Moderne Fremdsprachen: Englisch
Spannende Fakten für (angehende) Lehrkräfte
0826
2024
978-3-8233-9571-3
978-3-8233-8571-4
Gunter Narr Verlag
Silke Fischerhttps://orcid.org/0000-0002-1264-7026
Christoph Fischer
10.24053/9783823395713
Dieser Band zeigt spannende Fakten und Besonderheiten des Englischen auf. Auf unterhaltsame Art und Weise werden zahlreiche Phänomene im linguistischen und alltäglichen Kontext erläutert und mit anderen Sprachen, insbesondere dem Deutschen, verglichen. Das Buch wendet sich in erster Linie an Lehramtsstudierende, Referendar:innen und Lehrende der Fächer Deutsch und Englisch. Die Kapitel beschäftigen sich mit Unterschieden zwischen dem Englischen und den behandelten Sprachen in Hinblick auf die Wortstellung und ihre historische Entwicklung, die Verwendung des Dativs, diverse s-Endungen, systematische lautliche Unterscheidungen basierend auf der Germanischen Lautverschiebung sowie Unterschiede in der Textproduktion. An jedes Kapitel schließen sich Übungen an, die sich für die Nutzung im Klassenzimmer, aber auch für die eigene Vertiefung eignen. Der Band bietet viele interessante Einblicke in die spannende Welt der Linguistik, die den eigenen Unterricht bereichern.
<?page no="0"?> ISBN 978-3-8233-8571-4 LinguS 17 www.narr.de Dieser Band zeigt spannende Fakten und Besonderheiten des Englischen auf. Auf unterhaltsame Art und Weise werden zahlreiche Phänomene im linguistischen und alltäglichen Kontext erläutert und mit anderen Sprachen, insbesondere dem Deutschen, verglichen. Das Buch wendet sich in erster Linie an Lehramtsstudierende, Referendar: innen und Lehrende der Fächer Deutsch und Englisch. Die Kapitel beschäftigen sich mit Unterschieden zwischen dem Englischen und den behandelten Sprachen in Hinblick auf die Wortstellung und ihre historische Entwicklung, die Verwendung des Dativs, diverse s-Endungen, systematische lautliche Unterscheidungen basierend auf der Germanischen Lautverschiebung sowie Unterschiede in der Textproduktion. An jedes Kapitel schließen sich Übungen an, die sich für die Nutzung im Klassenzimmer, aber auch für die eigene Vertiefung eignen. Der Band bietet viele interessante Einblicke in die spannende Welt der Linguistik, die den eigenen Unterricht bereichern. Moderne Fremdsprachen: Englisch LinguS 17 FISCHER / FISCHER · Moderne Fremdsprachen: Englisch Moderne Fremdsprachen: Englisch LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis SILKE FISCHER CHRISTOPH FISCHER <?page no="1"?> Moderne Fremdsprachen: Englisch <?page no="2"?> LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis Herausgegeben von Sandra Döring und Peter Gallmann LinguS 17 <?page no="3"?> Silke Fischer / Christoph Fischer Moderne Fremdsprachen: Englisch Spannende Fakten für (angehende) Lehrkräfte <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823395713 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Elanders Waiblingen GmbH ISSN 2566-8293 ISBN 978-3-8233-8571-4 (Print) ISBN 978-3-8233-9571-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0508-8 (ePub) <?page no="5"?> 5 Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Warum dieses Buch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2 Wie viel Grammatik darf ’s denn sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1 „Danton’s Tod“ und andere Dramen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2 Vom großen kleinen Unterschied im Genitiv oder: Suffix vs. Klitikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen . . . . . 17 2.3.1 Die Entwicklung des Plural-s im Englischen . . . . . . . . . . 18 2.3.2 Wie man sich täuschen kann oder: Wie die Kirsche zu ihrem Namen kam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.5 Exkurs: Basiswissen Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.6 Übungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1 Der Dativ in der Schule und in aller Munde . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.2.1 Einblicke ins Altenglische, Französische und Deutsche . 33 3.2.2 Zur Morphologie im heutigen Englisch . . . . . . . . . . . . . 37 3.2.3 Verschwunden oder unsichtbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3 Weiterführende Fragen: Die Doppelobjektkonstruktion im Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.3.1 Passivierung in der Doppelobjektkonstruktion . . . . . . . . 50 3.3.2 Ausblick: Theorien zum Kasus in der englischen Doppelobjektkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.5 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins . 57 4.1 Wortstellung im Grammatikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen . . . . . . . . . . . . . . . 59 <?page no="6"?> 6 Inhalt 4.2.1 Warum den Deutschen Altenglisch näher ist als Modernes Englisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.2.2 Wortstellung im Wandel der Zeit: Vom Altenglischen zum Modernen Englisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.3 Do-support im Englischen: Wie es dazu kam und warum wir es im Deutschen nicht brauchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.5 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.1 „Falsche Freunde kann niemand trennen“: Von false friends und anderen Fehleinschätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden . 82 5.2.1 Eine gemeinsame Vergangenheit: Proto-Germanisch . . . 83 5.2.2 „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ oder: Was den Schwaben vom Engländer unterscheidet . . . . . 89 5.3 Von Zeit zu Zeit vergess’ ich die alten Zeiten gern . . . . . . . . . . . 95 5.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.5 Exkurs: Basiswissen Phonetik/ Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5.6 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 6 Epilog oder: Warum ist Harry Potter nur so dick geworden? . . . . . . . . . . . 105 7 Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.1 Die Epochen des Alt-, Mittel- und Frühneuenglischen . . . . . . 109 7.1.1 Altenglisch (Old English): 449-1066 . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.1.2 Mittelenglisch (Middle English): 1066-1476 . . . . . . . . . . 111 7.1.3 Frühneuenglisch (Early Modern English): 1476-1776 . . . 112 7.2 Anmerkung zur Rhotizität im Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . 114 8 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Lösungen zu den Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Schlagwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 <?page no="7"?> 7 1.1 Warum dieses Buch? 1 Einleitung 1.1 Warum dieses Buch? Wenn man Schülerinnen und Schüler fragt, was für sie eine gute Lehrerin oder einen guten Lehrer ausmacht, gibt es einen Katalog typischer Antworten: Sie/ Er muss … … auf Schüler: innen eingehen … gut erklären können … gerecht sein … den Unterricht abwechslungsreich gestalten usw. Gerade bei älteren Schüler: innen bekommt man aber auch häufig die Antwort: Die Lehrkraft muss für ihr Fach brennen. Auch ehemalige Schüler: innen erzählen nach Jahren noch bewundernd von diesen enthusiastischen Lehrer: innen, die sich gut in ihrem Fach auskennen und mehr wissen, als nur das, was an Stoff für die kommende Unterrichtsstunde ansteht. Oft wirkt die Begeisterung für das eigene Fach ansteckend auf die Schüler: innen, denn damit wird glaubhaft vermittelt, dass das, was man lernen soll, tatsächlich bedeutsam ist. Solche Lehrkräfte bleiben im Gedächtnis: der Deutschlehrer, der den Eingangsdialog von Faust auswendig zum Besten geben konnte und den Inhalt mit Stimmlage und Mimik nachvollzog, oder der Kunstlehrer, der begeistert die Zusammenhänge zwischen Kunstwerken und Epochen vortrug und dabei mit dem ganzen Körper die „Kraft“ in den Säulen griechischer Tempel nachahmte. Und natürlich begeistern sich Kinder und Jugendliche eher für ein Thema, wenn es mit Engagement und Herz vorgetragen wird. Schon empirische Untersuchungen von Gertrude Moskowitz aus den 1970er Jahren zeigen, dass das Fachwissen einer Lehrkraft eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Wissen an die Lernenden spielt. Bei zehn Merkmalen, die eine gute Sprachlehrkraft ausmachen, steht an erster Stelle: „An outstanding foreign language teacher … has a thorough knowledge of the subject matter“ (Thaler 2020: 37). Das Wissen über den zu vermittelnden Unterrichtsgegen- <?page no="8"?> 8 1 Einleitung stand muss also darüber hinausgehen, nur den Stoff der einzelnen Stunde parat zu haben. Wenn jemand mehr weiß als nur das Nötigste und tiefergehende Verbindungen knüpfen kann, dann kann sie/ er auch den Unterricht interessanter gestalten, persönliche Episoden oder Zusatzinformationen einfließen lassen und auf Nachfragen der Klasse eingehen. Dadurch werden die Stunden abwechslungsreicher und meist auch spontaner. Zudem fördert ein Mehr an Wissen immer auch die Sicherheit, mit der man vor der Klasse steht. Dieses Buch soll solch einen tiefergehenden Hintergrund liefern und ist somit für alle gedacht, die mehr erfahren wollen über linguistische Zusammenhänge sowohl innerhalb des Englischen als auch im Vergleich mit anderen (Schul-) Sprachen. Auch wenn wir uns in erster Linie (dem Buchtitel entsprechend) meistens zunächst auf das Englische beziehen, so möchten wir doch auch Lehrkräfte anderer Sprachen ansprechen; denn viele der zugrunde liegenden Überlegungen gelten gleichermaßen für andere Sprachen, und relevante Fragestellungen, auf die wir aufmerksam machen wollen, gehen durchaus über das Englische hinaus. Außerdem ist Englisch nun einmal für die allermeisten Schüler: innen die erste Fremdsprache, mit der sie im Schulkontext in Kontakt kommen; insofern bietet sie sich als zentrale Referenzsprache im Sprachunterricht an und kann sehr gut zum Vergleich mit anderen Sprachen herangezogen werden. Lehrkräfte anderer Fremdsprachen möchten wir zudem dazu ermuntern, die vorgestellten Themen auch im Kontext „ihrer“ Fremdsprache zu durchdenken. In den folgenden Kapiteln werden nun also viele Fragen beantwortet, von denen man möglicherweise gar nicht wusste, dass man sie stellen kann oder sollte. Im zweiten Kapitel wird z.-B. erläutert, warum beim englischen Genitiv das -s mit Apostroph angehängt wird, beim deutschen in der Regel hingegen nicht, und was für ein morphologischer Unterschied hier zugrunde liegt. Im dritten Kapitel beschäftigen wir uns mit den Kasus und der Frage, warum in englischen Schulbüchern nie vom Dativ die Rede ist - wobei durchaus ein wenig Detektivarbeit vonnöten ist, um die Lage im Modernen Englisch richtig zu deuten. Kapitel 4 befasst sich mit der Satzstellung im Englischen (insbesondere im Vergleich zum Deutschen), beleuchtet relevante historische Entwicklungen und erklärt z.-B., warum Shakespeare keine Probleme mit dem Metrum hatte. Das fünfte Kapitel geht auf diverse Gemeinsamkeiten und systematische Unterschiede der germanischen und nicht-germanischen indoeuropäischen Sprachen <?page no="9"?> 9 1.2 Wie viel Grammatik darf’s denn sein? ein, die auf den verschiedensten Lautverschiebungen basieren, bevor wir zum Schluss in Kapitel 6 noch kurz auf Unterschiede bei der Textproduktion bzw. deren Übersetzung zu sprechen kommen. Alle Hauptteile enden mit einem zusammenfassenden Abschnitt mit dem Titel „In aller Kürze - Was nehmen wir mit? “ sowie anschließenden Übungsaufgaben. Am Ende des Buches folgen einige Ergänzungen: Kapitel 7 bietet einen kurzen Überblick zur Geschichte des Englischen, Kapitel 8 beinhaltet das Schlusswort, und im Anschluss folgen die Lösungen zu den Übungen sowie ein Schlagwortverzeichnis, welches das Nachschlagen einzelner Termini erleichtern soll. Damit die Texte immer verständlich bleiben, werden viele linguistische Fachtermini in Kästen erläutert; zudem beinhalten Kapitel 2 und 5 kurze Exkurse zu morphologischem bzw. phonetischem und phonologischem Basiswissen. Wer das nicht braucht, kann diese Abschnitte gerne überspringen. Nicht alle Inhalte des Buches sind freilich dafür geeignet, diese auch mit ins Klassenzimmer zu nehmen. An manchen Stellen geht das Buch auf weiterführende theoretische Fragestellungen und Analysen ein und ist somit für all diejenigen gedacht, die ihr eigenes Wissen erweitern wollen, weil sie sich für ihr Fach begeistern. Auch die Übungsaufgaben fallen in diese zwei Kategorien - es gibt solche, die ergänzend im Unterricht benützt werden können, aber auch einige, die zum tieferen Verständnis unserer Leserinnen und Leser beitragen sollen. Vieles, was man im Studium gelernt hat, ist nicht offensichtlich relevant für den Beruf als Lehrer: in. Wer sich aber dafür interessiert, lernt viel für sich und entwickelt oft eine Begeisterung, die einem später im Beruf zugutekommt. Alles Wissen, das man verinnerlicht, prägt die eigene Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit ist das, was die Schüler: innen dann im Klassenzimmer wahrnehmen. Enthusiasmus und Wissen tragen daher maßgeblich dazu bei, dass man von jemandem behauptet, dass sie/ er für das Fach brennt. Wir hoffen, dass wir unseren Leserinnen und Lesern möglichst viele Aha-Effekte bieten und ein wenig zu dieser Begeisterung beitragen können. 1.2 Wie viel Grammatik darf’s denn sein? Der junge Friedrich Schiller war ein guter Schüler. Er mochte seinen Privatlehrer Pfarrer Moser so sehr, dass er selbst Pfarrer werden wollte. Doch als er 1767 an die Lateinschule in Ludwigsburg kam, verging ihm die Freude am <?page no="10"?> 10 1 Einleitung schulischen Lernen. Zu streng war der Unterricht, und vor den Prüfungen hatte er Angst. In jedem Klassenzimmer stand der Rohrstock in der Ecke als Drohung für mögliche Fehler. Damit war keineswegs nur das Fehlverhalten eines Schülers gemeint (hier stimmt die maskuline Form, denn Mädchen gab es an der Lateinschule nicht). Selbst Fehler beim Aufsagen der grammatischen Regeln oder beim Konjugieren lateinischer Verben wurden mit Tatzen, also mit Stockschlägen auf die ausgestreckten Finger bestraft. Noch strenger wurde es für Schiller an der herzoglichen Eliteschule in Stuttgart, wo der spätere Dichterfürst die Schule hassen lernte. Hier im Internat im Herzen der Stadt herrschte militärischer Drill, und der Freigeist Schiller nahm sich beim Verfassen seines ersten Dramas Die Räuber so kritische Ansichten heraus, dass der Herzog ihm Schreibverbot erteilte, was Schiller dazu veranlasste, ins badische Mannheim zu fliehen, was damals für einen Württemberger „Ausland“ war. Zum Glück ist die heutige Schule nicht mehr mit den damaligen Bildungseinrichtungen vergleichbar. Keine Schülerin und kein Schüler muss mehr Angst vor Stockschlägen haben und grammatische Fehler führen nicht mehr zu körperlicher Züchtigung. Dennoch ist das Verhältnis mancher Schüler: innen zur Grammatik, sei es im Fremdsprachenunterricht oder auch in Deutsch, immer noch ein zwiespältiges. Woher kommt die Abneigung vieler Lernender gegen das Einüben von Grammatikregeln? Warum ist Grammatik jedoch gerade in der Oberstufe durchaus wieder beliebter? Und warum ist es wichtig für Lehrer: innen, über den Rand der eigenen Schulbücher hinauszuschauen? Wir muten unseren Schüler: innen viel zu im Fremdsprachenunterricht. Sie sollen die Sprache flüssig verwenden können, Sachtexte verstehen, andere Kulturen und ihre Gepflogenheiten kennenlernen, im Englischunterricht beispielsweise von England über Amerika bis Indien und Australien. Sie sollen Romane lesen und fiktive Figuren charakterisieren können, und darüber hinaus analysieren und interpretieren sie Filme und Gedichte oder lösen Hörverstehensaufgaben. Für all das lernen sie hunderte Vokabeln und sollen sich dann auch noch für Grammatik interessieren, die vermeintlich trockenste Disziplin im Sprachunterricht, denn dazu schaut man meist keine Filmausschnitte an, hört keine TED-Talks und kann weder eine eigene Sicht der Dinge äußern noch eine persönliche Haltung dazu einnehmen. Allerdings haben Grammatikübungen für einige Schüler: innen durchaus auch ihren Reiz, da ihnen ein Touch von Rätsellösen innewohnt. <?page no="11"?> 11 1.2 Wie viel Grammatik darf’s denn sein? Der Grammatikunterricht im Fach Englisch hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Schaut man sich Schulbücher von vor 30 Jahren an, dann ist eine ganz schematische Vorgehensweise zu erkennen: Zuerst kommt ein Text; dann kommen Aufgaben zum Text und irgendwann folgt ein deutlich abgesetzter Grammatikkasten, meist mit einer farbigen Umrandung oder einer leicht pastelligen Grundierung. Heute sehen Schulbücher für den Englischunterricht anders aus. In Klasse 5 gibt es zahlreiche Fotos und Illustrationen. Die dazu verfassten Texte sind sehr kurz und enthalten viele didaktische Redundanzen. Die Bewusstmachung von grammatischen Strukturen dagegen hat an Bedeutung verloren, das intuitive Lernen wurde in den letzten Jahren deutlich gestärkt. Einen kurzen Überblick, wie es von den traditionellen Methoden des Fremdspracherwerbs zum kommunikativen Lernen des modernen Fremdsprachenunterrichts kam, findet sich z.-B. in Thaler (2020: 106 ff.). Interessanterweise gibt es z.-B. in Baden-Württemberg im Deutschunterricht im Gegensatz hierzu eine gegenläufige Tendenz; hier wurde die Bewusstmachung von Grammatik insofern gestärkt, als bereits in Klasse 5 das topologische Feldermodell eingeführt wird (siehe auch Fußnote 47 in Kapitel 4.2.1). Im Englischunterricht dagegen kommt es in der Grundschule zu einem ersten Kontakt mit der Fremdsprache durch ein sogenanntes Sprachbad. Man soll, so suggeriert es der Begriff, eintauchen in die fremde Sprache, von ihr umgeben sein, in ihr schwimmen lernen und sie sich so aneignen, in einem natürlichen Fluss, wie es mit der Muttersprache geschieht. Insbesondere zu Beginn bietet das Sprachbad Lieder, Reime, kleine Dialoge, die vorgetragen, nachgesprochen oder mitgesungen werden. Grammatikregeln spielen hier keine Rolle. Im Sprachbad soll man sich zwanglos bewegen. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler nur zuhören möchte, dann ist das auch in Ordnung. Er muss das Gedicht nicht mitsprechen, sie muss nicht mitsingen, das Sprachbad bietet auch an, dass man nur passiv eintaucht. Allerdings erleichtert die Bewusstmachung von Grammatik in den weiterführenden Schulen den Lernalltag durchaus: Auf diese Weise können nämlich die zugrunde liegenden Muster der jeweiligen Sprache viel leichter durchschaut und verinnerlicht werden, außerdem können so die einzelnen Fächer miteinander verknüpft werden, die verschiedenen Fremdsprachen untereinander ebenso wie Deutsch. Begrifflichkeiten können übertragen, Strukturen verglichen und analoge Bildungen herausgearbeitet werden. Dadurch wird gezeigt, worin die <?page no="12"?> 12 1 Einleitung Gemeinsamkeiten der Sprachen und wo die Unterschiede liegen. Hier hilft durchaus auch ein Blick auf historische Entwicklungen, etwa wenn man zeigen will, dass die Flexionsendungen im Englischen im Vergleich zum Französischen, Deutschen oder Lateinischen stark reduziert sind, was wiederum die Wortstellungsmöglichkeiten in englischen Sätzen einschränkt. Für die Schüler: innen kann es interessant sein zu erfahren, dass historisch gesehen auch die englische Satzbildung deutlich flexibler war. Interessant ist es auf jeden Fall für die Lehrkraft, die offen ist für Wissen, das über den schulischen Tellerrand hinausgeht. Insofern finden wir: Grammatik darf ’s gerne ein bisschen mehr sein! <?page no="13"?> 13 1.2 Wie viel Grammatik darf’s denn sein? 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen 2.1 „Danton’s Tod“ und andere Dramen Jedes Jahr wiederholt sich an deutschen Gymnasien das gleiche Schauspiel: Aufgeregte Abiturient: innen drängen zu Beginn der mehrstündigen Deutschprüfung mit Vesperdosen und literweise Getränkeflaschen in den Raum und bauen an ihrem Platz ihre Vorräte vor sich auf, von denen sie problemlos drei Wochen ohne Nachschub essen und trinken könnten. Dann beginnen sie, ihre Texte zu verfassen, bis sie am Ende völlig ermattet und die müden Handgelenke der Schreibhand schüttelnd die Aufsätze abgeben und den Raum wieder verlassen. Die Lehrkraft hat nun die Aufgabe der Erstkorrektur vor sich, ehe ein paar Wochen später die Zweitkorrektur einer anderen Schule (oder in manchen Bundesländern auch der eigenen Schule) ansteht. Der Vergleich der beiden Korrekturen ist interessant, da sich die Korrektor: innen nicht immer darüber einig sind, welches Korrekturzeichen zu setzen ist, und teilweise weichen sogar die Ansichten darüber ab, ob es sich um einen Fehler handelt oder nicht. Dies kann man z.- B. bei der Schreibweise des s-Genitivs im Zusammenhang mit Namen beobachten. So streichen manche Lehrkräfte die Schreibung „Danton’s Tod“ an (und auch das Textverarbeitungsprogramm unterkringelt es noch rot), andere akzeptieren diese Schreibweise. Der Duden akzeptiert beides, Danton’s und Dantons, wobei erstere Schreibung erst seit Ende des 20.-Jahrhunderts dort als korrekt aufgeführt wird, wenn es um den Genitiv von Eigennamen geht. Mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901 wurde der Apostroph an dieser Stelle erstmals als falsch eingestuft. Diese Einordnung hielt fast 100 Jahre an, bis mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 die Verwendung als zulässig erklärt wurde, „wenn sie die Grundform eines Eigennamens verdeutlichen soll“. 1 Diese Schreibung des s-Genitivs im Deutschen sieht man natürlich häufig im Alltag, z.-B. auf dem Auto von Jan’s Pflege, das täglich durch unsere Straße fährt, oder bei Namensgebungen wie Tina’s Kneipe. 1 Siehe https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Sächsischer_Genitiv (last accessed: 10.01.2022). <?page no="14"?> 14 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen Im Englischen ist nur die Schreibung mit Apostroph legitim, was aber grammatikalisch erklärbar ist (siehe Kapitel 2.2). Interessant ist die Beobachtung, dass die Schreibung Apostroph plus s-Endung immer häufiger auch in anderen Konstruktionen übernommen wird, in denen sie tatsächlich falsch ist, beispielsweise bei der falschen Schreibung des Plural-s. So werden aus Drinks plötzlich Drink’s oder aus Hobbys Hobby’s (wobei im Übrigen beide Pluralformen von Hobby, die richtige und die falsche, nicht der englischen Schreibung hobbies entsprechen). Offensichtlich handelt es sich um eine Übergeneralisierung, die davon ausgeht, dass jedes angehängte -s mit einem Apostroph abgetrennt werden muss. Eine witzige Beobachtung am Rande: Im Englischen findet man sogar Übergeneralisierungen in die andere Richtung; so entdeckten wir auf der Verpackung einer Dartsscheibe mit elektronischer Stimme des berühmten Ansagers Russ Bray den Aufdruck »The worlds voice of darts« - ganz ohne den obligatorischen Apostroph vor dem englischen Genitiv-s (engl. world’s). Für Schüler: innen ist das Ganze nicht leicht. In ihren Köpfen handelt es sich doch „nur um einen Apostroph“, eine Kleinigkeit, die im großen Alltag untergeht. Die Relevanz wird vielleicht deutlicher, wenn man sich klarmacht, dass es sich im Englischen um eine ganz andere grammatikalische Struktur handelt. Das kann sogar Spaß machen, denn die Freude am Wissen stellt sich oft dann ein, wenn man etwas lernt, das über das Wissen der Eltern und anderer Erwachsener hinausgeht. 2.2 Vom großen kleinen Unterschied im Genitiv oder: Suffix vs. Klitikon Dass das Genitiv-s im Deutschen einen anderen Status hat als im Englischen, lässt sich anhand der Daten in (1) versus (2) leicht verifizieren. 2,3 (1) a. the king’s eloquence b. the King of Spain’s eloquence c. *the King’s of Spain eloquence 2 Die Daten aus dem Englischen sind angelehnt an O’Grady et al. (1996: 140 f.). An dieser Stelle sei bereits auf einen kleinen Exkurs zu morphologischem Basiswissen in Kapitel 2.5 verwiesen für den Fall, dass manche der erwähnten Fachtermini nicht (mehr) geläufig sind. 3 Den üblichen Konventionen folgend werden ungrammatische Formen oder Sätze mit einem vorangestellten Sternchen (= Asterisk) markiert; siehe z.-B. (1c) und (2b). <?page no="15"?> 15 2.2 Vom großen kleinen Unterschied im Genitiv oder: Suffix vs. Klitikon (2) a. die Eloquenz des Königs b. *die Eloquenz des König von Spaniens c. die Eloquenz des Königs von Spanien An der Ausgangskonstruktion in (1a) und (2a) erscheint zunächst nichts ungewöhnlich - sowohl im Englischen als auch im Deutschen tritt das Genitiv-s direkt im Anschluss an das Substantiv king bzw. König auf, welches genitivmarkiert werden soll. 4 Erweitert man king bzw. König jedoch zu King of Spain bzw. König von Spanien, fällt auf, dass sich die beiden Sprachen nun unterscheiden: Während das Genitiv-s im Englischen erst nach Spain auftreten darf (siehe (1b) vs. (1c)), muss es im Deutschen nach wie vor direkt an König angehängt werden (siehe (2b) vs. (2c)). Daraus kann man schlussfolgern, dass in den beiden Sprachen eine unterschiedliche Struktur zugrunde liegt. Betrachtet man zunächst die deutschen Daten näher, so wird deutlich, dass das Genitiv-s sowohl in (2a) als auch in (2c) an das einzelne Element König angehängt wird; im Englischen dagegen zeigt die Grammatikalität von (1b) plus die Ungrammatikalität von (1c), dass das englische Genitiv-s nicht an ein einzelnes Substantiv, sondern an die gesamte Nominalphrase (NP) angehängt wird (siehe Darstellung in (3a)). 5 Hieraus können wir zunächst folgenden Schluss ziehen: Wenn dies für (1b) gilt, muss die richtige Analyse von (1a) ganz entsprechend aussehen - auch hier hängt das Genitiv-s also in Wahrheit nicht direkt an king, sondern an der gesamten Phrase the king, wie in (3b) illustriert. (3) a. [ NP the King of Spain]’s eloquence b. [ NP the king]’s eloquence 4 Die Tatsache, dass the king’s im Englischen dem Substantiv eloquence vorangestellt wird, während des Königs in (2a) nach dem modifizierten Substantiv (Eloquenz) steht, spielt für diese Überlegungen keine Rolle. Da die vorangestellte Wortabfolge typisch für den angelsächsischen Gebrauch des Genitiv-s ist, hat sie dieser Konstruktion auch den Namen Saxon Genitive eingebracht. (Dieser bezieht sich jedoch nur auf die lineare Abfolge und nicht den Gebrauch des Apostrophs.) 5 Der Einfachheit halber gehen wir hier von einer zugrunde liegenden NP aus; wer mit der DP-Hypothese (siehe Abney 1987) vertraut ist und eine entsprechende Analyse bevorzugt, kann die NPs hier selbstverständlich durch DPs ersetzen (D steht hierbei für die Wortart der Determinierer). <?page no="16"?> 16 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen Die Darstellung in (3) zeigt recht klar, dass das Genitiv-s keine besonders „enge Bindung“ zu king hat; tatsächlich scheint es so zu sein, dass dieses kleine Element lediglich irgendetwas zum „Anlehnen“ braucht, da es phonologisch gesehen nicht für sich alleine stehen kann - genau dies ist das charakteristische Merkmal sogenannter Klitika. Definition Klitikon (auch Klitikum, Klitik), plural Klitika Unbetontes Wort, das phonologisch zu schwach ist, um alleine zu stehen, und sich deshalb an ein benachbartes Wort „anlehnen“ muss und mit diesem lautlich verschmilzt (griech. énklisis = Neigung). Klitika, die an ein vorangehendes Wort angehängt werden, heißen Enklitika (engl. enclitics), Klitika, die an das Folgewort angehängt (und mit diesem zusammen ausgesprochen) werden, nennt man Proklitika (engl. proclitics). 6 Der Prozess wird als Klitisierung bezeichnet. (siehe auch Bußmann 1990; O’Grady 1996) Das englische Genitiv-s kann somit als Enklitikon identifiziert werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich beim deutschen Genitiv-s nicht um ein Klitikon; stattdessen liegt hier ein ganz normales Flexionssuffix vor, also ein Affix, das ans Ende eines nominalen Stamms angehängt wird, um ein bestimmtes grammatisches Merkmal (in unserem Fall den Kasus) anzuzeigen. Daraus resultiert, dass die zugrunde liegenden Strukturen der Beispiele king’s vs. Königs aus (1a) bzw. (2a) sich grundlegend unterscheiden: Während im Englischen auf das Substantiv king das Enklitikon ’s folgt, also ein eigenes kleines Wörtchen, wird im Deutschen das Suffix -s an das freie Morphem König angehängt, wodurch ein neues, komplexes Wort, nämlich Königs entsteht (vgl. (4)). (4) a. Englisch: king’s = zwei Wörter (Substantiv + Klitikon) b. Deutsch: Königs = ein Wort bestehend aus zwei Morphemen (Stamm König + Suffix -s) 6 Beispiele für Enklitika sind z.- B. die reduzierten Formen im Englischen für not oder am in isn’t bzw. I’m; ein deutsches Beispiel für ein Proklitikon ist die verkürzte Form s’Fenster für das Fenster (siehe auch Bußmann 1990: 614). <?page no="17"?> 17 2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen Die Bildung von king’s im Englischen spielt sich somit nicht in der Morphologie ab, sondern in der Syntax, wohingegen das deutsche Wort Königs durch den morphologischen Prozess der Suffigierung gebildet wird. Definition Suffigierung Morphologischer Prozess, bei dem ein Suffix (= dem Wortstamm nachgestelltes Affix) an eine Basis angehängt wird (zur Basis siehe auch Kapitel 2.5). Affigierungen im Allgemeinen dienen entweder der Derivation oder der Flexion. Affigierungen zur Kasusmarkierung, wie das Genitiv-s im Deutschen, sind ein klassischer Fall von Flexion. Hier trägt die Orthographie also durchaus dazu bei, einen tiefergehenden strukturellen Unterschied zu verdeutlichen - denn was läge näher, als das nur lose und rein phonologisch mit dem Nachbarwort assoziierte englische Klitikon lediglich mit einem Apostroph anzuhängen und das wortbildende Flexionssuffix im Deutschen dagegen nicht nur morphologisch, sondern auch orthographisch direkt in das Wort zu integrieren? 2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen Bekanntermaßen tritt das -s im Englischen jedoch nicht nur als Genitiv-Markierung auf, sondern ist zudem die typische englische Pluralendung, was einen kurzen Vergleich der beiden Endungen interessant macht. Ein Blick auf die Daten in (5) (und der Vergleich mit (6)) verrät schnell, dass sich das Plural-s im Englischen anders verhält als das englische Genitiv-s: Ist statt von einem König von mehreren Königen die Rede, so verbleibt das Plural-s direkt am modifizierten Substantiv, auch wenn king, wie in (5), Teil einer größeren Nominalphrase ist. (5) a. former kings of Spain (dt. frühere Könige von Spanien) b. *former king of Spains (6) a. *the King’s of Spain eloquence (= (1c)) b. the King of Spain’s eloquence (= (1b)) Insofern verhält sich das englische Plural-s vielmehr wie das deutsche Genitiv-s und kann somit als Suffix klassifiziert werden; angehängt an king <?page no="18"?> 18 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen führt die Suffigierung also lediglich zu einem komplexeren Wort bestehend aus dem Wortstamm king und dem gebundenen Morphem -s (siehe (7) bzw. (4b)). (7) Englischer Plural: kings = ein Wort bestehend aus zwei Morphemen (Stamm king + Suffix -s) 2.3.1 Die Entwicklung des Plural-s im Englischen An dieser Stelle ist ein kurzer Blick auf die Entwicklung dieser Endungen im Laufe der Geschichte des Englischen durchaus von Interesse. Schaut man sich die morphologischen Flexionsendungen im heutigen Englisch an, so fällt auf, dass nicht sonderlich viele davon übrig geblieben sind; genau genommen gibt es gerade noch sieben Flexionsaffixe: im nominalen Bereich das Plural-s, bei den Adjektiven die Endungen der Steigerungsformen -er (Komparativ) und -est (Superlativ) und im verbalen Bereich -s in der 3. Person Singular im Präsens, -ed im simple past sowie die Partizipialendungen -ing (Partizip Präsens) und -en/ -ed (Partizip Perfekt). 7 Flexionsaffixe im heutigen Englisch (i) Plural: the students (ii) Komparativ: greater (iii) Superlativ: greatest (iv) Präsens 3. Person Singular: he walks (v) Einfache Vergangenheit (simple past): he walked (vi) Partizip Präsens: he is walking (vii) Partizip Perfekt: he has walked/ given 7 Wie wir bereits wissen, zeigt das Genitiv-s im Englischen zwar ein grammatisches Merkmal an, gehört jedoch nicht in die Kategorie der Suffixe; in manchen deskriptiven Grammatiken wird es fälschlicherweise jedoch als achtes Flexionsaffix mit aufgeführt (darauf wird z.-B. auch in O’Grady et al. 1996: 171 hingewiesen). <?page no="19"?> 19 2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen Dies war jedoch nicht immer so, sondern ist das Resultat einer Entwicklung, die im Altenglischen ihren Anfang nahm (für alle historisch Interessierten folgt ein detaillierterer Überblick zur Geschichte des Englischen in Kapitel 7.1). Die Epoche des Altenglischen erstreckt sich von ca. 449 bis 1066. Zu jener Zeit war das Englische noch eine stark flektierende Sprache, d.-h. eine Sprache mit vielen Flexionsendungen in allen Bereichen. Im nominalen Bereich bedeutete dies, dass es allerhand unterschiedliche Endungen je nach Kasus, Numerus und Genus gab; 8 zudem waren die altenglischen Substantive in verschiedene Deklinationsklassen unterteilt (was sich teilweise, aber nicht ausschließlich, am Genus orientierte; wer z.-B. mit Latein vertraut ist, kann es sich im Altenglischen ganz ähnlich vorstellen). Im Folgenden soll dies an drei unterschiedlichen Substantiven aus drei dieser Deklinationsklassen kurz illustriert werden (siehe McMahon 1994: 71); die zugrunde liegenden Substantive sind sunne (fem.; dt. Sonne), stān (mask.; dt. Stein) und scip (neutr.; dt. Schiff), die Flexionsendungen sind in der Tabelle fett markiert. 9, 10 8 Im Altenglischen gab es, wie im Deutschen, drei Genus-Unterscheidungen: Femininum, Maskulinum und Neutrum. In Bezug auf den Numerus wird in erster Linie zwischen Singular und Plural unterschieden; bei den Personalpronomen in der 1. und 2. Person tritt zusätzlich der Dualis auf (= genau zwei). Generell gibt es die Kasus Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Instrumentalis; da Letzterer aber in den meisten Fällen bereits mit dem Dativ zusammenfiel (Ausnahme: Pronomen und Adjektive im Maskulinum und Neutrum; siehe z.-B. McFadden 2006), wird er in altenglischen Deklinationstabellen oftmals nicht (mehr) explizit erwähnt. 9 Es handelt sich hier um die Paradigmen von drei der häufigeren Klassen: sunne folgt der sogenannten n-Deklination für Substantive im Femininum; stān folgt der a-Deklination für Substantive im Maskulinum; scip folgt der a-Deklination für Substantive im Neutrum (siehe z.-B. Weimann 1995: 79). 10 Lange Vokale wurden im altenglischen Schriftbild mit einem sogenannten macron (dt. Makron, Längestrich) markiert, z.- B. <ā> für / aː/ . Wir folgen außerdem generell der üblichen Notation, derzufolge Schreibweisen durch die Symbolik „< >“ gekennzeichnet werden, wohingegen die Aussprache durch Schrägstriche oder eckige Klammern markiert wird (= phonemische (oder auch weite) Transkription bzw. phonetische (oder auch enge) Transkription; siehe auch Kapitel 5.5). Durch die Notation „ː“ werden in der Transkription lange Laute markiert. <?page no="20"?> 20 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen sg. pl. sg. pl. sg. pl. NOM sunne sunnan stān stānas scip scipu GEN sunnan sunnena stānes stāna scipes scipa DAT sunnan sunnum stāne stānum scipe scipum AKK sunnan sunnan stān stānas scip scipu Tabelle 1: Beispiel Nominalflexion im Altenglischen Im Übergang vom Altenglischen zum Mittelenglischen begann dieses morphologische Flexionssystem zusammenzubrechen. Zwar ist es nicht immer leicht, Ursachen für Sprachwandel eindeutig zu bestimmen, doch ein paar Faktoren, die dazu beigetragen haben, können durchaus identifiziert werden. Zunächst einmal sind die häufig in den Endungen vorkommenden Nasale / n/ und / m/ so ähnlich, dass sie nicht sehr leicht zu unterscheiden sind und deshalb (typischerweise auch in anderen Sprachen, siehe McMahon 1994: 71) zunächst einheitlich als / n/ ausgesprochen wurden und in der Folge ganz verschwanden (McFadden 2006 zufolge ca. zu Beginn des Mittelenglischen). Dieser Prozess wurde vermutlich durch das Betonungsmuster im Germanischen zusätzlich begünstigt, wonach die Hauptbetonung der Wörter in Tabelle 1 auf der ersten Silbe liegt und die Flexionsendungen somit alle unbetont sind. Dass in den germanischen Sprachen der Hauptakzent typischerweise auf der ersten Silbe zu finden ist (genauer auf der Silbe, mit der die Wortwurzel beginnt, also Präfixe ausnehmend), liegt an der Germanischen Akzentverschiebung, die ab ca. 500 v.-Chr., also im Proto-Germanischen, ihren Anfang nahm und den vormals im Proto-Indoeuropäischen vorherrschenden sogenannten freien Akzent ablöste. Definition freier Akzent Eine Sprache hat einen sogenannten freien Akzent, wenn das Betonungsmuster nicht für alle Wörter gleichermaßen festgelegt ist; welche Silbe akzentuiert ist, kann hier demnach von Wort zu Wort frei variieren (z. B. im Proto-Indoeuropäischen oder Griechischen). So ist z. B. im Griechischen das Wort für die Zahl eins anfangsbetont, wohingegen das Wort für die Zahl sieben endungsbetont ist: éna ( ένα ) vs. eptá ( επτά ). <?page no="21"?> 21 2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen Betonungsmuster in den germanischen Sprachen Seit der Germanischen Akzentverschiebung weisen die germanischen Sprachen keinen freien Akzent mehr auf; diese sind seither in der Regel anfangsbetont (d. h., wenn kein Präfix involviert ist, liegt die Hauptbetonung typischerweise auf der ersten Silbe). Im Gegensatz hierzu ist z. B. das Französische eine typische endungsbetonte Sprache; dies ist in (8) exemplarisch illustriert. 11 (Das Zeichen „' “ steht in der Transkription vor der betonten Silbe). (8) a. Deutsch: AUto / ˈ a ʊ to/ , MAma / ˈ mama/ , SPREchen / ˈʃ pr ɛ ç ə n/ b. Französisch: voiTURE / vwa ˈ ty ː r/ , maMAN / ma ˈ m-/ , parLER / par ˈ le/ Interessanterweise hatte die Germanische Akzentverschiebung auch Auswirkungen auf die Literatur; so findet z. B. „[a]uch die Ausbildung des für die germanische Dichtung typischen Formmerkmals Alliteration (Stabreim) […] in der Akzentfestlegung seine Ursache.“ 12, 13 Die Tatsache, dass die Flexionsendungen im Germanischen (und somit auch in den altenglischen Substantiven) unbetont waren, begünstigte jedenfalls deren Reduktion und letztlich ihren Wegfall, denn auch die darin enthaltenen unbetonten Vokale ließen sich in der Aussprache kaum mehr unterscheiden. Das Resultat war, dass alle diese Vokale schließlich mehr oder weniger als reduzierter Schwa-Laut, also / ə/ , ausgesprochen wurden, was sich bereits im späten Altenglischen in der einheitlichen Schreibung <e> widerspiegelte. Da sie somit 11 Streng genommen ist die phonologische Phrase, nicht das phonologische Wort endbetont. 12 Das Zitat wurde dem linguistischen Online-Wörterbuch nach Lewandowski der Universität Magdeburg (Fachbereich Germanistik) entnommen; siehe https: / / www.ger.ovgu. de/ Fachgebiete/ Germanistische+Linguistik/ Linguistisches+Wörterbuch+von+Th_+Lewandowski/ A/ Akzent.html (last accessed: 30.08.2022). 13 Auch wenn Alliteration und Stabreim häufig gleichgesetzt werden, handelt es sich genau genommen nicht um ein und dasselbe Phänomen. Die Alliteration bezeichnet eine Stilfigur, die sich auf denselben Anlaut benachbarter Wörter bezieht (z.- B. frank und frei; olle Omas); der Stabreim ist zwar eine Versform, der diese Stilfigur prinzipiell zugrunde liegt, allerdings staben hier auch sämtliche Vokale miteinander (z.-B. alte Uhren irren oft) und unbetonte Silben bleiben unberücksichtigt (z.-B. gefräßige Vögel fressen Gefrorenes); Letzteres findet in weiter gefassten Definitionen zur Alliteration teilweise auch Berücksichtigung. <?page no="22"?> 22 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen für die Differenzierung nach Kasus/ Genus/ Numerus jedoch nicht mehr von Nutzen waren, gingen sie letztlich ebenfalls gänzlich verloren. Ein erneuter Blick auf das Paradigma in Tabelle 1 zeigt jedoch, dass neben Nasalen und Vokalen insbesondere ein weiterer Laut in den nominalen Flexionsendungen auftaucht, nämlich der Frikativ / s/ . 14 Wie die Unterstreichungen zeigen, kommt dieser Laut eigentlich nicht übermäßig oft vor, und er ist auch nicht auf alle Deklinationsklassen und alle Kasus gleichermaßen verteilt - genau genommen finden wir ihn in unseren Beispielen nur viermal: im Genitiv Singular sowohl in der Deklination von stān als auch scip sowie im Plural Nominativ und Akkusativ bei stānas. 15 Das bedeutet, dass die s-Markierung bereits mit den uns wohlvertrauten Merkmalen Plural bzw. Genitiv assoziiert war, die wir auch im Modernen Englisch in Form des allgemeinen Plural-s und des Genitiv-s kennen, auch wenn sie ursprünglich noch nicht die heutige Distribution aufwies. Dies ist jedoch genau der Ursprung der heutigen s-Markierungen, die durch sogenannte analogische Ausdehnung (engl. analogical extension) im Mittelenglischen schließlich auf andere Teile des Paradigmas übertragen wurden, als die s-Endungen allgemein als Pluralbzw. Possessiv-Anzeiger reinterpretiert wurden. 16 Definition Analogische Ausdehnung (oder Proportionale Analogie) Generalisierung und Ausdehnung einer produktiven Regel auf neue Formen nach dem „Gleichungsmuster“ A : A‘ = B : X“ (siehe Bußmann 1990: 79); siehe auch Beispiel (9). Auch im heutigen Englisch wird das Plural-s als reguläre Form der Pluralbildung auf diese Weise z.-B. auf neue Wörter übertragen; würde ein neues englisches Substantiv namens flube kreiert, so würden wir aufgrund proportionaler Analogie automatisch schließen, dass der Plural flubes sein muss. 14 Ein kleiner Exkurs zur Auffrischung einiger phonetischer und phonologischer Termini und Notationen findet sich in Kapitel 5.5. 15 Die Nominativ- und Akkusativformen fallen hier im Übrigen auch in den anderen Deklinationsklassen im Plural bereits zusammen (= Synkretismus; siehe ausführliche Definition in Kapitel 3.2.2); auch im Singular ist dies in großen Teilen schon der Fall. 16 Genau genommen fiel die Dativ-Endung <e> in der a-Deklination erst etwas später weg als die anderen vokalischen Endungen (endgültig wohl erst im 12.-Jahrhundert), sodass diese vokalische Endung teilweise noch gemeinsam mit dem verallgemeinerten Plural-s auftrat (siehe McFadden 2006). <?page no="23"?> 23 2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen (9) stone (sg.) : stones (pl.) = flube (sg.) : X Schlussfolgerung: X = flubes (pl.) Im Fall der analogischen Ausdehnung im Mittelenglischen wurde das Plural-s zunächst von den zwei Kasus Nominativ/ Akkusativ in der a-Deklination Maskulinum auf die restlichen Kasus übertragen und schließlich auch auf alle anderen Deklinationsklassen. Diese analogische Ausdehnung ist somit der Ursprung der regelmäßigen Pluralbildung auf -s im Englischen, und auch die Genitiv-Markierung in Form des Klitikons ’s geht zurück auf den nur in manchen Deklinationsklassen im Singular auftretenden Genitivmarkierer -s, der ursprünglich auch im Englischen ein Suffix war (siehe Tabelle-1). 17 2.3.2 Wie man sich täuschen kann oder: Wie die Kirsche zu ihrem Namen kam Im Zusammenhang mit der Pluralbildung auf -s im Englischen sowie dem Prozess der Analogie ist ein kurzer Blick auf einen weiteren Wortbildungsprozess interessant, nämlich den der Rückbildung (engl. back formation). Definition Rückbildung (engl. back formation) Bei diesem Wortbildungsprozess werden neue Wörter dadurch gebildet, dass (vermeintliche) bekannte Affixe von bereits existierenden Wörtern abgetrennt werden, in Analogie zu anderen existierenden Wortpaaren. Dies kann z. B. Substantive mit typischer nominaler Endung betreffen, durch deren Wegfall ein entsprechendes Verb (neu) gebildet wird (z. B. (to) edit, hergeleitet von editor mit der typischen nominalen Derivationsendung -or); siehe O’Grady 1996: 158f. 17 Wie genau sich das Genitiv-s im heutigen Englisch entwickelt hat, ist nicht ganz unumstritten. Allen (1997) zufolge kamen ca. ab dem späten 14.-Jahrhundert beide Genitiv-Varianten (Flexionssuffix und Klitikon) relativ lange zeitgleich in unterschiedlichen syntaktischen Kontexten vor. Laut Allen (1997) geht die Klitik-Variante (dort auch als group genitive bezeichnet) nicht auf sogenannte separated genitives (wie in Adam his son) zurück, sondern entwickelte sich im Zuge des Zusammenbruchs des Flexionssystems direkt aus dem ursprünglichen Genitivsuffix: „The evidence suggests that the group genitive developed when the old inflectional genitive -(e)s was generalised to all noun classes and became reanalysed as a clitic“ (Allen 1997: 111). <?page no="24"?> 24 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen (10) Beispiele zur Rückbildung editor → (to) edit (dt. Herausgeber; herausgeben) donation → (to) donate (dt. Spende; spenden) Notlandung → notlanden kaufen → Kauf (zu den deutschen Beispielen siehe z.-B. Bußmann 1990: 653) Besonders interessant sind hierbei die Fälle von Rückbildung, die auf einer Missinterpretation des angeblich involvierten Affixes beruhen. Hier boten vor allem falsch identifizierte vermeintliche Pluralmarkierer im Laufe der Geschichte des Englischen öfter Anlass zum Schmunzeln (siehe z.-B. McMahon 1994: 75; Campbell 1999: 102; O’Grady 1996: 158). So lässt sich die heutige Form cherry (dt. Kirsche) beispielsweise auf das altfranzösische Wort cheris zurückführen (cerise im heutigen Französisch). Da die altfranzösische Bezeichnung auf -s endete, ging man fälschlicherweise davon aus, dass dies ein Plural-s sei; als das Wort im Mittelenglischen in den englischen Sprachgebrauch überging, wurde die entsprechende Singularform somit via Rückbildung einfach durch Wegnahme des (falsch interpretierten) -s gebildet, das eigentlich zum Wortstamm gehörte. 18 Ein weiteres typisches Beispiel stellt die englische Bezeichnung für Erbse, pea, dar, die im Altenglischen noch pise (im Plural pisan) hieß. Auch hier wurde die Endung auf -s später fälschlicherweise als Pluralendung interpretiert, was nach erfolgter Rückbildung zur heutigen Singularform pea führte. Wie Campbell (1999) anmerkt, findet man in sehr wenigen Kontexten tatsächlich auch noch die alte Singularform auf -s, nämlich beispielsweise im Begriff pease porridge (dt. Erbsenbrei), was im darauf basierenden Kinderreim „Pease porridge hot, pease porridge cold“ immer noch vorkommt (wer sich über Erbsenbrei in Kinderliedern wundert, den möchten wir ermutigen, den Reim im Internet zu googeln und eine Vertonung anzuhören, Bilder dazu inklusive). 18 Entlehnungen (engl. borrowings) aus dem Französischen sind typisch für die Epoche des Mittelenglischen; siehe auch Kurzüberblick zur Geschichte des Englischen in Kapitel 7.1. <?page no="25"?> 25 2.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? 2.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? (i) Deutsch versus Englisch: Unterschiede im Genitiv Sowohl im Deutschen als auch im Englischen wird der Genitiv häufig durch ein s-Element markiert. Allerdings haben wir in Kapitel 2.2 gesehen, dass es sich bei den beiden vermeintlich gleichen Endungen morphologisch und syntaktisch gesehen um unterschiedliche Arten von Elementen handelt, auch wenn die phonologische Realisierung dieselbe ist. 19 Während im Deutschen ein Flexionssuffix, also ein gebundenes Morphem, vorliegt, das mit dem Wortstamm zu einem neuen Wort „verschmilzt“, handelt es sich im Englischen um ein Klitikon, also ein eigenes „kleines Wörtchen“, das an die gesamte Nominalphrase angehängt wird und sich nicht mit dem Stamm zu einem neuen Wort verbindet. Insofern spiegelt der Apostroph in der englischen Schreibung sehr gut die losere Verbindung zwischen Genitiv-s und Substantiv wider, wohingegen die Zusammenschreibung im Deutschen, die obligatorisch ist, wenn es sich nicht um Eigennamen handelt, morphologisch gesehen sinnvoll ist. (11) Englisch: John’s pub → Nominalphrase John + Klitikon -s = [ NP John]’s Deutsch: Tinas Kneipe → Stamm Tina + Suffix -s = [ N Tinas] alternative Schreibung bei Eigennamen: Tina’s Kneipe Tatsächlich gibt es eine kleine Ausnahme, wo natürlich auch im Deutschen der Apostroph vorkommen muss - allerdings nicht, um den Genitiv zu markieren, sondern vielmehr zur Markierung einer Ellipse; nämlich dann, wenn der Stamm bereits auf -s endet und das Genitiv-s daraufhin elidiert wird, wie beispielsweise in Hans’ Kneipe (statt *Hanss Kneipe). 20 19 Im Sinne einer Realisierung als „s-Laut“; streng genommen gibt es im Englischen drei phonetische Varianten der s-Endung (egal ob Plural oder Genitiv), nämlich je nach vorausgehendem Laut ein stimmloses [s] (nach stimmlosem Laut; z.-B. in cats/ cat’s), ein stimmhaftes [z] (nach stimmhaftem Laut; z.-B. in dogs/ dog’s) sowie [ɪz] (nach [s], [z], [tʃ], [dʒ]; z.-B. in horses/ horse’s). 20 Im Englischen sind die Regeln für NPs, die bereits auf -s enden, nicht ganz so transparent. Im Fall von NPs, die schon ein reguläres Plural-s enthalten, wird analog zum Deutschen das Genitiv-s elidiert und nur ein Apostroph angehängt (my sisters - my sisters’ house; dt. meine Schwestern - das Haus meiner Schwestern). Bei Eigennamen, <?page no="26"?> 26 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen (ii) Deutsch versus Englisch: Gemeinsamkeiten beim Plural Im Gegensatz zum Genitiv-s ist das Plural-s in beiden Sprachen ein Flexionssuffix. Als gebundenes Morphem wird es also an den Wortstamm angehängt und bildet mit ihm zusammen ein komplexes Wort. Insofern ist die Schreibung hier auch eindeutig: Substantive im Plural werden in beiden Sprachen ohne Apostroph geschrieben. (12) Plural-Beispiele: Englisch: shirts, *shirt’s Deutsch: Luftballons, *Luftballon’s (iii) Deutsch versus Englisch: Der Umgang mit dem Ypsilon Im Zusammenhang mit dem Plural sei noch auf eine weitere Besonderheit des Englischen (und einen weiteren Unterschied zum Deutschen) hingewiesen: Substantive, die im Englischen auf -y enden, werden im Plural mit -ie geschrieben, sofern dem -y kein Vokal vorausgeht oder es sich um einen Eigennamen handelt; siehe (13a). Die Auflösung von <y> zu <i(e)> tritt im Englischen auch in anderen Kontexten auf, beispielsweise im Umfeld von englischen Adjektiven, die oft auf -y enden; findet hier eine Steigerung auf -er bzw. -est statt, so wird das <y> typischerweise aufgelöst, ebenso bei der Bildung von Adverbien auf -ly; siehe (13b) und (13c). 21 die auf -s enden, gibt es verschiedene Varianten - hier ist es oft üblich, dennoch ’s anzuhängen (James’s horse; dt. James’ Pferd); insbesondere bei Eigennamen aus der Bibel oder Antike findet man dagegen häufig die elidierte Form ohne zweites -s (analog zum Deutschen); vgl. Jesus’ followers, Moses’ brother, Sokrates’ complaints (dt. Jesus’ Anhänger, Moses’ Bruder, Sokrates’ Klagen). 21 Der Grund hierfür ist phonologisch motiviert, denn Vokale in offenen Silben (also ohne Konsonanten am Ende der Silbe) werden typischerweise lang ausgesprochen, Vokale in geschlossenen Silben dagegen kurz. Die Schreibung <y> in einer geschlossenen Silbe (wie sie z.-B. durch Pluralbildung entsteht) würde also nahelegen, dass es sich um einen kurzen Vokal handelt. Die Schreibweise <ie> wird somit als Markierung benutzt, die anzeigt, dass der Vokal trotz nachfolgendem Konsonanten lang ausgesprochen wird (vgl. auch Einzelfälle mit eingeschobenem <e> nach <o> wie in hero - heroes; dt. Held - Helden). <?page no="27"?> 27 2.5 Exkurs: Basiswissen Morphologie (13) <y> → <i(e)> im Englischen: a. Pluralbildung: pony (dt. Pony) → ponies daisy (dt. Gänseblümchen) → daisies spy (dt. Spion) → spies ABER: boy (dt. Junge) → boys Germany (dt. Deutschland) → two Germanys b. Steigerung von Adjektiven: happy (dt. glücklich, fröhlich) → happier → happiest lucky (dt. glücklich, vom Glück begünstigt) → luckier → luckiest c. Bildung von Adverbien auf -ly: happy → happily; lucky → luckily Im Gegensatz hierzu gibt es diese Auflösung von <y> zu <i(e)> im Deutschen nicht, interessanterweise auch dann nicht, wenn das deutsche Wort ursprünglich aus dem Englischen übernommen wurde (wie z.- B. Pony oder Hobby); siehe (14). (14) Keine Auflösung von <y> im Deutschen: Pluralbildung: Pony → Ponys; Hobby → Hobbys 2.5 Exkurs: Basiswissen Morphologie Der vermutlich zentralste Begriff in der Morphologie (= ,Formenlehre‘) ist der des Morphems. Es wird klassischerweise als die kleinste bedeutungstragende sprachliche Einheit definiert. Morpheme sind somit die Bausteine, aus denen sich Wörter zusammensetzen lassen, der größten Einheit, mit der sich die Morphologie befasst. Das Wort teachers (dt. Lehrer (pl.)) besteht aus drei Morphemen: teach-er-s. Somit ist es ein komplexes Wort, wohingegen das Verb teach (dt. lehren) ein einfaches Wort ist, da es nur aus einem einzigen Morphem besteht. Die Bedeutung von teach ist offensichtlich (= entsprechende Tätigkeit); -er macht aus dem Verb eine Person, die diese Tätigkeit ausübt, und das Morphem -s fügt die <?page no="28"?> 28 2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen Pluralbedeutung hinzu. Den inhaltlich „relevantesten“ Part in teachers übernimmt somit das Morphem teach, was es zur Wurzel (engl. root) dieses Wortes macht. Jede Wurzel gehört einer der lexikalischen Kategorien N (noun/ Substantiv), V (verb/ Verb), A (adjective/ Adjektiv) oder P (preposition/ Präposition) an. Im Falle von teach handelt es sich um eine verbale Wurzel. Im Englischen sind die allermeisten Wurzeln freie Morpheme, d.-h. Morpheme, die alleinstehend bereits ein Wort ergeben (siehe teach); im Deutschen ist dies nicht unbedingt der Fall (siehe z.-B. Lehr-er; Wurzel: lehr-, eine sogenannte gebundene Wurzel (engl. bound root); selbst die Infinitivform benötigt im Deutschen noch ein weiteres Morphem, hier -en (ergibt lehren)). Im Gegensatz zu teach sind die englischen Morpheme -er und -s in teachers beides gebundene Morpheme; sie können nicht alleine stehen, sondern müssen generell an ein anderes Morphem angehängt werden. Beide Morpheme sind somit Affixe. Der Teil des Wortes, an den ein Affix angehängt wird, wird Basis (engl. base) genannt. Die Basis kann der Wurzel entsprechen, bei komplexeren Wörtern jedoch auch bereits aus mehreren Morphemen bestehen (siehe z.- B. teachers: teach = Basis für -er; teacher = Basis für -s). Je nachdem, ob ein Affix vor oder nach der Basis steht oder sogar in diese hineinverwoben ist, unterscheidet man zwischen Präfixen, Suffixen und Infixen. 22 Tatsächlich gibt es gleich zwei grundlegende morphologische Prozesse, die sich der Affigierung (= Wortbildung durch Anhängen von Affixen) bedienen: die Derivation und die Flexion. 23 Bei der Derivation wird durch das Anhängen des Affixes an die Basis ein komplett neues Wort gebildet, dessen syntaktische Kategorie sich oftmals von der der Wurzel unterscheidet (siehe z.- B. teacher = Substantiv; Wurzel teach = Verb; -er = derivationelles Suffix). Bei der Flexion dagegen ändert sich die Kategorie nach der Affigierung nie. Flexionsaffixe haben typischerweise eine „grammatische“ Bedeutung - sie zeigen Kategorien wie Kasus, Tempus, Person, Numerus etc. an und passen den Stamm (wie die Wurzel bei der Flexion heißt; 22 Infixe sind nicht so häufig wie Prä- oder Suffixe. Im Deutschen oder Englischen kommen keine Infixe vor, z.-B. aber in Tagalog (einer auf den Philippinen gesprochenen Sprache), wo beispielsweise das Verb takbuh (dt. rennen) durch das Infix -um- (= Präteritum) zur Vergangenheitsform t-um-akbuh (dt. rannte) wird (siehe O’Grady et al. 1996: 139). 23 Neben Flexion und Derivation gehört die Komposition (engl. compounding) (= Bildung von Komposita wie z.-B. Apfelbaum (aus Apfel und Baum)) zu den drei wichtigsten Wortbildungsprozessen; hierauf wollen wir aus Platzgründen jedoch nicht weiter eingehen. <?page no="29"?> 29 2.6 Übungsaufgabe engl. stem) 24 somit dem grammatischen Kontext an: siehe z.-B. teacher vs. teachers; das Plural-s ist ein typisches Flexionssuffix, der Übergang von Singular zu Plural ändert die syntaktische Kategorie (hier Substantiv) nicht. Typischerweise findet Flexion als letzter Prozess bei der Bildung komplexer Wörter statt, weshalb auch bei teachers zuerst das derivationelle Suffix -er und dann erst das Flexionssuffix -s angehängt wird. Auf einen Blick gut sichtbar wird die zugrunde liegende Wortstruktur mit Hilfe von morphologischen Baumstrukturen wie in (15). (15) 2.6 Übungsaufgabe Schreiben Sie in die Lücken die Wörter in Klammern in der richtigen Form (endend auf ’s oder s’ oder s); teilweise gibt es mehrere Möglichkeiten (siehe Fußnote 20). This is the (Appleby) ___________________ house. The (Appleby) ______________, that’s mother Sue, father James, the twins Christine and Luke, and a dog. Sherlock is (Luke) ___________________ dog. The (Adam) ____________ are their neighbours. Tina Adam is (Chris) ________________ friend. Mr Adam is (Chris and Luke) ______________________ geography teacher. (Today) _______________ topic in class was (the President of Uruguay) ____________________________________ last speech. Tina, Chris and Luke often make music together. (The three kids) _______________________ _________ new rap is funny. 24 Wir folgen hier der Terminologie von O’Grady et al. (1996) u.-a., was die Unterscheidung von Stamm und Wurzel sowie den Begriff der Basis angeht; der Begriff der Basis wird nicht in allen morphologischen Lehrwerken gleichermaßen eingeführt, ebenso wird nicht überall dieselbe Unterscheidung zwischen Stamm und Wurzel getroffen. <?page no="31"?> 31 2.6 Übungsaufgabe 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? 3.1 Der Dativ in der Schule und in aller Munde Es gibt Dinge, an die erinnert man sich noch nach vielen Jahren, auch wenn sie nüchtern betrachtet nicht wichtig sind und auch keine lebensnotwendigen Einsichten enthalten. Bei mir liegt so eine Erinnerung 40 Jahre zurück in meiner Schulzeit und meinem Grammatikunterricht. Mein Deutschlehrer, an den ich viele gute Erinnerungen habe, nannte den Dativ als Eselsbrücke den „Mativ“, weil man nach ihm mit „wem“ fragt. So albern diese Eselsbrücke auch sein mag, anscheinend hat sie funktioniert. Das „M“ aus der Frage taucht in der Deklination der maskulinen und neutralen Singularform des bestimmten Artikels erneut auf (dem Mann(e), dem Kind(e)), was bei keinem anderen Kasus der Fall ist und somit einen weiteren Grund für die „Mativ“-Bezeichnung liefert. Genauso in Erinnerung wird manch einem noch die Werbekampagne mit Verona Feldbusch sein, die um die Jahrtausendwende für einen telefonischen Auskunftsdienst warb. Verona Feldbusch, heute Verona Pooth, machte es in diesen Spots zu einem Geschäftsmodell, den vermeintlichen Mangel an Intelligenz auf lustige Weise ins Rampenlicht zu rücken. Sie trat unbeholfen auf und wurde bei Missgeschicken gezeigt, für die sie dann über den Auskunftsdienst Hilfe herbeirief. Die Spots endeten mit dem sprachlichen Ausrutscher: „Hier werden Sie geholfen.“ Die Leute fanden die Werbung sympathisch und lustig, wohl wissend, dass Verona Pooth durchaus mit dem Klischee des „Dummchens“ spielte und kokettierte. Die Werbekampagne war jedenfalls so erfolgreich, dass dieser Satz mit dem falsch verwendeten Kasus bzw. fehlenden Dativ damals zum geflügelten Wort wurde. Das ging soweit, dass selbst ein fremdsprachiger Linguistik-Artikel damals darauf Bezug nahm und den Niedergang des Dativs im Deutschen mit dem Satz „Hier werden Sie geholfen“ belegen wollte. Allerdings haben Werbekampagnen nur eine begrenzte Halbwertszeit und dieser Spruch findet sich daher heute nicht mehr im Repertoire des deutschen Muttersprachlers; der Dativ hat diesen „Angriff “ also sehr wohl überlebt. Wie ist es nun aber mit den Kasus in anderen (Schul-)Sprachen? Verhalten diese sich analog zum Deutschen? Tatsächlich entspricht ein Kasus in der einen <?page no="32"?> 32 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Sprache nicht automatisch demselben Kasus in einer anderen Sprache. Da Lernende einer Fremdsprache jedoch oft ihre Muttersprache als Bezugspunkt nutzen, ist es für Lehrende besonders wichtig, auf mögliche Diskrepanzen aufmerksam zu machen und diese im Blick zu haben. Auf Stolperfallen dieser Art in Bezug auf unterschiedliche Kasusverwendungen und unterschiedliche Strategien in verschiedenen Sprachen wollen wir deshalb hier genauer eingehen. Wie sieht es nun konkret mit dem Dativ aus - kommt dieser im Englischunterricht überhaupt vor? Zunächst fällt auf, dass das „M“ auch im Englischen auftaucht, nämlich in der veralteten Frageform whom wie z.- B. in Whom did he give the present? , Whom did you meet? (dt. Wem gab er das Geschenk? , Wen hast du getroffen? ). Wie die Übersetzungen der beiden Beispiele zeigen, kann whom jedoch sowohl für die deutsche Dativform wem als auch für die Akkusativform wen stehen. Die Form whom an sich wird nicht mehr sonderlich häufig verwendet und findet sich daher in Englischbüchern nur noch selten oder gar nicht. Stattdessen werden in Klasse 5 die „Objektformen der Personalpronomen“ eingeführt, ohne dabei zwischen Dativ und Akkusativ zu unterscheiden. Dazu heißt es dann im Grammatikteil eines gängigen Englisch-Schulbuches: Die Objektformen benötigst du, wenn das Pronomen Objekt (Wem? / Wen oder was? ) des Satzes ist. Personalpronomen gibt es als Subjekt des Satzes (I love rabbits.) oder als Objekt des Satzes (Rabbits love me.). […] Im Gegensatz zum Deutschen gibt es im Englischen nur eine Objektform des Personalpronomens. (Weisshaar 2014: 173 f.) Die Schüler: innen bekommen also die Information, dass im Englischen nicht zwischen Dativ und Akkusativ unterschieden wird. Das Spannende daran: Im Englischen gibt es tatsächlich keinen Dativ mehr. „Wie das? “, werden Sie fragen, denn auch wenn die Dativform morphologisch nicht mehr markiert ist, so gibt es ja eindeutig Sätze mit zwei Objekten, von denen in der deutschen Übersetzung eines im Dativ steht. Wie kommt man also zu der Annahme, dass es sich bei dieser Objektform im Englischen nicht um einen Dativ handelt? Dies soll im folgenden Kapitel genauer besprochen werden, damit Sie bei Diskussionen im Lehrerzimmer oder im Unterrichtsraum ab jetzt stolz und mit bestem Wissen und Gewissen ausrufen können: „Im Englischen gibt es keinen Dativ mehr! “ Wann Sie diesen Ausruf tätigen, sollte allerdings wohl überlegt sein; in den meisten Gesprächskontexten ist er vermutlich doch eher unangebracht. <?page no="33"?> 33 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen 3.2.1 Einblicke ins Altenglische, Französische und Deutsche Ein Blick zurück in der Geschichte des Englischen zeigt zunächst ganz eindeutig, dass der Dativ im Altenglischen durchaus vorhanden war. Wie wir bereits in Kapitel 2.3.1 gesehen haben, waren die Kasus zu dieser Zeit im Englischen noch morphologisch markiert, d.-h., Informationen zu Numerus, Genus und eben auch Kasus steckten im Altenglischen sichtbar in den Flexionsendungen. Dies galt nicht nur für Substantive, sondern gleichermaßen für Pronomen, Determinierer und Adjektive, d.-h. für alle möglichen Kategorien, die der nominalen Flexion unterliegen. Tabelle 1 aus Kapitel 2.3.1 zeigt deutlich: Die Dativformen tragen nicht nur allesamt spezielle Flexionsendungen, sie sind zudem in fast allen Nominalklassen eindeutig von den anderen Kasus unterscheidbar; liegt z.-B. eine -um- oder -e-Endung vor, so kann eindeutig daraus geschlossen werden, dass es sich um einen Dativ handelt. (1) a. Typischer Dativgebrauch im Altenglischen: 25 Wē foddor ūrum horsum habbað. Altenglisch b. Englische Glossierung und Übersetzung: we fodder our.dat horses.dat have ‚We have fodder for our horses.‘ Modernes Englisch (siehe Marckwardt und Rosier 1972: 23) c. Deutsche Glossierung und Übersetzung: wir Futter unseren.dat Pferden.dat haben ‚Wir haben Futter für unsere Pferde.‘ Deutsch Interessanterweise deutet die englische Übersetzung von Beispiel (1a) (siehe (1b)) bereits darauf hin, dass sich der Gebrauch des Dativs seit dem Altengli- 25 Wir folgen in unseren nicht-deutschen Beispielsätzen in der Regel den üblichen Gepflogenheiten, denen zufolge in Zeile 2 zunächst die Glossierung (= wortwörtliche Übersetzung) folgt und in Zeile 3 die Übersetzung ins Deutsche. Dieses altenglische Beispiel wurde zudem ins heutige Englisch übersetzt bzw. eine entsprechende Glossierung hinzugefügt (siehe (1b)). <?page no="34"?> 34 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? schen verändert hat; an die Stelle des ursprünglichen Dativobjekts ūrum horsum im Altenglischen tritt heutzutage die Präpositionalphrase for our horses. In der Tat ist der Gebrauch von Präpositionalphrasen eine gängige Variante in Sprachen ohne Dativ, um beispielsweise indirekte Objekte wie in (1) darzustellen. 26 Diese Strategie wird z.-B. auch im Französischen angewandt; so lernen Schüler: innen typischerweise im Französischunterricht, direkte von indirekten Objekten zu unterscheiden, indem geprüft wird, ob das Objekt direkt dem Verb nachgestellt wird (= direktes Objekt) oder ob es mit der Präposition à (dt. an, zu) angeschlossen wird. Es geht hier um den Fall von nicht-pronominalisierten Objekten; im Falle der Pronominalisierung werden im Französischen Objektklitika verwendet, die in der Regel dem finiten Verb vorangestellt werden. Um die korrekte Form dieser Klitika zu bestimmen, ist wiederum die Unterscheidung von direktem vs. indirektem Objekt relevant, da die Formen nicht identisch sind (direkte Objektpronomina: le (mask. sg.)/ la (fem. sg.)/ les (pl.); indirekte Objektpronomina (unabhängig vom Genus): lui (sg.)/ leur (pl.)); siehe (i) zur Veranschaulichung. (i) Französisch (Objektklitika in Fettdruck markiert): a. mit direktem Objekt: Je vois le garçon. / Je le vois. ich sehe den Jungen / ich ihn sehe. ‚Ich sehe den Jungen.‘/ ‚Ich sehe ihn.‘ b. mit indirektem Objekt: Je faisais confiance à Pierre. / Je lui faisais confiance. ich machte Vertrauen zu Pierre / ich ihm machte Vertrauen. ‚Ich habe Pierre vertraut.‘ / ‚Ich habe ihm vertraut.‘ Als weitere Daumenregel, um herauszufinden, was für ein Kasus in fremdsprachlichen Beispielen auftritt, wenden deutsche Muttersprachler oft die Strategie an, den Kasus auch in anderen Sprachen analog zum Deutschen zu erfragen (und somit typische damit korrelierende Funktionen zu identifizieren). 27 In (2) sind die Fragewörter, die entsprechend erfragten Kasus sowie die üblicherweise korrelierenden grammatischen Funktionen kursiv markiert. 26 Wobei dies nicht bedeutet, dass es nicht auch in Sprachen wie dem Deutschen Präpositionalobjekte gibt, z.-B. in Sätzen wie: Die Lehrerin erinnerte die Schüler [ PP an die Klausur]. 27 Den Schüler: innen ist dies aus dem Deutschunterricht wohlbekannt; siehe z.-B. Fischer (2016). <?page no="35"?> 35 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen (2) Wir gaben Sandras Pferden Futter. a. Wer oder was gab Sandras Pferden Futter? - Wir → [ NP Wir] = NP im Nominativ → grammatische Funktion: Subjekt b. Wen oder was gaben wir Sandras Pferden? - Futter → [ NP Futter] = NP im Akkusativ → grammatische Funktion: direktes Objekt c. Wem gaben wir Futter? - Sandras Pferden → [ NP Sandras Pferden] = NP im Dativ → grammatische Funktion: indirektes Objekt d. Wessen Pferden gaben wir Futter? - Sandras → [ NP Sandras] = NP im Genitiv → besitzanzeigender Gebrauch des Genitivs innerhalb des indirekten Objekts Wie es Daumenregeln so an sich haben, ist diese Strategie in den meisten Fällen durchaus praktikabel und zeigt zum Beispiel dem fleißigen Französischschüler relativ zuverlässig an, ob er es mit einem direkten oder indirekten Objekt zu tun hat, wenn er für sich die Gleichung aufstellt Dativ im Deutschen = indirektes Objekt, auch im Französischen (siehe z.-B. (3)). (3) a. donner qc. (= direktes Objekt) à qn. (= indirektes Objekt) 28 → ENTSPRICHT: jdm. (= Dativ) etw. (= Akkusativ) geben b. J’ ai donné le manteau à la vendeuse. ich habe gegeben den Mantel an die Verkäuferin ‚Ich habe der Verkäuferin den Mantel gegeben.‘ c. direktes Objekt: le manteau; den Mantel (= im Deutschen akkusativmarkiert) indirektes Objekt: à la vendeuse; der Verkäuferin (= im Deutschen dativmarkiert) 28 Die Abkürzung qc. steht im Französischen für quelque chose = dt. etwas (abgekürzt etw.); die Abkürzung qn. steht für quelqu’un = dt. jemand; im Deutschen wird die Akkusativform jemanden üblicherweise mit jdn., die Dativform jemandem (= frz. à qn.) mit jdm. abgekürzt. <?page no="36"?> 36 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Allerdings birgt so eine Vorgehensweise eben auch gewisse Risiken, denn auch wenn sich viele Verben in unterschiedlichen Sprachen ähnlich verhalten, ist dies nicht immer zwingend der Fall; zwei dieser Beispiele, wo sich z.- B. das Französische vom Deutschen unterscheidet, sind in (4)/ (5) und (6)/ (7) aufgeführt. Die Daten in (4) und (5) zeigen zunächst, dass das Verb helfen (frz. aider) im Deutschen ein dativmarkiertes Objekt selegiert (also mit indirektem Objekt auftritt), wohingegen man im Französischen ein direktes Objekt vorfindet. 29 Letzteres wird in (5b) nochmals verdeutlicht, wo die Verwendung der französischen Objektklitika zeigt, dass die Form des direkten Objektpronomens (= le bzw. l’ vor Vokal) gewählt werden muss und die indirekte Objektform (= lui) ungrammatisch ist. (4) Deutsch: jdm. (= Dativ) helfen a. Marie hat (dem) Pierre geholfen. b. Marie hat ihm geholfen. (5) Französisch: aider qn. (= direktes Objekt) (falsch: aider à qn.) 30 a. Marie a aidé Pierre. Marie hat geholfen Pierre. ‚Marie hat (dem) Pierre geholfen.‘ b. Marie l’ a aidé. / *Marie lui a aidé. Marie ihn hat geholfen / Marie ihm hat geholfen ‚Marie hat ihm geholfen.‘ In Beispiel (6)/ (7) tritt der umgekehrte Fall auf; jdn. fragen selegiert ein Akkusativobjekt, wohingegen das Pendant demander im Französischen ein indirektes Objekt verlangt. (6) Deutsch: jdn. (= Akkusativ) fragen a. Marie fragt (den) Pierre, ob es ihm gut geht. b. Marie fragt ihn, ob es ihm gut geht. 29 Um den Kasus im Deutschen zu verdeutlichen, wurden in (4a) bzw. in den Übersetzungen von (5a)/ (7a) bestimmte Determinierer eingefügt (dem = Dativ; den = Akkusativ). 30 Dass aider (dt. helfen) im Französischen ein direktes Objekt verlangt, hat, nebenbei bemerkt, zur Folge, dass der Spruch „Hier werden Sie geholfen“ im Französischen durchaus grammatisch wäre (Ici, vous êtes aidés). <?page no="37"?> 37 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen (7) Französisch: demander à qn. (= indirektes Objekt) (falsch: demander qn.) a. Marie demande à Pierre s’il va bien. Marie fragt an Pierre ob es geht gut. ‚Marie fragt (den) Pierre, ob es ihm gut geht.‘ b. Marie lui/ *le demande s’il va bien. Marie ihm/ ihn fragt ob es geht gut ‚Marie fragt ihn, ob es ihm gut geht.‘ Beim Erlernen einer Fremdsprache ist es in Fällen wie diesen also wenig hilfreich, den Vergleich zur Muttersprache zu ziehen, und es bleibt den Schüler: innen daher nichts anderes übrig, als sich den geforderten Kasus mit dem Verb zusammen beim Vokabellernen gleich miteinzuprägen. Insofern ist es besonders wichtig, von vornherein bereits ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es entsprechende Kasusunterschiede zwischen den Sprachen durchaus geben kann und die Daumenregel, die auf die Analogie zur Muttersprache setzt, eben nicht immer greift. 3.2.2 Zur Morphologie im heutigen Englisch Nach diesem kurzen Ausflug ins Französische, Deutsche und Altenglische stellt sich nun also die Frage, wie es im Vergleich hierzu im heutigen Englisch aussieht (und ob unsere Daumenregel hier weiterhilft). Ein erster Blick auf die Morphologie ist hier nicht sonderlich erhellend; wie wir bereits aus Kapitel 2 wissen, fiel die morphologische Flexion im Mittelenglischen so gut wie vollständig weg. Substantive im heutigen Englisch treten also in sämtlichen Umgebungen immer in derselben Form auf (mit Ausnahme des uns wohlbekannten Saxon Genitive, endend auf ’s, siehe Kapitel 2). Bei Adjektiven und Determinierern ist es nicht anders, auch hier gibt es (im Gegensatz zum Altenglischen) nur noch eine, morphologisch unveränderliche Form. Die einzige Gruppe von Wörtern, die noch eine kleine Ausnahme bildet, sind die Pronomen. Insofern lohnt es sich, einen kurzen Blick auf diese Wortgruppe zu werfen und erneut das Altenglische mit dem Modernen Englisch zu vergleichen (wir beschränken uns dabei auf die 3. Person). <?page no="38"?> 38 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Singular Maskulinum Femininum Neutrum NOM hē hēo hit GEN his hi(e)re his DAT him hi(e)re him AKK hine hī(e) hit Plural eine Form für alle Genera (= Synkretismus) NOM hī(e) GEN hi(e)ra, heora DAT him AKK hī(e) Tabelle 2: Personalpronomen im Altenglischen, 3. Person Definition Synkretismus „[F]ormaler Zusammenfall verschiedener, urspr[ünglich] getrennter gramm[atischer] Funktionen, besonders deutlich im Kasussystem verschiedener Sprachen zu beobachten“ (siehe Bußmann 1990: 763). So fällt beispielsweise in unserer Deklinationstabelle für altenglische Substantive (siehe Tabelle 1) auf, dass die Form sunnan fünfmal auftritt, d. h. für fünf verschiedene Merkmalskombinationen benutzt wird (nämlich für sg. gen. / sg. akk. / sg. dat. / pl. nom. / pl. akk) - es handelt sich also um einen Synkretismus, da für fünf verschiedene Funktionen ein und dieselbe morphologische Form verwendet wird, man also an der Form allein nicht eindeutig die Funktion ablesen kann. Vergleicht man die Situation im Altenglischen nun mit der im heutigen Englisch (siehe Tabelle 3), lässt sich feststellen, dass das Paradigma zwar ein bisschen übersichtlicher geworden ist; im Vergleich zu den anderen nominalen Wortarten gibt es hier aber immer noch deutlich sichtbare Unterscheidungen je nach Kasus. Um in Bezug auf die Dativfrage zunächst neutral zu bleiben, ist in dieser <?page no="39"?> 39 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen Tabelle vorläufig nur - etwas deskriptiv - von der „Objektform“ die Rede und nicht vom Dativ bzw. Akkusativ. Fakt ist jedenfalls, dass es im heutigen Englisch nur eine pronominale Objektform pro Genus im Singular gibt (him/ her/ it) plus eine genus-unabhängige im Plural (them), so wie es auch der oben erwähnte Schulbucheintrag beschreibt. Singular Maskulinum Femininum Neutrum NOM he she it GEN his her its „Objektform“ him her it Plural eine Form für alle Genera (= Synkretismus) NOM they GEN their „Objektform“ them Tabelle 3: Personalpronomen im heutigen Englisch, 3. Person Die nahe liegende Frage, die sich nun stellt, ist die: Ist der Dativ aus dem Englischen tatsächlich ganz verschwunden (und mit ganz ist hier nicht nur eine spezielle morphologische Markierung gemeint! ) - oder liegt hier lediglich ein Synkretismus vor und der Dativ ist rein formal einfach mit der entsprechenden Akkusativform zusammengefallen. Sprich, spiegelt Tabelle 4.1 oder 4.2 die Realität im Modernen Englisch korrekt wider (da diese Tabellen nur der Illustration dienen sollen, beschränken sie sich auf den Singular). <?page no="40"?> 40 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Singular Maskulinum Femininum Neutrum NOM he she it GEN his her its AKK him her it DAT him her it Tabelle 4.1: Hypothese 1: Synkretische Formen für Akkusativ und Dativ Singular Maskulinum Femininum Neutrum NOM he she it GEN his her its AKK him her it Tabelle 4.2: Hypothese 2: Kompletter Verlust des Dativs im Modernen Englisch, d. h., Beschränkung der Sprache auf drei Kasus Um nochmals zu verdeutlichen, dass sich diese beiden Hypothesen tatsächlich voneinander unterscheiden und die bloße Existenz von Synkretismen nicht automatisch dem Wegfall eines kompletten Kasus gleichkommen muss, wollen wir kurz zu den Substantiven zurückkehren und noch ein wenig tiefer in die Kasustheorie eintauchen. Denn eine Frage, die sich möglicherweise stellen mag, ist doch die: Wenn englische Substantive beispielsweise im Nominativ und Akkusativ keine morphologische Flexion mehr aufweisen, gibt es die Unterscheidung dieser Kasus im Englischen dann möglicherweise gar nicht mehr? Die englischen Sätze in (8) illustrieren zunächst, dass Peter und Mary in beiden Sätzen in der gleichen Form auftreten, unabhängig davon, ob sie als Subjekt oder als direktes Objekt benutzt werden, also in den Funktionen vorkommen, die typischerweise mit dem Nominativ bzw. Akkusativ assoziiert <?page no="41"?> 41 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen sind. 31 (Wie die deutschen Übersetzungen zeigen, gilt im Übrigen dasselbe fürs Deutsche.) (8) a. Peter saw Mary. Subjekt = Peter; direktes Objekt = Mary ‚Peter sah Mary.‘ b. Mary saw Peter. Subjekt = Mary; direktes Objekt = Peter ‚Mary sah Peter.‘ Werden die Substantive dagegen pronominalisiert (siehe (9)), wird der Gebrauch unterschiedlicher Kasus sofort offensichtlich, denn hier werden nach wie vor unterschiedliche morphologische Formen verwendet. (9) a. He saw her. → he = NOM; her = AKK ‚Er sah sie.‘ b. She saw him. → she = NOM; him = AKK ‚Sie sah ihn.‘ In Analogie zu (9) können wir also durchaus schlussfolgern, dass Peter und Mary in (8) zwar keine morphologische Kasusmarkierung aufweisen, deshalb aber dennoch alles andere als kasuslos sind. (10) illustriert nochmals im Detail, welchem Kasus Peter und Mary in unseren beiden Ausgangssätzen, in Analogie zu (9), zuzuordnen sind. (Der hinzugefügte bestimmte Determinierer in den deutschen Übersetzungen unterstreicht dies zusätzlich.) (10) a. Peter saw Mary. → Peter = NOM; Mary = AKK ‚(Der) Peter sah (die) Mary.‘ b. Mary saw Peter. → Mary = NOM; Peter = AKK ‚(Die) Mary sah (den) Peter.‘ In der Kasustheorie der Generativen Grammatik hat diese Überlegung zu der grundlegenden Unterscheidung zwischen morphologischem und abstrakten Kasus geführt. 31 Entspricht die Glossierung bereits komplett der Übersetzung (wie hier in (8)-(10)), lassen wir erstere weg. <?page no="42"?> 42 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Die Generative Grammatik, ein „Zweig der mathematischen Linguistik“ (Lewandowsky 5 1990: 342), ist ein Grammatikmodell, das insbesondere auf den amerikanischen Linguisten Noam Chomsky zurückgeht und seine Anfänge in der Syntaxtheorie der 1950er/ 1960er Jahre hat (siehe Chomsky 1957, 1965). Ein Grundgedanke der Generativen Grammatik ist dabei, dass der nicht-finiten Menge wohlgeformter Sätze, die ein Muttersprachler aufgrund seiner sprachlichen Kompetenz bilden und verstehen kann, ein finites Regelsystem zugrunde liegen muss, das durch rekursive Anwendung beliebig viele grammatische Sätze generieren kann. Auf die Anfänge der Generativen Syntax in den 1950ern/ 1960ern folgte in den 1980er Jahren das erfolgreiche Modell der Rektions- und Bindungstheorie (engl. Government & Binding (GB) Theory, siehe Chomsky 1981, 1986a), das, basierend auf der sogenannten Prinzipien- und Parametertheorie (engl. Principles & Parameters (P&P) Theory), zudem eine adäquate Antwort auf grundlegende Fragen zum Spracherwerb fand und somit als erste Grammatiktheorie sogenannte explanative Adäquatheit erlangte (siehe auch Grewendorf 2002: 13). Dies bedeutet, dass das Modell die grammatischen Regeln, die der sprachlichen Kompetenz zugrunde liegen, nicht nur formulieren kann, sondern auch eine Antwort darauf hat, wie ein Kind diese erwirbt (diese Frage wird in Chomsky 1986b auch Plato’s Problem genannt). Die P&P-Theorie geht davon aus, dass es zum einen universal gültige Prinzipien gibt, die zur angeborenen Sprachfähigkeit des Menschen gehören; darüber hinaus gibt es diverse binäre Parameter, mit Hilfe derer Unterschiede zwischen den Sprachen erfasst werden können und die durch den sprachlichen Input, dem ein Kind ausgesetzt ist, festgelegt werden. Man kann sich Parameter also wie Schalter vorstellen, mit denen wir zwar geboren werden, von denen wir aber erst im Laufe des Spracherwerbs wissen, ob sie in unserer Sprache „an“ oder „aus“ sind. Definition morphologischer Kasus Die Bezeichnung morphologischer Kasus bezieht sich auf die morphologische Markierung von Kasus, z. B. in Form von Flexionsendungen wie im Altenglischen oder Lateinischen (wie z. B. in Tabelle 1). Sprachen können sich also dahingehend voneinander unterscheiden, ob sie morphologischen Kasus aufweisen oder nicht; so sind z. B. im Modernen Englisch nur noch Pronomen morphologisch kasusmarkiert (siehe Tabelle 3). Es gibt sogar Sprachen, die überhaupt keine morphologische Kasusmarkierung kennen (wie z. B. das Chinesische oder Vietnamesische). <?page no="43"?> 43 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen Definition abstrakter Kasus Im Gegensatz zum morphologischen Kasus, der konkret an der Nominalphrase „ablesbar“ ist, ist der abstrakte Kasus ein theoretisches Konstrukt; hierbei wird davon ausgegangen, dass alle overten (also phonologisch realisierten) NPs entsprechend ihrer strukturellen Position bzw. grammatischen Funktion kasusmarkiert sind, 32 auch wenn dies nicht unbedingt morphologisch sichtbar ist. 33 Dies bedeutet, dass z. B. auch alle nicht-pronominalisierten englischen NPs (abstrakten) Kasus tragen, auch wenn die morphologischen Flexionsendungen hier im Laufe der Jahrhunderte weggefallen sind und somit kein morphologischer Kasus mehr vorhanden ist (wie in Beispiel (10)). Zusammenfassend können wir nun also festhalten: Auch wenn bei den nichtpronominalisierten Nominalphrasen im Englischen keine Kasusendungen mehr sichtbar sind, wird davon ausgegangen, dass sie (abstrakten) Kasus tragen. Gilt dies also eventuell auch für den Dativ im Pronominalsystem? D.h., ist der Dativ an sich schon noch vorhanden, lediglich nicht mehr als morphologisch unterscheidbarer Kasus? Die alles entscheidende Frage scheint zu sein: Wie können wir letztlich unterscheiden, ob ein Kasus gänzlich verschwunden ist oder ob er nur morphologisch nicht mehr (eindeutig) realisiert wird? 3.2.3 Verschwunden oder unsichtbar? Natürlich sind diese beiden Varianten nicht vollkommen unabhängig voneinander; bevor ein Kasus ganz aus einem Sprachsystem verschwindet, fällt er oftmals zunächst morphologisch mit einem anderen Kasus zusammen, d.- h., synkretische Formen sind oft ein Vorläufer des kompletten Wegfalls. 34 Eine Strategie, die bei dieser Unterscheidung zunächst hilft, haben wir im vorherigen Abschnitt bereits kennengelernt; hierbei wird darauf geschaut, ob es andere Kontexte gibt, in denen der entsprechende Kasus noch eindeutig identifiziert werden kann. Ist dies der Fall, kann man schlussfolgern, dass der Kasus durchaus 32 Auch wenn grammatische Funktionen üblicherweise mit einem typischen Kasus korrelieren (z.-B. Subjekte mit dem Nominativ), ist dies nicht in allen syntaktischen Kontexten der Fall; siehe auch Übungsaufgabe 2 (inkl. Bsp. (23), (24)) und Übungsaufgabe 3. 33 Das Prinzip, demzufolge overte NPs bzw. DPs kasusmarkiert sein müssen, ist als Kasusfilter (engl. Case Filter) in die Literatur eingegangen (siehe Chomsky 1981). 34 Ähnlich erging es z.-B. auch dem Instrumentalis im Altenglischen, der zu jener Zeit bereits fast überall mit dem Dativ zusammengefallen war (siehe auch Fußnote 8 in Kapitel 2.3.1). <?page no="44"?> 44 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? noch im Sprachsystem vorhanden ist, sowie wir es z.-B. in den Sätzen in (10) in Analogie zu (9) gemacht haben. Entsprechend sind wir zu dem Schluss gekommen, dass sowohl Nominativ als auch Akkusativ nicht nur im Pronominalsystem des Englischen durchaus existent sind, sondern dass dies demzufolge für alle Nominalphrasen gilt. Beim Dativ ist der Fall jedoch ein klein wenig anders gelagert; dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Dativ eine andere Art von Kasus ist: Während der Nominativ und üblicherweise auch der Akkusativ sogenannte strukturelle Kasus sind, ist der Dativ ein typischer lexikalischer (oder inhärenter) Kasus. Dieser Unterschied lässt sich am besten anhand der Beispiele in (11) veranschaulichen. (11) a. [Marias] GEN Pferd/ Haus/ Fahrrad/ Schwester … b. Dieter ist [seiner Arbeit] GEN überdrüssig. c. [Die Kinder] NOM sehen/ treffen/ siezen/ ärgern … [den Lehrer] AKK. Wenn man sich die besitzanzeigende NP Marias in (11a) anschaut, dann fällt auf, dass der hier verwendete Genitiv keineswegs vom nachfolgenden Substantiv abhängt - egal, was Maria besitzt, wir verwenden den Genitiv. Dies liegt daran, dass der Genitiv hier ein struktureller Kasus ist; er hängt ganz einfach von der syntaktischen Position ab, in der die NP auftritt. Dies ist in (11b) anders; hier ist es ganz konkret das Adjektiv überdrüssig, das die Verwendung des Genitivs auslöst - es handelt sich deshalb um einen lexikalischen Genitiv. Dies bedeutet, dass er nicht von der Position im Satz abhängt, sondern konkret vom Prädikat zugewiesen wird, von dem die entsprechende NP abhängt (hier überdrüssig). Im Gegensatz zum Genitiv, der also sowohl strukturell als auch lexikalisch auftreten kann, ist der Nominativ ein struktureller Kasus, der im Wesentlichen an die Subjektposition in finiten Sätzen gebunden ist (siehe (11c)); ebenso tritt der Akkusativ in den allermeisten Fällen als struktureller Kasus auf. Deshalb gibt es in (11c) auch unzählige Möglichkeiten, transitive Verben zu finden, die hier mit dem nominativmarkierten Subjekt bzw. akkusativmarkierten Objekt auftreten können. Definition struktureller Kasus Von strukturellem Kasus ist die Rede, wenn die Kasuszuweisung an eine bestimmte strukturelle Position gebunden ist. Grob gesagt ist der Nominativ beispielsweise an die Subjektposition eines finiten Verbs gebunden; der Akkusativ kommt typischerweise an Nominalphrasen vor, die als direkte Objekte der meisten transitiven Verben oder entsprechender Präpositionen fungieren. <?page no="45"?> 45 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen Im Gegensatz hierzu ist der Dativ (wie der Genitiv in (11b)) ein lexikalischer Kasus, wie wir weiter unten noch genauer sehen werden (siehe (14)). Definition lexikalischer oder inhärenter Kasus Im Gegensatz zum strukturellen Kasus wird dieser Kasus nicht allein aufgrund einer bestimmten Position im Satz ausgewählt. Lexikalisch-kasusmarkierte Nominalphrasen hängen stattdessen von Prädikaten ab, deren idiosynkratische Eigenschaft es ist, diesen Kasus zuzuweisen. Prädikate, die diese Eigenschaft haben, sind entsprechend im mentalen Lexikon markiert (daher auch der Name lexikalischer Kasus). Man kann sich die Lexikoneinträge also wie folgt vorstellen: Bei Verben wie sehen/ treffen/ siezen/ ärgern ist hier u.- a. verankert, dass es sich um transitive Verben handelt, die zwei NPs als Argumente brauchen (= selegieren). Über die Kasus dieser NPs muss dagegen nichts explizit gesagt werden - sie ergeben sich allein aus der strukturellen Position im syntaktischen Kontext (= Nominativ für das Subjekt bzw. Akkusativ für das direkte Objekt in Sätzen wie (11c)). Bei Verben wie helfen hingegen finden wir einen relevanten Unterschied: Hier wird bereits im Lexikoneintrag konkret spezifiziert, dass das interne Argument (= Objekt) vom Prädikat den Dativ als Kasus zugewiesen bekommt. Bildlich kann dieser Unterschied im Lexikon demnach wie folgt dargestellt werden: (12) Entsprechender Auszug der Lexikoneinträge von ‚sehen‘ und ‚helfen‘: sehen: NP NP helfen: NP NP DAT Definition Argument (vs. Adjunkt) Phrasen, die obligatorisch zusammen mit einem Prädikat auftreten (also von diesem selegiert werden), werden Argumente genannt. Der Begriff externes Argument bezieht sich dabei auf das Subjekt; Objekte gelten als interne Argumente. Verben treten generell mit einem, zwei oder drei Argumenten auf und werden entsprechend als intransitive, transitive oder ditransitive Verben klassifiziert. 35 Weitere Phrasen, die optional mit einem Prädikat zusammen auftreten können, sind Adjunkte (im Gegensatz zu Argumenten). 35 Die Beschränkung auf maximal drei verbale Argumente gilt interessanterweise für alle Sprachen gleichermaßen, ist also universal; siehe Hale und Keyser (1993), Harley (2011). <?page no="46"?> 46 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Adjunkte liefern oft zusätzliche Informationen zur Handlung, z. B. zu Ort und Zeit. Das folgende Beispiel soll die erwähnten Begrifflichkeiten nochmals veranschaulichen: (ii) Oma trifft die Enkel in der Stadt. treffen = transitives Verb; Prädikat des Satzes Oma = externes Argument von treffen (= Subjekt) die Enkel = internes Argument von treffen (= Objekt) in der Stadt = Adjunkt (optional, denn Oma trifft die Enkel ist bereits grammatisch) Der formale Unterschied zwischen strukturellem und lexikalischem Kasus eröffnet eine weitere interessante Testmöglichkeit in unserer Untersuchung zum Dativ; denn für strukturelle Kasus gilt aufgrund der Definition: Ändert sich die syntaktische Position einer mit strukturellem Kasus markierten NP, so folgt daraus, dass sich auch der Kasus ändert - er ist schließlich positionsabhängig. Beim positionsunabhängigen lexikalischen Kasus ist dies nicht der Fall. Eine typische strukturverändernde Operation ist die Passivierung, die somit helfen kann, strukturellen von lexikalischem Kasus zu unterscheiden. So gilt nämlich beim Vergleich von Aktiv und Passiv, dass das im Aktiv akkusativmarkierte Objekt im entsprechenden Passivsatz typischerweise zum nominativmarkierten Subjekt wird (siehe (13)). Im Falle eines dativmarkierten Objekts ist dies hingegen nicht der Fall - die Passivierung hat hier keinen Einfluss auf den Kasus des zugrunde liegenden Objekts (siehe (14)), denn lexikalischer Kasus bleibt von strukturverändernden Operationen naturgemäß unbehelligt. (13) a. Aktiv: Die Schüler sahen [ NP ihn] AKK . b. Passiv: [ NP Er] NOM wurde gesehen. → struktureller Akkusativ geht bei Passivierung verloren (14) a. Aktiv: Die Schüler halfen [ NP ihm] DAT . b. Passiv: [ NP Ihm] DAT wurde geholfen. → lexikalischer Dativ geht bei Passivierung nicht verloren Vor diesem Hintergrund können wir nun einen erneuten Blick auf die Datenlage im Modernen Englisch werfen: Wie verhält sich eine Nominalphrase, bei der wir den Verdacht hegen, sie könne dativmarkiert sein? Natürlich müssen wir zunächst sicherstellen, dass wir auch wirklich ein <?page no="47"?> 47 3.2 „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ? “ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen Prädikat wählen, das potentiell den Dativ zuweist. Tatsächlich eignet sich hier durchaus das englische Pendant zu helfen, also help, da altenglische Daten aufgrund der sichtbaren Kasusendungen eindeutig belegen, dass die altenglische Form helpan in der Tat das zugehörige Objekt dativmarkiert hat, siehe (15). Wenn der Dativ also bis ins heutige Englisch überlebt hat, so sollte er hier zu finden sein. (15) a. Altenglisch: … and wæs þā geholpen dām unscyldigum huse. and was then helped the.dat innocent.dat house.dat ‚… and the innocent house was then helped.‘ (siehe Mc Fadden 2006, Lecture 6: 9) b. Deutsche Glossierung und Übersetzung: und war dann geholfen dem.dat unschuldigen.dat Haus.dat ‚… und dem unschuldigen Haus ward dann geholfen.‘ Um dieser Frage endgültig auf den Grund zu gehen, wenden wir nun also unseren Passivierungstest auf die englischen Übersetzungen der deutschen Beispiele in (13) und (14) an (siehe (16) und (17)). Die Sätze in (16), die das Verb see (dt. sehen) enthalten, verhalten sich genauso wie die entsprechenden deutschen Beispiele in (13); d.-h., das akkusativmarkierte Objekt him im Aktivsatz wird bei Passivierung zum nominativmarkierten Subjekt he (siehe (16b)). (16) a. Aktiv: The students saw [ NP him] AKK . die Schüler sahen ihn ‚Die Schüler sahen ihn.‘ b. Passiv: [ NP He] NOM was seen. er wurde gesehen ‚Er wurde gesehen.‘ → wie erwartet: struktureller Akkusativ geht bei Passivierung verloren Interessant sind nun die englischen Entsprechungen zu den deutschen Beispielen in (14), die das Verb helfen/ help beinhalten. Im Aktivsatz (17a) tritt zunächst erwartungsgemäß die Objektform him auf. Im Gegensatz zum Deutschen und Altenglischen, in dem der lexikalische Dativ jedoch bei Passivierung erhalten <?page no="48"?> 48 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? bleibt (siehe (14b) bzw. (15a)), ist dies im heutigen Englisch aber nicht mehr der Fall. Wie (17b) zeigt, verändert sich der Kasus, sobald sich die syntaktische Struktur verändert, was bedeutet, dass es sich nicht mehr um einen lexikalischen, sondern vielmehr um einen strukturellen Kasus handeln muss - him in (17a) kann also keine Dativform sein, sondern ist dieselbe Form, die in (16a) auftritt, nämlich ein Pronomen im Akkusativ. (17) a. Aktiv: The students helped [ NP him] ? ? . die Schüler halfen ihn/ ihm 36 ‚Die Schüler halfen ihm.‘ b. Passiv: [ NP He] NOM was wurde helped. geholfen er ‚Ihm wurde geholfen.‘ → BEOBACHTUNG: Bei Passivierung wird die Objektform aus (17a) eindeutig zum Nominativ! → SCHLUSSFOLGERUNG: Wenn sich der Kasus bei Passivierung ändert, muss es sich um strukturellen Kasus handeln. → KONKLUSION: [ NP him] ? ? in (17a) = [ NP him] AKK Historisch betrachtet ging im Mittelenglischen also nicht nur jede Menge Flexion verloren; tatsächlich können wir nun zudem auch schlussfolgern, dass der Dativ, ein lexikalischer Kasus, ganz aus der Sprache verschwand. Die Objektform him, die wir im Pronominalsystem des heutigen Englisch noch finden, ist somit generell eine Akkusativform - das Moderne Englisch hat keinen Dativ mehr, wie der Passivierungstest eindeutig belegt. Um auf unsere zwei Hypothesen in Tabelle 4.1 bzw. 4.2 zurückzukommen, kommen wir somit also zu dem Schluss, dass Hypothese 2 die richtige war und dass die Darstellung in Tabelle 5 den Stand des heutigen Englisch korrekt widerspiegelt. 36 Da wir zunächst noch nicht genau wissen, ob him in (17a) dativ- oder akkusativmarkiert ist, sind in der Glossierung noch beide Formen angegeben. <?page no="49"?> 49 3.3 Weiterführende Fragen: Die Doppelobjektkonstruktion im Englischen Singular Maskulinum Femininum Neutrum NOM he she it GEN his her its AKK him her it Plural eine Form für alle Genera (= Synkretismus) NOM they GEN their AKK them Tabelle 5: Personalpronomen im heutigen Englisch, 3. Person 3.3 Weiterführende Fragen: Die Doppelobjektkonstruktion im Englischen Eine Frage, die sich manch einer stellen mag, ist die folgende: Was, wenn ein Verb zwei NPs als Objekte selegiert - in welchem Kasus treten diese dann auf ? Die Konstruktion, die wir hier im Sinn haben, ist die sogenannte Doppelobjektkonstruktion (engl. double object construction, DOC), die im Deutschen wie in (18) aussieht. Wie man sieht, tritt hier ein Objekt im Dativ und eins im Akkusativ auf. Was erwartet uns nun also im Englischen, wo doch kein Dativ mehr vorkommt? (18) Doppelobjektkonstruktion: Hans gab [ NP (der) Maria] DAT [ NP einen Brief] AKK . Tatsächlich gibt es diese Konstruktion nach wir vor auch im Englischen (siehe hierzu auch Fischer 1998), und auch wenn eine genauere Analyse der englischen DOC den Rahmen hier sprengen würde, wollen wir zumindest einen kurzen Blick darauf werfen: (19) John gave [ NP Mary] Obj.1 [ NP a letter] Obj.2. John gab Mary einen Brief ‚John gab Mary einen Brief.‘ <?page no="50"?> 50 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? 3.3.1 Passivierung in der Doppelobjektkonstruktion Wie wir aus dem vorigen Abschnitt bereits wissen, ist die Passivierung ein guter Test, um den Dativ (als lexikalischen Kasus) zu identifizieren. In der Tat bewahrheitet es sich auch hier wieder, dass im Deutschen die dativmarkierte NP nicht zum nominativmarkierten Subjekt gemacht werden kann (siehe (20a)), sondern dass dies nur mit dem Akkusativobjekt möglich ist (siehe (20b 1 / b 2 )) (wie schon zuvor beinhalten die Beispiele in (20) bestimmte Determinierer, um den Kasus deutlicher zu machen): (20) a. *[ NP Die Maria] NOM wurde einen Brief gegeben. b 1 . [ NP Der Maria] DAT wurde [ NP ein Brief] NOM gegeben. b 2 . [ NP Ein Brief] NOM wurde [ NP der Maria] DAT gegeben. Im Englischen ist die Situation anders. Passiviert man hier die Doppelobjektkonstruktion, erhält man Satz (21a); die Variante, in der a letter zum nominativmarkierten Subjekt wird, ist, im Gegensatz zum Deutschen (siehe (20b 1 / b 2 )), ausgeschlossen, wie die Ungrammatikalität von (21b) zeigt. (Zwar stellt (21c) eine Passivvariante dar, in der a letter zum Subjekt wird, doch hier handelt es sich dann nicht mehr um die Doppelobjektkonstruktion, sondern die alternative Variante mit Präpositionalphrase.) (21) a. Mary was given a letter. b. ? *A letter was given Mary. (Beurteilung der Grammatikalität gemäß Larson 1988: 363) 37 c. Variante mit Präpositionalphrase (statt DOC): A letter was given to Mary. Was können wir hieraus schließen? In Analogie zum Deutschen würden wir vermuten, dass, wenn eines der Objekte dativmarkiert wäre, dies Mary sein müsste - allerdings zeigt (21a), dass gerade Mary im Passiv Kasus und grammatische Funktion ändert und zum nominativmarkierten Subjekt wird (Mary/ she was given a letter). Dies zeigt, dass Mary in der Doppelobjektkonstruktion keinen lexikalischen, sondern einen strukturellen Kasus trägt; es handelt sich also nicht um den Dativ. 37 Die Bewertung von (21b) mit „? *“ bedeutet, dass der Satz als ungrammatisch eingestuft wird, allerdings eher als „mildly ungrammatical“, wie Anagnostopoulou (2001: 24) es formuliert. <?page no="51"?> 51 3.3 Weiterführende Fragen: Die Doppelobjektkonstruktion im Englischen Im Altenglischen dagegen, als der Dativ noch Bestandteil des englischen Sprachsystems war, wies die Doppelobjektkonstruktion die gleiche Kasusverteilung wie im Deutschen auf; in Beispiel (1), wiederholt in (iii), ist uns bereits ein solches Beispiel begegnet: (iii) W ē [ NP foddor] AKK [ NP ū rum horsum] DAT habbað. wir Futter unseren Pferden haben ‚Wir haben Futter für unsere Pferde.‘ 3.3.2 Ausblick: Theorien zum Kasus in der englischen Doppelobjektkonstruktion Die Frage, welche Kasus in der Doppelobjektkonstruktion im heutigen Englisch nun tatsächlich vorkommen, ist in der Fachliteratur unterschiedlich beantwortet worden, und eine tiefergehende Analyse würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Nichtsdestotrotz wollen wir für Interessierte kurz zwei Möglichkeiten skizzieren. Dass es sich beim Pendant zum deutschen Dativobjekt im Englischen (also bei Mary in John gave Mary a letter) um einen strukturellen Kasus und somit nicht um einen klassischen Dativ handelt, hat der Passivierungstest bestätigt und ist im Prinzip unstrittig. Was das zweite Objekt (a letter) angeht, so argumentiert Larson (1988), dass es sich um einen lexikalischen Kasus handelt (was auch in Einklang mit der fehlgeschlagenen Passivierung in (21b)) steht), jedoch bezeichnet er diesen Kasus als inherent Objective Case (und explizit nicht als Dativ); es ist Larson zufolge also quasi die lexikalische Variante des strukturellen Kasus des zweiten Objekts, also ein lexikalischer Akkusativ. Tatsächlich finden sich auch im Deutschen ein paar wenige Verben, die mit zwei Akkusativobjekten auftreten und bei denen einer der Kasus strukturell und einer lexikalisch ist (z. B. jdn. etw. fragen, jdn. etw. lehren); siehe (iv). Während das erste Akkusativobjekt bei Passivierung erwartungsgemäß den Nominativ annimmt (mich wird zu ich), behält das zweite den Akkusativ bei; es handelt sich hier also um einen lexikalischen Kasus, der speziell vom Verb lehren abhängt (= lexikalischer Kasus, der im Lexikoneintrag des Verbs verankert ist) und nicht von der syntaktischen Position der NP. <?page no="52"?> 52 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? (iv) jdn. etw. lehren: a. Aktiv: Sie weiß, dass er [mich] AKK [Deutsch] AKK gelehrt hat. b. Passiv: Sie weiß, dass [ich] NOM von ihm [Deutsch] AKK gelehrt worden bin. (siehe Roberts 1997: 94) Als Alternative zu Larson (1988) geht z.-B. Anagnostopoulou (2001) davon aus, dass es sich in der Tat bei den Kasus beider Objekte im Englischen um strukturelle Kasus handelt, nämlich um strukturellen Akkusativ, der lediglich von unterschiedlichen funktionalen Köpfen lizensiert wird. Wer sich mit diesen und anderen Theorien noch weiter auseinandersetzen möchte, sei auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen. Bruening (2021) bietet hier einen hilfreichen Überblick. 3.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? (i) Kasusbestimmung in Fremdsprachen analog zum Deutschen? Die Daumenregel, den Kasus mit denselben w-Fragen zu erfragen wie im Deutschen, kann in vielen Fällen erst einmal nützlich sein und insbesondere bei der Bestimmung der grammatischen Funktionen in fremdsprachlichen Sätzen weiterhelfen. Dies funktioniert vor allem beim nominativmarkierten Subjekt (wer oder was? ) ganz gut; bei den Objekten dagegen ist Vorsicht geboten, da man sich dessen bewusst sein muss, dass keine hundertprozentige Entsprechung zwischen den Sprachen gilt. So gibt es zum einen Verben, die in verschiedenen Sprachen ihren Objekten verschiedene Kasus zuweisen (siehe Kapitel 3.2.1 zu Beispielen aus dem Französischen); zum anderen kann es grundlegende Unterschiede in den Kasussystemen verschiedener Sprachen geben, d.-h., das Kasusinventar als solches kann durchaus variieren (siehe auch Abschnitt (ii) im Folgenden). (ii) Der Dativ im Englischen Während das Altenglische noch reich an Flexionsendungen war, ist bereits das Mittelenglische für den Verlust eines Großteils dieser Endungen bekannt. Aber nicht nur die morphologischen Kasusendungen gingen größtenteils verloren, <?page no="53"?> 53 3.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? tatsächlich gibt es im Modernen Englisch heute generell keinen Dativ mehr; 38 das heutige Kasussystem ist somit beschränkt auf die drei Kasus Nominativ, Genitiv und Akkusativ. (iii) Alternative Realisierungen nach dem Verlust des Dativs Alternative Strategien, die den ursprünglichen Gebrauch des Dativs ersetzen, sind zum einen der Gebrauch von Präpositionalphrasen (anstelle von dativmarkierten Nominalphrasen; siehe (22a)) sowie der Gebrauch eines anderen Kasus, insbesondere der des Akkusativs (siehe (22b)). (Da im Deutschen stattdessen (wie im Altenglischen) der Dativ benutzt wird, haben wir dies zum direkten Vergleich in den Übersetzungen entsprechend markiert.) (22) a. Gebrauch von PPs: We gave fodder [ PP to our horses]. wir gaben Futter an unsere Pferde ‚Wir gaben [ NP unseren Pferden] DAT Futter.‘ b. Gebrauch von akkusativmarkierten NPs: We helped [ NP them] AKK . wir halfen sie ‚Wir halfen [ NP ihnen] DAT .‘ (iv) Der Passivierungstest zur Unterscheidung von strukturellem und lexikalischem Kasus Da der Dativ ein lexikalischer Kasus ist, wohingegen der Akkusativ üblicherweise struktureller Natur ist (siehe Kapitel 3.3.2 zu potentiellen Ausnahmen), hilft der Passivierungstest, die beiden Kasus zu unterscheiden: Während lexikalische Kasus von strukturverändernden Transformationen unbehelligt bleiben, ändern sich strukturelle Kasus naturgemäß, sobald sich die Position der entsprechenden Nominalphrase ändert; so tritt nach Passivierung ein ursprünglich akkusativmarkiertes direktes Objekt typischerweise als nominativmarkiertes Subjekt im Passivsatz auf - ein Dativobjekt bleibt dagegen bei Passivierung 38 Es wird oftmals davon ausgegangen, dass der Verlust von morphologischen Kasusendungen den Verlust von lexikalischem Kasus impliziert (wie es beim Dativ im Englischen auch der Fall ist). <?page no="54"?> 54 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? unverändert dativmarkiert. Mithilfe dieses Tests können von daher dativvon akkusativmarkierten Nominalphrasen leicht unterschieden werden. 3.5 Übungsaufgaben Aufgabe 1: Wo treten im Singularteil von Tabelle 2 Synkretismen auf ? Singular Maskulinum Femininum Neutrum NOM hē hēo hit GEN his hi(e)re his DAT him hi(e)re him AKK hine hī(e) hit Tabelle 2, Singularteil: Personalpronomen im Altenglischen, 3. Person Aufgabe 2: Vorüberlegung: In Kapitel 3.2.1 (siehe Beispiel (2)) haben wir gesehen, dass die verschiedenen Kasus üblicherweise mit bestimmten grammatischen Funktionen einhergehen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Zum einen sind z.- B. nicht alle Subjekt-NPs generell nominativmarkiert, wie die Beispiele in (23) und (24) zeigen, wo das eingebettete Subjekt im Akkusativ auftritt. Im Englischen ist diese Konstruktion als ECM-construction (= Exceptional Case Marking) bekannt; vom Lateinischen her kennt man sie als AcI-Konstruktion (= accusativus cum infinitivo, dt. Akkusativ mit Infinitiv). (23) a. Ich hörte [ihn singen]. b. ihn = externes Argument von singen, also Subjekt des eingebetteten Infinitivsatzes; Kasus von ihn = Akkusativ (24) a. I expect [him to win the race]. ich erwarte ihn zu gewinnen das Rennen ‚Ich erwarte, dass er das Rennen gewinnt.‘ <?page no="55"?> 55 3.5 Übungsaufgaben b. him = externes Argument von win, also Subjekt des eingebetteten Infinitivsatzes; Kasus von him = Akkusativ Darüber hinaus gibt es Konstruktionen, in denen NPs keine der üblichen grammatischen Funktionen innehaben und dennoch kasusmarkiert werden müssen (gemäß dem Kasusfilter, siehe Fußnote 33). In solchen Fällen tritt die NP typischerweise im sogenannten Default-Kasus auf, der sich von Sprache zu Sprache unterscheiden kann. 39 Übung: Betrachten Sie die deutschen bzw. englischen Daten in (I) und (II). In welchem Kasus treten die markierten NPs auf, sprich, was ist der Default-Kasus im Deutschen bzw. Englischen? 40 (I) a. _____ (Den / Dem / Der / Des) und ein Buch lesen? Dass ich nicht lache! b. Bildunterschrift: _____ (Mich / Ich / Mir / Mein) am Strand c. A: Schau mal! B: Ach ______ (der / des / dem / den)! d. Wir baten die Männer, _______ (einem / eines / einer / einen) nach dem anderen durch die Sperre zu gehen. (II) a. Mia and ______ (I / me) (Kinderfernsehserie) b. “You and ______ (me / I), we used to be together, everyday together …” (Songzeile aus Don’t Speak von No Doubt) c. A (looking at a picture): Who is that? B (pointing at Peter): That’s _____ (he / him). d. “That’s ______ (me / I) in the corner, that’s ______ (me / I) in the spot-light …” (Songzeile aus Losing my religion von R.E.M.) 39 Zum Default-Kasus im Deutschen siehe z.-B. auch Müller (2000: 59 f.); die Beispiele (Ia) und (Id) sind von dort. 40 Da man Eigennamen den Kasus oft nicht direkt ansieht, werden in den folgenden Beispielen Formen verwendet, in denen der Kasus morphologisch markiert und somit sichtbar ist (z.-B. Personalpronomen). <?page no="56"?> 56 3 „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben? Aufgabe 3: Vorüberlegung: Im Sprachunterricht ist es wichtig, die Schüler: innen dafür zu sensibilisieren, dass Satzglieder und kasusmarkierte Einheiten nicht gleichzusetzen sind. Zwar treten NPs, die bestimmte grammatische Funktionen übernehmen, oft im selben Kasus auf (wie z.-B. das Subjekt im Nominativ), dies ist jedoch nicht immer der Fall (siehe auch obige Anmerkung zu Beispiel (23) und (24)). Zudem gilt, dass die Kasusmarkierung generell auf NPs beschränkt ist, wohingegen auch andere Phrasen ein Satzglied ausmachen können; in diesem Fall liegt dann naturgemäß keine Kasusmarkierung dieser Phrasen vor (wohl aber die aller NPs, die ggf. Teil eines größeren Satzglieds sind (gemäß dem Kasusfilter, siehe Fußnote 33)). Übung: Analysieren Sie die Sätze (i)-(iii) wie folgt: a. Bestimmen Sie alle Subjekte, Objekte und Adjunkte. b. Markieren Sie alle NPs und bestimmen Sie deren Kasus. c. Identifizieren Sie alle Argumente (d.-h. Subjekte und Objekte) und Adjunkte, die gar nicht oder nur in Teilen kasusmarkiert sind. Beispiel: Dieses Bild erinnert den Kunstsammler an Monet. a. dieses Bild = Subjekt; den Kunstsammler = Objekt 1; an Monet = Objekt 2 b. dieses Bild = Nominativ; den Kunstsammler = Akkusativ; Monet = Akkusativ c. an Monet = Präpositionalobjekt; nur die NP Monet darin ist kasusmarkiert (i) Der Vater der Braut gab dem Trauzeugen des Bräutigams die Ringe. (ii) Alkoholisiert zu fahren ist gefährlich. (iii) Viele Fahrer rasen mit dem Auto auf der Autobahn. <?page no="57"?> 57 3.5 Übungsaufgaben 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins 4.1 Wortstellung im Grammatikunterricht Wenn man im Deutschunterricht die Satzstellung von Satzgliedern erarbeitet, ist es eine beliebte Methode, mehrere Schüler: innen mit großen Schildern auszustatten und sich in einer Reihe aufstellen zu lassen. Auf einem Schild steht ein potentielles Subjekt, auf einem zweiten ein finites Vollverb, auf einem dritten ein Akkusativobjekt und auf einem weiteren eine adverbiale Bestimmung, wie z.-B. in (1) illustriert. (1) das talentierte Mädchen / singt / ein schönes Lied / in der Musikstunde Dann sollen die Schüler: innen so viele grammatikalisch korrekte Sätze wie möglich formulieren, indem sie ihre Positionen tauschen. Jede neue Kombination wird an der Tafel notiert, z.B.: (2) a. Das talentierte Mädchen singt in der Musikstunde ein schönes Lied. b. In der Musikstunde singt das talentierte Mädchen ein schönes Lied. c. Ein schönes Lied singt das talentierte Mädchen in der Musikstunde. d. Ein schönes Lied singt in der Musikstunde das talentierte Mädchen. Die Schüler: innen stellen daraufhin fest, dass ein Schild nie den Platz gewechselt hat, nämlich das finite Verb. Es bleibt immer an der zweiten Stelle stehen. Nun wird erarbeitet, dass dies nur für Aussagesätze gilt und nur für Hauptsätze, wohingegen die finite Verbform in deutschen Nebensätzen immer am Ende steht. Auf diese Weise können die Schüler: innen auch überprüfen, welche Teile als Satzglied zusammengehören, denn vor dem finiten Verb steht im Deutschen normalerweise genau ein Satzglied in deklarativen Hauptsätzen. Diese Umstell- <?page no="58"?> 58 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins probe lernen die Schüler: innen als eine Möglichkeit kennen, um festzustellen, welche Wörter zusammen ein Satzglied bilden. Würde man diese Erarbeitungsmethode dagegen im Englischunterricht anwenden, würde dies zu einer ziemlich langweiligen Angelegenheit werden. (3) a. The talented girl sings a nice song during the music lesson. b. During the music lesson, the talented girl sings a nice song. Das war’s auch schon. Natürlich kann man das auch im Englischunterricht machen um festzustellen, dass die Reihenfolge der Satzglieder im Englischen wesentlich starrer festgelegt ist. Aber es stellt sich natürlich die methodische Frage, ob der Aufwand, Schilder zu malen, die Schüler: innen nach vorne zu holen und sie sich nur einmal umstellen zu lassen, durch das Ergebnis gerechtfertigt ist. Der Vergleich mit dem Deutschen an sich ist auf jeden Fall notwendig, denn die Unterschiede, auch in Hinblick auf die Satzstellung in Nebensätzen, muss den Schüler: innen bewusst gemacht werden. Auch hier bleibt die aus den englischen Hauptsätzen bekannte Reihenfolge Subjekt - Verb - Objekt bestehen, was zu mancherlei Eselsbrücken geführt hat, z.-B. zu dem Satz „Im Englischen gilt immer die Straßen-Verkehrs-Ordnung: S-V-O! “ Den Schüler: innen wird im Unterricht die Bedeutung der Wortstellung meist anhand des Beispiels mit dem Hund und dem Postboten aufgezeigt, das am Anfang des folgenden Abschnitts besprochen werden soll. Und wie bereits in den vorhergehenden Kapiteln muss auch in Bezug auf die Wortstellung die historische Entwicklung berücksichtigt werden, denn die Wortstellung war im Englischen bei weitem nicht immer so starr, dass man sie mit der „Straßenverkehrsordnung“ lernen konnte. Jedenfalls fällt den Schüler: innen die Wortstellung in englischen Aussagesätzen meist relativ leicht und die Unterschiede zum Deutschen werden hier rasch korrekt umgesetzt. Schwieriger wird es meist bei Fragesätzen, gerade, wenn es um den do-support geht (siehe Kapitel 4.3). Manchmal wäre es in diesem Bereich vermutlich leichter für die Schüler: innen, wenn sie Altenglisch lernten. Leichter vielleicht, sinnvoller ganz sicherlich nicht. <?page no="59"?> 59 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen Im heutigen Englisch ist die Wortstellung also in der Regel eine relativ klare Sache: Subjekt - Verb - Objekt. 41 Das ist auch gut so, denn somit ist für jeden Englischsprecher sofort ersichtlich, wer in Beispiel (4) wen beißt. (4) a. The dog bit the postman. ‚Der Hund biss den Postboten.‘ b. The postman bit the dog. ‚Der Postbote biss den Hund.‘ Im Deutschen haben wir bei der Wortstellung etwas mehr Freiheiten (siehe (5)), und dennoch erkennen wir natürlich klar, dass (5a)/ (5b) deutsche Entsprechungen zu (4a) sind und (5c)/ (5d) zu (4b). 42 (5) a . Der Hund biss den Postboten. b. Den Postboten biss der Hund. c. Der Postbote biss den Hund. d. Den Hund biss der Postbote. Bei den Sätzen in (5) ist relativ offensichtlich, dass insbesondere die overte Kasusmarkierung an den Determinierern (der/ den) hilft, die grammatischen Funktionen richtig zuzuordnen; so ist den Postboten in (5a)/ (5b) als akkusativmarkierte NP eindeutig als direktes Objekt zu erkennen, wohingegen die nominativmarkierte NP der Hund das Subjekt sein muss. Dass Sprachen mit morphologischem Kasus (siehe Kapitel 3.2.2) tendenziell eine freiere Wortstellung erlauben, kann generell beobachtet werden, und so geht auch im Englischen der Verlust des morphologischen Kasus im Mittelenglischen mit einer nach und nach strikteren Wortabfolge einher (siehe Kapitel 4.2.2). Allerdings ist es andererseits keine triviale Frage, wie viel Flexion man sozusagen in einer Sprache braucht, um gewisse Freiheiten in der Wortstellung 41 Eine typische Ausnahme bildet die sogenannte Inversion, bei der das finite Verb vor dem Subjekt steht; siehe Kapitel 4.3 zu weiteren Details. 42 Je nach Kontext und/ oder Betonung können (5b) bzw. (5d) mehr oder weniger natürlich erscheinen; dies spielt für unsere Überlegungen jedoch keine Rolle, denn hier ist lediglich relevant, dass die Sätze rein syntaktisch betrachtet grammatisch sind. (Ein relativ natürlicher Kontext für (5b) wäre z.B.: A: Könnte uns nicht der Postbote helfen? B: Den Postboten biss (doch) der Hund! ) <?page no="60"?> 60 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins zu haben. Denn auch wenn das Deutsche noch morphologischen Kasus aufweist, tritt er nicht überall in Erscheinung; so fehlt er beispielsweise an den NPs in (6), die im Gegensatz zu den NPs in (5) zudem ohne Determinierer auftreten. Dennoch sind die Sätze in (6) grammatisch, und es ist klar, dass die erstgenannten NPs (Kaffee und Tiramisù) als direkte Objekte und die zweitgenannten (Peter und Hanna) als Subjekte zu interpretieren sind. (Natürlich legt hier die Semantik diese Interpretation auch nahe, aber der Punkt ist, dass eine analoge Wortstellung im Englischen dennoch ungrammatisch wäre: *Coffee drank Peter.) (6) Kontext: Nach einer Party wird Bilanz gezogen: Welche Speisen und Getränke fanden Anklang, welche Freunde haben was konsumiert; tatsächlich wurde nicht viel Kaffee getrunken und Tiramisù gegessen, aber der Gastgeber resümiert: a. Kaffee hat Peter getrunken. b. Tiramisù hat Hanna gegessen. Geben weder Kasusmorphologie noch Semantik des Verbs noch Kontext die entsprechende Interpretation so eindeutig vor, so wird auch im Deutschen bevorzugt die erste NP als Subjekt und die zweite als Objekt interpretiert, siehe (7a). Doch wie ein entsprechender Kontext in (7b) zeigt, ist die alternative Wortstellung auch hier nicht ausgeschlossen (bevorzugt mit Betonung auf Peter). (7) a. Peter hat Anna gesehen. b. Kontext: „Die Anna war im Urlaub auf Sylt, und stell dir vor, da hat sie den Hans gesehen.“ „Nein, PETER hat Anna gesehen.“ 4.2.1 Warum den Deutschen Altenglisch näher ist als Modernes Englisch Betrachten wir nun die Wortstellung im Deutschen ein bisschen systematischer und beginnen wir mit einem typischen Nebensatz (zu den Hauptsätzen kommen wir später). Wie (8a) vs. (8b) zeigt, unterscheidet sich das Deutsche vom Englischen zunächst darin, dass in deutschen Nebensätzen das Objekt (das Buch/ the book) typischerweise vor dem Vollverb (gelesen/ read) steht. Hieraus <?page no="61"?> 61 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen können wir schlussfolgern, dass das Deutsche eine sogenannte OV-Sprache ist, während Englisch als VO-Sprache klassifiziert wird. (8) a. Ich weiß, dass Hans [das Buch] OBJ [gelesen] V hat. b. I know that John has [read] V [the book] OBJ . Definition OV-/ VO-Sprache In einer OV-Sprache ist die Grundabfolge die, dass das Objekt linear vor dem Vollverb positioniert ist (Objekt-Verb). In einer VO-Sprache ist die Grundabfolge die, dass das Objekt hinter dem Vollverb steht (Verb-Objekt). Schaut man sich in unserem Beispiel noch die Position des Hilfsverbs (hat/ has) an (siehe (9)), dann erkennt man zudem, dass auch hier eine unterschiedliche Reihenfolge vorliegt: Während die Verbalphrase (= VP; umfasst Vollverb und direktes Objekt) dem Auxiliar im Deutschen linear vorangeht, folgt sie diesem im Englischen. (9) a. Ich weiß, dass Hans [ VP das Buch gelesen] [hat] Auxiliar . b. I know that John [has] Auxiliar [ VP read the book]. Im Rahmen der Generativen Syntax können diese zwei syntaktischen Unterschiede sehr elegant technisch implementiert werden. Generell werden Satzstrukturen in diesem Modell typischerweise in sogenannten Baumstrukturen dargestellt, was auf manche aufgrund der Abstraktheit zunächst etwas einschüchternd wirken kann. Allerdings eignen sich diese Bäume sehr gut, zugrunde liegende syntaktische Konstellationen zu verdeutlichen und systematische Zusammenhänge aufzudecken. Aus diesem Grund machen wir uns dieses Modell auch in diesem Kapitel zunutze, um die beobachteten Wortstellungsunterschiede systematisch ableiten zu können. Was den allgemeinen Aufbau von Phrasen angeht, so folgen wir der sogenannten X-bar-Theorie (engl. X-bar theory/ X’ theory; siehe Chomsky 1970 und nachfolgende Entwicklungen); demnach sind alle Phrasen hierarchisch gesehen aufgebaut wie die VP in (10) (wobei in der Spezifikator- und Komplementposition weitere Phrasen stehen können). Linear gesehen gibt es auf der untersten Ebene tatsächlich zwei Möglichkeiten: Der Kopf kann links vom Komplement stehen (wie in (10)) oder aber andersrum. Das hängt von der jeweiligen Sprache sowie der syntaktischen Kategorie des Kopfes ab. <?page no="62"?> 62 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins (10) Die Komplementposition des Verbs enspricht in diesem Modell der Grundposition des direkten Objekts; daraus resultieren nun potentiell genau die folgenden zwei linearen Abfolgen - VO oder OV. Technisch gesehen ist in einer VO-Sprache die zugrunde liegende VP also eine sogenannte kopfinitiale Phrase (engl. head-inital), d.-h., der Kopf steht links vom Komplement, wohingegen in einer OV-Sprache die VP generell kopffinal ist (engl. head-final), d.-h., der Kopf steht rechts vom Komplement. Die Baumstrukturen in (11) veranschaulichen dies bildlich. 43,44 : Auf ganz ähnliche Weise lässt sich nun auch der Unterschied bezüglich der linearen Abfolge von Auxiliar und VP erfassen (siehe Beispiel (9)): Dem 1980er-Jahre-Modell 43 Da ein Objekt verschiedenen Kategorien angehören kann, ist in den Bäumen in (11a) nur die neutrale Bezeichnung „Objekt“ in der Komplementposition des Verbs eingetragen und keine konkrete Phrase; in (8) wäre es eine NP (oder DP), siehe (11b); prinzipiell könnte es aber auch eine PP oder ein Objektsatz sein. 44 Die Dreiecksnotation (hier in (11b) bei der NP) wird üblicherweise als Abkürzung benutzt, wenn in Baumstrukturen auf die genauere interne Struktur einer Phrase nicht weiter eingegangen wird. <?page no="63"?> 63 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen der Generativen Syntax folgend, ist das Auxiliar nämlich im Kopf der sogenannten IP (engl. inflection phrase) positioniert 45 und die VP sitzt in der Komplementposition dieses Kopfes. Geht man nun davon aus, dass die IP im Deutschen wiederum kopffinal ist, während sie im Englischen kopfinitial ist, ergibt sich automatisch die lineare Abfolge, die in (9) beobachtet werden kann (siehe Illustration in (12)): Fassen wir also kurz zusammen: Bisher haben wir festgestellt, dass das Deutsche eine OV-Sprache ist, d.-h. eine kopffinale VP hat, und zudem auch eine kopffinale IP. Doch wie passt dies zusammen mit dem (scheinbaren) Chaos, das wir in Hauptsätzen wie (13) vorfinden? Im Gegensatz zum Englischen mit seiner strikten linearen Abfolge Subjekt - Verb - Objekt und dem relativ klaren Bild in den deutschen Nebensätzen, in denen in der Regel Subjekt - Objekt - Verb gilt (siehe (8)), finden wir hier scheinbar alle möglichen Wortstellungsvarianten: (13) a. [Gestern] ADV [sah] V [ich] SUBJ [Beate] OBJ Adverbial > finites Vollverb > Subjekt > Objekt b. [Bücher über Italien] OBJ [liebe] V [ich] SUBJ Objekt > finites Vollverb > Subjekt 45 In neueren Modellen wie der Minimalistischen Syntax (siehe Chomsky 1995 et seq.) wurde die IP dann von der TP (tense phrase) abgelöst. <?page no="64"?> 64 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins c. [Letzte Woche] ADV [hat] AUX [Susi] SUBJ [das Buch] OBJ [gekauft] V Adverbial > finites Hilfsverb > Subjekt > Objekt > nicht-finites Vollverb (Partizip) d. [Nils] SUBJ [wird] AUX [morgen] ADV [Tina] OBJ [treffen] V Subjekt > finites Hilfsverb > Adverbial > Objekt > nicht-finites Vollverb (Infinitiv) e. [Max] SUBJ [mag] V [Schokolade] OBJ Subjekt > finites Vollverb > Objekt Vollverben können vor oder nach dem Objekt stehen ((13a) vs. (13b)), Subjekte können vor oder nach Objekt oder Vollverb stehen ((13a) vs. (13b) bzw. (13e) vs. (13a)), auch ein Adverbial kann die einzige Konstituente vor dem Verb sein ((13a), (13c)). Dennoch bedeutet dies nicht, dass die Wortstellung in deutschen Hauptsätzen völlig beliebig ist. Um die Systematik besser sichtbar zu machen, schauen wir uns die Darstellung in Tabelle 6a an und unterscheiden dabei nicht zwischen Auxiliar und Vollverb, sondern vielmehr zwischen finitem und nichtfinitem Verb; somit wird das zugrunde liegende Muster klar erkennbar: Das Deutsche ist eine sogenannte V2-Sprache (Verbzweitsprache), d.-h., das finite Verb ist die zweite Konstituente des Hauptsatzes; in erster Position kann jede andere grammatische Funktion vorkommen. 1. Konstituente 2. Konstituente = finites Verb Gestern sah ich Beate Bücher über Italien liebe ich Letzte Woche hat Susi das Buch gekauft Nils wird morgen Tina treffen Max mag Schokolade Tabelle 6a: Hauptsätze im Deutschen <?page no="65"?> 65 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen Definition V2-Sprache (Verbzweitsprache) In einer V2-Sprache ist das finite Verb im Hauptsatz die zweite Konstituente. Findet sich diese Eigenschaft nur im Hauptsatz, handelt es sich um eine asymmetrische V2-Sprache; bildet die Sprache in allen finiten Sätzen, also auch im Nebensatz, systematisch V2-Sätze, handelt es sich um eine symmetrische V2-Sprache. Das Deutsche ist eine asymmetrische V2-Sprache, da im Nebensatz normalerweise keine V2-Stellung vorliegt (deshalb wird dort die Grundabfolge SOV sichtbar, wie z. B. in (8a): Ich weiß, dass Hans [das Buch] OBJ [gelesen] V hat). Allerdings gibt es auch im Deutschen ein paar Verben, die einen V2-Nebensatz einbetten können, wie z. B. sagen, glauben u.a. 46 Weitere asymmetrische V2- Sprachen sind z. B. Niederländisch, Dänisch, Norwegisch und Schwedisch; zu den symmetrischen V2-Sprachen zählen z. B. das Isländische und Yiddische. Auch wenn wir hier nicht im Detail auf Syntaxtheorien zur Verbzweitstellung eingehen wollen, soll zumindest eine Standardanalyse der Generativen Syntax kurz skizziert werden, die die zugrunde liegende Systematik auf elegante Weise erfasst. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich das finite Verb in die zweite und die erste Konstituente in die erste Position bewegt. Wer bisher noch nicht mit syntaktischen Bewegungen zu tun hatte, kann sich dies ein bisschen wie folgt vorstellen: Wenn man Verpflichtungen an Ort A und Ort B nachkommen muss, so tut man dies üblicherweise Schritt für Schritt - erst hält man sich in A auf, dann geht man nach B; genauso machen dies Konstituenten in syntaktischen Strukturen. Die Position, in der sie starten, heißt dabei Basisposition (engl. base position), syntaktische Bewegung findet linear gesehen typischerweise von rechts nach links statt (im Baum immer von unten nach oben). Stellen wir uns nun weiter vor, dass zwischen Ort A und B ein sandiger Weg verläuft, verstehen wir, was damit gemeint ist, dass Konstituenten in ihren früheren Positionen Spuren hinterlassen; diese werden üblicherweise mit t (für trace) bezeichnet und sind mit der Konsituente, zu der sie gehören, koindiziert. Entsprechend können die zugrunde liegenden Bewegungen unserer Beispielsätze aus (13) nun wie folgt skizziert werden: 47 46 In (16) sind entsprechende Beispielsätze zu glauben aufgeführt. Ein Beispiel, in dem sagen einen V2-Nebensatz einbettet, wäre: Hans sagt, er kennt Maria. Die alternative Variante mit SOV-Stellung wäre: Hans sagt, dass er Maria kennt. 47 Auf syntaktische Baumstrukturen verzichten wir dabei; Tabelle 6b spiegelt diese jedoch in vereinfachter Form wider. (Die Spuren zeigen die Basispositionen der bewegten <?page no="66"?> 66 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins 1. Konstituente 2. Konst.: fin. Verb Subjektposition Adjunktposition Objektposition V I Gestern 2 sah 1 ich t 2 Beate t 1 Bücher über Italien 2 liebe 1 ich t 2 t 1 Letzte Woche 2 hat 1 Susi t 2 das Buch gekauft t 1 Nils 2 wird 1 t 2 morgen Tina treffen t 1 Max 2 mag 1 t 2 Schokolade t 1 Tabelle 6b: Hauptsätze im Deutschen Im Gegensatz zum Deutschen (und im Übrigen allen anderen modernen germanischen Sprachen) ist das Moderne Englisch eindeutig keine V2-Sprache, wie die Ungrammatikalität von Sätzen wie (14) (= englische Entsprechungen zu (13a)/ (13b)) demonstriert. (14) a. *Yesterday saw I Beate. b. *Books about Italy love I. Elemente an, potentielle Zwischenspuren ignorieren wir hier; siehe dazu aber Fußnote 51.) Für diejenigen, die damit bereits vertraut sind, sei angemerkt, dass üblicherweise davon ausgegangen wird, dass es sich bei der obersten Phrase in diesen Sätzen um eine CP (engl. complementizer phrase) handelt, die erste Konstituente somit im Spezifikator der CP (SpecC) landet und wir das finite Verb in der Kopfposition C finden. Speziell innerhalb der germanistischen Linguistik wird alternativ gerne auch das topologische Feldermodell als Darstellung der zugrunde liegenden syntaktischen Struktur benutzt (zurückgehend auf Drach 1937); hier würde die erste Konstituente demnach ins Vorfeld bewegt werden, wohingegen das finite Verb in der linken Satzklammer zu finden ist (siehe auch Geilfuß-Wolfgang und Ponitka 2020). In manchen Bildungsplänen ist das topologische Modell für den Deutschunterricht in Klasse 5 vorgesehen; eine Aufbereitung für den Unterricht findet sich z.-B. in Fischer (2016). <?page no="67"?> 67 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen Zusammenfassend können wir also sagen, dass das Deutsche eine V2-Sprache und innerhalb der IP und VP kopffinal ist; Letzteres bedeutet, dass es sich um eine OV-Sprache handelt, was im Nebensatz sichtbar wird. 48 Dass im Deutschen die Wortstellung sehr viel freier ist als im Englischen, liegt neben der Tatsache, dass es sich um eine V2-Sprache handelt, insbesondere an einer weiteren Operation, die im Englischen nicht zur Verfügung steht, dem sogenannten Scrambling. Beispiel (15b) illustriert dieses Phänomen; hier wurde das Objekt im Nebensatz (den Text) gescrambelt, d.- h. Standardanalysen zufolge aus seiner Basisposition (also der Komplementposition innerhalb der VP, markiert mit der Spur t 1 ) in eine Position links des Subjekts bewegt. (15) a. Grundabfolge im Nebensatz: Ich glaube, dass [keiner] SUBJ [den Text] OBJ gelesen hat b. Scrambling des direkten Objekts im Nebensatz: Ich glaube, dass [den Text] 1 [keiner] SUBJ t 1 gelesen hat. Definition Scrambling Von J. R. Ross (1967) geprägter Terminus zur Bezeichnung von Transformationen, die aus (zugrunde liegenden) Strukturen und dadurch festgelegten Abfolgebeziehungen zwischen Satzgliedern durch Permutation [also Umstellung der Reihenfolge] Oberflächenstrukturen mit unterschiedlicher Wort- und Satzgliedstellung erzeugen. (Bußmann 1990: 669) Da es sich bei glauben zudem um ein Verb handelt, das auch V2-Nebensätze einbetten kann, fügen wir ergänzend noch die Alternativen in (16) hinzu: (16) a. Verbzweit im Nebensatz mit Subjekt als erster Konstituente: Ich glaube, keiner hat den Text gelesen. b. Verbzweit im Nebensatz mit Objekt als erster Konstituente: Ich glaube, den Text hat keiner gelesen. 48 Durch die Bewegung des finiten Verbs im V2-Satz ist die zugrunde liegende OV-Struktur in diesen Sätzen nicht so klar erkennbar; dafür zeigt die Verbbewegung in die zweite Position, dass sich Vollverben weit „nach links“ bzw. in der Baumstruktur nach oben bewegen können, insbesondere über die Subjektposition hinaus. Dies wird in Kapitel 4.3 im Zusammenhang mit dem englischen do-support und der Inversion in Fragebildungen noch eine Rolle spielen. <?page no="68"?> 68 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins In Bezug auf das Englische können wir also festhalten, dass es, im Gegensatz zum Deutschen, kein Scrambling erlaubt und keine V2-Sprache sowie in allen Phrasen kopfinitial ist, was insbesondere bedeutet, dass es eine VO-Sprache ist. Allerdings war dies nicht zu allen Zeiten der Fall; wenn wir erneut einen Blick aufs Altenglische werfen, so können wir feststellen, dass das Englische zu jener Zeit syntaktisch gesehen dem Deutschen noch sehr viel ähnlicher war - auch das Altenglische war eine V2-Sprache und hatte eine zugrunde liegende OV-Struktur. 4.2.2 Wortstellung im Wandel der Zeit: Vom Altenglischen zum Modernen Englisch Diese typischen Wortstellungseigenschaften, die wir vom Deutschen so gut kennen, finden wir gleichermaßen in altenglischen Beispielen; (17) illustriert die OV-Wortstellung im Nebensatz, (18) zeigt die typische V2-Stellung im altenglischen Hauptsatz. 49 (17) OV-Wortstellung im Altenglischen: … gif heo [þæt bysmor] OBJ [forberan] V wolde … wenn sie diese Schmach ertragen würde ‚wenn sie diese Schmach ertragen würde‘ (altenglisches Beispiel, siehe Struik und van Kemenade 2022: 81) (18) Verbzweit im Altenglischen: [On þissum gēare] cōm micel sciphere. in diesem Jahr kam große Flut ‚In diesem Jahr kam eine große Flut.‘ (altenglisches Beispiel, siehe Marckwardt und Rosier 1972: 15) Wie wir bereits in Kapitel 4.2 festgestellt haben, ist morphologischer Kasus für freiere Wortstellungen durchaus relevant, und so verwundert es nicht, dass mit dem Wegfall der Kasusflexion im Mittelenglischen auch die englische Wortstel- 49 Diese Wortstellungen sind nicht die einzigen, die in altenglischen Texten auftreten; sie können jedoch als die häufigsten identifiziert werden, und das Altenglische wird demzufolge üblicherweise als V2-Sprache mit zugrunde liegender OV-Struktur klassifiziert. Andere Wortstellungsvarianten werden demnach durch Bewegung abgeleitet. <?page no="69"?> 69 4.2 Wortstellung im Deutschen und Englischen lung zunehmend rigider wurde. Generell sind die Ursachen für Sprachwandel allerdings natürlich vielfältig (und Kausalzusammenhänge gleichzeitig schwer zu beweisen), und so dürften auch im Fall der englischen Wortstellung eine Fülle von Faktoren zu deren Veränderung geführt haben. 50 Was in jedem Fall jedoch unumstritten ist, ist der sukzessive Wandel von einer OVzu einer VO-Sprache sowie der Verlust der Verbzweitabfolge. McFadden (2006) zufolge können die schrittweisen Veränderungen wie folgt zusammengefasst werden: zeitl. Einordnung Vorkommen von OV-/ VO-Strukturen nach 1300 bereits zum Großteil VO-Strukturen; vereinzelte OV-Beispiele, zunehmend auf bestimmte syntaktische Kontexte beschränkt nach 1650 vollständiger Wechsel zur VO-Struktur Tabelle 7: Wechsel von OV zu VO im Englischen zeitl. Einordnung Vorkommen von V2-Strukturen frühes Mittelenglisch V2-Strukturen noch relativ häufig; Anpassung in den nördlichen Dialekten an die altnordische V2- Art spätes 14. / frühes 15.-Jahrhundert sukzessiver Verlust von V2 nach 1700 kompletter Verlust von V2-Strukturen Tabelle 8: Verlust von V2 im Englischen 50 Auch Sprachkontakt beispielsweise kann Sprachwandel in großem Stil beeinflussen. In Bezug auf das Englische wird hier typischerweise dem Skandinavischen eine große Rolle zugeschrieben. So ging das Altnordische zu dieser Zeit allmählich von einer OVin eine VO-Sprache über; außerdem unterschied sich die Verbzweitstruktur im Altnordischen leicht von der des Altenglischen, was zu zusätzlicher Konfusion geführt haben könnte (siehe auch McFadden 2006, Lecture 8: 8-11). <?page no="70"?> 70 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins Während die Wortstellung im Altenglischen also noch sehr dem Deutschen ähnelte, weist das Englische seit ca. 1700 die Wortstellung auf, die wir vom heutigen Englisch kennen. 4.3 Do-support im Englischen: Wie es dazu kam und warum wir es im Deutschen nicht brauchen Schaut man sich die Sätze in (19)-(21) an, so fällt noch ein weiterer Unterschied zwischen dem Altenglischen und dem Modernen Englisch auf: Während die (b)-Sätze aus dem heutigen Englisch do-support beinhalten, war dies im Altenglischen noch nicht der Fall - im Übrigen eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Altenglischen und dem Deutschen, wie die Übersetzungen zeigen. (19) ja/ nein-Frage: ‚Hast du einen Falken? ‘ a. Altenglisch: Hæfst þū hafoc? hast du Falken b. Modernes Englisch: Do you have a hawk? tust du haben einen Falken (20) w-Frage (= Konstituentenfrage): ‚Was sagt er? ‘ a. Altenglisch: Hwæt sægð hē? was sagt er b. Modernes Englisch: What does he say? was tut er sagen (21) Negation: ‚Das Heer kommt nicht.‘ a. Altenglisch: Ne cōm sē here. nicht kommt das Heer b. Modernes Englisch: The army does not come. die Armee tut nicht kommen (altenglische Beispiele, siehe Marckwardt und Rosier 1972: 41) <?page no="71"?> 71 4.3 Do-supportim Englischen: Wie es dazukamundwarumwir es im Deutschennichtbrauchen Was hat es hiermit auf sich? Traditionell wird die Wortabfolge, die wir bei der Fragebildung vorfinden, als Inversion bezeichnet, da das Subjekt und das finite Verb den Platz zu tauschen scheinen. Genau genommen verändert das Subjekt seine Lage zwar nicht, das finite Verb wird aber tatsächlich in eine Position links vom Subjekt bewegt. Im Altenglischen und Deutschen kann dies technisch gesehen als Verbbewegung vom Phrasenkopf V über I (also mit Zwischenstopp in I) nach C interpretiert werden, siehe Tabelle 9. 51 (Wer mit syntaktischen Baumstrukturen näher vertraut ist, wird erkennen, dass die Darstellung in Tabelle 9 aus didaktischen Gründen nicht ganz präzise ist; aufgrund der kopffinalen IP in diesen beiden Sprachen müsste die Position I genau genommen ganz rechts stehen. In der linearen Darstellung lässt sich dann aber die Verbbewegung nicht so schön nachvollziehen.) C Subjektposition I Objektposition V Hast 1 du t 1 ' einen Falken t 1 Hæfst 1 þū t 1 ' hafoc t 1 Tabelle 9: Inversion in Fragen im Altenglischen und Deutschen Fürs Moderne Englisch ergibt sich nun folgendes Problem: Im Laufe der Jahrhunderte verlor das Englische die Fähigkeit, Verben von V nach I zu bewegen. Ob Sprachen dies erlauben oder nicht, ist im sogenannten Verbbewegungsparameter (engl. verb raising parameter) festgeschrieben; bei VO-Sprachen kann dies leicht mithilfe von Adverbien, die das Ereignis modifizieren (die also an die VP adjungiert sind), getestet werden. Da diese Adverbien immer am Rand der VP stehen und somit die VP-Grenze markieren, gilt Folgendes: Alles rechts 51 Anstatt ganze Baumstrukturen einzuführen, verwenden wir weiterhin diese lineare Darstellung, da wir genauere Details aus der Syntaxtheorie aus Platzgründen weglassen wollen. Zwischenspuren (engl. intermediate traces) werden, wie in der Literatur üblich, als t' gekennzeichnet. Dieser Zwischenstopp in I ist obligatorisch, da bei Kopfbewegungen (engl. head movement) keine Kopfpositionen übersprungen werden dürfen; dies wird durch die sogenannte Kopfbewegungsbeschränkung reguliert (engl. Head Movement Constraint (HMC), siehe Travis 1984) und wird in Bezug auf das heutige Englisch noch relevant werden. <?page no="72"?> 72 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins davon befindet sich innerhalb der VP, alles links davon außerhalb. Steht das finite Vollverb also vor so einem Adverb, bewegt sich das Verb von V nach I; steht es dahinter, bewegt es sich nicht aus der VP heraus, bleibt also in V. (22) zeigt dies am Beispiel des Französischen vs. Englischen unter Verwendung der Adverbien souvent bzw. often (dt. oft); wie der Test zeigt, findet im Französischen V-nach-I-Bewegung statt, im Englischen dagegen nicht. (22) Französisch: a. Jean voit finites Verb souvent Adverb Marie. Jean sieht oft Marie b. *Jean souvent Adverb voit finites Verb Marie. Jean oft sieht Marie ‚Jean sieht Marie oft.‘ Englisch: c. *John sees finites Verb often Adverb Mary. John sieht oft Mary d. John often Adverb sees finites Verb Mary. John oft sieht Mary ‚John sieht Mary oft.‘ Subjektposition I VP-Adjunkt V Objektposition Jean voit 1 souvent t 1 Marie John often sees Mary Tabelle 10: Verbbewegungsparameter im Französischen vs. Englischen Welche Konsequenzen hat dies nun für die Bildung von Fragen? Wenn wir davon ausgehen, dass die Inversion ein obligatorischer Bestandteil der Fragebildung ist, hat das Moderne Englisch nun ein Problem - wenn es das Verb nicht von V nach I bewegen kann, kann es dies auch nicht von V über I nach C bewegen; und rein technisch betrachtet spiegelt Inversion Verbbewegung nach C wider. Nun ist aber nur der erste Schritt, die Bewegung von V nach I, für das heutige Englisch problematisch; stünde ein finites Verb von vornherein bereits in I, so wäre die Bewegung nach C durchaus erlaubt. <?page no="73"?> 73 4.3 Do-supportim Englischen: Wie es dazukamundwarumwir es im Deutschennichtbrauchen Tatsächlich gibt es eine Sorte von Verben, die ihre Basisposition nicht in V hat, sondern in I, nämlich Modal- und Hilfsverben. Hier ist die Inversion in Fragen also völlig unproblematisch, wie (23) illustriert. (23) a. Will 1 you t 1 have a hawk? wirst du haben einen Falken b. What can 1 I t 1 eat? was kann ich essen c. Where should 1 he t 1 go? wohin sollte er gehen Blicken wir nun nochmals auf die englische Variante zu Hast du einen Falken? , so fällt auf, dass hier statt des Vollverbs (das sich ja nicht von V über I nach C bewegen kann) das Hilfsverb do vorkommt (siehe (19b): Do you have a hawk? ). Warum do-support hier auftritt, kann also folgendermaßen erklärt werden: Es handelt sich um einen sogenannten „letzten Ausweg“ (engl. last resort), um die obligatorische Inversion zu bewerkstelligen, wonach „Verbmaterial“ nach C bewegt werden muss (d.-h., das Hilfsverb do wird in I eingesetzt, wie alle Hilfsverben, und von dort nach C bewegt, siehe Tabelle 11). C Subjektposition I V Objektposition Do 1 you t 1 have a hawk? Tabelle 11: Do-support im Englischen Zwei Fragen bleiben an dieser Stelle offen: Wann änderte sich der Verbbewegungsparameter im Englischen und warum war do eine gute Wahl für die last resort-Strategie? Generell können wir sagen, dass das Englische in der Epoche des Frühneuenglischen endgültig die Fähigkeit verlor, finite Vollverben von V nach I zu bewegen, und zu dieser Zeit somit do-support als Alternativstrategie in Inversionskontexten aufkam. 52 Parallel hierzu ist ein Blick auf die Entwicklung des Verbs do interessant (siehe McFadden 2006). Im Altenglischen wurde do noch 52 Was die genauere Eingrenzung dieses Zeitraums angeht, so gibt es unterschiedliche Annahmen; Roberts (1985) und Kroch (1989) datieren den Parameterwechsel in etwa <?page no="74"?> 74 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins nicht als Hilfsverb verwendet; stattdessen kam es nur als Vollverb mit der Bedeutung tun vor. Im frühen Mittelenglisch änderte sich dies allmählich und do trat auch als kausatives Hilfsverb auf; siehe (24). (24) frühes Mittelenglisch: kausatives ‚do‘ þe king sende efter him & dide him gyuen up ðat abbotrice of Burch (Hopper und Traugott 1993: 89) the king sent after him and did him give up that abbey of (Peter)brough ‘The king sent for him and made him give up the abbey of (Peter)brough.’ Deutsche Glossierung und Übersetzung: der König schickte nach ihm und tat ihn geben auf diese Abtei von (Peter)brough ‚Der König schickte nach ihm und sorgte dafür, dass er die Abtei von Peterbrough aufgab.‘ McFadden (2006) zufolge kam do ab ca. 1300 zunehmend ohne diese kausative Bedeutung gemeinsam mit anderen Vollverben vor, eine Konstellation, die verstärkt im 15./ 16.-Jahrhundert zu einer freien Variante wurde - gerade in Shakespeare-Texten finden wir oft beide Varianten: Sätze mit und ohne do zusätzlich zum Vollverb; da dies weder einen syntaktischen noch einen semantischen Grund hat, liegt hier die Vermutung nahe, dass die Verwendung dabei oftmals in der Metrik begründet liegt: „[I]nterestingly enough, the earliest such examples occur in rhyming verse, leading to the suspicion that a meaningless form of do is being inserted to get the meter to come out right“ (McFadden 2006, Lecture 9: 5) - mit do konnte man also schlichtweg das Metrum korrigieren. Die Beispiele in (25) illustrieren diese freie Verwendung von do; wie die deutschen Übersetzungen zeigen, bringt do dabei weder eine zusätzliche Bedeutung mit ein, 53 noch gibt es syntaktische Gründe für die Einsetzung dieses zusätzlichen Verbs (in allen drei Fällen handelt es sich um normale Aussagesätze ohne Negation). auf Mitte des 16.-Jahrhunderts, wohingegen z.-B. Lightfoot (1993) diesen später ansetzt (zu mehr Details siehe z.-B. Han und Kroch 2000). 53 Es handelt sich auch nicht um ein sogenanntes emphatic do, d.h. um einen Ausdruck der Emphase. Emphatic do wird benutzt, um Sachverhalte zu betonen, insbesondere in einem kontrastiven Kontext. Ein Beispiel hierfür wäre: But I [did] emphatic do see a dragon! (dt. Aber ich HABE einen Drachen gesehen! ). <?page no="75"?> 75 4.3 Do-supportim Englischen: Wie es dazukamundwarumwir es im Deutschennichtbrauchen (25) Freie Verwendung von ‚do‘ bei Shakespeare: 54 a. Macbeth, 1. Akt, 2. Szene: As two spent swimmers that do cling together […] Worthy to be a rebel, for to that The multiplying villainies of nature Do swarm upon him […] ‚wie zwei erschöpfte Schwimmer, die sich aneinander festklammern […] geeignet, ein Rebell zu sein, denn zu diesem Zweck schwärmen die sich vervielfachenden Schurkereien der Natur um ihn herum‘ b. Hamlet, 3. Akt, 1. Szene: Thus conscience does make cowards of us all ‚So macht uns das Gewissen alle zu Feiglingen‘ Seit ca. 1700 schließlich tritt der do-support auf, wie wir ihn vom heutigen Englisch her kennen; insofern können wir hier eine interessante historische Korrelation beobachten: Da die Verbbewegung im Frühneuenglischen verloren ging, musste eine alternative Strategie entwickelt werden für jene Kontexte, die obligatorisch Inversion involvieren (also Bewegung eines Verbs nach C). Hier kam das Verb do sozusagen gerade recht - hatte es doch von vornherein keine sonderlich spezifische Bedeutung, die zudem zuletzt gar nicht mehr zum Tragen kam; es war somit quasi prädestiniert für die Rolle als sogenanntes dummy do, ein Hilfsverb ohne eigenständige Bedeutung, das von nun an aus rein syntaktischen Gründen in Inversionskontexten wie Fragebildungen auftauchte. Zu den Inversionskontexten gehört neben der Fragebildung z. B. auch die sogenannte negative Inversion (engl. negative inversion), also Inversion nach negativen Ausdrücken (siehe (i)), inklusive solchen, die Negation semantisch implizieren (wie only (dt. nur), hardly (dt. kaum) etc.). 54 Die englischen Shakespeare-Zitate sind Braunmuller (2008) bzw. Edwards (2003) entnommen; die Macbeth-Übersetzung stammt aus Rojahn-Deyk (1996: 11; 13). <?page no="76"?> 76 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins (i) Under no circumstances/ Never/ To nobody did Mary say that. unter keinen Umständen/ nie/ zu niemandem tat Mary sagen das ‚Mary hat das unter keinen Umständen/ nie/ zu niemandem gesagt.‘ Do-support als solches tritt darüber hinaus natürlich auch bei negierten Aussagesätzen auf (siehe z. B. (21b): The army does not come); allerdings liegt hier keine Inversion vor (also keine Bewegung vor das Subjekt), auch wenn es hier ebenfalls darum geht, das finite Verb in einer höheren Position (in diesem Fall vor der Negation) zu positionieren. Im Gegensatz zum Englischen ist do-support im Deutschen schlichtweg nicht notwendig, da sich hier auch Vollverben nach wie vor von V über I bis C (und somit vor das Subjekt) bewegen können (siehe z.-B. (20): Was sagt er? ). Tatsächlich gibt es aber auch im Deutschen (insbesondere im Umgangssprachlichen) eine auf den ersten Blick ähnliche Konstruktion, die sogenannte tun-Periphrase (siehe (ii)). Auch wenn sie zunächst an den do-support im Englischen erinnert, entspricht sie diesem insofern nicht als der do-support im Modernen Englisch in den Kontexten, in denen er auftritt, absolut obligatorisch ist (siehe (19b)-(21b)). Im Standarddeutschen ist die tun-Periphrase in diesen Kontexten ungrammatisch (*Tust du einen Falken haben? / *Was tut er sagen? / *Die Armee tut nicht kommen.). Zwar gibt es Konstellationen, wo die tun-Periphrase auch im Standarddeutschen grammatisch ist, dies ist jedoch nur der Fall, wenn das Vollverb topikalisiert wird (siehe Nebensatz in (ii-b)). (Zur Topikalisierung siehe auch Definition weiter unten). (ii) a. Umgangssprachlich: Er tut jetzt wieder arbeiten. b. Standarddeutsch: Hören kann man ihn schon, aber sehen tut man ihn nie. 4.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? (i) Unterschiede in der Wortstellung - OV/ VO, V2, Scrambling, morphologischer Kasus Generell können wir festhalten, dass die Wortstellung im Deutschen wesentlich freier ist als im Modernen Englisch, wo wir in der Regel die Abfolge Subjekt - Verb - Objekt vorfinden (von Inversionskontexten und Topikalisierungen einmal abgesehen). <?page no="77"?> 77 4.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? Definition Topikalisierung: Bei der Topikalisierung wird gezielt eine andere Konstituente als das Subjekt nach vorne an den Satzanfang bewegt (typischerweise, um sie hervorzuheben); während in deutschen Hauptsätzen aufgrund der V2-Abfolge danach automatisch das finite Verb folgt (wie z. B. in der Übersetzung von (26)), bleibt im Englischen die Grundabfolge Subjekt-Verb-Objekt dennoch erhalten (und falls das Objekt topikalisiert wird, verbleibt in der Basisposition des Objekts zumindest die Spur); siehe (26). (26) Objekt-Topikalisierung: Horses 1 , I really love t 1 . Pferde ich wirklich liebe ‚Pferde liebe ich wirklich.‘ Dies bedeutet jedoch nicht, dass die deutsche Wortstellung völlig arbiträr ist; Deutsch lässt sich zunächst dadurch charakterisieren, dass es eine V2-Sprache ist, was zwar bedeutet, dass praktisch jedes Satzglied im Hauptsatz in erster Position stehen kann, die zweite Position jedoch prinzipiell vom finiten Verb belegt ist. Was die zugrunde liegende Struktur innerhalb der VP und IP angeht, so haben wir festgestellt, dass diese beiden Phrasen im Deutschen kopffinal sind, was insbesondere heißt, dass Deutsch eine OV-Sprache ist. Die Flexibilität in der Wortstellung kommt zudem durch die Möglichkeit zustande, dass das Deutsche Scrambling erlaubt, wodurch Konstituenten nach links bewegt und dadurch diverse Wortabfolgen generiert werden können. Generell begünstigt die Tatsache, dass wir (wenn auch in abgeschwächter Form) immer noch morphologischen Kasus im Deutschen finden, diese Variabilität - in Sprachen ohne morphologischen Kasus ist die Wortabfolge automatisch wesentlich strikter, um die Funktionalität der Kommunikation weiterhin zu gewährleisten (siehe Kapitel 4.2). Auch wenn sich das Moderne Englisch in all diesen Punkten vom Deutschen unterscheidet (hier ist Scrambling nicht möglich, morphologischer Kasus findet sich nur noch äußerst rudimentär im Pronominalsystem, die Sprache ist keine V2-Sprache und es liegt eine VO-Struktur zugrunde), muss betont werden, dass dies nicht immer der Fall war. Tatsächlich war die altenglische Syntax (und Morphologie) dem Deutschen noch sehr viel ähnlicher; die gemeinsame Vergangenheit lässt sich hier nicht leugnen. <?page no="78"?> 78 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins (ii) Do-support und Co. Eine weitere Besonderheit im Modernen Englisch ist das Auftreten von dosupport, insbesondere in Inversionskontexten (wie Fragebildung oder Inversion nach negativen Adverbien; siehe hierzu auch Exkurskasten in Abschnitt 4.3), aber auch in negierten Sätzen. Dieses Phänomen tritt erst seit dem Frühneuenglischen auf und korreliert somit mit dem Verschwinden der V-nach-I-Bewegung, die technisch gesehen eine Voraussetzung für erfolgreiche Inversion ist. Insofern kann der do-support als alternative Strategie (bzw. letzter Ausweg = last resort) gesehen werden, da die Bewegung von do von seiner Basisposition I nach C keine V-nach-I-Bewegung voraussetzt. Die Entwicklung von do im Laufe der Geschichte vom Vollverb über ein kausatives Hilfsverb zum dummy do im Frühneuenglischen wiederum hat gezeigt, dass gerade dieses Hilfsverb dafür prädestiniert war, diese rein syntaktische Funktion zu übernehmen, die es im do-support innehat. 4.5 Übungsaufgaben Aufgabe 1: In Kapitel 4.2.1 haben wir Deutsch als OV- und Englisch als VO-Sprache klassifiziert. Wenn wir die Grundposition des Subjekts noch dazunehmen, so können wir Deutsch als SOV- und Englisch als SVO-Sprache bezeichnen (siehe auch Merksatz zur „Straßenverkehrsordnung“ im Englischunterricht). Wie die folgenden Beispiele aufzeigen, sind die Wortstellungsmöglichkeiten in den Sprachen der Welt noch wesentlich vielfältiger. Finden Sie anhand der Sätze in (i)-(x) heraus, welche Abfolge der jeweiligen Sprache zugrunde liegt. Wichtig zu wissen: Die Beispiele sind so gewählt, dass sie die Grundabfolge direkt widerspiegeln (sie sind also nicht durch zusätzliche Bewegungstransformationen zustande gekommen)! 55 55 Die Originalsätze dieser Aufgabe stammen bis auf (i), (iv), (viii) und (ix) aus O’Grady et al. (1996: 383 f.); (ix) ist Lindert (2017: 41) entnommen. Die Sprachen Hixkaryana und Apurin- sind südamerikanische indigene Sprachen, deren Sprecher an Nebenflüssen des Amazonas’ leben. <?page no="79"?> 79 4.5 Übungsaufgaben (i) Türkisch: Köksal futbol oynuyor. Köksal Fußball spielt ‚Köksal spielt Fußball.‘ (ii) Walisisch: Lladdodd y ddraig y dyn. tötete der Drache den Mann ‘Der Drache tötete den Mann.’ (iii) Madagassisch: Nahita ny mpianatra ny vehivavy. sah den Studenten die Frau ‚Die Frau sah den Studenten.‘ (iv) Russisch: Rebjonok jest jabloko. 56 Kind isst Apfel ‚Das Kind isst einen Apfel.‘ (v) Irisches Gälisch: Chonaic mé mo mháthair. sah ich meine Mutter ‚Ich sah meine Mutter.‘ (vi) Hixkaryana: Kana yanimno biryekomo. Fisch fing Junge ‚Der Junge fing einen Fisch.‘ (vii) Apurin-: Anana nota apa. Ananas ich hole ‚Ich hole eine Ananas.‘ 56 In kyrillischer Schrift: Ребёнок ест яблоко. <?page no="80"?> 80 4 Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins (viii) Spanisch: La chica toca la guitarra. die Mädchen spielt die Gitarre ‚Das Mädchen spielt Gitarre.‘ (ix) Polnisch: Piotr widzi Kasię. Peter sieht Kasia ‚Peter sieht Kasia.‘ (x) Japanisch: Gakusei-ga hon-o yonda. Student-nom Buch-akk las ‚Der Student las ein Buch.‘ Aufgabe 2: a. Erklären Sie, warum folgende englische Sätze ungrammatisch sind, indem Sie auf Eigenschaften des Englischen Bezug nehmen, die wir in diesem Kapitel besprochen haben. (Hinweis: Unter welchen (falschen) Annahmen könnten die ungrammatischen Sätze jeweils hergeleitet werden? ) b. Wie würde eine alternative grammatische Variante aussehen? (i) *Did Mary her homework? tat Mary ihre Hausaufgaben ‚Hat Mary ihre Hausaufgaben gemacht? ‘ (ii) *Last year went I to Scotland letztes Jahr ging ich nach Schottland ‚Letzes Jahr ging ich nach Schottland.‘ (iii) *I know that Shakespeare many plays written has. ich weiß dass Shakespeare viele Stücke geschrieben hat ‚Ich weiß, dass Shakespeare viele Stücke geschrieben hat.‘ <?page no="81"?> 81 4.5 Übungsaufgaben 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten 5.1 „Falsche Freunde kann niemand trennen“: Von false friends und anderen Fehleinschätzungen Den Einstieg in den Fremdsprachenunterricht gestalten viele Lehrer: innen, indem sie die Schulkinder auf Gemeinsamkeiten zwischen der neu zu erlernenden Sprache und ihrer Muttersprache hinweisen. Die Schüler: innen ordnen die noch fremden Wörter aufgrund von Ähnlichkeiten deutschen Wörtern zu und freuen sich daran, dass sie schon etwas verstehen können. Dieses Erfolgserlebnis ist bei germanischen Sprachen leicht herzustellen, selbst mit Französisch oder Latein lassen sich diese Verbindungen aufzeigen, auch wenn diese nicht der germanischen Sprachfamilie angehören (siehe auch Kapitel 5.2.1 und 5.4). Die Methode, Wörter über Ähnlichkeiten zu erschließen, wird über die gesamte Schulzeit von den Schüler: innen angewandt und sogar unter Lerntechniken in den Lehrwerken angeführt und eingeübt. So sinnvoll und nützlich diese Technik auch ist, so birgt sie doch ihre eigenen Fallstricke. Man läuft nämlich Gefahr, dass man sie auch dann anwendet, wenn es zwar eine Ähnlichkeit in der Form gibt, diese aber keineswegs inhaltlich einfach übertragen werden kann. Ein sehr häufig von Schüler: innen falsch verwendetes Wort ist das englische become (dt. werden). Es sieht dem deutschen bekommen ähnlich, und auch vom Klang her ist der Unterschied für die Lernenden nicht so groß. Dies führt zu Schülersätzen wie Tim became a cookie (dt. Tim wurde ein Keks), was wir ihm wirklich nicht wünschen wollen. Dieses Phänomen, dass die formale Ähnlichkeit von Wortpaaren fälschlicherweise als inhaltliche Gemeinsamkeit gedeutet und dadurch falsch in die andere Sprache übertragen wird, ist unter dem Namen false friends, also falsche Freunde, bekannt. Hier bleibt nichts anderes übrig, als diese Vokabeln zu lernen und immer wieder zu üben. Generell sollte man den Schüler: innen eine grundlegende Skepsis bei Übersetzungen und Übertragungen von Wörtern aus einer Sprache in die andere vermitteln. Nicht nur false friends führen allzu leicht zu Fehlern, auch idiomatische Wendungen beispielsweise werden häufig zu skur- <?page no="82"?> 82 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten rilen Formulierungen, wenn man sie einfach eins zu eins überträgt. (In diesem Sinne: Enjoy this book in full trains! ) Die Ähnlichkeit zwischen Englisch und Deutsch kann man sich aber durchaus auch produktiv an Stellen zunutze machen, wo es die Schüler: innen gar nicht vermuten. So kann es ein wahrer Aha-Moment sein, wenn man z.-B. den Zusammenhang von town und Zaun erkennt: Die beiden Begriffe sind etymologisch nämlich eng verwandt, wobei town ein umgrenztes Gebiet bezeichnet, während ein Zaun als umgrenzendes Element dient. Gerade guten Schüler: innen hilft ein Exkurs z.-B. zu den Lautverschiebungen dabei, solche Zusammenhänge zu erkennen und durch die Verknüpfung mit sprachgeschichtlichem Wissen ein tieferes Verständnis zu erlangen. Auch für Lehrer: innen ist es hilfreich zu wissen, wo die Sprachen historisch bedingt Ähnlichkeiten aufweisen und wie sich sowohl diese als auch manche Unterschiede erklären lassen. Das folgende Kapitel zielt darauf ab, solche Entwicklungen aufzuzeigen und so zu einem umfassenderen Verständnis beizutragen. 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden Wie wir bereits wiederholt gesehen haben, ist das Deutsche in einigen Aspekten dem Modernen Englisch zwar ähnlich, aber eine noch größere Ähnlichkeit verbindet es mit dem Altenglischen. Dies ist kein Zufall, blicken Englisch und Deutsch doch auf eine gemeinsame sprachgeschichtliche Vergangenheit zurück, was bedeutet, dass sich Gemeinsamkeiten noch stärker in früheren Sprachformen manifestieren. Insbesondere auf die Syntax sind wir diesbezüglich bereits eingegangen (siehe Kapitel 4); in diesem Kapitel wollen wir nun einen genaueren Blick auf die Phonologie und die Flexion im verbalen Bereich werfen. 57 57 In den folgenden Abschnitten wird hin und wieder Gebrauch von phonetischen und phonologischen Fachtermini gemacht; zwar sind die grundsätzlichen Beobachtungen auch so zu verstehen, aber zur Erinnerung und zum besseren Verständnis werden die entsprechenden Begrifflichkeiten (analog zum morphologischen Exkurs in Kapitel 2.5) in Kapitel 5.5 nochmals erklärt. <?page no="83"?> 83 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden 5.2.1 Eine gemeinsame Vergangenheit: Proto-Germanisch Wie die meisten europäischen Sprachen zählen Deutsch und Englisch zur indoeuropäischen Sprachfamilie, also der Sprachfamilie mit den meisten Muttersprachlern weltweit. 58 Das Proto-Indoeuropäische ist also der gemeinsame „Vorfahre“ (wobei die Bezeichnung „Proto-“ bedeutet, dass wir aus dieser Zeit keine Aufzeichnungen haben; es handelt sich vielmehr um eine historisch rekonstruierte Sprache). Aus dem Proto-Indoeuropäischen gingen schließlich u.-a. die germanischen Sprachen hervor, zunächst mit der gemeinsamen Ursprache Proto-Germanisch (ca. 1.- Jahrtausend v.- Chr.). Diese Entwicklung brachte bereits erste germanische Eigenheiten zum Vorschein, die die germanischen von den anderen indoeuropäischen Sprachen unterscheidet. Eine der vermutlich bekanntesten Veränderungen finden wir im Bereich der Phonologie, da es im germanischen Sprachraum zu systematischen Lautverschiebungen kam, zunächst zur sogenannten Germanischen (oder Ersten) Lautverschiebung (engl. First Germanic Consonant Shift). Die Systematik, die dahintersteckt, wurde im 19.-Jahrhundert entdeckt und beschrieben; zuerst durch den Dänen Rasmus Rask, in erweiterter Form schließlich von Jakob Grimm, was diesem Teil der Lautverschiebung auch den Namen Grimmsches Gesetz (engl. Grimm’s Law) einbrachte. 59 Bevor wir einen Blick auf die betroffenen Laute werfen, schauen wir uns zunächst kurz an, welche Sprachen genau zur germanischen Sprachfamilie gehören. 58 Zu den Sprachen, die in Europa gesprochen werden, jedoch nicht indoeuropäisch sind, gehören z.-B. Ungarisch, Finnisch, Estnisch (diese drei sind uralische Sprachen), Türkisch (eine Turksprache) sowie das Baskische (eine isolierte Sprache). Die Bezeichnung indoeuropäisch impliziert, dass die Sprachen dieser Sprachfamilie ursprünglich in diesem geographischen Raum angesiedelt waren. Grob gesagt umfasst dies also das Gebiet von Indien (mit Sanskrit und den daraus entstandenen Sprachen) bis Europa (wobei mit „ursprünglich“ vor der Kolonialisierung gemeint ist, während der sich beispielsweise das Englische, Spanische und Portugiesische weit über diese Grenzen hinaus auch auf anderen Kontinenten verbreitet hat). 59 Oft wird die Erste bzw. Germanische Lautverschiebung mit dem Grimmschen Gesetz gleichgesetzt; dies ist allerdings insofern nicht ganz korrekt, als das Grimmsche Gesetz nicht alle beobachteten Verschiebungen erfasst. Während sich der Begriff der Germanischen Lautverschiebung also auf den tatsächlich erfolgten Lautwandel bezieht, stellt das Grimmsche Gesetz einen zugegebenermaßen äußerst erfolgreichen Versuch dar, diesen systematisch zu erfassen. Insbesondere das Vernersche Gesetz, auf das im Folgenden noch genauer eingegangen wird, komplettiert diese theoretische Implementierung. <?page no="84"?> 84 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten Generell wird zwischen den nord-, ost- und westgermanischen Sprachen unterschieden. Ostgermanisch umfasst Sprachen wie Gotisch, Burgundisch und Vandalisch, die heute allesamt ausgestorben sind. Zu den nordgermanischen Sprachen, die alle aufs Altnordische zurückgehen, gehören die ost- und westskandinavischen Sprachen wie Dänisch und Schwedisch auf der einen und Norwegisch, Isländisch und Färöisch auf der anderen Seite. Die meisten germanischen Sprachen sind jedoch Teil des westgermanischen Sprachzweigs; hierzu zählen Englisch und Deutsch, zudem Niederländisch, Friesisch, Flämisch, Yiddisch und Afrikaans. Die Germanische Lautverschiebung lässt sich am einfachsten nachvollziehen, wenn man Wörter aus diesen Sprachen systematisch mit deren Entsprechungen aus nicht-germanischen indoeuropäischen Sprachen vergleicht, also z.-B. mit Griechisch, Latein oder Sprachen aus dem romanischen Sprachzweig 60 (siehe Tabelle 12-17). Prinzipiell sind bei der Germanischen Lautverschiebung drei Kategorien von Lauten betroffen: stimmlose Plosive, stimmhafte Plosive ohne Aspiration sowie stimmhafte Plosive mit Aspiration (also solche mit „Hauchgeräusch“, was in der Transkription durch ein hochgestelltes h angezeigt wird). Die erste Lautgruppe wird in der Regel zu stimmlosen Frikativen (am selben Artikulationsort), 61 die zweite zu stimmlosen Plosiven (am selben Artikulationsort) und bei der dritten Lautgruppe geht die Aspiration verloren; siehe (1). 62 60 Die romanischen Sprachen (wie z.-B. Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch) sind Sprachen, die aus dem Lateinischen hervorgegangen sind. Aufgrund von Sprachkontakt (zunächst mit den Römern, später mit den Franzosen, siehe auch Kapitel 7.1 zur Geschichte des Englischen) findet man natürlich auch im Englischen diverse Spuren des Lateinischen und Französischen (z.- B. im Vokabular); von der Sprachverwandtschaft her gesehen ist die erste gemeinsame Verbindung zwischen diesen Sprachen und dem Englischen jedoch das Proto-Indoeuropäische (siehe auch Darstellung (7) in Kapitel 5.4). 61 Genau genommen stimmen die Artikulationsorte nicht unbedingt hundertprozentig überein (siehe z.- B. alveolares / t/ vs. dentales / θ/ ); gemeint ist jedoch der Frikativ im Lautinventar, der am dichtesten am Artikulationsort des ursprünglichen Plosivs gebildet wird. 62 Die Darstellung der Lautgesetze in (1) und (3) geht nicht auf zusätzliche mögliche Zwischenschritte ein, die im Laufe der Lautverschiebung auftreten können; die Laute auf der rechten Seite entsprechen somit der letzten Stufe des jeweiligen Lautwandels. <?page no="85"?> 85 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden (1) Germanische bzw. Erste Lautverschiebung: Grimmsches Gesetz a. / p/ , / t/ , / k/ → / f/ , / θ/ , / h/ am Silbenanfang bzw. / x/ an anderer Silbenposition b. / b/ , / d/ , / g/ → / p/ , / t/ , / k/ c. / b h / , / d h / , / g h / → / b/ , / d/ , / g/ Die folgenden Tabellen illustrieren dies anhand von einigen Beispielen aus diversen germanischen vs. nicht-germanischen indoeuropäischen Sprachen; die von der Germanischen Lautverschiebung betroffenen Laute sind dabei fett markiert. 63 nicht-germanisch: / p/ germanisch: / f/ Griechisch: Sanskrit: Latein: Französisch: Italienisch: Spanisch: patér pitárpater père padre padre Altenglisch: Altfriesisch: Altsächsisch: Althochdeutsch: Altisländisch: Gotisch: fæder 64 feder fadar fater faþir fadar Tabelle 12: Grimmsches Gesetz, / p/ → / f/ (siehe (1a)) 63 Die Beispiele in den Tabellen beschränken sich auf die Veränderungen in (1a) und (1b), da im heutigen Deutsch und Englisch aspirierte vs. nicht-aspirierte Plosive Allophone desselben Phonems sind und keine unterschiedlichen Phoneme (zur Terminologie siehe auch Kapitel 5.5). Insofern ist ihre Unterscheidung typischerweise schwerer wahrnehmbar für Muttersprachler dieser Sprachen, wohingegen z.-B. / p/ vs. / f/ für Sprecher des Deutschen und Englischen ganz klar als unterschiedliche Laute wahrgenommen werden. Um dennoch ein Beispiel der Kategorie (1c) zu nennen, sei z.-B. auf Sanskrit verwiesen: bhrātar- (Sanskrit) mit Anlaut / b h / entspricht dem deutschen bzw. englischen Wort Bruder bzw. brother mit / b/ im Anlaut. 64 Der Wandel vom Plosiv / d/ zum Frikativ / ð/ , den wir im heutigen father vorfinden, erfolgte erst wesentlich später in Analogie zum semantisch verwandten Wort brother (siehe z.-B. McMahon 1994: 75). <?page no="86"?> 86 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten nicht-germanisch: / t/ germanisch: / θ/ Latein: Französisch: Italienisch: tres trois tre Englisch: Isländisch: Altfriesisch: three þrír thrē Tabelle 13: Grimmsches Gesetz, / t/ → / θ / (siehe (1a)) nicht-germanisch: / k/ germanisch: / h/ bzw. / x/ Griechisch: Latein: Italienisch: kannabis octo cuore Englisch: Deutsch: Norwegisch: hemp (dt. Hanf) acht hjerte (dt. Herz) Tabelle 14: Grimmsches Gesetz, / k/ → / h/ bzw. / x/ (siehe (1a)) nicht-germanisch: / b/ germanisch: / p/ Griechisch: Latein: Kroatisch: kannabis cannabis jabuka Niederländisch: Isländisch: Englisch hennep hampur apple Tabelle 15: Grimmsches Gesetz, / b/ → / p/ (siehe (1b)) nicht-germanisch: / d/ germanisch: / t/ Latein: Französisch: Italienisch: decem dix dieci Englisch: Niederländisch: Norwegisch: ten tien ti Tabelle 16: Grimmsches Gesetz, / d/ → / t/ (siehe (1b)) <?page no="87"?> 87 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden nicht-germanisch: / g/ germanisch: / k/ Französisch: Italienisch: Spanisch: grain gola agricultura Englisch: Niederländisch: Deutsch: corn keel (dt. Kehle) Ackerbau Tabelle 17: Grimmsches Gesetz, / g/ → / k/ (siehe (1b)) Tatsächlich handelt es sich bei der Germanischen Lautverschiebung um einen äußerst regelmäßigen Vorgang. Dennoch gibt es immer wieder diverse Ausnahmen, die das Grimmsche Gesetz nicht erfasst, was insbesondere die sogenannten Junggrammatiker (engl. Neogrammarians) im letzten Viertel des 19.-Jahrhunderts zum Anlass nahmen, diese speziellen Fälle nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen. 65 Dieser illustre Kreis von Linguisten, zu dem u.-a. Karl Brugmann, August Leskien, Hermann Osthoff und Hermann Paul zählten, arbeitete zu jener Zeit in Leipzig und hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, scheinbaren Irregularitäten nachzugehen und die zugrunde liegenden Regeln aufzuspüren, da sie in Analogie zu den Gesetzmäßigkeiten in den Naturwissenschaften davon überzeugt waren, dass auch sprachwissenschaftliche Gesetze entsprechend allgemeingültig seien. Die Grundmotivation der Junggrammatiker kann somit wie folgt beschrieben werden: (2) Grundsatz der Junggrammatiker: „Es muss in solchem falle so zu sagen eine regel für die unregelmässigkeit da sein; es gilt nur diese ausfindig zu machen.“ (Verner 1877: 101) Dieses Zitat entstammt der berühmtesten Publikation des Dänen Karl Verner, der zu jener Zeit in Halle und somit ebenfalls im weiteren Umfeld von Leipzig arbeitete und in regem Austausch mit den anderen Sprachwissenschaftlern der Leipziger Schule stand. Seine bedeutendste Entdeckung ging als Vernersches Gesetz (engl. Verner’s Law) in die Geschichte der Linguistik ein und bietet eine Erklärung für etliche Ausnahmen zum Grimmschen Gesetz. Bei genauerer 65 Die Bezeichnung dieser jüngeren Generation von Sprachwissenschaftlern als „Junggrammatiker“ war ursprünglich von ihren älteren Kollegen eher abfällig gemeint. <?page no="88"?> 88 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten Untersuchung bemerkte Verner nämlich einen Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Lautverschiebung und dem ursprünglichen Betonungsmuster der betroffenen Wörter und formulierte sein Gesetz daraufhin wie folgt: (3) Germanische bzw. Erste Lautverschiebung: Vernersches Gesetz / p/ , / t/ , / k/ → / b/ , / d/ , / g/ , wenn die vorangehende Silbe unbetont ist D.h., statt der nach Grimm erwarteten Frikative (nämlich / f/ , / θ/ , / h/ bwz. / x/ , siehe (1a)) werden die stimmlosen Plosive lediglich stimmhaft (am selben Artikulationsort), wenn sie nach einer unbetonten Silbe auftreten (Beispiele hierzu finden sich in den Tabelle 18-20). Dass diese Regelmäßigkeit nicht schon früher auffiel, hat mit den unterschiedlichen Betonungsmustern im Proto-Indoeuropäischen bzw. Proto-Germanischen zu tun. Wie in Kapitel 2.3.1 bereits erläutert, kam es ab ca. 500 v.- Chr. zur Germanischen Akzentverschiebung, mit dem Resultat, dass der ursprünglich freie Akzent des Proto-Indoeuropäischen abgelöst wurde durch einen Hauptakzent auf der ersten Silbe im Germanischen. Dies hatte zur Folge, dass Wörter, die ursprünglich nicht auf der ersten Silbe betont waren (und somit typischerweise der Vernerschen Lautverschiebung unterlagen), im späteren Verlauf nicht mehr auf den ersten Blick als solche erkennbar waren. Insofern bedurfte es in der Tat ein wenig Detektivarbeit und des festen Glaubens der Junggrammatiker an eine tiefergehende Gesetzmäßigkeit, um diese Systematik letztlich zu erkennen. 66 nicht-germanisch: / p/ germanisch: / b/ (statt / f/ ) Griechisch: hypér Deutsch: über Tabelle 18: Vernersches Gesetz, / p/ → / b/ (siehe (3)) 66 Eine weitere systematische Ausnahme vom Grimmschen Gesetz, die in der ursprünglichen Formulierung nicht berücksichtigt wird, betrifft im Übrigen die Tatsache, dass stimmlose Plosive nicht zu Frikativen werden, wenn ihnen direkt ein anderer Plosivlaut oder ein Frikativ vorangeht, wie die markierten Laute in den folgenden Beispielen illustrieren: Latein captus; spūo vs. Altenglisch hæft; spīwan (dt. Gefangener; spucken); siehe McMahon (1994: 23). <?page no="89"?> 89 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden nicht-germanisch: / t/ germanisch: / d/ (statt / θ/ ) Latein: Sanskrit: centum pitár- Deutsch: Altenglisch: hundert fæder Tabelle 19: Vernersches Gesetz, / t/ → / d/ (siehe (3)) nicht-germanisch: / k/ germanisch: / g/ (statt / h/ bzw. / x/ ) Latein: macer socrus Deutsch: mager Schwiegermutter Tabelle 20: Vernersches Gesetz, / k/ → / g/ (siehe (3)) 5.2.2 „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ oder: Was den Schwaben vom Engländer unterscheidet Dieser bekannte Slogan des Bundeslandes Baden-Württemberg, der 1999 an den Start ging, zielt auf die Aussprache des Schwaben ab, der, so das Klischee, seine Herkunft aufgrund des Dialekts nur schwer verbergen kann. Mit „Hochdeutsch“ verbindet man dagegen umgangssprachlich eine standarddeutsche Aussprache im Sinne einer überregionalen Aussprache. Tatsächlich ist das, was wir heute als „Standardaussprache“ ansehen, noch gar nicht so lange Standard: Vom 16. bis 18. Jahrhundert war „[i]m mitteldeutschen und vor allem norddeutschen Raum […] das Meißnische (Obersächsische) […] die als vorbildlich anerkannte Sprech- und Schreibform“ (König 1978: 104). Da der ostmitteldeutsche Raum zu dieser Zeit kulturell sehr prägend war (man denke an Luthers Bibelübersetzung und den kulturellen Einfluss Leipzigs, das sich „im 18. Jh. zum Zentrum des Buchhandels“ (König 1978: 104) entwickelte), übernahm auch der süddeutsche Raum sukzessive diesen sächsischen Dialekt als Norm.„Selbst Goethe reimt müde : Friede, König : wenig […] und schreibt mitunter leichten statt leuchten“ (König 1978: 149), wobei die Entrundung der Vokale in müde, König und leuchten der meißnischen Aussprache entsprachen und die Reimpaare somit zu reinen Reimen wurden. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die norddeutsche Aussprache zur neuen Aussprachenorm, <?page no="90"?> 90 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten nachdem dies 1898 auf einer Germanistentagung unter Leitung von Theodor Siebs beschlossen wurde. Allerdings wird in der Realität diese Aussprachenorm nur von wenigen deutschen Sprechern wirklich umgesetzt, denn „[d]ie gesprochene Hochsprache besitzt immer noch viele regionale Varianten“ (König 1978: 110). Der Alltagsgebrauch des abgewandelten Begriffes „Hochdeutsch“ ist in diesem Zusammenhang jedoch etwas irreführend. Rein sprachwissenschaftlich betrachtet zählt man zu den hochdeutschen Varietäten nämlich gerade die südlichen und mitteldeutschen deutschsprachigen Dialekte (inklusive Schwäbisch und auch z.- B. Schweizerdeutsch), denn genau genommen bezieht sich die Bezeichnung „hoch“ in „Hochdeutsch“ auf die Höhe über dem Meeresspiegel der Regionen, in denen diese Dialekte gesprochen werden (im Gegensatz zum Niederdeutschen). 67 Diese Unterscheidung spielt in der weiteren Entwicklung der germanischen Sprachen eine besondere Rolle, denn ca. zwischen 500 und 800 n.-Chr. kam es zu einer zweiten Lautverschiebung innerhalb des (west)germanischen Sprachzweigs, der sogenannten Zweiten (oder auch Hochdeutschen bzw. Althochdeutschen) Lautverschiebung (engl. Second Germanic Consonant Shift). Diese betraf allein die hochdeutschen Varietäten und unterscheidet sie seither somit von den anderen (west)germanischen Sprachen. Insofern ist in den betroffenen phonetischen Kontexten beispielsweise das Plattdeutsche (= nicht hochdeutsch) dem Englischen (= ebenfalls nicht hochdeutsch) näher als das Schwäbische (= hochdeutsche Varietät). Die wichtigsten Veränderungen können wie folgt beschrieben werden (vgl. z.-B. Bodmer 1980: 270 f.; McMahon 1994: 227): 67 Die Grenze, wo das hochdeutsche Dialektgebiet ins niederdeutsche übergeht, ist die sogenannte Benrather Linie; Bodmer (1980: 272) zufolge verläuft „[d]ie Scheidelinie […] von der belgischen Grenze südlich von Aachen nach Düsseldorf, von dort nach Kassel, trifft oberhalb Magdeburgs auf die Elbe, geht nördlich an Luthers Wittenberg vorbei und stößt nordöstlich von Frankfurt an der Oder auf die polnische Sprachgrenze. Nördlich dieser Linie, die man die Benrather Linie nennt, nach dem Städtchen Benrath, wo sie den Rhein überquert, herrschen niederdeutsche Züge vor.“ Bezüglich weiterer Details zum deutschen Sprachraum siehe auch Jäger und Böhnert (2018). <?page no="91"?> 91 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden (4) Hochdeutsche bzw. Zweite Lautverschiebung a. stimmlose Plosive → stimmlose Frikative oder Affrikate: / p/ , / t/ , / k/ → (i) / f/ , / s/ , / x/ nach Vokalen (typische Schreibung: <ff>, <ss>, <ch>) (ii) / pf/ , / ts/ , / kx/ im Silbenanlaut, nach Geminaten oder nach Konsonanten (außer Frikativen) 68 b. stimmhafte Plosive → stimmlose Plosive: / b/ , / d/ , / g/ → / p/ , / t/ , / k/ (wobei im heutigen Deutsch lediglich der Wandel von / d/ zu / t/ sichtbar ist, siehe Tabelle 24) 69 Die Beispiele in den Tabellen 21-24 dienen der Illustration, wobei das (Standard-)Deutsche das Ergebnis der Zweiten Lautverschiebung widerspiegelt, wohingegen die Beispiele der links aufgeführten westgermanischen Sprachen nach wie vor die ursprünglichen Konsonanten beinhalten. Um die Unterschiede innerhalb des deutschen Sprachraums hervorzuheben, sind mitunter auch plattdeutsche (= niederdeutsche) und alemannische (= hochdeutsche) Beispiele aufgeführt. (Im Übrigen leitet die Lautverschiebung gemäß (4a-i) auch die Korrelation zwischen „Wat mutt, dat mutt“ und „Was muss, das muss“ ab.) 68 Der Wandel von / k/ zu / kx/ tritt nicht in allen hochdeutschen Varietäten auf, ist aber beispielsweise im Alemannischen zu beobachten, siehe Tabelle 23. Da sich die Zweite Lautverschiebung von den Alpen aus nordwärts ausbreitete, gibt es nach Norden hin Richtung Benrather Linie immer mehr Ausnahmen; von daher ist es kein Zufall, dass die weniger gängigen Verschiebungen (wie beispielsweise / k/ → / kx/ ) eher in den südlicheren Dialekten des Hochdeutschen auftreten. In etlichen mitteldeutschen Dialekten fehlt beispielsweise auch schon der Wandel von / p/ → / pf/ (siehe z.-B. hessisch Äpplwoi für Apfelwein). 69 Die Lautverschiebungen hin zu den beiden stimmlosen Plosiven / p/ und / k/ traten nur in wenigen, sehr südlichen Dialekten auf, insb. in Teilen des bairischen und alemannischen Dialektgebiets (siehe z.-B. altbairisch kepan für geben; prôt für Brot). Aufgrund dieser geographisch wesentlich eingeschränkteren Verbreitung wird (4b) nicht immer als Bestandteil der Zweiten Lautverschiebung mit aufgeführt (siehe z.-B. McMahon 1994: 227). <?page no="92"?> 92 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten nicht-hochdeutsch: / p/ hochdeutsch: / f/ bzw. / pf/ Englisch: Niederländisch: Plattdeutsch: pepper apple hope paard Peer Piep Deutsch: Pfeffer Apfel hoffen Pferd Pferde Pfeife Tabelle 21: Zweite Lautverschiebung, / p/ → / f/ ; / p/ → / pf/ (siehe (4a)) nicht-hochdeutsch: / t/ hochdeutsch: / s/ bzw. / ts/ Englisch: Niederländisch: Plattdeutsch: two town water water Waterkant Tide Deutsch: zwei Zaun Wasser Wasser „Wasserkante“ Zeit Tabelle 22: Zweite Lautverschiebung, / t/ → / s/ ; / t/ → / ts/ (siehe (4a)) nicht-hochdeutsch: / k/ hochdeutsch: / x/ bzw. / kx/ Englisch: Niederländisch: Plattdeutsch: Englisch: break weak boek Week maken cow Deutsch: Alemannisch: brechen weich Buch Woche machen Chue Tabelle 23: Zweite Lautverschiebung, / k/ → / x/ ; / k/ → / kx/ (siehe (4a)) <?page no="93"?> 93 5.2 Deutsch und Englisch - Eng verwandt und doch verschieden nicht-hochdeutsch: / d/ hochdeutsch: / t/ Englisch: Niederländisch: Plattdeutsch: daughter day dream droog drinken Dag Deutsch: Tochter Tag Traum trocken trinken Tag Tabelle 24: Zweite Lautverschiebung, / d/ → / t/ (siehe (4b)) Weitere typische Lautentwicklungen im Germanischen, die üblicherweise jedoch nicht direkt zur Zweiten Lautverschiebung gezählt werden, umfassen folgende Veränderungen: (5) Weitere lautliche Veränderungen im Hochdeutschen: a. / s/ → / ʃ/ im Anlaut vor / l/ , / m/ , / n/ , / p/ , / t/ ; Schreibung: <s> vor / p/ , / t/ , sonst <sch> b. / v/ → / b/ zwischen Vokalen (6) Weitere lautliche Entwicklungen, die das Englische nicht mitgemacht hat (und die es somit z.-B. vom Deutschen unterscheiden): a. / w/ → / v/ b. / θ/ , / ð/ → / t/ , / d/ Was den Lautwandel in (6b) angeht, so kann man festhalten, dass lediglich das Englische und das Isländische die alten germanischen Konsonanten / θ/ und / ð/ noch zu ihrem Lautinventar zählen. Wie Bodmer (1980: 268) anmerkt, ist „[d]as Isländische […] noch konservativer als das Englische, insofern als ein þ (θ) im Anlaut nie zu ð erweicht ist“ - im Englischen findet man hier dagegen oft die stimmhafte Variante (z.-B. isländisch þar entspricht there im Englischen mit / ð/ im Anlaut). In allen anderen Sprachen wurden diese Frikative zu Plosiven, wobei der stimmlose Laut / θ/ in vielen Beispielen nicht zum stimmlosen / t/ wurde, sondern zunächst in die stimmhafte Variante / ð/ überging und somit schließlich als stimmhafter alveolarer Plosiv / d/ endete, siehe auch Tabelle 28. <?page no="94"?> 94 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten nicht-hochdeutsch: / s/ hochdeutsch: / ʃ/ Englisch: Niederländisch: Plattdeutsch: sleep stone spider snoer smeren sneei Deutsch: schlafen Stein Spinne Schnur schmieren Schnee Tabelle 25: Weitere Lautverschiebungen im Hochdeutschen, / s/ → / ʃ / (siehe (5a)) nicht-hochdeutsch: / v/ hochdeutsch: / b/ Englisch: Niederländisch: Plattdeutsch: give have live lieveling Seev Leev Deutsch: geben haben leben Liebling Sieb Liebe Tabelle 26: Weitere Lautverschiebungen im Hochdeutschen, / v/ → / b/ (siehe (5b)) / w/ / v/ Englisch: wind weather winter warm Deutsch: Schwedisch: Deutsch: Norwegisch: Wind 70 vind väder Wetter Winter varm Tabelle 27: Weitere Lautverschiebungen in Teilen des Germanischen, / w/ → / v/ (siehe (6a)) 70 Auch wenn die Schreibung im Deutschen eine Ähnlichkeit mit dem Englischen suggeriert, entspricht der Anlaut in diesen deutschen Wörtern (wie in den skandinavischen Sprachen) dem / v/ und nicht mehr dem / w/ (siehe auch Bodmer 1980: 267). <?page no="95"?> 95 5.3 Von Zeit zu Zeit vergess’ ich die alten Zeiten gern / θ/ , / ð/ / t/ , / d/ Englisch: Isländisch: thorn the thistle thirst þessi þinn Deutsch: Schwedisch: Norwegisch: Deutsch: Dorne det tistel (dt. Distel) tørst (dt. Durst) dies dein Tabelle 28: Weitere Lautverschiebungen in Teilen des Germanischen, / θ/ , / ð/ → / t/ , / d/ (siehe (6b)) 5.3 Von Zeit zu Zeit vergess’ ich die alten Zeiten gern Nach der etwas ausführlicheren Betrachtung der Lautentwicklungen in den germanischen Sprachen wollen wir nun noch einen kurzen Blick auf eine zweite Neuerung werfen, die zur Zeit des Proto-Germanischen Einzug in die germanische Sprachfamilie hielt - die Bildung des schwachen Präteritums mit Hilfe von sogenannten Dentalsuffixen (d.- h. mit Suffixen, die typischerweise einen Konsonanten beinhalten, der an den Zähnen oder in unmittelbarer Nähe gebildet wird). 71 Im Englischen steht die regelmäßige Bildung des simple past auf -ed in dieser Tradition (z.- B. talked); im Deutschen findet man bei schwachen Verben im Präteritum das Morphem -te (z.-B. redete). Das Präteritum starker Verben hingegen wird in beiden Sprachen durch einen Ablaut markiert, d.-h., innerhalb des Verbstamms ändert sich der Vokal (z.-B. give - gave; geben - gab). Interessanterweise ist Letzteres die ältere Methode, um grammatische Kontraste wie Tempusunterschiede zu kennzeichnen; sie fand bereits im Proto-Indoeuropäischen Verwendung. Nichtsdestotrotz wird heute die „modernere“ Variante (also das Dentalsuffix) bei der regelmäßigen Bildung des Präteritums verwendet, wohingegen Verben, die mit Hilfe des Ablauts ihr Präteritum bilden, üblicherweise 71 Die Bezeichnung Dentalsuffix ist generell üblich, auch wenn insbesondere im Deutschen und Englischen die involvierten Konsonanten (nämlich / t/ und / d/ ) gar nicht dental, sondern vielmehr alveolar sind, also ein wenig weiter hinten im Mund gebildet werden; siehe auch Kapitel 5.5, was die phonetische Terminologie angeht. <?page no="96"?> 96 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten als unregelmäßig bezeichnet werden. 72 Insofern ist die Bildung des Präteritums mit Dentalsuffix heutzutage eine äußerst produktive Form der Flexion, und neue Verben, die in die Sprachen Einzug halten, bilden ihr Präteritum auf diese Weise; vgl. z.-B. mailen - mailte. Wie kam es jedoch überhaupt dazu, dass sich neben der Bildung mit Hilfe des Ablauts eine weitere Strategie zur Bildung des Präteritums/ past tense entwickelte? Der Grund hierfür liegt, kurz gesagt, am Wandel von einem aspektbasierten zu einem tempusbasierten System im Übergang vom Proto-Indoeuropäischen zum Proto-Germanischen. Definition Aspekt Verbale Kategorie, die sich auf die zeitliche Struktur oder andere inhaltliche Merkmale von Verbbedeutungen bezieht und die in der Morphologie einzelner Sprachen grammatikalisiert ist. Eine grundlegende Aspekt-Unterscheidung ist Imperfektiv vs. Perfektiv, wodurch ein Vorgang entweder als ein zeitlich nicht weiter strukturierter, kontinuierlicher Verlauf oder als eine auf einen Endpunkt zielende Entwicklung präsentiert werden kann. (Bußmann 1990: 103) In einer tempusbasierten Sprache verortet das tempusmarkierte Verb die beschriebene Handlung oder Tätigkeit rein zeitlich; grob gesagt bedeutet dies, dass die Wahl des Tempus davon abhängt, ob die beschriebene Handlung vor, während oder nach dem jeweiligen Referenzzeitpunkt stattfindet (entsprechend wird eine Vergangenheits-, Präsens- oder Futurform gewählt). In einer aspektbasierten Sprache dagegen geht es um die innere Struktur einer Handlung, z.-B., ob sie immer noch andauert oder wiederholt stattfindet bzw. ob sie bereits beendet ist. Diese Art von Unterscheidung kommt dem Englischsprecher von heute insofern immer noch etwas vertraut vor, als die progressive form im Modernen Englisch eben solche aspektuellen Unterschiede aufgreift. Der Unterschied zwischen he was walking und he walked ist somit ein aspektueller (andauernde Handlung vs. Handlung vollendet), wohingegen die Formen he was walking vs. 72 Die Gleichsetzung schwaches Verb = regelmäßiges Verb ist so nicht ganz korrekt; tatsächlich ist die englische -ed-Form nicht die einzige past tense-Form mit Dentalsuffix. Auch wenn z.-B. im Präteritum von burn (dt. brennen) mittlerweile oft die Form burned auftritt, gibt es immer noch die ältere Variante burnt - eine unregelmäßige Form, die jedoch ebenfalls ein Dentalsuffix (mit dem Plosiv / t/ ) enthält. Es handelt sich somit um ein schwaches Verb (wenn auch mit unregelmäßiger past tense-Bildung). <?page no="97"?> 97 5.3 Von Zeit zu Zeit vergess’ ich die alten Zeiten gern he is walking einen tempusbasierten Unterschied anzeigen (siehe auch McFadden 2006, Lecture 2: 10). Das Proto-Indoeuropäische unterschied McFadden (2006) zufolge zunächst drei verschiedene Aspekte, 73 die sich gegen Ende der Epoche jedoch radikal veränderten - während ein Teil des alten Systems im Übergang zum Proto- Germanischen gänzlich verloren ging, wandelte sich die Bedeutung anderer Aspektformen, die auf diese Weise nach und nach eine tempusbasierte Bedeutung annahmen, was letztlich in der Entwicklung einer Vergangenheitsform mündete. Das ursprünglich aspektbasierte System wurde somit von einem tempusbasierten System abgelöst. Eine Komplikation bestand jedoch darin, dass nicht jedes Verb in jeder Aspektform vorkommen konnte. So können z.- B. statische Verben (also Zustandsverben wie z.- B. wissen) typischerweise keine Handlung mit interner Struktur beschreiben (auch in den heutigen Verlaufsformen (engl. progressive forms) können statische Verben nicht ohne Weiteres auftreten) oder umgekehrt Verben, die eine aktive Handlung beschreiben, nicht unbedingt statisch interpretiert werden. Da man jedoch die Bedeutung aller Verben temporär verorten kann, benötigte man mehr neue Vergangenheitsformen als aus dem aspektorientierten System abgeleitet werden konnten. Dies war einer der zentralen Gründe, weshalb sich eine weitere Strategie für die Bildung von Vergangenheitsformen etablierte. 74 Die Strategie zur Tempusbildung, die sich direkt aus den alten proto-indoeuropäischen Aspektformen heraus entwickelte, involvierte einen Wechsel des Vokals im Verbstamm - sie basierte also auf der Benutzung von sogenannten Ablauten. Die Strategie, die nun neu dazu kam, war die Verwendung eines Dentalsuffixes, was ursprünglich vermutlich auf eine Behelfskonstruktion mit der proto-germanischen Version von tun (engl. do) zurückzuführen ist. Aus heutiger Sicht können wir also zusammenfassend konstatieren: Wenn wir auf die Vergangenheitsformen des Englischen und Deutschen schauen, so 73 Grob gesagt wurde unterschieden zwischen einem statischen Aspekt, einem Aspekt für andauernde/ repetitive/ unvollständige Handlungen (Imperfektiv) sowie einem perfektiven Aspekt. (Die genaue Terminologie hierzu variiert in der Literatur laut McFadden 2006, Lecture 2: 10 f.) 74 Darüber hinaus weist McFadden (2006, Lecture 3: 11) darauf hin, dass auch durch Derivation gebildete Verben die Vergangenheitsform nicht über einen Ablaut bilden konnten. <?page no="98"?> 98 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten mag man sich dessen zwar nicht immer bewusst sein, doch es finden sich auch hier deutliche Spuren einer gemeinsamen Vergangenheit - sei es in Form des typisch germanischen Dentalsuffixes oder aber auch des noch älteren Ablauts. 5.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? (i) Die Erste Lautverschiebung: Deutsch und Englisch gegen den Rest der (nichtgermanischen indoeuropäischen) Welt Die allermeisten Sprachen im schulischen Fremdsprachenunterricht gehören der indoeuropäischen Sprachfamilie an; dabei sind Deutsch und Englisch Vertreter des germanischen Sprachzweigs (genauer gesagt gehören beide zu den westgermanischen Sprachen), wohingegen Französisch, Spanisch und Italienisch, drei weitere gängige Fremdsprachen im Schulkontext, zu den romanischen Sprachen gehören, also vom Lateinischen abstammen; siehe Illustration (7). Die Grafik in (7) stellt einen Ausschnitt der indoeuropäischen Sprachfamilie dar und zeigt die Verortung der gängigen indoeuropäischen Schulsprachen an. 75 (7) Auch wenn durch zusätzlichen Sprachkontakt all diese Sprachen eng miteinander verwoben sind und auf unterschiedliche Weise Einfluss aufeinander genommen haben, 76 so ist das Deutsche sprachhistorisch gesehen doch am engsten mit dem Englischen verwandt. Dies macht sich u.-a. darin bemerkbar, 75 Die Einteilung folgt in Auszügen einer Darstellung in Stewart und Vaillette (2001: 381). 76 Vgl. z.-B. den französischen Einfluss auf das Mittelenglische oder den des Lateinischen auf viele Sprachen in Europa zur Zeit des Römischen Reiches. <?page no="99"?> 99 5.4 In aller Kürze - Was nehmen wir mit? dass sowohl im Deutschen als auch im Englischen die Auswirkungen der Germanischen Lautverschiebung heute noch zu sehen sind, die die germanischen von den anderen indoeuropäischen Sprachen trennte - entsprechend finden sich beispielsweise in vielen germanischen Wörtern stimmlose Frikative, wo in den romanischen Sprachen stimmlose Plosive auftreten (siehe z.- B. dt. Fisch, engl. fish vs. lat. piscis, frz. poisson) oder stimmlose an Stelle von stimmhaften Plosiven (siehe z.-B. engl. tooth, norw. tann vs. frz. dent, span. diente). (ii) Die Zweite Lautverschiebung: Deutsch versus Englisch (und andere germanische Sprachen) Auf die Germanische oder Erste Lautverschiebung, die grob zwischen 500-v.-Chr. und dem Jahr 0 stattfand, folgte einige Jahrhunderte später (ca. 500-800-n.-Chr.) die Hochdeutsche oder Zweite Lautverschiebung, die, wie der Name schon sagt, nur die hochdeutschen Dialekte betraf und diese somit von den anderen (west) germanischen Sprachen unterschied, einschließlich dem Englischen. Aufgrund dieser weiteren unterschiedlichen Entwicklung finden sich auch heute noch diverse systematische Unterschiede zwischen deutschen und englischen Beispielen, die auf diesen Lautwandel zurückzuführen sind; siehe z.-B. engl. pillar vs. dt. Pfeiler; engl. eat vs. dt. essen; engl. tooth vs. dt. Zahn. (iii) Das schwache Präteritum im Germanischen Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Englischen und dem Deutschen lässt sich ebenfalls bis ins Proto-Germanische zurückverfolgen - die Bildung des Präteritums schwacher Verben mit Hilfe eines Dentalsuffixes. Auch wenn uns die Ähnlichkeit der Morpheme -ed im Englischen und -te im Deutschen auf den ersten Blick nicht sofort ins Auge springen mag, so gehören sie sprachhistorisch gesehen doch zur selben Strategie, Präteritumsformen zu bilden, nämlich mit einem Suffix, das typischerweise einen dentalen (oder auch alveolaren, siehe Fußnote 71) Laut beinhaltet, wie / d/ bzw. / t/ . <?page no="100"?> 100 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten 5.5 Exkurs: Basiswissen Phonetik/ Phonologie Dieser kleine Exkurs soll kein umfassendes Kapitel zum Thema Phonetik/ Phonologie sein, sondern lediglich selektiv die Begrifflichkeiten kurz aufgreifen, die in diesem Kapitel erwähnt wurden. 77 Die Phonetik beschäftigt sich mit der Lehre der einzelnen Laute. Da die Lautverschiebungen in diesem Kapitel allesamt Konsonanten betreffen, schauen wir uns kurz deren charakteristische Eigenschaften näher an: Konsonanten werden generell unterschieden bezüglich (i) des Artikulationsortes, (ii) der Artikulationsart und (iii) der Frage, ob sie stimmhaft oder stimmlos sind. Letzteres hängt von der Position der Stimmlippen ab; sind diese eng zusammengepresst, bringt die durchströmende Luft sie während der Artikulation zum Schwingen, was wir als Stimmhaftigkeit wahrnehmen (z.-B. bei / b/ oder / v/ ). (Am Kehlkopf können wir dabei mit den Fingern die Vibration deutlich spüren.) 78 Da bei der Artikulation stimmloser Laute die Stimmlippen weiter auseinander liegen, kann die Luft hier ungehindert durchströmen und erzeugt diese Vibration nicht (z.-B. bei / p/ oder / f/ ). Generell wird bei der Artikulation von Lauten die Luft aus den Lungen nach draußen befördert, 79 und je nachdem, an welcher Stelle im Mund der Luftstrom 77 Aus Platzgründen gehen wir z.-B. nicht auf alle Artikulationsorte und -arten ein, sondern nur auf die explizit im Kapitel erwähnten; die interessierte Leserschaft verweisen wir für einen Gesamtüberblick auf Einführungsliteratur in die Linguistik wie z.-B. O’Grady et al. (1996). 78 Insbesondere Muttersprachlern aus dem mittel- und oberdeutschen Sprachraum fällt diese Unterscheidung nicht immer ganz leicht, da in diesen Dialekten viele Obstruenten (also Plosive, Frikative, Affrikaten (s.-u.)) stimmlos ausgesprochen werden, die im selben Wort in nördlicheren Dialekten stimmhaft sind. Beim Einüben der korrekten Aussprache ergibt sich im Fremdsprachenunterricht somit die zusätzliche Komplikation, dass Schüler: innen aus dem südlicheren deutschen Sprachraum die Produktion von stimmhaften Lauten (und deren Unterscheidung von der stimmlosen Variante) auch in der Fremdsprache unter Umständen schwerfällt; so wird z.-B. das englische Plural-s hier gerne durchgängig stimmlos artikuliert (siehe Fußnote 19 zur korrekten Aussprache). Sich dieser Problematik von vornherein bewusst zu sein, ist für die Lehrkraft (und ihr Verständnis gegenüber den Schüler: innen) durchaus hilfreich. 79 Dies erfolgt entweder ausschließlich über den Mund (= oraler Laut, wie z.-B. / t/ oder / f/ ) oder über Mund und Nase (= nasaler Laut, wie z.-B. / m/ oder / n/ ), ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen verschiedenen Konsonanten. <?page no="101"?> 101 5.5 Exkurs: Basiswissen Phonetik/ Phonologie am meisten modifiziert wird (wo also, plakativ gesagt, der Durchgang für die Luft am engsten wird), liegt der Ort der Artikulation. Eine entsprechende Verengung kann beispielsweise durch ein Zusammenpressen der Lippen herbeigeführt werden, was beim bilabialen [p] oder [m] der Fall ist; oder die Zunge nähert sich den Zähnen, was einen dentalen Laut wie [θ] oder [ð] erzeugt. Rutscht die Zunge hinter den oberen Schneidezähnen noch ein wenig weiter nach hinten den Mundraum entlang, können wir eine kleine Wölbung erspüren, den sogenannten Zahndamm (engl. alveolar ridge) - hier werden die alveolaren Laute wie [t], [d] oder auch [s] und [n] erzeugt. Tatsächlich können wir besonders gut bei Lauten wie [p], [t] oder [d] den Artikulationsort nachvollziehen, weil sich in all diesen Fällen die Artikulatoren direkt berühren (d.- h., die Lippen werden z.- B. zusammengepresst oder die Zunge berührt den Zahndamm). In diesem Moment erfolgt für einen kurzen Moment ein kompletter Verschluss und die Luft kann nicht weiterströmen. Daraufhin erfolgt eine abrupte Öffnung des Artikulationskanals, was mit dem typischen „ploppenden“ Geräusch dieser Laute verbunden ist. Diese Art von Laut heißt deshalb auch Verschlusslaut oder Plosiv (engl. stop, plosive). Eine zweite Art von Laut, die bei den Lautverschiebungen im Germanischen eine Rolle spielt, sind die Frikative (engl. fricatives). Sie werden im Deutschen auch Reibelaute genannt, da dies den typischen Sound ganz gut beschreibt, der bei der Artikulation dieser Laute entsteht: Zwar kommt es hierbei nicht zum kompletten Verschluss des Artikulationskanals, doch da der Durchgang dennoch sehr eng wird, ist ein deutlich zischendes oder reibendes Geräusch zu hören, wie beispielsweise bei [f], [s], [ð] oder [ʃ]. Bei Affrikaten, denen wir bei der Zweiten Lautverschiebung begegnet sind, handelt es sich quasi um eine sehr enge Kombination von Plosiv und Frikativ, in der die Öffnung des Verschlusses direkt in die Artikulation des Frikativs übergeht, wie z.-B. bei [pf], [ts] oder [tʃ]. Während sich die Phonetik mit einzelnen Lauten und deren Artikulation beschäftigt, befasst sich die Phonologie mit deren Verwendung und Zusammenwirken. Zentraler Begriff ist das Phonem, die kleinste bedeutungsunterscheidende sprachliche Einheit. Was dies heißt, wird klar, wenn man sich sogenannte Minimalpaare anschaut, z.-B. die englischen Wörter meet und beat (Aussprache [miːt] vs. [biːt]; dt. treffen bzw. schlagen). Hier impliziert allein der Tausch der beiden Laute [m] und [b] (bei gleichbleibendem phonetischem Kontext [_iːt]) eine andere Bedeutung. Die Minimalpaaranalyse (engl. minimal <?page no="102"?> 102 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten pair test) beweist somit, dass / m/ und / b/ im Englischen verschiedene Phoneme sind (deshalb nun auch die phonemische Transkription mit Schrägstrich statt der phonetischen mit eckiger Klammer). Dabei spricht man genau genommen nicht das Phonem aus, denn der Begriff Phonem ist ein abstrakter und eine Bezeichnung wie z.-B. / l/ bezieht sich auf eine Art Oberbegriff, der phonetisch ähnliche Laute (hier alle möglichen l-Varianten) unter sich vereint, die sogenannten Allophone. Für verschiedene Allophone desselben Phonems kann man kein Minimalpaar finden, da sie an unterschiedliche Positionen im Wort gebunden sind. 80 5.6 Übungsaufgaben Aufgabe 1: Überlegen Sie sich 10 weitere typische false friends, die dem deutschen Muttersprachler das Englischlernen erschweren. Aufgabe 2: Werfen Sie einen genauen Blick auf die folgenden verwandten Wörter verschiedener indoeuropäischer bzw. germanischer Sprachen: Welche Lautentsprechungen können auf welche der besprochenen Lautverschiebungen zurückgeführt werden? 80 So gibt es im Englischen z.- B. neben dem sogenannten light [l] am Silbenanfang in Wörtern wie leaf (dt. Blatt) auch ein dark [ɫ], welches im Britischen Englisch gezielt am Silbenende auftritt (wie in pool). Es ist sprachspezifisch, welche Laute als Allophone eines Phonems fungieren. Da die Unterscheidung von Phonemen in der Kommunikation wesentlich wichtiger ist als die von Allophonen (die Aussprache von pool mit light [l] beispielsweise mutet lediglich etwas merkwürdig an, lässt die Bedeutung aber immerhin noch erkennen, was beim Austausch von Phonemen nicht mehr der Fall ist), führt dies dazu, dass der Unterschied zwischen Allophonen desselben Phonems wesentlich schlechter wahrgenommen wird. Diese Beobachtung liegt auch dem Klischee zugrunde, demzufolge manche Sprecher asiatischer Sprachen r- und l-Laute (beides Liquide, was die Artikulationsart angeht) öfter verwechseln, denn z.-B. im Koreanischen sind diese Laute lediglich Allophone desselben Phonems; demzufolge ist die Unterscheidung für Koreanischsprecher tatsächlich wesentlich schwerer als für deutsche oder englische Muttersprachler. <?page no="103"?> 103 5.6 Übungsaufgaben a. Griechisch: pyr Deutsch: Feuer b. Englisch: over Deutsch: über c. Sanskrit: dhárati Englisch: dare d. Englisch: ship Deutsch: Schiff e. Lateinisch: per Englisch: for f. Englisch: speak Deutsch: sprechen g. Englisch: sweat Deutsch: Schweiß h. Englisch: thieves Deutsch: Diebe Aufgabe 3: Überlegen Sie sich 5 weitere Wortpaare, die die Erste oder Zweite Lautverschiebung illustrieren. Aufgabe 4: In Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter findet sich auf einem Grabstein die unten stehende plattdeutsche Inschrift (siehe Storm 2004: 68). Benennen Sie alle darin enthaltenen Beispiele, die die Zweite Lautverschiebung und weitere systematische Lautwandel im Hochdeutschen aus diesem Kapitel illustrieren. Dat is de Dod, de allens fritt, Nimmt Kunst un Wetenschop di mit; De kloke Mann is nu vergahn, Gott gäw em selig Uperstahn. („Das ist der Tod, der alles frisst; nimmt Kunst und Wissenschaft dir mit; der kluge Mann ist nun vergangen; Gott gebe ihm selige Auferstehung.“) Aufgabe 5: Es wird zwar oft betont, dass sich durch die Zweite Lautverschiebung das Hochdeutsche von den anderen westgermanischen Sprachen unterscheidet, <?page no="104"?> 104 5 Wat mutt, dat mutt - Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten aber natürlich gilt somit auch, dass wir dieselben Unterschiede auch zwischen Deutsch und den nordgermanischen Sprachen finden. Die folgenden Bilder enthalten norwegische Beschriftungen. 81 Was könnte die jeweilige deutsche Entsprechung zu den darunter stehenden Begriffen sein und bei welchen Konsonanten wird die Zweite Lautverschiebung (oder eine der anderen besprochenen Veränderungen) sichtbar? (i) Institutt for språk og litteratur, (ii) smelthytta, (iii) besøkende, (iv) Utland International Aufgabe 6: Finden Sie jeweils ein deutsches und ein englisches Minimalpaar, welches zeigt, dass [l] und [r] 82 keine Allophone desselben Phonems im Deutschen bzw. Englischen sind (im Gegensatz zum Koreanischen, siehe Fußnote 80). 81 Diese Fotos entstanden in Trondheim und Røros (Norwegen). 82 Da r-Laute in verschiedenen Sprachen und Dialekten sehr unterschiedlich artikuliert werden können, ist die allgemeine Notation [r] alles andere als präzise, da sie eigentlich nur für den alveolaren Vibranten steht (grob gesagt ein vorne gerolltes / r/ ). Aus pragmatischen Gründen wird sie jedoch oft als verallgemeinerte einheitliche Darstellung des r-Lautes verwendet und wir schließen uns dieser Konvention hier an. Genau genommen tritt im Standarddeutschen das / r/ stattdessen oft als uvularer Vibrant [ʀ] auf oder auch als uvularer Frikativ [ʁ]. Im Britischen Englisch herrscht typischerweise der alveolare Approximant [ɹ] vor, im Amerikanischen Englisch dagegen der retroflexe Approximant [ɻ] (danke an Heidi Altmann für Ausführungen hierzu). <?page no="105"?> 105 5.6 Übungsaufgaben 6 Epilog oder: Warum ist Harry Potter nur so dick geworden? In den letzten Kapiteln haben wir einen munteren Streifzug durch alle möglichen Bereiche der Linguistik gemacht: Nach dem zweiten Kapitel, das sich mit den diversen Realisierungen von s-Endungen beschäftigte, die sowohl in den Bereich der Morphologie als auch der Syntax fielen (siehe Begrifflichkeiten wie Suffix oder Klitikon), gingen wir über zur Diskussion des Dativs und anderer Kasus, was ebenfalls morphologische sowie syntaktische Aspekte beinhaltet hat. Das vierte Kapitel bezog sich hauptsächlich auf die Wortstellung und befasste sich somit in erster Linie mit der Syntax in den verschiedenen Sprachen. Schließlich haben wir uns in Kapitel fünf mit diversen Lautverschiebungen auseinandergesetzt, also die phonetische bzw. phonologische Komponente in den Mittelpunkt gerückt, wobei bei der Diskussion um das schwache Präteritum wiederum die Morphologie zusätzlich näher beleuchtet wurde. Auch die lexikalische Semantik klang im letzten Kapitel im Kontext der false friends mit an. Bezüglich all dieser Aspekte haben wir das Englische insbesondere mit dem Deutschen verglichen und zusätzlich alle möglichen anderen Sprachen mit herangezogen. Mit Sicherheit gäbe es noch wesentlich mehr Eigenschaften des Englischen, deren Vergleich mit anderen Sprachen interessant wäre - wir möchten zu guter Letzt noch auf eine davon kurz eingehen, die über einzelne Laute, Wörter oder Sätze hinausgeht und sich auf die Textproduktion als solches bezieht. Tatsächlich scheint es der Fall zu sein, dass englische Texte, die in andere Sprachen übersetzt werden, oftmals in der Übersetzung um einiges länger werden. 83 Die Gründe hierfür mögen mannigfaltig sein (und Übersetzungen von Texten können schließlich variieren), doch ein Punkt ist sicherlich der Erwähnung wert, nämlich die im Englischen so häufig vorkommenden Partizipialkonstruktionen. Zwar gibt es diese auch im Deutschen, 84 wie das in (1) vor- 83 Siehe z.- B. auch https: / / www.w3.org/ International/ articles/ article-text-size.de (last accessed: 06.10.2022): „Englischer und chinesischer Text ist typischerweise sehr kompakt, und Übersetzungen aus diesen Sprachen sind typischerweise länger als das Original - mitunter drastisch länger.“ 84 Siehe z.-B. Brodahl (2022), was weiterführende Literatur zu Partizipialkonstruktionen im Deutschen und Englischen angeht, und Brodahl et al. (2023) zu deren Kontrollstatus. <?page no="106"?> 106 6 Epilog oder: Warum ist Harry Potter nur so dick geworden? kommende Partizip Perfekt (entspannt) und Partizip Präsens (ahnend) zeigen, viel häufiger jedoch werden englische Partizipialkonstruktionen mit finiten Nebensätzen übersetzt, die somit automatisch länger sind. (1) aus: Harry Potter und der Feuerkelch Da stand er, unendlich entspannt, nur leise ahnend, dass alle ihn ansahen. (Rowling 2000b: 243, Hervorhebung S.F. und C.F.) Die Tendenz, dass englische Texte kürzer sind, wird z.-B. sichtbar, wenn man englische Werke mit ihren deutschen Übersetzungen vergleicht. So weisen die hier angegebenen gebundenen Ausgaben von Harry Potter durchaus ein vergleichbares Format auf, doch während die englische Version 636 Seiten hat, kommt die deutsche auf 767. Exemplarisch sei folgende Textstelle hierzu genauer beleuchtet: (2) For nearly half an hour they climbed a steep, winding and stony path, following Sirius’ wagging tail, sweating in the sun, the shoulder straps of Harry’s bag cutting into his shoulders. (Rowling 2000a: 451 f., Hervorhebung S.F. und C.F.) (3) Die Gurte von Harrys Tasche schnitten ihm in die Schultern, und alle drei gerieten unter der Sonne ins Schwitzen, während sie eine halbe Stunde lang Sirius’ wedelndem Schwanz folgten und einen gewundenen und steinigen Pfad emporkletterten. (Rowling 2000b: 543) Die englische Version kommt hierbei auf 31 Wörter mit 155 Zeichen (185 mit Leerzeichen); die deutsche benötigt 36 Wörter mit 204 Zeichen (239 mit Leerzeichen). Während im Englischen drei Partizipien auffallen (following, sweating, cutting), finden wir hier im Deutschen keines; stattdessen werden finite Übersetzungsvarianten benutzt. Auch wenn eine Konstruktion also in verschiedenen Sprachen durchaus vorhanden sein mag, so ist noch lange nicht gesagt, dass sie gleich häufig benutzt wird, und es kann sehr unterschiedliche Übersetzungsvarianten geben, die mit unterschiedlicher Häufigkeit auftreten. Dies liegt oft daran, dass sie je nach Kontext unterschiedlich natürlich klingen - eine weitere Feinheit, auf die man Schüler: innen im Fremdsprachenunterricht und insbesondere im Umgang mit Übersetzungen aufmerksam machen kann. In unserem Fall liefert <?page no="107"?> 107 6 Epilog oder: Warum ist Harry Potter nur so dick geworden? diese Beobachtung jedenfalls eine Erklärung dafür, warum der deutsche Harry Potter dicker ist. In englischen Zeitungsüberschriften verleitet der gängige Gebrauch von Partizipialkonstruktionen und Gerundien (engl. gerund) dagegen häufig zu relativ langen Titeln, da auf diese Weise alle möglichen Informationen im typischen nicht-finiten Überschriftenstil untergebracht werden können, wie z. B. in (i) (siehe https: / / www.seattletimes.com/ nation-world/ nation/ mangiven-16-years-for-shooting-at-kids-throwing-snowballs/ ; last accessed: 16.03.2023): (i) Man given 16 years for shooting at kids throwing snowballs Mann gegeben 16 Jahre für Schießen auf Kinder werfend Schneebälle ‚16 Jahre Haft für Mann, der auf schneeballwerfende Kinder schießt‘ given: Partizip Perfekt; shooting: Gerundium; throwing: Partizip Präsens <?page no="109"?> 109 5.6 Übungsaufgaben 7 Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen 7.1 Die Epochen des Alt-, Mittel- und Frühneuenglischen Zwar ändert sich Sprache nicht über Nacht, doch da gewisse historische Ereignisse auch besonderen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Sprache haben, werden diese Fixpunkte gerne als Übergang von einer zur anderen Epoche genannt. Insofern werden oft konkrete Jahreszahlen als Epochenbeginn oder -ende angegeben. 7.1.1 Altenglisch (Old English): 449-1066 HISTORISCHE EREIGNISSE 449: Machtübernahme durch germanische Stämme (Angeln, Sachsen und Jüten) um 700: Datierung der ersten schriftlichen Dokumente ab ca. 950: Entwicklung einer Art Standardsprache: Late West Saxon dialect ca. 800-1066: Zeit ständiger kriegerischer Auseinandersetzungen, erst mit den Wikingern (Sprachkontakt zum Skandinavischen), dann mit den Normannen 793: Wikinger zerstören Lindisfarne 865-878: dänische Wikinger erobern ein großes Gebiet im Nordosten Englands, das sogenannte Danelag (altengl. Dena lagu; dt. dänisches Recht) 878: Friedensvertrag mit Anerkennung des Danelag 1066: Normannische Eroberung <?page no="110"?> 110 7 Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen LINGUISTISCHE MERKMALE Dialekte 4 große Dialektgebiete: Kent, Mercia, Northumbria, West-Sächsisches Gebiet (Sussex, Wessex) Morphologie reiches Flexionssystem, synthetische Sprache 85 Syntax dem Standarddeutschen sehr ähnlich: V2-Sprache, OV-Sprache LITERATUR Bekannte altenglische Werke: Beowulf; The Anglo-Saxon Chronicle 85 Die Klassifizierung von Sprachen in synthetische, analytische und agglutinierende Sprachen geht auf August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) und August Schleicher (1821-1868) zurück. Während synthetische Sprachen ein reiches Flexionssystem aufweisen und grammatische Information wie z.-B. Kasus, Numerus, Genus (im Nominalbereich) oder Tempus, Person, Numerus oder Aspekt im Verbalbereich typischerweise in Flexionsendungen einbinden (z.- B. lat. aquam; -am = fem. sg. akk. (dt. Wasser)), benutzen analytische Sprachen hierfür in der Regel freie Morpheme (z.-B. engl. will eat; will = Futur (dt. wird essen)). Agglutinierende Sprachen (wie z.-B. das Türkische) können genau genommen als Untergruppe des synthetischen Typs angesehen werden - die Informationen werden hier ebenfalls in Endungen kodiert, die Besonderheit ist hierbei jedoch, dass jede Endung genau eine grammatische Information enthält (nicht wie im obigen lateinischen Beispiel, wo eine einzige Endung gleichzeitig Informationen zu Genus, Numerus und Kasus beinhaltet); z.-B. türk. köylerin; -ler = Plural, -in = Genitiv (dt. der Dörfer). Bei der Klassifizierung konkreter Sprachen geht es letztlich darum, welche Tendenz am stärksten auftritt; denn auch das Moderne Englisch, das zweifellos zu den analytischen Sprachen zählt, weist vereinzelt noch synthetische „Überbleibsel“ auf, wie das wohlbekannte -s bei finiten Verben in der 3. Person sg. im Präsens (he eats (dt. er isst)). <?page no="111"?> 111 7.1 Die Epochen des Alt-, Mittel- und Frühneuenglischen 7.1.2 Mittelenglisch (Middle English): 1066-1476 HISTORISCHE EREIGNISSE 1066: Normannische Eroberung (engl. Norman Conquest) durch Wilhelm den Eroberer (engl. William the Conqueror, frz. Guillaume le Conquérant) bei der Battle of Hastings 1476: Einführung des Buchdrucks in England KONSEQUENZEN • starker französischer Einfluss im Mittelenglischen (insbesondere auf Vokabular 86 und Schreibung); z.-B. englische Digraphen mit <h> gehen auf den französischen Einfluss zurück (vgl. altengl. scip vs. ship ab dem Mittelenglischen) • Sprache am Hof: Normannisches Französisch • geschrieben wurde zu dieser Zeit hauptsächlich auf Französisch oder Latein; deshalb entwickelte sich auch keine Standardform im Mittelenglischen heraus (anders als noch im Altenglischen) LINGUISTISCHE VERÄNDERUNGEN Phonetik/ Phonologie um 1400: Beginn des Great Vowel Shift (bzgl. Details siehe Abschnitt 7.1.3) Morphologie Verlust der Flexionsendungen: Übergang von synthetischer zu analytischer Sprache 86 Wie McFadden (2006) betont, gibt es zwar zahlreiche Entlehnungen aus dem Französischen, diese betreffen aber typischerweise nicht das Vokabular des alltäglichen Lebens, sondern oftmals eher abstraktere Konzepte. „In actual usage, native English words (and Scandinavian borrowings! ) are used far more often than French borrowings“ (McFadden 2006, lecture 7: 6). <?page no="112"?> 112 7 Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen Morphologie/ Syntax Verlust des lexikalischen Kasus (siehe auch Kapitel 3) Syntax allmählicher Wandel von einer OVzu einer VO- Sprache, endgültig abgeschlossen erst im Frühneuenglischen (zu OV/ VO siehe auch Kapitel 4) allmählicher Verlust der Verbzweit-Eigenschaft, endgültig abgeschlossen erst im Frühneuenglischen (zu V2 siehe auch Kapitel 4) LITERATUR Bekanntester mittelenglischer Autor: Geoffrey Chaucer (um 1340-1400; Canterbury Tales) 7.1.3 Frühneuenglisch (Early Modern English): 1476-1776 HISTORISCHE EREIGNISSE 1476: Einführung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in England durch William Caxton (Erfinder: Johannes Gutenberg um 1450 in Mainz) 18. Jhd.: Zeit der Kolonialisierung, die Globalisierung des Englischen beginnt; damit endet die Ära des Frühneuenglischen 1776: Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika KONSEQUENZEN • Bücher wurden erschwinglicher; die Zahl der Leser vergrößerte sich • Resultat: Standardisierung der Sprache • 1611: erste englische Übersetzung der Bibel (King James Bible) <?page no="113"?> 113 7.1 Die Epochen des Alt-, Mittel- und Frühneuenglischen LINGUISTISCHE VERÄNDERUNGEN Syntax keine Verbzweitsprache mehr; keine OV-Sprache mehr, sondern eine VO-Sprache (siehe auch Kapitel 4) Da Vollverben mittlerweile nicht mehr von V über I nach C bewegt werden können, Entstehung des do-support, wie wir ihn heute kennen, um Inversion etc. bewerkstelligen zu können (siehe auch Kapitel 4). Phonetik/ Phonologie Vollendung des Great Vowel Shift LITERATUR Bekanntester frühneuenglischer Autor: William Shakespeare (1564-1616) Great Vowel Shift (GVS) Lautverschiebung (ca. zwischen 1400-1700), die alle langen englischen Vokale betraf; typischerweise veränderten sich diese zu einem höheren Vokal und die hohen Vokale (/ i ː / , / u ː / ) wurden zu Diphthongen (siehe auch Definition in Kapitel 7.2). Der Great Vowel Shift ist aus heutiger Sicht besonders interessant, weil er in vielen Fällen die scheinbar arbiträre Divergenz zwischen Aussprache und Schreibung vieler englischer Wörter erklären kann. Beispiele: / eː/ → / iː/ ; feet: Schreibung <e> , heutige Aussprache: / iː / / iː/ → / eɪ/ → / aɪ/ ; wife: Schreibung <i> , heutige Aussprache: / aɪ / / oː/ → / uː/ ; boot: Schreibung <oo> , heutige Aussprache: / uː/ <?page no="114"?> 114 7 Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen 7.2 Anmerkung zur Rhotizität im Englischen Während der Epoche des Frühneuenglischen wandelte sich das Britische Englisch 87 sukzessive von einer rhotischen zu einer nicht-rhotischen Sprache. Definition Rhotizität (engl. rhoticity) In rhotischen Varietäten des Englischen werden alle orthographisch vorhandenen <r> entsprechend ausgesprochen. In nicht-rhotischen Varietäten hingegen gilt: Auch wenn ein <r> in der Orthographie am Ende einer Silbe vorkommt, wird dieses dort nicht ausgesprochen; nicht-rhotische Varietäten weisen also kein / r/ in Koda-Position (engl. coda position) auf. Gegen Ende des Frühneuenglischen war das Britische Englisch also nicht mehr rhotisch. 88 Wie die Beispiele in (2) zeigen, findet man stattdessen häufig einen langen Monophthong (siehe (2a)) oder einen zentrierenden Diphthong (siehe (2b)). 89 (2) a. car (dt. Auto): Aussprache im Britischen Englisch (RP): [kaː] b. beer (dt. Bier): Aussprache im Britischen Englisch (RP): [bɪə] 87 Bezüglich der Aussprache beziehen wir uns bei den Bezeichnungen Britisches und Amerikanisches Englisch auf die üblichen Referenzvarietäten Received Pronunciation (RP) bzw. General American (GA), „welche in den jeweiligen überregionalen/ nationalen Medien vorherrschend sind und als standardisiertes Ausspracheziel im Fremdsprachenunterricht angestrebt werden. […] Für die beiden Referenzaussprachen existieren alternative Bezeichungen, welche oft undifferenziert verwendet werden: Standard Southern British English (SSBE), New Received Pronunciation (NRP) oder BBC English für RP sowie Network English für GA.” (Altmann und Zerbian 2022: 94; kursive Hervorhebung S.F. und C.F.). Wie wir im Zusammenhang mit den deutschen Aussprachenormen bereits gesehen haben (siehe Kapitel 5), bedeutet dies nicht zwingend, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Akzente auch aktiv spricht (wobei dies im Falle von GA sogar zutreffend ist). RP wird tatsächlich „nur von einer absoluten Minderheit der Engländer aktiv gesprochen […] und als Indiz für die Zugehörigkeit zu einer höheren sozialen Schicht interpretiert” (Altmann und Zerbian 2022: 94). 88 „The weakening of / r/ in coda position began as early as the 16th century in Southeastern England, but it wasn’t completed until the mid-18th” (McFadden 2006, Lecture 11: 3). 89 Endet das Wort auf Vokal plus <r> in einer unbetonten Silbe, dann wird die Silbe üblicherweise nur als [ə] ausgesprochen; z.-B. butter: [ˈbʌtə]. <?page no="115"?> 115 7.2 Anmerkung zur Rhotizität im Englischen Definition Monophthong Vokal, bei dem sich [im Unterschied zum Diphthong] während der Artikulation die Artikulationsorgane nicht so bewegen, da[ss] eine Qualitätsveränderung auditiv wahrnehmbar wäre (Bußmann 1990: 499); z. B. [a] , [e] , [iː] , [uː] . Definition Diphthong [griech. […] >zweifach tönend<]. Vokal, bei dem sich während der Artikulation die Artikulationsorgane merklich bewegen, [sodass] sich auditiv zwei Phasen unterscheiden lassen (Bußmann 1990: 184). Der höchste Punkt der Zunge bewegt sich also vom anfänglichen Artikulationsort weg in Richtung einer anderen Vokalposition (z. B. [ aɪ ] wie in Brei). Ist die zweite Vokalposition höher, handelt es sich um einen steigenden Diphthong; endet der Diphthong in einem Schwa (= [ ə ], einem zentralen Vokal), handelt es sich um einen zentrierenden Diphthong. Im Britischen Englisch (RP) gibt es fünf steigende und vier zentrierende Diphthonge (engl. rising vs. centring diphthongs) (siehe auch O’Grady et al. 1996: 36). (3) Britisches Englisch (RP) a. steigende Diphthonge: [ɛɪ], [aɪ], [ɔɪ], [əʊ], [aʊ]; z.-B. in way, tie, boy, no, town b. zentrierende Diphthonge: [ɪə], [ɛə], [ʊə], [ɔə]; z.-B. in dear, wear, sure, roar Im Amerikanischen Englisch (GA) dagegen gibt es keine zentrierenden Diphthonge. 90 Dies steht in direktem Zusammenhang mit der Rhotizität: Im Britischen Englisch entwickelten sich die zentrierenden Diphthonge aufgrund des Wegfalls der rhotischen Eigenschaft; General American ist dagegen ein rhotischer Akzent, wie die amerikanische Aussprache der obigen Beispiele zeigt (siehe (4))): (4) Aussprache im Amerikanischen Englisch (GA): car: [kar], beer: [bɪr] Dass das Amerikanische Englisch rhotisch ist, ist kein Zufall. Die Tatsache, dass hier Englisch gesprochen wird, geht schließlich auf die Kolonialisierung durch das British Empire zurück, das die englische Sprache in viele Ecken der Welt brachte. Geschah dies vor dem Wegfall der Rhotizität im Britischen Englisch, 90 Die steigenden Diphthonge entsprechen in GA denen in (3) mit Ausnahme von [əʊ], was im Amerikanischen zu [oʊ] wird (z.-B. in no). <?page no="116"?> 116 7 Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen sind diese Varietäten typischerweise ebenfalls rhotisch; erfolgte die Kolonialisierung erst später, sind diese Sprachen bereits nicht-rhotisch, wie die allermeisten britischen Varietäten heutzutage. Auch in Großbritannien finden sich jedoch auch heute noch rhotische Varianten, wie z.-B. das Schottische. (5) 91 a. Rhotische Varietäten des Englischen: General American, Kanadisches Englisch, Schottisches Englisch, Irisches Englisch b. Nicht-rhotische Varietäten des Englischen: Received Pronunciation (sowie die meisten britischen Varietäten), Australisches Englisch, Neuseeländisches Englisch, Südafrikanisches Englisch 91 Die Besiedelung Nordamerikas durch die Engländer erfolgte bereits im 17. Jahrhundert (1607: Gründung von Jamestown in Virginia, der ersten dauerhaften englischen Siedlung). James Cook landete dagegen erst 1770 in Australien, die ersten englischen Siedlungen dort folgten ab 1788 (siehe auch McFadden 2006, Lecture 11: 5). Neuseeland wurde erst 1840 von den Engländern besiedelt. Südafrika wurde zunächst von den Niederlanden kolonialisiert; erst 1806 ging die Kolonie an Großbritannien. Gegenden in Amerika, die einige der typischen Merkmale des General American nicht aufweisen, sind z.- B. an der Ostküste zu finden: „[A] few places - the areas around Boston, New York City and Charleston, SC - being big ports, were in constant close contact with London throughout the early 18th century when the loss of coda / r/ was in full swing. As a result, they are now non-rhotic” (McFadden 2006, Lecture 11: 5) - wobei insbesondere das NYC-Englisch tendenziell mittlerweile ebenfalls zunehmend rhotisch wird. <?page no="117"?> 117 7.2 Anmerkung zur Rhotizität im Englischen 8 Schlusswort Eine der vier philosophischen Grundfragen bei Immanuel Kant lautet: „Was ist der Mensch? “ Als eine der Antworten auf diese Frage, was den Menschen zum Menschen macht und ihn vom Tier unterscheidet, wird meist aufgeführt: die menschliche Sprache. Mit ihr kommunizieren wir nicht nur über alltägliche Vorgänge wie die Frage, wo das zum Überleben notwendige Essen herkommt, sondern machen uns auch Gedanken über abstrakte Dinge wie Moralvorstellungen und den Sinn des Lebens. Die Fähigkeit, mit Sprache abstrakte Vorgänge und Vorstellungen analysieren und verstehen zu können, hat es dem Menschen nicht nur ermöglicht, in der Welt zurechtzukommen und sie bewusst zu gestalten - ohne Sprache wäre es auch nicht möglich gewesen, die Grenzen unserer Welt nicht nur gedanklich zu verlassen, sondern sogar Technologien zu entwickeln, um zum Mond zu fliegen. Dies ist noch keinem Tier gelungen (siehe auch Roberts 2017: 1 ff). Und selbst, wenn wir Sprache analysieren, geht das nur mit den Mitteln der Sprache. Dass wir heute Sprachbefehle an Smartphones, Autos, Such- und Küchenmaschinen geben können, ist nur möglich durch ein tiefergehendes Verständnis von Sprache und durch Modelle davon, wie Sprache funktioniert. Dabei genügt es nicht, nur eine einzelne Sprache zu betrachten; vielmehr bildet der Vergleich verschiedener Sprachen die Grundlage für das Erstellen von Sprachmodellen. Dieses Buch kann natürlich nur einen kleinen Ansatz von Sprachvergleichen bieten, und die dargestellten Modelle werden äußerst knapp erläutert. Wissenschaftliche Modelle knapp und trotzdem präzise darzustellen ist schwierig - Albert Einstein hat einmal angemerkt, man solle die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Da es bei wissenschaftlichen Modellen naturgemäß oft unterschiedliche Implementierungen gibt (schließlich handelt es sich hier um Modelle), sei an dieser Stelle kurz angemerkt, dass wir in Hinblick auf manche fachwissenschaftliche Diskussion nicht immer auf alle Facetten eingehen konnten, da dies den Rahmen gesprengt hätte. Insofern haben wir uns bei Ausführungen zu theoretischen Analysen und Schlussfolgerungen an gängigen Annahmen orientiert und versucht, diese möglichst klar darzustellen. Einsteins Einsicht folgend wurden also manche Konzepte hier zwar nur kurz skizziert, aber in der didaktischen Reduktion nur soweit verkürzt, dass dadurch <?page no="118"?> 118 8 Schlusswort nichts Entscheidendes fehlt. Unser Ziel dabei war, einerseits die zugrunde liegende Systematik von Sprache zu verdeutlichen und auf der anderen Seite auf typische Unterschiede zwischen den erwähnten Sprachen hinzuweisen. Denn ein tiefergehendes Verständnis hiervon ermöglicht es Lehrkräften, diese Systematiken auch im Unterricht besser vermitteln und auf potentielle Fehlerquellen von vornherein hinweisen zu können. Wir hoffen, dass wir unseren Leserinnen und Lesern mit den behandelten Phänomenen interessante Fakten und Einsichten an die Hand geben konnten, die ihre Begeisterung für ihr Fach gestärkt und ihr Wissen über Sprache erweitert haben, und die somit auch ihren Unterricht bereichern können - auch wenn sie beim nächsten Ausflugstag mit ihren Schüler: innen sicherlich nicht bis zum Mond fliegen werden. Danksagung Für wertvolle Kommentare und Rückmeldungen danken wir den Herausgeber: innen Sandra Döring und Peter Gallmann sowie dem Lektorenteam Tillmann Bub und Lena Fleper vom Narr Francke Attempto Verlag. Zudem möchten wir allen danken, die uns selbst im Laufe der Jahre mit ihrer fachlichen Begeisterung angesteckt und inspiriert haben. Unser besonderer Dank gilt außerdem Heidi Altmann, die uns Phonologie-Fragen beantwortet hat, Kristin Klubbo Brodahl und Inghild Flaate Høyem für den Austausch zum Norwegischen und Rückmeldungen zum ersten Manuskript, Lasse und Mathis Fischer für Hilfe bei den französischen und spanischen Beispielen sowie beim Testen einiger Übungsaufgaben, Josef Klegraf, der uns während unseres eigenen Studiums ins Alt- und Mittelenglische eingeführt hat, Ogul Nayci und Anke Tachtler für die Übersetzung des türkischen bzw. russischen Beispiels in Kapitel 4.5 sowie allen Studierenden, die Silke auf deren Weg vom ersten Semester bis zum Lehramtsabschluss begleiten und unterrichten durfte - von diesem Austausch ist viel in dieses Buch eingeflossen. <?page no="119"?> 119 7.2 Anmerkung zur Rhotizität im Englischen Lösungen zu den Übungsaufgaben Kapitel 2: the Applebys’ house; the Applebys; Luke’s dog; the Adams; Chris’s friend / Chris’ friend; Chris and Luke’s / Chris’ bzw. Chris’s and Luke’s geography teacher (der Genitiv kann an beide Konjunkte oder an die gesamte Koordination angehängt werden; vgl.: Peter und Karls Lehrer oder Peters und Karls Lehrer); Today’s topic; the President of Uruguay’s last speech; the three kids’ new rap Kapitel 3, Aufgabe 1: his: 2 Vorkommen: Genitiv Maskulinum; Genitiv Neutrum him: 2 Vorkommen: Dativ Maskulinum; Dativ Neutrum hit: 2 Vorkommen: Nominativ Neutrum; Akkusativ Neutrum hi(e)re: 2 Vorkommen: Genitiv Femininum; Dativ Femininum Kapitel 3, Aufgabe 2: I. a) Der und ein Buch lesen? ; b) Ich am Strand (vgl. auch gleichnamiges Lied von Die Ärzte); c) Ach der! ; d) Wir baten die Männer, einer nach dem anderen durch die Sperre zu gehen; II. a) Mia and me; b) you and me; c) that’s him d) that’s me; vgl. übrigens auch: MeToo-Bewegung Default-Kasus: Deutsch = Nominativ; Englisch = Akkusativ Diese beiden Kasus treten auf, obwohl die Lücken im Deutschen keine Subjektpositionen finiter Sätze und im Englischen keine direkten Objektpositionen (oder Komplemente von Präpositionen) markieren, es sich also nicht um Positionen handelt, in denen diese Kasus üblicherweise lizensiert werden. 92 92 Alternativ könnte die englische Form me hier (in Analogie zu den betonten Pronomina in romanischen Sprachen wie moi im Französischen) nicht als akkusativmarkiert angesehen werden, sondern vielmehr als morphologisch unterspezifizierte Pronominalform, die deshalb mit verschiedenen grammatischen Kontexten kompatibel ist (danke <?page no="120"?> 120 Lösungen zu den Übungsaufgaben Kapitel 3, Aufgabe 3: (i) a. der Vater der Braut = Subjekt; dem Trauzeugen des Bräutigams = Objekt 1 (Dativobjekt); die Ringe = Objekt 2 (Akkusativobjekt); b. der Vater der Braut = Nominativ; der Braut = Genitiv; dem Trauzeugen des Bräutigams = Dativ; des Bräutigams = Genitiv; die Ringe = Akkusativ; c. - (ii) a. alkoholisiert zu fahren = Subjekt (Infinitivsatz); keine Objekte; b. keine (sichtbaren) 93 NPs, also keine Kasusmarkierung; c. Subjektsatz (alkoholisiert zu fahren) nicht kasusmarkiert (iii) a. viele Fahrer = Subjekt; mit dem Auto = Adjunkt 1; auf der Autobahn = Adjunkt 2 (die Adjunkte sind im Gegensatz zu den verbalen Argumenten optional: Viele Fahrer rasen ist grammatisch); keine Objekte; b. viele Fahrer = Nominativ; dem Auto = Dativ; der Autobahn = Dativ; c. mit dem Auto: nur dem Auto ist kasusmarkiert; auf der Autobahn: nur der Autobahn ist kasusmarkiert Kapitel 4, Aufgabe 1: Türkisch: SOV; Walisisch: VSO; Madagassisch: VOS; Russisch: SVO; Irisches Gälisch: VSO; Hixkaryana: OVS; Apurin-: OSV; Spanisch: SVO; Polnisch: SVO; Japanisch: SOV Anmerkung (siehe auch O’Grady 1996: 383): In den allermeisten Sprachen steht das Subjekt in der Grundabfolge vor dem Objekt; tatsächlich scheinen sogar alle Sprachen, die doch ein zugrunde liegendes OVS- oder OSV-Muster aufweisen, aus derselben Gegend zu stammen, nämlich dem Amazonas. an Peter Gallmann für diesen Hinweis). Eine entsprechende Analyse wäre z.-B. sehr gut im Rahmen der Distribuierten Morphologie implementierbar (siehe auch Fischer 2006 zum deutschen Pronominalsystem). 93 Für Interessierte: Gemäß der Kontrolltheorie (engl. control theory) fungiert ein kovertes Pronomen mit der Bezeichnung PRO als Subjekt in solchen Infinitivsätzen; es ist jedoch nicht kasusmarkiert (mehr zur Kontrolltheorie findet man z.-B. in Fischer 2018, Fischer und Høyem 2021, 2022 sowie gängigen Einführungsbüchern in die Syntaxtheorie wie Roberts 1997). <?page no="121"?> 121 Lösungen zu den Übungsaufgaben Kapitel 4, Aufgabe 2: (i): b. Did Mary do her homework? a. Im Ausdruck to do one’s homework wird do nicht als Hilfsverb, sondern als Vollverb verwendet. Entsprechend muss bei der Fragebildung zusätzlich do-support zum Einsatz kommen (denn als Vollverb wird do in V basisgeneriert und kann somit nicht über I nach C bewegt werden, wie es die Inversion in Fragen verlangen würde). (ii): b. Last year, I went to Scotland. a. Last year went I (…) suggeriert eine V2-Abfolge. Englisch ist jedoch keine V2-Sprache (mehr); stattdessen muss das Subjekt dem finiten Verb vorangehen (SVO-Regel). (iii): b. I know that Shakespeare has written many plays. a. Die lineare Abfolge im Nebensatz ist in der ungrammatischen Version: Subjekt - Objekt - Vollverb - Hilfsverb; dies entspricht der Struktur einer OV- Sprache (= kopffinale VP) mit zusätzlicher kopffinaler IP (denn das Hilfsverb befindet sich in der Kopfposition der IP). Das ist zwar fürs Deutsche korrekt; im Englischen hingegen sind VP und IP kopfinitial, was zur Abfolge Subjekt - Hilfsverb - Vollverb - Objekt führt (vgl. SVO, „Straßenverkehrsordnung“). Kapitel 5, Aufgabe 1: Mögliche Antworten: must not ≠ muss nicht; gift ≠ Gift; actual ≠ aktuell; sea ≠ See; meaning ≠ Meinung; fast ≠ fast; also ≠ also; murder ≠ Mörder; billion ≠ Billion; brave ≠ brav; familiar ≠ familiär; hut ≠ Hut; prove ≠ prüfen; curious ≠ kurios; mist ≠ Mist Kapitel 5, Aufgabe 2: pyr/ Feuer (vgl. (1a)); over/ über (vgl. (5b)); dhárati/ dare (vgl. (1c)); ship/ Schiff (vgl. (4a)); per/ for (vgl. (1a)); speak/ sprechen (vgl. (5a)+(4a)); sweat/ Schweiß (vgl. (5a)+(6a)+(4a)); thieves/ Diebe (vgl. (6b)+(5b)) Kapitel 5, Aufgabe 3: Erste Lautverschiebung: lat. canis vs. dt. Hund; griech. kardia vs. engl. heart; span. casa vs. dt. Haus; lat. labium vs. engl. lip; ital. due vs. engl. two; Zweite Lautverschiebung: eat vs. essen; tame vs. zahm; pound vs. Pfund; weapon vs. Waffe (plus / w/ vs. / v/ , vgl. (6a)); dead vs. tot <?page no="122"?> 122 Lösungen zu den Übungsaufgaben Kapitel 5, Aufgabe 4: Z.1: Dat/ Das; Dod/ Tod; fritt/ frisst; Z.2: Wetenschop/ Wissenschaft; Z.4: gäw/ gebe; Uperstahn/ Auferstehung Kapitel 5, Aufgabe 5: (i) Institut für Sprache und Literatur; språk = Sprache: / k/ vs. / x/ (vgl. (4a); / s/ vs. / ʃ/ (vor / p/ ; vgl. (5a)) (ii) Schmelzhütte; smelt = Schmelz; / s/ vs. / ʃ/ (vor / m/ ; vgl. (5a)), / t/ vs. / ts/ (vgl. (4a)) (iii) besøkende = Besucher; / k/ vs. / x/ (vgl. (4a)) (iv) Ausland International; utland = Ausland: / t/ vs. / s/ (vgl. (4a)) Kapitel 5, Aufgabe 6: Mögliche Antwort: Englisch: light [laɪt] vs. right [raɪt]; Deutsch: lahm [lɑːm] vs. Rahm [rɑːm] <?page no="123"?> Schlagwortverzeichnis AAblaut 95, 96, 97, 98 AcI-Konstruktion 54 Adäquatheit, explanative 42 Adjunkt 45, 46, 56, 66, 72, 120 Affix 16, 17, 18, 23, 28 Affrikate 91, 100, 101 Afrikaans 84 agglutinierend 110 Aktiv 46, 47, 48, 52 Akzent 20, 21, 88, 115 Akzentverschiebung, Germanische 20, 21, 88 Alemannisch 91, 92 Alliteration 21 Allophon 85, 102, 104 Altbairisch 91 Altenglisch 19, 20, 21, 24, 33, 34, 37, 38, 42, 43, 47, 51, 52, 53, 54, 58, 60, 68, 69, 70, 71, 73, 77, 82, 85, 88, 89, 109, 110, 111 Altfriesisch 85, 86 Althochdeutsch 85, 90 Altisländisch 85 Altnordisch 69, 84 Altsächsisch 85 alveolar 84, 93, 95, 99, 101, 104 alveolar ridge, Zahndamm 101 Amerikanisches Englisch 104, 114, 115 Analogische Ausdehnung, analogical extension 22 analytisch 110, 111 Angeln 109 Apostroph 8, 13, 14, 15, 17, 25, 26, 29 Approximant 104 Apurin- 78, 79, 120 Argument 45, 56, 120 externes 46, 54, 55 internes 45, 46 Artikulationsart 100, 102 Artikulationsort 84, 88, 100, 101, 115 Aspekt 96, 97, 105, 110 Aspiration 84 Aussagesatz 57, 58, 74, 76 Australisches Englisch 116 Bback formation 23 Basis, base 17, 28, 29 Basisposition, base position 65, 67, 73, 77, 78 Baskisch 83 Battle of Hastings 111 Baumstruktur 29, 61, 62, 65, 67, 71 Benrather Linie 90, 91 Bewegung 65, 67, 68, 71, 72, 73, 75, 76, 78 bilabial 101 Britisches Englisch 102, 104, 114, 115, 116 Burgundisch 84 CCanterbury Tales 112 Caxton, William 112 Chaucer, Geoffrey 112 Chinesisch 42, 105 Chomsky, Noam 42, 61 complementizer phrase, CP 65 DDanelag 109 Dänisch 65, 84, 109 Dativ 8, 19, 22, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 39, 40, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 105, 120 Default-Kasus 55, 119 Deklinationsklasse 19, 22, 23 dental 84, 95, 99, 101 Dentalsuffix 95, 96, 97, 98, 99 <?page no="124"?> 124 Schlagwortverzeichnis Derivation 17, 23, 28, 97 Determinierer 15, 33, 36, 37, 41, 50, 59, 60 Dialekt 69, 89, 90, 91, 99, 100, 104, 110 Digraph 111 Diphthong 115 steigend, rising 115 zentrierend, centring 114, 115 Doppelobjektkonstruktion, double object construction (DOC) 49, 50, 51 do-support 58, 67, 70, 73, 75, 76, 78, 113, 121 DP-Hypothese 15 Dualis 19 dummy do 75, 78 EECM-construction 54 emphatic do, Emphase 74 Enklitika, enclitics 16 Entlehnung, borrowing 24, 111 Erste Lautverschiebung, siehe Germanische Lautverschiebung 98, 99, 121 Estnisch 83 Ffalse friends 81, 102, 105 Färöisch 84 Feldermodell, topologisches 11, 65 Finnisch 83 Flämisch 84 Flexion 12, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 28, 33, 37, 40, 42, 43, 48, 52, 59, 68, 82, 96, 110, 111 Fragebildung 67, 71, 72, 75, 78, 121 Französisch 12, 21, 24, 33, 34, 35, 36, 37, 52, 72, 81, 84, 85, 86, 87, 98, 111, 119 freie Variante 74 Fremdsprachenunterricht 10, 81, 98, 100, 106 Friesisch 84 Frikativ 22, 84, 85, 88, 91, 93, 99, 100, 101, 104 Frühneuenglisch, Early Modern English 73, 75, 78, 109, 112, 113, 114 GGeneral American (GA) 114, 115, 116 Generative Grammatik 41, 42 Generative Syntax 42, 61, 63, 65 Genitiv-s 14, 15, 16, 17, 18, 22, 23, 25, 26 Genus 19, 22, 33, 34, 38, 39, 49, 110 Germanisch 8, 20, 21, 66, 81, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 95, 98, 99, 101, 103, 109 Germanische Lautverschiebung, First Germanic Consonant Shift 83, 84, 85, 87, 88, 99 Gerundium, gerund 107 Globalisierung 112 Glossierung 33, 41 Gotisch 84, 85 Government & Binding Theory 42 Grammatiktheorie 42 Grammatikunterricht 11, 31, 57 grammatische Funktion 34, 35, 43, 50, 52, 54, 56, 59, 64 Great Vowel Shift 111, 113 Griechisch 20, 84, 85, 86, 88, 103 Grimmsches Gesetz, Grimm’s Law 83, 85, 86, 87, 88 Gutenberg, Johannes 112 HHead Movement Constraint (HMC) 71 Hessisch 91 Hilfsverb 61, 64, 73, 74, 75, 78, 121 kausatives 74, 78 Hixkaryana 78, 79, 120 Hochdeutsch 89, 90, 91, 92, 93, 94, 99, 103 IImperfektiv 96, 97 Indoeuropäisch 8, 83, 84, 85, 88, 95, 96, 97, 98, 99, 102 <?page no="125"?> 125 Schlagwortverzeichnis Infix 28 inflection phrase, IP 63 Instrumentalis 19, 43 intermediate traces 71 Inversion 59, 67, 71, 72, 73, 75, 76, 78, 113, 121 negative 75 Irisches Englisch 116 Irisches Gälisch 79, 120 Isländisch 65, 84, 86, 93, 95 isolierte Sprache 83 Italienisch 84, 85, 86, 87, 98 Jja/ nein-Frage 70 Japanisch 80, 120 Junggrammatiker, Neogrammarians 87, 88 Jüten 109 KKanadisches Englisch 116 Kasus abstrakter 41, 43 inhärenter 44, 45 lexikalischer 28, 44, 45, 46, 48, 50, 51, 53, 112 morphologischer 42, 43, 68, 76, 77 struktureller 44, 46, 47, 53 Kasusfilter, Case Filter 43, 55, 56 Kategorie, lexikalische 28 Kehlkopf 100 Kent 110 Klitik, Klitikon, Klitika 14, 16, 17, 23, 25, 34, 36, 105 Koda-Position, coda position 114 Kolonialisierung 83, 112, 115 Komparativ 18 Kompetenz 42 Komplement 61, 62, 63, 67, 119 Komposition, compounding 28 Konstituente 64, 65, 66, 67, 77 Konstituentenfrage 70 Kontrolle, Kontrolltheorie 105, 120 Koordination 119 Kopfbewegung, head movement 71 Kopfbewegungsbeschränkung 71 kopffinal, head-final 62, 63, 67, 71, 77, 121 Kopf, head 61, 62, 63, 65, 71, 121 kopfinitial, head-initial 62, 63, 68, 121 Koreanisch 102, 104 Kroatisch 86 LLängestrich, siehe Makron 19 Latein 12, 19, 42, 54, 81, 84, 85, 86, 88, 89, 98, 103, 111 Lautverschiebung 9, 81, 82, 83, 84, 88, 90, 91, 94, 95, 100, 101, 102, 105, 113 letzter Ausweg, last resort 73, 78 Lexikon 45, 51 Lindisfarnes 109 Liquid 102 MMadagassisch 79, 120 Makron, macron 19 Mercia 110 Metrik 74 Minimalistische Syntax 63 Minimalpaar, minimal pair 101, 104 Mittelenglisch, Middle English 20, 22, 23, 24, 37, 48, 52, 59, 68, 74, 98, 111, 112 Monophthong 114, 115 Morphem 16, 18, 27, 28, 95, 99 freies 16, 28, 110 gebundenes 18, 25, 26 Morphologie 9, 17, 27, 37, 60, 77, 96, 105, 111, 112, 119 NNegation 70, 74, 75, 76 Neuseeländisches Englisch 116 Niederdeutsch 90, 91 Niederländisch 65, 84, 86, 87, 92, 93, 94 <?page no="126"?> 126 Schlagwortverzeichnis Nominalklasse 33 Nominalphrase 15, 17, 25, 43, 44, 45, 46, 53 nordgermanisch 84, 104 Normannen 109 Northumbria 110 Norwegisch 65, 84, 86, 94, 95, 104 Numerus 19, 22, 28, 33, 110 OObjekt 32, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 41, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 66, 67, 71, 72, 73, 76, 77, 120, 121 direkt 34, 35, 36, 40, 41, 44, 45, 53, 59, 60, 62, 67, 119 indirekt 34, 35, 36, 37 Objektklitika 34, 36 ostgermanisch 84 OV-Sprache 61, 62, 63, 67, 77, 110, 113, 121 OV-Struktur 67, 68 PPartizip 18, 64, 105, 106, 107 Passiv 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53 past tense 95, 96 Perfektiv 96, 97 Phonem 85, 101, 102, 104 Phonetik 9, 22, 25, 90, 100, 101, 105, 111, 113 Phonologie 16, 17, 22, 25, 26, 43, 82, 83, 100, 101, 105, 111, 113 Plato’s Problem 42 Plattdeutsch 91, 92, 93, 94, 103 Plosiv 84, 85, 88, 91, 93, 96, 99, 100, 101 Plural 14, 17, 18, 19, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 39, 100 Polnisch 80, 90, 120 Portugiesisch 83, 84 Prädikat 44, 45, 46, 47 Präfix 20, 21, 28 Präpositionalphrase 34, 50, 53 Präteritum 28, 95, 96, 99, 105 Prinzipien- und Parametertheorie, Principles & Parameters (P&P) Theory 42 progressive form 96, 97 Proklitika, proclitics 16 Proportionale Analogie 22 Proto-Germanisch 20, 88, 95, 96, 97, 99 Proto-Indoeuropäisch 20, 83, 84, 88, 95, 96, 97 RRask, Rasmus 83 Received Pronunciation (RP) 114, 116 Reibelaut 101 Rektions- und Bindungstheorie, Government & Binding (GB) Theory 42 retroflex 104 Rhotizität, rhoticity 114, 115 Rückbildung 23, 24 Russisch 79, 120 SSachsen 109 Sanskrit 83, 85, 103 Satzglied 56, 57, 58, 67, 77 Satzklammer 65 Satzstellung 8, 57, 58 Saxon Genitive 15, 37 Schlegel, August Wilhelm von 110 Schleicher, August 110 Schottisches Englisch 116 Schwäbisch 90 Schwa-Laut 21, 115 Schwedisch 65, 84, 94, 95 Schweizerdeutsch 90 Scrambling 67, 68, 76, 77 semantisch 74, 75, 85 Shakespeare, William 8, 74, 75, 113 Silbe 20, 21, 26, 85, 88, 91, 102, 114 skandinavisch 69, 94, 109 Spanisch 80, 83, 84, 85, 87, 98, 120 Spezifikator 61, 65 <?page no="127"?> 127 Schlagwortverzeichnis Spracherwerb 11, 42 Sprachfamilie 81, 83, 95, 98 Sprachkontakt 69, 84, 98, 109 Spur, trace 65, 67, 71, 77, 84, 98 Stabreim 21 Stamm 16, 17, 18, 24, 25, 26, 28, 29, 95, 97 Standardaussprache 89 Standardisierung 112 stimmhaft 25, 84, 88, 91, 93, 99, 100 stimmlos 25, 84, 88, 91, 93, 99, 100 Storm, Theodor 103 Straßenverkehrsordnung 58, 78, 121 Subjekt 32, 35, 40, 41, 43, 44, 45, 46, 47, 50, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 63, 64, 66, 67, 71, 72, 73, 76, 77, 78, 119, 120, 121 Südafrikanisches Englisch 116 Suffigierung 17, 18 Suffix 14, 16, 17, 18, 23, 25, 26, 28, 95, 96, 97, 98, 99, 105 Superlativ 18 Synkretismus 22, 38, 39, 49 Syntax 17, 42, 65, 71, 77, 82, 105, 112, 113 synthetisch 110, 111 TTagalog 28 Tempus 28, 95, 96, 97, 110 tense phrase, TP 63 Topikalisierung 76, 77 Transkription 19, 21, 84, 102 tun-Periphrase 76 Türkisch 79, 83, 110, 120 Turksprache 83 UUngarisch 83 universal 42, 45 uralisch 83 uvular 104 VVandalisch 84 Verb ditransitiv 45 finit 34, 44, 57, 59, 63, 64, 65, 67, 71, 72, 73, 76, 77, 106, 107, 110, 121 intransitiv 45 regelmäßig 23, 87, 95, 96 schwach 95, 96, 99, 105 stark 95 statisch 97 transitiv 44, 45, 46 unregelmäßig 96 Verbbewegung 67, 71, 72, 73, 75, 78 Verbbewegungsparameter, verb raising parameter 71, 72, 73 Verbzweitsprache 110 Verbzweitsprache, V2-Sprache 64, 65, 66, 67, 68, 69, 76, 77, 112, 121 Verlaufsform, progressive form 97 Vernersches Gesetz, Verner’s Law 87, 88, 89 Verschlusslaut 101 Vibrant 104 Vietnamesisch 42 V-nach-I-Bewegung 71, 72, 73, 78 Vollverb 57, 60, 61, 63, 64, 67, 72, 73, 74, 76, 78, 113, 121 Vorfeld 65 VO-Sprache 61, 62, 68, 69, 71, 78, 112, 113 VO-Struktur 69, 77 WWalisisch 79, 120 westgermanisch 84, 91, 98, 103 w-Frage 52, 70 Wilhelm den Eroberer, William the Conqueror, Guillaume le Conquérant 111 Wortabfolge 15, 59, 71, 77 Wortart 15, 38 Wortbildungsprozess 23, 28 Wort, einfaches 27 Wort, komplexes 16, 26, 27 <?page no="128"?> Wortstamm 17, 18, 24, 25, 26 Wortstellung 12, 57, 58, 59, 60, 61, 63, 64, 67, 68, 70, 76, 78, 105 Wurzel, root 20, 28, 29 XX-bar-Theorie, X-bar theory/ X’ theory 61 YYiddisch 65, 84 ZZahndamm, alveolar ridge 101 Zweite Lautverschiebung, Second Germanic Consonant Shift 90, 91, 92, 93, 99, 101, 103, 104, 121 Zwischenspur, intermediate trace 65, 71 128 Schlagwortverzeichnis <?page no="129"?> 129 7.2 Anmerkung zur Rhotizität im Englischen Literatur Abney, Steven (1987). 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Auf unterhaltsame Art und Weise werden zahlreiche Phänomene im linguistischen und alltäglichen Kontext erläutert und mit anderen Sprachen, insbesondere dem Deutschen, verglichen. Das Buch wendet sich in erster Linie an Lehramtsstudierende, Referendar: innen und Lehrende der Fächer Deutsch und Englisch. Die Kapitel beschäftigen sich mit Unterschieden zwischen dem Englischen und den behandelten Sprachen in Hinblick auf die Wortstellung und ihre historische Entwicklung, die Verwendung des Dativs, diverse s-Endungen, systematische lautliche Unterscheidungen basierend auf der Germanischen Lautverschiebung sowie Unterschiede in der Textproduktion. An jedes Kapitel schließen sich Übungen an, die sich für die Nutzung im Klassenzimmer, aber auch für die eigene Vertiefung eignen. Der Band bietet viele interessante Einblicke in die spannende Welt der Linguistik, die den eigenen Unterricht bereichern. Moderne Fremdsprachen: Englisch LinguS 17 FISCHER / FISCHER · Moderne Fremdsprachen: Englisch Moderne Fremdsprachen: Englisch LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis SILKE FISCHER CHRISTOPH FISCHER
