Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien
Textanalysen und -vergleiche im Spektrum forensischer Linguistik, Informationssicherheit und Machine-Learning
0313
2023
978-3-8233-9561-4
978-3-8233-8561-5
Gunter Narr Verlag
Steffen Hessler
10.24053/9783823395614
Dieser Band wirft einen genauen Blick auf die Autorschaftserkennung im Bereich der Forensischen Linguistik. Mit Textanalysen und -vergleichen von inkriminierten Texten werden schreiberidentifizierende Merkmale erarbeitet und analysiert, die dabei helfen, Hinweise auf Täter:innen zu finden. Ferner werden theoretische Rahmenbedingungen und Analysen von authentischen inkriminierten Schreiben vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit dem BKA erstellt wurden. Anhand der Analysen wird eine bisher noch nicht beschriebene Verstellungsstrategie herausgearbeitet: die Stilisierungsstrategie. Bei dieser überdecken Täter:innen den eigenen Sprachgebrauch mit stilisierten Merkmalen, die aus verschiedenen Medien bekannt sind, und verschleiern damit ihre persönliche sprachliche Kompetenz. Wegen der großen Menge an inkriminierten Texten werden Methoden zur teil-automatisierten Analyse entwickelt und in der Arbeit vorgestellt.
<?page no="0"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Dieser Band wirft einen genauen Blick auf die Autorschaftserkennung im Bereich der Forensischen Linguistik. Mit Textanalysen und -vergleichen von inkriminierten Texten werden schreiberidentifizierende Merkmale erarbeitet und analysiert, die dabei helfen, Hinweise auf Täter: innen zu finden. Ferner werden theoretische Rahmenbedingungen und Analysen von authentischen inkriminierten Schreiben vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit dem BKA erstellt wurden. Anhand der Analysen wird eine bisher noch nicht beschriebene Verstellungsstrategie herausgearbeitet: die Stilisierungsstrategie. Bei dieser überdecken Täter: innen den eigenen Sprachgebrauch mit stilisierten Merkmalen, die aus verschiedenen Medien bekannt sind, und verschleiern damit ihre persönliche sprachliche Kompetenz. Wegen der großen Menge an inkriminierten Texten werden Methoden zur teilautomatisierten Analyse entwickelt und in der Arbeit vorgestellt. 585 Hessler Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Textanalysen und -vergleiche im Spektrum forensischer Linguistik, Informationssicherheit und Machine-Learning Steffen Hessler ISBN 978-3-8233-8561-5 <?page no="1"?> Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 585 <?page no="3"?> Steffen Hessler Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Textanalysen und -vergleiche im Spektrum forensischer Linguistik, Informationssicherheit und Machine-Learning <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823395614 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Verlag und Autor haben sich bemüht, alle Rechteinhaber von Abbildungen, die nicht unter das wissenschaftliche Zitatrecht fallen, zu ermitteln. Berechtigte Hinweise auf übersehene Rechtsansprüche erbitten wir an den Verlag. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-8561-5 (Print) ISBN 978-3-8233-9561-4 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0427-2 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 1 15 2 19 3 25 4 33 4.1 33 4.2 35 4.3 36 4.4 37 4.5 37 5 39 5.1 39 5.2 40 5.3 40 5.4 43 5.5 45 5.6 47 5.7 48 5.8 48 6 51 6.1 51 6.2 52 Inhalt Fragestellungen und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der forensischen Linguistik und Fragestellungen im Bereich der Autorenerkennung . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere relevante Forschungsdisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozio- und Varietätenlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linguistische Semantik und Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachkontaktforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienlinguistik und Online-Kommunikation . . . . . . . . . . . Fehlerforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse . Individuelles Sprachverhalten vs. Gesamtpopulation . . . . . . Unvoreingenommenheit bei Textanalysen und insbesondere Textvergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrscheinlichkeitsaussagen und Nicht-Linearität bei Textvergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypothesenbildung bei der Autorschaftsanalyse . . . . . . . . . . Keine exklusive Nutzung eines Ausdrucks und Sprachwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strittige Punkte und Forschungsdebatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitative und quantitative Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individualstil und sprachlicher Fingerabdruck vs. Varietäten und sprachlicher Fingerzeig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 6.3 57 6.4 60 7 63 8 65 8.1 66 8.2 67 8.3 67 8.4 68 8.5 68 8.6 69 8.7 69 9 71 9.1 71 9.2 74 9.3 78 9.4 81 9.5 83 9.6 84 9.7 85 9.8 87 9.9 90 9.10 92 9.11 93 9.12 96 9.13 97 9.14 98 10 101 10.1 104 10.2 111 Multiple Autorschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muttersprachliches Selbstbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorschaftserkennung in multimedialen Umgebungen . . . . . . . . . . Datengrundlage und Hinweise zum Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . Kenntnis des Mediums und des Untersuchungsgegenstandes Deutschsprachige Amazon-Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . Englischsprachige Amazon-Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . Online-Foren (Gaming und Börse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inkriminierte Textserie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medial stilisierte Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenschutz, Urheberschaft, gute wissenschaftliche Praxis sowie Opferschutz im Zusammenhang mit Autorenanalyse Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse . . . . . . . . . . . Fehlerdefinition - Normiertheit und Regelwerke . . . . . . . . . Fehlerforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerbeschreibung, sprachliche Ebenen und Erscheinungsbild von Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlertypen und Fehlerschwere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muttersprachliche, lernersprachliche und fingierte Fehler . . Markiertheitstheorie - Stil, Fehler und Markiertheit . . . . . . . Stilanalysen und stilistische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reliabilität und Validität stilistischer Merkmale . . . . . . . . . . Kurzer Exkurs: Kritik am zu vereinfachten Umgang mit Metadaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkmalsets und Merkmalsetmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitative Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) . . . . . . . . . . Befunde in KISTE - Befundkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 11 115 11.1 115 11.2 116 11.3 117 11.4 120 11.5 121 11.6 123 12 125 12.1 126 12.2 128 12.3 136 13 137 13.1 138 13.2 142 13.3 143 13.4 146 13.5 151 14 153 14.1 153 14.2 154 14.3 155 14.4 158 14.5 162 15 163 15.1 163 Autorenerkennung in Online-Umgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Medienbegriff in dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Internet als Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prototypische Eigenschaften der Internetkommunikation . . Sprache in Internetforen und Online-Rezensionen - konzeptionelle Mündlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problematik internetbasierter Daten und Fluidity im Bedeutungsspektrum forensischer Linguistik . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster empirischer Teil - Probeerhebungen - Rezensionen der Produktkategorie Cola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diatopische Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse von Cola-Rezensionen auf amazon.de . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter empirischer Teil - Verdacht auf Verbreitung von Desinformation und Verstellungsstrategien in Social Media . . . . . . Verdacht auf Verschleierungsstrategien und Verbreitung von Desinformation in einem Internetforum . . . . . . . . . . . . . . . . . Kursmanipulationen an der Börse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachsprachlichkeit in Börsenforen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstellungsstrategien im Zusammenhang mit Kursmanipulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erpresserschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anonymität und Nicht-Öffentlichkeit von Erpresserschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Textfunktionen von Erpresserschreiben und Abgrenzung von Drohbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erpresserschreiben als Textsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Komponenten der Textsorte Erpresserschreiben . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstellungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anonymität, fingierte Autorschaft und metasprachliches Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 15.2 164 15.3 165 15.4 166 15.5 168 15.5.1 169 15.5.2 170 15.5.3 171 15.5.4 173 15.5.5 174 15.5.6 175 15.6 175 15.6.1 177 15.6.2 177 15.6.3 178 15.6.4 181 15.6.5 182 15.7 183 15.7.1 189 15.7.2 190 15.7.3 190 15.7.4 192 15.7.5 193 15.7.6 195 Sprachliche Verstellungsstrategien - Grundlegende Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstellungsstrategien als sprachlicher Stil . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen der Verstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich verstellen bzw. lügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ‚Fake News‘ und ‚Lügenpresse‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lügen im psychologischen und juristischen Sinn . . . Lügen im linguistischen Sinn in Abgrenzung zum laienhaften Verständnis von Lügen . . . . . . . . . . . . . . . Lügen als Veränderung des sprachlichen Stils . . . . . . Verstellungsstrategien als eine bestimmte Variante des Lügens und Täuschens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien Dissimilatorische Verstellungsstrategien - Verschleierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Simulatorische Verstellungsstrategien - Imitation . . Imitation als Verstellungsstrategie und die Darstellung von Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Imitation als Verstellungsstrategie und varietätenlinguistische Fragestellungen . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die unspezifische Imitationsstrategie Foreigner Talk Spezifik von Einzelsprachen vs. Nicht-Spezifik der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit . . . . . . . Die Bedeutung von Code-Switching für Verstellungsstrategien als Nicht-Muttersprachler/ in Tertiärer Ethnolekt, Foreigner Talk und Xenolekt . . Der Weg ins Bewusstsein - Mediale Vorbilder, Verbreitung und Generierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsicht bei Rückschlüssen auf Mehrsprachigkeit bei der Analyse einzelner Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 15.7.7 196 15.7.8 198 15.8 199 15.8.1 201 15.8.2 205 15.8.3 206 16 209 16.1 210 16.1.1 210 16.1.2 211 16.1.3 212 16.1.4 214 16.1.5 216 16.1.6 219 16.1.7 222 16.2 224 16.2.1 224 16.2.2 225 16.2.3 225 16.2.4 225 16.2.5 227 16.2.6 230 16.2.7 232 16.2.8 235 16.2.9 236 16.3 237 17 241 17.1 243 17.2 243 17.2.1 244 Untersuchungen zur Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grad der Verstellung und Detektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fingierte Fehler im Rahmen von Verstellungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (In-)Konsistenz von Merkmalen bei Verstellungen und Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien . . . . . . . . Stilanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenstilisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datumsangaben, Grußformeln und Anreden . . . . . . . Groß- und Kleinschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikalische Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehleranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Getrennt- und Zusammenschreibung . . . . . . . . . . . . . Interpunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alte und neue deutsche Rechtschreibung . . . . . . . . . . Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orthographie oder Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstanz der Fehlerhaftigkeit und Plausibilität . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter empirischer Teil - Analyse von Verstellungsstrategien im Rahmen einer Textserie inkriminierter Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . Verstellungsstrategien - Verschleierung, Imitation und Stilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte von Verstellungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Saliente, sprecheridentifizierende Merkmale und Gesamtpopulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="10"?> 17.2.2 244 17.2.3 245 17.2.4 245 17.2.5 246 17.2.6 246 17.2.7 246 17.2.8 247 17.2.9 247 17.3 247 17.4 248 17.5 252 17.5.1 252 17.5.2 269 17.5.3 278 17.5.4 283 17.5.5 284 17.5.6 293 17.5.7 294 17.5.8 298 17.5.9 298 17.5.10 308 17.5.11 310 17.5.12 310 17.6 311 17.6.1 311 17.6.2 313 Konsistenz und Plausibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stufen schriftsprachlicher Kompetenz . . . . . . . . . . . . Errors / Mistakes / Tippfehler - Das Auftreten von korrekten neben falschen Formen . . . . . . . . . . . . . . . . Zugänglichkeit - Oberflächliche und tiefer liegende sprachliche Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inkonsistenzen im Verlauf eines Textes und Unterschiede zwischen mehreren Texten . . . . . . . . . . Sprachmischungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Xenolekt vs. Sprachkontaktphänomene . . . . . . . . . . . Der Konflikt der Verständnissicherung . . . . . . . . . . . Anmerkungen zur Arbeitsweise bei der Analyse . . . . . . . . . . Heterogene schriftsprachliche Kompetenz und keine eindeutige Verstellung in den Texten X1-X10 . . . . . . . . . . . . Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz und Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit in den Texten X11-X21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung von Fremdsprachlichkeit - Fremdsprachliche Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit zur Darstellung von Fremdsprachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung von Fremdsprachlichkeit - Pseudofremdsprachliche Endungen . . . . . . . . . . . . . . Hoher Grad der Verstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widersprüche bei der schriftsprachlichen Kompetenz Nicht-Plausibilität und Inkonsistenz anhand konkreter Textvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der unterschiedlichen Realisationen eines Lexems in einem Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Auffälligkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallenlassen der bisherigen Verstellungsstrategie in den Texten X22-X36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse von Text X22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Texte X23-X26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt <?page no="11"?> 17.6.3 314 17.6.4 315 17.7 316 17.7.1 317 17.7.2 323 17.7.3 325 17.7.4 338 17.8 340 18 343 18.1 344 18.2 348 18.3 349 18.3.1 350 18.3.2 351 18.4 352 18.5 357 19 359 19.1 360 19.2 362 19.2.1 364 19.2.2 367 19.2.3 376 19.2.4 378 19.2.5 379 19.2.6 381 19.3 385 20 389 Analyse der Texte X27-X30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Texte X31-X36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mediale Stilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsziele der Verstellungsstrategien im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Stilisierungsstrategie im Rahmen der inkriminierten Textserie im Vergleich mit medial stilisierten Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medial stilisierte Sprache als Vorbild für die Stilisierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative, statistische und automatisierte Ansätze . . . . . Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interne Struktur von AdHominem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trainingsset . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Test-Set . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anpassungen der Texte durch AdHominem . . . . . . . . . . . . . . Markierungen bzw. Attentions in AdHominem . . . . . . . . . . . Vierter empirischer Teil - Analysen der Textvergleiche von AdHominem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probeerhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeichensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diatopische Variationen & Fremdsprachen . . . . . . . . Stilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinierte Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung, Herausforderungen und Ziele . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 11 <?page no="12"?> 393 395 396 397 398 399 401 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Korpora, Textsammlungen und Sprachatlanten . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilderverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Inhalt <?page no="13"?> Meinen Eltern Barbara und Rainer sowie meiner kleinen Familie Maxi und Jonathan gewidmet Großer Dank an Maxi und Potti für die Hilfe bei der Entstehung dieser Arbeit Großer Dank an Prof. Dr. Karin Pittner für die Betreuung dieser Arbeit <?page no="15"?> 1 Damit sind meist Internet-basierte Arten von Manipulationsversuchen anderer Per‐ sonen gemeint. Vgl. hierzu insb. Kapitel 7. 2 Vgl. auch IT-Security Awareness 1 Fragestellungen und Aufbau der Arbeit In vielen schriftsprachlichen Bereichen des Internets, wie Texten in sozialen Medien, Online-Rezensionen oder anonymen Mails, haben die Leser/ innen keine gesicherten Informationen über die Verfasser/ innen. Daher ist es im schriftsprachlichen Bereich auch leichter möglich, den eigenen Sprachgebrauch zu verschleiern, Fehler zu fingieren und den Sprachstil anderer zu imitieren bzw. zu stilisieren, um eine falsche Identität vorzutäuschen. Bei Texten, die in krimineller Absicht verfasst werden, wie beispielsweise Erpresserbriefen, Phishing-Mails oder Online-Betrugsfällen, ergibt sich hieraus ein großes Scha‐ denspotential. Sprachliche Verstellungsstrategien werden ebenfalls zur Verbreitung von Desinformation und Einflussnahme auf andere User/ innen eingesetzt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden Texte in multimedialen Umgebungen auf den Einsatz von Verstellungsstrategien hin untersucht. Herzstück ist eine Analyse der sprachlichen Merkmale einer inkriminierten Textserie, die in diesem Umgang und dieser Tiefe bislang in der Forschung nicht vorgelegt wurde. Bei der Imitation vermeintlich typischer Vertreter/ innen bestimmter Gruppen können unplausible Merkmalsets und sprachliche Inkonsistenzen Hinweise auf Verstellungsstrategien geben. Bei der Untersuchung werden neue Methoden für die Einordnung von Verstellungsstrategien entwickelt. Die Stilisierung wurde bisher in der Forschung noch nicht als eigenständige Verstellungsstrategie analysiert. Die Forschungsergebnisse stellen Verschleierungs-, Imitations- und Stilisie‐ rungsstrategien in verschiedenen medialen Umgebungen vor und bieten neue Ansätze zur Abwehr von Social Engineering 1 und zur Steigerung des Bewusst‐ seins für Informationssicherheit 2 in privaten und institutionellen Bereichen. Außerdem soll die Entwicklung des Systems AdHominem dazu beitragen, Textvergleiche teilweise automatisieren zu können. Zuerst werden in Kapitel 2 die grundsätzlichen Fragen behandelt, womit sich die forensische Linguistik beschäftigt und welchen Nutzen sie in der Praxis bietet. Unter Kapitel 3 wird ein Überblick grundlegender und aktueller Forschungsliteratur und Anwendungsbereiche der Autorschaftserkennung ge‐ <?page no="16"?> geben. In Kapitel 4 werden weitere, für die Autorenerkennung relevante For‐ schungsdisziplinen mit ausgewählter Forschungsliteratur vorgestellt. Textanalysen und Textvergleiche sind Unterbereiche der Autorschaftserken‐ nung. In Kapitel 5 werden beide Bereiche vorgestellt und voneinander abge‐ grenzt. Es werden die Fragen geklärt, wie das individuelle Sprachverhalten gegenüber der Gesamtpopulation einzuschätzen ist, was Textanalysen und Textvergleiche beinhalten, welche Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Au‐ torschaft gemacht werden können und wie aus Textanalysen und Textverglei‐ chen eine Hypothesenbildung gewonnen werden kann. Kapitel 6 zeigt, dass einige Fragestellungen der Autorenerkennung kontro‐ vers diskutiert werden. Dazu gehört, in welchen Bereichen qualitative und quantitative Analysen eingesetzt werden können. Ebenfalls wird der Frage nachgegangen, ob es einen Individualstil gibt und wie solche Überlegungen mit variationslinguistischen Konzepten zu vereinbaren sind. Weiterhin werden Herausforderungen wie multiple Autorschaft oder muttersprachliches Selbst‐ bewusstsein diskutiert. Kapitel 7 gibt einen Überblick, in welchen Bereichen Autorenerkennung eingesetzt werden kann. Dann werden in Kapitel 8 Korpora und Textsamm‐ lungen, wie Online-Rezensionen, Beiträge in Online-Foren, medial stilisierte Texte und eine inkriminierte Textserie vorgestellt. Sie bilden die Grundlage für vier empirische Untersuchungen in dieser Arbeit. In Kapitel 9 werden, ausgehend von einer allgemeinen Fehlerdefinition, Fragen zu Fehlern auf verschiedenen sprachlichen Ebenen, ihrem jeweiligen Erscheinungsbild sowie zur Aussagekraft von Fehlern behandelt. Außerdem werden stilistische Analysen sowie die Reliabilität und Validität stilistischer Merkmale im Rahmen von Textanalysen behandelt. Es folgt eine Einordnung von Fehlern in unterschiedliche Typen sowie eine Thematisierung von Fehlerur‐ sachen, die insbesondere bei der Analyse verschiedener Verstellungsstrategien bedeutsam ist. In Kapitel 10 werden Merkmale bzw. Befundkategorien auf verschiedenen linguistischen Betrachtungsebenen wie Orthographie, Interpunktion, Morpho‐ logie, Syntax etc. innerhalb des Systems KISTE (BKA) vorgestellt. In Kapitel 11 werden das Internet als Medium ebenso wie prototypische Eigenschaften der Internetkommunikation und Spezifika der verwendeten Sprache in Submedien des Internets thematisiert und auf die Herausforderungen beim Umgang mit internetbasierten Daten eingegangen. Im Rahmen des ersten empirischen Teils dieser Arbeit werden in Kapitel 12 Online-Rezensionen analysiert. Es wird der Frage nachgegangen, ob es möglich ist, anhand bestimmter Merkmale Hinweise auf den Ort der sprachlichen 16 1 Fragestellungen und Aufbau der Arbeit <?page no="17"?> Sozialisation der Verfasser/ innen zu erhalten. In Kapitel 13 werden von User/ inne/ n geäußerte Verdachtsfälle auf die Verbreitung von Desinformation in Online-Foren fokussiert, die mit dem Gebrauch von Verstellungsstrategien einhergehen. Kapitel 14 thematisiert Fragen, die die Nicht-Öffentlichkeit und verschiedene Textfunktionen von Erpresserschreiben betreffen. Erpresserschreiben werden hier von ‚verwandten‘ Texten wie Drohbriefen abgegrenzt und als Textsorte be‐ schrieben. Dazu werden einzelne Komponenten der Textsorte Erpresserschreiben vorgestellt. In Kapitel 15 wird untersucht, wie Anonymität in Texten hergestellt und fingierte Autorschaft konstituiert wird. Nach einer grundlegenden Übersicht, welche Verstellungsstrategien in Texten eingesetzt werden, wird thematisiert, inwiefern die Verwendung einer Verstellungsstrategie als ein bestimmter sprachlicher Stil analysiert werden kann und welche natürlichen Grenzen bei Verstellungsstrategien gegeben sind. In weiteren Unterkapiteln wird die Tätigkeit, sich zu verstellen, genauer analysiert und mit kognitiv-verwandten Bereichen wie Lügen und Täuschen verglichen. Dann werden die Verstel‐ lungsstrategien Verschleierung und Imitation vorgestellt. Außerdem werden sprachlich-gesellschaftliche Phänomene wie die Nutzung von Foreigner Talk für die Bedeutung von Imitationsstrategien thematisiert. Die Untersuchung beinhaltet die Abgrenzung von Sprachkontaktphänomenen und sprachlichen Interferenzen von Xenolekt, Ausländerregister etc. Weiterhin werden Fragen aufgeworfen, wie mediale Vorbilder, durch die sich Foreigner Talk etc. eta‐ blieren, ins Sprachbewusstsein gelangen. Im Anschluss wird thematisiert, wie fingierte Fehler im Rahmen von Verstellungsstrategien aufgedeckt werden können. Das Kapitel 16 stellt, ausgehend von einer korpuslinguistischen Arbeit Bredthauers (2013), Möglichkeiten der Analyse von Texten vor, in denen Verstellungsstrategien verwendet werden. Es werden Herausforderungen und Problemstellungen thematisiert und Lösungsstrategien vorgestellt, wie Merk‐ male bzw. Fehler innerhalb bestimmter Kategorien wie Getrennt- und Zusam‐ menschreibung, Interpunktion etc. analysiert und eingeordnet werden können. Die zuvor vorgestellten theoretischen Konzepte werden in Kapitel 17 auf einen konkreten Untersuchungsgegenstand angewendet, indem Merkmale einer erpresserischen Textserie analysiert werden. Dabei werden Verstellungsst‐ rategien offengelegt, determiniert und analysiert. Besprochen wird u. a., was saliente, also sprecheridentifizierende Merkmale sind und was Merkmalsets inkonsistent bzw. nicht plausibel erscheinen lässt. Es werden die Fragen aufgeworfen, inwiefern Stufen sprachlicher Kompetenz, Zugänglichkeit und 1 Fragestellungen und Aufbau der Arbeit 17 <?page no="18"?> Verständnissicherung eines Textes eine Rolle bei der Plausibilität von Texten spielen. Im Anschluss werden Aspekte der Stilisierung als zuvor in der For‐ schung noch nicht besprochene Verstellungsstrategie vorgestellt. Dabei werden Merkmalsets und weitere Parameter der inkriminierten Textserie mit Merk‐ malen und Konzepten medial stilisierter Texte verglichen. Stilisierungsstrate‐ gien im Rahmen inkriminierter Schreiben und medial stilisierte Texte weisen Ähnlichkeiten auf, die einzeln analysiert und kategorisiert werden. In Kapitel 18 werden teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche vorge‐ stellt, die Forscher/ innen bei Einzelanalysen unterstützen können. Hier wird das im Rahmen des Forschungskollegs „SecHuman - Sicherheit für Menschen im Cyberspace“ entwickelte System AdHominem vorgestellt. Dabei wird der Fokus darauf gelegt, die Funktionsweise von AdHominem für nicht-technische Forschungsbereiche darzulegen. Außer der Datengrundlage werden die interne Struktur, Verfahrensweisen und Anpassungen von AdHominem erklärt. Das Kapitel 19 stellt Analysen der von AdHominem vorgenommenen Text‐ vergleiche vor. Im Rahmen von Textvergleichen von Online-Rezensionen mar‐ kiert AdHominem Textteile unterschiedlich intensiv. Die Markierungen geben Hinweise darauf, welche Elemente bei der Entscheidung, ob zwei Texte die gleiche Autorschaft haben oder nicht, entscheidend waren. Dann werden aus diesen Textteilen Merkmale linguistischer Betrachtungskategorien analy‐ siert und kategorisiert. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie solche Verfahren im Rahmen interdisziplinärer Forschung weiterentwickelt werden können. In Kapitel 20 wird im Ausblick thematisiert, wie die hier erarbeiteten For‐ schungsergebnisse und empirischen Analysen im Rahmen weiterer Forschungs‐ arbeiten und interdisziplinären Projekte vertieft und weiterentwickelt werden können. Außerdem werden Ideen aufgeworfen, wie die hier gewonnenen Erkenntnisse das Bewusstsein für IT-Sicherheit steigern können. 18 1 Fragestellungen und Aufbau der Arbeit <?page no="19"?> 2 Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der forensischen Linguistik und Fragestellungen im Bereich der Autorenerkennung Die forensische Linguistik ist ein Forschungsbereich aus dem Spektrum Sprache und Recht. Forensische Linguistik stellt damit eine Schnittstelle der Wissen‐ schaftsdisziplinen Linguistik und Jura dar. Drei Bereiche interdisziplinärer Forschung aus dem Bereich Sprache und Recht betreffen die Linguistik (vgl. Fobbe 2011: 15 und Stickel 2002: 2 f.): 1. Die Rechtssprache und ihre Entwicklung zu einer Fachsprache sowie ihre Bedeutung bei der Entwicklung der deutschen Standardsprache 2. Die Bedeutung des Betrachtungsbereichs der Pragmatik für die Rechts‐ sprache und die damit verbundene Rechtsprechung 3. Die juristische Interpretation von sprachlichen Äußerungen in Texten, mündlichen Aussagen etc. Die forensische Linguistik ist ein Teilbereich der angewandten Linguistik, der sich sowohl mit linguistischen als auch juristischen Fragestellungen befasst und damit als eine Schnittstelle von Sprache und Recht verstanden wird. Die Problemstellungen werden von ‚außen‘, also von der Kriminalistik, seitens Un‐ ternehmen oder bei Rechtsfragen im Allgemeinen, an die forensische Linguistik herangetragen. Anfang der 80er Jahre war es daher die Hauptintention, auf den Stellenwert der Verbindung theoretischer und empirischer Forschung hin‐ zuweisen und beispielsweise Jurist/ inn/ en über die Möglichkeiten linguistischer Forschung zu informieren, um sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen (Kniffka 1981: 588). Heutzutage ist, außer diversen privaten Instituten, in erster Linie das Bun‐ deskriminalamt mit der Bearbeitung verschiedener forensisch-linguistischer Fragestellungen und Forschungsaufgaben betraut. Beim BKA befassen sich Abteilungen des Kriminaltechnischen Instituts ( KT ) mit Fragen der forensischen Linguistik, wobei die Fachbereiche forensische Sprechererkennung und forensi‐ sche Autorenerkennung unterschieden werden. Beide Disziplinen fallen beim BKA unter den „Fachbereich Sprache, Audio“ und sind Teil der „Biometrie“. Während sich die Sprechererkennung u. a. mit der Erforschung und Analyse akustischer Signale der „menschlichen Stimme und anderen akustischen Er‐ <?page no="20"?> 3 https: / / www.bka.de/ DE/ UnsereAufgaben/ Ermittlungsunterstuetzung/ Kriminaltechnik / Biometrie/ Sprechererkennung/ sprechererkennung_node.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 4 https: / / www.bka.de/ DE/ UnsereAufgaben/ Ermittlungsunterstuetzung/ Kriminaltechnik / Biometrie/ Autorenerkennung/ autorenerkennung_node.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 5 Die Zitate werden, wie im Original, kursiv dargestellt. eignissen“ 3 beschäftigt, befasst sich die Autorenerkennung mit Textanalysen, Textvergleichen und der Sammlung inkriminierter Schreiben für Sammlungs‐ recherchen (Schall 2004: 551). Die behandelten Texte sind inkriminierte Schreiben. So „bilden Erpresser‐ briefe, Drohschreiben und Verleumdungen das einschlägige Untersuchungsma‐ terial der Autorenerkennung.“ 4 Laut Fobbe (2011: 41) ist ein inkriminierter Text ein Text, „der Gegenstand oder Bestandteil eines zivil- oder strafrechtlichen Verfahrens ist und zu dem im Vorfeld des letzteren auch durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft ermittelt worden ist“. In einigen Fällen, nämlich in der Regel dann, wenn Texte selbst Teil einer strafbaren Handlung darstellen, versuchen Autor/ inn/ en inkriminierter Texte anonym zu bleiben. „Naturgemäß weisen Erpresserbriefe, anonyme Briefe u. ä. außerordentlich selten wirklich (sprecher)identifizierende Merkmale auf und naturgemäß zeigt das Ver‐ ständigungsmittel Sprache in Verwendungszusammenhängen dieser Art weit mehr interpersonale als personale Charakteristika.“ (Kniffka 1981: 594) Die Autorenerkennung der forensischen Linguistik geht davon aus, dass es möglich ist, anhand von Analysen Hinweise auf die/ den Autorin/ Autoren eines Textes, die/ der die „Gestaltungsmacht“ (Winko 2002: 348 f.) über einen Text hat, erhalten zu können. Einige Aspekte, wie beispielsweise Unauffälligkeit, das heißt das Nichtvorhandensein oder das nur geringe Vorhandensein sprach‐ licher Merkmale oder die Kürze eines Textes, können die Analyse bzw. deren Interpretation erschweren oder sogar unmöglich machen. Kniffka (2000: 179 f.) legt sehr vereinfacht und allgemein verständlich dar, in welchen Bereichen linguistische Expertise nachgefragt wird. Er fragt: „What is said? “, „What is meant? “ und „Who is the author of an anonymous utterance x? “ 5 Dern (2009: 21) berücksichtigt in einer Liste aus Fragestellungen die Möglichkeiten von Autor/ inn/ en, ihren Sprachgebrauch zu anonymisieren. So müssen Texte auf sprachliche Merkmale analysiert werden, die Hinweise darauf geben können, ob eine Verstellungsstrategie angewendet wird. Außerdem wird geprüft, ob Fehler bzw. Stilistik eines Textes Rückschlüsse auf die Herkunft und weitere Metadaten einer/ eines Autorin/ Autors zulassen. U.U. ist Deutsch 20 2 Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der forensischen Linguistik <?page no="21"?> 6 Kursive Darstellung wie im Originaltext. 7 Kursive Darstellung wie im Originaltext. nicht in ihre/ seine Muttersprache oder aber er/ sie verstellt sich als Nicht-Mut‐ tersprachler/ in. Da die Autorenerkennung in der Praxis in vielfältigen Bereichen Anwendung findet, werden Fragestellungen von ‚außen‘, also von nicht-linguistischer Seite, an forensische Linguist/ inn/ en herangetragen. Diese Fragen sind, da sie eben fachfremd sind, nicht-linguistischer Natur und können daher auch nicht in ihrer ursprünglichen Form von Sprachwissenschaftler/ inne/ n beantwortet werden. Aus diesem Grund kann z. B. eine Fragestellung seitens eines Gerichts, einer/ eines Staatsanwältin/ Staatsanwaltes oder Ermittler/ inne/ n für die Linguistik nicht einfach übernommen werden. Vorher muss eine Umwandlung in eine linguistische Fragestellung vorgenommen werden (vgl. Kniffka 2000, Kniffka 2007 und Fobbe 2011: 233 ff.). Fobbe weist darauf hin, dass es wichtig für die Autorenerkennung ist, dass eine allgemeine, nicht-fachspezifische, oder fachfremde Fragestellung wie „Handelt es sich bei dem Schreiber um einen Muttersprachler des Deutschen? “ 6 (Fobbe 2011: 63) in eine linguistische Fragestellung transformiert werden muss. Ein Vorschlag ist: „Gibt es Sprachgebrauchsformen in diesem Text, die auf eine nicht-muttersprachliche Kompetenz hindeuten? “ 7 (Fobbe 2011: 63) Die Umformulierung ist dabei nicht weglassbar, da sie impliziert, dass eine linguis‐ tische Fachperson ausschließlich linguistische Fragen beantwortet. Die Antwort könnte also sein: Es gibt Sprachgebrauchsformen in diesem Text, die auf eine nicht-muttersprachliche Kompetenz hindeuten. Keinesfalls sollte sie lauten: Die oder der Schreiber/ in des Textes ist wahrscheinlich Ausländer/ in, oder: Es gibt Anzeichen dafür, dass es sich bei der/ dem Autor/ in um eine/ n Ausländer/ in handelt. Muttersprache und Nationalität sind voneinander getrennte Eigenschaften und sollten nicht verwechselt oder vermischt werden. Kniffka (2007: 9) weist darauf hin, dass es für die Verwertbarkeit vor Gericht obligatorisch ist, die Fragestellung wieder in eine allgemein verständliche, also u. U. nicht-fachsprachliche umzuformulieren, um die rechtliche Verwertbarkeit für das Gericht oder die ermittelnde Behörde sicherzustellen. Das Ziel forensisch linguistischer Bemühungen in der Praxis ist die Erstel‐ lung von Gutachten, die sowohl das Sprachsystem als auch den jeweiligen Sprachgebrauch des Untersuchungsgegenstandes fokussieren (Kniffka 1981: 591). Grundsätzlich werden zwei Arten linguistischer Gutachten mit Fragestel‐ lungen, die von außen an die forensische Linguistik herangetragen werden, unterschieden. Einerseits werden Gutachten angefragt, wie eine Formulierung 2 Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der forensischen Linguistik 21 <?page no="22"?> 8 Im Originaltext mit jeweils einem Leerzeichen nach jedem Buchstaben hervorgehoben. innerhalb eines spezifischen sprachlichen Zusammenhangs zu verstehen, bzw. zu begutachten ist. Ein Beispiel wäre, ob der Sprachgebrauch eines bestimmten Worts als diskriminierend, beleidigend o.ä. einzuschätzen ist. Außerdem werden Gutachten angefragt, die die Frage nach der Autorschaft eines anonymen Textes betreffen. Es kann also z. B. danach gefragt werden, mit welcher Wahrschein‐ lichkeit Text X von Autorin Y oder Autor Z geschrieben wurde (vgl. hierzu Kniffka 1981: 589). Im Rahmen dieser Arbeit wird hauptsächlich die zweite Fragestellung betrachtet, wobei die erste Frage auch ein Teil davon sein kann. In jedem Fall betreffen Gutachten außerlinguistische Perspektiven. Kniffka (1981) führt verschiedene Funktionen linguistischer Gutachten im juristischen Bereich auf: „Die diagnostische Funktion besteht darin, sprachliches Verhalten nicht um seiner selbst willen, sondern mit Rücksicht auf außerlinguistisches (hier: juristisches) Erkenntnisinteresse zu analysieren. 8 […] Die persuasiv-therapeutische Funktion besteht - unabhängig davon, ob ein Gutachten konkrete ‚Empfehlungen‘ mitteilt oder nicht - darin, daß nicht nur eine Analyse vorgenommen wird, sondern das Gutachten als „Beweismittel“ bei Gericht dient, daß es in einem durch eine Nachbarwissenschaft konstituierten Praxisfeld beantragt und verwendet wird.“ (Kniffka 1981: 617 f.) Eine Beobachtung, die praktisch arbeitende forensische Linguist/ inn/ en, ob für den Bereich der Privatwirtschaft oder als Hilfe für die Strafverfolgung, immer wieder machen, ist, dass linguistische Gutachter/ innen erst konsultiert werden, wenn wegen Problemen oder Schwierigkeiten bei Ermittlungen ein „Beweisnotstand“ (Kniffka 1990b: 439) vorliegt. Mit der Rolle von linguistischer Expertise und Linguist/ inn/ en als Gutachter/ inn/ en vor Gericht befasst sich außer Kniffka (1981) u.-a. Fobbe (2011: 233-249) sehr ausführlich. Durch die in den letzten Jahren immer weiter ins Licht der Öffentlichkeit rückende Internetkriminalität, wie Online-Betrugsfälle (sogenannten Frauds), damit einhergehende Erpressungsversuche etc., drängt sich für forensisch linguistische Untersuchungen die folgende Frage auf: Ist es möglich, die Auf‐ merksamkeit bzw. das Bewusstsein (Awareness) von Internetnutzer/ inn/ en zu erhöhen, indem auf Gefahren im Internet stärker aufmerksam gemacht wird? Dern (2009: 201) fordert: „Auch muss in stärkerem Maße Sensibilität für die Komplexität der Sprache einerseits, ihre Bedeutung in fast allen alltäglichen Lebensbereichen andererseits geschaffen werden.“ Welchen Beitrag für die IT -Security Awareness kann die Linguistik, insbesondere die forensische Lin‐ guistik und hier im Speziellen die Autorenerkennung leisten? 22 2 Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der forensischen Linguistik <?page no="23"?> Welche Rolle spielt das metasprachliche Bewusstsein sowohl beim Verfassen als auch bei der Rezeption von inkriminierten Texten? Lassen sich Methoden der klassischen Autorenerkennung auf Alltagsprobleme im Internet, wie bei‐ spielsweise Manipulation von Nutzer/ innen in Internetforen, der Verbreitung von Desinformation etc. übertragen? Welche Verstellungsstrategien gibt es, welche Parameter liegen ihnen zugrunde und wie lassen sie sich voneinander abgrenzen? Ist es Nicht-Linguist/ inn/ en möglich, für derlei Strategien ein Bewusstsein zu entwickeln, um sich selbst besser vor Gefahren im Internet und anderen medialen Umgebungen schützen zu können? Welchen Stellenwert hat die KI-basierte Automatisierung von Textverglei‐ chen und welche Rolle kann sie in der Zukunft, beispielsweise für die Früherken‐ nung von Frauds, Hatespeech, Fake News, Fake-Rezensionen, Online-Mobbing usw. einnehmen? Welche Veränderungen bringt die technische Unterstützung für die klassische Autorenerkennung mit sich und wie kann sie weiterentwickelt und bestmöglich in Forschung und Praxis genutzt werden? Das sind sehr weitreichende sowie komplexe Fragestellungen und Themen‐ gebiete, deren sich die vorliegende Arbeit annehmen wird. Dabei wird keinerlei Anspruch auf eine vollständige Beantwortung dieser Fragen erhoben. Vielmehr sollen vor allem neue Denkanstöße für die Erforschung von Verstellungsstra‐ tegien in Texten in multimedialen Umgebungen und einen interdisziplinären Forschungskomplex zwischen Linguistik, Rechtswissenschaften, Informations‐ sicherheit und Entwicklung künstlicher Intelligenz hervorgebracht werden. 2 Aufgaben und Tätigkeitsbereiche der forensischen Linguistik 23 <?page no="25"?> 9 Beide Begriffe werden synonym gebraucht. 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche Im Folgenden soll ein Forschungsüberblick einen Einblick in die Mannigfal‐ tigkeit forensisch-linguistischer Forschung geben. Dabei liegt der Fokus auf der Autorenerkennung bzw. Autorschaftserkennung 9 und ihrer Anwendungs‐ bereiche. Der Begriff Forensic Linguistics wurde 1968 von Jan Svartvik (Svartvik 1968) geprägt. Analog dazu hat sich im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung Forensische Linguistik durchgesetzt. Fobbe gibt mit Verweis auf Kniffka (1990: 1 ff.) die folgende Definition: „Forensische Linguistik ist ein Teilbereich der Lin‐ guistik, der die linguistische Analyse solcher sprachlichen Daten (einschließlich ihrer Präsentation vor Gericht) umfasst, die Gegenstand juristischer Betrach‐ tung sind.“ (Fobbe 2011: 16) In Deutschland fand die forensische Linguistik insbesondere in den 70er Jahren mehr Beachtung, als das Bundeskriminalamt ( BKA ) die Briefe der Rote Armee Fraktion ( RAF ) analysierte. Anhand der Analysen versuchte man, Hinweise auf die Entführer Hanns Martin Schleyers und dessen Aufenthaltsort herauszufinden. Sprachwissenschaftliche Lexika beschreiben die forensische Linguistik als „Umsetzung computergestützter Text- und Sprachvergleiche für gerichtsver‐ wertbare Ergebnisse bei der Entschlüsselung von Drohbriefen, erpresserischen Anrufen [! ] oder Bekennerschreiben, z. B. Attentaten“ (Bußmann 2008: 195) und als „Anwendung quantitativer Methoden der Sprachstatistik und philolog.-her‐ meneut. Interpretationsverfahren in der Kriminalistik v. a. zur Identifizierung von Sprechern durch Stimmanalysen bzw. zum Nachweis von Autorschaften bei geschriebenen Texten z. B. bei Erpresserschreiben, Bekennerbriefen nach Attentaten, anonymen Verleumdungen u. dgl. […]“ (Glück 2005: 195). Forensische Linguistik ist im Grunde ein Überbegriff für viele verschiedene Forschungszweige und Betätigungsfelder. „Forensic linguistics covers a wide range of topics, including the language used in trials by judges, lawyers and witnesses; the language of the law itself; the language used in civil causes; and the language used in criminal cases.“ (Shuy 2007: 101). Schall (2004: 545, vgl. auch die Übersicht von Grewendorf 1992) nennt in ihrer kurzen Einführung beispielhaft folgende Teildisziplinen: „Analyse des Sprachverhaltens vor Ge‐ richt“, „Analyse der Gesetzessprache“ sowie „die Analyse von in Warenzeichen <?page no="26"?> 10 Damit ist die forensische Linguistik gemeint. verwendeter Sprache“ und beschreibt die Autorenerkennung als „Herzstück der FL 10 “ (Schall 2004: 556). Im angloamerikanischen Raum gibt es einige Einführungen zur forensischen Linguistik, wie beispielsweise McMenamin (2002), Olsson (2004), Gibbons (2005) und Shuy (2006). Im deutschsprachigen Raum ist Kniffka (1981) der Wegbereiter für eine wis‐ senschaftliche Auseinandersetzung mit der Forensischen Linguistik. In seinem Aufsatz beschreibt er die Aufgaben von linguistischen Sachverständigen bei Gericht. Neun Jahre später legt Kniffka einen Sammelband (Kniffka 1990, darin enthalten Kniffka 1990a, 1990b, und 1990c) vor, in dem er Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Gutachter und bisherige Forschungsergebnisse zusammenführt, um die forensische Linguistik einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Der Sammelband von Grewendorf (1992) konzentriert sich auf den Zusammen‐ hang von Sprache und Recht, der für die Praxis unmittelbare Bedeutung hat. Erpresserbriefe und Drohbriefe untersucht und analysiert Artmann (1996) in seiner Dissertation. Kniffka (2000) untersucht, ob Autorschaftsanalyse ohne Vergleichsdaten möglich ist und kommt dabei zu dem Schluss, dass diese Frage sehr fallspezifisch zu beantworten sei, dass es jedoch in einigen Konstellationen möglich ist. Bei der dargestellten Analyse ergeben sich verschiedene Konstella‐ tionen möglicherweise involvierter Personen(gruppen) unterschiedlicher Her‐ kunft sowie verschiedene Verstellungsstrategien, die Kniffka (2000: 186) in einer Übersicht wiedergegeben hat. Da die forensische Linguistik eng mit verschiedenen Bereichen wissenschaft‐ licher Praxis verbunden ist, wird ihr im grundlegenden Einführungsband zur Angewandten Linguistik (Knapp 2004) ein eigenes Kapitel (Schall 2004: 544 ff.) gewidmet. Den Aufgaben und Forschungsbereichen speziell in Deutschland hat sich Kniffka (2007) in einer weiteren Monographie angenommen. Um diese Perspektive einer möglichst breiten Leserschaft zugänglich zu machen, liegt die Arbeit in englischer Sprache vor. Grundlegend für einen Überblick der Forensischen Linguistik im Allge‐ meinen und der Autorenerkennung insbesondere im deutschsprachigen Raum sind, außer der bereits genannten kurzen Einführung von Schall (2004), die Einführungsbände von Dern (2009) und Fobbe (2011). Während sich Derns Einführung eher an eine, aus linguistischer Sicht, fachfremde Leserschaft und Kriminalist/ inn/ en wendet, bietet Fobbes Band für Linguist/ inn/ en grundle‐ gende sowie tiefgreifende Einblicke in verschiedene Forschungsbereiche und Zusammenhänge der forensischen Linguistik. Einen aktuellen Überblick zur 26 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche <?page no="27"?> 11 https: / / www.linguistik-und-forensik.de/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 Autorschaftsanalyse bietet Ehrhardt (2018), die hier auch neuere Forschungser‐ gebnisse berücksichtigt. Weiterhin sei für einen allgemeinen Überblick noch die Internetseite „Forensische Linguistik“ genannt, die von Eilika Fobbe betrieben wird. 11 Die forensische Linguistik beschäftigt sich mit einer Vielzahl unterschied‐ licher Texte und Textsorten. Ein Text ist eine aus Wörtern bestehende kom‐ munikative Einheit, die die Merkmale Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität besitzt (de Be‐ augrande/ Dressler: 1981). In der Textlinguistik werden außerdem verschiedenen Textsorten unterschieden. Für die forensische Linguistik bzw. Autorschaftsana‐ lyse liegen Textsorten wie Erpresser- und Drohschreiben, Abschiedsbriefe etc. im Fokus des Interesses. Ehrhardt (2018: 181 und 190) verweist auf die Wichtigkeit des Wissens um Textmuster und Textsorten bei der Beschäftigung mit forensischer Linguistik und den Einfluss, den sie auf die Verwendung sprachlicher Merkmale und die Analyse dieser Merkmale haben können. So muss zwischen Merkmalen unterschieden werden, die textsortenbedingt sind und solchen, die Schreibpräferenzen einer/ eines Autorin/ Autors darstellen. Es sind Forschungsarbeiten zu einzelnen Textsorten veröffentlicht worden, wie z. B. zu Erpresserbriefen (u. a. Artmann 1996, Brinker 2002, Busch 2006, Dern 2009, insbesondere 141-191, Seifert 2010, Fobbe 2011, insbesondere 159-164), Abschiedsbriefen (u. a. Leenaars 1988, Ammon 1994, Olsson 2004: 159-164, Sanger/ MacCarthy Veach 2008, Shapero 2011, auch Fobbe 2011: 100- 105) und Mikrologging wie SMS , E-Mail etc. (u. a. Sousa-Silva/ Laboreiro/ Sar‐ mento/ Grant/ Oliveira/ Maia 2011, Grant 2013, Ishihara 2014). Private Institute übernehmen in Deutschland einen großen Teil der Arbeit, die verschiedene Bereiche der forensischen Linguistik betreffen (vgl. Glück 2005: 195). In diesem Zusammenhang ist auf die Veröffentlichung von Drommel (2016) hinzuweisen, die Aufsätze und weitere Texte seit 1987 sammelt und eine Reihe von Fallstudien bietet. Drommels wissenschaftliche Arbeit ist durch seine Tätigkeit eher im privatwirtschaftlichen Bereich anzusiedeln. Seine Texte sind in der Forschungsdiskussion vielfach kritisiert worden. U.a. gab es eine kontroverse Debatte um den von ihm vorgeschlagenen „linguistischen Finger‐ abdruck“. Auf diese Thematik wird in Kapitel 6.2 eingegangen. Drommel (2016: 83 ff.) knüpft Analysen der RAF -Sprache an die Textlinguistik mit den Ebenen Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationa‐ lität und Intertextualität. Er erklärt die Verbindung von Textlinguistik mit der forensischen Linguistik und nennt die Kommunikationsabsicht bzw. -strategie 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche 27 <?page no="28"?> der RAF -Autor/ inn/ en als wichtige Untersuchungsbereiche für die Autorener‐ kennung und deren Bedeutung für die Strafverfolgung und Rechtsprechung. Drommels teils kontrovers aufgenommenen Texte und die Forschungsdiskus‐ sion darum werden hier mit der nötigen wissenschaftlichen Distanz behandelt. Es erscheint jedoch in jedem Fall lohnend, sich mit seinen Aufsätzen zu befassen, da sie einige interessante Zahlen und Fakten aus dem Bereich der Privatwirt‐ schaft bieten und Einblicke in die Verbindung dieser mit der forensischen Linguistik gewähren. Da sich die vorliegende Arbeit insbesondere mit verschiedenen Verstel‐ lungsstrategien und deren unterschiedlichen Ausprägungen befasst, sei hier auch die Monographie von Bredthauer (2013) genannt, die eine Analyse von Verstellungen in inkriminierten Schreiben vorlegt. Weitere Forschungsarbeiten für den deutschsprachigen Raum zu der Thematik Verstellungsstrategien sind u. a. Fobbe (2006) zum Foreigner Talk, Ehrhardt (2007a) und Schall (2008) zur Verschleierung („Disguise“ bzw. „Verbergen“) der eigenen Identität sowie Seifert (2010) zu verschiedenen Verstellungs- und Imitationsstrategien. Dern (2008, 2009: 82-90) bietet Experimente zu Verstellungsstrategien und Fallbeispiele (insb. wegweisend ist 2009: 112-118) sowie thematische Vorüberlegungen und Übersichten (2009: 78-82). Die Autorenerkennung ist eine linguistische Disziplin, die ebenfalls juris‐ tische Fachbereiche berührt. Ihre spezifische Zielsetzung ist die Analyse von anonymen bzw. in ihrer Entstehung fragwürdigen Texten. Dern (2009: 19) be‐ schreibt die Autorenerkennung als „linguistische Bewertung fraglicher schrift‐ sprachlicher Texte in forensischen, kriminalistischen oder in sonst einer Form sicherheitsrelevanten Kontexten“. Es besteht eine bewusste Analogie der Ter‐ mini Autorenerkennung und Sprechererkennung, wobei die Schwesterdisziplin Sprechererkennung die gesprochene Sprache in vergleichbaren Kontexten be‐ handelt (vgl. u. a. Gfroerer 2006 und Künzel 1987). Die Autorenerkennung ist allerdings eine jüngere Disziplin als die Sprechererkennung, weshalb sie bisher über keine standardisierte Methode verfügt, die allgemeine Gültigkeit hat. „Eine standardisierte Methode, wie sie mit Einschränkungen im Bereich der Sprechererkennung gegeben ist (Künzel 1987), existiert im Bereich der Autorenerkennung nicht.“ (Dern 2003: 51) Bei der Autorenerkennung der Kriminaltechnik des Bundeskriminalamtes werden inkriminierte Schreiben wie Erpressung, Bedrohung und andere Texte wie Bekennerschreiben, die im Zusammenhang mit weiteren Kapitalverbrechen wie Mord, Raub, Vergewaltigung etc. stehen, auf ihre Autorschaft untersucht. Delikttypen, zu denen häufig vom BKA Texte bearbeitet werden, sind nach Informationen aus der Zusammenarbeit von BKA (insb. Sabine Ehrhardt) und 28 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche <?page no="29"?> Forscher/ innen der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen der SecHuman-For‐ schungsgruppe „Sprachliche Imitations- und Verschleierungsstrategien“: 1. Tötungsdelikte a. Mord(versuch) b. Totschlag 2. Staatsschutzdelikte a. Bildung terroristischer Vereinigung b. Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion c. Bedrohung d. Volksverhetzung e. Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole 3. (Schwerer) sexueller Missbrauch a. von Kindern b. von Jugendlichen c. Sexuelle Nötigung / Vergewaltigung 4. Erpressung a. Versuchte Erpressung b. Erpresserischer Menschenraub Eher seltener bearbeitet werden Texte, die mit diesen Delikttypen in Verbindung stehen: 5. Industriespionage 6. Geheimdienstliche Agententätigkeit 7. Betäubungsmittel in nicht-geringen Mengen 8. Brandstiftung 9. Nachstellung Schall (2004: 551) bietet eine Übersicht zur Häufigkeit von Delikttypen, bei der als Quelle „ BKA , KT 54-Autorenerkennung“ genannt wird. Aus dieser geht hervor, dass Erpressung der mit Abstand häufigste Delikttyp ist, der von der Autorenerkennung des BKA bearbeitet wird. Im Besonderen sind „Erpressungen von Lebensmittelherstellern und Großhandelsketten“ (Schall 2004: 544) die Deliktsorte, mit der das BKA am häufigsten beauftragt ist. In der Tabelle (Schall 2004: 551) folgen Bedrohung, Terrorismus/ Extremismus, Sonstige, Volksverhetzung, Beleidigung/ üble Nachrede, Sprengstoff/ Brand und dann Tötungsdelikte. Im Bereich der Privatwirtschaft findet die Autorenerkennung ebenfalls An‐ wendung. Der Linguistenverband Deutschland ( LVD ) beschäftigt sich seit 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche 29 <?page no="30"?> den 1980ern mit sprachlichen Fällen von Mobbing und Erpressung. Dabei unterscheidet der Verband folgende Delikttypen: Delikttypen in der LVD -Statistik in der Rangfolge nach Häufigkeit (vgl. Drommel 2016: 105-106): 1. Klassisches Business-Mobbing 2. Interne Beleidigung/ üble Nachrede/ Verleumdung (§§ 185 ff. S t GB ) 3. Falsche Anschuldigung (§ 164 S t GB ) 4. Bedrohung (§ 241 S t GB ) 5. Öffentliche Verleumdung/ Bedrohung (§ 187, 188, Abs. 2 S t GB ) 6. Erpressung (§ 253 S t GB ) 7. Verrat von Betriebsgeheimnissen (§ 120 Betriebsverfassungsgesetz) 8. Werks- und Wirtschaftsspionage Die größte Zunahme innerhalb des untersuchten Zeitraums erfährt der De‐ likttyp Business-Mobbing, bei dem in den Jahren 1980-1984 insgesamt 128 Fälle, im Zeitraum 1995-1999 schon 243 Fälle festgestellt wurden. Die Zahl hat sich also fast verdoppelt. Eine weitere Auffälligkeit ist bei den Delikttypen öffentliche Verleumdung/ Bedrohung und Erpressung festzustellen, bei denen ein großer Anteil der Täter/ innen als sogenannte „Innentäter/ innen“ identifiziert werden. In den Jahren 1995-1999 waren 53 Täter/ innen Außentäter/ innen (also Externe) und 95 Ex-Mitarbeiter/ innen. Dagegen fällt ein riesiger Anteil der Delikte auf Innentäter/ innen, also aktuelle Mitarbeiter/ innen von Unternehmen. Mit 369 festgestellten Delikten sind das mehr als doppelt so viele wie in den beiden anderen Kategorien zusammen. (vgl. Drommel 2016: 106-110). Drommel (2016: 8), der nach eigener Aussage über 1000 Fälle in fast 30 Jahren (Stand 2016) bearbeitet hat, nennt u. a. „Firmenmobbing, Betrug, Erpres‐ sung, Entführungsfälle, Werks- und Wirtschaftsspionage, Verrat von Betriebs‐ geheimnissen, Verleumdung, falsche Anschuldigungen, Dokumentenfälschung, Cybermobbing, terroristische Bekennerschreiben sowie Abschiedsbriefe von Selbstmördern“ (Drommel 2016: 21) als weitere Betätigungsfelder aus dem privatwirtschaftlichen Bereich. Außerdem werden forensische Linguist/ inn/ en mit Echtheitsprüfungen von Testamenten und Tagebüchern sowie mit der Beurteilung von Verhörprotokollen und Bekennerschreiben beauftragt (vgl. Drommel 2016: 21). Weitere Gegenstandsbereiche der Autorenerkennung sind, gerade im Zu‐ sammenhang mit IT -Security, Cybermobbing (vgl. hierzu auch Marx 2019), das Vortäuschen falscher und mehrerer Identitäten (z. B. in Online-Foren), Hatespeech (vgl. hierzu u. a. Marx 2018), Fake-Rezensionen, die Verbreitung von Desinformation durch Fake News etc. Außerdem kann die forensische Lin‐ 30 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche <?page no="31"?> 12 Zielpersonen werden gezielt ausgewählt, teilweise werden über einen längeren Zeit‐ raum Informationen über potentielle Opfer gesammelt. 13 Zielpersonen fallen zufällig in das Raster des Angreifers. guistik bei allen Bereichen des Social Engineerings, die sprachlicher Natur sind (und das sind die meisten), wichtige Beiträge leisten. Bei Online-Betrugsfällen wie Frauds und Scams, Spear-Phishing 12 , Phishing 13 , der Erkennung von Social Bots etc. stellen sich ebenfalls Fragen nach der Urheberschaft von Texten, die nicht selten strafrechtlich relevant sind. Die Ergebnisse der Autorenerkennung können ein vor Gericht verwertbares Gutachten, eine Stellungnahme bzw. ein formloser Hinweis an die Polizei, Ermittlungsbeamte, Sicherheitsexperten usw. (vgl. Dern 2009: 20) oder im privatwirtschaftlichen Bereich ein internes Gutachten sein. Ferner lassen sich aus Gutachten und Stellungnahmen z. B. im Bereich der Informationssicherheit Sicherheitspolicen ableiten, wie die Mitarbeiter/ innen eines Unternehmens oder einer Behörde mit erhaltenen E-Mails und weiteren Medien innerhalb ihres Arbeitsfeldes umzugehen haben und welche Gefahren sich aus dem breiten Feld unbekannter Autorschaft ergeben. Analog zur IT -Se‐ curity-Awareness schlage ich die Bezeichnung Linguistic Awareness vor. Der Begriff, übersetzbar mit Linguistisches bzw. Sprachliches Bewusstsein, hat mit der Annahme zu tun, dass Leser/ innen bzw. Sprecher/ innen so geschult werden können, dass sie ein größeres sprachliches Sicherheitsbewusstsein für Gefahren im IT -Bereich entwickeln können. Für forensischen Linguist/ inn/ en ergibt sich bei der Autorschaftsanalyse bzw. Autorenerkennung ein sehr heterogenes Aufgabenfeld, das Dern (2009) so beschreibt: „Autorenerkennung manifestiert sich in einer Vielzahl unterschiedlichster Ausprä‐ gungen zwischen den Polen des sehr spezifischen Auftrags wie z. B. dem der Klärung der Frage, ob eine bestimmte Person einen bestimmten Text verfasst haben könnte oder aber nicht, und des äußerst vagen Auftrags der nicht weiter spezifizierten Be‐ wertung eines fraglichen Schreibens im Hinblick auf die Erarbeitung möglicherweise ermittlungsrelevanter Hinweise.“ (Dern 2009: 20) Obwohl die Justiz nicht in allen der oben genannten Fälle eine Rolle spielt, ist die forensische Linguistik Teil des Arbeitsgebiets Sprache und Recht. Die Prüfung, ob Gesetzestexte, Produktwarnungen etc. für Laien verständlich bzw. eindeutig sind, die Prüfung der Authentizität von Vernehmungsprotokollen, die Prüfung, ob ein Plagiat z. B. bei Produktnamen vorliegt usw., gehören in dieses Arbeitsgebiet (vgl. Dern 2009: 17-18) Einen umfangreichen Überblick zu dem Arbeitsgebiet Sprache und Recht bieten Rathert (2006), Grewendorf (1992) 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche 31 <?page no="32"?> und Kniffka (1990a). Für den anglo-amerikanischen Raum, in dem man von Language and Law spricht, bieten sich für eine Übersicht insbesondere Coult‐ hard/ Johnson (2010a), Coulthard/ Johnson (2010b), Olsen et al. (2008), Rathert (2006), Shuy (2006), Solan/ Tiersma (2005), Gibbons (2005), Lerch (2004/ 2005), Olsson (2004), Haß-Zumkehr (2002), Cotterill (2002), McMenamin (2002), Shuy (1998), Gibbons (1994), Levi (1994a und 1994b), Grewendorf (1992) sowie Levi/ Walker (1990) an. In der Forschung und Praxis gestaltet sich die Arbeit für forensische Lin‐ guist/ inn/ en sehr vielfältig. Aufgrund der Mannigfaltigkeit der Forschungs- und Anwendungsbereiche ist eine breit aufgestellte linguistische sowie interdiszi‐ plinäre Betrachtung stets vorteilhaft und in einigen Fällen unabdingbar. 32 3 Forschungsüberblick und Anwendungsbereiche <?page no="33"?> 4 Weitere relevante Forschungsdisziplinen Die forensische Linguistik und dabei insbesondere die Autorenerkennung betrifft verschiedene linguistische Forschungsbereiche und berührt aufgrund ihrer praxisnahen Ausrichtung auch weitere Forschungsfelder. Kniffka in einer recht frühen Untersuchung (Kniffka 1990b: 448) zu dem Schluss, dass eine „möglichst breite und interdisziplinäre Perspektive unbedingt notwendig und sinnvoll ist“. Grundsätzlich berührt die Autorschaftsanalyse linguistische Be‐ trachtungsebenen wie Orthographie, Syntax, Morphologie, Lexik etc. Ebenfalls werden Fragen von Semantik und Pragmatik aufgeworfen, wie beispielsweise die Bedeutung von Lügen sowie die Abgrenzung zu ‚verwandten‘ sprachlichen Phänomenen. Einige weitere linguistische und nicht-linguistische Forschungsbereiche, die für diese Arbeit von entscheidender Bedeutung sind, sollen hier kurz vorgestellt werden. Dabei wird für jede Forschungsdisziplin auch eine Auswahl von Literaturhinweisen gegeben, die einen kleinen Teil der im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Literatur darstellt. Auf entscheidende Impulse aus diesen Forschungsbereichen für die Autorenerkennung und die Erforschung von Verstellungsstrategien wird genauer in den betreffenden Kapiteln und einzelnen empirischen Analysen eingegangen. 4.1 Sozio- und Varietätenlinguistik Bei der Autorenerkennung stehen Autor/ inn/ en von Texten im Fokus. Sowohl bei der Textanalyse als auch beim Textvergleich versucht man, sehr vereinfacht gesagt, anhand bestimmter Merkmale (bzw. Merkmalbündel oder Merkmalsets) sowie weiterer Faktoren auf die Autorschaft zu schließen. Daher sind soziolin‐ guistische und varietätenlinguistische Überlegungen und Methoden essenziell für Analysen. In der „Sprachwirklichkeit“ (Löffler 2016: 79) kommen unzählige sprachliche Phänomene vor. Diese müssen für eine analytische Betrachtung auf eine abstrakte Ebene gebracht werden, um sie so zu systematisieren und ggfs. zu Varietäten, also auf sprachliche Gemeinsamkeiten beruhende Ausprä‐ gung einer Sprache, zusammenzufassen. Sprecher/ innen und Schreiber/ innen verfügen über verschiedene aktive bzw. passive sprachliche Kompetenzen <?page no="34"?> 14 Im Gegensatz dazu versteht man unter der äußeren Mehrsprachigkeit Kompetenzen verschiedener Einzelsprachen wie dem Deutschen, dem Englischen oder dem Spani‐ schen. 15 Deutschland, Österreich und die Schweiz 16 https: / / www.rechtschreibrat.com/ DOX/ rfdr_Regeln_2016_redigiert_2018.pdf Letzter Zugriff am 20.01.2023 diverser Varietäten, nämlich die innere Mehrsprachigkeit 14 . Darunter fallen u. a. größere Dialekte wie Westfälisch, Hessisch oder Ostfränkisch. Dialekte sind, im Gegensatz zu den kleineren, untergeordneten Regiolekten weiter von der Standardsprache, hier also dem Standarddeutschen, entfernt. Das bedeutet, dass Dialekte mehr sprachliche Merkmale beinhalten, die von dem Standarddeut‐ schen abweichen, als Regiolekte wie z. B. das Ruhrdeutsche. Als untergeordnete Varietät teilt sich das Ruhrdeutsche einen gemeinsamen Raum wie ein Teil des Westfälischen. Außer Dialekten oder Regiolekten können Sprecher/ innen auch Kompetenzen in Soziolekten wie z. B. jugendsprachlichen Varietäten haben. Das bedeutet, dass eine einzelne Sprecherin je nach Situation dialektal, regiolektal oder soziolektal bedingte Merkmale verwenden kann. Diese können teilweise deckungsgleich sein. Außerdem können Merkmale verschiedener Varietäten zusammen auftreten, da es keine klaren Trennlinien gibt und sich Personen in ihrem Sprachgebrauch in einem komplexen Varietätenspektrum bewegen (vgl. Girnth 2007). Für die Autorschaftsanalyse ist insbesondere bedeutsam, dass alle Varietäten Auswirkungen auf den schriftsprachlichen Gebrauch einer Person haben können. Die Standardsprache überdacht wiederum alle Varietäten. Sie hat die größte kommunikative Reichweite, da das Standarddeutsche im gesamten DACH 15 -Raum und teilweise darüber hinaus von den meisten Personen ver‐ standen wird. Die Grammatik und Orthographie des Standards sind vereinheit‐ licht, normiert und haben dadurch eine überregionale Gültigkeit. Die Normiert‐ heit der deutschen Schriftsprache wird durch die allgemeine Schulpflicht und teilweise durch überregionale Medien mit Vorbildcharakter, wie beispielsweise Tageszeitungen, erreicht. Die Standardsprache zeichnet sich im Gegensatz zu Varietäten wie Dialekten durch das Fehlen von salienten, also auffälligen sprachlichen Merkmalen aus. Die Standardsprache lässt im Gegensatz zu o. g. Varietäten weniger Varianten zu. Die Normierung ist insbesondere im Bereich der Schriftsprache geregelt und bei offiziellen Texten, wie behördlichen Schreiben, ist die Einhaltung des amtlichen Regelwerks 16 für deutsche Rechtschreibung obligatorisch. Hier ist die „geltende Norm der deutschen Schreibung“ festgelegt. Für viele Personen hat der Duden den Charakter eines allgemein gültigen Regelwerks. Das ist 34 4 Weitere relevante Forschungsdisziplinen <?page no="35"?> 17 Bzw. auch der Schreibenden jedoch nicht der Fall, da in verschiedenen Duden-Ausgaben ausschließlich Empfehlungen für Rechtschreibung, Grammatik und Stilistik gegeben werden. Außerdem verstehen viele Leute unter dem Duden nur den Rechtschreib-Duden, nicht aber die anderen Bände wie den Grammatik- oder Zweifelsfall-Duden. Als Einführungen für die Varietätenlinguistik seien hier Löffler (2016), Felder (2016), Sinner (2014), Knöbl (2012), Girnth (2007) und Veith (2005) genannt. Eine systematische Herangehensweise an Varietäten bietet ein vierdimensionales Modell bei Becker/ Hundt (1998), das folgende „Determinanten“ berücksichtigt: „(i) die kommunikative Reichweite (diatopische Dimension) (ii) die soziale Gruppe der Sprechenden 17 (diastratische Dimension) (iii) die kommunikative Funktion (diasituative Dimension) (iv) der historische Zeitpunkt (diachronische Dimension).“ (Becker/ Hundt 1998: 124) Varietät ist von Register abzugrenzen, vgl. hier Felder (2016: 43-51, insbesondere 50 f.). Als sprachliche Register werden verschiedene Sprachlagen verstanden, die eine Person beherrscht. Die Wahl und der Gebrauch eines bestimmten Registers werden von außersprachlichen Umständen wie Situation, Ort, Konstellation der Kommunikationsteilnehmer/ innen usw. bestimmt (vgl. Halliday 1978: 110 f.). Verschiedene sprachliche Register und situatives Sprechen werden unter der „diaphasische[n] Dimension“ (Girnth 2007: 189) erfasst. Für die Autorenerkennung bedeutsam ist insbesondere die Analyse von Merkmalen und deren Interpretation. Dabei können Merkmale und insbeson‐ dere deren gemeinsames Auftreten als Merkmalsets varietätenbedingt sein, denn eine „Varietät ist eine im Sprecherwissen verankerte Zusammenziehung von Variantenbündeln zu einer übergreifenden, in sich relativ abgeschlossenen Einheit“. (Lüdtke/ Mattheier 2005: 15, siehe auch Coseriu 1988) 4.2 Linguistische Semantik und Pragmatik Obwohl bereits erwähnt wurde, dass bei der Autorenerkennung auch pragma‐ tische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, soll hier kurz auf einige wichtige Themenfelder eingegangen werden. Verstellungsstrategien sind verwandt mit Lügen, da beide dem Kooperationsprinzip (Grice 1975: 45-46) widersprechen. Die Erforschung von Lügen, Täuschungen und ähnlichen Sprachphänomenen wie Ironie oder Sarkasmus, die mit Stilmitteln wie Metaphern oder Hyperbeln 4.2 Linguistische Semantik und Pragmatik 35 <?page no="36"?> dargestellt werden können, fällt in die Schnittstelle zwischen Semantik und Pragmatik. Für einen Einblick in diesen Forschungsbereich sind Finkbeiner (2015) und Meibauer (2015) zu nennen. Lackey (2013: 241) beschäftigt sich u. a. mit den Unterschieden zwischen dem „Verbergen von Informationen (deception)“ und dem „Erwecken eines falschen Glaubens (deceit)“. Verschie‐ dene Verstellungsstrategien berühren entweder einen oder beide Aspekte von Unwahrheiten bzw. Lügen. Sprachliche Verstellungsstrategien können als be‐ stimmte Varianten des Lügens analysiert werden. Durch die schriftsprachliche Fixierung und der damit verbundenen Planbarkeit haben Verstellungsstrategien bestimmte Eigenschaften und Möglichkeiten, die in Kapitel 15 dargelegt werden. Die Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz oder die Imita‐ tion der Sprache einer Person oder Personengruppe unterliegen bestimmten Parametern, die in Kapitel 15.6 besprochen werden. 4.3 Sprachkontaktforschung Die Vortäuschung bzw. Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit ist eine häufig gewählte Verstellungsstrategie beim Verfassen inkriminierter Schreiben. Dabei spielt die Abgrenzung von Sprachkontaktphänomenen wie Code-Switching (u. a. Clyne 2003), -Shifting (u. a. Auer 1998) und -Mixing (u. a. Muysken 2000) eine Rolle. Abzugrenzen davon sind Foreigner Talk bzw. Xenolekt (u. a. Be‐ chert/ Wildgen 1991: 58). Einige Muttersprachler/ innen verwenden gegenüber Nicht-Muttersprachler/ innen eine stark vereinfachte, reduzierte Sprache, die der einfacheren Verständigung dienen soll, jedoch in vielen Situationen das Gegenteil bewirkt. Riehl (2014: 129) beschreibt, dass alle sprachlichen Ebenen von der Vereinfachung der Sprache, die Xenolekt mit sich bringt, betroffen sein können. Auch Merkmale des „tertiären Ethnolekts“ (Auer 2003) und ihre mediale Präsenz als Sprachphänomene wie „Türkendeutsch“, „Kanak-Sprak“ usw. (Neuland 2008: 158) sind bei der Analyse fingierter Texte zu beachten. Beim Gebrauch des tertiären Ethnolekts dient die Sprechweise von nicht-mut‐ tersprachlichen Personen als Vorbild, ohne dass die Sprecher/ innen Kontakt zu der ethnischen Minderheit haben, die diese Sprechweise originär verwenden (primärer Ethnolekt). Da die wenigsten Schreiber/ innen inkriminierter Texte über ausreichend Sprachbewusstsein verfügen, um Merkmale echter Sprach‐ kontaktphänomene zu berücksichtigen, greifen viele auf medial verbreitete Formen zurück. Die so produzierten sprachlichen Merkmale bieten wichtige Hinweise auf Verstellungsstrategien wie z. B. die Imitation des sprachlichen Stils 36 4 Weitere relevante Forschungsdisziplinen <?page no="37"?> einer nicht-muttersprachlichen Person. Die Imitation von Nicht-Muttersprach‐ lichkeit wird in Kapitel 15.7 thematisiert. 4.4 Medienlinguistik und Online-Kommunikation Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden Texte aus verschiedenen Medien und Submedien behandelt. Verschiedene Medien unterliegen spezifischen Mög‐ lichkeiten und Beschränkungen, die bei der Analyse beachtet werden sollten (u. a. Marx/ Weidacher 2014). Medien besitzen trotz vieler Unterschiede, eben‐ falls eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten (u. a. Schneider 2017: 37), die Ver‐ gleiche untereinander erlauben. Für die Betrachtung von Online-Rezensionen und Texten, die in Online-Foren hochgeladen werden, sind die Rahmenbedin‐ gungen der „internetbasierten Kommunikation“ (Beißwenger 2016) und der Chatkommunikation (u. a. Dürscheid 2016) zu beachten. Eine umfassende Einführung in die Medienlinguistik bietet Schmitz (2015). Viele inkriminierte Schreiben bzw. Texte, die mit Straftaten, Ordnungswid‐ rigkeiten und insbesondere Verstellungsstrategien der Nutzer/ innen im Zusam‐ menhang stehen, finden im Bereich der Online-Kommunikation statt. Auch diese Arbeit befasst sich, insbesondere im Bereich der Verschleierung der Identität in Online-Foren, mit Besonderheiten des Sprachgebrauchs im Internet, vgl. Kapitel 11. Eine gute Übersicht über „internetbasierte Kommunikation“ bietet Beißwenger (2016) und zur Syntax im Speziellen liefern Dietterle/ Lüde‐ ling/ Reznicek (2017) interessante Ansätze. Zur Nähebzw. Distanzsprache, die insbesondere bei Erpressertexten eine Rolle spielt, bietet sich eine Beschäftigung mit Dürscheid (2016) an. In medialen Räumen wie dem Internet entwickeln sich neue sprachliche Regeln wie z. B. in Bereichen der Interpunktion und insbesondere der Stilistik, die bislang noch nicht kodifiziert wurden. Damit verbunden ist in Kommunika‐ tionsbereichen wie Online-Foren der Gebrauch bestimmter Fachsprachen. Für die vorliegende Arbeit sind hier fachsprachliche Bereiche der Onlinekommuni‐ kation wie Gaming- und Börsensprache zu nennen, die in Kapitel 13 behandelt werden. 4.5 Fehlerforschung Im Bereich der Textanalyse muss für eine wissenschaftlich fundierte Betrach‐ tung die Unterscheidung von Merkmalen, Fehlern und stilistischen Varianten 4.4 Medienlinguistik und Online-Kommunikation 37 <?page no="38"?> im Bereich der Varietätenlinguistik getroffen werden, was in der Fehlerfor‐ schung fokussiert wird. Hierfür bieten sich Siekmann/ Thomé (2018) an, die außer aktuellen Ansätzen und Verfahren zur Analyse von Fehlern auch einen weitreichenden diachronen Forschungsüberblick liefern. Insbesondere für die Unterscheidung von (fingierten) Errors, Mistakes (vgl. u. a. Corder 1967 und Dern 2009: 68) und Tippfehlern im Rahmen fingierter Texte spielen neuere Erkenntnisse aus der Fehlerforschung eine wichtige Rolle. Während Perfor‐ manzfehler bzw. Mistakes solche Fehler darstellen, die die/ der Schreiber/ in selbst korrigieren kann, sind Kompetenzfehler bzw. Errors solche Fehler, deren sich die/ der Autor/ in eines Textes nicht bewusst ist. Daher können sie nicht eigenständig korrigiert werden. Fingierte Fehler können nur auf den Ebenen produziert werden, für die die/ der Schreiber/ in ein ausreichendes sprachliches bzw. metasprachliches Bewusstsein hat. Die einzelnen Ebenen einer Sprache sind unterschiedlich leicht zugänglich. Während im Bereich der Lexik und z. B. bei den Genera von Substantiven oder Flexionsformen häufiger fingierte Fehler produziert werden, ist die Syntax als tief liegender Bereich der Sprache seltener von Manipulationen betroffen. Die Bedeutung der Fehlerforschung für die Autorschaftsanalyse wird in Kapitel 9 beschrieben. 38 4 Weitere relevante Forschungsdisziplinen <?page no="39"?> 5 Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse Die Autorenerkennung bzw. Autorschaftsanalyse kann in die zwei Forschungs- und Analysebereiche Textanalyse und Textvergleich aufgegliedert werden. Bei der Textanalyse ist das Ziel, anhand eines oder mehrerer Texte Anhaltspunkte über Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildungsgrad etc. einer/ eines Autorin/ Autors zu erhalten. Dahingegen werden beim Textvergleich ein oder mehrere Texte unbekannter Herkunft einem oder mehreren Texten bekannter Autor/ inn/ en ge‐ genübergestellt. Hier wird anhand der Analyse sprachlicher Merkmale der Grad der Übereinstimmung bestimmt. Insbesondere der Gebrauch spezifischer Merk‐ malsets (oder Merkmalbündel), also die Kombination verwendeter Merkmale, sowie das wiederholte Auftreten bestimmter Merkmale in bestimmten Zusam‐ menhängen sind signifikant für die Identifizierung einer/ eines Autors/ Autorin. „Diese Merkmalbündel von Sprachvarianten erscheinen im Kontrast zu anderen systematisch auftretenden Variantenrealisierungen (z. B. zum Standard) als markiert und rechtfertigen die Varietätenabgrenzung.“ (Felder 2016: 9). Im Folgenden sollen Methoden und Ziele von Textanalysen und -vergleichen vorgestellt werden. Dabei werden auch Konzepte wie die Gesamtpopulation und Arbeitsweisen wie Hypothesenbildung im Rahmen der Autorschaftsanalyse erläutert. 5.1 Individuelles Sprachverhalten vs. Gesamtpopulation Nicht alle von der sprachlichen Norm abweichenden Merkmale sind für Text‐ analysen und Textvergleichen gleich bedeutsam. Das Herausarbeiten salienter, also aussagekräftiger Merkmale und deren Verbindung zu Merkmalsets steht im Fokus der Forschung und Praxis. Das Auftreten von Merkmalen in Texten einer/ eines bestimmten Autorin/ Autors gegenüber dem allgemeinen Auftreten, hier Gesamtpopulation genannt, ist von entscheidender Bedeutung für die Erarbeitung von Thesen, die die Autorschaft betreffen. Kniffka (1981: 595) verweist darauf, dass es nicht um „sprecherspezifische, sondern um individuelle sprecheridentifizierende Merkmale“ und den spezifi‐ schen Gebrauch dieser Merkmale (wie z. B. Fehler) im Vergleich zum Gebrauch der Gesamtpopulation, geht. <?page no="40"?> „Nicht, wie ‚ungewöhnlich‘ ein sprachlicher Ausdruck schlechthin ist, sondern wie konsistent und typisch er für den Sprachgebrauch eines Sprechers als (allgemein) ungewöhnliche sprachliche Handhabung einer Situation auftritt, ist von Interesse.“ (Kniffka 1981: 591 f.) Sprachverhalten wird also durch das wiederholte Auftreten salienter, also aussagekräftiger Merkmale, die in Relation zur Gesamtpopulation selten sind, individuell und damit sprecheridentifizierend. 5.2 Unvoreingenommenheit bei Textanalysen und insbesondere Textvergleichen Wie in allen Wissenschaften ist es für die forensische Linguistik grundlegend wichtig, unvoreingenommen an den Untersuchungsgegenstand heranzugehen. Bei Textanalysen und Textvergleichen ist das von besonderer Bedeutung, damit eine/ e Forscher/ in sich bei der Analyse, beispielsweise aufgrund des Vorkommens eines bestimmten Merkmals, nicht aufgrund des Ersteindrucks für eine mögliche Hypothese entscheidet. Dabei besteht die Gefahr, dass die/ der forensische Linguist/ in vor allem Belege für diese Hypothese sucht, und andere Merkmale, die möglicherweise gegen die Hypothese sprechen, übersieht (vgl. u. a. Solan 2010). Dieser Gefahr muss bei der Analyse entgegengesteuert werden, indem man eine Hypothese erst nach vollständiger Analyse aufstellt. Das gilt insbesondere bei der Untersuchung von Texten im Rahmen eines Textvergleichs, die bereits einen maschinellen ‚Analyseprozess‘ durchlaufen haben. 5.3 Textanalysen Bei Textanalysen steht „die Feststellung aussagekräftiger Verhaltensweisen, seien es Fehler oder nicht-fehlerhafte Auffälligkeiten“ im Vordergrund, um „Rückschlüsse auf die Person des Autors oder die Bedingungen der Textpro‐ duktion“ zu erhalten (Dern 2009: 34). Kniffka (2000: 185) beschreibt die Haupt‐ aufgaben bei Textanalysen der forensischen Linguistik so: „The main task is an examination of covariation patterns of data of various grammatical, stylistic, orthographic, “phenotypic” (layout, make-up) and other dimensions. “ So können z. B. sowohl Quantität als auch Qualität von Fehlern, sprachlicher Abweichungen und sonstige Merkmale Informationen über die sprachliche Bildung, metasprachliches Bewusstsein und Erfahrung bei der Textproduktion einer/ eines Autorin/ Autors preisgeben. Außer Fehler und Abweichungen in 40 5 Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse <?page no="41"?> 18 Hier wird von „Anonymous Authorship Analysis“ gesprochen. Bereichen wie Orthographie, Morphologie, Syntax etc. spielen insbesondere verschiedene Varietäten sowie die Analyse der diastratischen, diatopischen und diaphasischen Ebenen eines Textes eine Rolle, um mögliche Aussagen über die Metadaten einer/ eines Autorin/ Autors treffen zu können. Diese betreffen dann Alter, Herkunft, Bildung, Tätigkeit/ Beruf, eventuell auch das Geschlecht usw. Zu bedenken ist aber immer, dass es unterschiedliche Textsorten gibt, die bestimmten Regeln und Regelhaftigkeiten unterworfen sind und dass Schreiber/ innen sich dieser bedienen und auch ihren Schreibstil entsprechend anpassen können. So ist es möglich, dass Autor A einen Geschäftsbrief ganz anders formuliert als einen Liebesbrief und sich sein Schreibstil bei den beiden Texten stark unterscheidet, obwohl es sich um den gleichen Autor handelt. Andererseits ist es möglich, dass der Geschäftsbrief von Autorin B stark dem Geschäftsbrief von Autor A ähnelt, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Personen handelt. Das ist insbesondere bei Texten der Fall, deren Textsorte stark konventionalisiert ist (vgl. u.-a. Dern 2009: 35). Solche Überlegungen sind insbesondere bei vergleichenden Analysen (Text‐ vergleiche s. u.) bedeutsam. Dennoch sollte die grundsätzliche Problematik auch bei Textanalysen ohne Vergleichsmaterial mitbedacht werden. Kniffka (2000: 180) beschreibt, dass zumindest Textvergleiche anonymer Schreiben 18 gänzlich von dem Umfang und derart der Vergleichsdaten abhängig sind. Er bezieht sich dabei sowohl auf eigene wie auch andere Veröffentli‐ chungen. Anfang des Jahrtausends wird daher die Frage gestellt: „Is it at all possible to do forensic linguistic anonymous authorship analysis successfully without (any) comparison data? “ Da es bei der Textanalyse kein Vergleichsma‐ terial gibt, wird bei der „Text Analysis“ (Ehrhardt 2013: 68, 2016) oder beim „authorship profiling“ (u. a. Ehrhardt 2018: 174) von einem „single text problem“ (Grant 2008 222, Coulthard/ Grant/ Kredens 2011: 536 f.) bzw. „describ[ing] an author qua author“ (Olsson 2004: 98) gesprochen. Den besonderen wissenschaftlichen Status bzw. auch das Problem des au‐ thorship profilings fassen Coulthard, Grant und Kredens (2011) so zusammen: „Normal scientific method moves from observation of a large number of examples to a generalization. Profiling involves taking a single example and, by matching it to a well-founded generalization, drawing a conclusion about that instance.“ (Coulthard/ Grant/ Kredens 2011: 538) In einer Tabelle fasst Ehrhardt (2018: 175 f.) relevante Aspekte der Aufgaben des authorship profilings zusammen. Die groben Kategorien sind „Language 5.3 Textanalysen 41 <?page no="42"?> classification“, also ob ein/ e Autor/ in Muttersprachler/ in ist oder nicht, „Re‐ gional variety“, „Age“, „Linguistic competence, Education, Social background“, „Profession, Special interests“ und „Attitude“. Letzteres meint die Einstellung, den Glauben oder die Sichtweise einer/ eines Autorin/ Autors, der bzw. die durch die Sprachwahl u. U. deutlich wird. Als Beispiel nennt Ehrhardt das Adjektiv „ungläubig“, das laut ihr heutzutage fast ausschließlich von Leuten mit islamischem Hintergrund genutzt wird, und die Nominalphrase „kapitalistische Verwertungslogik“, die einen linksextremen Hintergrund nahelegt (Ehrhardt 2018: 176). Durch das Herausarbeiten „sprachlicher[r] Strukturen mit ‚Signalwirkung‘“ (Dern 2009: 67) oder mit Indikatorfunktion (vgl. hierzu Fleischer/ Michel/ Starke 1996: 43, Baldauf 1999 und Dern 2003) werden Rückschlüsse auf Autor/ in und Textproduktionssituation gezogen. Diese Textstrukturen werden als „Befunde“ (u.-a. Dern 2009: 67) bezeichnet. Ziel der Textanalyse ist dann, mithilfe dieser Befunde Autor/ innen einzu‐ schätzen, um ggfs. Täterprofile erstellen zu können. Weiterhin können die Analysen dazu beitragen, die Autorenabsicht einschätzen zu können. Mithilfe solcher Informationen lassen sich dann seitens der Kriminalistik verschiedene „Ermittlungsansätze“ bilden. Für die linguistische Analyse wiederum ist fol‐ gender Grundsatz entscheidend: „Der Autor soll dabei nicht identifiziert sondern hinsichtlich der folgenden Eckdaten kategorisiert werden“ (Dern 2009: 64 ff.). Autor/ in A und B treten also nicht als eine bestimmte Person auf, sondern erscheinen durch Parameter verschiedener Kategorien personenbezogener Ei‐ genschaften als Repräsentant/ in einer bestimmten Personengruppe! Bei den Eckdaten unterscheidet Dern Muttersprache, Bildung, Ausbildung/ Tätigkeit, Erfahrung in der Textproduktion, Altersgruppe, regionale Zugehörigkeit bzw. dialektale Prägung. Die festgestellten Befunde werden in einem sogenannten Befundprotokoll aufgelistet. Die Befundbewertung und -beschreibung basieren auf Erkennt‐ nissen der Forschung, Korpusanalysen, gegebenenfalls Experimenten (vgl. Dern 2009: 106) und der Erfahrung der/ des Forscherin/ Forschers. Bei der Textanalyse und der Auswertung der Befunde ist essenziell, dass die Normabweichungen mit normgerechten Schreiben kontrastiert werden, um feststellen zu können, ob es sich um systematische oder zufällige Abweichungen handelt (vgl. Dern 2009: 67 f.). Auf diese Problematik wird in Kapitel 9 einge‐ gangen, in dem Fehlertypen, also z.-B. Errors und Mistakes besprochen werden. 42 5 Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse <?page no="43"?> 19 https: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ epistemology/ concepts/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 5.4 Textvergleiche Die Frage, die sich bei einem Textvergleich stellt, ist, ob ein fraglicher Text von einer/ einem oder mehreren fraglichen Autor/ inn/ en geschrieben wurde. Dafür müssen alle Texte, die bei einem Textvergleich berücksichtigt werden sollen, vorher in einzelnen Textanalysen untersucht werden. Es folgt ein Vergleich der Merkmale und Merkmalsets bzw. Befunde der jeweiligen Texte. Ziel ist, anhand dieser Vergleiche auf diversen sprachlichen Ebenen einen Übereinstimmungs‐ grad der Texte zu bestimmen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer Wahr‐ scheinlichkeitsaussage über die Identität bzw. Nichtidentität der Autor/ inn/ en. Bei Textvergleichen werden i. d. R. anonyme Texte, deren Urheberschaft unge‐ klärt bzw. unklar ist, mit anderen Texten mit geklärter Autorschaft verglichen. Dabei sind verschiedene Konstellationen möglich, die mit „1: 1, 1: N and N : N “ (Ehrhardt 2018: 177) umschrieben werden können. Entweder werden zwei Texte miteinander vergleichen, ein Text wird mit mehreren Texten verglichen, oder mehrere Texte werden mit mehreren Texten vergleichen. Wenn es bei der Konstellation 1: 1 nur einen fraglichen Text, also einen ohne belegte Autorschaft gibt, wird auch von „authorship verification“ (u. a. Potha/ Stamatos 2014: 313 f.) gesprochen. Koppel/ Schler/ Argamon (2013: 326) beschreiben die Autorschaftsverifikation als Hauptaufgabe der Autorschafts‐ analyse: „Plainly, if we can solve this problem, we can solve the standard attri‐ bution problems […] as well as many other authorship attribution problems.“ Es ist ebenfalls eine 1: 1-Konstellation ohne Vergleichsmaterial möglich, die „serves the purpose of establishing the basis to combine the investigations of so far unsolved but possibly related cases“ (Ehrhardt 2018: 177). Die Konstellationen 1: N und N : N (Ehrhardt 2018: 177) können bei einem wesentlich erhöhten Schwierigkeitsgrad als Serie von paarweisen Textvergleichen operationalisiert werden. In der Computerlinguistik kann N entweder als Closed Set oder als Open Set behandelt werden. Die Begriffe Open Set und Closed Set kommen aus der Klassifikationstheorie. Bei der Klassifikation werden einzelne Objekte (für die Autorenerkennung also in der Regel mehrere Texte) anhand bestimmter vorher festgelegter Merkmale einer Klasse (bei der Autorenerkennung also z. B. einer/ einem Autor/ in) zuge‐ ordnet. Für eine Übersicht in linguistischen Kontexten siehe auch Lehmann (1996). Außerdem betreibt Lehmann eine Internetseite zu diesem Thema. 19 5.4 Textvergleiche 43 <?page no="44"?> Bei einem Closed Set-Szenario sind alle möglichen Klassen (also hier Autor/ inn/ en) vorher festgelegt, d. h., dass sich das System in jeden Fall für eine der vorgegebenen Klassen entscheidet. Das ist auch der Fall, wenn sich das Objekt ggf. nur sehr schlecht einer der Klassen zuordnen lässt. Man denke hier an eine Bilderkennungssoftware, die Bilder entweder der Klasse Hund oder der Klasse Katze zuordnet. Bekommt das Programm nun ein Bild von einer Giraffe, muss es das Bild dennoch als Katze oder als Hund klassifizieren. Bei einem Open Set-Szenario können zusätzlich zu den festgelegten Klassen noch weitere Klassen zugelassen werden. Wenn ein Objekt nicht richtig in eine festgelegte Klasse passt, dann kann es auch einer unspezifizierten Klasse zugeordnet werden. Nehmen wir das Beispiel mit der Giraffe, dann könnte das System sagen, dass das Bild zu keiner der bisher festgelegten Klassen Hund oder Katze passt. Alle denkbaren Szenarien unterscheiden sich u. a. nach Untersuchungsgegenstand, Zielsetzung und auch insbesondere darin, wie viele und welche Klassen definiert werden. Beispielsweise sind auch Open Set-Sze‐ narien denkbar, in denen es von vornherein nur unspezifizierte Klassen gibt. Problematisch bei solchen Verfahren ist, dass man im Rahmen der Untersuchung zwar eine unspezifizierte Klasse entdecken kann, jedoch dieser Klasse keinen passenden Namen zuordnen kann. Im Rahmen dieser Arbeit sind diese Informationen ausreichend, um die grundsätzliche Problematik und Unterscheidung zwischen Closed und Open Set-Szenarien zu verstehen. Weiterführende Informationen, insbesondere zu Open-Set-Szenarien, bieten Geng/ Huang/ Chen (2019). In Bezug auf die Autorenerkennung geht man also bei einem Closed Set-Szenario davon aus, dass alle möglichen Autor/ inn/ en bereits bekannt sind, während ein Open Set-Szenario dergestalt ist, dass es außer den bekannten Autor/ inn/ en noch weitere geben kann, denen ein fraglicher Text zugeordnet werden kann. In der forensischen Linguistik ist die Behandlung als Open Set-Aufgabe vorrangig (Ehrhardt 2018: 177). Dagegen verlangt ein Closed Set-Szenario, wie gezeigt, eine Vorauswahl möglicher Autor/ inn/ en, was für die forensische Linguistik ein wesentlich selteneres (Ehrhardt 2018: 177), aber auch kein unrealistisches Szenario darstellt, denn: „in many forensic applications the investigators are able to filter out most of the persons in a case and produce a closed-set of suspects“ (Potha/ Stamatos 2014: 313). In der Forschungsdiskussion wird deutlich, dass die Herangehensweise im Bestfall von den gegebenen Umständen abhängig gemacht werden sollte, da es wohl keine generell beste Methode gibt, bzw. diese in vielen Szenarien nicht wählbar ist. In jedem Fall ist eine qualitative Herangehensweise, die durch technische Hilfsmittel unterstützt wird, wünschenswert. 44 5 Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse <?page no="45"?> Egal welche Methode präferiert wird (falls überhaupt eine Wahl möglich ist), vergleichende linguistische Analysen beginnen mit voneinander unabhän‐ gigen Einzelanalysen jedes Textes, der Sammlung von Merkmalen und deren Systematisierung. Die Daten werden dann im Hinblick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede untersucht und verglichen. Ehrhardt (2018: 178) nennt außerdem noch die Untersuchung der „typicality for a population of relevant language users“ als Teil der Analyse. Dann werden auf Basis der Analyse Schlussfolge‐ rungen mit Abgleichung der vorformulierten Hypothese gezogen und geprüft. 5.5 Wahrscheinlichkeitsaussagen und Nicht-Linearität bei Textvergleichen Wahrscheinlichkeitsaussagen können bei Textanalysen nur relativ sein. Das bedeutet, dass keine absoluten Aussagen möglich sind, da „Sprache nur indirekt materialisiert ist und nicht physikalischen Gesetzen, sondern sozialen Normen, Regeln und Bewertungen unterliegt“ (Fobbe 2011: 61). In anderen Wissenschaften wird mit anderen, auf Zahlen basierten Angaben gearbeitet, die beispielsweise auf Prozentangaben basieren. Von außerlinguis‐ tischer Seite werden daher auch prozentuale Angaben der Art mit welcher prozentualen Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei Sprecher X um den Autoren von Text Y etc. angefragt. Kniffka (2000) erteilt der Möglichkeit prozentualer Angaben eine klare Absage: „A calculation of these levels in percentage figures is not possible. Language data are not quantifiable in such terms. It should be noted, however, that between the different levels no intervals of equal size exist. The higher the probability level, the smaller the interval.“ (Kniffka 2000: 197) Dazu merkt Dern (2009: 76) an, dass eine Angabe mit Prozentzahlen auch deswegen abzulehnen sei, da Zahlenwerte nicht per se eine höhere Objektivität bedeuten. Statt prozentualer Angaben wird mit einer bipolaren Skala von verbalen Wahrscheinlichkeitsgraden (Dern 2009: 76 und Kniffka 2000: 197) gearbeitet, die wie folgt aussieht: 1. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 2. mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit 3. mit hoher Wahrscheinlichkeit 4. wahrscheinlich 5. non liquet (kann nicht entschieden werden) 5.5 Wahrscheinlichkeitsaussagen und Nicht-Linearität bei Textvergleichen 45 <?page no="46"?> Die Beurteilung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sollte nicht gewählt werden, da dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad nur schwer durch empirische Verfahren in Geisteswissenschaften zu rechtfertigen ist (Fobbe 2011: 61). Beim Bundeskriminalamt wird der dritte Punkt der Skala noch einmal aufgeteilt, sodass sich dadurch folgende Gliederung ergibt (vgl. auch Dern 2003: 50): 1. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 2. mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit 3. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit 4. mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit 5. wahrscheinlich 6. non liquet (kann nicht entschieden werden) Die Abstände zwischen den einzelnen Graden nehmen mit zunehmender Wahr‐ scheinlichkeit ab, sind also keineswegs linear (Kniffka 2000: 197). Eine einfache Übertragung der Wahrscheinlichkeitsgrade in prozentuale Angaben ist also nicht zulässig, da sie nur Scheinobjektivität generieren und u. U. sogar zu falschen Annahmen führen würde, da keine Linearität zwischen den einzelnen Stufen gegeben ist. Numerische Wahrscheinlichkeiten werden also aufgrund noch bestehender Forschungsdefizite abgelehnt und sind daher (noch) nicht möglich. Es ist nicht möglich, eine/ n Autor/ in auszuschließen, bzw. die Aussage zu treffen, dass eine bestimmte Person einen Text auf keinen Fall geschrieben haben kann. Daher gibt es in der Skala auch keine Grade wie unwahrscheinlich, sehr unwahrscheinlich etc. Diese Regel gilt grundsätzlich, egal wie umfangreich das Vergleichsmaterial ist (vgl. Kniffka 2000: 184). Die Unzulässigkeit, jemanden als Autor/ in eines bestimmten Schreibens generell auszuschließen, gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei der Textproduktion verschiedene Verstellungsstrategien angewendet werden können. Kniffka (1981: 594) geht davon aus, dass sich Sprecher/ innen einer „‚hö‐ here[n]‘ Stufe der sozialen Hierarchie“ relativ problemlos verstellen können, indem er ausführt: „Ein Arzt kann vermutlich ohne größere Schwierigkeiten den Sprachbzw. Schreibstil eines (nicht akademisch gebildeten) Arbeiters imitieren, wenn er seine Autorschaft bewußt verdecken will o.ä.“ Hier muss kritisch angemerkt werden, dass die Imitation einer angenom‐ menen geringeren sprachlichen Kompetenz nicht „ohne größere Schwierig‐ keiten“ von statten geht. Der höhere Bildungsgrad beispielsweise eines Arztes ist allein nicht ausreichend, um eine Imitationsstrategie durchgehend und er‐ 46 5 Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse <?page no="47"?> 20 Fobbe 2011: 58 spricht hier von „Sprachgebrauchsformen“. folgreich durchzuführen. Hier spielen grundsätzlich Faktoren wie metasprach‐ liche Kompetenz sowie Sprachsensibilität eine Rolle. In der Praxis zeigt sich, dass der umgekehrte Fall, nämlich die Verstellung einer höheren schriftsprach‐ lichen Kompetenz, eine so genannte „Selbstaufwertung“ (u. a. Dern 2009: 65), tatsächlich kaum gelingt. Auf weitere Überlegungen und Forschungsergebnisse zu Verstellungsstrate‐ gien wird in Kapitel 15 eingegangen, bevor sie dann im Rahmen konkreter empirischer Analysen in den Kapiteln 16. und 17. dargestellt werden. 5.6 Hypothesenbildung bei der Autorschaftsanalyse Im Rahmen von Autorschaftsanalysen empfiehlt Fobbe (2011: 56 f.), sich Hypo‐ thesen, die während des Verstehensprozesses gebildet werden, immer wieder bewusst zu machen und ebenfalls eine offene Haltung gegenüber der Haltbarkeit dieser Hypothesen zu bewahren, damit diese gegebenenfalls angepasst werden können. Grundsätzlich sind Texte zu unterscheiden, deren Autor/ in feststeht (Vergleichsmaterial) und Texte, deren Autorschaft nicht feststeht, nämlich das Tatschreiben, bzw. der fragliche Text. Es gibt zwei mögliche Hypothesen, nämlich dass Autor/ in A (Vergleichsmaterial) und Autor/ in B (fraglicher Text) die/ der gleiche Autor/ in sind, oder dass sie nicht die/ der gleiche Autor/ in sind. Die These, für die man sich bei der Analyse entscheidet, ist die Nullhypothese, während die andere als Alternativhypothese bezeichnet wird (vgl. Fobbe 2011: 58). Bei der Analyse wird nun versucht, die Nullhypothese zu falsifizieren. Man sucht also nicht nach Gründen, die für eine Bestätigung der eigenen Hypothese sprechen, sondern dagegen! Entscheidet man sich also für die Nullhypothese, dass Autor/ in A und Autor/ in B die gleiche Person sind, sucht man nach Merkmalen 20 , die sich in beiden Texten unterscheiden. Im gegenteiligen Fall, also wenn die Nullhypothese lautet, dass A und B nicht die gleiche Person sind, dann sucht man nach übereinstimmenden Merkmalen (vgl. dazu auch Dern 2003 und Kämper 1996: 565 ff. zur Bestätigung oder Zurückweisung dieser Form der Nullhypothese bei Fälschungen). 5.6 Hypothesenbildung bei der Autorschaftsanalyse 47 <?page no="48"?> 5.7 Keine exklusive Nutzung eines Ausdrucks und Sprachwandel Bei Textanalysen und -vergleichen ist grundsätzlich zu bedenken, dass kein sprachlicher Ausdruck exklusiv von nur einer Person verwendet wird (vgl. u. a. Fobbe 2011: 45). Gerade der eher schnell voranschreitende Sprachwandel im Bereich der Lexik zeigt, dass Ausdrücke niemals exklusiv von einer Person genutzt werden. Begriffe aus innovativen Bereichen der Sprache wie Jugend- und Szenesprachen sorgen für eine stetige Veränderung im Bereich der Lexik, da Wörter in den allgemeinen Sprachgebrauch und damit in die Standardsprache übergehen (vgl. u. a. Androutsopoulos 2005). Auch Innovationen (vgl. googlen/ googeln) oder veränderte Lebensbedingungen wie Gentrifizierung (Fobbe 2011: 45-46), Corona etc. und deren Präsenz in den Medien sorgen dafür, dass neue Begriffe geprägt werden, oder aber den fachsprachlichen Bereich verlassen und Zugang zur Standardsprache erhalten, vgl. Phishing, Flaming, Fraud etc. Was einmal Teil des Sprachgebrauchs einer sehr spezialisierten Gruppe war, kann beispielsweise von einer Fachsprache in ihrer Gesamtheit übernommen werden und über mediale Verbreitung ebenfalls den Weg in die Standardsprache finden. Diese änderbaren Bedingungen sind insbesondere bei Textvergleichen über län‐ gere Zeiträume oder bei einem Abgleich mit in Datenbanken abgespeicherten Texten zu bedenken. 5.8 Zusammenfassung Bei der Autorschaftserkennung werden im Rahmen von Textanalysen und -ver‐ gleichen saliente Merkmalsets herausgearbeitet. Die Salienz und Aussagekraft ergeben sich dabei aus dem Verhältnis der Merkmale innerhalb eines Textes oder einer Textserie zu ihrem Vorkommen in der Gesamtpopulation. Textanalysen haben das Ziel, anhand salienter Merkmale Aussagen über die Metadaten möglicher Autor/ inn/ en zu treffen. Die/ Der Schreiber/ in erscheint durch abgeleitete Metadaten als Repräsentant/ in einer bestimmten Personen‐ gruppe. Im Rahmen der Analyse inkriminierter Schreiben besteht das Ziel, den Kreis der Autorschaft bzw. den Täterkreis einzugrenzen. Bei Textvergleichen können Merkmalsets, die vorher im Rahmen von Textanalysen herausgearbeitet wurden, miteinander verglichen werden. Es sind verschiedene Konstellationen möglich, je nachdem, wie viele fragliche Schreiben und Texte mit bekannter Autorschaft vorliegen. Textvergleiche er‐ lauben Aussagen darüber, ob ein Text von einer/ einem bestimmten Autor/ in X 48 5 Textanalysen und Textvergleiche im Bereich Autorschaftsanalyse <?page no="49"?> geschrieben wurde. Die Wahrscheinlichkeit kann in einer bipolaren Skala von verbalen Wahrscheinlichkeitsgraden ausgedrückt werden, wobei die Abstände der einzelnen Grade nicht linear sind. Deshalb sind prozentuale Angaben über Wahrscheinlichkeiten abzulehnen. Grundsätzlich kann eine bestimmte Autorschaft niemals ausgeschlossen werden. Außerdem sollte bedacht werden, dass kein sprachlicher Ausdruck von nur einer Person exklusiv gebraucht wird. Man kann also nicht anhand nur eines sprachlichen Merkmals auf eine Person schließen. 5.8 Zusammenfassung 49 <?page no="51"?> 6 Strittige Punkte und Forschungsdebatten In den folgenden Kapiteln werden wesentliche Punkte zu Forschungsbereichen vorgestellt, die in der Autorschaftserkennung teilweise kontrovers diskutiert werden. Dazu gehört die Frage, ob qualitative oder quantitative Analysen für die Autorenerkennung vorzuziehen sind. Es wird die Bedeutung des sprachli‐ chen Fingerabdrucks erläutert und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Außerdem wird gezeigt, wie im Rahmen von Textanalysen und -vergleichen mit Problemstellungen wie der multiplen Autorschaft und dem muttersprachlichen Selbstbewusstsein von Schreiber/ inne/ n umgegangen wird. 6.1 Qualitative und quantitative Analysen Eine Forschungsdebatte dreht sich um die Herangehensweise an vorliegende sprachwissenschaftliche Daten bzw. die Analyse dieser Daten. Ist eine qualita‐ tive oder eine quantitative Herangehensweise vielversprechender? Ist interdis‐ ziplinäre Arbeit sinnvoll oder sollte die Forschung eher isoliert vorangetrieben werden? Es gab eine langanhaltende Forschungsdiskussion, ob eine qualitative oder quantitative Analyse für die forensische Linguistik besser geeignet sei (vgl. Sture 1982). McMenamin (2002) beschreibt seine Skepsis gegenüber rein daten‐ bankgestützten Verfahren und weist auf die riesige Vielfalt sprachlicher Varia‐ tion hin. Vielmehr sollten Auffälligkeiten und Merkmale in einem fraglichen Text im Vordergrund des Interesses stehen. Dennoch nennt er viele Vorteile von standardisierten Methoden wie ein erhöhtes Maß an Objektivierung und Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse. In den USA und Großbritannien fordern Gerichte verstärkt eine Quantifizierbarkeit der Forschungsergebnisse. Daher ist die Forschung hier stark bemüht, quantitative Analysen in die Untersuchungen mit einzubeziehen. Im Rahmen des Forschungskollegs „SecHuman - Sicherheit für Menschen im Cyberspace“, in dem die vorliegende Arbeit entstanden ist, haben germanisti‐ sche Linguist/ inn/ en, Forscher/ innen der Arbeitsgruppe „Kognitive Signalver‐ arbeitung“ und der Elektro- und Informationstechnik mit Praxisakteur/ inn/ en des Bundeskriminalamts zusammengearbeitet. Der Hintergrund dieser Unter‐ suchung ist daher stark inter- und transdiziplinär geprägt, zieht sowohl theo‐ retische Überlegungen wie auch praktischen Nutzen in Betracht und bietet <?page no="52"?> sowohl qualitative Analysen als auch Ansätze und kleinere Untersuchungen, die quantitativ geprägt sind. Wichtig bei der Etablierung von quantitativen Ver‐ fahren ist, dass geeignete Kategorien gefunden werden, und danach technische Hilfsmittel entwickelt und weiterentwickelt werden. Man muss sich einerseits die Frage stellen, welche Kategorien messbar gemacht werden können, aber andererseits sollte auch die Frage fokussiert werden, bei welchen Kategorien eine Quantifizierung sinnvoll, also zielführend ist. Daher ist die Abstimmung von linguistischer Forschung, besonders die Etablierung geeigneter Merkmal‐ kategorien mit der Entwicklung von Systemen, die das Vorkommen dieser Merkmale quantifizieren, unabdingbar. Es handelt sich um einen komplexen, wechselseitigen Prozess, bei dem sehr behutsam vorgegangen werden muss, damit man nicht in einem Datenwust, der die Möglichkeit für Hypothesen über die Urheberschaft eines Textes sogar erschwert, zu versinken droht. Nur so kann gewährleistet werden, dass größere quantitative und computergestützte Ver‐ fahren einen Nutzen darin haben, die Arbeit von forensischen Linguist/ inn/ en in Praxis und Theorie zu unterstützen. Die qualitativ-basierte Arbeit der Auto‐ renerkennung beispielsweise des Bundeskriminalamts funktioniert und liefert gute Ergebnisse. Allerdings sorgt die hohe Anzahl an eingehenden Fällen dafür, dass nicht alle Anfragen bearbeitet werden können. Daher ist das Hauptanliegen teil-automatisierter Verfahren die Zeitersparnis für die Praxis. 6.2 Individualstil und sprachlicher Fingerabdruck vs. Varietäten und sprachlicher Fingerzeig Eine weitere Forschungsdiskussion gibt es um das Verhältnis von Varietäten und Individualstil bzw. Idiolekt und der damit verbundenen Debatte um das Vorhandensein eines sprachlichen Fingerabdrucks. Diese Thematik wird nicht bloß im Bereich der forensischen Linguistik und insbesondere für die Autorenerkennung intensiv diskutiert, sie steht auch im Zusammenhang mit der Frage, wie bzw. was Sprache an sich ist. Innerhalb einer Sprache existieren verschiedene Varietäten wie Sozio-, Regio- und Dia‐ lekte etc., sodass „alternative Ausdrucksmöglichkeiten“ als „Varianten“ (Girnth 2007: 187) zur Verfügung stehen. So wie bei dem Beherrschen verschiedener Fremdsprachen die Möglichkeit besteht, zwischen diesen Sprachen zu wechseln (vgl. Code-Shifting bzw. -Switching in Kapitel 15.7) haben Sprecher/ innen bzw. Schreiber/ innen auch bei innerer Mehrsprachigkeit ebenfalls die Wahl verschiedener Varietäten bzw. Register, die situativ verwendet werden können. Die Sprache selbst „ist nicht monolithisch, sondern im hohen Maße heterogen 52 6 Strittige Punkte und Forschungsdebatten <?page no="53"?> […], und es ist eben diese Heterogenität, die für das Konzept der Varietät wesentlich ist“ (Daneš 2005: 40). Da Sprache in der Realität heterogen ist, muss eine relative Homogenität (beispielsweise bei der Erfassung eines bestimmten Substandards) erst methodisch hergestellt werden (Schmidt 2005: 61). Verschiedene Arten sprachlicher Realisierung können dann zu Varietäten, also „verschiedene[n] Sprachgebrauchssysteme[n]“ (Dittmar 1997: 175), zu‐ sammengefasst werden. Dabei sind Varietäten „spezifische, systematisch vor‐ kommende Sprachvarianten […], die sich durch signifikante und mehrfach auftretende Merkmale in Texten, Gesprächen oder multimedialen Einheiten auszeichnen“ können (Felder 2016: 9). Diese lassen sich auch als ein Varietä‐ tenraum begreifen, wobei innersprachliche (Morphologie, Syntax etc.) und außersprachliche Faktoren (Alter, Geschlecht, Raum etc. s. u.) entscheidend sind, um Varietäten voneinander abzugrenzen (Dittmar 1997: 177, Seifert 2009). „Gruppenfaktoren“ (Felder 2016: 118) bzw. „soziale Kategorien“ (Löffler 2016: 41) wie Alter, Geschlecht etc. sind Charakteristika von Individuen. Autor/ inn/ en schreiben aber nicht immer gleich, denn „[e]s ist auch das Individuum, welches seine eigene und die Sprache anderer einschätzt und sein Sprachverhalten danach richtet“ (Löffler 2016: 151). Zu außersprachlichen Faktoren gehören, abgesehen vom „Individuum als Teil sozialer Gruppierungen“ (Felder 2016: 115), auch Raum (hierunter fallen auch Räume der Internetkommunikation, vgl. Schmitz 2015), Zeit und Ort sowie verschiedene „Kommunikationssituationen“ (Felder 2016: 115). Faktoren, die solche Situationen konstituieren, sind „Spreche‐ rzahl, Zeitreferenz, Situationsverschränkung, Rang, Grad der Vorbereitetheit, […] Themafixierung, narrative, argumentative oder assoziative Themenbehand‐ lung, Öffentlichkeitsgrad“ (Schwitalla 2012: 21; vgl. auch Daneš (2005: 42 ff.). Dialekte weisen z.-B. im Vergleich zur überdachenden Standardvarietät (vgl. Kloss 1978 und Girnth 2007: 189 ff.) bestimmte Kriterien wie „Mündlichkeit“, „areale Gebundenheit“, „fehlende Kodifizierung“ und „kaum offenes Prestige“ auf, die „in einem interdependenten Verhältnis zueinander“ stehen (Knöbl 2012: 20, 23). Der Zusammenhang von Idiolekten, Soziolekten, Dialekten auf der einen Seite und Individualstil auf der anderen Seite wurde und wird in der linguis‐ tischen Forschung intensiv diskutiert. Eng verbunden ist der Ausdruck des sprachlichen Fingerabdrucks, der als „Beweismittel zur Autorenidentifizierung“ umstritten ist, da das Verhältnis von einem individuellen Sprachstil und Dia‐ lekten bzw. Soziolekten nicht genau geklärt werden kann (Bußmann 2008: 195 und Glück 2005: 195). Die mögliche Existenz eines sprachlichen Fingerabdrucks wird ausführlich in Wolf (2002) besprochen. Die Forschungsdiskussion scheint sich auf zwei 6.2 Individualstil und sprachlicher Fingerabdruck 53 <?page no="54"?> Bereiche zu fokussieren. Einerseits, ob die Sprache eines Menschen so charak‐ teristisch wie ein Fingerabdruck sein kann, und andererseits, ob der Ausdruck sprachlicher Fingerabdruck wortwörtlich im erstgenannten Sinne oder meta‐ phorisch gemeint ist. Drommel (2016: 25), der häufiger als Verfechter der Existenz eines sprachlichen Fingerabdrucks aufgeführt wird, schreibt, dass ihm „[…] Metaphern wie linguistischer Steckbrief oder linguistischer Fingerabdruck munter aus der Feder geflossen sind“. Er räumt ein, dass es sich dabei um „Metaphern zweiter oder gar dritter Stufe“ handeln würde, verteidigt jedoch die Existenz eines Individualstils und sagt, dass sich gewisse „Eigenarten“ im Text niederschlagen, die „[u]nterhalb der Bewusstseinsschwelle“ von Autor/ inn/ en liegen. Als Beispiele nennt er individuelle Schreibpräferenzen „€, EUR oder Euro“ sowie den Gebrauch bestimmter Partikeln (Drommel 2016: 126). Um seine Argumentation zu untermauern, führt er seine Erfahrung im Bereich der Autorenerkennung an, bei der er mehr als „800 sprachkriminalistische Gutachten“ in 25 Jahren erstellt hat (Drommel 2016: 124). Er räumt ein, dass der „Individualstil auch gruppenspezifisch geprägt“ ist und nennt als Faktoren „El‐ tern“, „Bildungsgrad“, „Freundeskreis“ und „Lieblingsfernsehserien“ (Drommel 2016: 126). Er weist zwar darauf hin, dass Autor/ innen Regeln bestimmter Textsorten folgen, aber sich in der Praxis bestimmte „Individualstilmerkmale“ zeigen (Drommel 2016: 129). Kniffka schreibt bereits Anfang der 80er Jahre: „Es gibt keine ‚idiolektalen Fingerabdrücke‘, und wenn es sie gäbe, hätte die Linguistik wohl kaum eine Möglichkeit, sie exakt zu messen (mit Ausnahme der Phonetik).“ (Kniffka 1981: 598) Dennoch bezieht Wetz (1989) die Vorstellung eines exakten Individualstils auf die forensische Linguistik im Allgemeinen: „Forensische Linguisten machen’s möglich, daß aus einem Komma-Fehler ein Haft‐ grund wird. […] Voraussetzung dafür, daß ein Text einem Autor als Individuum, [sic] zugeordnet werden kann, ist der Individualstil. Ich (und nicht nur ich) bestreite die Existenz eines Individualstils. Sprache ist eine soziale Erscheinung und mitnichten eine individuelle.“ (Wetz 1989: 48) Die Diskussion wurde auch in fachfremden Kreisen leidenschaftlich geführt. Der Mathematiker Brückner (2016) schließt sich der konsequenten Ablehnung an: „Sprache kann nicht individuell entstehen. Ihre Form und ihr Inhalt entfalten sich durch die beständige Teilnahme der Menschen an der öffentlichen und privaten Kommunikation. Dabei ist der Stil einer Äußerung, wie immer man diesen auch beschreiben mag, gerade dadurch geprägt, dass der Einzelne sich aus der Fülle 54 6 Strittige Punkte und Forschungsdebatten <?page no="55"?> potenziell vorhandener Ausdrucksmöglichkeiten jene heraussucht, die er in der gegebenen Situation für angemessen hält.“ (Brückner 2016: 60) In den o. g. Belegen zeigt sich, dass es einer Forschungsdiskussion nie zuträglich ist, wenn extreme Pole, die teilweise sogar fachfremd sind, aufeinandertreffen und im Schlagabtausch gegenseitiges Kräftemessen (z. B. wie viele Gutachten erstellt wurden) statt wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgetauscht werden. Ein wichtiges und wissenschaftlich haltbares Argument gegen die Existenz eines sprachlichen Fingerabdrucks ist, dass sich die Sprache von Menschen im Laufe des Lebens ändert. Das lässt sich gut feststellen, wenn sich Sprachteil‐ nehmer/ innen eigene Texte aus der Grundschule, aus einer weiterführenden Schule, eventuell aus dem Studium und später dem Berufsleben anschauen und dabei feststellen, wie sich ihr Schreibstil, ihre Fehlerquote etc. geändert haben. Hier mag man argumentieren, dass sich irgendwann ein bestimmter Stil entwickelt, der sich dann nicht mehr ändert. Obwohl der persönliche Sprach‐ gebrauch irgendwann weniger Veränderungen unterworfen ist, ist Sprache dennoch bestimmten Trends ausgesetzt, man hat Lieblingswörter und verliert diese wieder, durch veränderte Lebensbedingungen wie einen neuen Job, neue Bekanntschaften usw. kann sich der sprachliche Stil ändern. „Individuals continue acquiring language throughout their lives […] language is not only acquired, it is also lost. At no time in an individual’s life is language ‘fixed’. In that case, if language is not a fixed property, how is style to be measured? “ (Olsson 2004: 27) Wegen der Veränderung der Sprache eines einzelnen Menschen können Varie‐ täten nicht bloß in einem Varietätenspektrum mit diatopischen, diastratischen und diaphasischen Dimensionen analysiert werden. Es gibt auch eine diachrone Perspektive auf Sprache. Die Vorstellung eines sprachlichen Fingerabdrucks ist eng verknüpft mit dem Terminus des Idiolekts. McMenamin (2002: 52) schreibt dazu: „The idiolect has been referred to as a personal dialect. No two individuals use and perceive language exactly the same way, so there will always be at least small differences in the grammar each person has internalized so speak, write, and respond to other speakers and writers. The idiolect is the individual’s unconscious and unique combination of linguistic, cognitive associations, and extra-linguistic influences.“ (McMenamin 2002: 52) Weitere Forscher/ innen stimmen zu, da „every language user has a unique linguistic style, or ‘idiolect’, and […] features characteristic of that style will recur with a relatively stable frequency“ (Coulthard/ Grant/ Kredens 2011: 536). 6.2 Individualstil und sprachlicher Fingerabdruck 55 <?page no="56"?> Dabei ist ein Idiolekt kein klar definiertes Sprachprofil und es gibt keine univer‐ sellen Merkmale oder Merkmalsets, die es erlauben, Autor/ inn/ en grundsätzlich zu unterscheiden, da es sich beim Idiolekt vornehmlich um ein theoretisches Konzept handelt. (Ehrhardt 2018: 170) fasst das Problem zusammen: „The lack of universally discriminating features is what makes the concept of idiolect rather difficult to handle and impossible to directly operationalize.“ Aus varietätenlinguistischer Perspektive erfolgt ein Abgleich des Sprachge‐ brauchs von Individuen mit Varietäten, also aus dem „Blickwinkel der System‐ haftigkeit“. Es stellt sich also die Frage, inwieweit es Überschneidungen des Sprachgebrauchs einzelner Personen mit denen anderer Personen gibt. Hieraus ergibt sich u. U. ein „Exempel einer Subsprache“, wie z. B. Dialekte, Regiolekte etc. (Felder 2016: 45) Dabei ist zu beachten, dass die Zuordnung bestimmter Varianten zu Gruppen von Sprecher/ inne/ n „weder strikt diskret noch perfekt kontinuierlich“ (Schmidt 2010: 126) ist. Der Sprachgebrauch ist durch diatopische, diastratische und diaphasische Dimensionen charakterisiert, die eine gewisse Regelhaftigkeit aufweisen. Für die Autorenerkennung ist der zentrale Ansatz, dass der Sprachgebrauch nicht arbiträr ist, sondern mit vielen außersprachlichen Merkmalen im Zusammen‐ hang stehen (Dern 2009: 40). Einzelne sprachliche Merkmale in Texten können nicht monokausal auf ganz bestimmte außersprachliche Merkmale (wie z. B. Bildungsgrad oder Herkunft) von Autor/ inn/ en zurückgeführt werden, da jede/ r Schreiber/ in über komplexe Merkmalsets verfügt, bei deren Realisierung alle Metadaten und weitere außer‐ sprachliche Faktoren wie das verwendete Medium oder die Situation bei der Textproduktion eine Rolle spielen. Wohl aber können Schreiber/ innen über ein, u. U. relativ individuelles, Merkmalset oder Merkmalbündel verfügen. Dem Sprachgebrauch von Menschen kann aufgrund der verschiedenen Dimensionen, des individuellen Charakters von Menschen usw. eine gewisse Eigenständigkeit nicht abgesprochen werden. Baldauf (2002: 327) trägt dieser Tatsache Rechnung, indem sie einen anderen Terminus für das geschilderte Problem vorschlägt: „Von einem ‚sprachlichen Fingerabdruck‘ kann nicht die Rede sein, wohl aber von einem ‚sprachlichen Fingerzeig‘.“ Die Umschreibung sprachliche Fingerzeig ist gut geeignet, da die Bezeichnung intendiert, dass Sprache eben veränderlich und nicht so individuell wie ein Fingerabdruck ist, jedoch trotzdem viele Hinweise auf die Eigenständigkeit des Sprachgebrauchs einer bestimmten Person liefert. Ehrhardt (2018: 170) beschreibt, dass die Individualität von Sprachgebrauch von zwei Faktoren abhängt. Spracherwerb erörtert sie als individuellen Prozess, der einerseits abhängig von verschiedenen Faktoren wie Kultur, Sozialstatus, Bildungsgrad usw. ist. Andererseits steht Sprache unter dem permanenten 56 6 Strittige Punkte und Forschungsdebatten <?page no="57"?> Einfluss durch das persönliche, soziale, berufliche und kulturelle Umfeld. In Anlehnung an Dern (2009: 53 ff., vgl. auch Fleischer/ Michel/ Starke 1996: 41) stellt sie fest, dass jede Person ein individuelles Repertoire an sprachlichen Merkmalen, Präferenzen und Gewohnheiten entwickelt. Nach Auer ist Stil die „Menge interpretierter, konkurrierender sprachlicher und / oder nichtsprachlicher Merkmale, die (Gruppen/ Rollen von) Personen, Textsorten, Medien etc. zugeschrieben werden“ (Auer 1989: 29). In Gruppen, Institutionen etc. werden bestimmte Sprachstile präferiert. Eine Analyse des sprachlichen Stils sollte also immer den Blickwinkel der Interaktion zwischen Sprachakteur/ inn/ en berücksichtigen, da er auch ein „soziales Kennzeichen“ (Androutsopoulos/ Spreckels 2010: 198) ist. Es liegt an den Schreiber/ inne/ n von Texten, ob bestimmte Stilerwartungen erfüllt, modifiziert oder ignoriert werden, indem sie aus einer Vielzahl von Möglichkeiten bestimmte Varianten auswählen (vgl. Felder 2016: 50). Man kann davon ausgehen, dass es keinen sprachlichen Fingerabdruck im eigentlichen Sinne gibt, also dass jede/ r Schreiber/ in eine so individuelle Form (bezogen auf Lexik, Grammatik, Stil etc.) verwendet, dass sie sich nicht ähnlich wie der Fingerabdruck von Formen anderer Autor/ innen unterscheidet. Stattdessen wird von einem sprachlichen Fingerzeig ausgegangen. 6.3 Multiple Autorschaft Der sprachliche Fingerzeig kann durch einen Umstand gestört werden, nämlich, dass bei der Produktion von Texten mehrere Autor/ inn/ en beteiligt sein können. Die/ Der Autor/ in im eigentlichen Sinne ist der „executive author“, also „the compiler of the verbal text up to the point where it is judged suitable for publication in one or another form“ (Love 2002: 43). Eine Autorschaft kann allerdings auch „collaborative“ (Love 2002: 43) sein. Im deutschsprachigen Raum spricht man eher von „multipler Autorschaft“ (vgl. u. a. Fobbe 2011: 41 ff., Dern 2009: 61 und Kniffka 2007: 151). Daher ist bei inkriminierten Schreiben immer die Möglichkeit zu prüfen, ob ein fraglicher Text von mehreren Autor/ inn/ en verfasst wurde. In diesem Fall liegt eine multiple Autorschaft vor, die von der singulären Autorschaft abzugrenzen ist. Multiple Autorschaft ist in vielen öffentlichen Kommunika‐ tionsbereichen aufgrund ihrer Strukturiertheit und Effizienz üblich, wenn beispielsweise Behörden, Unternehmen und Institutionen Textbausteine zur Verfügung stellen (vgl. Fobbe 2011: 41-42). Im Falle einer Beteiligung bei der 6.3 Multiple Autorschaft 57 <?page no="58"?> 21 Hiermit ist eine Person gemeint, die beispielsweise einen diktierten Text tippt bzw. schreibt. Produktion eines Textes spricht man auch von Mitautor/ inn/ en, die Kniffka (1990b) so definiert: „Jemanden, der nur einen ‚vorliegenden Text‘ redigiert oder stilistisch überarbeitet und ausdrucksbezogen umformuliert, würde ich nicht als Mitautor bezeichnen. Nur wer inhaltliche Veränderungen bewirkt, neue Informationen und Ideen einbringt, ist für mich ein Mitautor.“ (Kniffka 1990b: 452) Außerdem abzugrenzen von Autor/ inn/ en im eigentlichen Sinne sind Schreiber/ innen 21 . So ist es möglich, dass eine Gruppe am Produktionsprozess eines Textes beteiligt ist, aber nur eine Person den Text niederschreibt. Beide Bereiche sind bezüglich linguistischer Merkmale zu unterscheiden. Kniffka stellt in einem Text ein Gutachten vor, in dem es darum geht, ob ein Autor, „Herr X“ genannt, ein Schreiben nicht bloß „nur (mechanisch) getippt“, sondern auch „verfaßt“ hat (Kniffka 1990b: 449). Das ist jedoch im vorliegenden Fall nicht möglich. Kniffka (1990b: 455) urteilt: „Wenn jemand den fertigen Text unterschreibt und sagt, das ist genau das, was ich sagen wollte (aber z. B. nicht so gut ausdrücken kann), sehe ich keine wissenschaftliche Möglichkeit, dies zu falsifizieren.“ Das zeigt, dass multiple Autorschaft bzw. mögliche multiple Autorschaft ein großes Problem darstellt, ebenso wie die Frage, wer Autor/ in bzw. Urheber/ in ist oder wer einen Text nur getippt hat. „Not infrequently, a continua of „joint ventures“ can be assumed as possible for the textproduction [sic], such as typing of a letter by person X dictated by Y; X producing a typed copy of a handwritten text by Y; X formulating and typing a written version of notes by Y; X rewriting and correcting a text by Y etc. “ (Kniffka 2000: 184) U.a. Schall (2004: 555) weist daher auf die Unterscheidung zwischen Schreiber- (Interpunktion, Orthographie, Formatierung) und Autorenmerkmalen (u. a. syntaktische Komplexität, Wortwahl) hin. Fobbe (2011: 43-44) nennt die inhalt‐ liche Textstruktur, sprachliche Ausformulierungen in den Bereichen Lexik und Grammatik als typische Autorenmerkmale, während Interpunktion, äußere Textgliederung und Orthographie als Schreibermerkmale gelten. Fobbe (2011: 44) stellt außerdem einen Texttyp vor, bei dem „das Endprodukt aus eigenen Anteilen der aktuellen Textproduzenten, aus Abschriften, aus wört‐ lichen und sinngemäßen Zitaten und aus Zusammenfassungen anderer Texte bestehen kann.“ Aussagen über die Autorschaft eines solchen Texts erübrigen sich. Sie beschreibt, dass bei Bekennerschreiben und Positionspapieren immer 58 6 Strittige Punkte und Forschungsdebatten <?page no="59"?> 22 Daher werden in den empirischen Analysen die Begriffe Autor/ in und Schreiber/ in synonym gebraucht. Mit beiden Begriffen wird die/ der empirische Autor/ in gemeint, die/ der bei einem fingierten Text von der/ dem postulierten Autor/ in bzw. der/ dem fingierten Autor/ in abzugrenzen ist. die Möglichkeit multipler Autorschaft in Betracht gezogen werden muss und sie deswegen für die Autorschaftserkennung ungeeignet. Sie verweist darauf, dass der BGH in einem Beschluss vom 11.03.2010 StB 16/ 09 zu einem ähnlichen Urteil kommt. Außerdem können sich Texte auch in einer Art Textkontinuum befinden, wenn sie stark auf andere, vorangegangene Texte referieren. Ehrhardt (2018: 170) spricht von „precursory authorship“ und nennt als Beispiel die „adherence of radical left-wing authors to writing conventions of the left-wing terrorist scene like the RAF“. Es wird also deutlich, dass die Frage, ob tatsächlich von mehreren Autor/ inn/ en im eigentlichen Sinne oder von Mitautor/ inn/ en die Rede sein sollte, nicht trivial ist. Es handelt sich um ein komplexes Problem, bei dem es mehrere Abstufungen und Perspektiven der Autorschaft gibt. In Bezug auf die Analyse von Texten bedeutet eine multiple Autorschaft eine große Erschwernis, da die Komplexität stark zunimmt und weitere Analyseebenen hinzutreten. Im Rahmen dieser Arbeit werden Merkmale, die die Autorschaft betreffen, fokussiert. 22 Es gibt weitere Bereiche außer der Behörden- und Unternehmenskommuni‐ kation, bei denen das Problem der multiplen Autorschaft besteht. Ein Beispiel sind fiktive Texte, die den Bereichen Comedy und/ oder Kabarett zuzurechnen sind. Bei Comedy- oder Kabaretttexten, die sich bestimmte Varietäten zum Vorbild nehmen, treffen zwei Prinzipien der Textproduktion aufeinander. Einer‐ seits möchte man, trotz vorhandener Stilisierung, einen gewissen Wiedererken‐ nungseffekt, aus dem sich denn der humoristische Charakter entfaltet, erzielen. Um diesen Wiedererkennungseffekt zu gewährleisten, werden Sprachklischees, die von Hörer/ innen und Leser/ innen durch mediale Prägung erworben werden, eingesetzt. Somit handelt es sich grundsätzlich um eine Nachahmung von Idio-, Sozio-, Dia- und Regiolekten. Auf der anderen Seite werden vorbildhafte Merk‐ male sowohl quantitativ und qualitativ stilisiert eingesetzt. Diese Stilisierung ist wiederum bei jeder/ jedem Autor/ in im Comedy- und Kabarettbereich recht individuell, da man auch einen Wiedererkennungswert einer/ eines bestimmten Künstlerin/ Künstlers sicherstellen will. Diese Faktoren gilt es bei der Analyse zu beachten, vgl. Kapitel 17.7. 6.3 Multiple Autorschaft 59 <?page no="60"?> 6.4 Muttersprachliches Selbstbewusstsein Ein Problem, mit dem viele Linguist/ inn/ en kämpfen, beschreibt Dern (2009: 24) als „muttersprachliche[s] Selbstbewusstsein“. „Weil-Verb-Zweit-Sätze benutze ich nicht, weil die sind falsch.“ sagte vor einigen Jahren einmal eine Seminarteilneh‐ merin an der Ruhr-Universität Bochum. Der Satz beschreibt sehr treffend ein Problem, das bei fast allen Muttersprachler/ inne/ n allgegenwärtig ist. Jede/ r Sprachteilnehmer/ in fühlt sich in ihrer/ seiner Muttersprache so kompetent, dass sie/ er Aussagen über den eigenen Sprachgebrauch treffen kann. Fobbe verweist darauf, dass bei technischen bzw. medizinischen Fragestellungen solche Kompetenzen anderen Personen zuerkannt wird. Das muttersprachliche Selbstbewusstsein, also das Gefühl von Kompetenz und Sicherheit in der eigenen Muttersprache, sorgt jedoch dafür, dass wissenschaftliche Expertise bei linguistischen Problemstellungen angefragt wird (vgl. Fobbe 2011: 21). Wie der Satz der Seminarteilnehmerin jedoch zeigt, ist die Selbsteinschätzung oft fehlerhaft, und jede/ r Sprachteilnehmer/ in schafft, sobald sie/ er über den eigenen Sprachgebrauch nachdenkt, ein scheinbares Idealbild, um dann diesem Idealbild in der eigenen Vorstellung möglichst genau zu entsprechen. Einfach formuliert: Jede/ r denkt: Ich beherrsche die Sprache und kann Sprachgebrauch richtig einschätzen. Dieses Problem besteht insbesondere für die forensische Linguistik, da sie, wie oben beschrieben, in Kernbereichen sehr stark mit der Rechtswissenschaft verbunden ist. Es wäre also wünschenswert, wenn das Bewusstsein für die geschilderte Problematik Juristinnen und Juristen in der Praxis, wie beispielsweise Richter/ inne/ n und Anwält/ inn/ en verständlich gemacht würde. Bei der Prüfung von sprachlichen Sachverhalten auf ihre rechtliche Relevanz sollte auf entsprechende Expert/ inn/ en zurückgegriffen werden. Solan (1998) beschreibt zur Förderung dieses Bewusstseins den Lin‐ guist/ inn/ en als eine Art Fremdenführer (vgl. auch Dern 2009: 24 f.). Im semantic tour guide werden beispielsweise ambige oder mehrdeutige Ausdrücke mit verschiedenen Lesarten beschrieben und erläutert. Die Veröffentlichung dient als Orientierungshilfe für Jurist/ inn/ en und linguistische Laien. Linguist/ inn/ en obliegt es, sprachliche Besonderheiten zu erklären und entsprechende Erläu‐ terungen anzubieten. Im Gegenzug ist es bei linguistischen Fragestellungen Aufgabe der Justiz, die entsprechenden Hilfen zu suchen (Bierwisch 1992: 57). Die Urteilsfindung ist dann ausschließlich Aufgabe des Gerichts. Von der Seite der Textanalyse betrachtet, ist es für forensische Linguist/ inn/ en ein Segen, dass die Autor/ inn/ en fraglicher Texte ebenfalls dem muttersprach‐ lichen Selbstbewusstsein unterliegen. 60 6 Strittige Punkte und Forschungsdebatten <?page no="61"?> „Der Muttersprachler jedoch ist unbekümmert und i. d. R. blind für die Architektur seiner Sprache. So, wie ein typischer ‚user‘ zwar seinen Computer souverän bedienen kann, aber die Programmierung der Software oder auch den Aufbau der Hardware nicht kennt, so sind die meisten Sprecher einer Sprache ‚user‘, die ihre Sprache zwar angemessen und fehlerlos sprechen, ihre Funktionsweise aber nicht reflektiert haben und das System nicht kennen.“ (Dern 2003: 44 f.) Daher ist es möglich, sprachliche Verstellungsstrategien zu analysieren und die Arbeitsweisen aus diesen Erkenntnissen in konkreten Texten anzuwenden. Dieses Thema wird in Kapitel 15 fokussiert. 6.4 Muttersprachliches Selbstbewusstsein 61 <?page no="63"?> 7 Autorschaftserkennung in multimedialen Umgebungen Die Forschungs- und Arbeitsbereiche der forensischen Linguistik sind, zusam‐ menfassend gesagt, sehr heterogen und sehr vielfältig. Die Digitalisierung und zunehmende Bedeutung von IT-Security-Themen für staatliche Institutionen, Unternehmen und Privatnutzer/ innen sorgt ebenfalls für eine Zunahme von Tätigkeitsfeldern. Mit der Etablierung des Web 2.0. bzw. des Social Webs (vgl. u. a. Ebers‐ bach/ Glaser/ Heigl 2011) kann das Internet auch verstärkt als Raum für krimi‐ nelle Handlungen genutzt werden. Dennoch sind nicht alle Texte, die im Bereich der Autorschaftsanalyse unter forensisch-linguistischen Aspekten untersucht werden können, Gegenstand juristischer Betrachtung. Viele Texte sorgen in Form von Social Engineering-Angriffen für Gefahren im Internet. Mit dem Begriff Social Engineering sind verschiedene, meist Internet-basierte Arten von Manipulationsversuchen anderer Personen gemeint. Ziel von Social Enginee‐ ring ist die persönliche Bereicherung der Urheber/ innen, sei es das Erlangen geschützter und vertraulicher Informationen oder die Freigabe finanzieller Mittel z. B. durch den Kauf bestimmter Produkte. Auch die Verbreitung von Desinformation z. B. in Form von Fake News birgt Gefahren für Leser/ innen ebenso wie die Einflussnahme auf potentielle Käufer/ innen durch die Bereit‐ stellung von Fake-Rezensionen. Das Themenfeld der forensischen Linguistik ist aufgrund der veränderten Bedingungen, gerade in Bezug auf die zunehmende Bedeutung von Social Media, sehr viel breiter als noch vor einigen Jahren. Diese Veränderungen und neueren Betätigungsfelder für die Autorschaftsanalyse werden in der vorlie‐ genden Arbeit berücksichtigt. Daher werden Texte verschiedener Textsorten in unterschiedlichen medialen Umgebungen untersucht. Das verbindende Element aller Untersuchungen ist die Betrachtung und Analyse diverser Verstellungsst‐ rategien in ihren jeweiligen Kontexten. <?page no="65"?> 23 https: / / www.uni-due.de/ germanistik/ chatkorpus/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 24 Mobile Communication Database https: / / db.mocoda2.de/ #/ c/ home Letzter Zugriff am 20.01.2023 8 Datengrundlage und Hinweise zum Datenschutz Außer der Darstellung verschiedener Verstellungsstrategien in unterschiedli‐ chen medialen Kontexten soll auch die Möglichkeit der Teilautomatisierung von Textvergleichen im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen. Es wurden verschiedene Korpora und Textsammlungen erstellt bzw. berück‐ sichtigt. Ziel soll es sein, darzustellen, welche linguistischen Merkmale in welchen Kontexten vorkommen und welche Rolle dabei diverse Verstellungsst‐ rategien spielen. Ferner soll dargelegt werden, in welchem Verhältnis und Zusammenhang diese Strategien stehen, wie sie eingesetzt werden, welche Effekte sie erzielen und wie sie aufgedeckt werden können. Eine geeignete und zugleich datenschutzrechtlich einwandfreie Datengrund‐ lage zu erarbeiten, ist gerade für Textanalysen und Textvergleiche im Bereich der forensischen Linguistik nicht trivial. Kniffka (1990b: 448) sagt in Anlehnung an Labov „forensic linguistics is the linguistics of very bad data indeed.“ Grundsätzlich sind zwei Faktoren zu beachten, nämlich die Qualität und die Quantität der erhobenen Daten. Erstens ist es wichtig, geeignete Daten für die zu untersuchenden Forschungsfragen zu nutzen. Falls keine entsprechenden Daten vorhanden sind, ist es notwendig, entsprechende Sammlungen oder Korpora anzulegen. Keineswegs sollte man sich mit nur mittelmäßigen oder unpassenden Daten zufriedengeben, nur weil diese bereits vorhanden sind. Was den zweiten Faktor angeht, also die schiere Menge der verwendeten Daten, wird kontrovers diskutiert, wie groß ein Datensatz sein muss, damit wissenschaftliches Arbeiten damit möglich ist. Kniffka (2000: 185) stellt fest, dass es keine generelle Regel gibt, wie groß die Datenmenge sein muss, damit Textanalysen und -vergleiche möglich sind. Im Falle klassischer, rein qualitativer Untersuchungen hat er sicherlich Recht, jedoch ist aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung der vorliegenden Arbeit auch die teil-automatisierte Perspektive zu berücksichtigen. Hier werden sehr große Datenmengen benötigt. Darauf wird in Kapitel 18 eingegangen. Es gibt einige Korpora, die auf internetbasierten Texten beruhen. Da wären beispielsweise das Dortmunder Chat-Korpus 23 , das MoCoDa-Korpus, das „All‐ tagskommunikation mittels elektronischer Kurznachrichten“ 24 darstellt, die Korpora der Internetseite Mediensprache.net 25 , die u. a. auch Twitter-Nach‐ <?page no="66"?> 25 http: / / corpora.mediensprache.net/ de/ corpora/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 26 Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache https: / / www.dwds.de/ d/ k-web Letzter Zugriff am 20.01.2023 27 Datenschutzgrundverordnung 28 Niedersächsisches Datenschutzgesetz 29 http: / / corpora.mediensprache.net/ de/ corpora/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 richten enthält, sowie verschiedene Webkorpora eines DWDS-Projekts 26 . Eine Übersicht zu diesen und weiteren Internet-Korpora bieten Marx/ Weidacher (2019: 14-18). Hier ist zu beachten, dass die Verfügbarkeit einiger Korpora eingeschränkt werden musste. Es wird darauf hingewiesen, dass die Verfüg‐ barkeit der Korpora vor dem Hintergrund der DSGVO 27 und des NDSG 28 eingegrenzt werden musste. 29 Auf die Datenschutz-Problematik wird im Kapitel 8 eingegangen. Für die vorliegende Arbeit war es, aufgrund ihrer speziellen Ausrichtung, nämlich der Untersuchung verschiedener Verstellungsstrategien, notwendig, Daten und Texte aus verschiedenen Bereichen in Betracht zu ziehen. Da keines der o. g. Korpora die Bedingungen, die unsere Forschungsgruppe an die Ana‐ lysen stellte, voll erfüllte, erfolgte begleitend zu theoretischen Vorüberlegungen die Erstellung geeigneter Korpora und Textsammlungen nach entsprechenden Richtlinien. 8.1 Kenntnis des Mediums und des Untersuchungsgegenstandes Die genaue Kenntnis des Untersuchungsgegenstandes, wie der verwendete Sprachgebrauch in verschiedenen medialen Kontexten, ist für Textanalysen und -vergleiche von signifikanter Bedeutung. Nur so kann gewährleistet werden, dass Aussagen darüber getroffen werden können, wie aussagekräftig bzw. einzigartig sprachliche Merkmalsets einzelner Autor/ inn/ en im Verhältnis zum Sprachgebrauch anderer Schreiber/ inn/ en im spezifischen medialen Kontext einerseits, und zur Gesamtpopulation andererseits sind. Deshalb erscheint es notwendig und sinnvoll, für jeden untersuchten Bereich eingangs einen entsprechenden Überblick zu dem untersuchten Medium zu geben. Diese Über‐ blicke erfolgen gesondert vor jeder in dieser Arbeit vorgestellten empirischen Untersuchung (Kapitel 12, 13, 17 und 19). Vgl. dazu ebenfalls Kapitel 11, in dem Problemstellungen der Autorenerkennung in Online-Umgebungen beschrieben werden. 66 8 Datengrundlage und Hinweise zum Datenschutz <?page no="67"?> 30 https: / / nijianmo.github.io/ amazon/ index.html (2018) und http: / / jmcauley.ucsd.edu/ dat a/ amazon/ links.html (2014) Letzter Zugriff jeweils am 20.01.2023 8.2 Deutschsprachige Amazon-Rezensionen Für eine Analyse deutschsprachiger Amazon-Reviews wurden eine kleine Textsammlung angelegt und entsprechende Probeerhebungen durchgeführt, in denen es hauptsächlich um die textanalytische Frage ging, ob man anhand bestimmter sprachlicher Merkmale Voraussagen treffen kann, wo ein/ e Autor/ in sprachlich sozialisiert wurde. Untersucht wurden Rezensionen der Produktka‐ tegorie Cola. Die Ergebnisse werden in Kapitel 12 dargestellt. 8.3 Englischsprachige Amazon-Rezensionen Für die Zusammenarbeit von Linguist/ inn/ en und Forscher/ innen der kogni‐ tiven Signalverarbeitung in unserem Projekt wurde die Entscheidung getroffen, ein englischsprachiges Amazon-Korpus zu verwenden. Zwei Gründe waren für diese Entscheidung maßgeblich. Einerseits war ein technisch-motivierter Grund ausschlaggebend, nämlich der, dass in unserem Projekt mit neuronalen Netzen gearbeitet werden sollte. Diese benötigen riesige Datensätze, deren Größe die Korpora klassischer linguistischer Forschung übersteigt. Außerdem war eines unserer Hauptziele, herauszufinden, ob und in welchem Maße ein automati‐ siertes System Textvergleiche zweier Texte durchführen kann. In der Forschung der forensischen Linguistik wird das Problem fingierter, bzw. gefakter Reviews auf Bewertungs- und Verkaufsportalen diskutiert. Daher bot sich das Amazon Review Data-Korpus 30 (Ni 2018) mit einer Vielzahl an Reviews an. Das Korpus bietet derzeit 233 Millionen gelabelte Rezensionen. Auf der Seite kann u. a. nachgeschlagen werden, wie viele Rezensionen in welchen Produktkategorien enthalten sind, beispielsweise über 51 Millionen in der Produktkategorie Books und über 2,5 Millionen in Video Games. Das auf Textvergleiche ausgelegte, automatisierte System AdHominem wird in Kapitel 18 vorgestellt. Im Anschluss werden in Kapitel 19 die Ergebnisse der empirischen Analyse besprochen. 8.2 Deutschsprachige Amazon-Rezensionen 67 <?page no="68"?> 8.4 Online-Foren (Gaming und Börse) Die Verschleierung der eigenen Identität ist eine Verstellungsstrategie, die sehr oft im Internet vorkommt. Während bei dem Verfassen von Fake-Rezensionen oft feste Satzbausteine verwendet werden, achten User/ innen beim Verfassen von Fake News, Hatespeech usw. u. U. eher darauf, dass man sie nicht an ihrem Schreibstil wiedererkennen kann. Ein weiterer Bereich, in dem die Verschleie‐ rung der eigenen Identität Anwendung findet, ist die Beeinflussung anderer Personen in Chats und Onlineforen. Da in vielen, bzw. den meisten Foren nicht unter dem Klarnamen geschrieben wird, und vielfach eine Anmeldung per Mail ausreicht, ist es möglich, dass Personen unter mehreren Nicknames Beiträge verfassen. Dabei ist es essenziell, nicht wiedererkannt zu werden, das heißt die eigene Identität zu verschleiern. In Internetforen werden Vorwürfe geäußert, dass bestimmte User/ innen mithilfe verschiedener Accounts Desinformationen verbreiten und andere Personen manipulieren. In einigen Beiträgen wird ver‐ sucht, diese Vorwürfe anhand sprachlicher Merkmale zu belegen. Um solche Phänomene zu untersuchen, wurden zwei kleinere Textsammlungen erstellt. Die Ergebnisse werden in Kapitel 13 Vorgestellt. 8.5 Inkriminierte Textserie Um Verstellungsstrategien bestmöglich in einem klassischen Bereich der foren‐ sischen Autorenerkennung zu erforschen wurde eine inkriminierte Textserie analysiert. Im Rahmen einer Kooperation mit dem BKA wurde bei der Ana‐ lyse das Programm KISTE verwendet, das in Kapitel 10 vorgestellt wird. Mit den Parametern und Besonderheiten der Textsorte Erpresserbrief beschäftigt sich Kapitel 14, während verschiedene Verstellungsstrategien in Kapitel 15 behandelt werden. Die/ Der Verfasser/ in der Textserie versucht, die eigene Identität zu verschleiern, und imitiert dabei einen Nicht-Muttersprachler. Diese Imitationsstrategie findet in vielen inkriminierten Texten Anwendung und wird in Kapitel 15.7 genauer beschrieben. Die umfangreiche Analyse aller Texte, der verwendeten Merkmale und der zugrundeliegenden Verstellungsstrategien stellt mit Kapitel 17 das Herzstück dieser Arbeit dar. 68 8 Datengrundlage und Hinweise zum Datenschutz <?page no="69"?> 8.6 Medial stilisierte Sprache Während der Arbeit an den BKA-Daten konnte festgestellt werden, dass sich die/ der Autor/ in beim Verfassen einiger Texte der inkriminierten Textserie an medial stilisierter Sprache orientiert. Mit der Stilisierung wird eine weitere Ver‐ stellungsstrategie vorgestellt, die in der Forschung bisher noch nicht analysiert wurde (Kapitel 17.7). Daher wurde für die Erforschung der Stilisierungsstrategie eine Textsammlung erstellt, die stilisierte Sprache in verschiedenen medialen Kontexten enthält. 8.7 Datenschutz, Urheberschaft, gute wissenschaftliche Praxis sowie Opferschutz im Zusammenhang mit Autorenanalyse Für die forensische Linguistik weist Kniffka (1990b: 437) darauf hin, dass aus „humanitären Gründen“ „konkrete Hinweise auf Beteiligte“ nach Möglichkeit nicht genannt werden sollten. Von den von u. a. Baroni et al. (2009) und Gatto (2014) beschriebenen Wegen zur Datenerhebung war der „sichere Weg“ (Marx/ Weidacher (2019: 24) die sinnvollste und zielführendste Methode. So wurden nur Daten verwendet, die öffentlich und einfach zugänglich sind. Das bedeutet, dass jede/ r User/ in mitlesen kann und für das Verfassen eigener Beiträge eine sehr einfache Regis‐ trierung erforderlich ist. Damit die verwendeten Daten nachvollzogen werden können, werden entsprechende Angaben zu den Internetseiten gemacht. Jedoch kann es sein, dass, Beiträge nachträglich editiert oder, beispielsweise auch von Admins oder dem Seitenbetreiber, gelöscht worden sind (vgl. hierzu das Kapitel 11.5). Daher wurden auch alle Daten lokal gespeichert. So sind die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis ebenfalls eingehalten. Im Falle der von mir behandelten und analysierten BKA-Daten ist eine weitere Problemstellung zu beachten. Die Opfer von Drohschreiben, Erpresser‐ briefen und anderen inkriminierten Texten sowie den damit im Zusammenhang stehenden weiteren kriminellen Handlungen sind u. U. traumatisiert. Da die Gefahr der „Retraumatisierung“ (Marx/ Weidacher 2019: 31) besteht, ist hier sehr genau auf die Wahrung der Anonymität der Opfer zu achten. Daher werden die sprachlichen Belege nicht bloß anonymisiert, sondern ebenfalls nie in größeren Zusammenhängen präsentiert, da das Forschungsinteresse gegen negative gesellschaftliche Auswirkungen (vgl. u. a. Siever 2015: 20) abgewogen werden muss. Erwähnt werden muss hier auch, dass im Falle 8.6 Medial stilisierte Sprache 69 <?page no="70"?> der behandelten inkriminierten Textserie keine extremistischen Ideologien o.ä. verbreitet werden. Der Fokus des Datenschutzes liegt also insbesondere auf dem Schutz der Opfer. Zuletzt muss noch erwähnt werden, dass auch Täter/ innen ein Recht auf Anonymisierung haben, das hier ebenfalls berücksichtigt wurde. 70 8 Datengrundlage und Hinweise zum Datenschutz <?page no="71"?> 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse Wie bei der bereits vorgestellten Forschungsdiskussion um den sprachlichen Fingerabdruck bzw. Fingerzeig und den Einfluss verschiedener Varietäten und außersprachlicher Parameter auf den Sprachgebrauch einzelner Personen fest‐ gestellt wurde, kann das, was ein/ e Autor/ in schreibt, relativ (! ) individuell sein. Autorinnen und Autoren haben bei der Textproduktion eine ganze Reihe von Wahlmöglichkeiten. Diese Wahlmöglichkeiten unterliegen je nach Umgebung mal schwächeren, mal stärkeren Einschränkungen. Bei Textsorten, die starken Konventionen unterliegen und die wenige Möglichkeiten für eine individuelle Textproduktion bieten, ergeben sich für die Autorschaftsanalyse weniger An‐ satzpunkte (vgl. Dern 2009: 56). Obwohl einige Parameter bestimmter Textsorten etc. relativ festgelegt sind, kann jede/ jeder Autor/ in relativ frei entscheiden, wie sie/ er mit Vorgaben umgeht. Außerdem hat jede/ r Schreiber/ in einen unterschiedlichen Grad schrift‐ sprachlicher Kompetenz und macht dementsprechend Fehler, die sich sowohl in Qualität als auch Quantität von denen anderer Schreiber/ innen unterscheiden. Insbesondere setzt sich der schriftliche Sprachgebrauch also aus zwei großen Komponenten zusammen - Stil und Fehler. Fehler- und Stilanalysen bilden zusammen den Kern der klassischen forensischen Textanalyse. 9.1 Fehlerdefinition - Normiertheit und Regelwerke Bei der Fehleranalyse sollte vorab geklärt sein, was als Fehler zu gelten hat und was nicht. Diese Thematik ist, wie sich zeigen wird, keineswegs trivial, sonst äußerst komplex. Zwei Voraussetzungen für die Definition als Fehler nennt Ramge (2010: 3), nämlich, dass es eine richtige Variante zu einem Fehler geben muss und dass ein Kriterium zur Bewertung als Fehler obligatorisch ist. Bei der Textproduktion orientieren sich Autor/ inn/ en an einer sprachlichen Norm (Fobbe 2011: 145). Dabei muss diese Norm keineswegs den amtlichen Regeln für Rechtschreibung oder den Regeln einer Grammatik, wie beispielsweise der Duden-Grammatik, entsprechen. Die Beurteilung der Kompetenz der Autorin bzw. des Autors basiert auf der Einhaltung oder dem Bruch dieser Norm (vgl. Gloy 1980, Dittmar/ Schmidt-Regener 2001: 522 und Fobbe 2011: 145). Bevor man sich mit der Problematik der Fehleridentifizierung beschäftigt, muss geklärt werden, wie Fehler zu definieren sind. Fragt man sprachwissen‐ <?page no="72"?> schaftliche Laien danach, was ein sprachlicher Fehler ist, sagen viele, dass ein Fehler etwas ist, das gegen die Rechtschreibung oder Grammatik verstößt. Fehler werden in einem rein normierten und präskriptiven Sinne eines Regel‐ werks verstanden, das beispielsweise in der Schule erlernt und vom Duden festgelegt wird. Dennoch verstoßen die meisten Sprachteilnehmer/ innen in schriftsprachlichen Kontexten gegen schriftsprachliche Normen, sei es bewusst oder unbewusst. Dass man bewusst gegen diese Normen verstößt, mag erst einmal nicht plausibel wirken, da man in der Schule z. B. im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht u. U. mit schlechteren Noten sanktioniert wird. In beruflichen Kontexten, z. B. Bewerbungen, Geschäftsbriefen etc. wird i. d. R. auch versucht, möglichst fehlerfrei und damit normgerecht zu schreiben. Denkt man nun aber an privaten E-Mail-Verkehr, WhatsApp-Nachrichten, bestimmten Gepflogenheiten in Online-Foren, Chatrooms etc., wird schnell deutlich, dass viele Normverstöße bewusste Entscheidungen gegen das von vielen genannte Regelwerk sind. Viele Schreiber/ innen bedienen sich der sogenannten „kon‐ zeptionellen Mündlichkeit“ (vgl. Koch/ Oesterreicher 1985, 1994). In Medien, deren sprachliche Realisierung schriftlich ist, wie beispielsweise eine What‐ sApp-Nachricht, kann die gewählte Kommunikationsform dennoch nah am Pol mündlicher Kommunikation sein. Es werden verschiedene Merkmale mündli‐ cher Sprache wie unvollständige Sätze, der Gebrauch von Interjektionen etc. sowie dem Medium eigene Formen der Kommunikation, wie Emoticons, Emojis, Inflektiven etc. verwendet. Hier werden also bewusst Normabweichungen realisiert, die zumindest im präskriptiven Sinne einer sprachlichen Norm als Fehler zu klassifizieren sind. Es ist außerdem obligatorisch, Fehler von anderen Abweichungen der Stan‐ dardsprache abzugrenzen. Diese umfassen das gesamte Varietätenspektrum, denn dialektale, regiolektale, gruppenspezifische und medienspezifische Va‐ rietäten weichen teilweise erheblich von der Standardsprache ab. Einige Va‐ rietäten-bedingte Merkmale werden auch schriftlich realisiert, daher sollten bei Textanalysen regionale, soziale oder stilistische Varietäten von anderen sprachlichen Abweichungen unterschieden werden (Spillner 1990: 104). Variationslinguistische Analysen sind daher insbesondere vor dem Hin‐ tergrund durchzuführen, dass sie auch Hinweise auf die Metadaten von Autor/ inn/ en geben können, um wiederum Aufschlüsse für Textanalysen und-vergleiche zu erarbeiten. Die Sprachlehrforschung versteht unter einem Fehler eine „Abweichung von der zielsprachlichen Norm“ (Lindemann 1995: 92). Fragt man nun sprachwis‐ senschaftliche Laien nach dieser Norm bzw. einem Regelwerk, das festlegt, was als Fehler gilt, nennen fast alle den Duden als Referenzwerk, womit sie i. d. R. 72 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="73"?> den Rechtschreib-Duden meinen. Die wenigsten Laien wissen, dass allein die amtlichen Regeln der deutschen Rechtschreibung beim Verfassen von Texten bindend sind, nicht aber der Rechtschreib-Duden. Der Duden hat damit faktisch keinen Anspruch auf eine alleinige, also andere Referenzwerke ausschließende, Gültigkeit. Dennoch benötigt man, gerade in Bezug auf Textanalysen und besonders Textvergleiche, ein gemeinsames Referenzwerk. Das Bundeskriminalamt ver‐ wendet daher verschiedene Duden-Veröffentlichungen, um die Analyse von Texten einheitlich zu gestalten. Gerade im Hinblick auf die Verwertbarkeit von Gutachten vor Gericht ist eine nachvollziehbare, einem festgelegten Standard folgende Textanalyse von entscheidender Wichtigkeit. Bredthauer (2013) entscheidet sich in ihrer Untersuchung bewusst gegen die Normiertheit eines sprachwissenschaftlichen Regelwerks wie des Dudens: „Als Norm wird kein Regelwerk wie z. B. der Duden verwendet, sondern die Beur‐ teilung durch mehrere Muttersprachler herangezogen. Denn die Ergebnisse werden nicht zur Fehlerkorrektur benötigt, wie es im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts meistens der Fall ist, sondern um zu beurteilen, ob die Abweichungen Teil der Verstellungsstrategie sind oder nicht.“ (Bredthauer 2013: 69) Dieses Anliegen ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es sicherlich richtig und im sprachwissenschaftlichen Sinne vielleicht auch notwendig, nicht bloß auf ein einziges Regelwerk wie den Duden zu vertrauen. Auf der anderen Seite büßt eine Untersuchung wie die vorliegende auch ein hohes Maß an Trans‐ parenz und Nachvollziehbarkeit ein. Wie viele Muttersprachler/ innen haben sich daran beteiligt? Sind es Sprachwissenschaftler/ innen oder sprachwissen‐ schaftliche Laien? Was befähigt sie zu einer Fehlerbeurteilung und wieviel metasprachliches Bewusstsein haben sie? Wie geht man bei der Fehleridentifi‐ zierung mit unterschiedlichen Meinungen der befragten Muttersprachler/ innen um? Besteht die Gefahr des weiter oben beschriebenen, übersteigerten mutter‐ sprachlichen Selbstbewusstseins? Die befragten Muttersprachler/ innen wurden danach ausgesucht, eine mög‐ lichst breite Streuung in den Bereichen Alter, Region und Beruf zu gewähr‐ leisten. Falls es unterschiedliche Meinungen gab, ob etwas als Fehler oder nicht zu klassifizieren ist, wird die jeweilige Äußerung nicht als Fehler gewertet (vgl. Bredthauer 2013: 69 f.). Vor diesem komplexen theoretischen Hintergrund ist es unerlässlich, sich mit der Geschichte der Fehlerforschung zu beschäftigen. Denn obwohl es sinnvoll ist, aus Gründen der Vergleichbarkeit und Transparenz auf eine festgelegte Norm zurückzugreifen, muss geklärt sein, wie sich die Forschung entwickelt 9.1 Fehlerdefinition - Normiertheit und Regelwerke 73 <?page no="74"?> 31 Nach der Orthographische Konferenz von 1876 und der Reform der deutschen Recht‐ schreibung von 1944 32 Viele der hier angegeben Aufsätze, Monographien etc. wurden neuaufgelegt. Die Angabe von mehrheitlich Originalausgaben soll die zeitliche Einordnung der Ent‐ wicklung der Rechtschreibforschung erleichtern. hat, wie sich herauskristallisiert hat, was heutzutage unter einem sprachlichen Fehler zu verstehen ist. Ein kurzer Forschungsüberblick soll dafür Anhalts‐ punkte liefern. 9.2 Fehlerforschung In den 60er bis 90er Jahren treten verschiedene Vetreter/ innen der Fehlerfor‐ schung auf, die man allgemein (vgl. u. a. Siekmann/ Thomé: 2018: 68 ff.) unter der Bezeichnung der „deskriptiv-quantifizierenden Fehlerforschung“ zusammen‐ fasst. Die deskriptive und quantitative Methodenverwendung löst dabei die psychologisch-ätiologische Fehlerforschung mit Vertretern wie Weimer (1929), Kern (1954) und Bischoff (1967 bzw. 1974) ab. Arbeiten von Plickat (1965), Riehme/ Heidrich (1970), Augst (1974), Riehme (1975, 1987) und Menzel (1985, 1994) sollten einen effektiveren Rechtschreibun‐ terricht an Schulen und eine weitere Rechtschreibreform 31 unterstützen bzw. begünstigen. Ein explizites Ziel war, die Rechtschreibreform bedarfsorientiert zu gestalten. So war es vor allem ein Anliegen, jeden Fehler eindeutig zuordnen zu können. Als herausstechendes Merkmal dieser Forschungsperiode gilt daher die Herausarbeitung von Fehlerkategorien auf deskriptiver Basis sowie deren tabellarische Auflistung mit prozentualen Fehlerwerten. Die sogenannte qualitativ-strategieorientierte Fehlerforschung stellt die dritte und jüngste Phase dar. In dieser Phase wird die Erforschung von Lernstrategien fokussiert, da Fehler als Ausdruck von Lernprozessen (vgl. Eichler 1991: 34) charakterisiert werden. Die Art der Fehler korreliert dabei mit verschiedenen Phasen des Schriftspracherwerbs. Außer den Arbeiten Reads (1974, für den angelsächsischen Raum) und Eichlers (u. a. 1976, 1983, 1991, 1992, 2017) sind insbesondere Dehn (u.a.1978, 1983, 2013), Frith (u.a.1980, 1985, 1986) Valtin (u. a. 1988, 2000, 2009), Scheerer-Neumann (u. a. 1987, 1989, 2015, 2017) und Brügelmann/ Brinkmann (1994, Brügelmann 1986, 1993 sowie Brinkmann et al 1994) 32 prägend für die dritte Periode der Orthographiefehler-Forschung. Die Entwicklung der Fehlerforschung und eine kurze Darstellung verschie‐ dener Ansätze ist für die Autorenerkennung und insbesondere für die Analyse 74 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="75"?> fingierter Fehler im Rahmen verschiedener Verstellungsstrategien bedeutsam. Diese Einordnungen sollen einerseits eine erste Annäherung an die Unterschei‐ dung zwischen „Kompetenzfehlern (errors) und Performanzfehlern (mistakes)“ (Dern 2009: 68) sowie Tippfehlern wie „slip[s]“ (u. a. bei Fobbe 2011: 159) und „lapses“ (Corder 1967) bieten. Diese im Sinne der Schreibkompetenz eines „empirische[n] Autor[s]“ ‚echten Fehler‘ sind von inszenierten Fehlern bei Verstellungen abzugrenzen, die den „postulierten[n] Autor“ (Fobbe 2011: 48) definieren. Andererseits soll so eine Annäherung an eine im Rahmen von Au‐ torschaftsanalysen sinnvolle Fehlertaxonomie gewährleistet werden. An dieser Taxonomie wiederum orientiert sich die Praxis u. a. des Bundeskriminalamts bei Merkmalskategorien von Textanalysen und -vergleichen. Die folgenden Tabellen stellen verschiedene Fehlerkategorisierungen in ihrer historischen Entwicklung dar. Weimer, Hermann (1929), vgl. auch Siekmann/ Thomé (2018: 14-28) 1. Geläufigkeitsfehler 2. Perseverative Fehler - a. Nachwirkungsfehler - - b. Vorwirkungsfehler - - c. Einstellungsfehler - 3. Ähnlichkeitsfehler 4. Mischfehler 5. Gefühls- und willensbedingte Fehler Tabelle 1: Fehlerkategorisierung bei Weimar (1929) 9.2 Fehlerforschung 75 <?page no="76"?> Bischoff, Paul (1967), vgl. auch Siekmann/ Thomé (2018: 46-59) 1. Materialfehler - a. Visuelle Fehler - I. Verstöße gegen die Stammwortschreibung mit Dehnungs-h - II. Verstöße gegen die bestimmte Schreibung schwieriger Laute und Lautver‐ bindungen - III. Verstöße gegen den „Schreibgebrauch“ - b. Akusto-motorische Fehler - I. Verstöße gegen die Schreibung ähnlich klingender Mitlaute und Mitlautver‐ bindungen - II. Verstöße gegen die Schreibung ähnlich klingender Selbstlaute und Selbst‐ lautverbindungen - III. Einfache Verstöße gegen die Lautbzw. Buchstabenreihenfolge - c. Logische Fehler - I. Groß- und Kleinschreibung - II. Schreibung gleichklingender Laute - III. Schärfung - IV. Getrennt- und Zusammenschreibung - V. Zeichensetzung 2. Aufgabenfehler [Hiermit sind Flüchtigkeits- und Konzentrationsfehler gemeint] Tabelle 2: Fehlerkategorisierung bei Bischoff (1967) Siekmann/ Thomé (2018: 68-77) erarbeiten aufgrund der Publikationen von Plickat (1965, 1974, 1979 (mit Wieczerkowski)) die folgende Tabelle mit Fehler‐ kategorien: 1. Groß- und Kleinschrei‐ bung a. fehlerhafte Großschreibung b. fehlerhafte Kleinschreibung 2. Dehnung und Schärfung a. Dehnungsfehler b. Verstöße gegen die Schärfung 3. Fehler im Auslaut 76 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="77"?> 33 Die Tabelle wurde im Vergleich zum Original leicht angepasst. Einige Abkürzungen wurden zur einfacheren Lesbarkeit ausgeschrieben und es wurden Kursivschreibungen und teilweise Klammern ergänzt. 4. Schreibung gleich oder ähnlich klingender Laute a. <bdg-ptk> im Auslaut b. <v> und <f> c. <e/ eu> und <ä/ äu> 5. Schreibung der s-Laute 6. Sonstige Buchstabenfehler a. Buchstabenauslassungen b. falsche Buchstaben und Buchstabenumstellungen c. Buchstabenhinzufügungen 7. Zusammen- und Getrennt‐ schreibung einschließlich Silbentrennung a. fehlerhafte Zusammenschreibung b. fehlerhafte Getrenntschreibung und Silbentren‐ nung 8. Verstöße gegen gramma‐ tische und inhaltliche Be‐ züge a. Kasusfehler b. Auslassungen, Hinzufügungen, Ersetzungen von Wörtern und Wortgruppen Tabelle 3: Fehlerkategorisierung bei Plickat (1965, 1974) und Plickat/ Wieczerkowski (1979) Siekmann/ Thomé (2018: 78-86) erarbeiten die folgende Tabelle 33 mit Fehlerka‐ tegorien nach Riehme/ Heidrich (1970): Hauptgruppen Untergruppen 1. Verstöße gegen das „gram‐ matische Prinzip“ 1. 2. 3. 4. 5. 6. Groß- und Kleinschreibung das---daß (heute: dass) Dativ - Akkusativ Weitere Kasusfehler Tempus Person, Numerus, Genus 2. Verstöße gegen Wort- und Formenbildung 1. 1. 2. 2. 3. 4. Stammschreibung <ä>---<e> / <äu>---<eu> <bdg> im Auslaut Flexionsformen Getrennt- und Zusammenschreibung Affixe 9.2 Fehlerforschung 77 <?page no="78"?> Hauptgruppen Untergruppen 3. Verstöße gegen das phono‐ logische Prinzip 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. <d>---<t> <b>---<p> <g>---<k> <ch>---<sch> <o>---<u> <ü>---<i>---<ö> <f>---<pf> 4. Verstöße gegen bezeich‐ nete / unbezeichnete Vo‐ kallänge / -kürze 1. 2. 3. 4. Verdopplung des Konsonanten Verdopplung des Vokals Dehnungs-h <i>---<ie> 5. Schreibung weiterer Kon‐ sonanten 1. 2. 3. 4. s-Laut f-Laut ks-Laut ts-Laut 6. Flüchtigkeitsfehler 1. 2. 3. 4. 5. 6. Auslassen von Buchstaben Hinzufügungen von Buchstaben Vertauschen der Buchstaben in der Reihenfolge Optische Verwechslungen Fehlende Umlautzeichen und i-Punkte Sonstige Fehler 7. Fremdwortschreibung - - 8. Silbentrennung am Zeilen‐ ende - - Tabelle 4: Fehlerkategorisierung bei Riehme/ Heidrich (1970) Anhand der Tabellen kann man sehen, dass die Klassifizierungen insgesamt differenzierter werden. Allgemein werden die Kategorien durch weitere Subka‐ tegorien feiner. Es werden auch Kategorien gestrichen und weitere hinzugefügt. Auffällig ist, dass die Bezeichnungen und Unterpunkte im Laufe der Zeit weniger orthographisch und mehr phonologisch, morphologisch und syntak‐ tisch werden. Die Bewertung wandert von der oberflächlichen Erscheinung im Schriftbild hin zur Ursache des Fehlers. 9.3 Fehlerbeschreibung, sprachliche Ebenen und Erscheinungsbild von Fehlern In Anlehnung an Bickes/ Kresic (2000) stellt Fobbe (2011: 152f.) eine Taxonomie verschiedener Fehlerkategorien vor, die sich teilweise an den klassischen linguisti‐ 78 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="79"?> 34 Im Originaltext wird der Beleg unterstrichen und nicht kursiv wiedergegeben. 35 Fobbe nennt es hier „Verschreiber“. 36 Genauer: Der Kasus der Nominalphrase wird nur von der Präposition in gefordert. Durch das Verb wohnen wird angezeigt, dass es sich um die Präposition in (+ Dativ) schen Betrachtungsebenen orientieren. An dieser Einteilung hat sich wiederum das Bundeskriminalamt orientiert. Eine Fehlertaxonomie kann nie perfekt sein und unterliegt mehreren Problemstellungen. Z. B. fällt die Wahl eines falschen Kasus für ein Objekt in den Bereich der Syntax. Der Fehler kann aber nur unter Einbeziehung der Morphologie kategorisiert werden (vgl. Fobbe 2011: 155). Fehler sind nicht eindimensional und es ist immer schwierig zu versuchen, ein mehrdimensionales Phänomen in ein eindimensionales Muster zu pressen. Fobbe (2011: 156) verdeutlicht die Problematik anhand eines Beispiels: „Unsre Agent registrien genau alle Spektakel […].“ 34 Hier stellt sich die Frage nach der Fehlerkategorisierung von „Unsre“. Bei der Fehleranalyse ist zu beachten, dass grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Fehlertypen unterschieden werden sollte. In Anlehnung an Chomsky (1965) unterscheidet Corder (1967) „errors“ und „mistakes“. Es sind mindestens diese zwei Analysen möglich. Einerseits ist denkbar, dass die/ der Autor/ in die apokopierte Form uns’re schreiben wollte. Der Fehler würde dann in der Missachtung der schriftsprachlichen Norm liegen, da die Realisierung konzeptionell mündlich ist. War es jedoch die Intention, stattdessen die schriftsprachlich korrekte Form unsere zu verwenden, handelt es sich um einen Mistake 35 . Bei der Durchsicht des Textes könnte die/ der Schreiber/ in den Fehler u. U. selbst finden und korrigieren. Mistakes sind situationsabhängig, von der/ dem Schreiber/ in selbst korrigierbar und haben nichts mit mangelnder Kompetenz, sondern mit anderen Faktoren, wie z. B. mangelnder Konzentration, Stress, Müdigkeit etc. bei der Textproduktion zu tun (vgl. dazu u. a. auch Hufeisen 1991: 59). Errors sind systematische Fehler, die die/ der Autor/ in nicht selbst verbessern kann, da sie in ihrem/ seinem Regelsystem nicht als Fehler erkannt werden, da sie auf einem „Wissensbzw. Regeldefizit“ (Legenhausen 1975: 25 f.) basieren. Da die meisten Texte maschinenschriftlich erststellt werden, sollte noch ein weiterer Typ in Betracht gezogen werden, nämlich der Tippfehler. Es ist nicht grundsätzlich klar bzw. eindeutig, welchem Fehlertyp ein Fehler zugeordnet werden muss, siehe folgendes Beispiel: Ich wohne in meinem Baumhaus. *Ich wohne in meinen Baumhaus. Im zweiten Beispielsatz liegt ein Grammatikfehler vor. Es wird nicht die von der Präposition in und dem Verb wohnen geforderte Dativform realisiert. 36 Dabei 9.3 Fehlerbeschreibung, sprachliche Ebenen und Erscheinungsbild von Fehlern 79 <?page no="80"?> und nicht um die Präposition in (+ Akk.) handeln muss, weil von dem Verb wohnen eine Präpositionalphrase mit lokaler und nicht direktionaler Bedeutung gefordert wird. kann es sich um einen Error handeln, da die/ der Schreiber/ in die Kasusregeln nicht perfekt beherrscht. Dazu müsste der Rest des Textes auf die allgemeine grammatische Kompetenz und besonders auf die Kasus-Numerus-Genus-Kon‐ gruenz hin überprüft werden. Es kann sich auch um einen Mistake handeln, da der Text unter bestimmten Bedingungen produziert wurde, bzw. der Fehler u. U. nur einmal passiert. Letzteres kann aber auch auf einen einfachen Tippfehler (Slip bzw. Lapse) hindeuten, da die Tasten für die Buchstaben <n> und <m> direkt nebeneinander liegen. Kniffka spricht hier von „echten Tippfehlern/ slips of the pen.“ (Kniffka 1990b: 440) Eine Verstellungsstrategie ist aber ebenfalls möglich, da u. U. eine geringere schriftsprachliche Kompetenz vorgetäuscht wird. Auf fingierte Fehler wird in Kapitel 15.8 genauer eingegangen. Für die Interpretation bedeutsam ist die Analyse möglicher Fehlerursachen, wie z. B. sprachliche Interferenzen. Hier lassen beispielsweise Anhaltspunkte für eine bestimmte Muttersprache entsprechende Deutungen zu. Der weitere sprachliche Kontext des o. g. Beispielsatzes „Unsre Agent registrien genau alle Spektakel […].“ weist beispielsweise auf eine/ n russische/ n Muttersprachler/ in hin (Fobbe 2011: 157). Eine genaue Analyse des o. g. Beispiels kann bei Bi‐ ckes/ Kresic (2002: 124 f.) nachgelesen werden. So beeinflusst die Muttersprache von Schreiber/ inne/ n sowohl die realisierte Struktur als auch Fehler in der Fremdsprache (vgl. Böttger 2008: 39 und Fobbe 2011: 157). Entscheidend ist die Erkenntnis, dass Fehler nicht immer eindeutig einer sprachlichen Ebene zugeordnet werden können und dass viele Fehler auch auf mehreren Ebenen stattfinden können, wenn beispielsweise die Fehlerursache eine phonologische ist, die Auswirkung des Fehlers jedoch die Morphologie betrifft und ebenfalls Auswirkung auf die Syntax hat. So gibt es einerseits Zweifelsfälle und andererseits Fehler auf mehreren sprachlichen Ebenen. Die Analyse solcher hochgradig komplexer Fehlerstrukturen ist ein wichtiger Be‐ standteil der qualitativen forensisch-linguistischen Arbeit. So muss ein Fehler nicht bloß im Satzzusammenhang analysiert werden, sondern auch im gesamten Textzusammenhang. Es ist zu prüfen, ob die/ der Autor/ in weitere Fehler der gleichen Art macht und wie die Ausführung dieser Fehler ist. Ein einzelner Fehler hat nur eine geringe Aussagekraft, weshalb Texte auf das wiederholte Auftreten in verschiedenen Zusammenhängen geprüft werden. Daraus ergeben sich dann u. U. saliente Merkmalset-Konstellationen. Eine allzu starre Einteilung in Fehlerkategorien ist dabei nicht nur nicht förderlich für die Analyse, sondern kann zu Fehlinterpretationen bzw. zu Verlust wichtiger Informationen führen. 80 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="81"?> Fobbe (2011: 155) unterscheidet neben verschiedenen sprachlichen Ebenen in Anlehnung an Corder (1973) und James (1998) insgesamt fünf Kategorien des Erscheinungsbildes eines Fehlers. In der Folge werden diese Erscheinungsbilder vorgestellt, wobei zur Veranschaulichung selbst erstellte Beispiele dienen sollen: Erscheinungsbild Beispiel Erklärungen Auslassungen Er geht zumindest den Supermarkt. Auslassung der Präposi‐ tion Hinzufügungen Er geht zumindest in den Supermarkto. Hinzufügung eines Vo‐ kals Selektionsfehler Er gehen zumindest in den Supermarkt. Wahl einer anderen Verbform als 3 P. Prä‐ sens aktiv Anordnungsfehler Er zumindest in den Supermarkt geht. Vertauschung im Satz (Verb in VE) Kontaminationen Er geht zumindestens in den Super‐ markt. Kontamination aus zu‐ mindest und mindestens zu zumindestens Tabelle 5: Erscheinungsbild von Fehlern und Beispiele 9.4 Fehlertypen und Fehlerschwere Bei der Frage, ob ein Fehler als Error, Mistake oder Slip zu analysieren ist, muss sich die forensische Linguistik auf Hypothesen stützen, da sie überwiegend mit Texten anonymer Schreiber/ innen arbeitet (Fobbe 2011: 159). Ferner sind „lapses“ (Baldauf 1999) möglich, die aufgrund von Stress gemacht werden. Da das Schreiben zu einem erheblichen Teil automatisiert ist, ist bei mindestens zwei Varianten eines Wortes in einem Text einer/ eines Autor/ in davon auszu‐ gehen, dass die richtige Variante die Schreibkompetenz der/ des Schreiber/ in zeigt. Außerdem ist zu beachten, dass auch Errors nicht immer eine weiterfüh‐ rende Interpretation zulassen, da sie einfach zu verbreitet sind (vgl. Fobbe 2011: 160). Als Beispiele nennt sie die Verwechslung von das/ dass und die Kleinschreibung des Anredepronomens Sie. Im Laufe eines Lebens erwerben Autor/ inn/ en ein „Kontinuum individueller Abweichungen“ (Fobbe 2011: 161), wobei zu beachten ist, dass sich gerade in der Spracherwerbsphase Fehler mani‐ festieren, die sie ihr ganzes Leben lang realisieren (vgl. Baldauf 1999: 96 f.). Außer der Frequenz von Fehlern - Abweichungen bei selten gebrauchten Formen 9.4 Fehlertypen und Fehlerschwere 81 <?page no="82"?> 37 Kursivschreibung wie im Original sind weniger als gravierender Fehler einzustufen - ist für die Fehlerschwere eine mögliche Beeinflussung der Verständlichkeit der maßgebliche Faktor (vgl. Fobbe 2011: 163 f.). In Bezug auf Burt/ Kiparsky (1973) beschreibt Fobbe „global und local errors“ 37 (Burt und Kiparsky sprechen auch von „global and local mistakes“). Wenn ein Fehler zu Missverständnissen oder zur kompletten Unverständlichkeit führt, liegt ein globaler Fehler vor, während ein lokaler Fehler die Verständlichkeit nur leicht oder gar nicht einschränkt, wobei sowohl lexikalische als auch grammatische Fehler in beiden Kategorien möglich sind (vgl. Blex 2001). Da die Bezeichnung der Fehlertypen nicht eindeutig ist, soll hier darauf hingewiesen sein, dass kein Fehlertyp (Error, Mistake, Slip oder Lapse) bei der Bemessung der Fehlerschwere ausgeschlossen ist. Nur weil ein Fehler unter Druck passiert (Lapse) oder/ und von der/ dem Autor/ in selbst korrigiert werden kann (Mistake), heißt das nicht, dass es sich bloß um einen lokalen Fehler handelt. Die Verständlichkeit kann dennoch stark eingeschränkt sein. Genauso kann ein Fehler fester Teil des Lexikons einer/ eines Schreiberin/ Schreibers sein (Error), ohne dass der Fehler die Verständlichkeit einschränkt. Daraus ergibt sich dann folgende Klassifikation von Fehlertypen und Fehlerschwere: Fehlertyp Fehlerschwere global lokal Error - - Mistake - - Tippfehler (Slip und Lapse) - - Tabelle 6: Fehlertypen und Fehlerschwere In Bezug auf die Fehlerschwere stellt Politzer (1978) folgende Hierarchie fest, wobei erstgenannte als schwerwiegender eingestuft werden: 1. Lexik, 2. Ver‐ bmorphologie, 3. Wortfolge, 4. Genus, 5. Phonologie, 6. Kasusmarkierung. Bei einer Studie, bei der auch Laien zur Bewertung von Fehlern gefragt wurden, kommen McCretton/ Rider (1993) ebenfalls zu dem Schluss, dass lexi‐ kalische Fehler häufiger als schwere Fehler kategorisiert werden (außer von den befragten Lehrer/ inne/ n). Fobbe (2011: 167) folgert für die forensische Linguistik daraus, dass Laien, die Fehler fingieren, sich möglicherweise von der eigenen Einschätzung, wie schwer ein Fehler ist, beeinflussen lassen. Hierzu sei angemerkt, dass das mentale Lexikon vieler Autor/ inn/ en so funktioniert, 82 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="83"?> 38 Die Bezeichnung „rheinische Verlaufsform“ ist nicht zutreffend (Hessler 2012) dass Sprache allein auf der lexikalischen Ebene wahrgenommen wird. Die metasprachliche Kompetenz ist bei vielen Laien wohl zu wenig ausgeprägt, um Sprache als komplexes Gebilde zu erkennen, um dann gezielt bestimmte grammatische Strukturen zu fingieren. Ein Grund mag die eigene ‚Überbe‐ wertung‘ der Fehlerschwere von Lexik sein, gravierender erscheint aber das Nichtvorhandenseins verschiedener sprachlicher Ebenen im mentalen Lexikon. 9.5 Fehlerursachen Da in der traditionellen Textanalyse die Stilvon der Fehleranalyse getrennt wird, sollten Fehler von stilistischen Merkmalen abgegrenzt werden. Fobbe (2011: 143) versteht unter Stil Auffälligkeiten und „Unauffälligkeiten“ eines Textes, während bei einer Fehleranalyse entschieden werden muss, was als falsch und was als richtig zu gelten hat. Normverstöße gelten als Fehler, wobei entschieden werden muss, ob sie dem Nichtstandard, einer bestimmten Varietät, einem spezifischen Register oder aber dem Einfluss einer Fremdsprache zuzu‐ ordnen sind. Diese Entscheidungen sind nicht trivial und keineswegs eindeutig zu treffen. So kann es sein, dass ein/ e Autor/ in das Wort Küsche statt standard‐ sprachlich Küche verwendet. Der Fehler kann ein einfacher Tippfehler sein. Das ist aber wegen der Entfernung der entsprechenden Tasten für <ü>, <s> und <c> auf der Tastatur eher auszuschließen. Wahrscheinlicher ist ein Fehler, der durch falsche Phonem-Graphem-Beziehungen bedingt wird. Die/ Der Schreiber/ in spricht das Wort Küche vielleicht mit einem [ʃ] statt standardsprachlich [ç] aus (Koronalisierung) und schreibt das Wort entsprechend auch Küsche. Der Grund ist in Bezug auf die Metadaten aber keineswegs eindeutig, da diese Lautung beispielsweise regional bedingt sein kann, wenn die/ der Autor/ in z. B. aus dem Kölner Raum kommt. Oder die Abweichung ist durch eine jugendsprachliche bzw. ethnolektale Varietät zu erklären, in der die Koronalisierung in dieser Form ebenfalls vorkommt. Ferner ist zu bedenken, dass es u. U. einen überregionalen Nonstandard gibt, bei dem zwar bestimmte Regeln eingehalten werden, jedoch nicht die Regeln des Standards, wie z. B. bei der Realisierung des am-Progres‐ sivs 38 in ich bin am arbeiten. Weitere überregionale Konstruktionen sind in Dovalil (2003) zu finden. Letztlich stellt sich die Aufgabe der Analyse der Motivation oder auch der Fehlerursache. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie etwa eine bestimmte Situation während der Textproduktion, die Schreiberfahrung, der 9.5 Fehlerursachen 83 <?page no="84"?> Sprachstand oder die kommunikative Absicht der/ des Autorin/ Autoren. Unter die kommunikative Absicht fallen dann u. a. auch Verstellungsstrategien, wenn beispielsweise jemand Fehler absichtlich einbaut, um einen geringeren Bildungsstand, geringere Schreiberfahrung oder Nicht-Muttersprachlichkeit vorzutäuschen o.ä. Die Quellen für Fehler sind vielfältig und die Erforschung ist ein komplexes Thema. In Bezug auf lernersprachliche Fehler (hier als Error) ist die Ähnlichkeit von Mutter- und Zielsprache eine häufige Fehlerursache. Wortpaare beider Sprachen, die in Schrift oder Lautung große Ähnlichkeit aufweisen, aber eine unterschiedliche Bedeutung haben, bezeichnet man auch als ‚falsche Freunde‘. Dieses Phänomen gibt es ebenfalls, wenn ein/ e Sprachlerner/ in gleichzeitig mehrere, sich teilweise stark ähnelnde Sprachen, lernt. Beispielsweise kommt eine Studentin, die deutsche Muttersprachlerin ist und an der Universität Spanisch und Italienisch lernt, schnell durcheinander. Ähnlichkeit ist also eine ernstzunehmende Fehlerursache. Für die forensische Linguistik ist ent‐ scheidend, ob die/ der Forscher/ in einen Error als lernersprachlich einschätzt. Fobbe (2011: 151) schlägt vor, im Sinne der „Interlanguage-Hypothese“ festzu‐ stellen, wie groß die schriftsprachliche Kompetenz in der deutschen Sprache ist. Entscheidend ist außerdem, ob es bei den Fehlern und der scheinbar zugrundeliegenden schriftsprachlichen Kompetenz zu Abweichungen kommt, die nicht erklärbar bzw. plausibel sind. Kurz gesagt: Passen die gemachten Fehler (im Sinne von Errors) zusammen oder nicht? Sind die Errors also glaubhaft, oder sind die Unterschiede der (zur Schau gestellten) Kompetenz einer bestimmten Sprache zu groß? 9.6 Muttersprachliche, lernersprachliche und fingierte Fehler Um die eigene Identität zu verschleiern und ggfs. andere Identitäten vorzutäu‐ schen, werden, gerade im Bereich inkriminierter Texte, Fehler oft fingiert. Daher ist hier die Frage, ob es sich um unbewusste, also nicht-fingierte Fehler, oder um absichtlich herbeigeführte Fehler handelt, von entscheidender Bedeutung. Eine wichtige Verstellungsstrategie ist die Vortäuschung von Nicht-Muttersprach‐ lichkeit und/ oder einer geringeren Schreibkompetenz. Inkriminierte Schreiben werden recht selten von Nicht-Muttersprachler/ innen angefertigt. Viele Texte, deren schriftsprachliche Kompetenz auf Nicht-Muttersprachlichkeit hinweisen, werden stattdessen von Muttersprachler/ innen verfasst, die ihren Sprachge‐ brauch verstellen (Fobbe 2011: 147). Daher muss für die Autorenerkennung die Frage gestellt werden: Handelt es sich um muttersprachliche, lernersprachliche 84 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="85"?> oder um fingierte Fehler? Fehler werden üblicherweise nach den Kriterien sprachliche Korrektheit, Verständlichkeit und Angemessenheit bestimmt (Kleppin 2010: 1062). Laut Hundt (2009: 125 f.) entscheidet die/ der Hörer/ in, ob er die Äußerung einer/ eines Sprecher/ in akzeptabel findet, oder nicht. Dabei greift sie/ er auf ihre/ seine „tacit knowledge“, also implizites Wissen zurück. Dieses Wissen ist entscheidend für die Akzeptabilität einer Äußerung, das gilt auch für schriftsprachliche Äußerungen. Nicht jede Abweichung von einer sprachlichen Norm ist als Fehler anzusehen. Äußerungen können im umgekehrten Fall zwar grammatisch einwandfrei, aber eben nicht korrekt sein (vgl. Fobbe 2011: 148). Als Beispiel wäre der Anfang eines Gesprächs wie der Folgende zu nennen. A: Guten Tag, mein Name ist Bernd Maier, ich bin der Geschäftsführer des Unternehmens. B: Vielen Dank für die Information. Eine korrekte Äußerung von B wäre gewesen, ebenfalls zu grüßen und sich vorzustellen. Da Sprecher/ in B nicht grüßt, verletzt sie/ er Kommunikationsma‐ ximen. Die Äußerung enthält keinen Fehler im grammatischen Kernbereich, ist aber in dieser Situation dennoch nicht akzeptabel. Fehler im Bereich der Pragmatik können ebenfalls auf eine geringere bzw. nicht-muttersprachliche Kompetenz hinweisen. 9.7 Markiertheitstheorie - Stil, Fehler und Markiertheit Sprachliche Einheiten können nur im Verhältnis zu etwas anderem, also im Kontrast zu beispielsweise anderen Substandardvarietäten oder der Standardva‐ rietät, markiert sein. Unter Standard, Standardsprache oder auch Standardnorm versteht man alle Realisierungen eines Sprachsystems, die allgemein als richtig oder vorbildhaft angesehen werden (vgl. Mattheier 1997: 2). Coseriu (1971) spricht davon, dass es sich dabei um eine Auswahl an Regeln handelt, die als „normal“ und „traditionell“ akzeptiert werden. Abweichende sprachliche Einheiten können als Merkmale einer bestimmten Varietät etc. analysiert werden. Für die Varietätenlinguistik bildet das „ge‐ bündelte Vorkommen solcher Merkmale“ (Felder 2016: 52) (vgl. auch Merk‐ malbündel oder Merkmalsets) die Möglichkeit, eine bestimmte Varietät zu beschreiben. Etwas ist also z. B. im Vergleich zum Standard ein Regiolekt, weil bestimmte Merkmale bzw. Merkmalsets auftreten, die in der Standardvarietät nicht auftreten. Markiert ist dann etwas, das, z. B. im Vergleich zum Standard, eine geringere Reichweite aufweist und im Vergleich zur Erwartungshaltung der Rezipient/ inn/ en auffällig ist (vgl. Felder 2016: 60). 9.7 Markiertheitstheorie - Stil, Fehler und Markiertheit 85 <?page no="86"?> So kann ein bestimmter sprachlicher Ausdruck, eine Textpassage oder auch nur ein Wort markiert sein, obwohl es sich nicht um einen Fehler handelt. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, weshalb sprachliche Elemente markiert sind bzw. als markiert gelten. So gibt es z. B. auch sprachliche Abweichungen auf eine höhere Stilebene, die in bestimmten Situationen als markiert analysiert werden müssen, wie beispielsweise die Verwendung antiquierter Wörter oder der Gebrauch von wissenschaftlichem Sprachmaterial in nicht-wissenschaftlichen Kontexten etc. Die Grundlage von Markiertheit bildet die Annahme eines sprachlichen Standards und bestimmter Abweichungen von diesem Standard, wie z. B. bei Substandardvarietäten. Die Abweichungen können sowohl qualitativ als auch quantitativ sein. Markierte Ausdrücke können zu unterschiedlichen Graden markiert sein. Im Bezug zur Standardvarietät bedeutet das, dass sie sich unter‐ schiedlich weit vom Standard entfernen. So haben markierte Ausdrücke eine geringere Reichweite, sind in geschriebenen Kontexten weniger üblich und haben ein geringeres Prestige. Die Annahme, dass sich bei Spracherwerbs- und Sprachwandelprozessen natürliche Verhältnisse durchsetzen, ist Teil der Markiertheitsbzw. Natürlich‐ keitstheorie (Chomsky/ Halle 1968). Die Überlegung, dass sprachliche Prozesse größtenteils natürlich verlaufen, ist ein Grundprinzip der Prager Schule. Dem‐ nach lassen sich Oppositionspaare in verschiedenen linguistischen Kategorien bilden. Es gibt immer mindestens zwei Ausprägungen, bei der eine „merkmal‐ tragend“ und die andere „merkmallos“ (geht zurück auf Trubetzkoy 1931, hier erst ausschließlich für die Phonologie), bzw. eine markiert ist und die andere nicht markiert ist. Solche Kontrastpaare in verschiedenen linguistischen Kategorien, wie z. B. der Morphologie, existieren in allen natürlichen Sprachen (vgl. Greenberg 1966: 9 f.). Damit verbunden ist die Vorstellung, dass die markierte Realisierung seltener auftritt als ihr Gegenstück. Auf der einen Seite gibt es also „marked“ und „less frequent“, auf der anderen Seite „unmarked“ und „more frequent“. Da es aber in vielen sprachlichen Bereichen mehr als zwei Ausprägungen gibt, man denke etwa an die Aussprache eines Wortes in verschiedenen Regio- und Dialekten, ist von einem Kontinuum auszugehen, bei dem die Pole „maximal markiert“ und „maximal unmarkiert“ sind. Dabei ist ebenfalls zu beachten, dass im Zuge von Sprachwandelprozessen bestimmte Ausprägungen, die in dem beschriebenen Kontinuum einen Grad von Markiertheit einnehmen, wandern können. Mayerthaler (1981) geht davon aus, dass Markiertes zu weniger Markiertem wird und Sprachwandel daher immer nur in dieser Richtung verläuft. Hier sei jedoch darauf hingewiesen, dass Wörter auch als antiquiert markiert sein können. Markiertheit wird aber 86 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="87"?> im Laufe der Zeit in den meisten Fällen eher abgebaut, da eher spezialisierte sprachliche Elemente bestimmter den Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch finden können (vgl. u. a. Androutsopoulos 2005). Diese diachrone Perspektive ist bedeutsam in Hinblick auf die Analyse von Texten einer/ eines Autor/ in, gerade wenn Texte verglichen werden, zwischen deren Produktion ein größerer Zeitraum liegt. Der Sprachwandel hat aber nicht bloß Einfluss auf die Textpro‐ duktion einzelner Autor/ inn/ en, da weniger markierte Ausprägungen leichter erworben werden. Demzufolge eignet sich eine Person andere Sprachformen an als sich eine gleichaltrige Person 30 Jahre zuvor angeeignet hat. Verschiedene sprachliche Formen werden also hauptsächlich unbewusst bei der Sprachpro‐ duktion bevorzugt eingesetzt (vgl. Wurzel 1994: 35). 9.8 Stilanalysen und stilistische Merkmale Bevor dargestellt werden kann, was im Rahmen von forensisch-linguistischen Stilanalysen untersucht wird, soll zunächst kurz der Frage nachgegangen werden, was unter Stil im linguistischen Sinne zu verstehen ist. Im Gegensatz zur Fehlerhaftigkeit bzw. auch Korrektheit eines Textes, obliegt Stil in höherem Maße der Entscheidung einer/ eines Textproduzentin/ Textpro‐ duzenten. Je nach Situation suchen Schreiber/ innen die sprachlichen Mittel aus, die ihnen für ihre Kommunikationsabsicht am sinnvollsten erscheint. Dabei bietet die Sprache eine riesige Zahl verschiedener sprachlicher Elemente und Kombinationsmöglichkeiten, aus denen gewählt wird (vgl. Dern 2009: 51). Stil ist dabei innerhalb der forensischen Textanalyse nicht als Abweichung von der Norm zu verstehen (Fobbe 2011: 107), sondern als Folge von Entscheidungen, die von Autor/ inn/ en bewusst oder unbewusst getroffen werden. Stil wird auch „als ein Mittel sprachlicher Selbstdarstellung angesehen“ (Schall 2004: 552). Dabei passen Schreiber/ innen ihren sprachlichen Stil der Situation an, in der bzw. für die sie einen Text verfassen. Die Wahl eines der Situation und der Text‐ sorte angemessenen Registers ist dabei maßgeblich. Beispielsweise bedient sich eine Autorin vielleicht eines alltagssprachlichen Stils, wenn sie eine Nachricht an eine gute Freundin oder einen nahen Verwandten schreibt. In einer anderen Situation, beispielsweise bei einem Geschäftsbrief, bedient sie sich eher der Stan‐ dardvarietät. Die Standardvarietät besitzt nicht bloß die größte kommunikative Reichweite, sondern hat auch das höchste Normprestige (Girnth 2007: 190). Es ist zu erwarten, dass Autor/ inn/ en mit entsprechender schriftsprachlicher Kompetenz sowie ausreichendem metasprachlichen Bewusstsein versuchen, sich möglichst nah am Standard zu bewegen, falls sie Glaubwürdigkeit, Autorität 9.8 Stilanalysen und stilistische Merkmale 87 <?page no="88"?> o.ä. ausdrücken wollen. Spillner (2001) unterscheidet drei Stilebenen, nämlich die „niedere“, die „mittlere“ und die „hohe“ Stilebene. Als Einfluss auf den „Stil eines Schreibens“ nennt Schall (2004: 552) „Textsortenstil/ Funktionalstil“, „Zeitstil (Tendenzen in der Entwicklung der deutschen Gegenwartssprache)“ sowie „Sozialstil/ Gruppenstil“. Stil betrifft, als in der Sprache mitwirkendes Element, nicht bloß die pro‐ duzierende Seite der Kommunikation, sondern auch die rezipierende Seite. Stilistische Auffälligkeiten können seitens der Rezipient/ inn/ en interpretiert werden. „Der Rezipient wiederum (re)konstruiert Stil entweder als unauffällige, normgemäße Textgestalt oder als interpretierbare, einen [s]tilistischen Sinn vermittelnde Besonderheit.“ (Bußmann 2008: 684) In seiner Wirkung ist Stil bzw. sind stilistische Besonderheiten oder Auffälligkeiten nicht unveränderlich. Während beispielsweise ein spezifischer sprachlicher Ausdruck zur Zeit der Ent‐ stehung eines Textes stilistisch unauffällig ist, kann er womöglich zur Zeit der Rezeption u.-U. als derb bzw. vulgär oder auch als antiquiert bzw. als gehobener Stil aufgefasst werden. Dabei sind nicht nur zeitliche Parameter, sondern auch gesellschaftliche, kulturelle, politische etc. Unterschiede bzw. Veränderungen etc. in Betracht zu ziehen. Das ist vergleichbar etwa mit der Interpretation bestimmter Gesten in verschiedenen Ländern. Sprachliche Elemente, die einen bestimmten Stil zum Ausdruck bringen oder gar als stilbildend gelten mögen, sind „sowohl Indiz für bestimmte kommunikative Konstellationen als auch Instrument zur Erzeugung bestimmter kommunikativer Situationen (Bezie‐ hungen) und Wirkungen.“ (Michel 2001: 426) Ein bestimmter Schreibstil liefert dabei zusätzliche Informationen beispiels‐ weise zur Schreibsituation, zum Verhältnis bzw. zur Beziehung beteiligter Kommunikationspartner/ innen, zur Textsorte, zur Selbstdarstellung der/ des Autorin/ Autoren (vgl. Sandig 1978 und Sandig 1986) oder auch zur Einstellung einem bestimmten Medium gegenüber etc. Als Stilmittel bzw. Stilelemente können alle sprachlichen Einheiten auf jeder sprachlichen Ebene eingesetzt werden. Dern (2009: 51) nennt hier u.-a. den „Verzicht auf Majuskeln“ auf der Orthographieebene, eine bestimmte „Komplexität von Sätzen oder Satzgliedern“ im Bereich der Syntax oder auch die „Abwandlung von Redewendungen“ bzw. den „Einsatz dialektaler Ausdrücke“ für die Ebene der Lexik. Außer der Fehleranalyse im Rahmen verschiedener linguistischer Betrachtungskategorien, gehört zu einer Auto‐ renanalyse auch die Stilanalyse. Bei Stilanalysen im Rahmen der Autorenerkennung wird davon ausgegangen, dass Stil ein sprachliches Element ist, mit dem man ein/ e Autor/ in von einer/ einem anderen Autor/ in unterscheiden kann (Fobbe 2011: 121). Der persönliche 88 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="89"?> Schreibstil bietet also Anhaltspunkte für unterscheidende und saliente Merk‐ malsets. Für eine Stilanalyse sollten daher folgende Teilbereiche der Analyse durchgeführt werden: • Analyse von Inhaltswörtern • Analyse von Funktionswörtern • Indigenes vs. fremdes Sprachmaterial • Analyse von Schlüsselwörtern • Analyse von emotional gefärbten Wörtern • Analyse von Archaismen • Frequenz von Wörtern • Lexical richness (type-token-Relation im Verhältnis zur Textlänge) • Satzart (stark von Textsorte beeinflusst) • Satzlänge (stark von Textsorte beeinflusst) • Satzkomplexität (stark von Textsorte beeinflusst) (Fobbe 2011: 120-121) Stil muss als „virtuelle Eigenschaft von Texten“ von Leser/ inne/ n „rekonstruiert“ werden (Sandig 2006: 53). Da die Wahrnehmung eines Stils grundsätzlich erst einmal subjektiver Natur ist, ist die Objektivierung eine wichtige Aufgabe der Stilanalyse. Objektivierung kann durch eine quantitative Stilanalyse, bei der überprüft werden kann, wie häufig ein stilistisches Merkmal in einem Text vorkommt, hergestellt werden. Der Vergleich mit der Gesamtpopulation ist hier ebenfalls zu beachten. Grundsätzlich sind also einerseits qualitative und andererseits quantitative Stilanalysen zu unterscheiden. Stilmerkmalen werden dabei die folgenden Eigenschaften zugewiesen. Sie sind: • salient • identifizierbar • in der Regel quantifizierbar Die Auswahl der zu untersuchenden Elemente, also die Stilmerkmale, ist rein qualitativ. Der „Grad der Markantheit“ (Fobbe 2011: 108) bestimmt dabei die Signifikanz der Merkmale. Die Aussagekraft bzw. die Markantheit von sprachli‐ chen Elementen wird durch verschiedene Umstände bestimmt. So kann ein ein‐ zelnes Wort oder eine Textpassage in verschiedenen Kontexten unterschiedlich aussagekräftig sein. An die Textsorte geknüpfte Bedingungen, der spezifische Inhalt etc. spielen ebenso eine Rolle wie der syntaktische Zusammenhang oder auch die sprachliche Stilfärbung im Gesamtkontext eines Textes. Die Aussagekraft stilistischer Merkmale kann nur bedingt quantitativ her‐ geleitet werden, wie z. B. „auf der Basis paralleler Erhebungen zu einem 9.8 Stilanalysen und stilistische Merkmale 89 <?page no="90"?> bestimmten sprachlichen Phänomen.“ (Fobbe 2011: 108) Der größte Teil der Aussagekraft bestimmter Stilmerkmale wird durch den linguistischen Erfah‐ rungsschatz und die Stilkompetenz der/ des Linguist/ inn/ en, die/ der einen oder mehrere Texte analysiert, bestimmt. 9.9 Reliabilität und Validität stilistischer Merkmale Fobbe (2011: 122, in Anlehnung an Grant/ Baker 2001) setzt zwei Eigenschaften an, die Merkmale haben müssen, um bei einer stilistischen Analyse eine ausreichend große Aussagekraft zu haben. Diese Eigenschaften sind Reliabilität und Validität. Reliabilität bedeutet, dass unter gleichen Bedingungen bei Analysen, Tests etc. die gleichen oder zumindest vergleichbare Ergebnisse herauskommen. Validität ist ein Wert, der aussagt, dass wirklich das gemessen wird, was ein/ e Forscher/ in damit beabsichtigt. Fobbe (2011: 122-123) schlägt eine weitere Aufteilung der Validität vor, indem sie vier Aspekte nennt, durch die sich Validität konstituiert, nämlich „Oberflächenvalidität“, „Inhaltsvalidität“, „Kon‐ struktvalidität“ und „kriterienbezogene Validität“. Oberflächenvalidität bezieht sich auf den persönlichen Eindruck einer/ eines forensischen Linguistin/ Linguisten bei einer Analyse. Das ist damit ein Wert, der in hohem Maße mit der Fähigkeit zur Textanalyse zu tun hat, die ein/ e Forscher/ in im Laufe ihrer/ seiner Tätigkeit erwirbt. Inhaltsvalidität ist ein Wert, der die Oberflächenvalidität statistisch unter‐ mauern kann. Er konstituiert sich aus Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der korrekten Zuweisung von Texten zu Autor/ inn/ en durch mehrere Forscher/ inne/ n, u. U. unter Zuhilfenahme geeigneter statistischer Verfahren etc. Konstruktvalidität bedeutet, dass ein Verfahren, eine Analysemethode etc. nicht bloß funktioniert, sondern dass sie Aussagen über einen Text zulässt. Beispielsweise ob ein untersuchtes stilistisches Merkmal Aussagen über die Autorschaft eines Textes begünstigt. Kriterienbezogene Validität liegt vor, wenn die stilanalytischen Kriterien Werte, Eigenschaften etc. bestimmen können, die sich in anderen Verfahren bzw. Verfahren in anderen Kontexten bewährt haben. Die Kriterien, nach denen eine qualitative Stilanalyse angegangen werden sollte, beschreibt Püschel (1995). Hier wird ein Kriterienkatalog aufgeführt, der aus einer Reihe von Merksätzen besteht, die bestimmte Anweisungen enthalten (Püschel 1995: 309-319). Fobbe (2011: 133-142) liefert ein anschauliches Analy‐ 90 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="91"?> 39 Hier nennt Fobbe 2011: 139 falsche Phonem-Graphem-Beziehungen mit dem Hinweis auf regionale Aussprachevarianten. Solche Merkmale gehören aber m. E. eher in die Fehleranalyse, da sie zwar im gesprochen-sprachlichen Bereich zu Varietäten zu zählen sind, schriftsprachlich aber Fehler darstellen. Dennoch sind sie, zusammen mit regionalspezifischer Lexik, einer der wichtigsten Bausteine für Analysen, die darauf abzielen, wo ein/ e Autor/ in sprachlich sozialisiert wurde. sebeispiel in Abhängigkeit zu Püschels Merksätzen. Die Stilanalyse soll letztlich dabei helfen, Aussagen über Metadaten einer/ eines möglichen Autorin/ Autoren zu liefern, wie: • Nicht-Muttersprachlichkeit/ Muttersprachlichkeit • Region der sprachlichen Sozialisation 39 • Schreiberfahrung • Bildungsniveau • Stilsicherheit • Relatives Alter • Verwendung von Fachsprache • Verwendung von Sondersprache • Hinweise auf Hobbies oder den Beruf Diese Liste ist keineswegs erschöpfend, sondern gibt einen Einblick in die Komplexität von Metadaten von Autor/ inn/ en. So werden z. B. bei dialektolo‐ gischen Untersuchungen wie der Befragung von Proband/ inn/ en ebenfalls eine Vielzahl von Metadaten erhoben. Je nachdem, welcher Aspekt der Sprache für linguistische Expert/ inn/ en interessant ist, werden verschiedene Metadaten benötigt und in Abhängigkeit zueinander betrachtet. Dabei ist zu beachten, dass viele Metadaten voneinander abhängig sind, sich teilweise gegenseitig bedingen etc. Wenn jemand z. B. eine große Schreiberfahrung hat, stilsicher schreibt und dabei bestimmte fachsprachliche Ausdrücke verwendet, lässt das Rückschlüsse auf das Bildungsniveau zu. Außerdem ist u. U. von einem höheren relativen Alter auszugehen, als bei einer/ einem Autoren, die/ der weniger Schreiberfahrung zeigt und z. B. Lexeme aus einer jugendsprachlichen Varietät verwendet, die dann wiederum Hinweise auf Hobbies gewähren kann etc. Der Zusammenhang von sprachlichem Material in Texten, Metadaten und Rückschlüssen auf die Autorschaft ist also ein sehr komplexes System, das, ebenso wie die Betrachtung von sprachlichen Merkmalen, nicht als hermetisch abgeriegeltes Konstrukt an‐ gesehen werden sollte, sondern als offenes System, das immer wieder Prüfungen entsprechend der gegebenen Situationen unterzogen werden sollte. 9.9 Reliabilität und Validität stilistischer Merkmale 91 <?page no="92"?> 9.10 Kurzer Exkurs: Kritik am zu vereinfachten Umgang mit Metadaten Die Analyse von Metadaten von Autor/ innen ist eine komplexe Angelegenheit. Viele Faktoren spielen, wie bereits beschrieben, bei dem Verfassen von Texten eine Rolle. Ein beispielhaftes Merkmal aus der gesprochenen Sprache ist die Koronalisie‐ rung bei der Aussprache von z. B. dich im Auslaut mit [ʃ] statt standardsprachlich mit [ç]. Verallgemeinert kann man davon ausgehen, dass die/ der Sprecher/ in eine ethnolektal geprägte Form von Jugendsprache spricht. Die/ Der Sprecher/ in könnte aber auch einfach im Raum Köln aufgewachsen sein. Es sind zwei verschiedene Varietätenbereiche, das Merkmal ist das gleiche. Bei Texten verhält es sich ähnlich wie bei der gesprochenen Sprache. Man kann nicht 100%ig ein Merkmal einem bestimmten Varietätenbereich oder Faktor bei den Metadaten zuordnen. Bei der Textanalyse ist Verallgemeinerung, und die Konzentration auf einen einzelnen Bereich der Metadaten, wie beispielsweise Alter oder Geschlecht, kontraproduktiv. Drommel (2016: 112) schreibt unter dem Kapitel „Möglich‐ keiten der Identifikation des Täters“ über „Frauensprache“, dass sich einige Merkmale bei der Textproduktion von Frauen herauskristallisieren. Er nennt „Frauen schreiben (in der Tat) im Durchschnitt erheblich mehr als Männer“. Das mag durch reine Statistik aus den Drommel vorliegenden Daten belegbar sein, ist aber, vor allem, da er hier keine konkreten Zahlen nennt, nicht nachzuvollziehen. Als weitere Merkmale von „Frauensprache“ nennt er „eine größere Neigung zum Reim“, „stärkerer Tobak, d. h. eine größere verbale Härte und mehr Kraftausdrücke“ und „ein größerer emotionaler Anteil (einschließlich sexuellen Inhalts)“. Leider bietet er weder einzelne Belege noch konkrete Zahlen zu diesen Beobachtungen. Bei einem weiteren Merkmal, nämlich „ein spezieller geschlechtsspezifischer Wortschatz“ nennt er einige Beispiele, die aufgrund der Anführungsstriche im Original als Belege identifiziert werden können, bzw. einfache Beispiele sind. Das sind „,Lackaffe‘“, „; Muttersöhnchen‘“ und „; in der Abteilung XY backt jeder seinen eigenen Kuchen‘“. Inwiefern diese Belege/ Beispiele in Verbindung stehen, wird leider auch nicht erläutert. Die spezifischen Metadaten von Autor/ inn/ en haben einen Einfluss auf die Textproduktion. Metadaten können aber kaum isoliert betrachtet werden, da jeder Mensch nicht bloß Teil einer einzelnen Gruppe ist. Eine Person X ist nicht bloß eine Frau oder ein Mann, sondern z. B. eine 45-jährige Frau, die als Lehrerin arbeitet, in einer Kleinstadt in Bayern großgeworden ist, aber jetzt in Hamburg wohnt und in Ihrer Freizeit gerne Online-Spiele spielt und sich aktiv an dieser 92 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="93"?> Community beteiligt. Selbst eine solche Darstellung ist stark vereinfacht, stellt jedoch das Problem mit einem vereinfachten, auf Einzelfaktoren abzielenden Umgang mit Metadaten klar. Es ist kaum möglich, jeden Faktor einzeln zu analysieren und daraus eine bestimmte Realisierung von Text in jeder Situation abzuleiten. Erschwerend kommt hinzu, dass externe Faktoren, wie Textsorte oder Situation bei der Textproduktion, hinzukommen. Eine einfache Formel wie X ist eine Frau, also schreibt sie soundso, oder Y ist erst 16 Jahre alt, also verwendet er diese bestimmte Satzkonstruktion, funktioniert nicht. Solche Annahmen sind irreführend, vor allem, da dadurch im Umkehrschluss bei der Analyse von anonymen Schreiben ein Vorurteil entstehen könnte, wie: Wenn Z diese Konstruktion verwendet, ist Z wahrscheinlich eine Frau. Daher sind solche vereinfachten Schlussfolgerungen abzulehnen. 9.11 Merkmalsets und Merkmalsetmuster Nicht alle sprachlichen Merkmale sind gleich gut geeignet, um Autor/ inn/ en voneinander zu unterscheiden. Als Beispiel für die misslungene Abgrenzung zweier Autoren sei hier eine Studie von Grimm (1991) genannt, der Texte von Thomas und Heinrich Mann miteinander vergleicht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich, zumindest mit den gewählten Merkmalen, Thomas und Heinrich Mann nicht ausreichend voneinander abgrenzen lassen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Olsson (2004: 62 f.) in Bezug auf Malthus und Smith. Es muss festgehalten werden, dass stilistische Merkmale und Fehler nicht grundsätzlich in allen Umgebungen und bei allen Untersuchungen geeignet sind, um alle Autor/ inn/ en klar voneinander abzugrenzen. Für geschriebene Texte und die Betrachtungen der Autorschaftsanalyse gilt, dass kein einzelnes Merkmal auf ein/ e einzelne/ n Autor/ in beschränkt ist und damit auch nicht auf sie/ ihn verweisen kann (Fobbe 2011: 130). Daher ist es immer sinnvoll und obligatorisch, möglichst viele valide Merk‐ male zu unterscheiden, herauszufiltern und zu untersuchen, da Merkmalsets eine wesentlich größere Aussagekraft besitzen als einzelne Merkmale. Das zeigt die varietätenlinguistische Forschung bei der Untersuchung verschiedener Dialekte bzw. Regiolekte. Einzelne Merkmale kommen in mehreren Lekten vor, während es aber sehr unwahrscheinlich bzw. unmöglich ist, dass beispielsweise zwei Dialekte über die exakt gleichen Merkmale verfügen, denn in dem Fall wären sie nicht voneinander zu unterscheiden bzw. wären dann nicht zwei verschiedene Dialekte. 9.11 Merkmalsets und Merkmalsetmuster 93 <?page no="94"?> Merkmale, die zusammen ein Merkmalset bilden, sind dabei nicht gleich‐ wertig, manche hängen von anderen ab, bedingen andere und „interagieren“ miteinander (Sandig 2006: 67). Merkmale hängen voneinander ab, einige sind zentraler als andere: Abbildung 1: Sprachliche Merkmale Merkmale werden zusammengefasst zu Merkmalsets: Abbildung 2: Sprachliche Merkmale als Merkmalset Dass die Kombination verschiedener Merkmale auch in Bezug auf Aussagen zur Autorschaft in der forensischen Linguistik eine größere Aussagekraft hat, beschreiben u. a. schon Brandt (1989: 41), Spillner (1989: 123 f.), McMenamin (1993: 157) und Fobbe (2011: 126 ff.). McMenamin argumentiert, dass Stil mehr als die Summe seiner Teile ist und Fobbe kommt zu dem Schluss, dass die Wirkung der Merkmale sich erst durch ihre Relationen zueinander entfaltet. Sie schreibt außerdem, dass nur Merkmalsets (sie nennt sie „Merkmalsbündel“) distinkt sein können und wiederum in Kombination „sog. Muster bilden“. Man kann also in diesem Zusammenhang auch von Merkmalsetmustern sprechen. 94 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="95"?> Aus Merkmalsets lassen sich Merkmalsetmuster erkennen: Abbildung 3: Merkmalsets als Merkmalsetmuster Dennoch können auch stilistische Merkmalsets im Bereich der forensischen Lin‐ guistik nicht grundsätzlich in jeder Situation als hinreichend unterscheidendes Kriterium angenommen werden. Ihre Validität muss immer wieder überprüft werden. Merkmalsets müssen den Gegebenheiten angepasst werden. Daher ist es auch sinnvoll und u. U. sogar obligatorisch, von einem offenen Feld aus Merkmalen auszugehen und nicht von einem geschlossenen System. Sprache hat theoretisch unendliche Variationsmöglichkeiten und dieser Tatsache muss gerade in einem sensiblen Forschungsfeld wie der forensischen Linguistik Rechnung getragen werden. Während die Langue eine große, aber begrenzte Menge an sprachlichen Elementen zur Verfügung stellt, kann auf der Seite der Parole eine unendliche Menge an Kombinationen gebildet und genutzt werden (vgl. Fobbe 2011: 125). Die Bedeutung von Zeichen, z. B. auch Wörtern, entfaltet sich je nach Zusammenhang in einem konkreten Rahmen. Kniffka (1981: 584 ff.) berichtet von einem Fall, bei dem ein Mann eine Frau in einem Schreiben als Konkubine bezeichnet und darüber, ob es sich dabei um eine „wertneutrale“ oder um eine „abwertende, der Intention nach beleidigende Bezeichnung“ handelt. Es geht um die Bedeutung eines Wortes bzw. verschiedene Lesarten im konkreten Einzelfall gegenüber der Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch. 9.11 Merkmalsets und Merkmalsetmuster 95 <?page no="96"?> 40 Die Anführungsstriche sind im Original alle oben. Die im Originaltext verwendeten Majuskeln wurden beibehalten. 9.12 Qualitative Analysen Qualitative Analysen sind für forensisch-linguistische Untersuchungen obliga‐ torisch und besonders zielführend, da sie eine sehr große Flexibilität ermögli‐ chen. So kommt es bei der Textanalyse nicht bloß darauf an, welche Merkmale vorkommen, sondern, wie beschrieben, auch in welchen Kontexten sie vor‐ kommen, wie sie verwendet werden und was überhaupt untersucht werden soll. Die Anforderungen können sich je nach Situation stark voneinander unterscheiden und eine qualitative Analyse von linguistischen Expert/ inn/ en ist für diese Anforderungen ideal geeignet. Signifikanz ist bei der qualitativen Analyse nicht zwangsläufig auch durch Häufigkeit geprägt. Es kann signifikant sein, wenn ein/ e Autor/ in ein Merkmal in einer hohen Frequenz benutzt. Jedoch ist das ein fakultatives Element für die Herstellung von Signifikanz, keinesfalls ein obligatorisches. Denn „[b]ei einer qualitativen Analyse muss ein Element, z. B. ein Lexem, ggfs. nur einmal vorkommen, hat aber aus bestimmten Gründen eine gewisse Aussagekraft, bspw. dass ein Schreiber von faschieren und nicht von kleinhacken spricht.“ (Fobbe 2011: 109) Ein Vorteil der qualitativen Analyse besteht darin, dass auch Aussagen über Texte von relativ geringer Größe möglich sind. So stellt Kniffka (1990b) ein Beispiel vor, das zeigt, dass zu viel Material für qualitative Analysen sogar ein Problem werden kann. Anhand zweier „Fälle“ (Kniffka 1990b: 437) zeigt er, welche Möglichkeiten und Beschränkungen linguistische Gutachten haben. Der erste „Fall“ besteht aus 108 Tatschreiben. Die Texte beinhalten Drohungen und Verleumdungen gegenüber einem Unternehmen und der entsprechenden Kon‐ zernleitung. Kriminalpolizeiliche und firmeninterne Ermittlungen erbrachten keine weiterführenden Ergebnisse. Es handelt sich um einen ungewöhnlichen Fall, da er sehr viele Texte beinhaltet, die zudem überdurchschnittlich lang sind und deren Versendung über einen langen Zeitraum von drei Jahren erfolgte. Außerdem sind viele Briefe fast inhaltsgleich oder weisen zumindest Überlap‐ pungen auf (Kniffka 1990b: 438-440). Kniffka (1990b: 439) urteilt: „Es sind m.a.W. nicht ZU WENIG sprachliche Daten verfügbar, wie im „Regelfall“, sondern gleichsam ZU VIELE“ 40 , aber dennoch: „Für eine umfassende rechnerische Auswertung war der Datenumfang jedoch zu klein.“ (Kniffka 1990b: 440). Der größte und vielleicht einzige natürliche Nachteil qualitativer Analysen ist, dass sie sehr zeitaufwendig sind. Auf qualitative Analysen können weitere, 96 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="97"?> quantitative Stilanalysen folgen, die auf statischen Verfahren basieren. Compu‐ terbasierte Verfahren versuchen, den Zeitaufwand zu verringern, indem sie als unterstützendes Analyseinstrument fungieren. 9.13 Quantitative Analysen Im Gegensatz zu rein qualitativen Analysen ist für quantitative Analysen eine große Datenmenge obligatorisch. Olsson (2004) spricht von mindestens 1000 Wörtern. Hier ist fraglich, ob es überhaupt zielführend ist, von einer bestimmten Mindestanzahl auszugehen, da die Zahl der sprachlichen Elemente, die für quantitative Analysen herangezogen werden müssen, maßgeblich durch die Art der Analyse, der eingesetzten Verfahren etc. bestimmt wird. Weiterhin ist es u. U. möglich, bei (teil-)automatisierten Verfahren mehrere (kurze oder kür‐ zere) Texte einer/ eines Schreiberin/ Schreibers als einen Text zu behandeln. Im Rahmen dieser Arbeit wird in Kapitel 18 ebenfalls ein automatisiertes Verfahren vorgestellt und auf Möglichkeiten und Problemstellungen eingegangen. Weitere wichtige Voraussetzungen für die Eignung von Textmaterial für quantitative Verfahren möglichst der gleichen Textsorte angehören (Fobbe 2011: 109). Es ist mit Ungenauigkeiten der Ergebnisse zu rechnen, da diese Voraussetzungen im Kontext forensisch-linguistischer Untersuchungen nur selten gegeben sind. Vielfach unterscheiden sich Vergleichstexte stark von fraglichen Texten in Länge und weiteren Eigenschaften, die zu einer starken Heterogenität führen. Einen riesigen Vorteil bieten quantitative Verfahren, die maschinell unterstützt werden, da sie, sollte das Verfahren erst einmal etabliert und elaboriert sein, sehr schnell sind. In jedem Fall müssen die Ergebnisse, egal ob rein qualitativ oder kombiniert mit (maschinell-unterstützten) quantitativen Verfahren, von einer/ einem Lingu‐ istin/ Linguisten ausgewertet werden (Fobbe 2011: 110). Es empfehlen sich also kombinierte Verfahren, die nicht unabhängig voneinander eingesetzt werden, sondern die sich gegenseitig ergänzen, da maschinelle Verfahren aus sich selbst heraus objektiv und schnell sind, qualitative Analysen jedoch anpassungsfähig und mit wenig(er) Textmengen auskommen können. Laut Tuldava (2005: 370) sind Untersuchungen besonders aussagekräftig, wenn sowohl die qualitativen als auch quantitativen Analysen zu ähnlichen Interpretationen führen. 9.13 Quantitative Analysen 97 <?page no="98"?> 9.14 Zusammenfassung Damit etwas als Fehler klassifiziert werden kann, muss eine richtige Variante zu einem Fehler existieren. Von Fehlern abzugrenzen sind Varianten, die ebenfalls von der Standardsprache abweichen. Bei der Fehlerforschung steht heutzutage die Ursache eines Fehlers im Fokus. Fehler werden auf verschiedenen Ebenen der Sprachbetrachtung wie Lexik, Morphologie und Syntax erfasst. Fehler können auf diesen sprachlichen Ebenen beschrieben werden und unterschied‐ liche Erscheinungsbilder, wie fehlerhafte Auslassungen oder Hinzufügungen, aufweisen. Die Einordnung von Fehlern ist nicht immer eindeutig oder mono‐ kausal, da Fehler ein mehrdimensionales Phänomen darstellen. Grundsätzlich sind Tippfehler, selbstständig korrigierbare Mistakes und nicht selbstständig korrigierbare Errors zu unterscheiden. Fehler können als lokale Fehler kaum und als globale Fehler große Auswirkungen auf die Verständlich‐ keit eines Textes haben. Von Laien werden lexikalische Fehler als besonders schwer eingestuft, weshalb sie für Verstellungsstrategien häufig herangezogen werden. Die Ursachen für Fehler sind vielfältig. Im Hinblick darauf, Texte z. B. als authentisch nicht-muttersprachlich einzuschätzen, ist darauf zu achten, wie groß die schriftsprachliche Kompetenz in der deutsche Sprache ist und ob Fehler als lernersprachlich eingeschätzt werden können oder nicht. Von lernersprachlichen Fehlern sind dann fingierte Fehler abzugrenzen. In der klassischen Autorschaftserkennung werden Fehler- und Stilanalyse unterschieden. Dennoch ist allen Abweichungen vom Standard, ob Fehler oder stilistische Auffälligkeit, gemein, dass sie markiert sind. Zusammen auftretende sprachliche Abweichungen können als Varietäten beschrieben werden. Man kann also Oppositionspaare aus markierten (Substandard) und nicht-markierten (Standard) Ausprägungen bilden. Da sprachlicher Stil einem i. d. R. bewussteren Einsatz unterliegt, kann er zur Selbstdarstellung verwendet werden. Stilistische Merkmale können Informationen zur Schreibsituation und zum Verhältnis der Kommunikations‐ teilnehmer/ innen geben. Mithilfe von Stilanalysen lassen sich Thesen über die Metadaten von Autor/ innen aufstellen. So haben z. B. Faktoren wie Schreiber‐ fahrung oder Region der sprachlichen Sozialisation einer/ eines Autorin/ Autors Einfluss auf verwendete stilistische Merkmale. Fehler und stilistische Auffälligkeiten bilden zusammen Merkmale, die zu Merkmalsets zusammengefasst werden können. Während einzelne Merkmale nicht aussagekräftig sind, lassen bestimmte Merkmalset-Konstellationen Aus‐ sagen über Autor/ inn/ en zu. Wegen der großen Anzahl von Variationsmög‐ 98 9 Textanalysen - Methoden der Fehler- und Stilanalyse <?page no="99"?> lichkeiten können Merkmalsets relativ individuell sein, weshalb Schreiber/ innen mithilfe qualitativer und quantitativer Textvergleiche voneinander unter‐ schieden werden können. 9.14 Zusammenfassung 99 <?page no="101"?> 41 Vgl. auch die offizielle Beschreibung zu KISTE auf der Homepage des Bundeskriminal‐ amts: https: / / www.bka.de/ DE/ UnsereAufgaben/ Ermittlungsunterstuetzung/ Kriminaltec hnik/ Biometrie/ Autorenerkennung/ autorenerkennung_node.html 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) In Anlehnung an Bickes/ Kresic (2000) stellt Fobbe (2011: 152 f., vgl. ebenfalls Dern 2009) eine Taxonomie verschiedener Fehlerkategorien vor, die sich an den klassischen linguistischen Betrachtungsebenen orientieren. Eine ähnliche Ein‐ teilung wird von der Autorenerkennung des Bundeskriminalamts verwendet, mit der ich im Rahmen der Kooperation mit dem BKA gearbeitet und inkrimi‐ nierte Texte analysiert habe. Abbildung 4: Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) (Ehrhardt 2019) Eine systematische Einordnung von linguistischen Merkmalen in Ober- und Un‐ terkategorien bietet das „Kriminaltechnische Informationssystem Texte (KISTE)“ des Bundeskriminalamtes. KISTE ist eine Software, in der eingehende Texte sprachwissenschaftlich aufbereitet, analysiert und archiviert werden. Für Mitar‐ beiter/ innen des BKA bietet das Programm Auswertungssowie Recherchemög‐ lichkeiten zur Durchführung von Textanalysen und -vergleichen. Außerdem wird mit dem Programm die nationale Tatschreibensammlung geführt. 41 Durch die manuelle Kategorisierung von Merkmalen aller linguistischen Betrachtungs‐ ebenen sowie Formatierungsaspekten erhält man Befundprotokolle einzelner <?page no="102"?> 42 Die Abbildung wurde der Seite der Autorenerkennung der offiziellen Homepage des Bundeskriminalamtes (https: / / www.bka.de/ DE/ Home/ home_node.html) entnommen. Man gelangt zu der Seite über Startseite, Unsere Aufgaben, Ermittlungsunterstützung, Kriminaltechnik, Sachbeweise, Erpressung, Autorenerkennung: https: / / www.bka.de/ DE/ UnsereAufgaben/ Ermittlungsunterstuetzung/ Kriminaltechnik / Sachbeweise/ Erpressung/ Autorenerkennung/ autorenerkennung_node.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 Texte sowie eine statistische Auswertung über das Vorkommen der Merkmale. Zudem bietet KISTE eine Reihe von Recherchemöglichkeiten, wie etwa die Suche nach bestimmten orthographischen Fehlertypen (Schall 2004: 561). Das Programm KISTE hat einen großen Stellenwert für die Praxis der forensischen Linguistik, der ein Eintrag im Metzler Lexikon Sprache Rechnung trägt: „In der kriminaltechn. Abteilung des Bundeskriminalamts wird seit Ende der 70er Jahre ein computerlesbares Corpus […] solcher Texte [inkriminierte Texte etc.] erstellt. Die Analysen sollen Aufschluß geben über regionale und soziale Herkunft eines Verfassers, seine Schulbildung, seine berufl. Orientierung u.ä.“ (Glück 2005: 195) Im Rahmen des Forschungskollegs „SecHuman - Sicherheit für Menschen im Cyberspace“ hat die Projektgruppe „Sprachliche Imitations- und Verschleie‐ rungsstrategien“ intensiv mit dem BKA zusammengearbeitet, um die praktische Verwertbarkeit der vorliegenden Arbeit zu gewährleisten. Im Folgenden sollen die Funktionsweise und insbesondere die zur Verfügung stehenden Kategorien für linguistische Merkmale dargelegt werden. Abbildung 5: Oberfläche des Kriminaltechnischen Informationssystems Texte (KISTE) 42 102 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) <?page no="103"?> Abbildung 6: Reiter des Kriminaltechnischen Informationssystems Texte (KISTE) (Ehr‐ hardt 2019) Die Reiter bzw. Registerblätter des Kriminaltechnischen Informationssystems Texte (Abbildung 6) sind: 1. Eingangserfassung 2. Personenzuordnung 3. Vorlagenerfassung 4. Texterfassung 5. Kommentierung 6. Korrektur 7. Anonymisierung 8. Deflexion 9. Wortarten 10. Grammatik 11. Struktur 12. Befunde 13. Interpretation 14. Statistik 15. Abschluss Innerhalb des Systems KISTE können Texte in ihrem originalen Schriftbild erfasst werden. Hieraus lassen sich beispielsweise Informationen wie Schriftart, Schriftgröße etc. (bei mit Computern geschriebene Texten) ziehen. Dazu ist es möglich, weitere Informationen zu einem Text festzuhalten, beispielsweise ob Teile fehlen, weil sie z. B. verbrannt oder verwittert sind, oder (bei handschrift‐ lichen Texten) teilweise unleserlich sind etc. Während der Bearbeitung ist es möglich, sich den eingescannten Originaltext anzeigen zu lassen. Dann werden die Texte transkribiert, also zur einfachen Verarbeitung in ein vorgegebenes Format umgeschrieben und in eine Textbzw. Worddatei konvertiert. Die Transkription erfolgt in einem festgelegten Schriftbild (in Schriftart und -größe etc.), entspricht im Aufbau aber exakt dem gescannten Originaltext. Das bedeutet, dass der gesamte Text einer Zeile im Transkript einer Zeile im Originaltext zugeordnet werden kann, dass Fehler bzw. sprachliche Merkmale übernommen werden etc. Neben dem Original kann dann der transkribierte Text 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) 103 <?page no="104"?> 43 https: / / www.rechtschreibrat.com/ DOX/ rfdr_Regeln_2016_redigiert_2018.pdf Letzter Zugriff am 20.01.2023 angezeigt werden. In weiteren Feldern können Korrekturen und Anonymisie‐ rungen (insbesondere Namen von Personen, Orten etc.) vorgenommen werden. Im nächsten Schritt werden alle Wortformen eines Textes in orthografisch korrekter Form erfasst und danach alle flektierten Wörter deflektiert, also in ihre unflektierte Grundform gebracht, wie z. B. bei Verben in den Infinitiv. Ferner werden alle vorliegenden Wortarten, grammatischen Eigenschaften (Konjugation, Deklination etc.) sowie syntaktischen Strukturen erfasst. Daraus ergeben sich Listen verwendeter Lexeme usw., die man jederzeit einblenden kann. Aus solchen Untersuchungen lassen sich beispielsweise Aussagen über die im Text vorliegende syntaktische Komplexität und lexikalische Variabilität ableiten, die für die Bestimmung der Autorschaft notwendig sind. Für eine genauere Analyse lassen sich nun im Text bestimmte Stellen wie Satzzeichen, Teile von Wörtern, ganze Wörter, mehrere Wörter, ganze Zeilen etc. markieren. Zu jedem dieser als Befunde markierten Textteile kann eine Fehler- oder Stilmerkmalskategorie, die auch ein Kommentarfeld enthält, zuge‐ schaltet werden. Hier kann die/ der User/ in Anmerkungen, Kommentare etc. einfügen. Die markierten Stellen lassen sich festgelegten Befundkategorien in den Bereichen Orthographie, Morphologie, Syntax etc. zuordnen, die durch das System festgelegt sind. Dieser Arbeitsschritt ist das Herzstück der Textanalyse und dient als Grundlage für Textvergleiche und zur Erstellung von Gutachten. 10.1 Befunde in KISTE - Befundkategorien Die Befundkategorien sollen hier vorgestellt werden. Referenz für die Arbeit mit den Befundkategorien ist das amtliche Regelwerk 43 für deutsche Rechtschrei‐ bung sowie verschiedene Duden-Veröffentlichungen wie der Rechtschreib- und der Zweifelsfall-Duden. Für systematische Analysen und untereinander vergleichbare Ergebnisse ist es für die Praxis der Autorenerkennung beim BKA unerlässlich, auf festgelegte Kategorien zurückzugreifen und auf ein Standardwerk wie den Duden referieren zu können. Das „Kriminaltechnische Informationssystem Texte“ unterteilt die Befundka‐ tegorien Orthographie, Interpunktion, Morphologie, Syntax, Wortwahl, Text‐ struktur, äußere Textgestaltung und Grobkategorien. Jede Befundkategorie besteht aus mehreren Subkategorien. Diesen Subkategorien wurden zur einfa‐ cheren Zuordnung und Unterscheidung im Rahmen dieser Arbeit Zahlen zuge‐ 104 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) <?page no="105"?> 44 Die Nummerierung besteht im eigentlichen System nicht. 45 Der Duden gibt beispielsweise ebenfalls, außer der empfohlenen Schreibung, alterna‐ tive Schreibungen an. ordnet. 44 Beispielsweise kann man angeben, ob bei einer Anrede (Subkategorie) in Bezug auf Satzzeichen (Oberkategorie Interpunktion) ein Fehler (Subkategorie 37) oder eine Variante 45 (Subkategorie 38) vorliegt. Dann lässt sich festlegen, in Bezug auf welches Satzzeichen ein Fehler oder eine Variante vorliegt, nämlich Punkt, Komma, Semikolon, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Doppelpunkt, Klammer, Anführungszeichen, Schrägstrich oder Apostroph. Aktiviert man nach der Bearbeitung nun die Oberkategorie Satzzeichen, werden alle markierten Befunde in der Transkription entsprechend markiert. Die einzelnen Befunde werden dann außerdem in einer Befundliste aufgeführt. Daher ist es gerade bei der Arbeit mit KISTE sehr wichtig, dass es klar strukturierte und voneinander abgegrenzte Kategorien gibt, um Textvergleiche zu vereinfachen. Allgemeiner Hinweis - Kommentarfeld: Zu jedem Befund gibt es ein Kommentarfeld. Falls es also in einer Kategorie keine vom System vorgegebene Möglichkeit zur zusätzlichen Beschreibung eines Fehlers gibt, kann diese im Kommentarfeld ergänzt werden. Hier können auch weitere Beobachtungen oder Informationen festgehalten werden. Beispiel: Die Kategorie Diphthonge bietet ein Feld, in dem der fehlende Diphthong ausgewählt werden kann. Im Kommentarfeld kann also angegeben werden, welcher Buchstabe etc. stattdessen verwendet wurde. Die Autorenerkennung des BKA unterscheidet folgende Kategorien (Stand Dezember 2018): Orthographie 1. Bindestrichschreibung (Fehler): Komposita 2. Bindestrichschreibung (Fehler): Feste Wendung 3. Bindestrichschreibung (Variante): Komposita 4. Bindestrichschreibung (Variante): Feste Wendung 5. Buchstabendreher ⇨ Angabe von falschem Buchstaben/ Angabe von rich‐ tigem Buchstaben 6. Cluster ⇨ Angabe von vorhandenem und erwartetem Cluster [aufeinander folgende Konsonantengrapheme] 7. Dass-Schreibung ⇨ daß/ dass/ das: Angabe von vorhandener und richtiger Schreibung 8. Diphthonge ⇨ Angabe von fehlendem Diphthong: <au> 46 , <äu>, <ei>, <eu> [Keine Angabe von richtigem Diphthong] 10.1 Befunde in KISTE - Befundkategorien 105 <?page no="106"?> 46 Die Klammerschreibung ist im Original nicht vorhanden. 9. Doppelkonsonanz ⇨ Angabe von fehlenden oder überzähligen Doppel‐ konsonanten 10. Elision ⇨ Synkope [Auslassung eines unbetonten Vokals im Wort] 11. Elision ⇨ Apokope [Auslassung eines unbetonten Vokals am Wortende] 12. Fehlende Dehnung ⇨ Auslassung von <h>, <ie> oder Doppelvokal 13. Getrennt-/ Zusammenschreibung [Bei Handschriften gibt es die Möglich‐ keit, „nicht entscheidbar“ anzugeben] 14. Graphemauslassung ⇨ Angabe des fehlenden Graphems 15. Graphemhinzufügung ⇨ Angabe des hinzugefügten Graphems 16. Graphemverwechslung ⇨ Angabe des falschen und des richtigen Gra‐ phems 17. Groß-/ Kleinschreibung ⇨ Großstatt Kleinschreibung 18. Groß-/ Kleinschreibung ⇨ Kleinstatt Großschreibung 19. Groß-/ Kleinschreibung ⇨ Kleinschreibung am Satzanfang 20. Groß-/ Kleinschreibung ⇨ Kleinschreibung bei Höflichkeitsanrede 21. Groß-/ Kleinschreibung ⇨ fehlende Binnenmajuskel [es gibt keine Kate‐ gorie für die Hinzufügung von Binnenmajuskeln] 22. Konsonantenauslassung ⇨ Angabe des fehlenden Konsonanten 23. Konsonantencluster ⇨ Angabe von <ck>, <ch>, <sch>, <pf>, <ph>, <tz> 24. Konsonantenhinzufügung ⇨ Angabe des überzähligen Konsonanten 25. Konsonantenverwechslung ⇨ Angabe des falschen und des richtigen Konsonanten 26. Silbentrennung ⇨ Fehlende Silbentrennung 27. Silbentrennung ⇨ Silbentrennung an inkorrekter Stelle 28. s-Schreibung ⇨ <s> statt <ss> statt <ß>: Angabe von falscher und richtiger Variante 29. Überzählige Dehnung ⇨ Überzählige Schreibung von <h>, <ie> oder Doppelvokal 30. Umlautschreibung (Fehler) ⇨ Fehlender Umlaut <ä>, <ö>, <ü> 31. Umlautschreibung (Variante) ⇨ Doppelvokale <ae>, <oe>, <ue> statt <ä>, <ö>, <ü> 32. Vokalauslassung ⇨ Angabe des fehlenden Vokals inklusive Umlaute 33. Vokalhinzufügung ⇨ Angabe des überzähligen Vokals inklusive Umlaute 34. Vokalhinzufügung ⇨ Angabe des falschen und des richtigen Vokals inklu‐ sive Umlaute Interpunktion 106 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) <?page no="107"?> Interpunktion 35. Anführungszeichen (Fehler) ⇨ Position: Anfang/ Ende 36. Anführungszeichen (Variante) ⇨ Hervorhebung/ Zitat 37. Anrede (Fehler) ⇨ Fehlendes/ Falsches Satzzeichen, Möglichkeiten: Punkt, Komma, Semikolon, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Doppelpunkt, Klammer, Anführungszeichen, Schrägstrich, Apostroph 38. Anrede (Variante) ⇨ Fehlendes/ Falsches Satzzeichen, Möglichkeiten: Punkt, Komma, Semikolon, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Doppelpunkt, Klammer, Anführungszeichen, Schrägstrich, Apostroph 39. Apposition: Anfang/ Ende 40. Aufzählung: Fehlerart. Syndetisch: Fehlendes Komma/ überzähliges Komma, asyndetisch: Fehlendes Komma 41. Auslassungszeichen: Angabe der Menge (freie Angabe) 42. Erweiterter Infinitiv (Fehler): Position: Anfang/ Ende 43. Erweiterter Infinitiv (Variante): Position: Anfang/ Ende 44. Fakultative Kommata: [ausschließlich Kommentarfeld] 45. Fehlendes Satzzeichen, Möglichkeiten: Punkt, Komma, Semikolon, Aus‐ rufezeichen, Fragezeichen, Doppelpunkt, Klammer, Anführungszeichen, Gedankenstrich, Schrägstrich, Apostroph 46. Gedankenstrich: Position: Anfang/ Ende 47. Häufung von Satzzeichen: ! / ? / ! ? / ! ? 48. Herausstellung: Position: Anfang/ Ende 49. Hypotaxen: Konjunktionalsatz, Pronominalsatz, uneingeleiteter Neben‐ satz, Partizipialkonstruktion, Parenthese, nachgestellte genauere Bestim‐ mung 50. Klammer: Position: Anfang/ Ende 51. Konjunktionalsatz: Indikator: als/ als ob/ daß/ das/ als daß/ als dass/ statt daß/ statt dass/ anstatt daß/ anstatt dass/ außer daß/ außer dass/ außer/ außer wenn/ bevor/ bis/ da/ damit Position: Anfang/ Ende 52. Leerzeichen: Fehlendes/ überzähliges Leerzeichen mit freier Angabe 53. Nachgestellte genauere Bestimmung: ohne Einleitung/ besonders/ das heißt/ insbesondere/ namentlich/ nämlich/ und das/ und zwar/ wie/ zum Bei‐ spiel/ sonstige Position: Anfang/ Ende 54. Parataxen: Fehlerart. Syndetisch: Fehlendes Komma/ überzäh‐ liges Komma, asyndetisch: Fehlendes Komma + Konjunk‐ tion: aber/ allein/ an(statt)/ d. h./ denn/ doch/ bzw. entweder…oder/ …je‐ 10.1 Befunde in KISTE - Befundkategorien 107 <?page no="108"?> doch/ nicht…doch/ nicht nur…sondern auch/ oder/ sondern/ sowie/ sowohl… als auch/ wie/ und/ weder…noch/ wie/ also/ daß/ dass/ nur/ wenn 55. Parenthese: Position: Anfang/ Ende 56. Partizipialkonstruktion (Fehler): Position: Anfang/ Ende 57. Partizipialkonstruktion (Variante): Position: Anfang/ Ende 58. Pronominalsatz: Indikator: Relativpronomen/ Interrogativpronomen/ Re‐ lativ- & Interrogativpronomen/ Pronominaladverbien Position: Anfang/ Ende 59. Satzendzeichen: Fehlendes Satzendzeichen: Punkt, Doppelpunkt, Ausrufe‐ zeichen, Fragezeichen 60. Satzzeichenverwechslung: Verwendetes und korrektes Satzzeichen: je‐ weils: Möglichkeiten: Punkt, Komma, Semikolon, Ausrufezeichen, Fra‐ gezeichen, Doppelpunkt, Klammer, Anführungszeichen, Gedankenstrich, Schrägstrich, Apostroph 61. Satzzeichenverwendung: Einschätzung: Vollständiger Verzicht/ Verzicht auf Kommata/ Erratische Verwendung 62. Semikolon: [ausschließlich Kommentarfeld] 63. Überzählige Kommata: sprechpausenorientiert, erweiterter Infinitiv, vor finitem Verb, vor koordinierender Konjunktion, sonstige 64. Überzählige Satzzeichen: Möglichkeiten: Punkt, Komma, Semikolon, Aus‐ rufezeichen, Fragezeichen, Doppelpunkt, Klammer, Anführungszeichen, Gedankenstrich, Schrägstrich, Apostroph 65. Uneingeleiteter Nebensatz: Verbstellung: V1/ V2 Position: Anfang/ Ende 66. Wortzeichen: Abkürzungspunkt/ Apostroph/ Ergänzungsstrich/ Bindestrich 67. Wortzeichen, fehlend: Abkürzungspunkt/ Apostroph/ Ergänzungsstrich/ Bindestrich 68. Wortzeichen, überzählig: Abkürzungspunkt/ Apostroph/ Ergänzungsstrich/ Bindestrich 69. Wortzeichen, verwechselt: vorhandenes Wortzeichen: Abkürzungspunkt/ Apostroph/ Ergänzungsstrich/ Bindestrich Verwechseltes Wortzeichen: Abkürzungspunkt/ Apostroph/ Ergänzungs‐ strich/ Bindestrich Morphologie 70. Kasus: Verwendeter Kasus: Nominativ/ Genitiv/ Dativ/ Akkusativ Korrekter Kasus: Nominativ/ Genitiv/ Dativ/ Akkusativ 71. Volle Kasusendungen: Nominativ/ Genitiv/ Dativ/ Akkusativ 72. Numerus: Verwendeter Numerus: Sg./ Pl. Korrekter Numerus: Sg./ Pl. 108 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) <?page no="109"?> 73. Genus: Verwendetes Genus: Mask./ Fem./ Neutrum Korrektes Genus: Mask./ Fem./ Neutrum 74. Kongruenz: Verbale Kongruenz: Numerus/ Genus/ nominal Prädikative Kongruenz: Numerus/ Genus/ nominal 75. Verbform: Einfache Verbform: Tempus/ Modus/ Konjugation Komplexe Verbform: Tempus/ Modus/ Konjugation 76. Tempus: Tempusart: Präteritum/ Perfekt 77. Komparation: Komparationsart: Komparativ/ Superlativ/ Elativ 78. Kontraktion: [ausschließlich Kommentarfeld] Syntax 79. Satzkonstruktion: Art der Satzkonstruktion: vollständig/ unvollständig und korrekt/ inkorrekt 80. Wortstellung: Art der Wortstellung: korrekt/ inkorrekt 81. Ellipse: Einsparung von Redeteilen: Tilgung des Subjekts/ Verbs bzw. Verbteils/ Objekts/ eines sonstigen Bestandteils 82. Determinativtilgung: Art: definit/ indefinit 83. Satzklammer: korrekt realisiert/ inkorrekt realisiert 84. Ausklammerung: [ausschließlich Kommentarfeld] 85. Wortwiederholung: [ausschließlich Kommentarfeld] Wortwahl 86. Wortverwendungsfehler: Fremdwort/ Nicht-Fremdwort 87. Feste Wendung (Fehler): Wendung ⇨ Eintrag (mit Prüfbutton), Text, Region, Art (Fehler), Besonderheit (falsche Besetzung/ falsches Muster) 88. Feste Wendung (Variante): Wendung ⇨ Eintrag (mit Prüfbutton), Text, Region, Art (Fehler), Besonderheit (falsche Besetzung/ falsches Muster) 89. Semantische Inkompatibilität: [ausschließlich Kommentarfeld] 90. Wortbildung: Komposition/ Derivation/ Konversion/ Wortkürzung 91. Kontamination: Element 1/ Element 2 92. Fugenelement: <(e)s>, <e>, <(e)n>, <er>, <ens> 93. Kreative Wortbildung: Komposition/ Derivation/ Konversion/ Wortkürzung 94. Stilebene: standardsprachlich, gehoben, gesenkt 95. Stilfärbung: sachlich-förmlich, vertraulich, salopp, derb 96. Personalpronomen: Sg. („ich“), Pl. („wir“), Mischform („ich/ wir“) 97. Angemessenheit: textsortenangemessen, textsortenunangemessen 10.1 Befunde in KISTE - Befundkategorien 109 <?page no="110"?> Textstruktur 98. Komponenten einer Erpressung: Erpressungsinhalt a. Erpressungsleistung b. Erpressungswucht [Fachbegriff: Demonstration der eigenen Macht/ Entschlossenheit/ Skrupellosigkeit etc.] 99. Redundanz: gering/ mittel/ hoch 100. Darstellungsweise: integrierend/ isolierend 101. Kohärenz: kohärent/ inkohärent Äußere Textgestaltung 102. Absatzgestaltung: Zeilenumbruch/ Leerzeichen/ gemischt 103. Absenderangabe: rechts oben/ links oben/ Textende/ sonstige 104. Adressatenangabe: rechts oben/ links oben/ sonstige 105. Anrede: formell/ informell/ keine Anrede/ formell/ informell 106. Betragsangabe: Formatmaske: 14 verschiedene Möglichkeiten [z. B. Euro‐ zeichen vor/ hinter Betrag etc.] 107. Betreff: Verwendung ja/ nein 108. Datumsformat: 17 verschiedene Formate, z.-B. dd.MMMM.yyyy 109. Fußzeile: vorhanden/ nicht vorhanden 110. Gliederung: Eingerückte Gliederungen: Spiegelstriche/ Aufzählung/ sons‐ tiges Nicht-eingerückte Gliederungen: Spiegelstriche/ Aufzählung/ sonstiges 111. Grafik: Hochformat/ Querformat 112. Hervorhebungen: fett/ kursiv/ unterstrichen/ Sperrung/ Großbuchstaben/ Schriftgröße/ Anführungszeichen/ sonstiges 113. Kopfzeile: vorhanden/ nicht vorhanden 114. Marginalien: beschriftet/ unbeschriftet 115. Postskript: Verwendung Postskript ja/ nein 116. Realisierungsart: Handschrift, Maschinenschrift, Textverarbeitung, Kol‐ lage, Schablonenschrift, sonstige Schrift, Rubbelbuchstaben 117. Redesituierung: Adressatenangabe ja/ nein, Absenderangabe ja/ nein, Da‐ tumsangabe ja/ nein, Ortsangabe ja/ nein 118. Schlussformel: Verwendung ja/ nein 119. Seitenformat: Hochformat/ Querformat 120. Unterzeichnung: Name/ Pseudonym/ Gruppename/ Kennwort 121. Zahlen: Punkt/ Komma/ Zwischenraum/ sonstiges/ ohne Gliederung 122. Zeitangabe: Vier verschiedene Formate: H.mm Uhr, H.mm, HH: mm: ss, HH: mm 110 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) <?page no="111"?> 47 Unterbzw. Subkategorien werden ab hier mit SK abgekürzt. Grobkategorien 123. Syntaktische Komplexität: hoch/ mittel/ gering 124. Orthographische Kompetenz: hoch/ mittel/ gering 10.2 Zusammenfassung Die Analysen, auf die die empirischen Teile dieser Arbeit basieren, orientieren sich an den o. g. Merkmalskategorien. Während der Arbeit an verschiedenen Texten war es auffällig, dass manche Merkmale mehreren Kategorien zuge‐ ordnet werden können bzw. müssen. Diese Überlegungen sind in die Analyse‐ arbeit eingeflossen und davon soll ein Teil hier kurz vorgestellt werden. Legt man die recht präskriptive Einteilung des Dudens für die Bindestrich‐ schreibung als Standard fest, dann ist die Unterscheidung zwischen Fehlern (Kategorie Orthographie, Subkategorien 1 und 2) und Varianten (Subkategorien 3 und 4) relativ schwierig. In solchen Fällen ist es sinnvoll, von dem bereits be‐ schriebenen Prinzip der Markiertheit auszugehen. Daher sollten solche sprach‐ lichen Formen festgehalten werden, die von der Standardsprache abweichen. Die Bindestrichschreibung (Unterbzw. Subkategorien 1-4 47 ) ist Teil der Getrennt- und Zusammenschreibung (SK 13), da die Schreibung mit Bindestrich als zusammengeschrieben gilt. Bei der Überlegung, ob eine Schreibung ein salientes Merkmal ist, sollte beachtet werden, die von der/ dem Autorin/ Autoren vorgenommene Schreibung (Zusammenschreibung ohne Bindestrich, Zusam‐ menschreibung mit Bindestrich, Auseinanderschreibung) mit der von dem Duden empfohlenen Schreibung zu vergleichen. Aufeinander folgende Buchstaben können als Cluster (SK 6) verstanden werden. Bei Merkmalen ist zu prüfen, ob es sich bei der nicht-standardgemäßen Schreibung von mehreren aufeinander folgenden Konsonanten (bzw. auch Vokalen) um einen oder um mehrere Vorgänge handelt. Bei Letzterem gibt es die entsprechenden Konsonantenkategorien (SK 22-25), ansonsten werden sie als Cluster behandelt. Ähnliches gilt für die Kategorien für Doppelkonsonanz (SK 9) sowie die Hinzufügung eines Konsonanten (SK 24). Die Hinzufügung eines <s> im Wort lesen ⇨ lessen ist beides. Ein Konsonant wird hinzugefügt, was zu einem doppelten Konsonanten führt. Die phonologische Ebene ist zwar bei einem Text nicht vorhanden, jedoch kann man u. U. davon ausgehen, dass jemand der lessen schreibt, das Wort u. U. mit Kurzvokal aussprechen würde. Voraussetzung 10.2 Zusammenfassung 111 <?page no="112"?> dafür ist, dass es sich dabei um einen Error, nicht aber um einen Mistake oder Tippfehler (vgl. Kapitel 9) handelt. Gleiches gilt für die überzählige Dehnung (SK 29), die entweder auch ein überzähliger Konsonant (SK 24) ist (wenn ein <h> eingefügt wird) oder eine Vokalhinzufügung (SK 34) darstellt, vgl. <a>+<a>, <u>+<u>, <i>+<i>/ <e>. Beides sorgt auf der lautlichen Ebene für einen Langvokal. Die Schreibung daß/ dass/ das (SK 7) kann als Subkategorie der <ß>/ <ss>/ <s>-Schreibung (SK 28) aufgefasst werden. Die Schreibung von daß/ dass statt das bzw. das statt daß/ dass (SK 7) kann als grammatischer Fehler behandelt werden, da der bestimmte Artikel mit der Konjunktion verwechselt wird bzw. umgekehrt. Hier gilt es außerdem regionale Unterschiede zu beachten, da z. B. in der Schweiz die Schreibung mit <ß> seit den 70ern nicht mehr gebräuchlich ist (Dürscheid 2016: 492). Die S-Schreibung ist also ein Merkmal, das auf der Oberfläche der Orthographie sichtbar wird, jedoch von der Syntax bzw. auch der sprachlichen Sozialisation einer/ eines Schreiberin/ Schreibers herrühren kann. Es gibt sowohl Kategorien für die Vokalauslassung als auch -hinzufügung (SK 32 und 34). Bei Texten ist insbesondere bei der Schreibung von <i> statt <u> bzw. umgekehrt, darauf zu achten, dass beide Tasten auf der Tastatur nebeneinanderliegen. Es ist also möglich, dass es sich bei einem solchen Fehler auch um eine Vokalverwechslung und aus Sicht der Textproduktion um einen Tippfehler handeln kann. Bei Kasusvertauschungen (SK 70) können sowohl der verwendete als auch der korrekte Kasus angegeben werden. Hierbei ist zu beachten, dass es bei einigen Endungen problematisch zu entscheiden ist, welcher Kasus verwendet wurde, da die Endungen verschiedener Kasus gleich sind. In solchen Fällen kann nur festgestellt werden, welcher Kasus durch die gegebene Satzkonstruktion hätte verwendet werden müssen und dass diese korrekte Form nicht verwendet wurde. Schlussendlich ist es bei einigen Konstruktionen so, dass auch nicht festgestellt werden kann, welcher Kasus der richtige wäre, da nicht rekonstru‐ iert werden kann, wie ein Satz gemeint ist. Bei Kasusvertauschungen ist oft nicht ersichtlich, welcher Kasus verwendet wird. In einem Beispielsatz wie Finger weg von meine Blumen müsste standard‐ sprachlich der Dativ verwendet werden, vgl. meinen Blumen. Es kann aber dennoch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Verwechslung von Dativ ⇨ Akkusativ handelt, da anhand der realisierten Form meine Blumen nicht ersichtlich ist, dass es eine Akkusativform ist. Es könnte sich auch um eine Nominativform handeln (vgl. Hessler/ Pottmann 2017: 14). In einer solchen Konstruktion kann nur angegeben werden, welcher Kasus standardsprachlich stehen müsste, nicht aber, welcher im Text steht. 112 10 Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) <?page no="113"?> Bei einem falsch flektierten Substantiv kann es passieren, dass bei der ver‐ wendeten Form nicht ersichtlich ist, wie genau ein Substantiv dekliniert wurde. Die Endung betrifft sowohl Kasus, Numerus als auch Genus (SK 70-73). Klar ist auch hier nur, welche Form standardsprachlich hätte realisiert werden müssen und welcher Kasus und Numerus sowie welches Genus standardsprachlich korrekt wären. Bei der Deklination ist außerdem relevant, ob die Markierung am Artikel, am Substantiv selbst oder beispielsweise an attributiven Adjektiven zu erkennen ist und ob Kongruenz besteht oder nicht. An attributiven Adjektiven beispielsweise ist ablesbar, ob die/ der Schreiber/ in das Genus des zugehörigen Substantivs kennt. Bei signifikanten Merkmalen sollte untersucht werden, in welcher Umgebung sie auftauchen. Manche Autor/ inn/ en schreiben von den standardsprachlich kleingeschriebenen Wortarten nur die Adjektive groß. Oder von den standard‐ sprachlich zusammengeschriebenen Wörtern werden von einer/ einem Autor/ in nur substantivische Komposita auseinandergeschrieben. Manche Autor/ inn/ en haben eine recht hohe schriftsprachliche Kompetenz, begehen aber bestimmte Fehler in der Orthographie oder haben Schwächen bei der Kommasetzung, die ansonsten nicht zum sprachlichen Niveau passen. Allgemein gilt, dass nicht bloß einzelne Merkmale, sondern insbesondere Merkmalsets betrachtet, analysiert und miteinander in Beziehung gebracht werden müssen. Gerade bei Merkmalen, die in der Gesamtpopulation häufig auf‐ treten, ist das rein qualitative Vorkommen nicht aussagekräftig. Aussagekräftig sind dann aber u. U. die Kombination bestimmter Merkmale und das quantitative Auftreten im Verhältnis zur Länge der vorliegenden Texte. Daher sollte auch die Frequenz bestimmter Fehler innerhalb eines Textes und gegebenenfalls in einer Textserie in Betracht gezogen werden. So ist z. B. das Auftreten einzelner Merkmale nicht signifikant genug, um eine/ n Sprecher/ in einer Region zuzuordnen. Allerdings können auch hier Merkmalsets Aufschluss darüber geben, wo jemand sprachlich sozialisiert wurde (vgl. das Kapitel 12). Beispielsweise hat kein anderer Regiolekt exakt deckungsgleiche Merkmale wie etwa das Ruhrdeutsche, allerdings gibt es Überschneidungen einzelner Merkmale mit anderen Regiolekten und Dialekten. Gleiches gilt für Fachsprachen (z. B. aus dem Bereich Börsensprache), die innerhalb bestimmter Internetforen gebraucht werden, und z.-B. einen Teil des Wortschatzes mit verwandten Fachsprachen (z. B. aus der Wirtschaft) nutzen (vgl. das Kapitel 13). Manche Fachsprachen (z. B. aus dem Bereich Gaming) teilen sich wiederum gemeinsame Merkmale mit bestimmten Soziolekten, wie beispielsweise jugendsprachlichen Varietäten, und anderen Fachsprachen. 10.2 Zusammenfassung 113 <?page no="115"?> 11 Autorenerkennung in Online-Umgebungen In den folgenden Kapiteln sollen verschiedene Voraussetzungen, Parameter und Eigenheiten in verschiedenen Bereichen der Internetkommunikation behandelt werden. Darauf folgen zwei empirische Untersuchungen, die Online-Rezen‐ sionen und die Kommunikation in unterschiedlichen Onlineforen betreffen. 11.1 Der Medienbegriff in dieser Arbeit Bei einer Forschungsdiskussion im Bereich der Internetkommunikation oder „internetbasierten Kommunikation“ (Beißwenger 2016) ist der Medienbegriff, bzw. das, was unter den Begriffen Medium bzw. Medien zu verstehen ist, essenziell. Koch und Oesterreicher reden in diesem Zusammenhang von dem „Medium der Realisierung (phonisch/ graphisch)“ (Koch/ Oesterreicher 1990: 5) bzw. von der „medialen[n] Umsetzung vom phonischen ins graphische Medium“ (Koch/ Oesterreicher 1994: 587). Dürscheid (2016: 360) erkennt daraus die „Dichotomie phonisch/ graphisch“ bezogen auf die Realisierungsform als Medium. Dürscheid (2016: 364) schlägt mit Ermert (1979) den Begriff „Kommu‐ nikationsform“ vor, mit dem man dann verschiedene Typen, als Beispiel nennt sie Briefsorten wie Privat- oder Geschäftsbrief, unterscheiden kann. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Medienbegriff nicht im Sinne Kochs und Oesterreichers verwendet. Das, was Koch und Oesterreicher beschreiben, wird hier als eine bestimmte sprachliche Realisierungsform, die entweder mündlich/ phonisch oder schriftlich/ graphisch sein kann, betrachtet. Viele Kom‐ munikationsformen wiederum sind nicht an ein bestimmtes Medium gebunden. So können Bilder oder Artikel z. B. durch eine gedruckte Zeitung, aber auch über das Internet übertragen werden (vgl. Holly 1996: 10 anhand des Beispiels Zeichnung). Was lässt sich unter dem Begriff Medien verstehen bzw. darunter zusammen‐ fassen? „All media are extensions of some human faculty - psychic or physical.“ (McLuhan/ Fiore 1967: 26) Medien sind, ganz allgemein gesprochen, physische oder psychische Erweiterungen menschlicher Fähigkeiten. Unterscheiden kann man Verbreitungsmedien (Flugblatt, Radio, Fernsehen), Kommunikationsme‐ dien (Telefon, Videokonferenz, Skype) und Speichermedien (Buchdruck, opti‐ sche Medien, Festplatte), die sowohl räumliche und mitunter auch zeitliche <?page no="116"?> Distanzen überwinden und von mindestens einem menschlichen Sinn (bei Texten z. B. visuell) erfasst werden können (vgl. Marx/ Weidacher 2014: 50-52). Medien ist gemein, dass sie zur Speicherung, Übermittlung, Produktion und Verbreitung von Daten genutzt werden, wodurch sie als Formen der Zeichenprozessierung (vgl. Schneider 2017: 37) verstanden werden können. Verschiedene Medien unterscheiden sich durch unterschiedliche technische und physikalische Eigenschaften, durch die die Art der Zeichenprozessierung fest‐ gelegt ist (Marx/ Weidacher 2019: 32). Über Medien können Informationen als bestimmte Codes übertragen werden. Von Codes spricht man, wenn bestimmte Bedeutungen von Zeichen fest miteinander in Verbindung stehen (Fraas/ Meier/ Pentzold 2012: 57). Diese Informationen können außerdem mithilfe bestimmter Medien bearbeitet, strukturiert und gestaltet werden (vgl. Kerlen 2003: 14). In dieser Arbeit soll mit Rückgriff auf verschiedene technische Kommunika‐ tionsmittel unter Medien die Unterscheidung von Printmedien, dem Internet, dem Fernsehen etc. gemacht werden. Unter dem Begriff Submedien werden dann bestimmte Typen der Kommunikation innerhalb dieses Mediums gefasst. 11.2 Das Internet als Medium Das Internet beherbergt eine ganze Reihe eingebetteter Medien, wie z. B. Chats, Diskussionsforen, Rezensionsportale usw., die an dieser Stelle als Submedien verstanden werden sollen, da das Internet keine einzelne Kommunikationstech‐ nologie darstellt. Vielmehr ist das Internet eine Sammlung verschiedener Sub‐ systeme von Kommunikationstechnologien, die alle unterschiedlichen Funkti‐ onsweisen unterworfen sind (Thurlow/ Lengel/ Tomic 2004: 31). Eine bestimmte Internetseite wie spiegel.de, ein bestimmtes Internetforum, wie z. B. zu einem einzigen Wertpapier auf boersenforum.de werden als bestimmte Vertreter eines Submediums verstanden. In das Internet sind verschiedene Medien integriert, so kann ein Zeitungs‐ artikel in physisch gedruckter Form, oder aber, mit gleichem Inhalt, im Netz verbreitet werden. „Das Netz könnte als ein ganzes Bündel von Medien, als Makro- oder Metamedium oder als Mischung verschiedener Medien bezeichnet werden, als Hybridmedium, das […] eine Fülle von Anwendungen, Funktionen und Kommunikationsmodi ermöglicht.“ (Beck 2006: 21) Als ein Medium, das so sehr von „Medienkonvergenz“ (Herring 2013: 4 u. a.) geprägt ist, da es verschiedene herkömmliche Medien vereint bzw. diese miteinander verschmelzen (vgl. Schlobinski 2005: 3), ist das Internet durch seine eingebetteten Medien von verschiedenen affordances und constraints geprägt. 116 11 Autorenerkennung in Online-Umgebungen <?page no="117"?> Diese Leistungen und Zwänge (bzw. Möglichkeiten und Beschränkungen) sind auch bei den zugrundeliegenden Submedien vorhanden. Internetkommunika‐ tion ist durch verschiedene semiotische Modi, wie Text, Audio und Video geprägt. Diese „Multimodalität“ (Bateman/ Wildfeuer/ Hiippala 2017) spielt jedoch für diese Arbeit eine untergeordnete Rolle, da ausschließlich Texte behandelt werden. Während einige Kommunikationsformen für das Internet adaptiert wurden, wie z. B. Zeitungsberichte, die hier ein anderes Format haben etc., gibt es auch Kommunikationsformen, die erst mit dem Internet entstanden sind. Dazu ge‐ hören die in dieser Arbeit untersuchten Online-Rezensionen und Internetforen. Man bezeichnet diese auch als „emergente Kommunikationsformen“ (Marx/ Weidacher 2014: 90). Bei der Betrachtung von Internetforen und Online-Rezen‐ sionen (wie z. B. auch Chats) spielt Hypertextualität (vgl. dazu z. B. Storrer (2000)) eine entscheidende Rolle, da sie durch Zitate, Verweise etc. netzwerkartig aufgebaut sind. 11.3 Prototypische Eigenschaften der Internetkommunikation Verschiedene Formen der Internetkommunikation weisen prototypische Ei‐ genschaften auf, die bei forensisch-linguistischen Untersuchungen eine Rolle spielen. Für die Kommunikation in Submedien des Internets, wie z. B. Internet‐ foren, stehen verschiedene Funktionen wie Kommentare, Chats, öffentliche und private Nachrichten zur Verfügung (vgl. Beißwenger 2016: 280). Dass User/ innen in einigen Submedien ihre Identität nicht nur verdeckt halten, sondern u. U. auch ihre Identität verschleiern, oder versuchen andere Identitäten zu imitieren, ist bereits angesprochen worden. Es ist eine für die Autorenerken‐ nung bedeutsame Frage, ob sich der Umstand, dass in manchen Foren und Chats von vollkommen fremden Personen ein eher nähesprachliches Register verwendet wird, darauf auswirkt, wie vielversprechend und ggfs. erfolgreich Verstellungsstrategien angewendet werden können. Ein weiterer Aspekt, der hilfreich sein kann, um verschiedene Formen des Chats und Diskussionsforen von anderen internetbasierten Kommunikations‐ formen einerseits, aber u.-U. auch voneinander abzugrenzen, sind unterschied‐ liche Zeitlichkeitsbedingungen, die Auswirkung auf die Handlungskoordination (Beißwenger 2007) haben. Ein Aspekt ist die Synchronizität, die u. a. von Dür‐ scheid (2003 und 2016: 372 ff. und Androutsopoulos 2007: 89 f.) diskutiert wird. Dürscheid (2016: 372) spricht von der Möglichkeit der „quasi-synchron[en]“ 11.3 Prototypische Eigenschaften der Internetkommunikation 117 <?page no="118"?> Kommunikation, „da der Kommunikationskanal von beiden Seiten aus geöffnet ist […].“ Als Beispiel nennt sie hier Beratungschats. Landert/ Jucker (2011: 1426, 1432) schlagen eine Erweiterung des Koch/ Oes‐ terreicher-Modells vor, bei dem die folgende Aspekte unterschieden werden sollen: 1. „the communicative situation“ a. „the scale of accessibility“ i. Pol 1: „Non-public context (inaccessible)“ ii. Pol 2: „Public content (accessible)“ 2. „the content“ b. „the scale of privacy“ iii. Pol 1: „Non-private topics“ iv. Pol 2: „Private topics“ 3. „the linguistic realization“ c. „the scale of linguistic immediacy“ v. Pol 1: „Language of distance“ vi. Pol 2: „Language of immediacy“ In das Modell werden Leserbriefe („Letters to the editor“) der Zeitung The Times (1985) und Online-Kommentare der Internetseite von Times Online (2008) eingeordnet und verglichen. Auch ‚klassische Textsorten‘ der forensischen Linguistik (z. B. Erpresserbriefe) und weitere Texte, mit denen sich die foren‐ sische Linguistik befassen kann, lassen sich mithilfe des Modells einordnen. Erpresserbriefe werden i. d. R. mit der Intention verfasst, dass sie für die Öffentlichkeit unzugänglich bleiben. Das lässt sich beispielsweise auch an Formulierungen wie keine Polizei etc. ablesen. Der Inhalt tendiert eher zum Pol privater Themen, wenn z. B. ein Familienmitglied entführt wurde. Jedoch ist hier eine große Bandbreite möglich. Eine manipulierte Bahnschiene ist eher ein öffentliches Thema. Die Sprache fällt hier u. U. eher distanziert aus, wobei mit der Dringlichkeit, mit der ein/ e Autor/ in auf eine/ n Rezipientin/ Rezipienten einwirkt, die Unmittelbarkeit zunehmen kann. Das Modell ist insbesondere für die Einordnung von Texten in Online-Um‐ gebungen geeignet. „Plauderchats“ (Dietterle/ Lüdeling/ Reznicek 2017: 47) sind i. d. R. öffentlich zugänglich und nicht-professionell erstellt, für den Zugang braucht man u. U. eine Anmeldung, oder nicht (noch zugänglicher). Die Themen sind in vielen Chats und Foren unverfänglich, es wird über alltägliche Themen gesprochen. Sie können jedoch auch privater sein. Dann besteht die Möglichkeit, private Kanäle zu öffnen, in die andere User/ innen eingeladen werden können. 118 11 Autorenerkennung in Online-Umgebungen <?page no="119"?> Durch die Einladung wird dann die Möglichkeit des öffentlichen Zugangs erschwert. Die Sprache ist eher unmittelbar und am Nähepol. Expertenchats verlangen i. d. R. eine Anmeldung und teilweise erhält man den Zugang nur auf Einladung. Viele (ggfs. alle) Teilnehmer/ innen sind unter ihrem echten Namen (Klarnamen) bekannt. Die Themen sind im Gegensatz zu Plauderchats weniger für die breite Öffentlichkeit gedacht, die Sprache u. U. eher distanziert, jedoch insbesondere fachsprachlich geprägt. Obwohl Vorstellungen von „Cyberslang“ (Abel 2000) oder „Netspeak“ (Crystal 2006) existieren, gibt es nicht die eine Internetsprache (Marx/ Weidacher 2014: 79). Die gleichen Beobachtungen wurden auch in anderen Bereichen der Sprache gemacht, man denke etwa an die Erkenntnis, dass es auch nicht die eine Jugendsprache gibt. Beim Internet verhält sich der Untersuchungsge‐ genstand noch komplexer, da es Angebote für alles und alle gibt und sich der Sprachgebrauch nach diesem Angebot richtet. In der Kommunikation von Online-Umgebungen werden im Gegenteil alle Sprachen und Varietäten wie Dialekte, Regiolekte, Soziolekte etc. verwendet. „Dementsprechend werden lexikalische oder grammatische Elemente aus Fachspra‐ chen, Gruppensprachen, Sondersprachen, Jugendsprachen, Soziolekten, Dialekten, aber auch einfach der mündlichen Umgangssprache für jeweils bestimmte Bereiche der Internetkommunikation adaptiert.“ (Marx/ Weidacher 2014: 96) Obwohl es keine einheitliche Internetsprache gibt, ebenso wie keine einheitliche Fernseh- oder Telefonsprache existiert, sind bei der Analyse von Texten im Internet bestimmte Möglichkeiten und Beschränkungen des Internets zu be‐ achten. So ist im Internet beispielsweise das sprachliche Ökonomieprinzip (vgl. u. a. Schlobinski 2012: 35) medial bedingt. Z. B. sind Mikroblogging-Nachrichten (wie Twitter) auf bestimmte Zeichenmengen begrenzt und in Chats herrscht ein gewisser Zeitdruck, da die User/ innen schnell auf Nachrichten reagieren. Kommunikation im Internet ist v. a. dialogisch und durch Synchronizität geprägt. Dabei gilt: „Je stärker die Kommunikation dialogischer und synchroner erfolgt, desto häufiger lassen sich mündliche Aspekte des Sprachgebrauchs in der Internet-Kommunikation feststellen.“ (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 116) Foren unterliegen, im Gegensatz zu z. B. Blogs, einer ausgeprägten Dia‐ logizität (vgl. Zappavigna 2012: 38). Während bei Blogs die Kommunikation oft asymmetrisch (vgl. Zappavigna 2012: 27) verlaufen kann, ist sie bei Foren prototypisch symmetrisch. Bei Blogs schreibt ein/ e Blogger/ in Artikel, lädt Fotos hoch oder beschreibt Erlebnisse aus ihrem/ seinen Leben. Diese Inhalte werden Interessierten zur Verfügung gestellt und andere User/ innen treten hier hauptsächlich als Konsumenten auf. Im Gegensatz dazu nehmen in Foren viele 11.3 Prototypische Eigenschaften der Internetkommunikation 119 <?page no="120"?> User/ innen aktiv an der Diskussion teil, da hier die Intention eine wechselseitige Kommunikation über bestimmte Themen ist. 11.4 Sprache in Internetforen und Online-Rezensionen - konzeptionelle Mündlichkeit? Vielfach wird davon ausgegangen, dass schriftsprachliche Kommunikation im Internet konzeptionell mündlich sein kann. „Oraliteralität“ ist eine Art des Formulierens, bei der mithilfe von schriftlichen Mitteln Mündlichkeit simuliert wird (Marx/ Weidacher 2019: 53, vgl. auch Schmitz 2015: 47). In vielen (auch aktuelleren) Arbeiten zur Internetkommunikation wird das Modell der kon‐ zeptionellen Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit von Koch/ Oesterreicher (1994: 588) als Referenz für die Forschungsdiskussion herangezogen (u. a. Fröhlich 2015 und Dürscheid 2016). Einen Überblick über die Forschungsdiskussion und den Forschungsstand bieten Feilke/ Henning (2016) und Thaler (2007). Die Kommunikation, die sich scheinbar, in welcher Weise auch immer, zwi‐ schen Schriftlichkeit und Mündlichkeit bewegt, wurde in der Literatur u. a. als „textbasierte Mündlichkeit“ (December 1993), „verschriftete Mündlichkeit“ (Günther/ Wyss 1996), „zwittrig“ (Meise-Kuhn 1998) oder „getipptes Gespräch“ (Storrer 2001a und 2001b) bezeichnet. Dürscheid (2016: 362 ff.) kritisiert die pauschale Zuordnung verschiedener Medien auf eine Skala anhand der Einordnung eines Telefongesprächs. Das Tele‐ fongespräch befindet sich recht weit am Nähepol (also konzeptionell mündlich) mit phonischer Realisierungsform. Die Kritik bezieht sich darauf, dass nicht jedes Telefongespräch pauschal eingeordnet werden kann, denn der Grad der „Vertautheit“ und die „raum-zeitliche Nähe […] der Kommunikationspartner“ (Koch/ Oesterreicher 1994: 588), die telefonieren, können sehr unterschiedlich sein. Das Gleiche gilt für schriftliche Formen der Kommunikation im Internet, denn auch dort können Chat, Forum oder Messanger-Dienst nicht pauschal eingeordnet werden. So unterscheidet sich die sprachliche Umgebung verschie‐ dener Internetforen sehr stark voneinander. Für das Medium Chat kritisiert Dürscheid (2016: 380) den Umgang von Koch/ Oesterreicher (u. a. 2007: 390) also: „[A]llerdings irritiert es, dass sie den Chat pauschal als nähesprachlich ver‐ orten.“ Denn es ist auch hier so, dass es unterschiedliche Formen von Chats und Diskussionsforen gibt, die in Bezug auf Distanz- und Nähesprache verschieden verortet werden sollten. „Wer versucht, die Kommunikation im Web 2.0 zu beschreiben, stellt schnell fest, dass Kategorisierungen wie mündlich/ schriftlich, privat/ öffentlich, synchron/ asynchron oder dialogisch/ monologisch in vielen 120 11 Autorenerkennung in Online-Umgebungen <?page no="121"?> Bereichen kaum noch eindeutig durchgeführt werden können.“ (Marx/ Weid‐ acher 2014: 107) Der Chatkommunikation attestiert Dürscheid eine „merkwürdige Divergenz“ (2016: 366), wenn sie, bei einer nicht gegebenen räumlichen Nähe der Chatter/ innen, die Verwendung von „Sprache der Nähe“ feststellt. In weiteren Arbeiten zur Chatkommunikation (Thaler 2003, 2007, Beißwenger 2007, Strätz 2013) wird diese Problematik ebenfalls angesprochen. Vielfach wird, wie bereits besprochen, konzeptionelle Mündlichkeit bei Chats angenommen (vgl. u. a. Storrer 2001a und 2013). Dietterle/ Lüdeling/ Reznicek (2017) halten dagegen: „Einerseits gibt es in jedem Chat viele syntaktisch vollständig kanonische Äuße‐ rungen, was auf konzeptionelle Schriftlichkeit hinweisen könnte, und andererseits treten bestimmte Merkmale von Mündlichkeit (wie bspw. einige Typen von Unflüs‐ sigkeiten) gar nicht auf.“ (Dietterle/ Lüdeling/ Reznicek 2017: 61) In der aktuelleren Forschungsdiskussion wird daher hervorgehoben, „dass sich Praktiken in der schriftlichen internetbasierten Kommunikation hinsichtlich der genutzten Ressourcen z.T. deutlich von Praktiken des Gesprächs unter‐ scheiden.“ (Beißwenger 2016: 282) So kann ein/ e Schreiber/ in im Gegensatz zu einer/ einem Sprecher/ in entscheiden, wann der eigene Beitrag rezipiert werden kann. Diese dadurch entstehende „Zerdehnung des Kommunikationsprozesses“ (Beißwenger 2016: 283, vgl. auch Ehlich 1984: 542) bedeutet auch, dass Nutzer/ innen ihren Beitrag korrigieren, überarbeiten, zurückziehen (Beißwenger (2016: 287 ff., insb. 289 ff.) spricht auch von „revidieren“) und u. U. veränderten Bedingungen anpassen können, vgl. auch Fluidity im folgenden Kapitel 11.5. Die Anpassung kann dergestalt sein, dass ein Beitrag mithilfe von „Split‐ ting“ (u. a. Storrer 2001b, Imo 2013: 80 f. und Beißwenger 2016: 292 ff.) in mehrere kleinere Beiträge aufgeteilt wird, um u. U. „Überkreuzungen von Sprechhandlungssequenzen“ (Storrer 2001b: 12) zu vermeiden. Handlungen wie „Adressieren und Zitieren“ (Beißwenger 2016: 294 ff.) sind in vielen medialen Umgebungen wie beispielsweise Chats, Internetforen und WhatsApp möglich. So können Nachrichten für bestimmte User/ innen besonders sichtbar gemacht oder Beiträge als fremde Information gekennzeichnet werden. 11.5 Problematik internetbasierter Daten und Fluidity im Bedeutungsspektrum forensischer Linguistik Im Internet werden Texte oft editiert, angepasst, gekürzt, ergänzt oder gar ge‐ löscht. Sie verlieren an „Stabilität“ (Marx/ Weidacher 2014: 191). Diese Eigenheit 11.5 Problematik internetbasierter Daten und Fluidity 121 <?page no="122"?> von Daten im Internet wird als „Fluidity“ (Barton/ Lee 2013: 26) bezeichnet. Insbesondere die Löschung bzw. die Nicht-Verfügbarkeit von Daten stellt ein großes Problem dar. Beispielsweise wird in einer aktuellen Untersuchung zu Fake News beschrieben, dass nur noch ein Viertel der in der Untersuchung als unglaubwürdige Quellen eingestufte Websites noch aktiv sind (Przybyła: 2020: 492). Daher ist es für Forschungszwecke essenziell, Datensammlungen anzulegen, damit sie verfügbar bleiben. Außerdem besteht, insbesondere seit der Etablierung des Web 2.0. (vgl. O’‐ Reilly 2007 und Herring 2013 u. a.) und der aktiven Teilnahme von Nutzer/ innen an Datenweitergabe eine starke Kultur des Teilens, bzw. Sharings. Dennoch sollte natürlich, gerade wegen der Datenschutzgrundverordnung, mit Daten sensibel und umsichtig umgegangen werden. Dazu zählt eine entsprechende Anonymisierung (vgl. das Kapitel 8). Für die Autorenerkennung sind die in den vorigen Kapiteln diskutierten technischen Möglichkeiten zu beachten, da User/ inne/ n viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihre Beiträge während des Schreibprozesses und vielleicht sogar nachträglich (mithilfe des „nachträglichen Editierens“ (Beißwenger 2016: 298)) anzupassen. Der Gedanke: „An der Spontaneität der Chats-Beiträge ist nicht zu zweifeln. Sie entstehen in schneller Abfolge.“ (Dietterle/ Lüdeling/ Rez‐ nicek 2017: 67) greift für Bereiche, die für die Autorenerkennung relevant sind, zu kurz. Es ist unter Umständen auch denkbar, dass bestimmte Formulierungen, ganze Sätze oder Beiträge vorformuliert vorliegen und dann kopiert und ein‐ gesetzt werden. Die Frequenz geposteter Beiträge ist in Foren i. d. R. noch einmal geringer als in Chats. Es ist also zu bedenken, dass User/ innen wegen besonderer zeitlicher Bedingungen genug Zeit für die Planung aller Beiträge und deren Anpassungen haben. Das bedeutet, dass ihre Beiträge nicht spontan sein müssen und diese sehr wohl geplant und strategisch sein können. In Chats und Foren wird automatisch ein sogenanntes Kommunikationsprotokoll (Beiß‐ wenger 2016: 282 ff.) aller Beiträge erstellt, das allen Teilnehmer/ innen angezeigt wird. Wann was von wem gepostet wurde, wird in den jeweiligen Einträgen dokumentiert. Hilfreich ist ebenfalls die Dokumentation von Änderungen der Beiträge, wenn auch in vielen Foren nur deutlich wird, dass etwas geändert wurde und nicht, wie der Eintrag vor der Editierung war (im Gegensatz zu z. B. Wikipedia). Trotz der geschilderten Einschränkungen und Probleme (Löschungen, Ände‐ rungen) mit internetbasierten Daten bieten diese auch einige Vorteile. Erstens sind annährend uneingeschränkt viele Daten vorhanden und zweitens ist die Gefahr des Beobachterparadoxons eher gering. Das Beobachterparadoxon tritt auf, wenn die Anwesenheit einer/ eines Beobachterin/ Beobachters Forschungs‐ 122 11 Autorenerkennung in Online-Umgebungen <?page no="123"?> ergebnisse beeinflusst. Dadurch kann die Authentizität erhobener Daten gestört werden. Wichtig ist vor allem, dass sich die/ der Forscher/ in mit den untersuchten Netzwerken bzw. Internetforen etc. auskennt, insbesondere mit den jeweiligen sprachlichen Begebenheiten, denn „[j]ede Plattform hat eine eigene Kommuni‐ kationskultur, die von den Teilnehmer*innen tradiert, thematisiert und aktiv ausgehandelt wird und die man nur kennenlernen kann, wenn man selbst präsent ist.“ Marx/ Weidacher (2019: 21) Daher wurden für die folgenden empi‐ rischen Untersuchungen ausschließlich Daten von Internetseiten und -foren verwendet, deren Gepflogenheiten dem Verfasser bekannt sind, ohne jedoch selbst aktiv an der Kommunikation teilzunehmen. 11.6 Zusammenfassung Medien werden zur Speicherung, Übermittlung, Produktion und Verbreitung von Daten genutzt. Das Internet ist ein Medium, das viele Submedien überdacht, die als unterschiedliche Kommunikationstechnologien verschiedenen Funkti‐ onsweisen unterworfen sind. Neue Kommunikationsformen, wie beispielsweise Online-Rezensionen und Internetforen, haben spezifische Möglichkeiten und Beschränkungen bei der Übermittlung von Informationen. Die Verständigung in Internetforen ist symmetrisch, da viele User/ innen an wechselseitigen Gesprächen teilnehmen. Dagegen läuft die Kommunikation bei Online-Rezen‐ sionen eher asymmetrisch, da die Möglichkeiten des Informationsaustauschs beschränkt sind. Die Sprache in verschiedenen Submedien des Internets unterscheidet sich stark und ist abhängig von der jeweiligen Online-Umgebung wie z. B. On‐ line-Rezensionen oder Foreneinträge auf Internetseiten mit verschiedenen the‐ matischen Schwerpunkten. Den Kommunikationsformen ist dennoch gemein, dass den Schreiber/ innen viele Möglichkeiten zum Korrigieren, Überarbeiten oder Zurückziehen von Informationen zur Verfügung stehen. Internetbasierte Kommunikation ist also durch Fluidity gekennzeichnet, weil Informationen verändert oder gar gelöscht werden können. Um ggfs. Formen der Verbreitung von Desinformation bzw. Verstellungsstrategien analysieren zu können, müssen diese Möglichkeiten mitbedacht werden. Außerdem empfiehlt sich das Anlegen von Datensätzen, damit Informationen nicht verloren gehen. 11.6 Zusammenfassung 123 <?page no="125"?> 48 Informationen unter: https: / / lehrmuster.ruhr-uni-bochum.de/ 2018/ 07/ 25/ linguistische -datengewinnung-und-datenanalyse-am-beispiel-des-ruhrdeutschen-linda/ und https: 12 Erster empirischer Teil - Probeerhebungen - Rezensionen der Produktkategorie Cola Wie bei der Diskussion um die Existenz eines Idiolekts, sprachlichen Fingerab‐ drucks bzw. Fingerzeigs (Kapitel 6.2) bereits deutlich wurde, spielen Varietäten und weitere Aspekte der Variationslinguistik eine entscheidende Rolle bei Textanalysen, Textvergleichen etc. Die variationslinguistische Untersuchung ist für die Autorschaftserkennung wichtig, da herausgefilterte Merkmale Hinweise auf eine/ n bestimmten Schreiber/ in oder zumindest Repräsentant/ in einer Personengruppe (vgl. Kapitel 5.3) geben können (vgl. McMenamin 2002: 44). Das ist im Kernbereich der forensischen Linguistik so, wenn beispielsweise eine Einschätzung gefragt ist, wo die/ der Schreiber/ in eines inkriminierten Textes sprachlich sozialisiert wurde, oder bei dem Vergleich beispielsweise dialektaler, regiolektaler oder soziolektaler Merkmale eines fraglichen Textes und eines bzw. mehrerer Vergleichstexte. Am Anfang der Arbeit der Projektgruppe „Sprachliche Imitations- und Ver‐ schleierungsstrategien“ stellte sich die Frage nach ersten Probeerhebungen, um Prinzipien der Textanalyse der forensischen Linguistik auf Online-Bereiche an‐ zuwenden. Da die Verbreitung von Desinformationen durch Fake-Rezensionen als ein immer größer werdendes Problem wahrgenommen werden, fiel die Entscheidung darauf, Amazon-Rezensionen zu analysieren. Während wir für Textvergleiche englischsprachiger Rezensionen Machine-Learning unterstützte Methoden (Kapitel 18 und 19) herangezogen haben, sollten für erste Probeerhe‐ bungen deutschsprachige Rezensionen analysiert werden. Rezensionen auf Amazon bieten den Vorteil, dass sie bestimmten Namen von Autor/ inn/ en bzw. Nicknames zugeordnet sind, und nach weiteren Rezensionen, die unter diesen Nicknames verfasst wurden, gesucht werden kann. Außerdem bietet eine riesige Seite wie amazon.de Zugriff auf große Datensätze. Da es sich um Probeerhebungen handelt, wurde entschieden, die Untersuchung auf einen Bereich zu beschränken. Da im Rahmen einer Kooperation mit dem IDS zur Bildung des FOLK-Korpus und dem von der Stiftung für forschendes Lernen geförderten Projekts „Linguistische Datengewinnung und Datenanalyse am Beispiel des Ruhrdeutschen (LinDa)“ 48 bereits Transkriptionen und Texte auf das Vorkommen regio- und dialektaler Merkmale untersucht wurden, fiel die <?page no="126"?> / / www.ruhr-uni-bochum.de/ kgsr/ unter dem Reiter KgSR Neukorpus Letzter Zugriff am 20.01.2023 49 http: / / www.atlas-alltagssprache.de/ runde-4/ f24a-g/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 50 Selbst erdachte Beispiele werden kursiv und ohne Anführungszeichen dargestellt. 51 Längere Belege werden in kursiver Schrift, mit Anführungszeichen und eingerahmt wiedergegeben. Entscheidung, diatopische Merkmale auch bei den Amazon-Rezensionen zu fokussieren. 12.1 Diatopische Variation In der deutschen Sprache gibt es Varianten, wie beispielsweise das Genus von Nutella, die auf Faktoren wie Endung (<a>) oder Produktart (die Nougatcreme) etc. bei der Genuswahl hindeuten. Die heterogene Verteilung der drei Genera (insbesondere Neutrum und Femininum) von Nutella bei Sprachkarten (Elspass, Stefan/ Möller 2003 49 ) zeigt, dass diese Verteilung nicht auf räumliche Unter‐ schiede zurückzuführen ist. Für andere sprachliche Varianten geben dagegen wichtige Hinweise auf den Ort bzw. die Region der sprachlichen Sozialisation einer/ eines Schrei‐ berin/ Schreibers, da ihre Verwendung regional bedingt ist. Solche diatopischen Variationen sind für die Autorenerkennung von Bedeutung. Viele diatopisch bedingte Varianten spielen vor allem (u. U. auch ausschließlich) in der ge‐ sprochenen Kommunikation eine Rolle, wie beispielsweise die Verwendung von Rückversicherungspartikeln (Hessler/ Pottmann 2019). Die Verwendung beispielsweise von ne oder woll 50 ist regional geprägt. Einige Varianten spielen jedoch auch bei der Textproduktion eine Rolle und können daher auch Aufschluss auf die regionale Sozialisierung von Autor/ inn/ en geben. Hierbei ist entscheidend, dass es nicht darum geht, wo ein/ e Autor/ in gerade lebt, sondern wo sie/ er aufgewachsen ist, bzw. lange Zeit gelebt hat bzw. lebt. Als Beispiel nennt Schall (2004) den folgenden Text, aus dem sie Dialektmerkmale des Oberdeutschen, speziell des Bairischen, extrahiert: „ER SOLL DICH BEI DER FIRMA X VERBRENNEN DAS KOSTET IHM NICHTS […] ABER EUCH WIRD DAS LACHEN NOCH VERGEHEN WENN IHR DIE ANZEIGE IM PLAYBOY LIEST.“ (in Schall 2004: 553) 51 126 12 Erster empirischer Teil <?page no="127"?> 52 Kürzere Belege werden in kursiver Schrift und mit Anführungszeichen aufgeführt. 53 http: / / www.atlas-alltagssprache.de/ runde-4/ f24a-g/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 54 Deutschland, Österreich und die Schweiz Schall nennt „LIEST“ 52 , das sich an der mündlichen Aussprache, vgl. auch Phonem-Graphem-Korrespondenz, orientiert. Außerdem wird der abweichende Kasus in „DAS KOSTET IHM NICHTS“ (Dativstatt Akkusativform) genannt. Hierzu muss jedoch gesagt werden, dass insbesondere die genannte Kasusver‐ tauschung in einigen Dialekten und Regiolekten vorkommt. Einzelne Merkmale können auch für die sprachliche Sozialisation nur Hinweise geben, Merkmalsets können hingegen die mögliche Region, in der jemand sprachlich sozialisiert worden ist, weiter einschränken. Bei diatopischer Markiertheit in Texten spielen verschiedene Ebenen der Sprachbetrachtung eine Rolle. So ist die Schreibung von Grüsse mit <ss> statt <ß> (graphematische Ebene) u. U. keine individuelle Entscheidung oder gar ein Fehler, sondern hängt mit der Herkunft der/ des Autorin/ Autoren eines Textes zusammen. Die Schreibung mit <ß> ist seit den 70ern in der Schweiz nicht mehr in Gebrauch (Dürscheid 2016: 492). Regionale Unterschiede gibt es auch bei der Genuszuweisung (morphologi‐ sche Ebene) z. B. von Joghurt, E-Mail (Elspass/ Möller 2003 53 ) und Cola. Die Realisierung des am-Progressivs (morpho-syntaktische Ebene) kann ebenfalls je nach Region unterschiedlich sein, z. B. ich bin Brot am Backen/ backen oder ich bin am Brotbacken/ brotbacken (vgl. Hessler 2012). Auch im Bereich der Lexik haben unterschiedliche Ausdrücke unterschied‐ liche Reichweiten, so hat der ‚Standardlekt‘ als „Bereich des [sprachlichen] Kontinuums“ (vgl. Knöbl 2012: 20) eine hohe bzw. überregionale Reichweite, vgl. Brötchen. Dagegen hat ein Regiolekt eine mittlere Reichweite, z. B. Sonnabend, und ein Dialekt eine kurze bzw. lokale Reichweite, wie bei Weckle (Felder 2016: 86). Es gibt auch Varianten, die auf ein bestimmtes Land des DACH 54 -Raums beschränkt sind, vgl. Paradeiser (österr. für Tomate). Bei der Verortung bestimmter Varianten helfen Dialektwörterbücher (vgl. u. a. Niebaum/ Macha 2006) und Sprachatlanten wie der Deutsche Sprachatlas (DSA), der Kleine Deutsche Sprachatlas (KDSA), der Digitale Wenker Atlas (DIWA), der Deutsche Wortatlas (DWA) und der Atlas für deutsche Alltags‐ sprache (ADA). Dialekt- oder regiolektal bedingte Varianten werden auch in der Internet‐ kommunikation, insbesondere zur „Markierung sozialer Identität“ (Girnth 2007: 194) verwendet (vgl. auch Christen/ Tophinke/ Ziegler 2005). Für die Autorenerkennung ist zu beachten, dass regionale Varianten Aufschluss über die „soziale [! ] und regionale Herkunft von Sprecher/ innen“ geben können. 12.1 Diatopische Variation 127 <?page no="128"?> 55 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ Cola Letzter Zugriff am 20.01.2023 Solche sprachlichen Merkmale werden auch „Schibboleth“ (Girnth 2007: 194) genannt. Dennoch sei auch darauf hingewiesen, dass regio- und dialektale von standardsprachlichen Ausdrucksmitteln abgelöst und damit vereinheitlicht werden (Schall 2004: 557-558). In den meisten schriftsprachlichen Bereich be‐ mühen sich Sprachteilnehmer/ innen um einen normierten und standardnahen Sprachgebrauch. Für mögliche Analysen bedeutet das, dass regio- und dialektale Merkmale in Texten eher selten anzutreffen sind. Das erschwert einerseits die Textanalyse, da gerade in kleineren Texten eher wenige regionalsprachliche zu erwarten sind. Auf der anderen Seite können daher solche Merkmale salient sowie das Vorhandensein regionalsprachlich geprägter Merkmalsets besonders aussagekräftig sein. Sie können für die Identifikation der sprachlichen Soziali‐ sation von Schreiber/ innen verwendet werden. 12.2 Analyse von Cola-Rezensionen auf amazon.de Nach ersten Sichtungen verschiedener Rezensionen kristallisierte sich heraus, dass Rezensionen zu verschiedenen Produkten der Kategorie Cola aussichtsreich sein würden. Cola trägt im süddeutschen, österreichischen und schweizerischen Sprachraum das Genus Neutrum 55 , im übrigen deutschsprachigen Raum wird das Genus Femininum verwendet. Der österreichische Getränkehersteller Red Bull bewarb sein Cola-Produkt mit Werbesätzen wie „Das Cola von Red Bull.“ (Bild 1) oder „Ich bin pures Cola“ (Bild 2), an denen das neutrale Genus ablesbar ist. Die Herkunft der Marke Red Bull als österreichisches Produkt wird mit Werbesätzen wie „I bin koa Energy Drink“ oder „I bin a Naturbursch“ (Bild 3) unterstrichen. Hergestellt wird dieser Effekt durch Merkmale wie die Konsonantenclustertilgung von „Ich“ zu „I“ oder die Vokaltilgung im Auslaut bei „Naturbursch“ (vgl. Naturbursche), die dialektal gefärbte, gesprochene Sprache nachahmen sollen. 128 12 Erster empirischer Teil <?page no="129"?> 56 https: / / brand-history.com/ red-bull-gmbh/ red-bull/ red-bull-das-cola-von-red-bull-stro ng-natural-1 Letzter Zugriff am 20.01.2023 Bild 1: Werbung für Cola des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull 1. 56 Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Red Bull Marken sind von der Red Bull GmbH/ Österreich lizenziert. Bild 2: Werbung für Cola des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull 2. 57 Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Red Bull Marken sind von der Red Bull GmbH/ Österreich lizenziert. 12.2 Analyse von Cola-Rezensionen auf amazon.de 129 <?page no="130"?> 57 https: / / utopia.de/ red-bull-simply-cola-natuerlich-28167/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 58 https: / / annakaroline.com/ red-bull Letzter Zugriff am 20.01.2023 Bild 3: Werbung für Cola des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull 3. 58 Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Red Bull Marken sind von der Red Bull GmbH/ Österreich lizenziert. Die Idee bestand also darin, zu untersuchen, ob sich in Rezensionen, die das neutrale Genus verwenden, auch weitere süddeutsche, österreichische oder schweizerische Merkmale finden lassen. Das würde darauf hinweisen, dass die/ der Rezensent/ in in einem dieser Sprachräume sprachlich sozialisiert wurde. Zunächst muss festgehalten werden, dass die Verwendung des Genus für Cola nicht bei jeder Rezension klar ist, da der Genusgebrauch oft nur an Artikeln, attributiven Adjektiven etc. ablesbar ist. Das ist in folgenden Rezensionen nicht der Fall (fett hervorgehoben): Komischer Geruch an Trinköffnung Von Pseudonym am 11. Dezember 2016 Cola ist Cola da gibt es nicht viel anderes zu sagen. Die Dosen müssen vor dem Trinken allerdings oben an der Trinköffnung gereinigt werden da aus mir unerklärlichen Gründen ein komischer Geruch daran haftet der einem jedes Mal beim Trinken in die Nase fährt was den Geschmack ein wenig eigen macht. 130 12 Erster empirischer Teil <?page no="131"?> Cola direkt an die Haustür Von Ehrlich und Fair am 8. März 2016 Cola wie gehabt schneller Versand und sogar günstiger als im Lidl. Verpackung hält sich wenn man viele Artikel dazu bestellt in Grenzen kein unnötiger Styropor wahn. In weiteren Rezensionen wird der Genusgebrauch deutlich, wie hier durch das feminine Genus (unterstrichen): Super cool Von Theys Schiller am 8. Januar 2017 Einfach, pünktlich, top! Kann ich nur empfehlen, im Spar Abo spart man gut was und so eine kleine Cola aus der Dose ist selbst an kühleren Tagen immer eine Erfrischung! : -) Das Original Von M. Podszus am 27. März 2016 Natürlich ist der Zuckergehalt in der Coca Cola sehr hoch, das ist allgemein bekannt. Aber geschmacklich ist das Original eben einfach am besten und wer zwischendurch ein Gläschen Cola trinken will, mach mit Coca Cola nix falsch, von daher klare Kaufempfehlung und 5 Sterne für das Preis- / Leistungs‐ verhältnis. Cola in Dosen Von Nordlicht 19 am 23. Oktober 2016 Ich denke wie Cola schmeckt weiss wohl jeder hier. Praktisch finde ich die Dosen - wenn es mal nur eine kleine Menge von dem leckeren Getränk sein soll. Und wenn man sie dann auch noch frei Haus geliefert bekommt - ist es um so schöner. Einfach Zuhause die Cola annehmen und kalt stellen. So lass ich es mir gefallen Interessant ist insbesondere die letzte Rezension, da Nicknames (hier „Nord‐ licht“) u. U. bereits Hinweise auf die Herkunft der/ des Rezensentin/ Rezensenten 12.2 Analyse von Cola-Rezensionen auf amazon.de 131 <?page no="132"?> 59 Vgl. hierzu auch auktoriale Selbstinszenierungen (Kapitel 14.4) und Autorenstilisie‐ rungen (Kapitel 15). 60 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ Nordlicht Letzter Zugriff am 20.01.2023 geben können. 59 Das Wort Nordlicht kann laut Duden eine „aus Norddeutschland stammende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, besonders der Politik“ 60 bezeichnen. In Norddeutschland ist allein das feminine Genus üblich und wird auch so in der Rezension der/ des Rezensentin/ Rezensenten verwendet, nämlich „die Cola“. Es gibt ebenfalls Rezensionen, in denen das neutrale Genus (K A P ITÄL C H E N ), wie in Süddeutschland und Österreich üblich sowie in der Schweiz obligatorisch, Verwendung findet: Echter Geschmack Von Flieger Katja TOP 500 REZENSENT am 8. Mai 2017 Coca Cola ist nicht gleich Coca Cola…. Es gibt E S in PET in plastik, mehrweg Glas und Dosen. Der beste Geschmack von Coca-Cola ist immer noch die Dose. Hier hat man den gleichen Geschmack wie früher. Stellt euch mal verschiedene hin aus unterschiedlichen abpackungen…. Der Unterschied ist gewaltig. Daher wenn die Dosen im Angebot sind bestell ich sie. Sehr zu empfehlen. In manchen Rezensionen wechselt das verwendete Genus zwischen Femininum und Neutrum (hier formal gleich mit dem maskulinem Genus): Coca Cola Von Amazon Kunde am 3. Oktober 2016 Verifizierter Kauf Die Originale Coca Cola passt zu jeder Gelegenheit und inspiriert mit S E I N E M einzigartigen Geschmack. Schmeckt auch sehr gut als Mixgetränke In der folgenden Rezension liegt ein spezieller Fall vor, da mit „es“ scheinbar auf Cola referiert wird. Es könnte sich aber auch um ein unpersönliches es handeln. Es finden sich keine weiteren Hinweise auf den Genusgebrauch in der Rezension: 132 12 Erster empirischer Teil <?page no="133"?> 61 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ Steige Schonmal Cola getrunken Von Torsten am 1. März 2017 Jeder der schonmal Cola getrunken hat weiss wie E S schmeckt. Ob man sich Dosen schicken lassen muss weiss ich nicht abe rich finde es praktisch. Ebenfalls interessant ist die folgende Rezension, bei der der/ die Schreiber/ in die eigene Herkunft bzw. die eigene Nationalität nennt („bedauerlich für Österreicher wie mich“). Wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der/ dem Schreiber/ in um eine/ n Österreicher/ in handelt, spricht das eher für die Verwendung des neutralen Genus, sie/ er benutzt jedoch das Genus Femininum bei „die Cola“: Gut Von Gatj33 am 24. November 2016 Gutes Angebot und die Cola ist einwandfrei aber das mit dem Pfand ist echt bedauerlich für Österreicher wie mich da es bei uns keinen Pfand auf Dosen gibt. Es folgen zwei Rezensionen, bei denen Merkmale gefunden werden können, die für eine sprachliche Sozialisierung der/ des Autorin/ Autors im süddeutschen Raum oder in Österreich sprechen. In der ersten Rezension ist nicht erkennbar, welches Genus die/ der Schreiber/ in für Cola vorsieht, jedoch verwendet sie/ er das Wort „Kartonsteige“ ( in serifenloser Schrift ). Die Steige hat hier laut Duden die Bedeutung „flache Lattenkiste“ 61 und wird dem süddeutschen und österrei‐ chischen Sprachraum zugeordnet: Jetzt mit Fußball-Druck auf der Dose Von TS am 3. November 2016 Coca Cola kennt jeder und die kleinen Dosen, die man auf die Schnell kühlen kann, auch. Jetzt sind auf den Dosen Aufdrucke von Fußballvereinen zu finden. Für den Fan und vielleicht auch den Sammler sicher ein Kauf wert. Versendet wurden die Dosen in einer Kartonsteige . Jeweils vier Dosen waren in Folie eingeschweißt. Das Ganze kam dann in einem großen Umkarton sicher bei mir an. 12.2 Analyse von Cola-Rezensionen auf amazon.de 133 <?page no="134"?> 62 Für das Produkt Teamoy 2-teilig Baby Schwimmhose, Bequem, waschbar und ver‐ stellbar, ideal für Schwimmen Lektionen oder Urlaub ( Jungle + Owls Pink) Die Dosen haben den Vorteil, dass Sie wenig Platz wegnehmen, leicht sind und sehr schnell kühlbar sind. Pfand ist auf den Dosen natürlich drauf. Ich liebe das Zuckerwasser aus dem Hause Coca Cola und werde jede einzelne Dose genießen, die ich nicht aufgrund des Aufdrucks ins Regal stellen werde. Die/ Der Autor/ in der nächsten Rezension (StephM am 11. November 2016) verwendet ebenfalls das Wort „Steige“. U.U. ist die/ der Rezensent/ in im süddeut‐ schen oder österreichischen Sprachraum sozialisiert worden. Die Verwendung des Genus Neutrum für Cola würde einen weiteren Hinweis darauf geben. „Coca-Cola“ steht einmal ohne erkennbares Genus. Der Satz „Geschmacklich finde ich das Original Coca-Cola immernoch am Besten.“ (in grauer Schrift) bedarf einer weiterführenden Analyse und ggfs. Interpretation. Entweder ist „Original“ als Substantiv gemeint, nämlich im Sinne von Coca-Cola ist das Original. In diesem Fall bezieht sich der neutrale Artikel auf Original, nicht auf Coca-Cola. Oder es ist im Sinne eines attributiven Adjektivs gedacht (vgl. „Die Originale Coca Cola“ der Rezension vom 3. Oktober 2016). Dann ist das Genus Neutrum, im Sinne von das original(e) Coca-Cola. süße Erfrischung Von StephM VINE-PRODUKTTESTER am 11. November 2016 Ich glaube der Geschmack von Coca-Cola ist ziemlich jedem bekannt und außer "süß" könnte ich auch wenig dazu schreiben. Geschmacklich finde ich das Original Coca-Cola immernoch am Besten. Der Versand in der Dose ist eine nette Idee, erinnert mich ein bisschen an die Kindheit, als häufiger Dosen als Flaschen gekauft worden sind, gerade bei Softdrinks. Die Steige mit 6*4 Dosen, also insgesamt 24 Stück, ist praktisch, auch wenn man mal ein 4er-Päckchen mitnehmen möchte, außerdem nehmen die Dosen wenig Platz im Kühlschrank weg. Für zwischendurch eine leckere, süße Erfrischung in platzsparenden, gut trans‐ portierbaren Dosen. In einer weiteren Rezension vom 2. Juni 2020 62 schreibt die/ der User/ in: 134 12 Erster empirischer Teil <?page no="135"?> 63 http: / / mediawiki.ids-mannheim.de/ VarGra/ index.php/ F%C3%BCr_/ _um_(Preisangabe) Letzter Zugriff am 20.01.2023 Gleich ein Zweierpack und das für knapp 15€, da kann ich wirklich nichts gegen sagen. Die Variantengrammatik des IDS 63 gibt an, dass in Österreich bei der Preisan‐ gabe statt für auch die Präposition um benutzt wird. Die drei besprochenen Merkmale bilden noch kein ausreichendes Merkmalset, um davon ausgehen zu können, dass die/ der Rezensent/ in sprachlich in Süddeutschland sozialisiert wurde. Für eine solche Aussage müssten noch weitere Merkmale gefunden und analysiert werden. Das Profil der/ des Schreiber/ in gibt an, dass er/ sie in Rastatt in Baden-Württemberg wohnt. Das ist anhand der gefundenen Merkmale plausibel. Die Analyse der Rezensionen von Cola-Produkten ergab, dass sprachliche Merkmale in Online-Rezensionen Möglichkeiten bieten können, den (natürlich sehr groben) Ort der sprachlichen Sozialisation von Autor/ inn/ en einzugrenzen. Weiterhin wird deutlich, dass einzelne Rezensionen in der Regel viel zu wenig Textmaterial bieten, um eine Textanalyse zu leisten. Das kann theoretisch dadurch leicht aufgefangen werden, dass man weitere Texte einzelner Rezen‐ sent/ inn/ en sucht und so mehr Textmaterial erhält. Ferner zeigt sich, dass die Analyse bestimmter grammatischer Merkmale (vgl. „das Original Coca-Cola“) nicht eindeutig ist und der Interpretation bedarf. Für eine ausführliche Textanalyse (gerade bei inkriminierten Texten) sollten daher immer alle möglichen Lesarten festgehalten werden. Dennoch sollten die Lesarten, und das ist dann eine Aufgabe, die sowohl großes theoretisches Fach‐ wissen als auch einen umfangreichen Erfahrungsschatz bedarf, hierarchisiert werden - was ist die plausibelste Lesart? Falls ausreichend sprachliches Material vorhanden ist, kann man theoretisch den Raum der sprachlichen Sozialisation immer weiter eingrenzen, indem man das Vorkommen verschiedener Merkmale in vorliegenden Texten mit den Angaben der räumlichen Erstreckung bestimmter Varianten mit Sprachatlanten und Dialektwörterbüchern vergleicht. Dennoch ist auch bei Sprachkarten Vor‐ sicht geboten. So konnte in einem aktuellen Aufsatz (Hessler/ Pottmann 2019) nachgewiesen werden, dass die Rückversicherungspartikel woll in Teilen des Ruhrgebiets verwendet wird, obwohl der Atlas zur deutschen Alltagssprache sie nicht (mehr) für das Ruhrgebiet dokumentiert. 12.2 Analyse von Cola-Rezensionen auf amazon.de 135 <?page no="136"?> 12.3 Zusammenfassung Variationslinguistische Untersuchungen sind für die Autorschaftserkennung bedeutsam, wenn es beispielsweise darum geht, Informationen über eine/ n Autor/ in eines inkriminierten Schreibens zu erlangen. Auf verschiedenen Ebenen der Sprachbetrachtung können diatopisch bedingte Merkmale analy‐ siert werden. Sprachatlanten und Dialektwörterbücher helfen dabei, entspre‐ chende Merkmale Sprachräumen zuzuordnen. Im Rahmen der hier dargestellten Probeerhebungen wurden Online-Rezen‐ sionen auf das Vorkommen bestimmter dia- und regiolektaler Merkmale hin untersucht. Anhand der Analyse von Online-Rezensionen wurde gezeigt, dass der Raum der sprachlichen Sozialisation von Schreiber/ inne/ n eingegrenzt werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass im Datenmaterial genug Merkmale vorhanden sind, die sich zu einem salienten und aussagekräftigen Merkmalset zusammenfügen lassen. 136 12 Erster empirischer Teil <?page no="137"?> 13 Zweiter empirischer Teil - Verdacht auf Verbreitung von Desinformation und Verstellungsstrategien in Social Media In Internetforen, Online-Rezensionen und weiteren Internetmedien, die einen Diskussionsbereich bieten (wie beispielsweise YouTube), diskutieren Personen über verschiedene Themen, teilen Informationen, Links usw. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „user-generated content“ (Marx/ Weidacher 2014: 70 u. a.), der von Formen der „Dialogizität und Sequenzialität“ (Meier 2019: 73, vgl. auch Johansson 2017: 189) geprägt ist. Internetforen fungieren, ähnlich den Kommentarbereichen z. B. bei YouTube, als „Distributions- und Interaktionsmedium“ (Meier 2019: 73, vgl. auch Obar/ Wildman 2015), bei dem ein erhebliches Maß an Interaktivität (vgl. auch Pappert/ Roth 2016) mit einer Vielzahl von Verweisen, Zitaten etc. entstehen kann. Meier (2019: 72) spricht hier von „für diese Medienformen konstitutiven Praktiken des Teilens, Einbet‐ tens und der Rekombination“ (vgl. auch Jones 2018: 252, Reckwitz 2017: 242). Durch Verlinkungen etc. in sozialen Medien kommt es zu „De- und Rekontextu‐ alisierungen“ (Meier 2019: 72, vgl. auch Bauman/ Briggs 1990 und Linell 1998) der originären Inhalte, was die Analyse der Texte erschweren kann. Hier besteht ein großer Unterschied zu Texten, mit denen sich die Autorenerkennung ebenfalls auseinandersetzt (z.-B. der ‚klassische Erpresserbrief ‘). Der hohe Grad an Interaktivität und Dialogizität zwischen User/ innen gene‐ riert eine große sprachliche Komplexität, bei der Bezüge genau geprüft werden müssen. Kommentare können innerhalb eines Kommentarfelds teilweise stark eingebettet sein, da Zitate kopiert werden und darauf Bezug genommen wird. Meier (2019: 82) spricht von einer „diffusen Menge der anderen Kommentie‐ renden“, weshalb Kommentare hier als „prinzipiell mehrfachadressiert“ gelten können (vgl. „Mehrfachadressierung“ bei Kühn 1995). Internetphänomenen wie Cybermobbing, Trolling, Hatespeech, Shitstorms oder das gezielte Manipulieren anderer User/ innen begegnet man häufig in Social Media-Bereichen wie Internetforen, Kommentarfeldern von Internetprä‐ senzen von Zeitungen und Zeitschriften etc. Einige Beiträge sind u. U. strafrecht‐ lich relevant, wenn beispielsweise Personengruppen verunglimpft, einzelne Personen gemobbt oder gezielt manipuliert werden. Häufig sind solche Phä‐ nomene mit der Verwendung mehrerer Accounts verbunden, die es Schreiber/ innen ermöglichen, unter verschiedenen Nicknames Beiträge zu verfassen. In <?page no="138"?> 64 Zur wirtschaftlichen Relevanz des Wirtschaftssektors Gaming und Videospiele sei hier kurz gesagt, dass Videospiele das umsatzstärkste Medium weltweit sind. Der Abstand zu anderen Medien wie Film oder Musik wächst von Jahr zu Jahr. Vgl. https: / / www.game swirtschaft.de/ wirtschaft/ games-umsatz-2018-vergleich-film-musik/ und https: / / www. informelles.de/ 2019/ 02/ 12/ spielebranche-toppt-filmindustrie-weltweit/ Letzte Zugriffe am 16.06.2022 65 https: / / www.gamepro.de 66 https: / / www.gamepro.de/ artikel/ sunset-overdrive-rechte-gehoeren-jetzt-sony,334820 4.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 nur wenigen Submedien des Internets sind Nutzer/ innen gezwungen, unter ihren Klarnamen Beiträge zu verfassen. Das hat zur Folge, dass User/ innen keine Informationen über die Verfasser/ innen von Beiträgen haben. Sie wissen nicht, wer welche Beiträge verfasst. U.U. ist es möglich, dass eine Person unter der Verwendung mehrerer Nicknames in einem einzigen Forum schreibt. Vielleicht unterhalten sich diese postulierten Autor/ inn/ en (vgl. hier auch das Kapitel 15.1) miteinander, pflichten den Meinungen der anderen bei etc. Die Verbreitung von Desinformation, Betrugsfälle im Internet (vgl. den Leoni-Fall in Kapitel 15.6.2) und weitere Manipulationen dringen durch zunehmende mediale Präsenz immer stärker ins öffentliche Bewusstsein. Viele User/ innen sind sich also dessen bewusst, dass Schreiber/ innen versuchen, andere zu manipulieren. Ebenfalls besteht ein Bewusstsein dafür, dass Verstellungsstrategien wie die Verwendung verschiedener Identitäten (hier unter verschiedenen Nicknames) dafür genutzt werden, Manipulationen erfolgreich zu gestalten. 13.1 Verdacht auf Verschleierungsstrategien und Verbreitung von Desinformation in einem Internetforum Um sich diesem Phänomen zu nähern, soll in der Folge beispielhaft an einigen Beiträgen dargelegt werden, dass Verfasser/ innen solche scheinbaren Manipu‐ lationen thematisieren. Als Beispiel dient hier ein Artikel auf einer Internetseite zu Videospielen 64 , die zu jedem Text ein Kommentarfeld bietet. Der Artikel „Sunset Overdrive - Rechte gehören jetzt Sony, wird aber wohl nicht fortgesetzt“ wurde am 24.08.2019 um 14: 44 Uhr auf der Internetpräsenz von Gamepro 65 hochgeladen. 66 Im Kommentarteil des Artikels werden Nutzer/ innen Vorwürfe gemacht, sie würden sehr parteiisch sein, im Forum trollen und sich neue Accounts erstellen, um unter mehreren Nicknames ihre Meinung zu Themen zu verfassen. U.a. wird User/ inne/ n (Rick Tack, IchBinNeagan) der Vorwurf gemacht, unter verschiedenen Nicknames Kommentare zu verfassen. Die folgende Übersicht 138 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="139"?> zeigt die ersten Kommentare von User/ inne/ n zu dem Artikel. Dabei steht der Nickname der/ des Autor/ in in der ersten Zeile, in der zweiten Zeile steht, wann, ausgehend von der Veröffentlichung des Artikels, der Kommentar verfasst wurde. Dann folgt der Text des jeweiligen Kommentars in kursiver Schrift. Der erste Beitrag beinhaltet eine Behauptung (bzw. Vermutung) von Rick Tack, dass ein bestimmtes Videospiel („Sunset Overdrive 2“) erscheinen wird: Rick Tack vor 4 Stunden Sunset Overdrive 2 wird 100-% kommen SaschaAM schreibt daraufhin, dass Rick Tack ein neuer Account ist: SaschaAM vor 4 Stunden @Rick Tack neuer Account Ein/ e andere/ r Schreiber/ in (Amos_117) bezeichnet Rick Tack als „Account-Troll“ und erhebt den Vorwurf, dass sie/ er weitere Nicknames verwendet: „Du sagst ja immer wieder selbst, dass es sich gut verkauft (mit den anderen Accounts, versteht sich).“ Amos_117 vor 4 Stunden @Rick Tack Als Sony-Mitarbeiter weiß man sowas. Als Account-Troll sicher nicht. Oder liegt hier beides vor? Sony verdient mehr mit Spiderman, die Kuh wird noch einige Jahre gemolken. Du sagst ja immer wieder selbst, dass es sich gut verkauft (mit den anderen Accounts, versteht sich). Beide User/ innen (SaschaAM und Amos_117) werfen Rick Tack damit indirekt die Verbreitung von Desinformation vor. Dann kommt die/ der Verfasser/ in IchbinNeagan hinzu, die/ der Rick Tack verteidigt („Darf der Typ in einem Ps Thread nicht schreiben das Teil 2 kommt ? “) und im Gegenzug Amos_117 und SaschaAM (im Beitrag „Sascha“) vorwirft, in der Diskussion voreingenommen 13.1 Verdacht auf Verschleierungsstrategien und Verbreitung von Desinformation 139 <?page no="140"?> zu sein („Ich finde das sehr arm von euch beiden. Ihr als 2 bekannte übertriebene Xbox Typen auf dieser Seite, andere Menschen so anzumachen .“): IchbinNeagan vor 4 Stunden @Amos_117 Ich finde das sehr arm von euch beiden. Ihr als 2 bekannte übertriebene Xbox Typen auf dieser Seite, andere Menschen so anzumachen . Gerade du und Sascha . Lasst die Leute doch endlich mal in Ruhe . Ich lese solange hier schon mit und das regt einfach auf . Darf der Typ in einem Ps Thread nicht schreiben das Teil 2 kommt ? Die/ Der User/ in SaschaAM reagiert auf den Vorwurf, indem sie/ er auch Ichbin‐ Neagan als neuen Account bezeichnet: SaschaAM vor 3 Stunden @IchbinNeagan haha, neuer Account! Amos_117 stützt die vorigen Beiträge von ihr/ ihm selbst sowie SaschaAM und greift ebenfalls IchbinNeagen an („Offensichtlich bist du aber hier nicht der Richter, sondern nur ein weiterer Ankläger.“). Amos_117 kritisiert den ursprünglichen Beitrag von Rick Tack („Sunset Overdrive 2 wird 100 % kommen“) mit dem Satz „Jeder darf schreiben was er will und irgenwelche unbelegten Behauptungen aufstellen ohne jegliche Quellen.“: Amos_117 vor 3 Stunden @IchbinNeagan Stille leser gibt es genug, auch das wissen wir bereits. Ja, wir sind richtig böse. Wir können nichts dazu. Es liegt an der Xbox und an der Farbe grün. Übrigens. Er darf schreiben was er will und wir auch, solange es nach den Gamepro-Regeln läuft. Offensichtlich bist du aber hier nicht der Richter, sondern nur ein weiterer Ankläger. Jeder darf schreiben was er will und irgenwelche unbelegten Behauptungen aufstellen ohne jegliche Quellen. Da hast du vollkommen recht - es ist nicht verboten, darf aber angefochten werden. 140 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="141"?> SaschaAM vor 2 Stunden @Amos_117 ez win ; ) Ein/ e fünfte/ r Autor/ in (FireFly) verfasst den nächsten Beitrag. Das Bemerkens‐ werte hier ist, dass ein sprachliches Merkmal („der der bei jedem Satzzeichen einen Leerschritt macht“) genannt wird, woran sie/ er den Schreibstil von Ichbin‐ Neagan (und weiteren Accounts der/ des scheinbar gleichen Nutzerin/ Nutzers) erkannt hat. Mit dem Textteil „es enttarnt dich auch sofort wieder“ wird deutlich, dass IchbinNeagan der Vorwurf gemacht wird, auch unter anderen Nicknames Beiträge zu verfassen und dass sie/ er anhand eines bestimmten Merkmals ‚enttarnt‘ werden kann: FireFly vor 39 Minuten @IchbinNeagan Ah, der der bei jedem Satzzeichen einen Leerschritt macht. Nicht nur ist das einfach nur falsch, es enttarnt dich auch sofort wieder ; D Die/ Der User/ in FireFly bezieht sich dabei auf das Setzen von überzähligen Leerzeichen vor den Satzendzeichen Punkt und Fragezeichen. Im Beitrag von IchbinNeagan kommt dieses Merkmal insgesamt fünfmal vor: […] andere Menschen so anzumachen . […] Gerade du und Sascha . […] Lasst die Leute doch endlich mal in Ruhe . […] Ich lese solange hier schon mit und das regt einfach auf . […] Darf der Typ in einem Ps Thread nicht schreiben das Teil 2 kommt ? Vor Kommata werden dagegen keine überzähligen Leerzeichen gesetzt: Ihr als 2 bekannte übertriebene Xbox Typen auf dieser Seite, […] Das überzählige Leerzeichen vor einem Satzendzeichen setzt die/ der User/ in IchbinNeagan nicht durchgehend: @Amos_117 Ich finde das sehr arm von euch beiden. Obwohl dieses einzelne sprachliche Merkmal nicht ausreicht, um ein/ e Schreiber/ in anhand des Schreibstils zu erkennen, bzw. wiederzuerkennen (wenn unter mehreren Nicknames geschrieben wird), ist der Beitrag von FireFly bemerkenswert. Es wird einerseits deutlich, dass FireFly ein gewisses Bewusstsein dafür hat, dass es möglich ist, anhand sprachlicher Merkmale 13.1 Verdacht auf Verschleierungsstrategien und Verbreitung von Desinformation 141 <?page no="142"?> Autor/ innen zu erkennen. Außerdem wird dieses Wissen verwendet, um andere Forenteilnehmer/ innen (hier IchbinNeagan) zu kritisieren und u. U. deren Aussagen zu diskreditieren. In vielen Social Media-Bereichen kann man sehen, dass sich Nutzer/ innen gegenseitig vorwerfen, mehrere Accounts zu erstellen. Für dieses Vorgehen kann es verschiedene Gründe geben. Einerseits kann es sein, dass jemand nicht mehr unter seinem vorigen Nickname schreiben will, da sie/ er nicht mehr mit alten Äußerungen in Verbindung gebracht werden will, gemobbt wurde etc. Das kann im Grunde genommen schon eine Verschleierungsstrategie sein, da ein Nickname u. U. negatives Prestige durch Äußerungen o. ä. angesammelt hat. Zweitens ist denkbar, dass jemand unter Zuhilfenahme mehrerer Accounts seinen eigenen Äußerungen mehr Akzeptanz verleihen will. Oft bilden sich in Diskussionen Meinungsblöcke, Allianzen usw., die je nach Art des Forums fest oder locker sein können. Das ist beobachtbar bei Internetforen, die über politische Themen diskutieren, oder auch in privateren Bereichen wie in dem oben dargelegten Diskussionsbeispiel, bei denen sich Anhänger/ innen der Firmen Microsoft bzw. Sony einen Schlagabtausch liefern. Da Accounts nicht gelöscht werden, da diese z. B. mit mehreren E-Mail-Adressen erstellt wurden, ist es möglich, unter einem Nickname eine Meinung zu äußern und dann andere Nicknames zu verwenden, damit diese in Diskussionen die eigene Meinung unterstützen bzw. die Meinung anderer kritisieren etc. In der o. g. Diskussion wurden nicht bloß Vorwürfe erhoben, sondern es wurde versucht, diese Vorwürfe anhand eines sprachlichen Merkmals zu belegen. Es muss also ein gewisses metalinguistisches Bewusstsein vorhanden sein, da nicht bloß auf die Inhalte der Kommentare geachtet wird, sondern auch auf die Schreibweise, respektive ein ganz bestimmtes linguistisches Merkmal. 13.2 Kursmanipulationen an der Börse Die meisten Fälle von Verstellungen oder Manipulationen sind nicht strafrecht‐ lich relevant. Ein Bereich, dessen kriminelle Hintergründe in verschiedenen Medien thematisiert werden, sind Kursmanipulationen an der Börse. Ein medial bekannt gewordener Fall ereignete sich am Abend des 11. April 2017. An diesem Tag explodierten während der Fahrt drei in einer Hecke versteckte Sprengsätze in direkter Nähe zum Bus der Fußballmannschaft von Borussia Dortmund. Am Anfang der Ermittlungen tauchten sowohl islamistische als auch linksextremis‐ 142 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="143"?> 67 https: / / www.faz.net/ aktuell/ politik/ inland/ erhebliche-zweifel-an-islamistischem-bvbbekennerschreiben-14972750.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 68 https: / / www.sueddeutsche.de/ medien/ anschlag-in-dortmund-raetsel-um-zweites-dort mund-schreiben-1.3462094 Letzter Zugriff am 20.01.2023 69 https: / / www.spiegel.de/ panorama/ justiz/ borussia-dortmund-ermittler-fassen-mutmas slichen-bvb-bomber-a-1143998.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 tische Bekennerschreiben auf, deren Authentizität bezweifelt wurden. 6768 In der Folge stellte sich heraus, dass der später Verurteilte Verkaufsoptionsscheine auf die Aktie von Borussia Dortmund gekauft hatte und keine politisch- oder religiös-motivierten Gründe für den Anschlag vorlagen. 69 Bei dieser Analage‐ form können Investor/ inn/ en überproportional von Kursverlusten einer Aktie profitieren. Es handelte sich also nicht um eine politisch motivierte Tat, sondern um eine, die Gewinnmaximierung durch Kursmanipulation zum Ziel hatte. In diesem Fall wurden Imitationsstrategien angewendet, um die Ermittlungen auf bestimmte Personengruppen, nämlich islamistische und linksextremistische Täterkreise, umzulenken. Das Ziel der Tat selbst war es, mithilfe einer Kursma‐ nipulation Gewinne an der Börse zu erzielen. Im Rahmen von Spekulationen an der Börse ist es, unter ganz bestimmten Voraussetzungen, ebenfalls möglich, allein mithilfe von Texten Kurse zu manipulieren. Eine Möglichkeit ist das sogenannte Pushen, bei dem andere Anleger/ innen dazu bewegt werden sollen, entsprechende Aktien zu kaufen, um so Kurse nach oben zu treiben. In Bereichen, in denen Schreiber/ innen gezielt versuchen, andere zu manipulieren, können Beiträge in Börsenforen rechtswidrig sein. Den meisten Personen, die versuchen, User/ innen von Foren regelmäßig und mit der Aussicht auf Bereicherung beispielsweise durch die Verbreitung von Desinformation zu manipulieren, wird bewusst sein, dass sie zumindest ordnungswidrig handeln. Da bei einigen Foren-Nutzer/ inne/ n, wie in den vorigen Kapiteln gezeigt wurde, ein gewisses metalinguistisches Bewusstsein vorhanden ist, können sie versuchen, ihre Identität zu verschleiern, sodass nicht auffällt, dass u. U. nur eine einzige Person unter der Verwendung verschiedener Nicknames schreibt. Bevor wir uns näher mit sprachlichen Ver‐ stellungsstrategien in Börsenforen befassen, soll der fachsprachliche Charakter im Börsenbereich vorgestellt werden. 13.3 Fachsprachlichkeit in Börsenforen Die verwendete Sprache in Börsenchats weicht in vielfältiger Weise von der der (schriftlichen) Standardsprache (vgl. dazu das Kapitel 9.7) ab. Im Falle der Syntax 13.3 Fachsprachlichkeit in Börsenforen 143 <?page no="144"?> 70 Weitere Eigenschaften von Fachsprachen werden in Kapitel 16.1.5 diskutiert. ist zu beachten, dass für Chats/ Onlineforen typische Merkmale auftreten, wie Beiträge ohne Verb (vgl. Behr/ Quintin 1996), mit Unflüssigkeiten, also „disfluen‐ cies“ (Eklund 2004), ohne Subjekt (vgl. Schalowski 2009), mit „Häufung[en] von nichtkanonischen Zusammenschreibungen“ (Dietterle/ Lüdeling/ Reznicek 2017: 54) und mit weiteren Eigenschaften, die v. a. Auslassungen wie z. B. Ellipsen (vgl. Reich 2011) betreffen. „Um die Eigenschaften von Chats gut zu verstehen, müssen wir auch wissen, wie sich gewisse Chats von anderen Varietäten - wie zum Beispiel von gesprochenen Varietäten oder Zeitungssprache - unter‐ scheiden.“ (Dietterle/ Lüdeling/ Reznicek 2017: 47). Prägend, und vor allem von anderen Chats und Onlineforen unterscheidend, wirkt sich der fachsprachliche Charakter von Börsenforen aus, auf den hier eingegangen werden soll. 70 Diese Einordnung ist für Kontexte der Autorenerkennung bedeutsam, wenn unter‐ sucht werden soll, inwiefern hier Verstellungsstrategien angewendet werden, um beispielsweise andere User/ innen zu manipulieren. Löffler (2016: 106) schreibt, dass u. a. in „ökonomischen Fächern und Berufen terminologische Unverständlichkeit autoritätssteigernd sein kann“. Er beschreibt bei der Kom‐ munikation von bestimmten fachsprachlichen Bereichen und Laien „eine Kom‐ munikationskluft, indem aus unverstandenen Ergebnissen und Fakten ohne Möglichkeit der Nachprüfung Handlungsanweisungen übernommen werden müssen“ und nennt als Beispiel „börsentechnische Ausdrücke der ‚Finanzindus‐ trie‘“ im Zusammenhang mit der Finanzkrise von 2008. Die der Kommunikation über Finanzmittel zugrundeliegende Terminologie weicht in hohem Maße von der Standardsprache ab. Einige Termini können für Laien irreführend sein. Man kann an der Börse long oder short sein bzw. long oder short gehen. Analog zur Standardsprache könnte man nun davon aus‐ gehen, dass man ein bestimmtes Wertpapier längerfristig (long) oder kurzfristig (short) hält. Tatsächlich verwenden einige ‚Börsenneulinge‘ die Begriffe mit dieser angenommenen Bedeutung. Die fachsprachliche Bedeutung ist, dass man entweder auf steigende (long) oder auf fallende (short) Kurse (vgl. die Verkaufs‐ optionsscheine in Kapitel 13.2) setzt. Intuitiver sind dagegen die Bezeichnungen Norden und Süden, wobei Norden immer für die Annahme eines steigenden, Süden für die Annahme eines fallenden Kurses steht. So kann beispielsweise geschrieben werden ich befürchte es geht gen Süden oder auch ab Montag geht es wieder nordwärts. Eine Blase (vgl. auch Spekulationsblase) bezeichnet einen Zustand (vgl. Marktsituation), bei dem der Preis von z. B. Aktien (einer bestimmten Branche o.ä.) weit über dem internen Wert (sehr vereinfacht gesagt: tatsächlicher Wert) liegt. Die Gefahr, dass die Preise irgendwann schlagartig 144 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="145"?> fallen, ist hier besonders groß, weshalb dann hier die Blase platzen oder zerplatzen kann. Von einigen Fachbegriffen gibt es Varianten, die mit Präfixen gebildet werden, wie z. B. beim Gap. Wenn es beim Kurs eines Wertpapiers zwischen zwei Handelstagen eine große Differenz gibt, sich also eine Lücke des Kurses zwischen dem einen und dem anderen Tag zeigt, spricht man von einem Gap. Hier sind Suffigierungen wie Upgap oder Downgap möglich, wobei ein Upgap bedeutet, dass der Kurs stark nach oben gesprungen ist. Ein Downgap bezeichnet dann analog dazu eine Lücke nach unten. Fachsprachentypisch gibt es eine ganze Reihe von Akronymen (vgl. Löffler 2016: 105), wie etwa ETF, was für exchange-traded fund steht, oder KGV, also Kurs-Gewinn-Verhältnis. Letzteres ist, vereinfacht gesprochen, ein Indikator für das Verhältnis zwischen dem Kurs eines Wertpapieres und dem Gewinn, den das Unternehmen jährlich einfährt. Außerdem gibt es eine ganze Reihe weiterer Abkürzungen, wie z. B. EK, was für Einkauf steht. Auch damit ist etwas eher Spezifisches gemeint, nämlich der Kurs einer Aktie, zu dem man sie gekauft, bzw. eingekauft hat. 1000er-Werte werden oft mit k abgekürzt. Dann wird nicht geschrieben, dass man 20000 Euro investiert hat, sondern 20k. Eher selten wird die Bedeutung von k ausgeschrieben, nämlich Kilo. Verschiedene Phraseologismen zeichnen Börsenfachsprache aus. Beispiels‐ weise ist häufig die Rede davon, dass in einem Kurs/ einer Aktie etc. viel Phantasie steckt. Das bezieht sich darauf, dass das gehandelte Produkt bereits als sehr hoch bewertet empfunden wird. Weiterhin gibt es Phraseologismen mit Merksatzcharakter wie hin und her macht Taschen leer oder nicht alle Eier in einen Korb legen. Der erste bedeutet, dass ständiges Ver- und Ankaufen von Wertpapieren aufgrund der Gebühren für den Handel und des Spreads (Differenz zwischen An- und Verkauf) teuer ist. Der zweite Satz bezieht sich auf die Vermeidung, sein gesamtes Geld in einer Branche oder nur einem Land etc. anzulegen. Etwas ungewöhnlich für Fachsprachen ist, dass bestimmte Wertpapiere Spitznamen erhalten, die häufig mit Diminutivformen realisiert werden, so steht beispielsweise Steini für die Firma Steinhoff. Leute, die in Aktien investieren und auf sich selbst in Foren referieren, können sich sehr unterschiedlich bezeichnen, beispielsweise als Anleger, Börsianer, Trader, Daytrader etc. Diese Bezeichnungen haben alle eine spezifische Semantik, die Autor/ innen damit zum Ausdruck bringen. Feminine Formen sind dagegen äußerst selten, vgl. Börsianerin, Traderin, Daytraderin. Andere von der Forschung beschriebene Merkmale, wie beispielsweise Inflektive (Dietterle/ Lüdeling/ Reznicek 2017: 57) der Art *freu* werden in der Chatkommunikation immer seltener, spielen in Foren eine stark unter‐ 13.3 Fachsprachlichkeit in Börsenforen 145 <?page no="146"?> 71 www.boersennews.de 72 In diesem Thread wird darüber diskutiert: https: / / www.wallstreet-online.de/ diskussio n/ 500-beitraege/ 1084499-1-500/ wie-funktioniert-pushen Letzter Zugriff am 20.01.2023 geordnete Rolle und werden in den untersuchten Börsenforen (fast) gar nicht verwendet. Wie bereits diskutiert wurde, ist der korrekte Gebrauch einer bestimmten Fachsprache essenziell dafür, bei der ausgewählten Zielgruppe ein Gefühl von Authentizität und Autorität auszulösen. 13.4 Verstellungsstrategien im Zusammenhang mit Kursmanipulationen In diesem Kapitel sollen Verstellungsstrategien im Zusammenhang mit Desin‐ formation bei Beiträgen in Internetforen, in denen die Teilnehmer/ inn/ en über Indizes, Aktien, weitere Finanzprodukte etc. diskutieren können, besprochen werden. Ein häufig geäußerter Vorwurf ist die Manipulation von Aktienkursen. Insbesondere sollen hier Beiträge von User/ innen des Internetforums von Börsennews 71 betrachtet werden. Während der Zugang relativ öffentlich ist, da nur eine einfache Anmeldung und keine Klarnamen erforderlich sind, sind die prototypischen Themen eher nicht privater Natur (vgl. das Kapitel 11.3) Die sprachlichen Register schwanken zwischen Nähe und Distanz, je nachdem, wie vertraut die User/ innen miteinander sind. Zuerst sollte geklärt werden, warum es für Leute, die die Absicht haben, Kurse zu manipulieren, relevant ist, in Börsenforen ein gewisses Prestige zu haben. Börsenforen eignen sich, zumindest bei kleinen Börsenwerten, die ein geringes Volumen (die Anzahl oder der wertmäßige Betrag der in einem bestimmten Zeit‐ raum an einer Börse gehandelten Aktien o.ä.) haben, für Kursmanipulationen. Kursmanipulationen, bzw. das Pushen bestimmter Aktien und weiteren Werten, ist ein in Foren 72 vieldiskutiertes Problem. Hier schreibt die/ der User/ in Hats „Um erfolgreich zu spekulieren, sollte man eins voraussetzen: die Small Cap Märkte bestehen in erster Linie, um dich zu schröpfen.“ Small Caps (oder auch Nebenwerte) sind Aktien kleinerer Unternehmen, die i. d. R. ein eher geringes Volumen aufweisen. Sie/ Er schreibt weiter: „Der durchschnittliche Investor wird nicht viel Erfolg haben mit dem Smallcaps-Glücksspiel. ……. Damit diese Märkte sich fort‐ setzen, müssen neue Verlierer in den Markt kommen.“ Damit ist, sehr vereinfacht gesprochen, gemeint, dass Investor/ inn/ en die entsprechenden Wertpapiere kaufen müssen, damit andere ihre Wertpapiere für einen entsprechend höheren Kurs verkaufen können. Es kann also eine Strategie sein, andere Investor/ inn/ en 146 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="147"?> davon zu überzeugen, in einen Wert zu investieren. Das kann ggfs. über Manipulationen in einem Börsenforum passieren. Börsenforen werden von vielen User/ inne/ n besucht, es gibt wesentlich mehr „Mitleser/ innen“ als aktive „Schreiber/ innen“. Bei kleinen Werten können einige Personen, die eine Aktie kaufen oder verkaufen, schon für gewisse Kursanstiege oder Kursverluste sorgen. Es ist also möglich, andere User/ innen zu manipulieren, z. B. eine bestimmte Aktie zu empfehlen, damit diese stark nachgefragt wird, um den Kurs in die Höhe zu treiben. Mehr Erfolg verspricht diese Strategie, wenn das unter der Verwendung mehrerer Nicknames passiert. Empfehlungen wirken ehrlicher, attraktiver und vor allem objektiver, wenn mehrere sie unterstützen. Es konnte bereits in Kapitel 13.1 gezeigt werden, dass einigen Nutzer/ inne/ n von Foren durchaus bewusst ist, dass man anhand sprachlicher Merkmale u. U. erkennen kann, ob die gleiche Person hinter Beiträgen mit verschiedenen Nicknames steckt. Wenn man die geschilderte Manipulationsstrategie also bestmöglich ausführen will, darf kein/ e andere/ r User/ in eines Online-Forums den eigenen Schreibstil, beispielsweise anhand eines bestimmten Merkmalsets etc. erkennen. Es ist also möglich, dass User/ innen eine Verstellungsstrategie anwenden. In diesem Fall werden, anders als bei Imitationsstrategien, keine anderen Personen(gruppen) imitiert. Es geht einzig darum, dass niemand den eigenen Schreibstil unter mehreren Accounts erkennt. Der eigene Schreibstil wird also verschleiert, daher handelt es sich um eine Verschleierungsstrategie. Als Beispiel dafür, dass auch in diesen Bereichen des Internets offen Vorwürfe der Manipulation bei gleichzeitiger Verschleierung der eigenen Person gemacht werden, soll das Forum der Aktie Nintendo auf der Seite von Börsennews dienen. In den Beiträgen wird deutlich, dass die ansonsten gegebene eher fachsprachlich geprägte Kommunikation (vgl. das Kapitel 13.3) zugunsten einer emotionalen und stark affektierten Sprachwahl aufgebrochen wird. Solche Beobachtungen können auch in Bezug auf Fake News gemacht werden (vgl. Bakir/ McStay 2017 und Przybyła 2020). Jede Aktie, jeder Index, jedes Zertifikat oder Edelmetall etc., zu der/ dem ein Thread eröffnet wird, wird auf der Seite einzeln diskutiert. Alle hier dargestellten Einträge sind aus dem Jahr 2018 und chronologisch geordnet (von älteren zu neueren). In der ersten Zeile steht das Datum, gefolgt von der/ dem Nutzer/ in, die/ der den Beitrag verfasst hat. Ab der zweiten Zeile wird der Beitrag selbst in kursiver Schrift aufgeführt. 13.4 Verstellungsstrategien im Zusammenhang mit Kursmanipulationen 147 <?page no="148"?> 1. Montag, 11. Juni 2018 von Stinka Maronis letzte Beiträge kamen aus Malle! Der Labersack hat halt viele Fans hier gehabt! Aber auch natürlich viele Neider! Mir konnte er einiges Geld bringen! Bin durch ihm in Norcom,Medigene und Nvidia rein und ich hab so richtig abgecasht! Dank an Maroni dafür! 2. Montag, 11. Juni 2018 von Stinka HYPOPORT muss noch erwähnt werden! War echt fett! Hatte mir auch Maroni hier mal empfohlen! Hat mir 5 Kilo gebracht 3. Montag, 11. Juni 2018 von Stinka Maroni ist leider Geschichte aber wir haben noch die User Grassi1, Den‐ ManTau3, Hubsii1 und Dios hier im BN! Von dem Quartett kann man auch viel in Erfahrung bringen! Also auf ein neues euer Stinka Im ersten Eintrag betont die/ der User/ in Stinka, dass die/ der User/ in Maroni sowohl „viele Fans“ als auch „viele Neider“ im Forum hatte. Im ersten und zweiten Eintrag beschreibt sie/ er, dass sie/ er mit mehreren Aktien („Norcom,Medigene und Nvidia“ sowie „HYPOPORT“) viel Geld verdient hätte. Sie/ Er verwendet die Ausdrücke „ich hab so richtig abgecasht“ und „Hat mir 5 Kilo gebracht“. Der Ausdruck „5 Kilo“ bedeutet 5000 Euro. Im dritten Eintrag bedauert sie/ er, dass die/ der Schreiber/ in Maroni nicht mehr im Forum aktiv sei, mit dem Satz „Maroni ist leider Geschichte“. Sie/ Er schreibt dann weiteren User/ inne/ n, nämlich „Grassi1, DenManTau3, Hubsii1 und Dios“, „viel in Erfahrung“ zu. Im vierten Eintrag schreibt dann das erste Mal ein/ e andere/ r Autor/ in, nämlich die/ der User/ in KILLERFresse, die/ der direkt auf die vorigen Einträge reagiert. Mit dem Eintrag „Maroni=Stinka=Maroni“ soll angezeigt werden, dass unter den Nicknames Maroni und Stinka die gleiche Person schreibt. KILLERF‐ resse versucht, diese Aussage zu bekräftigen, indem sie/ er auf den sehr ähnlichen Schreibstil der beiden Nicknames hinweist „…das merkt sogar ein Blinder am Schreibstil! “: 148 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="149"?> 73 https: / / ir.wirecard.de/ websites/ wirecard/ German/ 5110/ nachrichtendetail.html? newsI D=1988249 Letzter Zugriff am 20.01.2023 74 https: / / www.cash.ch/ news/ politik/ zahlungsdienstleister-wie-ein-blogger-bereits-2008 -den-skandal-bei-wirecard-aufzeigte-1570588 Letzter Zugriff am 20.01.2023 4. Montag, 11. Juni 2018 von KILLERFresse Maroni=Stinka=Maroni LOL …das merkt sogar ein Blinder am Schreibstil! Im folgenden Eintrag verteidigt sich die/ der User/ in Stinka mit dem Argument, sie/ er sei „aus NRW“, aber „Maroni bekanntlich aus Südtirol“: Dienstag, 12. Juni 2018 von Stinka @KILLERFresse beleidige bitte andere! Ich bin aus NRW! Maroni bekanntlich aus Südtirol Es ist nicht hundertprozentig klar, ob die Verteidigung darauf abzielt, dass vorher der „Schreibstil“ als Beweis für die gleiche Autorschaft hinter den Nicknames Maroni und Stinka herangezogen wurde. Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass mit der Anführung der Herkunft angedeutet werden soll, dass Menschen aus Südtirol bzw. aus NRW ganz anders schreiben würden, also die Möglichkeit eines sich stark ähnelnden oder gleichen Schreibstils gar nicht gegeben sei. Im Jahr 2020 wurde der Finanzskandal um das im DAX gelistete Unternehmen Wirecard publik. Die Aktie verlor daraufhin einen Großteil ihres Werts und das Unternehmen meldete am 25.06.2020 Insolvenz an. 73 Brisant ist, dass bereits 2008 ein/ e unter einem Pseudonym schreibende/ r User/ in eines Börsenforums Hinweise auf den Skandal gab. 74 Im Wirecard-Forum der Börsennews-Seite dis‐ kutierten Schreiber/ innen kurz vor dem Bekanntwerden des Skandals über die Aktie. Ein Teil der User/ innen ging in dieser Zeit von fallenden, der Großteil aber von steigenden Kursen aus. In der Zeit vom 16.05. bis 05.06.2020 wurden Beiträge gesammelt, in denen anderen Schreiber/ innen Vorwürfe gemacht wurden, unter der Zuhilfenahme mehrerer Nicknames andere zu Käufen oder Verkäufen zu 13.4 Verstellungsstrategien im Zusammenhang mit Kursmanipulationen 149 <?page no="150"?> 75 Die tatsächliche Aussicht auf eine erfolgreiche Kursmanipulation ist bei einem Unter‐ nehmen der Größe von Wirecard eher gering. Jedoch zeigt der Verdacht auf Marktma‐ nipulation bei der GameStop-Aktie im Jahr 2021, das u. U. auch Kleinanleger/ innen in der Lage sind, einen Kurs entsprechend zu beeinflussen. Vgl. dazu https: / / www.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ unternehmen/ verdacht-auf-marktmanipulation-behoerden-untersu chen-gamestop-fall-17193738.html Letzer Zugriff am 9.8.2022. bewegen. 75 Eine Auswahl der Beiträge soll zeigen, wie hochfrequentiert anderen User/ innen solche Verstellungsstrategien vorgeworfen werden: 16.05. Merzien = Schönling? 18.05. Der größte D.epp is Merzien aka Dummenic aka Schönling 18.05. Märzi aka Dummenic aka Schönling, bist aktuell investiert oder wie immer nur Geschwätz 18.05. Äh Tränen Joe! Neu angemeldet? Wer sind wir denn? SChönling, Thommy, Bibdings, Spot oder alle zusammen? 18.05. Die Thommys mit all den doppelnicks schwitzen ganz schön. ; -) 18.05. Merzien/ Schönling/ Tommy usw. die/ der kommen/ kommt erst wieder, wenn es abwärts geht…. 18.05. ein neuer nick, derselbe Tr.ottel 23.05. Ist jedenfalls deutlich ruhiger und sachlicher hier, ohne Merzien und seine 10 anderen Nicks…. 25.05. Lieber Budda….im Forum tummeln sich Max 30 Leute rum. Wechseln sehr oft ihren Namen, Haben mehrere Accounts….glaubst du denn allen Ernstes hier könnte der Kurs beeinflusst werden. 03.06. Es tauchen immer wieder neue Namen auf die hier in unverschämter weise gegen WDI hetzen. Lieb Wirecard Anleger….lasst euch nicht beeinflussen, es sind immer die selben Typen unter neuem Name [Bizeps-Emoji] 05.06. Muffana = Wildkatze einfach ignorieren. Account ist nur zum wdi bashen angelegt worden. Sieht man gut ; ) Es ist also so, dass bei einigen Autor/ inne/ n nicht bloß ein gewisses Maß an metalinguistischem Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass man anhand von bestimmten Merkmalen (siehe Beispiele in Kapitel 13.1) und anhand von Schreibstilen (siehe Beispiele in diesem Kapitel) u. U. die Autorschaft anderen zuschreiben kann. Manchen Nutzer/ inn/ n ist ebenfalls klar, dass die Region der sprachlichen Sozialisierung (vgl. NRW und Südtirol) den eigenen Sprachstil beeinflussen kann (vgl. auch das Kapitel 12.2). 150 13 Zweiter empirischer Teil <?page no="151"?> 13.5 Zusammenfassung Im Gegensatz zu Online-Rezensionen bieten Online-Foren ein hohes Maß an Interaktivität, da Schreiber/ innen Informationen sowohl konsumieren als auch produzieren können. Die Gefahr der Verbreitung von Desinformation ist dabei allgegenwärtig. Die Manipulation anderer User/ innen wird dabei oft in Zusammenhang mit der Verwendung mehrerer Nicknames gebracht, unter denen eine einzige Person schreiben kann. Es wurde gezeigt, dass die Beschuldigungen der Verbreitung von Desinforma‐ tion mit dem Verdacht auf Verstellungsstrategien einhergehen kann. So wurden in Beiträgen und Diskussionen nicht bloß Vorwürfe erhoben, sondern es wurde versucht, diese Vorwürfe anhand sprachlicher Merkmale zu belegen. Durch mediale Verbreitung populär gewordene Fälle von Kursmanipula‐ tionen haben dazu beigetragen, dass Nutzer/ innen von Börsenforen eine erhöhte Sensibilität für die Verbreitung von Falschinformationen haben. U.U. ist es jedoch möglich, dass Vorwürfe der Manipulation wiederum zur Beeinflussung anderer User/ innen gebraucht werden. 13.5 Zusammenfassung 151 <?page no="153"?> 14 Erpresserschreiben Erpresserschreiben sind eine hochfrequente Textsorte inkriminierter Schreiben (vgl. das Kapitel 3). Sie kommen in verschiedenen medialen Umgebungen vor und sind häufig mit weiteren Straftaten wie Bedrohung oder erpresseri‐ schem Menschenraub verbunden. Erpresserschreiben werden, zusammen mit Verleumdungs- oder Bekennerschreiben, zu den Tatschreiben gezählt (vgl. Busch (2006) und Heinemann/ Heinemann (2002)). Typische Merkmale dieser Textsorte sind die schriftliche Realisierung, die Nicht-Öffentlichkeit, die Anony‐ mität sowie, dass sie selbst „ein Instrument zur Begehung einer Straftat“ sind (Busch 2006: 7 f.). Im Rahmen dieser Arbeit wird eine inkriminierte Textserie vorgestellt, die Erpresserschreiben beinhaltet, denen verschiedene Verstellungsstrategien zugrunde liegen (Kapitel 17). Bevor die Analysen vorgestellt werden, sollen in diesem Kapitel zunächst Charakteristiken, Textfunktionen und einzelne Komponenten der Textsorte Erpresserschreiben vorgestellt und im Anschluss Verstellungsstrategien im Rahmen inkriminierter Texte in den Fokus gestellt werden (Kapitel 15). 14.1 Anonymität und Nicht-Öffentlichkeit von Erpresserschreiben Laut Brinker (2000) fallen Erpresserschreiben nicht in den öffentlichen Hand‐ lungsbereich, obwohl sie formal viele Elemente von öffentlichen Texten wie behördlichen Schreiben oder Geschäftsbriefen imitieren. Darunter können formale Angaben wie Ort, Zeit, die Angabe von Rahmenbedingungen, Betreff und insbesondere Handlungsanweisungen fallen. Die Beziehung zwischen den Kommunikationspartner/ innen ist „strukturell asymmetrisch“, da durch eine Erpressung ein „Machtgefälle“ (Fobbe 2011: 86) entsteht. Auch hier können Erpressertexte öffentlichen Schreiben ähneln, man denke beispielsweise an das Machtgefälle der Akteurinnen bzw. Akteure bei „Geschäftsbriefe[n], Behörden‐ briefe[n] [und] Mahnschreiben“ (Dern 2009: 160). Öffentliche Texte sind i. d. R. insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass sie einer bestimmten Person oder Institution zugeordnet werden können, da sie entsprechend mit Unterschriften versehen werden o.ä. Tatsächlich werden auch manche Erpresserschreiben mit einer Form der Angabe über die Urheberschaft <?page no="154"?> versehen. Diese entsprechen i.-d.-R. jedoch nicht den Namen der Erpresser/ inn/ en, sondern sind eher mit Nicknames vergleichbar (vgl. Online-Rezensionen, Inter‐ netchats und -foren). Die Verschleierung der eigenen Identität ist ein wichtiges Argument dafür, dass Erpresserschreiben (und weitere inkriminierte Texte) nicht dem öffentlichen Bereich zugeordnet werden können, da die Identitäten der Personen bei öffentlichem Handeln bekannt sein müssen (Busch 2006). Aufgrund des illegalen Charakters von Erpresserschreiben ist der Schreiber (sowie die Schreiberin) nicht bzw. weniger „auf die Akzeptanz formaler Aspekte seines sprachlichen Verhaltens durch den Rezipienten angewiesen als dies z. B. bei Geschäftsbriefen der Fall ist.“ (Dern 2009: 160). Erpresserschreiben entspre‐ chen mit ihren Elementen wie Handlungsaufforderung, Drohung etc. im Kern dem privaten Handlungsbereich, indem die/ der Autor/ in versucht, den eigenen Nutzen zu maximieren und den Nutzen der/ des Empfängerin/ Empfängers zu minimieren (vgl. Leech 1999). Darüber liegt oft eine Verstellungsstrategie, die dergestalt sein kann, dass einerseits die eigene Identität (im Gegensatz zu öffentlichen und anderen privaten Schreiben) verschleiert wird und andererseits die Formen vollöffentlicher Schreiben (s.-o.) imitiert werden. 14.2 Die Textfunktionen von Erpresserschreiben und Abgrenzung von Drohbriefen Texte haben eine Textfunktion, wobei Brinker (2010: 98) im Sinne der Sprech‐ akttheorie Searles die Illokutionstypen Informations- und Kontaktfunktion ergänzt. Artmann (1996) unterscheidet die Sprechakte Erpressen und Drohen, wobei er mit Klein (1981) davon ausgeht, dass es Übergänge zwischen diesen beiden Polen gibt. Im Rahmen dieser Arbeit werden Texte analysiert, deren Textfunktionen vom BKA als „Erpressung“ oder als „Bedrohung“ angegeben werden. Legt man die Bedeutung der Verben erpressen und bedrohen zugrunde, dann ist erpressen eine Sonderform von drohen, da damit eine bestimmte Bedingung verbunden ist. Nicht bei jeder Drohung kann die/ der Bedrohte etwas tun, um der angedrohten Handlung zu entgehen. Bei einer Erpressung kann man dieser Handlung scheinbar entgehen, indem man das tut, was die/ der Erpresser/ in verlangt. Daher werden die Textsorten Erpresserbrief und Drohbrief unterschieden, wobei Erpressungen mit der Androhung von Sanktionen, wie z. B. Gewalt, die von struktureller bis hin zu direkter Gewalt reicht, einhergehen (vgl. Klein 1981: 234). In Anlehnung an Apeltauer (1977) wird davon ausgegangen, dass das Erpressen bzw. die Erpressung als eine Sonderform des Drohens bzw. der 154 14 Erpresserschreiben <?page no="155"?> 76 Für alle Funktionen oder Teilthemen werden Beispiele gegeben, die hier aber nicht aufgeführt werden. Drohung zu verstehen ist. Unterschiede beider Textsorten arbeitet Artmann (1996) heraus, wobei er für die Drohschreiben eine größere inhaltliche Variation, einen persönlicheren Fokus (wie das Privatleben der Opfer) und eine eher vulgäre Ausdrucksweise (wie Beschimpfungen), die mit dem frequentierten Gebrauch der Anrede mit du einhergeht, feststellt. Bestimmte Komponenten eines Erpresserschreibens sind als obligatorisch anzusehen. Aus den Phasen der Kontaktherstellung, der Verhandlung der Modalitäten und der Übermittlung konkreter Anweisungen konstituiert sich eine Erpressung (Dern 2009: 157, hier insbesondere für Briefserien). Für beide Textsorten (Drohung und Erpressung) listet Fobbe 76 (2011: 90-91) nach Dern (2009: 152, 157) und Brinker (2000: 40, 2002, 2010) weitere fakultative „Funk‐ tionen bzw. Teilthemen“ auf: 1. „Die Zuschreibung der Verantwortung“ 2. „Die Aufforderung zum Wohlverhalten“ 3. „Die Rechtfertigung und Plausibilisierung der Handlung“ 4. „Die Zusicherung der Einmaligkeit der Erpressung“ 5. „Die Versicherung der Ernsthaftigkeit“ 6. „Die Begründung der Nichtausführung einer angedrohten Handlung“ 7. „Die Selbstdarstellung des Emittenten“ Trotz gewisser Vorgaben und fakultativer Elemente aus einem relativ einge‐ schränkten Pool aus Textfunktionen sind Erpresserschreiben funktional relativ heterogen. Es stellt sich also die Frage, ob man bei Erpresserschreiben von der Existenz einer Textsorte, also von einer gewissen Konventionalisierung ausgehen kann. 14.3 Das Erpresserschreiben als Textsorte Der Versuch einer Beschreibung von Erpresserschreiben als Textsorte wurde von einigen Forscher/ innen (Artmann 1996, Brinker 2000, Hansen 2006, Busch 2006, Dern 2009, Fobbe 2011) unternommen. Brinker (2005: 144) betont, dass kein „konventionell geltendes Muster“ für Erpresserschreiben existiert, wes‐ halb Erpresserbriefschreiber/ innen „sich im besten Falle an literarischen oder fiktiven Vorbildern aus den Medien orientieren“ (Dern 2009: 151) müssen. Außer mit fiktiven Vorbildern beschäftigen sich diverse Medien auch mit 14.3 Das Erpresserschreiben als Textsorte 155 <?page no="156"?> 77 U.a. Das Phantom - Die Jagd nach Dagobert (1994) 78 Der Fall Jakob von Metzler (2012) 79 Jan Philipp Reemtsma (1997): Im Keller 80 Nicole Amelung (1997): Die Oetker-Entführung: Geständnis des Dieter Zlof: Die Ge‐ schichte der 21-Millionen-Erpressung realen Begebenheiten, wie beispielsweise Filme über den Erpresser Arno Funke (Spitzname Dagobert) 77 sowie den Mordfall Jakob von Metzler 78 oder Bücher zu den Entführungen von Jan Philipp Reemtsma 79 und Richard Oetker 80 . Die mediale Präsenz kann ihrerseits dafür sorgen, dass Autor/ inn/ en zunächst fiktive Muster übernehmen. Dern (2009: 155) beschreibt Erpresserbriefe, die aus einzelnen aus Zeitungen ausgeschnittenen Buchstaben zusammengefügt werden, als „wenig realistisch“. Aufgrund des Vorbildcharakters fiktionaler Darstellungen in diversen Medien hält sie es dennoch für wahrscheinlich, dass solche Briefe tatsächlich vorkommen. Erpresserschreiben sind in gewisser Weise durch die Erwartungshaltung der Kommunikationsteilnehmer, die zumindest teilweise auf medialer Verbreitung beruht, konventionalisiert. So besitzt ein Erpresserbrief i.-d.-R. festgelegte Teile, wie etwa eine Forderung, außerdem sind die Rollen der Kommunikationssituation fest verteilt, es gibt jemanden, der erpresst und jemanden, der erpresst wird. Solche Muster entstehen bei Texten durch Reproduktion und durch Variation innerhalb der Textsorte durch die Gemeinschaft aller Sprachteilnehmer/ innen (Gansel/ Jürgens 2009: 92). Man denke etwa an die Textsorte Rezept, bei der sich recht spezifische Formulierungen wie man nehme oder eine Prise/ Messerspitze konventionalisiert haben. Ob und in welchem Maße eine Textsorte und seine Bestandteile starken Konventionen unterworfen ist, also eine präskriptive Form hat, hängt von ihrer Bedeutung innerhalb einer Gesellschaft ab (vgl. Fobbe 2011: 74). Die Frequenz des Vorkommens einer Textsorte in der Gesellschaft ist eben‐ falls ausschlaggebend für den Grad der Konventionalisierung. Je häufiger Sprachteilnehmer/ innen mit einer Textsorte in Berührung kommen, desto präsenter sind die Art und Weise, wie Textteile sich zusammensetzen und aufeinander aufbauen. Verschiedene Medien können hierbei die Rolle des Vermittlers einer präskriptiven Form übernehmen. Immerhin erhalten die we‐ nigsten Sprachteilnehmer/ innen innerhalb ihres Lebens ein Erpresserschreiben oder verfassen gar eines. Dennoch können die meisten Sprachteilnehmer/ innen ein Erpresserschreiben verfassen, wenn man sie im Rahmen von Studien oder Experimenten dazu auffordert. Auf die Experimente von Dern (u. a. Dern 2008 und Dern 2009: 82-90) wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen. Vielen Proband/ inn/ en dürften die Konventionen und Bestandteile dieser Textsorte durch ihre mediale Präsenz in Kriminalfilmen, -romanen, Zeitungs- oder Fern‐ 156 14 Erpresserschreiben <?page no="157"?> sehberichten geläufig sein. Sie verfügen also über ein ausreichend großes Textmusterwissen, um solche Texte zu verfassen. Erst durch das Vorhandensein dieser Muster ist es möglich, einen Erpresserbrief (oder auch andere Textsorten) als solche zu erkennen (Heinemann 2000: 24). Für die Autorenerkennung ist es elementar, Merkmale, die textsortenspezifisch sind, und Merkmale, die indi‐ vidualtypisch, „und somit individualisierende Merkmale eines Textes“ (Schall 2004: 554) sind, zu unterscheiden. Trotz gewisser bekannter Konventionen gehört das Erpresserschreiben zu den weniger stark normierten Texten. Das liegt einerseits wohl daran, dass kaum jemand im Alltag einen echten Erpresserbrief o. ä. je zu Gesicht bekommt und andererseits es sich dabei um eine Textsorte handelt, die wesentlich seltener auf‐ tritt als beispielsweise ein Zeitungsbericht oder eine Werbeanzeige. Diese stellen wiederum Textsorten dar, die den meisten Personen fast täglich in ihrem Alltag begegnen. Die mediale Präsenz von Erpresserschreiben ist auf die äußere Gestal‐ tung und auf einen erwartbaren Inhalt (Dern 2009: 159) beschränkt. Aus dieser Orientierungslosigkeit resultiert ein großer, nicht-konventionalisierter Bereich, der mit individuellen und ggfs. markierten sprachlichen Merkmalen ausgefüllt werden kann bzw. muss. Abgesehen von einem unterschiedlichen Aufbau können außerdem Fehler verschiedener Art, Stilschwankungen und weitere Normverletzungen bei Erpresserschreiben auftreten. Für eine Textanalyse ist darauf zu achten, was im Rahmen eines Erpresserschreibens erwartbar, also relativ konventionell, und was weniger oder nicht erwartbar, also individuell bzw. „sprecheridentifizierend“ (vgl. Kniffka 1981: 595) ist. Welche Komponenten können also als stilistisch unmarkiert und welche als stilistisch markiert (vgl. auch Brinker 2000: 41 ff.) analysiert werden? Hier ist zu beachten, dass sich die außersprachlichen Rahmenbedingungen, die ihrerseits auf die Verfasser/ innen und die Textproduktion wirken, stark voneinander unterscheiden können. So kann z. B. die Situation, in der sich ein/ e Autor/ in während des Schreibprozesses befindet, stark variieren. Außerdem kann sich die Situation, die im Rahmen einer Briefserie besteht, sehr schnell ändern, wenn beispielsweise auf Forderungen nicht eingegangen wird oder wenn Entführungsopfer in Gefahr geraten, während der Entführung ernsthaft krank werden, die/ der Erpressende die Befürchtung hat, von der Polizei gesucht oder entdeckt zu werden bzw. vermutet, dass die/ der Erpresste die Polizei eingeschaltet hat etc. Bei Analysen ist insbesondere darauf zu achten, wie routiniert und stilsicher ein/ e Autor/ in die der Textsorte zugrundliegenden Textteile (vgl. auch Textbau‐ steine) einsetzt, da daraus u. a. Rückschlüsse auf den Erfahrungsschatz bei der vor‐ liegenden Textsorte sowie u. U. die schriftsprachliche Kompetenz gezogen werden 14.3 Das Erpresserschreiben als Textsorte 157 <?page no="158"?> 81 https: / / www.deutschepost.de/ de/ b/ briefvorlagen/ normbrief-din-5008-vorlage.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 können. Anhand der Analyse des Umgangs einer/ eines Autorin/ Autoren mit der Textsorte Erpresserschreiben lassen sich Informationen über ihre/ seine Routinen ableiten. Diese Informationen können etwas zur Profilierung des psychologischen Täterprofils beitragen (vgl. Fobbe 2011: 73). Eine feingliedrige, textlinguistische Analyse von Erpresserschreiben bietet Brinker (1989 insb. 14f., 2000, 2002). Viele Textsorten haben Formulierungsmuster, die Autor/ inn/ en automatisch umsetzen (vgl. Stein/ Baldauf 2000: 383), die aber nicht dem bewussten Zugang der Schreiber/ innen unterliegen. Somit können Abweichungen von diesen Mustern als „potentiell aussagekräftig“ eingestuft werden (Fobbe 2011: 77). So lassen sich z. B. an‐ hand von Abweichungen in Phraseologismen oder weiteren formelhaften Belegen (wie bei Stein/ Baldauf 2000) Stilunsicherheiten feststellen, da hier entsprechende sprachliche Normen gelten. Substandardkonstruktionen wie die Verwechslung der Präposition wie in „haben sie einen Mord im Gewissen“ statt haben sie/ Sie einen Mord auf dem Gewissen sind daher besonders auffällig. Anhand lexikalischer Varianten wie „wir haben euch im Auge“ schließen Stein/ Baldauf (2000) darauf, dass Phraseologismen weniger fest im Sprachbewusstsein verankert sind. 14.4 Einzelne Komponenten der Textsorte Erpresserschreiben Einige Schreiberinnen und Schreiber kennen nicht die aktuellen DIN-Normen für Briefe 81 und orientieren sich eher an eigenen Vorlieben und Vorstellungen (Fobbe 2011: 78). Dennoch bedienen sich Autor/ inn/ en beim Verfassen von Erpresserschreiben bestimmter Textbausteine eines Briefs. Typische Einzel‐ komponenten der Textsorte Erpresserschreiben und deren Abweichungen von vorgegebenen Standards sollen an dieser Stelle vorgestellt werden. Erpresserschreiben ähneln formell Geschäftsbriefen, da sie als offiziell, ernst und verbindlich gekennzeichnet werden. Der Rezipient, also die/ der Erpresste, wird durch eine gesetzte Frist zur Mitarbeit gezwungen, wobei bei Nichtein‐ haltung der Auflagen, Fristen etc. Sanktionen angedroht werden. Da in Folge‐ schreiben oft der geschäftliche Stil gebrochen wird, ist anzunehmen, „dass die Übernahme des Stils von geschäfts- und Behördenschreiben ein Behelfsmittel des Erpressers ist und bleiben muss“ (Fobbe 2011: 80). Fobbe geht davon aus, dass die Übernahme bestimmter Stilmittel aus behördlichen Schreiben instrumenta‐ lisiert wird, um dem illegalen Verhalten zumindest stilistisch eine legale Form zu geben, damit die Forderung der/ des Erpresserin/ Erpressers legitimiert werden 158 14 Erpresserschreiben <?page no="159"?> kann. Die folgende Tabelle stellt Textbausteine von Erpresserschreiben sowie Ähnlichkeiten und Abweichungen zur Textsorte Geschäftsbrief dar: Kalender‐ datum Bei vielen Erpresserschreiben wird das Kalenderdatum, ebenso wie in Geschäftsbriefen, verwendet. Ortsangabe Auch bei der Ortsangabe orientieren sich viele Erpresserschreiben an Geschäftsbriefen und verwenden sie. Anrede Gebrauch von „eher konventionellen Formulierungen wie z.-B. Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Oberbürgermeister“ (Fobbe 2011: 78) sind möglich. Oder die Anrede fehlt komplett, was bei etwa 56-% der Texte der Fall ist (Zahl laut Fobbe 2011: 79). Außerdem sind Ersetzungen der Anrede durch Parolen wie „Tod allen Ungläubigen“ (Fobbe 2011: 78) möglich. Schlussbzw. Grußformel Hier finden sich eher konventionelle Formulierungen wie z.B. „mit freundlichen Grüßen, viele Grüße“ (Fobbe 2011: 78). Oder die Gruß‐ formel fehlt komplett, was bei etwa 83 % der Texte der Fall ist (Angabe bei Fobbe 2011: 79). Laut Stein/ Baldauf (2000: 391) erübrigt sich in vielen Fällen die Schlussformel, da sie i.-d.-R. vor der Unterschrift steht und aus Anonymitätsgründen weggelassen wird. Auch die Grußformel kann durch eine Parole wie „Tod allen Ungläubigen“ (Fobbe 2011: 78) ausgetauscht werden. Unterschrift Falls vorhanden, enthalten Unterschriften „erfahrungsgemäß fiktive Daten“ (Fobbe 2011: 78). Ferner finden sich Unterschriften, die nicht handschriftlich gezeichnet sind oder „auktoriale Selbstinsze‐ nierungen als Einzelperson“ wie „der Erbarmungslose“ oder Inszenie‐ rungen „als Gruppe“ wie „Todeskommando of Bagdad“. (Fobbe 2011: 78). Beim Weglassen der Unterschrift ist es einerseits möglich, dass sich die Autor/ inn/ en zwecks Anonymisierung gegen eine Unter‐ schrift entscheiden, aber auch, weil sie sich an behördlichen Schreiben orientieren, bei denen nicht die/ der individuelle Schreiber/ in im Vordergrund steht, sondern die Behörde selbst. Als Beispiel nennt Fobbe die Unterzeichnung eines Erpresserschreibens aus dem Jahr 2006, bei dem statt einer Unterschrift folgender Satz den Abschluss des Textes darstellte: „Diese Email ist auch ohne Unterschrift rechtskräftig.“ (Fobbe 2011: 78 f.) Fußtext Der Fußtext ist, wie bei Geschäftsbriefen, fakultativ. 14.4 Einzelne Komponenten der Textsorte Erpresserschreiben 159 <?page no="160"?> Betreffzeile Bei Erpresserschreiben werden Angaben gemacht, die in etwa der Funktion einer Betreffzeile entsprechen, wie z.-B. „Erpresserbrief! “ oder „Dies ist ein Drohbrief “. (Fobbe 2011: 79) Adressfeld Das Adressfeld enthält „erfahrungsgemäß fiktive Daten“ (Fobbe 2011: 78) Absender Statt eines reellen Absenders werden „erfahrungsgemäß fiktive Daten“ (Fobbe 2011: 78) verwendet. Formen der Höflichkeit Da sich Erpresserschreiben an den Formulierungsmustern der Vor‐ bilder, wie z.-B. dem Geschäftsbrief, orientieren, sind Formen der Höflichkeit auch hier vorhanden. Beispiele sind „räumen wir Ihnen die Möglichkeit ein“ und „bitten wir Sie um einen Solidaritätszuschlag“ (Fobbe 2011: 79). Ein Großteil von Erpresserbriefen ist in Analogie zu Geschäfts- und Behördenbriefen höflich formuliert. So wird z.-B. auf vulgäre Ausdrucksformen i. d. R. verzichtet, da Höflichkeit als obliga‐ torischer Bestandteil der Briefkommunikation sowohl konventiona‐ lisiert als auch ritualisiert ist (Dern 2003b). Höflichkeit dient demnach in Erpresserbriefen dazu, das Gesicht von Täter/ in und Opfer zu wahren (Dern 2003b: 138) und „sog. Face-threatening acts (FTAs) nach Möglichkeit zu vermeiden“ (Fobbe 2011: 81). Stilbildend sind hierbei Bitten, Entschuldigungen oder Ausdrücke des Bedauerns, die statt offensichtlicheren Formen der Handlungsaufforderungen oder -ankündigungen wie Drohungen (mit Hinweis auf entsprechende Konsequenzen) verwendet werden. Formen der Höflichkeit durch indi‐ rekte Sprechakte Im Bereich der Grammatik werden Konstruktionen mit Modalverben, die auch mit dem Konjunktiv auftreten können, sowie „uneingeleitete Konditionals[ätze] mit sollte im Konjunktiv II in Spitzenstellung“ genannt (Fobbe 2011: 79). Bevorzugt werden außerdem weitere Kon‐ junktivformen, Modalpartikeln, agensabgewandte Formulierungen und Passivkonstruktionen verwendet, die ebenfalls als Formen der Indirektheit bzw. der Höflichkeit im schriftsprachlichen Verkehr konventionalisiert sind (Fobbe 2011: 83). Nutzen der Höflichkeit In Anlehnung an die Kosten-Nutzen-Skala nach Leech (1999) be‐ schreibt Fobbe (2011: 82), dass Höflichkeitsformen in Erpresserbriefen dafür genutzt werden, den Eigennutz zu maximieren und den Fremd‐ nutzen der Empfänger/ innen bzw. der Opfer zu minimieren. Searle (1982) unterscheidet das Gemeinte als primäre Illokution vom Gesagten als sekundäre Illokution eines Sprechaktes. In inkri‐ 160 14 Erpresserschreiben <?page no="161"?> 82 „Eine konversationale Implikatur ist ein nicht explizit genannter, aber in einer be‐ stimmten Situation potentiell zu erschließender Sinn der Äußerung.“ (Schwarz-Friesel 2013: 24) minierten Texten wird nicht alles, was gemeint wird, auch explizit ausgedrückt. Vieles wird mitgedacht. Die in Erpresserbriefen oft verwendeten Höflichkeitsformeln sind nicht als wirkliche Höflichkeit gemeint, u.-U. wird das Bedrohungsszenario (bzw. die „Erpressungs‐ wucht“, vgl. das Kapitel 10.1) noch verstärkt. Die Drohung kann dadurch angedeutet werden, oder einfach mitgemeint sein, im Sinne einer konversationalen Implikatur 82 , die dann durch die/ den Emp‐ fänger/ in der Nachricht entschlüsselt werden muss. Das ist in der Regel problemlos, denn die meisten Menschen können aus einer sprachlichen Äußerung das, was mitgemeint wird, jedoch nicht explizit ausgesprochen oder geschrieben wurde, ermitteln (Schwarz-Friesel 2010: 12). Bruch mit Formen der Höflich‐ keit / Kon‐ kurrenz für Formen der Höflichkeit und vulgärer Sprachge‐ brauch Da Höflichkeit im schriftsprachlichen Bereich u.-a. durch Indirektheit und ggfs. Vagheit hergestellt wird, ist es möglich, dass die Wirkung der Drohung durch die formalen Eigenheiten eines Erpresserschreibens nachlässt. Fobbe (2011: 83) spricht hier von einem „kommunikative[n] Dilemma“ zwischen „umgangssprachlich-distanzlosem und höflich-dis‐ tanziertem Stil“. Diese Problematik trägt wohl auch dazu bei, dass Folgeschreiben in Briefserien von dem distanzierten Stil abweichen und eher zum umgangssprachlich-distanzlosen Pol tendieren, wobei auch auf Formen eines vulgären Sprachstils zurückgegriffen werden kann. Zieht man nun den Nutzen der Höflichkeit in Erpresserbriefen in Betracht, wird deutlich, dass die Fassade eines formell höflichen Kontakts zugunsten einer direkten Drohung aufgegeben wird. Die Minimierung des Fremdnutzens wird also durch offene Drohungen u.ä. offengelegt. Diese Offenlegung ist im kommunikativen Sinne mit Formen der Höflichkeit nicht vereinbar, außer sie wird im Sinne von Ironie als besondere Form der Drohung eingesetzt, vgl. Ich bedaure dann sehr, dass ich ihr Kind umbringen muss. Wortbildung In Analogie zur Verwaltungssprache verwenden Autor/ inn/ en in Erpresserschreiben oft Nominalisierungen, vor allem solche, die auf -ung enden (vgl. Hansen 2009). Tabelle 7: Textbausteine von Erpresserschreiben sowie Ähnlichkeiten und Abwei‐ chungen zur Textsorte Geschäftsbrief 14.4 Einzelne Komponenten der Textsorte Erpresserschreiben 161 <?page no="162"?> Bei der Untersuchung der bereits genannten Textserie inkriminierter Schreiben soll das Vorhandensein der hier vorgestellten Textbausteine geprüft und bei der Analyse miteinbezogen werden (Kapitel 17). 14.5 Zusammenfassung Erpressertexte ähneln formal behördlichen Schreiben, sind jedoch insbesondere durch die Herstellung von Anonymität und die Maximierung des Eigennutzens geprägt. Erpresserbriefe sind eine Sonderform der Drohschreiben mit den obligatorischen Elementen Kontaktherstellung, Verhandlung der Modalitäten und Übermittlung konkreter Anweisungen. Erpresserschreiben orientieren sich an medialen Vorbildern. Die Präsenz und Verbreitung medialer Vorbilder kann bestimmte Muster etablieren, die von den Schreiber/ innen übernommen werden. Trotz eines gewissen Textmusterwissens ergibt sich für Schreiber/ innen von Erpressertexten ein großer, nicht-konventi‐ onalisierter Bereich. Daraus resultieren Normverletzungen, die Anhaltspunkte für die Autorschaftserkennung bieten können. Als einzelne Komponenten von Erpressertexten stehen die Selbstinszenie‐ rung der/ des Schreiberin/ Schreibers als eine fiktionale Einzelperson oder Gruppe sowie bestimmte Formen der Höflichkeit im Fokus. Höflichkeitsformen können verwendet werden, um das entstandene Bedrohungsszenario einer Erpressung noch zu verstärken. Solche Normen der Höflichkeit können ins‐ besondere bei Folgeschreiben einer Textserie zugunsten direkter Drohungen aufgegeben werden, die mit einem vulgären Sprachstil einhergehen können. 162 14 Erpresserschreiben <?page no="163"?> 15 Verstellungsstrategien Verstellungen oder Verstellungsstrategien bei der Produktion von Texten wie die Verschleierung der eigenen Identität oder Imitation anderer Personen bzw. Personengruppen wurden in vorangegangenen Kapiteln (insbesondere in Kapitel 13) bereits angesprochen. In den folgenden Kapiteln wird themati‐ siert, welche Voraussetzungen Verstellungen haben, wie sie funktionieren, wie Verstellungsstrategien umgesetzt werden, welche Grenzen sie haben, welcher Zusammenhang zwischen Lügen und Verstellungen besteht und wie verschie‐ dene Arten von Verstellungsstrategien voneinander abgegrenzt werden können. 15.1 Anonymität, fingierte Autorschaft und metasprachliches Bewusstsein Bei der Untersuchung von Verstellungsstrategien im Rahmen von Texten stellt sich die Frage, wie ein/ e Autor/ in Anonymität herstellen kann. Ob jemand seine Identität verschleiert, andere Personen bzw. Personengruppen imitiert oder gar stilisiert - die eigene Identität soll möglichst anonym bleiben, wenn eine Verstellungsstrategie angewendet wird. In der Literaturwissenschaft wird der empirische Autor vom Erzähler unter‐ schieden. Der Literaturwissenschaftler Wayne Clayson Booth (1961) schlägt außerdem als eine vermittelnde Instanz zwischen diesen beiden den „impliziten Autor“ vor. Der „postulierte Autor“ ist das auktoriale Selbstbild, also das Bild, das die Leserschaft von einer/ einem Autor/ in bekommen kann (vgl. auch Hoffmann/ Langer 2007: 135). Für die forensische Linguistik ist bedeutsam, wie sich die/ der empirische Autor/ in selbst im Rahmen eines Textes inszeniert und welches Bild von ihr/ ihm damit bei der Leserschaft erschaffen wird (vgl. Fobbe 2011: 48). Im Sinne von Verstellungsstrategien soll hier auch von fingierter Autorschaft, bzw. fingierten Autor/ inn/ en die Rede sein. Führt man nun das Konzept von empirischer und postulierter Autorschaft ins Feld, dann ist ein erster Schritt zur Anonymität der, dass ein Text weder einen Absender hat, der auf die/ den empirische/ n Autor/ in hinweist, noch unterzeichnet ist. Der Verzicht auf solche Verweise wird ebenfalls als „Spielart der auktorialen Inszenierung“ verstanden (Fobbe 2011: 52). Außerdem stellt Artmann (1996) fest, dass diese Merkmale für die Textsorten Erpresser- und Drohbrief konstitutiv sind, wobei er in seinem Korpus zwei Erpresserschreiben <?page no="164"?> aufführt, in denen die Autor/ inn/ en um Verständnis für die Anonymisierung bitten (Artmann 1996: 27). Anonyme Texte (wie die meisten Erpresserschreiben) weisen gewisse Ähn‐ lichkeiten zu Plagiaten auf. Während jemand, der einen Erpressertext schreibt, verhindern will, dass das Geschriebene auf sie oder ihn selbst zurückzuführen ist, versucht man bei Plagiaten, etwas Ähnliches zu erreichen. Hier besteht eine Art Herstellung von Anonymität darin, dass versucht wird, dass ein Text oder Teile eines Textes nicht auf eine/ n anderen Autorin/ Autoren zurückzuführen sind. Das Plagiat ist also insofern unterschiedlich, als dass die/ der empirische Autor/ in den Text nicht einer anderen Person (über die postulierte Autorschaft) zuschreibt, sondern einen Text für sich selbst beansprucht. In Bezug auf Merkmale ist bei Plagiaten zu beachten, dass zwar Teile des Vokabulars durch Synonyme oder be‐ deutungsähnliche Wörter ersetzt werden, aber Funktionswörter oft unverändert übernommen werden (vgl. Fobbe 2011: 53 und Olsson 2009: 22-34). Bei der Anwendung von Verstellungsstrategien (wie z. B. im Rahmen von Plagiaten) wird also deutlich, dass für bestimmte Wörter (i. d. R. Inhaltswörter wie Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien) ein größeres metasprachliches Bewusstsein besteht als für andere (insbesondere Funktionswörter wie Artikel, Partikeln, Präpositionen, Konjunktionen etc.). Das metasprachliche Bewusstsein reicht jedoch in der Regel nicht aus, um das Plagiat zu verbergen. In Bezug auf Hapaxlegomena, also Wörter, die in einem Text nur ein einziges Mal vorkommen, schreibt Coulthard (2004) in Anlehnung an Woolis (2003), dass die Wahrscheinlich‐ keit, dass zwei Personen unabhängig voneinander dieselben Wörter nur ein einziges Mal in einem Text verwenden, extrem gering ist. Man kann also darauf schließen, dass das Vorkommen derselben Hapaxlegomena in einem fraglichen Schreiben und einem Vergleichsschreiben ebenfalls auf die gleiche Autorschaft hinweisen. Daher ist bei der Beschäftigung mit Verstellungsstrategien insbesondere auf die Verwendung von Funktionswörtern und Hapaxlegomena zu achten. 15.2 Sprachliche Verstellungsstrategien - Grundlegende Übersicht Sprachliche Verstellungsstrategien sind, wie wir sehen werden, eine sehr komplexe Angelegenheit, die Verfasser/ innen von Texten vor eine Vielzahl von Anforde‐ rungen und Probleme stellt. Das gilt im erhöhten Maße für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die Definition von Verstelllungen, die Ab‐ grenzung von Strategien voneinander etc. In Einführungen und weiteren Veröf‐ fentlichungen zur forensischen Linguistik wird auf sprachliche Verstellungen für 164 15 Verstellungsstrategien <?page no="165"?> die Bereiche Textanalyse und Textvergleich hingewiesen. Heitz (2002) umreißt Ver‐ stellungsmethoden im Produktionsprozess von Erpresserschreiben. In ihrer Arbeit wird ein Szenario beschrieben, zu dem 30 Proband/ inn/ en einen Erpresserbrief formulieren sollen. Mit der Vorgabe, den eigenen Schreibstil zu verstellen, wurden weitere Erpresserschreiben verfasst, die jeweils gewählte Verstellungsstrategie beschrieben und weitere Methoden zur schriftsprachlichen Verstellung genannt. Busch/ Heitz (2006) greifen die Arbeit von 2002 auf. Die Proband/ inn/ en wurden gebeten, „den konditionale[n] Kern der Erpressung zunächst in eigenen Worten wiederzugeben […], dann […] in der ‚Maske‘ einer älteren, jüngeren, gebildeteren, ungebildeteren und einer geisteskranken Person […], außerdem als Ausländer und als Mitglied einer radikalen Organisation“ (Busch/ Heitz 2006: 94). Hier sind viele Ansätze zu erkennen, die in nachfolgenden Arbeiten weiterverfolgt wurden. Als Ergebnis konstatieren sie: „Zwar sollte diese erste Feldstudie in erster Linie Fragestellungen klarer definieren und gezielte Hinweise für Folgestudien geben, dennoch zeigte aber die Auswertung der Texte, dass die Probanden hauptsächlich drei Methoden der Verstellung nutzten: Beinahe alle ‚verstellten‘ Texte waren kürzer als ihre Pendants, die meisten unhöfli‐ cher oder unfreundlicher im Tonfall und die Drohungen wurden häufig drastischer.“ (Busch/ Heitz 2006: 95-96) Busch/ Heitz (2006) beschreiben außerdem Verstellungsstrategien in Erpresser‐ schreiben auf korpuslinguistischer Basis und fokussieren auffällige Verstel‐ lungsmerkmale aus den Texten. Das zugrundeliegende Korpus wurde vom BKA in Auftrag gegeben, umfasst über 1500 vom BKA zur Verfügung gestellte Texte und heißt „Linguistische Korpusanalyse als textanalytische Option für Reprä‐ sentation und Auswertung von Tatschreiben“, kurz LiKtORA (vgl. auch Busch/ Heitz 2006: 85 f.) Im Aufsatz wird das Korpus sowie die dem Projekt zugrunde‐ liegende „Taggingsystematik“, bei der Merkmale und weitere Informationen im Korpus mit Tags (also Schlagwörtern) versehen werden, vorgestellt. Außerdem werden im Korpus gefundene Typen von „Autorenstilisierung“ erarbeitet und präsentiert. Darunter werden explizite Angaben der Texturheber/ innen ver‐ standen, die Informationen über sie selbst oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe beinhalten (Busch/ Heitz 2006: 87). 15.3 Verstellungsstrategien als sprachlicher Stil Für den Bereich der Verstellungsstrategien ist wichtig festzuhalten, dass ein/ e Textproduzent/ in nur das verstellen kann, was ihr/ ihm selbst bewusst ist. Stil, 15.3 Verstellungsstrategien als sprachlicher Stil 165 <?page no="166"?> die Veränderung bzw. Verstellung des Stils, ist vom sprachlichen Bewusstsein und vom metasprachlichen Bewusstsein abhängig. Stil ist die „charakteristische Wahl von durch das Sprachsystem zur Verfügung gestellten sprachlichen Mitteln“ (Baldauf 1999: 94) bzw. „a reflection of group or individual variation in written language. Individual variation is a result of the writer’s choices of one form out of the array of all available forms“ (McMenamin 2002: 111). Die Beschäftigung mit Verstellungsstrategien ist für die Autorenerkennung, insbesondere bei inkriminierten Texten wie Erpresserschreiben, keine Selten‐ heit. Bereits vor über zehn Jahren schreibt Ehrhardt (2007b), dass „disguise“ zu einem „common feature“ geworden ist. „Im Rahmen der Analyse fraglicher Texte muss stets die Möglichkeit der Verstellung berücksichtigt werden.“ (Dern 2009: 60) Bevor genauer auf verschiedene Verstellungsstrategien oder bestimmte Grade der Verstellung eingegangen werden soll, wird der Versuch einer De‐ finition vorangestellt. Jöns (1989: 276) versteht darunter „die Unkenntlichma‐ chung des eigenen Stils durch den Täter mit der Absicht, seine Identität zu verschleiern“. Da bei dieser Definition von einem „Täter“ die Rede ist, wird deutlich, dass hier von Verstellungen in kriminellen Kontexten ausgegangen wird, also z. B. bei inkriminierten Texten. Es gibt, wie bereits erwähnt, ebenfalls Verstellungen des eigenen Sprachstils in anderen Kontexten, wie z. B. in Comedy- und Kabarettprogrammen. Ebenfalls werden Verstellungsstrategien z. B. in verschiedenen Social Media-Bereichen wie Chats, Internetforen etc. angewendet, die nicht zwingend kriminelle Be‐ reiche betreffen. 15.4 Grenzen der Verstellung Sich sprachlich zu verstellen ist eine schwierige, anstrengende und zugleich hochkomplexe Angelegenheit. Insbesondere ist es schwierig, eine sprachliche Verstellung über einen langen Zeitraum (der Textproduktion) aufrecht zu erhalten. Schall (2005: 554) nennt als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Verstellung, „dass der Texturheber seine Fehler- und Stilmerkmale überhaupt kennt.“ Um sich erfolgreich zu verstellen, muss also ein gewisses Maß an sprachlichem und metasprachlichem Bewusstsein vorhanden sein. Außerdem muss eine Verstellung über einen längeren Textproduktionszeit‐ raum oder, bei mündlichem Sprachgebrauch, ‚Sprech-Zeitraum‘ aufrechter‐ halten werden. Im Rahmen dialektologischer Untersuchungen haben Studie‐ rende der Ruhr-Universität Bochum und der Verfasser dieses Textes für die 166 15 Verstellungsstrategien <?page no="167"?> 83 https: / / www.ruhr-uni-bochum.de/ kgsr/ Letzter Zugriff am 20.01.2023 Erstellung des Neukorpus der Forschergruppe Korpus der gesprochenen Sprache des Ruhrgebiets 83 , kurz KgSR, Interviews mit Proband/ inn/ en durchgeführt. Ziel der Interviews war u. a., möglichst unverfälschte, authentische Sprachdaten zu erhalten, um so Merkmale der gesprochenen Sprache im Ruhrgebiet zu erhalten (Hessler/ Pottmann 2017). Die Interviews wurden anhand festgelegter Transkriptionskonventionen (Hessler/ Pottmann 2015) im Rahmen des Projekts Linguistische Datengewinnung und Datenanalyse am Beispiel des Ruhrdeutschen (LinDa) transkribiert und analysiert. Bei der Analyse der Interviews zeigte sich, dass einige Proband/ inn/ en am Anfang der Gespräche versuchten, ihre Sprach‐ wahl der Situation anzupassen. Ein Interview für eine wissenschaftliche Studie ist eine für viele Personen aufregende Situation, in der einige Sprecher/ innen be‐ sonders auf ihren Sprachgebrauch achtgeben. Einerseits wurden nur bestimmte Merkmale des persönlichen Sprachgebrauchs minimiert bzw. unterdrückt, die insbesondere in den Bereich der Lexik (hier etwa salopper Sprachgebrauch) fallen. Außerdem ergab die Analyse, dass diese sprachlichen Verstellungen maximal fünf bis zehn Minuten durchgehalten wurden. Anschließend sprachen alle Proband/ inn/ en sehr authentisch. Gleiches gilt für das Verfassen von Texten. Selbst für forensisch-linguistische Expert/ inn/ en ist es sehr schwierig bzw. unmöglich, Fehler auf verschiedenen grammatischen Ebenen über einen längeren Textproduktionszeitraum erfolg‐ reich zu fingieren (Kniffka 2000: 196 f.). Bei Verstellungen, die über einen längere Zeitperiode aufrechterhalten werden, kommt es zu sprachlichen Inkonsistenzen. Das ist u. U. mit der Cognitive Load Theory verbunden, die vor allem die kognitive Belastung beim Lernen thematisiert und beschreibt (vgl. u. a. Sweller 2003). Newman/ Pennebaker et al. (2003) gehen davon aus, dass man für Lügen einen größeren kognitiven Aufwand betreiben muss als für die Wahrheit. Das kann auch für Verstellungen gelten, die nicht zwangsweise mit Lügen verbunden sein müssen, vgl. die o. g. Interviews mit authentischen Sprecher/ inne/ n im Ruhrgebiet. Diese Beobachtungen können auch bei Texten im Bereich der Autorenerkennung gemacht werden. Olsson (2004) beschreibt beispielsweise, dass fingierte Aussagen mehr Bewegungsverben beinhalten als wahrheitsgemäße Aussagen, was ebenfalls mit einem geringeren kognitiven Aufwand beim Gebrauch dieser Verben erklärt werden kann. Nun besteht gerade bei inkriminierten Texten die Problematik, dass diese oft nicht sehr lang sind, also eher wenig Sprachmaterial enthalten. So ist es u. U. möglich, eine vorher gewählte Verstellungsstrategie für die Produktion des ganzen Textes, oder zumindest einen großen Teil davon, aufrechtzuerhalten. 15.4 Grenzen der Verstellung 167 <?page no="168"?> Dennoch ist es möglich, auch aus Texten mit durchgehender Verstellungsstra‐ tegie Informationen über die/ den Autor/ in zu erhalten. Es können einerseits die Verstellung begleitende Merkmale auftreten und andererseits kann die Art der Imitation signifikante Merkmale aufweisen (vgl. Kniffka 1981: 591 ff.) Die meisten Arbeiten, ob Monographien, Aufsätze, Einführungen etc., die sich mit dem Thema „Verstellungsstrategien“ befassen, betrachten den Kernbereich der Autorschaftserkennung der forensischen Linguistik, nämlich inkriminierte Texte. Verstellungsstrategien finden sich jedoch auch im Rahmen anderer Texte, wie beispielsweise beim Verfassen von Beiträgen von User/ innen in Internet‐ foren (vgl. das Kapitel 11). Diese können, müssen aber nicht zwangsläufig strafrechtlich relevant o.ä. sein. Solche Texte können und sollten dennoch für Analysen von Verstellungsstrategien etc. herangezogen werden, da sie eine immer größer werdende gesellschaftliche Relevanz bekommen. So ist die Manipulation anderer Nutzer/ innen von Foren und die Verbreitung falscher Nachrichten über das Internet ein wichtiges Thema. Auch hier wenden die Urheber/ innen Verstellungsstrategien an, um nicht erkannt zu werden oder das Geschriebene anderen Personen und Personengruppen zuzuschreiben etc. 15.5 Sich verstellen bzw. lügen Verstellungen sind mit Lügen verwandt, da, ganz grundlegend gesprochen, Leute, die lügen oder sich verstellen, bestimmte Wahrheiten bewusst nicht preisgeben. So wie grammatische und lexikalische Inkonsistenzen Hinweise (siehe das Kapitel 15.4) darauf geben können, dass jemand eine Verstellungs‐ strategie bei der Textproduktion anwendet, können inhaltliche und logische Inkonsistenzen auch Hinweise darauf geben, dass jemand lügt. Es ist jedoch nicht Aufgabe der forensischen Linguist/ inn/ en, zu entscheiden, ob jemand lügt bzw. glaubwürdig ist etc. Da aber Ungereimtheiten, Unwahrheiten und Lügen direkt mit verschiedenen Verstellungsstrategien wie Verschleierung der eigenen Identität und Imitation zusammenhängen, sollen die nächsten Kapitel Lügen in Abgrenzung zu ‚verwandten‘ sprachlichen Phänomenen und insbesondere ihre Leistungen in Verstellungsstrategien behandeln. Sich zu verstellen und wissentlich die Unwahrheit über die eigene Existenz, und was damit zusammenhängt, zu sagen oder zu schreiben, kann auch unter dem Aspekt der Lüge betrachtet werden (vgl. Fobbe 2011: 186 ff.). Im alltäglichen Leben bzw. in der Betrachtung von Laien fallen viele verschiedene Dinge unter den Begriff der Lüge. So wird oft von Lüge gesprochen, wenn jemand die Unwahrheit sagt, obwohl sie/ er keine besseren Informationen über einen 168 15 Verstellungsstrategien <?page no="169"?> 84 https: / / www.tagesschau.de/ investigativ/ ndr-wdr/ fake-news-corona-101.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 Sachverhalt hatte und einfach davon ausgegangen ist, dass das Gesagte oder Geschriebene richtig ist. Von einer Lüge wird auch manchmal dann gesprochen, wenn jemand einfach falsch rät, gewisse Informationen vorenthält oder sie nicht preisgibt. In den letzten Jahren sind in verschiedenen Medien Begriffe aufgetaucht, die beschreiben, wie stark der Begriff des Lügens einerseits ver‐ allgemeinert wird und andererseits wie stark diese Zusammenhänge in die öffentliche Diskussion und das sprachliche Bewusstsein gelangt sind. 15.5.1 ‚Fake News‘ und ‚Lügenpresse‘ Repräsentanten dieser Entwicklung sind u. a. die Begriffe Fake News und Lügenpresse. Ersterer bezieht sich darauf, dass z. B. in sozialen Medien (v. a. in sozialen Netzwerken) Nachrichten verbreitet werden, die nicht der Wahrheit entsprechen (Desinformation). Oft geschieht das anonym oder unter der Ver‐ wendung von Nicknames bzw. mithilfe anderer Hilfsmittel zur Verschleierung der eigenen Identität. Der Begriff Fake News hat sich für die Verbreitung von Falschmeldungen durchgesetzt. Fake News sind ein allgegenwärtiges Phä‐ nomen, bei dem insbesondere gesellschaftliche Veränderungen, Ressentiments gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen oder schlicht die Angst der Bevölkerung genutzt werden. Ein Beispiel dafür beschreibt der folgende Artikel der Tagesschau vom April 2020: Fake News zur Pandemie Die gefährliche Macht der Corona-Mythen […] Das Coronavirus sei in einem Labor gezüchtet worden, die Krise von Politi‐ kern seit langem geplant, oder die Maßnahmen der Bundesregierung schlicht überzogene Panikmache: Solche und ähnliche Mythen, Falschinformationen und Halbwahrheiten werden derzeit in Videos und Texten massenhaft in sozialen Netzwerken verbreitet. Laut einer Datenrecherche von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) gemeinsam mit dem Datenanalysten Philip Kreißel wurden 19 solcher fragwürdigen YouTube-Videos in den letzten sechs Wochen rund zwölf Millionen Mal angesehen. 84 15.5 Sich verstellen bzw. lügen 169 <?page no="170"?> 85 Beispiele für informellen und affektiven Sprachgebrauch auf Nachrichten-Websites sind hilarious, fake, idiots, cringeworthy, feigning, outrage, ashamed, hypocrisy, disgrace (Przybyła 2020: 496) 86 http: / / www.unwortdesjahres.net/ index.php? id=112 Letzter Zugriff am 20.01.2023 Fake News bedienen sich, ähnlich wie Click Bait, informeller, affektiver Sprache, die auf Darstellung von Sensationen aus sind (Allcott/ Gentzkow 2017). Dieser Schreibstil wird als Indikator für eine geringe Glaubwürdigkeit gesehen (Przy‐ była 2020) 85 . Der zweite Begriff Lügenpresse hat eine starke politische Färbung, da er vor allem in politisch extremen Lagern Verwendung findet. Er wurde zum Unwort des Jahres 2014 gewählt. 86 Der Begriff Lügenpresse zielt vor allem auf professio‐ nelle Medien wie Zeitungen, Nachrichtensendungen, Nachrichtenportale etc., die nach Meinung einiger Kritiker/ innen nicht die Wahrheit schreiben, bzw. Wahrheiten verheimlichen oder ggfs. verschleiern. Es findet in der Regel keine Differenzierung zwischen Lügen, Unwahrheit, Weglassen von Informationen etc. statt. Man kann anhand beider Kontexte ablesen, wie stark die Lüge, bzw. das, was dafür gehalten wird, in der öffentlichen Wahrnehmung mit Verschleierung, Verstellungen und Verstellungsstrategien zusammenhängen. Gerade in Bezug auf Diskussionen um die Verbreitung von Desinformation, Fake News und Hatespeech ist es wichtig, fest zu definieren, was eine Lüge ist und was nicht, bzw. wie gegebenenfalls Ironie etc. davon abzugrenzen sind. 15.5.2 Lügen im psychologischen und juristischen Sinn Die Lüge ist, bevor sie verbalisiert wird, zuerst ein kognitiver Prozess. Im psychologischen Sinne werden Lügen als Problemlösungskonzept behandelt (vgl. Lukesch 2007 und McCornack 1997). Die forensische Linguistik und damit auch insbesondere die Autorenerkennung sind, wie dargestellt wurde, eng mit juristischen Fragestellungen verwoben. Der Begriff Lüge wird vor Gericht und bei diversen Disziplinen von Sprache und Recht vermieden. Lügen stehen aber im Zusammenhang mit Vergehen, die vor Gericht verhandelt werden, wie etwa der arglistigen Täuschung § 122 BGB, der Irreführung § 4 und § 5 UWG, der Falschaussage § 153 und § 154 StGB, des Betrugs § 156 StGB und der Urkundenfälschung § 267 StGB (vgl. auch Fobbe 2011: 186). 170 15 Verstellungsstrategien <?page no="171"?> 87 Außerdem besteht die Problematik, dass nicht alle Kommunikationsteilnehmer/ innen diese rhetorischen Figuren verstehen. Bei Texten ist die Gefahr, eine bestimmte Aussage nicht zu verstehen, noch größer als bei gesprochenen Äußerungen, da z. B. die Betonung wegfällt. 15.5.3 Lügen im linguistischen Sinn in Abgrenzung zum laienhaften Verständnis von Lügen Für Linguist/ inn/ en ergibt sich eine andere Perspektive auf Lügen als für andere Fachdisziplinen (wie z. B. Rechtswissenschaften). Auch die Linguistik legt Parameter fest, die festlegen, was eine Lüge ausmacht und was gegebenenfalls von der Lüge abzugrenzen ist. Lügen werden hauptsächlich in gesprochenen Bereichen der Sprache verortet und hier in der Schnittstelle zwischen Semantik und Pragmatik gesehen. Wahr‐ heit und Falschheit sind semantische Begriffe, aber Lügen fallen als sprachliche Handlungen in den pragmatischen Bereich der Sprechakte. (Meibauer 2015: 176-177) Lügen widersprechen dem Kooperationsprinzip und den Gesprächsmaximen nach Grice (1975: 45-46) und hier insbesondere dem Grundsatz „Do not say what you believe to be false“, der Maxime der Qualität. Finkbeiner (2015: 23) beschreibt, dass die Maximen keinen ethischen Grundsätzen folgen, sondern dass Kommunikation durch Nichteinhaltung dieser Grundsätze kaum möglich ist. Ebenfalls wird angegeben, dass für Grice auch rhetorische Figuren wie Metapher, Ironie, Meiosis und Hyperbel scheinbar gegen die Qualitätsmaxime verstoßen. (Finkbeiner 2015: 25). Rhetorische Figuren sind nicht als Lügen zu bewerten, sie können jedoch in bestimmten Kontexten, im Sinne des Koopera‐ tionsprinzips, ähnliche Effekte erzielen. 87 Nach Müller (1962: 271) ist Ironie von der Lüge abzugrenzen, da hier die Täuschungsabsicht nicht verborgen wird. Wer im Sinne von Ironie täuscht, kann durch para- und nonverbale Kommunikation deutlich machen, dass es sich um Ironie handelt. Schwieriger wird es bei Texten, da hier die Kommunikationsmittel begrenzter sind. Bei einem sarkastischen Kommentar ist nicht das Geschriebene, sondern das Gegenteil davon gemeint. Das ist die erste Implikatur. Die zweite Implikatur kann z. B. ein Aufruf sein, wenn mit einem sarkastischen Kommentar auf Missstände hingewiesen wird (Marx/ Weidacher 2014: 149 ff.). Nach Müller (2007: 28) müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, damit von einer Lüge im linguistisch-fachsprachlichen Sinne gesprochen werden kann: 1. „die Unwahrheit der Aussage, 2. die Unwahrhaftigkeit des Sprechers, 3. die Täuschungsabsicht des Sprechers, 15.5 Sich verstellen bzw. lügen 171 <?page no="172"?> 4. die intendierte Folge bzw. der beabsichtigte Zweck.“ 5. (Aufstellung auch bei Fobbe 2011: 186) Die Vorstellung der Lüge von Laien, also in diesem Fall von Nicht-Lin‐ guist/ inn/ en, weicht von der wissenschaftlichen Perspektive stark ab. Wenn ein Vater seiner kleinen Tochter verspricht, mit ihr am Abend ins Kino zu gehen, ihr dann jedoch sagt, dass daraus nichts wird, weil er länger arbeiten muss, kann es durchaus sein, dass sie etwas wie Du hast gelogen! sagt. In der wissenschaftlichen Definition trifft das jedoch nicht zu. Der Vater hatte, so unterstellen wir jetzt, zur Zeit des Versprechens ins Kino zu gehen, die Absicht, das auch zu tun. Auch wollte er damit seine Tochter nicht täuschen. Das versprochene Ereignis findet aber dennoch nicht statt, er hat jedoch nicht gelogen. Gleiches gilt für Zeitungsberichte, die etwas darstellen, von dem sich im Nachhinein herausstellt, dass es nicht (exakt oder in Teilen) der Wahrheit entspricht. Nicht alles, das unwahr ist, ist eine Lüge. Damit etwas im linguistischen Sinne als Lüge definiert werden kann, muss die Aussage nicht nur falsch sein. Die/ Der Sprecher/ in bzw. die/ der Schreiber/ in muss unwahrhaftig sein, jemanden bewusst täuschen wollen und eine bestimmte Folge oder einen bestimmten Zweck intendieren (Müller 2007: 28). Ebenso kann auch nicht von einer Lüge gesprochen werden, wenn nicht alle Informationen einer Sachlage gegeben werden, da der Umfang u. U. den gegebenen Rahmen eines Zeitungsartikels übersteigen würde etc. Bei der Schauspielerei gibt es einen bekannten Spruch, der besagt, dass Schauspielen wie lügen sei. Das bezieht sich auf die Darstellung bzw. Verkörperung von verschiedenen Rollen. Auch hier trifft lügen im eigentlichen Sinne nicht zu. Dennoch ist das für die Vorstellung von Verstellungsstrategien interessant, da eine Rolle eingenommen wird, die nicht dem eigenen Selbst entspricht, vgl. die bereits angesprochene postulierte bzw. fingierte Autorschaft. Gleiches gilt für Comedy- oder Kabarett-Figuren, die im Rahmen stilisierter Texte von Comedians oder Kabarettist/ inn/ en dargestellt werden. Insbesondere wird bei solchen Figuren, die in gewisser Weise einer/ einem postulierten Autor/ in ähnelt, der Sprachgebrauch angepasst. So können hier die Verände‐ rungen, die Anpassung an eine ausgedachte Figur, auf allen linguistischen Ebenen stattfinden. Comedy arbeitet oft mit dem Stilmittel, dass die Sprache der postulierten Charaktere von sprachlichen Normen abweichen. Die Rezi‐ pient/ inn/ en, wie etwa das Publikum, die Leser/ innen etc. nehmen die Verlet‐ zung der Norm als witzig wahr, wodurch der komische Aspekt dieser Charaktere entsteht. Comedy, Kabarett etc. haben also direkt etwas mit Verstellungsstra‐ tegien zu tun, obwohl die Rezipient/ inn/ en nicht belogen werden, jedoch die Illusion eines Charakters, der u. U. stellvertretend für eine bestimmte Person 172 15 Verstellungsstrategien <?page no="173"?> oder Personengruppe steht, als realitätsnah empfunden wird. Comedy arbeitet andererseits auch mit Stilisierungen, bei der die Darstellung der Figuren deutlich von der Realität abweicht. Auch hier wird das Stilmittel des Stilisierens als komisch empfunden. Auf diese Aspekte und den Zusammenhang zwischen Stilisierung und Verstellungsstrategien wird in folgenden Textanalysen (Kapitel 17, insbesondere 17.7) eingegangen. 15.5.4 Lügen als Veränderung des sprachlichen Stils Eine sprachliche Verstellungsstrategie ist die Veränderung des eigenen sprach‐ lichen Stils auf eine bestimmte Art und Weise. Über Stil bzw. „style“ schreibt McMenamin (2002: 106): „Style is the variable element of human behavior.“ Stil meint den charakteristischen Sprachgebrauch von Schreiber/ inne/ n bzw. Spre‐ cher/ inne/ n und kommt vom lateinischen Stilus, also Schreibstift bzw. Schreibart. „Der Textproduzent realisiert Stil durch die unumgängliche, mehr oder minder kalkulierte Auswahl sprachlicher Mittel, woi er vorgeprägte Stilmuster über‐ nehmen oder abwandeln kann. Der Rezipient wiederum (re)konstruiert Stil ent‐ weder als unauffällige, normgemäße Textgestalt oder als interpretierbare, einen [s]tilistischen Sinn vermittelnde Besonderheit.“ (Bußmann 2008: 684) Teil eines bestimmten sprachlichen Stils ist auch die Verwendung bestimmter sprachlicher Stilmittel bzw. Stilelemente. Sandig (1986: 217) unterscheidet „intensionale“ und „symptomatische“ Stilmittel. Intensionale Stilmittel wie Metaphern und Personifizierungen werden bewusst eingesetzt, wohingegen symptomatische Stilmittel, die auf z. B. aus regionalsprachlichen Einflüssen beruhen, unbewusst verwendet werden. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass viele stilisti‐ sche Mittel, die Laien vor allem aus literarischen Kontexten bekannt sind, wie z. B. Analogien, Metonymien und Metaphern, ebenfalls Teil unseres natürlichen, sprachlichen Alltags geworden sind. Diese werden ebenso unbewusst wie Stilmittel bestimmter Varietäten eingesetzt. Kaum jemandem wird bewusst sein, dass gleich zwei Stilmittel benutzt werden, wenn man sagt: „Nachdem wir eins zwei Gläser getrunken hatten, kochte das Stadion.“ Das Stadion steht für das Publikum, die Fans etc. und ist daher eine Metonymie. Außerdem kocht dort nicht im eigentlichen Sinne etwas oder irgendjemand, sondern kochen steht für die Erregung oder Spannung, die im Stadion aufkommt. Hierbei handelt es sich also um eine kognitive Metapher. Die Akzeptanz und das damit verbundene Verwenden und Verstehen einer Metonymie bzw. einer Metapher setzt bestimmte (auch außersprachliche) Grundlagen voraus. „[So] tragen neben den Intentionen des Sprechers, seinen Gefühlen sowie den parasprachlichen Aspekten, die den metaphorischen Ausdruck möglicherweise begleiten und auf ihn verweisen, 15.5 Sich verstellen bzw. lügen 173 <?page no="174"?> noch weitere ‚Aspekte‘ zum Zustandekommen und damit zum Gelingen eines me‐ taphorischen Ausdrucks bei. Dies sind im Besonderen Weltwissen, Zugehörigkeit zu bzw. Wissen über bestimmte Dinge.“ (Jost 2007: 295) Der sprachliche Stil einer/ eines Autorin/ Autors wird, ebenso wie bestimmte sprachliche Stilmittel, eher unbewusst verwendet. Es bedarf also eines erhöhten metasprachlichen Bewusstseins, um den persönlichen Sprachstil erfolgreich (! ) im Sinne einer Verstellungsstrategie zu manipulieren bzw. zu verändern. All diese Informationen sind bedeutsam, wenn es darum geht, eine Stilanalyse im Rahmen einer Autorschaftsanalyse durchzuführen. 15.5.5 Verstellungsstrategien als eine bestimmte Variante des Lügens und Täuschens Wenn jemand einen bestimmten Sachverhalt als wahr hinstellt, obwohl sie/ er glaubt, dass er nicht wahr ist, lügt sie/ er. Die Adressat/ inn/ en werden bezüglich des Sachverhalts und der Aufrichtigkeit getäuscht (Meibauer 2015: 182). Sich in einem Schreiben zu verstellen, z. B. vorzugeben, man wäre Nicht-Mutter‐ sprachler/ in, fällt also unter Lügen. Zur Abgrenzung von Täuschen und Lügen, bzw. ob zum Lügen grundsätz‐ lich eine Täuschungsabsicht gehört, stellt Meibauer (2015: 183) einen kurzen Forschungsüberblick vor und wagt die folgende Definition: „Täuschen heißt, beim Anderen absichtlich einen falschen Bewusstseinszustand herbeizuführen.“ Ob Lügen grundsätzlich mit einer Form der Täuschung einhergeht, wird insbe‐ sondere mit der Unterscheidung zwischen „deceit“ und „deception“ (Lackey 2013: 241) angegangen. Das „Verbergen von Informationen (deception)“ muss nicht zwangsläufig mit dem „Erwecken eines falschen Glaubens (deceit)“ zu‐ sammenhängen. Beide Aspekte sind bei der Analyse von Verstellungsstrategien zu beachten. Zusammenfassend werte ich Verstellungsstrategien im Rahmen von Texten als eine bestimmte Variante des Lügens und Täuschens, denn: 1. Verstellungsstrategien in Rahmen von Texten sind keine mündlichen Äußerungen, daraus resultiert 2. 2. Sie können nicht anhand von Körpersprache, Tonlage etc. als Lügen entlarvt werden. 3. Sie sind schriftsprachlich, daraus können auch 4. und 5. resultieren. 4. Sie haben das Potential, langfristig bzw. langfristiger als mündliche Äuße‐ rungen geplant zu sein. 5. Sie haben das Potential, sehr ausgefeilt zu sein. 174 15 Verstellungsstrategien <?page no="175"?> 6. Sie können als schriftsprachliche Strategie (da 1., 2. und 3. zutreffen), sowohl von Autor/ inn/ en als Urheber/ innen ablenken (Verschleierung, vgl. 7.) und auf jemand anderen als Urheber/ in hindeuten (Imitation, vgl. 8. und 9.). Insbesondere dann, wenn 4. und 5. zutreffen. 7. Sie zielen darauf ab, Informationen (u. a. über die Urheberschaft) zu verbergen. 8. Sie zielen insbesondere im Rahmen einer Imitation darauf ab, stattdessen falsche Informationen zu geben, woraus 9. resultieren kann. 9. Sie haben das Potential, bei Rezipient/ inn/ en falsche Annahmen zu erwe‐ cken, also sie zu täuschen, was die Urheberschaft angeht. Die Eigenschaften von dissimilatorischen Verstellungsstrategien, also Ver‐ schleierungen der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz, und simulatorischen Verstellungsstrategien, also die die Imitation der angenommenen schriftsprach‐ lichen Kompetenz einer anderen Person oder Personengruppe, sollen in den folgenden Kapiteln genauer betrachtet werden. 15.5.6 Zusammenfassung Verstellungsstrategien sind mit Lügen verwandt. Der Begriff Lüge steht in der öffentlichen Wahrnehmung im Zusammenhang mit Verschleierung und Verstellungsstrategien. Im Gegensatz zur laienhaften Bedeutung müssen im linguistischen Sinne bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit etwas als Lüge identifiziert werden kann. Verstellungsstrategien erfordern, dass man den eigenen sprachlichen Stil ändert. Dafür ist ein hohes Maß an metasprachlichem Bewusstsein erforderlich, da einige Bereiche der Stilistik eher unterbewusst verwendet werden. Für die Autorschaftserkennung ist zu beachten, dass Ver‐ stellungsstrategien als schriftliche Sonderform der Lüge langfristig geplant und ausgefeilt sein können. Sie haben damit das Potential, falsche Informationen zu verbreiten, von den Urheber/ inne/ n eines Textes abzulenken und auf andere Personen als vermeintliche Verfasser/ innen hinzudeuten. 15.6 Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien In der Regel gilt bei der Anwendung von Verstellungsstrategien bei dem Verfassen von inkriminierten Texten, die im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen stehen: Wer Autor/ in eines solchen Textes ist, versucht, unerkannt zu bleiben (vgl. Kapitel 15.1). Das heißt, dass sie/ er möglichst keine Hinweise 15.6 Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien 175 <?page no="176"?> darauf gibt, die Rückschlüsse auf ihre/ seine Person zulassen. Das bedeutet auch, dass ein Text nicht regelgerecht mit einer Signatur versehen wird, dass es nicht zu dem Ort, an dem er verfasst wurde, zurückverfolgt werden kann und dass auch möglichst wenige bzw. keine weiteren Merkmale vorhanden sind, die Hinweise auf die Autorschaft geben. Braun (1989: 162) unterscheidet zwei grundsätzlich verschiedene Verstel‐ lungsstrategien. Eine zielt auf die „Unkenntlichmachung des eigenen Stils“ ab, die andere ist „die Verstellung im Sinne einer Fälschung mit dem Ziel, das fragliche Schreiben einer bestimmten Person zuzuweisen.“ Diese grundsätzliche Unterscheidung verschiedener Formen sprachlicher Verstellung greift Ehrhardt (2007a) auf und präzisiert sie, indem sie dissimila‐ torische und simulatorische Verstellungsstrategien voneinander abgrenzt. In der praxisnahen Untersuchung führt Ehrhardt an, dass die Verstellung bzw. Imitation auch Personengruppen zum Ziel haben kann: Verstellungsstrategie Ziel der Verstellung Anwendungsfelder Dissimilatorische Ver‐ stellungsstrategien Verfremdung bzw. Veränderung des ei‐ genen Schreibstils Orthographie wie Groß- und Klein‐ schreibung, Getrennt- und Zusam‐ menschreibung; Interpunktion wie Satzzeichenauslassung bzw. falscher Verwendung; Syntax wie unvollstän‐ dige, fehlerhafte oder besonders kurze Texte Simulatorische Ver‐ stellungsstrategien Imitation des Schreibstils anderer Personen bzw. Per‐ sonengruppen Imitation auf Grundlage bestimmter Metadaten des ‚Zielstils‘, wie Her‐ kunft, Alter, Bildungsgrad und bes. Muttersprachlichkeit bzw. Nicht-Muttersprachlichkeit Tabelle 8: Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien Dern (2009) splittet die o. g. Bereiche weiter auf und unterscheidet vier verschie‐ dene Verstellungsstrategien: • „wahllose Entstellung seiner Sprache • Vortäuschung eines schlechteren muttersprachlichen Sprachvermögens (und damit u. U. einer geringeren Bildung sowie der Zugehörigkeit zu einer schwächeren sozialen Schicht) als tatsächlich gegeben, • Vortäuschung der Nichtmuttersprachlichkeit, d.-h. Verstellung als ‚Ausländer‘, • Vortäuschung einer bestimmten Autorschaft (‚behauptete Identität‘, vgl. Kämper, 1996), d. h. Imitation des sprachlichen Verhaltens einer bestimmten Person oder Personengruppe.“ (Dern 2009: 80) 176 15 Verstellungsstrategien <?page no="177"?> Sowohl simulatorische als auch dissimilatorische Verstellungsstrategien finden mit ihren genannten Varianten im Rahmen inkriminierter Texte Anwendung. In Kapitel 3 dieser Arbeit wurde ein Überblick darüber gegeben, mit welchen Texten sich sowohl Mitarbeiter/ innen der Autorenerkennung des BKA, als auch im Bereich der Privatwirtschaft tätige forensische Linguist/ inn/ en beschäftigen können. Nehmen wir als Beispiele einmal sowohl eine „Erpressung“ in Form eines Textes als auch „klassisches Business-Mobbing“. In beiden Fällen ist es möglich, dass die/ der Autor/ in eines Textes ihren/ seinen Schreibstil verfremdet bzw. verschleiert, indem sie/ er Fehler einbaut, damit sie/ er nicht unmittelbar als Verfasser/ in erkannt wird. Denkt man an Mobbing, ist es möglich, dass ein Schreiben sehr kurzgehalten wird, da keine unmittelbare Forderung mit dem Text verbunden sein kann. So kann schriftsprachliches Mobbing auch bloß aus sehr kurzen Texten oder nur einem einzigen Wort bestehen. 15.6.1 Dissimilatorische Verstellungsstrategien - Verschleierung Dern beschreibt, dass die wahllose Entstellung „[a]m ehesten […] umzusetzen“ (Dern 2009: 80) sei. Mit „[a]m ehesten“ ist wohl gemeint, dass mit dieser Strategie der geringste Aufwand verbunden ist, bzw. das geringste sprachstrategische Vermögen notwendig ist, um diese Strategie umzusetzen. Im Gegensatz zu den ‚ziel-basierten‘ simulatorischen Verstellungsstrategien, gibt es bei dissimilato‐ rische Verstellungsstrategien kein ‚Zielobjekt‘. Die Verstellungsstrategie kann daher als „wahllos“ (Dern 2009: 80) analysiert werden. Dissimilatorische Texte sind mit einer einfachen Zielsetzung verbunden, in unseren Beispielen damit, ein Opfer zu erpressen bzw. es zu mobben. Einfache Zielsetzung bedeutet hier, dass die Schreibweise eines Textes nicht zusätzlich noch eine Komponente erhält, den Schreibstil anderer Personen(gruppen) nach‐ zuahmen bzw. zu imitieren, um die Aufmerksamkeit der Rezipient/ innen auf ein mehr oder minder bestimmtes Ziel zu richten. Die eigene schriftsprachliche Kompetenz wird unterdrückt und der eigene Schreibstil weicht einem anderen sprachlichen Stil. Die Verstellungsstrategie ist also eine Verschleierung des eigenen Schreibstils bzw. der eigenen Person. 15.6.2 Simulatorische Verstellungsstrategien - Imitation Schaut man nun auf Texte, die die Voraussetzung erfüllen, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Ziel umzulenken, haben wir es mit einer zweifachen Zielsetzung zu tun. Bei den o. g. Beispielen bleibt die grundsätzliche Zielsetzung, jemanden mithilfe eines Textes zu mobben oder zu erpressen, gleich. Wenn ein/ e Täter/ in 15.6 Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien 177 <?page no="178"?> jedoch nicht bloß von sich selbst ablenken will, sondern einen bestimmten Eindruck zu vermitteln versucht, dann werden „sowohl genaue Planung als auch äußerst umsichtige Durchführung notwendig.“ (Dern 2009: 80) Damit stellen sich die Schreiber/ innen von inkriminierten Schreiben sehr komplexen Problemen (vgl. Bungarten 1996 und Kämper 1996), die ihre eigene Schreibweise und die geplante Schreibweise betreffen. So muss nicht nur das eigene sprach‐ liche Verhalten erfolgreich unterdrückt, sondern auch das Ziel-Sprachverhalten nach geeigneten Kriterien richtig geplant und entsprechend, im besten Fall durchgehend, umgesetzt werden. Bei der Umsetzung von simulatorischen Verstellungsstrategien tritt also eine weitere Komponente hinzu, nämlich die, die Aufmerksamkeit der Rezipient/ inn/ en (wie z. B. der Ermittler/ innen, Ex‐ pert/ inn/ en für Autorenerkennung usw.) umzulenken. Die Verstellungsstrategie ist also die Imitation einer anderen Person oder auch einer anderen Personen‐ gruppe bzw. deren seitens der/ des Autorin/ Autors angenommenen Schreibstils. Die Möglichkeiten der Verstellung sind in einem solchen Fall sehr vielfältig. Kniffka (2000: 180 ff.) berichtet von einem Erpresserschreiben, bei dem ein hoher Geldbetrag (11,65 Mio. DM) gefordert wurde und bei dem der Verdacht bestand, dass organisierte Kriminelle aus Südost-Europa bzw. Russland involviert waren. Außerdem war ein ungarischer Geschäftsmann involviert, dessen echte Tele‐ fonnummer in den Texten angegeben wurde und der gegenüber der Polizei angab, selbst Opfer solcher Erpressungen zu sein. Die Anfrage der Polizei an Kniffka bezog sich darauf, ob es sich bei der/ dem Autor/ in um eine/ n (Nicht-)Muttersprachler/ in handelt, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit Verstellungsstrategien angewendet wurden etc. Kniffka bewertet die Aufgabe als besonders schwierig und komplex, da kein Vergleichs‐ material zur Verfügung gestellt werden konnte. 15.6.3 Imitation als Verstellungsstrategie und die Darstellung von Autorität Die Verstellungsstrategie der Imitation findet nicht bloß in Bereichen Anwen‐ dung, in denen die Aufmerksamkeit bzw. die ‚Schuld‘ auf jemand anderen umgelenkt werden soll. Eine sprachliche Imitation ist auch in Kontexten mög‐ lich, in denen die/ der Schreibende versucht, sich die Macht bzw. Autorität einer bestimmten Person oder Personengruppe anzueignen. Um das zu verdeutlichen, sollen an dieser Stelle drei Beispiele gegeben werden. Ein Artikel vom 5. August 2020 in der Regionalzeitung „Stadtspiegel Watten‐ scheid“ weist auf altbekannte Betrugsmaschen hin, von denen insbesondere 178 15 Verstellungsstrategien <?page no="179"?> ältere Menschen betroffen sind. In dem Zeitungsausschnitt wird beschrieben, dass sich kriminelle Personen als Polizist/ inn/ en ausgeben: Polizei warnt vor Trickbetrügern Familien sollten gezielt mit ihren älteren Angehörigen sprechen […] Doch die Täter versuchen ihr Glück nicht nur an der Haustür, sondern zum Teil auch am Telefon, wo sie sich gerne fälschlicherweise selbst als Polizisten ausgeben. Von solchen Betrugsfällen sind jedoch nicht ausschließlich Ältere betroffen. In anderen Fällen werden auch jüngere Leute Opfer von Betrugsfällen, die mit Imitationsstrategien einhergehen. Außerdem werden außer beim persönlichen Kontakt verschiedene Medien wie E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Einträge in Internetforen etc. eingesetzt und zum Teil erhebliche Schäden verursacht. Das zweite Beispiel ist ein Fall, der sich im Jahr 2016 ereignete und bei dem die Täter/ innen von dem deutschen Unternehmen Leoni 40 Millionen Euro erbeuteten, vgl. dazu einen Auszug aus einem Zeitungsartikel: Bild 4: Zeitungsartikel zum CEO-Fraud bei dem Unternehmen Leoni 15.6 Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien 179 <?page no="180"?> 88 https: / / www.welt.de/ finanzen/ article157775034/ Betrueger-machen-110-Millionen-mit -der-Chef-Masche.html Letzter Aufruf am 30.10.2020 Betrug funktioniert ähnlich wie der „Enkeltrick“ Das Muster erinnert an den „Enkeltrick“, bei dem sich vermeintliche Bekannte des Enkels bei älteren Menschen melden und um finanzielle Hilfe bitten. Auch bei der „Chef-Masche“ erschleichen sich die Betrüger das Vertrauen. „Sie kontaktieren direkt Leute aus der Buchhaltung, geben sich als Chef aus und vermitteln den Eindruck, dass von dieser Transaktion die Zukunft des Unternehmens abhängt“, so Kriegeskorte. Die Täter gehen offenbar sehr professionell vor. „Hinter der Chef-Masche stecken keine Einzeltäter, sondern Organisationen, die ihrerseits wiederum gewisse Leistungen einkaufen, beispielsweise falsche E-Mail-Accounts oder die Konten, auf die das Geld überwiesen werden soll“, sagte der BKA-Mann. 88 Es wird deutlich, dass bei der „Chef-Masche“ - im Bereich der IT-Security spricht man eher von CEO-Fraud - die Verstellung nicht darauf abzielt, dass sich die Ermittlungen auf andere Ziele richten als auf die Urheber/ innen eines Textes, sondern dass eine Autorität simuliert oder vorgetäuscht wird, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Die grundsätzlichen Prinzipien, nämlich einerseits die Verschleierung des eigenen und die Imitation eines anderen Sprachgebrauchs, bleiben bestehen. Es handelt sich auch hierbei um die Verstellungsstrategie der Imitation. Der geschilderte Fall hat für viel Aufsehen gesorgt, da eine hohe Geldsumme erbeutet wurde. Dennoch sind CEO-Frauds und vergleichbare Strategien nicht selten, viel‐ mehr gehören sie zu allgegenwärtigen Gefahren im Internet, mit der sich Spezialist/ inn/ en der Informationssicherheit, insbesondere der IT-Security Awa‐ reness und auch forensische Linguist/ inn/ en beschäftigen können. Wie alltäg‐ lich solche Betrugsfälle sind, zeigt der folgende Artikel vom Mai 2020, bei dem deutlich wird, dass aktuelle Ereignisse, Veränderungen der Gesellschaft usw. ausgenutzt werden, um Verstellungsstrategien effizient umzusetzen. So beschreibt der vorliegende Artikel, dass die Imitationsstrategie des CEO-Frauds in der Zeit des COVID-19-Pandemie-bedingten und verstärkt eingesetzten Homeoffices verstärkt eingesetzt wird: Post vom falschen Chef---Cyberbetrüger posieren als Vorgesetzte Vorsicht bei Mail vom Chef: Die coronabedingte Arbeit im Heimbüro verstärkt die Welle des Trickbetrugs im Internet. Versicherungen und IT-Sicherheitsfirmen 180 15 Verstellungsstrategien <?page no="181"?> 89 https: / / www.gmx.net/ magazine/ news/ coronavirus/ coronavirus-news-live-ticker-mail -chef-cyber-kriminalitaet-betrug-34468484 Letzter Zugriff am 20.01.2023 warnen vor einer zunehmenden Zahl betrügerischer Mails, bei denen Cyberkri‐ minelle sich als Vorgesetzte ausgeben und Firmengelder auf die eigenen Konten überweisen lassen. "Um die 90 Prozent aller Cyber-Attacken beginnen mit einer E-Mail", sagt Martin Kreuzer, der Cybersicherheitsexperte der Munich Re und ehemaliger Ermittler. Die Methode ist unter Cyberfachleuten als "CEO Fraud" bekannt, zu Deutsch Vorstandschefbetrug. Die Betrüger stehlen E-Mailadressen und Online-Identität leitender Manager und ihrer Mitarbeiter, um sich anschließend Geld auf ihre Konten überweisen zu lassen. Der zur Allianz gehörende Industrieversicherer AGCS warnt, in manchen Ländern sei die Zahl der versuchten Cyber-Angriffe zwischen Mitte Februar und Mitte März um das Fünffache gestiegen. Und die japanische IT-Sicherheitsfirma Trend Micro schätzt, dass im ersten Quartal rund um den Globus über 900.000 Spam-Mails mit Corona-Bezug verschickt wurden. Der Chefbetrug ist eine der gängigen Maschen dabei. "Mittlerweile sind auch viele Phishingmails personalisiert", sagt Munich Re-Cy‐ berexperte Kreuzer. "Die Erfolgsquote ist nämlich weitaus höher, wenn die Adressaten persönlich angeschrieben werden." 89 15.6.4 Imitation als Verstellungsstrategie und varietätenlinguistische Fragestellungen In allen geschilderten Beispielen und realen Fällen wird deutlich, dass im Bereich der Imitation bzw. bei simulatorischen Verstellungsstrategien die Metadaten der imitierten Person bzw. Personengruppe eine große Rolle spielen. Untersu‐ chungen und Analysen berühren hier in großem Maße variationslinguistische Fachbereiche, die diatopisch, diastratisch und diaphasisch bedingte Merkmale untersuchen. Im Sinne korpuslinguistischer Arbeit, wie beispielsweise dem Textkorpus inkriminierter Schreiben des BKA, können auch diachron bedingte Merkmale eine Rolle spielen. Das ist u. U. der Fall, wenn die/ der gleiche Täter/ in 20 Jahre nach einer ersten Tat erneut ein inkriminiertes Schreiben verfasst und man vor diesem Hintergrund einen Textvergleich anfertigt. Eine der frequentesten Imitationsstrategien ist die Vortäuschung von schrift‐ sprachlicher Kompetenz auf nicht-muttersprachlichem, und dadurch i. d. R. auch geringerem sprachlichen Niveau. Bei der Imitation gibt es mehrere Mög‐ 15.6 Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien 181 <?page no="182"?> lichkeiten, die der/ dem Schreiber/ in beim Verfassen des Textes zur Verfügung stehen. So kann z. B. ein/ e spezifische/ r nicht-deutsche/ r Muttersprachler/ in imitiert werden. Hier kann die/ der Schreiber/ in Merkmale einbauen, bei denen sie/ er davon ausgeht, dass sie z. B. auf ein/ e Italiener/ in als Autor/ in hinweisen. Die Merkmale können aber auch unspezifisch sein. Dabei wird der Fokus daraufgelegt, dass die Wirkung des Textes möglichst fremd, exotisch o.ä. ist. Solche Imitationsstrategien werden im folgenden Kapitel 15.7 fokussiert. Es muss noch angemerkt werden, dass die gegenteilige Imitationsstrategie, nämlich das Vortäuschen einer höheren schriftsprachlichen Kompetenz, bzw. so genannte „Selbstaufwertungen“ (u. a. Dern 2009: 65), in inkriminierten Schreiben ebenfalls vorkommen können. Das betrifft u. a. die Imitation eines höheren bzw. erhöhten schriftsprachlichen Stils. Hier ist es möglich, dass eine Person ohne muttersprachliche Kompetenz Muttersprachlichkeit imitiert. So enthält das Korpus „Verstellte Texte“ des BKA insgesamt 25 Selbstaufwertungen von insgesamt 117 inkriminierten Schreiben (vgl. Bredthauer 2013: 22-23). Das entspricht etwa 29 %, also sind fast ein Drittel der Verstellungen in diesem Korpus Selbstaufwertungen. Jedoch wird weder die Forschung noch die Praxis bei diesen Texten vor größere Probleme gestellt. „Die Vortäuschung eines muttersprachlichen Vermö‐ gens, das oberhalb des tatsächlich gegebenen liegt, wird zwar immer wieder versucht, ist jedoch zum Scheitern verurteilt und mündet in der Regel in der Produktion von Stilblüten.“ (Dern 2006: 325) Es ist hier den Schreiber/ innen kaum möglich, sich glaubhaft in Texten so zu verstellen, dass es für die Rezi‐ pient/ inn/ en so wirkt, als hätte die/ der postulierte Autor/ in eine größere schrift‐ sprachliche Kompetenz als die/ der empirische Schreiber/ in. Einfach formuliert kann festgehalten werden: Es gibt Verstellungsstrategien ‚nach oben‘ und ‚nach unten‘, allerdings haben nur Verstellungen, die eine geringere sprachliche Kom‐ petenz vortäuschen, Aussicht auf Erfolg. Selbstaufwertungen funktionieren nicht und werden im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter behandelt. 15.6.5 Zusammenfassung Als grundlegend verschiedene Arten von Verstellungsstrategien lassen sich dissimilatorische und simulatorische Verstellungen unterscheiden. Bei ersteren wird versucht, den eigenen Schreibstil zu verfremden bzw. zu verändern. Simu‐ latorische Verstellungsstrategien haben die Imitation des Schreibstils anderer Personen bzw. Personengruppen zum Ziel. In jedem Fall versucht die/ der empirische Autor/ in eines Textes, selbst unerkannt zu bleiben. 182 15 Verstellungsstrategien <?page no="183"?> Dissimilatorische Verstellungsstrategien haben ausschließlich das Ziel, von der/ dem Schreiber/ in abzulenken, indem die eigene schriftsprachliche Kompe‐ tenz unterdrückt und so der Schreibstil verändert bzw. verschleiert wird. Daher kann man auch von einer Verschleierungsstrategie sprechen. Simulatorische Verstellungsstrategien benötigen ein sprachliches Vorbild, um eine/ n fingierte/ n Autor/ in zu entwerfen. Deren Intention ist es, dass die Rezipient/ inn/ en eines Textes ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Ziel richten. Dieses Ziel, entweder eine Gruppe oder eine Einzelperson, wird mithilfe sprachlicher Mittel imitiert. Daher soll von einer Imitationsstrategie die Rede sein. Mithilfe bestimmter Imitationsstrategien kann eine Art fingierte Autorität erzeugt werden, die Leser/ innen zu bestimmten Handlungen bewegen soll. Imitationen dieser Art finden in multimedialen Umgebungen statt und können jederzeit alle möglichen Personen betreffen. Gerade im Bereich der klassischen Autorschaftserkennung ist die Imitation einer geringeren schriftsprachlichen Kompetenz häufig Gegenstand von Text‐ analysen. Das Gegenteil, sogenannte Selbstaufwertungen, haben dagegen wenig Aussicht auf eine erfolgreiche Umsetzung. 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie Die Autorenerkennung bzw. Autorschaftsanalyse beschäftigen sich nicht mit der Frage, welche Nationalität ein/ e Schreiber/ in hat. Die Frage „Ist die/ der Ver‐ fasserin X des Textes Y Deutsche/ r oder Ausländer? “ stellt sich im Rahmen einer Textanalyse oder eines Textvergleichs nicht. Vielmehr stellt sich die Frage nach Einschätzung der schriftsprachlichen Kompetenz einer/ eines Autorin/ Autors. Somit lautet die Frage, ob die/ der Autor/ in eine muttersprachliche Kompetenz im schriftsprachlichen Bereich hat, oder nicht (vgl. auch Schall 2004: 557). Dern (2006: 324) und Busch/ Heitz (2006: 324) beschreiben, dass sich für den Bereich der Imitation sehr häufig die Frage nach der (nicht)-mutter‐ sprachlichen Kompetenz einer/ eines Autorin/ Autoren stellt. Ehrhardt (2007a) bestätigt das aus der Praxis des Bundeskriminalamtes, indem sie beschreibt, dass Autor/ inn/ en theoretisch viele verschiedene Möglichkeiten zur Imitation von Gruppen zur Verfügung stehen, jedoch vor allem die Nachahmung von Nicht-Muttersprachlichkeit in inkriminierten Texten auftritt. Bei dem von Kniffka (2000) weiter oben geschilderten Fall (Erpressung einer hohen Geldsumme) wird die Möglichkeit der Beteiligung verschiedener 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 183 <?page no="184"?> Personen(gruppen) unterschiedlicher Herkunft diskutiert. Dabei sind unter‐ schiedliche Konstellationen der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit denkbar, die Kniffka (2000) in einer Übersicht wiedergegeben hat: „- 1 native German author and writer - 2 native German author and writer acting with disguise, e.g. „faking“ a Hungarian - 3 non-native author and writer of German, e.g. native speaker of Russian, or Serb, Croat, Slovakian … - 4 non-native author and writer of German, e.g. native speaker or [sic] Russian, or Serb, Croat, Slovakian, … acting with disguise - 5 non-native author and writer of German, e.g. native speaker of Hungarian - 6 non-native author and writer of German, e.g. of Hungarian acting with disguise - … other non-native authors and writers of German (native Arabs, Turks, Americans, …)“ (Kniffka 2000: 186) Die/ Der Autor/ in des Erpresserschreibens verwendet ohne Ausnahme richtige Umlaute, weshalb Russisch, Serbisch oder Kroatisch als Muttersprache unwahr‐ scheinlich erschienen. Im Ungarischen gibt es jedoch, wie im Deutschen, Umlaute (Kniffka 2000: 189). Dass die Wortstellung in einigen Sätzen eher dem Ungarischen als dem Deutschen ähnelt, weist auf eine/ n nicht-deutsch‐ sprachige/ n, nämlich ungarische/ n Muttersprachler/ in hin (Kniffka 2000: 193). Die Analyse grammatischer Konstruktionen und Konstellationen ergab, dass der Text spontan, unverfälscht und ohne Verstellung geschrieben wurde. Es wird geschlussfolgert, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen ungarischen Muttersprachler handelt. Es kann jedoch, wie auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit bereits beschrieben wurde, nie komplett ausgeschlossen werden, dass eine Verstellungsstrategie angewendet wurde, es sich also doch um ein/ e deutsche Muttersprachler/ in mit exzellenten Ungarisch-Kenntnissen handelt (Kniffka 2000: 195-196). Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass man für eine solche Verstellung ebenfalls über ein sehr gutes metasprachliches Bewusstsein verfügen muss. Grundsätzlich bestehet bei solchen Imitationsstrategien ein Konflikt einer‐ seits zwischen dem Bedürfnis, den eigenen Sprachgebrauch zu verstellen und andererseits, das Verständnis des Textes für die/ den Rezipient/ in/ nen zu sichern. Ein/ e Erpresser/ in will schließlich sicher gehen, dass die erpresste Partei die Gefahr versteht, von der sie bedroht wird, und ebenfalls, welche Forderungen gestellt werden etc. Dieser Konflikt kann zu Befundkonstellation führen, bzw. zu einer Reihe von Merkmalsets, die wenig bzw. gar nicht plausibel sein können (vgl. auch Dern 184 15 Verstellungsstrategien <?page no="185"?> 2009: 80). Diese Problematik stellt Bredthauer (2013: 1) in folgendem Auszug aus einem inkriminierten Schreiben ihres Datenkorpus dar: „Hallo! Ich bin ein Albaner, Drogensüchtig! (…) Dann ich später anrufen bei türkische Mann, aber diese nix wollen geben Geld, (…) Ich nix kann selber kommen auch kann nix geben Namen weil will nix gehen Gefängnis.“ Die angestrebte Verstellungsstrategie wird hier explizit im Textausschnitt ge‐ nannt: „Ich bin ein Albaner […]“. Die Verstellung, in diesem Fall Imitation bzw. Vortäuschung von Nichtmuttersprachlichkeit, schlägt hier fehl, da das Merk‐ malset (bzw. die Befundkonstellation), das aus den vorhandenen Merkmalen besteht, nicht plausibel ist. Weder das eigene sprachliche Verhalten wird erfolg‐ reich unterdrückt, noch wurde ein geeignetes Ziel-Sprachverhalten sinnvoll determiniert bzw. umgesetzt. So werden einerseits Infinitive statt konjugierter Verbformen verwendet, statt nicht wird nix verwendet und die Wortstellung wird so verändert, dass sie nicht standardsprachlichem Deutsch entspricht. Letzteres passiert allerdings ohne eine Gefährdung des Textverständnisses. Die Verständnissicherung wird also gewährleistet. Stark fehlerhafte Texte, deren inhaltliche Ebene allerdings einwandfrei zu verstehen sind, kommen bei authentischen Texten von Nicht-Muttersprachler/ inne/ n, die eine Zielsprache alles andere als gut beherrschen, kaum vor (vgl. Dern 2003: 47, Dern 2006: 325, Ehrhardt 2007b). Die Sicherung des Verständnisses, die Verwendung von Merkmalen, die einfach zu fingieren sind und die typischen Klischees von „Ausländerdeutsch“ entsprechen, ohne allerdings spezifisch für Code-Switching oder Code-Shifting zwischen dem Deutschen und einer bestimmten Fremdsprache zu sein, sind erste Hinweise auf eine Imitation. Auf der anderen Seite werden Eigenheiten der deutschen Sprache, die Deutschlerner/ inne/ n Probleme bereiten, ohne Schwierigkeiten umgesetzt. In „später“, „türkische“ und „Gefängnis“ werden Umlaute richtig realisiert, Doppelkonsonanten bereiten der/ dem Schreiber/ in in „Dann“, „wollen“, „kommen“, „kann“ und „will“ ebenfalls keine Probleme. Die Groß- und Kleinschreibung wird fast durchgehend richtig realisiert. Nur im Falle von „Drogensüchtig“ wählt die/ der Autorin die inkorrekte Großschreibung (vgl. Bredthauer 2013: 1-2). Die Großschreibung von semantisch fokussierten Textteilen, die im Standarddeutschen kleingeschrieben werden müssten, ist ein Merkmal, das man auch bei Muttersprachlern und sogar geübten Schreiber/ inne/ n in z.-B. Online-Rezensionen feststellen kann. Insgesamt hat man es also 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 185 <?page no="186"?> in diesem kleinen Textausschnitt schon mit vielen Merkmalen zu tun, die der Imitation von „Ausländerdeutsch“ entsprechen. Es stellt sich also die Frage nach dem Verhältnis der/ des empirischen Au‐ torin/ Autors und der/ des fingierten Autorin/ Autors, wobei sich im Falle von inkriminierten Schreiben das Konzept der fingierten Autorschaft besonders eignet, Rückschlüsse auf die/ den empirische/ n Autor/ in zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Schall (2008: 325) beschreibt, dass die/ der postulierte Autor/ in vor allem durch Informationen in einem Text insofern geformt wird, dass er etwa als besonders skrupellos, überlegen und u. U. als Vertreter einer (größeren) Gruppe auftritt. Als typische Merkmale der fingierten Autorschaft gelten daher Unterschriften, die einerseits große Macht, erheblichen Einfluss etc. ausdrücken sollen, aber keine Rückschlüsse auf die/ den empirische/ n Autor/ in zulassen. Fobbe (2011: 48) führt als Beispiele „ital. Mafia“, „der Erbar‐ mungslose“ und „die Gerechten“ auf. Formulierungen wie diese werfen die Frage auf, inwiefern die/ der empirische Autor/ in von ihrem/ seinem postulierten Gegenstück abweicht. Ebenso stellt Fobbe (2011: 49) die Frage, inwiefern die/ der empirische Autor/ in die Vorstellungen der/ des postulierten Autorin/ Autors teilt, und nennt als Beispiele absurde Lösegeldforderungen in der Höhe von 500 Milliarden Mark (Dern 2009) oder Drohungen der Art „werden wir auf alle Flugzeuge mit nuklearen Raketen schießen.“ (Körner 2007: 322) Die hier verfolgte Verstel‐ lungsstrategie kann also eine Stilisierung sein. Sie besteht darin, dass die/ der empirische Autor/ in eine/ n postulierte/ n Autor/ in entwirft, die/ der völlig ab‐ surde, also z. B. nicht erfüllbare Forderungen stellt oder nicht umzusetzende Drohszenarien beschreibt. Das Drohpotenzial (bzw. die „Erpressungswucht“) wird in diesem Fall u. U. abgeschwächt, da es seitens der Rezipient/ inn/ en als nicht ernst zu nehmen eingeschätzt wird. Möglich ist ebenfalls, dass das Drohpotenzial je nach Situation erhöht wird, da die/ der Drohende den Anschein erweckt, nicht zurechnungsfähig o. ä. zu sein. Im Sinne der Untersuchung und Unterscheidung der Verstellungsstrategie ist entscheidend, dass der/ dem empirischen Autor/ in bewusst ist, dass die Forderungen oder Drohungen nicht umsetzbar sind, die/ der fingierte Autor/ in also eine stilisierte Figur darstellt, die dafür sorgt, dass kaum oder keine Rückschlüsse auf die/ den empirische/ n Autorin/ Autoren gezogen werden können. Stilisierungen werden in Kapitel 17.7 genauer beschrieben. Die Inszenierung der/ des fingierten Autorin/ Autors ist in Kontexten wie den geschilderten „immer Teil einer Tarnhandlung“. In solchen Zusammenhängen ist bei der Analyse insbesondere auf Inkonsistenzen zu achten (Fobbe 2011: 49). 186 15 Verstellungsstrategien <?page no="187"?> 90 Hier wird eindeutig eine männliche Person beschrieben, vgl. „Auslender“. 91 Kursivschreibung entspricht nicht dem Originaltext. Auch die folgenden Belege werden in kursiver Schrift wiedergegeben. Die Verstellungsstrategie ist nicht trotz der genannten Inkonsistenzen da, sondern sie entsteht durch sie, nämlich in Form einer Stilisierung. Fobbe (2011: 49-50) stellt dazu ein Textbeispiel vor, in dem der postulierte Autor 90 ein/ e Nicht-Muttersprachler/ in („ich bin Auslender 91 “) ist, die/ der Fachtermini aus dem Schusswaffenbereich verwendet, wie z.B.: „Weiterhin werden Geschoße 7 m mit einer Vo von 1.200 m/ sec und OPTICEN von 12x56 verwendet dar durch beträgt die Schußentvernung bis 500 m“ Durch die Inszenierung als Nicht-Muttersprachler/ in und die damit verbundene, notwendige, hier aber vorgetäuschte Übertragung von Fachsprache aus einer Fremdsprache ins Deutsche, demonstriert die/ der Schreiber/ in eine tieferge‐ hende Fachkenntnis. Außerdem intensiviert die/ der empirische Autor/ in die Drohung, da einerseits der postulierte Autor scheinbar eine Geisel darstellt: „In vorfeld möchte ich inen sagen das ich gezwungen werde diesen Brief zuschreiben.“ und andererseits noch von einer zweiten Geisel gesprochen wird: „Die Täter könen kein Deutsch, daher kann ich noch Bemerken Sie haben 2. Geisel das hatt was mit Bank u. Polizei zutun.“ (Fobbe 2011: 49) Um die fingierte Autor/ in als Nicht-Muttersprachler/ in zu kennzeichnen, lässt sie/ ihn die/ der empirische Autor/ in einige Fehler machen. Anhand be‐ stimmter Merkmale ist aber erkennbar, dass es sich um eine/ n routinierte/ n Schreiber/ in und deutsche/ n Muttersprachler/ in handelt, da einige Eigenheiten der deutschen Sprache wie ganz spezifische syntaktische Merkmale des Deut‐ schen korrekt realisiert werden. Als Beispiel für die schriftsprachliche Kom‐ petenz der/ des empirischen Autorin/ Autors nennt Fobbe (2011: 50) u. a. den „Gebrauch textueller Verknüpfungsmittel wie weiterhin, textstrukturierender Elemente wie in Vorfeld“. Insbesondere ist auch die Verbverbindung in „beträgt die Schußentvernung bis 500 m“ ein Indiz für eine höhere schriftsprachliche Kompetenz. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass die vorgegebene schriftsprachliche Kompetenz, also die, die der postulierte Autor verwendet, nicht dazu passt, vgl. „Auslender“, „vier Schafschützen“, „negsten Bericht“, „Munitionsgröze“. Es ist auch auffällig, dass entgegengesetzte Merkmale im gleichen Text verwendet werden, nämlich: 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 187 <?page no="188"?> „Es wirt mit Infrarot gearbeitet“ vs. „Dieses Schreiben darf nicht veröfendlicht werden“ / „andwort“ „wirt“ vs. „veröfendlicht“ / „andwort“ Bei beiden Merkmalen wird eine Konsonantenvertauschung vorgenommen, Einerseits wird jedoch ein <d> zugunsten von <t> ausgetauscht, also <d> ⇨ <t> und andererseits liegt der entgegengesetzte Prozess vor, also <t> ⇨ <d>. „In vorfeld möchte ich inen sagen“ vs. „Die Täter könen kein Deutsch“ „inen“ vs. „könen“ Bei „inen“ liegt eine Tilgung des Dehnungs-h (würde u. U. dann kurzgesprochen werden) vor. Auf der anderen Seite wird bei „könen“ eine Tilgung des Doppel‐ konsonanten (würde u.-U. dann langgesprochen werden) vorgenommen. „vier Schafschützen“ vs. „dar durch beträgt die Schußentvernung“ Einerseits wird in „Schafschützen“ das <r> getilgt, also <r> ⇨ < > und anderer‐ seits wird es in „dar durch“ (vgl. dadurch) eingefügt, also < > ⇨ < r> „Munitionsgröze“ vs. „oder auch gans“ „-gröze“ vs. „gans“ In „Munitionsgröze“ (vgl. Munitionsgröße) wird statt einem <ß> ein <z> gesetzt, <ß>/ <ss> ⇨ <z>. Dagegen wird bei dem Adjektiv ganz das <z> gegen ein <s> ausgetauscht, <z> ⇨ <s>, also „gans“. U.U. soll damit angezeigt werden, dass der postulierte Autor die Verwendung des <ß> nicht beherrscht, da es als spezifisches Merkmal der deutschen Sprache bekannt ist. Jedoch wird es an anderer Stelle verwendet, an der eigentlich <ss> stehen müsste, nämlich „Geschoße“. Das wiederum könnte auf eine/ n empirische/ n Autor/ in aus Ös‐ terreich oder der Schweiz hinweisen, da hier die Schreibung Geschoß bzw. Schuß in „Schußentvernung“, also mit <ß> statt <ss>, durchaus üblich ist. Möglich wäre aber auch ein/ e ältere/ r Schreiber/ in, da diese Schreibung vor der Rechtschreibreform im Jahr 1996 standardsprachlich war. Die Intention der Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit ist insbesondere die Geheimhaltung der eigenen sprachliche Kompetenz der/ des Schreiber/ in. Die Rezipient/ inn/ en von Texten, in denen diese Imitationsstrategie angewendet wird, sollen bewusst in die Irre geführt und manipuliert werden. Das geschieht mithilfe von Merkmalen, die ein Gefühl von Fremdartigkeit und Exotik ausdrü‐ cken und die auf bewussten und somit fingierten Fehlern gemäß der eigenen (muttersprachlichen) Sprachkompetenz der/ des empirischen Autors/ Autorin bzw. Schreibers/ Schreiberin beruhen. Die Verschleierung der eigenen sprach‐ lichen Kompetenz bleibt, wie bei dissimilatorischen Verstellungsstrategien, er‐ 188 15 Verstellungsstrategien <?page no="189"?> halten. Es tritt als Zwischeninstanz zwischen Schreiber/ in und Rezipient/ inn/ en ein postulierter, bzw. fingierter Autor hinzu. Dabei begrenzt die metasprachliche Kompetenz der/ des empirischen Autorin/ Autors die Etablierung eines plausi‐ blen sprachlichen Profils einer anderen Person. 15.7.1 Die unspezifische Imitationsstrategie Foreigner Talk Die Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit wird als die am häufigsten auf‐ tretende Verstellungsstrategie (vgl. u. a. Ehrhardt 2007a, Dern 2006: 324 und Busch/ Heitz 2006: 324) beschrieben. Hier verwenden Schreiber/ innen Fehler, die sie als typisch für den Sprachgebrauch von Nicht-Muttersprachler/ inne/ n einschätzen. Die Merkmale entspringen der persönlichen Wahrnehmung bzw. sind teilweise auch medial distribuiert. Auch hier besteht ein ähnliches Problem wie das muttersprachliche Selbstbewusstsein. In diversen Medien werden Varie‐ täten nachgeahmt und teilweise auch stilisiert. Sprachteilnehmer/ innen nehmen die mediale Stilisierung nicht als solche wahr und da sie mit der tatsächlich gesprochenen (oder auch geschriebenen) Sprache von Deutschlernern/ inne/ n wenig bzw. gar keinen Kontakt haben, überlagert die mediale Stilisierung das Bewusstsein für die eigentlichen Varietäten bzw. Merkmale. Wenn wir uns noch einmal die Definition von „Stil“ von Bußmann (2008: 684) vor Augen führen, dann ist es so, dass hier der Rezipient den sprachlichen Stil eines Deutschlernenden fehlerhaft rekonstruiert. Für die Verstellungsstrategie der Nicht-Muttersprachlichkeit bedeutet das, dass die Verstellung und damit auch die Imitation meistens unspezifisch sind. Die/ Der Autor/ in eines inkriminierten Textes nimmt sich in der Regel keine fest definierte Zielsprache zum Vorbild. Es wird dann nicht versucht so zu schreiben, wie etwa eine Spanierin oder ein Türke, die/ der Deutsch lernt, einen Text verfassen würde. Dementsprechend sind die verwendeten Merkmale, die der Imitation dienen sollen, nicht spezifisch dem Pidgin-Deutsch, Code-Shifting oder Code-Switching einer Spanierin oder eines Türken, der/ die die deutsche Sprache lernt, zuzuordnen. Diese Beobachtungen werden von einem Experiment bestätigt, das Dern 2008 durchgeführt hat (Dern 2008, auch Dern 2009: 82-90). Als die Proband/ inn/ en dazu aufgefordert wurden, ihre Sprache in einem Schreiben zu verstellen, wählten 31 % eine allgemeine Verstellung als Ausländer/ in. Mit 6 % versuchte nur jede/ r sechzehnte Proband/ in die Imitation einer spezifischen Muttersprache (Dern 2009: 83). Die Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit ist in der Regel unspezifisch und basiert auf der Verwendung von als falsch und fremdartig angenommener 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 189 <?page no="190"?> Rechtschreibung, Grammatik und Stilistik. Bei der Etablierung des der fingierten Autorschaft bedienen sich viele Schreiber/ innen sprachlicher Klischees wie des Foreigner Talks. Dieser kann i. d. R. nicht den Eindruck einer/ eines authenti‐ schen, nicht-muttersprachlichen Autorin/ Autors manifestieren, denn Foreigner Talk ist einer Karikatur von Nicht-Muttersprachler/ innen. Die Verwendung von Foreigner Talk als Strategie ist in erster Linie die Aufhebung der eigenen muttersprachlichen Schreibkompetenz (vgl. Fobbe 2006: 162 f.). 15.7.2 Spezifik von Einzelsprachen vs. Nicht-Spezifik der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit Die Analyse, ob jemand Nicht-Muttersprachlichkeit imitiert oder ob tatsäch‐ lich gewisse sprachliche Interferenzen vorliegen, ist eine komplexe Aufgabe. Anhaltspunkte bietet die Beobachtung, dass ‚echte‘ sprachliche Interferenzen weniger (bzw. gar nicht) im sprachlichen Bewusstsein verankert sind als die mediale Repräsentation von Mehrsprachigkeit. Ein weiterer Anhaltspunkt, der direkt mit den bereits beschriebenen Überlegungen zusammenhängt, ist die Spezifik bzw. Nicht-Spezifik der verwendeten, nicht-muttersprachlichen Merkmale. Im Gegensatz zu Foreigner Talk, der unspezifisch sind, ist die Muttersprache einer/ eines einzelnen Schreiberin/ Schreibers spezifisch. Das bedeutet, dass jemand, dessen Muttersprache beispielsweise Kroatisch ist und der zwischen Deutsch und Kroatisch switcht oder shiftet, Merkmale dieser beiden Sprachen verwendet und auf verschiedene Art und Weise mischt. Das mag trivial und einleuchtend klingen. Jedoch haben u. U. Autor/ innen, die Nicht-Muttersprachlichkeit vortäuschen, gar keine Kenntnisse des Kroatischen etc. Sie greifen auch hier womöglich auf sprachliche Klischees zurück, also unspezifische Merkmale, die eben ‚nicht deutsch‘, ‚exotisch‘, ‚fremd‘ oder ‚aus‐ ländisch‘ wirken sollen. Im Bestfall sollte also geprüft werden, ob die Merkmale im Bereich der Mehrsprachigkeit plausibel im Sinne spezifischer Einzelsprachen sind, oder nicht. 15.7.3 Die Bedeutung von Code-Switching für Verstellungsstrategien als Nicht-Muttersprachler/ in Bei der Analyse eines mehrsprachigen Textes bzw. Texten mit auffälligen Fehlern ist nicht bloß darauf zu achten, ob eine Imitation von Nicht-Mutter‐ sprachlichkeit vorliegt. Im Sinne der Unvoreingenommenheit sollte ein Text nicht ausschließlich auf das Vorhandensein einer Verstellungsstrategie geprüft 190 15 Verstellungsstrategien <?page no="191"?> 92 Im Original sind beide einfachen Anführungsstriche oben. werden, sondern auch auf die Möglichkeit tatsächlich gegebener sprachlicher Interferenzen. In den folgenden Kapiteln soll es einerseits darum gehen, welche sprachli‐ chen Interferenzen vorkommen, inwiefern sie sich voneinander unterscheiden, welche Bedingungen für ihre Realisation erfüllt sind. Andererseits wird fokus‐ siert, woran sich Autor/ inn/ en, die Nicht-Muttersprachlichkeit, bzw. ‚Auslän‐ derdeutsch‘ etc. vortäuschen, bei der Realisierung dieser Strategie orientieren. Zunächst sind sprachliche Interferenzen wie Code-Switching, -Mixing, -Shifting und Crossing abzugrenzen von Xenolekt bzw. Foreigner Talk. Zunächst sei darauf hingewiesen, dass in der Forschung kontrovers diskutiert wird, was unter Code-Switching zu verstehen ist. Clyne (2003: 70) verweist auf die „troublesome terminology around ‚code-switching‘“. Im Rahmen dieser Arbeit soll kurz auf die Abgrenzung zu anderen Sprachkontaktphänomenen, jedoch nicht auf die Forschungsdiskussion weiter eingegangen werden. Jede Art von bilingualer Rede kann auch als „Code-Mixing“ bezeichnet werden, also jede Mischung grammatischer und lexikalischer Einheiten zweier Sprachen (vgl. Muysken 2000: 1). Code-Switching ist abzugrenzen vom lexika‐ lischen bzw. grammatischen Transfer, bei dem Sprachmaterial in eine andere Sprache übernommen und in ihr System integriert wird (vgl. Riehl 2014: 22). Dahingegen wird der Sprachbzw. Varietätenwechsel, bzw. „Sprachmischung und Sprachwechsel im Bereich der innersprachlichen Variation“ (Neuland 2008: 73), von z. B. bilingualen oder multilingualen Sprecher/ innen innerhalb eines Gesprächs, als Code-Switching bezeichnet. „Dabei bedeutet der Begriff ‚Code‘ 92 sowohl ‚Sprache‘ […] als auch Varietät“ (Riehl 2014: 21). Der Wechsel zwischen der einen in die andere Sprache kann auch im Sinne eines Gleitens, also als „Code-Shifting“ (Auer 1998) passieren. Das Wechseln in eine andere Sprache ist i. d. R. an bestimmte „Kommuni‐ kationsbereiche und -situationen gebunden.“ (Neuland 2008: 156). Beim funk‐ tionalen Code-Switching (vgl. Blom/ Gumperz 1972) wird zwischen situativem und konversationellem Code-Switching (vgl. Auer/ Eastmen 2010: 95 ff.) unter‐ schieden. Situatives Code-Switching bezieht sich auf situative Faktoren wie Grad der Formalität, Beziehung der Gesprächsteilnehmer/ innen (Bußmann 2008: 106-107) sowie auf veränderte Situationen wie Wechsel der Gesprächs‐ partner/ innen, des Orts oder Themas (vgl. Riehl 2014: 25). Konversationelles Code-Switching betrifft diskursstrategische Gründe wie das Zitieren in einer anderen Sprache als auch expressive Funktionen (Appel/ Muysken 1987: 119 f.) wie das Ausdrücken der persönlichen Einstellung bzw. als Identitätsmerkmal 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 191 <?page no="192"?> wie der Wechsel zwischen „we-code“ und „they-code“ (Riehl 2014: 26 f., Auer 1998). Für die Betrachtung der Imitationsstrategie im Zusammenhang mit der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit ist insbesondere die referentielle Funktion zu beachten, bei der die Sprache gewechselt wird, weil Sprecher/ innen Probleme haben, das Gemeinte auszudrücken. Weiterhin sei noch kurz auf das nicht-funktionale Code-Switching hingewiesen, das ohne direkte Absicht der Sprecher/ innen passiert, weshalb Clyne (1967 ff.) von einer psychologischen Motivation ausgeht. Von dem Sprachwechsel können alle Bereiche der jeweiligen Sprachen, wie Syntax, Morphologie, Lexik usw. betroffen sein. „Begriffe wie „Code-Switching“ und „Registerwechsel“ bezeichnen streng genommen jeweils eine konsistente und gleichzeitige Veränderung aller codebzw. registertypischen Sprachmerk‐ male“ (Neuland 2008: 73). 15.7.4 Tertiärer Ethnolekt, Foreigner Talk und Xenolekt Auch Personen, die nicht mehrsprachig aufgewachsen sind, verwenden u. U. sprachliches Material aus anderen Sprachen. Im Bereich jugendsprachlicher Varietäten verwenden manche jugendliche Sprecher/ innen Merkmale des „ter‐ tiären Ethnolekts“ (Auer 2003). Solche sprachlichen Erscheinungen werden medial als „Türkendeutsch“, „Russendeutsch“, „Kanak-Sprak“, „Kiez-Sprache“ usw. (Neuland 2008: 158) bezeichnet. Zur Verwendung dieser ethnolektal ge‐ prägten Varietäten des Deutschen siehe auch Neuland (2008: 156 ff.). Vgl. zu ethnolektalen Varietäten auch das Konzept des „crossings“ bei Rampton (1995). Im Gegensatz dazu bezeichnet der sogenannte Foreigner Talk bzw. Xeno‐ lekt oder das Ausländerregister ein sprachliches Register, das manche Mut‐ tersprachler/ innen bei der Kommunikation mit Nicht-Muttersprachler/ inne/ n verwenden. Es basiert auf einer „‘Vereinfachung‘ der eigenen Sprache in Anpassung an die (vermeintlichen) Erfordernisse der Kontaktsituation mit Anderssprachigen“ (Bechert/ Wildgen 1991: 58). Alle sprachlichen Ebenen können von der scheinbaren Vereinfachung be‐ troffen sein (vgl. Riehl 2014: 128). Die Kommunikation ist insbesondere auf sprachliche Reduktion wie unvollständige Sätze, das Weglassen von Flexion sowie daraus resultierende veränderte Syntax usw. ausgelegt. So wäre statt eines Satzes wie Hast du Lust gemeinsam mit mir zum Bahnhof zu gehen? ein Satz denkbar wie Du gehen [zu] Bahnhof ? Die „verlorenen Funktionen“ durch Weglassen der Flexion können durch Hinzufügen von Substantiven, Verben etc. ersetzt werden (Hinnenkamp 1982: 155). Weitere Merkmale sind Reduktion des Lexikons mit Fokus auf den Grundwortschutz und eine Häufung von Rückversi‐ 192 15 Verstellungsstrategien <?page no="193"?> cherungspartikeln oder anderen sprachlichen Formen der Verständnissicherung wie „Du verstehen? “ (Riehl 2014: 129). In den meisten Fällen kann davon ausgegangen werden, dass die Kom‐ munikation durch die Verwendung von Xenoklekt nicht erleichtert wird, noch entspricht er einer Form des Sprachkontakts, wie beispielsweise beim Code-Switching oder Code-Shifting. Vielmehr ähneln die Satzkonstruktionen mit unflektierten Verbformen und veränderter Topologie stilisierter Comedy, die wie eine Parodie wirkt (vgl. das Kapitel 17.7). Insbesondere charakteristisch für Foreigner Talk ist, dass seine Merkmale „z. T. auf populären Hypothesen über besondere Schwierigkeiten der betreffenden Spr. [Sprache] beruhen, z. T. verbreitete Fehler von Nichtmuttersprachlern kopieren.“ (Glück 2005: 72, hier unter „Ausländerregister“) Die populären Hy‐ pothesen beruhen in vielen Fällen auf ihrer medialen Verbreitung. Insbesondere im Rahmen verschiedener Medien kann Foreigner Talk (ebenso wie andere medial stilisierte oder gar generierte sprachliche Variationen bzw. Register) als sprachliches Stilmittel angesehen werden. So setzt sich beispiels‐ weise mediales ‚Ausländerdeutsch’ i. d. R. aus einer Reihe an Hyperbeln, also Übertreibungen bestimmter Merkmale, zusammen. Dadurch wird ein Effekt der Stilisierung erzielt, der von Rezipient/ inn/ en als komisch empfunden wird. 15.7.5 Der Weg ins Bewusstsein - Mediale Vorbilder, Verbreitung und Generierung Um bei den Rezipient/ inn/ en den Eindruck von Nicht-Muttersprachlichkeit zu erwecken, brauchen Autor/ inn/ en eines fingierten Textes eine Art Muster für die Verstellung. Wer versucht, ihren/ seinen Sprachgebrauch Richtung Nicht-Muttersprachlichkeit zu verstellen, benötigt eine Vorstellung, wie Sprachmischungen etc. funktionieren. Sprachliche Vorbilder etc. müssen also im sprachlichen Bewusstsein verankert sein. Allerdings haben nur wenige Schreiber/ inn/ en inkriminierter Texte eine Vorstellung davon, wie echte Sprach‐ kontaktphänomene bzw. Interferenzen funktionieren und greifen daher auf mediale Vorbilder zurück. Bei Verstellungsstrategien, die auf der Imitation von Nicht-Muttersprach‐ lichkeit basieren, werden oft Foreigner Talk und weitere, medial verbreitete sprachliche Variationen als Vorbilder herangezogen. Neuland (2008: 18) zeigt, wie weit verbreitet sprachliche Varietäten, die an Foreigner Talk erinnern, in der öffentlichen Wahrnehmung sind, indem sie einen Ausschnitt aus einem Teil der Süddeutschen Zeitung vom 20.03.2007 zitiert: 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 193 <?page no="194"?> „Yalla, lan! Bin ich Kino? Heute verändern Arabisch, Russisch oder Türkisch die Umgangssprache der Jugendlichen stärker als Anglizismen.“ Die Vorstellung solcher Sprachmischungen, auch „Kanaksprache“ (Neuland 2008: 18) genannt, sind aber noch wesentlich älter, da u. a. jugendsprachliche Varietäten immer schon medialer Kritik unterlagen. Die Kritik belegt aber nicht bloß, dass die Diskussion über solche Varietäten schon sehr lange in Massenmedien kontrovers (und i. d. R. von Fachfremden) geführt wird. Die Kritik sorgt ihrerseits für eine gewisse Verbreitung, und dargestellte Sprachbei‐ spiele finden, obwohl sie meistens nicht der Realität entsprechen, den Weg ins sprachliche Bewusstsein der Rezipient/ inn/ en. Doch nicht nur die mediale Kritik an Sprachmischungen spielt eine große Rolle bei der Verbreitung, sondern auch weitere mediale Formen wie so genannte Wörterbücher zur Jugendsprache, die es kaum vermögen, jugendsprachliche Varietäten korrekt darzustellen. So „werden jugendsprachliche Neuerungen von den Medien begierig aufgegriffen und bekannt gemacht. Im Prozess der medialen Vermittlung wird Jugendsprache […] stereotypisiert und kommerzialisiert.“ (Neuland 2008: 83) Ebenfalls ist es möglich, dass Formen der Sprachmischung von Medien (insbesondere solchen mit großer Reichweite) schlicht erfunden, also generiert werden. Das ist insbesondere bei Comedy-Figuren etc. wie Supa Richie (Matthias Knop), Erkan und Stefan ( John Friedmann und Florian Simbeck), Hakan (Kaya Yanar), Der Dennis aus Hürth (Martin Klempnow) und im Rahmen weiterer Vertreter in Submedien wie Fernsehserien, YouTube-Videos, Filmen etc. der Fall. Die Präsenz der medial verbreiteten und generierten Inhalte kann dabei so stark sein, dass sie im sprachlichen Bewusstsein der Rezpient/ inn/ en derart verankert werden, dass sie die Vorstellung von realen Varietäten des Sprach‐ kontaktes überlagern. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Personen kaum bzw. keinen Kontakt zu mehrsprachigen Personen haben. Bei Verstellungsstrategien werden eben diese medial verbreiteten und gene‐ rierten Sprachformen aufgegriffen. Auch hier kann beobachtet werden, dass real existierendes Code-Switching/ -Shifting, Crossing oder Übernahmen als tertiärer Ethnolekt weniger als Vorbild dienen. Ein Grund kann sein, dass die Autor/ inn/ en nicht über ein ausreichend großes sprachliches und metasprach‐ liches Bewusstsein verfügen, um sich vorzustellen, wie Mehrsprachigkeit in der Praxis funktioniert. Außerdem besteht bei viel Schreiber/ inne/ n kaum Bewusstsein für Merkmale einer spezifischen Sprache bzw. auch für entspre‐ chende sprachliche Ebenen. Für linguistische Laien besteht Sprache in erster Linie aus vielen Wörtern, die sich in verschiedenen Sprachen unterscheiden. 194 15 Verstellungsstrategien <?page no="195"?> Das sprachliche Bewusstsein ist also stark auf die Lexik fokussiert, vgl. auch „mentales Lexikon“. Hier werden Unterschiede zu der eigenen Muttersprache wahrgenommen, ein Bewusstsein für sich (teilweise stark) unterscheidende Grammatiksysteme besteht u. U. nicht. Daher wird auf verbreitete sprachliche Klischees, also Stilisierung, zurückgegriffen. 15.7.6 Vorsicht bei Rückschlüssen auf Mehrsprachigkeit bei der Analyse einzelner Merkmale Drommel (2016: 162) berichtet von einem Fall aus dem Jahr 2007, bei dem die Autorin weder im Nominativ noch im Akkusativ „das personale und das neutrale Fragewort im Deutschen (wer/ wen versus was)“ differenziert hat. Als Beleg nennt er „Ich weiß genau, wen sie von mir denken“ statt „[…] was sie von mir denken“. Da im Litauischen das Fragewort nicht differenziert wird und bei Personen und Nicht-Personen das gleiche Wort verwendet wird, kann das Aufschluss auf die Urheberschaft geben. Tatsächlich war es bei diesem Fall so, dass es sich um eine litauische Täterin handelte. Mit solchen Schlüssen sollte bei einer Textanalyse und insbesondere bei der Gutachtenerstellung vorsichtig umgegangen werden. Einerseits können bestimmte grammatische, lexikalische etc. Merkmale in mehreren Sprachen vorkommen. Zu beachten ist außerdem grundsätzlich, dass Merkmale wie die beschriebenen nicht immer eine eindeutige Ursache haben. Eine einfache Formel wie: Sprecher/ in X verwechselt Dativ und Akkusativ, daher muss sie/ er aus Land X oder Region Y kommen, ist nicht zulässig. Solche sprachlichen Interferenzen sind vergleichbar mit Eigenheiten von z. B. Regiolekten wie dem Ruhrdeutschen, bei dem, als Substrat des Niederdeutschen, die Kasus Dativ und Akkusativ zusammenfallen können. Nun ist es aber nicht so, dass das Ruhrdeutsche der einzige Regiolekt ist, bei dem dieses Merkmal vorliegt. So ist ein grammatisches Merkmal, wie z. B. der Zusammenfall von Dativ und Akkusativ, nicht unbedingt ein exklusives Merkmal einer bestimmten Sprache bzw. eines spezifischen Regiolekts oder Dialekts. Daher müsste bei der Nicht-Unterscheidung von was und wen/ wer, wie im dargestellten Fall, ebenfalls geprüft werden, ob dieses Merkmal im Sinne einer sprachlichen Referenz auch in anderen Sprachen vorkommt. Daher ist die These: Sprecher/ in Y verwendet ausschließlich was sowohl im Nominativ und Akkusativ, egal, ob auf Personen oder Nicht-Personen referiert wird, daher muss sie/ er aus Litauen kommen, ebenfalls abzulehnen. Auch im Bereich sprachlicher Interferenzen ist darauf zu achten, dass jede/ r Autor/ in über ein (oder mehrere) Merkmalset(s) verfügt, und das Vorhandensein einzelner sprachlicher Merkmale 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 195 <?page no="196"?> niemals ausreichend ist, um damit auf einen Teil der Metadaten schließen zu können. 15.7.7 Untersuchungen zur Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie Fobbe (2006) legt einen Aufsatz vor, der Foreigner Talk in Erpresserschreiben als Verstellungsstrategie fokussiert. Sie beschäftigt sich mit „Schreiben, die Abweichungen zeigen, die den strukturellen Merkmalen des foreigner talk ent‐ sprechen“ (Fobbe 2006: 154) und ebenfalls Teil des LiKtORA-Korpus sind. Fobbe (2006: 151) analysiert drei Texte und stellt dabei fingierte und nicht-fingierte Fehler heraus, um die Unterschiede zu fokussieren. Sie stellt die These auf, dass die Autor/ inn/ en der Texte Foreigner Talk als Vorbild für fingierte Fehler verwenden. In einem weiteren Aufsatz (Dern 2006, ebenfalls Dern 2009: 112-118) wird die Verwischung von Spuren in inkriminierten Texten thematisiert. Als Beispiel dient ein Schreiben, bei dem ein Muttersprachler seine Sprache so verstellt, dass man ihn für einen Nicht-Muttersprachler halten soll. Dem Schreiben liegt ein dreifacher Mord an einem Kinderarzt, seiner Frau und einer Arzthelferin zugrunde. Dern kann anhand einer Analyse plausibel darstellen, woran die Verstellung zu erkennen ist. Grundlage der Analyse ist ein Fragenkatalog (Dern 2009: 81-82), der sieben Fragen enthält, deren Beantwortung bei der Analyse helfen soll, ob von einer Verstellung ausge‐ gangen werden kann oder nicht. 1. „Beschränkt sich die Fehlerhaftigkeit weitgehend auf die oberflächlich zugängliche Ebene der Orthografie und der Flexionsmorphologie (Wort‐ formenbildung)? 2. Treten korrekte Vorkommen neben inkorrekten Vorkommen einer sprach‐ lichen Kategorie auf ? 3. Nimmt die Fehlerhaftigkeit im Verlauf des Textes ab? 4. Werden idiomatische Ausdrücke korrekt eingesetzt? 5. Sind Wortverwendung/ Beherrschung der Idiomatik und Fehlerhaftigkeit auf oberflächenstruktureller Ebene vereinbar? 6. Sind korrekte Wortverwendungsweisen gegeben? 7. Wird das Verständnis des Textes gefährdet? “ (Dern 2009: 81-82) Von einer Verstellung ist auszugehen, sollten die Fragen 1-4 bejaht und die Fragen 5-7 verneint werden. Für das o. g. Schreiben kommt Dern mithilfe des Fragenkatalogs (Dern 2009: 117 spricht hier nur von „sechs Punkte[n]“) zu 196 15 Verstellungsstrategien <?page no="197"?> dem Ergebnis, dass eine Verstellungsstrategie angewendet wurde, was nach der Ermittlung des Täters auch bestätigt werden konnte. Denn „[d]er Autor, der in Mannheim festgenommen wurde, war in der Tat ein Muttersprachler des Deutschen […]“ (Dern 2009: 118). Die hier vorliegende Verstellungsstrategie ist die Imitation einer nicht spezifischen Form von Migrantendeutsch. In dem bereits in Kapitel 15.17.1 erwähnten Experiment, wurden insgesamt 52 Studentinnen und Studenten der Germanistik unter Berücksichtigung be‐ stimmter Vorgaben dazu aufgefordert ein Erpresserschreiben verfassen. Ihre Aufgabe bestand danach darin, in verschiedenen Schritten Verstellungsstra‐ tegien in zwei weiteren Erpresserschreiben anzuwenden. Es sollte ein weiterer Erpresserbrief mit der Maßgabe geschrieben werden, die „Sprache so zu verändern, dass Sie nicht erkannt werden können“. Dann folgte noch die Aufgabe, einen dritten Erpressertext zu schreiben, bei dem die Probad/ inn/ en die Vorgabe erfüllen sollten, „die Sprache eines ‚Ausländers‘ zu imitieren“ (Dern 2009: 83). Bei der ersten Aufgabe, also aus eigenem Antrieb, verstellten nur 13 % ihre Sprache, davon imitierte ein/ e Proband/ in die „Sprache eines ‚Ausländers‘“ (Dern 2009: 85). Beim Verfassen des zweiten Textes verwendeten 69 % eine Verstellungsstrategie, wobei 31 % angaben, den Sprachgebrauch eines Auslän‐ ders bzw. einer Ausländerin imitiert zu haben. Bemerkenswert ist, dass beim dritten Text, bei dem explizit „die Sprache eines ‚Ausländers‘“ (Dern 2009: 83) imitiert werden sollte, nur 6 % die Strategie angewandt haben, eine spezifische Muttersprache zu imitieren. Das ist hier insbesondere beachtenswert, weil bei den am Experiment teilnehmenden Germanistik-Studierenden ein erhöhtes metasprachliches Bewusstsein zu erwarten ist als in der Gesamtpopulation, bzw. bei sprachlichen Laien. Die Vorstellung einer nicht-spezifischen, also schon generischen ‚Ausländersprache‘ scheint tief im Bewusstsein muttersprachlicher Schreiber/ innen zu liegen. Dern (2009: 88) drückt es so aus: „Das sprachliche Verhalten eines ‚Ausländers‘ wurde erstaunlicherweise von der möglichen Muttersprache dieses ‚Ausländers‘ abstrahiert und klischeehaft realisiert.“ Die Imitation der Sprache einer gedachten, also so in der Realität nicht vorkom‐ menden Sprechergruppe ist also bereits mit Formen der Stilisierung verwandt. Auf die Verstellungsstrategie der Stilisierung wird im weiteren Verlauf, sowohl in Bezug auf Erpresserbriefe selbst als auch im Zusammenhang mit medial stilisiertem Sprachgebrauch, eingegangen (vgl. das Kapitel 17.7). Weiterhin interessant ist, wie die Imitationsstrategie ausgeführt wurde, also aus welchen Sub- oder Teilstrategien sie sich zusammensetzt. Bei den unspezi‐ fisch verstellten Schreiben (zweite Aufgabe) brachten 32 % bewusste Fehler in ihren Text ein, wobei die Mehrzahl orthographische Fehler ausmachten. Wäh‐ 15.7 Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit als Verstellungsstrategie 197 <?page no="198"?> rend Kasusfehler selten (13 %) fingiert wurden, konnten keine Wortstellungs- oder Wortverwendungsfehler ausgemacht werden. Signifikant ist außerdem, dass 68 % der Proband/ inn/ en ihre Stilebene absenkten. Stil und orthographische Fehler befinden sich demnach auf der Oberfläche des Sprachbewusstseins. Erwähnenswert ist außerdem, dass zumindest 8 % versuchten, einen Dialekt zu imitieren. Regio- oder dialektale Merkmale in einen Text einzubauen, ist also eine gegenwärtige, wenn auch seltene Imitationsstrategie. Es ist hier unklar, ob sich die Proband/ inn/ en eher an gesprochenen Varietäten oder aber an medial stilisierten Varianten orientierten. Da sich bei der dritten Aufgabe 94 % der Befragten dafür entschieden, eine nicht weiter spezifizierte Muttersprache zu imitieren, ist interessant, welche Substrategien sich hier ausmachen ließen. Welche prototypischen Ei‐ genschaften werden ‚Ausländerdeutsch‘ zugeschrieben? Dern (2009: 89) gibt an, dass 56 % hauptsächlich die grammatischen Ebenen manipulieren, wohingegen die anderen Ebenen relativ intakt bleiben. 10 % verändern vor allem die Orthographie, ebenfalls 10 % bedienen sich in erster Linie eines einfachen Vokabulars und bei 3 % ist die Manipulation der Stilebene vorherrschend. Nur etwa ein Fünftel (21 %) der Befragten entscheiden sich für eine „ausgewogene Manipulation auf unterschiedlichen Ebenen“ (Dern 2009: 89). 15.7.8 Zusammenfassung Eine häufige Imitationsstrategie im Rahmen inkriminierter Texte ist die Nachah‐ mung von Nicht-Muttersprachlichkeit. Durch diese Strategie kann ein Konflikt zwischen der Verstellung und der Verständnissicherung entstehen. Diese Dis‐ krepanz kann zu unplausiblen Merkmalset-Konstellationen führen. Die Insze‐ nierung der fingierten Autorschaft ist Teil der Tarnhandlung, sodass bestimmte Eigenschaften wie Gefährlichkeit oder auch Exotik (vgl. Nicht-Muttersprach‐ lichkeit) generiert werden. Es werden außerdem bestimmte Merkmale und Fehler eingebaut, um die/ den fingierte/ n Autor/ in als Nicht-Muttersprachler/ in zu kennzeichnen. Medial generierter Foreigner Talk, der häufig bei Imitation von Nicht-Mut‐ tersprachlichkeit als Vorbild genommen wird, ist im Gegensatz zu authentischen Sprachen unspezifisch. Der Gebrauch von Foreigner Talk in inkriminierten Schreiben überlagert die eigene schriftsprachliche Kompetenz. Bei der Autor‐ schaftsanalyse sind Texte dennoch immer daraufhin zu prüfen, ob die/ der Schreiber/ in Nicht-Muttersprachler/ in ist. Daher ist ein Text immer auf sprach‐ liche Phänomene wie Code-Switching oder -Shifting zu prüfen. Hierbei ist 198 15 Verstellungsstrategien <?page no="199"?> insbesondere auf die Spezifik der ‚beteiligten‘ Einzelsprachen und deren Eigen‐ heiten zu achten. Im Gegensatz zu authentischen Sprachmischungen setzt sich Foreigner Talk sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht aus Hyperbeln zusammen. Da die meisten Schreiber/ innen von Texten, in denen Nicht-Muttersprach‐ lichkeit imitiert wird, einerseits nicht wissen wie Sprachkontaktphänomene funktionieren und andererseits nicht über ausreichend metasprachliches Be‐ wusstsein verfügen, greifen sie für die Darstellung der/ des fingierten Au‐ torin/ Autors auf medial verbreitete Formen von Mehrsprachigkeit zurück. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass einzelne Merkmale keine Rück‐ schlüsse auf spezifische Metadaten von Autor/ inn/ en zulassen. Nur eine Vielzahl von Merkmalen, die sich zu Merkmalsets zusammensetzen, erlauben Aussagen über die Autorschaft und darüber, ob ein Text authentisch oder fingiert ist. Untersuchungen zeigen, dass die Nachahmung von Nicht-Muttersprach‐ lichkeit eine oft gewählte Imitationsstrategie beim Verfassen von Erpresser‐ schreiben ist. Anhand des vorgestellten Fragenkatalogs (Dern 2009: 81-82) lassen sich Analysemethoden erarbeiten, um einen Text auf Authentizität oder ggfs. Fingierung hin zu prüfen. 15.8 Grad der Verstellung und Detektion Bisher wurde beschrieben, welche Verstellungsstrategien von Autor/ inn/ en inkriminierter Schreiben angewendet werden. Es stellt sich in konkreten Fällen aber nicht bloß die Frage, ob und welche Strategie angewendet wird, sondern auch, wie stark der Grad der Verstellung ausgeprägt ist. Dern führt aus: „Eine mutwillige Veränderung der Sprache im Sinne einer Ver- oder Entstellung ist jedem in unterschiedlichen Graden möglich.“ (Dern 2009: 60-61) Es gibt bislang keine fest definierten Grade der Verstellung, gerade weil die Möglichkeiten und sprachlichen Bereiche, auf die eine Verstellung abzielen kann, sehr viel‐ fältig sind. So kann beispielsweise die Syntax eher unberührt bleiben, und die Orthographie hingegen sehr stark einer Verstellungsstrategie folgend angepasst werden. Fest steht jedoch, dass Verfasser/ innen inkriminierter Texte bei einer Imitation zumindest versuchen, möglichst den Sprachstil einer gewählten Vor‐ lage, ob diese nun sinnvoll bzw. spezifisch gewählt wurde oder nicht, abdecken wollen. Die Fähigkeit, erfolgreich den eigenen Sprachgebrauch zu verschleiern, andere Sprachlagen zu imitieren etc., hängt dabei maßgeblich mit dem metal‐ inguistischen Bewusstsein zusammen. „Therefore, until more is known about metalinguistic awareness in adults, the theoretical position should be taken 15.8 Grad der Verstellung und Detektion 199 <?page no="200"?> that linguistic disguise is possible depending on the author’s particular level of metalinguistic awareness.“ (Chaski 1997: 19) Auch Busch/ Heitz (2006: 84), Dern (2006: 325) und Ehrhardt (2007a) betonen, dass die erfolgreiche Realisierung von Verstellungsstrategien großes metasprachliches Wissen voraussetzt und dass viele Autor/ inn/ en nicht über diese sprachtheoretischen, sprachreflexiven und analytischen Fähigkeiten verfügen (vgl. auch Bredthauer 2013: 18). Dementspre‐ chend gelingt nur den wenigsten Autor/ inn/ en eine erfolgreiche Verstellung (vgl. u.-a. Michel 1982: 204). Es stellt sich also die Frage, wie schwierig es ist, Verstellungsstrategien aufzudecken. Darüber wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Wie bereits gezeigt wurde, beeinflusst der Verstellungsgrad auf verschiedenen linguisti‐ schen Ebenen die Schwierigkeit der Detektion von Verstellungsstrategien. So ist es einfacher, eine Imitation aufzudecken, wenn der Grad der Verstellung auf verschiedenen Ebenen nicht zueinander passt. Wenn jemand eine einwand‐ freie Syntax beherrscht, spezifische Eigenheiten einer Sprache nahezu perfekt umsetzt, Präpositionen richtig verwendet, jedoch auf der anderen Seite sehr unspezifische Fehler in Orthographie und Zeichensetzung macht, ist die Wahr‐ scheinlichkeit, dass eine Imitationsstrategie vorliegt, höher. Diese Diskrepanzen sind u. a. damit zu erklären, dass Verstellungen auf bestimmten Ebenen leichter bzw. schwieriger zu realisieren sind, da für manche Ebenen wie z. B. die Lexik ein größeres Bewusstsein einerseits besteht, und andererseits Merkmale auf sprachlichen Ebenen wie z. B. der Syntax weit komplexer sind. Den unterschiedlichen Komplexitätsbzw. Schwierigkeitsgrad sprachlicher Ebenen beschreiben u. a. Spillner (1990: 102 f.), Stein/ Baldauf (2000: 380), Grewendorf (2000: 83), Olsson (2004: 42 f.) und Fobbe (2006: 149). Das muttersprachliche Selbstbewusstsein und die damit verbundene mangelnde Fähigkeit, die eigene Sprache selbst zu reflektieren (vgl. Jöns 1989: 278), sorgen zusammen mit der o. g. Diskrepanz der Schwierigkeitsgrade verschiedener sprachlicher Ebenen dafür, dass Verstellungsstrategien leichter detektiert werden können. Ob das Aufdecken von Verstellungsstrategien an sich ein eher simples oder schwieriges Unterfangen ist, darüber ist sich die Forschung hingegen uneins. Während Dern (2009: 106, 2006: 323, 2003: 46) betont, dass die Detektion häufig schwierig sei, sind McMenamin (2002: 164), Kniffka (2000a: 41) und Blum (1990: 292) gegenteiliger Ansicht. Es ist allerdings fragwürdig, ob es sinnvoll oder zielführend ist, eine allgemein gültige Aussage zu dieser Problematik zu treffen. Die Qualität der Ausführung einer oder mehrerer Verstellungsstrategien durch verschiedene Autor/ inn/ en ist sehr heterogen. Dementsprechend ist auch der Schwierigkeitsgrad der Entlarvung dieser Verstellungsstrategien unterschied‐ lich hoch. 200 15 Verstellungsstrategien <?page no="201"?> In der Praxis stellt sich dahingegen vor allem die Frage, wie Verstellungen aufgedeckt werden können und ob eine Systematik festgestellt werden kann. Allgemein lässt sich hier festhalten, dass Nicht-Authentizität (vgl. Dern 2003: 46) im weiter oben beschriebenen Sinne zu einem nicht-stimmigen Gesamtbild (vgl. u. a. Spillner 1990: 103) bzw. einem nicht-plausiblen Fehlerprofil (vgl. Dern 2006: 325) führen kann, die auf eine vorgenommene Verstellungsstra‐ tegie hinweisen. Ein unstimmiges Gesamtbild setzt sich aus verschiedenen Faktoren zu‐ sammen: 1. Gleichzeitige Realisierungen von korrekten und fehlerhaften Merkmalen in einem Text bzw. einer Textserie (vgl. Bickes/ Kresic 2000: 128, Dern 2003: 47, Dern 2006: 325, Fobbe 2006: 155, Ehrhardt 2007b, Dern 2009: 81, 117) 2. Inkonsequenter Grad bzw. inkonsequente Intensität der Fehlerhaftigkeit (vgl. Dern 2003: 46 f., Dern 2006: 325) 3. Diskrepanz der Fehlertypen auf der gleichen sprachlichen Ebene bzw. der Fehlerverteilung auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen oder/ und Fehlerhaftigkeit nur an bestimmten Stellen eines Textes, wie beispielsweise eine geringere Fehlerdichte im Verlauf eines Textes (vgl. Bickes/ Kresic 2000: 128, Dern 2006: 325, Fobbe 2006: 149 f., Dern 2009: 81, 117) 4. Stereotype Verstellungen und Stilisierungen auf oberflächlich zugängli‐ chen Ebenen eines Textes wie der Orthographie und der Flexionsmorpho‐ logie (vgl. Blum 1990: 292, McMenamin 2002: 54, Schall 2004: 555, Dern 2009: 81, 117) 5. Korrekte Realisierungen spezifischer Eigenheiten der deutschen Sprache, die Nicht-Muttersprachlern normalerweise große Probleme bereiten (Dern 2006: 326) 6. Erfolgreiche Verständnissicherung bei Texten mit ansonsten recht hoher Fehlerdichte (vgl. Dern 2003: 47, Dern 2006: 325, Ehrhardt 2007b) 7. Korrekte Realisierung idiomatischer Ausdrücke (Dern 2009: 81) 15.8.1 Fingierte Fehler im Rahmen von Verstellungsstrategien Im Rahmen verschiedener Verstellungsstrategien, beispielsweise wenn die/ der Schreiber/ in die eigene Sprachkompetenz verschleiert, andere Per‐ sonen(gruppen) imitiert, Nicht-Muttersprachlichkeit oder eine geringere schriftsprachliche Kompetenz vortäuscht, können Fehler bewusst herbeigeführt werden. Solche intendierten Fehler im Rahmen von Verstellungsstrategien werden als fingierte Fehler bezeichnet. Fingierte Fehler sind solche, die die/ der Autor/ in bewusst als fehlerhafte Abweichung produziert. Sie sind somit selbst 15.8 Grad der Verstellung und Detektion 201 <?page no="202"?> korrigierbar und damit als Sonderform der bereits beschriebenen Mistakes zu betrachten, obwohl sie den Eindruck erwecken sollen, dass sie Errors sind. Damit gilt es, insgesamt vier verschiedene Fehlertypen zu unterscheiden und die bereits bekannte Tabelle um Mistake (fingiert) zu erweitern: Fehlertyp Fehlerschwere global lokal Error - - Mistake - - Mistake (fingiert), sollen als Error erscheinen - - Tippfehler (Slip und Lapse) - - Tabelle 9: Fehlertypen und Fehlerschwere unter Berücksichtigung fingierter Fehler Nach Fobbe (2011: 173) ist die Fingierung von Fehlern Teil einer „Tarnhandlung“ zur Verschleierung der eigenen Identität. Diese umfasst zwei Dimensionen. Zum einen ist die Möglichkeit der Täuschung auf den reinen Text beschränkt, denn es gibt keine Gesten, keine Mimik oder gesprochene Sprache etc. Ande‐ rerseits, so Fobbe, „bedient die Fehlerhaftigkeit der Sprache eine stereotype Vorstellung von Fremdheit.“ Mit der Nicht-Muttersprachlichkeit ist eine stereo‐ type Unvereinbarkeit mit der deutschen Staatsangehörigkeit verbunden. Die Aufmerksamkeit der Leser/ innen, also gegebenenfalls auch der Polizist/ inn/ en, Ermittler/ innen etc. wird auf (einen) andere(n) Personenkreise gelenkt, da z. B. auf eine nicht-muttersprachliche, also ausländische Identität verwiesen wird. Dabei wird, wie bereits dargestellt, z. B. Foreigner Talk als Verstellungsstrategie eingesetzt, wobei der Sinn einzig darin besteht, von sich selbst abzulenken. Daher ist die vorgegebene Identität unspezifisch (Fobbe 2006) und referiert auf keine bestimmte Gruppe, keine bestimmte Sprache oder Staatangehörigkeit oder Ähnliches. Fobbe spricht daher auch von einer „leere[n] Identität“ (Fobbe 2011: 173), bei der nur in den seltensten Fällen, und wenn dann als Stereotyp, auf bestimmte Nationalitäten referiert wird. Die Lernersprache wird nur simuliert und nach dem Ziel, eine geringe(re) Sprachkompetenz vorzutäuschen, werden Fehler ausgesucht. So kann es auch vorkommen, dass eine „ausländische Sprechweise“ imitiert wird. Fobbe (2011: 173) nennt als Beispiel die „Fehlschreibung von Infinitiven als Formen ohne <n> wie in du sage“, die als typische nicht-native Sprechweise angenommen wird. Dabei ähneln die Fehler noch mehr Foreigner Talk oder Xenolekt, bei dem 202 15 Verstellungsstrategien <?page no="203"?> ein/ e Muttersprachler/ in sich vermeintlich dem Sprachgebrauch einer/ eines nicht-nativen Sprachnutzerin/ Sprachnutzers annähert. Dazu werden, ebenso wie bei der Fingierung des Sprachgebrauchs in Texten, absichtlich Fehler gemacht. Fobbe (2006) zeigt, dass Foreigner Talk bei inkriminierten Texten als Register herangezogen wird, um nicht-nativen Sprachgebrauch zu simulieren. Anhand der Analyse von Texten aus dem BKA-Korpus zeigt sie, dass nicht bloß die Grammatik reduziert wird, sondern auch die Komplexität der Bezie‐ hungen einzelner Lexeme abnimmt. Das kann zu Ambiguitäten führen, die im mündlichen Sprachgebrauch, in dem der Foreigner Talk beheimatet ist, durch nonverbale Kommunikation mit Gestik, Mimik etc. begrenzt oder verhindert werden kann (vgl. auch Fobbe 2011: 175). Die zwei wichtigsten Elemente der beschriebenen Fehlerfingierung sind ei‐ nerseits hohe Fehlerfrequenz und andererseits deutliche Sichtbarkeit der Fehler, die beide die Imitation von nicht-nativem Sprachgebrauch unterstützen sollen. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass die/ der Simulierende die Leser/ innen unbedingt auf eine falsche Fährte locken will und dafür oft sehr offensichtliche Mittel einsetzt. Fobbe (2011: 173) weist darauf hin, dass dadurch unbeabsichtigt Fehlercluster entstehen können. Es werden vornehmlich Fehler produziert, deren sprachliche Ebene leichter zugänglich sind. Daher sind Lexik, Orthogra‐ phie sowie Verbmorphologie bei der Fehlerproduktion wesentlich eher betroffen als die Syntax, die als automatisierter Teil des persönlichen Sprachgebrauchs verwendet wird (vgl. Fobbe 2011: 174). Bei inkriminierten Texten ist vor allem wichtig, dass das eigentliche Ziel, z. B. eine Erpressung, Bedrohung etc., deutlich wird. All diese Kommunikationsabsichten sind mit bestimmten Schlüsselwör‐ tern verbunden, die zur Verständigung essenziell wichtig sind. So kann z. B. niemand effektiv erpresst werden, der nicht versteht, welche Macht die/ der Erpressende über sie/ ihn hat, da nicht deutlich wird, dass sonst z. B. sensible Informationen in Umlauf gebracht werden o.ä. Daher werden Schlüsselwörter, die unbedingt für diese Informationen notwendig sind, fast immer fehlerfrei realisiert. Da Lexikfehler ansonsten aber gut geeignet sind, weil sie einfach zugänglich sind und von Außenstehenden eher als schwer eingestuft werden, werden sie z. B. bei der „Realisation von fakultativen Textfunktionen wie der Selbstdarstellung“ verwendet (Fobbe 2011: 175). 15.8 Grad der Verstellung und Detektion 203 <?page no="204"?> Ziele der Imitation von Nicht-Mutter‐ sprachlichkeit Strategien bei der Textpro‐ duktion Betroffene Sprach‐ bereiche Gefahren, denen entgegenge‐ wirkt wird Verschleierung der eigenen Identität Herstellung einer hohen Fehlerfre‐ quenz Fehler bei Lexik, Orthographie und Verbmorphologie (werden teilweise von Laien als Be‐ reiche eher schwe‐ rerer Fehler gesehen und sind kognitiv leichter zugänglich) (Zer)Störung der Plausibilität durch Inkonsistenz der Fehler, Merkmal‐ sets bzw. des Spracher‐ werbs-stadiums Simulation bzw. Imi‐ tation von ‚Aus‐ länder-deutsch‘ Herstellung deut‐ lich sichtbarer Fehler Weniger oder keine Fehler bei der Syntax (wird von Laien als Bereich eher weniger schwerer Fehler gesehen und ist ko‐ gnitiv weniger leicht zugänglich sowie automatisierter ge‐ braucht) Abbruch der Kom‐ munikation wegen zu großer Ein‐ schränkungen der Verständlichkeit des Textes Herstellung von Plausibilität Herstellung einer hohen Fehler‐ schwere (siehe betroffene Sprachbereiche) Fehler bei Schlüs‐ selwörtern und bei hochfrequenten Wörtern Aufdeckung der Tarnhandlung sowie (Zer)Stö‐ rung der Imitation Identifizierung der/ des Autorin/ Au‐ tors als Ausländer/ in Einschränkung der Verständlich‐ keit (besonders bei fakultativen Textteilen, Ver‐ meidung dagegen bei Schlüsselwör‐ tern) Simulation von Mündlichkeit, schriftliche Realisie‐ rung phonologischer Merkmale (vgl. auch tatsächliche Diskrepanz der Pho‐ nologie und Gra‐ phematik bspw. bei Dialekt-Spre‐ cher/ inne/ n bzw. -Schreiber/ inne/ n Hinweise auf die Identität bzw. Auf‐ deckung der Iden‐ tität der/ des Au‐ torin/ Autors und (Zer)Störung der Verschleierung Tabelle 10: Ziele, Strategien, betroffene Sprachbereiche und Gefahren bei der Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit 204 15 Verstellungsstrategien <?page no="205"?> 15.8.2 (In-)Konsistenz von Merkmalen bei Verstellungen und Spracherwerb Ein wichtiges Kriterium zur Aufdeckung von Verstellungsstrategien ist das Aufdecken der Inkonsistenz von Merkmalen bzw. Fehlern. Falls Merkmalsets Inkonsistenzen aufweisen, auffällige Fehlercluster entstehen usw., hat das erhebliche Auswirkungen auf die Plausibilität des Sprachgebrauchs eines Textes und damit auf eine mögliche Verstellungsabsicht der/ des Autorin/ Autoren. Es ist beispielsweise nicht plausibel, dass ein/ e Autor/ in eine fast fehlerfreie Syntax gebraucht, aber sehr viele orthographische und lexikalische Fehler macht. Damit hat u. a. zu tun, dass die einzelnen sprachlichen Ebenen beim Spracherwerb nicht unabhängig voneinander ablaufen, sondern sich gegenseitig bedingen (vgl. Grieshaber 2005). Sollte es sich bei der/ dem Schreiber/ in eines Textes um eine/ n Nicht-Muttersprachler/ in handeln, ist es für die Konsistenz wichtig, dass ein „bestimmtes Stadium des Spracherwerbs“ deutlich wird (Fobbe 2011: 174) und dass die Fehler auf allen sprachlichen Ebenen ungefähr gleichverteilt sind (Bungarten 1996). Ferner ist bei dem individuellen Sprachstand zu beachten, dass beim Spracherwerb bestimmte Bereiche der Sprache anderen vorbzw. nachgeordnet sind (vgl. Apelthauer 2005). So erscheint ein Text inkonsistent, wenn sprachliche Bereiche inkorrekt realisiert werden, die in der Regel vor solchen Strukturen erlernt werden, die nun im Text aber korrekt verwendet werden. Einfach ausgedrückt, sollten i. d. R. keine Strukturen einer höheren Spracherwerbsstufe korrekt realisiert werden, wenn Bereiche einer darunter‐ liegenden Spracherwerbsstufe auffällige Fehler aufweisen. Zur Konsistenz eines Textes gehört außerdem, dass keine falschen neben korrekten Formen des glei‐ chen Typs auftauchen. Da nur wenige Schreiber/ innen ein ausreichend großes metasprachliches Bewusstsein haben, um all diese Kriterien zu erfüllen (vgl. auch Kniffka 2001: 196 f.) treten Inkonsistenzen auf, die auf einen veränderten, u.-U. simulierten Sprachgebrauch hinweisen können. Viele Hinweise für fingiertes Schreiben ergeben sich aus dem Zusammen‐ hang. Fobbe (2011: 176) stellt ein Analysebeispiel vor, bei dem jemand schreibt: „DAN BESTIMT ALLOZEITUNG, EXBRES ODER IRE KUNDE INTRESIRT WAS MAKE KANZLEI MIT AKTE“. Fobbe (2011: 177) analysiert die falsche Reali‐ sierung von der Zeitung Express als „EXBRES“ als „[w]idersinnig“, da sie voraussetzen würde, dass die/ der Erpresser/ in nicht weiß, wie der Name der Zeitung geschrieben wird, obwohl sie/ er sie als Druckmittel einsetzen will. Sie/ er kennt die Zeitung also und hat sie wahrscheinlich schon einmal gelesen. Die Inkonsistenz besteht außerdem darin, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass jemand die Schreibung nicht beherrscht, da die Zeitung eine sehr große mediale Präsenz aufweist. Wahrscheinlich ist also, dass man sie entweder 15.8 Grad der Verstellung und Detektion 205 <?page no="206"?> nicht kennt, weil man nicht innerhalb der medialen Reichweite liegt oder aber, dass man weiß, wie sie geschrieben wird, weil ihre mediale Präsenz im Raum Köln vor allem schriftsprachlich ist. Auch wenn jemand die Zeitung dialektal oder ethnolektal bedingt mit [b] statt mit [p] ausspricht, ist daher eine schriftliche Realisierung von <b> statt <p> nicht plausibel. Hinzu kommt die Schreibung von <s> statt <ss>, die nicht aussprachebedingt sein kann, da die Schreibung keine Auswirkung auf die Aussprache hat, der vorliegende Vokal ist in beiden Fällen kurz. In dem o. g. Beispiel (Fobbe 2011: 177) findet sich auch der Satz „TELEFON KOMMT STIKWORT/ FINTERLON“. Fobbe (2011: 181) erkennt hier Inkonsistenzen, da die Begriffe Stichwort und Finderlohn eine spezifische Verwendung in medialen Kontexten besitzen, die der/ dem Erpresser/ in im Gesamtkontext des Schreibens bewusst ist. Die/ Der Autor/ in demonstriert mit der charakteristischen Kombination der beiden Wörter ein ausreichendes Textsortenwissen des Deutschen. Die Diskrepanzen fasst Fobbe so zusammen, dass gewisse Spracherwerbsstufen nur rudimentär vorhanden sind, während andere Bereiche, die i.-d.-R. als höherstufig eingeschätzt werden (z. B. bestimmte Syntaxbereiche) ein fortschrittliches Stadium des Spracher‐ werbs offenbaren, was auf eine mögliche Fingierung der Fehler hinweist. Die Aufdeckung von Inkonsistenzen umfasst also nicht nur die Kenntnis aller linguistischer Betrachtungsebenen, der Analyse von Registern oder möglicher dia-, regio- und soziolektaler Ursachen etc., sondern auch eine logische Heran‐ gehensweise an die gegebene Situation in einem Text. Das Zusammenspiel dieser Bereiche ist vielschichtig, extrem komplex und zeigt sich insbesondere in immer wieder neuen Konstellationen und Varianten. In den USA ist die Analyse der Präsentation des Inhalts daher Teil der Aufgaben der forensischen Linguistik (vgl. Fobbe 2011: 203). 15.8.3 Zusammenfassung Wie erfolgreich Verstellungsstrategien umgesetzt werden können, hängt vor allem vom Wissen über Einzelsprachen und vom metasprachlichen Bewusstsein der Verfasser/ innen ab. Diese Fähigkeiten sind auch maßgeblich dafür, auf welchen sprachlichen Ebenen Imitationsstrategien angewendet werden. Die Fingierung von Merkmalen weist auf verschiedenen linguistischen Ebenen unterschiedliche Schwierigkeitsgrade auf. Diskrepanzen auf diesen Ebenen können für ein unstimmiges Gesamtbild und eine Merkmalset-Konstellation sorgen, die nicht plausibel sind. Zu den bisher bekannten Fehlertypen Error, Mistake und Tippfehler kommen also absichtlich produzierte Fehler hinzu, die als selbst korrigierbare Fehler 206 15 Verstellungsstrategien <?page no="207"?> als fingierte Mistakes zu klassifizieren sind, die jedoch als authentische Errors erscheinen sollen. Trotz hoher Fehlerdichte werden Schlüsselwörter fast immer fehlerfrei pro‐ duziert, da die Verständlichkeit der Erpressung gewährleistet werden soll. Eine erfolgreiche Imitationsstrategie muss versuchen, plausibel zu erscheinen. Fehler sollten also alle Bereiche der Sprache betreffen und auch Schlüssel‐ wörter müssten beeinträchtigt sein. Eine starke Imitation von Nicht-Mutter‐ sprachlichkeit wird versuchen, dass weder die Tarnhandlung gestört noch die Verständlichkeit allzu sehr beeinträchtigt wird. Die/ Der fingierte Autor/ in soll einerseits als Nicht-Muttersprachler/ in erscheinen und andererseits dürfen die Rezipient/ inn/ en die Kommunikation nicht abbrechen. Für die Autorschaftserkennung bedeutet das, dass Inkonsistenzen der wich‐ tigste Faktor bei der Aufdeckung von Verstellungs- und insbesondere Imitati‐ onsstrategien sind. Für die Aufdeckung einer Imitation von Nicht-Muttersprach‐ lichkeit ist also auf die Realisierung unterschiedlicher Spracherwerbsstufen und ebenso auf das Vorkommen von Fehlern und korrekten Schreibungen des gleichen Typs zu achten. 15.8 Grad der Verstellung und Detektion 207 <?page no="209"?> 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien In den vorangegangenen Kapiteln konnte gezeigt werden, dass bereits Einiges an Forschungsarbeit zu verschiedenen Verstellungsstrategien, ihrer Umsetzung sowie der Aufdeckung und spezifischen Analyse von Verstellungsstrategien, fingierten Merkmalen etc. geleistet wurde. Dennoch werden in der Literatur immer wieder strittige Punkte genannt, deren Bearbeitung weiterer Forschung bedarf. Es wird angemerkt, dass noch nicht ausreichend erarbeitet worden ist, welche Verstellungsstrategien es genau gibt (vgl. Dern 2003: 71), welche Merkmale bewusst oder unbewusst in Texten, in denen sich die/ der Autor/ in verstellt, verwendet werden (vgl. McMenamin 2002: 163 f.) und welche Merkmale im Rahmen von Textanalysen festgestellt und analysiert werden sollten. Dazu schreibt Shuy (2007: 110): „The diagnosticity of linguistic features is also somewhat unsettled.“ Er beschreibt, dass in der Forschung nicht klar ist, welche sprachlichen Merkmale in Texten aussagekräftig sind, um Autor/ inn/ en voneinander abzugrenzen. U.U. sind solche Bereiche der Sprache aussagekräftig, über die sich Schreiber/ innen nicht oder weniger bewusst sind. In diesen Bereichen der Sprache lassen sich Merkmale sehr viel schwieriger fingieren und es ist ein erhebliches Maß an metasprachlichem Bewusstsein notwendig, um eine Verstellungsstrategie erfolgreich anzuwenden. Es bleibt das Problem bestehen, dass nicht klar ist, welche Bereiche der Sprache genau untersucht werden sollen bzw. müssen, um herauszufinden, ob beim Verfassen eines fraglichen Textes eine Verstellungs‐ strategie angewendet wurde. Bredthauer (2013) legt daher eine Monographie vor, die sich mit einer systematischen, korpusbasierten Beschreibung von Verstellungen in inkrimi‐ nierten Schreiben (hauptsächlich Erpresserschreiben) beschäftigt. In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse Bredtahuers zusammengefasst werden, um heraus‐ zustellen, welche Bereiche hauptsächlich von Verstellungen betroffen sind. Das verwendete BKA-Korpus „Verstellte Texte“ umfasst 117 inkriminierte Schreiben. Bei allen diesen Texten, die zwischen 1999 und 2007 beim BKA eingegangen sind, stellten BKA-Mitarbeiter/ innen Verstellungsstrategien fest. Es handelt sich um einzelne Texte und um Briefserien mit maximal 28 Schreiben, wobei die meisten Texte Erpresserbriefe sind; aber auch Drohbriefe und Bekennerschreiben sind enthalten. „Selbstaufwertungen“, englischsprachige und doppelte Texte sowie <?page no="210"?> 93 Bredthauer (2013: 31 f.) unterscheidet hier nur zwischen Verstellungshinweisen, die mit der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit zu tun haben und solchen, die nicht mit der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit zusammenhängen. Texte, zu denen noch kein Gutachten vorlag, wurden von Bredthauer nicht berücksichtigt. Daher wurden von 117 ursprünglichen Texten insgesamt 70 analysiert. Dabei handelt es sich um 21 Einzeltexte und fünf Textserien, die zwischen zwei und 17 Schreiben umfassen. Die Analyse wird in Stil- und Fehleranalyse aufgeteilt. Die Aufgabe ihrer Arbeit beschreibt sie darin, eine Basis für Detailanalysen einzelner Merkmale zu schaffen (Bredthauer 2013: 27). Unter Zuhilfenahme der Ergebnisse Bredthauers und eigener Erfahrungen bei Textanalysen und -vergleichen inkriminierter Schreiben im Rahmen der Arbeit beim BKA, werden in diesem Kapitel Überlegungen zur Realisation verschiedener Verstellungsst‐ rategien in inkriminierten Texten angestellt. Die so festgestellten Ergebnisse sollen im Anschluss in eine Detailanalyse von Merkmalen, Merkmalsets und damit verbundenen Verstellungsstrategien im Rahmen einer längeren Textserie inkriminierter Schreiben eingehen (Kapitel 17). 16.1 Stilanalyse Als Grundlage für die Stilanalyse dient Bredthauer die „Stilistik der deutschen Gegenwartssprache“ (Fleischer/ Michel/ Starke 1993), die auch die Autorener‐ kennung des BKA verwendet. 16.1.1 Autorenstilisierungen In insgesamt 14 von 70 Texten des Korpus findet Bredthauer (2013: 31-32) Hinweise darauf, welche Form der Verstellung die/ der Autor/ in eines Textes intendiert. Bei „Autorenstilisierungen“ (Busch/ Heitz 2006: 87) nennt ein/ e Schreiber/ in explizite Hinweise auf die eigene Person oder eine Personengruppe, der sie/ er angehört bzw. vorgibt, dieser anzugehören. Die Beobachtungen Bredthauers lassen sich in drei verschiedene Bereiche einteilen, nämlich Autorenstilisierungen mit Hinweisen auf Nicht-Mutter‐ sprachlichkeit, auf die soziale Schicht bzw. Gruppe und Alter der/ des Au‐ torin/ Autors 93 . Die folgende Übersicht stellt diese verschiedenen Bereiche übersichtlich dar: 210 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="211"?> 1. Hinweise auf Nicht-Muttersprachlichkeit a. Nennung arabisch klingender Namen b. Verwendung arabischer Schriftzeichen c. Verwendung türkischer Sätze d. Nennung einer unbestimmten Herkunft • „wir Fliegen Wochenende in Heimat zurück.“ (in Bredthauer 2013: 31) e. Nennung einer bestimmten Herkunft • „Bin aus Osteuropa und illegal hier.“ (ebd.) • „WEIL DEUTSCHE HELFEN UNS PAKISTANER UND MUSLIME.“ (ebd.) 2. Hinweise auf soziale Schicht oder soziale Gruppe a. Nennung eines expliziten Berufs bzw. Berufsfelds • „Aber ich habe mal in der Mikrobiologie gearbeitet“ (in Bred‐ thauer 2013: 32) • „Ich bin Arzt für innere Medizin.“ (ebd.) b. Darstellung geringer schriftsprachlicher Kompetenz • „Bitte entschuldigen die das ich zu faul bin Fehlerfrei zu schreiben. Ich habe andere Qualitäten. Ausserdem hoffe ich das mein Schreiben sie, ein bischen Amüsiert. meine Art solche Schreiben wie ihres zu beantworten.“ (ebd.) 3. Hinweise auf Alter oder Altersgruppe a. Darstellung und explizite Nennung eines geringeren Alters • „Ich bin der Ulf und 12 Jahre alt.“ (ebd.) Alle drei Zielbereiche der Autorenstilisierungen betreffen die diastratische Di‐ mension, da der Sprachgebrauch von Nicht-Muttersprachlern, einer bestimmten sozialen Schicht bzw. Gruppe und einer bestimmten Altersgruppe soziolektal geprägt sind. Die diaphasische Dimension spielt insofern eine Rolle, als dass z. B. Foreigner Talk und andere Sprachlagen auf eine bestimmte Stilebene abzielen. Die Verwendung von Code-Switching bzw. -Shifting ist ebenfalls nur innerhalb bestimmter Register gegeben. Die diatopische Dimension spielt hingegen in den hier untersuchten Texten keine Rolle, da kein bestimmter Regio- oder Dialekt simuliert wird. 16.1.2 Datumsangaben, Grußformeln und Anreden Nur wenige Texte beinhalten die Nennung eines Orts und Datums (8) bzw. nur das Datum (3), also hat nur etwa jedes siebte Schreiben eine Datumsangabe. Das 16.1 Stilanalyse 211 <?page no="212"?> ist insofern relevant, als dass es eine sehr große Varianz bei der Realisierung des Datumsformats gibt. Es handelt sich hierbei um einen Textbereich, der von Schreiber/ inn/ en tendenziell unbewusst und i. d. R. formal gleich produziert wird. Daher sind Datumsangaben für Textvergleiche von großer Relevanz. Relevant sind außerdem Anredeform und Grußformel, da diese i. d. R. standardisiert und ritualisiert sind. Wie unterschiedlich und u. U. spreche‐ rspezifisch die Verwendung von Grußformeln dennoch ausfallen kann, und wie Sprecher/ inn/ en ihre Einstellung beispielsweise durch diminuierte Grüße (tschüsschen) zum Ausdruck bringen können, zeigt Hessler (2016). Daher ist das Vorkommen von Anrede und Grüßen sehr relevant für die Textanalyse. In dem von Bredthauer untersuchten Korpus beinhalten die Hälfte (35) der Texte eine Grußformel und etwas mehr als die Hälfte (38) eine Anredeformel. Bemerkenswert ist, dass im Sinne der Variationslinguistik Anreden und Gruß‐ formeln einiger Texte nicht dem gleichen Register zuzuordnen sind, wobei bei manchen Texten sogar entgegengesetzte Register verwendet werden: „Sehr geehrte Beamtenarschlöcher“ vs. „Hochachtungsvoll“ (Bredthauer 2013: 46). Etwas seltsam mutet es an, dass weit über die Hälfte (39) der Texte eine Angabe des Unterzeichners beinhalten, wobei es sich hierbei textsortenspezifisch um Pseudonyme o.ä. handelt, die in der vorliegenden Untersuchung anonymisiert worden sind. 16.1.3 Groß- und Kleinschreibung Bei der Groß- und Kleinschreibung nimmt Bredthauer (2013: 48-52) keine Einzelbetrachtungen vor, sondern strebt eine Grobkategorisierung an. Sie un‐ terscheidet hier neun Kategorien, die in der folgenden Tabelle übersichtlich dargestellt werden. Die Zahlen in der dritten Spalte geben an, in wie vielen der insgesamt 70 Texte welche Schreibung Anwendung findet: 1. Ausschließlich Großbuchstaben (vgl. „radikale Großschreibung“ bei Flei‐ scher/ Michel/ Starke 1993: 236 f.) 24 2. Ausschließlich Kleinbuchstaben (vgl. „radikale Kleinschreibung“ bei Flei‐ scher/ Michel/ Starke 1993: 236 f.) 11 3. Korrekte Groß-/ Kleinschreibung 10 4. Fehlerhafte Groß-/ Kleinschreibung 10 5. Mischform aus ausschließlich Großbuchstaben und korrekter Groß-/ Klein‐ schreibung 7 212 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="213"?> 6. Mischform aus ausschließlich Kleinbuchstaben und korrekter Groß-/ Klein‐ schreibung 3 7. Mischform aus ausschließlich Großbuchstaben und fehlerhafter Groß-/ Klein‐ schreibung 2 8. Großbuchstaben, jedoch einzelne Kleinbuchstaben 2 9. Kleinbuchstaben, erster Buchstabe des Textes ist jedoch ein Großbuchstabe 1 Tabelle 11: Merkmalkategorien der Groß- und Kleinschreibung bei der korpuslinguisti‐ schen Analyse inkriminierter Schreiben Die folgenden Überlegungen lassen sich anhand der Ergebnisse ableiten: Die radikale Großbzw. Kleinschreibung widersprechen den orthographi‐ schen Regeln der deutschen Schriftsprache. Bei der Hälfte der Texte (35) wird eine der beiden Formen realisiert. Da der Gebrauch von Groß- und Kleinschreibung stark reglementiert ist und man spezifische Eigenheiten von Schreiber/ innen daran erkennen kann, ist es möglich, dass einige Autor/ inn/ en die radikalen Schreibungen als Verschleierungsstrategie benutzen. Wenn es keine Entscheidung gibt, ob man ein bestimmtes Wort groß- oder kleinschreibt, gibt es im Grunde genommen keine linguistischen Merkmale bezogen auf die Groß- und Kleinschreibung. So kann beispielsweise nicht festgestellt werden, ob ein/ e Schreiber/ in z. B. einen Error macht, wenn sie/ er (bestimmte) Substantive kleinschreibt oder auf der anderen Seite (bestimmte) Adjektive großschreibt. Bezogen auf die Makrostruktur eines Textes haben die radikalen Schrei‐ bungen Merkmalcharakter, wenn man davon ausgeht, dass ein/ e Autor/ in eine der beiden Schreibungen grundsätzlich verwendet. Jedoch ist dieses Merkmal u. U. nicht besonders relevant bzw. nicht salient, da die radikale Großbzw. Kleinschreibung bei inkriminierten Schreiben eher gebräuchlich zu sein scheint (50 % der Texte). Das bedeutet, dass es im Vergleich zu anderen Texten dieser Textsorte kaum ein sprecheridentifizierendes Merkmal ist. Andererseits werden Vergleichsschreiben, die bei Textvergleichen herangezogen werden, sich in der Regel nicht einer radikalen Schreibung bedienen, da sie im variationslinguisti‐ schen Sinne ein anderes Register betreffen. Anders gesagt: Ein/ e Autor/ in mag bei einem Erpresserbrief alles großschreiben, bei einem Geschäftsbrief jedoch wahrscheinlich nicht. Bei einer korrekt realisierten Groß-/ Kleinschreibung lassen sich ebenfalls nicht unbedingt Merkmale ableiten, da im Sinne einer Fehleranalyse kein Merkmal in Bezug auf die Groß-/ Kleinschreibung vorliegt. Im Makrotext-Sinn ist es jedoch möglich, eine korrekte Groß-/ Kleinschreibung als Merkmal zu analysieren, da eine komplett (! ) richtige Realisierung von 16.1 Stilanalyse 213 <?page no="214"?> Majuskeln und Minuskeln eher selten ist. Nur in jedem siebten Text ist das im Korpus der Fall. Insgesamt lassen sich einige Erkenntnisse aus der vorliegenden Analyse bezogen auf die Makrostruktur eines Textes ableiten. Jedoch ist die Mikro‐ struktur weit vielversprechender, da hier sehr viele Merkmale ableitbar sind. Beispielsweise kann es ein salientes Merkmal sein, wenn ein/ e Autor/ in trotz radikaler Kleinschreibung bestimmte Passagen oder Wörter großschreibt. Bei einer Textanalyse sollten also solche Fragen gestellt werden: Schreibt ein/ e Autor/ in Substantive klein oder nur bestimmte substantivische Kompo‐ sita? Werden bestimmte Adjektive oder Verben großgeschrieben? Findet das in Kontexten statt, bei denen z. B. ein Adjektiv für besonders relevant gehalten oder semantisch hervorgehoben werden soll? 16.1.4 Interpunktion Bredthauer (2013: 52-56) nimmt eine Makrotext-Analyse zur Zeichensetzung der Texte vor. Dabei unterscheidet sie sechs Interpunktionstypen und zwei Mischformen davon. Hier geben die Zahlen in der dritten Spalte an, in wie vielen der insgesamt 70 Texte welcher Interpunktionstyp vorkommt. 1. Fehlerhafte Zeichensetzung 25 2. Keine Kommata 18 3. Überwiegend korrekte Zeichensetzung 12 4. Keine Zeichensetzung 5 5. Korrekte Zeichensetzung 4 6. Fehlerhafte Zeichensetzung und keine Kommata 4 7. Mischform 1: Abwechselnd keine Zeichensetzung, dann korrekte Kommata 1 8. Mischform 2: Abwechselnd keine Kommata und korrekte Zeichensetzung 1 Tabelle 12: Merkmalkategorien der Interpunktion bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben Die folgenden Überlegungen können für die Interpunktion in verstellten inkri‐ minierten Texten abgeleitet werden: Auch der Gebrauch von Interpunktionszeichen ist im Deutschen stark re‐ glementiert und unterscheidet sich teilweise stark von den Regeln anderer indogermanischer Sprachen wie z. B. dem Englischen oder Spanischen. Proble‐ 214 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="215"?> 94 Die Belege aus Bredthauer (2013) werden im Gegensatz zum Original kursiv dargestellt. matisch ist für die Autorenerkennung, dass nur die wenigsten Schreiber/ innen einen (längeren) Text produzieren, der eine gänzlich korrekte Zeichensetzung beinhaltet. Das gilt für alle Kontexte, nicht bloß für inkriminierte Schreiben. Es ist möglich, dass Schreiber/ inn/ en zumindest so viel sprachliches Bewusstsein haben, dass sie wissen, dass sie die Zeichensetzung eben nicht korrekt beherr‐ schen und daher mit der Missachtung der Zeichensetzung bzw. der Nichtsetzung von Kommata eine Verstellungsstrategie anwenden. In den Texten, in denen die Interpunktion bzw. Kommaregeln radikal missachtet werden (23 von 70 Texten), ist eine genauere Analyse bezüglich der Interpunktion schwierig. Es ist dann nur möglich festzuhalten, dass die/ der Autor/ in in dem gegebenen Kontext keine Zeichensetzung bzw. Kommas verwendet. Gerade in Kombination mit radikaler Großbzw. Kleinschreibung erscheint es u. U. plausibel, dass diese Schreibung als Verstellungsstrategie verwendet wird. Ein/ e Autor/ n, der/ die über ein ausreichend metasprachliches Bewusstsein verfügt, dass man sie/ ihn anhand seiner guten oder schlechten Kenntnisse überführen könnte, kann die radikale Großschreibung und den Verzicht auf Satzzeichen wählen, um den Sprachgebrauch komplett neutral zu gestalten. Eine solche Vorgehensweise kann Teil einer sprachlichen Verschleierungsstrategie sein. U.U. ist das bei den folgenden Belegen der Fall: „DIES NICHT ECHTE NAME ICH NICHT DUMM BRIEF SOLL KOMMEN BIS FREITAG SONST ICH GEBE IHR ADRESSE FÜR [geschwärzt] UND VIELLEICHT ANDERE PROBLEM“ 94 (in Bredthauer 2013: 54) „IN NÄCHSTEN TAGEN UND SICHER LANGFRISTIG ROLLENDER ANGRIFF GEGEN [geschwärzt] LEBENSMITTELN BEGINNEN WERDEN. SO LANG DIE ACTIE NICHT 25 % IM WERTSINKEN SIND WIR FEST ENTSCHLOSSEN ALLE MITTEL ZU BENÜTZEN BIS UNSERE ZIELE ERREICHEN. DER ZWECKT HEILIGT DIE MITTEL.“ (in Bredthauer 2013: 54) 16.1 Stilanalyse 215 <?page no="216"?> Der Verzicht auf Interpunktionsregeln bzw. Kommas ist ein Makro‐ text-Merkmal, dessen Aussagekraft bzw. Salienz aber nicht zu überschätzen ist. Es ist plausibel, dass Autor/ innen in Vergleichsschreiben nicht komplett darauf verzichten. Ob die Interpunktionsregeln dann richtig umgesetzt werden, ist natürlich eine ganz andere Frage. Am auffälligsten ist sicherlich, wenn die Interpunktionsregeln komplett richtig umgesetzt werden. Das ist nur bei vier von 70 Texten der Fall. Die meisten untersuchten Texte, nämlich 43 von 70, verstoßen gegen Interpunkti‐ onsregeln, ohne dabei aber komplett auf Zeichensetzung zu verzichten. Für die Textanalyse ist vor allem bedeutsam, welche Art Zeichenfehler in welchen Situationen gemacht werden. Werden beispielsweise übermäßig viele Ausru‐ fezeichen (statt Punkten) verwendet, werden bestimmte und allgemein eher selten anzutreffende Satzzeichen wie Semikolon, Doppelpunkt etc. benutzt? In welchen Satztypen setzt ein/ e Autor/ in kein Komma oder verwendet ein überzähliges? Können überzählige Leerzeichen oder z. B. Satzzeichenhäufungen ausgemacht werden? Dient die Häufung von Ausrufezeichen dazu, einer Meinung, Forderung, Drohung etc. mehr Nachdruck zu verleihen, bzw. die Erpressungswucht zu erhöhen? Das ist u.-U. bei dem folgenden Textbeispiel der Fall: „HEUTE WENN IHR DIESEN BRIEF BEKOMMT ! ! ! ! ! GEHT UM GENAU UM 25.06.2002 um 13: 00 UHR ORTSZEIT WENN DAS DEUTSCHETEAM SPIELT EINE BOMBE LOS ! ! ! ! “ (in Bredthauer 2013: 55) Während sich im Makrotext- Sinne somit nur wenige Anhaltspunkte für Textvergleiche finden lassen, ist es umso essenzieller, bestimmte Merkmale aus Texten herauszufiltern, um so wiederkehrende, vielleicht unbewusste Eigen‐ heiten bei der Textproduktion bestimmter Schreiber/ innen in weiteren Texten, besonders in möglichen Vergleichsschreiben, zu finden. 16.1.5 Fachsprachen Hoffmann (1976: 170) versteht unter Fachsprache alle zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel, die in ihrer Verwendung auf einen fachspezifischen Kom‐ munikationsbereich begrenzt sind, und die bei der Kommunikation der Mit‐ glieder dieses Fachbereichs untereinander genutzt werden. Busch und Heitz (2006: 96 ff.) finden im LiKtORA-Korpus (vgl. das Kapitel 15.2) sprachliche 216 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="217"?> 95 Hier gibt es jedoch diverse Einschränkungen (vgl. Roelcke 2010: 150 ff.). 96 Vgl. hierzu auch das „Prestigegefälle“ bei der Nutzung fachsprachlicher Termini bei technischen und naturwissenschaftlichen Fächern einerseits und geistes- und kultur‐ wissenschaftlichen Fächern andererseits (vgl. Löffler 2006: 106). Merkmale, die auf der Verwendung bestimmter Fachsprachen beruhen. Das Vor‐ kommen, die Ausprägung und Intensität von Fachsprachlichkeit in Texten ist für variationslinguistische Untersuchungen bei der Autorenerkennung relevant. Innerhalb einer bestimmten Gruppe ist Fachsprachlichkeit identitätsstiftend bzw. „gruppenstabilisierend“ (Löffler 2016: 106), da ihre korrekte Verwendung für Akzeptanz sorgt und Zugehörigkeit anzeigt. Der Gebrauch bestimmter fach‐ sprachlicher Ausdrücke kann unter bestimmten Voraussetzungen autoritätsstei‐ gernd sein (vgl. Löffler 2016: 106). Fachsprache ist effizient, da Fachbegriffe sehr viel Inhalt komprimiert und exakt (Roelcke 2010: 68 ff.) wiedergeben können und innerhalb der fachsprachlichen Gruppe eine große Reichweite haben. Viele Fachbegriffe sind in verschiedenen Sprachen gleich oder ähnlich lautend 95 . Für viele Nutzer/ innen einer bestimmten Fachsprache ist auch der Sicherheitsaspekt relevant. Sprachteilnehmer/ innen, die nicht Teil der bestimmten, die spezifische Fachsprache beherrschenden (oder verstehenden) Gruppe sind, können viele Inhalte nicht oder nur schwer verstehen. So können Inhalte teilweise codiert übermittelt werden. In gewisser Weise sind Fachsprachen-Nutzer/ innen im Gebrauch ihrer Fachsprache isoliert und aufgrund der Eigenheiten des Sprach‐ gebrauchs einer bestimmten Gruppe zuzuordnen. Für die Autorenerkennung ist bei den o. g. Überlegungen relevant, dass jemand, der eine bestimmte Fachsprache in einem Text verwendet, einer be‐ stimmten Berufsgruppe o.ä. angehört oder aber vorgibt, Teil dieser bestimmten Gruppe zu sein. Dabei sind gewisse ‚Störfaktoren‘ zu beachten. Einerseits gibt es außer Fachtermini noch sogenannte „Halbtermini“ (vgl. Fleischer, Michel, Starke 1993: 111 f.). Diese sind u. U. allgemein verständlicher und nicht bloß in einem bestimmten fachsprachlichen Umfeld üblich. Außerdem bemühen sich einige Fachbereiche, ihren Sprachgebrauch verständlicher zu machen, um aus dem Status der ‚Isoliertheit‘ herauszutreten. 96 Solche Faktoren können dazu führen, dass Fachwissen „popularisiert“ und zum Allgemeinwissen wird (Löffler 2016: 106). Dadurch können ehemalige Fachtermini Einzug in die Standardsprache halten und auch von Laien nicht bloß verstanden, sondern u. U. auch richtig (! ) verwendet werden. Das bedeutet, dass nicht jede/ r Schreiber/ in, die/ der z. B. fachsprachliche Termini einsetzt, auch zwingend Teil einer dieser bestimmten fachsprachlichen Gruppe sein muss, einen spezifischen Beruf ausübt etc., bzw. vorgibt, das zu tun. Der Grad der Fachsprachlichkeit bzw. der Popularisierung (vgl. auch Hebel/ Hoberg/ Jahn 2002) ist in jedem Fall zu prüfen. 16.1 Stilanalyse 217 <?page no="218"?> Bredthauer (2013: 58) stellt in ihrer Analyse fest, dass nur vier der unter‐ suchten 70 Texte Fachsprache beinhalten. Das ist einerseits mit etwa 6 % ein eher geringes Vorkommen, unterstreicht aber die Relevanz und u. U. Salienz von fachsprachlichen Merkmalen, wie in dem folgenden Textausschnitt: „ich töte bereits schon jetzt hilfsbereit in meinem Beruf durch Cyanid todeswil‐ lige Patienten. Ich bin Arzt für innere Medizin. Ich komme an Cyanid und andere Gifte problemlos dran […]“ (in Bredthauer 2013: 58) Der dargestellte Textausschnitt und der Gebrauch eines bestimmten Fach‐ begriffs, nämlich „Cyanid“, lässt vermuten, dass die/ der Schreiber/ in ein gewisses Verständnis eines medizinischen Fachbereichs hat. Möglich ist aber auch, dass, wie gezeigt wurde, die/ der Schreiber/ in die fingierte Autor/ in als jemand darstellen will, die/ der dieses Wissen hat. Hierbei ist immer zu prüfen, wie tiefgreifend entsprechende Fachsprachlichkeit und das damit verbundene Fachwissen ist. U.U. lässt sich das zur Schau gestellte Wissen einfach über das Internet herausfinden, um es z. B. bei Verstellungsstrate‐ gien einzusetzen. Von der Fachsprache abzugrenzen ist das in Texten zur Schau gestellte Fachwissen. Manche Schreiber/ innen inkriminierter Schreiben geben innerhalb der Texte Hinweise auf ihren Beruf bzw. auf ihre Expertise in bestimmten Fachbereichen, vgl. Autorenstilisierungen. Sie geben Wissen preis, das sie nur haben können, wenn sie einen bestimmten Beruf ausüben, Einblicke in Interna von Unternehmen haben etc. Ein Beispiel für die Darstellung von Fachwissen ist der folgende Textausschnitt: „Wir würden uns den bei Ihnen melden. Sollte Polizei aufrauchen, wird es “bumm“ machen. Vorschlag (Nicht mehr praktikabel aber da wo dar her‐ kommt, gibts noch mehr) in einer uralten Glühbirne, die noch geht wird vorsichtig das Glas unten rausgeschnitten, im Glas kommt Schwarzpulver rein u. das Glas wird wieder raufgeschraubt u. an der Zimmerlampe geschraubt. Wenn nun jemand den raum betritt, schaltet er das Licht an, die Glühfaeden entzuenden das Schwarzpulver u. zusammen mit den Glassplittern gibts stim‐ mung…“ (in Bredthauer 2013: 58) Das Schreiben beinhaltet keine Fachbegriffe, obwohl Bredthauer (2013: 58) den Text fachsprachlichen Texten zurechnet: „Im dritten Text mit Fachvoka‐ 218 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="219"?> bular wird beschrieben, wie eine Glühbirne präpariert wird, damit sie beim Einschalten des Lichts explodiert.“ Vielmehr ist es hier so, dass Fachwissen zwar demonstriert wird, aber die/ der Schreiber/ in hierfür kein allzu fachsprachliches Vokabular verwendet. Für Ermittlungen beispielsweise des Bundeskriminalamts sind solche Erkenntnisse oft relevant, da das zur Schau gestellte Wissen den Täterkreis u. U. stark eingrenzt, z. B. wenn es um Ermittlungen innerhalb eines Unternehmens geht. Dennoch ist, wie am o. g. Beispiel erkennbar, Fachwissen nicht immer mit der Verwendung von Fachsprache verbunden und das sollte im Rahmen einer lin‐ guistischen Untersuchung voneinander abgegrenzt werden. Es sollte ebenfalls geprüft werden, in welchen Fachbereichen die Fachtermini Verwendung finden, wie weit ‚entfernt‘ diese Fachbegriffe zur Standardsprache sind, und ob sie korrekt eingesetzt werden. Schließlich kann noch die Frage gestellt werden, wie zugänglich die verwendeten Fachbegriffe sind. Kurz gefragt: Wie exklusiv ist das Vokabular und wer benutzt es für gewöhnlich? Dabei ist besonders zu beachten, dass es Fachtermini nicht nur in klassischen Berufsfeldern wie Medizin, Informationssicherheit, handwerklichen Berufen etc. gibt, sondern auch in Bereichen, mit denen sich Leute auch hobbymäßig beschäftigen und da auf einen großen Fundus fachsprachlichen Materials zurückgreifen können. Beispiele wären bestimmte Subkulturen, Musikrichtungen, Videospiele, Klein‐ anleger/ innen an der Börse etc. (vgl. das Kapitel 11). Solche Überlegungen sind vor allem bei der Analyse von Texten im Bereich von Online-Rezensionen, Diskussionen in Online-Foren etc. relevant. 16.1.6 Register In verschiedenen Kommunikationssituationen verwenden Sprecher/ innen und Schreiber/ innen verschiedene Register. Ein zwölfjähriger Schüler spricht mit seinen Eltern anders als mit seiner Lehrerin und auch in seinem Freundeskreis verwendet er einen anderen Sprachgebrauch. Die meisten Kommunikations‐ teilnehmer/ innen passen ihre Sprachlage den Gegebenheiten an. Bei Texten ist zu beachten, dass eine größere zeitliche Distanz zwischen Produktion und Rezeption als bei der mündlichen Kommunikation besteht. Es vergeht mehr Zeit zwischen Produktion und Rezeption, es gibt u. U. keine wechselseitige Kommunikation, man kann keine Informationen durch prosodische Merkmale wie Tonhöhe oder Lautstärke übermitteln. Als Reparaturstrategie werden bei‐ spielsweise, wie zuvor dargestellt, durchgehende Großbuchstaben bei einzelnen Wörtern oder Satzzeichenhäufungen verwendet. Die Kommunikationssituation ist bei inkriminierten Texten eine besondere, denn in der Regel versucht man 16.1 Stilanalyse 219 <?page no="220"?> seinem Anliegen, sei es eine Erpressung, Bedrohung o.ä., besonders viel Nach‐ druck zu verleihen. Wenn man im Rahmen einer Erpressung etwas fordert, will man ernst genommen werden, also darstellen, dass man bereit ist, Drohungen wahrzumachen, wenn die/ der Erpresste der Forderung nicht nachkommt. Die diaphasische Dimension der variationslinguistischen Forschung ist also von entscheidender Bedeutung. Bredthauer (2013: 59-63) versucht eine Einordnung der 70 Texte ihres Korpus in eine Skala, die sich an den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) anlehnt. Die Skala „formelhaft, formell, neutral, informell, freundschaftlich, sehr vertraut“ (Europarat. GER 2001: Kapitel 5.2.2.1) bricht sie auf eine dreistufige Skala „informell, neutral, formell“ (Bredthauer 2013: 60) herunter. Die folgende Tabelle fasst zusammen, welche Kriterien sie, teilweise in Anlehnung an Fleischer, Michel, Starke (1993: 213 f.), für die Einteilung der Texte auf der Skala zugrunde legt. Informell Neutral Formell Verkürzungen und Verschlei‐ fungen von Funktionswörtern Durchschnittlicher Wort‐ schatz Gehobener Wortschatz Syntaktische Ellipsen Einfache Strukturen Komplexe Strukturen Häufige Verwendung von Ab‐ tönungs-, Grad-, und Steige‐ rungspartikeln Wie in „lockeren Kommu‐ nikationssituationen“ Wirkt „sehr offiziell und unpersönlich“ Tabelle 13: Dreiteilige Kategorisierung der sprachlichen Register bei der korpuslinguis‐ tischen Analyse inkriminierter Schreiben Hier fällt auf, dass sich die Kriterien für den informellen Bereich stark von denen für den neutralen und formellen Bereich unterscheiden. Die Kriterien für den informellen Bereich sind recht konkret und beziehen sich auf das Vorkommen ganz bestimmter sprachlicher Merkmale. Dagegen sind die Kriterien für die anderen Bereiche eher abstrakt. Kriterien wie „gehoben“ verwendet der Duden ebenfalls und die Einordnung fällt nicht besonders schwer. Dahingegen gibt es keine Angaben, ab wann ein Text bzw. ein Satz „einfache“ bzw. „komplexe Strukturen“ beinhaltet. Die Verteilung der untersuchten 70 Texte sieht so aus: • informell-formell 46 Texte • informell-neutral 8 Texte • formell 8 Texte 220 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="221"?> 97 Zu beachten ist, dass es viele Unterkategorien der Textsorte inkriminierter Text gibt, wie z.-B. das bereits vorgestellte Erpresserschreiben (Kapitel 14). • neutral-formell 5 Texte • neutral 3 Texte Bemerkenswert ist, dass zwei Drittel der untersuchten Texte (46) den gesamten Bereich zwischen den beiden gewählten Polen (informell und formell) abdecken. Legt man diese Analyse zugrunde, sind inkriminierte Texte eine Textsorte 97 , die sich bezüglich des Formalitätsgrads stark von anderen Textsorten unterscheidet. Es ist zwar denkbar, dass beispielsweise eine Mail unter Arbeitskolleg/ inn/ en vorwiegend neutral ist, aber u. U. einen informellen Gruß oder ein informelles Schlusswort o.ä. beinhaltet. Jedoch bleiben Texte i.-d.-R. bei einem Formalitäts‐ grad und wechseln diesen nicht. Die meisten Liebesbriefe werden stark informell sein, genauso wie eine Whatsapp-Nachricht unter Freund/ inn/ en, wohingegen ein Geschäftsbrief oder eine Anleitung für ein Elektrogerät in der Regel sehr formell sind. Dass die meisten inkriminierten Texte davon stark abweichen und zwischen verschiedenen Formalitätsgraden wechseln, ist eine wichtige Beobachtung und sollte bei Textanalysen und -vergleichen beachtet werden. Das ist insbesondere bei der Analyse von Textserien, wie bei der hier vorliegenden Arbeit, der Fall (Kapitel 17). Es muss noch kritisch angemerkt werden, dass das Register nicht bloß durch eine Skala zwischen formelhaft und sehr vertraut, respektive informell und formell abgebildet werden kann. Der Gebrauch verschiedener Register basiert auf Faktoren wie dem Grad der Vertrautheit, dem Bekanntheitsgrad unter den Gesprächspartner/ innen und der Kommunikationssituation. Eine Jugendliche verwendet u. U. in Gesprächen mit ihren Eltern, ihrem Freund und mit ihren Freundinnen und Freunden ein Register informellen Grades. Der Grad der Vertrautheit weicht aber wahrscheinlich voneinander ab. Die Abweichung hängt auch von den besprochenen Themen und der Situation ab, in der sich die Kommunikationsteilnehmer/ innen befinden. Über ihre Beziehung wird sie vielleicht mit ihren Freund/ inn/ en anders reden als mit ihren Eltern. Ein Register kann auch danach gewählt werden, wie viele Personen kommunizieren, wie beispielsweise in einer WhatsApp-Gruppe mit nur zwei oder aber mehr Teilnehmer/ inne/ n. Außerdem ändert sich das Register, wenn sich die Personen z.-B. gerade auf einem Musik-Festival oder in der Schule befinden. Anredeformen behandelt Bredthauer ebenfalls im Sinne einer sprachlichen Norm, die durch das gewählte Register bestimmt wird. Anredeformen sind, ebenso wie Grußformeln, eine regelhafte Komponente eines Textes, der sich an eine bestimmte Person oder Personengruppe richtet. Für die Autorschaftsana‐ 16.1 Stilanalyse 221 <?page no="222"?> lyse ist zu beachten, dass Anreden zu den Teilen eines Textes gehören, bei denen die/ der Textproduzent/ in u. U. bewusst wählt, wie sie/ er die Rezipient/ inn/ en anspricht. Dabei ergibt sich die folgende Verteilung bei den untersuchten 70 Texten: • Sie 46 Texte • du/ ihr 18 Texte • keine 5 Texte • Sie und du 1 Text Außer den Pronomen fallen unter die Anredeformen Formeln wie sehr geehrte/ r Frau/ Herr. Diese werden nicht separat behandelt, sondern den jeweiligen pro‐ nominalen Kategorien zugeordnet. Eine formelle Anrede (wie oben beschrieben) würde also unter die Sie-Kategorie fallen. In zwei Dritteln der Texte wird eine Anrede mit Sie gewählt. Diese Anrede impliziert eine gewisse Distanziertheit, u. U. ein gesellschaftliches Gefälle, aber in bestimmten Textsorten auch Serio‐ sität und Professionalität. Im Sinne inkriminierter Texte kann man davon aus‐ gehen, dass Schreiber/ innen versuchen, mit dieser Anredeform Professionalität zu unterstreichen und dass sie dazu bereit wären, bei Missachtung ihrer Forde‐ rungen zu drastischeren Maßnahmen zu greifen. Die meisten verwendeten Ver‐ stellungsstrategien (Nicht-Muttersprachlichkeit, geringere schriftsprachliche Kompetenz etc.) haben aber die Tendenz, diese Professionalität auf sprachlicher Ebene nicht zu unterstreichen. Vielmehr sorgen solche Verstellungsstrategien dafür, dass bei den Rezipient/ inn/ en ein Gefühl von Fremdheit, Exotik und ‚Nicht-Einschätzbarkeit‘ erzeugt wird. 16.1.7 Lexikalische Komplexität Als letzten Bereich der Stilanalyse untersucht Bredthauer (2013: 64 ff.) die lexikalische Komplexität. Bei der Zuordnung in ihre gewählten Kategorien orientiert sie sich mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat. GER 2001: Kapitel 5.2.1.1) an dem Vorkommen und der richtigen Realisierung von z. B. Sprichwörtern, Redewendungen, Idiomen, Funktionsverbgefügen, präpositionale Gefügen, abgeleiteten Wörtern, Kompo‐ sita etc. Sie wählt auch hier eine dreistufige Skala: 222 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="223"?> Einfach Neutral Anspruchsvoll Sehr geringe lexikali‐ sche Komplexität Normale lexikalische Komple‐ xität Sehr großes Wort‐ schatzspektrum Vereinfachte Formen Keine vereinfachten Formen Durchgängig korrekte Verwendung - Keine Anzeichen für einen an‐ spruchsvollen Wortschatz - Tabelle 14: Dreiteilige Kategorisierung der lexikalischen Komplexität bei der korpuslin‐ guistischen Analyse inkriminierter Schreiben Bei den insgesamt 70 untersuchten Texten wird die folgende Verteilung festge‐ stellt: • neutral-anspruchsvoll 46 Texte • einfach-anspruchsvoll 12 Texte • anspruchsvoll 7 Texte • neutral 4 Texte • einfach-neutral 1 Text Herausstechend ist hier, dass ganze 65 der 70 Texte mindestens in irgend‐ einer Form den Pol anspruchsvoll berühren. Wenn man davon ausgeht, wie viele Schreiber/ inn/ en fingierter Texte in irgendeiner Form eine geringere schriftsprachliche Kompetenz zu simulieren versuchen, ist das äußerst be‐ merkenswert. Für die Autorschaftserkennung ist das sicher ein wichtiger Untersuchungsbereich, da Sprichwörter, feste Wendungen, Komposita etc. nicht zu den sprachlichen Bereichen gezählt werden können, die Nicht-Mutter‐ sprachler/ innen bzw. Autor/ inn/ en mit geringer(er) schriftsprachlicher Kompe‐ tenz problemlos beherrschen. Im Gegenteil: Wenn solche sprachlichen Elemente in Texten korrekt ein- und umgesetzt werden, dann liefern sie wichtige Erkennt‐ nisse für die Beantwortung der Frage, ob eine Verstellungsstrategie vorliegt oder nicht. Die lexikalische Komplexität und insbesondere Stilmittel wie die hier be‐ sprochenen sollten unbedingt mit der Zurschaustellung der schriftsprachlichen Kompetenz in anderen, oberflächlicheren Bereichen der Sprachproduktion ver‐ glichen werden. Hier lassen sich womöglich Diskrepanzen feststellen. Kritisch muss hier angemerkt werden, dass es keine klare Trennung der o. g. Bereiche lexikalischer Komplexität geben kann. Es bedarf sehr viel Analysearbeit, um stilistische Merkmale aus Texten zu extrahieren, auf ihre korrekte Verwendung hin zu analysieren und entsprechend mit dem Gesamtkontext und der Makro‐ struktur eines Textes zu vergleichen. 16.1 Stilanalyse 223 <?page no="224"?> 16.2 Fehleranalyse Die Fehleranalyse teilt Bredthauer (2013: 69 ff.) in die verschiedenen Kategorien „Orthographie“ (74 f.), „Syntax“ (76 ff.), „Morphologie“ (78 f.), „Orthographie oder Morphologie“ (79 ff.) und „Lexik“ (81 f.) ein. Sie gibt eine prozentuale Vertei‐ lung der Fehler innerhalb des untersuchten Korpus an, nämlich „Orthographie“ (23 % der Fehler), „Syntax“ (34 %), „Morphologie“ (21 %), „Orthographie oder Morphologie“ (17 %) und „Lexik“ (5 %) zu (Bredthauer 2013: 73). Zur Pragmatik schreibt sie, dass hier keine Abweichungen identifiziert wurden (Bredthauer 2013: 72). Bredthauer (2013: 70) stellt der Analyse voran, dass nicht alle identifizierten Fehler als Teil des systematischen Fehlerkorpus aufgenommen werden. Diese Bereiche, nämlich „Getrennt- und Zusammenschreibung“, „Interpunktion“, und „Alte vs. neue Rechtschreibung“ sollen hier dennoch vorgestellt werden, da sie bedeutsam für die Analyse inkriminierter Texte und möglicher Verstellungsst‐ rategien sind. Im Anschluss sollen die Ergebnisse der quantitativen Analyse aller fünf o. g. Kategorien vorgestellt und einer kritischen Betrachtung unter‐ zogen werden. Sie dienen als Grundlage für weiterführende Überlegungen zur Analyse von Merkmalen und Verstellungsstrategien im Rahmen inkriminierter Schreiben. Diese Überlegungen werden in den folgenden Kapiteln vorgestellt. 16.2.1 Getrennt- und Zusammenschreibung Bei der Untersuchung Bredthauers geht die Getrennt- und Zusammenschreibung von Komposita nicht in die Analyse ein. Sie begründet das damit, dass „die Getrennt- und Zusammenschreibung von Komposita sehr stark durch individuelle Vorlieben beeinflusst wird“ (Bredthauer 2013: 70). Das ist aus zwei Gründen erstaunlich. Erstens gibt es zwar gewisse Spielräume z. B. bei der Schreibung von Komposita mit deutschsprachigem und fremdsprachlichem Material in Bezug auf Bindestrich- und Zusammenschreibung. Man kann z. B. Software-Angebot oder Softwareangebot schreiben. In den meisten Bereichen, z. B. bei festen Wen‐ dungen oder Eigennamen wie Schleswig-Holstein, ist die Schreibung jedoch festge‐ legt. Weder *Schleswigholstein noch *Schleswig Holstein sind zulässig. Zweitens berichten Dozent/ inn/ en und Lehrer/ innen, dass die Getrennt- und Zusammen‐ schreibung eine der Hauptfehlerquellen bei Schüler/ inne/ n und Studierenden ist. Außerdem lassen sich hier individuelle Fehler ausmachen, da Schreiber/ innen häufig bestimmte Komposita in verschiedenen Kontexten falsch realisieren. Auf eine Betrachtung der Getrennt- und Zusammenschreibung im Rahmen von Text‐ analysen zu verzichten, ist daher nicht zulässig. 224 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="225"?> 16.2.2 Interpunktion Die Interpunktion wird von Bredthauer nur im Rahmen der Stilanalyse unter‐ sucht. Das wird damit begründet, dass „die Normierung teilweise sehr schwach“ (Bredthauer 2013: 70-71) ist. Hier zeigt sich eine Problemstellung bei der Aufteilung in Fehler- und Stilanalyse. Standardsprachlich ist es nicht korrekt, einen Satz mit mehreren Punkten zu beenden oder mehrere Ausrufzeichen zu verwenden, sei es, um der eigenen Argumentation mehr Nachdruck zu verleihen, oder nicht. Ob man das jetzt als Stil oder als Fehler auffasst, ist gar nicht so bedeutsam. Wichtig ist für Textanalysen und -vergleiche, dass es sich u. U. um saliente, autorenunterscheidende Merkmale handeln kann und sie daher festgehalten werden müssen. Das gilt auch für Zeichen, die eher selten verwendet werden, wie z. B. das Semikolon. Es ist in vielen Kontexten zulässig, dennoch ist es ein seltenes und daher u. U. salientes Merkmal für Textanalysen und -vergleiche. Manche Zeichen, wie z. B. der Asterisk oder das Plus-Zeichen, sind in bestimmten Kontexten bzw. Textsorten (z. B. bei Online-Rezensionen) üblicher als in anderen (vgl. Kapitel 19.2). Wo und ob solche Zeichen verwendet werden, ist für Textanalysen und -vergleiche ebenfalls bedeutsam. 16.2.3 Alte und neue deutsche Rechtschreibung Ein weiterer strittiger Punkt ist die alte bzw. neue Rechtschreibung. Es ist wichtig zu beachten, ob Texte nach oder vor der letzten großen Rechtschreib‐ reform (1996) verfasst wurden. Dann stellt sich die Frage, ob es als Fehler klassifiziert wird, wenn jemand z. B. *Dampfschiffahrt statt Dampfschifffahrt schreibt. Im Sinne der aktuellen Rechtschreibung handelt es sich bei der Schreibung mit <ff> um einen Fehler. Für eine Analyse ist wichtig, analog zur bereits besprochenen Problematik der Interpunktion, dass es sich um ein sprachliches Merkmal handelt, wenn jemand die alte Rechtschreibung (auch nach 1996) in Teilen oder im gesamten Text verwendet. Hieraus lassen sich auch u.-U. Hinweise auf das Alter einer/ eines Autorin/ Autoren ableiten. 16.2.4 Orthographie Die folgende Tabelle gibt die von Bredthauer (2013: 74 f.) festgestellten Feh‐ lertypen der Kategorie „Orthographie“ mit der jeweiligen Verteilung an. Im Vergleich zum Original wurden eine Nummerierung aller klassifizierten Fehler und die jeweiligen Prozentangaben ergänzt. 16.2 Fehleranalyse 225 <?page no="226"?> Orthographie Absolute Häufig‐ keit Relative Häufig‐ keit 1. Großu. Klein‐ schreibung Nomen kleingeschrieben 226 36,2 % 2. Höflichkeitsform kleinge‐ schrieben 51 8,2 % 3. Satzanfang kleingeschrieben 28 4,5 % 4. Verb großgeschrieben 20 3,2 % 5. Adjektiv großgeschrieben 16 2,6 % 6. Sonstige Abweichungen, die die Großu. Kleinschreibung be‐ treffen 21 3,8 % 7. Dehnungsu. Ver‐ kürzungsgrapheme Verkürzungsgraphem ausge‐ lassen 86 13,8 % 8. Dehnungsgraphem ausgelassen 32 5,1 % 9. Verkürzungsgraphem hinzuge‐ fügt 20 3,2 % 10. Dehnungsgraphem hinzugefügt 23 3,7 % 11. Graphemwahl „Vertauschung von Graphemen, die im Deutschen äquivalent klingen können“ (Bredthauer 2013: 74) 13 2,1 % 12. Abweichungen durch Angli‐ zismen erklärbar 16 2,6 % 13. Zusammenschrei‐ bung Zusammenschreibung (norm‐ widrig) 14 2,2 % 14. Auseinanderschreibung (norm‐ widrig) 6 1,0 % 15. Sonstige orthogra‐ phische Abwei‐ chungen Sonstiges (es werden keine Er‐ klärungen genannt) 13 2,1 % Tabelle 15: Orthographie-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse in‐ kriminierter Schreiben Zu den Fehlern aus dem Bereich „Dehnungs- und Verkürzungsgrapheme“ (7. -10.) schreibt Bredthauer (2013: 74): „Die hier genannten 161 Items im Bereich Dehnungs- und Verkürzungsgrapheme betreffen ausschließlich die 226 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="227"?> orthographische Ebene, sie verändern demnach nicht die Aussprache.“ Sie nennt als Beispiel u. a. „KAN“ (2013: 75). Diese Aussage ist problematisch. Man kann in allen Fällen nur mutmaßen, wie ein/ e Autor/ in einen selbstgeschriebenen Text vorlesen bzw. einzelne Wörter aussprechen würde. Viele Fehler der Orthogra‐ phie betreffen allerdings die Phonologie bzw. die Aussprache. Schreiber/ innen geben u.-U. ein Wort orthographisch anhand ihrer eigenen Aussprache wieder. Ob aber nun KAN mit Kurz- oder Langvokal realisiert werden würde, darüber kann man anhand der Orthographie keine Aussagen treffen. Es gibt ähnlich realisierte Wörter, die mit Kurzvokal, wie z. B. man, aber auch solche, die mit Langvokal, z.B. WLAN, ausgesprochen werden. Ein ähnliches Problem liegt vor bei der „Vertauschung von Graphemen, die im Deutschen äquivalent klingen können“ (Bredthauer 2013: 75). Als Beispiel nennt sie die Realisierung von „sch“ statt „ch“. Hier liegt in der Regel jedoch ein gänzlich anderes Phonem zugrunde, im Deutschen vorrangig der stimmlose postalveolare Frikativ [ʃ] statt des stimmlosen palatalen Frikativs [ç] oder des stimmlosen velaren Frikativs [x]. Erklärbar sind solche Abweichungen, da Wörter so schriftlich realisiert werden können, wie sie ausgesprochen werden würden. Die Aussprache kann z. B. auf bestimmten dia-, regio-, oder sozialektalen Gründen beruhen. Bei Deutschlernenden kann der Grund auch in der eigenen Muttersprache zu finden sein. Es ist anhand eines Textes z. B. nicht direkt feststellbar, warum jemand ich entweder mit [ç] (standardsprachlich) oder mit [ʃ] (substandardsprachlich) ausspricht. Die/ der Sprecher/ in könnte z. B. aus dem Rheinland kommen, Nicht-Muttersprachler/ in sein, oder einen bestimmten jugendsprachlichen Sprachstil sprechen. Darauf gilt es insbesondere bei der Verwechslung von Buchstaben zu achten, denen im Bereich der Phonologie solche Phoneme zugrunde liegen, die Gemeinsamkeiten aufweisen, wie z. B. bei <p>, <t>, <k> bzw. <b>, <d>, <g>. Die Abweichungen können allerdings auch auf fingierten Fehlern beruhen. Letztendlich muss ebenfalls bedacht werden, dass die Realisierung falscher Grapheme auch durch Tippfehler passieren kann. Das ist insbesondere der Fall bei auf der Tastatur nebeneinander liegenden Buchstaben. So kann jemand statt Vater auch Fater schreiben, weil bei der Aussprache beider Wörter kein Unterschied besteht und sie/ er nicht weiß, wie das Wort geschrieben wird, aber auch, weil die Tasten für <v> und <f> nebeneinander liegen. 16.2.5 Syntax Die folgende Tabelle gibt die von Bredthauer (2013: 76 ff.) festgestellten Fehler‐ typen der Kategorie Syntax mit der jeweiligen Verteilung an. Die Nummerierung 16.2 Fehleranalyse 227 <?page no="228"?> 98 Als Beispielsätze nennt Bredthauer „wir fliegen Wochenende“ und „gehe internete“. In beiden Fällen ist es am plausibelsten, von einer fehlenden Kontraktion aus Präposition und bestimmtem Artikel auszugehen, vgl. wir fliegen am Wochenende (an dem) und gehe ins Internet (in das). wird fortgesetzt. Auch hier wird eine jeweilige Prozentangabe ergänzt, die im Original nicht vorhanden ist: Syntax Absolute Häufig‐ keit Relative Häufig‐ keit 16. Determinativ fehlt Hier sind bestimmte Artikel (der, die das), unbestimmte Artikel (ein, eine), Demonstrativ-prono‐ mina (dieser, jener) und Posses‐ sivpronomina (mein, dein etc.) betroffen. 314 34,9 % 17. Subjekt fehlt Hier unterscheidet Bredthauer (2013: 76) keine Wortarten, son‐ dern die syntaktischen Funk‐ tionen Subjekt und Objekt. Vgl. 18. 96 10,7 % 18. Obligatorisches Objekt fehlt Hier unterscheidet Bredthauer (2013: 76 f.) keine Wortarten, sondern die syntaktischen Funk‐ tionen Subjekt und Objekt. Vgl. 17. 34 3,8 % 19. Verb fehlt Finite bzw. infinite Verbformen werden nicht unterschieden. 106 11,8 % 20. Präposition fehlt Bei den Präpositionen findet keine weitere Unterscheidung statt. Z.-B. gibt es keine Unterscheidung zwischen einfa‐ chen Präpositionen und Kon‐ traktionen aus Präposition und bestimmtem Artikel. 98 35 3,9 % 21. Sonstiger Satz‐ teil/ sonstiges Wort fehlt Hierunter fallen weitere Wort‐ arten wie z.-B. Adverbien. 18 2,0 % 22. Satzteil/ Wort zu viel Alle möglichen Wortarten und Satzglieder werden hier zusam‐ mengefasst. 23 2,6 % 228 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="229"?> 23. Verbstellung Es wird darauf hingewiesen, dass hauptsächlich Verbend- und Ver‐ bzweitstellung betroffen sind. 242 26,9 % 24. Sonstige Satzstel‐ lungsfehler Alle Wortarten außer Verben fallen darunter. 32 3,6 % Tabelle 16: Syntax-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse inkrimi‐ nierter Schreiben Die Syntax ist ein sehr komplexer Bereich und es ist ein ambitioniertes Un‐ terfangen, feste Kategorien für den Bereich syntaktischer Fehler festzulegen. Der Grund ist, dass Schreiber/ innen sehr viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen, einen Satz korrekt zu realisieren. Nicht-korrekte Abweichungen von der Standardsprache können erkannt und im Rahmen einer Textanalyse festge‐ halten werden. Jedoch kann nicht immer dargestellt werden, welche Fehler gemacht wurden. Wichtig ist zum Beispiel der Zusammenhang im Satz, aber auch im Kontext mehrerer Sätze bzw. im ganzen Text, z. B. bei bereits bekannten und nicht bekannten Informationen (vgl. hierzu auch die Thema-Rhema-Glie‐ derung). Bredthauer (2013: 77) führt z. B. unter der Kategorie „Obligatorisches Objekt fehlt“ den Beispielsatz „Ich will kaufen“ auf. Im Zusammenhang mehrerer Sätze mag das ein Fehler sein und es ist davon auszugehen, dass dann z. B. ein Objekt fehlt, wie in ich will ein Haus kaufen, ich will das rote Auto kaufen etc. Dennoch ist der Satz Ich will kaufen nicht ungrammatisch und in manchen Zusammenhängen (z.-B. Börsenhandel) auch nicht unüblich. Ein weiteres Problem besteht darin, dass viel in einen Satz hineininterpretiert werden kann, wenn es darum geht, welches Wort fehlt. Bredthauer (2013: 77) listet den Satz „wir Fliegen Wochenende“ unter der Kategorie „Präposition fehlt“. Es ist offensichtlich, dass ein Element fehlt, da der Satz tatsächlich ungrammatisch ist. In der Regel würde man davon ausgehen, dass der Satz so ergänzt werden würde, damit er grammatisch wird: Wir fliegen am Wochenende. Dann fehlt aber nicht bloß eine Präposition (Kategorie 20.), sondern auch ein bestimmter Artikel (fällt unter Kategorie 16.), da es sich bei am um eine feste Kontraktion von an und dem handelt. Es kann also nicht immer genau festgestellt werden, welche(s) Element(e) in einem Satz fehlt bzw. fehlen. Es ist jedoch möglich, festzuhalten, durch welche sprachlichen Elemente ein Satz ungrammatisch wird. Diese Kategorie (22.) unterscheidet Bredthauer nicht weiter. Hier besteht auch das Problem, dass nicht immer bestimmbar ist, welches Satzglied überflüssig ist, aber zumindest in der Regel, welche Wortarten dem jeweiligen sprachlichen Element zuzuordnen sind. Daher erscheint es für 16.2 Fehleranalyse 229 <?page no="230"?> 99 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Der_Gerät Letzter Zugriff am 20.01.2023 Textanalysen sinnvoll festzuhalten, welche Elemente überflüssig sind, welche Elemente fehlen und die Untersuchung auf Wortarten zu reduzieren sowie keine Mischform mit Satzgliedern aufzuführen. Außerdem müssen, wie gezeigt wurde, mehrere Interpretationen in Betracht gezogen werden. Eine quantitative Analyse wird damit erschwert bzw. wesentlich komplexer. 16.2.6 Morphologie Insgesamt unterscheidet Bredthauer (2013: 78 f.) fünf morphologische Merk‐ male. Die Nummerierung wird weiter fortgesetzt und Prozentangaben werden ergänzt: Morphologie insgesamt Absolute Häufig‐ keit Relative Häufig‐ keit 25. Kasus-Nu‐ merus-Genus-Kon‐ gruenz Übereinstimmung von Kasus, Numerus und Genus in Nomi‐ nalphrasen 295 52,1 % 26. Verbkonjugation Infinitiv statt konjugiertem Verb 168 29,7 % 27. Verbkonjugation Verwendung falscher Konju‐ gationsformen 47 8,3 % 28. Sonstige morphologi‐ sche Abweichungen I „Vertauschung von „nichts“ bzw. „nix“ mit „nicht“ und um‐ gekehrt“ (Bredthauer 2013: 79) 23 4,1 % 29. Sonstige morphologi‐ sche Abweichungen II Alle weiteren morphologi‐ schen Abweichungen 33 5,8 % Tabelle 17: Morphologie-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse in‐ kriminierter Schreiben Die Deklination ist sehr komplex und hieraus lassen sich viele Strategien ableiten, die ein/ e Schreiber/ in anwenden kann, um u. U. den eigenen Stil zu verschleiern oder einen anderen zu imitieren. Es ist z. B. vielen Mutter‐ sprachler/ inn/ en bewusst, dass einige Nicht-Muttersprachler/ innen Probleme damit haben, sich das jeweilige Genus von Substantiven zu merken. Viele typische Verwechslungen sind durch mediale Verbreitung bekannt geworden, wie z. B. *der Gerät, zu der ein eigener Wikipedia-Artikel erstellt wurde. 99 Die 230 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="231"?> Verwendung von der Standardsprache abweichender Genera kann ebenfalls Aufschluss auf die regionale sprachliche Sozialisation von Autor/ inn/ en geben, und liefert daher wichtige Hinweise für die diatopische Einordnung, vgl. die Butter vs. der Butter, die Cola vs. das Cola, der Joghurt vs. das Joghurt vs. die Joghurt etc. Die nicht-standardsprachliche Verwendung des Kasus sollte auch einzeln aufgeschlüsselt werden. Viele Verwechslungen sind regionalsprachlich bedingt, wie z. B. gerade in (ehemals) niederdeutschen Gebieten die Verwechslung von Dativ und Akkusativ. Andere geben Hinweise auf ein höheres/ niedrigeres schriftsprachliches Niveau wie z.-B. die Verwendung bzw. Vermeidung des Ge‐ nitivs oder seine Umschreibung durch präpositionale Konstruktionen. Stilisie‐ rungen machen sich diesen Umstand zunutze und so kann z. B. ein ungebildeter Arbeiter aus dem Ruhrgebiet parodiert werden, indem er grundsätzlich Dativ und Akkusativ vertauscht und nie eine korrekte Genitivform gebraucht, sondern eine Ausweichform, von der es eine Vielzahl gibt, wie z.-B. das ist das Auto von Beate, das ist Beate ihr Auto, das ist der Beate ihr Auto, das ist die Beate ihr Auto. Die Möglichkeiten der nicht-standardsprachlichen Realisierung bzw. Umge‐ hung von Kasus, Numerus und Genus sind sehr komplex und mannigfaltig, daher sollte in einer Detailanalyse in Bezug auf Verstellungsstrategien unbe‐ dingt genau auf diese Kategorien eingegangen werden. Außerdem haben viele der hier genannten Merkmale Auswirkungen auf die Syntax, die Trennlinie zur Morphologie ist nicht klar. Es ist zu überlegen, ob man die morphologischen Merkmale, die Auswirkungen auf die Syntax haben, unter der Oberkategorie Morphosyntax betrachten sollte. Eine sehr interessante und wichtige Erkenntnis in Bezug auf Verstellungsst‐ rategien stellt Bredthauer in der Kategorie „Infinitiv statt konjugiertem Verb“ (26) fest. Fast ein Drittel der festgestellten Fehler, die die Morphologie betreffen, fallen darunter. Das zeigt, wie hochfrequent dieses Merkmal genutzt wird, um den eigenen Schreibstil zu verschleiern bzw. den Schreibstil anderer zu imitieren. Die Verbkonjugation nicht zu beherrschen und stattdessen Infinitive zu verwenden, ist ein Hauptmerkmal des Foreigner Talks. Analog dazu wird im Falle einer Verstellung hiermit ein geringeres sprachliches Niveau, Nicht-Mut‐ tersprachlichkeit etc. vorgetäuscht. Es erscheint allerdings sinnvoll, bei den sonstigen Konjugationsformen (Kategorie 27.) eine genauere Unterscheidung vorzunehmen. Verben und gerade solche, die das Prädikat eines Satzes bilden, können sehr komplex sein und damit auch auf sehr kreative Art und Weise falsch gebildet werden. Das hat, gerade in Bezug auf Verstellungsstrategien, große Bedeutung, denn einige Autor/ inn/ en verwenden bei ihrer Verstellung 16.2 Fehleranalyse 231 <?page no="232"?> nur ganz bestimmte Formen der falschen Konjugation. Zur Verdeutlichung der Komplexität sei folgendes Beispiel gegeben: Sie gibt mir ein Buch. (richtig konjugiert) *Sie gebt mir ein Buch. (falsche Konjugation vgl. schwache Flexion) Sie geben mir ein Buch. (u. U. falsche Realisierung vgl. Infinitiv bzw. Numerus, nur aus dem Zusammenhang erkennbar, ob eine oder mehrere Personen gemeint sind) *Sie gebe mir ein Buch. (falsche Konjugation vgl. Person) *Sie hat geben mir ein Buch (falsche Konjugation vgl. Tempus (Perfekt)) *Sie gegeben mir ein Buch (falsche Konjugation, es fehlt das Hilfsverb, vgl. Tempus (Perfekt/ Plusquamperfekt)) Sie gab mir ein Buch. (richtig konjugiert) *Sie gebte mir ein Buch (falsche Konjugation vgl. schwache Flexion) *Sie gub mir ein Buch (falsche Konjugation) Eine Unterscheidung ist deswegen wichtig, weil im Bereich Konjugation ver‐ schiedene Verstellungsstrategien angewendet werden können. Leute, die Spra‐ chen lernen, haben oft Probleme damit, Verben richtig stark bzw. schwach zu flektieren, da das, genau wie die Genera von Substantiven, auswendig gelernt werden muss. Wenn man also die Sprache einer/ eines Nicht-Muttersprach‐ lerin/ -Muttersprachlers imitiert, ist es möglich, grundsätzlich die schwache Flexion zu verwenden. Eine solche Verstellungsstrategie erfordert ein gewisses Maß an metasprachlichem Bewusstsein, andere Strategien weniger. Ebenso kann eine Verstellung im Bereich der Verben wahllos sein. Die Vertauschung von nicht oder nichts zu nix (Kategorie 28.) ist ebenfalls ein typisches Merkmal des Foreigner Talks und es ist interessant, dass dieses Merkmal recht häufig realisiert wird. Es ist fragwürdig, ob es sich hierbei um ein morphologisches Merkmal handelt. U.U. ist es möglich, nix als ein eigenständiges Lexem aufzufassen und damit ist es unter die Kategorie Lexik zu fassen. 16.2.7 Orthographie oder Morphologie Es kann keine trennscharfen Linien zwischen den verschiedenen Betrachtungs‐ ebenen geben. So wurde bereits gezeigt, dass die Aussprache Auswirkungen auf andere Ebenen, die die Schreibung betreffen, haben kann. Außerdem ist die Trennlinie zwischen Morphologie und Syntax nicht immer klar zu ziehen. Die Betrachtungsebenen sind eben genau das: Ebenen, auf denen man ein sprachliches Problem betrachten kann. 232 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="233"?> Bredthauer (2013: 79 ff.) berücksichtigt das und führt daher eine Kategorie zwischen Orthographie und Morphologie. Sie unterscheidet die folgenden Kategorien, bei denen wieder die Nummerierung fortgesetzt und prozentuale Angaben ergänzt wurden: Orthographie und Morphologie Absolute Häufig‐ keit Relative Häufig‐ keit 30. Dehnungs- und Ver‐ kürzungsgrapheme Verkürzungsgrapheme fehlen 73 16,5 % 31. Verkürzungsgrapheme hinzu‐ gefügt 10 2,7 % 32. Dehnungsgrapheme fehlen 6 1,3 % 33. Dehnungsgrapheme hinzuge‐ fügt 10 2,7 % 34. Graphemwahl Umlaut fehlt 85 19,2 % 35. Umlaut hinzugefügt 9 2,0 % 36. Umlaut an falscher Stelle 1 0,2 % 37. Abweichungen bei Konso‐ nanten und Konsonantenclus‐ tern 62 14,0 % 38. Abweichungen bei Vokalen und Diphthongen 20 4,5 % 39. Auslassung/ Ergän‐ zung von Graphemen Konsonant fehlt 71 16,0 % 40. Konsonant hinzugefügt 19 4,3 % 41. Vokal fehlt 16 3,6 % 42. Vokal hinzugefügt 36 8,1 % 43. Graphemreihenfolge Falsche Abfolge von Graphemen 25 5,6 % Tabelle 18: Merkmalkategorien zwischen Orthographie und Morphologie bei der kor‐ puslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben Bredthauer (2013: 79) schreibt, dass es sich bei den Merkmalen dieser Kategorie „sowohl um rein orthographische als auch um morphologische Abweichungen handeln kann“. Diese Aussage darf bezweifelt werden, da, wie gezeigt wurde, die individuelle Aussprache dafür in vielen Fällen verantwortlich ist, wie jemand etwas schriftsprachlich realisiert. Die Frage ist also nicht, ob es die eine oder 16.2 Fehleranalyse 233 <?page no="234"?> die andere Lösung ist. Eine Kategorie zwischen zwei Ebenen der Sprachbetrach‐ tungen ist keine Hilfe, da man hier nicht weiß, wie etwas einzuordnen ist und es daher vorsichtshalber in eine Mischkategorie einordnet. Es ist so, dass die verschiedenen sprachlichen Ebenen zusammenhängen und nicht trennscharf voneinander betrachtet werden können. In den Kategorien 30 bis 43 unterscheidet Bredthauer viele auf der Vertau‐ schung, Hinzufügung und Auslassung von Graphemen beruhenden Merkmale. Es ist allerdings merkwürdig, dass diese Merkmale einem Bereich zwischen Orthographie und Morphologie zugeordnet werden. Die Beispiele, die Bred‐ thauer (2013: 79 ff.) nennt, nämlich „NUMER“, „LESSEN“, „ERGIEBT“, „samtli‐ ches“, „woandars“, „bescheibe“, PRDUKTE“, „viedo“, betreffen ausschließlich die Orthographie. Das ist erstaunlich, da sie die „Graphemwahl“ (Kat. 11. und 12.) unter die Oberkategorie „Orthographie“ (vgl. das Kapitel 16.2.4). In Bezug auf die Orthographie erscheint es sinnvoll, die Analyse von einer Makroin eine Mikrobetrachtung zu führen. So ist z. B. wichtig, ob etwas vertauscht, hinzugefügt, oder weggelassen wird. Das betrifft einerseits Vokale, Umlaute und Konsonanten. Die standardsprachliche Umlautschreibung <ä>, <ö>, <ü> wird beispielsweise mit den Schreibungen <ae>, <oe>, <ue> umgangen, wenn ein/ e Schreiber/ in mit einer internationalen Tastatur (ohne Umlaute) schreibt bzw. vortäuschen will, dass der fingierte Autor das tut. Wegen dem bereits beschriebenen Zusammenhang zwischen individueller Aussprache und Orthographie einer/ eines Autorin/ Autors werden auch Buchstabencluster weggelassen, vertauscht und hinzugefügt. In der Mikroanalyse können einzelne Buchstaben(cluster), die weggelassen, vertauscht und hinzugefügt werden, analog zum üblichen Prinzip in der Phonologie angegeben werden. Vgl. König wird im Auslaut mit [k] statt [ç] realisiert, also [ç] ⇨ [k] König wird im Text mit <ch> statt <g> realisiert, also <g> ⇨ <ch> Zum Schluss kann eine Angabe folgen, warum ein/ e Autor/ in ein Wort so realisiert. Hieraus lassen sich u. U. Vermutungen zur sprachlichen Sozialisation etc. ableiten. Die Schreibung Könich könnte also so analysiert werden: • Orthographie • Graphemvertauschung • Konsonantencluster (bezieht sich auf das, was realisiert wird) • <g> ⇨ <ch> • Die/ Der Schreiber/ in simuliert u. U. die korrekte, standardsprachliche Aussprache von König 234 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="235"?> Die Schreibung Fater könnte also so analysiert werden: • Orthographie • Graphemvertauschung • Konsonant • <v> ⇨ <f> • <v> und <f> würden bei Vater/ Fater gleich, nämlich mit [f] ausgesprochen werden. Für Analysen, die sich eher auf die Makrostruktur eines Textes beziehen, wie z. B. rein quantitative Analysen, kann die Anzahl der Stufen reduziert werden. So kann beispielsweise angegeben werden, wie viele Graphemvertauschungen in einem Text vorliegen, bzw. wie viele davon Konsonanten(cluster) bzw. Vokal(cluster) betreffen etc. 16.2.8 Lexik Bei Bredthauer (2013: 81 f.) werden insgesamt 10 verschiedenen lexikalische Subkategorien festgestellt, die in der folgenden Tabelle mit Fortführung der Nummerierung und Prozentangabe aufgeführt werden: Lexik Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit 44. Lexemwahl Falsches Verb 39 26,9 % 45. Falsches Nomen 28 19,3 % 46. Falsche Präposition 19 13,1 % 47. Falscher Ausdruck 13 9,0 % 48. Sonstige Lexemwahlfehler 31 21,4 % 49. Lexeme aus an‐ deren Sprachen Englisch 9 6,2 % 50. Französisch 3 2,1 % 51. Rumänisch 1 0,7 % 52. Polnisch 1 0,7 % 53. Mischung aus Französisch und Spanisch 1 0,7 % Tabelle 19: Lexik-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse inkrimi‐ nierter Schreiben 16.2 Fehleranalyse 235 <?page no="236"?> 100 Texte, die einen zu geringen Umfang für diese Untersuchung aufweisen, wurden aussortiert (18 Texte). Gerade im Bereich der Lexik wird deutlich, dass es sinnvoll ist, eine offene Liste ohne starre Kategorien zu führen, die jederzeit um ergänzende Kategorien, wie z.-B. weitere Fremdsprachen, erweitert werden kann. 16.2.9 Konstanz der Fehlerhaftigkeit und Plausibilität Da die wenigsten Autor/ inn/ en in der Lage sind, eine Verstellungsstrategie über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten, gelten Inkonsistenzen bei der Fehlermenge und -intensität innerhalb eines längeren Textes als Indikator für Verstellungen (vgl. die Kapitel 15.4 und 15.8). Bredthauer (2013: 85-94) untersucht daher die „Konstanz der Fehlerhaftig‐ keit“ innerhalb einzelner Texte, um die Abbzw. Zunahme von Fehlerhaftigkeit innerhalb eines Textes als Indikator für Verstellungsstrategien zu überprüfen. Dafür werden die Texte in zwei (45 Texte) bzw. vier Abschnitte (7 Texte) unterteilt. 100 Dann wird die Fehlermenge der einzelnen Abschnitte überprüft. In 4 % der Texte (zwei Texte mit jeweils zwei Abschnitten) bleibt die Fehlermenge gleich. In 96 % der Texte können Veränderungen der Fehlermenge festgestellt werden. Als weitere Indikator für Verstellungsstrategien gilt das gleichzeitige Vor‐ kommen von korrekten und inkorrekten Realisierungen des gleichen Typs (vgl. das Kapitel 15.8). Bredthauer (2013: 92 ff.) untersucht die Texte auf diese Inkonsistenzen. Ein signifikantes Beispiel soll hier kurz vorgestellt werden: „Freunde von rumänischen opera noch suchen sänger in knabenchor. Wenn du nicht wollen zahlen 850 000 Euro an frau dann du kannst singen. Du zaalen bis [Datum]. Später wirt teuer mit fiel schmerz. Wir nämen auch freund fon dir mit in chor. Dann kostet aber 1 000 000 Euro. Wir haben fiele meglichkeiten dir hohe stimme machen. Leben ist schön, nicht schon, wen du nich zeigen herz.“ (in Bredthauer 2013: 92) In den Text hat die/ der Schreiber/ in einige fingierte Fehler eingebaut, zu denen es korrekte Entsprechungen gibt. Bredthauer (2013: 92) nennt hier die die korrekten Realisierungen von „schön“ und „nicht“ gegenüber den inkorrekten Formen „schon“ (mit der Bedeutung schön) und „nich“. Außerdem wird der in‐ 236 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="237"?> korrekte Gebrauch von Infinitivformen „wenn du nich wollen zahlen“ gegenüber konjugierten Formen wie „wirt teuer“. Es sind noch weitere Merkmale zu nennen, die den Text inkonsistent er‐ scheinen lassen und nahelegen, dass hier eine Verstellungsstrategie angewendet wird. So wird einmal „zahlen“ korrekt geschrieben, aber einmal wird <ah> gegen einen Doppelvokal in „zaalen“ ausgetauscht. Außerdem wird die Doppel‐ konsonanz, die eine Besonderheit der deutschen Sprache darstellt, manchmal oft richtig realisiert, nämlich u. a. bei „Wenn“, „dann“ und „kannst“, jedoch in der letzten Zeile bei „wen“ (mit der Bedeutung wenn) missachtet. Außerdem werden Wörter, die im Auslaut mit dem stimmlosen alveolaren Plosiv [t] ausgesprochen werden, teilweise korrekt realisiert, wie bei „freund“. An anderer Stelle wird das <d> gegen ein <t> ausgetauscht, wie „wirt“ in „Später wirt teuer“. Als letztes signifikantes Merkmal ist der Umgang mit Umlauten zu nennen. In „rumänischen“, „sänger“ und „schön“ werden Umlaute gesetzt, dagegen bei „meglichkeiten“ vermieden. Insgesamt zeigt dieser kurze Textausschnitt eine unplausible Fehlerkonstel‐ lation, die hier insbesondere durch das Vorkommen von korrekten und inkor‐ rekten Realisierungen des gleichen Typs generiert wird. Außerdem wird die Verständlichkeit trotz hoher Fehlerdichte nicht beeinträchtigt (vgl. das Kapitel 15.8). Die quantitative Analyse Bredthauers (2013: 93 f.) aller Texte in ihrem Korpus fällt signifikant aus. 98,7 % (2644) der falsch geschriebenen Realisierungen sind Formen, zu denen sich im jeweiligen Text auch korrekte Pendants finden lassen, während nur 1,3 % ohne korrekte Entsprechungen auftreten. Wenn Texte auf das Vorkommen von Verstellungsstrategien untersucht werden, ist eine unplausibles Merkmalset ein wichtiger Indikator für Verschleierungen und Imitationen. 16.3 Zusammenfassung Fingierte stilistische Merkmale und Fehler können eingesetzt werden, um den eigenen Sprachgebrauch zu verschleiern oder ggfs. den vermeintlichen Sprachgebrauch anderer Personen oder Personengruppen zu imitieren. Im Zusammenspiel verschiedener Merkmale kann z. B. ein Erpresserschreiben, in dem Nicht-Muttersprachlichkeit imitiert wird, bei den Rezipient/ inn/ en einen Anschein von Fremdheit und Exotik erzeugen. So kann der Eindruck erweckt werden, es handele sich bei der/ dem Autorin/ Autoren um eine/ n Nicht-Mutter‐ sprachler/ in. 16.3 Zusammenfassung 237 <?page no="238"?> Verschiedene Bereiche der Sprache sind zu untersuchen, wenn es darum geht, Verstellungsstrategien inkriminierter Texte aufzudecken, zu analysieren und ggfs. unterschiedliche Strategien zu systematisieren und zu kategorisieren. Im Rahmen dieses Kapitels wurden Überlegungen angestellt, welche Bereiche der Sprache fingiert werden. Dabei konnte die korpuslinguistische Analyse Bredthauers (2013) als Ausgangspunkt für die hier dargelegten Betrachtungen Impulse liefern. Autorenstilisierungen liegen in der diastratischen Dimension und betreffen Hinweise auf Nicht-Muttersprachlichkeit, soziale Schicht oder soziale Gruppe bzw. Alter der Schreiber/ innen. Z. B. kann die explizite Nennung eines Her‐ kunftslandes einen wichtigen Hinweis auf eine Verstellung geben. Da bei Datumsangaben, Grußformeln und Anreden eine recht große Bandbreite bei ihrer Realisation besteht, ist hier insbesondere in Textserien auf sich wiederho‐ lende Merkmale bzw. Inkonsistenzen zu achten. Bei der Interpunktion können selten gebrauchte Satzzeichen oder Satzzeichenhäufungen bei Textvergleichen Hinweise auf die Autorschaft geben. Da durch die radikale Groß- oder Klein‐ schreibung bzw. durch den kompletten Verzicht auf Satzzeichen Merkmale sozusagen neutralisiert werden, ist bei der Analyse von Texten vor allem auf Inkonsistenzen zu achten. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn trotz radikaler Kleinschreibung bestimmte Wörter großgeschrieben werden oder bei einem fast gänzlichen Verzicht auf Satzzeichen in manchen Textpassagen doch Satzzeichen bzw. Satzzeichenhäufungen auftreten. Fachsprachen sind sehr spezifisch und können Hinweise auf die/ den Schreiber/ in geben. Es ist darauf zu achten, ob leicht zugängliche Informationen im Sinne von Fachsprachen oder Fachwissen genutzt werden, um die/ den fingierte/ n Autor/ in als Teil einer bestimmten Gruppe zu inszenieren. Das ver‐ wendete Register ist ein wichtiger Gradmesser für den Grad der Vertrautheit bei der Kommunikation. Außerdem kann das Register je nach Situation angepasst werden. Falls sich die Erpressungssituation ändert, kann z. B. eine derbere Sprache eingesetzt werden, um das Opfer im Rahmen von Erpressungen zu bestimmten Handlungen zu zwingen. Im Bereich der Lexik sind Sprichwörter, feste Wendungen und Komposita Bereiche der Sprache, die Nicht-Muttersprachler/ innen oft nicht beherrschen. Der korrekte Einsatz bei einer ansonsten zur Schau gestellten geringen schrift‐ sprachlichen Kompetenz liefert Hinweise für den Einsatz einer Verstellungs‐ strategie. Die Orthographie bietet eine erhebliche Bandbreite für fingierte Fehler. Hier ist insbesondere auf Inkonsistenzen zu achten, wenn beispiels‐ weise schwierig zu erlernende Eigenheiten der deutschen Sprache problemlos verwendet werden, aber auf der anderen Seite einfach zu erlernende und 238 16 Korpuslinguistische Analysen von Verstellungsstrategien <?page no="239"?> zu fingierende Merkmale häufig realisiert werden. Die Syntax ist als sehr komplexer Bereich der Sprache eher schwierig zu fingieren. Als tief im Sprach‐ bewusstsein liegender Bereich fällt es vielen Autor/ inn/ en schwer, beim Satzbau eine ähnlich geringe schriftsprachliche Kompetenz zu simulieren wie in anderen Bereichen der Sprache. Hier ist insbesondere auf die Art und Plausibilität der Fehler zu achten. Die Morphologie bietet eine Fläche für fingierte Merkmale, die in nicht-authentischen Texten relativ oft vorkommen. Hier ist bspw. die Verwendung von Infinitiven statt konjugierter Verbformen oder der Einsatz falsch konjugierter Verben zu nennen. Auf der anderen Seite ist z. B. die Genuswahl im Deutschen komplexer und schwieriger als in anderen Sprachen. Hier können Nicht-Muttersprachler/ innen Probleme haben. Wenn kaum Genus‐ fehler gemacht werden, aber ansonsten eine scheinbar geringe schriftsprach‐ liche Kompetenz vorliegt, ist das ein signifikanter Hinweis auf eine Verstellung. Die Lexik bietet ebenfalls viele Möglichkeiten, den eigenen Sprachgebrauch zu verschleiern oder den vermeintlichen Sprachgebrauch anderer zu imitieren. So können beispielsweise unplausible Merkmalsets dadurch entstehen, dass die/ der Autor/ in verschiedene Sprachen mischt oder eine nicht-spezifische Sprache zu simulieren versucht. Sich stark voneinander unterscheidende und nicht-erklärbare Anzeichen für unterschiedliche Grade schriftsprachlicher Kompetenz sorgen für inkonsistente und unplausible Merkmalset-Konstellationen. Sie geben zusammen mit stark schwankender Fehlerhaftigkeit innerhalb eines Textes und dem Vorkommen richtiger und falscher Realisationen eines bestimmten Merkmals Hinweise auf Verstellungsstrategien. 16.3 Zusammenfassung 239 <?page no="241"?> 17 Dritter empirischer Teil - Analyse von Verstellungsstrategien im Rahmen einer Textserie inkriminierter Schreiben Die folgende empirische Untersuchung behandelt eine Textserie, die ich im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt analysiert habe. Bei dem zugrundeliegenden Textkorpus handelt es sich um eine Textserie mit Initialschreiben und mehreren Folgeschreiben, die 2018 beim BKA erfasst wurden. Die meisten Texte sind Briefe, es kommen aber auch E-Mails vor. Die Texte wurden hauptsächlich maschinenschriftlich, also mit dem Computer verfasst. Teilweise finden sich auch handschriftliche Texte im Korpus. Der Umfang der Texte ist stark heterogen, von wenigen Wörtern (minimal acht) bis zu seitenlangen Texten (maximal vier). Die Textform der allermeisten Texte ist das Papierformat, manche wurden elektronisch (z.-B. per E-Mail) versendet. Die Tatschreiben umfassen die Textfunktionen Erpressung, Bedrohung (vgl. auch die Sprechakte Erpressen und Drohen nach Artmann 1996) und Schmähung sowie „sonstiges“ (hier Liebesbrief). Die Textserie umfasst eine Vielzahl von Folgeschreiben (hier X2 bis X36), die auf das Initialschreiben (X1) folgen. Die Analyse erfolgt in der Reihenfolge der Nummerierung der Texte, wie sie beim BKA vorliegt. Dabei basiert die Nummerierung der Texte auf einer chronologischen Reihenfolge. Das bedeutet, dass X1 der älteste und X36 der neueste Text ist. Eine solche Nummerierung wird immer auf diese Art vorgenommen, es sei denn, die Ermittler/ innen verfügen nicht über die entsprechenden Daten. Falls diese Informationen nicht vorliegen, wird seitens des BKA versucht, die Chronologie der vorliegenden Texte nach inhaltlichen Aspekten zu erschließen. Hier sei noch angemerkt, dass die Schreiben an verschiedene Adressat/ inn/ en versendet wurden. Es gehören noch 13 Vergleichsschreiben zu dem Textkorpus, die aber aus Datenschutz‐ gründen für die hier vorliegende Analyse nicht berücksichtigt werden können. Es handelt sich bei den folgenden Analysen also nicht um Textvergleiche, wie sie in dieser Arbeit bereits vorgestellt wurden. Hauptintention der Textanalysen ist die Auseinandersetzung mit verschiedenen Verstellungsstrategien innerhalb von Texten, deren Autorschaft unklar bzw. fraglich ist. Die Textserie wurde zur Analyse ausgewählt, da sie zwei ‚klassische‘ Ei‐ genschaften inkriminierter Schreiben aufweist. Es handelt sich um Erpres‐ <?page no="242"?> 101 Der von der Autorenerkennung des Bundeskriminalamts am häufigsten bearbeitete Delikttyp (vgl. die Übersicht „Forensisch-linguistisch untersuchte Delikte“ bei Schall 2004: 551) ist die „Erpressung“, der zweithäufigste ist die „Bedrohung“. 102 Laut der Übersicht „Verteilung der Textlängen“ (Schall 2004: 553) sind inkriminierte Texte, die vom BKA bearbeitet wurden, mit unter 100 Wörtern am häufigsten. Je länger die Textlänge, desto weniger entsprechende Texte befinden sich in dem Korpus. Texte zwischen 300 und 400 Wörtern machen nur noch 9 %, Texte zwischen 400 und 500 Wörtern nur noch 4-% des Gesamtkorpus aus. serschreiben, die im Zusammenhang mit Bedrohungen 101 und Schmähungen stehen. Außerdem wird eine sehr häufig anzutreffende Verstellungsstrategie angewendet - nämlich die Imitation von Nichtmuttersprachler/ innen des Deut‐ schen. Dabei ähnelt die Ausführung aber eher dem bereits beschriebenen bzw. Xenolekt bzw. Foreigner Talk und weniger sprachlichen Interferenzen bzw. Sprachmischungen wie dem ebenfalls vorgestellten Code-Switching, -Shifting, und -Mixing, die tatsächlich bei Deutschlerner/ innen oder multilingualen Per‐ sonen auftreten können. Noch interessanter und für eine Analyse von Verstellungsstrategien bestens geeignet ist die Textserie durch zwei weitere Aspekte. Einerseits ist aufgrund des großen Textkorpus, das auch einige längere und lange Texte 102 beinhaltet, die Möglichkeit zu verschiedenen Analysen gegeben. So kann festgestellt werden, welche Merkmale nicht bloß innerhalb eines Textes, sondern innerhalb der Textserie vorkommen und sich ggfs. wiederholen. Es ist wichtig, festzustellen, ob ein Prinzip hinter bestimmten Merkmalen steht oder ob diese eher zufällig bzw. eher wahllos verwendet werden. Hier erscheint die gesamte Textserie als „geeignete Beschreibungs- und Analyseeinheit“ (Dern 2009: 160). Außerdem ist es möglich, festzustellen, inwieweit die/ der Schreiber/ in ihren/ seinen Sprachstil innerhalb der Textserie ändert bzw. verschiedenen Situationen anpasst. So können signifikante Merkmale herausgefiltert und beschrieben werden, was insbesondere für die Analyse der zugrundeliegenden Verstel‐ lungsstrategien wegweisend ist. Im folgenden Kapitel 17.1 wird die analysierte Textserie kurz charakterisiert. Darauf folgt eine Darstellung verschiedener Aspekte, die bei Textanalysen zu beachten sind, um Schreiben auf mögliche Verstellungsstrategien zu prüfen (Kapitel 17.2). Dann wird die Arbeitsweise bei der Analyse der vorliegenden Textserie erläutert (Kapitel 17.3). Im Anschluss wird die Analyse der inkrimi‐ nierten Textserie dargestellt und zugrundeliegende Merkmale sowie Aspekte von Verstellungsstrategien untersucht (Kapitel 17.4-17.6) Die Stilisierungsstra‐ tegie und ihre Verwendung in der inkriminierten Textserie werden in Kapitel 17.7 behandelt. Das Kapitel 17.8 fasst die Ergebnisse zusammen. 242 17 Dritter empirischer Teil <?page no="243"?> 103 Es kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob die Texte von einer weiblichen oder einer männlichen Person verfasst bzw. geschrieben wurden. Daher ist für die empirische Autorschaft von Autor/ in bzw. Schreiber/ in die Rede. Jedoch wird eindeutig ein Mann als Autor der Textserie dargestellt. Daher wird von einem fingierten bzw. postulierten Autor gesprochen. 17.1 Verstellungsstrategien - Verschleierung, Imitation und Stilisierung Was die Verstellungsstrategien betrifft, ist die Textserie eine Besonderheit, da die/ der Autor/ in 103 nicht bloß a) ihre/ seine Identität zu verschleiern und b) eine andere Identität zu imitieren versucht. Das herausstechende Charakteristikum ist, dass in einigen Texten der Serie sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht eine Stilistik offenbart wird, die an die Stilisierung von Comedy- und Kabarettprogrammen erinnert, in denen nicht versucht wird, eine bestimmte Person(engruppe) realitätsnah nachzuahmen (! ), sondern bestimmte klischeebeladene sprachliche Merkmale der Personen in hochfrequenter und über die Realität hinausgehende Weise zu artikulieren, sodass ein komödianti‐ scher Effekt erzielt wird. In der vorliegenden Textserie wird so ein bizarrer Effekt bei der Rezeption erzeugt, da viele Textpassagen fast lächerlich komisch wirken, jedoch auf drastische Sex- und Gewaltfantasien treffen (vgl. Androhung von Gewalt als typische Eigenschaft von Erpresserschreiben bei Klein 1981: 234). Im Sinne der Autorenerkennung galt es zu prüfen, mit welchen sprach‐ lichen Mitteln die Verstellungsstrategien entfaltet werden, welche Merkmale und Merkmalsets zugrunde liegen und ggfs. wie effizient die Stilisierung als Verstellungsstrategie sein kann, wenn es darum geht, die eigene Identität im Verborgenen zu halten. So tritt neben a) Verschleierung, b) Imitation noch c) Stilisierung als weitere Verstellungsstrategie hinzu. 17.2 Aspekte von Verstellungsstrategien Die folgenden Aspekte sind bei Textanalysen zu beachten, wenn es um die Frage geht, ob sich die/ der empirische Autor/ in beim Verfassen eines Textes verstellt hat. 17.1 Verstellungsstrategien - Verschleierung, Imitation und Stilisierung 243 <?page no="244"?> 104 Aufschlussreiche Analysebeispiele bieten auch Dern (2009: 112 ff.) und Fobbe (2011: 176 ff.). 17.2.1 Saliente, sprecheridentifizierende Merkmale und Gesamtpopulation Nicht alles, was von der normierten Standardsprache abweicht, ist ein salientes Merkmal. Bei Textanalysen ist immer das Verhältnis von Merkmalen bzw. Merkmalsets eines Textes im Vergleich zum Vorkommen in der Gesamtpopu‐ lation, also dem allgemeinen Sprachgebrauch, zu betrachten. Kniffka (1981: 595) verweist in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit „individuelle[r] sprecheridentifizierende[r] Merkmale“. In einer Untersuchung, die u. a. die Bewertung des Ausdrucks Konkubine beinhaltet, schreibt er, dass die linguisti‐ sche Analyse sich mit dem Sprachgebrauch des Beklagten im Vergleich zum allgemeinen Sprachgebrauch befasst (Kniffka 1981: 620). Bei der Analyse und der Darstellung verschiedener Merkmale und Merkmalsets wird also der Fokus auf saliente Merkmale gelegt, die hier im Speziellen für Verstellungsstrategien verwendet werden. 17.2.2 Konsistenz und Plausibilität Es sollen hauptsächlich Merkmale beschrieben werden, die Hinweise darauf geben, dass sich die/ der Schreiber/ in der Texte verstellt. Das bedeutet generell, dass sie/ er die eigenen Schreibgewohnheiten bzw. sprachlichen Fähigkeiten sowie schriftsprachliche Routine zugunsten anderer vermeidet. In erster Linie wird also der Fokus der Analyse auf die Plausibilität der Merkmale gelegt, bezogen auf die zur Schau gestellte schriftsprachliche Kompetenz. Außerdem ist für Textanalysen signifikant, wie konsistent ein/ e Schreiber/ in ein bestimmtes Merkmal einsetzt. „Nicht, wie ‚ungewöhnlich‘ ein sprachlicher Ausdruck schlechthin ist, sondern wie konsistent und typisch er für den Sprachgebrauch eines Sprechers als (allgemein) ungewöhnliche sprachliche Handhabung einer Situation auftritt, ist von Interesse.“ (Kniffka 1981: 591-592) Daher werden verschiedene Betrachtungsbereiche beschrieben (diese orien‐ tieren sich u. a. an Dern 2009: 80 ff. und Fobbe 2011: 172ff. 104 ), die zeigen sollen, wie plausibel und konsistent die verwendeten Merkmale bzw. Merkmalsets sind. Falls sie plausibel sind, wären die untersuchten Texte als authentisch einzustufen. Falls nicht, ist von fingierten Texten sowie damit verbundenen 244 17 Dritter empirischer Teil <?page no="245"?> Verstellungsstrategien auszugehen. Es folgt eine Beschreibung von Aspekten, die bei der Analyse fokussiert werden. 17.2.3 Stufen schriftsprachlicher Kompetenz Bei einer geringen/ geringeren schriftsprachlichen Kompetenz ist davon auszu‐ gehen, dass ein/ e Schreiber/ in in einer relativ hohen Frequenz nicht-standard‐ sprachliche Merkmale produziert. Das gilt sowohl für Muttersprachler/ innen, die sehr selten oder fast nie schreiben, als auch für Nicht-Muttersprachler/ innen, die eine Sprache erst erlernen. Diese Merkmale sind jedoch nicht zufällig bzw. wahllos, sondern sind i. d. R. mit verschiedenen Stufen schriftsprachlicher Kom‐ petenz bzw. im Besonderen mit Stadien des Spracherwerbs bei Nicht-Mutter‐ sprachler/ innen erklärbar (vgl. hier die fremdsprachendidaktische Perspektive bei Fobbe 2011: 147). Es ist z. B. nicht davon auszugehen, dass die Verbflexion einer/ eines Autors/ Autorin stark fehlerhaft ist oder sie/ er nicht passende Wörter in bestimmten Kontexten verwendet, auf der anderen Seite jedoch eine tadellose Syntax beherrscht. Dagegen spricht insbesondere die feste Ordnung, nach der der Spracherwerb abläuft. So werden die Erwerbsphasen von Lerner/ inne/ n zwar mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durchlaufen, folgen jedoch einer festen chronologischen Ordnung (Huneke/ Steinig 2013: 47). Wenn sich ein/ e Autor/ in bei der Textproduktion verstellt, ist es möglich, dass die interne Logik der chronologischen Ordnung dieser Sprachstufen missachtet wird. Das ist, wie gezeigt wurde, bei fingierten Schreiben relativ häufig der Fall (vgl. das Kapitel 16). 17.2.4 Errors / Mistakes / Tippfehler - Das Auftreten von korrekten neben falschen Formen Für die Analyse, ob eine Verstellungsstrategie vorliegt, ist ebenfalls bedeutsam, ob neben fehlerhaften Repräsentationen einer Kategorie auch solche vor‐ kommen, die korrekt verwendet werden. Wenn jemand etwas nicht weiß und sie/ er deswegen einen Fehler macht, handelt es sich um einen Error. Die/ Der Autor/ in wird diesen Fehler häufiger machen, da sie/ er ihn nicht als Fehler erkennt und ihn auch nicht selbständig korrigieren könnte. Das Auftreten von korrekten neben falschen Formen gleicher Kategorie weist auf eine Verstellung hin. Von Errors sind wie besprochen Mistakes und Tippfehler (Slips und Lapses) abzugrenzen, die ohne Wiederholungen vorkommen (können), da Mistakes selbstständig korrigierbar sind und Tippfehler bei einer Durchsicht von Texten 17.2 Aspekte von Verstellungsstrategien 245 <?page no="246"?> auffallen können bzw. von der Autokorrektur eines Schreibprogramms korri‐ giert werden etc. 17.2.5 Zugänglichkeit - Oberflächliche und tiefer liegende sprachliche Ebenen Bei der Analyse wird ebenfalls geprüft, ob die sprachlichen Interferenzen weniger leicht zugängliche Bereiche der Sprache wie Satzbau, feste Wendungen etc. oder aber vor allem leichter zu manipulierende Elemente wie Orthographie, Flexionsendungen oder die nicht-standardgemäße Verwendung bestimmter Lexeme usw. betreffen. Dabei ist wichtig, dass die Analyse sich auf signifikante und saliente Merkmale fokussiert. So werden Merkmale, die in der Gesamtpopu‐ lation sehr häufig sind, eher ausgespart. Außerdem wird hier auch die Frequenz der Merkmale beachtet. 17.2.6 Inkonsistenzen im Verlauf eines Textes und Unterschiede zwischen mehreren Texten Es kann festgestellt werden, dass viele Schreiber/ innen inkriminierter Texte Verstellungsstrategien nicht über die Gesamtheit eines Textes durchhalten, also sozusagen ‚aus der Rolle fallen‘. Dadurch können Texte inkonsistent werden. Hier kommt der Analyse zugute, dass das Korpus auch einige längere Texte beinhaltet. Hier soll festgestellt werden, ob sich die Fehlerbeschaffenheit (Qualität), die Fehlerdichte (Quantität), die Stilistik etc. innerhalb eines Textes so ändert, dass eine nicht plausible Merkmalset-Konstellation festgestellt werden kann. U.U. nimmt die Fehlerdichte im Verlauf eines Textes ab, da die Imitation nicht aufrechtgehalten wird, oder es kommt zu auffälligen Häufungen von Fehlern oder gänzlich fehlerlosen Teilen etc. Wegen des großen Textkorpus mit vielen Texten ist es ebenfalls möglich, Vergleiche zwischen mehreren Texten (Folgeschreiben) anzustellen. Fobbe (2011: 175) erklärt, dass Folgeschreiben u. U. standardsprachlicher werden, da die/ der Autor/ in das ‚Verstandenwerden‘ sicherstellen will. 17.2.7 Sprachmischungen Ferner haben viele Personen, die Nicht-Muttersprachlichkeit vortäuschen, nicht unbedingt genaue Kenntnisse über die imitierte Sprache. U.U. hat die/ der Schreiber/ in nur „eine stereotype Vorstellung von Fremdheit“ (Fobbe 2011: 173). Daher ist darauf zu achten, ob eine bestimmte Sprache Grundlage der 246 17 Dritter empirischer Teil <?page no="247"?> sprachlichen Konflikte in einem Text ist, oder nicht. Vielleicht wird versucht, einen Text möglichst ‚exotisch‘ klingen zu lassen, ohne darauf zu achten, dass z. B. eine italienische Muttersprachlerin, die auf Deutsch schreibt, Elemente nur dieser beiden Sprachen ‚mischen‘ würde, vgl. Code-Switching etc. Hier spielt ebenfalls eine Rolle, dass Nicht-Muttersprachler/ innen eher Probleme mit bestimmten Aspekten des Deutschen haben, da es diese Kategorien u. U. in ihrer Muttersprache nicht gibt, oder sie sich stark unterscheiden. 17.2.8 Xenolekt vs. Sprachkontaktphänomene Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass viele Merkmale, die beispielsweise Xenolekt bzw. Foreigner Talk betreffen, medial verbreitet werden. Personen, die versuchen, jemanden zu imitieren, die/ der eine Sprache weniger beherrscht, als sie/ er selbst, greifen wegen mangelnder metasprachlicher Fähigkeiten und man‐ gelnden Austausches mit Deutschlernenden auf solche sprachlichen Klischees zurück. Ihnen sind Elemente und Funktionsweisen von Code-Switching, -Shif‐ ting und -Mixing schlicht nicht bekannt. Bei der Analyse soll also festgestellt werden, ob die verwendeten Merkmale und Merkmalsets eher Bereichen des Xenolekts oder Foreigner Talks ähneln, oder plausibel durch Sprachkontaktphä‐ nomene erklärbar sind. 17.2.9 Der Konflikt der Verständnissicherung Verstellt sich ein/ e Autor/ in, verstößt sie/ er gegen verschiedene Maximen des Kooperationsprinzips nach Grice. Dennoch versuchen Schreiber/ innen inkriminierter Texte, sicherzustellen, dass ihre Nachrichten (mit Drohungen, Forderungen etc.) von den Rezipient/ inn/ en verstanden werden. So besteht bei der Vortäuschung einer schlechteren schriftsprachlichen Kompetenz (ge‐ ringere Bildung, Nicht-Muttersprachlichkeit etc.) ein Konflikt zwischen dem Bedürfnis, unerkannt zu bleiben, und dem Bedürfnis, dennoch das Verständnis sicherzustellen. Dieser Konflikt kann sich insbesondere durch die Inkonsistenz, die zwischen einer hohen Fehlerdichte einerseits und der Fehlerfreiheit von Schlüsselwörtern anderseits besteht, offenbaren. 17.3 Anmerkungen zur Arbeitsweise bei der Analyse Aufgrund des begrenzten Umfangs des Analyseteils und insbesondere der hohen Frequenz verschiedener Merkmale können nicht alle Belege aller Merkmale 17.3 Anmerkungen zur Arbeitsweise bei der Analyse 247 <?page no="248"?> 105 Alle analysierten Texte sind in „Anhang II: Inkriminierte Textserie“ zu finden. Aus Datenschutzgründen, die von dem BKA festgelegt wurden, muss dieser Anhang unter der E-Mail-Adresse steffen.hessler@rub.de angefragt werden. in allen Texten dargestellt werden. In den meisten Kategorien wird daher eine Auswahl von Belegen präsentiert. Falls es sinnvoll ist, werden Hinweise auf Wiederholungen der Merkmale gegeben. Merkmale, die in der Gesamtpo‐ pulation sehr häufig sind, sind für eine Analyse von Verstellungsstrategien nicht zielführend, da sie i. d. R. nicht sprecheridentifizierend sind. Daher wird im Analyseteil nur ein kurzer Hinweis darauf gegeben, um die Analyse auf Merkmalsets zu fokussieren, die belegen, dass die/ der Autor/ in eine oder mehrere Verstellungsstrategien einsetzt. Es gilt außerdem zu beachten, dass nicht eindeutig geklärt ist, ob alle Texte von derselben/ demselben Autorin/ Autoren geschrieben wurden. Außerdem ändern sich die Adressat/ inn/ en der Texte. Herzstück der Analyse ist der lange Text X11, der Verstellungsstrategien einführt, die für nachfolgende Texte vorbildhaft genutzt werden. So wiederholen sich die Merkmale in den folgenden Texten. Text X12 z. B. ist in vielen Teilen komplett identisch. Insbesondere ist daher das Ziel, in nachfolgenden Texten weitere Merkmale zu finden, die davor noch nicht erfasst wurden. Außerdem wird überprüft, ob und wie sich der Schreibstil und die damit verbundenen Verstellungsstrategien ändern. 105 17.4 Heterogene schriftsprachliche Kompetenz und keine eindeutige Verstellung in den Texten X1-X10 Viele Texte von X1 bis X10 sind, wie bei Erpresserschreiben, Bedrohungen etc. üblich, davon geprägt, die eigene Identität nicht offenzulegen bzw. zu verschleiern. So werden beispielsweise keine Klarnamen o.ä. genannt. Auffällig ist eine fast durchgehende Kleinschreibung (außer am Satzanfang) vieler Texte. Die Texte beinhalten Merkmale, die wenig Aussagekraft haben, da sie in vielen, auch standardsprachlichen Texten vorkommen, wie Kommafehler o.ä. Außerdem sind viele der Texte fast durchgehend kleingeschrieben, oft bis auf den Satzanfang. Diese Korrektur nimmt i. d. R. das entsprechende Schreib‐ programm vor. Auf solche Merkmale wird nur eingegangen, wenn etwas im Vergleich zum Rest des Textes auffällig ist, wie z. B. Majuskeln in einem Text mit fast durchgehender Kleinschreibung. Außerdem erfolgt bei einigen Texten eine kurze Einschätzung der Nähe bzw. des Abstands zur Standardsprache. Die ersten Texte X1-X5 sind sehr kurz und beinhalten wenige signifikante Merkmale. Auffällig ist insbesondere der häufige Gebrauch des Worts Wixer 106 . 248 17 Dritter empirischer Teil <?page no="249"?> 106 Das Wort wird in allen fünf Schreiben X1-X5 verwendet. 107 Eine Google-Suche nach wixer (Stand September 2020) ergibt 296.000 Ergebnisse. Vgl. außerdem die Spielfilme Der Wixxer (2004) und Neues vom Wixxer (2007). Hierbei handelt es sich um eine Konsonantenclusterverwechslung, indem <x> statt <chs> (vgl. Wichser) in „Wixer, lass das recherschiern“, (X1, 1), „Wixer du kommst weg“ (X2, 2) und „du Wixer kapierst es nicht“ (X3, 1) verwendet wird. Die Bildung Wixer ist nicht standardsprachlich. Sie ist dennoch nicht unüblich. 107 In X1-X3 sowie X5 kommt ein weiteres Merkmal vor, das in den Bereich der Wortwahl fällt. In X1 wird das Wort wegmachen in „wir machen dich weg“ verwendet. In Bezug auf Menschen würde eher etwas wie wir werden dich beseitigen standardsprachlich sein. Die Intention der Drohung ist u. U. das Absprechen der Persönlichkeit (‚Verdinglichung‘) des Adressaten. Ähnliche Formulierungen werden in den Folgeschreiben verwendet. In X2 wegkommen in „Wixer, du kommst weg“, in X3 „du kommst doch weg“ sowie in X5 weg sein in „du bis bald weg“. Die hohe Frequenz solcher Formulierungen ist sehr auffällig. In X5 taucht ein syntaktisches Merkmal auf, nämlich zwei Auslassungen des obligatorischen Personalpronomens, hier du, in „scheißvater gibst einfach nicht auf “ und „brauchst nicht mehr“, die die konzeptionelle Mündlichkeit der kurzen Texte unterstreichen. Die Texte X1-X5 sind informell und von geringer lexikalischer Komplexität. Die gewählte Anredeform ist du, falls sie, wie oben dargestellt, nicht weggelassen wird. Die Texte X6-X9 sind von einer relativ hohen schriftsprachlichen Kompetenz geprägt. Die wenigen Merkmale, die die Texte beinhalten, sind auch in der Ge‐ samtpopulation verbreitet und hochfrequent. In X6 ist im Bereich der Wortwahl eine erhöhte Stilebene durch den Gebrauch des Worts „Maskerade“ in „Meine perfekte Statur, hervorragende Maskerade.“ erkennbar. Außerdem ist hier die spanische Verabschiedungsformel „Adios! “ am Ende des Textes auffällig. X8 ist durch eine merkwürdige Vertrautheit geprägt. Ein Beispiel ist: „Daher habe ich gedacht, dass es Dir nichts ausmacht die ganze Wäsche zu tragen und Du Dich damit gerne zeigen willst. Zumal Du selbst sagst, dass es Dir nichts ausmachen würde.“ (X8, 4-6) Auffällig sind hier, im Vergleich zur sonst geringen Fehlerdichte, inkorrekte Getrenntschreibungen wie das substantivische Determinativkompositum das Miteinanderschlafen, hier „miteinander Schlafen“ in: 17.4 Heterogene schriftsprachliche Kompetenz und keine eindeutige Verstellung 249 <?page no="250"?> „Da Du auch immer wieder betont hast, dass Dir das Rasieren, das Nacktsein und auch das miteinander Schlafen nichts ausmacht, hab ich auch hier an Deine Versprechen geglaubt.“ (X8, 7-8) Ebenfalls werden „auseinander gesetzt“ und „genau so“ getrennt: „Geärgert hat mich vor allem, dass Du Dich nicht einmal damit auseinander gesetzt hast und Dir das angesehen hast (Bilder), was Du genau so auch einmal tun wirst.“ (X8, 11-13) Ansonsten gibt es noch zwei Belege salopper Stilfärbung im Vergleich zum Rest des Textes, nämlich „affig“ (X8, 18) und „verarscht“ (X8, 11). Insbesondere auffällig ist in X8 die durchgehende Verwendung der großgeschriebenen Anre‐ deform „Du“ (13 Nennungen). Die Großschreibung von Du in Briefen kann ein Hinweis auf eine/ n ältere/ n Schreiber/ in sein, da sie vor der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 standardsprachlich war. Von der Imitation einer/ eines älteren Schreibers/ Schreiberin ist nicht auszugehen, da dafür ein hohes Maß an metasprachlichem Bewusstsein und weiter reichendes Wissen über die Rechtschreibreform vorhanden sein müsste. Die Imitation von älteren Personen ist keine gängige Verstellungsstrategie. In X9, 4 liegt noch eine Konsonantenvertauschung bei „seit“ statt seid in „Habe ihr gesagt, daß ich wissen will, wo Ihr am Wochenende seit.“ vor. In dem Satz fehlt außerdem wieder das Personalpronomen (vgl. X5), hier ich. Das Merkmal ist durch eine Orientierung an der gesprochenen Sprache erklärbar. Weiterhin liegt hier, wie in X8, wieder eine Großschreibung des Anredepronomens vor, hier „Ihr“. In dem relativ kurzen Text taucht nur eine Anrede auf. Text X10 ist ein Schreiben, das drastische Gewaltandrohungen beinhaltet und sich dennoch an standardnaher Sprache orientiert. Auffällig ist in X10, 20 die inkongruente Verbform „nimmst“ statt nehmt in „organisier dir die klamotten mit papi und ihr nimmst keine kondome.“. Im Gegensatz zu X8 wird hier die Anredeform, wie im Rest des Textes, kleingeschrieben, nämlich „ihr“ (insgesamt drei Nennungen im Text).Außerdem beinhaltet der Text zwei Kontraktionen, die sich an gesprochener Sprache orientieren, nämlich „bekommste“ (X10, 28) und „biste“ (X10, 29), vgl. bekommst + du bzw. bist + du mit Umlautung von (d)u zum Schwa-e. Wie in X5 und X9 werden Personalpronomen getilgt: 250 17 Dritter empirischer Teil <?page no="251"?> „Meine jungs und ich werden an deiner mutter alles auslassen. werden die brutal ficken und alles ausprobieren.“ (X10, 8-9) Zieht man den ersten Satz in Betracht, wird offensichtlich, dass hier eine Ellipse („Meine jungs und ich“) vorliegt. Auch in X10, 11 wird das Subjekt getilgt, vgl. den zweiten Satz in „Also du kleine hure. Fickst deinen kleinen Freund ja ganz gut.“ Dagegen ist in X10, 2 ein „dir“ überzählig: „Wir haben dir in den letzten Jahren 20 Briefe an Deinen Vater und Dich geschickt.“ Hier liegt während der Produktion des Satzes ein Planungsfehler vor, da „an Deinen Vater und Dich“ eingeschoben wird. Die fehlerhafte Kongruenz (vgl. auch X10, 20) entsteht, da zwei Personen Adressaten der genannten Briefe sind. Stilistisch auffällig sind drastische Gewaltandrohungen wie X10, 10 „Ihre muschi, ihren arsch alles werden wir vollstopfen.“, X10, 24 „sonst wirst du gelocht.“, X10, 29 „sonst biste brei“ und X10, 30 „Erst ficken wir deine mutter kaputt und dann dich.“ In Kombination mit der Anredeform du, einer teilweise vertrauten Stilfärbung wie z. B. der Koseform „Papi“ in Passagen wie X10, 4 „Oder hat Papi dir die Briefe nicht gezeigt? “ ergibt sich eine auf dem ersten Blick widersprüchliche Stilistik. Die Kombination aus Vertrautheit und drastischen Gewaltandrohungen ist, im Gegensatz zu X8, offen ironisch (vgl. insbesondere das Kapitel 15.5). Dadurch wird u. U. eine weitere Erhöhung des Drohpotenzials angestrebt (vgl. Nutzen der Höflichkeit im Kapitel 14.4). Zur Anredeform sollte hier noch festgehalten werden, dass die/ der Schreiber/ in insgesamt elfmal die Adressatin mit du/ Du anspricht. Nur zweimal wird die Anrede großgeschrieben, und zwar bei der ersten Nennung (X10, 5) und einmal gegen Ende des Textes (X10, 27). Insgesamt lässt sich festhalten, dass die/ der Schreiber/ in zwar darauf achtet, ihre/ seine Identität nicht offenzulegen, indem sie/ er den fingierten Autor stilis‐ tisch sehr unterschiedlich darstellt, nicht unterzeichnet etc. Jedoch gibt es keine ausreichenden Anzeichen dafür, dass eine bestimmte Person, Personengruppe o.ä. imitiert werden soll. Vielmehr wird die zugrundeliegende Stilistik der jeweiligen Situation und dem, was mit den Schreiben erreicht werden soll, angepasst. Bezüglich der Anredepronomen scheint es so zu sein, dass die/ der Schreiber/ in im Alltag Großschreibung verwendet. In dem Text, in dem der Adressatin offen gedroht wird, werden die Anredepronomen hauptsächlich kleingeschrieben. Hier passt sich der postulierte Autor u. U. der Situation an, da eine großgeschriebene Anrede vielleicht zu formell bzw. zu höflich wirkt, um das volle Drohpotenzial entfalten zu können. Diese potentielle Verstellung wird 17.4 Heterogene schriftsprachliche Kompetenz und keine eindeutige Verstellung 251 <?page no="252"?> jedoch nicht erfolgreich aufrechterhalten, da das Anredepronomen, wie in den vorhergegangenen, formelleren Texten, auch zweimal großgeschrieben wird. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz und Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit in den Texten X11-X21 Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen, eher standardsprachlichen Texten wechselt der/ die Autor/ in (wenn man davon ausgeht, dass alle Texte von der gleichen Person geschrieben wurden) in anderen Texten den Stil. Die folgenden Schreiben sind auffällig von der Verstellungsstrategie geprägt, wie ein Nicht-Muttersprachler zu schreiben. Die Texte X11 bis X21 weisen sehr unterschiedliche Längen auf, nämlich 18 Wörter bei X15 und über 1100 Wörter bei X12. Repräsentativ für diese Texte ist der sehr lange Text X11, da er bereits die meisten Merkmale enthält, die in X11-X21 zu finden sind. Bei den nachfolgenden Texten orientieren sich Stilistik und schriftsprachliche Kompetenz des fingierten Autors stark an X11. X12 ist zu einem großen Teil inhaltsgleich mit X11. Daher werden ausgehend von X11 signifikante Merkmale beschrieben, die Verstellungsstrategien offenlegen. Die Texte X11-X21 sind von einem vulgären Stil geprägt, mit dem verschie‐ dene sexuelle Praktiken und Vergewaltigungsszenarien beschrieben werden. Vereinzelte Höflichkeitsformen werden ebenfalls durch massive Beleidigungen und Drohungen durchbrochen. Das ist ein typisches Merkmal von Erpres‐ serschreiben, bei denen Formen der Höflichkeit zugunsten eines direkten Bedrohungsszenarios bzw. der Steigerung der „Erpressungswucht“ aufgegeben werden (vgl. das Kapitel 14.4). X14 unterscheidet sich hier von den anderen Texten, da er sich zumindest am Anfang an standardsprachliche Normen hält. Um diese Diskrepanz offenzu‐ legen, werden im Anschluss an die Einzelanalysen zwei Vergleiche inhaltlich ähnlicher Strukturen in X14 und X15 sowie X11 und X14 angestellt. 17.5.1 Orthographie Konsonantenclusterverwechslung - inkorrekte Pluralformen (S-Plural) In den folgenden Beispielbelegen werden falsche Pluralformen realisiert, indem statt der standardsprachlich korrekten Endung ein <s> eingefügt wird. 252 17 Dritter empirischer Teil <?page no="253"?> „schick sachs“ statt schicke Sachen in „echt schick sachs anzieh und trage da runter sexgeil dessous dan.“ (X11, 18) „Vibrators“ statt Vibratoren in „Mann neme gantz fiele unterschide von Dildos und Vibrators und steke in Muschi.“ (X11, 42) Das Merkmal wird hochfrequent verwendet, in Text X13 kommt „bilders“ insgesamt fünfmal bei 66 Wörtern vor. Ein Beispiel ist das Folgende: „wo warn bilders. nix da sind.“ (X13, 1) Inkonsistent wird das Merkmal, da korrekte zusammen mit inkorrekten Formen im gleichen Text realisiert werden. Im folgenden Beispiel in zwei direkt aufein‐ ander folgenden Sätzen. Korrekte Pluralform „-schuhe“ bei „Stockelschuhe“ in: „Will habe isch dabei muss du Stockelschuhe und muss Schtiefel wo gehenüber die Knie trage.“ (X11, 20) Inkorrekte s-Pluralform „schuhs“ statt Schuhe in: „hohe schuhs pumps heels muss trage.“ (X11, 21) Weitere Belege sind: Inkorrekte s-Pluralform „bilders“ statt Bilder in: „bella nure bilders dann du ruhe bist vor mich.“ (X19, 10-11) Korrekte Pluralform „bilder“ in: „swöre aber auch du nix bilder isch dir verwaltig.“ (X19, 12) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 253 <?page no="254"?> Zwischen den beiden o. g. Sätzen in X19 ist nur ein einziger Satz. Dennoch wird einmal die falsche (s-Plural) und einmal die richtige Pluralform (Nullplural) verwendet. Vermeidung von s-Plural-Formen Inkorrekte Pluralform „dvden“ statt korrekte s-Pluralform DVDs in: „isch habe wartet auf dvden.“ (X17, 4) Während sonst s-Plurale gesetzt wurden, wenn standardsprachlich andere Pluralformen hätten verwendet werden müssen (s. o.), verwendet die/ der Schreiber/ in nun en-Plural statt dem standardsprachlichen s-Plural. Durch diese Inkonsistenz wird offensichtlich, dass falsche Formen bewusst herbeigeführt werden, um ein Gefühl von Exotik zu erzeugen. Konsonantenclusterverwechslung <ch> ⇨ <sch> - vgl. Aussprache postalveolarer Frikativ statt palataler Frikativ, Koronalisierung Die Aussprache eines postalveolaren Frikativs [ʃ] statt eines palatalen Frikativs [ç] ist ein häufig angenommenes (und medial verbreitetes) Merkmal von Nicht-Muttersprachler/ inne/ n des Deutschen. In geschriebener Sprache kann das Merkmal durch den Gebrauch von <sch> statt <ch> dargestellt werden, wie in den folgenden beispielhaften Belegen. „isch“ statt ich in: „wenn du trickse und hole hilf oder woll mich mit policia reinleg, isch werd bekomm mit.“ (X11, 6) Das Merkmal kommt auch in anderen Umgebungen vor: „Rischtik“ und „rischtik“ statt Richtig und richtig in: „Mann neme rischtik dicke holzschtab und stecke in Muschi.“ (X11, 40) „Rischtik dicke, also nix dunn. dick sein 6 or 8-cm.“ (X11, 40-41) Außer in „Rischtik/ rischtik“ kommt das Merkmal in X11 u. a. noch in „ruhisch“ und „schtringbody“ (hier <sch> statt <st>) vor: 254 17 Dritter empirischer Teil <?page no="255"?> „Kanne du ruhisch weine.“ (X11, 46) „[…] body schtringbody catsuite […]“ (X11, 62) Auch bei diesem Merkmal ist auffällig, dass neben der inkorrekten auch die korrekte Form ich realisiert wird: „Hab ich dir doch zeitig gesagt solle gebe mir viele Bilder von dich.“ (X11, 2) In manchen Sätzen tritt die inkorrekte Form isch direkt neben der korrekten Form ich auf: „Isch sage dich was ich wollen und du mache.“ (X11, 11) In X11, 11 und X11, 2 werden nicht nur Isch/ ich, sondern auch dich verwendet. Hier ist sehr auffällig und nicht plausibel, dass die inkorrekte Form bei ich/ isch wesentlich häufiger als die inkorrekte Form bei dich/ disch verwendet wird. Die folgende Tabelle zeigt alle Nennungen und die prozentuale Verteilung jeweils von ich/ isch und dich/ disch in X11: - Absolute Nennungen In Prozent Ich 9 33,3 % Isch 18 67,7 % Dich 15 100,0 % Disch 0 0,0 % Tabelle 20: Absolute und prozentuale Verteilung der Nennungen von ich, isch, dich und disch in X11 Von linguistischen Laien wird als Ursprung der Koronalisierung [ç] ⇨ [ʃ] der Sprachkontakt mit z. B. türkischen (und anderen) Muttersprachler/ innen („Weil viele Deutsche den türkischen Akzent in der Schule übernehmen und praktisch damit aufwachsen“) oder eine bestimmte soziale Schicht („typischer 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 255 <?page no="256"?> 108 https: / / www.gutefrage.net/ frage/ wieso-sagen-soviele-leute-isch-anstatt-ich- Letzter Zugriff am 20.01.2023 Hartz4 Dialekt“, „Arbeitslosensprache“) angenommen, vgl. Diskussionen in Onlineforen. 108 Vielen Laien ist nicht bewusst, dass es sich bei der Koronalisierung auch um ein dialektales Merkmal beispielsweise des Rheinischen Dialekts handelt. In der Diskussion auf der genannten Homepage wird außerdem deutlich, dass die Verwendung von isch nicht als lautliches Merkmal aufgefasst wird, son‐ dern als lexikalisches Merkmal. Für linguistische Laien verwendet jemand, der isch sagt, ein anderes Wort als ich. Daher ist es möglich, dass auch der/ dem Autorin/ Autor des Textes nicht bewusst war, dass es bei einer Verstellung als Nicht-Muttersprachler nicht plausibel ist, nur isch, rischtik und ruhisch, nicht aber auch disch statt dich etc. zu verwenden. Sie/ Er verfügt u.-U. über zu wenig metasprachliches Bewusstsein, um dieses Merkmal entsprechend zu fingieren. Konsonanten(cluster)verwechslung <sch> ⇨ <s> - vgl. Aussprache postalveolarer Frikativ statt palataler Frikativ, Koronalisierung Außerdem wird in anderen Belegen die Schreibung von <sch> bewusst ver‐ mieden, stattdessen wird ein <s> gesetzt. In den folgenden Belegen tauchen beide Merkmale, sowohl die inkorrekte Verwendung als auch die inkorrekte Vermeidung von <sch> auf. „swöre“ statt schwöre vs. „ische/ isch“ statt ich in: „swöre ische dich.“ (X19, 12) „swöre aber auch du nix bilder isch dir verwaltig.“ (X19, 12) Einerseits wird bei schwöre das <sch> zugunsten von <s> ausgetauscht. Ande‐ rerseits wird ich wieder als „ische“ bzw. „ich“ realisiert. Da in einigen Belegen beide Merkmale zusammen auftauchen, ist hier davon auszugehen, dass es sich um wissentliche Fingierungen handelt, die u. U. durch Häufungen falscher Formen ein Gefühl von Exotik und Fremdheit erzeugen sollen. Die hier festge‐ stellte Merkmalkonstellation ist unplausibel. 256 17 Dritter empirischer Teil <?page no="257"?> S-Schreibung <s>, <ss> und <ß> „spas“ statt Spaß in: „Isch hole mich ekstrem spas.“ (X11-74) Bei der Schreibung „spas“ ist nicht von einem phonologischen Grund auszu‐ gehen, da die s-Schreibung nicht unbedingt einen Kurzvokal bewirken würde. „gross“ statt groß in: „dann legen auf seite, stecken gross sache in scheid und klein sache in po.“ (X16, 14) Bei „gross“ könnte ein phonologischer Grund vorliegen, da es theoretisch mit Kurzvokal auszusprechen ist. Jedoch muss ebenfalls beachtet werden, dass bei groß/ gross mal beide Schreibungen akzeptiert waren. In der Schweiz (und in Liechtenstein) ist nur die Schreibung mit <ss> üblich. So könnte man anhand dieses Merkmals und der Annahme, dass es sich um einen unbewussten Mistake (oder gar Error) handelt, weiter auf das Alter bzw. auf die Herkunft (bzw. sprachräumliche Sozialisation) der/ des Schreibers/ Schreiberin schließen. Betrachtet man allerdings die gesamte Merkmalset-Konstellation, z. B. dass bei „gross sache“ auch eine falsche Flexion vorliegt, dann weist auch das Merkmal <ß> ⇨ <ss> eher darauf hin, dass hier ein bewusst hergestellter, fingierter Fehler gemacht wird. „das“ statt dass (Konjunktion) und „liesen“ statt ließen in: „wir waren schon enttaeuscht, das sie uns die cd nicht, wie in unserem letzten brief vorgegeben, zukommen liesen.“ (X24, 3-4) In X24 liegt ein anderer Fall vor, da das Wort „das“ homograph mit dem Artikel ist, hier jedoch die Konjunktion „dass“ stehen müsste. Die Vertauschung von <s>/ <ss> bei dem Artikel bzw. der Konjunktion ist ein Merkmal, das auch bei Muttersprachler/ inne/ n als Error oder Mistake vorkommt. Das kann auch bei Schreiber/ innen hoher schriftsprachlicher Kompetenz der Fall sein, hier in der Regel als Mistake. Schlussendlich ist auch ein Tippfehler (Slip oder Lapse) möglich. Ob es sich um einen fingierten Fehler des postulierten Autors handelt, oder aber um einen Fehler der/ des Schreiberin/ Schreibers, lässt sich daher nicht sagen. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 257 <?page no="258"?> 109 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Deine-Mutter-Witz Letzter Zugriff am 20.01.2023 Konsonanten(cluster)verwechslung <ch> ⇨ <g> „ordentlig“ statt ordentlich in: „und mache schmink gesicht ordentlig schon.“ (X11, 13-15) „endlig“ statt endlich in: „geb mich bilders endlig.“ (X13, 12) Die Vertauschung von <ch> zugunsten von <g> kommt auch bei Mutter‐ sprachler/ inne/ n mit geringer Schreibkompetenz vor. Fast alle Wörter, die auf <ig> enden, werden mit [ç] ausgesprochen, wie z. B. König, Honig, sperrig. Hier wird diese Beobachtung auf andere Wörter übertragen, sodass ein Wort, das ebenfalls mit [ç] ausgesprochen und mit <ich> geschrieben wird, dann mit <ig> realisiert wird. Das Prinzip wird übergeneralisiert. Es handelt sich um ein plausibles Merkmal, da es durch falsche Phonem-Graphem-Beziehungen (vgl. auch Fobbe 2011: 139) und Übergeneralisierung erklärbar ist und ebenfalls bei Deutschlerner/ inne/ n vorkommt. Konsonantenverwechslung <t> ⇨ <d> - vgl. Sonorisierung „brudal“ statt brutal in: „Wenn komme ich nexte Mal isch fick dir ganze nacht brudal durch.“ (X11, 10) In dem Beispiel wird der stimmlose alveolare Plosiv [t] statt des stimmhaften alveolaren Plosivs [d] angedeutet (Sonorisierung). Bei der Sonorisierung, insbesondere bei [t] ⇨ [d] werden von Laien, ebenso wie bei der Korona‐ lisierung, Sprachkontakte bzw. jugendsprachliche (vgl. auch „Deine Mudder/ Mudda-Witze“ 109 ) oder soziale Schicht-spezifische Register als Ursprung ange‐ nommen, vgl. Mutter, Alda oder Vadda für Mutter, Alter und Vater. Dieses Merkmal gesprochener Sprache und verschiedener Dialekte und Regiolekte (u. a. Ruhrdeutsch, vgl. Hessler/ Pottmann 2017: 7) wird in den vorliegenden Texten graphisch umgesetzt. 258 17 Dritter empirischer Teil <?page no="259"?> Konsonantenverwechslung <d ⇨ <t> - vgl. Desonorisierung Analog zum o. g. Merkmal finden sich in den Texten auch Belege für das Gegenteil, nämlich die Desonorisierung: „wieter“ statt wieder in: „mache du wieter fehler mit polizei du kriege spure mei wutend.“ (X20, 7) U.U. kann hier auch von einem Tippfehler ausgegangen werden. Dann wäre das ursprüngliche Wort weiter. Das ist allerdings die unwahrscheinlichere Variante. Geht man von wieder aus, dann erscheint das Merkmal unplausibel und stellt einen Versuch dar, Fehler in den Text einzubauen, damit er fremdsprachlicher wirkt. Buchstabenverwechslungen und Konsonantenhinzufügungen Im Text werden weitere Konsonanten mit anderen verwechselt, was zu verschie‐ denen Effekten führt. Einige Merkmale sind rein ‚optisch‘ und haben keinen grammatischen bzw. (gedachten) phonologischen Effekt. Konsonanten(cluster)verwechslungen ohne grammatischen bzw. phonologischen Effekt Die folgenden Merkmale betreffen ausschließlich die Orthographie. Die Belege würden nicht anders ausgesprochen werden als ihre jeweils korrekten Pendants. Bei der vorliegenden Verstellungsstrategie dienen solche Schreibungen allein der Darstellung von Exotik und sprachlicher Fehlerhaftigkeit, die seitens der/ des Autorin/ Autors bei Nicht-Muttersprachler/ innen angenommen wird. Ein auffälliges Beispiel für Konsonantenvertauschung ist die Tilgung von <v> zugunsten von <f>. <v> ⇨ <f> „Fersteh“ statt versteh und „fiel“ statt viel in: „Fersteh gantz fiel.“ (X11, 69) „fiele“ statt viele in: „warme sommernachte geben fiele blick frei.“ (X15, 2-3) „fiele Bilders davon isch kuck will.“ (X11, 22) Im gleichen Text kommt auch die korrekte Form vor: 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 259 <?page no="260"?> 110 Vgl. den Abschnitt „Konsonanten(cluster)verwechslungen ohne grammatischen bzw. phonologischen Effekt“ „gebe mir viele viele Bilders von Dir jetzte.“ (X11-3) Auffällig ist insbesondere im Hinblick auf den gesamten Text, dass viel(e) viermal korrekt verwendet wird, bevor das erste Mal die inkorrekte Form fiel(e) auftritt. In der Folge tritt fiel(e) allerdings neun Mal auf, während viel(es) nur noch einmal (Zeile 25, fünfte und letzte Verwendung) genutzt wird. Die inkorrekte Form löst die korrekte Form im Laufe des Textes ab. Die/ Der Autor/ in übertreibt den Gebrauch der falschen Form, sie/ er setzt das Merkmal stilisiert ein, sodass es zu Häufungen bestimmter Merkmale kommt. Buchstaben(cluster)verwechslungen ohne grammatischen bzw. phonologischen Effekt Verwechslungen, die, wie bereits beschrieben 110 , keinen Effekt auf Grammatik oder Aussprache haben, können auch Vokale betreffen. In dem folgenden Beispiel wird ein Konsonant gegen einen Vokal ausgetauscht. <h> ⇨ <e> „meer“ statt mehr in: „ische nixe meer warte.“ (X19, 6) Die Vokalquantität bleibt bei der Aussprache von „meer“ (vs. mehr, vgl. Meer) gleich, es bleibt bei einem Langvokal. Daher kann auch dieses Merkmal nicht aussprachebedingt sein. U.U. ist die Schreibung „meer“ aber durch die graphe‐ matische Nähe zu Meer erklärbar. <s> ⇨ <sch> „Schtecke“ statt Stecke in: „Schtecke kondoma in Muschi und fille Aqua mit Drichter in Kondoma.“ (X11, 30) „Schtiefel“ statt Stiefel in: „Will habe isch dabei muss du Stockelschuhe und muss Schtiefel wo gehenüber die Knie trage.“ (X11, 20) 260 17 Dritter empirischer Teil <?page no="261"?> Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein rein orthographisches Merkmal, da weder die Grammatik davon betroffen ist, noch die Phonologie betroffen wäre. In Satz X11, 20 steht die inkorrekte Form „Schtiefel“ der korrekteren Form „Stockelschuhe“ (vgl. *Schtockel) gegenüber. Korrekt ist die Form nicht, da das <ö> gegen ein <o> ausgetauscht wird. Auf dieses Merkmal wird ebenfalls noch eingegangen. <x> ⇨ <ks> „ekstrem“ statt extrem in: „Isch hole mich ekstrem spas.“ (X11, 74) Insbesondere ist dieses Merkmal mit der Vermeidung von <x> zugunsten von <ks> bemerkenswert, da die/ der Schreiber/ in einigen Belegen den Buchstaben x einbaut, wenn es standardsprachlich nicht korrekt ist (vgl. das folgende Merkmal „X-Schreibung“). X-Schreibung Die/ Der Autor/ in verwendet häufig das Wort nix bzw. nixe statt nicht(s). Zwei Belege sollen hier als Beispiele dienen: „Rischtik dicke, also nix dunn. dick sein 6 or 8-cm.“ (X11, 40-41) „Mache nixe dann isch nixe gern freundlike mehr.“ (X11, 72) Als Beispiel für die hohe Frequenz von nix dient der folgende Textteil, in dem nix auf 15 Wörtern dreimal auftaucht: „du nix lerne. sage ische nix polizei. sage ische mache bilder. und du nix mache.“(X19 , 1-2) Vielleicht soll die häufige Verwendung von <x> exotisch und nicht-mutter‐ sprachlich wirken (vgl. hierzu den Bereich „Lexik - Verwendung von nix“). Inkonsistent und unplausibel wird das Merkmal, da an anderer Stelle nicht jedoch korrekt verwendet wird: „Wenn nicht mache was wolle ich dich ficke.“ (X11, 71) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 261 <?page no="262"?> U.U. wird das o. g. Prinzip analog auf weitere Bereiche übertragen, denn auch in anderen Wörtern werden Buchstaben durch <x> ausgetauscht, wie beispielsweise: „nexte“ statt nächste(s) in: „Wenn komme ich nexte Mal isch fick dir ganze nacht brudal durch.“ (X11, 9-10) U.U. soll die Schreibung „nexte“ auch an das englische Wort next erinnern. Das würde ebenfalls die Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit unterstreichen. Noch unplausibler wird das Merkmal jedoch dadurch, dass die/ der Schreiber/ in die Verwendung von <x> explizit vermeidet, wenn sie standard‐ sprachlich korrekt wäre, wie in „Isch hole mich ekstrem spas.“ (X11, 74). Verschiedene Merkmale zur Herstellung bzw. Vermeidung von Schwa im Auslaut Konsonantentilgung? - Gekürzte Infinitive ⇨ Schwa-Auslaut „kriege“ statt kriegst in: „kriege lätze schanze.“ (X11, 3) Geht man bei diesem Beleg von der standardsprachlichen Entsprechung aus, müsste hier [du] kriegst [eine] letzte Chance stehen. Betrachtet man kriege im Beleg, wird also <st> zugunsten von <e> getilgt, was zu einen Schwa-Auslaut bei der Aussprache des Satzes führen würde. Es erscheint jedoch plausibler, von einer Infinitivkonstruktion auszugehen. Die/ Der Schreiber/ in verwendet oft Infinitive statt flektierter Verben, wie z. B. in „Isch sage dich was ich wollen und du mache.“ (X11, 11). In X11, 3 wird der Infinitiv dann entsprechend gekürzt, in diesem Fall wird das <n> getilgt. Dieses Merkmal wird unter der Kategorie „Verwendung von (gekürzten) Infinitiven statt flektierter Verbformen“ genauer beschrieben. Vokalhinzufügung / Vokal statt Konsonant - Generierung eines Schwa-Auslauts „jetzte“ statt jetzt in: „gebe mir viele viele Bilders von Dir jetzte.“ (X11, 4) 262 17 Dritter empirischer Teil <?page no="263"?> In „jetze“ wird der Konsonant <t> durch den Vokal <e> ersetzt: „jetze isch wolle viel perverso und brutalo violare bilders von dich.“ (X11, 11) Die/ Der Schreiber/ in hängt hier ein <e> an, sodass „jetzte“ bzw. „jetze“ mit einer Schwa-Endung realisiert werden würden. Das könnte als einzelnes Merkmal auf die sprachräumliche Sozialisation der/ des Schreiberin/ Schreibers hindeuten, vgl. z. B. Berlinerisch. Jedoch ist es in der gegebenen Merkmalset-Konstellation u. U. einleuchtender, dass man von einem fingierten Fehler Richtung Nicht-Mut‐ tersprachlichkeit ausgeht. U.U. wird hier ein Merkmal romanischer Sprachen, dass viele Wörter auf einen Vokal enden, übergeneralisiert. Es finden sich eine ganze Reihe weiterer Merkmale im Zusammenhang mit nicht-standardsprach‐ licher Endung auf Vokalen, die der postulierte Autor verwendet, und die im weiteren Verlauf noch beschrieben werden. Die o. g. Formen von „jetzte“ bzw. „jetze“ sind nicht plausibel, da dennoch auch die korrekte Form „jetzt“ im gleichen Text realisiert wird: „Isch jetzt sage letztmale was habe will du mache.“ (X11, 13) Vokaltilgung - Vermeidung des Schwa-Auslauts Während durch Vokalhinzufügung von <e> in einigen Textteilen der Schwa-Auslaut herbeigeführt wird (s. o.), wird ebenfalls ein Merkmal ver‐ wendet, das das Schwa im Auslaut tilgt. Zur Verdeutlichung folgen einige Beispiele: „komisch Friseur“ statt komische Friseur (Frisur), „schmink“ statt Schminke, „woch“ statt Woche, „strumpfhos“ statt Stumpfhose in: „Nix wolle so komisch Friseur.“ (X11, 15) „und mache schmink gesicht ordentlig schon.“ (X11, 15) „haste doch mit mann lezte woch schlafe.“ (X13, 3-4) „zieh an schöne gute kleidung wie ahnzug rock kleid strumpfhos.“ (X11, 18) An anderer Stelle wird „hose“ jedoch korrekt mit <e> realisiert: „Trage hose in latex.“ (X11, 60) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 263 <?page no="264"?> Was auf orthographischer Ebene auf ein Merkmal bezogen ist (<e> im Auslaut), betrifft verschiedene grammatische Ebenen. Bei „komisch Friseur“ wird ein Flexionssuffix getilgt, während bei anderen Wörtern ein Wortbildungssuffix weggelassen wird, vgl. Schmink. An anderer Stelle sind Lexeme betroffen, wie bei „Woch“ und „-hos“. Auf morphologische und lexikalische Merkmale und Besonderheiten wird an späterer Stelle eingegangen. In Kombination zeigen die Merkmale, die Schwa im Auslaut entweder herbeiführen oder tilgen, eine deutliche Tendenz, Fehlerhaftigkeit herzustellen. In Kombination weisen die Merkmale eine deutliche Inkonsistenz auf, die den Text und die Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit unplausibel macht. Vokalverwechslung - Vermeidung von Umlauten zugunsten einfacher Vokale In den folgenden Belegen werden statt standardsprachlichen Umlauten die entsprechenden ‚einfachen‘ Vokale verwendet, also <ä> ⇨ <a>, <ö> ⇨ <o> und <ü> ⇨ <u>. Mit Umlauten tun sich einige Nicht-Muttersprachler/ innen schwer, da es diese in ihrer eigenen Muttersprache nicht gibt. Außerdem verwenden viele Personen, die auf einer internationalen Tastatur (ohne die Umlaute <ä>, <ö>, <ü>) schreiben, bestimmte Hilfsmittel, wie z. B. ein <e> hinter dem entsprechenden Vokal, um einen Umlaut anzuzeigen. U.U. ist sich die/ der Schreiber/ in des Textes dieser Problematik bewusst. Jedoch wird nicht konsistent bzw. durchgehend die reguläre Umlautschreibung vermieden, da in X11 auch alle drei Umlaute verwendet werden. <ü> ⇨ <u> „mullaimer“ statt Mülleimer in: „bringe du vole dvd an [TT Monat] werfe bei poststelle in mullaimer stehe in raum.“ (X11, 4) „strumpfe“ statt Strümpfe in: „Zu dem trage sex strumpfe unterscheidliche.“ (X11, 21) „rucken“ statt Rücken und „gurtels“ statt Gürtel in: „Lege dir auf rucken und mann binden alle arm und bein mit paar gurtels zusammen.“ (X11, 34) 264 17 Dritter empirischer Teil <?page no="265"?> Obwohl in beiden Beispielen der Umlaut <ü> vermieden wird, verwendet der/ die Autor/ in ihn an anderen Stellen des Textes. Beispielhaft stehen dafür die folgenden Belege. „toiletbürst“ und „bürst“ in: „Nem isch toiletbürst und bürst dir .“ (X11, 73) „gehenüber“ (vgl. gegenüber) in „Will habe isch dabei muss du Stockelschuhe und muss Schtiefel wo gehenüber die Knie trage.“ (X11, 20) In Satz X11, 20 wird in „Stockelschuhe“ der Umlaut ö wiederum vermieden (siehe die übernächste Kategorie „<ö> ⇨ <o>“). <ä> ⇨ <a> „dessouswasche“ statt Dessouswäsche (? ) in: „Mann dir steke dessouswasche gantz tief in Muschi.“ (X11, 56) „sommernachte“ statt Sommernächte in: „warme sommernachte geben fiele blick frei.“ (X15, 2-3) <ö> ⇨ <o> „Stockelschuhe“ statt Stöckelschuhe in: „Will habe isch dabei muss du Stockelschuhe und muss Schtiefel wo gehenüber die Knie trage.“ (X11, 20) „korper“ statt Körper in: „Dann kriege mein ganz perverso fantasia zu merke an korper von dich.“ (X11, 75-76) So wie bei <ü> wird auch der Umlaut <ö> jedoch in anderen Textteilen realisiert: 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 265 <?page no="266"?> „schöne“ in: „zieh an schöne gute kleidung wie ahnzug rock kleid strumpfhos.“ (X11, 18) Weitere Vermeidung von Umlauten, <ä> ⇨ <e>, <ö> ⇨ <e> Statt <ä> durch ein <a> auszutauschen, wird stattdessen ein <e> eingesetzt: „nexte“ statt nächste(s) in: „Wenn komme ich nexte Mal isch fick dir ganze nacht brudal durch.“ (X11, 9-10) In anderen Belegen wird <ö> durch <e> ersetzt: „schener“ statt schöner in: „schener ort.“ (X20, 10) Es ist nicht plausibel, dass ein/ e Nicht-Muttersprachler/ in, die/ der u. U. Pro‐ bleme mit der Umlautschreibung hat, weil es in ihrer/ seiner Muttersprache keine Umlaute gibt, stattdessen ein <e> schreibt. Rein optisch ähnelt das <o> am ehesten dem <ö>, weswegen wahrscheinlich ausschließlich diese Vertauschung passieren würde. Das genannte Merkmal ist nicht zufällig, es wird häufiger verwendet: „näm ische messer mache scheene muster in dich.“ (X20, 24) Hier wird in „scheene“ ein Doppelvokal statt <ö> eingesetzt. Man beachte außerdem die Verwendung eines Umlauts in „näm“ am Anfang des Satzes. Hier wäre stattdessen nehm/ nehme korrekt. Dieses Merkmal wird als nächstes beschrieben. Vokalverwechslung - Vermeidung von einfachen Vokalen zugunsten von Umlauten Zwar wird in X11 an keiner Stelle ein korrektes <ä> gesetzt, jedoch wird in einem Beleg der einfache Vokal <e> gegen den Umlaut <ä> ausgetauscht. Das ist bemerkenswert und nicht plausibel, da die/ der Autor/ in in anderen Bildungen (s.-o.) scheinbar penibel darauf achtet, Umlaute zu vermeiden. 266 17 Dritter empirischer Teil <?page no="267"?> <e> ⇨ <ä> „lätze“ statt letzte „kriege lätze schanze.“ (X11, 3) Auch in anderen Texten wird dieses Merkmal verwendet: „kläbe“ und „sekundkläber“ statt klebe und Sekundenkläber in: „dann kläbe muschi dich zu.“ (X19, 4) „dan sekundkläber und kläbe dich muschi zu.“ (X20, 17-18) Da die/ der Schreiber/ in in vielen Belegen das exakte Gegenteil von dem reali‐ siert, was standardsprachlich korrekt ist, wird die Strategie deutlich, möglichst viele Fehler zu produzieren, um wie ein Nicht-Muttersprachler zu wirken. Vokaltilgung, Doppelkonsonanten ⇨ Kurzvokal Einige bereits beschriebene Merkmale haben keinen Effekt auf die Phonologie eines Wortes. Signifikant unterscheiden sich davon solche Graphemvertau‐ schungen, die bei der Aussprache einen Effekt auf die Vokalquantität haben. Bei dem ersten Beleg werden Grapheme so vertauscht, dass sich die Vokalquantität so ändert, dass aus einem Langvokal ein Kurzvokal wird. „tiff “ statt tief: „dann nehme gross gurke und führen ein ganz tiff.“ (X16, 8) In diesem Beleg wird augenscheinlich das <e> gegen ein <f> ausgetauscht. Besser erklärbar ist die Form, wenn man von zwei Vorgängen ausgeht, nämlich von einer Auslassung (<e>) und einer Hinzufügung (<f>). „libber“ statt lieber in: „will isch aber libber bilders.“ (X17, 25-26) In X17, 25-26 wird deutlich, dass zwei Vorgänge vorliegen. Einerseits wird <ie> auf <i> reduziert und andererseits der folgende Konsonant, hier <b>, verdoppelt. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 267 <?page no="268"?> „brifs“ statt Briefe in: „lese brifs vorher genau und mache mit mann endlische alle wolle sach von dir.“ (X17, 20-21) Durch die Auslassung des Längenvokals <e> würde „brifs“ ebenfalls mit Kurz‐ vokal ausgesprochen werden. Ob sich der/ die Schreiber/ in darüber bewusst ist, kann nicht geklärt werden. U.U. dient die Auslassung wieder einer allgemeinen Darstellung von Exotik bzw. Falschheit. In weiteren Belegen, wie den folgenden, werden Konsonanten verdoppelt: „habbe isch kugt dein wohnung.“ (X20, 4) „wie lebbe kanne da.“ (X20, 4-5) Die Konsonantenverdopplungen von <b> zu <bb> in „habbe“ und „lebbe“ bewirken bei Aussprache ebenfalls Kurzvokale. Die bei diesem Merkmal her‐ gestellte Verdopplung von Konsonanten ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass einige Nicht-Muttersprachler/ innen eher Probleme mit Doppel‐ konsonanten im Deutschen haben. Unplausibel wird dieses Merkmal, da die/ der Schreiber/ in auch die entsprechenden richtigen Pendants nennt. Als Beispiel soll hier ein Satz aus demselben Text dienen, in dem „habe“ mit einem einfachen Konsonant steht: „dann habe du rischtig problem.“ (X20, 18) Weitere Buchstabentilgungen „tocht“ statt Tochter in: „wie dich gefalle habe bilders von tocht.“ (X13, 9-10) In dem Beleg wird die Silbe <er> getilgt. Hier ist in diesem und anderen Texten kein übergeordnetes Prinzip erkennbar. Es dient u. U. allein der Darstellung von Falschheit. 268 17 Dritter empirischer Teil <?page no="269"?> 17.5.2 Morphologie Fehlende Kongruenz „hab isch perverso idea.“ (X17, 9-10) Dieses Merkmal ist bemerkenswert, da die/ der Autor/ in offensichtlich einen Italiener (bzw. Muttersprachler einer anderen romanischen Sprache) imitiert. Man würde also davon ausgehen, dass der fingierte Autor einen italienischen Textteil richtig realisiert. Das ist hier jedoch nicht der Fall, da „perverso idea“ nicht kongruent ist. Das attributive Adjektiv perverso/ perversa müsste an das zugehörige Substantiv idea angeglichen werden. Die korrekte Form ist also perversa. Außerdem steht im Italienischen (und anderen romanischen Sprachen) das attributive Ad‐ jektiv in den meisten Bedeutungen hinter dem Substantiv, vgl. idea perversa. Unflektierte attributive Adjektive „gross sache“ und „klein sache“ statt große Sachen und kleine Sachen in: „dann legen auf seite, stecken gross sache in scheid und klein sache in po.“ (X16, 14) „hart Bilder“ statt harte Bilder in: „nein, will haben ganz fiele fotos in dessous, bikini bikinianzug ganz fiel nackt und hart bilder.“ (X16, 15-16) Auch in deutschsprachigen Textteilen mangelt es an Kongruenz. Das ist insbe‐ sondere bei attributiven Adjektiven der Fall, die nicht flektiert bzw. falsch an das Substantiv angepasst werden. Falsche Verbformen Falsche Verbformen - Imperativ „geb“ statt gib in: „geb mich bilders endlig.“ (X13, 12) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 269 <?page no="270"?> Das Merkmal, eine Imperativform mit <e> statt mit <i> zu realisieren, ist plau‐ sibel. Gerade in der gesprochenen Sprache ist diese nicht-standardsprachliche Variante in Gebrauch, vgl. auch werf, ess etc. U.U. ist der/ dem Schreiber/ in hier gar nicht bewusst, dass sie/ er ein Merkmal produziert (Error). Falsche Verbformen - Schwa-Auslaut Die Texte beinhalten eine Vielzahl inkorrekter Verbformen. Verschiedene ortho‐ graphische Fehler können hier ausgemacht werden. Dabei ist als übergeordnetes Prinzip erkennbar, dass die/ der Autor/ in eine Schwa-Endung herbeiführen will. Hinzufügung eines Vokals: „[du] haste“ statt du hast in: „haste du mir nicht gebe dvd.“ (X11, 2) „was solle isch“ statt was soll ich in: „was solle isch mache mit dich? “ (X11, 3) Auswechslung eines Konsonanten zugunsten eines Vokals: „wenn du trickse“ statt wenn du trickst in: „wenn du trickse und hole hilf oder woll mich mit policia reinleg, isch werd bekomm mit.“ (X11, 6) Auswechslung eines Konsonantenclusters zugunsten eines Vokals: „solle gebe mir“ statt sollst mir geben in: „Hab ich dir doch zeitig gesagt solle gebe mir viele Bilder von dich.“ (X11, 2) „habe du“ statt „hast du“ in: „Habe du nicht gemacht.“ (X11, 3) Im Satz X11, 3 ist ebenfalls ein gekürzter Infinitiv als Erklärung denkbar und wahrscheinlich. Dieses Merkmal wird im nächsten Teil beschrieben. 270 17 Dritter empirischer Teil <?page no="271"?> Infinitive und gekürzte Infinitive statt flektierter Verbformen Infinitive Die Verwendung von Infinitiven statt flektierter Verbformen ist ein typisches Merkmal des Xenolekts bzw. Foreigner Talks, vgl. Konstruktion wie Du wollen in Stadt? Du gehen zu U-Bahn, du gucken Tafel. Dieses Merkmal wird auch in der vorliegenden Textserie verwendet: „wollen“ statt will in: „Isch sage dich was ich wollen und du mache.“ (X11, 11) „mann binden“ statt ein/ der Mann bindet in: „Lege dir auf rucken und mann binden alle arm und bein mit paar gurtels zusammen.“ (X11, 34) Der Text X18 soll als Beispiel für das frequente Auftreten von Infinitivformen dienen. In dem sehr kurzen Text (29 Wörter) kommen insgesamt acht Verben vor. Sieben davon sind Infinitive, von denen sechs falsch gebraucht werden. Auffällig ist ebenfalls, dass vier davon machen sind. „machen viele schone bilder, viele verstehen? “ (X18, 2) „wie ich schreiben.“ (X18, 3) „machen bilder auf cd und machen an briefwurfkasten fest“ (X18, 4-5) „machen bis [T. Monat.]“ (X18, 6) Noch häufiger als die ‚volle‘ Infinitivform tritt eine gekürzte Form (wie „mache“ in X11, 11) auf, die im Anschluss beschrieben wird. Gekürzte Infinitive Bei vielen Verbformen scheint das zugrundeliegende Prinzip zu sein, eine Infinitivform zu verwenden, die so gekürzt wird, dass am Ende ein <e> steht. „du kriege straffe.“ X11, 8 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 271 <?page no="272"?> In X11,8 ist es möglich, die Form so zu analysieren, dass ein Konsonantencluster getilgt und gegen einen Vokal ausgetauscht wird (s. o.). Die Analyse sähe dann so aus: du kriegst [eine/ deine] Strafe ⇨ du krieg ⇨ du kriege ⇨ „du kriege straffe“ Jedoch ist es plausibler, von einer Infinitivform auszugehen, die dann entspre‐ chend gekürzt wird: du kriegst [eine/ deine] Strafe ⇨ du kriegen ⇨ „du kriege straffe“ In manchen Sätzen tritt der volle Infinitiv auch zusammen mit einem gekürzten Infinitiv mit Schwa-Endung auf, wie hier „wollen“ und „mache“ in: „Isch sage dich was ich wollen und du mache.“ (X11, 11) Bei „wollen“ steht der Infinitiv statt einer flektierten Verbform will, vgl. Ich sage dir was ich will. Am Ende des Satzes wird der gekürzte Infinitiv „mache“ verwendet, vgl. und du machst das. In Text X11 werden noch viele weitere gekürzte Infinitivformen verwendet. Die folgenden Belege sollen dafür als Beispiele dienen: „isch wolle, […]“ (X11, 11-12) „Isch jetzt sage letztmale was habe will du mache.“ (X11, 13) „du rasiere […]“ (X11, 13) „Dann mache kopphaare in top ordnunge.“ (X11, 14-15) „dann hole manne und mache was ich wolle.“ (X11, 17) Als Beispiel für weitere Belege innerhalb der Textserie dient dieser Beleg: „wolle mich also arsche.“ (X13, 7) Verwechslung von trennbaren und nicht-trennbaren Verben „isch werd bekomm mit“ Statt ich werde das/ es mitbekommen in: „wenn du trickse und hole hilf oder woll mich mit policia reinleg, isch wird bekomm mit.“ (X11, 6) 272 17 Dritter empirischer Teil <?page no="273"?> Es ist für Nicht-Muttersprachler/ innen sehr schwierig, trennbare von nicht-trennbaren Verben zu unterscheiden. Diese müssen auswendig gelernt werden. In anderen Sätzen werden trennbare Verben korrekt getrennt: „ausziehen“ und „abbildern“ (vgl. abbilden) in: „Zieh lansam sache stuk bei stuk aus bildere das ab.“ (X11, 19) Das Verb ausziehen wurde richtig realisiert. Auch abbilden wurde richtig getrennt. Die Form ist dennoch falsch, es müsste bilde das ab statt „bildere das ab“ heißen. Außerdem würde ein/ e Muttersprachler/ in in einem authentischen Text wohl in diesem Zusammenhang ein anderes Verb benutzen, u. U. einfach fotografieren. Falsche Konjugation - falsche Partizip II-Bildung „habe […] wunder“ statt hast […] gewundert in: „habe du dir wundert weil lange nix hör von mich.“ (X17, 11) In X13 werden fünf von sechs Partizip II-Formen falsch realisiert. Dabei basieren die Formen auf unterschiedlichen grammatisch bedingten Fehlern, die im Folgenden dargestellt werden. In den ersten beiden Belegen werden das <ge> und das <n> getilgt. Dadurch enden die Partizip II-Formen auf einem <e> (vgl. Generierung eines Schwa-Auslauts): „haste […] schlafe“ statt du hast geschlafen in „haste doch mit mann lezte woch schlafe.“ (X13, 3-4) „habe sehe“ statt ich habe gesehen in: „hab dir auch sehe an fluss.“ (X13, 10-11) In dem nächsten Beleg wird ebenfalls das <ge> getilgt. Die gewählte Flexion entspricht außerdem der unregelmäßigen, starken Flexion (ohne <n>). Dadurch wird auch hier eine Schwa-Endung generiert. Das Verb hoffen wird jedoch regelmäßig, schwach flektiert. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 273 <?page no="274"?> „habe hoffe“ statt ich habe gehofft in: „habe hoffe du endlich gemacht bilders.“ (X13, 2-3) Bei den folgenden Belegen entspricht die Flexion der von regelmäßigen, schwa‐ chen Verben. Die Verben schlafen und schreiben werden jedoch unregelmäßig, stark flektiert. Die Tilgung von <ge> wird hier ebenfalls durchgeführt: „mann hat schlaft“ statt der Mann hat geschlafen in: „mann war bei dich und hat schlaft mit dich.“ (X13, 4-6) „geschreibt“ statt geschrieben in: „[TT Monat] post da wo dir geschreibt.“ (X13, 11-13) Das hier beschriebene Merkmal ist u. U. plausibel. Die Verbflexion des Deut‐ schen und damit auch die Bildung von Partizip II-Formen ist komplex. Viele Nicht-Muttersprachler/ innen machen Fehler wie die oben beschriebenen, da beachtet werden muss, welche Verben regelmäßig bzw. unregelmäßig flektiert werden. Dazu muss einzeln gelernt werden, welche Verben trennbar bzw. nicht-trennbar sind, worauf der Wortstamm endet etc. Mit Übergeneralisierung haben wir es zu tun, wenn ein/ e Deutschlerner/ in die unregelmäßige Form nicht weiß, aber das Partizip analog nach der Regel für schwache Verben bildet. Solche Formen sind i.-d.-R. verständlich, das Kommunikationsziel wird also erreicht. Jedoch wird das Merkmal nicht durchgehend realisiert. In X16 sind vier Partizip II-Formen enthalten. Drei davon werden mit <ge> und bezüglich starker/ schwacher Flexion korrekt verwendet: „keine fotos gemacht, ich habe gedacht.“ (X16, 3) „habe grad film geshen und du jetzt mache mir das auch.“ (X16, 6) Bei dem nächsten Beleg wird zwar das <ge> fälschlicherweise getilgt, jedoch ansonsten richtig schwach flektiert: „sie habe auf meinen lezte schreiben nicht antwortet.“ (X16, 2) 274 17 Dritter empirischer Teil <?page no="275"?> Bezüglich Partizip II-Formen ist sehr auffällig, wie stark sich die Texte X13 und X16 unterscheiden. Es scheint fast so, als hätte die/ der Schreiber/ in das Merkmal vergessen. Die beschriebene Inkonsistenz unterstützt die These, dass hier ein Nicht-Muttersprachler imitiert wird. Kasus Kasusvertauschung - Standardsprachlich Akkusativ Es werden Textteile beschrieben, in denen standardsprachlich der Akkusativ stehen müsste und in denen stattdessen ein anderer Kasus (falls erkennbar) realisiert wird. Die folgenden Textseile dienen als Beispiele, in denen jeweils statt einer Akkusativeine Dativform realisiert wird: Akkusativ ⇨ Dativ „ich […] fick dir“ statt ich ficke dich und „ich […] hole dir“ statt ich hole dich in: „dann ich habbe zeit und werde komme fick dir oder hole dir.“ (X11, 7) Akkusativ ⇨ Dativ „Mann solle dan fessel dir feste“ (X11, 26) statt Der/ Ein Mann soll dich dann fest(e) fesseln. Von der Kasusvertauschung sind auch Possessivpronomen betroffen. Dabei wird ein Possessivpronomen (hier dein) scheinbar durch ein Personalpronomen ersetzt, das dann im falschen Kasus steht (hier „dir“), wie in diesem Beispiel: „Schwanz abfickspriz in dir gesicht. statt […] in dein Gesicht“ (X11, 33) Kasusvertauschung - Standardsprachlich Dativ In den folgenden Textteilen müsste standardsprachlich der Dativ stehen, wobei jedoch ein anderer Kasus (falls erkennbar) verwendet wird: Dativ ⇨ Akkusativ „bei denne perverso Sache isch auch wolle fiel dessous an dich sehe.“ statt an dir. (X11, 58) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 275 <?page no="276"?> Dativ ⇨ Akkusativ „gebe mir viele Bilder von dich“ statt gib mir viele Bilder von dir in: „Hab ich dir doch zeitig gesagt solle gebe mir viele Bilder von dich.“ (X11, 2) Im gleichen Satz wird mit „Hab ich dir doch zeitig gesagt“ der Dativ korrekt realisiert. Andere Kasus Dativ/ Genitiv ⇨ andere Form „Pupa [Puppe] von Kinder“ statt Puppe von einem Kind/ eines Kindes in: „Dann Mann nem Pupa von Kinder und stecke in Muschi.“ (X11, 35) Hier ist weder entscheidbar, welcher Kasus vorliegt, u. U. Default-Kasus (Nomi‐ nativ) Plural Kinder, noch ist exakt entscheidbar, welcher Kasus standardsprach‐ lich stehen müsste, da die Bedeutung nicht eindeutig ist. Kasusvertauschungen am Beispiel von Text X13 In Text X13 ist sehr auffällig, dass in diesem sehr kurzen Text die Kasusvertau‐ schung fast durchgehend realisiert wird. Die Kasusvertauschungen basieren ausschließlich auf dem Gebrauch von dir statt dich, dich statt dir und mich statt mir. Das Merkmal ist also recht einfach zu fingieren. Bis zur zwölften Zeile (von insgesamt 15) wird diese Vertauschung bei jeder Möglichkeit in beide Richtungen vorgenommen: „mann war bei dich und hat schlaft mit dich.“ (X13, 4-6) „wie dich gefalle habe bilders von tocht.“ (X13, 9-10) „hab dir auch sehe an fluss.“ (X13, 11) „geb mich bilders endlig.“ (X13, 12) Im Anschluss wird ein einziges Mal die korrekte Form verwendet: „[TT Monat] post da wo dir geschreibt. mache alles ich wolle.“ (X13, 12-15) Es ist unplausibel, dass das Merkmal fast jedes Mal, wenn es möglich ist, in beide Richtungen realisiert wird. 276 17 Dritter empirischer Teil <?page no="277"?> Numerus Merkmale, die einen falsch gewählten Numerus betreffen könnten, sind oft auf andere Art und Weise erklärbar, siehe z. B. Herstellung einer Schwa-Endung. Ansonsten gibt es keine auffälligen Merkmale, bei denen explizit eine Singular‐ form gegen eine richtig realisierte (! ) Pluralform oder eine Pluralform gegen eine korrekt realisierte (! ) Singularform ausgetauscht würde. Aber es gibt Belege, in denen der Plural stehen müsste, in denen aber eine Form gewählt wird, die auch nicht der korrekten Singularform entspricht. „Gurk“ statt „Gurken“ in: „Mann neme 3 Gurk und stek all zusamen in Muschi.“ (X11, 39) Im Beleg ist eindeutig, dass hier eine Pluralform stehen muss, da vor „Gurk“ die Ziffer „3“ steht. Auffällig ist, dass die/ der Autor/ in hier eine inkorrekte Sin‐ gularform (? ) verwendet, die wie bei anderen Belegen (s. o.) das <e> vermeidet. Genus „kleiner rohr“ statt kleines Rohr in: „nix nehme kleiner rohr oder ander kleiner sach.“ (X17, 14-15) In diesem Beleg verwendet die/ der Schreiber/ in das falsche Genus bei „rohr“ (Neutrum), erkennbar am attributiven Adjektiv „kleiner“ (Maskulinum). Bei Nicht-Muttersprachler/ innen des Deutschen treten solche Fehler relativ oft auf, da das Genus bei den meisten Substantiven nicht direkt ersichtlich ist. Genusfehler dieser Art sind in den vorliegenden Texten aber relativ selten. Bei der im Text dargestellten Stufe schriftsprachlicher Kompetenz bzw. dem fingierten Stadium des Spracherwerbs einer nicht-muttersprachlichen Person ist das nicht plausibel. Auf diese Problematik wird noch eingegangen. In dem genannten Satz liegt auch ein Kasusfehler vor. Es ist oft der Fall, dass Belege mehrere Merkmale betreffen. Kasusfehler wurden bereits weiter oben besprochen. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 277 <?page no="278"?> 17.5.3 Lexik Verwendung von nix Die Bildung nix schreiben einige Muttersprachler/ innen des Deutschen Deutschlerner/ innen zu. Jedoch ist der Gebrauch auch unter Mutter‐ sprachler/ inne/ n verbreitet, denn es kann nichts ersetzen, vgl. ich verstehe nix. Zu einem xenolektalen Merkmal wird es im Zusammenspiel mit einer veränderten Topologie und u. U. einem nicht-standardgemäß verwendetem In‐ finitiv. Insbesondere orientiert sich die/ der Autor/ in an der medial verbreiteten Vorstellung, Nicht-Muttersprachler/ innen würden häufig das umgangssprach‐ liche Pronomen nix [ˈnɪks] im Zusammenhang mit Infinitiven verwenden, vgl. Wendungen wie ich nix versteh(en) etc., die durch Medien bekannte Formen des ‚Ausländerdeutsch‘ sind. Sie finden auf medialem Weg wie z. B. Filmen und Serien Einzug in das Sprachbewusstsein. Daher werden sie auch im Rahmen eines Xenolekts eingesetzt, an dem sich die/ der Autor/ in des Textes bei der Darstellung von Nicht-Muttersprachlichkeit orientiert. Die/ Der Schreiber/ in verwendet häufig nix(e), allein in X11 insgesamt elfmal. Als Beispiel dienen diese Belege: „Habe isch will pervers dinger, woe nix krieg isch hier.“ (X11, 29) „Nix wolle so komisch Friseur.“ (hier mit gekürztem Infinitiv) (X11, 15) In X11, 15 wird der an Xenolekt erinnernde Gebrauch von nix deutlich. Stan‐ dardsprachlich möglich wären Sätze wie Ich will nicht so eine komische Frisur. oder Ich will keine so komische Frisur. Im Gegensatz zu ich verstehe nix ersetzt hier nix also nicht nichts, sondern nicht oder keine. Außerdem wird die Topologie geändert, denn „Nix“ steht hier im Vorfeld. Der Zusammenhang mit einem gekürzten Infinitiv (s. o.) ergänzt die Bildung zu einem stilisierten, am Xenolekt orientierten Merkmal. Falsches Verb In einigen Belegen können kontextuell falsch verwendete Verben nachgewiesen werden, wie z.B.: „bist“ statt hast in: „bella nure bilders dann du ruhe bist vor mich.“ (X19, 10-11) 278 17 Dritter empirischer Teil <?page no="279"?> Gebrauch von tun und machen Die folgenden Merkmalskategorien befassen sich mit dem nicht-standard‐ sprachlichen Gebrauch der Verben tun und machen. Der hochfrequente und falsche Gebrauch dieser beiden Verben wird medial Personen zugeschrieben, die über eine geringe sprachliche Kompetenz verfügen. Das können z. B. Nicht-Mut‐ tersprachlacher/ innen des Deutschen sein. Dazu gehören auch Konstruktionen mit doppeltem Verb, bei denen entweder tun oder machen zusammen mit einem weiteren Verb stehen. Übergeneralisiertes machen Die/ Der Autor/ in benutzt das Verb machen auffällig häufig (z. B. 22 Belege in X11). In einigen Zusammenhängen wird machen übergeneralisiert, also in Zusammenhängen gebraucht, in denen standardsprachlich eher andere Verben verwendet werden würden. „Dann mache kopphaare in top ordnunge. Nix wolle so komisch Friseur. und mache schmink gesicht ordentlig schon.“ (X11, 14-15) „holse du manne dann nix so schmerz brutalo wirde sein wie mache isch dir.“ (X17, 31-32) In X11, 14-15 würde man standardsprachlich in Ordnung bringen erwarten. Das „mache“ in X17, 31-32 bezieht sich auf „schmerz“. In einer Konstruktion wie ich mache dir Schmerz ist machen übergeneralisiert. Bei in Ordnung bringen, Schmerz bereiten etc. handelt es sich um Funktionsverbgefüge, die eine feste Kombination eines Verbs mit weiteren Teilen des Ausdrucks verlangen. Diese sind für Nicht-Muttersprachler/ innen schwierig zu erlernen, weshalb das Merkmal nicht grundsätzlich unplausibel ist. Jedoch ist die hohe Frequenz und Übergenerali‐ sierung von machen sehr auffällig. Falsch verwendetes machen In weiteren Zusammenhängen wird machen so übergenerasiert gebraucht, dass es in Zusammenhängen steht, in denen standardsprachlich ein anderes Verb stehen müsste: „du nix habe hört auf mir. du mache strafe jetzt.“ (X17, 11) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 279 <?page no="280"?> In dem vorliegenden Beleg wird das Verb machen falsch verwendet, es soll wohl du bekommst jetzt [deine] Strafe heißen. Das Verständnis wird trotz des falschen Gebrauchs von machen kaum beeinträchtigt. Konstruktion mit doppeltem Verb „mache ficke“ in: „isch mache ficke arsche von dich.“ (X17, 5-6) „komme tun“ in: „ische komme tun zu dich.“ (X20, 14) In beiden Belegen sind machen bzw. tun überzählig. Konstruktionen mit machen bzw. tun + Verb finden mediale Verbreitung als typisches Merkmal, das Leute verwenden, die über eine geringe sprachliche Kompetenz verfügen. Häufig wird das Merkmal auch mit mangelnder Bildung o.ä. in Verbindung gebracht. Auch in dem vorliegenden Text wird das Merkmal eingesetzt, um im Zusammenhang mit anderen fingierten Merkmalen einen fingierten Autor darzustellen, der ‚schlecht Deutsch schreiben‘ kann, da er als Ausländer postuliert wird. Gebrauch falscher Präpositionen Falsche Präposition „bei“ statt für: „Zieh lansam sache stuk bei stuk aus bildere das ab.“ (X11, 19) Standardsprachlich wäre Ziehe die Sachen Stück für Stück aus richtig. Der Gebrauch der richtigen Präposition und des richtigen Kasus ist für Nicht-Mut‐ tersprachler/ innen eine schwierige Angelegenheit. Die/ Der Autor/ in verfügt über genug metasprachliches Bewusstsein, das zu wissen. Die Konstruktion orientiert sich u. U. an der englischen Entsprechung, vgl. piece by piece. Der italienische (und spanische) Ausdruck ist poco a poco. 280 17 Dritter empirischer Teil <?page no="281"?> „in“ statt zu: „in dem zeitpunkt an dem du tatsächlich deine polizei oder hilfe brauchen würdest wird dir keiner helfen.“ (X23, 18-19) In dem Satz wird eine falsche Präposition verwendet, vgl. Zu dem Zeitpunkt. Es kommen auch falsche Präpositionen in Texten vor, die keine offensichtliche Verstellungsstrategie beinhalten. U.U. ist diese Verwechslung hier gar nicht beabsichtigt, vgl. in dem Zeitraum. Einige Verwechslungen der Präposition sind erklärbar, wie in diesen beiden Belegen: „Trage Schtiefel in Latex.“ (X11, 59) „Trage hose in latex.“ (X11, 60) Will man darstellen, aus welchem Stoff ein Gegenstand ist, ist standardsprach‐ lich die Präposition aus zu gebrauchen, vgl. Stiefel aus Latex, Pullover aus Baumwolle etc. Auch deutsche Muttersprachler/ innen machen diesen Fehler, die Konstruktion ähnelt einer Konstruktion mit Farbadjektiven, vgl. Stiefel in schwarz oder Pullover in rot. Andere Vertauschungen der Präposition sind weniger plausibel und werden hier insbesondere zur Darstellung von Falschheit und Nicht-Muttersprachlich‐ keit eingesetzt. „auf “ statt von in: „Du mir mache pervers Bilders auf dich.“ (X11, 29) Auf der anderen Seite ist interessant zu beobachten, dass die Präpositionen in den allermeisten Fällen korrekt gewählt und gesetzt werden, wie in den folgenden Sätzen: „bringe du vole dvd an [TT Monat] werfe bei poststelle in mullaimer stehe in raum. packst du dvd in plasttute ein.“ (X11, 4-5) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 281 <?page no="282"?> 111 Das Datum ist fiktiv. Hier wird die Präposition mit dem Datum richtig gebraucht, jedoch der Artikel weggelassen, vgl. an dem/ am 11.11. 111 . Es folgen ein korrektes bei und drei ebenfalls korrekte Verwendungen der Präposition in. Es werden also alle fünf Präpositionen korrekt verwendet. Das ist insbesondere bemerkenswert, wenn man die ansonsten zur Schau gestellte schriftsprachliche Kompetenz betrachtet. Es ist eher unwahrscheinlich, dass jemand, der so geübt bei der Setzung von Präpositionen ist, dann „mullaimer“ und „plasttute“ schreibt. Wörter mit <ai> sind im Deutschen sehr selten und kommen vor allem in Eigennamen wie Mai, Main, Mainz vor. Wörter wie Kaiser oder Hai sind Ausnahmen und außerdem Lehnwörter. Es wäre also plausibler, wenn jemand Hei statt Hai und Keiser statt Kaiser schreiben würde als Aimer statt Eimer. Schreibungen wie „mullaimer“ und „plasttute“ sind vor dem Hintergrund, dass alle fünf Präpositionen korrekt verwendet werden, nicht plausibel. Falsche Präposition / überflüssige Präposition „bei“ (bringen) statt zu in: „bringe bilders bei sonst komma isch zu dich.“ (X17, 7) In X17, 7 wird eine falsche Präposition gebraucht, vgl. bringe die Bilder zu mir. Eine Konstruktion ohne Präposition ist ebenfalls möglich, vgl. bringe mir die Bilder. Im zweiten Teil des Satzes wird die richtige Präposition zu mit dem Verb kommen verwendet. Der Gebrauch von „bei“ mit bringen ist u. U. auch dialektal erklärbar. Das würde vielleicht bedeuten, dass der/ dem Schreiber/ in der Fehler selbst nicht bewusst ist (Error) und es sich nicht um einen fingierten Fehler handelt. Betrachtet man das über den fingierten Autor dargestellte Stadium des Spracherwerbs, wird deutlich, dass sehr wenige Fehler gemacht werden, die Präpositionen betreffen. Das ist unplausibel, denn der korrekte Gebrauch von Präpositionen ist ein für Nicht-Muttersprachler/ innen sehr schwieriges und mit viel Lernaufwand verbundenes Unterfangen. Muttersprachler/ innen sind diese Schwierigkeiten weniger bewusst. Die/ Der Schreiber/ in des Textes missachtet die genannten Schwierigkeiten, da sie/ er u. U. zu wenig metasprachliches Bewusstsein hat. 282 17 Dritter empirischer Teil <?page no="283"?> Auslassung der obligatorischen Präposition „du wolle absicht straft gewerde“ statt du willst mit Absicht bestraft werden in: „glaube isch du wolle absicht straft gewerde für deine nicht mach bilder.“ (X11, 8) In dem Beleg fehlt die nicht-weglassbare Präposition mit. Es wäre ebenfalls eine Interpretation möglich, dass der Fehler darin besteht, dass statt „absicht“ ein absichtlich hätte stehen können. In diesem Fall würde keine Präposition fehlen. Überflüssige Präposition In diesem Satz ist das „von“ überflüssig: „Mann neme gantz fiele unterschide von Dildos und Vibrators und steke in Muschi.“ (X11, 42) Standardsprachlich korrekt wäre hier viele unterschiedliche Dildos und Vibra‐ toren. Vgl. hier „absicht“/ absichtlich im vorangegangenen Beleg X11, 8. 17.5.4 Syntax Falsche Position des Intensivieres eines Adjektivs In dem folgenden Beleg tritt sehr als Intensivierer (vgl. auch Steigerungs‐ partikel/ Gradpartikel) des zugehörigen Adjektivs „brutalo“ auf. Die/ Der Schreiber/ in wählt die falsche Position, da die Partikel hinter dem Adjektiv steht: „ische dich verwaltig brutalo sehr.“ (X20, 15) In den untersuchten Texten tauchen sehr wenige Syntaxfehler auf. Die Syntax stellt einen Bereich der Sprache dar, die tief im Sprachbewusstsein verankert und daher schwierig zu fingieren ist. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 283 <?page no="284"?> 17.5.5 Darstellung von Fremdsprachlichkeit - Fremdsprachliche Lexik In den Texten werden verschiedene fremdsprachliche Wörter und Wörter, die fremdsprachlich wirken sollen, verwendet. Es wird nicht ausschließlich die italienische Sprache imitiert. Vielmehr handelt es sich um eine Mischung verschiedener und teils falsch imitierter Sprachen, und solchen Belegen, die keiner Sprache zugeordnet werden können. Durch die Mischung verschiedener Sprachen wird die Fingierung unspezifisch, da keine einzelne Sprache als Mut‐ tersprache des postulierten Autors ersichtlich ist. Die meisten Belege erinnern an Italienisch und man kann davon ausgehen, dass die/ der Autor/ in einen Italiener imitieren will. Dennoch ist die Befundkonstellation aufgrund der genannten Sprachmischung unplausibel. nexte, vgl. next „Wenn komme ich nexte Mal isch fick dir ganze nacht brudal durch.“ (X11, 10) Statt nächste(s) verwendet die/ der Autor/ in hier nexte. Die Schreibung kann als Darstellung von Fremdsprachlichkeit, nämlich in diesem Fall in Anlehnung an die englische Sprache, interpretiert werden, vgl. next time. Bottem, vgl. bottom „Dann Mann neme Flasche und stecke mit Bottem zu erst in Muschi.“ (X11, 34-35) Das Wort „Bottem“ erinnert eher an das englische Wort bottom als an das deutsche Wort Boden und wird auch hier mit dieser Bedeutung verwendet, vgl. Flaschenboden. no „no policia no ander kanne dir helf. isch warte bisse nixe da sein. nix policia nix manne nix hilfe.“ (X17, 35-37) In dem Beleg wird „no“ im Sinne von kein(e) verwendet. Das Wort gibt es u. a. in der englischen, italienischen und spanischen Sprache mit den Bedeutungen 284 17 Dritter empirischer Teil <?page no="285"?> nicht, nein, kein(e). Was hier u. U. intendiert wird, kann vielleicht mit dem Fol‐ gewort erklärt werden, nämlich „policia“, das im folgenden Eintrag besprochen wird. policia „no policia no ander kanne dir helf. isch warte bisse nixe da sein. nix policia nix manne nix hilfe.“ (X17, 35-37) „wenn du trickse und hole hilf oder woll mich mit policia reinleg, isch werd bekomm mit.“ (X11, 6) Das Wort policia hat keine genaue Entsprechung in der italienischen oder spanischen Sprache. Im Italienischen heißt das Wort polizia und im Spanischen lautet es policía. Die Unterschiede sind also zum Italienischen eine Konsonan‐ tenvertauschung <z> ⇨ <c> und im Spanischen wird der Akzent auf dem zweiten <i> weggelassen, also <í> ⇨ <i>. Optisch entspricht die von der/ dem Schreiber/ in gewählte Bildung also eher dem spanischen Wort. In anderen Belegen verwendet die/ der Autor/ in das Wort „polizei“: „sage ische nix polizei.“ (X19, 1) Dass die/ der Schreiber/ in das deutsche Wort Polizei kennt, zeigt, dass die Bildung „policia“ genutzt wird, um Fremdheit darzustellen. nix policia „no policia no ander kanne dir helf. isch warte bisse nixe da sein. nix policia nix manne nix hilfe.“ (X17, 35-37) Die Bildung policia wurde bereits in X11, 6 besprochen. Im Beleg X17, 35-37 taucht die deutsche Entsprechung nix im Zusammenhang mit policia auf, vgl. nix Polizei bzw. keine Polizei. Dass nix ein Wort ist, das Muttersprachler/ innen Deutschlerner/ innen zuschreiben und es auch im Rahmen eines Xenolekts einsetzen, wurde bereits besprochen. Außerdem dient es u. U. der Verständnis‐ sicherung. Auf die Verständnissicherung wird noch eingegangen werden. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 285 <?page no="286"?> An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass die Formulierung keine/ nix Po‐ lizei im Deutschen in Kriminalromanen, -filmen etc. sehr üblich ist, wenn beispielsweise ein/ e Geiselnehmer/ in für die Lösegeldübergabe deutlich machen will, dass dem Entführungsopfer etwas angetan wird, sollte die Polizei anwe‐ send sein. Es ist eine medial verbreitete Form der Drohung, die auch die/ der Schreiber/ in des Textes einzusetzen versucht. Die Drohung wird durch das folgende nix manne nix hilfe. noch intensiviert. violare „dann isch violare dir.“ (X11, 8-9) „jetze isch wolle viel perverso und brutalo violare bilders von dich.“ (X11, 11-12) „Mann soll dir brutal violare verwaltig.“ (X11, 53) Das italienische transitive Verb violare (span. violar) kann in dem gegebenen Zusammenhang verletzen oder schänden (u. U. auch vergewaltigen, hier ist jedoch violentare üblicher) bedeuten. Die realisierte Form in allen drei Belegen entspricht dem italienischen Infinitiv violare. In keinem Beleg wird das Wort wie bei authentischem Code-Switching verwendet. Im ersten Beleg X11, 8-9 müsste das Verb in der 1. Sg. stehen. Im Beleg X11, 11-12 müsste im Deutschen ein attributives Adjektiv, also etwa gewalttätige Bilder o.ä. verwendet werden. U.U. wäre auch ein Determinativkompositum, etwa Gewaltbilder o.ä. möglich. Im Beleg X11, 53 stehen mit „violare“ und „ver[ge]waltig[en]“ zwei Verben hintereinander. Auch diese Konstruktion ist so nicht möglich. Es wird deutlich, dass die/ der Autor/ in sich bei der Realisierung nicht-nativen Sprachmaterials eher an Xenolekt und ähnlichen Konzepten orientiert. Das Wort kommt auch in anderen Texten vor. Als Beispiel dient dieser Satz: „bilders her oder violare“ (X13, 8) Hier steht violare an einer Position, in der eine Verbalphrase stehen könnte, vgl. oder ich bestrafe dich. U.U. kann hier in Anlehnung an gesprochene Sprache auch ein Substantiv stehen, vgl. Bilder her oder Bestrafung (ital. punizione). Hier ist unplausibel, dass ein/ e italienische/ r Muttersprachler/ in, der/ dem das entsprechende deutsche Wort nicht einfällt, hier stattdessen eine italienische Infinitivform statt einem italienischen Substantiv verwenden würde. 286 17 Dritter empirischer Teil <?page no="287"?> 112 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ picobello Letzter Zugriff am 20.01.2023 113 So heißt auch eine italienische Kochzeitschrift. pikobello „Dann rasiere dich Muschi pikobello glatto.“ (X11, 13-14) Das Wort „pikobello“ (eigentlich picobello) ist nicht aus dem Italienischen. Es ist laut Duden 112 „italienisiert aus niederdeutsch pük (piekfein) und italienisch bello = schön“. Es wird jedoch von deutschen Muttersprachler/ inne/ n teilweise scherzhaft verwendet. Oft wird es auch in Kontexten gebraucht, die der ita‐ lienischen Kultur bzw. Sprache zugeordnet werden und könnte von der/ dem Schreiber/ in fälschlicherweise als italienischer Ausdruck aufgefasst werden. Supito pronto / pronto „Mache besorg sexy badesache. Supito pronto.“ (X11, 22) Der Ausdruck „Supito pronto“ orientiert sich augenscheinlich ebenfalls an der italienischen Sprache. Der Ausdruck subito bedeutet hier sofort und pronto bedeutet bereit. Zusammen kann subito pronto 113 die Bedeutung schnell vorbe‐ reiten oder schnell fertigstellen haben. Somit würde das Geschriebene semantisch passen, etwa mit der Bedeutung Besorg dir schnell/ sofort sexy Badesachen. Jedoch wird nicht subito, sondern „supito“ verwendet. Da <b> und <p> auf der Tastatur nicht nebeneinander liegen, ist ein Flüchtigkeitsfehler (Tippfehler) eher auszuschließen. Es ist plausibler, dass die/ der Schreiber/ in des Textes den italienischen Ausdruck kennt, ihn jedoch wegen der lautlichen Nähe falsch verstanden hat. Einer/ Einem italienischen Muttersprachler/ in würde dieser Fehler wahrscheinlich nicht passieren. In anderen Texten tauchen ähnliche Belege auf, als Beispiel seien hier Sätze aus X19 und X20 genannt: „mache pronto bilders.“ (X19, 6) „mache du die bilder. aber subito pronto. jetze.“ (X20, 12) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 287 <?page no="288"?> Schlafrauma / bett zimmer „Sonst ich komme noch einemale zu dir in Schlafrauma .“ (X11, 9) Der Ausdruck „Schlafrauma“ wird hier mit der Bedeutung Schlafzimmer (Schlaf‐ raum? ) verwendet. Auch hier liegt kein Code-Switching bzw. -Mixing vor, da Zimmer im Italienischen camera und Schlafzimmer camera da letto bedeutet. Außerdem ist auch hier ein Tippfehler eher auszuschließen, da das <a> vom <m> auf der Tastatur weit entfernt ist. In einem anderen Text gibt es einen Beleg mit der Bedeutung Schlafzimmer. Hier wird allerdings der erste Teil des Determinativkompositums ausgetauscht und es tritt eine fehlerhafte Getrenntschreibung hinzu: „nix plaz in bett zimmer.“ (X20, 6) Der zweite Beleg mit dem Zweitglied „-zimmer“ lässt die Nutzung von „Schlaf‐ rauma“ noch unplausibler erscheinen, da die/ der Schreiber/ in scheinbar weiß, dass Räume in einer privaten Wohnung oder in einem Eigenheim mit -zimmer gebildet werden, vgl. Wohnzimmer, Badezimmer, Esszimmer, Kinderzimmer, Arbeitszimmer etc. Kondoma / kondoma „Schtecke kondoma in Muschi und fille Aqua mit Drichter in Kondoma.“ (X11, 30) Das Wort „kondoma“/ „Kondoma“ ist nicht aus dem Italienischen (oder einer an‐ deren romanischen Sprache) und ähnelt auch keinem Wort aus dieser Sprache. Kondom bedeutet im Italienischen preservativo. Weitere Bezeichnungen sind anticoncezionale, contraccettivo und profilattico. Aqua „Schtecke kondoma in Muschi und fille Aqua mit Drichter in Kondoma.“ (X11, 30) 288 17 Dritter empirischer Teil <?page no="289"?> 114 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ Puppe Letzter Zugriff am 20.01.2023 Das Wort „Aqua“ (dt. Wasser) stimmt nur mit der lateinischen Entsprechung überein, nicht jedoch mit dem italienischen Wort acqua oder dem spanischen Wort agua. U.U. ist die Schreibung Aqua aus der Werbung oder Marken (u. a. Mineralwasser, Parfüm etc.) bekannt und damit für eine/ n deutsche/ n Schreiber/ in präsenter als die Entsprechungen moderner romanischer Sprachen. Pupa „Dann Mann nem Pupa von Kinder und stecke in Muschi. Spiele du geburt von Pupa. Schone Kopf von Pupa in Muschi klemme und reine und raus mit kopf. das du wirste mache.“ (X11, 35-37) Mit Pupa ist hier wohl eine Spielzeugpuppe gemeint, vgl. „Spiele du geburt von Pupa.“ Die Spielzeugpuppe heißt im Italienischen bambola, wobei pupa ein Synonym dafür ist. Mit pupa werden allerdings eher junge Frauen assoziiert als Spielzeugpuppen, vgl. die Bedeutung von Puppe als „salopp veraltend[er], oft ab‐ wertend[er]“ 114 Begriff im Deutschen. Wahrscheinlich wird ein/ e italienische/ r Muttersprachler/ in den Ausdruck pupa nicht für Spielzeugpuppen verwenden. or „Rischtik dicke, also nix dunn. dick sein 6 or 8-cm.“ (X11, 40-41) „nix nehme kleiner rohr oder ander kleiner sach. funf zentmeter or bigger.“ (X17, 14-15) Das Wort „or“ stimmt nur mit der englischen Entsprechung überein, vgl. ital. o und span. o. Es ersetzt hier die deutsche Entsprechung oder. Das unterstreicht, dass in den Texten eine unspezifische Fremdsprache zugrunde liegt. bigger „nix nehme kleiner rohr oder ander kleiner sach. funf zentmeter or bigger.“ (X17, 14-15) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 289 <?page no="290"?> Nach or steht im Text bigger, der Komparativ von big. Die englischsprachige Bildung „or bigger“ wird korrekt verwendet und entspricht dem deutschspra‐ chigen oder größer. bed „du habe schöne breite bed.“ (X17, 8) Das Wort „bed“ entspricht dem englischen Lexem bed und tritt auch in dieser Bedeutung auf. Eine andere Interpretation wäre hier, dass statt <tt> ein <d> gesetzt wird, dann würde ein rein orthographisches Merkmal vorliegen (vgl. das Kapitel 17.5.1). Jedoch verwendet die/ der Schreiber/ in einige englischsprachige Begriffe, was auch die Interpretation von bed (engl.) plausibel macht. fun „nemme ball und stock von garten bei dich und habbe menge fun.“ (X21, 4-5) Der englischsprachige Ausdruck „fun“ (dt. Spaß) ist auch im Deutschen bekannt. Succiare „Succiare Schwanz von Mann.“ (X11, 57) Das verwendete Wort entspricht größtenteils der italienischen Entsprechung, ist jedoch falschgeschrieben, vgl. ital. succhiare mit der Bedeutung saugen oder lutschen. Außerdem entspricht die Form eher dem Infinitiv und nicht der korrekt flektierten Form. Durch den Kontext im Gesamttext ist erkennbar, dass hier ein Imperativ stehen müsste, da hier eine Reihe von Handlungsanweisungen stehen. absoluto brutalo perverso / brutalo „Mache nixe dann isch nixe gern freundlike mehr. Dann absoluto brutalo perverso.“(X11, 72) 290 17 Dritter empirischer Teil <?page no="291"?> 115 Siehe dazu auch das kommende Kapitel 17.5.7. Vgl. ital. assoluto, span. absoluto, vgl. ital. brutale, span. brutal, aber dt. der Bru‐ talo, vgl. ital. perverso, span. perverso, Hier entspricht „absoluto“ dem spanischen Wort, „perverso“ gibt es in dieser Form sowohl im Spanischen als auch im Italie‐ nischen. Jedoch wird „brutalo“ in beiden romanischen Sprachen nicht gebildet, sondern erinnert an das deutsche Substantiv Brutalo. Insgesamt entspricht die Bildung „absoluto brutalo perverso“ keiner romanischen Sprache, sondern ist pseudo-fremdsprachlich. Vgl. eine mögliche deutsche Bildung absolut brutal pervers, bei der an jedes Wort jeweils ein <o> angehängt wurde. 115 Die Bildung brutalo wiederholt sich in der Textserie. U.a. wird sie in X17 zweimal benutzt. Als Beispiel sollen diese Belege dienen: „wenn mache isch selbst an disch ische mir vergesse. danne brutalo.“ (X17, 26-27) „holse du manne dann nix so schmerz brutalo wirde sein wie mache isch dir.“ (X17, 31-32) perverso fantasia „Dann kriege mein ganz perverso fantasia zu merke an korper von dich.“ (X11, 75-76) Die Bildung „perverso fantasia“ entspricht weder dem Italienischen noch dem Spanischen, da keine Kongruenz zwischen dem attributiven Adjektiv und dem Substantiv besteht. Außerdem ist es in den meisten syntaktischen Umge‐ bungen (bzw. intendierten Bedeutungen) üblich, dass das Adjektiv hinter dem Substantiv steht: Vgl. ital. fantasia perversa, span. fantasía perversa. Die Bildung entspricht also strukturell vielmehr einer deutschsprachigen, wie beispielsweise perverse Fantasie. perverso idea „hab isch perverso idea.“ (X17, 9-10) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 291 <?page no="292"?> Die Formulierung perverso idea entspricht durch mangelnde Kongruenz im Wesentlichen der Bildung perverso fantasia aus X11, 75-76. Vgl. hier ebenfalls ital. idea perversa, span. idea perversa und dt. perverse Idee. Auch hier wird deutlich, dass perverso idea nach der deutschen Grammatik gebildet wurde. superior „mann solle mache superior bilders.“ (X17, 16) Aufgrund der Struktur „superior bilders“ und bisheriger analysierter Beispiele, in denen wie im Deutschen das attributive Adjektiv vor dem Substantiv steht, muss im Falle von superior von einem Adjektiv ausgegangen werden. In der italieni‐ schen Sprache gibt es keine genaue Entsprechung, jedoch gibt es das Adjektiv superiore, das eine Bedeutung wie besser oder höher, u.U. auch einfach qualitativ (von guter Qualität sein) bedeuten kann, vgl. qualità superiore (Spitzenqualität). Im Englischen gibt es jedoch superior mit der Bedeutung besser, überlegen (superior (to sth.)), ausgezeichnet. Im Spanischen existiert superior ebenfalls, jedoch ist hier die räumliche Bedeutung höher, oben liegend vordergründig. Wenn im Spanischen ausgedrückt werden soll, dass etwas besser ist, wird eher mejor gebraucht, falls man sagen will, dass etwas sehr gut o.ä. sein soll, dann entspricht excelente u.a. dieser Bedeutung. Die Bildung, die die/ der Schreiber/ in benutzt, ist also am ehesten mit der englischen Entsprechung vergleichbar. bella „bella nure bilders dann du ruhe bist vor mich.“ (X19, 10) Hier wird das italienische Wort für schön, nämlich bella/ bello verwendet. Das bezieht sich auf die „bilders“. An den Plural angeglichen wird „bella“ nicht. Das Wort „nure“ hat weder im Italienischen, Spanischen noch Englischen eine Entsprechung. Es soll also wohl nur schöne Bilder bedeuten. An nur wird also ein <e> angehängt (Schwa-Endung). mama mia chaos grande „mama mia chaos grande.“ (X20, 4) 292 17 Dritter empirischer Teil <?page no="293"?> Der Ausdruck „chaos grande“ orientiert sich an den deutschsprachigen Ausdrü‐ cken großes Chaos, Riesenchaos oder ähnliches. Auf Italienisch kann man das mit grande caos übersetzen. Bei diesem Ausdruck steht das attributive Adjektiv vor dem Substantiv, außerdem steht hinter dem <c> kein <h>. Der italienische Ausdruck Mamma mia ist vielen deutschen Muttersprachler/ inne/ n geläufig und er wird auch teilweise im Deutschen verwendet. In dem o. g. Beleg fehlt jedoch der Doppelkonsonant <mm>. Stattdessen wird der einfache Konsonant verwendet, vgl. den deutschen Ausdruck Mama. Der Beleg wiederholt sich scheinbar noch einmal im gleichen Text. Hier wird allerdings das mia weggelassen und das „mama“ steht hinter „chaos grande“: „chaos grande mama.“ (X19, 6) 17.5.6 Zwischenfazit zur Darstellung von Fremdsprachlichkeit Die in den Texten verwendeten fremdsprachlichen Begriffe zeigen, dass das sprachliche Vorbild unspezifisch ist, jedoch hauptsächlich im Bereich roma‐ nischer Sprachen zu verorten ist. Die meisten Begriffe ähneln italienischen Bildungen, teilweise aber auch spanischen. Es kommen auch Wörter vor, die an englische Bildungen erinnern und diesen teilweise gleichen. Die Hauptintention der Verwendung solcher Bildungen ist die Darstellung von Nicht-Muttersprach‐ lichkeit, Fremdheit und Exotik. Betrachtet man die einzelnen Belege, wird deutlich, dass die/ der Schreiber/ in kein/ e italienische/ r Muttersprachler/ in ist. Vielfach besteht keine Kongruenz, es werden Wörter falschgeschrieben, einige Bildungen orientieren sich scheinbar an deutschsprachigen Vorbildern. Die/ Der Autor/ in hat rudimentäre Kenntnisse der italienischen Sprache, viele Begriffe sind ihr/ ihm wohl (nur) aus der gesprochenen Sprache bekannt, sodass diese graphisch falsch umgesetzt werden. Das Vorkommen eines lateinischen statt eines italienischen Wortes unterstreicht diese Beobachtung. Viele Bildungen sind Pseudo-Italienismen, die teilweise in medial stilisierter Form in der deutschen Sprache verwendet werden. Die Verwendung eines lateinischen Worts, das insbesondere durch Kontexte wie Werbung etc. präsent ist, zeigt, dass die/ der Schreiber/ in ihr/ sein Wissen hauptsächlich aus medialen Kontexten gewinnt. Sie/ Er bezieht das Wissen nicht aus Sprachkontakten, die Belege beruhen nicht auf sprachlichen Interferenzen, sondern ähneln medial generierten Sprachformen wie Xenolekt. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 293 <?page no="294"?> 17.5.7 Darstellung von Fremdsprachlichkeit - Pseudofremdsprachliche Endungen In den vorliegenden Texten ist das folgende Merkmal sehr frequent. Es basiert darauf, dass an ein deutsches Wort ein Vokal angehängt wird. Hier werden also keine fremdsprachlichen Ausdrücke (vgl. X17, 35-37 „policia“) oder solche, die an fremdsprachliche Begriffe angelehnt sind (X11, 13-14 „pikobello“), ver‐ wendet. Außerdem wird nicht, wie bei einigen Verbformen, ein gekürzter Infinitiv verwendet, damit ein Schwa-e am Ende steht. Vielmehr wird einfach ein Vokal hinzugefügt, wobei auch hier ein exotischer, nicht-deutschsprachlicher Effekt erzielt werden soll. Bei der Analyse von Verstellungsstrategien ist zu beachten, dass es nicht plausibel ist, dass ein/ eine Schreiber/ in zwar das deutsche Wort kennt und es korrekt in entsprechenden Zusammenhängen verwendet, jedoch dann einen Vokal anfügt. Endungen auf -o „perverso“ (4x), „brutalo“ (2x), „glatto“, „absoluto“: „wolle viel perverso und brutalo violare bilders von dich.“ (X11, 12) „Dann rasiere dich Muschi pikobello glatto.“ (X11, 13-14) „bei denne perverso Sache isch auch wolle fiel dessous an dich sehe.“ (X11, 58) „Dann absoluto brutalo perverso.“ (X11, 72) „Dann kriege mein ganz perverso fantasia zu merke an korper von dich.“ (X11, 75-76) Bei den vorliegenden Wortformen wurde an deutschsprachige Wörter jeweils ein <o> angehängt. Dabei scheint es keine Beschränkungen bei den Wortarten zu geben. Bei den Bildungen missachtet die/ der Autor/ in, dass in romanischen Sprachen, die hier offensichtlich imitiert werden, Adjektivformen an Substan‐ tive grammatisch angepasst werden müssen (Kongruenz), vgl. „perverso fan‐ tasia“. Zur Verdeutlichung der hohen Frequenz dienen hier einige weitere Belege: „perverso“ statt pervers in: „hab isch perverso idea.“ (X17, 10) „stecko“ statt steck (stecke) in: „nehme du rohr oder sach von viel dicke nix kleiner wie funf zentmeters und stecko in dir muschi reine und raus.“ (X17, 12-14) 294 17 Dritter empirischer Teil <?page no="295"?> „fausto“ sattt Faust in: „dann mann nehme gantze fausto und stecke reine.“ (X17, 17) „spasso“ statt Spaß/ Spass in: „wenn ische komme zu dich isch gucke du allein und dann ische mache spasso mit dische.“ (X17, 23-24) „stecko“ und „reino“ statt steck (stecke) und rein in: „rutsche rutsche stecko reino.“ (X17, 25) „brutalo“ statt brutal in: „danne brutalo.“ (X17, 27) „holse du manne dann nix so schmerz brutalo wirde sein wie mache isch dir.“ (X17, 31-32) Endungen auf -a(s) „Schlafrauma“, „extrema“, „kondoma“, „Kondoma“, „positionas“, „fantasia“: „Sonst ich komme noch einemale zu dir in Schlafrauma .“ (X11, 9) „Mache extrema fiel Bilders in Dessous von dich.“ (X11, 23) „Schtecke kondoma in Muschi und fille Aqua mit Drichter in Kondoma.“ (X11, 30) „Mann solle fike dir in alle positionas.“ (X11, 61) „Dann kriege mein ganz perverso fantasia zu merke an korper von dich.“ (X11, 75-76) Die Bildungen auf <a> ähneln formal den Bildungen auf <o>, die bereits beschrieben wurden. Von positiona wurde der Plural mit <s> zu „positionas“ gebildet. Der Begriff entspricht nicht dem italienischen Wort für Position, vgl. po‐ sizione (spanisch: posición). Die Bildung „fantasia“ entspricht dem italienischen Wort. Es wird hier aber dennoch aufgeführt, weil das vorangehende attributive Adjektiv nicht entsprechend flektiert wurde (s. o.). Gegenüber dem deutschen Wort Fantasie wurde hier das <e> getilgt und wie bei den anderen Belegen ein <a> angehängt. Endung auf -i(s) „vibratoris“ statt Vibratoren in: „Besorg dich dildos und vibratoris.“ (X11, 65) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 295 <?page no="296"?> Die Bildung „vibratoris“ gleicht den bisher beschriebenen Konstruktionen, vgl. Vibrator mit i-Endung und s-Plural. In einem anderen Beleg steht die korrekte Entsprechung von Vibrator im Italienischen, nämlich „vibratore“ in: „vibratore und viel andre sache auch.“ (X16, 9) Auch hier ist unverständlich, weshalb ein/ e Autor/ in, die/ der scheinbar das italienische Wort kennt (X16, 9), in einem anderen Text (X11) so einen Fehler einbauen sollte. Das ist nur erklärbar damit, dass die/ der Schreiber/ in das Wort einmal richtig nachgeschlagen hat und einmal nicht bzw. dass auch hier an das deutsche Wort Vibrator ein <e> angehängt wurde, was hier zufällig dem korrekten italienischen Wort entspricht. Endungen auf -e Verben, die statt in einer korrekt flektierten Form in einer verkürzten Infini‐ tivform (vgl. Schwa-Endung) auftreten, sind bereits beschrieben worden. Es enden auch andere Wortarten im Text auf <e>, die ebenfalls nicht den korrekten Bildungen entsprechen. „jetzte“, „einemale“, „letztmale“, „ordnunge“, „nochemale“, „Arsche“, „denne“, „Arscheloche“, „selbste“ „gebe mir viele viele Bilders von Dir jetzte.“ (X11, 4) „Sonst ich komme noch einemale zu dir in Schlafrauma .“ (X11, 9) „Isch jetzt sage letztmale was habe will du mache.“ (X11, 13) „Dann mache kopphaare in top ordnunge.“ (X11, 14-15) „Dann alles ohne fessel nochemale.“ (X11, 28) „Mann neme Vibrators und Dildos und steke in Arsche.“ (X11, 45) „bei denne perverso Sache isch auch wolle fiel dessous an dich sehe.“ (X11, 58) „Mann solle stecke Schwanz in deine Arscheloche und abficke.“ (X11, 68) „Suche dir mann und mache selbste oder willst bekomme mir? “ (X11, 76-77) Auch die Bildungen auf <e> entsprechen größtenteils dem beschriebenen Prinzip, an deutsche Wörter einen Vokal anzuhängen. Bei einigen Wörtern wird nach der ersten Silbe im Wortinnern ebenfalls ein <e> eingefügt, vgl. „einemale“, „nochemale“, „Arscheloche“. Bei letztmale verhält sich die Bildung anders als bei den bisher beschriebenen Wörtern, da es keine Entsprechung letztmal im Deutschen gibt. U.U. kann man davon ausgehen, dass ein <s> im 296 17 Dritter empirischer Teil <?page no="297"?> Auslaut zugunsten eines <e> getilgt wurde, vgl. letztmals (ugs.). Geht man von einem standardsprachlichen Ursprung aus, werden einige Teile getilgt und dann ein <e> eingefügt, vgl. [zum] letzt[en] Mal+e. Bei „einemale“ wurde ebenfalls ein <e> angehängt, jedoch nach der ersten Silbe auch noch ein <e> eingefügt, vgl. einmal. Ein Beispiel für weitere Belege in anderen Texten ist: arsche (Substantiv) statt Arsch in: „Isch mache ficke arsche von dich.“ (X17, 5-6) In zwei Sätzen direkt davor taucht „arsche“ als Verb statt verarschen auf: „glaube mir arsche könne. nixe könne arsche mir.“ (X17, 5) Varianten bei Endungen Auffällig ist bei dem o. g. Prinzip außerdem, dass das gleiche Wort nicht immer die gleiche Endung erhält, sondern, dass sie variiert wird, vgl. in folgenden Sätzen „reine“ und „reino“: „dann mann nehme gantze fausto und stecke reine.“ (X17, 17) „rutsche rutsche stecko reino.“ (X17, 25) Bei den Varianten scheinen „reine“ und „reino“ jeweils an die Endung des vorangegangenen Worts angeglichen zu werden, vgl. „stecke reine“ und „stecko reino“. Bei der/ dem Autor/ in besteht also durchaus ein Bewusstsein dafür, dass beispielsweise im Italienischen aufeinanderfolgende Wörter häufig die gleiche Endung haben, da diese kongruent sein müssen (z. B. attributives Adjektiv und Substantiv) und generell dafür, dass Wörter im Italienischen häufig auf den Vokalen <o>, <a>, <i> und <e> enden. An anderer Stelle ist jedoch bereits gezeigt worden, dass dieses grammatische Prinzip, wenn es standardsprachlich korrekt wäre, missachtet wird. Die/ Der Schreiber/ in hat also eine laienhafte Vorstellung der italienischen Sprache, die v. a. den ‚Klang‘ betrifft, jedoch keine tieferreichenden Kenntnisse. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 297 <?page no="298"?> 17.5.8 Hoher Grad der Verstellung Es kann festgestellt werden, dass die die/ der Autor/ in nicht bloß die eigene Identität verschleiert. Die grundlegende Verstellungsstrategie, nämlich die Imi‐ tation als italienischer Muttersprachler, zieht sich durch alle linguistischen Betrachtungsbereiche. Die Verstellung erreicht sowohl quantitativ als auch qualitativ einen sehr hohen Grad. In vielen Sätzen häufen sich Merkmale, ohne dabei unverständlich zu werden. Die wenigsten Merkmale sind, unter der Prämisse es handele sich um einen ausländischen Autor, plausibel erklärbar. Viele Belege einzelner Merkmale offenbaren eine deutliche Inkonsistenz, da die/ der Schreiber/ in eine weit höhere schriftsprachliche Kompetenz und viel mehr Übung beim Verfassen deutschsprachiger Texte als der postulierte Autor hat. 17.5.9 Widersprüche bei der schriftsprachlichen Kompetenz Die fingierte schriftsprachliche Kompetenz des postulierten Autors weist gra‐ vierende Mängel auf. Wie in den o. g. Analysekategorien dargestellt, ergeben sich dadurch Merkmalsets und -konstellationen, die weder plausibel noch konsistent sind. Es handelt sich größtenteils um fingierte Merkmale, die den postulierten Autor der Texte als italienischen Muttersprachler erscheinen lassen sollen. Ergänzend dazu lassen sich viele sprachliche Strukturen finden, die sowohl mangels Fehlerdichte als auch bei der Stilistik von der fingierten sprachlichen Kompetenz abweichen und die schriftsprachliche Geübtheit der/ des Schrei‐ berin/ Schreibers offenbaren. Hier soll es nun um solche sprachlichen Strukturen gehen, die sich in ihrer zugrundeliegenden schriftsprachlichen Kompetenz stark von den analysierten Merkmalen abheben. Diese sind im Vergleich zu der zur Schau gestellten Stufe des Spracherwerbs des postulierten Autors ebenfalls als unplausibel zu bewerten. Z.B. lässt sich feststellen, dass eine erhöhte syntaktische Komplexität nicht mit groben Fehlern bei Flexion oder einer stark fehlerhaften Orthographie ver‐ einbar ist. Das hängt, wie festgestellt wurde, mit einer festen chronologischen Ordnung beim Spracherwerb zusammen. U.U. mag angemerkt werden, dass sich das Stadium der Sprachentwicklung in einem bestimmten Stadium nicht mehr weiterentwickelt hat. In diesem Fall spricht man von „Fossilierung“ (vgl. Huneke/ Steinig 2013: 47). Obwohl die Entwicklung bei dem Erlernen einer Fremdsprache fossilieren kann, etwa weil man mit dem Erlernten im Alltag gut zurechtkommt, macht das die Merkmalset-Konstellation nicht plausibler, 298 17 Dritter empirischer Teil <?page no="299"?> 116 https: / / www.goethe.de/ Z/ 50/ commeuro/ 303.htm Letzter Zugriff am 20.01.2023 da Fossilierung keinen Einfluss auf die chronologische Ordnung des Spracher‐ werbs hat (vgl. das Kapitel 17.2.2). Im Rahmen des Gemeinsamen europäischer Referenzrahmen für Sprachen 116 werden sechs Spracherwerbsstufen, hier „Referenzniveaus“, unterschieden. Diese reichen von A1 bis C2. Betrachtet man die Beschreibungen der jeweiligen Stufen, lässt sich daraus ablesen, welche sprachlichen Fähigkeiten zum Errei‐ chen der Niveaus notwendig sind. Gemeinsam mit Dozent/ inn/ en aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache konnten so Anforderungen erarbeitet werden, wie sie auch in Lehrplänen verwendet werden. A1: Die Lerner/ innen benötigen für die erste Stufe keine bzw. kaum gramma‐ tisches Wissen, da hauptsächlich formelhafte Wendungen erlernt und wiedergegeben werden. Hier erlernen Nicht-Muttersprachler/ innen erste Grundkenntnisse der Kongruenz. A2: Hier werden Kenntnisse der Konjugation und Deklination erlernt. Ver‐ schiedene Tempora sind Teil des Lehrplans. B1: Auf dem B-Niveau werden komplexe Satzgefüge mit Haupt- und Neben‐ sätzen erlernt. Dafür sind verschiedene Konnektoren wie Konjunktionen, Subjunktionen und Konjunktionaladverbien notwendig. In der Regel sollten auf diesem Niveau nur noch wenige elementare Flexionsfehler auftreten. Z. B. stellt die Konjugation nach Person (1. - 3. Sg. bzw. Pl.) hier kein größeres Problem dar. B2: Lerner/ innen des B2-Niveaus können eigene Fehler i. d. R. selbständig korrigieren (vgl. Mistake und Error). Sie erlernen ein tiefergehendes Textsortenverständnis und trainieren, Argumentationsmuster und Textbzw. Sprecherabsichten zu erkennen. Verschiedene Modi sind notwendig, um die eigene Argumentation von Fremdargumenten zu unterscheiden und kenntlich zu machen. Betrachtet man die Anforderungen der Stufen, wird deutlich, dass der fingierte Autor ein recht hohes sprachliches Niveau erreicht, da z. B. Sätze entsprechend verknüpft werden, die Satzstrukturen standardsprachlich sind und nur wenige syntaktisch bedingte Fehler gemacht werden. Hier mag kritisch angemerkt werden, dass es sich im Falle der/ des Schreiberin/ Schreibers um ungesteuerten Spracherwerb handeln könnte, die o. g. Stufen aber nur den gesteuerten Spracherwerb abbilden. Jedoch ist es so, dass auch ungesteuerter Spracherwerb die chronologische Ordnung nicht durcheinanderbringt. Es ist nicht plausibel, dass ein/ e Autor/ in beispielsweise so viele Flexionsfehler macht, jedoch eine 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 299 <?page no="300"?> sehr standardsprachliche Syntax verwendet und die Texte somit grundsätzlich verständlich sind. In der Folge sollen nun sprachliche Bereiche analysiert werden, die zeigen, dass die sprachliche Kompetenz des postulierten Autors nicht plausibel ist. Die Analyse fokussiert einige markante Bereiche, bei denen bekannt ist, dass Nicht-Muttersprachler/ innen häufig Probleme beim Erlernen dieser Strukturen haben. Lexik - Größerer Wortschatz Die Lexik des fingierten Autors geht teilweise über einen erwartbaren Grund‐ wortschatz hinaus. Es werden Wörter verwendet, zu denen es leichter zugäng‐ liche, frequentere Pendants gibt: „zudem“ (statt z.-B. auch) in: „Du musse trage zudem latex offen schlip und andere offen Dessous.“ (X11, 58) In dem in weiten Teilen standardsprachlicheren Text X14 finden sich Wörter wie „erregende“ und „selbstbefriedigung“, die ebenfalls nicht zum Grundwortschatz gehören: „was ich will von ihnen, einfach nur wirklich schöne erregende bilder. nur bilder.“ (X14, 9-10) „selbstbefriedigung wie sie es gemacht haben als sie alleine waren.“ (X14, 24) Doch auch in Text X11, in dem eine geringere schriftsprachliche Kompetenz imitiert wird, werden Wörter verwendet, die über den erwartbaren Wortschatz hinausgehen und nicht erklärbar sind. Dazu gehört das Wort separat, das hier jedoch als „sepprat“ wiedergegeben wird. Die leicht zu fingierende Falschschrei‐ bung macht den Gebrauch nicht plausibler: „sepprat“ vgl. separat in „Mann soll mache binte alle arm und bein sepprat mit gurtel wo fest.“ (X11, 48) Sehr auffällig ist, dass der postulierte Autor viele Wörter verwendet, die ebenfalls nicht zum Grundwortschatz gehören und auf denen der Fokus seiner Forderungen liegt. Insbesondere fällt darunter die Kleidung des Opfers, die es auf den geforderten Fotos tragen soll: 300 17 Dritter empirischer Teil <?page no="301"?> „Hab isch will dessous von tanga gstring panty korsette slip body schtringbody catsuite korsage strumpfe teddy offen body offen panty bh set und gantz fiele sachs mehr noch.“ (X11, 61-63) Außer der fast durchgehenden Kleinschreibung sind die beschriebenen Klei‐ dungsstücke insbesondere im Vergleich zum Rest des Textes korrekt ge‐ schrieben. Hinzu kommen ein paar Abweichungen wie „korsette“ statt Korsett (vgl. Schwa-Endung) oder die Konsonantenclustervertauschung <sch> statt <s> in „schtringbody“ statt Stringbody etc. Auffällig ist hierbei auch, dass z. B. „latex/ Latex“ insgesamt viermal im Text (X11 58, 59, 60 und 63) verwendet wird. Jedes Mal wird Latex korrekt mit <x> geschrieben. Obwohl hier auch die Lautung [ks] vorliegt, gibt es keinen Beleg wie *Lateks, vgl. dagegen X11, 75 „ekstrem“. Ebenfalls werden Wörter verwendet, die über den Grundwortschatz hinaus‐ gehen, wenn die/ der Autor/ in weitere sexuelle Fantasien beschreibt. Z. B. in dem folgenden Satz: „Mann neme Nudelhoolz und stecke in Muschi.“ (X11, 39-40) „Nudelhoolz“ ist ebenfalls kein frequentes Wort und befindet sich dennoch im mentalen Lexikon der/ des Autorin/ Autors. Auch die falsche Doppelkonsonanz <oo> sorgt nicht für eine höhere Plausibilität. Feste Wendungen Feste Wendungen gehören zu den für Manipulationen weniger leicht zugängli‐ chen Bereichen der Sprache. Für Nicht-Muttersprachler/ innen ist es schwierig, sie zu erlernen und insbesondere in den richtigen Situationen zu gebrauchen. Im Gegensatz dazu sind feste Wendungen sehr stark im Sprachbewusstsein von Mutterspracher/ inne/ n verankert und es fällt ihnen daher schwer, sie absichtlich zu ignorieren. Ein Beispiel für eine feste Wendung findet sich in dem folgenden Beleg gleich zweimal: „will isch aber libber bilders. wenn mache isch selbst an disch ische mir vergesse. danne brutalo. ische kenn mir. das nix gut sein für dir. sischer. also mache endlische de bilders sonst isch mir doch vergess.“ (X17, 25-30) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 301 <?page no="302"?> Die Wendung sich (selbst) vergessen bedeutet, dass man in einer Situation die Beherrschung verliert. Sie kann auch als Drohung eingesetzt werden, wie in ich vergesse mich gleich o.ä. Beide Bedeutungen werden in dem o. g. Beleg gemeint. Einerseits wird dem Opfer gedroht und andererseits wird ein Szenario beschrieben, in dem der fingierte Autor die Beherrschung verliert. Es gilt zu beachten, dass zwischen vergessen und die Beherrschung verlieren keine semantische Nähe besteht. Das bedeutet, dass für Nicht-Muttersprachler/ innen nicht direkt ersichtlich ist, wie diese Wendung gebraucht wird, es sei denn, sie/ er erlernt sie. Schaut man sich die Belege an, ist zweifelhaft, ob ein/ e nicht-mut‐ tersprachliche/ r Schreiber/ in dieser Spracherwerbsstufe den korrekten seman‐ tischen Gebrauch dieser festen Wendung beherrschen würde. Orthographie - Doppelkonsonanten Beim Erlernen der deutschen Sprache haben viele nicht-muttersprachliche Lerner/ innen Probleme mit der Doppelkonsonanz im Deutschen. Drei kleine quantitative Analysen zeigen, dass die/ der Autor/ in keinerlei Probleme damit hat. In Text X11 werden 43 Wörter (Token) korrekt mit <ll> realisiert. Die einzelnen Wörter (Types) sind: Hallo, solle, poststelle, mullaimer, woll, wolle, wollen, will, pikobello, alles, [fille], alle, all, soll, willst. Dagegen findet sich nur ein Wort, das standardsprachlich mit <ll> geschrieben wird, hier allerdings mit nur einem <l> steht, nämlich „vole“ (X11, 4). Im gleichen Text stehen außerdem 9 Wörter (Token) korrekt mit <mm>. Die einzelnen Wörter (Types) sind: bekomm, komme, zusammen, klemme, zusammenbind, bekomme. Auch hier findet sich nur ein falschgeschriebener Beleg, nämlich „zusamen“ (X11, 39). Für <nn> finden sich 64 korrekt geschriebene Wörter (Token). Hier sind die einzelnen Wörter (Types): wenn, dann, manne [vgl. Mann], innen, Mann, innenseit [vgl. Innenseite], dunn [vgl. dünn], kanne, denne. Im gesamten Text sind nur zwei inkorrekte Realisierungen (Token) mit <n>, nämlich „dan“ (ein Type, X11, 26 und X11, 49). Auch bei anderen Buchstabenkombinationen und in den folgenden Texten zeigt die/ der Autor/ in keine Probleme bei der korrekten Realisierung von Doppelkonsonanten. Einschränkend muss hier angemerkt werden, dass es Doppelkonsonanz auch im Italienischen gibt. Umlautschreibung In Bezug auf Umlautschreibung kann analysiert werden, dass die/ der Autor/ in in manchen Textteilen die standardsprachliche Schreibung mit Realisierungen 302 17 Dritter empirischer Teil <?page no="303"?> von <ae>, <oe>, <ue> umgeht (vgl. die Analyse von X24 im weiteren Verlauf). Hier ist ein Beispiel dafür: <ü> ⇨ <ue> (insgesamt 5 Belege in X24) „gefuegigkeit“ (X24, 14), „wuerden“ (X24, 19), „wuenschen“ (X24, 20) Dennoch zeigen solche Belege, dass sich die/ der Schreiber/ in über die korrekte Umlautschreibung bewusst ist, denn in anderen Teilen werden die korrekten Umlaute verwendet. Als Beispiel sei hier ein Satz genannt: „schöne“ in: „zieh an schöne gute kleidung wie ahnzug rock kleid strumpfhos.“ (X11, 18) Auch ist gezeigt worden, dass die/ der Autor einige Wörter, die standardsprach‐ lich mit Umlaut geschrieben werden müssten, mit einfachem Vokal schreibt. Hierbei ist es jedoch so, dass sich, wie gezeigt, auch korrekte Umlautschrei‐ bungen finden. Die/ Der Autor/ in hat keine Probleme mit der Umlautschreibung. Groß- und Kleinschreibung Die/ Der Schreiber/ in realisiert in den Texten eine fast durchgehende Klein‐ schreibung. Das heißt, dass sie/ er fast alles, bis auf den Satzanfang, kleinschreibt. Wenn es, wie bei der radikalen Kleinschreibung, keine Entscheidung gibt, ob man ein bestimmtes Wort groß- oder kleinschreibt, gibt es im Grunde genommen keine linguistischen Merkmale bezogen auf die Groß-/ Kleinschrei‐ bung. U.U. ist sich die/ der Autor/ in darüber bewusst, dass die Großschreibung von z. B. Substantiven ein signifikantes Merkmal der deutschen Sprache ist. Daher hat sie/ er sich u. U. für die durchgehende Kleinschreibung entschieden. Dennoch finden sich Sätze, in denen die radikale Kleinschreibung aufgebrochen wird und in denen die Groß-/ Kleinschreibung dann standardsprachlich korrekt ist. Als Beispiel sei folgender Beispielsatz genannt, in dem alle drei Substantive großgeschrieben werden: „Stockelschuhe“ (vgl. Stöckelschuhe), „Schtiefel“ (vgl. Stiefel) und „Knie“ in: „Will habe isch dabei muss du Stockelschuhe und muss Schtiefel wo gehenüber die Knie trage.“ (X11, 20) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 303 <?page no="304"?> Auch in anderen Passagen wird die Groß- und Kleinschreibung beachtet. Die/ Der Schreiber/ in verwendet die radikale Kleinschreibung nicht grundsätz‐ lich und die Verstellungsstrategie wird nicht über den gesamten Text aufrecht‐ erhalten. Hier sind einige Beispielsätze: „Beine“, „Armes“ (vgl. Arme) und Muschi in: „du rasiere Beine und unter Armes. Dann rasiere dich Muschi pikobello glatto.“ (X11, 13-14) „Mann“, „Vibrators“ (vgl. „Vibratoren“) und „Arsche“ (vgl. Arsch) in: „Mann neme Vibrators und Dildos und steke in Arsche.“ (X11, 45) Morphologie - Komposita Auch die korrekte Bildung von Komposita stellt Deutschlerner/ innen vor eine komplexe Aufgabe. Komplett richtig realisierte Komposita sind tatsächlich eher selten in den Texten X11-X21 zu finden, da die/ der Autor/ in bei längeren Wörtern fast durchgehend orthographische Fehler einbaut. Davon ist aber das grundsätzliche Prinzip der Kompositabildung nicht betroffen. Einige Sätze sollen hier als Beispiele dienen: „Stockelschuhe“ (vgl. Stöckelschuhe) in: „Will habe isch dabei muss du Stockelschuhe und muss Schtiefel wo gehenüber die Knie trage.“ (X11, 20) „schlafzimmer“ in: „schöne sachen hab ich gesehen in ihrem schlafzimmer.“ (X14, 3) „wunderschön“ in: „gesicht schminken, augen wunderschön machen.“ (X14, 15) Genus Nicht-Muttersprachler/ innen des Deutschen verwechseln das Genus von Sub‐ stantiven relativ häufig. Bei romanischen Sprachen wie dem Italienischen oder 304 17 Dritter empirischer Teil <?page no="305"?> Spanischen kann man das Genus bei den meisten Substantiven recht leicht an der Endung erkennen, außerdem gibt es kein Neutrum. Im Deutschen muss jedoch das Genus bei vielen Substantiven dazugelernt werden, da es nicht nach morphologischen Kriterien erkennbar ist. Die/ Der Schreiber/ in simuliert in den vorliegenden Texten einen Lernerstand, bei dem Genusfehler recht häufig auftreten müssten (vgl. Flexionsfehler). Verglichen mit der ansonsten zur Schau gestellten schriftsprachlichen Kompetenz macht die/ der Autor/ in wenige Genusfehler. Das ist nicht plausibel, da die Phasen, in denen bestimmte Dinge (gut) erlernt werden, bei den meisten Nicht-Muttersprachler/ inne/ n ungefähr gleich sind, auch wenn das Niveau bzw. die Geschwindigkeit, wann etwas erlernt wird, sich unterscheiden. Präpositionen Die Verwendung der korrekten Präpositionen gehört zu den Bereichen der Sprache, die für Nicht-Muttersprachler/ innen am schwierigsten zu erlernen sind. Daher haben auch Deutschlerner/ innen damit große Probleme. Die/ Der Autor/ in hat kaum Probleme mit der korrekten Wahl von Präpositionen. Als Belege für die hohe schriftsprachliche Kompetenz sollen folgende Beispielsätze dienen: „auf “ (vgl. sich auf den Rücken legen“) und „mit“ in: „Lege dir auf rucken und mann binden alle arm und bein mit paar gurtels zusammen.“ (X11, 34) „mit“, „aus“ und „auf “ in: „viele viele bilder wo mann mit glied in vagina ist. mann soll kommen wo glied aus vagina fast draussen, samen vorne auf vagina.“ (X14, 32-33) „mit“ in: „schon mit mann geubt? “ (X15, 4) „auf “ (vgl. auf die Seite legen), „in“ (2x) in: „dann legen auf seite, stecken gross sache in scheid und klein sache in po.“ (X16, 14) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 305 <?page no="306"?> Die/ Der Schreiber/ in wählt fast immer die richtige Präposition. Die Wahl der richtigen Präposition ist eine bei Muttersprachler/ innen tief im Sprachbewusst‐ sein verankerte Information. Daher lässt sich die Wahl von falschen Präposi‐ tionen nicht so leicht fingieren. Der/ Dem Autor/ in fehlt das entsprechende metasprachliche Bewusstsein, um dieses Merkmal erfolgreich zu simulieren. Gebrauch von Verknüpfungsmitteln Die/ Der Schreiber/ in kann problemlos Sätze miteinander verknüpfen. Während in Texten mit hohem Verstellungsgrad (z. B. X11) vor allem leicht zugängliche Konjunktionen (z. B. und) hochfrequent auftreten (57 Nennungen von und in X11), gibt es z. B. in den standardsprachlichen Teilen von X14 auch komplexere Sätze. Ein Beispielbeleg soll das zeigen: „ich will viel mehr dieser bilder, sonst werde ich die aus ihrem kleinen vollen schlafzimmer gemachten bilder an ihren chef und andere menschen schicken.“ (X14, 5-6) Die Verknüpfung ist in dem Beleg komplexer, da statt der Standardkonjunktion und das semantisch passende und syntaktisch einwandfrei eingebaute Konjunk‐ tionaladverb sonst gebraucht wird. Konstruktionen, die das Verständnis sichern sollen Hier sollen einige Konstruktionen beschrieben werden, die offensichtlich das Verständnis des Textes sichern sollen. Die Verschleierung der eigenen Identität und das Bedürfnis der/ des Autorin/ Autors, dennoch verstanden zu werden, führen zu einem Phänomen, das u. a. Dern (2009: 80 ff.) beschrieben hat. Sie nennt es einen „Konflikt zweier elementarer Kräfte“, die für das „Entstehen einer wenig plausiblen Befundkonstellation“ sorgen. „Succiare“ und „Lutschi und sauge“: „Succiare Schwanz von Mann. Lutschi und sauge dem Mann schwanz.“ (X11, 57) Die Bildung „Succiare“ entspricht nicht dem italienischen Wort succhiare (spa‐ nisch: chupar, chupetear) für dt. lutschen. Dennoch ist Succiare offensichtlich nach dem italienischen Vorbild gebildet. Um das Verständnis sicherzustellen, ‚übersetzt‘ die/ der Autor/ in ins Deutsche: „Lutschi und sauge“. 306 17 Dritter empirischer Teil <?page no="307"?> Auch in einem weiteren Beleg wird ein Textteil übersetzt: „No policia“ und „nix policia“ „no policia no ander kanne dir helf. isch warte bisse nixe da sein. nix policia nix manne nix hilfe.“ (X17, 35-37) Bei dem Ausdruck „no policia“ könnte die/ der Autor/ in u. U. davon ausgehen, dass sie/ er verstanden wird, jedoch ist diese Anweisung im gegebenen Kontext so wichtig, dass sie sicherheitshalber teilweise übersetzt wird. Verständlichkeit Die Analyse der Texte hat ergeben, dass trotz vieler Abweichungen von der Standardsprache und fingierter Fehler nie das Verständnis gefährdet wird. Die Fehler wurden von einer deutschsprachigen Person generiert und daher sind die Texte für deutschsprachige Rezipient/ inn/ en leicht zu verstehen. In allen Texten X11-X21 werden Imitationsstrategien als Nicht-Mutter‐ sprachler eingesetzt und entsprechende populäre Merkmale verwendet. Die Verständlichkeit ist dennoch nie gefährdet. Ein Aspekt, der zur Verständlichkeit beiträgt, ist, dass die Syntax im Großen und Ganzen eher standardsprachlich ist. Hier und da wird gegen syntaktische Regeln verstoßen, indem ein Wort im Satz verschoben wird o.ä., jedoch beziehen sich die meisten fingierten Merkmale auf leichter zugängliche Bereiche der Sprache. In Fällen, in denen die/ der Autor/ in befürchtet, dass die Rezipient/ inn/ en das Geschriebene nicht verstehen, wird das Verständnis dadurch gesichert, dass Wörter übersetzt werden (s. o.) oder ein Sachverhalt noch einmal wieder‐ holt oder z. B. durch Synonyme genauer erläutert wird. Viele beschriebene Merkmale stellen einen fingierten Autor dar, die/ der eine geringe schriftsprach‐ liche Kompetenz hat. Daher wäre es plausibel, dass einige Sätze wesentlich unverständlicher oder gar komplett unverständlich sind. Das ist jedoch nicht der Fall. Der hohe Grad an Verständlichkeit sorgt dafür, dass das geplante Bild eines nicht-muttersprachlichen Autors im höchsten Maße unplausibel und inkonsistent ist. Suggestive Darstellung des ‚Fremdseins‘ und Autorenstilisierung Eine Textpassage beginnt die/ der Autor/ in mit dem folgenden Satz: „Habe isch will pervers dinger, woe nix krieg isch hier.“ (X11, 29) 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 307 <?page no="308"?> Der Satz trägt in etwa die Bedeutung Ich will perverse Dinge/ Dinger be‐ kommen/ haben, die ich hier nicht bekomme/ kriege. Mit „pervers dinger“ sind wohl die seitens der/ des Autorin/ Autoren beschriebenen sexuellen (und teilweise gewalttätigen) Handlungen gemeint. Das „hier“ in dem Beleg ist nicht eindeutig und es kann nicht genau geklärt werden, was damit gemeint ist. U.U. wird damit auf das persönliche Leben (vielleicht eine eigene Beziehung o.ä.) referiert. Zieht man jedoch die eindeutigen Darstellungen von Fremdheit (siehe o. g. Merkmale) in Betracht, ist es ebenfalls möglich, dass mit „hier“ etwas gemeint ist, das nicht die eigene Heimat beschreibt. Dann wäre damit Deutschland gemeint. U.U. handelt es sich um eine Autorenstilisierung und die/ der Schreiber/ in zeigt damit an, dass der fingierte Autor des Textes aus einem anderen Land kommt (vgl. das Kapitel 16.1.1). Bei dieser Interpretation würde die sprachliche Darstellung von Fremdheit durch die suggestive Andeutung einer nicht-deutschen Nationalität unterstützt. Vgl. hierzu auch die Analyse eines Erpresserschreibens mit der Passage „wir Fliegen Wochenende in Heimat zurück.“ bei Dern (2009: 112 ff.). 17.5.10 Nicht-Plausibilität und Inkonsistenz anhand konkreter Textvergleiche Textvergleich X14 und X15 Der Text X14 ist standardsprachlicher als X11-X13 und X15-X21. Insbesondere beginnt der Text sehr standardsprachlich. X15 ist sehr kurz (18 Wörter) und die schriftsprachliche Kompetenz entspricht X11-X13 sowie X16-X21. Es ergibt sich jedoch ein interessantes Bild, wenn man beide Texte miteinander vergleicht. So beinhaltet X14 folgende Sätze: „was sie in warmen nächten an ihrem körper so alles machen, wenn sie ohne kinder daheim sind.“ (X14, 2-3) „machen sie viele viele bilder.“ (X14, 38) Der Text X15 beinhaltet thematisch ähnliche Passagen, die sich aber stilistisch stark von denen in X14 unterscheiden: „warme sommernachte geben fiele blick frei.“ (X15, 2-3) „machen viele viele fotos“ (X15, 5) 308 17 Dritter empirischer Teil <?page no="309"?> Vgl. die Ähnlichkeit von „in warmen nächten“ (X14, 2-3) mit „warme sommer‐ nachte“ (X15, 2-3). Im zweiten Beleg zeigen sich jedoch die typischen Merkmale der bereits beschriebenen Verstellungsstrategie wie Vermeidung des Umlauts in „sommernachte“, Konsonantenvertauschung in „fiele“ und falsche Pluralform bei „fiele blick“. Auch X14, 38 und X15, 5 ähneln sich, wobei bei zweiterem eine Infinitivform „machen“ statt einer flektierten Form auftritt und das Perso‐ nalpronomen du/ Sie getilgt wird. Textvergleich X11 und X14 Auch bei anderen Texten unterscheidet sich die zur Schau gestellte schrift‐ sprachliche Kompetenz erheblich. Als Beispiel sollen hier zwei Textteile dienen, in denen jeweils beschrieben wird, was die/ der Schreiber/ in von dem Erpres‐ sungsopfer verlangt, bevor die geforderten Fotos gemacht werden. In X11 ist die Imitation als Nicht-Muttersprachler offensichtlich und durch viele bereits besprochene Merkmale gekennzeichnet: „du rasiere Beine und unter Armes. Dann rasiere dich Muschi pikobello glatto. Nix ein Haar isch wolle noch sehn. Dann mache kopphaare in top ordnunge. Nix wolle so komisch Friseur. und mache schmink gesicht ordentlig schon.“ (X11, 13-15) X14 beinhaltet weit weniger Merkmale. Der hier aufgeführte Textteil ist zwar nicht auf dem gleichen schriftsprachlichen Niveau wie die Anfangspassage von X14 (siehe den Textvergleich X14 und X15). Die Passage gleicht einem Telegrammstil, jedoch wird hier niemand imitiert, die/ der Deutsch nicht als Muttersprache hat: „gesicht schminken, augen wunderschön machen. erotisch aussehen. beine rasieren und vagina und po auch. das soll ein mann machen. bilder machen bei rasieren.“ (X14, 15-17) X14 zeigt insgesamt eine wesentlich höhere schriftsprachliche Kompetenz als X11. 17.5 Verschleierung der eigenen schriftsprachlichen Kompetenz 309 <?page no="310"?> 17.5.11 Vergleich der unterschiedlichen Realisationen eines Lexems in einem Text In Text X17 kommt das Wort rein in zwei zusätzlichen Varianten, nämlich „reine“ und „reino“ vor. Die Wahl des jeweiligen Wortes ist dabei willkürlich und folgt keinem erklärbaren Prinzip: „mann solle mache superior bilders. schöne tiefe rein.“ (X17, 16) „wie funf zentmeters und stecko in dir muschi reine und raus.“ (X17, 13-14) „dann mann nehme gantze fausto und stecke reine.“ (X17, 17) „du schon wisse was wolle ich. faust reine stecke.“ (X17, 17-18) „rutsche rutsche stecko reino.“ (X17, 25) Das Wort „rein“ wird einmal (X17, 16), „reine“ dreimal (X17, 13-14, 17, 17-18) und „reino“ (X17, 25) einmal verwendet. Diese Varianz ist nicht erklärbar und insbesondere ist auffällig, wie nah im Text die einzelnen Belege voneinander entfernt sind. Wenn sich ein/ e Schreiber/ in über die richtige umgangssprachliche Form bewusst ist (rein), dann ist es unplausibel, dass Belege mit gleicher Bedeutung auftauchen, in denen das Wort falsch wiedergeben wird. Dadurch, dass die falschen Formen insgesamt viermal in einem Text belegt werden können, ist nicht von einem Tippfehler auszugehen. Es handelt sich um einen fingierten Fehler. 17.5.12 Sonstige Auffälligkeiten ‚Rezept‘-Struktur „Mann neme gantz fiele unterschide von Dildos und Vibrators und steke in Muschi.“ (X11, 42) Die Formulierung „Mann neme“ erinnert an ein Rezept mit der Struktur man nehme. Diese Struktur kommt sehr häufig vor, hier einige Beispiele: „Mann neme Flasche und stecke mit Bottem zu erst in Muschi.“ (X11, 35) „Dann Mann nem Pupa von Kinder und stecke in Muschi.“ (X11, 35-36) „Mann neme 3 Gurk und stek all zusamen in Muschi.“ (X11, 39) „dann mann nehme gantze fausto und stecke reine.“ (X17, 17) 310 17 Dritter empirischer Teil <?page no="311"?> ‚Kindersprache‘-Struktur „werde hart mache weh und au in disch.“ (X21, 6-7) Der o. g. Satz ähnelt der Kindersprache, vgl. Sätze wie ich habe aua gemacht. Warum die/ der Autor/ in eine solche Struktur verwendet, bleibt wie bei der ‚Rezept‘-Struktur unklar. U.U. werden beide Strukturen intendiert gebraucht, da auch hier mangelnde Sprachkompetenz vorgetäuscht werden soll. 17.6 Fallenlassen der bisherigen Verstellungsstrategie in den Texten X22-X36 Die Texte ab X22 lassen die bisher beschriebene Verstellungsstrategien als italienischer Muttersprachler fallen. Thematisch werden die Drohungen we‐ sentlich drastischer. Außerdem wird von dem fingierten Autor angedeutet, dass hinter ihm eine Gruppe steht. Solche Angaben werden als Autorenstilisierungen bezeichnet. Sprachlich sind die Texte wesentlich standardnäher als die voran‐ gegangenen Texte. 17.6.1 Analyse von Text X22 Im ersten Absatz (Zeilen 1-5) von X22 werden einige Merkmale verwendet, die zunächst auf eine weitere Verstellung schließen lassen. Diese Ansätze werden jedoch im Verlauf des Textes aufgegeben. Signifikante Merkmale sind: Kasusvertauschung - Standardsprachlich Dativ „dich“ statt dir in: „Lass dich eins gesagt sei.“ (X22, 3) Vermeidung von Umlauten „wutend“ (2x) statt wütend in: „Wir sind wutend, sehr wutend über dich.“ (X22, 4) 17.6 Fallenlassen der bisherigen Verstellungsstrategie 311 <?page no="312"?> Falsche Präposition „wutend über dich“ (2x) statt wütend auf dich in: „Wir sind wutend, sehr wutend über dich.“ (X22, 4) Satzzeichen - Fragezeichen statt Punkt „Du hasst deine Vater also, warum. macht er nicht was du willst? “ (X22, 10) Der erste Satz müsste standardsprachlich mit einem Fragezeichen abgeschlossen werden. Bemerkenswert ist, dass im anschließenden Satz ein Fragezeichen korrekt verwendet wird. Dialektaler Sprachgebrauch Die Adressatin des Textes wird dreimal als futt/ Futt bezeichnet: „Du kleine Futt, hör genau zu.“ (X22, 6) „Also du kleine futt.“ (X22, 19) „Du geile Futt hast es nicht gemerkt, wie einer von uns im Schwimmbad deinen Arsch berührt hat.“ (X22, 22) Im Schwäbischen bezeichnet Fud/ Futt das weibliche Geschlechtsorgan (auch teilweise mit der Bedeutung Po oder Hure), im Rheinischen und Ruhrdeutschen ist mit Futt bzw. Fott der Po gemeint. Alle drei Bedeutungen können hier intendiert sein. Es ist unwahrscheinlich, dass die/ der Autor/ in hier eine Verstel‐ lungsstrategie anwenden will, um den postulierten Autor als Dialektsprecher darzustellen. Vielmehr ist es wahrscheinlich so, dass der/ dem Autor/ in nicht bewusst ist, dass es sich hierbei um eine nicht-intendierte Nutzung eines dia‐ lektalen Worts handelt, das Hinweise auf die sprachliche Sozialisation der/ des Schreiber/ in geben kann (vgl. Kapitel 12). Autorenstilisierung Der Text X22 weist keine Verstellungsstrategie als nicht-deutsche/ r Mutter‐ sprachler/ in auf. Die genannten Merkmale sind nicht signifikant oder durchge‐ hend. Ein Beleg beinhaltet eine interessante Form der Autorenstilisierung: 312 17 Dritter empirischer Teil <?page no="313"?> „dann kommst du nach Rumänien in einen unserer Puffs und darfst für uns anschaffen und Pornos drehen.“ (X22, 27-28) Die Drohung beinhaltet u. U. die explizite Darstellung von Fremdheit, die durch „nach Rumänien in einen unserer Puffs“ generiert wird. Einerseits wird der fingierte Autor mit Rumänien in Verbindung gebracht und andererseits als Teil einer Gruppe inszeniert. Durch diese Autorenstilisierung wird das „Machtgefälle“ (Fobbe 2011: 78) zwischen Schreiber/ in und Empfänger/ in der Erpressung noch verstärkt (vgl. auch die Bedeutung von Unterschriften in Kapitel 14.4). Da der postulierte Autor explizit mit Rumänien in Verbindung gebracht wird, ist es erstaunlich, wie standardnah der Text im Vergleich zu den Texten X11-X21 ist. Signifikant an dem Satz X22, 27-28 ist außerdem, dass hier der Umlaut korrekt gebraucht wird, obwohl er in X22, 4 noch vermieden wurde. 17.6.2 Analyse der Texte X23-X26 Die Schreiben X23-X26 ähneln in ihrer schriftsprachlichen Kompetenz und Sprachstilistik X22. Sie sind sehr standardnah geschrieben, weisen aber noch ein paar weitere interessante Merkmale auf, die im Folgenden ergänzend zu denen in X22 beschrieben werden sollen. Vermeidung der Grapheme <ü>, <ä> und <ö> zur Darstellung von Umlauten Signifikant ist in X24 die Vermeidung von Umlauten. Diese werden jedoch nicht wie in anderen Texten (z. B. X11) durch einen ‚einfachen‘ Vokal ersetzt, sondern durch einen entsprechenden Vokal + <e>. <ü> ⇨ <ue> (insgesamt 5 Belege in X24), z.B.: „gefuegigkeit“ (X24, 14), „wuerden“ (X24, 19), „wuenschen“ (X24, 20) <ä> ⇨ <ae> (insgesamt 19 Belege in X24), z.B.: „enttaeuscht“ (X24, 3), „aendern“ (X24, 6), „maenner“ (X24, 8) <ö> ⇨ <oe> (insgesamt 7 Belege in X24), z.B.: „hoeren“ (X24, 11), „abtoernend“ (X24, 21), „koennen“ (X24, 29) 17.6 Fallenlassen der bisherigen Verstellungsstrategie 313 <?page no="314"?> Es ist möglich, dass durch den Gebrauch dieses Merkmals die Verwendung einer internationalen Tastatur ohne Tasten für <ü>, <ä> und <ö> vorgetäuscht werden soll. Dennoch kommen alle drei Umlaute, jedoch wesentlich seltener als die o.-g. Pendants (4x ü, 1x ä, 1x ö), im Text korrekt gebraucht vor: „überlegen“ (X24, 2), „zusätzlich“ (X24, 37), „können“ (X24, 13) schance In X25 ist sehr auffällig, dass die/ der Schreiber/ in in einem sonst sehr standard‐ nahen Text insgesamt viermal „schance(n)“ statt Chance verwendet. Beispielhaft dazu der folgende Beleg: „das jetzt ist ultimativ deine letzte allerletzte schance.“ (X25, 14) Die Falschschreibung ist vor allem deswegen signifikant, da auch in X11 Chance falsch als „schanze“ wiedergegeben wird: „kriege lätze schanze.“ (X11, 3) U.U. handelt es sich bei „schance“ um einen echten Error und nicht um einen fingierten Fehler. Da die Schreibung in X25 viermal vorkommt, ist nicht von einem Mistake oder einem Tippfehler auszugehen. Dahingegen ist bei „schanze“ in X11 von einem fingierten Fehler auszugehen, da dieser Text auch ansonsten ein wesentlich geringeres schriftsprachliches Niveau darstellt. 17.6.3 Analyse der Texte X27-X30 X27-X30 unterscheiden sich wieder stark von den vorausgegangenen Texten. In den Texten wird durch Nähesprache versucht, eine Art Vertrautheit zu generieren (vgl. hier auch X8). X28 und teilweise X29 ähneln formal einem Gedicht. Auffällig ist ein Merkmal in X30: Latein „dum spiro spero“ (X30, 6) 314 17 Dritter empirischer Teil <?page no="315"?> Die/ Der Autor/ in verwendet als Überschrift einen lateinischen Satz, der Solange ich atme, hoffe ich bedeutet. Signifikant kann das sein, da auch in X11 ein lateinischer Begriff („Aqua“) genannt wird: „Schtecke kondoma in Muschi und fille Aqua mit Drichter in Kondoma.“ (X11, 30) U.U. kann die/ der Autor/ in Latein, kennt den o. g. lateinischen Satz Ciceros (mit Merksatzcharakter! ) aus der Schulzeit oder aus dem Studium o.ä. Daher wäre es auch möglich, dass sie/ er fälschlicherweise in X11 das lateinische und nicht das italienische Wort verwendet hat, obwohl eigentlich ein Italiener imitiert wurde. 17.6.4 Analyse der Texte X31-X36 X31-X36 sind standardsprachlich geprägte Texte und beinhalten wenige signifi‐ kante Fehler. Der folgende Satz soll als Beispiel dienen, um die schriftsprachliche Kompetenz, die hier insbesondere im Gegensatz zu den Texten X11-X21 offen‐ bart wird, darzustellen: „Da DU das mit den Klamotten und der Farbe nicht hinbekommen hast gibt es jetzt einige Pflichtaufgaben die Du zwingend zu machen hast.“ (X35, 10-11) Häufig sind Satzzeichenhäufungen, Fehler bei der S-Schreibung, Kommafehler und Fehler bei der Getrennt- und Zusammenschreibung. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Texten sind hier wieder extreme Gewaltandrohungen (insbesondere in X32 und X35) und Forderungen nach sexuellen Handlungen (bes. X35) vertreten. X33 ist sehr kurz, X34 entspricht exakt X25. Bemerkenswert sind nur drei Merkmale, einerseits eine Nennung von „chance“ in X31, 74; vgl. X11 („schanze“) und X25 („schance“), andererseits die auffällige dreifache Nennung des französischen Begriffs „ouvert“ (vgl. dt. offen) wie in: „DU trägst sexy slips, hipster, strings, frenchs, bodys, stringbodys, teddys, negligees und das. Alle ouvert.“ (X35, 19-20) Auffällig bei X35, 19-20 ist außerdem, dass die Auflistung verschiedener Kleidung, die das Erpressungsopfer tragen soll, sehr anderen Auflistungen der stark fingierten und stilisierten Texte X11-X21 gleicht. Das häufige Auftauchen 17.6 Fallenlassen der bisherigen Verstellungsstrategie 315 <?page no="316"?> solcher Konstruktionen (z. B. auch in X24), ist ein Hinweis, dass die Texte, trotz einer teilweise sehr unterschiedlichen Stilistik und Fehlerdichte, von derselben/ demselben Schreiber/ in sind. 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie Es konnte gezeigt werden, dass die/ der Autor/ in der untersuchten inkrimi‐ nierten Textserie eine nicht plausible und inkonsistente Merkmalset-Konstel‐ lationen verwendet (Kapitel 17.5). Außerdem wurde anhand von Spracher‐ werbsstufen analysiert, dass die zur Schau gestellte sprachliche Kompetenz des postulierten Autors inkonsistent ist, da die schriftsprachliche Kompetenz z. B. der Syntax nicht mit der dargestellten Kompetenz der Orthographie zu vereinbaren ist (insb. Kapitel 17.5.9). Die/ Der Schreiber/ in verwendet mehrere Verstellungsstrategien. Sie/ Er verschleiert die eigene Identität und imitiert in vielen Schreiben der Textserie eine italienischsprachige Person. Die Imitation ist jedoch nicht durchgängig (vgl. Kapitel 17.4 und 17.6). In einigen Texten werden sprachliche Merkmale sowohl quantitativ als auch qualitativ stilisiert eingesetzt. Sie ähneln medial etablierten bzw. generierten Varietäten, die vor allem der Darstellung von Komik dienen. Im Zusammenhang mit Erpressungen und drastischen Gewaltandrohungen wie in der vorliegenden inkriminierten Textserie entfaltet sich eine fast absurde Wirkung auf die Leser/ inn/ en der Schreiben, ohne dass dadurch das Drohpotenzial abgeschwächt würde. Die Art und Weise, wie einige sprachliche Äußerungen stilisiert werden, ist mit bestimmten medial stilisierten Texten zu vergleichen. So kommen auch Verstellungsstrategien im Rahmen inkriminierter Texte vor, die sich an einem medial stilisierten Sprachgebrauch orientieren. Z. B. wird im Rahmen eines Täterprofils die Orientierung an der Figur „Ali Übülüd“ des Kabarettisten Helmut F. Albrecht genannt (Drommel 2016: 95). Im Zuge der im Rahmen dieser Arbeit bereits vorgestellten Debatte um die Existenz oder Nicht-Existenz eines Individualstils (vgl. das Kapitel 6.2), schreibt der Mathematiker Brückner (2016: 59): „In der Kunst wird die Parodie als Stilmittel eingesetzt. Dabei wird z. B. die Redeweise des Bundeskanzlers aufs Korn genommen. Wer eine solche Parodie in diesem unserem Fernsehen ansieht und anhört, wird merken, wer gemeint ist. Dies spricht zwar einerseits für das Vorhandensein eines Individualstils, zeigt aber andererseits, dass die 316 17 Dritter empirischer Teil <?page no="317"?> Mittel, diesen Stil zu imitieren, vielen zur Verfügung stehen. […] Ein Stil ist also stets nachahmbar, was beim Fingerabdruck nur sehr schwer möglich ist.“ Das Zitat Brückners zeigt, dass die Parodie, bzw. die Stilisierung des Sprachge‐ brauchs bestimmter Personen, oft missverstanden wird. Brückner schreibt hier von einer Imitation bzw. Nachahmung (vgl. „Stil zu imitieren“ und „Ein Stil ist also stets nachahmbar“). Eine Parodie, also eine Sprachleistung, die den Sprachgebrauch anderer Personen stilisiert, ist aber keine bloße Imitation oder gar Nachahmung. Bei einer Stilisierung will jemand nicht exakt so wirken wie das ‚Original‘, also das sprachliche Vorbild. Stattdessen werden markante Merkmale ausgewählt und sowohl quantitativ als auch qualitativ intensiver als bei dem Vorbild eingesetzt. Bevor die Stilisierung als Verstellungsstrategie im Rahmen der inkriminierten Textserie analysiert und mit konkreten Beispielen aus medial stilisierten Texten verglichen wird, soll zunächst das Prinzip medialer Stilisierungen fokussiert werden und im Anschluss die kommunikativen Ziele der Stilisierungsstrategie in Abgrenzung zu anderen Verstellungsstrategien erläutert werden. 17.7.1 Mediale Stilisierung Bei einer medialen Stilisierung werden Merkmale des sprachlichen Vorbilds nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Die Auswahl wird danach gesteuert, welche Merkmale einer/ einem Autor/ in, Komiker/ in etc. signifikant erscheinen. Vielfach wird die mediale Präsenz bestimmter Merkmale eine erhebliche Rolle bei der Auswahl spielen, da viele sprachwissenschaftliche Laien keine oder unzureichende Kenntnisse entsprechender Sprachkontaktphänomene, einer bestimmten Fremdsprache, eines bestimmten Dialekts etc. haben. Die Auswahl der Merkmale wird außerdem sowohl in qualitativer wie quantitativer Hinsicht durch das metasprachliche Bewusstsein der/ des Autorin/ Autors beschränkt. Aus dem Sprachgebrauch einer Person kann eine Vielzahl von Merkmal‐ sets extrahiert werden, aus denen Linguist/ innen Merkmalset-Konstellationen bilden können (vgl. Kapitel 9.11): 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 317 <?page no="318"?> Abbildung 7: Merkmalset-Konstellationen Nicht-Linguist/ inn/ en erscheint der Sprachgebrauch einer bestimmten Person oder einer Personengruppe als eine Vielzahl sprachlicher Besonderheiten, die im Vergleich zu dem als Standardsprache angenommen Sprachgebrauch als auffällig empfunden werden. Dabei werden i. d. R. nur bestimmte sprachliche Merkmale als solche erkannt. Die Wahrnehmung wird durch das metasprach‐ liche Bewusstsein sowie Kenntnisse einer Fremdsprache, eines Dialekts, Regio‐ lekts oder Soziolekts bzw. einer Fachsprache eingeschränkt. Es werden also nur bestimmte Merkmale des sprachlichen Vorbilds wahrgenommen: Abbildung 8: Eingeschränkte Wahrnehmung sprachlicher Merkmale von Laien 318 17 Dritter empirischer Teil <?page no="319"?> Bei einer medialen Stilisierung werden nach bestimmten Kriterien einige der Merkmale, die Laien als sprachliche Besonderheiten auffallen, aufgegriffen. Die Stilisierung besteht u. a. darin, dass diese Merkmale in einer hohen Frequenz eingesetzt werden. Beispiel einer Stilisierung Sprachliche Realität / Sprachliches Vorbild Sprecher/ in X verwendet in ihrem/ seinem Sprachgebrauch am-Progressiv-Formen. Sie kann also beispielsweise Folgendes sagen: Es war den ganzen Tag am Regnen. Ich habe gebacken. Dann hat das Telefon geklingelt. Quantitative Stilisierung Das Merkmal Verwendung von am-Progressiv-Formen ist auffällig, da es in den Bereich von Substandardkonstruktionen fällt. Ein solches Merkmal kann aufgegriffen und stilisiert werden. Die mediale Stilisierung erfolgt in quantita‐ tiver Hinsicht, wenn ein bestimmtes Merkmal in einer höheren Frequenz als beim sprachlichen Vorbild auftritt. Dann werden u. U. alle Verbformen als am-Progressiv-Formen realisiert: Es war den ganzen Tag am Regnen. Ich war am Backen. Dann war das Telefon am Klingeln. 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 319 <?page no="320"?> Abbildung 9: Quantitative Stilisierung sprachlicher Merkmale Qualitative Stilisierung Bei der Stilisierung können Merkmale nicht bloß quantitativ, sondern auch qualitativ intensiviert auftreten. Sprachliche Merkmale werden dann zusätzlich in verschiedenen Varianten verwendet, die das sprachliche Vorbild u. U. nicht verwenden würde. Es werden Konstruktionen analog zu denen gebildet, die das sprachliche Vorbild verwendet: Es war den ganzen Tag am Regnen dran. Ich war gerade am Brötchenbacken. Dann war das Telefon am Klingeln dran. Im ersten und dritten Satz wird die am-Progressiv-Form durch dran ergänzt. Im zweiten Satz steht der am-Progressiv mit einer Objektinkorporation (vgl. Rödel 2004: 143). 320 17 Dritter empirischer Teil <?page no="321"?> Abbildung 10: Qualitative Stilisierung sprachlicher Merkmale Generierung weiterer Merkmale Bei der medialen Stilisierung können weitere Merkmale hinzutreten. Solche stilisierten sprachlichen Abweichungen werden i. d. R. analog zu den qualitativ und quantitativ stilisierten Merkmalen gebildet. Es werden also Merkmale generiert, die bei dem sprachlichen Vorbild nicht auftreten würden, aber bei der Stilisierung mit vorhandenen Merkmalen in Verbindung gebracht werden: Es war den ganzen Tag am Regnen dran. Ich war gerade am Brötchenbacken. Ich hatte ganz vergessen gehabt, dass mich meine Eltern besuchen wollten. Dann war das Telefon am Klingeln dran. Es wird ein Satz ergänzt, der mit hatte vergessen gehabt eine Doppelplusquam‐ perfekt-Form (Hessler/ Pottmann 2017: 15) enthält. 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 321 <?page no="322"?> Abbildung 11: Generierung weiterer sprachlicher Merkmale bei der Stilisierung Abbildung 12: Linguistische Textanalyse stilisierter Merkmale - Veränderte Merk‐ malset-Konstellation Im Rahmen einer linguistischen Analyse kann eine Stilisierung als starke Ab‐ weichung von dem sprachlichen Vorbild analysiert werden, da einige Merkmale unbeachtet bleiben, andere dagegen sowohl in qualitativer wie quantitativer 322 17 Dritter empirischer Teil <?page no="323"?> Hinsicht stilisiert werden und weitere Merkmale hinzutreten. Die ‚ursprüngli‐ chen‘ Merkmalsets stimmen nicht mit den stilisierten Merkmalen überein: 17.7.2 Kommunikationsziele der Verstellungsstrategien im Vergleich Verschiedene Verstellungsstrategien unterscheiden sich in ihren Kommunika‐ tionszielen. Verschleierungsstrategie (dissimilatorische Verstellungsstrategie) Bei einer Verschleierungsstrategie versucht die/ der Schreiber/ in, ihre/ seine Identität zu verheimlichen, indem die eigene schriftsprachliche Kompetenz unterdrückt wird. Es gibt kein sprachliches Vorbild (vgl. das Kapitel 15.6.1). Imitationsstrategie (simulatorische Verstellungsstrategie) Die/ der Schreiber/ in imitiert eine Person oder eine/ n Repräsentantin/ Repräsen‐ tanten einer Personengruppe. Hier wird das eigene schriftsprachliche Verhalten zugunsten der Nachahmung des sprachlichen Vorbilds verheimlicht. I.d.R. dient die Imitation dazu, die Aufmerksamkeit der Leser/ innen bzw. die Ermittlungen in eine falsche Richtung zu lenken (vgl. das Kapitel 15.6.2). Z. B. können Nicht-Muttersprachler/ innen imitiert werden (vgl. das Kapitel 15.7). Es wird versucht, Abweichungen von der tatsächlichen oder angenommenen Realität des sprachlichen Vorbilds zu vermeiden, da Inkonsistenzen und nicht-plausible Merkmalsets für die Imitationsstrategie eine Gefahr darstellen, durch die die Imitation gestört oder gar zerstört werden kann (vgl. das Kapitel 15.8.1). Stilisierungsstrategie Wie bei der Imitationsstrategie dienen der/ dem Autor/ in bei der Stilisierungs‐ strategie sprachliche Vorbilder beim Verfassen von Texten als Vorlage bzw. Muster. Im Gegensatz zur Imitationsstrategie ist das sprachliche Vorbild hier jedoch medial geprägt. Eine Verstellungsstrategie, die sich an medialer Stilisie‐ rung (Kapitel 17.7.1) orientiert, scheint die Intention einer simulatorischen Verstellungsstrategie zu konterkarieren. Die verwendeten Merkmale werden quantitativ und qualitativ stilisiert eingesetzt, so dass dadurch nicht plausible und inkonsistente Merkmalsets entstehen, bei denen nicht von sprachlichen Interferenzen ausgegangen werden kann. Dennoch ist die Stilisierungsstrategie nicht weniger erfolgsversprechend als die Imitationsstrategie. Die Intention ist hierbei nicht, die Ermittlungen auf ein bestimmtes Ziel umzulenken. Der eigene Sprachgebrauch wird von stilisierten Merkmalen überdeckt, sodass die persönliche sprachliche Kompetenz im besten 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 323 <?page no="324"?> Fall nicht ersichtlich ist. Textfunktionen und einzelne Komponenten einer Erpressung wie Handlungsanweisungen etc. bleiben erhalten (vgl. das Kapitel 14). Der Schreibstil kann einen hohen Grad an Generalität erreichen, da durch den Rückgriff auf mediale Stilisierung nur wenige autorenidentifizierende Merkmale vorhanden sind. Jedoch müssen die Merkmale im Gegensatz zu der zielgerichteten Imitation (z. B. ‚schreiben wie ein Italiener‘) weder konsistent noch plausibel sein. Bei der Stilisierungsstrategie ist das gar nicht notwendig. Die Abweichung von der sprachlichen Realität stellt kein Problem dar, sondern ist u. U. sogar intendiert, da nicht-plausible oder inkonsistente Merkmalsets die Intention der Stilisierungsstrategie nicht stören und damit keine Gefahr für die/ den Autor/ in sind. Der eigene Sprachstil wird durch stilisierte Merkmale überdeckt bzw. negiert. Zudem sind medial stilisierte Merkmale leicht verfügbar, denn jeder hat durch verschiedene Medien darauf Zugriff. Das Entscheidende bei der Stilisierungsstrategie ist, dass sich der Schreibstil der/ des postulierten Autorin/ Autors stark genug von dem der/ des empirischen Schreiberin/ Schrei‐ bers unterscheidet, um selbst unerkannt zu bleiben. Wenn die Stilisierung von Anfang bis Ende aufrechterhalten bleibt, dann zeigt sich eine Merkmalset-Konstellation, die kaum Rückschlüsse auf die Autorschaft zulässt. In der untersuchten Textserie ist das nicht der Fall, da unterschiedliche Strategien benutzt und diese auch teilweise fallengelassen werden (vgl. das Kapitel 17.6). Dennoch ist eine medial geprägte Stilisierungsstrategie denkbar, die über einen ganzen Text oder eine ganze Textserie aufrechterhalten bleibt. Das ist keine leichte Aufgabe und bedarf eines hohen Maßes an Aufmerksamkeit und schriftsprachlichen Verständnisses bei der Textproduktion. Dieser Mehraufwand kann aber für die/ den Autor/ in, wenn sie/ er über die entsprechenden Fähigkeiten verfügt, gerechtfertigt und lohnend sein. Wie die folgende Übersicht über die bisher beschriebenen Eigenschaften der hier verglichenen Verstellungsstrategien zeigt, verbindet die Stilisierung die Vorteile der beiden anderen Strategien. Kommunikations‐ ziele Verstellungsstrategien Verschleie‐ rung Imitation Stilisierung Verheimlichung der ei‐ genen Identität Ja Ja Ja Unterdrückung der ei‐ genen schriftsprachli‐ chen Kompetenz Ja Ja Ja 324 17 Dritter empirischer Teil <?page no="325"?> 117 Name des Videos: Dieter Krebs bestellt Essen auf Italienisch lustig Diether. https: / / www. youtube.com/ watch? v=Fw9jCTkzFzI Letzter Zugriff am 20.01.2023 118 Minuten und Sekunden des Videos Nachahmung eines sprachlichen Vorbilds Nein Ja Ja (medial) Umlenkung der Auf‐ merksamkeit auf ein Ziel Nein Ja Nein Abweichung von der sprachlichen Realität Nicht ge‐ geben Wird nach Möglich‐ keit vermieden Nicht problema‐ tisch, u.-U. inten‐ diert Sprachliche Inkonsis‐ tenzen Nicht ge‐ geben Stellen eine Ge‐ fahr dar, werden nach Möglichkeit vermieden Stellen keine Ge‐ fahr dar und müssen nicht ver‐ mieden werden Tabelle 21: Kommunikationsziele von Verstellungsstrategien 17.7.3 Die Stilisierungsstrategie im Rahmen der inkriminierten Textserie im Vergleich mit medial stilisierten Texten Die/ Der Schreiber/ in der vorgestellten inkriminierten Textserie orientiert sich an medial stilisierten Texten (vgl. Kapitel 17.7.1). In diesem Kapitel werden einzelne Aspekte der zugrundeliegenden Stilisierungsstrategie erläutert und einige Merkmale medial stilisierter Sprache in verschiedenen Zusammenhängen dargestellt, analysiert und mit den entsprechenden Vorkommen in der Textserie verglichen. Das Ziel der Analyse und des Vergleichs ist, die Stilisierung als Verstellungsstrategie der erpresserischen Textserie offenzulegen und zu charak‐ terisieren. Die meisten Comedy- und Kabarett-Kontexte, die auf der Sprachnutzung bestimmter Figuren, Karikaturen, Personengruppen etc. beruhen, werden mit gesprochener Sprache realisiert. Als Beispiel sei hier ein Sketch 117 des Komikers Diether Krebs genannt. In dem Sketch sitzt der Protagonist als Gast in einem italienischen Restaurant. Er ist deutscher Muttersprachler und versucht, seine Bestellung auf Italienisch aufzugeben. Er bestellt u. a. ein Gericht mit Huhn und sagt: 1: 18 118 „Huhni.“ 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 325 <?page no="326"?> Dazu will er einen Salat bestellen: 1: 26---1: 36 „Con äh con Salati, ja? Salati con äh Tomati i Gurki e Salati Verdi.” Dann bestellt er noch ein Eis mit Früchten: 2: 00 - 2: 11 „Gelato äh [mano] uni frutti tutti frutti ja? Ähm Apfelsini, Banani, öhm, Ananasini äh Birni.“ Genau wie die/ der Schreiber/ in der inkriminierten Textserie verwendet der Sprecher das Merkmal, an deutsche Wörter einen Vokal anzuhängen, hier <i> in „Huhni“ und „Salati“ (vgl. z. B. „Dann absoluto brutalo perverso“ in Kapitel 17.5.7). Außerdem werden die Endungen auf <e> durch einen anderen Vokal, hier <i> (bzw. <ini> in „Ananasini“), ersetzt, vgl. „Tomati“, „Gurki“, „Apfelsini“, „Banani“. Ebenfalls verwendet er einen italienischen Begriff, der auch im Deutschen geläufig ist, nämlich „tutti frutti“ (vgl. z. B. „mama mia“ in Kapitel 17.5.5). Das italienische Wort Gelato verwendet der Gast, weil ihm der Kellner das Wort zuvor gesagt hat. Die absurde Situation wird dadurch erzeugt, dass jemand, der kaum Kennt‐ nisse der italienischen Sprache hat, auf Italienisch statt in seiner Muttersprache bestellt. Darüber hinaus entsteht Komik dadurch, dass er sich zu helfen versucht, indem er ein Merkmal nachahmt, wie für ihn die italienische Sprache klingt und deswegen fast jedes Wort mit einem <i> enden lässt. Der Charakter aus dem Sketch hat, ebenso wie der postulierte Autor der Textserie, gewisse Kenntnisse des Italienischen. Einen Salat bestellt er als „Salati Verdi“. Er folgt dem Prinzip, an ein deutsches Wort (vgl. Salat) ein <i> anzuhängen und benutzt nicht das italienische Wort, insalata, weil es ihm unbekannt ist. Er kennt jedoch das italienische Wort für grün und den Begriff grüner Salat aus seiner Muttersprache. Jedoch verwendet er hier eine falsche Form, denn grüner Salat heißt auf Italienisch Insalata Verde. Das Wort für das, was er bestellen will, sagt der Kellner, nämlich Insalata Mista (dt. gemischter Salat). In der Folge sollen weitere Merkmale der inkriminierten Texte mit stilisierten Merkmalen aus verschiedenen schriftsprachlichen Medien verglichen werden. Orientierung an romanischen Sprachen In Kapitel 17.5.7 wurde gezeigt, dass die/ der Schreiber/ in der inkriminierten Textserie Bildungen wie „perverso“, „brutalo“, „glatto“, „absoluto“, „fausto“, „spasso“, „stecko“, „reino“, „Schlafrauma“, „extrema“, „kondoma“ usw. verwendet. Das Prinzip, 326 17 Dritter empirischer Teil <?page no="327"?> 119 https: / / jedewoche-rabatte.de/ porta/ porta-prospekt-F2SNacvquu-0 Letzter Zugriff am 20.01.2023 eine gewisse Exotik durch das Anhängen von Vokalen zu erreichen, macht sich u. a. auch Werbung zunutze. In der Regel werden solche Bildungen hier aus humoristischen Gründen verwendet, die den Werbecharakter unterstützen und die Merkbarkeit erhöhen sollen. Ein Beispiel ist das Wort „Rabatto“, das aus Rabatt mit angehängtem <o> gebildet wird. Das Wort ähnelt keinem Wort für Rabatt aus einer romanischen Sprache (vgl. span. descuento, ital. riduzione, frz. réduction). Vgl. die folgenden Werbungen der Firma porta (Bilder 5 und 6): Bild 5: Werbung der Firma porta 1 119 Bild 6: Werbung der Firma porta 2 120 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 327 <?page no="328"?> 120 https: / / www.tag24.de/ anzeige/ porta-mucho-rabatto-deutschland-einrichtung-wohne n-moebelhaus-sparen-1537104 Letzter Zugriff am 20.01.2023 121 Sombrero ist das spanische Wort für Hut. 122 Für mediale Verbreitung sorgte u. a. die große Popularität des Lieds Mamma Mia der schwedischen Popgruppe Abba (1975) sowie die darauf basierende US-amerika‐ nisch-britische Musikkomödie Mamma Mia! (2008). 123 https: / / www.google.de/ url? sa=i&url=https%3A%2F%2Fde-de.facebook.com%2Fmama miailidza&psig=AOvVaw1CVxi5enlQROyGcZE-3sYx&ust=1598249883683000&source =images&cd=vfe&ved=0CAIQjRxqFwoTCKDLwvnWsOsCFQAAAAAdAAAAABAE Letzter Zugriff am 20.01.2023 Insbesondere bei der zweiten Werbung (Bild 6) wird die Exotik durch den dargestellten Hut transportiert. Die Darstellung erinnert an mexikanische Hüte, die in Deutschland als Sombrero 121 bezeichnet werden. Die mediale Verbreitung ist bei einigen fremdsprachlichen Ausdrücken dafür verantwortlich, dass sie in Deutschland verstanden werden, bzw. außersprachliche Dinge damit verbunden werden. Ausdrücke wie mama/ mamma mia sind im sprachlichen Bewusstsein verankert. 122 Wie dargestellt, verwendet die/ der Schreiber/ in der inkriminierten Texte italienische bzw. pseudo-italienische Ausdrücke wie „mama mia chaos grande“ (X20, 4) (vgl. das Kapitel 17.5.5). Diese basieren auf sprachlichen Klischees, die medial verbreitet werden und so ins Bewusstsein gelangen. Beispiele dafür sind diese Werbe-Logos für Pizzerien: Bild 7: Logo einer Pizzeria 1 123 328 17 Dritter empirischer Teil <?page no="329"?> 124 https: / / www.google.de/ url? sa=i&url=https%3A%2F%2Fwww.lieferando.de%2Fla-mam a-mia&psig=AOvVaw1CVxi5enlQROyGcZE-3sYx&ust=1598249883683000&source=i mages&cd=vfe&ved=0CAIQjRxqFwoTCKDLwvnWsOsCFQAAAAAdAAAAABAW Letzter Zugriff am 20.01.2023 125 Knust, Bruno „Günna“ (2014: 71): Ruhrpott für Anfänger. Komma wacker anne Bude. Langenscheidt. Bild 8: Logo einer Pizzeria 2 124 Genau wie bei der inkriminierten Textserie wird bei beiden Werbungen „Mama“ ohne Doppelkonsonanz verwendet. Durch italienische Einwanderer (ab Mitte der 50er Jahre) gelangten italieni‐ sche Begriffe in die deutsche Alltagssprache und in das sprachliche Bewusstsein. In deutschsprachigen Texten werden viele italienische Begriffe in humoristi‐ schen Kontexten gebraucht. Ein Beispiel für ein humoristisches Sprachspiel ist der folgende Textausschnitt: „Ey, mamma nomma sonn Funghi al Tonno! “ „Ein wat? ? “ „Ein Pils vom Fass! “ 125 Der Humor basiert auf der Annahme, dass viele deutschsprachige Leser/ innen sowohl die Begriffe „Funghi“ (dt. Pilze) und „Tonno“ (dt. Thunfisch) aus der Gastronomie kennen. Die/ Der Schreiber/ in der inkriminierten Textserie verwendet pseudo-italie‐ nische Ausdrücke, die sich an der italienischen Sprache orientieren, jedoch kreative Sprachmischungen aus zwei Sprachen darstellen, wie z. B. pikobello/ pi‐ cobello in „Dann rasiere dich Muschi pikobello glatto.“ (X11, 13-14, vgl. das Kapitel 7.13.15) Solche Ausdrücke werden in medial stilisierten Texten ebenfalls gebraucht. Vgl. „picobello“ in diesem Liedtext: 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 329 <?page no="330"?> 126 Vonne Maloche (Zwischenstation Tresen), Text: Josef Reding, Musik: Frank Baier, in Baier, Frank, Wiegandt, Jochen unter Mitarbeit von Eberhard Kohl-Kaiser (2012: 218 f.): Glück auf! Liederbuch Ruhr. Lieder und Lexikon. Klartext Verlagsgesellschaft. 127 Knust, Bruno „Günna“ (2014: 12): Ruhrpott für Anfänger. Komma wacker anne Bude. Langenscheidt. 128 Sprick, Claus/ Stratenwerth, Reinhard (1999: 18): Asterix sein Ulligen. Asterix auf Ruhrdeutsch 2. In der Reihe Mundart Schmöker 25. Ehapha Verlag. 129 Kosznitzki, Volker (2013: 75): Günner Mambrallek: Gezz Kucksse! Edition Paashaas Verlag. „Vonne Maloche direkt nach Haus, nee, so siehsse aus. Brauchse erst wat zum abreagiern, willze nich gleich dein Verstand verliern’n, sonz gehsse kaputt! Nee, ich nich. sonz nich. Wenn ich am Tresen schluck und mir die Welt bekuck, Seh’ ich se so wie se is: Ma picobello und meistens Beschiss.“ 126 Verballhornungen sind Elemente medial stilisierter Sprache, wie z.-B. „Apparillo“: „Wat is dat denn fürn Apparillo? “ 127 Dabei setzt sich „Apparillo“ aus dem Wort Apparat und dem spanischen Diminu‐ tivsuffix -illo zusammen. Die Bedeutung wäre also etwa kleiner Apparat. Jedoch wird „Apparillo“ für das Gegenteil gebraucht. Damit wird angezeigt, dass etwas besonders groß/ schwer o.ä. ist. Die verschobene Bedeutung solcher Ausdrücke unterstreicht den humoristisch gebrauchten Charakter. Es wurde gezeigt, dass die/ der Autor/ in der inkriminierten Textserie Bil‐ dungen verwendet, die sich zwar am Italienischen orientieren, die jedoch in der italienischen Sprache nicht vorkommen (vgl. Kapitel 17.5.5). Ein Beispiel ist „subito pronto“ in „mache du die bilder. aber subito pronto. jetze.“ (X20, 12). In medial stilisierter Sprache werden vergleichbare Ausdrücke verwendet, wie z.-B. „allet paletti“ in: „SO, ALLET PALETTI, TÜR IS WIDDER GANZ, DEN ULLIGEN POOFT, UND TUTNIX TUTEN DRAUF AUFPASSEN.“ 128 „Also die nächsten Jahre waa ers ma allet paletti inne Nachbarschaft.“ 129 330 17 Dritter empirischer Teil <?page no="331"?> 130 Knust, Bruno „Günna“ (2014: 106): Ruhrpott für Anfänger. Komma wacker anne Bude. Langenscheidt. 131 Henselowsky, Rainer [im Original von Antoine de Saint-Exupéry] (2012: 40): De kleene Prinz. Mitti Bilders von Verfasser [Der kleine Prinz]. Naumann. 132 Henselowsky, Rainer [im Original von Antoine de Saint-Exupéry] (2012: 15): De kleene Prinz. Mitti Bilders von Verfasser [Der kleine Prinz]. Naumann. 133 Henselowsky, Rainer [im Original von Antoine de Saint-Exupéry] (2012: 53): De kleene Prinz. Mitti Bilders von Verfasser [Der kleine Prinz]. Naumann. 134 Knust, Bruno „Günna“ (2014: 106: ): Ruhrpott für Anfänger. Komma wacker anne Bude. Langenscheidt. Ein Beispiel für mediale Stilisierung ist das medial stilisierte Ruhrdeutsch, dem in diversen Medien bestimmte Sprachmischungen zugeschrieben werden. Ein Grund dafür mag sein, dass das Ruhrgebiet oft als kultureller Schmelztiegel dargestellt wird. So wie „subito pronto“ ist auch „paletti“ kein italienischer Ausdruck. Im Deut‐ schen wird alles paletti mit der Bedeutung alles in Ordnung/ alles klar o.ä. gebraucht. Im Italienischen heißt der korrekte Ausdruck dafür Tutto a posto. Dagegen heißt paletto im Italienischen Pflock oder Riegel. Auch tutto wird medial adaptiert, wie in dem folgenden Beleg als „tutti paletti“ bzw. „Alles tutti“: „,Alles paletti‘“ und „tutti paletti“ war gestern. Inzwischen haben sprachfaule Experten kurzerhand das doppelt gemoppelte „Alles tutti! “ daraus gemacht.“ 130 Eine Besonderheit sind Verballhornungen, die scheinbar analog zueinander gebildet werden. So werden außer dem eher geläufigen „leckomio“ (vgl. dt. leck mich, Ausdruck des Erstaunens) analog gebildete Neologismen wie „leckoballo“ mit der gleichen Bedeutung verwendet: „Leckomio, du sollst dein Sonnenuntergang kriegen.“ 131 „Wat? ! Du bis vom Himmel gesegelt? Leckoballo! “ 132 „Leckoballo, is der toffte, Euer Planet. Gibbet Ozeane? “ 133 Bei solchen Bildungen enden die Silben auf <o>, um einen fremdsprachlichen, exotischen und hier humoristischen Effekt zu erzeugen. Vergleichbar ist das mit Ausdrücken aus der analysierten inkriminierten Textserie, wie „absoluto brutalo perverso“ in „Mache nixe dann isch nixe gern freundlike mehr. Dann absoluto brutalo perverso.“ (X11, 72, vgl. Kapitel 17.5.7). Medial stilisierte Sprache nutzt dieses Prinzip für weitere, kreative Bildungen, wie z. B. „(Lago di) Baldino“ 134 . Das ursprüngliche Wort ist das Determinativ‐ 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 331 <?page no="332"?> Vgl. u. a. https: / / www.dw.com/ de/ migration-willkommen-im-schmelztiegel-ruhrgebie t/ a-47782126 (Letzter Zugriff am 20.01.2023) In der medial stilisierten Vorstellung von Regiolekten wie dem Ruhrdeutschen werden mehrere Sprachen als Einflüsse genannt: „Als um die Jahrhundertwende die Menschen aus Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen in das heutige Ruhrgebiet kamen, entstand eine bunt zusammengewür‐ felte Gemeinschaft mit sehr unterschiedlichen Dialekten. Viele, die aus Polen und Ostpreußen stammten, sprachen nur polnisch, und so kann es häufig zu Verständi‐ gungsschwierigkeiten, Begriffsverwechslungen und Situationen, die oft Heiterkeit hervorriefen. Die „Geburtsstunde“ des Ruhrgebietsdeutsch war gekommen.“ In: Plum, Ralph/ Opitz, Arne (1985: 133): Mach mich nicht dat Hemd am flattern! Witz und Humor im Ruhrgebiet. Univers-Verlag. „Bereits im 19. Jahrhundert, als die multikulturelle Gesellschaft noch gar nicht erfunden war, gab es in der damaligen Region der Bergarbeiter, Bierbrauer und Stahlkocher große Zuwanderungswellen aus Osteuropa. Zur besseren Verständigung bedienten sich unsere praktischen Vorfahren einer additiven Sprachmischung, kurz: Sie warfen alle Sprachen zusammen.“ In: Knust, Bruno „Günna“ (2014: 4): Ruhrpott für Anfänger. Komma wacker anne Bude. Langenscheidt. Die Vorstellung einer solchen Sprachmischung ist nicht korrekt. Tatsächlich hatten und haben z. B. osteuropäische Sprachen wie das Polnische ebenso wie südeuropäische Sprachen wie das Italienische nur sehr geringen Einfluss auf die gesprochene Sprache im Ruhrgebiet. Dieser Einfluss erstreckt sich außerdem ausschließlich auf die Lexik, keineswegs auf die Grammatik. Viele medial angenommene grammatische Eigenheiten des Ruhrdeutschen können aus dem Niederdeutschen erklärt werden. Dennoch bedient sich das medial stilisierte Ruhrdeutsch der Vorstellung, bestimmte Merkmale wären mit einem erheblichen Einfluss beispielsweise des Polnischen und Italienischen erklärbar. 135 Der Baldeneysee ist ein Ruhrstausee in der Stadt Essen. kompositum Baldeneysee 135 . Statt des deutschen Wortes See wird das italienische (bzw. auch spanische) Wort Lago (dt. See) verwendet. Aus dem Determinans Baldeneywird „Baldino“ gebildet. „Baldino“ hat analog zu Lago eine Endung auf den Vokal <o>. Nimmt man den Namen eines bekannten italienischen Sees, z.-B. Lago di Garda (dt. Gardasee), wird aus dem Baldeneysee analog das Kunst‐ wort „Lago di Baldino“ gebildet. Obwohl bei den Rezipient/ inn/ en eine ganz andere Wirkung erzeugt werden soll, nämlich einerseits eine humoristische von „leckoballo“ oder „Lago di Baldino“ und andererseits eine bedrohende wie bei „absoluto brutalo perverso“, bleibt das Prinzip, wie solche Ausdrücke entstehen, gleich. Unspezifischer fremdsprachlicher Einfluss Bei der Analyse der der Textserie zugrundeliegenden Merkmale konnte gezeigt werden, dass die dargestellte Sprache des fingierten Autors nicht spezifisch ist. Es wurden Belege vorgestellt, die sich an Italienisch, Spanisch, Englisch oder 332 17 Dritter empirischer Teil <?page no="333"?> 136 Vgl. auch die beiden oberschlesischen Comedy-Figuren Antek und Franzek. 137 http: / / www.ruhrgebietssprache.de/ lexikon/ antek.html Letzter Zugriff am 20.01.2023 Latein orientieren. Viele Belege beinhalten Sprachmischungen aus einer dieser Sprachen und dem Deutschen. Die verwendeten Merkmale dienen einzig der Darstellung von Exotik und einer fingierten schriftsprachlichen Kompetenz. Die meisten Merkmale sind nicht durch Interferenzen zwischen der italienischen und der deutschen Sprache erklärbar. Es handelt sich um einen unspezifischen Sprachgebrauch, der an Foreigner Talk angelehnt ist (vgl. die Kapitel 15.7.1. und 15.7.2). Medial stilisierte Sprache verwendet Karikaturen, deren Sprachgebrauch ebenfalls unspezifisch ist. Eine dieser Karikaturen ist das ‚polnische‘ Duo Antek und Frantek 136 , denen eine sprachliche Stilistik zugrunde liegt, die nicht durch polnischen Einfluss erklärbar ist. Bei den Figuren werden sowohl sprachliche als auch außersprachliche Stereotype bedient, wie in dem folgenden Beispielbeleg: „Antek und Frantek sehen sich wieder - zum ersten Mal seit zehn Jahren. Antek zu Frantek: "Ey, Frantek, wo warste denn die ganze Zeit? " "In Knast, weil hab en Mann bestochen! " "Und für dat dich hamse zehn Jährkes aufgebrummt? " "Nix ham bestochen mit Knete, ham bestochen mit Pittermesser! "“ 137 Interessant an dieser Textpassage ist, dass die Merkmale, die hier gebraucht werden, um die Sprache der Figuren Antek und Frantek zu stilisieren, den Merkmalen der untersuchten inkriminierten Textserie ähneln. So liegt auch hier die Kasusvertauschung Dativ ⇨ Akkusativ wie in der in‐ kriminierten Textserie vor. „Und für dat dich hamse zehn Jährkes aufgebrummt? “ (vgl. und dafür haben sie dir zehn Jahre aufgebrummt? ). Vgl. den folgenden Satz der inkriminierten Textserie: „Hab ich dir doch zeitig gesagt solle gebe mir viele Bilder von dich.“ (X11, 2, vgl. Kapitel 17.5.2) Im Satz „Nix ham bestochen mit Knete, ham bestochen mit Pittermesser! “. werden Infinitivformen statt flektierter Formen verwendet. Außerdem wird das Perso‐ nalpronomen weggelassen, vgl. „ham“ (vgl. ich haben). In der inkriminierten Textserie sind diese beiden Merkmale hochfrequent, vgl. diesen Beleg: 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 333 <?page no="334"?> „nein, will haben ganz fiele fotos in dessous, bikini bikinianzug ganz fiel nackt und hart bilder.“ (X16, 15-16, vgl. Kapitel 17.5.2) Im Satz „Nix ham bestochen mit Knete“ wird mit nix ein Merkmal gebraucht, das in der inkriminierten Textserie häufig verwendet wird, vgl. folgenden Beispielbeleg: „Nix wolle so komisch Friseur.“ (X11, 15, vgl. Kapitel 17.5.3) Es wird deutlich, dass sich die Auswahl der Merkmale der Textserie an einer medial stilisierten Form der Darstellung von unspezifischer Nicht-Mut‐ tersprachlichkeit orientiert. Obwohl den Figuren (Antek und Frantek) und dem fingierten Autor der Textserie unterschiedliche Muttersprachen zugeschrieben werden (Polnisch und Italienisch), werden die gleichen Merkmale verwendet. Sie sind also nicht durch unterschiedliche Muttersprachen erklärbar, wie es bei authentischen sprachlichen Interferenzen der Fall wäre. Die Merkmale sowohl medial stilisierter Sprache als auch die Merkmale im Rahmen der stilisierten Teile der Textserie dienen der Darstellung von Falschheit, um so Exotik wie z.-B. fremdsprachlichen Einfluss darzustellen. Weitere Merkmale zur Darstellung geringer schriftsprachlicher Kompetenz Viele Merkmale werden in der erpresserischen Textserie genutzt, um eine hohe Fehlerquote zu generieren. Ein nicht erklärbares Merkmal innerhalb der Textserie ist die Vermeidung von <e> zugunsten von <ä>, vgl. „kriege lätze schanze.“ (X11, 3), „dann kläbe muschi dich zu.“ (X19, 4), „dan sekundkläber und kläbe dich muschi zu.“ (X20, 17-18, vgl. Kapitel 17.5.1). In der Textserie finden sich Häufungen solcher Merkmale. Insbesondere ist es hier so, dass diese Merkmale überall da eingebaut werden, wo es möglich ist, ohne jedoch, dass das Verständnis gefährdet wird. Auch in medial stilisierter Sprache wird dieses Merkmal verwendet, um eine möglichst große Abweichung zur Standardsprache darzustellen. In dem folgenden Text vertauscht die Figur Dr. Antonia regelmäßig das <e> zugunsten von <ä>: 334 17 Dritter empirischer Teil <?page no="335"?> 138 Bonhorst, Rainer (2002: 49): Dr. Antonia Cervinski-Querenburg. „Daaf ich Sie noch wat lernen? “ Ruhrdeutsch mit der bekannten Sprachforscherin - neue und bearbeitete Texte von Rainer Bonhorst. Henselowsky Boschmann. 139 Heidenreich, Elke (1984: 18): „Darf ’s ein bißchen mehr sein? “. Rowohlt Verlag. 140 Heidenreich, Elke (1984: 19): „Darf ’s ein bißchen mehr sein? “. Rowohlt Verlag. „Dr. Antonia: Gehrne geschähn, Herr Reporter. Dat Deutliche an meine Aus‐ sprache hab ich nämmich lährreich gemeint. Reporter: Lährreich? Ach ja, Sie haben ja einen Lährstuhl. Dr. Antonia: Lärnstuhl. Reporter: Stimmt Entschuldigung. Dr. Antonia: Dat Lährreiche an meine deutliche Aussprache waa wegen die Lautlähre. Reporter: Die Lautlähre? “ 138 In Kapitel 17.5.1 wurden weitere orthographische Abweichungen analysiert, die einzig der Darstellung von geringer schriftsprachlicher Kompetenz dienen und die nicht durch Abweichungen bei der Aussprache o.ä. erklärbar sind. Beispiele sind die Vertauschung von <v> zugunsten von <f> wie in „Fersteh gantz fiel.“ (X11, 69) oder Buchstabenverwechslungen wie <ks> statt <x> in „Isch hole mich ekstrem spas.“ (X11, 74). In medial stilisierter Sprache werden ebenfalls Merkmale verwendet, die nicht dadurch zu erklären sind, dass sie eine nicht-standardsprachliche Lautung nachbilden sollen. Die so hergestellten Wörter würden genauso ausgesprochen werden wie ihre standardsprachlichen Pendants. Beispiele sind: „weck“ statt weg in: „Grade ma, dattse in Frühling de langen Unterhosen ausziehen, aber nie ma Masken auffem Gesicht oder Körnerdiät, gehnse doch weck, un unsereins müht sich ein ab un watt is? “ 139 „Kint“ statt „Kind“ sowie „watt“ (vgl. was ⇨ wat) und „datt“ (vgl. das ⇨ dat) in: „Aber watt mir Sorgen macht, datt is, wie datt Kint neuerdings redet, ich versteh eimfach kein Wort mehr.“ 140 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 335 <?page no="336"?> 141 Heidenreich, Elke (1984: 139): „Darf ’s ein bißchen mehr sein? “. Rowohlt Verlag. 142 Henselowsky, Rainer [im Original von Antoine de Saint-Exupéry] (2012: 10): De kleene Prinz. Mitti Bilders von Verfasser [Der kleine Prinz]. Naumann. 143 Henselowsky, Rainer [im Original von Antoine de Saint-Exupéry] (2012: 5): De kleene Prinz. Mitti Bilders von Verfasser [Der kleine Prinz]. Naumann. 144 Kosznitzki, Volker (2013: 18): Günner Mambrallek: Gezz Kucksse! Edition Paashaas Verlag. „Könich“ statt König in: „De Habsburger immer mitte hängende Unterlippe, lauter Bekloppte als Könich, dann de Kirche überall de Foten mit drin, lauter Puckelige un Wahnsinnige auffen Thron, der eine Könich hatse nich alle, der andre läßt sein einzigen Sohn im Kerker schmeißen […].“ 141 Alle o. g. Beispiele zeigen Formen, die nicht lautlich bedingt sein können, also sich nicht an der Aussprache eines bestimmten Regiolekts, Dialekts, Soziolekts etc. orientieren. So wird beispielsweise König standardsprachlich mit [ç] gesprochen, obwohl es mit <g> geschrieben wird. Die Schreibung „Könich“ ist daher unnötig. Die Aussprache von „weck“ und „weg“ bzw. „Kint“ und Kind unterscheidet sich ebenfalls nicht. Auch bei „watt“/ wat und „datt“/ dat sind die Doppelkonsonanten unnötig, da der Vokal auch mit einfachen Konsonanten kurz ausgesprochen werden würde. In der erpresserischen Textserie werden s-Plural-Formen wie in „hohe schuhs pumps heels muss trage.“ (X11, 21), „wo warn bilders. nix da sind.“ (X13, 1) und „bella nure bilders dann du ruhe bist vor mich.“ (X19, 10-11) übergeneralisiert gebraucht. In medial stilisierter Sprache werden nicht-standardsprachliche s-Plural-Formen ebenfalls hochfrequent verwendet, vgl. „Bilders“ und „Kultur‐ muffels“ in den folgenden Beispielsätzen: „Die Erwachsnen ham mir geraten, ich soll aufhörn, Bilders vonne Boaschlangen zu kritzeln […]“ 142 „Natürlich tu ich mich anstrengen, Bilders von kleenen Prinz zu maln, dat ihn ähnlich sieht.“ 143 „Nee, geh mich wech mit sonne Kulturmuffels.“ 144 In Kapitel 17.5.2 wurde analysiert, dass in einigen Texten (insb. X13) Kasusvertau‐ schungen fast durchgehend durchgeführt werden. Die Vertauschungen beziehen sich hier ausschließlich auf den Dativ bzw. Akkusativ und werden insbesondere 336 17 Dritter empirischer Teil <?page no="337"?> 145 Stratenwerth, Reinhard (2003: 26): Gezz ma ohne Scheiss! Pallaver an Rhein und Ruhr. Ruhrpott-Geschichten von Hannes. Niederrheinische Anzeigenblatt GmbH. 146 Stratenwerth, Reinhard (2003: 33): Gezz ma ohne Scheiss! Pallaver an Rhein und Ruhr. Ruhrpott-Geschichten von Hannes. Niederrheinische Anzeigenblatt GmbH. 147 Stratenwerth, Reinhard (2003: 34): Gezz ma ohne Scheiss! Pallaver an Rhein und Ruhr. Ruhrpott-Geschichten von Hannes. Niederrheinische Anzeigenblatt GmbH. durch die Vertauschung von dir bzw. dich realisiert. Beispiele sind „mann war bei dich und hat schlaft mit dich.“ (X13, 4-6) und „hab dir auch sehe an fluss.“ (X13, 11). In manchen medial stilisierten Texten ist die Kasusverwechslung, insbesondere zwischen Akkusativ und Dativ, ebenfalls durchgehend. Daher ähnelt die Stilistik der Kasusvertauschungen im Text X13 der inkriminierten Textserie der medial stilisierten Variante. Beispiele dafür sind: „Un weil ich nonnie da wa, hab ich mich gedacht: fährsse ma mitten Reisebus dahin.“ 145 „Keinen sachte wat, bis mein Frau plözzlich in diese himmlische Ruhe mich laut zuflüsterte: Hannes? Jau, wat is? “ 146 „In diese Notsituazzjohn kam mich mein Schweizer Messer zu Hilfe.“ 147 In den drei Beispielen wird immer dann, wenn standardsprachlich mir ver‐ wendet werden müsste, stattdessen mich gebraucht. Die Vertauschung wird, ebenso wie in den Texten der inkriminierten Textserie, zur Darstellung der Abweichung von der Standardsprache gebraucht. Obwohl in der gesprochenen Sprache, insbesondere von manchen Dialektsprecher/ inne/ n oder Deutsch‐ lerner/ inne/ n, Dativ und Akkusativ vertauscht werden können, ist es nicht plausibel, dass sie in jeder möglichen Situation verwechselt werden. In Kapitel 17.5.3 wurde gezeigt, dass das Verb machen in stark markierten Konstruktionen innerhalb der untersuchten inkriminierten Texte verwendet wird, nämlich z. B. in „holse du manne dann nix so schmerz brutalo wirde sein wie mache isch dir.“ (X17, 31-32) und „isch mache ficke arsche von dich.“ (X17, 5-6). In medial stilisierter Sprache wird machen ebenfalls übergeneralisiert verwendet, wodurch hier stark markierte Strukturen entstehen. In dem folgenden Beleg steht machen zusammen mit einem zweiten Verb, nämlich schleudern, und ähnelt damit insbesondere X17, 5-6: „Kochwäsche schleudern machen“ in: „Ers musse Kochwäsche schleudern machen bis zum Gehtnichmehr […]“ 148 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 337 <?page no="338"?> 148 Heidenreich, Elke (1985: 61): „Geschnitten oder am Stück? “. Rowohlt Verlag. 17.7.4 Medial stilisierte Sprache als Vorbild für die Stilisierungsstrategie Die inkriminierte Textserie enthält Merkmalsets, die dazu dienen, einen mög‐ lichst großen Abstand zur Standardsprache zu generieren. Die/ Der Schreiber/ in der inkriminierten Textserie orientiert sich bei ihrer/ seiner Textproduktion an medial stilisierter Sprache und verwendet eine Auswahl von Merkmalen, die den eigenen Sprachgebrauch überdecken soll, ohne die Textfunktionen der Erpressung zu gefährden. Abbildung 13: Stilisierungsstrategie der erpresserischen Textserie und Orientierung an medial stilisierter Sprache Medial stilisierte Sprache Bei medial stilisierter Sprache werden von Textproduzent/ inn/ en Merkmale aus‐ gewählt, die von ihnen als sprachliche Abweichungen wahrgenommen werden. Solche Abweichungen können stilistische Auffälligkeiten, Substandardkonst‐ ruktionen, Merkmale von Dialekten, Regiolekten und Soziolekten oder auch Interferenzen zwischen zwei Sprachen sein. Das, was als Abweichung empfunden wird, ist abhängig von dem sprach‐ lichen und metasprachlichen Bewusstsein derjenigen/ desjenigen, die/ der die mediale Stilisierung durchführt. Das können z. B. Leute sein, die Werbetexte, Sketche, Comedy-Texte etc. schreiben. Auch die Auswahl der zu stilisierenden Merkmale ist von dem Sprachbewusstsein abhängig. Je weniger Bewusstsein für 338 17 Dritter empirischer Teil <?page no="339"?> eine bestimmte Sprache oder eine Varietät vorhanden ist, desto begrenzter ist das authentische sprachliche Repertoire, auf das zurückgegriffen werden kann. Die mediale Stilisierung kann sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht erfolgen. Ebenfalls können weitere Merkmale generiert werden, die beim sprachlichen Vorbild nicht auftreten. Bei einem geringeren sprachlichen Bewusstsein ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Merkmale verwendet werden, die nicht zum sprachlichen Vorbild passen. Daraus können Inkonsis‐ tenzen entstehen, die aber von sprachlichen Laien z. B. bei der Rezeption von z. B. Comedy-Texten u. U. nicht als solche wahrgenommen werden. U.U. erkennen Rezipient/ inn/ en bestimmte Merkmale als Merkmal z. B. eines Dialekts oder einer Sprachmischung, die dann, gerade in qualitativ und quantitativ stilisierter Weise, als komisch empfunden werden. Daraus entsteht medial stilisierter Sprachgebrauch, der über verschiedene mediale Umgebungen wie Werbungen oder Comedy-Texte den Weg ins Bewusstsein von Rezipient/ inn/ en finden kann. Stilisierungsstrategie Wie bei der Imitation einer Person oder Personengruppe benötigt die/ der Autor/ in ein sprachliches Vorbild, an dessen vermeintlich typischen Merkmalen sie/ er sich orientieren kann. Bei einer Stilisierungsstrategie orientiert sich ein/ e Schreiber/ in wie die/ der der vorliegenden inkriminierten Textserie an medial stilisierter Sprache. Die Auswahl des stilisierten sprachlichen Materials ist hier wiederum vom sprachlichen und metasprachlichen Bewusstsein abhängig. Dieses Bewusstsein bestimmt und begrenzt das sprachliche Repertoire, aus dem ein/ e Autor/ in schöpfen kann. Z. B. kann eine Stilisierung von italienischen Nicht-Muttersprachler/ inne/ n und/ oder nicht-spezifischer Foreigner Talk ge‐ wählt werden. In der analysierten inkriminierten Textserie ist das nicht der authentische Sprachgebrauch einer nicht-muttersprachlichen Person, sondern medial stilisierte Sprache, die populäre Merkmale des Foreigner Talks beinhaltet. Aus diesem Pool an stilisierten Merkmalen werden, wieder in Abhängigkeit vom sprachlichen Bewusstsein, markant erscheinende Merkmale ausgewählt. Aus dieser Auswahl etabliert sich die Stilisierungsstrategie. Diese kann dann bei der Textproduktion umgesetzt werden. Wie bei der Realisierung anderer Verstellungsstrategien ist die Umsetzung der Stilisierungsstrategie abhängig von der schriftsprachlichen Kompetenz der/ des Autorin/ Autors eines Textes. Die Intention eines Textes, also das, was damit erreicht werden soll, deter‐ miniert die Textsorte und damit den Sprachgebrauch und weitere Parameter wie bestimmte Textfunktionen, Formatierungen etc. (vgl. das Kapitel 14.3). Inkriminierte Schreiben wie Erpressertexte lösen bei den Opfern eine Bedro‐ hungssituation aus, die durch bestimmte Komponenten, wie Androhung von Gewalt, gekennzeichnet ist. 17.7 Aspekte der Stilisierung und Analyse der Stilisierungsstrategie 339 <?page no="340"?> Die Merkmale dieser so produzierten Texte, beispielsweise die stilisierten Schreiben der inkriminierten Textserie, weichen bei einer erfolgreichen Stilisie‐ rungsstrategie stark von dem eigenen Sprachgebrauch ab. Wie bereits gezeigt wurde, stellen sprachliche Inkonsistenzen und unplausible Merkmalsets keine Gefahr für die/ den Schreiber/ in dar, erkannt zu werden. Im Rahmen einer Stilisierungsstrategie dienen stilisierte Merkmale vor allem dazu, den eigenen Sprachgebrauch zu überdecken. Bei der Stilisierung werden Merkmale wie fingierte Mistakes und weitere sprachliche Besonderheiten eingebaut, bei denen sich die/ der Schreiber/ in darüber bewusst ist, dass sie keinem authentischen sprachlichen Vorbild entsprechen. Im Gegensatz zur Imitation wird bewusst kein realistisches Szenario entworfen, da die Aufmerksamkeit nicht auf andere Personen umgelenkt werden soll, sondern Merkmale der/ des empirischen Au‐ torin/ Autors negiert werden. Die Stilisierungsstrategie dient dem Ziel, den Abstand zwischen dem eigenen Sprachgebrauch und dem einer/ eines fingierten Autorin/ Autoren zu maximieren. Bei Textvergleichen von inkriminierten Texten mit Vergleichsschreiben ist die Möglichkeit des Einsatzes einer Stilisierungsstrategie zu prüfen. Stilisie‐ rungen können den Fokus von Textvergleichen verschieben, sodass hier insbe‐ sondere auf Merkmalsets geachtet werden muss, die sehr tief im Bewusstsein liegende Bereiche des Sprachgebrauchs betreffen und die u. U. nicht von der Stilisierung betroffen sind. 17.8 Zusammenfassung Im Rahmen der Untersuchung wurde eine inkriminierte Textserie aus 36 fragli‐ chen Schreiben auf das Vorkommen von Verstellungsstrategien hin untersucht. Eine so umfangreiche und tiefgreifende Einzeluntersuchung wurde bislang in der Forschung nicht präsentiert. Die/ Der empirische Autor/ in entwirft in den Texten einen fingierten Autor, dessen schriftsprachliche Kompetenzen einen Nicht-Muttersprachler imitieren sollen. Hauptsächlich werden dabei Wortformen verwendet, die sich an der italienischen Sprache orientieren, die aber immer wieder durch das Vorkommen von Elementen anderer Sprachen durchbrochen werden. Die Imitation schlägt dabei fehl, da wesentliche Merkmale, die bei Multilingualität vorkommen würden, nicht auftreten. Bei der Analyse und dem Abgleich auf verschiedenen linguistischen Betrachtungsebenen ist deutlich geworden, dass das dargestellte schriftsprachliche Niveau inkonsistent und nicht plausibel ist. 340 17 Dritter empirischer Teil <?page no="341"?> Im weiteren Verlauf der Textserie, nämlich ab Text X22, wird die Imitation aufgegeben und in einigen der analysierten Texte tritt die schriftsprachliche Kompetenz der/ des empirischen Autorin/ Autors zutage. Das stilistische Niveau ist hier relativ hoch und die Fehlerrate fällt gegenüber den vorherigen Texten stark ab. Die/ Der Autor/ in inszeniert hier mithilfe bestimmter Autorenstili‐ sierungen den postulierten Autor als Person mit Kontakten zum Ausland (Rumänien). Der fingierte Autor wird mithilfe der Darstellung diverser Gewalt‐ phantasien als skrupellos und brutal beschrieben. Dabei lässt das erhöhte schriftsprachliche Niveau Schlussfolgerungen auf die empirische Autorschaft zu, während keine spezifische Imitationsstrategie mehr ersichtlich ist. Obwohl über weite Teile der gesamten Textserie die deutliche Imitation eines italienischen Muttersprachlers ersichtlich wird, bedient sich die/ der Autor/ in einer Verstellungsstrategie, die bisher in keiner Forschungsarbeit beschrieben wurde, nämlich der Stilisierungsstrategie, die sich an medialen Stilisierungen orientiert. Bei der Analyse der Texte X11-X21 sind die Merkmale in Quan‐ tität und Qualität derart auffällig präsent, dass die Intention der Verstellung von der Imitation von Nichtmuttersprachlichkeit hin zur Stilisierung einer nicht-deutschsprachigen Person wandert. Die Intention der Wirkung der Texte ist es also nicht, die Aufmerksamkeit bzw. den Verdacht auf eine bestimmte Person oder Personengruppe umzulenken, wie es bei einer reinen Imitation der Fall wäre. Es geht nicht darum, den Eindruck eines italienischsprachigen Menschen zu erwecken, sondern darum, die eigenen sprachlichen Merkmale gänzlich zu negieren, um kaum bzw. keine Rückschlüsse auf die eigene schrift‐ sprachliche Kompetenz zuzulassen. Die Stilisierungsstrategie orientiert sich dabei an medialen Vorbildern. Solchen vornehmlich aus Werbung, Comedy und Kabarett bekannten Figuren ist gemein, dass ihr Sprachgebrauch derart stilisiert ist, dass er im Rahmen von Texten, Sketchen, Videos und Audioaufnahmen als lustig empfunden wird. In Comedy- und Kabarettbereichen werden so Personen stilisiert, deren Sprachgebrauch durch bestimmte Dialekte, Soziolekte und Regiolekte (innere Mehrsprachigkeit) oder durch Code-Switching bzw. Code-Shifting (äußere Mehrsprachigkeit) gekennzeichnet ist. Die Stilisierung besteht darin, bekannte und auffällige Merkmale sowohl quantitativ als auch qualitativ übermäßig einzusetzen. Der/ Dem empirischen Autor/ in ist bewusst, dass die Texte X11-X21 nicht vortäuschen können, dass sie tatsächlich von einem Italiener mit schlechten Deutschkenntnissen geschrieben wurden. Die Intention, die eigenen schrift‐ sprachlichen Merkmale zu überdecken, wird dennoch erfüllt, denn die hohe 17.8 Zusammenfassung 341 <?page no="342"?> Frequenz intensiv stilisierter Merkmale negiert Hinweise auf die sprachliche Kompetenz der/ des empirischen Autorin/ Autors. 342 17 Dritter empirischer Teil <?page no="343"?> 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche Der Austausch von Informationen und Daten findet heutzutage immer mehr auf verschiedenen, digitalen Distributionswegen statt. Die riesige, unüberschaubare Masse an anonym verfassten Texten mit teils kriminalistisch relevanten Inhalten wie Erpressungen, Drohschreiben, Fake News, Hatespeech, Frauds etc. verlangt nach automatisierten Verfahren, die sowohl Forscher/ innen im Bereich der fo‐ rensischen Linguistik als auch Ermittler/ innen etc. bei ihrer Arbeit unterstützen. Die ersten Ansätze quantitativer Forschung wurden in den 60er Jahren von Mosteller/ Wallace (1964) vorgestellt. Die Stilometrie untersucht Sprachstil mithilfe statistischer Mittel (Holmes 1994 zur Geschichte der Stilometrie). Es gibt eine Vielzahl verschiedener Ansätze, für die u. a. Juola (2008) und Stamatatos (2009) einen Überblick liefern. Automatisierte Verfahren für die Autorenerkennung arbeiten mit Trainings‐ korpora, wie bei einem Verfahren, das in Koppel/ Schler/ Argamon (2009) vor‐ gestellt wird. Hier wurde ein Trainingskorpus mit Texten bereits bekannter Autor/ inn/ en erstellt. Das Trainingskorpus wurde im Vorfeld manuell ‚klassifi‐ ziert‘. Dadurch sind die Autor/ inn/ en der Texte im Korpus bekannt. Das Trai‐ ningskorpus kann dann maschinell analysiert werden, um ein mathematisches bzw. statistisches Modell zu erstellen. Mithilfe dieses Modells lassen sich Texte unbekannter Autorschaft klassifizieren. Das mathematische bzw. statistische Modell umfasst dann z. B. N-Gramme und die sogenannte „Support Vector Machine“. Support-Vector-Maschinen können nach bestimmten Parametern eine Menge von Objekten in Klassen aufteilen. Es können z. B. sämtliche Texte jeder/ jedes Autorin/ Autors im Korpus einer bestimmten Klasse zugeordnet werdem. Dabei sollten die Abstände der einzelnen Klassen möglichst groß sein. Ein fraglicher Text kann dann einer bestimmten Klasse zugeordnet werden. Das geschieht mithilfe eines Klassifikators, der in der Trainingsphase ermittelt wird. Es sind verschiedene Verfahren möglich, wie z. B. sogenannte Wort-N-Gramm-Ver‐ fahren, die in der Regel sehr erfolgsversprechend sind (Koppel/ Winter: 2014). Bei N-Grammen werden Texte in mehrere Teile zerlegt, wobei die Zerlegung sich auf Wörter, Buchstaben etc. beziehen kann. N steht dabei für eine variable Zahl von aufeinander folgenden Fragmenten eines Textes. Die Anzahl der Teile, die bei der Aufsplittung entstehen, ist dabei nicht festgelegt. So ist eine Aufteilung in Bigramme (zwei Elemente), Trigramme (drei Elemente), Tetragramme (vier Elemente) usw. möglich. Ein wortbasiertes Bigramm wäre <?page no="344"?> z. B. ich bin, ein buchstabenbasiertes Trigramm wäre i-c-h. Mithilfe solcher Verfahren kann ein fraglicher Text X einer/ einem einzigen Autor/ in aus einer Gruppe Y zugeordnet werden, indem man z. B. die Häufigkeiten gefundener N-Gramme vergleicht. Die Voraussetzung ist, dass die/ der Schreiber/ in des Textes X in der Gruppe Y bereits vorkommt. Dieses Verfahren wird z. B. bei literarischen Texten angewendet. Es gibt ebenfalls Verfahren, bei denen die/ der Autor/ in nicht in der Gruppe Y vorkommen muss. Solche Verfahren sind für den Bereich der forensischen Linguistik sinnvoll, da man nicht davon ausgehen kann, dass sich bereits Texte der/ des Schreiberin/ Schreibers eines inkriminierten Schreibens in der Gruppe Y befinden. In der Regel haben computerlinguistische Verfahren Probleme mit kürzeren Texten, wie beispielsweise Twittter-Nachrichten, die auf maximal 140 Zeichen festgelegt waren, bevor die Maximallänge im November 2017 auf das Dop‐ pelte, also 280 Zeichen, erweitert wurde. Für Mikrotexte wie Twitter-Nach‐ richten wurden ebenfalls bereits Studien durchgeführt (Schwartz/ Tsur/ Rappo‐ port/ Koppel 2013). Wichtig ist bei jedem maschinellen Verfahren, dass eine hinreichende Menge an Trainings- und Vergleichsmaterial vorhanden sein muss. Die Datenmenge, die für maschinelle Verfahren benötigt wird, ist in der Regel sehr viel größer als die, die typischerweise für eine manuelle Analyse herangezogen werden muss. 18.1 Quantitative, statistische und automatisierte Ansätze Ehrhardt (2018: 184 ff.) beschreibt, dass die Nachfrage nach computergestützten Verfahren zur Analyse der Autorschaft immer größer wird, um qualitative Methoden zu unterstützen. Ishihara (2014) stellt ein Modell basierend auf N-Gramm-Analysen vor, bei dem das Korpus SMS verschiedener Autor/ inn/ en enthät.. Das vorgestellte System liefert Textvergleiche mit Berücksichtigung der Likelihood-Ratio, wobei ein Scoring nach der Formel von Doddington (2001: 2522) erfolgt. In einer drei Jahre später veröffentlichten Studie (Ishihara 2017) werden mit dem System Chatlogs, also Aufzeichnungen ganzer Chatgespräche, zur Verfolgung Pädophiler untersucht. Es werden Wort- und Buchstaben-ba‐ sierte Merkmale untersucht. Falls ausreichend Datenmaterial vorhanden ist, erreicht das System gute Ergebnisse, um zwischen SMS bzw. Chateinträgen der gleichen bzw. nicht gleichen Autor/ inn/ en zu unterscheiden (vgl. Ishihara 2014: 38-43 und Ishihara 2017: 67). 344 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="345"?> In einer Studie mit deutschsprachigen Texten, deren Design dem Ishiharas ähnelt (Ehrhardt 2018: 186) und der authentische Daten des BKA-Korpus zugrunde liegen, wurden inkriminierte Schreiben untersucht (Ehrhardt 2015). Die Datenbasis bestand nach ersten Tests aus Texten von 84 Autor/ inn/ en und berücksichtigte 144 verschiedenen N-Gramm-Kombinationen, wobei jede Kombination ein unabhängiges System für Textvergleiche repräsentierte. Der Score bzw. Punktwert der Vergleiche jeweils zweier Texte wurde in eine Likelihood-Ratio umgewandelt. Ehrhardt (2018: 186) beschreibt, dass solche Studien durch die Limitierung der „sample size“ immer noch eingeschränkt seien, jedoch ein solches System vielversprechend ist, da es mit der besten Parameter-Konstellation auf eine Gleichfehlerrate von 13 % (vgl. auch Ehrhardt 2017) kommt. In anderen Arbeiten, so wie in Kinoshita/ Ishihara (2014: 217) zum forensischen Stimmvergleich, wird ebenfalls von Problemen mit zu kleinen Datenmengen berichtet. Es wird deutlich, dass die Menge an Daten entschei‐ dend ist, ob ein System gut trainiert und getestet werden kann und stabil ist. Das gilt für das gesamte zugrunde liegende Korpus, die Datenmenge für Trainingszwecke und die Länge einzelner Texte etc. Ist das gewährleistet, können quantitative Verfahren erfolgreich eingesetzt werden, um die bereits bewährten, qualitativen Verfahren zu ergänzen und um dem extrem hohen Aufkommen an zu untersuchenden Daten gerecht zu werden. Im Rahmen der Forschungsgruppe „Sprachliche Imitations- und Verschlei‐ erungsstrategien“ des NRW-Forschungskollegs „SecHuman - Sicherheit für Menschen im Cyberspace“ wurden Ansätze für eine Teil-Automatisierung für Textvergleiche entwickelt. An dem inter- und transdisziplinären Projekt waren Forscher/ innen und Mitarbeiter/ innen der Ruhr-Universität Bochum, der Bucknell University in Lewisburg (Pennsylvania) und des Bundeskriminalamtes beteiligt. Als Ansatz für eine teilautomatisierte Arbeitsweise wurde das System Ad‐ Hominem entwickelt und im Rahmen zweier Publikationen vorgestellt (Bön‐ ninghoff/ Hessler/ Kolossa/ Nickel 2019 sowie Bönninghoff/ Hessler/ Kolossa/ Ku‐ charczik/ Nickel/ Pittner 2019). Da es sich bei der Stilanalyse von Autor/ inn/ en um Mustererkennung handelt (vgl. Tweedie 2005: 392), bietet sich die Zuhilfe‐ nahme neuronaler Netze an, die bereits Grant/ Baker (2001) für die forensische Linguistik empfehlen, und die wir in unserer Projektgruppe „Sprachliche Imi‐ tations- und Verschleierungsstrategien“ einsetzen. Mit einem auf neuronalen Netzen und Deep Learning basierenden Verfahren aus dem Bereich der künst‐ lichen Intelligenz soll AdHominem bei der Extraktion sprachlicher Merkmale helfen. Aufgrund bereits angesprochener, riesiger Datenmengen ist es nicht möglich, die Vielzahl aller u. U. strafrechtlich relevanten Texte händisch zu 18.1 Quantitative, statistische und automatisierte Ansätze 345 <?page no="346"?> analysieren. So soll im besten Fall gewährleistet werden, die händische Analyse auf Zweifelsfälle zu reduzieren. Um zu erklären, warum sich die o. g. Forschungsgruppe für ein auf neuro‐ nalen Netzen basierendes Verfahren entschieden hat, sollen hier drei grund‐ legende, für das System denkbare Verfahren kurz vorgestellt werden. Allen Verfahren ist gemein, dass sie auf Algorithmen basieren: 1. Regelbasierte Systeme Hier muss vorher festgelegt sein, was genau durch das System überprüft werden soll. Das System braucht hierbei alle Regeln, bei der Untersu‐ chung von Texten beispielsweise die des Dudens. Das Problem dabei ist, dass Autor/ inn/ en Texte nicht nach den vorher festgelegten Regeln schreiben. Es gibt viele Regelverstöße, Substandardkonstruktionen, Falsch‐ schreibungen etc. Rein regelbasierte Systeme sind daher oft nicht sehr erfolgreich in der automatisierten Klassifizierung der Autorenschaft, es sei denn es handelt sich ausschließlich um Texte, die sich sehr strikt an allgemein akzeptierte Rechtschreibungsnormen halten. 2. Probabilistische Systeme Bei probabilistischen, also auf den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit be‐ ruhenden Systemen, besteht die Möglichkeit, unter der Annahme einer bestimmten Autorschaft die Wahrscheinlichkeit observierter Wörter zu beziffern. Dadurch lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer hypothetischen Autorschaft abschätzen. Probabilistische Systeme können bei Texten den Gebrauch von Wortarten gewissermaßen vorhersagen. Hierfür müssen alle Wortformen getaggt werden, das System muss also beispielsweise wissen, welche Wörter welchen Wortarten zugeordnet werden können. Dafür werden sogenannte Part-of-Speech-Tagger verwendet. 3. Neuronale Netze Bei neuronalen Netzen geht es ebenfalls um das Konzept der Wahrschein‐ lichkeit. Daher ist eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den unter 2. beschriebenen Systemen und auf neuronalen Netzen beruhenden Sys‐ temen nicht leicht, bzw. nicht möglich. Das signifikante Merkmal von neuronalen Netzen ist aber, dass das System selbsttätig Regeln lernt und diese nicht vorher händisch festgelegt werden müssen. Das System lernt selbständig von Trainingsdaten. Die genaue ‚Denkweise‘ neuronaler Netze ist nach dem jetzigen Forschungsstand nicht zu beschreiben. Bei neuro‐ nalen Netzten ist es nicht einfach möglich, eine ‚menschliche Denkweise‘ nachzuvollziehen. 346 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="347"?> 149 Hier muss angemerkt werden, dass sich Menschen dieses Wissen ebenfalls erst er‐ arbeiten müssen, bzw. eine Medienkompetenz, die dafür notwendig ist, Textsorten, -themen etc. zu unterscheiden, aneignen müssen. Neuronale Netze schienen für unser Vorhaben also am besten geeignet zu sein. Sie besitzen die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu lernen. Dabei lernen neuronale Netze im Allgemeinen sehr viel schneller als Menschen. Da Menschen aber bereits von ihrer Geburt an lernen, haben sie einen großen zeitlichen Vorsprung vor neuronalen Netzen. Neuronale Netze brauchen für einen erfolgreichen Lernprozess viele Daten, aus denen sie dann beispielhaft die erforderlichen Schlüsse ziehen können. Welchen bestimmten Schluss ein neuronales Netz dabei aus bestimmten Daten ziehen soll, muss dem Netzwerk zunächst explizit mitgeteilt werden, damit es von dieser Erfahrung lernen kann. Wenn das neuronale Netz dann genügend Beispiele ‚gesehen‘ hat, kann es in der Regel damit anfangen, auch selbsttätig Schlüsse zu ziehen. Eine große Herausforderung beim Training von neuronalen Netzen ist, ge‐ nügend Paare aus Data und Label zu haben. Als Beispiel seien hier Katzenbilder genannt. Ein Foto mit dem Bild einer Katze ist hierbei Data. Das Wissen, dass es sich bei dem Bild um ein Katzenbild handelt, ist das zugehörige Label. Gleiches gilt für Texte mit zugehöriger Autorin bzw. zugehörigem Autor. Die Zuordnung muss oft per Hand erfolgen, was das Verfahren relativ aufwendig macht. Es muss dem neuronalen Netz also einzeln ‚beigebracht‘ werden, von welchem Autor ein Text stammt. Damit das Netz so arbeitet wie gewünscht, muss man es mit vielen Trainingsdaten ‚füttern‘. So kann der Fokus darauf gelegt werden, was am Ende herauskommen soll, also nach welchen Ergebnissen man mit dem neuronalen Netz suchen will. Beispielsweise erkennt ein Mensch relativ schnell, ob es sich bei einem Text um einen Text über Fußball oder um einen Text über ein Konzert o.ä. handelt, vorausgesetzt, er spricht die Sprache, in der der Text verfasst wurde. 149 Ein neuronales Netz muss dafür trainiert werden, Texte bzw. Textsorten zu unterscheiden. Dabei ist auch entscheidend, wie komplex das Textmaterial ist bzw. die zu suchenden Merkmale sind. Die Komplexität ist dabei sehr variabel. Je komplexer die Merkmale, desto mehr Trainingsdaten braucht das neuronale Netz, um diese zu finden und zu unterscheiden. Bei Textanalysen und besonders bei Textvergleichen ist es wünschenswert, das neuronale Netz mit Merkmaldaten zu speisen, die sich darauf beziehen, welche/ r Autor/ in wie schreibt und weniger darauf, welchen Inhalt ein Text hat. So ist es denkbar, dass ein Text über Fußball von Autor A mehr Gemeinsamkeiten mit einem Text über Fußball von Autor B aufweist als mit einem Text von Autor A über Atompolitik. Und ebenso ist es wahrscheinlich, dass der Text von Autor 18.1 Quantitative, statistische und automatisierte Ansätze 347 <?page no="348"?> 150 Auf der Seite www.amazon.com 151 https: / / nijianmo.github.io/ amazon/ index.html (2018) und http: / / jmcauley.ucsd.edu/ dat a/ amazon/ links.html (2014) Letzter Zugriff jeweils am 20.01.2023 B über Fußball eine geringere Ähnlichkeit zu einem Text über Pflanzenzucht von Autor B aufweist als der Text über Fußball von Autor A: Fußballtext (Autor A) höhere Ähnlichkeit ⇨ Fußballtext (Autor B) Fußballtext (Autor A) geringere Ähnlichkeit ⇨ Atompolitiktext (Autor A) Fußballtext (Autor B) geringere Ähnlichkeit ⇨ Pflanzenzuchttext (Autor B) Neuronale Netze tun sich, im Gegensatz zum Menschen, schwerer dabei, eine Generalisierbarkeit herzustellen. Kinder, die ihre eigene Muttersprache noch erlernen, oder Personen, die eine Fremdsprache lernen, verwenden während des Lernprozesses oft falsche grammatische Formen, da sie bestimmte Regeln übergeneralisieren. Z. B. werden Verben falsch konjugiert, wenn starke Verben wie schwache Verben, also regelmäßig flektiert werden: 1. *Ich habe gewerft. 2. *Ich sehte den Mann. Obwohl die obenstehenden Sätze ungrammatisch sind, zeigen sie, dass die/ der Lernende das übergeordnete Prinzip (hier die Konjugation schwacher Verben) verstanden hat. Es ist möglich, dass ein entsprechend trainiertes Netz die oben genannte Generalisierung selbsttätig findet. Diese Generalisierung wird dann mathematisch als Extrapolation, der Bestimmung eines Verhaltens über den gesicherten Bereich hinaus, verstanden. 18.2 Datengrundlage Der Datensatz, der für das Deep Learning-Verfahren von AdHominem einge‐ setzt wurde, umfasst über 200000 Texte. Es handelt sich bei dem Datensatz um englischsprachige Amazon-Rezensionen 150 und wurde dem Amazon Review Data-Korpus 151 (Ni 2018) entnommen. Das gesamte Korpus beinhaltet derzeit 233 Millionen gelabelte Rezensionen. Es wurden etwa 11 GB Daten aus etwa 80 GB vorhandenen Daten verwendet. Das Korpus umfasst Rezensionen un‐ terschiedlicher Produktkategorien, wobei einige, wie z. B. Buchrezensionen, übergewichtet sind. Für AdHominem wurden nur Reviews berücksichtigt, die zwischen 100 und 1000 Tokens (hier als zusammengehörige Folge von Zeichen) 348 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="349"?> beinhalten. Wenn Texte vorliegen, die innerhalb dieser Spannweite zu den längeren gehören, sind diese für das Programm einfacher zu klassifizieren. Der Fokus liegt jedoch darauf, die automatisierte Autorenerkennung auch für kleinere Texte, wie sie vor allem in sozialen Medien vorkommen, nutzbar zu machen. Die Schwierigkeit gegenüber Sets mit größeren Texten ist hier erhöht, daher ‚verschlechtert‘ sich die Genauigkeit des Systems, nämlich die sogenannte Accuracy. Bevor AdHominem zwei Rezensionen zum Zwecke eines Textvergleichs ana‐ lysieren kann, muss das System trainiert werden. Das ist ein sehr langwieriges, kompliziertes Verfahren, das hier in allgemeinverständlicher und kurzer Form erklärt werden soll. 18.3 Interne Struktur von AdHominem Der aktuellen Version von AdHominem liegen folgende Informationen zu‐ grunde: Einzelne Textvergleiche sind für das System gelabelt. Ein Sample bzw. Trainingsbeispiel hat drei Informationen. Es besteht aus einem Label und zwei Dokumenten. Jeweils zwei Dokumente (doc_1 und doc_2) bilden zusammen einen Textvergleich, wobei die Dokumente zufällig einander zuge‐ ordnet werden. Bei dem Label gibt es vier verschiedene Möglichkeiten. Diese sind: SA_SC: same author, same category - ⇨ Die beiden verglichenen Rezensionen haben dieselbe/ denselben Autor/ in und fallen in dieselbe Produktkategorie (Bücher, Filme, Videospiele etc.). - SA_DC: same author, different category - ⇨ Die beiden verglichenen Rezensionen haben dieselbe/ denselben Autor/ in und fallen nicht in dieselbe Produktkategorie. - DA_SC: different author, same category - ⇨ Die beiden verglichenen Rezensionen haben eine/ n unterschiedliche/ n Autor/ in und fallen in dieselbe Produktkategorie. - DA_DC: different author, different category - ⇨ Die beiden verglichenen Rezensionen haben eine/ n unterschiedliche/ n Autor/ in und fallen nicht in dieselbe Produktkategorie. 18.3 Interne Struktur von AdHominem 349 <?page no="350"?> 18.3.1 Trainingsset Ein Trainingsset wird erstellt, damit das System, wie der Name schon sagt, lernt, mit den Daten umzugehen, also zu trainieren. Es lernt multidirektional und nicht linear, ‚liest‘ also Texte nicht bloß von vorne nach hinten, sondern auch von hinten nach vorne etc. Das Trainingsset, Tr genannt, sollte im Bestfall die folgende, komplett ausgeglichene Verteilung aller vier Labels haben, damit AdHominem möglichst effizient lernen kann: 25-% SA_SC, 25-% SA_DC, 25-% DA_SC und 25-% DA_DC Daraus ergeben sich also 50 % Paare mit gleicher und 50 % Paare mit ungleicher Autorschaft. In jeder Trainingsrunde gibt man dem Programm den Befehl, neue Paare zu bilden und gleich viele Labels (also jeweils 25 %) zu samplen, da die tatsächliche Verteilung im Datensatz nicht gleichmäßig ist. Dabei wird die Zuordnung der Paare immer wieder neu gemischt, damit das System die Informationen nicht einfach ‚auswendig lernt‘. Zu Trainingszwecken werden in mehreren Runden also Paare gebildet, die wieder aufgelöst werden. Der Datensatz wird für die Testläufe in 10 gleichgroße Teile geteilt. Neun Teile, bzw. 90 % des gesamten Datensatzes, sind bei einem Durchlauf die Daten, mit denen das System trainiert. Der letzte Teil, also 10 % des gesamten Datensatzes, wird als sogenanntes Development-Set (in roter Farbe dargestellt) verwendet: - - - - - - - - - - In weiteren Trainingsdurchläufen wechselt der Teil, der als Development-Set dient. Es werden also mindestens 10 Trainingsdurchläufe, mit jeweils anderen Trainings- und Development-Sets, durchgeführt: - - - - - - - - - - dann - - - - - - - - - - usw. Das Development-Set dient während der Trainingsphase zum Testen des Systems, d. h. um die Qualität des Lernerfolges während des Trainings zu messen 350 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="351"?> und zu steuern. Wenn man die Performance des Systems prüft, im Anschluss Veränderungen vornimmt und dann wieder prüft, kann festgestellt werden, ob sich die Anpassungen positiv, negativ oder gar nicht auswirken. 18.3.2 Test-Set Neben dem Trainingsset wird außerdem ein Test-Set, Te genannt, erstellt, damit die letztendliche Performance des Systems nach Abschluss der Lernphase ge‐ messen werden kann. Wenn keine weiteren Modifikationen mehr durchgeführt werden sollen, das gesamte System also vorerst ‚abgeschlossen‘ ist, wird das Test-Set verwendet. Im Test-Set ist die Verteilung so, wie sie in der ‚Wirklichkeit‘, also im ge‐ samten zugrundeliegenden Datensatz, vorkommt. Die Paare werden im Test-Set nicht durchmischt, sondern sind festgelegt, damit ein Vergleich mit anderen Systemen, die mit dem gleichen Test-Set arbeiten sollen, gewährleistet ist. Das Test-Set ist außerdem festgelegt, damit die Performance des eigenen Systems mit anderen Systemen verglichen werden kann. AdHominem machte im Verlauf des Projekts viele komplette Trainingsdurch‐ läufe und wurde nach Evaluation der Ergebnisse immer wieder neu kalibriert und angepasst. Dabei ist zu beachten, dass ein solches System kaum als ‚fertig‘ betrachtet werden kann. Es ist möglich, es immer weiter anzupassen und zu verbessern. Zunächst soll beschrieben werden, wie AdHominem im Rahmen des linguistischen Textvergleichs eingesetzt werden kann. Das System AdHominem vergleicht zwei zufällige Texte aus dem Korpus bezüglich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede, um eine Angabe ausgeben zu können, ob zwei Texte von derselben/ demselben Autor/ in verfasst wurden. Bei dem Vergleich gibt das System ein Scoring aus. Bei unter 1.0 lautet das Ergebnis „similar“, also gleiche/ r Autor/ in. Bei über 3.0 heißt das Ergebnis „dissimilar“, also ungleiche/ r Autor/ in Ist das Ergebnis zwischen 1.0 und 3.0, gibt das System keine Antwort, die zu einem der beiden Ergebnisse tendiert, sondern gibt an, dass das Ergebnis unsicher ist. Die Open World Assumption geht davon aus, dass es Autor/ inn/ en gibt, die im Trainingskorpus nicht vorhanden sind. Nehmen wir an, ein System wird trainiert, Bilder von Orangen und Zitronen zu unterscheiden. Wenn das System aber das Bild einer Gurke zuteilen muss, ist es wichtig, dass es sich nicht aufgrund gewisser Eigenheiten für eine Orange oder eine Zitrone entscheidet, sondern keine dieser Möglichkeiten präferiert. Man kann dem Netzwerk statt der Auswahl der Zuordnung gleiche/ r oder ungleiche/ r Autor/ in die Möglichkeit geben, dass es zur Wahl hat, zu sagen, dass es nicht entscheiden muss. Diese Möglichkeit steigert außerdem die Accuracy von dem 18.3 Interne Struktur von AdHominem 351 <?page no="352"?> 152 https: / / www.amazon.de/ gp/ help/ customer/ display.html? nodeId=201470680 Letzter Zugriff am 20.01.2023 Bereich, bei dem es sich für gleiche/ r oder ungleiche/ r Autor/ in entscheidet. Die Aussage lautet also „unsure“. Die Einschätzung durch AdHominem basiert auf verschiedenen Dimen‐ sionen. In bestimmten Bereichen einzelner Sätze, Wörter etc. in den Rezen‐ sionen gibt es Stellen, die das System für die/ den User/ in sichtbar markiert, sogenannte Attentions. Die Entscheidung, was markiert wird, basiert darauf, ob die Stellen relevant für die Entscheidungsfindung des Systems sind, ob die Autorschaft zweier Texte die gleiche ist oder nicht. Das Scoring ist der Grad‐ messer, ob AdHominem die zwei Texte einer/ einem Autor/ in oder mehreren Autor/ inn/ en zuschreibt. Diese Entscheidungen basieren auf den Parametern, die das System im Laufe vieler Testläufe ‚erlernt‘ hat. Das System ‚lernt‘ dabei völlig anders als ein Mensch. Während Menschen Texte linear, also (z. B. in europäischen Schriftsystemen) von oben nach unten und links nach rechts, lesen, ‚liest‘ das System alle Sätze von vorne nach hinten und von hinten nach vorne. Die Entscheidung, welche Textteile markiert werden, ist dabei mehrdimensional. Die/ Der User/ in selbst sieht aber in der Analyse von AdHominem nur einzelne, markierte Stellen in einem Text. Die Darstellung für User/ innen ist also eindimensional. Eine Methode, sich das vorzustellen, mag die Darstellung auf einer physischen Karte sein. Obwohl die Karte flach ist und die Darstellung nur auf zwei Dimensionen stattfindet, wissen wir, dass sie auf einer dreidimensionalen Wirklichkeit basiert. So haben z. B. Berge nicht bloß eine Erstreckung in Länge und Breite, sondern auch in der Höhe. 18.4 Anpassungen der Texte durch AdHominem Die Texte im Korpus haben eine sehr variable Länge. Es gibt in den Rezensi‐ onsbereichen von Amazon eine Mindestlänge von 20 Wörtern 152 , aber keine Maximallänge. AdHominem benötigt für einen Textvergleich zwei Texte von theoretisch gleicher Länge. Die Länge der Sätze, wie sie ein System analysiert, kann auf eine bestimmte Anzahl Tokens festgelegt werden. Im Falle von AdHominem sind das 25 Tokens. Auch die technischen Voraussetzungen spielen hierfür eine Rolle. Je länger die Satzlängen festgelegt werden, desto mehr Arbeitsspeicher benötigt ein Computer für das Training von AdHominem auf einer GPU (Graphics Processing Unit, dt. Grafikprozessor). GPUs sind dafür konzipiert, komplexe mathematische Vorgänge durchzuführen, weswegen sich 352 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="353"?> der Arbeitsspeicher der GPU für diese Berechnungen besonders eignet. Je we‐ niger Speicher man zur Verfügung hat, desto länger laufen die Testdurchläufe. Entsprechend länger braucht man für die Ergebnisse, für Anpassungen und Verbesserungen des Systems usw. So genannte „Nullstellen“ stellen ein Hilfsmittel dar, um dem Datenkonstrukt feste Längen zu geben. Das Auffüllen mit Nullstellen nennt man Zero Padding. Im System wird jeder Text mit Nullstellen aufgefüllt, sodass die zu vergleichenden Texte die gleiche Länge aufweisen. Ebenso wird jeder Satz, der kürzer als 25 Tokens ist, mit Nullstellen aufgefüllt. AdHominem agiert so, als sei jeder Satz eines Textes und jeder Text gleich lang, auch wenn sie eigentlich unterschied‐ liche Längen aufweisen. Sollte die Länge von 25 Tokens pro Satz jedoch überschritten werden, wird der Satz in zwei Teile aufgespalten. Aus dem Rest des ursprünglichen Satzes bildet AdHominem dann einen zweiten Satz, der dann auch ggfs. wieder durch Nullstellen aufgefüllt wird. Außerdem werden Teile der ursprünglichen Formatierung angepasst. Beispielsweise werden Absätze gestrichen und vor Satzzeichen werden Leerzeichen eingefügt. Das soll hier visualisiert und erklärt werden. Ein Text aus dem Korpus erscheint für AdHominem so: <SOD> <SOS> I was a bit hesitant at first to buy the notebook . <EOS> <SOS> First , I thought it would be a waste of money . <EOS> <ZP> <SOS> I was considering just having our nanny jot down all the times / <ELB> <SLB> notes in a regular notebook or some sheet of paper . <EOS> <ZP> <ZP> <SOS> But it 's nice to have everything all in one place and fun <ELB> <SLB> to go back and see the patterns that have developed . <EOS> <ZP> <ZP> <SOS> I also did n't know whether the format was user---friendly . <EOS> <SOS> I had imagined something more along the lines of activity ( e.g. , <ELB> <SLB> food or sleep ) and then empty boxes below for the nanny to <ELB> <SLB> jot down time and info ( e.g. , 10 am sweet potato or <ELB> <SLB> 11 am down for nap ) . <EOS> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <SOS> But the notebook format works well and it presents a great " map <ELB> <SLB> " of what the day was like . <EOS> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <SOS> Will definitely recommend this product to friends and family . <EOS> <EOD> <ZP> 18.4 Anpassungen der Texte durch AdHominem 353 <?page no="354"?> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> <ZP> Der Text enthält die gesamte Rezension, wie sie auf Amazon.com hochgeladen wurde. Zusätzlich enthält der Text Angaben in Klammern < >, die für die Textvergleiche von AdHominem von entscheidender Bedeutung sind. Folgende Kürzel werden verwendet: Kürzel steht für: bedeutet: <SOD> Start of Document Mit <SOD> fängt jedes Dokument, das Teil des Korpus ist, an. <SOS> Start of Sentence Mit <SOS> beginnt jeder Satz, der nicht vom System abgeschnitten wurde, also die tatsächliche Länge wie im Originaldokument aufweist. <EOS> End of Sentence Mit <EOS> endet jeder Satz, der nicht vom System abgeschnitten wurde, also die tatsächliche Länge wie im Originaldokument aufweist. <ZP> Zero Padding Die Angaben mit <ZP> dienen der Auffüllung eines Dokumentes, damit alle Sätze aller Dokumente gleich lang sind. <ELB> Ends with Linebreak Mit <ELB> wird jeder Satz abgekürzt, der im Sinne der festgelegten Parameter für die Analyse des Sys‐ tems zu lang ist. Der Satz wie er tatsächlich im Text vorkommt, geht in der nächsten Zeile weiter. <SLB> Start with Linebreak Mit <SLB> wird jeder Satz eingeleitet, der vorher wegen seiner Länge abgeschnitten wurde. Auch diese Sätze werden mit <EOS> beendet, es sei denn, sie überschreiten noch einmal die festgelegten Para‐ meter. In dem Fall enden sie wieder mit <ELB> und gehen in der nächsten Zeile mit <SLB> weiter. 354 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="355"?> <EOD> End of Document Mit <EOD> endet jedes Dokument, das Teil des Korpus ist. <ZP> (nach-< EOD>) Zero Padding (nach dem Ende des ursprünglichen Textes): Mit <ZP> werden auch die Dokumente selbst aufge‐ füllt. Nicht nur alle Sätze, sondern auch die Doku‐ mente sollen gleich lang sein. Hier ist die Länge eines Dokumentes auf 1000 Tokens (also 40 Sätze á 25 Tokens) festgelegt. Der Rest wird, wie bei den Sätzen auch, mit <ZP> aufgefüllt. Tabelle 22: Erklärungen der Kürzel von AdHominem Zur Veranschaulichung der Anpassungen soll folgender Beispieltext dienen: Hallo Peter. Wie geht es dir? Wir sind gerade im Urlaub, unser Hotel ist sehr schön, das Wetter ist prima, das Essen - besonders die spanischen, balearischen, mallorquinischen Fisch- und Meerestierspezialitäten - ist ganz hervorragend und super lecker und unsere Kinder haben auch viel Spaß. Beate ist auch sehr zufrieden. Besonders mit dem Essen. Melde dich doch mal bei uns. Bei dem obenstehenden Text werden Nullstellen eingefügt, damit jeder Satz 25 Elemente hat. Außerdem werden Sätze mit mehr Elementen abgeschnitten. Hallo Peter . 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Wie geht es dir ? 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Wir sind gerade im Urlaub , unser Hotel ist sehr schön , das Wetter ist prima , das Essen - besonders die spanischen , balearischen , mallorquinischen Fisch- und Meerestierspezialitäten - ist ganz hervorragend und super lecker und unsere Kinder haben auch viel Spaß . 00000000000 Beate ist auch sehr zufrieden . 0000000000000000000000000000000000000000000000000 Besonders mit dem Essen . 0000000000000000000000000000000000000000000000000000 Melde dich doch mal bei uns . 0000000000000000000000000000000000000000000000000 18.4 Anpassungen der Texte durch AdHominem 355 <?page no="356"?> Folgende Anpassungen werden durchgeführt: • Absätze werden nicht beachtet. Jeder Satz wird einzeln für sich betrachtet. • Der dritte Satz wird nach 25 Wörtern in zwei Teilsätze aufgespalten. • Der erste Teil des dritten Satzes wird nicht mit Nullstellen aufgefüllt, da er genau 25 Wörter umfasst. • Der zweite Teil des dritten Satzes wird mit Nullstellen aufgefüllt. • Alle weiteren Sätze werden ebenfalls mit Nullstellen aufgefüllt • Es werden Leerzeichen vor Satzzeichen eingefügt. Wenn der erste Text nun mit einem zweiten Text verglichen wird, der sehr viel kürzer ist, wird dieser mit Nullen aufgefüllt, dass beide Texte gleich lang sind. Zur Verdeutlichung: Hallo Mama . 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Leon und ich senden dir schöne Urlaubsgrüße . 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Bis bald Marie . 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Da beide Texte durch Auffüllungen mit Nullstellen gleichlang sind, können sie von AdHominem zum Textvergleich herangezogen werden. Eine weitere Anpassung von AdHominem betrifft die Darstellung von Apo‐ strophen. Die Sätze If you don’t own it, I highly recommend picking it up. und Sean’s vocals are incredible. werden von AdHominem folgendermaßen wiedergegeben: 356 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="357"?> If you do n’t own it, I highly recommend picking it up . und Sean ’s vocals are incredible. AdHominem bildet also zwei Einheiten, nämlich die nicht verneinte Verbform „do“ und „n’t“. Außerdem wird im zweiten Beispielsatz „’s“ vom Namen „Sean“ abgetrennt. 18.5 Markierungen bzw. Attentions in AdHominem AdHominem untersucht einerseits Wörter in ihrem Zusammenhang im Satz. Dabei werden Stellen innerhalb von Sätzen rot markiert, die wichtig für die Einschätzung der Autorschaft sind. Außerdem gibt das System mit blauer Farbe an, wie prägnant jeder Satz für diese Einschätzung ist. Abbildung 14: Beispiel für Attentions auf Satzbasis (in rot) und für Attentions von ganzen Sätzen (blau) Je dunkler die Markierung bzw. Attention ist, desto relevanter ist der Teil für die Einschätzung der Autorschaft. Der Grad der Intensität der Rottöne und Blautöne ist dabei stufenlos. Er reicht für das menschliche Auge sichtbar von einem blassen Rosa mit wenig Relevanz bis zu einem tiefen, sehr intensiven Rotton, der für eine starke Relevanz bei der Entscheidungsfindung steht. Für die Sätze ist der Farbton der Attentions ebenfalls stufenlos. Je dunkler der Blauton, desto relevanter ist dieser Satz dafür, ob sich das System bei der Einschätzung der Autorschaft für „similar“, „dissimilar“ oder „unsure“ entscheidet. Die Bewertung der Wichtigkeit der Wörter und anderer Textteile (in Rot‐ tönen) bezieht sich immer nur auf die Wichtigkeit in einem vorliegenden Satz, nicht auf den gesamten Text. Das bedeutet: Wenn ein Wort in einem Rotton markiert wird, aber der Satz, in dem das Wort auftaucht, nur eine geringe Wichtigkeitseinstufung (erkennbar an der Intensität des Blautons) hat, fließt 18.5 Markierungen bzw. Attentions in AdHominem 357 <?page no="358"?> die Bewertung des Wortes nur wenig in den Entscheidungsprozess, ob gleiche Autorschaft vorliegt oder nicht, ein. AdHominem arbeitet mit gelabelten, annotierten Daten. Das bedeutet, dass klar ist, von welcher/ welchem Autor/ in die Rezensionen geschrieben wurden. Diese Angaben sind aus Datenschutzgründen verschlüsselt. Das bedeutet, dass AdHominem nicht bloß die eigene Einschätzung wie oben beschrieben ausgibt, sondern diese direkt mit der faktischen Autorschaft der annotierten und gelabelten Rezensionen vergleicht. Das System zeigt also bei der Ausgabe eines Textvergleichs an, ob die beiden verglichenen Texte tatsächlich von den gleichen Autor/ inn/ en verfasst wurden, oder nicht. 358 18 Teil-automatisierte Verfahren für Textvergleiche <?page no="359"?> 19 Vierter empirischer Teil - Analysen der Textvergleiche von AdHominem Zur Analyse, wie AdHominem arbeitet und wie es zu seinen Entscheidungen kommt, lagen insgesamt 100 Textvergleiche mit insgesamt 200 Rezensionen vor. Die Texte wurden rein zufällig ausgewählt und einander zugeordnet. Mit den 200 Rezensionen werden unterschiedliche Produktkategorien abgebildet. Die 100 Textvergleiche enthalten sowohl Rezensionen mit etwa gleichlangen Texten, aber auch solche, bei denen die Texte eine sehr unterschiedliche Länge aufweisen. Im extremen Fall ist ein Text fünfmal so lang wie der jeweilige Vergleichstext. Zu bedenken ist, dass AdHominem die Texte nach der schon beschriebenen Methode mit Nullstellen auffüllt (Kapitel 18.4). In der Ausgabe, wie sie für die/ den User/ in erscheint, werden die zusätzlichen Nullstellen allerdings nicht wiedergegeben: Abbildung 15: Ausgabeversion eines Textvergleichs von AdHominem Bevor die eigentliche Analyse (Ergebnisse in Kapitel 19.2) durchgeführt wurde, wurden Probeerhebungen angestellt, um herauszufinden, wie das System genau arbeitet und wie die Darstellung der Textvergleiche ausfällt. Diese Probeerhe‐ bungen werden im nächsten Kapitel vorgestellt. <?page no="360"?> 153 Das sind andere Texte als die, die für die Einzelanalysen (Kapitel 19.2) herangezogen wurden. Alle Textvergleiche der Probeerhebung finden sich im Anhang unter „Anhang III: AdHominem Probeerhebungen“. 154 P1 steht für den ersten Textvergleich der Probeerhebungen und 1, 7 gibt die siebte Zeile des ersten Textes an. 19.1 Probeerhebungen Für die Probeerhebungen wurden zunächst 20 Textvergleiche, die von AdHo‐ minem ausgegeben wurden, analysiert 153 . Auffällige Markierungen der Probeer‐ hebungen sollen hier in kompakter Form wiedergegeben werden. Wortarten: Substantive, Verben und Adjektive Allgemein auffällig ist, dass das System überproportional viele Inhaltswörter, insbesondere Substantive, Verben und Adjektive markiert. Es ist auffällig, dass das nicht zufällig geschieht, sondern dass die Auswahl in gewisser Weise motiviert zu sein scheint. Allerdings ist es als eher problematisch einzustufen, dass das System vor allem diese Wortarten auswählt, da sie im stärkeren Maße kontextabhängig sind als beispielsweise Konjunktionen, Präpositionen oder Partikeln. Im besten Fall sollte das System Rezensionen verschiedener Katego‐ rien gleichwertig miteinander vergleichen können, also beispielsweise eine Rezension zu einer Waschmaschine mit einer Rezension zu einem Videospiel. Viele Wörter sind allerdings sehr themenspezifisch innerhalb eines bestimmten Themenfeldes bzw. Produktbereichs zu erwarten. Eigennamen Eigennamen werden überdurchschnittlich oft und intensiv markiert. Beispiele hierfür sind „Sevendust“ (P1, 1, 7 154 ) und „Cave“ (hier als Eigenname in P1, 2, 2). Interessant ist hier besonders „Cave“. Es handelt sich kleingeschrieben um ein Substantiv des englischen Standardwortschatzes, großgeschrieben ist es ein Eigenname. U.U. sorgt die Großschreibung für die intensive Markierung. Bei einigen Eigennamen wird nur ein Teil markiert, wie z. B. „Fighters“ in „Foo Fighters“ (P1, 1, 8) oder „Beatles“ in „The Beatles“ (P1, 2, 9). Durchgehende Großschreibung Wörter, die ausschließlich aus Majuskeln bestehen, werden fast immer vom System markiert. Beispiele sind „LOVED“ (P4, 2, 15) und „CHARADES“ (P5, 1, 12-13). Akronyme, die komplett aus Majuskeln bestehen, werden ebenfalls sehr häufig markiert. Ein Beispiel ist „LGBT“ (P9, 2, 23). In Text P19, 2 werden ausschließlich Majuskeln gebraucht. Bemerkenswert ist hier, dass fast der ganze Text markiert wurde. 360 19 Vierter empirischer Teil <?page no="361"?> 155 Die genauen Angaben für alle 40 Texte können im Anhang unter „Anhang III: AdHominem Probeerhebungen“ nachgeschlagen werden. Ungewöhnliche Schreibungen Ungewöhnliche Schreibungen, die z. B. gesprochene Sprache nachbilden, werden häufig markiert. Beispiele sind „dontcha“ (vgl. don’t you) in „I see a dino on the cover, dontcha think there should be some in the game? “ (P19, 2, 5) und „Whoopee“ (19, 2, 14). Ungewöhnliche Zusammensetzungen markiert das System ebenfalls. Ein Beispiel ist „Clancy - esque“ in „who delights in Clancy - esque Cold War“ (P2, 1, 14). Beide Bestandteile werden in unterschiedlich intensivem Rotton markiert, wobei „esque“ intensiver angezeigt wird. Betrachtet man beide Wörter einzeln, liegen ein Eigenname (werden ansonsten auch markiert, s. o.) und ein gebundenes Morphem, das einzeln nicht auftritt, vor. Sonderzeichen und Satzzeichen Sonderzeichen wie „+“ oder „&“ werden sehr häufig markiert. In Text P12, 2 kommt & insgesamt elfmal vor. Neunmal wird das & markiert. Das ist vor allem aufgrund der Tatsache bemerkenswert, da der Text ansonsten sehr wenige Markierungen aufweist. Satzzeichen werden durchschnittlich häufiger markiert als Wörter. Bei Satz‐ zeichenhäufungen ist auffällig, dass die ersten vorkommenden Exemplare eines Satzzeichens intensiver markiert werden als die folgenden. Text P20, 2 schließt mit 20 Ausrufezeichen. Davon sind die ersten 5 markiert, die folgenden 15 jedoch nicht. Interessant ist außerdem, dass die Ausrufezeichen, die zuvorderst auftreten, als wichtiger als die folgenden eingestuft werden. So wird das erste Ausrufezeichen dunkler markiert als das zweite, das zweite wiederum dunkler als das dritte usw. Die 20 Textvergleiche der Probeerhebung wurden auf das Vorkommen ver‐ schiedener Satzzeichen und auf die Intensität ihrer Markierung hin untersucht. Der Grad der Markierung wurde dann mit dem Rest der Texte vergleichen. In 25 der 40 Texte kommen Bindestriche vor. In 23 Rezensionen werden die Bindestriche intensiver als des jeweiligen Textes markiert, das entspricht 92-%. In 36 Texten werden Kommas verwendet, wobei sie in 27 Texten überwiegend markiert werden. Das sind 75 %. Klammern finden sich in 18 Texten und in zwölf davon werden sie intensiver als der Rest des Textes markiert, als 66,67 %. Dagegen kommen nur in sieben Texten Doppelpunkte vor, die in drei Texten, also 42,86 % überwiegend markiert werden. 155 Die überwiegende Markierung der Satzzeichen ist eine wichtige Eigenschaft von AdHominem, da die Zeichensetzung genre- und kontextunabhängig ist. Ferner zeigen die dargestellten Daten, dass verschiedene Satzzeichen unter‐ 19.1 Probeerhebungen 361 <?page no="362"?> schiedlich häufig markiert werden. Z. B. werden Bindestriche weit häufiger markiert als z.-B. Doppelpunkte. 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem Nach den Probeerhebungen wurde AdHominem weiter überarbeitet. Ein Ziel war es, die Textvergleiche von AdHominem kontext- und genreunabhängiger zu machen. Das bedeutet, dass bei Textvergleichen solche sprachlichen Strukturen maßgeblich sind, die nicht bei bestimmten Produkt-Rezensionen erwartbar sind. Z. B. ist das Wort Sound in der Kategorie Music eher zu erwarten als bei Outdoors oder Sports. Daher wurden bei gemeinsamen Sitzungen unserer Forschungs‐ gruppe über sprachliche Bereiche gesprochen, die nicht themenspezifisch sind. Hierunter fallen Funktionswörter, aber insbesondere morphologische und syn‐ taktische Strukturen. Es wurden z. B. syntagmatische und paradigmatische Be‐ ziehungen in Sätzen ebenso wie das topologische Feldermodell besprochen. Au‐ ßerdem wurden Wortarten und Satzgliedfunktionen erläutert und voneinander abgegrenzt. Die Flexion von Wörtern und die häufigsten Wortbildungsarten wurden ebenfalls thematisiert. Die Erklärungen und Erläuterungen orientierten sich v.-a. an Pittner/ Berman (2015) und Pittner (2016). Folgende Fragen sind für die linguistische Betrachtung von Interesse: • Was markiert das AdHominem? • Lassen sich klassische Merkmale linguistischer Textanalyse in den farblich unterlegten Bereichen ausmachen? • Welche Merkmale können aus den markierten Teilen extrahiert werden? • Wie lässt sich AdHominem oder ein ähnliches Programm für die Textana‐ lyse bzw. für Textvergleiche einsetzen? • Bietet ein solches Verfahren neue Dimensionen linguistischer Betrachtung und wie können diese nutzbar gemacht werden? • Wie können, basierend auf den hier gewonnenen Erkenntnissen, Pro‐ gramme wie AdHominem verbessert werden? Ein Ziel des Einsatzes von Systemen wie AdHominem und der damit ver‐ bundenen automatisierten Textvergleiche ist, Forscher/ innen im Bereich der Autorenerkennung in ihrer Arbeit zu unterstützen. Ein wichtiger Aspekt bei der Arbeit mit Programmen wie AdHominem ist daher die Interpretierbarkeit der Daten. „General-purpose classification algorithms“ erreichen zwar eine hohe Genauigkeit bei der Klassifizierung von Texten, aber es gibt keine direkte 362 19 Vierter empirischer Teil <?page no="363"?> 156 Alle 100 Textvergleiche können im Anhang unter „Anhang IV: AdHominem Textver‐ gleiche von Amazon-Rezensionen“ nachgesehen werden. Kontrolle bzw. Überprüfbarkeit, auf welchen Merkmalen die Bewertung der Glaubwürdigkeit beruht. Es ist nicht ausreichend, dass ein Programm Texte richtig einordnet, sondern man sollte auch wissen, warum diese Entscheidungen getroffen werden (vgl. Przybyła 2020: ff). Das ist bei AdHominem gegeben, denn hier werden die Textelemente, die für die Entscheidung wichtig sind, ob die gleiche Autorschaft vorliegt oder nicht, farblich markiert. Von linguistischer Seite liegt der Fokus darauf, zu analysieren, welche Textteile vom System markiert werden. Hier wurde die folgende Leitfrage formuliert: Lassen sich klassische Merkmale der linguistischen Textanalyse in den farblich unterlegten Bereichen ausmachen? Diese Frage ist mit gewissen Einschränkungen mit ja zu beantworten. Wenn man sich die Analysen von AdHominem anschaut, wird deutlich, dass in der Regel sehr viele Textanteile markiert werden. Daraus resultiert, dass bei der Vielzahl von Markierungen auch solche Textteile darunter sind, in denen linguistische Merkmale ausge‐ macht werden können. Es geht also insbesondere darum, zu untersuchen, ob bestimmte, auch für Forscher/ innen auffällige Textteile, verhältnismäßig intensiv hervorgehoben werden. Die Analysen ergaben, dass AdHominem, auch aus ‚menschlicher Sicht‘, nicht wahllos Textteile markiert. In der Folge sollen Einzelanalysen zeigen, was das System für die Vorarbeit von Textanalysen oder -vergleichen leisten kann und wie Forscher/ innen in ihrer Arbeit unterstützt werden können. Im Anschluss soll dargestellt werden, wie Systeme, die für Textvergleiche genutzt werden können, verbessert werden können. Außerdem sollen Überlegungen angestellt werden, ob die Arbeit mit automatisierten Textvergleichen auch dazu beitragen kann, u. U. neue Betrachtungskategorien für die klassische linguistische Textanalyse zu eröffnen. Bei der Einzelanalyse werden die in den farblich unterlegten Textteilen aus‐ gemachten Merkmale verschiedenen Ober- und Unterkategorien zugeordnet. Auf die Auflistung des entsprechenden Merkmals folgt die Darstellung des zugehörigen Textausschnitts, in dem das Merkmal zu finden ist. Die Textteile sind mit einer entsprechenden Referenz versehen. Außerdem wird immer ein Ausschnitt der Ausgabeversion von AdHominem dargestellt. Hier kann nach‐ vollzogen werden, wie intensiv die zugrundeliegenden Textteile (rote Farbe) und der jeweilige gesamte Satz (blaue Markierung auf der linken Seite) markiert wurden. Oftmals wurden zusätzlich größere Ausschnitte gewählt, damit man die Markierung der jeweiligen Satzteile besser im Zusammenhang beurteilen kann. 156 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 363 <?page no="364"?> 157 Die Referenz ist folgendermaßen zu lesen: Die erste Zahl gibt das jeweilige Textver‐ gleichspaar an. Die zweite Zahl gibt an, ob es sich um den ersten oder zweiten Text des Paars handelt. Die letzte Zahl steht für die jeweilige/ n Zeile/ n, in der/ denen der Textteil zu finden ist. 14-1, 7 bedeutet also Textvergleich 14, Text 1, Zeile 7. 19.2.1 Zeichensetzung Satzzeichenhäufung We also purchased …… through Amazon …. (14-1, 7 157 ) In der AdHominem -Darstellung wird deutlich, wie stark die beiden Häufungen von Punkten im Verhältnis zum Rest markiert werden. Daraus lässt sich schließen, dass Satzzeichenhäufungen ein starkes Merkmal bei Textvergleichen (zumindest im Falle der zugrundeliegenden Textsorte) sein können. […] basketball ‘s select few --this is Jerry West . (4-2, 14) […] on them at birth --this (4-2, 15) Auch die Häufungen von Bindestrichschreibungen werden stark markiert. AdHominem markiert in vielen Texten auch die einfache Bindestrichschreibung sehr intensiv, hier im Gebrauch eines Gedankenstrichs: Clarke is just satisfactory---her Jane is too weak and bland . (5-2, 7) 364 19 Vierter empirischer Teil <?page no="365"?> 158 Die Verwendung von Währungssymbolen wie $, € und ¥ ist von der jeweiligen Inter‐ netseite abhängig. Auf der US-amerikanischen Amazon-Seite wird das Dollarsymbol relativ häufig verwendet. Gebrauch von Sonderzeichen […] and worth the time & $ (3-1, 12) Das kaufmännische Und (&) wird relativ selten (zumindest im Rahmen von On‐ line-Rezensionen) gebraucht. Bei dem genannten Textteil ist die Besonderheit, dass ein weiteres Sonderzeichen, nämlich das Dollarzeichen ($) direkt folgt. Das Dollarzeichen wird aber, gerade im Verhältnis zum Rest des Textausschnitts, sehr viel weniger intensiv markiert. 158 […] still delivers interesting & complex characters / storylines . (19-1, 28) In diesem Beleg wird das „&“ wieder stark markiert. Schaut man auf den Zusammenhang des Textausschnittes, zeigt sich, dass das kaufmännische Und in einem anderen Satz weniger intensiv markiert wird. Dennoch sticht es auch hier im unmittelbaren Zusammenhang des Satzes heraus. The plot & characters are well - written , and you ca n’t help but to feel a connection with each one of (19-2, 26) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 365 <?page no="366"?> Fehlendes Leerzeichen I highly recommend this book.5 Stars (19-1, 29) Durch das fehlende Leerzeichen in „book.5“ entsteht ein Cluster aus Buchstaben, einem Punkt und einer Ziffer, der, so scheint es anhand der einheitlichen Färbung, als ein Wort ‚interpretiert‘ wird. Der Cluster wird intensiv markiert. Bei einer klassischen Textanalyse (bzw. einem folgenden Textvergleich) müsste geprüft werden, ob das Merkmal durch‐ gehend verwendet wird, damit es als salientes, u. U. autor/ innen/ unterschei‐ dendes Merkmal analysiert werden kann. Das ist in der vorliegenden Rezension nicht der Fall. ‘s all foggy! Also , the remote […] (3-2, 8) Auch in „foggy! Also“ entsteht ein als eine Einheit interpretierter Cluster aus zwei Worten und einem Ausrufezeichen. Wie im Beleg 19-1, 29 wird dieser stark markiert. Schaut man auf den Gesamtzusammenhang, fällt auf, dass der gesamte Cluster in etwa so stark markiert wird wie in der Gesamtpopulation relativ selten gebrauchte Wörter, vgl. smear (3-2, 6) und visor (3-2, 8). 366 19 Vierter empirischer Teil <?page no="367"?> 159 Walmart ist das weltweit größte Einzelhandelsunternehmen und gerade in den USA sehr verbreitet. 19.2.2 Orthographie Graphemverwechslungen, -auslassungen und -hinzufügungen Graphemverwechslung much brighter than my sevaral old dome […] (18-2, 3) Bei der Schreibung „sevaral“ wird das zweite <e> gegen ein <a> ausgetauscht (vgl. „several“). Die Bildung wird innerhalb des Textausschnitts stark markiert. Im größeren Textausschnitt zeigt sich, dass die Farbintensität etwa so stark wie bei dem Wort „walmart“ ist, das dreimal in dem Ausschnitt vorkommt. Bei „walmart“ handelt es sich um einen Eigennamen. Jedoch hängt die starke Markierung hier u. U. damit zusammen, dass es standardsprachlich großge‐ schrieben werden müsste. Die ähnlich intensive Markierung ist insofern plau‐ sibel, als dass die Realisierung einer bestimmten Falschschreibung in der Ge‐ samtpopulation ähnlich selten ist wie ein eher ungewöhnlicher Eigenname. Man kann davon ausgehen, dass Walmart 159 (in der standardsprachlich korrekten Großschreibung) kein allzu selten verwendetes Wort ist. Graphemauslassung (Konsonant) Bei den folgenden Belegen wird statt standardsprachlichen Doppelkonsonanten nur jeweils ein einzelner Konsonant gesetzt. „realy“ statt really in: he does nt realy have many guests on this cd (7-2, 3) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 367 <?page no="368"?> „clasics“ statt classics in: […] hip hop clasics (7-2, 8) „anoying“ statt annoying in: at all he is so anoying . (7-2, 27) „atempt“ statt attempt in: […] or this is just an atempt […] (7-2, 32) Alle hier genannten Belege mit Konsonantenauslassung stammen aus dem Text 7-2. Schaut man in den Gesamtzusammenhang des Textes, fällt auf, dass die Markierung des Merkmals im Verhältnis zum gesamten Text intensiv ist. 368 19 Vierter empirischer Teil <?page no="369"?> Für eine klassische Textanalyse ist es, wie bereits in Kapitel 17 gezeigt wurde, entscheidend, dass Merkmale nicht bloß ein einziges Mal vorkommen. Bei vier Vorkommen in einem eher kurzen Text ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich jeweils um einen Error (und keinen Mistake) handelt, recht groß. Außerdem ist ein wichtiger Faktor, dass es sich nicht um ein einziges Wort handelt, das viermal falsch realisiert wird. Vielmehr ist es in dem vorliegenden Text so, dass ein übergeordnetes orthographisches Prinzip (Doppelkonsonanten) in unterschied‐ lichen Umgebungen verletzt wird. Die aufgelöste Doppelkonsonanz bezieht sich nicht auf einen bestimmten Konsonanten, sondern auf verschiedene. In dem Text gibt es nur wenige Bestandteile, die ähnlich auffällig markiert werden. Das sind weitere Falschschreibungen wie „leathal“ (vgl. lethal) (7-2, 7) „repetative“ (vgl. repetitive) und „angrey“ (vgl. angry) (7-2, 19) oder „wich“ (vgl. which) in „one of wich i think is the best track on the cd“ (7-2, 15) sowie nicht-standardsprachliche Schreibungen wie „u“ (vgl. you) (7-2, 22). Graphemhinzufüng (Vokal) I searched a lot of this kind of high tech light around amazone […] (18-2, 1) In dem vorliegenden Textteil wird Amazon/ amazon falschgeschrieben, da im Auslaut ein <e> hinzugefügt wurde, also „amazone“. Aus dem Textzusammen‐ hang ist ersichtlich, dass es sich hier nicht um die Gattungsbezeichnung amazon (vgl. dt. Amazone), sondern um das Unternehmen Amazon, also einen Eigennamen handelt. Graphemhinzufüng (Konsonant) „albumns“ statt albums in: […] on the live albumns […] (55-1, 3) […] to have all the albumns . (55-1, 4) Once again the albumns (55-1, 9) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 369 <?page no="370"?> Ein Tippfehler bei „albumns“ ist eher auszuschließen, obwohl die Tasten für <n> und <m> nebeneinander liegen. Da das Merkmal in einem relativ kurzen Text dreimal vorkommt, handelt es sich hierbei wohl um einen Error. Groß- und Kleinschreibung Kleinstatt Großschreibung […] and i ‘m glad i picked this . (18-2, 1) Das Personalpronomen I wird im gesamten Text nicht-standardsprachlich kleingeschrieben. Großstatt Kleinschreibung I recommend this book for all ages.4 Stars (19-2, 7) Statt stars wird nicht die nicht-standardsprachliche Großschreibung verwendet, also „Stars“. If you do n’t like to read , get the Audible version. (0-2, 6) 370 19 Vierter empirischer Teil <?page no="371"?> In diesem Satz liegt eine weitere interessante Merkmalkombination vor. Es handelt sich um eine Buchrezension, und die/ der Autor/ in empfiehlt die „Audible version“. Der Bestandteil „Audible“ wird dabei stark markiert, „version“ wird ebenfalls markiert, wenn auch weit schwächer. Es liegt die Vermutung nahe, dass es sich um ein Merkmal handelt, weil das Adjektiv audible (dt. hörbar) hier großstatt regulär kleingeschrieben wird. Jedoch gibt es auch das Unternehmen Audible (Tochterunternehmen von Amazon) und in diesem Fall ist die Schreib‐ weise korrekt. Für AdHominem spielen solche Überlegungen wahrscheinlich keine Rolle. Hier ist vielleicht bedeutsam, was häufiger vorkommt, audible als Adjektiv bzw. Audible als Eigenname. Eigenname oder Großstatt Kleinschreibung „Dummies“ in: even the Dreamweaver for Dummies […] (9-1, 8) „Dummies“ bezieht sich hierauf die bekannte „for Dummies“-Buchreihe und nicht auf den Plural von dummy, also dummies. Da Substantive im Englischen in der Regel kleingeschrieben werden, weicht die Schreibweise von Eigennamen ab. Die Frage ist also, ob AdHominem hier eine Abweichung feststellt, weil es im Trainingskorpus gelernt hat, dass dummies eigentlich kleingeschrieben wird, und deswegen die Großschreibweise als interessante Abweichung markiert. Ebenfalls ist zu bedenken, dass die Eigenschreibweise der Buchreihe nur aus Großbuchstaben besteht, also beispielsweise „Dreamweaver FOR DUMMIES“. Da die Buchreihe recht populär ist, und Buchrezensionen den Großteil des Korpus ausmachen, ist es denkbar, dass AdHominem vor allem zwei Schreib‐ weisen lernt, nämlich dummies (Pluralform des Substantivs) und DUMMIES (Eigenschreibweise des Verlags). Durchgehende Großschreibung NO PLASTIC . (10-2, 1) OMG , someone finally figured it out ! (10-2, 2) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 371 <?page no="372"?> Die Buchstabenfolge „OMG“ ist ein Akronym (vgl. oh my god), das in vielen Zusammenhängen durchgehend großgeschrieben wird. Dennoch ist die Mar‐ kierung ähnlich intensiv wie „PLASTIC“ in „NO PLASTIC“. […] and their HOT love scenes . (13-1, 2) Der größere Bildausschnitt zeigt, wie intensiv „HOT“ im Zusammenhang des Textes markiert wird. Außerdem lässt der Zusammenhang Rückschlüsse darauf zu, dass die/ der Schreiber/ in die durchgehende Großschreibung verwendet, um die Bedeutung des Adjektivs zu intensivieren. Getrennt- und Zusammenschreibung Fehlerhafte Zusammenschreibung […] the universe of camelot that is a disney ripoff […] (8-1, 1) Die fehlerhafte Zusammenschreibung „ripoff “ statt rip off/ rip-off wird vom System recht stark markiert, jedoch nicht so stark wie Eigennamen („camelot“, „disney“, „tristan“) im Textzusammenhang. this makes neverland seem realalso they […] (8-1, 13) 372 19 Vierter empirischer Teil <?page no="373"?> Die Zusammenschreibung „realalso“ wird relativ intensiv markiert, jedoch weniger als beispielsweise „neverland“ im gleichen Satz. Fehlerhafte Getrenntschreibung JJ Knight is an awesome story teller […] (13-1, 8) Die Getrenntschreibung „story teller“ wird als zwei unabhängige Wörter be‐ trachtet. Der zweite Teil „teller“ wird hier wesentlich stärker als der erste Teil „story“ markiert. Das Wort „teller“ (dt. Erzähler, aber auch Kassierer etc.) existiert in der englischen Sprache, ist aber in der Gesamtpopulation weniger geläufig als storyteller. Abkürzungen und Akronyme IMHO , the Blue Max is a far better movie […] (2-1, 25) Das Akronym „IMHO“ (in my humble opinion, dt. meiner bescheidenen Meinung nach) wird, ähnlich wie bereits vorgestellte Wortverbindungen mit durchge‐ hender Großschreibung, sehr stark markiert. Enjoyed as much now as when the film aired on tv .(4-1, 6) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 373 <?page no="374"?> Die starke Markierung von „tv“ in dem vorliegenden Beleg ist erstaunlich, da es sich dabei um ein relativ gängiges Akronym handelt. Im Textzusammen‐ hang wird nur der Satzanfang mit ausgelassenem Personalpronomen stärker markiert. Abkürzung mit Punkt (in der AdHominem-Darstellung nicht angrenzend) Bei diesem Merkmal ist zu beachten, dass im Originaltext der Abkürzungspunkt angrenzend ist, und nur für die Weiterverarbeitung in AdHominem von dem abgekürzten Substantiv getrennt wird (vgl. das Kapitel 18.4). […] as the ruthless and conniving Capt . Boone (2-2, 3-4) Die Markierung von „Capt .“ ist relativ intensiv. Das ist erstaunlich, da es sich um eine eher gängige Abkürzung handelt. Abkürzung ohne Punkt „Mr Rochester“ statt Mr. Rochester […] performance as Mr Rochester is superb […] (5-2, 5) „Mr“, das hier nicht-standardsprachlich ohne Punkt realisiert wurde, wird von AdHominem recht stark markiert. Erstaunlich ist hier, dass der direkt folgende Eigenname, im Gegensatz zu bisher betrachteten Eigennamen, kaum markiert ist. Ungewöhnliche Abkürzung […] and the track is def tight (7-1, 7) this cd is def worth (7-1, 9) 374 19 Vierter empirischer Teil <?page no="375"?> Die Bildung „def “ statt definitely wird in beiden Belegen stark markiert. Ungewöhnliche Schreibung „ur“ und „u“ statt „you are“ und „you“ in: in conclusion if ur a wu tang head then get the cd u will not be disapointed . (7-1, 12) Die Schreibungen „ur“ und „u“, die auf der Gleichlautung von you are bzw. you basieren, werden im Text ähnlich stark markiert wie die Abkürzung „def “. Schaut man auf den Zusammenhang des Textes, zeigt sich, dass sich der Text durch einen hochfrequenten Gebrauch von Slangwörtern auszeichnet. Auffällig ist, dass gängige Abkürzungen wie „cd“, „cds“ und „mcs“ im Text ähnlich stark markiert werden. U.U. basiert die starke Markierung auf der nicht-standardge‐ mäßen Kleinschreibung, die jedoch im ganzen Text durchgängig ist. […] its a frikkin tv show . (86-1, 13) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 375 <?page no="376"?> The fourth season of Tru Blud (56-2, 1) Die Schreibungen „frikkin“, „Tru“ und „Blud“ sind nicht standardsprachlich. Bemerkenswert ist hier, dass die Markierung von „Tru“ im Verhältnis zum Rest des Satzes nicht sehr intensiv ist. 19.2.3 Diatopische Variationen & Fremdsprachen Britisches vs. amerikanisches Englisch „favourite“ (britisches Englisch), vgl. favorite (amerikanisches Englisch) […] this is decidedly my favourite adaptation […] (5-2, 1) my favourite Jane though . (5-2, 15) „film“ (britisches Englisch), vgl. movie (amerikanisches Englisch) […] I still enjoyed this film . (5-2, 19) AdHominem scheint Wörter, die nur im britischen und nicht-amerikanischen Englisch vorkommen, stark zu markieren. Das ist vergleichbar mit der Analyse von Cola-Rezensionen (vgl. Kapitel 12), bei denen diatopische Merkmale (in diesem Fall Regio- und Dialekte) fokussiert wurden. Wahrscheinlich basiert die Markierung des Systems darauf, dass die meisten Rezensionen im Korpus 376 19 Vierter empirischer Teil <?page no="377"?> auf amerikanischem Englisch verfasst wurden. Somit wird „favourite“ u.U. als Abweichung zu „favorite“ in anderen Rezensionen erkannt. Fremdwort […] amazing book by Hatsumi Sensei . (6-2, 1) Die japanische Anrede „Sensei“ wird relativ stark markiert. Jedoch ist die Mar‐ kierung weniger intensiv als bei „Hatsumi“ (Nachname). Eigennamen werden unter einem noch folgenden Punkt besprochen. A fine addition to your ninjutsu library (6-2, 8) Das japanische Wort „ninjutsu“ wird wesentlich stärker markiert als „ninja“ im gleichen Text. Bei beiden handelt es sich um japanische Fremdwörter, wobei Ninja/ ninja jedoch wesentlich verbreiteter ist als Ninjutsu/ ninjutsu. I ‘ve taken a few cloisonne classes […] (23-1, 4) Das Wort „cloisonne“ (vgl. frz. cloisonné) wird im Verhältnis zum Gesamttext weniger stark markiert als die bereits vorgestellten japanischen Wörter in Text-6. 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 377 <?page no="378"?> 19.2.4 Stilistik Ungewöhnliche Gesprächspartikeln/ Interjektionen „hah“ „a - hah“ (6-1, 15-16) Umgangssprachlicher Ausdruck „thingamajig“ […] percentage of the bottom thingamajig , (51-1, 4) „moxie“ Apparently Lily has “ gumption “ and “ moxie . (69-2, 2) […] she tells me she has gumption and moxie . (69-2, 3) 378 19 Vierter empirischer Teil <?page no="379"?> Die Umgangssprachliche Wörter „thingamajig“ (dt. Dingsbums) und „moxie“ (dt. Wissen bzw. Mumm) werden im Verhältnis zu anderen Elementen der Texte sehr stark markiert. Neologismus I wo n’t mention anything too spoilery […] (61-1, 8) But , Lily feels cartoonish […] (69-2, 8) Mit den Suffixen -y und -ish werden aus den Substantiven spoiler und cartoon die adjektivischen Suffigierungen „spoilery“ und „cartoonish“ gebildet, die als Neubildungen sehr stark markiert werden. 19.2.5 Syntax Verb in V1 im Aussagesatz (fehlendes Pronomen bzw. Substantiv) „Enjoyed“ statt I enjoyed: Enjoyed as much now as when the film aired on tv .(4-1, 6) Durch das fehlende Pronomen rückt das Verb an den Satzanfang in V1-Position und wird großgeschrieben. Ob das System „Enjoyed“ markiert, weil das Pro‐ 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 379 <?page no="380"?> nomen fehlt, oder weil es großgeschrieben wird, kann nicht sicher entschieden werden. Die gleiche Problematik besteht bei den folgenden Belegen. „Loved“ statt I loved: Loved this (8-2, 1) „Would“ statt I would: Would highly recommend the series .(13-1, 9) „Will“ statt I will: Will definitely read more of her books . (13-2, 15) Bei den letzten beiden Belegen (13-1, 9 und 13-2, 15) markiert AdHominem jeweils das letzte Wort („series“ und „books“) stark, aber die Satzstruktur mit V1 im Aussagesatz ist die eigentliche Problematik. Unvollständiger Satz (ohne konjugiertes Verb) Highly recommended (10-2, 17) 380 19 Vierter empirischer Teil <?page no="381"?> In der Bildung „Highly recommended“ fehlt ein konjugiertes Verb. AdHominem markiert beide Wörter sehr stark. Die Ellipse im Satz darüber, nämlich in „and [I] am slowly building“ ist relativ gängig und wird daher kaum markiert. 19.2.6 Kombinierte Merkmale AdHominem markiert Textteile, in denen mehrere der bereits vorgestellten Merkmale gleichzeitig auftreten. Außerdem werden Eigennamen markiert, insbesondere dann, wenn sie zusammen mit einem Merkmal auftreten. Kombination aus Ziffer und Substantiv statt Numeral […] with my 7-year-old . (19-2, 2) Sonderzeichen und Satzzeichenhäufung Mom , you get an A++++++ from me […] (0-1, 15) Durchgehende Großschreibung und Akronym „IMHO“ (vgl. in my humble opinion) in: IMHO , the Blue Max is a far better movie […] (2-1, 25) „OMG“ (vgl. oh my god) in: OMG , someone finally figured it out ! (10-2, 2) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 381 <?page no="382"?> Beide Akronyme, IMHO, also in my humble opinion, und OMG, also oh my god, können bestimmten Bereichen von Internetslang zugerechnet werden. OMG ist so populär, dass es auch in gesprochener Sprache verwendet wird, also OMG statt oh my god ausgesprochen wird. OMG ist wesentlich geläugiger als IMHO. Auch hier scheint es, dass die Häufigkeit bzw. Seltenheit im Korpus ein wesentlicher Faktor für die Bewertung von AdHominem ist. Durchgehende Großschreibung und Graphemhäufung SOOOO much better than […] (14-1, 2) Die Kombination aus durchgehender Großschreibung und Graphemhäufung „SOOOO“ wird sehr stark markiert und auch hier ist von einer Intensivierung von „much bettter“ auszugehen. Durchgehende Großschreibung und Verb in V1 im Aussagesatz (fehlendes Pronomen) „LOVE THE BRUSH“ in: LOVE THE BRUSH on the one end […] (14-1, 5) Der Satz beginnt mit dem Verb an Erstposition, obwohl es sich um einen Aus‐ sagesatz handelt. Außerdem werden die drei ersten Wörter großgeschrieben. Auffällig ist, dass nicht alle drei Wörter gleich intensiv markiert wurden. 382 19 Vierter empirischer Teil <?page no="383"?> Eigenname und Kleinstatt Großschreibung „camelot“ und „disney“ in: […] the universe of camelot that is a disney ripoff […] (8-1, 1) „tristan“ in: […] having actually read a book ( tristan (8-1, 2) „neverland“ in: this makes neverland seem realalso they […] (8-1, 13) Die Wörter „camelot“, „disney“, „tristan“ und „neverland“ sind kleingeschriebene Eigennamen, die standardsprachlich großgeschrieben werden müssten. Es ist sehr auffällig, wie stark sie markiert werden. Im Text befinden sich weitere Eigennamen, die kleingeschrieben werden, die aber kaum markiert sind: „bell“ und „beauty and the beast“ in: […] starring bell from beauty and the beast my main (8-1, 1) 19.2 Einzelanalysen von Merkmalen innerhalb der Textvergleiche von AdHominem 383 <?page no="384"?> Die kleingeschriebenen Eigennamen „bell“ und „beauty and the beast“ werden kaum markiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das daher rührt, weil die Wörter „bell“, „beauty“ und „beast“ auch Gattungsnamen (also Nicht-Eigennamen) des englischen Wortschatzes sind. Dagegen sind Camelot, Disney und Tristan ausschließlich Eigennamen. Es ist also bemerkenswert, dass das System Eigen‐ namen markiert, bei denen gegen die obligatorische Großschreibung verstoßen wird. Das ist gerade vor dem Hintergrund interessant, dass der gesamte Text in durchgehender Kleinschreibung ist. Eigenname und Buchstabenverwechslung Steven Speilberg ‘s first movie […] (4-1, 1) Eigennamen werden vom System relativ häufig als auffällig markiert. Das gilt aber im geringeren Maße für Namen, die im zugrundeliegenden Korpus relativ häufig vorkommen. Da in dem Korpus sehr viele Filmrezensionen enthalten sind, ist der Name Steven Spielberg an sich vielleicht nicht so außergewöhnlich, als dass AdHominem ihn direkt markieren würde. Hier ist wohl die Buchsta‐ benverwechslung von Spielberg zu „Speilberg“ ausschlaggebend für die intensive Markierung. Dennoch werden auch manche korrekt geschriebenen Eigennamen deutlich markiert, vgl. „Cussler“ und „Britney“ […] by a regular Cussler reader […] (16-1, 1) This new album by Britney […] (11-2, 1) 384 19 Vierter empirischer Teil <?page no="385"?> Eigenname und Fremdwort […] amazing book by Hatsumi Sensei . (6-2, 1) Das Wort Hatsumi ist ein Eigenname, genauer handelt es sich um einen japanischen Familiennamen. Aus linguistischer Sicht spielt es keine Rolle, aus welchem Kulturkreis ein Eigenname stammt. Jedoch spielt es u. U. für ein Programm eine Rolle, wie oft der entsprechende Eigenname im Trainingsset ist und wie auffällig das Vorkommen des Eigennamens in einer Rezension dadurch ist. Es wurde bereits festgestellt, dass AdHominem Eigennamen an sich sehr häufig markiert. Beispielsweise wurde Britney (s. o.) sehr stark markiert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Hatsumi ebenfalls sehr stark markiert wird. Interessant ist, dass die Markierung sogar intensiver als das nachgestellte Sensei ist, das in etwa Meister bedeutet und recht oft an japanische Namen angehängt wird, deren Namensträger berühmt sind oder bewundert werden. Daher ist Sensei höchstwahrscheinlich häufiger als einer von vielen japanischen Eigennamen, zumal Sensei fast immer mit einem Eigennamen zusammen auftritt. 19.3 Zusammenfassung, Herausforderungen und Ziele Es konnten einige Merkmale klassischer linguistischer Textanalysen in der Darstellung von AdHominem extrahiert und kategorisiert werden. Dabei muss eingeräumt werden, dass es sich um recht oberflächliche Merkmale der Sprach‐ betrachtung handelt. Hauptsächlich werden von AdHominem Abweichungen auf Zeichenbasis markiert. Diese können dergestalt sein, dass Großbuchstaben vorliegen, wo standardsprachlich Kleinbuchstaben stehen müssten, Leerzeichen da gesetzt werden, wo standardsprachlich keine stehen dürften etc. Weiterhin werden Häufungen von Satzzeichen, alternative Schreibungen, Falschschrei‐ bungen und Fremdsprachen als auffällig erkannt. 19.3 Zusammenfassung, Herausforderungen und Ziele 385 <?page no="386"?> Programme wie AdHominem bieten theoretisch Möglichkeiten der Vorver‐ arbeitung für klassische Textvergleiche. Gerade in Bereichen, in denen sehr viel Text produziert wird, wie beispielsweise die Verbreitung von Desinformation im Rahmen von Fake News oder Hatespeech, bietet sich der Einsatz von Systemen wie AdHominem an. Es ist beispielsweise möglich, dass ein Programm auf Auffälligkeiten in einem bestimmten Text aufmerksam macht und ein/ e Forscher/ in, ein/ e Mitarbeiter/ in eines Unternehmens etc. diesen Text genauer analysiert. Hier helfen für eine erste Übersicht Markierungen wie solche, die hier analysiert wurden. Dennoch gibt es noch einige Herausforderungen, um klassische Textanalysen und automatisierte Textvergleiche optimal miteinander zu verknüpfen. U.a. ist hier eine Darstellung zu nennen, die eher dem Text der Rezension entspricht und weniger durch das System vorgenommene Markierungen enthält. Die Problematik basiert auf der unterschiedlichen ‚Denkweise‘ von Programmen und User/ innen. Während User/ innen einen Text als lineare Abfolge von Wörtern und Zeichen wahrnehmen, arbeiten Programme mehrdimensional. Hieraus können sich jedoch auch neue Kategorien linguistischer Betrachtung entwickeln. Es kann beobachtet werden, dass es bei der Entscheidung des Systems, ob es sich um dieselbe/ denselben Autorin/ Autor handelt, eine Rolle spielt, an welcher Position eines Textes oder eines Satzes bestimmte Textteile markiert werden. So hat die Auswertung der AdHominem-Textvergleiche z. B. ergeben, dass das Ende von Rezensionen fokussiert wird, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob eine gleiche oder unterschiedliche Autorschaft vorliegt. Es sind verschiedene Interpretationen möglich: 1. Das Ende eines Textes besitzt für das System grundsätzlich eine höhere Signifikanz, um zu entscheiden, ob die gleiche Autorschaft vorliegt oder nicht. 2. Die Textteile am Ende werden häufiger markiert, da hier bei Reviews bestimmte Phrasen oder sich wiederholende (systematische) Textteile (I highly recommend this product, I would buy it again etc.) mit gewissen Abweichungen vorkommen und daher der Abgleich des Stils verschiedener Autoren signifikant ist. 3. Am Ende eines Textes stehen im Falle von Reviews häufig Sonderzei‐ chen wie Sterne, Pluszeichen oder Emoticons etc. und auch Häufungen bestimmter Satzzeichen wie Punkte, Fragezeichen, Ausrufzeichen. U.U. lassen sich so Betrachtungskategorien abhängig von dem Teil eines Textes, in dem bestimmte Merkmale auftauchen, bilden. Bei der Erarbeitung neuer 386 19 Vierter empirischer Teil <?page no="387"?> Betrachtungskategorien in der Schnittstelle zwischen klassischen und automa‐ tisierten Analysen könnte eine Frage so lauten: Welche Merkmale mit welcher Signifikanz kommen wie häufig an wel‐ cher Position eines Textes vor? AdHominem ist durch die Auslegung des Trainings darauf spezialisiert, englischsprachige Online-Rezensionen zu vergleichen. Ein Ziel zur Weiterent‐ wicklung von automatisierten Textvergleichen ist es, die Generalisierbarkeit zu erhöhen. So sollten die Entscheidungen nicht spezifisch auf den Trainingsdaten eines Systems beruhen (themenbasiert, quellenbasiert), sondern im Bestfall generell nutzbar sein (vgl. Przybyła 2020: 490). Dafür braucht man vor allem viele Trainingsdaten und insbesondere Daten unterschiedlicher Textsorten. Verschiedene Bereiche sind denkbar, wie z. B. Textvergleiche zwischen inkriminierten Texten, die eine Verstellungsstrategie beinhalten oder nicht, Fake Reviews und ‚authentischen‘ Online-Rezensionen, Beiträgen in Online-Foren, die Desinformationen wie Fake News oder Hate‐ speech verbreiten oder echte Informationen beinhalten etc. Bisher hat das vorgestellte System ausschließlich mit englischsprachigen Daten gearbeitet, aber auch andere Sprachen sind denkbar. Eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung eines automatisierten Systems für Textvergleiche zeigt die folgende Grafik: Abbildung 16: Interdisziplinären Weiterentwicklung eines automatisierten Systems für Textvergleiche Aus einem Datenpool aus Korpora und Textsammlungen können Daten für das Training eines automatisierten Systems für Textvergleiche entnommen 19.3 Zusammenfassung, Herausforderungen und Ziele 387 <?page no="388"?> werden. Die Attentions (als Markierungen in den Texten) können im Rahmen linguistischer Analysen beschrieben werden. Erkenntnisse daraus fließen in die Weiterentwicklung des Systems ein. U.U. kann die linguistische Textanalyse selbst um weitere Betrachtungskategorien erweitert werden. Die Weiterent‐ wicklungen des automatisierten Systems und der linguistischen Textanalyse haben wiederum Einfluss auf die Erstellung weiterer Korpora. Hier liegt der Fokus darauf, das System für weitere mediale Umgebungen nutzbar zu machen. Weitere Korpora bzw. Textsammlungen werden dann in den Daten-Pool inte‐ griert. 388 19 Vierter empirischer Teil <?page no="389"?> 20 Fazit und Ausblick In der vorliegenden Arbeit wurden Texte verschiedener medialer Umgebungen untersucht. Bei der Analyse von Online-Rezensionen konnte anhand be‐ stimmter dia- und regiolektaler Merkmale gezeigt werden, dass der Raum der sprachlichen Sozialisation von Autor/ inne/ n eingegrenzt werden kann. In ver‐ schiedenen Online-Foren werden die Verbreitung von Desinformation und die Manipulation anderer Personen als allgegenwärtige Gefahr wahrgenommen. Einige Nutzer/ innen haben eine erhöhte Sensibilität für die Verbreitung von Falschinformationen entwickelt, die mit Verstellungsstrategien in Verbindung gebracht werden. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass solche Vorwürfe selbst als Mittel zur Beeinflussung anderer verwendet werden. Die Untersuchung der inkriminierten Textserie zeigt, dass die/ der empiri‐ sche Autor/ in einen fingierten Autor entwirft, um die eigene Identität zu ver‐ schleiern. Die Analyse zeigte deutliche Inkonsistenzen und unplausible Merk‐ malsets, die auf die Imitation eines italienischen Muttersprachlers schließen lassen, der über eine geringe schriftsprachliche Kompetenz im Deutschen verfügt. Weitere Schreiben der Textserie, in denen die anfänglich gewählte Strategie aufgegeben wird, offenbarten das höhere schriftsprachliche Niveau der/ des empirischen Autorin/ Autors. Die/ Der Autor/ in bedient sich einer Verstellungsstrategie, die bisher in keiner Forschungsarbeit beschrieben wurde, nämlich der Stilisierung. Die Fehlerhaf‐ tigkeit und der sprachliche Stil orientieren sich in qualitativer und quantitativer Hinsicht an medialen Vorbildern. Die Intention der Stilisierungsstrategie ist aber im Gegensatz zur herkömmlichen Imitation nicht die, den Eindruck einer bestimmten, real existierenden Person zu erzeugen. Bei der Stilisierung geht es darum, die eigenen sprachlichen Merkmale zu überdecken bzw. gänzlich zu negieren, um kaum bzw. keine Anhaltspunkte auf die eigene schriftsprachliche Kompetenz und damit auf die empirische Autorschaft zuzulassen. Die Stilisie‐ rung ist eine hochgradig komplexe Verstellungsstrategie, die Aussagen über Metadaten der Autor/ inn/ en deutlich erschweren kann. Stilisierungen können dadurch den Fokus von Textvergleichen verschieben, wenn es darum geht, Merkmalsets von Vergleichsschreiben und fraglichen Schreiben gegenüberzu‐ stellen. Die weitere Erforschung von Stilisierungen nach medialen Vorbildern stellt damit eine aussichtsreiche Beschäftigung für die forensische Linguistik dar. <?page no="390"?> 160 Vgl. Hessler, Steffen (2018): „Bei IT-Security-Themen höre ich immer weg.“ Das Erlangen von IT-Securiy-Awareness durch Linguistic Awareness. In: Take Aware Magazine 1. S. 20-25 und Hessler, Steffen (2019): Sicherheit ist keine Zauberei - IT-Security im Bewusstsein verankern. In: Take Aware Magazine 2. S.-12-14. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Analysen konnten zeigen, wie komplex und vielfältig forensisch-linguistische Textanalysen in multi‐ medialen Umgebungen sein können. Mehr denn je werden daher automati‐ sierte Methoden gebraucht, die Forscher/ innen in ihrer Arbeit unterstützen können. Die Analysen der AdHominem-Textvergleiche können dazu beitragen, computer-unterstützte Verfahren zu verbessern. Hier konnten Merkmale her‐ ausgelesen werden, die auch in klassischen Textanalysen und -vergleichen kategorisiert werden. Es besteht die Möglichkeit, weitere linguistische Betrach‐ tungskategorien zu etablieren, die auf diesem hybriden Verfahren basieren, und die abhängig von der Position von Merkmalen in Texten sind. Es bieten sich z. B. weitere quantitative Analysen an, bei denen untersucht wird, wie häufig bestimmte Textteile vom System als signifikant markiert werden. Ein Beispiel wäre, welche Zeichen wie häufig und auch im Verhältnis zu anderen Zeichen markiert werden, d. h. also für das System signifikant für die Entscheidung über die Autorschaft sind. Dafür ist es notwendig, automatisierte Verfahren für die Vorverarbeitung zu verbessern und zu generalisieren. Mit weiterführender, in‐ terdisziplinärer Forschungsarbeit lassen sich halb-automatisierte Verfahren für Textanalysen weiterentwickeln, sodass sie für unterschiedliche Anwendungs‐ gebiete nutzbar werden. Fake News, Online-Betrugsfälle, Fake-Rezensionen und Kursmanipulationen zeigen, dass sprachliche Verstellungsstrategien eingesetzt werden, um Personen im Internet zu beeinflussen und dabei die eigene Gefahr der Enttarnung zu minimieren. Die Gefahren von Social Engineering sind für Unternehmen, staat‐ liche Institutionen und Privatpersonen allgegenwärtig. Die hier vorgelegten Forschungsergebnisse bieten Ansätze, um das sprachliche Bewusstsein für die eigene Sicherheit im Internet zu verbessern. Der Faktor Mensch ist für die IT-Sicherheit in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus gerückt, da mangelndes Wissen und ungeübter Umgang mit Internetmedien das größte Sicherheitsrisiko darstellen. Da ein Großteil der Kommunikation im Internet auf schriftlicher Basis stattfindet, sollten Abwehrmaßnahmen gegen Manipula‐ tionen intensiver erforscht werden. Außer Merkmalen und Parametern von sprachlicher Beeinflussung bei der Internetkommunikation sollten auch Mög‐ lichkeiten zur Verbesserung des Bewusstseins für derlei Gefahren Gegenstand linguistischer Betrachtung sein. 160 Sprachwissenschaftliche Konzepte können 390 20 Fazit und Ausblick <?page no="391"?> Lehre zu dem Thema an der Ruhr-Universität Bochum: „Wir benötigen sofort die Zahlung, Frau Müller. Unser Unternehmen und damit ihr Job sind in Gefahr! “ - Social Engineering aus linguistischer Perspektive und „Bei IT-Security-Themen hör ich immer weg! “ - Sensibilisierung durch Linguistic Awareness in der IT-Security. für entsprechende Trainingsprogramme und öffentliche Kampagnen entschei‐ dende Impulse bieten. Daher plädiere ich für die Etablierung des linguistischen Forschungsgebiets Linguistic Awareness in IT-Security. 20 Fazit und Ausblick 391 <?page no="393"?> Abkürzungsverzeichnis BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BKA Bundeskriminalamt DACH Deutschland (D), Österreich (A) und die Schweiz (CH) DSGVO Datenschutzgrundverordnung DWDS Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache ELB Ends with Linebreak EOD End of Document EOS End of Sentence GER Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen KISTE Kriminaltechnisches Informationssystem Texte KgSR Korpus der gesprochenen Sprache im Ruhrgebiet KT Kriminaltechnik LinDa Linguistische Datengewinnung und Datenanalyse am Beispiel des Ruhrdeutschen LVD Linguistenverband Deutschland NDSG Niedersächsisches Datenschutzgesetz o.g. oben genannte/ n/ r RAF Rote Armee Fraktion SK Subkategorie SLB Start with Linebreak SOD Start of Document SOS Start of Sentence StB Registerzeichen für Beschwerden in Strafsachen (Bundesgerichtshof) StGB Strafgesetzbuch UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ZP Zero Padding <?page no="395"?> Verzeichnis der Korpora, Textsammlungen und Sprachatlanten Amazon Review Data (Ni 2018) https: / / nijianmo.github.io/ amazon/ index.html Dortmunder Chat-Korpus https: / / www.uni-due.de/ germanistik/ chatkorpus/ Mediensprache-Korpora http: / / corpora.mediensprache.net/ de/ corpora/ DWDS-Korpora https: / / www.dwds.de/ d/ k-web MoCoDa-Korpus Mobile Com‐ munication Database https: / / db.mocoda2.de/ c/ home KgSR-Neukorpus https: / / www.ruhr-uni-bochum.de/ kgsr/ ADA Atlas für deutsche Alltagssprache DIWA Digitaler Wenker Atlas DSA Deutscher Sprachatlas DWA Deutscher Wortatlas KDSA Kleiner Deutscher Sprachatlas LiKtORA (BKA) Linguistische Korpusanalyse als textanalytische Option für Repräsentation und Auswertung von Tatschreiben Verstellte Texte (BKA) Erpresserische Textserie (BKA) - - Textsammlung Sprache in Internetforen Textsammlung Medial stilisierte Sprache <?page no="396"?> Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Fehlerkategorisierung bei Weimar (1929)-75 Tabelle 2: Fehlerkategorisierung bei Bischoff (1967)-76 Tabelle 3: Fehlerkategorisierung bei Plickat (1965, 1974) und Plickat/ Wieczerkowski (1979)-77 Tabelle 4: Fehlerkategorisierung bei Riehme/ Heidrich (1970)-78 Tabelle 5: Erscheinungsbild von Fehlern und Beispiele-81 Tabelle 6: Fehlertypen und Fehlerschwere-82 Tabelle 7: Textbausteine von Erpresserschreiben sowie Ähnlichkeiten und Abweichungen zur Textsorte Geschäftsbrief-161 Tabelle 8: Dissimilatorische und simulatorische Verstellungsstrategien-176 Tabelle 9: Fehlertypen und Fehlerschwere unter Berücksichtigung fingierter Fehler-202 Tabelle 10: Ziele, Strategien, betroffene Sprachbereiche und Gefahren bei der Imitation von Nicht-Muttersprachlichkeit-204 Tabelle 11: Merkmalkategorien der Groß- und Kleinschreibung bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-213 Tabelle 12: Merkmalkategorien der Interpunktion bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-214 Tabelle 13: Dreiteilige Kategorisierung der sprachlichen Register bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-220 Tabelle 14: Dreiteilige Kategorisierung der lexikalischen Komplexität bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-223 Tabelle 15: Orthographie-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-226 Tabelle 16: Syntax-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-229 Tabelle 17: Morphologie-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-230 Tabelle 18: Merkmalkategorien zwischen Orthographie und Morphologie bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-233 Tabelle 19: Lexik-Merkmalkategorien bei der korpuslinguistischen Analyse inkriminierter Schreiben-235 Tabelle 20: Absolute und prozentuale Verteilung der Nennungen von ich, isch, dich und disch in X11-255 Tabelle 21: Kommunikationsziele von Verstellungsstrategien-325 Tabelle 22: Erklärungen der Kürzel von AdHominem-355 <?page no="397"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Sprachliche Merkmale-94 Abbildung 2: Sprachliche Merkmale als Merkmalset-94 Abbildung 3: Merkmalsets als Merkmalsetmuster-95 Abbildung 4: Kriminaltechnisches Informationssystem Texte (KISTE) (Ehrhardt 2019) -101 Abbildung 5: Oberfläche des Kriminaltechnischen Informationssystems Texte (KISTE)-102 Abbildung 6: Reiter des Kriminaltechnischen Informationssystems Texte (KISTE) (Ehrhardt 2019)-103 Abbildung 7: Merkmalset-Konstellationen-318 Abbildung 8: Eingeschränkte Wahrnehmung sprachlicher Merkmale von Laien-318 Abbildung 9: Quantitative Stilisierung sprachlicher Merkmale-320 Abbildung 10: Qualitative Stilisierung sprachlicher Merkmale-321 Abbildung 11: Generierung weiterer sprachlicher Merkmale bei der Stilisierung-322 Abbildung 12: Linguistische Textanalyse stilisierter Merkmale - Veränderte Merkmalset-Konstellation-322 Abbildung 13: Stilisierungsstrategie der erpresserischen Textserie und Orientierung an medial stilisierter Sprache-338 Abbildung 14: Beispiel für Attentions auf Satzbasis (in rot) und für Attentions von ganzen Sätzen (blau)-357 Abbildung 15: Ausgabeversion eines Textvergleichs von AdHominem-359 Abbildung 16: Interdisziplinären Weiterentwicklung eines automatisierten Systems für Textvergleiche-387 <?page no="398"?> Bilderverzeichnis Bild 1: Werbung für Cola des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull 1-129 Bild 2: Werbung für Cola des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull 2-129 Bild 3: Werbung für Cola des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull 3-130 Bild 4: Zeitungsartikel zum CEO-Fraud bei dem Unternehmen Leoni-179 Bild 5: Werbung der Firma porta 1-327 Bild 6: Werbung der Firma porta 2-327 Bild 7: Logo einer Pizzeria 1-328 Bild 8: Logo einer Pizzeria 2-329 <?page no="399"?> 161 Dieser Anhang muss aus Datenschutzgründen unter steffen.hessler@rub.de bzw. steff enhessler@gmx.de angefragt werden. Verzeichnis der Anhänge Die Anhänge I, III und IV finden Sie im Downloadbereich des Webshops des Narr-Verlags unter https: / / www.narr.de/ Autorschaftserkennung-und-Verstellu ngsstrategien-18561-1 Anhang I: Amazon-Probeerhebungen Anhang II: Inkriminierte Textserie 161 Anhang III: AdHominem Probeerhebungen Anhang IV: AdHominem Textvergleiche von Amazon-Rezension <?page no="401"?> Literaturverzeichnis AdA = Elspass, Stefan / Möller, Robert, (2003 - heute): Atlas zur deutschen Alltagssprache. Universität Salzburg / Université de Liège: Salzburg / Lüttich. Online abrufbar unter: http: / / www.atlas-alltagssprache.de/ Abel, Jürgen (2000): Cybersl@ng: die Sprache des Internet von A bis Z. München: Beck Allcott, Hunt / Gentzkow, Matthew (2017): Social Media and Fake News in the 2016 Election. Journal of Economic Perspectives 31(2). S. 211-236. Online abrufbar unter: h ttps: / / www.aeaweb.org/ articles? id=10.1257/ jep.31.2.211 Ammon, Georg (1994): Zum Aussagewert von “Abschiedsbriefen“. 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Slavic Languages in Psycholinguistics Chances and Challenges for Empirical and Experimental Research 2016, 315 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6969-1 555 Gaios Tsutsunashvili Adjektivischer Bedeutungswandel: Deutsch - Georgisch Eine gebrauchstheoretische Untersuchung mit strukturalistischen Ansätzen 2015, 212 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6994-3 556 Barbara Lux Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen Eine kontrastive Untersuchung phonologischer und grammatischer Aspekte 2016, 377 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6999-8 557 Benjamin Stoltenburg Zeitlichkeit als Ordnungsprinzip der gesprochenen Sprache 2016, 363 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8056-6 558 Lingyan Qian Sprachenlernen im Tandem Eine empirische Untersuchung über den Lernprozess im chinesisch-deutschen Tandem 2016, 366 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8057-3 559 Tingxiao Lei Definitheit im Deutschen und im Chinesischen 2017, 228 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8092-4 560 Fabienne Scheer Deutsch in Luxemburg Positionen, Funktionen und Bewertungen der deutschen Sprache 2017, 416 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8097-9 561 Wolfgang Dahmen, Günter Holtus, Johannes Kramer, Michael Metzeltin, Claudia Polzin- Haumann, Wolfgang Schweickard, Otto Winkelmann (Hrsg.) Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania Romanistisches Kolloquium XXX 2017, 427 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8104-4 <?page no="428"?> 562 Martina Zimmermann Distinktion durch Sprache? Eine kritisch soziolinguistische Ethnographie der studentischen Mobilität im marktwirtschaftlichen Hochschulsystem der mehrsprachigen Schweiz 2017, 304 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8144-0 563 Philip Hausenblas Spannung und Textverstehen Die kognitionslinguistische Perspektive auf ein textsemantisches Phänomen 2018, 256 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8155-6 564 Barbara Schäfer-Prieß, Roger Schöntag (Hrsg.) Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte Akten der Tagung Französische Sprachgeschichte an der Ludwig-Maximilians- Universität München (13. - 16. Oktober 2016) 2018, 558 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-8118-1 565 Vincent Balnat L’appellativisation du prénom Étude contrastive allemand-français 2018, 298 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8185-3 566 Silvia Natale Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen Italienisch und Französisch im Vergleich unter Berücksichtigung bilingualer SprecherInnen 2018, 212 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8209-6 567 Ilona Schulze Bilder - Schilder - Sprache Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum 2019, 227 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-8233-8298-0 568 Julia Moira Radtke Sich einen Namen machen Onymische Formen im Szenegraffiti 2020, 407 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8330-7 571 Melanie Kunkel Kundenbeschwerden im Web 2.0 Eine korpusbasierte Untersuchung zur Pragmatik von Beschwerden im Deutschen und Italienischen 2020, 304 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8364-2 573 Mario Franco Barros Neue Medien und Text: Privatbrief und private E-Mail im Vergleich 2020, ca. 750 Seiten €[D] 119,90 ISBN 978-3-8233-8377-2 574 Sofiana Lindemann Special Indefinites in Sentence and Discourse 2020, 250 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8381-9 575 Junjie Meng Aufgaben in Übersetzungslehrbüchern Eine qualitative und quantitative Untersuchung ausgewählter deutschchinesischer Übersetzungslehrbücher 2020, 206 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-8382-6 <?page no="429"?> 576 Anne-Laure Daux-Combaudon, Anne Larrory- Wunder (Hrsg.) Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue Syntaktische, semantische und textuelle Aspekte / aspects syntaxiques, sémantiques et textuels 2020, 392 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8386-4 577 Bettina Eiber Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache Ein französisch-italienischer Vergleich 2020, 473 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8407-6 578 Lidia Becker, Julia Kuhn. Christina Ossenkop, Anja Overbeck, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti (Hrsg.) Fachbewusstsein der Romanistik Romanistisches Kolloquium XXXII 2020, 327 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8418-2 579 Lidia Becker, Julia Kuhn. Christina Ossenkop, Anja Overbeck, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti (Hrsg.) Romanistik und Wirtschaft Romanistisches Kolloquium XXXIII 2020, 274 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8420-5 580 Claudia Schweitzer Die Musik der Sprache Französische Prosodie im Spiegel der musikalischen Entwicklungen vom 16. bis 21. Jahrhundert 2021, 201 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8493-9 581 Roger Schöntag Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua Eine Untersuchung zur Begriffsgeschichte im Rahmen einer sozio- und varietätenlinguistischen Verortung: Die sprachtheoretische Debatte zur Antike von Leonardo Bruni und Flavio Biondo bis Celso Cittadini (1435-1601) 2022, 763 Seiten €[D] 138,- ISBN 978-3-8233-8540-0 582 Lea Schäfer Onymische Flexion Strukturen und Entwicklungen kontinentalwestgermanischer Dialekte 2021, 486 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8521-9 583 Sarah Brommer, Kersten Sven Roth, Jürgen Spitzmüller (Hrsg.) Brückenschläge Linguistik an den Schnittstellen 2022, 324 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8518-9 584 Mohcine Ait Ramdan Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Eine kulturorientierte, kognitionslinguistische Vergleichsstudie zwischen dem Deutschen, dem Arabischen und dem Französischen 2022, 245 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8556-1 585 Steffen Hessler Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Textanalysen und -vergleiche im Spektrum forensischer Linguistik, Informationssicherheit und Machine-Learning 2023, 426 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8561-5 <?page no="430"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Dieser Band wirft einen genauen Blick auf die Autorschaftserkennung im Bereich der Forensischen Linguistik. Mit Textanalysen und -vergleichen von inkriminierten Texten werden schreiberidentifizierende Merkmale erarbeitet und analysiert, die dabei helfen, Hinweise auf Täter: innen zu finden. Ferner werden theoretische Rahmenbedingungen und Analysen von authentischen inkriminierten Schreiben vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit dem BKA erstellt wurden. Anhand der Analysen wird eine bisher noch nicht beschriebene Verstellungsstrategie herausgearbeitet: die Stilisierungsstrategie. Bei dieser überdecken Täter: innen den eigenen Sprachgebrauch mit stilisierten Merkmalen, die aus verschiedenen Medien bekannt sind, und verschleiern damit ihre persönliche sprachliche Kompetenz. Wegen der großen Menge an inkriminierten Texten werden Methoden zur teilautomatisierten Analyse entwickelt und in der Arbeit vorgestellt. 585 Hessler Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Textanalysen und -vergleiche im Spektrum forensischer Linguistik, Informationssicherheit und Machine-Learning Steffen Hessler ISBN 978-3-8233-8561-5