychologische Zustände, visuell, taktil usw., und nichts anderes sind, da auch jene graue Zelle und jene leuchtenden Wellen und jener vibrierende Äther nur unsere Bilder sind, versteht man nicht gut, warum mein psychologischer Zustand, den ich das Bild einer Orange nenne, das nicht von anderen gesehen wird, so wie die Orange (Empfindung) von vielen gleichzeitig gesehen wird. Man wird sagen: Das Bild ist in mir, in meinem Bewusstsein; aber weder das ICh noch das BEwusstsein existieren, weil ICh und BEwusstsein permanente Substanzen sind, die wir erfinden und verorten als ob sie unter den psychologischen Veränderungen oder Zuständen stünden, so wie wir die MAterie als Substanz unter den „ äußeren “ bis „ materiellen “ Veränderungen erfinden. Das Bild existiert; es befindet sich nicht an diesem oder jenem Ort; es ist nirgendwo. Man wird sagen: Die materielle Welt ist so beschaffen: Einige Dinge unterbrechen die Ansicht der anderen, und so unterbricht der Schädel die Ansicht des Bildes durch ein anderes Bewusstsein. Darauf erwidern wir, da das aufgefan- 3 Wie wir im Nachwort noch genauer ausführen, könnte „ placer “ und „ dolor “ nicht nur in der Kantschen Tradition mit ‚ Lust ‘ und ‚ Unlust ‘ übersetzt werden, sondern z. B. auch mit ‚ Genuss ‘ und ‚ Schmerz ‘ . An fast allen Stellen, an denen das Begriffspaar auftritt, haben wir uns an die Terminologie Kants gehalten. In den Fällen, in denen es eindeutig um körperliche Schmerzen oder Genüsse geht, haben wir auf die allgemeineren Ausdrücke zurückgegriffen. 48 Grundlagen der Metaphysik <?page no="49"?> gene und das auffangende beides Bilder sind, dass beide wahrgenommen werden müssen, so wie das Bild, das ich in meinem Geist von einer Orange habe, mich nicht daran hindert, diese und jedes andere, das in meinem Geist ist, hervorzurufen. Alle Erinnerungen oder Bilder, die ich heraufbeschwören kann, erscheinen und erscheinen wieder, ohne sich gegenseitig zu behindern; warum sollten sich Körper - die auch nur Bilder sind - sich gegenseitig in der Wahrnehmung behindern? 11. Hier zeigt sich, was die wesentliche Tendenz unserer Metaphysik ist, denn ich bin sicher, dass der Leser seit langem von einer neuen Anmaßung überrascht ist, die im Vorangegangenen durchscheint. Es mag ihm in den Sinn gekommen sein, einzuwenden, dass solche Eigenheiten der materiellen Welt, 4 dass die Konstruktion, mit der sie sich darstellt, das Wie, unstrittig ist. Wir verstehen es nicht so, denn auf diesem Weg - dem bis 4 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Alles, was wir als „ äußerlich “ im Gegensatz zu „ psychologisch “ bezeichnen, weist die folgenden fünf konstanten Merkmale auf: - Die Besonderheit, sich als äußerlich zu präsentieren, ein auf den ersten Blick undefinierbares Merkmal, dessen Natur wir nun zu bestimmen versuchen. - Die Besonderheit, sich als materiell darzustellen, was auf den ersten Blick ebenfalls undefinierbar erscheint, denn das innere (hervorgerufene) Bild einer Orange unterscheidet sich nicht von der visuellen Wahrnehmung oder Empfindung derselben; der geringere Grad der Intensität macht überhaupt keinen Unterschied, denn im Delirium, in der Träumerei, im Wahnsinn ist die Intensität der Bilder absolut vergleichbar mit der der Empfindungen, und außerdem ist das Bild einer Orange, die ich gerade zwanzig Zentimeter von meinen Augen entfernt gesehen habe, genauso intensiv wie die visuelle Empfindung derselben in zehn Metern Entfernung. Der Grad der Intensität hat nichts mit Materialität und Äußerlichkeit zu tun, denn die Orange, die man in der Ferne sieht, ist ebenso äußerlich und materiell wie die Orange, die man aus der Nähe sieht, und die Intensität des psychologischen Zustands dieser Wahrnehmung variiert mit den Entfernungen. - Die Besonderheit, dass die äußeren Phänomene oder Zustände oder Dinge in der Lage sind, gleichzeitig auf mehrere Bewusstseine einzuwirken, während die inneren nur für die Psyche existieren, in der sie erzeugt werden. Die Orange, die auf dem Tisch liegt, wird von allen Personen gesehen, die bei mir sind; das Bild einer Orange, das ich einmal gesehen habe und das ich in diesem Moment hervorrufe, wird von anderen Personen nicht wahrgenommen, die in diesem Moment bei mir sind und mich sehen, die aber das Bild nicht sehen, das ich in meiner Psyche habe, ein Bild, das jedoch der Empfindung entspricht, eine Orange zu sehen. - Die Besonderheit, dass die „ äußeren “ Phänomene nicht direkt meinem Wunsch oder Willen gehorchen, sondern einer Kette, die man Kausalität nennt, einer Kette, in die sich unsere psychologischen Zustände mit kausalen Wirkungen nicht einfügen können: Zwar kann unser Körper - der ein Phänomen außerhalb unserer Psyche und Materie ist - in dieser äußeren Kette unserem Willen gehorchen; aber unsere psychischen inneren Zustände, ob des Willens oder der Intelligenz, das heißt, ob Wünsche oder Bilder, können niemals direkt mit der äußeren Kausalität vermischt werden. Grundlagen der Metaphysik 49 <?page no="50"?> heute beinahe die gesamte Metaphysik, vielleicht mit der Ausnahme von Schopenhauer, folgt - , wird zugegeben, dass die REalität einer oder mehreren NOtwendigkeiten unterworfen ist, und wir denken, dass die REalität, dieses Konglomerat freier Phänomene, diese ABsolute UNordnung, in der weder ZEit noch RAum, weder SUbjekte noch OBjekt, noch MAterie, noch BEwusstsein, noch PSyche, noch ICh, noch KAusalität existiert - was bloße Worte oder Abstraktionen sind - , keiner Notwendigkeit unterliegt, nicht notwendigerweise auf irgendeine Weise entweder kausal oder differenzierend ist. Denn von ihr Die Orangen auf dem Tisch bewegen sich nicht, weil ich es mir wünsche, sondern weil mein Arm sie berührt; mein Arm ist, wie die Orangen, ein äußeres, materielles Phänomen. Psychische Phänomene unterliegen nicht der Kausalität, sondern der Assoziation, und der Wunsch wirkt direkt auf die Bilder. Ist die Assoziation nicht eine Kausalität wie jede andere? Wir werden sie später untersuchen. - Kurzum, die Besonderheit, dass alle sogenannten äußeren Zustände von derselben Art sind oder denselben Charakter haben, während die psychologischen Zustände eine profunde Unterteilung in zwei Arten aufzeigen: die der Affizierung und die der Darstellungen, das heißt Zustände von Unlust und Lust und Zustände von Bildern. Das sind die Merkmale, die zusammen die Apperzeption hervorbringen, die wir als Außenwelt bezeichnen, das heißt das Gefühl oder die Idee (wir werden für den Moment nicht spezifizieren, welches der beiden der präzise Begriff ist) (verwirrte Fortsetzung). Mit anderen Worten: Die Unterscheidung Außen-Innen oder geistig-materiell weist drei Merkmale auf: den Unterschied in ihrer Natur, der darin besteht, dass sich die Unlust-Lust niemals im ÄUßeren zeigt, und das, obwohl sich die Empfindung auch als Inneres zeigt: das Bild, dieses zeigt sich fast immer als schwächer als jenes; den Unterschied des Mechanismus, da der äußere Kausalismus nicht direkt durch unseren Willen oder unser Verlangen beeinflussbar ist, und die Welt der Bilder, obwohl sie sich manchmal ohne die Wirkung des Willens entfaltet, immer durch ihn beeinflussbar ist; und den Unterschied der Wahrnehmbarkeit für die Pluralität der Bewusstseine, da das psychologische oder innere oder geistige Phänomen nur in einem Bewusstsein existiert oder gefühlt oder wahrgenommen wird und das materielle Phänomen von mehreren gefühlt oder wahrgenommen werden kann. Es scheint, dass ein weiteres Unterscheidungsmerkmal die dem Äußeren eigene Ausdehnung und die dem Psychologischen eigene Intensität wäre: aber das Bild eines weißen Taschentuchs ist ebenso ausgedehnt wie die (visuelle, eine und die andere) Empfindung des Taschentuchs, und wir beurteilen es nur ideell als nicht ausgedehnt, und andererseits ist ein Geräusch äußerlich und dennoch nicht ausgedehnt. Allerdings muss man zugeben, dass das Sichtbare und Greifbare der Typus des Äußeren ist: Ein Geruch, ein Geschmack, ein Geräusch erscheinen uns nicht als „ Dinge “ wie die Objekte, von denen wir sagen, dass sie sie erzeugen, obwohl sie von mehreren Bewusstseinen gleichzeitig erlebt werden können. Es scheint auch, dass wir im Äußeren mehr als nur Materie finden: wir finden ein psychologisches Äußeres in der Pluralität der Bewusstseine, die wir um uns herum in menschlichen und tierischen Gestalten eingeschlossen oder angesiedelt vermuten; in diesem äußerlich-geistigen Aspekt, finden wir Unlust-Lust. 50 Grundlagen der Metaphysik <?page no="51"?> irgendeine notwendige Form oder Beziehung zu behaupten, hieße, das Geschehnis zu verlassen, für das Zukünftige zu behaupten: Da die Welt nicht von uns erschaffen wurde, können wir nicht wissen, ob die Sonne morgen erneut aufgehen wird, die Körper gen Erde fallen werden, der Zusammenstoß in Wärme, in Licht umgewandelt wird. Nur durch die Zerstörung des Gegensatzes zwischen VErgangenheit und ZUkunft, durch die Behauptung, dass es keine andere ZUkunft als die VErgangenheit gibt, könnten wir Notwendigkeiten formulieren, für das ZUkünftige bekräftigen; aber dann würde weder die ZUkunft existieren noch eine NOtwendigkeit für diese. Im Wesentlichen meinen wir eine Ordnung der Abfolge zweier Phänomene festzustellen, behaupten, dass ein solches Phänomen notwendigerweise auf ein anderes folgt und von einem anderen gefolgt wird (KAusalität), oder behaupten, dass kein Phänomen ohne ein anderes, neben, vor oder nach einem anderen existieren oder wahrgenommen werden kann, das heißt, dass ein Phänomen nur relativ zu einem anderen oder als Unterschied zu einem anderen, oder als Differenz zu einem anderen existieren kann (DIfferenzierung oder RElativität oder RElativismus, das Grundprinzip von Schopenhauer und anderen Metaphysikern). Das bedeutet lediglich eine NOtwendigkeit in der Konstitution der Phänomene oder der Dinge, oder der REalität zu behaupten. Jede NOtwendigkeit scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem Aspekt der totalen Spontaneität und Freiheit zu stehen, den die Phänomene bieten, was parallel läuft und durch den völlig untergeordneten Charakter der ERfahrung bestätigt wird, den die INtelligenz anbietet. Weder die Phänomene scheinen der NOtwendigkeit unterworfen zu sein, noch ist die INtelligenz in der Lage, über die Feststellung eines Geschehnisses hinaus, Notwendigkeiten der Realität zu bestätigen. 12. Um das vorhergehende anders auszudrücken: Da wir sowohl beim ersten als auch beim letzten Eindruck einen deutlichen Unterschied zwischen der Auffassung und der Empfindung feststellen, die wir von der ZEit oder dem RAum haben, und derjenigen, die wir von einer roten Farbe oder einer Orange haben (als visuelle oder taktile Empfindung betrachtet, unabhängig von ihrer „ äußeren “ oder „ substantiellen “ Realität, die metaphysisch gesehen problematisch ist) und da wir zweifeln, ob Zeit und Raum existieren oder nicht, ob sie Realität haben oder nicht, insofern wir uns der visuellen, taktilen, schmerzhaften etc. Empfindungen sicher sind, die wir erfahren haben, ist es notwendig, ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, das metaphysische Problem mit der Anerkennung dieser einfachen Unterscheidung einzuleiten. Zu Beginn wissen wir also nicht, was wir letztendlich über die Natur der Zeit, des Raums, der Materie, der Außenwelt denken werden, über alles, was sich als zweifelhaft darstellt; im Gegenzug sind wir aber sicher, dass die Empfindungen und Grundlagen der Metaphysik 51 <?page no="52"?> Gefühle, die wir erleben, existieren, das heißt, sie sind, wenn auch nur als Zustände, Phänomene unseres Psychischen. Ich weiß, dass das metaphysische Problem durch die Annahme dieses Ausgangspunkts klarer und leichter wird und von einer soliden und konkreten Basis ausgeht; andernfalls würden wir uns bei der Annäherung an das Problem in dem Geflecht von Begriffen und Unterscheidungen verheddern, das Kant von Anfang an zu entwirren versucht, und das am Ende vielleicht unnötig wäre, nach und nach zu erläutern und dabei die begrenzten Kräfte des Intellekts zu erschöpfen; Zeit, Raum, Materie, Ich, Außenwelt, Abfolge, Position, Verstehensvermögen, Vernunft, Intelligenz, Urteil, Kausalität, Eindruck, Instinkt, Intuition, Sensibilität, Empfindung, Intensität, Ausdehnung, Wahrnehmung, Apperzeption, Idee, Deduktion, Induktion, Kausalität - eine endlose Anhäufung von Begriffen, die meiner Meinung nach alle ohne einen Rest von Geheimnis definiert und geklärt werden können, aber nicht ohne eine äußerst langwierige und mühsame Untersuchung, in der sich der Metaphysiker gewöhnlich verliert und dabei das eigentliche Problem der Metaphysik vergisst, nämlich das PHänomen, den ZUstand, das SEin. Das Dringlichste ist es, sich darüber klar zu werden, dass die Lösung jeder dieser Schwierigkeiten für das Problem des Selbst schlussendlich nicht unabdingbar ist und seine Lösung auch nicht erleichtert. 13. Die REalität, das „ SEin “ , sind Worte, eine Reihe von Lauten aus unserem Kehlkopf oder eine Serie von geschriebenen Buchstaben, die wir auf alles anwenden, was ist. Damit wir von etwas sagen können, dass es ist, dass es existiert, dass es ein Phänomen ist, scheint es notwendig zu sein, dass es andere gibt, die nicht sind, die nicht existieren; und in der Tat ist dies der Fall, und dieser unterschiedliche Begriff entsteht aus einer gefühlten Unterscheidung. Das, was nicht ist: die Zeit, die Materie, der Raum, die Beziehung etc.; das, was ist: die Farbe Rot, ein tiefer Ton, ein angenehmer Geruch, eine raue Berührung, eine Schmerzempfindung, eine Kälteempfindung, der Wunsch, einen Muskel zu entspannen, ein Gefühl von Wut und all die konkreten Zustände, bei denen niemand anficht, dass es sich um Zustände handelt, um Phänomene, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten über die Probleme gibt, die sie hervorrufen. So könnte der absolute Idealismus, der die Realität der Außenwelt leugnet, nicht wissen, dass eine Orange außerhalb des psychologischen Zustands existiert, den ich den Anblick oder das Taktgefühl einer Orange nenne; aber von dem psychologischen Phänomen, das ich die Farbe Gelb nenne, der kalten oder rauen Empfindung, die ich erlebe, weiß jeder, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Geist existiert haben. Wenn ich statt hiermit zu beginnen damit beginne, mich zu fragen, was es bedeutet, dass eine Empfindung von Gelb zu einem bestimmten Zeitpunkt und 52 Grundlagen der Metaphysik <?page no="53"?> in meinem Geist existiert, sehe ich, dass bei der geringsten Unachtsamkeit drei Probleme unter meiner Feder auftauchen: was bedeutet es zu existieren, was bedeutet es, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu existieren, und was bedeutet es, in meinem Geist zu existieren; und schon haben wir das Problem der Existenz oder der Realität, das der Zeit und das des Ichs oder des Bewusstseins und der Beziehung der Verortung eines Zustands in einer Psyche. All das ist meines Erachtens würdig, untersucht zu werden sowie vollständig lösbar, aber nur die Frage nach der „ Existenz “ ist für die MEtaphysik wesentlich und löst sich, wie bereits angedeutet, in einer Unterscheidung auf, die auferlegt oder nahegelegt wird durch einen Unterschied, den wir zwischen einem Phänomen und einer Abstraktion, einer Beziehung oder einem Konzept empfinden und finden: Wir haben das Gefühl, dass die Farbe Rot ist, dass sie existiert, und dass der Raum nicht existiert, obwohl wir nicht wissen, wie wir ohne ihn auskommen sollen. ( „ Wir fühlen “ , ein Begriff, den ich vorläufig verwende, hat nichts Geheimnisvolles an sich: der Leser versteht bereits; später werden wir uns mit diesem und anderen Begriffen beschäftigen). Ähnlich verhält es sich, wenn ich sage, dass sich auf einem Tisch zwei Orangen nebeneinander befinden; keiner würde in diesem Fall behaupten, dass sich auf dem Tisch drei Dinge befinden: zwei Orangen und die „ Position “ oder „ Nähe “ der einen zur anderen. Um den wesentlichen Unterschied zwischen dem Phänomen, dem, was existiert, und den bloßen Begriffen (die in Wirklichkeit bloße Worte, Instrumente der Suggestion, der intellektuellen Kommunikation sind) auszudrücken oder anzudeuten, genügt es mir, den Leser zu fragen, ob er jemals sagen würde: „ Ich habe einen Zustand der Zeit in meinem Geist gefühlt “ , „ Ich habe ‚ eine Minute ‘ in meinem Geist erlebt “ , während er sagen würde: „ Ich habe einen roten visuellen Zustand gefühlt “ oder „ Ich habe mir eine Nelke vorgestellt oder gesehen “ . Erneut stellen wir fest, dass wir, wenn wir sagen, dass die Farbe Gelb zumindest als psychologischer Zustand existiert, uns damit vorläufig ausdrücken, denn „ als psychologischer Zustand “ ist gleichbedeutend mit: „ als Zustand unserer Psyche “ ; nun: „ Psyche “ , wie „ Materie “ , sind Abstraktionen: das „ Ich “ oder die „ Kontinuität des Ichs “ besitzen keine Realität; die „ Materie “ , also die Orange oder das, was wir als Substanz der Orange unter den Veränderungen der Orange für dauerhaft halten, existiert ebenfalls nicht: nur die gelbe Farbe, die weiche oder kalte Empfindung, der Duft der Orange existieren, und diese existieren weder in der Orange noch in unserer Psyche: sie existieren lediglich; und sie existieren weder zu einem bestimmten Zeitpunkt, noch zu einem bestimmten Punkt, noch in einem bestimmten Bewusstsein oder einer bestimmten Psyche, weder davor noch danach, noch gleichzeitig, mit einem anderen Zustand. Grundlagen der Metaphysik 53 <?page no="54"?> Hiermit habe ich die REalität von allen Konzepten befreit, das heißt von allen Worten, die dem Phänomen beigefügt sind, und auf diese Weise präsentiert sie sich auf primitive Weise dem Kind und auch dem Menschen im Zustand der Kontemplation. Auf diese Weise wird die schwierige Perplexität unerwartet aufgelöst: Wie wird das Physische in das Psychische, das Materielle in das Geistige verwandelt? Eine absurde Verwandlung, die gewisse Evolutionisten mit verschiedenen Spitzfindigkeiten zu beschönigen versuchen, um den Übergang plausibel zu machen vom Anorganischen zum Organischen (historisch) und von der nervösen Schwingung zum psychologischen Zustand (statisch, wenn wir den Begriff im Gegensatz zu historisch verwenden dürfen), der das menschliche Denken seit Jahrhunderten verwirrt hat; es stellt sich heraus, dass das, dessen Verwandlung in sein Gegenteil - das Materielle ins Geistige - ein unergründbares Rätsel darstellte, von derselben Natur ist wie das andere, denn es existiert weder das Physische noch das Psychische, sondern nur die Phänomene und alle sind von derselben Natur. Solange man davon ausging, dass es zwei Seinsweisen gab, die psychische und die physische, die gegensätzlicher Natur waren, war es für die EVolutionstheorie unausweichlich, das erste Auftreten des Psychischen zu erklären, da man behauptete, dass die anorganische Welt der organischen vorausgegangen war: Das Konzept der UMwandlung des Unbewussten in das Bewusste wurde damals erfunden, ein radikal hohles Konzept; kein Ding kann in ein anderes umgewandelt werden; auf sein Verschwinden kann das Erscheinen eines anderen folgen, und das wäre höchstens das, was man unter Umwandlung verstehen könnte, aber da man davon ausgeht, dass der psychologische Zustand von der Vibration der Zellen der grauen Rinde begleitet wird, ist noch weniger Platz für Umwandlung. 14. Die Idee, die ich von der REalität in ihrem universellen, allen Modi gemeinsamen, das heißt, in ihrem metaphysischen Aspekt ausgearbeitet habe, ist die eines ortlosen PHänomenismus, das heißt einer Diskontinuität von Zuständen, die weder im ÄUßeren noch im INneren verortet sind, das heißt die weder im ICh noch in der AUßenwelt vorkommen: Phänomenismus impliziert bereits Diskontinuität und ebenso Pluralität, die sich ohne in entfaltet, das heißt weder in einem Subjekt oder einem Ich noch in einer Außenwelt, weder als Materie noch als Geist, das heißt in der engsten, ultimativen, inapperzeptiven Kontemplation der REalität oder des SEins erscheint sie als eine ortlose Pluralität. Ein Prozess der Verortung, in dem ICh oder außerhalb des IChs, ist es, der den ganzen hervorgehobenen Gegensatz von MAterie und PSyche erzeugt, welcher jeden metaphysischen Wert vermissen lässt. 54 Grundlagen der Metaphysik <?page no="55"?> Aber ich erkenne an, dass dieser Eindruck der REalität als Diskontinuität, als Abfolge oder Pluralität getrennter Tatsachen oder Zustände von der INtelligenz spürbar abgewehrt wird, und gerade wenn MEtaphysik nichts anderes ist als die Suche nach einer Fülle und Vollkommenheit der Anpassung der INtelligenz an die EXistenz, ans Existieren ihrer selbst und des Phänomens oder der REalität, kann kein Widerstand der INtelligenz gegen die Assimilation oder volle Akzeptanz eines Begriffs außer Acht gelassen werden. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Mann fern von den Menschen an einem abgelegenen und wilden Ufer nackt, mit dem Gesicht nach oben, in tiefer Siesta liegt und die reelle Entfaltung mit Hingabe betrachtet, kann ich mir gut vorstellen, dass in einer intensiven Versenkung alle Verortungen verschwinden: seine eigenen Zustände und die äußeren. 15. Um meine Überlegungen auf den Punkt zu bringen, kann ich sie auf folgendes reduzieren: Der absolute Idealismus behauptet, dass nur die Zustände, Bilder und Affekte unserer Seele existieren. Dies ist bereits eine Parteinahme für das Psychologische. Unsere Seele ist so fragwürdig wie die Materie. Mit der bloßen Feststellung, dass es nur Phänomene gibt, hat die MEtaphysik alles gesagt, und die ganze Wahrheit des Idealismus bleibt unangetastet, noch dazu frei von einer Kleinigkeit: die, wie wir angedeutet haben, in dem Bemühen liegt, die Substanzialität des GEistes im Gegensatz zur Substanzlosigkeit der MAterie herauszustellen. GEist und MAterie, zwei abstrakte Begriffe mit einer großen Neigung, zu Dingen an sich zu werden, der eine so falsch wie der andere, sobald sie aus ihrer rein grammatikalischen Rolle herausgenommen werden. Wenn wir mit dem augenblicklichen Wiederaufleben der Apperzeption alle Intervalle der Wahrnehmung erfüllen, die von Natur aus bruchstückhaft und diskontinuierlich ist, erscheinen uns die WElt und das ICh wie das Sein in der Kontinuität der Existenz, als eine kontinuierliche und dauerhafte Substanz, die sich ohne Unterbrechung in uns und außerhalb von uns entfaltet. Aber im Bewusstsein oder in der Sensibilität des Kindes und im kontemplativen Zustand des erwachsenen Menschen wird jede Wahrnehmung lose und losgelöst erzeugt, wie das Läuten einer Uhr auf unsere zerstreuten Ohren fällt. Die Ereignisse des SEins, der REalität, des Existierenden sind lediglich diese Wahrnehmungen als bloße Phänomene, das heißt ohne wahrnehmendes Subjekt noch wahrgenommenes Objekt. Wenn ich eine Orange wahrnehme, existiert oder passiert nur ein Phänomen der Farbe, ohne ein wahrnehmendes Subjekt, das sie fühlt, oder einen äußeren Körper, in dem die Farbe der Orange wohnt, was immer für Möglichkeiten neuer und anderer Empfindungen derselbe Gegenstand bieten und dasselbe Subjekt empfinden mag; diese werden andere Phänomene sein, die sich mit dem ersten gegenseitig verändern und modifizieren werden. Grundlagen der Metaphysik 55 <?page no="56"?> Ein „ Ding “ ist die kombinierte Schöpfung der Empfindung oder Wahrnehmung und der Apperzeption oder das Wiederaufleben der Bilder der anderen Empfindungen, die dasselbe Ding hervorbringen kann; und wir sagen, dass diese anderen Empfindungen durch dasselbe Ding hervorgebracht werden können, insofern wir alle Empfindungen, zwischen denen ein gewohnheitsmäßiger Kausalzusammenhang besteht, das heißt alle Empfindungen, die sich gegenseitig modifizieren, an ein und demselben Punkt des Raumes vereinigen. Ich nehme visuell eine Orange wahr: Wenn ich sie taktil wahrnehmen will, bewege ich meine Hand, bis ich eine taktile Empfindung erfahre oder erhalte, aber da meine Hand auch etwas anderes berühren kann, sage ich nicht, dass sie dasselbe Ding berührt, das mir die visuelle Empfindung gegeben hat, es sei denn meine Hand verändert, wenn sie eine taktile Empfindung empfängt, die visuelle Empfindung durch ihre Einschaltung; während ich die Orange wahrnehme (ihre Visualität), nehme ich auch einen bestimmten Duft wahr, und jedes Mal, wenn ich meine Hand auf die Orange zu oder von ihr weg bewege, verändert sich gleichzeitig die Intensität der visuellen und der olfaktorischen Empfindung. Wenn ich auf die Orange meine ganze Hand lege, anstatt sie mit einem Finger zu berühren, wird die visuelle Empfindung eingeschränkt und die Empfindung ihrer Temperatur erhöht; um ihren Geschmack zu schmecken, ist es notwendig, dass ich ihre visuelle Wahrnehmung verändere, indem ich sie näher an meinen Mund heranführe. Die Apperzeption, die alle Fälle auswählt, die in ihrer Erfahrung keine Ausnahme erfahren haben, schafft die Unmittelbarkeit oder Zusammengehörigkeit aller Phänomene, die immer untereinander verändert worden sind, und auf jedes von ihnen, das wir wahrnehmen oder hervorrufen, folgt das leichte, aber reale Wiederaufleben aller anderen: Dies ist die Funktion der Apperzeption. Die Apperzeption gibt uns Aktualisierungen aller Zustände, die uns ein Ding geben kann, indem sie nur einen von ihnen wahrnimmt oder hervorruft; das „ Ding “ selbst gibt uns in der Empfindung ebenfalls eine ganze Gruppe von Zuständen: Die Tatsache ihrer kausalen Vereinigung ist nicht unsere Schöpfung, sondern nur die Verortung aller in einem einzigen Ding, das heißt in einem zusammenhängenden Raum. Das „ Ding “ als kausale Gruppe ist eine Erfahrungstatsache, keine intellektuelle Vorstellung, aber der Geschmack der Orange, ihr Geruch, ihre Temperatur, ihre taktile Geschmeidigkeit usw. sind Phänomene, die weder nahe beieinander liegen noch fern voneinander sind; es ist der Geist, der sie in Begriffen des Raums ausdrückt, und dies unter Mitwirkung jenes Wiederauflebens des Assoziationismus oder der Apperzeption. (Zwei der Hauptprobleme der Metaphysik werden hier aufgeworfen: zu wissen, ob die Pluralität der Dinge oder Phänomene das Produkt von Raum und Zeit ist, oder ob, im Gegenteil, Raum und Zeit das Produkt der Pluralität sind, die nichts anderes ist als die Differenzierung oder Existenz verschiedener Phäno- 56 Grundlagen der Metaphysik <?page no="57"?> mene; und zu wissen, ob die gegenseitige Modifikation oder Kausalität die Schöpferin der räumlichen und zeitlichen Unmittelbarkeit ist, oder ob, im Gegenteil, die Unmittelbarkeit die Schöpferin der Kausalität ist). Die wechselseitige Veränderung der Phänomene oder der Kausalität und sogar die Konstanz der kausalen Beziehungen zwischen solchen und solchen Phänomenen ist eine Tatsache, die wir im Sein vorfinden; was unsere Intelligenz (und all unsere INtelligenz ist nichts anderes als Assoziationismus) schafft, ist die zeitliche und räumliche Unmittelbarkeit von „ Ursache “ und „ Wirkung “ . 16. Die Realität, das SEin, ist ein Phänomenismus, womit gemeint ist, dass das Sein, die „ Existenz “ zu allen Zeiten oder in allen substanziellen Phänomenen immer identisch und daher vollkommen intelligibel ist. Die REalität beinhaltet keinerlei Mysterium. Alles, was existiert, ist von derselben Natur: jegliches Phänomen, eine Farbe, ein Klang, sind die Existenz, das Sein, in Fülle; alles SEin ist stets so, wie es in jedem seiner Fälle oder Phänomene ist; diese sind die einzig mögliche Substanz, nicht Erscheinungen von etwas anderem. Da die Wirklichkeit, so wie sie ist, ein beliebiges Phänomen ist, so wie es sich dem Geist oder dem Bewusstsein darstellt (wobei ich die subjektive Sprache vorläufig verwende, ohne zu vergessen, dass das Phänomen sich weder im Bewusstsein noch in irgendeinem anderen in darstellt; das BEwusstsein gleich wie die WElt sind nichts); da Phänomen und Empfindung ein und dasselbe Ding sind, das Phänomen das ist, was es zu sein scheint, und nichts außerhalb von ihm existiert, muss das SEin vollkommen intelligibel sein. In der REalität, die man besser PHänomenalität nennen sollte, im SEin, in der MAterie und im GEist, gibt es kein GEsetz, keine ORdnung, keine NOtwendigkeit. Daher: Was kann die INtelligenz tun? Wie kann man von ERkenntnis, von BEfragungen, von LÖsungen sprechen? Ich antworte: Erstens spielt die INtelligenz bereits eine gewisse Rolle, wenn sie bejaht; zweitens ist jede ERkenntnis nichts anderes als das Kennen von Phänomenen: den Schmerz kennen, das Rot, das Bittere, die Berührung, die Kälte, das Aroma. Das Denken hingegen scheint einen Einwand gegen diese einfache Evidenz zu haben; es spricht von Zeit, von Raum, von notwendigen Beziehungen oder von NOtwendigkeit, Kausalität. Es scheint etwas gefunden zu haben, das über das Phänomen oder die Empfindung hinausgeht, auf das es nicht verzichten kann, obwohl es in diesem nicht die Zeichen der Existenz findet; es dieses weder in der WElt noch im BEwusstsein unterdrücken kann, aber es bemerkt auch, dass es das nicht kann. (1908) Grundlagen der Metaphysik 57 <?page no="58"?> Die Metaphysik 1 1 Die MEtaphysik ist die Kenntnis des SEins, nicht der Gesetze, Beziehungen oder Seinsweisen; sie ist gerade die Betrachtung des Seins unter Beseitigung jeglicher Beziehung und Verortung. Es ist die Anstrengung einer nicht-apperzeptiven Vision der REalität. WIssenschaft und PHilosophie sind APperzeption; MEtaphysik ist VIsion. Die WIssenschaft ist vor allem fleißig; menschlicher Fleiß, um der UNlust zu entgehen, um LUst zu erlangen. Sie interessiert sich nicht für die Phänomene, für das „ Sein “ , sondern für ihre Beziehungen. Weder will noch wünscht sie es das Phänomen zu „ kennen “ . Ihre Besonderheit liegt gerade in der systematischen Flucht vor der Erkenntnis des Phänomens. Sie sucht nach dem Vorher und Nachher eines jeden Phänomens; sie interessiert sich nicht für eine einzelne Person, sondern für alle Nachbarn einer jeden Person. Sie provoziert oder unterdrückt das „ Phänomen-davor “ oder die Phänomen-Ursache eines jeden Phänomens, je nachdem, ob es für sie günstig ist, die Entstehung dieses Phänomens zu provozieren oder zu verhindern. MEtaphysik und AGnostizismus oder POsitivismus sind antagonistisch. Diese - logischerweise eher der Positivismus als der Agnostizismus, der das „ bekräftigt “ , was er gleichzeitig für unbekannt und unkennbar erklärt (was ein Widerspruch ist, denn über das UNbekannte kann nichts bekräftigt werden, weder dass es kennbar noch, dass es unkennbar ist, wie bereits festgestellt wurde) - sind die intellektuelle Askese, die aus Müdigkeit angewandt wurde. Es handelt sich um Waffenstillstände, Transaktionen, das heißt um Ermüdung. Die Hälfte aller Prozesse endet mit einer Transaktion, das heißt mit einem Pakt zwischen zwei Müdigkeiten, die sich darauf einigen, auf die vollständige Durchsetzung der Rechte zu verzichten, die sie bei der Einleitung des Verfahrens so energisch geltend gemacht haben. Wenn ein Übermaß an Energien vorliegt, wird erneut versucht, metaphysische Fragen zu stellen. In Zeiten der Depression kommt der Positivismus in Mode. 1 In der Ausgabe der Ediciones Corregidor von 2015 befindet sich dieser Text an zweiter Stelle (nach den Vorworten und „ Bases en Metafísica “ ) auf den Seiten 63 - 85. <?page no="59"?> Indem sie täglich die Beziehungen und Verortungen vergrößert, verkompliziert die WIssenschaft die Verästelungen der APperzeption und strebt nach nichts Geringerem als danach, die ganze REalität in den Begriffen einer einzigen und absoluten kausalen Wahrnehmung auszudrücken. Indem sie so den Abstand zwischen der APperzeption und der VIsion vergrößert, intensiviert sie die „ Verwunderung über das Sein “ , die Ursache der Metaphysik, die ihr Heilmittel ist, und die Wirkung der APperzeption. Die ZEit, der RAum, das „ ICh “ , seine Kontinuität oder Identität, die MAterie - die ein „ ICh “ der Außenwelt ist - , die Zuordnung oder Anbindung eines BEwusstseins an einen KÖrper und eines jeden (psychologischen) ZUstands an ein individualisiertes BEwusstsein sind allesamt exquisite Gewirke der wunderbaren verortenden Konstruktion der Apperzeption. Sie, die die WIssenschaft und die praktische Wahrnehmung eines jeden Moments ist, ist die Erbauerin der WElt, ihre Schöpfung, die von ihr mit einer Anmutung von Dauerhaftigkeit und Festigkeit, mit einer Wirksamkeit von Befestigung, von Verortung und Verkettung derart eingerichtet wurde, dass wir, verwirrt oder berauscht von unserem Werk, zu Instrumenten unseres Werkzeugs gemacht, für immer von unserem ursprünglichen Zustand entfernt, tausendmal leugnen, dass mit dem Gewebe der TRäumerei selbst diese schwere und festeste Konstruktion entstanden sei; dass diese unzerstörbare Assemblage in allen ihren Teilchen angehäuft werde von: dem PHänomen, durch das Flüchtige und Namenlose, durch das, was nicht ist sondern wird, durch das, was weder einen Augenblick der ZEit noch einen Punkt des RAumes einnimmt. Die ILlusion, die HAlluzination ist derart vollständig, dass wir glauben, dass die von uns errichtete Behausung, die WElt, schon vor unserer Ankunft existierte und auch dann noch bestehen werde, wenn wir sie verlassen. Will man die MEtaphysik definieren oder konkretisieren, so lässt sich nur sehr wenig über sie sagen. Es ist ebenso schwierig, die metaphysische Frage zu stellen, wie die Antwort auf das Problem zu geben, und vielleicht ist dies sogar vorrangig, so unlogisch es auch erscheinen mag. Die „ Perplexität des Seins “ , die „ Verwunderung des Existierens “ , die Verwunderung über jegliche EXistenz, über die Tatsache, dass irgendetwas ist oder existiert, dass es „ Existenz “ gibt, dass „ Sein “ existiere oder dass „ Existieren existiert “ , dies ist die Quelle der MEtaphysik. Dieser einzigartige und bedeutsame Geisteszustand, bedeutsam für: hohes und volles Bewusstsein sowie Über- Apperzeption oder Exzess der Apperzeption, ist in gewisser Weise künstlich, er ist nicht ursprünglich, er ist nicht angeboren, das Produkt der wachsenden Entfremdung zwischen der reinen Empfindung, dem einfachen und reinen „ Zustand “ , und dem unentwirrbaren Knäuel der Apperzeption. Unser Bewusst- Die Metaphysik 59 <?page no="60"?> sein erreicht einen derartigen Grad an Komplexität, an Organisation und Verflechtung all seiner Zustände, dass es den Geschmack eines einfachen Zustands nicht mehr kennt, es weiß und fühlt nichts anderes als eine unmittelbare und umfassende Rückwirkung auf alle anderen latenten Bewusstseinszustände. Beim geringsten visuellen oder auditiven Zustand, bei der geringsten Empfindung oder Evokation, sprudeln eine Unzahl an Erinnerungszuständen, ein unzähliges psychisches Kribbeln, das ihm eine Verbindung, eine absolute Verortung im Universum seines eigenen Bewusstseins und in dem der Außenwelt gibt. Wenn durch einen, heutzutage sehr seltenen, kontemplativen oder leidenschaftlichen Zustand, oder durch eine momentane Erschöpfung unseres Bewusstseinsuniversums, irgendein inneres PHänomen entsteht, alleine, ohne Auswirkungen oder psychologische Wiederaufleben, ein Phänomen, dann sprudelt einfach nur (weil äußerlich, innerlich, materiell oder psychisch sinnlos sind; es handelt sich bereits um apperzeptive künstliche Modalitäten, der Verortung) die Verwunderung über das Sein; wir haben unerwartet einen Fuß auf eine benachbarte Grenze gesetzt, und dieses benachbarte Land ist das „ Sein “ , es ist unsere wahre Heimat; wir hatten sie derart vergessen, dass wir uns, bei ihrer unerwarteten und unwillkürlichen Berührung, mit Unbehagen zurückziehen und uns dabei auf fremden Boden fühlen, da wir das Gegenteil von dem empfinden, was wir erleben sollten. Wir kehren eilfertig in unser festes Zelt der Apperzeption zurück, und nachdem wir uns durch einen großen Schluck Verortungen beruhigt haben, fragen wir uns geringschätzig: Was ist das mit dieser MEtaphysik? Nachdem wir uns sorgfältig vergewissert haben, dass wir uns in diesem Augenblick in der ZEit und an jenem Punkt im RAum befinden, dass wir dieselbe Person sind, die gestern dieses und jenes getan hat, dass wir uns auf diesem Glied in der Kausalkette befinden, dass wir eine Zukunft und eine Vergangenheit haben und dass, wenn wir zufrieden sind, diese Zufriedenheit genau an der sehr feinen Schnittstelle zwischen unserer Vergangenheit und unserer Zukunft liegt und in einem „ Ich “ oder „ Bewusstsein “ verortet ist, die ihrerseits in dieser oder jener menschlichen Figur verortet ist, die ihrerseits ein Effekt solcher Eltern und die Ursache solcher Wesen ist, dann, nachdem wir all unsere Ruhe wiedergefunden haben, dank dieser absoluten Verflechtung unserer selbst und unserer Zustände in der genauen Situation, die ihnen auf der großen Landkarte unserer Apperzeption entspricht, fragen wir leidenschaftslos aus dem warmen und sicheren Inneren unserer apperzeptiven Behausung: Und was ist das mit der MEtaphysik? Es war ein kleiner Schreck, mehr nicht. Aber wenn ein Kind uns durch die Hände entgleitet, ohne die geringste Vorwarnung und auf Nimmerwiedersehen, und wir uns bewusst werden, dass wir zwanzig oder dreißig Jahre später nicht 60 Die Metaphysik <?page no="61"?> einmal mehr die Züge seines kleinen Lächelns der Intelligenz und der Gegenseitigkeit rekonstruieren können, dass es sich für immer verabschiedet hat, auch aus unserem Gedächtnis, dann werden wir uns fragen: Woher kam es, wo ist diese Person, die hier vorbeikam? Wo ist sie eigentlich? Wo? In dem, der fragt und daher existiert und, daher, die einzige EXistenz ist. 2 Auch wenn wir nicht den Anspruch erheben können, Schopenhauers unvergleichliche metaphysische Vision zu ergänzen, so ist doch sicher, dass das vorliegende Werk nicht gedruckt worden wäre, wenn sein Autor nicht glaubte, in diesem System einen einzigen Fehler gefunden zu haben, den er einem bloßen intellektuellen Automatismus zuschreibt, der sich heimlich, in einem Moment geschwächter Kontrolle, inmitten der kraftvollen und vollkommen bewussten Arbeit des großen Metaphysikers eingeschlichen hat. Ich finde, dass Schopenhauer die völlige Emanzipation von jedem Automatismus oder jeder Suggestion aus den Lektüren nicht erreicht hat, und diese Art von Defekt in einem System ist allerdings bedauerlicher als der wahrhaftige Fehler oder die bewusste und irrtümliche Behauptung. Es ist bedauerlicher, einen Irrtum von anderen zu übernehmen, als sich persönlich und zutiefst zu irren, denn Ersteres ist sehr leicht zu vermeiden, während Letzteres für alle mehr oder weniger unvermeidlich ist. Indem man sich zu einer „ Neuuntersuchung “ entschließt, einer radikalen, absoluten, ohne irgendeine Wahrheit zuzulassen, die nicht durch die eigene Untersuchung erlangt wurde, hat man in der Metaphysik den grundlegenden, unentschuldbaren Ausgangspunkt erlangt, der darüber hinaus fast allein ausreicht, um alles zu erhalten, denn es sind die Automatismen, die Ansteckungen, das Falsche und Nicht-Gedachte zugleich, die unbeholfen und für immer den Weg zu einer Formel, zu einer geistigen Befriedigung versperren, während die bewusst gemachten, durchdachten Behauptungen, selbst wenn sie aus teilweiser Unwissenheit, aus unvollständiger Wahrnehmung stammen, die Erlangung einer befriedigenden geistigen Position, eines Handels und einer intimen Versenkung mit dem SEin nicht behindern. Die Automatismen sind ebenso schädlich wie leicht zu vermeiden; die Fehler hingegen sind bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich und, trotzdem, schaden sie einer metaphysischen Vision nur wenig. Sie sind für die Reflektion ruinös. Wenn ihr, aus irgendeinem Vorurteil heraus darauf verzichtet, euren rechten Arm im Wasser zu benutzen, obwohl ihr schwimmen könnt, werdet ihr viel schlechter abschneiden als ein Anfänger, der alle seine Gliedmaßen frei benutzt. Die Metaphysik 61 <?page no="62"?> Schopenhauer wiederholt die Unterscheidung zwischen SUbjekt und OBjekt. Sind das nicht bloß verbale Entitäten, wie die ZEit, oder besser, wie das ICh, die MAterie? Die MEtaphysik befasst sich nur mit dem SEin, mit der EXistenz, mit allem, was EXistiert, und nur insofern, als dass es existiert oder ist. In der reinen Empfindung oder in der absoluten KOntemplation erscheinen weder Subjekt noch Objekt. In der Empfindung gibt es nichts außer sie selbst; die Empfindung wird von niemandem gefühlt; sie ist kalt, sie ist rot, sie ist scharf, sie ist süß, sie ist Schmerz und sonst nichts. Zu sagen, dass es neben der Empfindung von Kälte ein Subjekt gibt, das sie empfindet, bedeutet, in denselben Begriff der „ Materie “ zu verfallen, und dies ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass es neben der Farbe, dem Geschmack, der Weichheit, dem Widerstand einer Orange die Materie der Orange gäbe, das „ Ich “ dieses Körpers, dieses Kerns der Möglichkeit von Empfindungen, eine Substanz ihrer Erscheinungen, eine „ Substanz “ , kurz gesagt, außerhalb des „ Phänomens “ , das das einzige ist, was existiert. Noch ein Wort zu dem, was Schopenhauers wesentliches und sehr persönliches Denken darstellt, die theoretische Quelle jenes argumentativen, systematischen Pessimismus, der seinen Namen so populär gemacht hat und über dessen Verdienst wir uns nicht äußern, da wir, die wir ihn nicht ausreichend studieren konnten, keine fundierte Meinung zu diesem Aspekt bilden können. Schopenhauers brillantester Gedanke, seine ganz und gar neue Initiative, liegt in der Einbeziehung des Affektiven in den Bereich der MEtaphysik, und es gibt sicherlich keine typischere metaphysische Aussage als die über jene Substanz, die er sowohl dem Subjekt als auch dem Objekt zuordnet, indem er sie WIlle nennt und sie als negativ affektiv, das heißt immer durch eine negative hedonische Nuance gekennzeichnet, kurz, als wesentlich und dauerhaft schmerzhaft definiert. Für Schopenhauer ist die nicht-noumenale Essenz, denn er erklärt sie in der Introspektion für vage wahrnehmbar, des Subjekts wie des Objekts, des Selbst wie der Außenwelt, der WIlle, eine „ Anstrengung “ , ein „ Verlangen “ . Aus ihnen lässt sich die einfache Argumentation seines Pessimismus ableiten, die sich konkret in das folgende Konzept übersetzen lässt: Da der substanzielle Zustand unseres Ichs das Verlangen ist; da es direkt und deduktiv offensichtlich ist, dass das Verlangen ein Schmerz ist, denn so erscheint es durch unmittelbare, psychologische Beobachtung und durch Schlussfolgerung, denn es kann nicht ignoriert werden, dass das Ich im Zustand des Verlangens etwas sucht, das ihm fehlt oder das es nicht besitzt und sich deshalb unbefriedigt, leidend, unvollständig fühlt, sind wir gezwungen, uns zu überzeugen, dass alle Existenz grundsätzlich schmerzhaft ist, denn das Verlangen, gleich der „ Unlust “ , ist das Konstante, und seine Befriedigungen sind bloß kürzeste Augenblicke. In 62 Die Metaphysik <?page no="63"?> Anbetracht dessen ist für ihn alles Vergnügen negativ, was nicht bedeutet, dass es nicht real ist, sondern dass es kein primärer Zustand ist, dass es eine momentane Unterbrechung oder Aussetzung der dauerhaften inneren Umgebung ist. Kurz gesagt: Die Lust ist der augenblickliche Akt des Trinkens eines Glases Wasser, und die Unlust ist das leichte, aber langanhaltende Unbehagen, das Verlangen, das ihm vorausgegangen ist und das fast sofort wiedergeboren wird, um zu einer anderen flüchtigen Befriedigung zu gelangen und so weiter bis in alle Ewigkeit. Der metaphysische Wert von alldem ist groß. Die Angelegenheit der MEtaphysik ist nicht mehr ein vages, verbales „ Sein “ oder „ Existieren “ , sondern ein definierbarer, der Wahrnehmung zugänglicher Zustand, der allem, der Welt und dem Selbst, angeboren ist und sich durch eine unverwechselbare und konstante Nuance auszeichnet. Dieser „ Wille “ , der psychologisch die Affizierung oder der affektive, hedonistische Ton ist, die Unlust und die Lust, und seine „ Vorstellungen “ , die psychologisch die Bilder sind, konstituieren Schopenhauers REalität, eine Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt, wobei impliziert wird, dass die VOrstellung der Schein einer Substanz ist, die mit dem Subjekt, dem Willen, identisch ist. Das heißt, dass die lebendige und die leblose REalität gleichermaßen durch das Phänomen des Willens beseelt sind. Wir weisen schließlich darauf hin, dass für uns weder die PHilosophie noch die MEtaphysik jenes heute verallgemeinerte Konzept der Suche nach einer primären oder allgemeineren Ursache ist, jenes Verfahren der fortschreitenden und unbegrenzten Umwandlung jeder besonderen Ursache in eine umfassendere, eines jeden Sondergesetzes in ein allgemeineres und dieses in ein anderes, bis wir ein universelles und primäres Gesetz erlangen. Eine derartige Beschäftigung, so scheint es uns, solle keinen Einfluss auf die Erlangung einer vollständigen metaphysischen Vision haben, und wir glauben auch nicht, dass sie, abgesehen von einem gewissen Konventionalismus, zu irgendwas führe. Eine einzige Empfindung, ein einziges Existieren, ein einziges Phänomen beinhaltet durch die Tatsache seiner Existenz das gesamte metaphysische Problem, und weder eine Verallgemeinerung noch eine Verknüpfung mit vorangegangenen Ursachen erklärt viel oder wenig von der Tatsache seiner Existenz. Was allerdings sehr wohl sicher ist, ist dass die Menschen im Allgemeinen ihre metaphysische Unruhe mit Phrasen formulieren, die nicht dem entsprechen, was ihre Intelligenzen wirklich verlangen, und daher rufen sie aus: „ Welche Ursache hat die WElt hervorgebracht? “ „ Wann und wie hat sie angefangen? “ „ Ist sie unerschöpflich? “ „ Ist sie ewig? “ „ Wie kommt es, dass ich ich bin und nicht ein anderer? “ , alles Sätze, die nicht mit Perfektion dem entsprechen, was die metaphysische Perplexität in ihnen hervorrufen will, vage Die Metaphysik 63 <?page no="64"?> Gefühlsausbrüche, die in Form einer schlecht spezialisierten Befragung ausgesprochen werden. 2 3 Was ist also die MEtaphysik und was ist ihr Gegenstand und Problem? Die MEtaphysik ist jene Tätigkeit, die die INtelligenz einsetzt, die durch das seltsame Unbehagen und die seltsame Überraschung in Gang gesetzt wird, die in uns erwachen, wenn wir apperzipieren, dass trotz unserer eigenen Qualität als „ Wesen “ , als „ Existenzen “ , die „ EXistenz “ , das „ SEin “ für uns inintelligibel ist. Wir haben die Vertrautheit, das angeborene, einfache Einverständnis mit dem „ Sein “ verloren, und, obwohl wir nichts anderes sind als eben dieses, das „ Sein “ , und uns nichts so vertraut und klar sein sollte, dass die REalität und unsere Realität uns so vertraut, einsichtig und transparent sein sollten, als ob sie aus unseren eigenen Händen entsprungen wären, scheint es uns, dass die Existenz des Seins einer ERklärung bedarf. Das „ Sein “ , die Existenz einer jeden Sache oder eines jeden Zustands wird uns als eine realisierte Unmöglichkeit, als eine gegenwärtige Unmöglichkeit angeboten. Das Sein erscheint uns als eine perfekte gegenwärtige Unmöglichkeit. Das Unbehagen, aus dem die metaphysische Befragung erwächst, ist die „ Verwunderung des SEins “ , die Verwunderung zu Existieren. Sie rührt von der Unmöglichkeit her, ein Phänomen oder einen Zustand in seiner ganzen Reinheit und Freiheit wahrzunehmen oder zu empfinden, frei von jeder Vermischung oder Verbindung mit anderen Zuständen. Diese Unmöglichkeit ergibt sich wiederum aus den Systemen von Rückständen oder Erinnerungen an andere Zustände, die unsere Psyche um jeden Zustand herum durch eine ihm eigene Arbeit organisiert. Es ist ein exquisites Geflecht von Erinnerungen, die augenblicklich um jeden Zustand herum sprießen, in Verbindung mit dem Auftauchen dieses Zustands im Bewusstsein, und ihm eine psychologische Kontiguität verleihen, die der räumlichen Kontiguität analog ist, und diesen Zustand wie ein Fulminat in all seine Orte 2 [Fußnote des Herausgebers der erweiterten Ausgabe, Adolfo Obieta] Auf der Rückseite des entsprechenden Manuskriptblattes steht das, was der Plan des Aufsatzes zu sein scheint, wie folgt: 1. EXistenz und BEziehung 2. Theorie des Psychischen SEins: a) „ AFfektion “ und b) „ VOrstellung “ . 3. Theorie des PHysischen SEins: a) die „ DInge “ und b) die „ VEränderungen “ . 4. Theorie des SEins. 5. Theorie der INexistenzen - APperzeption 64 Die Metaphysik <?page no="65"?> einbettet: an einem solchen Ort, in einem solchen Augenblick, in der Außenwelt oder in der inneren Welt, in einer solchen menschlichen Figur und in dem Ich, das sich in ihr befindet, nach solchen Ursachen und vor solchen Wirkungen, vereint durch eine gemeinsame Ursache für diese anderen spezifischen Formen des PHänomens. Das ist die APperzeption, die uns von der einfachen VIsion des Ursprungs und dem Verlust unserer familiären Umgebung mit dem PHänomen entfernt, das wiederum in seltenen Geisteszuständen die Erscheinung der Perplexität oder der Verwunderung zu sein oder des Seins bestimmt. Also bietet sich die MEtaphysik an, den Weg und das Verfahren für die Rückkehr zur VIsion zu entdecken, und versichert uns, dass wir, auf welche Weise auch immer wir wieder in den Zustand der reinen VIsion gelangen, in ihrer Gegenwart das Gefühl haben werden, dass diese einzigartige Ratlosigkeit plötzlich verschwunden ist und unsere INtelligenz vollständig mit der Tatsache ihrer Existenz und aller Existenz versöhnt ist. Die Intelligibilität oder volles Verstehen des SEins, die vollkommene Befriedigung der INtelligenz, ist ein wesentliches Versprechen jeglicher MEtaphysik. Es gibt keinen Metaphysiker, der sich an die Untersuchung wagt, ohne das unerschütterliche Gefühl zu haben, dass die Lösung direkt vor der Frage selbst liegt, dass die INtelligenz sich nichts fragen kann, auf das sie in der metaphysischen Ordnung nicht unfehlbar antworten kann. Die Vorstellung, dass ein Metaphysiker irgendeinen unerkennbaren Aspekt, irgendeinen Rest von Inintelligibilität des „ Seins “ zulassen könnte, setzt voraus, dass die Natur des Problems nicht erahnt wurde. Viele Positivisten verstehen Wagner, aber sie begreifen nicht, dass sie sich in Bezug auf bestimmte Untersuchungen in demselben Zustand geistiger Verschlossenheit befinden können (fast immer erzwungenen, freiwilligen Verzichts), unüberwindbarer Verschlossenheit, in dem sich der Landmann - übrigens nicht unempfänglich gegenüber musikalischen Ausdrücken - angesichts der unwägbaren Phrasen der MEistersinger befindet. Die ZEit, den RAum, die KAusalität oder die GRundlage der INduktion, den Übergang vom Physischen zum Psychischen, die unendliche Teilbarkeit der Materie, die Umwandlung von Nervenschwingungen in Bewusstseinsinhalte, die Identität und Kontinuität des Ichs, seine Verortung in einem individualisierten menschlichen Körper, den „ psycho-physischen Knoten “ , die Begrenztheit oder Unbegrenztheit der WElt, ihren Anfang oder Nicht-Anfang, ihre Ursache oder das Fehlen einer Ursache, die LEere, die ZAhl, die AXiome, den Beginn einer neuen Seele in jedem menschlichen Körper, der geboren wird, das Erlöschen eines Bewusstseins in jeder menschlichen körperlichen Zerstörung für unverständlich erklären; sich selbst als von Inintelligibilitäten umzingelt und erstickt zu erklären und, dennoch, weiterhin mit aller Kraft das Teleskop Die Metaphysik 65 <?page no="66"?> oder das Mikroskop auf den HImmel oder die ERde zu richten, ist eine seltsame Unbeugsamkeit; es ist dies der Heroismus der intellektuellen Askese. Ich verstehe, dass es sich um eine bewusste und gut begründete Entscheidung handelt; ich erkenne an, dass sie bis zur Perfektion verteidigt werden kann; was ich nicht verstehe, ist, dass sie durchgeführt werden soll. Wenn sich nun unter diesem Verhalten die Hoffnung verbirgt, dass hinter der Linse des Mikroskops oder des Teleskops die Erklärung von ZEit und KAusalität auftauchen könnte, dann liegt hier meiner Meinung nach ein unkalkulierbarer Irrtum vor. Als Plan für individuelles Verhalten, als Wahl einer Aufgabe, als Entschluss, die Vorteile der Arbeitsteilung zu nutzen, ist der POsitivismus richtig und selbstlos. Aber als Verbotsdogma, als Behauptung des höheren Wertes der WIssenschaft gegenüber der MEtaphysik und, schlimmer noch, wenn er erklärt, dass die Metaphysik ein unmögliches oder kindisches Unterfangen sei, ist der POsitivismus nicht mehr zu verteidigen. Wie kommt die MEtaphysik zu einer reinen Vision? Indem sie perfekte Zustände der KOntemplation hervorruft? Und wie wird diese erreicht? Indem wir den Wegen folgen, die uns unsere psychologische Struktur auferlegt, das heißt den Wegen des Denkens und Argumentierens, das heißt dem Weg der Worte, so seltsam dies auch erscheinen mag, denn die Logik ist nur die Frucht und die Widerspiegelung einer Tatsache der mentalen Struktur, die als zufällig und subsidiär angesehen werden kann, das heißt als denkbar, dass sie variieren kann und dass sie anders hätte sein können, und der Syllogismus ist der elementarste Ausdruck unserer mentalen Konformität. Die Worte sind ihrerseits die Kurbeln intellektueller Zustände, der Bilder; durch ihre Verwendung in der Reflektion und im Denken rufen wir das Erscheinen der gesuchten Bilder im Bewusstsein hervor, und wahrlich verdankt ein Syllogismus seine Wirksamkeit eher dem Umstand mit (visuellen oder auditiven) Worten gewoben zu sein, als irgendeiner anderen logischen Eigenschaft. Die gedachten, gehörten, gelesenen oder gesprochenen Worte haben in Bezug auf die Ideen und Bilder die gleiche Wirkung wie die Gestik auf die Emotionen in der James-Lange-Theorie, allerdings mit viel größerer Wirksamkeit. Durch wiederholtes und langwieriges Diskutieren über die ZEit werden nach und nach alle mit ihr zusammenhängenden und für eine Überzeugung notwendigen mentalen Zustände geweckt. Es ist dies nicht der einzige Weg, so wie die Geste auch nicht der einzige Weg der emotionalen Erregung ist. Daher gibt es in der MEtaphysik keine exklusive Methode. Da die MEtaphysik das gesamte Problem der INtelligenz an der Wurzel packt, werden ihre Ausführungen fast nicht mitteilbar, denn auf alle konventionellen Ausgangspunkte wird von vornherein verzichtet. Infolgedessen verliert die Sprache ihre Festigkeit und die intellektuelle Kommunikation zwischen Autor 66 Die Metaphysik <?page no="67"?> und Leser wird unterbrochen. Man will vom SEin sprechen, von Phänomenen, von Besonderheiten, Differenzierungen, Kausalität, Subjekt, Objekt, und all das wird schon in seiner verbalen Definition in Frage gestellt. Aus diesem Grund stellen wir leicht fest, wenn wir die drei großen Bände von Die Welt als Wille und Vorstellung mit ihren 1.400 Seiten zur Hand nehmen, 3 dass die Zahl der Wiederholungen und mehrfachen Äußerungen ein und derselben Behauptung oder ein und desselben Gedankens in unermüdlich variierten Formen so groß ist, dass die gesamte darin enthaltene Theorie, inklusive dem, was man ihren Beweis nennen kann, auf etwa zwanzig Seiten reduziert werden könnte, ohne dass der Gedanke dabei in irgendeiner Weise Schaden nähme. Damit der Leser den Inhalt der Aussage: „ Die WElt ist meine VOrstellung “ 4 begreift (und sich verständlich zu machen ist in dieser Angelegenheit schwieriger und wichtiger als zu beweisen), ist es für Schopenhauer unausweichlich, sie in neuen Sätzen hundertmal zu wiederholen, bis er durch sukzessive Eliminierung aller Begriffe, die der Leser in diese Aussage einzupassen versucht und die nicht zu den verschiedenen anderen Ausdrücken desselben Gedankens zu passen scheinen, jenes Konzept zu entdecken vermag, das er vermitteln wollte, und als harmonisch mit all diesen zahlreichen Aussagen anerkennt. Eine metaphysische Darlegung kann nicht anders erfolgen. Seine mühsamste Aufgabe besteht darin, sich dem Leser mitzuteilen und in ihm dann die Bilder und Geisteszustände zu erwecken, die beim Autor zu den Urteilen und Überzeugungen geführt haben, an denen er sich bemüht, ihn teilhaben zu lassen. Hierauf reduziert sich die Substanz dessen, was in der MEtaphysik und wahrscheinlich in jedem intellektuellen Bereich als „ Beweis “ bezeichnet wird. Beweisen heißt zeigen, vorführen und nichts weiter; sein ganzer logischer Wert und seine ganze Wirksamkeit ist bescheidenerweise das, zusätzlich der Hoffnung, dass dieselben Bilder und Darstellungen in jeder Intelligenz dieselben Urteile bestimmen werden wie in der des Autors; diese Hoffnung wiederum 3 Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke - 1 - Die Welt als Wille und Vorstellung, I, ed. Wolfgang von Löhneysen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986. Diese deutschsprachige Ausgabe hat einen Umfang von 735 Seiten, nur wenn man Band II dazurechnet, welcher die Ergänzungen zu den vier Büchern des ersten Bandes enthält und weitere 853 Seiten umfasst, ergibt sich annähernd die von Macedonio Fernández genannte Seitenzahl: 1.588 Seiten. 4 „ Aus der jeden Leser als philosophisch kompetenten Menschen ansprechenden evidenten Einsicht: ‚ die Welt ist meine Vorstellung ‘ ist am Ende der Erläuterung des ersten Absatzes ‚ Die Welt ist Vorstellung ‘ geworden, die transzendentalphilsophische apriorische Grundwahrheit, die Subjekt und Objekt als Erkenntniseinheit unter den Begriff ‚ Vorstellung ‘ bringt. “ Margit Ruffing „ Die transzendentalphilosophische Grundlegung (W I, §§ 1 - 7) “ , in: Oliver Hallich, Matthias Koßler edd.: Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Berlin: Akademie Verlag 2014, p. 19. Die Metaphysik 67 <?page no="68"?> findet ihre Grundlage in Analogien und Präzedenzfällen, die stets bestätigt werden. Aus all diesen Gründen müssen sich die Ausführungen dieser Ordnung durch eine Überfülle und Wiederholung von Äußerungen einiger weniger Gedanken auszeichnen, was sich zugegebenermaßen sehr gut für die mehr oder weniger amüsante Ironie der Praktiker eignet. Man kann sich zwei Hauptargumente vorstellen, um die Untauglichkeit der MEtaphysik zu erklären: die Undarstellbarkeit des Affektiven und die Tatsache der Unbegreifbarkeit bestimmter Konzepte oder Auffassungen. Schopenhauer ist derjenige, der die Unterscheidung zwischen AFfizierung und VOrstellung am eindringlichsten überdacht und herausgearbeitet hat, indem er die erstere als WIllen bezeichnete; seine Ausführungen sind durch diese allgemeine Unterteilung gekennzeichnet, ohne sie jedoch in irgendeiner Weise als Hindernis für die metaphysische Untersuchung anzuführen. Das agnostische Argument für die Existenz von Unbegreifbarkeiten, die die intellektuelle Effizienz einschränken, wurde von Spencer sorgfältig entwickelt und ist in der Tat die konkreteste und vollständigste Formulierung des agnostischen Kriteriums. Wir wollen uns zunächst mit der Undarstellbarkeit des Affektiven (Lust und Unlust) befassen, die als Argument gegen die MEtaphysik verstanden werden kann; am Ende werden wir die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Argumenten gegen die MEtaphysik aufzeigen. Es wird argumentiert, dass der hedonische Ton von Bewusstseinszuständen nicht wahrnehmbar, nicht-apperzeptibel oder nicht darstellbar ist und dass daher das grundlegende Angesicht des Seins für intellektuelle Operationen unzugänglich bleibt. Unlust und Lust werden gefühlt, aber nicht von der INtelligenz erdacht oder in Bilder übersetzt. Die Intelligenz manipuliert Empfindungen, Wahrnehmungen und ihre auditiven, visuellen, taktilen, thermischen usw. Rückstände oder Bilder, aber sie kann Unlust und Lust nicht begreifen, weil begreifen einfach bedeutet, sich etwas vorzustellen, ein Bild von einem reinen Zustand oder einer reinen Sache zu formen oder zu extrahieren, darüber zu „ urteilen “ , denn ein jedes Bild hat eine Form, eine Grenze, was bei Unlust-Lust nicht der Fall ist. Die Form scheint für das Bild so wesentlich zu sein, dass die visuelle Form als ein Typus von ihm gesetzt wird, wie die Tatsache zeigt, dass das Verb „ sehen “ spontan als Äquivalent zum Verb „ kennen “ oder „ wissen “ verwendet wird, und so sagen wir: „ Ich sehe in dieser Sache nicht klar “ , oder „ Dieses Axiom ist offensichtlich “ . Wir können den Schmerz nicht erfassen, begreifen, sehen oder darstellen und ihn daher nicht in Begriffe der Intelligenz übersetzen. Wenn wir an eine Orange denken wollen, erscheint sie uns einfach und deutlich in der Hervorrufung; und 68 Die Metaphysik <?page no="69"?> wenn wir sie, statt sie hervorzurufen, sie gegenwärtig wahrnehmen, in der visuellen oder taktilen Empfindung, so eignet sie sich umso mehr zum Denken, während die gegenwärtige Unlust oder Lust noch formloser und ungreifbarer für das Denken ist als die Vergangenheit, weil sie das Wesen beherrscht und ausfüllt, ohne Konturen oder Form zu zeigen. Darauf wollen wir zunächst antworten, dass alle Zustände, sowohl die affektiven als auch die vorstellbaren, hervorrufbar und dass alle Hervorrufungen von derselben Art sind; sie sind Wiederaufleben, sie sind gegenwärtige Zustände, weder Schatten noch Residuen. Die Erinnerung an eine Emotion ist eine gegenwärtige Emotion; die an einen körperlichen oder moralischen Schmerz ein gegenwärtiger Schmerz, und ebenso ist die Erinnerung an eine Empfindung und Wahrnehmung eine neue und dieselbe Empfindung, ohne irgendeinen Unterschied in der Natur, bestenfalls einem Unterschied in der Intensität von Emotion, Wunsch, Gefühl, Unlust oder Lust oder Empfindung in der Gegenwart. Gerade diese Differenz der Intensität ist in der Tat ohne jeglichen Wert: In Zuständen großer Einbildungskraft, des Deliriums oder der Träumerei, nehmen die Hervorrufungen den gleichen Grad an eigener Intensität und assoziativer Intensität an wie die Zustände, die nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Erinnerungen sind. In der Träumerei oder im tiefen Nachdenken, die eine Träumerei im Wachen ist, sind die Bilder unter einem bestimmten Aspekt genauso lebendig wie die tatsächliche Wahrnehmung. Von der gleichen Art ist das so genannte affektive Gedächtnis, von Empfindungen oder Emotionen, die schmerzhaft oder angenehm sind. Es ist ein Wiederaufleben, ein gegenwärtiger Zustand, denn in der äußeren oder inneren REalität ist kein Ding ein Bild eines anderen, eine Darstellung eines anderen, eine Erscheinung eines anderen. Sie alle existieren für sich selbst und aus eigenem Antrieb. Oft schließen wir die Augen, um klarer zu sehen, und diese innere Welt, die wir die Welt der Reste oder Erinnerungen, der Bilder nennen, bietet sich uns so klar und deutlich an wie die REalität, zu dessen Abbild wir sie erklären; nichts ist in diese Welt getreten, mit dem Wunsch Abbild oder Darstellung anderer Dinge zu sein. Kurzum, da die Affizierung wie die Darstellung hervorrufbar ist, ist sie wie diese denkbar. Zumindest in dieser Hinsicht ist das Argument unerheblich. Angenommen, man würde argumentieren, dass affektive Zustände, egal ob gegenwärtig oder hervorgerufen, immer undarstellbar sind, nicht auf Darstellungen reduziert werden können. Sind dann Unlust und Lust undarstellbar? Korreliert dann die Eigenschaft eines Zustands, undarstellbar zu sein, mit der Eigenschaft, nicht denkbar zu sein? Das Argument der Unmöglichkeit einer vollkommenen Kenntnis des SEins weist also aufgrund der Tatsache, dass einer seiner grundlegenden Aspekte, das Die Metaphysik 69 <?page no="70"?> Affektive, nicht denkbar ist, zwei Phasen auf: 1) dass das Affektive nicht hervorrufbar, erinnerbar und daher nicht denkbar oder direkt wahrnehmbar ist; 2) dass das Affektive, selbst wenn es hervorrufbar wäre, es nicht darstellbar und in Bilder umwandelbar ist, oder aber keine Form oder Grenze besitzt und daher undarstellbar, nicht wahrnehmbar und auch nicht denkbar ist. Wir haben bereits gesagt, dass das Affektive, die Lust und die Unlust, vollständig hervorrufbar, erregbar, erinnerbar sind. Es stimmt, dass mir, sobald ich an eine Uhr, an eine Orange denken will, ihr Bild in den Sinn kommt, wohingegen, wenn ich versuche, die Angst zu studieren und zu diesem Zweck versuche, die Angst heraufzubeschwören, die ich bei einer gewissen Prüfung an der Fakultät erlebt habe, ist es sehr schwierig für mich, wenn es sich um nicht sehr kürzlich stattgefundene Ereignisse handelt, ihre Wiederaufleben zu erzielen; hedonische Zustände sind intensiver und daher weniger handhabbar als Darstellungen; andernfalls wären wir ständig in Aufruhr, wie wir es eine halbe Stunde nach einem gewaltsamen Ereignis sind. So, wie es nicht dasselbe ist, ein Gewicht von einem Kilo zu heben, wie ein Gewicht von zwanzig Kilo zu heben, so ist es nicht dasselbe, sich an eine Orange zu erinnern - ein sehr geringfügiges Phänomen, das unser inneres Umfeld nicht in jeder Hinsicht verändert - , wie sich an den Ärger zu erinnern, den wir in einer bestimmten Situation erlebt haben. Das emotionale, affektive Wiederaufleben ist jedoch eine ständige, normale Tatsache, sowohl als spontanes als auch als gesuchtes, provoziertes Phänomen. Die Hervorrufbarkeit ist kein Grund für einen echten Unterschied zwischen Darstellung und Affizierung. Außerdem ist die Hervorrufbarkeit keine Bedingung des Denkens: Man kann sowohl an eine aktuelle Darstellung als auch an ihr Bild denken, an eine aktuelle, das heißt durch eine aktuelle Tatsache oder einen aktuellen Gegenstand hervorgerufene Affizierung, als auch an diese erinnerte Emotion. Man kann noch einen fundamentaleren Grund hinzufügen: Jedes Phänomen oder jeder Zustand ist affektiv, und vielleicht ist es nur Affizierung, das heißt Lust oder Unlust. Alles, was geschieht, alles, was existiert, ist Lust oder Unlust, visuell, auditiv, taktil, muskulär, olfaktorisch, begrifflich, gustatorisch, und es ist nur Lust oder Unlust; die Besonderheiten, der Unterschied, der zum Beispiel zwischen dem auditiven und dem taktilen besteht, ist nur ein Unterschied der Intensität der Lust oder Unlust und in Wahrheit drängt sich als primäres Konzept die Gewissheit auf, dass das Sein nichts erleben kann, das nicht angenehm oder schmerzhaft ist, und dies ist das einzige, was sein kann. Das Rot unterscheidet sich vom Grün, wie sich der Duft des Veilchens von dem der Magnolie unterscheidet, das heißt wie ein intensiverer affektiv-positiver Zustand. Die Illusion der Unveränderlichkeit, die die Besonderheiten ver- 70 Die Metaphysik <?page no="71"?> ursachen, lässt sich leicht zerstreuen: Wenn wir glauben, dass die Farbe Rot als visuelle Modalität eine unveränderliche und irreduzible Tatsache ist, müssen wir glauben, dass dies auch für die auditiven Modalitäten gilt. Allerdings ist der Ton, der durch den ersten Anschlag der Gitarre in der Luft entsteht, für den Musiker immer ein E, unabhängig von der Spannung der Saite: Wenn diese Spannung erhöht wird, ist der Ton so unterschiedlich, wie Rot von Grün sein kann, und dennoch nennen wir ihn weiterhin ein E; kurz gesagt, niemand kann ein E von einem C unterscheiden. 5 Wenn ihr mir mit verbundenen Augen zuhört, könnt ihr nicht sagen, welcher Ton auf meiner Gitarre geschwungen hat, und dasselbe würde für Farben, Aromen usw. gelten, wären da nicht die nebensächlichen Assoziationen (nicht durch das Phänomen selbst), die das Sehen, den Geruch, den Geschmack in Bezug auf das Hören zu dem machen, was ein Klavier (bei dem jede Taste immer denselben Ton anschlägt) in Bezug auf die Geige oder die Gitarre ist. 6 Mehr noch: Niemand würde einen Geschmack von einer Farbe oder einem Ton unterscheiden, wenn es nicht Daten gäbe, die dem Phänomen selbst fremd sind; so wie im RAum eine jede Position nur in Relation zu einer anderen Position existiert, so wird jedes Phänomen der Spezifizität von anderen unterschieden und erkannt (dieses Erkennen ist eine Tatsache, die wir genau untersuchen müssen), nicht von ihm selbst, denn es ist an und für sich nichts weiter als eine bestimmte Intensität der Unlust oder der Lust. Da jeder Zustand eine rein affektive Tatsache ist, können nicht einige denkbar sein und andere nicht: Bild, Empfindung, Wahrnehmung, Gefühl, sind immer nur Unlust oder Lust mit unterschiedlichen Intensitätgraden. Der Grund, den ich anführe (er wird sehr eigenartig anmuten), um zu erklären, warum ein visuelles Bild, das ich so schnell hervorrufen kann, wie ich will, so handlich ist und warum es so schwierig ist, eine intensive affektive Erinnerung ins Bewusstsein zu rufen (nicht die Erinnerung an die Umstände, die einen affektiven Zustand umgeben oder hervorgerufen haben, sondern die Erinnerung oder das Wiederaufleben des Zustands selbst; nicht die Szene des Examens, sondern die Angst, die ich dort empfunden habe), ist, dass unsere psychologische Struktur, um zu denken und zu evozieren, wie ein Hebel wirkt; an einem Ende befindet sich die Empfindung, das Bild, die affektive Erinnerung, die man denken oder evozieren will, und am anderen befindet sich: die allgemeine Zönästhesie, die Gesamtheit der organischen Empfindungen, die 5 Macedonio scheint in seinen Überlegungen Menschen mit absolutem Gehör bzw. Tonhöhengedächtnis auszuklammern und von relativen Tonlagen (anstelle von relativen Tonstufen) auszugehen. 6 An dieser Stelle werden Klavierspieler*innen und v. a. Klavierstimmer*innen sicherlich energisch widersprechen. Die Metaphysik 71 <?page no="72"?> das Bewusstsein gerade empfängt, variabel je nach dem physiologischen Zustand des jeweiligen Augenblicks und je nach den bedrückenden oder erregenden psychologischen Mitteln (Emotionen, Empfindungen), die in letzter Zeit auf die Person eingewirkt haben. Um einen Bewusstseinszustand zu erreichen und aufrechtzuerhalten, ist eine umso reichhaltigere oder umfangreichere Zönästhesie erforderlich, je intensiver der Zustand ist: Die affektive Intensität ist das Äquivalent des Gewichts oder der Schwerkraft. Um einen intensiven Schmerz heraufzubeschwören oder an ihn zu denken, bedarf es eines außergewöhnlichen Zustands der Fülle der Zönästhesie, und deshalb ist es so schwierig, sich eine Vorstellung von einem Schmerz zu machen. Ein intensiver Schmerz (und auch ein Vergnügen) verbraucht alle biologischen, mentalen und muskulären Energien, und wenn eine schmerzhafte Empfindung länger andauert oder plötzlich intensiv wird, bleibt nur sie im Bewusstsein oder vielmehr ist dieser Schmerz der ganze Mensch, das ganze Bewusstsein; in diesem Moment ist das „ Sein “ , das Bewusstsein, der Mensch dieser Schmerz; er ist das und nichts weiter. Andererseits können, ein Geräusch, eine Empfindung oder ein Bild einer taktilen Empfindung, eine Farbe, im Bewusstsein neben und gleichzeitig mit vielen anderen Bildern sein, mit der Anstrengung, der Aufmerksamkeit, der Reflektion, und können daher gedacht, beurteilt werden. Die Intensität in der Ordnung des BEwusstseins ist das, was die Größe in der Ordnung des RAumes ist; das sehr Intensive im Bewusstsein verliert Kontur, Form, Grenze, weil die Form einer Sache aus der Unmittelbarkeit einer anderen Sache resultiert, aus der Koexistenz, die an eine andere grenzt: Wenn Lust oder Schmerz (Unlust) das ganze Bewusstsein absorbiert hat, dann bleibt nichts mehr übrig, was den Umriss dieses Zustandes markieren könnte; dadurch wird jede Gleichzeitigkeit (was die psychologische Kontiguität ist) mit anderen Zuständen ausgeschlossen, das Phänomen ist nicht gedacht, denn denken heißt, den Umriss oder die Unterscheidung eines Zustandes in Bezug auf einen anderen wahrzunehmen, denken heißt, die Dinge in das Konzept von Raum und Zeit zu bringen, das heißt, von Unmittelbarkeit, von Verortung, von Kontiguität, von Gleichzeitigkeit. Der RAum ist die nicht vergängliche Gleichzeitigkeit; die ZEit ist die nicht konstante Kontiguität; das ICh oder Subjekt ist das, was sich für den RAum bewegt, und das, was für die ZEit unbeweglich ist: das ICh ist das, in Bezug auf das sich die ZEit bewegt, und das, was in Bezug auf den RAum beweglich ist. Die DInge (Raum) sind: Der MEnsch bewegt sich auf sie zu oder von ihnen weg; die EReignisse (ZEit) vergehen, indem sie sich ihm nähern (ZUkunft) oder sich von ihm entfernen (VErgangenheit). Was die Undarstellbarkeit des Affektiven betrifft, so ist nicht nur seine Nicht- Hervorrufbarkeit widerlegt, sondern auch seine Nicht-Übersetzbarkeit in Bilder ist durch das Gesagte angefochten. Es liegt auf der Hand, dass eine Unlust nicht 72 Die Metaphysik <?page no="73"?> in Bilder oder Darstellungen übersetzt werden kann, die ebenfalls Unlust und Lust sind, weil nichts eine Darstellung oder Übersetzung von etwas anderem sein kann. Aber dieses Argument der Undarstellbarkeit des Intensiven ist substanziell identisch mit dem, was wir zuerst angedeutet haben und das vor allem von Mausel 7 und Spencer 8 formuliert wurde. Um die Unkennbarkeit eines Aspekts der REalität zu begründen, argumentierte Spencer, dass bestimmte Dinge aufgrund ihrer Größe oder Anzahl begreifbar sind und andere nicht; dass wir eine Konzeption haben, das heißt Gesamtansicht und Detail einer Orange; dass dies schwieriger ist als ein Schiff, noch schwieriger als ein Berg und schlussendlich noch schwieriger als die Form der ERde oder ihr Abstand zur Sonne; dasselbe gilt für die Geschwindigkeiten der Bewegung eines Wagens, einer Lokomotive, des Schalls, eines Geschosses, der Wärme, des Lichts, der Elektrizität; von letzteren können wir uns keine Vorstellung machen. Es gibt also Aspekte des SEins oder der REalität, die aufgrund ihrer Größe (RAum) oder Geschwindigkeit (ZEit) unbegreifbar sind, und es kann nicht gekannt werden, was man nicht begreift oder sich einbildet. Daher könnte das vielleicht eine Einschränkung für die WIssenschaft sein, nicht für die MEtaphysik: dies ist das Problem der Existenz des Seins, nicht der Beschreibung des Seins: eine Orange hat so viel Existenz wie das astronomische 7 Hier handelt es sich evtl. um einen Vertipper, bzw. eine falsche Übertragung vom Manuskript, ein Fehler der auch heute noch - wenngleich häufiger durch automatisierte Scanverfahren und fehlendes Lektorat - bei diesem Namen passiert: Henry Longueville Mansel war ein englischer Kleriker und Philosoph, der - so der Eintrag zu seiner Person in der Encyclopaedia Britannica von 1911 - in The Limits of Religious Thought (1858) mithilfe seiner Interpretation des Denkens William Hamiltons und Kants einen metaphysischen Agnostizismus auf die christliche Theologie anwandte. Von Kant abweichend und für Macedonio Fernández umso interessanter scheint seine Annahme, dass die wahre Erkenntnis des Ichs selbst eine Tatsache der Erfahrung sei. Unterstützung für diese Vermutung gibt außerdem F. Howard Collins indem er im ersten Kapitel seiner Epitome über Spencer gleich zu Beginn schreibt: „ Die von Hamilton und Mansel in Form gebrachte Lehre einen Schritt weiter führend; die verschiedenen Richtungen hervorhebend, in denen die Wissenschaft auf die nämlichen Schlüsse führt ; und den Nachweis bietend daß in diesem vereinigten Glauben an ein Absolutes welches nicht bloß menschliche Erkenntnis sondern auch menschliche Begriffe übersteigt, die einzig mögliche Versöhnung zwischen Wissenschaft und Religion liegt. “ F. Howard Collins: Epitome der Synthetischen Philosophie Herbert Spencer ’ s - Mit einer Vorrede von Herbert Spencer (1889 Englisch) transt. J. Victor Carus, Leipzig: C. G. Naumann 1900, p. 3. 8 Der Eintrag zu Herbert Spencer (1820 - 1903) in der Stanford Encyclopedia of Philosophy beginnt mit dem außergewöhnlichen Verweis, er gälte üblicherweise und sehr zu Unrecht als ein grober Sozialdarwinist. Spencer verfasste große Textmengen im Bereich der Ethik, der politischen Philosophie, der Psychologie, der Biologie und vor allem der Soziologie. Ähnlich wie bei Macedonio ist es schwierig, eine Grenze zwischen philosophischen und nicht-philosophischen Texten zu ziehen. Die Metaphysik 73 <?page no="74"?> Universum, ein visuelles Bild wie der größte Schmerz: was die MEtaphysik im Angesicht der Existenz der Orange antwortet, antwortet sie auf die gesamte EXistenz. Aber ich werde auch erwidern, dass ich die von Spencer behauptete Tatsache bestreite: Ich glaube, dass sich die Intelligenz jedem Ereignis oder jedem Phänomen anpassen kann, dass es in einer geübten und spezialisierten Intelligenz eine angemessene Konzeption gibt, nicht nur ein konventionelles Zeichen, von jeder Größe, Komplexität oder Schnelligkeit; dass die Geschwindigkeit der Lichtwelle, wie viele Tausende von Kilometern auch in eine Sekunde ihrer Bewegung passen mögen, durch das Denken angemessen erfasst wird, perfekt vorstellbar ist. Außerdem, so wie ein Atom so groß und kompliziert ist wie das Universum, so ist die Schnelligkeit der elektrischen Schwingung lediglich eine Allgegenwärtigkeit, die dasselbe ist wie die Unbeweglichkeit für die MEtaphysik. Es gibt also kein Unmögliches in der MEtaphysik: Das Problem besteht lediglich darin, eine ausreichende geistige Anstrengung zu unternehmen. Kurzum: Der hier entwickelte metaphysische Gedanke lässt sich konzis ausdrücken: Unserem tiefsten Eindruck nach scheint es so, als gäbe es durch eine einzigartige Absurdität etwas, das mehr ist als die Existenz, das heißt mehr als das „ Sein “ oder das Phänomen oder die REalität; dieses Etwas Mehr ist: Zeit und Raum. Diese Zeit und dieser Raum, die in Wahrheit nichts, absolut nichts mehr als Worte sind, bestehen aus einem vagen Eindruck, einer vagen Empfindung, psychologisch gesprochen, die sich im Wesentlichen in irgendeinem taktilen oder visuellen Wiederaufleben konkretisiert, die allen Phänomenen anhaftet und selbst natürlich ein Phänomen ist und den ersten sowie universellsten Akt oder das Produkt der apperzeptiven Funktion darstellt, die eigentliche und unaufhörliche Arbeit unserer mentalen Struktur. Die APperzeption, die in gewissem Sinne nichts anderes ist als der Assoziationismus, ist die korrelative psychologische Eigenschaft der materiellen oder äußeren KAusalität; aber da das parallele Wirken von Angesicht zu Angesicht und von Tag zu Tag der einen und der anderen einen radikalen Unterschied des Mechanismus bietet, erzeugen das Wirken der einen und das Wirken der anderen eine unlösbare Verwirrung für die INtelligenz, über die die lange Debatte der MEtaphysik Rechenschaft ablegt. Und es sind in erster Linie ZEit und RAum, diese völligen Inexistenzen, die zu den einzigartigen metaphysischen Perplexitäten führen, wie die verschiedenen Fragen zeigen, die diese Perplexitäten üblicherweise zum Ausdruck bringen: Wann begann die Welt? Ist sie unbegrenzt? Ist die MAterie bis ins Unendliche teilbar? und so weiter. 74 Die Metaphysik <?page no="75"?> Die APperzeption ist diese Funktion, die der mentalen Struktur eigen ist und die wir das Gesetz der Assoziation der Ideen nennen, 9 das in einer speziellen Handlung beobachtet wird: im Wiederaufleben, bei jeder Vorstellung oder jedem Bild der Bilder aller Empfindungsmöglichkeiten, die in der äußeren oder inneren Erfahrung gewohnheitsmäßig mit jeder Empfindung oder Vorstellung zusammenhängen oder mit ihr einhergehen. Ihretwegen tauchen - wenn auf meine Psyche nur eine der vielen Wahrnehmungen einwirkt, die ein Objekt bieten kann, zum Beispiel die Farbe - im Bewusstsein sofort alle Bilder aller anderen Empfindungen auf, die dieser konkrete Körper uns bieten kann und uns schon vielfach geboten hat. Wenn ich eine Orange aus der Ferne sehe, gibt sie mir keine andere Empfindung als die visuelle: Dennoch habe ich sofort die Bilder der Berührungsempfindungen, des Geruchs, der Konsistenz oder Resistenz, der Schwerkraft und der Temperatur, des Geschmacks, die mir derselbe Gegenstand gewöhnlich vermittelt, wiederbelebt und empfunden. Daraus ergibt sich der Eindruck von Ausdehnung und von materieller Substanz oder einfach von Materie. Diese APperzeption erschafft also die WElt als substanzielle selbst-bestehende Identität, und sie erschafft das ICh als substanzielle selbst-bestehende Identität und Kontinuität, und sie erschafft die Verortung des Ich oder des Bewusstseins in einem physischen Körper von solcher Form, Größe, Farbe, Aspekt, das heißt, sie erschafft die einzigartigsten Verortungen oder Unmittelbarkeiten: die Verortung des Psychischen im Physischen, den psycho-physischen Knoten (der uns die beste Gelegenheit bietet, den Unterschied zwischen dem Unmittelbaren und dem Gleichzeitigen oder Einhergehenden festzustellen), die Unmittelbarkeit Seele-Körper sowie die Verortung der (psychologischen) Stadien im Bewusstsein. Es scheint uns also, dass es neben den visuellen, taktilen, olfaktorischen usw. Empfindungen, die eine Orange hervorrufen kann, die Materie der Orange gibt, und dass daher, selbst wenn diese Empfindungen verschwinden würden, das heißt selbst wenn wir verschwinden würden, die Orange, ihre Materie, weiter existieren würde. In ähnlicher Weise urteilen wir, dass es neben unseren Schmerzen, Wünschen, Ideen, Bildern auch unser BEwusstsein oder unsere PSyche gibt, und dass diese Ideen, Wünsche usw. in einem Bewusstsein erzeugt werden, welches Bewusstsein sich wiederum in einem Körper befindet, der 9 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Es muss ausschließlich als Assoziationsgesetz oder Assoziationismus bezeichnet werden, weil Emotionen, Wünsche und Gefühle sowie die nicht spezialisierten Empfindungen von Lust und Unlust, das heißt das gesamte psychische Material assoziierbar ist und nicht ausschließlich die Ideen. Allerdings enthält die primitive Aussage eine instinktiv empfundene Wahrheit, wie es fast immer der Fall ist, und zwar, dass es die Ideen oder Bilder die wirklichen Phänomene der Assoziation sind. Die Metaphysik 75 <?page no="76"?> ebenfalls in der REalität ist, welche REalität in Augenblicken und in Positionen, in ZEit und RAum existiert. Jene ZEit und jener RAum sind die einzigen, von denen wir nicht sagen, dass sie in etwas anderem sind, denn sie selbst sind all die In, sie sind die nicht lokalisierbaren All-Lokalisierer. Diese Domestizierung des PHänomens, die die Apperzeption unaufhörlich vorantreibt, ist WIssenschaft, täglich und systematisch, häuslich und professionell. Dank ihr kann der Mensch oder die Intelligenz das Phänomen nicht mehr kennen, nicht einmal beim allmorgendlichen Aufwachen: Nur eine lange und disziplinierte Anstrengung, die man MEtaphysik nennt, kann sie unbeeindrucken und davon überzeugen, dass, wenn „ Zustände “ und Objekte ausgelöscht würden, BEwusstsein und MAterie, ZEit und RAum nicht überleben würden, wie sie fest glaubt. So wie die ZEit an sich nichts verändert und eine Sache immer dieselbe wäre, egal wie viele Jahrhunderte vergehen, 10 so verändert der RAum oder die Distanz an sich eine Kraft oder Bewegung nicht; das Licht eines Streichholzes würde von einem Ende des Universums zum anderen reichen (und zwar im selben Augenblick), wenn es keine anderen Dinge in der REalität gäbe. Man sagt jedoch: „ Dieses Bild benötigt Zeit, um Wurzeln zu schlagen; diese Erinnerung wird mit der Zeit vergehen “ . Falsch: Die Zeit verändert nichts und hat auch keinerlei Wirkung: Nur Dinge und Ereignisse verändern Dinge und Ereignisse. Die „ Dinge “ als Gruppierung der verschiedenen Phänomene, die jedes Ding hervorrufen kann, an ein und demselben Punkt, und der psycho-physische Knoten als der Verortung der Zustände in einem Körper, sind die beiden grundlegenden Tatsachen der Schlussfolgerung des Kausalen in der Kontiguität; alles weitere muss gleich sein. Der lebendige Körper wiederum ist der Beweis dafür, dass nicht alles Materielle äußerlich ist, denn die unmittelbare Einwirkung der Seele auf ihn (in den Bewegungen) bewirkt, dass diese Bewegungen aufhören äußerlich zu sein, insofern das Äußere das ist, was nicht unmittelbar durch unser Verlangen veränderbar ist. 4 Allgemeine Aspekte des Seins oder der Realität Nehmen wir den Eindruck der psychologischen und materiellen REalität, so wie sie sich durch die Apperzeption darstellt, das heißt, nachdem die große Metamorphose der jungfräulichen Vision des Neugeborenen, zum Beispiel, in die konstruktive Vision durchgeführt wurde, die durch das Zusammenspiel der 10 Hier wird deutlich, dass Macedonio nicht an organische Materie denkt, wenn er „ Sache “ ( „ cosa “ ) schreibt. 76 Die Metaphysik <?page no="77"?> äußeren Kausalität mit dem inneren Assoziationismus des Menschen organisiert wird, so finden wir in ihr folgende allgemeinen Merkmale: - Phänomenale Pluralität, das heißt eine Vielzahl des Identischen. 11 - Phänomenale Vielfalt, das heißt, dass es neben der Anzahl oder Pluralität, also der Existenz einer Vielzahl von identischen und verwechselbaren Zuständen (die wir dank zeitlicher und räumlicher Beziehungen nicht verwechseln), eine Differenzierung oder Differenz der Phänomene gibt. - Darüber hinaus zeigt sich die Gesamtheit der Phänomene unter zwei Aspekten: einige erscheinen uns äußerlich, materiell, umfangreich, aus einer Produktion, die unabhängig von der direkten Wirkung unserer Wünsche oder Vorstellungen ist; wir können nicht auf sie einwirken, es sei denn durch die materielle Vermittlung unseres Körpers, und sie bilden das, was wir als die Außenwelt bezeichnen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist, dass sie in der Lage sind, zu handeln und von mehreren Bewusstseinen gleichzeitig wahrgenommen zu werden. Und andere erscheinen als innerlich, immateriell, intensiv, aber nicht umfangreich und direkt durch unsere Verlangen beeinflussbar. 12 Gemeinsam ist ihnen die Besonderheit, dass sie nicht existieren können, außer für ein Bewusstsein. In der Außenwelt gibt es Dinge, und es erzeugen sich die Bewegungen dieser Dinge: Es ist dies ein Unterschied, den der Geist zwischen dem festen Äußeren und dem sich verändernden Äußeren empfindet; auf die Bewegungen scheint ein Zeitkonzept zusammen mit dem des Raumes anwendbar zu sein, während die Dinge 13 nur eine räumliche Auffassung beinhalten; die Bewegung hat Dauer und Ausdehnung. Diese Feststellung ist nicht von großer Bedeutung; im Übrigen haben wir bereits gesagt, dass es nur Dinge oder Phänomene, nicht aber 11 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Die Pluralität des Gleichen, des Verwechselbaren, d. h. die ANzahl, das Vorhandensein mehrerer Orangen oder Verlangen, die absolut gleich sind, ist nicht wirkungsvoll: erst das Verschiedene, die Unterschiede, machen die Auffassung der Pluralität möglich. Wir führen Pluralität und Diversität getrennt auf, um den akzentuierten allgemeinen Vorstellungen zu entsprechen. 12 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Ausgedehnt bedeutet, dass ein und dasselbe Phänomen viel Raum einnimmt; intensiv, dass es in einem einzigen Augenblick viel Phänomen, viel Sein gibt. 13 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Ding und Ursache sind verschieden: Es gibt viele von der Intelligenz geschaffene Ursachen, die niemals Dinge sein werden, die niemals wahrgenommen sein werden, wie der Äther, die Schwingung des Lichts. Die Dinge haben keine Ursache: Nur ihre Bewegungen, die Bilder haben eine Ursache und so sagen wir: „ Warum hat sich mir wohl dieser Gedanke aufgedrängt? “ , und schon beginnen wir, seine Assoziationen zu untersuchen. Die Metaphysik 77 <?page no="78"?> Bewegungen gibt, und dass wir uns im Konventionalismus einer Zulassung von Gewohnheitseindrücken befinden. Die psychologischen Zustände bieten insofern eine größere Analogie zu den Bewegungen, als sie in der „ Zeit “ stattfinden, das heißt sie beginnen und enden und sind, während sie im Zuwachs oder Abnehmen von Intensität und Klarheit andauern: Sie legen eher die Bezeichnung von Ereignis als von Dingen nahe. Alle Phänomene von äußerem Charakter haben eine Reproduktion oder ein Bild in der Seele, und da wir nicht vorgreifen, ob die Bilder, ähnlich wie die Empfindungen, eine Wirkung, eine Widerspiegelung derselben sind, könnten wir sagen, dass alle Ereignisse der Außenwelt auch im Bewusstsein zu finden sind, während der umgekehrte Fall nicht eintritt, denn außer den Bildern enthält das Bewusstsein die Phänomene der Unlust und der Lust, die in der materiellen Welt keine Figuration haben. Das Bild „ Nelke “ , das ich in meinem Kopf habe, kann ich als äußerliches wahrnehmen, als Empfindung oder Vorstellung, und andere Bewusstseine können das gleiche Bild aus der gleichen Vorstellung extrahieren: aber die Traurigkeit, die ich erlebe, kann ich nicht äußerlich wahrnehmen, und andere Bewusstseine können dies genauso wenig. Die innere Realität besteht aus den verschiedenen Zuständen, die die PSychologie schlüssig aufzählt: auditive, visuelle Bilder usw.; auditive, visuelle, muskuläre, thermische, Unlust- und Lustempfindungen, die die bloße Empfindung sein können oder denen, ohne dadurch anders zu sein, der Mechanismus und physiologische Zustände vorausgehen können, die man Verlangen, Emotion, Gefühl nennt. Abgesehen davon gibt es nichts: Weder Überzeugungen noch Urteile, noch Auffassungen oder Ideen sind etwas anderes als Kombinationen der genannten Empfindungen und Bilder; dasselbe gilt für den „ Willen “ , die Handlungen und die Willensäußerungen: Sie sind Empfindungen und Verlangen, die nur durch die Kooperation des Körpers als getrennte Tatsachen erscheinen. So wie es im Äußeren nur die „ Dinge “ und keine „ Bewegungen “ gibt, so sind auch die Willensäußerungen nichts: Die Psyche ist Empfindung-Bild und nichts weiter; die Überlegungen, Entschlüsse, Urteile, Überlegungen, Auffassungen sind immer und vollständig aus taktilen, visuellen und weiteren Bildern gewoben. Da die exakte Formulierung des Determinismus oder der Kausalität genau genommen lautet: nichts kann verändert werden, ohne dass sich nicht auch etwas anderes verändert, 14 hat die geistige oder psychologische Welt ihren 14 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Dass jede Modifizierung wahrgenommen wird, liegt daran, dass eine andere Modifizierung (Ursache) stattgefunden hat, und auch daran, dass eine andere Modifizierung unmittelbar stattfindet (ohne dass es besondere 78 Die Metaphysik <?page no="79"?> Determinismus, der jener der Assoziation ist: was einfach nur bedeutet, dass jedem psychologischen Zustand ein psychologisches Vorher und Nachher innewohnt, ohne Schädigung der Wirkung der Welt auf die Seele, der Vermischung oder des Zusammentreffens von äußerer Kausalität mit innerem Assoziationismus, das heißt von Vorstellung mit Empfindung. Aber die äußere Entfaltung zeigt sich nicht in der Reihenfolge ihrer kausalen Verkettung: Sie präsentiert uns eine Vielzahl von aufeinanderfolgenden oder unmittelbaren Ereignissen, die in keinem kausalen Zusammenhang zueinander stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die äußere Entwicklung die einer Vielzahl verschiedener Kausalketten, deren Glieder sich vermischen und berühren, ohne sich gegenseitig zu bedingen; und der betrachtende Assoziationismus spiegelt sie im Bewusstsein in derselben Unordnung, im ersten Eindruck, wider; aber dann reagiert das Bewusstsein und wirkt mittels des hemmenden Mechanismus seiner Aufmerksamkeit auf seine Bilder, so, wie es mittels seiner Arme auf die Außenwelt wirkt: es trennt und assoziiert Bilder, bis es sie in der ihnen eigenen kausalen Ordnung anordnet, unabhängig von der Unordnung ihrer Vorstellung. Es ist auf diese Weise, dass in einem Raum, in dem Billard gespielt wird, in dem Moment, in dem eine der Kugeln mit einer anderen zusammenstößt, einer der Anwesenden spricht, ein Besucher die Tür öffnet, ein Fensterladen sich schließt und ein Billardstock herunterfällt; der Zusammenstoß der Kugel hat all diese unmittelbar aufeinanderfolgenden Phänomene nicht bestimmt, sondern nur die Translation der anderen Kugel, und diese Translation wird nicht durch das Verlangen oder die Idee des Spielers bestimmt, auch nicht durch das Geräusch des Zusammenstoßes, sondern durch den Kontakt oder die Nähe. Das Bewusstsein nimmt die Szene auf diese Weise auf (und für das Kind wird die Explosion einer weit entfernten Bombe durch die Stimme der Mutter ausgelöst, die neben ihm ajó! 15 sagt und das sie mit einem intelligenten Lächeln anschaut und ihr das Spektakel zuschreibt) aber nach wiederholten Erfahrungen stellt es fest, dass die Bewegung der einen Kugel immer dann entsteht, wenn die andere sie berührt, das Fallen der Queues und das Schließen der Fensterläden Ursachen gäbe, sondern nur die „ Notwendigkeit “ von vorhergehend und nachfolgend), denn Ursache und Wirkung sind die beiden Phänomene, die sich in den beiden Richtungen der ZEit gegenseitig begrenzen: Sie sind ihr Antephänomen und ihr Postphänomen und nichts weiter; beide sind für jedes andere Phänomen ersetzbar, denn keines hat eine besondere Ursache oder eine besondere eigene Wirkung, die unersetzlich ist, sondern eine beliebige phänomenale Ursache: das heißt, jedes Phänomen kann die Ursache für jedes andere der REalität sein, und das geschieht auch. 15 Im Raum Buenos Aires wird mit Kleinkindern so gesprochen, es handelt sich hier um die Babybrabbelei der Erwachsenen. Die Metaphysik 79 <?page no="80"?> aber nicht; es stellt fest, dass das Geräusch der Berührung nicht unabdingbar ist, damit eine Bewegung durch den Zusammenstoß vermittelt wird, und es ersetzt schließlich die Assoziation der Vorstellung, oder des Unmittelbaren und Angrenzenden, die der Ursachen und Wirkungen. In der REalität findet die Psyche nicht nur ihre Zustände und eine materielle Außenwelt vor, sondern auch ein anderes Ereignis und ein anderes Problem: das der ihr äußerlichen Bewusstseine; das heißt eine äußere psychische Welt, die ihr die Pluralität der Subjekte ebenso wie der Zustände und Objekte präsentiert. (1908) 80 Die Metaphysik <?page no="81"?> Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Arrangement der Zettel, die eine von der Kunst erschaffene Romanfigur hinterlassen hat, Deunamor 1 der Nicht-existierende-Kavalier, Gelehrter seiner Hoffnung. Editionen pro Fantasie und Erwartung Offene Augen sind nicht bloß Wachen und auch nicht das ganze Wachen. Die Sachen unserer Seele nennt das Wachen Träume. Aber auch aus diesem gibt es ein Erwachen, das das Wachen zur Träumerei macht: die Kritik am Ich, die MYstik. 2 Wachen, du bist nicht alles. Es gibt das Wachstere als dich: für die Mystik. Und Träumereien zwischen geschlossenen Augenlidern. Weit mehr als der TAg ist das SEin evident, die Fülle, und individuelle mnemonische Ewigkeit unseres Seins nie begonnen, unterbrochen, nie endend. Leitsätze Zu KUnst und LEben: TRagödie und HUmoristik leiden an keinen Grenzen, weder in der KUnst noch im LEben Zum DEnken: Möge es Macht gegen den TOd geben: Das SEin kennt kein Gesetz, alles ist MÖglich. 1 Petra Strien übersetzt Deunamor mit „ Der Treue Liebhaber “ (cf. Macedonio Fernández: Das Museum von Eternas Roman (1967 argentinisches Spanisch), transt. Petra Strien, Berlin: Die Andere Bibliothek 2014, pp. 75 - 79. 2 Wir haben uns dazu entschieden, „ mística “ mit Mystik zu übersetzen. Im Sinne der Übersetzungen von Kant ins Spanische, bot sich indirekt auch „ Schwärmerei “ an, da Dulce María Granja Castro in ihrer Tabelle der Begriffsentsprechungen unterschiedlicher Übersetzungen in einem Anhang an die Kant-Übersetzung von Mario Caimi darauf hinweist, dass „ Schwärmerei “ von Manuel García Morente 1928 mit „ misticismo “ übersetzt wurde. <?page no="82"?> STaat, Kultur, Kunst, Wissenschaft oder Buch, die nicht gemacht wurden um der LEidenschaft 3 zu dienen, sind auf direkte oder indirekte Art und Weise, unerklärlich. Die Seele erwacht, in Kraft im schlafenden Körper, es sind die Träumereien. Und manchmal herrscht sie über das WAchen; lässt die REalität auf der Schwelle warten. Ohne FAntasie, ist die UNlust groß; er wird, weit mehr als er ist, fantastisch. Falls diese Zettel publiziert werden, werde ich der glückliche Autor sein, der das ordentlichste Buch präsentiert; denn hinter dem Wort Ordnung steckt folgende Idee: „ wie die REalität “ , und diese, das SEin, ist frei, ohne Gesetz. Mit derselben Genauigkeit, mit der die aufgeräumten Bände von Kant oder Schopenhauer die Kapitel 1., 2., 3., 4., usw. bezeichnen, die sich allesamt befriedigenden Wiederholungen, Rücksprüngen, Richtigstellungen, gegenseitigen Widersprüchen, Entsagungen widmen, benenne ich: „ Andere Handhabung “ , „ Dasselbe “ , „ Wiederum “ , „ Aus erneut dasselbe “ , „ Noch einmal “ , „ Schluss “ (hieß VOrwörtliche BEmerkung, aber sie war so wohlgenährt, dass der Schriftsetzer erkannte, dass mir keine weitere Idee mehr geblieben sein konnte; und da ich ihm die Seiten ‚ über das Reden ohne Bescheid zu wissen ‘ bereits vollständig ausgehändigt hatte, und zwar druckreif, führte er die Veränderung des Namens und der Anordnung kompetent durch), „ Antwort “ (einige wenige Fragen), „ Lösung “ (ich komponiere die Stimme, weiter nichts; hier imitiere ich alle Autoren, klammere meine Innovationsroutine aus: ich schaffe nichts, das an die Qualität des von ihnen stets Praktizierten heranreichen könnte: ich stelle keine Lösung vor, kein Leser glaubt an so etwas, sondern den Tonfall einer Lösung, an dem es mir nicht mangelt, ohne dass ich ihn von all meinen Kollegen erlernen musste. Die Übernahme des Tons der Sicherheit ist eine literarische Änderungsvariante, die es angenehmer macht; und noch dramatischer, da alle Seiten zeigen, dass der Autor weder einen Schritt Richtung Erklärung getan hat noch aus der Benommenheit und der geistigen Verwirrung herausgetreten ist, die er derart schmeichelhaft als Motiv vorbringt, dass dieses ihn dazu zwingen würde, ein Buch zu machen. Der Leser genießt es, den Denkern dabei zuzusehen, wie sie sich in diesem Kapitel der Ernsthaftigkeit etablieren, zu dem sie, so sagen sie, unerwartet gelangen, da die Angelegenheit auf den letzten Seiten völlig durchdrungen wird: schon wissen sie nicht mehr, was es war, was man von ihr wissen müsste, was sie von der Angelegenheit halten, oder ob es überhaupt irgendeine Art Angelegenheit gibt). Was für Schwierigkeiten! Kollegen; jetzt 3 „ Pasión “ ist ein vielseitiges Konzept bei Macedonio, häufig wurden Parallelen zu Spinozas passio gezogen. 82 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="83"?> kenne ich euch. Mit W. James, 4 Emerson, 5 Guyau, 6 Carlyle, 7 kann man alle Essaybände schreiben, aus Europa und Amerika, die ich gelesen habe; aber, es selbst tun? Niemand sollte dazu gezwungen werden, wenn das Publikum weiterhin Autoren haben will. Wer hat mit der „ ORiginalität “ angefangen, die wir heutzutage alle haben müssen, begann sie dank der Erschöpfung jener? Aber dem jungen Leser schulde ich ein paar Worte. Nicht ohne HOffnung schreibe ich, denn einmal möchte ich das Feierliche und die Ungläubigkeit in einem doktrinären Werk ausprobieren. Ich hege weder Zweifel an der perfekten Erkennbarkeit des SEins noch an der Ewigkeit von Existenz sowie der Selbsterkenntnis eines jeden Einzelnen von uns. Ich folge der LEidenschaft, die voller Gewissheit ist und deren Dogma lautet: „ Nichts vermindere mich; nur ich bin kostbar im SEin, nur in mir gibt es ein ICh, nicht meines, sondern das von IHr, sagt der LIebende; nicht das meine, sondern das von IHm, sagt die GEliebte “ . Weder GOtt noch die WElt noch das NOumenon, vermindernd, noch das beschränkende GEsetz (KAusalität), das uns seine UNmöglichkeiten auferlegt (die seiner Verstöße), werden von der LEidenschaft gefürchtet, nicht einmal beachtet; mit ihrer TAt (die die größte ist, über jeder anderen, wie ihre gelebten Werke perfekt sind, ohne Vergleich mit den immer unschlüssigen Werken der KUnst und des DEnkens), mit ihrer überschwänglichen ERinnerungsfähigkeit, die die Vergangenheit voller Liebe wiedererlangt, jedes Kapitel der gelebten Gemeinschaft, in jedem Gespräch der aktuellen Liebe, annulliert sie die Magie der ZEit, grenzenlos ist ihre Macht und grenzenlos ist ihr Wissen. Für diese Begeisterung ist die REalität (als Limitierende) bloß eine Unachtsamkeit ihrer Macht zur TRäumerei. Aus ihr ziehe ich meine Dogmen, junger Freund: Suche die Einsamkeit von Zweien, die ALtruistik, 8 und lass dich nicht durch die Feierlichkeiten der 4 Hier verweist Macedonio Fernández wohl polemisch auf die Schriften des US-amerikanischen Psychologen und Philosophen William James (1842 - 1910), der als Vertreter des philosophischen Pragmatismus gilt und seine philosophische Grundhaltung im Vorwort zu The Will to Believe and Other Essays in Popular Philosophy (1956) als radikalen Empirismus beschreibt. 5 Der US-amerikanische Schriftsteller und Philosoph Ralph Waldo Emerson (1803 - 1882) forderte kulturelle Erneuerung und geistige Autonomie. Dank William James ‘ Rezeption beeinflusste Emerson nicht nur die Literatur, sondern auch die Philosophie. 6 Hier handelt es sich wohl um den französischen Dichter und Philosophen Jean-Marie Guyau (1854 - 1888), der mit einer Arbeit zur Sittlichkeit ohne Pflicht u. a. Nietzsche, Bergson und Kropotkin beeinflusst zu haben scheint. 7 Der Essayist und Historiker Thomas Carlyle (1795 - 1881) war ein sozialer Idealist und Gegner des Materialismus. Er übersetzte u. a. Goethe, Jean Paul und Hoffmann. 8 „ Altruística “ ist ein Neologismus den Macedonio Fernández in die Welt setzt. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 83 <?page no="84"?> Wissenschaft, der Kunst, der Moral, der Politik, der Geschäfte, des Fortschritts, der Spezies von deinem Glauben an die LEidenschaft abbringen. Die Langlebigen (leben um zu leben), die nichts lieben, sagen, dass sie aus Liebe zu diesen Dingen auf Erden bleiben. Einfacher wäre es, wenn du sie liebtest - obwohl das schlecht wäre - neben deiner Geliebten, und nicht die, die in ihrer langlebigen Trübsal einen Arzt pro Woche aufsuchen. Betrachte mein Buch als ein Plädoyer pro Leidenschaft gegen den erschöpfenden Intellektualismus. Falls du irgendwann einmal zögerst, nimm meine Schriften noch einmal zur Hand. Es wäre absurd, dass ich dich verletzte, denn ich verehre bloß die LEidenschaft, und du, junger Mann, 9 bist sie; was ich behaupte, habe ich gut durchdacht, und meine Überzeugung ist felsenfest, wenngleich schlecht verteidigt und dargelegt. Lies meinen „ Schluss “ ; und sorge dich hier nicht um das Intrigenspiel der Figuren: es existiert mit Blick auf ein zukünftiges Werk. Zwei Deutsche haben mit Hochachtung die Leidenschaft untersucht, gleichzeitig wurden sie von der Furcht geplagt, ihren intellektuellen Besitz und ihren Ruhm zu verlieren, sobald sie sich ihr hingäben; besonders Goethe äußert häufig Bedauern, nicht enthusiastisch geliebt zu haben, und Schopenhauer, der behauptet, dass sich das Unglück dort befindet, wo ich das Glück finde, und dennoch, wenn er die Liebestragödie untersucht, übersetzt er Neid und die Scham, scheint nur gelebt zu haben, um intellektuelle Haarspaltereien abzuspulen. Aber ich vergesse Dante nicht, er selbst ein fürchterliches Spektakel als Person, aufgrund der moralistischen Niedrigkeiten die ihn beherrschen, dessen Seele sich jedoch erhebt und seufzend und bewundernd atmet, erleuchtet ist ihr trauriges Verständnis des LEbens angesichts der Tapferkeit der Francesca. Oh LEidenschaft, nie bescheiden, immer gewiss! Macedonio Fernández 9 „ joven “ bedeutet ‚ junger Mann ‘ in einer kolloquialen Form, die auf eine Lehrer-Schüler Beziehung hindeutet. Macedonio benutzt hier das Maskulinum entweder generisch, im Sinne des patriarchalen Diskurses seiner Zeit, der zugleich den mangelnden Zugang zur höheren Bildung für Frauen abbildet, oder im Sinne der literarischen Rahmenerzählung zu Beginn des Textes, die die losen Zettel Deunamor zuschreiben und einen Dialog zwischen fiktionaler Figur und Autorfigur bedeuten würden. 84 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="85"?> Raúl Scalabrini Ortiz, zu dem ich eine gestohlene, da unverdiente, inbrünstige Freundschaft pflege, muss an dieser Stelle etwas sagen: Ich bitte Sie zu sprechen; von der Schuld, die Sie mit Leopoldo Marechal 10 und F. L. Bernández 11 teilen. M. F. Macedonio beharrt darauf, dass ich in diesem Buch interveniere und begründet dies mit meinen Meriten als Anstifter. Vergebens habe ich mich zu entschuldigen versucht. - In Ordnung, Macedonio. Ich gestehe, bloß um Ihnen eine Freude zu machen, dass ich Sie angestiftet habe unter Ihrem Namen einige Ihrer Ideen zu veröffentlichen. Sind Sie damit einverstanden? - Noch nicht. Füllen Sie eine Seite. - In diesem Rahmen kann ich nichts sagen. Ich bevorzuge es, zu Ihrem Lob ein Buch zu verfassen. - Sagen Sie nichts, aber schreiben Sie diese Seite. - Soll ich sagen, dass Sie mit Zwanzig ein einzigartiges Werk begannen, ohne Werbung, spiritualistisch und pro Bürgerfreiheit, und dass Sie eine enge Korrespondenz und schriftliche Freundschaft mit Fouillée, 12 Arreat, 13 Payot 14 und vor allem mit William James pflegten? - Nein, sagen Sie das nicht. 10 Leopoldo Marechal, der Autor des hochgradig experimentellen Romans Adán Buenosayres (1948), wurde 1900 in Buenos Aires geboren und ist, vor allem als Lyriker, ein Vertreter der avantgardistischen Ästhetik des Ultraismo. Er positionierte sich gegen den hispanoamerikanischen Modernismo. Marechal war ein politisch engagierter Lehrer und Journalist; er verstarb 1970. 11 Der Dichter und Diplomat Francisco Luis Bernárdez aus Buenos Aires (1900 - 1978) war ein Freund von Jorge Luis Borges und zusammen mit diesem Teil des Grupo Florida. Sein Schreiben war von der ultraistischen Ästhetik beeinflusst. 12 Auf den französischen Philosophen und Soziologen Alfred Fouillée (1838 - 1912) kommt Macedonio Fernández später noch zu sprechen. 13 Hier handelt es sich wohl um Lucien Arréat (1841 - 1922), den Autor von Mémoire et imagination, der „ dem gegenseitigen Verhältnis von Gedächtnis und Einbildungskraft einer Untersuchung unterziehen “ will und dabei „ aus verschiedenen sozialen Klassen die Maler, Musiker, Schriftsteller und Redner heraus[greift], weil bei ihnen die Einwirkung der Sinneseindrücke mit besonderer Lebhaftigkeit hervortritt, im Gegensatz zu den Gelehrten “ C. Pelman: „ Lucien Arréat. Mémoire et imagination (Peintres, musiciens, poètes et orateurs). Paris, F. Alcan. 1895. 170 S. “ Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane Bd. 9 (1896), 144. 14 Im Rahmen seiner Eudaimonie erstellt Macedonio eine lange Liste an Gelehrten, die über die Kunst glücklich zu sein schreiben und nennt dabei L ’ éducation de la volonté (1894) von Jules Payot (1859 - 1940) eine „ obrita de útil lectura “ cf. Raúl Cadús „ El salto metafísico “ , in: Hugo E. Biagini, Arturo A. Roig edd.: El pensamiento alternativo en la Argentina del siglo XX - Tomo I, Buenos Aires: Biblos 2004, p. 75. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 85 <?page no="86"?> - Soll ich sagen, dass dieses Buch, dessen Tiefe und Strenge Sie mit einer scheinbar und absichtlich unzusammenhängenden Machart zu kaschieren versuchen, Frucht eines disziplinierten Nachdenkens ist, die vierunddreißig Jahre lang aufrechterhalten wurde? - Nein, sagen Sie das nicht. - Soll ich sagen, dass Sie es waren, der, im Jahre 1916, den mysteriösen Brief pro menschliche Brüderlichkeit lancierte und der, nachdem er die ganze Welt bereist hatte, ersetzt wurde, durch den von Drohungen und Aberglauben entstellten Brief eines nordamerikanischen Offiziers? - Nein, sagen Sie das nicht. - Soll ich sagen, dass Ihre intellektuelle Redlichkeit das beneidenswerteste Prestige opferte: Freundschaft, Liebe, Situationen? - Nein, sagen Sie das nicht. - Soll ich sagen, dass Sie ein extrem scharfsinniger, gelehrter und gütiger Mensch sind? - Nein, sagen Sie das nicht. - Was soll ich dann sagen, Macedonio? - Sagen sie, dass ich pfeifen kann und dass ich mich auf die Verfahren der weiblichen Schönheit verstehe und dass ich unter den Astronomen, selbst wenn sie aus Cordoba kommen und durch ihre enormen Apparate all die Vorsprüngchen haben, nicht als Gitarrist konkurrieren kann. - Ich verstehe, Macedonio. Was Sie wollen, ist nicht allein in die Ewigkeit eintreten. Sie wollen mit unserer Freundschaft die zukünftige Trostlosigkeit der Bretter vertreiben. Das ist eine gute Idee. So können wir, egal an welchem Abend, im ruhigsten Winkel einer Bibliothek, bereits lediglich Schatten und Erinnerungen, wie eben jetzt, unsere nachdenkliche Unterhaltung wiederaufnehmen, Macedonio, um die Wahrheit des Lebens, das wir hatten, aus einem anderen Blickwinkel zu lösen. R. Scalabrini Ortiz 86 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="87"?> Auszüge aus spiritualistischen Korrespondenzen William James, der größte Psychologe aller Zeiten und Philosoph der Gefühlsregung, des Pluralismus und des Pragmatismus, barmherzig gegenüber den Jugendlichen und großzügig, insofern sein Name der angesehenste und einflussreichste im Denken dieses Jahrhunderts war. Juan B. Justo, 15 die umfassendste der Persönlichkeiten des zeitgenössischen Sozialismus; leidenschaftlich, liebevoll und freigiebig in der Strenge seines nonkonformistischen Werkes. Eduardo Girondo, 16 Mathematiker und namhafter Ästhet, in dem ich den spekulativen Denker von Buenos Aires vorzufinden erhofft habe, dessen Bescheidenheit und intellektuelle Wohltätigkeit ihn nicht daran hinderte berühmt zu werden; das bevorzugte Glanzlicht vieler Herzen. Vier Monate vor dem Datum dieses liebevollen Briefes verbarg er sich vor den AUgen, aber nicht vor sich selbst oder vor der TRäumerei. Und kurz darauf glühender Justo (beide schlagartig); ich nannte ihn immer den Inbrünstigen, da sein Feuer verborgen war und er mir dankbar war für mein Verständnis seines Seins, das nicht alle entdeckten. Als er in Cambridge, Massachusetts, U. S., Irvingstraße 95 wohnte, sandte mir W. James zwei seiner Fotografien und mehrere Briefe, in denen er sich für mein Lob auf den Spiritualismus und eine psychologische Theorie der SPezifität aus meiner Feder interessierte, die, so scheint es, ihn auf einzigartige Weise beeindruckt hatte. Er ficht sie an, aber verbleibt in ad-hoc-Beobachtungen und fordert mich auf, Empfindungen von größerer Ausdehnung und Dauer zu beobachten, denn ich negierte die reine Spezifität, indem ich sie für apperzeptiv und nicht unmittelbar hielt. Zudem hat er mir am 3. November 1908 geschrieben und anschließend am 27. August 1909; er sagt, dass er Spanisch gerne flüssig 15 Der Mediziner, Journalist, Essayist und Politiker Juan Bautista Justo (1865 - 1928) gründete die sozialistischen Partei Argentiniens und deren Zeitung La Vanguardia. 16 Es handelt sich wohl um den Ingenieur, den Lugones als Referenz für hydraulische Phänomene angibt (cf. Leopoldo Lugones: El tamaño del espacio - ensayo de psicología matemática, Buenos Aires: Ateneo 1921, p. 39) und den Jorge Luis Borges in seiner Skizze zu Macedonio Fernández als einen seiner Freunde erinnert (cf. Jorge Luis Borges: Der Essays dritter Teil - Inquisitionen Vorworte, transtt. Karl August Horst, Gisbert Haefs, München: Carl Hanser Verlag 2019). Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 87 <?page no="88"?> (fluently) lesen können würde, denn die Literatur aus Südamerika werde in kurzer Zeit äußerst wichtig werden. Er hat mich trotzdem gut verstanden (meine Theorie habe ich ihm auf Englisch und Französisch dargelegt, weil ich weder die eine noch die andere Sprache gut beherrschte und anschließend schrieb ich ihm auf Englisch und fügte, ohne sie zu übersetzen, eine veröffentlichte Studie zur Theorie der EMotion hinzu). Er verwendet das Wort „ Freude “ in seinem Brief (internal alegría) 17 . Man beobachte wie groß seine Bescheidenheit und sein Wunsch zu erfreuen sind: „ It touches me deeply to find myself taken so seriously by so evidently intelligent a man. Yes, it is the internal alegría which counts, and I like the 4 great perceptions which you ascribe to me, tho ’ I do not commit my ‘ theory of the emotions ’ with any moral conclusions. (Ich hatte ihm offenbart, dass ich denke, dass seine Theorie der EMotion in ihrer Inspiration und Konsequenz optimistisch war). Believe me, dear Sr. Fernandez, most sincerely yours. - W. James. ” Juan B. Justo. Wir hatten viel Briefkorrespondenz mit Justo. Aber der Brief, der seinem Tode und dem Thema des Todes am nächsten war, muss in einem Buch veröffentlicht werden, in dem man das Lächeln des Todes erkennt. Ein Buch, das von allgemeinem Interesse für alle Bürger unseres Landes ist: „ Buenos Aires, am 20. März 1926. - Dr. M. F. - Geschätzter Freund: Ich hatte mich seit geraumer Zeit gefragt, wie es Ihnen wohl geht, als ich das Vergnügen hatte, Ihren Brief dieses Monats zu erhalten. „ Ich habe weder Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde gelesen noch hoffe ich die Zeit zu haben, dieses Werk zu lesen. 18 „ Seit einiger Zeit habe ich genug vom ‚ einfältigen Realismus “ . Nachdem ich die Broschüre verfasst hatte, die Sie vielleicht kennen, und bevor ich Theorie und Praxis der GEschichte beendete, lernte ich die Werke von Mach kennen, dem österreichischen Physiker, die meine Meinung bestätigten, die ich im letzten Kapitel meines Buches dargelegt habe, welches der Religion, der Kunst und der Wissenschaft gewidmet ist. „ Daraufhin bestellte ich bei meinem Buchhändler das Werk von Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, und ich erlebte eine angenehme Überraschung, als ich einen Brief von Schuppe an Avenarius eingeschoben fand, in dem er behauptet, dass das schlussendliche Ergebnis seiner Philosophie die Betätigung des einfältigen Realismus darstelle. 17 Hier scheint die Sprechinstanz, so wie oben (cf. „ (fluently) “ ) in den Klammern die direkte Rede bzw. die geschriebene Wortwahl von W. James zu zitieren; in diesem Fall einen bilingualen Ausdruck zwischen Englisch und Spanisch, den man auch mit (internal Freude) übersetzen könnte. 18 Es handelt sich hierbei um die Doktorarbeit von Arthur Schopenhauer aus dem Jahre 1813. 88 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="89"?> „ Auf eine Empfehlung aus Machs Analyse der Empfindungen, 19 die ich als ‚ ein Gedicht ‘ bewundere, ließ ich auch den Grundriss der Erkenntnistheorie von Schuppe bringen, 20 den ich nun mit Alicia 21 übersetze, obwohl die Lektüre des Werks fern davon ist, leicht oder angenehm zu sein. „ Das lustige an all dem ist, dass Schuppe glaubt, er habe mit seiner ‚ Bestätigung des einfältigen Realismus ‘‘ eine transzendentale Entdeckung gemacht und sich bitterlich beschwert, dass ihn die Philosophen vom Fach nicht verstehen oder geringschätzen. 22 ( Justo spricht anschließend zufälligerweise vom intelligenten und äußerst bescheidenen Freund, dem Schrifsteller E. Fernán Latour, 23 und schließt dann liebevoll): Neuigkeiten von Ihnen wären mir wohlgefällig und so ist es mir nun, Ihnen und Ihrer Familie meine freundlichen Grüße zu übermitteln. J. B. Justo. “ Er war ein derart guter wie berühmter Freund, mit außergewöhnlichen Geisteskräften, dessen mortalistische und positivistische (agnostische) Einstellung ich nie erschüttern konnte. 24 Nach seinem Tod erschien mein erstes Buch. Er kannte von mir, in gedruckter Form, bloß eine atomistische Psychologie, 25 die ich, als ich etwa zwanzig Jahre alt war, in El Tiempo publizierte, der Zeitung von Carlos Vega Belgrano, dem feinfühligen Schriftsteller. Er lächelte damals und er würde heute, während er dieses Buch skeptisch und barmherzig lesen würde, unentwegt lächeln. Wir schreiben Bücher, um unsere unbekannten Nächsten zu überzeugen und wir schaffen es nicht, einen Freund zu überreden. Er war meinem soziologischen Individualismus näher als meinem mystischen Spiritualismus. Ein tiefgründiger und dennoch äußerst diskreter Sozialismus machte ihn beinahe zu einem 19 Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen des österreichischen Physikers und Philosophen Ernst Mach (1838 - 1916) erschien 1900, als erweiterte Auflage der 1886 erschienen Beiträge zur Analyse der Empfindungen. 20 Der Hauptvertreter der idealistischen Immanenzphilosophie, Wilhelm Schuppe (1836 - 1913), veröffentlichte 1910 den Grundriss der Erkenntnistheorie und Logik, was wohl als Elementos de la lógica y de la teoría del Conocimiento übersetzt werden müsste, Macedonio spricht aber von „ Elementos de la teoría del Conocimiento “ . 21 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Doktorin Alicia Moreau de Justo, prominente Gefährtin des Denkers. 22 Im Original steht leicht fehlerhaft: „ filósofos von fach “ . 23 Es scheint keinen Autor unter diesem Namen zu geben, aber die Korrespondenz zwischen der Schriftstellerin Cecilia Francisca Josefa Böhl de Faber y Larrea (1796 - 1877) unter dem Pseudonym Fernán Caballeros und Antoine de Latour, lassen eine fiktive Schriftstellerfigur vermuten. 24 Macedonio schreibt „ mortalista “ was ein Neologismus zwischen ‚ moralisch ‘ und ‚ tödlich ‘ bzw. ‚ dem Tode zugewandt ‘ sein könnte, oder aber ein einfacher Tippfehler. Der Kontext ließ uns hier ersteres vermuten. 25 Es handelt sich um einen Aufsatz mit dem Titel Psicología atomística (Quasi-Fantasía), das am 3.6.1896 im Feuilleton der Zeitung El Tiempo erschien und Carlos Verga Belgrano gewidmet war. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 89 <?page no="90"?> Individualisten. Ich denke nicht, dass der Sozialismus jemals irgendwo einen intelligenteren oder reineren Anführer hatte. M. F. Vom Ingenieur Eduardo Girondo: Buenos Aires, Januar 1927: Sehr verehrter Herr Macedonio: Ich beschäftige mich gerade hiermit: Ist es möglich folgendes auszutauschen: ‚ wir können ordnen ‘ durch ‚ ist die Anordnung möglich ‘ ? Es ist außerdem möglich zu sagen: Kann man ordnen? , aber hier besteht die Gefahr, dass man an das ‚ man ‘ denken muss. Diese Fragen beziehen sich auf angeordnete Gruppen transfiniter Ordnung, die einen unterschiedlichen Mechanismus des Unendlichen in Ausweitung und eine Verallgemeinerung der vollständigen Induktion miteinschließen. „ Gibt es einfache und verständliche Phänomene, deren Erklärung eine unendliche Zahl an Wörtern benötigt und daher jenseits der menschliche Intelligenz (Übertragung des Wissens, da das Phänomen einfach ist und wurde verstanden) angesiedelt sind, weil die Erklärung länger als die Spezies andauern würde? Ein Beispiel: durch die Autopsie eines Gehirns deduzieren, was dieses über Geometrie wusste. Es gibt in der Physik ähnliche Probleme, aber die sind einfacher; dennoch würde die Erklärung ähnlich lange dauern. Ist das ein Pseudoproblem? Aber wenn es eine Verallgemeinerung des Prinzips der vollständigen Induktion gäbe, das heißt: Wenn es einen neuen Mechanismus des Denkens gäbe, der so gestaltet wäre, dass man zum unendlich Zählbaren über das unbegrenzt Anwendbare gelangen könnte, aber von der Ordnung sei, die im Transfiniten verwendet wird, dann könnte man die Zahl der Wörter abkürzen und verringern. Wenn dem so ist, dann wäre es ein Problem. Bis bald. Ihr Eduardo Girondo. “ Kritisch-Mystisches und Leidenschaft Ich nehme dieses Projekt in Angriff, das viele angedacht und, vielleicht, einige vollkommen gelöst haben, egal ob sie es veröffentlicht haben oder nicht. Ich entscheide mich, da ich hierin einen Anreiz für meine Anstrengungen der Darlegung finde, für die Vorstellung, dass der Leser und ich die einzigen sind, die sich für das Thema interessieren. Erlauben Sie mir bitte dieses Bedürfnis nach Intimität und Lyrik in einem rein doktrinären Werk. Die unzählbaren Zitate der vielen Gelehrten, die dort geforscht haben wo ich jetzt forsche, würden uns ablenken, Leser, würden die geringe Energie für und die geringe Konzentration auf meine Aufgabe behindern und würden mich der Intimität berauben, die meine Lyrik nährt und die ich zurückhalten möchte, dem Anschein nach, selbst in der Öffentlichkeit. Die vorliegende Veröffentlichung baut hauptsächlich auf den Wunsch auf, einen Protest gegen den „ Noumenismus “ zu formulieren. Es wundert, dass die Denker, 90 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="91"?> mehr noch, die Künstler und vor allem die Menschen der Leidenschaft - einzige Begründung und Ziel des Lebens und der Kunst und einzige Bedingung unter der Zufriedenheit möglich ist - sich nicht im Protest vereinigt haben, um an der Befreiung des menschlichen Denkens zu arbeiten. Nämlich Befreiung von den unreinen Schatten, die Kant ihm einflößte, indem er eine privilegierte intellektuelle Macht beim Verneinen der Substantialität des Lebens und der Anpassung der Intelligenz ans Sein benutzte, die ERkennbarkeit. Das Noumenon und der Agnostizismus sind die schlechtesten Werke der Intelligenz und dass die Leidenschaft nicht auf den Kontakt zu diesen beiden Traurigkeiten verzichtet hat, liegt daran, dass sie die Gewissheit selbst und das Sein selbst ist. Aber es liegt etwas im aktuellen menschlichen Tag, im Tag nach Kant, das das Unisono der Blendung, mit der der Tag die LEidenschaft verrückt machen müsste, unvollkommen erscheinen lässt. Goethe musste der SChönheit zu Hilfe eilen, als er - wie ich ohne Zweifel annehme - die Abscheu gegenüber den wohlgenährten Kapiteln dieses unseres Diebes spürte. Schöpfer des Gretchen, des Mignon, wie konnte er schweigen? Leidenschaft: HÖchste Fähigkeit des SEins! Leser. Klassifiziere nicht: Fantasien! , mit Abweichungen. Alltäglich ist deine, wie auch meine, ist FAntasie. Die Ehefrau, die Eltern, die Freunde lieben, das ist Reziprozität. Aber die Kinder zu lieben, denen wir nichts schulden und die uns mit Sorgen und Arbeit belasten werden, selbst noch in unserem Greisenalter, das ist FAntasie. An GOtt, den Fortschritt, die Weltordnung, die belohnte Anstrengung oder Aufopferung, an die Vernunft der Vorhersage, an die Sinnhaftigkeit des Reichtums, des Ruhmes, oder der Macht zu glauben, das sind FAntasien. Ich bezeichne mit ALtruistik oder LEidenschaft, bloß die Liebe unter Gleichen, wie ich es in der Folge erklären werde. Sie ist die einzige Sinnhaftigkeit, außerhalb von ihr oder nach ihr gibt es nichts außer „ Existenz “ , goldene Langlebigkeit mit vergeblich erhebenden Worten: Forschung, Liebe zur Kunst, Sorge um die Generationen, Philanthropien. Die Verwunderung zu sein. Absoluter Idealismus (Schema) Ein vollkommen erkennbarer Psychismus ist die Wahrheit des Mysteriums. Sie verleiht der Darlegung und den dringlichen Antworten eine unmissverständliche Einfachheit. Das SEin, die Welt, alles was ist, ist das Phänomen, der innerlich-äußerliche Zustand, der bloße Zustand, das heißt, das Gefühlte, und ausschließlich das Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 91 <?page no="92"?> gegenwärtig Gefühlte. Der Stil der Träumerei ist die einzig mögliche Form des SEins, seine einzig vorstellbare Form. Ich nenne all das Stil der Träumerei, was sich als vollständig der Subjektivität zugehöriger Zustand darstellt, ohne Ansprüche äußerlicher Korrelative, und daher nenne ich das SEin einen ichlosen Seelismus, da er immer vollumfänglich in seinen Zuständen existiert und keine Korrelationen mit vermeintlichen Äußerlichkeiten oder Substanzen fordert, so wie es die TRäumerei ist, alles von der Seele, vollkommen, absorbierend und kompromisslos gegenüber der angeblichen KAusalität. Ichlos, oder ohne Ich, da die SInnlichkeit eine ist, 26 einzigartig, und nichts kann geschehen, nichts kann gefühlt werden, das nicht mein Fühlen ist, das heißt, das mystische Fühlen von niemandem, da es keine Vielheit der SInnlichkeit gibt, die, daher, aufhört eine SUbjektivität zu sein. Das SEin ist mystisch, das heißt, vollkommen in jedem seiner Zustände; diese Vollkommenheit bedeutet: keine Verwurzelung in einem Ich und keine Abhängigkeit oder Korrelation mit dem, was man Äußerliches nennt, oder dem, was man Substanz nennt. Es gibt nichts außerhalb von dem was ich fühle; es gibt weder etwas, das die anderen „ fühlen “ (andere Sinnlichkeiten), noch das, was nicht fühlt und ist (die MAterie). Alles Sein ist in dem was „ ich “ fühle; es ist die Vollkommenheit des Seins und keine Erscheinungsform oder Darstellung einer anderen Sache. Das Leben, oder die Sinnlichkeit, oder die Welt, oder das Sein, ist immer wesentlich, vollkommen, und kein Bild der „ Substanzen “ . Es gibt weder psychische (andere Formen von Bewusstsein) noch physische (Materie) Äußerlichkeit. Die SInnlichkeit, das SEin, ist einzigartig, kontinuierlich, ewig, ichlos und substanzhaltig und von absoluter Erkennbarkeit: das SEIn ist also, da es ein TRaum ist, 27 eine unmittelbare Fülle. Das SEin wäre das Nichts, wenn es nicht 26 An einigen Stellen wären Eindruck, Sensibilität oder Sinneseindrücke gute Alternativen gewesen; wir haben uns beim Terminus sensibilidad bzw. sensibilidades dazu entschieden, die Nähe zu Kant dahingehend zu unterstreichen, dass wir seinen Terminus, Sinnlichkeit, verwenden. 27 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Das ist nichts, worüber man weinen sollte. Zu Calderóns Zeiten, und ich denke wegen der Veröffentlichung seiner metaphysischen Zweifel und Ängste, die Descartes und Berkeley (reine Mathematik und Physik wie bei Leibnitz und Spinosa) zum Falsett von Pascal machten, zwischen zwei Unendlichkeiten (nichts anderes als die Materie) einen astronomischen Schrecken der Weiten und Geschwindigkeiten (die sich gegenseitig aufheben: und der Schrecken? man weiß nicht, was man mit ihm anfangen soll) zitternd war das Falsett der Kunst und des Verhaltens: zu beweinen, dass das Leben ein Traum war (die beste und substantiellste Kategorie, die das SEin qualifizieren kann). Shakespeare hatte diesen und einen anderen Grund zu weinen: dass die Materie unseres Körpers, die Augen einer schönen Frau, von ihrem toten Körper übergehen könnten, das Material eines Lappens zu bilden, der die Risse in den Wanderungen der „ ewigen “ Materie ausfüllt. Dann weinte man um Seen und Prinzessinnen, 92 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="93"?> mit der Seele unmittelbar verbunden wäre, so wie die TRäumerei ist, wenn es wie die MAterie und das ICh wäre, nicht gefühlt sondern hergeleitet, ohne Konzeption, das heißt, ohne Bild; die MAterie, angenommen sie wäre eine Substanz - nicht konzipiert, nicht imaginiert - der äußerlichen Veränderungen; das ICh als nicht imaginierte, nicht konzipierte Substanz der psychischen Veränderungen. Es gibt keine Differenz bezüglich der Effektivität, der Fülle, zwischen dem Zustand, der sich BIld nennt und dem Zustand der EMpfindung, die besagt, dass es als ihre Kopie oder Echo entsteht und man es derÄußerlichkeit zuschreibt. Es gibt bloß die Disparität der extrinsischen Beziehung, die darin besteht, dass das Verlangen oder der Wille einen direkten Einfluss auf das Bild ausübt und nicht auf die Empfindung. Auch das Bild hat einen Einfluss auf das Verlangen. Aber das Verlangen hat außerdem einen direkten Einfluss auf einen Teil der äußerlichen Welt, auf Elemente die ausschließlich der materiellen Ordnung angehören, nämlich: auf unseren Körper, der, auch wenn er unserer ist, vollkommen ein Faktum der MAterie 28 ist, mit der Einzigartigkeit, dass dieses winzige Fragment des „ unendlichen “ Materials, das auf wundertätige Weise dem direkten Einfluss der Seele zugestanden wird und das das „ willkürliche “ physiologische System ist, in einer materiellen Masse eingebettet und eng mit ihr verknüpft ist, dem Rest des menschlichen Körpers, der vollkommen von jeglichem direkten spirituellen Einfluss separiert ist, aber mit allem in mechanischer Solidarität, der Gemeinschaft der Ereignisse und dem Schicksal vereint ist. Diese Nachbarschaft und die Vereinigung dessen was nicht ist, die Materie, mit dem was ist, die Sinnlichkeit, ist ein willkürliches Ereignis innerhalb des um den „ Sternenhimmel und die PFlicht “ von Kants Falsett. Heute gibt es keine französische Lyrik mehr ohne einen voyage, „ unter fremden Himmeln “ , „ in fernen Ländern “ , und man weint auch um „ mechanische Flügel “ , „ Propeller “ , „ spaltende Spiralen “ , „ Rauch riesiger Hauptstädte “ , „ delirierende Reisehäfen “ , „ Matrosen des Nirgendwo-Seins “ , „ Barmusiker im Rauch und Alkohol und der Matrose, der raucht und schläft “ . Quevedos Moralismen, die dumpfen englischen Apologeten mit der „ Personifizierung “ von Tugenden, die leeren Ratgeberweisheiten eines Gracián, die ewige und unhaltbare exquisit ironische Haltung Frances, das Denken, das unseren Kopf wie ein Aasgeier quält (Guyau); das gewaltige Kapitel des FAlsetts in der KUnst (vorgeben, ein unwirksames Lied zu singen). Im Angesicht dieses Falsetts oder schlechten Geschmacks: die sintflutartige Kunst, Sanchos endlose Folter der Desillusionierung, das Schicksal von Marguerite und ihrem Soldatenbruder und von Mignon: die Sanftheit, die Zärtlichkeiten und die Sehnsucht des Quijote, die traurige Fügsamkeit Othellos, sein Schicksal aus den Angeln zu heben, das Dankesgedicht an die Freundschaft in der Prosperität der Männer, das der „ Faust “ unseres Del Campo ist. 28 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Ich benutze provisorisch die Ausdrücke Subjektivität, Materie, unser, weil die strikt idealistische Sprache noch nicht erschwinglich wäre. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 93 <?page no="94"?> Fantasismus des SEins; es ist diese wundersame und undarstellbare Unmittelbarkeit (und daher nichtige, für den Idealismus inexistente, aber für den Materialismus, der sie sich darstellen will und dankbar ist, dass sie existiert und Psychophysiologie genannt werden kann) des Fühlens mit dem Nichtfühlenden. In der Kongruenz des absoluten Subjektivismus gibt es keine Überraschung dieses unbegreifbaren sowie dualistischen Konsortiums, oder besser dieser kausalen Unmittelbarkeit, das zu einer verzweifelten und naiven Anordnung der vorher festgelegten Harmonien - Leibniz - führte: unser Körper 29 ist ein visuell-taktiles Bild unter anderen Bildern, er ist eine Subjektivität, die durch andere Subjektivitäten beeinflusst wird. Das bedeutet, dass das, was vom BIld, dem Gewebe der TRäumerei, unmittelbar verursacht werden kann, sehr vielfältig ist und die Welt der Materie, die EMpfindung, ist ihm nicht fremd. Man unterscheidet sie weder anhand ihrer Intensität und Klarheit noch dadurch, dass es zwischen ihnen einen kausalen Kommunikationsmangel gibt. Der Idealismus verneint, dass es ein Bild oder irgendeinen Zustand gibt, der mit dem Wort Nichts korreliert und einen annehmbaren Inhalt hat. Er bestätigt nicht nur die Ewigkeit der mnemonischen Sinnlichkeit (ohne die die persönliche Unsterblichkeit ein müßiges Wort des Pantheismus wäre; dieser, der Pantheismus, ist eine Etikette ohne zuordenbare Vorstellung, er ist der Materialismus in seiner Schüchternheit), sondern auch die unablässige Kontinuität jeglicher SInnlichkeit. Auf der anderen Seite, so wie er die Inexistenz eines Augenblicks, der nicht einmal für die Sinnlichkeit definitiv ist, nicht begreift, so ist es ihm unmöglich die Existenz zu begreifen, die verbalen Einheiten zugewiesen wird, die keinen Inhalt haben, der differenziert, spezifisch, bildlich, zuständlich ist. Für den Idealismus gibt es viererlei Nichtexistenzen: ICh, MAterie, ZEit und RAum, Erzeugerinnen der Pseudo-Idee über das NIchts als Gegensatz zu „ dem Gefühlten “ , der Zustand, der das Ganze der TRäumerei sowie das Ganze des SEins ist. 29 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Die Sinnlichkeit ist eine einzige und daher nicht anfällig für Numerizität, nicht als einzigartig einstufbar. Individuell bedeutet mnemonisch, weil die Form der Individuation illusorisch ist (Schopenhauer). Die Erinnerung selbst ist in der Sinnlichkeit eine Emotion, keine Identitätsbestimmung, sie ist ebenfalls einzigartig; der Fehler ist, anzunehmen andere Sinnlichkeiten und ihre Erinnerungen, in denen Zustände eingetreten wären, an die ich mich nicht erinnern kann. Condillac, E. Macht, Spiller, sprechen leicht von der reinen Sensationsgier. Angesichts der Nichtigkeit des „ Ichs “ zögern sie, und da das ICh und die MAterie für sie nicht an Wirksamkeit verlieren, bleiben sie in einem dualistischen Noumenismus, einem doppelten Widerspruch zum Sensationalismus. 94 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="95"?> Wenn nur das, was existiert, ist und dies nichts weiter ist, als das von ihm Gefühlte; wenn die Dinge nur das zu „ sein “ haben, was an Gefühltem in ihnen steckt, und dies vollkommen ist; wenn diese „ Dinge “ nichts weiter sind als ein Wort mit dem wir auf die Wiederholung des Gefühlten in ihnen hinweisen; und wenn es nur eine SInnlichkeit gibt, dieselbe, in der sich die TRäumerei und das WAchen ereignen, dann ist es nicht zu erwarten, dass wir in dieser Untersuchung irgendeinen wesentlichen Unterschied zwischen ihnen, sondern vielmehr nur irgendeine Variante einer Relation finden. Gibt es eine Realität? Es ist nicht der beharrliche, vor allem unprätentiöse Besuch der klaren, ununterdrückbaren und nicht angekündigten TRäumerei, frei von Doppelzüngigkeit und in Ganzheit, der uns beunruhigt und in Verlegenheit gebracht hat, sondern die REalität wurde problematisch und bedarf der Beweise; eine REalität die vorgibt, etwas Besseres zu sein als sie ist und mehr zu sein als die TRäumerei, welche ganz, und so wie sie sein will, in sich selbst abgeschlossen ist. Diese TRäumerei kommt unkommentiert und ihre Abreise ist dennoch subtil und unwiederbringlich, absolut in ihrem Enden und ebenso fatal in ihrem Aufkommen, frei von Formen des Wegbereitens und der Spuren, absolut, stets vollständig, wie das SEin, dessen klarste Vorstellung sie ist, immer bewegend, niemals unbedeutend. Die REalität zielt auf zwei Kategorien: kausale Anordnung zwischen ihren Phänomenen, was empirisch verifizierbar oder falsifizierbar ist (ohne induktives Engagement, nämlich nur in Bezug auf die VErgangenheit), und Substantialität, nämlich Autonomie in Bezug auf die Eventualität wahrgenommen zu werden oder auch nicht, nämlich, Existenz um ihrer selbst willen gegenüber der SInnlichkeit. Derart ist der Zustand der Dinge, den wahrscheinlich nicht die REalität, sondern die Denker oder die SPekulation erschaffen haben, die sich einer Transzendenz der Äußerlichkeit zugewandt haben, und die auf dieser fortgesetzten Suche der Wesenheiten zum Noumenon als Substanz der MAterie und der SUbjektivität gelangen. Daher sind die REalität und die SInnlichkeit phantasmisch, limitiert auf die Kategorie der Ersten TRäumerei; die Träumereien wären die ZWeite TRäumerei. Daher sei die REalität infrage gestellt, nicht die TRäumerei, die die schlichte Wahrheit ihrer selbst ist. Der gute Ruf oder Verruf der TRäumerei wird von der REalität unterschieden oder ihr entgegengestellt. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 95 <?page no="96"?> Mit den Bezeichnungen effektiv, äußerlich, real oder transzendental, wird ein System und eine Serie von Zuständen benannt, die für ursprünglich gehalten werden - und außerdem für substanziell, selbst für die Noumenisten, die, wenn es darum geht Träumerei und Wachen gegenüberzustellen, vergessen, dass in ihrer These Träumerei und Wachen gleichermaßen Phantasmen des Noumenons sind. Die Träumereien oder Bilder werden hingegen für Kopien und Nachäffungen dieser Zustände gehalten. Laut Schopenhauer scheint es als habe Hobbes als erster die Umstände angedeutet, in denen bei einer Momentaufnahme für immer unklassifizierbar bliebe, ob sie als real oder geträumt eingeordnet werden kann. Man bedenke, dass sich ein derartiger Vorfall in unserem Leben häufig ereignen kann (denn Hobbes beschränkt sich darauf, die folgenden Umstände anzudeuten: die Momentaufnahme eines Vorfalls, der keine wahrnehmbaren Konsequenzen benötigt sowie tagsüber plötzlich aus Erschöpfung angezogen auf einem Sessel einzuschlafen) und man schätze wie viel Fantasie, Schrecken und Geheimnis, je nach Gefühl, im Gewebe unseres alltäglichen Seins steckt, im Tuch unserer Stunden, an die wir uns im Glauben klammern, dass sie real seien, obwohl sie vielleicht ständig von Träumereien geklaut werden. Ich habe den Text von Hobbes nicht gelesen, denn ich, als Jurist, kenne ihn und vermutete, dass er nicht metaphysisch sein könne, selbst wenn sich hier, wie im Fall von Berkeley, ein tiefgründiges Gefühl einer mystischen Vermutung in einer mächtigen Intelligenz und ohne aktive Vorliebe für die Metaphysik enthüllt. Daher komponiere ich die folgende Figuration, um das Thema zu behandeln und schätze dabei, dass sie mit den gelegentlichen Gedanken der Hobbsschen Metaphysik übereinstimmen müsste. Da ich eben Berkeley genannt habe, nenne ich nun Kant und sage von den beiden großen Denkern, dass ihr Denken, zu unserer großen Enttäuschung, banalerweise stets in Substanzen und Göttern sowie Pflichten endet. Darin und im Detail ihrer Darlegungen zeigen sie, dass das Transzendentale für sie die MAterie ist, ein sehr subalternes Transzendentales, das nicht rechtfertigt, dass sie uns schlussendlich mit Moralitäten betrüben. Traum oder Realität? Vor vierhundert Jahren (der Träumerei oder Realität), oder vielleicht war es auch gestern, berichtete Hobbes, der Engländer, dass er eines Abends in einem der größten Hotels von Buenos Aires abstieg und in einem bescheidenen Zimmer im 18. Stock untergebracht wurde; ein müder Reisender, eine an ein Koffer angelehnte Prahlerei, die Prahlerei eines jeden Reisenden: Er sagte, dass er, 96 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="97"?> begierig nach Erholung, sich angezogen auf das Sofa legte und dabei seinen einzigen und großen Koffer auf dem gewachsten Boden stehen und die Tür offen ließ, da er wahrscheinlich nicht zu schlafen beabsichtigte. Weiter berichtete er, dass man den Herrn, eine Stunde später beobachten konnte, wie er an der Hoteltür seinen Blick rundum gleiten ließ und in seinen Bewegungen und seinem Gesichtsausdruck Indizien eines aktiven Nachdenkens, der Unschlüssigkeit und der Fantasie zeigte. Dieser Reisende war Hobbes und er sagt, dass in diesem Moment ein Freund, sein bester Freund, ankam oder dabei war anzukommen, ein unverrückbarer Nachbar, der aus der immer intelligenten und verträumten Stadt Buenos Aires stammt oder stammte. Dieser kam, von der Reise Hobbes ’ wissend, um ihn zu umarmen, ihm seine Dienste anzubieten und ihn zum Einkaufen, in Museen, Bibliotheken, zu Denkmälern (Motten des Reisevergnügens) sowie zu Freuden, Geschäften und bei der Umsetzung von Anleitungen zu begleiten. Im Angesicht des Freundes zeigte Hobbes eine nie zuvor gekannte Freude und Aufregung, denn ihn beschäftigte ein Unglücksfall, der sich gerade eben im Hotel zugetragen hatte. Voller Finesse, da er der große Hobbes ist (der seinem argentinischen Freund nie gesagt hatte, dass er ein Genie ist, um ihn nicht zu konsternieren und in der Tat hätte der Argentinier ihn hierfür sehr bedauert) 30 , wollte er zusammen mit seinem besonnenen Freund über den Fall sprechen, um ihn gemeinsam genauer zu untersuchen. In der Annahme, man könne auch ohne Buenos Aires berühmt sein, füge ich an, dass es in jenem Jahr 1928 Hobbes in unserer Stadt bereits war. Sein Ruhm hat sich gehalten und wächst bis heute, im 17. Jahrhundert; mehr als zweihundert Personen auf der Welt haben einige Seiten seiner Bücher in diesen vierhundert Jahren gelesen, denn der STaat hat, in einigen Ländern, seine Lektüre in den Lehrplan der PFlichtschule oktroyiert. - Ich habe fast keine Verpflichtungen in Buenos Aires, außer Dir zu erzählen, was mir gerade eben im Hotel zugestoßen ist. Setzen wir uns doch hier an die Bar; trinken wir etwas und hör mir bitte zu und hilf mir diese Angelegenheit zu verstehen. Sie aufklären zu können begeistert mich so sehr, dass ich hierfür auf jede andere Zerstreuung in dieser Stadt verzichten würde. - Was sagst du da, Hobbes? Und das zu einem Zeitpunkt an dem ich erneut obsessiv auf mein Thema fixiert bin: die verbale Version der MUsik! Das Streben nach Gesundheit, das in jedem Organismus zu dominieren scheint, hatte dazu geführt, dass ich in Bezug auf dieses Thema ermüdete und mich beruhigte, 30 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Ein Genie zu sein ist eine Vertraulichkeit, die wir nur erfahren, wenn sich die Betroffenen uns anvertrauen. Hobbes muss es einmal gesagt haben, denn das ist bekannt, aber nicht dem aufrichtigen und übereifrigen Dominguez, denn ihn glücklich zu sehen, war immer eine große Freude für den großen Hobbes. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 97 <?page no="98"?> obwohl ich noch keine Lösung gefunden hatte. 31 Aber sag mal, kennst du die Werke von Scriabin und Rachmaninoff ? - Aber erinnerst du dich nicht daran, dass ich „ diese Leute “ nicht verstehe? Wir Engländer erschaffen keine Musik und wir fühlen sie auch nicht; ja, ihr Vorschlag schwächt und die gesamte sogenannte große Musik bricht den Willen, wie es mein intelligenter Ururenkel Spiller aus dem 20. Jahrhundert sagt, und sie interessiert uns nur, wenn sie einen Vorwand für eine Reise bietet, wie zum Beispiel die Bayreuther Festspiele; ohne viele Koffer nehmen wir Musik nicht wahr. Trotzdem werde ich mich deines Problems annehmen und mein Denken bemühen, um zu deinen Erläuterungen beizutragen. Die zeitgenössischen englischen Musikwissenschaftler erforschen Scriabin … - Auf keinen Fall, Hobbes; zuallererst sprich von deiner Sorge … Aber die Präludien von Rachmaninoff … - Aber natürlich. Schauen wir uns das näher an … - Nein, auf keinem Fall. Schauen wir uns deins an. Hobbes gehorchte. Er wusste nicht, ob er auf dem Sofa, auf dem er sich seit etwa vierzig Minuten ausruhte, durchgehend wach geblieben war oder ob er für kurze oder längere Zeit vom Schlaf übermannt worden war. Er wusste jetzt genauso wenig, ob eine Szene, an die er sich in diesem Augenblick im Detail erinnerte, echt oder geträumt war. Wenn er sich sicher wäre, dass das eine Träumerei gewesen war, wüsste er, dass er geschlafen hatte; wenn er wüsste, dass er geschlafen hatte, wäre es möglicherweise eine Träumerei, aber dies wäre weder bewiesen noch wahrscheinlich. Er hatte lange über diese Momente nachgedacht und er fürchtete, dass er nie wissen würde, ob er geschlafen oder geträumt hatte. Und er erinnerte sich klar und deutlich, dass eine unauffällig gekleidete, große Person mit Strohhut in sein Zimmer eindrang, seinen Koffer halb öffnete, abtastete und dessen Inhalt durchsuchte. Sie schloss den Koffer und 31 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Kann man Worte so kombinieren, dass sie die Gefühle in derselben Reihenfolge und Intensität hervorrufen wie ein jeder Takt Musik dies kann? (Indem, natürlich, jeder musikalische Wert, der im Klang eines Wortes steckt, unterdrückt wird). Nicht zu sagen, dass ein derartiges harmonisches oder melodisches Element die Präsenz eines Waldes oder eines Flusses darstelle, heißt zu sagen, dass dieses Element das präzise ausgedrückte Gefühl darstellt. Wenn der Hobby- oder Berufs-Musikologe sich mit dieser Interpretation abplagt, verschwendet er seine Kräfte: Musik und Prosaliteratur sind zwei Ausdrucksformen und ein Ausdruck kann keinen anderen Ausdruck ausdrücken; Wald oder Fluss können dieselben Emotionen wie eine bestimmte musikalische Stelle hervorrufen, aber man kann nicht sagen, dass diese Stelle den Wald ausdrücke; es sind zwei verschiedene Ausdrucksformen. Das Problem der verbalen Version der Musik ist Teil eines größeren: die Umwandlung der gleichen Themen in verschiedenen Künsten (die bildhauerische Version eines literarischen Themas, die bildhafte oder verbale Version einer Sonate, et cetera). 98 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="99"?> entfernte sich schnell und lautlos als Hobbes sich erhob, um die Verfolgung aufzunehmen. Er suchte sie auf den Gängen, auf der Treppe, im Aufzug, an der Tür zur Straße. Er fragte niemanden nach der eindringenden Person, da das Hotel zu dieser Uhrzeit derart belebt war, dass sie niemandem aufgefallen wäre. Er kehrte zurück, untersuchte seinen Koffer, nichts schien zu fehlen und so entschied er sich, sich ausgehfertig zu machen, das Hotel zu verlassen und auf seinen Freund zu warten oder ihn zu suchen. Die Annahme, dass es sich um eine Person handelte, die in diesem weitläufigen Hotel das Zimmer verwechselt hatte, wurde von ihm, angesichts ihres Umgangs mit dem Koffer, in Betracht gezogen und verworfen. Auf seiner Suche hatte er keine Spur gefunden und es war nicht zu erwarten, dass noch eine auftauchen würde. - Zum ersten Mal wird mir eine derartige Situation bewusst und ich überdenke sie. Habe ich geträumt, dass ich den Eindringling gesehen habe, dass ich hinter ihm hergelaufen bin, ihn beobachtet habe, und so weiter, oder ist das tatsächlich passiert? Diese Tat ist in all ihren Bestandteilen komplett durchführbar, möglich, und es gibt viele Ereignisse im Leben, die nicht unbedingt Spuren oder sichtbare Konsequenzen hinterlassen. Obwohl solche Ereignisse ständig möglich sind und geschehen müssen, stellt sich die Frage: Wieso zweifeln wir, die wir jede Nacht träumen und dies für Momente sogar im Wachen, ohne zu schlafen, beinahe nie an ihrer Echtheit? Vielmehr noch, es scheint mir nun, dass sich in den besonders heftigen Lebensereignissen, seien es angenehme oder schmerzhafte, unser Konzept stärker auf den Traum als auf die Realität bezieht. Dasselbe gilt für Situationen abrupter Veränderung, selbst wenn diese Situation keine Intensität hervorrufen sollte. Und falls ich für einen Moment daran zweifle, ob etwas ein Traum war: Was nützt es später herauszufinden, dass es doch kein Traum war, wenn dieser einzige Moment des Zweifels allein schon Beweis ist, dass, aus Gründen der Klarheit, der Intensität, der Komplexität und der Varietät, die Träumerei, in sich selbst, intrinsisch dasselbe Sein darstellt, denselben Zustand des Wachens. Und falls dem so ist: Wie überzeuge ich mich, dass ich jetzt gerade nicht träume, dass ich mich mit dem guten Freund aus Buenos Aires unterhalte, obwohl ich von Freund und Stadt bereits so oft geträumt habe? Und innerhalb von zehn Minuten wache ich auf, oder glaube ich, dass ich in London aufwache. Ich bin dafür, dass wir zehn Minuten warten, denn die Träumereien sind von kurzer Dauer. - Das ist bereits ein Unterschied -unterbricht der Freund zaghaft. - Das ist wahr, und auch Schopenhauer 32 sagt, dass es keine weitere Unterscheidung gibt, als jene zwischen einem langen Traum und einem kurzen 32 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Es ist schmerzlich, einem so ernsthaft englischen Mann der strengen juristischen Disziplin, der außerdem derart berühmt ist, Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 99 <?page no="100"?> Traum. Aber mir scheint (obwohl Schopenhauer der genialste und intelligenteste Metaphysiker ist und ich wahrscheinlich unvernünftig bin, wenn ich nicht mit ihm übereinstimme), dass er (auch wenn dieser minimale Unterschied, der sie aufeinander abstimmt, so klein er auch sei, aufschlussreich ist in Bezug auf die mystische Gewissheit, in der er lebte, und sie es ihm erlaubte auf sorglose und unbeirrte Art und Weise eine nicht intrinsische Variante des Seins zu behandeln, was für eine nicht idealistische Intelligenz sehr wichtig ist) sehr wohl einen größeren Unterschied entdecken konnte, obwohl dieser in der Form der Kausalität, die der Realität eigen ist, immer extrinsisch sein wird. Außerdem scheint das Wachen eine Reihe kurzer Träume zu sein und der größte Teil seines Inhalts uninteressant und ohne Intensität. Na schön: Was denken Sie, lieber Freund, von diesem einzigartigen Einfallen? - Das heißt Einfall, Hobbes … Na ja, es scheint, dass sich die Träumereien und die Realität so sehr ähneln, dass es sich nicht mehr lohnt, die Klassifizierung aufrecht zu erhalten. Ich habe immer schon geglaubt, dass Sie mit einer belastbareren Intelligenz geboren wurden als ich und obwohl ich glaube, dass ich Ihnen keine Hilfe sein werde, werde ich, falls Sie mich darum bitten, meine Beobachtungen und Überlegungen zum Problem einbringen, welches mich selbstverständlich interessiert und das Sie vorgeschlagen haben. Aber, während Sie gesprochen haben, fiel mir ein Denker ein, der wie ich aus Buenos Aires stammt, dessen Talent wir anerkennen und der - betrüblicherweise, beziehungsweise, im Gegenteil, glücklicherweise, denn bei dem Thema das Sie interessiert wird sich seine Berufung als ein Glücksfall herausstellen - beinahe ausschließlich von metaphysischen Gedanken lebt. Über die hat er viel geschrieben und zur Veröffentlichung bereit, aber bislang hat er nichts dazu publiziert, was diese als bedeutendes Konzept bewahrt. Er ist ein exzellenter Freund und heute Abend werde ich ihn nach seiner Meinung und seinen Entwürfen fragen, die er über dieses Kapitel der Metaphysik hat, damit Sie sie vergleichen können. - Ihr habt also einen Metaphysiker? die verwerfliche Ungenauigkeit zu beweisen, sich damit zu brüsten, die Werke und Meinungen des großen Schopenhauer zu kennen, dessen Geburt nach seinem (Hobbes ‘ ) Tod liegt. Ich kann es nicht lassen, denn er ist ein Wiederholungstäter; es ist keine vier Minuten her, dass er mit einem Zitat von Spiller und einer Transkription von Schopenhauer ganz gelassen die Zusammenkunft aufgewühlt hat, denn Dominguez und ich wissen nur zu gut, dass Spiller zwei Jahrhunderte nach seinem Tod geboren wurde (nicht seinem eigenen, sondern dem von Hobbes) und dass Hobbes ihn demzufolge nicht hätte zitieren dürfen. Nach dieser Witzelei oder diesem Herumtappen des großen Hobbes, konnten wir beim Zuhören für einige Minuten keine ernste Miene aufsetzen. 100 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="101"?> - In seinem Viertel genießt Macedonio Fernández, auf den ich mich hier beziehe, vollstes Vertrauen in Bezug auf die Lösung des gesamten metaphysischen Problems. Die Gewissheit der Nachbarschaft ist derart groß, dass niemand mehr Metaphysik studiert, oder irgendetwas darüber weiß; man hat alles, was man zu diesem Thema wissen kann, an ihn delegiert und tatsächlich ist er ein Mensch, der alles beachtet was ihm anvertraut wurde und das Viertel interessieren könnte, wie in diesem Fall die Metaphysik. Er hat es auf sich genommen, über all das derart gut Bescheid zu wissen, dass das Viertel, im Vertrauen an ihn, es zu der außergewöhnlichen Perfektion gebracht hat, so wenig über Metaphysik zu wissen, dass man es kaum glauben kann, dass hier jemals jemand auch nur einen Hauch über dieses Thema gewusst gehabt hätte. Viele wollen nicht glauben, dass dieses Viertel jemals von dem metaphysischen Geheimnis wusste. - Gut, mein lieber Domínguez, Sie haben einen guten Vertreter für die Kooperation gefunden, um den ich Sie gebeten habe. Ich akzeptiere ihn und möchte ihn besuchen. Des Weiteren, in Bezug auf Ihr Problem der Übereinstimmung zwischen einer musikalischen Version und einer verbalen, die der interessante Raxhpianinof bei Ihnen hervorgerufen hat … - Rachmaninoff, Hobbes. Die Präludien drücken derart deutlich den Tod aus und besuchen aus Zuneigung derart zärtlich die, die schweigen und von uns gegangen sind, dass ich, seit ich sie gehört habe, eine kostbare Erleichterung fühle, indem ich mir vorstelle, dass beim allerersten Erklingen der Präludien auf Erden alles Vergessen der Toten vonseiten der Lebenden abgewischt wurde, wie ein Tau der Erinnerung für alle, die im Tode liegen. - Was für ein zarter Enthusiasmus, der Ihre! Ich bin nicht in der Lage Musik auf diese Weise zu fühlen. - Oh, sicherlich glaubte Rachmaninoff, so wenig wie ich, an den Tod. Zuvor dachte er, dass man vom Tod nichts sagen kann außer das, was Schumann in der zweiten Phrase von Fantasie Tanz … Durch die Unwegsamkeiten der entfernten Straßen von Buenos Aires gingen in dieser Nacht eines Tages des 17. Jahrhunderts - das sechsunddreißigtausend und x Nächte hatte - Hobbes und Domínguez bis sie Fernández, in einem Haus im Viertel, in dem er lebte, fanden (denn in dieser Hinsicht blieb Fernández bei seinen Gewohnheiten), genauso wie es Domínguez vorhergesagt hatte. Der herrliche Besuch, der sehr ausführlich berichtet werden müsste, ermöglichte es in diesem Buch Entwürfe einzufügen, die Hobbes sehr lobend bewertete und Fernández freute sich sehr, diese Manuskripte loszuwerden und außerdem über das Glück, dass sie veröffentlicht würden und damit irgendwann anfangen würden Wahrheit zu werden, denn ihren eigenen Autor, Fernández, haben sie Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 101 <?page no="102"?> nie überzeugt, so wie ihn Kant nicht überzeugt und auch der von ihm sehr geschätzte Schopenhauer überzeugt ihn nicht vollkommen. Die Welt ist ein Seelismus (Manuskript von Macedonio Fernández, das die Augen von Hobbes gelesen haben) Das phänomenologische Feld, das wir WElt, SEin, REalität, ERfahrung nennen ist ein einziges und zugleich unbenennbar: das „ Gefühlte “ nennen wir weiterhin, weder extern noch intern, weder psychisch noch materiell. Nichts was nicht für mich passiert, in meiner Sinnlichkeit, passiert keinesfalls weder in psychischen Feldern (andere vermeintliche Seelen) noch im vermeintlich materiellen Feld. Der Apfel, den ich nicht sehe, anfasse, rieche, schmecke, existiert nicht. Wenn er existiert, das heißt, wenn ich ihn berühre usw., existiert nur die taktile, thermische usw. Empfindung, die ich spüre, das heißt, die man bloß „ spürt “ , die strenggenommen „ ist “ . Denn, da es außerhalb des Gespürten kein Sein gibt, ist dieser Modus unbenennbar, ist kein Modus, sondern „ unsagbar “ , denn benennen ist teilen, von einer anderen Sache unterscheiden und es gibt keine „ andere Sache “ außer das Gefühlte. Die verbalen Unzulänglichkeiten, in die ich gerade eben geraten bin und in die ich weiter geraten werde und über die wir in allen metaphysischen Lektüren stolpern, ist ein Leiden der Verständigung über Ideen, nicht ihrer geistigen Verwaltung. Denn das Wort ist in erster Linie ein Instrument der Verständigung und nicht des Denkens; man denkt mittels Wahrnehmungen und Bildern, man verständigt sich hierüber mit Worten, das heißt, man ruft dieselben Bilder im anderen hervor. In zweiter Linie, in ihrer einzig möglichen Verwendung, der Verständigung, können Worte auf unzulängliche Weise verwendet werden, um andere verbale Unzulänglichkeiten, die im Geiste des Lesers oder Gesprächspartners bereits existieren, zu erwähnen oder widerlegen. Der Inhalt des Wortes Materie sowie der Wörter Zeit, Raum, Ich, Substanz, Noumenon hat kein eigenes, exklusives Bild und keine eigene, exklusive Wahrnehmung. Das will ich sagen, wenn ich sie verneine: ich negiere als ausschließenden Inhalt dieser Worte jegliches Bild, aber ich muss sie nicht als solche negieren, sondern als Inhalt des einen oder anderen Wortes. Denn die Existenz, das Sein, ist nicht verneinbar, da ich von nichts sprechen und über nichts nachdenken kann, was nicht Existenz, oder Zustand, ist. Und was nie in meiner Sinnlichkeit als Bild oder Affizierung war, ist keine Existenz. Dasselbe gilt für das ICh, die MAterie, die ZEit und den RAum. Das ICh, die MAterie, die ZEit und der RAum sind die Fehlenden in dieser WElt: das grammatikalische 102 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="103"?> Genie kann sie substantivieren und zwar mit einer Vokabel, die sie als Substanz und als Phänomen negiert. Die Bilder eines Traumes sind so deutlich und lebendig wie jene des Wachens oder jenen mit vermeintlich äußeren Gründen; das Interesse und Emotionen und physiologische Aufregung, die von einem dritten wahrgenommen werden, sind gleich wie die des Wachens. Niemand insistiert auf die vorgebrachten Unterschiede dieser Qualitäten. Es verbleiben, vielleicht, zwei Unterschiede, die untersucht werden sollten: dass die Träumerei von dem Gesetz der Assoziation der Ideen regiert wird und dass die Szenen eines Traumes weder Auswirkungen auf die Szenen der Realität noch auf die der anderen Träumereien haben. Aber in erster Linie muss man erklären, dass die gesamte Schwere einer Differenz, wie jener, die wir zwischen der Realität und der Träumerei vermuten, verschwindet, wenn man den Beweis anerkennt, dass die Bilder einer Träumerei dieselbe Klarheit und Lebhaftigkeit besitzen wie die Bilder des Lebens. Wenn sie außerdem räumliche Relationen gleicher zeitlicher Abfolge und Dauer haben und, anschließend, emotionale Zustände hervorrufen (und physiologische: Dies ist bereits eine externe Bezeichnung, die hier in Frage gestellt wird). Wenn man außerdem feststellt, dass die Zustände des Wachens, größtenteils, schwächer und weniger aufregend als die der Träumerei sind (die fast immer von Beklemmung, Ängsten, oder großer Freude begleitet werden, während das alltägliche Leben, in seiner Quasi-Gänze kraftlos und schwach ist, unwichtig) und feststellt, kurzum, dass man die Emotionen und selbst die Attitüden der Träumerei anhand ihrer Effekte auf das Wachen wahrnimmt (wenngleich nicht die Bilder; die Löwen, die Münzen, die schönen Frauen der Träumerei lösen sich mit ihr auf ). Besser gesagt, eine ähnliche Lebhaftigkeit der Bilder und Emotionen der Träumerei im Vergleich zu jenen der Realität genügt, damit unser Leben, ohne auf Bedeutung und Ernsthaftigkeit zu verzichten, vollkommen aus Träumerei bestehen könnte. Was suchen wir also, wenn wir die Realität untersuchen? Versuchen wir wirklich die eigenständige Existenz der Realität festzustellen, oder interessiert uns vielmehr ihre Kausalität, zu wissen wie man gute und schlechte Realitäten hervorruft oder vermeidet? Aber es ist ebenso „ praktisch “ zu wissen wie man gute oder schlechte Träumereien vermeiden oder schaffen kann. Gesetz der Assoziation [Das Gesetz der Assoziation] hat nichts mit dem Problem zu tun, obwohl es es zu betreffen scheint, in dem Sinn, dass das Objektive oder Reale sich nach den Gesetzen der Kausalität richtet und die Träumerei nach jenen des Assoziationismus; das Leben und dieTräumerei entwickeln sich gleichermaßen im kausalen Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 103 <?page no="104"?> Handlungsrahmen; nur das Denken und Phantasieren (die sich sehr ähneln und auf eine gewisse Weise Träumereien des Wachens sind) richten sich nach der Assoziation; in der Träumerei zeigen und folgen Dinge und Geschehnisse aufeinander, die ich niemals gemeinsam oder nahe beieinander gesehen habe und die durch Ähnlichkeit oder Kontrast hervorgerufen werden: Die Reihenfolge ist unvermeidbar oder unerwartet, so wie es die reellen Ereignisse manchmal sind. Im Übrigen ist das Prinzip der Assoziation noch nicht völlig untersucht und verstanden worden: es bestimmt nicht die Träumerei der schlafenden Person, sondern vielmehr die Träumerei derjenigen Person die wach ist - Wachträumerei ist das Denken und Phantasieren, das Vorhersehen und Erinnern - ; es bestimmt genauso wenig das Wachen, selbstverständlich, das fast immer schwach ist, bis hin zum Punkt, dass wir es absetzen; Teil unseres Wachseins besteht darin, im Angesicht des Wachens zu träumen und es somit zu negieren. Wie lautet die Antwort? Es ist nicht die von Kant: die kausale Verkettung unterscheidet zwischen Realität und Wachen. Das ist sehr niveaulos und ungenau: die Szenen der Träumerei sind kausal, räumlich, zeitlich. Die von Schopenhauer: es unterscheidet sie die fehlende Kausalität der Träumerei über die Realität und auch die fehlende Kausalität zwischen Träumerei und Träumerei. Diese Antwort ist mangelhaft, da sie nicht festlegt welche der beiden Träumerei ist und das Aufwachen der wahre Beginn des Träumens sein könnte. Trotzdem ist die Behandlung des spannenden Themas durch Schopenhauer des großen Metaphysikers würdig. Er hat sein Denken beiläufig dargelegt, denn all seine Metaphysik war eine Antwort auf das Problem. Ich würde mich wie folgt ausdrücken: Es existiert nicht mehr als eine Träumerei, eine Irrealität: jene anzunehmen es gäbe eine URsache für das WAchen, für die REalität. Diese URsache ist nicht nur nicht real, sondern sie ist nicht geträumt und nicht träumbar: sie ist eine Verbalität, sie ist das Noumenon, das heißt, das Absurde einer URsache der WElt. Die Träumerei und das Wachen sind gänzlich und gleichermaßen real; das Einzige was irreal ist, ist die eigenständige Existenz, die Existenz des Nicht-Gefühlten, die vermeintliche Existenz der Welt bevor wir sie wahrnehmen und nachdem wir aufhören sie wahrzunehmen. Es gibt nichts Reelleres als eine Träumerei, und das Wachen ist nur real, solange es eine Träumerei ist. Was nicht real ist, ist die Verursachung des Wachens, die wir ihm zugeschrieben haben. Zu behaupten, dass das Wachen mehr sei als das was wir in ihm, während es stattfindet, fühlen und wir uns vorstellen und einbilden - zu behaupten, dass es mehr gäbe als eine Vorstellung, die wir Orange nennen, eine eigenständig existierende Materie ihrer selbst, die existiert während wir sie nicht wahrnehmen und die für die rein geträumten Orangen nicht existiert, diese ewige, eigenständig existierende universelle 104 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="105"?> URsache, die existiert obwohl sie nicht fühlt und nicht gefühlt wird, oder fühlend existiert obwohl mein Ich nicht fühlt was sie fühlt (eine andere Person, unsere Person in der Vergangenheit, unsere Person in der Zukunft) - : das bedeutet wirklich zu „ Träumen “ : das ist die Träumerei der realistischen These. Das Einzige, das existiert, sind das Gefühl und die Einbildung: nichts existiert, das es verursacht; das Gefühlte und das Eingebildete existieren weder im Wachen noch in der Träumerei, vielmehr existiert bloß der Zustand des Fühlens oder Einbildens, der die Fülle des Seins ist und kein Schatten, keine Darstellung, kein Erscheinungsbild, oder kein Effekt von irgendetwas ist. Es existiert nur das, was sich in mir einbilden fühlt und das, was sich jetzt fühlt: das zuvor von mir Gefühlte, das, was jetzt ein anderer fühlt, ist nichts, wie auch das was ich morgen fühlen werde nichts ist. Damit will ich sagen, dass die vermeintliche kausale Verkettung des sogenannten Wachens eine fiktive Konstruktion ist, die die Gegenüberstellung hervorruft, die wir zwischen „ Träumerei und Realität “ errichten. Die Träumerei ist so lange wie oder länger als das Wachen. Die Differenzierung, die Schopenhauer macht (kurzer Traum: Träumerei; langer Traum: Leben) ist ein großes Versehen. Alles Denken, alles Einbilden, Erinnern und Vorhersehen ist Träumerei. Dies beansprucht den Hauptteil des Wachens, indem es im Schlaf kein Wachen, aber sehr wohl Träumerei gibt. In vielen Augenblicken des Wachens fallen wir in ein lebhaftes Träumen, durch das wir uns etwas einbilden. Beim Schlafen agieren und fühlen wir mit der Eindringlichkeit der Träumerei. Abgesehen vom Willentlich-Automatischen, das psychologisch nichts ist, weder Träumerei noch Wachen, denn das Nicht-Gefühlte ist nichts (wie wenn wir uns innerhalb einer viertel Stunde vollkommen angezogen haben und es erst mitbekommen wenn wir uns angezogen sehen), gibt es das Gefühlte und Vergessene eines jeden Tages, wie wenn wir an einem etwas hektischen Tag nicht wissen, ob wir gegessen haben oder uns geduscht haben oder nicht. Geschehnisse, die von Gefühlen begleitet werden (die in bestimmten Aktivitäten abwesend sein können, wie zum Beispiel beim Anziehen, bei denen die vertiefte Psyche keine muskuläre Empfindungen registriert). Das bedeutet also, dass das Wachen beinahe ausschließlich eine Hypothese ist, derart prekär ist seine Aufklärung. Es ist nur das ihm zugeschriebene Kausalregime, die uns das Wachen als eine nicht-ganz-vollkommene Träumerei präsentiert. Was gibt es in diesem Wachen, das beinahe ausschließlich aus Formen des Vergessens (plötzlicher Tod des frischen psychischen Inhalts), aus Unbewusstheiten (Tätigkeiten ohne Inhalt oder psychischen Eingaben), aus Träumereien (mit Gesten, Taten, lebhaften Bildern und Gefühlen) und Erinnern, aus Voraussehen und dem Kombinieren von Bildern (projizieren) besteht, bei dem nichts tatsächlich von außen kommt, kurz gesagt, aus dem effektiven Wachsein Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 105 <?page no="106"?> (dessen Struktur dieselbe ist wie die der Träumerei), das das Wachen charakterisieren könnte? Man kann nicht behaupten, dass im Wachen nur das Erwartete, Vorhergesehene (Gute oder Schlechte, Befürchtete oder Gewünschte) eintrete. Ein großer Teil unseres Lebens wird vom Unerwarteten gebildet und in der Träumerei existieren Hoffnungen und Befürchtungen; außerdem wird das, was man während des Traums erwartet oder befürchtet, erzeugt. Die KAusalität? Diese schließt das Unerwartete nicht aus und, psychologisch gesehen, das heißt, in Bezug auf das Gefühlte, ist eine unerwartete Gegebenheit eine Gegebenheit ohne Ursache. Die nachträgliche Suche nach einem angemessenen kausalen Mehrwert zerstört den spirituellen Aspekt des Augenblicks nicht. Im Augenblick in dem sich das, was wir nicht erwartet haben ereignet, verfällt die Kausalkette. Seine Kausalkette nachträglich einzufügen und sie für gut zu befinden, ist eine freie Erfindung und sinnentleert. Der kontinuierliche Tod des psychischen Inhalts, oder das VErgessen, verflochten mit den Erinnerungen an die Zustände, die nicht so schnell sterben, wird schließlich hinzugefügt, um dem WAchen ein genauso phantasmagorisches Wesen zu geben wie jenes der Träume. Wenn man andererseits überlegt, dass das gewöhnliche Schlafen ein Zufall der physiologischen Anpassung ist, dass dieses nicht für alles physiologische Leben unverzichtbar ist, dass viele Tiere nicht schlafen und der Stadtmensch immer weniger schläft und, durch viele Generationen des Stadtlebens, von dieser organischen Gewohnheit der reinen Anpassung an die Umstände, die sich manchmal komplett verändern, wie jede moralische oder physische Umwelt sich ändert, Abstand nehmen wird, dann wird man feststellen, dass sich die Träumerei während des Schlafens nicht vom Träumen, Denken, Einbilden, Vorsehen, sich Erinnern und Vergessen des Wachens unterscheidet. Wir stehen also, nachdem wir eine oberflächliche aber vollständige Kritik des WAchens vollzogen haben, die, so glaube ich, bislang keiner vorsätzlich unternommen hat, vor den letzten Problemen der ASsoziation der IDeen und des KAusalsystems des LEbens oder des WAchens oder der REalität, wie wir uns momentan sie zu nennen erlauben. Diese spirituelle Tatsache der Assoziation, glaube ich, ist noch nie aus dem Blickwinkel der Metaphysik erforscht worden. Abgesehen davon, konnte man auch einige Schwächen und Unklarheiten nicht verscheuchen, die ein jeder Psychologe sofort erkennt, selbst wenn er sich nicht die Arbeit machen würde, eine angemessene Erklärung der Angelegenheit zu formulieren. Die Ereignisse, die sich während des Wachens zutragen, passieren nicht aufgrund von Assoziationen, sondern durch Verursachung. Ist es tatsächlich so und macht dies den Unterschied zwischen Traum und Realität aus? 106 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="107"?> Lasst uns nicht glauben, dass das Wachen aufhöre, ein Traum zu sein, um in seinen Darstellungen oder Geschehnissen einem Kausalitätsgesetz vorzustehen. Nur was sein muss, ist Realität, was sein muss, ist nicht nur purer Traum. Es ist nur Realität was bevor und nachdem wir es wahrgenommen und gefühlt haben existiert und das, was darum, wenn wir es wahrnehmen, nicht das ist was wir wahrnehmen. Es ist nicht unsere Wahrnehmung. Denn, wenn es für sich existiert, bevor wir es wahrnehmen, dann wird unsere Wahrnehmung es nicht verändern. Es wird, während unserer Wahrnehmung von ihm, für uns so fremd sein wie in den Momenten, in denen unser Geist nichts denkt, oder fühlt, oder von ihm wahrnimmt. Sagen wir auch, dass es vielleicht genauso naiv ist wie an GOtt zu glauben und an eine von ihm für uns geordnete Welt, sowie zu glauben, dass die Welt, das WAchen, der TRaum, alles was man fühlt oder ist, Gesetzen gehorche. Geschehen die Darstellungen oder Geschehnisse und Dinge des Wachens in Übereinstimmung mit den Gesetzen? 33 Das gesamte gefeierte Werk Schopenhauers ist die Entwicklung einer unablässigen Verwirklichung oder Herausbildung eines universellen Gesetzes, desselben, unabänderlichen, für alle möglichen Arten von Zuständen und realen oder geträumten Dingen: die vierfache Wurzel, oder die vier Formen, des Satzes vom zureichenden Grunde. Wie kann man nicht vermuten, dass eine derart komplette, universelle und unabänderliche Anordnung in einer derart zufälligen Welt, in die unsere zufälligen Existenzen, oder Bewusstheiten, oder Sinnlichkeiten kommen und in der sie vorbeigehen und erlöschen, kein bloßer Verbalismus, eine vereinbarte Äußerung, ein Axiom sei, wie es offenkundigst sein großes Begriff-Gesetz SUbjekt-Objekt ist, das nicht mehr als die grammatikalische Definition des KEnnens ist, der vermeintlichen spirituellen Funktion: das WIssen und nicht ein Gesetz des SEins. Mit wie wenig Zweifeln findet ein Mann - der von einem Geisteszustand der uneingeschränkten, kritischen Entscheidungsfähigkeit ausgeht, des Entdeckungsgeists, ein Mann der eines Tages vom Geheimnis der Welt berührt wird und sich daher anschickt es unvoreingenommen zu sehen, so wie es zu einer unermüdlichen Prüfung antritt - in dieser kausalen und zufällig erkannten REalität auf einmal alle präzisen Gesetze für eine großartige Anordnung, obwohl wir, im Augenblick in dem wir das Geheimnis fühlen, vielmehr erwarten 33 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Die Auffassung von GOtt und des GEsetzes mindern gleichermaßen unser SEin. Im Positivismus-Materialismus und in der Doktrin der WIssenschaft ist viel Deismus enthalten. Die Fülle unseres Seins ist meine Doktrin und dieses allerhöchste Bewusstsein erreicht man nicht in der Unterwürfigkeit eines Lebens mit den Göttern. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 107 <?page no="108"?> sollten, dass wir in ihm nicht mehr vorfinden sollten als den WAhnsinn des SEins, der so gesund und ewig wie die feierlichste Anordnung ist. (Möglicherweise gibt es nichts Ähnlicheres zwischen den Einförmigkeiten und Eintönigkeiten der Manie und jenen der Kausalität.) Kurzum: 1. Manchmal passiert das, was ich träume, im Anschluss: wenn ich vor etwas Angst oder eine angenehme Erwartung habe, kann ich träumen. 2.a. Ich kann gründlich darüber brüten, (was tagzuträumen bedeutet) was ich in einer dringlichen, unmittelbaren und gewissen Situation zu tun habe und dann tritt diese ein und meine Rolle in dieser Situation ist jene, die ich mir vorgestellt habe, während ich diesen Notfall studiert, oder durchdacht habe. In beiden Fällen widerlegt die Realität den Traum nicht. Aber es stimmt, dass das, was beim Träumen oder Denken „ gemacht ” wurde, das was ich zu tun geträumt habe, nichts von der erwarteten Szenerie vorweggenommen hat und sich in dieser das Geträumte wiederholt, das, falls es gemacht und nicht geträumt worden wäre, sich nicht wiederholen würde. Es gibt viele alltägliche Szenerien, die sich manchmal, ohne erkennbare Variation, wiederholen und die Szenerie eines Tages ist weder der Traum des vorherigen noch jener des nächsten. 2.b. Vorläufer: Es gibt zwei Zonen im Traum wie im SEin: AFfizierung und VOrstellung, die die Gesamtheit des Bewusstseins bilden; die AFfizierung ist die einflussreichste und hedonistischerweise die einzig wichtige. Und das Einzige was strenggenommen und psychologischerweise Träumerei ist, ist die Bilderwelt: die Darbietung von irgendwelchen Bildern; der Rest ist AFfizierung, denn schlafende oder wache Angst ist dasselbe und das wichtigste. 3. Dass das SEin sich in zwei Formen darbietet: im Traum und in der Wirksamkeit, kann als eine Angelegenheit der Welt als Gegebene verstanden werden. Aber, abgesehen von der schlechten Angewohnheit von einem Konzept von Welt oder von Gegebenem auszugehen, wann existiert der Traum und wann die Wirksamkeit? Dass es eine ausgedehnte (oder langlebige) Reihung von Ereignissen gäbe, die von ihren Teilen hervorgerufen würde, ist, einerseits, aufgrund der Häufigkeit des Unvorhergesehen strittig und, andererseits, kann ihr ihre Ausdehnung ihre reine Subjektivität nicht wegnehmen. Wenn beide für die Subjektivität absolut gleich sind, dann sind Ausdehnung und Kausalität unbedeutend. Entspricht das Unvorhergesehene (vorhersehbar oder nicht) nicht einer Träumerei inmitten der Menge an Ereignissen, die sich Tag für Tag wiederholen? Die äußerliche Reihung ist schließlich nicht derart ununterbrochen: Träumereien, Überlegungen, Einbildungskräfte, Aktivitäten sowie unvorhergesehene und häufige Vorfälle (besonders das was wir als Äußerliches klassifizieren) unterbrechen sie. 108 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="109"?> 4. Die Zuschreibung an die Äußerlichkeit, äußere Verortung sowie Raum- und Zeit-Aspekte sind gleich klar und konstant in der Träumerei und den Wachträumen wie in der WAhrnehmung. Der Begriff von Wahrnehmung wie ihn Schopenhauer und Kant definieren, ist daher bei beiden absolut identisch: Alles was die Wahrnehmung konstituiert, ist gleichermaßen in der Träumerei. (Schwach ist Schopenhauer, wenn er entscheidet: „ kurzer Traum, langer Traum “ ; 34 er zitiert nur den Fall von Hobbes: für ihn, für seine allgemeine These gab es keinen Zweifel, dass beide gleichermaßen Träume waren. Er hätte uns sagen sollen, was die Träumerei in einem SEin gänzlich aus Träumereien ist.) 5. Das Verschwinden von Szenen und Personen aus Träumereien geschieht gleichermaßen im Äußerlichen; nur, dass das ständige Verschwinden der Dinge und Wesen in der Realität nicht verhindert, dass wir sein Wiederauftreten durch kausale Steuerung auslösen können. Das, was man sagt, ist in der Träumerei nicht möglich. Aber die Äußerlichkeit tritt jeden Morgen ohne Ursache auf; und das Wiederauftreten einiger ihrer Teile ist nicht immer erreichbar. Außerdem gibt es Regelmäßigkeiten und Wiederholungen von Angelegenheiten in den Träumereien. 6. Erstrangig ist die Problemstellung, wie wir das Gefühl als der mentalen Autonomie vorangehend verorten: Bilder, Gedanken, Erinnerungen; das heißt, ob Bild, als Wiederholung, tatsächlich als solches und nicht ursprünglich ist. Für das Problem Träumerei-Realität tritt diese Angelegenheit erneut auf, denn nun finden wir, dass eine äußerliche Reihung existieren würde, oder eine die wir äußerlich oder kausal nennen würden, die einzige Quelle der BIlder ist. Das heißt, dass die Träumerei die Realität nicht nur nicht stört, sondern, dass sie nur nach der und in der Wiederholung der Realität existiert. Dies lehnt die Metaphysik selbstverständlich ab, aber es ist eine metaphysische Haltung, herauszufinden zu versuchen, wieso es uns in den Sinn gekommen ist, das Gefühl als dem Bild vorangehend zu erklären: a) Zuerst gibt es eine Welt und die ist die einzig wichtige, nämlich die der AFfizierung (Verlangen, Energien, Unlust, Lust), die die Wiederholung von nichts ist und auch nichts vorangeht und auch nicht Dritten subjektiv zugänglich ist; b) Außerdem gibt es das 34 Eventuell bezieht sich Macedonio Fernández hier auf Schopenhauers Überlegungen zur Ähnlichkeit des Traumes mit dem Wahnsinn im „ Versuch über das Geistersehen und was damit zusammenhängt “ : „ Andererseits wieder hat der Traum eine nicht zu leugnende Aehnlichkeit mit dem Wahnsinn. [ … ] Von diesem Gesichtspunkte aus läßt sich daher der Traum als ein kurzer Wahnsinn, der Wahnsinn als ein langer Traum bezeichnen. “ Arthur Schopenhauer: Arthur Schopenhauer ’ s sämmtliche Werke. Fünfter Band. Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften von Arthur Schopenhauer, ed. Julius Frauenstädt, Leipzig: F. A. Brockhaus 1888, p. 246. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 109 <?page no="110"?> Unabhängige des Willens und daher das Kausal- Äußerliche, das, indem es äußerlich ist, Dritten nicht zugänglich ist (Unlust, Lust, usw.); c) Der Fakt, dass das was Dritten zugänglich ist, oder kausal-äußerlich ist, Bilder hinterlässt, subjektiv wiederholbar ist, verpflichtet nicht festzustellen, dass jegliches Bild einer Wahrnehmung oder einem Gefühl nachgehend sei, dass die absolute Erfindung der Einbildungskraft nicht perfekt möglich sei; d) Das Dritten Zugängliche ist auch schwierig zu umschreiben, denn eine Umgebungstemperatur wird von allen gefühlt und bestätigt und ist eine nicht-visuell-auditivtaktile Unlust oder Lust. 7. Nicht nur die Träumerei, sondern auch die Realität, die Spur des Realen, ist manchmal unauffindbar. 8. Es gibt eine Trennung zwischen Träumerei, Einbildungskraft und Realität, die sich nicht durch Räumlichkeit oder Unwahrnehmbarkeit (Zeit, Raum) charakterisiert, sondern die im sogenannten Äußeren alles nicht direkt von der Psyche Beeinflussbare beinhaltet und eher das Autonome genannt werden sollte. Es existiert eine nicht-willentliche Welt: das Reale besitzt das Charakteristikum der Autonomie gegenüber der Psyche und nicht die Räumlichkeit, 35 Zeitlichkeit, oder Zugänglichkeit für Dritte. Man könnte meinen, dass es müßig sei, wenn die Träumereien derart beklemmend oder erfreulich sind, sie für irreal zu halten und wenn wir an das Verlorenheitsgefühl vieler Ereignisse gewöhnt sind, die im Moment als real beurteilt werden, dann geschieht dies, weil die Realität einen hedonistischen Wert hat, der kaum anders oder vorzüglicher ist als der der Träumereien. Die Untersuchung verlangt hier die Erforschung des Problems der kausalen psycho-physiologischen Unmittelbarkeit, das Verhältnis Seele-Körper. Mit einer derartigen Unmittelbarkeit gelangen wir zur Schwierigkeit der Minima der Wahrnehmung oder des Zustands, der zeitlichen oder räumlichen Minima. Die Unmittelbarkeit zweier Veränderungen, die unmittelbare Abfolge, das Aneinandergrenzen ist ein zeitliches oder räumliches Minimum von großer Subtilität in Bezug auf die Wahrnehmung und die reflexive Hervorrufung. Bei der Prüfung der Unmittelbarkeit findet sich die Überraschung, dass die Trennung der Zeit in zwei Zustände (charakteristische, imaginierte, wahrgenommene), ein Minimum ist, was auch immer die hypothetische Dauer des Intervalls sei. Wichtig ist die Nichtigkeit der Zeit, denn jedes Mal, wenn im 35 Hier unterscheiden sich verschiedene Ausgaben des Textes: Die hier für die Übersetzung primär verwendete von Ediciones Corregidor aus dem Jahr 1990 besagt „ especialidad “ , sinnvoller erscheint aber „ espacialidad “ , cf. Macedonio Fernández: No toda es vigilia la de los ojos abiertos, Buenos Aires: M. Gleizer 1928, pp. 62 - 65, die allerdings keinen Punkt 9 kennt, bzw. 8. zu 9. macht und 8. unmarkiert lässt. 110 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="111"?> Rahmen der SInnlichkeit nur zwei Veränderungen erscheinen (oder besser gesagt, die zwei Elemente, die eine Veränderung ausmachen), grenzen diese direkt aneinander an. Zwischen diesen Zuständen kann es keine Trennung geben, außer andere Zustände: die Zeit trennt nichts. Wichtig ist also, dass die Schwierigkeit, die Unmittelbarkeit wahrzunehmen, allen Veränderungen eigen ist; das heißt, dass sich die Nicht-Unmittelbarkeit vorzustellen nichts weiter ist, als sich andere Veränderungen vorzustellen, unter denen die Subtilität der Unmittelbarkeit gleichermaßen auftaucht. Die Unmittelbarkeit ist eine variierende Kontinuität, denn es gibt keine Wahrnehmung ohne Unmittelbarkeit, denn alle Ereignisse sind entweder aneinandergrenzend oder durch Ereignisse getrennt, von denen ist das ein oder andere nicht aneinandergrenzend. Daher besteht eine besondere Schwierigkeit zu erkennen, ob tatsächlich das Verlangen, die Psyche, die Organe unseres Körpers bewegen, das heißt, ob es eine Unmittelbarkeit Verlangen-willentliche Muskelbewegung. Soweit zur Beziehung Seele-Körper, denn es gibt auch ein rein psychisches Problem: Verlangen-Bild. Bewegen wir unseren Arm, oder fixieren, hervorrufen, halten wir in unserer Psyche willentlich ein Bild, unmittelbar aus dem Willen oder einem Verlangen? Gibt es Unmittelbarkeit und ist in ihr das Verlangen vorhergehend, gleichzeitig, oder nachfolgend? 9. Die Wichtigkeit einer Szene wird nicht beschnitten, indem sie mit Träumerei betitelt wird und auch nicht dadurch, dass sie keinen Effekt auf die Realität hat. Denn was zählt, sind die Zustände per se und dies gilt besonders für jene der Affizierung; das in Träumereien Erlittene und Genossene ist ein großer Teil unseres Lebens, ist Alltag. Andererseits ist der Genuss an Realisierungen, die im Wachen stattfinden und die wir uns im Wachen wünschen, sehr gering, laut Poeten und Essayisten, und die Fähigkeit zu träumen ist als Kompensation schlechter Realitäten nicht zu verachten. Die Träumereien sind schließlich logisch (in wiederkehrenden Träumereien, hat mein Vater mich immer lieb) und intelligent: man kann sogar sagen, dass sie das intellektuellste und willentlichste von uns seien. Ich glaube ich habe alle wesentlichen Aspekte des Problems vereint. Anders gesagt: Es kann sein, dass wir den Unterschied Traum-Realität in einer „ formellen ” Ungleichheit finden (wie es die Scholastiker, die es gab und geben wird, sagen, die in Worten „ denken ” und dabei vergessen, dass diese Zeichen der Verständigung sind und keine Instrumente fürs Denken): die kausale Verkettung, Regularität und jegliche andere unwesentliche Modalität. Damit wären wir in einem absoluten Idealismus mit einem doppelten Träumen des SEins. Klären wir vorab eine Schwäche vieler Darstellungen des Problems. Es wird wiederholt, dass wir ein Problem Träumerei-Realität entdeckt haben, wenn Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 111 <?page no="112"?> andere „ ich “ uns berichten, dass während wir schlafen, in gleicher Weise wie wenn wir wach sind, viele Dinge geschehen, die wir nicht bemerken. Während ich aber für die ÄUßerlichkeit nicht existiere, weil ich schlafe (und deswegen für die SInnlichkeit nicht existiere, was laut der idealistischen These, die ich vertrete, auf gar keine Weise zu existieren bedeutet, unter dem Vorbehalt, dass diese These weder das kurzzeitige noch das ewige Nicht-Existieren der SInnlichkeit 36 beinhaltet), bin ich wach für die Träumereien, die für Dritte nicht zugänglich sind. Diese sind meinen Träumereien fremd, so wie mir das fremd ist, was sie in der Welt erblickt haben, während wir geschlafen haben. Während der Träumerei habe ich genauso vergnüglich existiert wie sie, und das, was sie mir erzählen, zeigt, dass sie wohlinformiert sind über das, was ich nicht gesehen habe und, dass sie nichts über das wissen, was ich erlebt habe, „ träumend “ wahrgenommen habe, in deren Traum andere Personen neben mir nicht gefehlt haben, Personen die sich aufregten und agierten und damit verrieten, dass sie dasselbe wie ich wahrnahmen: ich habe die Personen meiner vermeintlichen Träumerei genauso klar wahrgenommen und verstanden, wie ich die wahrnehme, die mir jetzt sagen, dass besagte Personen nicht existiert haben. Dies führt mich dazu diese in jene einzubeziehen, sie als Sinnlichkeiten zu negieren, die außerhalb meiner eigenen liegen, und zu negieren, dass irgendetwas außerhalb meiner selbst liegen kann und sogar noch zur ästhetischsten und mystischsten Negation, dass nichts extern sein muss, um ganzes Sein zu haben. Es würde genügen und es wäre gerecht zu sagen: „ Jetzt, wenn sie mir sagen, dass ich wach bin und dass ich einige Stunden verbracht habe, ohne etwas von der Welt zu sehen oder zu wissen, einer Welt, die sie nicht aufgehört haben zu sehen, jetzt träume ich wie früher, das heißt, ich lebe voll und ganz und ich bin weiterhin das einzige Ich, das denkt und fühlt, und ich stelle mir sie vor, wie sie auf groteske Weise meine Existenz von gestern Abend negieren, sie, die nur existieren, wenn ich sie wie jetzt gerade eben träume. “ Man beachte also, was für eine prekäre Investitur ich diesen Personen hinterlasse, um meine Träumereien, mein volles Leben, zu schwächen, um meine Überzeugung umzuwerfen, dass die Welt zu existieren aufhört, wenn ich nichts von ihr wahrnehme. Weit mehr noch, als solider, guter Träumer, als zuverlässiger Idealist, weiß ich, dass die Kontinuität meines Fühlens und Wahrnehmens keine vorstellbare Unterbrechung besitzt: mein Sein (der Sinnlichkeit, nicht des Körpers, denn dieser ist nur eine Bildergruppe, die ich in meiner Sinnlichkeit zusammenfüge) hat nie aufgehört. Fest im vollen und gehaltvollen Leben meines Träumens stehend, ist mir wahrscheinlich nie die unnötige, unmoti- 36 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] 1. Nichts existiert außerhalb der Sinnlichkeit; und 2. Das Nichts, die Beendigung gibt es für die Sinnlichkeit nicht. 112 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="113"?> vierte Vorstellung einer Welt hinter meinen Träumen in den Sinn gekommen und auch keine Form der Existenz oder andere Sinnlichkeiten, die mir unbekannt sind, in denen Geschehnisse stattfinden und in denen es Zustände und Wahrnehmungen gibt, die nicht die meinen sind. Jenen, die jetzt zu mir kommen und mir sagen, dass ich jetzt und nicht zuvor wach bin, antworte ich, dass ich jetzt und nicht zuvor wach bin, ich antworte, dass ich wach bin und es immer war, weil ich immer noch träume. Jede Art von Fühlen bedeutet wach zu sein; Existenz sind nur das Fühlen, das Wahrnehmen und dieses ist kontinuierlich, ewig und einzigartig: es gibt kein anderes Fühlen als das meine und deshalb gehört dieses Fühlen niemandem; es ist die SInnlichkeit, das SEin, die nichtiche WElt. 37 Es ist inkohärent, die Worte der Mitmenschen, die uns über die Existenz und die Phänomene der Welt während unseres Schlafes berichten, als Ursache unseres Verdachts für ein Problem Träumerei-Realität zu bestimmen. Das einzige was uns hieraus erwachsen würde, wäre das gute Übereinkommen, diese Mitmenschen meiner Träume zusammen mit der Darstellung von komischen Figuren anzuwerben. Ich wäre ein König des Träumens - einzig mögliche Form des Existierens - und der NÄchste wäre mein Hofnarr, der, indem er seine spaßigen Pflichten mich aufzuheitern erfüllt, mir einen Großteil meines täglichen Existierens verweigern würde. Es ist nicht umsichtig, die Geburt des Problems des Mysteriums der Welt im Geiste, von der Eventualität abhängig zu machen, dass es eine Vielheit an Menschen gibt. Ein einziger Zustand in einer einzigen Sinnlichkeit oder einem einzigen Bewusstsein stellt das ganze Mysterium. Dass etwas „ ist “ , im Fühlen oder in der sogenannten Welt, ist absolutes Mysterium. Ein Mann der einsam aufgewachsen ist, hat zwei Träume: die Träumerei und die Realität, und er muss sich fragen was die beiden unterscheidet. Die Frage über den Fortschritt bestimmter periodischer oder „ regulärer “ Ereignisse der astronomischen, physiologischen, pflanzlichen, inerten Welt, während unseres scheinbaren Schlafens gewinnt vollkommene Bedeutung, indem sie sich in jene der KAusalität miteinschließt. Gleichermaßen schreiten diese Prozesse fort, während wir uns aus Abkehr und Zerstreutheit nicht um sie kümmern. Alsdann entsteht das absolute Problem der ÄUßerlichkeit. Eine mir bekannte Senke füllt sich mit Wasser im Laufe von vielen verregneten Stunden; eine Kerze, so groß wie die, die ich beim Lernen zu verbrauchen pflege, braucht fünf Stunden um herunter zu brennen; das Öl einer Lampe geht zur Neige, eine Milch wird sauer, eine Blume verwelkt, das Tageslicht vergeht, der SOnnen- 37 Wie im Nachwort genauer ausgeführt wird, haben wir uns für „ ayoico “ zwischen „ nichtich “ , „ ichlos “ und „ enticht “ entscheiden müssen. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 113 <?page no="114"?> stand ist so und so, der Hunger auf Nahrung taucht viele Stunden nach einem bestimmten Moment wieder auf. Gäbe es nicht Gesetzmäßigkeiten, Periodizitäten, die im Kern Zufälle sind, das heißt, Simultaneitäten, das heißt, Positionsgleichheiten zwischen zwei Veränderungen, dann vereinigten sich unsere Träumerei mit dem Wachen und, das was sie von jenem trennte, würde sie nicht von ihm unterscheiden. Denn, indem wir sie als Teil von ihm verstünden (nichts würde mich darauf bringen, wenn diese gesetzmäßige Ordnung nicht existierte, dass wir einige Stunden von der ÄUßerlichkeit unbeeinflusst waren, oder dass eine ÄUßerlichkeit existierte), würden wir nur verkünden - da Träumerei und Wachen für uns kontinuierlich wären - , dass die Ordnung des Wachens eine sehr prekäre Eigenschaft war, dass, in der Summe, die Anordnung im Leben sehr wenig war, dass wir manchmal jung waren nachdem 38 wir alt waren, dass unser Vater manchmal begraben lag und Tage später mit uns aß. Vielleicht verbliebe nichts Geordnetes, weil wir gestern Abend einen hochsommerlichen Mittag wahrgenommen haben und heute einen eiskalten Vormittag: vor zwei Stunden stand die SOnne am Zenit und jetzt wacht sie auf … Was wir eben berührt haben, akzentuiert die ganze Feinheit und das ganze Abrutschen, die diese Vision reizen. Zumal die Träumereien so klar sind und verschieden in ihren Bildern, so intensiv in ihren Entfesselungen von Freude oder Leid und vielleicht so häufig wie die Ereignisse des Wachens, falls wir alle Fälle des Träumens berechnen: die angebliche Ordnung des Wachens, die in derselben Sinnlichkeit auftritt, wie sie die Träumereien dauerhaft besetzen, verfügt nicht über mehr Autorität als diese, und, kurz gesagt, dieselbe Sinnlichkeit, die manchmal von den Träumereien besetzt wird, manchmal vom hypothetischen Wachen, findet kontinuierlich die Zerstörung des einen durch die anderen, und da die zwei Zustandsfamilien für sie ein absolutes und einziges Leben formen, findet sie nichts, was sie dazu bringt, das Sein als verursacht und geordnet einzuordnen, ein SEin, das sich in beide integriert, das die SInnlichkeit selbst ist, und diese ist zugleich nichts weiter als ihre Zustände der Träumerei oder des Wachens (die wir weiterhin voraussetzen), die gleichermaßen affektiv oder imaginativ sind. Außerdem: a) Gepaart mit den Träumereien sind die Affizierung, oder Lust und Unlust, Gefühl, das einzige, das das SEin bedeutsam macht, die gleichermaßen mit dem Wachen gepaart sind und die gleichermaßen in beiden Fällen für 38 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Dieses nachdem ist nichts. Aber aus der Suche nach kausaler Effizienz, um eine gute Realität zu erhalten, erwächst das Interesse an dem Problem. Und der Unterschied selbst ist vielleicht aus dem Zustand geboren, den man Schlaf und Unaufmerksamkeit nennt. Die Abwesenheit oder Entfernung ist auch so etwas wie eine Träumerei bei der Rückkehr. 114 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="115"?> Dritte unzugänglich sind; b) Andererseits ist der phänomenale Fortschritt der Anordnungen oder Verursachungen derÄUßerlichkeit manchmal die Träumerei bestätigend, weil sie das Vergehen der Zeit beweist und die Träumerei, genauso wie das Wachen, die Zeit benötigt. Wenn ich vor dem Schlafengehen eine Kerze anzündete und diese, sobald ich sie wieder betrachte, beinahe vollkommen heruntergebrannt ist, dann impliziert dies das Vergehen von fünf Stunden zwischen meinen beiden Wahrnehmungen der Kerze. Es ist vorgekommen, oder ich habe geträumt, dass ich zwischen beiden Wahrnehmungen das Haus verlassen habe, mehrere Besorgungen erledigt habe und zu Aktivitäten zurückgekehrt bin, die einige Stunden in Anspruch nehmen: Die Kerze beweist, dass diese Stunden vergangen sind. Daher sind die Ereignisse geschehen. Wenn hingegen, aufgrund der Beobachtung der herunterbrennenden Kerze, ich in meinem Geist keine Szenen, Bilder der Erinnerung, kein Gefühl der Weltanordnung vorfinde, die die abgebrannte Kerze bestätigt (sagen wir so, mit ihrem letzten Aufflammen beleuchtet), bringt mich dies auf den Gedanken, dass mein Ich, meine Sinnlichkeit, während des Abbrennens nicht existierte. Aber da die Nicht-Existenz für einen guten Träumer, für einen Idealisten, nur ein Wort ohne korrespondierende Vorstellungen oder Bilder ist, werde ich sagen, dass es keine derartige Anordnung gibt, dass die Kerze, die sonst in fünf Stunden herunterbrennt, diesmal unmittelbar nachdem ich sie entzündete herunterbrannte. Unmittelbar, denn die ZEit ist nichts und zwei Ereignisse der Bilder, zwischen denen kein weiteres Ereignis oder Bild liegt, sind unmittelbar, selbst wenn zwischen ihnen, absurd gesprochen, angeblich Jahrhunderte liegen. Andererseits konnte ich weder einen Augenblick ohne sinnliche Existenz gewesen sein noch habe ich irgendein Konzept davon, was es bedeute, nicht zu existieren; die meisten Ereignisse der Äußerlichkeit sind unregelmäßig, wie der Regen, der warme Nordwind, usw.; selbst wenn alle Ereignisse eine Ursache hätten, gäbe es dennoch wenige periodische Ereignisse, oder solche, die einen mehr oder weniger regelmäßigen Ablauf hätten. Das Auftreten von zwei Regenfällen an einem Tag, gefolgt von regenfreien Monaten, 39 ist ein Beispiel. 39 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Was ist eigentlich diese Periodizität? Das Quantum an Zeit,* das zwischen zwei Ereignissen vergeht ist Aussprache, die keinen Sinn beinhaltet: das einzige, das man wahrnehmen kann, ist die Simultaneität zweier Ereignisse und die Frequenz dieser Simultaneität. (Frequenz und Simultaneität sind temporale Verbalitäten, deren Anwendung, so wird man sagen, hier illoyal ist.) Es gibt keine visuelle Version der Simultaneität und die Frequenz hat gleichermaßen ihre Zeichen. Es ist dies die Funktion der visuellen Überreste, die beinahe die ganze INTelligenz ausmachen; ich kann dies hier nicht erklären. Die Ereignisse sind „ die Zeit “ reziprok die einen der anderen. *Nicht nur das Quantum an Zeit und Raum ist sinnlos, sondern auch das „ Quantum der Materie “ , das die Physiker so sehr fasziniert. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 115 <?page no="116"?> Wir können sagen, dass die Ereignisse der Welt vielleicht alle verursacht sind, einige sind periodisch (Wiederholung ohne Entwicklung) und es gibt, außerdem, jene des konstanten Fortschritts (oder der konstanten Rückkehr): eine einjährige Pflanze, die ihre Blüten oder Früchte nicht wiederholt und konstant wächst und eine Reihe von Größen und Aspekten durchläuft. Diese partielle Anordnung erscheint in den Träumereien aufgehoben, in denen die Pflanze, die mir einige Stunden früher robust vorkam, später in der angeblichen Träumerei entstehend erscheint usw. Dieses später situieren wir; in diesem später oder danach liegt das Mysterium. Kurz und gut, wir erkennen eine Träumerei nicht weil ihr irgendeine Wesentlichkeit der Wahrnehmung fehlt: Zeit, Raum, Kausalität, Klarheit, Intensität und Vielfältigkeit; innerlich ist die Träumerei ein angemessenes und kausales System, und selbst wenn es manchmal nicht so sein sollte, was ich nicht feststellen konnte, ist das Wachen eine unablässige Unordnung, die von einigen Unregelmäßigkeiten bedroht wird. Die Kausalität des Wachens und der Äußerlichkeit ist auch nicht das was der Träumerei zuwiderhandelt und deshalb verrät sie sich. Das, was dem Traum widerspricht, sind die häufigen „ Periodizitäten “ und die „ Entwicklungen “ des Wachens und vielleicht auch die Kausalität in ihrem partiellen Aspekt des Trägheitsgesetzes. Aber damit wissen wir noch nicht, welche von ihnen Träumerei ist und welche nicht. Und vor allem: 1. Was für einen Sinn hat die Bezeichnung der Träumerei? 2. Warum wären nicht beide Träumereien? 3. Warum könnte es wichtig sein, dass es der Träumerei am Attribut oder an der Wesentlichkeit mangelt, welche Realität genannt wird, wenn die Träumereien immer existierten? Sind sie so häufig wie das Wachen und in der Ordnung der Affektivität, einziger Wert des SEins, und haben den gleichen Inhalt wie das Wachen? Gegen die Wertzuschreibung an die Kategorie „ Realität ” kann man das einwenden, was ich bereits gegen die Metaphysik der DArstellung behauptet habe. Diese sind vielmehr extra Kapitel der Mathematik als Metaphysik. Wenn ich das Wesentliche der Welt der Darstellung betrachte: ZEit, RAum, diese Welt, all dies ist unwesentlich, wie im Fall des WAchens, das nur in jenen Bereichen wertvoll ist, die sie mit der TRäumerei teilt: die AFfizierung. Das Zeitgefühl führt nur: zur Vielheit (kleiner Intervalle der Simultaneität mit denen ein größerer vermessen wird) und zur Situation der Koinzidenz oder der Simultaneität (was eine visuell-taktile Referenz ist). Die kleineren Periodizitäten, die wir meinen, vermessen eine andere, größere. Sie vermessen sie in dem einzigen Sinn, dass sie die Vorhersehung eines neuen Einfalls einer derartigen Simultaneität erlauben. Aber die Normeinheit des 116 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="117"?> Intervalls ist bereits nicht mehr messbar und da es ein Intervall ist, beinhaltet er - um diese sinnlose Formulierung zu verwenden - Zeit, und in diesen Intervall passen unendlich viele Ereignisse, so wie in einem breiten Intervall sich auch gar kein Ereignis ergeben kann (wenn wir der üblichen Verbalität folgen). Da die Vielheit und Intensität der Ereignisse nicht vom Quantum der Zeit abhängig sind, ergibt dieses gar keinen Sinn außerhalb der Vorhersage der Simultaneität. Träumerei und Realität sind keine Abstufungen der Sinnlichkeit, denn in ihren Zuständen tritt dieselbe Fülle auf; das Existieren ist in ihnen gleichermaßen inhaltsvoll. Daher dreht sich die Frage hier um Kritik und nicht um Mystik; im Übrigen ist der Gewinn hieraus unbedeutend. Die Zusammensetzung der Träumerei ist wie jene des Lebens: Bilder und Affizierung (Lust und Unlust) und unterscheiden sich in der Varietät, Intensität und Unterscheidbarkeit keiner ihrer Komponenten. Nur in der Komponente „ Bilder ” , in Bezug auf ihre Verhältnisse untereinander, da sie per se dieselben sind, schreibt man dem Wachen eine kausale Ordnung zu, und deshalb unterscheidet Kant sie von der Träumerei, die der Kausalität nicht gehorchen würde. Die Noumenisten billigen uns nur ein Leben und Fühlen als Schatten zu und aus dieser Kritik der Negation des Seins, die den Noumenismus ausmacht, befördern sie sich zur Kritik des Wissens, die ein Agnostizismus mit entschiedener Negation ist, und, weil wir substanzlos und zudem intelligenzlos sind, erklären sie uns fähig, die Existenz der Wesenheiten, von denen man nichts außer ihrer Unerkennbarkeit wissen kann, bestätigen zu können. Sie bemerken nicht, und die Beobachtung erscheint burlesk, dass von etwas Unerkennbarem zu wissen zugleich bedeutet viel davon zu wissen. Schließlich muss man die Natur der Sache und die Natur der INtelligenz gut kennen, um versichern zu können, dass diese jene unter keinen Umständen erkennen wird. Um zu behaupten, dass das SEin unerkennbar ist, muss man es völlig kennen, wissen, dass sich das SEin zu keiner Zeit unserer Intelligenz anpassen wird und dass zu keinem Zeitpunkt der Unendlichkeit der ZEit sich die Intelligenz dem SEin anpassen wird. Dies ist eine doppelt unendliche Voraussage über das SEin und die Intelligenz, was die höchste Selbstgefälligkeit der Intelligenz der Leugner der Intelligenz darstellt. Die Noumenisten pflegen, anständigerweise, ihre kuriose These zu vergessen (die witzigste der mentalen Entscheidungen, die das Denken je angenommen hat), wenn sie dazu geführt werden, das Problem Träumerei-Realität zu erwägen und zu erklären, dass das, was sie unterscheidet, die Fülle der Zustände des Wachens ist; eine Fülle, die die Träumerei nicht besitzt. Abgelenkt vom Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 117 <?page no="118"?> Vergleich mit der Träumerei, vergessen sie ihre These von der Substanzlosigkeit der Realität. 40 Notiz: An diesem Punkt des Buches angelangt stelle ich fest, dass ich dem Publikum Seiten zum Lesen gebe, die nicht zu dem Manuskript gehören, das Hobbes zurückließ, als er sich von dem wundervollen Besuch zurückzog, mit dem er mich auf Betreiben des großen Freundes Dalmiro Domínguez beschenkt hat. Und, um mich an alles zu erinnern, werde ich es mit derselben Methode sagen, mit der ich es vergessen habe: Dass man, seit einigen Seiten, dem Geschriebenen voraus liest und dass dies geschieht, weil mich, da ich mich über seine Zustimmungen derart gefreut habe, der bemerkenswerte Hobbes darum bat, das Problem erneut zu untersuchen, was seine Lösung nicht beschleunigen wird. Ich werde es trotzdem tun. Außerdem werde ich sagen, dass er mir vorgeschlagen hat, auf den neuen Seiten so prägnant fortzufahren (wie nett von ihm! ) wie ich es im Manuskript bin und bis zur vollständigen Lösung nicht nachzulassen. Ich werde mich also darum kümmern, nunmehr anzufangen prägnant zu sein und werde, weil ich dem freundlichen Hobbes gehorche, der Welt auf den folgenden Seiten die vollständige LÖsung des Problems präsentieren. Es tut mir leid, dass ich Hobbes und dem höflichen Domínguez, der ihn mir vorbeigebracht hat, bereits jetzt ankündigen muss, dass sie am Anfang meiner endgültigen Beantwortung des Problems sterben werden. Schließlich erfordert eine meiner ersten Behauptungen die Auslöschung seiner persönlichen Entität. Diese Behauptung ist absolut unverzichtbar, wenn ich auf das Vertrauen von Hobbes mit einer vollkommenen und ihm würdigen LÖsung antworten soll. Dies ist die zentrale These meiner Antwort: die Einzigartigkeit der SInnlichkeit, die Unbegreifbarkeit einer Vielheit der SInnlichkeit. Ich bedauere, dass der Auftrag von Hobbes und meine eilfertige Hilfsbereitschaft derart verhängnisvolle Folgen für ihn nach sich ziehen. Mit wem ich außerdem 40 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Man bemerke einen ähnlichen Mangel an Vorkehrungen vonseiten der Bewunderer Strawinskys (als Neuerer). Wenn sie mit ihrem Applaus ihrer Freude und Erleichterung Ausdruck verleihen, nachdem er, im Anschluss an einen äußerlichen Beweis seines persönlichen Konzepts in Les Noces (Die Bauernhochzeit), ein einfaches Thema eines Leierkastens erklingen lässt: Freude angesichts des Anmuts des kurzen Gesangs und Erleichterung angesichts der Auflösung der Spannung der Aufmerksamkeit, die das vorhergehende Thema verlangte (beim ersten Hören erleichtert die Neuheit die Aufmerksamkeit: ich beziehe mich auf die Personen, die es mehrfach gehört haben). Das heißt, dass ein echter Genuss von seinem Publikum genau dann entdeckt wird, wenn es weder das Systematische von Stravinsky noch ein altgewohnte Gesang von Strawinsky ist (denn dieser Gesang ist eine musikalische Phrase der Tradition). Das Lob des kleinen preziösen Gesangs ist eine Missbilligung der Schule Strawinskys und kein Lob für ihr persönliches musikalisches Talent. 118 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="119"?> die anmutige Freundschaft nicht werde erneuern können, ist mit Domínguez, der niederträchtigerweise den Tod erlangt, aufgrund einer bezaubernden Gefälligkeit, mit der er es mir ermöglichte, mich hervorzutun und Hobbes den Metaphysiker von Buenos Aires zu präsentieren, wofür er in seinem ganzen Viertel gefeiert wird. Die niemals gebrochene Anmut des Domínguez wird mir fehlen: sie war derart erhaben, dass mich seine Vergebung erreichen wird, noch bevor ich die Trauer, ihn nicht mehr bei mir zu wissen, überwunden haben werde. Es besteht allerdings eine immense Tiefe in der Bedeutung der Taten; erst nach vielen Jahren werde ich für mich die Bedeutung des Todes des Freundes definieren können, den Sinn davon, dass dieser meinetwegen eingetreten ist, den Sinn und spirituellen Wert meiner Anwesenheit jetzt und hier, alleine, ohne IHn, ohne die Gesellschaft der GEfährtin, mit einer Abwesenheit in allen meinen Stunden und mit meinem verschlüsselten Existieren, das dazu dient, das Mysterium der Existenz zu erfahren, um zu wissen ob „ seine Seite ” wieder einmal meine Nähe ist, und ich an seiner Seite „ sein werde ” , so wie SEine Absenz gerade jetzt und stets an meiner Seite ist. Lösung Ich bin Deunamor, 41 der zu euch sprechen wird, eine Kunstfigur. Der, der daher nie in der Welt war. Der, der sich außerdem selbst zu erschaffen gedachte in seiner Verfassung als Nicht-Existenter. Und dessen Platz der Nicht-Existenz in einem nie verfassten Roman, nun ja, als ob solche Garantien, niemals an deiner Seite aufzutauchen, Leser, nicht ausreichen würden, euch allen die ihr lebt zugewiesen wurde, und zwar nur, um meine Meinung über die Souveränität der Realität zu äußern und darüber wie die Träumerei, diese geheimnisvolle Heimsuchung, die im Schatten jede Nacht erleuchtet und uns vor Überzeugung erbeben lässt, sie in unbeugsame Besitztümer unserer Seele zerbricht. Hier bin ich, verkünde meine Meinung und warte darauf, dass ich ein Sein in einem Traum erhalte: Jenes der KUnst, nicht 41 [Fußnote des Herausgebers der erweiterten spanischsprachigen Ausgabe, Adolfo Obieta] Deunamor, der bereits in Erscheinung getreten ist mit einer Begrüßung im Verzeichnis der neuen amerikanischen Poesie, 1926, das im vorangehenden Band abgedruckt wurde, wird in Das Museum von Eternas Roman wieder erscheinen (A. O.). Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 119 <?page no="120"?> leblos, sondern ein Sein, dessen Erträumt-werden noch nicht einmal begonnen hat, ich, der das Mysterium kennt. Deunamor der Nicht-Existierende Kavalier. Lösung? Die schnelle, sorglose Antwort ist: Es gibt eine graue Substanz, die, stimuliert durch die restliche Materie: die unseres Körpers und der Welt, unverzüglich eine Reaktion auslöst - als der Seele unmittelbare Materie, wird uns Idealisten gesagt, dass wir diesen Satz formen müssen und ihn zugleich für inintelligibel erklären müssen - psychische Zustände, Farbempfindungen, Berührung, Schmerz, Freude. Die graue Substanz wird außerdem durch jede Stimulierung beeindruckt und kann so, ohne neue Stimulierung, die gleichen Zustände verursachen, die wir dann Bilder, Erinnerungen nennen. Die WElt, die aus einer Substanz geschaffen wurde - aus derselben, aus der auch unser Körper und unsere Großhirnrinde sind - , welche immer existierte und bereits existierte bevor wir alle auftauchten (für mich genügt es, dass sie im Moment meines Anbeginns existiert: es besteht kein Interesse daran herauszufinden, ob sie vorher existierte, was keiner von uns überprüft hat; noch weniger wird einer von uns nachprüfen, ob sie nach uns existieren wird), stimulierte diese graue Substanz. So gelangten wir zur EMpfindung, das heißt, der Geist, die Sinnlichkeit, das Bewusstsein begann. Daraufhin, aufgrund von Phänomenen dieser Großhirnrinde, die beeindruckt blieb, treten Formen von Wiederaufleben der Empfindung ein, ohne die Anwesenheit der Stimuli und unser Geistesleben konstituiert sich mit einer gewissen Autonomie, durch die Bilder, die die Überlegung, die Fantasie, die Vorhersehung ermöglichen. Wenn diese Veränderungen der Großhirnrinde, aus physiologischen Gründen, während unserer Träumerei eintreten, dann haben die Bilder mehr emotionale Wirkkraft, da die Wahrnehmung der REalität fehlt, welche diese Vorstellungen widerlegen würde. Beim Aufwachen stellen wir fest, dass nichts von dem, was wir geträumt haben vorfallen konnte, denn keiner ihrer Effekte zeigt sich in der realen Gegenwart. Es entstehen nur dann Zweifel, wenn der Gegenstand der Träumerei ein derartiger war, dass er, selbst wenn er in der Realität geschehen wäre, keine Zeichen und Effekte hinterlassen hätte können; zum Beispiel, falls ich träumte, dass ein Vogel, der an diesem Ort weit verbreitet ist, in mein Zimmer reinflog, seine Runden an der Zimmerdecke drehte und so hinausflog, wie er hereinkam, nachdem ich mich zum Ausruhen aufs Bett gelegt hatte, mit offenen Türen, so wie ich es im Sommer auf dem Land zu tun pflege. In dem Fall kann ich nicht wissen, ob ich träumte oder einen Vogel zu Besuch hatte; aber es gibt auch viele reale Vorfälle, deren Effekte manchmal 120 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="121"?> nicht nachweisbar sind und bei denen es mir genügt zu wissen, dass diese Welt einer kausalen Ordnung unterliegt und dass es in ihr eine Großhirnrinde gibt, die, nach einer auslösenden Stimulation, autonome Veränderungen aufweist. Das Reale ist das, von dem ich Konsequenzen erwarten muss und die ich gemäß der KAusalität vorbeugen oder sichern kann. Im seltensten Fall, dass das Aufwachen mir nicht sofort den Beweis erbringt, dass nichts geschehen ist, werde ich dem Fall entsprechend umsichtige Maßnahmen ergreifen. Bevor ich antworte, einige einfache Vorbehalte: 1. Das Aufwachen! Auch der Beginn des Träumens ist ein Aufwachen in Bezug auf die Realität und aus diesem Grund sollte es zu ihr im Widerspruch stehen. Zwischen ihnen sollte es die Differenz zwischen dem Ungeordneten und dem Geordneten geben: Warum könnte das Geordnete nicht die Träumerei sein, wenngleich mit naheliegenden Konsequenzen, und das Ungeordnete das Reale, mit weit entfernten Konsequenzen in der Ewigkeit. 2. In Anbetracht der bereits bekannten Struktur und der Phänomene der Materie wurde wider Erwarten behauptet, dass die feine graue Substanz (der eine erste Wahrnehmung der Orange ausreicht, um ohne äußerliche Stimuli Bilder von ihr zu erzeugen) ohne diesen leichten ursprünglichen Stimulus träge ist und vor jeglicher Empfindung, die das Bild der Orange oder das Bild O vor jeglicher Wahrnehmung von realen Orangen auslöst, keine psychischen Zustände hervorrufen könne. 42 Gewiss sehen wir täglich die Geburt der Bilder von neuen Objekten nach der Wahrnehmung von neuen Objekten, aber auch ohne vorhergehende Wahrnehmung werden in uns täglich neue Verbindungen von Bildern geboren. 3. Es ist gleichermaßen unerwartet, dass die Bilder, Töchter der Empfindungen, zusammen mit der vollkommenen Ähnlichkeit, nicht dieselbe Anordnung wie jene zeigen. Wenn die KAusalität die Realität charakterisiert, dann muss ihr Bild und Effekt dasselbe Wesen zeigen, und die Anordnung und Nicht- Anordnung kann nicht das sein, was die Realität von der Träumerei, die aus Bildern erzeugt wird, unterscheidet. Das Problem ist von außerordentlicher Schwierigkeit: Es beinhaltet seine Lösung, die des gesamten SEins, die der gesamten Metaphysik und daher präzise Konzepte der ZEit, des RAums und der KAusalität. Wahrscheinlich hat es niemand vollständig untersucht; und vor allem gäbe es ein Gegenargument zur leichtfertigen Meinung Schopenhauers, die noch dazu 42 An dieser Stelle erzeugt die Übersetzung eventuell einen Bedeutungsüberschuss, der der Argumentation visuell zwar sehr zuträglich zu sein scheint, aber so nicht im Original steht. Das Bild ist im Original nicht das Bild O, sondern das Bild N, „ la imagen N “ (p. 275), da Orange eben auch naranja heißt. Daher könnte es auch eine Bedeutungsverknappung sein, wenn es sich bei N um die Menge der natürlichen Zahlen handeln sollte. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 121 <?page no="122"?> irrig ist, weil sie von einem Idealisten stammt, der, ohne sich besonders zu interessieren, uns mit Nachlässigkeit sagt, dass sich zwischen der Realität und der Träumerei keine größere Differenz darbieten kann, als die Differenz der Ausdehnung, der Dauer, wie jene zwischen einem langen und einem kurzen Traum. Durch den Anschein eines extremen Idealismus diskreditiert diese Eingebung die Fülle der mystischen Vorstellung des SEins und die Fülle seiner Erkennbarkeit. Eine unabänderliche Beschränkung des Wissens, die Unmöglichkeit zu wissen, ob eine Tat eingetreten ist oder nicht, bedeutet für einen Mystiker eine Einschränkung seines SEins, seines mystischen Zustands. Das SEin ist keine Fülle, wenn es nicht vollkommen erkennbar ist. Diejenigen, die den Idealismus vorangetrieben haben, haben sich nicht so sehr darin vertieft, dass sie zur Einsicht kommen hätten können, dass das grenzenlose Wissen mit ihm korreliert, dass es keinen Idealismus gibt, solange die konstante Substanzialität des SEins nicht in einem jeden seiner Zustände in jeglicher Sinnlichkeit bestätigt wird, streng genommen in der einzigen SInnlichkeit, die das SEin selbst ist, und dass diese konstante Substanzialität per se bei vollem Wissen ist. In Bezug auf den auf diese Weise vollkommen beschriebenen Idealismus und alle auf ihn bezogenen Thesen schlussfolgere ich, dass das SEin, die WElt, Nicht Gegeben Ist. Kant zeigt ein Interesse - auf die nur mit der von mir gegebenen Formulierung geantwortet werden kann: das SEin ist nicht gegeben - an der Anschauung, 43 den Erfahrungen: er sagt, dass wir uns ohne eine vorhergehende Erfahrung keine Farbe und keinen Geschmack vorstellen können, wenn er sozusagen über die Eventualität der konkreten Erfahrungen in ihrer ganzen VIelfalt stolpert. Dieses Gestolper tritt erneut auf, wenn Kant denkt, dass er andere Sinnlichkeiten von seiner eigenen Sinnlichkeit aus anschaut. Sonderbar, dass er es nicht vermag dieses Gedankenknäuel zu entwirren, das allein durch das Wort Anschauung entlarvt wurde. Das, was Kant in diesem beinahe infantilen Abenteuer der Überlegung auf obskure Weise erstrebte, war das „ Empfinden ” der anderen zu „ sehen ” ; weniger infantil wäre es zu beabsichtigen das „ Empfinden ” der anderen zu empfinden, das würde bedeuten, dass das Empfinden zwei Ichs hätte; numerisch empfinden, wie Kant sagen würde, nicht das gleiche wie der andere, nicht auf gleiche Weise wie der andere, sondern dasselbe, das identische Empfinden eines anderen, ein einziger Zustand für zwei Bewusstseine. Er spielt in drei Zeilen, wie auf glühenden Kohlen, darauf an und 43 Intuición, bzw. intuir könnte auch mit Intuition und intuieren übersetzt werden, allerdings verwendet Mario Caimi in seiner Übersetzung diese Begriffe, um Kants Terminus der Anschauung zu bezeichnen. 122 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="123"?> löst die Angelegenheit nur durch Gemeinplätze der Ausflucht, wie sie in der Scholastik üblich sind. Kant ist über die Unbegreifbarkeit der Vielheit des EMpfindens gestolpert und da er sich nie in die Problematik des Ichs vertieft hat und stets glaubte, Personen, Persönlichkeiten und Bewusstseine in Vielheit zu konzipieren, kam er nie auf die einzig intelligible Lösung. Es gibt keine Vielheiten des Empfindens, weil es kein Ich gibt: es gibt bloß Vielheit der Zustände, Varietäten innerhalb einer einzigen SInnlichkeit. Auf analoge Weise beantworte ich das Problem der INduktion: gäbe es ZUkunft, gäbe es Probleme zu wissen wie wir die INduktion legitimieren. Daher offenbaren alle Theorien der INduktion dieselbe Armut. Wenn es eine kommende Zeit gäbe, könnten wir nichts aus der Vergangenheit induzieren, um ihren Inhalt vorherzusehen. Mit der Abschrift aus Kant und dem Kommentar, die ich hier einfüge - und es war dies eine Untersuchung, die ich mit dem Ziel begann, eine Probe der Ausflüchte und Schwächen Kants in der Behandlung eines jeden anspruchsvollen und direkten Problems darzulegen, das er innerhalb der Metaphysik lösen sollte - , suche ich für den Leser dieselbe mentale Stimulierung, die ich durch seine Schriften erhalte, in denen die Hartnäckigkeit des Problems des SEins - die konstante Kontaktaufnahme mit der allerhöchsten Intimität des MYsteriums - , alternieren mit den dialektischen Unwichtigkeiten, den ausweichenden Vorgehensweisen, List der Müdigkeit im Angesicht der riesigen Aufgabe. Es handelt sich um ein erhebendes Schauspiel, das jenem ähnelt, das uns hundert Jahre später Spencer bot, den wir unerwarteterweise verloren in zwei Bänden voller Antinomien gefunden haben. Obwohl Spencer mit Kant bezüglich der Geisteskräfte vergleichbar ist, übertrifft er ihn in Ehrlichkeit und den Wissenschaften und erarbeitet gewissenhaft die Methode seiner Werke und sogar das Vokabular und den Satzbau, begierig darauf, den Leser jede vermeidbare Konfusion und Arbeit zu ersparen; nichtsdestotrotz fühlt sich die metaphysische Begabung bei Kant interessanter und lebendiger an. Ich würde es so formulieren: Ich glaube, dass es nichts gibt, was den Sinn des Mysteriums stärker weckt, als die Seiten, auf denen sich Kant mit den Kontingenzen der Mannigfaltigkeit der Anschauung beschäftigt, 44 und als 44 Da sich Kant an verschiedenen Stellen über die unterschiedlichen Anschauungen auslässt, kann hier nur darauf hingewiesen werden, dass es sich vielleicht um „ Axiomen der Anschauung [/ ] Das Princip derselben ist: Alle Anschauungen sind extensive Grössen “ (bzw. in der Erstausgabe: „ Von den Axiomen der Anschauung. - Grundsatz des reinen Verstandes: Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach extensive Grössen “ ) Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke p. 155 oder um die Schlussfolgerung des Abschnitts „ Von dem Raume “ handelt, wo es unter anderem heißt: „ Denn wir können von den Anschauungen anderer denkenden Wesen gar nicht urtheilen, ob sie an die nämlichen Bedingungen gebunden seien, welche unsere Anschauungen einschränken und für uns allgemein gültig sind. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke p. 62 oder Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 123 <?page no="124"?> die Versuchung, der er erliegt, andere Ichs anzuschauen, aus Zuständen anderer Sinnlichkeiten „ Objekte “ seiner Wahrnehmungen zu machen, der Wahrnehmungen von Kants Ich. Dies unternimmt er, ohne auf die Idee zu kommen, dass dieses sein Ich sowie das Ich der anderen nicht existieren und dass daher das Problem selbst nicht existiert. Ich hinterlasse Ihnen die Überschrift, die ich damals verfasste: Es ist gerechtfertigt, schlecht über Kant zu denken Dritter Paralogismus: jener der Personalität. Er kündigt ihn wie folgt an: „ Was sich der numerischen Identität seiner Selbst in verschiedenen Zeiten bewusst ist, ist sofern eine Person. [/ ] Nun ist die Seele u. s. w. [/ ] Also ist sie eine Person. “ 45 Kritik dieses Paralogismus ‘ durch Kant: „ Wenn ich die numerische Identität eines äusseren Gegenstandes durch Erfahrung erkennen will, so werde ich auf das Beharrliche derjenigen Erscheinung, worauf, als Subject, sich alles Uebrige als Bestimmung bezieht, Acht haben und die Identität von jenem in der Zeit, da dieses wechselt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenstand des innern Sinnes und alle Zeit ist blos die Form des innern Sinnes. Folglich ziehe ich alle und jede meiner successiven Bestimmungen auf das numerische identische Selbst, in aller Zeit, d. i. in der Form der inneren Anschauung meiner Selbst. Auf diesen Fuss müsste die Persönlichkeit der Seele nicht einmal als geschlossen, sondern als ein völlig identischer Satz des Selbstbewusstseins in der Zeit angesehen werden, und das ist auch die Ursache, weswegen er a priori gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr, als: in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewusst bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewusst, und es ist einerlei, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in mir, als individueller Einheit, oder: ich bin, mit numerischer Identität, in aller dieser Zeit befindlich. „ Die Identität der Person ist also in meinem eigenen Bewusstsein unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte eines Andern (als Gegenstand seiner äusseren Anschauung) betrachte, so erwägt dieser äussere Betrachter mich allererst in der Zeit; denn in der Apperception ist vielleicht um § 24. „ Von der Anwendung der Kategorien der Gegenstände der Sinne überhaupt. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke pp. 126 - 129. 45 Kant, Immanuel „ II. Zu der Lehre von den Paralogismen der reinen Vernunft “ , in: Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke in chronologischer Reihenfolge. Dritter Band, ed. G. Hartenstein, Leipzig: Leopold Voss 1867, pp. 586 - 619; hier: p. 594. Die Übersetzung ins Spanische, die Macedonio hier zitiert oder zu zitieren vorgibt, ist im hinteren Teil sehr frei und könnte wie folgt rückübersetzt werden: „ Was sich der numerischen Identität seiner Selbst in verschiedenen Zeiten bewusst ist, ist, in diesem Sinne eine Person. Die Seele ist bewusst. Dementsprechend, ist sie eine Person. “ 124 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="125"?> die Zeit eigentlich nur in mir vorgestellt. Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellung zu aller Zeit in meinem Bewusstsein, und zwar mit völliger Identität begleitet, ob er es gleich einräumt, doch noch nicht auf die objective Beharrlichkeit meiner selbst schliessen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche der Beobachter mich setzt, nicht diejenige ist, die in meiner eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist die Identität, die mit meinem Bewusstsein nothwendig verbunden ist, nicht darum mit dem seinigen, d. i. der äusseren Anschauung meines Subjects verbunden. „ Es ist also die Identität des Bewusstseins meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweiset aber gar nicht die numerische Identität meines Subjects, in welchem, ohnerachtet der logischen Identität des Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen sein kann, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beizubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in jedem andern Zustande, selbst der Umwandlung des Subjects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subjects aufbehalten und so auch dem folgenden überliefern könnte. “ 46 Mit Blick auf dieses Kapitel, das mit noch weiteren subtilen Beschäftigungen des Geistes (des verbalen Geistes) fortfährt, bleibt kein Zweifel, dass Kant nicht nur die Leidenschaft für die tatsächliche Kenntnis verloren haben mag, falls er sich jemals zur Mystik berufen fühlte, sondern auch, dass er sich mit langatmigem Geschwafel begnügt. Er glaubte, und gemäß dem, was er von der Nachwelt erhalten hat, die so sehr und stets dem Förmlichen und Langatmigen zugetan ist, wohl zurecht, dass er eine Auszeichnung erhalten würde, ohne die schwierige Forschung abzuschließen, die ihn bereits eingeschüchtert hatte, wenn er vorgebe, genau das zu wissen, was ihm nicht zu erklären gelang. Er beginnt mit der Feststellung eines Ichs, ohne von ihm in Kenntnis zu setzen und ohne einen Grund zu nennen, wieso man an eine notwendige Existenz glauben müsste oder wieso man an es glauben müsste, obwohl wir nicht wissen, wie es ist. Er beginnt, indem er sich auf eine Ähnlichkeit mit der Materie beruft. Zwei Seiten später folgert er die Substantialität des Äußeren aus der Ähnlichkeit mit der des Ichs; er sagt: „ Also existiren eben sowohl äussere Dinge, als ich selbst existire, und zwar beide auf das unmittelbare Zeugniss meines Selbst- 46 Macedonio zitiert an dieser Stelle ausgiebig den Beginn aus Kants „ Kritik des dritten Paralogismus der transcendentalen Psychologie “ : Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke in chronologischer Reihenfolge. Dritter Band, ed. G. Hartenstein, Leipzig: Leopold Voss 1867, pp. 594 - 595. Die Kursivierung von „ unidad individual “ , also von „ individueller Einheit “ , stammt vom argentinischen Denker. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 125 <?page no="126"?> bewusstseins “ . 47 (Diese Ähnlichkeit könnte mit gleicher Rechtmäßigkeit dazu führen, das Ich und die äußeren Dinge zu negieren). Ein anderes tautologisches Kompositum steht auf einer anderen Seite: „ [Der empirische Gegenstand], welcher alsdann ein äusserer heisst, wenn er im Raume, und ein innerer Gegenstand, wenn er lediglich im Zeitverhältnisse vorgestellt wird [ … ]. “ 48 Um Raum und Zeit zu definieren, kann man den Satz umdrehen. In der folgenden Zeile vergisst er, dass das „ ich [ … ] in aller dieser Zeit befindlich “ 49 ist, der Zeit unseres intimen Sinnes und behauptet, dass die Zeit und der Raum nur in uns selbst zu suchen sind, sodass das Ich riskiert ebenfalls im Raum zu sein. Dies würde das Ich exteriorisieren und den Raum interiorisieren, obwohl er eben feststellte, dass der Raum das Element des äußeren Objektes sei, es sei denn, dies entspräche der Leere: der Raum ist das Element des räumlichen Objektes. Indem ich mich an das Kapitel halte, das ich verwende, um einen anspruchsvollen Beweis des Geistes und der Form Kants zu erbringen, der mich völlig enttäuscht und mir gleichzeitig die Möglichkeit gibt, meinen Plan, mein Buch nicht mit Eruditionen aufzublähen, vor dem Leser zu rechtfertigen, werde ich sagen, dass: In dem Kapitel wird das Ich geradewegs und ohne Erklärung bestätigt, da es der Kern des Themas ist; nämlich, dass er seine Identität durch einen Rückgriff auf die angebliche Identität der Materie verteidigt; dass er, ohne sie zu definieren, folgende Begriffe verwendet: das Individuum, die Seele, die Person, die Persönlichkeit, das Subjekt, das Bewusstsein, die logische Identität des Ichs, die numerische Identität des Ichs; die Identität der Person befindet sich in meinem eigenen Bewusstsein, die Identität des Selbstbewusstseins, Persönlichkeit der Seele, die Zeit ist Teil der Einheit meines Ichs, die Zeit ist die Form des intimen Sinnes, 50 47 Die Übersetzung von Macedonio spricht von ‚ das Bewusstsein ‘ und nicht von ‚ meinem Selbstbewusstsein ‘ , außerdem gilt es zu bedenken, dass Kant den zitierten Satz wie folgt einschränkend beendet: „ nur mit dem Unterschiede, dass die Vorstellung meiner Selbst, als des denkenden Subjects, blos auf den innern, die Vorstellungen aber, welche ausgedehnte Wesen bezeichnen, auch auf den äussern Sinn bezogen werden. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke, p. 599. 48 Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke, p. 600. 49 Diese Zeile befindet sich bereits im dritten Paralogismus (p. 594). Kant schließt den Satz wie folgt: „ Raum aber und Zeit sind beide nur in uns anzutreffen. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke, p. 600. 50 Wahrscheinlich verweist Macedonio mit „ sentido íntimo “ auf Kants „ inneren Sinn “ , schließlich heißt es in § 6. „ Schlüsse aus diesen Begriffen “ in „ Der transscendentalen Ästhetik zweiter Abschnitt. Von der Zeit “ : „ b) Die Zeit ist nichts Anderes, als die Form des innern Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unseres innern Zustandes. Denn die Zeit kann keine Bestimmung äusserer Erscheinungen sein; sie gehört weder zu einer Gestalt noch Lage u. s. w., dagegen bestimmt sie das Verhältnis der Vorstellungen in unserem innern Zustande. “ Immnuel Kant ’ s SämmtlicheWerke, p. 67. 126 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="127"?> die objektive Permanenz meiner selbst, et cetera. Es erweist sich außerdem, dass das Ich das Subjekt des intimen Sinnes ist und dass das Subjekt jenes intimen Sinnes auch das Ich sein muss; außerdem, dass ich in der Zeit Objekt der äußerlichen Anschauung eines anderen Beobachters bin, obwohl er bereits feststellte, dass das Äußerliche nur aus dem Raum besteht, et cetera. Ich hoffe, dass der Leser nicht glaubt sich absichern zu können, indem er drei Bände oder 900 Seiten Darlegung von mir verlangt. Ich finde keinen Gefallen im lediglich Langatmigen. Ernstzunehmend wäre es, wenn man mich auf der dritten Seite zu verstehen begänne und ich auf fünfzig Seiten überzeugte. Kant war ein außergewöhnlicher Geist und besaß eine Welt voller tiefer und definierter Ideen, aber er schrieb über die, die ihm fehlten oder die er nicht in demselben Ton und mit derselben Fülle zu vervollständigen schaffte, wie er das darlegte, was er gänzlich verstand. Außerdem war er grundsätzlich Mathematiker und Moralist, zwei Angelegenheiten, die an der MYstik sehr unbeteiligt sind und mit deren Daten und Inspiration man innerhalb des KRitisch- MYstischen nichts Wesentliches ans Licht bringt. Es scheint nicht so, als ob das MYsterium Kant unsicher gemacht hätte, gleichwohl er Kenntnis erwartete, wie damals, als er die Unerkennbarkeit in einer intellektuellen Schlussfolgerung, die mit der von Spencer identisch war, bestätigte, indem er zuerst darauf achtete, das Unerkennbare zu erfinden, das kaum notwendige Noumenon, dessen Inexistenz die MYstik nie gestört hatte. Ich halte Schopenhauer für überlegen - und in einigen Themen andere, wie Emerson und Guyau. 51 Ich denke an mehrere Unentschlossenheiten Kants. 1. Als er auf das Problem von Raum und Zeit als „ Gegebene “ stieß, das heißt, des Unbeweglichen und Sukzessiven, meint er, dass das, was sich (in meiner Terminologie) als Unbeweglich gibt, im Kennen seiner Teile anhand der Subjektivität, in der Wahrnehmung, sukzessiv ist. 52 Hierdurch wird nichts gelöst. Es ist widersprüchlich, dass derjenige, der die Erfahrung so sehr verehrt, über das Unbewegliche spricht, das, so sagt er, für die Wahrnehmung sukzessiv ist. Schließlich können wir fragen: Was wissen wir über das Unbewegliche? Wenn uns die Wahrnehmung es nicht gibt und er sie nicht in der Erfahrung findet, dann ist sie nichts weiter als eine unnütze Worterfindung. Und außerdem, und dies ist eindeutiger: Vergisst Kant die Simultaneität der Wahrnehmungen oder hat er je das Gleichzeitige in der Wahrnehmung negiert? 2. Kant hat sich nie über folgendes geäußert: über die 51 Die Ausgabe von 1990 schreibt hier Guyean, was evident falsch ist, sowohl die Ausgabe von 1928 wie auch die von 2015 schreiben an dieser Stelle „ Guyau “ . Vgl. hierzu die Fußnote 6. 52 „ Zu aller empirischer Erkenntnis gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die jederzeit successiv ist, d. i. in der Vorstellungskraft folgen in ihr jederzeit auf einander. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke, p. 181. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 127 <?page no="128"?> Simultaneität im Fühlen, über die, indirekt als Bestandteil des extremen Determinismus der Veränderungen geschlussfolgerte Simultaneität, über die Unmittelbarkeit der Veränderungen (zeitlich) als identisch oder nicht identisch mit der Simultaneität der Positionen oder, falls nicht, mit dem Aneinandergrenzen der Positionen (in der Wahrnehmung und nicht im angeblichen Ursprung derselben: der ÄUßerlichkeit). 3. Kant hat sich nie entschieden, die Arten und Varietäten des Gefühlten oder der Formen des Fühlens, was für mich die VArietät selbst des SEins darstellt, genau zu benennnen und aufzuzählen. 4. Daher konnte er die ÄUßerlichkeit nie klar definieren; er entschied sich für keine der vier Hypothesen, die ich für möglich halte: weder für das Räumliche noch für das Unabsichtliche, noch für das Kausale, noch für das von vielfältigen Sinnlichkeiten oder Ichs gemeinsam wahrgenommene. 5. Er nahm sich nicht des Problems des zeitlichen Vorrangs der Empfindung oder Wahrnehmung vor dem sogenannten Bild an. 6. Genauso wenig jenes der Darstellung der Affizierung. 7. Genauso wenig jenes der SPezifität oder VArietät der reinen oder einfachen Zustände, ob sie radikal oder apperzipiert (nach der Definition von Herbart) wäre, das bedeutet adjektivisch, zufällig, sekundär und von größtem Interesse: die Varietät Lust und Unlust. 8. Seine Benennungen der Operationen und Modalitäten des Verstehens sind stets unklar: Urteil, Formen des Urteils, Idee, Denken, Notion, 53 Konzept, Perzeption, Abstraktion, Allgemeinheit, Intelligenz, Verstand, Vernunft; kurzum eine Verschwendung von Fähigkeiten und Arten des Denkens, die die uneingeschränkte Lösung des Mysteriums erwarten lassen, während uns stattdessen am Ende der Untersuchung Antinomien und Unerkennbarkeiten gegeben werden. 9. Er vernachlässigt es darauf hinzuweisen, dass, so wie er Zeitlichkeit in der räumlichen Unbeweglichkeit oder Simultaneität der Positionen findet, sich das (sekundäre) Bild des Unbeweglichen stets in Veränderung, in psychologischer Bewegung, befindet. Wenn nun, nach Schopenhauer und Aristoteles, die Bewegung Zeit und Raum vereint, dann liegt die Unbeweglichkeit außerhalb der Zeit, das heißt, dass die Sache, die sich zu bewegen aufhört, unverzüglich aus der Zeit tritt und reine Räumlichkeit bleibt. Was eine Erklärung verlangen würde, denn es ist eine Änderung, die weder einfach zu verstehen noch unwichtig ist. 10. Den Punkt 6 wiederaufnehmend gilt es zu sagen, dass Kant das Problem der Vorstellung der Affizierung nicht zu vertiefen vermochte, über das er zerstreut stolperte und das er nicht gewichtet; er 53 „ [D]er reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen Ursprung hat, [ … ] heisst notio. Ein Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die Idee oder der Vernunftbegriff. Dem, der sich einmal an diese Unterscheidung gewöhnt hat, muss es unerträglich fallen, die Vorstellung der rothen Farbe Idee nennen zu hören. Sie ist nicht einmal Notion (Verstandesbegriff ) zu nennen. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke, p. 261. 128 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="129"?> hätte ein anderes Problem sehen und lösen können, das auch, so scheint es mir, Schopenhauer verwirrt, nämlich: Warum erzeugt die Wahrnehmung Bilder (Erinnerungen) von sich selbst, nicht aber die Affizierung (LUst und UNlust in seinen drei Formen: Empfindung, Gefühl, Emotion; für mich gibt es eine vierte Form: Lust-Wahrnehmung, Unlust-Wahrnehmung; spezialisierte Affizierung, das heißt: das Olfaktorische, das Gustatorische und das Thermische, die immer vollkommen aus Unlust oder Lust bestehen, sie bestehen völlig aus der Affizierung mit dem informativen Schein der sogenannten Sinne)? Von der AFfizierung besteht eine Hervorrufung, aber kein Bild. Warum? Es ist dies eine Schwierigkeit, die von einer Erfindung erzeugt wird und nicht von der Wahrheit, wie es in anderen Situationen der metaphysischen Nachforschungen der Fall ist. Es ist die Vermutung einer Äußerlichkeit, die die Mutmaßung, dass etwas bloß das Bild von etwas Originalem sei, in sich trägt: Das wahrgenommene Objekt der erinnerten Wahrnehmung oder aber das Bild. 54 Über das alte Problem, Begründung der INduktion, sage ich, dass die Armut und das naive Versagen der Theorien, die er sich vorgenommen hat, daher stammen, dass er es versäumt hat, sich zu fragen, ob das Forschungsanliegen überhaupt existiert, das heißt: eine zukünftige Zeit. Sicherlich, eine ZUkunft zu erfinden, um sie dann als VErgangenheit zu behandeln, sie in der INduktion fundiert vorherzusehen und sie zu beschreiben mit allerlei Garantien, dass sie sich wie eine unterwürfige Wiederholung des kausalen Inhalts der VErgangenheit verhalten würde, musste eine Enttäuschung mit sich bringen. Zukunft bedeutet etwas, wenn etwas Unerkennbares impliziert ist. So sage ich vom bereits transkribierten Problem von Kant, dass es existierte, weil ein Etwas als existent angenommen wurde, das ICh, das nie eine Vorstellung hatte, ein spezifisches Bild, in Sachen Intelligenz ausschließend, das, daher, nichts war. Damit war auch die Vielheit des Bewusstseins nichts. Genauso ist die WElt oder das SEin als Realität - das heißt, als selbstexistent vor und nach der Sinnlichkeit, der Wahrnehmung, die Welt als „ gegebene “ - der 54 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] An Kant muss ich noch drei Anmerkungen richten. 1. Er ist schwach in Bezug auf die Kausalität, wenn er darauf hinweist, dass es keine gibt, außer im absolut Einfachen. Außerdem spricht er von der Vielheit der Ursachen und Wirkungen (Spenser ebenso) in Bezug auf eine Tat, was man allerdings nur (stets vage) über die Komplexität sagen kann. 2. Er ist schwach wenn er folgendes behandelt: die Größe der Bilder; er nimmt nicht deutlich wahr, dass die VOrstellung zwei Besonderheiten besitzt: die Distanz, die äußerliche, und das Ausmaß, das Realität und Träumerei gemein ist; denn die erträumten Bilder besitzen Ausdrucksvielfalt. 3. Auch in Bezug auf die ZEit entscheidet er sich bezüglich der Bewegung nicht, ob sie zeitlich oder räumlich oder beides, im Sinne von Aristoteles, ist. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 129 <?page no="130"?> Fehler, der den Nachdruck im Problem der Träumerei-Realität anregt; dieses löst sich auf, sobald man die Inanität des IChs in Betracht zieht. Die Welt ist nicht gegeben, weil es kein ICh gibt, dem sie gegeben wäre, dem sich die Welt anböte und dem sie sich verweigerte, welche das Ich finden würde und nach kurzem Beleben und einigen ephemeren Wahrnehmungen verlassen würde. Ist dies nicht infantiler als die These der nicht gegebenen Welt? Ist es nicht unschuldiger zu glauben, dass wir, die wir durch Zufall auf eine Welt (MAterie) kommen, die durch eine ewige und unseren SInnlichkeiten vorhergehenden sowie nachfolgenden Existenz privilegiert ist, behaupten können, dass wir, so ephemer und prekär wie wir sind, dennoch ewige Gesetze der Welt entdecken können, welchen die ewige ZUkunft gehorchen wird (INduktion)? Wir sollten also, um nicht eine Kontroverse zu befeuern ohne uns davor über die Existenz der Angelegenheit zu versichern, zuerst untersuchen, ob es wahr ist, dass es jemals eine subjektiv gefühlte Situation gab von der man nicht wusste, ob sie Traum oder Realität war. Wir wissen von vielen Fällen in denen Personen, aufgrund der Anwesenheit eines Räubers, der sie in ihrem Schlafzimmer mit Waffen bedroht, vor Schreck kurzzeitig oder dauerhaft wahnsinnig wurden, ja sogar starben. Es gilt zu vermerken, dass die Träumereien, obwohl sie so aufregend und fast alltäglich sind, bei allen Menschen niemals Effekte von ähnlicher Schwere verursachen. Träumereien des Schreckens sind viel häufiger als schreckliche Taten; dies macht die Abwesenheit dieser gravierenden Effekte noch offenkundiger. Ich habe noch nie von einer Person gehört, die beim Schlafen verrückt geworden wäre. Es bleibt also die mögliche Erklärung dieser Abwesenheit, die die gesuchte Differenz zwischen Traum und Realität sein könnte und sie wäre eine Differenz in Bezug auf den Intensitätsgrad der Träumerei, in der Annahme, dass die besonders intensiven Träumereien das Aufwachen auslösen, bevor sie eine maximale Intensität erreichen. Bevor die Träumerei jene maximale Stufe der Intensität erlangt, die das Wachen erreicht, bricht das Wachen herein. Dass man träumend aufwacht, wobei uns die Aufregungen und nicht die Bilder der Träumerei aufwecken, tritt vielleicht häufig auf und ist eine weitverbreitete Meinung. Für unsere Fragestellung ist es nicht notwendig, diesen Punkt zu entscheiden. Wenn wir über unsere Träumereien nachdenken, werden wir uns erinnern, dass es in ihnen häufig Szenen gab, die nach beängstigenden oder köstlichen Höhepunkten, die uns nicht geweckt haben, fortgesetzt wurden. Und es scheint ebenso, dass, wenn wir manchmal in äußerster Trance erwachen, die Realität nicht stark genug sein sollte, um die Agonien zu beenden und sie uns vergessen zu lassen; Agonien, die, wenn sie im Wachen extrem sind, nicht aufhören, selbst wenn ein plötzlicher Aufschwung 130 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="131"?> der Umstände hereinbricht. Aufgrund einer unmittelbar folgenden, kompletten und authentischen Richtigstellung verliert eine erschreckende Nachricht nicht augenblicklich ihre emotionale und noch weniger ihre physiologische Wirksamkeit. Auf diese Weise, selbst wenn das Extreme uns aus den Träumereien erweckte, sollten der Wahnsinn und das langanhaltende Delirium in denselben Situationen hereinbrechen, die sie im Wachen hervorrufen, wenn es denn wahr wäre, dass die Träumerei so intensiv wie jegliche Realität sei, und nach dem Aufwachen lange oder kurz andauern. Das eben besprochene leitet eine Kritik der „ Intensität “ in der TRäumerei ein, dessen geringerer Grad, sie vom WAchen abgrenzen würde. Aber abgesehen davon, dass wir diesen geringeren Grad noch nicht untersucht haben, wird, bis zum Beweis, das Problem für alle Träumereien, deren Inhalte nicht extreme Aufregung hervorrufen, voll und ganz fortbestehen. Selbst wenn wir, zudem, die Träumereien ausschließen würden, die im krassen Gegensatz zur Ordnung, Kausalität und Regelmäßigkeit des WAchens stehen, die sich vermutlich von ihm unterscheiden würden, blieben die häufigen Träumereien, welche keine extreme Intensität noch Inkongruenzen mit der Realität aufweisen, wie im von mir imaginierten Fall des Reisenden und des Vogels, die im hier vorliegenden kurzen Werk in Erscheinung treten. Jegliche Träumerei, bei der wir auch nur einen Augenblick zweifeln, ob sie echt sei, stellt das Problem dar; man kann sagen, dass die Realität träumen lässt, wenn es in dieser (hypothetisch) Passagen gefühlter Dinge gibt, das bedeutet, Dinge, die in ihrem Zustand und als Subjektivitäten unangezweifelt sind und als Portionen des Realen angezweifelt werden. Das Thema ist so heikel und umfassend, dass ich befürchte einige Aspekte zu übersehen und daher erzeuge ich manchmal eher ein Memorandum als eine Doktrin. Außerdem - und hier werde ich eine Bekundung tätigen, zu der sich die Exegeten und Denker aus Furcht ihr Ansehen zu verlieren nicht bereit erklären, obwohl ich denke, dass dies nicht der Fall wäre - meine ich, selbst wenn ich das Problem vor dem Leser zu formulieren begonnen habe, komme ich mit ihm gemeinsam zur Lösung; denn ich schreibe mit dem Leser verbündet, auf einer gemeinsamen und innigen Suche und kümmere mich darum, dass alle Informationen bereitliegen, wenn wir die ANtwort entwerfen. Bislang haben wir die Fragestellung, die wir eben entwickelt haben, noch nicht behandelt: Hat jemand jemals effektiv Perplexität verspürt angesichts der Unsicherheit, ob etwas geschehen ist oder ob es bloß geträumt wurde? Dies ist der Zeitpunkt, die Frage zu stellen, die der gesamten Nachforschung vorangehen muss. Wenn ich nicht weiß, was die Träumerei von der Realität unterscheidet und deshalb Nachforschungen anstelle, weiß ich nicht, ob ich beim Schreiben und Nachforschen tatsächlich am Träumen bin oder nicht. Was Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 131 <?page no="132"?> man nicht zu fragen bedacht hat, ist, ob diese seltsame Forschung ohne anfängliche Absurdität unternommen werden kann. Genauso wenig hat man bemerkt, dass die gesamte Kontroverse, die Frage betreffend, ob die Welt, das Sein, Realität beinhaltet, von derselben absurden Situation ausgeht. Schließlich wissen wir nicht, ob das, was ich mache, Effekte erzeugt (das bedeutet es, real zu sein). Ich weiß nicht, ob ich diese Kontroverse träume, ich weiß nicht, ob meine Nachforschungen Effekte, Konsequenzen, Anwendungen erzeugen werden. 55 Muss ich nur auf das achten, was nur Traum sein kann; muss ich diese Forschung fortführen? Diese Nachforschung ist eine geistige Aktivität, teils angenehm, teils mühsam. Ich denke, dass ich sie fortsetzen werde, aber nicht, weil es mehr Gründe gäbe, sie fortzusetzen, als sie als Inspiration der Träumerei zu verachten. Aber ehrlich gesagt, weiß ich jetzt und bis ich den Ansatz, der die Träumereien unterscheidet, gefunden habe, nicht, ob ich wach schreibe und dabei nachdenke oder ob ich nachdenke, aber dabei träume, dass ich schreibe: das Nachdenken ist in der Träumerei möglich oder in dem, was ich manchmal für Träumerei gehalten habe. Ordnen wir also die mühsame Erwägung, da uns so viele Zweifel Fragen stellen. Der Subjektivismus oder Idealismus besagt, dass wir nur Zustände unserer Sinnlichkeiten oder Psyche kennen; auch wenn ihr Realisten seid, werdet ihr mit dieser Modifikation der Formel einverstanden sein: wir kennen bloß Zustände, wie jene unserer Sinnlichkeiten, das heißt, sie können außerhalb unserer Sinnlichkeiten existieren, aber nur in anderen Sinnlichkeiten, nicht in der Materie. Wir stimmen überein, dass ich von etwas, das nicht wie meine Sinnlichkeiten ist, keine Ahnung haben kann. Von meinen Zuständen sind einige Zustände der Affizierung, das heißt, sie beinhalten oder sind Lust oder Unlust (der Empfindung oder Emotion) und es gibt außerdem, das, was üblicherweise VOrstellung genannt wird (Wahrnehmungen und ihre Bilder), die per se keine Lust und Unlust zulassen, selbst wenn sie diese, aufgrund von äußerst intimen Assoziationen, zu haben scheinen. Es ist hier nicht notwendig, rigoros zu entscheiden, ob es Zustände gibt, die absolut keine Affektivität beinhalten. In 55 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Ich veröffentliche einen Entwurf, das ist was fast alle gemacht haben, ohne es zu gestehen, indem sie Ordnung (bloß in der Nummerierung der Kapitel) und Ernsthaftigkeit hinzufügen; ich füge bloß einen VOgel und REisenden hinzu; mein Entwurf beinhaltet zwei Vögel, oder besser gesagt, gestehen wir es, einen VOgel und eine armselige Nachahmung, aber in jedem Fall zwei Naivlinge des Ortswechsels. Daher enden meine Treffer in diesem Buch nicht dort, wo ihre Gründe liegen. Manchmal befindet sich der Treffer an einer früheren Stelle und die Gründe sehr weit entfernt; reisende Gründe. 132 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="133"?> der mystischen Konzeption stößt es ab, die Existenz von absolut unaffizierten Zuständen im SEin zuzugeben, denn die Lust und Unlust ist das einzige, das im SEin, im LEben und in der KUnst von Bedeutung ist und die VOrstellungen, die von den Metaphysikern vorwiegend untersucht werden, gelten vielleicht nur als Zeichen der Präsenz oder des unmittelbaren Bevorstehens von Lust und Unlust. Der Sehsinn, der Tastsinn und der Hörsinn scheinen unaffiziert und die Vorstellung wird auf die Wahrnehmungen und ihre Bilder dieser Arten bezogen. Die Visualität und die Taktilität - deren alltäglicher Wahrnehmungsüberfluss mit ihrer hedonistischen Bedeutungslosigkeit korreliert und ebenso mit ihrer einfachen Hervorrufbarkeit und der intimen Assoziation mit allen anderen Zuständen; dieser Wahrnehmungsüberfluss ist das Material der gefeierten Vorstellung, welche die Metaphysiker so sehr beschäftigt hat, als ob es sich um die Wesenheit der Welt handelte, während sie, abgesehen von Schopenhauer, der Leidenschaft und dem Verlangen kaum eine Erwähnung zugestehen - vermitteln die VOrstellung, das heißt, den Raum, die Positionen, die Koexistenz der Teile, die Bewegungslosigkeit. Der Klang scheint stärker an „ die Veränderungen “ gebunden zu sein, das heißt, an die Zeit, aber das Visuelle und das Taktile, bildlich gesprochen, fügen sich ein und mischen sich in allem, sogar in die Auffassungen von Dauer und selbst der AFfizierung, wenn wir über sie sinnieren oder nachdenken. Hieraus entsteht der kuriose geistige Unglücksfall in den einige Forscher stolpern, die wir debattieren sehen, in der absurden Beschäftigung, die Vorstellung der Affizierung zu finden, so wie Kant, als er das Fühlen eines anderen zu SEhen versucht, was er ein anderes Bewusstsein anschauen nennt. 56 Das wäre als würde man anstreben, einen Geschmack oder einen Schmerz zu sehen. Im Gedächtnis ist die Visualität von einer derartigen Ausbreitung und Lenkbarkeit, dass wir häufig Sicht mit Intelligenz sowie Sehen mit Verstehen gleichsetzen. VArietät nennen wir die Existenz unterschiedlicher Zustände im SEin. Ich spreche von gefühlten Zuständen, denn die äußerlichen oder materiellen Zustände, indem man ihnen Charakter abspricht, das heißt, psychologische Beschaffenheit, sind entweder bloß Wörter oder müssen so wie unsere gefühlten Zustände sein (auch wenn wir damit in der Tautologie gefangen bleiben); ein Wort, das nicht von einem spezifischen Bild begleitet wird, das nur ihm eigen ist, ist sinnlos. Wenn wir vom Äther, vom Wind oder vom Licht oder von den Atomen sprechen, gibt es immer einen Rest eines visuellen oder taktilen 56 So etwa in den Nachträgen aus der ersten Ausgabe: „ [E]s können uns niemals unter äusseren Erscheinungen denkende Wesen, als solche, vorkommen, oder: wir können ihre Gedanken, ihr Bewusstsein, ihre Begierden u. s. w. nicht äusserlich anschauen; denn dieses gehört alles vor den innern Sinn. “ Immanuel Kant ’ s Sämmtliche Werke, pp. 591 - 592. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 133 <?page no="134"?> Bildes, das diesen Vokabeln anhaftet. Wenn es kein Bild gibt, wie im Fall des Noumenon oder des Ichs (wir können dem Wort „ ich “ das Bild einer gegebenen Physiognomie zuschreiben, aber dann sind das Ich und das Ding, oder der Körper, Synonyme und das Ich besitzt dann kein eigenes Bild), dann kann kein Denken damit verbunden sein; es ist bloß Verbalismus. Es ist gerecht zu sagen, dass ich das Bedürfnis haben werde, die Worte Zustände, Subjektivität und SEin zu unterdrücken, weil in der Mystik alles Zustand ist, alles subjektiv, alles SEin; es gibt nur Zustände, nichts, was von ihnen unterschieden werden kann und daher kann man sie nicht „ benennen “ . In der Aufzählung der VArietät kann man benennen: Klänge, Farben, Geschmäcker, Wärme, Kälte, Kontakte, Fröhlichkeit, Verlangen, Trauer, Unlust oder Lust der Empfindung, usw. Es gibt für das SEin, in der Welt, nichts, das nicht einer dieser gefühlten Zustände wäre. In der Träumerei gibt es all dies: einen Bereich von Bildern, die von emotionalen Zuständen begleitet werden, wie beim Wachen. Von diesen Bildern sagt man, dass sie keine Wahrnehmungen seien, dass sie nicht real seien. Die REalität wurde, meiner Meinung nach, auf zwei Arten definiert: das, was existiert, obwohl es in keiner Sinnlichkeit anwesend ist; all das, was auf kausale Weise vereint ist. Der Subjektivismus kann auf die erste Formel keine Rücksicht nehmen: ihm fehlt jegliche Vorstellung davon, was das Existieren von etwas sein könne, das nicht Klang, Farbe, Geschmack, Genuss, et cetera sein kann. In einer Sinnlichkeit zu sein, heißt in einem dieser Zustände zu sein; keiner von ihnen zu sein, bedeutet nicht zu sein. Die Definition mittels Kausalität ist vollkommen intelligibel, aber nicht einfach zu verifizieren. Wir nehmen an, dass die Behauptung eines Kausalitätsgesetzes für den gesamten Phänomenalismus nicht impliziert, dass alle Phänomene in einer einzigen Kausalkette angeordnet seien. Jedes Phänomen stünde in einer Kausalkette, aber es gäbe unzählige Kausalketten, was die Simultaneität der Phänomene ermöglichen und häufig vorkommen lassen würde. Dies initiiert bereits eine Diskrepanz mit dem Subjektivismus. Unsere Subjektivität kennt nämlich keine multiplen Simultaneitäten und die Welt besäße die Simultaneitäten von Milliarden von Phänomenen. Man könnte die Existenz dieser unzähligen Simultaneitäten ewig behaupten und die Sinnlichkeit würde sie ewig nicht erkennen. Aber halten wir uns an die Aussage, dass jedes einfache Phänomen in einer niemals begonnenen Kette einen Platz direkt hinter dem bereits erwähnten präzisen Phänomen hat, dass es auf jenes präzise Phänomen folgen wird und hinter diesem, auf unbestimmte Weise, andere folgen werden. Die Koexistenz der Simultaneität von Milliarden von kausalen Serien entspricht, für die Subjektivität, der Nicht-Kausalität in dem Sinne, dass der Empfang einer 134 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="135"?> Wahrnehmung durch die Subjektivität aus gleichzeitigen Ereignissen besteht, oder besser, aus direkt aufeinanderfolgenden. Ein Beispiel: In dem Moment, in dem eine Billardkugel mit Schwung mit einer anderen in Kontakt kommt, tritt der Kellner in den Billardsalon ein, schlägt eine Uhr die volle Stunde, zündet ein Raucher ein Streichholz an, etc. Dies sind Ereignisse, die vier Kausalketten angehören und ich könnte im aktuellen Feld zwanzig weitere hinzufügen, die für meine Wahrnehmung zugänglich sind: der Geruch einer Havanna-Zigarre, eine Unannehmlichkeit im Fuß aufgrund der Billardschuhe et cetera. Für mich hat ein Phänomen-Effekt, wie vom Determinismus vorgesehen, nicht stattgefunden: Der Kontakt zwischen den Kugeln hat die Bewegung der zweiten Kugel nicht ausgelöst, sondern das Eintreten des Kellners in den Salon und ein anderes Ereignis, auf das ich mich konzentriert habe. Auf dieses Thema werde ich zurückkommen. Wenn wir uns auf das Wesentliche beschränken, gibt es dann überhaupt eine Kausalkette? Existiert Kausalität? Die Kausalität steht dem Unerwarteten nicht entgegen; außerdem sind die Wahrnehmungen dieser strikten Kausalsequenzen sozusagen nur die Hälfte unserer alltäglichen Wahrnehmungen. Diese ununterbrochene Legierung des Kausalen mit dem Nicht- Kausalen in der Subjektivität erzeugt aus dem Sein, aus dem Leben, die komplizierteste Unordnung (obwohl die Wissenschaft, der Determinismus, in jedem Fall auf indirekte oder nachträgliche Weise zu zeigen in der Lage scheint, dass in jeder Kausalkette ein unersetzlicher Phänomen-Effekt verursacht worden ist, der vorhergesagt werden könnte, sodass jeglicher Grad an Unordnung in der Träumerei, oder zwischen der Träumerei und der Realität, die eine nicht von der anderen unterscheiden lassen würde.) Aber untersuchen wir einzig, ob mir die VErgangenheit - um nicht mehr zu verlangen, um nichts anhand der ZUkunft induktiv zu behaupten - eine zeigt, eine einzige gelungene Kausalkette. Nehmen wir einfache Ereignisse und suchen wir in ihnen nach irgendeiner unmittelbaren und unveränderlichen Sequenz. Mit Ereigniskomplexen und mit unveränderlichen, aber nicht unmittelbar verbundenen Sequenzen schaffen wir keine Kausalität. Zum Beispiel kann man aus dem Komplex „ Kopulation eines Tierpaares “ den Komplex „ Geburt eines ähnlichen Wesens “ nicht vorhersagen, denn wir wissen ja bereits, dass sie nicht unmittelbar sind und wir haben nichts über die präzisen dazwischenliegenden Ereignisse behauptet. Das gebärende Tier muss, in der Zeit vor seinem Gebären, eine Kopulation durchgeführt haben: Geburt und Kopulation stehen in derselben kausalen Serie; aus der Geburt wird die Kopulation gefolgert, aber aus der zweiten nicht die erste; nur aus dem letzten Bindeglied dieser Serie induziert man die Geburt, falls die Umstände bestimmter Arten und Weisen nicht variiert werden, denn irgendeine Variation ist kein Hindernis; die unmittelbare Entbindung ist für die kausale These gewiss. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 135 <?page no="136"?> Die unmittelbare und invariable Sequenz, unmittelbar invariabel Vorausgegangenes einfacher Ereignisse, ist das, was wir untersuchen müssen. Das erste was uns befragt ist folgendes: Kann in derartigen gegebenen Umständen ein einfaches Phänomen mehr als einen Effekt erzeugen, das heißt, kann es immer und unmittelbar gefolgt werden von zwei oder mehreren gleichzeitigen, invariablen Veränderungen (denn wären sie aufeinanderfolgend, dann wäre die unmittelbar auf die Ursache folgende Ursache der mittelbaren, etc.). Kann ein einziger Phänomen-Effekt als Ursache zwei oder mehr gleichzeitige, invariable und unmittelbar vorhergehende, unmittelbar vorausgehende Veränderungen haben? (Kant behauptet, dass man nicht aus einem Effekt auf seine Ursache folgern kann, denn er kann mehrere haben, aber er bezieht sich dabei auf wechselnde Ursachen, Vielfalt der Ursachen und nicht auf gleichzeitige Ursachen. Nichtdestotrotz glaube ich, dass das inkorrekt ist.) 1. Ich frage mich, ob KAusalität existiert und ich stelle die Frage mit minimalen Ansprüchen; ich verlange keinen Beweis eines zwingenden, ewigen Prinzips, wie es die Logiker und Metaphysiker mühelos behaupten, ich suche in der Vergangenheit nach einer Sequenz, die sich, seitdem sie beobachtet wurde, unter denselben Umständen niemals veränderte. 2. Ich untersuche die KAusalität, denn es herrscht Konsens unter den Metaphysikern und Psychologen, dass die Bilder der Träumerei, in ihrer Unterscheidbarkeit und Lebhaftigkeit, denen des Wachens gleichen. Daher kann das, was Traum und Realität unterscheidet, nur in der Ordnung und Beziehung zwischen Bildern und zwischen Wahrnehmungen gefunden werden. 3. Außerdem muss ich wissen, ob die KAusalität in der Realität von jener Art ist, dass sie ausreiche, um den Unterschied festzulegen. Denn ich habe bereits angedeutet, dass die Vielfalt der unabhängigen Kausalketten, aus dem Blickwinkel der Kausalität in kompletter Unordnung, jene Sequenzen aufweist, welche das Feld der Wahrnehmung im subjektiv betrachteten WAchen füllen. In der Subjektivität ist die VErgangenheit meine Vergangenheit und die verschriftlichte GEschichte, Bücher, das heißt, visuelle und taktile Bilder; die Personen, die mir viele Ereignisse erzählen können, sind ebenfalls Bilder in meiner Psyche. Selbst meine eigene Person in der Vergangenheit, das damals Gefühlte, das früher von mir Gefühlte, ist nichts außer Überreste, die hypothetisch von Bildern stammen. Die, die ich nun Bilder meiner Erinnerung nenne, sind wenige Ereignisse und kausale Verkettung zwischen ihnen nehme ich, genau genommen, beinahe gar keine wahr; derart ist die weitschweifige Verlorenheit von allem in der psychischen Alltäglichkeit. Um zahlreiche Fälle von Sequenzen ohne Variation zu finden, muss ich sie beinahe auslösen, mit ihnen experimentieren. Wenn ich, zum Beispiel, ein Billardspieler bin, erinnere ich mich heute nicht an ein Dutzend Stöße, gefolgt von der Einleitung einer 136 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="137"?> Bewegung einer Kugel, ein Dutzend Übertragungen einer Stoßbewegung, die sich in dieser oder jener Position ereignen. Aber ich kann jetzt eine Stunde darauf verwenden, eine Kugel in Richtung einer anderen, unbewegten, zu stoßen und hundertmal den invariablen Effekt des schwungvollen Kontakts bestätigen. Falls ich keine einfache Tat suchen würde und sie wiederholt auslösen würde, würde ich nicht ausreichend Materie zur Bestätigung haben. Wenn man mich, zum Beispiel, nach einer ganz gewöhnlichen kausalen Sequenz fragen würde: der Fall einer Frucht direkt vom Ast, dann kann ich mich nicht an eine konkrete erinnern. Ich weiß, dass ich die Flamme, die auf die Reibung des Streichholzes folgt, heute zwanzigmal gesehen habe, aber die unmittelbare Sequenz ist nicht als Bild in meinem Kopf. Taktile und visuelle und muskuläre BIlder, alles im Kopf und in der Welt, sind ein konstantes Erschaffen aus dem Nichts und Erlöschen ins Nichts. Ohne emotionale Erregung sterben die Bilder (der Sequenzen) unablässig im Gedächtnis. Nun gut: ich habe einmal eine ähnliche, absichtliche Beobachtung gemacht: Ich habe einen Gummiball mit einem gewissen Schwung (der mir bereits bekannt ist, wie ich eine Farbe oder einen Klang kenne) gegen die Wand geworfen und bemerkt, dass er beim Kontakt mit dieser die Richtung wechselt, dass er zu mir zurückkehrt. Dies ist simple Kausalität, unmittelbar, klar wahrgenommen, unveränderlich. Diese bestätigt, dass, wenn sich die für diese Situation wesentlichen Umstände nicht ändern - und wesentlich kann ich nur jene nennen, die in allen Fällen, die ich beobachtete, zusammentrafen und nicht nur in einigen - und keine neuen Umstände dazwischenkommen, die hinderlich sein können oder auch nicht, sich die Sequenz ereignete (auf induktive Weise: sie wird sich ereignen). Diese Aussage korreliert mit meiner subjektiven Gewissheit, meiner wahren Vorhersage. Die Kausalität existiert und ich glaube an sie (mein Glaube an die Kausalität ist ein Effekt der Kausalität; viele unveränderlichen Sequenzen lassen nicht an die Ewigkeit der Wiederholung dieser Sequenzen glauben); damit ich bestätigen kann, dass mein Glaube an die Kausalität ein Effekt ist sowie ein Effekt davon viele Sequenzen von Ursache- Effekt gesehen zu haben, wende ich das Prinzip der Kausalität an. Dieser Vernunftschluss ist so ehrlich und vernünftig wie müßig, denn was er besagen will ist, dass das, was uns die VErgangenheit präsentiert, einige oder viele unveränderte aber nicht unveränderbare Sequenzen sind: wenn es eine ZUkunft gibt, wird die ZUkunft mit dieser und jeder anderen unveränderten Sequenz tun was sie will. Es wäre doch verlorene Liebesmüh von der Zeit der ZUkunft zu sprechen, wenn wir sie wie die VErgangenheit auswendig kennen würden und sie in eine bloße Wiederholung der VErgangenheit führte. Ich stelle fest, dass meine fünfzigjährige Vergangenheit (die nicht mehr Bilder für meine Gegenwart beinhaltet, als jene, die der heutige Tag mir als Wahr- Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 137 <?page no="138"?> nehmungen besorgt; denn das Gedächtnis ist für die Bilder auf gesunde Weise fragil und für das Emotionale so stark und lang wie das Leben) tatsächlich unzählige, wiederholt unveränderte Sequenzen aufweist. Eine Vergangenheit, die ich auf den gestrigen Tag reduzieren kann, an dem ich hundert Fälle des Abpralls eines elastischen Gegenstands von einer starren Mauer beobachtete, so wie es möglich ist, dass ich, wenn ich im hochsommerlichen Januar das Landhaus eines Fruchthändlers betrete, hunderte Male den Fall von Obst direkt vom Astabschnitt sehen würde, von dem ich einen Tag vorher noch keinerlei Bild im Gedächtnis hatte. Wir haben das, was wir die „ Situation “ nennen, nicht definiert, das heißt, die Gesamtheit der Umstände, die für die Produktion einer gegebenen Sequenz wesentlich ist. Genauso wenig haben wir das kausale Argument untersucht, das man vorbringt, wenn sich ein Verstoß gegen eine unveränderte Sequenz in der Vergangenheit ereignet hat, obwohl es keine feststellbare Veränderung der Umstände gibt. Man sagt in solchen Fällen, dass ein veränderter Faktor existieren muss, den man irgendwann nachspüren werden kann; eine vielleicht irreführende Suche, denn die ganze WElt ist die Simultaneität all ihrer Zustände. Zeitgleich mit einer Veränderung finden unendliche Veränderungen statt und die begleitenden Veränderungen sind unbegrenzt. Außerdem sollten wir die üblichen Gewissheiten und korrelativen Vorhersagen überprüfen, die eine Enttäuschung erleben: Der Fehler, das alltäglich Unvorhergesehene, das schlecht Erwartete, das Unerwartete; der Fehler, der sich von der zugegebenen Unwissenheit unterscheidet, der Fehler, der im Alltag und in der WIssenschaft so häufig ist wie das Wissen und der stets vom Glauben gebildet wird, die Unveränderlichkeit der Sequenz bestätigt zu haben (roter Himmel, darauffolgender Regen; Tür, die sich leise halb öffnet, Eindringlinge usw.). Das alltäglich Unerwartete kann ich anhand von jüngst eingetretenen Ereignissen veranschaulichen: vor sechs Tagen tauchte eine Eidechse in meinem Domizil in einem Vorort von Buenos Aires auf. Es handelt sich um ein Haus mit einem kleinen Grundstück, auf dem die Präsenz einer Eidechse allerdings nicht zu erwarten war. Im Haus ergriff man Besitz von ihr. Zwei Tage später brachte ich das Tierchen, das durch die Gewalt der Jagd verstorben war, zu einer meiner Töchter, die aufgrund von schulischen Anforderungen ein zoologisches Museum aufbaut; dort erwartete mich eine ähnliche Überraschung. Seit zwei Tagen hörte man Zikaden in den Bäumen rund ums Haus und ein Junge konnte einer davon habhaft werden. Eine Überraschung war es, für mich, sie zu hören, denn in Buenos Aires habe ich noch nie Zikaden gehört, über sie wird nicht einmal gesprochen. Eine Überraschung war es auch, wie einfach der Junge sie zu fassen bekam; ich dachte, es wäre eine sehr schwierige 138 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="139"?> Aufgabe. Eine Überraschung war es, dass das Insekt still blieb, während es in Ruhe gelassen wurde und kaum wurde es zwischen zwei Finger genommen, legte es alle Kraft in die Musik. Zwei Tage später erjagten sie eine weitere. Was unternommen wurde, um sie am Leben zu halten, war falsch und ich habe sie derselben Tochter tot vorbeigebracht. Der Anblick des Tiers überraschte sie außerordentlich, denn das fabelhafte an der Zikade lässt ein Mädchen, und auch mich, denken, dass wir sie nie in den Händen halten würden. Aber der Höhepunkt der Einzigartigkeiten, die diese Tage für mich beinhalteten, besteht darin, dass ich, zwei oder drei Tage bevor ich die Zikade in den Händen hielt, die folgenden Zeilen in einem Notizbuch niedergeschrieben habe; ich übertrage sie mit all den Mängeln von Notizen aus dem Schmierheft: „ Niemals zeigte das von seiner Schwatzsucht betrogene Wissen mit größerer Ungeschicklichkeit in Sachen Scheinheiligkeit und Unbesonnenheit, die von ihm nicht zu erwarten war, die Neigung zur Grausamkeit, die sich im Schoß dieser Tugend versteckt, und zur Aufdringlichkeit, in Bezug auf die Sympathie, als damals, als es die intelligente Fabel von der ZIkade und der AMeise verfasste. Diese Fabel verdammt alle anderen, sie ist eine wahre Katastrophe für die fabeldichterische Berufung dieser Tugend. Sicher ist, dass das Fabeldichten und der Lehrstuhl der Ratschläge, Apologen, Moralismen, bei denen manche Moralisten zu sein glauben, der schlimmste Rückschlag ist, der in der LIteratur stattgefunden hat. Es ist das Mundstück selbst, durch das Dummheiten geblasen werden und die Egomanie, die fast immer den Pöbel und bestimmte steife Schriftsteller bewegen, die in Anthologien für ihre Sprichwörter und Ratschläge überschwänglich gefeiert werden: den Pöbel, wenn er sie benutzt, und die Schriftsteller, wenn sie sie erfinden oder blumig überarbeiten. “ Mir sind ein paar Blätter abhandengekommen, auf denen ich zahlreiche Beispiele gesammelt hatte, die die Neuigkeit, Überraschung, Ratlosigkeit darstellen, die sich in sehr vielen Tagen unseres Lebens einstellen und bedeuten, dass die umfassende Vermehrung der Ursachen und unabhängigen Gründe im Leben der Nichtigkeit der KAusalität entspricht, für die vermeintliche Nutzung der vermeintlichen Weltordnung zum Zwecke der menschlichen Zufriedenheit. Ich werde zwei Fälle nennen, die dazu führen werden, dass im Eindruck des Lesers zwei schlechte Omen mit meiner Person assoziiert werden. Ich fürchte diese Omen nicht; ich habe viel gelitten, wie alle Menschen, und ich kehre diese Omen um: Ich fasse sie als Wörter auf, als Erinnerungen an mein vergangenes Leiden, nicht als etwas, das mich erwartet. Als ich bei jemanden zu Besuch war, bei dem sich einige Personen unbehaglich fühlten, weil eine Grille im Wohnzimmer herumsprang, die an ihren Kleidern hätte hochklettern können und sie direkt auf mich zukam und vor meinen Füßen landete, versuchte ich sie mit meinem Fuß runterzudrücken; ich Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 139 <?page no="140"?> glaube ich habe sie zu stark verletzt, was für mich ein soziales Versagen bedeutete. Zwei Monate später tauchte in meinem Haus eine verletzte Taube auf, die ich zu pflegen versuchte. Als ihre Neuheit verblasste, erinnerte sich niemand mehr an sie: nachts habe ich sie zugedeckt, vor der Katze geschützt, ihr Wasser und Futter gegeben. All diese Umstände verursachten gewisse Schwierigkeiten, aufgrund der Suche nach der Taube in der Dunkelheit und Kälte der Winternächte usw. Sie genoss und wurde handzahm. Diese Zähmung wurde ihr zum Verhängnis, denn sie flüchtete nicht vor unseren Schritten und wir sind mehrfach beinahe auf sie getreten. Es musste ja mich treffen, wie es umgangssprachlich heißt, dem das Verhängnis zuteil wurde, sie umzubringen; zu Beginn der Nacht, als ich sie zwischen einigen weißen Blättern auf dem Boden suchte, konnte ich sie nicht auseinanderhalten und trat sie tödlich. Ich hinterlasse einen unangenehmen Eindruck bei meinem Leser: Wie oft wird und wird mir dasselbe in der Unendlichkeit des individuellen mnemonischen Lebens passieren? Ich vergaß anzumerken, dass es sich an den Tagen der Zikaden-Affäre zutrug, dass sich, während ich mich an der Tür zur Straße befand, ein gewaltiger Knall zwischen einer Menge Autos ereignete. Es schien als ob 30 Meter von mir entfernt ein LKW angefahren worden war. Ich wusste nicht, dass sich dort mein Vermieter mit seinem LKW befand; ich dachte er sei weit weg, denn er war schon vor einer Weile losgefahren. In diesem Moment sah ich ihn auf einem Auto (mehrere Autoreihen behinderten die Sicht), stehend, wo er langsam den Blick und seinen Körper drehte, während seine Tochter, die mit mir an der Tür stand, schreckenserfüllt schreiend die Straße überquerte und zu ihm hinrannte. Da ich ihn aber so wie beschrieben gesehen hatte, war ich mir sicher, dass der Zusammenstoß keine Auswirkung auf den LKW und ihn selbst gehabt hatte. Nichtsdestotrotz zeigte sich kurz darauf, dass der Schreck des Mädchens gerechtfertigt war; er war der einzige, der sich etwas geprellt hatte und jene ruhige Bewegung, die ich ihn ausführen sah, war die eines ruhigen Mannes, der durch die Prellung halb erstickt war. Hierin liegen drei Fehlerzustände innerhalb von fünf Minuten. Kant betreffende Notiz Es ist interessant Kant zu beobachten, wie er den Leser unterhält oder sich darauf versteift zwei Situationen von Unlösbarkeit zu verlängern, die seine zahlreichen Kapitel und Behauptungen erzeugen und in denen evident wird, dass sein Denken keine Wahl hatte, da sich eine einzige intelligible Option aufdrängte. Tatsächlich toleriert man nur bei Kant erhabene Tautologien wie die 140 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="141"?> folgende: „ Wir können mit Recht behaupten, (Dies ist bereits ein Satz der so harmlos wie oberflächlich ist; angenommen in einem Geometriebuch würde ein Theorem auf diese Art angekündigt: „ Wir können mit Recht behaupten, dass die Summe der Winkel des Dreiecks “ usw.) dass nur dasjenige, was in uns selbst ist, unmittelbar wahrgenommen werden könne, und dass meine eigene Existenz allein der Gegenstand einer blosen Wahrnehmung sein könne. “ 57 Lassen wir die bloße Wahrnehmung, die nichts bedeutet, außer Acht und ebenfalls die unmittelbare Wahrnehmung, die das sein muss, was er mit „ einer blosen Wahrnehmung “ sagen wollte, mit anderen Worten das, was die Alternative einer vermittelten, komplett inintelligible Wahrnehmung bestätigt; die Wahrnehmung ist das Unmittelbare par excellence. Eine weitere Inkongruenz ist die Wahrnehmung der Existenz, welche das Abstrakteste, das Sein, mit der, in Bezug auf den Äußerungsakt, konkreten Anwendung der Wahrnehmung verbindet. Wenn nun nur das, was in uns ist, „ unmittelbar wahrgenommen “ werden kann, dann kann die gesamte Metaphysik, mit einer dogmatischen, absolut erkennbaren und idealistischen Lösung, der ich vollkommen zustimme, durch eine vorhergehende Beweisführung bereits gelöst werden. Dann stellt sich allerdings heraus, dass wir nicht nur unsere Zustände wahrnehmen können, sondern auch die Existenz in oder von uns. Aber das Wesentliche ist: „ Wir können mit Recht behaupten, dass nur dasjenige, was in uns selbst ist, unmittelbar wahrgenommen werden könne “ , 58 ist entweder eine grammatikalische Übung oder eine Tautologie am Ende des Werkes, was allerdings nur eine Thesendarstellung in der Einleitung sein sollte. Die zwei Situationen in Kants Werk auf die ich anspiele, sind: seine Verwirrtheit aufgrund von der Unentschlossenheit die Äußerlichkeit geradewegs auszuschließen, die er durch eine Äußerlichkeit innerhalb der Seele löst: die Äußerlichkeit, in welcher jeder Zustand sich in Bezug auf einen anderen Zustand befindet, in dem Raum, dessen Raum er hier deutlich als inneren, subjektiven, erklärt, so etwas wie die Vielheit oder die Diskontinuität. Und seine Komplikationen in Bezug auf das Ich, oder die Person, oder das Bewusstsein, die nur die Negation der Vielheit der Sinnlichkeit aufzwingen. Es gilt zu notieren, dass Kant keine Definition des Äußerlichen beschließt; manchmal verdeutlicht 57 Immanuel Kant ’ s sämmtliche Werke p. 597, „ Der vierte Paralogismus der Idealität. (Des äusseren Verhältnisses.) “ . 58 Die Stelle in der Kritik des vierten Paralogismus der transzendentalen Psychologie lautet vollständig: „ Wir können mit Recht behaupten, dass nur dasjenige, was in uns selbst ist, unmittelbar wahrgenommen werden könne, und dass meine eigene Existenz allein der Gegenstand einer blossen Wahrnehmung sein könne. “ Immanuel Kant ’ s sämmtliche Werke p. 597. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 141 <?page no="142"?> er sie mithilfe dessen, was vor uns für sich selbst existiert, manchmal mithilfe der Kausalität oder in erster Linie mithilfe der Räumlichkeit. „ [W]as in uns selbst ist “ zu sagen, scheint Kant leichtzufallen; was im Äußeren ist, dem scheint seine Besorgnis und Schwierigkeit zu gelten. „ [W]as in uns selbst ist “ ist nicht fachsprachlich genug, um am Ende eines umfassenden metaphysischen Werks verwendet zu werden; außerdem ist dieses „ uns “ , als Atmosphäre oder Lokalisierung der Zustände oder Wahrnehmungen, so schwer zu fassen und begreifen und so unnötig wie das Äußere. Worauf Kant in Wahrheit als Äußeres anspielt, selbst wenn er es nicht in einem entscheidenden Satz sagt, ist die von ihm vermutete Ursache der Wahrnehmung, die Ursache des Gefühlten. Na gut: Ursache des Gefühlten kann nicht etwas Gefühltes bedeuten, denn dann müssten wir anschließend die Ursache dieser gefühlten Ursache des Gefühlten suchen. In der realistischen Vorstellung ist die äußere Welt einfach dies: die nicht gefühlte Ursache des Gefühlten; das Nicht-Gefühlte, Ursache des Gefühlten. Dies ist die äußere Welt, die, für einen Realisten wie es Kant ist, obwohl er sich selbst einen Transzendental-Idealisten nennt, vorher existierte und auch nach jeder einzelnen dieser Sinnlichkeiten existieren wird, die zur Existenz kommen, die ephemererweise an diese Welt kommen. Wir können keinerlei Konzeption vom Nicht- Gefühlten haben: Hierfür kann es nur Verbalitäten geben. Und, auf der anderen Seite, ist es so inintelligibel wie müßig; wir benötigen keinerlei Ursache des Gefühlten; jeder Phänomenalismus des Gefühlten, oder, wenn man so will, bloß aller Phänomenalismus kann zwischen seinen Zuständen verbunden sein durch die Kausalität einiger über die anderen, aber es benötigt für jegliches Phänomen keine Ursache außerhalb des Phänomenalismus. Außerdem füge ich hinzu: Weder haben die Phänomene nicht-phänomenale Ursachen, das ÄUßere, noch wirken sie kausal auf andere Dinge als die Phänomene: Sie wirken nicht auf das ICh, auf „ ichs “ , auf das INnere, das so leer ist wie das ÄUßere, inintelligibel und überreich. Es existiert das Ich des ÄUßeren, das wir MAterie nennen, und jenes des INneren oder PSychischen, das wir ICh nennen. Sie sind dieselben spekulativen Schöpfungen mutmaßlicher Substanzen; das Fortbestehende unterhalb des äußerlichen oder innerlichen Wandels. Dass es unter den Wandlungen etwas Fortbestehendes gäbe, in den Beharrungen von Kant und von denen, die von SUbstanz sprechen. Diese SUbstanz zu begreifen ist so unmöglich wie müßig. In der Kritik der reinen Vernunft behauptet Kant: „ [U]nser denkendes Subjekt [ist] nicht körperlich [ … ], das heißt: dass, da es als Gegenstand des inneren Sinnes von uns vorgestellt wird, es, insofern als es denkt, kein Gegenstand äusserer Sinne, d. i. keine Erscheinung im Raume sein könne. Dieses will nun so viel sagen: es könne uns niemals unter äusseren Erscheinungen denkende Wesen, als solche, vorkom- 142 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="143"?> men, oder: wir können ihre Gedanken, ihr Bewusstsein, ihre Begierden u. s. w. nicht äusserlich anschauen. “ 59 Man beachte, dass ein „ denkendes Subjekt “ nicht nur durch Gedanken konstituiert wird, sondern auch durch das Bewusstsein, die Verlangen. In dieser unerwarteten Erweiterung werden außerdem die Verlangen zusammen mit den Gedanken einbezogen, das heißt, Vorstellung und Affizierung verschmelzen, die derart ungleichen werden mit größter Nachlässigkeit vereinigt. In all dem hier Untersuchten kann man die Anstrengung Kants beobachten, die Existenz des Äußeren zu bestätigen, es im Raum zu situieren, diesen im Inneren zu situieren und das Subjekt von diesem Raum und den Phänomenen in diesem Raum auszuschließen, es außerhalb des Raums zu situieren, unzugänglich für die Anschauung einer dritten Person oder eines Subjektes. 60 Aber wenn die Zustände einer Sinnlichkeit oder eines Subjektes nicht von einem anderen Subjekt angeschaut werden können, und wenn das Subjekt nicht der Körper ist, woher weiß dieses Subjekt, dass die Zustände, die es die seinen nennt, keine Anschauungen der Zustände anderer Subjekte sind? Wie weiß man das? Was bedeutet es, dass es die seinen sind? Was ist dieses „ ich “ , in dem sie auftreten, wem gehören die Zustände? Wenn dieses Ich der Zustände (der gefühlten, denn es gibt schließlich keine anderen) nicht selber ein Zustand ist, was ist es dann? Schließlich haben wir keinerlei Ahnung von irgendetwas, das kein Psychismus ist, ein gefühlter Zustand. Und wenn es ein Zustand ist, dann benötigt dieser Ich-Zustand ein „ Ich “ , da sich die Existenz und Notwendigkeit eines Ichs in allen Veränderungen oder gefühlten Phänomenen oder der Sinnlichkeit bestätigen. Diese bedauerliche Dialektik, der sich jeder aussetzt, der das Fremde bestreitet anstatt das Eigene darzulegen und zu beweisen, denn 59 Immanuel Kant ’ s sämmtliche Werke pp. 591 - 592. 60 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Kant vergisst, dass die Vergangenheit der Sinnlichkeit, das Gefühlte in meiner Vergangenheit, so inintelligibel ist wie die fremde Sinnlichkeit und wie das, was jeglicher Sinnlichkeit fremd ist, die MAterie. Nichtsdestotrotz scheint Kant zu glauben, Anschauungen über die Zustände seiner Vergangenheit zu haben (die einzige Vergangenheit, die existierte; die Vergangenheit Kants oder die meine, eine von beiden hat nie existiert; die SInnlichkeit ist eine und eine ist die Gefühlte VErgangenheit, die existierte). Meine eigenen Zustände in einer anderen Zeit anzuschauen, ist so wie sie in anderen anzuschauen. Meinen derzeitigen Zustand anzuschauen ist unmöglich. All diese Desorientierung entsteht dadurch, dass den Zuständen ein Ich zugeschrieben wird, ein Subjekt, das das Anschauende sei, was so wenig sagt, wie die Permanenz (MAterie) der äußeren Veränderungen. Da es ständig neue Zustände gibt, stellt sich die Frage, was die Notwendigkeit dieser Substanz für die kontinuierliche Fülle unseres Seins ist? Was würden wir unseren Ängsten, unseren Rauschzuständen hinzufügen, um die Fülle zu erreichen? Vielleicht irgendeine astronomische Ziffer der Massen, Geschwindigkeiten, Distanzen, Wörter der NUmmer, von der es niemals eine Konzeption, ein Bild gab? Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 143 <?page no="144"?> die Dialektik betont die fremde Widersprüchlichkeit, erbringt aber keine Wahrheit. Hiermit verzichte ich reuevoll auf sie und revidiere meine These. Die Zustände ereignen sich nicht in der Sinnlichkeit. Sie sind die Sinnlichkeit, das Sein, die Welt Indem er sich seine alltägliche Geschichte vor Augen hält, wird der Leser zustimmen - denn es Beweisführung zu nennen, bedeutet den Leser einzuladen so zu sehen oder sich daran zu erinnern diese Gruppe oder jene Sequenz der Phänomene so gesehen zu haben, wie sie der Autor sah: das Wort Beweisführung hat keine größere Wirksamkeit als dies, und es ist das, was ich hier leiste und was ich in meiner gesamten Darlegung zu leisten habe - , dass das Träumen: die Träumereien, Vorstellungen, Hervorrufungen des Nachdenkens, der Vorhersagen, der Erinnerungen, die sich in jedem Augenblick mit jedem Akt der Wahrnehmung vermischen, Assoziationen, die durch die Emotionen oder durch eine lebhafte Arbeit der Spekulation ausgelöst werden, im Wachen, und die, für einen Augenblick, die wache Psyche mit Überzeugung erfüllen, unsere Zeit genauso stark einnehmen, wie die Wahrnehmungen oder Empfindungen. Und da die Vielfalt, Schärfe, Bedeutung und Intensität der Bilder von allen als den Wahrnehmungen gleichgestellt erkannt wurden, kann nur eine relationale Vereinbarung zwischen den Zuständen des Wachens, die anders ist als jene zwischen den Zuständen der Träumerei, das sein, was sie unterscheiden kann. Aber da der Charakter, den es in den Beziehungen zwischen einigen Zuständen und den anderen geben kann - das heißt, ein internes, dem Wachen intrinsisches Merkmal, das der Träumerei fehlt und anders herum - , nicht das sein kann, was sie unterscheidet, denn nur die Kausalität kann eine Anordnung erzeugen und diese Kausalität ist in der Träumerei und im Wachen gleichermaßen innerlich gültig (beobachten Sie Ihre Träumereien); wenn jemand in der Träumerei hinfällt, dann beklagt er sich; wenn jemand Wasser zu trinken scheint, dann wird das Wasser im Glas weniger; außerdem hat das Wachen im momentanen Schein keine Anordnung; wenn wir an eine große Menschenansammlung herantreten, scheint es so, als würde jener Damenhut von einem Herren getragen; als würde der andere zwei linke Arme haben, von denen einer ein Glas Wasser hält, das er dem Mund eines Nachbarn zuführt usw. Da die Tatsachen der Träumerei im selben Leben und Subjekt (Sinnlichkeit) situiert sind wie die vom Wachen; wenn der Unterschied aus fehlender oder bestehender Kausalität innerhalb derselben oder des Wachens bestünde, würden wir Traum und Realität zusammenknüpfen in einem einzigen Spektakel der Sinnlichkeit und wir würden sagen, dass dieses Leben manchmal kausal ist und 144 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="145"?> manchmal nicht und dass es insgesamt keine Kausalität im SEin gibt, denn die unveränderte Sequenz scheitert jeden Augenblick. Sicherlich würden wir kausale Abschnitte von den nicht-kausalen unterscheiden und der Differenz Wichtigkeit zuschreiben, aber da das Nachgeben der Kausalität alltäglich ist, würde sie der Vorhersage nicht helfen. Es existiert eine lang andauernde Träumerei (wie es Schopenhauer sagen würde), die nicht zurückweicht und sich nicht wiederholt: die besagt, dass mir vor einiger Zeit zum zwölften Geburtstag eine Uhr geschenkt wurde, dass ich danach zum Gebäude der Nationalschule ging, dass ich später einen harten Sturz vom Pferd hatte usw. Aber da ich in all den Jahren so viel geträumt habe, füge ich, wenn ich das Reale und Geträumte der Vergangenheit trenne, alles, was einer gewissen Anordnung folgt, als Reales hinzu. Und ich füge das hinzu, was ich gekünstelt gebildet habe, indem ich mit einer Hand aus einer gewissen Gruppe an Tatsachen (Realität) geschöpft habe und mit der anderen aus einer anderen, aber vereine absichtlich alles, was geordnet scheint, sodass das, was in meinen Träumereien als ordentlich erscheint, in meine reale Geschichte eintreten wird und sich das Unordentliche, der Teil des Realen, den ich mir nie erklären konnte, in die Zone oder den Streifen des Geträumten einfügen wird. Es ist dies die Tatsache, dass die Tatsachen der Träumerei das Reale nicht beeinflussen und jene der Realität nicht verhindern, dass wir ihr Gegenteil träumen, was die Trennung erzeugt. Der Mann, der eines Tages Pleite geht und all sein Vermögen abgibt und mit seinen Kindern in ein einziges Zimmer umzieht, der heute Früh seinen Beschäftigungen nachging und sich, durch einen Unfall verletzt, am Abend in einem Krankenhausbett wiederfindet, glaubt zu träumen und glaubt, wenn er einschläft und deliriert, reich und gesund zu sein und dass er sein Unglück geträumt habe. Antwort Zwei wesentliche Auffassungen herrschen bei der benötigten Antwort vor. Die Idee der Unmittelbarkeit: Sinnlichkeit-Gehirn, in Form eines Kausalkonzepts, die ein PSycho-PHysiologie erzeugt hat. Die Idee der Vorwegnahme der EMpfindung oder WAhrnehmung oder ERfahrung vor dem mentalen Element, das wir BIld nennen; auch in Form eines Kausalkonzeptes. In beiden Fällen ordnet sich die Ursache ausschließlich dem sogenannten äußerlichen oder materiellen Element zu. Diese Auffassungen werden bekräftigt, um die historischen Vorlieben, die Materie, die „ WElt “ in ihrer Position als Urheberin des „ Geistes “ , zu verherr- Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 145 <?page no="146"?> lichen, anzuklagen. Der Geist bekundet seine Abhängigkeit von der Materie, diese selbst spricht nicht. Jede Beurteilung als Kausalität ist reine Diskriminierung des zeitlichen Aspekts „ zuvor “ in einer Sequenz. In der vermeintlichen Verursachung Gehirn-Seele, sowie in der von Empfindung-Bild, scheint man zu glauben, dass das „ Zuvor “ oder die Ursache, die Äußerlichkeit sei. Die Situation, die vermutet wurde, in der gezweifelt wird und man noch immer nicht weiß, ob etwas geschehen ist oder nur geträumt wurde; ist sie möglich? Welche Bedingungen benötigt sie bevor und nach der geträumten oder realen Szene? Beeinflusst die Tatsache, dass diese Situation und der Zweifel möglich sind, die Transzendenz oder den Wert der REalität? Bedeutet das, dass sowohl der momentane wie auch der andauernde Zweifel schlussfolgert, dass die REalität keine intrinsische Kategorie besitzt? Bis zu welchem Grad kann man behaupten, dass sich eine reelle Tat unter diesen oder jenen Umständen und Merkmalen zeigt, sodass sie keine spürbaren Effekte für die menschliche Überprüfung zugänglich macht, egal wie minuziös sie auch sei? Beginnt, auf der Suche nach diesen Effekten, die Nachforschung, dauert der Zweifel an und stehen die REalität, jede mögliche Überzeugung, der Glaube der Menschheit, zur Diskussion? Nun gut, ist es nicht so, dass man träumt, dass man nachforscht, dass man wach ist und daran zweifelt, kurz davor geträumt zu haben und daher: Ist es nicht ein non sensu nachzuforschen, ob man geträumt hat, da sich dieser Zweifel auch auf den aktuellen Zustand der Nachforschung beziehen lässt und wir darauf warten müssen, unsere Nachforschungstätigkeit zu beenden (aufgrund von Müdigkeit oder Aufmerksamkeit auf andere Interessen oder aufgrund der Lösung, die wir ebenfalls träumen können, gefunden zu haben), um zu sehen, ob wir aufgrund dieser neuen Tätigkeit (so wie man von der Träumerei zum Aufwachen wechselt, von einem Spektakel und Aktionen zu anderen), die vorhergehende Nachforschungstätigkeit nicht als irreal berichtigt-widerlegt befinden, in Differenz zur neuen Tätigkeit, die jetzt real erscheint? Während ich diese Zettel ordne, habe ich meine Träumereien genauer beobachtet und an einem einzigen Tag zwei Fälle erkannt: 1. Da ich geträumt habe, wusste ich, dass ich geschlafen habe, das heißt, ich habe gezweifelt, ob ich während eines kurzen Zeitraums ein wenig geschlafen habe, als mir Bilder einer neuen Träumerei, an die ich mich gerade erinnert habe, erschienen sind; 2. als ich aufgestanden bin, habe ich mich in Bezug auf eine verfeindete Person anders gefühlt und für ein paar Minuten glaubte ich, mich mit ihr unterhalten zu haben und mich mit ihr über die missverstandene Ursache unserer Entfremdung verständigt zu haben; ich verspürte für einige Momente, während ich wach (sic) war, Überzeugung in Bezug auf die Szene und ein Gefühl von Erleichterung; es 146 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="147"?> war all das, was REalität ausmacht: Urteil, Bild, Gefühl. Auf meinem Schreibtisch erinnerten mich, wenige Minuten später, Briefe aus Montevideo, die ich zu beantworten hatte, oder Briefumschläge von Briefen, die ich aus dieser Stadt erhalten hatte, dass diese Person sich dort aufhielt mit den Familien, von denen ich Briefe erhielt und dass die Szene vom Vorabend nicht möglich war und geträumt worden war. Abgesehen davon, dass dieses Erwachen, die entsprechenden Überlegungen und die Entscheidung, dies für geträumt zu halten, eine aktuelle Träumerei sein können, könnte sich die Situation viel subtiler darstellen, wenn wir im selben Haus mit diesem Antagonisten leben würden oder am Vorabend auf derselben Zusammenkunft von Gästen gewesen wären. Nun gut, die Möglichkeit eines langen oder unbestimmten Zweifels scheint mir mit dem bereits angedeuteten Fall des Vogels, der während meiner Siesta oder vermeintlichen Siesta, in mein Zimmer eindrang und wieder fortflog, bewiesen zu sein. Es ist dies ein unbedeutendes Ereignis, das manchmal außerordentliche Auswirkungen haben kann, wie es Kolumbus passiert ist, für den es äußerst gravierend sein konnte zu entscheiden, ob er die fliegenden Vögel, die er sichtete und ihm die Nähe von Land ankündigten, geträumt hatte und er umdrehen sollte oder ob sie echt waren und er ihrem Kurs folgen sollte. Völlig erschöpft von innerer Aufregung, wusste der beunruhigte Kolumbus, der alleine spähend am Schiffsbug stand, nie, ob er kurz eingeschlafen war und geträumt hatte, dass er diesen Vogelflug sah. Falls sich dieser lange nicht wiederholt hätte, hätte er vielleicht geglaubt zu träumen, er hätte vielleicht umgedreht und es wäre viel schwieriger gewesen, die Vögel noch einmal zu sehen und die Sichtung zu bestätigen. Kolumbus hätte das Dilemma, ob er die Vögel wirklich gesehen hatte, nicht klären können, indem er die Besatzung gerufen hätte, et cetera, denn aufgrund der inneren Kausalität, welche in den Träumereien rigoros ist, ist es sicher, dass er auch dies zu tun geträumt hätte. Welche Auswirkung hat das Problem Träumerei-Realität? Dieselbe wie das Problem der KUnst und der GEschichte, das wir in unserer Kindheit so gut unterscheiden konnten: „ Was Sie uns erzählen werden, ist das eine wahre Begebenheit oder eine Erzählung? “ Unser Freund der Erzähler pflegte und pflegt dem stets zuvorzukommen: „ Was wollt ihr? Eine wahre oder erfundene Geschichte? “ Dennoch lasen und lesen wir weiterhin Romane und Erzählungen und vertiefen uns einen ganzen Tag in sie; sie sind für einen Tag unsere eindringliche Realität. Auf der einen Seite ist es nicht einfach aufzuhören, Traurigkeiten und Betrübnisse zu träumen. Auf der anderen Seite gibt uns die literarische Erdichtung all die Träume, um die Realität tagelang zu ersetzen. Auf dieselbe Weise stellt das Schöpfen und Verfassen eines Romans ein kontinuierliches Träumen dar, das sich über Tage erstreckt. Worauf ich hinauswill, ist folgendes: Obwohl die Träumereien nicht dieselben Konsequenzen wie die Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 147 <?page no="148"?> Realität haben, ersetzen sie sie so häufig, intensiv und lange, dass der Realität ihre kausale Effizienz wenig bringt, da wir vor ihr flüchten, sie ersetzen und in Unordnung bringen können und zwar tagein und tagaus. Aber dem ist nicht so: Was wir üblicherweise Träumerei nennen ist nur ein Teil davon: Die Bilder, die, wie bereits beobachtet wurde (von Maudsley, 61 Dewey 62 und einstimmig erfasst wurde), sind nur ein insignifikanter Effekt dessen, was sie zu verursachen scheinen: die Zustände von Empfindung und Emotion. Wenn wir uns fragen, ob etwas möglich ist, dann bedeutet das sich zu fragen, ob etwas einmal passiert, geschehen ist. Andererseits ist die Vergangenheit, die geschehene, unsere, unwichtig, sie ist nichts weiter als das, was nicht unmöglich war oder „ das Mögliche “ war, denn möglich ist nichts als das, was sich zugetragen hat; es ist nicht aktuell, wenn wir nicht aktuelle oder zukünftige Effekte von diesem Geschehenen erhoffen (abgesehen von dem Genuss des Erinnerns, wie zum Beispiel der Unlust früher einmal einer Lust entronnen zu sein oder einem geliebten Menschen eine Unlust erspart zu haben). Gewöhnlicherweise leiden wir darunter, gelitten zu haben, und genießen es, genossen zu haben (was auf gewisse Weise die REalität aufhebt), weil dies ein anderes Träumen ist. Denn das, was bereits geschehen ist, sollte als solches nicht erneut Leiden oder Genuss auslösen; die Effekte, Konsequenzen, können weiterhin gefürchtet oder erhofft werden, aber den Genuss selbst, den uns eine Szene oder ein Ereignis unverzüglich bereitet hat, sollte sich beim Erinnern nicht wiederholen, denn dies hört auf eine Vergangenheit zu sein und die Aktualität hört auf mächtig, aktuell zu sein, sie wird aufgehoben, ersetzt durch die Vergangenheit. Zwischen dem Geschehenen und dem Imaginierten gibt es keine Differenz, wenn keine Effekte zu erwarten sind. 61 Die Ausgaben von 1928 (p. 138) und 1992 schreiben hier „ Mandsley “ , in der Ausgabe von 2015 wird dies korrigiert. Es handelt sich dementsprechend wahrscheinlich um den englischen Psychiater und Essayisten Henry Maudsley (1835 - 1918) und ein Argument, das er u. a. wie folgt diskutiert: „ It must be borne in mind, as Dr. Darwin remarked many years ago, that in dealing with memory we have to do not with laws of light, but with laws of life, and that the misleading notion of images or ideas of objects being stored up in the mind has been derived from our experience of the action of light upon the retina. “ Henry Maudsley „ Memory “ , in: Georges Iles ed.: Little Masterpieces of Science, New York: Doubleday, Page & Company 1902, pp. 115 - 128; hier: pp. 118 - 119. 62 Der US-amerikanische Psychologe und Philosoph John Dewey (1859 - 1952) beginnt sein philosophisches Denken im Idealismus und entwickelt dieses, mittels einer grundsätzlichen Hinterfragung der Grundlagen bisherigen Philosophierens, hin zum Pragmatismus weiter. Es ist anzunehmen, dass sich Macedonio Fernández hier auf die Frühphase bezieht. 148 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="149"?> Definitionen von Ideen und Vokabeln 1. Das Wort ist ein Zeichen zum Zwecke der Kommunikation. Diese ist bloß, vielmehr als Kommunikation, Hervorrufung von Bildern durch Zeichen. Und das System des so Kommunizierbaren ist lediglich das der Bilder, auch wenn wir in einem anderen Kopf die Bilder entstehen lassen, die wir jetzt in unserem haben; durch Zeichen, die mit ihnen assoziiert werden und Worte heißen, können wir, so wie wir Bilder hervorrufen, Affizierungen, die mit diesen Bildern assoziiert werden, hervorrufen; aber das, was zuerst hervorgerufen werden muss, sind die Bilder. 2. Das Wort ist für das sogenannte Denken nicht nötig. Das Denken und die INtelligenz fügen nichts zum Phänomenalismus des Seins hinzu und daher ist es nichts weiter als eine Erfassung von dem, was wir Vergangenheit nennen. Das SEin, der Phänomenalismus, kennt kein Gesetz. Es existieren weder Gesetze noch Prinzipien der Logik oder der Vernunft usw.; nichts zwingt das Sein. Das, was ich eben beteuert habe, bezüglich des Wortes als hervorrufendes Zeichen usw., kann auch enden, selbst wenn es ein unveränderlicher Beweis in der Vergangenheit war und ich könnte daher vergeblich schreiben, bloß für mich selbst. Da ich von nichts als der Vergangenheit sprechen kann, wenn ich sage, dass das Sein keine Gesetze kennt, dann sage ich das, weil ich häufig gesehen habe, dass sogenannte Gesetze ungültig geworden sind. 3. Wenn ich vernünftige Schlüsse ziehe, während ich spreche, dann ist dem nicht so, weil ich über Intelligenz verfüge, sondern weil ich kommuniziere und nicht für mich in Gedanken oder Nachforschungen versunken bin und diese vermeintlich Vernunftschlüsse verbale Gruppierungen sind, die zur Hervorrufung bestimmter Bilder dienlich sind. Der logische und dialektische Vernunftschluss, das beinahe alle Seiten von Kants Werk einnimmt, ist eine Simulation der Wirksamkeit der INtelligenz und ist im Einklang mit dem Glauben an Prinzipien der Vernunft usw. Einen genuinen Vernunftschluss wird es in meiner Darlegung nicht geben. 4. Mithilfe von Worten werde ich versuchen in euren Geist Bilder einzupflanzen von dem, was ich glaube, dass ihr gesehen, angefasst, gehört habt, dasselbe wie ich in gewissen Situationen, sowie auch ihre Anordnung, Abfolge und Position. Wenn eure perzeptorische Welt dieselbe wäre wie die meine, so wie ich es denke, kann ich sagen in welcher Anordnung, oder ohne, ich sie wahrgenommen habe. Ich werde euch zum Denken bringen, so, wie ich es in meinem Nachdenken getan habe, indem ich Bilder evoziere; schließlich bedeutet denken sehen, hören, anfassen sowie das Gesehene, das Angefasste, das Gehörte hervorrufen. Andere Male sage ich euch, dass ihr für ein gewisses Wort kein spezifisches Bild besitzt; zum Beispiel besitzt ihr kein Bild für das Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 149 <?page no="150"?> Wort nichts, für Unendlichkeit, für die Phrase unendliche Teilbarkeit. Ich werde auch etwas anderes sagen: dass es das, was mit einer vermeintlichen Tiefgründigkeit Konzepte genannt wird, nicht gibt und sogar die vermeintlichen Abstraktionen - allgemeine Auffassungen - sind nichts weiter als die letzte Konkretisierung oder die lebendigste, stärkste Konkretisierung (das heißt, der Komplex) einer gewissen Sache oder eines gewissen Bildes, die oder das ihr wahrgenommen oder gehabt habt. Eure allgemeine Idee von einem Hund ist, der sehr konkrete Hund, den ihr zuhause habt. Ich sage, dass das Wort „ möglich “ nicht mehr Inhalt hat als „ geschehen “ (in eurer Vergangenheit gesehen) und dass VErgangenheit alles ist, sogar die Gegenwart; in dem Moment, in dem wir sie bewerten, in dem wir zu einer Feststellung gelangen, ihr gegenüber, gegenüber der Gegenwart oder einer gegenwärtigen Tat, die geschehen ist, et cetera. 5. Das SEin, der gesamte Phänomenalismus, sind Zustände, die ununterbrochen aus dem Nichts erschaffen und im Nichts ausgelöscht werden. Das Sein ist vollständig in all seinen Zuständen, egal ob des Wachens oder der Träumerei, der inneren oder äußeren Erscheinung; nichts ist die Darstellung einer anderen Sache, nichts ist Schein einer anderen Sache, nichts ist Leere, die von anderen Sachen (Raum) ausgefüllt werden soll; die SInnlichkeit oder das Sein ist kontinuierlich, ewig; es gibt keine Leere (Zeit) zwischen Veränderungen, sondern Veränderungen die Veränderungen trennen; die Zeit trennt nichts; nichts ist Form, das so bezeichnete ist eine Sache, über die man zusammen mit anderen spricht, ohne dass es zwischen ihnen eine substantielle Hierarchie gäbe. Man kann nichts über etwas sagen, das nicht eine andere Sache wäre, ohne dingliche Hierarchie, sondern nur durch eine zeitliche oder räumliche Beziehung zwischen den beiden. Meine Pseudologik, wenn man möchte, dass es Logik gäbe, würde sich durch folgende Formel konstituieren: Jegliches Urteil, jegliche Kenntnis fällt auf die Vergangenheit zurück; das Urteil ist oder ist nicht unmittelbar auf das Ereignis folgend, aber nicht gleichzeitig mit ihm oder seinem Bild; jegliches Urteil gehört zum Komplexen (oder zum Einfachen, wenn es in seiner zeitlichen oder räumlichen Position in Bezug auf eine andere Sache beurteilt wird, was einem In-Verbindung-Setzen in einem Komplex gleichkommt, so wie ein Komplex nichts weiter ist als das, was wir vereinen) und besteht darin, die Teile auszudrücken, die wir in Betracht ziehen wollen, wenn wir einen Komplex erzeugen, oder darin, ein Einfaches mithilfe eines anderen Einfachen zu finden oder auf eines anzuspielen. 6. Es gibt Zustände (Sinne), die wir nur aufgrund bestimmter Organe haben: Augen, Ohren, Epidermis. Diese drei Organe sind Komplexe für unsere Subjektivität, wie ich es von der grauen Substanz behauptet habe. Das Auge, das Gehör, die Epidermis sind Komplexe von taktilen und visuellen Empfindungen. 150 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="151"?> Wir kennen das Auge, weil wir es sehen, wir fassen es an; obwohl es die Quelle ist, das heißt, die direkte Ursache des Sehvermögens, ist es sichtbar; wir nennen Farbe und Form eine Empfindung, welche sich nie ereignet ohne Veränderung in jener Gruppe von Empfindungen, die wirAuge nennen, 63 so wie wir Orange eine Einheit von Empfindungen nennen, deren Zusammenkunft häufig stattfindet: ein gewisser Geruch, Widerstand oder Starrheit, Geschmack, Farbe und Form, deren Zusammenkunft (räumlich-zeitlich) häufig ist, heißt Orange. An die Metaphysiker Seltsam, dass ein Mann siebzig Jahre im Denken gelebt hat, mit privilegierten mentalen Kräften, so wie Spencer, und weder jemals gefühlt und geahnt hat, was die Psychität ist, 64 das Bewusstsein, und wie sich das Materielle nicht in sie verwandeln kann, da die Materie zur Psychität im selben Verhältnis steht, wie das Nichts zum Sein; noch wie banal und lächerlich es ist ständig zu wiederholen, als ob man etwas verstünde und etwas damit sagen könne, dass es der materiellen Welt in ihrer ewigen Evolution gelang, unter den vielen Kombinationen der vielen Zeit, in einem bestimmten Moment, zu fühlen; dass sich die Bewegung in Sinnlichkeit verwandelt; dass eine graue Substanz die SInnlichkeit verursacht; dass in einem präzisen und subtilen Augenblick, die physisch-chemische Materie beginnt Schmerz, Verlangen, Denken zu spüren. Einen Augenblick zuvor gab es weder GEfühl noch WAhrnehmung in der Gänze des REalen in der WElt. Gibt es etwas, das mehr „ Spielzeug “ , mehr Kitzel, mehr Kopfnuss, zu gleichen Teilen einfältiger und mystifizierender ist, als diese vermeintliche Idee, dass die IRrealität - denn das, was ein Nichts-Fühlen ist, ist weder im Kopf noch außerhalb - zum REalen, zum BEwusstsein wird? Man konnte glauben, dass sich das Nicht-Wahrnehmbare, das Unbewusste, vorzustellen möglich war, das heißt, dass das Nicht-Wahrnehmbare denkbar war. 63 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Dies ist das herausragende Thema meiner Korrespondenz mit dem Psychologen James zwischen 1906 und 1911. Die zwanzig Seiten, auf denen ich meine These darlegte, die die sensorische Spezifität, das Sehvermögen, das Gehör, die Berührung abstreitet, entstanden aus einer Träumerei, von der ich beim Erwachen nicht wusste, ob sie aus visuellen Bildern (Passage aus einem Roman oder visuelle Szene des Wachens) oder aus auditiven Bildern geflochten wurden: der Gesang des Hans Sachs in Die Meistersinger … 64 Macedonio verwendet hier den Neologismus „ psiquidad “ (Macedonio Fernández: No toda es vigilia la de los ojos abiertos y otros escritos metafísicos, Buenos Aires: Corregidor 1990, p. 308). Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 151 <?page no="152"?> So könnte ich mein Leben in einem riesigen Fehler verbringen, dessen Frucht dieses Buch wäre, und irgendein aufmerksamer Leser könnte mich darauf hinweisen, mir ein Erwachen ermöglichen, das mir vielleicht immer gefehlt hat. Es scheint mir als ob die Metaphysiker folgende wesentliche Punkte vermeiden würden: Sie setzen die Kategorie der Erfahrung zu hoch an; sie werden vom Empirismus beherrscht, während sie sich zu Idealisten erklären; besonders Kant erklärt sich Idealist und offenbart sich bis zur Erhabenheit als Empirist; es scheint mir, dass ihn die Vorzeitigkeit der EMpfindung vor dem BIld nicht einmal bewegt: Dies ist ein derart grundlegendes Dogma für ihn, dass ich glaube, dass er es zu benennen vergessen hat; die metaphysischste Vermutung von allen, die, dass die WElt, das SEin nicht gegeben sei, hatte er nicht; dass die EMpfindung uns gegeben sei, dass die SInnlichkeit der WElt, der VArietäten oder SPezifizierungen die diese bietet oder verbietet, unterworfen sei, ist allerdings die größte Abneigung der MYstik. Sie setzen Anschauung mit Erfahrung gleich und es scheint ihnen, als ob alles ERfahrung sei, da jegliches Urteil den Darstellungen und Anschauungen obliegt. (Dass nur das Gefühlte existiert, ist nur die eine Hälfte des Idealismus; dass die fühlende Person, das Ich, das Subjekt, nicht existiert, ist die andere Hälfte. Daher entwirft man die mystische Verneinung im Angesicht der GEgebenen WElt, der WElt, der EMpfindung „ zu der wir kommen “ , oder „ die über uns hereinbricht “ , „ die uns gegeben ist “ wie es ihr gefällt, wie ein GOtt. Die Art von Verhältnis: Verlangen-freiwillige Bewegung unseres Körpers ist die einzige, welche die MYstik zwischen der sogenannten SInnlichkeit und ihren ZUständen entwirft). Das Urteil, die Intelligenz, hat Darstellungen zum Gegenstand (oder Objekt), aber diese sind sowohl Bilder als auch Wahrnehmungen (Bilder mit Zuschreibungen an die Äußerlichkeit). Man findet bei jenen, die sich Idealisten nennen, nirgends eine Konzeption davon, dass das Ich ein Realismus sei; dass das Ich eine Äußerlichkeit sei (zwecklos und inintelligibel) in Bezug auf den Zustand, in Bezug auf das Gefühlte; dass das Ich so fremd und äußerlich sei, in Bezug auf den Zustand, wie die Außenwelt, die Äußerlichkeit, die MAterie, in Bezug auf die Wahrnehmung. Dass dieses Ich, das als typisch für das Innerliche betrachtet wird, äußerlich ist (in Bezug auf den Zustand-Gefühltes), ist eine müßige Intelligibilität. Es ist erneut die vermeintliche SUbstanz der Zustände, die diese in Phantasmen verwandelt, in Schatten, prekäre Darstellungen und nicht in vollständige Stellungen der Präsenz. Zwei Realismen, MAterie und ICh, oder eine einzige, das ICh, sind gleichermaßen der absolute Realismus, das heißt, die Verneinung der Effektivität, Substantialität, für unsere Zustände. Die Kritik der Erkenntnis oder die MEtaphysik sind kein Ziel an und für sich; wer Angst hat, das ICh aufzulösen, verharrt in der kritischen Haltung, wenn er zum letzten Mal das ICh 152 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="153"?> vor sich hat und zum ersten Mal die MYstik; dies ist die abschließende These der KRitik. Angesichts der Antwort In der Sorge um die ERfahrung, die Kants Werk durchzieht, liegt etwas Abjektes. Wir finden sie bei beinahe allen Metaphysikern, aber bei Kant haben wir sie nicht erwartet, denn all der Noumenismus, der Substanzialismus, lässt die Erfahrung träumen, reduziert sie auf einen gespenstischen Schatten: Dass sich ein derart mächtiger Denker so sehr davor hütet, die Schatten zu verärgern, wirkt wie eine Inkongruenz. Aber vielleicht ist Kant ein genialer Analytiker der Räumlichkeit, der „ Vorstellung “ , so wie er und Schopenhauer sie engagierterweise nennen, ein Wissenschaftsphilosoph und ein Moralist; kurzum, ein absolut erdgebundener Denker, ein häuslicher Mensch frei von Verwunderung, kein Metaphysiker, das heißt, kein Kritiker-Mystiker. Schopenhauer hingegen erscheint mir sehr wohl von der Verwunderung über das Sein berührt. Dass etwas ist, dass eine Wahrnehmung, ein Schmerz, ein Jubel, ein Urteil geschieht, dass sie sind, in der Subjektivität - einziges Feld oder Form des Geschehens - , dass mir etwas geschieht, ist also nichts, findet statt. Wenn es nicht ist und in mir geschieht und all dieses Geschehen nichts weiter ist, nicht mehr ist, als das, was es in mir ist oder umgekehrt: Dass ein Ich, das nichts weiter als ein Mein-Ich sein kann, kurzum ICh, dem Sein geschieht; dass beim Geschehen, den „ Veränderungen “ ein Ich geschieht; dass das SEin immer Ich-geschieht, Ich-sei, das ist das Mysterium, ganz egal, ob es beim Geschehen eine kausale Ordnung zeigt oder nicht, ob ein jeder Zustand des Seins, jede Veränderung in der universellen und einzigen Subjektivität, die ich bin (dieses Ich, das, da es einzigartig ist, ist nichts, denn ich bedeutet nur „ anderer “ ), eine Vorgeschichte hat, Nachfolger und sogar simultane Korrelationen (nicht noumenisch, klarerweise), derzeit nicht gefühlte, aber fühlbar, das heißt gleich geartet wie das Gefühlte, daher begreifbar und nicht wie die unzugängliche verbale Begreifbarkeit des Noumenons. Derartige Korrelationen, die zum Gefühlten parallel verlaufen, sind intelligibel aber unbegründet. Auch das Zwingende von Vorgeschichten und Nachfolgern erscheint mir unbegründet: meine Sinnlichkeit, die SInnlichkeit, hat ständig absolute Beginne, wenn die ZEit real ist; wenn die ZEit nichts ist, dann gibt es auch keine Sequenz. Wenn die Zeit real ist, dann gibt es Intervalle aus bloßer Zeit zwischen Zuständen und daher geht ihnen das Nichts voraus. Kants Sorge um die Erfahrung brachte ihn davon ab, das MYsterium wahrzunehmen, in dessen Nähe sein Geist vielleicht einmal vorübergeht: Die Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 153 <?page no="154"?> Kontingenz oder Eventualität der Anschauung, der Tatsachen der Erfahrung, eine Kontingenz, die er wiederholt festzustellen und zu bestätigen glaubt, ohne zu bemerken, dass dies das gesamte Problem war, dass es das war, was man negieren sollte oder aber die intellektuelle Hoffnung aufgeben sollte, die Beruhigung der Intelligenz, die Intelligibilität des SEins, was dasselbe ist, wie die INtelligenz des SEins. Wenn das Sein inintelligibel ist, die Intelligenz inintelligibel ist, das heißt, inexistent, und eine Frage, dann wäre es nie geboren worden. Ich betätige mich hier in Dialektik, so wie Kant sich in Dialektiken betätigt, obwohl er, in bestimmten Momenten, die Dialektik geringschätzt. Ich glaube, dass die Dialektik keine Macht besitzt, nicht einmal gegenüber der DIalektik. Und ich glaube nicht, unabhängig von Schopenhauer, dass die Anschauung Zweck aller Vernunftschlüsse in der Geometrie sei, sondern, dass sich alle Dialektik, Doktrin und Kunst, alle Unterhaltung oder Bücher, verbalen oder anderen Anstrengungen anschließen, um den Gesprächspartner oder Zuschauer zur selben Anschauung zu führen, wie sie in unserer Einbildungskraft ist oder unsere Wahrnehmung ist, kurzum zum selben Bild, das aus Bildern und einer räumlichen und zeitlichen Anordnung, mit der wir sehen, anfassen, anschauen. Kant dachte nicht, dass die Autonomie, die Kontingenz, die Eventualität der VArietät oder SPezifität, das heißt der „ Fälle “ der ANschauung, die erste nicht kompromissbereite Abneigung der MYstik waren. Er ging an diesem Abgrund des SEins vorbei und mir scheint es, dass seine dringlichen und vervielfachten Behauptungen über die Freiheit der ERfahrung bezüglich der SInnlichkeit vor Unsicherheit zittern. Es scheint als wolle er ihr ein Axiom prägen oder modellieren, als wolle er das Nicht-Verstehen, die Blindheit mit einem Axiom in der Metaphysik ausstatten, deren Dogma die Freiheit ist, die Kausalität der Varietäten mit Kausalität in ihrer Anordnung. Das Axiom, nicht der Ignoranz, sondern des Wissens würde ich fröhlich sagen, das mystische Axiom, das ich formuliere, besagt im Gegenteil: Die WElt, die ERfahrung (d. h. intern-extern), das SEin ist nicht GEgeben; wir sind die Erfahrung, wir ereignen uns in unseren Zuständen. Die Wissenschaft glaubt die Ordnung, die Wiederholung der Ordnung, der Vergangenheit in der Zukunft, vorherzusagen; die Mystik ahnt die gesamte Varietät voraus, und nicht nur ihre nicht erfahrene Ordnung. In der provisorischen Sprache - denn ich verneine das ICh und die ZUkunft - kündigt die Wissenschaft die Wiederholung der Ordnung der Erscheinung der vorher wahrgenommenen Varietäten (des Gefühlten) an. Für die MYstik hat diese Ordnung weder Gültigkeit noch Bedeutung und falls doch, dann nur die Fälle der gefühlten VArietät, die sie ohne Erfahrung kennt. 154 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="155"?> Kausalität In Kants Ehrerbietungen an die ERfahrung steckt eine Furcht vor der Komik, eine Spur von Blamage. Und sie reicht an ein energisches und lästiges sentimentales Falsett heran, wenn er sich für verliebt in die „ unabänderliche Ordnung “ oder „ universelle Regulierung “ dieser verehrten ERfahrung erklärt. Untersuchen wir diese Ordnung: die KAusalität. Dieses Problem hat meine Untersuchung am stärksten verzögert, denn von Beginn an hatten wir die Versicherung, der die Psychologen und Metaphysiker zustimmen, dass es zwischen den Bildern der Realität und der Träumerei keine intrinsische Differenz gibt; es galt nur noch sie im Relationalen zu suchen. Es sind die gleichen Zustände, die manchmal Träumerei sind, manchmal Realität. Das schwierige Konzept der RElation, im Pluralismus, im Wirbel der „ Zustände “ , konkretisiert seine Bedeutung in dem der KAusalität; Trennung von Zeit und Raum, relative Positionen der beiden Zustände in der Zeit oder im Raum könnten „ ihre Relation “ genannt werden, aber was wir suchen ist nur die angrenzende und unveränderliche zeitliche Position, die unveränderliche Sequenz, indem wir alle Trennungen und alle veränderlichen, zufälligen Angrenzungen eliminieren. Nun gut; die Kausalität ist eine meiner erwünschten Negationen. Ich muss erklären, dass meine Gelassenheit es im Angesicht des Problems schwer hat und ich wünschte, dass der Leser meine Versicherungen der Kritik der Kausalität mit Misskredit betrachtet und ihnen eine absolute Zuverlässigkeit abverlangt. Ich wollte sie immer negieren, erstens, weil es mich wundert, dass die Metaphysiker, die Logiker, die Weisen, die Moralisten sich für Lobsänger halten, sobald sich eine Gelegenheit bietet, „ die ewige Ordnung der DInge “ zu wiederholen. Kann man wirklich eine derart verdorbene und unästhetische Seele haben, dass sich die Schönheit der WElt durch die KAusalität begünstigt fühlt? Das SEin mit einem Zeitplan auf der Stirn, einem Almanach? Zweitens wollte ich sie immer negieren, weil ich einen ihrer Fälle negieren wollte, der die Frage der Unsterblichkeit betrifft, die Verursachung Körper- Seele; denn obwohl der Körper eine Bildergruppe ist (visuell, taktil, thermisch, muskulär usw.) wie die der Träumerei, befindet sich der Körper, mein Körper, in meinem Geist, ist er ein Traum von ihr, mein Körper ist Seele, so wie alles Seele ist; eine unveränderliche Sequenz zwischen den Bildern, die ich Körper nenne, und die anderen meines Geistes, obwohl alle Zustände sind, alle Träumereien sind. Es wäre eine allem interne Kausalität, denn Träumerei ist alles, obwohl es eine gibt, die vollkommen kausal ist (REalität) und eine andere, vollkommen oder teilweise oder gar nicht intern kausal ist, aber nie kausal in Bezug auf jene (TRäumerei); das Geträumte stimmt weder mit der vorherigen Realität überein Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 155 <?page no="156"?> noch wirkt es auf das Wachen, das auf sie folgt. Eine „ unveränderliche Sequenz “ erzeugt Kausalität, sei das SEin Realität oder Träumerei. Und wenn in diesem ganzen Träumen der SInnlichkeit (denn REalität bedeutet nicht außerhalb der SInnlichkeit, sondern geträumt innerhalb des Gesetzes der KAusalität; SInnlichkeit, Subjektivität ist alles was es gibt und ist ganz Traum. Es gibt nichts, was nicht Traum ist; „ nicht geträumtes Existentes “ ist eine Verbalität; was nicht „ aktuell in einer Sinnlichkeit “ ist, ist nichts; „ Tod “ oder „ Nichts “ bedeuten außerhalb der „ gefühlten Aktualität “ zu sein; etwas Unmögliches; mehr noch: dass es etwas gäbe, sei, und nicht in mir ist, ist mein Tod, das wäre mein Nichts) das Bild „ Mein-Körper “ ein jedes andere Bild und mein Fühlen begleitet und umgekehrt, wird jede Betroffenheit in Bezug auf jenes Bild „ Mein-Körper “ gefolgt von Zuständen in mir. Die unveränderliche Sequenz Körper-Seele ist klar umrissen, so wie die Implikation (qua INduktion oder qua MYstik, die die Zukunft verneint) der Zerstörung des Fühlens mit der Zerstörung des Körperbildes. Dass es nichts außer des Gefühlten gibt, ist die subjektivistische Bestätigung (die sich dann in der mystischen Bestätigung perfektioniert, die weder Subjektivität noch Objektivität wahrnimmt) und das ist, was der Spruch bedeutet: Das SEin ist vollkommen Träumerei, ganz egal ob es kausal ist oder nicht. Damit wird ein Korrelativ (Noumenon, Substanz) verneint, das ein weder gefühltes Korrelativ noch ein fühlbares des Gefühlten ist, oder eine URsache (Materie, UNbewusstes, NOumenon), die eine nicht fühlende Ursache und eine gefühlte des Gefühlten ist. Aber kann es ein gefühltes oder fühlbares Korrelativ eines jeglichen gefühlten Zustandes geben? Das bedeutet, sich zu fragen, ob es „ das von anderen Gefühlte “ gibt, Taten anderer Sinnlichkeiten, die nicht in der meinen stattfanden, und andererseits, ob es eine Zukunft meines Fühlens gibt und, ob die Vergangenheit meines Fühlens etwas ist. Sind die Fremdheit und die Nicht-Aktualität des Fühlens Ideen? Sind sie denkbar? Gibt es einen konkreten Akt des Verstehens, eine Auffassung in diesen Verbalisierungen: „ andere Sinnlichkeit “ , „ nicht-aktueller Sinn “ , „ nicht-mein und nicht-präsenter Sinn “ ? Es war die Rastlosigkeit, die Kant verwirrterweise dazu bewegte (ich spreche von einem erträumten Kant, da ich von anderen-Ichs spreche, von der Effektivität der Vergangenheit, und, aus derselben Anforderung, werde ich sagen, dass ich hier für mich spreche und schreibe, nicht weil ich es nötig hätte zu sprechen, Wörter zu haben, um zu denken, sondern um mich anzuregen und um Zeichen derAnrufung aufzubewahren, um es wieder zu denken, Zeichen, die mich zu Bildern führen - und es sind auditive Bilder, aber auch visuelle - ohne die sie für mich nutzlos wären. Und auch das sage ich für mich, um mich später 156 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="157"?> an den Grund für mein Aufschreiben und Schreiben zu erinnern. Diese Zeilen sind eine Gegenwärtigkeit, die ich irgendwie aus meiner Zukunft erstelle, diese aktuellen Zeilen werden häufig wieder vor meinen Augen zu einem Jetzt werden und werden mir mehrfach die gegenwärtige Denkarbeit ersparen mit der ich sie formuliere. Für mein zukünftiges Ich verfasst, und dies ist dasselbe wie zu anderen zu sprechen, denn dieses ist kein kleineres Mysterium als das aktuelle nicht-meine Ich) die absurde Aussage der „ Anschauung der Zustände eines anderen Bewusstseins “ zu treffen. 65 Die Auffassungen „ hier gefühlt “ , „ jetzt 65 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Mich inspiriert, zweifellos, im Satzbau, nicht im Denken, der großartige und untreue, dem Publikum gegenüber, nicht mir gegenüber, Schopenhauer. Und ich kann nicht weniger als, während ich mich von meinem Leser und ihm verabschiede (er stattete mir vorgestern einen glorreichen Besuch ab und, da ich mich erinnerte, dass wir dasselbe Autorenalter hatten und nicht jene zwanzig Jahre, die ich alt war als ich den Denker Malagarriga mit Bergson bekannt machte und er mir im Gegenzug Schopenhauer schenkte; ein gemeines Geschäft mit dem Freund war das Resultat, wenngleich nicht meine Intention), ich konnte nicht weniger als mich von ihm verabschieden indem ich ihm zwischen bitter und bitter sagte, dass die Vorwürfe unter Gleichen bitter und süß sind: Nur die Liebe macht gleich oder ist Gleichheit, die es zu benennen verdiente; aber hier war das Bittere nicht aus der Zuneigung entstanden: es war die Bitterkeit des Mate-Tees, die argentinische Süße aus Süd-Südamerika, mit der Schopenhauer und ich unseren Umgang versüßt haben: * „ Ach Schopenhauer, wenn Sie doch dem Leser ein derart guter Freund wie mir gewesen wären, dann hätten Sie auf dieses ICh verzichtet, das Sie in der bedauerlichen Grammatikalität „ Subjekt-Objekt “ vakant halten. (Schauen Sie, auch ein Metaphysiker, der sich vom harmlosesten, das es auf der Welt gibt, der Grammatik, wegzaubern lässt, der vom Dualismus der Lektüren getäuscht gelebt hat, indem er glaubte, dass das groteske und witzige, schreckliche und verführerische SEin, der Horror und das Idyll des Seins, das sich von der unausweichlichen Ewigkeit erschrecken lässt wie Sie und ich, ebenfalls im ÖFfentlichen (VErpflichtend! ) UNterrichtssystem ein wenig erzogen wurde, verheimlicht wurde, um es dann, nach zahlreichen Verzögerungen, Ankündigungen, Absagen und in einem grandiosen ENde, im WIllen zu verorten: Das ist eine oberflächliche Lösung; er dachte nicht, dass, wenn etwas ein Ich benötigt, alles ein Ich benötigt; da alles ein Zustand ist, ein Fühlen, wenn der Wille das Ich ist (der VOrstellung), was ist dann das Ich des Willens? Und wenn der WIlle (einfach Verlangen, Appetit) kein Zustand ist, dann ist er nichts. Was nicht ist, ist deine VOrstellung: die LUst und UNlust, die AFfizierung, ist alles. Deine arme VOrstellung, die nichts weiter als die RÄumlichkeit ist, eine kleine Seite Geometrie im Angesicht der LEidenschaft, der Agonien, des idyllischen Deliriums! Schopenhauer! Schopenhauer! ) “ . * [Fußnote in der Fußnote des Autors, Macedonio Fernández ] Da wir uns von Anfang an getroffen haben, Leser, sind wir mittlerweile so vertraut, dass ihr durcheinandergebrachten Parenthesen keine Beachtung schenkt; es sind Fehler, die ins Schwarze treffen können und ich setze sie zufällig, für den Fall, dass sie aufklären wenn es im Dunkeln noch dunkler wird. Ich finde mich hier auf verworrenste Weise, Leser: hier können die Fehler mehr als die Autoren. Und ich nehme dich als Beispiel, Leser: Dein glücklicher Fehler bestand darin, mich in den Momenten zu finden, in denen ich mich mit Domínguez von Hobbes trennte, denn obwohl ich die LÖsung nicht gefunden habe, Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 157 <?page no="158"?> gefühlt “ , „ zuvor gefühlt “ , in der Verschiebung des Raums und der Zeit, sind das Problem. Alle, oder die meisten, Perplexitäten, die ich hier anspreche, sind eine Frage der Kausalität; mein Fühlen ist, zum Beispiel, eine kausale Auffassung. Weder die (kausale) Autonomie der Außenwelt: Empfindungen, Wahrnehmungen; noch die (kausale) Willkür der Bilder und bestimmter Bewegungen einer gewissen Materie namens Mein-Körper, sind einfach zu beweisen, wahrzunehmen; außerdem sind sie Kausalitäten. Ich habe einige Behauptungen in Bezug auf das Problem der KAusalität gewonnen, die, meiner Meinung nach, noch nicht von anderen Forschern umrissen worden sind: 1. Dass VArietät und KAusalität zwischen Varietäten das ganze SEin und den gesamten relationalen, möglichen, vielleicht effektiven, aber nicht notwendigen Aspekt ausmachen, da das Problem der KAusalität dasselbe ist, wie das, was man das Problem der Legitimität der Induktion zu nennen pflegt, welches von Logikern und Physikern bevorzugt wird, beinahe ein Wettstreit von Rätsellösern, und weder gelöst wurde noch ungelöst belassen wurde, noch ohne eine ausgiebige Verbalisierung mit einer guten Struktur versehen wurde, um als Verarbeitung oder Lösung zu erscheinen. Die Neuigkeit, die ich meinerseits! beisteuere ist die folgende: Wenn es Zukunft gibt, dann gibt es für sie keine Lösung; wenn alle beurteilte Zeit Vergangenheit ist, dann ist ein Urteil über eine Tat, die dem Urteil nicht vorangeht, bloße Verbalität und die INduktion ist kein Problem. 2. Dass die Kausalität, die „ unmittelbare Sequenz zweier Veränderungen “ für die ZEit das ist, was das Problem der Arten - unveränderliche und angrenzende Simultaneität der Charakter und Eigenschaften - für das Räumliche ist, das heißt, des rein Räumlichen in der reinen Subjektivität, was das Unbewegte ist, die simultane Koexistenz von Teilen, die sich in ihrem inneren räumlichen Verhältnis nicht verändern, selbst wenn die äußerlichen Positionen sich verändern (Aspekt der Bewegung) und sich dieses in seiner Gesamtheit verändert, bei jeder Veränderung der Position unserer Person und in Proportion zu unserer Positionsveränderung. 3. Dass alle Gesetze, Eigenschaften, Kräfte, Wahrheiten, Prinzipien, die wir in einer subjektiv beobachteten Frequenz der Sequenz suchen, um sie für permanent zu erklären, das heißt, kausal und nicht zufällige Sequenz, Namen sind, sprach niemand so tiefgründig zu Dir wie hier, denn nur ich weiß, dass man das MYsterium der LEidenschaft erklären muss und nicht das der GEometrie, die sich leicht überlisten lässt: ich werde dich nicht mit Positionen, Kräften, Figuren, Ausdehnungen schulen, sondern mit Beruhigungen im SEin und grenzenlosem Streben in der LEidenschaft. Was hast du mir gesagt, Leser? … Ich dachte, dich gehört zu haben … 158 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="159"?> etwas pompöse Namen, für eine einfache Bestätigung einer anderen Sequenz, die für jene modellhaft ist. Zum Beispiel sind die Schwerkraft, die Affinität, die „ Kommunikation der Bewegung “ durch einen Zusammenstoß mit korrelativem Bewegungsverlust in Übereinstimmung mit dem „ Energieerhaltungssatz “ im Wesentlichen Bestätigungen der unveränderten Sequenzen, die subjektiv bekannt sind, wie es die gewöhnliche Frequenz ist, deren „ Prinzip “ oder „ Kraft “ wir suchen, um sie als kausal zu deklarieren und daher als ewig (INduktion). Auf diese Weise spielt das Wort „ Affinität “ (die der Wasserstoff zum Sauerstoff hat) darauf an, dass wir immer Wasser entstehen sehen haben, wenn H und O unter gewissen Bedingungen, wie Nähe, Druck, Temperatur, elektrische Ladung, Licht, Magnetisierung usw., anwesend waren (All diese Bezeichnungen enden in einer Visualität oder Taktilität: Lichtwelle ist eine Verbalität, mit der wir Reste von visuellen Wahrnehmungen assoziieren, von Bewegungen, die dem Sehvermögen zugänglich sind, obwohl die Bewegung der Lichtwelle, des Äthers oder einer anderen Verbalität, per Definition dem Sehvermögen unzugänglich ist). Von einer subjektiv wahrgenommenen Frequenz gehen wir zu einem Gesetz oder einer konzeptuellen Kraft über, die nicht wahrgenommen wird, wie die ANziehung, die nichts weiter ist, als die Bezeichnung für die oben genannte Sequenz. Ein Ereignis erklärt sich nicht durch ein Gesetz, selbst wenn man sie aus Gründen des Nutzens zu einem Gesetz erklärt; sie ist das Gesetz und die Eigenschaften. Die Eigenschaft, Affinität oder Anziehung, sind müßige Entitäten; die unmittelbare, unveränderliche und subjektive Sequenz von zwei Veränderungen ist der Beginn und das Ende aller Eigenschaft, jeglichen Gesetzes und Prinzips. Die „ Materie “ des Lichts, die auf unsere Netzhaut schlägt, ist eine Angleichung (aufgrund von Ähnlichkeit einiger Effekte) ans Visuelle und Berührbare (was all das ist, was wir das MAterielle nennen) von etwas, das per Definition weder gesehen noch berührt wird. Selbst die Entität „ MAterie “ ist eine falsche „ Spezies “ , wie jede Spezies: die Gruppe ihrer unabänderlich gemeinsamen Eigenschaften, wie die Merkmale des „ Hundes “ oder der „ Rose “ , werden nie vollkommen erfüllt: sie bleibt nur als Konzeptualität, unendlich überarbeitet, eingespannt, um eine Subjektivität zu behalten, eine Effektivität, die sich nicht an sie anpasst und diese Subjektivität, die erste und letzte, ist das Einzige, was es anzupassen gilt. In den Gesetzen von Proust, 66 von Dalton, 67 im Konzept von Masse, Gewicht, spezifischem Gewicht, Kohäsion und Schwerkraft, in den Ideationen der Termini „ Atom “ , „ Molekül “ , „ Zentren der 66 Hier scheint sich Macedonio Fernández auf den französischen Chemiker Joseph Louis Proust (1754 - 1826) zu beziehen, der das Gesetz der konstanten Proportionen formulierte, ein grundlegendes Prinzip der Chemie. 67 Es handelt sich hier wohl um den englischen Naturforscher John Dalton (1766 - 1844), der aufgrund seiner Beiträge zur Atomtheorie als Wegbereiter der Chemie betrachtet wird; in Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 159 <?page no="160"?> Kraft “ , im Gesetz der Wahrscheinlichkeit, dessen Gültigkeit der Name einer Summe von Verstößen ist und sogar das erste Glück oder Zufall, gibt es eine mathematische Unmöglichkeit: Die Serie der Ereignisse gleicher Wahrscheinlichkeit bricht, allein schon beim Beginnen, das Gesetz, die Gesetze von Bernouilli; 68 die ewige Unklarheit des Gesetzes von Angebot und Nachfrage, eher eine Tautologie als eine Feststellung; die biologischen; Organ und Funktion, Differentiation, Extension und Intensität, Arbeitsteilung, Kompensation von Überschuss und Unterversorgung der Organe oder Funktionen; die psychologischen: Erinnerung und Interesse, Aufmerksamkeit und Interesse, Assoziation, Emotion und Ideation: Alle Anordnungsformeln des Phänomenalismus des Seins sind beinahe immer Tautologien, und im Übrigen Frequenzen der Sequenz oder der Simultaneität. 4. Dass einerseits die Vielheit der unabhängigen und zeitgleichen Kausalketten, andererseits die Unendlichkeit der Ereignisse und Dinge - was die zwei vorherrschenden Auffassungen der Konzeption sind, mit der wir die ÄUßerlichkeit konstruieren; eine AUßenwelt, nicht nur aus unzählbaren Ereignissen und Dingen, sondern aus Ereignissen und Dingen, die in untereinander nicht verbundenen und auch unzählbaren Kausalketten platziert werden - , der SUbjektivität ein Spektakel präsentieren, in dem die Zufälligkeit der Sequenzen das Höchste ist. Es ist insignifikant was sich der Subjektivität, der Wahrnehmung, in ihrer unveränderten Sequenz präsentiert, selbst wenn jegliches Ereignis in einer unveränderten Sequenz verortet wäre. Wenn dem so ist, dass die gleichzeitigen Ereignisse unzählbar viele sind, unbegrenzt die Gesamtheit der Dinge und Ereignisse, dann ist keine reine, das heißt, bedingungslose Vorhersage möglich und die geäußerten Kausalitäten, die sich bestätigen, wenn die Äußerung rein ist, sind zufällig. Ich werde sehen, wie sich das H und das O an einem bestimmten Tag und Ort verbinden; ich werde es heute um 6 Uhr 15 regnen sehen. Dies ist die einzige reine Vorhersage, die einzige, die brauchbar, nützlich wäre sowie die einzige, die nie oder fast nie bestätigt würde. Die wissenschaftliche Vorhersage lautet: „ Wenn sich ein bestimmtes Ereignis unter den genau gleichen Umständen ereignet, unter denen wir es sich an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Moment der Vergangenheit erzeugen sehen haben, dann wird ihm jenes andere Ereignis unmittelbar folgen. “ Da diese den USA ist die atomare Masseneinheit „ u “ nach ihm benannt und mit dem Einheitenzeichen „ Da “ versehen worden. 68 Das nach dem Schweizer Mathematiker und Physiker Daniel Bernoulli (1700 - 1782) benannte Gesetz (auch Bernoulli-Gleichung) ist eine Aussage über Strömungen, das eine wichtige Grundlage für Berechnungen von Hydro- und Aerodynamiken darstellt. Bernouilli entwickelte dieses Gesetz zusammen mit dem italienischen Physiker Giovanni Battista Venturi (1746 - 1822). 160 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="161"?> Umstände alle unzählbaren Ereignisse sind, die zeitgleich mit dem beobachteten Ereignis-Ursache sind, ist die Voraussage inhaltslos. ‚ Es wird an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Uhrzeit regnen ‘ ist bereits keine reine Vorhersage mehr, wie es ‚ ich werde es regnen sehen ‘ ist. Es ist meine Subjektivität, die etwas vorhersehen will und die sehen muss. Ich kann an dieser Stelle meine Position nicht besser verteidigen und verweise auf die vorhergehenden Seiten. Ich wollte sagen, dass diese unnachgiebige Ordnung der Phänomene, die dazu gemacht ist, unser Wohlbefinden mittels der „ Vorhersagen “ , die sie erlaubt, zu beschützen, unserem Wohlbefinden niemals gedient hat, denn selbst wenn sie existieren würde, wäre sie, laut der Hypothese der ÄUßerlichkeit oder AUßenwelt, unbrauchbar, aufgrund der Unzählbarkeit der gleichzeitigen Ereignisse. Abgesehen davon, dass ihre Nutzung sowohl vorher Forschung als auch anschließend Opfer verlangen würde, so wie die Arbeiten und die Trauer, die man aufgrund der Kenntnisse der Zukunft vermeiden möchte; denn wenn Forschung, Arbeit oder Entbehrungen stets mindere Schmerzen sind, als jene, die man durch sie vermeidet, dann ist die Welt auf hübsche Weise zurechtgemacht, damit der Mensch glücklich oder beinahe glücklich ist, was ein außergewöhnliches Glück ist, für den, der daran glaubt, wie Kant und all die nicht-mystischen Spekulanten, dass die ERfahrung frei ist, dass die WElt weder Verpflichtungen noch Verwandtschaft mit dem BEwusstsein hat und dass sie gleichermaßen höllisch und idyllisch sein kann. Meinerseits glaube ich weder an die Freiheit der ERfahrung oder die Zufälligkeit der kausalen WElt (dass die Welt kausal ist, ist eine Zufälligkeit, da sie unabhängig von uns, von der kausalistischen INtelligenz und von der SInnlichkeit ist, und sie konnte oder konnte nicht mit dem kausalistischen Appetit von Schopenhauers wertvollem VErstand übereinstimmen) noch an die Wahrscheinlichkeiten des Glücks der Sinnlichkeit. In meiner Sprache bedeutet Wahrscheinlichkeit sich ereignete Frequenz, konkret beobachtete Frequenz in der Vergangenheit. Es verblüfft, beim Pessimisten Schopenhauer zu lesen, dass eine kleine vorgreifende Anstrengung viel Leid ersparen soll, und bei Spencer, dass es in unserer Umgebung unzählbar viele Dinge und Umstände geben soll, die stören, lästig sind und mithilfe einer kleinen Anstrengung im Bereich der Forschung oder Manipulation einen großen Vorteil für uns darstellen könnten. Spencer vergisst, wie lästig Anstrengung ist, wie kurzlebig ihre Ergebnisse sind und wie fragil das Vergnügen, die meisten Vorteile und Vereinbarungen, die Gewissheit des Leids der anstrengenden Arbeit sind, und dass dieses Leid, üblicherweise, aufgrund der emotionalen Psychologie der Anstrengung, umso lebendiger ist, umso stärker es der Situation vorgreift, die er zu vermeiden oder (wenn sie genussvoll ist) zu erwecken versucht und dies verschlimmert sich mit der Überlegung, dass, umso weniger sicher eine Tatsache ist, sie umso weiter Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 161 <?page no="162"?> entfernt von der Jetztzeit ist und dass die Früchte der Anstrengung umso unsicherer sind. 69 Weitere Aspekte der Kausalität: 5. Alle Wahrheiten, die jahrhundertelang (die Tage meines Lebens sind diese Jahrhunderte; es gibt keine anderen) geglaubt wurden, all diese unveränderten Sequenzen, die sich dann berichtigen, sind keine schlecht beobachteten Sequenzen (dies ist die übliche Ausrede, um das kausale Prinzip zu retten), es sind vielmehr Sequenzen, die enden; dass es Sequenzen gibt, die sich sehr viele Male ereignet haben, das ist wahr; es sind die, die ich Frequenzen nenne; aber dass keine in meiner Vergangenheit, die all mein SEin ist, stets vollendet wurde, ist ebenfalls wahr; eine Vergangenheit von vierzig Jahren, das heißt, dass wir dem Leben eine theoretische Länge geben, gleich dem Erinnerungsvermögen, dessen karges Fassungsvermögen nicht die Ereignisse eines Tages überschreitet, ein einfaches Gestern, kurz und nah, zerstört diese Theorie mit der Zurückhaltung und Annäherung der Ereignisse, die es uns bietet. 70 6. Für die unmittelbare Sequenz gibt es keine Zukünftigkeit, da sie stets dieselbe sein wird. Ist die Idee der Zukünftigkeit als Kategorie erst einmal zerstört, dann bleibt nur noch die Zukünftigkeit des Zufälligen. Ich weiß, dass es immer wenn es donnert, regnen wird, aber ich weiß nicht, wann es donnern wird, daher weiß ich nicht, wann es regnen wird; das ist ZUfälligkeit; durch eine Gesamtheit an Phänomenen, die alle sequenziell geleitet werden und in der alle in einer unmittelbaren Sequenz aneinandergebunden sind, wird sich, in jeder Zukunft, dadurch, dass das vorhergehende Phänomen der unmittelbaren Sequenz gegeben ist, das darauffolgende Phänomen ergeben. Aber da es sich um eine unendliche Zahl an unabhängigen und interferierenden sequenziellen Serien handelt, ist die konkrete Vorhersage „ Morgen wird es an diesem Ort zu dieser Zeit regnen “ absolut unmöglich. Es kann sein, dass es eine Minute früher regnet und dies führt uns zur Unterteilung der Zeit. 69 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Ich möchte eine weitere persönliche Beobachtung der Kritik am „ Praktischen “ der KAusalität hinzufügen. Der gesamte Positivismus nimmt die These einer materiellen Welt ohne Grenzen an oder eine, die so weitläufig ist, dass sie als unerschöpflich gilt. Was für eine Vorhersage ist möglich, wenn die Summe der Materie und der Bewegung, die sich einmischen kann, wenn die Summe der Faktoren, die zwischen einer Veränderung und einer weiteren vermitteln, unbegrenzt ist? Welche Garantien trägt das Prinzip der Unzerstörbarkeit und Erhaltung bei und welche Feststellung hat dieses Prinzip erbracht, wenn es unbegrenzt Ersatzmaterie und Ersatzbewegung gibt, deren Effekt genau derselbe ist, wie der einer Schöpfung? 70 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Auch wenn das Problem der TRäumerei nicht die ganze MEtaphysik ist, so mussten wir doch alle ihre essentiellen Probleme behandeln. 162 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="163"?> Dieses theoretische Wissen berechtigt selten eine Vorhersage, denn wir wissen nicht wann sich das vorherige Phänomen ergeben wird, denn seinerseits kennen wir das unveränderliche Phänomen, das diesem vorherigen vorhergeht. Und wenn wir dieses dritte Phänomen kennen, dann kennen wir das vierte oder das fünfte nicht. Die unmittelbare Sequenz ist dieselbe, aber der Zeitrahmen und der Raum mit denen es erscheint, das heißt, die ZUfälligkeit, ist nur in kleinsten Portionen vorhersehbar, die keine Vorhersage zulassen. Wenn man trotzdem immer noch über ZUkünftigkeit sprechen möchte, dann wird sie nur noch in dem Moment existieren, in dem sich das Bild in der Simultaneität mit einem Zustand der „ Mithandlung “ befindet, anders gesagt, von sich entwickelnder (muskulärer oder mentaler) Leistung. Dieses Bild ist das, was wir Bild eines zukünftigen Tages oder an die „ Zukunft “ denken nennen. Ein Beispiel: ich drehe mich um und sehe, dass der Kalender sagt, dass heute der 1. Juni sei. Oh, heute habe ich Geburtstag, sage ich; für mich ändert sich alles. Oder, wenn dem nicht so ist: Ich betrete mein Schlafzimmer und ich sehe, dass das ganze Essen verschwunden ist; der Hund hat sich Zugang verschafft; vielleicht hat jemand die Tür geöffnet, oder ich habe vergessen sie zu schließen; vielleicht hat sich der Hund losgerissen, er könnte jemanden beißen usw.; das heißt, mein Verhalten verändert sich im Angesicht des Bildes. Im Fall der Trambahn, an die ich denke, handelt es sich im Gegenteil um ein Ereignis, das nicht der Zukünftigkeit angehört, weil ich nichts erwarte, weil es keine Mithandlung gibt, keine Vorbereitung, keinerlei Angst. 7. Da die Idee der Zukünftigkeit als Kategorie hiermit zerstört ist, das heißt, da die negative Kritik der KAusalität verfasst wurde, geht es nun darum zu erklären, wie die sequenzielle Welt nur ein einziges Mal gegeben sein kann. Man wird zweifeln, aber es ist sicher, dass der Glaube beim Wahrnehmen augenblicklich einsetzt; mit der gesamten Kraft der Aufmerksamkeit, ein Ereignis der zeitlichen oder räumlichen Angrenzung. So, dass wir dann, wenn wir einmal wahrgenommen haben, dass nach einem Hammerschlag auf ein Glas das Geräusch und der visuelle Aspekt des Bruchs folgt, keine Wiederholung des Phänomens erwartet haben, um für immer zu glauben, dass der Hammer das Glas in dem Moment kaputt machen wird, in dem man mit gleichem Impuls draufschlagen wird. Das ist was ich wie folgt nenne: die Welt ereignet sich nur ein einziges Mal; und während wir diese Situation analysieren, kommt sich sofort die Sequenz selbst vorstellen, als neue Sequenz, ebenfalls perfekt angrenzend und auch ewig: die Sequenz eines Glaubens mit der Wahrnehmung einer Angrenzung. Es ist sinnvoll zu behaupten: Der Krach und das Absplittern des Glases unmittelbar nach dem Hammerschlag werden immer wieder auftreten und so auch mein Glaube daran. Hier gibt es offensichtlich ein Wortspiel und ein Spiel mit der Aussage, die die Wahrheit, die ich darlege, nicht beein- Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 163 <?page no="164"?> flussen. Ich behaupte, dass ich dieses materielle Geschehnis immer so geschehen sehen habe und ich habe immer gesehen, dass eine jede Person beim ersten Eindruck dieses angrenzenden materiellen Geschehnisses nicht erwartet, dass jemals etwas anderes passieren würde. Gleichwohl habe ich gesehen, dass dieser Glaube durch den realen Ablauf in Millionen von Fällen bestätigt wurde; ich sage Millionen, da ich von einem professionellen Glaszerstörer ausgehe, der acht Stunden täglich dreißig Jahre lang nur diese eine Tätigkeit ausübt; man kann von Millionen von Ausdrücken dieses Glaubens sprechen. Der Glaube formte sich, aber durch eine einzige Erfahrung und dieser Glaube ist so stark wie nach einer Million von Erfahrungen; daher kritisiere ich die - häufig große Denker - , die das von der „ ausreichenden Zahl an Malen “ wiederholt haben; es ist die Kritik am Kriterium der INduktion. Die Dinge haben eine Ordnung der Wiederholung; sehr gut. Wie viele Beobachtungen sind notwendig, um eine Beständigkeit kundzutun? Hierin liegt der Maßstab. Ich behaupte, dass eine einzige Beobachtung der perfekten räumlichen oder zeitlichen Angrenzung ausreicht, solange auch wir in diesem Augenblick die größtmögliche Aufmerksamkeit darauf richten. Aber angesichts der Schwankungen unserer Aufmerksamkeitskraft, bietet es sich manchmal an, mehrere Beobachtungen durchzuführen. Im Übrigen gilt es festzustellen, dass es psychologischerweise nicht wichtig ist, wenn sich eine Sache fünfzig Mal bestätigt und einmal nicht, etc. Im Grunde, wenn ich eine zukünftige Abfolge mit einer Fehlermarge von 1 auf 50 behaupten kann, besitze ich ein fest etabliertes Wissen; andererseits, gibt es viele Fälle, in denen eine einzige Beobachtung der angrenzenden, unmittelbaren Abfolgen ausreicht; der Moment von Ursache und Wirkung oder ein angrenzendes, unmittelbares Paar. Die Schwierigkeit liegt darin, die Serie zu erkennen und von dem Punkt aus, die wenigen Wahrheiten, die wir besitzen; zum Beispiel: Ein Luftstoß lässt meinen Rücken kalt werden; das ist eine leicht erkennbare Sequenz, aber von diesem Punkt bis zum Husten, zum Ersticken, zum Kopfweh, zur Schwäche, gibt es mehr oder weniger große Schwierigkeiten, denn es handelt sich um zwei oder mehr Abschnitte: 1. dies impliziert, eine Sequenz im Inneren meines Körpers festzustellen; 2. mit dem Zusatz, dass es eine Menge an Serien im Körper gibt, die für das Sehen, den Tastsinn, das Gehör, den Geruchssinn unzugänglich sind (Unterschiede in der Farbe, im Aussehen, im Geruch, im Druck in meinen Lungen, die die Erkältung bestimmen). Außerdem: Wie viele Geschehnisse sind vergangen zwischen den beiden Geschehnissen (Luftstoß-Erkältung)? Zweifellos, unzählbar viele. 164 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="165"?> Ich werde immer daran glauben, aber den Glauben hatte ich nicht, als ich zum ersten Mal einen Hammer ein Glas treffen sah, wohingegen in der Folge das Bild vom Glauben begleitet sein wird, ich werde im Glauben sehen. Es ist das, was wir in der Folge bestätigt gesehen haben: 1. dass das Ereignis, die Aufeinanderfolge, eintritt 2. dass die Person, die sie einmal aufmerksam gesehen hat, immer glauben wird, dass sie so geschehen wird. Weil das Geschehnis immer in meiner aktuellen Retrospektion geschehen könnte und trotzdem nicht immer in meinem Glauben auftreten müsste. Hiermit habe ich das definiert, was ich sagen wollte und das, was praktisch gleich ist wie: eine sich nur ein einziges Mal ereignende Welt. Der metaphysische Sinn ist, dass das Fundament der INduktion eine vergebliche Suche ist, wie jene nach jeglichem Fundament. Und dass diese Evidenz, die ich präsentiert habe, die Situation beseitigt, in der die LOgik oder die MEtaphysik verharrten in Bezug auf das fragile Kriterium der Zahl der Beobachtungen, die benötigt werden, um einen Glauben zu begründen (oder ein „ Gesetz “ der Natur; oder ein „ Postulat “ der ORdnung; einen evasiven Modus; ich glaube, da ich beschließe zu glauben). Man gerät in diese Situation aufgrund der Kinderei, eine bestimmte Zahl von aufmerksamen Beobachtungen zuzuweisen und man ist unschlüssig bezüglich der Größe dieser Zahl oder man sagt „ genügend beobachtet “ usw., indem man dieser Zahl von Beobachtungen die Tugend zuschreibt, dass in irgendeiner Zukünftigkeit keinesfalls eine mögliche Zahl an gegenteiligen Beobachtungen auftreten könnte. Ich gelange zu meiner Feststellung auf der Grundlage, dass ich kein anderes Geschehen im Erfahrungsfeld gesehen habe. Ich stelle fest, dass mein Glaube stets in diese Richtung ging und dass ich einen ununterdrückbaren Impuls zum Glauben fühle, der sich irgendwann verändern wird. Ich ahne dies wiederum mit einer leichten Resonanz von Glauben, aber einer derart geringen, dass es niemanden gibt, auch mir ist das nie passiert, der daran zweifelt, dass ein Stein, der mit Kraft gegen eine Wand geschleudert wird, nach diesem Stoß abprallt. Es gibt keinen Grund für irgendetwas und es gibt auch keinen Grund, dass es so sei: es ist einfach nur. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, mit welch einer Unvermitteltheit mein Glaube bei der ersten Wahrnehmung einer Angrenzung zwischen diesen beiden Geschehnissen erzeugt wurde, dann wäre mir die Bereitschaft meines Glaubens für jegliche Zukünftigkeit schon früher bewusstgeworden und auch, dass eine Erfahrung der Angrenzung jetzt mehr wert ist als alle Freiheit des Zukünftigen. Ich verstand, dass alles erfahrungsbasiert ist, dass daher nichts begründbar ist und es auch nicht sein muss; meine Feststellung, dass alles erfahrungsbasiert ist, drückt meinen Glauben aus, aber auch den Glauben aller: Ich habe weder Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 165 <?page no="166"?> gesehen, dass die Erfahrungen perfekter Angrenzung aufgehört hätten sich einheitlich zu wiederholen, noch, dass man glaube, dass sie aufhören würden sich zu wiederholen. Nun gut, in dem Moment, in dem jemand so wie ich aufwacht, um die Kritik dieses Glaubens zu überdenken: Was geschieht dann in Wirklichkeit? Es geschieht, dass ich mir die Nicht-Sequenz dieser beiden Ereignisse vorstelle und im Warten darauf, dass sich diese Nicht-Sequenz in der Erfahrung ereigne, beanspruche ich launenhaft - und dies würde nun doch einen Grund benötigen - , dass ein und dasselbe Ereignis aus dem Feld der Einbildungskraft ins Feld des Realwerdens wechselt und dass wir im Feld der Einbildungskraft nicht eine andere Vorstellung außer Kraft setzen, sondern ein vorheriges Realwerden. Es ist genau das, was nicht passiert; was hingegen passiert, ist dieses Wiederholen dieser Sequenz im Realen. 71 Schlussfolgerung Es ist etwas eigenartig, oder ich bin einfach nicht gut genug informiert - denn die kleineren Mysterien, die nicht das MYsterium allen Seins sind, sind bloß Seltenheiten, einfache Arbeit der VArietät, Gelehrsamkeit des SEins, weder für das WIssen noch für die edelste und niemals dunkle LEidenschaft, die beide verwirrend sind - , dass man die Stimme von Deunamor im Manuskript von M. F. hören kann. Eine Seite mit seinem Tonfall, auf der er sich zum Autor dessen erklärt, was es in der Folge zu lesen gibt. Genauso hört man den Leser in diesem Buch; zumindest glaubt Deunamor ihn in einer Anmerkung zu hören. Du warst dabei, Leser, ja, so scheint es mir, als wir die Worte von Deunamor hörten und auch in all den anderen Fällen, in denen in diesem Buch geträumt wird und über Träume gesprochen wird. 71 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Unsere Existenz - die biologische - scheint keinen Tag überdauern zu können, wenn die vollkommen eindeutigen Sequenzen, die strikt angrenzend sind, sich in Übereinstimmung mit der Einbildungskraft des einzelnen unter Nichtbeachtung der Einbildungskraft der anderen änderten oder sich auf jegliche andere Art änderten. Das Individuum würde sich zerstören, wenn die heutige Nahrung morgen Gift wäre, wenn man manchmal nicht atmen müsste und manchmal schon, usw.; der Glauben ist wahrscheinlich ein biologisches Produkt und es ist dem eigen, das es geschafft hat, zu überleben; das Individuum hat es geschafft, zu überleben, bis es auf eine Welt gestoßen ist, in der sich die unmittelbaren Sequenzen wiederholten. Ich beziehe mich also auf die generellere Tatsache der Wiederholung: dass das Leben möglich gewesen sei, da sich das, was man im Sich-als-wirklich-Geben als ein unmittelbares Geschehen gesehen hat, immer so gegeben habe. 166 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="167"?> Es mag daher sein, dass Deunamor seine These nicht abschließt und auf der vorhergehenden Seite schweigt, aber er hat nicht alles gesagt. Er muss wohl geglaubt haben, dass du es wusstest, weil du so lange unter uns und auf unseren Seiten gewandert bist. Aber es mag auch sein, dass sich der Nicht-existierende-Kavalier verloren hat, er hat seine Inexistenz verloren. Er ist. Aber nicht für uns. Für SIe. Man wird es wissen. Andere Seiten werden es sagen. Dass das WIssen durcheinander ist, ist unwichtig; die LEidenschaft lebt voller Gewissheit. In der Zwischenzeit, selbst wenn du, Leser, vielleicht fertiggelesen hast, was hier nicht fertig gesagt wurde: Was ist mit den anderen Lesern? Für diese verfassen wir einen SChluss; für jene Leser, die auf ihrer Meinung beharren, dass die Inexistenz von Deunamor auf irgendeine Weise eine Existenz sein müsse. Einige von ihnen haben uns mitgeteilt, dass sie gespürt haben, wie er in den Seiten herumgewühlt hat; einige, dass sie eine Stimme gehört haben, die aufgeregt sprach: „ Oh, ich ertrinke; ich kehre zurück, ich komme! Oh, DU, erwarte mein Sein, denn ich sterbe, ich sterbe am Nicht-Sein! Immer noch unverständlich. Aber, was für eine Riesenfreude des gesamten DEnkens in der Welt, aufgrund der triumphierenden FAntasie, in dieser Wiederbelebung, die jetzt aufsteigt, wiederkehrendes individuelles mnemonisches Leben, um mit AMor wieder anzubandeln, der sich getrennt hatte! Zurückkehren, mit Erinnerung; zurück zu IHr, und Erinnerung an sie, finden … sich finden! Die Träumerei ist eine reine Formalität Das, was zwischen Realität und Träumerei Probleme verursacht ist ausschließlich im Bereich der Bilder der Träumerei, da nur bei den BIldern in Frage gestellt wird, dass sie keine externe Korrelation hat, im Gegensatz zu den WAhrnehmungen. Die Träumerei hat allerdings drei Bereiche: die Bilder (Szenen, Dinge); die Empfindungen (Ersticken, Wärme, Muskeltorsion aufgrund einer schlechten Position im Bett, eine Verbrennung durch die brennende Zigarette mit der wir eingeschlafen sind, ein starkes Parfum, ein lautes wahrgenommenes Lachen); die Emotionen, die sie erweckt, zugleich mit den darstellenden Bildern (Angst, Freude). Ein zönästhetisches Wohlbefinden, oder ein sehr lebendiges Gefühl der Freude aufgrund des Wachens, das im eigenen Rhythmus wiederkehrt, kann an diesem Punkt die Bilder verursachen, ohne, dass diese von einer spezifischen Empfindung ausgehen (psychologisch betrachtet sind die Emo- Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 167 <?page no="168"?> tionen Empfindungen, die aus generellen physiologischen Veränderungen entstehen, die ihrerseits von einer zentralen Ursache entstehen: eine Wahrnehmung oder ein Bild). Die Emotion kann nur minimal intervenieren, aber niemals die Ideation oder Einbildungskraft, die die typische Träumerei sind, sie findet kausales Glück in ihr, so, wie die Welt der VOrstellung per se nur beschränkt signifikant ist, aber nicht in der Zweckmäßigkeit ihrer Effekte. 72 Es existiert eine Umkehrungsbeziehung zwischen der Träumerei und der Realität: in zweiter macht der Regen nass, in ersterer regnet das Nass. Die AFfizierung - Empfindungen von Lust und Unlust, Gefühle und Emotion - wurde nie als Geschehnis der Äußerlichkeit infrage gestellt: der Schmerz einer Verbrennung wird als subjektiv deklariert und seine Ursache als objektiv oder äußerlich; die (sichtbare) Anwendung einer Glut auf mein Bein. Im Abschnitt zwischen dem Aufwachen, das den Körper sucht, und dem Beginn der wachen Wahrnehmung bewegen sich diese Bilder, die für die Träumerei typisch sind und ein interpretierender Kommentar über die Affizierung der Träumerei, denn im Traum oder im Wachen kann ein Zustand der Affektion nicht ohne Version in Bildern verbleiben. Ich meine, dass die AFfizierung (Lust oder Unlust aus einer Empfindung oder aus einer Emotion, die sich wie folgt unterscheiden lassen: EMpfindung: die affektiven Zustände der peripheren Stimuli; Emotion, Empfindungen der zentralen Stimuli: eine Wahrnehmung) immer einen Kommentar aus Bildern verlangt; wenn der Körper schläft und eine (gefühlte) Affizierung auftritt, findet sich die TRäumerei, der Bildhauer der Träume, ein, um ihm jegliche Erläuterung in Bildern zu geben, die mit der affektiven Varietät harmoniert, mit Unlust oder Lust; der Bereich der Bilder der Träumerei ist die REalität für die Affizierung im schlafenden Körper. Im wachen Körper (WAche) verlangt die Affizierung, die in unserem Sein konstant ist, denn wer sich selbst beobachtet, wird sehen, dass es keinen einzigen Augenblick gibt, in dem wir nicht entweder zufrieden oder unzufrieden sind mit unserem Sein, Kosmos (vollkommen visuell-taktil oder hauptsächlich), der sie sieht. Diese kleine Laune der AFfizierung ist die berühmte REalität, MAterie, eindrucksvoll, Feld der beeindruckenden Fahrten 72 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Schopenhauer entmutigt und verwundert die Unmöglichkeit der Darstellung des Willens. Es ist dasselbe Pseudoproblem wie das von Kant, jenes des „ das Fühlen eines anderen sehen “ , das Pseudoproblem, die Formen sehen zu wollen, die die Empfindungen des Kontakts besorgen, der Darstellung, der AFfizierung. Sie offenbaren, dass jegliche DArstellung nichts weiter als Visualität ist. Nichts verliert die LEidenschaft dadurch, dass sie undarstellbar ist, das heißt, nicht visualisierbar; sie besitzt keine taktile oder visuelle Version; so wie es keine visuelle Version des Taktilen gibt, so gibt es auch keine Version in Bildern der LUst und UNlust. 168 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="169"?> der astronomischen und chemisch-physischen Berufung, die Welt der DArstellung, die die nicht-mystischen Metaphysiker eingeschüchtert hält. Die (materielle) WElt ist ein Traum der AFfizierung; die TRäumerei ist gleichermaßen eine Welt der AFfizierung. Das, was typischerweise Träumerei ist, besteht völlig aus Einbildungskraft oder Ideation (ich nenne die Bilder- Zeichen Ideation; Zeichen wovon? ; von Bildern; „ Bilder-Zeichen von Bildern “ ; denn alles läuft auf die Anschauung hinaus; diese Ideation ist das, was man mit Worten denken nennt, was letzten Endes falsch ist), die während des Schlafens des Körpers durch Zustände dieses Körpers hervorgerufen wird, die, in erster Linie, AFfizierung im Bewusstsein erzeugen, welche, unmittelbar, im Bewusstsein, einen kausalistischen KOmmentar in der Form von Bildern besitzt. Dies ist der entgegengesetzte Prozess im Verhältnis zum WAchen. Die REalität besteht ganz und gar aus Bildern: Der Mann, der mich mit einem Revolver in der Hand angreift, der Sohn, der von einer Reise zu mir zurückkehrt, all das ist Visualität für mich, genauso wie aus einer TRäumerei. Träumen wir, weil die AFfizierung, die, während wir schlafen, manchmal energisch aktiv war oder stets geringfügig, nicht zum neuen Bildhauer des darauffolgenden Wachens übergehen will, ohne die Erläuterung der Bilder abgeschlossen zu haben, die ihren (affektiven) Zuständen während des Schlafens entspricht? Warum? Wofür? Weil die AFfizierung sich auf direkte Weise offenbart als Erschafferin der Welt, der Bilder, die ihr passen; selbst wenn die andere Welt, die REalität, niemals wiederkehren würde, das heißt, selbst wenn wir an jenem Morgen nicht mehr aufwachen würden, würde uns niemals ein Bild fehlen. Ist das vollkommen klar? Vielleicht nicht, aber fast. Träumerei bedeutet die Welt des BIldes, das die AFfizierung in jedem Moment erzeugt, in dem sie aktiv ist, ungeachtet des Schlafens des Körpers; REalität ist die Welt des BIldes, die die AFfizierung hervorruft, oder besser gesagt, auf die die AFfizierung sofort mit Unlust oder mit Lust antwortet, als ob sie sagen würde: Ich entscheide mich dafür, dass mir dies wehtut; ich entscheide, dass mir dies gefällt. Wieso? Ich muss diese letzte Antwort noch träumen und es mangelt mir an Furchtlosigkeit, um sie kennen zu wollen. Das gesamte Mysterium TRäumerei-REalität ist von der Annahme des Realen gegenüber der unmittelbaren Realität des Geträumten beherrscht. Das Sein ist immer, abgesehen von umfassend, unmittelbar. Das Mittelbare ist das Nichts, ist nichts. Aufwachen bedeutet wieder zu träumen, weiterhin sein; stets in das Sein zu fallen, stets unmittelbar, kontinuierlich, unaufhörlich und umfassend. Wie eine Mediation, die im Sein, in dem wir unaufhörlich leben, stattfindet, das gänzlich unseres ist und dem wir gänzlich gehören, ohne einen Moment der Trennung, der Fremdheit, ist die REalität per se eine unvorstellbare und müßige Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 169 <?page no="170"?> Fremdheit; eine Seltsamkeit unter uns und dem Sein, die uns nicht geschehen kann. Wie enden wir also in der Unterscheidung Träumerei-Realität und in jener umfassenden und althergebrachten Theoretisierung, die der Realismus, der Materialismus, ist, zu der ich sagen würde - mir fällt die Aussage schwer - , dass: so, wie die Bilderstreifen der Träumerei die Theoretisierung der Empfindungen und der Zönästhesie von jenem Moment unseres angeblichen körperlichen Seins ist, so ist die realistisch materialistische Doktrin, die unschädliche, verbleibende, überschüssige Theoretisierung, so wie jene, des Gefühls diese Unterscheidung gefunden zu haben, uns mit zwei Versionen des Seins eingefunden zu haben. Das Gefühl der Freude und irgendeine Ratlosigkeit, in Anbetracht der Wiederholbarkeit des Seins, rufen keinen Einwand hervor; die Unterscheidung ist außerdem gerecht, nicht aber das umfassende System der Thesen und Dogmen, um, ausgehend von dieser Wechselhaftigkeit, aufrechtzuerhalten, dass es eine autonome Unermesslichkeit des Seins gibt, die uns fremd ist, und noch weniger, um dafür unser Sein in der Träumerei als gespenstisch und unbeständig zu entwerten; wenn es reichte, die Variante oder Varietät als zwei vollständige Vorstellungen des Seins zu klassifizieren, die nur durch die Anordnung verschieden sind, was ausreichend rechtfertigt, sie zu unterscheiden und kein Argument war, sie als Gespenster zu dekretieren. Wir müssen noch herausfinden, ob, falls die Welt der Bilder (Erinnerungen, Reste von Empfindungen) und der Träumereien in ihrer Bilderzone nicht existiert, der Begriff der Realität oder autonomen Äußerlichkeit mit all ihren Gespenstern des Nicht-Gefühlten (Kräfte, Rigiditäten, Bewegungen) begonnen hat. Diese REalität ist wie das Nichts unseres Schlafens (Zeit der Nicht-Sinnlichkeit, ohne REalität und ohne TRäumereien, hypothetisch trennende Zeit, ein Nichts, das trennt), eine hypothetische Wiederherstellung, um die kausale Verkettung zu integrieren, von der man annimmt, dass sie die REalität beherrscht und dessen Präsentation für unsere Wahrnehmung unterbrochen ist, so sagt man, vom Schlaf, der Unaufmerksamkeit, der Aufmerksamkeit für andere Wahrnehmungen sowie der Distanz und Dunkelheit, der Verbergung durch die Dazwischenlegung von anderen Objekten, von der Minimalität der Größe oder Dauer. Nun gut, Leser; ich glaube, dass wir uns hier bereits in jedem Punkt verstehen werden. Auf wenigen Seiten ist es möglich, und angemessen, die gesamte MEtaphysik zu benennen, und nicht auf einer Seite über das Unkennbare - über das es viele Bände gibt, aber keine weiße Seite, die, so scheint es, die gesamte benennen würde - sondern eine erkennbaristische, die alles benennen muss, ohne Platz für das Mysterium und die trotzdem keinen Band benötigen wird. Lieber erträumter Leser: was ich dir sagen werde, ist sowohl sehr schwierig als auch unermesslich wahr, es ist etwas, das niemand erahnte, das niemand, 170 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="171"?> falls jemand es durchschaute, sich zu glauben entscheiden konnte. Und falls jemand es durchschaute, dann war es sicherlich häufiger in der LEidenschaft als im NAchdenken. In einer Welt, ein absolutes Sein, das nicht GEgeben ist: das nicht dem Ich (Realismus) gegeben ist, nicht einmal (niemand träumte dies) durch das Ich gegeben ist, ganz aus Zuständen der Schöpfung, vorübergehende, in uneinbringlicher Verlorenheit und Toden, ewige, aufgrund der einheitlichen Dauer, denn jegliche Standhaftigkeit eines Zustands in sich selbst, das heißt, ohne Vielfalt seiner selbst, sich selbst gegenüber einheitlich, jegliches Sich-Stützen für eine Zeit in der SInnlichkeit, ein gleicher kontinuierlicher Zustand ohne Varianten der SPezifität noch der INtensität, ist EWigkeit; das kontinuierlichgleich Gefühlte ist aus dem weder Begonnenen noch Beendbaren gemacht, seinen innerlich gleichen Teile geht es selbst voran und wird von ihm selbst gefolgt: Dass etwas langfristig unverändert bleibe, ist die Ewigkeit, die wir kennen und so sehr praktizieren wie die Tode; denn das einzige, was es nie gab, das nicht geboren wurde und das wir nicht kennen, ist das ICh und, da wir es nicht haben, sind wir unsterblich, mit ewigen Zuständen und sterblichen Zuständen, oder VArietät (dessen Varietät impliziert eine Subsequenz des Verschiedenen und daher eine Subsistenz des Fühlens des Nachfolgenden, schließlich dauern die Zustände entweder gleich lang oder sie ersetzen sich unterschiedlich, aber in keinem Fall gibt es eine Beendigung, denn die ZEit ist nichts, trennt nichts); denn wenn dieses Ich den Zuständen (als reine Hypothese des Absurden, denn es gibt keine Begreifbarkeit des Kontakts und der Beziehung zwischen einem Ich und Zuständen) die Schrecklichkeit erlaube, dass der eine sich bei dem anderen befinde, die Zerbrechlichkeit seines Kontakts, die stets fällige TRennung, dann würden sie uns das LEben einer Minute geben; wie ich Dir sage, Leser, in diesem SEin oder dieser WElt ist die SInnlichkeit nur VErlorenheit und FOrtbestand, dein Fühlen, Leser, nie begonnen, ewig, fortdauernd, vollständig, grundlos, verschieden und gleich (das heißt, das Verschiedene und Gleiche, Zeit und Ewigkeit beinhaltend) und einzigartige, denn nur das, was man fühlt, „ ist “ und man fühlt in der Welt nur das, was du gerade fühlst und aus diesem Fühlen kann man nicht herausfallen, es gibt keinen Rand des SEins aus dem man in das Nichts fallen könnte; in diesem SEin bist du unsterblich individuell, mnemonischerweise, in jeder Person, in einer ewigen Erkennung deiner selbst, weil egal wo sich jemand selbst erkennt, diese Person bist du, und das, was sich nie erkannte, nie existierte, ist das ‚ Andere ‘ , das Nicht-Du. Da es keine Zustände der Sinnlichkeiten gibt, die nicht die deinen sind, da nichts in der Welt geschieht, das du nicht kennst, was nicht dein Geschehnis ist, wird jegliches Fühlen, das nach Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 171 <?page no="172"?> deinem Tod in der Welt geschieht, nicht nur allein dein Fühlen sein, sondern es wird unverzüglich in die Verkettung deines jetzigen und vergangenen Fühlens eingegliedert, in deine Einheit, deine gefühlte persönliche Kontinuität. Und nicht, weil du ein Ich besitzt, Person, sondern weil das, was du als Gefühlt für dich erkennst, keine Persönlichkeit hat, nicht die Einheit deines Ichs besitzt, das nicht existiert, sondern die Einheit, die ihr die Tatsache, nichts weiter zu haben als dies, an Gefühltem, in der Welt, anbietet; es gibt nichts Nicht-Gefühltes und „ vom-anderen-Gefühltes “ gibt es nur die Verbalität, dies zu sagen sowie das Nichts, dies zu begreifen. So wie dein Fühlen und Denken nicht in deinem Körper sind, denn das Bewusstsein oder die Sinnlichkeit können nirgendwo sein, und dieser Körper ist, im Gegenteil, in deinem Geist und nur ein Bild (taktil-visuell) in deinem Geist; so besitzt jeder Zustand der Sinnlichkeit, der in der Welt vorkommt, unverzüglich deine persönliche Anerkennung, weil es keine anderen gibt. Daher bin ich entweder das Nichts oder du bist das Nichts; denn wir können nicht beide zugleich sein. Dein Körper, so wie der meine, sind zwei meiner Bilder unter tausenden von Zuständen und Bildern; zwei von den (nicht von meinen) besitzenden Bildern; dass das, was „ ich fühle “ , das heißt, das was „ man fühlt “ , deines oder meines sei, ist illusorisch; es ist egal, ob derjenige, der hier schreibt (oder fühlt, dass er schreibt), du wärst und der, der liest, ich, weil die Sinnlichkeit nicht in einem Körper verortet werden kann, sie ist nicht räumlich verortbar; und wenn wir diese dualistische Haltung verwerfen und in die reine Subjektivität eintreten, in eines der Bilder: Mein Körper, taktilvisuelles Konzept und weiter nichts, kann weder das Ich für alle anderen Zustände sein noch ein Ort der Situierung für meine vollumfassende Sinnlichkeit. In Wahrheit ist die Ernennung eines Zustandes zu deinem Zustand so falsch, das Possesivverhältnis ist derart unvorstellbar, wie der Zustand eines anderen. Jeder Zustand fällt in eine einzige, identifizierende, Kette der Sinnlichkeit; du besitzt nicht, du weißt nichts über eine andere persönliche Serie als die eine, die du die deine nennst, und die, die die einzige SInnlichkeit ist. Wie kannst Du behaupten, dass sich ein gewisser Zustand in einer anderen individuellen Serie befindet, dass ihn ein anderes Ich fühlt, wenn du diese andere persönliche Serie nicht kennst, ist es nicht deine? Denn wir haben bereits gesehen, dass Zustände räumlich in Körper zu situieren keine Begreifbarkeit besitzt; sie zeitlich in einer anderen persönlichen Serie zu situieren, welche nicht die unserer individuellen Geschichte ist, ist verbaler Missbrauch, Täuschung einer Auffassung. Denn wir kennen nichts weiter als das, was wir fühlen, und wenn wir es fühlen würden, dann wäre es unseres. Die Zustände der SInnlichkeit, kurzum, die Einzigen die existieren, geschehen weder in Tierkörpern noch in persönlichen subjektiven Serien, denn es gibt nicht mehr als eine, und 172 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="173"?> daher keine, und alles was geschehen mag - das einzige was geschieht und das einzige was es gibt, ist das Gefühlte - wird dort gefühlt, wo es ein völlig anderer Zustand ist. Es gibt nicht zwei Serien des Gefühlten. Das gleichzeitig Autonome existiert nur in der künstlichen Wiederherstellung der Glieder der Kausalketten, die wir die ÄUßerlichkeit nennen, die ganz Bild oder Zustand in meinem Geiste ist. Hier meine SYnthese und ANtwort: Mit Zustand benenne ich jegliches Auftreten von Sinnlichkeit, anders gesagt: Gefühle, Unlust- und Lustempfinden sowie Bilder. Dies ist alles, was in irgendeiner begreifbaren Form der Existenz oder des SEins existiert. Das ist alles, was wir sind und alles was ist; in vielfältiger Varietät oder einfachen Spezifika. Das, was sich Urteil und Überlegung nennt, ist ein Spiel oder eine Serie der gewöhnlichen visuellen, taktilen Bilder; die Worte des Vernunftschlusses sind konventionelle visuelle Bilder, die durch andere visuelle Bilder- Zeichen ausgetauscht werden könnten. Das wahre Denken benötigt sie nicht; im Gegensatz, es arbeitet unmittelbar mit seinem Bilderanliegen und benutzt die Geistesbilder, um diese hervorzurufen. Es ist noch authentischeres Denken: die Aufmerksamkeit für die visuelle, taktile, auditive usw. Gegenwart. Hinsichtlich der WAhrnehmung ist es dasselbe BIld mit einer äußerlichen kausalen Zuschreibung, die für den SUbjektivismus nichts weiter ist, als die Zuschreibung zu einer der zwei Träume des Seins: die REalität, die nicht substantieller, autonomer und fremder ist als unsere Träume. Diese kausale Zuschreibung fügt dem Bild nichts hinzu und ist, im Sinne einer Kategorie des Seins, nichts. Ich behaupte, dass das Kritisch-Mystische die AFfizierung zum primären Gegenstand hat (alles, was Leidenschaft oder Schmerz ist: durch Empfindung, durch Gefühl, durch Emotion, durch Verlangen. Ich glaube, dass in der Gattung der Empfindungen, abgesehen von den einfachen visuellen und einfachen taktilen oder reinen Empfindungen, alle muskulären, thermischen, geschmacklichen, olfaktorischen und sogar die auditiven, Teil der AFfizierung sind: sie sind vollkommen Unlust oder Lust). Die visuell-taktile Ordnung ist gänzlich untergeordnet, und da sie unter den Affizierungen nichts ist, ist sie, als das am wenigsten affizierende, am Erinnerungswürdigsten, am Hervorrufbarsten und dient als Zeichen. Aber alle reinen Visualitäten und Taktilitäten, mit denen die Metaphysiker die viel studierte Ordnung der gefeierten VOrstellung konstruieren, sind, für sich genommen, keine Minute etwas lebhafter Unlust oder Lust wert. Ich möchte erläutern, dass es nicht meine Aufgabe ist, hier die AFfizierung zu erforschen, denn das Problem Träumerei-Realität liegt in den jeweiligen Bilderzonen; ihre damit verbundene AFfizierung nicht, denn sie Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 173 <?page no="174"?> wurde nie als reine Subjektivität diskutiert und das Problem ist vielmehr die Äußerlichkeit der Realität. Das heißt, dass die Lösung des Problems Traum- Realität, für fast alle Metaphysiker, die des gesamten MYsteriums ist; für mich, ist sie die schwächste des SEins: die BIlder, die FOrmen. Diese - und dementsprechend das gesamte metaphysische Problem für Kant, Schopenhauer (denn sein WIlle, der der AFfizierung ähnelt, mündet in die „ Kräfte “ , in eine Mechanik und vergisst dabei sehr bald das VErlangen, die LEidenschaft), für Descartes, Berkeley, Hume, für Spencer, für alle, die sich für Metaphysiker halten - existieren nicht für eine takt- und visionslose Person, obwohl sie vorbehaltslos eine Person ist, eine Sinnlichkeit, eine Leidenschaft, eine Intelligenz. Manchmal denke ich, dass die wahren Denker in diesem Bereich, wie in der KUnst, wenig geschrieben haben oder dass das, was sie hinterlassen haben, unbemerkt bleibt, inmitten der Unermesslichkeit des von Amateuren Verfassten oder Gemachten. Diese stammen beinahe ausnahmslos aus der Mathematik und der Physik, wahrscheinlich keiner aus der PSychologie, jene Wissenschaft, die die größte Affinität zur MEtaphysik besitzt. Schließlich fällt es mir manchmal schwer zu sagen, was in der Metaphysik nicht Psychologie ist und mir scheint es, dass Kant diese meine Verwirrung teilte. Verliertum und Verbleib, „ Veränderungen “ und „ Dinge “ , bewegt oder unbewegt, Affizierung und Formen oder Vorstellung oder BIld, kurzum, INtensität, machen die generelle VArietät des vielförmigen Seins in unzählbaren Varietäten aus. WAhrnehmung und BIld sind keine Varietät: man unterscheidet sie nicht an und für sich, sondern kausal. Möglicherweise ist Intensität nicht reine Spezifität; möglicherweise ist Dauer Vielheit. Minimalitäten. Die Psychologen können weitschweifende Kapitel über die Assoziation der Ideen, Emotionen, Effekte der Aufmerksamkeit, Hemmungen, Erinnerung, Hervorrufung usw. schreiben, aber keiner, glaube ich, könnte uns versichern, die minimale zeitliche Reihenfolge wahrgenommen zu haben: (wie bei jeglicher kausalen Abfolge) 1. zwischen dem Willen den Arm zu bewegen und der Bewegung desselben, 2. zwischen dem Willen ein Bild anzuziehen, zu behalten oder zu vertreiben und der Einbehaltung oder Entfernung desselben. Hier handelt es sich um einen jener Fälle, die ich als Minimum des Seins bezeichne; in diesem Fall handelt es sich um ein Minimum der Zeit, in anderen Fällen handelt es sich um Minima des Raums; vielleicht handelt es sich bei anderen um Minima der Intensität. Diese Geschehnisse der Minimalität des SEins stören die metaphysische Nachforschung extrem; es gibt viele Bände, Fehler und Zweifel der Metaphysik, die nicht mehr sind als Unklarheiten, die diesen Minima geschuldet sind. Die Theorien der EMotion haben stark unter 174 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="175"?> ihnen gelitten; mit James, mit Lange, 73 mit Ribot, 74 mit Wundt, 75 sind wir immer noch nicht sicher, ob die (gefühlte) Emotion und ihre Gestik simultan sind, ob sie unterschiedlichen Augenblicken angehören und welche der beiden in einem derartigen Fall vorangeht. Daher müssen wir in der Folge, in jedem Fall die Minima behandeln, was es an Gleichzeitigem in der Seele gibt und ob es wichtig oder unwichtig ist, die Simultaneität vom unmittelbar Vorausgegangenen zu unterscheiden. Das gesamte Problem des Körper-Seele Dualismus hängt von diesem Minimum ab. Die Minima, wie die Spezifitäten, sind nicht rationalisierbar; ich kann dem Leser nicht mehr sagen, als dass er versuchen soll, sie wahrzunehmen und das ist, in Wahrheit, alles was man über alles sagen kann. Leidenschaft nenne ich einzig die Ordnung der ALtruistik; die Sensorik, selbst die intensive, die Sexualität betreffende, hat weder ein mystisches, ein ethisches noch ein ästhetisches Konzept; das Individuum bleibt in dem kollaborativen Akt des sexuellen Rausches in sich, aber nicht immer ko-sympathisch; alles, was nicht ein Dürsten nach der Translation des Ichs ist, ein reziprokes Verlangen des einen, der andere zu sein, die bewundernde Freude über das persönliche Sein des anderen, besitzt weder ethische noch mystische Bedeutung, oder besser gesagt, sie ist das HÄssliche des SEins und der KUnst. Die Person zu lieben, die scheinbar im anderen Körper ist und sie besser zu kennen als unsere, das ist die einzige LEidenschaft. Die Freundschaft mit oder ohne geschlechtlicher Unterschiedlichkeit ist die LEidenschaft, nur, dass: 1. es größere reziproke Varietät zwischen Wesen unterschiedlichen Geschlechts gibt und die Translation des Ichs viel stärker erzwungen ist; 2. die Freundschaft nur einmal stirbt: durch körperliche Zerstörung; und der Liebe, abgesehen von dieser, ein weiteres Sterberisiko innewohnt: die SEnsorik, die ihr eine konstante Nachbarin ist und in der ihre Altruistik zugrunde geht oder beinahe. Aufgrund des sensorischen 73 Der dänische Psychologe Carl Georg Lange (1834 - 1900), Autor eines bahnbrechenden Werks über Gemütsbewegungen (Om Sindsbevaegelser. En psyko-fysiologisk Studie, Kjøbenhavn: Jacob Lunds Forlag 1885) wird hier wohl im Sinne der James-Lange- Theorie gleich nach William James genannt. Beide entwickelten etwa zeitgleich Theorien, die postulieren, dass Emotionen physiologischen Ursprungs bzw. Begleiterscheinungen oder Resultate körperlicher Vorgänge seien. 74 Théodule Ribot (1839 - 1916), französischer Psychologe und Philosoph, der 1876 die Révue philosophique de la France et de l ‘ étranger gründete. Auch er argumentiert in seinen Schriften, dass Emotionen Objektivierungen von physiologischen Aktivitäten seien. 75 Der deutsche Psychologe und Philosoph Wilhelm Maximilian Wundt (1832 - 1920) forschte zu Sinnesempfindungen, Emotionen und Neuropsychologie. Wie die beiden zuvor genannten gilt er als Begründer der Psychologie in seinem Herkunftsland. Wundt bezieht sich auf Kant und setzt sich kritisch mit Kants Erkenntnistheorie auseinander, auch mit seinen Einschätzungen zu Wahrnehmungsformen und nicht zuletzt mit dem Dogmatismus der Kantianer: „ Was soll uns Kant nicht sein? “ , in: Wilhelm Wundt ed. Philosophische Studien Bd. 7, Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann 1892, 1 - 49. Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 175 <?page no="176"?> Risikos und der Distanz der Varietät ist die Translation des Ichs in der Liebe heroischer als in der Freundschaft, aber die altruistische Ordnung unter Gleichen (nicht im Erbarmen) ist dieselbe. 76 Leidenschaft ist es, das Leben eines anderen zu leben, mit der Zweiheit, beinahe Nichtigkeit des eigenen. Sie ist zweifellos ein emotionaler Zustand, aber es ist auch metaphysisch indem sie die Verbindung zu einem Körper auflöst: und wenn wir nicht an einen Körper gebunden sind, dann sind wir an keinen gebunden. 77 Metaphysischerweise ist der große intellektuelle Beitrag der Leidenschaft die vollstände Verwirklichung der Widerrufbarkeit von Mein- Körper durchzuführen: keine Entscheidung für ein körperloses Bewusstsein, 76 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Mir ergibt sich hier die erfreuliche Gelegenheit den Argentinier Carlos Baires zu nennen, einen Freund von Fouillée, der erste Psychologe mit eigenen Ideen in Lateinamerika. Seine wertvollen, nicht firmierten Schriften, die in La Prensa [Anm. d. Übs.: eine Zeitung aus Buenos Aires, die 1869 gegründet wurde] erschienen, sind noch nicht gesammelt publiziert worden. [Anm. d. Übs. Bei Carlos Baires handelt es sich um einen Juristen, der vorübergehend einen Lehrstuhl für Logik an der Universität Buenos Aires innehatte und als pessimistischer Philosoph gilt.] Seine Teoría del Amor [Anm. d. Übs.: Estudio acerca de la psicología de los sentimientos sexuales y la sensibilidad afectivo-moral, die anstelle des geplanten zweiten und dritten Bandes seiner Filosofía de la esperanza 1911 erschien] ist die einzige wichtige Publikation im Bereich der Psychologie in Iberoamerika. Seine Herzlichkeit hat ebenfalls Seltenheitswert. [Anm. d. Übs.: Für Baires ist die Wissenschaft eine Übersetzung der Naturgesetze durch das Bewusstsein; laut Alberto Caturelli ist sein Pessimismus aber keiner klaren Strömung zuzurechnen: es fänden sich Reste eines agnostischen Rationalismus, der mittels Schopenhauer in einen Voluntarismus münde, Anspielungen auf den Krausismus und offenkundig positivistische Elemente (cf. Caturelli 2001: 371). Da es sich um eine Theorie der Liebe handelt und Macedonio die Herzlichkeit des Verfassers hervorhebt, ist es umso verwunderlicher, dass die scheinbar misogyne Theorie den Frauen sexuelle Indifferenz und ein anderes, da asexuelles Fühlen zuschreibt (cf. Caturelli 2001: 372).] 77 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Die ganze, wesentliche Wahrheit ist, dass der Liebende emotional lebt, das heißt, durch Auskünfte der sensorischen Zustände, Zuneigung des geliebten Wesens, er lebt nicht sensorisch, er erhält keine direkten Meldungen von dem, was man das Psychische nennt, das ohne Meldung; der Liebende lebt von Auskünften oder Meldungen, das heißt, von Ausdrücken eines anderen Körpers. Er weiß erst, dass eine Person glücklich ist, und daraufhin freut er sich, er weiß, dass sie traurig ist, und das macht ihn traurig, während er sein eigenes Glücklichsein oder Traurigsein, Empfindungen, Zuneigungen, Schmerzen, nicht aufgrund des Ausdrucks seines eigenen Körpers kennt, sondern aufgrund seiner Psyche: Er wird nicht glücklich, weil er sein lachendes Gesicht sieht. Ich benötige keinerlei Meldung, um den Zustand meiner Psyche zu kennen, während ich sie benötige, um zu wissen, was in der fremden Psyche passiert. (Eine der bestimmenden Charakteristiken des Psychologischen ist, dass es keine kausalen Meldungen benötigt, um zu wissen, dass ich Hunger habe, muss weder meinen Magen inspizieren, noch mein unzufriedenes Gesicht sehen. Kaum trennt sie eine Wand oder eine geringe Distanz, weiß die Mutter eines sehr geliebten Sohnes nichts mehr über ihn, dieser weiß jedoch, was er gerade fühlt.) 176 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="177"?> sondern für ein Bewusstsein, das aus Mein-Körper wechselt. Denn diese ultimative Gymnastik bekleidet den intellektualistischen Gegenschlag, die Auffassung der Fatalität eines einzelnen und nicht wählbaren Mein-Körper aufzulösen; in der Vollliebe lebt man von dem, was einer anderen expressiven Figur psychisch zustößt, die nicht der angeborene Mein-Körper ist, es ist der Mein-Körper eines anderen (und es ist weiterhin ein anderer). Dies ist ein ähnliches intellektuelles Ergebnis, wie jenes, das nur ein anderer Prozess erzielt, aber dieser ist nicht altruistisch sondern einsam: die Emotion der Angst, bereits gestorben zu sein, gesteuert von der Methode, die ich als einzige romanhafte und künstlerische vorgeschlagen und verteidigt habe: Angst, wirklich gestorben zu sein verspüren, tot zu sein (ROmanhaftigkeit), 78 beweist, dass die Behauptungen unseres Bewusstseins, am Leben zu sein, auch nicht gelten; gleichermaßen beweist, aus Liebe (LEidenschaft) in einem anderen zu leben, dass diese Zerstörung eines Mein-Körpers nicht die bewusstgemachte individuelle Ewigkeit beeinflusst. Jegliche Emotion, die uns der metaphysische Tod vorschlägt, verfügt über keinerlei Wert, wie auch das verbale Urteil „ ich existiere “ , über keinerlei Wahrheit verfügt, weil es sinnlos ist, so wie „ ich bin “ . „ Ich war, ich werde zu einem bestimmten Zeitpunkt sein “ ist hingegen sinnvoll, denn es entspricht: „ Ich war ein Zeitgenosse jenes Ereignisses und ich war kein Zeitgenosse jenes anderen Ereignisses “ ; „ Ich werde sein oder hoffe bei der Einweihung des Wettbewerbs zu sein “ , auch, weil es mit einer Angabe verbunden ist; aber „ Ich bin “ ist keine Angabe. „ Ich war und ich werde sein “ bedeutet: „ Es gibt Zustände, die unterscheiden sich von denen, die ich gerade fühle “ ; aber „ Ich bin “ ist nichts: „ Ich leide “ , schon. Beide Zustände, der leidenschaftliche und die Erschütterung des Bewusstseins, die durch die Verwendung der romanhaften Figur oder der Persönlichkeit 78 [Anmerkung des Herausgebers der erweiterten spanischsprachigen Ausgabe, Adolfo Obieta] In Eternas Roman versucht der Autor, der sich als Imaginierender des Nicht-Todes versteht, sie künstlerisch zu bearbeiten, aufgrund einer Niederlage der Stabilität eines jeden Einzelnen in seinem Ich, aufgrund eines „ Erstickens “ in der Sicherheit persönlicher Kontinuität, aufgrund der Auflösung, Eintauschbarkeit, Drehung, Abwechselbarkeit des Ichs, das es unsterblich macht, das heißt, dass sein Schicksal nicht an einen Körper gebunden ist. Wer für einen Moment, den Zustand des Glaubens des Nicht-Existierens erfährt und dann in den Zustand des Glaubens des Existierens zurückkehrt, wird für immer verstehen, dass der gesamte Inhalt der Verbalisierung oder der Auffassung „ Nicht- Sein “ , der Glaube nicht zu sein ist: man kann nicht glauben, dass man nicht existiert, ohne zu existieren. In verschiedenen Vorwörtern des Romans werden Themen behandelt, die mit diesen Seiten verknüpft sind: die LEidenschaft, die Figur der Kunst als Methode metaphysischer Erschütterung, die Nichtigkeit der Abstraktionen „ Sein “ und „ Nicht- Sein “… (A. O.) Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 177 <?page no="178"?> der Kunst erzeugt wird, exemplifizieren die Verabscheuungswürdigkeit der kausalen Verbindung des Bewusstseins mit einer Materie und die Ungültigkeit der Auffassung oder Abstraktion „ Sein “ , „ Nicht-Sein “ . Der eine beweist, dass ich nicht mit einem Körper lebe, mit dem ich gelebt habe, sondern jetzt mit einem anderen; die andere Emotion beweist, dass unsere Auffassungen von „ Nicht- Sein “ , „ Existenz “ nichtig sind. Mit diesem Effekt löst sich die Auffassung des Todes, die Bindung an einen Körper, obwohl der Körper meiner Meinung nach nicht notwendig ist. Zusammengefasst lauten meine Feststellungen wie folgt: 1. Dass die INtelligenz (Urteilsvermögen, Verstand, Vernunft, Kenntnis) nichts zu diesen Zuständen beiträgt und daher ist sie strenggenommen nichts, was bedeutet, dass kein Vernunftprinzip existiert. Wenn die INtelligenz Formen und Prinzipien hätte, wäre es ein großer Zufall, dass sich eine zufällige WElt mit ihnen zufriedengebe. Wenn es in uns angeborene Formen des Erkennens gäbe, dann könnte sich die Intelligenz nur selber kennen: Die WElt könnte nicht wahrgenommen werden. Sie kann nur Intelligenz heißen, denn die Existenz der Erinnerungen und die Tat des Beachtens: wozu? Für solche Zustände, wie auch immer sie seien und kämen und sonst nichts. 2. Jegliche Darlegung einer Doktrin ist bloß ein Appell an die Anschauung des Lesers, da die INtelligenz nichts weiter ist als die Chronik der Zustände und ihrer Ordnung. Wenn der Leser nicht sieht, berührt und hört (Anschauung) was ich sehe, berühre, wovon kann ich ihm erzählen und welche Überzeugung sollte er warum von mir erhalten. Die Wörter sind alle konkret und mit ihnen denkt man nicht, sie sind vielmehr reine Instrumente des Erinnerns in einem selbst und reine Instrumente der Kommunikation durch Erinnern in einem selbst sowie der Kommunikation durch Erinnern in anderen. Sie rufen die gleiche Bilderszene in beiden Köpfen hervor: jenem des Sprechers und des Hörenden - und dann ist es möglich über die Verhältnisse zwischen den Bildern zu sprechen. 3. Ich kommuniziere dem Leser durch meine Intelligenz als Chronik: dass ich das ICh weder in mir noch außerhalb von mir gefunden habe und dass ich, als ich in einem Inventar all meiner Wahrnehmungen herausgefunden habe, dass es kein ICh gibt, in mir festgestellt habe, dass aus mir die „ Verwunderung zu sein “ (Emotion), die mich seit Jahren beunruhigt hat, verschwunden ist. Ich lade den Leser dazu ein, dies zu erfahren: da es keine KAusalität gibt, gibt es nichts, das den Leser dazu zwingen könnte, das wahrzunehmen, was ich wahrnehme, nicht einmal, dass meine geschriebenen Wörter in ihm die mentale Szene hervorrufen, die ich in mir habe. Daher: Warum schreibe ich? Weil es keine KAusalität gibt, weil wir uns manchmal durch Absichten bestimmen und manchmal unsere mentale oder physische Handlung nichts beabsichtigt; es handelt sich um eine Spontaneität, die nichts suchen muss. 178 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="179"?> Wie viele „ Warum “ (Wort der KAusalität), um die KAusalität zu verneinen! Es liegt daran, dass die unmögliche KAusalität, die die Logiker hochtrabend INduktion nennen, um die Zukunft vorherzusehen, nicht die meine ist. Ich sage nicht vorher: Ich erzähle die Ordnung, die die subjektiven Veränderungen in meiner Vergangenheit vorgestellt haben: entweder existiert die Zukunft nicht oder es ist nicht gegeben sie zu kennen. 4. Das SEin ist vollkommen intelligibel (weil es keine Intelligenz gibt), denn die Intelligenz ist Teil des SEins, sie gehört ihm, sie ist es selbst, die INtelligenz ist der „ Zustand “ und wenn das SEin nicht intelligibel wäre, dann hätten wir einfach: eine inintelligible Intelligenz. 5. Die Intelligenz ist: die Aktivitäten der Bilder-Zeichen von Bildern, geschriebene oder gesprochene Wörter, gestikulierte Zeichen der Stummen, Notensatz, Telegraphie, Licht- und Farbzeichen, Zeichen von Schiffen und Zügen, Pfiffe usw. In all diesen Fällen: es sind keine Bilder von Bildern (Abstraktionen), sondern konkrete Bilder-Zeichen von konkreten Bildern. 6. Nichts ist, wenn es nicht BIld (auf markante Weise visuell-taktil oder vielleicht ausschließlich visuell) oder AFfizierung ist. Begreifbarkeit und Bild sind ein und dieselbe Sache (und es würde genügen von EInbildbarkeit zu sprechen); ein Wort, das als solches gelten kann, ist nur dasjenige, das ein Bild hervorruft, ein gleiches und ausschließliches. Wenn man mir zum Beispiel antwortet, dass „ Ich “ der Körper ist, dann sage ich, dass wir ein Bild für das Wort Ich haben und das Wort Körper ohne Bild bleibt. Das ist ein Fehler dessen Leiden man im Satz „ mein Körper “ erfährt. Von wem? Von ICh. Der Körper von Ich, das heißt: „ Der Körper von Ich ist mein Ich “ . In nur diesen zwei Wörtern „ mein Ich “ befindet sich bereits das Absurde: mein bedeutet: von Ich; „ mein Ich “ ist gleich wie „ das Ich von Ich “ . 7. Die strikte Konzeption und vielleicht die Grenze der Begreifbarkeit ist „ mein gegenwärtiger Zustand “ . Ein Zustand, der nicht gegenwärtig ist oder nicht der meine ist, hat keine Konzeption. Das heißt: Es fehlt ein Bild für die Verknüpfung eines Zustands mit einer Zeit, und eines Zustands mit einem Anderen-Ich (vielleicht sage ich mit übertriebener Eindringlichkeit, dass ein Zustand, der sich außerhalb meiner Sinnlichkeit zuträgt oder außerhalb meiner Gegenwart, Tode meiner selbst sind; dass sich etwas ergibt und nicht mein Ereignis oder mein Ereignen ist, ist eine Beschränkung, die mich vielleicht leugnet; Vergangenheit ist für mich wie ein Nicht-Ich und dieses ist mein Nicht- Ich; ein Zustand, in dem ich mich nicht befinde, stellt mein Nicht-Ich aus, theoretisiert mein Nicht-Ich; ein Zustand, in einer Vergangenheit, würde verstanden werden (pseudoverstanden) als eine Unterbrechung oder Leere in meiner Gegenwart). Jegliche Konzeption von Existenz ohne mich, bedeutet, jenes zu begreifen, in dem ich nichts bin. Auf diese Art definiere ich meine Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 179 <?page no="180"?> Doktrin der Vollkommenheit, Kontinuität und Ewigkeit jeglicher Sinnlichkeit, der einzigen Sinnlichkeit. 8. Mein Idealismus besteht aus drei Thesen und er ist die einzige Aussage eines absoluten Idealismus: Es gibt nur das Gefühlte; dieses ist vollkommen kennbar und der Zustand oder das SEin ist Ichlos, denn das ICh wäre für den Zustand der Äußerlichkeit so authentisch wie die MAterie. Der Idealismus mit Subjekt wäre dualistisch. 9. Nun gut, ich lehne die Ambiguität ab, die UNterbewusstsein genannt wird, und ich behaupte, dass weder die Ideen noch die Gefühle sich nur psychologisch, in der Kontinuität der psychologischen Geschichte, weiterentwickeln oder ändern. Weder ändert sich ein Gefühl noch eine Idee, sie schreitet zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen durch die okkulte Tätigkeit im UNterbewusstsein fort, sondern durch sichtbare Tätigkeit der TRäumerei. Entweder WAchen oder TRäumerei, nie UNterbewusstsein. Ich lehne auch die zweckmäßigen Theorien des INstinkts ab. Ich glaube weder an den Selbsterhaltungsinstinkt und noch weniger an den Instinkt der Erhaltung der emphatischen SPezies bei den MEnschen. Unsere Liebe ist für unsere Geliebten und für unser Heute, sei es in der FReundschaft oder in der sognannten LIebe oder der gesamten ALtruistik. Die Kinder machen sich bei uns beliebt und wir verteidigen sie vor dem Leid, aber in unserem Bewusstsein waren sie kein Ziel, und die LEidenschaft verliert Schönheit; das herrliche „ HEute “ der LEidenschaft diskreditiert sich durch Zweckmäßigkeit. Ihr Heute zu lieben ist die größte Würdigung und der größte Dienst an der ZUkunft. 10. Jegliches Urteilsvermögen fällt auf Bilder zurück, dies ist meine Wahrheit. Die ERfahrung ist alles, jede Behauptung bezieht sich auf die Erfahrung, so lautet Kants Ansicht. Dies ist eine große Schwäche. Wir beurteilen Anschauungen, aber die ERfahrung, auch wenn sie völlig aus Anschauungen besteht, besteht nicht aus allen Anschauungen. Es gibt die BIlder. Ein Beweis davon und von der Unsicherheit Kants ist, dass er sich wundert, dass die (mentalen) Bilder ein Ausmaß haben. Aus folgendem Grund sind sie Anschauungen: die Objekte einer geträumten Szene bieten sich als Objekte von unterschiedlicher Größe in einem nicht-räumlichen Ambiente an, ohne Distanzen: dem Geist. 11. Die Tatsache, dass nur das Gefühlte existiert, ist eine Hälfte des Idealismus: dass der Fühlende nicht existiert, ist die andere. Die Idealisten haben nicht verstanden, dass die Konzeption des IChs ein Realismus ist, eine Äußerlichkeit des Zustands, ihm so fremd wie der Wahrnehmung die äußerliche Welt, die MAterie. Sie haben nicht verstanden, dass sich dieses Ich, das sich als typisch für das Innere präsentiert, eine müßige Intelligibilität ist, erneut die SUbstanz der Zustände im Wandel ist, dass dieser diese verändert, dass es vollständige Vorstellungen sind, in prekären Vorstellungen. Zwei Realismen: 180 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="181"?> MAterie und ICh, oder nur das ICh, haben dieselbe absolute Tugend: Negation der Effektivität unserer Zustände. Die Kritik der Kenntnis oder der MEtaphysik ist kein Ziel: manch einer verbleibt in der kritischen Haltung, wenn er das letzte Mal das ICh vor sich hat und zum ersten Mal die MYstik, endgültige These der Kritik. Die Annullierung des IChs aber ist ein Ereignis: ihm folgt die mystische Erfüllung. Wenn es im SEin ein „ Ich “ gäbe, dann wäre dies das einzig Sterbliche. Das Problem der WAhrnehmung ist: Da es subjektiverweise (der einzige Modus des Seins) nur ein BIld ist, wollen wir, dass es ein Bild mit Realität sei, als ob uns die Realität jemals etwas anderes als Bilder gegeben hätte; das Problem der SInnlichkeit oder des SEins ist, dass wir mehr als ihre Zustände wollen, ein ICh in ihnen, als ob wir jemals etwas anderes als Zustände gefühlt hätten. Wir glauben nicht, dass die Zustände eines Tages enden könnten, aber wir glauben sehr wohl, dass unser Ich den Zuständen fehlen könnte, als ob wir jemals dieses ICh kennengelernt hätten. Wir kennen nicht mehr als „ Zustände “ und nur „ unsere “ Zustände. Wir kennen nicht mehr als BIlder und keine nicht gefühlten Ursachen von Bildern (WAhrnehmung, REalität). 12. Nun gut: Träumereien und Realität unterscheiden sich wie Bilder, die durch Assoziation entstanden sind und Bilder, die durch Kausalität entstanden sind; Kausalität nenne ich ausschließlich die großen Häufigkeiten, stets widerrufbar, und nicht die ewigen, untrennbaren Verbindungen. Aber für die Affizierung, Hauptelement des SEins, sind Realität und Träumerei immer und nur das BIld. Welt der VOrstellung, mit der Schopenhauer Willenlos glücklich sein wollte, als ob das Glück etwas anderes wäre als ein Zustand des WIllens, reine Affizierung; ich komme zu einem gegensätzlichen Schluss: LEidenschaft ist Freude und da sie hochindividuell ist, ist ihr Gräuel der TOd (der Tod des geliebten Anderen-Ichs), Produkt der VIelheit der BIlder, Vielheit persönlicher Körper. Wir kennen (Bild) keine Personen ohne Körper; wir kennen ausschließlich den Tod und die Geburt der Körper, nicht der Personen; das Ende des geliebten persönlichen Körpers, in dem der Liebhaber sein Ich hatte, bei Überleben des Körpers des Liebhabers. Dieses Überleben ist die Vernichtung der Enttäuschung, die jenen verletzt, der sein Ich in jenem anderen Körper glaubte und haben wollte; in den Wahnsinn treibt ihn die plötzliche Wiedererlangung seines Ichs, die eintritt, da er sich ohne jenen Körper „ fühlt “ , der, aufgrund der Leidenschaft, der Körper seines Ichs war und ohne den er nichts fühlen konnte. Das vergessene Ich kann sich sofort mittels Suizid annullieren, aber eben die Notwendigkeit dieses „ Akts “ der Zerstörung eines Körpers, seines Körpers, (in dem er nicht glaubte sein Fühlen zu haben,) um sein Fühlen zu beenden, wird sein Gräuel vermehren, wird dazu führen, dass sich die freiwillige Zerstörung seines Körpers im Paroxysmus der ENttäuschung vollzieht. Ich denke, dass in der größten Leidenschaft - die die Ehre des SEins ist, Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 181 <?page no="182"?> ohne das die Atome, Planeten, Ideen, Bilder ein schrecklicher Traum der LAngeweile wären, eine unwürdige Willkürlichkeit, das HÄssliche wären, das für das Lob der INexistenz erfunden wurde, der KOsmos, der erzeugt wurde, damit es eine Kategorie gäbe, die niedriger wäre als die der INexistenz - ein einziger physischer Tod beide Körper sin acto zerstört, ohne dass irgendeine SInnlichkeit verendet wäre. Kompensation Auf Wiedersehen, Leser. Ich besitze nichts, was ich Dir schenken könnte, um in Dir den Unmut zu bestechen, den Du mir gegenüber hegen könntest, aufgrund der anstrengenden Lektüre, die ich so niemals zu veröffentlichen gedachte, und die ich Dir, aufgrund meiner Unterwürfigkeit einer Bitte Hobbes ‘ gegenüber und aufgrund der Tyrannei des Raúl Scalabrini Ortiz, präsentiert habe. Dennoch, als ich gestern den Gesang der Dame des Hauses hörte, der in Wiederholungen (die mich schonungslos an mein vorliegendes Manuskript erinnerten) lange andauerte, hob ich aus der Luft, die erschallte, und der ZEit, die, von diesem langen Gesang gesprochen, verfloss, ein Luft-und-ZEit-Geschenk für Dich und ich habe es für Dich aufbewahrt, in dem Gedanken, Dir etwas zu geben, das die Mühe, und vielleicht auch den Groll mit dem Du gehst, wegwischen könnte. Ich verblieb begeistert von der Quellenhaftigkeit 79 der FAntasie (der seelistischen Fantasie, nicht von diesen Fantasien der Mechanik und der Chemie, die die Engländer verwenden, oder der Sammelbildchen und Visualitäten, die Swedenborg verwendete), die die gestrige Situation beisteuerte, die ich Dir erkläre, um in Dir die Möglichkeiten der Seele zu verjüngen. Diese Mutter des göttlichen (es gibt nur ein göttliches: die Translation des Ichs) Opfers für ihre Kinder, die zurzeit stark leidet, sang langandauernd ein bekanntes Lied über den mütterlichen Schmerz. Zu keinem Zeitpunkt erkannte sie, dass sie die schmerzensreiche Mutter war, der das versdichtende Volk rhythmische und gereimte Worte in jenem Vers oder Gesang gab, um seine Situation zu wiegen ( „ ausdrücken “ wäre zu viel gesagt). Sie benötigte Wörter, Rhythmus, Klang, für ihr Gefühl und ihre Situation, aber den Vers, den sie sang, hatte sie nicht selbst gewählt: sie nahm ihn, weil ihn jemand in der Gegend 79 [Fußnote des Autors, Macedonio Fernández] Vokabel von Ricardo Güiraldes, dem NOblen, der bereits von uns gegangen ist. Wir nannten ihn auch, noch viel mehr, ganz, den LIebhaber. 182 Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen <?page no="183"?> geträllert hatte, ein Junge. Der Zufall füllte ihren Mund mit den Worten, die in ihr so intim, wie im Jungen grotesk waren. Nur sie sagte das, was sie sagen musste und nur sie dachte nicht, dass der Vers zu ihr sprach. Sie hörte ihn nicht; mehr noch: ich glaube, dass sie, während sie ihn sang, an ihre Mutter dachte und an sich selbst als Tochter; sie fühlte sich als Mädchen, das ihre Mutter quält; sie war eine Märtyrerin-Mutter. Der Fantasismus des GEistes, der im Ereignis dieser WÖrter steckt, die sich zufällig auf die Lippen legen, die sie benötigten, die nicht aus ihnen hervortreten, die alles von jener Seele sagen, obwohl jene Seele sie nicht hört, erscheint mir immens, ermutigend in ihrer Bedeutung. Adiós. M. F. Sanfte Verzauberung und Lust und Unlust eines Augenblicks eines Lebens ab vom Kurs. Das ist was ich fühle, wenn ich diesem Buch sage: ENDE Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 183 <?page no="184"?> Literaturverzeichnis zu den Kommentaren der Übersetzer*innen Primärliteratur Arréat, Lucien: Mémoire et imagination (Peintres, musiciens, poétes et orateurs), Paris: Félix Alcan 1895. 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Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen 185 <?page no="187"?> Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon Abschließende Bemerkungen der Übersetzer*innen Daniel Graziadei und Florencia Sannders Vom Anfang bis zum Ende: ein Wachtraum im langsamen Übersetzen Während wir dieses Nachworts verfassen, erinnern wir uns nicht mehr genau, wer von uns beiden im fernen Jahr 2018 die Idee hatte, Macedonio Fernández´ 1928 erschienenes Erstlingswerk No toda es vigilia la de las ojos abiertos, das 1967 zusammen mit anderen „ metaphysischen “ Schriften wiederaufgelegt wurde, zu übersetzen. Aber wir sind uns sicher: Wir waren beide sehr inspiriert von der Idee, ein bisher vernachlässigtes philosophisches Werk - vielleicht weil es auf Spanisch verfasst wurde, vielleicht weil es an der vermeintlichen „ Peripherie “ der Welt entstanden ist - in das deutschsprachige Denken einzuführen. Das ganze Übersetzungsprojekt wurde getragen von dem Wunsch, der deutschen Öffentlichkeit ein Werk zugänglich zu machen, das, nach unserem Verständnis, einen Zweig der Philosophie, die Metaphysik, mit einem dekonstruktivistischen Impetus denkt und mit argentinischer Ironie versetzt. Zur Übersetzung dieses Werkes motivierte uns außerdem die Tatsache, dass eben solche metaphysischen Gedankengänge, wie die radikale Infragestellung der rationalen Ordnung und der materialistischen Verfasstheit der Welt, die Fernández´ Erstlingswerk prägen, das Werk seines weit jüngeren Kollegen und Freundes Jorge Luis Borges stark beeinflusst haben. 1 Als Philolog*innen und Kenner*innen des Werks von Borges, aber auch Adolfo Bioy Casares, konnten wir beim Übersetzen von Fernández wiederholt feststellen, dass das, was bei Macedonio Fernández philosophisches Postulat ist, bei den zentralen Figuren der argentinischen Fantastik als fiktionale Welten ausgestaltet wird; sei es in Kurzgeschichten wie „ Tlön, Uqbar und Orbis tertius “ oder „ Pierre Menard, autor del Quijote “ von 1 Für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema siehe den Beitrag Michael Rössners für die vorliegende Publikation. <?page no="188"?> Jorge Luis Borges, sei es in Adolfo Bioy Casares ‘ Romanen La invención de Morel oder Dormir al sol. 2 Müssen die Rezipienten der zuerst genannten Kurzgeschichte mit der Präsenz zweier unterschiedlich strukturierter Versionen der gleichen Ausgabe einer Enzyklopädie klarkommen, so werden sie bei zweiter mit dem Vorschlag konfrontiert, dass das Verfassen eines exakt identischen Textes in einem anderen Jahrhundert kein Plagiat sei, sondern ein radikal anderer Text; ähnlich nötigen Aufhebungen der üblichen Sinneswahrnehmungen zur Erzeugung von Freiheit hinter Gittern und die Möglichkeit der Seelentransplantation in den genannten Romanen die Rezipienten zu ethischen und metaphysischen Überlegungen. Obwohl unser Projekt ursprünglich nur darin bestand, das Werk No toda es vigilia la de los ojos abiertos aus dem Jahr 1928 zu übersetzen, hielten wir es nach der Lektüre des Beitrags von Victor Ferretti (in diesem Band) für angebracht, auch zwei frühere Texte von Macedonio Fernández zu übersetzen, nämlich „ Bases en metafísica “ und „ Metafísica “ aus dem Jahr 1908, in denen bereits der Keim seines metaphysischen Denkens zu finden ist. Mit der Übersetzung dieser Texte wollen wir das langsame Voranschreiten des Denkens des Macedonio Fernández ‘ in Bezug auf die Metaphysik offenlegen. In diesem Zeitraum von zwanzig Jahren wiederholen sich bestimmte Bilder und Themen; sie entwickeln dabei Kontinuität und Differenz. Die Lesenden werden im Übrigen feststellen, dass der Schreibstil des argentinischen Philosophen im Laufe der Jahre immer spielerischer, opaker und komplexer wird. Für ein Voranstellen der frühesten metaphysischen Schriften, wie es auch in den erweiterten spanischsprachigen Ausgaben Usus ist, spricht also auch die Hoffnung, dass die langsam zunehmende Komplexität einfacher nachzuvollziehen ist, dass die früheren Texte die 2 Jorge Luis Borges: Ficciones, Buenos Aires: Emecé 1956. Jorge Luis Borges: Fiktionen - Erzählungen 1939 - 1944 (Spanisch 1956) transtt. Karl August Horst, Wolfgang Luchting, Gisbert Haefs, Frankfurt am Main: Fischer 2011. Adolfo Bioy Casares: La invención de Morel, Buenos Aires: Editorial Losada 1940. Adolfo Bioy Casares: Morels Erfindung (Spanisch 1940) transt. Karl August Horst, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983. Die philologische Beschäftigung beider Übersetzer*innen mit Adolfio Bioy Casares (und Julio Cortázar) kann hier nachvollzogen werden: Daniel Graziadei: „ ¡Islas Fantásticas! Espacialidades insulares entre lo (neo-)fantástico y la posmodernidad en las obras de Adolfo Bioy Casares y Julio Cortázar “ in: Daniel Graziadei, Michael Rössner edd. La Narración entre lo Fantástico y la Posmodernidad - Adolfo Bioy Casares y Julio Cortázar, Hildesheim: Olms Weidmann 2020, pp. 73 - 96. Florencia Sannders: „ Paréntesis en la realidad: lo fantástico en los cuentos de Cortázar “ in: Daniel Graziadei, Michael Rössner edd. La Narración entre lo Fantástico y la Posmodernidad - Adolfo Bioy Casares y Julio Cortázar, Hildesheim: Olms Weidmann 2020, pp. 29 - 40. 188 Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon <?page no="189"?> Grundideen von No toda es vigilia la de los ojos abiertos etwas klarer zum Ausdruck bringen und auf den Haupttext vorbereiten. 3 Unsere Übersetzung: ein Gemeinschaftswerk in pandemischen Zeiten Im Laufe des hier vorliegenden Übersetzungsprojektes musste sich unsere Arbeitsdynamik an unsere individuellen Zeitpläne, unsere akademischen Projekte und seit 2020 auch an die von der Pandemiebekämpfung auferlegten Mobilitätsvorschriften und Hygieneregeln anpassen. Zu Beginn lasen und übersetzten wir bei einmal wöchentlich stattfindenden Zusammenkünften, in der Regel im 4. Stock der Schellingstraße 33 an der Ludwig-Maximilians- Universität in München, im Sekretariat der Professoren Weich und Rössner, am dort installierten Schreibtisch von Daniel Graziadei, der an diesem als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent wirkte. Nach einem langen universitären Arbeitstag wagten wir uns in die Schreibformen und Gedankenwelten von Macedonio Fernández und teilten uns dabei einen Mate-Tee - uruguayischer Tee in einem in Argentinien gefertigten Gefäß und Trinkrohr. In den drei Monaten vor der Abgabe der Doktorarbeit von Florencia Sannders wurde die Übersetzungsarbeit unterbrochen. Als wir die Arbeit wieder aufnahmen, hatte sich die Welt aufgrund der Coronavirus-Pandemie (SARS-CoV-2) völlig verändert. Dementsprechend fanden unsere Übersetzungssitzungen für mehr als ein Jahr mithilfe einer Videokonferenz-Software online statt; wir teilten einen Bildschirm, während unsere Gesichter in zwei kleinen Quadraten am Rande des Textdokuments eingeblendet wurden. Im Laufe des letzten Jahres, das der Veröffentlichung von Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen vorausging, schwankten die Treffen zwischen einem Präsenz-Format und einem Online-Format, an das wir uns schließlich gewöhnt haben und das erheblich mehr zeitliche und räumliche Flexibilität zulässt. Zwar sitzt Florencia Sannders mittlerweile an dem Schreibtisch, an dem wir unsere Übersetzungsarbeit begonnen haben, aber mit Daniel Graziadei, der zur Zeit der Drucklegung die Professur für lateinamerikanische Literaturwissenschaft und Fachdidaktik am Institut für Romanische Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München vertritt, ist die Übersetzerwerkstatt in das professorale Nebenzimmer umgezogen. Was trotz einer Entspannung der pandemischen Lage nicht zurückkehrte, ist die Gewohnheit des gemeinsamen Mate-Tees; dazu bleibt 3 Für die vorliegende Übersetzung haben wir hauptsächlich mit der 1990 im Verlag El Corregidor erschienenen Ausgabe von No toda es vigilia la de los ojos abiertos. Otros escritos metafísicos gearbeitet. Für einige spezifische Fragen, wie z. B. Wörter oder Zeichensetzungen, die uns seltsam vorkamen, haben wir die Ausgabe aus dem Jahr 2015 herangezogen. Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon 189 <?page no="190"?> die gesunde Vorsicht als Konsequenz der Covid-19-Erfahrung für uns doch zu prägend. Unser modus operandi steht in der Tradition der häufig unscharf als Übersetzerschule von Toledo benannten Praxis in Al ’ Andalus, der wir den Transfer und die Überlieferung vieler arabischer und altgriechischer Grundlagentexte verdanken: „ Dies konnte nur durch Gemeinschaftsarbeit [ … ] erreicht werden, und zwar dank der Methode, die als traducción a cuatro manos oder traducción intermedia bekannt ist. [ … ] Das Problem der unbekannten Wörter löste man einfach durch Entlehnung. “ 4 So las Florencia Sannders, deren Erstsprache argentinisches Spanisch ist, den spanischen Text vor, wir schlugen beide mündlich mögliche Übersetzungen ins Deutsche vor, Daniel Graziadei, dessen Erstsprache (Südtirolerisch bzw.) Deutsch ist, tippte den übersetzten Text. Für die Übersetzung eines syntaktisch, stilistisch und inhaltlich so komplexen Textes wie der von Macedonio Fernández war es von Vorteil, dass unser Übersetzerduo aus einer in germanistischer Philologie ausgebildeten Argentinierin, die die umgangssprachlichen Wörter und Ausdrücke der Sprache und Kultur des Autors kennt, und einem u. a. an einem Institut für romanische Philologie in Deutschland ausgebildeten Komparatisten bestand, der die Zielsprache der Übersetzung fließend beherrscht und über einiges an Erfahrung in der Übersetzung aus dem Spanischen und Italienischen verfügt. Diese Kombination des sprachlichen, kulturellen und philologischen Wissens zweier Personen ermöglichte es uns, eine durchdachte Übersetzung anzufertigen: Stets lasen wir jeden einzelnen Satz gründlich, analysierten und interpretierten ihn, um schließlich verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Diese intensive Arbeitsdynamik ist der Hauptgrund dafür, dass wir mehr als vier Jahre brauchten, um das Manuskript von Nicht jedes ist Wachen das mit den offenen Augen fertigzustellen. In der Endphase unserer Übersetzung hat uns dankenswerterweise Anamaria Felecan bei der Korrektur unterstützt. Was die Arbeit am Text von Macedonio Fernández selbst betrifft, stellte uns die Aufgabe insgesamt vor sehr unterschiedliche Herausforderungen, die in den nächsten Seiten genauer erläutert werden. Hierbei treffen grundsätzliche metaphysische Fragen zum Sein und zum menschlichen Fühlen auf grammatikalische Probleme aufgrund eines oft ans Agrammatikalische grenzenden Ausgangstext, der auch in der Kommasetzung häufig Rätsel aufgab und uns dementsprechend bis an den Rand der Verzweiflung führte, aber auch auf subtile Ironie und Satire, die festgestellt und in eine völlig andere Tradition übersetzt werden will. 4 Annette Đ urovi ć und Vlasta Ku č i š : „ Politisch initiierte translatorische Teamarbeit - Übersetzerdienste einst und heute “ Informatol 50.3 - 4 (2017), p. 189. “ 190 Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon <?page no="191"?> Der übersetzte Text: ein literarisch-philosophisches Essay Da es sich hier um die Übersetzung eines literarisch-philosophischen Werks handelt, erforderte die Übersetzungsleistung immer wieder Entscheidungen auf dem Bindestrich: Handelt es sich um feine Ironie und Persiflage oder um ernsthaftes Philosophieren? Schließlich werden die behandelten Philosophen und philosophischen Intertexte in No toda es vigilia la de los ojos abiertos nicht als heiliger oder nachahmenswerter Kanon behandelt. Stattdessen wird eben dieser Kanon kritisiert und dekonstruiert, indem die Schriften von Kant, Schopenhauer, Hobbes und anderen kanonischen Philosophen der sogenannten westlichen Tradition persifliert, karikiert und konterkariert werden. Die Parodie der obskuren und unzugänglichen Schreibweisen, der inkonsequenten Strukturen und der sich verlierenden roten Fäden, die mit äußerst geduldigen oder beeindruckbaren Leserschaften rechnen, sind hierbei besonders deutlich und auch explizit ausgestellt. Diese Technik erlaubt die vielleicht häretische Überlegung - eine Überlegung, wie sie einem beim Übersetzen schonmal kommen kann - , ob selbst ein weiß und europäisch konstruierter Ort wie Buenos Aires aus der Feder eines derart an die Traditionen des globalen Nordens gebundenen Denkers wie Macedonio Fernández, dekoloniales Potential in sich trägt. Zumal die Stadt zum Ort eines Denkens und Handelns wird, in dem Hobbes sich verläuft und vom argentinischen Philosophen vorgeführt wird. In jedem Fall ist No toda es vigilia la de los ojos abiertos ein selbstbewusster Ort, ein vielschichtiger Abenteuerspielplatz, der philosophische Höhen mit menschlicher Schwäche und Unsicherheit zu verbinden weiß. Zudem untergraben Ironie und Selbstironie, parodistische Formen stilistischer und inhaltlicher Mimikry und ihre spielerischen Brechungen die literarisch-philosophische Ausrichtung und interne Logik des Textes, ohne sie vollends aufzuheben. Über die Ratio und die Traumwelt stellt Macedonio Fernández gleich eingangs die Mystik und formuliert in der einleitenden Ansprache an seine jungen Leser eine dekonstruktive und von Leidenschaft und Träumerei geprägte Kritik an jeglicher Philosophie der Vernunft. Der Übersetzungsvorgang als besonders langsames, aufmerksames und intensives Lesen gerät damit in die unbequeme Lage, Fernandez ‘ formale und inhaltliche Strategien gegen die Logik ernsthaft und mit vollem kognitiven sowie sprachlichen Einsatz durchleuchten zu müssen; so wichtig und richtig dies sein mag: seine Ironie und Parodie wirkt auch auf den Übersetzungsvorgang. Das Schreiben von Macedonio Fernández: ein besonderer Stil Macedonio Fernández ‘ kreative Neologismen, Assonanzen sowie gezielt eingesetzte Agrammatikalität erfordern eine intensive, reflektierte Übersetzungsarbeit, sowohl auf der sprachlichen als auch auf der inhaltlichen Ebene. In diesem Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon 191 <?page no="192"?> Sinne betraf eine der ersten Entscheidungen, die wir im Hinblick auf unsere Übersetzungsarbeit treffen mussten, die Frage: Wie treu müssen wir diesem besonderen Schreibstil sein, der sich dadurch auszeichnet, dass er oft eine zweite Lektüre (oder auch mehrere, völlig unterschiedliche Lektüren) erfordert? Erlaubt die verlegerische Tradition im deutschsprachigen Raum die Wiedergabe eines Stils, der kontinuierlich mit Agrammatikalität und langanhaltenden Verschachtelungen spielt? Die Entscheidung war von Anfang an einhellig: Unsere Übersetzung sollte den Stil des argentinischen Denkers zwar sichtbar machen, aber dennoch die Lesbarkeit des Textes und die Nachvollziehbarkeit der Gedanken garantieren. An vielen Stellen bedeuten die übersetzerischen Entscheidungen daher zugleich eine (unsere) Interpretation des Textes. Schließlich kann nicht jede Ambiguität und jeder Bedeutungsüberschuss beibehalten werden, vor allem Ambiguitäten, die allein durch die Stellung von Adjektiven und Adverbien sowie Nebensätzen erzeugt wurden, verlangten häufig deutliche Entscheidungen. Eine weitere Besonderheit des Schreibstils von Fernández ist sein Interpunktionssystem. Dieses befolgt häufig keine der syntaktischen Regeln, die die Kohäsion eines Gedankens, Satzes oder Textes garantieren sollten. Gerade Kommata und Semikola scheinen häufig willkürlich verwendet zu werden. Zwar haben wir versucht, soweit möglich und verständlich, der eigenwilligen Zeichensetzung des Originals zu folgen, aber da die Sätze in No toda es vigilia la de los ojos abiertos in der Regel äußerst lang sind, haben wir uns mehrfach erlaubt, vor allem bei Sätzen, die eine halbe Seite überspannen, Punkte hinzuzufügen, um die Lesbarkeit des Textes zu erleichtern. Wir sind uns darüber im Klaren, dass durch diese Entscheidung ein Teil der innewohnenden Komplexität und der gezielten Verstrickung des Textes verloren gehen, und damit auch manch eine Mehrdeutigkeit, die der Lektüreinstanz angeboten wird. Eine weitere wichtige stilistische Entscheidung, die wir treffen mussten, hatte mit der Tatsache zu tun, dass Macedonio Fernández in seinem Text viele Wörter, die die grundlegenden Begriffe seiner philosophischen Schriften darstellen, mit einer Majuskel beginnt. Da dieser Unterschied in der deutschen Schriftsprache bei Substantiven nicht zu erkennen ist, haben wir beschlossen, einer Tradition der deutschsprachigen Bibelübersetzung zu folgen und diese Wörter nicht mit einem, sondern mit zwei Großbuchstaben zu beginnen. Philosophische oder allgemeine Sprache? Begriffe mit doppelten Böden Die Nacht zum Tag machen, die Nacht durchmachen, wach bleiben, wach sein, wachen: Die spanischsprachige vigilia beschreibt diesen Zustand der Schlaflosigkeit, aber vigilia bezeichnet auch den vorbereitenden Vortag eines Ereignisses, nächtliche Messen (am Vorabend eines Feiertages), die Totengebete und 192 Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon <?page no="193"?> die Totenmesse, jeden Abschnitt militärischer Nachtwache, das (Fleisch) Fasten sowie den entsprechenden Fastentag. Es zeigt sich in dieser Zusammenschau der Bedeutungen die wiederholte Anwesenheit einer „ condición vigilante de la vigilia “ ( „ Wachsamer Zustand der Wache “ ), wie der argentinischstämmige Schriftsteller Sergio Chiejfec in einem Kommentar zur Dichtung von Mercedes Roffé schreibt; die meisten Bedeutungen teilen eine Gemeinsamkeit: die wachsame Verfassung des Wachenden. Die Vollständigkeit dieses Zustands des wachsamen Wachens, das Wort, das wir für die Übersetzung vigilia ins Deutsche gewählt haben, verneint der Titel des vorliegenden Werkes von Macedonio Fernández. Bei diesem zeigt sich bereits das Sprachspiel des argentinischen Denkers: anstatt der erwartbaren grammatikalischen Konstruktion ‚ no todo es vigilia ‘ (nicht alles ist Wachen) tituliert er das Werk mit der weiblichen Form des Adjektivs und besagt damit, dass das offenäugige Wachen nicht vollkommen und daher unvollständig sei. Wachsames Wachen ist also nicht auf die beim Menschen dominante okuläre Perzeption beschränkt: auch mit geschlossenen Augen, im Schlaf, im Traum und in der mystischen Versenkung gibt es Wachzustände, wachsamer als das offenäugige Wachen. Wie vigilia sind pasión (Leidenschaft) und ensueño (Träumerei) komplexe Begriffe, die bei der Übersetzung ins Deutsche Bedeutungsverluste und -zugewinne hinnehmen mussten. Interessant ist, dass im Spanischen nach der kanonischen Bedeutung, die im Wörterbuch der Real Academia Española zu finden ist, die Phantasien, die die Träumerei darstellen, sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand, auftreten können. Ersteres ist die Traumaktivität der Schlafenden, letzteres sind die Illusionen derer, die sich im Wachzustand etwas vorstellen. Im Deutschen hingegen bezieht sich Träumerei ausschließlich auf Fantasietätigkeiten, auf Tagträumereien und auf spekulative Gedanken, die nicht der Realität entsprechen. Anstelle von Wachzustand und Traum bilden in diesem Werk Wachen und Träumerei ein wichtiges Gegensatzpaar und Paradoxon. Macedonio Fernández versucht uns vom Diktat des nüchternen Wachzustands zu lösen, ja die grundsätzliche Frage nach dem Wahrheitsgehalt und Realitätsgehalt des vermeintlichen Wachens zu stellen und das heuristische Potential der Träumerei offenzulegen. Macedonio führt uns also zu den Fragen: Ist das, was im Wachen passiert wirklich realer als das, was im Traum passiert? Woher wissen wir, was was ist? Sind die Gefühle, die wir im Traum, in der Erinnerung oder in der Träumerei entwickeln nicht genauso wahr und echt und präsent wie jene, die wir im Wachzustand erleben? Mit seinen Fragen und Argumentationen stellt er die übliche Topologie auf den Kopf. In diesem Zusammenhang gilt es auf das vielleicht am schwierigsten zu übersetzende Wort zu verweisen: Realidad. Im Spanischen besteht kein Unter- Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon 193 <?page no="194"?> schied zwischen Realität und Wirklichkeit. Die Herausforderung bestand also darin, zu unterscheiden, an welcher Stelle Fernández welchen der beiden Begriffe verwendet haben könnte, und sie entsprechend zu übersetzen. Ein ähnliches Problem stellt sich bei den häufig verwendeten Termini Representación und Presentación, für die u. a. Darstellung und Vorstellung gleichermaßen verwendet werden könnten und es nicht immer klar zu sagen ist, ob Macedonio Fernández über das gesamte Werk hinweg stringent unterschiedliche Bedeutungen aufrechterhält. Ein weiterer grundlegender, aber weit weniger häufig verwendeter Begriff von No toda es vigilia la de los ojos abiertos ist das Adjektiv ayoico, dessen Übersetzungsverlauf eine gesonderte Erwähnung verdient. Schließlich ist dies die Geschichte einer Zusammenarbeit aller in diesem Band auf Deutsch Schreibenden. Zunächst übersetzten wir das Adjektiv mit ichlos, bei der Lektüre der Beiträge der beiden Professoren in dieser Ausgabe fiel uns jedoch auf, dass beide vollkommen andere und unterschiedliche Übersetzungen dieses Begriffs vorschlugen: Während Michael Rössner den Begriff enticht verwendete, entschied sich Victor Ferretti dafür, den Begriff ayoistisch zwischen den Sprachen anzulegen, schuf aber zudem einen interessanten Neologismus, den der Nichtichheit. Nachdem wir diese Vorschläge gelesen hatten, überdachten wir unsere Übersetzung ein weiteres Mal und entschieden uns schlussendlich für das Adjektiv nichtich. Der Grund hierfür ist ein sprachspielerischer und poetischer: Selbst wenn unsere erste Wahl, ichlos, bereits die notwendige Präzision in sich trägt, so spielt nichtich lautlich und graphisch mit nichtig, wiederholt die im Spanischen angelegte Reihenfolge von Verneinung und Ich, und ist aufgrund der ungewohnten Buchstabenfolge ebenfalls etwas schwerer zu lesen. In Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen tauchen mehrere grundlegende Konzepte aus Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft auf; sie sind Teil einer intertextuellen oder parodistischen Verweisstruktur auf das Werk des deutschen Philosophen, die Macedonio Fernández explizit offenlegt. Zu den wichtigsten Begriffen gehört der der Sensibilidad, den wir zunächst mit Sensibilität übersetzt haben, Macedonio Fernández bezieht sich aber sehr deutlich auf einen Begriff aus Kants Terminologie und wir haben dementsprechend in der Endverson Sinnlichkeit verwendet. Ein Wortpaar, über das wir lange debattiert haben, ist Dolor - Placer bzw. placer-dolor. In der ersten Version unserer Übersetzung haben wir dieses durchwegs als SChmerz-GEnuss bzw. Genuss-Schmerz wiedergegeben. In der Sprache Kants handelt es sich aber um Lust und Unlust. Die Diskussion ist nur durch den Willen zur Publikation beendet worden, denn sie ist Ausdruck der grundsätzlichen und ewig fortführ- 194 Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon <?page no="195"?> baren Diskussion, ob sich eine Übersetzung, die ein Werk übersetzt, das sich auf ein Werk in der Zielsprache bezieht, an der Sprache der Vorlage für das Original halten sollte, oder ob - bei aller Liebe für Kant ’ sche Begrifflichkeiten - der spanische Text mit placer-dolor nicht für eine viel breitere Masse perzipierbar ist, als unsere Übersetzung, die nun brav an Kant angelehnt immer dann Lust- Unlust oder Unlust und Lust statt Genuss-Schmerz oder Schmerz und Genuss schreibt, wenn das Begriffspaar auftritt. An allen Stellen, an denen nur einer der Termini in einem anderen Kontext auftritt (z. B. körperlicher Schmerz), haben wir Polysemie zugelassen. Die eben dargestellte Diskussion zeigt, dass diese Übersetzung nicht nur eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch des zwanzigsten Jahrhunderts ins Deutsche des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist, sondern auch eine konstante Aushandlung des kontrastiven philosophisch-literarischen Kosmos des Macedonio Fernández mit dem deutschsprachigen literarischen Feld und einer deutschsprachigen philosophischen Tradition - insbesondere Kant und Schopenhauer - , die ihrerseits ein vollkommen anderes Deutsch ins Spiel bringen, als es zeitgenössisch populär wäre. Die Aushandlung ist also eine mehrfache: intellektuell, mehrsprachig, zwischensprachig und sprachhistorisch. Um herauszufinden, wann und wie Fernández kantianische Begriffe verwendet, haben wir die spanische Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft von Mario Caimi konsultiert, der im Anhang seiner Publikation eine von Dulce María Granja Castro angefertigte ausführliche Tabelle der Begriffsentsprechungen unterschiedlicher kanonischer Übersetzungen ins Englische, Lateinische, Französische, Italienische und Spanische abdruckt. Diese Tabelle lässt erahnen, dass Macedonio Fernández höchstwahrscheinlich die von Manuel García Morente zu Beginn des 20. Jahrhunderts angefertigte Übersetzungen von Kants Werk ins Spanische gelesen hat, da viele dieser Schlüsselwörter grundlegend für den Text des argentinischen Denkers sind. Wir wären nicht auf diese wertvollen Hinweise gestoßen, wenn wir nicht den Rat eines Kant-Experten, Dr. Miguel Alberti, eingeholt hätten, der nicht nur ein brillanter Denker, sondern auch ein großer Freund von Florencia ist. Damit erzeugt auch dieser hier vorliegende Band jene transatlantischen Verbindungen, die Borges in seiner Darstellung von Macedonio Fernández gleich an den Anfang stellt (vgl. Rössner in diesem Band S. 17). Zugleich kann diese digitale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Argentinien auch als eine Antwort auf die kurzzeitige pandemische Fixierung an Orten und Themen gesehen werden: die Gedanken bleiben frei, im Umlauf und an metaphysischen Grundsätzlichkeiten interessiert. Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon 195 <?page no="196"?> Über-setzen: Momente der Epiphanie Obwohl wir an unserer Übersetzungstätigkeit oft verzweifelt sind, verspürten wir zugleich oder gerade deshalb auch hedonistische Momente und Epiphanien des Verstehens. Solche Momente der Erfüllung wurden uns zuteil, wenn es uns in einer Arbeitssitzung gelungen ist, zu einer gemeinsamen Interpretation eines Textes zu gelangen, die den Inhalt und die Form solide wiedergibt, ohne die wunderliche Poetizität des Ausgangstextes vollkommen zu verlieren. Oder wenn es uns gelang, einen Dichter, Schriftsteller oder Philosophen ausfindig zu machen, dessen Werk am Rande des akademischen Kanons in Vergessenheit geraten ist und nur schwer auffindbar war. So erwähnt Macedonio Fernández in einer der Fußnoten zu No toda es vigilia la de los ojos abiertos zum Beispiel einen gewissen Carlos Baires, einen bekannten Jurist aus Buenos Aires, der angeblich einige interessante Theorien im Fachgebiet der Philosophie entwickelt habe. Zunächst dachten wir, es handele sich um eine von Fernández erfundene Figur, was uns sehr amüsierte, da sein Nachname eine Abkürzung der argentinischen Hauptstadt ist; wir dachten, es handle sich um einen Kunstgriff, den unser Autor in einigen seiner literarischen Werke verwendet hat, zum Beispiel im Roman Adriana Buenos Aires. Bis zu diesem Punkt schien unsere Theorie perfekt zu funktionieren. Aber glücklicherweise haben uns unsere philologische Neugierde und intellektuelle Unruhe dazu gebracht, dieser seltsamen Figur mit all den Suchmaschinen unserer Wahl weiter nachzuspionieren. Nur so konnten wir, zu unserer Überraschung, feststellen, dass Carlos Baires einst tatsächlich existierte. Dieser epiphanische Moment der Entdeckung veranlasste uns, in der Universitätsbibliothek in München per Fernleihe nach einer Enzyklopädie zu fragen, der Historia de la filosofía en la Argentina, in der eine Reihe argentinischer Philosophen vorgestellt werden. Durch den Eintrag zu Baires durften wir einige Aspekte seines Werks kennenlernen und dieses Wissen später in einer Fußnote festhalten. Einigen Leser*innen ist vielleicht aufgefallen, dass der Sachverhalt, den wir soeben dargelegt haben, durchaus die Handlung einer Kurzgeschichte von Borges sein könnte. Eine Kurzgeschichte, in der zwei Übersetzer*innen mit auffälligen Namen in einer wenig konsultierten Enzyklopädie argentinischer Philosophen, die sie aus einer deutschen Bibliothek erhalten haben, nach einem Autor aus Buenos Aires mit einem seltsamen Namen suchen und bis zum Auffinden des Eintrags zweifeln, ob es ihn wirklich gegeben hat oder es sich nicht doch um die Stadt anstatt eines Bewohners dieser Stadt handelt … In der Hoffnung, dass Ihnen diese Ausführungen den Text und den Prozess hinter dem Text noch etwas nähergebracht haben, schließen wir an dieser Stelle mit den besten Wünschen, oder wie wir mit Macedonio Fernández sagen könnten: „ [D]ie KOntemplation und die LEidenschaft [ … ] geben volle Einsicht. “ 196 Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon <?page no="197"?> Literaturverzeichnis Primärliteratur Borges, Jorge Luis: Ficciones, Buenos Aires: Emecé 1956. Borges, Jorge Luis: Fiktionen - Erzählungen 1939 - 1944 (Spanisch 1956) transtt. Karl August Horst, Wolfgang Luchting, Gisbert Haefs, Frankfurt am Main: Fischer 2011. Casares, Adolfo Bioy: La invención de Morel, Buenos Aires: Editorial Losada 1940. Casares, Adolfo Bioy: Morels Erfindung (Spanisch 1940) transt. Karl August Horst, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983. Kant, Immanuel: Crítica de la razón pura, transt. Mario Caimi, México DF: Fondo de Cultura Económica 20009. Sekundärliteratur Chejfec, Sergio: Teoría del Ascensor, Zaragoza: Jekyll & Jill 2016. Đ urovi ć , Annette, Vlasta Ku č i š : „ Politisch initiierte translatorische Teamarbeit - Übersetzerdienste einst und heute “ Informatol 50.3-4 (2017), 189. Graziadei, Daniel: „ ¡Islas Fantásticas! Espacialidades insulares entre lo (neo-). fantástico y la posmodernidad en las obras de Adolfo Bioy Casares y Julio Cortázar ” , in: Daniel Graziadei, Michael Rössner edd. La Narración entre lo Fantástico y la Posmodernidad - Adolfo Bioy Casares y Julio Cortázar, Hildesheim: Olms Weidmann 2020, pp. 73 - 96. Sannders, Florencia: „ Paréntesis en la realidad: lo fantástico en los cuentos de Cortázar “ , in: Daniel Graziadei, Michael Rössner edd. La Narración entre lo Fantástico y la Posmodernidad - Adolfo Bioy Casares y Julio Cortázar, Hildesheim: Olms Weidmann 2020, pp. 29 - 40. Mit geschlossenen Augen weiter sehen: ein metaphysisches Paradoxon 197 <?page no="198"?> Orbis Romanicus Studia philologica Monacensia Edunt Andreas Dufter et Bernhard Teuber Bisher sind erschienen: Band 1 David Klein Medienphantastik Phantastische Literatur im Zeichen medialer Selbstreflexion bei Jorge Luis Borges und Julio Cortázar 2015, IV, 209 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-6986-8 Band 2 Benjamin Meisnitzer Das Präsens als Erzähltempus im Roman Eine gedruckte Antwort auf den Film 2016, 306 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8001-6 Band 3 Elisabeth Kruse La recepción creadora de la tradición mística en la lírica de Dámaso Alonso ¿Un poeta metafísico moderno? 2016, 277 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-6995-0 Band 4 Anna Marcos Nickol El teatro de la guerra Raum, Krieg und Theater bei Juan Benet 2016, 300 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-8233-8050-4 Band 5 Kurt Hahn Mentaler Gallizismus und transkulturelles Erzählen Fallstudien zu einer französischen Genealogie der hispanoamerikanischen Narrativik im 19. Jahrhundert 2017, 414 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8052-8 Band 6 Martina Bengert Nachtdenken Maurice Blanchots „Thomas l’Obscur“ 2017, 340 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8045-0 Band 7 Johanna Vocht/ David Klein / Gerhard Poppenberg (Hrsg.) (Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti 2019, 233 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8101-3 Band 8 Thomas Scharinger Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Zur Präsenz des Italienischen, seinem Einfluss auf das Französische und zur Diskussion um das françois italianizé 2018, 719 Seiten €[D] 138,- ISBN 978-3-8233-8160-0 Band 9 Laura Linzmeier Kontaktinduzierter Lautwandel, Sprachabbau und phonologische Marker im Sassaresischen 2018, 625 Seiten €[D] 108,- ISBN 978-3-8233-8141-9 Band 10 Martina Bengert/ Iris Roebling-Grau (Hrsg.) Santa Teresa Critical Insights, Filiations, Responses 2019, 360 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8246-1 <?page no="199"?> Band 11 Jörg Dünne/ Kurt Hahn/ Lars Schneider (Hrsg.) Lectiones difficiliores - Vom Ethos der Lektüre 2019, 664 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8258-4 Band 12 Christoph Hülsmann Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch 2019, 329 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8301-7 Band 13 Mattia Zangari Tre storie di santità femminile tra parole e immagini Agiografie, memoriali e fabulae depictae fra Due e Trecento 2019, 150 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8360-4 Band 14 Manfred Bös Transzendierende Immanenz Die Ontologie der Kunst und das Konzept des Logos poietikos bei dem spanischen Dichter Antonio Gamoneda 2020, 395 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8340-6 Band 15 Johanna Vocht Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion 2022, 281 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8425-0 Band 16 Aurelia Merlan (Hrsg.) Romanian in the Context of Migration (noch nicht erschienen) ca. 350 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8467-0 Band 17 Felix Bokelmann Varianzphänomene der Standardaussprache in Argentinien Indizien aus Sprachproduktion und -perzeption 2021, 392 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8490-8 Band 18 Denis Heuring Verdrängen und Erinnern auf dem Theater Bürgerkrieg und Diktatur im spanischen Drama nach 1975 (noch nicht erschienen) ca. 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8507-3 Band 19 Veit Lindner Wege, Lichtung, Horizont: Konstellationen des ‚Essayistischen‘ in María Zambranos Claros del bosque und Octavio Paz’ El mono gramático 2021, 314 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8529-5 Band 20 Sebastià Moranta Mas Discursos lingüísticos e identitarios en Mallorca y en la República de Moldavia Una investigación contrastiva de los conflictos entre catalán y español en Mallorca y entre rumano y ruso en Moldavia desde el enfoque del análisis crítico del discurso, la teoría sociolingüística y los estudios culturales (noch nicht erschienen) ca. 320 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8536-3 Band 21 Anke Grutschus Stimmenvielfalt im Monolog Formale und funktionale Aspekte von Redewiedergabe in spanischsprachigen Stand-up-Acts, Predigten und wissenschaftlichen Vorträgen 2022, 453 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8557-8 <?page no="200"?> Band 22 Daniel Graziadei / Florencia Sannders (Hrsg.) Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch mit philologischer und philosophischer Einführung 2022, 197 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8555-4 <?page no="201"?> ISBN 978-3-8233-8555-4 Die Totalität eines wachsamen Zustands des Wachens verneint der Titel des 1928 erschienenen Erstlingswerkes No toda es vigilia la de las ojos abiertos des argentinischen Philosophen Macedonio Fernández, das nun erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist. Bei dem Autor handelt es sich um den wichtigsten Vorläufer von Jorge Luis Borges, der 1952 über den eben Verstorbenen sagte, dass er ihn jahrelang bis hin zum passioniert-devoten Plagiat imitiert habe. Das Werk ist eine leidenschaftliche, träumerisch-verspielte Kritik an jeglicher Philosophie der Vernunft. Ein dekolonialer Angriff auf die großen europäischen Philosophen (von Kant bis Hobbes) voller Ironie und Parodie erwartet Sie! Die Publikation umfasst eine Einführung in Autor und Werk (Michael Rössner) sowie eine philosophische Einordnung (Victor Ferretti), die Übersetzung (Daniel Graziadei und Florencia Sannders) sowie ein Nachwort der Übersetzerin und des Übersetzers. Graziadei / Sannders (Hrsg.) Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Daniel Graziadei / Florencia Sannders (Hrsg.) Macedonio Fernández: Nicht jedes Wachen ist das mit den offenen Augen Eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch mit philologischer und philosophischer Einführung