Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta
Eine kulturorientierte, kognitionslinguistische Vergleichsstudie zwischen dem Deutschen, dem Arabischen und dem Französischen
0822
2022
978-3-8233-9556-0
978-3-8233-8556-1
Gunter Narr Verlag
Mohcine Ait Ramdan
10.24053/9783823395560
Was bedeutet Solidarität? Was bedeutet solidarite? In beiden Fallen handelt es sich um die Frage nach der Bedeutung abstrakter Sachverhalte, die trotz ihrer vermeintlichen Aquivalenz an der lexikalischen Oberflache jeweils eine unterschiedliche kulturellem Perspektivik reprasentieren. Die vorliegende Studie untersucht mittels eines vergleichenden Wortassoziationsexperimentes, das die assoziativen Reaktionen von insgesamt 750 Sprecher:innen des Deutschen, Französischen und arabischen auf 12 konkrete und 12 abstrakte Begriffe umfasst, inwieweit sich Konkreta und Abstrakta im Hinblick auf ihre kulturspezifische Konzeptualisierung unterscheiden.
<?page no="0"?> TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Eine kulturorientierte, kognitionslinguistische Vergleichsstudie zwischen dem Deutschen, dem Arabischen und dem Französischen Mohcine Ait Ramdan <?page no="1"?> Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 5 4 <?page no="3"?> Mohcine Ait Ramdan Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Eine kulturorientierte, kognitionslinguistische Vergleichsstudie zwischen dem Deutschen, dem Arabischen und dem Französischen <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823395560 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-8556-1 (Print) ISBN 978-3-8233-9556-0 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0369-5 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 1 11 1.1 11 1.2 13 1.3 14 2 19 2.1 20 2.1.1 20 2.1.2 24 2.2 25 2.2.1 25 2.2.2 28 2.2.3 30 2.3 31 2.4 35 3 39 3.1 40 3.1.1 40 3.1.2 46 3.1.3 48 3.1.4 52 3.2 58 Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelle Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturspezifische Semantik von Konkreta und Abstrakta . . . . Inhalt und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerb von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerb in der Erstsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerb in der Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkretheitseffekt und Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Konkretheitseffekt: Psycho- und neurolinguistische Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Dual-Coding“-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Context-Availability“-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstrakta vs. Konkreta: Dichotomie oder Kontinuum? . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion Das symbolische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Embodiment-Prinzip und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schematisierung und Assoziationsprinzipien . . . . . . . . Der „usage-based“-Ansatz und die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 3.3 62 3.3.1 62 3.3.2 66 3.4 67 4 69 4.1 70 4.2 73 4.2.1 73 4.2.2 74 4.2.3 76 4.3 80 4.3.1 80 4.3.2 87 4.4 90 4.4.1 90 4.4.2 93 4.4.3 97 4.5 98 5 101 5.1 102 5.2 104 5.3 106 5.4 109 5.5 115 6 117 6.1 118 6.2 119 Lexikalische Bedeutung als kulturspezifisches Konstrukt . . . . Kulturelle Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturspezifik lexikalischer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein framesemantischer Ansatz zur Erfassung kulturspezifischer Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . Framesemantik: Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Beschaffenheit von Frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frames als semantisches Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . Slot-Filler-Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Invarianten und Restriktionen . . . . . . . . . . Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkreta und Abstrakta als Matrixframes . . . . . . . . . . . Situative Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konventionalisierung und Prototypizitätseffekte bei Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konventionalisierung und Prototypizität von Frames . Standardwerte als Ausdruck von kulturspezifischer Prototypizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Standardwerte bei Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta Konzeptuelle Metaphern als ICM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildschemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metapherntypen und die Konzeptualisierung von Abstrakta . Metaphorische Konstruktion von Abstrakta: universelle Prägung und kulturelle Varianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen . . . . . . . . . . Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortassoziationsexperimente als Messverfahren zur Ermittlung semantischer Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 6.3 124 6.3.1 125 6.3.2 128 6.3.3 129 6.4 131 7 135 7.1 135 7.1.1 136 7.1.2 151 7.1.3 157 7.2 162 7.2.1 163 7.2.2 192 7.2.3 194 7.3 200 7.3.1 202 7.3.2 214 7.3.3 217 8 221 9 231 Wortassoziationsexperiment: Ein kontrastiver Vergleich zwischen dem Deutschen, Französischen und Arabischen . . . Stimuli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuchspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsverlauf und Instruktion . . . . . . . . . . . . . Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="9"?> Danksagung Im Anfang war das Wort {…} J O H 1,1-4 Es ist unmöglich aufzuzählen, wer in welchem Umfang Einfluss auf die Fertig‐ stellung dieses Dissertationsprojekts genommen hat. Ein langer Weg steht dahinter und an dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mit Rat und Tat zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Dank gebührt in erster Linie meinem Doktorvater und langjährigen Mentor Herrn Prof. Jörg Roche, der die Verwirklichung meines Promotionsvorhabens an der LMU möglich machte und mir auf diesem Wege mit einer umfassenden, wissenschaftlichen und akademischen Betreuung immer zur Seite stand. Bei Frau Prof. Claudia Maria Riehl bedanke ich mich ebenso für ihre Unterstützung in verschiedenen Phasen dieser Arbeit. Wissenschaftliches Feedback ist mir von meiner Zweitbetreuerin Frau Prof. Daniela Marzo, die die Realisierung dieser Arbeit mit wertvollen Hinweisen und Verbesserungsvorschlägen begleitete, zu teil geworden und nicht zuletzt auch von Prof. Hans Jörg Schmid und Prof. Alexander Ziem. Alle haben mit ihrer wissenschaftlichen Expertise wesentliche linguistische Impulse für diese Arbeit gesetzt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst ermöglichte mit einem Promo‐ tionsstipendium für drei Jahre den Start des Dissertationsrojekts vor meinem Antritt der Assistentenstellen am Institut für Deutsch als Fremdsprache und am Institut für Grundschulpädagogik und Didaktik an der LMU in München. Ohne diese finanzielle Unterstützung hätte die vorliegende Arbeit nicht durchgeführt werden können. Waren entlang des Weges kollegiale, freundschaftliche und moralische Unterstützung sowie fachlicher Rat vonnöten, konnte ich mir keine besseren Gesprächspartner*innen als Nicole Weidinger, Matthias Springer, Christian Meyer und Teresa Gruber wünschen. Ihre verständigen Fragen und kritisch-konstruktiven Kommentare habe ich als große Bereicherung und Hilfe empfunden. Auch die Gespräche mit den Kollegen des STABLAB der LMU in München waren für die Umsetzung der Studie unabdingbar, wie auch die Unterstützung von Ruth Ho‘aba, die mit gewohnter Ruhe, Genauigkeit und großem Interesse Korrekturen und weitere entlastende Aufgaben übernommen hat. Allen diesen Personen danke ich für ihre Anregungen und ihren Rückhalt. Mein größter Dank gilt freilich den 706 Untersuchungsteilnehmer*innen aus Deutschland, Frankreich und Marokko, die mit ihren 43328 Wortassoziationen <?page no="10"?> den Untersuchungsgegenstand der Arbeit bereitstellten und den Zugang zur konzeptuellen Welt ihrer Sprachen ermöglichten. Ich danke ihnen für die Zeit und Energie, die sie für das Experiment aufgebracht haben. Mit viel Geduld, Liebe und Verständnis haben mir in dieser Zeit viele weitere Menschen beigestanden. Mein persönlicher Dank gebührt hierfür meinen Kolle‐ gen, Freunden und meinen Geschwistern. Ihr Beistand war in vielen Phasen der Verzweiflung eine unermessliche Erleichterung und der Treibstoff, aus dem ich täglich schöpfen konnte. Mein innigster Dank richtet sich an meine Eltern, die mich immer zum Ziel der Promotion ermuntert haben und davor in jeder Phase meiner persönlichen Entwicklung sowie in meinem schulischen und akademischen Werdegang meine Entscheidungen bedingungslos unterstützt haben. Fischbachau, 15.12.2021 10 Danksagung <?page no="11"?> 1 Einleitung 1.1 Interkulturelle Semantik Grundvoraussetzung für eine sinnvolle menschliche Kommunikation in einer Sprachgemeinschaft ist ein vergleichbar gemeinsames konzeptuelles Wissen über die Welt und ein gemeinsamer Bedeutungsvorrat im Langzeitgedächtnis. Dieses Wissen erwerben Menschen über ihre gesamte Lebensdauer hinweg durch ihr konkretes Handeln in immer wiederkehrenden Situationen und in ihrer Interaktion mit anderen Menschen, Organismen, Artefakten, sozialen Institutionen etc. in einer Sprachgemeinschaft. Über diese wiederholten Si‐ tuationen verfestigen sich Wissensaspekte im Gedächtnis und unterstützen somit die Erschließung der Bedeutung einer sprachlichen Äußerung in einer konkreten Handlungssituation. Verfestigtes semantisches Wissen ist kulturge‐ bunden und kann das Verständnis einer sprachlichen Äußerung in vertrauten neuen Situationen leiten. Das heißt, dass das Verständnis und die Nutzung einer lexikalischen Einheit Vertrautheit mit kulturellen Schemata erfordert, die die kommunikative Interaktion zwischen Individuen in einer Sprachgemeinschaft regeln. Auch wenn dieses semantische Wissen nicht immer deckungsgleich mit den konkreten Situationen ist, in denen es eingesetzt wird, passt es doch oft gut genug, um die Bedeutung zu erschließen (Schmid 2018: 218). Die kulturspezifischen verstehensrelevanten Wissensaspekte, die unsere Bedeutungskonstitutionsprozesse leiten, unterscheiden sich von Sprachgemein‐ schaft zu Sprachgemeinschaft und treten in unterschiedlichen Formen auf. Sie werden meistens nicht durch die lexikalische Oberfläche der Sprache zum Vorschein gebracht und können deshalb zu gravierenden Problemen, vor allem in der interkulturellen Kommunikation, führen. Die diversen Erschei‐ nungen kultureller Geprägtheit von Sprache reichen von Textbzw. Diskursebenen bis hin zu den kleinsten sinntragenden Einheiten einer Sprache. Sie umfassen somit sämtliche Sprachbereiche wie die Semantik, Pragmatik sowie Grammatik, und lassen sich bis zur begleitenden Gestik und Mimik einer Sprache verfolgen (vgl. Roche 2013: 12ff.). Ohne das Vorhandensein kompatibler kulturadäquater Begriffe bzw. Konzepte über die Welt bleibt die Bedeutung verdeckt. Erkennbar wird die Relevanz dieser elementaren Grundlage oft in interkulturellen Gesprächssituationen, in denen trotz des Beherrschens einer <?page no="12"?> Fremdsprache die Kommunikation aufgrund fehlender Vertrautheit mit kultu‐ rellen Besonderheiten schwerfällt. Trotz der universellen Ausrichtung der meisten kognitiven Ansätze bei der Modellierung der lexikalischen Bedeutung als kognitive semantische Repräsen‐ tation rückt der kulturelle Aspekt in den Vordergrund. Busse (2007) spricht in der semantischen Forschung von der Notwendigkeit einer „Entsubjektivierung des verstehensrelevanten Wissens“. Damit meint er, dass Wissen keine Privatangelegenheit einzelner Individuen mehr ist, und dass man das Bemühen um eine Erforschung dieses Wissens nicht einfach mit dem stereotypen Hinweis darauf erledigen kann, dass man ja in die Köpfe der Menschen nicht hineinsehen könne, wie es immer noch viele Linguisten fälschlicherweise glauben. Was Menschen in ihren Köpfen haben, mag privat sein. Der Weg, auf dem es hineingekommen ist […], ist aber ein sozialer, kulturell vermittelter Weg. Verstehensrelevantes Wissen ist in beschreibbarer Weise sozial konstituiert und aufgrund gesellschaftlich organisierter, kulturell determinierter Bewegungen und Prinzipien strukturiert. Insofern mögen die das Verstehen vorbereitenden Schlussfol‐ gerungsprozesse (Inferenzleistungen) einzelner Subjekte durchaus individuell sein, das epistemische Material und die Schlussmuster, die dabei benutzt werden, sind unhintergehbar sozial (B U S S E 2007: 78 Hervorhebung Ait Ramdan). Die Forschung in den kognitiven Wissenschaften hat beispielsweise gezeigt, wie sich konzeptuelle Strukturen von einer kulturellen und sprachlichen Gruppe zur anderen unterscheiden können (Sharifian/ Palmer 2007, Sharifian 2017). Im Rahmen der kognitiven Semantik gibt es eine Reihe von Studien, die kulturvergleichende Akzente setzen (vgl. Kövecses 2018, 2005, Schröder 2012). Um diese kulturell geprägten konzeptuellen Charakteristika einer Sprache zu eruieren und zu quantifizieren, beziehen sich Kognitionswissenschaftler wie Kulturpsychologen und Kognitionsanthropologen auf kognitive analytische Or‐ ganisationseinheiten wie Schemata (Shore 1996) oder metaphorische Konzepte (Kövecses 2018). Der Fokus dieser Forschungsarbeiten ist im Gegensatz zu den meisten Arbeiten in diesem Bereich die Kognition einer Gruppe und nicht eines Individuums. Vor allem in kontrastiv angelegten Arbeiten in der lexikalischen Semantik nimmt die kulturelle Perspektivik menschlicher Kognition bei der Darstellung von Bedeutung eine gewichtige Rolle ein, um semantische Divergenzen zwi‐ schen verschiedenen Sprachen ans Licht zu bringen (vgl. Sharifian 2017, Ait Ramdan 2013, Roche 2013, Schröder 2012, Kövecses 2005, Roche/ Roussy-Parent 2006,). Roche geht beispielsweise davon aus, „dass grundsätzlich alle Begriffe, so alltäglich, einfach oder problemlos sie an der Oberfläche auch erscheinen 12 1 Einleitung <?page no="13"?> mögen, eine bestimmte linguakulturelle Perspektivik repräsentieren“ (vgl. Roche 2013: 21). Kulturspezifische Bedeutungsnuancen, die im Sprachgebrauch nicht ersichtlich werden, illustriert Kramsch mit dem Begriff GAME bzw. JEU in seiner Verwendung im Französischen und im nordamerikanischen Englisch wie folgt: The word game in American English is associated in its social context mostly with the words sports, competition, win, lose, team, rules, whereas the word jeu is associated in the French cultural imagination mostly with such words as loisir [leisure], s‘amuser [to have fun], enfants [children], pas sérieux. (K R A M S C H 1988: 106) 1.2 Kulturspezifische Semantik von Konkreta und Abstrakta Inwieweit sich die kulturelle Prägung von einer lexikalischen Einheit zu einer anderen unterscheidet und inwiefern dies mit dem Grad der ontologischen Beschaffenheit sowie dem Grad ihrer Konkretheit bzw. Abstraktheit zusammen‐ hängt, wurde bisher von der Forschung nicht hinreichend mit empirischen Befunden berücksichtigt (vgl. Fraas 1998, 2000, Barsalou 2005, Borghi/ Binkofski 2014). Insbesondere kann allgemein festgestellt werden, dass der Semantik abs‐ trakter Wörter, wie etwa Freiheit oder Gerechtigkeit, im Forschungsprogramm der kognitiven Linguistik weniger Beachtung geschenkt wurde. B A R S AL O U (2008: 634) begründet das folgendermaßen: Because the scientific study of concepts has primarily focused on concrete concepts, we actually know remarkably little about abstract concepts, even from the perspective of traditional cognitive theories. Dass zwischen konkreten und abstrakten lexikalischen Einheiten einer Sprache semantische Differenzen bestehen, lässt sich aus einer langen psycholingu‐ istischen Forschungstradition ableiten, die robuste Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta bezüglich ihres Erwerbs, ihrer Verarbeitung sowie ihrer kognitiven Repräsentation feststellt (Paivio 1965, Barsalou 2008). Diese Unterschiede sind in der Psycholinguistik unter dem Label Konkretheitseffekt (engl. concreteness effect) bekannt. Dieser Effekt beschreibt die Einflüsse, die die Konkretheit oder Abstraktheit eines lexikalischen Konzepts auf deren kognitive Verarbeitung oder Speicherung mit sich bringt. Die Distinktion von Konkreta und Abstrakta basiert hier in erster Linie darauf, dass sich Konkreta typischerweise auf räumlich und physikalisch wahrnehmbare Refe‐ renzen in der Realität beziehen wie etwa Stuhl, Straße und Ball, während abstrakte lexikalische Einheiten wie Freiheit, Wahrheit oder Sicherheit sich 13 1.2 Kulturspezifische Semantik von Konkreta und Abstrakta <?page no="14"?> auf Prozesse oder Zustände beziehen und zu ihrem Verständnis eine Reihe von situativbezogenen, soziokulturellen Informationen sowie einen hohen Grad an introspektiven Informationen erfordern (Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005). Abstrakta bilden daher keine perzeptuell wahrnehmbaren Gegenstände unserer Welt, sondern analytische Entwürfe der menschlichen Kognition, die sich in der soziokulturellen Erfahrung ergeben (Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005, Fraas 1998) und stellen deshalb ein klassisches Problem für Theorien dar, die das Wissen modalitätsspezifisch begründen (Borghi/ Binkofski 2014, Barsalou 1999, 2003). Zur hochgradig kulturellen Prägung der Bedeutung abstrakter Begriffe hypothesieren beispielsweise Borghi/ Binkofski: Due to the fact that language plays a major role in the representation of ACWs [abstract concepts and word meanings], we hypothesize that they are more affected by differences between languages than concrete concepts and words, that is, that their meaning will change more depending on the cultural and linguistic milieu in which they are learned (B O R G H I / B I N K O F S K I 2014: 21). Anknüpfend an diese Hypothese versucht die vorliegende Arbeit, den Einfluss kultureller Faktoren auf die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta aufzuzeigen und aus kognitiver Sicht exemplarisch zu modellieren und zu quantifizieren. Ausgehend von der These, dass Konkreta und Abstrakta auf‐ grund ihrer ontologischen Beschaffenheit auch epistemische Konzeptualisie‐ rungsspezifika aufweisen, wird in der vorliegenden Untersuchung der Frage nachgegangen, inwieweit sich diese beiden Konzeptarten im Hinblick auf ihre Konzeptualisierung unterscheiden und in welchem Umfang sich eine kulturelle Prägung bei beiden Konzeptarten abzeichnet. 1.3 Inhalt und Aufbau der Arbeit Diese Fragen werden in der vorliegenden Arbeit mittels eines Wortassoziations‐ experiments mit 750 Sprechern des Deutschen, Französischen und Arabischen beantwortet. Wortassoziationsexperimente eignen sich vor allem gut für die Zielsetzung der vorliegenden Studie, weil sie deckungsgleich mit psycholingu‐ istischen und semantischen Theorien, wie etwa der Frame-Semantik oder der konzeptuellen Metapherntheorie, sind, die dieser Arbeit als Grundlage dienen. Wortassoziationen rufen außerdem schnell und unkompliziert Sprachdaten hervor, die sich leichter für quantitative Analysen eignen als diskursive Sprach‐ daten bzw. Textkorpora. Typischerweise werden Wortassoziationsexperimente auch zur Messung von Stereotypie eingesetzt (Fitzpatrick et al. 2015). Der Grad 14 1 Einleitung <?page no="15"?> der Stereotypie gibt an wie ähnlich die Reaktion eines Individuums mit denen in einem Referenzsatz ist. Hieraus lassen sich gruppenbezogene semantische Netzwerke generieren, die Aufschluss über den Grad der Übereinstimmung zwischen Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften geben oder die Ausprägung verschiedener gruppenspezifischer Variablen wiedergeben. Auch zur Aufdeckung kulturspezifischer Differenzen zwischen mehreren Sprachen wurden Wortassoziationsexperimente eingesetzt (vgl. Roche 2013, Sharifian 2017). Sie bieten einen tiefen Einblick in die assoziative Struktur semantischer Netze und zeigen damit intersubjektive, kultur- und sprachbe‐ zogene Bedeutungsaspekte auf. Deshalb scheinen sie auch zur Aufdeckung der kulturspezifischen Prägung von Konkreta und Abstrakta hilfreich. In der vorliegenden Studie wird dieses Design angewandt, um die Differenzen zwi‐ schen Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französischen und Arabischen statistisch zu quantifizieren, und um einen Einblick in die Konzeptualisierung beider Konzeptarten sowie in ihre kulturellen Spezifika zu bekommen. Für diesen Zweck werden in der vorliegenden empirischen Untersuchung sämtliche Aspekte erläutert, die hinter der dichotomen Unterscheidung zwi‐ schen Konkreta und Abstrakta stehen. Diesem Grundsatz folgend gliedert sich die folgende Arbeit in zwei Hauptteile: Im ersten Teil (Kapitel 2 bis 5) werden die psycholinguistische Evidenz, die kognitiven Grundlagen der Bedeutungs‐ konstitution sowie die wichtigsten theoretischen Modelle der Framesemantik und der konzeptuellen Metapherntheorie im Hinblick auf die Konzeptualisie‐ rung von Konkreta und Abstrakta in den Blick genommen. Im zweiten Teil (Kapitel 6 bis 8) wird anhand der gewonnenen Daten aus dem oben genannten Wortassoziationsexperiment die kulturspezifische Prägung von Konkreta und Abstrakta mittels der Kontrastierung des Deutschen mit dem Französischen und Arabischen untersucht. Zuerst wird im zweiten Kapitel die Evidenz der Differenzierung zwischen Konkreta und Abstrakta ausgehend von empirischen Befunden psycho- und neurolinguistischer Studien erläutert. Diese Dichotomie lässt sich vor allem durch die Unterschiede beim Erwerb rechtfertigen. So zeigen Studien sowohl zum Erstals auch zum Fremdspracherwerb, dass Konkreta früher und schneller als Abstrakta erworben werden. Außerdem werden in diesem Kapitel Studien sowie theoretische Modelle vorgestellt, wie die „Dual-Coding“-Theorie von Paivio (vgl. Paivio 1965, 1969, 1986) und die „Context-Availability“-Theorie von Schwanenflugel et al. (1988, 1992), die die Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta fokussieren und Unterschiede zwischen beiden Konzeptarten jeweils auf unterschiedliche Verarbeitungswege und Repräsentationssysteme zurückführen. 15 1.3 Inhalt und Aufbau der Arbeit <?page no="16"?> Aus diesen Unterschieden resultieren verschiedene Überlegungen zur ko‐ gnitiv-semantischen Repräsentation dieser beiden Konzepte sowie zu ihrer sprachspezifischen Konzeptualisierung. Daher wird im dritten Kapitel folge‐ richtig der Frage der kognitiven Repräsentation des semantischen Wissens nachgegangen. Hier werden kognitive zeichentheoretische Grundlagen, die gemeinsam für Konkreta und Abstrakta gelten, skizziert, sowie das Konzeptuali‐ sierungsverständnis dieser Arbeit, das auf einem kognitiven Verständnis basiert, in dem sowohl einzelsprachlichen als auch enzyklopädischen Bedeutungsaspekten Rechnung getragen wird. Diese Sichtweise dynamischer Bedeutungs‐ konstruktion entspricht dem enzyklopädischen gebrauchsbasierten Ansatz von Langacker, nach dem lexikalische Bedeutung weder frei noch fest ist (Langacker 2008: 39). Bedeutung ist hiernach an ein gewisses Maß an Wissen, Konventionen und an bestimmte Erfahrbarkeitskanäle gebunden. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel schema- und assoziationstheoretische Grundlagen der Bedeu‐ tungskonstitution sowie die Konventionalisierung von semantischen kulturge‐ prägten Bedeutungsaspekten in einer Sprachgemeinschaft behandelt. Dies dient dazu, einen theoretischen Rahmen zu schaffen, vor dessen Hintergrund die kulturelle Prägung von Konkreta und Abstrakta ersichtlich wird. Um einen analytischen Zugang zu den konzeptuellen Strukturen von Kon‐ kreta und Abstrakta zu erhalten, bietet sich insbesondere der framesemantische Ansatz an, der im vierten Kapitel beleuchtet wird. Semantische Frames werden hier herangezogen, um die kognitive Repräsentation des lexikalischen seman‐ tischen Wissens zu modellieren und Verstehenssowie Interpretationsprozesse zu erklären (1977, 1982, 1985, Konerding 1993, Ziem 2008, 2014a und b, Busse 2012). Frames gelten als schematische Einheiten par exellence. In ihnen schlagen sich alle kognitiven, schematheoretischen und assoziativen Grundlagen nieder, die einem enzyklopädischen und konventionalisierten Bedeutungsverständnis gerecht werden. Um die semantischen Besonderheiten von Abstrakta zu berücksichtigen, werden im fünften Kapitel die Grundzüge der konzeptuellen Metaphern‐ theorie erläutert, die Metaphern nicht als stilistisch auffällige Sprachbilder begreift, sondern vielmehr als kognitiven Mechanismus, durch den abstrakte Bedeutungen mithilfe von Konkreta konzeptualisiert werden. Dieses Kapitel versucht auf die Frage zu antworten, wie die Konzeptualisierung abstrakter Begriffe nach diesem Ansatz erfolgt und inwiefern metaphorische Konzepte als analytische Einheiten zur Entschlüsselung kultureller Differenzen in verschie‐ denen Sprachen brauchbar sind (s. Sharifian 2017). Im empirischen Teil der Arbeit werden nach einer eingehenden Ableitung der Forschungsfragen und Hypothesen in Kapitel 6 das Untersuchungsdesign 16 1 Einleitung <?page no="17"?> der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Versuchspersonen, die Auswahl der Stimuli und den Untersuchungsverlauf sowie weitere methodische Aspekte erläutert. Darüber hinaus werden relevante Wortassoziationsexperimente skiz‐ ziert, deren Ergebnisse auf die kulturbedingte Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta hindeuten. Durch diverse quantitative statistische Maße werden in Kapitel 7 die Unterschiede abgebildet, die Konkreta und Abstrakta in und zwischen den drei untersuchten Sprachen aufweisen und auf eine kulturspezi‐ fische Konzeptualisierung hindeuten. Diese Ergebnisse werden anschließend vor dem Hintergrund weiterer Studien und Untersuchungen diskutiert. 17 1.3 Inhalt und Aufbau der Arbeit <?page no="19"?> 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik Im vorliegenden Kapitel wird die Evidenz der Differenzierung zwischen Kon‐ kreta und Abstrakta auf der Grundlage von empirischen Befunden psycho- und neurolinguistischer Studien erläutert. Im Fokus steht die dichotome Un‐ terscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta, die sich vor allem durch die Unterschiede beim Erwerb und bei der Verarbeitung beider Konzeptarten rechtfertigen lässt. So werden Konkreta im Vergleich zu Abstrakta früher erworben und schneller verarbeitet (vgl. Wode 1988, 1993, Schröder et al. 2003). Auch Studien zum Erwerb von Konkreta und Abstrakta in einer Fremdsprache zeigen große Vorteile bezüglich Memorisierungs- und Verarbeitungsleistungen für Konkreta (Altarriba/ Basnight-Brown 2011). Zwei prominente Ansätze aus der Psycholinguistik versuchen, diese Unter‐ schiede zu modellieren. Die „Dual-Coding“-Theorie von Paivio (vgl. Paivio 1965, 1969, 1986) sieht die Robustheit der Verarbeitung von Konkreta durch deren Repräsentation in zwei Wissensspeicherungssystemen begründet. Kon‐ kreta verfügen hiernach über eine doppelte Kodierungsmöglichkeit: eine perzeptuelle und eine sprachliche. Dies macht ihre Verarbeitung gegenüber Abstrakta schneller und effizienter. Im Gegensatz dazu geht die „Context-Availa‐ bility“-Theorie von Schwanenflugel et al. (1988, 1992) davon aus, dass der Nach‐ teil bei der Verabeitung von Abstrakta durch deren hohe Kontextabhängigkeit entsteht. Insofern ist der Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta durch qualitative Besonderheiten auf der Ebene der Konzeptualisierung gegeben. Trotz dieser Erklärungsansätze lässt sich ausgehend von einer dichotomen Betrachtungsweise keine genaue Abgrenzung zwischen beiden Konzeptarten ermitteln. Die meisten Studien gehen von dem Merkmal der perzeptuellen Dar‐ bietung als Distinktionsmerkmal aus, um den Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta zu belegen. Eine weitere Alternative zur dichotomen Sichtweise ist die, dass Abstrakta und Konkreta ein Kontinuum darstellen und sich Be‐ griffe hinsichtlich ihrer Konkretheit bzw. Abstraktheit graduell unterscheiden. Konkretheit und Abstraktheit können dabei nur als grobe Einteilungsmuster herangezogen werden (Keil 1989, Borghi/ Binkofski 2014). In diesem Kapitel wird daher der Frage nachgegangen, auf welchen empi‐ rischen Evidenzen und theoretischen Modellierungsversuchen die Unterschei‐ dung zwischen Konkreta und Abstrakta basiert und wie eine Unterteilung zwischen beiden Konzeptarten vorgenommen werden kann. <?page no="20"?> 2.1 Erwerb von Konkreta und Abstrakta 2.1.1 Erwerb in der Erstsprache Eine Unterscheidung zwischen konkreten und abstrakten lexikalischen Kon‐ zepten erfordern die Ergebnisse von psycholinguistischen Untersuchungen, in denen gezeigt werden konnte, dass die Konkretheit oder Abstraktheit eines Konzeptes, wie beispielsweise [STUHL] vs. [FREIHEIT], einen enormen Einfluss auf den Erwerb lexikalischer Einheiten haben. Als Beleg für die These, dass der Erwerb von Konkreta einfacher als der von Abstrakta erfolgt, wird häufig deren Erwerbsreihenfolge im frühen Spracherwerb herangezogen. Allgemein gilt, dass Abstrakta später erworben werden als konkrete Objektbegriffe (vgl. Schröder et al. 2003: 92). Aus einer Reihe von psycho- und neurolinguistischen Untersuchungen zur Entwicklung des frühen Lexikons leiten Schröder et al. (2003) ab, dass die ersten erworbenen Wörter sich auf direkt wahrnehm‐ bare Gegebenheiten aus der Umgebung des Kindes beziehen, etwa relevante Basic-Level-Begriffe wie ‚Personen‘, ‚Tiere‘, ‚Spielzeug‘, ‚Kleidung‘, ‚Lebens‐ mittel‘, ‚Körperteile‘, ‚Haushaltsgegenstände‘ und ‚Fahrzeuge‘. Danach folgen Wörter für ‚Handlungen‘, ‚Bewegungen‘, ‚Orte‘ und ‚Ereignisse‘ und erst später finden sich Wörter, die auf Zustände, Eigenschaften von Objekten und auf Orts- und Zeitangaben referieren (vgl. Schröder et al. 2003: 91). Wode (1993: 145) stellt in dieser Hinsicht fest: „[d]er expansivste Bereich des frühkindlichen Lexikons ist das direkt Perzipierbare, also das Sehbare, Hörbare, Fühlbare, vor allem aber das, womit die Kinder hantieren können“. In seiner Typologie zum Erwerb des frühen Lexikons merkt Wode (vgl. 1988: 146, 1993: 144) an, dass die Mehrheit der ersten 50 Wörter, die ein Kind innerhalb der ersten 21 Monate erwirbt, primär auf perzipierbare Dinge in seinem Umfeld referieren. Trotz der Erweiterung der holistischen Wortspeicherungsstrategie zur einzellautorientierten Speicherung und der dadurch bemerkbaren abrupten Erweiterung des Wortschatzes, liegt der Schwerpunkt bis zum Ende des dritten Lebensjahres vorwiegend auf Konkreta. Diese umfassen typische Wörter aus den folgenden Wortfeldern: Spielzeug und manipulierbare Gegenstände (Ball, Puppe, Laster), Tiere (Hund, Katze, Kuh), Körperteile (Auge, Nase, Hand), Kleidung (Hose, Schuhe), Nahrung (Milch, Banane) und Personen (Mama, Papa, Baby). Welche Wörter allerdings bevorzugt gelernt werden, hängt in erster Linie vom Umfeld der Kinder ab. Typisch sind nach Nelson et al. (1993) die semantischen Felder: Personen, Tiere, Spielzeug, Kleidung, Lebensmittel, Körperteile, Haushaltsgegenstände, Fahrzeuge, Handlungen, Bewegungen, Orte und Ereignisse. 20 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="21"?> Obwohl rezente Studien zum Wortschatzerwerb neben dem Effekt von Kon‐ kretheit bzw. Abstraktheit weitere Aspekte fokussieren und unterschiedliche Modalitäten des Erwerbs unterscheiden, wie etwa in Bezug auf die Art des Inputs und in Bezug auf die linguistische Erfahrung (s. Wauters et al. 2008, Borghi/ Binkofski 2014), bleibt der Vorteil von Konkreta gegenüber Abstrakta immer erhalten. Die folgende Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über die Ergebnisse von Wode (1993) sowie Nelson et al. (1993) hinsichtlich der Referenzbereiche im frühen Wortschatzerwerb im Deutschen und Englischen. Deutsch Englisch Deixis da, dies, das there, that, this Negation nein No Wahrnehmbares: konkret, hörbar, sichtbar, greifbar, manipulierbar Spielzeuge, manipulierbare Gegenstände Ball, Puppe, Laster ball, dolly, truck Tiere Hund, Katze, Kuh dog, cat, cow Körperteile Auge, Nase, Hand eye, nose, hand Kleidung Hose, Schuhe sock, shoe Nahrung Ei, Milch, Banane egg, milk, banana Personen • Namen Mama, Papa, Oma mommy, daddy, Bettie • sonstige Junge, Baby boy, baby Tätigkeiten, Vorgänge, Zustände rauf, runter auf, runter up, down zerstören kaputt verschwinden alle, weg all gone Nahrungsaufnahme essen, trinken eat, drink Soziale Formeln grüßen ata bye, hi bitten bitte Please Attribute heiß Hot Tab. 2.1: Referenzbereiche, die Kinder im L1-Erwerb früh lernen (englisches Material aus Nelson 1973, deutsches Material: Lars und Inga aus dem Kieler Korpus, Wode 1993: 146). 21 2.1 Erwerb von Konkreta und Abstrakta <?page no="22"?> Nicht für alle Objekte, die im Umfeld des Kindes präsent sind, werden Wörter gelernt. Beachtung finden besonders Konkreta, mit denen das Kind hantieren kann und die es in sein Aktionsverständnis einbeziehen kann. Hierbei impliziert der Erwerb eines Wortes nicht, „dass sich das Kind sofort die zielsprachliche Bedeutung aneignet. Vielmehr nähert es sich in einem dynamischen Prozess allmählich an die Bedeutung der Erwachsenensprache an“ (Schröder et al. 2003: 92). Die Dynamik zeigt sich vor allem in der Asymmetrie beim Verstehen und bei der Produktion der erlernten lexikalischen Konzepte. Ein Kind, das die Getränke seines Vaters generell mit Bier bezeichnet, wird, auf dessen Bitte ein Bier zu holen, nicht notwendigerweise ein beliebiges Getränk - Milch, Wasser, Tee oder rein zufällig auch eine Flasche Bier - anschleppen. Viel häufiger wird die Bitte richtig im Sinne des Auftrags erfüllt, d. h. das Kind kennt die Wörter und Objekte, nur unterscheidet es sie nicht in der eigenen Produktion (W O D E 1993: 146). Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor auf den Erwerb des Frühlexikons ist die Salienz der perzeptuellen Merkmale. Clark (1973) postuliert, dass Kinder hierbei allgemeine vor spezifischen Bedeutungsmerkmalen erwerben, die dann im Laufe des Bedeutungserwerbsprozesses weiter ausdifferenziert werden. Anhand der vorliegenden Untersuchungsergebnisse lässt sich jedoch nicht auf präzise Weise nachvollziehen, welche perzeptuellen Merkmale den Vorrang beim Erwerb haben und fraglich bleibt auch, wie Kinder mit diesem Prinzip abstrakte Bedeutungsmerkmale erwerben. Nach C LA R K (1973: 79): The principal criterial characteristics can be classified into several categories, such as movement, shape, size, sound, taste, and texture. The categories are clearly derived from the child’s perception of the properties of the objects around him. […] there is a residual group of overextensions in which the words used usually seem to refer to actions rather than to objects (C L A R K 1973: 82). Die meisten bisher genannten Studien führen den Vorteil, den Konkreta beim Erwerb aufweisen, auf die ontologisch bedingte Beschaffenheit von Konkreta zurück. Das Merkmal der perzeptuellen bzw. multisensoriellen Wahrnehmung spielt hiernach eine wesentliche Rolle. Bei Konkreta aus dem Basic-Level wie beispielsweise [BLUME] oder [AUTO] gelingt den Kindern trotz ihrer formalen Diversität und trotz der Vielfältigkeit ihrer Exemplare ein schnellerer Sprach‐ erwerb als bei Abstrakta. Den Erwerbsprozess von Konkreta bei Kindern be‐ schreiben B O R G HI / B IN K O F S KI (2014: 22) am Beispiel von Flower folgendermaßen: Children typically hear it in presence of different kinds of flowers, and at the beginning, they might start hypothesizing that it refers to the petals, to the stalk, 22 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="23"?> or to the flower’s scent. Then, progressively, they have to learn to refer the word flower to roses, cowslips, and daisies, i. e., to different flowers, thus abstracting from the idiosyncratic aspects of each exemplar they have encountered, and they have to learn as well to refer the word to the flower as a whole, not to its parts. Once learned, the word will re-evoke the experience of a flower and will help predict possible actions to perform with flowers people might be able to imagine a flower, its scent and fragrance, and its color and might be able to prepare themselves to pick up nice flowers. Obviously, the concept of flower to which the word refers will be continuously updated, once new flowers experiences are collected, but somehow, it is not difficult to form an image of the flower’s referent (Hervorhebung im Original). Im Gegensatz zum Erwerb von konkreten Konzepten aus dem Basic-Level führen Borghi/ Binkofski (2014) die Komplexität des Erwerbs von abstrakten Konzepten, wie etwa [WAHRHEIT] oder [FANTASIE], darauf zurück, dass diese nicht auf einzelne klar umrissene Objekte referieren. Abstrakte lexikalische Konzepte zeichnen sich hingegen durch eine hohe Disparität der Situationen, Zustände oder Ereignisse aus, auf die sie referieren. Der Vorteil, den Konkreta beim Erwerb zeigen, lässt sich nicht nur im Früh‐ spracherwerb beobachten. In einer Reihe von Experimenten haben Borghi et al. (2011) die Erwerbsmodalitäten von Abstrakta und Konkreta bei erwachsenen Versuchspersonen mittels unterschiedlicher psycholinguistischer Testverfahren untersucht. In einer simulierten Erwerbsumgebung sollten die Probanden erfun‐ dene 3D-Figuren manipulieren und anschließend komplexe Darstellungen mit 3D-Figuren beobachten, in denen mehrere konkrete Elemente in Aktion treten. Die erste Kategorie stellt Konkreta dar. Die komplexen Darstellungen hingegen stehen für Abstrakta. Die zugrundeliegende Überlegung hierbei ist, dass kon‐ krete Konzepte sich auf manipulierbare Referenten beziehen, wohingegen Abstrakta komplexe Interaktionen zwischen diversen Elementen darstellen und sich nicht taxonomisch auf der Basis von Similaritätsbeziehungen gruppieren lassen. Borghi et al. (2011) konnten unter Verwendung von drei methodischen Verfahren - Wiedererkennungsaufgaben (engl. categorial recognition), Zuord‐ nungsaufgaben (engl. words-objects match) und Produktionstests (engl. produc‐ tion task) - den Unterschied beim Erwerb von Abstrakta und Konkreta sowohl auf lexematischer als auch auf konzeptueller Ebene messen. Nach einer Lern‐ phase wurde der Konzepterwerb durch Wiedererkennungsaufgaben getestet. Die Versuchpersonen wurden instruiert, die 3D-Figuren auf dem Bildschirm eines Computers für 500 ms zu beobachten, danach konnten sie sich aus zwei Stimuli für den richtigen entscheiden. Im zweiten Test wurden die Versuchsper‐ sonen aufgefordert, die dargebotenen Objekte erfundenen Lexemen zuzuordnen 23 2.1 Erwerb von Konkreta und Abstrakta <?page no="24"?> (engl. words-objects match), die sie bereits in der Trainingsphase erworben haben. Weiterhin sollten die Probanden in einem Produktionstest, ausgehend von den gelernten Lexemen, drei Merkmale zu jedem Konzept nennen. Die Ergebnisse dieser Tests haben gezeigt, dass der Erwerb von Konkreta sowohl auf der lexematischen als auch auf der konzeptuellen Ebene effizienter und nachhaltiger ist als der Erwerb von Abstrakta. So zeigte eine Varianzanalyse bei den Wiedererkennungsaufgaben, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit bei Abstrakta (M = 5,21 %) im Mittel um etwa 50 % höher ist als bei konkreten Stimuli (M = 2,34 %) (vgl. Borghi et al. 2011: 5). Ähnliche Werte lassen sich bei den Zuordnungsaufgaben beobachten. Insgesamt erreichten Abstrakta höhere Mittelwerte (M = 5,01 %) als Konkreta (M = 1,37 %). Somit zeichnet sich ein höherer Fehlzugriff auf Abstrakta als auf Konkreta ab. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die von den Versuchspersonen genannten Merkmale im Produktionstest bei den erfundenen Stimuli in dieser Studie mit Ergebnissen zu realen Stimuli übereinstimmen, die zum Vergleich herangezogen wurden (vgl. Wu/ Barsalou 2009, Caramelli et al. 2004). Die Varianz zwischen Konkreta und Abstrakta lässt sich hier bei der Übereinstimmung der Nennungen der Ver‐ suchspersonen beobachten. Nennungen zu abstrakten Stimuli sind disparater als die zu den konkreten Stimuli. 2.1.2 Erwerb in der Fremdsprache Da aus den vorliegenden Ergebnissen zum Erwerb von Konkreta und Abstrakta in der L1 bekannt ist, dass die Konkretheit bzw. Abstraktheit eines lexikalischen Konzepts die Lernleistung stark beeinflusst, lenkten Altarriba/ Basnight-Brown (2011) in einer explorativen Studie ihr Augenmerk auf den Erwerb in der Fremdsprache. Um die festgestellten Unterschiede zum Erwerb von Konkreta und Abstrakta überprüfen zu können, wurden im Experiment Emotionswörter als Sonderkategorie hinzugefügt. Obwohl der Fokus auf den Unterschied beim Erwerb von Emotionswörtern und Nicht-Emotionswörtern gelegt wurde, lassen sich aus den Ergebnissen Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta klar ableiten. Insgesamt wurde die Studie mit 60 englischsprechenden Ler‐ nenden des Spanischen als Fremdsprache durchgeführt. Die Besonderheiten beim Erwerb der drei genannten Kategorien wurden exemplarisch anhand von 24 spanischen Wörtern, 8 Konkreta (zum Beispiel [ JOYA], [ JEWEL]), 8 Abstrakta (zum Beispiel [VIRTUD], [VIRTUE]) und 8 Emotionswörtern (zum Beispiel [ENOJADO], [ANGRY]) untersucht. Nach einer initialen Lernphase, in der die Versuchspersonen mit den 24 neu zu erlernenden Wörtern vertraut gemacht wurden, erfolgte ein Übersetzungs-Wiedererkennungstest, in dem die 24 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="25"?> Versuchspersonen in einer bestimmten Zeit über die Korrektheit von dargebo‐ tenen Übersetzungspaaren entscheiden sollten. Darüber hinaus wurde in einem Stroop-Interferenz-Test (engl. stroop color-word task) überprüft, inwieweit die Versuchspersonen die erlernten Wörter mit Farben assoziieren können, denn jedes Wort wurde in der Lernphase in einer bestimmten Farbe dargeboten. Die Versuchspersonen sollten die Farben bestimmen, mit denen die Wörter in der Lernphase versehen wurden. Eine Varianzanalyse der Ergebnisse hinsicht‐ lich der variablen Reaktionszeit und Korrektheit zeigt, dass Konkreta mit Ab‐ stand häufiger korrekte Reaktionen und kürzere Reaktionszeiten erzielt haben. Hierbei ist anzumerken, dass bei den emotional beladenen Stimuli eine längere Reaktionszeit markiert wurde, und hinsichtlich der Korrektheit der Antworten Abstrakta und Emotionswörter keine großen Unterschiede aufwiesen (vgl. Altarriba/ Basnight-Brown 2011: 449f.). Ausgehend von den Ergebnissen dieser Studie stellen die beiden Autoren fest, dass die Unterschiede beim Erwerb auf Differenzen konzeptueller Art zwischen den beiden Kategorien zurückzuführen sind (Altarriba/ Basnight-Brown 2011: 451). 2.2 Konkretheitseffekt und Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta 2.2.1 Der Konkretheitseffekt: Psycho- und neurolinguistische Evidenz Die Konkretheit bzw. Abstraktheit eines lexikalischen Konzepts als Einfluss‐ faktor lässt sich nicht nur beim Erwerb lexikalischer Einheiten beobachten. Psy‐ cholinguistische Untersuchungen in den letzten 70 Jahren haben daneben große Differenzen in der Verarbeitung von konkreten und abstrakten lexikalischen Konzepten nachgewiesen (vgl. Balota et al. 1991: 193-197, Borghi/ Binkofski 2014). Diese Differenzen ließen sich mit unterschiedlichen Testverfahren so‐ wohl für die Sprachrezeption als auch -produktion bestätigen. Die festgestellten Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta bei der Sprachverarbeitung sind unter dem Label Konkretheitseffekt (engl. concreteness effect) bekannt geworden. Dieser Effekt besagt, dass lexikalische Konzepte, die auf wahrneh‐ mungsbasierte Entitäten referieren, schneller und effizienter verarbeitet werden als Konzepte, die nicht wahrnehmungsbasiert sind. Der hohe Erklärungswert der Konkretheit als Einflussfaktor auf die Verarbei‐ tung und Lernbarkeit lexikalischer Konzepte geht auf Allan Paivio zurück, der bei seinen Untersuchungen zum Paar-Assoziations-Lernen feststellen konnte, dass die Konkretheit eines Begriffs einen enormen lernerleichternden Effekt 25 2.2 Konkretheitseffekt und Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta <?page no="26"?> 1 Ein umfangreicher vergleichender Überblick über die bestehenden Studien zum Kon‐ kretheitseffekt findet sich bei Balota et al. (1991). Eine Arbeit, in der aktuellere Untersuchungsergebnisse kontrastiert werden, ist beispielsweise die Publikation von Borghi/ Binkofski (2014). mit sich bringt (vgl. Paivio 1969, 2007). Sein Forschungsprogramm diente als Grundbaustein für eine Reihe weiterer Untersuchungen, die sich mit dem Konkretheitseffekt beschäftigen. Hier zeigen sich bei fast allen Untersuchungen, die auf der lexikalischen Ebene operieren, dass Konkreta robustere Verarbei‐ tungs- und Memorisierungsleistungen als Abstrakta erzielen. Dies zeigt sich beispielsweise bei Studien zu Erinnerungstests (engl. free-recall) (Paivio et al. 1968, Rubin/ Friendly 1986, Tse/ Altarriba 2009), Wiederherstellung der Reihen‐ folge (engl. recollection) (Romani et al. 2008, Peters/ Daum 2008), lexikalischer Entscheidung (engl. lexical decision) ( James 1975, Kroll/ Merves 1986, Bleasdale 1987, Borghi et al. 2011), Übersetzung (Altarriba/ Basnight-Brown 2011) und semantischer Kategorisierung (engl. semantic categorization) (Tyler et al. 2001). 1 Den Konkretheitseffekt bei der Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta unterstützen darüber hinaus neurolinguistische Befunde, die ausgehend von elektroenzephalografischen (EEG) und bildgebenden Messverfahren (engl. neu‐ roimaging) Unterschiede bei der neuronalen Aktivierung von Konkreta und Abstrakta festgestellen. Von einem einheitlichen Verarbeitungsprozess kann dabei nicht ausgegangen werden, weil bei Konkreta und Abstrakta nicht die gleichen neuronalen Aktivierungsprozesse vorliegen. P U L V E R MÜL L E R (2013: 465) sieht den Unterschied zwischen Abstrakta und Konkreta darin begründet, dass […] the variability of the sensorimotor patterns that foster semantic grounding, which is typically low for concrete and high for abstract symbols. This difference in correlation structure may yield different neuronal and cognitive mechanisms for concrete and abstract meaning. Weiss (1997) konnte nachweisen, dass die Verarbeitung von akustisch prä‐ sentierten konkreten und abstrakten Nomina unterschiedliche EEG-Kohärenz‐ muster hervorruft. Durch ihr Experiment konnte festgestellt werden, dass bei der Verarbeitung von Konkreta mehr Gehirnregionen kooperieren als bei der Verarbeitung von Abstrakta. Der Grund dafür lässt sich dadurch erklären, dass sie Gegenstände beschreiben, „deren Konzepte im semantischen Netzwerk durch taktile, visuelle, akustische, aber auch olfaktorische, gustatorische und motorische Komponenten repräsentiert sind“ (Weiss 1997: 131). Im Gegensatz dazu stellt Weiss fest, dass die Repräsentation von Abstrakta sich nicht auf eine multimodale Wissensbasis stützen kann. 26 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="27"?> Des Weiteren deuten Forschungsergebnisse zum Neuroimaging auf eine modalitätsspezifische Kortexaktivierung bei der Verarbeitung von lexikalischen Konzepten, die taktile, olfaktorische, visuelle, auditive oder gustatorische Eigen‐ schaften aufweisen (vgl. auch Goldberg et al. 2006, Simmons et al. 2005, Kiefer et al. 2008). Hier zeigen sich neben der Überlappung und der gemeinsamen Ak‐ tivierung von manchen Gehirnzentren bei der Verarbeitung von lexikalischen Konzepten kategorienspezifische Aktivierungseffekte, die unterschiedliche Ko‐ härenzmuster bei Abstrakta und Konkreta hervorrufen. Category-specific semantic effects also appear for regions far beyond the hub candi‐ dates, in and close to modality-specific - or, more accurately, modality-preferential - sensory and motor areas. In superior temporal auditory and inferior temporal visual areas, sound and visually related words such as bell and grass yield the strongest activation, and focal lesions can cause semantic and conceptual deficits for these categories. Category specificity is present in and close to the piriform and anterior insular olfactory cortex, where odor words such as ‘cinnamon’ lead to greater activation than control words do; in the gustatory cortex in anterior insula and frontal operculum, where taste words such as ‘sugar’ lead to relatively strong activation; and in the ventral, lateral, and dorsal motor system, including primary motor and premotor, along with adjacent prefrontal and anterior parietal areas. In motor cortex, a fine-grained semantic map reflects the body-part relationship of action-related words, phrases, and sentences, and potentially additional features of the action schemas these signs relate to semantically (P U L V E R MÜL L E R 2013: 264). Hayes/ Kraemer (2017) bestätigen zudem, dass sensorische Bereiche bei der Verarbeitung von Konkreta stärker aktiviert werden, während bei Abstrakta und Funktionswörtern eine stärkere fokale Aktivierung des perisylvischen Kortexes (Sprachregionen) dominiert. [B]rain regions (located in sensorimotor cortex and nearby association cortex) that are preferentially responsive to information within a specific sensory modality - play a prominent role in information processing and semantic retrieval […]. Such networks consist of simultaneously activated brain regions representing the properties of a given concept - for example, seeing a tool activates left hemisphere areas including the ventral fusiform cortex, parietal cortex, and ventral premotor cortex (vPMC), regions associated with visual object identification (form, color, shape etc.), and manipulation, respectively (H A Y E S / K R A E M E R 2017: 2). Ein weiterer Nachweis für das Vorliegen eines Konkretheitseffekts liefern Forschungsergebnisse von Binder et al. (2005). Mithilfe der ereigniskorrelierten funktionellen Magnetresonanztomographie (engl. event-related functional mag‐ 27 2.2 Konkretheitseffekt und Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta <?page no="28"?> netic resonance imaging efMRI), eine Technik mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung, untersuchten sie den Effekt von Konkretheit mit einem Test zur lexikalischen Entscheidung, in dem Versuchspersonen konkrete und abstrakte Stimuli identifizieren sollten. Konkreta wiesen sowohl eine bilaterale Aktivie‐ rung bei der Auslösung von assoziativen Netzwerken als auch eine multimodale Kortexaktivierung auf. Bei Abstrakta lässt sich eine stärkere Aktivierung der linken Hemisphäre beobachten. Darüber hinaus lassen sich die beschriebenen Effekte bei Konkreta nicht nur in sprachlich basierten Aufgaben und Tests identifzieren, sondern auch bei kognitiv anspruchsvollen handlungsorientierten Aufgaben (zum Beispiel bei der Verwendung eines Hammers), oder wenn Versuchspersonen passiv Bilder von Werkzeugen ansehen (Hayes/ Kraemer 2017: 2). Dieses Ergebnis lässt schlussfolgern, dass der neurolinguistische Kon‐ kretheitseffekt durch die konzeptuelle Darbietung konkreter Konzepte bedingt ist und nicht durch spezifische Testanforderungen. Eine solche Befundlage deutet auf unterschiedliche mentale Verarbeitungsmechanismen hin, die sich aus der kognitiven Repräsentation von Konkreta und Abstrakta ergeben. 2.2.2 „Dual-Coding“-Theorie Die Evidenz des Konkretheitseffekts deutet auf unterschiedliche mentale Verar‐ beitungsmechanismen hin, die sich aus der kognitiven Repräsentation von Kon‐ kreta und Abstrakta ergeben. Einer der im psycholinguistischen Forschungs‐ paradigma am häufigsten rezipierte Ansatz geht auf Paivio zurück. Dieser Ansatz der „Dual-Coding“-Theorie wird meistens mit den neurolinguistischen Befunden (s. Abschnitt 2.2.1) in Zusammenhang gebracht, ist jedoch nicht kompatibel mit dem kognitionslinguistischen Verständnis von der Semantik lexikalischer Einheiten (s. Kapitel 3). In seiner „Dual-Coding“-Theorie (Paivio 1965, 1969, 1986, 2007) führt er die Robustheit der Verarbeitung konkreter Konzepte gegenüber Abstrakta auf unterschiedliche Kodierungsbzw. Mediati‐ onsprozesse zurück (s. Abbildung 2.1). Für Abstrakta steht nur ein sprachlicher Kode für die Verarbeitung zur Verfügung, im Gegensatz dazu können bei der Verarbeitung von Konkreta daneben auch bildliche Vorstellungen aktiviert werden, die einen zweiten Kode für die Verarbeitung darstellen. Somit verfügen Konkreta über eine doppelte Kodierungsmöglichkeit, die deren Verarbeitung schneller und effizienter macht als die der Abstrakta. Concrete language invites the mental capacity of forming images (e.g., glittering diamond), whereas abstract language has relatively less capacity to do so (e.g., conceptual thought). These effects have been theoretically explained by Dual Coding Theory, which maintains that cognition involves the activity of two separate but 28 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="29"?> interconnected mental codes, the verbal code, and the nonverbal code (S A D O S K I E T A L . 2003: 443). Abb. 2.1: Logogenmodell zur Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta (nach Paivio 2007: 34) Insgesamt basiert die „Dual-Coding“-Theorie auf zwei unterschiedlichen Verar‐ beitungssystemen (vgl. Abbildung 2.1.): das Verbal- und das Nonverbal-System. Beide Systeme funktionieren unabhängig voneinander, können jedoch in Inter‐ aktion treten. Das Verbalsystem basiert auf der direkten sprachlichen Erfahrung, während das Nonverbalsystem auf die sensorische Erfahrung zurückgreift. Interaktion zwischen beiden Systemen findet dann statt, wenn beim Hören eines bestimmten Wortes ein entsprechendes Bild aktiviert wird. Bei diesem Verar‐ beitungsprozess werden beide Systeme aktiviert. Hier merkt Paivio (2007: 46) an: “word concreteness reflects the directness of connections from a logogen to a related imagen“. Dieser Effekt begünstigt die Verarbeitung des entspre‐ chenden Reizes. Somit wird bei der Verarbeitung von Konkreta immer auf beide Systeme zurückgegriffen, bei Abstrakta hingegen hauptsächlich auf das verbale Logogen-System. Konkrete Begriffe sind also zweimal in dem System gespeichert; bildlich (im Nonverbal-System) und verbal (im Logogen-System), 29 2.2 Konkretheitseffekt und Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta <?page no="30"?> wohingegen für Abstrakta keine primär bildliche Basis vorliegt. Deshalb werden sie hauptsächlich im verbalen Logogen-System verarbeitet. Logogens of concrete words activate directly the imagens of the referent objects, logogens of abstract words firstly activate the logogens of other words they are associated with and eventually evoke images, but illustrative images rather than the image of the referent object […]. All words engage associated verbal codes, but concrete words activate image-based code to a greater degree than abstract words do, resulting in a concrete word processing advantage (G R A N I T O 2012: 89). Obwohl der Erklärungsansatz der „Dual-Coding“-Theorie für die Verarbei‐ tung konkreter und abstrakter Konzepte keine semantischen Besonderheiten berücksichtigt, wird er weiterhin in vielen Studien für die Erklärung des Konkretheitseffektes herangezogen (vgl. Pulvermüller 2013). Unterschiedliche Repräsentationssysteme können jedoch nicht angenommen werden, um einen Konkretheitseffekt zu rechtfertigen, weil die Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta durch ihre semantische assoziative Struktur innerhalb des Lexi‐ kons oder durch ihren kontextuellen Bezug motiviert sein können, wie dies beispielsweise die „Context-Availability“-Theorie belegt. 2.2.3 „Context-Availability“-Theorie Im Gegensatz zur Behauptung einer doppelten Kodierung bzw. Repräsentation für Konkreta als Ursache für den Konkretheitseffekt argumentieren Vertreter der „Context-Availability“-Theorie für den Vorteil konkreter Konzepte bei der Verarbeitung durch die fehlende kontextuelle Unterstützung für Abstrakta (Schwanenflugel et al. 1988, 1992). Werden beispielsweise dargebotene Stimuli im Hinblick auf ihre Kontextabhängigkeit eingeschätzt, dann schwindet der Vorteil konkreter Nomen gegenüber abstrakten (vgl. Kousta et al. 2009: 1117). Bei isolierter Darbietung lassen sich für Konkreta wie zum Beispiel [TISCH] einfa‐ cher Kontexte assoziieren, in denen sie verwendet werden, als bei Abstrakta wie zum Beispiel [GERECHTIGKEIT]. Bei separatem Auftreten aktivieren Abstrakta durch ihre hohe Kontextabhängigkeit und somit größere Kontext‐ vielfalt langsamer semantische Informationen. Laut Granito ist dieser Effekt folgendermaßen begründet: The main difference between the two types of words would be that it is more difficult to find an appropriate context for abstract than for concrete words; namely, abstract words would depend on a looser set of semantic associations compared to concrete words. The advantage in comprehension and recall shown by concrete over abstract words would depend on the easier access of related contextual information. Therefore, 30 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="31"?> providing abstract and concrete words with an equally supportive context would result in equivalent comprehension and recall (G R A N I T O 2012: 88). Im Gegensatz zu Paivios Erklärungsansatz der dualen Verarbeitung (s. Ab‐ schnitt 2.2.2) bilden für Schwanenflugel im Rahmen ihrer „Context-Availabi‐ lity“-Theorie die Kontextinformationen einen wichtigen Einflussfaktor bei der Verarbeitung abstrakter und konkreter Konzepte. Der Vorteil beim Abruf von Konkreta wird hier dadurch begründet, dass diese mit weniger Kontexten ver‐ bunden sind, als das bei abstrakten Konzepten der Fall ist. Letztere werden mit variationsreicheren Kontexten assoziiert, was ihre konzeptuelle Aktivierung und Verarbeitung erschwert. Das heißt, dass die Latenzzeiten bei Abstrakta an einer stärkeren Vernetzung ihrer semantischen Darbietung liegen, aber nicht an einer Art der Kodierung, wie Paivio behauptet. Die hohe Kontextabhängigkeit deutet auch auf eine hohe Bedeutungsvariabilität von Abstrakta gegenüber Konkreta hin. Abstrakta haben je nach Kontext und Zeitpunkt, in denen sie eingesetzt werden, eine spezielle Bedeutung. Die vielen Ergebnisse, die einen Vorteil für die Lernbarkeit und Verarbeitung konkreter lexikalischer Konzepte nachweisen, kamen vor dem Hintergrund einer stark auf die perzeptuelle Erfahrung reduzierten Definition von Konkret‐ heit und die Beurteilung sowie das Erlernen isoliert dargestellter Begriffe zustande. Aus diesem Grund sehen Schwanenflugel et al. (1988, 1992) den Geltungsanspruch des Konkretheitseffekts durch die fehlenden Kontextinfor‐ mationen und die Darbietung der in den meisten Tests untersuchten Konkreta und Abstrakta begründet. In ihrer „Context-Availability“-Theorie wird daraus abgeleitet, dass die Verarbeitungsunterschiede von Konkreta und Abstrakta nicht auf unterschiedlichen Verarbeitungssystemen oder unterschiedlichen Wissensrepräsentationen basieren wie bei der „Dual-Coding“-Theorie. Hier geschieht die Verarbeitung beider Konzeptarten durch die Aktivierung von semantischen Netzwerken. Abstrakta weisen eine schwächere Verbindungs‐ stärke zwischen Konzepten und assoziierten semantischen Netzwerken auf und sind deshalb stärker auf den linguistischen Kontext bezogen als Konkreta (Nelson/ Schreiber 1992). Dieser Effekt ist in erster Linie in der konzeptuellen Organisation der beiden Konzeptarten begründet. 2.3 Abstrakta vs. Konkreta: Dichotomie oder Kontinuum? Die Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta führen die meisten Studien auf konzeptuelle Gesichtspunkte zurück, die vom Unterscheidungsmerkmal der perzeptuellen Wahrnehmung ausgehen. B O R G HI / B IN K O F S KI (2014: 12) merken an: 31 2.3 Abstrakta vs. Konkreta: Dichotomie oder Kontinuum? <?page no="32"?> The majority of psycholinguistic studies have differentiated concrete and abstract terms, considering abstract concepts and words as dichotomically opposed to concrete concepts and words. Eine Konzeptart, bei der diese dichotome Unterscheidung allerdings an ihre Grenzen stößt, sind die Emotionskonzepte. Trotz deren Referentialisierung auf abstrakte Entitäten, wie etwa [LIEBE] oder [ANGST], lösen Emotionskon‐ zepte konkrete körperliche Reaktionen und Erfahrungen aus, wie etwa bei [WUT] die Erhöhung der Körpertemperatur oder die Veränderung der Gesichts‐ farbe. Auf diesen Umstand berufen sich einige Untersuchungen zum Erwerb und der Verarbeitung von Konkreta und Abstrakta (Altarriba/ Basnight-Brown 2011, Altarriba/ Bauer/ Benvenuto 1999). Hierbei stellen Emotionskonzepte einen eigenen Konzeptbereich dar. Altarriba et al. (1999) fanden in einer Studie, die auf Einschätzungsverfahren basiert, heraus, dass Emotionskonzepte (zum Beispiel [EXCITED], [LONELY], [INFATUATED], [UPSET]) im Vergleich zu Konkreta (zum Beispiel [ANIMAL], [BEER], [BIBLE], [BUILDING]) und Abstrakta (zum Beispiel [EASY], [DONOR], [FINISH]) große Besonderheiten hinsichtlich ihrer Konkretheit, Kontextabhängigkeit und Vorstellbarkeit aufweisen. Ihre Ergeb‐ nisse demonstrieren: On the concreteness and the context availability scales, emotion words were rated lower than abstract and concrete words. However, on the imagery scale, emotion words were rated higher than abstract words but lower than concrete words. These results indicate that emotion words possess characteristics different from those of either abstract or concrete words (A L T A R R I B A E T A L . 1999: 583). Ein Kritikpunkt, der bei der dichotomen Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta an einer Vielzahl von Studien genannt wird, betrifft die metho‐ dische Ermittlung von Konkretheit und Abstraktheit und die Auswahl der zu untersuchenden Stimuli auf der Basis von Einschätzungsverfahren (engl. rating). Dabei sollen Versuchspersonen auf einer nummerischen Skala (1 (abstrakt) bis 7 (konkret)) die Intensität der Ausprägung der beiden Variablen, Konkretheit und Abstraktheit, für verschiedene Wörter einschätzen. Davon ausgehend werden die Mittelwerte der unterschiedlichen Einschätzungen über die verschiedenen Stimuli hinweg ermittelt und als Maßstab für die Klassifizierung nach Konkret‐ heit bzw. Abstraktheit genommen. A difficult problem psycholinguistic studies had to address concerns the selection of abstract and concrete terms. Psycholinguistics researchers usually select and distinguish concrete and abstract words on the basis of ratings. For example, people are submitted to huge samples of words and are required to rate them on 7 point scales on 32 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="33"?> 2 Keil (1989) unterscheidet grundsätzlich zwischen Pure Nominal Kinds und Pure Natural Kinds. Sein Ansatz kehrt sich von einer starren distinktiven Darstellung lexikalischer Konzepte ab. Obwohl seine Einteilung nicht explizit abstrakte Konzepte einbezieht, stellt sie ein offenes Modell dar, in dem von einer zunehmenden Komplexität lexikali‐ scher Konzepte ausgegangen werden kann, das offen für weitere Konzeptarten bleibt. a variety of dimensions. Aside from the more obvious dimension of concreteness, the typically used dimensions are imageability and context availability (B O R G H I / B I N K O F S K I 2014: 8). Diese Methode gilt als die prominenteste Methode zur Ermittlung von Konkret‐ heit bzw. Abstraktheit von lexikalischen Konzepten (Hager/ Hasselhorn 1994, Paivio et al. 1968, Schwanenflugel/ Shoben 1983, Altarriba et al. 1999, Crutch et al. 2009). Sie beruht einzig auf dem Merkmal der perzeptuellen Wahrneh‐ mung und impliziert somit das Prinzip einer Dichotomie zwischen Konkreta und Abstrakta. Eine Subklassifizierung hinsichtlich qualitativer Differenzen konzeptueller Art wird selten vorgenommen (s. Abschnitt 4.3). Eine Alternative zur dichotomen Sichtweise, die in den empirischen Studien zum Erwerb, zur Verarbeitung und zur Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta verfolgt wird, bietet die Betrachtung dieser beiden Konzeptarten als ein Kontinuum (vgl. Wiemer-Hastings et al. 2001, Hill et al. 2014, Ghio et al. 2013). Beide Konzeptarten variieren hinsichtlich ihrer Konkretheit bzw. Abstraktheit. Die Kategorisierung nach Konkreta vs. Abstrakta gilt hiernach nur als grober Einteilungsparameter (Wiemer-Hastings et al. 2001: 1006). Ein solcher Ansatz, der Konkreta und Abstrakta als oppositives Paar ansieht, jedoch die gra‐ duellen Unterschiede von Konkretheit und Abstraktheit lexikalischer Konzepte berücksichtigt, schlägt Keil (1989: 51-56) in seiner Typologie zu verschiedenen Konzeptarten vor. Laut seiner Einteilung können lexikalische Konzepte entlang eines Kontinuums von sehr konkreten Konzepten (s. Abbildung 2.2), wie etwa lexikalische Konzepte natürlicher Art (zum Beispiel [APFEL]), bis hin zu sehr abstrakten Konzepten 2 (z. B. [DEMOKRATIE]) klassifiziert werden. Dazwischen liegen weitere Konzeptarten, die in ihrer Abstraktheit bzw. Konkretheit unter‐ schiedliche Komplexitätsstufen aufweisen, wie etwa komplexe Artefakte (zum Beispiel [COMPUTER]) und einfache Artefakte (zum Beispiel [HAMMER]), oder etwa Konzeptarten sozialer Art (engl. social role category) (zum Beispiel [LEHRER]). 33 2.3 Abstrakta vs. Konkreta: Dichotomie oder Kontinuum? <?page no="34"?> Abb. 2.2: IIlustration der Einordnung verschiedener Konzeptarten entlang eines Konti‐ nuums bei Keil (1989: 56) Ähnlich wie Keil sehen Setti/ Caramelli (2005) Konkreta und Abstrakta als ein Kontinuum an. Hier gehen die beiden Autoren in einer Studie davon aus, dass bei der Unterscheidung von Konkreta eine klare Abgrenzung vorhanden ist, während das Spektrum von Abstrakta unsystematischer bestimmt ist. In ihrer Arbeit unterschieden sie innerhalb der Kategorie Abstrakta nach konzeptuellen Parametern zwischen vier Konzeptarten: states of the self (z. B. [CHILDHOOD]), cognitive processes (zum Beispiel [THOUGHT]), nominal kinds (zum Beispiel [ERROR]) und emotions (zum Beispiel [FEAR]). Eine Reihe von Tests, die sie zu den genannten Kategorien und weiteren konkreten Konzepten durchführten, bestätigte die These eines Kontinuums zwischen Abstrakta und Konkreta. Dies zeigen die mittleren Werte des Einschätzungstests zur Abstraktheit bzw. Konkretheit, Vorstellbarkeit und kontextuellen Abhängigkeit (Setti/ Caramelli 2005: 1997), sowie eine multiple Regressionsanalyse auf der Basis von einem Assoziationsexperiment. Hierbei stellen die beiden Autoren fest, dass vor allem abstrakte lexikalische Konzepte, je nach Subkategorie, spezifische konzeptuelle Informationen aktivieren. Aus den Ergebnissen ihrer Tests leiten sie ab, dass bei der Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta die Kontinuität des konzeptuellen Wissens berücksichtigt werden muss. Dabei ist es wichtig, welche 34 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="35"?> Informationen an der Konzeptualisierung der jeweiligen Konzeptarten beteiligt sind (Setti/ Caramelli 2005: 2001). Als Unterscheidungsmechanismus schlagen sie vor: Overall, these results can be nicely accounted for by theories that assume conceptual knowledge as a continuum in which different types of concepts can be distinguished tank to the different kind of information they elicit (S E T T I / C A R A M E L L I 2005: 2002). Die Einteilung von lexikalischen Konzepten in Subkategorien entlang eines von konzeptuellen Gesichtspunkten ausgehenden Kontinuums ist vor allem im Bereich der Konkreta problemfrei und wird weiterhin von einer neuropsycho‐ logischen Evidenz unterstützt (vgl. Tyler/ Moss 2001: 244, Pulvermüller 2013). Patienten mit Hirnschädigung weisen demzufolge domänenbezogene (etwa Lebewesen, Nicht-Lebewesen) und kategorienspezifische (etwa Tiere, Pflanzen, Werkzeug) Defizite beim Zugriff auf die Bedeutung auf. Trotz dieser empiri‐ schen Evidenz bleibt jedoch die Unterteilung von Abstrakta in Subkategorien fraglich und eine klare Grenze zwischen Konkreta und Abstrakta nicht eindeutig festlegbar. 2.4 Zwischenfazit Neben dem Primat der ontologischen Beschaffenheit beider Begriffsarten (vgl. Borghi/ Binkofski 2014: 2) führen die meisten empirischen Studien die Differenz beim Erwerb und bei der Verarbeitung von konkreten und von abstrakten lexikalischen Konzepten auf die perzeptuelle Wahrnehmung und die konzeptu‐ elle Repräsentation zurück. Aus den dargestellten Ergebnissen lässt sich eine gewisse empirische Evidenz für Indikatoren unterschiedlicher kognitiver Re‐ präsentationen ableiten. Bei genauer Inspektion der Forschungsliteratur lassen sich folglich drei Unterscheidungsparameter, in denen Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta vorliegen, extrahieren: 1. Ontologische Beschaffenheit: Entscheidend für die Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta ist das Kriterium der ontologischen Beschaffenheit. Hiernach beziehen sich Abstrakta im Gegensatz zu Kon‐ kreta nicht auf konkrete Objekte oder Entitäten in der Welt, die kulturunabhängig, „real“ und „greifbar“ sind. Abstrakta sind im Vergleich dazu wesentlichen Konstruktionsprozessen unterworfen (Kousta et al. 2011: 14), die oft eine mehrdimensionale Qualität benötigen, weil sie die Situation und den Kontext miteinbeziehen. Anders als Konkreta repräsentieren sie oft mehrfache, parallele Relationen (temporal, modal, kausal und 35 2.4 Zwischenfazit <?page no="36"?> räumlich) zwischen den Objekten, die kultur- und sprachbedingt sind. In ontologischer Hinsicht kann demnach zwischen zwei Arten von Entitäten unterschieden werden. Das bedeutet aber nicht, dass sich beide Kategorien ganz unterschiedlich verhalten. Vielmehr bilden sie ein Kontinuum. 2. Konzeptuelle Komplexität: Die mehrdimensionale ontologische Be‐ schaffenheit abstrakter Konzepte bewirkt folgerichtig eine komplexe konzeptuelle Repräsentation. Viele Studien führen diesen Unterschied zu Konkreta prinzipiell auf ihre qualitativ unterschiedliche Representati‐ onsart zurück. Dieser Unterschied ist jedoch graduell und rechfertigt eine strukturell unterschiedliche Repräsentation, wie sie beispielsweise bei der „Context-Availability”-Theorie präsentiert wird. Diese Gradualität hat zur Folge, dass beide Konzeptarten eine gewisse konzeptuelle Komplexität auf‐ weisen. Das heißt, auch Konkreta können je nach Konkretheitsgrad unter‐ schiedliche Komplexitätsstufen aufweisen. Beispielsweise ist eine konkrete Person [ONKEL] konzeptuell komplexer als ein konkreter Gegenstand wie etwa [FLASCHE]. Hierin liegt der qualitative Unterschied zwischen beiden Konzeptarten, der einen Konkretheitseffekt bei der Verarbeitung bewirkt. 3. Bedeutungsvariabilität: Neben den Variablen der konzeptuellen Kom‐ plexität und der ontologischen Beschaffenheit führen Borghi/ Binkofski (2014: 22) die Bedeutungsvariabilität auf, deren Ausprägung bei Konkreta und Abstrakta durch den Grad der Kontextabhängigkeit ersichtlich wird. Das Kontextualisierungs- und Interpretationspotential von Abstrakta ist demzufolge flexibler als das von Konkreta. Die dargestellten Unterschiede zu Konkreta in Hinblick auf die ontologische Beschaffenheit und der konzeptuellen Komplexität haben zur Folge, dass ihre Bedeutung je nach Kontext, in dem sie verwendet werden, variiert. Die Bedeutung abstrakter Konzepte weist im Hinblick auf ihre inhaltliche Variabilität sowohl idiosyn‐ kratische als auch interindividuelle Unterschiede auf. Was man sich unter [FANTASIE] und [WAHRHEIT] vorstellt, variiert nicht nur von Sprecher zu Sprecher, sondern auch von Zeitpunkt (z1) zu Zeitpunkt (z2) und von einer Sprachgemeinschaft zur anderen. Sie können unterschiedliche Phänomene bezeichnen und durch die Vielfältigkeit der Situationen, auf die sie referieren, kann eine Aktualisierung ihrer Bedeutung kontextuell erfolgen. Dies führt zu einer hohen Idiosynkrasie der Bedeutung, die sich wiederum auf erhebliche interindividuelle Differenzen zwischen verschie‐ denen Personen einer Sprachgemeinschaft auswirkt. Ziel der Arbeit ist es zu ergründen, wie sich die ontologische Beschaffenheit, die konzeptuelle Komplexität und die Bedeutungsvariabilität kulturspezifische semantische Differenzen zwischen verschiedenen Sprachen rechtfertigen. Die 36 2 Konkreta und Abstrakta in der Psycholinguistik <?page no="37"?> kognitive Semantik bietet hierzu einen vielversprechenden Ansatz, der im Folgenden genauer begründet werden soll. Hier werden die Fragen gestellt: welche kognitiv semantischen Prämissen Konkreta und Abstrakta aus der Sicht der kognitiven Semantik teilen, welche allgemeinen kognitiven Mechanismen sprach- und kulturspezifischen semantischen Unterschieden zugrunde liegen, und wie diese Unterschiede aus der Sicht der kognitiven Semantik begründet werden können. 37 2.4 Zwischenfazit <?page no="39"?> 3 Beispielsweise entspricht der aristotelischen Auffassung von Wort und Bedeutung die der strukturellen Linguistik: „Words spoken are symbols or signs of affections or impressions of the soul […]. But the mental affections themselves, of which these words are primarily signs, are same for the whole of mankind, as are also the objects of which those affections are representations or likenesses, image, copies.” (Aristotle 1983: 115). 4 Mit dem Begriff Kognitive Linguistik (Cognitive Linguistics) folgt diese Arbeit der holistisch orientierten linguistischen Auffassung der angloamerikanischen Ansätze, die unter dem „holistischen Paradigma“ zusammengefasst werden, wie sowohl deutsche als auch englische einschlägige Einführungen in die Kognitive Linguistik bezeugen (Evans/ Green 2006, Schwarz 2008, Geeraerts (Hg.) 2006, Croft/ Cruse 2004, Ungerer/ Schmid 2006, Ziem 2008, Jessen et al. 2018). In diesem Forschungsansatz haben vor allem George Lakoff und Roland Langacker Pionierarbeit geleistet. Dazu zählen auch die frühen Arbeiten von Rosch zur Prototypentheorie (1975, 1978), die kognitive Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson (1980/ 2003), Lakoff (1987), die Frame-Semantik nach Fillmore (1986, 2006), die Raum- und Prozess-Semantik von Talmy (2000), die kognitive Gram‐ matik von Langacker (1987) und die Konstruktionsgrammatik nach Goldberg (1995, 2006). 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz Im vorherigen Kapitel wurde deutlich, dass Konkreta und Abstrakta aufgrund ihrer Disparität auf der semantisch-konzeptuellen Ebene eine Dichotomie bilden. Daraus ergibt sich die übergeordnete Frage, wie deren Bedeutungswissen kognitiv konstruiert, repräsentiert und organisiert wird. Als Antwort auf diese Frage gelten zahlreiche semantische Ansätze, die bis in die Philosophie der An‐ tike zurückreichen. 3 Nachdem im letzten Kapitel die Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta vorwiegend aus der psycho- und neurolinguistischen Sicht behandelt wurde, werden im vorliegenden Kapitel die Grundlagen und Voraussetzungen der kognitiv semantischen Repräsentation und die Darlegung der Kulturbzw. Sprachspezifik von Bedeutungswissen im Fokus stehen. Zunächst werden in Abschnitt 3.1 die zeichentheoretischen Grundlagen zweier einflussreicher Ansätze der kognitiven Linguistik 4 vorgestellt und dis‐ kutiert: die der kognitiven Grammatik (Langacker 1987, 2008) und die der Konstruktionsgrammatik (Goldberg 1995, Lakoff 1987). Bei beiden Ansätzen ist das übergreifende Ziel, ein allgemeingültiges Modell für die Komplexität lexi‐ kalischer Bedeutung vorzulegen und die lexikalische Bedeutungsrepräsentation zusammenhängend und schlüssig mit allen Aspekten menschlicher Kognition zu erklären. Unabhängig vom Grad der Abstraktheit oder Konkretheit eines lexikalischen Konzepts wird hier der Frage nachgegangen, welche kognitiven <?page no="40"?> Mechanismen und Strukturen dem Prozess der Bedeutungskonstitution und -repräsentation unterliegen. Auf den Aspekt des symbolischen Prinzips im nächsten Abschnitt (3.1.1) wird der Vollständigkeit halber eingegangen, da dies die Grundvoraussetzung eines framebasierten semantischen Ansatzes bildet, der in dieser Arbeit als Basis zur Klärung semantischer Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta herangezogen wird (s. Kapitel 4). Darüber hinaus werden die grundlegenden kognitiven Prinzipien erläutert (Embodiment, Kate‐ gorisierung, Schematisierung und Assoziationen), die für Bedeutungskonstitu‐ tionsprozesse elementar sind. Es werden durchweg nur Aspekte berücksichtigt, die für eine semantische Analyse von Konkreta und Abstrakta wichtig sind. Mithilfe des gebrauchsbasierten Ansatzes (engl. usage based approach) (Ab‐ schnitt 3.2), der konventionelle, kontextuelle und situative Aspekte der Wortbe‐ deutung in die Erklärung der kognitiven Modellierung der Bedeutungsrepräsen‐ tation einer lexikalischen Einheit einbezieht, wird allen im vorherigen Abschnitt festgestellten Unterscheidungsparametern zwischen Konkreta und Abstrakta Rechnung getragen. Mithilfe dieses Ansatzes lässt sich auch die kulturbedingte sprachspezifische Emergenz der Bedeutung lexikalischer Einheiten begründen. Diese Spezifika werden zudem im Abschnitt 3.3 unter Einbezug von Ansätzen der kognitiven Anthropologie systematisch erklärt. 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion 3.1.1 Das symbolische Prinzip Seit Anfang der 1980er Jahre hat sich eine Reihe von miteinander verwandten semantischen Ansätzen herausgebildet, die unter dem Begriff der kognitiven Semantik subsumiert werden. Diese stehen meist in Verbindung mit einer übergeordneten linguistischen Theorie, wie etwa der kognitiven Grammatik (Langacker 1987, 2008), der konzeptuellen Metapherntheorie (Lakoff/ Johnson 1980/ 2003, Lakoff 1987), der Konstruktionsgrammatik (Goldberg 1995, Lakoff 1987) oder der Kasusgrammatik von Fillmore (Kay/ Fillmore 1999). Diesen Ansätzen ist gemein, dass die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens nur unter Berücksichtigung übergeordneter kognitiver Fähigkeiten erfolgen kann und somit konzeptueller und enzyklopädischer Natur ist. Evans (2017) präzisiert diese Arbeitsprämisse als die Generalisierungs-Maxime: [The Generalization Commitment] ensures that cognitive linguists attempt to identify general principles that apply to all aspects of human language. This goal reflects 40 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="41"?> the standard commitment in science to seek the broadest generalizations possible. In contrast, some approaches to the study of language often separate what is sometimes termed the ‘language faculty’ into distinct areas such as phonology (sound), semantics (word and sentence meaning), pragmatics (meaning in discourse context), morpho‐ logy (word structure), syntax (sentence structure), and so on. As a consequence, there is often little basis for generalization across these aspects of language or even for study of their interrelations (E V A N S 2017: 286). Des Weiteren vertreten alle kognitiven Ansätze die Ansicht, dass das symbo‐ lische Prinzip die Grundlage einer linguistischen Theorie bildet. Abgesehen von der heterogenen Terminologie und programmatischen Differenzen, liegt all diesen Ansätzen die gemeinsame zeichentheoretische Überzeugung zugrunde, dass symbolische Einheiten bzw. Konstruktionen, im Sinne von Saussures bipolarem Verständnis eines sprachlichen Zeichens, die grundlegenden Be‐ standteile einer Sprache bilden. Symbolische Einheiten bzw. Konstruktionen bilden Form-Bedeutung-Paare - die Bedeutungsseite entspricht dem signifié, die Formseite dem signifiant -, die als kognitive Konstrukte für die Repräsentation von lexikalischen und grammatischen Einheiten verstanden werden (Langacker 1987, 2008, Evans/ Green 2006). Einfach dargestellt sind sie kognitiv fixierte sprachliche Einheiten, die eine feste Verknüpfung von Form und Bedeutung umfassen. Nach Langackers Bestimmung setzt sich jede symbolische Einheit aus drei grundlegenden Einheiten zusammen: […] semantic, phonological, and symbolic. A symbolic unit is said to be ‘bipolar’, consisting of a semantic unit defining one pole and a phonological unit defining the other (L A N G A C K E R 1991: 16). Die phonologische [PHON] und die semantische [SEM] Einheit ergeben einen symbolischen Raum (symbolische Einheit). Diese Zusammensetzung gilt in Langackers Bestimmung als untrennbar gegeben [[SEM]/ [PHON]]. “Examples of symbolic units allowed by clause […] of the content requirement are specific nouns like [[MOON]/ [moon]], [[TULIP]/ [tulip]], and [[HOPE]/ [hope]].” Langacker (2008: 26). Diese Beziehung zwischen Form- und Bedeutungsseite gilt als konventionalisiert, insofern sie einen arbiträren Charakter aufweist und die beiden Einheiten, die Form- und die Inhaltsseite, distinktiv von Sprechern rezi‐ piert und produziert werden. Dies ist das Ergebnis eines Verfestigungsprozesses, auch entrenchment genannt (Schmid 2017), der sich durch frequenten Gebrauch einer symbolischen Einheit im Spracherwerbsprozess ereignet. Jenseits dieser elementaren Bestimmung einer symbolischen Einheit ist an‐ zumerken, dass sich die Begriffe ‘symbolische Einheit’ und ‘Konstruktion’ in der kognitiven Grammatik (Langacker 1987, 2008) und den konstruktionsgramma‐ 41 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="42"?> tischen Ansätzen (Lakoff 1987, Goldberg 1995, Croft 2001) in leicht modifizierter Form auf dieselben kognitiven Konstrukte beziehen. Ein terminologischer und methodischer Hauptunterschied zwischen Langackers symbolischen Einheiten und Konstruktionen im Sinne von konstruktionsgrammatischen Ansätzen (La‐ koff 1987, Goldberg 1995, Croft 2001) besteht allerdings in zweierlei Hinsicht: (1) in dem Grad der Komplexität einer Konstruktion und einer symbolischen Einheit und (2) in den Aspekten, die zu ihrer Formseite gehören. E VAN S (2017: 288) erläutert den ersten Unterschied folgendermaßen: The symbolic unit is variously termed a ‘symbolic assembly’ in Langacker’s cognitive grammar or a ‘construction’ in construction grammar approaches […]. Symbolic units run the full gamut from the fully lexical to the wholly schematic. For instance, examples of symbolic units include morphemes (for example, disas in distaste), whole words (for example, cat, run, tomorrow), idiomatic expressions such as He kicked the bucket, and sentence-level constructions such as the ditransitive (or double-object) construction, as exemplified by the expression: John baked Sally a cake […]. Wie das Zitat zeigt, besteht laut Langacker (1999: 14) eine Konstruktion aus meh‐ reren symbolischen Einheiten und weist somit eine kompositionelle Struktur auf. Im Gegensatz dazu bezieht sich eine symbolische Einheit sowohl auf eine einfache Einheit wie beispielsweise [[HUND]/ [hund]], die nicht weiter zer‐ legbar ist, als auch auf eine komplexe Einheit (Konstruktion) wie beispielsweise [[HUNDE]/ [hunde]]. Die Komplexität dieser letzten Konstruktion besteht darin, dass sie sich aus zwei symbolischen Einheiten zusammenfügt: ein lexikalisches Morphem [[HUND]/ [hund]] und ein grammatisches Morphem [[PLURAL]/ [e]]. Die interne Struktur einer Konstruktion (s. Abbildung 3.1) teilt Langacker (1999: 13) in eine Kompositionsstruktur und eine Komponentenstruktur. Die Kompositionsstruktur besteht aus einer Bedeutungsseite [HUNDE] und einer Formseite [hunde]. Diese Struktur gilt als Vordergrund der Konstruktion. Die Komponentstruktur bildet den Hintergrund der Konstruktion und besteht aus einem lexikalischen Morphem [[HUND]/ [hund]] und einem grammatischen Morphem für die Pluralbildung [[PLURAL]/ [e]]. The foregrounded element is called the composite structure because it usually incorporates the content of those in the background, referred to as ‘component structure’ (ebd.). 42 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="43"?> Abb. 3.1: Aufbau einer Konstruktion (nach Langacker 1999: 14) In dieser Hinsicht weicht die konstruktionsgrammatische Bestimmung von La‐ koff (1987) und Goldberg (1995) mit der These der Nicht-Kompositionalität von Konstruktionen von Langackers Konstruktionsbegriff ab. Eine Konstruktion im Sinne konstruktionsgrammatischer Ansätze (Goldberg 1995, Lakoff 1987) bildet eine symbolische Einheit, die nicht kompositionell aufgebaut ist und sich nicht in weitere Einheiten zerlegen lässt, wie etwa [HUND]. Der zweite Unterschied, den Langackers Bestimmung einer symbolischen Einheit gegenüber einer Konstruktion in konstruktionsgrammatischen An‐ sätzen aufweist, ist, dass syntaktische und morphologische Informationen nicht in der Formseite einer symbolischen Einheit enthalten sind (vgl. Langacker 2005: 105). Langackers Ansatz sieht die syntaktischen Informationen als Epiphä‐ nomen, das sich aus der Zusammenfügung von symbolischen Einheiten ergibt. Grammar is symbolic in nature, where symbolic structure resides in the pairing of semantic and phonological structures. On this view, grammar (or grammatical forms) does not symbolize semantic structure, but rather incorporates it as one of its two poles (ebd.). 43 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="44"?> Im Gegensatz zu Langackers Bestimmung bilden syntaktische und morpholo‐ gische Aspekte in den konstruktionsgrammatischen Ansätzen einen Teil der Formseite einer Konstruktion (s. Abbildung 3.2). So merkt Lakoff (1987: 467) an, dass „each construction will be a form-meaning pair (F, M), where F is a set of conditions on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use.”. Abb. 3.2: Repräsentation einer Konstruktion (nach Croft 2001: 18) Des Weiteren darf eine Konstruktion bzw. symbolische Einheit im Sinne der kognitiven Linguistik verstanden werden, wenn die beiden Pole, Form und Bedeutungsseite, mehr als nur Form- und Bedeutungsaspekte umfassen. Die phonologische Einheit, die die Formseite einer symbolischen Einheit oder einer Konstruktion bildet, impliziert mehr als der Ausdruck suggeriert, nämlich die kognitive Repräsentation sinnlich wahrnehmbarer Muster. Unter phonolo‐ gischer Einheit versteht Langacker (2005: 104) Formen der lautlich-auditiven Modalität: „I would of course generalize this to include other symbolizing media, notably gesture and writing“. Darüber hinaus impliziert die semantische Ebene neben semantischen As‐ pekten sowohl pragmatische Aspekte, die die Adäquatheit des Sprachgebrauchs in einer konkreten kommunikativen Situation festlegen, als auch diskursfunk‐ tionale Aspekte. Croft (2001: 18) veranschaulicht zwar den Aufbau bzw. die interne Struktur einer Konstruktion (s. Abbildung 3.2), geht jedoch bei seiner Spezifizierung der Bedeutungsseite nicht im Detail auf die diskursfunktionale Ebene ein. In seinen Ausführungen sind damit Bedeutungsaspekte gemeint, die kontextuell und nicht aus lexikalisch konventionalisierten Bedeutungsaspekten erschließbar sind. Es handelt sich hierbei um Aspekte der Bedeutung eines 44 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="45"?> 5 An dieser Stelle soll eine heterogene Terminologie bei Langacker festgestellt werden. Langacker benutzt auch den Begriff linguistische Einheit: Linguistic units are abstracted from usage events, retaining as part of their value any recurring facet of the interactive and discourse context (Langacker 2001: 143). 6 Um den Begriff der symbolischen Einheit weiter zu spezifizieren, wird im weiteren Verlauf mit dem Terminus „lexikalische Einheit“ (engl. lexical unit) (vgl. Langacker 2008: 220) als Form-Bedeutungspaar operiert. Dies ist besonders hilfreich, da in der vorliegenden Arbeit die grammatische Kategorie Nomen untersucht wird. sprachlichen Ausdrucks, die sich aus dessen Einsatz in einer konkreten kom‐ munikativen Situation erschließen lassen. Für die Ziele der vorliegenden Studie spielt die oben skizzierte termino‐ logische Konfusion 5 zwischen symbolischen Einheiten und Konstruktionen im Sinne der kognitiven Grammatik und der Konstruktionsgrammatik vor allem in Bezug auf die Bedeutungsebene eine tragende Rolle. Die einzelnen festgestellten Unterschiede zwischen dem Ansatz der kognitiven Grammatik und dem der Konstruktionsgrammatik bezüglich des internen Aufbaus einer Konstruktion bzw. einer symbolischen Einheit 6 sind vor allem auf der Formseite festzustellen. Die angesprochene Diskrepanz betrifft somit nicht die semanti‐ sche Seite einer symbolischen Einheit bzw. Konstruktion. Um jedoch in der Folge terminologische Unklarheiten zu vermeiden, wird der Terminus symbolische Einheit aus Langackers kognitiver Grammatik in dieser Arbeit favorisiert, weil er zur Kennzeichnung von Form-Bedeutungseinheiten unterschiedlichster Komplexität dienen kann (vgl. Evans/ Green 2006, Evans 2017). Symbolic units can be simplex or complex in terms of their symbolic structure. For example, a simplex symbolic unit like a morpheme may have a complex semantic or phonological structure but is simplex in terms of symbolic structure if it does not contain smaller symbolic units as subparts. The word cat and the plural marker -s are examples of simplex symbolic units. Complex units vary according to the level of complexity, from words (for example, cats) and phrases (for example, Lily’s black cat) to whole sentences (for example, George kicked the cat) (E V A N S / G R E E N 2006: 501, Hervorhebung im Original). Mit den Prämissen des symbolischen Prinzips in der kognitiven Linguistik ist ein Beschreibungsansatz benannt, der symbolische Einheiten unterschiedlichster Art psychologisch und realistisch erklären kann. Der Vorteil eines solchen zei‐ chentheoretischen Ansatzes ist darin begründet, dass semantisch konzeptuelle Aspekte von lexikalischen Einheiten, ungeachtet ihrer konzeptuellen Art (Kon‐ kreta oder Abstrakta), unter denselben Bedingungen erklärt werden können. Über diese zunächst allgemeine Maxime hinaus hebt die kognitive Linguistik die gleichen kognitiven Voraussetzungen hervor, die der Kognition zugrunde liegen 45 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="46"?> 7 Der Ansatz des experimentalism bildet die Ausarbeitung verschiedener Studien aus der Experimentellen Psychologie (Prototypentheorie) von Rosch (1975, 1978), Berlin/ Kay (1969) sowie der Auseinandersetzung mit Arbeiten der Gestaltpsychologie (Wertheimer 1923) und Wittgensteins (2006) Familienähnlichkeiten. und gleichermaßen für die Bedeutungskonstitution lexikalischer Einheiten, darunter Konkreta und Abstrakta, gelten. 3.1.2 Das Embodiment-Prinzip und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Der semantische Gehalt einer symbolischen Einheit ist in der Regel hochkom‐ plex, schematisch aufgebaut (s. Kapitel 4) und unterliegt basalen kognitiven Prinzipien, die jeder Bedeutungskonstitution vorausgehen. Eines der fundamen‐ talen Prinzipien des Aufbaus dieser lexikalischen Konzepte ist die Annahme, dass semantische Strukturen durch die sensomotorische Körpererfahrung (engl. embodiment) motiviert werden (Lakoff/ Johnson 1980/ 2003, Lakoff 1987, Evans/ Green 2006). Für die Bedeutungskonstitution beider Konzeptarten, Abstrakta und Konkreta, ist hier die perzeptuell bedingte Körpererfahrung die erste Ressource, aus der sich verstehensrelevantes Bedeutungswissen ableitet. The fact that our experience is embodied - that is, structured in part by the nature of the bodies we have and by our neurological organization - has consequences for cognition - the subthesis of grounded cognition. In other words, the concepts we have access to, and the nature of the ‘reality’ we think and talk about, are grounded in the multimodal representations that emerge from our embodied experience (E V A N S 2017: 287). Die artenspezifisch begrenzte psychophysische Ausstattung des Menschen bestimmt sowohl seine Kapazitäten als auch die Qualität seiner Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. So kann das menschliche Gehör zum Beispiel nur ein begrenztes Spektrum in Höhe von 20.000 Hertz wahrnehmen. Im Gegensatz dazu können nachtaktive Tiere wie Fledermäuse bis zu 200.000 Hertz perzipieren. Ausgehend von diesem Beispiel zeigt sich, dass man nur Aus‐ schnitte der Wirklichkeit wahrnimmt. Daraus ergibt sich, dass die konzeptuellen Strukturen Produkte unserer arttypischen begrenzten biologisch-kognitiven Rekonstruktion der Welt sind, und nicht die Welt an sich wiedergeben. Die Annahme, dass die menschliche Konzeptualisierung primär von der Art der körperlichen Erfahrung geprägt ist, geht auf den Ansatz des experimental realism 7 zurück, der in späteren Arbeiten von Lakoff/ Johnson (1999) auch em‐ bodied realism genannt wird. Dieser Sichtweise folgend ist sprachliches Wissen 46 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="47"?> 8 Wilson (2002: 625) erläutert den Begriff der offline cognition folgendermaßen: Offline cognition occurs when sensorimotor functions are decoupled from the imme‐ diate environment and subserve what we might call ‘displaced thought processes’, i. e., thoughts about situations and events in other times and places. ebenso in der körperlichen Erfahrung verankert (vgl. Talmy 2000, Johnson 1987, Lakoff/ Johnson 1999, Ziemke/ Zlatev/ Frank 2007, Barsalou 1992b, 2008) und kann nicht isoliert davon betrachtet werden. Für die Vertreter der kognitiven Semantik schlägt sich das vorrangig in der körperfundierten figurativen Natur konzeptueller Strukturen nieder. After a generation of research in which it was implicitly assumed that language could be described on its own terms, it has become more interesting to ask how much of the structure of language is determined by the fact that people have bodies with perceptual mechanisms and memory and processing capabilities and limitations, by the fact that people have to try to make sense of the world using limited resources, and by the fact that people live in social groups and have to try to communicate with each other. It seems to me a great deal of the structure of language is determined by such factors (L A K O F F 1982: 155). Die Grundannahmen der körper- oder erfahrungsbasierten Kognition fasst W IL S O N (2002: 625) in sechs Kernthesen zusammen, wobei die sechste die am meisten erforschte und empirisch begründete Annahme bildet: (1) cognition is situated; (2) cognition is time-pressured; (3) we off-load cognitive work onto the environment; (4) the environment is part of the cognitive system; (5) cognition is for action; (6) offline cognition 8 is body based. Im Folgenden soll ein Beispiel zur Illustration dargelegt werden. Laut der Prinzipien der embodied cognition wird die Bedeutung konkreter lexikalischer Einheiten durch die ganzheitliche Erfahrung, die man mit einem bestimmten Objekt macht, repräsentiert. Ein Beispiel ist die perzeptuell-motorische Erfah‐ rung mit einem Apfel: (1) die visuelle Wahrnehmung eines Apfels als runde Form mit einer bestimmten Farbe, (2) der frische Geruch, (3) der süße Ge‐ schmack, (4) das Beißen in einen Apfel, (5) die Geräusche, die daraus entstehen, (6) das Anfühlen etc. Weil in dieser multisensoriellen Erfahrung große Teile des sensomotorischen Systems involviert sind, liegt die Erkenntnis nahe, dass die mentale Repräsentation alle Aspekte impliziert, die an dieser Erfahrung beteiligt sind. Hervorzuheben ist, dass dies nicht nur für Konkreta wie [APFEL], sondern auch für die Konzeptualisierung von abstrakten Sachverhalten gilt. So belegen eine Reihe von Untersuchungen (Glenberg/ Kaschak 2002, Glenberg et al. 2008), dass motorische Aktionsschemata bei der Repräsentation abstrakter Konzepte 47 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="48"?> die gleiche Rolle spielen wie bei konkreten. Darüber hinaus spiegelt sich dieser Effekt im kognitiven Potenzial von Metaphern wider. Die Existenz von basalen körperbasierten bildschematischen Strukturen, wie sie in der konzeptuellen Metapherntheorie von Lakoff/ Johnson (1980/ 2003) postuliert werden, und die maßgeblich an der Konzeptualisierung von abstrakten lexikalischen Konzepten beteiligt sind, unterstützen diese These (s. Kapitel 5). Obwohl der Prozess der Transformation der durch körperliche Erfahrung gewonnenen Informationen in konzeptuelle Strukturen in der kognitiven Lin‐ guistik relativ unterschiedlich geschildert wird, stellt sich das Primat der kör‐ perbasierten Erfahrung als Basis für den Erwerb und Aufbau des semantischen Wissens dar. Für die Repräsentation der Bedeutung einer lexikalischen Einheit steht nicht nur der Zusammenhang zwischen der perzeptiven Körpererfahrung und Kogni‐ tion im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen, sondern auch die Frage nach jenen Prozessen und Mechanismen, die der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta zugrunde liegen und an der Strukturierung ihres semantischen Wissens maßgeblich beteiligt sind. In der kognitiven Semantik unterliegt die Bedeutungskonstitution und der Aufbau der semantischen Repräsentation wei‐ teren kognitiven Prinzipien wie zum Beispiel die Kategorisierung und die Schematisierung, unabhängig von der Art der ontologischen Beschaffenheit der jeweiligen Entitäten. 3.1.3 Kategorisierung Ohne das Vorhandensein einer kognitiven Strategie zur Komplexitätsreduktion der durch die motorisch-körperliche Erfahrung gewonnenen perzeptuellen Daten wären unsere mentalen Kapazitäten überlastet und ein effizienter Aufbau von konzeptuellen Strukturen unvorstellbar. Eine elementare Fähigkeit der Wis‐ sensverarbeitung und der Bedeutungskonstitution ist die kognitive Strategie der Kategorisierung (vgl. Evans/ Green 2006: 249, Lakoff 1987: 5, Ziem 2008: 248ff.). Categorisation of experience is the heart of human cognitive processes. We do not comprehend the world as a set of isolates entities, events and properties, but we form generalisations over instantiations of what we come to consider the same experience. These generalisations are structures in the mind in ways that are not always maximally economical and parsimonious (V ÄL I M A A -B L U M 2005: 1). Kategorisierung gilt als elementares Prinzip der Kognition (vgl. Barsalou 1992b: 15, Lakoff 1987: 5-12, Langacker 2008: 17, Evans/ Green 2006: 168). Sie verhilft die von Sinnesorganen aufgenommenen Informationen zu verarbeiten 48 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="49"?> und zu organisieren, um das konzeptuelle System effizient zu gestalten. Im kognitiven Forschungsparadigma ist mit Kategorisierung die Fähigkeit gemeint, Sachverhalte der Welt als solche zu erkennen und auf der Basis von bereits im Gedächtnis vorhandenem Wissen einzuordnen. Interpretiert man beispiels‐ weise aufgrund bestimmter perzeptueller oder funktionaler Merkmale verschie‐ dene elektronische Geräte als Computer oder eine Person als sympathisch, so fasst man Sachverhalte, Dinge, Handlungen, Ereignisse und Gedanken zu einer Kategorie zusammen. Dieser kognitive Akt geschieht als Kategorisierungspro‐ zess. Laut K O N E R DIN G (1997: 57) erfolgt Kategorisierung durch Vergleich. Phänomene werden zu Typen gruppiert aufgrund ihrer (wechselseitigen) Ähnlichkeit, unter bestimmten Rahmenbedingungen und Zielsetzungen. Durch Kategorienbildung werden vergangene Wahrnehmungen zur Grundlage der Interpretation und Einord‐ nung neuer Erlebnisse und Erfahrungen gemacht. Für Lakoff (1987: 6) bildet die Kategorisierung ein Grundprinzip der Kognition, die in der phylogenetischen Entwicklung des Menschen verankert ist. Diese ist unabdingbar, um die Fülle der durch die Sinnesorgane aufgenommenen Informationen effizient zu verarbeiten. Somit findet Kategorisierung als basale Fähigkeit der menschlichen Kognition bei jeder Verarbeitung perzeptueller Daten und bei jeder Art des Denkens und Handelns statt. Dass die Katego‐ risierung trotz der starken Automatisierung jedem sprachlichen kognitiven Prozess vorausgeht, ist in der kognitiven Linguistik relativ unstrittig. Auch für sprachliche Verarbeitungsbzw. Memorisierungsprozesse sind Kategorisie‐ rungsleistungen elementar (Langacker 1999: 103). Allein das Verstehen eines Wortes erfordert mehrere Kategorisierungsakte, denn bereits bei der Entschlüs‐ selung der einzelnen Phoneme kommen Kategorisierungsleistungen ins Spiel. Dies geschieht, indem die einzelnen Laute bereits erworbenen kognitiven phonetischen Mustern zugeordnet werden. Ob man bei [sand] ein [s] oder ein [h] im Anlaut hört, stellt einen großen Unterschied dar. Kategorisierung gilt hier nicht nur auf Einzellautebene, sondern findet auf komplexeren und abstrakteren sprachlichen Ebenen statt: Bestimmte Lautketten werden als Silben, als sinntra‐ gende Morpheme oder als Lexeme erkannt und syntaktischen Kategorien wie Nomen oder Verb zugeordnet. Auch die semantischen Informationen wären ohne Kategorisierungsprozesse unzugänglich. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Rolle der Kategorisierungskom‐ petenz für die Bedeutungskonstitution abstrakter und konkreter lexikalischer 49 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="50"?> 9 Ursprünglich geht das Konzept der Kategorisierung auf die experimentelle Psycho‐ logie von Rosch (1978, 1975) zurück, die später unter der Prototypentheorie bekannt geworden ist. Roschs Prototypentheorie, die sich primär auf konkrete Objekte bezieht, wurde später von Lakoff (1987) auf weitere sprachliche Einheiten übertragen. Einheiten. 9 Für abstrakte lexikalische Konzepte, die komplex strukturiert sind, wie etwa Ereignisse [HOCHZEIT] oder Emotionen [ANGST], schreibt Lakoff der Fähigkeit der Kategorisierung gleichermaßen eine zentrale Rolle für die Bedeutungskonstitution zu, wie auch für konkrete lexikalische Einheiten: [A] large proportion of our categories are not categories of things; they are categories of abstract entities. We categorize events, actions, emotions, spatial relationships, so‐ cial relationships, and abstract entities of an enormous range: governments, illnesses, and entities in both scientific and folk theories, like electrons and colds. Any adequate account of human thought must provide an accurate theory for all our categories, both concrete and abstract (L A K O F F 1987: 6). Nicht zuletzt lassen sich Kategorisierungsleistungen in lexikalisch-semanti‐ scher Hinsicht in vielerlei Hinsicht ausdifferenzieren. Nach Ziem (2009a: 181) betreffen diese Beziehungen (a) die semantischen Einheiten (die Bedeutungs‐ seite einer symbolischen Einheit), (b) die Formseite sprachlicher Zeichen und (c) die symbolischen Einheiten als Ganzes. Für (a) lässt sich der Kategorisie‐ rungsakt anhand taxonomischer Hierarchien illustrieren: Taxonomie ist hier ein Netzwerk von Kategorien, wie Superordination, die die Beziehung eines Hyponyms [APFEL] zu einem Hyperonym [FRUCHT] beschreibt. Abb. 3.3: Taxonomisches System für [APFEL] und [LIEBE] 50 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="51"?> Wie in Abbildung 3.3 dargestellt, wird durch die Zuweisung der Entität [APFEL] zu einer übergeordneten Kategorie [FRUCHT] ein Kategorisierungsakt voll‐ zogen. Dieser lässt sich beispielsweise propositionell durch das Schema X ist ein Y beschreiben. Ebenso sind Kategorisierungsleistungen auf der Formseite zu betrachten, wie in der Abbildung 3.3 gezeigt wird. Die Formseite der symbolischen Einheit [APFEL] bildet eine Instanz für die abstraktere Kategorie [NOMEN]. Die vorgestellte Abbildung demonstriert auch, wie wichtig die Kategorisierungsleistungen für die Organisation lexikalischer Einheiten abs‐ trakter und konkreter Art und speziell für die Bedeutungsseite sind. Langacker (1987: 68) bezeichnet das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Kategorien als Schema-Instanz-Beziehung. Ihm zufolge weisen symbolische Einheiten jeder Art Schema-Instanz-Beziehungen auf, die durch Kategorisierungslinks herge‐ stellt werden. Dabei gilt: Eine Instanz (Hyponym) eines Schemas (Hyperonym) fungiert auf einer niedrigeren Abstraktionsstufe zugleich als Schema (Hyperonym) für andere Instanzen (Hypo‐ nyme) (Z I E M 2008: 204). Durch Schema-Instanz-Beziehungen wird ersichtlich, dass lexikalische Ein‐ heiten eine schematische Struktur aufweisen, in der sie mit anderen lexika‐ lischen Einheiten auf verschiedenen Ebenen verbunden sind. Ziem schreibt der kognitiven Fähigkeit der Kategorisierung in dieser Hinsicht eine weitere elementare Funktion zu: Die kognitive Fähigkeit, sprachliche Zeichen […] durch Kategorisierungslinks mit‐ einander zu verbinden, erlaubt es, ausgehend von sprachlichen Zeichen […] ein komplexes kognitives Modell aufzubauen […]. Netzwerkartig miteinander verbun‐ dene inhaltsseitige und ausdrucksseitige und symbolische Einheiten sind integrale Bestandteile eines solchen kognitiven Modells (Z I E M 2009a: 183). Diese kognitiven Modelle sind die Basis für die Erschließung der Bedeutung einer lexikalischen Einheit, da “[t]he conventional meaning of a lexical item must be equated with entire network, not only with a single node” (Langacker 1991: 3). Trägt man allerdings bei der konzeptionellen Überlegung einer netzwerkartigen Struktur eines solchen kognitiven Modells nur der Fähigkeit der Kategorisierung Rechnung, so reicht der taxonomische Aufbau einer semantischen Einheit, wie in Abbildung 3.3 dargestellt, nicht aus, um die enzyklopädische konzeptuelle Struktur und den konzeptuellen Inhalt semanti‐ scher Einheiten zu erklären. Die Bedeutungskonstitution basiert neben Katego‐ risierungsleistungen genauso auf Schematisierungsprinzipien, die sich in der 51 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="52"?> Struktur einer semantischen Einheit weit mehr als nur bei Schema-Instanz-Be‐ ziehungen im Sinne von Langacker niederschlagen. 3.1.4 Schematisierung und Assoziationsprinzipien Durch die These der netzwerkartigen Struktur der Inhaltsseite einer lexika‐ lischen Einheit lässt sich ein weiteres Phänomen, die Schematisierung, des kognitiven Systems erkennen, die für Bedeutungskonstruktionsprozesse von Konkreta und Abstrakta elementar ist. Die Fähigkeit, die Welt in Kategorien wahrzunehmen und in solche zu strukturieren, erfordert schließlich die Her‐ stellung von Relationen zwischen Kategorien. Die Beispiele zu [APFEL] und [LIEBE] im vorherigen Abschnitt sowie ihre taxonomische Einbettung durch die Schema-Instanz-Bildung (vgl. Langacker 1987: 68, Ziem 2008: 190f.) illustrieren das komplementäre Verhältnis von Kategorisierung und Schematisierung. Die Zuordnung von [APFEL] zu der abstrakteren Kategorie [FRUCHT] erfolgt durch den Vergleich verschiedener Kategorienmitglieder, deren semantisch inhärente Kernstrukturen eine gewisse Similarität aufweisen. Die Ähnlichkeit einer variablen Menge perzeptueller und artspezifischer Zuschreibungen, die [APFEL] mit anderen Entitäten wie [BANANE], [PFIRSICH] oder etwa [NEKTA‐ RINE] teilt, dient hier als ein Faktor, der eine assoziative Beziehung mo‐ tiviert. Durch diesen Kategorisierungsprozess eröffnet sich eine netzwerkartige Struktur, die einen komplexeren Aufbau konzeptueller Strukturen mit sich bringt, als die Herstellung von kognitiven Kategorien durch Schema-In‐ stanz-Bildung suggeriert. Bybee beschreibt dieses Zusammenspiel von Katego‐ risierung und der netzwerkartigen Aktivierungsstruktur einer lexikalischen Einheit folgendermaßen: In this view, as users of language experience tokens of language use, they categorize them at varying degrees of abstractness. This categorization process creates a vast network of phonological, semantic and pragmatic associations that range over what has traditionally been designated as lexicon and grammar (B Y B E E 2008: 217). In Langackers Netzwerkmodell geschehen der Aufbau und die Aktivierung dieser konzeptuellen Netzwerke durch den Gebrauch von Schematisierungs‐ prinzipien. Dies spiegelt sich in der Schema-Instanz-Bildung wider. Jedoch lässt sich feststellen, dass das Schematisierungsverständnis von Langacker nur die Schema-Instanz-Bildung betrifft. Schemacity can be equated with the relation between a superordinate node and with a subordinate node in a taxonomic hierarchy, the concept [TREE], for instance, is schematic with respect to the concept [OAK]: [[TREE]] - [[OAK]]. In such 52 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="53"?> relationship, I call the superordinate structure a schema, and the subordinate structure an elaboration or instantiation for the schema (L A N G A C K E R 1987: 68). Neben Schema-Instanz-Beziehungen geht Langacker in seinem Netzwerkmo‐ dell nur auf Ähnlichkeitsbeziehungen als weiteres Schematisierungsgesetz ein. Grundsätzlich können Kategorien jedoch in verschiedenen Relationen zueinanderstehen. Similarität allein reicht nicht aus, um die Fülle an semantisch relevanten Informationen und Relationen zu bestimmen, die ein konzeptuelles Netzwerk enthält. Entgegen dieser einseitigen Darlegung vertritt Busse (2015) die Ansicht, dass assoziative Verknüpfungen, die auf einer metaphorischen Übertragung oder auf der Wahrnehmung von Kontiguitäten und Analogiebil‐ dung beruhen, für ihre semantische Relevanz sowie für die Strukturierung des konzeptuellen Wissens nicht unterschätzt werden dürfen (s. Kapitel 5). Eine Erweiterung des Begriffs der Schema-Instanz-Beziehungen auf weitere interkategorielle Beziehungen findet sich bei Ziem (2008). Laut ihm herrschen Schema-Instanz-Beziehungen in einem Netzwerkmodell nicht nur in taxono‐ mischer Hinsicht, wie etwa durch Superordination, sondern basieren auf viel‐ fältigen interkategoriellen Relationen. So können auch zwischen Kategorien unterschiedlicher ontologischer Beschaffenheit Schema-Instanz-Beziehungen bestehen, wie etwa zwischen [APFEL], [BEIßEN] und [ESSEN]. Durch den Gebrauch von Schemata wird es ermöglicht, zwischen Kategorien solche Rela‐ tionen herzustellen, die für die Bedeutungskonstitution fundamental sind. Diese Idee der Schematisierung basiert wesentlich auf der Schematheorie des britischen Psychologen Bartlett (1932), in deren Rahmen er Gedächtnis‐ strukturen untersuchte. Bartletts Schematheorie ergab sich aus einer experi‐ mentellen Studie zur Erinnerung (engl. remembering) von Prosatexten, in der Versuchspersonen die Inhalte eines Romans wiedergeben sollten (Bartlett 1932). Bartlett begreift die Struktur der wiedergegebenen Inhalte als Folge einer Schemabildung. Unter einem Schema versteht er “[…] an active organization of past reactions, or of past experiences, which must be supposed to be operating in any well-adapted organic response” (Bartlett 1932: 20). Mit anderen Worten sind Schemata strukturierte Wissenseinheiten, in denen Erfahrungswissen systematisch in relationalen Strukturen im Gedächtnis geordnet wird. Der Schemabegriff von Bartlett wurde später für sämtliche Forschungsprogramme der experimentellen kognitiven Forschung fruchtbar gemacht (vgl. Minsky 1975, Rumelhart 1980, Norman/ Bobrow 1975). Auch für die kognitive Semantik spielen Schemata eine bedeutende Rolle in der Beschreibung des semantischen Wissens und konzeptueller Strukturen. Für die Bedeutungskons‐ titution hat sich der schematische Ansatz in der Framesemantik beispielsweise 53 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="54"?> als grundlegende Ausgangstheorie entwickelt (s. Kapitel 4). Z I E M (2008: 252) schreibt: Schemata sind […] kognitive Datenstrukturen, in denen individuelle Erfahrungen un‐ terschiedlicher Inhaltsbereiche zu typischen Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen der Abstraktion und Komplexität verallgemeinert zusammengefasst sind, so dass diese beim Verstehen aktueller Erfahrungen als Interpretationsbzw. Datenbasis dienen können. Abb. 3.4: Schema-Instanz-Beziehung und Ähnlichkeitsbeziehungen zur semantischen Einheit [APFEL] Abbildung 3.4 illustriert die schematisierte netzwerkartige Struktur der seman‐ tischen Einheit [APFEL]. Durch Schema-Instanz-Beziehungen fungiert [APFEL] als Instanz des übergeordneten Schemas [FRUCHT] und durch Ähnlichkeitsbe‐ ziehungen zu benachbarten Kategorien wie [BANANE], [BIRNE] etc. Darüber hinaus lassen sich Beziehungen zu weiteren semantischen Zuschreibungen, die dieses Schema spezifizieren, feststellen, wie etwa [FORM]/ [RUND], [FARBE]/ [ROT], [GESCHMACK]/ [SÜß], [FUNKTION]/ [ESSEN] usw. 54 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="55"?> 10 Neben den Assoziationsbzw. Schematisierungsgesetzen von Bartlett werden eine Reihe von weiteren philosophischen und psychologischen Erkenntnissen in der ko‐ gnitiven Semantik herangezogen, wie beispielsweise die Familienähnlichkeiten von Wittgenstein (2006) oder die Figur-Grund-Unterscheidung der Gestaltpsychologie (vgl. Blank 2001: 37 42). Für die vorliegende Arbeit erweisen sich die Kognitionsprinzipien der Assoziation vor allem relevant im Hinblick auf die Strukturierung des semantischen Wissens. Unter Berufung auf die Assoziationstheorie 10 legt Bartlett zwei grundlegende Parameter für Schematisierungsprozesse fest. Diese gründen sich auf die Prin‐ zipien der Ähnlichkeit (Similarität) und der räumlichen und zeitlichen Nähe (Kontiguität) (s. Abbildung 3.5). Dank dieser beiden Prinzipien lässt sich jede Art der relationalen Beziehungen zwischen verschiedenen Kategorien erklären. Si‐ milarität und Kontiguität gelten hier als übergeordnete Muster interkategorialer Beziehungen. Ferner besitzen sie einen allgemeinpsychologischen Charakter. Abb. 3.5: Similaritäts- und Kontiguitätsbeziehungen (nach Bartlett 1932: 305) Similaritätsbeziehungen herrschen, wenn zwei oder mehrere Kategorien se‐ mantische Ähnlichkeiten oder sprachlich formale Ähnlichkeiten aufweisen. Semantisch relevante Beziehungen liegen vor, wenn zwei Kategorien eine ähnliche Menge an determinatorischen Zuschreibungen teilen. Dies zeigt sich beispielsweise in natürlichen Taxonomien, die durch die Schema-Instanz-Bil‐ dung zustande kommen. Einen Aspekt des Kontrastes [SCHWARZ]/ [WEIß] 55 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="56"?> führt Bartlett in seinem Modell auch unter dem Aspekt der Similarität auf, obwohl dieser das Gegenteil von Ähnlichkeit suggeriert. Im Gegensatz dazu fasst Bartlett diejenigen Assoziationsbeziehungen unter Kontiguitätsbeziehungen zusammen, die eine zeitliche oder räumliche Nähe zwischen Kategorien [MINZE]/ [BEET] oder [TAG]/ [NACHT] aufweisen. Die Herstellung dieser Beziehungen beruht dabei mehr auf Erfahrung als auf Logik. Kontiguitätsphänomene basieren auf Gewohnheit und lassen sich nicht inferentiell erschließen. Die ausgeführten assoziations- und wahrnehmungspsychologischen Prä‐ missen von Bartlett haben in verschiedenen Facetten Eingang in die lexikali‐ sche Semantik gefunden. Die kognitive Linguistik postuliert ausgehend von den beiden Prinzipien der Similarität und Kontiguität ebenso eine Reihe von Verknüpfungsgesetzen, die in lexikalisch-semantischer Hinsicht relevant sind. Vor allem in Netzwerkmodellen, wie etwa der Framesemantik, die die kogni‐ tive Struktur lexikalischer Einheiten erklären, schlagen sich die vorgestellten Assoziationsprinzipien nieder (s. Kapitel 4, vgl. Croft/ Cruse 2004: 141-192). In Anlehnung an Blank (2001) und Ziem (2008) lassen sich die dargestellten Assoziationsprinzipien in der lexikalischen Semantik folgendermaßen zusam‐ menfassen: 1. Metaphorische Similarität: verbindet lexikalische Konzepte aufgrund einer Similarität in der Bedeutung etc. zum Beispiel [MUT]/ [LÖWE]. 2. Taxonomische Strukturen: - Kotaxonomische Similarität: verknüpft lexikalische Einheiten, zwischen denen eine große formale bzw. funktionale Similarität herrscht und die demselben Sachfeld bzw. Hyperonym angehören, wie zum Beispiel [LÖWE]/ [TIGER], [WASCHMASCHINE]/ [KÜHL‐ SCHRANK]. - Taxonomische Überordnung (oder Hyperonymie): diese Relation geht von einem Oberbegriff zu einer seiner Instanzen aus, zum Beispiel [RAUBTIER]/ [LÖWE], [EMOTION]/ [LIEBE]. - Taxonomische Unterordnung: bildet das Gegenteil der taxonomi‐ schen Überordnung und verbindet ein Hyponym mit einem Hyper‐ onym, wie zum Beispiel [LÖWE]/ [RAUBTIER], [LIEBE]/ [EMOTION]. - Kontrast: ist eine Form der Kotaxonomie, die die Relation zwischen Antonymen erklärt wie [SCHWARZ]/ [WEIß] oder [LIEBE]/ [HASS]. - Konzeptuelle Identität: bildet eine Extremform der Similarität und spiegelt sich in der Synonymie oder bei der Assoziation des Glei‐ chen wider, zum Beispiel [STOCKWERK]/ [ETAGE], [MUT]/ [TAPFER‐ KEIT]. 56 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="57"?> 3. Formale Similarität: spielt für die semantische Erschließung bzw. Ver‐ stehensrelevanz eine untergeordnete Rolle, denn sie basiert in erster Linie auf Similarität auf der Formebene, wie zum Beispiel [Buch]/ [Tuch]. 4. Konzeptuelle Kontiguität: - Räumliche Kontiguität: Diesem Prinzip unterliegen Relationen zwi‐ schen Konzepten, die beispielsweise metonymische Beziehungen zu‐ einander aufweisen, wie zum Beispiel [FENSTER]/ [RAHMEN]. Darunter fallen auch Beziehungen zwischen Entitäten, die gemeinsam wahrgenommen werden, wie zum Beispiel [BUCH]/ [REGAL]. - Zeitliche Kontiguität (oder zeitlich-kausale Kontiguität (vgl. Ziem 2008: 255)): Diese herrscht, wenn lexikalische Einheiten zum Beispiel zeitlich aufeinander folgende Handlungen beschreiben, wie zum Bei‐ spiel [BESTELLEN]/ [BEZAHLEN]. 5. Syntagmatische Kontiguität: bezieht sich in semantisch-lexikologischer Hinsicht auf komplexe lexikalische Konzepte, wie zum Beispiel [PRESSE]/ [KONFERENZ], [MEINUNG]/ [FREIHEIT] oder auf eine syntagmatische Abfolge, deren Beziehung sich durch frequenten Gebrauch ergibt, wie zum Beispiel [BART]/ [RASIEREN], [WASSER]/ [TRINKEN]. Hervorzuheben an dieser Stelle ist, dass die vorgestellten Relationen nicht nur als strukturgebende Prinzipien des semantischen Wissens fungieren. Vielmehr erweisen sie sich in lexikalisch-semantischer Hinsicht als relevant für die Bedeutungskonstitution. Inwieweit diese Relevanz für Konkreta und Abstrakta elementar ist, wird in Kapitel 4 zur Framesemantik näher spezifiziert. Festzu‐ halten ist, dass die Inhaltsseite einer lexikalischen Einheit, sei sie konkreter oder abstrakter Natur, eine netzwerkartige schematische Struktur aufweist, die den oben genannten Gesetzen der Similarität und Kontiguität unterliegt. Dass Assoziations- und Schematisierungsprinzipien die Grundlage der Be‐ deutungskonstitution und der wichtigsten strukturgebenden Prinzipien des Lexikons eines Individuums sowie einer Sprachgemeinschaft darstellen, betont auch Schmid (2018) in seinem gebrauchsbasierten kognitiven Ansatz zum dynamischen Lexikon. Schmid (2018: 217) schreibt Assoziationsprinzipien nicht nur für die semantische Ebene, sondern auch für Formaspekte des Lexikons eine entscheidende Rolle zu. Er erweitert dieses Prinzip auf sämtliche Beziehungen des Lexikons und geht davon aus, dass Wissen über Lexeme in vier Typen von Assoziationen repräsentiert ist: 57 3.1 Kognitive Voraussetzungen für die Bedeutungskonstruktion <?page no="58"?> 1. Symbolische Assoziationen: Diese beinhalten die Beziehung zwischen Form und Bedeutung einer symbolischen Einheit. 2. Paradigmatische Assoziationen: zwischen Form oder Bedeutungen einer lexikalischen Einheit mit anderen Formen und Bedeutungen, die während des Sprachgebrauchs als Mitberwerber im assoziativen Netzwerk aktiviert werden. 3. Syntagmatische Assoziationen: zwischen Form oder Bedeutung einer lexi‐ kalischen Einheit und weiteren lexikalischen Einheiten durch sequenzielle Anordnung. 4. Pragmatische Assoziationen: zwischen Lexemen und deren unterschiedli‐ chen situativbedingten Gebrauchsmustern. Dieser Konzeption folgend stellt der Sprachgebrauch eine Voraussetzung so‐ wohl für die Aktivierung als auch für die Repräsentation von assoziativen Beziehungen dar. Dieser Gebrauch ist nicht von einzelnen Individuen abhängig, sondern von der Sprachgemeinschaft. Insofern liegt nahe, dass eine reibungslose Kommunikation innerhalb einer Sprachgemeinschaft ohne Übereinkunft über assoziatives Wissen unmöglich ist. 3.2 Der „usage-based“-Ansatz und die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten Die bisherigen Ausführungen, dass die semantische Seite einer lexikalischen Einheit eine komplexe schematische Struktur darstellt, erwecken den Eindruck, dass der Aufbau lexikalischer Bedeutungen starres adynamisches konzeptuelles Gebilde ist. In Langackers kognitiver Grammatik und in den anderen konstruk‐ tionsgrammatischen Ansätzen entspricht die lexikalische Bedeutung aber einem gebrauchsbasierten Verständnis im Sinne der usage-based thesis (Langacker 1987, 2008, s. a. Barlow/ Kemmer 2000, Evans/ Green 2006). Diesem Verständnis zufolge bilden symbolische bzw. lexikalische Einheiten Produkte eines Schema‐ tisierungsprozesses, die sich aus dem Sprachgebrauch in konkreten Kommuni‐ kationszusammenhängen ergeben. Demzufolge sind neben den in den letzten Abschnitten erläuterten kognitiven Grundlagen für den Aufbau und die Struktu‐ rierung der semantischen Seite einer lexikalischen Einheit Gebrauchsereignisse (engl. usage events) erforderlich, in denen lexikalische Einheiten im konkreten Sprachgebrauch Anwendung finden (Langacker 1987, 2008, Barlow/ Kemmer 2000). 58 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="59"?> Langacker (1987, 2008) beschreibt diese Prämisse im Rahmen seines ge‐ brauchsbasierten Modells (engl. usage-based model), in dem er bei der Operati‐ onalisierung seines zeichentheoretischen Modells (s. Abbildung 3.6) zwischen einer symbolischen Einheit und einem Gebrauchsereignis unterscheidet. Sym‐ bolische Einheiten (lexikalische Einheiten) gelten hier als allgemein abstra‐ hierte, konventionalisierte, unspezifische Strukturen, die durch den Einsatz in einem Gebrauchsereignis spezifiziert werden. Sie gelten als Schablonen (engl. template) für die Generierung eines kontextadäquaten Gebrauchsereignisses, in dem die Bedeutung situationsgemäß dem Kommunikationszusammenhang angepasst wird (Langacker 2008: 220f.). Abb. 3.6: Konventionalisierung bzw. Verfestigung von semantischen Aspekten und das Verhältnis zwischen symbolischen Einheiten und Gebrauchsbedeutung in einem symbolischen Raum (engl. symbolic space (Ziem 2009a: 179) Abbildung 3.6 resümiert das Verständnis einer gebrauchsbasierten Bedeutung der kognitiven Semantik. Das Verhältnis zwischen einer symbolischen Einheit und dem aktuellen Gebrauchsereignis simuliert Langacker in einem symboli‐ schen Raum (engl. symbolic space), in dem sich der Bedeutungskonstitutions‐ prozess vollzieht. Dieser ist in zweierlei Hinsicht bipolar geteilt (s. Abbildung 3.6): (1) vertikal in einen semantischen und in einen phonologischen Raum sowie (2) horizontal in eine symbolische Einheit (eine sprachliche Konvention mit einer sanktionierenden Sturuktur) und ein Gebrauchsereignis. Die beiden 59 3.2 Der „usage-based“-Ansatz und die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten <?page no="60"?> 11 Die Übertragung dieser Simulation auf Abstrakta, wie etwa [Wahrheit/ WAHRHEIT], erweist sich als komplexer. Da es in diesem Kapitel nur um die Veranschaulichung der kognitiven Voraussetzungen, die der Bedeutungskonstitution zugrunde liegen, geht, wird hier nur auf ein Beispiel zur Illustration eingegangen. In Kapitel 4 wird die Bedeu‐ tungskonstitution sowohl von Konkreta als auch Abstrakta mit einem framebasierten Ansatz ausführlicher behandelt. Räume sind durch symbolische Links miteinander verbunden. Ferner sind die symbolische Einheit und das Gebrauchsereignis durch Kodierungslinks verknüpft. Betrachtet man nun den semantischen Raum, so versteht Langacker darunter „the multifaceted field of conceptual potential within which thought and conceptualization unfold“ (Langacker 1987: 76). Semantische Einheiten bilden auf dieser Ebene konventionalisierte abstrahierte Strukturen, insofern sie keine semantischen Spezifikationen dessen enthalten, was ein Sprecher in einer konkreten Kommunikationssituation vermitteln will. Sie besitzen somit einen dekontextualisierten, sanktionierenden und kodierenden Charakter und sind laut Langacker (2008: 221) „[…] limited […] to schematized representations of configuration in inherent usage events”. Die Zielstruktur (das Gebrauchsereignis), die einer semantischen Einheit gegenübersteht und durch diese in einem Sprechakt kodiert wird, ist die aktuelle Gebrauchsbedeutung. Diese enthält alle möglichen semantischen Spe‐ zifikationen, die zum Verständnis einer lexikalischen Einheit in einem aktuellen Kontext verstehensrelevant sind. Zur Illustration der bislang gemachten terminologischen Unterscheidungen soll an dieser Stelle auf das Beispiel der lexikalischen Einheit [APFEL/ apfel] 11 zurückgegriffen werden (vgl. Abschnitt 3.1.3 und 3.1.4). Um die Struktur der Formebene (phonologischer Raum) vorwegzunehmen, bildet die phonologische Einheit eine abstrahierte Struktur aller Formen des Lexems Apfel. Damit sind sämtliche graphematischen, phonologischen, morphologischen, orthographi‐ schen Formen, bzw. visuelle oder akustische Formen gemeint, in denen Apfel vorkommen könnte. In einer konkreten Kommunikationssituation stellt die aktuelle Manifestation das Gebrauchsereignis der Formseite dar. Die phonologische Einheit [apfel] evoziert schließlich die semantische Einheit [APFEL], die alle erwartbaren möglichen semantischen Zuschrei‐ bungen enthält. Diese sind beispielsweise etwa: [FORM]/ [RUND], [GRÖSSE]/ [ZWISCHEN 5 und 8 ZENTIMETER], [FARBE]/ [ROT, HELLGRÜN etc.], [GESCHMACK]/ [SÜSS, SAUER etc.], [FUNKTION]/ [ESSEN, DEKORATION etc.], [QUALITATIVE EIGENSCHAFTEN]/ [GESUND, UNREIF, ESSBAR, UN‐ ESSBAR,…] etc. Ziem (2008: 202) definiert die Anzahl solcher Spezifikationen 60 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="61"?> als unendlich groß. Die Gebrauchsbedeutung von [APFEL] in einem konkreten Kommunikationsakt enthält jene semantischen Zuschreibungen, die durch die jeweiligen Referenten im konkreten Sprechakt gegeben sind. Das heißt: Während die semantische Einheit alle gegebenen Bedeutungsaspekte beinhaltet, die auf der Basis unterschiedlicher Exemplare eines Apfels in verschiedenen Gebrauchsereignissen Eingang in die semantische Einheit gefunden haben, stellt eine aktualisierte Gebrauchsbedeutung konkrete Bedeutungsaspekte eines bestimmten Referenten in einer gegebenen Situation dar (wie beim Referieren mit der Aussage: Ich möchte diesen Apfel haben auf einen bestimmten Apfel beim Einkaufen im Gemüseladen). Z I E M (2008: 201) bringt die grundlegenden Unterschiede zwischen einer Gebrauchbedeutung und einer semantischen Ein‐ heit in Anlehnung an Langacker (1987) folgendermaßen auf den Punkt: Entspricht die Gebrauchsbedeutung eines Ausdrucks seiner ‚kontextuellen Bedeu‐ tung‘ […], so entspricht die semantische Einheit eines Ausdrucks seiner ‚konventio‐ nellen‘ Bedeutung. Durch dieses Verständis lassen sich strukturelle Unterschiede zwischen einer semantischen Einheit und der gegenüberstehenden Gebrauchsbedeutung in drei Punkte zusammenfassen: (1) Im Gegensatz zu Gebrauchsbedeutungen sind se‐ mantische Einheiten konventionell, (2) semantische Einheiten sind Gebrauchs‐ bedeutungen gegenüber unterspezifiziert und (3) Gebrauchsbedeutungen sind durch ihren kontextuellen Status emergente Phänomene. Das gebrauchsbasierte Modell sieht außerdem bidirektionale Wechselwir‐ kungen zwischen einer semantischen Einheit und deren Gebrauchsbedeutung vor. Während die semantische Einheit die Gebrauchsbedeutung kodiert (in Abbildung 3.6 durch kod. abgebildet), werden durch wiederholten Gebrauch einer lexikalischen Einheit in ähnlichen Gebrauchsereignissen bestimmte Be‐ deutungsaspekte in der semantischen Einheit konventionalisiert. Diese Bedeu‐ tungsaspekte werden von einer Sprachgemeinschaft geteilt und fließen auto‐ matisch in die Interpretation bzw. in das Verständnis einer Gebrauchsbedeutung mit ein. [K]onventionalisiert wird ein Wissensaspekt dann, wenn dieser beim Gebrauch eines sprachlichen Ausdrucks in einem bestimmten Kontextrahmen rekurrent auftritt und Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer ihn infolgedessen memorieren (Z I E M 2009a: 179). Um den Konventionalisierungsprozess von Bedeutungsaspekten zu verdeutli‐ chen, sei hier kurz auf ein sprachvergleichendes Beispiel [SCHWEIN] und/ [فولح] (haluf) zwischen dem Arabischen und dem Deutschen einzugehen. 61 3.2 Der „usage-based“-Ansatz und die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten <?page no="62"?> Die beiden Sprachen Deutsch und Arabisch unterscheiden sich bei der seman‐ tischen Einheit [SCHWEIN] in den semantischen Zuschreibungen (Deutsch) [ZUM VERZEHR GEEIGNET], (Arabisch) [ZUM VERZEHR NICHT GE‐ EIGNET], in evaluativen Aspekten (Deutsch) [GUT], (Arabisch) [SCHLECHT] und (Deutsch) [SCHIMPFWORT], (Arabisch) [KEIN SCHIMPFWORT]. Die Kon‐ ventionalisierung solcher Bedeutungsaspekte und deren Intersubjektivität ist gegeben, insofern die Erfahrungs- und Handlungskontexte innerhalb einer Sprachgemeinschaft einigermaßen homogen vertreten sind und genauso rekurrent auftreten wie die prä‐ dikativen Zuschreibungen, die Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer innerhalb einer Sprachgemeinschaft mit dem Ausdruck […] [SCHWEIN] in einem bestimmten Erfahrungs- und Handlungskontext treffen (Z I E M 2008: 202). Folglich kann hier geschlussfolgert werden, dass die Semantik einer lexika‐ lischen Einheit gesellschaftlich konstituiert und damit kulturell vorgeprägt ist. Ohne Kenntnis dieser konventionalisierten kulturbezogenen Bedeutungsaspekte bleibt die lexikalische Bedeutung immer verborgen. 3.3 Lexikalische Bedeutung als kulturspezifisches Konstrukt 3.3.1 Kulturelle Kognition Trotz der universellen Ausrichtung des gebrauchsbasierten Modells bei der Modellierung der semantischen Repräsentation lexikalischer Einheiten rückt der kulturelle Aspekt bei Bedeutungskonstruktionsprozessen in vielen Arbeiten der kognitiven Semantik in den Vordergrund. Dies wird vor allem durch die These der konventionellen Natur von semantischen Einheiten in den im vorherigen Abschnitt präsentierten gebrauchsbasierten Modellen ersichtlich, wie im letzten Beispiel zur semantischen Einheit [SCHWEIN] im Deutschen und im Arabischen. Busse (2007) konkretisiert die Relevanz der Einbindung kulturspezifischer Aspekte in jeglicher Hinsicht der kognitiven Semantik. Er definiert damit eine Semantik, die für verstehensrelevantes Wissen kulturelle und gesellschaftliche Aspekte miteinbezieht. Eine epistemologisch ausgerichtete Semantik versucht, das verstehensrelevante Wissen möglichst umfassend zu explizieren und aufzuklären. Da sich in diesem Wissen vorgängige, gesellschaftlich konstituierte und damit kulturell vorgeprägte Schematisierungen […] niederschlagen, ist eine auf Verstehensbedingungen zielende semantische Forschung schon von allem Anfang her genuin kulturwissenschaftlich 62 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="63"?> orientiert. Indem die epistemologische Semantik über die Suche nach dem verstehens‐ ermöglichenden Wissen die Rahmenstruktur des gesellschaftlich geprägten Denkens selbst zu erschließen sucht, erschließt sie nicht nur Aspekte des kulturellen Wissens als solchem, sondern erfasst mit ihren spezifischen Mitteln das, was ‚Kultur‘ im Kern ausmacht. Dabei stehen die kulturellen Artefakte, die wir ‚Sprache‘, ‚Begriffe‘, ‚Texte‘, ‚Diskurse‘ nennen, prinzipiell auf derselben Ebene wie andere kulturelle Artefakte, die andere Medien benutzen (wie z. B. die bildende Kunst). Die verschiedenen Formen der Kultur benutzen größerenteils dasselbe gesellschaftliche Wissen, setzen dieselben Rahmen- und Schema-Strukturen der Episteme voraus, wie die medial jeweils von ihnen differierenden Formen (B U S S E 2007: 275). Auch Bartlett (1932: 255) hebt als Sozialpsychologe im Rahmen seiner Schema‐ theorie die konstruktive Eigenschaft von Schemata hervor und impliziert darin ihre Kulturspezifik, „by providing a persistent framework of institutions and customs which acts as a schematic basis for constructive memory“ Bartlett (1932: 255). Auch im gebrauchsbasierten Ansatz von Langacker wird die Konver‐ genz zwischen Bedeutung und Kultur explizit akzentuiert. Langacker (1999: 16) beschreibt Sprache als „an essential instrument and component of culture, whose reflection in linguistic structure is pervasive and quite significant“. Die Verwobenheit von Sprache, Kultur und Kognition lässt sich dadurch begründen, dass menschliches Wissen jeder Art durch kognitive Akte und soziokulturelles interaktives Handeln innerhalb einer Sprachbzw. Kulturge‐ meinschaft konstruiert und etabliert wird (vgl. Busse 2015: 221). Diesem Aspekt tragen vor allem Arbeiten aus der kognitiv ausgerichteten Anthropologie Rechnung (vgl. Sharifian/ Palmer 2007: 1). Die Idee der Kultur- und Sprachspezifik der Bedeutung symbolischer Ein‐ heiten geht bereits auf Humboldt zurück, der ein sprachphilosophisches Kon‐ zept der ‚Weltansicht‘ prägte, das die allgemeine kulturelle Prägung von Sprache abbildet. Sprache sei nach seiner Auffassung ein Kommunikationsmedium, das eine sprachspezifische intersubjektive „Weltanschauung“ reflektiert. Mehrere Sprachen sind nicht ebensoviele Bezeichnungen einer Sache; es sind ver‐ schiedene Ansichten derselben. […] Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichtum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseyns, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da (H U M B O L D T 1801/ 1808: VII, 2: 602). Moderne Ansätze der Kulturwissenschaften und der kognitiven Anthropo‐ logie, denen ein semiotisches Verständnis von Kultur zugrunde liegt, heben diese angesprochene Kulturspezifik durch ihre Manifestation in symbolischen 63 3.3 Lexikalische Bedeutung als kulturspezifisches Konstrukt <?page no="64"?> Formen (mitunter sprachlichen symbolischen Formen) besonders hervor (Cas‐ sirer 1990 [1944], Geertz 2002: 5). Cassirer stellte (1990 [1944]) die These auf, dass die symbolischen Formen die Kultur ausmachen. In der Forschung ist dieser Ansatz unter dem Begriff „Kultursemiotik“ bekannt geworden und betrachtet Kulturen als Zeichensysteme. Cassirer zufolge manifestieren sich die „geistigen Energien“ (Konzepte) des Menschen notwendig in sinnhaften Gestalten (Symbolen). Folglich knüpft jeder Bedeutungsgehalt an ein kon‐ kretes sinnliches Symbol an. Der Mensch lebt nach dieser Auffassung in einem Netz aus Symbolischen Einheiten. [Diese] sind die vielgestaltigen Fäden, aus denen das Symbolnetz, das Gespinst menschlicher Erfahrung gewebt ist. Aller Fortschritt im Denken und in der Erfahrung verfeinert und festigt das Netz. Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmit‐ telbar gegenübertreten; er kann sie nicht mehr als direktes Gegenüber betrachten (C A S S I R E R 1990: 50). In Anlehnung an Cassirer vertritt Geertz (2002) eine Auslegung des Kulturbe‐ griffs, in der die Bedeutung symbolischer Formen im Zentrum der Analyse steht. Dabei betont er die Erläuterung der Bedeutung von Ausdrucksformen innerhalb einer Gesellschaft. Der Kulturbegriff, den ich vertrete […] ist wesentlich ein semiotischer. Ich meine […], dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht. Mir geht es um Erläuterungen, um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen, die zunächst rätselhaft scheinen (G E E R T Z 2002: 5). Geertz geht in seiner semiotisch konstruktivistischen Betrachtung von Kultur insbesondere darauf ein, wie die Menschen Bedeutungen von Symbolen er‐ schließen und interpretieren. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung symbolischer Einheiten ein Teil seiner Bestimmung. [Der Kulturbegriff] bezeichnet ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln (G E E R T Z 2002: 46). Eine theoretische Fundierung der Verwobenheit von Kultur und Bedeutungs‐ konstitution, die auf bisher allgemeingültigen kognitiven Mechanismen basiert 64 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="65"?> und nur eingeschränkt Eingang in die Kognitive Semantik gefunden hat, stellt die kognitive Kulturtheorie von Shore (1996) dar. In Anlehnung an die ethno‐ logische Methodik und an die Erkenntnisse der Kognitiven Semantik entwirft Shore (1996) eine rein kognitive Bestimmung des Kulturbegriffs und bezeichnet diesen als die Interaktion zwischen Kognition und konkretem Handeln. Die Basis jeder Form des Wahrnehmens, Denkens und des Handelns wird durch das konkrete Handeln und Erleben innerhalb einer Gruppe gebildet. Shore fasst in seiner Abhandlung Kultur als ein Inventar kognitiver Schemata oder Modelle auf, die sich aus der Interaktion in der Umwelt ergeben. Diese werden durch kognitive Prozesse erzeugt und kategorisieren das konzeptuelle Wissen. A culture is best conceived as a very large and heterogeneous collection of models or what psychologists sometimes call schemas (S H O R E 1996: 44). Shore grenzt konkretes Erleben und Handeln (engl. specific cases), kulturelle Schemata (engl. foundational schemas) und persönliche Modelle (engl. instituted models) in einem dreistufigen Modell voneinander ab. Auf der Grundlage des konkreten Erlebens und Handelns innerhalb einer Gemeinschaft bildet das In‐ dividuum die letzten beiden kognitiven Ebenen, in denen das erworbene Wissen abstrahiert und kategorisiert wird (Shore 1996: 367). Die kulturellen Schemata (engl. foundational schemas) sind stark abstrahierte kognitive Modelle, die aus tradierten Konventionen einer Gemeinschaft entstehen und in sehr unter‐ schiedlichen Lebensbereichen effektiv sind. Diese Modelle sind innerhalb einer Kulturgemeinschaft meist verinnerlicht worden und den Individuen gar nicht bewusst. Allerdings werden sie vom Individuum nicht einfach übernommen, sondern im konstruktivistischen Sinne als spezifisch persönliche Formen er‐ schaffen. Dadurch entsteht eine idiosynkratische Ebene, die der persönlichen Modelle (engl. instituted model). [T]he extent to which these instituted models govern concept formation of newly socialized individuals, they are also models from which individuals construct more or less conventional mental models (S H O R E 1996: 51). 65 3.3 Lexikalische Bedeutung als kulturspezifisches Konstrukt <?page no="66"?> Abb. 3.7: Arten der wechselseitigen Beeinflussung zwischen dem konkreten Erleben, den institutionalisierten Modellen und den kulturellen Schemata durch Akkommodation und Assimilation (nach Shore 1996: 367) Um den interaktiven Charakter und die Dynamik dieser mentalen Modelle zu akzentuieren, greift Shore bei seiner vorgenommenen Einteilung auf Piagets As‐ similations- und Akkommodationsprozesse zurück (Piaget 1975). Wie die Abbil‐ dung 3.7 zeigt, beeinflussen sich das konkrete Erleben, die persönlichen und die kulturellen Schemata in einem wechselseitigen kontinuierlichen Prozess durch Assimilation und Akkommodation. Unter Assimilation wird in diesem Sinne die Organisation neuer Erfahrungen aufgrund der vorhandenen kognitiven Modelle verstanden; durch Akkommodation werden die kognitiven Modelle aufgrund neuer Erfahrungen neu strukturiert und angepasst. Dieses Verständnis ergänzt die kognitive, generisch universelle Ausrichtung der Modelle der kognitiven Semantik, die bisher vorgestellt wurden und nicht ausreichen, um die Sprach- und Kulturspezifik von verstehensrelevanten Bedeutungsaspekten zu erklären. 3.3.2 Kulturspezifik lexikalischer Bedeutung Der Ansatz von Shore scheint als geeignete Basis für die kulturwissenschaftlich orientierte kognitive Semantik. Hier erweist sich der Begriff des kulturellen Schemas als besonders zentral. In Toward a Theory of Cultural Linguistics behauptet Palmer (1996: 63), dass "[i]t is likely that all native knowledge of language and culture belongs to cultural schemas and the living of culture and the speaking of language consist of schemas in action". Dieser Erläuterung 66 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="67"?> zufolge bekommen die mentalen Modelle (Schemata) mit der lexikalischen Realisierung im Sinne von Geertz (2002) eine symbolische Funktion. Auf lexika‐ lische Einheiten übertragen, reflektiert sich in jeder semantischen Einheit eine kulturbzw. sprachspezifische Perspektive. Roche (2013: 21) geht hiernach davon aus, „dass grundsätzlich alle Begriffe, so alltäglich, einfach oder problemlos sie an der Oberfläche auch erscheinen mögen, eine bestimmte linguakulturelle Perspektivik repräsentieren.“ Roche bezieht sich auf Friedrich (1989), der, wie später auch Agar (1994), den Begriff der Linguaculture prägte, in dem er jede sprachliche Ebene als kulturelles Konstrukt ansieht. Unter dem Begriff linguaculture versteht er: […] a domain of experience that fuses and intermingles the vocabulary, many semantic aspects of grammar, and the verbal aspect of culture; both grammar and culture have underlying structure while they are constantly being used and constructed by actual people on the ground. I will refer to dies unitary but, at other levels, internally differentiated domain or whole as linguaculture […] (Hervorhebung im Original, F R I E D R I C H 1989: 307). Diese Position bildet eine zentrale Feststellung zur kulturellen Emergenz von Bedeutungsaspekten lexikalischer Einheiten, die Kamlah/ Lorenzen folgender‐ maßen auch für jede Art symbolischer Einheiten verallgemeinern: Was ‚gehen‘ oder ‚essen‘ ist, ‚sägen‘ oder ‚pflügen‘ oder ‚braten‘, ‚sich beherrschen‘, ‚sich einigen‘, ‚beten‘, ‚lieben‘ und so fort, erlernt man sprachlich nur mit diesen Handlungen zugleich. In langem Miteinanderleben haben wir den Gebrauch von Prä‐ dikatoren wie ‚Vater‘, ‚Bruder‘, ‚Vertrauen‘, ‚geizig‘, ‚eifersüchtig‘ erworben (K A M L A H / L O R E N Z E N 1973: 49). 3.4 Zwischenfazit Im Mittelpunkt dieses Kapitels standen die kognitiven Grundvoraussetzungen der Bedeutungskonstitution, die Gebrauchsbasiertheit und die Kulturspezifik lexikalischer Bedeutung im Mittelpunkt. Aus Sicht der kognitiven Semantik lassen sich diese Unterschiede durch die Dynamik und Flexibilität der Bedeu‐ tungskonstitutionssowie der Konventionalisierungsprozesse strukturiert und systematisch eruieren. Zentral in der kognitiven Semantik ist das symbolische Prinzip. Es sieht sämtliche Sprachzeichen als symbolische Einheiten bzw. Konstruktionen (Kon‐ struktikon), die ein strukturiertes Inventar sprachlicher Formen mit einer Bedeutungsseite (semantische Einheit) und einer Formseite (phonologische 67 3.4 Zwischenfazit <?page no="68"?> Einheit) darstellen. Mit diesem symbolischen Prinzip, wie es in der kognitiven Grammatik und in der Konstruktionsgrammatik modelliert wird, können le‐ xikalische Einheiten unterschiedlicher konzeptueller Art auf derselben Basis untersucht werden. Ein weiteres Prinzip der kognitiven Semantik, das den Prozess der Bedeu‐ tungskonstitution und -repräsentation steuert, ist die Grundannahme der em‐ bodied cognition, in der sowohl perzeptuelle und motorische als auch kognitive und sozial-interaktive Aspekte der Erfahrungsbewältigung im Fokus der Erfor‐ schung von Bedeutungsrepräsentationen stehen. Neben diesem Prinzip zeigen sich auf konzeptueller Ebene Kategorisierung, Schematisierung und Assoziation als basale kognitive Mechanismen, die den Prozess der Bedeutungskonstitution maßgeblich gestalten. Außerdem fungiert jede semantische Einheit und somit die lexikalische Bedeutung als Schema, nicht nur durch ihre taxonomischen Schema-Instanz-Beziehungen, sondern auch durch ihre mehrdimensionale netzwerkartige Struktur, die aus weiteren relevanten Gebrauchsaspekten resul‐ tiert und Kontiguitätssowie Similaritätsgesetzen unterliegt. Diese kognitiven Aspekte spiegeln sich im gebrauchsbasierten Ansatz wider, laut dem sich semantische Einheiten aus konkreten Gebrauchsereignissen ergeben. Darüber hinaus werden durch den Einsatz einer lexikalischen Einheit in verschiedenen Gebrauchskontexten immer wiederkehrende Wissenselemente verfestigt. Diese Art von Wissen hat einen stabilen konventionalisierten Charakter und spiegelt das geteilte soziokulturell konstruierte sprachliche Wissen einer Person in einer bestimmten Sprachgemeinschaft wider. Somit zeigt die lexikalische Bedeutung jeder symbolischen Einheit eine bestimmte Kulturperspektivik. Diese Feststellung stimmt mit kognitiv ausgerichteten Ansätzen der Anthro‐ pologie und der Kulturwissenschaften überein. Hiernach stellt jede lexikalische Bedeutung ein kulturelles Schema dar. Fraglich bleibt nach diesem Ansatz jedoch, wie diese spezifische kulturelle Bedingtheit bei verschiedenen Kon‐ zeptarten, wie etwa Konkreta und Abstrakta, ausgeprägt ist. Mithilfe eines frame-semantischen Ansatzes, der auf den schematheoretischen Grundlagen der lexikalischen Bedeutung beruht, lässt sich der Grad der Kulturbzw. Sprachspezifik von Konkreta und Abstrakta systematisch ermitteln. Dieser Ansatz soll im folgenden Kapitel dargestellt werden. 68 3 Lexikalische Bedeutung: Universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="69"?> 4 Ein framesemantischer Ansatz zur Erfassung kulturspezifischer Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Die bisher präsentierte Perspektive auf die allgemeinen kognitiven Prinzipien der Bedeutungskonstruktion und auf kulturelle Prägung von semantischen As‐ pekten liefert kein konkretes Modell zum Aufbau der semantischen Strukturen von Konkreta und Abstrakta. Vielmehr bilden die kognitiven zeichentheoreti‐ schen Überlegungen im vergangenen Kapitel die Grundlage der Ausführungen des folgenden Kapitels, in dem ein framesemantischer Ansatz vorgestellt wird, in dessen Rahmen die Sprach- und Kulturspezifik des semantischen Wissens operationalisiert behandelt werden kann. Der framesemantische Ansatz wird im Folgenden in der Fassung des Linguisten Charles Fillmore vorgestellt, der später etwa von Konerding (1993), Ziem (2008, 2009a) und Busse (2012) präzisiert worden ist und von Barsalou und Wiemer-Hastings (2005) für die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta eingesetzt wurde. Das Bedeutungsverständnis der Framesemantik basiert in seinen Grund‐ zügen auf der Annahme einer netzwerkartigen schematischen Struktur der lexikalischen Bedeutung und geht ein Stück weiter als die bisher präsentierten semantischen Modelle, indem es die konzeptuelle Struktur dieser Bedeutungen in Bezug auf weitere semantische Konzepte, Erfahrungen, Situationen und Weltwissen betrachtet (vgl. Petruck 1996, Fillmore/ Baker 2009). Nur durch einen derartigen integrativen Ansatz, der im Einklang mit den allgemeinen kognitiv semantischen Funktionsprinzipien (s. Kapitel 3) eine Operationalisierbarkeit der inneren Struktur eines lexikalischen Konzepts ermöglicht, können die kulturbedingten sprachspezifischen Unterschiede der lexikalischen Bedeutung im Allgemeinen und zwischen Konkreta und Abstrakta im Besonderen syste‐ matischer ermittelt werden. Leitende Fragen, die dieses Kapitel zu beantworten versucht, können folgen‐ dermaßen formuliert werden: Was sind Frames? Wie sind Frames aufgebaut und wie lässt sich die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta ausgehend von der Sicht der Frametheorie modellieren? Wie kann die kulturelle Prägung von Konkreta und Abstrakta von den Annahmen der Framesemantik abgeleitet werden? <?page no="70"?> 4.1 Framesemantik: Grundannahmen Die Framesemantik betrachtet die lexikalische Bedeutung als schematisches Konstrukt in Bezug „auf strukturierte semantische Konzepte, Erfahrungen, Erinnerungen und Weltwissen […], die für die korrekte Benutzung von Wörtern unabdingbar sind“ (Boas 2014: 44, vgl. auch Petruck 1996, Fillmore/ Baker 2009). Hiernach sind Frames als kognitives Format zur Darstellung des verstehensre‐ levanten Wissens zu verstehen (vgl. Busse 2012). Vor allem lässt sich diese kognitiv semantische Konzeption gewinnbringend für die Ausdifferenzierung der semantischen Repräsentation verschiedener Konzeptarten und somit auch für die konzeptuelle Modellierung von Abstrakta und Konkreta einsetzen. As humans we have access to some of these frames by virtue of living on the earth, subject to its daily and annual cycles and the entities that we perceive; other frames we owe to just being human, with bodies that respond to gravity and to our biological and emotional needs, and with the perceptual faculties that our bodies possess; others we have by being members of a particular culture, where we consciously or unconsciously respond to its institutions, symbols, artifacts, and values; and, importantly, still others we have by virtue of being a part of the specific speech community that supports and is supported by the culture. Thus, we have schematic knowledge about gravity, heat, and shadows, the difference between living and non-living things, about colors, pain, joy, and jealousy, about marriage, government and religion, and about weekends, heartburn, military titles, the color purple, and bikinis (F I L L M O R E / B A K E R 2009: 314). Gemäß der bisherigen Betonung der besonderen Relevanz von Schematisie‐ rungsprozessen bei der Bedeutungskonstitution (s. Abschnitt 3.1.4) soll zuerst die Schnittstelle zwischen dem Aspekt der Schematisierung und der framese‐ mantischen Darlegung lexikalischer Bedeutung erläutert werden. Die meisten frametheoretischen Ansätze berufen sich auf den Schemabegriff von Bartlett (1932) (s. Abschnitt 3.1.4) und legen damit einen Basisstein für die struktu‐ relle Spezifizierung von Frames als kognitive Formate menschlicher Kognition (vgl. Fillmore 1975: 124, Minsky 1975: 213, Barsalou 1992a: 21, Ziem 2008). Die Schnittstelle zwischen den schematheoretischen Überlegungen von Bartlett (s. Abschnitt 3.1.4) und Frames als bedeutungstragende kognitive Formate führt B U S S E (2015: 217f. kursiv im Original und Hervorherbung von Ait Ramdan) folgendermaßen auf: Kognitive Prozesse beim sprachbenutzenden Menschen operieren zu einem größeren […] Teil auf und mit Wissen, das im Gebrauch von Sprache konstituiert und struktu‐ riert wurde. Verbindendes Moment ist die Schematisierung des Wissens und seine sich aus diesen Schematisierungen ergebende Architektur. Eben für solche 70 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="71"?> Schemabildungen ist das Konzept des Frame vorgeschlagen worden […]. Schemabil‐ dungsprozesse (bzw. die Bildung von Wissensrahmen / Frames) sind insofern sprach‐ lich, als nur (oder, will man es vorsichtiger ausdrücken: vor allem) der aktive Gebrauch der Schemata (Frames) in Akten sprachlicher Kommunikation diese stabilisiert (auf Dauer stellt), mit Wissen anreichert und veränderlich macht. Im Gegensatz zu logisch-formalistischen oder strukturalistischen Semantik‐ theorien, die die Bedeutung einer lexikalischen Einheit ausgehend von ihrer Extension bzw. Intension bestimmen (vgl. Carnap 1972: 23, Busse 2009: 35) oder auf die Anzahl von intuitiv vorhersagbaren universalen semantischen Merk‐ malen oder taxonomischen Strukturen reduzieren, zielt die Frame-Semantik auf die Eruierung des verstehensrelevanten Wissens (vgl. Croft/ Cruse 2004: 7f.). Aus diesem Grund versteht Fillmore (1982) diesen Ansatz als ein heuristisch empirisches Forschungsprogramm zur kognitiven Erfassung der Bedeutungen lexikalischer Einheiten. Eine allgemeine Arbeitsdefinition für Frames formuliert Fillmore folgendermaßen: By the word ‘frame’ I have in mind any system of concepts related in such a way that to understand any one of them you have to understand the whole structure in which it fits; when one of the things in such a structure is introduced into a text, or into a conversation, all of the others are automatically made available. I intend the word ‘frame’ as used here to be a general cover term for the set of concepts variously known, in the literature on natural language understanding, as ‘schema’, ‘script’, ‘scenario’, ‘ideational scaffolding’, ‘cognitive model’, or ‘folk the‐ ory’ […] (F I L L M O R E 1982: 111). Nach obigem Zitat versteht Fillmore unter Frame eine Datenstruktur von Konzepten (das verfügbare Wissen zu einem bestimmten Konzept), die dazu befähigt, die Bedeutung eines Konzepts vor dem Hintergrund dieses Systems zu generieren. Mit anderen Worten, ein Frame ist eine im Gedächtnis befindliche konzeptuelle Gestalt einer lexikalischen Einheit. Welche Struktur dieses System konkret aufweist, welche Elemente es ausmachen und welchen kognitiven Status Frames haben, wird von Fillmore erst in späteren Arbeiten präzisiert (vgl. Fillmore/ Baker 2009). Fillmores Versuch, einen framesemantischen Ansatz in der linguistischen Analyse zu etablieren, erfolgte in Anlehnung an verschiedene Modellbil‐ dungen, die in den 1980er und 1990er Jahren in der künstlichen Intelligenz und in der Psychologie aufkamen und Anwendung in verschiedenen Gebieten der Linguistik fanden. Fillmore verweist beispielsweise auf die Überlegungen von Minsky (1975), der Frames als allgemeine Strukturprinzipien der mensch‐ 71 4.1 Framesemantik: Grundannahmen <?page no="72"?> 12 Minsky als Begründer der modernen Frame-Theorie sieht Frames als [… ] a data structure for representing a stereotyped situation, like being in a certain kind of living room, or going to a child’s birthday party. Attached to each frame are several kinds of information. Some is about what can be expected to happen next. Some is about what to do if these expectations are not confirmed (Minsky 1975: 212). 13 Die frame-ähnlichen Konzepte, die in der kognitiven Linguistik postuliert werden wie beispielsweise die in dem Zitat von Fillmore genannten Modelle, werden nicht gesondert konsultiert, da sie nicht zur Analyse des ganzen lexikalischen Inventars herangezogen werden können. Die besonders nennenswerten sind die Modelle der idealized cognitive model (Lakoff 1987) oder script (Schank/ Abelson 1977). Einschlägige weitere Modelle, besonders die zur Klärung der Konzeptualisierung von Abstrakta, werden in Kapitel 5 behandelt. lichen Kognition begreift. 12 Parallel dazu nimmt Fillmore Bezug auf eine Reihe von Ansätzen, 13 die vieles mit seinem frametheoretischen Modell gemeinsam haben und versucht diese, wie dies in seiner Arbeitsdefinition for‐ muliert ist, für die lexikalische Semantik fruchtbar zu machen (vgl. Fillmore 1985: 223, 1982: 111). Dabei spezifiziert er sein Modell aus einer gebrauchsba‐ sierten Perspektive, indem er die Bedeutung jedes lexikalischen Zeichens als Unikat ansieht, das in einer konkreten kommunikativen Situation entsteht (vgl. Fillmore 1982: 112). When we understand a piece of language, we bring to the task both our ability to assign schematizations of the phases or components of the ‘world’ that the text somehow characterizes, and our ability to schematize the situation in which this piece of language is being produced. We have both ‘cognitive frames’ and ‘inter‐ actional frames’, the latter having to do with how we conceptualize what is going on between the speaker and the hearer, or between the author and the reader (F I L L M O R E 1982: 117). Fillmore setzt dabei den Fokus nicht nur auf verstehensrelevantes Hinter‐ grundwissen, sondern auch auf situatives Wissen, das sich aus der jeweiligen Interaktionssituation ergibt (vgl. Croft/ Cruse 2004: 8). Mit dieser semanti‐ schen Konzeption erklärt Fillmore seinen framebasierten Ansatz als Ge‐ genpol zu den damals vorherrschenden strukturalistischen Ansätzen, die er als “checklist theory of meaning” karikiert, weil diese ausschließlich statische Merkmalsbündel definieren, die nicht ausreichen, um den situativ bedingten, kontextuellen und dynamischen Umfang der Bedeutung einer lexikalischen Einheit beschreiben zu können (Fillmore 1975: 128). Im Gegensatz dazu ba‐ siert sein Modell auf der Grundannahme, dass Bedeutungskonstitution und somit sprachliche Verstehensprozesse vor dem Hintergrund menschlicher Erfahrung sowie soziokultureller Praktiken entstehen. Framesemantik ist 72 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="73"?> also ein erfahrungs- und verstehensbasierter dynamischer Ansatz, der von Fillmore (1985: 222f.) als „semantic of understanding” deklariert wird, weil er zugleich kognitive und soziokulturelle bzw. interaktionale Aspekte der Bedeutung berücksichtigt, die für das Verstehen von Konkreta und Abstrakta gleichermaßen relevant sind. 4.2 Strukturelle Beschaffenheit von Frames 4.2.1 Frames als semantisches Netzwerk Die Anfänge der Überlegungen Fillmores beruhen auf seinen Beobachtungen zum Aspekt der Relationalität des Wissens, der sehr eng an die Schematheorie von Bartlett andockt. Fillmore führt in diesem Zusammenhang eine Reihe von Beispielen auf, anhand derer sich die Grundidee der Relationalität des semantischen Wissens, nicht nur als strukturell, sondern verstehensrelevant erweist. Mit Verweis auf die Distinktion der denotativen und konnotativen Bedeutung einer lexikalischen Einheit schreibt Fillmore der Relationalität von Wissensstrukturen die Grundlage der Bedeutungskonstitution zu. Dieses Primat illustriert er anhand der Bedeutung der lexikalischen Einheiten son und father im Englischen: „[W]e can know the meaning of the individual words only by first understanding the factual basis for the relationship which they identify” (Fillmore 1985: 224, kursiv von Ait Ramdan). Mit diesen Überlegungen folgt die Bestimmung von Frames einem phänomenologischen netzwerktheoretischen Ansatz, in dem die interne Struktur eines Frames als eine hierarchisch struktu‐ rierte netzwerkartige konzeptuelle Gestalt begriffen wird. Die Spezifizierung von Elementen, die die Struktur von Frames ausmachen, ist durch heterogen wirkende Konzeptionen gekennzeichnet. Dies lässt sich vor allem bei (1) den unterschiedlichen Präzisierungen der Framestruktur, (2) bei der Unterscheidung verschiedener Framevarianten und (3) beim Ge‐ brauch einer heterogenen Terminologie für die Benennung von Frameele‐ menten bei den Vertretern der Framesemantik beobachten (vgl. für die Kogni‐ tionswissenschaften Minsky 1975, 1980, 1986, Schank/ Abelson 1977, Barsalou 1992a, für linguistische Ansätze Fillmore 1977, 1982, 1985, Konerding 1993, Fraas 1998, Ziem 2008, 2014a und b, Busse 2012). In allen Frameansätzen schlägt sich jedoch der Aspekt der relationalen und Prädikationsspezifik von Frames nieder. Frames bilden hiernach ein Netzwerk von einzelnen Knoten (Prädikatoren), die durch verschiedene Relationen und Werte (Filler) verbunden sind, die diese konkretisieren. Wie sich diese Relationen abbilden lassen, hält 73 4.2 Strukturelle Beschaffenheit von Frames <?page no="74"?> 14 Slot und Filler werden in der deutschen Frameliteratur unterschiedlich benannt. In Anlehnung an die gängige Terminologie werden in der vorliegenden Arbeit Slots als Leerstellen oder auch Prädikatoren und Filler als Werte bezeichnet. Diese Terminologie scheint mit der am meisten rezipierten Literatur zur Framesemantik in Anlehnung an Ziem (2008, 2018), Busse (2012) und Fraas (2013) übereinzustimmen. Minsky (1975) fest, der als erster einen systematischen Entwurf für die interne Beschaffenheit von Frames vorgelegt hat. Wesentlich in seiner Framekonzeption ist die Bestimmung von Frames als Slot-Filler-Strukturen. We can think of a frame as a network of nodes and relations. The ‘top levels’ of a frame are fixed, and represent things that are always true about the supposed situation. The lower levels have many terminals - ‘slots’ that must be filled by specific instances or data. Each terminal can specify conditions its assignments must meet. (The assignments themselves are usually smaller ‘sub-frames.’) Simple conditions are specified by markers that might require a terminal assignment to be a person, an object of sufficient value, or a pointer to a sub-frame of a certain type. More complex conditions can specify relations among the things assigned to several terminals (M I N S K Y 1975: 212). 4.2.2 Slot-Filler-Struktur Die im letzten Zitat ausgeführte Slot-Filler-Struktur gehört zu jedem framese‐ mantischen Ansatz und bildet somit den elementaren Kern der Bedeutungsbe‐ schreibung (Busse 2012, Fillmore/ Baker 2009, Ziem 2009a, Gamerschlag et al. 2014, Barsalou 1992a). Cognitive frames are usually expressed as ‘slot-filler representations’, structures of interconnected roles together with constraints on the possible or likely fillers of those roles […]. Examples of such frames are (1) the partially ordered set of events, as well as the participants in such events, that one can expect in a typical visit to a restaurant, barbershop, or hospital, (2) stages and processes in the life cycle of a human being, (3) the visual and physical properties of a cube, and (4) the organization of a human face, and countless others (F I L L M O R E / B A K E R 2009: 314). Wie den Zitaten Fillmores und Minskys zu entnehmen ist, bilden Slots (Leer‐ stellen/ Prädikatoren) grundlegende Framelemente. Sie werden durch konkrete Filler (Werte) besetzt. 14 Leerstellen bilden hier das propositional prädikative Wissen, das für ein Konzept uneingeschränkt gilt. Die Art der Leerstellen und somit der dazugehörigen Werte, die einem lexikalischen Konzept zugrunde liegen, unterscheidet sich von Kategorie zu Kategorie. Einem lexikalischen 74 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="75"?> Frame kann eine Leerstelle zugeschrieben werden, nur wenn sie in einem Prä‐ dikationsverhältnis dazu steht. Konkreta verfügen zum Beispiel als physische Entitäten über Leerstellen wie [FORM], [GRÖßE], [GEWICHT], [FARBE] etc. und Ereignisbegriffe wie [URLAUBSREISE] über Leerstellen wie [ORT], [ZEIT], [ZWECK], [AKTANTEN] etc. Ein wesentliches Merkmal von Leerstellen ist ihr hoher Abstraktionsgrad. Sie bilden Anschlussstellen, die durch ihre semantische Offenheit und Aus‐ füllungsbedürftigkeit gekennzeichnet sind. Barsalou (1992a: 32) definiert eine Leerstelle als ein Konzept, das mindestens einen Aspekt von mehreren Aspekten einer Kategorie beschreibt. Ein Zugang zum notwendigen verstehensrelevanten Wissen einer lexikalischen Einheit ist nur über derartige Prädikationen möglich. Leerstellen beinhalten hiernach alle deskriptiven Informationen eines kognitiv repräsentierten Konzepts. Dazu gehören „definitional information, prototypical information, functionally important information, and probably other types of information as well” (Barsalou 1992a: 31). Dieser Position zufolge entspricht der Gebrauch des Begriffs „Konzept“ der Bedeutung im allgemeinen unspezifi‐ schen Charakter (als semantische Einheit und nicht als Gebrauchsbedeutung s. Abschnitt 3.2). Barsalou (1992a) stellt außerdem fest, dass die Bildung neuer Leerstellen als ein konstruktiver Prozess der Begriffsbildung zu verstehen ist, der abhängig vom Kontext spezifiziert wird. Ein weiterer konstitutiver Teil eines Frames sind die konkreten Filler/ Werte, die an die Leerstellen angeschlossen werden. Wie die Abbildung 4.1 zeigt, bilden Werte eine Art untergeordnete Konzepte, die die Leerstellen konkretisieren. [BRAUN] oder [WEISS] sind beispielsweise Werte der Leerstelle [FARBE] beim lexikalischen Frame [VOGEL]. Diese Werte können je nach Kontext variieren. Die Leerstelle [FARBE] beispielsweise kann je nach aktuellem Kontext mit einem beliebigen Wert belegt werden. Die Anschlussfähigkeit der Werte orien‐ tiert sich an einem gewissen Wertebereich, der durch die Art des lexikalischen Frames festgelegt wird. So können beispielsweise [KOCHEN] oder [LESEN] an die Leerstelle [FÄHIGKEITEN] für [VOGEL] nicht als Werte angeschlossen werden. 75 4.2 Strukturelle Beschaffenheit von Frames <?page no="76"?> Abb. 4.1: Framesemantische Darstellung von Vogel (nach Barsalou 1992a) Darüber hinaus gilt es festzuhalten, dass die beiden Framekomponenten nicht von einem bestimmten Frame abhängig sind, in dem sie als Werte oder als Leerstellen fungieren, sondern selbst als eigenständige Konzepte den Kern für weitere Subframes bilden (Busse 2012: 369). Somit setzen sich Frameelemente zu einer verflochtenen netzwerkartigen Struktur zusammen, die hierarchisch organisiert ist, und in der alle Frames miteinander verbunden sind (Ziem 2008, Minsky 1975, Fillmore 1982, Busse 2008). 4.2.3 Strukturelle Invarianten und Restriktionen Nach Ziem (2008) und Konerding (1993) lassen sich Leerstellen eines lexikali‐ schen Frames durch die Stellung gezielter Fragen an die jeweilige Kategorie ermitteln. Diese hängen von der ontologischen Beschaffenheit der jeweiligen Referenten und deren Komplexität ab (s. Abschnitt 2.4). Die Modellierung von Frames von Konkreta und Abstrakta als zwei unterschiedliche konzeptuelle Einheiten wird in der Literatur nicht explizit behandelt. Jedoch lassen sich für eine systematische Ermittlung der Unterschiede zwischen diesen beiden Konzeptarten unterschiedliche Versuche heranziehen, die auf konzepttypische Frames hinweisen. 76 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="77"?> Abbildung 4.2 zeigt den Frame zu [MAUS] als konkreter Stimulus in der Lesart [TIER]. In diesem Modell weist das Konkretum [MAUS] eine Fülle von Leerstellen auf, die beim Konkretum [VOGEL] ähnlich sind. Die Abbildung stellt laut Busse (2012) eine offene Struktur dar. So kann beispielsweise die Leerstelle [PERZEPTUELLES SCHEMA] bei [MAUS] und bei [VOGEL] eine unterschiedliche Gestalt annehmen. Außerdem zeigt die Abbildung die taxono‐ mische Einbettung des lexikalischen Frames [MAUS] in übergeordnete Frames wie [NAGETIER] und [SÄUGETIER] etc., die beim Evozieren von [MAUS] automatisch invoziiert werden. Abb. 4.2: Framesemantische Darstellung von Maus in der Lesart TIER (nach Busse 2012) Im Gegensatz zum Konkretum Maus zeigt Abbildung 4.3 von Barsalou (1992a) eine weitere Darstellung für den abstrakteren und komplexeren Ereignis-Begriff [URLAUBSREISE]. Dieser weist eine abweichende Struktur auf, (s. Abbildung 4.3), in der die Anzahl an Leerstellen bzw. Subframes, die daran beteiligt sind, größer ist als das Beispiel zu [MAUS]. Diese Leerstellen sind in der Abbildung 4.3 als Aspekte genannt und sind beispielsweise [TRANSPORT], [ORT] und [AKTIVITÄT]. Hinzu kommt, dass die Wertebereiche für diese Leerstellen we‐ niger vorhersagbar sind und die einzelnen Frameelemente eine hohe relationale Abhängigkeit untereinander aufweisen. 77 4.2 Strukturelle Beschaffenheit von Frames <?page no="78"?> Abb. 4.3: Darstellung von Restriktionen im Frame zu [URLAUBSREISE] (nach Barsalou 1992a: 32) In dieser wechselseitigen Abhängigkeit der Leerstellen und Werte unterein‐ ander schlägt sich der Aspekt des dynamischen, gebrauchsbasierten Charakters lexikalischer Bedeutung nieder. Barsalou (1992a: 31) führt in diesem Zusammen‐ hang zwei grundlegende Typen relationaler Abhängigkeit auf: strukturelle Invarianten (engl. structural invariants) und Restriktionen (engl. constraints). Strukturelle Invarianten sind die Slot-Werte-Sets eines Frames, die immer als Bündel aktiviert werden. Sie umfassen laut Barsalou räumlich, temporal, kausal und intentional bedingte Relationen innerhalb eines Frames und zwischen verschiedenen Subframes. Structural invariants capture a wide variety of relational concepts, including spatial relations (e.g., between seat and back in the frame of chair), temporal relations (e.g., between eating and paying in the frame for dinning out), causal relations (e.g., between fertilization and birth in the frame for reproduction), and intentional relations (e.g., between motive and attack in the frame murder) (B A R S A L O U 1992a: 31 Hervorhebung im Original). Neben strukturellen Invarianten herrschen Restriktionen durch alle Instanzen eines Frames. Die relevanten Restriktionen sind Leerstellen-Restriktionen (engl. slot-constraints), Werte-Restriktionen (engl. value-constraints) und kontextuelle Restriktionen (engl. contextual constraints), die den Zusammenhang zwischen den Frameelementen darstellen. Anhand des Frames zur lexikalischen Einheit 78 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="79"?> [Urlaubsreise/ URLAUBSREISE] und deren Leerstellen (Subframes) [TRANS‐ PORTMITTEL], [URLAUBSORT] etc. illustriert Barsalou (1992a) die spezifi‐ schen Merkmale dieser einzelnen relationalen strukturgebenden Regeln (s. Ab‐ bildung 4.3). Leerstellen-Restriktionen lassen sich hier beispielsweise durch die Relation zwischen den beiden Leerstellen [DAUER] und [GESCHWINDIGKEIT] beim Subframe [TRANSPORTMITTEL] demonstrieren. Beide Elemente stehen in einer einschränkenden relationalen Beziehung zueinander, indem etwa die [GESCHWINDIGKEIT] des Transportmittels die [DAUER] der Reise bestimmt. Werte-Restriktionen hingegen liegen vor, wenn zwei Werte verschiedener Leerstellen zusammenhängen. Im selben Frame ermöglicht beispielsweise der Wert [SAN DIEGO] als [URLAUBSORT] den Wert [SURFEN] für die Leerstelle [AKTIVITÄT]. Kontextuelle Restriktionen führt Barsalou unter physikalisch und natürlich bedingten Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Elementen. So erzwingt zum Beispiel der Wert [SKIFAHREN] für [AKTIVITÄT] automatisch den Wert [SCHNEE] bzw. [BERGE] für die Leerstelle [URLAUBSORT]. Darüber hinaus charakterisiert Barsalou (1992a) kontextuelle Restriktionen als kulturell bedingt. So würde der Wert [SCHWIMMEN] als [URLAUBSAKTIVITÄT] in vielen Sprachgemeinschaften den Wert [BADEANZUG] für die Leerstelle [PAS‐ SENDE BEKLEIDUNG] erzwingen (vgl. Busse 2012: 567). Gerade dieser Aspekt stellt für die vorliegende Arbeit eine wichtige Rolle dar. Die kulturelle Bedingtheit lässt sich jedoch nicht nur durch die kontextuellen Restriktionen, sondern durch die Prototypizität der einzelnen Frameelemente erkennen und findet in weiteren Formen Ausdruck. Wichtig ist, dass einzelne Framekomponenten aufgrund kulturell geprägter Erfahrungen, wie etwa für das Beispiel [BADEANZUG] als [PASSENDE KLEIDUNG], präsupponiert werden. Diese prototypischen Werte entpuppen sich als Standardwerte, die einen wei‐ teren wichtigen Bestandteil von Frames darstellen und die konventionalisierten kulturspezifischen Elemente eines Frames determinieren (s. Abschnitt 4.4). Zusammenfassend definieren strukturelle Invarianten und Restriktionen auf diese Weise die Variationsbreite von Zusammenhängen und Relationen zwischen Frameelementen und bestimmen somit eine interaktive dynamische Struktur für Frames. Jedoch unterscheiden sich die beiden strukturgebenden Relationen hinsichtlich ihrer epistemischen Konstanz. Während strukturelle Invarianten konstante Zusammenhänge zwischen den Leerstellen eines Frames beschreiben, gelten Restriktionen als Selektionsbeschränkungen, die als Kovarianzen betrachtet werden. 79 4.2 Strukturelle Beschaffenheit von Frames <?page no="80"?> 15 In Konerdings Untersuchung wurden hauptsächlich Dudens „Deutsches Universal‐ wörterbuch“ und Wahrigs „Deutsches Wörterbuch“ und das „Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ für das Verfahren der Hyperonymtypenreduktion her‐ angezogen. 4.3 Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta 4.3.1 Konkreta und Abstrakta als Matrixframes Wie bereits erwähnt unterscheiden framesemantische Ansätze nicht systema‐ tisch zwischen Konkreta und Abstrakta. Ein framesemantischer Ansatz, der eine ausdifferenzierte Klassifizierung unterschiedlicher Framearten vorschlägt und somit auch eine Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta ermöglicht, ist das Modell der Matrixframes von Konerding (1993). Er stellt insbesondere den Versuch an, neben der Eruierung von Leerstellen eines Frames eine syste‐ matische Differenzierung zwischen verschiedenen Framearten vorzunehmen, die dem Substantivbestand des Deutschen zugrunde liegen. Daraus extrahiert er eine semantisch motivierte Typologie, die Frames nach kognitiven Prinzipien klassifiziert. Insgesamt unterscheidet Konerding (1993) elf Frametypen, sogenannte Matrixframes, die als Grundlage für die Konzeptualisierung des Frames eines jeden beliebigen nominalen Lexikoneintrages gelten. Die Generierung der Matrixframes geschieht durch das Verfahren der Hyperonymtypenreduktion. Aus‐ gangspunkt des Verfahrens stellen Bedeutungserläuterungen in einsprachigen Wörterbüchern des Deutschen dar. 15 Hyperonyme treten bei den Erläuterungen eines Wörterbucheintrags immer als Hauptelement der Erläuterung auf, wie zum Beispiel bei der Erläuterung der lexikalischen Einheit [Maus/ MAUS]: 1. (…) kleines [graues] Nagetier mit spitzer Schnauze, das [als Schädling] in menschlichen Behausungen, auf Feldern und in Wäldern lebt. (DUDEN) 2. Nagetier: kleineres, pflanzenfressendes Säugetier mit je zwei zum Nagen ausgebildeten Zähnen in Ober- und Unterkiefer. 3. Säugetier: Tier einer der Arten, bei denen die Jungen von den Muttertieren gesäugt werden. 4. Tier: mit Sinnes- und Atmungsorganen ausgestattetes, sich von anderen tierischen oder pflanzlichen Organismen ernährendes, in der Regel frei bewegliches Lebewesen, das nicht (oder weniger stark als der Mensch) zu logischem Denken und zum Sprechen befähigt ist. 80 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="81"?> 5. Lebewesen: Wesen mit organischem Leben, besonders Tier oder Mensch; Organismus. 6. Wesen: etwas, was in bestimmter Gestalt, auf bestimmte Art und Weise (oft nur gedacht, vorgestellt) existiert, in Erscheinung tritt. 7. Etwas: nicht näher bestimmtes Wesen oder Ding. Nach der Identifizierung eines Hyponyms wird ausgehend von diesem das nächste gesucht. Dieses Verfahren wird fortgesetzt, bis das Endglied der Reduk‐ tionskette erreicht ist und die Reduktion problematisch oder redundant wird. Dieses geschieht dann, wenn Hyperonyme zirkulär aufeinander verweisen (wie etwa: Etwas und Wesen bei der Reduktionskette zu Maus) und keine neuen Hyperonyme auffindbar sind (vgl. Konerding 1993: 174, Ziem 2008: 331). Das zuletzt identifizierte Hyponym bildet schließlich das oberste Hyperonym in der Reduktionskette (wie zum Beispiel Etwas im Illustrationsbeispiel zu [MAUS]). Durch dieses Verfahren gelangt Konerding zu einer Reihe von Hyperonymen, die er wiederum in elf Ähnlichkeitsgruppen klassifiziert. Diese sind die obersten Hyperonyme, die durch das Verfahren der Reduktion für alle Substantive des deutschen Wortschatzes ermittelt wurden. In einer weiteren Liste werden diese Hyponyme in repräsentativ stehende Substantive zusammengefasst, die in primäre und sekundäre Frametypen differenziert werden (Konerding 1993: 178) (s. Tabelle 4.1). Matrixframe Beispiele Primäre Typen Gegenstand (Konkretum) Nat. Art (Konti‐ nuativum, Diskontinuativum) Wasser, Orange Gegenstand (Konkretum) Artefakt (Konti‐ nuativum, Diskontinuativum) Orangensaft, Handy Organismus Maus, Mensch Person/ Aktant Lehrer Ereignis Hochzeit, Geburtstag Handlung/ Interaktion/ Kommunikation Tausch Institution/ soziale Gruppe Regierung, Familie Sekundäre Typen Gesamtheit/ Bestand/ Menge/ Ganzes (von) Wirklichkeit, Gruppe Zustand/ Eigenschaft (von) Regel, Regelmäßigkeit (Zustand von Gegenstand, Organismus, Ereignis) Tab. 4.1: Die elf Matrixframes nach Konerding (1993: 172) mit Beispielen 81 4.3 Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="82"?> Die von Konerding vorgenommene Unterteilung zwischen primären und se‐ kundären Typen ist dadurch zu begründen, dass die sekundären Typen eine Dependenz (in der Liste durch Teil von ausgedrückt) von den primären auf‐ weisen und nur durch diese operieren können (Teil von etwas, Zustand von etwas, Gesamtheit von Gegenständen oder Organismen). Ziem (2008: 310) sieht das Extrahieren von Frameklassen durch das Ver‐ fahren der Hyperonymtypenreduktion im vollen Einklang mit den holistischen und schematheoretischen Grundlagen der Bedeutungskonstruktion und der Schema-Instanz-Beziehungen Langackers (s. Abschnitt 3.1.3). Auch für eine semantische Analyse zeigt sich dieses Modell im Hinblick auf die Operationa‐ lisierung von Konzeptframes in unterschiedlichen Klassen nach semantischen Kriterien fruchtbar. Jedoch scheint der Umfang der Prädikatorenstellen, die Konerding ermittelt, unsystematisch zu sein. Darüber hinaus weisen diese eine Fülle von Redundanzen auf. Die reduzierten Prädikatorenlisten (Leerstellen) der Matrixframes: Diskontinuativum natürliche Art, Zustand, Diskontinuativum Artefakt und Organismus sind in den Abbildungen 4.4 - 4.7 aufgeführt. 82 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="83"?> Abb. 4.4: Prädikatoren zur Charakterisierung von Diskontinuativum natürliche Art 83 4.3 Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="84"?> Abb. 4.5: Prädikatoren zur Charakterisierung von Eigenschaften/ Zuständen 84 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="85"?> Abb. 4.6: Prädikatoren zur Charakterisierung von Diskontinuativum Artefakt 85 4.3 Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="86"?> Abb. 4.7: Prädikatoren zur Charakterisierung von Organismus 86 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="87"?> 16 As a situated conceptualization is constructed, associative mechanisms establish a statistical trace of it in long-term memory. Not only does a situated conceptualization interpret a current situation, it becomes available in long-term memory for processing similar situations on later occasions. Thus, the construct of situated conceptualization Trotz dem Kritikpunkt, dass die ermittelten Leerstellen redundant sind, bildet die Unterteilung der Frames in Matrixframeklassen für den Zweck der vor‐ liegenden Arbeit einen besonders relevanten Aspekt ab, da die ermittelten Frameklassen eine Gradualität hinsichtlich ihrer Abstraktheit und der Kon‐ kretheit widerspiegeln. Dies scheint mit der Bestimmung von Konkreta und Abstrakta als Kontinuum vereinbar (s. Abschnitt 2.3) und zeigt sich beispiels‐ weise in den ermittelten Prädikatoren zu den Matrixframes natürliche Art/ Kontinuativum (wie zum Beispiel [WASSER]), Diskontinuativum (wie zum Beispiel [APFEL]), Artefakt/ Kontinuativum (wie zum Beispiel [PLASTIK]) und Diskontinuativum (wie zum Beispiel [ZEITUNG]) sowie Organismus (wie zum Beispiel [MENSCH]). Alle diese Matrixframes teilen eine Reihe von gleichen Prädikatoren, die sich auf ihre perzeptuell bedingte und konkrete Beschaffenheit beziehen, wie zum Beispiel die Prädikatoren zu Form, Farbe, Maßen und weiteren wahrnehmbaren Eigenschaften des Gegenstands sowie Teilungseigen‐ schaften etc. (s. zum Beispiel Abbildungen 4.4, 4.5, 4.6). Im Gegensatz dazu divergieren die Leerstellen der weiteren Klassen wie etwa Ereignis [Hochzeit], Handlung/ Interaktion/ Kommunikation, Institution/ soziale Gruppe, oder die der sekundären Typen Gesamtheit/ Bestand/ Menge/ Ganzes (von), Zustand/ Eigen‐ schaft (von) (s. zum Beispiel Abbildung 4.7). Durch eine genaue Betrachtung der Prädikatorenschemata der ermittelten Matrixframes lässt sich insbesondere erkennen, welche Frames konkrete Anteile besitzen. Auf dieser Basis ist eine vorläufige Gliederung in konkrete und nicht konkrete Frames möglich. 4.3.2 Situative Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Im Gegensatz zur Herangehensweise von Konerding vertritt Barsalou (2005, 2016) einen framesemantischen Ansatz, der explizit zwischen Konkreta und Ab‐ strakta unterscheidet, jedoch keine konzeptuellen Besonderheiten für verschie‐ dene Frameklassen bzw. Konzepte determiniert. Die Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta erfolgt hier, wie bei den meisten Studien (s. Kapitel 2) auf der Basis einer groben Unterteilung nach perzeptuellen Gesichtspunkten. Barsalou (2016) führt die Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta nicht auf unterschiedliche Slotgefüge zurück, sondern auf das situative Wissen 16 , das sie hervorrufen. Beide Konzeptarten können nur vor 87 4.3 Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="88"?> has two senses, first, as the interpretation of a current situation, and second, as a record of a past situation stored in memory (Barsalou 2016: 17, kursiv im Original). dem Hintergrund von Situationen verarbeitet, konzeptualisiert und verstanden werden. Sie aktivieren in gleichem Maße situativbezogene Bedeutungsaspekte. Diese Position einer situationsbezogenen Konzeptualisierung beider Konzept‐ arten ist vor allem hier relevant, weil sie in ihrem Kern die Prämissen der Gebrauchsbasiertheit von Bedeutung nahekommt, welche im Abschnitt 3.2 behandelt wurde. Was Barsalou hier unter Situation versteht, kann mit den Gebrauchsereignissen gleichgesetzt werden (s. Abbildung 3.6). […] frame or schema is abstracted across the situated conceptualizations constructed for each kind of situation. Within the frame, local outputs of the situation processing architecture constitute slots/ variables (e.g., setting, agent, object, action etc.), with the global relations integrating slots ([Leerstellen]) in a predicate-like manner. Inte‐ restingly, the individual networks comprising the situation processing architecture are reminiscent of the classic types of slots found in frames and related linguistic structures (for processing setting, agent, object, action etc.) (B A R S A L O U 2016: 18). Die konzeptuelle Repräsentation eines konkreten lexikalischen Konzepts wie etwa [HAMMER] bedarf mehr als nur der Kenntnis ihrer physikalischen und perzeptuellen Beschaffenheit. Vielmehr ist es auch wichtig zu wissen, in welchen Situationen typischerweise ein Hammer benutzt wird, von wem dieser verwendet wird (Agens: Tischler), mit welchen weiteren Objekten er typischerweise auftritt (Objekte: Bretter und Nägel), welche Aktion durch den Agens mit einem Hammer durchgeführt wird etc. Nur durch dieses Wissen wird Zugang zur semantischen Einheit geschaffen. Für Barsalou (2005) sind solche situativen Wissensaspekte elementar für die semantische Erschließung und Konzeptualisierung von Abstrakta sowie Konkreta; wobei Abstrakta stärker darauf angewiesen sind. Relative to concrete concepts, abstract concepts tend to contain more situational and introspective information than do concrete concepts. One sense of [TRUTH], for example, begins with a speaker making a claim about a situation, such as ‘It’s sunny outside.’ A listener then represents the claim, compares it to the actual situation, and decides if the claim interprets the situation accurately. This sense of [TRUTH] can be represented as a simulation of the situation, including the relevant introspective states (e.g., representing, comparing, deciding). Many abstract concepts, such as [FREEDOM] and [INVENT], can similarly be viewed as complex simulations of situations, with simulated introspective states being central (B A R S A L O U 2005: 626). 88 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="89"?> Gemäß dieses Zitats aktivieren sowohl Konkreta als auch Abstrakta situative Wissensaspekte. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Konzeptarten liegt bei der Fokussierung bestimmter Aspekte. Konkreta fokussieren in einer typischen Situation die Objekte selbst, auf die sie sich beziehen sowie deren besondere Merkmale. Im Gegensatz dazu stehen bei Abstrakta komplexe ereig‐ nisbezogene und introspektive Merkmale im Fokus, wie im Beispiel [TRUTH] ersichtlich wird. Folglich erweisen sich Abstrakta in ihren konzeptuellen Mo‐ dellierungen als deutlich komplexer. Barsalou und Wiemer-Hastings (2005) führten eine explorative Studie durch, in der sie vor dem Hintergrund der situationsbezogenen Konzeptualisierung die unterschiedlichen Foki bei Konkreta und Abstrakta demonstrieren. Sie legten den Probanden drei konkrete Stimuli vor ([BIRD], [SOFA], [CAR]), drei abstrakte Stimuli in drei Formen (TRUE, THE TRUTH, TRUTHFULNESS; A FREEDOM, TO FREE, FREELY; AN INVENTION, TO INVENT, INVENTI‐ VENESS) und drei weitere Stimuli, die sie hinsichtlich ihrer Konkretheit als niedrig einstuften, sogenannte “intermediate concepts” (COOK, TO COOK, SO‐ METHING THAT HAS BEEN COOKED; A FARM, TO FARM, SOMETHING THAT HAS BEEN FARMED; A CARPET, TO CARPET, SOMETHING THAT HAS BEEN CARPETED). Die Probanden sollten auf diese Stimuli charakteristische Eigenschaften nennen. Ihre Antworten wurden mithilfe eines framebasierten Clusters kategorisiert, der die gleichen Leerstellen für beide Konzeptarten vor‐ sieht: entitätsbezogene Assoziationen, situative Assoziationen, taxonomische Assoziationen und introspektive Assoziationen (s. Abschnitt 7.2.1.3, Tabelle 7.12). Die Ergebnisse zeigen, dass Konkreta objekt-, raum- und verhaltensbe‐ zogene sowie physikalische Eigenschaften (entitätsbezogene Eigenschaften) hervorrufen, während Abstrakta mehr soziale Aspekte einer Situation, wie Akteure, soziale Interaktion und introspektiv assoziierte Konzepte fokussieren. Concrete concepts focus more on objects, locations, and behaviors in situations than do abstract concepts. Conversely, abstract concepts focus more on social aspects of situations, such as people, communication, and social institutions. Abstract concepts also focus more on introspections, especially beliefs and contingency/ complex rela‐ tions (B A R S A L O U / W I E M E R -H A S T I N G S 2005: 152). Den Effekt der situativ bedingten Faktoren für die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta sehen Barsalou/ Wiemer-Hastings (2005) durch kontex‐ tuelle Faktoren gegeben. Sie lehnen ihren Ansatz an die von Schwanenflugel (1986) durchgeführten Untersuchungen an. Diese offenbaren, dass konkrete Konzepte mit einer kleinen Anzahl von Kontexten verbunden sind, während abstrakte Konzepte mit einer hohen Anzahl von Kontexten verknüpft sind, 89 4.3 Framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="90"?> was zu Differenzen bei der Verabeitung beider Konzeptarten führt (s. Abschnitt 2.2.3). Die Ergebnisse dieser explorativen Studie lassen sich von Wiemer-Has‐ tings/ Xu (2005) bestätigen. Die Autoren stellten in einer ähnlichen frameba‐ sierten Untersuchung fest, dass konkrete Stimuli unabhängig von der Art des Studiendesigns mehr entitätsbezogene Eigenschaften aktivieren. Außerdem lässt sich beobachten, dass die Stärke der Aktivierung von introspektiven Ei‐ genschaften mit dem Grad der Abstraktheit der Stimuli korreliert (Wiemer-Has‐ tings/ Xu 2005: 731). Daraus schließen alle genannten Studien die Evidenz, dass die Framestruktur von Abstrakta komplexer aufgebaut ist als die von Konkreta. Dies zeigt sich auch dadurch, dass die Antworten der Probanden bei Konkreta eine spezifischere Slot-Filler-Struktur aufweisen als bei Abstrakta. Examples from the data for unspecific and specific features pairs are, respectively, a creature versus birds, area versus forest, someone versus a kid, something versus a sign, and doing something versus collect (W I E M E R -H A S T I N G S / X U 2005: 730). Weitere Belege für die Relevanz situativer Aspekte insbesondere für abstrakte Konzepte liefert eine weitere Studie von King (2012). In einer Reihe von Expe‐ rimenten zu abstrakten Konzepten konnte sie feststellen, dass die Bereitstellung von Szenarien bzw. Situationen zu den dargebotenen abstrakten Stimuli die Verarbeitung erleichtert. 4.4 Konventionalisierung und Prototypizitätseffekte bei Konkreta und Abstrakta 4.4.1 Konventionalisierung und Prototypizität von Frames Richtet man bei den vergangenen strukturellen Eigenschaften von Frames den Blick auf den Aspekt der Situativität, der im Ansatz von Barsalou und Wiemer-Hastings besonders hervorgehoben wird, dann kommen bei reflek‐ tierter Betrachtung die Aspekte der Konventionalisierung und Kulturspezifik von Bedeutungsaspekten zum Vorschein, die für die vorliegende Arbeit einen relevanten Schwerpunkt darstellen und im Abschnitt 3.3 erläutert wurden. Es ist unumgänglich für einen framesemantischen Ansatz, der die Bedeutung von Situationen (Gebrauchsereignissen) für die Bedeutungskonstitution hervorhebt, die Prototypizität von framesemantischen Strukturen zu berücksichtigen. Im Mittelpunkt der bisher gemachten theoretischen Überlegungen und der dahinterstehenden empirischen Befunde lassen sich Prototypizitätseffekte von 90 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="91"?> 17 Die Prämisse der Prototypizität in der Frame-Semantik ist inspiriert durch die Prototy‐ pentheorie von Eleanor Rosch (1973), die Kategorisierungsprozesse als soziokulturell geprägt definiert. Ferner wird in dieser Theorie hervorgehoben, dass der Prozess der Kategorienbildung Bedeutungskonstitution eng mit soziokulturellen Erfahrungen zusammenhängt (s. Fraas 2000, Fillmore 1982, Fillmore/ Baker 2009, Barsalou 1992a, Ziem 2008, Busse 2012; 2015). Framestrukturen sowohl bei Konkreta als auch bei Abstrakta bestimmen. Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer inferieren in einer kommunikativen Situation framesemantisches Wissen, das logischerweise nicht explizit in sprachlichen Äußerungen ausgedrückt wird. Diese präsupponierten Bedeu‐ tungsaspekte müssen prototypisch 17 strukturiert sein, um gleichermaßen in einer Sprachgemeinschaft wirksam zu werden. Hier rücken die soziokulturelle Prägung und die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten in den Vorder‐ grund der Framestruktur. Folglich reflektieren kommunikative Situationen so‐ ziokulturelle Erfahrungen, aus denen relevante Bedeutungsaspekte abstrahiert werden, die für das Verständnis und die Interpretation einer lexikalischen Ein‐ heit zur Verfügung stehen. Diese Aspekte spiegeln in allen framesemantischen Ansätzen die prototypische Struktur von Frames wider, wie das folgende Zitat und die Abbildung 4.8 von Barsalou zu [BIRD] zeigen. Frames not only provide a natural means of representing specific exemplars but also of representing general information across exemplars. […] frames can also represent typical values and typical pattern across category members. […] The Prototype is simply the set of most frequent values across attributes. […] the prototypical Bird is small in size, brown in Color, and has a straight beak (B A R S A L O U 1992a: 47 Hervorhebung im Original). 91 4.4 Konventionalisierung und Prototypizitätseffekte bei Konkreta und Abstrakta <?page no="92"?> Abb. 4.8: Leerstellen durch gezielte Fragestellungen und Bildung von Prototypen zum Frame von [BIRD] Fillmore (1982: 118) hat den Aspekt der Prototypizität von Frames relativ früh bei seiner Konzeption der Framesemantik erkannt und die Konvergenz von Prototypizität und soziokultureller Prägung von Framestrukturen anhand der Bedeutung der lexikalischen Einheit [breakfast/ BREAKFAST] erläutert. Die Bedeutung von breakfast zu verstehen, heißt, den soziokulturellen Kontext bzw. die soziokulturelle Praxis, kognitiv zu rekonstruieren. Typisch für diesen Frame ist ein Kontext, in dem täglich drei Mahlzeiten zu verschiedenen Zeiten einge‐ nommen werden. In der amerikanischen Kultur umfasst [BREAKFAST] proto‐ typische Vorstellungen, die spezielle Nahrungsmittel beinhalten, die nach einer Schlafperiode (typischerweise in der Nacht) eingenommen werden. Fillmore determiniert dabei drei prototypische Bedeutungselemente, die automatisch beim Breakfast-Frame aktiviert werden: [EARLY MORNING], [AFTER SLEEP], [BREAKFAST MENU]. Diese drei Elemente können je nach aktuellem Anlass in spezifische Bedeutungsaspekte umgewandelt werden (zum Beispiel Brot statt Cornflakes, Brunch zu einem späteren Zeitpunkt statt morgens oder ein Essen nach einer schlaflosen Nacht anstatt nach einem typischen Nachtschlaf). Für Fillmore und Baker (2009: 316) aktiviert jeder kognitiv repräsentierte lexikali‐ sche Frame solche implizit erwartbaren Bedeutungsaspekte. 92 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="93"?> 18 In der Frameforschung werden präsupponierte Wissenselemente unterschiedlich be‐ nannt: bei Barsalou (1992a) als default values, bei Minsky (1975) als "default" assign‐ ments. In dieser Arbeit wird auf die Bezeichnung zurückgegriffen, die sich in der deutschsprachigen Literatur zur Framesemantik einheitlich durchgesetzt hat, nämlich Standardwerte (s. Ziem 2018, 2008; Busse 2012). An den bisherigen Beispielen wird auch ersichtlich, dass Frames sprach‐ spezifische und kulturell geprägte Repräsentationsformate gesellschaftlichen und verstehensrelevanten Wissens darstellen. In der prädikativen Struktur von Frames werden solche prototypischen Bedeutungselemente Standardwerte genannt. 4.4.2 Standardwerte als Ausdruck von kulturspezifischer Prototypizität Ein Blick auf die bisher dargestellten Beispiele lässt schlussfolgern, dass nicht alle Leerstellen eines Frames durch die verfügbaren expliziten Informationen in einem Kommunikationsakt mit neuen Werten belegt werden können. Die meisten Werte, die einen Frame konstituieren, werden in Form von Standard‐ werten präsupponiert. Schon Minskys erster Versuch hat diesen Aspekt als festen Bestandteil der Framestruktur akzentuiert. Much of the phenomenological power of the theory hinges on the inclusion of expectations and other kinds of presumptions. A frame's terminals are normally already filled with ‘default’ assignments. Thus, a frame may contain a great many details whose supposition is not specifically warranted by the situation. These have many uses in representing general information, most likely cases, techniques for by passing ‘logic’, and ways to make useful generalizations. The default assignments are attached loosely to their terminals, so that they can be easily displaced by new items that fit better the current situation. They thus can serve also as ‘variables’ or as special cases for ‘reasoning by example’, or as ‘textbook cases’, and often make the use of logical quantifiers unnecessary. Frame’s lower levels are shaped by the specific situation and the individual’s goals (M I N S K Y 1975: 218 Hervorhebung im Original). Was Minsky mit "default assignments“ (auch Default-Werte oder Standardwerte genannt) 18 hier meint, sind Bedeutungsaspekte, die in einem Kommunikati‐ onsakt implizit aktiviert werden und nicht aus dem Kontext erschlossen werden müssen. Als Illustrationsbeispiel für Standardwerte greift Ziem (2008: 203) auf den Frame [HUND] zurück. Die Werte [50 cm SCHULTERHÖHE], [BRAUN], [BELLEN] und [WACHEN] bilden Standardwerte für die Leerstellen [GRÖßE], [FARBE], [TÄTIGKEIT] und [FÄHIGKEIT], die in der semantischen Einheit [HUND] verankert sind. Solche prototypischen Bedeutungsaspekte bilden sich 93 4.4 Konventionalisierung und Prototypizitätseffekte bei Konkreta und Abstrakta <?page no="94"?> aufgrund der Homogenität von Erfahrungs- und Handlungskontexten innerhalb einer Sprachgemeinschaft, in denen der Ausdruck Hund benutzt wird und erlangen damit den Status von Standardwerten. Beim Aufrufen des Frames [HUND] in einem nicht spezifizierten Kontext werden diese automatisch ak‐ tiviert. Standardwerte sind allerdings nicht untrennbar mit den Leerstellen verbunden. Sie können, sobald sie in einer Situation durch kontextuell relevante Daten determiniert sind, durch diese ersetzt werden. Die Herausbildung von Standardwerten und deren Grad an Verfestigung korrelliert nach Ziem (2008: 341) und Barsalou (1992a: 47) mit dem Grad der Auftretenshäufigkeit (Frequenz) und des Typikalitätsgrads von Exemplaren, auf die sie sich beziehen. Diese beiden Prinzipien sind grundlegend für den Übergang von expliziten Werten zu impliziten Standardwerten. Ziem greift hier zur Illustration auf den Frame [HENKEL] (s. Abbildung 4.9) zu. Als Standardwert gilt hier [PORZELLAN] für die materielle Beschaffenheit von einem [HENKEL] (Ziem 2008: 341). Durch die hohe Frequenz des Auftretens von bestimmten Werten, wie etwa [PORZELLAN], wird der Grad ihrer Verfestigung als Standardwert bestimmt. Somit werden explizite Werte wie [PORZELLAN] zu guten Kandidaten für Standardwerte. Abb. 4.9: Leerstellen durch gezielte Fragestellungen zum Frame von [HENKEL] (nach Ziem 2008) 94 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="95"?> Der kognitive Akt der Verfestigung gilt laut Ziem (2008, 2018) jedoch nicht nur für Werte. Auch Leerstellen eines Frames können den Status von Stan‐ dardwerten erlangen. Ziems Bestimmung zufolge werden nur Leerstellen, in denen häufig neue Werte installiert werden, verfestigt. Sie erlangen den Status von Standardwerten, indem sie häufig aktiviert werden, weil deren Werte unterschiedlich ausfallen können. Zur Exemplifizierung bezieht sich Ziem auf die Leerstelle [WIE GROß? ] im Frame [HENKEL]: Würden Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer mit verschiedenen expliziten oder quasi-expliziten Prädikationen konfrontiert, die eine bestimmte Leerstelle signifikant häufiger betreffen, so würde genau diese Leerstelle an Salienz gewinnen. Viele verschiedene Werte spezifizieren die Größe eines Henkels, vergleichsweise wenige dagegen andere Leerstellen (Z I E M 2008: 342). Im Vergleich zu anderen Leerstellen wie [FUNGIERT ALS? ] erweist sich die Va‐ riationsbreite der möglichen Werte für die Größe eines Henkels als vielfältiger. Abb. 4.10: Verfestigung von Leerstellen und Werten (nach Ziem 2008: 342) An dieser Stelle lässt sich anmerken, dass Ziems Erläuterung der Verfestigung von Leerstellen und Werten etwas paradox erscheint. Für ihn verfestigt sich eine Leerstelle dann, wenn der Umfang der möglichen Werte, die sie belegen, von Situation zu Situation unterschiedlich ist (s. Abbildung 4.10). Im Gegensatz dazu erhöht sich der Verfestigungsgrad von Werten, wenn sie über verschiedene Kontexte hinweg gleich auftreten (wie etwa der Wert [PORZELLAN] für die materielle Beschaffenheit). Diese Bestimmung erweist sich als ambivalent, 95 4.4 Konventionalisierung und Prototypizitätseffekte bei Konkreta und Abstrakta <?page no="96"?> insofern die Verfestigung von Leerstellen durch die Vielfältigkeit der Werte, die sie belegen, gemessen wird (Ziem 2008: 342). Diese Erklärung stimmt jedoch mit der epistemischen Stabilität von Standardwerten nicht überein. Im Gegensatz zur Meinung von Ziem sollte die Verfestigung von Leerstellen genau umgekehrt geschehen. Leerstellen, deren Werte relativ stabil sind, wie etwa die funktionale Leerstelle [FUNGIERT ALS? ], sollten einen höheren Verfestigungsgrad besitzen und implizit für das Verständnis und die Interpretation einer lexikalischen Einheit vorausgesetzt werden. Der Grad der Salienz der Leerstellen ergibt sich hingegen aus dem gegebenen Kontext, in dem bestimmte Leerstellen explizit hervorgehoben werden. Hier scheint sich die Bestimmung von Ziem auf die Salienz zu beziehen. Diese ist nicht mit der Verfestigung (entrenchment) gleichzusetzen. Das Prinzip der Salienz bezieht sich laut Busse (2012: 579) darauf, welche Bedeutungsaspekte (Leerstellen und Werte) in einem konkreten Gebrauchsereignis in den Vordergrund gerückt werden. Zur Explikation der kognitiven Verfestigung von Standardwerten und Leer‐ stellen eines Frames dient der kognitive Prozess des „Entrenchments“ bzw. der Konventionalisierung, der in den Abschnitten 3.2 und 3.3 in Bezug auf die Verknüpfung einer semantischen Einheit mit einer phonologischen Einheit thematisiert wurde. Vor allem Ziem, Busse und Barsalou haben dieses kognitive Prinzip fruchtbar für die Frame-Semantik gemacht (Busse 2012, Ziem 2008, 2018, Barsalou 2005). Demselben Prinzip folgend begründen die Autoren die Unterbreitung von Standardwerten in einer Framestruktur. Die Verfestigung von Werten und Leerstellen geschieht hier nach zwei Regeln des Entrench‐ ment-Prinzips: Die hohe Token-Frequenz dient zur Verfestigung von Werten und die Type-Frequenz erklärt die Verfestigung von Leerstellen. While token frequency gives rise to the entrenchment of instances (Werte), type frequency gives rise to the entrenchment of more abstract schemas (Leerstellen) (E V A N S / G R E E N 2006: 118, s. a. B Y B E E 2013: 59-61). Wie die Beispiele zeigen, unterscheiden sich Standardwerte von kontextuell gegebenen Werten nicht in ihrer strukturellen Beschaffenheit, denn sie sind auch in Form einer prädikativen Slot-Filler-Struktur (im Sinne von Leer‐ stelle-Werte-Struktur s. Abschnitt 4.2.2) eingebettet. Vielmehr sind Standard‐ werte durch ihren kognitiven Status charakterisiert. Sie gelten im Gegensatz zu ko- und kontextuellen Bedeutungsaspekten als intersubjektives, prototypisch strukturiertes Wissen in einer Sprachgemeinschaft. Die im Frame verfestigten Standardwerte bilden die Projektionsfläche für die konkrete Gebrauchsbedeu‐ tung einer lexikalischen Einheit. Durch ihre epistemische Stabilität, die sie durch die Konventionalisierung erlangen, werden Standardwerte schwer hin‐ 96 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="97"?> terfragbar, weil sie fundamental zu unserem kulturell geprägten kollektiv geteilten Wissen gehören. 4.4.3 Standardwerte bei Konkreta und Abstrakta Durch die dargestellten Aspekte zur Prototypizität von Framestrukturen sollte es auf der Hand liegen, dass prototypische Strukturen für alle Framearten und sowohl für Konkreta als auch für Abstrakta relevant sind. Der empiri‐ schen Erfassung von Standardwerten als Ausdruck dieser Prototypizität und konventionalisierten kulturspezifischen Bedeutungsaspekten wurde in einer Reihe von Studien nachgegangen, deren Ziel es war, gesellschaftlich relevantes und diskursiv geprägtes kollektives Wissen zu eruieren, das bestimmte Be‐ griffe aufweisen (vgl. Ziem 2014a). Bei den meisten untersuchten Begriffen handelt es sich um politisch und gesellschaftlich brisante Begriffe. Dabei werden Frames unter spezieller Berücksichtigung von Standardwerten zum analytischen Zugang herangezogen (vgl. Ziem 2008, 2009a, 2009b, 2018, Gruber 2018). Ziem analysiert mithilfe eines korpusorientierten Instrumentariums die Ausprägung von Standardwerten bei zahlreichen Begriffen wie zum Beispiel der „Kapitalismus-Debatte“ (Ziem 2008), der „Hochschulreform“ (Ziem 2014a) der „terroristischen Geheimsprache“ (Ziem 2009b) und der „Wirtschaftskrise“ (Ziem 2014b). Die Ergebnisse dieser Studien veranschaulichen, in welchem Ausmaß Standardwerte konventionalisierte Bedeutungsaspekte in bestimmten Diskursen tragen, jedoch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch. Deutlich wird jedoch in diesen Arbeiten, dass der Aspekt von Konkretheit bzw. Abstraktheit der untersuchten Zielbegriffe kaum beachtet wird. Bezogen auf die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit weist Ziem (2018: 77) auf die Relevanz von Standardwerten sowohl für Konkreta als auch für Abstrakta hin. Allerdings lässt sich hier anmerken, dass in Ziems Annahme keine prä‐ zise Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta unternommen wird. Auch liegen bislang keine konkreten Untersuchungen vor, die den Grad der Ausprägung der Standardwerte und somit der Prototypizität und den Grad der Kulturspezifik der beiden Konzeptarten empirisch belegen. Ausgehend von den vorangehenden Ausführungen zur Besonderheit von Konkreta und Abstrakta lässt sich die Frage stellen, bei welcher Frameart die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten ausgeprägter ist. Die Beantwortung dieser Frage kann nur durch die Kontrastierung von mehreren Sprachen erfolgen (s. Kapitel 7). 97 4.4 Konventionalisierung und Prototypizitätseffekte bei Konkreta und Abstrakta <?page no="98"?> 4.5 Zwischenfazit In diesem Kapitel wurde untersucht, inwiefern Frames als kognitive Formate der lexikalischen Bedeutung fungieren können. Frames erweisen sich als konzeptu‐ elle Strukturen, die aus festen und variablen konzeptuellen Elementen bzw. Rela‐ tionen bestehen. Trotz der Diversität der Modellierungsversuche herrscht in der Framesemantik Einheit über die grundlegenden Strukturelemente von Frames (Ziem 2008, 2018, Barsalou 1992a, Konerding 1993, Busse 2012). Frames sind bei allen Vertretern dieses Ansatzes in Form von Slot-Filler-Strukturen (Leer‐ stellen-Werte-Strukturen) organisiert. Slots bilden konzeptuelle Leerstellen, die unterschiedliche Aspekte eines Konzepts beschreiben und in Form von gezielten Fragen abstrahiert werden können. Mit diesen Leerstellen korrespondieren Werte, die als konkrete Wissensdaten dieser fungieren. Leerstellen und Werte unterliegen einer Reihe von strukturgebenden Regelhaftigkeiten, die sich in Frames beispielsweise in Form von Restriktionen oder strukturellen Invarianten erweisen. Diese beschreiben die Variationsbreite von Zusammenhängen sowie Relationen zwischen Frameelementen und determinieren die interaktive und dynamische Struktur eines Frames. Für die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta lassen sich trotz der Diversität der Modellierungsversuche in der Framesemantik wenige systemati‐ sierte Unterscheidungsversuche identifizieren. Ein gradueller Unterschied zwi‐ schen diesen beiden Konzeptarten resultiert vor allem aus den elf Matrixframes von Konerding (1993), die sich auf unterschiedliche Konzeptarten beziehen. Zwar berücksichtigt der Ansatz von Konerding (1993) bei der Klassifizierung der Matrixframes nicht explizit Konkreta und Abstrakta als zwei unterschiedliche kognitive Einheiten, dennoch lässt sich aber aufgrund der von ihm erarbeiteten Matrixframestrukturen eine grundlegende Unterscheidung zwischen Matrix‐ frames mit konkreten perzeptuell bedingten Bedeutungsaspekten und anderen, die diese konkrete Basis nicht zeigen (Abstrakta), vornehmen. Eine explizitere Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta aus framesemantischer Sicht stellt der situative Ansatz von Barsalou/ Wiemer-Hastings (2005) dar. Demzu‐ folge unterscheiden sich konkrete und abstrakte lexikalische Konzepte nicht unbedingt in der Art ihrer Framestrukturen; beide verfügen über dieselbe framesemantische Struktur. Der grundlegende Unterschied hierbei liegt darin, dass Abstrakta mehr situationsbezogene Aspekte wie Akteure, soziale Inter‐ aktion und introspektiv assoziierte Konzepte fokussieren, während Konkreta objekt-, raum- und verhaltensbezogene sowie physikalische entitätsbezogene Eigenschaften fokussieren (vgl. Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005: 152). 98 4 Framesemantik und die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="99"?> Bezogen auf die Fragestellung dieser Arbeit wurde in diesem Kapitel neben den allgemeinen Grundlagen der Framesemantik die Prototypizität von Frame‐ strukturen besonders hervorgehoben, in der sich die Konventionalisierung von Wissensaspekten manifestiert. Diese Prototypizität eines Frames erweist sich in Form von Standardwerten, die ebenso prädikativer Natur sind. In ihnen spiegeln sich konventionalisierte Bedeutungsaspekte wider, die kulturell geprägt sind und von Sprachbenutzerinnen und -benutzern in einer Sprachgemeinschaft prä‐ supponiert werden. Standardwerte als Manifestation der Prototypizität bilden insofern eine zentrale Stellung in Framestrukturen, da sie eine epistemische Stabilität gewährleisten, die es ermöglicht, die Bedeutung einer lexikalischen Einheit effizient zu erschließen. Durch ihren konventionalisierten Charakter müssen sie eine gewisse Kulturspezifik aufweisen. Da bislang keine empirischen Untersuchungen zur Ausprägung von Stan‐ dardwerten bei konkreten und abstrakten lexikalischen Konzepten vorliegen, ist es das Ziel dieser Arbeit, einen empirisch begründeten Zugang zu den Beson‐ derheiten von Konkreta und Abstrakta zu schaffen. Von den bisherigen Feststel‐ lungen ausgehend stellt sich hier die Frage, wie stark ausgeprägt Standardwerte bei Konkreta und Abstrakta sind und inwieweit diese eine kulturspezifische Prägung aufweisen (s. Kapitel 7). Diese kulturelle Spezifik zeigt sich auch in weiteren alternativen Konzeptualisierungsversuchen als wesentlich, wie etwa in der konzeptuellen Metapherntheorie, die auf den Prämissen der embodied cognition basiert und konzeptuelle Wechselwirkungen zwischen Konkreta und Abstrakta annimmt sowie eine große Bandbreite kulturspezifischer Differenzen zwischen beiden aufzeigt. 99 4.5 Zwischenfazit <?page no="101"?> 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta Parallel zu den im vorherigen Kapitel präsentierten framesemantischen Mo‐ dellierungsversuchen zur konzeptuellen Repräsentation von Abstrakta und Konkreta hat die konzeptuelle Metapherntheorie einen weiteren erfahrungsba‐ sierten Erklärungsansatz zur Konzeptualisierung von Abstrakta vorgelegt. Kon‐ zeptuelle Metaphern sind hiernach strukturierende Muster des semantischen Wissens, die in Form von konzeptuellen Übertragungen zwischen Konkreta und Abstrakta ablaufen. Besonders für die Konzeptualisierung von Abstrakta betont die konzeptuelle Metapherntheorie die Rolle dieser Übertragungspro‐ zesse (Gibbs 2005b, Evans/ Green 2006, Kövecses 2002, 2005, Barsalou 2008, Lakoff/ Johnson 1980/ 2003). Es ist hier anzumerken, dass die konzeptuelle Metapherntheorie in ihrer Konzeption keine Alternative zu den in den letzten Kapiteln skizzierten Grundlagen der Bedeutungskonstitution darstellt. Viel‐ mehr bildet sie eine ergänzende Perspektive zur Bedeutungskonstitution von Abstrakta. Während die Bedeutungsrepräsentation von Konkreta unmittelbar auf der Basis der perzeptuellen Körpererfahrung erfolgen kann, stellt sich infolge dieser Annahme die Frage, wie die Konzeptualisierung abstrakter Konzepte erfolgt. Der konzeptuellen Metapherntheorie zufolge nehmen auch abstrakte Konzepte auf der Basis unmittelbarer körperlicher Erfahrung mit der Umwelt eine konkrete Form an. Dieser Erklärungsansatz basiert auf dem Ansatz des Embodiment-Prinzips, das in Kapitel 3 vorgestellt wurde und davon ausgeht, dass lexikalische Bedeutung enzyklopädischer Natur ist und semantisch kon‐ zeptuelle Strukturen auf körperlicher Erfahrung beruhen. Das vorliegende Kapitel stellt mit einem besonderen Fokus auf die Konzep‐ tualisierung von Abstrakta die Grundzüge der konzeptuellen Metapherntheorie vor. Dabei soll in die kognitiven Prozesse und die verschiedenen Arten von Me‐ taphern eingeführt werden, in denen sich die Konzeptualisierung von Abstrakta manifestiert. Darüber hinaus wird in Bezug auf die Ziele der vorliegenden Arbeit der Frage nachgegangen, weshalb Metaphern für die Untersuchung kulturspezifischer Bedeutungskonstitution von Relevanz sind. <?page no="102"?> 5.1 Konzeptuelle Metaphern als ICM Im Gegensatz zur traditionellen Metaphernforschung, die Metaphern als ein sprachlich stilistisches und rhetorisches Mittel begreift, geht die konzeptuelle Metapherntheorie davon aus, dass Metaphern allgemein für kognitive Prozesse, für den Sprachgebrauch und für die Alltagssprache von großer Relevanz sind ( Jessen et al. 2018, Fusaroli/ Morgagni 2013, Schröder 2012, Gibbs 2005a, Baldauf 1997). In der kognitiven Linguistik werden Metaphern (entgegen der traditionellen Auffas‐ sung) nicht nur als Stilmittel und sprachliche Besonderheiten mit Ausnahmestatus betrachtet, sondern als Ausdrucksvarianten unserer Sprache, mit denen wir insbe‐ sondere das schwer fassbare, schwer beschreibbare unserer Geistes-, Gefühls- und Erlebenswelt konzeptuell greifbar machen und benennen, mit denen wir komplexe abstrakte Sachverhalte (teilweise komprimiert und mental-bildhaft) wiedergeben können (S C H W A R Z 2008: 67). Lakoff und Johnson (1980/ 2003) zeichneten mit ihrem Buch „Metaphors we live by” eine deutliche Abkehr vom traditionellen Metaphernverständnis. Ihnen zufolge ist „[u]nser alltägliches Konzeptsystem, nach dem wir sowohl denken als auch handeln, […] im Kern und grundsätzlich metaphorisch.“ (Lakoff/ Johnson 2003: 11). Nach diesem Verständnis nimmt die Metapher eine wesentliche ko‐ gnitive Rolle als konzeptuelles Instrument ein, die Wirklichkeit zu strukturieren. Mit anderen Worten: Metaphorische Konzepte dienen dazu, „eine Erfahrung partiell in Begriffen einer anderen Erfahrung zu strukturieren“ (Lakoff/ Johnson 2003: 93). Strukturiert wird auf der konzeptuellen Ebene „das Nichtphysische in Begriffen des Physischen“ (Lakoff/ Johnson 2003: 73). Somit ist zwischen konzeptuellen Metaphern und „linguistischen“ Metaphern zu unterscheiden. Während die ersten als kognitive Prozesse (vgl. Rolf 2005: 238, Lakoff/ Johnson 2003: 14) zu verstehen sind, sind linguistische metaphorische Ausdrücke als Manifestation dieser Prozesse zu betrachten. We can state the nature of the relationship between the conceptual metaphor and the metaphorical linguistic expressions in the following way: the linguistic expressions (i.e., ways of talking) make explicit, or are manifestations of, the conceptual metaphors (i.e., ways of thinking) (K ÖV E C S E S 2010: 7). Demnach erfolgen Metaphern auf der konzeptuellen Ebene in Form einer kognitiven Übertragung (engl. metaphorical mapping) von einem Quellbe‐ reich (ein Frame eines konkreten Konzepts) auf einen Zielbereich (ein Frame eines abstrakten Konzepts) (Lakoff/ Johnson 1980/ 2003, Lakoff 2014). Als 102 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="103"?> Beispiel für solche metaphorischen Konzepte nennt Lakoff die Metapher LOVE is a JOURNEY, LIEBE ist eine REISE. Durch diese Übertragungen wird der abstrakte Frame [LIEBE] durch den konkreten Ereignis-Frame [REISE] strukturiert. Das Konzept Liebe hat einen Kern, der durch die Subkategorisierung LIEBE IST EINE EMOTION und durch Verknüpfungen zu anderen Emotionen, z. B. gern haben, minimal strukturiert ist. Das ist ein typisches Phänomen bei emotionsbezogenen Konzepten, die nicht klar umrissen und unmittelbar in unserer Erfahrung vorhanden sind und die deshalb hauptsächlich indirekt, also über die Metapher, verstanden werden müssen (L A K O F F / J O H N S O N 2003: 102). Diese Art der metaphorischen Konzeptualisierung ist laut der konzeptuellen Metapherntheorie auf sämtliche abstrakten Konzepte übertragbar. Lakoff und Johnson (1999) haben gezeigt, dass ein großer Teil von Konzeptarten wie etwa Ereignisse, Aktionsbegriffe, mentale Prozesse usw. metaphorisch konzep‐ tualisiert sind. Letztere werden beispielsweise durch körperliche Aktivitäten wie halten, greifen, berühren, geben, empfangen, Fortbewegung, reisen, essen, Wahrnehmungen, Kampf, Spiel oder durch Körperteile, physische Nähe, Besitz und Krankheit sowie durch Tier- und Pflanzenwelt, Licht, Wetter, Formen, Geld und Maschinen konzeptualisiert (Radden 1997: 79f.). Bei einer metaphorischen Übertragung werden automatisch die jeweiligen Frames evoziert, die an dem metaphorischen Prozess als Quellbzw. Zieldomäne beteiligt sind (Lakoff 2014). Hierbei werden die Leerstellen des Quellbereichs mit Werten des Zielbereichs besetzt, wie die Metapher LIEBE ist eine REISE in Tabelle 5.1 zeigt. The Lovers are travelers on a journey together, with there common life goals seen as destinations to be reached. The relationship is their vehicle, and it allow them to pursue those goals together. The relationship is seen as fulfilling its purpose along as it allows them to make progress toward their common goals. The journey isn’t easy. There are impediments, and there are places (crossroads) where a decision has to be made about which direction to go in and whether to keep traveling together (L A K O F F 1993: 206). 103 5.1 Konzeptuelle Metaphern als ICM <?page no="104"?> Quelldomäne: REISE Zieldomäne: LIEBE REISENDE LIEBENDE TRANSPORTMITTEL LIEBESBEZIEHUNG ZURÜCKGELEGTE DISTANZ ZUSAMMEN VERBRACHTE ZEIT WEGHINDERNISSE BEZIEHUNGSPROBLEME REISEZIEL ZIELE, WÜNSCHE UND ERWAR‐ TUNGEN DER LIEBENDEN Tab. 5.1: Konzeptuelle Übertragung der konzeptuellen Metapher LIEBE ist eine REISE (vgl. Lakoff 2014: 2) Die Übertragung einer Quelldomäne auf eine Zieldomäne ist partiell. Das heißt, die Projektion der Zieldomäne auf die Quelldomäne geschieht selektiv. Lakoff und Johnson (2003: 12-18) verweisen hier auf die Phänomene des highlighting und hiding, die einem solchen Übertragungsprozess reglementieren. Durch highlighting werden die relevanten Aspekte für eine Zieldomäne hervorge‐ hoben, während die für das metaphorische Verständnis irrelevanten Informa‐ tionen durch hiding verborgen werden. 5.2 Bildschemata Zur Beantwortung der Frage, warum Metaphern zum Verständnis von Abstrakta unumgänglich sind, soll hier die These des embodiment, die in Kapitel 3 angesprochen wurde, wieder aufgegriffen werden. Laut Johnson (1987) spiegelt sich die These des embodiment in den sogenannten Bildschemata (engl. image schema) wider, die als eine Art vorbegriffliche Konzeptualisierungsschablonen (vgl. auch Langacker 2008) für die Bedeutung verschiedener sprachlicher Aus‐ drücke fungieren. Human bodily movement, manipulation of objects, and perceptual interactions in‐ volve recurring patterns without which our experience would be chaotic and incom‐ prehensible. I call these patterns, image schemas, because they function primarily as abstract structure of image. They are gestalt structures, consisting of parts standing in relations and organized into unified wholes, by means of which our experience manifests discernible order (J O H N S O N 1987: 19). Der Begriff Image Schema (Bildschema) unterscheidet sich vom Verständnis der Schematisierung, das in den letzten Kapiteln im Sinne von Langacker 104 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="105"?> und Bartlett vorgelegt wurde. Gibbs schildert diese terminologische Konfusion folgendermaßen: [I]mage schemas are different from the notion of schemata traditionally used in cognitive science that are abstract conceptual and propositional event structures. By contrast, image schemas are imaginative, nonpropositional structures that organize experience at the level of bodily perception and movement. Image schemas exist across all perceptual modalities, and one necessary for there to be any sensorimotor coordination in our experience (G I B B S 2005b: 69). Bildschemata als Ergebnisse der rekurrenten körperlich perzeptuellen und motorischen Interaktion in der Umwelt sind keine bedeutungsreichen se‐ mantischen Strukturen (vgl. Evans/ Green 2006: 190, Gibbs 2005b: 69, Langacker 2008: 32f.). Bildschemata kennzeichnen sich im Vergleich zu lexikali‐ schen Frames durch eine hohe Abstraktion. Insgesamt lässt sich aus den Forschungsarbeiten der kognitiven Linguistik keine einheitliche Bestimmung der Bildschemata ableiten. Johnson (1987: 126) listet beispielsweise mehrere Bildschemata auf: CONTAINER, BALANCE, COMPULSION, BLOCKAGE, COUNTERFORCE, RESTRAINT REMOVAL, ENABLEMENT, ATTRACTION, MASS-COUNT, PATH, LINK, CENTER-PERIPHERY, CYCLE, NEAR-FAR, SCALE, PART-WHOLE, MERGING, SPLITTING, FULL-EMPTY, MATCHING, SUPERIMPOSITION, ITERATION, CONTACT, PROCESS, SURFACE, OBJECT, COLLECTION. Von diesen werden jedoch am meisten folgende fünf Schemata in der kognitiven Linguistik rezipiert (vgl. Evans/ Green 2006): 1. Das Behälter-Schema (engl. CONTAINER) basiert auf dem Erleben des eigenen Körpers als Behälter, der als Subjekt von der Umwelt getrennt wird, wie etwa durch die Nahrungsaufnahme oder die Wahrnehmung anderer Räume als Behälter, in denen man sich bewegt. Dieses Bildschema operiert über die Relationen innen und außen. So erschließt sich die aktuelle Bedeutung von den Präpositionen in, auf, unter und neben nur unter unmittelbarer Beteiligung des Behälter-Schemas. Für Abstrakta dient es beispielsweise als Konzeptualisierungsschablone für bestimmte Emoti‐ onsbegriffe, wie Kövecses (1990: 147) illustriert: „AS THE EMOTION GETS MORE INTENSE, THE CONTAINER GETS BIGGER“. 2. Das Weg-Schema (engl. SOURCE-PATH-GOAL): Aus unserer alltäglichen körperlichen Erfahrung der Fortbewegung wissen wir, dass ein Weg so‐ wohl einen Startals auch einen Endpunkt hat und somit eine Richtung verfolgt. Aber auch das „Ausstrecken der Hand beim Händedruck oder das Hinlegen eines Buches auf einen Tisch […]“ (Baldauf 1997: 67) beinhaltet das Konzept des Weges. Mit diesem Bildschema ist eine konkrete physische 105 5.2 Bildschemata <?page no="106"?> Vorstellung gegeben, über die ein abstrakter Zielbereich metaphorisch erschlossen werden kann. Folgendes Beispiel beinhaltet zum Beispiel das Bildschema Weg: Es ist ein langer Weg an die Spitze der Firma. 3. Das Kraft-Schema (engl. FORCE) verkörpert weitere konkrete Alltagser‐ fahrungen. Hierbei lassen sich nach Johnson (1987) verschiedene Arten der Kraftausübung unterscheiden, aus denen dieses Bildschema entsteht. Eine dem Menschen im Alltag begegnende Kraft ist die des Zwanges. Johnson (1987) argumentiert beispielsweise, dass der Ursprung der Mo‐ dalverben im Bildschema der Kraft liegt und daher auf eine körperliche Erfahrung zurückzuführen ist (vgl. Kanaplianik 2016). So beinhaltet das Modalverb müssen eine starke physische Kraft, dürfen lässt sich auf die körperliche Erfahrung des Entfernens von Beschränkungen zurückführen und können repräsentiert die physische Kraft der Möglichkeit (vgl. Evans/ Green 2006: 187-190). 4. Das Zentrum- und Peripherie-Schema (engl. CENTER-PERIPHERY) besagt, dass der menschliche Körper das Zentrum unserer Wahrnehmung darstellt, von dem aus auf die Welt, also die Peripherie, Einfluss genommen wird (vgl. Johnson 1987: 124-125). Dieses Schema spiegelt sich in metapho‐ rischen Aussagen wie beispielsweise Theorien haben zentrale Aussagen wider. 5. Das Gleichgewicht-Schema (engl. BALANCE): Durch den menschlichen Gleichgewichtssinn liefert dieses Schema eine konkrete Basis für eine me‐ taphorische Übertragung. So kann beispielsweise das Abstraktum Macht als ein ausgewogenes Gleichgewicht von Machtverhältnissen konzeptua‐ lisiert werden (vgl. Johnson 1987: 84, Baldauf 1997: 174). 5.3 Metapherntypen und die Konzeptualisierung von Abstrakta Lakoff und Johnson (1980/ 2003) wenden sich in ihrem Ansatz der konzeptuellen Metapherntheorie neben den Bildschemata der Unterscheidung verschiedener Metapherntypen zu, die unsere Wahrnehmung, unser Denken und Handeln strukturieren (Lakoff und Johnson 2003: 12) und sich hinsichtlich der Art der Übertragung von einem Quellauf einen Zielbereich unterscheiden: ● Strukturelle Metaphern: Zu den strukturellen Metaphern gehören Meta‐ phern wie das Beispiel ARGUMENTIEREN ist KRIEG. Dabei wird „ein Kon‐ zept von einem anderen her metaphorisch strukturiert“ (Lakoff/ Johnson 2003: 22). Diese konzeptuelle Metapher beinhaltet das abstrakte Konzept der 106 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="107"?> Argumentation und versucht dieses durch das konkrete Konzept der krie‐ gerischen Handlung metaphorisch zu strukturieren. In der Alltagssprache schlägt sich dies in Ausdrücken wie „Er griff jeden Schwachpunkt seiner Ar‐ gumentation an, seine Kritik traf ins Schwarze, er schmetterte sein Argument ab“ (Lakoff/ Johnson 2003: 12) nieder. Diese Übertragung des Frames [KRIEG] auf [ARGUMENTATION] ist dadurch möglich, dass der Kampfframe in Teilen der Struktur der Argumentation ähnelt. ● Orientierungsmetaphern: Bei Orientierungsmetaphern werden nicht bestimmte Konzepte durch andere strukturiert, sondern „ein ganzes System von Konzepten in ihrer wechselseitigen Bezogenheit organisiert“ (La‐ koff/ Johnson 2003: 22). Orientierungsmetaphern basieren auf der körperli‐ chen Orientierung innerhalb des Raumes (Raumorientierung). So bilden sich Kategorien aus bestimmten Raumdimensionen (Dichotomien), mit deren Hilfe diverse abstrakte Konzepte konzeptualisiert werden. Diese gegensätz‐ lichen Relationen, die für die Konzeptualisierung von Abstrakta von Be‐ deutung sind, sind die gegensätzlichen Paar-Bildschemata: OBEN-UNTEN, INNEN-AUßEN, VORNE-HINTEN, TIEF-FLACH. Aus diesen Dichotomien der konzeptuellen Metaphern bilden sich Metaphern wie „GLÜCKLICH sein ist OBEN; TRAURIG sein ist UNTEN“. Mit sprachlichen Ausdrücken wie „sich obenauf fühlen, im siebten Himmel sein, niedergeschlagen sein, die Stimmung sank“ kommen solche Orientierungsmetaphern zum Vorschein. Die metaphorischen Orientierungen dieser Art beruhen auf kulturüber‐ greifenden physikalischen Gegebenheiten. Dennoch können die darauf beruhenden Orientierungsmetaphern je nach Kultur verschieden sein. So lokalisieren einige Kulturen die Zukunft vor sich, bei anderen liegt sie zurück (Lakoff/ Johnson 2003: 22). ● Ontologische Metaphern - Metaphern der Entität und Materie: Mit ontologischen Metaphern wird ein abstraktes auf den Menschen bezogenes Konzept als eine Entität konzeptualisiert. So werden Eigenschaften von Objekten oder Substanzen fester Materie abstrakten Konzepten verliehen. Die letzteren werden dadurch physisch quantifiziert (vgl. Lakoff/ Johnson 2003: 35). Das Beispiel „in Schwierigkeiten stecken“ stellt zum Beispiel das Konzept SCHWIERIGKEIT als Entität dar, nämlich in Form eines Contai‐ ners, in dem man sich als Inhalt befindet. Um abstrakte oder sinnlich nicht eingrenzbare Konzepte zu verstehen, wird die Erfahrung mit konkreten Materien und physischen Objekten herangezogen, also unter anderem auch die Erfahrung mit dem eigenen Körper. Diese Erfahrung wird auf Abstrakta übertragen und definiert diese als „separate Entitäten oder Materien glei‐ cher Art“ (vgl. Lakoff/ Johnson 2003: 35). Weiter können mit ontologischen 107 5.3 Metapherntypen und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="108"?> Metaphern tiefergehende Differenzierungen eines Konzepts vorgenommen werden. Am Beispiel der konzeptuellen Metapher „der GEIST ist eine MASCHINE“, „Jetzt kommt mein Geist aber in Fahrt“ kann man feststellen, dass die metaphorischen Ausdrücke unterschiedliche Aspekte des Geistes und der Seele in den Vordergrund rücken. Die oben angeführte Typologie wurde zugunsten einer weiteren Unterteilung erweitert, die auf Grady (2005b, vgl. auch Grady/ Ascoli 2017) zurückzuführen ist und von Lakoff und Johnson (1999), (vgl. auch Lakoff 2014: 2f.) übernommen wurde. Hier unterscheiden die Autoren zwischen primären und komplexen Me‐ taphern. Primäre Metaphern “are motivated by tight correlations in experience” (Grady 2005b: 1600) und entstehen aus einer direkten menschlichen Grunder‐ fahrung des Menschen, “frequent correlation in our experience between the size of an object and its salience or importance to us” (Grady 2007: 194). Ein Beispiel für eine primäre Metapher ist das metaphorische Konzept ZEIT ist BEWEGUNG oder ZEIT ist RAUM. Komplexe Metaphern stellen hingegen eine Kombination von mehreren primären Metaphern dar. So verbindet zum Beispiel die komplexe Metapher „das LEBEN ist eine REISE“ die Metaphern „ZWECK als REISEZIEL“ und „HANDLUNG als BEWEGUNG“. Das Verhältnis der beiden Metaphernebenen formulieren Lakoff und Johnson (1999: 60) folgendermaßen: „Primary metaphors are like atoms that can be put together to form molecules. A great many of these complex molecular metaphors are stable - conventiona‐ lized, entrenched, fixed for long periods of time”. Die bisher präsentierten Metapherntypen wurden durch eine Fülle von em‐ pirischen Ergebnissen unterstützt, auch im Hinblick auf die dahinterliegenden Bildschemata. Abgesehen von den Arbeiten von Lakoff und Johnson und Grady wurde die Gültigkeit dieser Kernthesen in diversen linguistischen Anwendungs‐ bereichen bestätigt. Hierzu zählen zum Beispiel Arbeiten zum Spracherwerb (Tomasello 2003), zur Sprachverarbeitung (Gibbs 1990, Gibbs/ Colston 2006) und zum Fremdspracherwerb (Roche/ Suñer 2014, Roche/ Suñer 2017, Littlemore et al. 2014 und Kanaplianik 2016). Mit Blick auf die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit scheint es je‐ doch wenige Studien zur metaphorischen Prägung unterschiedlicher Arten von Abstrakta zu geben. Dies liegt an einer mangelnden Ausdifferenzierung der Termini Abstraktum und Konkretum (s. Abschnitt 2.3). Die Bestimmung von Abstrakta in der konzeptuellen Metapherntheorie lässt sich in allen For‐ schungsarbeiten aufgrund der perzeptuell basierten Erfahrung festlegen. Diese problematische Ausgangslage führt zu einer allgemeinen und zum Teil unsys‐ tematischen Bestimmung von abstrakten lexikalischen Konzepten. Außerdem führt Barsalou (1999) den Kritikpunkt auf, dass Abstrakta neben einer metapho‐ 108 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="109"?> risch geprägten Bedeutung einer unabhängigen konzeptuellen Repräsentation bedürfen. Dafür nennt er zwei Gründe: [F]irst, it constitutes the most basic understanding of the domain. Knowing only that anger is like liquid exploding from a container hardly constitutes an adequate concept. If this is all that people know, they are far from having an adequate understanding of anger. Second, a direct representation of an abstract domain is necessary to guide the mapping of a concrete domain into it. A concrete domain cannot be mapped systematically into an abstract domain that has no content. (B A R S A L O U 1999: 600, Hervorhebung im Original). Mit der Kritik von Barsalou wird der Gültigkeitsanspruch der Metapherntheorie nicht gänzlich in Frage gestellt. Für ihn spielt die Metapher gewiss eine große Rolle bei der Konzeptualisierung von Abstrakta. Diese darf aber den autonomen konzeptuellen Kern nicht außer Acht lassen. Aus diesem Grund wird die Metapherntheorie in der vorliegenden Arbeit ergänzend zu den bisherig ge‐ machten framesemantischen Ausdifferenzierungen der konzeptuellen Struktur von Abstrakta (s. Abschnitt 4.3) herangezogen, um eine weitere elementare Ebene der Konzeptualisierung abstrakter Konzepte zu berücksichtigen. 5.4 Metaphorische Konstruktion von Abstrakta: universelle Prägung und kulturelle Varianz Wenn die konzeptuellen Metaphern durch physische Erfahrungen in der Welt bestimmt werden, müssen sie in allen Sprachen gleich sein, denn die Menschen verfügen über die gleichen Körper. In diesem Zusammenhang unterscheidet Lakoff (1993: 245): “metaphorical mappings vary in universality; some seem to be universal others are widespread, and some seem to be culture specific”. Bestimmte konzeptuelle Metaphern sind in vielen Sprachgemeinschaften gleich vertreten oder aufgrund bestimmter universeller Erfahrungsmuster weit ver‐ breitet. Nach Lakoff und Wehling (2008: 25) trifft dies aber nur für die Metaphern zu, die alle Menschen gleichermaßen durch die Funktionen ihres Körpers automatisch erlernen. […] Unsere Körper funktionieren gleich und deshalb machen wir eine Reihe gleicher Erfahrungen. Liebe ist Hitze ist zum Beispiel eine solche Metapher für die Liebe. Die gefühlte Zuneigung und das Ansteigen der Körpertemperatur korrelieren; die beiden Bereiche im Gehirn sind parallel aktiv, die neuronale Verbindung wird gestärkt. 109 5.4 Metaphorische Konstruktion von Abstrakta: universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="110"?> Aus diesem Grund der unmittelbaren Körpergebundenheit mancher Konzepte erfolgt der Konzeptualisierungsprozess nach universellen Kriterien und somit ist die kognitive Realisierung mancher abstrakten Konzepte auch universell (Lakoff/ Johnson 1999: 19). Doch nicht nur Metaphern, die sich aus einer unmit‐ telbaren körperlichen Erfahrung ergeben, lassen sich in vielen Sprachen finden. Auch Metaphern wie ZEIT ist GELD (oder WERTVOLLES GUT) sind in vielen Sprachen produktiv. Diese illustrieren die Manifestation auf der generischen Ebene wie die folgenden Beispiele in Tabelle 5.2 aus dem Arabischen, Französi‐ schen und Deutschen zeigen. Ein Vergleich der sprachlichen Realisierungen in den drei Sprachen legt nahe, dass diese primäre Metapher in allen Sprachen konventionalisiert ist. ZEIT ist GELD LE TEMPS c’est de l’ARGENT تقولاك لاملا (1) Dieses Gerät erspart viel Zeit. (1) Cette machine vous permet d'économiser du temps. هذه ةلالا رفوت ريثكلا نم (1) تقولا hāḏihi alāla tuwafir al-kaṯir min al-waqt (2) Diese Arbeit kostete mich eine Stunde. (2) Ce travail lui a coûté bien du temps. اذه لمعلا ينفلك ةعاس (2) hāḏā al-ʿamal kallafani saaʿ (3) Zeit verschwenden. (3) Gaspiller le temps. عيض تقولا (3) ḍayaʿ al-waqt Tab. 5.2: Realisierung der Metapher ZEIT ist GELD oder WERTVOLLES GUT im Deut‐ schen, Französischen und Arabischen Trotz dieser Tatsache lässt sich feststellen, dass die Konzeptualisierung abs‐ trakter Begriffe eine gewisse Relativität aufweist. Diese Relativität wird durch die kulturellen Einflüsse auf die körperliche Erfahrung erklärt. Neben den dar‐ gelegten kognitiven und körperbedingten Grundlagen der konzeptuellen Meta‐ pherntheorie haben Lakoff und Johnson in ihrem ersten Modell die Relevanz des kulturellen Wissens für die Metaphorisierungsprozesse hervorgehoben. Dieser Aspekt wurde jedoch von ihnen nicht systematisch oder empirisch erforscht. Erst in den 90er Jahren begann das Interesse an der kulturellen Dimension von Metaphern. Die kulturelle Ebene von Metaphern wurde vor allem durch sprachverglei‐ chende Untersuchungen ersichtlich, in denen gezeigt werden konnte, dass Metaphern nur unter Einbezug von kulturell relevantem Wissen eruiert werden können (vgl. Geeraerts/ Grondelaers 1995, Kövecses 2005, 2018). Kövecses (2005) geht in einem Schlüsselwerk zur kulturellen Prägung von Metaphern als erster 110 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="111"?> diesem Aspekt systematisch nach und klassifiziert eine Reihe von Erschei‐ nungen in der kulturellen Variation der konzeptuellen Metaphern. Mit Berufung auf mehrere Studien kommt er auf mehrere Ebenen bzw. Dimensionen, in denen sich die kulturelle Relativität von Metaphern manifestiert. Diese Variation ist nicht nur interkulturell bzw. intersprachlich bedingt, sondern es lassen sich auch intrakulturell bzw. intrasprachlich eine Reihe von Ebenen determinieren, in denen sich graduelle Unterschiede manifestieren. Kövecses unterscheidet in den innersprachlichen Unterschieden acht metaphorische Dimensionen: 1) soziale Dimension 2) ethnische Dimension 3) regionale Dimension 4) sti‐ listische Dimension 5) subkulturelle Dimension 6) diachronische Dimension 7) entwicklungspsychologische Dimension 8) individuelle Dimension (vgl. Kö‐ vecses 2005: 67-111, für eine Zusammenfassung s. Schröder 2012: 158ff.). Obwohl laut Kövecses innerhalb einer Sprachgemeinschaft die Art der Metaphern und deren Gebrauch variationsreich sind, ist festzuhalten, dass die Divergenzen in den Metaphorisierungsprozessen zwischen verschiedenen Sprachen sichtbar bleiben. Hier beruft sich Kövecses (2018) auf die konstruktive Kulturtheorie von Geertz (2002) (s. Abschnitt 3.3). Metaphern sind hiernach „both motivated by the human body and produced by a particular social and cultural environment” (Kövecses 2003: 14, Hervorhebung im Original). Die Rolle des kulturell geprägten Wissens bei der Bildung konzeptueller Metaphern illustriert Kövecses beispielsweise anhand des abstrakten Emotions‐ konzepts WUT, das trotz der Universalität seiner bildschematischen Grundlage eine Reihe von sprachspezifischen Differenzen aufweist. Mit Bezug auf die Bildschemata lässt sich die primäre Metapher WUT ist HEISSE FLÜSSIGKEIT in einem BEHÄLTER bei allen Sprachen identifizieren (Kövecses 2015b, 2018). Trotz dieser sprachübergreifenden Basis lassen sich in verschiedenen Sprachen unterschiedliche metaphorische Realisierungen beobachten, wie die Beispiele in Tabelle 5.3 zeigen. Sprache Sprachspezifische me‐ taphorische Konzepte Sprachliche Rea‐ lisierung Art des Fokus Deutsch WUT ist ROT Ich bin rot vor Wut geworden Farbreaktion des Behälters Französisch WUT ist ROT Je suis devenu rouge de colère (Ich bin vor Wut rot geworden) Farbreaktion des Behälters Arabisch WUT ist EXPLOSION رجفنا نم بضغلا ناكربلاك Konsequenzen des Drucks 111 5.4 Metaphorische Konstruktion von Abstrakta: universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="112"?> (Er ist wie ein Vulkan explodiert) Japanisch WUT ist im BAUCH 腹が立つ (Mein Bauch geht nach oben) Lokalisierung des Drucks Mandarin WUT ist SCHWE‐ BENDE ENERGIE IM KÖRPER 我生气了 (Ich bekomme Qi) Spezifizierung der Substanz Tab. 5.3: Sprachspezifische metaphorische Realisierung von WUT Ausgehend von den Beispielen in Tabelle 5.3 wird ersichtlich, dass die kultur‐ spezifische Prägung von metaphorischen Realisierungen spezifischer wird, je konkreter der sprachliche Ausdruck ist. Für Kövecses (2005: 236) heißt es: „We can suggest that both everyday concepts and the key or defining concepts of a culture have a great deal of influence on metaphorical conceptualisation - especially at lower, more specific levels of thought”. Hierbei greift er auf Gradys Unterscheidung zwischen primären und komplexen Metaphern zurück und hält die letzten für entscheidend, wenn es um die kulturelle Prägung geht. Obwohl die körperbedingte Erfahrung von WUT immer von physikalischen Erscheinungen wie etwa eine erhöhte Körpertemperatur, Herzrasen, Änderung der Hautfarbe begleitet wird, werden nur manche Aspekte dieser Metaphern in den einzelnen Sprachen präferiert. Kövecses (2005) nennt dieses Phänomen der Selektion den experiencial focus. Darin ist die kulturelle Relativität von Metaphern begründet. “[I]t allows us to talk about ideas associated with a source domain agreed upon by a community of speakers” (Kövecses 2005: 12). Der experiencial focus bezieht sich nicht nur auf eine Ursprungsdomäne, auf die eine Zieldomäne applizierbar ist, sondern umfasst die Menge aller Ursprungs‐ domänen, die im Mappingprozess favorisiert werden und in unterschiedlichem Grad konventionalisiert sind. Diese Konventionalisierung von bestimmten Metaphern kann in unterschiedlichen Sprachen graduell sein. Barcelona (2001) und Kövecses (2015a) stellen beispielsweise nach Untersuchungen von Emo‐ tionskonzepten wie WUT, LIEBE und DEPRESSION im Spanischen und im Englischen fest, dass „a linguistic metaphor in one language may be more or less conventional than the corresponding linguistic metaphor in another language“ (Kövecses 2015a: 151). Ein weiterer Aspekt, an dem kulturspezifische körperbedingte Metaphorisie‐ rungsprozesse ersichtlich werden, ist die Verwendung von somatischen Ausdrü‐ cken (Körperteile). In vielen Sprachen findet man Ausdrücke wie Herz brechen, die auf bestimmte Emotionszustände verweisen und sie somit konkretisieren. 112 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="113"?> Hierdurch scheint das Auftreten von Körperteilen systematisch durch körperge‐ bundene Erfahrungszusammenhänge motiviert zu sein. Diese Verwendung von Körperteilen als Bildspender für abstrakte Konzepte ist darauf zurückzuführen, dass der menschliche Körper allgegenwärtig verfügbar, sinnlich unmittelbar wahrnehmbar und somit auch übereinzelsprachlich expressiv einsetzbar ist. In dieser Hinsicht haben viele Studien kulturelle Unterschiede in der Konzep‐ tion von Körperteilen aufgezeigt, in dem Sinne, dass verschiedene Körperteile als Bildspender von abstrakten Konzepten konzipiert werden können. Diese metaphorischen Konzeptualisierungen sind in der Regel in komplexen sprach‐ lichen Ausdrücken kodiert und sind für die Sprecher nicht bewusst zugänglich. Maalej (2007) untersucht in einer Studie die metaphorische Konzeptualisierung von ANGST im tunesischen Arabisch. Er stellt dabei auch eine Reihe von Metaphorisierungsprozessen fest, die sich hauptsächlich in somatischen Aus‐ drücken widerspiegeln. Hierbei merkt Maalej an, dass die kulturelle Prägung von ANGST in den somatischen Ausdrücken Teile des Körpers profiliert, von denen angenommen wird, dass sie physiologisch von dieser Emotion angeregt werden, oder Körperteile, die mit physiologischen Veränderungen verbunden sind. Beispiele für Somatismen für ANGST (ḫawf)فوخ im tunesischen Arabisch (Maalej 2007) 1. يبلق يف ينانس فوخلاب qalbī fi snānī bil-ḫawf Mein Herz ist zwischen meinen Zähnen vor Angst. 2. يادي تلبخ نم فوخلا ydayya tḫabblit min al-ḫawf Mir sind die Hände vor Angst verflochten. 3. يمحل رعشق نم فوخلا laḥm-i qašʿar bi-l-ḫawf Mein Fleisch ist am Zittern. 4. ينراصم تراد نم عجفلا mṣārn-i dārit min-l-fijʿa Mein Magen hat sich vor Schreck gedreht. Ein weiteres Beispiel stammt von Yu (2007), der die kulturell geprägte Kon‐ zeptualisierung von HERZ im Chinesischen untersuchte. Daraus ergeben sich Metaphern, die dieses Körperorgan als physische Einheit (zum Beispiel das Herz als Behälter), einen Teil des Körpers (zum Beispiel das Herz als zentrales Organ des Körpers) und den Ort affektiver und kognitiver Aktivitäten (zum Beispiel 113 5.4 Metaphorische Konstruktion von Abstrakta: universelle Prägung und kulturelle Varianz <?page no="114"?> das Herz als Sitz aller emotionalen und mentalen Prozesse) beschreiben. Yu (2008) stellt fest, dass sich die lexikalische Einheit XIN 心 脏 im Chinesischen auf Aspekte bezieht, die im Englischen von "HERZ" und von "VERSTAND" abgedeckt werden. Er führt dies auf die alte chinesische Philosophie zurück, in der das Herz als Organ für DENKEN, FÜHLEN, WOLLEN, VERNUNFT und INTUITION konzipiert wird (Yu 2008). Auch in der traditionellen chinesischen Medizin ist das Herz das Zentrum des Körpers und steuert verschiedene emotionale und intellektuelle Aktivitäten. Beispiele für das HERZ als Behälter für Emotionen (Yu 2007: 67) 1. 怡悦荡心房。 Yí yuè dàng xīnfáng Freude in das Herz-(Haus) 2. 2) 进城几年了,乡亲们的嘱托他一直记在心间。 Jìn chéng jǐ niánle, xiāngqīnmen de zhǔtuō tā yīzhí jì zài xīnjiān. Er ist seit einigen Jahren in der Stadt und wurde von den Dorfbewohnern im Herzen anvertraut. Angedockt an diese Traditionslinie zeigt Schröder (2012) die Evidenz der Konventionalisierung sowie der kulturspezifischen Divergenzen zwischen dem Deutschen und dem brasilianischen Portugiesisch in einer der wenigen sprachvergleichenden Studien zu Metaphern zum Emotionsbegriff LIEBE. Basis der Datenanalyse stellten 60 Interviews mit deutschen und brasilianischen Probanden (30 Deutsche und 30 Brasilianer) über das Thema Liebe dar. Die Ergebnisse zeigen, dass sich bei den deutschen Interviewten die Quelldomänen REISE, FUNKTIONIERENDE MASCHINE, TERRITORIUMSBEWACHUNG, WIRTSCHAFTLICHER AUSTAUSCH UND SICHERHEITSNETZ/ HALT/ REFU‐ GIUM als besonders charakteristisch erwiesen haben. Im Gegensatz dazu do‐ minieren im Brasilianischen Portugiesisch die Quelldomänen EROBERUNG, ESSEN/ APPETIT, NÄHE, PHYSISCHE KRAFT, NATURKRAFT UND WAHN‐ SINN die Zieldomäne LIEBE. Im Folgenden sind einige Beispiele aufgelistet, die sich für die jeweiligen Korpora als besonders charakteristisch erwiesen haben. Sie spiegeln die metaphorische Konstruktion der Zieldomäne LIEBE für die jeweilige Gruppe wider: 114 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="115"?> Beispiele zu brasilianischen Interviewpartnern aus der Ausgangsdomäne ESSEN: 1. O Homem falou assim: Ah, sua gostosa, quero te comer Der Mann sagte das so: Oh du Leckere, ich will dich essen 2. Tu está t-o bonita, tu nem sabe … Tu parece uma cebola, carnuda e sumarenta, boa de morder Du bist so hübsch, wie du es dir kaum vorstellen kannst. Du siehst aus wie eine Zwiebel, fleischig und saftig und gut zum Hineinbeißen. 3. Tem a Paixao que e o desejo da carne Es gibt die Leidenschaft, die der Fleischeslust entspricht. Beispiele zu deutschen Interviewpartnern aus der Ausgangsdomäne MASCHINE: 1. Wenn einmal was kaputt gegangen ist und man es nicht mehr reparieren kann. 2. Da muss etwas anspringen und dann muss das in Gang gehalten werden. 3. Man muss schon irgendwie was draus schöpfen können, so interessante Gespräche. 4. Ich kenn das nicht anders, weil ich ja so aufgewachsen bin, in einer intakten Familie, wo alles funktioniert und klappt. 5.5 Zwischenfazit In diesem Kapitel wurde das Verhältnis zwischen Konkreta und Abstrakta in den konzeptuellen Metaphorisierungsprozessen erörtert. Die konzeptuelle Metapherntheorie bietet einen vielversprechenden Ansatz für die Konzeptua‐ lisierung von Abstrakta. Entscheidend bei den Metaphorisierungsprozessen ist die konzeptuelle Übertragung einer konkreten Quelldomäne auf einen abstrakten Erfahrungsbereich, um diesem letzten einen verkörperten Bedeu‐ tungsinhalt zu verleihen. Bei diesem Übertragungsprozess (engl. mapping) spielen Bildschemata die Rolle von Konzeptualisierungsschablonen (wie etwa das Container-Schema für Emotionsbegriffe). Bildschemata sind im Vergleich zu lexikalischen bedeutungstragenden Frames durch eine hohe Abstraktion gekennzeichnet und sind das Ergebnis der rekurrenten körperbasierten Inter‐ aktion mit der Umwelt. Wichtig für die Repräsentation von Abstrakta durch Metaphern ist, dass die hier zugrundliegende bildschematische Basis im Sprachgebrauch nicht in ihrem 115 5.5 Zwischenfazit <?page no="116"?> konzeptuellen Ursprung erscheint, sondern nur indirekt durch sprachliche Ausdrücke erschließbar ist, wie etwa im Beispiel ZEIT VERSCHWENDEN, das auf die Primärmetapher ZEIT ist GELD zurückzuführen ist. Darüber hinaus treten Metaphern in ganz unterschiedlichen Typen in Erscheinung. Wie die Unterteilung von Grady (2005a und b) und Lakoff (2014) zeigte, sind die meisten metaphorischen Ausdrücke auf der sprachlichen Oberfläche komplex konstruiert (komplexe Metaphern). An einer komplexen Metapher können mehrere primäre Metaphern beteiligt sein, wie etwa bei dem Beispiel LEBEN ist eine REISE (s. Tabelle 5.1). Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit nach der kulturspezifischen Prägung hat sich gezeigt, dass Metaphern sprach- und kulturspezifische Kon‐ strukte sind, die sehr stark durch das kulturelle Wissen gesteuert und kon‐ struiert werden. Unter Berufung auf das allgemeine kognitive Prinzip der Konventionalisierung stellte sich heraus, dass die Konzeptualisierung von Abstrakta durch Metaphern sowohl Überschneidungen als auch Divergenzen zwischen verschiedenen Sprachen aufweist. Durch das Prinzip des experiencial focus (Kövecses 2015a) werden die kulturspezifischen Präferenzen für eine Quelldomäne festgelegt. Dieses Prinzip lässt sich durch sprachvergleichende Studien, die die metaphorischen Prägungen in unterschiedlichen Sprachen kontrastieren, bestätigen. Trotz der Aussagekraft der Metapherntheorie für die Konzeptualisierung von Abstrakta und den damit zusammenhängenden sprachspezifischen Ausdrücken lassen sich aufgrund der relativ unsystematischen Bestimmung von Abstrakta keine genauen Erkenntnisse ableiten, wie sich unterschiedliche Abstrakta‐ klassen im Hinblick auf ihre metaphorische Konzeptualisierung unterscheiden. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit neben der Metapherntheorie auch die framesemantische Strukturierung lexikalischer Konzepte als Unter‐ scheidungsbasis für verschiedene Abstraktaklassen herangezogen, um eventuell unterschiedliche methaphorische Ausprägungen dieser zu eruieren. 116 5 Konzeptuelle Metaphern und die Konzeptualisierung von Abstrakta <?page no="117"?> 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen Der bisher skizzierte Forschungsstand hat gezeigt, dass die Frage zur kultur‐ spezifischen semantischen Prägung von Abstrakta und Konkreta vorwiegend vor dem Hintergrund von theoretischen Annahmen beantwortet werden kann und dass es hier weiterer empirischer Fundierung bedarf. Die vor dem Hin‐ tergrund framesemantischer Annahmen durchgeführten Untersuchungen, die die semantischen Strukturen einzelner lexikalischer Konzepte behandeln, sind insofern nicht ausreichend für die Beantwortung dieser Frage, weil sie die semantische Prägung von lexikalischen Konzepten nur in einem bestimmten Diskurs einer Sprachgemeinschaft eruieren. Meistens handelt es sich hierbei um gesellschaftlich brisante Begriffe wie etwa KAPITALISMUS, TERRORISMUS, KRISE, MIGRATION (vgl. Ziem 2014a und b, Gruber 2018). Aufgrund des Fehlens von Kontrastsprachen und der thematischen Eingrenzung der untersuchten Textkorpora lassen sich aus diesen Untersuchungen keine allgemeinsprach‐ lichen konzept- und kulturspezifischen Besonderheiten ableiten. Außerdem werden hier die Konkretheit bzw. Abstraktheit der untersuchten Zielbegriffe nicht immer berücksichtigt. Der Frage nach konzeptuellen Unterschieden zwi‐ schen Sprachen mit Berücksichtigung vom Konkretheitseffekt wurde bisher, wie bereits erwähnt, nur in vereinzelten Studien mit Wortassoziationsexperimenten systematisch nachgegangen (vgl. Ait Ramdan 2013, Roche/ Roussy-Parent 2006). In diesem Kapitel werden die untersuchungsleitenden und methodischen Grundlagen für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten empi‐ rischen Untersuchung mittels Wortassoziationsexperimenten im Deutschen, Französischen und Arabischen erläutert. Zuerst werden die Fragestellungen, die sich aus dem bisher skizzierten Forschungsstand bezüglich der Kulturspezifik von Konkreta und Abstrakta ergeben, konkretisiert. Danach wird der Mehrwert von Wortassoziationsexperimenten als geeignetes methodisches Instrument zur Aufdeckung dieser konzeptbezogenen kulturellen Differenzen vorgestellt. Im Anschluss wird das im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Wortassoziations‐ experiment skizziert und die dazugehörigen Hypothesen formuliert, welche kulturspezifischen Unterschiede zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen Französisch und Arabisch zu erwarten sind. <?page no="118"?> 6.1 Forschungsfragen Der präsentierte Forschungsstand in der vorliegenden Arbeit (s. Kapitel 2-5) hatte zum Ziel, drei zentrale Aspekte bezüglich der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta zu beleuchten. Die erste Frage betrifft die Evidenz der Unterscheidung zwischen diesen beiden Konzeptarten (s. Kapitel 2). Diese dichotome Subklassifizierung des lexikalischen Inventars einer Sprache lässt sich durch die im zweiten Kapitel dargelegten psycholinguistischen Befunde zum Konkretheitseffekt bekräftigen, die empirisch messbare Unterschiede bei der Verarbeitung und dem Erwerb von Konkreta und Abstrakta feststellen (vgl. Borghi/ Binkofski 2014). Jedoch lässt sich hier bemerken, dass eine rein dichotome Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta einer feineren Granulierung bedarf. Konkreta und Abstrakta sollten entlang eines Konti‐ nuums geordnet und hinsichtlich der Art ihrer Abstraktheit bzw. Konkretheit unterschieden werden (Keil 1989, Borghi/ Binkofski 2014, Hill et al. 2014, Wiemer-Hastings et al. 2001, Setti/ Caramelli 2005: 2002). Aus den Divergenzen, die sich hinsichtlich der Verarbeitung und des Er‐ werbs von Konkreta und Abstrakta ergeben, resultiert die zweite Frage zur konzeptuellen Repräsentation dieser beiden Konzepte als unterschiedliche be‐ deutungstragende Einheiten. Hierzu zeigt sich mit Bezug auf die Grundlagen kognitiver Bedeutungskonstitution, die zeichentheoretischen Überlegungen, den gebrauchsbasierten Ansatz Langackers, die allgemeinen schematheoreti‐ schen Grundlagen und den zugrundeliegenden Assoziationsprinzipien (Kapitel 3), dass Konkreta und Abstrakta den gleichen kognitiven Mechanismen der Bedeutungskonstitution unterliegen, jedoch im Hinblick auf ihre tiefenseman‐ tische Repräsentation grundlegende strukturelle Unterschiede aufweisen. Dies betrifft vor allem die framesemantische konzeptspezifische Repräsentation (Ka‐ pitel 4) der beiden Konzeptarten und die Rolle von Metaphorisierungsprozessen (Kapitel 5) bei der Konzeptualisierung von Abstrakta. Durch den Einsatz von Frames und von konzeptuellen Metaphern als kognitive Modelle zur Erfassung der Konzeptualisierung lexikalischer Einheiten ist es möglich, eine kognitiv be‐ gründete systematische Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta vor‐ zunehmen. Beide Ansätze legen nahe, dass sich Konkreta und Abstrakta in der konzeptuellen Repräsentation unterscheiden (vgl. Lakoff/ Johnson 1980/ 2003, Fillmore/ Baker 2009, Ziem 2018, Konerding 1993, Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005). Ausgehend von dieser Erkenntnisbasis lässt sich eine grobe dichotome Unterteilung zwischen beiden Konzeptarten begründen, die gleichzeitig unter‐ schiedliche Arten von Konkretheit und Abstraktheit zulässt. 118 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="119"?> Als dritte Frage und zentraler Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit stand bei allen präsentierten Aspekten die Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten sowie deren kulturspezifische Prägung im Fokus. Hier hat sich of‐ fenbart, dass jede semantische Einheit unabhängig von deren Abstraktheit oder Konkretheit eine gewisse Kulturperspektivik aufweist (vgl. Roche 2013) (s. Kapitel 3). Diese drückt sich in prototypischen in einer Sprachgemeinschaft konventionalisierten Bedeutungsaspekten einer semantischen Einheit aus. Be‐ trachtet man die unterschiedlichen Manifestationen der Konventionalisierung von diesen prototypischen Bedeutungsaspekten sowohl im framesemantischen Ansatz als Standardwerte (s. Abschnittt 4.4) als auch in der konzeptuellen Me‐ tapherntheorie als konventionalisierte Metaphern (s. Abschnitt 5.4), so kommt man zu dem Schluss, dass die Art und Weise, wie sich die kulturspezifische Prägung des semantischen Wissens manifestiert, in diversen Erscheinungen realisiert wird. Sowohl die Framesemantik als auch die konzeptuelle Meta‐ pherntheorie heben diese Kulturspezifik stark hervor (Ziem 2008, Kövecses 2005, 2015a, Schröder 2012). Die Frage, inwieweit aber der Grad dieser Kultur‐ perspektivik eines lexikalischen Konzepts mit dem Grad seiner Konkretheit bzw. Abstraktheit zusammenhängt, wurde bisher von der Forschung nicht mit empirischen Befunden hinreichend berücksichtigt (vgl. Fraas 1998, 2000). Anknüpfend an diesen bisherigen Forschungsstand zur Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta versucht die vorliegende Untersuchung die Mani‐ festationen der Kulturspezifik von Bedeutungsaspekten bei Konkreta und Abs‐ trakta aus kognitiver Sicht empirisch zu quantifizieren. Die Forschungsfragen der Studie lassen sich wie folgt konkretisieren: a. Inwieweit unterscheiden sich Konkreta und Abstrakta im Hinblick auf ihre sprach- und kulturspezifische Konzeptualisierung? b. Wie drückt sich die kulturspezifische Prägung bei unterschiedlichen Klassen von Konkreta und Abstrakta aus und wie lässt sich das anhand von Wortassoziationen quantifizieren? c. Zeichnen sich bei Konkreta und Abstrakta je nach Art der Konkretheit bzw. Abstraktheit unterschiedliche Konventionalisierungsprozesse ab? 6.2 Wortassoziationsexperimente als Messverfahren zur Ermittlung semantischer Unterschiede In den bisherigen Untersuchungen zur lexikalischen Semantik werden, wie eingangs erwähnt, Konkreta und Abstrakta selten als unterschiedliche lexikali‐ sche Konzepte behandelt, um daraus einen kontrastiven Vergleich zum Grad 119 6.2 Wortassoziationsexperimente zur Ermittlung semantischer Unterschiede <?page no="120"?> 19 Wortassoziationsexperimente haben ihre Anfänge in der allgemeinen Psychologie und wurden in der Gedächtnis-, und der Persönlichkeitsforschung, in der therapeu‐ tischen Praxis und zum Vergleich von kulturellen Eigenschaften eingesetzt (vgl. Kent/ Rosanoff 1910, Wettler 1980, Russell 1970). der Kulturgeprägtheit beider Konzeptarten zu ziehen. Dieses Ziel lässt sich methodisch mithilfe von Wortassoziationsexperimenten erreichen (vgl. Roche 2013, D‘Andrade 1995, Roche/ Roussy-Parent 2006, Ait Ramdan 2013, Sharifian 2017). Dass Wortassoziationen von zentraler Bedeutung für die Abbildung von Konzeptualisierungsprozessen und für die Bedeutungskonstitution sind, lässt sich durch ihre konzeptuelle Übereinstimmung mit psycholinguistischen und semantischen Theorien erkennen (s. Kapitel 3). Der Ausgangspunkt ist, dass Wortassoziationen eine Abbildung framesemantischen und metaphorisch relevanten Wissens darstellen, das intersubjektiv in einer Sprachgemeinschaft zu einem lexikalischen Konzept evoziert wird. Wenn man davon ausgeht, dass jedes lexikalische Konzept kognitiv in Form eines Frames repräsentiert ist, dann wird deutlich, dass jede Strukturkonstituente in einem assoziativen Verhältnis zu diesem steht und insofern bedeutungstragend sowie auch verstehensrelevant ist. Die zu einem lexikalischen Konzept aktivierten Assoziationen sind hiernach evozierte semantische Einheiten (Werte bzw. Leerstellen), die die konkrete Bedeutung einer lexikalischen Einheit mitbestimmen (Busse 2015: 86). Um Standardwerte (s. Abschnitt 4.4) von Konkreta und Abstrakta und den Grad ihrer Prototypizität systematisch auswerten und analysieren zu können, sind Wortassoziationen deswegen sehr hilfreich. Abgesehen davon, dass Wortassoziationen in erster Linie deckungsgleich mit den diskutierten theoretischen Ansätzen wie die der Framesemantik sowie der psycholinguistischen Untersuchungen und der konzeptuellen Me‐ tapherntheorie sind, bilden sie eine relativ schnelle und unkomplizierte Methode zur Erfassung umfangreicher Sprachdaten und eignen sich besser als Textkorpora und diskursive Sprachdaten für quantitative Analysen. In einem Wortassoziationsexperiment 19 erhalten Versuchspersonen ein Reiz‐ wort (Stimulus), auf das sie mit freien oder kontrollierten Assoziationen reagieren. Bei kontrollierten Wortassoziationsexperimenten wird das Assozi‐ ationsverhalten der Probanden ähnlich dem Testformat Mutiple-Choice durch die Bestimmung der Art der Reaktion (zum Beispiel durch Wortarten oder se‐ mantische Kategorien) eingeschränkt. Im Gegensatz dazu werden Probanden in freien Wortassoziationen aufgefordert, ihre freien Assoziationen zu einem Stimulus zu nennen. Die Sprachdaten, die hier hervorgerufen werden, sind frei produziert und bestehen aus einzelnen lexikalischen Elementen oder Wortpaaren (cue, response). Lassen sich bei den Versuchspersonen Häufig‐ 120 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="121"?> keiten feststellen, so werden diese in Häufigkeitstabellen dargestellt und gelten dann als Assoziationsnormen. Kent und Rosanoff (1910) haben als erste Wortassoziationsexperimente durchgeführt und die entsprechenden Normen dafür entwickelt (vgl. Dorn 1998: 8, Kent/ Rosanoff 1910: 37 47 und 317 390). Sie erstellten eine Liste von 100 Wörtern und führten das Experiment mit 1000 gesunden Menschen und mit 247 psychisch erkrankten Patienten durch. Die ersten deutschsprachigen Assoziationsnormen mit der Kent-Rosanoff-Liste wurden in den 50er Jahren von Russell/ Meseck erhoben, die aber erst 1970 von Russell veröffentlicht wurden. Russell/ Meseck (1959) führten mit der Kent-Rosanoff-Wortliste das Experiment mit 331 deutschen Versuchspersonen durch. Sie benutzten die deutschen Ent‐ sprechungen der englischen Wortliste und verglichen die Primärantworten (Hochfrequente Assoziationen) ihrer deutschen Probanden mit den Assozia‐ tionen von amerikanischen und französischen Versuchspersonen, denen die‐ selben Begriffe vorgelegt wurden. Aus dem Vergleich der Assoziationsnormen der drei Versuchsgruppen ergab sich, dass die ablaufenden Assoziationsprozesse und die daran beteiligten semantischen Relationen nicht sprachspezifisch sind. Tisch weich Hand kommandieren langsam Fluss Spinne Teppich Erde Magen Brot Bibel blau Ofen bitter Butter Mond Straße Bürger Freude weiß König Schere Bett Arzt Hammer lang hungrig Gedächtnis Gerechtigkeit Stiel Sorge Mädchen dunkel schön Haus Stuhl kurz essen Nadel Musik Berg Obst süß Frau Fenster rot hoch Soldat Lampe Junge Schaf Priester Religion durstig laut schwer ruhig Käse Kohl Krankheit schwarz Schmetterling pfeifen Mann rau schlafen arbeiten hart Licht Bad Ozean Whisky Stadt Dieb Tabak grün Blüte Häuschen träumen Tief Bequemlichkeit glatt kalt wünschen Fuß Zorn sauer Adler gelb Gesundheit schnell Kopf Kind Quadrat Löwe Baby Hammelfleisch ängstlich Salz Tab. 6.1: Die 100 Stimuli der Kent-Rosanoff-Liste. Übersetzung von Russel/ Meseck (1959) Wie die Ergebnisse von Russell/ Meseck (1959) zeigen, sind Assoziationen meis‐ tens weder unvorhersehbar noch individuell bestimmt, sondern unterliegen verschiedenen Einflussfaktoren. Sie bilden verstehensrelevante Standardwerte, die in einer Gruppe meistens weit verbreitet und geläufig sind. Obwohl Asso‐ 121 6.2 Wortassoziationsexperimente zur Ermittlung semantischer Unterschiede <?page no="122"?> ziationen von Alter, Bildungsstand, Geschlecht, persönlichen Interessen und Er‐ fahrungen abhängig sein können (vgl. Hasselhorn/ Grube 1994, Lambert/ Moore 1966, Rosenzweig 1970), kann man durch die Übereinstimmung von Assozia‐ tionen verschiedener Sprecher bei einem Stimulus zum Schluss kommen, dass sie einer Kultur angehören. Mit der Häufigkeit, mit der Assoziate verschiedener Sprecher übereinstimmen, kann man auf die zunehmende Ähnlichkeit der Lebensformen dieser Sprecher schließen (B L U H M 1983: 107). […] the concept of associative strength seems misapplied to structures of meaning for individuals. Strength, or more precisely, frequency, has an important meaning when one considers populations of individuals and when one wishes to characterize the general meanings of words existing within that population. A meaning possessed by a single individual ought to have less influence in the description of the generalized meaning for the population than a meaning shared by a number of individuals. For a single individual, however, either a word is part of the associative meaning for another word or it is not. To be sure, meanings will fluctuate both systematically and quasi-randomly in time, but in the determination at any given time either a meaning is there or it is not (D E E S E 1965: 175). Rosenzweig (1957) führte als erster ein Wortassoziationsexperiment durch, um unter anderem einen statischen kulturellen Vergleich zwischen dem Französi‐ schen und dem Englischen zu ziehen. Er übersetzte die Kent-Rosanoff-Liste ins Französische und führte das Experiment mit französischen Versuchspersonen durch. Er verglich seine Ergebnisse mit den Ergebnissen der amerikanischen Versuchspersonen von Russell/ Jenkins (1954). Verglichen wurde dabei die Ver‐ teilung der Primärantworten von 288 Versuchspersonen auf die 100 Stimuli der Kent-Rosanoff-Liste in beiden Versuchsgruppen. Neben der Feststellung einer hohen Ähnlichkeit der Primärantworten der beiden Gruppen wurden auch kulturelle Unterschiede festgestellt. So wichen beispielsweise die Primär‐ antworten der beiden Gruppen auf Stimuli wie PAIN (Brot), VILLE (Stadt) und RUE (Straße) von einander ab. Rosenzweig deutete diese Abweichungen als kulturelle Einflüsse bzw. Differenzen, die aber in seinen Ergebnissen nicht ausschlaggebend waren (vgl. Rosenzweig 1957: 31). Für die vorliegende Arbeit ist auch die sprachvergleichende Studie von Lambert/ Moore (1966) relevant, weil sie kulturvergleichende Akzente setzt. Die beiden Autoren verglichen in einer explorativen Studie die freien Wort‐ assoziationen von Franzosen und Amerikanern, sowie von vier mono- und bilingualen anglo- und frankokanadischen Gruppen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Assoziationen der englischsprachigen Amerikaner eine hohe Einheit‐ 122 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="123"?> lichkeit aufwiesen, während die Reaktionen der Franzosen disparat und we‐ niger homogen waren (Lambert/ Moore 1966: 315). Auf der anderen Seite des Vergleichs ergab sich, dass die monolingualen Englischsprachigen sowie auch die englisch-bilingualen Kanadier semantisch den Amerikanern naheliegen. Im Gegensatz dazu zeigten die monolingualen Französischsprechenden sowie auch die französisch-bilingualen Frankokanadier semantisch eine hohe Ähnlichkeit zu den Assoziationen der Franzosen. Hier traten dennoch qualitative Abwei‐ chungen auf. In den bisher genannten Untersuchungen wurden keine eindeutigen Aus‐ sagen über Konkreta und Abstrakta getroffen. Es ist auch anzumerken, dass nur 9 % der Stimuli der Kent-Rosanoff-Liste als Abstrakta einzustufen sind. In einem weiteren Versuch verglichen Roche/ Roussy-Parent (2006) anhand freier Wortassoziationen in einer Studie zum ersten Mal die Reaktionen von 102 Frankokanadiern und Deutschen. Dabei wurde die Hypothese aufgestellt, dass abstrakte Begriffe noch stärker als Konkreta von kulturspezifischen mentalen Bildern geprägt sind. Da aber nur 9 % der Kent-Rosanoff-Liste als Abstrakta einzustufen sind und nicht viele Konkreta dieser Liste einen symbolischen Wert aufweisen, wurden für den Zweck dieser Studie nur 19 Begriffe aus der Liste ausgesucht und mit anderen Nomen und Adjektiven erweitert, die in der Alltagssprache in beiden Kulturen weit verbreitet sind. Die Ergebnisse sollten das Ausmaß kultureller Bedingtheit von abstrakten und konkreten Begriffen ermessen (Roche/ Roussy-Parent 2006: 232). Bei der Untersuchung konnte eine hohe Tendenz von Konkretisierungsversuchen bei Abstrakta festgestellt werden, die auf Prozesse der Metaphorisierung hindeuteten. Es wurden auch wie erwartet für die meisten Abstrakta größere semantische Differenzen zwischen dem Deutschen und dem kanadischen Französisch festgestellt als bei den konkreten Stimuli. So wurde beispielsweise die kulturspezifische Ausprägung bei dem Begriff FREIHEIT bzw. LIBERTÉ deutlich. Die deutschen Versuchspersonen assoziierten mit dem abstrakten Begriff FREIHEIT geogra‐ fische Bildspender wie BERGE, frankokanadische Teilnehmer ordneten dem Begriff LIBERTÉ jedoch bevorzugt FLEUVES (Flüsse) und STATUE (Statue) zu. Die kulturspezifischen Bedeutungsnuancen abstrakter Begriffe wie FREI‐ HEIT, BEQUEMLICHKEIT, GLüCK, FRIEDEN, INTEGRATION und MACHT zeigen auch die Studien von Ait Ramdan (2013, 2015). Durch einen Vergleich des Deutschen mit dem Französischen und dem Arabischen mittels eines Wortassoziationsexperiments wurden in dieser Untersuchung konzeptuelle Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zwischen den drei Sprachen aufge‐ zeigt. Das Experiment wurde mit 165 Muttersprachlern des Arabischen, 123 6.2 Wortassoziationsexperimente zur Ermittlung semantischer Unterschiede <?page no="124"?> Deutschen und Französischen durchgeführt. Die Probanden sollten ihre Erstreaktionen zu drei Stimuli-Kategorien (11 Konkreta und 10 Abstrakta und 9 konkrete und abstrakte Adjektive als Kontrollgruppe) angeben. Im Unter‐ schied zu den anderen Studien wurde in dieser Studie der Fokus besonders auf die Abstrakta gelegt. Um das Ausmaß der Kulturbedingtheit der Konkreta und Abstrakta ans Licht zu bringen, wurden die hervorgerufenen Assoziationen der drei Stimuli-Kategorien durch quantifizierende statistische Verfahren, die die Übereinstimmung in den assoziativen Netzwerken von Konkreta und Abstrakta zwischen den untersuchten Sprachen modellieren, miteinander verglichen. Hierbei wurde vor allem die Schnittmenge der identischen Wort‐ assoziationen analysiert. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass bei Konkreta und Abstrakta semantische Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den drei Sprachen vorliegen. Abstrakta zeigten hier jedoch geringere überein‐ stimmende Assoziationen als Konkreta, was auf eine kulturgeprägte Konzep‐ tualisierung hindeutet. Darüber hinaus illustrieren die Wortassoziationen zu Abstrakta wie INTEGRATION, dass die arabische Sprache konzeptuell der deutschen Sprache ferner ist als zum Beispiel die französische. Die Wortassoziationen der Versuchsteilnehmer weisen bei INTEGRATION be‐ trächtliche Divergenzen auf und zeigen, wie sehr die deutschen und die französischen Probanden dazu tendieren, das Abstraktum INTEGRATION im politischen Diskurs zu kontextualisieren. Dies zeigen beispielsweise die hochfrequenten Assoziationen wie EINWANDERUNG (IMIGRATION) und AUSLÄNDER (ÉTRANGERS), die im Arabischen keinerlei Nennung finden. Angedockt an diese Studien wird im Folgenden ein umfangreicheres Wort‐ assoziationsexperiment in diesen drei Sprachen durchgeführt, um weitere Evidenzen für die Annahme zur kulturspezifischen Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta zu erlangen. 6.3 Wortassoziationsexperiment: Ein kontrastiver Vergleich zwischen dem Deutschen, Französischen und Arabischen Im Folgenden wird das Wortassoziationsexperiment beschrieben, anhand dessen in der vorliegenden Untersuchung konkrete und abstrakte Stimuli in den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Arabisch im Hinblick auf ihre kulturspezifische Prägung untersucht und deren spezifische semantische Beson‐ derheiten miteinander verglichen werden. Für die Problemstellung dieser Arbeit spielt die Auswahl der Sprachen eine entscheidende Rolle. Die drei Sprachen entstammen drei unterschiedlichen Sprachfamilien und Linguakulturen, wobei 124 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="125"?> das Deutsche und das Französische durch die geographische und kulturelle Nähe auf den ersten Blick mehr Similaritäten untereinander aufweisen als mit dem Arabischen. Für die Fragestellung dieser Arbeit lässt sich durch die Gegenüberstellung des Deutschen mit dem Arabischen und dem Französischen ein gradueller konzeptueller Abstand zwischen den Sprachen ermitteln und illustrieren. 6.3.1 Stimuli Insgesamt werden in der vorliegenden Studie 24 Stimuli (12 Konkreta und 12 Abstrakta) untersucht. Die meisten Wortassoziationsexperimente oder ähnliche Studien, wie property generation tasks, orientieren sich bei der Auswahl der Stimuli an Vorläuferstudien (vgl. Roche/ Roussy-Parent 2006, Roversi et al. 2013, De Deyne/ Storms 2008). In der vorliegenden Untersuchung wird ein eigener Stimulibestand verwendet. Dies liegt daran, dass die bisherigen deutschspra‐ chigen Wortnormen der Vorläuferstudien veraltet sind und die Produktivität der Stimuli in der Alltagssprache nicht widerspiegeln (s. Abschnitt 6.2). Hinzu kommt, dass Konkretheit und Abstraktheit in den meisten Studien durch Einschätzungsverfahren ermittelt werden (s. Abschnitt 2.3, vgl. Altarriba et al. 1999, Borghi/ Binkofski 2014). In der vorliegenden Studie wurden mehrere Parameter zur Auswahl der Stimuli berücksichtigt. Hier wurde darauf geachtet, dass die Stimuli Alltagsbe‐ griffe sind, die in allen drei Sprachen eine ähnliche Frequenz aufweisen. Dies wurde anhand der Auftretenshäufigkeit der Stimuli in Wortfrequenzlisten der drei Sprachen aus den Korpora des Frequenzkorpus „Der deutsche Wortschatz“ kontrolliert. Dieses Korpus stellt Korpora verschiedener Sprachen im gleichen Format und auf Basis vergleichbarer Quellen zur Verfügung. Die Textkorpora, aus denen die Wortfrequenzlisten extrahiert werden, bestehen hauptsächlich aus Texten verschiedener Zeitungen, Zeitschriften und zu einem geringeren Teil auch aus Fachtexten oder speziellen Wortlisten. Für die französische und die arabische Sprache wird in diesem Projekt bei der Erstellung der Wortfrequenz‐ listen genauso wie für das Deutsche vorgegangen. 125 6.3 Wortassoziationsexperiment: Deutsch, Französisch und Arabisch <?page no="126"?> Konkreta Deutsch Französisch Arabisch Diskontinuativum: Artefakt Buch livre (Kitab) باتك Flagge drapeau (ʿalam) ملع Handy téléphone (portable) (Hatif) فتاه Diskontinuativum: Natürliche Art Kopf tête (ra ʾs) سأر Hand main (yad) دي Herz cœur (qalb) بلق Kontinuativum: Wasser eau (māʾ) ءام Gold or (ḏahab) بهذ Milch lait (ḥalib) بيلح Zucker sucre (sukkar) ركس Lebewesen: Tier Fuchs renard (ṯaʿlab) بلعث Schwein cochon (ḫanzir) ريزنخ Tab. 6.2: Konkrete Stimuli im Deutschen, Französischen und Arabischen Abstrakta Deutsch Französisch Arabisch Handlung/ Ereignis: Arbeit travail (ʿamal) لمع Urlaub vacances (ʿutla) ةلطع Party soirée (ḥafla) ةلفح Zustand: Solidarität solidarité (taḍamun) نماضت Gerechtigkeit justice (ʿadl) لدع Demokratie démocratie (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد Mut courage (šaǧāʿa) ةعاجش Sicherheit sécurité (ʾamn) نمأ Würde dignité (Karāma) ةمارك Soziale Gruppe: Familie famille (ʾusra) ةرسأ Zustand/ Emo‐ tionen: Angst peur (ḫawf) فوخ Liebe amour (ḥub) بح Tab. 6.3: Abstrakte Stimuli im Deutschen, Französischen und Arabischen 126 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="127"?> Da Konkreta und Abstrakta hinsichtlich ihrer Konkretheit und Abstraktheit Unterschiede aufweisen, wurden beim Erstellen der Stimuli die Matrixframeklassen von Konerding (s. Abschnitt 4.3) berücksichtigt. Wie in den Tabelle 6.2 und 6.3 klassifiziert, repräsentieren die Stimuli die unterschiedlichen Mat‐ rixframeklassen. Somit wird sichergestellt, dass die Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta nicht nur distinktiv ist, sondern auch unterschiedliche Arten von Konkretheit und Abstraktheit berücksichtigt werden. Die Stimuli wurden so genau wie möglich ins Arabische und ins Französische übersetzt. Als Übersetzung wurden die am häufigsten in den meisten fremd‐ sprachigen Wörterbüchern gegebenen Entsprechungen genommen. Um die De‐ ckungsgleichheit der Stimuli zu sichern, wurden in die Stimuliliste nur Stimuli aufgenommen, die eine lexikalische Entsprechung in den anderen Sprachen aufweisen. Begriffe wie etwa HEIMAT und GEMÜTLICHKEIT wurden aus der Liste entfernt, da sie sogenannte Lakunen (lexikalische Lücken s. Roche 2013: 25) darstellen, für die keine genauen Entsprechungen im Arabischen und im Fran‐ zösischen vorliegen. Aufgrund der Vagheit des Framesbzw. der Stimulus-Klasse [ZUSTAND] wurden affektiv-emotionale Stimuli wie ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوخ und LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بـــح gesondert gruppiert. Dies ist darauf zurückzu‐ führen, dass Emotionsbegriffe im Vergleich zu Konkreta und Abstrakta ein ab‐ weichendes Reaktionsverhalten bei Versuchspersonen auslösen (Altarriba/ Basnight-Brown 2011). Auch die Ereignisbegriffe wie URLAUB/ VACANCES/ (ʿutla) ةـلطع und PARTY/ SOIRÉE/ (ḥafla)ةـلفح werden in den meisten kognitiven Ansätzen eher unter dem Bereich Abstrakta subsummiert, vor allem in der Me‐ tapherntheorie (vgl. Lakoff 1987). Sie werden in der vorliegenden Untersuchung aufgrund ihrer ontologischen und konzeptuellen Komplexität auch als Abs‐ trakta behandelt. Um eine kulturspezifische Differenzierung zu ermöglichen, wurde neben den in den drei Sprachen als Alltagsbegriffe geltenden Stimuli wie BUCH/ LIVRE/ (Kitab) باتك, HANDY/ TÉLÉPHONE (portable)/ (Hatif) فتاه, MILCH/ LAIT/ (ḥalib) بـيلح, ZUCKER/ SUCRE/ (sukkar) ركـس, körperbezogene maximal universelle Be‐ griffe wie KOPF/ TÊTE/ (raʾs) سأر, HAND/ MAIN/ (yad) دـــي, HERZ/ CŒUR/ (qalb) بلق, WASSER/ EAU/ (māʾ) ءاـم, sowie Stimuli mit einem symbolischen Charakter wie FLAGGE/ DRAPEAU/ (ʿalam) مـلع, GOLD/ OR/ (ḏahab) بــهذ eingesetzt. Auß‐ erdem wurde die Palette konkreter Begriffe durch die Konkreta SCHWEIN/ COCHON/ (ḫanzir) رـيزنخ und FUCHS/ RENARD/ (ṯaʿlab) بــلعث erweitert, die auf den ersten Blick eine kulturelle Wertung aufweisen. 127 6.3 Wortassoziationsexperiment: Deutsch, Französisch und Arabisch <?page no="128"?> 6.3.2 Versuchspersonen An dem vorliegenden Wortassoziationexperiment haben insgesamt 706 Pro‐ banden (n = 294 Deutsche, n = 137 Marokkaner, n = 275 Franzosen) teilgenommen. Es ist zunächst festzuhalten, dass es bei Wortassoziationsex‐ perimenten keine gewissen Normen hinsichtlich der Festlegung des Versuchs‐ personenbedarfs gibt. Hager/ Hasselhorn (1994) führen dies auf das Fehlen von logischen, statistischen oder allgemein wissenschaftlichen Kriterien zurück. Die meisten Wortassoziationsexperimente orientieren sich an Versuchsteilnehmer‐ zahlen aus Vorläuferstudien. Die Anzahl der teilnehmenden Versuchspersonen divergiert zwischen zwei- und fünfstelligen Zahlen (vgl. Hager/ Hasselhorn 1994, De Deyne/ Storms 2008). Vergleichbar mit den meisten rezenten Wortasso‐ ziationsexperimenten sind 706 Versuchspersonen eine relativ große Stichprobe (vgl. Sharifian 2017, Roche/ Roussy-Parent 2006, Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005). Die Versuchspersonen wurden durch unterschiedliche Wege (in Universi‐ täten, in Sprachinstituten und im privaten Umfeld in Deutschland, Marokko und Frankreich) rekrutiert. Eine Beschreibung der Gesamtstichprobe ist der Tabelle 6.4 zu entnehmen. Die Versuchspersonen leben jeweils in Deutsch‐ land, Frankreich oder Marokko und sprechen die jeweiligen Sprachen als Erstsprache. Dieser Aspekt ist insofern relevant, als dass sich Assoziationen von L2-Sprechern als abweichend von denen der L1-Sprecher erwiesen haben. L2-Sprecher produzieren meistens Übersetzungen der Assoziationen, die sie als Äquivalent in ihren Erstsprachen mit einem bestimmten Stimulus assoziieren (vgl. Antón-Méndez/ Gollan 2010). Darüber hinaus sind die Versuchspersonen unterschiedlicher regionaler Herkunft, unterschiedlicher Bildungsvoraussetzungen und unterschiedlichen Geschlechts und Alters (vgl. Hasselhorn/ Grube 1994, Rosenzweig 1970). Da nach vorliegenden Ergebnissen der Unterschied beim Assoziationsverhalten zwischen Kindern und Erwachsenen am größten ist (vgl. Hasselhorn/ Grube 1994), wurde darauf geachtet, dass die Altersspanne der Versuchspersonen in den drei Sprachen nicht so weit auseinandergeht, wie die mittleren Werte des Alters der Versuchspersonen in den drei Probandengruppen in Tabelle 6.4 zeigen. Der Altersdurchschnitt beträgt im Deutschen 32, im Französischen 30 und im Arabischen 32 Jahre. 128 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="129"?> Deutsch Französisch Arabisch Alter Minimum 18 18 18 Mittelwert 32 30 32 Maximum 63 75 65 Geschlecht M 65 % 77 % 50 % W 35 % 23 % 50 % Tab. 6.4: Alter und Geschlechterverteilung in den drei Probandengruppen Mehr als 90 % der Probanden in den drei Sprachen wiesen eine abgeschlossene Schulbzw. Hochschulbildung auf. Da es das Ziel des vorliegenden Wortassoziationsexperiments ist, Aussagen über allgemeinsprachliche semantische Besonderheiten von Konkreta und Abstrakta zu erlangen, wurde bewusst hinsichtlich der Variablen Geschlecht und Bildungshintergrund eine heterogene Zusammenstellung der Versuchsgruppen vorgenommen. 6.3.3 Untersuchungsverlauf und Instruktion Die Versuchspersonen wurden persönlich per Mail über die Teilnahme an dem Wortassoziationsexperiment verständigt. Sie wurden darüber informiert, dass es sich bei dem Wortassoziationsexperiment um einen Kulturvergleich handelt. Allerdings wurde ihnen nicht mitgeteilt, welche anderen Sprachen untersucht werden. Alle Tests wurden als Online-Fragebogen mithilfe von www.soscisurv ey.de durchgeführt. Die Erhebungen in den drei Sprachen fanden anonym statt. Dem Assoziati‐ onsexperiment wurde ein Fragebogen vorgeschaltet, in dem die Informationen der Versuchspersonen über Geschlecht, Alter und Schulbildung erfasst wurden. Darüber hinaus wurden sprachbiographische Daten der Versuchspersonen erfasst, um sicher zu stellen, dass es sich um L1-Sprecher des Deutschen, Französischen oder Arabischen handelt. Dabei wurden weitere sprachliche Kompetenzen der Versuchspersonen erfasst, um einen möglichen Effekt der Zweitsprache auf die assoziativen Nennungen der Versuchspersonen zu kon‐ trollieren. Im Anschluss an den Fragebogen sollten die Versuchspersonen ihre erstassoziativen freien Reaktionen zu den 24 Stimuli angeben. Abbildung 6.1 zeigt die Aufgabenstellung für die Versuchspersonen. Hier wurde ein Multiple-Res‐ ponse-Verfahren verwendet, bei dem jede Versuchsperson mit drei Assozia‐ 129 6.3 Wortassoziationsexperiment: Deutsch, Französisch und Arabisch <?page no="130"?> tionen auf die vorgestellten Stimuli reagieren sollte. Die Verwendung eines Multiple-Response-Verfahrens ermöglicht es, schwache Assoziationen in die Normen aufzunehmen und weitere konzeptuelle Informationen zu erhalten. Abb. 6.1: Instruktion zum Wortassoziationstest (Deutsch) Um Ablenkungen und Reihenfolgeeffekte zu vermeiden, wurden bei der Dar‐ stellung folgende Stimuli getrennt voneinander dargestellt: ● Gegensatzpaare wie semantisch ähnliche Stimuli: ● (ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوخ und MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش ● Stimuli mit deskriptiven Merkmalen: ● FAMILIE/ FAMILLE/ (ʾusra) ةرـــــــسأ, SICHERHEIT/ SÉCURITÉ/ (ʾamn) نـــــمأ, HERZ/ CŒUR/ (qalb) بلق, LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بح ● Taxonomisch benachbarte Begriffe: ● KOPF/ TÊTE/ (raʾs) سأر, HAND/ MAIN/ (yad) دي und HERZ/ CŒUR/ (qalb) بلق ● Orthographisch ähnliche Stimuli: ● SICHERHEIT, GERECHTIGKEIT oder im Französischen DIGNITÉ, SOLI‐ DARITÉ und SÉCURITÉ 130 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="131"?> Um die Spontaneität der Reaktionen so wenig wie möglich zu beeinflussen, wurden darüber hinaus die Stimuli nicht in einer Reihe untereinander präsen‐ tiert, sondern nacheinander auf dem Bildschirm gezeigt. Die Versuchspersonen wurden gebeten, innerhalb einer Minute mindestens eine Assoziation zu einem Stimulus anzugeben. Erst wenn die Probanden in einer rechten Spalte gegenüber dem jeweiligen Stimulus die entsprechenden Assoziationen eintragen, erscheint der nächste Stimulus. 6.4 Hypothesen Vor dem Hintergrund der bisherigen methodischen Überlegungen und durch das beschriebene Untersuchungsdesign werden durch die Kontrastierung der Wortassoziationen zu den untersuchten konkreten und abstrakten Stimuli die semantischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Arabisch untersucht und durch eine Reihe von statistischen Methoden quantifiziert und qualitativ analysiert. In Bezug auf den in den Kapiteln 2-5 aufgeführten Forschungsstand zu Konkreta und Abstrakta lassen sich drei Hypothesen formulieren, die als Leitlinie des vorliegenden Experiments gelten: 1. Abstrakta und Konkreta weisen in Bezug auf ihre Konzeptualisierung kul‐ turspezifische Konventionalisierungsprozesse auf. Diese Prozesse kommen je nach Sprache anders zum Vorschein und sind bei Konkreta stärker ausgeprägt als bei Abstrakta. Gemäß den Prämissen zum Konkretheitseffekt und zur Konventionalisierung (s. Abschnitt 3.3) sowie zur Prototypizität (s. Abschnitt 4.4) kann angenommen werden, dass in allen Sprachen ein Konkretheitseffekt zu erwarten ist. Ein Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta bezüglich ihrer Konzeptualisie‐ rung soll somit in jeder Sprache ersichtlich sein, jedoch kann auch erwartet werden, dass sich dieser Effekt innerhalb jeder Sprache und von einer lexika‐ lischen Einheit zur anderen anders manifestiert. Diese Unterschiede sollten zeigen, inwieweit die Konzeptualisierungs- und Konventionalisierungsprozesse sprachbzw. kulturspezifisch sind. In Bezug auf die framesemantischen Ansätze (vgl. Konerding 1993, Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005), die offenlegen, dass Abstrakta komplexere Frames evozieren sowie stärker situationsbezogen sind, lässt sich vermuten, dass Abstrakta in den drei Sprachen disparate Assoziationen hervorrufen, die weniger homogene Bedeutungsaspekte aufweisen. 131 6.4 Hypothesen <?page no="132"?> Die Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta bezüglich des Konven‐ tionalisierungsgrads ihrer Bedeutungsaspekte in den drei Sprachen sollen sich durch die Wortassoziationen in diversen Quantifizierungsmaßen manifestieren. Es kann behauptet werden, dass Abstrakta wegen ihrer komplexen konzeptu‐ ellen Repräsentation und ihrer langsamen Verarbeitung eine niedrige Anzahl an Assoziationen (Produktivität) hervorrufen, die sich durch eine hohe Varianz und Dispersion (Dichte) sowie eine niedrige Prototypizität der assoziativen Netzwerke kennzeichnen. 2. Konkreta weisen im Vergleich zu Abstrakta höhere semantische Ähnlich‐ keiten zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen Fran‐ zösisch und Arabisch auf. Abstrakta zeigen hingegen eine kulturspezifische semantische Prägung. In Bezug auf den framesemantischen Ansatz von Konerding (1993) sowie auf die psycholinguistischen Untersuchungen, die von einem Kontinuum hin‐ sichtlich der Konzeptarten ausgehen (s. Abschnitt 4.3), lässt sich durch die Klassifizierung von lexikalischen Konzepten in unterschiedlichen Frameklassen (Matrixframes) erkennen, dass je nach Art des übergeordneten Matrixframes unterschiedliche Klassen von Konkretheit und Abstraktheit vorliegen. Von daher lässt sich vermuten, dass die kulturspezifschen Bedeutungsaspekte bei Konkreta und Abstrakta nicht nur von der Konkretheit und Abstraktheit eines lexikalischen Konzepts abhängen, sondern auch von deren Konzeptart (Matrixframe), beispielsweise bei Konkreta als natürliche Art/ Kontinuativum [WASSER], Diskontinuativum [KOPF] oder Artefakt/ Kontinuativum [BUCH] sowie Organismus [SCHWEIN] oder bei Abstrakta als Ereignis [URLAUB] oder soziale Gruppe [FAMILIE] und Zustand [SICHERHEIT]. Abstrakta sollen dabei mehr soziale situationsbezogene Aspekte einer Situation wie Akteure, Zeit- und Raumelemente und komplexe introspektiv assoziierte Konzepte, während Konkreta objekt-, raum- und verhaltensbezogene sowie physikalische Eigenschaften fokussieren (vgl. Barsalou/ Wiemer-Hastings 2005: 152). Durch die Kontrastierung der Wortassoziationsnormen der drei untersuchten Sprachen und die Quantifizierung des Grads der übereinstimmenden aktivierten Assoziationen kann der Grad der Kulturspezifik und des konzeptuellen Ab‐ stands zwischen den Sprachen gemessen werden und die Art der dahinterstehenden Leerstellen in den drei Sprachen eruiert werden. 132 6 Untersuchungsleitende und methodische Überlegungen <?page no="133"?> 3. An der Konzeptualisierung von Abstrakta sind metaphorische Prozesse beteiligt. Diese Metaphern sind sprach- und kulturspezifisch. Studien zur konzeptuellen Metapherntheorie haben gezeigt, dass die Konzeptua‐ lisierung von Abstrakta durch die Beteiligung von Metaphorisierungsprozessen gekennzeichnet ist (Lakoff/ Johnson 1980/ 2003, Kövecses 2005, 2018). In Wort‐ assoziationsnormen lassen sich auch metaphorische Reaktionen identifizieren (vgl. Roche/ Roussy Parent 2006, Ait Ramdan 2013, 2015). Bezüglich der Univer‐ salität und kulturellen Varianz von Metaphern hat sich beispielsweise durch die Untersuchungen von Kövecses (2005) und Schröder (2012) herausgestellt, dass neben universell geprägten metaphorischen Mustern eine große sprachspezi‐ fische kulturelle Varianz feststellbar ist. Hierbei werden mittels des Prinzips des experiential focus (Kövecses 2015a) die kulturspezifischen Präferenzen festgelegt. Durch die Universalität und kulturelle Varianz von Metaphern soll es sowohl Überschneidungen als auch Divergenzen zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen Französisch und Arabisch geben. Durch die starke Beteiligung von Metaphern bei der Konzeptualisierung von Abstrakta lässt sich vermuten, dass die durch die Wortassoziationen identifizierten Metaphern von einer hohen Kulturspezifik geprägt sind. 133 6.4 Hypothesen <?page no="135"?> 7 Ergebnisse und Diskussion In diesem Kapitel werden vor dem Hintergrund der aufgestellten Hypothesen zur Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta die Ergebnisse des Wort‐ assoziationsexperiments dargelegt. Diese werden quantitativ abgebildet, ana‐ lysiert und diskutiert. Die Ergebnisse basieren auf den schriftlich abgeschlos‐ senen Wortassoziationstests von 706 Probanden (jeweils n = 294 Deutsche, n = 275 Franzosen, n = 137 Marokkaner) zu den jeweils 12 abstrakten und 12 konkreten Stimuli. Bei der quantitativen Auswertung werden die semantischen Gemeinsamkeiten sowie die Divergenzen zwischen den drei untersuchten Sprachen Deutsch, Französisch und Arabisch im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta gemessen. 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Zunächst wird bei den intrasprachlichen Ergebnissen der Grad der Konventio‐ nalisierung bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta innerhalb der drei Sprachen durch verschiedene statistische Parameter quantifiziert und miteinander verglichen. Die Messverfahren werden auf der Basis von Type- und Tokenwerten analysiert. Die Typewerte zeigen an, wie viele Assoziationen für einen Stimulus genannt wurden, aber nicht wie oft. Tokenwerte hingegen beziehen sich auf die Gesamtzahl der für diese Types genannten Instanzen. Eine Assoziation, die beispielsweise von fünf Probanden genannt wurde, kann eine Typebewertung von "1", aber eine Tokenbewertung von "5" haben. Auf dieser Basis werden vier unterschiedliche Analyseverfahren durchgeführt, die Aufschluss über die sprachspezifische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta geben: 1. Produktivität des assoziativen Verhaltens der Versuchspersonen auf die konkreten und abstrakten Stimuli anhand der Anzahl der Tokens in den drei Sprachen 2. Lexikalische Varianz der hervorgerufenen Wortassoziationen zu Abstrakta und Konkreta anhand der Anzahl der Types in den drei Sprachen 3. Dispersion der generierten semantischen Netzwerke zu Konkreta und Abstrakta durch die Type-Token-Ratio (TTR) in den drei Sprachen <?page no="136"?> 4. Prototypizität der generierten semantischen Netzwerke zu Konkreta und Abstrakta durch das Diversitätsmaß Shannon Index in den drei Sprachen Im Anschluss daran weden die präsentierten Ergebnisse vor dem Hintergrund der aufgestellten Hypothesen diskutiert. 7.1.1 Ergebnisse 7.1.1.1 Produktivität des assoziativen Verhaltens Um Konzeptualisierungsunterschiede zwischen den untersuchten Sprachen hinsichtlich der Produktivität des assoziativen Verhaltens der Versuchspersonen zu quantifizieren und bezüglich Konkreta und Abstrakta zu ermitteln, werden die Wortassoziationen nach der Anzahl der hervorgerufenen Tokens ausge‐ wertet. Hier werden die absoluten Zahlen der Assoziationen (Tokens) in den drei Sprachen für die jeweiligen Stimuli sowie für die Untersuchungskategorien Abstrakta und Konkreta miteinander verglichen. Erste Beobachtungen, die Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Kon‐ kreta und Abstrakta erkennen lassen, lassen sich aus den absoluten Zahlen des gesamtassoziativen Verhaltens der Versuchspersonen in den drei Sprachen ab‐ leiten. Wie Tabelle 7.1 zeigt, wurden in allen drei Sprachen mehr Assoziationen für konkrete Stimuli als für abstrakte Stimuli genannt. Dieser Unterschied ist besonders im Deutschen stark ausgeprägt. Hier erreichen Konkreta insgesamt 9636 Assoziationen, während Abstrakta nur 9243 Assoziationen erlangen. Das Arabische zeigt trotz der im Vergleich zum Deutschen geringen Anzahl, 3465 Assoziationen für Konkreta und 3116 Assoziationen für Abstrakta, ungefähr denselben Unterschied. Am geringsten zeigt sich diese Differenz im Französi‐ schen, wie durch den Mittelwert in Tabelle 7.1 ersichtlich wird. Deutsch Französisch Arabisch Konkreta Anzahl der Token 9636 9097 3218 Mittelwert 2,73 2,75 1,95 Abstrakta Anzahl der Token 9247 9014 3116 Mittelwert 2,62 2,73 1,89 Tab. 7.1: Gesamtanzahl und Mittelwerte der produzierten Assoziationen zu konkreten und abstrakten Stimuli im Deutschen, Französischen und Arabischen 136 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="137"?> Die Feststellung, dass beim assoziativen Verhalten der Versuchspersonen für Konkreta mehr Assoziationen hervorgerufen werden, widerlegt jedoch die Rangfolge der Anzahl der Assoziationen zu den einzelnen Stimuli im Deutschen, wie Abbildung 7.1 zeigt. Nicht alle konkreten Stimuli erreichen eine höhere Anzahl an Assoziationen als Abstrakta. Bemerkenswert ist hier, dass die meisten Assoziationen im deutschen Test zu den abstrakt eingestuften Ereignis-Stimuli URLAUB (847) und PARTY (846) genannt werden. Die höchste Anzahl der Reaktionen bei Konkreta im Deutschen erreichen die Stimuli WASSER mit 840, MILCH mit 833 und SCHWEIN mit 826 Nennungen. Auch die abstrakten Stimuli FAMILIE und LIEBE situieren sich im Wertebereich der Konkreta. Be‐ merkenswert ist hier die Anzahl der Assoziationen auf das symbolisch geprägte Konkretum FLAGGE. Mit insgesamt 724 Reaktionen rückt es in den unteren Bereich zu den Abstrakta MUT (717) und WÜRDE (716), die die niedrigsten Zahlen an Assoziationen erreichen. Bis auf die genannten Auffälligkeiten zeigt die Verteilung insgesamt, dass die meisten als abstrakt eingestuften Stimuli, mit Ausnahme der Ereignis-Stimuli, im Vergleich zu den konkreten eine niedrigere Anzahl an Assoziationen hervorriefen. Abb. 7.1: Rangfolge der Anzahl der Assoziationen (Tokens) zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen Dass Konkreta im Allgemeinen eine höhere Anzahl an Assoziationen hervor‐ rufen, lässt sich auch im Französischen in einem ähnlichen Maß beobachten. Insgesamt erreichen Konkreta zwischen 775 (LIVRE / Buch) und 734 (TÉLÉ‐ PHONE PORTABLE / Handy) Tokens, während die Anzahl der Assoziationen für Abstrakta zwischen 772 (FAMILLE / Familie) und 729 (AMOUR / Liebe) 137 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="138"?> liegen. Obwohl hier im Vergleich zum Deutschen die Spitzenreiter aller Stimuli die Konkreta LIVRE (Buch) (775) und LAIT (Milch) (774) sind, kann festgestellt werden, dass die als abstrakt eingestuften Stimuli SOIRÉE (Party) (768) und VACANCES (Urlaub) (770) sowie der Stimulus FAMILLE (Familie) (772) wie im Deutschen relativ ähnliche Werte wie Konkreta erzielen. Im mittleren und unteren Wertebereich lässt sich im Vergleich zum Deutschen keine syste‐ matische Rangfolge identifizieren, die auf einen Konkretheitseffekt hinweist (s. Abbildung 7.2). Zwar erreichten die abstrakten Stimuli COURAGE (Mut) (733), DIGNITÉ (Würde) (732) sowie AMOUR (Liebe) (729) die geringste Anzahl an Tokens, jedoch zählen beispielsweise die Konkreta DRAPEAU (Flagge) (742) und TÉLÉPHONE PORTABLE (Handy) (734) auch zu den Stimuli mit der geringsten Anzahl an Tokens. Abb. 7.2: Rangfolge der Anzahl der Assoziationen (Token) zu Konkreta und Abstrakta im Französischen Am stärksten zeigt sich die unsystematische Verteilung der Anzahl der er‐ reichten Tokens zwischen Konkreta und Abstrakta im Arabischen. Zwar errei‐ chen acht von den insgesamt zwölf untersuchten abstrakten Stimuli die nied‐ rigste Anzahl an Assoziationen (s. Abbildung 7.3), jedoch lassen sich im oberen Bereich einige auffällige Werte feststellen. Insgesamt erlangen die meisten Kon‐ kreta die höchste Anzahl der Tokens, die meisten Nennungen gingen aber an den als abstrakt eingestuften Stimulus (ʾusra) ةرسأ (Familie) mit 322 Nennungen, danach folgt das Konkretum (ḏahab)بـــهذ (Gold) mit 289 Nennungen. Ähnlich wie die beiden anderen Sprachen Deutsch und Französisch ist auch eine hohe 138 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="139"?> Anzahl der Tokens bei den Ereignisbegriffen (ʿutla) ةـــــــلطع (Urlaub) (286) und (ḥafla)ةـلفح (Party) (274) bemerkbar. Es lässt sich aber im Arabischen zusätzlich feststellen, dass die abstrakten Stimuli (dīmuqraṭiya)ةيطارقميد (Demokratie) (270) und (ʿadl)لدـــع Gerechtigkeit (287) zu den Stimuli gehören, die im Vergleich zu den meisten Konkreta eine hohe Anzahl an Assoziationen erlangen. Abb. 7.3: Rangfolge der Anzahl der Assoziationen (Token) zu Konkreta und Abstrakta im Arabischen 7.1.1.2 Lexikalische Varianz Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta lassen sich auch anhand der Varianz der Mehrfachnennungen (Types) noch deutlicher erkennen. Insgesamt lässt sich im Vergleich zu den Tokens feststellen, dass hier die Anzahl der aktivierten Types bei konkreten Stimuli deutlich niedriger ausfallen als bei den abstrakten. In allen drei Sprachen wurden mehr Types für Abstrakta identifiziert (s. Tabelle 7.2). Dies zeigt, dass das assoziative Verhalten der Versuchspersonen in den drei Sprachen bei Konkreta deutlich homogener erfolgt als bei Abstrakta. Im Arabischen zeigt sich diese Differenz im Vergleich zum Deutschen und Französischen am geringsten, wenn man die Zahlen in Bezug zur Anzahl der Versuchspersonen in den drei Sprachen setzt. 139 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="140"?> Deutsch Französisch Arabisch Konkreta 1882 1584 673 Abstrakta 2735 2149 779 Tab. 7.2: Gesamtanzahl der Mehrfachnennungen (Types) auf konkrete und abstrakte Stimuli im Deutschen, Französischen und Arabischen Abb. 7.4: Rangfolge der Anzahl der Mehrfachnennungen (Types) zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen Dass Abstrakta eine höhere lexikalische Varianz in den hervorgerufenen Asso‐ ziationen aufweisen, zeigt die Anordnung der erreichten Werte im Deutschen am deutlichsten. Wie Abbildung 7.4 zeigt, beträgt die Anzahl der identifizierten Types bei Konkreta zwischen 199 (HANDY) und 118 (HERZ) und bei Abstrakta 275 (ARBEIT) und 169 (PARTY). Die höchsten acht Werte sind bei Abstrakta festgestellt worden und die niedrigsten 10 Werte entfallen auf Konkreta. Auf‐ fällig ist in der Anordnung der weiteren Stimuli, dass das Konkretum HANDY (199) eine höhere Varianz erreichte als weitere abstrakte Stimuli wie WÜRDE (184) sowie die ereignisbezogenen Stimuli PARTY (169), URLAUB (173) und FAMILIE (181). 140 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="141"?> Abb. 7.5: Rangfolge der Anzahl der Mehrfachnennungen (Types) zu Konkreta und Abstrakta im Französischen Auch im Französischen ist der Grad der Varianz der identifizierten Types bei den meisten Abstrakta höher als bei den Konkreta (s. Abbildung 7.5). Hier erstreckt sich die Anzahl der Types bei Abstrakta zwischen 231 (AMOUR / Liebe) und 125 (SOIRÉE / Party), während Konkreta Werte zwischen 165 (MAIN / Hand) und 99 (COCHON / Schwein) erreichen. Ähnlich wie im Deutschen sind die ersten sieben Stimuli aus der Kategorie Abstrakta, danach folgt das erste Kon‐ kretum MAIN (Hand) mit 165 Types noch vor dem Abstraktum DÉMOCRATIE (Demokratie) (158). Am auffälligsten sind, wie es auch im Deutschen der Fall ist, die Werte der ereignisbezogenen Stimuli SOIRÉE (Party) (125) und VACANCES (Urlaub) (141) sowie der Stimulus FAMILLE (Familie) (131). Auch hier erreichen sie im Vergleich zu den Abstrakta eine geringere Anzahl an Types und zeigen sich bezüglich der Variation der Mehrfachnennungen den Konkreta ähnlich. 141 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="142"?> Abb. 7.6: Rangfolge der Anzahl der Mehrfachnennungen (Types) zu Konkreta und Abstrakta im Arabischen Im Arabischen lässt sich eine heterogene Befundlage bezüglich der identifi‐ zierten Anzahl der Types feststellen. Zwar lassen sich die neun geringsten Werte konkreten Stimuli sowie dem Ereignisstimulus (ʿutla)ةلطع (Urlaub) zuordnen (s. Abbildung 7.6), im oberen und mittleren Wertebereich reihen sich aber die rest‐ lichen vier Konkreta (yad)دــي (Hand) (77), (ra ʾs)سأر (Kopf) (66), (hatif)فتاــــــــه (Handy) (65) und (ḏahab)بهذ (Gold) (64) ein. 7.1.1.3 Dispersion Die beiden letzten Kenngrößen der Tokens und Types leiten direkt über zu der Frage, inwieweit sich die Dispersion bzw. Dichte der hervorgerufenen assozia‐ tiven Netzwerke (Frames) zu Konkreta und Abstrakta bestimmen lässt. Nach Cramer (1968) kann die Messung der Dispersion von assoziativen Netzwerken mittels des distributiven Wertes der Type-Token-Ratio (TTR) erfolgen. Die Distribution α gibt das Verhältnis der Anzahl der genannten Wortassoziationen (Tokens) zu der Gesamtzahl der Mehrfachnennungen (Types) an. Der Wert 1 steht für eine maximale Dispersion. Je geringer dieser Wert ist, desto dichter sind die generierten assoziativen Netzwerke. Ausgehend von den vergangenen Werten zu der Anzahl der Types und Tokens wurde die Type-Token-Ratio für alle 24 Stimuli jeweils in den drei untersuchten Sprachen berechnet. In allen Sprachen zeigen sich bezüglich der Dispersion eindeutige Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta 142 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="143"?> (s. Abbildung 7.7). Die sich ergebenden mittleren Werte sowie die Standard‐ abweichung in den beiden untersuchten Kategorien sind in Tabelle 7.3 und Abbildung 7.7 pro Sprache aufgeführt. Wie aus diesen ersichtlich wird, zeigen alle drei Sprachen bezüglich der allgemeinen mittleren Werte und Mediane sowie der Standardabweichung dieselben Tendenzen. Alle drei Sprachen zeigen eine höhere Dispersion für Abstrakta als für Konkreta. Die Divergenzen in diesem Zusammenhang scheinen für das Arabische am geringsten und für das Deutsche am stärksten ausgeprägt zu sein. Obwohl diese Werte auf den ersten Blick die Unterschiede in der Dispersion deutlich aufzeigen, weisen Konkreta und Abstrakta eine sprachspezifische Verteilung und Anordnung der erreichten Dispersionswerte auf. Abb. 7.7: Verteilung der Dispersionswerte (TTR) zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französischen und Arabischen Deutsch Französisch Arabisch SD Mittelwert SD Mittelwert SD Mittelwert Konkreta 0,03 0,20 0,03 0,17 0,04 0,21 Abstrakta 0,06 0,30 0,05 0,24 0,05 0,25 Tab. 7.3: Kennwerte der TTR über Sprache und Konzeptart 143 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="144"?> Am systematischsten zeigt sich die Verteilung der Werte von Konkreta und Abstrakta im Deutschen (s. Abbildung 7.8). Insgesamt erreichen die abstrakten Stimuli mit einem Wertebereich zwischen 0,37 (MUT) und 0,2 (PARTY) höhere Dispersionswerte als Konkreta. Der Bereich der Konkreta erstreckt sich hin‐ gegen über einen niedrigeren Wertebereich von 0,26 (HANDY) bis 0,15 (HERZ) und zeigt eine höhere Dichte der Netzwerke der Konkreta auf. Ausnahmen bei der Verteilung der Werte bilden hier wie bei den oben genannten Ergebnissen nur die ereignisbezogenen Abstrakta URLAUB (0,20) und PARTY (0,2) sowie der Stimulus FAMILIE (0,23), die in den Dispersionsbereich der Konkreta fallen (s. Abbildung 7.8). Abb. 7.8: Rangfolge der Dispersionswerte zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen Obwohl die erreichten Dispersionswerte im Französischen etwas niedriger ausfallen als im Deutschen (s. Tabelle 7.3), zeigt sich auch hier ein markanter Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta. Auch hier fallen die einzelnen Dispersionswerte der Abstrakta im Vergleich zu denen der Konkreta höher aus. Auffällig ist hier die Reihenfolge der einzelnen Stimuli, die sich anders als im Deutschen gestaltet (s. Abbildung 7.9). Hier erreichte das emotionsbezogene Abstraktum AMOUR (Liebe) mit einer Dispersion von 0,31 den höchsten Wert und der ereignisbezogene Stimulus SOIRÉE (Party) (0,16) den geringsten Wert der Kategorie der Abstrakta. In der konkreten Kategorie liegt das erreichte Spektrum zwischen MAIN (Hand) (0,22) und COCHON (Schwein) (0,13). Ver‐ wunderlich ist hier, dass nicht nur die Ereignisbegriffe wie VACANCES (Urlaub) (0,18) und SOIRÉE (Party) (0,16) sowie der Stimulus FAMILLE (Familie) (0,17) in den Wertebereich der Konkreta fallen. Im mittleren Wertebereich überschneiden 144 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="145"?> sich die Werte der konkreten Stimuli MAIN (Hand) (0,22), TÊTE (Kopf) und TÉLÉPHONE PORTABLE (Handy) (0,20) aus der Kategorie der Konkreta mit den abstrakten Stimuli DÉMOCRATIE (Demokratie) (0,21) und JUSTICE (Gerechtig‐ keit) (0,20). Abb. 7.9: Rangfolge der Dispersionswerte zu Konkreta und Abstrakta im Französischen Im Gegensatz zum Deutschen und Französischen zeigt die Dispersion im Ara‐ bischen sowohl bei Konkreta als auch bei Abstrakta eine unsystematische An‐ ordnung. Hierbei lassen sich durch die Verteilung der Werte trotzdem Unter‐ schiede zwischen Konkreta und Abstrakta erkennen (s. Abbildung 7.10), jedoch ergibt sich aus den einzelnen Werten der Stimuli im Vergleich zum Deutschen und Französischen ein heterogenes Bild. Dies zeigt sich durch die Überlappung konkreter und abstrakter Stimuli im oberen Wertebereich, was nicht nur die zuvor in den anderen Sprachen auffälligen Ereignisbegriffe betrifft. Den höchsten Dispersionswert in der Kategorie Abstrakta erreicht hier der emoti‐ onsbezogene Stimulus (šaǧāʿa)ةعاجش (Mut) mit 0,34, während (ʿutla) ةلطع (Urlaub) mit 0,18 die geringste Dispersion aufweist. Bei den Konkreta erreicht (yad) دـــي (Hand) den Wert 0,29 und zeigt somit eine überdurchschnittlich niedrige Dispersion, während der Stimulus (ḥalib) بـــيلح (Milch) den niedrigsten Wert 0,16 erreicht. Besonders auffällig ist, dass neben (yad) دـي (Hand) (0,29) die Konkreta (hatif)فتاـــه (Handy) (0,28) und (raʾs) سأر (Kopf) (0,26) vergleichbare Dispersi‐ onswerte wie die abstrakten Stimuli erhalten und so eine ähnliche Dispersion wie diese aufweisen. Darüber hinaus zeigt sich die Dispersion des abstrakten 145 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="146"?> Stimulus (ʿadl)لدـع (Gerechtigkeit) (0,20) wie auch schon im Französischen den Konkreta ähnlich. Abb. 7.10: Rangfolge der Dispersionswerte zu Konkreta und Abstrakta im Arabischen 7.1.1.4 Prototypizität Um weitere Anhaltspunkte für die Unterschiede bei der Konzeptualisierung sowohl zwischen Konkreta und Abstrakta als auch zwischen den drei unter‐ suchten Sprachen zu ermitteln, wird ein weiteres statistisches Maß eingesetzt, das im Gegensatz zur Type-Token-Ratio den Grad der Prototypizität der asso‐ ziativen Netzwerke quantifiziert. Während die Type-Token-Ratio Auskunft über die Dispersion der generierten Netzwerke ausgehend von der Gesamtanzahl der Tokens und der Types gibt, ermittelt die Prototypizität ausgehend von der relativen Häufigkeit bzw. Dominanz der einzeln identifizierten Frequenzen der Assoziationen und deren Verteilung, wie prototypisch die assoziativen Netzwerke zu den Stimuli strukturiert sind. Die Berechnung der Prototypizität in dieser Untersuchung ist möglich, weil bei den generierten Listen der relativen Häufigkeiten der einzelnen Assozia‐ tionen eine äußerst unterschiedliche Dominanz bzw. Frequenz der einzeln identifizierten Types ersichtlich wird. Dieser Dominanz wird in der kognitiven Semantik bei der Bestimmung der Prototypizität Rechnung getragen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, noch auf den Begriff der cue validity (Reizvalidität) einzugehen, der aus der Prototypentheorie bekannt ist und die 146 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="147"?> kognitive Salienz von Frameelementen angibt (Schmid 2017, Ziem 2018). Die Reizvalidität zeigt an, wie häufig ein bestimmtes Merkmal einer Kategorie zugeordnet wird. Hiermit wird die Stärke der Beziehung zwischen dem Stimulus und der hervorgerufenen Assoziation ermittelt. Im vorliegenden Zusammen‐ hang sind Assoziationen mit hoher Reizvalidität also ausschlaggebend für die Konzeptualisierung eines Stimulus. Ein Beispiel aus dem deutschen Datensatz: Auf den Stimulus MILCH wurden die Reaktionen WEIß 162 Mal und KUH 193 Mal genannt. Für das lexikalische Konzept MILCH hat die Assoziation KUH eine höhere Reizvalidität als WEIß. Auf der Basis der Reizvaliditätswerte jeder Assoziation und deren Verteilung wird die Prototypizität bestimmt. Je höher die Reizvaliditätswerte in einem assoziativen Netzwerk sind, desto höher ist die Einigkeit der Probanden über bestimmte semantische Aspekte des untersuchten Stimulus und somit die Prototypizität eines lexikalischen Konzepts. Die Messung der Prototypizität erfolgt hier durch das statistische Maß Shannon-Index. Prototypizität drückt sich im Shannon-Index als Wert der Entropie aus. In allen Anwendungsbereichen gibt dieses Maß den Grad der 'Ungewissheit' an. Eine große Entropie bedeutet, dass beim Aktivieren eines Elements, in unserem Fall eines Stimulus, nicht sicher gesagt werden kann, welche Assoziation bzw. welches Frameelement aktiviert wird. Sind in einem semantischen Netzwerk beispielsweise nur wenige Types hochfrequent, so ist die Ungewissheit über die aktivierten Assoziationen näher an dem Wert 1 (s. Abbildung 7.11 und Tabelle 7.4). In diesem Fall bedeutet dies, dass das semantische Netzwerk eines Stimulus tendenziell eine niedrige Prototypizität aufweist und somit die Konzepte in einer Sprachgemeinschaft nicht stark prototypisch strukturiert sind. Im Gegensatz dazu wird mit einem niedrigen Wert (nah an 0) der Grad der Prototypizität höher, weil so die Ungewissheit über die aktivierten Assoziationen niedrig ist. Wie Abbildung 7.11 zeigt, zeichnet sich in allen drei Sprachen ein markanter Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta ab. Dies zeigen auch die in Tabelle 7.4 präsentierten durchschnittlichen Diversitätswerte, die in allen Spra‐ chen bei den Abstrakta weit über denen der Konkreta liegen. Bemerkenswert ist, dass obwohl im Vergleich zur TTR eine abweichende Verteilung der Stimuli zum Vorschein kommt, der Konkretheitseffekt erhalten bleibt. 147 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="148"?> Abb. 7.11: Verteilung der Prototypizitätswerte zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französischen und Arabischen Konkreta Abstrakta Mittelwert Median SD Mittelwert Median SD Deutsch 0,57 0,57 0,04 0,67 0,70 0,07 Französisch 0,56 0,56 0,05 0,62 0,62 0,06 Arabisch 0,51 0,56 0,06 0,61 0,62 0,05 Tab. 7.4: Deskriptive Verteilung der Prototypizitätswerte über Sprache und Konzeptart Die höchsten Prototypizitätswerte im Deutschen erreichen die Abstrakta SOLI‐ DARITÄT und ANGST (0,73). Bemerkenswert sind auch hier die Ereignisbegriffe URLAUB und PARTY sowie der Stimulus FAMILIE, die wie bei den bisherigen Berechnungen zur Produktivität, Varianz und TTR in den Wertebereich der Konkreta rücken (s. Abbildung 7.12) und somit eine ähnliche Prototypizität wie die Konkreta aufweisen. Ein weiterer auffälliger Wert, der bei der Reihenfolge der erreichten Werte der Abstrakta ersichtlich wird, ist beim Stimulus WÜRDE (0,61). 148 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="149"?> Abb. 7.12: Rangfolge der Prototypizitätswerte zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen Im Französischen zeigt sich ein ähnlicher Konkretheitseffekt wie im Deutschen (s. Abbildung 7.13). Insgesamt erlangten Abstrakta mit Werten zwischen 0,71 (AMOUR / Liebe) und 0,52 (SOIRÉE / Party) höhere Werte als Konkreta und sind somit insgesamt weniger prototypisch strukturiert. Der Wertebereich der Konkreta liegt zwischen 0,61 (MAIN / Hand) und 0,49 (LAIT / Milch). Wie im Deutschen fallen auch hier die als abstrakt eingestuften Ereignisbegriffe VACANCES (Urlaub) und SOIRÉE (Party) sowie der Stimulus FAMILLE (Familie) in den Wertebereich der Konkreta. Bemerkenswert im Französischen ist auch die niedrige Diversität des Abstraktums JUSTICE (Gerechtigkeit) (0,57), das einen ähnlichen Rang in der Reihenfolge wie bei der TTR erlangte. 149 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="150"?> Abb. 7.13: Rangfolge der Prototypizitätswerte zu Konkreta und Abstrakta im Französi‐ schen Am geringsten zeigt sich der Konkretheitseffekt bei der Prototypizität der ak‐ tivierten Assoziationen im Arabischen, obwohl die abstrakten Stimuli (ḫawf) فوخ (Angst) (0,70) und (šaǧāʿa)ةعاجش (Mut) (0,66) die höchsten Diversitätswerte erreichten und generell die Werte der abstrakten Stimuli im Durchschnitt höher als die der konkreten Stimuli sind. Die Konkreta (yad) دي (Hand) und (hatif)فتاه (Handy) zeigen wie im Französischen und Deutschen höhere Diversitätswerte als die restlichen Abstrakta. Außerdem lässt sich hier wie im Französischen und Deutschen feststellen, dass die Ereignisbegriffe (ʿutla) ةلطع (Urlaub), (ḥafla) ةلفح (Party) und der Stimulus (ʾusra) ةرسأ (Familie) im Vergleich zu den anderen abs‐ trakten Stimuli niedrige Prototypizitätswerte erlangt haben. 150 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="151"?> Abb. 7.14: Rangfolge der Prototypizitätswerte zu Konkreta und Abstrakta im Arabischen 7.1.2 Zusammenfassung Die intrasprachlichen quantitativen Ergebnisse zur Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta zeigen in Bezug auf alle statistischen Maße einen Kon‐ kretheitseffekt. Die Produktivität beim assoziativen Verhalten der drei Gruppen demonstriert, dass die Versuchspersonen in den drei untersuchten Sprachen im Durchschnitt mehr Assoziationen für Konkreta als für Abstrakta produzieren. Dies deutet darauf hin, dass der Zugang zu semantischen Netzwerken sowie der Zugriff auf Assoziationen bei Konkreta schneller erfolgt als bei Abstrakta und weist somit auf eine konzeptartspezifische Konzeptualisierung bzw. Strukturie‐ rung der semantischen Netzwerke der beiden Konzeptarten hin. Zwar kann be‐ züglich der Verteilung der erreichten Anzahl der genannten Tokens bei den einzelnen Stimuli eine ungleichmäßige Anordnung der Stärke der aktivierten Assoziationen in den drei Sprachen festgestellt werden (s. Tabelle 7.5), jedoch bleibt die Tendenz, dass Konkreta zu einer höheren Aktivierung von Wortasso‐ ziationen in den drei Sprachen führen, relativ stabil. Dieser Konkretheitseffekt trifft, wie die Ergebnisse zeigen, nicht auf alle abstrakten und konkreten Stimuli zu. So zeigen zum Beispiel die als abstrakt eingestuften Ereignisstimuli URLAUB und PARTY und der Stimulus der sozialen Gruppe FAMILIE trotz ihrer ontolo‐ gischen und konzeptuellen Komplexität in allen drei Gruppen eine hohe Akti‐ 151 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="152"?> vierung von Assoziationen im Vergleich zu den anderen Abstrakta, wie die ver‐ gleichende Tabelle 7.5 deutlich zeigt. Diese Stimulikategorien verhalten sich hierbei wie Konkreta. Hinzu kommen im Französischen und Arabischen auch Abstrakta wie JUSTICE / (ʿadl) لدع (Gerechtigkeit). Auch Konkreta wie FLAGGE im Deutschen und TÉLÉPHONE PORTABLE / (hatif) فتاـه (Handy) im Franzö‐ sischen und Arabischen weisen im Vergleich zu den anderen Konkreta mit ihrer verringerten Anzahl der Assoziationen einen großen Unterschied auf. Diese Stimuli zeigen jedoch keine systematische Abweichung, die auf die Konzeptart zurückzuführen wäre, weil sie nicht in allen Sprachen eine Abweichung auf‐ zeigen. Deutsch Französisch Arabisch Urlaub 847 livre 775 (ʾusra) ةرسأ 322 Party 846 lait 774 (ḏahab) بهذ 289 Wasser 840 eau 773 (ʿadl) لدع 287 Milch 832 famille 772 (ʿutla) ةلطع 286 Schwein 826 vacances 770 (ḥalib) بيلح 282 Familie 824 soirée 768 (qalb) بلق 280 Gold 822 cœur 767 (ṯaʿlab) بلعث 275 Buch 818 justice 766 (ḥafla) ةلفح 274 Zucker 813 or 763 (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد 270 Herz 810 tête 762 (ʿalam) ملع 270 Liebe 799 sucre 761 (kitab) باتك 269 Kopf 796 solidarité 758 (māʾ) ءام 268 Fuchs 795 cochon 757 (sukkar) ركس 268 Handy 788 peur 751 (yad) دي 264 Arbeit 783 démocratie 750 (ḫanzir) ريزنخ 263 Hand 772 main 745 (ra ʾs) سأر 258 Angst 759 renard 744 (ḥub) بح 252 Demokratie 756 travail 743 (taḍamun) نماضت 252 152 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="153"?> Deutsch Französisch Arabisch Solidarität 744 sécurité 742 (ḫawf) فوخ 245 Gerechtigkeit 730 drapeau 742 (karāma) ةمارك 244 Sicherheit 726 téléphone (portable) 734 (šaǧāʿa) ةعاجش 243 Flagge 724 courage 733 (hatif) فتاه 232 Mut 717 dignité 732 (ʿamal) لمع 226 Würde 716 amour 729 (ʾamn) نمأ 215 Tab. 7.5: Anzahl der Assoziationen zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französi‐ schen und Arabischen Obwohl die konkreten Stimuli eine größere Anzahl an Assoziationen (To‐ kens) erlangen, zeigt sich die Varianz dieser Assoziationen im Vergleich zu den Abstrakta viel geringer. Die assoziativen Netzwerke der Abstrakta kenn‐ zeichnen sich durch eine hohe lexikalische Varianz, die in dieser Untersuchung durch die hohe Anzahl der aktivierten Types (Mehrfachnennungen) festge‐ halten wurde (s. Tabelle 7.6). Noch ausgeprägter zeigen sich die erreichten Werte zur Dispersion (TTR) der assoziativen Netzwerke in den drei Sprachen (s. Tabelle 7.7). Besonders auf dieser Analyseebene zeichnet sich ein signifi‐ kanter Konkretheitseffekt ab. Die Antworten und somit die assoziativen Netz‐ werke der abstrakten Stimuli zeigen sich hier disparater als die der konkreten Stimuli. Obwohl auch hier diese Werte in den einzelnen Sprachen nicht identisch verteilt sind, bleibt der Konkretheitseffekt in allen drei untersuchten Sprachen erhalten. Trotz des eindeutigen Unterschieds zwischen Konkreta und Abstrakta auf den beiden Analyseebenen (lexikalische Varianz und Dispersion) erhielten auch hier die meisten Ereignisbegriffe wie URLAUB/ VACANCES und PARTY/ SOIRÉE im Deutschen und Französischen sowie der sozial geprägte Stimulus FAMILIE/ FAMILLE/ (ʾusra)ةرسأ eine im Vergleich zu den anderen Abstrakta ge‐ ringere lexikalische Varianz und eine niedrigere Dispersion. Dieses Ergebnis korreliert mit der Produktivität beim assoziativen Verhalten und deutet beson‐ ders im Deutschen und im Französischen auf eine ähnliche Konzeptualisierung hin. 153 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="154"?> Deutsch Französisch Arabisch Arbeit 275 drapeau 231 (ḏahab) بهذ 82 Kopf 266 travail 226 (ḫawf) فوخ 81 Gold 262 cœur 209 (taḍamun) نماضت 77 Angst 261 or 201 (ʾusra) ةرسأ 75 Herz 253 tête 201 (qalb) بلق 68 Party 245 eau 198 (yad) دي 67 Flagge 242 peur 178 (kitab) باتك 66 Familie 224 solidarité 165 (ʿutla) ةلطع 65 Urlaub 199 famille 158 (ʾamn) نمأ 64 Wasser 184 livre 154 (ʿalam) ملع 63 Gerechtigkeit 181 vacances 152 (ra ʾs) سأر 60 Solidarität 177 soirée 150 (ʿadl) لدع 59 Milch 173 démocratie 146 (māʾ) ءام 59 Demokratie 169 cochon 145 (ḥafla) ةلفح 58 Hand 169 lait 141 (ʿamal) لمع 56 Sicherheit 168 justice 131 (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد 56 Schwein 168 sucre 129 (karāma) ةمارك 53 Handy 164 amour 128 (ḫanzir) ريزنخ 52 Buch 162 main 125 (ḥalib) بيلح 51 Liebe 149 courage 120 (ḥub) بح 50 Zucker 139 dignité 120 (hatif) فتاه 50 Mut 136 sécurité 119 (šaǧāʿa) ةعاجش 47 Fuchs 133 renard 107 (sukkar) ركس 47 Würde 118 téléphone (portable) 99 (ṯaʿlab) بلعث 46 Tab. 7.6: Lexikalische Varianz der Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französischen und Arabischen 154 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="155"?> Deutsch Französisch Arabisch Gold 0,365 drapeau 0,317 (ḏahab) بهذ 0,337 Kopf 0,358 travail 0,304 (ḫawf) فوخ 0,331 Arbeit 0,351 cœur 0,282 (qalb) بلق 0,316 Herz 0,348 or 0,274 (taḍamun) نماضت 0,292 Angst 0,344 eau 0,27 (ʿutla) ةلطع 0,28 Party 0,336 tête 0,265 (ʾusra) ةرسأ 0,278 Flagge 0,303 peur 0,237 (kitab) باتك 0,256 Familie 0,296 solidarité 0,221 (ʿalam) ملع 0,25 Wasser 0,257 famille 0,211 (ʿamal) لمع 0,248 Urlaub 0,253 vacances 0,207 (yad) دي 0,245 Solidarität 0,229 livre 0,202 (māʾ) ءام 0,242 Gerechtigkeit 0,22 soirée 0,196 (ra ʾs) سأر 0,238 Demokratie 0,207 démocratie 0,188 (ʾamn) نمأ 0,221 Liebe 0,206 cochon 0,188 (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد 0,208 Sicherheit 0,204 lait 0,183 (ḥafla) ةلفح 0,202 Buch 0,204 amour 0,173 (ḫanzir) ريزنخ 0,194 Milch 0,204 justice 0,17 (hatif) فتاه 0,19 Hand 0,2 sucre 0,17 (karāma) ةمارك 0,189 Schwein 0,2 main 0,163 (ḥub) بح 0,185 Handy 0,199 courage 0,161 (ʿadl) لدع 0,183 Mut 0,171 sécurité 0,156 (ḥalib) بيلح 0,178 Zucker 0,171 dignité 0,156 (sukkar) ركس 0,175 Fuchs 0,16 renard 0,138 (šaǧāʿa) ةعاجش 0,171 Würde 0,146 téléphone (portable) 0,131 (ṯaʿlab) بلعث 0,163 Tab. 7.7: Dispersionswerte zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französischen und Arabischen 155 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="156"?> Bei der Messung der Prototypizität der aktivierten Assoziationsbestände durch das Diversitätsmaß des Shannon-Indexes wurde auch in Übereinstimmung mit den bisherigen Ergebnissen ein Konkretheitseffekt in den drei Sprachen ermit‐ telt. Hier lassen sich außer den bereits genannten Ereignisbegriffen nur wenige Ausnahmefälle identifizieren (s. Tabelle 7.8). Bemerkenswert bei der Prototypi‐ zität ist, dass bei diesem statistischen Maß trotz des eindeutigen Konkretheitseffekts eine von den Maßen der lexikalischen Varianz und der Dispersion ab‐ weichende Anordnung der Stimuli zum Vorschein kommt. Diese Diskrepanz zwischen diesen einzelnen Parametern betrifft alle konkreten und abstrakten Stimuli in unterschiedlichem Maße und kann in den drei Sprachen beispiels‐ weise durch die Ergebnisse der Stimuli MUT und SCHWEIN im Deutschen, EAU (Wasser) und SOLIDARITÉ (Solidarität) im Französischen sowie (šaǧāʿa) ةعاجش (Mut) und (ʿamal) لمع (Arbeit) im Arabischen illustriert werden (s. Tabelle 7.8). Diese letzten Stimuli weisen einen besonders großen Unterschied zwischen ihrer lexikalischen Varianz und Dispersion und ihrer Prototypizität in den je‐ weiligen Sprachen auf. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Grad der lexikalischen Varianz und der Dispersion der semantischen Netzwerke der Sti‐ muli und ihre Prototypizität hängen nicht voneinander ab. Mit anderen Worten: Wenn zum Beispiel ein Stimulus eine hohe Prototypizität aufweist, bedeutet das nicht, dass der Grad seiner Dispersion oder lexikalischen Varianz niedrig ist und umgekehrt. Deutsch Französisch Arabisch Solidarität 0,734 amour 0,706 (ḫawf) فوخ 0,704 Angst 0,727 travail 0,696 (šaǧāʿa) ةعاجش 0,658 Sicherheit 0,717 sécurité 0,695 (yad) دي 0,648 Arbeit 0,711 courage 0,641 (hatif) فتاه 0,648 Gerechtigkeit 0,706 solidarité 0,633 (ʾamn) نمأ 0,646 Mut 0,702 dignité 0,624 (ʿamal) لمع 0,636 Liebe 0,696 main 0,614 (karāma) ةمارك 0,63 Demokratie 0,677 démocratie 0,608 (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد 0,62 Handy 0,628 téléphone (portable) 0,608 (ḥub) بح 0,614 Hand 0,613 peur 0,607 (ḥafla) ةلفح 0,61 156 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="157"?> Deutsch Französisch Arabisch Flagge 0,612 eau 0,605 (taḍamun) نماضت 0,593 Würde 0,609 sucre 0,601 (ra ʾs) سأر 0,592 Schwein 0,6 livre 0,582 (ʿadl) لدع 0,584 Wasser 0,59 famille 0,571 (ḏahab) بهذ 0,581 Familie 0,589 justice 0,571 (ʾusra) ةرسأ 0,56 Gold 0,578 drapeau 0,566 (kitab) باتك 0,551 Urlaub 0,576 cœur 0,563 (qalb) بلق 0,548 Buch 0,57 renard 0,543 (ʿalam) ملع 0,543 Kopf 0,565 vacances 0,54 (ḥalib) بيلح 0,539 Party 0,549 soirée 0,521 (māʾ) ءام 0,511 Zucker 0,536 or 0,506 (ʿutla) ةلطع 0,501 Fuchs 0,522 tête 0,506 (ḫanzir) ريزنخ 0,494 Milch 0,507 cochon 0,498 (sukkar) ركس 0,478 Herz 0,504 lait 0,488 (ṯaʿlab) بلعث 0,44 Tab. 7.8: Prototypizitätswerte zu Konkreta und Abstrakta im Deutschen, Französischen und Arabischen 7.1.3 Diskussion Durch die dargestellten Ergebnisse zeigt sich deutlich, dass beide Konzept‐ arten, sowohl Konkreta als auch Abstrakta, im Hinblick auf ihre Konzeptua‐ lisierung in den drei Sprachen eine sprachspezifische semantische Prägung aufweisen, bei der die Konkretheit bzw. Abstraktheit des Stimulus eine Rolle spielen. Dies bedeutet, dass ähnliche Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta in den drei Sprachen herrschen, die auf einen Konkretheitseffekt hinweisen. Die Hypothese (1), dass Abstrakta und Konkreta in Bezug auf ihre intrasprachliche Konzeptualisierung sprachspezifische Konventionalisie‐ rungsprozesse aufweisen, bei denen sich ein Konkretheitseffekt abzeichnet, lässt sich hiermit in Bezug auf die meisten untersuchten Stimuli in den 157 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="158"?> 20 Die Ergebnisse zeigen eindeutige Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta, so dass auf einen Signifikanztest verzichtet werden konnte. Ein Signifikanztest zur Validierung dieser Ergebnisse wurde hier aufgrund der geringen Anzahl der untersuchten Stimuli nicht durchgeführt. Für die Aussagekraft eines solchen Tests müssten mehr Kategorien untersucht werden. drei Sprachen bestätigen. 20 Trotz der einzelnen Ausnahmen, die auf den vier Analyseebenen in den drei Sprachen keinen Konkretheitseffekt zeigen, lässt sich in der vorliegenden Studie ein klarer Zusammenhang zwischen der Konkretheit eines Begriffes und der Nennungshäufigkeit (Produktivität), der lexikalischen Varianz der hervorgerufenen Assoziationen sowie deren Dispersion und Prototypizität erkennen. Dieser Zusammenhang erweist sich in den drei Sprachen als ungleichmäßig ausgeprägt. Im Folgenden werden die erzielten Ergebnisse und die dahinterstehende Hypothese (1) zur sprachspe‐ zifschen Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten vor dem Hintergrund der einzelsprachlichen Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta sowie ihrer framesemantischen Konzeptualisierung diskutiert. 7.1.3.1 Wortassoziationen und die framesemantische Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Unter Berücksichtigung der im theoretischen Teil vor dem Hintergrund von fra‐ mesemantischen Definitionsansätzen behandelten Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten durch die Bildung von Standardwerten (s. Ziem 2008, 2018, Busse 2012, Fillmore 1982, Barsalou 1992b) lässt sich durch die erzielten intrasprachlichen Ergebnisse zur Produktivität, lexikalischen Varianz, Disper‐ sion und Prototypizität allgemein festhalten, dass die erhobenen Assoziati‐ onsnormen Konventionalisierungsprozesse bei den Frames der untersuchten Stimuli abbilden. Bezogen auf die Fragestellung und die Hypothese (1) lässt sich in diesen Ergebnissen neben sprachspezifischen Framestrukturen für Konkreta und Abstrakta die Konventionalisierung besonders durch die Variabilität der Assoziationen, der Dispersion und der Prototypizität illustrieren. Diese Maße spiegeln den Grad der Konventionalisierung in den Frames der untersuchten Stimuli wider, indem sie aus verschiedenen, semantisch relevanten Perspektiven das Ausmaß an Assoziationen und somit an Wissensaspekten abbilden, die bei Sprachbenutzerinnen und -benutzern der drei untersuchten Sprachgemein‐ schaften konventionalisiert sind. Dies reflektiert die epistemische Stabilität, die es ermöglicht, die Bedeutung einer lexikalischen Einheit zu erschließen (Ziem 2008, 2018). Die hohe Variabilität und Dispersion sowie die niedrige Prototypizität der Abstrakta zeigen, dass die Frames der abstrakten Stimuli tendenziell eine viel 158 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="159"?> niedrigere Konventionalisierung von semantischen Aspekten aufweisen. Im Gegensatz dazu kennzeichnen sich die Frames der konkreten Stimuli in den drei untersuchten Sprachen durch eine hohe Konventionalisierung semantischer Aspekte, die sich in der niedrigen Variabilität und Dispersion sowie in den hohen Prototypizitätswerten widerspiegelt. Abstrakta weisen demnach eine niedrigere Stabilität von Standardwerten als Konkreta auf. Obwohl bei der Auswahl sowie der Klassifizierung der Stimuli eine Granu‐ lierung vorgenommen wurde, indem die skizzierte Klassifizierung der Matrixframes von Konerding (1993) (s. Abschnitt 4.3) und somit unterschiedliche kon‐ krete und abstrakte Stimuliklassen berücksichtigt wurden, können die Ausnah‐ mefälle der intrasprachlichen Ergebnisse außer bei den Ereignis-Begriffen (s. Abschnitt 7.1.3.2) hierdurch nicht erklärt werden. Weder die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Matrixframes noch die in Kapitel 4 auf der Basis dieser Unterscheidung unternommene Subklassifizierung von konkreten und abstrakten Frametypen in Unterkategorien lassen hier einen Einfluss auf die Ergebnisse erkennen. Ähnlich wirkt sich auch die Modellierung von Kon‐ kreta und Abstrakta als Kontinuum (s. Abschnitt 2.3, vgl. Borghi/ Binkofski 2014, Keil 1989) nicht auf die festgestellten Unterschiede aus, denn es lässt sich kein gradueller Unterschied innerhalb der beiden Stimulikategorien Abstrakta und Konkreta feststellen. Aus den Ergebnissen lässt sich diese Beobachtung anhand der Diskrepanz der Werte der Stimuli aus ein- und derselben Unterkategorie (Matrixframe) demonstrieren. So zeigen beispielsweise Stimuli mit demselben Konkretheitsgrad, wie die maximal universalen Stimuli KOPF/ TÊTE/ (raʾs) سأر - HAND/ MAIN/ (yad) دي - und HERZ/ CŒUR/ (qalb) بلق, die demselben Matrixf‐ rame Diskontinuativum natürlicher Art untergeordnet sind, unterschiedliche Ausprägungen der aktivierten semantischen Netzwerke. Zudem lassen sich keine weiteren kategorienspezifischen Besonderheiten identifizieren, die auf eine modalitätsspezifische Kortexaktivierung zurückzuführen sind, wie die For‐ schungsergebnisse zum Neuroimaging bezüglich der Verarbeitung von lexika‐ lischen Konzepten belegen, die zum Beispiel taktile, olfaktorische, visuelle, au‐ ditive oder gustatorische Eigenschaften aufweisen (s. Abschnitt 2.2.1, vgl. Pulvermüller 2013, Goldberg et al. 2006, Simmons et al. 2005, Kiefer et al. 2008). Diese Beispiele legen nahe, dass primär der klassische Konkretheitseffekt wirkt, der auf einer groben dichotomen Unterscheidung zwischen Konkreta und Abstrakta anhand des allgemeinen Kriteriums der perzeptuellen Wahrnehmung basiert. Die Effekte der Frameunterkategorien (Matrixframes), aus denen die Stimuli stammen, können, wie die Darstellung der Ergebnisse zeigt, außer bei den Ereignisbegriffen keinen Konkretheitseffekt verzeichnen. Die weiteren vom allgemeinen Trend eines klassischen Konkretheitseffekts abweichenden 159 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="160"?> Stimuli können deshalb nicht auf eine Subkategorie von Konkreta und Abstrakta zurückgeführt werden. 7.1.3.2 Einzelsprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Dass beispielsweise das assoziative Verhalten der Versuchspersonen in den drei Sprachen bei den Konkreta produktiver ausfällt, stimmt generell mit der empirischen Befundlage zum Konkretheitseffekt überein, die von einem Vorteil beim Reaktionsverhalten von Versuchspersonen auf Konkreta ausgeht, weil sie schneller und effizienter verarbeitet werden sowie robustere Memorisierungs‐ leistungen als Abstrakta erzielen (s. Kapitel 2, vgl. Balota et al. 1991: 193-197, Borghi/ Binkofski 2014). Schon Lambert (1955) fand beispielsweise in einem Wortassoziationsexperiment zum Französischen und Deutschen heraus, dass in beiden Sprachen die Versuchspersonen mehr Assoziationen für Konkreta als für Abstrakta hervorbringen. Das produktivere assoziative Reaktionsverhalten auf Konkreta kann auch durch die kürzeren Reaktionszeiten, die sie im Vergleich zu Abstrakta erzielen, erklärt werden (Altarriba/ Basnight-Brown 2011, van Loon-Vervoorn 1989). Konkreta lösen schneller Reaktionen als Abstrakta aus, was zu einer erhöhten Anzahl an Assoziationen führt. Durch die Zeitangabe, die die Versuchspersonen pro Stimulus im vorliegenden Experiment einhalten mussten, hatten sie meistens mehr Assoziationen zu Konkreta als zu Abstrakta genannt. Auch in Hinsicht auf die lexikalische Varianz und Dispersion der aktivierten Netzwerke sowie deren Prototypizität und ihre sprachspezifische Verteilung stehen die vorliegenden Ergebnisse im Einklang mit der empirischen Befundlage zum Konkretheitseffekt. Unter Berufung auf die Ergebnisse der Assoziations‐ normen von Lambert/ Moore (1966) für die Begriffe aus der Kent-Rosanoff-Liste zeigen sich hier ähnliche Beobachtungen. Die beiden Psychologen stellten fest, dass US-Amerikaner im Vergleich zu Franzosen eine höhere Frequenz der Pri‐ märreaktionen aufweisen, während die Reaktionen der Franzosen disparat und weniger homogen sind und somit auf eine kulturspezifische Begriffserschlie‐ ßung hindeuten. Das Französische weist jedoch im Vergleich zum Deutschen in den Assoziationsnormen von Russel/ Meseck (1959) ähnliche Reaktionsfre‐ quenzen auf. Den Auftritt einer solchen höheren lexikalischen Varianz bei Abstrakta begründet De Groot (1989) damit, dass diese mehr Verbindungen zu weiteren Konzepten aufweisen. Dies erschwert die schnelle Aktivierung der Assoziationen. In einem Assoziationstest fragte er Versuchspersonen zu diversen abstrakten und konkreten Stimuli. De Groot (1989) fand heraus, dass Konkreta homogenere und größere Assoziationsbestände auslösen, während 160 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="161"?> Abstrakta weniger, aber heterogenere (disparate) Assoziationen aktivieren. Dieses Phänomen, das sich in der vorliegenden Studie auch bestätigen lässt, führen Crutch/ Warrington (2005: 623) auf die strukturell unterschiedlichen Re‐ präsentationsarten zurück: “abstract concepts are represented in an associative neural network whereas concrete concepts have a categorical organization”. Die beiden Autoren stellen in einer weiterführenden Studie heraus, dass abstract words have a relatively greater dependence than concrete words upon representations of semantic association and that concrete words have a relatively greater dependence than abstract words upon representations of similarity-based information (C R U T C H / W A R R I N G T O N 2010: 47). Dass Abstrakta sich durch eine höhere Varianz und Dispersion sowie eine nied‐ rige Prototypizität der assoziativen Netzwerke kennzeichnen, kann zusätzlich durch ihre hohe Kontextabhängigkeit erklärt werden. Zur Aufhellung dieses Ergebnisses kann die „Context-Availability“-Theorie von Schwanenflugel et al. (1988, 1992) herangezogen werden (s. Abschnitt 2.2.3). Laut dieser sind Abstrakta im Gegensatz zu Konkreta mit mehr Kontexten verbunden, die auch ihre Verarbeitung beeinflussen. Dies führt zu einer hohen Disparität und Idiosynkrasie der Assoziationen, die wiederum zu einer hohen Variabilität der semantischen Netzwerke führt (Granito 2012: 88). Um die abweichenden Ergebnisse der Ereignisbegriffe zu erklären, die sich in den drei Sprachen wie Konkreta verhalten, kann die hohe Produktivität der Versuchspersonen sowie die niedrige lexikalische Variabilität und Dispersion dieser Kategorie darauf zurückgeführt werden, dass diese trotz ihrer konzeptu‐ ellen Komplexität konkreter gefasst werden als die anderen abstrakten Stimuli, die beispielsweise auf Zustände und Emotionen verweisen. Die Diskussion um die Besonderheit dieser Ereignisbegriffe kann nur auf der theoretischen Ebene begründet werden. Schmid (2000) betrachtet beispielsweise Ereignisbegriffe als Sonderkategorie neben Konkreta und Abstrakta und argumentiert in Anleh‐ nung an Lyons (1977), dass Ereignisbegriffe eher wie Konkreta konzeptualisiert werden: „which are located in time and which […] are said to occur or take place, rather than to exist” (Lyons 1977: 443). Für die abweichenden Ergebnisse, die der sozial geprägte Stimulus FAMILIE aufweist, lassen sich keine Parallelen zu weiteren Studien identifizieren, jedoch kann argumentiert werden, dass FAMILIE aus demselben Grund, den Schmid ausführt, diese Abweichung von den anderen abstrakten Stimuli aufweist. Als Grund für diese Abweichung kann zusätzlich in Anbetracht der im Abschnitt 2.4 erarbeiteten Parametern zur Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta festgestellt werden, dass Begriffe, die eine konkrete ontologische Beschaffenheit aufweisen und nur konzeptuell 161 7.1 Intrasprachliche Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="162"?> komplex sind, wie etwa die Ereignisbegriffe PARTY oder der sozial geprägte Stimulus FAMILIE, zu einem Konkretheitseffekt tendieren. Da der Stimulus FAMILIE aber in der vorliegenden Analyse der einzige Vertreter der Kategorie soziale Gruppe ist, können die Ergebnisse nicht als repräsentativ angesehen werden. Dass in der vorliegenden Untersuchung auf allen Analyseebenen weitere vereinzelte Stimuli außer den Ereignisbegriffen keinen Konkretheitseffekt zeigen, hängt in erster Linie damit zusammen, dass beim Studiendesign auf die Kontrolle bzw. die Einbeziehung weiterer Parameter wie der emotionalen Valenz sowie der kontextuellen Valenz verzichtet wurde, die unter Umständen diesen Konkretheitseffekt vermindern könnten (Kousta/ Vinson/ Vigliocco 2009). Als entscheidend erklären die Autoren vor allem die emotionale Valenz der Stimuli. Diese kann sogar zu einem gegenteiligen Effekt führen, was Kousta et al. (2011) anhand einer Regressionsanalyse zu den Reaktionszeiten auf 480 Stimuli herausfanden, die mehrere Variablen berücksichtigt. Abstrakte Begriffe wurden schneller verarbeitet als konkrete, wenn sie emotional stark positiv oder ne‐ gativ beladen sind. Dieser Effekt konnte anhand des Grades der Produktivität der Versuchspersonen in der vorliegenden Studie nicht gezeigt werden, aber möglicherweise könnte dies ein Faktor sein, der zu einer abweichenden Nennungshäufigkeit mancher Ausnahmefälle in den drei Sprachen geführt hat. Wie sich Konkreta und Abstrakta in Bezug auf die Übereinstimmung und Divergenz der Assoziationen zwischen den Sprachen verhalten und welche semantischen Unterschiede sich daraus ergeben, wird im Folgenden durch die intersprachlichen Ergebnisse ersichtlich. 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Im nächsten Schritt werden der Grad der Überlappung der Assoziationen zwischen dem Deutschen und den beiden Vergleichssprachen Französisch und Arabisch anhand unterschiedlicher statistischer Methoden ermittelt, um den Grad der semantischen Übereinstimmung bzw. Differenz zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen festzustellen. Dies erfolgt durch: 162 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="163"?> 1. die Bestimmung des Überschneidungsumfangs der generierten semanti‐ schen Netzwerke zu den einzelnen Stimuli 2. die Bestimmung des Auslastungsgrades der gemeinsamen Assoziationen bezüglich Konkreta und Abstrakta auf den Vergleichsebenen Deutsch - Französisch und Deutsch - Arabisch 3. die Bestimmung der qualitativen Eigenschaften der gemeinsam aktivierten Assoziationen zwischen den Sprachen Ferner folgen im Hinblick auf die Fragestellung und die aufgestellte Hypothese (2) zur kulturellen Prägung von Abstrakta und Konkreta eine Zusammenfassung und eine Diskussion der zentralen Ergebnisse. Dabei wird auch eine Einordnung in bestehende Forschungsresultate erfolgen, um die festgestellten Unterschiede zu überprüfen. 7.2.1 Ergebnisse 7.2.1.1 Semantische Übereinstimmung und Divergenz Um die konzeptuellen Unterschiede zwischen dem Deutschen und den Kon‐ trastsprachen Französisch und Arabisch zu quantifizieren, wird analog zu den Studien von Dorn (1998) und Roche/ Roussy-Parent (2006) anhand der Assozia‐ tionen der Grad der semantischen Übereinstimmung bzw. der Divergenzen ermittelt. Nach diesem Verfahren wird anhand der prozentual ermittelten Reizvalidität (engl. cue validity, s. Abschnitt 7.1.1.4) der übereinstimmenden Reaktionen der Versuchspersonen in zwei Sprachen für jeden Stimulus ein Übereinstimmungswert berechnet. Hierbei stellt der geringste Anteil einer Reaktion, die in zwei zu vergleichenden Sprachen vorkommt, eine Schnitt‐ menge dar. Das heißt, wenn zum Beispiel auf den Stimulus MUT 20 % der deutschen Versuchspersonen mit STARK, und 16 % der französischen Versuchs‐ personen mit FORT reagieren, dann beträgt die prozentuale Schnittmenge dieser Reaktion 16 % (0,16). Nach dieser Berechnungsmethode werden alle prozentualen Schnittmengen der gleichen Reaktionen auf einen Stimulus ermit‐ telt und zu einem gesamten Übereinstimmungswert addiert. Abbildung 7.15 in Form eines Venn-Diagramms veranschaulicht die Berechnung der Übereins‐ timmungswerte. Ein Überschneidungswert nimmt den Wert zwischen 0 (bei einer niedrigen Übereinstimmung der Assoziationen) und 1 (bei maximaler Übereinstimmung der Assoziationen) an. Je höher dieser Wert ist, desto größer sind die gemeinsamen Assoziationen zwischen den Sprachen. 163 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="164"?> Für diese Berechnung werden auch die unterschiedlichen Erscheinungen eines Begriffes (verschiedene Flexionen, verschiedene grammatische Katego‐ rien sowie Synonyme) als eine Reaktion gewertet. Reagieren zum Beispiel die deutschen Versuchspersonen mit MÄNNLICH, MÄNNLICHKEIT auf den Stimulus MUT, so werden diese Erscheinungen als ein Eintrag gerechnet. Hohe Übereinstimmung Niedrige Übereinstimmung Abb. 7.15: Veranschaulichung der Überschneidungswerte in Form eines Venn-Dia‐ gramms für den Stimulus MUT Tabelle 7.9 und Abbildung 7.16 zeigen die mittleren Werte sowie die Streuung der berechneten Überschneidungswerte der konkreten und abstrakten Stimuli im binären Vergleich: Deutsch/ Französisch und Deutsch/ Arabisch. Diese Kenn‐ werte zeigen deutlich, dass auf beiden Vergleichsebenen eine eindeutig größere Übereinstimmung der Assoziationen der Versuchspersonen bei Konkreta als bei Abstrakta herrscht. Eine hochgradig ausgeprägte Übereinstimmung der Reaktionen der untersuchten Gruppen zeigt sich in dieser Untersuchung vor allem beim Vergleich der Assoziationen zwischen dem Deutschen und dem Französischen. Eine ähnliche Tendenz mit geringer Ausprägung zeigen die Werte im arabisch-deutschen Vergleich. Die Streuung (Standardabweichung) der Überschneidungswerte zeigt sich jedoch vor allem im deutsch-arabischen Vergleich bei Konkreta ziemlich hoch (SD 0,10). Im Gegensatz dazu zeigen alle weiteren Vergleichsebenen eine konzentrierte Streuung der Überschneidungs‐ werte (s. Tabelle 7.9). Am engsten liegen die Überschneidungswerte konkreter Stimuli im deutsch-französischen Vergleich (SD 0,06). 164 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="165"?> Abb. 7.16: Mittlere Übereinstimmungswerte der Konkreta und Abstrakta im Vergleich Deutsch/ Französisch und Deutsch/ Arabisch Deutsch/ Französisch Deutsch/ Arabisch Abstrakta Konkreta Abstrakta Konkreta Gesamtmittelwert 0,46 0,54 0,31 0,39 Median 0,45 0,54 0,31 0,39 SD 0,07 0,06 0,07 0,10 Tab. 7.9: Mittlere Übereinstimmungskoeffizienten der Konkreta und Abstrakta Deutsch/ Französisch und Deutsch/ Arabisch Im deutsch-französischen Vergleich (s. Abbildung 7.17) erreichen die Konkreta MILCH/ LAIT (0,68) und HERZ/ CŒUR (0,67) die höchste Übereinstimmung der Assoziationen. Hierauf folgen der Ereignisstimulus URLAUB/ VACANCES (0,58) und der sozial geprägte Stimulus FAMILIE/ FAMILLE (0,57). Außer diesen beiden Ausnahmen, die bereits bei den intrasprachlichen Analysen auffällig erschienen (s. Abschnitt 7.1.1.1), ging die Mehrheit der höchsten Übereinstimmungswerte 165 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="166"?> an konkrete Stimuli (s. Abbildung 7.17). Die niedrigste Übereinstimmung bei den konkreten Stimuli erlangte das symbolisch geprägte Konkretum FLAGGE/ DRAPEAU (0,44). Weitere niedrige Übereinstimmungen erreichten auch die Konkreta SCHWEIN/ COCHON (0,48) und ZUCKER/ SUCRE (0,46). Diese stellen jedoch keinen auffälligen Unterschied bei der Übereinstimmung dar, weil sie immer noch eine höhere Übereinstimmung zeigen als die meisten abs‐ trakten Stimuli. Bemerkenswert bei den Abstrakta ist darüber hinaus die hohe Übereinstimmung der Assoziationen beim abstrakten emotionsbezogenen Sti‐ mulus LIEBE/ AMOUR (0,49), der direkt hinter dem Ereignis-Stimulus PARTY/ SOIRÉE erscheint und auch im Vergleich zu den weiteren Abstrakta eine relativ hohe Übereinstimmung erlangte. Im Gegensatz dazu befinden sich die meisten abstrakten Stimuli unterhalb des mittleren Übereinstimmungswerts mit Werten zwischen 0,45 für DEMOKRATIE/ DÉMOCRATIE und 0,35 für SOLIDARITÄT/ SOLIDARITÉ. 166 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="167"?> Abb. 7.17: Rangfolge der Überschneidungswerte zu Konkreta und Abstrakta im deutsch-französischen Vergleich 167 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="168"?> Obwohl die Übereinstimmungswerte zwischen dem Deutschen und dem Ara‐ bischen deutlich niedriger ausfallen als im deutsch-französischen Vergleich, lässt sich auch hier ein eindeutiger Konkretheitseffekt feststellen. Dieser tritt durch die stärkere Standardabweichung der konkreten Stimuli schwächer in Erscheinung als im deutsch-französischen Vergleich (s. Tabelle 7.9 und Abbil‐ dung 7.16). Das heißt, dass die Übereinstimmungswerte der konkreten Stimuli eine breitere Streuung aufweisen. Die höchsten Werte der Übereinstimmung der konkreten Stimuli erreichen HERZ/ (qalb) بلق ) 0,56 ( , KOPF/ (raʾs) سأر ) 0,52 ( und MILCH/ (ḥalib) بــــيلح ) 0,50 ( . Im Gegensatz dazu erzielen die Konkreta FUCHS/ (ṯaʿlab) بلعث ) 0,29 ( , und SCHWEIN/ (ḫanzir) رــيزنخ ) 0,24 ( sowie FLAGGE/ (ʿalam) ملع ) 0,23 ( sehr niedrige Übereinstimmungswerte und erreichten somit eine ähn‐ liche semantische Divergenz wie die der meisten als abstrakt eingestuften Sti‐ muli (s. Abbildung 7.18). Auffällig im deutsch-arabischen Vergleich ist darüber hinaus die niedrige Übereinstimmung der Ereignisbegriffe URLAUB/ (ʿutla) ةلطع ) 0,326 ( und PARTY/ (ḥafla) ةــــلفح ) 0,28 ( , die bisher relativ gleichwertige Werte wie die Konkreta er‐ langten. Hier fallen sie in den unteren Bereich der Abstrakta (s. Abbildung 7.18). Im Gegensatz dazu zeigt sich die Übereinstimmung der Assoziationen der ara‐ bischen und deutschen Gruppe beim Stimulus FAMILIE/ (ʾusra)ةرسأ ähnlich wie im deutsch-französischen Vergleich und reiht sich mit einem Wert von 0,43 bei den konkreten Stimuli mit der höchsten Übereinstimmung ein. Die niedrigsten Übereinstimmungswerte erzielten die Abstrakta SOLIDARITÄT/ (taḍamun) نماضت ) 0,21 ( und SICHERHEIT/ (ʾamn) نمأ ) 0,20 ( . 168 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="169"?> Abb. 7.18: Rangfolge der Überschneidungswerte zu Konkreta und Abstrakta im deutsch-arabischen Vergleich 169 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="170"?> 7.2.1.2 Auslastungsgrad der gemeinsamen Assoziationen Um den Grad der Übereinstimmung im letzten Abschnitt im Hinblick auf den Auslastungsgrad der übereinstimmenden Assoziationsbestände im Verhältnis zu allen genannten Assoziationen pro Stimulus in jeder Sprache zu erfassen, wurden in einem weiteren Schritt die übereinstimmenden Assoziationen auf beiden Sprachvergleichsebenen Deutsch-Französisch und Deutsch-Arabisch näher untersucht. Bei dieser Auswertungsmethode werden die in zwei Sprachen identifizierten Types bzw. Tokens berücksichtigt. Diese Auswertung zielt darauf ab, die Stärke der gemeinsamen Assoziationen im Verhältnis zu den insgesamt erfassten Assoziationen in den drei Gruppen zu bestimmen. Für jeden Sprachvergleich werden zwei Werte errechnet, um die Stärke der Nutzung der in zwei Sprachen identifizierten gemeinsamen Assoziationen zu messen. Dies erfolgt durch das Dividieren der Anzahl der gemeinsamen Types bzw. Tokens in einer Sprache durch die Anzahl aller genannten Types bzw. Tokens pro Stimulus. Wenn beispielsweise im Deutschen für den Stimulus MUT insgesamt 262 Types vorliegen, von denen 73 davon eine Entsprechung im Französischen haben, dann beträgt der Auslastungsgrad im Deutschen 0,28. Dadurch, dass die Anzahl aller identifizierten Types für MUT und COURAGE in den beiden Sprachen unterschiedlich ausfällt, beträgt der Auslastungswert im Französischen 0,37, weil die Anzahl der insgesamt identifizierten Types geringer ist (201 Types). Je näher der Wert bei 1 liegt, desto größer ist die Nutzung von übereinstimmenden Assoziationen der Versuchspersonen in der jeweiligen Sprache. Abbildung 7.19 zeigt anschaulich, wie die Unterschiede bei der Auslastung der gemeinsamen Assoziationen in einem Assoziativen Netztwerk sein können. Abb. 7.19: Simulation des Auslastungsgrads der Assoziationen bei den Stimuli. Orange Punkte stehen für Assoziationen, die in beiden Sprachen vorkommen. 170 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="171"?> Stimulus Französisch/ Deutsch Deutsch/ Franösisch Arabisch/ Deutsch Deutsch/ Arabisch Abstrakta 0,427 0,334 0,423 0,122 Konkreta 0,484 0,408 0,461 0,160 Tab. 7.10: Mittelwerte des Grades der Aktivierung der gemeinsamen Assoziationen mit Berücksichtigung der Reizvalidität (Typeanzahl) für Konkreta und Abstrakta im deutsch-französischen und deutsch-arabischen Vergleich Tabelle 7.10 zeigt die mittleren Werte für den Grad der Nutzung der gemein‐ samen Assoziationen zwischen dem Deutschen und dem Französischen sowie zwischen dem Deutschen und dem Arabischen in Bezug auf die aktivierten Types für die konkreten und abstrakten Stimuli. Hier wird ersichtlich, dass sich sowohl für den Vergleich Deutsch-Französisch als auch für den Vergleich Deutsch-Arabisch mehr Types bei Konkreta im gemeinsamen Assoziations‐ spektrum befinden als bei Abstrakta. Das heißt, dass in allen Sprachen mehr gemeinsame Types bei den Konkreta als bei den Abstrakta genannt werden. Die Abbildungen 7.20 und 7.21 illustrieren die Stärke der Aktivierung gemeinsamer Assoziationen in Form einer Rangfolge der Stärke der genutzten Types. Auch wenn die Stärke der Auslastung bei den einzelnen Stimuli in den verschiedenen Sprachen unterschiedliche Aktivierungsgrade erreicht hat, bleiben die Unter‐ schiede zwischen Konkreta und Abstrakta ersichtlich wie die Tabelle 7.10 mit den Mittelwerten zeigt. Es lassen sich für das Französische und Deutsche wenige Stimuli identifizieren, die nicht mit der allgemeinen Tendenz der Übereinstim‐ mung einhergehen (s. Abbildung 7.20). So nutzten die deutschen Versuchsper‐ sonen im deutsch-französischen Vergleich mehr gemeinsame Assoziationen für den abstrakten Stimulus LIEBE als für den Rest der Abstrakta. Umgekehrt ist es bei den Stimuli SCHWEIN und GOLD, die im Vergleich zu den anderen Konkreta einen niedrigen Aktivierungsgrad der gemeinsamen Assoziationen aufweisen. Auf der anderen Seite aktivieren die französischen Versuchspersonen mehr Assoziationen im gemeinsamen Assoziationsbereich für die abstrakten Stimuli DÉMOCRATIE (Demokratie), FAMILLE (Familie) und PEUR (Angst). Bei den Konkreta erlangen RENARD (Fuchs) und DRAPEAU (Flagge) hingegen eine niedrige Aktivierung der gemeinsamen Assoziationen. Im deutsch-arabischen Vergleich lassen sich ähnliche Tendenzen erkennen (s. Abblidung 7.21). Hier wurden im Deutschen mehr Types im gemeinsamen Bereich der Assoziationen für den Stimulus PARTY und DEMOKRATIE im Ver‐ gleich zu den weiteren Abstrakta genannt, die im Grunde niedrige Werte er‐ reichten. Bei den konkreten Stimuli sind es die Stimuli SCHWEIN, FLAGGE und 171 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="172"?> FUCHS, die niedrige Werte erreichten. Im Arabischen nutzen die Probanden für den Stimulus (ḥafla) ةـلفح (Party) auch mehr gemeinsame Assoziationen als für die weiteren Abstrakta. Für die konkreten Stimuli FLAGGE/ (ʿalam) مـــلع, (ra ʾs) سأر (Kopf), (ḫanzir) ريزنخ (Schwein) und (ṯaʿlab)بلعث (Fuchs) befinden sich hin‐ gegen weniger Assoziationen im gemeinsam assoziierten Bereich. 172 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="173"?> Abb. 7.20: Rangfolge der Aktivierungswerte gemeinsamer Assoziationen zu Konkreta und Abstrakta im deutsch-französischen Vergleich auf Typeebene 173 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="174"?> Abb. 7.21: Rangfolge der Aktivierungswerte gemeinsamer Assoziationen zu Konkreta und Abstrakta im deutsch-arabischen Vergleich auf Typeebene 174 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="175"?> Bei der vorigen Typeanalyse werden die Frequenzen (cue validity, s. Abschnitt 7.1.1.4) der einzelnen Assoziationen nicht berücksichtigt. Somit finden Asso‐ ziationen, die von den Versuchspersonen in den drei Sprachen hochfrequent benutzt werden, keine Berücksichtigung. Bei der folgeneden Tokenanalyse hingegen wurde die Reizvalidität der einzelnen Assoziationen einbezogen, um den Effekt für die Auslastung der gemeinsamen Assoziationen festzustellen. Tabelle 7.11 zeigt, dass sich die Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta bezüglich des Grades der Auslastung der gemeinsamen Assoziationen stärker als bei der Typeanalyse abzeichnen lassen. Stimulus Mittelwert Französisch/ Deutsch Mittelwert Arabisch/ Deutsch Mittelwert Deutsch/ Arabisch Mittelwert Deutsch/ Französisch Abstrakta 0,779 0,726 0,426 0,695 Konkreta 0,852 0,799 0,563 0,823 Tab. 7.11: Mittelwerte des Grades der Aktivierung der gemeinsamen Assoziationen mit Berücksichtigung der Reizvalidität (Tokenanzahl) für Konkreta und Abstrakta im deutsch-französischen und deutsch-arabischen Vergleich Mit Berücksichtigung der Reizvalidität lässt sich beobachten, dass die Ver‐ suchspersonen beim Vergleich des Deutschen mit dem Arabischen und dem Französischen größere Bestände des Assoziationsspektrums als gemeinsame Assoziationen aktivieren, wie die mittleren Werte in Tabelle 7.11 zeigen. Hier weist sogar der Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta beim Grad der übereinstimmenden Wortassoziationen eine noch höhere Divergenz als bei der Typeanalyse auf. Die Abbildungen 7.22 und 7.23 zeigen die Anordnung der erreichten Werte der einzelnen Stimuli im deutsch-französischen und im deutsch-arabischen Ver‐ gleich. Im Gegensatz zu der Typeanalyse lassen sich hier weniger Stimuli iden‐ tifizieren, die nicht mit der aufgezeigten allgemeinen Tendenz der Aktivierung gemeinsamer Assoziationsbestände übereinstimmen. Im deutsch-französischen Vergleich lassen sich beispielsweise bei der deutschen Gruppe keine auffälligen Werte für Abstrakta bestimmen, die höher ausfallen als die meisten Konkreta. Im Gegensatz dazu erreichten die französischen Versuchspersonen einen nied‐ rigen Wert für das Konkretum DRAPEAU (Flagge). Beim deutsch-arabischen Vergleich erreichte im Deutschen der Stimulus FAMILIE eine höhere Aktivie‐ rung gemeinsamer Assoziationen als die restlichen abstrakten Stimuli. Umge‐ kehrt erreichte im Arabischen (ʿalam)ملع (Flagge) eine niedrige Aktivierung im 175 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="176"?> Vergleich zu den Konkreta. Im Übrigen lassen sich auf der Seite der arabischen Gruppe keine auffälligen Werte für die konkreten und abstrakten Stimuli fest‐ stellen. Somit ist auch hier die Verteilung der Werte bei der Aktivierung von gemeinsamen Assoziationen zwischen Konkreta und Abstrakta sehr prägnant. 176 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="177"?> Abb. 7.22: Rangfolge der Aktivierungswerte gemeinsamer Assoziationen zu Konkreta und Abstrakta im deutsch-französischen Vergleich auf Tokenebene 177 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="178"?> 178 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="179"?> Abb. 7.23: Rangfolge der Aktivierungswerte gemeinsamer Assoziationen zu Konkreta und Abstrakta im deutsch-arabischen Vergleich auf Tokenebene Um die dargelegten Unterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta sowie den konzeptuellen Abstand zwischen dem Deutschen und den Kontrastspra‐ chen prägnanter zu fassen, illustrieren die Streudiagramme 7.24 und 7.25 ein allgemeines Bild der gemachten Feststellungen. Hier werden die Werte der Stimuli durch eine paarweise Zuordung im Deutschen und in den jeweiligen Kontrastsprachen gematcht. Die Abbildungen (7.24 und 7.25) zeigen auf allen Ebenen, dass die französischen und arabischen Versuchspersonen insgesamt mehr gemeinsame Assoziationen für die Stimuli nutzten. Der Grad dieser Nutzung ist aber auf beiden Vergleichsebenen bei Konkreta höher als bei Abstrakta. Die Abbildungen zeigen auch hinsichtlich der Differenzen zwischen dem deutsch-französischen und dem deutsch-arabischen Vergleich sowohl auf Typeals auch auf Tokenebene allgemein eine größere konzeptuelle Distanz zwischen dem Deutschen und dem Arabischen als zwischen dem Deutschen und dem Französischen. Deutsche und französische Versuchspersonen aktivieren mehr gemeinsame Wortassoziationen als deutsche und arabische Versuchsper‐ sonen. 179 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="180"?> 180 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="181"?> Abb. 7.24: Grad der Aktivierung der gemeinsamen Types im deutsch-französischen und deutsch-arabischen Vergleich für Konkreta und Abstrakta 181 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="182"?> 182 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="183"?> Abb. 7.25: Grad der Aktivierung der gemeinsamen Tokens im deutsch-französischen und deutsch-arabischen Vergleich für Konkreta und Abstrakta 7.2.1.3 Qualitative Differenzen Um Anhaltspunkte über qualitative semantische Differenzen in Bezug auf die aktivierten Slots (Leerstellen) der Assoziationen zwischen dem Deutschen und den Kontrastsprachen Französisch und Arabisch zu erhalten, werden im Folgenden die im letzten Abschnitt dargelegten Unterschiede zum Grad der übereinstimmenden Assoziationsbestände durch eine inhaltliche Kontrastie‐ rung der Art der aktivierten Assoziationen ergänzt, um qualitative semantische Besonderheiten der einzelnen Sprachen zu eruieren. Um diese Kontrastierung durchzuführen, wurden die Assoziationen mit einem framesemantischen Kodierungsschema kategorisiert, das aus einer Reihe von Studien zu framesemantisch relevanten Bedeutungsaspekten konzipiert 183 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="184"?> wurde und nach Barsalou/ Wiemer-Hastings (2005) nachweislich konzeptuelles Wissen konkreter und abstrakter Begriffe abdeckt (vgl. auch Wu/ Barsalou 2009 Cree/ McRae 2003, McRae/ Cree 2002). Dieses Kodierungsschema basiert auf dem Ansatz der situativen Konzeptualisierung von Barsalou (s. Abschnitt 4.3.2) und berücksichtigt konzeptuelle Besonderheiten sowohl abstrakter als auch kon‐ kreter Konzepte. Insgesamt unterscheidet Barsalou vier Hauptkategorien, die als übergeordnete Leerstellen für Konkreta und Abstrakta gelten: Entitätsbezo‐ gene Assoziationen, situative Assoziationen, taxonomische Assoziationen und introspektive Assoziationen. In Tabelle 7.12 sind Illustrationen der einzelnen Kategorien mit den entsprechenden Beispielassoziationen für Konkreta und Abstrakta zu sehen. Entitätsbezogene Assoziationen weisen auf wahrnehmbare Eigenschaften von Objekten hin und beziehen sich zum Beispiel bei konkreten Begriffen auf perzeptuelle Merkmale wie Form, Struktur, Teilungseigenschaften und Materialbeschaffenheit einer Entität oder auf ihre charakteristisch systemi‐ schen Eigenschaften. Im Gegensatz dazu spiegeln situative Assoziationen das Wissen über den Kontext eines Konzeptes wider und drücken in der Regel extrinsisch assoziierte Aspekte aus, die durch Kontiguitätsbeziehungen in Raum und Zeit hergestellt werden und auf andere Einheiten im Kontext verweisen. Sie können sich beispielsweise auf konkrete Handlungen, Funk‐ tionen, Personen, Orte oder Zeit beziehen, die im Zusammenhang mit dem Zielkonzept stehen. Darüber hinaus werden taxonomische Assoziationen iden‐ tifiziert, die auf Similaritätsrelationen beruhen und Synonyme, Hyponyme, Kohyponyme und Hyperonyme darstellen. Die letzte Kategorie im Kodie‐ rungsschema sind introspektive Assoziationen. Diese sind erlebnisbezogene auf mentalen Prozessen beruhende Reaktionen, die im Zusammenhang mit einem Konzept stehen. Sie umfassen sowohl Assoziationen einfacher Art wie etwa affektive, emotionale und evaluative Assoziationen oder weisen einen komplexen Zusammenhang auf, wie etwa metaphorisch motivierte Assoziationen (kognitive Operation) oder kontingenzbasierte Assoziationen, die beispielsweise eine kausale Beziehung darstellen. 184 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="185"?> Kategorie Unterkategorie Beispiele für Asso‐ ziationen Konkreta Beispiele für Assoziationen Abstrakta Entitätsbezo‐ gene Assozia‐ tionen Perzeptuelle Eigenschaften, Materialbeschaffenheit Zucker - Rübe / weiß Systembezogene Ei‐ genschaften / Charakteris‐ tisches Verhalten Fuchs - intelligent Teil von Kopf - Körper Situative As‐ soziationen Non Agentive Handlung Uhr - tickt Liebe - leiden Agentive Handlung Kopf - bewegen Würde - be‐ halten Assoziierte Entität Fahne - Meer Angst - Dunkel‐ heit Funktion Zucker - essen Lokalisation Milch - Kühlschrank Demokratie - Griechenland Person Milch - Kind Gerechtigkeit - Richter Zeit Flagge - Feiertag Demokratie - Mittelalter Taxonomi‐ sche Assozia‐ tionen Koordination/ Kohyponyme Hand - Fuß Liebe - Hass Subordinierung/ Exemplar Zeitung - Süddeutsche Sicherheit - in‐ nere Sicherheit Superordinierung Herz - Organ Gerechtigkeit - Wert Synonymie Flagge - Fahne Mut - Tapferkeit Introspektive Assoziationen Affektion Handy - nervig Milch - iih Sicherheit - Scheiße Kognitive Operation Hand - Hilfe Gerechtigkeit - Waage/ hart Kontingenz Buch - Kultur Liebe - Ver‐ trauen Evaluation Schwein - süß Handy - wichtig Angst - unange‐ nehm Tab. 7.12: Kodierungsschema der Assoziationen mit Beispielen aus dem deutschen Wortassoziationstest 185 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="186"?> Das Kodierungsschema wurde in vielerlei Hinsicht überarbeitet. Zuerst wurde eine Rationalisierung sowie Anpassung der Unterkategorien der 4 Hauptkate‐ gorien an Abstrakta und Konkreta vorgenommen. Um den Prämissen der ko‐ gnitiven Metaphern (s. Kapitel 5) gerecht zu werden, wurden für Abstrakta keine entitätsbezogenen Assoziationen ermittelt. Assoziationen, die eine perzeptuell bezogene Beschreibung aufweisen, werden bei Abstrakta als metaphorische Assoziationen gezählt und in die Kategorie kognitive Operation subsummiert. Somit gelten für die abstrakten Stimuli nur die drei Hauptkategorien: situative Assoziationen, taxonomische Assoziationen und introspektive Assoziationen. Darüber hinaus wird in der vorliegenden Untersuchung in Anlehnung an Fitzpatrick et al. (2015) eine multiple Kodierung vorgenommen, die es ermög‐ licht, Assoziationen als eine mögliche Kombination mehrerer Links zu kodieren. Zum Beispiel kann die Reaktion KAFFEE auf MILCH sowohl taxonomisch als Kohyponym als auch situationsbedingt als eine im Raum assoziierte Entität kategorisiert werden. In früheren Kategorisierungen wäre eine Zuordnung nur in eine Kategorie möglich gewesen. Hier kann die Antwort in beide Kategorien klassifiziert werden. Fitzpatrick/ Izura (2011) sehen in dieser Vorgehensweise den Vorteil, den hohen Grad an Komplexität semantischer Netze zu modellieren. Sie fanden heraus, dass Versuchspersonen besonders schnell reagieren, wenn der Stimulus und die Reaktion durch mehr als einen Aspekt verknüpft sind. Diese Analyse wurde an den Reaktionen auf die 72 Stimuli (12 Konkreta und 12 Abstrakta jeweils in den 3 Sprachen) durchgeführt. Dabei wurden nur Assoziationen berücksichtigt, die mehr als einmal genannt wurden. Auch hier wurden leicht unterschiedliche grammatische Formen und Synonyme zusammengeführt (zum Beispiel BLUME und BLUMEN, WÄRME und WARM oder MUT und TAPFERKEIT wurden zu einer einzigen Antwort kombiniert). Die Tabellen 7.13-7.15 und die Diagramme 7.26-7.28 zeigen die durchschnitt‐ lichen Proportionen der hinter den Assoziationen aktivierten Kategorien im Deutschen, Französischen und Arabischen jeweils für Konkreta und Abstrakta. Wie hier zu sehen ist, fällt die Verteilung der Kategorien in den drei Sprachen sehr ähnlich aus. Im Deutschen und Französischen werden für die konkreten Stimuli am meisten situative Assoziationen genannt. Diese Kategorie beträgt in beiden Sprachen rund 42 %. Der Anteil der entitätsbezogenen und introspektiven Assoziationen hingegen ist ausgeglichen und umfasst in beiden Sprachen jeweils etwa ein Drittel aller Assoziationen. Am geringsten wurden taxono‐ mische Assoziationen aktiviert (s. Tabellen 7.13 und 7.14, Abbildungen 7.26 und 7.27). Im Arabischen ist die Verteilung der Kategorien im Gegensatz zum Deutschen und Französischen bei Konkreta anders gestaltet (s. Tabelle 7.15 und Abbildung 7.28). Mehr als 38 % der Reaktionen sind introspektive Assoziationen 186 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="187"?> gefolgt von situativen (33 %) und dann entitätsbezogenen Assoziationen (25 %). Diese Größenverhältnisse zeigen einen deutlichen qualitativen Unterschied des assoziativen Verhaltens der arabischen Versuchspersonen, indem introspektive Assoziationen einen deutlich höheren Aktivierungsgrad erlangen. Das assoziative Verhalten der Versuchspersonen in den drei Sprachen zeigt sich bei den Abstrakta einheitlicher. Wie man in den Diagrammen und Tabellen sieht, wurde für die Abstrakta in den drei Sprachen die allgemeine Kategorie introspektive Assoziationen ausgewählt. Diese Kategorie umfasst mehr als die Hälfte aller Assoziationen. Als zweitwichtigste Antwortkategorie lassen sich für die Abstrakta die situativen Assoziationen identifizieren, wobei das Verhältnis zwischen den situativen und introspektiven Assoziationen im Ara‐ bischen größer ist. Taxonomische Assoziationen stellen in den drei Sprachen wie bei den Konkreta einen sehr geringen Anteil dar. Abb. 7.26: Durchschnittlicher Anteil der aktivierten allgemeinen Antwortkategorien im Deutschen für Konkreta und Abstrakta 187 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="188"?> Entitätsbezogene Assoziationen Situative As‐ soziationen Taxonomische Assoziationen Introspektive Assoziationen Kon‐ kreta 0,27 0,42 0,13 0,27 Abs‐ trakta 0,00 0,49 0,05 0,52 Tab. 7.13: Durchschnittlicher Anteil der aktivierten allgemeinen Antwortkategorien im Deutschen für Konkreta und Abstrakta Abb. 7.27: Durchschnittlicher Anteil der aktivierten allgemeinen Antwortkategorien im Französischen für Konkreta und Abstrakta Entitätsbezo‐ gene Assozia‐ tionen Situative As‐ soziationen Taxonomische Assoziationen Introspektive Assoziationen Konkreta 0,26 0,42 0,15 0,26 Abstrakta 0,00 0,50 0,06 0,52 Tab. 7.14: Durchschnittlicher Anteil der aktivierten allgemeinen Antwortkategorien im Französischen für Konkreta und Abstrakta 188 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="189"?> Abb. 7.28: Durchschnittlicher Anteil der aktivierten allgemeinen Antwortkategorien im Arabischen für Konkreta und Abstrakta Entitätsbezo‐ gene Assozia‐ tionen Situative As‐ soziationen Taxonomische Assoziationen Introspektive Assoziationen Konkreta 0,25 0,33 0,14 0,38 Abstrakta 0,00 0,41 0,07 0,57 Tab. 7.15: Durchschnittlicher Anteil der aktivierten allgemeinen Antwortkategorien im Arabischen für Konkreta und Abstrakta Diese erreichten Proportionen für die vier allgemeinen Antwortkategorien bestätigen über das Deutsche hinweg die bisher gemachten Unterschiede zwischen den beiden Konzeptarten Konkreta und Abstrakta bezüglich der Übereinstimmung der Wortassoziationen. Der größte Anteil der introspektiven Assoziationen entfällt auf abstrakte Konzepte. Ähnlich verhält es sich im Französischen und im Arabischen. Am wichtigsten erscheinen die situations‐ bedingten Assoziationen, die sowohl für die Konzeptualisierung von Konkreta als auch von Abstrakta relevant sind. Im Gegensatz dazu zeigt sich die Rolle taxonomischer Assoziationen eher geringer im Vergleich zu den anderen Ant‐ wortkategorien, wobei Konkreta diese häufiger aktivieren. 189 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="190"?> 21 Die Disparitätskurve stellt die statistische Verteilung dar und veranschaulicht dabei das Ausmaß der Ungleichheit innerhalb der Verteilung. Sie wird in der Statistik auch Lorenzkurve genannt. 7.2.1.4 Verteilung der Kategorien der gemeinsamen Assoziationen Die oben dargestellten Ergebnisse bezüglich der Aktivierung der allgemeinen Antwortkategorien legen nahe, dass zwischen Konkreta und Abstrakta qualita‐ tive konzeptuelle Unterschiede vorliegen. Um den Grad der Differenzen bei der Aktivierung dieser Kategorien auf dieser Ebene zu quantifizieren, wurde der Gini-Koeffizient berechnet. Der Gini-Koeffizient berechnet die Konzentration bzw. die Verteilung der aktivierten allgemeinen Kategorien hinter den überein‐ stimmenden Assoziationen zwischen dem Sprachenpaar Deutsch-Französisch und dem Sprachenpaar Deutsch-Arabisch. Dabei wird die Reizvalidität der Wortassoziationen nicht berücksichtigt (nur eine Typeanalyse). Abgeleitet wird der Gini-Koeffizient aus der Disparitätskurve 21 jeden Stimulus und nimmt den Wert zwischen 0 (bei einer gleichmäßigen Verteilung der aktivierten Kategorien) und 1 (wenn nur eine Kategorie aktiviert wird, das heißt bei maximaler Un‐ gleichverteilung) an. Hier werden die im jeweiligen Sprachenpaar gemeinsam aktivierten Kategorien berechnet und aus der Verteilung dieser Werte für jeden Stimulus sowie für Konkreta und Abstrakta der Gini-Koffizient berechnet. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Ungleichheit der gemeinsam aktivierten Kategorien bei den Abstrakta größer ist als bei den Konkreta. Stimulus Französisch-Deutsch Arabisch-Deutsch Abstrakta 0,586 0,464 Konkreta 0,339 0,367 Tab. 7.16: Mittelwerte des Gini-Koeffizienten für die gemeinsam aktivierten Kategorien im deutsch-französischen und im deutsch-arabischen Vergleich 190 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="191"?> Abb. 7.29: Verteilung der Werte des Gini-Koeffizienten der Konkreta und Abstrakta im Vergleich Deutsch/ Französisch und Deutsch/ Arabisch Tabelle 7.16 und Abbildung 7.29 zeigen, wie ungleich die Aktivierung von Antwortkategorien auf beiden Vergleichsebenen Deutsch-Französisch und Deutsch-Arabisch ist. Die Ungleichheit der aktivierten Antwortkategorien ist sowohl im deutsch-französischen als auch im deutsch-arabischen Vergleich ausgeprägt und zeigt, dass die bei assoziativen Reaktionen auf die konkreten Stimuli aktivierten Kategorien gleichmäßiger verteilt sind als bei den abstrakten Stimuli. Dieser Unterschied ist in der Verteilung der aktivierten Kategorien im deutsch-französischen Vergleich stärker. Bezüglich des Unterschieds zwischen Abstrakta und Konkreta auf beiden Vergleichsebenen spiegelt sich dieses Ver‐ hältnis klar in der Abbildung 7.30 (Streudiagramm) wider. Hier zeigt sich unter Einbezug der Ergebnisse aus beiden Vergleichsebenen Deutsch-Französisch und Deutsch-Arabisch ein klares Bild über die Ausgewogenheit der aktivierten Kategorien beim assoziativen Verhalten der Gruppen. Vor allem wird hier ersichtlich, dass bei Abstrakta eine größere Disparität bei der Aktivierung von Antwortkategorien herrscht. 191 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="192"?> Abb. 7.30: Die Verteilung der Werte des Gini-Koeffizienten der Konkreta und Abstrakta im Vergleich Deutsch/ Französisch und Deutsch/ Arabisch 7.2.2 Zusammenfassung Die statistischen Maße der Übereinstimmung und der aktivierten gemeinsamen Assoziationen (s. Abschnitte 7.2.1.1 und 7.2.1.2) zeigen, dass der konzeptuelle Abstand zwischen dem Deutschen und dem Arabischen größer ist als zwischen dem Deutschen und dem Französischen. Bei den berechneten Kenngrößen zur Übereinstimmung der Assoziationsbestände ergeben eine Reihe von Stimuli eine von der allgemeinen Tendenz eines Konkretheitseffekts abweichende Prä‐ gung. Im deutsch-französischen Vergleich weisen besonders die als abstrakt eingestuften Ereignisbegriffe URLAUB/ VACANCES und der Stimulus FAMILIE/ 192 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="193"?> FAMILLE eine hohe Übereinstimmung der aktivierten Assoziationsbestände auf. Im Gegensatz dazu weist auf dieser Vergleichsebene nur das Konkretum FLAGGE/ DRAPEAU eine im Vergleich zu den anderen Konkreta niedrigere Übereinstimmung der Assoziationen auf (s. Abschnitt 7.2.1.1). Interessant ist im deutsch-arabischen Vergleich neben dem symbolisch geprägten Konkretum FLAGGE/ (ʿalam) مـلع auch der Stimulus SCHWEIN/ (ḫanzir) رــيزنخ, der eine ge‐ ringe Übereinstimmung der Assoziationen zwischen den beiden Sprachen er‐ zielte. Auf dieser Vergleichsebene zeigen die Assoziationen der deutschen und arabischen Versuchspersonen zu den Ereignisbegriffen keine auffälligen Werte im Vergleich zu den weiteren Abstrakta wie im deutsch-französischen Vergleich. Im deutsch-arabischen Vergleich erlangt lediglich der sozial geprägte Stimulus FAMILIE eine hohe Übereinstimmung der Assoziationen, die sogar die der meisten Konkreta übersteigt (s. Abschnitt 7.2.1.1). Auch die Überprüfung der gemeinsam aktivierten Assoziationsbestände be‐ stätigt sowohl auf der Typeals auch auf der Tokenebene den Einfluss der Kon‐ kretheit bzw. Abstraktheit eines Stimulus auf den Grad der übereinstimmenden Assoziationen zwischen dem Deutschen und den beiden Vergleichssprachen Französisch und Arabisch. Vor allem unter Berücksichtigung der Reizvalidität (Tokenanalyse) der Reaktionen der Versuchspersonen vergrößert sich der Kon‐ kretheitseffekt bei der Aktivierung gemeinsamer Assoziationsbestände. Es lässt sich hier zudem feststellen, dass der Umfang der aktivierten gemeinsamen Assoziationen bei den Stimuli je nach Sprachenkombination stark voneinander divergiert. Vor allem zwischen dem Deutschen und dem Arabischen ergibt sich dadurch ein großer konzeptueller Abstand. Die hierarchische Anordnung und der Grad der Einheitlichkeit der assozia‐ tiven Netzwerke zwischen dem Deutschen und den beiden Vergleichssprachen zeigt sowohl bei den Abstrakta als auch bei den Konkreta eine nicht reziproke Verteilung. Das heißt, dieselben Stimuli lösen je nach Sprachkonstellation eine abweichende Auslastung von übereinstimmenden Assoziationen aus. Ein Beispiel hierfür stellt das Konkretum SCHWEIN bei der Tokenanalyse (s. Abschnitt 7.2.1.2) dar. Dieser Stimulus löst im deutsch-französischen Ver‐ gleich bei den Franzosen einen höheren Anteil an übereinstimmenden Assozia‐ tionen aus als in der deutschen Probandengruppe. Dies weist auf eine sprach‐ spezifische Dissonanz für ein und denselben Stimulus hin. Diese Asymmetrie in der Auslastung der hervorgerufenen gemeinsamen Assoziationen zwischen den Sprachen lässt sich bei fast allen Stimuli beobachten. Das heißt: In den einzelnen Sprachen werden die aktivierten gemeinsamen Assoziationen für die einzelnen Stimuli nicht in derselben Intensität hervorgerufen. Bei manchen Stimuli geht diese Differenz sehr stark auseinander, aber dennoch bleibt der 193 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="194"?> Konkretheitseffekt grundsätzlich erhalten (s. Abschnitt 7.2.1.2). Dieser ist in Bezug auf den Vergleich des Deutschen mit dem Arabischen geringer als beim Vergleich mit dem Französischen. Die framesemantische Betrachtung bezüglich der Qualität der für Konkreta und Abstrakta aktivierten Assoziationen zeigt, dass grundsätzlich eine konzeptartspezifische Struktur vorliegt. Dabei zeigt sich ein tendenziell unterschiedli‐ ches Verhalten für unterschiedliche Kategorien: ● Situative Aspekte spielen sowohl für die Konzeptualisierung von Konkreta als auch von Abstrakta eine wesentliche Rolle, wobei diese häufiger bei Abstrakta auftreten. ● Bei Abstrakta sind die introspektiv bedingten Assoziationen in den drei Sprachen viel gewichtiger als bei Konkreta. ● Bei Konkreta treten entitätsbezogene Assoziationen häufig auf. ● Taxonomische Assoziationen werden am geringsten als Antwortkategorie aktiviert. Für Konkreta zeichnet sich bei den drei Sprachen eine höhere Beteiligung dieser Antwortkategorie ab. Bemerkenswert ist die Verteilung dieser Antwortkategorien im Arabischen. Hier neigen die Probanden dazu sowohl für Konkreta als auch für Abstrakta mehr introspektive Assoziationen zu produzieren. Trotz dieser Abweichung des Arabischen auf dieser Ebene, zeigt der Grad der Differenzen zwischen dem Deutschen und den beiden Sprachen bezüglich der aktivierten Antwortkatego‐ rien (s. Abschnitt 7.2.1.3), dass die Aktivierung im Deutschen und in den beiden Sprachen vor allem bei Konkreta ähnlich verteilt ist. Dies zeigen die berechneten Gini-Koeffizienten. Das heißt: Es werden grundsätzlich häufiger die gleichen Antwortkategorien für Konkreta als für Abstrakta aktiviert. 7.2.3 Diskussion Im Gegensatz zu den intrasprachlichen Ergebnissen versuchen die ermittelten intersprachlichen Ergebnisse die konzeptuelle Nähe bzw. den Abstand zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen Französisch und Arabisch aus mehreren Perspektiven zu quantifizieren. Die dahinterstehende Hypothese ist (s. Abschnitt 6.4, Hypothese (2)), dass Konkreta hohe semantische Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen aufweisen und bei Abstrakta, aufgrund ihrer komplexen konzeptuellen Repräsentation, mehr sprachbzw. kulturspezifische semantische Unterschiede feststellbar sind. Die dargelegten intersprachlichen Ergebnisse zeigen deutlich, dass Abstrakta mehr semantische Differenzen zwischen den Sprachen aufweisen und bestä‐ 194 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="195"?> 22 Wie bei den intrasprachlichen Ergebnissen wurde kein weiteres statistisches Maß zur Beurteilung der statistischen Signifikanz der Effektstärke herangezogen. Die Anwen‐ dung eines solchen statistischen Tests auf die Ergebnisse würde hier wegen der geringen Anzahl der Stimuli keine aussagekräftigen Werte ermitteln. Für ein solches Verfahren müsste eine größere Anzahl an Stimuli als Stichprobe untersucht werden. Die Stimuli, bei denen kein Konkretheitseffekt auftritt, werden jedoch im Folgenden diskutiert. tigen somit die oben genannte Hypothese, dass sie stärker von kulturspezifi‐ schen Bedeutungsaspekten geprägt sind. Bei den Konkreta hingegen zeigen sich die Überlappungen zwischen dem Deutschen und den beiden Vergleichs‐ sprachen in stärkerem Maße 22 . Die Ergebnisse werden im Folgenden vor dem Hintergrund der Hypothese (2) diskutiert. 7.2.3.1 Semantische Differenzen zwischen Konkreta und Abstrakta Generell zeigen die statistischen Maße der Übereinstimmung und der akti‐ vierten gemeinsamen Assoziationen (s. Abschnitte 7.2.1.1 und 7.2.1.2), dass der konzeptuelle Abstand zwischen dem Deutschen und dem Arabischen größer ist als zwischen dem Deutschen und dem Französischen. Dieser Befund steht weit‐ gehend in Übereinstimmung mit den Ergebnissen ähnlicher früherer Untersu‐ chungen. Roche/ Roussy-Parent (2006) kamen in ihrem Vergleich des Deutschen mit dem kanadischen Französisch zu den gleichen Beobachtungen. Die beiden Autoren stellen in dieser Untersuchung zwischen beiden Sprachen eine höhere Übereinstimmung der Assoziationen von Konkreta gegenüber Abstrakta fest (Roche/ Roussy-Parent 2006: 246), trotzdem zeigte sich diese Tendenz nicht bei allen Stimuli. Abstrakta wie etwa GESUNDHEIT/ SANTÉ, KRANKHEIT/ MALADIE oder FRIEDEN/ PAIX weisen beispielsweise eine hohe Übereinstim‐ mung auf und einige Konkreta wie HEIM/ FOYER kennzeichneten sich durch eine hohe semantische Diskrepanz zwischen den beiden Sprachen. Auch die Studien von Ait Ramdan (2013, 2015), die das Deutsche mit dem Französischen und Arabischen vergleichen, zeigen, dass die Diskrepanzen zwischen dem Deut‐ schen und den beiden Sprachen vor allem bei abstrakten Stimuli größer sind. Was diese letzten Studien darüber hinaus belegen, ist, dass sich dieser Effekt nicht nur bei Substantiven, sondern auch bei Adjektiven ergibt und, dass das Französische insgesamt dem Deutschen konzeptuell näher ist als das Arabische. Hier zeigt sich darüber hinaus, dass die aktivierten Assoziationsbestände bei Abstrakta zum Beispiel bei den Stimuli جامدــنا (indimāj)/ INTEGRATION/ INTE‐ GRATION, قَلَق (qalaq)/ SORGE/ TROUBLE, رـخف (faẖr)/ STOLZ/ FIERTÉ und ةطلــس (sulta)/ MACHT/ POUVOIR qualitativ sehr stark in den drei Sprachen differieren und kulturspezifische Einstellungen erkennbar machen. Zudem zeigt die Studie von Ait Ramdan (2013), dass bei bestimmten konkreten Stimuli ebenso eine 195 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="196"?> große Differenz zwischen dem Deutschen und dem Arabischen herrscht. Dies betrifft zum Beispiel die Konkreta لوـــحكلا (alkohol)/ ALKOHOL/ ALCOOL oder ةـــيرق (qarya)/ DORF/ VILLAGE, die im Vergleich des Deutschen mit dem Arabi‐ schen eine stärkere Diskrepanz der Assoziationen zeigen als beim deutsch-fran‐ zösischen Vergleich und somit darauf hinweisen, dass solche Stimuli - wie auch abstrakte Begriffe - eine starke kulturelle Prägung zeigen. Eine ähnliche Kul‐ turspezifik zeigen auch Konkreta wie SCHWEIN/ (ḫanzir) ريزنخ oder FLAGGE/ (ʿalam) ملع. Es ist jedoch anzumerken, dass die Auswahl der Stimuli der Studien von Roche/ Roussy-Parent (2006) und von Ait Ramdan (2013) nach einem groben Unterscheidungskriterium ausgewählt wurden. Roche/ Roussy-Parent (2006: 246) schlagen vor: „Um genauere Aussagen machen zu können, müsste gegebenenfalls der Abstraktheits- und Konkretheitsgrad der Begriffe im Ein‐ zelnen und in der Einschätzung bei den betroffenen Versuchspersonen ermittelt werden“. Mit der Umsetzung dieses Verfahrens in der vorliegenden Studie durch die Auswahl von Konkreta und Abstrakta mit unterschiedlichen Konkretheitsbzw. Abstraktheitsgraden (unterschiedliche Matrixframes) als Stimuli zeigen beispielsweise die Unterkategorien von Konkreta keine Unterschiede unterein‐ ander. Lediglich bei den Abstrakta lässt sich im Gegensatz dazu bemerken, dass die Kategorie Zustand, die Konerding (1993) als sekundären Matrixframe klas‐ sifiziert (s. Abschnitt 4.3), am meisten von Differenzen in der sprachspezifischen semantischen Prägung betroffen ist. Obwohl die Emotionsbegriffe, wie bereits gesehen, in vielen Studien (vgl. Kousta/ Vinson/ Vigliocco 2009) eine Sonderka‐ tegorie darstellen, wurden in Bezug auf ihre kulturspezifische Prägung keine Auffälligkeiten im Vergleich zu den anderen abstrakten Stimuli festgestellt. Die Vertreter dieser Unterkategorie wie etwa der Stimulus LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بح oder ANGST/ PEUR/ (ḫawf) فوخ erlangen keine besonders auffälligen Werte. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Unterkategorien von Konkreta und Abs‐ trakta in der vorliegenden Studie lässt aus diesem Grund den Schluss zu, dass hier der Abstraktheitsbzw. Konkretheitsgrad der Stimuli keinen großen Effekt auf den Grad der Übereinstimmung der Assoziationen zwischen den Sprachen ausübt. Vielmehr wirkt sich auch hier der klassische Konkretheitseffekt auf die Übereinstimmung der Assoziationsbestände aus. Dies weist des Weiteren darauf hin, dass der Grad der Umrissenheit der Begriffe kein ausschlaggebender Faktor zur Bestimmung der Kulturbedingtheit von Begriffen darstellt. Somit wider‐ spricht diese Beobachtung der Annahme, dass „[j]e weniger scharf umrissen die perzeptuelle Gestalt eines Konzeptes […] ist, desto weniger wird der Spielraum für kulturgebende Unterschiede“ (Blank 2001: 58). 196 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="197"?> 7.2.3.2 Qualitative Differenzen der Slot-Filler-Strukturen Mittels der framesemantischen Überlegungen wurde bei der Analyse der qualitativen Art der Assoziationen in der vorliegenden Studie eine Slot-Filler-Struktur der einzelnen Stimuli herausgearbeitet, die auf der Interpre‐ tation von Assoziationen als Werten basiert (s. Abschnitt 7.2.1.3). Die Assozia‐ tionen als Werte bestimmen die Typen der herzuleitenden Leerstellen. Neben entitätsbezogenen und taxonomischen Assoziationen wurden in der Analyse auch situative und introspektive Assoziationen identifiziert, die sich in den Frames der ausgewählten Stimuli etabliert haben. Diese Analyse zeigt, dass die Verteilung der vier aktivierten Antwortkategorien, weitgehend konzeptspezi‐ fisch ist, das heißt, die meisten Stimuli rufen in den drei Sprachen eine ähnliche Slotverteilung bezüglich der Zielkategorien Abstrakta oder Konkreta hervor. Situative Assoziationen bilden in der vorliegenden Untersuchung in den drei Sprachen eine der wichtigsten Kategorien. Sie treten sowohl bei Abstrakta als auch bei Konkreta häufig auf. Die hohe Frequenz dieser Antwortkategorie (Leerstellen) in der vorliegenden Analyse unterstützt die Annahme, dass die Konzeptualisierung sowohl konkreter als auch abstrakter Konzepte einer so‐ genannten situierten Simulation entsprechen (engl. situated simulation) (vgl. Barsalou 2005). Diese Feststellung spricht auch für den gebrauchsbasierten Ansatz Langackers (2008) und Ziems (2008) (s. Abschnitt 3.2), der für die Verfes‐ tigung von semantischen Aspekten Gebrauchsereignisse voraussetzt, in denen diese durch ein sprachliches Zeichen rekurrent auftreten. Diese entsprechen hier den in Barsalous Ansatz sogenannten Situationen des Gebrauchs (Barsalou 2003, Barsalou 2008). Barsalou und Wiemer-Hastings (2005) kommen in einer verwandten Arbeit zum Schluss, dass sowohl abstrakte als auch konkrete Konzepte zwar in das Wissen über typische Situationen eingebettet sind, sich aber im Fokus unterscheiden. Die vorgestellten Ergebnisse untermauern diese Position bei konkreten und abstrakten Konzepten in den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Arabisch, denn es stehen zusätzlich zu den situativen Aspekten die entitätsbezogenen Assoziationen für Konkreta und introspektive Assoziationen für Abstrakta im Fokus. Wiemer-Hastings und Xu (2005) fanden vergleichbare Ergebnisse in einer ähnlichen Studie und lieferten erste Belege für diese Auffassung. Sie verglichen in einem feature generation task die Reak‐ tionen von 31 Versuchspersonen auf 18 konkrete und 18 abstrakte Stimuli und kamen dabei zum Schluss, dass wenn Versuchspersonen Assoziationen für abstrakte und konkrete Konzepte produzieren, sie dazu neigen, situativ bezogene Inhalte für beide zu produzieren. Sie fanden darüber hinaus heraus, dass die Versuchspersonen dazu tendieren, intrinsische Merkmale (entitätsbe‐ zogene Assoziationen) zu generieren, während die Reaktionen auf Abstrakta 197 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="198"?> relational (introspektiv) geprägt sind. Das heißt, dass Abstrakta sich durch ihre Beziehungen zu weiteren benachbarten Konzepten definieren lassen und Kon‐ kreta durch ihre entitätsbezogenen Merkmale. Tatsächlich ist es überraschend, dass manche Studien entitätsbezogene Assoziationen für abstrakte Konzepte überhaupt auflisten (vgl. Wiemer-Hastings/ Xu 2005). Für viele von ihnen kann man argumentieren, dass die in diesen Studien als entitätsbezogene perzeptuelle Eigenschaften kodierten Eigenschaften als introspektive kognitive Operationen, die auf einer metaphorischen Basis beruhen, gelten (s. Abschnitt 7.3). Für die starke Aktivierung von entitätsbezogenen Merkmalen bei Konkreta spricht auch die Studie von McRae/ Cree (2002). Die Autoren analysierten Eigenschaften von lebenden und nichtlebenden Konkreta auf der Grundlage eines ähnlichen Kodierungsschemas wie das der vorliegenden Studie. Sie stellen ebenfalls fest, dass diese Konkreta durch eine hohe Anzahl von Attributen ge‐ kennzeichnet sind, die sich auf das Entitätsverhalten und externe Komponenten der jeweiligen Zielkonzepte beziehen. Im Gegensatz dazu ist der Fokus bei abstrakten Konzepten breiter gefasst. Aufgrund der geringen Stichprobe in diesem Experiment gingen Hill et al. (2014) derselben Frage nach und stützten sich auf die Assoziationsnormen USF Free-association Norms (Nelson/ McEvoy 2004) von 6000 Versuchspersonen zu 5000 Stimuli. Hieraus ergab sich, dass die Konzeptualisierung von Konkreta stärker merkmalsbasiert ist als bei abstrakten Konzepten. Statt einer stark merkmalsbasierten Struktur kennzeichnet sich die Repräsentation von Abstrakta durch eine starke Beziehung zu anderen Konzepten (sowohl zu weiteren Abstrakta als auch zu weiteren Konkreta). Concrete representations are more strongly feature-based than abstract representa‐ tions. Instead of a strong feature-based structure, abstract representations encode a pattern of relations with other concepts (both abstract and concrete). We hypothesize that the degree of feature-based structure is the fundamental cognitive correlate of what is intuitively understood as concreteness (H I L L E T A L . 2014: 162). Hill et al. (2014) argumentieren, dass die entitätsbezogene bzw. starke Merkmals‐ basiertheit der konkreten Stimuli der wichtigste Faktor zur Determination des Konkretheitseffekts bzw. Konkretheit ist: „We argue that degree of feature-based structure may fundamentally determine concreteness” (Hill et al. 2014: 162). Aufgrund der starken Entitätsbezogenheit der Merkmale konkreter Konzepte geht Hoffmann (2016) davon aus, dass dies auch der Grund für die Erzeugung von taxonomischen Assoziationen ist, die auch in den vorliegenden Ergebnissen in den drei untersuchten Sprachen stärker für Konkreta aktiviert werden. Hoff‐ mann bezieht sich bei seiner Studie auf eine Reihe von weiteren empirischen Ergebnissen, die zum Schluss kommen, dass das Wissen um einen konkreten 198 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="199"?> Gegenstand primär in Form einer Liste der grundlegenden Eigenschaften oder semantischen Merkmale erfasst werden kann (vgl. auch Cree/ McRae 2003). Mit anderen Worten: Die bei Konkreta im Vergleich zu Abstrakta starken taxonomischen semantischen Beziehungen zwischen ähnlichen konkreten Kon‐ zepten können sich daraus ergeben, dass ihre Referenten viele der gleichen entitätsbezogenen Merkmale teilen. Für abstrakte Stimuli gilt das nicht, da sie nicht stark mit Wahrnehmungsmerkmalen verbunden sind. Für Abstrakta wurden darüber hinaus mehr erfahrungsbezogene idiosyn‐ kratische Assoziationen identifiziert. Wiemer-Hastings/ Xu (2005: 726) haben näher untersucht, welche Arten von erlebnisbezogenen Eigenschaften die Ver‐ suchspersonen für Konkreta generieren. In ihrer Untersuchung wurden solche idiosynkratischen Assoziationen nur für einige wenige spezifische Stimuli aufgelistet wie für LABYRINTH und PRIZE, die psychische (introspektive) und emotionale Assoziationen aufrufen. Eine weitere Bemerkung, die bezüglich der hohen idiosynkratischen, persönlichen Assoziationen gemacht werden kann, ist, dass Abstrakta eine sehr heterogene und ungleiche framesemanti‐ sche Struktur aufweisen. Dieses Ergebnis rechtfertigt die große Disparität der Verteilung der aktivierten Leerstellen (Antwortkategorien), die durch den Gini-Koeffizienten festgestellt wurde (s. Abschnitt 7.2.1.4). Von dem präsentierten Ergebnismuster abstrakter Stimuli zeigen die Ereig‐ nisbegriffe, die alle alternativ als soziale Artefakte betrachtet werden könnten, eine Framestruktur auf, in der situativbezogene Assoziationen am meisten aktiviert werden. Ein Blick auf die erreichten Werte der einzelnen Stimuli zeigt, dass diese am häufigsten situationsbezogene Assoziationen aufrufen. Auch bei Barsalou umfassen EVENT-frames (Ereignisbegriffe) vor allem situative Leer‐ stellen wie [ORT], [ZEIT] und [ZIEL] (Barsalou 1992b: 31). Diese Annahme deckt sich auch mit der in der Studie von Gerdeißen (2017) ermittelten Framestruktur von Ereignisbegriffen wie DEATH und BIRTH_GIVING. Die untersuchten Zielkonzepte in dieser Studie aktivierten Assoziationen, die hauptsächlich durch situative Zuschreibungen charakterisiert sind. So wurden beispielsweise bei Gerdeißen (2017) Personen, die an diesen Ereignissen beteiligt sind, durch die situative Leerstelle [TEILNEHMER] (GEBURT: Mutter, Kind, Vater, Kranken‐ schwester, Arzt, TOD: Priester, Arzt, Großeltern), und Umstände durch die Leerstelle [SZENE] (GEBURT: Geburtstag, Taufe, TOD: Unfall, Krankheit, Beer‐ digung) oder die Leerstelle [ORT] (GEBURT: Krankenhaus, TOD: Krankenhaus, Friedhof) identifiziert. Abschließend lässt sich anmerken, dass die in dieser vorliegenden Untersu‐ chung ermittelten qualitativen Besonderheiten von Konkreta und Abstrakta in vielerlei Hinsicht explorativer sind als weitere framesemantische Arbeiten. 199 7.2 Intersprachliche Unterschiede bei der Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta <?page no="200"?> In Arbeiten, die auf Korpusuntersuchungen basieren (zum Beispiel Fillmore et al. 2001, Gruber 2018, Ziem 2014a und b), werden Frameelemente durch lexikosyntaktische Instantiierungen in einem Korpus validiert. Solche Arbeiten konzentrieren sich also auf die Aspekte in einem Frame, die syntaktisch lexikalisiert werden. In der vorliegenden Analyse werden im Gegensatz dazu die in einem nominalen Frame gespeicherten konzeptuellen Elemente durch ein induktiv-introspektives Verfahren identifiziert. Die konzeptionellen Elemente in einem Frame wurden also auf der Basis der gewonnenen Assoziationen bestimmt und nicht umgekehrt. Die von den Versuchspersonen in den drei Untersuchungsgruppen aktivierten Assoziationen stellen somit das konzeptuell geleitete semantische Wissen zu den einzelnen abstrakten und konkreten Stimuli dar. Natürlich werden nicht alle Aspekte, die potenziell in Frames gespeichert sind, notwendigerweise durch ein Wortassoziationsexperiment versprachlicht, aber mit diesem Verfahren lassen sich die Besonderheiten unterschiedlicher Begriffsklassen sowie unterschiedlicher Sprachen durch die Aspekte ermitteln, die jeweils von einer Sprachgemeinschaft profiliert werden. Diejenigen Framee‐ lemente, die in der vorliegenden Analyse nicht durch die Wortassoziationen aufgeführt werden, oder in geringen Frequenzen auftreten, werden jedoch nicht als konzeptionell ungültig angesehen. Sie werden in den Wortassoziationsex‐ perimenten einfach nicht sprachlich kodiert. Aus diesen Gründen kann die in dieser Analyse enthaltene Framestruktur von Konkreta und Abstrakta in den drei Sprachen nicht als erschöpfend für die Frames der Stimuli angesehen werden. Die am häufigsten aufgeführten Leerstellen können jedoch aufgrund ihrer Häufigkeit und ihrer offensichtlichen Verankerung eindeutig als Kern‐ aspekte der Frames dieser Stimuli angesehen werden. Dies heißt, dass die Leer‐ stellen (entitätsbezogene, situationsbezogene, taxonomische und introspektive Assoziationen), die am häufigsten für Konkreta und Abstrakta aktiviert werden, den Kern der Frames der ausgewählten Stimuli in den jeweiligen Sprachen bilden (Barsalou 1992b: 47-48). 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen Wie bereits in Kapitel 5 thematisiert wurde, gibt es eine Reihe von Studien, die die konzeptuellen Metaphern abstrakter Konzepte unterschiedlichster Art untersuchen und dabei sprachbzw. kulturvergleichende Akzente setzen (Kö‐ vecses 2005, Schröder 2012, Sharifian/ Palmer 2007, Maalej 2007, Yu 2008). Im Fol‐ genden werden vor dem Hintergund dieser kultursensiblen und einzelsprach‐ 200 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="201"?> bezogenen Herangehensweise die konzeptuellen Metaphern, die bei den drei untersuchten Sprachen Deutsch, Französisch und Arabisch identifiziert wurden, untersucht, um Ähnlichkeiten und Divergenzen aufzudecken. Hierbei wird im Vergleich zu anderen Studien induktiv vorgegangen, um in keine festgelegten Deutungsparameter zu verfallen. Zur Identifizierung von Wortassoziationen mit metaphorischem Charakter wurde nach der Pragglejaz-Methode (Pragglejaz 2007, vgl. auch Schröder 2012) vorgegangen. Es werden zuerst in den Daten alle zu den abstrakten Stimuli auffindbaren metaphorischen Assoziationen identifiziert, die bei der framesemantischen Zuordnung der Assoziationen als kognitive Operation klassifiziert wurden (s. Abschnitt 7.2.1.3, Tabelle 7.12). Danach wird überprüft, ob diese in anderen Kontexten eine grundlegende Bedeutung haben, die konkreter ist und häufig mit körperlichen Handlungen im Zusammenhang steht. Ein Beispiel zur Illustration des Selektionsprozesses von metaphorischen Assoziationen: Zuerst wird eine Wortassoziation identifiziert. Die Assoziation WARM wurde beispielsweise mehrfach für den Stimulus LIEBE im Deutschen genannt. WARM bezieht sich in der Regel auf einen körperlich wahrnehmbaren Zustand. In einem zweiten Schritt wird die Assoziation auf der Basis ihrer Verknüpfung zum Stimulus einer übergeordneten Primärmetapher zugeordnet (Beispiele s. Tabelle 7.19). WARM ist grundsätzlich eine Assoziation, die Enti‐ täten und Materien beschreibt und weist hier auf eine ontologische Metapher hin (s. Abschnitt 5.3). Abschließend werden die metaphorischen Projektionen auf der Grundlage der dahinterstehenden Primärmetaphern kontrastiert und Differenzen sowie Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen herausgearbeitet, wie in den nächsten Tabellen zu sehen ist. Damit terminologische Konfusionen vermieden werden, ist es bei den fol‐ genden Ergebnissen wichtig zu beachten, dass die metaphorischen Assozia‐ tionen in den folgenden Tabellen (7.18 - 7.25) keine direkten metaphorischen Übertragungen der Stimuli auf eine Ausgangsdomäne darstellen. In den identi‐ fizierten primärmetaphorischen Bereichen werden sämtliche Belege aus den Assoziationen gruppiert, die auf einem Metaphorisierungsprozess beruhen und bei denen die Beteiligung eines Bildschemas bei der Konzeptualisierung des jeweiligen Konzepts ersichtlich wird (s. Abschnitt 5.2). Aus diesem Grund sind auch die Primärmetaphern in Begriffen von Bildschemata in den folgenden Tabellen aufgeführt. Beispielsweise werden beim Stimulus MUT Assoziationen wie ÜBERWINDEN etc. besonders stark aktiviert. ÜBERWINDEN gehört u. a. zum Bildschema GRENZE. Dieses Bildschema stellt keine direkte Quelldomäne für MUT dar, weist jedoch sehr stark auf die Beteiligung des Bildschemas der GRENZE an der konzeptuellen Strukturierung von MUT hin. Insofern 201 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="202"?> 23 Die Bestimmung einer metaphorischen Assoziation orientiert sich in erster Linie an den in Kapitel 5 dargelegten Ausführungen zu konzeptuellen Metaphern nach Lakoff und Johnson zu den Bildschemata sowie an der Unterscheidung zwischen primären und komplexen Metaphern nach Grady (2005b, 2007, vgl. auch Grady/ Ascoli 2017) und Kövecses (2005). Dies heißt, dass die Klassifikationen eine abweichende Kategori‐ sierung im Vergleich zu weiteren Ansätzen darstellen, die einen starken Unterschied zwischen metaphorischen und metonymischen Konzepten vornehmen. In der vorlie‐ genden Studie werden metonymische Konzepte, wie beispielsweise Somatismen oder Farbmetaphern für Emotionsbegriffe im Hintergrund der ontologischen Metaphern sowie der Bildschemata interpretiert (s. Kapitel 5). subsummieren die in der folgenden Darstellung genannten Primärmetaphern (7.17 - 7.25) alle Aspekte, die auf Metaphorisierungsprozesse hinweisen 23 . 7.3.1 Ergebnisse Die Beteiligung metaphorischer Prozesse bei der Aktivierung abstrakter Stimuli lässt sich in dieser Studie von Sprache zu Sprache sehr unterschiedlich und an‐ hand zahlreicher Assoziationen illustrieren. Vor allem die Stimuli MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش, SOLIDARITÄT/ SOLIDARITÉ/ (taḍamun) نماـضت, DE‐ MOKRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد, ANGST/ PEUR/ (ḫawf) فوخ, LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بــــح, GERECHTIGKEIT/ JUSTICE/ (ʿadl) لدــــع, SICHER‐ HEIT/ SÉCURITÉ/ (ʾamn) نمأ, WÜRDE/ DIGNITÉ/ (karāma) ةمارك sind durch Me‐ taphorisierungsprozesse gekennzeichnet. Deutsch Stimulus Tokens Tokens Anteil Mut 163 23 % Liebe 165 20 % Angst 134 18 % Würde 87 12 % Gerechtigkeit 67 9 % Solidarität 64 9 % Sicherheit 57 7,85 % Demokratie 7 0,9 % 202 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="203"?> Französisch Stimulus Tokens Tokens Anteil courage 149 20 % amour 100 14 % peur 83 11 % justice 85 11 % sécurité 49 7 % solidarité 35 4,61 % dignité 18 2 % démocratie 3 0,4 % Arabisch Stimulus Tokens Tokens Anteil Mut/ (šaǧāʿa) ةعاجش 48 20 % Angst/ (ḫawf) فوخ 24 11 % Liebe/ (ḥub) بح 23 9 % Gerechtigkeit/ (ʿadl) لدع 25 9 % Solidarität/ (taḍamun) نماضت 17 7 % Demokratie/ (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد 6 2 % Sicherheit/ (ʾamn) نمأ 2 1 % Würde/ (karāma) ةمارك 0 0 Tab. 7.17: Metaphorische Ausprägung abstrakter Stimuli im Deutschen, Französischen und Arabischen Um einen Überblick über die Intensität der metaphorischen Aktivierung der ausgewählten Stimuli zu bekommen, zeigt die Tabelle 7.17 die prozentualen Anteile der insgesamt identifizierten metaphorischen Assoziationen. Hierbei wird ersichtlich, dass bei der metaphorischen Ausprägung sowohl zwischen den Sprachen als auch zwischen den Stimuli keine Einheitlichkeit herrscht. So bilden die Assoziationen, die auf eine metaphorische semantische Verknüpfung 203 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="204"?> zurückzuführen sind, nicht immer denselben Anteil der Gesamtassoziationen ab. Wie die Tabelle 7.17 zeigt, ist die metaphorische Ausprägung in den drei Sprachen am stärksten bei den emotionsbezogenen Stimuli MUT/ COU-RAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش (dt. 23 %, fr. 20 %, ar. 20 %), LIEBE/ AMOUR/ (ḤUB) بح (dt. 21 %, fr. 14 %, ar. 9 %) und ANGST/ PEUR/ (ḫawf) فوخ (dt. 18 %, fr. 11 %, ar. 11 %) zu beob‐ achten. Was den Rest der Stimuli betrifft, so lassen sich besonders sprachspezi‐ fische Besonderheiten erkennen. Dieser Unterschied ist speziell bei dem Sti‐ mulus WÜRDE/ DIGNITÉ/ (karāma) ةمارك zu betrachten. Im Deutschen sind 12 % der Assoziationen metaphorisch bedingt, während es im Französischen nur 4 % sind. Im Arabischen wurden überraschenderweise keine Assoziationen identi‐ fiziert, die bei (karāma) ةـمارك auf einer metaphorischen Basis beruhen. Interes‐ sant ist auch die niedrige Anzahl metaphorischer Reaktionen auf den Begriff DEMOKRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد in allen Sprachen. Hierzu wurden am wenigsten metaphorisch geprägte Assoziationen identifiziert. Ge‐ nerell lässt sich schlussfolgern, dass der Anteil metaphorischer Assoziationen im Deutschen und Französischen höher ist als im Arabischen. MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl ENTITÄT UND MA‐ TERIE rot (5), hell (1), dunkel (1), gelb (9), Löwe (9), Tiger (1), hart (1), selten (3), Mund (1), groß (3) rouge (3), bleu (1), or (1), lion (2), tigre (1), dureté (1), rare (2), grand (2) دسأ (4) (asad) Löwe ةبلاص (1) (ṣalāba) Härte ةردن (1) (nudra) Seltenheit RÄUMLICHE ORI‐ ENTIERUNG erhobener Blick (1) tête haute (1), debout (1) GRENZE überwinden (26), Grenzen (1), über seinen Schatten springen (1), Hürden‐ läufer (1) Schwierig‐ keiten überwinden (1) surmonter (2), se dé‐ passer (3), dé‐ passement (2), limites (1), obstacle (3), 204 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="205"?> Deutsch Französisch Arabisch KRAFT Widerstand (1), Ener‐ gie (2), Durchhalte‐ vermögen (1), Kraft (94), Widerstände über‐ winden (1), Durchsetz‐ ungskraft (1) résistance (2), énergie (2), persévérance (9), force (96), effort (3), ةوق (41) (quwwa) Kraft WEG voran (5), vorangehen (2), Ziel (2) aller de l'a‐ vant (5), au bout (1), avant (1), avanti (1), continu (1) GLEICHGEWICHT équilibre (1) Tab. 7.18: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش Wie die Tabelle 7.17 illustriert, sind beim Stimulus MUT rund ein Fünftel aller genannten Assoziationen im Deutschen, im Französischen und Arabischen me‐ taphorisch. Tabelle 7.18 gibt einen Überblick über die primärmetaphorischen Bereiche, die sich aus den Assoziationen der Versuchspersonen ableiten lassen. Am stärksten in den drei Sprachen lässt sich die Dominanz des Bildschemas der Kraft beobachten, die sich durch den direkten Beleg KRAFT/ FORCE/ ةوـــــق dar‐ stellen lässt. Darüber hinaus wurden im Französischen und im Deutschen in derselben Kategorie weitere Assoziationen wie zum Beispiel ENERGIE/ ÉNERGIE, DURCHHALTEVERMÖGEN/ PERSÉVÉRANCE und WIDERSTAND/ RÉSISTANCE eher schwächer aktiviert. Für den Stimulus MUT/ COURAGE scheint die Grenzmetapher ebenso einen wichtigen primärmetaphorischen Be‐ reich für das Deutsche und für das Französische darzustellen. Dies belegen die starke Aktivierung von Assoziationen wie etwa ÜBERWINDEN/ DÉPASSER bzw. DÉPASSEMENT. Im Arabischen hingegen deutet keine einzige Assoziation auf die Grenzmetapher hin. Eine weitere für alle drei Sprachen unterschiedlich relevante Metapher zeigen Assoziationen, die sich auf Entität und Materie beziehen. Hierzu zählen beson‐ ders Tiermetaphern, die mit MUT in Verbindung gebracht werden wie LÖWE/ LION/ دـــسأ oder TIGER/ TIGRE, aber auch Farbmetaphern wie ROT/ ROUGE im Deutschen und Französischen. Sprachspezifische Farbnennungen sind für das Deutsche HELL, GELB und DUNKEL und für das Französische OR (Gold) und BLEU (blau). Auf den primärmetaphorischen Bereich Materie weisen in den drei Sprachen besonders ähnliche Nennungen wie HART/ DURETÉ/ ةبالـــــــــــص und SELTEN/ RARE/ ةردن hin. 205 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="206"?> Ein weiterer metaphorischer Bereich, der sich im Französischen und Deutschen ausdrückt, ist die Wegmetapher. Diese lässt sich anhand von Assoziationen wie VORAN, VORANGEHEN etc. und auch im Französischen mit Äquivalenten wie zum Beispiel AVANT oder AU BOUT finden. Am schwächsten wurde der primärmetaphorische Bereich Gleichgewicht aktiviert, der nur im Französischen mit einer Assoziation ÉQUILIBRE belegt ist, und die Primärmetapher räumliche Orientierung, die im Französischen und Deutschen mit einzelnen Assoziationen wie ERHOBENER BLICK oder TÊTE HAUTE vertreten ist. LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بح Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl ENTITÄT UND MA‐ TERIE groß (2), Pflege (1), rot (27), Wärme (16), Schmetterlinge (2), Herz (60), unzertrenn‐ lich (1), Erfüllung (2) grand (3), ent‐ retenir (1), rouge (15), chaleur (2), papillons (1), cœur (42), blanc (1), bleu (1), pilier (1), épanouisse‐ ment (2), plé‐ nitude (1) بلق (22) (qalb) Herz RÄUMLICHE ORI‐ ENTIERUNG Hochgefühl (1), tief (1), Nähe (9) profond (3) KRAFT UND EIN‐ HEIT Bund (1), stark (2), be‐ dingungslos (2), über‐ wältigend (1), Kraft (5), Zusammengehörigkeit (1), Verbundenheit (8), Anziehung (1), Bin‐ dung (1), Halt (2), zu‐ sammen (10), Zusam‐ menhalt (4), Stärke (2), hingezogen (1), Anhaf‐ tung (1) sentiments forts (1), union (5), fort (1), inconditi‐ onnel (2), in‐ contrôlable (1), force (8), atta‐ chement (1), lien (5), attirance (1) ةقاطلا ) 1 ((ṭāqa) Energie WEG but (1) Tab. 7.19: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بح 206 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="207"?> Neben dem Abstraktum MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجـش lassen sich Metapho‐ risierungsprozesse am meisten beim Emotionsabstraktum LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بح beobachten. Besonders hoch sind diese im Deutschen. Hier sind rund 20 % der Assoziationen metaphorisch bedingt. An diesem Abstraktum lässt sich auch eine hohe Varianz der Bildspender sowie der beteiligten primärmetapho‐ rischen Bildschemata feststellen. Am stärksten sind die Bildspender der Primärmetapher Entität und Materie repräsentiert. Die am meisten aktivierte metaphorische Assoziation in den drei Sprachen bildet der Somatismus HERZ/ CŒUR/ بـــلق, der in allen drei Sprachen eine hohe Frequenz aufweist. Dazu kommt in dieser Kategorie die Farbassozia‐ tion ROT/ ROUGE, die sowohl im Deutschen als auch im Französischen sehr stark mit dem Abstraktum LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بح assoziiert wird. Weiterhin assoziieren die deutschen und französischen Probanden die Bildspender WÄRME/ CHALEUR, PFLEGE/ ENTRETENIR, GROß/ GRAND sowie die Tier‐ metapher SCHMETTERLING/ PAPILLONS. Die sprachspezifischen Assozia‐ tionen in dieser Kategorie suggerieren keine große Differenz der Bildspender, da diese meistens einzelne Belege umfassen. Interessant sind hier die zwei Farb‐ assoziationen im Französischen BLEU (blau) und BLANC (weiß). Auch aus dem primärmetaphorischen Bereich Kraft lässt sich eine Fülle von diversen Bildspendern identifizieren, die ähnlich im Deutschen wie im Franzö‐ sischen genannt werden. Hierzu gehören beispielsweise die Assoziationen STARK, VERBUNDENHEIT, BINDUNG/ ATTACHEMENT, KRAFT/ FORCE usw. Im Deutschen wurden zusätzlich die Assoziationen HALT, ZUSAMMENHALT genannt. Im Arabischen wurde auch der Eintrag ةقاطلا/ ENERGIE identifiziert und im Französischen BUT (Ziel) als Bildspender für die Wegmetapher genannt. Raum- und Orientierungsmetaphern manifestieren sich durch die Assoziationen TIEF und HOCH im Deutschen sowie PROFOND (tief) im Französischen. Hier zeigt sich die Gültigkeit dieser beiden Orientierungsmetaphern für das Emoti‐ onsabstraktum LIEBE. Als sprachspezifisch für das Deutsche gilt die einzige Assoziation NÄHE, die sich auch aus der Raummetapher ableiten lässt. 207 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="208"?> SOLIDARITÄT/ SOLIDARITÉ/ (taḍamun)نماضت Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl GLEICHGEWICHT gegenseitig (2) mutuelle (1), équilibre (1) KRAFT und EINHEIT Stärke (3), Einheit (2), Verbindung (1), Ver‐ bundenheit (8), unein‐ geschränkt (1), Zusam‐ menhalt (35), Hand in Hand (1) force (4), union/ unite (10), lien (1), cohésion (2), main dans la main (1) داحت (13) (itiḥād) Einheit ةلص (1) (ṣila) Verbindung ENTITÄT und MA‐ TERIE Hand (1), Basis (1), fest (1), gelb (1), rot (1), auf‐ recht (3), wertvoll (1) main (3), base (1), solide (2), support (1), cœur (2), se serrer les coudes (2) دي (3) (yad) Hand ZENTRUM PERI‐ PHERIE anti-égocent‐ risme (1) WEG progrès (1), proximité (1) Tab. 7.20: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus SOLIDARITÄT/ SOLIDARITÉ/ (taḍamun)نماضت Der Stimulus Solidarität zeigt auch eine Diversität der aktivierten primärmeta‐ phorischen Bereiche im Deutschen und Französischen gegenüber dem Arabi‐ schen. Obwohl es hier zu einigen Differenzen bezüglich einzelner Nennungen kommt, lässt sich zum Beispiel der primärmetaphorische Bereich Kraft und Ein‐ heit in den drei Sprachen mit der höchsten Frequenz identifizieren. Vertreten ist dieser Bereich in den einzelnen Sprachen mit ganz unterschiedlichen Belegen wie STÄRKE/ FORCE, EINHEIT/ UNION/ UNITÉ, VERBINDUNG/ LIEN. Hierbei kann zusätzlich angemerkt werden, dass die Belege unterschiedlich gewichtet sind. Für das Arabische scheint dieser Bereich keine große Rolle zu spielen. Er ist hier lediglich durch die zwei Belege EINHEIT/ داحتا und VERBINDUNG/ ةلص repräsentiert. Auch divers vertreten, jedoch mit sehr geringer Aktivierung der einzelnen Belege, ist der primärmetaphorische Bereich Entität und Materie. Be‐ sonders auffällig sind hier somatische Assoziationen wie HAND/ MAIN/ دــي, die in allen drei Sprachen als Bildspender für SOLIDARITÄT gelten. Im Französi‐ 208 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="209"?> schen wurde auch CŒUR (Herz) als somatische Assoziation identifiziert. Spe‐ ziell für das Französische wurden des Weiteren die Metaphern Zentrum-Peri‐ pherie mit der Nennung ANTI-ÉGOCENTRISME (Anti-Egozentrismus) und der wegmetaphorische Bereich mit PROGRÈS (Fortschritt) und PROXIMITÉ (Nähe) belegt. DEMOKRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl ENTITÄT und MA‐ TERIE ausgehöhlt (1), Trans‐ parenz (1), Grund‐ satz (1), erneuerungs‐ bedürftig (1), Prozess (1), stürzen (1), gelb (1) malade (1), transparence (1), base (1) ةيفافشلا (3) (šafafia) Transparenz ساسأ (2) (asās) Basis ةبعل (1) (luʿba) Tab. 7.21: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus DEMOKRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد Am geringsten lässt sich die metaphorische Ausprägung beim Stimulus DEMO‐ KRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةـيطارقميد beobachten. In allen drei Spra‐ chen lassen sich nur wenige metaphorische Assoziationen erkennen. Der ein‐ zige Metaphorisierungsprozess, der beim Abstraktum DEMOKRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةــيطارقميد in den drei Sprachen identifiziert wird, ist auf die Primärmetapher Entität und Materie zurückzuführen. Dies verdeut‐ lichen die Belegassoziationen, die in Tabelle 7.21 zu sehen sind. Im Arabischen und Französischen sind es insgesamt weniger Assoziationen, die auf Metapho‐ risierungsprozesse hindeuten, als im Deutschen. Die einzigen Reaktionen, die für alle drei Sprachen zutreffen, sind die Assoziationen TRANSPARENZ/ TRANSPARENCE/ ةيفافشلا und GRUNDSATZ/ BASE/ ساسأ. Im Deutschen nannten die Versuchspersonen darüber hinaus die Assoziationen AUSGEHÖHLT und im Französischen MALADE (krank), die auch eine Personifizierung des Stimulus DEMOKRATIE aufzeigen. Im Deutschen lassen sich des Weiteren einzelsprach‐ liche Belege wie ERNEUERUNGSBEDÜRFTIG, PROZESS, STÜRTZEN fest‐ stellen. Zudem umschreiben die arabischen Versuchspersonen DEMOKRATIE mit der Assoziation ةبعل (Spiel). 209 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="210"?> SICHERHEIT/ SÉCURITÉ/ (ʾamn) نمأ Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl GRENZE Grenze (1), Überwin‐ dung (1) Mauer (1), Zaun (4) limites (1) ENTITÄT und MATERIE (Raummetaphorik) Zuhause (27), Safe (2), daheim (2), Stabi‐ lität (5), Wärme (4), innere (4), Wohnung (2), Wohnraum (1), hohes Gut (1) maison (23), coffre-fort (1), stabilité (2), chaleur (3), chaud à l'âme (1), en‐ tourage (1), cocon (3), en‐ touré (1), noir (2), bleu (1), rouge (1), abri (1), cloisonne‐ ment (1), enfer‐ mement (1) لزنملا (1) (manzil) Haus ئفدلا (1) (difa) Wärme KRAFT Stärke (1) force (7) GLEICHGEWICHT Ausgeglichenheit (1) Tab. 7.22: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus SICHERHEIT/ SÉCURITÉ/ (ʾamn) نمأ Im Gegensatz zu DEMOKRATIE/ DÉMOCRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةــيطارقميد lassen sich Metaphorisierungsprozesse bei SICHERHEIT/ SÉCURITÉ/ (ʾamn) نمأ stärker beobachten. Hier wurden mehrere primärmetaphorische Bereiche identifiziert, die je nach Sprache frequenziell stärker oder schwächer aktiviert werden. Er‐ sichtlich wird, dass metaphorische Assoziationen aus der Primärmetapher En‐ tität und Materie in den drei Sprachen motiviert werden. In allen drei Sprachen nannten die Probanden die Assoziationen HAUS/ MAISON/ لزنملاoder DAHEIM sowie WARM/ CHALEUR/ ئفدلا. Darüber hinaus nannten die deutschen und fran‐ zösischen Probanden Assoziationen wie SAVE/ COFFRE-FORT oder STABI‐ LITÄT/ STABILITÉ. Im Französischen nannten die Probanden in dieser Aus‐ gangsdomäne zusätzlich COCON (Kokon) die Farbassoziationen NOIRE (schwarz), BLEU (blau) und ROUGE (rot). Sprachspezifisch ist der metaphori‐ sche Bereich der Grenzmetapher im Deutschen, wie die Nennungen ÜBER‐ WINDUNG, ZAUN und MAUER zeigen. Die weiteren Bereiche Kraft, räumliche 210 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="211"?> Orientierung sowie Gleichgewicht wurden für das Deutsche und in einigen Fällen auch für das Französische mit einzelnen Assoziationen wie STÄRKE/ FORCE oder GRENZE, AUSGEGLICHENHEIT und HOHES GUT aktiviert. ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوخ Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl ENTITÄT und MA‐ TERIE lähmend (4), schwarz (8), grau (1), dunkel (71), Leere (1), kalt (6), Schatten (1), rot (3), bekämpfen (2), Beklem‐ mung (12) paralysie (6), noir (46), gris (1), sombre (2), vide (5), froid (7), gla‐ çant (1), sang froid (2), noué (1), vert (1) مالظلا (21) (ẓalām) (Dunkelheit) RÄUMLICHE ORI‐ ENTIERUNG tiefsitzend (1) gouffre (1) KRAFT Kraftlosigkeit (1), be‐ drückend (4) GRENZE Enge (6) einengend (1) Hindernis (1), über‐ winden (3), Blockade (2) obstacle (3), à surmonter (1), blocage (4) زجاح (3) ḥaǧiz (Hindernis) WEG Flucht (4), weglaufen (2) fuite (2) Tab. 7.23: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوخ Auch beim Emotionsabstraktum ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوــخ lässt sich die Aus‐ prägung von Metaphorisierungsprozessen für das Deutsche stärker beobachten als im Französischen und Arabischen. Hier sind die aktivierten Bildspender ziemlich variationsreich. Am stärksten vertreten ist der metaphorische Bereich Entität und Materie. Über alle drei Sprachen hinweg wurde zum Beispiel die Assoziation DUNKEL/ SOMBRE/ مالــــــظلا genannt. Im Deutschen und Französi‐ schen tauchen auch die Farbreaktionen GRAU/ GRIS und SCHWARZ/ NOIRE auf. Interessanterweise favorisieren hier die deutschen Probanden die Assozia‐ tion DUNKEL, während die Franzosen NOIRE (schwarz) stärker aktivieren. Weitere Bildspender, die sowohl für das Deutsche als auch für das Französische in unterschiedlicher Ausprägung relevant erscheinen, sind die metaphorischen 211 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="212"?> Bildspender LEERE/ VIDE, KALT/ FROID und LÄHMUNG/ PARALYSIE. Sprach‐ spezifische Metaphern für die beiden Sprachen bilden hingegen wenige Ein‐ träge. Für das Deutsche besonders zentral scheint die metaphorische Assozia‐ tion BEKLEMMUNG, die insgesamt 10 Mal genannt wurde. Für das Abstraktum ANGST scheint der Rückgriff auf die Kraftmetaphern im Deutschen spezifisch zu sein. Dies illustrieren die zwei Assoziationen KRAFT‐ LOSIGKEIT und BEDRÜCKEND, die nur im Deutschen genannt werden. Für das Deutsche und Französische gleichsam relavant sind Grenzmetaphern, die sich in den Assoziationen BLOCKADE/ BLOCAGE, HINDERNIS/ OBSTACLE sowie ÜBERWINDUNG/ SURMONTER manifestieren. Im Arabischen findet le‐ diglich die grenzmotivierte Metapher (Hindernis) زجاح Nennung. Die räumliche Orientierung als primärmetaphorischer Bereich zeigt mit den Assoziationen TIEFSITZEND im Deutschen und GOUFFRE (Abgrund) im Französischen eine ausgeglichene Ausprägung. Anders ist es mit der Wegmetapher, die im Deut‐ schen mit FLUCHT und WEGLAUFEN repräsentiert ist, im Französischen hin‐ gegen nur mit FUITE (Flucht). WÜRDE/ DIGNITÉ/ (karāma) ةمارك Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl ENTITÄT und MA‐ TERIE behalten (5), unan‐ tastbar (62), Pflanze (1), angekratzt (1), ver‐ letzlich (6), unnahbar (1) intouchable (1) RÄUMLICHE ORI‐ ENTIERUNG hoch (2), aufrecht (3), aufrechter Gang (1), Kopf hoch (1), Erha‐ benheit (2) haut (2), pos‐ ture, debout (3), tête haute (4), hautain (2), regard haut (1) KRAFT Kraft (2) force (5) Tab. 7.24: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus WÜRDE/ DIGNITÉ/ (karāma) ةمارك Für den Stimulus WÜRDE/ DIGNITÉ lassen sich für das Deutsche und das Französische insgesamt drei primärmetaphorische Bereiche identifizieren (s. Tabelle 7.24). Auffallend ist hier, dass im Arabischen keine einzige metaphori‐ sche Assoziation identifiziert wurde. Der stärkste primärmetaphorische Bereich Entität und Materie ist im Deutschen durch eine Reihe von Assoziationen 212 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="213"?> repräsentiert, wohingegen nur ein Eintrag im Französischen zu finden ist. Die einzige für das Französische und das Deutsche auffindbare Nennung für diesen Bereich ist die Assoziation UNANTASTBAR/ INTOUCHABLE, die mit 62 Nennungen die stärkste Assoziation im Deutschen darstellt, im Französi‐ schen jedoch nur ein Mal genannt wurde. Hinzu kommen im Deutschen zahlreiche weitere Belege wie VERLETZLICH, UNNAHBAR, ANGEKRATZT und PFLANZE. Im Gegensatz zum primärmetaphorischen Bereich der Entität und Materie ist die räumliche Orientierung im Deutschen und Französischen ausgeglichen vertreten. Hier wurden mehrere Assoziationen wie HOCH/ HAUT, AUFRECHT/ POSTURE, AUFRECHTER GANG/ DEBOUT usw. in beiden Spra‐ chen genannt. Der letzte, nur mit einem Eintrag vertretene Metaphorisierungs‐ prozess betrifft die Primärmetapher Kraft, die mit KRAFT/ FORCE sowohl im Deutschen als auch im Französischen genannt wurde. GERECHTIGKEIT/ JUSTICE/ (ʿadl) لدع Deutsch Französisch Arabisch Primärmetaphori‐ sche Bereiche Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl Beleg, Anzahl GLEICHGEWICHT Waage (25), Gleich‐ gewicht (2), ausgegli‐ chen (1), Ausgleich (2), ausgleichend (1) balance (63), équilibre (6) نازيملا (21) mizān (Wage) ENTITÄT und MA‐ TERIE hart (2), blind (1), Schwert (5), Statue (1), aufgeteilt (1), Verteilung (4), teilen (8), Grundsatz (1), blau (1), gelb (1), grün (1), fehlend (2) dure (2), aveugle (8), glaive (2), statue (1), marteau (2), barreau (1) فيسلا (3) (sayf) Schwert RÄUMLICHE ORI‐ ENTIERUNG ein hohes Gut (1), hoher Wert (1) KRAFT ةوقلا (1) (quwwa) Kraft WEG Ziel (2), unerreichbar (4) Tab. 7.25: Metaphorische Assoziationen zum Stimulus GERECHTIGKEIT/ JUSTICE/ (ʿadl) لدع 213 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="214"?> Der Stimulus GERECHTIGKEIT/ JUSTICE/ (ʿadl) لدع zeigt auch eine starke Ak‐ tivierung von Metaphorisierungsprozessen im Deutschen und im Französi‐ schen. Im Arabischen sind hier nur wenige Reaktionen metaphorisch bedingt. Obwohl im Französischen eine stärkere Metaphorisierung durch die starke Ak‐ tivierung von Assoziationen wie BALANCE (63) suggeriert wird, ist im Deutschen eine höhere Diversität der Bildspender sowie der aktivierten primärme‐ taphorischen Bereiche zu beobachten. Der wichtigste metaphorische Bereich für GERECHTIGKEIT wird durch das Bildschema Gleichgewicht motiviert. Hier findet sich die meistassoziierte Reaktion WAAGE/ BALANCE/ نازيملا in den drei Sprachen. Diese Reaktion wird vor allem im Französischen stark mit dem Sti‐ mulus JUSTICE konnotiert. Zwischen dem Französischen und dem Deutschen stimmen noch die Assoziationen GLEICHGEWICHT und ÉQUILIBRE mitein‐ ander überein. Hinzu kommen im Deutschen Variationen dieser Assoziation wie AUSGEGLICHEN, AUSGLEICH und AUSGLEICHEND vor. Diese weisen jedoch keinen sprachspezifischen Charakter auf, da sie demselben Wortfeld ent‐ stammen. Ein weiterer vor allem für das Deutsche und Französische relevante meta‐ phorische Bereich ist der der Entität und Materie. Auch hier stimmen mehrere deutsche und französische Einträge miteinander überein. Zu den gemeinsamen metaphorischen Assoziationen in diesem Bereich gehören zum Beispiel die Nennungen HART/ DURE, BLIND/ AVEUGLE, SCHWERT/ GLAIVE und STATUE/ STATUE. Im Arabischen drückt sich diese Ausgangsdomäne in der Assoziation فيس/ GLAIVE/ SCHWERT aus, die sowohl im Deutschen als auch im Französischen vorkommt. Sprachspezifische Assoziationen lassen sich hier stark im Deutschen beob‐ achten. Hier nannten die Versuchspersonen Farben wie BLAU, GELB und GRÜN sowie die Assoziationen TEILEN, VERTEILUNG und GRUNDSATZ. Im Gegen‐ satz dazu nannten die Französischsprechenden MARTEAU (Hammer) und BAR‐ REAU (Stab) als Bildspender für GERECHTIGKEIT. Für die weiteren metapho‐ rischen Bereiche der räumlichen Orientierung, der Kraft und des Weges wurden einzelne sprachspezifische Assoziationen für das Deutsche identifiziert wie HOHES GUT, HOHER WERT, ZIEL und UNERREICHBAR. Im Arabischen wurde die metaphorische Assoziation KRAFT/ ةوــقلا genannt, die auf denselben metaphorischen Bereich hinweist. 7.3.2 Zusammenfassung Bezüglich der Metaphorisierungsprozesse zeigen die Ergebnisse keinen großen Unterschied zwischen den drei untersuchten Gruppen, außer, dass im Arabi‐ 214 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="215"?> schen die metaphorischen Assoziationen im Vergleich zum Deutschen und zum Französischen sehr gering sind. Als markanter Unterschied fällt der hohe Me‐ taphorisierungsgrad auf, den die emotionsbeladenen Stimuli in den drei Spra‐ chen gleichermaßen erzielen und zwar sowohl bei der Anzahl der identifizierten Belege als auch bei deren Varianz. Alle drei Untersuchungsgruppen verwenden auffällig mehr Metaphern zu den Stimuli LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بــــح, ANGST/ PEUR/ (ḫawf) فوخ und MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش. Diese Metaphorik ent‐ spricht in den meisten Fällen den primärmetaphorischen Bereichen ENTITÄT und MATERIE, RAUM und RÄUMLICHE ORIENTIERUNG, GRENZE, KRAFT und EINHEIT sowie BALANCE, die in den bildschematischen Konzepten von Lakoff/ Johnson (s. Abschnitt 5.2) verankert sind. Im Deutschen wurden alle fünf ermittelten primärmetaphorischen Bereiche nur beim Emotionsbegriff ANGST und bei SICHERHEIT identifiziert. Im Französischen sind es die Stimuli SOLI‐ DARITÉ, COURAGE und AMOUR, für die alle fünf metaphorischen Bereiche aktiviert wurden. Bei Stimuli wie DEMOKRATIE/ (dīmuqraṭiya) ةيطارقميد ist die Aktivierung von Metaphern generell in den drei Sprachen sehr schwach. Im Arabischen wurden ferner am wenigsten metaphorische Bereiche aktiviert, wie der Stimulus WÜRDE/ (karāma) ةمارك zeigt, der keine einzige metaphorische As‐ soziation hervorrief. Hinzu kommen die niedrigen metaphorischen Prozesse, die sich hier für SICHERHEIT/ (ʾamn)نمأ ergeben. Des Weiteren zeigt eine genaue Beobachtung bezüglich der Nutzung der eru‐ ierten übergeordneten primärmetaphorischen Bereiche, dass die meisten Me‐ taphorisierungsprozesse durch den ontologischen Bereich ENTITÄT und MA‐ TERIE motiviert sind. Vor allem in den aktivierten Metaphern zu den Emotionsbegriffen LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بــح und ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوـــخ zeigt sich ein hoher Bezug zu diesem Bereich. Ein ebenso wichtiger primärer Ausgangsbereich ist das Bildschema der KRAFT. Dieses zeigt sich in allen Spra‐ chen für manche Stimuli wie MUT/ COURAGE/ (šaǧāʿa) ةعاجش, LIEBE/ AMOUR/ (ḥub) بــــــح, ANGST/ PEUR/ (ḫawf)فوــــــــخ und SOLIDARITÄT/ SOLIDARITÉ/ (taḍamun) نماـــضت als eine wichtige Quelle zur Konkretisierung dieser Stimuli. Die weiteren primärmetaphorischen Bereiche kommen je nach Stimulus anders zum Vorschein und zeigen aus diesem Grund keine Systematik bei deren Nut‐ zung. Nicht überraschend ist zum Beispiel die dominante Primärmetapher der BALANCE für den Stimulus GERECHTIGKEIT/ JUSTICE/ (ʿadl) لدــــــــع, die die meisten metaphorischen Assoziationen in den drei Sprachen umfasst. Für WÜRDE/ DIGNITÉ/ (karāma) ةــــمارك hingegen spielen zum Beispiel raummeta‐ phorische Orientierungsausdrücke im Französischen und im Deutschen eine wichtige Rolle. SICHERHEIT/ SÉCURITÉ/ (ʾamn) نمأ fokussiert hingegen Meta‐ phern, die sich auf ENTITÄT und MATERIE beziehen, aber auch raummeta‐ 215 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="216"?> phorisch geprägt sind. Die Tatsache, dass in den Sprachen ähnliche Primärme‐ taphern bzw. Bildschemata aktiviert werden, bedeutet - wie gesehen - nicht immer, dass in den einzelnen Sprachen dieselben komplexen Metaphern auf‐ treten. Deshalb lässt sich eine klare Systematik hinsichtlich der Unterschiede zwischen dem Deutschen, dem Französischen und dem Arabischen nicht leicht erschließen. Ein differenzierteres Bild zeigt der Gebrauch der komplexen Metaphern, die durch die einzelnen metaphorischen Assoziationen zum Vorschein gebracht werden. Unterschiede treten hier trotz der Übereinstimmung und der identi‐ schen Dominanz von den oben genannten primärmetaphorischen Bereichen auf, wie diverse Beispiele zeigen. Hier können beispielsweise Farben als Bild‐ spender für die emotionsbezogenen Stimuli wie beim Stimulus MUT/ COURAGE im Französischen und im Deutschen genannt werden. Die beiden Untersu‐ chungsgruppen stimmen in der Farbe ROT überein, aber noch stärker wird MUT im Deutschen mit GELB assoziiert, eine Assoziation, die im Französischen und Arabischen keine Nennung findet. Ein weiteres Beispiel für sprachspezifische komplexe Metaphern stellen beispielsweise somatische Ausdrücke dar, die sich auch je nach Sprache manchmal anders gestalten, wie die Assoziation CŒUR im Französischen für den Stimulus SOLIDARITÉ, die weder im Deutschen noch im Arabischen auftritt. Weitere Metaphorisierungsversuche sprachspezifischer Natur, an denen sich die kulturelle Prägung von komplexen Metaphern manifestiert, stellen beispielsweise grenzmetaphorische Assoziationen bei dem Stimulus SICHER‐ HEIT/ SÉCURITÉ wie ZAUN und MAUER im Deutschen und die entitäts- und raumbezogene Assoziation COCON (Kokon) im Französischen dar. Auch für den Emotionsbegriff LIEBE lässt sich beispielsweise im Deutschen die Assoziation NÄHE identifizieren, die als solche nicht in den zwei anderen Sprachen auftritt. Die Deutschen nennen weitere spezifische metaphorische Ausdrücke für ANGST wie die mehrfach genannte Assoziation der ENGE bzw. EINENGEND. Dazu kommen die durch den metaphorischen bildschema‐ tischen Bereich KRAFT motivierten Assoziationen KRAFTLOSIGKEIT und BEDRÜCKEND sowie die wegmetaphorischen Assoziationen wie etwa ZIEL und UNERREICHBAR. Auch für WÜRDE nannten die deutschen Probanden sehr häufig die Assoziationen VERLETZBAR oder VERLETZT, die in den beiden Kontrastsprachen Französisch und Arabisch keine Nennung fanden. All diese Beispiele, die bei jedem Stimulus in unterschiedlicher Intensität verteten sind, zeigen, dass gerade auf der Ebene der komplexen Metaphern, die meisten Unterschiede zwischen den Sprachen zu betrachten sind. 216 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="217"?> 7.3.3 Diskussion In der Metaphernanalyse wurden die metaphorischen Prozesse von acht abs‐ trakten Stimuli kontrastiert. Die dahinterstehende Hypothese (3) (s. Abschnitt 6.4) ist, dass an der Konzeptualisierung von Abstrakta metaphorische Prozesse beteiligt sind und dass diese Prozesse sprachbzw. kulturspezifisch sind. Durch die Operationalisierung dieser Hypothese liefern die Ergebnisse diesbezüglich ein differenziertes Bild. Grundsätzlich wird durch die Ergebnisse ersichtlich, dass Metaphorisierungsprozesse in allen drei Sprachen nicht gleichmäßig ver‐ ankert sind und dass die kulturspezifischen Ausprägungen dieser je nach Stimulus und je nach Analyseebene (primärmetaphorische Bereiche oder kom‐ plexe Metaphern) unterschiedlich zum Vorschein kommen. Insofern lässt sich die Hypothese zur metaphorischen Prägung von Abstrakta bestätigen, woraus bezüglich der Kulturspezifik von Metaphern ein differenziertes Bild resultiert, das je nach Analyseebene (Primärmetaphern, komplexe Metaphern) anders ausfällt. Dieser Befund zur metaphorischen Prägung von Abstrakta wird im Folgenden vor dem Hintergrund der Hypothese diskutiert. Wie die Ergebnisse darlegen, zeigen alle drei untersuchten Sprachen im Hinblick auf die Nutzung von Metaphern bei dem assoziativen Verhalten vergleichbare Ergebnisse. Dieses Ergebnis geht mit der These der embodied cognition einher, die besagt, dass die perzeptuell bedingte Körpererfahrung eine epistemische Ressource darstellt, aus der das verstehensrelevante Bedeutungs‐ wissen abgeleitet wird (s. Abschnitt 3.1.2) und mit der These der Metaphern‐ theorie, die besagt, dass Abstraktes über metaphorische Übertragungsprozesse konkretisiert wird (s. Abschnitt 5.1). Der eindeutige Hinweis darauf ist die Nachweisbarkeit von Metaphorisierungsprozessen bei nahezu allen abstrakten Stimuli in allen untersuchten Sprachen. Die Befunde stützen somit die kognitive Annahme einer starken metaphorischen Strukturierung sowie Repräsentation abstrakter Konzepte. Wie die unterschiedlichen assoziierten Reaktionen in den drei Sprachen zeigen, wirken sich die unterschiedlichen körperlichen Erfahrungen auf die für die Metaphern präferierten Primärmetaphern bzw. Bildschemata aus, das heißt, es werden Assoziationen hervorgerufen, die zu den eigenen, idiosynkratischen Erfahrungen passen und für die eine adäquate kulturspezifische Erfahrungsbasis vorhanden ist. Dies führt zu einer kulturellen Varianz der aktivierten metaphorischen Präferenzen vor allem auf der Ebene der komplexen Metaphern. Dieses Ergebnis untermauert die Annahme von Kö‐ vecses (2005), dass komplexe Metaphern primär von der kulturellen Varianz be‐ troffen sind. Es ist daher zu bemerken, dass die kulturspezifischen Unterschiede bei den identifizierten Metaphern eher durch den sprachlichen Gebrauch als durch die wahrnehmungsbedingte körperliche Erfahrung begründet sind. 217 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="218"?> Darüber hinaus bestätigt die ermittelte Befundlage die im Kapitel 5 skizzierte These von Kövecses (2008), nach der es bei kulturspezifischen Variationen meistens weniger um die Existenz unterschiedlicher Primärmetaphern und Ausgangsdomänen geht, als vielmehr um die preferential conceptualisation bzw. den experiential focus. Mit Bezug auf die embodied cognition erklärt K ÖV E C S E S (2008: 393): Embodiment may consist of a variety of aspects, or components, and any of these may become the preferred one in a given culture and at a given time. Which aspect(s), or component(s), of (otherwise) universal embodiment receive(s) more attention from speakers of a language largely depends on the broader cultural context. Die kulturelle Bedingtheit der metaphorischen Ausprägungen auf der Ebene der komplexen Metaphern, die durch die Divergenzen in der Intensität der Ak‐ tivierung von identischen metaphorischen Assoziationen in den drei Sprachen zum Vorschein kommen, weisen auf Konventionalisierungsprozesse hin, die sprachbezogen sind. Zwar behandeln Lakoff und Johnson diese metaphorischen Unterschiede zwischen den Sprachen und ihre kulturellen Spezifika nicht explizit in ihrem Ansatz, jedoch gehen die beiden Autoren davon aus, dass auf der Ebene der komplexen Metaphern starke Konventionalisierungsprozesse zu beobachten sind. Primary metaphors are like atoms that can be put together to form molecules. A great many of these complex molecular metaphors are stable - conventionalized, entrenched, fixed for long periods of time (L A K O F F / J O H N S O N 1999: 60). Ein weiterer Grund für Kulturspezifik, die sich in der Ungleichheit der Intensität der aktivierten metaphorischen Assoziationen in den einzelnen Sprachen ma‐ nifestiert, sind die Übertragungsprinzipien des Hiding und Highlighting, die im Abschnitt 5.1 erläutert wurden. Hierdurch werden nur einige Aspekte durch die Metaphern hervorgehoben und andere verborgen, was das Auftreten solcher Unterschiede begünstigt und je nach Stimulus eine andere kulturspezifische, sprachspezifische metaphorische Prägung zum Vorschein bringt. Auch der markante Unterschied der weitaus höheren Metaphorisierungspro‐ zesse, die die Emotionsstimuli in den drei Sprachen gleichermaßen sowohl bei der Anzahl der Belege als auch bei deren Varianz erzielten, steht im Einklang mit der bisherigen Metaphernforschung. Wie Lakoff (1993) und Kö‐ vecses (2008, 2018) hervorheben, haben Metaphern eine wichtige Funktion bei der Konstruktion von Gefühlszuständen. Dies lässt sich auf die Vorstellung zurückführen, dass der Körper ein Container für Emotionen ist, wie die Beispiele im Abschnitt 5.4 zeigen. Vor allem bei Kövecses lassen sich Emotionsbegriffe 218 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="219"?> durch eine starke Metaphorik kennzeichnen. Seine generellen Beobachtungen der metaphorischen Basis von Abstrakta basieren größtenteils auf der Unter‐ suchung von Emotionsstimuli (vgl. Kövecses 2006). Doch Kövecses selektive Herangehensweise bei der Auswahl der Metaphern zu den Stimuli und der daraus folgenden Position, dass Emotionen durch das Kraftschema als eine Master-Metapher strukturiert seien, wie sein folgendes Zitat bezeugt, lässt sich nicht durch die Ergebnisse des Wortassoziationstests bekräftigen. A large number of emotion metaphors are specific-level instantiations of this [FORCE] superordinate-level metaphor, each playing a somewhat different role in conceptua‐ lizing the emotion domain (K ÖV E C S E S 2006: 219). Wie die Ergebnisse zeigen, sind durchaus weitere primärmetaphorische Be‐ reiche relevant, die den Emotionsstimuli ihren konkreten Charakter verleihen. Hier sind - wie gesehen - die ontologischen Metaphern der ENTITÄT und MATERIE in einigen Fällen ausgeprägter. Auch wenn die weiteren Abstrakta im Vergleich zu den Emotionsstimuli in der vorliegenden Untersuchung weniger metaphorische Ausdrücke aktivieren, kann das hier nicht vor dem Hintergrund unterschiedlicher Grade der Meta‐ phorizität unterschiedlicher Abstrakta interpretiert werden. Konventionelle metaphorische Assoziationen werden scheinbar nicht automatisch durch die Methode der freien Assoziationen stimuliert. Deshalb lässt sich der Grad der Metaphorizität nicht allein durch die frei produzierten Wortassoziationen bemessen. Es gibt durchaus weitere metaphorische Bezüge, die durch diese Methode nicht aufgedeckt werden können. Um die kognitive Prozessualität von Metaphern zu beanspruchen, scheinen Korpusanalysen, aber auch qualitative Methoden wie Leitfrageninterviews effizienter zu sein (s. Abschnitt 5.4, vgl. Ziem 2015, Schröder 2012, Gruber 2018). Diese Methoden ermöglichen das Erkennen der systematischen Nutzung von Metaphern, indem kontextuelle und diskursspezifische Aspekte der Bedeutung lexikalischer Einheiten berücksich‐ tigt werden, in denen die Bedeutung von Abstrakta ausgehandelt wird. Ein Aspekt, der zur Konzeptualisierung von Abstrakta jedoch eindeutig wird, ist, dass Abstrakta nicht ausschließlich metaphorisch strukturiert sind. Die Ergebnisse zeigen in dieser Hinsicht, dass die metaphorischen Assoziationen lediglich einen Teil, manchmal auch nur einen Bruchteil der Assoziationen ausmachen. Dies verdeutlicht ein Rückblick auf die framesemantisch bezogene Diskussion der Ergebnisse (s. Abschnitt 7.2.1.3), der zeigt, dass außer den metaphorischen Bezügen abstrakter Konzepte weitere Aspekte für die Konzep‐ tualisierung dieser Konzeptarten wichtig sind. Neben metaphorisch geprägten Assoziationen gibt es, wie bereits gesehen, weitere introspektiv motivierte 219 7.3 Konzeptuelle Metaphern in Wortassoziationen <?page no="220"?> Assoziationen wie etwa affektive und evaluative Assoziationen sowie Kontin‐ genzassoziationen, hinzu kommen die taxonomischen und situativen Assozia‐ tionen. Es sind deshalb in den Ergebnissen deutliche Unterschiede im Hinblick auf die metaphorisch bedingten Assoziationen zu erkennen. Die diskutierten Ergebnisse stellen folglich lediglich Hinweise auf die Metaphorizität dar, die einer weiteren Überprüfung bedürfen, um die Systematik des metaphorisch konzeptuellen Hintergrunds der Stimuli umfassender zu generieren. Aus diesem Grund lässt auch die aus theoretischer Hinsicht begründete kulturelle Varianz der Metapher nicht behaupten, dass alle einzelsprachlichen komplexen Metaphern einen rein kulturspezifischen Charakter haben. Um dies zu bekräftigen, bedarf es weiterer Untersuchungen, die gezielt überprüfen, inwieweit die Metaphern, die nur in einer Sprache erscheinen, in den anderen Sprachen vertreten sind. Die Hypothese (3), dass an der Konzeptualisierung von Abstrakta metaphorische Prozesse beteiligt sind und dass diese Metaphern sprach- und kulturspezifisch sind, lässt sich zwar im Hinblick auf den Grad der Konventionalisierung durch die nicht immer gleich vorkommenden Frequenzen der einzelnen Metaphern bestätigen. Sie bedarf jedoch hinsichtlich der Exklu‐ sivität der einzelsprachlichen komplexen metaphorischen Assoziationen als kulturell bedingt einer erweiterten Analyse, die größere Korpora untersucht oder andere Methoden nutzt, um die festgestellten Unterschiede zu bestätigen. 220 7 Ergebnisse und Diskussion <?page no="221"?> 8 Zusammenfassung und Ausblick Frames und metaphorische Konzepte sind die kognitiven Repräsentationen, aus denen sich sprachliche Bedeutung und Kultur in unseren Köpfen konstitutiert. Diese Repräsentationen stellen uns kognitive Karten bereit, um die Interaktion mit der Welt zu steuern. Eine solche Funktion ist nicht trivial, da effektive sprachliche Kommunikation ein Verständnis davon erfordert, welche Bedeu‐ tungsaspekte in einer Sprachgemeinschaft relevant sind. In dieser Arbeit wurde gezeigt, dass kulturelle Repräsentationen sich in jeder Sprache unterschiedlich und je nach Konkretheit bzw. Abstraktheit konzeptueller Wissenseinheiten anders manifestieren. In semantisch-theoretischer Hinsicht präsentiert die vorliegende Arbeit eine ganzheitliche Sicht auf das kognitive semantische System, das aus den Inter‐ aktionen zwischen den Mitgliedern einer kulturellen Gruppe entsteht. Die semantische Kompetenz ist nach diesem Verständnis nicht nur mit allgemeinen kognitiven Prinzipien wie etwa der Kategorisierung und Schematisierung ver‐ knüpft, sondern auf das Engste mit tradierten kulturell geprägten Wissensstruk‐ turen verbunden, die durch die oben genannten Interaktionen innerhalb einer Sprachgemeinschaft entstehen. Diese Kulturspezifik der Kognition offenbart sich lexikalisch in konkreter Weise als Frames und konzeptuelle metaphorische Strukturen, die ein integraler Aspekt der emergenten sprachgebundenen kul‐ turellen Kognition darstellen. In der Einleitung wurde das Ziel formuliert, diese kulturspezifischen Bedeutungskonstitutionsprozesse von lexikalischen Einheiten kognitionslinguistisch zu untersuchen und durch konzeptuelle Dif‐ ferenzen zwischen Konkreta und Abstrakta anhand von Wortassoziationsexpe‐ rimenten im Deutschen, Französischen und Arabischen statistisch zu quantifi‐ zieren. Das Interesse an diesen Divergenzen zwischen Konkreta und Abstrakta gibt Aufschluss über unterschiedliche lexikalisch-semantische Modellierungen im mentalen Lexikon sowie über diverse Strategien der Bedeutungskonstitution und der semantischen Verarbeitung unterschiedlicher lexikalischer Einheiten. Im Mittelpunkt des Forschungsstandes, der in dieser Arbeit präsentiert wurde, standen insbesondere psycholinguistische, kognitiv-semantische sowie kognitiv-anthropologische Ansätze, die die Erfassung sprachlicher Bedeu‐ tungen ermöglichen. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: <?page no="222"?> 1. Der Ausgangspunkt und Grundstein der dichotomen Unterscheidung zwi‐ schen Konkreta und Abstrakta ist neben den Vorteilen des Erwerbs für Konkreta der lange in der psycholinguistischen Forschung bekannte Kon‐ kretheitseffekt, der ursprünglich auf Arbeiten von Paivio zurückzuführen ist (Paivio 1965, 1969, 1986). Demnach zeigt sich die Verarbeitung von Konkreta in vielerlei Hinsicht robuster als die Verarbeitung von Abstrakta. Als Erklärung für diese Diskrepanzen in der Verarbeitung beider kognitiver Wissenseinheiten kursieren diverse Ansätze, die die Gründe für diese Unterschiede auf der kognitiven Ebene ansiedeln. Als besonders kompa‐ tibel mit den Erkenntnissen der kognitiven Semantik hat sich die Con‐ text-Availability-Theorie herausgestellt (Schwanenflugel et al. 1988, 1992). Hiernach liegt der Hauptunterschied zwischen Konkreta und Abstrakta darin, dass für Konkreta wie zum Beispiel [TISCH] einfacher Kontexte hervorgerufen werden, in denen sie verwendet werden, als für Abstrakta, wie beispielsweise [GERECHTIGKEIT], die mit einer höheren Anzahl an Kontexten verbunden sind. Auch neuronale Prozesse, die kategorienspe‐ zifische Aktivierungseffekte von Gehirnzentren aufweisen, bekräftigen die Dichotomie zwischen Konkreta und Abstrakta (vgl. zum Beispiel Pulvermüller 2013). Dieser Unterschied in der Korrelationsstruktur deutet nicht nur auf unterschiedliche kognitive Mechanismen für die Bedeutungs‐ erschließung konkreter und abstrakter Konzepte hin, sondern bekräftigt die Betrachtung dieser beiden Konzeptarten als ein Kontinuum (Keil 1989, Setti/ Caramelli 2005). Grundsätzlich ergeben sich zwischen Konkreta und Abstrakta aus psycholinguistischer Sicht drei wesentliche Unterschiede, die ihre Verarbeitung beeinflussen und in Verbindung zueinanderstehen: die ontologische Beschaffenheit, die konzeptuelle Komplexität und die Bedeutungsvariabilität. 2. Obgleich Konkreta und Abstrakta aus psycholinguistischer Sicht auf Unter‐ schiede in ihrer konzeptuellen Repräsentation hinweisen, unterliegen sie den gleichen kognitiven Prinzipien. Grundlagentheoretisch wird diese Re‐ präsentationsart aus der kognitiv holistischen Darlegung des semantischen Wissens untermauert. Diese Annahme ist in der kognitiven Semantik auch als das Generalization commitment bekannt (vgl. Evans/ Green 2006: 193, Evans 2017). Demnach spiegeln sich die Organisationsprinzipien des kon‐ zeptuellen Systems auch in der Sprache wider. Diese sind auch eng mit der Perzeption und körperlichen Erfahrung verknüpft (embodiment). Un‐ abhängig vom Grad der Abstraktheit oder Konkretheit eines lexikalischen Konzepts sind aber die grundlegenden kognitiven Prinzipien (Kategori‐ sierung, Schematisierung und Assoziationen), die für Bedeutungskonsti‐ 222 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="223"?> tutionsprozesse elementar sind, in beiden Kategorien am Werk. Ferner zeigt der gebrauchsbasierte Ansatz, dass sich semantische Einheiten aus konkreten Gebrauchsereignissen ergeben. Durch den Gebrauch einer le‐ xikalischen Einheit in verschiedenen Zusammenhängen werden immer wiederkehrende Wissenselemente verfestigt (Ziem 2009a). Diese Art von Wissen hat einen stabilen Charakter und spiegelt das geteilte soziokulturell konstruierte sprachliche Wissen einer Sprachgemeinschaft wider. 3. Abgesehen von der Rolle der Konkretheit bzw. Abstraktheit als Einfluss‐ faktoren auf den Grad der kulturellen Prägung der Bedeutung eines lexikalischen Konzeptes zeigt sich, dass jede lexikalische Einheit, so einfach und problemlos sie auf der Oberfläche erscheint, eine gewisse Kulturper‐ spektivik aufweist (Roche 2013). Diese Sicht zeigt sich in der vorliegenden Arbeit als in hohem Maße mit den grundlegenden kognitiven Prinzipien der Bedeutungskonstruktion wie Kategorisierungs- und Schematisierungs‐ prozessen vereinbar. Entscheidend für die Modellierung dieser Kultur‐ spezifik des semantischen Wissens von Konkreta und Abstrakta ist die Sichtweise der dynamischen Bedeutungskonstruktion von gebrauchsba‐ sierten semantischen Modellen (vgl. Langacker 2008, Ziem 2009a, Schmid 2017), die die Bedeutung einer lexikalischen Einheit als enzyklopädisch betrachten. Die lexikalische Bedeutung hängt hiernach immer mit einem gewissen Maß an Erfahrungen, Weltwissen und Konventionen zusammen. Kognitive Repräsentationen können demnach nicht unabhängig von den soziokulturellen Erfahrungen betrachtet werden, in denen sie entstanden sind (Busse 2012). Dass das semantische Wissen keine subjektive oder gar universelle Gegebenheit ist, sondern auf soziokulturell vermitteltem Weg erfahren wird und Konventionalisierungsprozessen unterliegt, zeigen auch kognitiv angelegte kulturwissenschaftliche und anthropologische Ansätze, die die sprachlich konzeptuelle und soziokulturelle Ebene als miteinander verbunden betrachten, weil Menschen im Rahmen soziokulturell geprägter Praktiken ihre Erfahrungen aufeinander beziehen und teilen und so eine Grundlage für gemeinschaftlich geteilte konzeptuelle Strukturen schaffen (Sharifian 2017, Geertz 2002, Shore 1996). Diese können als Frames der betreffenden Konzepte modelliert werden. 4. Um die tiefensemantischen Strukturen für Konkreta und Abstrakta zu modellieren, bieten Frames ein geeignetes Instrumentarium (Ziem 2018). Frames sind wissensstrukturierende konzeptuelle Einheiten, in denen das semantische Wissen einer lexikalischen Einheit in Form typisierter Gestalt im Langzeitgedächtnis abgespeichert ist. Frames weisen in allen frame‐ semantischen Ansätzen eine prädikative schematische Struktur auf, die 223 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="224"?> hauptsächlich aus drei Strukturkonstituenten besteht: Leerstellen, Werte und Standardwerte. Ein grundsätzlicher kognitiver Aspekt bei Frames be‐ trifft die Herausbildung von Standardwerten als Ausdruck von Prototypi‐ zität und Kulturspezifik. Im Rückgriff auf das Phänomen des Entrenchment bzw. der Konventionalisierung (Schmid 2018) konnte aufgezeigt werden, wie Standardwerte entstehen und wie sie als verfestigte prädikative Struk‐ turen dazu beitragen, einem lexikalischen Konzept eine prototypische Struktur zu verleihen. Ziem (2009a, 2018) bezeichnet diese metaphorisch als Trampelpfade. Als ideelle Werte eines Konzepts lassen sich Standardwerte aufgrund der Konstanz der perzeptuellen ontologischen Beschaffenheit bei konkreten Begriffen über Sprachen hinweg gleichermaßen verfestigen. Der Frame BUCH eröffnet beispielsweise semantische Leerstellen wie zum Beispiel Bestandteile von Büchern, ihre typische materielle Beschaffenheit und ihre konkrete Form sowie den ideellen Wert von Büchern. Jede dieser Leerstellen akzentuiert einen perzeptuell oder funktionell klar umrissenen Wissensaspekt, auch bei unterschiedlichen Klassen von Konkretheit, wie sie in den Matrixframes von Konerding (1993) operationalisiert werden. Im Gegensatz zu konkreten Konzepten enthalten abstrakte Konzepte aber tendenziell mehr situationsbezogene und introspektive Wissensaspekte. Die Bedeutung von [SOLIDARITÄT] beginnt zum Beispiel damit, dass ein Sprecher eine Behauptung über eine Situation aufstellt, etwa: "Ich bleibe zu Hause und halte Abstand". Ein Zuhörer vergleicht sie mit der aktuellen Situation (einer Pandemie) und entscheidet, wie er die Behaup‐ tung vor dem Hintergrund der jetzigen Situation zu interpretieren hat. Diese Bedeutung von [SOLIDARITÄT] kann als ein situationsbezogener Konzeptualisierungsprozess dargestellt werden. Viele abstrakte Konzepte, die in dieser Arbeit behandelt wurden, können in ähnlicher Weise als kom‐ plexe Frames betrachtet werden, bei denen introspektive Wissensaspekte im Mittelpunkt stehen. Die Situationsbezogenheit sowie die Ausprägung von introspektiven Wissensaspekten bei Abstrakta führen zu der niedri‐ geren Ausprägung ihrer Standardwerte und somit auch zu ihrer erhöhten kulturellen Prägung. 5. Eine weitere kognitiv-holistische Beschreibung der Konzeptualisierung von Abstrakta, die ihre besondere ontologische Beschaffenheit als nicht perzeptuell wahrnehmbare Referenten berücksichtigt, bietet die konzeptu‐ elle Metapherntheorie an. Der Grundgedanke dieser Sichtweise besteht darin, dass konkrete Konzepte als metaphorische Basis verwendet werden, um abstrakte Konzepte kognitiv greifbar zu machen (Lakoff/ Johnson 1980/ 2003, Kövecses 2005). Diese Übertragungsprozesse drücken sich 224 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="225"?> sprachlich in Form von komplexen und primären Metaphern aus. Zum Beispiel liegt die primäre Metapher „ZEIT ist GELD“ Ausdrücken wie „Ich habe viel Zeit gespart“ oder „Zeit verschwenden“ zugrunde. Dieser metaphorische Prozess ermöglicht es den Menschen, eine abstrakte Erfah‐ rung auf der Grundlage einer anderen greifbaren Erfahrung zu verstehen. Diese Prozesse fußen auf kognitiven Bildschemata. Unter Bildschemata verstehen Lakoff und Johnson (1980/ 2003) sehr abstrakte konzeptuelle Strukturen, die sich auf der Grundlage der körperlichen Erfahrung heraus‐ bilden. Dazu gehören Bildschemata wie zum Beispiel das Behälter-Schema, die Ausdrücke motivieren, wie „Ich platze vor Wut“. 6. Obwohl diese metaphorischen Prozesse prinzipiell in allen Sprachen ähn‐ lich ablaufen, lässt sich dabei eine gewisse Kulturperspektivik feststellen. Dies zeigen Untersuchungen, die die kulturellen Spezifika von konzep‐ tuellen Metaphern eruieren (Sharifian 2017, Schröder 2012, Yu 2007). Kövecses (2015a) führt das auf den experiencial focus zurück, der diese kul‐ turelle Spezifik begründet. Dieser geht davon aus, dass bei metaphorischen Prozessen in unterschiedlichen Sprachen unterschiedliche Foki gesetzt werden können, die zum Teil konventionalisiert werden. 7. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass Abstrakta aufgrund ihrer on‐ tologischen Beschaffenheit und konzeptuellen Komplexität stärker von kulturgebundenen sprachspezifischen Bedeutungsaspekten betroffen sind als Konkreta, zeigt die kontrastive Untersuchung der vorliegenden Arbeit mittels freier Wortassoziationen zwischen dem Deutschen und den Kon‐ trastsprachen Französisch und Arabisch eine differenzierte Darlegung der Konventionalisierung von Bedeutungsaspekten. Dass dieses Ziel ohne Ein‐ schränkung der Wortassoziationen in dieser Untersuchung möglich war, liegt darin begründet, dass die häufigsten Assoziationen diejenigen sind, die durch die relevantesten semantischen Beziehungen erzeugt werden und die "besten" Antworten darstellen. Selbst wenn also kein Anpassungsdruck auf die Versuchspersonen in den drei Gruppen ausgeübt wird, werden Assoziationen in den Sprachen abgerufen, die dem kulturellen Konsens am nächsten stehen (Deese 1965, Bluhm 1983). Durch den methodischen Vorgang in dieser Arbeit, mittels freier Wortassoziationen an kulturgebun‐ denes sprachspezifisches Wissen zu gelangen und anhand von explorativen statistischen Parametern zu quantifizieren, konnte sowohl anhand der intrasprachlichen als auch der intersprachlichen Ergebnisse eine gewisse Evidenz der drei aufgestellten Hypothesen zum Grad der kulturellen Prä‐ gung von Konkreta und Abstrakta festgestellt werden. Die Kontrastierung des Deutschen mit dem Französischen und dem Arabischen zeigt, wie 225 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="226"?> graduell sich die semantischen Ähnlichkeiten und Differenzen auf der konzeptuellen Ebene manifestieren. 8. Auf der intrasprachlichen Ebene der Ergebnisse und des daraus resultie‐ renden Vergleichs zwischen den Sprachen lässt sich die oben genannte Annahme bestätigen. Abstrakta und Konkreta zeigen bezüglich ihrer kon‐ ventionalisierten Bedeutungsaspekte bei allen abgeleiteten statistischen Parametern erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Produktivität der Versuchspersonen sowie auf die lexikalische Varianz, die Dispersion und die Prototypizität der generierten assoziativen Netzwerke. Obwohl je nach Sprache eine abweichende Anordnung der Stimuli zum Vorschein kommt, bleibt der Konkretheitseffekt in allen Sprachen ersichtlich. Die Ergebnisse liefern allerdings keine kategorienspezifischen Unterschiede bezüglich unterschiedlicher Klassen von Konkreta und Abstrakta. Demnach ist fest‐ zustellen, dass die Differenzen zwischen Konkreta und Abstrakta, die sich zwischen Konkreta und Abstrakta ergeben, hauptsächlich mit dem klassischen Konkretheitseffekt in Zusammenhang stehen, der auf einer dichotomen Unterscheidung ausgehend von der perzeptuellen Wahrneh‐ mung fußt (vgl. Borghi/ Binkofski 2014). Bemerkenswert ist jedoch die Betrachtung der Stimuli der Kategorie Ereignis wie URLAUB und PARTY und der sozialen Gruppen wie etwa FAMILIE, die trotz ihrer hohen konzeptuellen und ontologischen Komplexität in den drei Sprachen mit hohen Konkretisierungseffekten auftreten. Dieser Unterschied resultiert entgegen allen anderen abstrakten Kategorien aus deren ontologischen Beschaffenheit (Schmid 2000). 9. Intersprachlich wurde eine Quantifizierung der semantischen Nähe bzw. Distanz zwischen dem Deutschen und den beiden Kontrastsprachen Fran‐ zösisch und Arabisch ermittelt. Dieses Ziel wurde anhand der statistischen Parameter erreicht, die die semantischen Überlappungen zwischen den assoziativen Netzwerken der einzelnen Stimuli in den drei Sprachen aus unterschiedlichen Perspektiven abbilden. Diese sind: die Überschneidung der semantischen Netzwerke zwischen den Sprachen, die Auslastung der gemeinsam aktivierten Assoziationen, die Art der aktivierten Leerstellen sowie deren Verteilung in den drei Sprachen. Aus diesen Analysen ergibt sich, dass das Deutsche semantisch dem Französischen nähersteht als dem Arabischen. Die meisten semantischen Unterschiede zeigen sich bei Abstrakta viel stärker als bei Konkreta. Diese Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass die Konkretheit bzw. Abstraktheit einer lexikalischen Einheit den Grad der konventionalisierten Standardwerte und somit die kulturspezifische Prägung maßgeblich bestimmt. 226 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="227"?> 10. Bei Abstrakta wird auch offensichtlich, dass sie durch ihre starke Me‐ taphorik zu weiteren Divergenzen bezüglich ihrer Konzeptualisierung zwischen den Sprachen führen. Diese Divergenzen veranschaulichen die metaphorischen Mappings, die in den Sprachen ablaufen und auch auf eine kulturelle Spezifik hindeuten. Am meisten sind diese Kulturspezifika auf der generischen Ebene der komplexen Metaphern, die in den drei Sprachen identifiziert wurden, zu beobachten. Die dahinterliegenden pri‐ mären Metaphern zeigen hingegen keine großen Unterschiede zwischen den Sprachen. Durch dieses Ergebnis konnte ein differenziertes Bild über die kulturelle Motiviertheit der Metaphorik der abstrakten Stimuli in den drei Sprachen eruiert werden. Obwohl die Framesemantik und die konzeptuelle Metapherntheorie in ihrer Programmatik unterschiedliche Akzente bei der Beschreibung der semantischen Strukturen setzen, hat sich durch die vorliegende Arbeit eine fruchtbare Kombination der beiden Ansätze gezeigt. Der Grundgedanke dieser beiden theoretischen Konzepte hat sich auch als kompatibel mit dem Einsatz von Wortassoziationen zur Aufdeckung von semantischen Prägungen sowie mit den statistischen Quantifizierungsparametern gezeigt. Für die weitere Arbeit ist es wichtig, die hier vorgefundenen Muster von abstrakten und konkreten Konzepten durch alternative Methoden wie etwa mittels Priming Studien, zu überprüfen. Das heißt, dass die gewonnenen Assoziationsnormen als Grundlage für weitere Experimente dienen könnten, in denen zum Beispiel die hochfre‐ quenten Assoziationen der Versuchspersonen in verschiedenen Sprachen auf ihre Allgemeingültigkeit verifiziert werden. Außerdem könnten die in der vorliegenden Untersuchung verwendeten explorativen Maße (Produktivität, Varianz, Dispersion und Prototypizität) in psycholinguistischen Untersuchungen und in der kognitiven Semantik als mögliche Faktoren wahrgenommen werden, die die Verarbeitung dieser beiden Konzeptarten und ihre kognitive Repräsentation je nach Grad der Ausprägung dieser Maße beeinflussen können. Die aufgezeigten statistischen Maße könnten hierbei möglicherweise zu weiteren Erklärungen für Verarbeitungsunterschiede zwischen Konkreta und Abstrakta beitragen. Für eine inhaltlich qualitative Kontrastierung von kulturspezifischen seman‐ tischen Bedeutungsaspekten in verschiedenen Sprachen sind auch korpusge‐ leitete diskurslinguistische Untersuchungen geeignet, die durch große Textkor‐ pora die Frames konkreter und abstrakter Konzepte abbilden. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Studien, die entweder einzelsprachlich vorgehen oder sich nur auf brisante Begriffe beschränken (Ziem 2014a und b, Gruber 2018). Hier könnte vor allem die Ausprägung von Wissensbeständen bestimmter Konzept‐ 227 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="228"?> arten in verschiedenen Sprachen im Zentrum des Interesses stehen. Darüber hinaus könnte die Einbeziehung weiterer Variablen, wie etwa die kontextuelle und die emotionale Valenz der Stimuli, stärker in den Blick genommen werden. Obwohl die vorliegende Untersuchung primär dem Zweck dient, quanti‐ tativ-statistische Ergebnisse für Konkreta und Abstrakta zusammenzutragen, und die dargestellten Ergebnisse einen klaren Unterschied zwischen Konkreta und Abstrakta suggerieren, lassen sich hieraus für weitere Bereiche große Nutzen ziehen. Vor allem für Sprachvermittlungsprozesse ist es sinnvoll, die aufgedeckten Unterschiede zu berücksichtigen, scheitert der Erwerb konzeptu‐ eller Kompetenzen doch gerade an der mangelnden sprachkulturspezifischen Differenzierung im konventionellen Sprachunterricht. Bedauerlicherweise zeigt ein Blick auf Lehrwerke und in vermeintlich innovative digitale Angebote zum Sprachenlernen, dass die Wortschatzarbeit häufig ohne kulturellen Bezug, wenig systematisch und im Vergleich zu den anderen Fertigkeiten unterge‐ ordnet und nicht intensiv geübt wird. Die in dieser Arbeit aufgezeigten Unter‐ schiede zwischen Konkreta und Abstrakta liefern für einen nicht auf kulturelle Stereotype der „Landeskunde“ beschränkten Vermittlungsansatz Anhaltspunkte für eine didaktisch sinnvolle Wortschatzarbeit, die auf eine differenzierte se‐ mantische und tiefergehende Darstellung der Bedeutungsnuancen abzielt und nicht auf doppelten Kodierungsmöglichkeiten (einfachen Glossaren) mittels fremdsprachiger Wörterbücher basiert. Vor allem Abstrakta sollten aufgrund ihrer verdichteten assoziativen Bedeutung, ihrer Kontextbezogenheit und der hohen Beteiligung introspektiver Bedeutungsaspekte mit einer geeigneten Sensibilisierung behandelt werden. Es ist also im gängigen Fremdsprachenun‐ terricht wenig hilfreich, sich auf die denotative Bedeutung oder eine zweite Kodierungsmöglichkeit in der Muttersprache der Lerner zu beschränken. Es ist auch wenig sinnvoll, sich auf Strategien zur Automatisierung und nicht zum kultursensiblen Einsatz zu kaprizieren. Die Arbeit mit Wortassoziationen kann dagegen dazu führen, in kommunikativen Situationen soziokulturell ange‐ messen zu agieren und zu reagieren und damit eine im Sinne der konzeptuellen und pragmatischen Kompetenz reibungslose Kommunikation zu ermöglichen. Dass die Metaphorik einen festen Bestandteil unserer konzeptuellen Struk‐ turen darstellt und, wie hier gezeigt wurde, der Zugang zu konzeptuellen Informationen ohne diese bei Abstrakta unmöglich ist, mag für den L1-Sprecher unbewusst sein. Für den Erwerb einer Zweitsprache stellt diese selbstverständ‐ liche Metaphorik jedoch einen hervorzuhebenden Lerngegenstand dar. Das, was für den L1-Sprecher oft unhinterfragt bleibt, soll im L2-Erwerb durch das Einbeziehen metaphorischer Motiviertheit in Sprachvermittlungsprozessen bewusst gemacht und systematisch behandelt werden. Das Ziel ist hier nicht 228 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="229"?> die denotativ-enzyklopädische Vermittlung sprachspezifischer Metaphern, son‐ dern vielmehr die Kompetenz zu fördern, diese zu erkennen, neue Wege zur Steuerung der Bedeutungserschließung zu erfahren und dem Lernenden eine zusätzliche perzeptuell basierte Kodierungsmöglichkeit anzubieten. Außerdem kann das Erkennen der metaphorischen Motiviertheit den Ausbau des mentalen Lexikons fördern und neue Verarbeitungswege und Memorisierungsstrategien aufzeigen. Auch damit lassen sich Abstrakta besser erfassen und erwerben. 229 8 Zusammenfassung und Ausblick <?page no="231"?> 9 Literaturverzeichnis A G A R , Michael (1994): Language Shock: Understanding the Culture of Conversation. New York: William Morrow. A I T R A M D A N , Mohcine (2015): Kulturspezifische Bedeutungsnuancen von Abstrakta. 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Oktober 2016) 2018, 558 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-8118-1 565 Vincent Balnat L’appellativisation du prénom Étude contrastive allemand-français 2018, 298 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8185-3 566 Silvia Natale Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen Italienisch und Französisch im Vergleich unter Berücksichtigung bilingualer SprecherInnen 2018, 212 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8209-6 567 Ilona Schulze Bilder - Schilder - Sprache Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum 2019, 227 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-8233-8298-0 568 Julia Moira Radtke Sich einen Namen machen Onymische Formen im Szenegraffiti 2020, 407 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8330-7 571 Melanie Kunkel Kundenbeschwerden im Web 2.0 Eine korpusbasierte Untersuchung zur Pragmatik von Beschwerden im Deutschen und Italienischen 2020, 304 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8364-2 573 Mario Franco Barros Neue Medien und Text: Privatbrief und private E-Mail im Vergleich 2020, ca. 750 Seiten €[D] 119,90 ISBN 978-3-8233-8377-2 574 Sofiana Lindemann Special Indefinites in Sentence and Discourse 2020, 250 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8381-9 575 Junjie Meng Aufgaben in Übersetzungslehrbüchern Eine qualitative und quantitative Untersuchung ausgewählter deutschchinesischer Übersetzungslehrbücher 2020, 206 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-8382-6 <?page no="248"?> 576 Anne-Laure Daux-Combaudon, Anne Larrory- Wunder Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue Syntaktische, semantische und textuelle Aspekte / aspects syntaxiques, sémantiques et textuels 2020, 392 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8386-4 577 Bettina Eiber Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache Ein französisch-italienischer Vergleich 2020, 473 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8407-6 578 Lidia Becker, Julia Kuhn. Christina Ossenkop, Anja Overbeck, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti (Hrsg.) Fachbewusstsein der Romanistik Romanistisches Kolloquium XXXII 2020, 327 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8418-2 579 Lidia Becker, Julia Kuhn. Christina Ossenkop, Anja Overbeck, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti (Hrsg.) Romanistik und Wirtschaft Romanistisches Kolloquium XXXIII 2020, 274 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8420-5 580 Claudia Schweitzer Die Musik der Sprache Französische Prosodie im Spiegel der musikalischen Entwicklungen vom 16. bis 21. 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Was bedeutet solidarité? In beiden Fällen handelt es sich um die Frage nach der Bedeutung abstrakter Sachverhalte, die trotz ihrer vermeintlichen Äquivalenz an der lexikalischen Oberfläche jeweils eine unterschiedliche kulturelle Perspektivik repräsentieren. Die vorliegende Studie untersucht mittels eines vergleichenden Wortassoziationsexperimentes, das die assoziativen Reaktionen von insgesamt 750 Sprecher: innen des Deutschen, Französischen und Arabischen auf 12 konkrete und 12 abstrakte Begriffe umfasst, inwieweit sich Konkreta und Abstrakta im Hinblick auf ihre kulturspezifische Konzeptualisierung unterscheiden. ISBN 978-3-8233-8556-1
