eBooks

Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung

Deutsch – Französisch – Italienisch – Spanisch

1127
2023
978-3-8233-9580-5
978-3-8233-8580-6
Gunter Narr Verlag 
Natascha Müller
Tanja Kupisch
Katrin Schmitz
Katja F. Cantone
Laia Arnaus Gil
10.24053/9783823395805

Immer mehr Kinder in Deutschland wachsen mit mehreren Sprachen gleichzeitig auf. Diese Situation birgt viele Chancen, wenngleich oft eine Herausforderung darin gesehen wird. Ziel der Mehrsprachigkeitsforschung ist es, Besonderheiten im Erwerb genau zu identifizieren, damit Kinder erfolgreich mehrsprachig in die Schulzeit starten können. Das Arbeitsbuch hat zwei Hauptanliegen: Es führt erstens in die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung ein und zeigt somit Studierenden Spracherwerbstheorien, die Entwicklung der beiden Sprachen sowie Phänomene des mehrsprachigen Erwerbs auf. Zweitens wird die Arbeit mit Korpusdaten vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Mehrsprachigkeit, die im Kindesalter im familiären Kontext einsetzt. Diese bildet die Grundlage für den Spracherwerb, der entweder sukzessiv zu den Erstsprachen in der Schule oder außerhalb der Institution in natürlicher Umgebung stattfindet.

9783823395805/Zusatzmaterial.html
<?page no="0"?> Mit Zusatzmaterial Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung Deutsch - Französisch - Italienisch - Spanisch 4. Auflage Natascha Müller / Tanja Kupisch / Katrin Schmitz / Katja F. Cantone / Laia Arnaus Gil <?page no="1"?> narr STUDIENBÜCHER <?page no="2"?> Prof. Dr. Natascha Müller ist Inhaberin des Lehrstuhls für Romanische Sprachwis‐ senschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Tanja Kupisch ist Professorin am Fachbereich Linguistik an der Universität Konstanz und assoziierte Professorin an der arktischen Universität Tromsø (UiT Tromsø). Prof. Dr. Katrin Schmitz ist außerplanmäßige Professorin mit Affiliation an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Katja F. Cantone ist Professorin für Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache an der Universität Duisburg-Essen. Dr. Laia Arnaus Gil ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. <?page no="3"?> Natascha Müller / Tanja Kupisch / Katrin Schmitz / Katja F. Cantone / Laia Arnaus Gil Einführung in die Mehrsprachigkeits‐ forschung Deutsch - Französisch - Italienisch - Spanisch 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage <?page no="4"?> 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2023 3., überarbeitete Auflage 2011 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage 2007 1. Auflage 2006 DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823395805 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-8580-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9580-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0498-2 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio‐ grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 1 9 2 13 2.1 13 2.2 16 2.3 20 2.3.1 20 2.3.2 24 2.4 26 2.4.1 26 2.4.2 30 2.4.3 31 2.4.4 40 2.5 47 2.6 48 3 49 3.1 50 3.2 53 3.2.1 55 3.2.2 56 3.2.3 56 3.2.4 56 3.2.5 57 3.2.6 58 3.2.7 58 3.3 60 3.3.1 60 3.3.2 61 3.3.3 63 3.3.4 64 3.3.5 66 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit: Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Simultan - sukzessiv / natürlich - gesteuert / kindlich - erwachsen . Kompetenz und Performanz - Transfer und Interferenz . . . . . . . . . . . Negativer und positiver Transfer im Zweitspracherwerb . . . . . . . . . . Negativer Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positiver Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilingualität und Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Universalgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Nullsubjektparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision des Parameterbegriffs und Konsequenzen für ein Spracherwerbsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maturation als Kontinuität oder als Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen der Bilingualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OPOL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OPOL mit Nicht-Umgebungssprache zu Hause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . NDHL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DNDHL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht-muttersprachliche Eltern (Non-Native Parents, NNP) . . . . . . . . . Gemischte Sprachen (mixed Languages, mixL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien zum mehrsprachigen Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Klassiker: Studien der (Einzel-)Kinder der Forschenden . . . . . . . . Etablierte Bilingualismusforschung: Vergleichende Studien . . . . . . . . Weitere Studien mit Fokus auf romanische Sprachen . . . . . . . . . . . . . . Querschnittstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 4 69 4.1 69 4.2 72 4.2.1 73 4.2.2 89 4.3 90 4.3.1 91 4.3.2 93 4.3.3 95 4.3.4 97 4.4 101 5 103 5.1 103 5.1.1 103 5.1.2 109 5.1.3 111 5.2 112 5.2.1 113 5.2.2 116 5.3 118 5.3.1 120 5.3.2 122 5.3.3 123 5.3.4 125 5.3.5 125 5.3.6 126 5.4 126 6 129 6.1 129 6.1.1 130 6.1.2 133 6.1.3 135 6.1.4 143 (Un)balancierte Mehrsprachige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühe Studien zur Sprachdominanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz . . . . . Direkte Methoden zur Bestimmung von Sprachdominanz bei bilingualen Kindern im Vorschulalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppierung der Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachbalance und Spracheneinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachbalance und Spracheneinfluss sind abhängig . . . . . . . . . . . . . . . Sprachbalance und Spracheneinfluss sind unabhängig . . . . . . . . . . . . . Transfer und Verzögerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die schwächere Sprache und der sukzessive Spracherwerb . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung von zwei Sprachen: Sprachentrennung, Spracheneinfluss und Sprachmischungen im bilingualen Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das fusionierte System: Lexikon und Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erste Entwicklungsphase: Fokus auf fehlende Übersetzungsäquivalente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweite Entwicklungsphase: Fokus auf getrennte Lexika . . . . . . . . Die dritte Entwicklungsphase: Fokus auf getrennte syntaktische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evidenz für getrennte Systeme: Gemischte Äußerungen . . . . . . . . . . . Evidenz für getrennte Systeme: Monolinguale Äußerungen . . . . . . . . Sprachentrennung mit Spracheneinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss und Überlappung von Oberflächenstrukturen . . . . Spracheneinfluss und Sprachdomäne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss und Berechnungskomplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss und allgemein-kognitive Entwicklung . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss und Inputqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss und Inputmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen . . . . . . Das Zielsystem im Italienischen, Französischen, Spanischen und im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monolingualer Erwerb attributiver Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilingualer Erwerb attributiver Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 6.2 143 6.2.1 143 6.2.2 145 6.2.3 146 6.3 146 6.3.1 146 6.3.2 155 6.3.3 160 6.3.4 165 6.4 165 7 167 7.1 167 7.1.1 167 7.1.2 170 7.1.3 171 7.1.4 177 7.2 179 7.2.1 179 7.2.2 184 7.2.3 186 7.2.4 192 7.3 193 7.3.1 193 7.3.2 199 7.3.3 208 7.3.4 215 7.4 215 7.4.1 216 7.4.2 221 7.4.3 230 7.4.4 232 7.5 232 8 235 8.1 235 8.1.1 235 8.1.2 240 OV-VO in romanischen Sprachen und im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . Zielsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerb durch monolinguale und bilinguale Kinder . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen . . . . . . . . . . . . Zielsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monolinguale Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilinguale Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss als Verzögerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Zielsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien mit monolingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien mit bilingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des Bereichs der Verbstellung im deutschen Nebensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kopulaverben im Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielsystem: die spanischen Kopulaverben ser und estar . . . . . . . . . . . . Monolingualer Erwerb der spanischen Kopulaverben . . . . . . . . . . . . . Bilingualer Erwerb von ser und estar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen Beschreibung der Zielsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien mit monolingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien mit bilingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit zum Bereich der Objektauslassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Zielsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Überwiegend) monolinguale Kinder und pragmatische Faktoren . . . Bilinguale Kinder und morphosyntaktische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . Fazit zum Bereich der Subjektauslassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracheneinfluss als Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbstellung im deutschen und romanischen Hauptsatz . . . . . . . . . . . Verbstellung in den Zielsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse aus Studien mit monolingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 8.1.3 241 8.1.4 244 8.2 245 8.2.1 245 8.2.2 249 8.2.3 252 8.2.4 254 8.3 255 8.3.1 255 8.3.2 259 8.3.3 265 8.3.4 275 8.4 276 9 277 10 283 10.1 283 10.2 284 10.3 284 10.4 285 10.5 288 11 301 12 335 348 Ergebnisse aus Studien mit bilingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des Bereichs der Verbstellung im deutschen Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bereich der Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Determinantenverwendung in den Zielsprachen . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse aus Studien mit monolingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . Studien mit bilingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen . . . Die Produktion und Position von Subjekten im Französischen . . . . . . Studien mit monolingual französischen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien mit bilingualen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 6-8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 1 Zu erwähnen sei auch der „Klassiker“ Einführung in die Migrationslinguistik (Krefeld 2004) und das gerade erschienene Werk Migrationslinguistik. Eine Einführung (Koch und Riehl 2023). 1 Einleitung Das Thema „Mehrsprachigkeit“ wird aus vielen Disziplinen unter Berücksichtigung verschiedener theoretischer Ansätze und Konzepte sowie im Rahmen unendlich vieler Forschungsfragen differenziert untersucht. Aus der Menge der angesprochenen Bereiche im Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung (herausgegeben von Gogolin, Hansen, McMonagle und Rauch 2020) wird deutlich, wie heterogen und komplex die Perspektiven, wie vielfältig Definitionen und Konzepte sein können. Verschiedene andere deutschsprachige Werke, wie bspw. das aktuelle Handbuch Mehrsprachigkeit aus der germanistischen Sprach- und Kulturwissenschaft (herausgegeben von Földes und Roelcke 2022), das Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik aus dem Feld der Fremdsprachenforschung (herausgegeben von Fäcke und Meißner 2019), die Einführung Mehrsprachigkeit aus der germanistischen (Sozio-)Linguistik (Riehl 2014, für eine subjekt- und diskurszentrierte Perspektive siehe Busch 3 2021) the‐ matisieren das Vorhandensein, die institutionelle Implementierung und den Umgang mit verschiedenen Sprachen bei Sprecher: innen, Institutionen und in der Gesellschaft im deutschsprachigen Raum. 1 Diesen Arbeiten ist gemein, dass sie Mehrsprachigkeit (fast) ausschließlich aus einer gesellschaftlichen oder institutionellen Perspektive betrachten. Eine individuelle Perspektive, die die frühe und gleichzeitige Entwicklung von zwei Sprachen im Kind in den Mittelpunkt stellt und diese aus einer gramma‐ tiktheoretischen und psycholinguistischen Spracherwerbsperspektive untersucht, ist hingegen Gegenstand der folgenden Einführung. Die in Deutschland vorhandene, sichtbare und hörbare Sprachenvielfalt (vgl. Ziegler 2018; Ziegler, Eickmans, Schmitz, Uslucan, Gehne, Kurtenbach, Mühlan-Meyer und Wachendorff 2018) setzt sich aus lebensweltlicher und fremdsprachlicher Mehrspra‐ chigkeit zusammen (vgl. Gogolin et al. 2020: 3). Lebensweltliche (auch migrationsbe‐ dingte oder migrationsgesellschaftliche) Mehrsprachigkeit entsteht, wenn Individuen im Alltag in der Regel im familiären Umfeld mit einer weiteren Sprache als der Landes- oder Mehrheitssprache in Kontakt kommen. Von fremdsprachlicher oder curricularer Mehrsprachigkeit wird gesprochen, wenn Sprachen als Fremdsprachen schulisch vermittelt werden. Die Sprachpolitik der Europäischen Union sieht vor, dass alle EU-Bürger: innen neben der Erstsprache mindestens zwei weitere Sprachen beherrschen (European Commission 2003). Diese hat ein breites schulisches Angebot an Fremdsprachen zur Folge, wohingegen die institutionelle Unterstützung bereits vorhandener allochtoner und autochtoner Sprachen nicht flächendeckend und verläss‐ lich gegeben ist und auch die Form, wie diese aussehen könnte, stark zwischen Ländern und betroffenen Sprachen divergiert (vgl. u.-a. Busch 3 2021). <?page no="10"?> 2 Dass Mehrsprachigkeit kein Problem oder „Störfall“ sein muss, sondern als „Glücksfall“ betrachtet werden kann, argumentiert hingegen Tracy (2014) mit Blick auf das mehrsprachige Klassenzimmer. Der in dem Arbeitsbuch vorgestellte Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung mit Fokus auf der parallelen Sprachentwicklung von zwei Sprachen im frühen Alter soll verdeutlichen, wie der Weg zu mehr als einer Muttersprache bewältigt wird. Es will Eltern und andere an der Sprachentwicklung beteiligte Erwachsene (andere Fami‐ lienangehörige, Kinderärzt: innen, Erzieher: innen etc.) darin bestärken, Kindern die Möglichkeit zu geben, mehrsprachig aufzuwachsen. Schließlich kann das Wissen um Prozesse des mehrsprachigen Erwerbs helfen, auf Kritik und vermeintliche Misserfolge richtig zu reagieren. Bis heute werden gegen die simultane Zweibzw. Mehrsprachig‐ keit Bedenken geäußert. So befürchten Eltern und Lehrkräfte, das mehrsprachige Kind könne nie in beiden Sprachen altersgerecht entwickelt sein. Ferner wird oft behauptet, dass der frühkindliche bilinguale Spracherwerb Verzögerungen unterliegt und die Trennung der beiden Sprachsysteme derart mit Problemen behaftet ist, dass keines der beiden Sprachsysteme korrekt und vollständig erworben wird. Sowohl Eltern als auch Lehrkräfte sorgen sich insbesondere um die Entwicklung der Mehr‐ heitssprache (in unserem Falle das Deutsche) und befürchten, dass die mehrsprachige Erziehung langfristige Probleme mit Hinblick auf schulische Leistungen, Abschluss und Berufsausübung haben könnte. 2 Dass diese Sorgen mehrheitlich unbegründet sind, beweisen weltweit und in Deutschland durchgeführte empirische Studien, die den erfolgreichen Erwerb von zwei und mehr Sprachen belegen. Welches Potenzial der mehrsprachige Erwerb für das schulische Lernen haben könnte, ist bislang nicht longitudinal untersucht worden (vgl. jedoch bspw. die Ergebnisse der DESi-Studie, u. a. Hesse und Göbel 2009). Das Arbeitsbuch soll demnach aus wissenschaftlicher Perspektive Antworten geben und hat zwei Hauptanliegen: Es wird einerseits in die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung eingeführt, andererseits das empirische Arbei‐ ten mit Spracherwerbsdaten geübt. Die Einführung richtet sich an Studierende der Romanistik (Französisch, Italienisch, Spanisch), Germanistik und der Allgemeinen Sprachwissenschaft und soll ebenfalls dazu dienen, die Thematik in die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte aufzunehmen. Dies ist die vierte Auflage dieser Einführung. Während in der ersten Auflage Ergebnisse eines Forschungsprojektes zum bilingualen deutsch-italienischen und deutsch-französischen Erwerb in verschiedenen Fallstudien im Fokus standen, wurde die vorliegende Auflage überarbeitet, um aktuelle Forschungsergebnisse ergänzt und um einige neue Erkenntnisse zum positiven Spracheneinfluss erweitert. Wie viele Studien zum Spracherwerb nimmt auch diese Einführung eine nativistische Spracher‐ werbstheorie an. Die Einführung beginnt mit den Definitionen der Mehrsprachigkeit. Hier wird die im Zentrum stehende simultane Mehrsprachigkeit von der sukzessiven Form des Erwerbs mehrerer Sprachen abgegrenzt, und der natürliche Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen, wie er in der Regel bei jedem Kleinkind erfolgt, wird vom gesteuerten Erwerb 10 1 Einleitung <?page no="11"?> mit formalem Unterricht getrennt. Zu den Dichotomien simultan - sukzessiv und natürlich - gesteuert gesellt sich das Alter bei Erwerbsbeginn, was häufig mit kindlich - erwachsen umschrieben wird. In unserer Einführung wollen wir den simultanen, natürlichen und kindlichen Erwerb zweier Sprachen genauer betrachten. Das Kapitel soll auch in den theoretischen Rahmen einführen und wichtige Begriffe klären, die in den nachfolgenden Kapiteln an Beispielen verdeutlicht werden. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Formen der frühkindlichen Mehrsprachigkeit und mit Methoden der Datenerhebung. Es wird ein knapper Überblick über die Geschichte der mono- und bilingualen Spracherwerbsforschung gegeben. Dabei wird auf die Art und Dauer der Erhebung und auf die Form der Analyse eingegangen. Ferner werden einige Studien zu Kindern, die zweisprachig aufgewachsen sind, vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen Strategien und Methoden der mehrsprachigen Erziehung. Im vierten Kapitel wird auf der Basis vorhandener Literatur eine Unterscheidung zwischen balanciert bilingualen und unbalanciert bilingualen Individuen getroffen. Nur selten verwenden zweisprachige Kinder beide Sprachen gleich häufig und gleich gut. Oft ist es der Fall, dass sich die eine Sprache schneller entwickelt als die andere, wofür viele Autor: innen den Terminus Sprachdominanz verwenden. Doch auch hier müssen wir uns nicht auf unser Gefühl verlassen, sondern es sind in der Literatur Kri‐ terien vorgeschlagen worden, mit Hilfe derer man beides, die (Un)balanciertheit in der Sprachentwicklung und die in der Sprachverwendung, messen kann. Wir wollen diese Kriterien vorstellen und sie auf Sprachkorpora von bilingualen Kindern anwenden. Außerdem wird darüber diskutiert, inwieweit Sprachdominanz und Spracheneinfluss voneinander abhängig sind. Das fünfte Kapitel bietet einen Überblick über die Literatur zur Sprachentrennung und zum Spracheneinfluss im bilingualen Individuum. Begonnen hat die Forschung mit der Idee, dass mehrsprachige Kinder erst wie monolinguale Kinder über ein einzi‐ ges Sprachsystem verfügen und dieses im Laufe der Entwicklung ausdifferenzieren. Diese Ansicht ist zu Recht sowohl empirisch als auch theoretisch hinterfragt und widerlegt worden. Bis heute lassen sich die meisten Forschungsarbeiten dahingehend charakterisieren, dass sich Trennung und Einfluss gegenseitig ausschließen: Die einen vermuten, dass bilinguale Kinder die Sprachen nicht trennen können und deshalb Einfluss sichtbar wird. Die anderen glauben, dass der Einfluss deshalb nicht existiert, weil die beiden Sprachen von Beginn an voneinander getrennt werden. Das Kapitel erarbeitet eine Sichtweise zwischen diesen Extremen, die kritisch hinterfragt, dass Trennung und Einfluss auf gesamte Sprachsysteme bezogen werden. Spracheneinfluss bezogen auf bestimmte grammatische Phänomene kann verschiedene Manifestationen haben: Er kann sich beschleunigend auf den Erwerbsverlauf in einer der Sprachen auswirken, oder er kann den Entwicklungsverlauf einer Sprache verlangsamen. Es werden Kriterien für das Auftreten des Spracheneinflusses sowie dessen Richtung vorgestellt, die in den nachfolgenden Kapiteln methodisch auf unterschiedliche gram‐ matische Phänomenbereiche in unterschiedlichen Sprachkombinationen angewendet werden. 1 Einleitung 11 <?page no="12"?> Anliegen des sechsten Kapitels ist es, grammatische Bereiche aufzuzeigen, die nicht einflussanfällig sind. Die Existenz solcher grammatischen Bereiche ist erwartet, wenn der Spracheneinfluss von der Beschaffenheit der involvierten grammatischen Systeme abhängt. Wir stellen folgende nicht einflussanfällige grammatische Bereiche vor: Die Stellung von attributiven Adjektiven in Relation zum Nomen und die Position von Objekten in Bezug auf Verben in den romanischen Sprachen und im Deutschen. Keinen Spracheneinfluss zeigt auch die Stellung der klitischen Pronomina in den Sprachen Französisch und Italienisch, wenn sie mit dem Deutschen zusammen erworben werden. Im siebten Kapitel werden vier grammatische Bereiche vorgestellt, in denen Spra‐ cheneinfluss zu einer Verzögerung im Erwerbsverlauf im Vergleich zu monolingualen Kindern führt. Hierbei handelt es sich um die Verbstellung im deutschen Nebensatz, die Kopulaverben im Spanischen, die Auslassung von Objekten im Französischen, Italieni‐ schen und Spanischen und schließlich die Übergeneralisierung von Subjektpronomina in den beiden Nullsubjekte erlaubenden Sprachen Italienisch und Spanisch. Der beschleunigte Erwerbsverlauf ist Gegenstand des Kapitels 8. Beschleunigte Erwerbsprozesse lassen sich bei der Hauptsatzwortstellung und der Determinanten‐ realisierung im Deutschen sowie bei der Subjektrealisierung und -platzierung im Französischen beobachten. Kapitel 9 dient als Abschlussdiskussion und Ausblick. Hier werden die wichtigsten Aspekte der vorherigen Kapitel erneut zusammengefasst. Wir greifen offene Fragen aus den empirischen Kapiteln 6-8 auf und stellen Forschungsdesiderata zur Untersuchung des Spracheneinflusses, vor allem des Beschleunigungseffektes, dar. Die Einführung schließt mit dem Glossar. Jedes Kapitel enthält einen Übungsteil. Damit die Studierenden die Übungsaufgaben an wirklichen Sprachbeispielen lösen können, haben wir die Transkriptionen von vier Sprachaufnahmen, einer französischen, einer italienischen, einer spanischen und einer deutschen, als Zusatzmaterial online zur Verfügung gestellt, das über den folgenden Downloadlink abgerufen werden kann: https: / / elibrary.narr.digi tal/ book/ 10.24053/ 9783823395805. Bitte beachten Sie dazu die Hinweise auf der zweiten Umschlagseite. Die Kapitel 1 bis 5 können auch einzeln gelesen werden; die empirischen Kapitel bauen jedoch auf den theoretischen Kapiteln auf. Diese Einführung ist aus einer gemeinschaftlichen Arbeit entstanden, wobei die Autorinnen unterschiedliche Kompetenzbereiche abdecken, sodass die meisten Kapitel in Zusammenarbeit entstanden sind. Alle Autorinnen haben alle Kapitel gelesen und sind für den gesamten zu vermittelnden Stoff verantwortlich. Natascha Müller ist Verfasserin des Kapitels 2 sowie Koautorin der Kapitel 5, 6, 7, 8 und 9. Tanja Kupisch ist Koautorin der Kapitel 4 und 8. Katrin Schmitz ist Koautorin der Kapitel 5, 6, 7 und 9. Katja F. Cantone ist verantwortlich für Kapitel 1 und Verfasserin von Kapitel 3. Laia Arnaus Gil ist Koautorin der Kapitel 4, 6, 7, 8 und 9. Für diese Auflage wurde die Einführung grundlegend inhaltlich und formal überar‐ beitet. Auch wurde sie hinsichtlich einer gendergerechten Sprache aktualisiert. Wir danken Miriam Brinkmann und Gisela Resmja, die uns bei der Formatierung zur Seite gestanden haben und die Einführung aus Studierendensicht kommentiert haben. 12 1 Einleitung <?page no="13"?> 1 https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschlesse/ 2013/ 2013_10_17-Fremdsprachen-in-der-Grundschule.pdf (letzter Zugriff am 01.08.2022). 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den Definitionen der Mehrsprachigkeit. Die im Zentrum stehende simultane Mehrsprachigkeit wird von sukzessiven Formen des Erwerbs mehrerer Sprachen abgegrenzt. Das Kapitel wird auch in den theoretischen Rahmen einführen und wichtige Begriffe klären, die in den anderen Kapiteln dann an Beispielen verdeutlicht werden. 2.1 Simultan - sukzessiv / natürlich - gesteuert / kindlich - erwachsen Im Zentrum der vorliegenden Einführung steht die simultane Mehrsprachigkeit, bei zwei Sprachen auch Bilingualismus genannt. Unter Bilingualismus verstehen wir das Sprachvermögen eines Individuums, das aus dem natürlichen Erwerb (d. h. ohne formalen Unterricht) zweier Sprachen als Erstsprachen (L1) im Kleinkindalter resultiert (vgl. Lambeck 1984). Manche Forscher fordern, dass der Erwerb beider Sprachen simultan, also gleichzeitig und nicht zeitversetzt, erfolgen muss, um vom bilingualen Individuum sprechen zu dürfen (z. B. de Houwer 1990). Andere erweitern den Zeitraum auf das Alter vor zirka vier Jahren (vgl. Meisel 2009), während dessen dem Kind die zweite Sprache „angeboten“ werden muss. In unserer Einführung wollen wir den Erwerb von zwei Erstsprachen betrachten, der simultan erfolgt. Dabei liegt der Fokus auf dem mehrsprachigen Individuum und nicht auf mehrsprachigen Gesellschaften (zum Sprachkontakt innerhalb und außerhalb von Sprachgemeinschaften vgl. Riehl 2014 3 ). Vom simultanen Erwerb mehrerer Erstsprachen ist die sukzessive Form des Lernens mehrerer Sprachen abzugrenzen, wie er in Deutschland zumindest für das Englische für die meisten Kinder mittlerweile mit dem Eintritt in die Grundschule (1. oder spätestens 3. Klasse) 1 stattfindet. Während der simultane Erwerb mehrerer Sprachen immer natürlich erfolgt, müssen für den sukzessiven Erwerb zwei Formen unterschieden werden: der natürliche Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen, wie er in der Regel bei jedem Kleinkind erfolgt, und der gesteuerte Erwerb mit formalem Unterricht (oft auch als Fremdsprachenerwerb bezeichnet). Wählt eine einsprachige Familie einen Wohnsitz in einem Land mit einer anderen Umgebungssprache als die Erstsprache der Eltern, so werden die Kleinkinder der Familie die Umgebungssprache auch auf natürlichem Wege erwerben können (vgl. Kap. 3). In Deutschland kommen Kinder aus mehrsprachigen Familien oft zunächst nur in Kontakt mit der Familiensprache (die Erstsprache(n) der Eltern, auch Herkunftssprache(n) genannt, vgl. Kap. 3). Erst im <?page no="14"?> 2 Mit dem Begriff Input wird das zu dem Kind Gesagte bezeichnet. Diejenigen Informationen, die das Kind dann auch tatsächlich aufnimmt, werden oft als „Intake“ benannt (Corder 1967: 165, vgl. Lidz und Gagliardi 2015 mit Bezug zur UG). Kindergarten (in manchen Fällen sogar erst zu Schulbeginn) haben sie regelmäßigen Kontakt mit dem Deutschen. Da diese Kinder wegen der deutschsprachigen Umgebung, wenn auch nur zu geringen Anteilen, Deutsch hören, ist die Frage berechtigt, inwieweit sie tatsächlich sukzessiv bilingual sind (vgl. Tracy 2008, Chilla, Rothweiler und Babur 2010, Cantone 2016). Auch das wachsende Interesse am Einsatz von Fremdsprachen in der frühkindlichen Bildung in der Kita (beispielsweise early English oder Chinesisch für Kinder) muss hier erwähnt werden. Die genannten Beispiele zeigen, dass in Studien über mehrsprachige Kinder immer die Verhältnisse der Sprachen im kindlichen Umfeld mit betrachtet werden müssen. Zu den Dichotomien simultan - sukzessiv und natürlich - gesteuert gesellt sich das Alter bei Erwerbsbeginn, was häufig mit kindlich - erwachsen umschrieben wird. In unserer Einführung wollen wir den simultanen, natürlichen und kindlichen Erwerb zweier Sprachen genauer betrachten; alle anderen Erwerbsformen werden am Rande behandelt. Sie dient gleichzeitig als Ausgangspunkt für die Frage, ob der sukzessiv ab dem Kindesalter einsetzende Erwerb einer weiteren Sprache noch qualitativ (und quan‐ titativ) wie der simultane doppelte Erstspracherwerb verläuft, oder ob die kindliche sukzessive Mehrsprachigkeit eher dem Zweitspracherwerb (L2-Erwerb) im Erwachse‐ nenalter ähnelt; Meisel (2009) zeigt beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen dem kindlichen und dem erwachsenen natürlichen Zweitspracherwerb. Hinter dieser Forschungsfrage verbergen sich jedoch viele Annahmen, die selbst noch einer Prüfung standhalten müssen, wie die, dass der erwachsene Zweitspracherwerb nicht so effizient verläuft wie der simultane doppelte Erstspracherwerb. Der vermutete Unterschied zwischen dem simultanen und dem sukzessiven Erwerb mehrerer Sprachen basiert beispielsweise auf der Annahme, dass wir bei der simultanen Form einen zügigen Erwerbsverlauf ohne größere Spracheneinflüsse erwarten, hingegen beim sukzessiven Erwerb - verstärkt mit dem fortschreitenden Alter des spracherwerbenden Individu‐ ums - einen langwierigen und mit Spracheneinflüssen durchsetzten Erwerbsverlauf vermuten. Unsere Einführung nimmt die Perspektive des simultan bilingualen Indivi‐ duums ein und wird zeigen, dass auch dort weniger zügige Erwerbsverläufe existieren und es häufig zum Spracheneinfluss kommt. Die Sichtweise, dass der sukzessive Erwerb „ganz anders“ vonstatten geht (bezogen auf die Qualität und die Quantität), ist also vermutlich zu pauschal formuliert (vgl. Kupisch, Akpinar und Stör 2013 für die akkurate Genuskongruenz im Französischen unabhängig vom Erwerbsbeginn vs. Kupisch, Barton, Hailer, Klaschnik, Stangen, Lein und van de Weijer 2014 für den sog. „foreign accent“ abhängig von Erwerbsbeginn und Input 2 -Menge; vgl. auch White 1989, 2003). Forschungen in diesem Bereich konnten beispielsweise zeigen, dass der sukzessive Erwerb mit gleicher Qualität und genauso schnell erfolgt wie der simultane, gemessen an bestimmten grammatischen Phänomenen (vgl. Tsimpli 2014). Kürzlich haben Arnaus Gil, Stahnke und Müller (2021) einen bei simultan aufwachsenden 14 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="15"?> mehrsprachigen Kindern nachgewiesenen beschleunigten Erwerbsverlauf gegenüber monolingualen Kindern auch für sukzessive mehrsprachige Kinder beobachtet. Wir werden in unserer Einführung, mit Ausnahme dieses Kapitels, den sukzessiven Erwerb mehrerer Sprachen aus Platzgründen vollständig ausblenden. Der Forschungszweig, der die Altersfrage bei der Mehrsprachigkeit genauer unter die Lupe nimmt, gründet seine Vermutungen über den Unterschied zwischen der simultanen und der sukzessiven Mehrsprachigkeit und die Rolle des fortschreitenden Lebensalters auf neurophysiologischen Erkenntnissen über die menschliche Sprach‐ fähigkeit. Lenneberg (1967) hat seinerzeit die Vorlage für diesen Zusammenhang zwischen der menschlichen Sprachfähigkeit und dem Alter geliefert, indem er von einer kritischen Phase für bestimmte Fertigkeiten gesprochen hat. Die Pubertät sah Lenneberg als einen kritischen Punkt, bis zu dem eine Erstsprache erworben sein muss. Nach diesem Zeitpunkt ist ein erfolgreicher Erwerb nicht mehr möglich. Forscher wie McLaughlin (1978) haben den Punkt für den erfolgreichen Erwerb einer Sprache als Erstsprache auf das Alter bis drei Jahre vorverlegt. In der Tat sind alle Altersstufen zwischen drei Jahren und der Pubertät als das Ende der kritischen Phase für den Erstspracherwerb vorgeschlagen worden und man geht heute sogar davon aus, dass für die unterschiedlichen linguistischen Fertigkeiten (Aussprache, Wort- und Satzbau, etc.) unterschiedliche Altersabschnitte „kritisch“ sind. Auch diese Zeitpunkte wurden auf neurophysiologische Veränderungen zurückgeführt; vgl. u. a. Long (1990) sowie Hyltenstam und Abrahamsson (2003). Darüber hinaus haben neurolinguistische Studien zu zeigen versucht, dass Personen, die mit ihrer zweiten Sprache später als bis zum dritten Lebensjahr in Kontakt gekommen sind, diese auch anders im Gehirn ablegen (vgl. z. B. Obler, Zatorre, Galloway und Vaid 1982, Hahne und Friederici 2001). Wenn die Vorstellung richtig ist, dass, rein neurophysiologisch betrachtet, ein Sprach‐ erwerbsfenster geschlossen wird und sich von dem Zeitpunkt an ein andersartiger Erwerbsverlauf (sowohl qualitativ als auch quantitativ) einstellt, dann müssen wir wohl davon ausgehen, dass die mit den neurophysiologischen Voraussetzungen verbundene Fähigkeit des Erwerbs einer Erstsprache ebenso unerreichbar wird. Bis vor einiger Zeit glaubte man, dass Kinder bereits im Mutterleib und ab der Geburt bis zum Alter von zirka drei Jahren die meisten Lernschritte vollziehen, die mit neurophysiologischen Voraussetzungen erklärbar sind. Die Zeitspanne zwischen drei Jahren und der Pubertät ist neurophysiologisch wenig erforscht, eben weil vermutet wurde, dass viele Fertigkeiten im frühen Kindesalter erworben werden, da das Gehirn eines dreijährigen Kindes als fast vollständig entwickelt galt. Diese Annahme wurde im Jahre 2005 von Jay Giedd (Neurophysiologe am National Institute of Mental Health (Bethesda, Maryland)) infrage gestellt. Bei einem Interview für das online-Journal Frontline sagte er: There’s been a great deal of emphasis in the 1990s on the critical importance of the first three years. I certainly applaud those efforts. But what happens sometimes when an area is emphasized so much, is that other areas are forgotten. And even though the first 3 years are important, so are the next 16. And the ages between 3 and 16, there’s still enormous dynamic 2.1 Simultan - sukzessiv / natürlich - gesteuert / kindlich - erwachsen 15 <?page no="16"?> 3 Performanz und Kompetenz sind Begriffe, die der generativen Grammatikforschung entstammen. Für den Begriff der generativen Grammatik siehe Müller und Riemer (1998: 12) und Gabriel, Müller und Fischer (2018: Kap.-1 und 2). activity happening in brain biology. I think that that might have been somewhat overlooked with the emphasis on the early years. Die sukzessive Mehrsprachigkeitsforschung wird sich in den nächsten Jahren noch intensiver mit der Altersfrage beschäftigen müssen, um dann Empfehlungen für das Lernen weiterer Sprachen nach bereits erfolgtem Erwerb einer Erstsprache machen zu können. Bevor auf Erscheinungen des simultanen und des sukzessiven Spracherwerbs ein‐ gegangen werden kann, muss ein grundlegendes Begriffspaar eingeführt werden, nämlich die Unterscheidung zwischen Kompetenz (Sprachwissen) und Performanz (Sprachgebrauch). 2.2 Kompetenz und Performanz - Transfer und Interferenz Selbstverständlich sind Spracherwerbsdaten, die aufgezeichnet werden, immer Perfor‐ manzdaten, da sie entstehen, wenn Kinder oder Erwachsene von ihrem Sprachwissen Gebrauch machen und Sprache produzieren. Performanz ist also die Anwendung des zugrunde liegenden Sprachwissens, die nicht immer reibungslos vonstatten geht. Das zugrunde liegende Sprachwissen wird als unsere Sprachkompetenz bezeichnet. 3 Die gegenseitige Beeinflussung von Sprachen kann dementsprechend sowohl in der Performanz als auch in der Kompetenz auftreten. Ein solcher Unterschied ist in der Literatur durch die Einführung von zwei Begriffen auch zugrunde gelegt worden, nämlich dem der Interferenz, mit dem wir beginnen wollen, und dem des Transfers. Die Interferenz wird in der Literatur als ein Performanzphänomen bezeichnet und oft von der Entlehnung (engl. borrowing) abgegrenzt, welche als Kompetenzphänomen beschrieben wird. Als Konsequenz ergibt sich, dass die Interferenz eher individueller Natur ist, die Entlehnung dagegen als kollektiv, also eine Sprachgemeinschaft oder eine Gruppe innerhalb einer Sprachgemeinschaft betreffend, charakterisiert wird. Der Systematik und Stabilität der Entlehnung steht die Variabilität der Interferenz gegenüber. Laut Mackey (1962) hängt die Interferenz vom Medium, dem Sprachstil, dem Sprachregister und dem Sprachkontext ab. Das Medium kann gesprochene oder geschriebene Sprache sein. Interferenzen sind nach Meinung vieler Autoren häufiger in der gesprochenen als in der geschriebenen Sprache von Mehrsprachigen. Auch der Sprachstil kann die Auftretenshäufigkeit der Interferenz beeinflussen. Je nachdem, ob Mehrsprachige beschreiben, erzählen oder spontan interagieren, werden Interferenzen seltener bzw. häufiger auftreten. Als dritte Einflussgröße wird von Mackey das Sprachregister genannt. Vorstellbar wäre z. B., dass eine mehrsprachige Studentin im mehrsprachigen frankokanadischen Kontext unterschiedlich stark zu 16 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="17"?> 4 Zu Interferenzen im Bereich der Körpersprache gehört z. B. die Gestik. So sind z. B. im Italienischen und Deutschen die gestischen Begleitungen von Sprachäußerungen unterschiedlich. Wenn deutsche Sprachproduktionen von typisch italienischen Gesten begleitet sind, könnte man von einer Interfe‐ renz im Bereich der Gestik sprechen (vgl. u.-a. Nicoladis, Pika und Marentette 2006). 5 Für weitere Beispiele vgl. Mackey (1962). 6 Brown (1973: 258) setzt die 90%-Marke als quantitatives (und arbiträres) fest: Wenn ein grammati‐ sches Merkmal in 90% seiner obligatorischen Kontexte zielsprachlich markiert ist, so gilt es als erworben. Platzack (2001: 365) setzt diese Marke bei 2%. Gerstenberg (2013: 206) merkt richtig an, dass derartige Marken arbiträr sind. Interferenzen neigt, je nachdem, ob sie in der Vorlesung eine Antwort auf die Frage der Professorin gibt oder sie sich nach der Vorlesung mit ihrer Kommilitonin über den Stoff der Vorlesung austauscht. Die Sprachausprägung, die bei der Interaktion zwischen Kommiliton: innen gebraucht wird, würde dementsprechend mehr Sprachmischungen enthalten als diejenige, welche bei der Interaktion zwischen Professorin und Kommi‐ litonin benutzt wird. Alle genannten Einflussfaktoren können sich unterschiedlich auf die Interferenz in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation auswirken. Die Studentin kann Rede und Antwort stehen im Beisein anderer Kommiliton: innen oder im Beisein anderer Mitglieder des Lehrkörpers der Universität. Interferenzen können auf allen linguistischen Beschreibungsebenen und bei der Körpersprache 4 auftreten. Ein Beispiel für eine phonologische Interferenz ist, wenn ein deutsch-italienischsprachiges Kind das Wort [p]all für ‚Ball‘ gebraucht wegen des italienischen Wortes palla. Lexikalisch ist die Interferenz, wenn ein deutsch-italienischsprachiges Kind muß du avanti gehen sagt, wobei avanti für ‚nach vorn, vorwärts‘ steht. Eine (lexikalisch-)semantische Interferenz liegt vor, wenn ein deutsch-französischsprachiges Kind den deutschen Ausdruck ‚wie gut er es hat‘ ins Französische übersetzt mit je va te montrer comment bien il a. 5 Wir sind in unserer Einführung ganz besonders an sogenannten grammatischen (bzw. syntaktischen) Interferenzen interessiert. Für die grammatische Interferenz könnte die häufiger benutzte pränominale Stellung des attributiven Adjektivs im akadischen Französisch genannt werden (Pöll 2017: 98). So entstehen nach der englischen Vorlage komplexe Nominalsyntagmen wie une des plus grandes jamais vue dans la région (one of the biggest ever seen in the area). Da Sprachdaten per se Performanzdaten sind, müssen Kriterien angewandt werden, welche helfen einzuschätzen, wann Performanzdaten Kompetenzphänomene wider‐ spiegeln und wann dies nicht der Fall ist. Ein solches (quantitatives) Kriterium ist die Frequenz eines Sprachphänomens. So darf man bei Spracherscheinungen, die mit einer Frequenz von zwischen 10% (Brown 1973: 258) und 2% (Platzack 2001: 365) auftreten, davon ausgehen, dass sie der Performanz zuzurechnen sind. 6 Übertragen auf die Erscheinung der Interferenz würden wir also einen Anteil von unter 10% in Sprachkorpora erwarten. Eine geringe Frequenz eines Sprachphänomens deutet jedoch nicht immer auf eine Performanzerscheinung. So existieren systematische Sprachphänomene, die bspw. bei Sprecher: innen sehr niedrigfrequent sind, dennoch aber eine grammatische Ei‐ genschaft der betroffenen Sprache widerspiegeln und somit als zugrunde liegendes 2.2 Kompetenz und Performanz - Transfer und Interferenz 17 <?page no="18"?> 7 Wir haben ne in Klammern gesetzt, da es in der gesprochenen Sprache sehr oft ausfällt (vgl. Krassin 1994). Es geht uns im Beispiel um pas, welches nicht ausgelassen werden kann, ohne dass sich die Satzbedeutung verändert. Sprachwissen interpretiert werden können. Yang (1999) nennt als Beispiel französische Konstruktionen, in denen ein finites Verb - mange und regarde - der Negationspartikel pas oder einem Adverb vorangeht: Jean (ne) mange pas la pomme  7 ‚Hans isst nicht den Apfel‘ und Jean regarde souvent la télé ‚Hans sieht oft das Fernsehen‘. Das finite Verb markiert die Kongruenz zwischen Subjekt und Verb. Dieser Konstruktionstyp macht in der spontanen Interaktion von französischen Muttersprachler: innen 7-8% aus, ist also sehr selten. Aber kommen wir zu unseren Kriterien für die Bestimmung von Performanzphä‐ nomenen zurück. Muttersprachler: innen des Deutschen mögen sich „versprechen“ und ein falsches Genus mit einem deutschen Nomen verwenden, z. B. der Fenster. Ohne erkennbare Systematik handelt es sich um eine Performanzerscheinung. Nun gibt es in Sprachen aber auch Wörter, deren Genus register- oder regionalspezifisch unterschiedlich ist und deren Genus im Wandel inbegriffen ist, so z. B. fachsprachlich das Virus versus umgangssprachlich der Virus, norddt. die Cola und süddt. das Cola (wobei sich bei Cola die Zuweisung des Femininums ausbreitet) oder die E-Mail in fast ganz Deutschland versus das E-Mail in Österreich; im spanischen Sprachraum gibt es regionale Variation hinsichtlich el/ la pijama (vgl. Diebowski 2021: 221). Im Unterschied zum Versprecher lässt sich hier eine Systematik erkennen (vgl. hierzu variantengrammatik.net). Variation kann also der Performanz oder der Kompetenz zugeschrieben werden, jedoch kann dies nur auf der Basis vorformulierter Kriterien erfolgen. Die Interferenz wurde weiter oben als eine Performanzerscheinung beschrieben. Was nun den Spracheneinfluss auf Kompetenzebene betrifft, wurde in der Mehrspra‐ chigkeitsforschung ein anderer Begriff benutzt, der Transfer von Wissen aus der einen Sprache in die andere Sprache. Der Transferbegriff wird besonders in der Zweitsprach‐ erwerbsforschung gebraucht, d. h. bei Spracherscheinungen von solchen Personen, die bereits eine Erstsprache erworben haben und dann sukzessiv, also zeitversetzt zur Erstsprache eine Zweitsprache lernen (Kellerman und Sharwood-Smith 1986, White 1989 im generativen Sprachmodell; Bausch und Kasper 1979). Clyne (1975: 16) verwen‐ det den Begriff der Transferenz, und definiert diesen (im Anschluss an Weinreich 1970) als „Übernahme von Elementen, Merkmalen und Regeln aus einer anderen Sprache“. Transfer kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken. Positiver Transfer führt zu einer Erleichterung im Erwerb der Zweitsprache, negativer Transfer verlangsamt den Erwerb. Die Anwendung des Transferbegriffs setzt immer voraus, dass das erlangte Sprachwissen in den untersuchten Sprachen unterschiedlich groß ist (vgl. Paradis und Genesee 1996: 3 zum Transferbegriff im bilingualen Erstspracherwerb). In der Zweit‐ spracherwerbsforschung wird der Transfer z. B. als eine unter vielen Erwerbsstrategien angesehen (Meisel 1983). Das Konzept des Transfers wird von manchen Forscher: innen auch dafür benötigt, um die Sprachfähigkeit und prinzipielles Wissen über Sprache, 18 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="19"?> 8 Das sog. Monitoring wenden Sprecher: innen an, um sich selbst zu korrigieren. Es wird vermutet, dass Sprecher: innen das, was sie gesagt haben mit dem, was sie sagen wollten, vergleichen können. Dass dies schon kleine Kinder können, zeigt Di Venanzio (2016). 9 Zu derselben Sprachtypologie gehören das Französische, Italienische und Spanische; alle gehören der romanischen Sprachfamilie an. Sprachen, die nicht zu derselben Sprachfamilie gehören, können sich in bestimmten strukturellen Bereichen an der Sprachoberfläche ähneln, wie z. B. die Wortstellung SVO, die sowohl in romanischen als auch in germanischen Sprachen auftritt. vermittelt über die Erstsprache(n), für die sukzessiv erworbenen Sprachen nutzbar zu machen (vgl. Schwarz und Sprouse 2021 für einen Überblick). Dieser Nutzen umfasst laut Schwarz und Sprouse (2021) entweder das gesamte syntaktische Wissen, auch „wholesale transfer“ genannt, oder er betrifft nur Teile des syntaktischen Wissens, also „piecemeal transfer“ (vgl. Rothman, González Alonso und Puig-Mayenco 2019: Kap. 4). Der vollständige Transfer ist auf frühe Erwerbsphasen beschränkt und soll den Zugriff auf die (nur) im Erstspracherwerb vorhandene Sprachfähigkeit und zu prinzipiellem Wissen über Sprache beim L2-Erwerb ermöglichen. Wird Transfer als eine unter vielen Erwerbsstrategien aufgefasst, so ist der Einsatz dieser Strategie durch Lehrmethoden förderbar (Meisel 1983: 18) und sollte besonders bei bestimmten Lernertypen auftreten, dem „monitor over-user“ laut Meisel (1983: 18), der auf Sprachformen fokussiert ist. 8 Der Transferbegriff prägt aktuell eine Debatte, die den sukzessiven Erwerb einer dritten, vierten, x-ten Sprache bestimmt, der abgekürzt als L3-Erwerb bezeichnet wird. Über viele Jahrzehnte hat der Forschungszweig, der sich mit dem sukzessiven Spracherwerb befasst, übersehen, dass Lerner: innen neben der in der jeweiligen Forschungsarbeit untersuchten “L2” (wenn diese nicht Englisch ist) auch z. B. das Englische im Schulsystem erwerben. Dies wirkt sich auf die Transfermöglichkeiten aus, da Lerner: innen nicht nur aus ihrer L1, sondern auch aus ihrer L2, z. B. dem Englischen, transferieren können, wenn sie bspw. das Französische als L3 erwerben. Haben Lernende eine Wahl, so stellt sich die Frage, auf welche Sprache sie zurück‐ greifen. Bardel und Falk (2007) argumentieren, dass die L2 (gemeint sind bei diesen Autorinnen alle zuvor sukzessiv erworbenen Sprachen) das initiale Stadium des L3-Erwerbs, d. h. den Lernstart einer L3, darstellt (vgl. hierzu auch schon Selinker 1969: 68 und Meisel 1983: 18). Vorstellbar ist auch, dass die L1 (oder mehreren L1n) diesen Ausgangspunkt ausmachen (vgl. Leung 1998). Ein dritter Ansatz bringt die Typologie 9 der betreffenden Sprachen in den Fokus. Konkret wird der Lerner aus der bereits vorhandenen Sprache transferieren, die der L3 aus Lerner-Sicht ähnelt, bzw. verwandt ist (vgl. das Typological Primacy-Modell und hierzu Rothman 2015, Rothman et al. 2019). Auch wenn Transfer nicht vollständig, sondern nur in Teilen die frühe L3-Grammatik prägt, gibt es mehrere Sichtweisen, denen gemein ist, dass Lerner: innen aus allen zuvor erworbenen Sprachen unter bestimmten Umständen transferieren. Nach dem Cumulative Enhancement-Modell (Flynn, Vinnitskaya und Foley 2004) machen Lerner: innen nur dann von Transfer Gebrauch, wenn dieser einen neutralen oder positiven Effekt hat. Im Scalpel-Modell (Slabakova 2017) und im Linguistic Proximity-Modell (Westergaard 2019) ist die strukturelle Nähe zwischen 2.2 Kompetenz und Performanz - Transfer und Interferenz 19 <?page no="20"?> 10 Mit anderen Worten geht es in diesen Modellen um die Ähnlichkeit der zu erworbenen linguistischen Strukturen in der L3 mit denen aus der L1/ L2. 11 Für eine Anwendung einiger Modelle auf den simultanen Erwerb mehrerer Erstsprachen siehe Arnaus Gil, Müller, Hüppop, Poeste, Scalise, Sette, Sivakumar, Tirado Espinosa und Zimmermann (2019: Kap.-1). 12 Diese Sichtweise bedeutet keineswegs, dass in der Zweitspracherwerbsforschung der performanz‐ getriebene Spracheneinfluss ausgeschlossen wird; vgl. hierzu u. a. Clahsen und Felser (2006). Es ist vielmehr der Fall, dass der kompetenzgetriebene Einfluss für die simultane Mehrsprachigkeit strittig ist. 13 Dies wird auch deutlich im systematischen Überblick von Puig-Mayenco, González Alonso und Rothman (2020: 47), der sich auf L3-Erwerbsstudien bezieht. den zuvor erworbenen Sprachen und der L3 ausschlaggebend 10 (vgl. Liceras und de la Fuente 2015 zu dem Begriff der typologischen Nähe am Beispiel von Spanisch und Französisch). Wir sehen also, dass der Transferbegriff aktuell debattiert und bis heute unklar ist. 11 Wir wollen uns in dieser Einführung dem Vorschlag von Sharwood-Smith und Kellerman (1986) anschließen, und künftig den Begriff Spracheneinfluss (engl. cross‐ linguistic influence) als Oberbegriff verwenden, wenn es um Spracheneinfluss im Erstspracherwerb geht. Da unstrittig ist, dass im Zweitspracherwerb, jedoch nicht im simultanen Erstspracherwerb, Spracheneinfluss auf Kompetenzebene eine Rolle spielt, werden wir im Folgenden für den positiven und den negativen Transfer, wie er oft in der Literatur genannt wurde, jeweils ein Beispiel mit Zweitspracherwerbsdaten anführen. Der Spracheneinfluss, wie er beim bilingualen Kind auftritt, wird dann in Kapitel 7 und 8 vorgestellt. 12 Wir wollen uns im Folgenden auf die Transfer-Konstellation L1 / L2 beschränken. 2.3 Negativer und positiver Transfer im Zweitspracherwerb Negativer Transfer entsteht, wenn die Erstsprache und die Zweitsprache für einen bestimmten grammatischen Bereich unterschiedlich sind und Lernende die gramma‐ tischen Regularitäten der Erstsprache, in der ein größeres Sprachwissen vorliegt, auf die Zweitsprache, die gerade gelernt wird, anwenden. Positiver Transfer entsteht, wenn sich die beiden Sprachen in einem grammatischen Bereich gleichen und die Lerner: innen die Regularitäten der Erstsprache für ihre Zweitsprache übernehmen können und sich somit ein problemloser Erwerbsverlauf abzeichnet (vgl. Meisel 1983). Da der negative Transfer in Spracherwerbsdaten gut sichtbar ist, wurde diese Erscheinungsform häufiger in der Literatur dokumentiert. 13 2.3.1 Negativer Transfer Ein Beispiel für den negativen Transfer ist die Verwendung von nicht-zielsprachlichen Wortstellungen im deutschen Nebensatz durch Zweitspracherwerber: innen. In der italienischen Grammatik steht das finite (für Person und Numerus flektierte) Verb in 20 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="21"?> 14 Drittmittelgeber für das Projekt BENZ war die DFG. Die Leitung hatte Prof. Dr. Jürgen M. Meisel. Die Daten befinden sich im Repositorium des Sonderforschungsbereichs der Universität Hamburg. Meisel, Jürgen M. (2020). ZISA_BR_ZI (Version 0.1) [Data set]. http: / / doi.org/ 10.25592/ uhhfdm.1462 (Zugriff am 21.3.2023). Haupt- und Nebensatz an derselben Position, in der Regel ist dies die Position nach dem Subjekt, welches wiederum die erste Satzposition einnimmt: Gianni va a casa quando Paolo ha telefonato ‚Gianni geht nach Hause, als Paolo hat telefoniert‘. Im Deutschen unterscheidet sich die Position des Finitums je nach Satztyp, in dem es auftritt: Im Hauptsatz nimmt das Finitum die Position nach der ersten Konstituente ein, die im Übrigen auch ein Satz sein kann; das ist der Grund, weshalb das Deutsche als V2-Spra‐ che bezeichnet wird; vgl. die Beispiele in (1), in denen das Finitum hervorgehoben ist. (1) a. Hans liest den Krimi - b. Den Krimi liest Hans - c. Dass Hans den Krimi liest, weiß jeder Im Nebensatz, der durch eine Konjunktion eingeleitet ist, steht das Finitum, im obigen Beispiel liest, satzfinal (Verb-End), wie der vorangestellte Nebensatz in (1c) zeigt. Aufgrund dieser Unterschiede in der Verbstellung nimmt man für das Deutsche auch eine Hauptsatz-Nebensatz-Asymmetrie an. Hingegen zeigen italienische Haupt- und Nebensätze die gleichen Verbstellungsmuster. Müller (1998a, c) hat die Daten eines Zweitspracherwerbers mit der Erstsprache Italienisch analysiert. Der nachfolgend vorgestellte Lerner (Bruno) war Teil einer Longitudinalstudie mit insgesamt 12 Proband: innen, welche im natürlichen Umfeld über einen Zeitraum von zirka 2 Jahren untersucht wurden. Die Daten stammen aus dem Projekt BENZ (Bilingualer Erstspracherwerb - Natürlicher Zweitspracherwerb) 14 , welches sich dem Vergleich von Zweitspracherwerbsdaten und Daten von Kindern, die mit zwei Sprachen gleichzeitig groß werden, widmete. Bruno kam im Alter von 16 Jahren von Italien nach Deutschland und wurde in insgesamt 29 Aufnahmen, beginnend in der 7. Aufenthaltswoche, untersucht. Das allgemeine Ergebnis ist, dass Bruno über lange Zeit Probleme mit der Wortstel‐ lung im deutschen Nebensatz hat. Die Verb-End-Regularität des Deutschen wird bis zum Ende des Untersuchungszeitraums (in der 110. Aufenthaltswoche in Deutschland) nicht zielsprachlich beherrscht, vgl. Abbildung (1). 2.3 Negativer und positiver Transfer im Zweitspracherwerb 21 <?page no="22"?> 15 S = Subjekt, V = Verb, hier das finite Verb. 0 5 10 15 20 25 30 35 0 20 40 60 80 100 120 Anzahl Aufenthaltswoche nicht-zielsprachlich Verb-End Abbildung 1. (Nicht-)Zielsprachliche Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz durch einen Zweitsprachenlerner, aus Müller (1998a: 99) Auf der y-Achse sind absolute Werte abgebildet, da Nebensätze in spontanen Sprach‐ daten relativ selten vorkommen. Betrachten wir nun einige der Nebensatzwortstellungen des Lerners. (2) a. Wenn isch habe keine geld … (11. Woche) - b. Auch wenne willst du bringen, eh, dreißig mä, … (30. Woche) - c. Muß eh sage ob is falsch oder nee oder nein (26. Woche) - d. Er weiß dass du kennst du die italienisch (39. Woche) Die Beispiele in (2) zeigen, dass der Lerner das Finitum (welches wir hervorgehoben haben) im Nebensatz an diejenigen Positionen stellt, in denen es auch im Hauptsatz vorkommt, nämlich wie in (2a) direkt hinter das Subjekt (Ich habe kein Geld), wie in (2b) direkt vor das Subjekt (wie im Hauptsatz bei der Fragesatzbildung, z. B. Kommst du morgen mit? bzw. Wann kommst du morgen vorbei? ), wie in (2c) hinter ein phonetisch nicht-realisiertes Subjekt, wie es im Italienischen üblich ist (devi dire se è falso o no ‚musst sagen ob ist falsch oder nein‘). Das Beispiel (2d) beinhaltet beide Hauptsatzstel‐ lungen — SV und VS 15 — allerdings im Nebensatz. Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt die Anzahl der Verwendungen von den in Nebensätzen auftretenden Stellungsvarianten im Hauptsatz. X bezeichnet eine Konstituente mit beliebiger grammatischer Funktion, z.-B. ein direktes Objekt. 22 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="23"?> Erwerbsphase Anzahl Stellungsmuster Erwerbsphase Anzahl Stellungsmuster Phase 1: SVX 798 Phase 2: SVX 1433 (7. - 60. Woche) XVS 261 (65. - 110. Woche) XVS 417 - XSV 114 - XSV 131 - VSX 123 - VSX 170 Summe: 1296 - 2151 Davon: SV 912 - SV 1564 - VS 384 - VS 587 Tabelle 1. SV in Relation zu VS in deutschen Hauptsätzen (Müller 1998c: 138) Alle Hauptsatzordnungen, für die wir in (3) jeweils ein Beispiel aufgeführt haben, finden wir bei dem Lerner also auch im Nebensatz. Die Tabelle 1 zeigt, dass das nicht-zielsprachliche Stellungsmuster XSV im Entwicklungsverlauf seltener benutzt wird (9% in Phase 1, 6% in Phase 2). Wir können den folgenden Schluss ziehen: Der Lerner transferiert eine Eigenschaft des Italienischen, nämlich die Hauptsatz-Ne‐ bensatz-Symmetrie, in das Deutsche. Es kommt zum negativen Transfer, da die transferierte Eigenschaft nicht der Zielgrammatik (Deutsch) entspricht. (3) a. Ich habe geler franzosisch drei jahr (7. Woche) - b. In 18 jahre hast du niche gute freunde gehabt (26. Woche) - c. Nach isch habe eine jahre gemacht fotograf (22. Woche), (nach=danach) - d. Haben gehabt eine kind eine kinde (20. Woche) Diese nicht-zielsprachliche Eigenschaft wird für jedes nebensatzeinleitende Element einzeln revidiert, d. h. der Lerner erwirbt für jede Konjunktion bzw. jeden Einleiter von abhängigen Sätzen einzeln, dass das Deutsche die satzfinale Stellung des Finitums erfordert. Auch das illustrieren wir an einigen Beispielen. Die Beispiele in (4) zeigen eine Phase, während der nicht-zielsprachliche Stellungen des Finitums belegt sind (z. B. in (4a-d) für u. a. wenn), und dann eine Phase, während der das Finitum auch zielsprachlich steht (z. B. in (4e-h)). Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass für keinen Einleitertyp während der gesamten Untersuchung eine Phase nachweisbar ist, die durch die ausschließliche Verwendung zielsprachlicher Verb-End-Stellungen charakterisiert ist. Am Beispiel der Fragewörter (im Folgenden w-Wörter) wird in der Tabelle 2 gezeigt, dass für spezifische Lexeme (und eben nicht Einleiterklassen) ein Zeitpunkt bestimmbar ist, zu dem innerhalb des Untersuchungszeitraumes nicht-zielsprachliche Stellungen letztmalig belegt sind. 2.3 Negativer und positiver Transfer im Zweitspracherwerb 23 <?page no="24"?> (4) a. Wenn hast du heute abend keine hunger hast du auch morgen keine hunger (72. Woche) - b. Wenn zum beispiele war da eine echt sagen wir durfe nicht (78. Woche) - c. … dass er sollt in de messe fahren (82. Woche) - d. Auch wenn das versteht nich jeder (97. Woche) - e. Wenn ein idee hast das iste schon etwas (65. Woche) - f. Gabino wenn in schule war (69. Woche) - g. Du weißt ganz genau kein hat dir gesagt dass du in deutschland fahren sollst (78. Woche) - h. … wenn du irgendwas nicht verstehst (91. Woche) wer abweichende Verbstellungen bis 44. Woche wann abweichende Verbstellungen bis 69. Woche wo abweichende Verbstellungen bis 78. Woche wie abweichende Verbstellungen bis 85. Woche was abweichende Verbstellungen bis 88. Woche warum abweichende Verbstellungen bis 93. Woche welch(e/ er/ es) abweichende Verbstellungen bis 97. Woche Tabelle 2. w-Wörter als Nebensatzeinleiter, aus Müller (1998a: 102) Negativer Transfer zeichnet sich also auch dadurch aus, dass er nur sehr langsam, wie im Beispiel für jeden Nebensatzeinleiter einzeln, revidiert wird. Kommen wir nun zum positiven Transfer. 2.3.2 Positiver Transfer Positiver Transfer führt sehr früh im Erwerbsverlauf zu zielsprachlichen Ergebnissen und nach Müller und Kupisch (2005) kann der Zweitspracherwerb in solchen Bereichen sogar schneller als der Erstspracherwerb, also akzeleriert, verlaufen. Wir wählen für die Erscheinung des positiven Transfers das Beispiel der Artikel aus. Kupisch (2006a, b) zeigt für monolinguale und bilinguale (deutsch-französische und deutsch-italienische) Kinder, dass im Französischen eine Phase durchlaufen wird, während der Nomina ohne vorangehenden Artikel anstelle von Nomina mit Artikel auftreten (vgl. auch Kap. 6.1.2). Kleine Kinder sagen also fleur pas là ‚Blume nicht da‘ und nicht la fleur pas là ‚die Blume nicht da‘ (oft werden weitere Elemente neben dem Artikel ausgelassen). Müller und Kupisch (2005) untersuchen die Artikelauslassungen bei einer erwachsenen Zweitspracherwerberin des Französischen, Berta, die (chilenisches) Spanisch als Erstsprache spricht und das Französische in einem natürlichem Kontext 24 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="25"?> 16 Es handelt sich um ein L2-Korpus, das aus spontanen Sprachaufnahmen besteht und unter der Leitung von Colette Noyau in Paris erstellt wurde (vgl. Noyau 1991). Die Lernerin wurde in regelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von 29 Monaten interviewt. Alle Sprachaufnahmen wurden von französischen Muttersprachler: innen transkribiert. Dabei handelt es sich um ortho‐ graphische Transkriptionen. Phonetische Transkriptionen wurden dann durchgeführt, wenn die Aussprache der Lernerin von der in der Zielsprache abwich oder ihre Sprache unverständlich war. Die Transkripte enthalten kontextuelle Informationen. Das Korpus besteht aus 18 Audioaufnahmen mit einer Gesamtanzahl von 3327 Äußerungen, welche alle für den hier besprochenen grammatischen Bereich analysiert wurden. gelernt hat. 16 Das Alter der L2-Lernerin betrug bei der ersten Aufnahme, welche 6 Wochen nach Ankunft in Frankreich durchgeführt wurde, 31 Jahre. Berta nahm kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich in einem Restaurant eine Arbeit auf, wo sie den ganzen Tag Französisch sprach. Ein Jahr nach ihrer Ankunft in Frankreich besuchte sie einen 480 Stunden umfassenden Sprachkurs. Die L2-Lernerin hat drei Kinder; ihre Familie lebt ebenfalls in Frankreich. Während der Interviews spricht sie meistens über ihre Arbeit und ihr Familienleben. Interviewt wurde sie von einer französischen Muttersprachlerin. Die Reaktionen mit Bezug auf spanische Äußerungen von Berta während der Sprachaufnahmen deuten darauf hin, dass die Interaktionspartnerin Spanisch verstand. Beide romanischen Sprachen erfordern im Regelfall einen Artikel. Ausnahmen hierzu sind Eigennamen, prädikative Verwendungen (Marie est advocate - Maria es abogada ‚Maria ist Anwältin‘) und bestimmte Präpositionen (en train, en tren ‚im Zug‘). Sie unterscheiden sich aber auch, denn im Spanischen müssen Massennomen (z. B. Milch) und Nomen im Plural, die als unspezifisch interpretiert werden, ohne Artikel auftreten, vgl. die Beispiele in (5). Das Französische verwendet in beiden Fällen einen Artikel: Im ersten Fall steht der Teilungsartikel (de+le), im zweiten Fall der unbestimmte Pluralartikel (des). (5) a. Maria quiere leche (frz. Marie veut du lait) - - Maria möchte Milch - - b. Maria compra zapatos (frz. Marie achète des chaussures) - - Maria kauft Schuhe - Berta lässt von Beginn an nur wenige Artikel aus, d. h. sie lernt sehr schnell, dass Artikel im Französischen obligatorisch sind, schneller als Erstspracherwerber: innen. In den Sprachdaten der Lernerin kommen auch gemischtsprachliche Nominalphrasen vor: ganze Nominalphrasen in spanischer Sprache (el problema de moi und le problema de moi ‚das Problem von mir‘), oder französische Nomen mit einer spanischen Deter‐ minante (el - el garçon petit ‚der - der Junge klein‘). Eichler und Müller (2011) zeigen, dass die Verwendung einer spanischen Determinante mit einem französischen Nomen (el garçon) in der französischen Aufnahme der Lernerin sehr viel häufiger auftritt (87%, 226 Fälle) als der Gebrauch einer französischen Determinante mit einem spanischen Nomen (le chico, 13%, 35 Fälle). 2.3 Negativer und positiver Transfer im Zweitspracherwerb 25 <?page no="26"?> 17 Hierzu schreiben del Maschio und Abutalebi (2019: 204) in ihrem Überblicksartikel „functional neu‐ roimaging findings show a common cortico-subcortical network underpinning grammar processing in L1 and L2“. Anzumerken ist, dass für einen „fairen“ Vergleich mit der L2-Lernerin bilingual französisch-spanischsprachige Kinder als Vergleichsgruppe hätten herangezogen wer‐ den müssen. 2.4 Bilingualität und Parameter Nachdem wir das Begriffspaar Kompetenz - Performanz und daran anknüpfend die Unterscheidung zwischen Transfer und Interferenz als mögliche Formen des Spracheneinflusses erläutert haben, wollen wir noch auf die Relevanz von bilingua‐ len Spracherwerbsdaten für eine Spracherwerbstheorie kommen. Wir werden dabei gleichzeitig in den theoretischen Rahmen einführen, der unserer Einführung zugrunde liegt. Wir haben bereits die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz ge‐ troffen. Das bilinguale Individuum ist nun deshalb so interessant, da wir es mit einem einzigen Performanzsystem zu tun haben 17 , aber zwei oder mehrere Sprachen oder Kompetenzsysteme erworben werden müssen. Das mehrsprachige Kind hat zudem in jeder seiner Sprachen weniger Spracherfahrung als monolinguale Kinder dieser Sprachen, wenn man davon ausgeht, dass monolinguale und bilinguale Kinder insgesamt gleich viel sprachlich interagieren. Der Erwerb der Kompetenzsysteme erfolgt also unter ungünstigeren Bedingungen mit Bezug auf die Spracherfahrung. Diese Situationen wollen wir wissenschaftlich nutzen (Paradis und Genesee 1997: 99), um für die im Folgenden ausgeführte Spracherwerbstheorie zu plädieren. 2.4.1 Universalgrammatik Die Beobachtung, dass „alle Kinder einer Sprachgemeinschaft dieselbe Grammatik in derselben Zeit erwerben“ (von Stechow und Sternefeld 1988: 30), lässt den Schluss zu, dass es eine Reihe von Prinzipien geben muss, mit denen das Kind ausgestattet ist und die es ihm ermöglichen, die Sprache(n) der jeweiligen Sprachgemeinschaft(en) zu erwerben. Prinzipien sind solche Eigenschaften, die allen natürlichen Sprachen gemeinsam sind. Die Annahme angeborener Prinzipien gewinnt ferner dadurch an Plausibilität, dass Kinder auch solche Strukturen erwerben, die in ihrem Input nur selten auftreten, wie z. B. Passivstrukturen (der Junge wurde von dem Hund gebissen). Der Spracherwerb weist zudem eine innere Ordnung auf, als dass bestimmte Strukturen in einer festen Reihenfolge erworben / verwendet werden. Dies ist in allen Spracher‐ werbsmodellen anerkannt. Die Annahme angeborenen Vorwissens wurde von dem US-amerikanischen Sprach‐ wissenschaftler Noam Chomsky in das Zentrum einer Sprachtheorie gestellt. In dieser 26 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="27"?> Sprachtheorie wird davon ausgegangen, dass allen natürlichen Sprachen universale (also allgemeine) Eigenschaften zugrunde liegen. Diese sprachlichen Universalien sind Teil der Universalgrammatik (UG). Die UG wird nicht erworben, sondern sie ist angeboren und wird beim Erwerb der Erstsprache(n) durch den Input automatisch aktiviert. Oft wird das Aktivieren der UG auch als deduktives Lernen bezeichnet. Hiermit ist gemeint, dass der Lernende vom Allgemeinen zum Speziellen fortschreitet, also nicht aus der Analyse einzelner Sprachelemente eine generelle Regel ableitet, sondern umgekehrt bereits um die generelle Regel weiß, die es mit Hilfe des Inputs nur zu bestätigen gilt. Man vermutet, dass Kinder deduktiv lernen, ob ihre Sprache OV (z. B. Deutsch den kuchen gegessen und den kuchen essen) oder VO (z. B. Französisch mangé le gateau und manger le gateau, Italienisch mangiato la torta und mangiare la torta, Spanisch comido el pastel und comer el pastel) geordnet ist. Dies erkennt man daran, dass bereits die frühesten Erwerbsdaten die zielsprachliche Abfolge für die jeweilige Sprache aufweisen. Im Kontrast dazu steht das induktive Lernen, welches gerade nicht für in der UG verankerte Wissensteile vermutet wird, sondern für stark einzelsprachspezifisch Geregeltes. Wir wollen hierfür ein Beispiel aus dem Bereich der Genusmarkierung anführen. Im Deutschen sind unbelebte Nomina, die auf den Laut Schwa, also [ə], auslauten, in der Regel Feminina: die Tasche, die Flasche, die Masche etc. Dieses kann ein Kind nicht deduktiv erwerben, da es sich um eine sprachspezifische Regularität handelt, die nur bestimmte Wörter betrifft. Das Kind muss hier induktiv vorgehen, d. h. es könnte auf der Basis von einigen auf Schwa auslautenden Nomina eine Regel aufstellen, die besagt, dass solche Nomina immer Feminina sind. Es könnte dann bei den belebten Nomina wie Hase und Affe zu den folgenden Fehlern kommen: die Hase, die Affe, wenn das Kind die Regel zu grob anwendet, d. h. auf die belebten Nomina übergeneralisiert. Die Ansicht, dass der Spracherwerb durch die UG geleitet ist, bedeutet keinesfalls, dass dieser auch ohne Input möglich wäre. Im Gegenteil müssen wir annehmen, dass gerade der Input das UG-Potential erst in Gang setzt. Viele Forscher: innen gehen davon aus, dass das grammatische Wissen modular aufgebaut ist, d. h. es existieren unterschiedliche Module: die Syntax, die den Satzbau regelt, die Phonologie, die die Sprachlaute und deren Kombination regelt, etc., also unterschiedliche Abteilungen, in denen unser sprachliches Wissen jeweils nach eigenen Regeln organisiert ist. Diesen sogenannten internen Modulen stehen externe Module gegenüber, wie z. B. die Diskurspragmatik, bei der Informationen aus dem Kontext festgehalten werden. Die modulare Organisation von Sprachwissen ist umstritten (vgl. Dietrich und Gerwin 2017: 47 f.). Die Existenz einer allen Sprachen zugrunde liegenden Universalgrammatik (vgl. u. a. Chomsky 1981, 1982, 1986, 1995) wird u. a. damit begründet, dass das Kind Regularitäten erwirbt, welche den Erwachsenen nur unbewusst zugänglich sind (vgl. hierzu Müller und Riemer 1998, Kap. 1). Neben dem Problem des Erwerbs von unbewusstem Wissen stellen sich dem Kind weitere Schwierigkeiten, die den Input selbst betreffen, den das Kind erhält. Es lassen sich grob drei Problembereiche unterscheiden (Hornstein und 2.4 Bilingualität und Parameter 27 <?page no="28"?> Lightfoot 1981), welche unter dem Begriff des logischen Problems des Spracherwerbs zusammengefasst wurden. Das erste Problem besteht darin, dass das Kind meist nur einen kleinen, zufälligen und oft sogar unvollständigen oder fehlerhaften Ausschnitt seiner Erstsprache(n) zu hören bekommt („degenerate data“). Mit anderen Worten: Erwachsene machen Fehler und produzieren häufig unvollständige Sätze. Valian (1990b: 120) spricht bei ihrer Untersuchung von Subjektrealisierungen bei englischsprachigen Kindern von ca. 4% ungrammatischem Input. Dies sind ungrammatische Konstruktionen, die auch als Versprecher seitens der Erwachsenen bezeichnet werden können: I told you that sings like a dream ‚ich sagte dir, dass singt wie ein Traum‘. Den Input der Kinder machen zu 16% aber auch solche Konstruktionen aus, die als ungrammatisch klassifiziert werden können (da das Subjekt she fehlt, wie im nachfolgenden Beispiel), die aber in einem angemessenen Kontext (z. B. im geschriebenen Englisch das sogenannte diary-drop, Haegeman und Stark 2021) akzeptabel wären, wie z. B. im Englischen Sings like a dream (im Kontext: She’s going to be a big hit‚ sie wird einen großen Hit landen‘), welches vollständig grammatisch eigentlich She sings like a dream heißen müsste. Dass der Input derartige Fehler enthält, weiß das Kind nicht. Die korrekte Generalisierung hängt darüber hinaus häufig von Sätzen und Strukturen ab, die im normalen Sprachgebrauch nur selten verwendet werden, d. h. das Kind wird mit ihnen während des Erwerbsprozesses nicht regelmäßig konfrontiert. Letzteres wurde in 2.2 mit Konstruktionen, die die Negationspartikel pas enthalten, angesprochen. Auf der Basis solcher Konstruktionen könnte ein französischsprachiges Kind entscheiden, ob die Sprache die Verbverschiebung aufweist. Diese Konstruktionen sind im Input des Kindes aber sehr selten. Das zweite Problem ist vermutlich gravierender: Die den natürlichen Sprachen zugrunde liegenden Regeln und Prinzipien sind äußerst komplexer Natur und spiegeln sich nicht in offenkundiger oder eindeutiger Weise in den oberflächenstrukturellen Eigenschaften einzelner Sätze wider („underdetermination“). Das heißt, für eine ge‐ gebene Menge von Äußerungen mag das Kind die korrekte Generalisierung finden, aber ebenso ist es möglich, dass es diese Generalisierung nicht findet. Dieses zweite Problem möchten wir an einem klassischen Beispiel aus White (1989: 6) illustrieren. Die wanna-Kontraktion ist im Englischen möglich, wenn zwischen want und to kein Element tritt (White 1989: 6). Diese Regularität wird in den folgenden Deklarativsätzen deutlich. In (6a) interveniert him nicht zwischen want und to, da es Objekt von see ist. In (6b) zeigt sich für das Subjekt him, dass die Kontraktion to zu einem ungrammatischen Ergebnis führt, da das Pronomen zwischen want und to interveniert: (6) a. I want to see him - a’. I wanna see him - b. I want him to feed the dog - b’. *I wanna him feed the dog 28 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="29"?> Die folgenden Beispiele (7a)-(7d’) sind ebenso grammatisch mit der wanna-Kontrak‐ tion. In (7e) und (7 f) wurde das Subjekt des abhängigen Satzes, who, an den Satzanfang verschoben. Die Kontraktion führt in diesen Fällen zu einem ungrammatischen Ergeb‐ nis (vgl. (7e’, f ’)). Bemerkenswert ist, dass das Subjekt in den Sätzen (7e) und (7 f) in seiner Ausgangsposition als Subjekt des Nebensatzes (do you want who to feed the dog bzw. do you want who to win the race) nicht sichtbar ist, d. h. das w-Wort befindet sich als erstes Element in der Frage. Wenn wir uns die Antwort auf die Frage in (7e) ansehen, wird deutlich, dass das Subjekt ursprünglich, also vor der Verschiebung an den Satzanfang, zwischen want und to stand: I want him to feed the dog. Hier notieren wir in der Syntax eine Kopie: Who do you want who to feed the dog? Die betreffende Regularität kann demnach nicht aus oberflächenstrukturellen (linearen) Eigenschaften von Sätzen abgelesen werden. Im Gegensatz zu (7e) und (7 f) handelt es sich in (7d) um die Verschiebung des Objekts des Verbs see an den Satzanfang (do you want to see who). Wie (7d’) zeigt, führt die wanna-Kontraktion zu einem grammatischen Ergebnis, da die Sequenz want to weder durch ein sichtbares (wie in (7h)) noch durch ein unsichtbares Element (wie in (7e) und (7 f)) unterbrochen wird. (7) a. I want to go - a’. I wanna go - b. John wants to go but we don’t want to - b’. John wants to go but we don’t wanna - c. Do you want to look at the chickens? - c’. Do you wanna look at the chickens? - d. Who do you want to see? - d’. Who do you wanna see? - e. Who do you want to feed the dog? - e’. *Who do you wanna feed the dog? - f. Who do you want to win the race? - f ’. *Who do you wanna win the race? Manchmal enthält der Input auch Daten, die eine falsche Generalisierung suggerieren. Betrachten wir hierfür die Beispiele in (8) aus White (1989: 7 f.): (8) a. I think John is a fool - a’. I think that John is a fool - b. The girl I met yesterday was very tall - b’. The girl that I met yesterday was very tall - c. Who do you think Mary met yesterday? - c’. Who do you think that Mary met yesterday? Die Analyse der Beispiele in (8) könnte das Kind zu der Generalisierung führen, dass that fakultativ sei. Dies ist jedoch, wie das folgende Beispiel (8d’) zeigt, eine falsche Generalisierung. - d. Who do you think arrived yesterday? - d’. *Who do you think that arrived yesterday? 2.4 Bilingualität und Parameter 29 <?page no="30"?> Wenn das Subjekt des eingebetteten Satzes (hier: who) verschoben wurde, muss that fehlen. Ein Problem mit diesem Erwerbsbereich ist, dass wir nicht davon ausgehen dürfen, dass das Kind, wie wir Linguist: innen es tun können, auf der Basis der grammatischen und der ungrammatischen Sätze nach der Generalisierung sucht. Dem Kind stehen durch den Input allein die grammatischen Sätze in (8) zur Verfügung, womit wir zu dem dritten Problem überleiten. Das dritte Problem besteht darin, dass der Input keine negative Evidenz enthält. Aus der Tatsache, dass eine Struktur nicht im Input auftritt, darf das Kind nicht schließen, dass diese ungrammatisch ist. Sie könnte rein zufällig nicht vorkommen. Mit anderen Worten darf das Kind aus dem Nichtauftreten einer Konstruktion keine Konsequenzen für den Aufbau seiner eigenen Grammatik ableiten. Allein das Auftreten einer Konstruktion (positive Evidenz) darf das Kind für den Erwerb der jeweiligen Grammatik nutzen. Kinder werden außerdem, wenn sie Fehler machen, nicht immer korrigiert. Korrigieren Erwachsene ausnahmsweise kleine Kinder, so hat das meist keinen offenkundigen Lerneffekt. Das Kind kann ja nicht wissen, auf welche Aspekte seiner Äußerung sich die Korrektur des Erwachsenen bezieht, auf formale oder eher inhaltliche (vgl. u. a. McNeil 1966: 106 f. zur Ineffizienz von Korrekturen durch Erwachsene). Wir dürfen nach diesen Ausführungen formulieren, dass das Kind trotz des Inputs in der Lage ist, bestimmte Grammatikbereiche fehlerfrei zu erwerben. Kinder verfolgen bestimmte Hypothesen nicht, obwohl sie logisch denkbar wären. Zimmer (1995) führt zur Illustration die Sätze in (9) an, die im Input von Kindern vorkommen. (9) a. Die Mama geht jetzt in den Garten - a’. Geht die Mama jetzt in den Garten? Ein deutschsprachiges Kind könnte hieraus die Generalisierung ableiten, dass die Fragesatzbildung im Deutschen der folgenden Regel unterliegt: Stelle das dritte Wort an die erste Satzposition. Das Kind würde bei Anwendung dieser Regel aber auch den folgenden ungrammatischen Fragesatz bilden können: - a’’. *Im Oma ist Garten? aus dem Satz „Oma ist im Garten“ Ungrammatische Sätze wie (9a’’) sind aber in Erstspracherwerbsstudien nicht belegt. Deshalb ist es also plausibel anzunehmen, dass das Kind angeborenes Vorwissen mitbringt. Diese Meinung wird als Nativismus bezeichnet. Wäre das Kind darauf angewiesen, erst alle denkbar möglichen Hypothesen durchzuprobieren, so wäre der Weg sehr lang oder es käme vermutlich nie ans Ziel. 2.4.2 Parameter Wir hatten gesagt, dass die UG beim Erwerb der Erstsprache(n) automatisch aktiviert wird. Sie hilft dem Kind dabei, trotz der genannten Probleme mit dem Input die jeweilige(n) Sprache(n) zu erwerben. Um neben invarianten Eigenschaften auch der 30 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="31"?> einzelsprachspezifischen Variation gerecht werden zu können, stellte man sich die UG lange Zeit als ein parametrisiertes System vor. Demnach können die universalen Prin‐ zipien Variablen enthalten, die in Abhängigkeit von der Einzelsprache unterschiedliche Werte annehmen. Man spricht hierbei von Parametern, die auf unterschiedliche Werte festgesetzt sind (Parametrisierung). Die Aufgabe des Kindes besteht darin, die in den Prinzipien enthaltenen Parameter mittels des Inputs (positive Evidenz) auf ihre jeweils zielsprachlichen Werte festzulegen. Man stellt sich den Spracherwerb demzufolge als das Fixieren von Parametern vor. Das Fixieren eines Parameters erfordert die folgenden Operationen (vgl. Haider 1993): • Eine bestimmte Eigenschaft im Input muss identifiziert werden. • Die bestimmte Eigenschaft muss als relevant für das Setzen des jeweiligen Para‐ meters erkannt werden oder das Prinzip, für welches die bestimmte Eigenschaft Relevanz hat, muss identifiziert werden. • Der Parameter muss auf einen Wert gesetzt werden, der mit der bestimmten Eigenschaft des Inputs übereinstimmt. Die Identifikation und Verarbeitung von Input-Eigenschaften erfolgt mit Hilfe all‐ gemeiner kognitiver Fähigkeiten. Eine derartige Analyse muss der linguistischen Analyse zeitlich vorangehen. So wird sichergestellt, dass eine linguistisch noch unan‐ alysierte Input-Eigenschaft identifiziert werden kann. Die zweite und dritte Operation sind mit einigen Problemen behaftet. Dies soll am Beispiel des Nullsubjektparame‐ ters / pro-drop Parameters aufgezeigt werden. 2.4.3 Der Nullsubjektparameter Sprachen wie das Spanische und das Italienische zeichnen sich dadurch aus, dass das Subjekt, sofern nicht kontrastiv betont, nicht phonetisch realisiert wird: duerme, dorme steht für dt. „er / sie / es schläft“. Bei der Interpretation des entsprechenden Satzes wird das Subjekt also mitverstanden und ist somit Teil der syntaktischen Beschreibung des Satzes. Diese Eigenschaft wird als Nullsubjekteigenschaft bezeichnet. In der Subjektposition wird von vielen Linguist: innen ein leeres nominales Element pro (für Pronomen, das nicht ausgesprochen wird) angenommen, welches einem phonetisch nicht-realisierten Personalpronomen entspricht (vgl. Rizzi 1986). Die Nullsubjekteigen‐ schaft wird als eine Option des so genannten pro-drop-Parameters aufgefasst (vgl. u. a. Chomsky 1981, Jaeggli 1982, Jaeggli und Safir 1989, Rizzi 1982, Safir 1985; als Überblick empfehlen wir Müller und Riemer 1998: 36ff. und Kap. 12). Der pro-drop-Parameter war einer der meistdiskutierten Parameter, seit die romanischen Sprachen in das Zentrum der generativen Grammatik geraten sind, da sich hier das so genannte „clustering of properties“ — das Zusammentreffen bestimmter grammatischer Eigenschaften in Sprachen — zeigte. Dies wollen wir an den romanischen Nullsubjektsprachen Italie‐ nisch und Spanisch verdeutlichen; diese werden in der Literatur auch als konsistente Nullsubjektsprachen bezeichnet (Roberts 2019: 194). 2.4 Bilingualität und Parameter 31 <?page no="32"?> Rizzi (1982, 1986) verknüpft mit den phonetisch nicht-realisierten definiten Perso‐ nalpronomina, den Nullsubjekten, die in allen grammatischen Personen und beiden Numeri (Singular und Plural) möglich sind, die folgenden Eigenschaften: (a) das Fehlen von expletiven Subjekten, (b) Extraktionsmöglichkeiten für Subjekte aus that-t-Kontexten (c) postverbale Subjekte in VO-Sprachen. Expletive (semantisch leere) Subjekte fehlen im Italienischen und Spanischen, sind aber beispielsweise im Inventar französischer Pronomina enthalten: il. Das Französische ist auch keine Nullsubjektsprache. Mit der Eigenschaft (b) ist die Verschiebung des Subjekts an den Satzanfang über den Nebensatzeinleiter that hinweg gemeint. Im Italienischen (und Spanischen) ist eine solche Verschiebung des Subjekts möglich, genauso wie das direkte Objekt über den Nebensatzeinleiter che an den Satzanfang bewegt werden kann: Che i ha detto Gianni che Maria ha comprato t i ? , Chi i ha detto Gianni che t i ha comprato una macchina? Im Englischen, einer Nicht-Nullsubjektsprache, darf zwar das direkte Objekt über that hinweg an den Satzanfang verschoben werden, nicht aber das Subjekt: What i did John say that Mary has bought t i ? , *Who i did John say that t i has bought a car? Wir sind bei den Beispielen absichtlich von der Konvention abgewichen, in der Ausgangsposition des verschobenen Elements eine durchgestrichene Kopie zu notieren, da die Spur, als t benannt (für engl. „trace“), der syntaktischen Eigenschaft ihren Namen gegeben hat: wenn das Subjekt nicht über that (ital. che) hinweg an den Satzanfang verschoben wer‐ den kann, spricht man vom that-t-Effekt. Das Fehlen des that-t-Effekts charakterisiert Sprachen wie das Italienische (und Spanische), in denen die Subjektverschiebung über that hinweg eben nicht zu Ungrammatikalität führt. Wir werden in unserer Einführung weiterhin die Spur durch die Kopie des verschobenen Elementes markieren. Diese Notation ist inzwischen weit verbreitet und ist durch Erneuerungen im theoretischen Modell der generativen Grammatik begründet; dies können wir aus Platzgründen aber nicht weiter ausführen. Die Eigenschaft (c) beschreibt die Möglichkeit des Spanischen (und Italienischen), einer VO-Sprache (comprado un libro), das Subjekt an den äußersten rechten Satzrand zu platzieren: ¿Quién ha comprado los libros? ‚wer hat gekauft die Bücher? ‘ Los ha comprado Juan ‚sie hat gekauft Juan‘. Typologisch breit gefächerte Studien haben gezeigt, dass die genannten Eigenschaf‐ ten (a) bis (c) nicht immer zusammentreffen, wenn eine Sprache Nullsubjekte erlaubt. Das Spektrum derjenigen Sprachen, die Nullsubjekte zulassen, ist also breiter als das‐ jenige, das durch die romanischen Sprachen Italienisch und Spanisch abgedeckt würde (vgl. Roberts 2019: Kap. 3). Galizisch (Raposo und Uriagereka 1990), Altfranzösisch (Arteaga 1994, Haiman 1974) und Bangla (Williams 1991) erlauben Nullsubjekte, weisen jedoch gleichzeitig expletive Pronomina auf. Ferner gibt es Nullsubjektsprachen, die die Platzierung des Subjekts am rechten Satzrand nicht erlauben (vgl. u. a. Adams 1987, Grewendorf 1986). Umgekehrt zeigen Müller und Rohrbacher (1989), dass Sprachen, 32 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="33"?> 18 Eine Spracheigenschaft, die die Lerner: innen dazu veranlasst, einen Parameter auf den jeweils zielsprachlichen Wert zu setzen, wird als „trigger“ bezeichnet. die Subjekte am rechten Satzrand aufweisen, nicht unbedingt Nullsubjekte erlauben. Van der Auweras (1984) Arbeit gab Anlass dazu, den Zusammenhang von phonetisch nicht-realisierten Personalpronomina und der Extraktionsmöglichkeit für Subjekte neu zu definieren. In den Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch fallen die Eigen‐ schaften (a) bis (c) zusammen. Und eine weitere Generalisierung bleibt bestehen: Alle bisher erforschten Nicht-Nullsubjektsprachen sind dadurch charakterisiert, dass sie die Verschiebung des Subjekts aus that-Nebensätzen nicht erlauben (hierzu gehören das Englische, das Deutsche und das Französische). Es gilt aber nicht umgekehrt, dass alle Nullsubjektsprachen die Verschiebung des Subjekts aus that-Nebensätzen tolerieren; Sprachen wie das Italienische und Spanische erlauben die Extraktion, in Sprachen wie dem Russischen, dem Finnischen, dem Georgischen und dem Quechua (alles Sprachen, die Nullsubjekte erlauben) sind solche Extraktionen ungrammatisch. Dieser Umstand kann wie folgt zusammengefasst werden: Das Fehlen von that-t-Effekten ist mit der Nullsubjekteigenschaft verbunden. Wir wollen dies einmal schematisch in Tabelle 3 darstellen. In der Tabelle bedeuten „+ that-t“, dass der that-t-Effekt in der jeweiligen Sprache auftritt und entsprechend „that-t“ das Ausbleiben eines grammatischen Effekts. - + that-t that-t + Nullsubjekt Russisch Finnisch Georgisch Italienisch Spanisch - Quechua - - Nullsubjekt Französisch ------ - Englisch - Tabelle 3. Der Zusammenhang zwischen Nullsubjekten und that-t Wenn das Fehlen von that-t-Effekten mit der Spracheigenschaft einhergeht, Nullsub‐ jekte zu erlauben, müssten Kinder, die eine Nullsubjektsprache wie das Italienische oder Spanische erwerben, auf der Basis der Konstruktion Chi i ha detto Gianni che chi i ha comprato una macchina? ‚Wer hat gesagt Gianni dass hat gekauft ein Auto‘ entscheiden können, dass ihre Sprache Nullsubjekte erlaubt, weil der Satz zeigt, dass das Subjekt aus einem durch che eingeleiteten Satz an den Satzanfang verschoben werden kann. Die Eigenschaft (b) wird dann als „trigger“ 18 bzw. Auslöser für das Fixieren des Nullsubjektparameters auf den Wert „+“ bezeichnet. Umgekehrt wird die ungrammatische Konstruktion *Who i did John say that t i has bought a car? sehr wahrscheinlich nicht im Input von englischsprachigen Kindern vorkommen. Während 2.4 Bilingualität und Parameter 33 <?page no="34"?> das italienisch- und spanischsprachige Kind die Extraktionsmöglichkeit des Subjekts aus durch that eingeleiteten Nebensätzen beobachten kann, da es hierfür positive Evidenz erhält, darf das englischsprachige Kind nicht aufgrund des Fehlens dieser Konstruktionen für seine englische Grammatik lernen, da die Eigenschaft „+ that-t“ im Input nicht beobachtet werden kann. Die Festlegung, dass die zu erwerbende Sprache keine Nullsubjektsprache ist, sollte dem Kind also viel schwerer fallen. Außerdem zeigt die Tabelle 3, dass das Auftreten von that-t-Effekten sowohl für Nicht-Nullsubjektals auch für Nullsubjektsprachen charakteristisch ist. Das Fehlen des „clustering of proper‐ ties“ erschwert also den Erwerb der zielsprachlichen Eigenschaft. Unser Beispiel zeigt, dass vermutlich ganz bestimmte Inputdaten für das Setzen des Nullsubjektparameters relevant sind. Wir haben auch gesehen, dass die Frage nach den vom Kind genutzten Inputdaten ganz besonders für Nicht-Nullsubjektsprachen schwer zu beantworten ist, wenn man nicht davon ausgehen möchte, dass das Kind die (realisierten) Subjekte im Input „zählt“ und auf dieser Basis Entscheidungen für die zugrunde liegende Grammatik trifft. Das geschilderte Problem für das Parametersetzen ergab sich früher nicht, als noch davon ausgegangen wurde, dass das „clustering of properties“ existierte. Ein Beispiel dafür ist die bahnbrechende Arbeit von Hyams (1983), die später von ihr selbst (Hyams 1986, 1987) revidiert wurde. Sie vermutete, dass die Ungrammatikalität von Nullsubjekten mit dem Auftreten von expletiven Pronomina zusammenhängt. Im Englischen, Deutschen und Französischen gibt es phonetisch realisierte expletive Pronomina, also setzt das Kind den pro-drop- Parameter auf den Wert „-“; im Italie‐ nischen und Spanischen gibt es keine expletiven Pronomina, also wird der Wert „+“ gewählt. Ferner ist die Möglichkeit der anfänglichen Wahl eines Default-Wertes für den Parameter vorgeschlagen worden. Der englische Wert („-“) wurde als der unmarkierte Wert, also Default-Wert, bezeichnet. Der unmarkierte Wert ergibt sich aus der Markiertheitshierarchie in Übereinstimmung mit dem „subset principle“ (vgl. Wexler und Manzini 1987): Derjenige Wert, der die mengentheoretisch betrachtet kleinere Sprache L(i) beschreibt, ist gegenüber dem Wert, der die größere Sprache L(j) beschreibt, unmarkiert. Sätze, die in der kleineren Sprache L(i) vorhanden sind (Sätze mit phonetisch realisierten Subjekten), sind auch in der größeren Sprache L(j) grammatisch; L(i) ist eine Teilmenge von L(j). Der umgekehrte Fall gilt nicht. Die Spracherwerber: innen werden also zunächst den Wert (i) annehmen. Sollte sich aufgrund von positiver Evidenz zeigen, dass (i) der falsche Wert ist, so wird Wert (j) gewählt. Dafür reicht ein einziger Satz aus L(j) aus, der nicht in L(i) existiert. Dies könnte ein Satz mit fehlendem expletiven Pronomen sein. Der Default-Wert bezeichnet also einen voreingestellten Zustand des spracherwerbenden Kindes. Es handelt sich um einen Wert, der unabhängig davon, ob die Sprache beispielsweise eine Nullsubjekt- oder eine Nicht-Nullsubjektsprache ist, angenommen wird. Die Teilmengenrelation von (Nicht-)Nullsubjektsprachen wollen wir an einem Schaubild illustrieren. 34 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="35"?> Sätze mit realisiertem Subjekt (z. B. Englisch und Französisch - Nicht- Nullsubjektsprachen) Sätze mit realisiertem Subjekt (z. B. Englisch und Französisch - Nicht- Nullsubjektsprachen) Sätze ohne realisiertes Subjekt (z. B. Italienisch und Spanisch - Nullsubjektsprachen) Abbildung 2. Englisch und Italienisch als Teilmengenrelation Abbildung 2 soll verdeutlichen, dass Sätze mit realisierten Subjekten in beiden Sprach‐ typen, Nicht-Nullsubjektsprachen (Englisch und Französisch) und Nullsubjektspra‐ chen (Italienisch und Spanisch) vorhanden sind. Sie stellen also die beiden Sprachtypen gemeinsame Menge dar. Sätze ohne realisiertes Subjekt sind dagegen nur im Italieni‐ schen und Spanischen grammatisch. Dem „subset“-Prinzip folgend sollte das Kind zunächst als unmarkierten Wert den für das Englische bzw. Französische gültigen wählen, selbst dann, wenn es das Italienische bzw. das Spanische lernen muss. Nur in diesem Fall ist garantiert, dass das Kind über die Erkenntnis, dass es Sätze gibt, die eben nicht in der Teilmenge enthalten sind, lernt, dass der zunächst angenommene Wert falsch ist. Die Annahme eines Default-Wertes in Übereinstimmung mit dem „subset“-Prinzip macht nun aber falsche empirische Vorhersagen für den Spracherwerb. So konnte gezeigt werden, dass die frühe Kindersprache durch das häufige Fehlen von Sub‐ jekten charakterisiert ist, unabhängig davon, ob die zu erwerbende Sprache eine Nullsubjektsprache ist (vgl. Bloom 1990). Wir hatten aber gerade dafür argumentiert, dass „-“ der unmarkierte Wert des Nullsubjektparameters ist. Wir erwarten in den Spracherwerbsdaten also das Gegenteil, nämlich dass Kinder das Subjekt erst einmal immer realisieren. Möchte man in einem Rahmen argumentieren, in dem die kindliche Grammatik „sufficient to the explanatory task, with the minimum of extra machinery to handle the empirical evidence“ ist (De Villiers 1992: 441), so muss man annehmen, dass der anfängliche Wert „+“ ist. Hierbei hätten wir dem „subset“-Prinzip zufolge das Problem zu erklären, wie das Kind von der größeren Sprache (in der sowohl Nullsubjekte als auch realisierte Subjekte, grammatisch sind) hin zur kleineren Sprache (in der nur realisierte Subjekte grammatisch sind) fortschreiten kann. Das Auftreten von realisierten Subjekten kann es für den Erwerb nicht nutzen, da diese gerade unter beiden Parameterwerten grammatisch sind. 2.4 Bilingualität und Parameter 35 <?page no="36"?> Unabhängig davon wie oder aufgrund welcher sprachlichen Eigenschaften der Null‐ subjektparameters auf seinen endgültigen Wert festgelegt wird, ergibt sich das Problem der Parameterumsetzung (vgl. Müller 1994). Valian (1990a, b) hat in zahlreichen Arbei‐ ten auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Am Beispiel vom Nullsubjektphänomen demonstriert sie das so genannte Pendelphänomen. Der Input, den das Kind erhält, ist widersprüchlich: Selbst in Nicht-Nullsubjektsprachen wie dem Deutschen wird das Kind Sätze wie in (10) hören, in denen das Subjekt fehlt (vgl. auch Kap. 7.4): (10) Du sollst nicht so viele Bücher lesen! - Ø Kann so viele Bücher lesen, wie ich will Ein Kind, welches das Deutsche erwirbt, könnte auf der Basis dieses Satzes vermuten, es befinde sich in einer Nullsubjektsprache. Berücksichtigt man nun die Tatsache, dass das Kind auch sehr viele Sätze mit einem phonetisch realisierten Subjekt hört, wird es den Parameter bei Bedarf wieder umsetzen auf den Wert „-“, usw. Mit anderen Worten würde es immer zwischen zwei Parameterwerten hin- und herpendeln und niemals den korrekten Wert für die jeweilige Sprache auswählen können. Aus diesem Grund ist ein Prinzip — das „parameter setting constraint“ — vorgeschlagen worden, welches das Umsetzen von Parametern grundsätzlich ausschließt (vgl. u. a. Clahsen 1990, Rizzi 1989, Müller 1993). Wenn das Kind aber, wie das Prinzip besagt, keine Parameter umsetzen darf, muss verhindert werden, dass es einen einzigen Satz als Evidenz für das Setzen eines Parameters auf einen bestimmten Wert ansieht, wie wir es im besprochenen Beispiel zunächst angenommen hatten. Valian (1990a, b) schlug aus diesem Grund vor, dass das Kind zunächst mit beiden Werten (bei Parametern, für die die Werte „+“ oder „-“ sind) arbeitet bzw. das Performanzsystem des Kindes zunächst beide Werte des Nullsubjektparameters bereithält. Wie trifft das Kind nun die für die Zielsprache richtige Entscheidung? Zunächst muss festgehalten werden, dass sich amerikanische und italienische Kinder schon von Beginn der ersten Mehrwortäußerungen an deutlich unterscheiden, ein Faktum, auf das wir im Kapitel 7.4 noch genauer eingehen werden: Amerikanische Kinder realisierten die Subjektposition sehr viel häufiger (über 50%) als italienische Kinder. Valian (1990b: 115) folgerte daraus, dass „American children know, from the beginning of combinatorial speech, that subjects are required in English. Their competence is not deficient, but their performance is“. Lässt man beide Parameterwerte zu, so wird die Wahl zwischen den Werten nicht mehr deduktiv erfolgen, sondern im Gegenteil induktiv bzw. vermittelt durch das Hypothesentesten (vgl. Kap. 2.4.1). Das Kind muss nach Valian eine Distributionsanalyse durchführen, d. h. es muss bestimmen, an welchen syntaktischen Positionen Nullsubjekte auftreten. Es existiert in der Tat eine Einschränkung für das Auftreten für phonetisch nicht-realisierte Subjekte im Englischen: Sie sind auf die erste Position des (Haupt-)Satzes beschränkt und nicht, wie im Italienischen, in jedem syntaktischen Kontext möglich: Gianni i ha detto che pro i 36 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="37"?> 19 Gianni und das phonetisch nicht-realisierte Subjekt pro tragen denselben Index i, um anzuzeigen, dass es sich in beiden Fällen um denselben Referenten handelt. può venire  19 versus *John said that will come. Diese Analyse muss das Kind durchführen, um daraufhin den Nullsubjektparameter auf den jeweils zielsprachlichen Wert setzen zu können. Roeper und Weissenborn (1990) haben eine „deduktive“ Lösung für das Problem des Setzens des Nullsubjektparamenters vorgeschlagen. Sie vermuten die Gültigkeit eines Prinzips, welches besagt, dass parametrische Entscheidungen in Nebensätzen keine Ausnahmen aufweisen. Das Kind muss nach diesem Prinzip wissen, was ein Nebensatz ist, und kann über das Fehlen von Subjekten im Nebensatz den korrekten Wert des Nullsubjektparameters erschließen. Das Fehlen von Subjekten in Nebensätzen ist nur dann erlaubt, wenn auch Hauptsätze die Nullsubjekteigenschaft aufweisen, wenn wir es also mit einer Nullsubjektsprache zu tun haben. Zusammenfassend lassen sich zwei große Richtungen mit Hinblick auf das Parame‐ tersetzen unterscheiden: • Die Lernenden benutzen zunächst einen Wert des Parameters, welcher der un‐ markierte Wert ist. Er setzt den Parameter im Erwerbsverlauf auf den jeweils zielsprachlichen Wert. Eine andere Möglichkeit, die jedoch aus bereits erwähnten theoretischen Gründen nicht weiterverfolgt wird, ist die anfängliche Wahl eines markierten Werts und das Umsetzen des Parameters (nach Bedarf). • Die Lernenden benutzen zunächst beide Werte des Parameters und entscheiden im Erwerbsverlauf, welcher Wert der von der Zielsprache erforderte ist. Die Argumente für die zweite Lösung basierten auf einer Eigenschaft des Inputs: Er ist vielfach irreführend. Wir hatten z. B. erwähnt, dass in einer Nicht-Nullsubjektsprache auch Sätze vorkommen, in denen das Subjekt ausgelassen wurde. Bei der Satzverarbei‐ tung werden drei Strategien unterschieden, um mit irreführendem bzw. mehrdeutigem Input umzugehen (vgl. Fodor 1998): • Serielles Verarbeiten. Die Lernenden wählen eine Analyse und revidieren diese im Erwerbsverlauf, falls nötig. Ein solcher Lernalgorithmus wird von Gibson und Wexler (1994) vorgestellt. • Paralleles Verarbeiten. Die Lernenden arbeiten mit mehreren Analysen gleichzeitig und benutzen die im Erwerbsverlauf hinzukommende Information, um alle bis auf eine Analyse zu eliminieren. Valians (1990b) Lernalgorithmus funktioniert auf diese Weise (vgl. auch Yangs 2002 „variational model“, welches eine statistische Komponente enthält). • „Wait-and-see“. Die Lernenden treffen keine Entscheidung, bis genügend Informa‐ tion vorhanden ist. Fodor (1998) argumentiert für diesen Lernalgorithmus. Diese Strategien spiegeln die bisher diskutierten Ansätze zum Parameterfixieren wi‐ der. Gibson und Wexlers (1994) Lernalgorithmus sieht „Fehler“ vor. Mit Hyams (1983) 2.4 Bilingualität und Parameter 37 <?page no="38"?> 20 Kreolsprachen entstehen aufgrund des Sprachkontakts. Sie sind das Ergebnis „der speziellen sozio‐ historischen Bedigungen der auf Sklavenarbeit beruhenden Plantagenwirtschaft in den tropischen Kolonien des 16., 17., und 18.-Jahrhunderts“ (Stein 2017: 11). 21 Asp = Markierung von Aspekt, z.-B. imperfektiv für eine nicht-abgeschlossene Verbalhandlung. haben wir einen solchen Ansatz kennengelernt. Das Auftreten von „Fehlern“ gilt in begrenztem Umfang auch für einen parallel vorgehenden Lernalgorithmus, den wir mit den Arbeiten von Valian vorgestellt haben. Die „wait-and-see“-Vorgehensweise ist die sicherste; es kommt zu keinen, für Spracherwerbsforscher: innen sichtbaren „Fehlern“ beim Spracherwerb. Auf Fodors Lernalgorithmus, bei dem syntaktische Strukturen eine große Rolle spielen, können wir aus Platzgründen nicht genauer eingehen. Zum Schluss wollen wir noch auf die Subjektauslassungen eingehen, die in einer Nicht-Nullsubjektsprache vorkommen. Hierfür wollen wir das gesprochene Franzö‐ sisch als Beispiel nennen. So beobachtet Matushansky (1998: 194), dass das semantisch leere, expletive il in unabhängigen Sätzen auslassbar ist, vgl. das Beispiel in (11). (11) A: Est-ce que Marie viendra? Ist-es dass Marie kommen_wird Wird Marie kommen? - B: Reste à voir Bleibt zu sehen Es bleibt abzuwarten Laut Schmitz, Patuto und Müller (2011: 208) belaufen sich solche Subjektauslassungen in spontanen Sprachdaten von französischsprachigen Erwachsenen auf 9% und sind auf expletive Subjekte beschränkt. Die Möglichkeit der Auslassung von expletiven Subjekten im gesprochenen Französisch deckt sich mit einer Beobachtung von Barbosa (2019: 511) zum kapverdischen Kreol 20 und zum Papiamentu (beide Sprachen mit star‐ kem portugiesischem Einfluss): Obwohl pronominale und referenzielle Subjekte nicht auslassbar sind (vgl. 12a), erlauben diese Sprachen die Auslassung des Subjekts bei un‐ persönlichen Verben bzw. Ausdrücken (vgl. 12b und 12c). Anders als im Französischen (vgl. Matushansky 1998) ist die Subjektauslassung hier auch bei Witterungsverben erlaubt. (12) a. *(El) ta trabadja duro (kapverdisches Kreol) - - he asp 21 works hard - - - He works hard. - - b. Sta faze frio (kapverdisches Kreol) - - is making cold - - c. Na veron, ta korda sedu (kapverdisches Kreol) - - in-the-summer asp wake early - - - In the summer one wakes up early. - Neben den Auslassungen expletiver Subjekte weist das Französische noch zwei weitere Eigenschaften auf, die es dem Kind erschweren könnten, für das Französische die ziel‐ 38 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="39"?> 22 Jones (1996: 472) bezeichnet die Inversion im Französischen als einen stilistischen Prozess, welcher gebraucht wird, um eine balanciertere (verbmittige) Struktur zu generieren, bei der ein Element aus der postverbalen in die präverbale Position verschoben wurde. sprachliche Entscheidung hinsichtlich des Nullsubjektparameters zu treffen. Beginnen wir mit der Eigenschaft (b), den Extraktionsmöglichkeiten für Subjekte aus that-t-Kon‐ texten. Obwohl das Französische die Extraktion des Subjekts aus that-t-Kontexten nicht erlaubt, kann eine solche Extraktion dennoch möglich gemacht werden, wenn anstelle von que, dessen Entsprechung im Englischen that ist, der Einleiter qui gebraucht wird. Qui wird auch als Interrogativpronomen benutzt, um eine Frage nach der Identität eines belebten Handlungsteilnehmers (in Subjekt- oder Objektfunktion) zu erfragen. Das Beispiel (13a) zeigt die grammatische Extraktion des Subjekts mit dem Einleiter qui. Beide Vorkommen von qui tragen denselben Index „i“, um anzuzeigen, dass es sich um ein und dasselbe Argument handelt. (13b) und (13c) zeigen qui in der Funktion als Interrogativpronomen für das Objekt bzw. das Subjekt. (13) a. Qui i crois-tu qui i a téléphoné? - - Who think you who has telephoned - - Who do you think has telephoned? (Rizzi 1990: 56) - b. Qui as-tu vu? - - Who have you seen? - c. Qui chante? - - Who sings? Die dritte erschwerende Eigenschaft betrifft die Platzierung von Subjekten in postver‐ baler Position (vgl. hierzu auch Kap. 8.3.1). Aus Sicht des Französischen wird für derartige Konstruktionen der Ausdruck der Inversion 22 für angemessen erachtet. Auch wenn die folgenden Konstruktionen nicht oder sehr selten in spontaner gesprochener Sprache auftreten, so zeichnen sie u.-a. einen literarischen Stil aus, der Kindern durch das Vorlesen von Märchen zugänglich ist. Das Subjekt invertiert im Französischen nicht frei. Es kann in postverbaler Position auftreten, wenn bestimmte auslösende Wörter vorhanden sind. Zu diesen auslösenden Wörtern gehören quand (die Konstruktion in (14a) wird stilistische Inversion genannt), lokative, also den Ort bezeichnende Präpositionalphrasen (die Konstruktion in (14b) wird lokative Inversion genannt) oder auch Adjektive (wie in 14c). Auf derartige Beispiele hat Ferdinand (1993: 54 f.) aufmerksam gemacht. (14) a. Quand est arrivé Pierre? Wann ist angekommen Pierre Wann ist Pierre angekommen? - b. Sur la table se trouvait un magnétophone ( Jones 1996: 468) - - Auf dem Tisch sich befand ein Kassettenrekorder - - Auf dem Tisch befand sich ein Kassettenrekorder 2.4 Bilingualität und Parameter 39 <?page no="40"?> 23 Ergative, bzw. unakkusative Verben verfügen, wie intransitive Verben, über ein einziges Argument, das jedoch, ähnlich wie bei Passivkonstruktionen, das direkte Objekt in einer zugrundeliegenden Struktur darstellt (vgl. hierzu Müller und Riemer 1998: 7.2.4). 24 Wiltschko (2014: 24) folgend enthält die UG eine Anweisung zur Kategorienbildung. Die Universal Spine Hypothesis besagt, dass sprachspezifische Kategorien aus einem kleinen Inventar universaler Kategorien zusammen mit sprachspezifischen Spracheinheiten (Wörter, Morpheme, grammatische Merkmale, Satztyp (Hauptvs. Nebensatz, Imperativsatz, etc.)) gebildet werden. c. Grande fut ma surprise quand j’ai appris que … Groß war meine Überraschung als ich habe erfahren dass … Meine Überraschung war groß, als ich erfuhr, dass Weitere Kontexte für die Inversion sind unpersönliche Konstruktionen wie in (15a) und ergative Verben 23 wie in (15b) (Ferdinand 1993: 54 f.). (15) a. It est venu deux hommes Es ist angekommen zwei Männer Zwei Männer sind angekommen - b. Passe une femme française Kommt vorbei eine Frau französische Es kommt eine französische Frau vorbei Mit diesen Überlegungen zum Französischen wollen wir auf die Revision des Parame‐ terbegriffs zu sprechen kommen, da es ganz offensichtlich Sprachen „zwischen den beiden Werten“, „+“ und „-“ Nullsubjektsprache gibt. Auch wollen wir die Auffassung revidieren, dass Parameter und somit Variation Teil der UG ist. 2.4.4 Revision des Parameterbegriffs und Konsequenzen für ein Spracherwerbsmodell Haider (1993) hat wegen der genannten Probleme, die wir am Nullsubjektparameter il‐ lustriert haben, die Auffassung der Universalgrammatik und somit auch des Parameters revidiert. Er versteht die UG nicht als eine Grammatik, sondern als einen kognitiven Koprozessor. Dieser Koprozessor wird immer aktiviert, wenn Daten vorhanden sind, die mit Hilfe dieses Prozessors verarbeitet werden können, also Sprachdaten. The UG-potential is a cognitive co-processor. It is activated whenever there is a data structure that suits the capacity. […] These data are processed effectively, subconsciously, and fast. Processing in this respect means that data with the given structure are easily recognized, stored, retrieved, modified etc. (Haider 1993: 13) Die Struktur der Grammatik einer Sprache wird durch die UG bestimmt, „a program for a program of a program“. Damit ist auch die UG an sich nicht angeboren (vgl. u. a. auch Koster 1989), 24 sondern die UG selbst wird durch ein Programm gesteuert, welches mögliche mentale Prozesse in Form von neuronalen Aktivitäten bestimmt. Auf dieser letztgenannten Stufe kommen genetische Informationen zum Zuge. Beim Parameterbegriff haben wir gesehen, dass in der Regel davon ausgegangen wird, dass es 40 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="41"?> sich um einen Schalter handelt, der in die eine oder in die andere Richtung gesetzt wird (mit der Konsequenz des unmittelbaren Erwerbs, „instantaneous acquisition“). Haider (1993) definiert den Parameter nun als eine Subroutine. Seiner Meinung nach erklärt dies auch die empirischen Befunde in der Spracherwerbsforschung, nämlich dass der Spracherwerb nicht in großen Schritten, also stufenweise, sondern kontinuierlich voranschreitet und dass Kinder beim Erwerb parametrisierter Sprachphänomene „Fehler“ machen, mit anderen Worten einen nicht-zielsprachlichen Wert für einen Parameter auswählen, können. Dies macht es notwendig, den Parameterbegriff so zu modifizieren, dass „Fehler“ korrigierbar sind, was bei einer Subroutine der Fall ist. Die Vorstellung vom Erstspracherwerb, die wir bisher erarbeitet haben, stellen wir in der Abbildung 3 graphisch dar. Der LAD (Language Acquisition Device, Slobin 1973) ist zwischen den Input und die abgeleiteten Grammatiken geschaltet, um zu garantieren, dass der Input in einer Form „aufbereitet“ wird, dass das Kind eine linguistische Analyse durchführen kann. Wir sehen, dass die UG nur als einschränkende Größe wirksam ist, d. h. sie gibt den Raum vor, innerhalb dessen sich die Grammatiken 1, 2, n bewegen dürfen. Abbildung 3. Spracherwerb im generativen Sprachmodell Die Auffassung von Parametern als Subroutinen wurde von Müller (1998c) auf den bi‐ lingualen Erstspracherwerb (und den natürlichen Zweitspracherwerb) für den Bereich der deutschen Nebensatzwortstellung übertragen. Im Unterschied zu monolingualen Spracherwerber: innen verfügen bilinguale (und Zweitspracherwerber: innen) über zwei Grammatiken, wenn man davon ausgeht, dass von Beginn an zwei separate Kompetenzen aufgebaut werden (vgl. Kap. 5). Nun ergibt sich für bilinguale Erstspra‐ cherwerber: innen ein Problem: Sobald „verarbeitbare“ Daten vorliegen, werden diese analysiert. Es könnte nun Inputdaten geben, die mit Hilfe beider „Sprachprogramme“ analysierbar sind. Hierfür werden wir Beispiele in Kapitel 5 anführen. Das Problem der Abgrenzung zweier Sprachsysteme im Individuum erhält demzufolge eine neue Dimension: Es geht nicht darum, OB die beiden Sprachen getrennt werden, sondern WIE das Individuum erfolgreich die einzelnen Subroutinen in der jeweiligen Sprache aktiviert. Eine andere Frage, die sich unter Zugrundelegung des revidierten Parameterbegriffs aufdrängt, ist, ob zwei unterschiedliche Subroutinen in den jeweiligen Sprachen zum selben Zeitpunkt aufgebaut werden oder zeitlich verzögert. Vorstellbar wäre, dass 2.4 Bilingualität und Parameter 41 <?page no="42"?> einige Subroutinen simultan für beide Sprachen aufgebaut werden, andere sukzessiv. Bei den sukzessiv aufzubauenden Routinen stellt sich die Frage, was das Kind in derjenigen Sprache macht, für die die jeweilige Subroutine noch nicht aufgebaut wurde. Die erarbeitete Sichtweise hat weitreichende Konsequenzen für eine Sprachtheo‐ rie und eine Theorie des (bilingualen und monolingualen) Spracherwerbs. Sollten weitere Forschungsarbeiten die Plausibilität des Spracheneinflusses als Einflussgröße in einzelnen grammatischen Teilbereichen erhärten (vgl. hierfür ganz besonders die Kapitel 7 und 8), so folgt daraus für eine Sprach(erwerbs)theorie, dass eine sprachspezifische Grammatik mit Hilfe eines übergreifenden universalen Filters — der UG (Universalgrammatik) — konstruiert werden muss (vgl. Haider 1993) und die Spracherwerbsaufgabe des Kindes eben nicht — wie oft im generativen Rahmen vermutet — darin besteht, unter den bereits vorgegebenen einzelsprachspezifischen Ausprägungen eines ebenso vorgegebenen Systems (UG) auszuwählen. Wieder am Beispiel von Nullsubjekten wollen wir den theoretischen Fortschritt auf den Parameterbegriff anwenden. Zunächst einmal gehen wir im Folgenden aus Gründen der Einfachheit davon aus, dass die grammatischen Merkmale, die für Variation eine Rolle spielen, in der UG selbst enthalten sind (vgl. hierzu aber Wiltschko 2014). Roberts (2019: 193) folgend sind Nullsubjekte eine weitverbreitete Erscheinung in natürlichen Sprachen: Nicht-Nullsubjektsprachen, die die Auslassung von Subjekt‐ pronomina strikt verbieten, machen dagegen nur 11,5% aus. Die unterschiedlichen Ausprägungen der Nullargumenteigenschaft lassen sich in einer Markiertheitshierar‐ chie abbilden, welche das Kind von oben nach unten im Erwerb durchläuft, bis es die Zielsprache(n) erreicht hat. Unmarkierte Ausprägungen benötigen demnach weniger Zeit im Erwerb als markierte. Als am wenigsten markierter Sprachtyp werden sogenannte radikale Argumentaus‐ lasssprachen („radical argument-drop languages“) wie das Japanische bezeichnet. In solchen Sprachen sind Auslassungen nicht nur auf Argumente beschränkt, die syntak‐ tische Subjekte sind. Subjekte und Objekte jeder grammatischen Person sind auslassbar, wenn sie durch den Diskurs wiederauffindbar sind. Zu den weiteren Eigenschaften sol‐ cher Sprachen zählt das Fehlen von Flexionsmorphologie am Verb, welche hingegen in Sprachen wie dem Italienischen und Spanischen zur Markierung der Subjekt-Verb-Kon‐ gruenz dient, im Französischen und Italienischen zur Objekt-Verb-Kongruenz (vgl. zu weiteren Charakteristika Roberts 2019: 217). Abbildung 4 schränkt das Vorhandensein bzw. das Fehlen von sogenannten phi-Merkmalen auf Sonden ein. Phi-Merkmale sind Person (1., 2. und 3. Person), Numerus (Singular, Plural) und Genus (Maskulinum, Femininum). Eine Sonde (engl. probe) ist ein syntaktischer Kopf (vgl. Müller und Riemer 1998: 60), welcher ein nicht-validiertes Merkmal aufweist. Man kann sich das so vorstellen, dass dieser syntaktische Kopf zwar für ein phi-Merkmal, z. B. Genus, markiert werden muss, der Wert für dieses Merkmal kommt jedoch von einer anderen Kategorie, die auch Ziel (engl. target) genannt wird. So sucht die Sonde in einer Suchdomäne nach einem passenden syntaktischen Kopf, auf dem das Merkmal, z. B. 42 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="43"?> 25 Ein Bespiel hierfür ist die Partizipkongruenz im Französischen und Italienischen. Partizipien sind in diesen beiden Sprachen prinzipiell für Genus flektierbar; ob es sich im konkreten Beispiel um eine maskuline oder eine feminine Genusmarkierung am Partizip Perfekt handelt, wird vom Genus des vorangestellten Objekts entschieden: La lettre que Marie a écrite bzw. I ragazzi l‘hanno presa (Bezugsgröße ist la palla). Genus, spezifiziert ist. 25 Im Japanischen, einer radikalen „argument-drop“-Sprache, fehlen phi-Merkmale ganz, wie die Abbildung 4 illustriert. a. Existieren phi-Merkmale überhaupt? Nein: radical argument-drop b. Ja: Existieren phi-Merkmale über die gesamte Breite von Sonden? (Japanisch) Ja: pronominal-argument-drop c. Nein: Existieren phi-Merkmale auf finiten Verben? (Baskisch) Ja: pro(nominal)-drop only in subject position d. Nein: … für bestimmte Personen/ Tempora? (Italienisch, Spanisch) Ja: partial-pro-drop in subject position e. Nein: …. für individuelle finite Verben? (Hebräisch) (Französisch) Nicht-Nullsubjektsprache a: Is head-final present? No: head-initial language b. Yes: Present on all heads? (French, Italian, Spanish: nowhere) Yes: head-final language c. No: Present on [+V] heads? (Japanese: everywhere) Yes: head-final in the clause only d. No: present on ……? (German: head-final VP, vP, TP) Abbildung 4. Parameterhierarchie am Beispiel von Argumentauslassungen (vgl. Roberts 2019, Kap. 3) Der nächste Sprachtyp kann anhand des Baskischen illustriert werden. In dieser Sprache dürfen alle pronominalen Argumente, sofern weder fokussiert noch kontrastiviert, fehlen. Man bezeichnet solche Sprachen deshalb auch als „pronominal-argu‐ ment drop“. Im Baskischen sind diese ausgelassenen Pronomina durch die Verbflexion wiederauffindbar (vgl. Roberts 2019: 226). Markierter als das Baskische sind die bereits besprochenen Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch, die ohne weitere Ein‐ schränkung der grammatischen Person oder des Tempus finiter Verben die Auslassung des Subjekts erlauben. Diese Sprachen gehören zu den sogenannten konsistenten Nullsubjektsprachen. Sie erlauben die Auslassung definiter Subjektpronomina bei jeder Person-Numerus-Kombination und sind durch die bereits genannten Eigenschaften (a), (b) und (c) ausgezeichnet (Roberts 2019: 194, 199). Eine weitere charakteristische Ei‐ genschaft dieser konsistenten Nullsubjektsprachen ist, dass Nullsubjekte der 3. Person Singular eine definite Interpretation haben; für indefinite Nullsubjekte in finiten Sätzen benötigen diese Sprachen eine besondere Sprachform, wie z. B. das unpersönliche si im Italienischen Qui si vive bene ‚Hier lebt es sich gut‘. Sprachen wie das Hebräische und Finnische werden als partielle Nullsubjektsprachen bezeichnet, da sie Beschränkungen auf definite Nullsubjekte haben, die die Person bzw. das Tempus des finiten Verbs betreffen. Unsere Ausführungen haben für das gesprochene Französisch gezeigt, dass hier nur mit einzelnen (unpersönlichen) finiten Verben das expletive Subjekt auslassbar ist; es ist eine Nicht-Nullsubjektsprache. Ausgelassene Subjekte sind nicht-referentiell. In den genannten Kreolsprachen können neben nicht-referentiellen Subjekten auch Subjekte von Witterungsverben ausgelassen werden. In der Literatur werden Subjekte von Witterungsverben als Quasi-Argumente bezeichnet (Chomsky 1993 7 : 325). Man 2.4 Bilingualität und Parameter 43 <?page no="44"?> könnte diese Sprachen auch, in Analogie zu den anderen bisher angesprochenen, als semi-pro-drop-Sprachen (vgl. Barbosa 2019) bezeichnen. In eine Markiertheitshierarchie wie in Abbildung 9 (angelehnt an Roberts 2019: 285) müsste eine Sprache wie das Englische eingearbeitet werden. Man könnte annehmen, dass es sich auf der untersten Position befindet, d. h. in dieser Sprache ist die Subjektauslassung, anders als in den genannten Kreolsprachen und wie im gesprochenen Französisch, nicht auf bestimmte (quasi-)argumentale Subjekte beschränkt; das Subjekt wird i. d. R. durch ein Pronomen ausgedrückt. Hughes und Allan (2013: 27) nennen 2% Subjektauslassungen und Schröter (2019: 2) weist auf Konstruktionen hin, bei denen die Auslassung als Ellipse analysierbar ist: (do you) know what I mean? bzw. (do) you know what I mean? Sprachen wie das Japanische und das Baskische werden auf der makro-parametri‐ schen Ebene entschieden: Entweder teilen alle syntaktischen Kategorien ein Merkmal (f für feature), im vorliegenden Fall phi-Merkmale, wie im Baskischen, oder aber keine Kategorie trägt dieses Merkmal, wie im Japanischen. Finite Verben sind eine natürliche syntaktische Klasse (für die die Bezeichnung INFL für Inflection oder T für Tense gebraucht wird, vgl. Müller und Riemer 1998: Kap. 13). Dieser Bereich wird mesoparametrisch genannt: Alle Kategorien mit dem Merkmal [+T] teilen ein Merk‐ mal (f), im vorliegenden Fall phi-Merkmale. Die romanischen Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch werden auf dieser mesoparametrischen Stufe beschrieben. Mikroparametrische Variation zeigen Sprachen wie das Finnische und das Hebräische: Hier teilen Unterklassen von Kategorien mit dem Merkmal [+T] ein Merkmal (f). Nanoparametrische Variation liegt vor, wenn, wie in den genannten Kreolsprachen, nur individuelle Verben ein Merkmal (f) teilen. Im gesprochenen Französisch sind Subjektauslassungen auf expletive Subjekte beschränkt, die nicht-referentiell sind. Im Zusammenhang mit Haiders Idee der Subroutine ist für die Parameterhierarchien zu erwähnen, dass sie nicht als gegeben (in der UG verankert) angesehen werden. Sie ergeben sich aufgrund nicht-sprachspezifischer Optimierungsstrategien. Im vorlie‐ genden Fall wird zugrundegelegt, dass das Kind vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreitet, also zunächst davon ausgeht, dass ein Merkmal (f) gar keine bzw. eine auf alle syntaktischen Kategorien bezogene Rolle spielt. Erst wenn dieser Annahme durch den Input widersprochen wird, z. B. wenn Sätze mit der jeweils aktuellen Grammatik nicht analysierbar sind, werden weitere Einschränkungen angenommen. Parameterhierarchien lokalisieren Einzelsprachen in Relation zueinander. Je länger der Weg in einer solchen Hierarchie, desto mühsamer der Erwerb. Die Hierarchie macht die (korrekte) Vorhersage, dass der Erwerb des Französischen mit Blick auf die Nullsubjekteigenschaft länger dauert als der Erwerb des Italienischen bzw. Spanischen, zumindest beim monolingualen Kind. Die Sichtweise, dass Parameterhierarchien nicht gegeben sind, sondern sich wie im vorliegenden Beispiel aus dem Zusammenspiel zwischen der Markiertheit von Spra‐ chen (hier definiert als Einschränkung der Aktivität eines grammatischen Merkmals mit Hinblick auf syntaktische Kategorien) und der Tatsache, dass Kinder im Erwerb 44 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="45"?> 26 Eine parametrisch divergierende Sprachkombination mit Hinblick auf die Nullsubjekteigenschaft wäre z.-B. Deutsch/ Italienisch. fortschreiten, indem sie zunächst von der uneingeschränkten Aktivität eines gramma‐ tischen Merkmals ausgehen, ist mit der von Haider (1993) als Subroutine vereinbar. Beide Konzepte erlauben, dass der Parameter als kognitive Routine erweiterbar ist, was unter der Annahme als Schalter nicht möglich ist. Parameter als Routinen zu denken hat Konsequenzen für die Auffassung von Grammatik. So erlaubt dieses Konzept, dass auch das monolinguale Kind mehr als eine grammatische Repräsentation für einen bestimmten Konstruktionstyp aufbauen kann. Bereits 1999 hat Roeper im Rahmen des Chomskyschen Sprachmodells (Chomsky 1995) dafür argumentiert, dass (auch) monolinguale Kinder koexistierende, aber voneinander unabhängige Teilsysteme aufbauen, welche jeweils unterschiedlichen Grammatiken in natürlichen Sprachen entsprechen (vgl. auch Fritzenschaft, Gawlitzek-Maiwald, Tracy und Winkler 1990; Tracy 1991, 2000), und auf dieser Basis ein Modell des universalen Bilingualismus entworfen. Im Rahmen von Parameterhierarchien wäre dann sogar das Problem gelöst, dass das Kind unter der Annahme des universalen Bilingualismus bzw. der universalen Mehrsprachigkeit eine sehr große Anzahl an unterschiedlichen Grammatiken für ein bestimmtes Sprachphänomen annimmt: Mit einer bestimmten Analyse innerhalb einer Parameterhierarchie A folgt nicht unbedingt eine Analyse anderer grammatischer Phänomene wie in Sprache A. Wenn das französischsprachige Kind das Französische als radikale „argument-drop“-Sprache analysiert, wie es für Japanisch richtig wäre, folgt daraus nichts für die Festlegung der Wortstellung, d. h. zum selben Zeitpunkt kann dieses Kind das Französische (schon) richtig als VO (Verb-Objekt) geordnete Sprache analysieren. Es koexistieren genauer gesagt nicht mehrere Grammatiken natürlicher Sprachen, sondern mehrere grammatische Analysen, die in natürlichen Sprachen vorkommen. Das Phänomen, das Roeper (1999) mit universalem Bilingualismus bezeichnet, ist wohlbekannt: Das „monolinguale“ Kind befindet sich bereits auf der Stufe B (z. B. eine Grammatik mit Kongruenz, ich mache), benutzt aber weiterhin auch Strukturen einer früheren Stufe A (eine Grammatik ohne Kongruenz, ich machen). Das Kind hat also zwei grammatische Analysen zur Verfügung. Diese Perspektive auf den Erstspracherwerb eröffnet interessante Einsichten in eine parallele Behandlung des „monolingualen“ und bilingualen Erstspracherwerbs. Im genannten Sprachmodell stellt man sich den Spracherwerb u. a. als das Fixieren von Parametern vor. Der universale Bilingualis‐ mus besagt, dass beide Werte eines (binären) Parameters vom monolingualen Kind gewählt werden können, also eine Situation entsteht, welche für den bilingualen Erstspracherwerb bei parametrisch divergierenden Sprachen charakteristisch ist, 26 d. h. die Kombination von zwei unterschiedlichen Sprachsystemen. Die neue Sichtweise auf den Parameter ermöglicht auch die Annahme von Sprachen mit widersprüchlichen Regeln (Regeln, die zwei unterschiedliche Parameterwerte notwendig machen). So hatten wir das Französische analysiert: Es erlaubt die Subjektauslassungen nur mit 2.4 Bilingualität und Parameter 45 <?page no="46"?> 27 So wäre ja auch denkbar, dass für die Phase, während der das Kind in einigen Fällen die Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz zielsprachlich verwendet und in anderen Fällen Subjekte mit Infinitiven gebraucht, von einer optionalen Kongruenzregel auszugehen ist. bestimmten Verben (die kein referentielles Subjekt als externes Argument aufweisen). Ein weiterer Vorteil dieser Sichtweise ist, dass das von vielen Forschern angenommene Konzept der Optionalität einer grammatischen Regel, das aus Erwerbsperspektive sehr problematisch ist, zumindest für den Erwerb von syntaktischen Bereichen, die als Parameterhierarchie beschrieben werden können, eliminiert werden kann. 27 Im Sinne von Roepers universalem Bilingualismus und unter der Annahme des re‐ vidierten Parameterbegriffs als Routine, die im Verlauf des Erwerbs spezifiziert werden muss, würden sich die zwei genannten Lösungsansätze für das Parametersetzen nicht ausschließen, sondern Optionen darstellen, die vom jeweiligen Entwicklungsstand eines grammatischen Phänomens abhängen. So wird es auch von den Parameterhierar‐ chien (Roberts 2019) vorgesagt. Für das Auslassen von Verbargumenten konnte gezeigt werden, dass Kinder unabhängig von der in der Zielsprache gültigen Parameterbe‐ setzung zunächst davon ausgehen, dass Verbargumente in einer Weise ausgelassen werden können, wie es für das erwachsenensprachliche Japanisch gültig wäre. Roeper bezeichnet eine solche Grammatik, die von Kindern ohne jegliche Analyse des Inputs angenommen wird, als „Minimal Default Grammar“ (MDG). Erst im Laufe ihrer Sprachentwicklung erkennen Kinder den für die jeweilige Sprache gültigen Wert. Sollte dieser von der MDG abweichen, wird die MDG aufgegeben. Es lässt sich jedoch eine Spracherwerbsphase ausmachen, während der die für die jeweilige Zielsprache gültige Parameterbesetzung (z. B. für Eigenschaft X der Wert „-“) neben der MDG koexistiert. Ferner zeigt sich, dass - gebunden an einzelne lexikalische Elemente oder Subklassen von Elementen - der jeweils andere Wert des Parameters (z. B. für Eigenschaft X der Wert „+“) gültig ist. Hier zeigt sich der zweite Lösungsansatz für das Parametersetzen, nämlich dass Kinder zeitweise mit beiden Werten „arbeiten“. Diese Sichtweise ist aufgrund von Parameterhierarchien sogar erwartet. In zukünftigen Forschungsarbeiten werden qualitativen Aspekten des kindlichen Inputs und deren Analyse durch das Kind eine größere Rolle zukommen. Parametrische Entscheidungen finden wir bei monolingualen, aber auch bei mehr‐ sprachigen Kindern. Die Aufgabe des monolingualen / multilingualen Kindes besteht hiernach einerseits in der Ausdifferenzierung eines zunächst gemeinsamen Systems (MDG), welches VOR jeglichem Input existiert (anders als bei Volterra und Taeschner 1978), in einzelsprachspezifische Teilsysteme und andererseits in der Entscheidung darüber, ob die grammatischen Teilsysteme konvergieren oder divergieren (Tracy und Gawlitzek-Maiwald, 2000: 513). Übertragen auf die Sichtweise von Sprache in Form von Parameterhierarchien muss das mehrsprachige Kind für seine Erstsprachen ein und dieselbe Parameterhierarchie pro grammatisches Phänomen durchlaufen (Müller 2023). Da sich die Hierarchie ergibt und nicht mit der UG gegeben ist, kann sie nicht in gedoppelter Form beim bilingualen Kind vorliegen. Hieraus ergeben sich interessante 46 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="47"?> Möglichkeiten des Spracheneinflusses, selbst für den Fall, dass die zu erwerbenden Zielsprachen radikal (also parametrisch) unterschiedlich sind (vgl. Kap. 8). 2.5 Maturation als Kontinuität oder als Diskontinuität Bisher haben wir uns der Lösung des logischen Problems des Erstspracherwerbs gewid‐ met und eine Vorstellung davon entwickelt, wie der Spracherwerb überhaupt gelingen kann bzw. was das Kind dazu befähigt, menschliche Sprache zu erwerben. Neben dem logischen Problem des Spracherwerbs gibt es ein weiteres Problem, auf das bereits Felix (1984) aufmerksam gemacht hat, nämlich das sogenannte Entwicklungsproblem. Dieses Problem bezieht sich darauf, dass der Spracherwerb in festen Erwerbsphasen verläuft (Felix 1984: 135): Sprachstrukturen, die die Phase X charakterisieren, treten erst nach dem produktiven Gebrauch von solchen Sprachstrukturen auf, die die Phase X-1 ausmachen. Die zeitliche Dimension des Spracherwerbs, das sogenannte Entwicklungsproblem, kann mit den Mitteln, die uns für die Lösung des logischen Problems des Spracherwerbs zur Verfügung stehen, nicht ohne weitere Annahmen angegangen werden. Da diskrete Erwerbsphasen existieren, die in der Entwicklung in einer festen Ordnung erscheinen, und da auch andere kognitive Fähigkeiten und physische Merkmale des Kindes einer Reifung unterworfen sind, liegt es nahe, dass auch Bereiche der menschlichen Sprache reifen. Diese Sichtweise gilt als Maturationshypothese. Damit sind selbst Erwerbsphasen erwartbar, die der UG widersprechen (Felix 1984). Derartige Befunde sind die überzeugendsten für Maturation. Weissenborn, Goodluck und Roeper (1984: 5) sprechen in diesem Zusammenhang auch von Diskontinuität. Bis heute ist offen, ob die Maturationshypothese in dieser Form gültig ist, da ihre Widerlegung impliziert, dass die kindliche Grammatik von Beginn an UG-konform strukturiert ist. Doch derartige Überlegungen sind abhängig vom Inhalt der UG. Geht man davon aus, dass die grammatischen Merkmale nicht in der UG enthalten sind, sondern vom Kind abgeleitet werden müssen, spielen Qualität und Quantität des sprachlichen Inputs eine noch größere Rolle, weil mehrsprachige Kinder weniger Input in ihren Sprachen erhalten als monolinguale Kinder mit diesen Sprachen. Das mehrsprachige Kind wäre vermutlich der beste Testfall für die Gültigkeit der Maturationshypothese, da es über allgemein-kognitive Fähigkeiten verfügt, welche auf alle seine Sprachen gleichmäßig angewandt werden, es aber linguistisch unterschiedlich strukturierte Systeme erwirbt. Maturation impliziert jedoch nicht unbedingt Diskontinuität, d. h. die kindliche Grammatik kann einem Reifungsprozess unterliegen, ohne dass sie der UG wider‐ spricht (Borer und Wexler 1987). Diese Überlegungen haben Radford (1988) dazu geführt, die Reifung funktionaler (im Gegensatz zu lexikalischen) Kategorien anzu‐ nehmen. Zu Beginn des Erwerbs entsprechen kindliche Äußerungen sogenannten small clauses der Erwachsenen, d. h. sie enthalten keine Kategorien, die grammatische Informationen transportieren. Eine solche small clause ist z. B. „her intelligent“ in dem 2.5 Maturation als Kontinuität oder als Diskontinuität 47 <?page no="48"?> erwachsenensprachlichen Satz John considers her intelligent. Tatsächlich entsprechen die ersten kindlichen Äußerungen einer Analyse ohne funktionale Kategorien, die grammatische Merkmale transportieren, z. B. moi manger. Paradis und Genesee (1997) gehen dieses Problem am Beispiel von englisch-französischsprachigen Kindern an und beobachten, dass grammatische Morpheme, die in beiden Sprachen Tempus und Subjekt-Verb-Kongruenz anzeigen, früher im Französischen als im Englischen auftre‐ ten. Ein zweites Ergebnis der Forschungsarbeit ist, dass Determinanten zum selben Zeitpunkt von den bilingualen Kindern produziert werden. Damit ist die Annahme von Maturation aus Sicht der Autor: innen unwahrscheinlich. In einem Sprachmodell, in dem sprachliche und nicht-sprachspezifische, allge‐ mein-kognitive Eigenschaften interagieren (wie bei Roberts 2019) und den Parameter‐ begriff ausmachen, muss die Möglichkeit der Maturation neu gedacht werden. 2.6 Zusammenfassung Wir haben in diesem Kapitel grundlegende Begriffe geklärt und den theoretischen Rahmen der universalgrammatisch ausgerichteten Spracherwerbsforschung umrissen, in den sich ein ganzer Forschungszweig über den Verlauf der Mehrsprachigkeit einbetten lässt. Wir werden in den folgenden Kapiteln besonders auf solche Spracher‐ werbsarbeiten eingehen, die diesem theoretischen Rahmen verpflichtet sind. 48 2 Mehrsprachigkeit: Definitionen <?page no="49"?> 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den verschiedenen sprachlichen Kontexten, die zur simultanen Mehrsprachigkeit führen (vgl. Kap. 2). Es geht zum einen um die Ausgangssituationen und Strategien der Familien, in denen Kinder zwei- oder mehrsprachig aufwachsen, zum anderen um die Methoden der Datenerhebung. Dabei werden sowohl Einblicke in Studien aus den Anfängen der linguistischen Bilingualis‐ musforschung als auch aktuelle Tendenzen aufgezeigt. Es ist wichtig zu betonen, dass das Forschungsfeld interdisziplinär ist und der vorliegende Überblick sich nur auf die Aspekte konzentriert, die im Fokus dieser Einführung stehen. Die Frage, wie Familien zwei (oder mehrere) Sprachen an Kinder weitergeben, kann durch extra-linguistische Faktoren wie z. B. der Sprachkonstellation beeinflusst werden. Andere Aspekte wie Identität, Einstellung, Integration oder Sprachförderung werden hier nicht behandelt und können in anderen Werken eingesehen werden (vgl. die Einführungen in Riehl 3 2014, insb. Kap. 4, Ruberg und Rothweiler 2012, Chilla und Haberzettl 2014). Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt - wie bei der gesamten Einführung - auf dem simultanen kindlichen Spracherwerb, wobei in der Regel in den vorgestellten Studien eine romanische Sprache beteiligt ist. In den letzten Jahrzehnten gab es viele Untersuchungen zum sukzessiven Spracherwerb im Übergang zwischen Familie und Bildungseinrichtungen (vgl. die aktuellen Einführungen von Harr, Liedke und Riehl 2018 sowie Bryant und Rinker 2021). Diese werden hier nicht diskutiert oder nur sporadisch angeführt (für Studien über Schulkinder oder Erwachsene, die bilingual mit Italienisch aufwachsen/ aufgewachsen sind, siehe den Überblick in Caloi und Torregrossa 2021: 14-16). Ebenso entwickelte sich - ausgehend von Nordamerika - ein Forschungszweig, der sich mit heritage languages, sog. Herkunftssprachen, auseinandersetzt (vgl. den Überblick in Brehmer und Mehlhorn 2018). Nach Rothmans (2009: 156) Definition ist damit eine Sprache gemeint, die zuhause gesprochen wird oder Kindern früh zur Verfügung steht und die nicht die Sprache der Mehrheitsgesellschaft ist (vgl. Kap. 3.2). In Kapitel 3.1 wird ein historischer Überblick zu den Methoden der (mehrsprachigen) Spracherwerbsforschung gegeben, Kapitel 3.2 präsentiert Formen des bilingualen Erwerbs. In Kapitel 3.3 stellen wir eine Auswahl von Longitudinal- und Querschnitt‐ studien vor. Wir werden sehen, dass sich die Methoden zur Erhebung der Daten im Laufe der Zeit verändert haben und dass das Spektrum der betroffenen Sprachen breiter geworden ist. Im Überblick wird es insbesondere um die Strategien gehen, die die Eltern wählen, um ihre Kinder zweisprachig aufwachsen zu lassen. <?page no="50"?> 3.1 Forschungsmethoden Seit nunmehr einem Jahrhundert wurden Untersuchungen zum Erwerb zweier Spra‐ chen im Kindesalter dokumentiert (vgl. auch den Überblick zur Geschichte der Spracherwerbsforschung in Klann-Delius 3 2016, Kap. 1). In den frühesten Studien haben die Forschenden überwiegend die Sprache ihrer eigenen Kinder analysiert. Untersuchungen, welche die Sprachentwicklung derselben Kinder über einen längeren Zeitraum dokumentieren, nennt man Längsschnittstudien oder Longitudinalstudien. Die Datensammlung enthält in der Regel spontane Sprachäußerungen, die im Falle von Kinderdaten in Spielsituationen erhoben werden. Die Longitudinalstudie ist als Verfahren der Datenerhebung unter den Bereich der Beobachtung einzuordnen (vgl. Albert und Koster 2002: 17 ff., Albert und Marx 2016: 45 ff.). Studien, die zu einem ganz bestimmten Entwicklungsmoment eine Gruppe von Kindern mit Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung untersuchen, nennt man Quer‐ schnittstudien (vgl. Klann-Delius 3 2016, S. 11 und 13). Diese können aus Spontandaten, die einen einzigen Zeitpunkt (z. B. bei einer Befragung), mehrere Zeitpunkte zum Vergleich oder eine kurze Zeitspanne umfassen, oder aus einem Elizitationstest beste‐ hen. Der Elizitationstest gehört als Verfahren der Datenerhebung der experimentellen Forschung an (vgl. Albert und Koster 2002: 46 ff., Albert und Marx 2016: 81 ff.). Für den Spracherwerb bedeutet dies, dass (Psycho-)Linguist: innen zu einer ganz bestimmten Fragestellung (z. B. ab welchem Alter produzieren Kinder Objektpronomina? ) einen Test entwickeln, der mit Kindern durchgeführt wird. Bei jungen Kindern bestehen diese meist aus Bildergeschichten oder vorgespielten (simulierten) Sachverhalten oder Situationen, sodass die Kinder spielerisch die Fragen beantworten. Die Antworten wiederum geben Hinweise auf den Erwerbsstand für das untersuchte Alter. Man unterscheidet auch zwischen Produktions- und Verstehenstests. Produktions‐ tests überprüfen die Sprachproduktion, Verstehenstests untersuchen das Sprachverste‐ hen. In den letzten 20-25 Jahren wurden vermehrt experimentelle Methoden eingesetzt, um kindliches Verhalten zu untersuchen und Reaktionen zu messen (vgl. Kauschke 2012: 8 ff., insb. 17-22). Beispielsweise werden durch Stimuli Wiedererkennungsaufga‐ ben gestellt (diese können ein Wort oder eine Struktur betreffen). Die Zeit, die ein Kind braucht, um auf einen bestimmten (nicht-)sprachlichen Stimulus zu reagieren, gibt Hin‐ weise auf die Sprachverarbeitung. Annahme ist dabei, dass komplexe Sätze eine längere Verarbeitungszeit benötigen als einfache. Interessante Methoden zur Überprüfung der Sprachwahrnehmung und der Sprachverarbeitung sind z. B. das Kopfdrehparadigma, bei dem die Dauer des Interesses an einem auditiven Stimulus gemessen wird, und das Blickpräferenzparadigma, das mit eye-tracking-Verfahren ermöglicht, Sprachverstehen genau zu überprüfen (vgl. Kauschke 2012: 17 ff., Klann-Delius 3 2016: 14 f.). Viele Elizitationsverfahren bestehen aus einer Kombination von Produktions- und Verstehenstests. Insgesamt werden diese Verfahren im (Vor-)Schulalter eingesetzt und zielen darauf ab, den Sprachstand zu messen, um eine gezielte Sprachförderung - insbe‐ sondere im Kontext von Deutsch als Zweitsprache - zu formulieren (vgl. u. a. Metzger, 50 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="51"?> 1 Der am Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) 2011 gegründete Berliner Interdis‐ ziplinäre Verbund für Mehrsprachigkeit (BIVEM) ist ein Netzwerk von Wissenschaftler: innen und Praktiker: innen, die sich zu den Themen Mehrsprachigkeit, Spracherwerb, Sprachförderung und Sprachdiagnostik austauschen. Darüber hinaus wird Grundlagenforschung im Bereich Mehrspra‐ chigkeit betrieben (https: / / bivem.leibniz-zas.de/ ). Schroeder und Şimşek 2014 zu Lernersprache; „Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache“/ LiSe-DaZ, Schulz und Tracy 2011; „Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder“/ SETK 3-5, Grimm 2010; „Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses“/ TROG-D, Fox 2013). Am BIVEM 1 wurden auch Verfahren für andere Sprachen entwickelt/ angepasst (vgl. u. a. Gagarina, Klassert und Topaj 2010; Czapka, Topaj und Gagarina 2021). Die Methoden der Datenerhebung im Bereich von longitudinal durchgeführten Fallstudien zur Sprachentwicklung haben sich mit der Zeit verändert (vgl. Klann-Delius 3 2016: 18, Abb. 1.1). Die ersten Studien wurden mit Hilfe von Notizen (sogenannte Tagebuchstudien oder diary studies, vgl. Klann-Delius 3 2016: 8 ff.) durchgeführt und stammten von Autor: innen, die ihre eigenen Kinder untersucht haben. Seit den 1970er Jahren hat sich etabliert, dass Forschende Daten sammeln, indem sie bei mehrsprachigen Familien Tonbandaufnahmen durchführen, die überwiegend mit den Eltern stattfinden. Seit ca. 30 Jahren werden Videoaufnahmen gemacht, wodurch sich die nonverbale Interaktion der Kinder besser erfassen lässt. Die meisten Aufnahmen werden nach Sprachen getrennt, d. h., es ist weit verbreitet, für die Untersuchung einen monolingualen Sprachkontext herzustellen. Heutzutage bestehen die Daten in der Regel nicht mehr aus Interaktionen mit den Eltern, sondern mit angewiesenen Personen, die monolingual sind. Doch wie werden die Sprachdaten weiterverarbeitet? Am Beispiel eines von uns selbst durchgeführten Projektes soll der Prozess von der Aufnahmesituation bis zur Analyse der Daten dargestellt werden. Das Forschungsprojekt „Frühkindliche Zweisprachigkeit: Italienisch-Deutsch und Französisch-Deutsch im Vergleich“ arbeitete von 1999 bis 2005 im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 538 Mehrsprachigkeit an der Universität Hamburg und wurde aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die erste Forschergruppe etablierte sich bereits im Jahre 1997. Die Leitung oblag Natascha Müller. Das Projekt wurde ab 2005 an der Universität Wuppertal unter anderen Frage‐ stellungen weitergeführt und um zwei Sprachkombinationen (Französisch-Italienisch und Spanisch-Deutsch) und um die Erhebung bilingualer Daten in den romanischen Ländern Italien, Frankreich und (monolingualen sowie bilingualen Regionen in) Spa‐ nien erweitert. 3.1 Forschungsmethoden 51 <?page no="52"?> 2 Für die grundlegenden Arbeiten zu den Daten vgl. Arnaus Gil, Eichler, Jansen, Patuto und Müller (2012), Cantone (2007), Cantone, Kupisch, Müller und Schmitz (2008), Eichler, Jansen und Müller (2013), Hager und Müller (2015), Hauser-Grüdl, Arencibia Guerra, Witzmann, Leray und Müller (2010), Jansen, Müller und Müller (2012), Kupisch (2006a, 2007a), Müller (1998b), Müller, Arnaus Gil, Eichler, Geveler, Hager, Jansen, Patuto, Repetto und Schmeißer (2015), Müller, Cantone, Kupisch und Schmitz (2002), Müller, Schmitz, Cantone und Kupisch (2006), Patuto, Hager, Arnaus Gil, Eichler, Jansen, Schmeißer und Müller (2014), Patuto, Repetto und Müller (2011), Pillunat, Schmitz und Müller (2006), Rizzi, Arnaus Gil, Repetto, Geveler und Müller (2013), Schmeißer, Eichler, Arnaus Gil und Müller (2016a), Schmeißer, Hager, Arnaus Gil, Jansen, Geveler, Eichler, Patuto und Müller (2016b), Schmitz (2006a). 3 Altersangaben erfolgen in Jahren; Monaten,Tagen. Im Mittelpunkt standen Longitudinalstudien über den Spracherwerb bilingualer Kinder. Zum Vergleich wurden darüber hinaus auch Querschnittstudien mit monolin‐ gualen und bilingualen Kindern durchgeführt. 2 Mit den Longitudinalstudien von mittlerweile 38 bilingualen Kindern hat die Gruppe Sprachdaten von insgesamt 11 Kindern mit der Sprachkombination Italienisch-Deutsch und 10 mit der Kombination Französisch-Deutsch erhoben. Des Weiteren liegen inzwischen Daten von neun Kindern mit der Kombination Spanisch-Deutsch, sechs Kinder mit der Kombination Französisch-Italienisch, ein Kind mit der Kombination Französisch-Spanisch und eines mit Spanisch-Italienisch vor. Die Aufnahmen wurden im Alter zwischen 1; 4 und 2; 2,0 Jahren 3 (individuelle Unterschiede) begonnen und - bis auf wenige Ausnahmen - mit 5 Jahren abgeschlossen. Es wurde versucht, ausschließ‐ lich Erstgeborene als Teilnehmende zu gewinnen (vgl. Barron-Hauwaert 2011). Die Annahme ist dabei, dass Erstgeborene zum einen von der gewählten sprachlichen Strategie der Eltern profitieren, ohne dass ältere Geschwister diese „stören“ (beispiels‐ weise könnten die Eltern zuhause nur die Minderheitensprache sprechen wollen, ein älteres Geschwisterkind jedoch - durch die Erfahrung im Kindergarten - das Kleinkind in der Mehrheitssprache anreden und damit die einsprachige Strategie „verhindern“), zum anderen haben sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern und damit eventuell mehr Input als Nachfolgegeschwister. Die Videoaufnahmen fanden in der Regel alle zwei Wochen statt. Zwei Interaktionspersonen haben die Kinder zu Hause besucht und mit ihnen gespielt. Die meisten der untersuchten Kinder lebten in Deutschland, einige wuchsen aber auch im romanischsprachigen Ausland auf. Hier waren die Eltern der Kinder die Interaktionspersonen bei den Aufnahmen. Jeder Aufnahmeteil dauerte zwischen 30 und 45 Minuten (je nach Redebereitschaft des Kindes) und war nach Sprachen getrennt, d. h., während eine Interaktionsperson gespielt hat, hat die andere Person aufgenommen und nicht an der Spielsituation teilgenommen. Die erste Aufnahme (manchmal auch die zweite und die dritte) war eine Probeaufnahme, damit die Interaktionspersonen die Kinder und ihre Familien kennenlernen konnten. Damit wurde fast ausgeschlossen, dass Kinder in der Interaktion mit Personen, die nicht aus dem unmittelbaren Familienkreis kommen, weniger sprechen. Die erwachsenen Interaktionspersonen waren jeweils L1-Sprechende der untersuch‐ ten Sprachen, in einigen Fällen handelte es sich um bilinguale Personen. Alle haben das Kind nur in einer Sprache angesprochen (vgl. weiter unten). So wie bei einer 52 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="53"?> mehrsprachigen Familie eine Familiensprache ausgesucht wird, welche gesprochen wird, wenn alle zusammen sind, mussten die Interaktionspersonen sich einigen, welche Sprache die übergreifende sein sollte. Diese wurde unter Berücksichtigung der Familiensituation, der Ein- oder Zweisprachigkeit der Interaktionsperson oder zur Unterstützung der Nicht-Umgebungssprache gewählt. Alle Aufnahmen wurden verschriftet, d. h., es wurden Transkripte über jede Sprach‐ produktion des Kindes (einzelne Wörter bis ganze Äußerungen) angefertigt, und zwar so, wie das Kind selbst gesprochen hat. Ebenfalls wurde die sprachliche Produktion der Erwachsenen sowie der nonverbale Kontext, z. B. Zeigegesten, Bewegungen und Spielsituationen, verschriftet. Die Transkripte wurden von L1-Sprechenden angefer‐ tigt, in der Regel dieselben, die die Aufnahmen durchgeführt haben, und danach von anderen L1-Sprechenden kontrollgehört. Die Analyse der Daten erfolgte somit nicht mehr auf der Grundlage der Aufnahmen, sondern mit Hilfe der vorliegenden Transkripte. Zur Unterstützung wurde eine Art Tagebuch für jedes Kind angelegt. Nach jeder Aufnahme wurde ein Protokoll erstellt, das besondere Ereignisse im Leben der Kinder festgehalten hat, die Einfluss auf die sprachliche Entwicklung haben könnten. Dazu gehören z. B. Reisen in die Herkunftsländer, Besuche der Großeltern, Eintritt in den Kindergarten, Krankheit oder mögliche Wechsel der Interaktionspersonen. In der soziolinguistisch geprägten, anwendungsorientierten Mehrsprachigkeitsforschung spielen diese extra-linguistischen Faktoren, die mittels Fragebögen oder Interviews erhoben werden, eine zentrale Rolle. In dieser Subdisziplin steht weniger die Analyse von Sprachdaten im Fokus, sondern vielmehr Fragen zu den Bedingungen, die einen mehrsprachigen Erwerb ermöglichen, zum Sprachgebrauch, zur Einstellung und zur eigenen Einschätzung des Sprachstandes. Werden Kinder untersucht, bezieht man diese Informationen überwiegend über die Eltern. De Houwer (2003) untersuchte im Rahmen einer Fragebogenerhebung den Sprachgebrauch in über 2000 Familien in Flandern (Belgien). Braun und Cline (2010, 2014; siehe auch Braun 2012) erhoben Daten von 70 trilingualen Familien in Deutschland und England mithilfe von Fragebögen, Inter‐ views, einem Internetforum sowie anonymisierten Emails mit dem Ziel, sprachliche Kommunikationsmöglichkeiten und Sprachgebrauch in den Familien nachzuzeichnen und die Faktoren hervorzuheben, die für diese Entscheidungen verantwortlich sind (vgl. Braun und Cline 2014: 3). 3.2 Formen der Bilingualität Kinder können auf unterschiedliche Art und Weise in mehr als einer Sprache Input erfahren, wobei der Kontakt im Kleinkindalter überwiegend im familiären Umfeld entsteht. Wichtig für eine Zuordnung der Form der Bilingualität ist nicht nur der Zeitpunkt, ab wann welche Sprache im Input auftaucht (vgl. Kap. 2), sondern auch durch wen und in welchen Situationen der Kontakt zustande kommt. Forschungen der letzten Jahre haben sich im Kontext von heritage language-Studien der Frage 3.2 Formen der Bilingualität 53 <?page no="54"?> 4 Meisel (2013: 231) fasst zusammen, dass die derzeitige Forschung nicht zulässt, Herkunftssprecher: in‐ nen eine gesonderte Erwerbsform zuzusprechen, sie passten vielmehr in die Gruppen des simultanen oder sukzessiven kindlichen Erwerbs oder des Zweisprachlernens (vgl. auch Cantone 2022). gewidmet, ob und wie die Sprachweitergabe stattfindet, wodurch sich die Variation im Ergebnis des Spracherwerbs erklärt und ob diese eine zusätzliche Bezeichnung von Erwerbstypen, nämlich Herkunftssprachensprecher: innen, rechtfertigt (vgl. u. a. Montrul 2008, 2016; Rothman 2009; Kupisch 2013; Kupisch und Rothman 2018; Nagy 2016; Olfert 2019; Cantone 2022). Die Meinungen darüber, ob hier nur ein Erwerbs‐ szenario präziser dargestellt wird oder vielmehr eine neue Erwerbsform, gehen in der Forschung auseinander 4 , insbesondere, wenn die zugrundeliegende Annahme ist, dass diese Sprecher: innen keinen vollständigen Erwerb in der Minderheitensprache erlangen können. Dabei spielt u. a. die Generationenzugehörigkeit und damit die Erwerbssituation (Individuum noch im Herkunftsland, Individuum wächst bilingual im Zielland auf, Familie lebt seit mehreren Generationen im Zielland), der Sprachkontakt sowie die Vitalität einer Minderheitensprache in einer anderen Sprachumgebung eine Rolle (vgl. Harr et al. 2018: insb. Kap. 2). Ebenfalls wird in der Bi- und Trilingu‐ alismusforschung diskutiert, welche Menge und Qualität des Inputs nötig ist, um einen erfolgreichen Erwerb zu ermöglichen (u. a. Grüter, Hurtado, Marchman und Fernald 2014: 19-25; Grüter und Paradis 2014: 1, Arnaus Gil, Müller, Sette und Hüppop 2021). Schließlich plädieren Caloi und Torregrossa (2021: 17) dafür, mit Blick auf erfolgreiche Erwerbsverläufe die Kohärenz („consistency“) im Sprachgebrauch der Minderheitensprache in den Fokus von Forschung zu nehmen und nicht die Menge an Input. Außerdem betonen sie, dass Kontinuität („continuity“) im Sprachgebrauch, die zuhause beginnt und in der Schule fortgeführt wird, relevant für den erfolgreichen Erwerb der Minderheitensprache ist. Die Menge und die Art des Inputs hängen von äußeren Bedingungen ab, u. a. von der Sprachkonstellation in Familien. Die wichtigsten Konstellationen innerhalb der Kernfamilien von zweisprachig aufwachsenden Kindern wurden erstmals systematisch von Suzanne Romaine in ihrem Buch „Bilingualism“ vorgestellt (1995). Sie schlägt sechs Arten vor, wie Kinder bilingual aufwachsen können (1995: 181 ff., vgl. auch Romaine 1999: 253 ff.), je nach dem, welche Sprachwahl jedes Elternteil vornimmt, um mit dem Kind zu sprechen, welche Sprache zu Hause zwischen Eltern und Kind(ern) genutzt wird (Familiensprache), und welche außerhalb gesprochen wird (Umgebungssprache). Arnaus Gil et al. (2021a: 3) betonen die Rolle der Umgebungssprache (von ihnen MaL genannt, Majority Language) und schlagen vier sprachliche Strategien vor, die Eltern angehen können. Die familiär selbstgewählten Strategien oder Sprachpolitiken (vgl. King und Fogle 2013; Curdt-Christiansen 2018) sind natürlich von der Lebenssituation abhängig und können mit der Zeit verändert werden (vgl. Barron-Hauwaert 2011: 38). Es sollte betont werden, dass Eltern sich zwar vornehmen können, eine bestimmte Sprache weiterzugeben, sie aber eventuell an Reaktionen aus der Umgebung oder an Alltagssituationen scheitern. Auch können Kinder auf die Sprachwahl der Eltern bzw. Interaktionspersonen eingehen oder nicht (vgl. Schmeißer, Eichler, Arnaus Gil und 54 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="55"?> Müller 2016a). Es gibt nur wenige systematische Studien zur Sprachverweigerung bei Kindern (vgl. jedoch Lippert 2010, 2020 und De Houwer 2020). All diese Untersuchungen fokussieren auf die für unsere Einführung relevante Lebensspanne, die Phase von Geburt bis zum Alter von 5 Jahren, und betrachten den simultanen Erwerb von zwei (oder mehr) Sprachen. Interessant wäre zu erforschen, inwieweit Romaines Konstellationen auch längere Zeitspannen sowie Veränderungen des Zugangs zu den Sprachen abdecken (können). Damit könnte der sukzessive Erwerb verschiedener Sprachen, die mitunter nicht nur die engsten Bezugspersonen und ihre Sprachwahl betreffen, sondern weitere externe Bedingungen (z. B. Veränderung der mehrsprachigen Umgebung, Flucht, vgl. Ratzmann, 2023), ebenfalls durch die vorgeschlagenen Formen erfasst werden. Im Folgenden stellen wir die Erwerbsformen anhand erdachter Beispiele vor. Wir nutzen die Begriffe Formen, Konstellation, Strategien und Methoden synonym, da nicht selbsterklärend ist, ob die Art des bilingualen Aufwachsens aktiv von den Eltern entschieden wurde (als Strategie oder Methode der kindlichen Spracherziehung), oder einfach der Lebenssituation der Familie geschuldet ist (vgl. die Auflistung verschiede‐ ner Benennungen in Barron-Hauwaert 2004: 4 und Appendix 1 ab S. 185 für eine Aufführung der möglichen elterlichen Gesprächsstrategien). 3.2.1 OPOL Romaine (1995) bezeichnet die erste Form von Bilingualität EINE PERSON - EINE SPRACHE (One Person-One Language, OPOL). Diese Methode geht auf den französi‐ schen Phonetiker Grammont zurück, der Ronjat (1913) diese für die Erziehung seines zweisprachig (deutsch/ französisch) aufwachsenden Sohnes Louis empfahl (vgl. 3.3.1). Sie kommt in wissenschaftlichen Studien häufig vor. Nach dieser Erwerbsform haben die Eltern zwei verschiedene Erstsprachen (L1) und jede Person spricht mit dem Kind die eigene Sprache. Die Umgebung, in der das Kind aufwächst, ist monolingual und spricht dieselbe Sprache wie ein Elternteil. Die Eltern wählen eine der Sprachen als Familiensprache aus, womit diejenige Sprache gemeint ist, die beide Eltern sprechen, wenn sie gemeinsam mit dem Kind interagieren. Des Weiteren müssen die Eltern auch eine Sprache haben, die sie sprechen, wenn sie allein sind. Zu vermuten ist, dass es die Umgebungssprache, also die Sprache der Mehrheit, ist. Wir wollen diese Situation am Beispiel einer erdachten Familie verdeutlichen: Das Kind Luna wächst in Madrid auf, der Vater spricht Griechisch als L1, die Mutter Spa‐ nisch. Zu Hause spricht jedes Elternteil die eigene L1 mit dem Kind, Familiensprache und Umgebungssprache ist Spanisch. Eine Untervariante wäre, wenn Lunas Vater Griechisch nicht weitergeben möchte, aber seine Mutter, also Lunas Großmutter, diese Aufgabe übernimmt. Festman, Poarch und Dewaele (2017: 56) nennen diese Variante OOPOL (One Other Person - One Language). Eine weitere Untervariante wäre, wenn die Eltern untereinander Englisch sprechen würden, weil die Mutter kein Griechisch 3.2 Formen der Bilingualität 55 <?page no="56"?> und der Vater kein Spanisch kann (vgl. die Strategie Trilingual - Lingua Franca von Barron-Hauwaert 2011: 39). 3.2.2 OPOL mit Nicht-Umgebungssprache zu Hause In der zweiten Form verfügen die Eltern ebenfalls über unterschiedliche L1, ein Elternteil ist auch hier mit der Umgebungssprache aufgewachsen. Sie entscheiden sich, dass beide die Nicht-Umgebungssprache mit dem Kind und in der Familie sprechen, um diese zu unterstützen (OPOL und Non-Dominant Home Language). Eine Person kommuniziert also in der L2, der Nicht-Umgebungssprache, mit dem Kind. Das Kind hört die Umgebungssprache nur außerhalb der Familie. Zur Verdeutlichung: Das Kind Frédéric wächst in Lyon auf. Die L1 des Vaters ist das Französische, die Mutter hat Polnisch als L1. Die Sprache in der Familie und mit dem Kind ist Polnisch, außerhalb der Familie hört und spricht das Kind Französisch. Voraussetzung für diese Methode ist, dass der Vater das Polnische beherrscht und gewillt ist, diese Sprache mit seinem Kind zu sprechen. 3.2.3 NDHL Auch in dieser Konstellation, „Non-Dominant Home Language without community support“ wird die Minderheitensprache zu Hause gesprochen, jedoch von beiden Elternteilen als L1. Durch die Situation EINE SPRACHE ZU HAUSE - EINE ANDERE SPRACHE AUS DER UMGEBUNG, von Barron-Hauwaert (2011: 38) Minority-Lang‐ uage-at-home (mL@H) genannt, entsteht eine monolinguale häusliche Umgebung. Die Sprache der Umgebung wird außerhalb (z. B. im Kindergarten, beim Einkaufen etc.) gehört und genutzt. Ein Beispiel: Vater und Mutter des Kindes Luan sprechen Albanisch als L1, die Familie lebt in Turin. Zu Hause wird Albanisch gesprochen, außerhalb Italienisch. Somit unterstützen die Eltern gegebenenfalls mit Hilfe anderer Familienmitglieder und Institutionen die Kultur und Sprache, die nicht Mehrheitssprache ist. Diese Form von Bilingualität ist besonders im Kontext von Migration vorzufinden. Hier genießen die Kinder zunächst einen exklusiven Input in der Minderheitensprache, bevor sie - eventuell etwas zeitlich versetzt - den Kontakt zur Umgebungssprache erhalten. 3.2.4 DNDHL Bei dieser Form von Bilingualität erwirbt das Kind simultan nicht zwei, sondern drei Sprachen (vgl. Arnaus Gil et al. 2019). In der Variante ZWEI SPRACHEN ZU HAUSE - EINE ANDERE SPRACHE AUS DER UMGEBUNG (Double Non-Dominant Home Language) haben die Eltern zwei unterschiedliche L1 und leben in einer Umgebung, in der keine der beiden Sprachen gesprochen wird. Das bedeutet, dass die Kinder zu Hause zwei Sprachen erwerben 56 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="57"?> und außerhalb eine dritte Sprache hören. Arnaus Gil et al. (2021a: 3) sprechen von einer Dreisprachigkeit durch “OPOL + extra MaL”. Es bleibt offen, welche Sprache als Familiensprache verwendet wird. Entweder beherrscht ein Elternteil die Sprache des anderen, oder zu Hause muss die Sprache der Umgebung gesprochen werden. In ihrer Studie zu dreisprachigen Familien nennen Braun und Cline (2010, 2014) diesen Fall Typ1-Familien. Nach ihren Ergebnissen schaffen es mehr als 2/ 3 dieser Familien, alle Sprachen zu erhalten, wobei häufiger die Großeltern als Stütze für den Spracherhalt genannt werden. Insbesondere würden Eltern die Motivation verlieren, die Minderheitensprachen weiterzugeben, wenn die Großeltern die Mehrheitssprache sprächen (vgl. auch Braun 2012). Ein mögliches Szenario wäre das Folgende: Lara und ihre Familie leben in Lissabon. Ihr Vater spricht Italienisch als L1, ihre Mutter ist Muttersprachlerin des Rumänischen. Da die Mutter gut Italienisch spricht, ist die Familiensprache Italienisch. Ansonsten spricht jeder die eigene L1, wenn er/ sie mit Lara interagiert. Die Umgebung spricht Portugiesisch. Dadurch wächst Lara dreisprachig auf. Diese Erwerbsform kann unterschiedliche Ausprägungen haben. Zum Beispiel könnten die Eltern bilingual mit einer Minderheiten- und der Mehrheitssprache aufgewachsen sein (vgl. Cantone 2022). Wenn zu Hause die Mehrheitssprache die Familiensprache ist, aber jeder die jeweilige Nicht-Umgebungssprache mit dem Kind spricht, kommt das Kind bereits in der Familie in Kontakt mit der Mehrheitssprache und insgesamt mit drei Sprachen. Zum Beispiel: Der Vater ist mit Bosnisch und Deutsch in Deutschland aufgewachsen, die Mutter mit Türkisch und Deutsch. Die Umgebungs- und die Familiensprache ist Deutsch. Der Vater spricht Bosnisch mit dem Kind Emina, die Mutter Türkisch. Zusätzlich könnte Emina eine Schule besuchen, in der auf Türkisch unterrichtet wird, dann bekäme die Familie Unterstützung durch die Bildungsinstitution („Multilingual Home - MiL in the educational institution“ nach Arnaus Gil et al. 2021a: 3). Es könnte sein, dass der Vater nicht Bosnisch an Emina weitergeben möchte, sondern seine andere L1 Deutsch. Damit würde das Kind „nur“ zweisprachig mit Deutsch und Türkisch aufwachsen. Eine weitere Situation ergibt sich, wenn die Familie z. B. nach Großbritannien ziehen würde. Dann könnte Emina vier Sprachen erwerben: Bosnisch durch den Vater, Türkisch durch die Mutter, Deutsch als Familiensprache und Englisch als Umgebungssprache. Diese Untervariante könnte man der obenstehenden Klassifikation folgend Triple Non-Dominant Home Language nennen, also ein dreisprachiger Erwerb zu Hause ohne Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft. 3.2.5 Nicht-muttersprachliche Eltern (Non-Native Parents, NNP) Diese Form beschreibt eine monolinguale Lebenssituation. In diesem Fall haben Eltern eine L1, die sie an ihr Kind weitergeben, wobei sie natürlich auch weitere Sprachen im Laufe des Lebens erlernt haben. Ein Elternteil beschließt, eine L2, die er/ sie gut beherrscht, mit dem Kind zu sprechen. 3.2 Formen der Bilingualität 57 <?page no="58"?> Ein exemplarischer Fall: Vater und Mutter von Robin sind monolinguale Sprechende des Deutschen und leben in Düsseldorf. Die Mutter hat in der Schule Französisch gelernt, mehrere Jahre in Frankreich gelebt und ist Frankreich-affin. So beschließt sie, mit ihrem Kind Robin Französisch zu sprechen. Zur Unterstützung fährt die Familie oft nach Frankreich und pflegt Kontakte zu französischsprachigen Familien und Institutionen. Der Vater und die Umgebung sprechen Deutsch. Hier könnte auch Barron-Hauwaerts (2011: 38) Variante Time and Place zugeordnet werden, wenn nämlich Robin nicht durch ein Elternteil, sondern durch den Besuch einer französisch‐ sprachigen KiTa/ Schule mit der zweiten Sprache konfrontiert wird. Jedoch stellt sich die Frage, ob es sich nicht vielmehr um einen frühen Zweitspracherwerb handelte (vgl. Rothweiler 2008). 3.2.6 Gemischte Sprachen (mixed Languages, mixL) Die letzte von Romaine erwähnte Form ist ausgeprägt bilingual. Die Eltern sind zweisprachig und die Umgebung kann mit derselben Sprachkombination bilingual sein (vgl. auch Genesee, Nicoladis und Paradis 1995). Beide Elternteile sprechen beide Sprachen mit dem Kind (Romaine spricht von „mischen“, vgl. die dritte Strategie von Arnaus Gil et al. 2021a: 3 „Bilingual Parent - Mixed Languages“). Ein Musterfall könnte sein: In Luxemburg werden Luxemburgisch, Französisch und Deutsch gesprochen, die Eltern des Kindes Amélie sind dort aufgewachsen und zur Schule gegangen. Demnach sind sie dreisprachig und sprechen sowohl Französisch, Luxemburgisch als auch Deutsch mit ihrem Kind, je nach Kontext und Situation. Es kommt viel Code-Switching vor. Oft wurden Sprachmischungen als Defizit ausgelegt, d. h., man sprach den Kindern die Fähigkeit zur adäquaten Sprachwahl ab. Will man untersuchen, ob Kinder ihre Sprachen mischen, ist es wichtig, einen monolingualen Sprachkontext zu etablieren, da mehrsprachige Kontexte zu häufigeren Sprachmischungen seitens der Kinder führen könnten (vgl. Müller et al. 2015: 108 f.). Werden, wie oben beschrieben, bei der Daten‐ erhebung mit zweisprachigen Kindern die Videoaufnahmen nach Sprachen getrennt, so kann man davon ausgehen, dass z. B. in der Aufnahme, in der Deutsch gesprochen wird, diese auch die Basis-Sprache ist. Bildet das Kind eine Äußerung mit z. B. deutschen und französischen Wörtern, so wurde ins Deutsche hineingemischt. Die Berücksichtigung der Erhebungsmethode ist also für die Bestimmung der Mischrichtung relevant (für eine Vertiefung vgl. Cantone 2007, Müller et al. 2015, vgl. aber kritisch hierzu Eichler, Hager und Müller 2012). 3.2.7 Zusammenfassung Es gibt verschiedene Varianten, wie Kinder simultan mehrsprachig aufwachsen kön‐ nen. Die Forschung zur frühkindlichen simultanen Mehrsprachigkeit hat den Fokus bislang fast exklusiv auf die Kernfamilien gelegt, d. h. auf die Sprachen, die Vater 58 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="59"?> und Mutter dem Kind weitergeben (können). Dadurch haben die verschiedenen Stra‐ tegien/ Konstellationen große Bedeutung erhalten. Natürlich ist ein wichtiger Aspekt bei den Überlegungen der Eltern, wie viele Sprachen das Kind gleichzeitig erwerben soll, der Input: Es sollte gewährleistet sein, dass genügend Zeit für das Kind da ist, um in Kontakt mit den Sprachen zu kommen. Deshalb spielen die Erstsprachen der Eltern eine zentrale Rolle. Doch die Frage, ob Eltern die eigene L1 mit dem Kind sprechen sollte, erübrigt sich, wenn wir uns die Fülle der Möglichkeiten anschauen, unter denen Kinder tatsächlich mehrsprachig aufwachsen. Sicherlich ist es bedeutsam, dass das Kind die jeweilige Sprache in Relation zu einer oder mehreren Personen setzen kann. Gleichzeitig geht es weniger darum, dass sich Eltern als einsprachig präsentieren, sondern vielmehr darum, dass sie einen eindeutigen Sprachkontext aufbauen, in dem sich das Kind wohl fühlt. Das Kind muss die Notwendigkeit verspüren, dass es beide Sprachen zur Kommunikation braucht. Wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass etwa die von Lunas Vater gesprochene Minderheitensprache nicht erforderlich ist (vgl. Kap. 3.2.1), um kommunizieren zu können, könnte dies dazu führen, dass diese von Luna entweder irgendwann ablegt oder gar nicht erst erworben wird. Es ist folglich essenziell, dass Eltern dem Kind vermitteln, dass beide Sprachen eine wichtige Rolle spielen und dass sie die Minderheiten- oder Nicht-Umgebungssprache durch Reisen in das Land und mit Hilfe der (meist monolingualen) Großeltern und anderer Personen fördern. Die Minderheitensprache als Mehrheitssprache zu erleben sowie weitere Personen, die Sprachinput geben, miteinzubeziehen, sind ebenso wichtige Faktoren wie der Sprachinput durch die Eltern. Ein Kind kann von klein auf mit mehreren Sprachen und Kulturen in Kontakt treten. Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit es realistisch ist, drei, vier oder mehr Sprachen simultan zu erwerben. Dabei ist nicht gemeint, dass die menschliche Sprachfähigkeit nicht dafür ausgelegt sei, mehr als zwei Sprachen zu erwerben. Viel‐ mehr muss man bedenken, dass der Spracherwerb nicht ohne oder mit nur sehr wenig Input vonstattengehen kann. Vier Sprachen müssten über den Tag eines Kleinkindes (das sich ca. 12 Stunden im wachen Zustand - wenngleich nicht immer aufmerksam und munter! - befindet) so verteilt werden, dass sie alle gleichberechtigt erworben werden. Welche Strategien wenden Eltern an, die bilingual mit vier unterschiedlichen Sprachen sind? Diese Konstellation ist keineswegs unrealistisch, wenn man bedenkt, dass es Gebiete außerhalb Europas gibt, in denen Kinder selbstverständlich mit zwei bis fünf Sprachen aufwachsen. Die hier vorgestellten Wege zur Mehrsprachigkeit sind bisher alle als möglich und als potenziell erfolgreich in ihrem Ergebnis in der Literatur dargestellt worden. Es bedarf jedoch vergleichender empirischer Arbeiten, um sich hier ein abschließendes Urteil zu erlauben. Bisher wissen wir nicht, ob es eine besonders effiziente Methode gibt, d. h. einen Weg, der sich sowohl quantitativ als auch qualitativ besonders positiv auf den mehrsprachigen Erwerbsverlauf auswirkt. 3.2 Formen der Bilingualität 59 <?page no="60"?> 3.3 Studien zum mehrsprachigen Erwerb Es gibt mittlerweile viele Longitudinalstudien zum kindlichen doppelten Erstspracher‐ werb. Als Untersuchungsbereiche sind u. a. die Sprachentrennung, Sprachmischungen, die Entwicklung der Grammatik, des Lexikons sowie der Spracheneinfluss zu nennen. Wir stellen im Folgenden eine Auswahl der bekanntesten Studien, die chronologisch, nach der Methode und nach den Erwerbsformen sortiert ist (vgl. auch Barron-Hauwa‐ ert 2011: 17-35). 3.3.1 Die Klassiker: Studien der (Einzel-)Kinder der Forschenden Die erste Studie, die wir hier erwähnen wollen, ist die von Ronjat (1913). Der Linguist hat anhand von Notizen den Spracherwerb seines bilingual mit Französisch und Deutsch (Sprache der Mutter) aufwachsenden Kindes Louis in Frankreich untersucht. Die Eltern haben ihre jeweilige L1 mit dem Kind gesprochen und damit die OPOL-Stra‐ tegie verfolgt. Interessant ist, dass laut Barron-Hauwaert (2004: 2) auch die Nanny auf Deutsch mit Louis sprach, was zusätzlich der Methode OOPOL entspräche (Festman et al. 2017: 56). Außerdem soll Ronjat mit seiner Frau auf Deutsch gesprochen haben, was Deutsch als Minderheitensprache im häuslichen Kontext unterstützt und aufgewertet hat. Leopold (1949a, b) hat ebenfalls anhand von Notizen eine ausführliche Studie zum Spracherwerb seiner Tochter Hildegard geschrieben. Sie wuchs mit Englisch und Deutsch auf, wobei ihre Eltern die OPOL-Methode verwendet haben: Der Vater sprach Deutsch, die Mutter Englisch, obwohl beide Herkunftssprechende des Deutschen waren. Leopold wuchs selbst bilingual mit Deutsch in England und Deutschland auf (vgl. Barron-Hauwaert 2004: 2-3). Als Familiensprache wurde Deutsch gesprochen, die Umgebungssprache war Englisch. Während der bilinguale Spracherwerb von Hildegard ein voller Erfolg war (Barron-Hauwaert 2011: 17), soll die jüngere Schwester Karla weniger Interesse am Erwerb der Minderheitensprache Deutsch gezeigt haben (Barron-Hauwaert 2011: 18). Volterra und Taeschner (1978) und Taeschner (1983) haben anhand von Notizen und Tonbandaufnahmen, die alle zwei Wochen stattfanden, zwei bilingual italie‐ nisch-deutschsprachige Mädchen, Lisa und Giulia, die Töchter von Taeschner, unter‐ sucht. Auch hier sprach die Mutter ihre L1 Deutsch und der Vater seine L1 Italienisch zu den Kindern (OPOL), die Umgebungssprache war Italienisch. Vihman (1985) analysierte ihren Sohn Raivo, der mit Englisch und Estnisch auf‐ wuchs. Mit Hilfe von Notizen sowie monatlichen Tonbandaufnahmen, die überwiegend im estnischsprachigen Kontext stattfanden, hat sie seinen Spracherwerb dokumentiert. Die Familie sprach meist Estnisch, die Umgebung Englisch. Somit handelt es sich um die zweite Form der Bilingualität (vgl. 3.2.2), in der trotz OPOL eine NDHL gesprochen wird, um zuhause die Minderheitensprache zu unterstützen. 60 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="61"?> Kielhöfer und Jonekeit (1985) beschrieben die Sprachentwicklung ihrer beiden Kinder Olivier und Jens. Dabei handelte es sich um Notizen, die die Mutter angefertigt hatte. Der Vater war deutschsprachig, die Mutter französischsprachig, beide sprachen ihre jeweilige L1 (OPOL) zu den Kindern. Die Umgebung war deutschsprachig. Interessant ist auch die Studie von Fantini (1985). Mit Hilfe von Tonbandaufnahmen und eigenen Aufzeichnungen wurde der Spracherwerb seines Sohnes Mario festgehal‐ ten. Fantini und seine Frau sind selbst mehrsprachig aufgewachsen: Er mit Englisch als L1, wobei er aus einer italienischsprachigen Familie stammte und u. a. Spanisch lernte, sie mit Spanisch als L1, wobei sie in Italien geboren wurde und später u. a. Englisch lernte. Die Eltern haben ihren Sohn ausschließlich auf Spanisch angesprochen (trotz OPOL mit NDHL), während sie untereinander auch das Englische und Spanische verwendeten. Durch die Großeltern kam Mario in Kontakt mit dem Italienischen, eine Kinderfrau unterstützte das Spanische. Die Umgebung war monolingual Englisch, die Familie wohnte jedoch nach Angaben des Vaters recht isoliert, sodass der Junge erst mit 2; 8 systematisch mit dem Englischen konfrontiert wurde. Ein quantitativer Sprung des englischsprachigen Inputs erfolgte mit ca. 5 Jahren bei Eintritt in die Vorschule. Die Studien von Quay (1995), Deuchar (1999) und Deuchar und Quay (1998, 2000) untersuchten das bilinguale Kind Manuela. Anhand von Notizen und wöchentlichen Videoaufnahmen wurde beobachtet, dass ihre Eltern mit L1 Englisch (Mutter) und Spanisch (Vater) beide Sprachen untereinander und mit dem Kind gesprochen haben (mixed Languages), die Umgebung war monolingual englischsprachig. 3.3.2 Etablierte Bilingualismusforschung: Vergleichende Studien Im Jahre 1975 haben Padilla und Liebman den Spracherwerb von drei englisch-spa‐ nischsprachig bilingualen Kindern dokumentiert. Es wurden Tonbandaufnahmen mit den Eltern angefertigt. Die Umgebung war bilingual und die Eltern sprachen beide Sprachen mit den Kindern, was der Form mixed Languages entspricht. Lindholm und Padilla erweiterten ihre Datenbasis in einer Studie von 1978, in der sie die Sprach‐ entwicklung von fünf englisch-spanischsprachig bilingualen Kindern beobachteten. Die Studie untersuchte Sprachmischungen und bestand aus Tonbandaufnahmen und Übersetzungssituationen. Die Kinder wurden mit 2; 10 das erste Mal und dann ca. einmal pro Jahr bis zum Alter von 6; 2 aufgenommen. Redlinger und Park (1980) beobachteten die Sprachentwicklung von vier bilingualen Kindern mit den Kombinationen Spanisch-Deutsch, Englisch-Deutsch und Franzö‐ sisch-Deutsch. Die Umgebungssprache war für alle Kinder Deutsch, zu Hause wurde bei manchen die OPOL-Methode verwendet, bei anderen haben die Eltern beide Sprachen mit den Kindern gesprochen (mixL). Die Tonbandaufnahmen fanden alle 3 Wochen in der Nicht-Umgebungssprache statt. 3.3 Studien zum mehrsprachigen Erwerb 61 <?page no="62"?> 5 DUFDE: Deutsch Und Französisch: Doppelter Erstspracherwerb. 6 BUSDE: Baskisch Und Spanisch: Doppelter Erstspracherwerb. Sieben französisch-deutschsprachig bilinguale Kinder sind im DUFDE-Projekt 5 un‐ tersucht worden (vgl. u. a. Schlyter 1987, Meisel 1989, 1990b, 1992, 1994a, b, c, Müller 1993, Köppe 1996, 1997). Die Daten wurden durch Videoaufnahmen in vierzehntägigem Abstand gesammelt. Die Aufnahmen waren nach Sprachen getrennt und wurden mit Interaktionspersonen, die die jeweilige Sprache als L1 sprachen, durchgeführt. Die Umgebungssprache der Kinder war Deutsch, zu Hause wurde die OPOL-Methode verwendet. Das BUSDE-Projekt 6 hat Sprachdaten von zwei baskisch-spanischsprachig aufwachsenden Kindern nach dem DUFDE Vorbild erhoben (Meisel 1994d). Die Umge‐ bungssprache der Kinder war Baskisch, zu Hause kam die OPOL-Methode zum Tragen. Eine weitere bekannte Studie ist die von De Houwer (1990), in der der Spracherwerb des niederländisch-englischsprachigen Kindes Kate untersucht wurde. Sie wuchs in einer niederländischen Umgebung auf und wurde zu Hause nach der OPOL-Methode erzogen. Die Daten bestehen aus wöchentlichen Tonbandaufnahmen, die meistens in beiden Sprachen durchgeführt wurden. Lanza (1992, 1997) beschäftigte sich intensiv mit dem Sprachverhalten der Eltern bilingualer Kinder. Sie untersuchte die Sprachentwicklung von zwei bilingual norwe‐ gisch-englischsprachigen Kindern mit Hilfe von monatlichen Tonbandaufnahmen, die die Eltern zusammen mit den Kindern beinhalteten. Die Umgebung war für beide Kinder monolingual Norwegisch. Zu Hause wurden unterschiedliche Strategien angewandt: Ein Kind wuchs mit der OPOL-Methode auf, das andere hatte zu Hause eine gemischte Sprechsituation. Pfaff (1992) analysierte in einer der ersten Longitudinalstudien (über 5 Jahre) im Vor‐ schulalter die Entwicklung des Deutschen bei Kindern einer KITA (Kindertagesstätte) in Berlin. Von den untersuchten Kindern sprachen 90% zu Hause Türkisch, fünf Kinder waren monolingual deutsch und vier Kinder entstammten binationalen deutsch-türki‐ schen Ehen. Die Sprachdaten wurden in Anwesenheit einer deutschsprachigen und einer türkischsprachigen Erzieherin nach der OPOL-Methode erhoben. Diese Situation entsprach jedoch nach Angaben von Pfaff nicht der täglichen Sprachenpolitik in der KITA, wo eher davon auszugehen ist, dass das türkischsprachige Erziehungspersonal überwiegend Deutsch mit den Kindern gesprochen hat. Tracy (1995) hat drei bilingual englisch-deutschsprachige Kinder untersucht, von denen Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) eines, Hannah, näher betrachteten. Die Aufnahmen wurden vierzehntägig bis monatlich durchgeführt. Zwei der Kinder wuch‐ sen nach der OPOL-Methode auf, bei dem dritten Kind haben sich die Eltern nach 17 Monaten dazu entschlossen, die NDHL anzuwenden. Die Umgebung war monolingual Deutsch. Das Alter der Kinder zu Beginn der Studie lag zwischen 2; 1 und 3; 7, beendet wurde die Untersuchung im Alter zwischen 4; 2 und 5; 5. Döpke (1998) erhob Sprachdaten von drei deutsch-englisch bilingual aufwachsenden Kindern in Australien. Die Kinder wurden monatlich mit Tonband und Videokamera 62 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="63"?> aufgezeichnet; die Aufnahmen fanden im Alter zwischen 2 und 5 Jahren statt. Die Mütter der Kinder waren deutschsprachig, vermutlich wurde OPOL angewendet. Chilla et al. (2010) untersuchten Kinder, die in Deutschland aufwuchsen und erst im Alter von 3 Jahren durch den Kindergarten in erhöhtem Maße mit dem Deutschen in Kontakt kamen. Familiensprache war in allen Fällen das Türkische. Somit wuchsen die Kinder mit der Strategie NDHL auf. Thomas, Cantone, Schiemenz und Shadrova (2014) analysierten in einer auf ein Jahr angelegten Longitudinalstudie den Spracherwerb von zwei Kindern, die in Wales nach der OPOL-Methode aufwuchsen. Die Mütter waren deutschsprachig, die Väter sprachen Walisisch. Die Umgebungssprachen waren Walisisch und Englisch, wobei letztere zunächst eine geringere Rolle spielte (lediglich in einer Familie haben die Eltern untereinander Englisch gesprochen). Bei den regelmäßig stattfindenden Video‐ aufnahmen interagierten die Eltern mit den Kindern. 3.3.3 Weitere Studien mit Fokus auf romanische Sprachen Hulk (1997) und Hulk und van der Linden (1996) erhoben die Sprachdaten des Kindes Anouk, welches bilingual mit Niederländisch und Französisch aufgewachsen ist. Die Daten bestanden aus Tonbandaufnahmen in beiden Sprachen mit den Eltern. Die Umgebungssprache war Niederländisch, die Eltern wandten die OPOL-Methode an. Serratrice (2000) untersuchte den bilingualen Spracherwerb des italienisch-englisch‐ sprachigen Kindes Carlo mit Hilfe von Videoaufnahmen, die nach Sprachen getrennt waren. Die Umgebungssprache war Englisch, zu Hause sprach die Mutter Italienisch und der Vater Englisch (OPOL). Müller et al. (2002) und Cantone et al. (2008) haben verschiedene Kinder mit den beiden Kombinationen Italienisch-Deutsch und Französisch-Deutsch analysiert. Die Daten wurden mit Hilfe von 2-wöchigen Videoaufnahmen mit Interaktionspersonen in beiden Sprachen gesammelt. Die Umgebungssprache war Deutsch, alle Familien haben die OPOL-Methode angewandt, wobei die meisten Familien zu Hause Italienisch oder Französisch gesprochen haben und einige Deutsch. Bernardini (2004) hat zwei Kinder analysiert, die bilingual mit Italienisch und Schwedisch aufgewachsen sind. Ein Kind lebte in Schweden, die Eltern wendeten die OPOL-Methode an und sprachen zu Hause meistens Italienisch. Das andere Kind lebte in einer monolingualen Umgebung in Italien. Auch hier wandten die Eltern die OPOL-Methode an. Bei Anwesenheit aller Familienmitglieder wurde Italienisch gesprochen. Im Fokus der qualitativen Untersuchung von Cantone (2020, 2022) stand u. a. die Sprachweitergabe bei den Kindern Julie und Toni, Sprachdaten wurden nicht erhoben. In beiden Familien ist ein Elternteil bilingual mit Italienisch und Deutsch aufgewachsen, während der andere Elternteil monolingual Deutsch ist. In beiden Fällen gaben die bilingualen Personen in der Fragebogenerhebung an, überwiegend die Sprache Deutsch weiterzugeben. Gleichwohl hören die Kinder in den beiden Familien 3.3 Studien zum mehrsprachigen Erwerb 63 <?page no="64"?> Italienisch, in Tonis Fall durch den Großvater (OOPOL), in Julies Fall durch regelmäßige Reisen nach Italien zur monolingualen Familie. Anhand dieser Studien wird deutlich, wie relevant Aspekte wie 2. oder 3. Generation oder Sprachwahl bilingualer Eltern sind (vgl. Kap. 3.2) und welche Rolle monolinguale Personen außerhalb der Kernfamilie spielen können. Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit rezeptive Sprachkenntnisse für die Bezeichnung „bilingual“ akzeptiert werden. Bislang konzentriert sich die For‐ schung zum frühen zweisprachigen Erwerb auf Sprachproduktionsdaten bei Kindern. Zukünftige Studien, insbesondere im Bereich des Spracherhalts, müssen zum einen längere Zeitspannen in den Blick nehmen, um zu überprüfen, ob die Kinder aktiv bilingual bleiben. Zum anderen sollten Methoden eingesetzt werden, um rezeptive Kenntnisse zu elizitieren. 3.3.4 Querschnittstudien Wenden wir uns schließlich einigen Querschnittstudien zu, die durchgeführt wurden, um die sprachliche Entwicklung von zweisprachigen Kindern unter bestimmten Frage‐ stellungen zu analysieren. Aus Platzgründen können wir nur wenige Untersuchungen nennen. Wir wollen diese chronologisch vorstellen und beginnen mit solchen, die sich mit Kindern beschäftigen, die Englisch und eine andere Sprache simultan erwerben. Petersen (1988) hat Datenmaterial von einem englisch-dänischsprachigen Kind mit dem Tonband (vier Stunden) im Alter von 3; 2 erhoben. Das Kind wuchs in einer monolingual englischen Umgebung auf, die Eltern verwendeten die OPOL-Methode. Petersen ging besonders der Frage nach, welchen Einfluss die stärkere (dominante) Sprache auf die schwächere hat. Dafür hat sie u.-a. Sprachmischungen analysiert. Goodz (1989) hat 13 bilinguale englisch-französischsprachige Kinder untersucht. Die Kinder wurden von 1; 1 bis 4; 0 alle 6 Wochen in der Interaktion mit ihren Eltern aufgenommen. Sie sind bilingual nach der OPOL-Methode aufgewachsen. Auch bei dieser Untersuchung wurden Sprachmischungen untersucht. Arnberg und Arnberg (1992) betrachteten 18 englisch-schwedischsprachige Kinder zwischen 1; 8 und 4; 0. Die Kinder wuchsen in einer schwedischen Umgebung nach der OPOL-Methode auf. Die Daten bestanden aus einem 15-minütigen Test und 30 Minuten Spontandaten. Themen der Untersuchung waren Sprachmischungen und bilinguales Bewusstsein. Genesee et al. (1995) beschäftigten sich mit fünf englisch-französischsprachigen Kindern, die in einer bilingualen Umgebung lebten. Drei der Kinder wuchsen nach der OPOL-Methode auf, bei zwei anderen wurde mit ihnen beide Sprachen gesprochen (mixL). Die Daten bestanden aus Video- und Tonbandaufnahmen mit den Eltern. Die Studie umfasste den Zeitraum von 1; 10 bis 2; 2. Im Fokus stand die Sprachentrennung. Unsworth (2013) untersuchte den Erwerb des grammatischen und lexikalischen Genus im Niederländischen bei 136 englisch-niederländischsprachigen Kinder zwi‐ schen 3 und 17 Jahren. Dabei nutzte sie einen Elizitationstest und eine Grammati‐ kalitätsurteilaufgabe. In einer späteren Studie hatte Unsworth (2015) das Ziel, die 64 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="65"?> Sprachdominanz bei 18 bilingual englisch-niederländischsprachigen Kindern zwischen 2; 0 und 4; 0 Jahren zu untersuchen. Es wurden Videoaufnahmen durchgeführt, die zirka 30 Minuten lang waren. Zusätzlich wurde ein passiver Wortschatztest (Peabody Picture Vocabulary Test, PPVT) verwendet, um die Größe des Lexikons in den jeweiligen Sprachen feststellen zu können. Die Kinder wuchsen mit der OPOL-Methode auf. Drei Jahre später geht die Studie von Unsworth, Chondrogianni und Skarabela (2018) der Frage nach, inwiefern die Umgebungssprache eine besondere Rolle beim simultanen Erwerb zweier Erstsprachen für die Sprachkompetenz spielt. Daten von 35 simultan bilingual aufwachsenden Kindern mit der Sprachkombination Englisch-Niederländisch wurden in den Niederlanden (20) und in Großbritannien (15) erhoben. Es wurden dreißig-minütige Videoaufnahmen durchgeführt. Informationen über den kindlichen Kontakt zu diesen Sprachen wurden mit einem elterlichen Fragebogen festgehalten. Bohnacker, Lindgren und Öztekin (2016) beschäftigten sich mit den Faktoren, die den Wortschatzerwerb bei simultan bilingual aufwachsenden Kindern begünstigen. Insgesamt 78 bilinguale Kinder, die in Schweden aufwachsen, (40 mit der Kombination Türkisch-Schwedisch, 38 mit Deutsch-Schwedisch) zwischen 4; 0 und 6; 11 Jahren nahmen an der Studie teil. Mit Hilfe von Wortschatzaufgaben in beiden Sprachen und von Informationen aus den elterlichen Fragebögen konnten die Autorinnen bestimmte Faktoren, wie beispielsweise die Schulsprache, die Sprachverwendung zu Hause und den sozialökonomischen Status, für die Wortschatzproduktionen in beiden L1n der Kinder identifizieren. Rodina, Kupisch, Meir, Mitrofanova, Urek und Westergaard (2020) analysierten kürzlich den Erwerb des grammatischen Genus im Russischen, wenn diese Sprache als Nicht-Umgebungssprache erworben wird. Dabei haben die Autorinnen 209 simultan bilingual aufwachsende Kinder aus fünf unterschiedlichen Ländern gewinnen können: Deutschland (50), Israel (42), Norwegen (55), Lettland (23) und Großbritannien (19). Das Durchschnittsalter lag bei 5; 1 Jahren. Um der Frage des Genuserwerbs im Russischen nachgehen zu können, wurden zwei Experimente durchgeführt, in denen den Kindern existierende und erfundene Wörter vorgelegt wurden. Im Folgenden möchten wir noch einige Querschnittstudien mit Kindern nennen, die Deutsch und eine romanische Sprache erwerben. Crysmann und Müller (2000) haben einen Test konzipiert, der zwei Phänomenen nachging: der Frage nach der Stellung des Reflexivpronomens und der Wahl des Au‐ xiliarverbs. Der Test wurde mit 10 französisch-deutschsprachigen bilingualen Kindern durchgeführt. Bis auf ein Kind (NDHL) wuchsen alle Kinder nach der OPOL-Methode auf. Das Alter der Kinder lag zwischen 3 und 4 Jahren. Schmitz (2006a) hat in einer Querschnittstudie acht italienisch-deutschsprachige und 14 französisch-deutschsprachige Kinder getestet. Die Kinder sind in einer mono‐ lingual deutschen Umgebung aufgewachsen, während zu Hause die OPOL-Methode verwendet wurde. Schmitz testete mit einer Bildergeschichte den Erwerb von Doppel‐ objektkonstruktionen im Alter zwischen 3 und 4 Jahren. 3.3 Studien zum mehrsprachigen Erwerb 65 <?page no="66"?> 7 Studien zu erwachsenen Bilingualen bestätigen, dass es von Vorteil sein kann, in der Kindheit eine Zeit lang ausschließlich die Minderheitensprache gesprochen zu haben (fürs Italienische siehe z. B. Lloyd-Smith, Einfeldt und Kupisch 2020). Die quantitative Studie von Arnaus Gil et al. (2020) fokussierte auf den trilingualen Erwerb in 48 Familien, die entweder in Deutschland oder in Palma de Mallorca unter Nutzung der Sprachen Deutsch, Spanisch, Katalanisch und Französisch in verschiedenen Kombinationen lebten. In einer Querschnittstudie wurde der passive Wortschatz mithilfe eines Tests untersucht, außerdem wurde ein Elternfragebogen eingesetzt. Die Ergebnisse zu den Strategien der Eltern zeigen deutlich, dass sehr viele ihre Kinder nach der OPOL-Methode erzogen, wobei eine L1 die Mehrheitssprache war. In einer weiteren Studie speziell zu den Daten der spanisch-deutschsprachigen Kinder (vgl. Arnaus Gil 2022) zeigte sich, dass die Kinder zunächst ihre Sprachen gleich entwickeln, unabhängig davon, ob diese als Minderheits- oder Mehrheitssprache erworben werden. Je älter die Kinder werden, desto klarer wird der Unterschied zwischen der Mehrheits- und Minderheitensituation. Zusätzlich zeigte sich, dass der Besuch einer Bildungsinstitution, in der die Minderheitensprache genutzt und unterrichtet wird, einen Mehrwert für die bilinguale Erziehung hat, jedoch ist dieser Vorteil nicht wirksam, wenn die Minderheitensprache nicht auch zu Hause gefördert wird. 3.3.5 Zusammenfassung Fassen wir die zum Tragen kommenden Kriterien der Untersuchungen zusammen. Betrachten wir die Studien zunächst nach den Bilingualismusformen, die von Romaine (1995) vorgeschlagen wurden, so stellen wir fest, dass die Konstellationen, in denen die untersuchten Kinder aufwachsen, mit großer Mehrheit OPOL, gefolgt von „trotz OPOL NDHL“ und mixed Languages, sind. Demnach wenden sich Eltern, die zwei verschiedene L1n haben, oft in ihrer jeweiligen Sprache an das Kind. Viele Familien entschließen sich, die Sprache der Umgebung, die gleichzeitig die L1n eines Elternteils ist, als Familiensprache zu benutzen. Diese Strategie wird als sehr erfolgreich angese‐ hen. Montrul (2008: 98-99) behauptet hingegen, dass simultan aufwachsende bilinguale Kinder mit OPOL einen Nachteil hätten: Sie würden zwar den längst möglichen Input in der Mehrheitssprache haben (von Geburt an, Arnaus Gil et al. 2021a: 3 sprechen hier vom MaL support durch die community), der Zugang zur Nicht-Umgebungssprache wäre jedoch eingeschränkt, weil nur ein Elternteil sie repräsentiere. 7 Auch Braun und Cline (2010, 2014) sind der Meinung, dass der Erhalt einer Minderheitensprache stark davon abhängt, wie sehr man ihr ausgesetzt ist. Entsprechend wäre zu empfehlen, die Nicht-Umgebungssprache(n) zuhause so gut wie möglich zu fördern. Sie vermuten aber auch, dass das niedrige Prestige mancher Sprachen dazu beiträgt, dass diese zugunsten der Mehrheitssprache aufgegeben werden. De Houwer (2011) stellte ebenfalls fest, dass in den Familien, in denen beide Elternteile die Nicht-Umgebungssprache zuhause spra‐ chen (selbst, wenn auch die Umgebungssprache gesprochen wurde) der Spracherwerb 66 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="67"?> der Minderheitssprache(n) erfolgreicher war als in Fällen von OPOL. Im Gegensatz dazu wurden Kinder in 4/ 5 der Familien, in denen zuhause die Umgebungssprache gesprochen wurde, nicht aktiv dreisprachig (der sog. „Dutch-factor“, De Houwer, 2003: 126). Volterra und Taeschner (1978) nennen als Strategie zur Vermeidung von Interfe‐ renzen während der dritten Entwicklungsphase die strikte Einhaltung von OPOL. Diese Strategie muss in weiteren vergleichenden empirischen Arbeiten überprüft werden, um sich ein abschließendes Urteil zu erlauben. Eine solche Studie zum Mischverhalten von bilingualen Kindern im Vergleich zwischen der OPOL-Strategie (n=71) und anderen Strategien (n=24) wird in Müller et al. (2015: 109 f.) referiert. Beide Kindergruppen mischen sehr selten innerhalb von Sätzen. Die Kinder, welche nach der OPOL-Methode erzogen wurden, mischen zu 1,53%, die Kinder mit anderen Methoden zu 1,96%. Der Unterschied zwischen den Gruppen ist nicht signifikant. Im Gegensatz zu anderen Faktoren (wie dem einsprachigen oder mehrsprachigen Setting der Sprachaufnahme) hat die Methode der bilingualen Sprecherziehung keinen Einfluss auf das kindliche Mischverhalten. In jedem Fall wird deutlich, dass die von Volterra und Taeschner genannte Strategie zur Interferenzminderung keinesfalls auf jede der beschriebenen Situationen anwendbar ist. Für den Fall NDHL hätte eine solche Strategie die Konse‐ quenz, dass das bilinguale Kind entweder nicht mehr mit den Familienmitgliedern oder aber nicht mehr mit den Personen der Umgebung kommunizieren würde, eine Situation, die kaum vorstellbar ist, zumindest für den „normalen“, d. h. nicht auffälligen Spracherwerb. Betrachten wir nun die sprachliche Situation der Kinder. Während über Jahrzehnte die Dichotomie Mehrheitsvs. Minderheitensprache in der linguistischen Forschung zum Spracherwerb keine Rolle spielte (in der soziolinguistischen Forschung hingegen sehr wohl, vgl. u. a. Riehl 3 2014), zeigt sich in den letzten Jahren die Tendenz, außersprachliche Faktoren wie die Rolle der Umgebungssprache, die Menge an möglichem Input in der Minderheitensprache und die Generationszugehörigkeit zu berücksichtigen. Durch die Verbindung linguistischer Aspekte und soziolinguistischer Faktoren wird versucht, den mehrsprachigen Erwerb besser zu verstehen (vgl. den Ansatz der Family Language Policy, u. a. King und Fogle 2013). In diesem Zusammenhang sollte betont werden, dass die reine Betrachtung der Sprachkonstellation der Eltern (vgl. 3.2) in vielen Studien um die Betrachtung zusätzlicher Aspekte erweitert wurde. Beispielsweise klassifizieren Braun und Cline (2014: 6.9) die von ihnen untersuchten Familien unter Berücksichtigung von vier Aspekten: A) die Strategien der Sprachwahl der Eltern, B) die Sprachen in der Schule, C) die erweiterte Familie, und D) kulturelle Faktoren. Die Sprachkombinationen, die in der Wissenschaft unter die Lupe genommen wurden, haben sich mit den Jahren vervielfältigt: Zu Beginn wurden (unter Berücksichtigung der Querschnittstudien) überwiegend Englisch-Spanisch oder Englisch-Französisch untersucht. Der Erwerb des Englischen wurde außerdem in Verbindung mit Sprachen wie beispiels‐ weise Deutsch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Estnisch, Niederländisch oder Italienisch analysiert. Das Englische war in der Linguistik (auch in monolingualen Erwerbsstudien und anderen sprachwissenschaftlichen Analysen) lange Zeit die am meisten untersuchte 3.3 Studien zum mehrsprachigen Erwerb 67 <?page no="68"?> Sprache. Dieses Bild verändert sich in den letzten Jahren und andere Sprachen, wie bspw. Walisisch, Türkisch oder Katalanisch, rücken in den Vordergrund. Auch das Deutsche steht im Zentrum von Untersuchungen zum simultanen Spracherwerb, v. a. in Kombination mit romanischen Sprachen wie z. B. Französisch, Italienisch oder Spanisch. Wünschens‐ wert ist es, zukünftig weitere Sprachkombinationen zu analysieren, um beispielweise prüfen zu können, ob der simultane Spracherwerb bei Kombinationen mit typologisch ähnlichen Sprachen (z. B. Spanisch-Italienisch) gleich verläuft wie in Kombinationen mit typologisch unterschiedlichen Sprachen (z. B. Baskisch-Spanisch, Türkisch-Deutsch und Walisisch-Deutsch). Schließlich kann festgestellt werden, dass die Methoden der Bilingualismusfor‐ schung vielfältiger geworden sind, was sich sowohl aufgrund der Öffnung für die Berücksichtigung außersprachlicher Aspekte als auch durch technischen und wissen‐ schaftlichen Fortschritt ergeben hat. Während die ersten, wertvollen Daten zum bilingualen Erwerb aus Fallstudien stammen, die von Forscher: innen innerhalb der eigenen Familien in Notizen dokumentiert wurden (vgl. Kap. 3.3.1), konnten später dank des Einsatzes von Tonband- und Videoaufnahmen Sprachdaten systematisch erhoben werden, deren Interpretation nicht mehr nur dem/ der Beobachtenden im Moment des Entstehens obliegt, sondern mittels Transkription asynchron und dauer‐ haft verschiedenen Forschenden möglich ist. Zu guter Letzt können die Sprachdaten bilingual aufwachsender Kinder verschiedener Studien in verschiedenen Ländern dank der ähnlichen Erhebungsmethoden miteinander verglichen und durch den Einsatz von Tests und Fragebögen kann die Sprachentwicklung besser nachvollzogen werden. Damit ergeben sich neben der qualitativen Einzelfallstudie viele Möglichkeiten der quantitativen Analyse unter Einsatz statistischer Methoden. Zum Schluss wollen wir noch offene Punkte ansprechen, die in der Forschung noch ungenügend bearbeitet wurden. Zunächst ist zu sagen, dass einige Bilingualis‐ musvarianten (Untervarianten der hier vorgestellten Typen) noch nicht dokumentiert worden sind (a). Es wäre weiterführend, in der Forschung auch zu solchen Typen Daten zu sammeln, um dann Voraussagen über deren Erfolg machen zu können. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die weltweit vermutlich am häufigsten vorkommende Variante NDHL oder mL@H in wissenschaftlichen Studien zum simultanen Erwerb kaum vertreten ist (b). Besonders interessant für zukünftige Studien sind diejenigen Strategien, die durch den gleichzeitigen Erwerb von mehr als zwei Sprachen zu einer Mehrsprachigkeit der Kinder führen (könnten) (c). Durch das vermehrte Reisen in unserer modernen Gesellschaft ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen, die unterschiedliche L1 sprechen, eine Familie gründen und sich in einem Land nieder‐ lassen, wo eine dritte Sprache die Mehrheitssprache darstellt, ohnehin gewachsen. Zukünftige Forschung müsste ebenfalls herausarbeiten, wie lange Eltern strikt bei einer Variante bleiben bzw. wie realistisch es ist, dass die Sprachpolitik der Eltern über Jahre die gleiche bleibt (d). Schließlich ist zu überprüfen, inwieweit der konstante sprachliche Input weiterer enger Bezugspersonen (Großeltern, ältere Geschwister) den bilingualen Erwerb beeinflussen kann (e). 68 3 Frühkindliche simultane Mehrsprachigkeit: Formen und Forschungsmethoden <?page no="69"?> 4 (Un)balancierte Mehrsprachige Der Begriff der Sprachdominanz taucht in zahlreichen Studien in der Bilingualis‐ musforschung auf, und doch gibt es bis heute weder eine einheitliche Definition noch einen Konsens darüber, wie man Sprachdominanz am besten bestimmen sollte (Silva-Corvalán und Treffers-Daller 2015, Treffers-Daller 2019). In den meisten Studien wird die dominante Sprache eines bilingualen Kindes als die weiter entwickelte Sprache verstanden, aber es ist unklar, wie viel weiter eine Sprache entwickelt sein muss als die andere Sprache, um als „dominante“ (oder „starke“) Sprache zu gelten. Während man generell annimmt, dass sich die stärkere Sprache eines bilingualen Kindes wie bei monolingualen Kindern entwickelt, entfaltet sich die schwächere Sprache erkennbar langsamer. Aus diesem Grund haben einige Forscher: innen Parallelen zwischen der schwächeren Sprache und dem Zweitspracherwerb gezogen. Dieses Kapitel gliedert sich in vier Unterkapitel. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die ersten Fallstudien zur Sprachdominanz in der Literatur gegeben. Diese machen deutlich, wie es dazu kommen kann, dass ein Kind seine Sprachen ungleichmäßig entwickelt und wie sich bestimmte Kriterien zur Bestimmung der Sprachdominanz und zur Bestimmung der schwächeren Sprache herauskristallisiert haben. Im zweiten Abschnitt stellen wir Methoden zur Bestimmung von Sprachdominanz im Detail vor, wobei eine Unterscheidung zwischen qualitativen und quantitativen Kriterien vorgenommen wird. In gegenwärtigen Studien kommt der Sprachdominanz eine besondere Rolle zu, wenn es darum geht, Spracheneinfluss zu erklären. Dies soll im dritten Abschnitt erläutert und diskutiert werden. Wir schließen mit einem kurzen Fazit im vierten Abschnitt. 4.1 Frühe Studien zur Sprachdominanz Unter den ersten detaillierten Dokumentationen zum bilingualen Spracherwerb, die auch die Thematik der Sprachdominanz behandeln, sind die Arbeiten von Leopold (1949, 1970), Burling (1959) und Berman (1979) zu nennen. Wie bei vielen der ersten Spracherwerbsstudien handelt es sich um Tagebuchstudien. In späteren Studien wur‐ den Tagebuchnotizen mit (Videound) Tonaufnahmen ergänzt (z.-B. Fantini 1985). Leopold (1970) untersuchte den Spracherwerb seiner bilingual deutsch-englisch aufwachsenden Tochter Hildegard (vgl. Kap. 3.3.1). Das Mädchen verbrachte die erste Zeit seiner Kindheit in den USA. Nach dem Prinzip „1 Person - 1 Sprache“ (OPOL, vgl. 3.2.1) hatte sie von Geburt an Kontakt mit beiden Sprachen, Deutsch durch den Vater, Englisch durch die Mutter. Ab dem Alter von zweieinhalb Jahren war sie dominant im Englischen, der dominanten Sprache in der Umgebung, in der sie mehr Spracherfahrung hatte. Das Deutsche hörte sie fast nur von ihrem Vater. Belege für <?page no="70"?> Hildegards unausgeglichene sprachliche Entwicklung findet Leopold unter anderem in Hildegards Aussprache. Während ihre phonologische Entwicklung im Englischen derjenigen von monolingual englischen Kindern entsprach, hatte sie im Deutschen Probleme mit Konsonanten und Vokalen, die im Lautinventar des Englischen nicht enthalten sind, wie zum Beispiel dem vorderen gerundeten Vokal [y] wie in Tür. Auch in der Morphologie und Syntax fanden sich Hinweise auf Hildegards Dominanz im Englischen, zum Beispiel die Kombination deutscher Nomina mit englischen Pluralendungen sowie englische Wortstellungsmuster in deutschen Sätzen. Hildegard selbst schien zu wissen, dass sie einige Sachverhalte im Deutschen weniger gut ausdrücken konnte wie im Englischen, was dazu führte, dass sie häufiger zögerte, Deutsch zu sprechen. Kurz vor ihrem sechsten Lebensjahr war das Deutsche eindeutig Hildegards schwächere Sprache. Danach fand ein plötzlicher Wandel statt, ausgelöst durch einen halbjährigen Aufenthalt in Deutschland. Bereits nach vier Wochen in einer völlig deutschsprachigen Umgebung zeigte sie Probleme beim Konstruieren einfacher englischer Äußerungen und hatte einen deutschen Akzent, wenn sie Englisch sprach. Obwohl sich ihr Englisch weiterhin in strukturellen Aspekten sowie in idiomatischen Wendungen bemerkbar machte, zeigte sie rapide Fortschritte im Deutschen. Kurz nach Hildegards Rückkehr in die USA nahm das Englische wieder überhand und nach vier Wochen deuteten sich wiederholt Probleme mit dem Deutschen an, zum Beispiel in der Verbstellung und in der Aussprache des uvularen r’s - obwohl sie beides erst kürzlich zuvor gelernt hatte. 6 Monate nach ihrer Rückkehr schien sich Hildegards mit ihren beiden Sprachen wieder wohl zu fühlen. Nun wird Hildegard als „truly bilingual“ bezeichnet, obwohl das Englische weiterhin als ihre dominante Sprache gilt. Fantini (1985) untersuchte die sprachliche Entwicklung seines Sohnes Mario, der mit Eng‐ lisch und Spanisch in den USA aufwuchs (vgl. Kap. 3.3.1). Wie zuvor erwähnt, dokumentierte er diese anhand von Tagebucheinträgen, die bis zum Alter von 6 Jahren in regelmäßigen Abständen durch Aufnahmen ergänzt wurden. Marios Sprachentwicklung wurde somit von Geburt an bis zum 15. Lebensjahr begleitet. Die Familie entschied sich für die Strategie ‚eine Umgebung - eine Sprache‘ und wählte das Spanische als Familiensprache. Die Mutter ist Muttersprachlerin des Spanischen und beherrscht die Landessprache sehr gut. Marios Vater sprach Englisch und Italienisch als Muttersprachen und verfügte über sehr gute Spanischkenntnisse. Eine spanische Babysitterin wohnte ebenfalls bei der Familie. Bis zum Alter von 5 Jahren (d.-h. vor Eintritt in den Kindergarten) beherrschte Mario das Spanische besser als das Englische. Das phonologische System des Englischen schien zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig entwickelt (galt allerdings mit 7 Jahren als vollständig erworben). Mit Eintritt in den Kindergarten und später in die Schule änderten sich die sprachlichen Verhältnisse. Konkret berichtet Fantini, dass die standardisierten Sprachtests, die zwischen dem 5. und 6. Lebensjahr bei Mario im Englischen und Spanischen durchgeführt wurden, auf eine beschleunigte Sprachentwicklung im Englischen hinwiesen. Im Alter von 10 Jahren ist Mario nach Fantini (1985: 29) „fully bilingual“ oder „truly bilingual“, was wir im Sinne von vergleichbaren Fähigkeiten in seinen beiden Muttersprachen interpretieren. 70 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="71"?> Die Fallstudien von Hildegard und Mario können als beispielhaft für zwei weit verbreitete Meinungen in der Bilingualismusforschung angesehen werden. Erstens wird deutlich, dass die Umgebungssprache einen starken Einfluss darauf hat, welche Sprache vorherrschend ist. Zweitens zeigt die Studie von Hildegard, dass die stärkere Sprache einen kontinuierlichen Einfluss auf die schwächere Sprache ausübt, auch wenn Kinder ihre Sprachen voneinander trennen. Diese Meinung soll im Verlauf dieses Kapitels relativiert werden. Ferner zeigt der Fall von Hildegard sehr schön, dass Sprachdominanz nicht statisch ist, sondern sich, je nach Kontext und im Laufe der Sprachentwicklung, verändern kann. Ein weiterer interessanter Fall ist Bermans (1979) Studie des englisch-hebräisch aufwachsenden Kindes Shelly. Shelly verbrachte die ersten zweieinhalb Jahre ihres Lebens in einer englischsprachigen Familie in Israel. In dieser Zeit zeigte sich ein deut‐ licher Unterschied zwischen den beiden Sprachen in den rezeptiven und produktiven Sprachfertigkeiten. Während Shelly das Hebräische auf beiden Ebenen beherrschte, beschränkten sich ihre Englischkenntnisse auf das Sprachverständnis. Als Shelly zweieinhalb Jahre alt war, zog die Familie für ein Jahr in die USA, wo das Mädchen einen englischsprachigen Kindergarten besuchte. Mit dem Besuch des Kindergartens begann eine Zeit, in der Shelly das Hebräische zunehmend vernachlässigte und am Ende sogar verweigerte. Bei Shellys Rückkehr nach Israel schien das Sprachverständnis im Hebräischen zunächst, als Folge des Aufenthaltes in den USA, sehr eingeschränkt zu sein, doch bereits nach vier Monaten kommunizierte sie wieder auf Hebräisch. Die Beschreibung der Sprachzustände Shellys in den unterschiedlichen Phasen würde man aus heutiger Sicht etwas kritisch sehen. Während der ersten Phase wird Shelly als „semilingual“ bezeichnet (vgl. hierzu u. a. Cummins 1979). Dieser Begriff impli‐ ziert, dass eine Sprache nur „halb“ erworben wurde, was deshalb problematisch ist, weil die Sprachentwicklung eines Kindes (monolingual oder bilingual) im Alter von zweieinhalb Jahren noch lange nicht abgeschlossen ist. Die zweite Phase wird als „Wandel zur Monolingualität“ charakterisiert, was deshalb nicht plausibel ist, da Shelly beide Sprachen zumindest rezeptiv beherrschte, auch wenn sie diese nicht immer aktiv verwenden wollte. Unabhängig davon zeigt sich jedoch deutlich, wie auch bei Hildegard und Mario, die zentrale Rolle der Umgebungssprache. Auch Burlings (1959) Fallstudie seines Sohnes Stephen unterstreicht den Einfluss der sprachlichen Umgebung auf die Sprachentwicklung. Stephen wuchs zunächst monolingual Englisch auf. Mit 16 Monaten, als Stephen gerade Englisch zu sprechen begann, zog Burling mit seiner Frau und Stephen für zwei Jahre in die Garo-Berge im Nordosten Indiens, wo Garo, eine Sprache, die zur tibeto-burmanischen Sprachfamilie gerechnet wird, gesprochen wird. Bereits kurze Zeit nach seiner Ankunft in Indien begann Stephen die ersten Worte auf Garo zu sprechen. Stephen hatte permanenten Kontakt mit anderen Garo-Sprechern, und sogar sein Vater sprach oftmals Garo mit ihm. Seine Mutter blieb die einzige konstante Quelle des Englischen, sodass sich die Entwicklung des Garo bald schneller vollzog als die des Englischen. Dies zeigte sich u. a. an der Produktion von Garo-Phonemen, wenn der Junge Englisch sprach. Neun Monate später siedelte die Familie für zwei Monate in eine 4.1 Frühe Studien zur Sprachdominanz 71 <?page no="72"?> andere Gegend Indiens über, wo Stephen mehr Kontakt mit englischsprachigen Personen hatte. Zurück in den Garo-Bergen sprach er beide Sprachen fließend und konnte sogar von einer Sprache in die andere übersetzen, aber Garo blieb zunächst seine dominante Sprache, die er sogar produzierte, wenn er im Schlaf redete. Zusammenfassend kann für die skizzierten Fallstudien festgehalten werden, dass in allen die dominante Sprache als die besser beherrschte Sprache aufgefasst wurde. Es gab also ein Konzept von Sprachdominanz, obwohl keine Definitionen formuliert oder systematische Messungen vorgenommen wurden. Drei Aspekte lassen sich her‐ ausarbeiten, die immer auch heute noch im Zusammenhang mit der Sprachdominanz gesehen werden: (i) der Einfluss der Umgebungssprache und der damit einhergehenden intensiveren Spracherfahrung auf die Entstehung der Sprachdominanz, und als Kon‐ sequenz daraus (ii) die Unterschiede zwischen den beiden Sprachen in Sprachgebrauch und Sprachkompetenz sowie (iii) die bevorzugte Wahl oder sogar das Verweigern einer der beiden Sprachen. 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz Dominanzkriterien wurden bereits in den 1960er Jahren zur Bestimmung der Sprach‐ balance bei Erwachsenen angewendet. Laut Mackey (1962: 27) soll der Grad der Bilingualität auf unterschiedlichen linguistischen Ebenen und Fertigkeiten beschrieben werden. Mit Hinblick auf die linguistischen Ebenen unterscheidet er zwischen der phonologisch-graphischen, der grammatischen (morpho-syntaktischen), der lexikali‐ schen, der semantischen und der stilistischen Ebene. Zu den Fertigkeiten zählen die produktive und rezeptive, jeweils in Wort und Schrift. Der Grad der Bilingualität auf diesen Ebenen muss nicht übereinstimmen. Dominanztests oder Kriterien könnten zur Etablierung von Balanciertheitswerten verwendet werden, welche sich aus der Differenz zwischen den in Sprache A und den in Sprache B erlangten Werten ergeben. Demnach können Personen mit Balanciertheitswerten um „0“ als „equilingual“ oder als balanciert bezeichnet werden. Wie eingangs erwähnt, gibt es jedoch keinen Konsens über die Bestimmung von Sprachdominanz. In einigen Studien wird die Umgebungssprache als dominante Sprache definiert, wobei die Idee ist, dass die sprachliche Erfahrung in der Umge‐ bungssprache reicher ist, da es viel mehr Möglichkeiten gibt, diese zu hören und zu verwenden. Mit anderen Worten wird Sprachdominanz im Sinne von (mehr) sprachlicher Erfahrung verstanden. Der Vorteil bei diesem Ansatz ist, dass keine Messungen durchgeführt werden müssen und die Datenerhebung und Auswertung weniger Zeit erfordert. Der Nachteil ist, dass individuelle Unterschiede nicht berück‐ sichtigt werden. So kann es sein, dass Kinder in den frühesten Jahren kaum Kontakt mit der Umgebungssprache haben, da sie keinen Kindergarten besuchen und in der familiären Umgebung ihre direkten Ansprechpartner: innen haben. Wie wir jedoch im 72 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="73"?> Folgenden zeigen werden, gibt es auch Kinder, bei denen sich zumindest in der Kindheit die Nicht-Umgebungssprache schneller entwickelt als die Umgebungssprache. Eine genauere Methode stellt die Erhebung von Daten zur Spracherfahrung mittels Fragebögen dar. Zum Beispiel misst Unsworth (2016) den Sprachgebrauch bei bilin‐ gualen Kindern in unterschiedlichen Domänen (z. B. zu Hause vs. Schule), kumulativ (über einen längeren Zeitraum) vs. zum Erhebungszeitpunkt und mit unterschiedlichen Gesprächspartnern. In der Regel wird die Verwendung von Fragebögen als „indirekte Methode“ zur Bestimmung von Sprachdominanz bezeichnet. Auch Daten zur Selbst‐ einschätzung würde man als indirekte Methoden bezeichnen. Als direkte Methoden werden solche bezeichnet, die Sprachdaten heranziehen, auf deren Basis z. B. die Größe des Wortschatzes oder die Komplexität der Äußerungen gemessen wird. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf solche direkten Methoden. Die drei unterschiedlichen Herangehensweisen spiegeln die Dimensionen, der Sprachdominanz wider: die gesellschaftliche Dimension, die Dimension des Sprachge‐ brauchs und die linguistische Dimension (Montrul 2016). Idealerweise sollten mehrere Herangehensweisen kombiniert werden. Schon Macnamara (1967, 1969) regte an, den Grad der Bilingualität anhand mehrerer Kriterien zu messen, z.-B. Selbsteinschät‐ zungen, Interviews und Tests. So berechnen beispielsweise Torregrossa, Andreou, Bongartz und Tsimpli (2021) einen Index der bilingualen Spracherfahrung anhand der Wortschatzgröße in beiden Sprachen sowie Angaben zur Spracherfahrung durch die Eltern (z. B. zu Hause gesprochene Sprachen, frühe Lese- und Schreibfähigkeit, aktuelle Sprachverwendung und aktuelle Lese- und Schreibfähigkeit) (Torregrossa et al. 2021: 5). Piccione, Ferrin, Furlani, Geiss, Marinis und Kupisch (in Vorb.) prüfen, inwiefern sich der durch direkte Methoden gemessene relative Sprachgebrauch auf unterschiedliche sprachliche Domänen auswirkt: Grammatik (gemessen durch MLU (mean length of utterance, durchschnittliche Äußerungslänge)), Sprechrate und Lexikon. Veränderun‐ gen in der Sprachdominanz spiegelten sich am deutlichsten im Lexikon wider. Im Folgenden werden Methoden zur direkten Sprachentwicklung im Detail vorgestellt. 4.2.1 Direkte Methoden zur Bestimmung von Sprachdominanz bei bilingualen Kindern im Vorschulalter Wie zuvor erwähnt beziehen sich direkte Methoden auf gemessene Kompetenzdaten, und basieren nicht auf einer Befragung. Einige Autor: innen haben eine Einteilung dieser direkten Kriterien in quantitative und qualitative vorgenommen und es wurde diskutiert, ob nur qualitative Kriterien über Kompetenzunterschiede Aufschluss geben, während quantitative Kriterien lediglich auf Präferenzen (vgl. 4.2.2) deuten. Allerdings ist die Trennung zwischen Quantität und Qualität nicht immer eindeutig. Zum Beispiel werten Bernardini und Schlyter (2004) den MLU (vgl. Kap. 4.2.1.1) als quantitatives Kriterium, während der MLU von Müller und Kupisch (2003) als qualitatives Kriterium gewertet wird. Wir bezeichnen ein Kriterium in der Regel als quantitativ, wenn es um Mengen geht (z. B. Anzahl von Wörtern oder Sätzen in einer Sprache). Wenn man 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 73 <?page no="74"?> hingegen annimmt, dass die Anzahl von Wörtern (z. B. pro Satz) ein Indikator für die Komplexität von Sätzen ist, dann könnte man es auch als qualitativ bezeichnen. Ein weiteres Beispiel für Unstimmigkeiten in der Literatur ist, dass Lanza (2000) den Sprachgebrauch mit dem Konzept der Dominanz verbindet, während Müller und Kupisch (2003) den Sprachgebrauch mit Präferenz (vgl. Kap. 4.2.2) assoziieren. Die Trennung nach Sprachgebrauch und Kompetenz scheint also durchaus sinnvoll, nur ist fraglich, ob man beide als Indikatoren für eine Dominanz werten möchte. Betrachten wir zunächst die Kriterien etwas genauer. Tabelle 1 gibt eine erste Übersicht. Kriterium Erläuterung Beispielsstudien MLU (in Worten, Mor‐ phemen oder Silben) durchschnittliche Äußerungslänge Brown (1973) Upper Bound (in Wor‐ ten, Morphemen oder Silben) längste Äußerung in einer Aufnahme (auch "obere Äußerungsgrenze“) Brown (1973) multimorphemische Äu‐ ßerungen (MMA) Anzahl der aus mehr als einem Morphem bestehenden Äußerungen Genesee et al. (1995) Standardabweichung des MLUs Streuung der MLU-Werte Cantone et al. (2008) Lexikongröße Anzahl verschiedener Wörter (=Worttypen) Genesee et al. (1995) Lexikonanstieg Anstieg in der Anzahl verschiedener Wörter Müller und Kupisch (2003) absolute Äußerungsan‐ zahl Anzahl einsprachiger Äußerungen in der Zielsprache Loconte (2001) Redefluss Anzahl der geäußerten Wörter pro Zeiteinheit Arencibia Guerra (2008) Anteil gemischtsprach‐ licher Äußerungen - Petersen (1988) Döpke (1992) Mischrichtung - Berman (1979) präferierte Sprache mit anderen Kindern - Schlyter (1994) Erwerb funktionaler Ka‐ tegorien Determinantenphrase (DP), Flexions‐ phrase (IP) und Komplementiererphrase (CP) Bernardini und Schlyter (2004) Traumsprache - Burling (1959) Häsitationen - De Houwer (1990) Tabelle 1. Sprachdominanzkriterien bei bilingualen Kindern 74 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="75"?> In den beiden folgenden Abschnitten betrachten wir die Kriterien im Einzelnen und geben Beispiele für ihre Anwendung auf die Daten eines balancierten bilingualen Kindes im Vergleich zu einem unbalancierten bilingualen Kind. - 4.2.1.1 MLU, Upper Bound und Standardabweichung Der MLU ist das am weitesten verbreitete Kriterium zur Sprachstandsbestimmung, welches sowohl in monolingualen als auch in bilingualen Studien angewendet wird. Der MLU ist auf der Basis verschiedener sprachlicher Einheiten messbar. Er wird erfasst, indem man die Länge jeder einzelnen Äußerung einer Aufnahme in der entsprechenden Einheit addiert und anschließend durch die Anzahl der Äußerungen teilt. Ob man den MLU in Worten oder in Morphemen misst, sollte davon abhängig gemacht werden, wie stark sich die Sprachen typologisch unterscheiden. So würde man bei einem Vergleich des Türkischen und des Deutschen einen morphem-basierten MLU vorziehen, da einige Funktionswörter, die im Deutschen freie Morpheme sind, türkischen Affixen, also gebundenen Morphemen, entsprechen. Der MLU ist als Methode kritisiert worden, wobei die Kritik vor allem die Ver‐ gleichbarkeit des MLUs in verschiedenen Sprachen betrifft. Zum Beispiel dürfte es leichter sein, in Sprachen mit viel Morphologie (beispielsweise am Verb), wie dem Italienischen, höhere MLU-Werte zu erlangen als in Sprachen mit wenig Morphologie, wie dem Englischen. Nicht alle Unterschiede lassen sich durch eine morphembasierte Berechnung nivellieren. So gibt es zum Beispiel im Englischen weniger Kontexte, in denen Determinanten obligatorisch sind, als im Italienischen und Subjekte werden in einigen Kontexten nicht realisiert. Da das Italienische eine Sprache ist, in der pronominale Subjekte nur verwendet werden, um einen Kontrast auszudrücken, ist die Realisierung des Subjektes in einigen Kontexten pragmatisch inadäquat (vgl. Kap. 7.4.1). Im Deutschen ist die Realisierung des Pronomens jedoch erforderlich. Ein weiteres Beispiel ist, dass deutsche Komposita in den romanischen Sprachen oft durch Konstruktionen mit Präpositionen wiedergegeben werden, z. B. Schreibmaschine vs. It. macchina da scrivere. Müller et al. (2002) haben Sprachunterschiede zwischen dem Italienischen und dem Deutschen ausgeglichen und bei deutschen Komposita jede Wortkomponente als einzelnes Wort gezählt. Schreibmaschine würde demnach als zwei Wörter gewertet werden, um dem italienischen Äquivalent macchina da scrivere eher gerecht zu werden. Hingegen wurden flektierte Verben im Italienischen, wie z. B. ballo ‚ich tanze‘, als zwei Wörter gezählt, auch wenn sie nicht von einem hörbaren Subjekt begleitet wurden, wie in io ballo ‚ich tanze‘. Die Bewertung von ballo als zwei Wörter soll einen Ausgleich zu der deutschen Entsprechung ich tanze schaffen. In welchem Ausmaß solche hier nur exemplarisch angeführten zwischensprachli‐ chen Unterschiede zur Verzerrung des Gesamtbildes führen, bleibt offen. Eine jüngere Studie zeigt, dass deutsch-italienische Kinder, die nach den meisten Kriterien als balanciert oder deutsch-dominant gelten, mit Hinblick auf den MLU eher eine Domi‐ 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 75 <?page no="76"?> nanz im Italienisch zeigen (Piccione et al. in Vorb.). Dieser Befund deutet darauf hin, dass es einfacher ist, im Italienischen einen höheren MLU-Wert zu erlangen als im Deutschen (zur Häufigkeit der Auslassung von Subjekten im Italienischen und deren Realisierung im Deutschen vgl. Kap. 7.4.1). Für die Berechnung des MLUs ist es weiterhin sinnvoll, Sprachroutinen wie guck mal und häufige Einwortäußerungen wie ja und nein nur einmal pro Aufnahme zu zählen, da sie zu relativ niedrigen MLUs führen könnten, die die Fähigkeit, komplexe Sätze zu bilden, nicht angemessen widerspiegeln. Die Abbildungen 1-2 stellen exemplarisch die Entwicklung des MLUs bei dem deutsch-italienischen Kind Lu_di und dem deutsch-französischen Kind Ce_df dar. Das deutsch-italienische Kind zeigt über den dargestellten Zeitraum eine eher balancierte Entwicklung (mit Ausnahme des Zeitraumes zwischen 3; 3 und 4; 1), wäh‐ rend das deutsch-französische Kind im Deutschen eine schnellere Entwicklung als im Französischen zeigt. 0 1 2 3 4 5 1; 7,12 1; 9,12 1; 10,17 1; 11,22 2; 1,3 2; 3,6 2; 4,23 2; 5,20 2; 7,15 2; 8,12 2; 9,18 2; 10,22 2; 11,26 3; 1,30 3; 3,2 3; 4,7 3; 5,8 3; 6,13 3; 7,15 3; 8,17 3; 9,20 3; 10,17 3; 11,22 4; 1,20 4; 3,14 4; 4,12 4; 5,11 4; 6,16 4; 7,24 4; 8,23 4; 10 5; 0,2 MLU Alter Deutsch Italienisch Abbildung 1. MLU-Entwicklung bei Lu_di (deutsch-italienisch), aus Loconte (2001) 76 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="77"?> 0 1 2 3 4 5 6 2; 0,9 2; 1,6 2; 3,15 2; 4,19 2; 5,24 2; 6,21 2; 8,2 2; 8,29 2; 10,5 2; 11,3 2; 11,29 3; 0,27 3; 3,12 3; 4,9 3; 5,15 3; 6,12 3; 7,17 3; 8,14 3; 9,18 3; 10,18 3; 11,15 4; 0,19 4; 1,17 4; 4,9 4; 5,14 4; 7,16 4; 8,23 4; 10,27 MLU Alter Deutsch Französisch Abbildung 2. MLU-Entwicklung bei Ce_df (deutsch-französisch), aus Cordes (2001) Für den Upper Bound, d. h. die obere Äußerungsgrenze, treffen die gleichen Kritiken und Verfahrensweisen zu wie für den MLU. Der Upper Bound zeigt, zu wie langen Äußerungen Kinder maximal in der Lage sind. Er ergibt nicht notwendigerweise ein mit dem MLU stimmiges Bild, weshalb es sinnvoll ist, beide Kriterien zu verwenden. Beispielsweise kann es Kinder geben, die tendenziell Vier-Wort-Äußerungen benutzen, aber dazu fähig sind, Zwanzig-Wort-Äußerungen zu produzieren, aber auch Kinder, die tendenziell Zwei-Wort-Äußerungen produzieren, weil sie wortkarg sind, aber ebenfalls die Fähigkeit besitzen, Zwanzig-Wort-Äußerungen zu gebrauchen. Die Abbildungen 3-4 zeigen den Upper-Bound bei Ar_ds (Deutsch-Spanisch) und Ca_di (Deutsch-Italie‐ nisch). 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 77 <?page no="78"?> 0 5 10 15 20 25 2; 4,15 2; 5,6 2; 6,4 2; 7,28 2; 8,29 2; 10,14 2; 11,6 3; 1,2 3; 2,10 3; 3,17 3; 4,29 3; 5,26 3; 7,21 3; 8,21 3; 10,1 3; 10,27 4; 0,22 4; 1,24 4; 3,0 4; 4,5 4; 5,14 4; 7,26 4; 9,20 5; 2,4 UB Alter Deutsch Spanisch Abbildung 3. Upper Bound-Entwicklung bei Ar_ds (Deutsch-Spanisch), aus Arencibia Guerra (2008) 0 5 10 15 20 25 30 35 1; 8,28 1; 10,8 1; 11,12 2; 0,11 2; 2,4 2; 3,17 2; 4,21 2; 7,3 2; 8,21 2; 9,25 2; 10,30 2; 11,27 3; 1,16 3; 2,27 3; 3,25 3; 4,22 3; 6,3 3; 7,0 3; 8; 6 3; 10,2 3; 11,6 4; 1,0 UB Alter Deutsch Italienisch Abbildung 4. Upper Bound-Entwicklung bei Ca_di (deutsch-italienisch) In einigen Studien (z. B. Cantone et al. 2008) wurde zusätzlich die Standardabweichung („standard deviation“, SD) des MLUs in Betracht gezogen. Die Standardabweichung ist ein Maß für die Streuung von Werten (z. B. MLU). Eine hohe Standardabweichung ist 78 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="79"?> für Erwachsene typisch, denn die Äußerungslänge bei Erwachsenen ist nicht durch die Sprachentwicklung limitiert. Demnach kann man sagen, dass die Sprachentwicklung weiter fortgeschritten ist, wenn ein Kind eine Standardabweichung nach oben zeigt. Abbildung 5 zeigt den MLU im Spanischen (graue Balken) und im Deutschen (helle Balken) des bilingualen Kindes Er_ds. Oberhalb der jeweiligen Balken befinden sich Linien, die der Standardabweichung bei den berechneten MLU-Werten entsprechen. Abbildung 5 macht deutlich, dass Er_ds’s Standardabweichung mit fortschreitendem Alter zunimmt, vor allem im Spanischen. 0 1 2 3 4 5 6 1; 6,3 1; 6,17 1; 7 1; 7,13 1; 8,3 1; 8,18 1; 9,1 1; 9,16 1; 9,291; 10,141; 10,271; 11,11 2; 0,0 2; 0,21 2; 1,4 2; 1,18 2; 2,5 2; 2,26 2; 3,8 2; 3,22 2; 4,6 2; 4,20 2; 5,10 2; 5,24 2; 6,8 2; 6,22 MLU Alter MLU DT MLU SP Abbildung 5. Entwicklung der Standardabweichung bei Er_ds (deutsch-spanisch) Sowohl in Bezug auf den MLU als auch in Bezug auf den Upper Bound zeigen die Darstellungen im Fall von Lu_di (bis 2; 11) und Ar_ds (bis 2; 9), wie ähnlich die Entwicklungsgeschwindigkeit der beiden Sprachen eines bilingualen Individuums sein kann. Bei Ce_df und Er_ds (ab 2; 0) zeigt sich hingegen, wie stark die entsprechenden Werte divergieren können. Es sei angemerkt, dass der Sprachunterschied bei Ce_df und Er_ds kein endgültiger ist. Mit ausreichender Spracherfahrung können die Kinder die Sprachunterschiede ausgleichen. - 4.2.1.2 Lexikongröße und Lexikonanstieg Die Größe des Wortschatzes wird oft als repräsentativ für sprachliche Fertigkeiten im Allgemeinen gesehen, da Wortschatztests insbesondere bei Zweispracherwerbern eine hohe Korrelation (um .70) mit anderen Fertigkeiten (zum Beispiel Leseverstehen und 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 79 <?page no="80"?> Hörverstehen) zeigen (z.-B. Anderson und Freebody 1983; Laufer und Ravenhorst-Ka‐ lovski 2010, Nation 1993). Auch bei Kindern wird der Zuwachs des Lexikons als repräsentativ für die Sprachkompetenz angesehen (z. B. Bates und Goodman 1999, Steinlen und Piske 2016, Rinker, Bloder und Plötner 2022). Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass sich das Lexikon bei jüngeren bilingualen Kindern anders verhält als andere sprachliche Bereiche, indem es sensitiver für Veränderungen in der Spracherfahrung ist. Zum Beispiel vergleichen Piccione et al. (in Vorb.) bei 87 deutsch-italienischsprachigen Kindern die MLU-Werte, Sprechrate, und Wortschatz‐ diversität. Es zeigt sich, dass der Wortschatz am sensitivsten für Veränderungen in der Spracherfahrung ist. Mit anderen Worten zeigen sich Veränderungen in der Sprachbalance — z. B. aufgrund des zunehmenden Inputs in der Umgebungssprache nach Eintritt in die Grundschule — als erstes im Wortschatz. Die Generalisierung, dass der Wortschatz repräsentativ für andere sprachliche Fertigkeiten ist, gilt also nicht notwendigerweise für alle Populationen. Auch für die Erfassung von Wortschatzwissen wurden verschiedene Messverfahren angewendet, unter anderem aufgrund unterschiedlicher Datenmengen. Genesee et al. (1995) untersuchten nur jeweils einen Erwerbsmoment (z. B. 2; 1,8 oder 2; 2) in der Sprachentwicklung bilingualer Kinder, aber sie zogen die Größe des gesamten Wortschatzes in Betracht. Loconte (2001) untersuchte eine Zeitspanne von dreieinhalb Jahren, wobei sie sich auf die Entwicklung von Verben konzentrierte. Rinker et al. (2022) konzentrieren sich auf Nomen und Verben und benutzen den CLT (Cross-Linguistic Lexical Task), der im Rahmen eines EU-Projektes für 30 Sprachen entwickelt wurde. Der Fokus auf Nomen und/ oder Verben, der sich in vielen Studien zeigt, ist deshalb sinnvoll, weil diese Wortklassen die höchste Auftretenshäufigkeit haben. In manchen Studien werden sogenannte Typen-Token-Analysen durchgeführt. Während die Tokenanalyse — ähnlich der Anzahl der Äußerungen — widerspiegelt, wie viel ein Kind in einer Sprache spricht, kann die Typenanalyse darüber hinaus Aufschluss über die Qualität und den Umfang des Lexikons geben: laufen, gehen, rennen sind drei Typen (und 3 Token); gehe, gehst, geht sind 3 Token desselben Typs gehen (hier in der Infinitivform notiert). Ein Kind, welches eine hohe Anzahl von Verbformen produziert (Token), kennt nicht notwendigerweise auch eine hohe Anzahl verschiedener Verben (Typen). Die Anzahl der Verbtypen ist also relevanter für die Sprachstandsmessung. Müller und Kupisch (2003) konzentrieren sich aus diesem Grund auf die Messung von Verbtypen. Die Autorinnen messen das Auftreten inkrementell, d. h. sie erfassen, wie viele neue Verben regelmäßig von den Kindern hinzugelernt werden. Cantone et al. (2008) führen darüber hinaus eine entsprechende Messung mit Nomentypen durch. Der Anstieg des Verb- und des Nomenlexikons soll in den nachfolgenden Abbildungen 6, 7, 8 und 9 beispielhaft veranschaulicht werden. Wieder zeigt das deutsch-italienischsprachige Kind Lu_di für den dargestellten Zeitraum und mit Hinblick auf die Entwicklung von Verben eine eher balancierte Entwicklung und das deutsch-französischsprachige Kind Ce_df einer unbalancierte Entwicklung. Die Abbildungen 8 und 9 zeigen den Zuwachs des Nomenlexikons bei den beiden deutsch-spanischsprachigen Kindern Ar_ds und 80 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="81"?> Lu_ds. Interessant ist, dass bei allen Kindern die Werte für die Umgebungssprache schneller ansteigen, was ein Indikator dafür sein könnte, dass sich die Menge des Inputs besonders stark auf das Lexikon auswirkt. 0 100 200 300 400 500 600 1; 7,12 1; 9,12 1; 10,17 1; 11,22 2; 1,3 2; 3,6 2; 4,23 2; 5,20 2; 7,15 2; 8,12 2; 9,18 2; 10,22 2; 11,26 3; 1,30 3; 3,2 3; 4,7 3; 5,8 3; 6,13 3; 7,15 3; 8,17 3; 9,20 3; 10,17 3; 11,22 Anzahl der Verbtypen Alter Deutsch Italienisch Abbildung 6. Entwicklung des Verblexikons bei Lu_di (deutsch-italienisch) 0 100 200 300 400 500 600 700 2; 0,9 2; 1,6 2; 3,15 2; 4,19 2; 5,24 2; 6,21 2; 8,2 2; 8,29 2; 10,5 2; 11,3 2; 11,29 3; 0,27 3; 3,12 3; 4,9 3; 5,15 3; 6,12 3; 7,17 3; 8,14 3; 9,18 3; 10,18 3; 11,15 4; 0,19 Anzahl der Verbtypen Alter Deutsch Französisch Abbildung 7. Entwicklung des Verblexikons bei Ce_df, aus Müller und Kupisch (2003) 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 81 <?page no="82"?> 0 50 100 150 200 250 300 2; 3,23 2; 4,15 2; 4,27 2; 5,6 2; 5,21 2; 6,4 2; 7,14 2; 7,28 2; 8,14 2; 8,29 2; 9,19 2; 10,14 2; 10,23 2; 11,6 2; 11,24 3; 1,2 3; 1,16 3; 2,10 Anzahl der Nomentypen Alter Deutsch Spanisch Abbildung 8. Entwicklung des Nomenlexikons bei Ar_ds (deutsch-spanisch) aus Arencibia Guerra (2008) 0 100 200 300 400 500 600 1; 7,10 1; 8,17 1; 9,25 1; 11,5 2; 0,9 2; 1,14 2; 3,8 2; 4,10 2; 5,17 2; 6,23 2; 7,28 2; 9,4 2; 10,15 3; 0,0 3; 1,14 3; 2,19 3; 4,12 3; 6,10 Anzahl der Nomentypen Alter Deutsch Spanisch Abbildung 9. Entwicklung des Nomenlexikons bei Lu_ds (deutsch-spanisch) 82 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="83"?> 4.2.1.3 Anzahl der Äußerungen pro Aufnahme Ein weiteres Maß ist die absolute Anzahl von Äußerungen. Hierbei ist wichtig, Auf‐ nahmen von gleicher Länge zu vergleichen oder die Zeiteinheit anzugleichen. Manche Forscher: innen ziehen die ersten Minuten einer Sprachaufnahme nicht in Betracht, da sie durch die Eingewöhnung oder Schüchternheit mehr beeinträchtigt sein könnten. Ferner sollten ausschließlich einsprachige Äußerungen in der Zielsprache, d. h. der Sprache des Interaktionspartners/ der Interaktionspartnerin, in die Zählung einfließen. Wir veranschaulichen dieses Maß anhand der Daten des französisch-italienischen Kindes Ju_fi sowie des deutsch-spanischen Kindes Er_ds in den Abbildungen 10 und 11. 0 50 100 150 200 250 300 350 400 1; 8,16 1; 9,22 1; 10,22 2; 0,2 2; 1,0 2; 2,9 2; 3,28 2; 5,9 2; 7,11 2; 8,13 2; 10,10 2; 11,21 3; 0,21 3; 3,17 3; 4,22 3; 7,10 3; 9,17 3; 10,30 4; 2,7 4; 4,11 4; 10,7 Anzahl der Äußerungen Alter Französisch Italienisch Abbildung 10. Anzahl der Äußerungen bei Ju_fi (französisch-italienisch) 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 83 <?page no="84"?> 0 50 100 150 200 250 1; 6,3 1; 6,17 1; 7 1; 7,13 1; 8,3 1; 8,18 1; 9,1 1; 9,16 1; 9,29 1; 10,14 1; 10,27 1; 11,11 2; 0,0 2; 0,21 2; 1,4 2; 1,18 2; 2,5 2; 2,26 2; 3,8 2; 3,22 2; 4,6 2; 4,20 2; 5,10 2; 5,24 2; 6,8 2; 6,22 Anzahl der Äußerungen Alter Deutsch Spanisch Abbildung 11. Anzahl der Äußerungen bei Er_ds (deutsch-spanisch) Die Abbildungen 10 und 11 zeigen die Anzahl der Äußerungen bei den Kindern Ju_di und Er_ds im Vergleich. Ju_fi produziert etwa gleich viele Äußerungen in beiden Sprachen, wobei ab 2; 7 und bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes die Anzahl französischer Äußerungen leicht überwiegt. Er_ds zeigt ein anderes Muster, nämlich deutlich mehr Äußerungen im Spanischen als im Deutschen. Diese Beobachtung deckt sich mit Er_ds’s MLU-Entwicklung, die wir in Abbildung 5 bereits gesehen haben. - 4.2.1.4 Redefluss Ähnlich wie die Anzahl der Äußerungen bezieht sich der Redefluss auf die Frequenz einer sprachlichen Einheit innerhalb einer festgelegten Zeiteinheit, z. B. Wörter pro Minute. Da der Redefluss sich primär auf die Quantität von Äußerungen bezieht, sollte man aufgrund dieses Kriteriums nicht automatisch auf Unterschiede in der Kompetenz schließen. Abbildung 12 illustriert dies am Beispiel des bilingualen Kindes Em_df, das simultan mit Französisch und Deutsch aufwächst. Die Abbildung zeigt den Unterschied zwi‐ schen dem Deutschen und dem Französischen im Zeitraum zwischen 1; 4 und 4; 10. Die Redeflussdifferenz (RFD) ist das Ergebnis der Substraktion zwischen dem deutschen und dem französischen Redefluss. Liegt die Differenz bei Null, ist Em_df in der Lage, eine ähnliche Anzahl an Wörter pro Minute bei ihren jeweiligen Muttersprachen zu verwenden. Em_df verwendet bis zu einem Alter von 2; 9 eine ähnliche Anzahl an Wörtern pro Minute in ihren jeweiligen Erstsprachen; die Differenz liegt unter 10. 84 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="85"?> Zwischen 2; 10 und 3; 1 zeigt sich eine Tendenz zu deutlich mehr Wörtern pro Minute im Französischen. Vom Alter 3; 2 bis 3; 6 liegt der Redefluss im Deutschen deutlich höher als im Französischen. Im letzten beobachteten Zeitraum produziert Em_df wieder deutlich mehr Wörter pro Minute im Französischen als im Deutschen. -40,00 -30,00 -20,00 -10,00 0,00 10,00 20,00 30,00 40,00 50,00 60,00 70,00 1; 4,1 1; 4,29 1; 5,28 1; 6,25 1; 7,21 1; 8,22 1; 9,25 1; 10,24 1; 11,21 2; 0,29 2,1,23 2; 2,22 2; 3,18 2; 4,21 2; 5,19 2; 6,16 2; 7,15 2; 8,21 2; 9,18 2; 10,16 2; 11,13 3; 0,10 3,01,28 3; 02,25 3; 04,06 3; 05,26 3; 06,23 3; 07,20 3; 08,26, 03; 09,22 3,10,20 3; 11,05 4; 2,24 4; 6,14 4; 8,10 4; 10,20 Redefluss Alter Deutsch Französisch RFD Abbildung 12. Redefluss von Em_df (deutsch-französisch) In phonologischen Studien wird Redefluss auch als Sprechrate bezeichnet und teilweise in Silben pro Sekunde gemessen (vgl. Einfeldt, Kupisch und van de Weijer 2019, Geiss, Gumbsheimer, Lloyd-Smith, Schmid und Kupisch 2022, Piccione et al. in Vorb.). - 4.2.1.5 Sprachwahl, Anteil gemischtsprachlicher Äußerungen und Mischrichtung Unter Mischungen verstehen wir den Umstand, dass Elemente von Sprache A im Kon‐ text von Sprache B verwendet werden. Das Auftreten gemischtsprachlicher Äußerun‐ gen wurde oft als Indiz für Sprachdominanz gewertet, insbesondere wenn das Mischen unidirektional war (vgl. Berman 1979, Petersen 1988). Es ist allerdings nicht immer der Fall, dass ausschließlich von der stärkeren in die schwächere Sprache gemischt wird. Cantone (2007) zeigt beispielsweise für Au_di, einem bilingual deutsch-italie‐ nischsprachigen Kind mit Italienisch als stärkerer Sprache, dass es in beiden Sprachen Mischungen aufweist. Wenn ein Kind unbalanciert ist, ist es wahrscheinlicher, dass im Kontext der schwächeren Sprache mehr Mischungen vorkommen; gleichzeitig sind Mischungen (Elemente aus der schwächeren Sprache) im Kontext der stärkeren Sprache nicht ausgeschlossen. Es erscheint aus diesem Grund sinnvoller, anstelle oder zusätzlich zur Mischrichtung die Mischrate zu untersuchen. 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 85 <?page no="86"?> Um ein Beispiel zu geben, sind in den Abbildungen 13 und 14 die Mischraten von Ce_df in den jeweiligen Sprachen dargestellt. Es wird zwischen gemischtsprachlichen und einsprachigen Äußerungen in beiden Sprachen unterschieden. Die einsprachigen Äußerungen werden nach Deutsch und Französisch unterschieden und können in Abhängigkeit von der Sprache der Interaktionspartner als [± zielsprachlich] klassifi‐ ziert werden. Werden vollständige einsprachige Äußerungen aus Sprache A (z. B. Deutsch) im Kontext von Sprache B (z. B. Französisch) verwendet, spricht man auch von Diskursmischungen. Wie die Abbildung 13 zeigt, produzierte Ce_df im deutschen Aufnahmeteil fast ausschließlich einsprachig deutsche Äußerungen. Im französischen Aufnahmeteil hingegen wurden nicht nur wesentlich mehr gemischtsprachliche Äu‐ ßerungen nachgewiesen, sondern auch einsprachig deutsche Äußerungen. Das heißt, Ce_df produzierte ganze Äußerungen in einer Sprache, die nicht der Kontextsprache (d. h., der Sprache der Interaktionsperson) entsprach. In diesem Fall handelte es sich bei der Interaktionspartnerin um eine Französin, die das Deutsche zwar sehr gut beherrschte, mit dem Kind jedoch konsequent Französisch verwendete. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2; 0,24 2; 1,14 2; 4,5 2; 5,8 2; 6,7 2; 7,19 2; 8,16 2; 9,20 2; 10,18 2; 11,15 3; 0,13 3; 1,10 3; 3,26 3; 4,23 3; 5,29 3; 6,26 3; 8,0 3; 8,28 3; 10,4 3; 11,1 3; 11,29 4; 1,3 Anteil / Äußerungen Alter gemischt Französisch Deutsch Abbildung 13. Sprachwahl in den deutschsprachigen Aufnahmen mit Ce_df, aus Arencibia Guerra (2008) und Cordes (2001) 86 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="87"?> 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2; 0,24 2; 1,14 2; 4,5 2; 5,8 2; 6,7 2; 7,19 2; 8,16 2; 9,20 2; 10,18 2; 11,15 3; 0,13 3; 1,10 3; 3,26 3; 4,23 3; 5,29 3; 6,26 3; 8,0 3; 8,28 3; 10,4 3; 11,1 3; 11,29 4; 1,3 Anteil / Äußerungen Alter gemischt Deutsch Französisch Abbildung 14. Sprachwahl in den französischsprachigen Aufnahmen mit Ce_df, aus Arencibia Guerra (2008) und Cordes (2001) Die Abbildungen 13 und 14 zeigen nicht nur einen höheren Anteil von Sprachmischun‐ gen in der schwächeren Sprache, sondern auch unidirektionales Mischen. Die Verwen‐ dung dieses Kriteriums als Dominanzkriterium scheint also gerechtfertigt. Ce_df ist jedoch ein stark unbalanciertes Kind und es ist fraglich, inwieweit Sprachmischungen Aufschluss über Sprachbalance geben können, wenn Kinder stärker balanciert sind als Ce_df. Gemischte Äußerungen können auch das Ergebnis von regelbasiertem Code-Switching (vgl. Cantone 2007) oder von so genanntem „borrowing“ (Entlehnung) sein (vgl. Meisel 1989 sowie Kap. 2.2 und 5.2.1). In letzterem Fall würde man nicht unbedingt eine Unidirektionalität erwarten; eine Entlehnung kann prinzipiell in beide Richtungen verlaufen. Auch könnte ein höherer Anteil von Mischungen in einer der Sprachen auf eine Sprachpräferenz (vgl. Kap. 4.2.2) hindeuten, insbesondere wenn das Kind davon ausgehen kann, dass der Interaktionspartner/ die Interaktions‐ partnerin beide Sprachen versteht. Für Sprachmischungen innerhalb eines Satzes (intrasententiales Code-Switching) analysiert Eichler (2013) die spontanen Sprachda‐ ten von siebzehn bilingual aufwachsenden Kindern mit den Sprachkombinationen Deutsch-Spanisch/ Französisch/ Italienisch sowie Französisch-Italienisch. Die Autorin stellt fest, dass Sprachdominanz und Sprachmischungen in Zusammenhang stehen. Konkret beobachtet sie, dass (intrasententiale) Sprachmischungen insbesondere von unbalancierten bilingualen Kindern produziert wurden. Bilinguale Kinder, die eine stärkere Sprache haben, produzieren allerdings nicht immer Sprachmischungen. In ihrer Querschnittstudie untersucht Sivakumar (2015) das Mischverhalten von bilingual spanisch-deutsch aufwachsenden Kindern in Deutschland und Spanien. Die Autorin geht der Frage nach, ob die Verwendung von Code-Switching von den sprachlichen Kompetenzen der Kinder ausgelöst wird. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl balancierte als auch unbalancierte Kinder Sprachmischungen produzieren. Darüber hinaus stellt sie fest, dass Kinder mit einem niedrigen MLU-Wert häufiger mischen als Kinder mit einem höheren MLU-Wert. Ein weiteres Ergebnis dieser Studie bezieht sich 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 87 <?page no="88"?> auf das Auftreten von Sprachmischungen bedingt durch der (Nicht-)Umgebungsspra‐ che: Sivakumar (2015) beobachtet, dass mehr Mischungen im Kontext der Nicht-Um‐ gebungssprache (d. h. Spanisch in Deutschland und Deutsch in Spanien) auftreten und dies unabhängig von der Sprachdominanz der bilingualen Kinder ist. Wir stellen also fest, dass die Dominanz in einer Sprache mit einer höheren Mischrate einhergeht, aber dass das Mischen in der anderen Sprache trotzdem nicht ausgeschlossen ist (vgl. Cantone 2007). - 4.2.1.6 Andere Methoden Tabelle 1 führt fünf Methoden bzw. Kriterien zur Bestimmung der Sprachdominanz an, die wir im Folgenden kurz erläutern. Der Anteil multimorphemischer Äußerungen (MMU) wird bestimmt, indem man die Gesamtzahl der Äußerungen berechnet und anschließend den prozentualen Anteil derjenigen Äußerungen, die mehr als ein Morphem enthalten. Dieser Methode liegt die Annahme zugrunde, dass Kinder in ihrer stärkeren Sprache früher als in ihrer schwächeren Sprache mit der Produktion multimorphemischer Äußerungen beginnen. Die Anwendung dieses Kriteriums ist in einer sehr frühen Erwerbsphase sinnvoll, sobald Kinder in die Zwei-Wort-Phase eintreten, bestehen die meisten Äußerungen aus mehr als einem Morphem und das Kriterium verliert an Aussagekraft. Die Methode spiegelt unseres Erachtens, ähnlich wie der MLU, eher qualitative als quantitative Eigenschaften wider. Ein weiteres Kriterium ist der Erwerb funktionaler Kategorien wie Determinanten‐ phrase (DP), Flexionsphrase (IP) und Komplementiererphrase (CP). Hierzu würde man in beiden Sprachen die Erwerbsmomente für grammatische Elemente bestimmen, die mit genau diesen Kategorien assoziiert werden (Bernardini und Schlyter 2004). Da jedoch der Erwerbsmoment in Abhängigkeit von der Zielsprache stehen kann, ist die Vergleichbarkeit über die Sprachen hinweg nicht immer gegeben. Beispielsweise lässt die frühere Verwendung finiter Verben (Evidenz für IP) oder Determinanten (Evidenz für DP) im Italienischen (im Vergleich zum Deutschen oder Englischen) nicht auf eine Dominanz im Italienischen schließen, da sich diese in unterschiedlichen Erwerbsmomenten auch beim Vergleich monolingualer Kinder zeigen (vgl. jeweils Kap. 8.1 und 8.2 für den Erwerb von IP bzw. CP und den Erwerb der DP). Möchte man das Kriterium anwenden, sollte man einen Vergleich mit monolingualen Kindern in Betracht ziehen. Kupisch, Kolb, Rodina und Urek (2021) zeigen, wie sich der Dominanzwechsel bei deutsch-russischsprachigen Kindern (von Russisch zu Deutsch) im wahrgenommenen fremdsprachlichen Akzent widerspiegelt. Der fremdsprachliche Akzent wurde in dieser Studie auf der Basis von semispontanen Sprachproben gemessen, die jeweils von Muttersprachler: innen des Deutschen und des Russischen beurteilt wurden. De Houwer (1990) schlug vor, dass auch das Zögern (Häsitationen) einen Hinweis auf eine vorliegende Dominanz liefern könnte. Ähnlich wie bei der Sprechrate liegt 88 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="89"?> hier die Annahme zugrunde, dass bilinguale Kinder in ihrer weniger entwickelten Sprache langsamer sprechen, mehr Pausen machen und mehr Füllworte wie äh, ähm etc. produzieren. Eine mögliche Kritik an dieser Methode ist, dass Häsitationen nur schwer messbar sind (Genesee et al. 1995) und in einigen Sprachkorpora überhaupt nicht kodiert wurden. Für eine adäquate Messung wäre es vermutlich notwendig, nicht nur die Anzahl, sondern auch die Länge der Häsitationen zu messen und diese zu der gesamten Äußerungsanzahl in Bezug zu setzen. Ferner können Häsitationen auch individuell, unabhängig von der Sprachkompetenz variieren. In einigen Studien gehen Häsitationen indirekt in Messungen des Redeflusses ein (wer mehr zögert, produziert weniger Silben oder Wörter pro Zeiteinheit). Die präferierte Sprache mit anderen mehrsprachigen Kindern oder Geschwistern sowie die Traumsprache kann nur durch Befragung der Kinder selbst oder ihrer Eltern erfasst werden und zählt damit (anders als alle zuvor genannten Verfahren) zu den indirekten Methoden zur Bestimmung von Sprachdominanz. Sie sagen nicht notwen‐ digerweise etwas darüber aus, wie gut ein Kind eine Sprache beherrscht, können aber damit korrelieren. Die Sprachwahl mit bilingualen Gesprächspartner: innen ist auch davon abhängig, ob diese Gesprächspartner: innen selbst bereit sind, die eine oder andere Sprache zu sprechen. 4.2.2 Gruppierung der Methoden Im vorangegangenen Abschnitt haben wir uns primär mit direkten Methoden zur Erfassung der Dominanz beschäftigt. Eine Ausnahme sind die Traumsprache und die präferierte Sprache, die man nur durch Befragung, also indirekt, erfassen kann. Wie zuvor erwähnt, plädieren einige Autor: innen für eine Trennung zwischen Kriterien, die eher quantitative Aspekte erfassen (z. B. Anzahl der Äußerungen oder Wörter pro Zeiteinheit), und solchen, die die Sprachkompetenz widerspiegeln (z. B. MLU, Wortschatzumfang). Möchte man bestimmen, ob ein Kind eine Sprache schneller ent‐ wickelt als die andere, dann sollte eine möglichst große Anzahl verschiedener Kriterien einbezogen werden, da einige sprachliche Bereiche sensitiver für Veränderungen in der sprachlichen Erfahrung der Kinder sind. Wenn alle Kriterien zu dem gleichen Ergebnis führen, was bei einem stark unbalancierten Kind der Fall sein sollte, so ist das Ergebnis eindeutig (wie es zum Beispiel bei dem deutsch-französischen Kind Ce_df der Fall ist). Jedoch zeigt eine Vielzahl bilingualer Individuen einen Unterschied in der Entwicklung beider Sprachen, ohne dass man sie gleich als unbalancierte Kinder einstufen möchte. In diesem Kontext scheint das Konzept der Sprachpräferenz passender, wonach ein Kind vielleicht in einer Sprache lieber kommuniziert (z. B. weniger Sprachmischungen, mehr Äußerungen), aber in beiden Sprachen eine eher ausgeglichene Kompetenz hat, z.-B. mit Hinblick auf den Wortschatz. Zusammenfassend nehmen wir an, dass Unterschiede bei den folgenden (eher quan‐ titativen) Indikatoren nicht zwingend auf einen Unterschied in der Sprachkompetenz schließen lassen: 4.2 Kriterien und Methoden zur Bestimmung der Sprachdominanz 89 <?page no="90"?> • Absolute Anzahl der Äußerungen pro Aufnahme • Wörter pro Minute, Silben pro Minute • Mischrate • Traumsprache • präferierte Sprache mit Geschwistern Wenn es darüber hinaus auch (eher) qualitative Indikatoren gibt, ist ein Unterschied in der Sprachkompetenz plausibel. Hierfür haben wir vorläufig folgende Kriterien herangezogen. Es ist wahrscheinlich, dass ein unterschiedliches Sprachniveau in der zweiten Gruppe von Kriterien Unterschiede in der ersten Gruppe von Kriterien mit sich bringt, aber nicht umgekehrt (Cantone et al. 2008). a. MLU b. Upper Bound c. multimorphemische Äußerungen d. Lexikongröße e. Globaler Akzent Jüngere Studien haben sich ferner mit dem Effekt von Veränderungen in der sprachli‐ chen Erfahrung von bilingualen Kindern befasst, insbesondere bei Eintritt ins Grund‐ schulalter, wenn die meisten bilingualen Kinder massiv mit der Umgebungssprache in formalen Kontexten konfrontiert werden (z. B. Caloi und Torrregrossa 2021; Kupisch et al. 2021; Papastefanou, Powell und Marinis 2019, Papastefanou, Marinis und Powell 2021, Rinker et al. 2022). Hierbei zeigt sich in der Regel, dass das Lexikon sensitiver auf Veränderungen reagiert als komplexitätsbasierte Kriterien wie MLU oder quantitative Kriterien wie Sprachfluss (siehe Piccione et al. in Vorb. zu deutsch-italienischsprachi‐ gen Kindern). 4.3 Sprachbalance und Spracheneinfluss Wie in Kapitel 2 bereits angedeutet wurde und in Kapitel 5 noch eingehend diskutiert wird, ist das Auftreten von Spracheneinfluss im bilingualen Spracherwerb ein zentrales Thema in der Bilingualismusforschung. Die Studien der 1980er Jahre haben die Hypothese eines gemischtsprachlichen Systems weitgehend widerlegt; Kapitel 5 wird jedoch zeigen, dass separate sprachliche Systeme das gleichzeitige Auftreten von Spracheneinfluss nicht ausschließen. Autor: innen, die die Existenz von gemischtsprachlichen Systemen als Erklärung für Spracheneinfluss ablehnen, vermuteten, dass Spracheneinfluss gerade dann - oder nur dann - auftritt, wenn keine Idealbedingungen für die bilinguale Entwicklung gegeben sind (vgl. Kapitel 5). Zum Beispiel führt der unzureichende Input in einer der Sprachen zur Dominanz in dieser Sprache, verursacht dieser Fall wiederum den Spracheneinfluss zur anderen Sprache. Mit anderen Worten wäre Spracheneinfluss dann ein Effekt von Unbalanciertheit. Wenn unbalanciert bilinguale Kinder ihre schwächere Sprache 90 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="91"?> sprechen, greifen sie auf die Ressourcen aus der stärkeren Sprache zurück, um einen Kommunikationsabbruch zu vermeiden. Nach Grosjean (1982) deaktivieren bilinguale Personen auch in monolingualen Interaktionssituationen die jeweils nicht-geforderte Sprache niemals vollständig. Zu den Erwerbsaufgaben des Kindes zählt demnach auch die Deaktivierung der jeweils nicht-gewünschten Sprache bei der monolingualen Interaktion. Grosjean (1982) hat für die beiden Zustände der beiden Sprachen eigene Termini geprägt. Mit dem „bilingualen Modus“ bezeichnet er die Aktivierung beider Sprachen in bilingualen Gesprächssituationen, während sich der „monolinguale Modus“ auf monolinguale Gesprächssituationen bezieht. Es ist plausibel anzunehmen, dass die Deaktivierung bzw. Unterdrückung einer schwächeren Sprache leichter fällt als die Deaktivierung einer stärkeren Sprache (Eichler 2015). Der postulierte Zusammenhang zwischen Sprachdominanz und Spracheneinfluss hat dazu geführt, dass in vielen Studien zum bilingualen Erwerb eine Bestimmung der Sprachdominanz als notwendig erachtet wird. Es wurde jedoch auch die Meinung vertreten, dass Spracheneinfluss von der zeitweiligen oder permanenten Dominanz in einer der beiden Sprachen unabhängig ist (z. B. Müller und Hulk 2001; Cantone 2007). Im Folgenden sollen die beiden konträren Positionen näher erläutert werden. 4.3.1 Sprachbalance und Spracheneinfluss sind abhängig In einem Überblick über die ersten Studien zum bilingualen Spracherwerb kam Grosjean (1982: 190) zu dem Schluss, dass Sprachdominanz zur Beeinflussung der stärkeren auf die schwächere Sprache führt. Als Beispiel werden die Studien von Burling (1959), Fantini (1978), Oksaar (1977), Kinzel (1964) und Swain (1972) genannt. Burling (1959) und Fantini (1978) nehmen auf die phonologische Entwicklung Bezug. Burling (1959) beobachtete in seiner Tagebuchstudie, dass das bilingual aufwachsende Kind Stephen das englische Lautsystem später entwickelte als das garoische und dass er anfangs Phoneme aus dem Garo verwendete, wenn er Englisch sprach. Fantini (1978) machte eine ähnliche Beobachtung bei den beiden Kindern Mario und Carla, die zunächst in einer spanischsprachigen Umgebung aufwuchsen, und kurz nach ihrem zweiten Lebensjahr mit dem zusätzlichen Erwerb des Englischen beim Eintritt in den Kindergarten begannen. Laut Fantini wurde die englische Aussprache der Kinder zunächst durch das Spanische beeinflusst. Beide Kinder wuchsen jedoch nicht nach dem Prinzip OPOL auf. In Stephens Fall sprach der Vater nicht nur Englisch, sondern auch Garo mit seinem Sohn. Bei Mario und Carla sprachen beide Eltern zunächst Spanisch, obwohl der Vater Muttersprachler des Englischen war. Ferner hatten die Kinder kaum Kontakt mit der Umgebungssprache, bis sie in den Kindergarten gingen. Ein häufig genanntes Argument für die Dominanz einer Sprache ist die Richtung der Sprachmischungen. So mischten Fantinis (1978) Kinder, die zunächst dominant im Spani‐ schen waren, spanische Morpheme ins Englische (vgl. 1a). Müller et al. (2015) dokumentieren Sprachmischungen bei dem deutsch-spanischen Kind Ar_ds: in (1b) verwendet Ar_ds ein 4.3 Sprachbalance und Spracheneinfluss 91 <?page no="92"?> spanisches Verbsuffix in einen deutschen Satz. In den folgenden Beispielen sind die aus der stärkeren Sprache entnommenen Morpheme hervorgehoben. (1) a. Can you desentie this? - - Kannst du entknoten das? - b. Aber du muss brenga más - - Aber du muss mehr (davon) bringen In einigen Fällen greifen Kinder ausschließlich auf die syntaktische Struktur einer der beiden Sprachen zurück, aber „füllen“ sie mit Sprachmaterial aus der anderen Sprache. Die Äußerungen in (2-4) wurden von dem englisch-französisch bilingualen Kind Anne produziert (Kinzel 1964). Annes dominante Sprache war das Englische. Unter (2-4a) werden die von Anne produzierten Strukturen im Französischen gezeigt; die Beispiele in (2-4b) illustrieren die entsprechenden englischen Strukturen und die in (2-4c) die korrekten Strukturen im Französischen. Ein Vergleich von (a) und (b) legt nahe, dass das Kind die englischen Strukturen benutzt, wenn es Französisch spricht. (2) a. Je cherche pour le livre - b. I am looking for the book - - Ich suche für das Buch - c. Je cherche le livre - - Ich suche das Buch - (3) a. Tu fais ce pistolet marcher - - You make this gun work - - Du machst diese Pistole funktionieren - b. Tu fais marcher ce pistolet - - Du bringst diese Pistole zum Funktionieren - (4) a. J’aime ça mieux. - b. I like that better - - Ich mag das lieber - c. J’aime mieux ça - - Ich mag lieber das Swain (1972) machte ähnliche Beobachtungen bei dem bilingual englisch-französisch‐ sprachigen Kind Michael, dessen stärkere Sprache das Französische war. In diesem Fall wurden französische Strukturen ins Englische übertragen. Die Beispiele in (5) und (6) zeigen in (a) die produzierte Struktur im Englischen, in (b) die entsprechende französische Struktur und in (c) die korrekte Struktur im Englischen. (5) a. It’s what? - b. C’est quoi? - - Das ist was? - c. What is it? - - Was ist das? 92 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="93"?> (6) a. That’s to me? - b. C’est à moi? - - Das ist an mich? - c. Is it mine? - - Ist das meins? Die Äußerungen in (7) betreffen die Nominalphrase bei Interaktion in der schwächeren bzw. präferierten Sprache. Ar_ds ist dominant im Deutschen und Al_df ist balanciert mit einer Präferenz für das Französische (vgl. Arencibia Guerra 2008). (7) a. un grande ohr (Ar_ds 3; 6,7, Sp. Kontext) - - ein großes Ohr - - b. eine boule groß (Al_df 2; 5,25, Dt. Kontext) - - eine Schüssel groß - - - - Arnaus Gil et al. (2012: 250 f.) Dass diese Beispiele auf einen zwischensprachlichen Einfluss schließen lassen, steht außer Frage. Ferner zeigen sie die Verwendung der schwächeren Sprache im Kontext der starken bzw. präferierten Sprache. Nur ist fraglich, ob sie den Schluss zulassen, dass zwischensprachliche Einflüsse immer unidirektional von der stärkeren in die schwächere Sprache verlaufen. Diese Frage werden wir in Kapitel 5 noch eingehender diskutieren. In diesem Kapitel betrachten wir zunächst noch einige Beispiele, die die gegenteilige Position zulassen, d. h. dass Spracheneinfluss auch ohne Dominanz stattfinden kann, bzw. von der schwächeren in die stärkere Sprache verlaufen kann. 4.3.2 Sprachbalance und Spracheneinfluss sind unabhängig Zu klären bleibt also weiterhin, (i) ob Spracheneinfluss auch bei Kindern auftritt, die balanciert sind, (ii) ob es möglich ist, dass Spracheneinfluss in der schwächeren Sprache ausbleiben kann (wenn Kinder unbalanciert bilingual sind) und (iii) ob die schwächere Sprache die stärkere Sprache beeinflussen kann. Wenn ja, so muss es für den auftretenden Spracheneinfluss andere Gründe geben als Sprachdominanz. Insgesamt haben nur wenige Autoren diese Position eingenommen (z. B. Müller und Hulk 2001). Im Folgenden geben wir einige Beispiele, die dafür sprechen. Weitere Argumente für diese Position werden in den Kapiteln 5 bis 8 behandelt. Müller und Hulk (2001) befassten sich mit Objektauslassungen bei den Kindern Anouk, Ivar und Ca_di, die eine romanische Sprache (Französisch oder Italienisch) gleichzeitig mit einer germanischen Sprache (Niederländisch oder Deutsch) erwerben. Bei allen Kindern gab es einen Spracheneinfluss im Bereich der Objektauslassungen: Objektpronomina wurden von bilingualen Kindern in ihrer romanischen Sprache genauso häufig wie von monolingual deutschen Kindern ausgelassen (vgl. 7.3) und häufiger als von monolingual französischen und italienischen Kindern. Müller und Hulks (2001) Argumente gegen die Rolle von Sprachdominanz können in den folgenden drei Punkten zusammengefasst werden. 4.3 Sprachbalance und Spracheneinfluss 93 <?page no="94"?> Erstens beeinflusst bei allen drei Kindern immer die romanische Sprache die germanische, was dafür spricht, dass der Einfluss mit den Eigenschaften der Sprache im Zusammenhang steht. Zweitens würden die bei diesen Kindern gemessenen Domi‐ nanzverhältnisse keinen Einfluss bzw. einen Einfluss genau in die entgegengesetzte Richtung vorhersagen: Bei Anouk ist der MLU im Französischen nur geringfügig höher als im Niederländischen. Ca_di zeigt ebenfalls nur geringe Unterschiede in ihren MLU-Werten, aber sie sind höher im Italienischen. Bei Ivar ist die dominante Sprache in der relevanten Erwerbsphase das Französische. Wenn man also Sprachdominanz anhand von MLU-Werten misst, dann wäre bei Anouk und Ca_di kein Einfluss zu erwarten, weil der Sprachunterschied nur minimal ist. Bei Ivar würde man einen Einfluss vom Französischen ins Deutsche vorhersagen. Drittens zeigen sowohl Ivar als auch Ca_di im Hinblick auf ein anderes grammatisches Phänomen, nämlich der Verbstellung in Nebensätzen, einen Einfluss von der romanischen auf die germanische Sprache (vgl. Müller 1998). Mit anderen Worten vollzieht sich der Spracheneinfluss bei ein und demselben Individuum in unterschiedliche Richtungen. Alle drei Punkte sprechen gegen die Annahme, dass Spracheneinfluss durch eine permanente oder vorübergehende Sprachdominanz in einer der Sprachen zu erklären ist. Sie legen vielmehr nahe, dass die Erklärung für Spracheneinfluss in der Beschaffenheit des grammatischen Phänomens liegt. Kupisch (2006a) zeigt den beschleunigenden Effekt einer romanischen Sprache auf den Erwerb von Artikeln im Deutschen. In dieser Studie war das Deutsche die Umgebungssprache, aber die Kinder hatten unterschiedliche Dominanzprofile, der Beschleunigungseffekt war unterschiedlich stark ausgeprägt und trat auch nicht bei allen Kindern auf. So wurde Spracheneinfluss eindeutig bei den Kindern Ca_di, Am_df, Al_df, Ma_di und Ce_df sichtbar, jedoch zeigt Ca_di eine balancierte Sprachentwick‐ lung, Ce_df eine unbalancierte, während die anderen Kinder eine leichte Dominanz in der romanischen Sprache aufweisen. Das Fazit der Studie war, erstens, dass der Spracheneinfluss nicht nur bei unbalancierten Kindern auftritt (die Ausnahme war Ca_di). Zweitens gibt der Balanciertheitsgrad keinen Aufschluss über das Vorkommen von Spracheneinfluss, denn es gibt balancierte und unbalancierte Kinder, bei denen sich Einfluss manifestiert, sowie balancierte und unbalancierte Kinder, bei denen kein Einfluss nachweisbar ist. Drittens war Ce_df ’s dominante Sprache das Deutsche, aber es war das Französische, welches im Hinblick auf den Determinantenerwerb das Deutsche beeinflusste. Die Studie zeigte also, dass Sprachbalance und Spracheneinfluss unabhängig voneinander sind. Eine weitere Studie zum Spracheneinfluss, die keine Dominanzeffekte belegt hat, ist die von Fernández Furtes und Liceras (2010), die den Erwerb von englischen und spani‐ schen Kopulaverben im Vergleich zu monolingual englischen und spanischen Kindern untersucht haben. Die bilingualen Kinder Leo und Simon waren relativ balanciert mit Hinblick auf ihre MLU-Werte im untersuchten Zeitraum, wobei Simons MLU-Werte eine leichte Überlegenheit im Englischen zeigten. Die Kinder erwarben englische Kopulaverben und die damit verbundenen Eigenschaften schneller als monolingual 94 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="95"?> englische Kinder, obwohl keines der beiden Kinder eine Dominanz im Englischen aufwies. Auch mit Hinblick auf Sprachmischungen zeigt sich, dass Kinder auch von der schwächeren in die stärkere Sprache mischen. Wir illustrieren dies im Folgenden anhand von Beispielen von dem deutsch-spanischen Kind Er_ds, der simultan mit Spanisch und Deutsch in Spanien aufwächst. Im Alter von 2; 5,25 ist sein spanischer MLU deutlich höher als sein deutscher (2,67 vs. 1,2), weshalb Er_ds als dominant im Spanischen eingestuft werden kann. Trotzdem mischt Er_ds aus seiner schwächeren Sprache (Deutsch), wenn er in seiner stärkeren Sprache (Spanisch) mit einer spanisch‐ sprachigen Person interagiert, wie in (8) illustriert wird. In (9) sehen wir ein Beispiel von dem italienisch-dominanten Kind Au_di, der hier in seiner dominanten Sprache Italienisch interagiert. (8) yo stá auto auto fahren ya stoy yo ve auto (Er_ds 2; 5,24, Sp. Kontext) - ich bin Auto Auto fahren ich bin (fertig) ich sehe Auto - - (9) allo io, io non spiel mit nicht (Au_di 3; 5,30, It. Kontext) - also ich ich nicht spiele mit nicht Cantone (2007: 177) Zusammenfassend zeigen die Beispiele, dass das Argument des exklusiv unidirektio‐ nalen Spracheneinflusses von der stärkeren in die schwächere Sprache nicht haltbar ist. 4.3.3 Transfer und Verzögerungen Auf den ersten Blick mag es aussehen, als wäre der Erwerb der schwächeren Sprache durch Transferstrategien und Verzögerungen geprägt (vgl. hierzu Kap. 7). Es ist allerdings fraglich, ob dieser Schluss gerechtfertigt ist. Im Folgenden geben wir einige Beispiele. Im Zusammenhang mit der schwächeren Sprache wurden typischerweise Ausspra‐ cheprobleme und Aussprachefehler erwähnt. Hier wäre eine einfache Erklärung, dass dies auf einen Einfluss der simultan erworbenen (stärkeren) Sprache hindeutet. Bevor man einen solchen Schluss zieht, sollte man allerdings ausschließen, dass monolinguale Kinder nicht auch Probleme mit der Aussprache bestimmter Laute haben. Zum Beispiel haben monolingual italienisch- und spanischsprachige Kinder Probleme den alveolaren Trill [r] auszusprechen; dieser wird im monolingualen Erwerb sehr spät zielsprachlich produziert (vgl. beispielsweise Navarro Pablo 2007 für das Spanische). Wenn also ein bilinguales Kind Probleme mit der Aussprache von [r] hat, lässt dies nicht unmittelbar den Schluss zu, dass dies mit Bilingualität oder mit einem Einfluss der starken Sprache zu tun hat. Probleme oder Verzögerungen in der Aussprache können vielmehr damit zu tun haben, dass bestimmte Phänomene in einer Sprache relativ komplex sind. So ist der 4.3 Sprachbalance und Spracheneinfluss 95 <?page no="96"?> 1 Die DP besteht minimal aus der Kategorie D bzw. Det, welche Determinanten beherbergt. Die IP besteht aus dem Subjekt und dem finiten Verb (in INFL), welches mit dem Subjekt hinsichtlich bestimmter grammatischer Merkmale (in den romanischen Sprachen Person und Numerus) über‐ einstimmt. Die CP enthält neben nebensatzeinleitenden Elementen, wie z. B. dass und ob (in COMP), auch z.-B. Fragewörter; vgl. Müller und Riemer (1998: Kap. 4). Erwerb des deutschen Vokalsystems deutlich komplexer als der Erwerb des spanischen Vokalsystems, da es im Deutschen mehr Vokale gibt; dies ist aber unabhängig davon der Fall, ob es sich um monolingualen oder bilingualen Erwerb handelt, obwohl es sein kann, dass sich diese Komplexität im bilingualen Erwerb deutlicher bemerkbar macht (siehe dazu Kehoe 2002). Es wurde auch argumentiert, dass das Mischen von Funktionswörtern typischer‐ weise von der starken in die schwache Sprache erfolgt. Bernardini und Schlyter (2004: 63) geben Beispiele von einem französisch-schwedischen Kind mit Dominanz im Schwedischen, in denen es französische Nomen mit einem schwedischen definiten Artikel kombiniert (vgl. in Beispiel 10). Der definite schwedische Artikel wird als Suffix am Nomen realisiert. (10) där bouchen - - there mouth-the (Léo 1; 10) Verläuft das Mischen von Funktionswörtern wie Artikeln unidirektional von der stärkeren Sprache in die schwächere Sprache? Genauso gut könnte es sein, dass das Kind in der schwächeren Sprache gerade die Funktionswörter beherrscht, aber sich alle Inhaltswörter (Nomen, Adjektive, Verben) aus der stärkeren Sprache „entleiht“, weil es in der schwächeren Sprache ein kleineres Lexikon hat. Leopold (1970) beobachtete, dass Hildegard deutsche Nomen mit der englischen Pluralendung produzierte. Solche Pluralbildungen werden auch von dem deutsch-eng‐ lisch bilingualen Kind Quinlan produziert, das dominant im Englischen ist, z. B. Mannas (für „Männer“), Blumes (für „Blumen“), Murmels (für „Murmeln“) (Kupisch 2007c). Bei beiden Kindern ist die Dominanz des Englischen eine mögliche Erklärung für die Kombination deutscher Nomina mit englischen Pluralmorphemen. Die Pluralbildung mit -s ist aber auch eine Regel im Deutschen (z. B. Puzzles, Videos, Echos, Zebras, Taxis, Shampoos). Mit anderen Worten könnte die Kombination deutscher Nomina mit dem Pluralmorphem -s auch auf eine Übergeneralisierung der im Deutschen möglichen (aber im Vergleich zum Englischen weniger häufigen) Regel zurückzuführen sein. Mit dem Begriff der Übergeneralisierung wird die Anwendung einer Regel auf alle durch die Regel prinzipiell erfassten Elemente bezeichnet, d. h. auch auf solche, die in der Zielsprache Ausnahmen zur Regel darstellen. Auch für syntaktische Kategorien wie DP (Determinantenphrase), IP (Flexions‐ phrase) und CP (Komplementiererphrase) wurde argumentiert, dass diese in der schwächeren Sprache später erworben werden als in der stärkeren Sprache (Bernardini und Schlyter 2004). 1 Die Autorinnen schlugen deshalb vor, das Auftreten grammati‐ scher Elemente wie Flexionsendungen (in der IP), nebensatzeinleitende Konjunktionen 96 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="97"?> (in der CP) und Artikel (in der DP), welche als Evidenz für den Erwerb dieser Kategorien gelten können, als Kriterium für die Bestimmung von Sprachbalance heranzuziehen. Wie jedoch beispielsweise für den Determinantenerwerb gezeigt wurde (vgl. Chierchia, Guasti und Gualmini 2000, Lleó und Demuth 1999, Kupisch 2006a), variiert das Alter beim ersten Auftreten dieser Elemente im monolingualen Erwerb von Sprache zu Sprache. Deshalb sollte man davon absehen, Sprachdominanz auf der Basis grammatischer Phänomene zu bestimmen oder zumindest auch einen Vergleich mit monolingualen Kindern vorzunehmen (vgl. Cantone et al. 2008). Die hier illustrierte Problematik besteht also darin, dass das Auftreten von spezifi‐ schen phonologischen, morphologischen und syntaktischen Kriterien zur Messung des Sprachstands nicht immer besonders geeignet sind, da deren Komplexität von Sprache zu Sprache variieren kann. 4.3.4 Die schwächere Sprache und der sukzessive Spracherwerb Einige Sprachwissenschaftler: innen waren der Ansicht, dass der Erwerb der schwäche‐ ren Sprache dem Erwerb einer Zweitsprache ähnelt (z. B. Pfaff 1992 und Schlyter 1993). Schlyter (1993) charakterisierte dabei die schwächere Sprache mit den nachfolgenden Eigenschaften, die bereits aus den vorangehenden Abschnitten bekannt sind. • Manche grammatischen Phänomene werden nicht erworben oder nur sehr wenig verwendet in einem Alter, in dem sie von monolingualen Kindern beherrscht werden. • Die schwächere Sprache ist qualitativ anders als die stärkere: Syntaktisch obli‐ gatorische Funktionswörter werden über einen längeren Zeitraum hinweg und nachhaltiger ausgelassen und abweichend von der Zielsprache verwendet (sichtbar z.-B. an Wortstellungsfehlern). • Gemischtsprachliche Äußerungen erscheinen ausschließlich oder weitaus häufiger in der schwächeren Sprache als in der stärkeren und Elemente werden unidirek‐ tional von der stärkeren in die schwächere Sprache gemischt. • Transfer, d. h. die Übertragung von Sprachwissen in die jeweils andere Sprache (vgl. Kap. 2), erfolgt ebenfalls unidirektional von der stärkeren in die schwächere Sprache. • Das Lexikon der schwächeren Sprache ist weniger umfangreich als das Lexikon der stärkeren Sprache. • In der schwächeren Sprache machen Kinder häufiger Gebrauch von Wendungen und Sprachroutinen als in der stärkeren Sprache, d. h. bestimmte Elemente werden nicht produktiv beherrscht. Einige dieser Eigenschaften, z. B. das Auftreten von Transfer, erinnern im ersten Mo‐ ment an den Zweitspracherwerb, und tatsächlich wurde in der Literatur vorgeschlagen, dass sich die schwächere Sprache wie eine Zweitsprache entwickelt. Die Annahme dieser Parallele ist jedoch umstritten (z. B. Meisel 2001, Müller und Kupisch 2003, Müller 4.3 Sprachbalance und Spracheneinfluss 97 <?page no="98"?> 2 Die Erwerbsaufgabe wird zusätzlich durch die Existenz der folgenden Konstruktionen erschwert: a’. Ich habe ja vielleicht einen Hunger! , b’. Ich habe einen Riesenhunger. Für die Beispiele möchten wir Riccarda Fasanella danken. und Pillunat 2007, Bonnesen 2009). Weitaus häufiger wird die Meinung vertreten, dass die Entwicklung der schwächeren Sprache zwar zeitlich verzögert ist, aber ansonsten der Entwicklung einer Erstsprache gleicht. In der Debatte um diese beiden konträren Positionen ist die Abgrenzung von quantitativen und qualitativen Unterschieden von Bedeutung. Unter quantitativen Unterschieden versteht man in diesem Zusammen‐ hang das nachhaltigere oder zeitlich gesehen längere Auslassen von Elementen, die in bestimmten Kontexten syntaktisch erforderlich sind, in der Zielsprache aber gewissen Regeln folgend auch auslassbar sind. Unter qualitativen Unterschieden versteht man von der Zielsprache prinzipiell abweichende Wortstellungsmuster, Kongruenzfehler oder Erwerbsreihenfolgen, die im monolingualen Erstspracherwerb nicht vorkommen. Was Auslassungen angeht, so wird in den meisten Fällen auf Funktionswörter wie z. B. Subjektpronomina, Kopulaverben oder Determinanten Bezug genommen. Aus zwei Gründen spricht man hier von quantitativen Unterschieden. Erstens werden die entsprechenden Elemente auch von monolingualen Kindern ausgelassen; zweitens sind Auslassungen in bestimmten Kontexten sogar erforderlich. Die Erwerbsaufgabe besteht also darin herauszufinden, in welchen Kontexten die Auslassung erforderlich ist. Zum Beispiel müssen einige abstrakte Nomina im Deutschen undeterminiert blei‐ ben (vgl. 12a vs. 12b), während zählbare Singularnomina stets von einer Determinante begleitet werden (vgl. 11a vs. 11b sowie 8.2.1). (11) a. Ich habe ein Glas gesucht - b. *Ich habe Glas gesucht - (12) 2 a. *Ich habe den / einen Hunger - b. Ich habe Hunger Sowohl monoals auch bilinguale Kinder lassen Determinanten zunächst auch in solchen Kontexten aus, in denen sie obligatorisch sind, und in ihrer schwächeren Sprache tun sie das häufiger und über einen längeren Zeitraum als in der stärkeren Sprache (allerdings kann die Auslassungsrate auch mit der Zielsprache variieren, vgl. z. B. Kap. 8.2.2 und 8.2.3). Es steht also außer Frage, dass sich in dieser Hinsicht quantitative Unterschiede zwischen schwächerer Sprache und stärkerer Sprache be‐ merkbar machen. Laut Clahsen und Muysken (1986) sind die Unterschiede Erst- und Zweitspracherwerb jedoch nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Natur. Genau dieser Unterschied wurde auch zwischen dem balanciert bilingualen Spracher‐ werb einerseits und dem unbalanciert bilingualen Erwerb andererseits angenommen. Beispielhaft für die Untersuchung dieser Annahme sind die Arbeiten von Schlyter (1993, 1994), Pfaff (1992) und Bonnesen (2009) zu nennen, die wir im Folgenden vorstellen. 98 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="99"?> 3 Ein Morphem ist die kleinste, in ihren verschiedenen Vorkommen als formal einheitlich identifizier‐ bare Folge von Segmenten, der (wenigstens) eine als einheitlich identifizierbare außerphonologische Eigenschaft zugeordnet ist (Wurzel 1984: 38). So ist die außerphonologische Eigenschaft von -en in bauen, rasen, gehen im Deutschen, den Infinitiv zu bilden. Die außerphonologische Eigenschaft von -er in Bäcker, Bauer, Kellner im Deutschen kann mit der Ausübung des Berufes verbunden sein. 4 Finitheit wird durch finite Verben ausgedrückt. Diese Verben kongruieren in vielen Sprachen mit dem Subjekt hinsichtlich der grammatischen Merkmale Person und Numerus. Schlyter (1993, 1994) führte eine Longitudinalstudie mit sechs bilingual franzö‐ sisch-schwedischsprachigen Kindern durch, von denen drei Kinder stärker im Franzö‐ sischen und drei Kinder stärker im Schwedischen waren. Die Entwicklungsgeschwin‐ digkeit wurde am MLU, dem Auftreten grammatischer Morpheme 3 (z.-B. pronominale Subjekte) sowie der Wortstellung und der Markierung von Finitheit festgemacht 4 . Betrachten wir nun den Aspekt der Wortstellung genauer. Schlyter beobachtete, dass finite Verben von Kindern mit Schwedisch als schwächerer Sprache oftmals von der Zielsprache abweichend platziert wurden. Dies wurde auch für Zweitsprachen‐ lernende des Schwedischen dokumentiert, aber nicht für den Erspracherwerb. Das Schwedische ist wie das Deutsche eine Verb-Zweit-Sprache, in der das finite Verb immer nach der ersten Konstituente stehen muss, auch wenn ein anderes Element als das Subjekt die erste Satzposition einnimmt, wie in (13). Bei Zweitsprachenlernern sind Verb-Dritt-Stellungen wie z. B. in (14) belegt. (Zur Veranschaulichung ist das finite Verb in den folgenden Beispielen hervorgehoben.) (13) Nu bur jag i Lund - Jetzt wohne ich in Lund - (14) *Nu katten äter strömming - Jetzt die Katze isst den Hering Die nachfolgenden Beispiele (15) und (16) aus Schlyter (1994: 53) zeigen, dass auch die unbalancierten bilingualen Kinder Probleme mit der korrekten Platzierung finiter Verben hatten. (15) *Här den ska sova - Hier es soll schlafen - (16) *Sen flickan gå - Dann das Mädchen gehen Einerseits legen diese Daten den Schluss auf eine Parallele zwischen Zweitspracher‐ werb und der schwachen Sprache nahe. Andererseits wurde jedoch gezeigt, dass Verbstellungsfehler dieser Art auch von balancierten bilingualen Kindern gemacht werden, wie in den Beispielen unter (17) aus Müller (1993: 149). Das Kind Ivar, das mit Französisch und Deutsch aufwuchs, wurde während des Untersuchungszeitraumes als balanciert eingestuft (vgl. auch Meisel und Müller 1992). 4.3 Sprachbalance und Spracheneinfluss 99 <?page no="100"?> 5 Die Sprachdaten von Ch_d entstammen dem Forschungsprojekt „Frühkindliche Zweisprachigkeit: Italienisch-Deutsch und Französisch-Deutsch im Vergleich“. (17) a. Jetz ich brauch das (Ivar 2; 7,17) - b. Da de(r) wohnt (Ivar 2; 8,15) - c. Messer ich hab (Ivar 2; 10,24) Deshalb kann dieser quantitative Unterschied nicht als einschlägige Evidenz für eine Parallele zwischen der schwächeren Sprache und dem Zweitspracherwerb im Gegensatz zum balancierten bilingualen Erwerb gewertet werden. Auch Pfaff (1992) postulierte eine Parallele zwischen dem erwachsenen L2 Erwerb und der schwächeren Sprache. In ihrer Studie untersuchte sie 22 türkischsprachig und fünf deutschsprachig aufwachsende Kinder sowie vier Kinder aus gemischtsprach‐ lichen Ehen in Berlin. Alle Kinder besuchten zwischen 0; 6 und 1; 8 eine bilinguale deutsch-türkische KITA, in der die Kindergärtnerinnen ihre jeweilige Muttersprache (Deutsch oder Türkisch) mit den Kindern sprachen (vgl. Kap. 3.2.4). Die große Mehrheit der Kinder wurde aufgrund ihrer Sprachwahl und aufgrund der Angabe des Türkischen als Familiensprache als türkisch-dominant eingestuft. Pfaff verglich die sprachliche Entwicklung des Deutschen von zwei türkisch-dominanten Kindern mit der eines mo‐ nolingual deutschen Kindes. Aufgrund von Problemen mit der Artikelverwendungen und Kongruenz wurde eine Ähnlichkeit zwischen der schwächeren Sprache und dem Zweitspracherwerb postuliert. Die türkisch-dominanten Kinder ließen Artikel häufiger und nachhaltiger aus als das monolingual deutsche Kind. Wie zuvor angemerkt, kann diese Beobachtung jedoch nicht als qualitativer Unterschied gewertet werden, da Artikel auch von monolingualen Kindern ausgelassen werden, und das Zielsystem in bestimmten Kontexten sogar Auslassungen verlangt (vgl. Kap. 8.2.1). Mit Hinblick auf Kongruenzmorpheme an Kopula- und Auxiliarverben zeigte Pfaff, dass die Verben sein und haben fast ausschließlich in der dritten Person und meistens im Singular verwendet wurden. Wie bei der Verbstellung im Falle von Schlyter handelt es sich allerdings um eine Beobachtung, die auch für monolinguale Kinder gemacht wurde. Die nachfolgenden Beispiele des monolingualen Kindes Ch_d 5 in (18) illustrieren solche Kongruenzfehler: (18) a. das is hühner (Ch_d 2; 8) - b. du hat eine uhr gemacht (Ch_d 2; 10) Bonnesen untersucht zwei französisch-deutschsprachige Kinder mit Hinblick auf die Realisierung und Auslassung von Subjektklitika, Subjektauslassungen und Negation. Der Ausgangspunkt für diese Untersuchungen ist die Beobachtung, dass L2-Lerner (sowie einige bilinguale Kinder mit Französisch als schwächere Sprache) in diesem Bereich Fehler machen, die für den monolingualen Erwerb des Französischen nicht dokumentiert sind. Hierzu gehört die postverbale Negation (z. B. *va à la piscine pas), die Kombination von Subjektklitika mit Verben im Infinitiv (z. B. *je aller), und 100 4 (Un)balancierte Mehrsprachige <?page no="101"?> nachhaltige Subjektauslassungen (d. h. mit einem Alter, in dem monolinguale Kinder solche Auslassungen nicht mehr aufweisen). Bonnesen zeigt für beide Kinder, dass sie sich im Großen und Ganzen wie einsprachig französische Kinder verhalten, obwohl sich ihr Französisch deutlich langsamer entwickelt als ihre stärkere Sprache, das Deutsche. Die Beispiele verdeutlichen, dass die postulierte Parallele zwischen der schwächeren Sprache und dem Zweitspracherwerb mit Vorsicht betrachtet werden muss. Zwei Aspekte sind wichtig: Erstens kann nicht jedes Phänomen, was auf den ersten Blick auffällig erscheint, als qualitativer Unterschied (zur Zielsprache, zum Erstspracher‐ werb, und zur Entwicklung der stärkeren Sprache) gewertet werden. Zweitens wurden von der Zielsprache qualitativ abweichende Phänomene auch für balanciert bilinguale und monolinguale Erstspracherwerber: innen dokumentiert. Im Übrigen wurde auch kontrovers diskutiert, dass Erst- und Zweitspracherwerb grundsätzlich verschieden sind (vgl. Kap. 2.2). 4.4 Fazit Der Begriff der Sprachdominanz ist der am meisten verwendete Begriff, wenn aus‐ gedrückt werden soll, dass sich die beiden Sprachen eines bilingualen Kindes unter‐ schiedlich schnell entwickeln. Es gibt bis heute weder eine einheitliche Definition des Begriffs, noch hat man festgelegt, wie groß der Unterschied zwischen zwei Sprachen sein muss, um von "Dominanz" zu sprechen. Bilinguale Sprecher: innen unterhalten sich manchmal mehr und lieber in einer Sprache und sind auch eher geneigt aus dieser Sprache zu mischen. Hier scheint also eine Sprachpräferenz vorzuliegen. Es ist allerdings fraglich, ob man auch auf eine Dominanz schließen kann. In diesem Kapitel haben wir deshalb vorgeschlagen, wie in jüngeren Studien, mehrere Kriterien, wie beispielsweise Wortschatzgröße in Kombination mit MLU, heranzuziehen. Ferner haben wir gezeigt, dass man, auch wenn eine Dominanz eindeutig vorliegt, nicht davon ausgehen kann, dass der Spracheneinfluss immer von dieser Sprache ausgeht. Vielmehr scheint der Spracheneinfluss von sprachinternen Faktoren zumindest mitbestimmt zu werden. Wir schließen diesen Abschnitt mit der Beobachtung, dass es durchaus natürlich ist, dass bilinguale Kinder ihre Sprachen nicht gleich schnell entwickeln, sondern dass stark balancierte Kinder die Ausnahmen darstellen. Ob man jedoch automatisch von Sprachdominanz sprechen muss, sobald sich ein Sprachunterschied bemerkbar macht, ist fraglich. Dieses Kapitel hat auch verdeutlicht, dass der Begriff der Sprachdominanz immer noch klärungsbedürftig ist und in zukünftigen Studien noch klarer definiert werden sollte. 4.4 Fazit 101 <?page no="103"?> 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen: Sprachentrennung, Spracheneinfluss und Sprachmischungen im bilingualen Kind In diesem Kapitel werden wir Bereiche vorstellen, die nur in einer mehrsprachigen kindlichen Sprachentwicklung beobachtet werden können: die Sprachentrennung, der Spracheneinfluss (vgl. vertieft Kap. 6 bis 8) und die Sprachmischung. Wie wir zeigen werden, sind die letzten beiden Begriffe gesellschaftlich aber auch in den Anfängen der Mehrsprachigkeitsforschung überwiegend aus einer negativen Perspektive betrachtet worden, nämlich unter der Annahme, dass Kinder aufgrund ihrer Zweisprachigkeit Phänomene überwinden müssen, um „gute“ Sprechende zu werden. Wir werden hingegen zeigen, dass diese Bereiche nur bedingt einer Entwicklung unterliegen und sie vielmehr die frühen Fähigkeiten bilingual aufwachsender Kinder unterstreichen. Wir beginnen dieses Kapitel mit der im Jahre 1978 veröffentlichten Arbeit von Taeschner und Volterra zum Spracherwerb bei bilingualen Kindern, die bis heute sowohl national als auch international dazu geführt hat, dass das Thema der Sprachen‐ trennung und nicht das des Spracheneinflusses im bilingualen Individuum vorrangig betrachtet wird. Noch immer wird diskutiert, (a) wie die beiden Sprachsysteme im Gehirn bilingualer Kinder organisiert sind, und (b) wie sie gebraucht werden. 5.1 Das fusionierte System: Lexikon und Syntax Die Position von Volterra und Taeschner (1978) ging in die Literatur als das „Drei-Pha‐ sen-Modell“ ein. Demnach verläuft der bilinguale Erstspracherwerb in drei Phasen. Die erste Phase ist durch die Existenz eines Lexikons charakterisiert, das Wörter aus beiden Sprachen enthält. Während der zweiten Phase bildet das bilinguale Kind zwei Lexika heraus, das syntaktische Regelwerk ist jedoch noch nicht sprachspezifisch, d. h. es existiert ein einziges syntaktisches System. Die dritte Phase zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind nun über zwei Sprachsysteme verfügt, welche sowohl im lexikalischen als auch im syntaktischen Bereich als differenziert gelten dürfen. Schauen wir auf die Daten, die als Belege für die Existenz der drei Phasen aufgeführt wurden. 5.1.1 Die erste Entwicklungsphase: Fokus auf fehlende Übersetzungsäquivalente Die in der Studie untersuchten Mädchen Lisa und Giulia (vgl. Kap. 3.3.1) durchlaufen die erste Phase, die sich bei Lisa in der Sprachaufnahme mit 1; 11 und bei Giulia in der Sprachaufnahme mit 1; 6,15 zeigt. Die Daten wurden mit dem Spracherwerb von <?page no="104"?> 1 Es ist hier jedoch zu bedenken, dass die Annahme einer Spracherwerbsphase auf der Basis von nur einer Sprachaufnahme wenig angemessen erscheint (vgl. auch Poeppel und Wexler 1993 zum Erwerb der deutschen Wortstellung auf Basis einer einzige Sprachausfnahme des Kindes Andreas). Leopolds Tochter Hildegard verglichen (vgl. Kap. 3.3.1). Bei ihr repräsentiert die erste Phase eine Aufnahme im Alter von 1; 6. 1 Die nachfolgende Tabelle 1 aus Volterra und Taeschner (1978: 313) zeigt die Anzahl der Wörter im Deutschen, Italienischen und Englischen (bei Hildegard), wobei Wörter, die sowohl formal als auch mit Hinblick auf ihre Bedeutung in beiden Sprachen eng verwandt sind, extra gezählt wurden (DI für die deutsch-italienischen Wörter und DE für die deutsch-englischen Wörter). Ein Beispiel für eng verwandte Wörter im deutsch-italienischen Lexikon der Kinder ist Kaka / cacca, im deutsch-englischen Lexikon Schuh / shoe. Kind Dt. Ital./ Engl. DI/ DE Lisa Giulia Hildegard 25 33 24 38 (44%) 27 (33%) 36 (41%) 24 22 29 Tabelle 1. Anzahl der Wörter pro Sprache bei den deutsch-italienischsprachigen Kindern Lisa und Giulia und dem deutsch-englischsprachigen Kind Hildegard Welche Evidenz wird für die Annahme eines fusionierten Lexikons angeführt? Zu‐ nächst beobachten die Forscherinnen, dass die Kinder keine oder nur sehr wenige Äquivalente haben. Als Äquivalente werden solche Wörter bezeichnet, die eine identische Bedeutung haben: Bsp. dt. Zug - ital. treno. Den beobachteten Mangel an Äquivalenten vergleichen die Autorinnen mit dem Mangel an Synonymen im Lexikon von monolingualen Kindern; ein Mangel, der in der Literatur oftmals auf Clarks (1987) principle of contrast zurückgeführt wird, wonach Kinder während früher Entwicklungsphasen die Tendenz haben, formal unterschiedlichen Sprachelementen eine unterschiedliche Bedeutung zuzuweisen, also Synonyme zu vermeiden. Bei mehr‐ sprachigen Kindern führt ein Mangel an Äquivalenten dazu, dass sie beispielsweise im italienischen Sprachkontext ein deutsches Wort verwenden. Sie mischen also ihre Sprachen. In der Literatur wird bis heute diskutiert, ob diese frühen Sprachmischungen tatsächlich aufgrund eines Mangels an Äquivalenten zustandekommen oder aber eine Art von code-switching (vgl. Kap. 4.2.1.5) darstellen, wie sie auch bei erwachsenen mehrsprachigen Sprecher: innen auftreten (vgl. Genesee 1989). Eine weitere Beobachtung, die Volterra und Taeschner (1978) als Evidenz für ein fusioniertes Lexikon werten, ist die unterschiedliche Häufigkeit von Äquivalenten in den beiden Sprachen. So ist das dt. ja in den Daten frequenter als das ital. sì. Jedoch muss auch diese Art der Evidenz hinterfragt werden, da die Kinder oftmals während früher Erwerbsphasen eine dominante Sprache haben (vgl. Kap. 4). Das Äußern vom dt. ja im italienischen Kontext könnte als eine Sprachmischung angesehen werden, und laut Genesee (1989: 163 f.) treten Sprachmischungen besonders häufig während früher 104 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="105"?> 2 Auch französisch-italienischsprachige bilinguale Kinder (im Beispiel von Ju_fi, die in Paris aufwächst und nie einen deutschen Input hatte) benutzen ja, obwohl diese Sprachform nicht in den Erwachse‐ nensprachen existiert. Es könnte sich also bei der Verwendung von ja im falschen Sprachkontext bei den italienisch-deutschsprachigen Kindern um einen ähnlichen Fall wie bei da handeln, welches auch von Kindern in Sprachen benutzt wird, die keine Evidenz für die Sprachform im Input liefern. Wir danken Riccarda Fasanella für diese Beobachtung: Vater: dai un po‘ da bere al bebè? / col bicchiere o colla tazza? / Ju_fi: ja ja / Vater: sì? / 3 Vgl. auch u.-a. Muysken (1995, 2000), Cantone (2007), Müller et al. (2015). Entwicklungsstadien auf: „rates of mixing vary considerably from study to study and from case to case. Mixed utterances are reportedly more frequent in early stages of bilingual development and diminish with age […].“ 2 Als Sprachmischung oder language mixing bezeichnet man im Allgemeinen Wörter, Sätze oder Kontexte, in denen zweisprachige Individuen ihre beiden Sprachen gleich‐ zeitig benutzen. 3 Während code-mixing überwiegend als etwas Negatives verstanden und im Zusammenhang mit zweisprachigen Kindern im Verlauf des Spracherwerbs gebraucht wird, beschreibt code-switching das Phänomen, dass Zweisprachige während einer Unterhaltung oder innerhalb eines Satzes ihre beiden Sprachen gleichzeitig benutzen. Nach Meisel (1994b: 415) handelt es sich hierbei um eine Fähigkeit, die gewünschte Sprache in Abhängigkeit von u. a. den Gesprächspartner: innen, des situativen Kontexts und des Gesprächsthemas auszuwählen, und nicht um ein Defizit. Er betont weiter, dass das sog. code-switching die grammatischen Beschränkungen der involvierten Sprachen befolgt und in Übereinstimmung mit soziolinguistischen Regeln erfolgt. Auch Volterra und Taeschner (1978: 317) belegen solche gemischtsprachlichen Äußerungen, z. B. Zwei-Wort-Äußerungen vom Typ treno kaputt. Sie interpretieren diese aber als Evidenz für ein fusioniertes Lexikon: Therefore the use of one language or the other depends upon what the child wants to say and not so much on the language spoken to him. In this phase the few twoto three-word constructions appear as a mixture of words taken from both languages, and it is difficult to make any assessment concerning syntax. In practice, the bilingual child speaks only one language which is a language system of his own. Obwohl die Annahme, dass Sprachmischungen auf ein fusioniertes Sprachsystem zurückzuführen sind, stark kritisiert wurde, gehen die Autorinnen Deuchar und Quay davon aus, dass zumindest in der ersten Phase des Spracherwerbs Wörter aus den beiden Sprachen in einem einzigen, fusionierten Lexikon enthalten sind. Quay (1995) und Deuchar und Quay (1998, 2000) untersuchten den Spracherwerb eines spanisch-englischsprachigen Kindes und fanden in ihren Sprachdaten bereits im Alter von 11 Monaten Übersetzungsäquivalente. Diese sahen sie jedoch nicht als ausreichenden Beleg gegen die Existenz eines fusionierten Lexikons an (Deuchar und Quay 2000: 64). Ein Aspekt, der Volterra und Taeschners Annahme eines fusionierten Lexikons schwächt, ist wie weiter oben erwähnt die Tatsache, dass die erste Entwicklungsphase 5.1 Das fusionierte System: Lexikon und Syntax 105 <?page no="106"?> auf nur einer Sprachaufnahme basiert. Besser wäre es, wenn sich das Kind mit dem deutschen bzw. italienischen Interaktionspartner: innen in unterschiedlichen Spielsi‐ tuationen befindet und mehrere Sprachaufnahmen nach bestimmten Kriterien (eines könnte der MLU sein, vgl. Kap. 4) zu einer Entwicklungsphase zusammengefasst werden. Ein solches Vorgehen wendet Cantone (2007) an. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die bilingual deutsch-italienischsprachigen Kinder durchaus eine Reihe von Äquivalenten produzieren. Die Kinder kennen selbst zu denjenigen Wörtern das Wort in der jeweiligen anderen Sprache, welche im „falschen“ Sprachkontext gebraucht werden, also die vom Kind gemischt wurden. Das heißt, wenn das Kind im Deutschen das Wort treno benutzt hat, kann dies nicht auf das Nicht-Kennen des Wortes Zug zurückgeführt werden. Ca_di (1; 8,28-2; 3,17) und Lu_di (1; 7,12-2; 1,23) weisen während der ersten Entwicklungsphase einen MLU von ≤ 2 auf. Als gemischte Äußerungen wurden z. B. un katze (Lu_di, 2; 1,3) „eine Katze“ und eine grotta (Ca_di 2; 3,2) „eine Höhle“ gezählt, also Äußerungen, die Elemente aus beiden Sprachen enthalten. Die Tabelle 2 zeigt zunächst einmal, dass beide Kinder in der Mehrzahl der Fälle die jeweils geforderte Sprache sprechen. Es deutet sich also schon hier an, dass die Annahme falsch ist, dass bilinguale Kinder zunächst, wie im obigen Zitat formuliert, nur eine einzige Sprache sprechen. Kind Deutsche Aufnahme Italienische Aufnahme Ca_di 76% dt / 5% it / 19% gemischt 95% it / 0% dt / 5% gemischt Lu_di 97% dt / 0% it / 3% gemischt 70% it / 2% dt / 28% gemischt Tabelle 2. Einsprachige und gemischtsprachliche Äußerungen bei deutsch-italienisch bilingualen Kin‐ dern im Alter von ca. 1; 8 bis ca. 2; 2, aus Cantone (2007: 126) Berücksichtigt man den Zeitpunkt, zu dem das jeweilige Äquivalent zu einem deut‐ schen Wort im italienischen Kontext (also ein gemischtes Wort) auftritt, wie in Tabelle 3 abgebildet, bzw. umgekehrt das jeweilige Äquivalent zu einem italienischen Wort im deutschen Kontext, wie in Tabelle 4 gezeigt, ist die Annahme, dass bilinguale Kinder nur ein einziges lexikalisches System haben, schlichtweg falsch. Wir sehen, dass beide Kinder das jeweilige Äquivalent zu ihren gemischten Wörtern kennen, sie benutzen es also einfach nicht im gewünschten Sprachkontext. Kind It. Wörter erscheinen Kein Äquivalent Ca_di (14) gleichzeitig 36% - vorher 43% - nachher 7% 14% Lu_di (70) gleichzeitig 13% - vorher 13% - nachher 18% 56% Tabelle 3. Italienische Äquivalente zu deutschen (=gemischten) Wörtern im italienischen Kontext, aus Cantone (2007: 140) 106 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="107"?> Kind Dt. Wörter erscheinen Kein Äquivalent Ca_di (60) gleichzeitig 15% - vorher 18% - nachher 15% 52% Lu_di (27) gleichzeitig 7% - vorher 26% - nachher 4% 63% Tabelle 4. Deutsche Äquivalente zu italienischen (=gemischten) Wörtern im deutschen Kontext, aus Cantone (2007: 140) Tabelle 3 bezieht sich auf den italienischen, Tabelle 4 auf den deutschen Kontext. Sie sind wie folgt zu lesen: Ca_di hat während des Untersuchungszeitraums 14 deutsche Wörter im italienischen Kontext gebraucht. Für diese Sprachmischungen ließ sich nachweisen, dass es in 36% der Fälle das entsprechende italienische Wort in derselben Aufnahme, in der das gemischte deutsche Wort auftrat, verwendet hat. In 43% der Fälle erschien das italienische Wort sogar vor dem gemischten deutschen Wort und in 7% der Fälle in einer folgenden Sprachaufnahme. In 14% der Fälle war das Äquivalent sowohl in der Sprachaufnahme, die das gemischte Wort enthielt, als auch in vorangehenden und nachfolgenden Sprachaufnahmen nicht vorhanden. Diese letzte Spalte müsste den Wert 100% beinhalten, wenn Volterra und Taeschner (1978) mit ihrer Annahme recht hätten, dass das Kind über keine Äquivalente verfügt. Wir müssen an dieser Stelle zudem einwenden, dass die Beobachtung, dass das jeweilige Äquivalent in den Sprachaufnahmen nicht nachgewiesen werden konnte, noch lange nicht bedeutet, dass das Kind es nicht kennt. Bei Beobachtungsstudien (von spontanen Sprachproduktio‐ nen) darf die Abwesenheit einer Sprachform nicht als Beleg dafür gewertet werden, dass das Kind über die Sprachform nicht verfügt. Es könnte sie auch aufgrund der Abwesenheit entsprechender Referenzobjekte und Situationen nicht benutzt haben. Wortäquivalente sind nicht nur deshalb ein wichtiger Untersuchungsgegenstand in der Spracherwerbsforschung, weil sie als Beleg für die Sprachentrennung im bilingualen Kind gelten, sondern auch, weil damit die Möglichkeit ausgeräumt werden kann, dass kleine Kinder nur deshalb mischen, weil ihnen das Äquivalent in der entsprechenden Sprache fehlt („lexical gap“). Kann man zeigen, dass das Kind Äquivalente zu den Wörtern produziert, die es mischt, so kann man ausschließen, dass es gemischt hat, um eine lexikalische Lücke zu füllen. Wenn ein Kind das der Kontextsprache entsprechende Wort verwendet, obwohl belegt ist, dass es das Wort auch in seiner anderen Sprache bereits kennt und verwendet, so ist der Rückschluss erlaubt, dass das Kind die Sprachwahl der Situation und dem Gesprächspartner: innen entsprechend ausrichten kann. Wortäquivalente sind auch in Studien über trilinguale Kinder belegt. Hier wird nicht nur nach Doubletten, sondern auch nach Tripletten gesucht. In ihrer Studie zum trilingual (Englisch/ Spanisch/ Tagalog) aufwachsenden Kind Kathryn hat Montanari (2010: 17 ff.) insgesamt 44 Doubletten und 10 Tripletten im Zeitraum zwischen 1; 4-2; 9 nachgewiesen. Cantone (2018) fand in dem von ihr untersuchten dreisprachigen Kind Aurelia (Deutsch war die Umgebungssprache, die Mutter sprach Italienisch, der 5.1 Das fusionierte System: Lexikon und Syntax 107 <?page no="108"?> 4 Vgl. zu Selbstkorrekturen bei deutsch-spanisch bilingualen Erwachsenen und Kindern (im Vergleich zu monolingualen) auch Di Venanzio (2016). Sie zeigt, dass bereits zweijährige Kinder ihre Sprach‐ produktion überprüfen und zielsprachlich korrigieren können. Vater Türkisch) im Zeitraum zwischen 1; 0 und 1; 8 mittels Tagebucheinträgen der Mutter (nicht nach Interaktionsperson sortiert) insgesamt 34 Doubletten (18 zwischen Italienisch und Deutsch, 12 zwischen Italienisch und Türkisch und vier zwischen Deutsch und Türkisch) und 8 Tripletten. Die folgende Tabelle 5 stellt letztere dar, wobei die Spalten die Reihenfolge des Auftretens widerspiegeln, italienische Lexeme kursiv und türkische unterstrichen wiedergegeben werden. Ersterscheinung Zweiterscheinung Dritterscheinung tasche (1; 3) borsa (1; 5) ҫanta (1; 6) mon (=mond) (1; 4) luna (1; 5) aydede (Kindersprache) (1; 6) mela (1; 3) elma (1; 4) apfel (1; 7) meme(k) (=ekmek) 1; 3 pane (1; 5) brot (1; 7) cremin(ə) (1; 7) crem (=creme) (1; 7) crem (1; 7) papta (=papera) (1; 2) ente (1; 6) ördek (1; 8) alle 1; 3 finito (1; 8) bitti (1; 8) ppello (1; 6) mütze (1; 7) şapka (1; 8) Tabelle 5. Tripletten und ihr Erscheinen beim dreisprachigen Kind Aurelia im Zeitraum 1; 0-1; 8 aus Cantone (2018) Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Erforschung von Sprachentrennung liegt in der Kontrolle des sprachlichen Kontextes (vgl. Kap. 3). Köppe (1996, 1997) konnte in ihrer Arbeit zu deutsch-französischsprachigen bilingualen Kindern zeigen, dass sich die Kinder sehr früh darüber im Klaren sind, dass es in ihrer Umgebung zwei Sprachen gibt. Dies wird daran deutlich, dass die meisten Äußerungen der Kinder eine adäquate Sprachwahl aufweisen. Die Prozentzahlen variieren von Kind zu Kind und liegen zwischen 50—95% (Köppe 1997: 124). Einen ähnlich hohen Grad an korrekter Sprachwahl im von den Forschenden vorgegebenen Sprachkontext hat auch Cantone (2007: 126-128) nachgewiesen: Die von ihr untersuchten deutsch-italienisch bilingualen Kinder zeigten in der frühen Phase (1; 8 bis ca. 2; 4) eine adäquate Sprachwahl für 49% bis 99% aller Äußerungen. Köppe (1997) diskutiert, welche Strategien die Kinder nach einer unangemessenen Sprachwahl verfolgen, wie z. B. Übersetzungen, Selbstkorrekturen oder metalinguistische Kommentare. 4 Diese Strategien sind ebenfalls ein Beleg dafür, dass die Kinder sich bewusst sind, die im Kontext „falsche“ Sprache benutzt zu haben. 108 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="109"?> 5.1.2 Die zweite Entwicklungsphase: Fokus auf getrennte Lexika Die zweite Entwicklungsphase ist laut Volterra und Taeschner (1978: 317) durch die Existenz von zwei lexikalischen Systemen charakterisiert, was an der Beobachtung festgemacht wird, dass in den Sprachdaten der Kinder nun Äquivalente auftreten. Ferner lassen sich so genannte Übersetzungsäquivalente nachweisen, wie das nachfol‐ gende Beispiel aus Volterra und Taeschner (1978: 318, Bsp. 27) zeigt: (1) Italienischer Vater: Questa è una molletta - - Das ist eine Klammer - Giulia (2; 3): No, non è molletta, è eine Klammer Die Trennung der lexikalischen Systeme führt nicht automatisch zur Trennung der syntaktischen Systeme, wie die Abbildung 1 zeigt. Die Autorinnen argumentieren, dass die Kinder während der zweiten Entwicklungsphase noch über ein einziges syntaktisches System verfügen, welches sie auf beide Sprachen anwenden (vgl. Volterra und Taeschner 1978: 320). 2 synt. Systeme 1 syntak�sches System 1 lexikalisches System 2 lexikalische Systeme 1 syntak�sches System 1 lexikalisches System 2 synt. Systeme 1 syntak�sches System 1 lexikalisches System 2 lexikalische Systeme 2 lexikalische Systeme Phase 1 Phase 2 Phase 3 Abbildung 1. Das Drei-Phasen-Modell von Volterra und Taeschner Die Existenz von nur einem syntaktischen System wird anhand von Konstruktionen diskutiert, die sich im Deutschen und Italienischen unterscheiden: Possessivkonstruk‐ tionen, die Stellung des attributiven Adjektivs und die Positionierung der Markierung für Negation. Im Folgenden sollen die einzelnen Bereiche vorgestellt werden. Dabei wird besonders auf den von den Autorinnen postulierten Unterschied zwischen den beiden Erwachsenensystemen geachtet. Possessivkonstruktionen werden im Deutschen in der Regel mit einem im Genitiv stehenden Possessor (Besitzer) und dem Possessum (Besitz) am rechten Rand des nominalen Syntagmas (Nominalphrase, NP) gebildet: Marias Haare. Im Italienischen existiert die Möglichkeit der Stellung der Possessor-NP links vom Possessum nicht. Hier bleibt allein der Ausdruck des Possessors mit Hilfe einer durch die Präposition di eingeleiteten Präpositionalphrase (PP): i capelli di Maria. Nun muss aber an dieser Stelle eingeräumt werden, dass insbesondere in der deutschen Umgangssprache auch der italienische Konstruktionstyp zu hören ist: die Haare von Maria. Der Ausdruck von Possessivität ist in den Sprachdaten von Lisa und Giulia nun mit Hilfe einer einzigen syntaktischen Konstruktion in beiden Sprachen gleich geregelt, nämlich Possessor + Possessum, Lisa hose, Lisa bicicletta. Beide Kinder gebrauchen auch die 5.1 Das fusionierte System: Lexikon und Syntax 109 <?page no="110"?> 5 Das unflektierte Adjektiv kann in den deutschen Kinderdaten auch pränominal stehen: ein schön blume. Die Generalisierung ist, dass es unflektiert erscheinen muss, sobald es postnominal auftritt. Präposition von bzw. di zum Ausdruck des Possessors. Wichtig für die Argumentation ist das Ergebnis, dass es noch keine sprachspezifische Strategie gibt. Nun ist aus der Spracherwerbsforschung bekannt, dass Kinder in frühen Erwerbsphasen die Verben haben und sein auslassen. Somit ist für eine Äußerung wie Lisa gomma schwer zu entscheiden, ob das Kind nicht Lisa ha una / la gomma ‚Lisa hat ein/ das Radiergummi‘ hat sagen wollen. Dies gilt genauso für die deutschen Konstruktionen Giulia buch, die erwachsenensprachlich als Possessiv-NP Giulias Buch oder auch als satzhafte Possessivkonstruktion Giulia hat ein/ das Buch wiedergegeben werden können. Der Bereich der Possessivkonstruktionen bietet sich demnach nicht für eine Diskussion über ein fusioniertes syntaktisches System an, da sich die Sprachen Deutsch und Italienisch in ihren Ausdrucksmöglichkeiten ähneln. Ein anderer Bereich ist die Adjektivstellung. Hier ist das Deutsche die restriktivere Sprache, da im Deutschen attributive Adjektive ausnahmslos pränominal stehen, das enge Kleid, im Italienischen jedoch, je nach Typ und Semantik des Adjektivs, neben der pränominalen vor allem die postnominale Stellung auftritt: il vestito stretto ‚das Kleid enge‘ - un bel disegno ‚ein schönes Bild‘. Im Deutschen ist die pränominale Position des Adjektivs auch in der Mehrzahl der Fälle in den Kinderdaten anzutreffen, im Italienischen kommen - wie erwartet - auch beide Stellungen vor. Interessant sind nun die wenigen nicht-zielsprachlichen Platzierungen des deutschen Adjektivs, schuhe dunkelbraun und reis gut. Dabei ist das postnominale Adjektiv immer unflek‐ tiert, auch dann, wenn es in pränominaler Stellung schon mit einer (wenn auch nicht immer zielsprachlichen) Flexionsendung auftritt. 5 Im Italienischen finden sich flektierte Pendants zu den nicht-zielsprachlichen Stellungsfehlern mit unflektiertem Adjektiv im Deutschen, z. B. il riso buono. Die Überprüfung der These eines fusionierten syntaktischen Systems ist am Beispiel der Adjektivstellung möglich, jedoch müssen die Sprachdaten der Kinder nicht notwendigerweise als Evidenz für ein einziges syntaktisches System interpretiert werden. Obwohl beide Adjektivstellungen auch in den deutschen Sprachdaten der Kinder auftreten, zeigt sich doch, dass das Adjektiv im Deutschen immer unflektiert ist, wenn es postnominal steht. Dies ist im Italienischen nicht der Fall, woraus abgeleitet werden könnte, dass die Kinder einen Unterschied zwischen den beiden grammatischen Systemen im Bereich der Adjektivstellung vor‐ nehmen. Möglich wäre auch, Konstruktionen wie schuhe dunkelbraun und reis gut als Kopulakonstruktionen mit Auslassung des Kopulaverbs zu analysieren (vgl. Kap. 7.2). In der deutschen Erwachsenensprache sind prädikativ gebrauchte Adjektive stets unflektiert; im Italienischen müssen sie hingegen nach Genus und Numerus flektiert werden. In Kapitel 6.1 werden wir eine alternative syntaktische Analyse vorstellen, die die Sprachentrennung für den Bereich der Adjektivstellung belegt. Die Position der Negation nicht bzw. non ist der dritte Phänomenbereich, den Volterra und Taeschner (1978) als Evidenz für ein einziges Regelsystem anführen. 110 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="111"?> Die Position der Negation ist in beiden Zielsprachen unterschiedlich: Während das italienische non vor das finite (für Person und Numerus flektierte) oder infinite Verb platziert wird - Carlo non beve ‚Carlo nicht trinkt‘ - non aprire! ‚nicht öffnen! ‘ - befindet sich das deutsche nicht vor bzw. hinter dem Verb in Abhängigkeit von Finitheit und Hauptbzw. Nebensatz: Karl trinkt nicht - Karl will nicht trinken - dass Karl nicht trinkt / trinken will… Die bilingualen Kinder Giulia und Lisa benutzen im Deutschen Konstruktionen wie nein ich nicht will, die oberflächlich betrachtet darauf hindeuten könnten, dass nicht die Position von non einnimmt. Jedoch verwenden die Kinder auch Konstruktionen wie fa rompe no ‚macht kaputtmacht nein‘, die im Italienischen nicht zielsprachlich sind. Der Vergleich mit dem Deutschen der Kinder lässt wieder Zweifel an der These aufkommen, dass ein einziges Regelsystem auf beide Sprachen angewandt wird. Es zeigt sich auch für den Bereich der Negation deutlich, dass hier eventuell Spracheneinfluss im Spiel ist, man aber keineswegs behaupten kann, dass die Kinder nur ein einziges Regelwerk anwenden. 5.1.3 Die dritte Entwicklungsphase: Fokus auf getrennte syntaktische Systeme Die dritte Entwicklungsphase ist laut Volterra und Taeschner (1978) durch die Exis‐ tenz von zwei syntaktischen Systemen charakterisiert. Diese wird an den zuvor genannten grammatischen Phänomenbereichen verdeutlicht. Im Bereich der Posses‐ sivkonstruktion verwenden die Kinder nun laut den Autorinnen sprachspezifische Konstruktionen, giulia buch im Deutschen und i capelli di Lisa im Italienischen. Auch bei der Adjektivstellung kann beobachtet werden, dass sich die sprachspezifischen Konstruktionen einstellen, ein kleines haus im Deutschen und un sole rosso ‚eine Sonne rot‘ im Italienischen. Für die Negation finden sich Kontrastpaare ist nicht da die sirene und questa non è la bottiglia no ‚dies nicht ist die Flasche nein‘. Jedoch sprechen die Autorinnen auch von so genannten Interferenzen im selben Zeitraum, aus dem die Belege für die sprachspezifischen Konstruktionen kommen. Diese betreffen auch die bisher betrachteten grammatischen Bereiche (vgl. Volterra und Taeschner 1978: 325): (2) a. Quetto è di Giulia libro ‘Dies ist von Giulia Buch’ (Possessiva) - b. Lisa will nur schuhe dunkelbraun (Adjektivstellung) - c. Quel bianco pecora ‚dieses weiße Schaf ‘ (Adjektivstellung) - d. Ich nicht bin müde (Position der Negation) Diese Beispiele für Interferenzen werden dann wie folgt erklärt: Sie entstehen in soge‐ nannten Konfliktsituationen, wenn beide Sprachen aktiviert sind. Solche Situationen werden dadurch hervorgerufen, dass das bilinguale Kind gleichzeitig mit Personen unterschiedlicher Erstsprachen interagiert oder aber wenn in einer Sprache „Erlebtes“ in der anderen Sprache formuliert werden muss. 5.1 Das fusionierte System: Lexikon und Syntax 111 <?page no="112"?> Zusammenfassend sollen in der dritten Phase dieselben Beispiele, die wir schon in der zweiten Phase beobachten konnten, nicht mehr als Beleg für ein einziges syntaktisches System, sondern für separate syntaktische Systeme, die sich gegenseitig beeinflussen, angesehen werden. Auch wenn es aus erwachsenensprachlicher und nicht-bilingualer Perspektive intuitiv plausibel ist, dass bilinguale Kinder mit mehr‐ sprachigen Situationen Schwierigkeiten haben, haben eine Reihe von Forschungsarbei‐ ten das Gegenteil gezeigt, nämlich dass bilinguale Kinder sehr gute „Sprachwechsler“ sind. Um mit der nach Ansicht der Autorinnen schwierigen bilingualen Situation fertig zu werden, d. h. um zu vermeiden, dass es zu Interferenzen kommt, vermuten Volterra und Taeschner (1978: 325), dass die bilingualen Kinder die beiden Sprachsysteme auf folgende Art und Weise zu trennen versuchen: Die beiden Sprachen werden jeweils mit unterschiedlichen Personen assoziiert. Die Autorinnen sprechen von „to label people with definite languages“ (Volterra und Taeschner 1978: 326), so dass die bilingualen Kinder möglichst selten in die Lage geraten, zwischen den Sprachen und somit zwischen „Wörtern und Regeln“ zu wechseln. Sie automatisieren mit der Assoziation von einer Person mit einer Sprache die Selektion von Wörtern und die sprachspezifischen grammatischen Prozesse. In diesem Kontext würde man erwarten, dass die Kinder Lisa und Giulia während der dritten Entwicklungsphase auch weniger mischen als zuvor; der Beleg bleibt jedoch aus. Am Ende der dritten Entwicklungsphase ist das Kind dann in der Lage, beide ihrer/ seiner Sprachen mit ein und derselben Person zu sprechen. Als wirklich bilingual werden Kinder bezeichnet, die beide Sprachen auch mit einer einzigen Person verwenden können. 5.2 Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss Mit der Position von Volterra und Taeschner (1978) haben wir einen Ansatz ken‐ nengelernt, der davon ausgeht, dass sich Sprachentrennung und Spracheneinfluss gegenseitig ausschließen. Der Zusammenhang zwischen Sprachentrennung und Spracheneinfluss wird auch in den nachfolgend vorgestellten Arbeiten hergestellt, nur umgekehrt. Die beiden Arbeiten von Genesee (1989) und Meisel (1989) waren als Reaktion auf das Drei-Pha‐ sen-Modell von Volterra und Taeschner (1978) gemeint. Beide Autoren zeigen am Beispiel unterschiedlicher Sprachphänomene (Genesee am Beispiel von gemischten Äußerungen, Meisel am Beispiel von einsprachigen Äußerungen), dass bilingual aufwachsende Kinder sehr wohl in der Lage sind, von Beginn an beide Sprachen bzw. Sprachsysteme voneinander zu trennen. Beide Arbeiten kommen zu dem Ergebnis, dass Trennung gerade deshalb anzunehmen ist, weil kein oder wenig Einfluss konsta‐ tiert wird. Ein Zusammenhang zwischen Trennung und Einfluss, nämlich den des gegenseitigen Ausschlusses, wird auch in diesen Arbeiten vermutet. Wir wollen im 112 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="113"?> Folgenden auf diese Arbeiten besonders eingehen, da sie die Bilingualismusforschung in den 1990er Jahren geprägt haben. 5.2.1 Evidenz für getrennte Systeme: Gemischte Äußerungen Genesee (1989) untersucht die Möglichkeit der Existenz eines fusionierten lexikali‐ schen bzw. syntaktischen Systems an gemischtsprachlichen Äußerungen. Zu den lexikalischen Sprachmischungen gehören auch Ein-Wort-Äußerungen. Ein Beispiel wäre, wenn in einem deutsch-italienischen Kontext die deutsche Interviewpartnerin das Kind etwas auf Deutsch fragt und das Kind mit einer Ein-Wort-Äußerung auf Italienisch antwortet. In (3-4) finden sich zwei Beispiele für dieses so genannte inter-sententiale Mischen; in (5) für das intra-sententiale Mischen, d. h. Äußerungen mit Elementen aus zwei Sprachen (im Folgenden als „A“ und „B“ bezeichnet). Die Beispiele sind Cantone und Müller (2005: 209 f.) entnommen. (3) Lu_di: Gialtutte gialle (referiert auf Stifte) - - Gelalle gelb - Deutscher Kontext - Erw: Tutte gialle / tutte le matite gialle hai consumato - - - Alle gelb / alle die stifte gelb hast benutzt - - Lu_di: Was is das denn? / quetto qua! - (nimmt Stift) - - „dieser da ! “ (Lu_di 2; 5,6) - (4) Au_di: Ieio battone (Au_di 2; 5,21) Deutscher Kontext - - Au_di knopf - - - Erw: Was möchtest du habn? - - - Au_di: Battone ieio (o) voio - - - - Knopf Au_di (? ) möchte - - - Erw: Was möchtest du? - - - - Den knopf - - - Au_di: Il battone (=bottone) - - - (5) a. Apfel no (Ca_di 1; 11,12) Deutscher Kontext - - Apfel nein - - - b. Meine libi (Lu_di 2; 1,23) Italienischer Kontext - - Meine bücher - - - c. Mh il fernsehn ( Ja_di 2; 4,15) Italienischer Kontext - - Mh der fernseher - - Sprachmischungen treten auf unterschiedlichen linguistischen Beschreibungsebenen auf. Die in den Beispielen genannten Mischungen sind lexikalischer Natur, da jeweils ganze (vollständig flektierte) Wörter aus beiden Sprachen benutzt werden. Sprachmi‐ schungen können auch die Morphologie betreffen, d. h. grammatische Morpheme 5.2 Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss 113 <?page no="114"?> können gemischt werden. So gebraucht ein deutsch-französisch aufwachsendes Kind — Al_df — die Äußerung: für grattieren (frz. gratter, dt. kratzen). Dieses neu gebildete Verb setzt sich aus einem französischen lexikalischen Morphem — gratt- ‚kratz-‘ — und einem deutschen grammatischen Morphem — -ieren — zusammen (vgl. Müller et al. 2015: 194 ff.). Viele Autoren unterscheiden die in (3-4) und (5) gezeigten Beispiele vom so genannten Mischen auf der Satzebene, wie an dem Titel eines berühmten Artikels von Poplack (1980) Sometimes I‘ll start a sentence in Spanish y termino en español zu sehen ist. Als syntaktische Mischungen werden auch solche Äußerungen bezeichnet, die Sprachelemente aus Sprache A (z. B. Französisch) enthalten, aber ganz offensichtlich der Wortstellung in Sprache B (z. B. Deutsch) folgen, wie bei einem deutsch-französisch aufwachsenden Kind Ce_df: et mami avait la jeté dans le jardin ‚und Mami hatte es geworfen in den Garten‘. Mischungen können auch auf der semantischen Beschreibungsebene sichtbar werden, wie z. B. bei Ce_df: je va te montrer comment bien il a ‚ich werde dir zeigen wie gut er hat‘. Hier hat das Kind die deutsche Konstruktion er hat es gut in das Französische übernommen, wo es eigentlich il va bien heißt. Für pragmatisch motivierte Sprachmischungen möchten wir das Beispiel aus Genesee (1989: 163 in Bezug auf Goodz 1989) übernehmen. Dieser berichtet wie Nellie, englisch-französisch bilingual, besorgt darüber war, dass ihr französischsprachiger Vater ihre Haarspangen weglegen könnte. Zunächst sprach sie ihn auf Französisch an: Laisse les barettes, touche pas les barrettes, Papa! ‚Lass die Spangen, fass die Spangen nicht an, Papa‘. Dann wechselt sie verzweifelt in das Englische und ermahnt ihn: Me’s gonna put it back in the bag so no one’s gonna took it ‚Ich werde sie in die Tasche zurückpacken, damit niemand sie nehmen kann‘. Sprachmischungen, die von Volterra und Taeschner (1978) als Belege für ein fusio‐ niertes lexikalisches/ syntaktisches System im bilingualen Erstspracherwerb angesehen wurden, können also, wie das letzte Beispiel sehr deutlich zeigt, Ausdruck der prag‐ matischen Kompetenz (Köppe 1997) sein. Genesee (1989) betont, dass die kindlichen Sprachmischungen individuellen Unterschieden unterliegen und auch erwerbsphasen‐ abhängig sind, in dem Sinne, dass während früher Erwerbsphasen mehr gemischt wird als später. Die Sprachmischungen der Kinder sind auch abhängig vom erwachsenen Vorbild, d. h., ob die Eltern mischen und wie häufig sie dies tun. Ferner wird vermutet, dass es eine Rolle spielt, ob das Kind (zumindest zeitweise) eine dominante bzw. schwache Sprache hat (vgl. Kap. 4). Auch wird angenommen, dass Kinder von der dominanten Sprache in die schwächere mischen, aber nicht umgekehrt. Wir können hingegen mit Genesee (1989: 165) schlussfolgern, dass „[…] the fact that mixing of two languages occurs during bilingual development has been reported and is accepted by all investigators. More questionable are the explanations of it.“ Die Sichtung der Literatur, wie von Genesee unternommen, führt zu dem Ergebnis, dass eine Kontextanalyse für die Einschätzung der Sprachmischung unabdingbar ist, d. h. für die Bewertung der Mischung als Beleg für ein fusioniertes Sprachsystem oder für den systematischen Sprachwechsel. Hierfür ist es notwendig zu wissen, ob die Interviewer: innen beide Sprachen des Kindes sprechen oder nur eine (Grosjean 1998). Eine weitere Frage ist, wie 114 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="115"?> die beiden Sprachen im Input verwendet werden. Wird das Kind eventuell durch seinen Input dazu angehalten zu mischen? Möglich ist also, dass den Sprachmischungen unterschiedliche einflussnehmende Faktoren zugrunde liegen. Sprachmischungen können auch als Behelfsstrategien angesehen werden. Gawlit‐ zek-Maiwald und Tracy (1996) untersuchten ein bilingual deutsch-englischsprachiges Kind und schlugen das sogenannte „bilingual bootstrapping“ vor: „something that has been acquired in language A fulfills a booster function for language B. In a weaker version, we would expect at least a temporary pooling of resources.“ (Gawlit‐ zek-Maiwald und Tracy 1996: 903) Sie gehen davon aus, dass das Kind Hannah seine beiden Sprachen zwar getrennt entwickelt und dass sich dadurch die Sprachen mit Hinblick auf bestimmte Strukturen auch unterschiedlich — wie bei monolingualen Kindern — entwickeln. Zeitlich gesehen entwickeln sich die beiden Sprachen nicht immer gleichmäßig. Dadurch könnte die eine Sprache von der anderen profitieren: „the language that develops at a slower rate for one particular type of construction profits from the faster language as compared to monolinguals“ (Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996: 908). In der Tat zeigte sich bei Hannah, dass sie in ihren monolingualen Äußerungen von Anfang an die richtige Wortstellung verwendete, nämlich OV im Deutschen und VO im Englischen. Die IP (Inflection phrase, diejenige syntaktische Phrase, die das finite Verb beherbergt) wurde im Deutschen früher erworben (2; 4) als im Englischen (2; 7), ein Ergebnis, das auch in monolingualen Studien festgestellt wurde. Nun schlagen die Autorinnen vor, auf die gemischten Äußerungen in genau dem Zeitraum zu schauen, in dem die IP im Deutschen, nicht aber im Englischen, erworben worden ist. Es zeigt sich, dass Hannah die Struktur, die sie im Deutschen bereits verwendete, für das Englische mitbenutzte. Sobald auch im Englischen die IP erworben wurde, stellten sich diese Art von Mischungen ein. Im monolingualen Erstspracherwerb sind die lexikalische Entlehnung und deren Gründe vergleichbar mit der intralingualen Übergeneralisierung. Hier könnte man als Beispiel nennen, dass Kinder alle Lebewesen mit Fell und vier Beinen als Hund bezeichnen. Was sollen sie auch tun, wenn ihr Wortschatz nur einen begrenzten Umfang hat? Genauso ist vorstellbar, dass es zur Entlehnung syntaktischer Konstruk‐ tionen kommt (vgl. Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996) und dies wieder aus dem Grund, dass das eine Sprachsystem noch nicht weit genug entwickelt ist. Die lexikali‐ schen und die syntaktischen Entlehnungen können auch den Grund haben, dass die Sprachform / Sprachkonstruktion A weniger komplex ist als die Sprachform / Sprach‐ konstruktion B und das bilinguale Kind als temporäre Hilfsstrategie die weniger komplexe Ausdrucksmöglichkeit auf beide Sprachen anwendet (vgl. z. B. Vihman 1985). Vihman (1985) untersuchte das Lexikon eines estnisch-englischsprachigen Kindes in der frühen Spracherwerbsphase (1; 8-2; 0) und stellte fest, dass am häufigsten deiktische Elemente, Verneinungspartikeln und Zustimmungspartikeln gemischt werden. Diese Elemente werden in der Forschung Funktionswörter (engl. function words) genannt. Wörter, die nicht zu dieser Gruppe gezählt werden, also z. B. Nomina, Adjektive und Verben, werden dagegen Inhaltswörter (engl. content words) genannt. Trotz der 5.2 Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss 115 <?page no="116"?> Kritik über die Zusammensetzung der Kategorie der Funktionswörter bestätigen Meisel (1994b), Köppe und Meisel (1995) und Köppe (1996), dass diese Elemente zu einem hohen Prozentsatz unter den gemischten Wörtern zu finden sind. Meisel (1994b) betont jedoch, dass die meisten gemischten Funktionswörter bereits in beiden Sprachen vorhanden sind, d. h., es bleibt unklar, weshalb die Kinder diese Elemente gemischt haben. Zumindest können wir als Grund ausschließen, dass sie das entsprechende Äquivalent noch nicht erworben haben. Andere Erklärungen für Mischungen sind, dass eine der beiden Wortformen das erste oder aber das häufigste Wort darstellt, das dem Kind zugänglich ist. Dieses Wort wird dann anstelle des Äquivalents in der anderen Sprache mitbenutzt. Dies ist vergleichbar mit der intralingualen Unterextension bei monolingualen Kindern. Im Gegensatz zur Überextension, bei der Kinder Wörter „zu weit“ benutzen, d. h. auch für Referenten, die in der Erwachsenensprache anders bezeichnet werden, gebrauchen Kinder bei der Unterextension Wörter „zu eng“, d. h. nicht alle möglichen Referenten werden mit Hilfe des Wortes benannt: z. B. den Ausdruck „Vogel“ nur für Schwimmvögel, d. h. für Enten und Schwäne. Die unterschiedliche Salienz (Wahrnehmbarkeit) einer Sprachform in Sprache A und in Sprache B kann auch eine wichtige Rolle bei den Sprachmischungen spielen (Vihman 1985). Mit Salienz wird die Auffälligkeit einer Sprachform bezeichnet, die dann wiederum auf der Basis von bestimmten Faktoren festgelegt wird. Hochgradig salient sind nach Slobin (1973) z. B. solche Markierungen, die am Ende eines Wortes auftreten. Ein bilinguales Kind könnte sich dementsprechend für das hochgradig saliente Ausdrucksmittel der Sprache A bei der Verwendung der Sprache A und der Sprache B entscheiden. Abschließend darf man schlussfolgern, dass es viele andere Gründe als den eines fusionierten Sprachsystems für die beobachteten Sprachmischungen gibt (vgl. Cantone und Müller 2008 und Treffers-Daller 2022 für weiterführende Literatur). 5.2.2 Evidenz für getrennte Systeme: Monolinguale Äußerungen Meisel (1989) untersucht im Gegensatz zu Genesee (1989) Äußerungen von bilingualen Kindern mit Elementen aus nur einer Sprache, A oder B, und stellt die Frage nach der Plausibilität eines fusionierten syntaktischen Systems. In methodischer Hinsicht vergleicht er einerseits die beiden Sprachen im bilingualen Kind und andererseits die beiden Sprachen des bilingualen Kindes mit denen von monolingualen Kindern. Die Analyse umfasst die Sprachdaten von zwei bilingual deutsch-französisch aufwachsen‐ den Kindern im Alter von 2; 1-3; 11. Die untersuchten grammatischen Phänomene (die Wortstellung und die Subjekt-Verb-Kongruenz) wurden danach ausgewählt, dass sie in beiden Zielsprachen unterschiedlich realisiert sind. Die Wortstellungsanalyse führte zu dem generellen Ergebnis, dass die bilingualen Kinder weniger Variabilität in der Wortstellung als die monolingualen Kinder zeigen. Außerdem belegt Meisel einen quantitativen Unterschied zwischen dem Französischen und dem Deutschen bei der Verwendung von SV(O)-Abfolgen. Im Französischen der Kinder ist erwartungsgemäß 116 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="117"?> die Abfolge SV(O) frequenter als im Deutschen. Den überzeugenden Beweis für die frühe Sprachentrennung liefert die von Beginn an beobachtete sprachspezifische Verwendung von grammatischen Regularitäten. Im Deutschen findet sich das Finitum in der Position nach der ersten Konstituente, d. h. man beobachtet die zielsprachliche Verb-Zweit-Stellung des Finitums. Ferner sind das Objekt und das nicht-finite Verb in der Abfolge OV zueinander geordnet — den kuchen gegessen und den kuchen essen —, was ebenfalls der Zielsprache entspricht. Im Französischen der Kinder findet sich die ebenfalls zielsprachliche Abfolge VO. Auch die Subjekt-Verb-Kongruenz bietet Hinweise darauf, dass die Kinder die Sprachen früh trennen und dass die bilingualen Kinder diesen Bereich wie monolinguale Kinder erwerben. So beobachtet Meisel für das Deutsche, dass -t vor anderen Kongruenzaffixen erworben wird und dass die Verwendung der unterschiedlichen Affixe fehlerfrei erfolgt. Im Französischen ist die Kongruenz am Verb nicht hörbar. Dies zeigt das folgende Paradigma des Verbs parler ‚sprechen‘, das hier für den ersten Konjugationstyp steht, im Kontrast zum regelmäßig flektierenden deutschen Verb gehen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass das gesprochene Französisch anstelle der ersten Person Plural nous parlons auch on parle erlaubt, so bleiben insgesamt nur zwei verschiedene Verbformen. Im Deutschen konstatieren wir vier unterschiedliche Formen. Aufgrund der nicht hörbaren Subjekt-Verb-Kongruenz am Verb hat man in einigen Ansätzen das schwache Pronomen — das Klitikon — als Träger der Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz angesehen (vgl. Prévost 2009: 36): Im Beispiel (6) sind dies die Formen je, tu, il(s), elle(s), nous, vous. Diese werden von den Kindern kaum ausgelassen und sind in ihrer Verwendung auch zielsprachlich. (6) je parle [parl] ich spreche - tu parles [parl] du sprichst - il / elle parle [parl] er / sie / es spricht - nous parlons / on parle [parl] wir sprechen - vous parlez [parle] ihr sprecht - ils / elles parlent [parl] sie sprechen Noch wichtiger ist, dass die Funktion des Anzeigens von Subjekt-Verb-Kongruenz in der kindlichen Grammatik des Französischen durch schwache Pronomina und in der des Deutschen durch die Verbalflexion übernommen wird. Erwähnenswert ist auch die Beobachtung, dass SOV-Abfolgen, welche bei monolin‐ gual deutschen Kindern die bevorzugte Stellung des Verbs sind, von den untersuchten bilingualen Kindern nicht benutzt werden. Eine Ausnahme hierzu bilden infinite Verbformen wie Infinitive, die aber auch im Erwachsenensystem dem Objekt nachge‐ ordnet sind. Wir werden in Kapitel 8.1 auf diesen Unterschied zwischen bilingualen und monolingualen Kindern im Deutschen nochmals eingehen. Wenn monolingual deutsche Kinder während früher Erwerbsphasen die Endstellung des Finitums sogar bevorzugen - ich den kuchen esse und ich den kuchen essen will -, bilinguale Kinder aber eine solche Phase nicht durchlaufen, könnte dies mit der zweiten Muttersprache zusammenhängen, die im Fall des Französischen weder die Endstellung des Finitums 5.2 Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss 117 <?page no="118"?> noch die der infiniten Verbformen erlaubt: *je le gâteau mange - *je veux le gâteau manger. Zusammenfassend möchten wir festhalten, dass die Arbeiten von Genesee (1989) und Meisel (1989) bahnbrechend für die Forschung waren, da sie zeigen konnten, dass die Sprachentrennung im sehr frühen Spracherwerbsalter möglich ist und dass für die in Volterra und Taeschner (1978) genannten Erklärungen im Rahmen eines fusionierten Sprachsystems auch andere Erklärungsmöglichkeiten wahrscheinlich sind, die auf eine frühe Sprachentrennung hindeuten. Insbesondere der Arbeit von Meisel unterliegt eine genaue quantitative Untermauerung der im Artikel gemachten Annahmen. Diese vorbildliche Arbeitsweise wollen wir im weiteren Verlauf am Beispiel anderer For‐ schungsarbeiten weiterverfolgen. Beide Arbeiten wurden zu einer Zeit verfasst, zu der es notwendig war, auf die frühe Sprachentrennung hinzuweisen. Wie bereits erwähnt, liegt beiden Arbeiten zugrunde, dass eine Trennung ohne Einfluss anzunehmen ist. 5.3 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss Nachdem der Beweis erbracht war, dass mehrsprachige Kinder keine Phase der Fusion durchlaufen und ihre Sprachen von Beginn an trennen, wurde mit der Forschungsarbeit von Müller und Hulk (2000) ein dritter Ansatz formuliert. In diesem Ansatz, den wir als Sprachentrennung mit Spracheneinfluss bezeichnen, schließen sich beides, die Trennung und der Einfluss, nicht gegenseitig aus. Da wir in den nachfolgenden Kapiteln sechs bis acht eine Reihe von grammatischen Phänomenen vorstellen, die für diesen dritten Ansatz sprechen, soll an dieser Stelle lediglich der Ansatz mithilfe einiger Forschungsarbeiten eingeführt werden. Vorstellbar ist das zeitgleiche Auftreten von Sprachentrennung und -einfluss nur unter der Annahme, dass hiervon nicht gesamte Sprachsysteme betroffen sind, sondern nur ganz bestimmte grammatische Phänomene. Es ist nach diesem Ansatz so, dass bestimmte grammatische Phänomene einflussanfällig sind. Unter welchen Bedingungen sie dies sind, wird kontrovers disku‐ tiert. Wir wollen hier ein Konzept genauer vorstellen, nämlich dass nicht die zeitweise auftretende Sprachdominanz den Spracheneinfluss lenkt, sondern Eigenschaften des grammatischen Phänomens selbst. Aus diesem Grund gehen wir in diesem Kapitel besonders auf den Ansatz ein, der vermutet, dass der nicht zeitgleich erfolgte Erwerb eines grammatischen Phänomens in beiden Sprachen der Grund für den Einfluss ist. Zuerst müssen wir fragen, welche Manifestationen der Spracheneinfluss haben kann. Wir wollen den Begriff so auffassen, wie ihn die Forschenden Paradis und Ge‐ nesee (1996: 3) definiert haben: Spracheneinfluss ist eine systematische Beeinflussung der Grammatik der einen Sprache durch die Grammatik der anderen Sprache, die zu unterschiedlich schnellen und anderen Verläufen bei bilingualen Kindern im Vergleich zu monolingualen Kindern führt. Dies bringt uns gleich zur zweiten Frage, die dem Nachweis des Spracheneinflusses gilt. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen können wir die beiden Sprachsysteme bei einem bilingualen Kind zu einem 118 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="119"?> gegebenen Erwerbszeitpunkt vergleichen, zum anderen können wir die Entwicklungs‐ abläufe von bilingualen Kindern mit denen monolingualer Kinder vergleichen. Diese zweite Option haben Paradis und Genesee (1996) in ihrer Definition in den Mittelpunkt gerückt. Sie wird in der Darstellung des Einflusses in den verschiedenen Grammatik‐ bereichen ebenfalls die zentrale Rolle spielen. Wir wollen jedoch auch die erste Option berücksichtigen. Wie äußert sich nun der so definierte Spracheneinfluss? Paradis und Genesee (1996: 3 f.) gehen davon aus, dass Spracheneinfluss drei verschiedene Formen haben kann, wobei sich die folgenden Definitionen auf den Vergleich mit Erwerbsverläufen monolingualer Kinder stützen, die wir in (7) zusammengestellt haben: (7) Manifestationen des Spracheneinflusses 1. Transfer (transfer): Transfer besteht aus der Eingliederung einer grammatischen Eigenschaft aus der einen Sprache in die andere Sprache, mit anderen Worten geht es hier um eine Übertragung von Eigenschaften. 2. Beschleunigung (acceleration): Beschleunigung bedeutet, dass eine Eigenschaft in der Grammatik der betreffenden Sprache früher auftritt, als dies im monolingualen Erwerb die Norm ist. 3. Verlangsamung (delay): Die Verlangsamung führt zum späteren Auftreten einer Eigenschaft in der Grammatik, als dies im monolingualen Erwerb die Norm ist. Diese drei unterschiedlichen Möglichkeiten zeigen, dass Spracheneinfluss — jeweils gemessen an der Zielsprache — sowohl positive als auch negative Folgen haben kann. Fassen wir noch einmal zusammen: Obwohl als gesichert angesehen werden kann, dass der bilinguale Spracherwerbsprozess von Beginn an sprachendifferenzierend verläuft, liegt eine Situation des Sprachkontakts vor. Man könnte vermuten, dass sich die beiden Sprachen gegenseitig beeinflussen. Ein solcher Einfluss wird von einigen Forschenden, die eine frühe Sprachentrennung im bilingualen Individuum beobachten, auch eingeräumt. In der Mehrzahl der Forschungsarbeiten wird aber die zeitweise auftretende Sprachdominanz als bestimmende Größe für die Richtung des Einflusses sowie für das Auftreten an sich angeführt: Die stärkere / dominante Sprache beeinflusst die schwächere und nicht umgekehrt. Das bilinguale Kind kann sich die Situation des Sprachkontakts also zunutze machen. Wir haben bereits weiter oben gezeigt, dass Sprachmischungen eine Hilfsstrategie darstellen. Dies gilt nicht nur für lexikalische Mischungen, wie bereits früh von Genesee (1989) und Meisel (1989) vermutet, sondern auch für die syntaktischen Entlehnungen, deren wichtige Rolle von Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) mit der Idee des „bilingual bootstrapping“ am Beispiel der bereits vorgestellten Daten des deutsch-englischsprachigen bilingualen Kindes Hannah veranschaulichen (vgl. Kap. 5.2.1). An dieser Stelle wollen wir einige wichtige Konsequenzen für die Vorhersage des Auftretens von Spracheneinfluss aus diesen Arbeiten herausstellen. Die der Arbeit von Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) zugrunde liegende Annahme der syntaktischen Entlehnung stimmt, wie schon die Arbeiten von Genesee (1989) und Meisel (1989), mit der Vermutung überein, dass (hier) aus derjenigen Sprache entlehnt wird, die 5.3 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss 119 <?page no="120"?> das Kind öfter gebraucht. Dem „syntactic bootstrapping“ ist implizit, dass das Kind den Problembereich kennt, d. h., diejenigen Teile der Äußerung, die in der jeweiligen Sprache nicht produziert werden, fehlen deshalb, weil sie vermieden werden, und nicht etwa, weil das Kind sie noch nicht erworben hat. Diese Perspektive eröffnet neue Interpretationsmöglichkeiten in der Bilingualismusforschung und knüpft an Spracher‐ werbsanalysen bei monolingualen Kindern an, in denen gezeigt wurde, dass bestimmte Sprachelemente vom Kind nicht produziert werden, da beispielsweise noch nicht die wichtigsten syntaktischen, morphologischen und lexikalischen Informationen über die Sprachelemente bekannt sind (vgl. u. a. Bottari, Cipriani und Chilosi 1993/ 94 für den Erwerb von Determinanten und Müller und Penner 1996 für den Nebensatzerwerb). In den folgenden Abschnitten wollen wir die Faktoren benennen, die einen Spra‐ cheneinfluss im mehrsprachigen Kind hervorrufen können. 5.3.1 Spracheneinfluss und Überlappung von Oberflächenstrukturen Wenn Spracheneinfluss erfolgen kann, obwohl das mehrsprachige Kind prinzipiell in der Lage ist, seine Sprachsysteme zu trennen, und dieser auch bei Kindern auftritt, die keine Sprachdominanz aufweisen (Müller et al. 2002) oder die schwächere die stärkere Sprache beeinflusst (Kupisch 2006a), dann stellt sich die Frage nach den Einflussfaktoren innerhalb des Sprachsystems. Die Forscherinnen Müller und Hulk (2000) haben hierzu vorgeschlagen, den Grund für das Auftreten von Spracheneinfluss nicht mehr in der Sprache als Gesamtheit, sondern gezielt nach sprachinternen Ursachen in den einzelnen grammatischen Berei‐ chen zu suchen. Dieser Perspektive liegt die Annahme zugrunde, dass Spracheneinfluss kein durch externe Faktoren bedingtes Performanzphänomen sein muss, sondern die sprachliche Kompetenz der bilingualen Kinder in den jeweils betroffenen Bereichen widerspiegelt. Die Verfasserinnen zeigen, dass im Bereich der Objektauslassungen Spracheneinfluss auftritt (in der Kombination Deutsch-Italienisch und Niederlän‐ disch-Französisch), dieser aber im Bereich der sogenannten Wurzelinfinitive (engl. root infinitives) vom Typ livre lire ‚buch lesen‘ für dieselben Sprachkombinationen ausbleibt. Aus dem Ansatz folgt, dass der Einfluss auch von der Kombination der zu erwerbenden Sprachen abhängen sollte. Das weitere Vorgehen erfolgt in mehreren Schritten: Zunächst müssen die einer möglichen Beeinflussung unterliegenden grammatischen Phänomene genau definiert werden. Auf der Basis der Zielsprachen und dieser Definition der Phänomene kön‐ nen in einem weiteren Schritt Vorhersagen für die Beeinflussung bei bestimmten Sprachkombinationen getroffen werden. Müller und Hulk (2000: 228 f.) kommen zu der folgenden zentralen Grundannahme, die sie als Kriterium für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Spracheneinfluss formulieren. Kriterium I für das Auftreten von Spracheneinfluss lautet: • (Kriterium I) Sprache A weist Konstruktionen auf, die so beschaffen sind, dass sie (aus der Perspektive des Kindes) mehr als eine einzige grammatische Analyse 120 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="121"?> 6 Im Deutschen stehen finite Verben im Hauptsatz in derjenigen Position (C für complementizer), in der Konjunktionen im Nebensatz stehen. erlauben, und Sprache B enthält Evidenz für eine dieser möglichen Analysen; mit anderen Worten überschneiden sich die beiden Sprachen im jeweils ausgesuchten Phänomenbereich. Die Anwendung dieses Kriteriums (surface overlap) setzt voraus, dass zwei (oder mehrere) Sprachen in bestimmten grammatischen Bereichen oberflächlich gleiche Strukturen aufweisen, die aber in den Erwachsenengrammatiken unterschiedliche zugrundeliegende grammatische Analysen erfordern. Diese Situation kann dazu füh‐ ren, dass das mehrsprachige Kind die grammatische Analyse der „falschen“ Sprache gebraucht (z. B. weil diese eine weniger komplexe Struktur hat, vgl. Kap. 5.3.3). Dies ist z. B. der Fall bei Oberflächenstrukturen, die die Abfolge Subjekt - finites Verb - Objekt aufweisen. In einer V2-Sprache wie dem Deutschen werden für die grammatische Derivation alle funktionalen Schichten benötigt; im Französischen ist für die Ableitung von SVO-Strukturen allein die TP (Tempus-Phrase, engl. tense phrase, vormals IP) - ohne die CP-Schicht vonnöten. Wenn nun ein bilingual deutsch-franzö‐ sischsprachiges Kind für die Ableitung von SVO-Strukturen im Deutschen die den französischen Strukturen zugrundeliegende syntaktische Analyse benutzt (weil diese weniger komplex ist), so könnte dies z. B. dazu führen, dass es im Deutschen bereits früh zielsprachliche SVO-Konstruktionen verwenden, aber das Kind Schwierigkeiten bei solchen Konstruktionen hat, bei denen im Deutschen nicht das Subjekt, sondern eine andere Konstituente in der ersten Satzposition erscheint, wie in heute gehe ich ins Schwimmbad. 6 Das Beispiel aus Müller und Hulk (2000) betrifft Objektauslassungen im Deutschen und in romanischen Sprachen, welches wir in Kapitel 7.3 genauer behandeln wollen. Van Dijk, van Wonderen, Koutamanis, Kootstra, Dijkstra und Unsworth (2021: 4) zeigen in ihrem Literaturüberblick nun aber, dass dieses Kriterium kein notwendiges für den Spracheneinfluss ist. Sie referieren Arbeiten, die bei Erfüllung des Kriteriums der Oberflächenüberlappung Spracheneinfluss nachweisen, aber auch solche, die dies nicht tun. Die Verfasser: innen kommen bei ihrer Metaanalyse von immerhin insgesamt 26 Studien, 750 bilingualen und 739 monolingualen Kindern (mit einem durchschnittlichen Alter von 4) und 17 Sprachkombinationen zu dem Ergebnis, dass das Kriterium der Oberflächenüberlappung keine notwendige Bedingung für das Auftreten von Spracheneinfluss ist (van Dijk et al. 2021: 18 f., 21 f.). Sie räumen jedoch ein, dass Spracheneinfluss durchaus von Oberflächenüberlappung abhängig sein kann, wenn bei der Definition dieses Begriffs die jeweils vorliegende, sich entwickelnde kindliche Grammatik gemeint ist, so wie ursprünglich von Hulk und Müller (2000) angenommen. Die Metaanalyse lässt den Verdacht aufkommen, dass es weitere Faktoren geben muss, die den Spracheneinfluss (mit)bestimmen. 5.3 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss 121 <?page no="122"?> 5.3.2 Spracheneinfluss und Sprachdomäne Müller und Hulk (2000: 228 f.) schlagen ein weiteres Kriterium für die Wahrschein‐ lichkeit des Auftretens von Spracheneinfluss vor. Kriterium II für das Auftreten von Spracheneinfluss lautet: • (Kriterium II) Das ausgesuchte grammatische Phänomen liegt an der Schnittstelle zwischen grammatischen Modulen, zum Beispiel Morphologie und Syntax oder Syntax und Pragmatik. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich das zugrundeliegende Grammatikmodell stark verändert, so dass zum aktuellen Stand nicht mehr von internen Modulen ausgegangen werden kann, die in Interaktion miteinander treten, wenn Sprecher einen Satz formulieren. Da man aber annehmen darf, dass die Pragmatik außerhalb des syntaktischen Systems liegt, kann dieses „interface criterion“ für grammatische Phänomene geprüft werden, die auf der Schnittstelle zwischen Syntax und Pragmatik beschrieben werden müssen. Ein grammatisches Phänomen, welches an der Schnittstelle zwischen Syntax und Pragmatik liegt, ist laut Hulk und Müller (2000) so beschaffen, dass die syntaktische Eigenschaft durch die Diskurspragmatik reguliert wird (vgl. auch Sorace und Serrat‐ rice 2009: 195 f.). Die Pragmatik hat somit nicht nur identifizierende, sondern auch lizenzierende Wirkung auf die sprachliche Form (bzw. deren Fehlen). Das in der Arbeit diskutierte Beispiel sind Objektauslassungen im Spracherwerb, die wir in Kapitel 7.3 genauer darstellen wollen. Jedoch ist die Ausklammerung der Diskurspragmatik laut Montrul (2011) und van Dijk et al. (2021: 13 f.) für die allermeisten grammatischen Bereiche nicht möglich. Sorace und Serratrice (2009) wenden das Schnittstellen-Kriterium auf die (Nicht-)Nullsubjekteigenschaft von Sprachen wie dem Italienischen und Englischen an. Sie betonen, dass die nötige Regulierung eines syntaktischen Phänomens mit Hilfe der Diskurspragmatik aufwendig ist, also die Sprachverarbeitungsressourcen belastet. Ein grammatisches Beispiel für die Regulierung syntaktischer Eigenschaften durch die Diskurspragmatik ist in Nullsubjektsprachen wie dem Italienischen die Tatsache, dass das nicht-realisierte Subjekt (gekennzeichnet als ___) mit dem gerade aktiven Diskurstopik (Gianni) übereinstimmt, wie das Beispiel von Serratrice und Sorace (2009: 204) in (8a) zeigt, während in (8b) das realisierte Subjekt (lui) gerade mit einem unterschiedlichen Diskurstopik (Paolo) übereinstimmt (vgl. Kap. 7.4 für eine ausführliche Analyse der Komplexität der Syntax-Pragmatik-Schnittstelle im bilingualen Erwerb der Nullsubjekteigenschaft des Italienischen und Spanischen). 122 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="123"?> (8) a. Mentre Gianni mangia, ___ parla al telefono. - - Während Gianni isst,__ telefoniert (er = Gianni) - b. Mentre Gianni mangia, lui parla al telefono. - - Während Gianni isst, telefoniert er (= Paolo) In ihrer Metaanalyse kommen van Dijk et al. (2021: 22) zu dem Ergebnis, dass die Sprachdomäne kein verlässlicher Faktor bei der Vorhersage von Spracheneinfluss ist. Sie relativieren dieses Ergebnis wieder vor dem Hintergrund, dass die exakte Katego‐ risierung von grammatischen Phänomenen auf der Schnittstelle zwischen Syntax und Pragmatik nur schwer möglich ist. Sie schlagen deshalb vor, in zukünftigen Studien die Komplexität der syntaktischen Derivation als Kriterium zugrunde zu legen (van Dijk et al. 2021: 23). Diesen Faktor stellen wir im Folgenden vor. 5.3.3 Spracheneinfluss und Berechnungskomplexität Müller et al. (2002) ziehen bei der Analyse von Spracheneinfluss ein Komplexitätskri‐ terium heran, nämlich die - weiter unten definierte - Berechnungskomplexität einer syntaktischen Analyse (computational complexity). Hintergrund dieser Annahme ist, dass Kinder (bilinguale wie monolinguale) beim Spracherwerb einem Ökonomieprinzip folgen: „Wähle zunächst die weniger komplexe Analyse“. Das bilinguale Kind kann nun die weniger komplexe Analyse übergeneralisieren, d. h. auf beide Sprachen anwenden, was sowohl positive als auch negative Folgen haben kann. Eine Übergeneralisierung der komplexeren Analyse ist hingegen als wenig plausibel zu betrachten und aus Gründen der Ökonomie auszuschließen. Was ist nun unter Komplexität zu verstehen? Einen Vorschlag macht die Forscherin Jakubowicz (2002) mit den zwei Kriterien in (9), hier in der deutschen Version: (9) Komplexitätskriterien - a. Eine syntaktische Analyse ist weniger komplex, wenn eine funktionale Kategorie in allen Sätzen vorhanden ist. Ist eine funktionale Kategorie nur in einigen Sätzen vorhanden, erhöht dies den Grad der Komplexität der syntaktischen Analyse. - b. Eine syntaktische Analyse ist weniger komplex, wenn ein Argument kanonisch mit seinem Prädikat verbunden werden kann, d.-h. in der lexikalischen Domäne. Wird ein Argument in der funktionalen Domäne mit dem Prädikat verbunden, erhöht dies die Komplexität der syntaktischen Analyse. Beide Kriterien sind vor einem Hintergrund zu verstehen, der erstens syntaktische Kategorien in lexikalische (Nomina, Verben, Adjektive, Präpositionen) und funktionale (u. a. Determinanten, Fragewörter, Nebensatzeinleiter) unterteilt und zweitens auch für die Grundstruktur des Satzes einen lexikalischen (den Bereich des Prädikats, also die Verbalphrase mit den Objekt-Argumenten) und einen funktionalen Bereich (Kodierung wichtiger Informationen wie z. B. Tempus und Satztyp) vorsieht (vgl. Müller und Riemer 1998, Kap. 2 und 3). Das erste Kriterium hält weiter fest, dass funktionale Kategorien aufgeteilt werden in solche, die syntaktisch erforderlich sind 5.3 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss 123 <?page no="124"?> 7 „Eine spezifische Sprachentwicklungsstörung liegt vor, wenn der Spracherwerb abweichend und nicht altersgerecht erfolgt, ohne dass kognitive Beeinträchtigungen, diagnostizierbare neuro-phy‐ siologische Ursachen, eine Hörschädigung oder Verhaltensstörung in einem Umfang vorliegen, der die Sprachentwicklungsstörung hinreichend begründen könnte“ (Rothweiler 2001: 16). (z. B. Subjektklitika im Französischen und Subjektpronomina im Deutschen), und solche, deren Existenz auch semantisch motiviert ist (z. B. Objektklitika in den roma‐ nischen Sprachen). Das Kriterium besagt auf dieser Basis mit anderen Worten, dass die Berechnung funktionaler Kategorien, deren Existenz allein syntaktisch motiviert ist, einfacher (weniger komplex) ist als diejenigen funktionalen Kategorien, welche nicht syntaktisch (sondern z. B. semantisch) motiviert sind. Kriterium 2) macht hingegen Aussagen zum Verhältnis zwischen dem lexikalischen und dem funktionalen Bereich der Syntax: Hier ergibt sich der erhöhte Komplexitätsgrad daraus, dass die funktionale Domäne nach der lexikalischen berechnet wird (für weitere Komplexitätskriterien vgl. Kap. 8.2.1). Beide Kriterien hat Jakubowicz (2002) für die Analyse von Daten monolingual fran‐ zösischer Kinder entwickelt, die eine sprachspezifische Entwicklungsstörung (SSES; im englischen Sprachraum Specific Language Impairment, SLI, heute DLD, Developmental Language Disorder) aufwiesen. 7 Bei diesen Kindern untersuchte sie insbesondere die grammatischen Bereiche der Objektauslassungen (vgl. Kap. 7.3) und die Bildung von Vergangenheitsformen. Beide Bereiche sind im Sinne der obigen Kriterien im Französi‐ schen komplexer als ihre Pendants, die Subjektrealisierungen und Bildung von Präsens‐ formen. Gavarró (2003) bezieht die Berechnungsökonomie auf die Erwerbsdaten eines Kindes mit den Sprachen Englisch (SVO-Sprache) und Niederländisch (V2-Sprache) und begründet das Auftreten von Äußerungen des Typs I want that he in the box sits damit, dass das finite Verb sits nicht in die dem Subjekt unmittelbar folgende Position verschoben wurde, da diese Verschiebung einen zusätzlichen Berechnungsschritt darstellt und mehrsprachige Kinder in diesem Fall die weniger Derivationsschritte umfassende Analyse auswählen. Strik und Pérez-Leroux (2011) wenden Komplexitäts‐ kriterien auf die Fragesatzbildung von bilingualen Kindern mit Niederländisch und Französisch im Niederländischen an. Auffällig sind Konstruktionen vom Typ ohne Inversion wie Waarom je huilt? ‚Warum du schreist‘ und vom Typ wh-in-situ Jij doe wat giraffe? ‚Du machst was, Giraffe? ‘, die beide in der kindlichen Grammatik weniger Derivationsschritte erfordern als im erwachsenensprachlichen Niederländischen (das Inversion und bei echten Fragen die Voranstellung des Fragewortes erzwingt) und auf die entsprechenden zielsprachlichen Fragesatzkonstruktionen im Französischen zurückführbar sind. Van Dijk et al. (2021: 23) weisen dem Faktor der Berechnungskomplexität Potenzial für zukünftige Forschungen zu. Jedoch bleibt das Problem, dass mehrsprachige Kinder zum selben Zeitpunkt, zu dem sie die weniger komplexe Derivation der „falschen“ Sprache verwenden, auch die komplexe Analyse zielsprachlich anwenden. Mit Bezug auf die oben genannten Arbeiten ist also festzuhalten, dass mit Englisch und Niederlän‐ disch aufwachsende Kinder auch schon zielsprachliche englische Nebensatzstrukturen 124 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="125"?> produzieren und französisch-niederländischsprachige Kinder bereits in der Lage sind, das Fragewort im Niederländischen voranzustellen. 5.3.4 Spracheneinfluss und allgemein-kognitive Entwicklung Van Dijk et al. (2021: 5 f.) führen Arbeiten auf, die den Spracheneinfluss bei älteren Kindern zum Gegenstand haben und zu dem Ergebnis kommen, dass dieser auch in einem Alter nach Schuleintritt nachzuweisen ist, der jedoch nicht Gegenstand unserer Einführung ist. Es steht die Vermutung im Raum, dass Spracheneinfluss von sprachexternen kognitiven Entwicklungen abhängen kann. Die Forschung zum Spracheneinfluss bei Kindern mit fortgeschrittenem Alter hat zu einem Konzept geführt, welches wir an dieser Stelle kurz erwähnen wollen, das sogenannte „cross-linguistic priming“ (Serratrice 2007: 235). Damit ist gemeint, dass der Gebrauch einer als Routine ausgewiesenen syntaktischen Verarbeitung in der „falschen“ Sprache gebraucht wird. Bezogen auf den Fall einer Nullsubjektsprache (Ita‐ lienisch) und einer Nicht-Nullsubjektsprache (Englisch) bedeutet dies, dass achtjährige englisch-italienischsprachige Kinder das realisierte Subjekt (lui) auf das gerade aktive Diskurstopik (Gianni) beziehen können (Mentre Gianni mangia, lui parla al telefono). Der Bezug auf Subjekte ist im Englischen eine oft zur Anwendung kommende Strategie. Diese Routine wird dann auch im Italienischen mitgenutzt und durch die Existenz overter (pronominaler) Subjekte in beiden Sprachen ausgelöst. Van Dijk et al. (2021) weisen darauf hin, dass die jeweils angewandte Methode Einfluss auf die Ergebnisse zum Spracheneinfluss nach Schuleintritt haben könnte. Die von ihnen analysierten 26 Studien waren experimentell; sie elizitierten Grammatikali‐ tätsurteile. Es ist möglich, dass metasprachliche Testverfahren zu anderen Ergebnissen führen als Verfahren mit Beobachtungsdaten (Duguine, Köpke und Nespoulous 2014: 243). Ferner werden longitudinal angelegte Studien mit Kindern im Schulalter benötigt; van Dijk et al. (2021: 24) erwähnen in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass es bei mehrsprachigen Kindern im Laufe ihrer Sprachentwicklung zu einem Dominanzwechsel kommen kann. Demzufolge kann sich die erwartete Richtung des Spracheneinfluss mit dem Alter ändern. Die Verfasser: innen machen ferner darauf aufmerksam, dass dasselbe grammatische Phänomen (sie nennen als Beispiel das Merkmal Genus) zu unterschiedlichen Zeitpunkten erworben wird, in Abhängigkeit von der zu erwerbenden Sprache. Dies erschwert die Festlegung von Spracheneinfluss als entwicklungsbedingtes oder der Mehrsprachigkeit an sich geschuldetes Phänomen. 5.3.5 Spracheneinfluss und Inputqualität Bevor wir auf den Zusammenhang zwischen Spracheneinfluss und die Inputmenge zu sprechen kommen, wollen wir den von Paradis und Navarro (2003) vermuteten Einflussfaktor der Inputqualität vorstellen. Die von den Autor: innen verwendeten Daten sind spontane Produktionsdaten zweier monolingualer Kinder und eines bilin‐ 5.3 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss 125 <?page no="126"?> gual englisch-spanischsprachigen Kindes. Die monolingualen Kinder wuchsen mit Spanisch in Spanien auf. Das bilinguale Kind wuchs in England mit einer spanisch‐ sprachigen Mutter und einem englischsprachigen Vater auf. Die kubanische Varietät des Spanischen der Mutter zeichnet sich - im Vergleich zum iberischen Spanisch - durch häufigere Subjektrealisierungen aus (Paradis und Navarro 2003: 377). Die Subjektrealisierungsrate des bilingualen Kindes liegt über derjenigen monolingualer Vergleichskinder im Spanischen. Dieses Ergebnis betrifft auch solche Kontexte, in denen dem Subjekt wenig Informationsgehalt zugesprochen werden kann, also z. B. kein Träger neuer Information ist, keinen Kontrast/ keine Emphase ausdrückt, im außersprachlichen Kontext abwesend ist (vgl. dazu auch Kap. 7.4). Eine mögliche Interpretation ist der kubanisch-spanische Input des Kindes: In der Varietät des Spanischen werden starke Subjektpronomina auch in Kontexten mit wenig neuem Informationsgehalt gebraucht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobach‐ tung, dass das bilinguale Kind bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes mit 2; 6 Subjektpronomina in solchen Kontexten gebrauchte. Somit könnte es sich um ein Phänomen handeln, welches auch nach dem untersuchten Alter Bestand hat und für das Spanisch des Kindes charakteristisch ist. Bis heute gibt es wenige Arbeiten zur Inputqualität und einem möglichen Zusam‐ menhang mit Spracheneinfluss in der Mehrsprachigkeitsforschung. Im Gegensatz dazu sind die Arbeiten zu einem Zusammenhang zwischen Inputmenge und Sprachenein‐ fluss sehr zahlreich, wie bereits ausführlich im Kapitel 4 vorgestellt. 5.3.6 Spracheneinfluss und Inputmenge Im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Inputmenge und Sprachen‐ einfluss kommen van Dijk et al. (2021: 23) zu dem Ergebnis, dass der Spracheneinfluss häufiger von der starken, der Umgebungssprache des Kindes, in die schwache Sprache verläuft. Jedoch verzeichnen sie auch einen Effekt der schwachen Sprache auf die starke Sprache des Kindes. Wird die starke Sprache nicht mit der Umgebungssprache des Kin‐ des gleichgesetzt und für deren Definition die in den analysierten Arbeiten genannten Kriterien zugrunde gelegt, bedingen sich Sprachdominanz und Spracheneinfluss nicht. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Definition von Sprachdominanz entscheidend für die Interpretation der kindlichen linguistischen Daten ist. Daraus leiten die Verfasser: innen ab, dass zukünftige Arbeiten unterschiedliche Dominanzberechnungen mit Bezug auf den Spracheneinfluss miteinander vergleichen müssen. 5.4 Zusammenfassung und Ausblick Neben der Vorstellung der drei Positionen in der Bilingualismusforschung, (a) Spra‐ cheneinfluss bzw. ein einziges System weil keine Sprachentrennung, (b) Sprachen‐ trennung weil kein Spracheneinfluss, (c) Sprachentrennung mit Spracheneinfluss, 126 5 Die Entwicklung von zwei Sprachen <?page no="127"?> hat dieses Kapitel zu einer Sichtweise des Erstspracherwerbs geführt, welche nicht das monolinguale, sondern das bilinguale Individuum in den Vordergrund stellt. Wir haben versucht, uns von der sich gegenseitig ausschließenden Relation von Sprachentrennung und Spracheneinfluss zu trennen und für eine Sichtweise Platz zu schaffen, die nicht die Sprache als Ganze in den Vordergrund stellt, sondern einzelne grammatische Phänomene. An dieser Stelle wollen wir anmerken, dass die Metaanalyse von van Dijk et al. (2021: 2) den verzögernden Spracheneinfluss diskutiert: Als Erscheinung wird die Übergeneralisierung (overuse oder overacceptance) genannt, also der häufigere Gebrauch einer (morpho-)syntaktischen Eigenschaft in der einen Sprache des Kindes durch den Einfluss der anderen Sprache. Jedoch ist auch ein erleichternder Effekt des Einflusses denkbar. Er wird in der Studie explizit genannt, aber nicht untersucht (van Dijk et al. 2021: 3). Dies spiegelt eine allgemeine Tendenz der letzten zwei Jahrzehnte wider, nämlich die Fokussierung auf negative Auswirkungen aufgrund eines verzögerten Erwerbs (im Vergleich zu monolingualen Kindern). Zukünftige Forschungen müssen den beschleunigenden Effekt bearbeiten und diese grammatischen Phänomene mit solchen vergleichen, deren Erwerb sich bei mehrsprachigen Kindern verzögernd auswirken (können). Bisher sind wenige Arbeiten dem Beispiel von Kupisch (2006a) gefolgt, die gezeigt hat, dass dieser beschleunigende Effekt sogar durch die schwache Sprache ausgelöst werden kann (vgl. Kap. 8.2.). Beschleunigende Effekte zeigen die folgenden Arbeiten auf: Liceras und Fernández Fuertes (2019) und Sorace, Serratrice und Paoli (2004) für Subjektrealsierungen im Englischen, Patuto (2012) für Subjektrealisierungen im Deutschen, Scalise, Stahnke und Müller (2021) für Subjektrealisierungen im Französischen, Liceras, Fernández Fuertes und de la Fuente (2011) für Kopularrealisierungen im Englischen, Arnaus Gil und Müller (2018, 2020) für präverbale Subjekte im Französischen und die Verbstellung in finiten Hauptsätze im Deutschen. Diese beschleunigten Erwerbsverläufe hängen vermutlich mit der Inputqualität (in der anderen Sprache) zusammen, (vgl. Liceras und Fernández Fuertes 2021) und sind auch nachweisbar, wenn die andere Sprache nur schwach im Vergleich zur beschleunigten Sprache ausgeprägt ist (Kupisch 2006a, Müller 2023). Hier stellt sich die Frage, wie dieser Vorteil genutzt werden kann, wenn die beschleunigten Sprachen als Fremdsprachen erworben werden (Gabriel, Grünke und Schlaak 2020, Grünke und Gabriel 2022, Hopp, Jakisch, Sturm, Becker und Thoma 2020). Unser Überblick zeigt, dass, obwohl van Dijk et al. (2021: 20) in ihrer Metastudie eindeutig die Existenz von Spracheneinfluss bei bilingualen Kindern belegen, kein einzelner Faktor diesen korrekt vorhersagen kann. Als Konsequenz müssen einzelne Faktoren aufeinander bezogen und gewichtet werden, wie es Thuilier, Fox und Crabbé (2012) für alternierende (prä- und postnominal auftretende) Adjektive im Französi‐ schen vorgeschlagen haben. Ferner steht eine Paarung mit den beiden Einflusskriterien weiterhin im Raum. Müssen beiden Einflusskriterien erfüllt sein oder nur eines? Wie sind die Einflussfaktoren auf die Einflusskriterien bezogen? Diese Fragen müssen in zukünftigen Forschungsarbeiten bearbeitet werden. 5.4 Zusammenfassung und Ausblick 127 <?page no="129"?> 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss In diesem Kapitel stehen grammatische Bereiche im Vordergrund, die sich dadurch auszeichnen, dass sie keinerlei Spracheneinfluss aufweisen. Diese Bereiche sind die Stellung attributiver Adjektive, vor allem in den romanischen Sprachen (Kap. 6.1.), die Position des Verbs und des Objekts in den romanischen Sprachen und im Deutschen (Kap. 6.2.), sowie der Erwerb der klitischen Pronomen im Französischen und Italieni‐ schen (Kap. 6.3.). In den nachfolgenden Kapiteln 7 und 8 werden grammatische Bereiche vorgestellt, die sich durch den negativen bzw. positiven Spracheinfluss auszeichnen. 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen Wir werden nun eine lexikalische Kategorie behandeln, die in den romanischen Spra‐ chen in unterschiedlichen Positionen auftreten kann, jedoch im Deutschen eine feste Stellung hat: das attributive Adjektiv. Attributive Adjektive treten in der gesprochenen Sprache nicht so häufig auf wie andere lexikalische Kategorien (N, V), da sie fakultativ sind und oft in Form eines Relativsatzes (wie beispielsweise das Auto, das rot ist für das rote Auto) zu finden sind. Cardinaletti und Giusti (2010: 67) beobachten in einem Korpus zum gesprochenen Italienisch, dass Adjektive nur 9,47% der Gruppe lexikalischer Elemente ausmachen. Man könnte vermuten, dass diese Elemente sogar noch seltener in der kindgerichteten Sprache zu finden sind. Ebenfalls kann man in den früheren Phasen des kindlichen Spracherwerbs nur dann attributive Adjektive nachweisen, wenn Kinder in der Lage sind, Äußerungen mit mindestens zwei oder drei Wörtern zu produzieren. Interessanterweise zeigen Forschungsstudien zum Erwerb attributiver Adjektive im frühkindlichen Alter, dass Kinder durchaus in der Lage sind, diese lexikalische Kategorie trotz ihres seltenen Auftretens im Input mit nur wenigen, sporadisch auftretenden Abweichungen zu erwerben. Auch bilinguale Kinder zeigen kaum Abweichungen beim Erwerb attributiver Adjektive, sogar in den romanischen Sprachen, die sowohl eine präals auch eine postnominale Stellung aufweisen. Diese Feststellung ist umso relevanter, wenn bilinguale Kinder eine romanische Sprache zusammen mit dem Deutschen erwerben. Hier wird deutlich, dass sich das romanische Adjektiv nicht nach der Stellung des deutschen Adjektivs richtet (und somit zu einer möglichen ungrammatischen Stellung führt). Attributive Adjektive werden also in den romanischen Sprachen ohne Spracheneinfluss erworben. <?page no="130"?> 6.1.1 Das Zielsystem im Italienischen, Französischen, Spanischen und im Deutschen Die hier besprochenen romanischen Sprachen weisen zwei mögliche Positionen des attributiven Adjektivs auf. Sie können vor oder nach dem Nomen, das sie begleiten, stehen, wie die Beispiele (1)-(3) zeigen. (1) It. a. una simpatica ragazza - - - b. una ragazza simpatica Cardinaletti und Giusti (2011: 67) - (2) Frz. a. Un magnifique tableau - - - b. Un tableau magnifique - Fox und Thuilier (2010: 173) (3) Sp. a. La alegre dependienta - - - b. La dependienta alegre Arnaus Gil (2015a: 254) Nicht alle Adjektive dürfen jedoch in beiden Positionen auftreten. In allen drei romanischen Sprachen gibt es eine Reihe von Adjektiven, die lediglich eine der Stellungsvarianten erlauben: einige Adjektive stehen ausschließlich pränominal (4), andere nur postnominal (5). (4) a. It. *Il mio marito futuro Ferin (2019: 13) - b. Frz. *Des coupables faux Abeillé und Godard (1999: 14) - c. Sp. *El asesino presunto Demonte (2000: 263) - (5) a. It. *(L’) amata Londra comin‐ ciava a deluderlo Cinque (2010: 53) - b. Frz. *Une attendue décision Abeillé und Godard (1999: 12) - c. Sp. *Un bioquímico problema Fábregas (2017: 12) Die Beispiele (1)-(3) zeigen sogenannte alternierende Adjektive in den romanischen Sprachen: Sie können die Position vor und nach dem Nomen einnehmen. In der Forschungsliteratur wurde der Ansatz vertreten, dass die Entscheidung, in welcher Position ein Adjektiv vorkommt, durch die Semantik bedingt ist. Mit anderen Worten werden die prä- und postnominalen Stellungen des Adjektivs mit unterschiedlichen Lesarten verknüpft (Bouchard 1998, Demonte 2008). Betrachten wir exemplarisch die französischen Beispiele in (2). Das pränominale Adjektiv magnifique in (2a) charakterisiert das Gemälde, worüber gesprochen wird. Das Gemälde wird anhand des pränominalen Adjektivs näher beschrieben. Im Gegensatz dazu wird mit der postno‐ minalen Stellung des Adjektivs magnifique in (2b) eine andere Lesart hervorgerufen: dieses Gemälde, worüber gesprochen wird, sticht aus einer Menge von Gemälden heraus, indem es als wunderschön gekennzeichnet werden kann. Dieser Unterschied in der Lesart des Adjektivs je nach seiner syntaktischen Position wird in der Literatur als restriktive (2b) oder nicht-restriktive (2a) Interpretation bezeichnet. 130 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="131"?> Wir schauen uns jetzt andere romanische Adjektive an, die ebenfalls alternieren, die also vor und nach dem Nomen stehen können, jedoch einen ‚starken‘ Bedeutungsun‐ terschied je nach Position aufweisen: (6) It. a. Un buon attaccante non farebbe mai una cosa del genere - - - b. Un attaccante buono non farebbe mai una cosa del genere - - - - - Cinque (2010: 10) - (7) Frz. a. Un ancien coffre - - - b. Un coffre ancien - - - - - Abeillé und Goddard (1999: 13) - (8) Sp. a. Pablo no tiene suerte en su vida. Es un pobre chico. - - - b. Pablo no tiene dinero. Es un chico pobre. - - - - - Tirado Espinosa und Zimmermann (2019: 145) Diese Beispiele zeigen eine sogenannte nicht-intersektive (a-Beispiele) bzw. intersek‐ tive (b-Beispiele) Lesart. Betrachten wir die spanischen Sätze in (8). Das Adjektiv pobre in (8a) würden wir als ‚bemitleidenswert‘ und in (8b) als ‚arm‘ übersetzen. In diesem Sinn fügt pobre in (8b) seine Lesart zur Bedeutung des Nomens chico hinzu, d. h. dem Nomen wird eine Eigenschaft zugesprochen. Hier würde man annehmen, dass der Junge nicht reich sein kann. Es handelt sich um eine additive Verbindung zwischen dem Adjektiv und dem Nomen; ein chico pobre stellt die Schnittmenge aus den Bedeutungen chico und pobre dar. Im Gegensatz dazu wird pobre in (8a) eine andere, ‚neue‘ Bedeutung zugeordnet, die das Nomen nur indirekt modifiziert, da die Eigenschaft dem Jungen als Mensch zugewiesen wird (Demonte 2008: 71 f.). Hier wird die Eigenschaft bemitleidenswert zu sein dem Nomen zugeschrieben. Ein pobre chico stellt eine Teilmenge von chico dar; er könnte reich sein (vgl. Abeillé und Godard 1992: 12) für das entsprechende französische Adjektiv pauvre). Neue Forschungsarbeiten zu der Gruppe von Adjektiven, zu denen die in (6)-(8) gehören, zeigen, dass diese Bedeutungen nicht unbedingt mit einer bestimmten Position des Adjektivs verknüpft sind, sondern in beiden Stellungen vorkommen: (9) a. Frz. le plus pauvre quartier de New-York Thuilier (2012: 125) - - - die meist arme Nachbarschaft von New York - - - - die ärmste Nachbarschaft New Yorks - - a’. Frz. le papa pauvre Fox (2012: 94) - - - der Papa bemitleidenswert - - - - der bemitleidenswerte Papa - 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen 131 <?page no="132"?> b. Sp. la semana blanca - - - die weisse Woche - - - - die Skiwoche - - b’. Sp. los blancos palacios Demonte (2008: 76) - - - die weissen Paläste - - - - die weissen Paläste - Die französischen Beispiele in (9) zeigen deutlich, dass pauvre in der pränominalen Position ebenfalls die Bedeutung ‚arm‘ tragen kann. Wenn dieses Adjektiv nachgestellt wird, hat es die Lesart ,bemitleidenswert‘. Einige der spanischen Farbadjektive erhalten auch zwei Bedeutungen, diese sind allerdings gleichermaßen in beiden Positionen zu finden. In der häufigen postnominalen Stellung von Farbadjektiven wird dem Nomen sowohl eine Eigenschaft zugesprochen als auch eine Veränderung in seiner Denotation vorgenommen (vgl. in (9b) mit der Bedeutung von der (Schul-)Woche, in der Schüler: innen Ausflüge in die Berge mit der Klasse machen dürfen). Farbadjektive, wenn sie vorangestellt werden, wie in (9b’), können dem Nomen ebenfalls eine Eigenschaft (eine Farbe) zuweisen. Wir haben bisher vor allem semantische Gründe aufgeführt, die zu einer bestimmten Position des attributiven Adjektivs in den Sprachen Italienisch, Französisch und Spanisch führen können. Traditionelle Grammatiken und Lernergrammatiken haben sich auf die lexikalischen Klassen von Adjektiven konzentriert. Hier wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass im Französischen Farbadjektive wie rouge ‚rot‘ lediglich postnominal auftreten, während Adjektive, die die Größe beschreiben wie petit ‚klein‘, eher vor dem Nomen platziert werden müssen (vgl. Demonte 2008 für Spanisch). Anhand zahlreicher Korpusstudien des Französischen und kürzlich auch des Spa‐ nischen wurden unterschiedliche Faktoren vorgeschlagen, die die Adjektivstellung beeinflussen. Als Nächstes werden wir diese in (10) zusammenfassen. Für eine aus‐ führliche Beschreibung dieser Faktoren verweisen wir auf die Forschungsarbeiten von Thuilier und ihre Arbeitsgruppe für Französisch und auf File-Muriel (2006) und Hoff (2014) für Spanisch. (10) Faktoren zur Bestimmung der Adjektivstellung in den romanischen Sprachen - a. phonologische Faktoren: vorangestellte Adjektive zur Hiatvermeidung im Franzö‐ sischen wie in état actuel > actuel état (Thuilier 2012: 108) - b. morphologische Faktoren: derivierte Adjektive bevorzugen die postnominale Stel‐ lung, wie in (5a) und (5b) - c. syntaktische Faktoren: wird das Nomen von einem Komplement begleitet, steht das attributive Adjektiv häufiger auch postnominal. Abeillé und Godard (1999: 14) gehen davon aus, dass dieser Faktor der einzige ist, der die Position des Adjektivs bestimmt. - d. Länge des Adjektivs (in Relation zum Nomen): hat das Adjektiv mehr Silben (im Vergleich zum Nomen), tendiert es dazu, nachgestellt zu werden, wie in sol espléndido. - e. Frequenz: Adjektive, die sehr häufig vorkommen, werden in der pränominalen Position bevorzugt (belle chanson). 132 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="133"?> f. Lexikalische Klasse: gehören Adjektive zu einer bestimmten lexikalischen Klasse, kann dies zu einer Präferenz für eine Position führen, wie beispielsweise Farbadjek‐ tive im Französischen (postnominal) - g. Gesprochene vs. geschriebene Sprache: kürzere Elemente stehen in der gesproche‐ nen Sprache vor längeren Elementen („court avant long“) Aus dieser kurzen Darstellung zu attributiven Adjektiven wird deutlich, dass sich die Verfügbarkeit von zwei Positionen nicht auf alle attributiven Adjektive ausweitet. Für die Adjektive, die beide Positionen erlauben, scheinen vielmehr zahlreiche gram‐ matische Kriterien eine Rolle bei der Entscheidung für das voran- oder nachgestellte Adjektiv zu spielen. Diese Darstellung in den behandelten romanischen Sprachen steht im Kontrast zum Deutschen. Hier sind attributive Adjektive stets pränominal, wie die deutschen Übersetzungen einiger der zuvor aufgeführten romanischen Beispiele zeigen: (11) a. Mein zukünftiger Ehemann - b. Der mutmaßliche Mörder - c. Ein biochemisches Problem - d. Ein schwarzer Tag Aus Sicht des frühkindlichen Spracherwerbs könnte man vermuten, dass das deutsche System eindeutiger als das romanische System ist und daher beim Erwerb attributiver Adjektive weniger Probleme bereiten sollte. Im nächsten Unterkapitel werden wir den monolingualen Erwerb näher betrachten. 6.1.2 Monolingualer Erwerb attributiver Adjektive In den letzten Jahren haben sich nur wenige Studien mit dem monolingualen Erwerb at‐ tributiver Adjektive beschäftigt. Diese Studien stimmen darin überein, dass der Erwerb attributiver Adjektive im Deutschen und in den romanischen Sprachen Französisch, Italienisch und Spanisch problemlos vonstatten geht. Aus den Studien von Mills (1985), Repetto (2006) und Rizzi (2012) wird deutlich, dass der Erwerb der Adjektivstellung im Deutschen früh und fehlerfrei stattfindet. Repetto (2006) und auch Rizzi (2012) untersuchen die Daten von Kerstin und Ch_d, zwei monolingual deutschsprachigen Kindern. Zwischen 2; 6 und 3; 0 produziert Kerstin zahlreiche attributive Adjektive, wie die Beispiele in (12) zeigen. Auffällig ist, dass Repetto (2006) keine Fälle von nachgestellten Adjektiven im Deutschen (des Kindes Ch_d) findet. (12) a. Hat s(ch)öne Schuhe an (Ch_d, 2; 7,23) - b. großen Ball male ich hier (Ch_d, 2; 9,11) Rizzi (2012) analysiert ebenfalls die Sprachdaten vom deutsch monolingual aufwach‐ senden Kind Ch_d. Es wurde longitudinal im Zeitraum zwischen 1; 10 und 4; 0 Jahren untersucht. Ch_d produziert 195 attributive Adjektive, alle sind zielsprachlich voran‐ gestellt. 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen 133 <?page no="134"?> Für den Erwerb attributiver Adjektive im Italienischen gibt die Arbeit von Cardi‐ naletti und Giusti (2010) einen Überblick. Die Autorinnen analysieren Sprachdaten von vier monolingual italienischsprachigen Kindern zwischen 1; 6 und 2; 6. Darüber hinaus untersuchen sie die Adjektivstellung in der kindgerichteten Sprache dieser monolingualen Kinder. Zusammenfassend kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass die Produktionen der Kinder diejenigen der erwachsenen Gesprächspartner: innen widerspiegeln (Cardinaletti und Giusti 2011: 92). Für den Erwerb attributiver Adjektive im Französischen analysiert Fox (2012, 2014) die Sprachdaten dreier monolingual aufwachsender Kinder im Alter von 3; 7 bis 4; 8. Die Aufnahmen fanden zweimal statt, mit etwa einem Jahr Abstand zwischen der ersten (T1) und der zweiten (T2) Aufnahme. Darüber hinaus untersucht die Autorin den kindgerichteten Input. Fox (2014: 118) stellt fest, dass die monolingualen Kinder in T1 attributive Adjektive bereits zielsprachlich verwenden können. Diejenigen Adjektive, die sowohl präals auch postnominal auftreten dürfen (s. Beispiele (2) und (7) oben), werden lediglich in einer der beiden möglichen grammatischen Positionen in T1 verwendet. In T2, ungefähr ein Jahr später, sind die monolingualen Kinder dann aber in der Lage, alternierende Adjektive in beiden Positionen zu verwenden, was dem kindgerichteten Input entspricht. Der (früh)kindliche Erwerb attributiver Adjektive im Spanischen wurde von Álvarez López (2004) und kürzlich von Morales Reyes (2021) untersucht. Wir werden hier die empirische Arbeit von Álvarez López (2004) ausführlicher vorstellen. Die Autorin analysiert die spontanen Sprachdaten von vier monolingual spanischsprachig auf‐ wachsenden Kindern zwischen 2; 0 und 4; 0, die regelmäßig (halbjährlich) aufgenommen wurden. Es werden insgesamt 918 Adjektive in den kindlichen Sprachdaten gefunden. Attributive Adjektive machen 22,5% des gesamten Korpus aus, mit 206 Produktionen (Token) von 55 unterschiedlichen Adjektiven (Typen). Postnominale Adjektive werden in 165 Fällen beobachtet, gefolgt von lediglich 8 vorangestellten Adjektiven; 41 weitere Adjektive werden zusammen mit einer Determinante verwendet, allerdings ohne No‐ men (beispielsweise in la roja ‚die rote‘). Wenn wir voran- und nachgestellte Adjektive berücksichtigen, so wird deutlich, dass monolingual spanischsprachige Kinder im Alter zwischen 2; 0 und 4; 0 die postnominale Stellung des attributiven Adjektivs in 95% der Fälle bevorzugen (Álvarez López 2004: 135 f.). Aus einer lexikalischen Perspektive werden überwiegend Adjektive im Spanischen verwendet, die Größe (chico, grande), Farbe (anaranjado) und Wert (bonito, super, pinchi) ausdrücken (Álvarez López 2004: 137 f.). Unsere Darstellung der empirischen Studien zum Erwerb der Position attributiver Adjektive im Deutschen und in den romanischen Sprachen hat gezeigt, dass monolin‐ guale romanischsprachige Kinder, trotz Alternation der Adjektive in diesen Sprachen, in der Lage sind, dieses grammatische Phänomen von Beginn an problemlos zu erwerben. Der Erwerb attributiver Adjektive im Deutschen verläuft ebenfalls ohne Schwierigkeiten. Im nächsten Unterkapitel wollen wir der Frage nachgehen, inwieweit bilinguale Kinder, die mit Deutsch und einer romanischen Sprache aufwachsen (oder mit zwei romanischen Sprachen), einen ähnlichen Verlauf wie monolinguale Kinder 134 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="135"?> zeigen oder ob, bedingt durch den simultanen Erwerb des Deutschen oder einer weiteren romanischen Sprache, abweichende Adjektivstellungen zu beobachten sind. 6.1.3 Bilingualer Erwerb attributiver Adjektive Wir beginnen mit dem Deutschen der bilingualen Kinder. Rizzi et al. (2013) analysierten 13 bilinguale Kinder, die das Deutsche zusammen mit einer romanischen Sprache simultan erwerben. In den 2.486 monolingualen Nominalphrasen mit attributiven Ad‐ jektiven fanden die Autorinnen lediglich 56 postnominale Adjektive. Das entspricht ei‐ nem Prozentsatz von 2,3%. Die folgende Abbildung 1 zeigt exemplarisch acht bilinguale Kinder aus dem analysierten Korpus von Rizzi et al. (2013) für die Sprachkombinationen Deutsch-Französisch (Ce_df, Am_df, Al_df, Ma_df) und Deutsch-Spanisch (Ar_ds, Te_ds, Lu_ds, No_ds). Die Kinder sind nach der MLU-Differenz (vgl. Kap. 4.2.1.1) angeordnet, nämlich von einer Dominanz im Deutschen (links) zu einer Dominanz in der romanischen Sprache (rechts). Die durchschnittliche MLU-Differenz wird in Abbildung 1 in Klammern angegeben. 221 134 59 125 13 338 131 16 1 0 4 0 2 5 9 0 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ce_df (0,98) Ar_ds (0,68) Te_ds (0,49) Lu_ds (0,13) No_ds (-0,24) Am_df (-0,33) Al_df (-0,91) Ma_df (-1,90) Adjektivstellung im Deutschen *N + A A + N Abbildung 1. Adjektivstellung im Deutschen bei 8 bilingualen Kindern je nach Sprachdominanz (links = Deutsch, rechts = Französisch, bzw. Spanisch) Diese Abbildung zeigt deutlich, dass der Erwerb der deutschen Adjektivstellung unabhängig von der Sprachdominanz ist. Sogar das bilinguale deutsch-französisch‐ sprachige Kind Ma_df, das eine starke Dominanz im Französischen aufweist, produziert ausschließlich deutsche Adjektive vor dem Nomen. Aus diesen Daten kann man ferner schliessen, dass die Sprachkombination keine Rolle beim Erwerb attributiver Adjektive im Deutschen spielt. 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen 135 <?page no="136"?> Für die Analyse der Adjektivstellung im Französischen bei bilingualen Kindern wur‐ den die Sprachdaten von sechs Kindern herangezogen. Konkret wachsen drei Kinder (Al_df, Am_df, Ce_df) simultan mit Französisch und Deutsch auf, zwei weitere Kinder ( Ju_fi, Si_fi) haben Französisch und Italienisch als Muttersprachen und Sy_fs erwirbt Französisch zusammen mit Spanisch. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich vom 2. bis zum 4. Lebensjahr. Es wurden zirka 1.400 Nominalphrasen mit einem französischen attributiven Adjektiv analysiert. Wie bereits in der Literatur vorgeschlagen, wurden die verwendeten Adjektive je nach Adjektivtyp (Wilmet 1981 folgend) klassifiziert: (i) das Adjektiv tritt lediglich pränominal auf (AN), (ii) das Adjektiv muss nachgestellt werden (NA) und (iii) das Adjektiv darf sowohl vor als auch nach dem Nomen stehen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Verteilung der französischen attributiven Adjektive nach Typen und Token, die von den bilingualen Kindern verwendet wurden. - (i) AN-Adjektive (ii) NA-Adjektive (iii) Alternierende A Typen 5 10 31 Tokens 805 / 8 21 / 174 360 / 30 Type / Token Ratio (TTR) 0,006150062 0,051282051 0,079487179 Tabelle 1. Adjektivtypen und -token je nach Gruppenzugehörigkeit (i)-(iii) Bezüglich des Vorkommens von Adjektivtypen stellt Arnaus Gil (2015b) fest, dass eine große Anzahl an alternierenden Adjektiven in den Spracherwerbsdaten vorzufinden sind, gefolgt von den postnominalen (Gruppe (ii)) und pränominalen Adjektiven (Gruppe (i)). Betrachten wir die absolute Anzahl an vorkommenden Adjektiven (To‐ ken), erkennt man deutlich, dass vor allem pränominale Adjektive der Gruppen (i) und (iii) am häufigsten, konkret mit insgesamt 1.165 Fällen (d. h., 805 aus der Gruppe (i) und 360 aus der Gruppe (iii)), von den bilingualen Kindern produziert wurden. Diese Beob‐ achtung entspricht anderen empirischen Studien. Die in Fettdruck gekennzeichneten Zahlen aus Tabelle (1) beziehen sich auf nicht erwartete Stellungen von Adjektiven der Gruppe (i) und (ii). Mit anderen Worten findet man acht nachgestellte Adjektive der Gruppe (i) und 21 pränominale Adjektive, die u. a. nach Wilmet (1981) lediglich postnominal stehen sollten. Diese 29 Fälle aus 1.008 Token der Gruppen (i) und (ii) machen nur 2,88% der gesamten verwendeten Adjektive dieser zwei Gruppen aus. Die acht Token der Gruppe (i) können zu zwei Adjektivtypen zugeordnet werden, nämlich petit und grand, wie in den folgenden Beispielen (13) und (14). Die nicht-erwarteten 21 pränominalen Stellungen von Adjektiven der Gruppe (ii) entsprechen einem einzigen Adjektivtyp: Farbadjektive. Beispiele hierfür finden wir unter (15). 136 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="137"?> (13) a. poissons grands Al_df (frz-dt, 4; 3,0) - b. une lumière grande Ju_fi (frz-it, 2; 11) - (14) a. tortue petite Al_df (frz-dt, 3; 9,7) - b. des gateaux p’tits Ju_fi (frz-it, 3; 0,10) - (15) a. rouge couvert Am_df (frz-dt, 2; 10,17) - b. une jaune assiette Ce_df (frz-dt, 4; 5,14) - c. un bleu homme Ju_fi (frz-it, 3; 9,17) Die Tabelle 1 zeigt ferner das Verhältnis zwischen der Anzahl an unterschiedlichen Adjektiven pro Gruppe (Typen) und der Frequenz, in der die Adjektive der jeweiligen Gruppen aufgetreten sind (Token). Durch die Berechnung dieses Verhältnisses, d. h. der Type-Token-Rate (TTR), wird Folgendes deutlich: Adjektive der Gruppe (i) bestehen aus einer sehr kleinen Gruppe unterschiedlicher Adjektive, die aber hochfrequent ist (TTR = 0,006). In den Gruppen (ii) und (iii) finden wir eine größere Anzahl an unterschiedlichen Adjektiven. Ein höhere TTR deutet also darauf hin, dass es in der Gruppe mehr Diversität an unterschiedlichen Adjektiven gibt. Eine Frage, die wir uns bei der Betrachtung der Adjektivstellung im Französischen stellen könnten, betrifft den Einfluss der Sprachkombination oder der Sprachdominanz. Konkret wäre denkbar, dass bilinguale Kinder, die das Französische zusammen mit einer weiteren romanischen Sprache simultan erwerben, die meisten alternierenden Adjektive im Französischen aufweisen. Im Gegensatz dazu sollten die simultanen fran‐ zösisch-deutschsprachigen Kinder dazu tendieren, attributive Adjektive im Französi‐ schen eher pränominal zu stellen. Abbildung 2 zeigt den Prozentsatz an pränominalen Stellungen bei den Adjektiven der Gruppen (i)-(iii) je nach Sprachkombination. 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen 137 <?page no="138"?> 525 222 57 11 10 196 137 36 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Frz-Dt (N=3) Frz-It (N=2) Frz-Sp (N=1) Pränominale Stellung im Frz (Tokens, in %) AN-Adjektive NA-Adjektive Alternierende Abbildung 2. Pränominale Stellung (in%) französischer Adjektive der Gruppen (i)-(iii) der bilingualen Kinder je nach Sprachkombination Die pränominale Stellung überwiegt bei allen bilingualen Kindern - unabhängig von der Sprachkombination - sowohl für die Adjektive der Gruppe (i) (AN-Adjektive) als auch für solche der Gruppe (iii) (alternierende Adjektive). Adjektive, die lediglich postnominal auftreten dürfen (NA, Gruppe (ii)), werden in der Abbildung 2 mit einem niedrigen Prozentsatz beobachtet, was zu erwarten ist. Die Abbildung zeigt deutlich, dass es keinen Zusammenhang zwischen Adjektivposition und Sprachkombination gibt. Könnte die Sprachdominanz im Deutschen eine nicht-zielsprachliche pränominale Präferenz mit Adjektiven der Gruppe (ii) erklären? Und könnte eine Dominanz in der romanischen Sprache einen Hinweis auf die nicht-zielsprachliche Verwendung von AN-Adjektiven nach dem Nomen geben? Lässt sich also anhand der Sprachdominanz einen Spracheneinfluss nachweisen? Dieser Zusammenhang wird mit Hilfe der Abbil‐ dung 3 dargestellt. 138 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="139"?> 1 Thuilier et al. (2012) analysieren das Vorkommen von attributiven Adjektiven aus dem Korpus French Tree Bank (FTB, Abeillé, Clément und Toussenel 2003). Dieses Korpus besteht aus Zeitungsartikeln von Le Monde. Die Autorinnen stellen fest, dass Farbadjektive lediglich 0,4% aller analysierten attributiven Adjektiven in ihrem Korpus ausmachen (Thuilier et al. 2012: 56). 60 29 323 142 193 57 5 3 3 10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Ce_df (0,98) Si_fi (-0,20) Am_df (-0,33) Al_df (-0,91) Ju_fi (-1,17) Sy_fs (-1,31) Pränominale Stellung im Frz (Tokens, in %) AN-Adjektive NA-Adjektive Abbildung 3. AN-/ NA-Adjektive und pränominale Stellung (in%) der bilingualen Kinder je nach Sprach‐ dominanz (links = Deutsch, rechts = Spanisch, bzw. Italienisch) Wir beginnen mit der Beschreibung der AN-Adjektive (Gruppe (i)) in grau. Hier sehen wir deutlich, dass alle bilingualen Kinder - unabhängig von ihrer Sprachdominanz, gemessen mit Hilfe der MLU-Differenz - die Adjektive der Gruppe (i) (fast) fehlerfrei pränominal platzieren. Die postnominale Stellung bei dieser Gruppe liegt bei 2,27%. NA-Adjektive, die wir in der Abbildung mit den schwarzen Balken gekennzeichnet haben, zeigen teilweise hohe, teilweise sehr niedrige Prozentsätze. Die niedrigen Raten sind in der Tat zu erwarten. Wir erinnern uns, dass diese Adjektive (wie beispielsweise Farbadjektive) nach dem Nomen auftreten sollen. Sieben von acht Kindern zeigen zwischen 0%-12% NA-Adjektive in der pränominalen Position (s. Beispiele in (15)). Diese Fälle betreffen lediglich Farbadjektive, die im Französischen eine starke Präferenz für die postnominale Position aufweisen (vgl. Wilmet 1981 mit 95% postnominaler Stellung). 1 Einen Zusammenhang mit Sprachdominanz scheint es nicht zu geben. Zwei Gründe wollen wir hierfür anführen: Erstens würden wir für Sy_fs ebenfalls vorangestellte Adjektive der Gruppe (ii) erwarten und zweitens hätte Am_df keine pränominalen Stellungen von NA-Adjektiven realisieren sollen, da sie, zusammen mit Si_fi, als balanciert eingestuft wurde. Schließlich möchten wir über Ce_df sprechen, die nach ihrer MLU-Differenz stark dominant im Deutschen ist. Wie zu erkennen ist, produziert Ce_df fünf pränominale Adjektive der Gruppe (ii), die über 45% der Fälle ausmachen. Konkret sind es insgesamt 11 Token in dieser Gruppe, jedoch beziehen sich alle auf einen bestimmten Typ, nämlich Farbadjektive. Ce_df produziert auch 5 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen 139 <?page no="140"?> 2 Die hier dargestellten Daten wurden aus Rizzi et al (2013) entnommen. Um der Frage nach der Sprachdominanz nachgehen zu können, wurden sie in Arnaus Gil (2015b) erneut analysiert. pränominale Farbadjektive, was im Französischen nicht der Zielsprache entspricht. Alle fünf Token werden im Zeitraum zwischen 4; 5-4; 8 produziert, in dem Ce_df ’s MLU-Differenz bei 0,53 liegt. Nach Arencibia Guerra (2008) ist Ce_df ’s Sprachentwick‐ lung im 5. Lebensjahr (4; 0-4; 11) balanciert. Aus diesem Grund können diese Fälle nicht mithilfe der Sprachdominanz erklärt werden. Zusammenfassend haben die bilingualen Kinder, die Französisch zusammen mit Deutsch oder einer weiteren romanischen Sprache erwerben, keine Probleme beim Erwerb der Adjektivstellung. Sie sind zielsprachlich in allen drei Adjektivgruppen, entsprechen der Erwachsenengrammatik und dem Erwerbsverlauf bei monolingualen französischsprachigen Kindern (vgl. Kap. 6.1.2). Es konnte weder ein Einfluss der Sprachkombination noch der Sprachdominanz nachgewiesen werden. Als Letztes präsentieren wir den Erwerb der attributiven Adjektive im Spanischen bei sechs bilingualen Kindern, die Spanisch zusammen mit Deutsch oder Franzö‐ sisch simultan erwerben. Wir erinnern uns aus dem vorherigen Unterkapitel, dass monolinguale spanischsprachige Kinder keine Schwierigkeiten mit dem Erwerb der Adjektivstellung zeigen. Sie stellen das attributive Adjektiv in zirka 95% der Fälle postnominal. In der folgenden Abbildung 4 haben wir die sechs bilingualen Kinder nach Sprachdominanz geordnet (je höher die Werte in den Klammern nach den Pseudony‐ men, desto dominanter im Spanischen). Auf der linken Seite der x-Achse sind solche Kinder platziert, die anhand der MLU-Differenz dominant oder eine Tendenz zum Französischen (Sy_fs) bzw. zum Deutschen (Ar_ds) haben. Rechts auf dem Kontinuum finden wir die Kinder, die eine Dominanz im Spanischen aufweisen. Generell wird die postnominale Position in 54,8% beobachtet. Wie man allerdings der Abbildung 4 entnehmen kann, entsprechen einige bilinguale Kinder dem in monolingualen Studien beobachteten Prozentsatz von 95%, wie beispielsweise Ar_ds und Te_ds, während andere lediglich zwischen 25% und 50% nachgestellte Adjektive verwenden (vgl. Rizzi et al. 2013). 2 140 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="141"?> 89 2 2 54 2 35 102 49 10 20 3 39 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Sy_fs (1,31) Ar_ds (0,68) Te_ds (0,49) Lu_ds (0,13) No_ds (-0,24) Er_ds (-0,97) Prozentsatz Adjektivstellung (Tokens) AN NA Abbildung 4. Prä- und postnominale Stellung (in%) der bilingualen Kinder im Spanischen je nach Sprachdominanz (links = Deutsch, bzw. Französisch, rechts = Spanisch) Die Prozentsätze der postnominalen Stellung in den spanischen Sprachdaten der bilingualen Kinder, die wir bereits beschrieben haben, lassen sich nicht auf die Sprach‐ dominanz zurückführen. Vielmehr wäre es interessant genau zu untersuchen, welche Adjektivtypen in der pränominalen Position produziert wurden. Mit anderen Worten möchten wir herausfinden, warum es bei den bilingualen Kindern so hohe Anteile pränominaler Adjektivstellungen im Gegensatz zu den monolingualen spanischspra‐ chigen Kindern aus der Forschungsliteratur gibt. Eine genauere Betrachtung ergibt die Auflistung der Adjektivtypen, die in dieser Position verwendet wurden, unter (16). (16) chiquitito, grande, bueno, próximo, pobre, otro, menudo, pequeño, rápido, mismo, nuevo, lindo und Farbadjektive Innerhalb der Gruppe der Adjektive in (16) befinden sich solche, die im Spanischen nur pränominal gestellt werden können, wie zum Beispiel otro oder menudo; andere Adjektive treten in der Regel lediglich postnominal auf, wie chiquitito oder rápido und einige dürfen sowohl voranals auch nachgestellt werden, wie beispielsweise grande, bueno oder pobre. In einem nächsten Schritt haben wir alle drei Adjektivtypen identifiziert. Diese Information kann man in der folgenden Tabelle 2 aus Arnaus Gil (2015b) nachlesen. 6.1 Adjektivstellung in romanischen Sprachen und im Deutschen 141 <?page no="142"?> - Nur AN Nur NA alternierend Sy_fs (1,31) 61 5 23 Ar_ds (0,68) - 1 1 Te_ds (0,49) - - 2 Lu_ds (0,13) 32 6 16 No_ds (-0,24) 2 - - Er_ds (-0,97) 31 - 4 Tabelle 2. Die in der pränominalen Position produzierten Adjektivtokens je nach bilingualem Kind (nach Sprachdominanz angeordnet) Die Tabelle zeigt deutlich, dass sich die bilingualen Kinder nur in wenigen Kontexten nicht-zielsprachlich verhalten. Konkret sind es 12 von insgesamt 184 Nominalphrasen mit einem pränominalen Adjektiv. Das entspricht einem Prozentsatz von 6,5%. Zusam‐ menfassend deuten diese Daten darauf hin, dass die bilingualen Kinder in der Tat mehr pränominale Adjektive verwenden als die spanisch monolingualen Kinder aus der Li‐ teratur. Diese Produktionen hängen jedoch nicht von der Sprachkombination oder der Sprachdominanz ab und sind vor allem im Spanischen möglich. Nicht-zielsprachliche pränominale Stellungen sind selten. Bevor wir die Diskussion attributiver Adjektive abschließen, möchten wir auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen, nämlich gemischte nominale Ausdrücke, in denen Adjektive aus Sprache A in einer ansonsten aus Sprache B bestehenden Nominalphrase verwendet werden. Cantone und MacSwan (2009) untersuchen die Spontandaten von fünf italienisch-deutsch aufwachsenden Kindern (2; 6-4; 10) sowie die Akzeptanz von Sprachmischungen in DPn mit einem Adjektiv bei zehn italie‐ nisch-deutsch bilingualen Erwachsenen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen ein ähn‐ liches Verhalten bzgl. der Verwendung gemischtsprachiger DPn mit einem Adjektiv; Junge und erwachsene bilinguale Sprecher: innen bevorzugen die Wortstellung, die von der Sprache des Adjektivs bestimmt wird (Cantone und MacSwan 2009: 266). Arnaus Gil et al. (2012) analysierten die Longitudinaldaten von zwölf der bereits in Rizzi et al. (2013) untersuchten bilingualen Kinder und stellen fest, dass die Kinder überwiegend pränominale Adjektive in gemischtsprachigen DPn verwendeten (81%, vgl. Beispiele (17a) und (17b)) im Gegensatz zu postnominalen Adjektivstellungen (vgl. Beispiele in (17c)).- (17) Beispiele von gemischten DPn mit einem Adjektiv aus Arnaus Gil et al. (2012: 251) - a. das blau-cheval (Al_df, Frz-Dt, 2; 7,6, Dt. Kontext) - b. un grande-Ohr (Ar_ds, Sp-Dt, 3; 6,7, Sp. Kontext) - c. una cosa schwerer (Au_di, It-Dt, 4; 0,9, It. Kontext) 142 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="143"?> Die Autorinnen konnten beobachten, dass die Sprache des Nomens die Adjektivstel‐ lung innerhalb der DPn bestimmt. Von den empirischen Studien zu gemischten DPn mit einem attributiven Adjektiv erkennen wir, dass einige Autor: innen die Stellung des Adjektivs innerhalb der DP anhand der Sprache des Adjektivs und andere Autor: innen anhand der Sprache des Nomens erklären. Mehr Daten müssen in dieser Hinsicht analysiert werden. Was dieses Phänomen in den Sprachdaten junger bilingualer Kinder jedoch gut zeigen kann, ist, was wir vorher über die monolingualen Produktionen derselben bilingualen Kinder feststellen konnten, nämlich, dass sie von Beginn an die Syntax ihrer beiden Muttersprachen beherrschen. Darüber hinaus stellen die Autorinnen fest, dass eine Handvoll kindlicher Produk‐ tionen (9 Fälle, 7% der gesamten 129 gemischtsprachlichen DPn mit einem Adjektiv) gegen diese Erklärung sprechen würden, wie die folgenden Beispiele in (18) zeigen. (18) Beispiele von gemischten DPn mit einem Adjektiv, entgegen der Annahme, dass die Sprache des Nomens die Adjektivstellung bestimmt (Arnaus Gil et al. 2012: 252) - a. i boxerhunde piccolo ( Ja_di, It-Dt, 4; 9,16, It. Kontext) - b. Una schaufel magica (Lu_di, It-Dt, 3; 1,10, It.-Kontext) - c. schere piccola (Va_di, It-Dt, 3; 5,4, Dt. Kontext) Die bilingual italienisch-deutschsprachigen Kinder, die diese Stellung verwenden, haben gemeinsam, dass sie stark dominant im Italienischen sind. Diese wenigen Fälle können also anhand der Sprachdominanz erklärt werden (Arnaus Gil et al. 2012: 254). 6.1.4 Zusammenfassung In diesem Unterkapitel zum Erwerb der attributiven Adjektive haben wir gezeigt, dass bilinguale Kinder, die eine romanische Sprache erwerben, keine Schwierigkeiten haben, die Stellung attributiver Adjektive genau wie monolinguale Kinder zu erwerben. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass weder die Sprachkombination noch die Sprachdominanz einen Einfluss auf den Erwerb der Adjektive haben. Diese Beobach‐ tung zeigt eine enorme Leistung der bilingualen Kinder, zumal die Stellung attributer Adjektive in den romanischen Sprachen alterniert. 6.2 OV-VO in romanischen Sprachen und im Deutschen Dieses Unterkapitel stellt den Erwerb der Abfolge des nicht-finiten Verbs (Infinitiv oder Partizip Perfekt) und seinen Objekten vor, z. B. manger (mangé) la pomme vs. den Apfel essen (gegessen). 6.2.1 Zielsysteme In den romanischen Sprachen ist die Verbalphrase kopfinitial, wie alle anderen Phrasen im Satz. Dies führt zu der linearen Abfolge VO. Das Deutsche ist kopffinal innerhalb 6.2 OV-VO in romanischen Sprachen und im Deutschen 143 <?page no="144"?> der VP (und der TP), ansonsten stimmt die lineare Abfolge von Kopf und Komplement mit der in romanischen Sprachen überein. Das Deutsche ist also keine Sprache, in der alle Phrasen kopffinal sind. Der Ausdruck „kopffinal“ ist in der Syntaxforschung auf unterschiedliche Weise konzeptualisiert worden. Im Prinzipien- und Parametermodell (Chomsky 1981), in dem der Aufbau von Phrasen uniform angelegt war - mit der Möglichkeit der Parametrisierung des Kopfes auf den Wert „final“ oder „initial“ - war der Unterschied zwischen der romanischen und der deutschen VP auf das Setzen des sogenannten Kopfparameters zurückzuführen. Seit Kayne (1994) und Chomsky (1995) hat sich die Modellierung des Unterschieds zwischen Phrasen, in denen das Komplement linear dem Verb folgt (VO) bzw. in denen es linear vor dem Verb steht (OV), geändert, da die universal zur Verfügung stehende syntaktische Struktur keine sprachspezifischen Parameter enthalten kann. Für die nachfolgenden Überlegungen zum Erwerb ist es aber unerheblich, ob sich die lineare Abfolge von Komplement und Verb innerhalb der VP aus einem Kopfparameter ergibt, oder aber Linearisierung ganz außerhalb des syntaktischen Systems erfolgt. Aus diesem Grund werden wir zwar auf den Ausdruck Kopfparameter verzichten, aber von kopfinitial und kopffinal sprechen. In Kapitel 2.4.2.1 hatten wir für die Null-Argument-Eigenschaft eine Hierarchie eingeführt. Für die Wortstellung kann eine solche Hierarchie genauso aufgestellt werden. Biberauer, Holmberg, Roberts und Sheehan (2014: 110) verwenden hierfür den neutralen Ausdruck „kopffinal“. Auf makroparametrischer Ebene, wenn also alle syntaktischen Kategorien betroffen sind, bilden die Verfasser: innen zunächst die ro‐ manischen Sprachen ab, die allesamt kopfinitiale Sprachen sind. Der entgegengesetzte makroparametrische Wert wird durch Sprachen wie das Japanische abgedeckt, wo alle Phrasen kopffinal sind. Baker (2008: 361) kommt beim Vergleich einer großen Anzahl von Sprachen zu dem Ergebnis, dass 427 Sprachen einheitlich kopffinal und 417 konsistent kopfinitial sind. Er kommt weiter zu dem Ergebnis, dass 38 Sprachen eine kopfinitiale VP und eine kopffinale PP (Präpositionalphrase) aufweisen. Nur 10 Sprachen haben eine kopffinale VP und eine kopfinitiale PP. In der Abbildung 5 kann man erkennen, dass im Deutschen auf der mesoparametrischen Ebene, wenn also natürliche Klassen von Kategorien betroffen sind, einige Köpfe kopffinal sind. Das Deutsche ist also markierter als die romanischen Sprachen oder das Japanische, da die kopffinale Eigenschaft nur eine bestimmte Reihe von Köpfen betrifft. Abbildung 5. Kopfposition als Parameterhierarchie in Anlehnung an Biberauer et al. (2014: 110) 144 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="145"?> Wie beim Nullsubjektparameter in Kap. 2.4.2.1 ist auch mit der Entscheidung hin‐ sichtlich der Kopfposition ein Cluster von weiteren Eigenschaften assoziiert, da es sich ansonsten bei der Kopfposition auch um eine ganz einfache Grammatikregel handeln könnte, z. B. „Stelle das nicht-finite Verb ans Ende des Satzes! “. Dieses Cluster wurde von Neelemann und Weerman (1999) benannt, ist bisher jedoch nicht in die Parameterhierarchie eingearbeitet worden. So zeichnen sich OV-Sprachen dadurch aus, dass sie ein morphologisch reiches Kasussystem aufweisen (wie z. B. das Deutsche). Außerdem kann in diesen Sprachen das Objekt über die Satznegation hinweg nach links verschoben werden, wie in (19), bei dem das (direkte) Objekt fett hervorgehoben und das Negationsadverb unterstrichen ist. (19) Ich habe den Koffer nicht mitgenommen Romanische Sprachen, die VO-geordnet sind, weisen kein reiches Kasussystem auf; residual zeigt sich ein Kasussystem allein bei den schwachen Pronomina (z. B. je, io, yo als Nominativ vs. me, mi als Nicht-Nominativ), jedoch nicht an Determinanten oder Nomina (vgl. Kap. 6.3.1). Ferner ist die Wortstellung, außer bei schwachen Pronomina, rigide, d. h. sie weisen eine feste Stellung und Reihenfolge in Relation zu finiten und infiniten Verben auf. 6.2.2 Erwerb durch monolinguale und bilinguale Kinder Monolinguale Kinder, die eine romanische Sprache erwerben, wissen ab der Zwei-Wort-Phase, dass ihre Sprache VO-geordnet ist (Belletti und Guasti 2015: 13, Clark 1986: 709 ff., Prévost 2009: 27 f., Repetto 2010: 175, 183). Clark (1986: 712) weist jedoch richtigerweise darauf hin, dass sehr frühe Erwerbsphasen bei monolingualen Kindern kaum untersucht wurden. Eine systematische Analyse der Zwei-Wort-Phase bei monolingual romanischsprachigen Kindern fehlt bis heute. Für das Deutsche liegen Informationen aus Clahsen (1982), Mills (1985) und Repetto (2010: 167) vor. Diese Studien zeigen, dass die Kinder OV-Strukturen bereits in der Zwei-Wort-Phase benutzen. Die wenigen Longitudinalstudien zum Erwerb der VO-OV-Ordnung sind auf die Sprachkombinationen Französisch-Deutsch (Köppe 1996, Möhring und Meisel 2003, Müller 2009) und Italienisch-Deutsch (Repetto 2010) beschränkt und somit auf eine Handvoll bilingualer Kinder. Für die Kombination Französisch-Deutsch wurden die Erwerbsdaten in großen Zeitspannen (1; 5-4; 0) dargestellt. Das Ergebnis ist hier, dass die bilingualen Kinder sehr früh - in der Zweit-Wort-Phase - zwischen OV und VO unterscheiden. Zu diesem Ergebnis kommt auch Repetto (2010: 291, 294) auf der Grundlage der Daten von sechs bilingualen Kindern (1; 6-3; 6) für die Zweit-Wort-Phase. Jedoch liegen bisher keine Ergebnisse zu der Kombination Spanisch-Deutsch vor und insgesamt ist die Datenlage bis heute nicht repräsentativ. Wünschenswert wäre auch eine Betrachtung monolingualer Daten beschränkt auf sehr frühe Erwerbsphasen, um einen repräsentativen Vergleichswert zu den bilingualen Kindern zu haben. 6.2 OV-VO in romanischen Sprachen und im Deutschen 145 <?page no="146"?> Hulk (1997) und Hulk und van der Linden (1996: 93 ff.) weisen für Niederlän‐ disch-Französisch aufwachsende Kinder in den frühen französischen Daten auf Pro‐ bleme bei der Platzierung des Pronomens ça hin: il faut ça faire anstelle von il faut faire ça ‚man muss das machen‘. Für zukünftige Forschungen wäre interessant, die Position von V und O mit den unterschiedlichen Realisierungsarten von O (als starkes oder schwaches Pronomen, als DP) zu korrelieren. Auch die Verbklasse könnte eine Rolle spielen. Die wenigen Ergebnisse aus monolingualen und bilingualen Studien sind mit dem Parametermodell von Roberts (2019) kompatibel: OV vs. VO ist eine sehr frühe Entscheidung im Erwerbsprozess. Spracheneinfluss ist aufgrund der Einflusskriterien nicht zu erwarten: Weder überlappen sich OV vs. VO, noch betrifft die Positionierung von Objekten in Relation zum Verb eine Schnittstelle, wie die zwischen Syntax und Pragmatik. Es ist demnach der Fall, dass der Spracheneinfluss auch tatsächlich ausbleibt, wenn keines der Kriterien Anwendung findet. 6.2.3 Zusammenfassung In diesem Unterkapitel haben wir die VObzw. OV-Eigenschaft im Erwerb bilingual deutsch-französischer und deutsch-italienischer Kinder betrachtet. Die bilingualen Kinder zeigen in diesem Bereich, wie monolinguale Kinder, keine Entwicklung: Die zielsprachliche Positionen - VO bzw. OV - liegen von Beginn an sprachspezifisch vor. Jedoch sind weitere Studien mit Kindern anderer Sprachkombinationen nötig, um dieses Ergebnis zu erhärten. Ferner hat sich gezeigt, dass die Realisierung des Objekts, ob als Pronomen oder als DP, in zukünftigen Forschungen näher betrachtet werden sollte. Die Abwesenheit eines Spracheneinflusses lässt sich mit der Abwesenheit sowohl des Überlappungskriteriums als auch des Schnittstellenkriteriums für diesen grammatischen Bereich korrekt vorhersagen. 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen In diesem Unterkapitel möchten wir den bilingualen Erwerb von Pronominalsystemen im Hinblick auf das Auftreten von Spracheneinfluss untersuchen. Hierbei geht es um die Abfolge unterschiedlicher Pronomentypen und den Erwerb ihrer Eigenschaften, v. a. ihrer zielsprachlichen Position, in der kindlichen Sprache. Dagegen werden wir die Verwendung von Pronomina als Subjekte oder Objekte in Relation zu Auslassungen in den Unterkapiteln 7.3 und 7.4 behandeln. 6.3.1 Zielsysteme Wir veranschaulichen den Bereich am Beispiel der Nicht-Nullsubjektsprache Fran‐ zösisch und der Nullsubjektsprache Italienisch (vgl. auch Kap. 2), wenngleich alle 146 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="147"?> 3 Vgl. Übersicht in Kuchenbrandt, Kupisch und Rinke (2005) und Fischer und Goldbach (2016). 4 In den Tabellen nicht enthalten sind die sogenannten adverbialen Klitika für Lokation (fr. y/ it. ci) und Teilrelationen (fr. en/ it. ne), die für unsere Untersuchung keine Rolle spielen. Ferner lassen wir das schwache Dativpronomen loro im Italienischen hier außen vor - es unterscheidet sich von dem gleichlautenden starken Pronomen a loro durch seine syntaktische Position: Il professore diede loro l‘autorizzazione vs. Il professore diede l’autorizzazione a loro/ agli studenti (vgl. Cardinaletti 1991: 128). romanischen Sprachen klitische Pronomina im Objektbereich aufweisen. 3 Hingegen verfügt das Deutsche nicht über klitische Pronomina. In den beiden folgenden Tabellen 3 und 4 haben wir die jeweiligen Paradigmen für die beiden Sprachen aufgeführt. 4 Dabei spiegelt sich die Nullsubjekteigenschaft des Italienischen im Fehlen von Subjektklitika wider. Im Objektbereich wird die „residuale“ Kasusmarkierung von Pronomina deut‐ lich, d. h. die letzten Reste (Residuen) der ursprünglichen Kasusmarkierung, die die romanischen Sprachen aus dem Lateinischen geerbt haben. Person / Numerus Starke Pronomina Klitische Pronomina Subjekt Dir. Objekt Indir. Objekt Subjekt Dir. Objekt Indir. Objekt Reflexiv 1. Pers. Sg. moi moi à moi je me me me 2. Pers. Sg. toi toi à toi tu te te te 3. Pers. Sg. m./ f. lui/ elle lui/ elle à lui/ elle il/ elle/ on le/ la lui se 1. Pers. Pl. nous nous à nous nous nous nous nous 2. Pers. Pl. vous vous à vous vous vous vous vous 3. Pers. Pl. m./ f. eux/ elles eux elles à eux/ elles ils/ elles les leur se Tabelle 3. Französische Pronomina Person/ Numerus Starke Pronomina Klitische Pronomina Subjekt Dir. Objekt Indir. Objekt Subjekt Dir. Objekt Indir. Objekt Reflexiv 1. Pers. Sg. io me a me ∅ mi mi mi 2. Pers. Sg. tu te a te ∅ ti ti ti 3. Pers. Sg. m./ f. lui/ lei lui/ lei a lui/ lei ∅ lo/ la gli/ le si 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 147 <?page no="148"?> 1. Pers. Pl. noi noi a noi ∅ ci ci ci 2. Pers. Pl. voi voi a voi ∅ vi vi vi 3. Pers. Pl. m./ f. loro loro a loro ∅ li/ le gli si Tabelle 4. Italienische Pronomina Die Ähnlichkeit der beiden Sprachen im Objektbereich belegen Schmitz und Müller (2008: 22) anhand spontaner Interaktionsdaten monolingualer französischer und ita‐ lienischer Erwachsener mit Kindern (also Input-Daten). Auf der Basis von 2.168 finiten Sätzen mit einem Subjekt (intransitive und transitive Verben) und 1.072 finiten Sätzen mit einem Objekt (nur transitive Verben) im Französischen sowie 1.637 bzw. 1.327 entsprechenden italienischen Sätzen zeigen sie die in Abbildung 6 illustrierten Proportionen, nämlich jeweils ca. 40% klitische Objektpronomina und 35-40% lexika‐ lische (DP) Objekte in den beiden Sprachen. Im Subjektbereich reflektieren sich die systematischen Unterschiede: Während im Französischen die Subjektklitika in 85% der Subjektpositionen auftreten, bleibt die Subjektposition im Italienischen zu über 80% leer. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Sub. Fr. Sub. It. Obj. Fr. Obj. It. Auslass. DP Starke Pr. Klit. Pr. Abbildung 6. Pronomentypen im französischen und italienischen Zielsystem Gegenüber diesen beiden romanischen Sprachen zeichnet sich das Deutsche dadurch aus, dass seine Pronomina ambig zwischen stark (betonbar) und schwach (nicht betonbar) sind, mit Ausnahme des ausschließlich schwachen Pronomens es. Aber was bedeutet es, wenn ein Pronomen stark/ schwach/ klitisch ist? Cardinaletti und Starke (1999) haben gezeigt, dass romanische Klitika ein homogenes syntaktisches, semantisches und phonologisches Verhalten aufweisen, das sie von starken Pronomina unterscheidet. Wir präsentieren im Folgenden die zentralen Eigenschaften am Beispiel 148 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="149"?> der französischen und italienischen Klitika im Vergleich mit dem Deutschen und beziehen auch ihre Position mit ein. Auf der syntaktischen Ebene zeigt sich die Defizität der Klitika in Konstruktionen mit Koordination: Während starke Pronomina koordiniert werden können, gilt das nicht für klitische Pronomina, wie das französische Beispiel aus Cardinaletti und Starke (1999: 149) in (20) veranschaulicht, in dem <+h> für <+human> und <-h> für <-human> steht und sich auf die vorhandene bzw. nicht vorhandene Möglichkeit der Referenz auf Menschen bezieht: (20) a. Il est beau <±h> - - Er clit ist schön - b. *Il et celui de Jean sont beaux <+h> - - Er clit und der von Jean sind schön - c. Lui est beau <+h> - - Er st ist schön - d. Lui et celui de Jean sont beaux <+h> - - Er st und der von Jean sind schön Die französischen Subjektklitika stehen - mit Ausnahme von Subjekt-Inversionsfragen (z. B. Qui suis-je? ‚Wer bin ich? ‘), die jedoch im kindlichen Input extrem selten vorkommen - präverbal, wie u.-a. Beispiel (20a) und die nachfolgenden französischen Beispielsätze zeigen. Jedoch können sich die romanischen Sprachen hinsichtlich der Position der Objektklitika voneinander unterscheiden. Als defektive Pronomina müssen Klitika (von gr. enklinein ‚sich anlehnen‘) nahe am Verb stehen, wobei sie ihm unmittelbar vorangehen (sog. Proklise) oder folgen können (sog. Enklise). Die konkrete Position in der jeweiligen Sprache hängt u. a. von den verfügbaren syntaktischen Positionen, der Verbflexion und einzelnen Konstruktionen ab, wie wir hier für das Französische und Italienische kurz zeigen wollen. Im Französischen gehen Objektklitika dem finiten Verb (21a) sowie Hilfsverben (21b) voraus, während sie in Konstruktionen mit Modalverben zwischen dem Modalverb und dem Infinitiv des lexikalischen Verbs stehen (21c) (Beispiele von Bernardini und van de Weijer 2017: 208). Eine enklitische Position finden wir nur bei Imperativen wie etwa in unserem Beispiel (21d): (21) a. Je le vois - - Ich sehe es - b. Je l’ai vu - - Ich habe es gesehen - c. Je veux le voir - - Ich möchte es sehen - d. Regarde-le! - - Guck es dir an Im Italienischen gehen die Klitika ebenfalls finiten Verbformen (22a) sowie Auxiliaren (22b) voraus; in Konstruktionen mit Modalverben kann es dem Infinitiv unmittelbar folgen (22c) oder dem Modalverb vorangehen (22d). Letztere Option ist fakultativ und 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 149 <?page no="150"?> 5 Unter „Restrukturierung“ versteht Rizzi (1982) die im Italienischen bestehende Option, dass Modal‐ verben (wie Z. B. volere ‚wollen‘ oder potere ‚können‘) eine lange Bewegung des Objektklitikons auslösen können, so dass es nicht unmittelbar vor dem lexikalischen Verb steht, auf das es sich bezieht, sondern vor dem Modalverb, wie Beispiel (22d) zeigt. wird mit „Restrukturierung“ bezeichnet (vgl. Bernardini und van de Weijer 2017: 208) 5 . Die hierfür verwendete Position des Klitikons im Italienischen steht im modernen Französisch nicht mehr zur Verfügung, während umgekehrt die Positionierung des Klitikons zwischen Modalverb und lexikalischem Verb im Italienischen nicht möglich ist (22e). Schließlich zeigt unser Beispiel (22 f) die enklitische Position bei Imperativen: (22) a. Lo vedo - - Ich sehe es - b. L’ho visto - - Ich habe es gesehen - c. Voglio vederlo - d. Lo voglio vedere - e. *Voglio lo vedere - - Ich will es sehen - f. Ecco il pallone - prendilo! - - Hier ist der Ball - fang ihn Betrachten wir nun die semantischen Eigenschaften der Klitika: Sie können sowohl humane als auch nicht-humane Referenten haben, während starke Pronomina auf eine humane Referenz beschränkt sind (vgl. auch Cinque 1990, Jakubowicz, Nash, Rigaut und Gérard 1998, Cardinaletti und Starke 1999). Beide semantischen Eigenschaften gelten sprachübergreifend und sind im italienischen Beispiel in (23) aus Schmitz und Müller (2008: 34) illustriert: (23) a. *Ecco la casa di Piero. Gianni vede lei con piacere <-h> - - Hier ist das Haus von Piero. Gianni sieht es mit Freude - b. Ecco Silvia. Gianni vede lei con piacere <+h> - - Hier ist Silvia. Gianni sieht sie mit Freude - c. Gianni, lo vedrò domani <+h> - - Ich werde Gianni morgen sehen - d. Non so se il vino, lo volete adesso o dopo <-h> - - Ich weiß nicht (in Bezug auf den Wein,), ob ihr ihn jetzt oder nachher (trinken) wollt Auch im Hinblick auf den Argumentstatus zeigen sich die Objektklitika weniger restriktiv als die starken Pronomina, da Klitika sowohl als Argumente als auch als Prädikate auftreten dürfen. Wenn Klitika Prädikate repräsentieren, wird das unmarkierte (maskuline) Klitikon (fr. le/ it. lo) ohne Genuskongruenz verwendet, wie das französische Beispiel aus Déchaine und Wiltschko (2002: 428) und das italienische Äquivalent in (25a) für Argumente (mit Genuskongruenz) sowie die Beispiele für Prädikate (ohne Genuskongruenz) in (24b/ b’) zeigen (vgl. Schmitz und Müller 2008: 34): 150 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="151"?> (24) a. Maria la/ lo vede. Jeanne la/ le voit. - - Maria/ Jeanne sieht sie/ ihn - b. Maria è un’avvocatessa e Silvia lo/ *la sarà anche. - b.’ Marie est une avocate et Jeanne le/ *la sera aussi - - Maria ist Rechtsanwältin und Silvia wird es auch bald sein Schließlich sind Klitika auch im Bereich der Phonologie defizitär: Die französische liaison ist nur mit defizitären Pronomina möglich. Im Französischen sind die Formen des femininen starken und klitischen Pronomens der 3. Person homophon, so dass die Lesart als starkes Pronomen erzwungen wird, wenn das Pronomen prosodisch prominent ist (hier mit Großbuchstaben in Beispiel (25a) angezeigt) oder in der syntaktischen Konstruktion der komplexen Inversion (25b) genutzt wird. Während bei einer Inversion die Abfolge, hier von Subjekt und Verb, umgekehrt wird, ist dieser Terminus für die Konstruktionen in (25b, c) etwas irreführend, da wir eine SVO-Abfolge bekommen, wenn wir das starke Pronomen elles in (25b) bzw. Pierre/ lui in (25c) als Subjekt annehmen. Aber was ist dann die Rolle der Klitika elles (25b) bzw. il (25c)? Rizzi und Roberts (2018: 296 f.) erklären die Besonderheit dieser nur im Französischen sowie einigen romanischen Varietäten auftretenden Konstruktion wie folgt: Bei der komplexen Inversion haben wir scheinbar zwei Subjekte, nämlich eine Nominalphrase, die links vom finiten Verb steht (entweder nach einem Fragewort oder satzinitial bei Ja/ Nein-Fragen) und ein Pronomen rechts vom Verb. Für das Französische gilt, dass in der kanonischen Subjektposition Klitika und lexikalische Subjekte bzw. starke Pronomina nicht kombinierbar sind und daher zwei NP-Positionen anzunehmen sind; das Klitikon, das hier das Subjekt doppelt, kann nur in der zweiten Position auftreten. Im Beispiel (25c), das eine Ja/ Nein-Frage darstellt, ist also il in der Subjektposition ungrammatisch, während die Verwendung einer DP oder eines starken Pronomens dort erlaubt ist (vgl. Cardinaletti und Starke 1999: 159): (25) a. Elle[z] ont dit la vérité. / ELLE*[z] ont dit la vérité. - - Sie sagten die Wahrheit - b. Quand elle*[z] ont-elles dit la vérité? - - Wann sagten sie die Wahrheit? - c. Pierre/ Lui/ *Il clit a-t-il dit la vérité? - - Sagte er die Wahrheit? Zusammenfassend finden wir also systematische Unterschiede zwischen den unter‐ schiedlichen Pronomentypen, von denen die Klitika als defizitärster Typ gelten. Im Folgenden wollen wir kurz diejenigen Klassifikationen vorstellen, die mit Vorhersagen für den Erwerb der einzelnen Pronomentypen einhergehen. Wenn wir sie nun in unterschiedliche Klassen einteilen, welche sollte zuerst erworben werden? In ihrer bereits erwähnten Arbeit haben Cardinaletti und Starke (1999) eine Unter‐ teilung in drei Klassen - starke, schwache und klitische Pronomina - vorgeschlagen. Die Annahme dieser drei Klassen soll universal gelten, d. h. auch in typologisch unterschiedlichen Sprachen wie den germanischen und romanischen Sprachen. Wenn 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 151 <?page no="152"?> 6 Hierbei handelt es sich v. a. um die Tempusphrase (TP) und Komplementiererphrase (CP). Aus Platzgründen und den mit diesem Modell verbundenen empirischen Problemen verzichten wir hier auf eine detaillierte Darstellung. Sprachen Pronomina haben, sollen diese einer der drei Klassen angehören. Jeder der drei Pronomentypen, deren oben schon vorgestellten grundlegenden Eigenschaften das Modell motivieren, ist mit einer bestimmten externen Struktur assoziiert, die im Wesentlichen funktionalen Kategorien auf der Satzebene entspricht. 6 Sie sind in einer Hierarchie der Defizität angeordnet, die wir hier in Anlehnung an Schmitz und Müller (2008: 32) in (26) auf Deutsch darstellen: (26) Hierarchie der Defizität von Pronomina - Stark < Schwach < Klitisch (“<” = weniger defizitär) Ausgehend von dieser Hierarchie betrachten Cardinaletti und Starke die starken und schwachen Pronomina als phrasale Kategorien (XP-Elemente), während Klitika Köpfe (X°-Elemente) sind. Ferner nehmen sie an, dass die Wahl eines bestimmten Prono‐ mentyps durch eine sprachübergreifende Generalisierung geregelt wird, der zufolge die defizitärste Form gewählt werden muss, die zur Verfügung steht. Später haben Cardinaletti und Starke (1999: 201) diese Generalisierung auf die Annahme reduziert, dass notwendigerweise eine „kleinere Struktur“ gewählt wird, unter Berufung auf ein Ökonomieprinzip „Minimiere die Struktur“ (auch „Minimiere α“). Im Hinblick auf den Erwerb der Pronomina nehmen Cardinaletti und Starke (1999, Fußnote 71) an, dass Erwerbsdaten einen Vorrang der starken Pronomina im Erwerbsprozess zeigen: Wenn ein Kind, das mit einem Pronomen konfrontiert wird, welches in der Erwachsenen-Grammatik als defizitär oder stark klassifiziert werden kann, löst es die Ambiguität immer so auf, dass es nur eine Form annimmt, nämlich die starke. Hier zeigt sich nun aber ein Problem (vgl. Schmitz und Müller 2008: 32 für Details): Es scheinen zwei unterschiedliche Generalisierungen zu gelten, eine für jede Phase, d.-h. initial gilt ein Vorrang starker Pronomina und später das Ökonomieprinzip „Minimiere α“. Da eines der beiden immer aktiv ist, kann der Ansatz von Cardinaletti und Starke (1999) nicht durch empirische Ergebnisse falsifiziert werden, denn wenn Kinder mit der Produktion starker Pronomina beginnen, befolgen sie den Vorrang der starken Pronomina; wenn sie zuerst Klitika produzieren, befolgen sie das Ökonomieprinzip. Was das Modell jedoch nicht vorhersagen kann, ist der gleichzeitige Erwerb von starken und klitischen Pronomina und der Erwerb von klitischen Pronomina zu verschiedenen Momenten. Wir werden in den nachfolgenden Abschnitten sehen, dass monolinguale und bilinguale Kinder genau solche Erwerbsmuster zeigen und damit der Ansatz von Cardinaletti und Starke als falsifiziert angesehen werden muss (vgl. v. a. Schmitz und Müller 2008). Zuvor wollen wir uns eine weitere dreigeteilte Klassifikation ansehen. Déchaine und Wiltschko (2002) schlagen ebenfalls drei Pronomentypen vor, wobei sie sich auf Eigenschaften und Strukturen der funktionalen Kategorie D (Determinanten) im nominalen Bereich (anstelle der Satzebene) beziehen. Die von ihnen vorgeschlagenen 152 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="153"?> Pronomentypen sind mit unterschiedlichen externen syntaktischen Repräsentationen (DP, Phi-P, NP) verbunden. Dabei steht phi für f in formal, d. h. diese Pronomina kodieren formale Merkmale wie Person und Numerus, sie haben also eine syntaktische Funktion. Auf Basis des Vergleichs typologisch unterschiedlicher Sprachen schlagen Déchaine und Wiltschko (2002) vor, dass Subjekt- und Objektklitika phrasale Elemente vom kategorialen Typ pro-Phi, also pro-Phi-Pen, sind, während starke Pronomina pro-DPen sind. Die adverbialen Klitika en/ ne sind Pro-NPen. Im Gegensatz zu Cardi‐ naletti und Starke nehmen Déchaine und Wiltschko also nicht an, dass Subjekt- und Objektklitika generell die defizitärsten Elemente sind. Die Klasse der Klitika beinhaltet hier insgesamt zwei Typen (pro-Phi-P und pro-NP). Die entsprechenden internen Strukturen der drei genannten Kategorien wollen wir hier nach Schmitz und Müller (2008: 33, (3)) in Abbildung 7 veranschaulichen: Abbildung 7. Pronomenkategorien nach Déchaine und Wiltschko (2002), aus Schmitz und Müller (2008: 33) Auch für dieses Modell lässt sich hinsichtlich seiner Vorhersagen für den Spracher‐ werb kritisch anmerken, dass die vorgeschlagenen Klitika simultan erworben werden müssten und dass starke Pronomina (als pro-DPen) und Klitika nicht gleichzeitig erworben werden dürften, wenn der Erwerb von der externen Syntax der Pronomina gesteuert wird. Insgesamt führt der Ansatz von Déchaine und Wiltschko zu den gleichen Vorhersagen und empirischen Problemen wie der von Cardinaletti und Starke. Wenn nun, wie zahlreiche in den nachfolgenden Abschnitten präsentierte Unter‐ suchungen belegen, die Pronomenklassen nicht in sich homogen und als Ganze zu distinkten Momenten erworben werden, muss für eine Erklärung der Erwerbsdaten ein adäquateres Modell entwickelt werden, also eines, das u. a. erlaubt, dass unterschied‐ liche Klitikatypen auch zu verschiedenen Zeitpunkten und teilweise gleichzeitig mit starken Pronomina erworben werden. Ein solches Modell haben Gabriel und Müller (2005) vorgestellt. Ihr Modell kombiniert die externe und interne syntaktische Analyse von Pronomina, wobei sie die oben vorgestellten Ansätze von Cardinaletti und Starke (1999) sowie Déchaine und Wiltschko (2002) einerseits und den von Raposo (1998) andererseits integrieren. Gabriel und Müllers Ansatz erkennt eine homogene Klasse von Klitika nur hinsichtlich ihrer externen Syntax an, d. h. sie teilen dieselbe externe syntaktische Kategorie, indem sie alle das formale Merkmal Person kodieren, manche 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 153 <?page no="154"?> zusätzlich Numerus und/ oder Genus. Die in der Spracherwerbsforschung beobachteten qualitativen und quantitativen Unterschiede zwischen Klitika werden hingegen ihrer unterschiedlichen (also heterogenen) internen syntaktischen Struktur zugeschrieben. Gabriel und Müller (2005) schlagen für Subjektklitika (durch IL repräsentiert) vor, dass sie Pro-Phi-Pen mit der am deutlichsten ausgedrückten Struktur sind und - wie starke Pronomina - eine NP-Schicht aufweisen, während nicht-reflexive Objektklitika (LE/ LO) auch pro-Phi-Pen sind, denen jedoch die nominale Schicht fehlt. Reflexive Objektklitika (SE/ SI) sind Phi-Köpfe. Damit wird in diesem Ansatz die Kategorie der Klitika weiter unterteilt, aber als Klasse von Ausdrücken den starken Pronomina (hier durch LUI repräsentiert) gegenübergestellt. In Abbildung 8 stellen wir die vorgeschlagenen Pronomentypen mit ihren verschiedenen internen Strukturen dar (vgl. Schmitz und Müller 2008: 37, (4)): Abbildung 8. Die Typologie der Pronomina nach Schmitz und Müller (2008: 33) Zusammenfassend lassen sich Klitika als Pronomenklasse von derjenigen der starken Pronomina durch bestimmte Eigenschaften abgrenzen, aber auch innerhalb der Klasse der Klitika bestehen syntaktische Unterschiede in ihrer jeweiligen internen Struktur, die eine differenzierte Erwerbsreihenfolge erklären können. Wenn das Vorhanden‐ sein einer NP-Schicht ein wichtiger Faktor im Erwerbsverlauf ist, wie Schmitz und Müller (2008) vermuten, sollten die (monolingualen und bilingualen) Kinder zuerst und gleichzeitig die starken und klitischen Subjektpronomina sowie auch starke Objektpronomina erwerben und erst später Objektklitika. Das Modell in Abbildung 8 unterscheidet nicht zwischen nicht-reflexiven Klitika für direkte und indirekte Objekte. Auf die Frage, ob hier systematische Unterschiede im Erwerb bestehen, gehen wir im Zusammenhang mit den vorliegenden Untersuchungen in Unterkapitel 7.3 ein. 154 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="155"?> Im Hinblick auf die Einflusskriterien in Kapitel 5 können wir an dieser Stelle festhalten, dass das Schnittstellenkriterium hier nicht erfüllt ist, da Klitika eine rein syntaktische Kategorie darstellen. Die Erfüllung des Kriteriums der Überlappung der Zielsprachen hängt von der Sprachkombination und dem Konstruktionstyp ab: In den Sprachkombinationen Deutsch-Französisch und Deutsch-Italienisch ist eine hin‐ reichend ähnliche Analyse von Oberflächenstrukturen nicht möglich, da das Deutsche keine Klitika aufweist und die romanischen Objektklitika in anderen Positionen stehen als pronominale Objekte des Deutschen. Überlappungen der Oberflächenstrukturen zwischen dem Italienischen und Französischen können nur in solchen Konstruktionen entstehen, in denen beide Sprachen zumindest teilweise überlappen. Insgesamt ist demnach Spracheneinfluss in den Sprachkombinationen Deutsch-Französisch und Deutsch-Italienisch nicht zu erwarten; in der Kombination von zwei romanischen Sprachen kommt es auf die genaue Konstruktion an, wobei keine der in (22) und (23) gezeigten Strukturen völlig überlappen, aber eventuell aus kindlicher Perspektive die Konstruktionen in (22c) sowie (23c, d) mit den unterschiedlichen Klitikapositionen bei Modalkonstruktionen ähnlich und ambig sind, wie Bernardini und van de Weijer (2017) postulieren und mit fehlerhaften Konstruktionen im Französischen belegen können. 6.3.2 Monolinguale Kinder Hier stellen wir Ergebnisse aus den Untersuchungen zum monolingualen Erwerb der verschiedenen Pronomentypen im Hinblick auf ihre Abfolge im Erwerbsprozess und ihre zielsprachliche Positionierung vor. Dabei gehen wir auch auf methodische Aspekte wie der Art der Datenerhebung (Longitudinal- und Querschnittstudien, vgl. Kap. 3), Alter und MLU der Kinder im Vergleich der Untersuchungen ein. Wir beginnen mit dem Erwerb der französischen Klitika, für die eine Reihe von Longitudinal- und Querschnittstudien vorliegen. In einem ersten Schritt präsentieren wir in Tabelle 5 vergleichend das Auftreten erster Subjekt- und Objektklitika in Anlehnung an die von Prévost (2009: 132, Tab. 1, 2009: 141, Tab. 4) aus mehreren Longitudinalstudien zusammengestellten Daten. Die Subjektklitika wurden dabei unter Bezug auf die erste Äußerung mit einer Verbform und die der Objektklitika auf Äußerungen mit transitiven Verben ermittelt; die angeführten Objektklitika sind nicht reflexiv. Hier wird deutlich, dass die meisten der untersuchten Kinder Subjektklitika vor Objektklitika produzieren, nur zwei der Kinder zeigen beide Pronomentypen gleichzeitig. 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 155 <?page no="156"?> Kind Untersuchungszeit‐ raum 1. Subj.-Klit. 1. Obj.-Klit. Marie a 1; 8,26-2; 6,10 1; 8,26 1; 8,26 Louis a 1; 9,26-2; 3,29 1; 9,26 1; 10,19 Augustin a 2; 0,2-2; 9,30 2; 0,2 2; 4,1 Hugo b 1; 8,14-2; 5,19 1; 10,6 2; 1,7 Victor c 1; 11,10-2; 5,29 1; 1,10 2; 1,0 Chloé c 1; 11,19-2; 5,14 1; 11,19 1; 11,19 Grégoire d 1; 9,18-2; 5,27 1; 9,18 2; 3,0 a Daten adaptiert von Rasetti (2000) b Daten adaptiert von van der Velde (1999) c Daten adaptiert von van der Velde, Jakubowicz und Rigaut (2002) d Daten adaptiert von Schmitz und Müller (2008) Tabelle 5. Subjekt- und Objektklitika im L1-Erwerb des Französischen Betrachten wir einmal die Daten von Grégoire aus der CHILDES-Datenbank (MacW‐ hinney 2000) genauer, denn für dieses Korpus liefert die Analyse von Schmitz und Müller (2008) Informationen über das Auftreten der starken Subjekt- und Objektpro‐ nomina sowie der (reflexiven und nicht-reflexiven) Objektklitika, wobei wir neben dem Alter auch die jeweilige mittlere Äußerungslänge (MLU) aus Schmitz (2006a) in der folgenden Tabelle 6 hinzufügen: Pronomentyp Alter bei erstem Auftreten MLU bei erstem Auftreten Starkes Subjektpron. 1; 9,18 1,77 Klitisches Subjektpron. 1; 9,18 1,77 Starkes Objektpron. 2; 0,5 2,38 Klitisches Objektpron. (nicht-refl.) 2; 3,0 2,76 Klitisches Objektpron. (refl.) 2; 513 4,35 Tabelle 6. Abfolge des Erscheinens von Pronominatypen in der Produktion von Grégoire Betrachten wir nun Daten aus Querschnittstudien. Schmitz und Müller (2008) präsen‐ tieren die Ergebnisse aus einer Analyse der spontansprachlichen Anteile (je ca. 30 Minuten) aus den Elizitationsstudien von Jakubowicz, Müller, Ok-Kyung, Riemer und Rigaut (1996) und Jakubowicz, Müller, Riemer und Rigaut (1997) sowie Jakubowicz (2000) für reflexive Objektklitika, die mit monolingualen deutschen und französischen Kindern im Alter von zwei bis drei Jahren durchgeführt wurden (vgl. weiter unten 156 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="157"?> die Daten italienischer Kinder aus der analog durchgeführten Studie von Tiedemann 1999). Tabelle 7 stellt die französischen Kindergruppen hinsichtlich Alter und MLU sowie zentraler Ergebnisse vor. Dabei wurden die Kinder nach den folgenden Kriterien den beiden Gruppen zugeordnet: Kinder der Gruppe 1 hatten einen MLU-Durchschnitt von < 3 und zeigten (fast) keine Evidenz für den Erwerb des erwachsenensprachlichen C-Systems (das Nebensätze mit lexikalischem Komplementierer beinhaltet). Die Kinder der Gruppe 2 hatten einen MLU-Durchschnitt von >3 und produzierten die für das C-System relevanten Strukturen. Die Studie von Jakubowicz und Rigaut (2000) enthält neben den Kindern der Tabelle 7 auch neuere, wobei die Gruppeneinteilungskriterien die gleichen sind. Hier werden nur die von Schmitz und Müller (2008) verwendeten Ergebnisse für direkte Objekte angegeben. Auf die indirekten Objekte gehen wir weiter unten ein. Insgesamt stellen Jakubowicz und Rigaut (2000) fest, dass die untersuchten Kinder in der Produktion höhere Realisierungsraten bei reflexiven als nicht-reflexiven Objekten erzielen. Anzahl Kinder Alter MLU (w) Ergebnisse Gruppe 1 5 2; 0,13-2; 7,3 2,92-3,15 1) Subjekte: 50% Subjektklitika ggü. weniger als 10% starke Pronomina 2) (nur direkte) Objekte: Starke Objekte überwie‐ gen mit 10% noch leicht ggü. Objektklitika (9%) und DP-Objekten (10%), hohe Auslassungsraten 3) reflexive direkte Objekte: treten nicht auf Gruppe 2 7 2; 3,22-2; 7,0 3,22-4,95 1) Subjekte: 80% Subjektklitika ggü. weniger als 10% starke Pronomina (nahezu erwachsene Ver‐ teilung) 2) (nur direkte) Objekte: ca. 20% Objektklitika ggü. < 10% starke Pronomina und DP-Objekte, noch nicht dem erwachsenen System entsprechend (ca. 40% Objektklitika) 3) Reflexive Objektklitika treten in ca. 15% der Kontexte auf. Tabelle 7. Verwendung von Pronominatypen: monolingual französische Kinder Die Ergebnisse der Tabelle 6 zu Grégoire und Tabelle 7 zu den Kindern der Querschnitt‐ studie zeigen, dass auch bei einem höheren MLU und erworbenem C-System die Objektklitika noch nicht dem erwachsenen Zielsystem entsprechen. Bevor wir weiter unten (vgl. Kap. 7.3.2) auf eine sprachvergleichende Untersuchung von Varlokosta et al. (2016) eingehen, wollen wir zunächst der Frage nachgehen, ob es einen Unterschied zwischen klitischen direkten und indirekten Objekten hinsichtlich der Abfolge des Auftretens gibt. Hierzu haben Bello und Pirvulescu (2022) anhand ihrer Analyse der Korpora der französischsprachigen Kinder Max und Anna aus der CHILDES-Daten‐ 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 157 <?page no="158"?> bank gezeigt, dass bei beiden Kindern die klitischen direkten Objekte einige Monate vor den indirekten auftreten: Anna produziert die ersten klitischen direkten Objekte mit 2; 2,30 und die indirekten mit 2; 5,18; im Korpus von Max treten die ersten klitischen direkten Objekte im Alter von 2; 0,28 und die indirekten um 2; 5,15 auf. Die gesamte Untersuchung der Auslassungen und Realisierungen direkter und indirekter Objekte in dieser Studie werden wir in Kapitel 7.3 wieder aufgreifen. Zum Erwerb der italienischen Personalpronomina mit besonderem Blick auf die Reihenfolge ihres Auftretens finden wir die von Schmitz und Müller (2008) präsentier‐ ten Spontandaten. Betrachten wir zunächst - analog zu den Daten von Grégoire - diejenigen von Martina (CHILDES-Datenbank), denn auch für dieses Korpus liefert die Analyse von Schmitz und Müller (2008) Informationen über das Auftreten der starken Subjekt- und Objektpronomina sowie der (reflexiven und nicht-reflexiven) Objektkli‐ tika, wobei wir erneut neben dem Alter auch die jeweilige mittlere Äußerungslänge (MLU) aus Schmitz (2006a) in der folgenden Tabelle 8 hinzufügen: Pronomentyp Alter bei erstem Auftreten MLU bei erstem Auftreten Starkes Subjektpron. 1; 7,18 1,21 Starkes Objektpron. 1; 8,17 1,49 Klitisches Objektpron. (nicht-refl.) 1; 8,17 1,49 Klitisches Objektpron. (refl.) 2; 1,12 2,01 Tabelle 8. Abfolge des Erscheinens von Pronominatypen in der Produktion von Martina Im Vergleich zu Grégoire produziert Martina die unterschiedlichen Pronomentypen erstmalig sowohl im Alter als auch in ihrer durch den MLU angegebenen Entwicklungs‐ phase erkennbar früher. Wenngleich Martina gleichzeitig ein erstes starkes und ein klitisches Objektpronomen produziert, ist die regelmäßige Verwendung zeitversetzt: starke Objektpronomina produziert sie regelmäßig ab dem Alter von 1; 11,20, während (nicht-reflexive) Objektklitika regelmäßig ab dem Alter von 2; 1,12 verwendet werden (vgl. Schmitz und Müller 2008: 24 f.). Betrachten wir im nächsten Schritt die Ergebnisse der Spontandaten aus der Studie von Tiedemann (1999), die Schmitz und Müller (2008: 26) mit analoger Gruppeneintei‐ lung präsentieren. In unserer Zusammenstellung in Tabelle 9 gehen wir hier nur auf die Objektpronomentypen ein. Schmitz und Müller (2008: 25) beobachten, dass die italienischen Kinder starke Subjektpronomina in ca. 20% der Kontexte benutzen, was der erwachsenensprachlichen Verwendung im Italienischen entspricht. 158 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="159"?> Anzahl Kinder Alter MLU (w) Ergebnisse Gruppe 1 8 1; 9,13- 3; 0,6 1,18-3,36 1) (nur direkte) Objekte: Starke Objekte überwie‐ gen mit 22% noch leicht ggü. Objektklitika (18%), hohe Auslassungsraten 2) Das reflexive direkte Objekt si tritt auf, insges. Realisierung in 10% der Kontexte Gruppe 2 7 2; 6,27-2; 9,20 3,40-6,25 1) (nur direkte) Objekte: ca. 42% Objektklitika und damit mehr als starke Pronomina (10%), noch nicht dem erwachsenen System entsprechend (ca. 20% starke Objektpronomina) 2) Reflexive Objektklitika (mi, ti, si) treten in ca. 40% der Kontexte auf. Tabelle 9. Verwendung von Objektpronominatypen: monolingual italienische Kinder Im Hinblick auf ein differenziertes Auftreten unterschiedlicher italienischer Objektkli‐ tika finden wir in der Querschnittstudie von Caprin und Guasti (2009) auch Informa‐ tionen über Dativklitika. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden 59 monolinguale italienische Kinder im Alter von 22 bis 35 Monaten (Mittelwert 28,92 Monate bzw. 2; 5 Jahre) in halbnatürlicher Spontansprache in der Konversation mit ihren Bezugs‐ personen in den jeweiligen Kindergärten beim Spiel mit dem gleichen Spielzeug aufgenommen, sodann die Video- und Audioaufnahmen transkribiert und im Hinblick auf verschiedene morphosyntaktische Phänomene ausgewertet. Die untersuchten Kinder wurden mit Hilfe eines wortbasierten MLU-Werts in drei Gruppen eingeteilt: Die 15 Kinder der Gruppe G1 waren durchschnittlich 27,62 Monate alt und hatten einen MLU-Wert von 1,0-1,5, die 19 Kinder der Gruppe G2 waren durchschnittlich 28,32 Monate alt und hatten einen MLU-Wert von 1,5-2,0 und die 25 Kinder der Gruppe G3 waren durchschnittlich 28,32 Monate alt und hatten einen MLU-Wert von 2,0-3,1. Hinsichtlich der verwendeten Objektklitika beobachten Caprin und Guasti (2009: 42), dass die Akkusativklitika und Reflexivklitika in den drei Gruppen signifikant ansteigen. Dativklitika treten erst in Gruppe G2 auf und nehmen in Gruppe G3 langsam zu, wobei der Unterschied nicht signifikant war. Die Autorinnen halten ferner explizit fest, dass kein Kind starke Pronomina produzierte, ohne auch Klitika zu verwenden, mithin stellen sie die asymmetrische Abfolge, die Schmitz und Müller (2008) beobachtet haben, für ihre Untersuchung in Frage (vgl. Caprin und Guasti 2009: 43). Da es sich hier aber um eine Querschnittstudie mit jeweils einer Aufnahme pro Kind handelt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass - wie bei Martina - vereinzelt frühere Verwendungen starker Objektpronomina noch vor den Klitika stattgefunden haben. Schließlich wird die bereits für die französischen Kinder von Bello und Pirvulescu (2022) beobachtete 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 159 <?page no="160"?> Verzögerung des Auftretens der Dativklitika auch bei den italienischen Kindern bestätigt. Abschließend möchten wir die französischen und italienischen monolingualen Kinder im Hinblick auf die Position der Objektklitika vergleichen: Unter Bezug auf Hamann und Belletti (2006) und Schmitz (2006a) beobachten Bernardini und van de Weijer (2017: 305), dass fehlerhafte Klitikpositionen seltener als Auslassungen und Ersetzungen durch NPen sind und dass Positionsfehler im monolingualen Erwerb des Französischen abwesend sind. Ähnlich hält auch Guasti (1993/ 1994) fest, dass italienische monolinguale Kinder Klitika präverbal in Deklarativsätzen, aber postverbal in Imperativen und nicht-finiten Kontexten in zielsprachlicher Weise platzieren. Diese Beobachtungen beziehen sich jedoch auf spontansprachliche Äußerungen der jeweils untersuchten Kinder. In der Elizitationsstudie von Bernardini und van de Weijer (2017) zur Position der Objektklitika im Französischen und Italienischen, die vorrangig auf die Frage nach möglichem Spracheneinfluss in bilingualen Kindern abzielte, ergab sich für die monolingualen Kinder ein etwas anderes Bild. Im Elizitationstest wurden den Kindern von der Testperson 15 Kurzgeschichten vorgelesen, zu denen eine Puppe unwahre Kommentare äußerte. Die Kinder waren aufgefordert, die Puppe zu korrigieren, indem sie eine Konstruktion mit einem Objektklitikon verwendeten. Die Kontexte umfassen Sätze mit Präsens und Vergangenheitstempora, positiven und negativen Imperativen und Restrukturierungssätzen (vgl. Beispiele 22c,d). Insgesamt nahmen drei monolingual italienische Kinder (Durchschnittsalter 5; 5), ein Kind mit L1 Italienisch und L2 Französisch (5; 4), fünf Kinder mit L1 Französisch und L2 Italienisch (Durchschnittsalter 5; 4) sowie sieben simultan bilingual italienisch-französischspra‐ chigen Kinder (Durchschnittsalter 5; 4) teil. Der Test wurde mit allen - außer den drei monolingual italienischen Kindern - sowohl auf Italienisch als auch in einer ins Fran‐ zösische übersetzten Fassung im Abstand weniger Tage durchgeführt. Für die Gruppe mit L1 Italienisch beobachten die Autoren insgesamt eine Akkuratheit von 82%, wobei sich die Abweichungen von den erwarteten Lösungen durch Auslassungen der Klitika oder Ersetzungen durch eine lexikalische Form und einige falsche Formen ergaben, aber nicht durch fehlerhafte Positionierungen der Klitika. Hingegen produzierte eines der Kinder mit Französisch als L1 und Italienisch als L2 zwei Positionsfehler in ihrem Französischen, die der Position des Klitikons in unserem italienischen Beispiel (22d) in Kapitel 6.3.1, also einer im Französischen nicht möglichen Restrukturierungsposition, entsprechen. Insgesamt zeigte die Gruppe mit L1 Französisch/ L2 Italienisch in ihrer L1 eine Akkuratheit von 64% (und nur 11% in ihrer L2 Italienisch). Auf die Ergebnisse der simultan bilingualen Kinder gehen wir im nächsten Abschnitt ein. 6.3.3 Bilinguale Kinder Wir präsentieren nun Forschungsergebnisse zur Abfolge und Positionierung von Objektklitika, wobei wir zunächst die Sprachkombination Französisch-Deutsch (und 160 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="161"?> andere germanische Sprachen), dann Italienisch und Deutsch sowie schließlich Italie‐ nisch-Französisch betrachten. Prévost (2009: 180 ff.) hat Ergebnisse aus unterschiedlichen Längsschnittstudien mit zumeist spontansprachlicher Produktion von bilingualen Kindern zusammengestellt, die Französisch und eine germanische Sprache simultan erworben haben, nämlich das niederländisch-französischsprachige Kind Anouk (Hulk 2000), die schwedisch-franzö‐ sischsprachigen Kinder Mimi, Jean, Anne und Dany (Schlyter 2003, Granfeldt und Schlyter 2004) sowie die deutsch-französischsprachigen Kinder Caroline, Ivar und Pascal (Meisel 1994, Kaiser 1994) und Ce_df (Müller 2004). Zusammenfassend hält Prévost (2009: 183) fest, dass die Verzögerung des Auftretens der Objektklitika in Relation zu dem der Subjektklitika nicht für alle germanisch-französisch bilingualen Kinder gilt. Eine genauere Betrachtung ermöglicht uns die Zusammenstellung der verfügbaren genauen Vergleichsdaten in Tabelle 10 aus den Tabellen 1 und 3 von Prévost (2009: 180, 184) analog zu Tabelle 5 für die monolingualen Kinder weiter oben, wobei hier Ivar, Pascal und Anouk in den Blick rücken (auf Ce_df gehen wir weiter unten ein). Kind Untersuchungszeit‐ raum 1. Subj.-Klit. 1. Obj.-Klit. Ivar a 1; 10,12-3; 4,23 2; 3 3; 0 Pascal a 1; 8,22-3; 4,14 2; 3 2; 4 Anouk b 2; 3,13-3; 10,07 2; 7 2; 7 a Daten adaptiert von Meisel (1994) b Daten adaptiert von Hulk (2000) Tabelle 10. Subjekt- und Objektklitika im bilingualen Erwerb des Französischen Tabelle 10 und Prévost (2009: 184) zeigen, dass Anouk dasjenige Kind ist, das ein gleichzeitiges Auftreten von Subjekt- und Objektlitika aufweist, während die deutsch-französischsprachigen Kinder die von Schmitz und Müller (2008) erwartete Verzögerung im Erwerb der Objektklitika zeigen. Prévost (2009: 184) beobachtet ferner im Hinblick auf die Entwicklung der Objekt‐ klitika bei den bilingualen Kindern, dass hier der Trend stärker ausgeprägt ist, dass die ersten Objektklitika in der 3. Person Singular sind, während Pluralklitika später auftreten. Das Reflexivklitikon se wird laut Prévost (2009: 184) relativ früh - wie bei monolingualen Kindern - erworben, wobei leider keine genaue Altersangabe erfolgt. Genauere Angaben nicht nur hinsichtlich des Alters, sondern auch der durch MLU ausgedrückten Entwicklung finden wir bei Schmitz und Müller (2008), die zwei deutsch-französischsprachige bilinguale Kinder, Ce_df und Al_df, im Zeitraum 2; 0,9-3; 8,28 bzw. 2; 2,6-2; 11,20 untersuchen. Analog zur Tabelle 6 für das Auftreten der Pronominatypen bei Grégoire führen wir in Tabelle 11 diese Angaben für die beiden bilingualen Kinder auf, die sich hinsichtlich ihrer Balanciertheit deutlich unterscheiden 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 161 <?page no="162"?> (vgl. Kapitel 4). Ce_df ist - anders als Al_df - deutlich stärker im Deutschen und spricht bis zum Alter von 3; 1 relativ wenig Französisch, was sich auch in den anfangs niedrigen MLU-Werten reflektiert. Pronomentyp Alter bei erstem Auftreten MLU bei erstem Auftreten Ce_df Al_df Ce_df Al_df Starkes Subjektpron. 2; 0 2; 2,6 1,50 2,33 Klitisches Subjektpron. 2; 0 2; 2,6 1,50 2,33 Starkes Objektpron. 2; 0 2; 2,6 1,50 2,33 Klitisches Objektpron. (nicht-refl.) 3; 3,12 2; 2,27 3,40 2,42 Klitisches Objektpron. (refl.) 3; 3,12 2; 4,6 3,40 2,73 Tabelle 11. Abfolge des Erscheinens von Pronominatypen in der Produktion von Ce_df und Al_df Schmitz und Müller (2008: 28) merken an, dass Ce_df erst regelmäßig Subjektklitika auf 80%-Niveau ab 3; 3,12 verwendet, deutlich später als Al_df, aber beide einen sehr ähnlichen MLU bei Erreichen dieses Niveaus aufweisen (Ce_df 3,4 und Al_df 3,5). Beide produzieren gleichzeitig Subjektklitika und starke Subjektpronomina. Beide Kinder verwenden auch ab dem Beginn des Untersuchungszeitraums starke Objektpronomina. Das erwachsenensprachliche Niveau der Verwendung von Objektklitika (40% der Kontexte) erreicht Ce_df mit 3; 7,17 erstmals, während dies bei Al_df bereits im Alter von 2; 8,28 geschieht. Hinsichtlich des Auftretens der Reflexivklitika gibt es nur bei Al_df eine klare Abfolge, die auch derjenigen von Grégoire entspricht - sie kommen hier zuletzt, wenngleich bei einem noch unter 3,0 liegenden MLU-Wert. Hinsichtlich der - nicht im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden - Platzierung der Objektklitika konnten Schmitz und Müller (2008) keine Stellungsfehler in den Daten finden. Betrachten wir nun die Daten der deutsch-italienischsprachigen bilingualen Kinder aus Schmitz und Müller (2008), indem die Reihenfolge des Auftretens der verschiedenen Pronominatypen in Tabelle 12 analog zu denjenigen von Martina präsentiert werden. In den untersuchten Zeiträumen (bei Ca_di 1; 8.28-3; 0,25 und bei Lu_di 1; 7,12-3; 1,16) weist keines der beiden Kinder eine Sprachdominanz auf. 162 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="163"?> Pronomentyp Alter bei erstem Auftreten MLU bei erstem Auftreten Ca_di Lu_di Ca_di Lu_di Starkes Subjektpron. 2; 0,11 ca. 2; 2 1,74 1,4 Starkes Objektpron. 2; 0,11 2; 4,9 1,74 2,6 Klitisches Objektpron. (nicht-refl.) 2; 3,2 2; 4,23 2,63 2,3 Klitisches Objektpron. (refl.) 2; 3,17 2; 4,23 2,53 2,3 Tabelle 12. Abfolge des Erscheinens von Pronominatypen in der Produktion von Ca_di und Lu_di Schmitz und Müller (2008: 29 f.) ergänzen, dass Ca_di’s regelmäßige Verwendung von Objektklitika lange stark variiert (zw. 10% im Alter von 2; 11,13 bis 60% im Alter von 2; 4,21), bis sie sich auf dem erwachsenensprachlichen Niveau von 40% in der letzten berücksichtigten Aufnahme im Alter von 3; 0,25 einpendelt. Ähnlich sieht dies bei Lu_di aus, der die erwachsenensprachliche Rate von 40% im Alter von 3; 1,16 erreicht. Wie bei den beiden deutsch-französischsprachigen Kindern weist nur eines der beiden deutsch-italienischsprachigen Kinder eine klare Abfolge von reflexiven und nicht-re‐ flexiven Objektklitika auf, nämlich Ca_di, die darin dem monolingualen Kind Martina ähnelt. Schließlich finden sich in den Korpora dieser beiden Kinder keine fehlerhaften Platzierungen von Objektklitika. Alle mono- und bilingualen Kinder zeigen klar die vorhergesagte Verzögerung von Objektklitika gegenüber starken Pronomina. Die bi‐ lingual deutsch-romanischen Kinder zeigen also keine systematisch abweichende, auf einen Einfluss hindeutende Entwicklung im Hinblick auf die Erwerbsreihenfolge der Objektklitika in Relation zu starken Pronomina sowie ihre syntaktische Platzierung. Im letzten Schritt kehren wir zu der Elizitationsstudie von Bernardini und van de Weijer (2017) zurück, die wir bereits in 6.3.1 eingeführt haben. Wie sieht die Klitikplatzierung der sieben simultan französisch-italienisch-sprachigen bilingualen Kinder aus? Hier zeigen die Autor: innen, dass diese Gruppe eine höhere Akkuratheit im Italienischen (63%) als im Französischen (41%) aufwies, wozu insbesondere Auslas‐ sungen und Ersetzungen beitrugen. Die Platzierungsfehler waren alle vom selben Typ: Wie bei den monolingualen Kindern betrafen sie Restrukturierungskontexte, in denen die Kinder im Französischen die Position der italienischen Klitika realisierten wie z. B. *elle la doit manger ‚sie muss sie essen‘). Für das Italienische, das hier die präverbale (proklitische) und die postverbale (enklitische) Position bereitstellt, zeigen die Autor: innen ferner, dass sowohl die monolingualen als auch die simultan bilingualen Kinder die proklitische Position klar präferieren (Bernardini und van de Weijer 2017: 227). Insgesamt stellt sich hier ein Unterschied zwischen den deutsch-ita‐ lienischsprachigen und deutsch-französischsprachigen Kindern einerseits und den italienisch-französischsprachigen Kindern andererseits heraus: Nur letztere zeigen 6.3 Erwerb der Klitika im Französischen und Italienischen 163 <?page no="164"?> Platzierungsfehler und Evidenz für eine strukturelle Beeinflussung, wobei Bernardini und van de Weijer (2017: 229) für eine gegenseitige Beeinflussung aufgrund des ambigen Inputs, eben in den Restrukturierungskontexten, argumentieren. Denn sie finden auch - allerdings im Italienischen als L2 der sukzessiv bilingualen Kinder in der Untersuchung - Platzierungsfehler, die genau die Position der Objektklitika des Französischen in italienischen Restrukturierungskontexten aufweisen, die im Italienischen ungrammatisch ist. Die folgenden ausgewählten Beispiele aus Bernardini und van de Weijer (2017: 226 f., (17b, 18b, 19b, d)) illustrieren Platzierungsfehler. Dabei zeigen wir einmal solche von CIA, die Französisch als L1 und Italienisch als frühe L2 erwirbt und in beiden Sprachen die zielsprachlichen Positionen der jeweils anderen Sprache verwendet (27a, b), zum anderen zwei Beispiele des simultan französisch-ita‐ lienisch bilingualen Kindes MAS, das in seinem Französisch die Restrukturierung des Italienischen verwendet (27c, d). Interessant ist auch der von Bernardini und van de Weijer (2017: 226) nicht kommentierte Umstand, dass in Beispiel (27d) statt eines Dativklitikons ein Akkusativklitikon verwendet wird: (27) a. CIA, Französisch L1 (Alter: 5; 1; seit 0; 7 Jahren in Italien lebend) - - *CIA: Il le doit jeter. - - Zielsprachlich: Il doit le jeter. - - Er muss es wegwerfen - b. CIA, Italienisch L2 - - *CIA: la mamma dit@f non può la mangiare. - - Zielsprachlich: la mamma dice che non la può mangiare - - Die Mutter sagt, dass sie es nicht essen darf - c. MAS 2L1 Französisch (Alter: 4; 10; seit 1; 7 Jahren in Italien lebend) - - *MAS: _Il le doit mettre à la poubelle. - - Zielsprachlich-: Il doit le mettre à la poubelle - - Er muss es in den Mülleimer tun - d. MAS 2L1 Französisch - - *MAS: Il le veut mettre de l’eau dans son sac. - - Zielsprachlich-: Il lui veut mettre de l’eau dans son sac. - - Er will ihm Wasser in seinen Beutel tun Hier lässt sich jedoch einwenden, dass der Einfluss der L1 auf die L2 in die eine (und eher erwartbare) Richtung verläuft, während der Einfluss bei den simultan-bilingualen Kindern von ihrer L1 Italienisch auf ihre weitere L1 Französisch gerade in die andere Richtung verläuft, so dass doch eine Unidirektionalität - wie in Kapitel 5 vorgestellt - vorliegt, die sich aufgrund der Eigenschaften der involvierten beiden romanischen Sprachen vorhersagen lässt, während der Einfluss - wie erwartet - nicht in der deutsch-romanischen Konstellation auftritt. 164 6 Grammatische Bereiche ohne Spracheneinfluss <?page no="165"?> 6.3.4 Zusammenfassung In diesem Unterkapitel zum Erwerb der Klitika, insbesondere der Objektklitika, haben wir hinsichtlich ihrer Position in der Erwerbsreihenfolge von Pronomina sowie ihrer syntaktischen Position gesehen, dass sich die deutsch-französisch und deutsch-ita‐ lienisch bilingualen Kinder in ihrer romanischen Sprache wie die monolingualen französisch- und italienischsprachigen Kinder verhalten, unabhängig von bestehenden individuellen Sprachdominanzen. Überwiegend gilt die von Schmitz und Müller (2008) erläuterte Erwerbsreihenfolge auch für weitere bilinguale Kinder mit einer germani‐ schen und einer romanischen L1. Die Abwesenheit eines Spracheneinflusses lässt sich mit dem Überlappungskriterium genauso korrekt vorhersagen wie der von Bernardini und van de Weijer (2017) festgestellte Einfluss hinsichtlich der Klitikaposition bei den französisch-italienisch bilingualen Kindern. 6.4 Zusammenfassung des Kapitels Wir haben in diesem Kapitel drei grammatische Bereiche vorgestellt, in denen wir (fast) keinen Einfluss beobachten konnten. Es ist deutlich geworden, dass die Ergeb‐ nisse nicht mit Sprachdominanz erklärt werden können. Aber welche Rolle spielen Sprachkombination, Überlappung der Sprachsysteme und Schnittstellencharakter? Hinsichtlich der Sprachkombination, die beim Erwerb der attributiven Adjektive keine Rolle spielt, unterschieden sich die Beobachtungen bei deutsch-französischsprachigen Kindern von denen niederländisch-französischsprachiger Kinder in den Bereichen der OV/ VO-Position bei Klitika und auch bei der Erwerbsabfolge von Objektpronomina (keine Asymmetrie), allerdings beruhen letztere Daten auf wenigen Kindern und bedürfen weiterer Untersuchungen. Auch kommt der Sprachkombination hinsichtlich der Klitikposition eine Rolle zu: Nur bei italienisch-französischen bilingualen Kindern kann sich in bestimmten Konstruktionen eine Überlappung der Zielsysteme einstellen, die unter Spracheneinfluss zu fehlerhaften Stellungsmustern im Französischen führt. Betrachten wir nun die beiden Einflusskriterien: Während bei OV/ VO und Objektkli‐ tika für germanisch-romanische bilinguale Sprachkombinationen keine Überlappung besteht und hier erwartungsgemäß auch kein Einfluss beobachtet wurde, gilt dies nicht für die Position der attributiven Adjektive. Hier tritt gerade der Fall ein, dass Sprache A (romanische Sprachen) zwei Positionen hat und Sprache B (Deutsch) nur eine und damit Evidenz für ein (somit übergeneralisierbares) Muster aufweist. Der Bereich der Adjektive ist unter den drei vorgestellten Phänomenen der einzige mit Schnittstellencharakter, da die Positionierung in den romanischen Sprachen mit be‐ stimmten Interpretationen (restriktiv/ nicht-restriktiv) einhergeht; die OV/ VO-Abfolge sowie die Verwendung und Positionierung der Objektklitika sind rein syntaktische Phänomene. Mithin treffen auf die Adjektive beide Einflusskriterien zu und das Aus‐ bleiben des erwarteten Einflusses macht weitere Untersuchungen und die Reflexion der Einflusskriterien erforderlich. 6.4 Zusammenfassung des Kapitels 165 <?page no="167"?> 7 Spracheneinfluss als Verzögerung Nachdem im vorherigen Kapitel Sprachphänomene vorgestellt wurden, bei denen keine Evidenz für Spracheneinfluss beobachtet wurde, ist dieses Kapitel solchen Manifestationen von Spracheneinfluss gewidmet, die zu Verzögerungen im bilingualen Spracherwerb führen. Wir werden mehrere grammatische Bereiche vorstellen, deren Erwerb bei den bilingualen bzw. mehrsprachigen Kindern langsamer verläuft als bei monolingualen Kindern im gleichen Entwicklungszeitraum. Der negative Einfluss betrifft das Deutsche oder die romanische Sprache. 7.1 Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz In diesem Unterkapitel zeigen wir mit dem Erwerb der deutschen Nebensatzwortstel‐ lung einen grammatischen Bereich auf, der von mehrsprachigen Kindern im Vergleich zu monolingual deutschen Kindern mit bis zu zwei Jahren Verzögerung erworben wird. 7.1.1 Beschreibung der Zielsysteme In den Abschnitten über die Verbstellung im deutschen Hauptsatz (vgl. Kap.-2 und-6.2.1.) haben wir bereits gezeigt, dass diese sowohl im Hauptals auch im Nebensatz mit der funktionalen Kategorie CP zusammenhängt. Während im Hauptsatz das Verb in der Kopf‐ position der CP (C°) platziert wird, ist diese Position im Nebensatz durch den Nebensatzeinleiter (z.-B. wenn in wenn Lisa Geburtstag hat) besetzt, so dass das Verb in der satz‐ finalen Position verbleibt. Problematisch ist nun aber, dass einige Nebensatzeinleiter, vor allem in der gesprochenen Sprache, auch die Hauptsatzwortstellung erlauben, unter anderem weil, das in der Umgangssprache häufig wie in (1b) platziert wird (vgl. Uhmann 2009 für die Variation): (1) a. Ich mag Nebensätze, weil sie so kompliziert sind - b. Ich mag Nebensätze, weil sie sind so kompliziert Wie weil verhält sich obwohl. Die Nebensatzeinleiter denn und sondern verlangen dagegen ausschließlich die Hauptsatzwortstellung (vgl. Abbildung 1 weiter unten). Neben der Existenz von Nebensatzeinleitern, die die Hauptsatzwortstellung erlauben, hat das Deutsche eine weitere interessante syntaktische Eigenschaft, die für das mehrsprachige Kind eine Herausforderung darstellen könnte. Je nachdem, ob der Nebensatz die Funktion eines Komplements oder adverbialen Status hat, spricht man von Komplementbzw. Adverbialsätzen. Die durch weil eingeleiteten Sätze in (1) sind Adverbialsätze. (2) zeigt dagegen Komplementsätze (als Objekt, Subjekt). <?page no="168"?> (2) a. Ich verspreche dir, dass ich den Hund zu Hause lasse - b. Dass ich den Hund zu Hause lasse, ist erwünscht Wir hatten in Kapitel 6.2 zu der Position von Objekten und nicht-finiten Verben das Deutsche als eine Sprache ausgewiesen, welche OV-geordnet ist (im Gegensatz zu den romanischen VO-Sprachen). Nun wird aus den nachfolgenden Beispielen deutlich, dass Komplementsätze im Deutschen, die für Objekte stehen, nicht an der Position stehen (dürfen), in der lexikalische oder pronominale, also nicht-satzhafte, Komplemente auftreten, wie die Beispiele in (3) zeigen: (3) a. Ich habe dir all das versprochen - b. *Ich habe dir, dass ich den Hund zu Hause lasse, versprochen - c. Ich habe dir versprochen, dass ich den Hund zu Hause lasse Aufgrund der VO-Ordnung liegt der Fall in den romanischen Sprachen anders. Hier stehen Komplementsätze an der Position für Objekte, die nicht durch klitische Prono‐ mina realisiert sind. Dies zeigen die Beispiele in (4) für das Französische. (4) a. Je t’ai promis tout cela - b. Je t’ai promis que je laisse le chien chez moi Die Abfolge von Komplementsätzen in Relation zum nicht-finiten Verb ist im Deut‐ schen und in den romanischen Sprachen gleich. In den romanischen Sprachen entspricht sie der Abfolge Verb-Objekt innerhalb der Verbalphrase; im Deutschen entspricht die Position von Komplementsätzen, die für ein Objekt stehen, hingegen nicht der Abfolge Objekt-Verb. Zu all dem wird bei der indirekten Rede ohne ne‐ bensatzeinleitende Konjunktion die Hauptsatzwortstellung gebraucht (also V2). Dies illustrieren die Sätze in (5). (5) a. Sie sagt, sie werde den Hund zu Hause lassen - b. Sie sagt, dass sie den Hund zu Hause lassen werde - c. *Sie sagt, sie den Hund zu Hause lassen werde Die Existenz von Nebensätzen mit Hauptsatz-Wortstellung, die mit einer Konjunktion eingeleitet werden, bietet dem bilingualen Kind im Deutschen Evidenz für eine Nicht-Verb-End-Stellung im Nebensatz. Die Tatsache, dass Komplementsätze im Deut‐ schen linear mit Komplementsätzen in den romanischen Sprachen übereinstimmen, und letztere VO-Sprachen darstellen, könnte eine zusätzliche Herausforderung für das bilinguale Kind darstellen. Somit greift das erste Kriterium von Müller und Hulk (2001), wonach Einfluss wahrscheinlich ist, wenn es im Input des Kindes Überlappung zwischen den Zielsystemen im gewählten grammatischen Bereich gibt: Hier ist die Stellung des finiten Verbs im Nebensatz der Sprache A (Deutsch) so beschaffen, dass es im Input des Kindes mehr als eine einzige Stellungsmöglichkeit gibt und Sprache B, 168 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="169"?> 1 Diese Aussage gilt auch für das Spanische - der Einfluss sollte sich auch bei der Kombination Deutsch-Spanisch zeigen. An dieser Stelle beschränken wir uns jedoch auf die beiden Sprachkom‐ binationen Deutsch-Französisch und Deutsch-Italienisch. in unserem Fall Italienisch und Französisch 1 , Evidenz für die eine Analyse, nämlich die Nicht-Verb-End-Analyse, bietet. Wir erwarten daher, dass Spracheneinfluss auftritt. Wir haben hier die Vorhersage für beide Sprachkombinationen zusammengezogen, da sich in diesem Bereich — anders als bei den Objektauslassungen — das Französische und Italienische nicht unterscheiden: Romanische Sprachen weisen keine Haupt-Ne‐ bensatz-Asymmetrie in der Verbstellung auf. Abbildung 1. Der deutsche Nebensatz ohne Endstellung des Finitums Im nächsten Schritt gilt es, die Richtung des vorhergesagten Einflusses zu ermitteln. Die weniger komplexe Analyse der romanischen Sprachen sollte das Deutsche beeinflussen und nicht umgekehrt. Doch welches Komplexitätskriterium ist im Fall der Nebensätze anwendbar? Die funktionale Kategorie CP wird im Deutschen immer projiziert (vgl. Kap. 8.1.1 und Abbildung 2 für einen mit dass eingeleiteten Nebensatz). Jedoch zeigt die Abbildung 1 deutlich, dass sich nebensatzeinleitende Konjunktionen auch außerhalb der herkömmlichen syntaktischen Position für Konjunktionen (in C) befinden. Diese Kategorie, in Abbildung 1 mit X bezeichnet, ist nur in einigen Sätzen vorhanden, so dass das erste Komplexitätskriterium hier Anwendung findet (vgl. Kap. 5.3.3). 7.1 Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz 169 <?page no="170"?> 7.1.2 Studien mit monolingualen Kindern Betrachten wir wieder zuerst Arbeiten zu monolingual deutsch aufwachsenden Kin‐ dern. Die meisten Studien haben von einem fehlerfreien Erwerb der Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz berichtet (vgl. z. B. Stern und Stern 1928, Mills 1985, Rothweiler 1993). Eine interessante Beobachtung ist, dass selbst frühe uneingeleitete Nebensätze die Verb-End-Stellung aufweisen (vgl. Müller und Penner 1996). Einige Stu‐ dien haben kurzfristige Probleme beobachtet: Park (1971) fand weil+V fin +NP subj -Kon‐ struktionen (z. B. weil hast du das gesagt). Mills (1985), Scupin und Scupin (1907, 1910) sowie Stern und Stern (1928) notierten dann abweichende Stellungen, wenn der Nebensatz mehr als ein verbales Element enthält und ein Konditionalsatz vorliegt: wenn ihr würdet immerfort in Berlin geblieben sein, so würdet ihr immerfort Berliner gewesen sein. Solche Konstruktionen sind im Input des Kindes jedoch sehr selten. Insgesamt schildern diese Studien einen problemlosen Erwerb der Nebensatzverbstel‐ lung, während die Studien von Fritzenschaft et al. (1990) und Gawlitzek-Maiwald, Tracy und Fritzenschaft (1992) Ausnahmen darstellen: Sie beschreiben die Sprachent‐ wicklung eines monolingual deutschsprachigen Kindes, Benny, das für den Erwerb der zielsprachlichen Verb-End-Stellung im Nebensatz 10 Monate benötigt und dabei - zu‐ sätzlich zur zielsprachlichen Verb-End-Stellung (6a) - lange Zeit nicht-zielsprachliche Muster wie in (6b,c) verwendet: (6) (Nicht-)zielsprachliche Wortstellungen von Benny: - a. Wenn des der bub neischmeißt dann fährt schon (3; 1,13) - b. Du wenn des dreht sich was tut’s dann? (3; 2,26) - c. Wenn hab ich geburtstag habt… (3; 1,4) Nun muss bei Benny jedoch berücksichtigt werden, dass er in Tübingen aufwächst und seine Mutter Schwäbisch, sein Vater Hessisch mit ihm sprechen. In beiden Sprachräu‐ men sind Nebensätze grammatisch, auch wenn sie nicht die Endstellung des finiten Verbs zeigen (Penner und Bader 1995). Dies gilt auch für solche, die vor der einleitenden Konjunktion dass zum Nebensatz gehörige Elemente aufweisen: ich weiß mit wem dass Maria ausgegangen ist (Beispiel von Fanselow und Felix 1987: 178). Hinzu kommt, dass die für Benny geschilderte Situation auch für Kinder gilt, die mit Varietäten des Schweizerdeutschen aufwachsen: Penner (1992, 1996) und Schönenberger (1999, 2000) berichten ebenfalls von längeren Zeiträumen mit Verbstellungsfehlern bei Kindern, die das Berndeutsche und Luzerndeutsche erwerben. Im norddeutschen Raum, wo die im nächsten Abschnitt vorgestellten bilingualen Kinder aufgewachsen sind, sind die Nebensätze ohne Verb-End-Stellung auf Nebensatzeinleiter wie z. B. weil, obwohl beschränkt, und Konstruktionen wie ich weiß mit wem dass Maria ausgegangen ist sind ungrammatisch und somit normalerweise auch nicht im Input der Kinder vorhanden. Die Sprachdaten von Benny widersprechen somit den zuvor existierenden Studien nicht, welche den fehlerfreien Erwerb der Nebensatzwortstellung beobachten, sondern erweitern unser Verständnis von diesem Erwerbsbereich: Monolingual deutschspra‐ chige Kinder, die mit (nur einer) Varietät aus norddeutschen bzw. mitteldeutschen 170 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="171"?> Regionen aufwachsen, scheinen keine Probleme mit der Nebensatzwortstellung zu haben. Bei Kindern, die im süddeutschen Raum aufwachsen bzw. Varietäten wie das Schweizerdeutsche erwerben, könnte der Erwerbsverlauf durch Sprachkontakt mit eben diesen Varietäten beeinflusst werden, da auch der Input dieser Kinder Konstruktionen enthält, die bei Kindern im nordbzw. mitteldeutschen Raum fehlen. 7.1.3 Studien mit bilingualen Kindern Bevor wir Ergebnisse aus eigenen Studien zur Nebensatzverbstellung vorstellen, möchten wir kurz frühere Studien mit bilingualen Kindern zu diesem Bereich erwäh‐ nen (zu der Sprachkombination Niederländisch-Englisch vgl. Gavarró 2003; zu der Kombination Englisch-Deutsch vgl. Döpke 1998; in Müller 1998b finden sich auch Literaturangaben zu den ersten Monographien über den Spracherwerb bilingualer Kinder um die Wende vom 19. zum 20.-Jahrhundert). Taeschner (1983) beobachtete bei den beiden untersuchten deutsch-italienisch auf‐ wachsenden Mädchen Lisa und Giulia abweichende Stellungen im deutschen Neben‐ satz, wovon hier einige Beispiele in (7) gegeben werden: (7) Nicht-zielsprachliche Wortstellungen im deutschen Nebensatz (Lisa) - a. Wenn lisa hat kaputt gemacht dann ist tasche wie papi (3; 4) - b. Mami guck da lisa was hat gemacht (3; 4) - c. Wenn hast du alles das hier gelesen, kriegst du das hier (ohne Altersangabe) Müller (1998b) zeigt, dass Lisa und Giulia (sowie der Zweitspracherwerber Bruno, ein Italiener, der als Sechzehnjähriger Deutsch als L2 erwirbt und dessen Sprachentwick‐ lung wir für den Nebensatz in Kapitel 2.3.1 besprochen haben, vgl. Müller 1998a) die subordinierenden Konjunktionen so in das deutsche Nebensatzschema integrieren, dass das finite Verb auch adjazent, d. h. unmittelbar angrenzend, zur Konjunktion steht: wenn hab ich geburtstag gehabt. Dieses Stellungsmuster ist auch für das bilingual deutsch-italienischsprachige Kind Ca_di typisch, deren Verbstellung Müller et al. (2002) erstmals vorstellen. Hierauf gehen wir weiter unten genauer ein. Auch zu einem bilingual deutsch-französischsprachigen Kind liegt in Müller (1993, 1998a) eine Analyse der Verbstellung im deutschen Nebensatz vor: Müller zeigt, dass das Kind zwei Jahre benötigt, um die Endstellung des finiten Verbs zu erwerben, wobei es die Endstellung für die Nebensatzeinleiter einzeln lernt. Es beginnt mit ca. 3 Jahren, erste nebensatzeinleitende Konjunktionen zu gebrauchen. Aber bis zum Alter von 4; 4 (also über 16 Monate hinweg) verwendet das Kind die zielsprachliche Endstellung nur in 4% aller Nebensätze (7 von 167). Im gleichen Zeitraum produziert es im Französischen ausschließlich zielsprachliche Wortstellungen im Nebensatz. Interessant ist nun das Ergebnis, dass der Fehlertyp, bei dem das finite Verb adjazent zur Konjunktion auftritt, wie bei den deutsch-italienischsprachigen Kindern, bei dem deutsch-französischspra‐ chigen Kind nicht belegt ist. Hier finden sich Stellungen, bei denen das finite Verb an der dritten Satzposition auftritt, d. h. wenn da komm andere schiffe dann gehn die 7.1 Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz 171 <?page no="172"?> dagegen bzw. …dass dann sagt er …. (Müller 1993: 233, Müller 1994: 251). Wie bei den deutsch-italienischsprachigen Kindern verwendet das deutsch-französischsprachige Kind auch Verbstellungen wie in (3a), bei denen das Finitum in dritter Position steht, vor der Konjunktionen und dem Subjekt: ganz gefährlich wenn die kinder gehen alleine rein im boot ne? (Müller 1993: 231). Wir können also zusammenfassen, dass die romanische Sprache Einfluss auf den Fehlertyp im deutschen Nebensatz der Kinder hat. Alle untersuchten Kinder verwenden die Abfolge SV fin X mit einer deutschen Konjunktion. Die deutsch-italie‐ nischsprachigen Kinder gebrauchen das Finitum auch in zweiter Position (also direkt nach dem Nebensatzeinleiter). Die deutsch-französischsprachigen Kinder gebrauchen auch topikalisierte V2-Konstruktionen im konjunktional eingeleiteten Nebensatz, also XV fin S. Kommen wir nun zu den quantitativen Ergebnissen, zunächst der bilingual deutsch-italienischsprachigen Kinder (vgl. hierzu auch Müller und Patuto 2009, wo insgesamt fünf solcher Longitudinalstudien vorgestellt werden). Müller et al. (2002) stellen die Analyse der Nebensatzverbstellung vom balancierten Kind Ca_di vor. Wichtig für die Bewertung der Sprachdaten ist, dass es in Norddeutschland bilingual deutsch-italienisch aufgewachsen ist. Müller et al. (2002) zeigen, dass Ca_di - wie das mit süddeutschen Varietäten aufwachsende Kind Benny - immer wieder von der Zielsprache abweichende Wortstellungsmuster mit dem Verb in zweiter oder dritter Position des Nebensatzes wie in (8) produziert: (8) Nicht-zielsprachliche Verbstellungen im dt. Nebensatz (Ca_di) - a. Guck mal was mach ich (2; 8,21) - b. Wenn hab ich geburtstag (2; 10,16) - c. Wenn ich war baby (2; 11,13) Bis zum dritten Lebensjahr produziert Ca_di im Deutschen keine einzige Äußerung mit der zielsprachlichen Nebensatzverbstellung. Dagegen verwendet das Kind im Italienischen ausschließlich zielsprachliche Verbstellungen. Erweitert man den Unter‐ suchungszeitraum für Ca_di bis zum Alter von 4; 4, so wird deutlich, dass auch dieses Kind erst nach dem Alter von 3 Jahren erste zielsprachliche Endstellungen in deutschen Nebensätzen verwendet und mit 15 Monaten fast so lange wie das deutsch-französisch‐ sprachige Kind braucht, um die zielsprachliche Stellung zu erwerben. Abbildung 2 veranschaulicht diese Entwicklung: 172 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="173"?> 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 1; 8,28 1; 9,17 1; 10,8 1; 10,30 1; 11,12 1; 11,27 2; 0,11 2; 0,25 2; 2,4 2; 2,19 2; 3,2 2; 3,17 2; 4,7 2; 4,21 2; 6,9 2; 6,23 2; 7,13 2; 8,0 2; 8,21 2; 9,11 2; 9,25 2; 10,16 2; 10,30 2; 11,13 2; 11,27 3; 0,25 3; 1,16 3; 1,30 3; 2,13 3; 2,27 3; 3,11 3; 3,25 3; 4,8 3; 4,22 3; 5,6 3; 6,3 3; 6,17 3; 7,0 3; 7,13 3; 8,6 3; 8,27 3; 10,2 3; 10,22 3; 11,6 3; 11,26 4; 1,0 4; 1,14 4; 1,28 4; 2,11 4; 2,25 4; 3,9 4; 3,23 4; 4,6 Absolute Anzahl Alter Verb-End nicht-zielsprachlich Abbildung 2. Stellung des Finitums im dt. Nebensatz, Ca_di, aus Müller (2006) Bei Ca_di wird deutlich, dass man nicht einfach von einer Übertragung von Oberflä‐ chenabfolgen aus der romanischen Sprache ins Deutsche ausgehen kann, denn Sätze wie (8b) wären im Italienischen ungrammatisch und werden dort auch nicht von ihr produziert. Zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind nicht-zielsprachliche Wortstellungen im deutschen Nebensatz verwendet, hat sie außerdem erkannt, dass das Deutsche - im Gegensatz zum Italienischen - eine Verb-Zweit-Sprache ist. Aber sie hat nicht erkannt, und hierin besteht der Einfluss aus dem Italienischen, dass im Deutschen die Anwe‐ senheit einer nebensatzeinleitenden Konjunktion wie wenn die Verb-Zweit-Abfolge ausschließt und es somit zu einer Haupt-Nebensatz-Asymmetrie kommt. Im Folgenden wollen wir die Analyse der Nebensatzwortstellung bei einem weiteren deutsch-italienischsprachigen Kind - Ja_di - vorstellen, das im Gegensatz zu Ca_di nicht balanciert, sondern dominant im Deutschen ist. Abbildung 3 zeigt, dass Ja_di keine einzige nicht-zielsprachliche Verbstellung im deutschen Nebensatz aufweist. 7.1 Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz 173 <?page no="174"?> 2 Beginnend mit 3; 4 entwickelt sich bei Lu_di eine Dominanz des Deutschen. Diese geht erst nach 4; 2 zugunsten einer balancierten Entwicklung zurück. 0 5 10 15 20 25 2; 1,3 2; 4,15 2; 5,26 2; 6,17 2; 7,7 2; 7,28 2; 8,18 2; 9,12 2; 10,8 2; 11,6 2; 11,27 3; 0,10 3; 1,1 3; 2,19 3; 3,8 3; 4,1 3; 4,23 3; 5,24 3; 6,11 3; 7,1 3; 7,22 3; 8,5 3; 9,15 3; 10,7 3; 10,27 3; 11,19 4; 0,14 4; 1,7 4; 2,25 4; 3,8 4; 4,6 4,4,27 4; 5,17 4; 6,15 4; 7,5 4; 7,26 4; 9,16 4; 10,6 4; 10,27 5; 0,8 Absolute Anzahl Alter Verb-End nicht-zielsprachlich Abbildung 3. Stellung des Finitums im dt. Nebensatz, Ja_di, aus Müller (2006) Kann nun das Ausbleiben nicht-zielsprachlicher Nebensatzverbstellungen darauf zu‐ rückgeführt werden, dass Ja_di‘s Dominanz im Deutschen dabei hilft, die Nebensatz‐ verbstellung schneller und fehlerfrei zu erwerben, während balancierte Kinder hier Spracheneinfluss zeigen und das grammatische Phänomen mühevoll erwerben? Die Analyse eines weiteren deutsch-italienischsprachigen bilingualen Kindes, das wie Ca_di als balanciert einzustufen ist, spricht gegen eine solche Erklärung: Lu_di 2 weist nur sehr wenige Verbstellungsfehler im Nebensatz auf, vorrangig in einer frühen Phase vor 2; 8, wie Abbildung 4 zeigt: 0 2 4 6 8 10 12 14 1; 7,12 1; 8,14 1; 9,13 1; 10,3 1; 10,17 1; 11,1 1; 11,22 2; 0,5 2; 1,3 2; 1,23 2; 3,6 2; 4,9 2; 4,23 2; 5,6 2; 5,20 2; 6,18 2; 7,15 2; 7,29 2; 8,12 2; 8,26 2; 9,18 2; 10,1 2; 10,22 2; 11,13 2; 11,27 3; 1,16 3; 1,30 3; 2,19 3; 3,2 3; 3,23 3; 4,7 3; 4,25 3; 5,8 3; 5,18 3; 6,13 3; 6,30 3; 7,15 3; 8,3 3; 8,17 3; 9,9 3; 9,20 3; 10,3 3; 10,17 3; 11,4 3; 11,22 4; 0,5 4; 1,20 4; 2,28 4; 3,14 4; 3,28 4; 4,12 4; 4,16 Absolute Anzahl Alter Verb-End nicht-zielsprachlich Abbildung 4. Stellung des Finitums im dt. Nebensatz, Lu_di, aus Müller (2006) 174 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="175"?> Lu_di und Ja_di sind demnach vergleichbar, während eine Erklärung über Sprachdo‐ minanz vorhersagen würde, dass Lu_di und Ca_di sich ähnlich verhalten müssten. Sprachdominanz kann also nicht die bei Ca_di auftretenden und bei Ja_di und Lu_di ausbleibenden Erwerbsschwierigkeiten erklären. Möglicherweise gibt es auch bei Ja_di und Lu_di eine sehr kurze Phase mit überwiegend fehlerhaften Verbstellungen, die jedoch zwischen zwei Aufnahmen (2-3 Wochen) lag und deshalb nicht dokumentiert wurde. Betrachten wir nun die Verb-End-Stellung bei deutsch-französischsprachigen Kin‐ dern. Auch hier werden mit Al_df und Ce_df, wie in Kapitel 6.3 erwähnt, ein weitestgehend balanciertes Kind (Al_df) und ein Kind mit einer stark ausgeprägten Sprachdominanz (deutsch-dominant, Ce_df) vorgestellt (vgl. Müller und Patuto 2009 zu vier solcher Longitudinalstudien). Beginnen wir mit Al_df. Die Analyse der Verbstellung in den deutschen Nebensätzen zeigt, dass dieses Kind - wie Ca_di - über einen langen Zeitraum (von 2; 5 bis 4; 1, also 20 Monate) Probleme mit der Verbstellung im Nebensatz hat (vgl. Abbildung 5). Der Fehlertyp, der bei den deutsch-italienischsprachig bilingualen Kindern belegt war, wenn hab ich geburtstag gehabt, fehlt bei Al_df. Das Kind verwendet die für die Sprachkombination Deutsch-Französisch typische Stellung, bei der das finite Verb in dritter Position nach dem Subjekt im deutschen Nebensatz erscheint. Das zweite bilingual deutsch-französischsprachige Kind, Ce_df, weist hingegen - wie Ja_di und Lu_di - fast keine Fehler in der Verbstellung auf (vgl. Abbildung 6). 0 2 4 6 8 10 12 14 2; 2,6 2; 2,20 2; 2,27 2; 3,24 2; 4,6 2; 4,20 2; 5,25 2; 6,8 2; 6,25 2; 7,6 2; 7,27 2; 8,12 2; 8,28 2; 9,18 2; 10,2 2; 10,23 2; 11,6 2; 11,20 3; 1,22 3; 2,2 3; 2,16 3; 3 3; 3,22 3; 4,5 3; 4,19 3; 5,3 3; 5,24 3; 6,7 3; 6,21 3; 7,4 3; 8,11 3; 8,25 3; 9,7 3; 9,22 3; 10,6 3; 10,26 3; 11,10 3; 11,24 4; 1,26 4; 2,17 4; 3 4: 3.21 4: 4.25 Absolute Anzahl Alter Verb-End nicht-zielsprachlich Abbildung 5. Stellung des Finitums im dt. Nebensatz, Al_df, aus Müller (2006) 7.1 Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz 175 <?page no="176"?> 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 2; 0,9 2; 0,24 2; 1,6 2; 1,13 2; 3,15 2; 4,5 2; 4,19 2; 5,8 2; 5,25 2; 6,7 2; 6,21 2; 7,19 2; 8,2 2; 8,16 2; 8,29 2; 9,20 2; 10,5 2; 10,18 2; 11,3 2; 11,15 2; 11,29 3; 0,13 3; 0,27 3; 1,10 3; 3,12 3; 3,26 3; 4,9 3; 4,23 3; 5,15 3; 5,29 3; 6,12 3; 6,26 3; 7,17 3; 8,0 3; 8,14 3; 8,28 3; 9,18 3; 10,4 3; 10,18 3; 11,1 3; 11,15 3; 11,19 Absolute Anzahl Alter Verb-End nicht-zielsprachlich Abbildung 6. Stellung des Finitums im dt. Nebensatz, Ce_df, aus Müller (2006) Bei der Kombination Deutsch-Französisch stellt sich nun ebenfalls die Frage, ob Ce_df ’s Dominanz des Deutschen den Erwerb der Wortstellung im deutschen Nebensatz erleichtert hat. Auch in diesem Fall können wir auf die Analyse eines deutsch-fran‐ zösischsprachig balancierten Kindes (fast) ohne diese Probleme verweisen (Am_df, Abbildung 7). 0 1 2 3 4 5 6 7 8 1; 6,12 1; 7,10 1; 8,2 1; 8,16 1; 8,30 1; 9,15 1; 9,27 1; 10,18 1; 11,8 1; 11,29 2; 0,27 2; 1,17 2; 2,0 2; 2,15 2; 3,5 2; 3,19 2; 4,2 2; 4,16 2; 5,7 2; 5,28 2; 6,11 2; 6,25 2; 7,6 2; 8,1 2; 8,15 2; 8,29 2; 9,12 2; 9,26 2; 10,17 2; 11,0 2; 11,14 3; 1,2 3; 1,16 3; 1,30 3; 2,13 3; 2,27 3; 3,11 3; 3,24 3; 4,8 3; 4,27 3; 5,18 3; 5,27 3; 6,10 3; 6,24 3; 8,0 3; 8,14 3; 8,28 3; 9,11 3; 10,9 3; 10,23 3; 11,11 4; 0,18 Absolute Anzahl Alter Verb-End nicht-zielsprachlich Abbildung 7. Stellung des Finitums im dt. Nebensatz, Am_df, aus Müller und Patuto (2009) Am_df gilt als balanciert bilinguales Kind und unterscheidet sich im Erwerbsverlauf stark von Al_df. Wie bei den deutsch-italienischsprachigen Kindern scheint eine Erklärung des Erwerbsverlaufs bei Al_df über eine Dominanz im Deutschen schwierig. 176 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="177"?> 7.1.4 Zusammenfassung des Bereichs der Verbstellung im deutschen Nebensatz In beiden Sprachkombinationen konnte im Bereich der Verbstellung in deutschen Nebensätzen- wie vorhergesagt - ein Spracheneinfluss beobachtet werden, der sich verzögernd auswirkt. Sowohl die Vorhersage über die Wahrscheinlichkeit als auch diejenige über die Richtung des Einflusses wurden bestätigt. Sprachdominanz hat sich als nicht geeignete Erklärung für das Auftreten des Einflusses erwiesen. Festhalten wollen wir darüber hinaus, dass sich der Einfluss unterschiedlich stark auswirkt. Manche bilingualen Kinder (Ca_di, Al_df) benötigen mehrere Monate, bis sie zirka 4 Jahre alt sind, um die zielsprachliche Stellung des Finitums im deutschen Nebensatz zu erwerben. Bei anderen Kindern sind nicht-zielsprachliche Stellungsmuster so selten, dass man kaum von einer diskreten Spracherwerbsphase sprechen kann. Wie sich Verzögerung individuell verschieden auswirken kann, ohne dass die Sprachdominanz als Erklärung herangezogen wird, müssen zukünftige Forschungen zeigen. Interessant erscheint in dieser Hinsicht der Ansatz von Schmeißer und Jansen (2016: 34). Die Verfasserinnen argumentieren für den erhöhten Gebrauch von SV- (versus VS-)Abfolgen im Deutschen von bilingual deutsch-französischsprachigen Kindern dafür, dass die Sprachbeherrschung der beeinflussenden Sprache eine Rolle für das Ausmaß des negativen Einflusses spielt. Eine Möglichkeit wäre, den MLU als Vergleichsmaßstab zu nehmen. Dann sollten die MLU-Werte von Ja_di, Lu_di, Ce_df und Am_df viel niedriger ausfallen als die von Ca_di und Al_df in der jeweiligen romanischen Sprache. Eine andere Möglichkeit ist, das inkrementelle Verblexikon (Typen) in bestimmten MLU-Phasen zu vergleichen, da es naheliegt, beim Erwerb von Nebensatzstrukturen auf das Verblexikon zu schauen, die in Abbildung 8 gezeigt wird. 7.1 Die Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz 177 <?page no="178"?> 0 50 100 150 200 250 1,0-1,49 1,5-1,99 2,0-2,49 2,5-2,99 3,0-3,49 3,5-3,99 4,0-4,49 4,5-4,99 5,0-5,49 5,5-5,99 Absolute Anzahl Verbtypen MLU-Phase Al_df V frz Am_df V frz Ce_df V frz Ca_di V it Ja_di V it Lu_di V it Abbildung 8. Vergleich des inkrementellen Verblexikons (Typen) im Italienischen bzw. im Französischen Abbildung 8 bildet die einzelnen MLU-Phasen auf der x-Achse ab. Die y-Achse zeigt den Verbzuwachs (in absoluten Zahlen) in der jeweiligen Phase. Die Kinder Ca_di und Al_df sind mit Hilfe der gepunkteten Linien wiedergegeben. Deutlich ist, dass beide Kinder ein großes Verblexikon in der jeweiligen romanischen Sprache aufweisen. Dagegen entwickeln die Kinder Ja_di und Ce_df das Verblexikon langsamer. Unerwarteterweise entwickeln Lu_di und Am_df das Verblexikon vergleichbar mit Ca_di und Al_df; sie zeigen jedoch wenig Schwierigkeiten beim Nebensatzerwerb im Deutschen. Abbildung 9 bildet den Upper Bound ab, d. h. die längste Äußerung in einem bestimmten Alter (vgl. Kap. 4.2.1). Wie beim Verblexikon ist auch beim Upper Bound zu sehen, dass Ca_di und Al_df im Vergleich zu Jan, Lu_di und Ce_df höhere Werte in der romanischen Sprache erreichen. Am_df fällt auf mit hohen Upper Bound-Werten und einem zügigen Erwerb der deutschen Nebensatzwortstellung. 178 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="179"?> 0 5 10 15 20 25 30 35 40 1; 4 1; 5 1; 6 1; 7 1; 8 1; 9 1; 10 1; 11 2; 0 2; 1 2; 2 2; 3 2; 4 2; 5 2; 6 2; 7 2; 8 2; 9 2; 10 2; 11 3; 0 3; 1 3; 2 3; 3 3; 4 3; 5 3; 6 3; 7 3; 8 3; 9 3; 10 3; 11 4; 0 Upper Bound Alter Ca_di Ja_di Lu_di Al_df Ce_df Am_df Linear (Ca_di) Linear (Al_df) Abbildung 9. Vergleich des Upper Bound im Italienischen bzw. im Französischen Abschließend können wir sagen, dass sich weder mit Hilfe der Lexikongröße (Verbty‐ pen) noch des Upper Bound das Ausmaß des Einflusses vorhersagen lässt. Weitere Forschungen sind hier nötig. 7.2 Kopulaverben im Spanischen In diesem Unterkapitel werden wir ein weiteres Phänomen vorstellen, das im früh‐ kindlichen bilingualen Erstspracherwerb Auffälligkeiten zeigt. Dieses Mal geht es um das Spanische, das - anders als u. a. die romanischen Sprachen Französisch und Italienisch - über zwei Kopulaverben mit der Bedeutung „sein“ verfügt, nämlich ser und estar, die keineswegs frei austauschbar sind. Die festgestellten Schwierigkeiten manifestieren sich entweder als Auslassungen der Kopulaverben oder als Verwendun‐ gen eines nicht-zielsprachlich ausgewählten Kopulaverbs im gegebenen sprachlichen Kontext. Obwohl ähnliche nicht-zielsprachliche Strukturen auch in der Sprache von monolingual spanischen Kindern vorkommen, produzieren bilinguale Kinder diese häufiger und während eines längeren Zeitraums. 7.2.1 Zielsystem: die spanischen Kopulaverben ser und estar Wie bereits erwähnt verfügt das Spanische, wie übrigens auch andere, v. a. iberoromanische, Sprachen (z. B. Katalanisch), über zwei Kopulaverben, ser und estar. In den folgenden Beispielen sehen wir den Kontrast des Spanischen (9) zum Französischen (10) und Deutschen (11). Bei der Betrachtung der Beispiele in diesen drei unterschiedlichen Sprachen wird Folgendes deutlich: Während das Spanische über die Möglichkeit verfügt, ser oder estar 7.2 Kopulaverben im Spanischen 179 <?page no="180"?> für die Benennung eines Berufes (9a), für die Verortung einer Person (9b) und einer Veranstaltung (9c) zu verwenden, verfügen das Französische und Deutsche über das Kopulaverb être, bzw. sein sowie über andere Verben in diesen Kontexten. (9) Sp a. Juana es/ *está maestra de matemáticas - - b. Tomás está/ *es en la calle París 5 - - c. La fiesta de bienvenida será/ *estará en la tienda de Susanne - (10) Frz a. Juana est professeur de mathématiques - - b. Tomás se trouve au numéro 5 rue de Paris - - c. La fête de bienvenue aura lieu dans la boutique de Susanne - (11) Dt a. Juana ist Mathelehrerin - - b. Tomás befindet sich auf der Pariser Straße 5 - - c. Die Willkommensparty findet in Susannes Laden statt Kopulaverben werden in der sprachwissenschaftlichen Literatur anders analysiert als lexikalische Verben wie comer ‚essen‘ oder bailar ‚tanzen‘: Während lexikalische Verben über einen eigenen semantischen Gehalt verfügen und eine bestimmte Anzahl an Argumenten haben, dienen Kopulaverben dazu, einen Referenten mit einem Prä‐ dikatsausdruck zu verknüpfen (für eine ausführliche Beschreibung des spanischen Kopulasystems aus theoretischer Perspektive vgl. u. a., Arche 2006, Arnaus Gil 2013, Camacho 2012, Lema 1995, Leonetti, Pérez Jiménez und Gumiel Molina 2015, Roby 2009, Zagona 2012a). Aus den obigen Beispielen wird deutlich, dass die spanischen Kopulav‐ erben nicht willkürlich eingesetzt werden können. Vielmehr dürfen sie unterschiedli‐ che prädikative Kontexte begleiten wie Nominalphrasen oder Präpositionalphrasen. Für (9b,c) beobachten wir ferner, dass Präpositionalphrasen, die eine Ortsangabe ausdrücken, von beiden Kopulatypen begleitet werden können. Hier schränkt aber das Subjekt die Auswahl ein: Bezieht sich das Subjekt auf ein Ereignis, wie in (9c), darf lediglich ser eingesetzt werden. Wird nun ein Objekt oder eine Person an einem Ort lokalisiert, darf nur estar verwendet werden (9b). Die spanischen Kopulaverben können auch prädikative Adjektive bzw. Adjektivphrasen begleiten. Hier ist das Spanische besonders interessant, da einige Adjektive ein bestimmtes Kopulaverb verlangen (12), während andere Adjektive sowohl ser als auch estar erlauben (13). (12) a. Aquella variable matemática es/ *está constante - - Diese mathematische Variable ist-ser/ *ist-estar konstant - b. Cuando juega el Barça, la ciudad está/ *es desierta - - Wenn Barça spielt, ist-estar/ *ist-ser die Stadt leer - a. Silvia es alegre, da igual que tenga un buen o mal día - 180 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="181"?> (13) Silvia ist-ser glücklich, egal ob sie einen guten oder einen schlechten Tag hat - b. A Tomás le ha llegado el regalo, por eso está alegre - - Tomás hat das Geschenk erhalten, daher ist-estar (er) glücklich - - Arnaus Gil und Müller (2015: 137) In Anbetracht der Beispiele in (13) wurde in der Literatur dafür argumentiert, dass ser und estar den Ausdruck einer permanenten bzw. inhärenten Eigenschaft (13a) oder eines temporären bzw. vorübergehenden Zustands des Referenten (13b) verstärken. In Carlsons (1977, 1989) Sinne können Eigenschaften individueller Natur (d. h. im Individuum inhärent und dauerhaft) sein oder sie können für den Referenten nur in einem bestimmten begrenzten Zeitraum (‚Phase‘, engl. stage) gelten. Die ersten werden individual-level predicates (ILP), die zweiten stage-level predicates (SLP) genannt. Lema (1995), Fernández Leborans (1999), aber auch Camacho (2012) und Escandell-Vidal und Leonetti (2002), verbinden die Idee der ILP- und SLP-Eigenschaften mit den spanischen Kopulaverben ser und estar. Sie sprechen für die Selektion von ser für ILP-Adjektive und von estar für SLP-Adjektive (vgl. aber die Kritik von Arche 2006). Luján (1981) und Marín (2004) kommen zu einem ähnlichen Ergebnis bzgl. der Notwendigkeit, einen Unterschied zwischen Adjektiven zu machen, die ser oder estar begleiten dürfen. Luján (1981) und Fernández Leborans (2005) schlagen vor, das Fehlen oder das Vorhandensein einer zeitlichen Begrenzung bei der Beschreibung der Eigenschaften zu verwenden. Mit anderen Worten sollen zeitlich nicht-eingeschränkte, für immer gültige Eigenschaften von Adjektiven wie inteligente ‚intelligent‘ mit ser benutzt werden, während solche Adjektive, die eine zeitliche Begrenzung bei der Gültigkeit der Eigenschaft aufweisen wie contento ‚fröhlich‘, lediglich von estar begleitet werden dürfen. Evidenz hierfür liefern Temporaladverbien, die eine zeitliche Begrenzung implizieren, wie die Beispiele in (14) aus Luján (1981: 189) zeigen. (14) a. Estuvo / *fue callada tres veces - - (Sie) war-estar / *war-ser dreimal still - b. Está / *es callada cuando le toca hablar Luján (1981: 189) - - - (Sie) ist-estar / *ist-ser still, wenn sie sprechen muss - Zuletzt möchten wir auf eine kleine Gruppe von Adjektiven im Spanischen aufmerk‐ sam machen, die von beiden Kopulaverben begleitet werden können, wobei sie eine andere (semantische/ pragmatische) Bedeutung erhalten, je nachdem, mit welchem Kopulaverb sie auftreten. Das Adjektiv malo/ a kann beispielsweise von ser und von estar begleitet werden. Im Gegensatz zum Adjektiv alegre in (13) ist die Auswahl von ser oder estar mit malo/ a jedoch nicht unbedingt als Beschreibung einer permanenten vs. vorübergehenden Eigenschaft des Referenten zu verstehen. Vielmehr wird dem Referenten eine neue Eigenschaft zugewiesen, vor allem bei der Zusammensetzung von estar+mala in (15b) (für eine ausführliche Diskussion bzgl. dieser Adjektive vgl. Arche 2006, Marín 2004 und Arnaus Gil 2013). 7.2 Kopulaverben im Spanischen 181 <?page no="182"?> (15) a. La bruja de este cuento es mala - - Die Hexe dieser Geschichte ist-ser böse - b. La bruja de este cuento está mala, lleva días con mucha fiebre - - Die Hexe dieser Geschichte ist-estar krank, seit Tagen hat sie hohes Fieber Wie können wir die Verbindung zwischen dem Kopulaprädikat und die Kopulaselek‐ tion erklären? Einige Linguist: innen sind der Meinung, dass die Kopulaselektion und somit auch die Art der zugewiesenen Eigenschaft pragmatisch motiviert ist. So argumentieren Clements (1988) und Maienborn (2003, 2005a, 2005b), dass ser und estar quasi Synonyme sind. Estar verfügt über eine zeitliche Verankerung im Diskurs, die ser hingegen nicht hat. Mit anderen Worten verwenden Sprecher: innen estar, wenn ihre Aussagen sich auf eine bestimmte Situation im Diskurs beziehen (Maien‐ born 2005b: 168). Andere Ansätze basieren hingegen auf semantisch-syntaktischen Erklärungen (Arnaus Gil 2013, Camacho 2012, Gallego und Uriagereka 2016, Zagona 2012a,b). Zagona (2012a,b) schlägt vor, dass Prädikate, die estar begleiten, über ein bestimmtes Merkmal verfügen, während ser-Prädikate dieses Merkmal nicht aufwei‐ sen (für eine ausführliche Diskussion vgl. Zagona 2012b und Camacho 2012). Aus einer semantisch-syntaktischen Perspektive kann also die Anwesenheit bestimmter Merkmale des Prädikats und des Kopulaverbs dafür verantwortlich sein, eine ILP- oder SLP-Lesart hervorzurufen. Andere Ansätze in diesem Bereich gehen von einer stärkeren syntaktischen Bestimmung der Kopulaselektion aus. González-Vilbazo und Remberger (2005, 2007), Gallego und Uriagereka (2016), Arnaus Gil (2013) sowie Arnaus Gil und Müller (2015) sind der Auffassung, dass sich die spanischen Kopulaverben syntaktisch unterschiedlich verhalten und/ oder unterschiedliche Phrasen selegieren. In den Abbildungen 10 und 11 zu den Beispielen in (16) wird diese Idee exemplarisch anhand des Ansatzes aus Arnaus Gil und Müller (2015) gezeigt (für andere syntaktische Vorschläge vgl. González-Vilbazo und Remberger 2005, 2007 sowie Gallego und Uria‐ gereka 2016). (16) a. Juan es guapo - - Juan ist-ser hübsch - - Juan ist hübsch - b. La profesora está guapa - - Die Lehrerin ist-estar hübsch - - Die Lehrerin ist (heute) hübsch 182 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="183"?> Abbildung 10.Syntaktische Analyse des spani‐ schen Kopulaverbs ser für den Beispielsatz in (16a) (adaptiert von Arnaus Gil und Müller 2015: 138) Abbildung 11.Syntaktische Analyse des spani‐ schen Kopulaverbs estar für den Beispielsatz in (16b) (adaptiert von Arnaus Gil und Müller 2015: 138) Aus den Strukturen in den Abbildungen 10 und 11 geht hervor, dass ser und estar an zwei unterschiedlichen Positionen der syntaktischen Struktur generiert werden. Das Kopulaverb ser wird als Kopf einer Phrase generiert, in der andere Verben, wie beispielsweise kausative Verben (Laura hace comer las acelgas a Pablo ‚Laura zwingt Pablo, den Spinat zu essen‘) oder das Hilfsverb in Passivkonstruktionen (El postre ha sido comido por Carlos ‚der Nachtisch wurde von Carlos gegessen‘) auch ihren Platz finden, nämlich die vP. Zusammen mit der AP bilden sie eine komplexere Phrase. Damit das Kopulaverb Finitheit erhält, soll ser nach T(ense) verschoben werden. Im Gegensatz dazu wird estar direkt in T generiert. Es ist keine syntaktische Operation in finiten Sätzen notwendig. Für die Sprachen Deutsch und Französisch wird davon ausgegangen, dass sie über ein Kopulaverb verfügen (sein/ être). Dieses Kopulaverb wird von verschiedenen Arten von Prädikaten begleitet: Nominalphrasen (vgl. a-Beispiele in 9-11), Adjektivphrasen (Peter ist müde) und Ortsangaben (Hans ist zu Hause). Es wäre plausibel anzunehmen, dass die Zuweisung der inhärenten oder vorübergehenden Eigenschaft ebenfalls für diese Sprachen syntaktisch stattfindet, wie im Spanischen (für eine weitere Diskussion dieses Ansatzes verweisen wir auf Arnaus Gil 2013). Bzgl. der Faktoren zum Spracheneinfluss, die in den Kapiteln 5.3.1 und 5.3.2 vorge‐ stellt wurden, könnten für den Erwerb dieses Phänomens beide Kriterien herangezogen werden. Das Kriterium I sieht eine Überlappung von Oberflächenstrukturen vor. Nehmen wir an, dass die Zuweisung von permanenten und vorübergehenden Eigen‐ schaften sowohl im Spanischen als auch im Deutschen und Französisch syntaktisch 7.2 Kopulaverben im Spanischen 183 <?page no="184"?> stattfindet, wäre dieses Kriterium I erfüllt. Das Kriterium II ist ebenfalls erfüllt, da sich die spanischen Kopulaverben an der (internen) Schnittstelle zwischen Syntax und Semantik befinden. Nach den Komplexitätskriterien in Kapitel 5.3.3. können wir das erste Kriterium in den Fokus nehmen. Erinnern wir uns, dass dieses Kriterium besagt, dass eine syntaktische Analyse weniger komplex ist, wenn eine funktionale Kategorie in allen Sätzen vorhanden ist. Die Abbildungen in 10 und 11 zeigen, dass die TP sowohl bei ser als auch estar anwesend ist. Für estar werden keine weiteren funktionalen Kategorien benötigt, was die syntaktische Analyse weniger komplex macht als die von ser. Das zweite Komplexitätskriterium trifft nicht zu, da beide syntaktischen Analysen in der funktionalen Domäne angesiedelt sind. Zusammenfassend erwarten wir nach den Kriterien zum Spracheneinfluss einen Einfluss des Deutschen, bzw. Französischen auf das Spanische. Anhand des ersten Komplexitätskriteriums wird ein Einfluss von der weniger komplexen (estar) zu der komplexeren Analyse (ser) vermutet. 7.2.2 Monolingualer Erwerb der spanischen Kopulaverben Die ersten Studien zum Erwerb der Kopulaverben im Spanischen datieren aus den 1970er und 1980er Jahren. In diesen Arbeiten untersucht Hernández Pina (1979, 1984) den Erwerb von ser und estar bei einem monolingualen Kind bis zum dritten Lebensalter. Die ersten Kopulaproduktionen für den Ausdruck der Ortsangabe des Referenten findet die Autorin in ihrer Longitudinalstudie mit estar im Alter von 2; 1. Für diese frühen Phasen des Spracherwerbs beobachten Hernández Pina (1979, 1984) und Corpas (2007), dass Kopulaverben oft ausgelassen werden, insbesondere ser. Analysiert man die prädikativen Kontexte genauer, in denen ser und estar ausgelassen werden, wird klar, dass diese Auslassungen meistens mit prädikativen Adjektiven zu finden sind. Um die Auslassungen detaillierter zu untersuchen, führen Sera, Bales und del Castillo Pintado (1997) ein Experiment mit 48 monolingual spanischsprachigen Kindern zwischen 3 und 5 Jahren durch. Sie wollen insbesondere herausfinden, inwie‐ weit die Kinder inhärente und vorübergehende Eigenschaften mittels der Produktion von ser und estar unterscheiden können. Obwohl dies der Fall ist, beobachten die Autor: innen, dass die Kinder nicht-zielsprachliche Kopulaproduktionen verwendeten: Sie übergeneralisieren estar (vorübergehende Eigenschaften) in Konstruktionen, in denen inhärente Eigenschaften zu sehen waren (Sera, Bales und del Castillo Pintado 1997: 824 f.). Das passiert vor allem mit Ortsangaben wie in (9b) und mit Adjektiven, die mit beiden Kopulaverben verwendet werden können, wie alegre in (13). Weitere Querschnittstudien haben genauer untersucht, warum die spanischen Kopulaverben übergeneralisiert werden. Die Studie von Schmitt und Miller aus dem Jahr 2007 (aber auch andere Arbeiten wie beispielsweise die von Crain und Thornton 1998, Holtheuer 2009, Schmitt, Holtheuer und Miller 2004 und Sera 1992) testen anhand einer Bildergeschichte (vgl. Abbildung 12) die permanenten individuellen (Bild A) und die vorübergehenden Eigenschaften der Figuren (Bild C). In Abbildung 12 zeigen beide 184 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="185"?> Katzen inhärente Eigenschaften auf dem Bild A, bei dem sie jung sind (mit Schnuller im Mund). Die gleichen Eigenschaften werden auf dem Bild B gezeigt, allerdings sind die Katzen jetzt erwachsen (ohne Schnuller). An dieser Stelle wird dem Kind erzählt, dass die Katzen magische Bohnen gegessen haben und sie auf dem letzten Bild (Bild C) mit anderen Eigenschaften zu sehen sind (eine Katze ist grün, die andere ist dick). - A. Mira. Este gato nació gordo y este gato nació flaco. Schau mal. Diese Katze ist dick und diese Katze ist dünn geboren. - B. Y ahora de grande y todavía gordo y flaco. Pero mira qué pasa cuando comen estos porotos mágicos. Und jetzt sind sie groß und immer noch dick und dünn. Aber jetzt schau mal was passiert, wenn sie diese magischen Bohnen essen. - C. Este se pone verde y este se pone gordo. Pero, solo por unos minutos y después se vuelven a quedar como antes. Diese wird grün und diese wird dick. Aber nur einige Minuten und danach werden sie wie vorher. Abbildung 12. Bildgeschichte aus Schmitt und Miller (2007: 1922) Die temporäre Eigenschaft auf dem Bild C sollte daher mit estar produziert werden. Auf diesem letzten Bild kann allerdings auch die inhärente Eigenschaft der dicken Katze erfragt werden. Diese Eigenschaft hat diese Katze auf allen drei Bildern. Nach der Erzählung der Geschichte haben die Forscherinnen die Kinder Folgendes gefragt: (17) a. ¿Cuál gato está gordo? - - - Welche Katze ist-estar dick? - - b. ¿Cuál gato es gordo? Schmitt und Miller (2007: 1923) - - Welche Katze ist-ser dick? - Bei der Frage in (17a) sollten die Kinder erwartungsgemäß auf die rechte Katze zeigen, und bei (17b) auf die linke Katze. Die Ergebnisse zeigen, dass monolingual spanische Kinder in der Lage sind, die vorübergehende Eigenschaft mit estar zu verbinden. Für die inhärente Eigenschaft mit ser haben die Kinder weniger gut abgeschnitten. Sie sind 7.2 Kopulaverben im Spanischen 185 <?page no="186"?> 3 Die Kopulaformen, die vorher verwendet wurden, haben vor allem vokalische Schwa-Anlaute, die in der 3. Person Singular sowohl dem Englischen is als auch dem Spanischen es zugeordnet werden können. jedoch in der Lage zu interpretieren, dass ser nicht spezifiziert ist und sich nicht auf einen bestimmten Kontext beschränkt (Schmitt und Miller 2007: 1925). Zusammenfas‐ send zeigen die empirischen Studien zum Erwerb der spanischen Kopulaverben bei monolingualen Kindern, dass sie ser und estar in den meisten Fällen richtig verwenden. Wenn es um das Verständnis der Eigenschaften geht, die mit ser oder estar ausgedrückt werden, sind monolinguale Kinder meistens in der Lage, diese zu verstehen. Wenn Schwierigkeiten beobachtet werden, betreffen sie vor allem Ortsangaben und Adjektive in Form von Auslassungen und Übergeneralisierungen. Das sind diejenigen Prädikate, die von beiden Kopulaverben begleitet werden können. Diese nicht-zielsprachlichen Produktionen treten allerdings selten auf. 7.2.3 Bilingualer Erwerb von ser und estar Zahlreiche Studien haben sich mit dem frühkindlichen Erwerb der spanischen Kopu‐ laverben in Sprachkombinationen beschäftigt, in denen das Spanische gleichzeitig mit einer Sprache erworben wird, die über nur ein Kopulaverb verfügt. Die meistunter‐ suchte Sprachkombination ist Spanisch-Englisch, wobei auch einige (wenige) Studien für die Sprachkombinationen Spanisch-Deutsch und Spanisch-Französisch existieren. Da beide germanischen Sprachen und das Französische Gemeinsamkeiten bzgl. der Verfügbarkeit und der Verwendung des Kopulaverbs haben, beziehen wir alle drei Sprachkombinationen ein. Der Erwerb von ser und estar wurde sowohl in Longitudinalals auch in Querschnitt‐ studien untersucht. Die empirischen Studien von Krasinski (2005) sowie Silva-Corvalán und Montanari (2008) analysieren beispielsweise den frühen Erwerb von ser und estar und die Zuweisung der jeweiligen inhärenten und vorübergehenden Eigenschaften, die mit der Kopulaselektion einhergehen, bei spanisch-englischsprachigen bilingualen Kindern zwischen 1; 6 und 3; 10. In den Sprachdaten von Zevio (Krasinski 2005) und Nicolás (Silva-Corvalán und Montanari 2008) finden die Autorinnen eine erste eindeutige Produktion des Kopulaverbs ser im Alter von 2; 6, bzw. 2; 7. 3 Das Kopulaverb estar tritt einen Monat später auf. Darüber hinaus stellen die Autorinnen fest, dass zahlreiche Kopulaauslassungen in den früheren sprachlichen Daten vorzufinden sind und dass bis zirka 2; 10 oft Übergeneralisierungen auftreten. Letztere betreffen vor allem Präpositionalphrasen, die Ortsangaben ausdrücken (18) aber auch Adjektive (19). 186 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="187"?> 4 Im Gegensatz zu dieser Annahme beobachten Fernández Fuertes und Liceras (2008, 2010) und Liceras, Fernández Fuertes, de la Fuente und Tercedor Sánchez (2010) für zwei spanisch-englischsprachige Kinder, deren Sprachdaten im Rahmen von Longitudinalstudien gesammelt wurden, dass das Englische der Kinder aufgrund der transparenten Zuordnung von permanenten (inhärenten) und vorübergehenden Eigenschaften mit ser und estar im Spanischen profitiert. Die bilingualen Kinder zeigen somit einen Vorteil im Englischen gegenüber monolingual englischsprachigen Kindern, wenn es darum geht, permanente und temporäre Eigenschaften zu identifizieren. (18) *yo soy aquí (Zevio, Krasinski 2005) - - ich bin-ser hier - - (19) a. *es mojado (Zevio, Krasinski 2005) - - ist-ser nass - - b. *El gato estaba malo (=tiene mal carácter) - - die Katze war-estar schlecht - - - - (Nicolás, 2; 7,16, Silva-Corvalán und Montanari 2008: 354) Die Übergeneralisierungen der Kopulaverben bei den untersuchten Kindern lassen die Autorinnen darauf schließen, dass ein negativer Spracheneinfluss vom Englischen ins Spanische erfolgt. 4 Konkret finden sie einen verlangsamten Erwerb der Kopulaverben im Spanischen, wenn dieser mit dem Erwerbsverlauf monolingual spanischsprachiger Kinder verglichen wird (Silva-Corvalán und Montanari 2008: 354). Arnaus Gil (2013) sowie Arnaus Gil und Müller (2015) untersuchen ebenfalls die Lon‐ gitudinaldaten von einem spanisch-französischsprachigen und fünf spanisch-deutsch‐ sprachigen bilingual aufwachsenden Kindern. Die Autorinnen ergänzen diese Studie mit Daten von zwei monolingual mit dem Spanischen aufwachsenden Kindern aus der CHILDES-Datenbank (vgl. MacWhinney 2000). Der untersuchte Zeitraum umfasst die Altersspanne von 1; 5 bis 5; 0. In Anlehnung an vorherige Arbeiten unterscheiden die Autorinnen bei der Analyse zwischen zielsprachlichen und nicht-zielsprachlichen Kopulaproduktionen in allen möglichen prädikativen Kontexten. Die nicht-zielsprach‐ lichen Verwendungen werden wiederum in Auslassungen oder Übergeneralisierungen aufgeteilt. Abbildung 13 zeigt die Ergebnisse für die bilingualen und monolingualen Kinder anhand des Kontextes (ser- oder estar-Kontext). Die Beispiele (20) und (21) illustrieren die nicht-zielsprachlichen Möglichkeiten bei den bilingualen Kindern. 7.2 Kopulaverben im Spanischen 187 <?page no="188"?> 1461 1427 690 79 466 1604 311 483 38 295 40 129 12 60 4 61 6 41 6 2 4 79 21 1 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Sp Sp-Dt Sp-Frz Sp-Kat-Dt Sp Sp-Dt Sp-Frz Sp-Kat-Dt zielsprachlich nicht-zielsprachliche Auslassungen nicht-zielsprachliche Übergeneralisierungen SER ESTAR Abbildung 13. (Nicht-)Zielsprachliche Verwendung von ser und estar: monolinguale und bilinguale Kinder im Vergleich (adaptiert von Arnaus Gil und Müller 2015: 152) (20) a. ese ratón Te_ds, Sp-Dt, 2; 8,23 - - das maus - - b. está muy rápido Lu_ds, Sp-Dt, 2; 3,1 - - ist-estar sehr schnell - - c. to no pa ti (=esto no es para ti) Ar_ds, Sp-Dt, 2; 8,14 - - das nicht für dich - - (21) a. oto pintao No_ds, Sp-Dt, 2; 8,16 - - andere gemalt - - b. era llena de nudos Sy_fs, Sp-Fr, 3; 8,30 - - war-ser voll von Knoten Arnaus Gil (2013: 273 ff.) Aus der vorherigen Abbildung 13 wird deutlich, dass der Kontext, in dem die inhärente bzw. permanente Eigenschaft mit ser ausgedrückt wird, den bilingualen Kindern Schwierigkeiten bereitet. Die monolingual spanischsprachigen Kinder im gleichen untersuchten Zeitraum zeigen kaum nicht-zielsprachliche Produktionen (weder Aus‐ lassungen noch Übergeneralisierungen). Die bilingualen Kinder produzieren also vermehrt ähnliche Äußerungen wie die in den Beispielen in (20), in denen ser ausge‐ lassen oder estar in einem Kontext mit dem Ausdruck einer permanenten Eigenschaft verwendet wird. Darüber hinaus zeigen die Beispiele in (20), dass nicht-zielsprachliche Realisierungen sowohl prädikative Adjektive (AP) als auch Nominal- (NP/ DP) und Präpositionalphrasen (PP) betreffen. Die folgende Abbildung 14 gibt einen Überblick über die (nicht-)zielsprachlichen Produktionen mit ser und estar von den 6 bilingualen Kindern. Hier wird deutlich, dass die ser-Kontexte die meisten Auslassungen und 188 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="189"?> Übergeneralisierungen aufweisen. Mit zirka 30% nicht-zielsprachlichen Produktionen liegen prädikative Adjektive (AP, 20b) und Präpositionalphrasen (PP, 20c) ganz vorne. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% NP/ DP AP PP (Ereignis) PP (Ortsangabe) NP/ DP AP PP (Ereignis) PP (Ortsangabe) SER ESTAR 1202 406 183 41 21 519 24 513 214 74 48 1 0 19 0 24 34 54 4 1 2 23 0 29 Realisierte Kopula Ausgelassene Kopula Übergeneralisierte Kopula Abbildung 14. Produktionen mit ser und estar nach Prädikatstyp und Zielsprachlichkeit (Bilinguale Kinder Sp-Dt/ Frz). Basierend auf Arnaus Gil (2013: 280) Darüber hinaus fällt in der Abbildung 14 auf, dass vor allem ser-Auslassungen (wie in (20a)) zu beobachten sind, während ser in den estar-Kontexten fälschlicherweise verwendet wird (wie in (21b)). Schließlich möchten wir uns den Fall prädikativer Adjektive genauer anschauen, da dieser Kontext durch die Kopulaauswahl am häufigsten unterschiedliche Eigenschaften des Referenten widerspiegelt. Ferner haben andere Studien mit bilingualen Kindern gezeigt, dass Adjektivphrasen die meisten Probleme bei der Kopulaselektion bereiten. In Tabelle 1 aus Arnaus Gil und Müller (2015) werden die kindlichen Produktionen monolingualer und bilingualer Kinder bzgl. der Verwendung von ser und estar mit Adjektiven vom Typ alegre ‚fröhlich‘ oder guapo ‚hübsch‘ dargestellt, d.-h. solche Ad‐ jektive, die in der Erwachsenensprache mit beiden Kopulaverben auftreten dürfen. Bei diesen Adjektiven wird angenommen, dass die Kopulaselektion die Art der Eigenschaft, die vermittelt wird, bestimmt. 7.2 Kopulaverben im Spanischen 189 <?page no="190"?> Inhärente Eigenschaft wird ausgedrückt (ILP) Vorübergehende Eigenschaft wird ausgedrückt (SLP) - Zielsprachlich Nicht-ziel‐ sprachlich Zielsprachlich Nicht-ziel‐ sprachlich Monolingual 100 (98%) 2 (2%) 24 (100%) 0 Bilingual 230 (67,25%) 112 (32,75%) 123 (95,35%) 6 (4,65%) Tabelle 1. (Nicht-)Zielsprachliche Verwendung von ser und estar mit Adjektiven des Typs guapo (adaptiert von Arnaus Gil und Müller 2015: 153) Beim Vergleich der monolingual spanischsprachigen mit den Spanisch-Deutsch/ Fran‐ zösisch bilingualen Kindern aus Tabelle 1 wird deutlich, dass die erste Gruppe sowohl ser als auch estar, wie in der Erwachsenensprache erwartet, zielsprachlich einsetzt. Mit anderen Worten sind monolinguale Kinder in der Lage, permanente (ILP) und vorübergehende (SLP) Eigenschaften mit jeweils ser oder estar auszudrücken. Die bilingualen Kinder zeigen im selben Untersuchungszeitraum dagegen einige Schwie‐ rigkeiten, wenn es um den Ausdruck der inhärenten Eigenschaft geht. In zirka 33% der Fälle sind Sätze wie in (20b) zu beobachten, d. h. es wird ser ausgelassen oder estar wird an Stelle von ser realisiert, um eine permanente Eigenschaft auszudrücken. Schauen wir uns die estar-Kontexte bei den bilingualen Kindern an, erkennen wir eine sehr hohe Zielsprachlichkeit. Demnach sind bilinguale Kinder in der Lage, vorübergehende Eigenschaften mit estar auszudrücken. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen somit vorherige Untersuchungen mit bilingualen spanisch-englischsprachigen Kindern und zeigen, dass bilinguale Kinder im Vergleich zu monolingual spanischsprachigen Kin‐ dern beim Erwerb der Kopulaverben im Spanischen verzögert sein können. Eine mögliche Erklärung für diese Verzögerung des Erwerbs der Kopulaverben im Spanischen könnte an der Beschaffenheit der anderen L1 liegen. Wenn eine syntakti‐ sche Zuweisung der inhärenten (permanenten) und vorübergehenden Eigenschaften in den Erstsprachen der bilingualen Kinder denkbar ist, wäre das Kriterium I zum Spracheneinfluss erfüllt. Das Kriterium II trifft ebenfalls zu, da dieses Phänomen sich an der Schnittstelle zwischen Semantik - Syntax - Pragmatik befindet. Eines der Komplexitätskriterien könnte auch erklären, warum obligatorische ser-Kontexte die meisten Schwierigkeiten bereiten. Auch wäre es interessant, hierbei die Dominanz (vgl. Kap. 4) als möglichen Ein‐ flussfaktor für diese Verzögerung beim Erwerb der Kopulaverben im Spanischen zu betrachten. Es könnte der Fall sein, dass bilinguale Kinder mit Spanisch als dominanter Sprache weniger Auslassungen und Übergeneralisierungen aufweisen. Abbildung 15 zeigt die Zielsprachlichkeit der Kopulaproduktionen mit APn (y-Achse) von den sechs bilingual deutsch/ französisch-spanischsprachigen Kindern aus Arnaus Gil (2013). Die Kinder sind auf der x-Achse nach Dominanz geordnet (links = deutschdominant, rechts = spanischdominant). 190 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="191"?> 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Ar_ds (0,79) Sy_fs (0,75) Te_ds (0,46) Lu_ds (-0,11) No_ds (-0,16) Er_ds (-1,21) % Zielsprachlichkeit MLUD SER-zielsprachlich ESTAR-zielsprachlich Abbildung 15. Zielsprachlichkeit der Kopulaselektion bei bilingual deutsch/ französisch-spanischspra‐ chigen Kindern aus Arnaus Gil (2013) nach Dominanz Wenn Dominanz die Verwendung von ser und estar bei den bilingualen Kindern erklärt, würden wir erwarten, dass die schwarzen Punkte und die grauen Dreiecke für die Kinder auf der rechten Seite des Kontinuums sehr hoch liegen und im Gegenzug sollten wir feststellen, dass die Kinder auf der linken Seite des Kontinuums weniger zielsprachlich sind, d. h. die Punkte und Dreiecke sollten niedriger liegen. Aus der Abbildung 15 wird deutlich, dass Sprachdominanz die Ergebnisse der bilingualen Kinder nicht erklären kann. Eine weitere Überlegung, wie man diese Ergebnisse erklären könnte, wäre, allein die spanische Sprachkompetenz der Kinder hinzuzuziehen. Mit anderen Worten könnten Kinder mit einer hohen Kompetenz im Spanischen bessere Ergebnisse erzielen als Kinder mit niedriger Kompetenz in dieser Sprache. Das zeigt die folgende Abbildung 16. Hier wurde die Sprachkompetenz im Spanischen anhand des durchschnittlichen MLUs im gesamten untersuchten Zeitraum gemessen. 7.2 Kopulaverben im Spanischen 191 <?page no="192"?> 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 No_ds (2,16) Te_ds (2,31) Er_ds (2,5) Ar_ds (2,52) Lu_ds (3,13) Sy_fs (4,11) % Zielsprachlichkeit Durschnittlicher MLU SP SER-zielsprachlich ESTAR-zielsprachlich Linear (SER-zielsprachlich) Linear (ESTAR-zielsprachlich) Abbildung 16. Zielsprachlichkeit der Kopulaselektion bei bilingual deutsch/ französisch-spanischspra‐ chigen Kindern aus Arnaus Gil (2013) nach durchschnittlicher MLU im Spanischen Aus der Abbildung 16 ist eine leichte Tendenz zu höherer Zielsprachlichkeit bei der Verwendung von ser und estar erkennbar, je höher der durchschnittliche MLU im Spanischen ist. Mit anderen Worten waren die bilingualen Kinder auf der rechten Seite des Kontinuums häufiger in der Lage, ser und estar mit APn richtig zu verwenden als die Kinder, die eine niedrigere Kompetenz im Spanischen aufweisen. Zukünftige Arbeiten sollen diesen Zusammenhang weiter untersuchen. Ferner könnte geprüft werden, inwieweit sich die bilingualen Kinder von den monolingualen spanischsprachigen Kindern unterscheiden, wenn diese zwei Gruppen anhand des MLUs (und nicht des Alters) miteinander verglichen werden. 7.2.4 Zusammenfassung In diesem Unterkapitel haben wir die Verwendung der Kopulaverben ser und estar beschrieben. Beide verfügen über die Möglichkeit, Eigenschaften, Ortsangaben und andere Charakteristika dem Subjektreferenten zuzuweisen. Besonders interessant sind prädikative Kontexte, in denen beide Kopulaverben verwendet werden können, wie im Fall von Adjektivphrasen. Die Verwendung von ser realisiert die Lesart einer permanenten, inhärenten Eigenschaft des Referenten, während die Auswahl von estar mit demselben Adjektiv eine vorübergehende Lesart ausdrückt. Wir haben beobachtet, dass monolingual spanischsprachige Kinder in der Lage sind, die Beschränkungen der Kopulaselektion und die semantischen Nuancen ohne große Schwierigkeiten vor dem Alter von 4; 0 zu erwerben. Bilinguale Kinder, die simultan das Spanische und eine wei‐ tere Sprache mit nur einem Kopulaverb erwerben (Englisch, Deutsch oder Französisch), 192 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="193"?> zeigen einige Schwierigkeiten. Konkret haben Longitudinal- und Querschnittstudien zu diesen Sprachkombinationen eine hohe Anzahl an Kopulaauslassungen und Über‐ generalisierungen gezeigt. Die bilingualen Kinder haben vor allem Schwierigkeiten bei der Zuweisung von permanenten Eigenschaften mit ser. Die Schwierigkeiten der bilingualen Kinder können anhand der Kriterien zum Spracheneinfluss erklärt werden. 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen In diesem Unterkapitel stellen wir den Bereich der Objektauslassungen für drei Sprach‐ kombinationen, Deutsch-Französisch, Deutsch-Italienisch und Deutsch-Spanisch, vor. Die Möglichkeit, mitgedachte Objekte sprachlich nicht zu realisieren, hängt von syntaktischen, pragmatischen und semantischen Eigenschaften der jeweiligen Sprache ab und stellt damit ein Schnittstellenphänomen dar. Ferner weisen die drei romanischen Sprachen sowie das Deutsche im Hinblick auf die Zulässigkeit von Auslassungen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf, so dass Überlappungen bestehen. Im Folgenden wollen wir der Frage nachgehen, inwieweit sich diese Eigenschaften der Zielsysteme verzögernd auf die Entwicklung der Objektrealisierungen in den drei Sprachkombinationen auswirken. Betrachten wir zunächst die Zielsysteme. 7.3.1 Beschreibung der Zielsysteme Das Deutsche ist eine so genannte topic-drop-Sprache mit Verb-Zweit-Stellung (vgl. Trutkowski 2016 sowie Kap. 2.3.1 und 7.4), die die Auslassung der topikalisierten ersten Konstituente (Subjekte, Objekte und andere Elemente) in finiten Hauptsätzen zulässt. Das ausgelassene Element muss einen Diskursreferenten haben, d. h. es wird ein leeres Topik (ø TOP ) syntaktisch lizenziert (= erlaubt) und pragmatisch über den Diskursreferenten identifiziert. Die Auslassung des topikalisierten Elements führt zu einer Konstruktion mit Verb-Erst-Stellung, z. B. ø TOP Soll geliefert werden / ø TOP Hab ich schon gemacht. Sofern Subjekte oder Objekte nicht ausgelassen werden können, müssen sie entweder als lexikalische Nominalphrase oder pronominal (v. a. als Personalpronomina und Demonstrativpronomina) realisiert werden. Tatsächlich gilt die vorgenannte Eigenschaft generell aber nur für direkte Objekte (nachfolgend DO), wie Schmitz (2006a: 58) zeigt: Die zielsprachliche Auslassung indirekter Objekte (nachfolgend IO) in der Topik-Position ist deutlich eingeschränkter und verbspezifisch: So ist es z. B. nicht möglich, Hans in *(Hans) habe ich das Buch gegeben zu topikalisieren und dann auszulassen. Eine Ausnahme, die jedoch DO und IO gleichermaßen betrifft, bilden Imperative wie z. B. zeig mal/ gib mal her. Eine lexikalisch, also verbspezifische, Ausnahme könnte für das IO von zeigen gelten, wenn es nicht spezifisch eine oder mehrere bestimmte Personen, sondern unspezifisch viele unbestimmte Menschen bezeichnet. In diesem Fall ändert sich die Bedeutung von zeigen zu vorführen oder 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 193 <?page no="194"?> beweisen, wie die Beispiele in (22) (aus Schmitz 2006a: 58, (36)) verdeutlichen, wo nur (22a) eine solche Bedeutungsänderung hervorbringt: (22) a. Der Professor zeigte (dem prall gefüllten Hörsaal) die Wirkung der Schwerkraft. - b. Der Professor zeigte *(seinem neuen Kollegen) die Kaffeemaschine. Sofern eine Topikalisierung von Lokativargumenten (nachfolgenden LOK) erfolgt wie etwa von da in da habe ich die Vase hingestellt, ist eine Auslassung, wie bei IO, nicht ziel‐ sprachlich: *(Da) habe ich die Vase hingestellt (vgl. Schmitz 2006a: 59). Insgesamt erfolgt die Realisierung von IO und LOK entweder lexikalisch durch Präpositionalphrasen oder durch dativmarkierte Pronomina, bei LOK auch durch lokativische Adverbien. Die drei romanischen Sprachen sind keine topic-drop-Sprachen, lassen jedoch eben‐ falls Objektauslassungen unter bestimmten Voraussetzungen zu, wobei sich deren Bandbreite unterscheidet. Bevor wir diese genauer vorstellen, möchten wir jedoch an eine wichtige Gemeinsamkeit erinnern, die wir bereits in Kapitel 6.3 präsentiert haben: Im Unterschied zum Deutschen gibt es in den romanischen Sprachen die Möglichkeit, die kanonische, reguläre (postverbale) Objektposition nicht phonetisch zu realisieren, sobald ein (präverbales) Objektklitikon vorhanden ist. Das Klitikon wird im Falle der fehlenden phonetischen Realisierung der Objektposition mit einer phonetisch leeren Kategorie (ec = „empty category“) in der Objektposition verbunden. Das kanonische Objekt wird also durch die leere Kategorie repräsentiert und mit dem Klitikon verbunden. In den Beispielen in (23) wird dies durch den Index angezeigt, den sich die leere Kategorie und das Klitikon teilen. Die romanischen Objektklitika unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Position vom deutschen schwachen (weil unbetonten) Objektpronomen es, das genauso wie andere Objektpronomina und lexikalische Objekte in der kanonischen Objektposition steht: (23) a. Maria sieht es vs. *Maria es i sieht ec i - b. Maria lo i vede ec i - - - c. Marie le i voit ec i - - - d. María lo i ve ec i - - Kommen wir nun zu den unterschiedlich starken Beschränkungen für Nullobjekte, d. h. Konstruktionen, in denen auch das Klitikon ausgelassen werden kann. Das Italienische erweist sich hier als die restriktivste Sprache, die fast nur mit bestimmten Verbklassen Auslassungen erlaubt: So erlauben u. a. sapere ‚wissen‘ und conoscere ‚kennen‘ Objektauslassungen auf die Frage Sai perché non è venuto? Non so ‚(ich) weiß nicht‘ und Conosci il film di Harry Potter? Sì conosco ‚Ja (ich) kenne‘. Diese Objektauslassungen sind also lexikalisch lizenziert; wären sie syntaktisch lizenziert, sollten wir die Auslassung mit allen Verbklassen finden. Die Auslassungen sind jedoch, wie im Deutschen, generell nur möglich, wenn es sich um hervorgehobene bekannte (und somit im Diskurs wieder auffindbare) Information handelt, d. h. sie sind ebenfalls pragmatisch identifiziert. Ferner zeigt Rizzi (1986) auch die Möglichkeit auf, dass sog. „arbiträre“ Objekte ausgelassen werden können und führt ein arbiträres pro ein, 194 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="195"?> 5 Wir gehen insbesondere auf das europäische Spanisch ein; die spanischen Varietäten in Amerika zeigen hier mehr Variation und Auslassungsmöglichkeiten: Während das Spanische Mexikos und Guatemalas stärker der spanischen Norm ähnelt, zeichnen sich u. a. die Varietäten von Argentinien, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Paraguay und Peru durch die Option von Nullobjekten aus (vgl. u. a. Schwenter 2006, Mateu 2015). welches an der Stelle des ausgelassenen Objekts (__) im folgenden Beispiel (24a) steht, in dem la gente ‚die Leute‘ ausgelassen werden kann; ferner zeigt Rizzi (1986: 550 f.), dass auch für Dativobjekte ein arbiträres pro existiert, so dass auch hier Auslassungen möglich sind (Beispiel 24b) (vgl. Rizzi 1986: 503, (8b) und 550, (105b)): (24) a. Questo conduce __ alla seguente conclusione. - - Dies führt __ zum folgenden Schluss - b. Il generale può ordinare (ai soldati) di partire. - - Der General kann (den Soldaten) befehlen abzumarschieren Auch das Spanische beschränkt Objektauslassungen sehr weitgehend 5 . Sie sind nur dann zulässig, wenn sie entweder verbspezifisch sind (nur mit Verben wie u. a. querer, saber, poder) oder das Objekt indefinit ist, wie die folgenden Beispiele in (25) von Montrul (2004: 189) zeigen (hier steht ø für das leere Objekt): (25) a. *Juana vio ø en la televisión. - - - *Juana sah ø im Fernsehen - - b. ¿Trajiste la cámara? *Si, traje ø. - - Hast du die Kamera mitgebracht? *Ja, ich habe ø mitgebracht - c. ¿Compraste pan? Si, compré ø. - - Hast du Brot gekauft? Ja, ich habe ø gekauft Im Hinblick auf die Auslassbarkeit indirekter Objekte unterscheidet Campos (2000: 1550) zwischen indirekten Objekten, die Argumente des Verbs sind (z. B. bei dar ‚geben‘) und solchen, die als Klitika (le oder se) auch mit anderen Verben auftreten und eine Richtung oder das Ziel einer Bewegung (wie z. B. bei acercarse ‚sich annähern‘) auftreten können, also letztlich Adjunkte sind. Im ersten Fall führt die Auslassung an die Grenzen der Akzeptabilität (gekennzeichnet durch: ? ? ), im zweiten sind sie unproblematisch, wie die Beispiele in (26) von Campos (2000: 1550, (102)) zeigen: (26) a. ? ? Pablo dio su bicicleta. - - Pablo gab sein Fahrrad - b. Guillermo preparó una torta. - - Guillermo buk eine Torte Das Französische ist von den drei hier diskutierten romanischen Sprachen diejenige mit den meisten Optionen für Objektauslassungen: Hier bestehen neben der bereits genannten Möglichkeit der lexikalischen Lizenzierung (mit pragmatischer Identifizie‐ rung) sowie der Verwendung von Objektklitika anstelle lexikalischer Objekte weitere Auslassungsmöglichkeiten. Basierend auf Tuller (2000) führen wir in (27-28) zunächst die folgenden zulässigen Situationen auf, die das Französische mit dem Italienischen 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 195 <?page no="196"?> 6 Als syntaktische Inseln werden Konstruktionen bezeichnet, die keine Beziehungen zu anderen Elementen außerhalb dieser Insel-Konstruktion aufweisen. Die Metapher der Insel ist sehr passend, denn es wird in der Syntaxforschung vermutet, dass man Elemente aus solchen Insel-Konstruktionen nicht verschieben kann. Im Beispielsatz (30) ist der Relativsatz qui a lu eine syntaktische Insel, was sich daran zeigt, dass nur solche Sprachformen auf Konstituenten des Relativsatzes bezogen werden können, die den grammatischen Beschränkungen des Nullklitikons entsprechen (3. Person); *À Paris, je connais un mec qui est allé (‚Nach Paris, ich kenne einen Typen der ist gegangen‘), *Toi, je connais le livre qui plaît (‚Dir, ich kenne das Buch das gefällt‘). gemeinsam hat, wobei sie in dieser Option die Objekte als Diskurs-Topik analysiert, vergleichbar mit denen im Deutschen: (27) So genannte arbiträre (mit einer generischen Lesart versehenen) Null-Objekte, welche man im Deutschen mit „Leute“ übersetzen könnte - Cette musique rend __ heureux ‚Diese Musik macht glücklich‘. - (28) Diskurs- oder situationsbedingte Auslassungen (d.-h. der Referent muss durch den Diskurs oder die Situation für den Hörer deutlich erkennbar sein) in der familiären Sprache (vgl. auch Fónagy 1985: 5), die vor allem mit verba cogitandi, z.-B. connaître „kennen“ bzw. mit Verben wie aimer / détester ‚lieben‘ / ‚hassen‘ auftreten: - A: Voulez-vous que je vous donne mon numéro de téléphone? - ‚Wünschen Sie, dass ich Ihnen meine Telefonnummer gebe? ‘ - B: Non, je connais__ - ‚Nein, ich kenn (=nein, ich kenne sie)‘ Des Weiteren belegen Tuller (2000), Fónagy (1985) sowie Lambrecht und Lemoine (1996, 2005), dass im Französischen auch die folgenden Auslassungsmöglichkeiten bestehen, die in der Literatur (vgl. u. a. Kato 1999) aus dem brasilianischen Portugiesisch bekannt sind und eine pragmatische Lizenzierung voraussetzen, wie die Beispiele in (29) bis (30) zeigen: (29) So genannte leere Deiktika (leere Verweiswörter), die häufig in Imperativen auftreten und immer auf ein nicht-animiertes Element in der dritten Person referieren: Prends ‚Nimm‘ (vgl. Fónagy 1985: 9) - (30) Nullklitikon (KLITIKON i der 3. Person), also phonetisch nicht-realisiertes Klitikon in Insel-Lage, das auf ein Nominalsyntagma referiert: 6 - Ce livre i , je connais un mec qui NULLKLITIKON i a lu__ i - ‚Dieses Buch, ich kenne einen Typen der __ gelesen hat‘ (=der es gelesen hat). - (31) In kurzen Antworten auf Fragen können ganze Verbalphrasen reduziert werden: T’as [ VP mis [la poubelle dehors]]? - Oui, j’ai mis ‚Hast Du die Mülltonne rausgestellt? - Ja, ich habe gestellt‘ (= sie rausgestellt). Lambrecht und Lemoine (2005) führen eine systematische Analyse möglicher Nullob‐ jekte im gesprochenen Französisch durch, die die bisher aufgeführten Möglichkeiten für Nullobjekte zwar einschließt, aber bei weitem übersteigt. Wir können auf die 196 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="197"?> einzelnen Nullobjekttypen in unserer Einführung nicht weiter eingehen (vgl. Schmitz 2006a: 59 ff.). Insgesamt ergeben sich für das Französische gegenüber dem Italienischen und Spanischen mehr Möglichkeiten hinsichtlich der lexikalischen Lizenzierung durch Verben (z. B. verba cogitandi) und Konstruktionen (z. B. Relativsätze) sowie die pragmatische Lizenzierung in bestimmten Kontexten. Bislang wurden nur die Auslassungsmöglichkeiten für DO beschrieben. Lambrecht und Lemoine (2005) führen explizit auch zwei Kontexte für die Auslassungen von IO auf: Zum einen können sie lexemabhängig, nämlich bei Verben der Kommunikation wie z.-B. raconter, décrire und annoncer ausgelassen werden, bei denen das IO die Rolle des Ziels bzw. des Rezipienten der Kommunikation trägt, wie Beispiel (32) zeigt (Lambrecht und Lemoine 2005: 36). (32) « Les policiers ont cambriolé ma maison » raconte un matin à l’école Julie, 6 ans. (Nouvel Observateur 1990). Ferner können IO und DO - wie im Deutschen - bei ditransitiven Verben ausgelassen werden, insbesondere in Imperativkonstruktionen (vgl. Lambrecht und Lemoine 2005: 45), wie die Beispiele in (33) zeigen: (33) Donne-le! - Donne! / Montre-le - Montre! / Fai—le voir-! - Fais voir-! etc. Da die Einflusskriterien einen Vergleich einzelner grammatischer Bereiche in der jeweiligen Kombination erfordern, wird im Folgenden jede Sprachkombination für sich behandelt. Für die Sprachkombination Deutsch-Französisch lässt sich vorhersagen, dass der Bereich der Objektauslassungen von Einfluss betroffen sein könnte: In beiden Spra‐ chen können (v. a. direkte) Objekte ausgelassen werden, wobei die Lizenzierung im Deutschen syntaktisch, im Französischen durch die Verbbedeutung, d. h. lexikalisch, und pragmatisch ist, und im Französischen die Anzahl der lizenzierenden Kontexte weitaus umfangreicher ist als im Deutschen. Mit „umfangreich“ ist nicht die absolute Anzahl der ausgelassenen Objekte gemeint, sondern die Anzahl der Kontexte, in denen die Auslassung erlaubt ist. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass die oben aufgeführten Kontexte im Input der Kinder nicht sehr häufig auftreten. Insgesamt ist die erforderliche Überlappung der Zielsysteme Deutsch und Französisch gegeben. Au‐ ßerdem trifft auch die Schnittstellenbedingung zu: Objektauslassungen betreffen vor allem die Schnittstelle Syntax/ Pragmatik, aber auch die Schnittstelle Syntax/ Semantik. Im nächsten Schritt werden die Vorhersagen für die Sprachkombination Deutsch-Ita‐ lienisch entwickelt: Nur eine (kleine) Teilmenge derjenigen Verben, die im Französi‐ schen aufgrund ihrer lexikalischen Eigenschaften Auslassungen lizenzieren, erlauben im Italienischen (bei fast gleicher Bedeutung) Objektauslassungen. Rizzis (1986) Arbeit zum arbiträren pro suggeriert eine zentrale Rolle semantischer Faktoren. Der Pragmatik kommt aber auch in dieser Sprache bei der Identifizierung des Nullobjekts eine große Rolle zu: Eine Befragung von italienischen Muttersprachler: innen ergab, dass auch direkte Objekte pragmatisch lizenziert und ohne arbiträre Interpretation zugelassen 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 197 <?page no="198"?> 7 Dieses darf man aus der Beobachtung schließen, dass Klitika gerade nicht an denjenigen Positionen im Satz auftreten können, welche für nominale Elemente typisch sind; vgl. z. B. im Französischen je mange la pomme und nicht je mange la, wohl aber je la mange ‚ich esse den Apfel/ ihn‘ (vgl. auch Kap. 6.3). werden können, z. B. in der Situation, in der der Sprecher am Fenster steht und den Hörer mit apro? ‚ich öffne? ‘ fragt, ob er es öffnen darf (vgl. Schmitz 2006a: 68). Das Deutsche lizenziert Auslassungen systematisch syntaktisch, so dass auch hier Überlappungs- und Schnittstellenbedingungen erfüllt werden. Somit ist auch in dieser Sprachkombination Einfluss zu erwarten. Schließlich wollen wir eine Vorhersage für die Sprachkombination Deutsch-Spa‐ nisch formulieren: Wie für das Italienische können wir annehmen, dass lexikalische und semantische Eigenschaften der Verben und der Objekte selbst (Indefinitheit) entscheidend für die Auslassbarkeit von Objekten sind, aber auch die Pragmatik eine Rolle spielt, da die Referenten der ausgelassenen Objekte im Diskurs auffindbar sein müssen. Auch für diese Sprachkombination sind die Überlappungs- und Schnittstel‐ lenbedingungen erfüllt, so dass auch hier Einfluss zu erwarten ist. Um nun die Richtung des möglichen Einflusses für die drei Sprachkombinationen zu ermitteln, betrachten wir erneut die Komplexitätskriterien aus Kapitel 5.3.3, wovon in diesem Bereich das zweite einschlägig ist. Eine entscheidende Rolle spielen die Objektklitika in den romanischen Sprachen (vgl. auch Kap. 6.3). Es wird angenommen, dass sie semantisch motivierte funktionale Kategorien darstellen. Dieses Kriterium sagt vorher, dass die Berechnungskomplexität geringer ist, wenn ein (pronominales) Argument im lexikalischen Bereich in die Struktur eingefügt wird, als wenn dies im funktionalen Bereich der Satzstruktur erfolgt. Für klitische Objektpronomina wird in der Literatur (vgl. u. a. Jakubowicz et al. 1998, Müller et al. 2006, Schmitz und Müller 2005, 2008) angenommen, dass sie im funktionalen Bereich der syntaktischen Struktur eingefügt werden, da sie für das nominale Merkmal [N] unterspezifiert sind (vgl. hierzu Gabriel und Müller 2005, Müller und Riemer 1998: 68), 7 somit keine lexi‐ kalische Position (also innerhalb der Verbalphrase) einnehmen können. Im Deutschen hingegen fehlen genuine Klitika; hier haben die Pronomina andere Eigenschaften und können in der lexikalischen Domäne (VP) mit dem Verb verbunden werden. Somit sagt das zweite Kriterium voraus, dass die romanischen Objektklitika einen höheren Komplexitätsgrad aufweisen als deutsche Objektpronomina. Demnach ist der stärker lexikalisch und pragmatisch geregelte Bereich der Objektauslassungen in den drei romanischen Sprachen komplexer und es wird ein Einfluss des Deutschen vorhergesagt, der zu erhöhten Auslassungsraten in den romanischen Sprachen und somit zu Verzögerung führt. Müller et al. (2002) haben außerdem für das Italienische argumentiert, dass im Bereich der Objektauslassungen die lexikalische Beschränkung dieser Option in der Erwachsenensprache erschwerend wirkt und daraufhin ein drittes Komplexitätskriterium entwickelt, vgl. (34): 198 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="199"?> (34) Die syntaktische Berechnung in einer Sprache ist WENIGER KOMPLEX, sobald eine syntaktische Analyse generell, d.-h. ohne Ausnahmen, Anwendung findet. Die lexi‐ kalische Beschränkung der syntaktischen Option erhöht den Komplexitätsgrad der Berechnung (Müller et al. 2002: 196). Das Kriterium in (34) rückt die lexikalische Lizenzierung von Objektauslassungen in den romanischen Sprachen in den Vordergrund, während das Kriterium (2) von Jakubowicz (2002) die syntaktische Berechnung von Objektlitika als funktionale Kate‐ gorien fokussiert. Beide machen für den Bereich der Objektauslassungen die gleiche Vorhersage: Der Bereich ist in allen drei romanischen Sprachen komplexer, so dass wir einen Einfluss des Deutschen auf die romanischen Sprachen erwarten. Diese Kriterien stehen also nicht im Widerspruch zueinander. 7.3.2 Studien mit monolingualen Kindern Bevor wir erneut den Blick auf die Spracherwerbstudien richten, die Objektauslassun‐ gen und die Entwicklung zu den erwachsenensprachlichen Realisierungsraten bei monolingualen Kindern behandeln, stellen wir die Studie von Varlokosta et al. (2016) vor. Diese untersucht anhand einer einheitlichen Methodologie zur Produktion von pronominalen (ggf. klitischen) direkten Objekten in der 3. Person, was monolinguale Kinder im Alter von fünf Jahren über die Objektpronomina in ihrer Sprache wissen, wobei dieses Wissen auch Nullobjekte einschließt und erwachsene Sprecher verglei‐ chend einbezogen wurden. Insbesondere wollte die Forschergruppe wissen, ob a) (nicht-klitische) Pronomina besser produziert werden als Klitika und b) es einen Unter‐ schied im Hinblick auf fehlerhafte Klitikplatzierung in Sprachen mit unterschiedlichen Klitikpositionen gibt. Dabei wurden insgesamt 16 Sprachen untersucht und solche mit und ohne Objektklitika verglichen. Zu ersteren wurden u. a. die romanischen Sprachen Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch und zu letzteren u. a. das Deutsche einbezogen. In allen Sprachen wurde ein Elizitationstest anhand von Bildmaterial in der Weise durchgeführt, dass die getesteten monolingualen Kinder und Erwachsenen Bilder mit einem belebten Charakter betrachten sollten, der etwas mit einer Sache und/ oder einem weiteren Charakter macht. Dabei beschrieb die Testperson das Bild und stellte eine Warum-Frage, die mit einem „Weil-Satz“ beantwortet werden sollte, der ein Pronomen enthält. Varlokosta et al. (2016: 11) veranschaulichen dieses Vorgehen mit einem Bild, auf dem ein Junge eine Katze mit einem Schlauch nass spritzt. Das zugehörige Testitem hat die folgende Form (in deutscher Version): (35) Der Junge spritzt die Katze nass und die Katze ist sehr nass. - Wieso ist die Katze so nass? - Die Katze ist so nass, weil der Junge die/ sie nass spritzt. Dieses Design wurde aufgrund der Tatsache gewählt, dass Sprachen wie das Portu‐ giesische, die Nullobjekte erlauben, in diesen Weil-Sätzen ebenfalls ein realisiertes Objektpronomen verlangen. 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 199 <?page no="200"?> Als globales Ergebnis halten Varlokosta et al. (2016: 15) fest, dass die massive Produktion von Pronomina drei wichtige Erkenntnisse erlaubt: (i) Sprachübergreifend sind Kinder im Alter von 5 Jahren in der Lage, in allen Sprachen Pronomina zu produzieren; (ii) Kinder besitzen das relevante morphosyntaktische Wissen, das für die Produktion von Pronomina erforderlich ist; auch kennen sie die Platzierung und Verteilung von Pronomina und wählen zumeist die zielsprachliche Form; (iii) Kinder besitzen das erforderliche pragmatische Wissen, um ein Pronomen im Diskurs-Setting des Experiments zu wählen und variieren nicht frei zwischen Pronomina und DPen. Auch lässt sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Pronomina und Klitika im Vergleich der Produktion der beiden Typen über alle Klitikbzw. Pronomen‐ sprachen feststellen. Ferner halten die Autoren fest, dass Kinder konsistent für die schwächste Alternative optieren, wobei sie sich nach der Skala Pronomen > Klitikon > Null verhalten, jeweils in Abhängigkeit von den Optionen, die ihre Sprache beinhaltet. Auch stufen sie das Wissen der Kinder um Typologien von Nullobjekten als gut ein, wenngleich gelegentlich Nullobjekte auch auf ungeeignete syntaktische Kontexte ausgedehnt werden (Varlokosta et al. 2016: 17). Betrachten wir nun die Einzelergebnisse für die uns hier interessierenden drei romani‐ schen Sprachen und das Deutsche. In der folgenden Tabelle 2 führen wir tabellarisch und vergleichend die unterschiedlichen Realisierungen der Objektposition für die getesteten 25 französischen Kinder (Durchschnittsalter: 66 Monate bzw. 5; 6 Jahre) sowie 10 Erwachsene, die 20 italienisch monolingualen Kinder (Durchschnittsalter 67 Monate bzw. 5; 7 Jahre) und 13 Erwachsenen sowie schließlich die 23 spanisch monolingualen Kinder (Durchschnittsalter 64 Monate bzw. 5; 4 Jahre) und 20 Erwachsenen an. Tabelle 3 enthält die Ergebnisse für die getesteten 22 deutsch monolingualen Kinder (Durchschnittsalter 64 Monate bzw. 5; 4 Jahre) sowie acht Erwachsenen (jeweils basierend auf den Tabellen 4-7 von Varlokosta et al. 2016: 13, hier nur Mittelwerte, Angaben in%). Sprache Klitika DPen Auslassungen Pronomina Andere Fr. (Erwachsene) 93,3 6,7 0 0 0 Fr. (Kinder) 90,0 4,7 2,3 0 3,0 It. (Erwachsene) 91,0 0 0 0 9,0 It. (Kinder) 92,9 2,5 2,5 0,8 1,3 Sp. (Erwachsene) 93,3 2,1 0 0 4,6 Sp. (Kinder) 94,2 1,8 2,2 1,1 0,7 Tabelle 2. Testergebnisse von Varlokosta et al. (2016) für die romanischen Klitiksprachen Fr., It., Sp. Varlokosta et al. (2016: 14) halten fest, dass in den meisten Klitiksprachen mindestens die Hälfte der Kinder 100% Klitika produzierten, im Einzelnen 9/ 25 der französischen, 11/ 20 der italienischen und 15/ 23 der spanischen Kinder. Der Unterschied zwischen 200 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="201"?> den französischsprachigen Kindern und Erwachsenen gegenüber den beiden anderen romanischen Sprachgruppen ist etwas größer, was sich anhand der oben vorgestellten Optionen für Nullobjekte erwarten lässt. In der Zusammenstellung der Ergebnisse in Tabelle 3 fällt ein größerer quantitativer Unterschied zwischen den deutschen Kindern und Erwachsenen als in den Ergebnissen in den romanischen Sprachen auf. Deshalb wurde für alle Sprachen, in denen die Produktion der Kinder unter 90% lag, untersucht, ob einzelne Verbtypen das Ergebnis beeinflusst haben; aber ein solcher Einfluss konnte statistisch nicht nachgewiesen werden (vgl. Varlokosta et al. 2016: 15). Deutsch Pronomina DPen Auslassungen Andere Erwachsene 92,7 2,1 1,0 4,2 Kinder 89,0 4,6 3,4 3,0 Tabelle 3. Testergebnisse von Varlokosta et al. (2016) für das Deutsche Wie verläuft nun die Entwicklung in den vier Sprachen? Im Folgenden stellen wir relevante Untersuchungen der Objektauslassungen monolingualer Kinder vor, begin‐ nend mit dem Deutschen. Jakubowicz et al. (1996) und Jakubowicz et al. (1997) haben spontane und elizitierte Daten bei 12 monolingual deutschsprachigen Kindern im Alter von 2 und 3 Jahren erhoben. Für die Kinder wurden zwei Gruppen etabliert, indem folgende Kriterien zugrunde gelegt wurden: 1) ein quantitatives Kriterium (MLU unter/ über 3) und 2) ein qualitatives Kriterium, nämlich die Absenz/ Präsenz von Strukturen, die in der Erwachsenensprache mit der funktionalen Kategorie CP zusammenhängen und von Kindern in frühen Erwerbsstadien noch nicht verwendet werden, v. a. die deutsche Verb-Zweit-Stellung, eingeleitete Nebensätze und Fragesätze mit W-Einleitern wie z. B. wer, was. Die erste Gruppe hatte einen durchschnittlichen MLU unter 3 und zeigte die mit der CP assoziierten Strukturen sehr selten oder gar nicht. Diese Gruppe wurde nach 6 Monaten nochmals getestet und verwendete dann die obigen Strukturen. Die zweite Gruppe mit einem MLU über 3 verfügte bereits produktiv über die genannten Strukturen. Zuerst werden nur die Spontandaten der Kinder betrachtet: Hier lassen beide Gruppen im Deutschen Objekte sehr häufig aus (40-50%). Insbesondere in der ersten Gruppe führen die Objektauslassungen zu nicht-zielsprachlichen Ergebnissen (24%). Dabei treten zwei Fehlertypen auf: (36) das finite Verb erscheint nicht satzinitial (zielsprachlich wäre reißt baroudi da ab), (37) es wird mehr als ein Verbargument ausgelassen, wie die folgenden Beispiele zeigen: (36) B.: Da reißt roudi ab - - - Da reißt Baroudi das ab - (Baroudi 2; 3,29) (37) Erw: Was machst du, wenn dein Papa dich nicht sehen soll? - V.: Auch mach - - - Ich mache das auch (Valerie 2; 5,7) 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 201 <?page no="202"?> Es werden immerhin 24% nicht-zielsprachliche Objektauslassungen in der 1. Gruppe nachgewiesen, nur sind diese Auslassungen pragmatisch identifiziert. Das ausgelas‐ sene Objekt stellt immer das Topik dar, d. h. der Diskursreferent wird zeitlich vor der kindlichen Äußerung sprachlich oder nichtsprachlich eingeführt und ist dem Hörer somit bekannt. Die frühen Objektauslassungen bei den Kindern sind also pragmatisch lizenziert und identifiziert. Jakubowicz et al. (1996) haben den gleichen Test auch mit 9 monolingual französisch‐ sprachigen Kindern in der gleichen Altersgruppe durchgeführt. Diese Kinder wurden ebenfalls in zwei Gruppen eingeteilt, wobei der MLU das zentrale Kriterium darstellte: Die Kinder mit einem MLU unter 3,5 bilden die Gruppe 1 und die mit einem MLU über 3,5 die Gruppe 2. Bevor wir die Ergebnisse dieser Studie kurz zusammenfassen, ist anzumerken, dass hier im Bereich der Objekte stets nicht-zielsprachliche Auslassungen mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der Realisierung (klitische (z. B. le/ la) und starke (=betonbare) Objektpronomina (z. B. ça), lexikalische DPn (z. B. le nounours) kontrastiert werden. Zielsprachliche Objektauslassungen werden nicht berücksichtigt. Ein Beispiel für eine nicht-zielsprachliche Objektauslassung wird in (38) gegeben: (38) L.: Il met dans le bain - - - Er stellt ins Bad - - - Er stellt es ins Bad (Louise 2; 5,23) Insgesamt kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass die Kinder der Gruppe 1 signifikant mehr Auslassungen (11,8%) aufweisen und deutlich weniger Objektklitika verwenden als diejenigen der Gruppe 2 (4,2% Auslassungen). Im Vergleich zu den deutschsprachigen Kindern in dieser Studie wird deutlich, dass sowohl französisch‐ sprachige als auch deutschsprachige Kinder sich im Hinblick auf die Verwendung von Subjekt- und Objektpronomina gleichen, aber sich in Bezug auf die lexikalischen Objekte und Auslassungen unterschiedlich verhalten. Die bis hier vorgestellten Studien untersuchten lediglich die Realisierung von DO, wenngleich einige Testitems tatsächlich ditransitive Verben wie z. B. mettre ‚setzen/ stellen/ legen‘ involvierten. Eine gezielt auf die Auslassung von IO im Vergleich zu DO bei französischen Kindern präsentieren Bello und Pirvulescu (2022), in der sowohl spontane Longitudinaldaten aus dem Korpus York der CHILDES-Datenbank (MacWhinney 2000) als auch eine Querschnittstudie mit 48 französischsprachigen Kindern im Alter von 3; 0,3 bis 5; 0,2 Jahren sowie einer Vergleichsgruppe von 28 französischsprachigen Erwachsenen (wie die Kinder aus dem Raum Montreal) analy‐ siert wurden. Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, ob (a) die IO-Klitika im Erwerbsprozess gleich häufig ausgelassen werden wie die DO-Klitika und (b) welche Faktoren den Erwerb der IO-Klitika erklären können. Zunächst zeigen Bello und Pirvulescu (2022: 76 f.) die Ergebnisse ihrer Analyse der beiden Longitudinalstudien, wobei sie die Daten von Anne (Paris, 1; 10,12-3; 5,04) und Max (Québec; 1; 09,19-3; 02,23) im Hinblick auf das Auftreten von DO- und IO-Kli‐ tika bzw. Auslassungen in Klitik-Kontexten untersuchten. Letztere sind diejenigen 202 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="203"?> Kontexte, in denen der Referent definit und im Diskurskontext enthalten ist und das Topik darstellt. Aus der Längsschnittuntersuchung von Anne (vgl. Bello und Pirvulescu 2022: 76, Tabelle 2) wird deutlich, dass Anne ab dem Alter von 2; 02,30 (MLU 2,58) DO-Klitika produziert, aber das erste IO-Klitikon erst drei Monate später, im Alter von 2; 05,18 (MLU 3,25) erscheint. Bei Max ist der zeitliche Abstand und der MLU-Wert bei der ersten Verwendung von IO-Klitika vergleichbar (vgl. Bello und Pirvulescu 2022: 77, Tabelle 3): erste DO-Klitika treten im Alter von 2; 02,9 (MLU 1,64) auf, während er das erste IO-Klitikon erst im Alter von 2; 05,15 (MLU 3,29) produziert. Insgesamt verzeichnen beide Kinder eine graduelle Zunahme der DO-Klitika; IO-Klitika bleiben wenig frequent und werden nur über einen kurzen Zeitraum ausgelassen. Bello und Pirvulescu (2022: 78) untersuchten auch die von den Kindern verwendeten ditransitiven Verben, die (mit oder ohne Präpositionalphrase) im Alter von ca. 24 Monaten auftra‐ ten, aber in sehr unterschiedlicher Anzahl: Anne produzierte insgesamt nur sieben ditransitive Verben vor dem Alter von 2; 05,18, dabei v.a. donner ‚geben‘, wobei sie beide Objekte ausließ. Später traten auch weitere ditransitive Verben hinzu. Max produzierte insgesamt 17 ditransitive Konstruktionen bis zum Alter von 2; 5,15, wovon 67% ebenfalls donner involvierten. Im Rahmen der Elizitationsstudie wurden die 48 Kinder zunächst in zwei Alters‐ gruppen (ca. 3 bzw. 4 Jahre) eingeteilt. Diese Gruppen wurden ferner im Hinblick auf den jeweils getesteten Objekttyp (DO bzw. IO) aufgeteilt. In der Elizitation von DO wurde das Objekt von insgesamt sechs unterschiedlichen transitiven Verben durch die Testperson in einem Kontext eingeführt und in einer Frage wiederholt, die an eine Marionette (Kermit) gerichtet war, die dann vom Kind korrigiert werden sollte, wie das folgende Beispielitem von Bello und Pirvulescu (2022: 80, (21) in (39)) zeigt: (39) - Kontext: La petite fille a très faim. Elle voit un gâteau au chocolat sur la table. Elle mange le gâteau. - - Frage: Kermit, qu’est-ce que la petite fille fait? - - Kermit: Je sais! La petite fille prépare le gâteau. - - Kind: Non-! - - Kermit: Non? La fille ne prépare pas le gâteau? - - Frage: Dis à Kermit ce que la fille fait avec le gâteau. - - Kind: La fille le mange. Hingegen wurde in der Elizitation der IO auf Videos zurückgegriffen, um den Transfer des direkten Objekts zu zeigen. Die Kinder sollten jedes Video ansehen und die vom Erzähler präsentierte Geschichte anhören. Das DO war sichtbar, aber mündlich nicht erwähnt. Der Empfänger (IO) wurde vom Erzähler eingeführt und in der an das Kind gerichteten Frage erwähnt und war ebenfalls im Video klar sichtbar. Insgesamt wurden 9 Sätze mit ditransitiven Verben mit obligatorischem (z. B. demander ‚fragen‘) oder fakultativem IO (z. B. écrire ‚schreiben‘) elizitiert. Die Unterscheidung wird im folgenden Beispielitem von Bello und Pirvulescu (2022: 81, (22) in (40)) verdeutlicht: 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 203 <?page no="204"?> (40) a. Ditransitiver Kontext mit einem obligatorisch ditransitiven Verb: - - Dans cette vidéo, on a Jean et Nicole. Jean a faim, mais il n’a rien à manger. Nicole veut donner quelque chose à Jean. Regarde ce qui se passe. - - Frage: Dis-moi, qu’est-ce que Nicole fait pour que Jean n’ait plus faim? - - Kind: Elle lui donne une pomme. - b. Ditransitiver Kontext mit einem fakultativen ditransitiven Verb: - - Dans cette vidéo, on a Jean et Nicole. Jean habite très loin. Nicole veut envoyer quelque chose à Jean. Regarde ce qui se passe. - - Frage: Dis-moi, qu’est-ce que Nicole fait pour Jean? - - Kind: Elle lui envoie un cadeau. Zentrale Ergebnisse der Querschnittstudie sind nach Bello und Pirvulescu (2022: 83 ff.): (i) Die Produktion der DO reflektiert die Ergebnisse der beiden Kindergruppen bzgl. der Progression in den Spontandaten, d. h. mit zunehmendem Alter steigt die Produktion von Klitika (CL) und nehmen die Auslassungen ab; (ii) bei den IO sind die von den Kindergruppen überwiegend ausgelassenen IO nicht verbspezifisch: Die Autorinnen beobachten ferner, dass selbst bei denjenigen ditransitiven Verben, die produktiv verwendet werden, die Auslassungsrate für IO höher bleibt als die für DO. Insgesamt bestehen signifikante Unterschiede zwischen DO- und IO-Auslassungen. Betrachten wir nun die Entwicklung der Objektrealisierungen im Italienischen. In ihrer Longitudinalstudie untersuchte Guasti (1993/ 94) Spontandaten von drei monolin‐ gual italienischsprachigen Kindern aus der CHILDES-Datenbank (MacWhinney 2000) im Entwicklungszeitraum von 1; 8 bis 2; 7. Ihre Studie weist jedoch ein Problem auf: Es werden nicht nur Auslassungen von Objekten gezählt, sondern auch Auslassungen von klitisierbaren Komplementen, worunter auch Reflexivpronomina fallen. Damit könnten auch solche Verbergänzungen in die Zählung Eingang gefunden haben, die zwar klitisiert werden können (durch das lokative Klitikon ci ‚dort‘), die aber nicht bei jedem Verb obligatorisch sind, also sogenannte Adjunkte darstellen (vgl. Müller und Riemer 1998: 27). Demnach muss vermutet werden, dass die Prozentzahl der Aus‐ lassungen weit unter der angegebenen liegt, um mit den vorliegenden deutschen Daten vergleichbar zu sein. Guasti (1993/ 94) gibt bei den Kindern ein Niveau von 10% oder niedriger mit einem MLU von durchschnittlich 2,6 an, welcher der ersten deutschen bzw. italienischen Gruppe bei Jakubowicz et al. (1996, 1997) bzw. Tiedemann (1999) entspricht. Strukturen, die auf den Erwerb der funktionalen Kategorie CP schließen lassen, sind während dieser Phase bei einem dieser Kinder nicht belegt, bei den beiden anderen Kindern fehlt die Information. Vorher betragen die nicht-zielsprachlichen Objektauslassungen laut Guasti zwischen 20% und 30%. Spätere Arbeiten verwendeten überwiegend Querschnittstudien. So wendete Tiede‐ mann (1999) den Elizitationstest von Jakubowicz et al. (1996, 1997) auf 15 monolingual italienische Kinder im Alter von 2 und 3 Jahren an. Dabei erhob sie jedoch keine vom Test getrennten Spontandaten, sondern wertete als spontane Äußerungen solche, die in der Testsituation nicht in direktem Zusammenhang zum getesteten Element auftraten. Auch hier ließen sich zwei Gruppen im Hinblick auf die oben näher beschriebenen 204 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="205"?> Kriterien MLU und Auftreten von mit der CP zu beschreibenden Konstruktionen etablieren. Das Ergebnis der Studie ist, dass auch italienischsprachige Kinder Objekte auslassen. In der ersten Gruppe betrugen die nicht-zielsprachlichen Auslassungen bis zu 25%. Sie sind in (41) illustriert: (41) a. Dopo fa - - - Danach macht - - - Danach macht er es (Mattia 3; 0,6) - b. Taglia - - - Schneidet - - - Sie schneidet es (Diego 2; 9,17) - c. Anche lui ha - - - Auch er hat - - - Er hat es auch (Marco 2; 4,2) Auch für das Italienische gilt, dass das ausgelassene Objekt das Topik ist. Jedoch erkennen die Kinder nicht sofort, dass die Objektauslassung lexikalisch lizenziert ist. Frühe Objektauslassungen sind demnach wie im Deutschen pragmatisch lizenziert und identifiziert. In den bisher vorgestellten Arbeiten zum Italienischen werden nur DO untersucht. In der umfangreichen Untersuchung von Caprin und Guasti (2009) zum Erwerb der Morphosyntax des Italienischen werden hingegen explizit sowohl die Position der Objektklitika (pro-/ enklitisch, vgl. Kap. 6.3) sowie die grammatische Funktion (als Akkusativ-/ Dativ-/ Reflexiv-Klitika) einbezogen. Die Untersuchung basiert auf halbnatürlichen Konversationsdaten von insgesamt 59 italienischsprachigen Kindern im Alter von 22 bis 35 Monaten (entsprechend 1; 10-2; 11), deren Gespräche beim Spiel mit stets dem gleichen Spielzeug mit Video- und Audioaufnahmen erfasst wurden. Als Gruppeneinteilungskriterium diente der wortbasiert errechnete MLU (MLUw), woraus sich drei Gruppen ergaben: G1 umfasst 15 Kinder mit einem MLUw von 1,0 bis 1,5 (Altersdurchschnitt 27,62 Monate bzw. ca. 2; 3), G2 umfasst 19 Kinder mit dem MLUw von 1,5 bis 2,0 (Altersdurchschnitt 28,32 Monate bzw. ca. 2; 4) und G3 schließlich 25 Kinder mit einem MLUw von 2,0 bis 3,1 (Altersdurchschnitt 30,15 Monate bzw. 2; 6). Als zentrale Ergebnisse aus Caprin und Guasti (2009: 41 f.) können wir festhalten: (i) Klitika nehmen als Funktion von MLUw zu. Die gilt v. a. in enklitischer Position, für die sich signifikante Unterschiede zwischen den drei Gruppen ergeben, während Klitika in proklitischer Position insgesamt weniger ausgelassen werden und sich die Gruppen hier nicht signifikant unterscheiden. (ii) In Bezug auf die grammatische Funktion beobachten Caprin und Guasti (2009: 42), dass Akkusativ-Klitika und Reflexiv-Klitika in den drei Gruppen präsent sind und weiter zunehmend produziert werden, während Dativ-Klitika von G1 nicht produziert werden und erst in G2 auftreten (dann in hoher Anzahl und langsam in G3 weiter ansteigend). Für das Spanische liegen nur wenige Untersuchungen monolingualer Kinder vor, die zudem unterschiedliche spanische Varietäten behandeln und sehr verschiedene Auswertungen vornehmen. Wir wollen diesen Umstand dazu nutzen, einige methodi‐ 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 205 <?page no="206"?> sche Aspekte der Datenerhebung und -auswertung im Bereich der (Null-)Objekte zu thematisieren. Fujino und Sano (2002) gehen der Frage nach, ob auch im Spanischen eine mit der dokumentierten Entwicklung anderer romanischer Sprachen vergleichbare Nullobjekt-Phase auftritt, und versuchen diese im Vergleich zum parametrisierten Nullsubjektbereich (vgl. Kap. 2.4.2 und 7.4) zu erläutern. Auf Basis einer Analyse der Spontandaten der drei monolingualen spanischsprachigen Kinder María (aus Spanien), Koki (aus Mexiko) und Juan (aus England/ Spanien) von der CHILDES-Datenbank (MacWhinney 2000) weisen die Autoren die Nullobjekt-Phase nach und zeigen, dass die drei Kinder vom Beginn des Untersuchungszeitraums (ca. 1; 7 bei allen) an lexikalische Objekte realisieren, während Objektklitika (Akkusativklitika) bei María erstmals mit 1; 10 und bei Juan mit 2; 4 auftreten, bei Koki jedoch bereits mit 1; 7. Ferner untersuchen Fujino und Sano die Daten im Hinblick auf die Evidenz für den Erwerb der CP und argumentieren gegen die Annahme eines Zusammenhangs (vgl. Müller et al. 1996 und die Ausführungen in diesem Unterkapitel zu den Nullobjekten im Französischen mono- und bilingualer Kinder). Während bei María und Juan die Evidenz für CP-Strukturen (wh-Fragesätze) mit 1; 7 und 2; 3 der ersten Klitikproduktion vorausgehen, ist dies bei Koki nicht so, der seine erste CP-Struktur (auch ein wh-Fragesatz) mit 1; 11 deutlich nach dem ersten Klitikon produziert. Die Autoren argumentieren ferner, dass Imperative im Spanischen einen Beleg für eine Bewegung des Verbs nach C darstellen, da dieser Modus ein starkes kategoriales Merkmal [V] impliziert, welches in der CP überprüft werden muss. Empirisch stellen Imperative aber ein Problem dar, da sie in erhöhtem Maße Objektauslassungen lizenzieren. Sie werden daher in den Untersu‐ chungen zu Objektauslassungen üblicherweise nicht mitgezählt. Aus den Tabellen von Fujino und Sano lässt sich der Anteil von Objektklitika mit Imperativformen nicht herauslesen. Ein weiterer methodischer Punkt betrifft die Phaseneinteilung, die die Autoren vornehmen (vgl. Fujino und Sano 2002: 79): Sie erfolgt auf Basis des Anstiegs der Objektklitika selbst, wenngleich auch MLU-Werte hinzugefügt werden, anders als in den bisher vorgestellten Arbeiten. Mithin gibt es keine unabhängige Phaseneinteilung - MLU und CP-Phänomene werden dazu nicht verwendet bzw. explizit abgelehnt. Vor diesem Hintergrund betrachten wir nun eine andere Arbeit genauer: Castilla (2008) hat eine umfangreiche Analyse verschiedener morphosyntaktischer Phänomene im unauffälligen monolingualen Erwerb des Spanischen bei Kindern im Alter von drei, vier und fünf Jahren aus Calí (Kolumbien) vorgelegt und versucht, eine Vergleichsbasis für Kinder mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen (USES) zu erarbeiten. Zu den untersuchten Strukturen gehört die Pluralmarkierung, Akkuratheit in der Artikel- und Adjektivverwendung sowie die Verwendung der Objektklitika. Für letztere weist sie anhand ihrer Daten nach, dass auch die Fünfjährigen noch nicht die Akkuratheits‐ werte der Erwachsenen erreicht haben, wobei die Entwicklung der Objektklitika als graduell (und nicht parametrisch) betrachtet und anhand verschiedener entwickelter Kriterien gemessen wird, auf die wir hier nicht im Detail eingehen können. Insgesamt 206 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="207"?> untersucht Castilla 115 Kinder aus verschiedenen privaten Kindergärten, die nach Alter in drei Gruppen eingeteilt wurden: Dreijährige (39 Kinder, Altersdurchschnitt 35,7 Monate bzw. ca. 2; 11), Vierjährige (40 Kinder, Altersdurchschnitt 47,8 Monate bzw. ca. 3; 11) und Fünfjährige (36 Kinder, Altersdurchschnitt 59,2 Monate bzw. ca. 4; 11). Zusätzlich wurde eine kleine Gruppe von zehn Erwachsenen zu Vergleichszwecken untersucht. Alle Kinder und Erwachsenen hatten - neben einem Vokabeltest - zwei un‐ terschiedliche Aufgaben: eine spontansprachliche Nacherzählung der Bildergeschichte „Frog goes to dinner“ sowie einen Elizitationstest mit Bildern zu den obengenannten Phänomenen (vgl. Castilla 2008, Appendix). Im Folgenden stellen wir die Mittelwerte der drei Gruppen aus der Elizitationsstudie für die untersuchten Klitikatypen (direkte, reflexive und indirekte Objekte) in obligatorischen Kontexten (vgl. Castilla 2008: 86 ff.) in Tabelle 4 zusammen: Gruppe DO- Klitika Reflexiv- Klitika IO- Klitika Dreijährige (n = 39) 32,2 37,4 5,4 Vierjährige (n = 40) 65,0 69,2 29,1 Fünfjährige (n = 36) 69,6 75,7 40,1 Erwachsene (n = 10) 98,0 93,3 63,3 Tabelle 4. Mittelwerte der elizitierten Produktion von Klitika im Spanischen (in%), vgl. Castilla (2008: 86 ff.) Die Ergebnisse von Castilla (2008: 86 ff.) sind gleich in mehrerlei Hinsicht interessant: (i) In allen Kindergruppen sind die Reflexivklitika (und nicht etwa die DO-Klitika) die am häufigsten produzierten, während der Anteil von IO-Klitika stets gering bleibt, wenn‐ gleich er auch mit dem Alter ansteigt. (ii) Der größte Zuwachs aller Objektklitiktypen findet zwischen dem Alter von drei und vier Jahren statt, während die Fünfjährigen vorrangig deutlich mehr IO-Klitika produzieren, in allen Kategorien jedoch noch weit von den Werten der Erwachsenen entfernt sind. (iii) Auch die Erwachsenengruppe produziert deutlich weniger IO-Klitika als DO- und Reflexivklitika. Zusammenfassend können wir auf Basis der vorgestellten, überwiegend mit Quer‐ schnittsdaten arbeitenden Untersuchungen für die monolingualen Kinder eine Reihe von sprachübergreifenden Gemeinsamkeiten festhalten: Sowohl die romanischspra‐ chigen als auch die deutschsprachigen Kinder lassen in einer ersten Entwicklungs‐ phase, die durch einen niedrigen MLU und die Abwesenheit von CP-Strukturen charakterisiert ist, Objekte zu einem erheblichen Anteil (zwischen 30 und 50%) aus. Die frühen, nicht-zielsprachlichen Objektauslassungen lassen sich auf eine pragmatische 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 207 <?page no="208"?> Lizenzierungsstrategie zurückführen und gehen in späteren Phasen mit höherem MLU und CP-Strukturen deutlich zugunsten von Objektpronomina zurück. Bei den romanischsprachigen Kindern nimmt hier insbesondere der Anteil der Objektklitika deutlich zu. Vergleicht man die unterschiedlichen Objekttypen miteinander, so bleibt der Anteil der indirekten Objekte deutlich hinter den anderen zurück. Die romanischsprachigen Kinder realisieren die entsprechenden Objektklitika deutlich nach DO-Klitika und Reflexivklitika, wobei die Produktion deutlich mit einem höheren MLU zu korrelieren scheinen; dieser Zusammenhang lässt sich auch erklären, wenn man sich die erforderliche Anzahl von Wörtern für eine Konstruktion mit einem ditransitiven Verb vor Augen hält (vgl. die französischen Beispiele in (40)). 7.3.3 Studien mit bilingualen Kindern In diesem Abschnitt stellen wir nun Ergebnisse zu Auslassungen von (direkten und indirekten) Objekten von bilingual deutsch-romanisch (d. h. mit Deutsch und Französisch, Italienisch oder Spanisch) aufwachsenden Kindern vor, beginnend mit der deutsch-französischen Kombination. Hier betrachten wir zunächst die Entwicklung der Objektauslassungen bei Ce_df und Al_df, die auf Basis spontansprachlicher Daten analysiert wurden. Dieser Vergleich ist deshalb interessant, da sich die beiden Kinder hinsichtlich einer Sprachdominanz deutlich unterscheiden: Al_df ist im Vergleich zu Ce_df viel stärker balanciert. Seine Entwicklung im Französischen verläuft etwas schneller als im Deutschen, aber der Kontrast ist weniger stark ausgeprägt als bei Ce_df (vgl. Kap. 4). Auf Basis eines Altersvergleichs merken Müller und Pillunat (2007) an, dass Al_df ’s Objektauslassungen ab dem Alter von 2; 10 unter 20% fallen, ab der letzten Aufnahme (3; 2) die 10%-Marke und damit den erwachsenensprachlichen Anteil erreichen. Dies ist später als bei dem monolingual französischsprachigen Kind Grégoire, wo jedoch aufgrund fehlender weiterer Aufnahmen die Entwicklung nicht vollständig sichtbar ist. Wie Grégoire produziert Al_df vorrangig lexikalische Objekte, während Objektklitika zu fast jedem Zeitpunkt der Erhebung nur zu ca. 20% verwendet werden. Für Ce_df beobachten Müller und Pillunat im verlängerten Untersuchungszeitraum bis zum Alter von 4 Jahren, dass sie erst im Alter von 3; 9,11 Objekte zu nur 20% auslässt, ansonsten weitaus häufiger und bis zum Ende des Untersuchungszeitraums, so dass sie bis zum Alter von 4; 0 nicht die zielsprachlichen Auslassungsraten erwirbt. Ce_df beginnt auch erst im Alter von 3; 3, Objektklitika zu verwenden, zwischen 3; 6 und 3; 9 sind sie häufiger (bis zu 20%) belegt. Wie Grégoire und Al_df verwendet Ce_df bis zum Alter von 3; 6 und nach 3; 9 wieder vorrangig lexikalische Objekte (DP). Abstrahiert man aber nun vom individuellen Alter, in dem bestimmte Auslassungs‐ raten erreicht bzw. Objektrealisierungen unterschiedlicher Formen produziert werden, ergibt sich für die Entwicklungsgeschwindigkeit ein ganz anderes Bild, wie wir im Folgenden zeigen wollen. Basierend auf einer MLU-bezogenen Auswertung der DO-Auslassungen von Müller und Pillunat (2007) gehen die nicht-zielsprachlichen 208 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="209"?> Auslassungen beider Kinder in ihrem Französisch wie in Abbildung 15 recht stark auf erwachsenensprachliche Werte herunter, sobald sie die MLU-Phase von 2,5-2,99 erreicht haben. Unerwartet, insbesondere für das balancierte Kind Al_df, steigen seine Auslassungsraten danach aber wieder bis auf 20% bei MLU 4,0 und erreichen dann erst bei MLU 5 wieder den zielsprachlichen Wert. Hingegen erreicht Ce_df diese Werte bereits in der MLU-Phase von 3,5-3,99. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1 - 1,49 1,5 - 1,99 2 - 2,49 2,5 - 2,99 3 - 3,49 3,5 - 3,99 4 - 4,49 4,5 - 4,99 5 - 5,49 Prozent MLU Al_df Ce_df Abbildung 17. Entwicklung der nicht-zielsprachlichen DO-Auslassungen im Französischen von Al_df und Ce_df in Relation zum MLU (basierend auf Daten von Müller und Pillunat 2007) Die in Abbildung 17 gezeigte Entwicklung deutet darauf hin, dass die Balanciertheit von Al_df bzw. die Entwicklung des Französischen als schwache Sprache von Ce_df die Auslassungsraten allein nicht erklären können. Vielmehr muss möglicherweise ein bestimmter Grad an sprachlicher Komplexität (der sich in MLU messen lässt) erreicht worden sein, damit der Spracheneinfluss des Deutschen sich nicht mehr auswirkt. Vor diesem Moment, der bei den beiden Kindern deutlich differiert, stellt er jedoch einen Faktor dar, der sich dahingehend auswirkt, dass sich v. a. die Erkennung der richtigen Lizenzierungsstrategie für direkte Objekte im Französischen als Schwierigkeit darstellt, wobei hier Al_df die Balanciertheit nicht zu nützen scheint. Im Hinblick auf die Entwicklung der unterschiedlichen Realisierungsformen weisen beide bilingualen Kinder die gleichen Etappen wie das monolinguale Kind Grégoire auf. Einige Beispiele sollen die Objektauslassungen von Ce_df veranschaulichen. Hierbei betrachten wir Auslassungen in ihrem Kontext, d. h. mit der Reaktion der erwachsenen Interaktionspartnerin. Ein Strich vor der Erwachsenenäußerung deutet jeweils die Stelle der kindlichen Äußerung im Gespräch an. In der ersten Situation wird etwas aus 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 209 <?page no="210"?> 8 Die Daten der deutsch-italienischsprachigen Kinder beruhen auf einer sehr geringen Datenbasis, da nur drei den Test in beiden Sprachen mitgemacht haben (anders als in der deutsch-französischspra‐ chigen Gruppe). Wir stellen sie daher nicht vor. Lego gebaut, wobei Ce_df der Erwachsenen ein Legostück gibt, das diese ohne weiteren Kommentar einbaut. Die Referenz des ausgelassenen direkten Objekts ist für die Erwachsene offensichtlich klar. Die Objektauslassung in (42) ist daher zielsprachlich: (42) - Tu mets là - - - Du legst da - - - Du legst das dahin (Ce_df 3; 5,15). Ein anderes Beispiel (43) zeigt hingegen eine Situation, in der die Referenz nicht erkennbar geworden ist. Hier spielt Ce_df mit einem (nicht-sichtbaren) Gegenstand und sagt: (43) - C’est pour mettre - - - Das ist zum Hinlegen (Ce_df 2; 7,13) - Erw: __ C’est pour mettre / pour mettre quoi? - In Beispiel (43) gibt es eine Reaktion der Erwachsenen: Sie wiederholt die Äußerung des Kindes, um gleich anschließend nachzufragen, um was es geht - die Referenz des ausgelassenen direkten Objekts ist unklar und die Auslassung muss aus Sicht der Erwachsenen als nicht-zielsprachlich beurteilt werden, wobei sie nur das direkte Objekt des ditransitiven Verbs mettre „setzen“ / „stellen“ / „legen“ erfragt, obwohl beide Objekte ausgelassen wurden. Wo das Objekt hingelegt werden soll, scheint beiden Gesprächspartnern klar zu sein. Ein weiteres Beispiel mit dem Verb mettre, in dem jetzt das Lokativargument nicht-zielsprachlich ausgelassen wird, zeigt die folgende Situation, in der Ce_df einem Spielzeugpferd sein Zaumzeug anlegen will. Da ihr dies nicht gelingt, bittet sie die Erwachsene um Hilfe, die in Beispiel (44) offensichtlich nicht weiß, wohin das Zaumzeug gelegt werden soll: (44) - Tu peux le mettre s’il te plaît? (Ce_df 3; 5,15) - - Kannst du es legen bitte? - - - Kannst du es ihm bitte anlegen? - - Erw: __ Faut le mettre où? - - - Muss es legen wo? - - - Wo muss man es anlegen? - Die Realisierung von direkten und indirekten Objekten dreistelliger Verben hat Schmitz (2006a) sowohl in den Spontandaten von Al_df und Ce_df als auch bei deutsch-fran‐ zösischsprachigen und deutsch-italienischsprachigen Kindern 8 anhand einer Elizitati‐ onsstudie mit Hilfe einer Bildgeschichte untersucht. Aus Platzgründen werden hier nur zentrale Ergebnisse präsentiert. Die 12 getesteten deutsch-französischsprachigen Kinder im Alter von 2; 10,26 bis 4; 216 wurden anhand der Kriterien der vorhandenen Verbtypen insgesamt, Produktion von Dativpronomina und Komplementierern in zwei 210 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="211"?> Gruppen eingeteilt. Insgesamt wiesen die Kinder beider Gruppen in ihrem Französisch eine höhere Rate nicht-zielsprachlicher Objektauslassungen auf als in ihrer jeweiligen deutschen Testproduktion. Für beide Sprachen erweist sich das indirekte Objekt als nachhaltiges Problem. Die Kinder behandeln beide Sprachen wie das Deutsche, d. h. mit hohen Auslassungsraten, so dass Spracheneinfluss hier nicht ganz ausgeschlossen werden kann, wenngleich Schmitz (2006a) keine Systematik von Auslassungen mit bestimmten Verben oder Objekttypen nachweisen kann. Da Schmitz und Müller (2008) nur pronominale direkte Objekte untersuchten und die Frage der Abfolge von reflexiven und nicht-reflexiven Klitika (die sich hinsichtlich ihrer internen Syntax unterscheiden, vgl. Kap. 6.4) nicht geklärt werden konnte, untersuchte Schmitz (2012) die Verwendung von nicht-reflexiven und reflexiven Dativklitika. Sie verwendete Daten von monolingual französischen sowie von bilingual deutsch-französischsprachigen Kindern aus zwei Elizitationsstudien, zum einen zu Doppelobjekt-Konstruktionen aus Schmitz (2006a) und zum anderen zu Objektreali‐ sierungen allgemein aus Eichler (2008). Dabei standen zwei Konstruktionen im Mittel‐ punkt, die sowohl direkte und indirekte oder reflexive Objekte involvieren, nämlich Konstruktionen mit unveräußerlichen Körperteilen (z. B. ich putze mir die Zähne) und Doppelobjektkonstruktionen (die typischerweise den Transfer einer veräußerbaren Entität bezeichnen, z. B. ich gebe dir ein Buch). Schmitz (2012) beobachtet, dass sowohl die monolingualen als auch die bilingualen Kinder lexikalische direkte und indirekte Objekte den klitischen Pronomina vorzogen und indirekte Objekte häufiger als direkte ausgelassen wurden, gleichzeitig aber Reflexivklitika durchgehend verwendet wurden, wenn die Besitzer der Körperteile ausgedrückt wurden. Diese Ergebnisse ähneln der von Bello und Pirvulescu (2022) präsentierten Produktion monolingualer Kinder und legt somit eine ähnliche Entwicklung mono- und bilingualer Kinder und das Ausbleiben eines Spracheneinflusses bei diesen Konstruktionen nahe. Betrachten wir im nächsten Schritt die deutsch-italienische Sprachkombination. Müller und Hulk (2001) (vgl. auch Müller et al. 2002) untersuchten die spontansprach‐ lichen Daten des bilingualen Kindes Ca_di im Entwicklungszeitraum von 1; 8 bis 3; 1, wobei sie diesen analog zu den im vorigen Abschnitt vorgestellten Querschnittstudien in zwei Phasen einteilten: Die erste Phase reichte bis zum Alter 2; 4,21 (MLU ≤ 2,6), die zweite begann mit 2; 5 (MLU ≥ 2,6). Die erste Phase ist durch das Fehlen von Strukturen gekennzeichnet, die auf den Erwerb der CP hindeuten. Ca_di lässt wie die monolingualen Kinder während der ersten Erwerbsphase im Italienischen das Objekt aus, wie die folgenden Beispiele zeigen: 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 211 <?page no="212"?> 9 Ca_di benutzt im Italienischen zwischen zwei und drei Jahren oft finite Verben der dritten Person Singular mit dem Pronomen io der 1. Person Singular. 10 Vgl. auch die Modellierung in Müller et al. (2006), die auf einer Typologie verschiedener leerer Kate‐ gorien (pro) die Objektauslassungen im monolingualen Erwerb des Französischen und Italienischen erläutern. (45) a. Prendiamo - - Wir nehmen - - - Wir nehmen es (2; 2,19) - b. Schiaccia io 9 - - - Zerdrückt ich - - - Ich zerdrücke es (2; 3,17) Wie bei monolingualen Kindern stellt das ausgelassene Objekt das Topik dar. Das Beispiel (46) verdeutlicht dies: (46) Erw: Dov’è che manca la punta? Vediamo / Qua - - - Wo fehlt die Spitze? Lass uns gucken. Da - - Ca_di: No, io fa / No io (2; 4,7) - - Nein ich macht / Nein ich - Die Häufigkeit nicht-zielsprachliche Objektauslassungen in Ca_di’s italienischen Da‐ ten sind mit derjenigen vergleichbar, wie sie monolingual deutsche Kinder über längere Zeiträume und monolingual italienische in den früheren Erwerbsphasen zeigen. Hier wird ein quantitativer Unterschied zu monolingual italienischen Kindern und eine quantitativ begründete Ähnlichkeit zu monolingual deutschen Kindern deutlich. Ca_di’s Entwicklungsverlauf zeigt, dass sie beginnend mit 2; 5 bis gegen Ende des Untersuchungszeitraums erkannt hat, dass das Italienische keine topic-drop-Sprache ist. Das Kind weist eine lang andauernde Übergangsphase mit Objektauslassungen um 10% auf. Müller und Hulk (2001) schlagen als Erklärung der hohen Anzahl von Objektauslas‐ sungen in Ca_di’s italienischen Daten vor, dass von einer universalen pragmatischen Strategie Gebrauch gemacht wird. Diese besteht darin, dass - unabhängig von der jeweiligen zu erwerbenden Muttersprache - Kinder Objektauslassungen zunächst nur über die Pragmatik lizenzieren und identifizieren, was dem erwachsenensprachlichen System des Chinesischen entspricht (vgl. hierzu auch Müller, Crysmann und Kaiser 1996). 10 Erst später erkennen sie, dass ihre jeweilige Sprache Objektauslassungen z. B. syntaktisch (Deutsch) oder lexikalisch (Französisch, Italienisch) lizenziert. Die „freie“ pragmatische Lizenzierung wird im Deutschen später aufgegeben, nämlich dann, wenn die syntaktische Voraussetzung, die Verb-Zweit-Eigenschaft (Verbbewegung in die Kopfposition der CP), erworben wird, wodurch die erste Satzposition (Spezifizierer der CP) als Topikposition erkannt wird. Ca_di gibt die universale pragmatische Lizenzierungsstrategie im Italienischen deutlich später auf als monolinguale Kinder, da sie daneben auch eine topic-drop-Sprache erwirbt, die dem Kind Evidenz für die 212 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="213"?> Strategie bietet. Der negative (indirekte) Einfluss des Deutschen auf das Italienische ist möglich, da das Italienische aus kindlicher Perspektive Evidenz für die pragmatische Strategie durch die beiden folgenden Eigenschaften aufweist: (a) Verben wie sapere tolerieren die Objektauslassung, (b) die kanonische Objektposition kann leer bleiben, sobald ein Objektklitikon vorhanden ist. Müller et al. (2002) diskutieren, inwieweit für die Erklärung der Daten von Ca_di Sprachdominanz herangezogen werden kann. Anders als die Berechnungskomplexi‐ tät, auf deren Basis wir hier zu einer korrekten Vorhersage gekommen sind, kann Dominanz die Richtung des Einflusses bei Ca_di nicht erklären, da im Bereich der Objektauslassungen ein Einfluss des Deutschen (anfänglich nicht dominant) auf das Italienische (anfänglich leicht dominant) vorliegt. Gegen Sprachdominanz als Erklärung spricht ferner die Tatsache, dass während des Untersuchungszeitraumes für andere Sprachphänomene (vgl. z. B. die Verbstellung im deutschen Hauptsatz im Kap. 8.1 und die Realisierungen von Determinanten im Kap. 8.2) Einfluss in entgegengesetzter Richtung (Einfluss des Italienischen auf das Deutsche) bei Ca_di vorliegt. Kommen wir nun der unseres Wissens einzigen Untersuchung von Auslassungen direkter Objekte deutsch-spanisch bilingualer Kinder. Schmitz (2010) hat Longitudi‐ naldaten der beiden in Deutschland aufgewachsenen Kinder Ar_ds (von 2; 3 bis 4; 0) und Te_ds (von 1; 5 bis 4; 0) ausgewertet und mit den verfügbaren Daten des monolingualen Kindes Irene aus der CHILDES-Datenbank (MacWhinney 2000) im Untersuchungszeitraum von 1; 5 bis 3; 2,19 sowie mit Daten von monolingual spanisch aufgewachsenen Sprechern im Umfeld der beiden Kinder verglichen. Die beiden Kinder gelten als dominant im Deutschen (vgl. Details in Patuto 2012). Wie in den bisher präsentierten Studien und insbesondere von Müller und Hulk (2001) vorgeschlagen, wird auch hier die Einteilung der Entwicklung anhand der Präsenz von Evidenz für den Erwerb der CP zugrunde gelegt, so dass sich eine Prä-CP- und eine CP-Phase ergeben. Irenes CP-Phase beginnt mit dem Aufnahmealter 1; 9,10, während sie bei Ar_ds erst mit 2; 11,6 und bei Te_ds mit 2; 8,23 anfängt. Die nachfolgenden Abbildungen 18 und 19 zeigen die Mittelwerte für die Objektauslassungen in der Prä-CP- und der CP-Phase im Spanischen der Kinder (und Erwachsenen). Hier lässt sich erkennen, dass die beiden bilingualen Kinder hohe Raten nicht-zielsprachlicher Auslassungen in der Prä-CP-Phase aufweisen, die in der CP-Phase kaum zurückgehen, anders als bei dem monolingualen Kind, das sich damit der erwachsenensprachlichen Auslassungsrate nähert. Somit bestätigen die Ergebnisse der bilingual deutsch-spanischsprachigen Kinder diejenigen von Ca_di und zeigen eine Verzögerung. 7.3 Objektauslassungen im Französischen, Italienischen und Spanischen 213 <?page no="214"?> 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Irene (monol.) Ar_ds (bil.) Te_ds (bil.) Prozentsatz DO-Ausl. +Z DO-Ausl. -Z DO-Real. Abbildung 18. (Nicht-)zielsprachliche Objektauslassungen im Spanischen von Irene, Ar_ds und Te_ds in der Prä-CP-Phase, aus Schmitz (2010) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Erwachsene (monol.) Irene (monol.) Ar_ds (bil.) Te_ds (bil.) Prozentsatz DO-Ausl.+Z DO-Ausl. -Z DO-Real. Abbildung 19. (Nicht-)zielsprachliche Objektauslassungen im Spanischen von Irene, Ar_ds und Te_ds in der CP-Phase im Vergleich mit Erwachsenen, aus Schmitz (2010) 214 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="215"?> 7.3.4 Fazit zum Bereich der Objektauslassungen Monolinguale Kinder lassen direkte Objekte nur noch zu weniger als 5% aus, sobald sie in ihrer jeweiligen Sprache die CP erworben und die richtige Lizenzierungsstrategie erkannt haben. Dies dauert bei den Kindern, die eine romanische Sprache erwerben, nicht so lange wie im monolingualen Erwerb des Deutschen. Interessant ist, dass die über längere Zeit untersuchten monolingualen Kinder Ch_d, Grégoire und Martina eine deutlich graduelle und gegenüber den Kindern der Querschnittstudien langsamere Entwicklung zeigen, die die Schwierigkeiten mit dem grammatischen Bereich (Verwen‐ dung von Objektklitika, richtige Lizenzierung der Objektauslassungen) verdeutlicht. Die meisten der hier vorgestellten deutsch-romanisch bilingualen Kinder haben bis zum Ende des Untersuchungszeitraums noch nicht das zielsprachliche System des Französischen, Italienischen oder Spanischen erworben. Da Ce_df, Al_df, Ca_di, Ar_ds und Te_ds die gleiche Verzögerung aufweisen, kann der Einfluss des Deutschen nicht durch Sprachdominanz erklärt werden, weil wir für Al_df beispielsweise dann fälschlicherweise keinen Einfluss vorhersagen würden. Die hier gewählte Perspektive der Relevanz sprachinterner Eigenschaften, d. h. die von Müller und Hulk (2001) vorgeschlagene Erklärung für die Objektauslassungen des bilingual deutsch-italie‐ nischsprachigen Kindes Ca_di und die daraus entwickelten Vorhersagen, haben sich hingegen bestätigt. Ferner müssen die unterschiedlichen Typen von Objekten bei den bilingualen Kindern viel genauer untersucht werden; für deutsch-spanischsprachige Kinder fehlen Untersuchungen zu dreistelligen Verben und den erforderlichen indirekten Objekten. Interessanterweise finden wir sprachspezifische Unterschiede zwischen den Typen von Objekten in den wenigen Analysen, die indirekte Objekte einbeziehen: Sowohl monolingual französische als auch bilinguale deutsch-französischsprachige Kinder lassen indirekte Objekte länger und häufiger aus als direkte Objekte. Es muss unter‐ sucht werden, welche (innersprachlichen) Faktoren die Unterschiede bedingen, wobei der Bezug auf CP-Strukturen unklar bleibt, aber die semantischen Eigenschaften dreistelliger Verben, die typischerweise eine Veräußerung eines Objekts ausdrücken, sprachübergreifend ähnlich sind. Hier könnte die unterschiedliche Morphosyntax italienischer Klitikakombinationen eine Rolle spielen, die weniger komplex ist als die französische (und spanische). 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen Wie für den im vorigen Unterkapitel behandelten Bereich der Objektauslassungen gilt auch für Subjekte, dass hier ein Zusammenspiel von Syntax und Pragmatik erfolgt. Im Gegensatz zum Objektbereich gibt es für die Subjekte jedoch einen Parameter, den wir in Kapitel 2 kennengelernt haben, den „pro drop“- oder Nullsubjektparameter. Während in denjenigen Sprachen, für die der Parameter-Wert negativ ist (z. B. Deutsch, Englisch, Französisch) der Bezug auf eine bereits im Diskurs erwähnte 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 215 <?page no="216"?> 11 Wir beschränken uns hier aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die jeweiligen Standardvarietäten. 12 Durch die Arbeiten v. a. von Haegeman (1994) und Haegeman und Ihsane (1999) sind diese Auslassungen als diary drop (Tagebuch-Stil-Auslassungen) bekannt geworden. Weir (2008) zeigt jedoch, dass es viel mehr Auslassungsmöglichkeiten im Englischen gibt. 13 Hierbei handelt es sich um eine nicht-referentielles, rein aus syntaktischen Gründen erforderliches klitisches Pronomen. Entität (bzw. topic) generell durch ein overtes, d. h. hörbares, Subjektpronomen erfolgt, erlauben Sprachen mit dem positiven Parameterwert die Verwendung eines nicht hörbaren „Nullpronomens“ (pro). In diesem Unterkapitel wollen wir der Frage nachgehen, (a) welche syntaktischen und pragmatischen Faktoren bei der Erschließung der Nullsubjekteigenschaft der jeweiligen Erstsprache(n) und der Entwicklung der erwachsenensprachlichen Verwendung von Nullsubjekten eine zentrale Rolle spielen und für mono- und bilinguale Kinder gleichermaßen eine Herausforderung darstellen können und (b) wie sich im bilingualen Erwerb des Italienischen bzw. Spanischen mit dem Deutschen ein Spracheneinfluss von Nicht-Nullsubjektsprachen auf Nullsubjekt‐ sprachen auswirken kann. Anders als bei der Sprachkombination Deutsch-Französisch, in der ein Beschleunigungseffekt hinsichtlich des Erwerbs der Subjektrealisierungen und postverbalen Subjekte auftreten kann (vgl. Kap. 8.3), lässt sich beobachten, dass bilinguale Kinder zu einer Übergeneralisierung von overten Subjekten im Italienischen und Spanischen neigen, wenn ihre zweite Erstsprache Englisch oder Deutsch ist. Wir werden zeigen, dass sich dieser verzögernde Einfluss - und seine Abwesenheit in der Sprachkombination Französisch-Italienisch - mit den in Kapitel 5 vorgestellten Kriterien vorhersagen lässt, wenn man die Überlappung der beiden Zielsysteme im Subjektbereich in der jeweiligen Sprachkombination präzis bestimmt. Betrachten wir zu diesem Zweck zunächst die Eigenschaften des Deutschen, Englischen, Französi‐ schen, Italienischen und Spanischen 11 im Hinblick auf die Möglichkeiten von Subjek‐ tauslassungen, bevor wir verschiedene Untersuchungen präsentieren, die die Rolle (morpho-)syntaktischer und pragmatischer Faktoren anhand empirischer Analysen von Erwerbsdaten diskutieren. Dabei werden vielfach mono- und bilinguale Kinder zusammen untersucht, so dass - anders als in anderen Kapiteln - keine ganz klare Trennung monolingualer und bilingualer Daten erfolgen kann. 7.4.1 Beschreibung der Zielsysteme Beginnend mit den Nicht-Nullsubjektsprachen wollen wir das Englische und Franzö‐ sische kurz charakterisieren: Beide Sprachen erlauben nur in sehr geringem Umfang Nullsubjekte. Im Englischen sind in der informellen mündlichen und schriftlichen Sprache Subjektauslassungen möglich 12 : Walked the dog yesterday ‚War gestern mit dem Hund draußen‘ (Weir 2008: 5). Das Französische erlaubt lediglich in der Umgangsspra‐ che die Auslassung des Expletivums 13 il in Prädikaten wie z. B. Ø faut pas jouer au jardin ‚(Man) darf nicht im Garten spielen‘ (vgl. Schmitz et al. 2011: 2). Es handelt sich also 216 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="217"?> um Sprachstile, genauso wie die topic drop-Eigenschaft des Deutschen, die wir bereits in Kapitel 7.3.1 kennengelernt haben. Jedoch zeigt Trutkowski (2016) für den Subjektbereich, dass das umgangssprachliche Deutsche neben dem auf die 3. Person beschränkte Phänomen des topic drop von Subjekten, Objekten oder anderen Elementen in der ersten Position des Hauptsatzes bzw. topic-Position auch referentielle Nullsubjekte in erster und zweiter Person erlaubt. Hieraus ergibt sich für den bilingualen Spracherwerb eine viel größere Überlappung mit den pro drop-Sprachen, von denen Trutkowski das Spanische explizit für den Vergleich mit dem Deutschen heranzieht. Betrachten wir im Folgenden die unter‐ schiedlichen Nullsubjekttypen im Deutschen genauer. Trutkowski (2016: 9 f.) zeigt zunächst, dass im Kontrast zu Subjektauslassungen in 3. Person (topic-drop, nachfolgend TD), diejenigen in 1. und 2. Person in der Spec CP-Position in finiten V2-Sätzen grammatisch ‚aus heiterem Himmel‘ (engl. out of the blue-drop, nachfolgend OBD) kommen, d. h. sie benötigen kein sprachliches oder nicht-sprachliches vorausgehendes Bezugselement (Antezedens) im Diskurs, wie die Beispiele für Singular und Plural in (47a,b) von Trutkowski (2016: 9, (19)) zeigen, wo ø die Auslassungsposition anzeigt): (47) a. ø Komme / Kommst / *Kommt leider immer zu spät. - b. ø Kommen / Kommt / *Kommen leider immer zu spät. Nach Trutkowski (2016: 10 ff.) liegen mit TD- und OBD-Nullsubjekten zwei syntak‐ tisch und pragmatisch deutlich verschiedene Phänomene im Deutschen vor. Bei den OBD-Subjektauslassungen der 1. und 2. Person handelt es sich weder um topic drop noch um diary drop, sondern um flexionsabhängige Subjektauslassungen, wobei - anders als im Spanischen - im Deutschen Synkretismen zwischen Verbformen der 1./ 2. Person und solchen der 3. Person (z. B. wir/ sie kommen) keine Rolle spielen. Während die Nullsubjekte der 1./ 2. Person „aus heiterem Himmel“ lizenziert (und identifiziert) werden, können die Nullsubjekte der 3. Person nur durch ein Diskurs-Antezedens lizenziert (und identifiziert) werden (sie sind TD). Für Nullsubjektsprachen wie das Spanische gilt hingegen, dass nicht nur Nullsubjekte der 1. und 2., sondern auch der 3. Person durch diskrete Flexion lizenziert werden, so dass für alle drei Personen An‐ tezedenten im Diskurs erforderlich sind (Trutkowski 2016: 11). Da pro-drop-Sprachen wie das Spanische kein TD haben, lösen hier OBD-Auslassungen z. B. der 1. Person Ungrammatikalität aus, wenn Synkretismen von Verbformen zwischen 1./ 2. und 3. Person bestehen, wie das spanisch-deutsche Beispielpaar von Trutkowski (2016: 11, (23, 24) in (48) zeigt: (48) a. Juan y yo llegamos tarde. *ø Tenía mucho que hacer. - b. Hans und ich kamen spät. ø Hatte viel zu tun. Trutkowski (2016: 212 f.) diskutiert auch die Frage, welche Merkmale die OBD-Subjek‐ tauslassungen im Deutschen lizenzieren. Sind es Flexionsmerkmale oder pragmatische Merkmale? Diese Frage spielt auch für die Spracherwerbsuntersuchungen eine wich‐ 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 217 <?page no="218"?> 14 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Trutkowski (2016: 228 ff.), wonach Subjektauslas-sungen in anderen Positionen wesentlich weniger akzeptiert werden. tige Rolle, wie wir in den folgenden Abschnitten sehen werden, da diese die Frage der Verortung der Schwierigkeiten mit diesem Schnittstellenphänomen einmal in der Syntax und einmal in der Pragmatik-Entwicklung der kindlichen Grammatiken diskutieren. Trutkowski (2016: 212 f.) zeigt nun, dass im Deutschen Flexionsendungen entscheidend sind, indem sie anhand von Minimalpaaren mit OBD-Interpretationen von Nullsubjekten aus derselben Diskursdomäne, hier 2. Person Singular/ Plural, mit Synkretismen bei Verbformen mit / s-/ -Stämmen belegt, dass hier Sprecher/ Hö‐ rer-Merkmale nicht die Auflösung der Ambiguität liefern, sondern eben diskrete bzw. nicht-ambige Verbformen über die Interpretierbarkeit entscheiden. Zwei solche Beispiele zeigen wir in (49) und (50) (von Trutkowski 2016: 213, Beispiele (41, 42)): (49) a. *ø Kotzt mich total an! - b. ø Machst mich total an! - (50) a. *ø Hießt mich noch gestern einen Kostverächter. - b. ø Hießest/ hießet mich noch gestern einen Kostverächter. Schließlich lassen sich mit der Idee der beiden unterschiedlichen Typen von Nullsubjek‐ ten im Deutschen, d. h. Antezedens-abhängige TD-Nullsubjekte und flexionsabhängige OBD-Subjekte, auch ungrammatische bzw. uninterpretierbare TD-Daten erfassen, wie Trutkowski (2016: 217 f.) zeigt: Wenn zwei Elemente zur selben Lizenzierungsdomäne, hier TD-Kontext, gehören, unterliegen sie konsequenterweise denselben Subjekt-/ Ob‐ jekt-Konditionen und werden in den folgenden Beispielen in (51, 52) nicht lizenziert (Trutkowski 2016: 217, Beispiele (47, 48)): (51) A. Der Hans ist eingeladen und der Otto auch. - B. *_Hat aber keine Zeit. - (52) A. Die Eltern haben den Hans und den Otto eingeladen. - B. *_Hat aber keine Zeit. Zusammenfassend können wir die Überlappung des deutschen und spanischen/ ita‐ lienischen Systems hinsichtlich der Nullsubjekte nach Trutkowski (2016) wie folgt charakterisieren: Das Deutsche und die romanischen Sprachen teilen die Notwendig‐ keit eines Diskursantezedenten für die 3. Person (topic und pro drop), während die ebenfalls in beiden Systemtypen möglichen Subjektauslassungen in 1. und 2. Person unterschiedliche Lizenzierungen aufweisen. Gleichwohl sind die Nullsubjekte des (Standard-)Deutschen beschränkt auf die [Spec CP]-Position in Hauptsätzen 14 und auf die informelle gesprochene Sprache. In den beiden Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch sind Subjektauslas‐ sungen hingegen nicht auf einen bestimmten Sprachstil beschränkt, sondern auf 218 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="219"?> 15 Allerdings finden sich in der - auf die 3. Person beschränkte - Rechtssprache nur sehr wenige Nullsubjekte, was sich auf den hochgradig formalen Charakter und besondere Notwendigkeit der Vermeidung jeglicher Ambiguität zurückführen lässt (vgl. Schmitz 2023 für eine Analyse der Subjekte in der italienischen Rechtssprache). allen Stilebenen gesprochener und geschriebener Sprache 15 sowie in allen gramma‐ tischen Personen, Tempora und Satztypen möglich. Während die Lizenzierung der Nullsubjekte in allen drei Personen syntaktisch, d. h. durch den positiven Wert des Nullsubjektparameters und die Identifikation durch die Verbmorphologie erfolgt, gilt für die die Interpretation der Nullsubjekte die bereits erwähnte pragmatische Bedingung, dass der Referent des Nullsubjekts im vorherigen Diskurs eingeführt sein muss, mithin eine Referentenkontinuität besteht (sog. topic/ subject continuity). Beispiel (53) veranschaulicht die in beiden Sprachen bestehende Präferenz, ein Nullsubjekt (pro) mit dem vorausgehenden overten Subjekt koreferent zu interpretieren (hier durch den Index i veranschaulicht). Wird hingegen der Referent im Diskurs gewechselt oder werden mehrere Referenten miteinander kontrastiert, kommt es zu einer Referen‐ ten-Diskontinuität (auch topic/ subject discontinuity bzw. switch reference), der die overte Realisierung der Subjekte im Diskurs erforderlich macht. In Beispiel (54) zeigen wir die ebenfalls in beiden Sprachen bestehende Präferenz, ein overtes Subjektpronomen (lei/ ella ‚sie‘) als nicht koreferent mit Carla zu interpretieren, sondern mit einer anderen weiblichen Person im vorherigen Diskurs zu assoziieren (hier durch die unterschiedlichen Indizes i und j angezeigt). Schließlich illustrieren wir einen Kontrast in Beispiel (55) (vgl. Schmitz et al. 2016: 105, (7-8)): (53) Subjektkontinuität im Italienischen und Spanischen - a. Quando se n’è andata Carla i , pro i sembrava molto triste - b. Cuando se marchó Carla i , pro i parecía muy triste - - Als Carla ging, schien sie (= Carla) sehr traurig zu sein - (54) Subjektdiskontinuität im Italienischen und Spanischen - a. Quando se n’è andata Carla i , lei j sembrava molto triste - b. Cuando se marchó Carla i , ella j parecía muy triste - - Als Carla ging, schien sie (≠ Carla) sehr traurig zu sein - (55) Markierung kontrastierender Subjekte im Italienischen und Spanischen - a. Lei lavora in un ristorante mentre lui vende delle scarpe - b. Ella trabaja en un restaurante mientras él vende zapatos - - Sie arbeitet in einem Restaurant, während er Schuhe verkauft An diesem Punkt dürfte aus der Systembeschreibung der Sprachen Deutsch, Italie‐ nisch und Spanisch deutlich geworden sein, dass deutsch-italienischsprachige und deutsch-spanischsprachige bilinguale Kinder in ihren beiden Sprachen sowohl mit ausgelassenen (null) sowie hörbaren (overten) Subjekten konfrontiert sind und die jeweiligen Arten der Interaktion von Syntax und Pragmatik in den unterschiedlichen Systemen und Diskursdomänen herausfinden müssen. In dieser Konstellation sind 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 219 <?page no="220"?> sowohl Schnittstellenals auch Überlappungskriterium erfüllt und damit die Wahr‐ scheinlichkeit für den Spracheneinfluss auch klar vorhergesagt. Hinsichtlich seiner Richtung können wir aufgrund der Komplexitätskriterien (vgl. Kap. 5) das Italienische und Spanische als komplexer gegenüber dem Deutschen und Englischen einstufen, denn hier gilt, dass eine syntaktische Analyse weniger komplex ist, wenn eine funktionale Kategorie (nämlich die Subjektpronomina) in allen Sätzen vorhanden ist. Ist eine funktionale Kategorie nur in einigen Sätzen vorhanden, erhöht dies den Grad der Komplexität der syntaktischen Analyse. Hingegen stellt sich die Situation für italienisch-französischsprachige (und analog spanisch-französischsprachige) Kinder ganz anders dar, die ja ebenfalls eine Nullsubjekt- und eine Nicht-Nullsubjektspra‐ che zeitgleich erwerben: Hier gibt es keine Überlappung der Zielsysteme, da das Französische keine Auslassungen referentieller Subjekte erlaubt und ihre jeweilige Nullsubjektsprache (Italienisch/ Spanisch) keine Subjektklitika besitzt. Wir können hier erwarten, dass kein Spracheneinfluss eintritt, wenn die Überlappung der Zielsysteme das entscheidende Kriterium ist. Im Folgenden betrachten wir kurz die erwachsenensprachliche Verteilung von Nullsubjekten und overten Subjekten (Pronomina und lexikalische NPen) in den drei grammatischen Personen im Deutschen, Französischen, Italienischen und Spanischen bei monolingualen Sprecher: innen. Basierend auf insgesamt 1485 italienischen, 1442 spanischen, 774 französischen und 2171 deutschen Äußerungen mit finiten Verben ermittelt Patuto (2012: 225) zunächst folgende Auslassungsraten über alle Personen: 66,5% im Italienischen und 67,8% im Spanischen stehen 4,0% im Französischen und 4,1% im Deutschen gegenüber. In der nachfolgenden Abbildung 20 von Patuto (2012: 231) zeigen sich die Proportionen des personenspezifischen Subjektgebrauchs sehr klar, wobei - nach der obigen Darstellung der Zielsysteme - erwartungsgemäß geringe prozentuale Anteile im Französischen durch die Auslassungen des nicht-referentiellen il und im Deutschen durch topic drop in der 3. Person entstehen. Hingegen lassen sich die minimal erhöhten Realisierungsraten in der 3. Person im Italienischen und Spanischen dadurch erklären, dass neue Diskursreferenten stets in der 3. Person eingeführt werden. Die im vorigen Abschnitt erwähnten möglichen Nullsubjekte der 1. und 2. Person werden von den untersuchten deutschen Muttersprachler: innen jedoch nicht verwendet, was sich mit einer Wahrnehmung der Aufnahmesituation als formellem Kontext erklären lassen könnte. 220 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="221"?> 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Personenspezifischer Subjektgebrauch im italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erwachsenensystem Auslassung Realisierung Abbildung 20. Subjektauslassungen nach grammatischer Person in Erwachsenensystemen (aus Patuto 2012: 231, Abb. 4.86) 7.4.2 (Überwiegend) monolinguale Kinder und pragmatische Faktoren In diesem Abschnitt präsentieren wir Arbeiten zum (vorrangig) monolingualen Erstspracherwerb des Subjektbereichs im Italienischen und Spanischen, wobei die zentralen Fragen lauten: Welche Erwerbsmuster zeigen sich in beiden romanischen Sprachen und welche der Eigenschaften des Nullsubjektbereichs bereitet generell Schwierigkeiten, m.a.W. ist Syntax oder Pragmatik das größere Problem und die einflussanfälligere Komponente der Schnittstelle im Erstspracherwerb? Beginnend mit Arbeiten zum Erwerb der Subjekte im Italienischen wollen wir zunächst anhand der Untersuchung von Lorusso, Caprin und Guasti (2005) einen Überblick über die Verteilung von Subjektauslassungen und -realisierungen junger monolingualer Kinder und mit ihnen interagierender Erwachsener gewinnen. Lorusso et al. (2005) analysierten zu diesem Zweck die spontansprachlichen Korpora der Kinder Diana, Martina, Raffaello und Rosa aus der CHILDES-Datenbank (MacWhinney 2000) im Alter zwischen 1; 6 und 3; 0 sowie die darin enthaltenen Äußerungen der Erwachsenen. Insgesamt ergibt sich hieraus eine Ratio von 25% overten Subjekten gegenüber 75% Nullsubjekten, die fast genau derjenigen der Erwachsenen entspricht, die 26% overte Subjekte und 74% Nullsubjekte produzierten (vgl. Überblickstabelle, zitiert in Belletti und Guasti 2015: 239). 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 221 <?page no="222"?> Diese Ergebnisse suggerieren einen frühen Erwerb der Nullsubjekteigenschaft, d. h. der richtigen parametrischen Entscheidung, aber sind die Produktionen der Kinder auch pragmatisch bereits erwachsenensprachlich? Hierzu sind die Untersuchungen von Serratrice und Sorace (2003) und Serratrice, Sorace und Paoli (2004) interessant. Serratrice und Sorace (2003) formulieren (überwiegend) pragmatische Kriterien, die die Wahrscheinlichkeit der Subjektauslassung bestimmen. Basierend auf dem Konzept des Informationsgehalts einer NP/ DP verfolgen die Autorinnen dieser Arbeiten folgende Idee: Je höher der Informationsgehalt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit der Sub‐ jektauslassung. Dabei wird der Informationsgehalt nach acht Merkmalen des Diskurses ermittelt, deren Werte binär (‚+‘ bzw. ‚-‘) sind. Der positive Wert, d. h. ein Subjekt ist [+informativ], liegt laut den Autorinnen vor, wenn die in (56) angeführten Merkmale und ihre Werte erfüllt sind (basierend auf dem italienischen Erwachsenensystem): (56) Merkmalswerte für ein informatives Subjekt (nach Serratrice und Sorace 2003: 745) - a. Abwesenheit: Der Referent ist physisch nicht anwesend. - b. Aktivierungsgrad: Der Referent ist inaktiv oder halbaktiv im Diskurs. - c. Kontrast: Der Referent wird im Kontrast zu anderen Referenten gebraucht. - d. Differenzierung: Der Referent unterscheidet sich von einem oder mehreren anderen Referenten. - e. Neuheit: Der Referent wurde vorher nicht genannt. - f. Frage: Der Referent ist Teil einer Frage oder einer Antwort auf eine Frage. - g. Transitivität: Das Prädikat ist intransitiv. - h. Grammatische Person: Der Referent steht in 3. Person. Diese acht Merkmale der Informativität stellen die unabhängigen Variablen dar, die auf die Realisierung/ Auslassung der Subjekte als abhängige Variablen einwirken. Die Subjekte in den Sprachdaten wurden für jedes Merkmal kodiert und die ermittelten Werte für jedes Merkmal mit der statistischen Methode der binären logistischen Regression auf ihre Signifikanz hin analysiert. Eine detailliertere Vorstellung der Merkmale und Anwendung der Methode auf die Daten des bilingual englisch-italie‐ nischsprachigen Kindes Carlo präsentieren Serratrice et al. (2004). Seine Entwicklung der Realisierung referentieller Subjekte und Objekte wird mit derjenigen von sechs monolingual italienischen und vier monolingual englischen Kindern aus der CHIL‐ DES-Datenbank (MacWhinney 2000) verglichen. Das spontansprachliche Korpus des bilingualen Kindes Carlo wurde im Alter von 1; 10 bis 4,6 (MLU 1,1-4,8) untersucht; diejenigen der monolingualen Kinder Diana, Guglielmo, Martina, Raffaello, Rosa und Viola, also teilweise identisch mit den von Lorusso et al. (2005) analysierten Korpora, wurden auf Basis der MLU-Entsprechung insgesamt für den Untersuchungszeitraum zwischen 1; 7 und 2; 11 herangezogen (vgl. individuelle Details in Serratrice et al. 2004: 189). Die Autorinnen präsentieren die Entwicklung in vier wortbasiert berechneten MLU-Phasen: Phase I entspricht MLUw 1,0-2,0, Phase II MLUw 2,0-3,0, Phase III MLUw 3,0-4,0 und Phase IV schließlich einem MLUw über 4,0. In der Merkmalsanalyse wurden die realisierten Argumente mit 1 und die ausgelassenen mit 0 kodiert; ferner wurde die morphosyntaktische Form der realisierten Argumente im Hinblick auf 222 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="223"?> den Pronomentyp, lexikalisches Nomen oder Eigennamen und die erwähnten acht Informationsmerkmale - mit Ausnahme von Neuheit - kodiert. Im Hinblick auf die grammatische Person werden diejenigen der 3. Person als [+ informativ] gewertet. Aufgrund offener Fragen zur statistischen Analyse verzichten wir jedoch auf die statis‐ tischen Detailergebnisse (vgl. Schmitz 2007 für kritische Anmerkungen). Ein wichtiges generelles Ergebnis ist, dass das bilinguale Kind in jeder Phase die Subjekte häufiger realisiert als die monolingualen Kinder. Um die Verwendung der realisierten Subjekte besser zu verstehen, berechnen die Autorinnen die Verwendung der Pronomina im Hinblick auf Person und Numerus, wobei sie sich insbesondere für die Verwendung der Subjekte in 1. Person interessieren, die auch bei den monolingualen Kindern auftreten, sowie für diejenige der Subjekte der 3. Person. Hier zeigt sich, dass Carlo in Phase IV weniger Pronomina in Kontexten der 1. Person verwendet als die monolingualen Kinder, aber mehr overte Subjekte als sie im Kontext der 1. Person Singular in Phase II und III sowie im Kontext der 3. Person (Singular und Plural) in den Phasen I, II und IV produziert. Die Autorinnen führen die Analyse auf Basis der Informativitätsmerkmale durch, um sicher zu bestimmen, ob diese Ergebnisse auf einen Einfluss des Englischen oder aber auf ein diskurspragmatisch korrektes Verhalten Carlos zurückzuführen sind. Dabei war er häufig in Situationen, die die Einführung eines neuen Referenten durch ein overtes Subjekt erforderten. Insgesamt zeigen Serratrice et al. (2004), dass die monolingualen italienischen Kinder alle eine pragmatische Strategie im Diskurs im Hinblick auf die Subjektauslassungen verwendet haben: Mit Ausnahme des Merkmals Person tendierten die Nullsubjekte dazu, mehr nicht-informative als informative Merkmalswerte in allen Sätzen aufzu‐ weisen. Die Ergebnisse für das Merkmal Person zeigt überraschenderweise, dass sie überwiegend in 3. Person stehen, im Gegensatz zur Vorhersage. Die Autorinnen erklären dieses unerwartete Ergebnis, indem sie argumentieren, dass ein Referent simultan mit mehr als einem Merkmal assoziiert ist und ein nicht-informativer Wert eines anderen Merkmals den informativen Wert der Person überschreiben könne. Auch das bilinguale Kind Carlo wendet eine pragmatische Strategie an, wenn er Subjekte auslässt - auch er assoziiert ein Nullsubjekt signifikant häufiger mit einem niedrigen Informativitätsgrad. Die Autorinnen schließen daher, dass Carlo sensibel für den pragmatischen Status der Referenten ist und dass er Nullsubjekte in adäquater Weise verwendet. Im Hinblick auf die adäquate Verwendung von Subjektpronomina, insbesondere in 3. Person, stellen Serratrice et al. (2004) eine Rate von 9% (16/ 179) in pragmatisch inadäquater Weise realisierter Subjekte (anstelle der im Diskurs zu erwartenden Nullsubjekte) fest, allerdings erst ab Phase III. Die Autorinnen finden aber auch bei den monolingualen Kindern eine kleine Anzahl von pragmatisch inadäquaten Subjektpronomina, zu einem deutlich geringeren Anteil (3%, 4/ 141) als bei Carlo. Diesen Unterschied werten die Autorinnen als Evidenz für einen Spracheneinfluss. Die von Serratrice und Paoli (2003) und Serratrice et al. (2004) vorgeschlagene Erfassung lässt sich trotz der offenen Fragen zur Statistik als valide Methode der Ermittlung der kindlichen Sensitivität für die Informativität von Subjekten betrachten. 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 223 <?page no="224"?> 16 Die Subjektanalyse dieser Kinder wird von Patuto (2012) noch wesentlich ausgeweitet und daher hier die Analyse der Gesamtauslassungen und -realisierungen der fünf Kinder in Schmitz (2007) nicht präsentiert. Auf die Ergebnisse von Patuto (2012) gehen wir in Abschnitt 7.4.3 genauer ein. Im Folgenden präsentieren wir die Anwendung von Schmitz (2007) auf die Daten des deutsch-italienisch bilingualen Kindes Ca_di. Ziel war es zu ermitteln, in wel‐ chem Maße ihre pragmatischen Strategien diskurspragmatisch (in)adäquat sind und inwiefern ihre Ergebnisse von denen der monolingualen Kinder von Serratrice et al. (2004) abweicht. Von den insgesamt fünf auf Subjektrealisierungen und -auslassungen ausgewerteten spontansprachlichen Korpora deutsch-italienisch bilingualer Kinder in der Untersuchung von Schmitz (2007) 16 wurde Ca_di für die detaillierte Analyse ausgewählt, da das Kind unter den fünf Kindern dasjenige mit der höchsten Variabilität in der Subjektrealisierung ist. Die folgenden Beispiele illustrieren diskursinadäquate Auslassungen und Realisierungen (fett markiert), in denen Ca_di mit der erwachse‐ nen Interaktionspartnerin K spricht. Diese Beispiele sind auch deshalb besonders interessant, da bilinguale Kinder üblicherweise am häufigsten pronominale Subjekte in Kontexten übergeneralisieren, die ein Nullsubjekt verlangen: Zufälligerweise bildet hier die jeweilige adäquate Lösung die Auslassung in (57) bzw. Realisierung eines lexikalischen Subjekts in (58): (57) Overtes Subjekt anstelle eines erwarteten Nullsubjekts (Ca_di, 2; 2,19) - K: dov’è il babbo? / - - Wo ist Papa? - K: È fuori casa? - - Ist er draußen? - Ca_di: è fuori casa babbo? - - Ist Papa draußen? - K: è fuori casa! / - - Er ist draußen! - (58) Nullsubjekt anstelle eines erwarteten overten Subjekts (Referent noch nicht eingeführt; Ca_di 2; 2,19) - K: e poi cosa c’è? [K und Ca_di gucken ein Buch an] - - und dann, was gibt es dort? - Ca_di: fa la bagno/ [Bild 2, das zwei Kinder in einer Badewanne zeigt] - - Er/ sie nimmt ein Bad - K: due bimbi che fanno il bagno/ - - (Es gibt) zwei Kinder, die ein Bad nehmen [K und Ca_di zählen die Kinder im Badezimmer] Für die Merkmalsanalyse bezieht Schmitz (2007) alle Nullsubjekte ein, die mindes‐ tens einen nicht-informativen Merkmalswert aufweisen. Die Entwicklung wird eben‐ falls anhand von vier MLU-Phasen präsentiert, wobei jedoch abweichend von den MLU-Phasen von Serratrice et al. (2004) Phase I die Werte 1,3-2,0 (statt ab 1,5) beinhaltet, um alle finiten Verben von Ca_di zu erfassen. Ferner wird auch das Merkmal der 224 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="225"?> Neuheit integriert. Die nachfolgende Tabelle 5 präsentiert die absoluten und prozen‐ tualen Ergebnisse für die einzelnen Merkmale der in jeder MLU-Phase produzierten Nullsubjekte, verzichtet aber auf eine Signifikanzanalyse. Merkmal Phase I Phase II Phase III Phase IV Abs. % Abs. % Abs. % Abs. % Person 17/ 42 40,8 78/ 268 29,1 63/ 163 38,7 43/ 141 30,5 Abwesenheit 38/ 42 90,5 260/ 268 97 161/ 163 98,8 137/ 141 97,2 Aktivierungsgrad 37/ 42 88,1 251/ 268 93,7 158/ 163 96,9 137/ 141 97,2 Kontrast 42/ 42 100 267/ 268 99,6 163/ 163 100 137/ 141 97,2 Differenzierung 39/ 42 92,9 263/ 268 98,1 160/ 163 98,2 138/ 141 97,9 Frage 18/ 42 42,9 212/ 268 79,1 118/ 163 72,4 90/ 141 63,8 Transitivität 22/ 42 52,4 117/ 268 43,7 92/ 163 56,4 67/ 141 37,5 Neuheit 41/ 42 97,6 249/ 268 92,9 154/ 163 94,5 134/ 141 95 Tabelle 5. Absolute und relative Anteile von Nullsubjekten mit nicht-informativen Merkmalswerten von Ca_di (aus Schmitz 2007: 33, Tab. 5) Die in Tabelle 5 gezeigten Proportionen der nicht-informativen Merkmalswerte von Ca_di zeigt deutlich, dass das Kind ab den frühesten Aufnahmen (MLU-Phase I) sensibel für die diskurspragmatischen Bedingungen ist. Dies gilt insbesondere für die Merkmale Abwesenheit, Aktivierung, Kontrast, Differenzierung und Neuheit von Referenten, die sie in 90-100% der Kontexte beachtet, während die Proportionen für das Merkmal Frage niedriger sind und erst im Laufe der MLU-Phasen II bis IV ansteigen. Hingegen zeigen die Merkmale der Person und Transitivität des Prädikats keine graduelle Entwicklung über die MLU-Phasen hinweg, sondern eine anhaltende Variabilität, für die Schmitz (2007: 33) mehrere mögliche Erklärungen anbietet: 1) Ca_di beherrscht diese Diskurs‐ merkmale genauso gut wie die monolingual italienischen Kinder und Carlo; 2) die Variabilität hängt von den Aufnahmen ab; oder aber 3) die „problematischen“ Merkmale haben nicht den gleichen diskursiven Status wie die anderen. Hierauf kommen wir wei‐ ter unten zurück, denn tatsächlich stellt die Transitivität ein lexikalisches Verbmerkmal und die grammatische Person ein morphosyntaktisches bzw. phi-Merkmal dar. Vorab möchten wir die Ergebnisse von Ca_di mit Carlo vergleichen. Hier wird evident, dass beide bilingualen Kinder sehr sensibel auf die Merkmale Abwesenheit, Kontrast und Differenzierung von Referenten (jeweils 90-100%) und hinreichend sensibel für die Merkmale Aktivierung (hier Ca_di noch mehr als Carlo) und Frage (hier Carlo stärker 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 225 <?page no="226"?> als Ca_di) sind. Die Unterschiede in der Entwicklung des italienischen Subjektbereichs zwischen den beiden bilingualen Kindern lassen sich durch mehrere Faktoren erklären: Zum einen differiert der Untersuchungszeitraum (bei Carlo 1; 10 bis 4; 6 und bei Ca_di 1; 8 bis 3; 1), zum anderen sind auch individuelle Faktoren und sprachliche Kontexte in den aufgenommenen Spielsituationen einzubeziehen. Auf eine alternative Sicht, die morphosyntaktische Faktoren in der Entwicklung der Nullsubjekte in den Mittelpunkt stellt, gehen wir in Abschnitt 7.4.3 ein. Im Folgenden betrachten wir die Entwicklung des Subjektbereichs im Spanischen monolingualer Kinder. Einen Überblick über die Produktion von overten Subjekten und Nullsubjekten junger monolingualer spanischsprechender Kinder können wir aus der Untersuchung von Bel (2003) gewinnen, die diese Kinder mit monolingualen Kindern vergleicht, die Katalanisch erwerben, eine weitere romanische Nullsubjektsprache. Bel (2003) untersucht sowohl die Syntax als auch die pragmatische Verwendung von Subjekten in finiten und nicht-finiten Kontexten in den Longitudinalstudien von insgesamt drei Katalanisch und drei Spanisch sprechenden Kindern (CHILDES-Korpora von María, Emilio und Juan für Spanisch, vgl. MacWhinney 2000) in spontaner Interaktion in Aufnahmen im Alter von insgesamt 1; 7 bis 2; 8 Jahren (vgl. Details in Bel 2003: 7, Tabelle 2). Ein zentrales globales Ergebnis ist der parallele Anteil von Nullsubjekten in den Daten der sechs Kinder in beiden Sprachen, der über 67% liegt (vgl. Details in Bel 2003: 7, Tabelle 3). Insbesondere gleichen sich hier die Raten von María (Spanisch) und Júlia (Katalanisch), während die Nullsubjekt-Produktion der beiden anderen Spanisch sprechenden Kinder Emilio (72,1%) und Juan (58,3%) etwas abweichen. Die hohe Gesamtrate der Nullsubjekte von über 67% entspricht den Werten erwachsener Sprecher des Katalanischen und Spanischen, die zwischen 60% und 80% liegen (Bel 2003: 11). Sie wird von der Verfasserin auch erwartet, da in beiden Sprachen die Auslassung pronominaler Subjekte mit Neutralität oder fehlender Emphase einhergeht. Ergänzend zu der globalen Analyse führt die Verfasserin auch eine Entwicklungsanalyse für María und Júlia, den beiden Kindern mit der höchsten Anzahl von Äußerungen, durch, um insbesondere die frühe syntaktische Entwicklung zu erfassen, wobei die Relation zur MLU-Entwicklung besonderes Augenmerk erhält (vgl. Bel 2003: 8 ff.). Zwei Ergebnisse sind hier besonders interessant: Zum einen zeigt die Verfasserin, dass es keine parallele Zunahme von MLU und overten Subjekten gibt und dass die beiden Kinder die erwachsenensprachlichen Raten von Nullsubjekten sehr früh erwerben, Júlia im Alter von 2; 2 und María bereits mit 1; 10. Insgesamt kann Bel (2003: 9) festhalten, dass sowohl Spanisch als auch Katalanisch sprechende Kinder ein sehr frühes Wissen um die Optionen des Pro-drop-Parameters für ihre Sprachen zeigen und von den frühesten Aufnahmen an zwischen Nullsubjekten und overten Subjekten, in unterschiedlichen Proportionen, alternieren. Bel diskutiert ferner Beispiele, um pragmatisch (in)adäquate Auslassungen und Realisierungen zu ermitteln. Sie findet jedoch keine Übergeneralisierung overter Subjekte, vielmehr kann sie auch auf prag‐ matischer Ebene ähnliche Verwendungen overter und impliziter Subjekte der Kinder und Erwachsenen feststellen. Allerdings merkt Bel (2003: 11 und Fn. 5) warnend an, 226 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="227"?> 17 Die spanische Varietät Mexikos wird im Hinblick auf den Subjektbereich nicht als deutlich unter‐ schiedlich von derjenigen in Spanien angesehen (anders als karibische Varietäten, vgl. Z. B. Otheguy, Zentella und Livert 2007). Shin und Smith Cairns (2012) thematisieren möglicherweise daher auch die ausgewählte Varietät nicht. dass Konversationsdaten nicht optimal geeignet sind, um zwischen erlaubten und unerlaubten Nullsubjekten zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wollen wir die Arbeit von Shin und Smith Cairns (2012) hinzuziehen, da diese Autorinnen die Komplexität des Subjektbereichs ebenfalls in der pragmatischen Komponente ansiedeln und anhand einer groß angelegten Elizita‐ tionsstudie zeigen, dass das erwachsenensprachliche Zusammenspiel von Referenz und Nullbzw. overten Subjekten im monolingualen Erwerb des Spanischen erst deutlich später erworben wird, als es die Daten von Bel (2003) vermuten lassen. Gegenstand der Untersuchung von Shin und Smith Cairns (2012: 155) ist die Entwicklung eines Merk‐ mals der Syntax-Diskurs-Schnittstelle im monolingualen L1-Erwerb des Spanischen, nämlich der Einfluss der Referenzkontinuität auf die Verwendung von Subjektprono‐ mina, die als eine der stärksten Variablen gilt, die die Wahl der Verwendung bzw. Aus‐ lassung eines Subjektpronomens des erwachsenen Spanischsprechers steuert (vgl. auch Zielsystembeschreibung in Abschnitt 7.4.1). Die Forscherinnen verfolgen daher das Ziel, den systematischen Zusammenhang von Nullsubjekten mit same reference-Kon‐ texten und Subjektpronomina in switch reference-Kontexten weiter herauszuarbeiten, nun anhand eines Experiments, nachdem die aggregierten Ergebnisse aus früheren zitierten Arbeiten gezeigt hatten, dass Erwachsene ca. 40% overte Subjektpronomina in switch-reference-Kontexten und 21% in same-reference-Kontexten produzieren (Shin und Smith Cairns 2012: 156). Jedoch stammten die früheren Ergebnisse von mono- und bilingualen Erwachsenen und bilingualen Kindern, so dass sich aus ihrer Sicht für die monolingualen Kinder eine Forschungslücke ergab. Konkrete Forschungsfragen der Untersuchung sind die folgenden (Shin und Smith Cairns 2012: 156): 1) Lässt sich das erwachsene Präferenzmuster für overte Pronomina der 3. Person Singular in same reference- und switch reference-Kontexten in einem experimentellen Paradigma zeigen? (2) Wann werden die Pronomenpräferenzmuster der spanischsprachigen Kinder so wie die der Erwachsenen verwendet? Die Untersuchung basiert auf insgesamt 169 Partizipant: innen aus Querétaro (Me‐ xiko), 17 darunter 30 Erwachsene und 139 Kinder, wobei die Kindergruppen zwischen 7 und 15 Jahre alt und jeweils relativ balanciert aus Mädchen und Jungen in Gruppen von 20-32 Kindern zusammengestellt waren (vgl. Details in Tabelle 6 weiter unten und Tabelle 1 von Shin und Smith Cairns 2012: 14). In dem Experiment wurden anhand von Kontexten der 3. Person die Effekte von Referenzkontinuität bei Subjek‐ pronomina untersucht. Dieser Fokus auf die 3. Person ergibt sich aus dem Umstand, dass Referenten hier schwerer nachvollziehbar sind als in 1./ 2. Person, da sie im außersprachlichen Kontext weitgehend abwesend sind; ferner gibt es konkurrierende Referenten in der 3. Person. Wegen dieser schwereren Nachverfolgung der Referenten der 3. Person sind linguistische Mechanismen wie die Verwendung overter Pronomina 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 227 <?page no="228"?> in switch reference-Kontexten sehr relevant, die sich auch in der Abtrennung der 3. Person von 1./ 2. Person in der Morphologie vieler Sprachen reflektiert. Im konkreten Studiendesign haben die Autorinnen Kontexte in der 3. Person Plural ausgeschlossen, da Pronomina der 3. Person Plural viel seltener sind und ein geringerer Einfluss der Referenzkontinuität auf Pronomina in der 3. Person Plural besteht. Ferner wurden nur Verben im Präsens Indikativ verwendet, um ausschließlich distinkte Verbendungen für die grammatischen Personen zu haben. Die Experiment-Items bestehen aus kleinen Geschichten, die mündlich vorgetragen und von Puppen gespielt wurden, damit die intendierten Referenten klar waren. Insgesamt wurden 24 Geschichten im Test ver‐ wendet (je 12 mit Beibehaltung des Referenten (same reference) bzw. Referentenwechsel (switch reference) sowie 12 Filler). Jede Geschichte besteht aus drei einleitenden Sätzen, wobei der erste einen männlichen und einen weiblichen Charakter mit lexikalischen (NP) Subjekten einführt und im zweiten einer der beiden Referenten etwas macht. Der Referent des dritten Satzes variiert, um Kontexte mit same-reference (X = María) oder switch reference (X = José) zu erzielen, wie wir nachfolgend in den Beispielen (59, 60) zeigen (vgl. Shin und Smith Cairns 2012: 14 f., Beispiele 12, 13). Den Teilnehmer: innen wurden mündlich die beiden Optionen für den dritten Satz (einmal Nullsubjekt, einmal unbetonte Subjektpronomen) vorgestellt, d.h für same reference-Kontext wird der letzte Satz in (59) als (60a), für switch reference-Kontext hingegen als (60b) präsentiert: (59) - María y José cantan canciones. María canta una ranchera. Luego X canta la de Pimpón - - María und José singen Lieder. María singt eine Ranchera. Dann singt X die von Pimpón (60) a. Luego ella canta la de Pimpón o Luego ø canta la de Pimpón - - Dann singt sie die von Pimpón oder Dann singt ø die von Pimpón - b. Luego él canta la de pimpón o Luego ø canta la de Pimpón - - Dann singt er die von Pimpón oder Dann singt ø die von Pimpón Bei der Hälfte der Items wird zuerst die Version mit Pronomen, bei der anderen die mit Nullsubjekt präsentiert. Die teilnehmenden Kinder wurden informiert, dass Kinder tendenziell eine Menge über ihre eigene Sprache wissen und daher ihre Exper‐ tise besonders hilfreich ist. In den Übungs-Sitzungen wurden die Partizipant: innen ferner für Variabilität sensibilisiert, indem man ihnen erklärte, dass eine Art, etwas auszudrücken manchmal besser klingt als eine andere, selbst wenn beide korrekt sind. Nach Einführung der Puppen (María, José und einige andere) wurde gezeigt, dass für jede Geschichte zwei mit „oder“ verbundene Versionen existieren, so dass die Testperson nicht jedes Mal fragen musste, welche Version besser klingt. Es wurden lediglich die beiden Versionen (wie in (61a, b) veranschaulicht) präsentiert, wovon die Teilnehmenden die jeweils richtige wählen sollten. Die Sitzungen wurden mit einem digitalen Audiorekorder aufgenommen und dauerten ca. 15 Minuten. Diejenigen, die eine „Strategie der Neuheit“ anwendeten, indem sie stets die letzte angebotene Option auswählten anstelle eines Vergleichs der beiden Optionen, wurden ausgeschlossen, wenn sie in mindestens 10 der 12 Test-Items diese Strategie anwendeten, da diese 228 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="229"?> sich dahingehend interpretieren lässt, dass diese Studienteilnehmenden die Aufgabe nicht verstanden hatten. Die nachfolgende Tabelle (basierend auf Shin und Smith Cairns 2012, Tabelle 2) beinhaltet nur die Ergebnisse derjenigen, die die Aufgabe richtig ausgeführt haben. Wir präsentieren die zentralen Ergebnisse der Untersuchung, zusammen mit den notwendigen Informationen über die teilnehmenden Gruppen. Altersgruppen Teilneh‐ mende Alters‐ mittel‐ wert Referentenwechsel Mittelwert (abs.) (%) Referentenbeibehaltung Mittelwert (abs.) (%) Erwachsene 30 21; 5 5,00 83 1,63 27 7 30 6; 8 3,07 51 2,43 41 9 28 9; 2 3,82 64 3,07 51 11 32 11; 0 3,91 65 2,78 46 13 20 12; 8 3,85 64 2,95 49 14/ 15 29 14; 7 5,03 84 2,48 41 Durchschnitt --- --- 4,12 69 2,53 42 Tabelle 6. Angaben zu Altersgruppen und jeweilige Anzahl der Teilnehmenden und ihrem Durch‐ schnittsalter sowie den Mittelwerten für die overten Pronomina der 3. Person nach Diskurskontexten (max. mögliche Zahl = 6) (aus: Shin und Smith Cairns (2012, Tabellen 1 und 2) Das für uns zentrale Ergebnis der Elizitationsstudie von Shin und Smith Cairns (2012: 16 ff.) ist die Beobachtung, dass die Erwachsenen Pronomina der 3. Person Singular zu 83% in switch reference-Kontexten und zu 27% in same reference-Kontexten verwenden und dass die erwachsenensprachlichen Präferenz-Werte für switch reference-Kontexte von den Kindern erst im Alter von 14-15 Jahren produziert wurden. Die erwachsenen Präferenzwerte für same reference-Kontexte erreichen die Kinder sogar überhaupt nicht. Hier zeigen sie eine Tendenz zur Überakzeptanz von Subjektpronomina. Gleich‐ wohl entwickelt sich eine Sensitivität für Referenten-Kontinuität ab dem Alter von sieben Jahren, am stärksten zwischen 7 und 9 Jahren. Als Grund für die Entwicklung im Alter von 8-9 Jahren führen die Autorinnen kognitive Entwicklungen an, die es den Kindern erlauben, verschiedene Perspektiven bei komplexen sprachlichen Aufgaben und Strukturen einzunehmen; ferner nehmen sie an, dass dieses Experiment mit intersententialen Referenzen komplex ist und eventueller intrasententiale mit Referentenbeibehaltung bzw. Referentenwechsel früher auf erwachsenensprachliche Weise mit Nullsubjekten bzw. overten Subjektpronomina realisiert werden. Zusammenfassend können wir festhalten, dass monolingual spanische Kinder erhebliche Zeit für das Erreichen der erwachsenensprachlichen Kompetenz im Zu‐ sammenspiel von Syntax und diskurspragmatischen Referenzbedingungen benötigen: Der Entwicklungszeitraum reicht weit in die Schulzeit hinein. Eine analoge Untersu‐ 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 229 <?page no="230"?> chung liegt für monolingual italienische Kinder nicht vor; hier könnten jedoch die Ergebnisse für die Kinder aus der Untersuchung von Wolleb (2013) zumindest einen Anhaltspunkt bieten, die ebenfalls eine - wenngleich methodisch deutlich verschie‐ dene - Elizitationsstudie mit bilingual italienisch-englischsprachigen und monolingual italienischen Kindern im Grundschulalter durchgeführt hat. Wolleb (2013) hat die Subjektrealisierung bzw. -auslassung bei Neu-/ Wiederaufnahmen von Referenten bzw. Beibehaltung von Referenten in Nacherzählungen der Frog Story „Frog, where are you“ von Mayer (1969) analysiert. Insgesamt kommt Wolleb (2013: 43) zu dem Ergebnis, dass beide Gruppen qualitativ ähnliche sprachliche Ausdrücke verwenden. Marginale Unterschiede finden sich bei der Neu- und Wiedereinführung von Referenten: Bei ersterer verwenden monolinguale Kinder mehr indefinite DPen als die bilingualen Kinder, während bei letzterer die bilingualen Kinder häufiger Nullsubjekte verwenden als monolinguale Kinder. Insgesamt kommt Wolleb (2013: 45) zum Schluss, dass die bilingualen Kinder ihre narrativen Fähigkeiten in ähnlicher Weise entwickeln wie die monolingualen, aber etwas langsamer, und während dieser Phase mehr markierte Strukturen (auch hinsichtlich der Position der overten Subjekte) produzieren. Die bilingualen englisch-italienischsprachigen Kinder holen die monolingualen im Alter von ca. 7-8 Jahren ein; wann die monolingualen Kinder die erwachsenensprachliche Verteilung erreichen, bleibt jedoch offen. Die in diesem Abschnitt bereits im Zusammenhang mit der Überprüfung von diskur‐ spragmatischen Merkmalen eingeführten Ergebnisse bilingualer Kinder bestätigen den vorhergesagten verzögernden Spracheneinfluss (trotz früher richtiger parametrischer Entscheidung). Gleichwohl wollen wir im folgenden Abschnitt weitere Studien zu bilingualen deutsch-romanischsprachigen Kindern anführen und hier besonders solche Ansätze ansehen, die morphosyntaktische Aspekte als wesentliche Erklärungsfaktoren für die insgesamt späte Entwicklung dieses Bereichs sowie für Verzögerungen in der bilingualen Entwicklung anführen. 7.4.3 Bilinguale Kinder und morphosyntaktische Faktoren Wie in den vorherigen Abschnitten bereits angedeutet, spielen Merkmale wie die grammatische Person möglicherweise eine größere Rolle als diskurspragmatische Faktoren (Trutkowski 2016, Schmitz 2007). Diesen Aspekt wollen wir anhand der unseres Wissens bislang umfangreichste Vergleichsstudie zum Erwerb von Subjek‐ tauslassungen und -realisierungen in verschiedenen Sprachkombinationen bilingualer Kinder von Patuto (2012) verfolgen. Sie stellt die Subjektentwicklung von insgesamt zwölf monolingualen Kindern, davon je vier italienische und französische sowie je zwei spanische und deutsche, sowie zwölf bilingualen Kindern (davon sechs deutsch-italie‐ nischsprachige, zwei deutsch-spanischsprachige und zwei französisch-italienischspra‐ chige) vor (vgl. Details in den Tabellen 5.1 und 5.2 in Patuto 2012: 238, 251). Die Auswahl der bilingualen Longitudinalstudien ermöglicht auch - zumindest für die Sprachkom‐ binationen mit dem Italienischen - die Rolle der Umgebungssprachen zu überprüfen, 230 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="231"?> denn von den sechs deutsch-italienisch bilingualen Kindern sind fünf in Deutschland und eines in Italien aufgewachsen und von den französisch-italienischsprachigen je eines in Frankreich und Italien. Dabei wird der Untersuchungszeitraum von ca. 1; 6 bis 4 Jahren fokussiert. Die quantitative Analyse konzentriert sich auf die Entwicklung der Auslassung- und Realisierungsraten (in Relation zur Sprachdominanz) und die qualitative Analyse betrachtet die Rolle der grammatischen Person. Ein erstes zentrales Ergebnis liegt in der Bestätigung der vorhergesagten Einfluss‐ anfälligkeit des Italienischen bzw. Spanischen in der Kombination mit dem Deutschen in den bilingualen Kindern sowie das erwartete Ausbleiben dieses Einflusses bei den französisch-italienisch bilingualen Kindern. Im Hinblick auf die Verwendung von Subjektrealisierungen in den einzelnen grammatischen Personen zeigt Patuto (2012: 365 ff.) insgesamt für die beiden Nullsubjektsprachen, dass sich alle Kinder im Hinblick auf die referenziellen Pronomina zielsprachlich verhalten. Hinsichtlich der deiktischen Subjektpronomina sind die deutsch-spanisch bilingualen Kinder in ihrem Spanischen stärker vom Spracheneinfluss betroffen als die deutsch-italienischen Kinder in ihrem Italienischen. In den Nicht-Nullsubjektsprachen lassen die bilingualen Kinder in allen grammatischen Personen das Subjekt zu einem niedrigeren Prozentsatz aus als die monolingualen Kontrollgruppen. Patuto (2012: 378) betont, dass dieses Ergebnis nicht als Beschleunigungseffekt interpretiert werden dürfe, sondern vielmehr als einen Profit, den die bilingualen Kinder aus ihrer Bilingualität ziehen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis betrifft die Auswirkungen des Spracheneinflusses, der trotz früher richtiger Parameterfixierung eintritt: Patuto (2012) weist bei den deutsch-spanisch bilingualen Kindern einen länger anhaltenden Einfluss als bei den deutsch-italienisch bilingualen Kindern nach und erläutert den Unterschied mit un‐ terschiedlichen Präferenzen in der Assoziation präverbaler Subjekte in den beiden romanischen Nullsubjektsprachen, die in der Literatur nachgewiesen wurden (vgl. auch Kap. 7.4.1). Patuto (2012) schließt sich dabei der Position an, die deutliche Unterschiede zwischen den beiden Sprachen postuliert: Danach ist die präferierte Assoziation von Referenten von Nullsubjekten im Spanischen mit Positionen von Nicht-Argumenten in der C-Domäne (die auch Landeposition des flektierten Verbs im Deutschen ist), während im Italienischen eine Assoziation mit Argumenten und nicht-dislozierten Phrasen besteht. Hieraus ergibt sich eine größere Ähnlichkeit der Systeme in der deutsch-spanischen Sprachkombination mit Konsequenzen für die Sprachverarbeitung. Insgesamt zeigt Patuto (2012: 377), dass in den Nullsubjektsprachen ein Unterschied sowohl zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Spracherwerb als auch zwischen den Sprachkombinationen bilingualer Kinder festgestellt werden kann. Sie stellt eine Rangfolge für das Ausmaß an Spracheneinfluss in der personenspezifischen Analyse von gar nicht bis stark betroffen auf: Französisch-Italienisch > Deutsch-Ita‐ lienisch > Deutsch-Spanisch. Die bereits angesprochenen unterschiedlichen Effekte aus den beobachteten quantitativen und qualitativen Analysen zeigen ferner, dass sie negativ für die romanischen Sprachen (in Form länger anhaltender erhöhter 7.4 Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen 231 <?page no="232"?> Realisierungsraten), aber positiv für das Deutsche (in Form des schnelleren Rückgangs nicht-zielsprachlicher Auslassungen) sind und somit unterschiedliche Erklärungen notwendig sind (Patuto 2012: 377). Der negative Effekt, den das Deutsche hingegen auf die romanischen Nullsubjektsprachen ausübt, betrifft die Interaktion zwischen Syntax und Pragmatik, genauer die 1. und 2. Person, also deiktische Subjekte, die unter dem Einfluss des Deutschen von den bilingualen Kindern als anaphorische Subjekte reinterpretiert werden (vgl. detailliertere Begründung in Patuto 2012: 406 ff.). 7.4.4 Fazit zum Bereich der Subjektauslassungen Als Fazit dieses Abschnitts sowie des gesamten Unterkapitels können wir also festhal‐ ten, dass sich die Vorhersagekraft für die Wahrscheinlichkeit des Spracheneinflusses des Schnittstellen- und Überlappungskriteriums auch im Bereich der Subjektauslassun‐ gen und -realisierungen bewährt haben, wobei jede Sprachkombination einzeln genau betrachtet werden muss. Gleichzeitig muss hinsichtlich gegenläufiger Effekte aber auch die Sprachverarbeitung einbezogen werden, die auch nicht von den unidirektionalen Kriterien vorhergesagte Effekte produzieren kann, wie Patuto (2012) zeigt. Schließlich ist die gesamte Entwicklung des Subjektbereichs im Italienischen und Spanischen mög‐ licherweise ein deutlich längerer und komplexerer Prozess, den wir nicht allein anhand von spontansprachlichen Kinderdaten im Vorschulalter komplett überblicken können. Vielmehr deuten die Untersuchungen von Wolleb (2013) sowie Shin und Smith Cairns (2012) darauf hin, dass es bestimmter kognitiver Reifungsprozesse bedarf, bis die Kinder - mono- und bilinguale gleichermaßen - ihre narrativen Kompetenzen und darin insbesondere die zielsprachliche Verwendung von Nullsubjekten bzw. Subjektprono‐ mina in größeren Diskurseinheiten auf dem Niveau der Erwachsenen erworben haben. Für die in unserer Einführung im Mittelpunkt stehende frühkindliche Entwicklung in den spontansprachlichen Diskursen der Sprachaufnahmen erkennen wir, dass eine allein auf diskursiven Merkmalen beruhende Analyse wichtige morphosyntaktische Entwicklungen nicht berücksichtigen und Einflusseffekte nicht angemessen erklären kann. Es liegt nahe zu vermuten, dass die Kinder die Komponenten des Subjektbereichs als Phänomen der Syntax/ Pragmatik-Schnitt nicht getrennt (etwa „erst Syntax, dann Pragmatik“), sondern stark verzahnt erwerben, wobei sowohl frühe syntaktische und pragmatische Fähigkeiten als auch später erworbene erkennbar werden. 7.5 Zusammenfassung des Kapitels In diesem Kapitel haben wir vier grammatische Bereiche vorgestellt, in denen sich Spracheneinfluss als Verzögerung gezeigt hat. Dabei war mal die jeweilige romanische Sprache (Verzögerung im Subjekt- und Objektbereich, Kopulaverben), mal das Deut‐ sche (Verbstellung im Nebensatz) die beeinflusste Sprache. Einer der Bereiche war rein syntaktisch (Verbstellung im Deutschen), die anderen waren an der Schnittstelle 232 7 Spracheneinfluss als Verzögerung <?page no="233"?> zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik (Realisierungen und Auslassungen von Subjekten und Objekten) oder Syntax, Semantik und Pragmatik (Kopulaverben). Wir konnten sowohl das Auftreten als auch die Richtung auf Basis der Kriterien in Kapitel 5 für die jeweils untersuchten Sprachkombinationen richtig vorhersagen. Dennoch gibt es einige Einschränkungen und offene Fragen. So können wir zwar für einzelne Bereiche, aber eben nicht auf das Individuum bezogen, das Auftreten (inkl. Richtung) und das Ausmaß des Einflusses vorhersagen. Die untersuchten bilingualen Kinder haben, je nach grammatischem Bereich, unter‐ schiedlich reagiert. Dies hat aber nichts mit der Balanciertheit oder dem Vorliegen von Sprachdominanz zu tun, wie wir etwa im Vergleich von Al_df und Ce_df gesehen haben. Eine direkte Korrelation zwischen Einfluss und Sprachdominanz ist nicht erkennbar. Dies schließt aber nicht aus, dass der jeweils in den beiden Sprachen der bilingualen Kinder erreichte (ggf. unterschiedliche) Stand der grammatischen Entwicklung, den wir in MLU messen, sich auf die Länge und Intensität des Einflusses auswirken kann. Ferner ist die Rolle sprachexterner kognitiver Faktoren noch weitge‐ hend unklar (vgl. die Diskussion um die diskurspragmatischen Fähigkeiten der Kinder in Kap. 7.4). Ein anderer Punkt betrifft die Relation der Einflusskriterien untereinander: Sie wur‐ den von Müller und Hulk (2000, 2001) so entwickelt, dass sie gemeinsam gelten können. Über eine separate Anwendung wurde bislang nicht explizit gearbeitet. Erste Studien zu Bereichen, die nur eines der Kriterien erfüllen (z. B. die Verbstellung im deutschen Haupt- und Nebensatz sowie die hier nicht dargestellte Analyse des Erwerbs des Dativs im Deutschen durch einige der hier vorgestellten bilingualen Kinder von Schmitz 2006b) zeigen, dass die Erfüllung eines der Kriterien (Überlappung der Zielsysteme im Falle der Verbstellung bzw. Schnittstellenphänomen im Fall des Dativerwerbs) ausreicht, um Spracheneinfluss vorherzusagen. Für die in diesem Kapitel vorgestellten Bereiche hätte bereits allein das Überlappungskriterium gereicht, so dass sich die Frage stellt, ob das Schnittstellenkriterium überhaupt benötigt wird. Möglicherweise ist der Schnittstellencharakter eines grammatischen Bereichs sekundär und wirkt sich nicht auf die Auftretenswahrscheinlichkeit, wohl aber auf die Intensität und Länge des Zeitraums des Einflusses aus (vgl. die Diskussion im Kap. 5.3.1 von der Metastudie von Van Dijk et al. 2021 über die Gültigkeit beider Kriterien). Hierzu bedarf es weiterer Forschung. 7.5 Zusammenfassung des Kapitels 233 <?page no="235"?> 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung In Kapitel 5 wurden die grundlegenden Begriffe zum Spracheneinfluss beim mehr‐ sprachigen Kind vorgestellt. Eine Manifestation war die Beschleunigung, auch Akze‐ lerierung genannt, die wir im vorliegenden Kapitel genauer betrachten wollen. Wir werden mehrere grammatische Bereiche vorstellen, in denen die Entwicklung bei den bilingualen bzw. mehrsprachigen Kindern schneller verläuft als bei monolingualen Kindern im gleichen Entwicklungszeitraum. Der positive Einfluss betrifft das Deutsche oder die romanische Sprache im gleichen Erwerbszeitraum und bei demselben Kind. 8.1 Verbstellung im deutschen und romanischen Hauptsatz In diesem Abschnitt wollen wir die Verbstellung im Hauptsatz des Deutschen vorstel‐ len, für die sich ein positiver, d. h. beschleunigender Einfluss des Französischen, Italienischen und Spanischen feststellen lässt. 8.1.1 Verbstellung in den Zielsprachen Im deutschen Hauptsatz steht das finite Verb (dasjenige Verb, welches für Person, Numerus und Tempus markiert ist, V fin ) an zweiter Position, unabhängig davon, ob die satzinitiale Position durch das Subjekt oder durch ein anderes, topikalisiertes Element besetzt ist. Dies zeigt, dass das Deutsche eine Verb-Zweit-Sprache ist (vgl. hierzu auch Müller und Riemer 1998, Kap. 2, sowie Kap. 2 der vorliegenden Einführung). Die Sätze in (1) verdeutlichen diese Eigenschaft: (1) a. Martina sieht einen Film heute (Subjekt + V fin + Objekt + …) - b. Heute sieht Martina einen Film (Adverb + V fin + Subjekt + …) - c. Einen Film sieht Martina heute (Objekt + V fin + Subjekt + …) Im deutschen Nebensatz steht das finite Verb dagegen satzfinal: Ich glaube, dass Martina heute einen Film sieht (vgl. hierzu auch Kap. 7.1). Im Hauptsatz aller drei romanischen Sprachen steht das finite Verb direkt nach dem Subjekt (sofern es hörbar realisiert wird, bzw. sofern es alte Information kodiert, vgl. hierzu genauer Kap. 8.3 zum Französischen sowie Kap. 7.4 zum Italienischen und Spanischen). Dies gilt auch dann, wenn dieses nicht die satzinitiale Position einnimmt, wie die Beispiele in (2b-c) zeigen: (2) a. Martina vede un film oggi - - Martina sieht einen Film heute - - Martina sieht heute einen Film - b. Aujourd’hui, Martine regarde un film <?page no="236"?> Heute Martina sieht einen Film - - Heute sieht Martina einen Film - c. Hoy, Martina ve una película - - Heute Martina sieht einen Film - - Heute sieht Martina einen Film Klitische (d. h. schwache, unbetonte) Pronomina stehen allerdings vor dem finiten Verb und können also zwischen Subjekt und finites Verb treten, wie im folgenden Beispiel das Objektpronomen le: Martine le voit. Die Stellung des finiten Verbs ist im romanischen (deklarativen) Haupt- und Nebensatz nahezu identisch, nämlich SV. Zusammenfassend ist die Stellung des finiten Verbs ein Bereich, in dem eine teilweise Überlappung der beiden Sprachsysteme vorliegt, wobei der Sequenz SV fin O in einer Verb-Zweit-Sprache wie dem Deutschen eine andere syntaktische Analyse zugrunde liegt als den SV fin O-Abfolgen in den romanischen Sprachen: Für das Deutsche können wir annehmen, dass die SV fin O-Stellung dieselbe syntaktische Analyse erfordert wie die Abfolge OV fin S bzw. AdvV fin S im Beispiel (1). Im generativen Sprachmodell, welches linearen Wortsequenzen hierarchische Strukturen zuordnet, werden das Subjekt und das für Person, Numerus und Tempus markierte finite Verb in einer funktionalen Kategorie T (engl. TENSE) und deren dazugehörige Phrase TP (Tense Phrase) dargestellt. Für vorangestellte Adverbien wie in (1b) und vorangestellte Objekte wie in (1c) wird eine strukturell höher liegende Phrase angenommen, die wir hier der Einfachheit halber als CP (Complementizer Phrase) bezeichnen wollen. Die CP markiert bzw. nimmt nebensatzeinleitende Elemente (Konjunktionen wie z. B. dass und ob und deren Entsprechungen in den romanischen Sprachen), Fragewörter und den Satzmo‐ dus (deklarativ, interrogativ, imperativ, exklamativ) auf. COMP (complementizer, wie Sprachformen, die Komplementsätze einleiten, im Englischen bezeichnet werden) stellen den Kopf dar, den kleinsten notwendigen Bestandteil dieser Phrase (vgl. Gabriel et al. 2018, Kap. 3, Müller und Riemer 1998, Kap. 4). Abbildung 1 zeigt die Struktur für einen SV fin O-Satz im Deutschen. Die Struktur bringt zum Ausdruck, dass das Verb (V) aufgrund seiner Transitivität zunächst inner‐ halb der VP (Verbalphrase) ein direktes Objekt hat, das im Deutschen links von diesem steht. Um Finitheit und Tempus ausdrücken zu können, muss das Verb in der hierarchischen Struktur in der TP erscheinen, die im Deutschen, genauso wie V, rechtsköpfig ist. Innerhalb der TP befindet sich auch das Subjekt des Satzes, in der sogenannten Spezifikatorposition (vgl. Gabriel et al. 2018: 38 ff.). Hier findet die Kongruenz hinsichtlich Person (im Bsp. 3. Person) und Numerus (im Bsp. Singular) statt. Im deutschen Hauptsatz müssen nun sowohl das finite Verb als auch das Subjekt in den passenden Positionen innerhalb der CP auftreten. Das zeigt die Abbildung 1. In der Spezifikatorposition von CP könnte auch ein Adverb (heute aus Bsp. 1b) oder aber das Objekt (einen Film aus Bsp. 1c) stehen. In allen Fällen befindet sich das finite Verb in COMP. Eine Besonderheit des Deutschen ist, dass das finite Verb im Hauptsatz in derjenigen Position steht, in der sich im Nebensatz die subordinierende Konjunktion befindet (vgl. Abbildung 2 für den deutschen Nebensatz). 236 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="237"?> Abbildung 1. Hierarchische Darstellung der deutschen SV fin O-Abfolge Abbildung 2. Hierarchische Darstellung der SOV fin -Abolge im Nebensatz Im Gegensatz zum Deutschen kommt die Struktur eines (deklarativen) Hauptsatzes in den drei hier behandelten romanischen Sprachen mit SV fin O-Stellung mit der Kategorie TP aus (vgl. Abbildung 3). Ein weiterer Unterschied ist, dass sowohl die VP als auch die TP linksköpfig sind, d. h. der minimale Phrasenbestandteil, der Kopf V bzw. T, steht links vom Komplement (DP bei V und VP bei T). 8.1 Verbstellung im deutschen und romanischen Hauptsatz 237 <?page no="238"?> Abbildung 3. Hierarchische Darstellung der romanischen SV fin O-Abfolge Diese Struktur ist auch gültig, wenn COMP durch eine nebensatzeinleitende Konjunk‐ tion besetzt ist: fr. Je crois que Pierre boit du lait, it. Credo che Pietro beve latte, sp. Creo que Pedro bebe leche. Wir können bei einem Vergleich zwischen deutschen und romanischen Strukturen feststellen, dass die lineare Abfolge der Konstituenten in Sprache A (Deutsch) für einige Konstruktionen, nämlich SV fin O, mit der aus Sprache B (Französisch, Italienisch, Spa‐ nisch) übereinstimmt. Aus der Perspektive des Kindes könnte für diese Konstruktionen eine gemeinsame hierarchische Analyse in Frage kommen. Mit anderen Worten weisen die beiden Sprachtypen auf linearer Ebene Überlappungen auf. Damit ist das Kriterium (I) für den Spracheneinfluss (vgl. Kap. 5.3.1) erfüllt. Dass deutsche SV fin O-Sequenzen mit einer deutschen und mit einer romanischen syntaktischen Struktur ableitbar sind, zeigen die Abbildungen 4 und 5. 238 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="239"?> Abbildung 4. Deutsche SV fin O-Sequenzen, analysiert nach der syntaktischen Ableitung für eine Verb-Zweit-Sprache Abbildung 5. Deutsche SV fin O-Sequenzen, analysiert nach der romanischen syntaktischen Ableitung (auch für die VP) Im Hinblick auf das Schnittstellenkriterium (II) (vgl. Kap. 5.3.2) ist jedoch anzumerken, dass die Verbstellung im deutschen Haupt- und Nebensatz (vgl. hierzu auch Kap. 5.3.1) als eine rein syntaktische Eigenschaft des Deutschen gilt. Insofern ist dieses Kriterium nicht erfüllt. Wir wollen jetzt einmal annehmen, dass die Erfüllung von Kriterium (I) 8.1 Verbstellung im deutschen und romanischen Hauptsatz 239 <?page no="240"?> 1 Es würde hier zu weit führen, wenn wir dafür argumentierten, dass die deutsche Verbstellung gerade nicht rein syntaktisch motiviert ist. Könnte man dies zeigen, wäre auch das Schnittstellenkriterium (II) erfüllt. ausreicht, um das Auftreten von Spracheneinfluss in diesem Bereich vorhersagen zu können. 1 Schließlich ist die Richtung des Einflusses zu bestimmen. Die obigen Ausführungen zum Bereich der Verbstellung haben bereits gezeigt, dass im deutschen Hauptsatz in einer hierarchischen Struktur die funktionalen Kategorien TP und CP benötigt werden. Im romanischen (deklarativen) Hauptsatz kommen wir mit TP aus; somit wäre die CP nur in einigen Sätzen aktiv. Dies könnte die deutsche Struktur (mit CP) komplex machen (im Sinne des ersten Kriteriums von Jakubowicz 2002, vgl. Kap. 5.3.3). 8.1.2 Ergebnisse aus Studien mit monolingualen Kindern Im nächsten Schritt wollen wir Erwerbsstudien zu monolingualen Kindern hinzuzie‐ hen. Clahsen (1982) ist bei seiner Untersuchung des Wortstellungserwerbs durch monolingual deutsche Kinder zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zweitstellung des finiten Verbs den Kindern zunächst Schwierigkeiten bereitet. Finite Verben, wie sieht in den Beispielen in (1), stehen in kindlichen Hauptsätzen auch in dritter (heute Martina sieht einen Film) und (sogar vorwiegend) in satzfinaler Position (Martina heute einen Film sieht). Dieses Ergebnis ist besonders interessant, da die Endstellung des infiniten Verbs (Martina will einen Film sehen) offenbar kein Erwerbsproblem darstellt: Clahsen, Eisenbeiß und Penke (1996) haben gezeigt, dass bei dem Kind Simone die Endstellung des Finitums über einen Zeitraum von 1; 10 bis 2; 7 20% ausmacht. Allerdings kann man vermuten, dass die Anzahl finiter Verben in Endposition in frühen Erwerbsphasen viel höher ist, da die Prozentzahl in dieser Studie über die gesamten zur Verfügung stehenden Aufnahmen errechnet wurde und nicht für einzelne Erwerbsmomente. Beim Kind Mathias sind es im Zeitraum von 2; 3 bis 3; 6 13% finite Verben in Endposition, bei Annelie im Zeitraum von 2; 4 bis 2; 9 12%, bei Simone im Zeitraum von 1; 10 bis 2; 7 7%. Dass die Endstellung des Finitums in einzelnen Sprachaufnahmen sogar überwiegt, wollen wir am Beispiel des monolingualen Kindes Ch_d zeigen. Die Endstellung macht hier 7,7% aus, wenn über den Zeitraum von 1; 11 bis 3; 6 gerechnet wird. Betrachtet man den Entwicklungsverlauf bei diesem Kind, so zeigt sich das in Abbildung 6 dargestellte interessante Bild. Schmitz (2002) unterscheidet die möglichen Stellungen des finiten Verbs nach V1 (verbinitiale Positionen, z. B. will in kinderwagn reinkabbeln), Vend (Endstellung des finiten Verbs, wie in der büderlein nich ins kranknhaus fährt) sowie nach den beiden Positionen Subjekt-Verb (SV, conny geht nich zum arzt) und Verb-Subjekt (VS, gut scheckt der joghurt nämlich (=schmeckt)). Alle diese Stellungsmuster verwendet das Kind im Alter von 2; 7.15 (vgl. Abbildung 6). 240 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="241"?> 2 Die zielsprachliche Wortstellung zeigt sich bei den Kindern schon in der Zwei-Wort-Phase, d. h. bei einem MLU von 2. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2; 3,21 2; 4,4 2; 4,18 2; 5,3 2; 5,17 2; 6,0 2; 6,15 2; 7,0 2; 7,15 2; 8,2 2; 8,16 2; 9,0 2; 9,17 2; 10,0 2; 10,11 2; 10,30 2; 11,15 2; 11,29 3; 0,15 3; 1,3 3; 1,16 3; 2,8 3; 2,23 3; 3,7 Alter SV VS Vend V1 Abbildung 6. Verbpositionen bei Ch_d, aus Schmitz (2002) Abbildung 6 zeigt, dass die nicht-zielsprachlichen Verb-End-Stellungen bis zum Alter von 2; 7,15 deutlich dominieren und dann langsam weniger werden, bis sie im Alter von über 3 Jahren fast ganz verschwinden, während die VS-Muster in gleicher Weise zunehmen. Das bedeutet, dass Ch_d langsam erkennt, dass im Deutschen das Subjekt auch nach dem finiten Verb stehen kann. Für die romanischen Sprachen sind keine nicht-zielsprachlichen Endstellungen des finiten Verbs belegt. Monolinguale Kinder mit einer romanischen Sprache platzieren das finite Verb von Beginn an in der zielsprachlichen Position nach dem Subjekt, 2 obwohl sie durch die Stellung des klitischen Objektpronomens (Martina lo vede) auf einen falschen Weg geführt werden könnten. Auch bei der Stellung des infiniten Verbs sind keine Schwierigkeiten festgestellt worden, wie die Studien von Clark (1986) zeigen (vgl. Prévost 2009, Kap. 2 zum Französischen; Belletti und Guasti 2015, Kap. 1 und Guasti 2017, Kap. 4 zum Italienischen; Montrul 2004, Kap. 3 zum Spanischen). 8.1.3 Ergebnisse aus Studien mit bilingualen Kindern Meisel (1986, 1989) macht in seinen Untersuchungen des Wortstellungserwerbs durch bilingual deutsch-französischsprachige Kinder die Beobachtung, dass SOV, also das von monolingual deutschsprachigen Kindern in früheren Entwicklungsabschnitten bevor‐ zugte Wortstellungsmuster, von den untersuchten bilingualen Kindern im Deutschen nur mit infiniten Verben benutzt wird, was der Zielsprache entspricht. 8.1 Verbstellung im deutschen und romanischen Hauptsatz 241 <?page no="242"?> Dieses Ergebnis haben Müller et al. (2002) auch für das bilingual deutsch-italienisch‐ sprachige Kind Ca_di erarbeitet: Während der ersten Erwerbsphase (1; 8,28-2; 6,23, = 10 Monate) verwendet sie finite Verben mit einer Häufigkeit von 3,2% in satzfinaler Position, in der zweiten Erwerbsphase (2; 7,13-3; 1,16, = 6 Monate) nur noch mit einer Häufigkeit von 0,3%. Im gesamten Untersuchungszeitraum macht die Endstellung des Finitums nur 0,9% aus, so dass hier nicht von einem bevorzugten Wortstellungsmuster gesprochen werden kann. Müller et al. (2002: 188) haben ferner gezeigt, dass Ca_di von Anfang an erkennt, dass das Subjekt auch nach dem finiten Verb stehen kann. Ferner weist sie keine Dominanz der SV-Abfolge in beiden Phasen auf (vgl. Abbildung 7). Interessant ist auch, dass das im Deutschen nicht-zielsprachliche, aber im Italienischen zielsprachliche Stellungsmuster XSV(Y) in Ca_di’s deutschen Sprachdaten in der ersten Phase nur mit einer Häufigkeit von 5,1%, in der zweiten Phase sogar nur mit 1,1% belegt ist. X und Y stehen für beliebige Elemente. Insgesamt lässt sich also annehmen, dass das Kind im Untersuchungszeitraum die für das Deutsche charakteristischen Verbstellungen erkannt hat. In der Tabelle 1 stehen X und Y für beliebige Elemente, während S das Subjekt repräsentiert. Altersspanne SVX XSV(Y) XVS, X≠Obj. XVS, X=Obj. SXV VSX I 1; 8,28 - 2; 6,23 94 8 28 14 5 7 II 2; 7,13 - 3; 1,16 372 7 114 69 2 95 Tabelle 1. Stellung des finiten Verbs im deutschen Hauptsatz, Ca_di (absolute Zahlen), aus Müller et al. (2002: 188) Im Folgenden wollen wir die Verbstellung bei einem weiteren bilingual deutsch-italie‐ nischsprachigen Kind, Lu_di, zeigen. Die Analyse wurde nach den gleichen Kategorien durchgeführt wie bei dem monolingualen Kind Ch_d. Abbildung 7 zeigt deutlich, dass Lu_di nur am Anfang des Untersuchungszeitraums die nicht-zielsprachliche Endstellung des finiten Verbs benutzt und auch nur bis zu 20% im Alter von 2; 3. Danach tritt dieses Muster nur noch selten auf. Von Anfang an verwendet das Kind sowohl SVals auch VS-Muster. Es hat also die zielsprachlichen Verbstellungen des Deutschen wie Ca_di sofort erkannt. 242 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="243"?> 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2; 3,6 2; 4,9 2; 4,23 2; 5,6 2; 5,20 2; 6,18 2; 7,15 2; 7,29 2; 8,12 2; 8,26 2; 9,18 2; 10,1 2; 10,22 2; 11,13 2; 11,27 3; 1,16 3; 1,30 3; 2,19 3; 3,2 Alter SV VS Vend V1 Abbildung 7. Verbpositionen bei Lu_di, aus Schmitz (2002) Abbildung 8 vergleicht die beiden bilingual deutsch-italienischsprachigen Kinder mit Ch_d im Hinblick auf die verwendeten Verbstellungsmuster, die in absoluten Zahlen gezeigt werden. Die Korpora aller drei Kinder wurden in zwei Phasen eingeteilt. In der ersten Phase (Ch_d 1, Ca_di 1, Lu_di 1) zeigen sie noch keine Sprachformen für die erforderliche Komplementiererphrase (CP, z. B. Fragesätze mit W-Wörtern, konjunktional eingeleitete Nebensätze). Das Fehlen von Sprachausdrücken für die CP charakterisiert eine Phase im Erwerb durch monolinguale und mehrsprachige Kinder (vgl. Kap. 7.3.2), so dass man dies gut als Kriterium für eine Phaseneinteilung heranziehen kann, will man nicht auf Basis des Alters argumentieren. In der zweiten Phase (Ch_d 2, Ca_di 2, Lu_di 2) verwenden die Kinder diese Strukturen bereits produktiv. In Abbildung 8 wird außerdem deutlich, dass das monolinguale Kind auch noch in der zweiten Phase das nicht-zielsprachliche Verb-End-Muster SXV verwendet, wenn auch deutlich seltener, während die beiden bilingualen Kinder dieses Muster bereits in der ersten Phase nicht verwenden. 8.1 Verbstellung im deutschen und romanischen Hauptsatz 243 <?page no="244"?> Abbildung 8. Stellung des finiten Verbs (absolute Anzahl) bei Ch_d, Ca_di und Lu_di Mittlerweile konnte dieses Ergebnis für weitere Kinder mit dieser Sprachkombination und für solche mit den Kombinationen Französisch-Deutsch und Spanisch-Deutsch er‐ härtet werden. Repetto und Müller (2010) weisen das Fehlen einer Spracherwerbsphase mit Endstellung des Finitums in deutschen Hauptsätzen für sechs deutsch-italienisch bilingual aufwachsende Kinder nach. Schmeißer und Jansen (2016) kommen zu diesem Ergebnis auf der Basis von vier deutsch-französisch bilingualen Kindern. Müller (2017) zeigt das Überspringen der Erwerbsphase für mit Deutsch, Spanisch und Katalanisch aufwachsende Kinder. Die Kinder in den genannten Studien befanden sich im Alter von 1; 6 bis 3; 6 Jahren. In einer größer angelegten transversalen Studie mit 91 mehrsprachigen Kindern im Vorschulalter weisen Arnaus Gil und Müller (2020) den Beschleunigungseffekt für alle Kinder der Studie im Deutschen nach; diese Kinder waren bilingual, trilingual oder haben mehr als drei Sprachen im Vorschulalter erworben. Zum Schluss wollen wir noch auf die Sprachdominanz der Kinder eingehen, die den Beschleunigungseffekt im deutschen Hauptsatz zeigen: Unter ihnen befanden sich sowohl balancierte als auch unbalancierte mehrsprachige Kinder. Bei den Kindern, die einen unbalancierten Erwerb zeigten, war entweder das Deutsche oder die romanische Sprache die Umgebungssprache bzw. die dominante Sprache. Der Effekt zeigt sich also auch dann, wenn die beeinflussende Sprache schwach ist. 8.1.4 Zusammenfassung des Bereichs der Verbstellung im deutschen Hauptsatz In 8.1 haben wir einen grammatischen Bereich kennengelernt, die Stellung des Finitums im deutschen Hauptsatz, der von mehrsprachigen Kindern schneller erworben wird als von monolingualen Kindern. Mehrsprachige Kinder, die eine romanische Sprache erwerben, hier das Französische, Italienische oder Spanische, erwerben die Position 244 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="245"?> des Finitums im Deutschen akzeleriert im Vergleich zu monolingualen Kindern, welche eine Erwerbsphase mit Endstellung des Finitums durchlaufen. Auf den untersuchten Bereich der Stellung des Finitums im Deutschen kann das Kriterium (I) für Spracheneinfluss von Müller und Hulk (2000) angewandt werden. Beide Sprachtypen, die romanischen Sprachen und das Deutsche, weisen die lineare Abfolge SV fin X auf, wobei in den Zielsystemen hier unterschiedliche Derivationen zugrunde liegen. Im Deutschen werden für die Ableitung von SV fin X die funktionalen Kategorien TP und CP benötigt, in den romanischen Sprachen reicht die TP aus. Die Anfälligkeit dieses grammatischen Bereichs für den Spracheneinfluss wird also mit Hilfe des Kriteriums korrekt vorhergesagt. Aufgrund des Komplexitätskriteriums (I) von Jakubowicz (2002) würden wir die falsche Vorhersage machen, dass das Deutsche die jeweilige romanische Sprache beeinflusst. Es gibt nun aber einen anderen Unterschied zwischen der Derivation von deutschen und romanischen SV fin X Abfolgen. Die romanische Satzstruktur benötigt im Gegensatz zur deutschen weniger Schritte für die syntaktische Ableitung. Nach Zuckerman (2001) würde eine Sprache, die weniger Schritte benötigt, weniger komplex sein gegenüber einer Sprache, die im Vergleich mehr Ableitungsschritte erfordert. Nach diesem Krite‐ rium würde man die Einflussrichtung korrekt vorhersagen: Die romanische Sprache mit weniger Derivationsschritten sollte sich positiv auf das Deutsche auswirken und nicht umgekehrt, das Deutsche auf eine der romanischen Sprachen. Hier ist jedoch anzumerken, dass die mehrsprachigen Kinder im Deutschen auch solche Konstruktionen früher erwerben, in denen eine andere Konstituente als das Subjekt vor dem finiten Verb platziert wird. Sie erwerben also die V2-Eigenschaft früher als die monolingual deutschsprachigen Kinder. Dies muss in zukünftigen Forschungsarbeiten weiter analysiert werden. 8.2 Der Bereich der Determinanten Für den Determinantenerwerb wurde ein beschleunigender Einfluss des Französischen und des Italienischen auf das Deutsche festgestellt. Wir wollen auch hier mit der Vorstellung der Zielsprachen beginnen. 8.2.1 Die Determinantenverwendung in den Zielsprachen Das Deutsche, Französische, Italienische und Spanische verfügen über definite und indefinite Artikel, die dem Nomen vorangehen. Die Verwendung von Artikeln ist vor zählbaren Nomina im Singular obligatorisch, wie die Beispiele in (3) zeigen. (3) a. Dt. *Ich habe Katze gesehen vs. Ich habe eine / die Katze gesehen - b. It. *Ho visto gatto vs. Ho visto un / il gatto - c. Fr. *J’ai vu chat vs. J’ai vu un / le chat - d. Sp. *He visto gato vs. He visto un / el gato 8.2 Der Bereich der Determinanten 245 <?page no="246"?> Der definite Artikel wird dann gewählt, wenn der Referent spezifisch und identifizier‐ bar ist; der indefinite Artikel dann, wenn der Referent für den Adressaten der Äußerung nicht identifizierbar oder unbekannt ist. Dies gilt auch für Nomina im Plural, wie die Beispiele in (4) veranschaulichen: (4) a. Dt. Ich habe die Tomaten aufgegessen und den Wein ausgetrunken - b. It. Ho mangiato i pomodori e bevuto il vino - c. Fr. J’ai mangé les tomates et bu le vin - d. Sp. He comido los tomates y he bebido el vino Unterschiede zwischen den romanischen und germanischen Sprachen treten bei Nominalphrasen mit nicht-spezifischer Lesart auf. Mit der generischen Lesart, bei der man eine generalisierende Aussage über Klassen von Objekten oder Individuen macht, ist der Artikel in den romanischen Sprachen obligatorisch. Die Beispiele in (5) illustrieren diesen Unterschied: (5) a. Dt. Katzen schlafen viel - b. It. I gatti dormono molto - c. Fr. Les chats dorment beaucoup - d. Sp. Los gatos duermen mucho Lexikalische Nominalphrasen in Objektposition, die eine nicht-spezifische Lesart haben, bleiben im Deutschen obligatorisch undeterminiert, sofern sie im Plural stehen oder Massennomen enthalten. Im Italienischen hingegen kann (aber muss nicht) der indefinite Pluralartikel oder der Teilungsartikel stehen. Im Französischen ist ein Artikel quasi obligatorisch (es gibt einige wenige Ausnahmen). Im Spanischen, wie im Deutschen, wird keine Determinante verwendet. Dieser Unterschied wird in (6) deutlich: (6) a. Dt. Ich habe Brot und Tomaten gekauft - b. It. Ho comprato (del) pane e (del) vino - c. Fr. J’ai acheté du pain et des tomates - d. Sp. He comprado pan y tomates Zusammenfassend zeigen die Beispiele, dass die Verwendung von Determinanten (hier anhand der Artikel demonstriert) von semantischen Faktoren (z.-B. Massennomen vs. zählbar) wie auch pragmatischen Faktoren (Identifizierbarkeit aufgrund des Kontextes oder Weltwissen) abhängt. Die sprachspezifischen Unterschiede, die hier nicht im Detail wiedergegeben werden können, laufen darauf hinaus, dass das Französische kaum Kontexte aufweist, in denen ein Nomen undeterminiert bleibt, während das Deutsche die größte Anzahl solcher Kontexte aufweist. Dies spiegelt sich auch in der Token-Frequenz von Nomina ohne Artikel in den jeweiligen Sprachen wider. Tabelle 2 basiert auf einer Studie, in der kindgerichteter Input von Erwachsenen im Hinblick auf lexikalische Nominalphrasen untersucht wurde. Die Datenbasis umfasste 5 Stunden transkribierten Dialog in jeder Sprache. Die Prozentzahlen basieren auf einer absoluten 246 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="247"?> 3 Es geht uns hier allein um die fehlende Genusmarkierung im Plural. Dass auch der Kasus im Deutschen nicht allein aufgrund der Artikelmorphologie bestimmbar ist, wird im weiteren Verlauf des Abschnitts angesprochen. Anzahl von über 2.000 produzierten Nominalphrasen. Die Tabelle 2 zeigt, dass das Französische am wenigsten Kontexte aufweist, in denen das Nomen undeterminiert ist, d. h. ohne Artikel erscheint, während es im Deutschen die meisten solcher Kontexte gibt. Das Italienische liegt dazwischen. Für das Spanische kann man von ähnlichen Prozentzahlen wie im Italienischen ausgehen. - Deutsch Italienisch Französisch Nomen ohne Determinierer 18% 12% 6% Tabelle 2. Token-Frequenz (un)determinierter Nomina, aus Kupisch (2006a) Der Artikelgebrauch ist jedoch nicht nur eine Frage der Realisierung und Auslassung von Determinanten. Auch mit Hinblick auf die Morphologie unterscheiden sich die vier Sprachen, indem die Artikel der romanischen Sprachen keine Kasusmarkierung aufweisen, sondern nur Genus und Numerus kodieren. Ferner unterscheidet das Deutsche nicht nur maskuline und feminine Nomina (z. B. der Hund vs. die Katze), sondern weist darüber hinaus die Kategorie des Neutrums auf (z. B. das Schwein). Nicht alle morphologischen Unterscheidungen sind jedoch formal markiert. So kann man beispielsweise das Genus von deutschen und französischen Nominalphrasen im Plural nicht an der Artikelform ablesen (7a-b), 3 während das Genus bei italienischen und spanischen Nominalphrasen auch im Plural sichtbar ist (7c-d). (7) a. Dt. die Kater M vs. die Kühe F - b. Fr. les chats M vs. les vaches F - c. It. i gatti M vs. vs. le mucche F - d. Sp. los gatos M vs. las vacas F Die Beispiele zeigen, dass die Abbildung von Form und Funktion nicht in einem Eins-zu-Eins-Verhältnis steht, denn eine bestimmte Form kann mehrere Funktionen gleichzeitig kodieren. Das Deutsche weist viele solcher sogenannten Formsynkretis‐ men auf und ist insgesamt weniger transparent als die romanischen Sprachen. Es verfügt also nicht nur über eine größere Formenvielfalt, die aus der zusätzlichen Genuskategorie und dem Kasussystem resultiert, sondern es weist auch noch Formü‐ berschneidungen auf. Ein weiterer Unterschied zwischen den germanischen und den romanischen Spra‐ chen ist, dass die Artikel in den romanischen Sprachen anders prosodifiziert werden. Vereinfacht gesagt bilden die romanischen Artikel zusammen mit dem Nomen nicht nur eine syntaktische Einheit (DP), sondern auch eine prosodische Einheit. Im Deut‐ schen hingegen sind Artikel prosodisch unabhängiger oder können sogar mit einem 8.2 Der Bereich der Determinanten 247 <?page no="248"?> 4 LF steht für Logische Form; vgl. Müller und Riemer 1998, Kap. 10 und Gabriel et al. (2018): Kap. 3. Die Logische Form ist eine Komponente des generativen Grammatikmodells und stellt die Schnittstelle zum konzeptuellen System dar. Es handelt sich also um die Syntax-Semantik-Schnittstelle. Verb zusammen eine Einheit bilden; z. B. Ich hab’n Buch gekauft, wo hab’ und ’n eine prosodische Einheit bilden, aber nicht ‘n und Buch (siehe Lleó und Demuth 1999 für Details). Diese Möglichkeit im Deutschen führt also auch zu Unstimmigkeiten zwischen syntaktischen und prosodischen Einheiten, die den Erwerb erschweren können. Für die Richtung des Spracheneinflusses ergibt sich Folgendes. Wenn man Komple‐ xität auf der Basis von Formenvielfalt, (unklaren) Form-Funktion-Beziehungen und Auftretensfrequenz definiert, dann ist das Deutsche komplexer als die romanischen Sprachen und der Erwerbsprozess sollte in den romanischen Sprachen schneller vonstatten gehen als im Deutschen. Konkret sind folgende Vorhersagen denkbar: 1. Eine höhere Anzahl von undeterminierten Nomina im Input könnte den Erwerbs‐ prozess verlangsamen, weil Kinder somit weniger Evidenz für die Präsenz von Determinanten in der Zielsprache haben, was den Erwerbsprozess verzögern könnte. 2. Eine größere Formenvielfalt und das „morphologische Gewicht“, d. h. die Anzahl der von einer Determinante kodierten morphologischen Merkmale, könnten den Erwerbsprozess verlangsamen. Insbesondere durch die Existenz des Kasus im Deutschen gibt es ein zusätzliches Merkmal, welches in den romanischen Sprachen nicht vorhanden ist. Auch hier würde man die Vorhersage machen, dass das Deutsche langsamer erworben wird als die romanischen Sprachen; allerdings lassen sich anhand des morphologischen Gewichts keine Unterschiede zwischen den romanischen Sprachen vorhersagen. 3. Die uneinheitliche Prosodifizierung von Artikeln im Deutschen könnte den Er‐ werbsbeginn verzögern. 4. Tsimpli (2001) postuliert, dass LF 4 -uninterpretierbare, d. h. rein formale Merkmale (und funktionale Kategorien, die solche kodieren), später erworben werden als LF-interpretierbare Merkmale, d. h. semantisch interpretierbare Merkmale. De‐ terminanten weisen, wie gerade beschrieben, formale Merkmale (z. B. Kasus) und auch semantische Merkmale (z. B. Spezifizität) auf. Hieraus könnte man die Vermutung ableiten, dass Determinanten in einer Sprache, in der sie mehr formale Merkmale tragen, später erworben werden als in einer Sprache, in der sie weniger formale Merkmale tragen. Die vier hier untersuchten Sprachen kodieren die gleiche Anzahl semantisch interpretierbarer Merkmale, aber das Deutsche kodiert im Gegensatz zu den romanischen Sprachen ein weiteres formales Merkmal, nämlich Kasus. Deshalb ist zu erwarten, dass der Erwerbsprozess im Deutschen langsamer verläuft als in den romanischen Sprachen. Unterschiede zwischen den romanischen Sprachen wären jedoch nicht zu erwarten. 248 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="249"?> Insgesamt kann auf der Basis aller Kriterien vorhergesagt werden, dass der Determi‐ nantenerwerb im Deutschen langsamer vonstatten gehen sollte als in den romanischen Sprachen. Weiterhin geht aus der Beschreibung der Zielsysteme, insbesondere aus den Beispielen 3—5, hervor, dass es viele Überschneidungen in den Zielsystemen gibt, die die Kinder zu der Annahme verleiten könnte, die Zielsysteme seien identisch, und somit zu einer Strategie des zwischensprachlichen Transfers von strukturellem Wissen (z. B. die Sprache als „Steigbügel“ für das Deutsche). Gleichzeitig zeigen die Beispiele in (6) und (7), dass es Unterschiede gibt, so dass das Kriterium der Teilüberlappung (vgl. Kap. 5.3.1) erfüllt ist. Ferner hängt die Frage, ob ein definiter, indefiniter oder gar kein Artikel verwendet werden muss, auch von diskursspezifischen Faktoren wie Identifizierbarkeit des Referenten ab. Dies spricht dafür, das Phänomen an der Schnittstelle zwischen Syntax und Pragmatik anzusiedeln. Nach Müller und Hulk (2001) sind somit die für den Spracheneinfluss notwendigen Bedingungen erfüllt. (Strikt genommen gibt es hier so‐ gar eine viergliedrige Schnittstelle, nämlich Syntax-Semantik-Pragmatik-Phonologie.) Im Folgenden werden wir Studien zum Determinantenerwerb bei monolingualen Kindern betrachten. Diese zeigen insgesamt, dass Determinanten von monolingual deutschen Kindern langsamer erworben werden als von monolingualen Kindern, die eine romanische Sprache erwerben. Die drei am Ende von Kapitel 5 aufgestellten Komplexitätskriterien machen also die richtigen Vorhersagen. 8.2.2 Ergebnisse aus Studien mit monolingualen Kindern Die Unterschiede zwischen dem Determinantenerwerb in einer romanischen Sprache und dem in einer germanischen Sprache wurden in einer Reihe von Studien untersucht. Nicht alle diese Studien haben die gleichen Sprachen behandelt, aber im Allgemeinen verhalten sich die germanischen Sprachen (mit Ausnahme der skandinavischen) und die romanischen Sprachen ähnlich. Wenn es um Erwerbsgeschwindigkeit geht, sind zwei Aspekte relevant: (i) das erste Auftreten von Determinanten und (ii) der Moment, wenn Auslassungen nur noch zielsprachlich sind (oft wird das Kriterium 90% Verwendung in obligatorischen Kontexten verwendet). Pizzuto und Caselli (1992) beobachteten die ersten Artikel bei italienischen Kindern bereits im Alter von 1; 4 und 1; 5. Bottari et al. (1993/ 94) diagnostizierten erste artikel‐ artige Füllwörter ab dem Alter von 1; 8. Das italienische Kind Camilla (Antelmi 1997) verwendete die ersten Artikel in nicht formelhaften Ausdrücken ab dem Alter von 1; 9. Aufgrund dieser Studien ist das Auftreten der ersten Artikel zwischen dem Alter von 1; 4 und 1; 9 zu erwarten. Zum Französischen zeigte eine Studie von van der Velde et al. (2002), dass Nomina bereits vor dem Alter von 2 Jahren in über 80% aller Fälle durch Determinanten modifiziert werden. Lleó (1998) berichtet von zwei monolingual spanischen Kindern, María und Miguel, die die ersten artikelartigen Füllwörter bereits im Alter von 1; 4 verwenden. Deutsche Kinder verwenden hingegen Artikel erst später. 8.2 Der Bereich der Determinanten 249 <?page no="250"?> 5 Proto-Artikel ist die Bezeichnung für Vorläufer der zielsprachlichen Artikelformen, die eindeutig als Determinanten identifiziert werden können, in ihrer phonologischen Form jedoch reduziert sind, Z. B. a anstelle von la, oder ei anstelle von ein. Bottari et al. (1993/ 94) nennen diese einsilbigen Platzhalter („monosyllabic placeholders“). Letztere sind jedoch eher als Vorläufer von Proto-Artikeln zu sehen, da sie nicht notwendigerweise den zielsprachlichen Vokal enthalten, sondern neutrale Vokale wie [ə]. Penner und Weissenborn (1996) berichten von ersten Proto-Artikeln 5 ab dem Alter von 1; 10. Lleó (2001) weist im Deutschen erste Artikel im Alter von 1; 8 nach, aber die Verwendung nimmt im Alter zwischen 1; 10 und 2; 1 nur sehr langsam zu. Kupisch (2000) beobachtet bei einem monolingual deutschsprachigen Kind die ersten drei Determinanten zwischen dem Alter von 2; 2 and 2; 3. Die Studien zeigen also Unter‐ schiede in der Verwendung der ersten Determinanten bei Kindern mit verschiedenen Muttersprachen, die Hinweise auf die Komplexität der sprachspezifischen Systeme geben. Lleó und Demuth (1999) führten eine sprachvergleichende Studie durch und unter‐ suchten den Determinantenerwerb in Longitudinalstudien von monolingual deutschen und monolingual spanischen Kindern. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass spanische Kinder bereits vor dem Alter von 1; 6 die ersten Artikel verwenden. Obwohl diese noch nicht die zielsprachliche Form haben, sondern phonologisch reduziert sind, scheinen sie die Funktion zu haben, die syntaktische Position zu markieren. Diese frühen Produktionsdaten geben uns also einen Hinweis darauf, dass die Kinder sich der Obligatheit der Determinanten in den romanischen Sprachen bewusst sind. Die ersten Determinanten im Deutschen hingegen erscheinen erst mehrere Monate später. Auch Guasti, Gavarró, De Lange und Caprin (2008) vergleichen den Determinantenerwerb in Longitudinalstudien mit Kindern unterschiedlicher Muttersprachen (Katalanisch, Italienisch und Niederländisch). Der Vergleich der drei Sprachen zeigt, dass Kinder mit einer romanischen Erstsprache schneller mit dem zielsprachlichen System kon‐ vergieren, d. h. aufhören, Determinanten in obligatorischen Kontexten auszulassen, als Kinder mit einer germanischen Erstsprache. Kupisch (2004, 2007b) führte eine vergleichende Studie mit den Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch durch. Die Abbildung 9 zeigt einen Vergleich der Determinantenauslassungen bei diesen Kindern und bestätigt Vorteile bei Kindern, die eine romanische Sprache erwerben. 250 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="251"?> Abbildung 9. Determinanten(D)-Auslassungen bei monolingualen Kindern, aus Kupisch (2007b) Grob gesagt scheint die Erwerbsgeschwindigkeit also mit der Sprachfamilie im Zusam‐ menhang zu stehen, wobei es einige Ausnahmen gibt, die mit der Prosodifizierung der Artikel zu tun haben. So ist für die skandinavischen Sprachen Norwegisch und Schwedisch ein sehr früher Erwerb belegt (Kupisch, Anderssen, Bohnacker und Snape 2009). In diesen Sprachen werden die definiten Artikel als Suffixe am Nomen realisiert, z. B., katt-en (Katze-Art), wodurch ein prosodisches Muster entsteht, was man als troächaisch bezeichnet und was von Kindern offenbar besonders gut wahrgenommen wird. Zusammenfassend kann für den Determinantenerwerb bei monolingualen Kindern festgehalten werden, dass Kinder mit einer romanischen Erstsprache früher mit der De‐ terminantenverwendung beginnen und diese weniger nachhaltig auslassen als Kinder, die eine germanische Sprache erwerben, wobei es sprachspezifische Besonderheiten geben kann. Die Gründe für die unterschiedlichen Erwerbsmuster wurden kontrovers diskutiert. Während Lleó und Demuth (1999) einen prosodischen Ansatz verfolgen, argumentie‐ ren Guasti et al. (2008), dass semantische, prosodische und diskursbedingte Faktoren eine Rolle spielen. Als Erklärung für den verzögerten Erwerb im Deutschen wurde im Kontext des frühen Zweitspracherwerbs der Formensynkretismus herangezogen (Lemke 2008). 8.2 Der Bereich der Determinanten 251 <?page no="252"?> 8.2.3 Studien mit bilingualen Kindern Eine Reihe von Longitudinalstudien haben den Determinantenerwerb bei Kindern untersucht, die eine germanische und eine romanische Sprache gleichzeitig erwerben (Paradis & Genesee 1997, Serratrice 2000, Bernardini 2001, Granfeldt 2003, Hulk 2004, Kupisch 2006a). Die meisten dieser Studien bestätigen, dass Determinanten in den jeweiligen romanischen Sprachen eher als in den germanischen Sprachen erworben werden, was zunächst für die Sprachentrennung spricht. Zugleich schließen die Ergebnisse nicht aus, dass die Entwicklung der romanischen Sprache vergleichsweise verzögert und in ihrer germanischen Sprache vergleichsweise beschleunigt sind. Hulk (2004) argumentiert beispielsweise dafür, dass das Niederländische den Effekt hat, den Determinantenerwerb im Französischen zu verlangsamen. Aber könnte es nicht auch umgekehrt der Fall sein, dass die germanische Sprache (hier Deutsch) positiv von den romanischen Sprachen beeinflusst wird? Kupisch (2004, 2005, 2006a) untersucht die Auslassungen und Realisierungen von Determinanten bei Kindern mit den Sprachkombinationen deutsch-französisch und deutsch-italienisch und vergleicht sie mit den Daten eines monolingual deutschen Kindes (siehe Tabelle 3). Die bilingualen Kinder haben einen unterschiedlichen Ba‐ lanciertheitsgrad (vgl. Kap. 4). So weist beispielsweise Ce_df eine starke Dominanz im Deutschen auf. Anhand dieser Studie kann also auch überprüft werden, ob und inwieweit Sprachdominanz und Spracheneinfluss interagieren. Korpus Sprache(n) Altersspanne Untersuchte Aufnahmen (N) Sprachdominanz Ch_d Dt. 1; 10-3; 0 29 - Ca_di Dt.-Ital. 1; 8-3; 0 21 balanciert Ma_di Dt.-Ital. 1; 6-3; 0 27 leichte Dominanz Ital. Al_df Dt.-Frz. 2; 2-3; 0 16 leichte Dominanz Frz. Am_df Dt.-Frz. 1; 6-3; 0 29 leichte Dominanz Frz. Ce_df Dt.-Frz. 2; 0-3; 0 21 starke Dominanz Dt. Tabelle 3. Untersuchte Korpora, aus Kupisch (2005, 2006a) Die Auslassungsraten wurden auf der Basis von realisierten und ausgelassenen Deter‐ minanten gewonnen. Dabei wurden zielsprachliche Auslassungen, wie in (8), nicht berücksichtigt. (8) a. Ich habe Hunger - b. Kinder sind da drin - c. Lass uns Ball spielen - d. Zucker, Teller, Kaffee. So. Alles fertig vorbereitet 252 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="253"?> 6 Die monolingual deutschsprachigen Kinder in Abbildung 10 zeigen einen sehr ähnlichen Entwick‐ lungsverlauf wie das monolinguale Kind in Abbildung 11. Auch Imitationen, unvollständige und unverständliche Äußerungen sowie gemischte DPn (d. h. Kombinationen einer Determinante aus Sprache A und eines Nomens aus Sprache B) wurden nicht berücksichtigt. Proto-Artikel wurden gewertet, sofern sie klar als Artikel erkennbar waren, wie z. B. [də] anstelle des definiten Artikels im Deutschen. Der Determinantenerwerb wird in der Studie nur aus der syntaktischen Perspektive untersucht. Das heißt, ob die morphologische Form des Artikels korrekt war, wurde außer Acht gelassen, solange der Artikel realisiert wurde. In der Abbildung 10 werden die Determinantenauslassungen der sechs Kinder aus Tabelle 3 dargestellt. Die Auslassungsraten wurden auf einer monatlichen Basis errechnet und der Vergleich ist altersbasiert (graphisch werden nicht die einzelnen Kinder dargestellt, sondern nur die Sprachgruppen). Es wird deutlich, dass bei den bilingualen Kindern die Auslassungsraten zwischen 2; 1 und 2; 3 stark abnehmen und unter die 50%-Grenze fallen. Im gleichen Entwicklungszeitraum liegt die Auslassungsrate des monolingualen Kindes noch bei fast 100% und fällt erst unter 50% im Alter von 2; 6. Nach dem Alter von 2; 4 lassen die meisten der bilingualen Kinder nur noch unter 20% aus, während das monolinguale Kind dieses Stadium erst im Alter von 2; 7 erreicht. 6 Insgesamt zeigt sich also deutlich, dass die Entwicklung der bilingualen Kinder im Vergleich zu dem monolingualen Kind beschleunigt ist. Abbildung 10. D-Auslassungen bei bilingual deutsch-französischsprachigen und deutsch-italienisch‐ sprachigen Kindern, altersbasierter Vergleich, aus Kupisch (2006a) Da Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung unterschiedlich schnell sind, wurden die Kinder zusätzlich auch auf Basis der durchschnittlichen Äußerungslänge (MLU, siehe auch Kap. 4) verglichen. Die auf der Basis des MLUs definierten Entwicklungsphasen 8.2 Der Bereich der Determinanten 253 <?page no="254"?> werden wie folgt festgelegt: MLU unter 1,49 (Phase I), MLU über 1,5 (Phase II), MLU über 2,0 (Phase III) usw. Diese Untersuchung bestätigt die Ergebnisse des auf der Basis des Alters durchgeführten Vergleichs: Die bilingualen Kinder haben bei gleichen MLU-Werten niedrigere Auslassraten, wie Abbildung 11 zeigt. 0 20 40 60 80 100 1 - 1,49 1,5 - 1,99 2,0 - 2,49 2,5 - 2,99 ≥ 3 Auslassungen von Determinanten (%) MLU Ch_d Ma_di Ca_di Ce_df Al_df Am_df Abbildung 11. Auslassungen von Determinanten bei bilingual deutsch-französischsprachigen und deutsch-italienischsprachigen Kindern, MLU-basierter Vergleich, aus Kupisch (2006a) 8.2.4 Zusammenfassung Insgesamt zeigen die Daten, dass der Erwerbsprozess bei bilingualen Kindern, die gleichzeitig das Deutsche und eine romanische Sprache erwerben, im Vergleich zu einem monolingual deutschen Kind schneller voranschreitet. Auch für diesen Bereich konnten wir anhand der Kriterien von Müller und Hulk (2000) für das Auftreten von Spracheneinfluss die korrekten Vorhersagen machen. Die Komplexitätskriterien von Jakubowicz (2002) müssten für diesen Bereich erweitert werden, denn, wie wir gezeigt haben, ist die Determinantenverwendung nicht rein syntaktisch motiviert, sondern darüber hinaus auch von semantischen, pragmatischen und prosodischen Faktoren abhängig, und die morphologische Komplexität kann je nach Sprache unterschiedlich sein. 254 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="255"?> 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen In diesem Unterkapitel werden wir ein grammatisches Phänomen im Französischen thematisieren, das in der Literatur bereits die Aufmerksamkeit vieler Linguist: innen auf sich gezogen hat. Wir werden den Erwerbsverlauf für Subjekte in der Nicht-Null‐ subjektsprache Französisch beschreiben und zu erklären versuchen. Dabei betrachten wir sowohl die (nicht-zielsprachliche) Auslassung von Subjekten als auch die Position realisierter Subjekte im Französischen (vgl. dazu die Entwicklung der Subjektrealisie‐ rung in den Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch in Kap. 7.4). Betrachten wir allerdings den Erwerb französischer Subjekte im mehrsprachigen Kind, werden wir feststellen, dass mehrsprachige Kinder von Anfang an in der Lage sind, französische Subjekte zu realisieren und sie auch richtig vor dem Verb zu platzieren. 8.3.1 Die Produktion und Position von Subjekten im Französischen Das Französische ist eine Nicht-Nullsubjektsprache, in der referentielle Subjekte stets overt sind (vgl. auch Kap. 7.4.1). Roberts (2019) beschreibt das Französische als eine Sprache, die zu einer kleinen Gruppe von Sprachen weltweit gehören, die Nicht-Null‐ subjektsprachen sind. Konkret berichtet er aus dem WALS (The World Atlas of Language Structures, online verfügbar http: / / wals.info) und stellt fest, dass Nullsubjektsprachen weitaus häufiger auf der Welt vertreten sind als Nicht-Nullsubjektsprachen (2019: 193). Während die Ersteren 61,5% der Sprachen auf der Welt ausmachen, sind Sprachen der zweiten Gruppe, wie z. B. das Französische, nur mit 11,5% vertreten. Das Französische könnte somit als eine Sprache betrachtet werden, die stärker markiert ist als vorher angenommen. In früheren Arbeiten zu den (Nicht-)Nullsubjektsprachen ging man davon aus, dass die Systeme der Nullsubjektsprachen dem markierten Fall entsprechen. Anhand der detaillierten sprachtypologischen Perspektive, die Roberts (2019) mit Hilfe vom WALS einbringt, wird erst erkannt, dass die Nicht-Nullsubjektsprachen auf der Welt weniger vertreten und daher markierte Systeme sind. Darüber hinaus wird das Französische als eine SVO-Sprache charakterisiert, d. h., overte Subjekte (S) gehen dem finiten Verb (V) voran und Objekte (O) folgen ihm (vgl. Beispiele in 9): (9) a. [Marie] S mange V [la soupe] O - - Maria isst die Suppe - b. [Elle] S téléphone V [à sa mère] O - - Sie ruft ihre Mutter an - c. [Les gateaux de cette pâtisserie] S sont V [trop chers] O - - Die Kuchen dieser Konditorei sind zu teuer - d. [ Jean] S dort V - - Jean schläft 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 255 <?page no="256"?> 7 In Großbuchstaben werden Elemente gekennzeichnet, die eine prosodische Hervorhebung haben, d.-h. sie werden besonders (stärker) betont. So hat etwa Lambrecht (1986) beobachtet, dass das gesprochene Französisch eine Plat‐ zierung von Konstituenten am linken oder rechten Satzrand erlaubt, d. h. Konstituenten können disloziert werden. Wenn eine Links- oder eine Rechtsdislokation stattfindet (vgl. jeweils Beispiele 10 und 11), muss ein resumptives Pronomen (RP) die ursprüng‐ liche Position des dislozierten Elementes einnehmen. Dieses wiederholende Pronomen besitzt die Genus-, Numerus- und Kasusmerkmale des dislozierten Elementes. Das haben wir in den folgenden Beispielen mit Hilfe desselben Subindex am dislozierten Element und dem resumptiven Pronomen gekennzeichnet. Die folgenden Beispiele 10 und 11 zeigen deutlich, dass sich das resumptive Pronomen auf ein Element bezieht, das die Funktion des Subjekts (abis c-Beispiele) aufweist. Links- oder Rechtsdislokationen können sich allerdings auf Elemente beziehen, die andere Funktionen im Satz haben, wie direkte Objekte (d-Beispiele) oder Ortsangaben (À l’école i elle y i va). De Cat (2002), aber auch bereits Barnes (1986), beobachten für das Französische, dass dislozierte Subjekte häufiger als dislozierte Objekte auftreten. (10) a. Marie i , elle i mange la soupe - - Marie, sie isst die Suppe - - MARIE 7 isst die Suppe - b. Les gateaux de cette pâtisserie j , ils j sont trop chers - - Die Kuchen aus der Konditorei, sie sind zu teuer - - DIE KUCHEN sind zu teuer - c. Jean k , il k dort - - Jean, er schläft - - JEAN schläft - d. La soupe i , Marie la i mange - - Die Suppe, Marie sie ist - - DIE SUPPE isst Marie - (11) a. Elle i mange la soupe, Marie i - - Sie isst die Suppe, Marie - b. Ils j sont trop chers, les gateaux de cette pâtisserie j - - Sie sind zu teuer, die Kuchen aus der Konditorei - c. Il k dort, Jean k - - Er schläft, Jean - - Jean schläft - d. Marie la i mange, la soupe i - - Marie sie isst, die Suppe - - Marie isst sie, die Suppe Die Beispiele in 10 und 11 zeigen, dass dislozierte Elemente unterschiedlicher Natur sein können. Häufig werden DPn verwendet, die definit sein müssen. Einige Autor: in‐ nen weisen jedoch daraufhin, dass DPn, die einen indefiniten Artikel enthalten, 256 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="257"?> ebenfalls als mögliche dislozierte Elemente fungieren können. Das ist nur dann der Fall, wenn diese eine generische (12a) und nicht eine existentielle (12b) Lesart haben (De Cat 2002, Rowlett 2007, Ferdinand 1996, Lambrecht 1981). (12) a. Generische Lesart - - Tsé, un enfant i il i arrive pi il i te pose une question - - du-weiß, ein kind es kommt und er dich stellt eine frage - - Ein Kind kommt und fragt dich etwas… De Cat (2002: 146) - b. Existenzielle Lesart - - - - *Quelques uns i ils i sont saltimbanques - - - einige sie sind Gaukler - - - Einige sind Gaukler De Cat (2002: 153) Das Auftreten von Links- und Rechtsdislokationen wurde in der Literatur anhand ihres pragmatischen Gehalts untersucht. Für sowohl die Linksals auch die Rechtsdis‐ lokation wird davon ausgegangen, dass sie Topikalität markieren. Topikalität wird als das bezeichnet, worum es im Diskurs geht. Topikalität kann grundsätzlich auf zwei Ebenen definiert werden, nämlich bezüglich des Satztopiks oder des Diskurstopiks. Das Satztopik bezieht sich auf einen Ausdruck innerhalb eines Satzes, während bei einem Diskurstopik auf einen Ausdruck Bezug genommen wird, der der größeren, übergeordneten Diskurseinheiten entspricht (vgl. Reinhart 1981 für das Konzept von aboutness und Stark 1997 für die Idee des Satztopiks als Aussagegegenstand). Disloka‐ tionen wurden bestimmte informationsstrukturelle Funktionen zugeschrieben. Zum Beispiel können sie verwendet werden, um einen Referenten als Satztopik einzuführen (Lambrecht 1981, 1986). Mit anderen Worten wird anhand einer Dislokation ein Element in den Diskurs eingeführt, damit es in der anschließenden Prädikation als Topik aufgegriffen und kommentiert werden kann Jansen (2015: 50). Eine weitere Funktion wird damit verbunden, ein bereits vorher behandeltes Topik wieder in den Diskurs einzuführen (Topik-Wiedereinführung). Diese Funktion ist laut Barnes (1985: 113 f. in Jansen 2015: 50) die typische Funktion der Linksdislokationen im Französischen. Die Linksdislokation kann ferner als Topik-Wechsel (vgl. Topic Shift, Barnes 1985) verwendet werden. In diesem Fall findet eine Änderung des Topiks statt, wie das folgende Beispiel 13 aus Barnes (1985: 20, in Jansen 2015: 51) zeigt. (13) M.: Y a Beth qui veut y aller, euh, y a Jean-Marc, […] - - Es gibt Beth die will dort gehen euh es gibt Jean-Marc - - Es gibt Beth, die dort hingehen will, äh, es gibt Jean-Marc, […] - C.: Georges i i i ’ n’y va pas, […] - - Georges er NEG-dort geht nicht - - Georges geht da nicht hin […] Darüber hinaus werden der Linksdislokation die Funktionen der Kontrastierung und des Ergreifens des Rederechts zugeschrieben (Barnes 1985, Auer 1991, Stark 1997). Das Beispiel 14 aus Barnes (1985: 18 in Jansen 2015: 53) illustriert die erste Funktion. 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 257 <?page no="258"?> (14) Oui, nous i c i ’est les cafés, eux j c j ’est les fast foods - Ja wir das-ist die Kaffees sie sind die Fast Foods - Ja, wir sind die Kaffees, sie sind die Fast Foods Die Rechtsdislokation kann auch verwendet werden, um einem Sprecher die Möglich‐ keit zu geben, an ein Topik anzuknüpfen, der in einem vorherigen, abgeschlossenen Turn aktiv war. Das wird in der Literatur als Turn Closing genannt (Auer 1991, Ashby 1994). Wie oft kommen diese Strukturen in der gesprochenen Sprache vor? Ashby (1982) präsentiert eine Analyse über die Häufigkeit dieser Strukturen in einem selbst erhobe‐ nen Sprachkorpus aus dem Jahr 1976 in Tours. Fünfzig Muttersprachler: innen, verteilt über fünf unterschiedliche Altersgruppen (14-65+), haben an der Studie teilgenommen. Der Autor hat soziolinguistische Interviews durchgeführt. Die semispontanen Gesprä‐ che hatten eine Dauer von zirka einer Stunde. Von 1.355 analysierten Strukturen, die dislozierte Elemente aufweisen, findet Ashby (1982: 33 f.), dass 83% eine Linksdisloka‐ tion mit einem resumptiven Pronomen beinhalten und vor allem mit der Funktion der Topik-Wiedereinführung (Ashby 1982: 41) assoziiert werden können. In seiner Analyse derselben Sprachdaten bzgl. Rechts- und Linksdislokationen stellt Ashby (1988) fest, dass bei Letzteren 24% die Funktion der Kontrastierung (vgl. Beispiel 13) zugewiesen werden konnten. Die Studie von Notley, van der Linden und Hulk (2007) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Auftreten von Links- und Rechtsdislokationen in der französischen (aber auch in der niederländischen und englischen) gesprochenen Sprache. In diesem Fall waren die Autorinnen daran interessiert, ihre Häufigkeit in der kindgerichteten Sprache zu untersuchen. Sie stellen fest, dass Erwachsene, wenn sie mit Kindern sprechen, in 56% der Fälle die neutrale SVO-Struktur verwenden, während immerhin 44% den Dislokationen entsprechen. Betrachtet man das Auftreten von Links- und Rechtsdislokationen in der kindgerichteten Sprache, stellen Notley et al. (2007: 235 f.) fest, dass 30% aller Dislokationen nach rechts (Beispiele 11) und 14% nach links erfolgt sind (Beispiele 10). Dieses Ergebnis zeigt, dass Dislokationen in der kindgerichteten Sprache fast der Hälfte der Produktionen entsprechen und dass Rechtsdislokationen am häufigsten vorkommen. Diese Beobachtung steht im Kontrast zu Ashbys (1982) Studie, die gezeigt hat, dass in der Interaktion zwischen französischen erwachsenen Muttersprachler: innen Linksdislokationen am meisten vertreten sind. Man muss an dieser Stelle betonen, dass die Studie von Notley et al. (2007) lediglich die Sprachdaten eines erwachsenen monolingualen Muttersprachlers des Französischen zugrundelegt. In ihrer Doktorarbeit untersucht Jansen (2015) weitere französische Muttersprachler: in‐ nen. Sie unterscheidet zwischen kindgerichteter und nicht-kindgerichteter Sprache anhand von Sprachdaten von vier Teilnehmer: innen. Jansen (2015: 147) findet heraus, dass sowohl die an Erwachsene als auch die kindgerichtete Sprache ähnliche Frequenzen zwischen Strukturen mit Dislokationen und solchen ohne Dislokationen aufweisen: Französische Muttersprachler: innen verwenden durchschnittlich 20% Dislokationen. Ein ähnliches Er‐ 258 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="259"?> gebnis hat die Studie von De Cat (2002) erbracht. Die folgende Abbildung 12 illustriert die Verwendung von Links- und Rechtsdislokationen durch Muttersprachler: innen des Französischen. Wie in der Studie von Ashby (1982) beobachtet Jansen (2015) eine viel häufigere Verwendung von Linksdislokationen, unabhängig davon, ob die Sprache an Erwachsene (76%) oder an Kinder (70%) gerichtet ist. 69 (75,82%) 331 (71,34%) 22 (24,18%) 133 (28,66% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% an Erwachsene gerichtete Sprache kindgerichtete Sprache relative Häufigkeit Rechtsdislokation Linksdislokation Abbildung 12. Häufigkeit von Links- und Rechstdislokationen im adulten Französischen (adaptiert von Jansen 2015: 151) Aus diesen empirischen Studien zum gesprochenen Französisch kann also gefolgert werden, dass Dislokationen 20% aller Deklarativsätzen entsprechen und, wenn Disloka‐ tionen verwendet werden, die versetzten Elemente am häufigsten am linken Satzrand auftreten. 8.3.2 Studien mit monolingual französischen Kindern Den Beobachtungen im vorherigen Kapitel folgend, könnte für den Erstspracherwerb die Hypothese aufgestellt werden, dass französisch monolingual aufwachsende Kinder überwiegend die Wortstellung SV(O) nutzen. Darüber hinaus könnte vermutet werden, dass sie vor allem Linksdislokationen produzieren, wenn sie Elemente in andere Positionen eines Satzes platzieren möchten. Déprez und Pierce (1993) untersuchen Spontandaten von vier französisch monolingual aufwachsenden Kindern. Der gesamte Untersuchungszeitraum ist zwischen 1; 8 und 2; 3. Die Autorinnen beobachten eine sehr hohe Anzahl an postverbalen Subjekten, die aus lexikalischen Nominalphrasen bestehen, wie die folgenden Beispiele aus Déprez und Pierce (1993: 42) in (15) und (16) zeigen: (15) a. Travaille papa (Philippe, 2; 2,1) - - Arbeitet Papa - - - Papa arbeitet - - b. Veut encore Adrien du pain (Grégoire, 2; 1,3) 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 259 <?page no="260"?> Will noch Adrian ART Brot - - Adrian will noch Brot - - c. Lit maman (Nathalie, 2; 0,1) - - Liest Mama - - - Mama liest - - (16) a. Assis la poupée (Nathalie, 2; 2,1) - - Gesessen die Puppe - - b. Dormir là Michel (Philippe, 2; 2,1) - - Schlafen da Michel - - c. Plus jouer tracteur bébé (Daniel, 1; 8,1) - - Mehr spielen Traktor Baby - Postverbale Subjekte mit lexikalischen Elementen treten mit einer Häufigkeit von 65% bis 85% auf. Darüber hinaus zeigen die Beispiele 15 und 16, dass diese besonderen Konstruktionen sowohl mit finiten (15) als mit nicht-finiten (16) Verbformen auftreten und sowohl mit transitiven als auch mit intransitiven Verben verwendet werden. Solche kindlichen Strukturen werden in einem Alter beobachtet, in dem präverbale (lexikalische aber auch pronominale) Subjekte (17a-c) und Linksdislokationen (17d) auftauchen. (17) a. Je suis là (Grégoire, 2-; 3,0) - - Ich bin da - - b. Il veut un bruit (Daniel, 1-; 11,1) - - Er will ein Geräusch - - c. On marche à l’école (Philippe, 2-; 1,3) - - Man geht in die Schule - - d. Elle la voit l’auto (Nathalie, 2-; 2,2) - - Sie es sieht, das Auto - - - Sie sieht das Auto - Jansen (2015) erweitert die Analyse von Déprez und Pierce (1993) um drei weitere Lon‐ gitudinalstudien aus der CHILDES-Datenbank und untersucht ebenfalls die Sprachda‐ ten von fünf bilingual deutsch-französischen Kindern (vgl. Kap. 8.3.3.). Sie analysiert die spontanen Sprachdaten von Léonard, Madeleine und Philippe zwischen 1; 4 und 4; 10 und stellt fest, dass postverbale Subjekte mit einem lexikalischen Element wie in (15) und (16) ebenfalls bei diesen drei monolingualen Kindern zu beobachten sind und diese spätestens im Alter von 2; 3 verschwinden. Postverbale Subjekte machen durchschnittlich 38% der gesamten Produktionen mit finiten Verben aus (s. Tabelle 7.1. in Jansen 2015: 264). Das ist deutlich weniger als Déprez und Pierce (1993) berichten, die sowohl finite als auch nicht-finite Verbformen für die Berechnung in Betracht gezogen haben. Darüber hinaus verzeichnet Jansen (2015: 264) SV(O)-Strukturen in Höhe von 62%, in denen das Subjekt als lexikalisches Element realisiert wurde. Beispielhaft möchten wir die Abbildung von Madeleine aus Jansen (2015: 241) zeigen. Abbildung 13 stellt die unterschiedlichen Subjekttypen im Zeitraum 1; 6,4-4; 10,3 dar. 260 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="261"?> Abbildung 13. Art der Subjektrealisierung bei Madeleine (aus Jansen 2015: 241) Abbildung 13 zeigt, dass die meisten finiten Verben in Begleitung eines klitischen Pronomens (lila, s. Beispiel 9b) aufgetreten sind, gefolgt von den Fällen, in denen das Subjekt gedoppelt wurde (violett, s. Beispiele 10). In einer früheren Phase, nämlich zwischen 1; 6 und 1; 11, treten bei Madeleine vermehrt postverbale Subjekte ohne Präsenz eines resumptiven Pronomens in der Subjektposition auf (ähnlich zu den Beispielen oben in 15). Schließlich erkennen wir eine sehr hohe Anzahl ausgelassener Subjekte, die besonders zwischen 1; 6 und 2; 9 auffallen. Ab 2; 10 sinken diese Produk‐ tionen unter die 5%-Grenze. Schneegans (2022) analysiert die Daten von drei weiteren monolingual französischsprachigen Kindern aus der CHILDES-Datenbank, nämlich Théophile, Grégoire und Max. Sie beobachtet, dass die Kinder ebenfalls in den früheren MLU-Phasen (1,5-1,99) postverbale Subjekte realisieren. Aus den Daten geht jedoch hervor, dass nicht alle Kinder hohe Raten an postverbalen Subjekten in dieser früheren Phase aufweisen. Während Grégoire 60% postverbale Subjekte produziert, sind es bei Théophile und Max 20% (Schneegans 2022: 41). Betrachtet man die Form dieser postverbalen Subjekte genauer, wird klar, dass sowohl lexikalische DPn als auch starke 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 261 <?page no="262"?> 8 Schneegans (2022) untersucht zwei monolingual englischsprachige Kinder aus CHILDES und beobachtet, dass sie in ihrer ersten MLU-Phase (zwischen 1,5 und 1,99) 11% postverbale Subjekte produzieren (vgl. Schneegans 2022: 43 beispielhaft für das monolingual englischsprachige Kind Nina). Diese Konstruktionen sind in der erwachsenen Sprache ungrammatisch. In der nächsten MLU-Phase (2,0-2,49) sinkt der Prozentsatz postverbaler Subjekte auf 2%. Pronomina in dieser Position zu finden sind. Nur die Kinder, die diese produktiv verwenden, realisieren postverbale Subjekte. 8 Zusammenfassend kann man festhalten, dass monolingual aufwachsende Kinder sowohl zielsprachliche als auch nicht-zielsprachliche Strukturen bezüglich des Zusam‐ menspiels zwischen dem finiten Verb und seinem Subjekt produzieren. Monolinguale Kinder sind in der Lage, SV(O)-Strukturen bereits in früheren Phasen zu produzieren, die sowohl klitische als auch lexikalische Subjekte beinhalten. Darüber hinaus beob‐ achten wir Dislokationen, die nach De Cat (2002) den pragmatischen Bedingungen der Erwachsenensprache folgen. Ferner sind weitere Strukturen beobachtet worden, die in der kindlichen Sprache charakteristisch sind: postverbale, lexikalische (nicht-klitische) Subjekte ohne ein resumptives Pronomen in präverbaler Position (s. Beispiele 15) und finite Verben ohne ein Subjekt, wie die kindlichen Produktionen in (18) aus Déprez und Pierce (1993: 45) beispielhaft zeigen: (18) a. Tombe (Nathalie, 2; 2,2) - - Fällt - - b. Fait la vaiselle (Daniel, 1; 11,1) - - Macht den Abwasch - - c. Est passé dans la rue (Grégoire, 1; 11,3) - - Ist vorbeigegangen auf der Straße - Wie werden diese abweichenden Produktionen in der kindlichen Sprache aus einer theoretischen Perspektive erklärt? Déprez und Pierce (1993) aber auch Friedemann (1993/ 1994) vertreten den Subject-Raising Failure Approach. Dieser Ansatz behauptet, dass monolingual französische Kinder nicht in der Lage sind, das externe Argument (in der Syntax als Subjekt realisiert) aus der Spezifikatorposition der VP in die SpecTP zu bewegen, was als die VP Internal Subject Hypothesis gekennzeichnet wurde, wie die Abbildung 14 zeigt (vgl. Gabriel et al. 2018). Grund für die Bewegung des externen Arguments in die SpecTP ist, dass es in dieser Position Nominativkasus erhält. 262 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="263"?> Abbildung 14. Struktur eines französischen Satzes nach der VP Internal Subject Hypothesis Aus der Möglichkeit, das Subjekt nicht nach SpecTP zu bewegen, entstehen in der kindlichen Sprache Konstruktionen mit postverbalen, nicht-klitischen Subjekten wie mangeait Jean la pomme. Laut Déprez und Pierce (1993) dürfen externe Argumente ebenfalls in der VP-internen Position (SpecVP) Nominativkasus erhalten. Darüber hinaus wird angenommen, dass der SpecVP in der kindlichen Grammatik sowohl links als auch rechts von V’ generiert werden kann. Evidenz für diese Annahme geben die aufgeführten Beispiele in 16, die aus einer nicht-finiten Form eines lexikalischen Verbs und einem postverbalen Subjekt bestehen (16a: Assis la poupée, 16b: Dormir là Michel). In dieser Hinsicht sollten die folgenden Wortstellungen möglich sein: veut du pain Adrian und veut Adrian du pain. Ferdinand (1993: 56 f.) kritisiert den Ansatz von Déprez und Pierce (1993) dahinge‐ hend, dass die Abfolge veut Adrian du pain in den Kinderdaten sehr selten oder gar nicht vorkommt. Darüber hinaus bleibt bei diesem Ansatz unklar, welcher Prozess die kindliche Grammatik verändert, um das Subjekt systematisch und obligatorisch nach SpecTP zu bewegen. Anhand der Sprachdaten von Philippe, einem monolingual französischsprachigen Kind, zeigt Ferdinand (1993: 57), dass die Subjektanhebung mit dem Ergebnis präverbaler Subjekte im Erwerbsverlauf nicht abrupt stattfindet. Nach Déprez und Pierce (1993) sollte ferner ein Zusammenhang zwischen Finitheit (d. h. Verbbewegung nach T) und postverbalen Subjekten geben, da sie in SpecVP in der kindlichen Grammatik verbleiben (dürfen). Ferdinand (1993) findet jedoch keine Korrelation zwischen Finitheit und Position des Subjekts in den kindlichen Daten, wie die folgende Tabelle 4 aus Ferdinand (1993: 57) zeigt: Während Nathalie und Daniel höhere Prozentsätze von postverbalen Subjekten mit nicht-finiten Verben realisieren, sind postverbale Subjekte bei Philippe sehr häufig, unabhängig von der Finitheit des Verbs. 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 263 <?page no="264"?> Präverbal Postverbal Nathalie -finit +finit 17% 33% 83% 67% Philippe -finit +finit 21% 20% 79% 80% Daniel -finit +finit 30% 57% 70% 43% Tabelle 4. Finitheit und Position des Subjekts bei drei französisch monolingual aufwachsenden Kindern (adaptiert von Ferdinand 1993: 57) Eine andere Erklärung für das Auftreten postverbaler Subjekte in der kindlichen Sprache liefern De Cat (2002), Ferdinand (1993, 1996) und Labelle und Valois (1996). Sie vermuten, dass Konstruktionen wie in Beispielen (15) und (16) am besten als Rechts‐ dislokationen mit einer Auslassung eines resumptiven Pronomens in der präverbalen Position zu erklären sind. Evidenz für diese Annahme sieht beispielsweise Ferdinand (1996: 219 ff.) in drei Bereichen. Erstens stellt die Autorin fest, dass monolingual französischsprachige Kinder bis zirka 2; 0 einen hohen Prozentsatz finiter Verben gefolgt von Subjekten produzieren. Diese Konstruktionen werden ab dem zweiten Lebensjahr mit einem klitischen Subjekt vor dem finiten Verb ergänzt (Ferdinand 1996: 230 f.). Zweitens treten postverbale Subjekte am äußersten Satzrand auf, also stehen noch hinter PP-Argumenten wie die folgenden Beispiele in 19 aus Ferdinand (1996: 233) zeigen. (19) a. va à fac papa (Grégoire 1-; 9,28) - - geht zur uni papa - - - Papa geht zur Uni - - b. va dans le camion philippe (Philippe 2-; 1,26) - - geht zum LKW philippe - - - Philippe geht zum LKW - Drittens sind postverbale Subjekte immer mit einer definiten Interpretation verbunden, was in der Erwachsenensprache zu erwarten ist. Diese Feststellung ist besonders relevant, da rechts-dislozierte NPn im erwachsenensprachlichen Französisch nicht indefinit/ spezifisch (20a), jedoch indefinit und nicht-spezifisch (20b) sein dürfen. (20) a. *il attend devant la porte, un garçon - - - er wartet vor der Tür, ein Junge Lambrecht (1981) - b. ça a des dents, certains reptiles - - - das hat ART Zähne, bestimmte Reptilien Ferdinand (1993: 58) Ferdinand (1993: 62) findet keine Evidenz für indefinite postverbale Subjekte ohne ein resumptives Klitikon wie *roule une voiture ‚fährt ein Auto‘ in den Kinderdaten. 264 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="265"?> Wir erinnern uns anhand der Beispiele in 18 und Abbildung 13, dass monolingual französischsprachige Kinder Subjekte oft auslassen. Ferdinand (1993: 59) bestätigt diese Beobachtung mit Hilfe des von ihr analysierten Korpus und schließt daraus, dass Subjektklitika in der kindlichen Grammatik optional sind, auch wenn das NP-Subjekt postverbal realisiert wird, wie die Beispiele in 15 gezeigt haben. Die Autorin zeigt ferner, dass postverbale Subjekte oft durch ein Subjektklitikon wiederaufgenommen werden und dass die meisten postverbalen Subjekte ab einem Alter von 2; 6 mit einem gedoppelten Subjektklitikon verwendet werden. Im folgenden Unterkapitel werden wir die Ergebnisse empirischer Studien vorstel‐ len, die den Erwerb der französischen Subjekte im bilingualen Erstspracherwerb untersucht haben. Wie wir sehen werden, scheinen bilinguale Kinder, die Französisch zusammen mit einer anderen Sprache simultan erwerben, die Phase der postverbalen Subjekte im Französischen zu überspringen. Somit sind sie beim Erwerb der Produktion und Position der französischen Subjekte im Vergleich zu den monolingual französi‐ schen Kindern beschleunigt. 8.3.3 Studien mit bilingualen Kindern In ihrer Doktorarbeit untersucht Jansen (2015) die spontanen Sprachdaten von fünf deutsch-französischsprachigen bilingualen Kindern. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich zwischen 1; 4 und 5; 4. Für das Französische wurden 42.932 kindliche Produktionen (Basis) herangezogen. Daraus hat Jansen (2015: 136) zirka 18.000 (42%) finite Sätze analysiert. Anhand der berechneten MLU-Werte der jeweiligen französi‐ schen Sprachaufnahmen der bilingualen Kinder unterteilt Jansen (2015) die kindlichen Produktionen in MLU-Phasen. Besonders relevant ist hier die Möglichkeit beobachten zu können, inwiefern postverbale, nicht-klitische Subjekte bei den bilingualen Kindern auftreten. Das zeigt die folgende Abbildung 15 aus Jansen (2015: 255), in der die bilingualen Kinder mit durchgezogenen Linien gekennzeichnet sind. Die von Jansen analysierten monolingualen Daten (vgl. Kap. 8.3.2) werden als Vergleich ebenfalls in der Abbildung als gepunktete Linien dargestellt. 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 265 <?page no="266"?> 0 5 10 15 20 25 1,0 - 1,49 1,5 - 1,99 2,0 - 2,49 2,5 - 2,99 3,0 - 3,49 3,5 - 3,99 4,0 - 4,49 4,5 - 4,99 5,0 - 5,45 5,5 - 5,99 6,0 - 6,49 6,5 - 6,99 7,0 - 7,49 relative Häufigkeit postverbaler Subjekte, in % MLU-Phase Al_df Am_df Ce_df Em_df Ma_df Léonard (L1) Madeleine (L1) Philippe (L1) Abbildung 15. Postverbale Subjekte im MLU-Vergleich: monolinguale und bilinguale Kinder (aus Jansen 2015: 255) Abbildung 15 zeigt deutlich, dass die Rate der postverbalen Subjekte bei den fünf bilingualen Kindern unter der Produktion der monolingual französischen Kinder liegt und nie den 5%-Wert überschreitet. In dieser Hinsicht wird ein Vorteil bei den bilingualen Kindern erkennbar, nämlich dass sie die postverbale Phase, die wir bei den monolingual französischen Kindern beobachtet haben, komplett überspringen. Bei den bilingualen Kindern ist der Erwerb also beschleunigt. Wenn der Ansatz von Ferdinand (1993) auch für die bilingualen Spracherwerbsdaten anwendbar ist, würden wir vermuten, dass bilinguale Kinder ebenfalls postverbale Subjekte oft ohne eine Doppelung eines Subjektklitikons produzieren. Erinnern wir uns, dass diese Hypothese Folgendes behauptet: (monolinguale) Kinder produzieren postverbale Subjekte, da diese Strukturen im Grunde rechtsdislozierte Subjekte bein‐ halten, bei denen ein resumptives Pronomen in der präverbalen Position fehlt. In dieser Phase, in der postverbale Subjekte auftreten, werden ebenfalls in der analysierten kindlichen Grammatik Subjektklitika häufig ausgelassen, was den Erklärungsansatz der Verfasserin unterstützt. Für die Sprachdaten der in Jansen (2015) untersuchten bilingualen Kinder wurde ebenfalls untersucht, in wie weit Nullsubjekte in diesen früheren MLU-Phasen vorkommen. Die nächste Abbildung 16 zeigt die Häufigkeit der Nullsubjekte bei den bilingualen Kindern nach den MLU-Phasen. Zum Vergleich werden ebenfalls die monolingualen französischen Kinder dargestellt. 266 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="267"?> 0 20 40 60 80 100 1,0 - 1,49 1,5 - 1,99 2,0 - 2,49 2,5 - 2,99 3,0 - 3,49 3,5 - 3,99 4,0 - 4,49 4,5 - 4,99 5,0 - 5,45 5,5 - 5,99 6,0 - 6,49 6,5 - 6,99 7,0 - 7,49 relative Häufigkeit von Nullsubjekten, in % MLU-Phase Al_df Am_df Ce_df Em_df Ma_df Léonard (L1) Madeleine (L1) Philippe (L1) Abbildung 16. Nullsubjekte im MLU-Vergleich: monolinguale und bilinguale Kinder (aus Jansen 2015: 258) Die monolingualen Kinder (gepunktete Linien) zeigen bis zu einer MLU-Phase von 3,5-3,99 über 10% Subjektauslassungen im Französischen. Für die bilingualen Kinder (durchgestrichene Linien) erkennen wir ebenfalls hohe Auslassraten, die zwischen 20% und 30% liegen. Diese Auslassraten kann man bis zu einem MLU von 3,49 beobachten. Aus dieser Abbildung geht also hervor, dass bilinguale Kinder ebenfalls hohe Auslas‐ sungsraten bei den französischen Subjekten aufweisen, die jedoch tendenziell unter den Prozentzahlen der monolingualen Kinder liegen. Subjektauslassungen nehmen außerdem eine MLU-Phase früher ab als bei den monolingualen Kindern. De Cat (2002), Déprez und Pierce (1993: 45) und Jansen (2015: 250) sind sich jedoch einig in der Annahme, dass, wenn monolinguale und bilinguale Kinder präverbale Subjekte realisieren, diese pragmatisch angemessen sind. Arnaus Gil und Müller (2018, 2019) haben eine Querschnittstudie mit mehrspra‐ chigen Kindern durchgeführt, die das Französische zusammen mit einer (N=19), zwei (N=38) oder drei (N= 6) Sprachen im (früh)kindlichen Alter erwerben. Das Durchschnittsalter dieser Gruppe ist 4; 9, was höher liegt als dasjenige der Kinder in den vorherigen Studien. Ein Vergleich mit den bereits aufgeführten monolingualen und bilingualen Kindern ist jedoch möglich, da viele der mehrsprachigen Kinder eine niedrige Kompetenz im Französischen aufweisen, die anhand eines rezeptiven, standardisierten Wortschatztests gemessen wurde (Peabody Picture Vocabulary Test, Dunn et al. 1993) (vgl. Abbildung 17). 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 267 <?page no="268"?> 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 high average low Anzahl an Kinder (in %) Peabody-Ergebnis bilingual trilingual / multilingual 6 4 8 19 5 19 Abbildung 17. Kompetenz im Französischen der mehrsprachigen Kinder nach Anzahl der Mutterspra‐ chen (adaptiert von Arnaus Gil und Müller 2018: 21) Ziel dieser Studie war es, SV-Strukturen im Französischen zu elizitieren. Mithilfe von Bildern, die intransitive Handlungen darstellten, sollten die Kinder diese beschreiben. Die ausgewählten Testitems sind in (21) aus Arnaus Gil aus Müller (2018: 15) aufgeführt und Abbildung 18 zeigt das zu beschreibende Bild für (21b). (21) a. clown - pleurer c. fille - sauter - b. garçon - dormir d. papi - rire Abbildung 18. Testitem garçon - dormir (aus Arnaus Gil und Müller 2018: 16) 268 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="269"?> Bevor das Spiel anfing, wurden den Kindern die vier Charaktere mit jeweils einer Karte vorgestellt, um sicher zu gehen, dass sie die verwendeten Wörter kennen. Sobald der Erwachsene dem Kind das Kärtchen mit dem Testitem gezeigt hat, wurde die folgende Frage formuliert: Dans cette image, qu’est-ce qui se passe? ‚Was passiert auf diesem Bild? ‘ Mit dieser Frage haben die Autorinnen versucht, SV-Strukturen zu elizitieren. Die vom Erwachsenen formulierte Frage lässt das Subjekt uneingeführt, daher wäre zu erwarten, dass die korrekte Antwort auf das Bild in Abbildung 19 wäre Un garçon dort ‚ein Junge schläft‘. Eine Antwort auf die formulierte Frage, die eine Rechtssdislokation beinhaltet, wie beispielsweise il dort, un garçon ‚er schläft, ein Junge‘ wäre ungrammatisch. Abbildung 20 zeigt die Ergebnisse bzgl. der von den mehrsprachigen Kindern verwendeten Strukturen. Beispiele für die jeweiligen Strukturen in Abbildung 19 werden unter (22) bis (26) aufgeführt. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 subject + Vfin Vfin + subject V fin with null subject no finite verb mixed utterance Prozentsatz des Subjekttyps Art der Antwort bilingual trilingual/ multilingual Abbildung 19. Subjektposition nach Anzahl der L1n (adaptiert von Arnaus Gil und Müller 2018: 20) (22) a. Elle saute (bilingual, Nadette, 3; 11) - - Sie springt - - b. La fille saute (trilingual, Manon, 5; 6) - - Das Mädchen springt - - c. Il pleure le clown (trilingual, Emma 3; 9) - - Er weint der Clown - 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 269 <?page no="270"?> d. Le garçon il dort (bilingual, Louisa 5; 5) - - Der Junge er schläft - - e. Le garçon qui dort (bilingual, Simon, 5; 3) - - Der Junge derREL schläft - - f. Un garçon qui dort (bilingual, Delia, 5; 7) - - Ein Junge derREL schläft - - (23) - Fait, fille (trilingual, Marla 2; 4) - - Macht Mädchen - (24) - Rit (bilingual, Luca, 4; 5) - - Lacht - (25) - Rire (bilingual, Sophie-Alixane 5; 9) - - Lachen - (26) - Schlafen (trilingual, Ava, 2; 7) Aus der Abbildung 20 wird deutlich, dass sowohl bilinguale als auch tri- und multilingu‐ ale Kinder überwiegend die pränominale Position französischer Subjekte bevorzugen. Postverbale Subjekte (Kategorie ‚Vfin + Subjekt‘) sind nur residual bei der tri- und multilingualen Gruppe zu beobachten. Subjektauslassungen (der Kategorie ‚V fin mit Nullsubjekt‘) befinden sich unter der 10%-Grenze. Mit anderen Worten zeigen Arnaus und Müller (2018), dass mehrsprachige Kinder die Phase der postverbalen Subjekte überspringen, unabhängig von der Anzahl an Muttersprachen, die sie zusammen mit dem Französischen erwerben, und von der Kompetenz im Französischen, die anhand des Peabody Picture Vocabulary Test (Dunn, Thériault-Whalen und Dunn 1993) gemessen wurde. Darüber hinaus zeigt diese Studie, dass dies auch unabhängig von der Sprachkombination erfolgt (vgl. Arnaus Gil und Müller 2018: 20). Mehrsprachige Kinder erwerben die zielsprachliche, präverbale Platzierung der französischen Subjekte akzeleriert im Vergleich zu monolingual französischen Kindern. Diese Studie bestätigt die Ergebnisse aus der Longitudinalstudie von Jansen (2015) über das Fehlen postver‐ baler Subjekte im bilingualen Kind. Erinnern wir uns aus vorherigem Abschnitt 8.3.1 an den Zusammenhang zwischen Dislokationen und Definitheit. Konkret haben wir gesehen, dass dislozierte Elemente, die aus einer DP bestehen, lediglich definit sein dürfen (wobei eine DP mit indefinitem Artikel möglich wäre, wenn diese eine generische Lesart hat, wie das Beispiel 12a gezeigt hat). Die Daten der Elizitationsstudie von Arnaus Gil und Müller (2018) wurden ferner bzgl. des Erwerbs der Definitheit in Arnaus Gil et al. (2021b) analysiert. Die vom/ von der Interaktionspartner: in gestellte Frage im Rahmen des Elizitationstests war so beschaffen, dass eine indefinite DP gefolgt von einem flektierten Verb als zielsprachliche Antwort (Un garçon dort) erwartet war. Die Studie konnte das Ergebnis herausarbeiten, dass Definitheit bis zu einem Alter von fünf Jahren noch nicht vollständig erworben ist. Die Anzahl der erworbenen L1n sowie das zunehmende Alter wirken sich positiv auf den Erwerb von Definitheit im mehrsprachigen Kind aus. In dieser Hinsicht scheint der Ansatz von De Cat (2002) und Ferdinand (1993) mit den Ergebnissen von Arnaus Gil, Stahnke und Müller (2021) zum Erwerb von Definitheit 270 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="271"?> nicht vereinbar zu sein: Wenn postverbale Subjekte im frühkindlichen Erwerb des Französischen als Rechts- oder Linksdislokationen ohne ein resumptives Pronomen zu analysieren sind, sollten Kinder ebenfalls in der Lage sein, kontextbedingt Definitheit zielsprachlich zu markieren. Die Studie von Arnaus Gil, Stahnke und Müller (2021) zeigt, dass dies im 5. Lebensjahr noch nicht der Fall ist. Betrachten wir die Ergebnisse aus Abbildung 20 in Bezug auf Subjektauslassungen. Auslassungen mit einem finiten Verb belaufen sich auf 6,6% bei den bilingualen und auf 8,3% bei den tri- und multilingualen Kindern. Diese Prozentzahlen sind wesentlich geringer als die bei den monolingual französischsprachigen Kindern von Déprez und Pierce (1993) und Jansen (2015). Bezüglich der Sprachdaten der mehrsprachigen Kinder fällt der Prozentsatz der Subjektauslassungen der bilingualen Longitudinalstudie von Jansen (2015) und der Querschnittstudie eher gering aus. Dies ist sowohl beim MLU-Vergleich in Jansen (2015, vgl. Abbildung 17) als auch beim Altersvergleich in der Querschnittstudie (vgl. Arnaus Gil, Stahnke und Müller 2021: 23) der Fall. Nach der Darstellung von Jansens (2015) Studie wurde der Ansatz von De Cat (2002), Ferdinand (1993, 1996) und Labelle und Valois (1996) wieder aufgegriffen und in Frage gestellt. Der Grund dafür beruhte auf der Beobachtung, dass bilinguale Kinder die Phase postverbaler Subjekte im monolingualen Erwerb des Französischen überspringen, jedoch Subjektauslassungen, wie bei den monolingualen Kindern, weiterhin zu finden sind, wobei diese im bilingualen Erwerb früher verschwinden. Wenn postverbale Subjekte als rechtsdislozierte Elemente ohne ein resumptives Pronomen zu analysieren sind, muss man erklären, warum die Kinder in der gleichen Erwerbsphase ebenfalls Sätze mit einem realisierten Subjekt produzieren. An dieser Stelle möchten wir kurz den von Arnaus Gil und Müller (2018) vorgeschlagenen Ansatz vorstellen. Die Autorinnen vermuten, dass die unterschiedlichen Realisierungsmöglichkeiten der französischen Subjekte als prä- oder postverbale Elemente sowie ihre Auslassung ursächlich mit der Sättigung des EPP-Merkmals (Extended Projection Principle) zusammenhängen. Das EPP-Merkmal ist im Kopf der TP angesiedelt und bewirkt, dass alle finiten Sätze ein Subjekt enthalten. Es handelt sich um ein nicht-interpretierbares Merkmal, das keinen semantischen Gehalt aufweist und allein formellen Charakter hat (vgl. Gabriel et al. 2018: 108). Dieses Merkmal entspricht den phi-Merkmalen in T und muss im Laufe der syntaktischen Derivation getilgt bzw. gelöscht werden. Die Sättigung des EPP-Merkmals kann im Französischen entweder durch ein in SpecTP bewegtes lexikalisches Subjekt (27a) oder durch das Einsetzen eines klitischen Subjektpronomens in diese Position (27b) erfolgen. (27) a. La fille écoute la radio - - Das Mädchen hört das Radio - b. Elle écoute la radio - - Sie hört das Radio 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 271 <?page no="272"?> Das EPP-Merkmal muss gesättigt werden. Wie das erfolgt, also entweder durch eine DP oder durch ein Subjektpronomen, wie im Französischen, ist für die Syntax unerheblich. Die Idee hinter dieser Beobachtung beruht auf der Arbeit von Biberauer und Richards (2006: 37), die zeigen, dass das Afrikaans Nebensätze erlaubt, in denen das finite Verb entweder dem Subjekt direkt folgt, wie im Hauptsatz, oder am Ende des Satzes auftritt. Dabei beobachten die Autor: innen, dass diese Variation in der Ver‐ bstellung eines Nebensatzes nicht mit einer Änderung der semantischen Interpretation verbunden ist. Im Deutschen wäre so eine Beobachtung in weil-Sätzen möglich, wie Arnaus Gil et al. (2019: 122) mit den Beispielen in (28) zeigen: (28) a. Ich freue mich weil sie oft Chopin gespielt hat - b. Ich freue mich weil sie hat oft Chopin gespielt Kommen wir nochmal auf das EPP-Merkmal zurück. Die romanischen Nullsubjekt‐ sprachen (hier Italienisch und Spanisch, vgl. Kap. 7.4) verfügen über eine weitere Möglichkeit, dieses Merkmal zu sättigen, nämlich mit Hilfe des des finiten Verbs. Das finite Verb ist morphologisch „stark“, weil grammatische Informationen zu Person und Numerus über die morphologischen Informationen des Verbs ablesbar sind. In diesen Sprachen wird in der SpecTP ein pro eingeführt, das die Tilgung des EPP-Merkmals in T ermöglicht. Dieses pro wird durch die starke Verbalmorphologie lizenziert. Im Fran‐ zösischen steht diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Die Nullsubjektsprachen sind dagegen nicht mit Subjektklitika ausgestattet. Abbildung 21a zeigt einen französischen Satz mit DP-Subjekt, eine syntaktische Derivation, die in beiden Sprachtypen möglich ist. Abbildung 21b illustriert einen spanischen Satz mit Nullsubjekt. Abbildung 20a. La fille écoute la radio - Abbildung 20b. Escucha la radio 272 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="273"?> 9 Dieses Element wäre in dieser Position lizenziert, jedoch bleibt offen, wie es identifiziert werden kann. In der Zukunft sollen Studien diese Idee weiterverfolgen. Anhand dieser sprachspezifischen Möglichkeiten, das EPP-Merkmal zu sättigen, wird deutlich, dass es wichtig ist, das EPP-Merkmal zu löschen und dass das Französische lediglich über die Möglichkeit verfügt, das über eine DP oder über ein Subjektklitikon in der SpecTP zu tun. Die empirischen Studien zum Subjekterwerb bei monolingual französischsprachigen Kindern haben gezeigt, dass sie Konstruktionen verwenden, die im erwachsenen‐ sprachlichen Französisch nicht zu finden sind. Es handelt sich vor allem um Subjektaus‐ lassungen und postverbale Subjekte mit finiten und nicht-finiten Verben. Wir haben ebenfalls feststellen können, dass mehrsprachige Kinder die Phase der postverbalen Subjekte überspringen, allerdings weisen sie Subjektauslassungen auf, wenngleich in geringerem Maße als monolinguale Kinder. Wie könnten wir diese Konstruktionen erklären und, vor allem, dass Kinder, die Französisch zusammen mit einer weiteren L1 erwerben, kaum postverbale Subjekte haben? Wir konnten im Kapitel 8.3.2 feststellen, dass der Ansatz zur Optionalität der Subjektbewegung in der kindlichen Grammatik von Déprez und Pierce (1993) von Ferdinand (1993) stark kritisiert wurde. Ferner haben wir gezeigt, dass die Erklärung von Ferdinand (1993) und De Cat (2002) die postverbalen Subjekte als Rechtsdislokationen mit den Ergebnissen von Arnaus Gil et al. (2021b) über Definitheit nicht vereinbar sind. Anhand des theoretischen Ansatzes von Biberauer und Richards (2006) wäre es möglich anzunehmen, dass französischsprachige Kinder weitere Wege über das erwachsene Französisch hinaus zur Tilgung des EPP-Merkmals ausschöpfen. Auf diese Weise könnte man behaupten, dass sie die SpecTP mit einem pro versehen, welches die Sättigung des EPP-Merkmals übernimmt. 9 Dass die mehr‐ sprachigen Kinder weniger Subjekte als die monolingualen Kinder in der gleichen Erwerbsphase auslassen, könnte mit dem simultanen Erwerb (einer oder mehrerer) weiterer Sprache(n) zusammenhängen. Die Sättigung des EPP-Merkmals könnte häu‐ figer anhand eines realisierten klitischen Pronomens oder einer lexikalischen DP erfolgen, da diese diejenige Option ist, die in allen ihren Sprachen zur Verfügung steht. Es bleibt zu erklären, wie die Subjektauslassungen bei den mehrsprachigen Kindern anhand dieses Ansatzes zu interpretieren sind. Wir erinnern uns an Abbildung 16 in Jansen (2015: 258), die zeigt, dass bilinguale deutsch-französische Kinder wesentlich weniger Subjektauslassungen aufweisen als die monolingual französischen Kinder. In Arnaus Gil und Müller (2018) hatten wir gese‐ hen, dass diese Subjektauslassungen unter der 10%-Grenze der gesamten Produktionen liegen. An der Querschnittstudie von Arnaus Gil und Müller (2018) nahmen bilinguale Kinder teil, die entweder Französisch zusammen mit Deutsch oder zusammen mit Spanisch simultan erwerben. Abbildung 21 zeigt die Vielfalt an kindlichen Antworten für die Bildbeschreibung je nach Sprachkombination. 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 273 <?page no="274"?> 96,67 62,5 85,71 100 40 9,09 100 3,33 37,5 14,29 60 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 UN/ UNE N qui IL/ ELLE/ I/ [ɛ] Vfin nicht-finites Verb Dislokation (links) Vfin nacktes N DP LE N qui Prozentsatz Art der Antwort frz-dt (n= 15) fr-sp (n= 4) Abbildung 21. Antwortmöglichkeiten der bilingualen Kinder auf den Test zu postverbalen Subjekten im Französischen je nach Sprachkombination (adaptiert von Arnaus & Müller 2018: 18) Wir möchten uns die Antwort ‚Vfin‘ genauer anschauen, da diese der Antwort entspricht, in der Subjektauslassungen beobachtet wurden. Es wird deutlich, dass die bilingualen Kinder, die Französisch und Spanisch simultan erwerben, höhere Auslassungsraten von französischen Subjekten aufweisen als die Kinder mit Deutsch und Französisch. Die französisch-spanischsprachigen Kinder scheinen die Sättigung des EPP-Merkmals anhand des finiten Verbs häufiger als die deutsch-französischspra‐ chigen Kinder zu nutzen, wobei der Unterschied zwischen beiden Gruppen nicht sehr groß ist. Er könnte darin liegen, dass das Spanische, die weitere L1 dieser bilingualen Kinder, über die Möglichkeit verfügt, das EPP-Merkmal lediglich mit der Anhebung des lexikalischen Verbs nach T zu sättigen (vgl. 21b) - sie wird sogar öfter als die Möglichkeit über das phonetisch realisierte Element in SpecTP verwendet (vgl. auch Kap. 7.4). Eine weitere Studie zu Subjektauslassungen im Französischen bei mehrspra‐ chigen Kindern ist die Longitudinalstudie von Scalise et al. (2021), in der Daten eines trilingual Französisch-Spanisch-Italienisch aufwachsenden Kindes analysiert wurden. Die Autorinnen haben sich die Subjektrealisierungen und -aus‐ lassungen im Französischen angeschaut und diese in Verbindung mit der Verbmorphologie gesetzt. Konkret wurden die Verben im Französischen in drei Gruppen aufgeteilt, je nachdem ob die Verben aus einer morphologischen Perspektive die Kongruenz mit dem Subjekt im gesprochenen Französisch markieren (Scalise et al. 2021: 171 f.). Die Gruppe A umfasst solche Verbtypen, die homophon in allen Personen, 274 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="275"?> 10 Die 1. Person kann im Plural über die Pronomina nous oder on ausgedrückt werden. Bei nous ist die Kongruenzmorphologie am Verb hörbar (nous dansons, [nudɑ̃sɔ̃]). Wenn man allerdings die in der gesprochenen Sprache häufigere Form on danse verwendet, ist diese homophon mit der 1. Person Singular und der 2. und 3. Person Plural ([ɔ̃dɑ̃s]). außer in der 2. Person Plural, sind, wie z. B. das Verb danser ‚tanzen‘. 10 In der Gruppe B befinden sich solche Verbtypen, die zwar in der 1. und 2. Person Singular homophon sind, jedoch eine Alternation im Stamm in der 3. Person Singular und 3. Plural aufweisen. Ein Beispiel ist das Verb boire (Ågren 2013: 3, Krumreihn 2019: 46)): il boit [ilbwa] - ils boivent [ilbwav]. Die letzte Gruppe (Gruppe C) besteht aus Verbtypen, die suppletive Formen haben, wie être, avoir, aller und faire. Warum ist diese Unterscheidung relevant? Im gesprochenen Französisch ist die Kongruenzinformation bei den Verbtypen der Gruppen B und C (teilweise) hörbar, was dem Kind wiederum grammatische Informationen für Numerus und evtl. Person liefern würde. Scalise et al. (2021) stellen beim trilingualen Kind fest, dass Subjektauslassungen im Französischen vor allem bei den Verben der Gruppen B und C zu finden sind (jeweils 38,6% und 47,4%) im Gegensatz zu den Verben der Gruppe A (Subjektauslassungen in Höhe von 14%). Diese Ergebnisse erlauben die Tilgung des EPP-Merkmals im Französischen des mehrsprachigen Kindes mit Vorsicht weiter zu verfeinern (es handelt sich lediglich um die Daten eines Kindes, das longitudinal analysiert wurde). Das mehrsprachige Kind nutzt im Französischen beide Möglichkeiten, das EPP-Merkmal zu löschen - entweder durch Anhebung des Subjektes (als DP oder Subjektklitikon, wie in 21a) nach SpecTP oder durch die Bewegung des lexikalischen Verbs nach T. Diese zweite Option, die im französischen Erwachsenensystem nicht zur Verfügung steht, scheint im kindlichen Französisch bei solchen Verben verwendet zu werden, die mit einem hörbaren Unterschied für Numerus (Gruppe B) oder für Numerus und Person (Gruppe C) ausgestattet sind. 8.3.4 Zusammenfassung In diesem Unterkapitel haben wir ein Phänomen im Französischen kennengelernt, das durch Akzelerierung im bilingualen Erstspracherwerb im Vergleich zum monolingua‐ len Erwerb des Französischen charakterisiert ist. Monolinguale Kinder durchlaufen eine längere Phase, in der Nullsubjekte und postverbale Subjekte produziert werden, beide ungrammatisch in der Erwachsenensprache. Betrachtet man den Erwerb der Sub‐ jekte im Französischen bei bilingualen Kindern, stellt man fest, dass sie die Phase der postverbalen Subjekte komplett überspringen und Nullsubjekte in geringerer Masse und während einer kürzeren Zeitspanne vorzufinden sind. Bilinguale Kinder sind daher im Vergleich zu monolingual französischsprachigen Kindern beim Subjekterwerb im Französischen akzeleriert. 8.3 Subjektauslassungen und postverbale Subjekte im Französischen 275 <?page no="276"?> 8.4 Zusammenfassung des Kapitels In diesem Kapitel haben wir drei grammatische Bereiche vorgestellt, in denen das mehr‐ sprachige Kind im Vergleich zum monolingualen einen beschleunigten Erwerbsprozess aufweist. Dabei war mal die romanische Sprache (Französisch), mal das Deutsche (Verbstellung im Hauptsatz, Determinantenrealisierung) die beschleunigte Sprache. Die Beschleunigung konnte für alle grammatischen Bereiche unabhängig von der Sprachdominanz der mehrsprachigen Kinder beobachtet werden. Mit Hilfe der Einflusskriterien sind die beschleunigten Bereiche zwar vorhersagbar, jedoch ist die Richtung des Einflusses nicht ohne zusätzliche Annahmen möglich. Auch möchten wir betonen, dass das mehrsprachige Kind im Falle der Beschleunigung nicht, wie im Falle der Verzögerung, konkrete Strukturen oder syntaktische Regularitäten der einen Sprache in der anderen mitnutzt. Dies ist schon deshalb nicht möglich, da die hier vorgestellten Bereiche in den Sprachen der mehrsprachigen Kinder unterschiedlich strukturiert sind und eine Mitnutzung von syntaktischen Strukturen aufgrund des Unterschieds der Zielsysteme nicht zu einem Vorteil führen kann. In diesem Bereich sind also weitere Forschungen nötig. 276 8 Spracheneinfluss als Beschleunigung <?page no="277"?> 9 Ausblick Mit dieser Einführung in das Thema „Mehrsprachigkeitsforschung“ haben wir die individuelle frühe und gleichzeitige Entwicklung von zwei Sprachen im Kind in den Mittelpunkt gestellt und diese aus einer theoretischen, systemlinguistischen und psycholinguistisch-spracherwerbsorientierten Perspektive untersucht. Dabei wurden auch gängige empirischen Methoden herausgearbeitet und für die Studierenden mit Aufgaben und Materialien sichtbar und nutzbar gemacht. In diesem Kapitel wollen wir zentrale Ergebnisse und offene Fragen der Kapitel 2 bis 8 noch einmal aufgreifen und miteinander in Bezug setzen, um Diskussionen und weitere Forschungsdesiderate hinsichtlich des für die bilinguale Entwicklung zentralen Konzepts von Spracheneinfluss sowie seiner Ursachen und Wirkung herauszustellen. Die in Zukunft weiter zu untersuchenden Fragen, die wir hier resümieren wollen, könnten, so hoffen wir, Anstoß für Ideen zu Promotionen, Abschlussarbeiten, aber auch - im kleineren Rahmen - für Hausarbeiten geben. In Kapitel 2 haben wir grundlegende Begriffe der generativen Spracherwerbstheorie geklärt und den theoretischen Rahmen der universalgrammatisch ausgerichteten Spracherwerbsforschung umrissen. Kapitel 3 hat die Entwicklung der Forschung mit besonderem Blick auf die empirischen Methoden in den Mittelpunkt gestellt. So haben sich die untersuchten Sprachkombinationen mit den Jahren vervielfältigt und das Englische als meist untersuchte Sprache um viele andere Sprachen - wie etwa Baskisch, Walisisch, Türkisch, Katalanisch - ergänzt. Auch das Deutsche steht im Zentrum vieler Untersuchungen zum simultanen Spracherwerb, vor allem in Kombination mit romanischen Sprachen wie Französisch, Italienisch oder Spanisch. Wünschenswert ist es, zukünftig noch mehr Sprachkombinationen zu analysieren, um z. B. prüfen zu können, ob der simultane Spracherwerb bei Kombinationen mit typologisch ähnlichen Sprachen (z. B. Spanisch-Italienisch oder Deutsch-Niederländisch) gleich verläuft wie in Kombinationen mit typologisch distanteren Sprachen (z. B. Baskisch-Spanisch, Türkisch-Deutsch und Chinesisch-Englisch). Es zeigt sich auch größere methodische Vielfalt der Bilingualismusforschung, zum einen durch die Öffnung für die Berück‐ sichtigung außersprachlicher Aspekte und zum anderen durch technischen und wis‐ senschaftlichen Fortschritt. Die aktuelle Forschung erlaubt es, Sprachdaten bilingual aufwachsender Kinder verschiedener Studien in verschiedenen Ländern mit ähnlichen Erhebungsmethoden zu vergleichen und die Sprachentwicklung durch den Einsatz von standardisierten Tests und Fragebögen besser nachzuvollziehen. Damit ergeben sich neben der qualitativen Einzelfallstudie Möglichkeiten der quantitativen Analyse. Kapitel 4 haben wir dem Begriff und der Erfassung der Sprachdominanz gewidmet. Er ist der am meisten verwendete Terminus, wenn ausgedrückt werden soll, dass sich die beiden Sprachen eines bilingualen Kindes unterschiedlich schnell entwickeln. Es gibt weiterhin keine einheitliche Definition des Begriffs, aber methodisch gesehen gibt <?page no="278"?> es zunehmend Forschungsarbeiten, die eine gesellschaftliche von einer individuellen Dimension unterscheiden und zur Feststellung der letzteren mehr als nur ein Kriterium zugrunde legen (z. B., Wortschatzgröße und MLU). Ein vieldiskutiertes Thema ist die Beziehung zwischen Sprachdominanz und Spracheneinfluss. Diesbezüglich haben wir gezeigt, dass der Spracheneinfluss nicht immer von der dominanten Sprache ausgeht und dass er von sprachinternen Faktoren zumindest mitbestimmt wird. Eine beträchtliche Anzahl bilingualer Kinder entwickelt ihre beiden Sprachen nicht gleich schnell. Ein Sprachunterschied kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und wir haben diskutiert, ob der Begriff „Dominanz“ für eine weniger stark ausgeprägte Divergenz adäquat ist. Insgesamt bedarf der Terminus der Sprachdominanz weiterhin einer klaren Definition im Rahmen künftiger Studien. In Kapitel 5 haben wir uns intensiv mit dem Konzept des Spracheneinflusses und sei‐ ner Relation zur Sprachentrennung in der bilingualen Sprachentwicklung beschäftigt und zunächst drei Positionen in der Bilinguismusforschung vorgestellt, (a) Sprachen‐ einfluss bzw. ein einziges System, weil keine Sprachentrennung, (b) Sprachentrennung, weil kein Spracheneinfluss, (c) Sprachentrennung mit Spracheneinfluss. Anstelle der Annahme der sich gegenseitig ausschließenden Relation von Sprachentrennung und Spracheneinfluss haben wir dafür argumentiert, eine Sichtweise einzunehmen, die nicht die Sprache als Ganze in den Vordergrund stellt, sondern einzelne grammatische Phänomene. Wir haben also angeregt, die Sprachentrennung und den Einfluss in grammatischen Phänomenen zu denken und nicht als ganze Sprachsysteme. Im nächsten Schritt haben wir die möglichen Manifestationen von Spracheneinfluss vorgestellt, die in der Literatur diskutiert werden: (a) Beschleunigung, (b) Verzögerung, (c) Transfer. Dabei sind die ersten beiden Manifestationen eher quantitativer Natur. Bei (a) entwickeln die bilingualen Kinder die jeweilige grammatische Eigenschaft schneller und mit weniger Fehlern als die monolingualen, bei (b) hingegen langsamer. Der Transfer wurde hingegen als die Übertragung von Strukturen aus Sprache A nach Sprache B der bilingualen Kinder definiert, mithin als eine qualitativ unterschiedliche Entwicklung. Als Herzstück des Kapitels lässt sich die Erarbeitung von Kriterien ansehen, die - in Bezug auf die zuvor erwähnte neue Sichtweise - für einzelne grammatische Bereiche eine zuverlässige Vorhersage des Auftretens und der Richtung des Spracheineinflusses erlauben. Wie dies konkret für ausgewählte Bereiche der deutschen und romanischen Grammatiken funktioniert, zeigen die Kapitel 6 bis 8. Dabei ist eine strukturierte mehrschrittige Vorgehensweise erforderlich, die wir in den folgenden Kapiteln vorstellen: Es werden jeweils zunächst die jeweiligen Zielsysteme in den untersuchten Grammatikbereichen für die einzelnen Sprachkombinationen genau betrachtet und hinsichtlich möglicher Überlappungen untersucht. Sofern die Anwendung der Einflusskriterien einen Einfluss erwarten lassen, ist im nächsten Schritt die Richtung anhand der Komplexität zu bestimmen. Um zu ermitteln, ob der erwartete Einfluss verzögernder oder beschleunigender Natur ist, werden einschlägige Untersuchungen aus dem monolingualen Erwerb vor den Untersuchungen zum bilin‐ gualen Erwerb präsentiert und die Ergebnisse, soweit methodisch möglich, verglichen. 278 9 Ausblick <?page no="279"?> Wichtig ist, dass die vorgeschlagenen Kriterien nicht für eine bestimmte Manifesta‐ tion von Spracheneinfluss formuliert wurden. Ferner werden die drei Manifestationen weiterhin intensiv diskutiert, z. B. Verzögerung im Rahmen der Metaanalyse von van Dijk et al. (2021: 2). Insgesamt lässt sich eine allgemeine Tendenz der letzten zwei Jahrzehnte beobachten, die negative Auswirkungen mit einem verzögerten Erwerb im bilingualen Kind (im Vergleich zu monolingualen Kindern) fokussiert. Zukünftige Forschungen müssen den beschleunigenden Effekt stärker bearbeiten und diese gram‐ matischen Phänomene mit solchen vergleichen, deren Erwerb sich bei mehrsprachigen Kindern verzögernd auswirken (können). Besonders interessant ist dieser Vergleich, wenn bei derselben Gruppe bilingualer Kinder sowohl Beschleunigung als auch Ver‐ zögerung zu beobachten ist. Ferner ist bis heute ungeklärt, wie das Verhältnis der beiden Kriterien für die Auftretenswahrscheinlichkeit ist: Müssen beide Einflusskriterien erfüllt sein oder nur eines? Könnte das Überlappungskriterium ein notwendiges Kriterium darstellen, das in bestimmten Bereichen durch das Schnittstellenkriterium sowie weitere Einflussfaktoren ergänzt wird? Dabei ist auch die Frage offen, ob alle Schnittstellen den gleichen Status haben. Auch sollten künftige Studien erklären, wie die Einflussfaktoren auf die Einflusskriterien bezogen sind. Diese Überlegungen müssen stets in Bezug auf solche grammatischen Bereiche angestellt werden, die nicht einflussanfällig sind. In Kapitel 6 haben wir zunächst drei grammatische Bereiche vorgestellt, bei denen wir (fast) keinen Einfluss beobachten konnten, wobei wir die oben beschriebene mehr‐ schrittige Vorgehensweise erstmals konkret angewendet haben. Die Abwesenheit von Einfluss konnten wir nur teilweise richtig vorhersagen: Während wir das Ausbleiben von Einfluss im Bereich der OV-/ VO-Wortstellung sowie bei der Produktion von Objektklitika in deutsch-romanischen Sprachkombinationen erwarten konnten, ist es bei der Position der attributiven Adjektive nicht zu erklären, da dieser Bereich als einziger der drei beide Einflusskriterien (Überlappung und Schnittstellenphänomen) erfüllt. Gleichzeitig konnten wir anhand der vorliegenden Informationen über die Dominanzverhältnisse der untersuchten Kinder klar zeigen, dass eine alternative Erklärung über Sprachdominanz die Ergebnisse auch nicht erklären kann. Wir müssen also die individuelle Rolle sowie das Verhältnis der Faktoren Sprachkombination, Überlappung der Sprachsysteme und Schnittstellencharakter zueinander weiter präzi‐ sieren. In dieser Hinsicht sollten zukünftige Forschungsarbeiten weitere sprachexterne kognitive Faktoren zur Erklärung des Ausbleibens vom Spracheneinfluss heranziehen und die Schnittstelleneigenschaft weiter spezifizieren. In Kapitel 7 haben wir - wieder auf Basis der mehrschrittigen Analyse - vier grammatische Bereiche vorgestellt, in denen sich Spracheneinfluss als Verzögerung gezeigt hat. Dabei war einer der Bereiche rein syntaktisch (Verbstellung im Deutschen), die anderen waren an der Schnittstelle zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik (Rea‐ lisierungen und Auslassungen von Subjekten und Objekten) oder Syntax, Semantik und Pragmatik (Kopulaverben) angesiedelt. Wir konnten sowohl das Auftreten als auch die Richtung auf Basis der Kriterien in Kapitel 5 für die jeweils untersuchten Sprachkom‐ 9 Ausblick 279 <?page no="280"?> binationen richtig vorhersagen. Gleichwohl haben sich auch hier Einschränkungen und Fragen ergeben, die wir an dieser Stelle wieder aufgreifen wollen: Wir können zwar für einzelne Bereiche, aber eben nicht auf das Individuum bezogen das Auftreten, die Rich‐ tung und das Ausmaß des Einflusses vorhersagen. Die untersuchten bilingualen Kinder haben, je nach grammatischem Bereich, unterschiedlich reagiert. Wir konnten für die Phänomene in Kapitel 7 zeigen, dass das unterschiedliche Verhalten etwa von Al_df und Ce_df nichts mit der Balanciertheit oder dem Vorliegen von Sprachdominanz zu tun hat und dass keine direkte Korrelation zwischen Einfluss und Sprachdominanz erkennbar ist. Mit anderen Worten wäre es denkbar, dass sich der (ggf. unterschiedliche) Stand der grammatischen Entwicklung, den wir mit dem MLU messen, auf die Länge und Intensität des Einflusses auswirkt. Ferner ist die Wirkung sprachexterner kognitiver Faktoren (wie die Größe des Arbeitsgedächtnisses, die Verortung der sprachlichen Struktur im Diskurs) auf den Erwerb grammatischer Eigenschaften noch weitgehend unklar (vgl. die Diskussion um die diskurspragmatischen Fähigkeiten der Kinder in Kap. 7.4). Auch haben die Untersuchungen in diesem Kapitel die Notwendigkeit herauskristallisiert, dass das Verhältnis der verschiedenen Einflusskriterien geklärt werden sollte: Sie wurden von Müller und Hulk (2000, 2001) als gemeinsam notwendig definiert, aber sind sie das tatsächlich? Für die in diesem Kapitel vorgestellten Berei‐ che hätte bereits allein das Überlappungskriterium gereicht, so dass sich die Frage stellt, ob das Schnittstellenkriterium überhaupt benötigt wird. Möglicherweise ist der Schnittstellencharakter eines grammatischen Bereichs sekundär und wirkt sich nicht auf die Auftretenswahrscheinlichkeit, aber sehr wohl auf die Intensität und Länge des Zeitraums des Einflusses aus. Auch könnte die jeweilige Manifestation des Einflusses hiervon bestimmt werden, die von Müller und Hulk nicht direkt mit den Kriterien verknüpft wurden. Hierzu bedarf es weiterer Forschung. Im Kapitel 8 haben wir uns den beschleunigten Erwerbsverlauf beim mehrsprachi‐ gen Kind angeschaut, nämlich wenn der Erwerb eines bestimmten grammatischen Phänomens im simultan aufwachsenden bilingualen Kind schneller erfolgt als im monolingualen Kind. Aber was bedeutet das genau? Anhand dreier unterschiedlicher grammatischer Phänomene (Verbstellung im deutschen Hauptsatz, Verwendung von Determinanten im Deutschen und Subjektrealisierung und -stellung im Französischen) konnten wir feststellen, dass die bilingualen Kinder in diesen Bereichen in einer früheren Phase zu einem in der Erwachsenensprache zu erwarteten Output kommen als monolinguale Kinder in den jeweiligen Sprachen (monolinguale deutschsprachige Kin‐ der für die ersten zwei grammatischen Bereiche, monolinguale französischsprachige Kinder für das dritte Phänomen). Ein Grund für den Unterschied in der Sprachentwick‐ lung zwischen monolingualen und bilingualen Kindern könnte in der Zweisprachigkeit liegen, vor allem in der (günstigeren) Sprachkombination, die das Kind simultan und von Geburt an erwirbt. Ein besonders relevantes Ergebnis aller drei linguistischen Be‐ reiche im Kapitel 8 ist ferner, dass die Sprachdominanz für einen Beschleunigungseffekt im Vergleich zur monolingualen Gruppe keine Rolle zu spielen scheint. Mit anderen Worten tritt eine Akzelerierung im Erwerbsprozess allein aufgrund des simultanen 280 9 Ausblick <?page no="281"?> Erwerbs zweier Muttersprachen auf. Ob das bilinguale Kind eine Dominanz in der Sprache des betroffenen Phänomens oder vielmehr ob es das Deutsche (für Verbstellung in Hauptsätzen und für die Verwendung von Determinanten) oder das Französische (für die Subjektrealisierung und -stellung) als schwache Sprache entwickelt, spielt für einen beschleunigten Erwerbsprozess bei diesen grammatischen Phänomenen keine Rolle. Wie bereits oben erwähnt kann die Bilingualität allein die Beschleunigungseffekte nicht vollständig erklären, sondern die Sprachkombination ist entscheidend. Konkret haben die Untersuchungen der drei Bereiche im Kapitel 8 gezeigt, dass die Beschaffen‐ heit der anderen Sprache für das betroffene Phänomen eine erfolgreiche Wirkung beim Erwerb dieses Phänomens ausübt. Interessant ist an dieser Stelle, ob eine Akzelerierung lediglich bei einer Zweispra‐ chigkeit möglich ist oder ob diese Effekte ebenfalls bei mehrsprachigen Kindern zu beobachten sind, die drei oder vier Sprachen im (früh)kindlichen Alter erwerben. In einer Querschnittstudie haben Arnaus Gil et al. (2019) dies geprüft. Sie haben die Hypothese aufgestellt, dass Akzelerierung auch bei trilingualen Kindern bei den Phä‐ nomenen, bei denen Beschleunigungseffekte im bilingualen Kind festgestellt wurden, auftritt. Die empirische Studie zum Erwerb der Verbstellung im deutschen Hauptsatz bei trilingualen Kindern, die Deutsch zusammen mit zwei weiteren Sprachen erwerben (mind. eine davon Spanisch oder Französisch), bestätigt diese Hypothese (Arnaus Gil & Müller 2020). Dominanz und Geburtsland (Deutschland vs. Spanien) spielen keine Rolle. Für den Erwerb französischer Subjekte führen Arnaus Gil & Müller (2018) eine weitere empirische Studie mit trilingualen Kindern durch, die Französisch zusammen mit zwei weiteren Sprachen (mind. eine davon Spanisch/ Deutsch) erwerben. Die Hypothese kann auch hier bestätigt werden. Wie für die bilingualen Kinder beobachtet, sind auch trilinguale Kinder im Vergleich zu französischsprachigen monolingualen Kindern akzeleriert. Dieser Effekt steht nicht in Verbindung mit der Sprachdominanz, mit dem Geburtsland (Deutschland vs. Spanien) oder mit dem Alter bei Erwerbsbeginn des Französischen (Arnaus Gil et al. 2021b). Den letzteren Punkt möchten wir kurz erläutern. Die trilingualen Kinder dieser Studie wachsen in einem Land auf, in dem das Französische nicht als Umgebungssprache verwendet wird. Viele der an der Studie teilnehmenden Kinder kommen mit dem Französischen außerhalb der Familie in Kontakt; sie besuchen eine französische Einrichtung, bzw. einen französischen (oder bilingualen) Kindergarten. Der Erwerb des Französischen beginnt also erst mit Eintritt in den Kindergarten. Arnaus Gil et al. (2021b) konnten zeigen, dass es ausreichend ist, das Französische (erst) mit Eintritt in den Kindergarten zu erwerben, um in dieser Sprache Akzelerierungseffekte für den Erwerb der Subjektrealisierung und -stellung im Französischen nachzuweisen. Ein weiterer wichtiger Aspekt des positiven Spracheneinflusses ist genau erklären zu können, wie er zu beschreiben ist: Vergleicht man den Output mit dem Fokus auf das bestimmte grammatische Phänomen monolingualer und mehrsprachiger Kinder? Ist die Differenz quantitativer und/ oder qualitativer Natur? Aus einer quantitativen Sicht konnten wir beim Determinantenerwerb im Deutschen beobachten, dass monolinguale 9 Ausblick 281 <?page no="282"?> und bilinguale Kinder ähnliche Schwierigkeiten aufweisen, allerdings schaffen es bilinguale Kinder in kürzerer Zeit als monolinguale Kinder erwachsenensprachliche Strukturen zu verwenden. Für die Bereiche Verbstellung im deutschen Hauptsatz und Subjektrealisierung und -stellung im Französischen durchlaufen bilinguale Kinder die monolinguale nicht-zielsprachliche Phase nicht, d. h. diese Phase wird übersprungen. Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen sind qualitativ zuzuordnen. Diese kurze Beschreibung der unterschiedlichen Facetten der Akzelerierung anhand der drei im Kapitel 8 behandelten Phänomenen macht deutlich, dass der positive Spracheneinfluss weiter erforscht werden muss, um eindeutige Aussagen darüber machen zu können, was genau Akzelerierung im mehrsprachigen Kind ist und welche unterschiedlichen Formen diese annehmen kann. Als einen weiteren Punkt möchten wir eine Hoffnung formulieren: Unsere Ein‐ führung zeigt, dass sich der Erwerbsprozess mehrsprachiger Kinder durchaus von dem monolingualer Kinder unterscheiden kann. Für den Erwerb einer Fremdsprache im schulischen Kontext, aber auch für den sukzessiven natürlichen Erwerb einer zweiten, dritten bzw. x-ten Sprache sind es die in unserer Einführung vorgestellten mehrsprachigen Kinder, die eine ideale Vergleichsgruppe darstellen. Dies gilt umso mehr, wenn beim sukzessiven Erwerb der Verlauf im Vordergrund steht. Die in unserer Einführung vorgestellten Kinder erwerben erfolgreich mehrere Sprachen gleichzeitig. Der schulische Fremdsprachenerwerb könnte von dieser Erfolgsgeschichte profitieren und eine Lernumgebung schaffen, die der des simultanen Erwerbs mehrerer Sprachen ähnelt. Kaum systematisch untersucht sind bisher in der Erstspracherwerbsforschung linguistische Aspekte der an das Kind gerichteten Sprache. Obwohl sich alle Sprach‐ erwerbsforscher: innen einig darüber sind, dass der Verlauf des Spracherwerbs vom konkret linguistischen Input des Kindes beeinflusst wird, ist bisher weitestgehend unbekannt, inwieweit die an das Kind gerichtete Sprache linguistisch von der an Erwachsene gewandten Sprache abweicht bzw. mit dieser identisch ist, zudem im mehrsprachigen Kontext. Dies sollten zukünftige Forschungsarbeiten leisten. Eine Einschränkung der hier vorgestellten Ergebnisse möchten wir erwähnen: So sind die Familien, die ihre mehrsprachigen Kinder für linguistische Untersuchungen zur Verfügung stellen, bildungsnah. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob andere Ergebnisse erzielt werden, wenn bildungsferne Familien untersucht werden. Auch muss sich die Spracherwerbsforschung selbst die Frage stellen, warum sie bisher kaum nicht-akademische Familien erreicht hat, um diese für Studien zum mehrsprachigen Erwerb unter anderen außersprachlichen Bedingungen als die, die seit Beginn der Spracherwerbsforschung im Fokus stehen, gewinnen konnten. Die soziale Dimension muss in zukünftigen Forschungen im Zusammenhang mit der Sprachentwicklung intensiver betrachtet werden. 282 9 Ausblick <?page no="283"?> 10 Aufgaben 10.1 Aufgaben zu Kapitel 2 1. Erläutern Sie die Begriffe „Performanz“ und „Kompetenz“ anhand geeigneter Beispiele. 2. Lesen Sie den Artikel von William F. Mackey (1962) The description of bilingualism. Informieren Sie sich über die Definition von Interferenz und stellen Sie dar, auf welchen linguistischen Beschreibungsebenen diese auftritt. 3. Suchen Sie bei den Sprachpaaren Deutsch / Französisch, Deutsch / Italienisch oder Deutsch / Spanisch nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im syntaktischen Bereich dieser Sprachen und machen Sie auf der Basis dieses Vergleichs Vorhersa‐ gen für den kindlichen Erwerb dieser grammatischen Eigenschaften (negativer, positiver Einfluss). 4. Diskutieren Sie, welche Konstruktionen in den romanischen Sprachen bzw. im Deutschen für die Annahme problematisch sein könnten, dass das Französische, Italienische und Spanische als VO-Sprachen und das Deutsche als OV-Sprache klassifiziert werden. Inwieweit könnten sich diese Konstruktionen auf den Erwerb dieser Eigenschaft auswirken? 5. Prüfen Sie die grammatischen Eigenschaften (a), (b) und (c) von Null-Subjekt-Spra‐ chen an deutschen Sprachbeispielen und überlegen Sie, zu welchem Ergebnis das Kind für die Nullsubjekteigenschaft im Deutschen kommen könnte: (a) das Fehlen von expletiven Subjekten, (b) Extraktionsmöglichkeiten für Subjekte aus that-t-Kontexten, (c) postverbale Subjekte in VO-Sprachen. 6. Informieren Sie sich über das Vorhandensein von V2-Strukturen in älteren Stufen der romanischen Sprachen. Was folgt daraus für das Umsetzen von Parameterwer‐ ten? 7. Fertigen Sie eine ca. 10-minütige Sprachaufnahme an, in der eine Person mit der Erstsprache Deutsch, Französisch, Italienisch oder Spanisch nach Möglichkeit frei und spontan spricht. Schreiben Sie diejenigen Äußerungen heraus, die nach Ihrer Meinung ungrammatisch sind. Diskutieren Sie diese Äußerungen vor dem Hintergrund, dass auch spracherwerbende Kinder solche Äußerungen in ihrem Input vorfinden. 8. Informieren Sie sich über den Parameterbegriff und diskutieren Sie, welche Argumente dagegensprechen, Sprachvariation in der UG abzubilden. 9. Überlegen Sie, ob Subjektauslassungen in den romanischen Sprachen und im Deutschen in Nebensätzen möglich sind. Berücksichtigen Sie hierbei auch das expletive Pronomen in denjenigen Sprachen, in denen es existiert. Kann das Kind <?page no="284"?> auf der Basis der Auslassmöglichkeiten im Nebensatz den Nullsubjekt-Parameter auf den zielsprachlichen Wert setzen? 10. Was könnte (indirekte) negative Evidenz für das Kind im Spracherwerb darstellen? Erinnern Sie sich, dass die Korrekturen von Erwachsenen bei Kindern i. d. R. keinen Effekt haben. 10.2 Aufgaben zu Kapitel 3 1. Diskutieren Sie, welche Rolle Sprachprestige mit Blick auf die in Deutschland häufig untersuchten Sprachkombinationen Deutsch-Englisch und Deutsch-Fran‐ zösisch haben könnte. 2. Erklären Sie den Unterschied zwischen der simultanen und der sukzessiven Mehr‐ sprachigkeit. Fragen Sie andere Seminarteilnehmer: innen, wie sie (lebensweltlich oder curricular) mehrsprachig geworden sind. Erstellen Sie eine Tabelle mit Faktoren, die Ihrer Meinung nach eine wichtige Rolle gespielt haben. 3. Diskutieren Sie, welche außerfamiliären Bedingungen Eltern in der zweisprachi‐ gen Erziehung unterstützen könnten. 4. Welche Methoden sind in der Spracherwerbsforschung benutzt worden, um Sprachdaten bei zweisprachigen Kindern zu erheben? Nennen Sie drei Beispiele. 5. Diskutieren Sie, warum es für die Forschung notwendig ist, die Sprachentwicklung zweisprachig aufwachsender Kinder nicht nur zu beobachten, sondern zu doku‐ mentieren. 6. Stellen Sie die Formen des bilingualen Erwerbs aus 3.2 gegenüber und diskutieren Vor- und Nachteile mit Blick auf die Umsetzungsmöglichkeiten durch die Eltern. 7. Formulieren Sie konkrete Forschungsfragen zu mindestens zwei der in 3.3.5 vorgestellten Desiderata (a)-(e). 8. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie bei der Anwendung von Beobachtung und Experiment bei bilingualen Kindern mit dem Ziel des Vergleichs beider Sprachen? Fertigen Sie eine Tabelle an! 9. Erläutern Sie, inwieweit die Auswahl von Testitems in experimentellen Studien mit bilingualen Kindern eine Herausforderung darstellen. Suchen Sie nach Beispielen! 10. Überlegen Sie, wie eine Studie aussehen könnte, die zwei bilinguale Strategien (vgl. 3.2) miteinander vergleichen will. Beziehen Sie u. a. Aspekte wie Elternakquise, Sprachkombinationen sowie Methoden der Erhebung mit ein. 10.3 Aufgaben zu Kapitel 4 1. Berechnen Sie für diejenige romanische Sprache (Ca_di, Em_df und Lu_ds), die Sie studieren, und das Deutsche (Am_df) den wortbasierten MLU anhand der 284 10 Aufgaben <?page no="285"?> Transkripte (siehe Zusatzmaterial online). Welches der Kinder sollte aufgrund dieses Kriteriums als weiter entwickelt gelten? 2. Als Antwort auf die Frage 1 sind Sie zu einem Ergebnis gekommen. Diskutieren Sie, warum dieser Befund problematisch sein könnte, indem sie einzelsprachliche Faktoren einbeziehen. 3. Welche Kriterien könnte man über den MLU hinaus verwenden, um den Sprach‐ stand der Kinder zu messen? Wenden Sie diese Kriterien empirisch an und vergleichen Sie den Sprachstand erneut. 4. Welche der Kriterien, die in 4.2 angeführt wurden, sind Ihrer Meinung nach weniger aussagekräftig, um eine Aussage darüber zu machen, ob ein Kind in einer Sprache dominant ist? 5. Worin unterscheidet sich die Sprachpräferenz von der Sprachdominanz? Weshalb ist eine solche Unterscheidung sinnvoll? 6. Diskutieren Sie, inwieweit die Termini „balanciert bilingual“ und „semilingual“ sinnvoll sind. Welche Probleme ergeben sich, wenn man diese Attribute Personen zuweisen möchte, die mehr als eine Sprache kennen? 7. Wählen Sie ein grammatisches Phänomen aus, schlagen Sie es in einer Grammatik nach, um sich über das erwachsenensprachliche System zu informieren. Beant‐ worten Sie auf der Basis eines selbstgewählten Transkripts (siehe Zusatzmaterial online) die folgende Frage: Können dt-frz. / dt.-ital. / dt.-span. mehrsprachige Kin‐ der ihre beiden Sprachsysteme trennen? Erklären Sie, warum Sie dieses Phänomen gewählt haben. 8. Wählen Sie eine beliebige Grafik aus dem Kapitel 4. Beschreiben Sie die Achsen und das Ergebnis. 9. Welche Rolle könnte Geschwisterkindern bei der Entwicklung einer Sprachdomi‐ nanz zukommen? 10. Versuchen Sie, anhand eines selbstgewählten Transkript(teil)s (siehe Zusatzma‐ terial online) einen silbenbasierten MLU zu berechnen. Diskutieren Sie Vor- und Nachteile eines silbenbasierten im Vergleich zu einem wortbasierten MLU. Erklären Sie Ihr Vorgehen und diskutieren Sie, für welches Alter ein silbenbasierter MLU am besten geeignet sein könnte (oder nicht). 10.4 Aufgaben zu Kapitel 5 1. Lesen Sie den Artikel von Fred Genesee (1989) “Early bilingual language develop‐ ment: one language or two? ”. Fassen Sie Genesees Kritik an dem Drei-Phasen-Mo‐ dell zusammen. 2. Lesen Sie den Artikel von Jürgen M. Meisel (1989) „Early differentiation of languages in bilingual children“. Welches sind die wichtigen Erwerbsphasen bei den untersuchten bilingualen Kindern? 10.4 Aufgaben zu Kapitel 5 285 <?page no="286"?> 3. Das zweisprachig aufwachsende Kind (Deutsch-Französisch) Em_df benutzt im Alter von 2; 5,19 die folgenden Äußerungen in der deutschen Sprachaufnahme. Beantworten Sie folgende Fragen: a) Welche Fehler hat das Kind gemacht und b) wie könnte man diese Fehler erklären? Achten Sie auf die Wortstellung und darauf, ob alle obligatorischen Sprachelemente realisiert wurden! a. em_df veut lesen das b. veut essen, ein mini c. veux noch ein tomatn da rein d. tu veux ein’ kaffee e. em_df veut telefoniern f. veut noch sirup puppa g. tu veux sirup h. em_df veut telefon i. veux die ente puppa j. em_df veut, lesen / em_df, veut lesen, em_df k. em_df veut , das l. mama veut lesen Diskutieren Sie die Äußerungen mit Hinblick auf den Spracheneinfluss. 4. Das bilingual deutsch-italienisch aufwachsende Kind Lu_di verwendet im Alter von 3; 1,30 die folgenden Äußerungen in der italienischen Sprachaufnahme. Un‐ tersuchen Sie diese im Hinblick auf folgende Fragen: a) Welche Fehler hat das Kind gemacht und b) wie könnte man diese Fehler erklären? Achten Sie auf die Wortstellung und darauf, ob alle obligatorischen Sprachelemente realisiert wurden! a. no voiono (n) sägen ein baum b. sì che voiono sägen questo c. la mano anche si la ha gebrochen d. non lo brauchen più e. una si può entern questa macchina sai f. no non sta stehen quello g. si può klappen h. guadda il camion, che dice ah là hinten è un incidente è allivato la ambulanza (=arrivato) i. guadda questo hacken (=guarda) j. voiono entern k. (n) no (m) pel , (n) pel schaufeln die ganzen scherben weg (=per) l. ha dito mist, scheiß dreck Diskutieren Sie die Äußerungen mit Hinblick auf den Spracheneinfluss. 5. Bilingual deutsch-spanischsprachige Kinder verwenden die folgenden Nominalphrasen in bilingualen deutsch-spanischen Sprachaufnahmen. Wie könnte man die Genusmarkierung erklären? 286 10 Aufgaben <?page no="287"?> a. un eimer (4; 8,0) b. la ziege (4; 8,0) c. los zieges (4; 8,0) d. ein hueso (4; 1,27) e. un pülli (2; 6,6) f. un affa (3; 7,3) g. ein ratón (2; 9,11) h. una treppe (2; 9,11) i. alle pingüinos (2; 9,11) j. el eis (2; 9,11) k. el ohr (2; 9,11) l. un ente (3; 10,1) 6. Analysieren Sie die nachfolgenden Äußerungen eines französisch-deutsch auf‐ wachsenden Kindes im Alter von 3; 8,11 in einer Testsituation vor dem Hintergrund des Spracheneinflusses. Trennt das Kind die beiden Sprachen? Gehen Sie davon aus, dass die Position von sich im Deutschen des Kindes immer zielsprachlich ist. a. Il l’ a coupé b. Il l’ a mis sur son pull là c. Il a se peigné d. Il a se coupé e. Il se réveillait f. Et là il se lave 7. Welche Probleme bringt das Konzept des Übersetzungsäquivalents mit sich? Diskutieren Sie! 8. Gehen Sie davon aus, dass monolingual spanischsprachige Kinder kaum Wurzel‐ infinitive verwenden, wohingegen diese im Erwerb des Deutschen oft vorkommen. Welche Vorhersagen können Sie für das Auftreten solcher Wurzelinfinitive im bilingualen deutsch-spanischsprachigen Kind machen? 9. Stellen Sie weitere Komplexitätskriterien auf. Welche Faktoren könnten die Be‐ rechnung einer syntaktischen Konstruktion (negativ oder positiv) beeinflussen? 10. Deutsch-französischsprachige Kinder benutzen nicht-zielsprachliche finite Verb‐ formen im Französischen. a. je va le chercher (Ce_df; 3; 04,09) b. moi je va là (Ce_df; 3; 03,12) c. j’a gagné (Ce_df; 3; 3,26) d. j’a un collier (Am_df; 2,2,15) e. je l’a pas un poche (Am_df; 2,4,2) f. c’ lui-là je a donné (Am_df; 2; 5,7) Deutet dieser Gebrauch auf einen Spracheneinfluss hin? Berücksichtigen Sie die Tatsache, dass bilinguale Kinder, die mit den Sprachen Italienisch oder Spanisch zusammen mit dem Französischen aufwachsen, kaum bis keine nicht-zielsprach‐ lichen Verbformen im Französischen benutzen. 10.4 Aufgaben zu Kapitel 5 287 <?page no="288"?> 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 1. Betrachten Sie eines der Transkripte (siehe Zusatzmaterial online), notieren Sie alle Äußerungen, die Ihrer Meinung nach von der Zielsprache abweichen und ordnen Sie diese nach grammatischen Bereichen. Welche grammatischen Bereiche fallen besonders ins Gewicht? 2. Wählen Sie ein Transkript (siehe Zusatzmaterial online) aus und führen Sie eine Analyse eines grammatischen Bereichs durch. a) Subjekt-Verb-Kongruenz, b) Genusmarkierung an Artikeln, c) Artikelauslassungen, d) Wortstellung, e) Subjektauslassungen, f) Objektauslassungen (nur direkte Objekte). Gehen Sie folgendermaßen vor: Fertigen Sie eine Excel-Datei mit allen für den grammatischen Bereich relevanten Äußerungen an. In der Spalte A kodieren Sie alle zielsprachlichen Fälle, in der Spalte B alle nicht-zielsprachlichen. Wie hoch ist die Akkuratheit für den untersuchten Bereich? Diskutieren Sie schwer zu beurteilenden Fälle. 3. Lesen Sie die empirische Studie von Fox (2014) für Französisch oder Morales Reyes (2021) für Spanisch, in denen die Stellung des attributiven Adjektivs untersucht wird. Was können Sie als Ergebnis bzgl. des Erwerbs alternierender Adjektive festhalten? Diskutieren Sie die Rolle des kindgerichteten Inputs. 4. Gibt es aus Ihrer Sicht Daten im deutschen Input, die den Erwerb der deutschen OV-Stellung verzögern könnten? Vergleichen Sie mit dem Input in einer romani‐ schen Sprache. 5. Erklären und diskutieren Sie den Begriff der syntaktischen Berechnungskomple‐ xität. Welche Alternativen zu den Kriterien von Jakubowicz könnte es geben? Nutzen Sie für die Bearbeitung der Aufgabe die Ergebnisse aus den Aufgaben 1 und 2. 6. Warum ist es mit Hinblick auf Spracheneinfluss notwendig, Daten von zweispra‐ chigen Kindern mit denen von monolingualen Kindern zu vergleichen? Welche anderen Sprechergruppen könnte man in der Forschung heranziehen, um Spra‐ cheneinfluss zu untersuchen? 7. Das Kind Antoine ist deutsch-französisch bilingual und beginnt im Alter von 1; 6 die ersten Determinanten im Französischen zu verwenden. Im Deutschen beginnt es mit der Determinantenverwendung erst im Alter von 2; 0. Können wir daraus schließen, dass das Französische die dominante Sprache von Antoine ist? (Kapitel 4 und 6) 8. Lesen Sie die empirische Studie von Cuza, Reyes und Lustres (2021) über die Verwendung von den spanischen Kopulaverben ser und estar bei bilingual spa‐ nisch-englischsprachigen Kindern und Erwachsenen. Legen Sie dabei den Fokus auf die Ortsangaben, die ein Ereignis ausdrücken (engl. event locatives). Warum sind diese Kontexte besonders? Diskutieren Sie die Ergebnisse für diesen Kontext am Beispiel von simultan-bilingual spanisch-englischsprachigen Kindern und Erwachsenen. 288 10 Aufgaben <?page no="289"?> 9. Diskutieren Sie die folgenden Äußerungen von deutsch-spanischen Kinder mit Hinblick auf die Verwendung der spanischen Kopulaverben ser und estar und ihrer prädikativen Phrasen. a. eto tá bufanda (=esto, está) (1; 10,27) b. los conejos están mu rápidos (=muy) (2; 5,17) c. pero tu ya puedes ir al circo si estás grande (6; 4,2) d. pero por lo menos son bien para repartir (5; 5,27) e. están nackt (5; 11,27) f. estaban en el kinder (5; 10,20) g. este es von der oma und opa (3; 7,3) 10. Lesen Sie die Arbeit von Meisel (1986) zum Erwerb der Wortstellung und des Kasussystems durch deutsch-französisch bilinguale Kinder. Betrachten Sie sodann das beigefügte deutsche Transkript und quantifizieren Sie Wortstellungsfehler (v. a. im Hinblick auf die Position des Verbs) und Kasusfehler, wobei Sie diese den Äußerungen mit zielsprachlichen Realisierungen dieser Bereiche gegenüberstel‐ len. Diskutieren Sie, inwieweit Meisels Annahme eines weitgehend problemlosen Erwerbs zutrifft und ob Spracheneinfluss vorliegen könnte. 11. Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bereich der Hauptsatzwort‐ stellung im Deutschen und einer romanischen Sprache heraus. Wenden Sie die Ein‐ fluss- und die Komplexitätskriterien an und zeigen Sie auf, welche Vorhersage(n) man für Spracheneinfluss und Einflussrichtung im bilingualen Kind machen kann. 12. Spanisch-deutschsprachige Kinder realisieren das pronominale Subjekt oft in Fällen, in denen dies aus Sicht der Erwachsenensprache nicht notwendig ist. Diese Realisierungen können als eine Form von Spracheneinfluss interpretiert werden. Unter Zugrundelegung dieser Annahme wenden Sie die Einflusskriterien und die Komplexitätskriterien an. Welche Art von „Fehler“ machen die Kinder? a. yo quiero más (Lu_ds, 2; 0,9) b. oh yo más puedo (Lu_ds, 2; 3,1) c. yo pongo una cosa y mira (Lu_ds, 2; 4,29) 13. Analysieren Sie die folgenden Äußerungen eines monolingual deutschsprachigen Kindes: Welche Verbtypen dürfen in der VEnd-Position erscheinen? Was fällt ihnen auf hinsichtlich der Obligatheit der Verbverschiebung? Diskutieren Sie! Alle nachfolgenden Beispiele stammen von dem Kind Ch_d im Alter von 2; 6, a. die dinger nich lieb sind b. der is falsch c. eselein serviette wegreiß d. der paß nich e. würm nich rausfallen kann f. die brauch nich mehr g. werden tut h. tut nix i. das mauseloch machen 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 289 <?page no="290"?> 14. Mehrsprachige Kinder mit Französisch gebrauchen in ihren Äußerungen kaum postverbale Subjekte. Die nachfolgende Aufstellung enthält alle postverbalen Subjekte eines mehrsprachigen Kindes mit Französisch, Di_fis. Analysieren Sie die Sprachdaten. Was fällt ihnen auf ? Achten Sie auch auf die Verben! a. fais bobo toi (2; 10,3) b. est pas fini le cheval (2; 10,3) c. fait ça di_fis (2; 10,3) d. non la connais pas moi (2; 10,3) e. non ça ça mange pas la giraffe (3; 1,13) f. s’ appelle un gorille di_fis (3; 1,25) 15. Das deutsch-spanischsprachige Kind Lu_ds gebraucht die folgenden Nominalphrasen. Führen Sie eine syntaktische Analyse durch und suchen Sie nach Gründen für nicht-zielsprachliche Stellungen. a. una grande peli (2; 4,29) b. unos grandes libros (2; 4,29) c. grandes niños (2; 4,29) d. un huevo marrón (2; 4,29) e. el rápido coche (2; 5,17) f. e grande lobo (2; 5,17) g. mu grande lobo (2; 5,17) h. con la pelota muy grande (2; 6,9) i. una grande casa (2; 6,23) j. una casa muy grande (2; 6,23) k. un diente grande (2; 6,23) l. la pared amarillo (2; 8,16) 16. Das deutsch-französischsprachige Kind Al_df gebraucht die folgenden wenn-ein‐ geleiteten Nebensätze im Deutschen. Führen Sie eine syntaktische Analyse durch und suchen Sie nach Gründen für nicht-zielsprachliche Stellungen. a. wenn das regnet (2; 11,6) b. wenn du passt hier (2; 11,6) c. wenn wir tötn die fischen (3; 4,19) d. auch wenn du keine willst (3; 6,7) e. wenn ich seh ein’n (3; 9,7) f. wenn da is kaputt (3; 10,26) g. wenn wir hallo sagen (4; 2,16) h. wenn es kaputt ist (4; 2,16) i. oh wenn wir so machn (4; 4,25) 17. Deutsch-französischsprachige Kinder gebrauchen die folgenden Nominalphrasen im Deutschen. Führen Sie eine syntaktische Analyse durch und suchen Sie nach Gründen für nicht-zielsprachliche Stellungen. a. turm groß (Al_df) b. banane heiß (Al_df) 290 10 Aufgaben <?page no="291"?> c. hose blau (Al_df) d. blumen gelb (Al_df) e. steine blau (Al_df) f. eine haarspange neu (Ce_df) g. großes tier (Al_df) h. blaue kugel (Am_df) i. gelbe paprika ( Ju_df) j. dem blauen henkel ( Ju_df) k. ein neuer freund (Ce_df) l. ein neues turm (Ce_df) 18. Das erwachsenensprachliche Französisch erlaubt die Position von Fragewörtern in-situ: Il est allé où? Diese Konstruktionen drücken genauso eine Frage aus, wie die Konstruktion mit Voranstellung des Fragewortes: Où est-il allé? Im Französi‐ schen dürfen nicht alle Fragewörter in beiden Positionen stehen: Pourquoi muss vorangestellt werden, quoi darf es nicht. Im Deutschen sind echte Fragen mit dem Fragewort in-situ nicht grammatisch. Es handelt sich um Nachfragen, wenn der Sprecher nicht richtig verstanden hat: Er ist WOHIN gegangen? Dabei repräsentiert die Großschreibung des Fragewortes die dabei übliche Betonung. Die nachfolgende Grafik stammt vom Kind Ma_df. Auf der x-Achse sind die MLU-Werte im Alter von 1; 9,19-5; 1,23 abgetragen. Die y-Achse zeigt die absolute Anzahl der Konstruktionen. Beschreiben und interpretieren Sie die Grafik mit Bezug auf Spracheneinfluss und Berechnungskomplexität und diskutieren Sie den Fortschritt des Kindes über die Zeit. 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 1,35 1,61 1,92 1,65 1,69 2,22 2,36 1,96 1,79 2,79 2,6 2,86 2,8 2,96 3,28 4,36 3,4 3,92 4,28 5,26 4,04 5,63 4,85 3,95 3,91 4,26 4,06 5,2 5,2 4,17 Absolute Zahl MLU wh-Voranstellung (ohne pourquoi) wh-in-situ (ohne quoi) 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 291 <?page no="292"?> 19. Monolingual deutschsprachige Kinder verfügen in den ersten Lebensjahren über ein symmetrisches Lexikon, vergleicht man Nomenmit Verbtypen. Typisch hierfür ist das Kind Ch_d. Beschreiben und interpretieren Sie die nachfolgende Grafik: 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 1; 10,18 1; 10,30 1; 11,19 1; 11,24 2; 0,9 2; 0,24 2; 1,7 2; 1,19 2; 2,4 2; 2,25 2; 3,6 2; 3,21 2; 4,4 2; 4,18 2; 5,3 2; 5,17 2; 6 2; 6,15 2; 7 2; 7,19 2; 8,2 2; 8,16 2; 9 2; 9,17 2; 10 2; 10,11 2; 10,30 2; 11,15 2; 11,29 Zuwachs Typen Alter Nomentypen Verbentypen 20. Monolingual italienischsprachige Kinder zeichnen sich durch eine No‐ men-Verb-Asymmetrie zugunsten von Nomina aus. Das deutsch-italienischspra‐ chige Kind Ma_di entwickelt das Verb- und Nomenlexikon im Deutschen, wie in der nachfolgenden Grafik illustriert. Beschreiben Sie die Grafik und vergleichen sie Sie mit der des monolingual deutschsprachigen Kindes. Diskutieren Sie! 0 20 40 60 80 100 120 140 1; 6,26 1; 7,10 1; 8,1 1; 8,22 1; 9,12 1; 10,2 1; 11 1; 11,21 2; 0,2 2; 0,16 2; 1 2; 1,21 2; 2,4 2; 2,26 2; 3,26 2; 4,16 2; 4,29 2; 5,12 2; 5,26 2; 6,10 2; 6,26 2; 7,7 2; 8 2; 8,26 2; 9,9 2; 9,22 2; 10,6 2; 10,20 2; 11,15 2; 11,29 Zuwachs Typen Alter Nomen dt Verben dt 292 10 Aufgaben <?page no="293"?> 21. Im Alter von 1; 9,19 gebraucht Lu_ds die in der folgenden Tabelle aufgeführten Verben. Berechnen Sie, wieviele Verbtypen und wieviele Token das Kind verwen‐ det. gustar haber haber haber haber haber haber quemar quemar quemar quemar querer querer querer querer querer querer querer querer ser traer venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir venir 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 293 <?page no="294"?> 22. Das deutsch-französischsprachige Kind Ma_df äußert in einer Sprachaufnahme im Alter von 2; 2,5 die folgenden Sätze: a. i‘ s’en va b. oui i‘ s’en va c. oui il s’assoit d. i’ s’est l[e]v[Eje] (=réveillé) e. elles s’a baigné f. ouh ça c’est fini g. ça c’est maman h. le vélo il est là i. il est dedans le [fifi] j. il est là le vélo k. c’est celle la piscine l. c’est la piscine la barbie Führen Sie eine syntaktische Analyse der Sätze durch. 23. Manche mehrsprachigen Kinder entwickeln eine schwache Sprache. Diese ist in der folgenden Abbildung für fünf bilinguale Kinder zu sehen. Sie zeigt die durch‐ schnittliche Anzahl an Wörtern pro Minute in einer MLU-Phase. Interpretieren Sie die Grafik! 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1-1,49 1,5-1,99 2-2,49 2,5-2,99 3-3,49 3,5-3,99 Wörter pro Minute MLU-Phasen Va_di deutsch Au_di italienisch Ce_df französisch Ja_di italienisch Ma_df deutsch 294 10 Aufgaben <?page no="295"?> 24. Das spanisch-französischsprachige Kind Sy_fs äußert im Alter von 2; 4,16 die folgenden Sätze: a. papá va venir b. me lo das por favor mamá? c. me das una hoja por favor mamá? d. estás cantando mamá? e. estás cantando mami? f. mamá ha dicho g. papá está durmiendo? h. mamá me pintas otra manzana? i. papá tiene tiene aquí este j. bu bu (una muñeca) abre bien la (xxx) k. mamá está mi cuaderno ahí? Führen Sie eine syntaktische Analyse durch. (xxx) steht für unverständliches Sprachmaterial. 25. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung des Nomen- und Verbwortschatzes für das Spanische des deutsch-spanischsprachigen Kindes Lu_ds. Fertigen Sie eine Excel-Grafik an und vergleichen Sie Nomen und Verben. Nehmen Sie Stellung zu der Frage, weshalb es auch sinnvoll sein kann, Token quantitativ darzustellen. Alter Summe Nomen Summe Nomen Token Typen-To‐ ken-Ratio Nomen Summe Verben Typen Summe Verben Token Typen-To‐ ken-Ratio Verben 1; 7,10 10 44 23% 8 26 31% 1; 7,22 3 4 75% 6 14 43% 1; 8,12 9 32 28% 15 87 17% 1; 9,18 12 37 32% 13 41 32% 1; 9,19 10 49 20% 7 38 18% 1; 9,24 20 78 26% 15 67 22% 1; 10,14 14 32 44% 16 63 25% 1; 11,25 18 48 38% 21 63 33% 2; 0,9 27 77 35% 13 34 38% 2; 0,10 17 54 31% 15 90 17% 2; 1,14 14 59 24% 25 105 24% 2; 2,12 24 77 31% 28 87 32% 2; 3,1 25 87 29% 31 171 18% 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 295 <?page no="296"?> Alter Summe Nomen Summe Nomen Token Typen-To‐ ken-Ratio Nomen Summe Verben Typen Summe Verben Token Typen-To‐ ken-Ratio Verben 2; 3,15 18 57 32% 22 135 16% 2; 4,10 12 48 25% 31 141 22% 2; 5,0 20 51 39% 24 90 27% 2; 5,17 25 97 26% 32 153 21% Total 278 931 - 322 1405 - 26. Die folgende Tabelle enthält den UB des Kindes Lu_di bis zum Alter von 5; 0,2. Fertigen Sie eine Excel-Grafik an und vergleichen Sie das Italienische mit dem Deutschen. Alter U.B. Deutsch U.B. Italienisch 1; 7,12 2 2 1; 8,14 1 2 1; 9,12 1 1 1; 10,3 2 2 1; 10,17 2 2 1; 11,1 3 3 1; 11,22 3 2 2; 0,5 3 2 2; 1,3 2 3 2; 1,23 3 3 2; 3,6 5 6 2; 4,9 7 9 2; 4,23 7 6 2; 5,6 9 7 2; 5,20 8 5 2; 6,18 8 10 2; 7,15 16 11 2; 7,29 11 14 296 10 Aufgaben <?page no="297"?> Alter U.B. Deutsch U.B. Italienisch 2; 8,12 11 10 2; 8,26 15 16 2; 9,18 19 17 2; 10,1 10 11 2; 10,22 14 13 2; 11,12 11 18 2; 11,26 20 10 3; 1,16 16 12 3; 1,30 12 13 3; 2,19 13 13 3; 3,2 17 8 3; 3,23 17 12 3; 4,7 14 12 3; 4,25 19 7 3; 5,8 17 14 3; 5,18 15 10 3; 6,13 19 8 3; 6,30 14 10 3; 7,15 14 7 3; 8,3 18 5 3; 8,17 18 8 3; 9,9 13 6 3; 9,20 15 7 3; 10,3 14 4 3; 10,17 19 6 3; 11,3 20 4 3; 11,22 10 2 4; 0,5 16 14 4; 1,20 11 14 4; 2,28 15 8 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 297 <?page no="298"?> Alter U.B. Deutsch U.B. Italienisch 4; 3,14 26 15 4; 3,28 11 14 4; 4,12 14 11 4; 4,26 24 10 4; 5,11 14 10 4; 5,25 16 17 4; 6,16 10 14 4; 7,4 13 8 4; 7,24 10 14 4; 8,0 32 10 4; 8,23 25 6 4; 9,10 22 13 4; 10 22 13 4; 10,28 38 17 5; 0,2 29 9 27. Das bilingual deutsch-italienischsprachige Kind Ca_di produziert die folgende Anzahl an Äußerungen pro Minute bis zum Alter von 5; 7,24. Kommentieren Sie die Redebereitschaft des Kindes in den beiden Sprachen. 0 2 4 6 8 10 12 14 1; 8,28 1; 10,8 1; 11,12 2; 0,11 2; 2,4 2; 3,2 2; 4,7 2; 6,9 2; 7,13 2; 8,21 2; 9,25 2; 10,30 2; 11,27 3; 1,16 3; 2,13 3; 3,11 3; 4,8 3; 5,6 3; 6,17 3; 7,13 3; 8,27 3; 10,2 3; 11,6 4; 1,0 4; 1,28 4; 2,25 4; 3,23 4; 4,20 4; 6,8 4; 7,19 4; 9,1 4; 10,13 4; 11,24 5; 2,16 5; 5,17 Anzahl Alter Deutsch Italienisch 298 10 Aufgaben <?page no="299"?> 28. Bei einem Sprachtest sollen bilinguale Kinder Bilder beschreiben. Eines dieser Bilder ist weiter unten abgebildet. Es soll ein finites Verb elizitieren. Testleiter: in: Bon assez joué les enfants. Il faut se préparer pour aller au lit. Ploumf, viens dans la salle de bain. Et voici le papa de Ploumf dans la salle de bain. Testfrage: Que fait le papa de Ploumf à Ploumf ? Welche Antwortmöglichkeiten hat das Kind und sind diese in der romanischen Sprache und im Deutschen gleich? 29. Wie unterscheiden sich induktives und deduktives Lernen in Spracherwerbsdaten? Diskutieren Sie! 30. Betrachten Sie die nachfolgenden Bilder. Sie wollen unterschiedliche Tempusfor‐ men bei bilingualen Kindern elizitieren. Formulieren Sie Kontext und Fragen für die abgebildeten Bilder so, dass das Kind jeweils mit einer Futurform, einer Präsenzform und einer Vergangenheitsform antworten muss. Bearbeiten Sie die Aufgabe für die von Ihnen studierte romanische Sprache. 10.5 Aufgaben zu Kapitel 6-8 299 <?page no="301"?> 11 Literatur Abeillé, A., L. Clément & F. Toussenel 2003 Building a Treebank for French. In A. Abeillé (Hg.) Treebanks. Building and Using Parsed Corpora. Text, Speech and Language Technology-(TLTB, volume 20). Dordrecht: Springer Link, 165-187. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-94-010-0201-1 Adams, M. 1987 From Old French to the theory of pro-drop. Natural Language and Linguistic Theory 5, 1-32. Ågren, M. 2013 The impact of spoken French on the acquisition of written French in child L2 Learners. The Journal of Language Teaching and Learning 3(1), 1-19. Albert, R. & C. J. Koster 2002 Empirie in Linguistik und Sprachlehrforschung. Ein methodologisches Arbeitsbuch. Tübingen: Narr. Albert, R. & N. Marx 2016 Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Tübingen: Narr. Álvarez López, E. 2004 La adquisición temprana en niños hispanohablantes. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Universidad Nacional Autónoma de México. Anderson, R. C. & P. Freebody 1983 Reading comprehension and the assessment and acquisition of word knowledge. In B. Huxton (Hg.) Advances in Reading/ Language Research: Cognitive Science and Human Resource Management. Vol. 2 JAI Press, 231-56. Antelmi, D. 1997 La prima grammatica dell‘italiano: Indagine longitudinale sull‘acquisizione della morfosintassi italiana. Bologna: Il Mulino. Arche, M. J. 2006 Individuals in Time. Tense, Aspect and the Individual/ Stage Distinction. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Arencibia Guerra, L. 2008 Sprachdominanz bei bilingualen Kindern mit Deutsch und Französisch, Italienisch oder Spanisch als Erstsprachen. Unveröffentlichte Doktorarbeit, Bergische Univer‐ sität Wuppertal. Arnaus Gil, L. 2013 La selección copulativa y auxiliar: Las lenguas romances (español - italiano - -catalán---francés) y el alemán en contacto. Su adquisición en niños bilingües y trilingües. Tübingen: Narr. Arnaus Gil, L. 2015a Kapitel 9: Intrasententiales Code-Switching zwischen Adjektiv und Nomen. In N. Müller, L. Arnaus Gil, N. Eichler, J. Geveler, M. Hager, V. Jansen, M. Patuto, V. Repetto & A. Schmeißer (Hgg.) Code-Switching: Spanisch, Französisch, Italienisch. Eine Einführung. Tübingen: Narr, 253-290. Arnaus Gil, L. 2015b Der Erwerb attributiver Adjektive bei bilingual deutsch-romanisch und romanisch-romanisch aufwachsenden Kindern. Unveröffentlichtes Manuskript, Bergische Universität Wuppertal. Arnaus Gil, L. 2022 Spanish and German as heritage and majority languages in early multilingual acquisition: family language policies and other child-external factors for heritage language competence. International Journal of Multilingualism 19(2), 210-232, DOI: 10.1080/ 14790718. 2022.2040511 <?page no="302"?> Arnaus Gil, L., N. Eichler, V. Jansen, M. Patuto & N. Müller 2012 The syntax of mixed DPs containing an adjective. Evidence from bilingual German-Romance (French, Italian, Spanish) children. In K. Geeslin & M. Díaz-Campos (Hgg.) Selected Proceedings of the 14 th Hispanic Linguistics Symposium. Somerville, MA: Cascadilla Press, 242-257. Arnaus Gil, L. & N. Müller 2015 The acquisition of Spanish in a bilingual and a trilingual L1 setting: Combining Spanish with German, French and Catalan. In T. Judy & S. Perpiñán (Hgg.) The Acquisition of Spanish in Understudied Language Pairings. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 135-168. Arnaus Gil, L. & N. Müller 2018 French postverbal subjects: A comparison of monolingual, bilin‐ gual, trilingual and multilingual French. Languages 3(3), 1-28. Doi: 10.3390/ languages3030029 Arnaus Gil, L. & N. Müller 2019 Kapitel 7: Erwerb der Subjektposition im Französischen. In Arnaus, Gil, L., N. Müller., M. Hüppop, M. Poeste, E. Scalise, N. Sette, A. Sivakumar, M. Tirado Espinosa & K. S. Zimmermann (Hgg.) Frühkindlicher Trilinguismus. Französisch, Spanisch, Deutsch. Tübingen: Narr. Arnaus, Gil, L., N. Müller, M. Hüppop, M. Poeste, E. Scalise, N. Sette, A. Sivakumar, M. Tirado Espinosa & K. S. Zimmermann (Hgg.) 2019 Frühkindlicher Trilinguismus. Französisch, Spanisch, Deutsch. Tübingen: Narr. Arnaus Gil, L. & N. Müller 2020 When grammar doesn’t mind: Acceleration and delay in bilingual, trilingual and multilingual German-Romance children: Finite verb placement in German. Linguistic Approaches to Bilingualism 10(4), 530-558. Online publiziert am 13.11.2018: https: / / doi.org/ 10.1075/ lab.17081.arn Arnaus Gil, L., N. Müller, N. Sette, & M. Hüppop 2021a Active biand trilingualism and its influencing factors. International Multilingual Research Journal 15(1), 1-22, DOI: 10.1080/ 19313152.2020.1753964 Arnaus Gil, L., J. Stahnke & N. Müller 2021b On the acquisition of French (null) subjects and (in)definiteness: simultaneous and early sequential bi-, triand multilinguals. Probus, 33(2). 181-225. https: / / doi.org/ 10.1515/ PRBS-2021-0004 Arnberg, L. N. & P. W. Arnberg 1992 Language awareness and language separation in the young bilingual child. In R. J. Harris (Hg.) Cognitive Processing in Bilinguals. Amsterdam: North-Holland, 475-500. Arteaga, D. 1994 Impersonal constructions in Old French. In M. L. Mazzola (Hg.) Issues and Theory in Romance Linguistics. Selected Papers from the Linguistic Symposium on Romance Languages XIII. Washington: Georgetown University Press, 141-157. Ashby, W. J. 1982 The drift of French syntax. Lingua 57, 29-46. Ashby, W. J. 1988 The syntax, pragmatics, and sociolinguistics of leftand right-dislocations in French. Lingua 75(2-3), 203-229. Ashby, W. J. 1994 An acoustic profile of right-dislocations in French. Journal of French Language Studies 4, 127-145. Auer, P. 1991 Vom Ende deutscher Sätze. Zeitschrift für Germanistische Linguistik 19, 139-157. Baker, M. 2008 The macroparameter in a microparametric world. In T. Biberauer (Hg.) The Limits of Syntax Variation. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 351-374. 302 11 Literatur <?page no="303"?> Barbosa, P. 2019 Pro as a minimal nP: towards a unified approach to pro-drop. Linguistic Inquiry 50(3), 487-526. Bardel, C. & Y. Falk 2007 The role of the second language in third language acquisition: the case of Germanic syntax. Second Language Research 23(4), 459-484. Barnes, B. K. 1985 The Pragmatics of Left Detachment in Spoken Standard French, Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Barnes, B. K. 1986 An empirical study of the syntax and pragmatics of left dislocations in spoken French. In O. Jaeggli & C. Silva-Corvalán (Hgg.) Studies in Romance Linguistics. Dordrecht: Foris, 208-223. Barron-Hauwaert, S. 2004 Language Strategies for Bilingual Families: The One-Parent-One-Lang‐ uage Approach. Bristol, Blue Ridge Summit: Multilingual Matters. https: / / doi.org/ 10.21832/ 9 781853597169 Barron-Hauwaert, S.-2011 Bilingual Siblings: Language Use in Families. Bristol, Blue Ridge Summit: Multilingual Matters. Bates, E. & J. Goodman 1999 On the emergence of grammar from the lexicon. In B. Macwhinney (Hg.) The Emergence of Language. Mahwah, NJ: Erlbaum, 29-79. Bausch, K.-R. & G. Kasper 1979 Der Zweitspracherwerb: Möglichkeiten und Grenzen der großen Hypothesen. Linguistische Berichte 64, 3-35. Bel, A. 2003 The syntax of subjects in the acquisition of Spanish and Catalan. Probus 15, 1-26. Belletti, A. & M.-T. Guasti 2015 The Acquisition of Italian. Morphosyntax and its Interfaces in Different Modes of Acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Bello, S. & M. Pirvulescu 2022 L’acquisition des objets directs et indirects en français L1. Language, Interaction and Acquisition 13(1), 63-92. Berman, R. 1979 The re-emergence of a bilingual: a case study of a Hebrew-English speaking child. Working Papers on Bilingualism 19, 158-180. Bernardini, P. 2001 Lo squilibrio nell‘acquisizione di due lingue nell‘infanzia. Indagine longitudi‐ nale sullo sviluppo della sintassi nominale. Licentiatavhandling, Lund. Bernardini, P. 2004 L‘italiano come prima e seconda (madre)lingua. Indagine longitudinale sullo sviluppo del DP. Études Romanes de Lund 71, Lund. Bernardini, P. & S. Schlyter 2004 Growing syntactic structure and code-mixing in the weaker language: the Ivy Hypothesis. Bilingualism: Language and Cognition 7, 49-69. Bernardini, P. & J. van de Weijer (2017) On the direction of cross-linguistic influence in the acquisition of object clitics in French and Italian. Language, Interaction and Acquisition 8(2), 204-233. Biberauer, T. & M. Richards 2006 True optionality: when the grammar doesn’t mind. In C. Boeckx (Hg.) Minimalist Essays. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 35-67. Biberauer, T., A. Holmberg, I. Roberts & M. Sheehan 2014 Complexity in comparative syntax: the view from modern parametric theory. In F. J. Newmeyer & L. B. Preston (Hgg.) Measuring Grammatical Complexity. Oxford: Oxford University Press, 103-127. Berliner Interdisziplinäre Verbund für Mehrsprachigkeit (o.-J.). https: / / bivem.leibniz-zas.de Bloom, P. 1990 Subjectless sentences in child language. Linguistic Inquiry 21, 491-504. 11 Literatur 303 <?page no="304"?> Bohnacker, U., J. Lindgren & B. Öztekin 2016 Turkishand German-speaking bilingual 4-to-6-year-olds living in Sweden: Effects of age, SES and home language input on vocabulary production. Journal of Home Language Research 1, 17-41. http: / / hdl.handle.net/ 10092/ 12907 Bonnesen, M. 2009 The status of the “weaker” language in unbalanced French/ German bilingual language acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 12(2), 177-192. Borer, H. & K. Wexler 1987 The maturation of syntax. In T. Roeper & E. Williams (Hgg.) Parameter Setting. Dordrecht: Reidel, 123-172. Bottari, P., P. Cipriani & A. M. Chilosi 1993/ 94 Proto-syntactic devices in the acquisition of Italian free morphology. Geneva Generative Papers 1, 83-101. Bouchard, D. 1998 The distribution and interpretation of adjectives in French: A consequence of bare phrase structure. Probus 10, 139-183. Braun, A. 2012 Language maintenance in trilingual families: A focus on grandparents. Interna‐ tional Journal of Multilingualism 9,423-436. Braun, A. & T. Cline 2010 Trilingual families in mainly monolingual societies: Working towards a typology. International Journal of Multilingualism 7, 110-127. Braun, A. & T. Cline 2014 Language Strategies for Trilingual Families. Clevedon: Multilingual Matters. Brehmer, B. & G. Mehlhorn 2018 Herkunftssprachen. Tübingen: Narr. Brown, R. 1973 A First Language: The Early Stages. Cambridge, MA: Havard University Press. Bryant, D. & T. Rinker 2021 Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr. Burling, R. 1959 Language development of a Garo and English speaking child. Word 15, 45-68. Busch, B. 3 2021 Mehrsprachigkeit. Stuttgart: UTB. Caloi, I. & J. Torregrossa 2021 Home and school language practices and their effects on heritage language acquisition: A wiew from heritage Italians in Germany. Languages 6(1), 1-20. https: / / doi.org/ 10.3390/ languages6010050 Camacho, J. 2012 Ser and estar: The individual/ stage-level distinction and aspectual predication. In J. I. Hualde, A. Olarrea & E. O‘Rourke (Hgg.) The Handbook of Hispanic Linguistics. Chichester: Wiley & Blackwell, 453-475. Campos, H. 3 2000 Transitividad e intransitividad. In I. Bosque & V. Demonte (Hgg.) Gramática descriptiva de la lengua española. Vol. 2. Madrid: Espasa Calpe S.A, 1519-1574. Cantone, K. F. 2007 Code-switching in Bilingual Children. Dordrecht: Springer. Cantone, K. F. 2016 Wie fördert man Zweisprachigkeit in Erwerb und (Schul-)Alltag? Eine neue Sicht auf sukzessive Bilinguale. In B. Hufeisen & R. S. Baur (Hgg.) Vieles ist sehr ähnlich. Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als bildungspolitische Aufgabe. Hohengehren Schneider-Verlag: Baltmannsweiler, 227-250. Cantone, K. F. 2018 Bilinguismo italiano-tedesco: dalla famiglia alla scuola. Plenarvortrag auf dem III Convegno Internazionale di Linguistica e Glottodidattica Italiana L’italiano in contesti plurilingui: contatto, acquisizione, insegnamento, Ruhr-Universität Bochum, 11.-13. Oktober 2018. Cantone, K. F. 2020 Italienischstämmige SchülerInnen im Fremdsprachenunterricht Italienisch: Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext. In M. García, M. 304 11 Literatur <?page no="305"?> Prinz & D. Reimann (Hgg.), Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Neue Studien und Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen (Schwerpunkt: romanische Sprachen). Tübingen: Narr, 191-209. Cantone, K. F. 2022 Language exposure in early bilingual and trilingual acquisition. International Journal of Multilingualism 19(3), 402-417. DOI: 10.1080/ 14790718.2019.1703995. Cantone, K. F., T. Kupisch, N. Müller & K. Schmitz 2008 Rethinking language dominance in bilingual children. Linguistische Berichte 215, 307-343. Cantone, K. F. & J. MacSwan 2009 Adjectives and word order - a focus on Italian-German codeswitching. In L. Isurin, D. Winford & K. de Bot (Hgg.) Multidisciplinary Approaches to Codeswitching. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 243-277. Cantone, K. F. & N. Müller 2005 Code-switching at the interface of language-specific lexicons and the Computational System. International Journal of Bilingualism 9(2), 205-225. Cantone, K. F. & N. Müller 2008 Un nase or una nase? What gender marking within switched DPs reveals about the architecture of the bilingual language faculty. Lingua 118(6), 810-826. Caprin, C. & Guasti, M. T. 2009 The acquisition of morphosyntax in Italian: A cross-sectional study. Applied Psycholinguistics 30, 23-52. Cardinaletti, A. 1991 On pronoun movement: The Italian dative loro. Probus 3(2), 127-153. Cardinaletti, A. & G. Giusti 2010 The acquisition of adjectival ordering in Italian. In M. Anderssen, K. Bentzen & M. Westergaard (Hgg.) Variation in the Input: Studies in the Acquisition of Word Order. Dordrecht, Heidelberg, London, New York: Springer, 65-93. Carlson, G. 1977 Reference to Kinds in English. Unveröffentlichte Doktorarbeit, University of Massachusetts, Amherst. Carlson, G. 1989 Cross-linguistic Overview of Genericity. Manuskript. Castilla, A. P. 2008 Developmental Measures of Morphosyntactic Acquisition in Monolingual 3-, 4-, and 5-year old Spanish-speaking Children. Unveröffentlichte Doktorarbeit, University of Toronto. Chierchia, G., M. T. Guasti & A. Gualmini 2000 Nouns and articles in child grammar and the syntax / semantics map. Manuskript, Universität Mailand / Universität Siena / Universität Maryland College Park. Chilla, S., M. Rothweiler & E. Babur 2010 Kindliche Mehrsprachigkeit. Grundlagen - Störungen - Diagnostik. München: Reinhardt. Chilla, S. & S. Haberzettl (Hgg.) 2014 Handbuch Sprachentwicklung und Sprachentwicklungsstö‐ rungen: Mehrsprachigkeit, Band-4. München: Elsevier. Chilla S. & Fox-Boyer, A. 2016 Zweisprachigkeit / Bilingualität. Ein Ratgeber für Eltern. Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag. Chomsky, N. 1981 Lectures on Government and Binding. The Pisa Lectures. Dordrecht: Foris. Chomsky, N. 1982 Some Concepts and Consequences of the Theory of Government and Binding. Cambridge, MA: MIT Press. Chomsky, N. 1986 Knowledge of Language. New York: Preager. Chomsky, N. 1993 Lectures on Government and Binding. The Pisa Lectures. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. Chomsky, N. 1995 The Minimalist Program. Cambridge, MA: MIT Press. 11 Literatur 305 <?page no="306"?> Cinque, G. 1990 Types of Ā-Dependencies. Cambridge, MA. / London: MIT Press. Cinque, G. 2010 The Syntax of Adjectives: A Comparative Study. Cambridge, MA: MIT Press. Doi: 10.7551/ mitpress/ 9780262014168.001.0001 Clahsen, H. 1982 Spracherwerb in der Kindheit. Eine Untersuchung zur Entwicklung der Syntax bei Kleinkindern. Tübingen: Narr. Clahsen, H. 1990 Constraints on parameter setting: a grammatical analysis of some acquisition stages in German child language. Language Acquisition 1, 361-391. Clahsen, H., S. Eisenbeiß & M. Penke 1996 Lexical learning in early syntactic development. In H. Clahsen & W. Rutherford (Hgg.) Generative Perspectives on Language Acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 129-159. Clahsen, H. & C. Felser 2006 How native-like is non-native language processing? Trends in Cognitive Sciences 10(12), 564-570. Clahsen, H. & P. Muysken 1986 The availability of Universal Grammar to adult and child learners: a study of the acquisition of German word order. Second Language Research 2, 93-119. Clark, E. 1986 Acquisition of Romance, with special reference to French. In D. I. Slobin (Hg.) The Crosslinguistic Study of Language Acquisition, Vol.I., The Data. Hillsdale NJ: Erlbaum, 687-782. Clark, E. 1987 The principle of contrast: a constraint on language acquisition. In B. MacWhinney (Hg.) Mechanisms of Language Acquisition. Hillsdale, NJ: Erlbaum, 1-33. Clements, C. J. 1988 The semantics and pragmatics of the Spanish <copula + adjective> construction. Linguistics 26, 779-822. Clyne, M. 1975 Forschungsbericht Sprachkontakt. Untersuchungsergebnisse und praktische Pro‐ bleme. Kronberg/ Ts: Scriptor. Corder, S. P. 1967 The significance of learner’s errors. IRAL V(4), 161-170. Cordes, J. 2001 Zum unausgewogenen doppelten Erstspracherwerb eines deutsch-französisch aufwachsenden Kindes: Eine empirische Untersuchung. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Uni‐ versität Hamburg. Corpas, R. 2007 ‘Ser’ and ‘Estar’ in early child Spanish. Vortrag bei Ontario Dialogues on the Acquisition of Spanish. University of Ottawa, 2. März 2007. Crain, S. & R. Thornton, 1998 Investigations in Universal Grammar: A Guide to Experiments on the Acquisition of Syntax and Semantics. Cambridge, MA: MIT Press. Crysmann, B. & N. Müller 2000 On the non-parallelism in the acquisition of reflexive and non-reflexive object clitics. In C. Hamann & S. Powers (Hgg.) The Acquisition of Scrambling and Cliticization. Dordrecht: Kluwer, 207-236. Cummins, J. 1979 Cognitive / academic language proficiency, linguistic interdependence, the optimum age question and some other matters. Working Papers on Bilingualism 19, 121-129. Curdt-Christiansen, X. L. 2018 Family language policy. In J. Tollefson & M. Perez-Milans (Hgg.) The Oxford Handbook of Language Policy and Planning. Oxford: Oxford University Press, 420-441. Czapka, S., N. Topaj & N. Gagarina 2021 A four-year longitudinal comparative study on the lexicon development of Russian and Turkish heritage speakers in Germany. Languages 6(1), 27. https: / / doi.org/ 10.3390/ languages6010027 De Cat, Cecile. 2002. French Dislocations. Oxford: University of Oxford Dissertation. 306 11 Literatur <?page no="307"?> Déchaine, R.-M. & M. Wiltschko 2002 Decomposing pronouns. Linguistic Inquiry 33(3), 409-442. De Houwer, A. 1990 The Acquisition of Two Languages from Birth: A Case Study. Cambridge: Cambridge University Press. De Houwer, A. 2003 Chapter 6. Trilingual input and children’s language use in trilingual families in Flanders. In C. Hoffmann & J. Ytsma (Hgg.) Trilingualism in Family, School and Community. Bristol: Multilingual Matters, 118-136. De Houwer, A. 2011 Language input environments and language development in bilingual acquisition. Applied Linguistics Review 2, 221-240. De Houwer, A. 2020 Why do so many children who hear two languages speak just a single language? Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht. 25(1), 7-26. Del Maschio, N. & J. Abutalebi 2019 Language organization in the bilingual and multilingual brain. In J. W. Schwieter (Hg.) The Handbook of the Neuroscience of Multilingualism. Hoboken, NJ: Wiley, 199-213. Demonte, V. 2000 Configuración e interpretación de los adjetivos del español: un enfoque minimalista. In G. Wotjak (Hg.) En torno al sustantivo y adjetivo en el español actual : aspectos cognitivos, semánticos, (morfo)sintácticos y lexicogenéticos. Madrid: Iberoamericana Editorial Vervuert, 261-274. Demonte, V. 2008 Meaning-form correlations and adjective position in Spanish. In L. McNally & C. Kennedy (Hgg.) Adjectives and Adverbs: Syntax, Semantics and Discourse. Oxford: Oxford University Press, 71-100. Déprez, V. & & A. Pierce 1993 Negation and functional projections in early grammar. Linguistic Inquiry 24, 25-67. Deuchar, M. 1999 Are function words non-language-specific in early bilingual two-word utterances? Bilingualism: Language and Cognition 2, 23-34. Deuchar, M. & S. Quay 1998 One vs. two systems in early bilingual syntax: two versions of this question. Bilingualism: Language and Cognition 1, 231-243. Deuchar, M. & S. Quay 2000 Bilingual Acquisition: Theoretical Implications of a Case Study. Oxford: Oxford University Press. De Villiers, J. 1992 On the acquisition of functional categories: a general commentary. In J. M. Meisel (Hg.) The Acquisition of Verb Placement: Functional Categories and V2 Phenomena in Language Development. Dordrecht: Kluwer, 423-443. Diebowski, J. 2021 Gender Acquisition in Spanish. Effects of Language and Age. Berlin / Boston: De Gruyter. Dietrich, R. & J. Gerwin 2017 Psycholinguistik. Eine Einführung. Metzler: Stuttgart, 3. Auflage. Di Venanzio, L. 2016 Die Syntax von Selbstreparaturen. Sprach- und erwerbsspezifische Repara‐ turorganisation im Deutschen und Spanischen. Berlin / Boston: De Gruyter. Döpke, S. 1992 One Parent One Language. An Interactional Approach. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Döpke, S.-1998 Competing language structures: the acquisition of verb placement by bilingual German-English children. Journal of Child Language 25, 555-584. 11 Literatur 307 <?page no="308"?> Dryer, M. S. & M. Haspelmath, (Hgg.) 2013 WALS Online (v2020.3) [Data set]. Zenodo. http s: / / doi.org/ 10.5281/ zenodo.7385533 (Online verfügbar https: / / wals.info, letzter Zugriff am 20.03.2023). Duguine, I., B. Köpke & J.-L. Nespoulous 2014 Variation dans l’acquisition du marqueur ergatif en basque par des enfants bilingues basque-français. Language, Interaction and Acquisition 5(2), 227-251. Dunn, L. M., C. M. Thériault-Whalen, and L. M. Dunn. 1993. Échelle de Vocabulaire en Images Peabody. Toronto: Pearson. Eichler, N. 2008 Frühkindliche Zweisprachigkeit: Argumentauslassungen bei bilingual deutsch-französisch aufwachsenden Kindern. Unveröffentlichte Masterthesis, Bergische Uni‐ versität Wuppertal. Eichler, N. 2013 Code-Switching bei bilingual aufwachsenden Kindern. Eine Analyse der gemischt‐ sprachigen Nominalphrasen unter besonderer Berücksichtigung des Genus. Tübingen: Narr. Eichler, N. 2015 Kapitel 11 Code-Switching und Psycholinguistik. In-N. Müller, L. Arnaus Gil, N. Eichler, J. Geveler, M. Hager, V. Jansen, M. Patuto, V. Repetto & A. Schmeißer (Hgg.) Code-Switching: Spanisch, Italienisch, Französisch. Eine Einführung. Tübingen: Narr, 319-339. Eichler, N. & N. Müller 2011 The derivation of mixed DPs: Mixing of functional categories in French-German, Italian-German, Spanish-German and French-Italian children and second language learners. In M. Watorek, S. Benazzo & M. Hickmann (Hgg.) Comparative Perspectives to Language Acquisition: A Tribute to Clive Perdue. Bristol: Multilingual Matters, 263-281. Eichler, N., M. Hager & N. Müller 2012 Code-switching within the DP and gender assignment in bilingual children: French, Italian, Spanish and German. Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 122(3), 227-258. Eichler, N., V. Jansen & N. Müller 2013 Gender in French-German, Italian-German, Spanish-Ger‐ man and Italian-French children. International Journal of Bilingualism 17(5), 550-572. Einfeldt, M., T. Kupisch & J. van de Weijer 2019 The production of geminates in Italian-dominant bilinguals and heritage speakers of Italian. Language, Interaction and Acquisition 10(2), 177-203. Escandell-Vidal, V. & M. Leonetti 2002 Coercion and the stage/ individual distinction. In J. Gutiérrez-Rexach (Hg.) From Words to Discourse. Trends in Spanish Semantics and Pragmatics. Amsterdam / Boston: Elsevier, 159-179. European Commission 2003 Promoting language learning and linguistic diversity: An action plan 2004-2006. Communication from the Commission to the Council, the European Parliament, the Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. (Online verfügbar https: / / eu r-lex.europa.eu/ LExUriServ/ LexUriServ.do? uri=COM: 2003: 0449: FIN: EN: PDF, letzter Zugriff am 03.03.2023). Fábregas, A. 2017 The syntax and semantics of nominal modifiers in Spanish: interpretations, types and ordering facts. Borealis - An International Journal of Hispanic Linguistics 6(2), 1-102. https: / / doi.org/ 10.7557/ 1.6.2.4191 Fäcke, C. & F.-J. Meißner 2019 Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto. 308 11 Literatur <?page no="309"?> Fanselow, G. & S. W. Felix 1987 Sprachtheorie. Eine Einführung in die Generative Grammatik. Tübingen / Basel: Francke. Fantini, A. 1978 Bilingual behavior and social cues: case studies of two bilingual children. In M. Paradis (Hg.) Aspects of Bilingualism. Columbia, SC: Hornbeam, 285-301. Fantini, A. 1985 Language Acquisition of a Bilingual Child: A Sociolinguistic Perspective. San Diego: College Hill Press. Felix, S.-1984 Maturational aspects of Universal Grammar. In A. Davis, C. Criper & A. Howatt (Hgg.) Interlanguage. Edinburgh: Edinburgh University Press, 133-161. Ferdinand, A. 1993 Subject dislocation in French child language. HIL Manuscripts 1(1), 54-64. Ferdinand, A. 1996 The Development of Functional Categories. The Acquisition of the Subject in French. Dordrecht: ICG Printing. Ferin, M. F. 2019 The Acquisition of the Syntax of Adjectives by Italian Monolingual Children A Corpus Study. Magisterarbeit, University of Padua. http: / / hdl.handle.net/ 20.500.12608/ 21887 Fernández Fuertes, R. & J. Liceras. 2008 Copula omission in the English developing grammar of English/ Spanish bilingual children. Vortrag bei International Conference on Models of Interaction in Bilinguals. Bangor, Wales, Großbritannien. Fernández Fuertes, R. & J. Liceras 2010 Subject and Copulas: The Directionality of Interlinguistic Influence. Vortrag bei 16. Wuppertaler Linguistisches Kolloquium. Languages in Contact: Cross-linguistic Influence on Different Domains in Bilingual First Language Acquisition. Bergi‐ sche Universität Wuppertal. Fernández Leborans, J. 1999 La predicación: Las oraciones copulativas. In I. Bosque & V. Demonte (Hgg.) Gramática descriptiva de la lengua española Vol. 2. Madrid: Espasa Calpe S.A., 2357-2460. Fernández Leborans, J. 2005 Los sintagmas del español, II. El sintagma verbal y otros. Cuadernos de Lengua Madrid, Española, Madrid: Arco Libros. Festman, J., G. J. Poarch & J.-M. Dewaele 2017 Raising Multilingual Children. Clevedon: Multilingual Matters. File-Muriel, R. J. 2006 Spanish adjective position: Differences between written and spoken discourse. In J. C. Clements & J. Yoon (Hgg.) Functional Approaches to Spanish Syntax: Lexical Semantics, Discourse and Transitivity. Basingstoke: Palgrave-McMillan, 203-218. Fischer, S. & M. Goldbach 2016 Object clitics. In S. Fischer & C. Gabriel (Hgg.) Manual of Grammatical Interfaces in Romance. Berlin: De Gruyter, 363-390. Flynn, S., C. Vinnitskaya & I. Foley 2004 The Cumulative-Enhancement Model of language acquisition: Comparing adults’ and children’s patterns of development in first, second and third language acquisition of relative clauses. International Journal of Multilingualism 1, 3-16. http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 14790710408668175 Fodor, J. D. 1998 Unambiguous triggers. Linguistic Inquiry 29, 1-36. Földes, C. & T. Roelcke 2022 Handbuch Mehrsprachigkeit. Berlin, Boston: De Gruyter. https: / / doi.org/ 10.1515/ 9783110623444 Fónagy, I. 1985 J‘aime. Je connais. Verbes transitifs à objet latent. Revue Romane 20, 3-35. Fox, A. V. (Hrsg.) 6 2013 Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D). Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH. 11 Literatur 309 <?page no="310"?> Fox, G. 2012 L’acquisition des modifieurs nominaux. Le cas de l’adjectif du français. Linguistics. Unveröffentlichte Doktorarbeit, Université de la Sorbonne nouvelle---Paris III. Fox, G. 2014 Peut-on expliquer l’acquisition de l’alternance de l’adjectif en français à partir de l’input? Language, Interaction and Acquisition 5(1), 100-116. Fox, G. & J. Thuilier 2010 Predicting the position of attributive adjectives in the French. Proceedings of the 15th Student Session of ESSLLI, 173-183. Friedemann, M.-A. 1993/ 1994 The underlying position of external arguments in French: A study in adult and child grammar. Language Acquisition 3, 209-55. Fritzenschaft, A., I. Gawlitzek-Maiwald, R. Tracy & S. Winkler 1990 Wege zur komplexen Syntax. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 9, 52-134. Fujino, H. & T. Sano 2002 Aspects of the null object phenomenon in child Spanish. In A. T. Pérez-Leroux & J. Muñoz Liceras (Hgg.) The Acquisition of Spanish Morphosyntax. Dordrecht: Kluwer, 67-88. Gabriel, C. & N. Müller 2005 Zu den romanischen Pronominalklitika: Kategorialer Status und syntaktische Derivation. In G. Kaiser (Hg.) Deutsche Romanistik - generativ. Tübingen: Narr, 161-180. Gabriel, C., N. Müller & S. Fischer 3 2018 Grundlagen der generativen Syntax. Französisch, Italienisch, Spanisch. Tübingen: Niemeyer. Gabriel, C., J. Grünke & C. Schlaak 2020 Positiver Transfer aus dem Türkischen ins Französische? Materialien zur individuellen Förderung des Ausspracheerwerbs. proDaZ. Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern, 1-27. Gagarina, N., A. Klassert & N. Topaj 2010 Sprachstandstest Russisch für mehrsprachige Kin‐ der/ Russian language proficiency test for multilingual children. ZAS Papers in Linguistics 54. Gallego, Á. J. & J. Uriagereka 2016 Estar = ser + X. Borealis - An International Journal of Hispanic Linguistics 5, 123-156. Gavarró, A. 2003 Economy and word order patterns in bilingual English-Dutch acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 6(1), 69-79. Gawlitzek-Maiwald, I. & R. Tracy 1996 Bilingual bootstrapping. Linguistics 34, 901-926. Gawlitzek-Maiwald, I., R. Tracy & A. Fritzenschaft 1992 Language acquisition and competing linguistic representations: The child as arbiter. In J. M. Meisel (Hg.) The Acquisition of Verb Placement: Functional Categories and V2 Phenomena in Language Development. Dordrecht: Kluwer, 139-179. Geiss, M., S. Gumbsheimer, A. Lloyd-Smith, S. Schmid & T. Kupisch 2022 Voice onset time in multilingual speakers: Italian heritage speaker in Germany with L3 English. Studies in Second Language Acquisition 44, 435-459. Genesee, F. 1989 Early bilingual development: One language or two? Journal of Child Language 16, 161-179. Genesee, F., E. Nicoladis & J. Paradis 1995 Language differentiation in early bilingual develop‐ ment. Journal of Child Language 22(3), 611-631. https: / / doi.org/ 10.1017/ S0305000900009971 Gerstenberg, A. 2013 Rezension zu Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung. 3. überarbei‐ tete Auflage (Narr Studienbücher), Tübingen: Narr, 2011, 258 + 49. Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 123(2), 205-208. 310 11 Literatur <?page no="311"?> Gibson, E. & K. Wexler 1994 Triggers. Linguistic Inquiry 25, 407-454. Giedd, J. 2005 Interview with Jay Giedd, M.d. Inside the Teenage Brain. Interviews - Jay Giedd, M.d. | Inside The Teenage Brain | FRONTLINE | PBS (Letzter Zugriff am 26.06.2023). Gogolin, I., A. Hansen, S. McMonagle & D. Rauch (Hgg.) 2020 Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer Verlag. González-Vilbazo, K.-E. & E.-M. Remberger 2005 Ser and estar: The syntax of stage level and individual level predicates in Spanish. In C. Maienborn & A. Wöllstein (Hgg.) Event Arguments: Foundations and Applications. Tübingen: Niemeyer, 89-112. González-Vilbazo, K.-E. & E.-M. Remberger 2007 Die Kopula im Romanischen.-In L. Geist & B. Rothstein (Hgg) Kopulaverben und Kopulasätze: Intersprachliche und intrasprachliche Aspekte. Berlin / Boston: Niemeyer, 201-226.-https: / / doi.org/ 10.1515/ 9783110938838.201 Goodz, N.S. 1989 Parental language mixing in bilingual families. Journal of Infant Mental Health 10, 25-44. Granfeldt, J. 2003 L‘acquisition des catégories fonctionelles. Étude comparative du développement du DP français chez des enfants et des apprenants adultes. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Lund. Granfeldt, J. & S. Schlyter, S.-2004 Cliticisation in the acquisition of French as L1 and L2. In J. Paradis & P. Prévost (Hgg.) The Acquisition of French in Different Contexts: Focus on Functional Categories. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 333-370. Doi: 10.1075/ lald.32.15gra. Grewendorf, G. 1986 Ergativity in German. Dordrecht: Foris. Grimm, H. 2 2010 SETK 3-5. Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder. Diagnose von Sprachverarbeitungsfähigkeiten und auditiven Gedächtnisleistungen. Göttingen: Hogrefe. Grosjean, F. 1982 Life with Two Languages. An Introduction to Bilingualism. Cambridge: Harvard University Press. Grosjean, F. 1998 Studying bilinguals: methodological and conceptual issues. Bilingualism: Language and Cognition 1, 131-149. Grünke, J. & C. Gabriel (2022). Acquiring French intonation against the backdrop of heritage bilingualism: The case of German-Turkish learners. Languages 7(1), 2-23. Grüter, T., N. Hurtado, V. A. Marchman & A. Fernald 2014 Language exposure and online processing efficiency in bilingual development: Relative versus absolute measures. In T. Grüter & J. Paradis (Hgg.) Input and Experience in Bilingual Development. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 15-36. Grüter, T. & J. Paradis (Hgg.) 2014 Input and Experience in Bilingual Development. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Guasti, M. T. 1993/ 94 Verb syntax in Italian child grammar. Finite and nonfinite verbs. Language Acquisition 3(1), 1-40. Guasti, M. T. (2017). Language Acquisition. The Growth of Grammar. Cambridge: MIT Press. Guasti, M. T., A. Gavarro, Y. De Lange & C. Caprin 2008 Article omission across child languages. Language Acquisition 15(2), 89-119. Haegeman, L. 2 1994 Introduction to Government and Binding Theory. Oxford: Blackwell Publis‐ hers. 11 Literatur 311 <?page no="312"?> Haegeman, L. & T. Ihsane 1999 Subject ellipsis in embedded clauses in English. English Language and Linguistics 3(1), 117-145. Haegeman, L. & E. Stark 2021 Register-specific subject omission in English and French and the syntax of coordination. In S. Wolfe & C. Meklenborg (Hgg.) Continuity and Variation in Germanic and Romance, Oxford: Oxford University Press, 15-43. Hager, M. & N. Müller 2015 Ultimate attainment in bilingual first language acquisition. Lingua 164, 289-308. Hahne, A. & A. Friederici 2001 Processing a second language: late learners‘ comprehension mechanisms as revealed by event-related brain potentials. Bilingualism: Language and Cognition 4(2), 123-141. Haider, H. 1993 Principled variability. Parametrization without parameter fixing? In G. Fanselow (Hg.) Parametrization of Universal Grammar. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 1-16. Haiman, J. 1974 Targets and Syntactic Change. The Hague: Mouton. Hamann, C. & A. Belletti 2006 Developmental patterns in the acquisition of complement clitic pronouns. Comparing different acquisition modes with an emphasis on French. Rivista di Grammatica Generativa 31, 39-78. Harr, A.-K., M. Liedke & C. M. Riehl (Hgg.) 2018 Deutsch als Zweitsprache: Migration - Spracherwerb - Unterricht. Stuttgart: J. B. Metzler. Hauser-Grüdl, N., L. Arencibia Guerra, F. Witzmann, E. Leray & N. Müller 2010 Cross-linguistic influence in bilingual children: can input frequency account for it? Lingua 120(11), 2638-2650. Hernández Pina, F. 1979 Etapas en la adquisición del lenguaje infantil. Infancia y Aprendizaje 8, 23-32. Hernández Pina, F. 1984 Teorías psicosociolingüísticas y su aplicación a la adquisición del español como lengua materna. Madrid: Siglo XXI de España. Hesse, H. G. & K. Göbel 2009 Mehrsprachigkeit als Kapital: Ergebnisse der DESI Studie. In I. Gogolin & U. Neumann (Hgg.) Streitfall Zweisprachigkeit - The Bilingualism Controversy. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 281-287. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-531-9 1596-8_16 Hoff, M. R. 2014 Adjective placement in three modes of Spanish: the role of syllabic weight in novels, presidential speeches, and spontaneous speech. IULC Working Papers. Papers 14(1), 1-31. Holtheuer, C. 2009 Learning Ser and Estar: A Study of Production and Comprehension in Chilean Spanish. Unveröffentlichte Dissertation, Australian National University, Canberra. Hopp, H.,-J. Jakisch, S. Sturm, C. Becker & D. Thoma 2020 Integrating multilingualism into the early foreign language classroom: Empirical and teaching perspectives.-International Multilingual Research Journal 14(2), 146-162. DOI: 10.1080/ 19313152.2019.1669519. Hornstein, N. & D. Lightfoot 1981 Introduction. In N. Hornstein & D. Lightfoot (Hgg.) Explana‐ tions in Linguistics: The Logical Problem of Language Acquisition. London: Longman, 9-31. Hughes, M. E. & S. Allen 2013 The effect of individual discourse-pragmatic features on referential choice in child English. Journal of Pragmatics 56, 15-30. Hulk, A. 1997 The acquisition of French object pronouns by a Dutch / French bilingual child. In A. Sorace, C. Heycock & R. Shillcock (Hgg.) Language Acquisition: Knowledge, Representation 312 11 Literatur <?page no="313"?> and Processing. Proceedings of the GALA ‘97 Conference on Language Acquisition. Edinburgh: University of Edinburgh Press, 521-526. Hulk, A. 2000 L’acquisition des pronoms clitiques français par un enfant bilingue français néerlandais/ The acquisition of French clitics by a French-Dutch bilingual child. The Canadian Journal of Linguistics 45, 97-117. Hulk, A. 2004 The acquisition of the French DP in a bilingual context. In P. Prévost & J. Paradis (Hgg.) The Acquisition of French in Different Contexts. Focus on Functional Categories. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 243-274. Hulk, A. & E. van der Linden 1996 Language mixing in a French / Dutch bilingual child. In E. Kellerman, B. Welters & T. Bongaerts (Hgg.) Togepaste taalweten-schap in artikelen 55, 89-101. Hulk, A. & N. Müller 2000 Crosslinguistic influence at the interface between syntax and pragmatics. Bilingualism: Language and Cognition 3(3), 227-244. Hyams, N. 1983 The Acquisition of Parametrized Grammars. PhD dissertation, New York. Hyams, N. 1986 Language Acquisition and the Theory of Parameters. Dordrecht: Reidel. Hyams, N. 1987 The theory of parameters and syntactic development. In T. Roeper & E. Williams (Hgg.) Parameter Setting. Dordrecht: Reidel, 1-22. Hyltenstam, K. & N. Abrahamsson 2003 Maturational constraints in second language acquisition. In C. Doughty & M. Long (Hgg.) Handbook of Second Language Acquisition. Oxford: Blackwell, 539-588. Jaeggli, O. 1982 Topics in Romance Syntax. Dordrecht: Foris. Jaeggli, O. & K. Safir 1989 The null subject parameter and parametric theory. In O. Jaeggli & K. Safir (Hgg.) The Null Subject Parameter. Dordrecht: Kluwer, 1-44. Jakubowicz, C. 2002 Functional categories in (ab)normal language acquisition. In I. Lasser (Hg.) The Process of Language Acquisition. Frankfurt am Main: Lang, 165-202. Jakubowicz, C., N. Müller, K. Ok-Kyung, B. Riemer & C. Rigaut 1996 On the acquisition of the pronominal system in French and German. In A. Springfellow, D. Cahana-Amitay, E. Hughes & A. Zukowski (Hgg.) Proceedings of the 20 th Annual Boston University Conference on Language Development. Somerville, MA: Cascadilla Press, 374-385. Jakubowicz, C., N. Müller, B. Riemer & C. Rigaut 1997 The case of subject and object omissions in French and German. In E. Hughes, M. Hughes & A. Greenhill (Hgg.) Proceedings of the 21 st Annual Boston University Conference on Language Development. Somerville, MA: Cascadilla Press, 331-342. Jakubowicz, C., L. Nash, C. Rigaut & C.-L. Gérard 1998 Determiners and clitic pronouns in French-speaking children with SLI. Language Acquisition 7, 113-160. Jakubowicz, C. & C. Rigaut 2000 L’acquisition des clitiques nominatifs en français. The Canadian Journal of Linguistics/ Revue canadienne de linguistique 45(1-2), 119-159. Jansen, V. 2015 Dislokation im bilingualen Erstspracherwerb. Eine Untersuchung am Beispiel deutsch-französischer Kinder. Berlin, München, Boston: de Gruyter. Jansen, V., J. Müller & N. Müller 2012 Code-switching between an OV and a VO language: Evidence from German-Italian, German-French and German-Spanish children. Linguistic Approaches to Bilingualism 2(4), 337-378. Jones, M.-A. 1996 Foundations of French Syntax. Cambridge: Cambridge University Press. 11 Literatur 313 <?page no="314"?> Kaiser, G. 1994 More about INFL-ection and Agreement: The acquisition of clitic pronouns in French. In J M. Meisel (Hrsg.) Bilingual First Language Acquisition: French and German Grammatical Development. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 131-159. Kato, M.-A. 1999 Strong and weak pronominals in the null subject parameter. Probus 11, 1-37. Kauschke, C. 2012 Kindlicher Spracherwerb im Deutschen: Verläufe, Forschungsmethoden, Erklä‐ rungsansätze. Berlin: De Gruyter. Kayne, R. 1994 The Antisymmetry of Syntax. Oxford: Oxford University Press. Kehoe, M. 2002 Developing vowel systems as a window to bilingual phonology. International Journal of Bilingualism 6(3), 315-334. Kellerman, E. & M. Sharwood-Smith (Hgg.) 1986 Crosslinguistic Influence and Second Language Acquisition. Oxford: Pergamon Press. Kielhöfer, B. & S. Jonekeit 1985 Zweisprachige Kindererziehung. Tübingen: Stauffenburg. King, K. A. & L. W. Fogle 2013 Family language policy and bilingual parenting. Language Teaching 46(2), 172-194. Kinzel, P. 1964 Lexical and Grammatical Interference in the Speech of a Bilingual Child. Seattle: University of Washington Press. Klann-Delius, G. 3 2016. Spracherwerb. Eine Einführung. Stuttgart: J.B. Metzler. KMK (Hrsg.) 2013 Fremdsprachen in der Grundschule https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschlu‐ esse/ 2013/ 2013_10_17-Fremdsprachen-in-der-Grundschule.pdf (letzter Zu‐ griff am 01.08.2022). Koch, N. & C.-M. Riehl 2023. Migrationslinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto. Köppe, R. 1996 Language differentiation in bilingual children: the development of grammatical and pragmatic competence. Linguistics 34, 927-954. Köppe, R. 1997 Sprachentrennung im frühen bilingualen Erstspracherwerb: Französisch / Deutsch. Tübingen: Narr. Köppe, R. & J. M. Meisel 1995 Code-switching in bilingual first language acquisition. In L. Milroy & P. Muysken (Hgg.) One Speaker, Two Languages: Cross-disciplinary Perspectives on Code-Switching. Cambridge: Cambridge University Press, 276-301. Koster, J. 1989 Open peer commentary: Does Universal Grammar exit? Behavioral and Brain Science 12, 347-348. Krasinski, E. 2005 The acquisition of ser and estar in a bilingual child. In L. A. Ortiz López & M. Lacorte (Hgg.) Contactos y contextos lingüísticos. El español en los Estados Unidos y en contacto con otras lenguas. Iberoamericana: Vervuert, 217-225. Krassin, G. 1994 Neuere Entwicklungen in der französischen Grammatik und Grammatikforschung. Tübingen: Narr. Krefeld, T. 2004 Einführung in die Migrationslinguistik. Tübingen: Narr. Krumreihn, J. 2019 Erwerb der Subjekt-Verb Kongruenz bei mehrsprachigen Kindern mit Franzö‐ sisch als Erstsprache. Unveröffentlichte Masterthesis, Bergische Universität Wuppertal. 314 11 Literatur <?page no="315"?> Kuchenbrandt, I., T. Kupisch & E. Rinke 2005 Pronominal objects in Romance: Comparing French, Italian, Portuguese, Romanian and Spanish. Working Papers in Multilingualism 67. University of Hamburg: Research Center on Multilingualism. DOI: 10.13140/ RG.2.1.5046.6169. Kupisch, T. 2000 Artikelauslassungen bei einem bilingual deutsch-italienischen Kind. Unveröffent‐ lichte Magisterarbeit, Hamburg. Kupisch, T. 2004 On the relation between input frequency and acquisition patterns from a cross-linguistic perspective. In J. van Kampen & S. Baauw (Hgg.) Proceedings of GALA (Generative Approaches to Language Acquisition). LOT Occasional Series 3, 199-210. Kupisch, T. 2005 Acceleration in bilingual first language acquisition. In T. Gaerts, I. v. Ginneken & H. Jacobs (Hgg.) Languages and Linguistic Theory. Selected Papers from Going Romance 2003. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 183-203. Kupisch, T. 2006a The Acquisition of Determiners in Bilingual German-Italian and German-French Children. München: Lincom Europa. Kupisch, T. 2006b The emergence of article forms and functions in a German-Italian bilingual child. In C. Lleó (Hg.) Interfaces in Multilingualism: Acquisition, Representation and Processing. Amsterdam: Benjamins, 139-177. Kupisch, T. 2007a Determiners in bilingual German-Italian children: What they tell us about the relation between language influence and language dominance. Bilingualism: Language and Cognition 10(1), 57-78. Kupisch, T. 2007b Testing the effects of frequency on the rate of learning: determiner use in early French, German and Italian. In I. Gülzow & N. Gagarina (Hgg.) Frequency Effects in Language Acquisition. Berlin: Mouton de Gruyter, 83-113. Kupisch, T. 2007c Plural Morphology in Unbalanced Bilinguals Acquiring German and English. Manuskript, McGill University. Kupisch, T. 2013 A new term for a better distinction? A view from the higher end of the profic iency scale. Theoretical Linguistics 39(3-4), 203-214. Kupisch, T., M. Anderssen, U. Bohnacker & N. Snape 2009 Article acquisition in English, German, Norwegian and Swedish. In R. P. Leow, H. Campos & D. Lardiere (Hgg.) Little Words: Their History, Phonology, Syntax, Semantics, Pragmatics and Acquisition (Proceedings of The Georgetown University Round Table, GURT 2007). Washington, D.C.: Georgetown University Press, 223-235. Kupisch, T., D. Akpinar & A. Stör 2013 Gender assignment and gender agreement in adult bilinguals and second language learners of French. Linguistic Approaches to Bilingualism 3(2), 150-179. DOI: 10.1075/ lab.3.2.02kup Kupisch, T., D. Barton, K. Hailer, E. Klaschik, I. Stangen, T. Lein & J. van de Weijer 2014 Foreign accent in adult simultaneous bilinguals. Heritage Language Journal 11(2), 123-150. Kupisch, T. & J. Rothman 2018 Terminology matters! Why difference is not incompleteness and how early child bilinguals are heritage speakers. International Journal of Bilingualism 22(5), 564-582 Kupisch, T., N. Kolb, Y. Rodina & O. Urek 2021 Foreign accent in preand primary school heritage bilinguals. Languages 6(2), 96. https: / / doi.org/ 10.3390/ languages6020096 11 Literatur 315 <?page no="316"?> Labelle, M. & D. Valois 1996 The status of postverbal subjects in French child language. Probus 8, 53-80. Lambeck, K. 1984 Kritische Anmerkungen zur Bilingualismusforschung. Tübingen: Narr. Lambrecht, K. 1981 Topic, Antitopic and Verb Agreement in Non-standard French. Amsterdam: Benjamins. Lambrecht, K. 1986 Topic, Focus, and the Grammar of Spoken French. Berkeley, CA: University of California dissertation. Lambrecht, K. & K. Lemoine 1996 vers une grammaire des complémentszéro en français parlé. In J. Chuquet & M. Fryd (Hgg.) Absence de marques et représentation de l’absence - 1. Travaux linguistiques du Cerlico-9. Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 279-310. Lambrecht, K. & K. Lemoine 2005 Definite null objects in (spoken) French. A construction-gram‐ mar account. In M. Fried & H. Boas (Hgg.) Grammatical Constructions: Back to the Roots. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 13-56. Lanza, E. 1992 Can bilingual two-year-olds code-switch? Journal of Child Language 19, 633-658. Lanza, E. 1997 Language Mixing in Infant Bilingualism: A Sociolinguistic Perspective. Oxford: Clarendon Press. Lanza, E. 2000 Concluding remarks - language contact - a dilemma for the bilingual child or for the linguist? In S. Döpke (Hg.) Cross-Linguistic Structures in Simultaneous Bilingualism. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 227-245. Laufer, B. & G. Ravenhorst-Kalovski 2010 Lexical threshold revisited: Lexical text coverage, learners’ vocabulary size and reading comprehension. Reading in a Foreign Language 22, 15-30. Lema, J. 1995 Distinguishing copular and aspectual auxiliaries: Spanish ser and estar. In J. Amastae, G. Goodall, M. Montalbetti & M. Phinney (Hgg.) Contemporary Research in Romance Linguistics: Papers from the XXII Linguistic Symposium on Romance Languages. El Paso/ Juárez, Febrero 22-24, 1992. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 257-274. Lemke, V. 2008 Der Erwerb der DP: Variation beim frühen Zweitspracherwerb. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Mannheim. Leonetti, M., I. Pérez-Jiménez & S. Gumiel-Molina 2015 New Perspectives on the Study of Ser and Estar. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Lenneberg, E. H. 1967 Biological Foundations of Language. New York: Wiley. Leopold, W. 1949a Speech Development of a Bilingual Child. A Linguist‘s Record III: Grammar and General Problems in the First Two Years. New York: AMS Press. Leopold, W. 1949b Speech Development of a Bilingual Child. A Linguist‘s Record IV: Diary from Age 2. New York: AMS Press. Leopold, W. 1970 Speech Development of a Bilingual Child. New York: AMS Press. Leung, Y.-K. I. 1998 The Acquisition of French as a Third Language in Hong Kong: Interlanguage and Typology. University of Hong Kong, Pokfulam, Hong Kong SAR. http: / / dx.doi.org/ 10.53 53/ th_b3121556 Liceras, J., R. Fernández Fuertes, A. A. de la Fuente & M. Tercedor Sánchez 2010 Lexically-based interlinguistic influence at the Syntax-Semantic Interface: Copula omission in the English grammar of English-Spanish bilinguals. In C. Borgonovo, M. Español-Echevarría & P. Prévost 316 11 Literatur <?page no="317"?> (Hgg) Selected Proceedings of the 12 th Hispanic Linguistics Symposium. Somerville, MA: Cascadilla Proceedings Project, 183-193. Liceras, J., R. Fernandez Fuertes & A. Alba de la Fuente 2011 Overt subjects and copula omission in the Spanish and the English grammar of English-Spanish bilinguals. On the locus and directionality of interlinguistic influence. First Language 32(1-2), 88-115. https: / / doi.org/ 10.1 177/ 0142723711403980 Liceras, J. & A. de la Fuente 2015 Typological proximity in L2 acquisition. The Spanish non-native grammar of French speakers. In T. Judy & S. Perpiñán (Hgg.) The Acquisition of Spanish in Understudied Language Pairings. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 329-358. Liceras, J. & R. Fernández Fuertes 2019 Subject omission/ production in child bilingual English and child bilingual Spanish: the view from linguistic theory. Probus 31(2), 245-278. Liceras, J. & R. Fernández Fuertes 2021 On the nature of crosslinguistic influence: Root infinitives revisited. In L. Avram, A. Sevcenco & V. Tomescu (Hgg.) L1 Acquisition and L2 Learning. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 204-227. https: / / benjamins.com/ catalog/ lald.65.08lic. Lidz, J. & A. Gagliardi 2015 How Nature meets nurture: Universal Grammar and statistical learning. Annual Review of Linguistics 1, 333-353. Lindholm, K. J. & A. M. Padilla 1978 Language mixing in bilingual children. Journal of Child Language 5, 327-335. Lippert, S.-2010 Sprachumstellung in bilingualen Familien. Zur Dynamik sprachlicher Assimilation bei italienisch-deutschen Familien in Italien. Münster: Waxmann. Lippert, S.-2020 Über die Notwendigkeit eines postideologischen Ansatzes in der Mehrsprachigkeitsforschung. Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachen‐ unterricht 25(1), 1169-1196. Lleó, C. 1998 Proto-articles in the acquisition of Spanish: Interface between phonology and syntax. In R. Fabri, A. Ortmann & T. Parodi (Hgg.) Models of Inflection. Tübingen: Niemeyer, 175-195. Lleó, C. 2001 The interface of phonology and syntax: the emergence of the articles in the early acquisition of Spanish and German. In J. Weissenborn & B. Höhle (Hgg.) Approaches to Bootstrapping: Phonological, Lexical, Syntactic and Neurophysiological Aspects of Early Language Acquisition, Vol. 2. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 23-44. Lleó, C. & K. Demuth 1999 Prosodic constraints on the emergence of grammatical morphemes: cross-linguistic evidence from Germanic and Romance languages. In A. Greenhill, H. Little‐ field & C. Tano (Hgg.) Proceedings of the 23 rd Annual Boston University Conference on Child Language Development. Somerville, MA: Cascadilla Press, 407-418. Lloyd-Smith, A., M. Einfeldt & T. Kupisch 2020 Italian-German bilinguals: The effects of heritage language use on accent in early-acquired languages. International Journal of Bilingualism 24(2), 289-304. https: / / doi.org/ 10.1177/ 1367006919826867 Loconte, A. 2001 Zur Sprachdominanz bei bilingual deutsch-italienischen Kindern. Unveröffent‐ lichte Magisterarbeit, Universität Hamburg. Long, M. 1990 Maturational constraints on language development. Studies in Second Language Acquisition 12, 251-268. 11 Literatur 317 <?page no="318"?> Lorusso, P., C. Caprin & M. T. Guasti 2005 Overt subject distribution in early Italian children. In A. Brugos, M. R. Clark-Cotton & S. Ha (Hgg.) A Supplement to the Proceedings of Boston University Conference on Language Development. Somerville MA: Cascadilla Press, o. S. Luján, M. 1981 The Spanish copulas as aspectual indicators. Lingua 54, 165-210. Mackey, W. F. 1962 The description of bilingualism. Canadian Journal of Linguistics 7, 51-58. Macnamara, J. 1967 The bilingual‘s performance: a psychological overview. Journal of Social Issues 23, 59-77. Macnamara, J. 1969 How can one measure the extent of one person‘s bilingual proficiency? In L. G. Kelly (Hg.) Description and Measurement of Bilingualism. Toronto: University of Toronto Press, 80-98. Mackey, W. F. 1962 The description of bilingualism. Canadian Journal of Linguistics 7, 51-58. MacWhinney, B. 2000 The CHILDES Project: Tools for analyzing Talk. Hillsdale NJ: Lawrence Erlbaum. Maienborn, C. 2003 Against a Davidsonian Analysis of Copula Sentences. In M. Kadowaki & S. Kawahara (Hgg.), NELS 33 Proceedings. Amherst: GLSA, 167-186. Maienborn, C. 2005a On the limits of the Davidsonian approach: The case of copula sentences. Theoretical Linguistics 31, 275-316. Maienborn, C. 2005b A discourse-based account of Spanish ser/ estar. Linguistics 43, 155-180. Navarro Pablo, M. 2007 Adquisición del lenguaje. Orden de adquisición de las consonantes en la lengua española. CAUCE 30, 297-336. Marín, R. 2004 Entre ser y estar. Madrid: Arco Libros. Mateu, V. E. 2015 Object clitic omission in child Spanish: Evaluating representational and processing accounts. Language Acquisition 22, 240-284. Matushansky, O. 1998 Le sujet nul à travers les langues: pour une catégorie vide unique. Unveröffentlichte Dissertation, Université Paris VIII. Mayer, M. 1969 Frog, where are you? New York: Paperback. McAlister, K. T. 2010 Age of Onset of Exposure and Grammaticality Judgments in Slovak-English Code Switching. Unveröffentlichte Dissertation, Arizona State University. McLaughlin, B. 1978 Second Language Acquisition in Childhood. Hillsdale, NJ: Erlbaum. McNeil, D. A. 1966 Developmental psycholinguistics. In F. Smith & G. A. Miller (Hgg.) The Genesis of Language. A Psycholinguistic Approach. Cambridge, MA: MIT Press, 15-84. Meisel, J. M. 1983 Transfer as a second-language strategy. Language & Communication 3(1), 11-46. Meisel, J. M. 1985 Les phases initiales du développement de notions temporelles, aspectuelles et de mode d‘action. Lingua 66, 321-374. Meisel, J. M. 1986 Word order and case marking in early child language. Evidence from the simultaneous acquisition of two first languages: French and German. Linguistics 24, 123-183. Meisel, J. M. 1989 Early differentiation of languages in bilingual children. In K. Hyltenstam & L. Obler (Hgg.) Bilingualism Across the Lifespan: Aspects of Acquisition, Maturity, and Loss. Cambridge: Cambridge University Press, 13-40. 318 11 Literatur <?page no="319"?> Meisel, J. M. 1990a INFL-ection: subjects and subject-verb agreement. In J. M. Meisel (Hrsg.) Two First Languages. Early Grammatical Development in Bilingual Children. Dordrecht: Foris, 237-298. Meisel, J. M. 1990b Two First Languages. Early Grammatical Development in Bilingual Children. Dordrecht: Foris. Meisel, J. M. 1992 The Acquisition of Verb Placement: Functional Categories and V2 Phenomena in Language Development. Dordrecht: Kluwer. Meisel, J. M. 1994a Bilingual First Language Acquisition. French and German Grammatical Development. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins. Meisel, J. M. 1994b Code-switching in young bilingual children. The acquisition of grammatical constraints. Studies in Second Language Acquisition 16, 413-439. Meisel, J. M. 1994c Getting FAT: Finiteness, agreement and tense in early grammars. In J. M. Meisel (Hg.) Bilingual First Language Acquisition. French and German Grammatical Development. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins, 89-129. Meisel, J. M. 1994d La adquisición del vasco y del castellano en niños bilingües. Frankfurt am Main: Vervuert. Meisel, J. M. 1997 The acquisition of the syntax of negation in French and German: contrasting first and second language development. Second Language Research 13, 227-263. Meisel, J. M. 2001 From bilingual language acquisition to theories of diachronic change. Arbeiten zur Mehrsprachigkeit 30, 1-28. Meisel, J. M. 2009 Second language acquisition in early childhood. Zeitschrift für Sprachwissen‐ schaft 28(1), 5-34. Meisel, J. M. 2013 Heritage language learners: Unprecedented opportunities for the study of grammars and their development? Theoretical Linguistics 39(3-4), 225-236. Meisel, J. M. & N. Müller 1992 Finiteness and verb placement in early child grammars. Evidence from simultaneous acquisition of French and German in bilinguals. In J. M. Meisel (Hrsg.) The Acquisition of Verb Placement: Functional Categories and V2 Phenomena in Language Development. Dordrecht: Kluwer, 109-138. Metzger, V., C. Schroeder & Y. Şimşek 2014 Elizitierung von Lernersprache. In J. Settinieri, S. Demirkaya, A. Feldmeier, N. Gültekin-Karakoç & C. Riemer (Hgg.) Empirische Forschungsme‐ thoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh (UTB), 73-86. Mills, A. E. 1986 Acquisition of German. In D. I. Slobin (Hg.) The Crosslinguistic Study of Language Acquisition, Vol. 1., The Data. Hillsdale, NJ: Erlbaum, 141-254. Milroy, L. & P. Muysken 1995 One Speaker, Two Languages: Cross-Disciplinary Perspectives on Code-Switching. Cambridge: Cambridge University Press. Minkowski, M. 1928 Sur un cas d‘aphasia chez un polyglotte. Revue Neurologique 49, 361-366. Möhring, A. & J. M. Meisel 2003 The verb-object parameter in simultaneous and successive acquisition of bilingualism. In N. Müller (Hg.) (In)vulnerable Domains in Multilingualism. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 295-334. Montanari, E. 2002 Mit zwei Sprachen groß werden. Mehrsprachige Erziehung in Familie, Kinder‐ garten und Schule. München: Kösel. 11 Literatur 319 <?page no="320"?> Montanari, S. 2010 Language Differentiation in Early Trilingual Development. Evidence from a Case Study. Saarbrücken: Verlag Dr. Müller. Montrul, S.-2004 The Acquisition of Spanish: Morphosyntactic Development in Monolingual and Bilingual L1 Acquisition and Adult L2 Acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Montrul, S.-2004 Subject and object expression in Spanish heritage speakers: A case of morpho-syntactic convergence. Bilingualism: Language and Cognition 7(2), 125-142. Montrul, S.-2008 Incomplete Acquisition in Bilingualism. Re-examining the Age Factor. Amster‐ dam: Benjamins. Montrul, S.-2011 Multiple interfaces and incomplete acquisition. Lingua 121(4), 591-604. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.lingua.2010.05.006. Montrul, S. 2016 The Acquisition of Heritage Languages. Cambridge: Cambridge University Press. Morales Reyes, A. 2021 "Esta pobre oveja así tumbadica": uso de adjetivos en niños hispanohab‐ lantes. Estudios de Lingüística Aplicada 0(72), 69-95. https: / / doi.org/ 10.22201/ enallt.01852647 p.2021.72.908. Moro, M. 2011 The semantic interpretation and syntactic distribution of determiner phrases in Spanish/ English codeswitching. In J. MacSwan. (Hg.) Grammatical Theory and Bilingual Codeswitching. Cambridge, MA: MIT Press, 213-226 Müller, G. & B. Rohrbacher 1989 Eine Geschichte ohne Subjekt. Zur Entwicklung der pro-Theo‐ rie. Linguistische Berichte 119, 3-52. Müller, J. 2009 Die OV/ VO-Stellung im Erstspracherwerb des Deutschen und Französischen: robust oder einflussanfällig? Unveröffentlichte Masterthesis, Bergische Universität Wuppertal. Müller, N. 1993 Komplexe Sätze. Der Erwerb von COMP und von Wortstellungsmustern bei bilingualen Kindern (Französisch / Deutsch). Tübingen: Narr. Müller, N. 1994 Parameters cannot be reset: evidence from the development of COMP. In J. M. Meisel (Hg.) Bilingual First Language Acquisition. French and German Grammatical Development. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins, 235-269. Müller, N. 1998a Die Abfolge OV / VO und Nebensätze im Zweit- und Erstspracherwerb. In H. Wegener (Hg.) Eine zweite Sprache lernen. Tübingen: Narr, 89-116. Müller, N. 1998b Transfer in bilingual first language acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 1(3), 151-171. Müller, N. 1998c UG access without parameter fixing: a longitudinal study of (L1 Italian) German as a second language. In M. Beck (Hg.) Morphology and its Interfaces in L2 Knowledge. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 115-163. Müller, N. 2004 Null-arguments in bilingual children: French topics. In J. Paradis & P. Prévost (Hgg.) The Acquisition of French in Different Contexts. Focus on Functional Categories. Ams‐ terdam: Benjamins, 275-304. Müller, N. 2006 Emerging complementizers. German in contact with French / Italian. In C. Lefevre, L. White & C. Jourdan (Hgg.) L2 Acquisition and Creole Genesis. Amsterdam / Phil‐ adelphia: Benjamins, 145-165. Müller, N. 2017 Different sources of delay and acceleration in early child bilingualism. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 36(1), 7-30. 320 11 Literatur <?page no="321"?> Müller, N. 2023 Das mehrsprachige Kind als Ausgangspunkt für eine optimale Lernergrammatik. Ergebnisse simultan bi- und trilingualer Kinder. In L. Auteri, N. Barrale, A. di Bella & S.Hoffmann (Hgg.) Jahrbuch für Internationale Germanistik. Akten des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG). Pieterlen / Bern: Lang, 721-732. https: / / www.peterlang.com/ document/ 1246814 Müller, N. & K. F. Cantone 2009 Language mixing in young bilingual children: code-switching? . In B. E. Bullock & A. J. Toribio (Hgg.) The Handbook of Code-switching. Cambridge: Cambridge University Press, 199-220. Müller, N., K. Cantone, T. Kupisch & K. Schmitz 2002 Zum Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb: Italienisch - Deutsch. Linguistische Berichte 190, 157-206. Müller, N., B. Crysmann & G. Kaiser 1996 Interactions between the acquisition of French object drop and the development of the C-system. Language Acquisition 5(1), 35-63. Müller, N. & A. Hulk 2000 Crosslinguistic influence in bilingual children: object omissions and Root Infinitives. In C. Howell, S. A. Fish & T. Keith-Lucas (Hgg.) Proceedings of the 24 th Annual Boston University Conference on Child Language Development. Somerville, MA: Cascadilla Press, 546-557. Müller, N. & A. Hulk 2001 Crosslinguistic influence in bilingual language acquisition: Italian and French as recipient languages. Bilingualism: Language and Cognition 4(1), 1-21. Müller, N. & T. Kupisch 2003 Zum simultanen Erwerb des Deutschen und des Französischen bei (un)ausgeglichen bilingualen Kindern. Vox Romanica 62, 145-169. Müller, N. & T. Kupisch 2005 The French DP in bilingual first and second language development: proficiency versus age as windows to language acquisition. Manuskript, Universität Wup‐ pertal, Universität Hamburg. Müller, N. & M. Patuto 2009 Really competence-driven cross-linguistic influence in bilingual first language acquisition? The role of the language combination. In P. Bernardini, V. Egerland & J. Granfeld (Hgg.) Mélanges plurilingues offerts à Suzanne Schlyter à l’occasion de son 65ème anniversaire. Études Romanes de Lund 85. Lunds Universitet: Språkoch litteraturcentrum Romanska, 299-319. Müller, N. & Z. Penner 1996 Early subordination: The acquisition of free morphology in French, German, and Swiss German. Linguistics 34, 133-165. Müller, N. & A. Pillunat 2007 Balanced bilingual children with two weak languages: a French-German case study. In P. Guijarro-Fuentes, P. Larrañaga & J. Clibbens (Hgg.) First Language Acquisition of Morphology and Syntax: Perspectives across Languages and Learners. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 269-294. Müller, N. & B. Riemer 1998 Generative Syntax der romanischen Sprachen. Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch. Tübingen: Stauffenburg. Müller, N., K. Schmitz, K. F. Cantone & T. Kupisch 2006 Null-arguments in monolingual children: a comparison of Italian and French. In V. Torrens & L. Escobar (Hgg.) The Acquisition of Syntax in Romance Languages. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 69-93. Müller, N., L. Arnaus Gil, N. Eichler, J. Geveler, M. Hager, V. Jansen, M. Patuto, V. Repetto & A. Schmeißer 2015 Code-Switching: Spanisch, Italienisch, Französisch. Eine Einführung. Tübingen: Narr. 11 Literatur 321 <?page no="322"?> Muysken, P. 1995 Code-switching and grammatical theory. In L. Milroy & P. Muysken (Hgg.) One Speaker, Two Languages: Cross-Disciplinary Perspectives on Code-Switching. Cambridge: Cambridge University Press, 177-198. Muysken, P. 1997 Code-switching processes: alternation, insertion and congruent lexicalization. In M. Putz (Hg.) Conditions, Constraints and Consequences. Amsterdam / Philadelphia: Benja‐ mins, 361-380. Muysken, P. 2000 Bilingual Speech: A Typology of Code-Mixing. Cambridge: Cambridge Univer‐ sity Press. Myers-Scotton, C. 1993 Duelling Languages. Grammatical Structure in Code-Switching. Oxford: Clarendon Press. Myers-Scotton, C. & J. L. Jake 2001 Explaining aspects of codeswitching and their implications. In J. Nicol (Hg.) One Mind, Two Languages: Bilingual Language Processing. Oxford: Blackwell, 84-116. Nagy, N. 2016 Heritage languages as new dialects. In M. H Côté, R. Knooihuizen & J. Nerbonne (Hgg.) The Future of Dialects. Berlin: Language Science Press, 15-35. Nation, P. 1993 Vocabulary size, growth, and use. In R. Schreuder & B. Weltens (Hgg.) The Bilingual Lexicon. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 115-134. Navarro Pablo, M. 2007 Adquisición del lenguaje. Orden de adquisición de las consonantes en la lengua española. CAUCE 30, 297-336. Neeleman, A. & F. Weerman 1999 Flexible Syntax. A Theory of Case and Arguments. Dordrecht: Kluwer. Nicoladis, E., S. S. Pika & S. Marentette 2006 Do French-English bilingual children gesture more than monolingual children? Journal of Psycholinguistic Research 38(6), 573-585. Notley, A., E. van der Linden & A. Hulk 2007 Cross-linguistic influence in bilingual children: the case of dislocation. In S. Baauw, F. Drijkoningen & M. Pinto (Hgg.) Romance Language and Linguistic Theory 2005, Selected papers from “Going Romance”. Utrecht, 8-10 December 2005. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 229-259. Noyau, C. 1991 CONTER, REDIRE: CADA VEZ ES OTRO CUENTO. Actes du Troisième Colloque de Linguistique Hispanique. Grenoble: Université de Grenoble, Centre de Didactique des Langue et Département d’Études Ibériques et Ibéroaméricaines, 26-56. Obler, L. K., R. J. Zatorre, L. Galloway & J. Vaid 1982 Cerebral lateralization in bilinguals: methodological issues. Brain and Language 15, 40-54. Oksaar, E. 1970 Zum Spracherwerb des Kindes in zweisprachiger Umgebung. Folia Linguistica 4, 330-358. Oksaar, E. 1977 On becoming trilingual. In C. Molony (Hg.) Deutsch im Kontakt mit anderen Sprachen. Kronberg: Scriptor Verlag, 296-306. Olfert, H. 2019 Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen. Eine Analyse begünstigender und hemmender Faktoren für den Spracherhalt im Kontext von Migration. Tübingen: Narr. Olton, R. 1960 Semantic Generalization between Languages. Unveröffentlichte Magisterarbeit, McGill University. Otheguy, R., A. C. Zentella & D. Livert. 2007 Language and dialect contact in Spanish in New York. Toward the formation of a speech community. Language 83, 770-802. 322 11 Literatur <?page no="323"?> Padilla, A. & E. Liebman 1975 Language acquisition in the bilingual child. Bilingual Review 2, 34-55. Papastefanou, D., D. Powell & T. Marinis, 2019 Language and decoding skills in Greek-English primary school bilingual children: effects of language dominance, contextual factors and cross-language relationships between the heritage and the majority language. Frontiers in Communication, 4, 65. Doi: https: / / doi.org/ 10.3389/ fcomm.2019.00065 Papastefanou, T., T. Marinis, & D. Powell, 2021 Development of reading comprehension in bilingual and monolingual children — Effects of language exposure. Languages 6(4), 166. Doi: https: / / doi.org/ 10.3390/ languages6040166 Paradis, J. & F. Genesee 1996 Syntactic acquisition in bilingual children: autonomous or interdependent? Studies in Second Language Acquisition 18, 1-25. Paradis, J. & F. Genesee 1997 On continuity and the emergence of functional categories in bilingual first language acquisition. Language Acquisition 6, 91-124. Paradis, J. & S. Navarro 2003 Subject realization and crosslinguistic influence in the bilingual acquisition of Spanish and English: What is the role of the input? Journal of Child Language 30(2), 371-393. Park, T. 1971 Word order in German language development. Word 27, 163-183. Patuto, M. 2012 Der Erwerb des Subjekts in (Nicht-)Nullsubjektsprachen: die Rolle des Sprachen‐ einflusses und der Sprachdominanz bei bilingual deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern. Tübingen: Narr. Patuto, M., V. Repetto & N. Müller 2011 Delay and acceleration in bilingual first language acquisition: the same or different? In E. Rinke & T. Kupisch (Hgg.) The Development of Grammar: Language Acquisition and Diachronic Change. Volume in Honor of Jürgen M. Meisel. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 231-261. Patuto, M., M. Hager, L. Arnaus Gil, N. Eichler, V. Jansen, A. Schmeißer & N. Müller 2014 Child-external and -internal factors in bilingual code-switching: Spanish, Italian, French and German. In A. Koll-Stobbe & S. Knospe (Hgg.) Language Contact Around the Globe. Proceedings of the LCTG3 Conference. Frankfurt am Main: Lang, 191-209. Penner, Z. 1992 The ban on parameter resetting, default mechanisms, and the acquisition of V2 in Bernese Swiss German. In J. M. Meisel (Hg.) The Acquisition of Verb Placement: Functional Categories and V2 Phenomena in Language Development. Dordrecht: Kluwer, 245-281. Penner, Z. 1996 From empty to doubly-filled complementizers. A case study in the acquisition of subordination in Bernese Swiss German. Arbeitspapier 77, Universität Konstanz. Penner, Z. & T. Bader 1995 Issues in the syntax of subordination: A comparative study of the complementizer system in Germanic, Romance, and Semitic languages with special reference to Bernese Swiss German. In Z. Penner (Hg.) Topics in Swiss German Syntax. Bern: Lang, 73-290. Penner, Z. & J. Weissenborn 1996 Strong continuity, parameter setting and the trigger hierarchy: on the acquisition of the DP in Bernese Swiss German and High German. In H. Clahsen (Hg.) Generative Perspectives on Language Acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 161-200. 11 Literatur 323 <?page no="324"?> Petersen, J. 1988 Word-internal code-switching constraints in a bilingual child‘s grammar. Linguistics 26, 479-493. Pfaff, C. 1979 Constraints on language mixing: intrasentential code-switching and borrowing in Spanish / English. Language 55, 291-318. Pfaff, C. 1992 The issue of grammaticalization in early German second language. Studies in Second Language Acquisition 14, 273-296. Piccione, M., M. Ferin, N. Furlani, M. Geiss, T. Marinis & T. Kupisch. Dominance shift or change? Direct and indirect measures of dominance in Italian-German preschool children. Manuskript, Universität Konstanz. Pillunat, A., K. Schmitz & N. Müller 2006 Die Schnittstelle Syntax-Pragmatik: Subjektauslassun‐ gen bei bilingual deutsch-französisch aufwachsenden Kindern. Zeitschrift für Literaturwis‐ senschaft und Linguistik 143, 7-24. Pizzuto, E. & M. C. Caselli 1992 The acquisition of Italian morphology: implications for models of language development. Journal of Child Language 19, 491-557. Platzack, C. 2001 The vulnerable C-domain. Brain and Language 77, 364-377. DOI: 10.1006/ brln.2000.2408. Poeppel, D. & K. Wexler 1993. The full competence hypothesis of clause structure in early German. Language 69(1), 1-33. Pöll, B. 1998 Französisch außerhalb Frankreichs. Geschichte, Status und Profil regionaler und nationaler Varietäten. Tübingen: Niemeyer. Pöll, B. 2 2017 Französisch außerhalb Frankreichs. Geschichte, Status und Profil regionaler und nationaler Varietäten. Tübingen: Niemeyer. Pomino, N. & S. Zepp 2004 Hispanistik. Paderborn: Wilhelm Fink. Poplack, S.-1980 Sometimes I‘ll start a sentence in Spanish y termino en español: toward a typology of code-switching. Linguistics 18, 581-618. Poplack, S. 1981 The syntactic structure and social function of code-switching. In R. Dúran (Hg.) Latino Language and Communicative Behavior. Norwood, NJ: Ablex, 169-184. Prévost, P. 2009 The Acquisition of French. The development of inflectional morphology and syntax in L1 acquisition, bilingualism, and L2 acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Puig-Mayenco, E., J. González Alonso & J. Rothmann 2020 A systematic review of transfer studies in third language acquisition. Second Language Research 36(1) 31-64. Quay, S. 1995 The bilingual lexicon: implications for studies of language choice. Journal of Child Language 22, 369-387. Radford, A. 1988 Small children’s small clauses. Transactions of the Philological Society 86(1), 1-43. Raposo, E. 1998 Definite/ zero alternations in Portuguese: Towards a unification of topic constructions. In A. Schwegler, B. Tranel & M. Uribe-Etxebarria (Hgg.) Romance Linguistics: Theoretical Perspectives. Amsterdam: Benjamins, 197-212. Raposo, E. & J. Uriagereka 1990 Long distance Case assignment. Linguistic Inquiry 21, 505-537. Rasetti, L. 2000 Optional Categories in Early French Syntax: A Developmental Study on Root Infinitives and Null Arguments. Unveröffentlichte Doktorarbeit, University of Geneva. 324 11 Literatur <?page no="325"?> Ratzmann, F. E. 2023 Pluralbildung im Erwerb des Deutschen am Beispiel zweier ukrainischer geflüchteter Kinder. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, Universität Duisburg-Essen. Redlinger, W. & T. Park 1980 Language mixing in young bilinguals. Journal of Child Language 7, 337-352. Reinhart, T. 1981 Pragmatics and linguistics: An analysis of sentence topics. Philosophica 27(1), 53-94. Repetto, V. 2006 Uno studio sull’acquisizione bilingue. L’aggettivo in tedesco e in italiano. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Università di Napoli. Repetto, V. 2010 L’acquisizione bilingue: l’ordine dei costituenti della frase e loro realizzazione morfologica in italiano e in tedesco. Unveröffentlichte Dissertation, Bergische Universität Wuppertal / Università di Napoli. Repetto, V. & N. Müller 2010 The acquisition of German V2 in bilingual Italian-German children residing in Germany and Italy: a case of acceleration? In V. Torrens, L. Escobar, A. Gavarrò & J. Gutiérrez (Hgg.) Movement and Clitics: Adult and Child Grammar. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing, 155-184. Riehl, C. M. 3 2014 Sprachkontaktforschung. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Rinker, T., T. Bloder & K. Plotner 2022 Italian and German lexical development in Italian heritage speakers in kindergarten and elementary school settings. Lingue e Linguaggio 1, 53-72. Doi: https: / / doi.org/ 10.1418/ 104449 Rizzi, L. 1982 Issues in Italian Syntax. Dordrecht: Foris. Rizzi, L. 1986 Null objects in Italian and the theory of pro. Linguistic Inquiry 17, 501-558. Rizzi, L. 1989 On the format of parameters. The Behavioral and Brain Sciences 12, 355-356. Rizzi, L. 1990 Relativized Minimality. Cambridge: MIT Press. Rizzi, S.-2012 Der Erwerb des Adjektivs bei bilingual deutsch-italienischen Kindern. Tübingen: Narr. Rizzi, S., L. Arnaus Gil, V. Repetto, J. Geveler & N. Müller 2013 Adjective placement in bilingual Romance-Romance and Romance-German children with special reference to Romance (French, Italian and Spanish). Studia Linguistica 67(1), 123-147. Rizzi, L. & I. Roberts 2018 Complex Inversion. In I. Roberts (Hg.) Diachronic and Comparative Syntax. New York: Routledge, 296-324. Rodina Y., T. Kupisch, N. Meir, N. Mitrofanova, O. Urek & M. Westergaard 2020 Internal and external factors in heritage language acquisition: Evidence from heritage Russian in Israel, Germany, Norway, Latvia and the United Kingdom. Frontiers in Education 5(20), 1-17. Doi: 10.3389/ feduc.2020.00020. Roberts, I. 2019 Parameter Hierarchies & Universal Grammar. Oxford: Oxford University Press. Roby, D. B. 2009 Aspect and the Categorization of States. The Case of ser and estar in Spanish. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. Roeper T. 1999 Universal bilingualism. Bilingualism: Language and Cognition 2(3), 169-186. Roeper, T. & J. Weissenborn 1990 How to make parameters work: comments on Valian. In L. Frazier & J. de Villiers (Hgg.) Language Processing and Language Acquisition. Dordrecht: Kluwer, 147-162. Romaine, S.-1995 Bilingualism. Oxford: Blackwell. 11 Literatur 325 <?page no="326"?> Romaine, S.-1999 Bilingual language development. In M. Barrett (Hg.) The Development of Language. London: University College London Press, 251-276. Rowlett, P. 2007 The Syntax of French. New York, NY: Cambridge University Press. Ronjat, J. 1913 Le développement du langage observé chez un enfant bilingue. Paris: Champion. Rothman, J. 2009 Understanding the nature of early bilingualism: Romance languages as heritage languages. International Journal of Bilingualism 13(2), 155-63. Rothman, J. 2015 Linguistic and cognitive motivations for the Typological Primacy Model (TPM) of third language (L3) transfer: Timing of acquisition and proficiency considered. Bilingualism: Language and Cognition 18(2), 179-190. Doi: 10.1017/ S136672891300059X Rothman, J., J. González Alonso & E. Puig-Mayenco 2019 Third Language Acquisition and Linguistic Transfer. Cambridge: Cambridge University Press. Rothweiler, M. 1993 Nebensatzerwerb im Deutschen. Eine Pilotstudie. Tübingen: Niemeyer. Rothweiler, M. 2001 Wortschatz und Störungen des lexikalischen Erwerbs bei spezifisch sprachentwicklungsgestörten Kindern. Heidelberg: Winter. Rothweiler, M. 2008 Bilingualer Spracherwerb und Zweitspracherwerb. In M. Steinbach, R. Albert, H. Girnth, A. Hohenberger, B. Kümmerling-Meibauer, J. Meibauer, M. Rothweiler & M. M. Schwarz-Friesel (Hgg.) Schnittstellen der germanistischen Linguistik. Stuttgart: Metzler, 103-135. Ruberg, T. & M. Rothweiler 2012 Spracherwerb und Sprachförderung in der KiTa. Stuttgart: Kohlhammer. Safir, K. J. 1985 Syntactic Chains. Cambridge: Cambridge University Press. Sankoff, D. & S. Poplack 1981 A formal grammar for code-switching. Papers in Linguistics 14, 3-45. Scalise, E., J. Stahnke & N. Müller 2021 Parameter hierarchy and acceleration: subject omissions in a trilingual child with special reference to French. Language, Interaction and Acquisition, 12(1), 157-184. https: / / doi.org/ 10.1075/ lia.20011.sca Schlyter, S. 1987 Language mixing and linguistic level in three bilingual children. Scandinavian Working Papers on Bilingualism 7, 29-48. Schlyter, S. 1993 The weaker language in bilingual Swedish-French children. In K. Hyltenstam & Ǻ. Viberg (Hgg.) Progression and Regression in Language. Cambridge: Cambridge University Press, 289-308. Schlyter, S.-2003 Development of verb morphology and finiteness in children and adults acquiring French. In C. Dimroth & M. Starren (Hgg.) Information Structure and Dynamics of Language Acquisition. Amsterdam: Benjamins, 15-44. Schlyter, S.-1994 Early morphology in Swedish as the weaker language in French-Swedish bilingual children. Scandinavian Working Papers on Bilingualism 9, 67-86. Schmeißer, A., N. Eichler, L. Arnaus Gil & N. Müller 2016a Mélanges interpropositionnels chez les enfants bilingues français-allemands: est-ce vraiment du code-switching? Language, Interaction and Acquisition 7(2), 238-274. Schmeißer, A., M. Hager, L. Arnaus Gil, V. Jansen, J. Geveler, N. Eichler, M. Patuto & N. Müller 2016b Related but different: the two concepts of language dominance and language profi‐ 326 11 Literatur <?page no="327"?> ciency. In C. Silva-Corvalán & J. Treffers-Daller (Hgg.) Language Dominance in Bilinguals: Issues of Operationalization and Measurement. Cambridge: Cambridge University Press, 36-65. Schmeißer, A. & V. Jansen 2016 Finite verb placement in French language change and in bilingual German-French language acquisition. In K. Schmitz, P. Guijarro-Fuentes & N. Müller (Hgg.) The Acquisition of French in its Different Constellations. Bristol: Multilingual Matters, 10-42. Schmitt, C. & K. Miller 2007 Making discourse dependent decisions: The case of the copulas ser and estar in Spanish. Lingua 117(11), 1907-1929. Schmitt, C., C. Holtheuer & K. Miller. 2004 Acquisition of ser and estar in Spanish: learning le‐ xico-semantics, syntax and discourse. Boston University Conference on Language Development (BUCLD) 28 Proceedings Online Supplement. Schmitz, K. 2002 Crosslinguistic influence in bilingual acquisition of word order. Vortrag im Rahmen der 24.-Jahrestagung der DGfS. Mannheim, 27.02. - 01.03.2002. Schmitz, K. 2006a Zweisprachigkeit im Fokus. Der Erwerb der Verben mit zwei Objekten durch bilingual deutsch / französisch und deutsch / italienisch aufwachsende Kinder. Tübingen: Narr. Schmitz, K. 2006b Indirect objects and dative case in monolingual German and bilingual German/ Romance language acquisition. In D. Hole & A. Meinunger (Hgg.) Datives and Other Cases. Amsterdam: Benjamins, 240-267. Schmitz, K. 2007 L’interface Syntaxe-Pragmatique: Le sujet chez des enfants bilingues franco-al‐ lemands et italo-allemands. AILE 25, 9-43. Schmitz, K. 2010 Null objects in German-Spanish bilingual children. Manuskript, Bergische Universität Wuppertal. Schmitz, K. 2012 The omission and realization of dative and reflexive clitics in the monolingual and bilingual acquisition of constructions of inalienable possession in French. In P. Larrañaga & P. Guijarro-Fuentes (Hgg.) Pronouns and Clitics in Early Acquisition. Berlin: Mouton de Gruyter, 175-208. Schmitz, K. 2023 Integrating technolects in micro-variation: Null subjects in Italian national and EU primary law texts. In N. Pomino, E. M. Remberger & J. Zwink (Hgg.) From Formal Linguistic Theory to the Art of Historical Editions: The Multifaceted Dimensions of Romance Linguistics. Universität Wien: Vandenhoeck & Ruprecht, 127-144. Schmitz, K. & N. Müller 2003 Strong and clitic pronouns in monolingual and bilingual first language acquisition: comparing French and Italian. Arbeiten zur Mehrsprachigkeit 49, 1-38. Schmitz, K. & N. Müller 2005 Der Erwerb der starken und klitischen Pronomina im Französischen und Italienischen. In G. Kaiser (Hg.) Deutsche Romanistik - generativ. Tübingen: Narr, 181-199. Schmitz, K. & N. Müller 2008 Strong and clitic pronouns in monolingual and bilingual language acquisition: Comparing French and Italian. Bilingualism: Language and Cognition 11(1), 19-41. Schmitz, K., M. Patuto & N. Müller 2011 The null-subject parameter at the interface bet‐ ween syntax and pragmatics: Evidence from bilingual German-Italian, German-French and Italian-French children. First Language 31(2), 1-34. Schneegans, J. 2023 Subjektauslassung und -platzierung bei monolingual französisch- und englischsprachigen Kindern als Problem des linguistischen Vorteils mehrsprachiger Kinder. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, Bergische Universität Wuppertal. Schneider, S.-2015 Bilingualer Erstspracherwerb. München: Ernst Reinhardt Verlag. 11 Literatur 327 <?page no="328"?> Schönenberger, M. 1999 The acquisition of verb placement in Swiss German. In A. Greenhill, H. Littlefield & C. Tano (Hgg.) Proceedings of the 23 rd Annual Boston University Conference on Child Language Development. Somerville, MA: Cascadilla Press, 611-622. Schönenberger, M. 2000 The acquisition of verb placement in Lucernese Swiss German. In A. M. Friedemann & L. Rizzi (Hgg.) Acquisition of Syntax. Issues in Comparative Linguistics. London: Longman, 293-319. Schpak-Dolt, N. 1992 Einführung in die französische Morphologie. Tübingen: Niemeyer. Schröter, V. 2019 Null Subjects in Englishes. A Comparison of British English and Asian Englishes. Berlin / Boston: de Gruyter. Schulz, P. & R. Tracy 2011 LiSe-DaZ: Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweit‐ sprache. Göttingen: Hogrefe. Schwarz, B. & R. Sprouse 2021 The Full Transfer/ Full Access model and L3 cognitive states. Linguistic Approaches to Bilingualism 11(1), 1-29. Schwenter, S. 2006 Null Objects across South America. In T. L. Face & C. A. Klee (Hgg.) Selected Proceedings of the 8 th Hispanic Linguistics Symposium. Somerville, MA: Cascadilla Proceedings Project, 23-36. Scupin, E. & G. Scupin 1907 Bubis erste Kindheit. Ein Tagebuch. Leipzig: Grieben. Scupin, E & G. Scupin 1910 Bubi im vierten bis sechsten Lebensjahr. Leipzig: Grieben. Seewald, U. 1996 Morphologie des Italienischen. Tübingen: Niemeyer. Segalowitz, N. 1970 Psychological perspectives on bilingual education. In B. Spolsky & R. Cooper (Hgg.) Frontiers of Bilingual Education. Rowley, MA: Newbury House, 303-313. Selinker, L. 1969 The psychologically relevant data of second-language learning. In P. Pimsleur & T. Quinn (Hgg.) The Psychology of Second Language Learning.- Cambridge: -Cambridge University Press, 35-43. Sera, M. D. 1992 To be or not to be. Journal of Memory and Language 31, 408-427. Sera, M. D., D. W. Bales & J. del Castillo Pintado 1997 Ser helps speakers identify “real” properties. Child Development 68, 820-831. Serratrice, L. 2000 The Emergence of Functional Categories in Bilingual Language Acquisition. Unveröffentlichte Dissertation, University of Edinburgh. Serratrice, L. 2007 Cross-linguistic influence in the interpretation of anaphoric and cataphoric pronouns in English-Italian bilingual children. Bilingualism: Language and Cognition 10(3), 225-238. Serratrice, L. & A. Sorace 2003 Overt and null subjects in monolingual and bilingual Italian acquisition. In B. Beachley, A. Brown & F. Conlin (Hgg.), Proceedings of the 27 th Boston University Conference on Child Language Development. Somerville, MA: Cascadilla Press, 739-750. Serratrice, L., A. Sorace & S. Paoli 2004 Cross-linguistic influence at the syntax-pragmatics interface: subjects and objects in English-Italian bilingual and monolingual acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 7(3), 183-205. Sharwood-Smith, M. & E. Kellerman 1986 Crosslinguistic influence in second language acqui‐ sition: an introduction. In E. Kellerman & M. Sharwood-Smith (Hgg.) Crosslinguistic Influence and Second Language Acquisition. Oxford: Pergamon Press, 1-9 328 11 Literatur <?page no="329"?> Shin, N. L. & H. Cairns Smith 2012 The development of NP selection in school-age children: reference and Spanish subject pronouns. Language Acquisition 19(1), 3-38. Silva Colaco, I. 2022 Der Einfluss der Sprachkombination auf den Erwerb der Subjekt-Verb- Kon‐ gruenz: eine Untersuchung eines bilingual französisch portugiesischen Kindes. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, Bergische Universität Wuppertal. Silva-Corvalán, C. & S. Montanari 2008 The acquisition of ser, estar (and be) by a Spanish-English bilingual child: The early stages. Bilingualism: Language and Cognition 11, 341-360. Silva-Corvalán, C. & J. Treffers-Daller 2015 Language Dominance in Bilinguals. Cambridge: Cambridge University Press. Sivakumar, A. 2015 Soziolinguistische Faktoren des Code-switching: Eine empirische Untersuchung von mit Deutsch und Spanisch aufwachsenden Kindern in Bonn und Madrid. Unveröffentlichte Bachelorthesis, Bergische Universität Wuppertal. Skutnabb-Kangas, T. 1984 Bilingualism or Not: The Education of Minorities. Clevedon, Avon: Multilingual Matters. Slabakova, R. 2017 The Scalpel Model of third language acquisition. International Journal of Bilingualism 21, 651-665. https: / / doi.org/ 10.1177/ 1367006916655413 Slobin, D. I. 1973 Cognitive prerequisites for the development of grammar. In C. Ferguson & D. I. Slobin (Hgg.) Studies of Child Language Development. New York: Holt, Rinehart & Winston, 175-208. Slobin, D. I. 1986 Crosslinguistic evidence for the language-making capacity. In D. I. Slobin (Hg.) The Crosslinguistic Study of Language Acquisition, Vol.II., Theoretical Issue. Hillsdale NJ: Erlbaum, 1157-1256. Sorace, A., & L. Serratrice 2009 Internal and external interfaces in bilingual language develop‐ ment: Beyond structural overlap. International Journal of Bilingualism 13(2), 195-210. https: / / doi.org/ 10.1177/ 1367006909339810 Sorace, A., L. Serratrice & S. Paoli 2004 Crosslinguistic influence at the syntax-pragmatics interface: Subjects and objects in English-Italian bilingual and monolingual acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 7(3), 183-205. Sridhar, S. N. & K. K. Sridhar 1980 The syntax and psycholinguistics of bilingual code switching. Canadian Journal of Psychology 34, 407-416. Stark, E. 1997 Voranstellungstrukturen und "topic"-Markierungen im Französischen. Mit einem Ausblick auf das Italienische. Tübingen: Narr. Statistisches Bundesamt 2005 Leben in Deutschland. Haushalte, Familien und Gesundheit - Ergebnisse des Mikrozensus. Wiesbaden: Pressestelle, auch unter: Stein, P. 2 2017 Kreolisch und Französisch. Niemeyer: Tübingen. Steinlen, A. & T. Piske 2016 Wortschatz- und Leseverständnis des Englischen bei einsprachigen und mehrsprachigen Kindern in einer bilingualen Grundschule. In A. Steinlen & T. Piske (Hgg.) Wortschatzlernen in bilingualen Schulen und Kindertagesstätten. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 123-165. Stern, C. & W. Stern 1928 Die Kindersprache, neu abgedruckt 1975. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 11 Literatur 329 <?page no="330"?> Strik, N. & A. T. Pérez-Leroux 2011 Jij doe wat girafe? : Wh-movement and inversion in Dutch-French bilingual children. Linguistic Apporaches to Bilingualism 1(2), 175-205. Swain, M. 1972 Bilingualism as a First Language. Unveröffentlichte Dissertation, University of California, Irvine. Taeschner, T. 1983 The Sun is Feminine. A Study on Language in Bilingual Children. Berlin: Springer. Thomas, E. M., K. F. Cantone, S. Schiemenz & A. Shadrova 2011 Cross-linguistic influence and bilingual acquisition patterns: German-Welsh case studies. In E. M. Thomas & I. Mennen (Hgg.) Unravelling Bilingualism: A Cross-disciplinary Perspective. Clevedon: Multilingual Matters, o. S. Thuilier. J. 2012 Contraintes préférentielles et ordre des mots en français. Unveröffentlichte Dissertation, Université Paris-Diderot---Paris VII. Thuilier, J., G. Fox & B. Crabbe 2012 Prédire la position de l’adjectif épithète en français. Approche quantitative. Lingvistica Investigationes 35(1), 28-75. Doi 10.1075/ li.35.1.02thu Tiedemann, C. 1999 Erwerb des italienischen Pronominalsystems. Unveröffentlichte Magisterar‐ beit, Universität Hamburg. Timm, L. A. 1975 Spanish-English code-switching: el porqué and how-not-to. Romance Philology 28, 473-482. Tirado Espinosa, M. & K. Zimmermann 2019 Kapitel 8: Erwerb der Adjektivstellung im Deutschen, Französischen und Spanischen. In Arnaus, Gil, L., N. Müller., M. Hüppop, M. Poeste, E. Scalise, N. Sette, A. Sivakumar, M. Tirado Espinosa & K. S. Zimmermann (Hgg.) Frühkindlicher Trilinguismus: Französisch, Spanisch, Deutsch. Tübingen: Narr, 145-164. Torregrossa, J., M. Andreou, C. Bongartz & I. M. Tsimpli 2021 Bilingual acquisition of reference: The role of language experience, executive functions and crosslinguistic effects. Bilingua‐ lism: Language and Cognition 1-13. https: / / doi.org/ 10.1017/ S1366728920000826 Tracy, R. 1991 Sprachliche Strukturentwicklung: Linguistische und kognitionspsychologische As‐ pekte einer Theorie des Erstspracherwerbs. Tübingen: Narr. Tracy, R. 1995 Child Languages in Contact: Bilingual Language Acquisition in Early Childhood. Habilitationsschrift, Tübingen. Tracy, R. 2000 Sprache und Sprachentwicklung: Was wird erworben? . In H. Grimm (Hg.) Enzyklopädie der Psychologie: Theorie und Forschung. Göttingen: Hogrefe, 3-39. Tracy, R. 2 2008 Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen: Narr. Tracy, R. & I. Gawlitzek-Maiwald 2000 Bilinguismus in der frühen Kindheit. In H. Grimm (Hg.) Enzyklopädie der Psychologie: Theorie und Forschung. Göttingen: Hogrefe, 495-535. Tracy, R. 2014 Mehrsprachigkeit: Vom Störfall zum Glücksfall. In M. Krifka, M. Blaszczak, A. Leßmöllmann, A. Meinunger, B. Stiebels, R. Tracy & H. Truckenbrodt (Hgg.) Das mehrspra‐ chige Klassenzimmer: Über die Muttersprachen unserer Schüler. Berlin / Heidelberg: Springer, 13-33. Treffers-Daller, J. 2019 What defines language dominance in bilinguals? Annual Review of Linguistics 5, 375-393. 330 11 Literatur <?page no="331"?> Treffers-Daller, J. 2022 Code-Switching among bilingual and trilingual children. In A. Stavans & U. Jessner (Hgg.) The Cambridge Handbook of Childhood Multilingualism. Cambridge University Press: Cambridge, 190-214. Triarchi-Herrmann, V. 4 2022 Mehrsprachige Erziehung. Wie Sie Ihr Kind fördern. München: Ernst Reinhardt Verlag. Trutkowski, E. 2016 Topic Drop and Null Subjects in German. Berlin: De Gruyter. Tsimpli, I. M. 2001 LF-Interpretability and language development: a study of verbal and nominal features in Greek normally developing and SLI children. Brain and Language 77, 432-448. Tsimpli, I. M. 2014 Early, late or very late. Timing acquisition and bilingualism. Linguistic Approaches to Bilingualism 4(3), 283-313. Doi: 10.1075/ lab.4.3.01tsi Tuller, L. 2000 Null Objects in Deaf French. Manuskript, Université de Tours. Uhmann, S. 2009 Verbstellungsvariation in weil-Sätzen: Lexikalische Differenzierung mit gram‐ matischen Folgen. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 17(1), 92-139. Unsworth, S.-2013 Assessing the role of current and cumulative exposure in simultaneous bilingual acquisition: The case of Dutch gender.-Bilingualism: Language and Cognition-16(1), 86-110. Doi: 10.1017/ S1366728912000284. Unsworth, S.-2015. Amount of exposure as a proxy for dominance in bilingual language acquisition. In C. Silva-Corvalán & J. Treffers-Daller (Hgg.) Language Dominance in Bilinguals: Issues of Measurement and Operationalization. Cambridge: Cambridge University Press, 156-173. Doi: 10.1017/ CBO9781107375345.008. Unsworth, S.-2016 Quantity and quality of language input in bilingual language development. In E. Nicoladis & S. Montanari (Hgg.)-Bilingualism Across the Lifespan: Factors Moderating Language Proficiency. Washington, DC: Mouton de Gruyter/ APA, 136-196. Unsworth, S., V. Chondrogianni & B. Skarabela 2018 Experiential measures can be used as a proxy for language dominance in bilingual language acquisition research. Frontiers in Psychology 9, 1809. Doi: 10.3389/ fpsyg.2018.01809. Valian, V. 1990a Logical and psychological constraints on the acquisition of syntax. In L. Frazier & J. de Villiers (Hgg.) Language Processing and Language Acquisition. Dordrecht: Kluwer, 119-145. Valian, V. 1990b Null subjects: A problem for parameter-setting models of language acquisition. Cognition 35, 105-122. Van der Auwera, J. 1984 Subject and non-subject asymmetries in the relativization of embedded NPs. In W. de Geest & Y. Putseys (Hgg.) Sentential Complementation. Dordrecht: Foris, 257-269. Van der Velde, M. 1999 L’acquisition des pronoms et des déterminants en français et en néerlandais. Mémoire de DEA. Université Paris 8, Vincennes - Saint Denis. Van der Velde, M., C. Jakubowicz & C. Rigaut 2002 The acquisition of determiners and pronominal clitics by three French-speaking children. In I. Lasser (Hg.) The Process of Language Acquisition. Frankfurt am Main: Lang, 115-132. Van Dijk, C., E. van Wonderen, E. Koutamanis, G. J. Kootstra, T. Dijkstra & S. Unsworth 2021 Cross-linguistic influence in simultaneous and early sequential bilingual children: a meta-analysis. Journal of Child Language 49(5), 897-929. Doi: 10.1017/ S0305000921000337. 11 Literatur 331 <?page no="332"?> Varlokosta, S., A. Belletti, J. Costa, N. Friedmann, A. Gavarro, K. Grohmann, M. T. Guasti, L. Tuller, M. Lobo, D. Andjelkovic, N. Argemi, L. Avram, S. Berends, V. Brunetto, H. Delage, M.-J. Ezeizabarrena Segurola, I. Fattal, E. Haman, A. van Hout, K. M. Jensen de Lopez, N. Katsos, L. Kologranic, N. Krstić, J. Kuvac Kraljevic, A. Miękisz, M. Nerantzini, C. Queralto, Z. Radic, S. Ruiz, U. Sauerland, A. Sevcenco, M. Smoczyńska, E. Theodorou, H. van der Lely, A. Veenstra, J. Weston, M. Yachini & K. Yatsushiro 2016 A cross-linguistic study of the acquisition of clitic and pronoun production. Language Acquisition 23(1), 1-26. Veh, B. 1990 Syntaktische Aspekte des Code-Switching bei bilingualen Kindern (Franzö‐ sisch-Deutsch) im Vorschulalter. Unveröffentlichte Staatsexamensarbeit, Universität Ham‐ burg. Vihman, M. 1985 Language differentiation by the bilingual infant. Journal of Child Language 12, 297-324. Volterra, V. & T. Taeschner 1978 The acquisition and development of language by bilingual children. Journal of Child Language 5, 311-326. Von Stechow, A. & W. Sternefeld 1988 Bausteine syntaktischen Wissens. Ein Lehrbuch der generativen Grammatik. Opladen: Westdeutscher Verlag. Weinreich, U. 1970 Languages in Contact. The Hague: Mouton. Wei, L. 2004 The Bilingualism Reader. London, NY: Routledge. Weir, A. 2008 Subject pronoun drop in informal English. Unveröffentlichte Masterthesis, University of Edinburgh. Weissenborn, J., H. Goodluck & T. Roeper 1984 Theoretical Issues in Language Acquisition. Continuity and Change in Development. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Westergaard, M. 2019 Microvariation in multilingual situations: The importance of pro‐ perty-by-property acquisition. Second Language Research 37, 379-407. Doi : 10.1177/ 02676 58319884116 Wexler, K. & R. Manzini 1987 Parameters and learnability in Binding Theory. In T. Roeper & E. Williams (Hgg.) Parameter Setting. Dordrecht: Reidel, 41-76. White, L. 1989 Universal Grammar and Second Language Acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. White, L. 2003 Second Language Acquisition and Universal Grammar. Cambridge: Cambridge University Press. Wiltschko, M. 2014 The Universal Structure of Categories. Towards a Formal Typology. Cambridge: Cambridge University Press. Williams, E. 1991 The argument-bound empty categories. In R. Freidin (Hg.) Principles and Parameters in Comparative Grammar. Cambridge, MA: MIT Press, 77-98. Williams, S. 1992 A Study of the Occurrence and Functions of ‚da‘ in a Very Young Bilingual Child. Ammersbek: Verlag an der Lottbek. Wilmet, M. 1981 La place de l’épithète qualificative en français contemporain: étude grammati‐ cale et stylistique. Revue de linguistique romane 45(177-178), 17-73. Wolleb, A. 2013 Referring expressions in the narritives of Italien-English bilingual children. Studia Linguistica 67(1), 28-46. Wurzel, W. U. 1984 Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Berlin: Akademie Verlag. 332 11 Literatur <?page no="333"?> Yang, C. D. 1999 A selectionist theory of language acquisition. ACL Anthology, 429-435. www.aclanthology.org/ P99-1055.pdf. Yang, C. 2002 Knowledge and Learning in Natural Language. Oxford: Oxford University Press. Zagona, K. 2012a Ser and Estar: Phrase structure and aspect. Cahiers Chronos 25, 303-327. Zagona, K. 2012b Ser and estar : Phrase Structure and Aspect. Building a Bridge between Linguistic Communities of the Old and the New World. Leiden, The Netherlands: Brill. -https: / / doi.org/ 1 0.1163/ 9789401208345_016 Ziegler, E. 2018 5. Visuelle Mehrsprachigkeit in Migrationsgesellschaften: monolinguale Norm vs. plurilinguale Norm. In A. Lenz & A. Plewnia (Hgg.) Variation - Normen - Identitäten. Berlin / Boston: De Gruyter, 127-156. https: / / doi.org/ 10.1515/ 9783110538625-006. Ziegler, E., H. Eickmans, U. Schmitz, H. H. Uslucan, D. H. Gehne, S. Kurtenbach, T. Mühlan-Meyer & I. Wachendorff 2018 Metropolenzeichen. Atlas zur visuellen Mehrsprachigkeit der Metropole Ruhr. Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr. Zimmer, D. 1995 So kommt der Mensch zur Sprache. Über Spracherwerb, Sprachentstehung und Sprache & Denken. München: Heyne. Zuckerman, S.-2001 The Acquisition of ‘Optional’ Movement. Groningen Dissertations in Lingu‐ istics, 34. Groningen: Rijskuniversiteit. 11 Literatur 333 <?page no="335"?> 12 Glossar Akkuratheit: zielsprachlicher Gebrauch, oft gemessen an der erwachsensprachlichen mono‐ lingualen Norm. Akzeptabilität: Sprachwissenschaftler: innen machen eine Unterscheidung zwischen ungram‐ matischen und akzeptablen Konstruktionen. Ungrammatische Konstruktionen verstoßen gegen die einzelsprachenspezifische Grammatik. Akzeptable Konstruktionen liegen im von Sprechenden und Hörenden zulässigen Bereich. Alternierende Adjektive: Adjektive, die sowohl präals auch postnominal gebraucht werden können. Ambiger Input: enthält Daten, die unterschiedliche syntaktische Analysen erlauben oder unterschiedliche semantische Interpretationen. Vgl. auch Input. Arbiträre Interpretation: Eine arbiträre Interpretation liegt vor, wenn es keinen spezifischen Referenten gibt, z.-B. dt. man. Auslöser (engl. trigger): Eine Spracheigenschaft, die den Lernenden dazu veranlasst, einen Parameter auf den jeweils zielsprachlichen Wert zu setzen. Äußerung: In der Spracherwerbsforschung bezeichnet man damit eine Kette von sprachlichen Einheiten, die einem Satz oder mehreren Sätzen entsprechen kann. Diese Einheit wird vor allem auf der Basis von Intonation und Sprechpausen bestimmt, unterliegt aber auch der Intuition einer Person, die die Sprache als Erstsprache erworben hat. Äußerungsgrenze: Ende einer Äußerung Balanciert bilinguales Kind: Ein Kind, welches seine beiden Sprachen gleich schnell entwi‐ ckelt. Berechnungskomplexität (engl. computational complexity): Annahme, dass die Bildung eines Satzes eine syntaxinterne Berechnung auslöst, die mehr oder weniger aufwendig ist, je nach Komplexität des Satzes. Kriterien für die Definition von Berechnungskomplexität gibt Jakubowicz (2002) (vgl. auch Ökonomie). Beschleunigung: Ein Phänomen wird in einer der beiden Sprachen eines bilingualen Kindes früher erworben als im monolingualen Erwerb dieser Sprache. Bilingual bootstrapping: Strategie, bei der in der Sprache A erworbenes sprachliches Wissen nutzbringend für den Erwerb in der Sprache B eingesetzt wird. Bilingualer frühkindlicher Erstspracherwerb Auch doppelter Erstspracherwerb genannt; bezeichnet den gleichzeitigen Erwerb von zwei Erstsprachen. Bilingualer Modus: Der Begriff bezeichnet eine Situation, in der die beiden Sprachen einer bilingualen Person aktiviert sind (zum Beispiel, weil sie mit einer anderen Person spricht, die mit der gleichen Sprachkombination bilingual ist). Bilingualismus (auch Bilinguismus): Darunter versteht man das Sprachvermögen eines Individuums, welches beim Erwerb von zwei Sprachen entsteht. Clustering of properties: Bündelung von grammatischen Eigenschaften, hier innerhalb einer Sprache. In Bezug auf den Spracherwerb wird angenommen, dass das Fixieren von Parame‐ <?page no="336"?> terwerten dazu führt, dass nicht nur eine einzige sprachliche Eigenschaft, sondern mehrere zusammengehörige zum selben Zeitpunkt erworben werden, z. B. die Nullsubjekt-Eigenschaft und das Fehlen von that-t-Effekten (vgl. auch Parameter). Code-mixing: Dieser Begriff wird entweder synonym mit Code-switching benutzt, oder als Bezeichnung für das nicht-regelhafte Mischen der beiden Sprachen, vor allem bei zweispra‐ chigen Kindern, die gerade begonnen haben, die beiden Sprachen zu erwerben. Code-switching: bezeichnet die Fähigkeit, eine Sprache unter Berücksichtigung der Situation und der Gesprächsperson zu wählen. Deduktives Lernen: Lernende verfügen über angeborenes Sprachwissen, welches durch den Input bestätigt oder widerlegt wird. Das Voranschreiten im Erwerb erfolgt vom Allgemeinen zum Speziellen. Default-Wert: bezeichnet einen angenommenen, vorab definierten Parameterwert, der so lange im Erwerb zugrunde gelegt wird, bis die zielsprachlich richtige Setzung erfolgt. Degenerate data: Der Begriff bezeichnet Input, der fehlerhaft ist. Äußerungen von Erwachsenen können fehlerhaft oder unvollständig sein; sie können auch Versprecher enthalten. Determinante: Vertreter der syntaktischen (funktionalen) Kategorie D. Hierzu zählen zum Beispiel Artikel, Demonstrativpronomen, Possessivpronomen und auch Personalpronomina. Dimensionen (der Sprachdominanz): Dimensionen der Sprachdominanz beziehen sich auf die Kompetenz, die Sprachproduktion und -verarbeitung umfasst. Diskontinuität: siehe Kontinuität. Reifung ist ein Grund dafür, dass der Spracherwerbsverlauf beim Kind diskontinuierlich ist. Ditransitives Verb: auch dreistelliges Verb, ein Bsp. ist legen. Domänen (der Sprachdominanz): Domänen der Sprachdominanz beziehen sich auf Situatio‐ nen, Intention, Bedürfnisse und soziale Funktionen beider Sprachen im Vergleich zueinander. Dominante Sprache: Bezeichnung für diejenige Sprache, die im bilingualen Individuum als die stärkere, sich schneller entwickelnde Sprache betrachtet wird (vgl. stärkere Sprache). Double non-dominant home language without community support (DNDHL): Damit ist gemeint, dass ein Kind zu Hause zwei Minderheitensprachen hört, die in der Mehrheitsge‐ sellschaft keinen offiziellen Status haben. Doublette (auch Dublette): Übersetzungsäquivalente bezeichnen bei zweisprachig Aufwach‐ senden Lexeme, die in beiden Sprachen im aktiven Wortschatz des Kindes vorhanden sind. Phonetisch distinkte Übersetzungsäquivalente in den Sprachen Spanisch und Tagalog sind z.-B. frío/ maginaw ‚kalt‘). Tripletten finden sich bei dreisprachig aufwachsenden Kindern, z.-B. perro/ aso/ dog ‚Hund‘ im Spanischen, Tagalog und Englischen. Drei-Phasen-Modell: Nach Volterra und Taeschner (1978) verläuft der bilinguale Erstsprach‐ erwerb in drei Phasen: Phase I ist durch ein einziges Lexikon und ein einziges syntaktisches System charakterisiert. In Phase II liegen zwei getrennte Lexika vor, jedoch nur ein syntak‐ tisches System. Phase III zeichnet sich durch eine Sprachentrennung auch im syntaktischen Bereich aus. Eine Person - Eine Sprache (OPOL) (engl. one person one language): Damit bezeichnet man die Methode, bei der Eltern mit unterschiedlichen Erstsprachen ihre jeweilige Sprache mit dem Kind sprechen. 336 12 Glossar <?page no="337"?> Elizitationstest: Darunter versteht man einen Test, der so angelegt ist, dass er die Produktion und/ oder das Verständnis ganz bestimmter Strukturen oder Lexeme herbeiführt. Entlehnung (engl. borrowing): Hiermit wird der Umstand bezeichnet, dass ein Wort oder eine syntaktische Konstruktion aus der Sprache A in der Sprache B integriert wird. Die Entlehnung ist ein kompetenzgetriebenes Phänomen. Entlehnte Wörter heißen auch Lehnwörter. Entwicklungsstadien: Phasen der sprachlichen Entwicklung, die alle Kinder (monolinguale und bilinguale) im Laufe des Spracherwerbs durchlaufen. Entwicklungszeitraum: Dieser Zeitraum wird meistens so ausgewählt, dass innerhalb des‐ selben verschiedene Entwicklungsstadien hinsichtlich des Erwerbs eines oder mehrerer grammatischer Phänomene beobachtet werden können. Ergatives Verb (auch unakkusatives Verb): Ergative Verben verfügen, wie echte intransitive Verben (dormir), über ein einziges Argument, welches jedoch syntaktisch als Objekt analysiert wird. Manche Sprachen kennzeichnen ergative Verben: Im Französischen gibt es zirka 30 Verben, die als lexikalisch-ergativ gelten können. Zu diesen gehören die Bewegungsverben arriver, vernir, partir. Es sind in der Literatur viele Tests für die Ergativität eines Verbs vorgeschlagen worden. Einer ist die Pronominalisierung des einzigen Arguments (oder Teilen von diesem) durch das Pronomen en: Marie mange trois poires ‚Maria isst drei Birnen‘ - Marie en mange trois ‚Maria isst drei davon‘ / Trois filles arrivent ‚Drei Mädchen kommen an‘ - il en arrive trois ‚es kommen drei davon an‘. Erstspracherwerb: Erwerb einer oder mehrerer Muttersprachen. Erstsprache (auch Muttersprache): Während der frühen Lebensjahre natürlich erworbene erste Sprache. Erwerb(sprozess): Damit sind die Entwicklungsstadien bzw. Phase(n) und die damit zusam‐ menhängenden Prozesse gemeint, bei denen etwas (in diesem Falle Sprache) erworben wird. Evidenz: Belege im Input, die dem/ der Spracherwerber: in eindeutige Informationen für die weitere Entwicklung liefern. Man geht davon aus, dass Kindern nur positive Evidenz (vorhandene Elemente), nicht jedoch negative (fehlende Elemente und Korrekturen) zur Verfügung steht. Expletivum: auch nicht-referenzielles Pronomen. Als Expletivum wird ein semantisch leeres Subjektpronomen bezeichnet, das allein aus dem Grund gebraucht wird, weil die jeweilige Sprache keine Nullsubjektsprache ist und somit keine Subjektauslassungen erlaubt. Z. B., Es scheint ein heißer Tag zu werden. Extraktion: Verschiebung, z.-B. bei der Wh-Extraktion wird u.-a. das Fragewort an den Satzanfang verschoben: Il s’appelle comment? - Comment il s’appelle? ‚wie heißt er? ‘. Familiensprache: die Sprache, die gesprochen wird, wenn alle Familienmitglieder anwesend sind. Sie kann sich mit der Umgebungssprache decken. Finites Verb: dasjenige Verb, welches in den hier behandelten Sprachen mit dem Subjekt hinsichtlich Person und Numerus kongruiert. Man spricht auch vom Finitum. Frequenz: In vielen Spracherwerbsstudien wird die Häufigkeit, d. h. die Frequenz von Elemen‐ ten oder Konstruktionen im kindlichen Input oder in der kindlichen Sprachproduktion, gemessen, um zu untersuchen, ob die Auftretenshäufigkeit den Erwerbsprozess oder dessen Geschwindigkeit determiniert. 12 Glossar 337 <?page no="338"?> Fragebogenerhebung: Datenerhebung über das Instrument des Fragebogens. Funktionale Kategorie: Eine funktionale Kategorie kodiert grammatische Merkmale. Z.-B. kodiert T(empus) das Tempus- und Kongruenzmerkmal (Subjekt-Verb-Kongruenz hinsicht‐ lich Person und Numerus). Genus: Klassifikation von Nomina in Maskulina, Feminina und (z.-B. im Deutschen) Neutra. Genus ist in den hier involvierten Sprachen ein grammatisches Merkmal, da Adjektive mit dem Genus des Nomens kongruieren. Gemischtsprachlich: Gemischtsprachliche Äußerungen enthalten Sprachformen aus mehr als einer Sprache, z.-B. je veux schlafen. Generische Lesart: Ein Ausdruck hat eine generische Lesart, wenn er ganze Klassen von Objekten bzw. Personen bezeichnet. Z.-B. bezieht sich Mäuse im Satz Mäuse sind flink auf Mäuse im Allgemeinen. Gesteuerter Erwerb: Unter gesteuertem Erwerb versteht man, dass eine Sprache mit Hilfsmit‐ teln (Unterricht) erlernt wird und nicht in einer natürlichen Umgebung. Häsitation: Verzögerung, Unterbrechung des Redeflusses durch z.-B. einen Fülllaut wie eh. Heritage Language (dt. Herkunftssprache): eine Sprache, die Kinder von früh an hören und in einem natürlichen Kontext erwerben. Diese wird nur zuhause gesprochen und ist keine offizielle (National)Sprache. Je nach Auslegung sind hier die Sprachen von Migrant: innen oder auch die Sprachen von indigenen und regionalen Minderheiten gemeint. Identifizierung: Der Ausdruck Identifizierung bezieht sich auf die Möglichkeit, sowohl bei nicht-phonetisch realisierten Subjekten als auch bei Objekten den Referenten des nicht-pho‐ netisch realisierten Ausdrucks zu ermitteln, d.-h. zu identifizieren. Imitation: Eins-zu-Eins Wiedergabe einer zuvor aufgetretenen Äußerung. Individual-level predicates (ILP): Individualprädikate, Prädikate, die dauerhafte Eigenschafts‐ zuschreibungen ausdrücken. Induktives Lernen: Lernende müssen aus der Analyse einzelner Sprachelemente generelle Regeln ableiten. Der Erwerb schreitet dabei vom Speziellen zum Allgemeinen voran. Inhärente Eigenschaft: auch permanente Eigenschaft, eine Eigenschaft, die einem Sprachaus‐ druck innewohnt. Inkrementelles Verblexikon: Lexikondarstellung, die den schrittweisen Zuwachs darstellt. Mit anderen Worten wird der Unterschied zwischen Zeitpunkt A und B dargestellt, indem neu hinzukommende Wörter zu der zum Zeitpunkt A ermittelten Summe addiert werden. Input: Hiermit wird zunächst eine Datenmenge bezeichnet, die die Grundlage für einen Prozess bildet. Im Erstspracherwerb ist der Input die sprachliche Produktion, die ein Kind in seiner Umgebung hört. Input bezeichnet im ungesteuerten Zweitspracherwerb entsprechend die sprachliche Umgebung der Fremdsprachenlernenden. Interaktionspartner: in: die Person, die während einer Sprachaufnahme mit dem Kind inter‐ agiert. Interferenz: Hiermit bezeichnet man den Spracheneinfluss, der als Performanzphänomen beschrieben wird (also sporadisch auftritt). Die Interferenz steht somit im Gegensatz zum Transfer. 338 12 Glossar <?page no="339"?> Intersektive Lesart: Das intersektive Adjektiv blau bezeichnet die Menge aller blauen Objekte, das Substantiv Fahrrad die Menge aller Fahrräder. Die Extension der Phrase blaues Fahrrad ist die Schnittmenge der beiden Mengen. Nicht-intersektiv oder auch subsektiv wird die Lesart, wenn die Ausdrücke eine Teilmenge bilden: Das wäre mit blue man der Fall; dieser Ausdruck kann eine bestimmte Schauspielergruppe bezeichnen: blue man group. Intrasententiales Code-switching: Damit bezeichnet man das Auftreten von Elementen aus zwei (oder mehr) Sprachen innerhalb einer Äußerung. Mit intersententialem Code-swit‐ ching wird das Mischen zwischen ansonsten einsprachigen Sätzen bezeichnet. Kanonisch: natürlich, normal, zugrundeliegend. Kategorie, lexikalisch vs. funktional (siehe funktionale Kategorie): Lexikalische Katego‐ rien entsprechen den Wortarten Nomen (N), Verb (V), oder Adjektiv (A). Mitglieder dieser Kategorien sind in der Regel um neue Elemente erweiterbar, auch aus anderen Sprachen über die Entlehnung: z. B. das iPad, voltigieren, ein cooles Fahrrad. Funktionale Kategorien sind im Gegensatz dazu Träger grammatischer Informationen, z.-B. Tempus bei finiten Verben. Sie stellen geschlossene Klassen dar; Mitglieder dieser Kategorien werden in der Regel nicht aus anderen Sprachen entlehnt. Kindgerichtete Sprache (engl. child-directed speech): die Sprache, die Erwachsene verwenden, wenn sie mit Kindern kommunizieren. Klitikon (Plural: Klitika): Unter klitischen Formen versteht man Sprachausdrücke, die nicht allein auftreten, sondern einen sog. Wirt (engl. host) als Basis benötigen, an den sie sich anlehnen. Mit diesem Wirt treten sie also zusammen auf. Den Prozess nennt man Klitisierung. Stehen Klitika vor der Basis (s’appeler), spricht man von Proklise bzw. Proklitika; folgen sie ihr (z.-B. span. hacerlo), so spricht man von Enklise bzw. Enklitika. Kognitiver Koprozessor: bezeichnet die Vorstellung, dass die Universalgrammatik keine Grammatik darstellt, sondern einen Koprozessor, d. h. Unterstützungshardware, welche ganz bestimmte Daten (in diesem Fall Sprachdaten) besonders effizient und damit sehr schnell verarbeiten kann. Kompetenz: das zugrunde liegende Sprachwissen. Komplexe Inversion: Die komplexe Inversion bezeichnet im Französischen eine Konstruktion, bei der das Subjektklitikon und das finite Verb in der Reihenfolge V-Subjekt stehen. Diese Inversion kann einfach sein: Est-il finalement arrivé à Paris ‚Ist er zu guten Letzt in Paris angekommen‘? Sie kann aber auch komplex sein, und zwar wenn das Klitikon zusammen mit einem normalen NP-Subjekt auftritt: Pierre est-il finalement arrivé à Paris? . Kongruenz: Übereinstimmung in grammatischen Merkmalen. Bei der Nominalphrase ein kleines Haus kongruieren Adjektiv und Nomen z.-B. hinsichtlich des Genusmerkmals. Kontrollgruppe: Bei einer Studie muss diese in allen Eigenschaften außer der untersuchten mit der Experimentalgruppe übereinstimmen. Kopffinal (vs. kopfinitial): Der minimale Bestandteil von syntaktischen Phrasen ist der Kopf. Für die Verbalphrase ist dies das Verb V. In Relation zu Objekten kann dieser (verbale) Kopf rechts (dann ist die VP kopffinal) oder links stehen (dann kopfinitial). Kontinuität (vs. Diskontinuität): Ein kontinuierlicher Erwerbsverlauf widerspricht zu kei‐ nem Zeitpunkt den universalen Sprachprinzipien. 12 Glossar 339 <?page no="340"?> Kopulaverb: Das Kopulaverb verbindet Subjekt und Prädikat miteinander in Sätzen, in denen kein lexikalisches Verb (z. B. sehen) zur Verfügung steht und in Sprachen, in denen dies über eine gesonderte Sprachform erfolgen muss. Korpus: eine Sammlung von Sprachdaten. Diese können mündlich oder als Texte vorliegen, wobei die Texte Transkriptionen mündlicher Sprache sein oder aber geschriebene Sprache repräsentieren können. Kritische Phase: Die Hypothese der kritischen Phase (engl. Critical Period Hypothesis) besagt, dass eine Sprache nur innerhalb einer bestimmten Altersspanne wie eine Erstsprache erworben werden kann. Oft wird das Ende der kritischen Phase in etwa mit der Pubertät gleichgesetzt, doch es gibt bisher keine eindeutigen Belege bezüglich der Altersspanne, das der kritischen Phase entspricht. Landeposition: Bei der Verschiebung von phrasalen und nicht-phrasalen Kategorien in der Syntax „landen“ diese Elemente in einer für sie legitimen Satzposition. Language Acquisition Device (LAD): Man nimmt an, dass der LAD zwischen den Input und die abgeleiteten Grammatiken geschaltet ist, und gewährleistet, dass das Kind den sprachlichen Input segmentieren und bewerten kann. Lernalgorithmus: eine lösungsorientierte Vorgehensweise beim Lernen als Parametersetzen. Lexikon: Mit diesem Ausdruck ist in unserer Einführung das mentale Lexikon gemeint, d.-h. derjenige Teil unseres mental abgespeicherten sprachlichen Wissens, der lexikalische Einheiten mit ihren Bedeutungen, phonologischen, morphologischen und syntaktischen Merkmalen beinhaltet. Lexikalisch(es Subjekt / Objekt): nicht-pronominalisiertes Subjekt bzw. Objekt, also z. B. das Mädchen/ Marie. Linksdislokation: Bei der Dislokation wird das Topik dupliziert und erscheint im Satz als Pronomen (sogenanntes resumptives Pronomen). Bei der Linksdislokation erfolgt die Herausstellung des Topiks am linken Satzrand: Ce livre, je l’ai lu plusieurs fois ‚Dieses Buch, ich habe es viele Male gelesen‘. Lizenzierung: Lizenzierung bezieht sich auf die Erlaubnis für eine bestimmte Sprachform, in einer bestimmten Position aufzutreten. So sind Nullsubjekte im Spanischen und Italienischen durch die grammatischen Merkmale Person und Numerus am finiten Verb lizenziert. Das fi‐ nite Verb ist Träger der grammatischen Merkmale Person und Numerus und diese sind hörbar; im Französischen sind sie dies nicht. Daraus könnte man schließen, dass die grammatischen Merkmale am finiten Verb hörbar sein müssen, um Lizenzierer für Nullsubjekte zu sein. Logisches Problem des Spracherwerbs: Damit bezeichnet man die Tatsache, dass das sprach‐ liche Wissen nicht in unmittelbar wahrnehmbarer Weise im Input des Kindes vorhanden ist. Oft wird auch von poverty of stimulus gesprochen. Longitudinalstudie (auch Längsschnittstudien): eine Untersuchung, die über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt wird. Maturation(shypothese) (auch Reifung(shypothese)): Hiernach unterliegt der Spracherwerb (z.-B. die Gültigkeit von universalen Prinzipien) einer Reifung. Die Annahme, dass nicht-sprachspezifische Fähigkeiten einer Reifung unterliegen, ist unumstritten. 340 12 Glossar <?page no="341"?> Metasprachliches Testverfahren: z.-B. ein Test, bei dem die Grammatikalität einer Sprach‐ form beurteilt werden muss. Metastudie: Hierbei handelt es sich um den Versuch, eine Zusammenfassung und quantitative bzw. statistische Analyse von Primärstudien vorzulegen. Im Gegensatz zur systematischen Übersicht (Rezension, die systematisch ausgelegt ist, in der also mit Hilfe des Web of Science und Suchbegriffen Forschungsarbeiten zu bestimmten Schlüsselbegriffen herausgesucht und gewürdigt werden), die die Forschungsleistung kritisch würdigt, soll eine Metaanalyse nur den Zweck einer quantitativen und statistischen Aufarbeitung der früheren Ergebnisse erfüllen. Minderheitensprache: sie entspricht der Nicht-Umgebungssprache und ist häufig Familien‐ sprache im Kontext von Migration. Es ist die Sprache der zahlenmäßigen Minderheit in einem gegebenen Kontext, z.-B. die Sprache von Migrant: innen, regionalen oder indigenen Minderheiten. Minimal Default Grammar (MDG): Damit wird eine voreingestellte Grammatik bezeichnet, die von Kindern, ohne dass positive Evidenz notwendig ist, angenommen wird. Die Minimal Default Grammar ist durch unmarkierte Parameterwerte charakterisiert. Mischrate: der prozentuale Anteil der Mischungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Äuße‐ rungen. Mixed languages (mixL): In unserer Einführung wird damit eine Strategie der Bilingualität bezeichnet, in der Eltern in der zweisprachigen Erziehung beide Sprachen mit dem Kind mischen. MLU (engl. mean length of utterances): bezeichnet die durchschnittliche Äußerungslänge. Der MLU wird meistens in Worten angegeben, kann aber auch in Morphemen oder Silben gemessen werden. MMU (engl. Multi-Morphemic Utterance): eine Äußerung, die aus mehr als einem Morphem besteht. Modularität: Man nimmt an, dass die menschliche Sprachfähigkeit modular, also getrennt nach den unterschiedlichen linguistischen Beschreibungsebenen aufgebaut ist: Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik. Diese Bereiche stellen Module dar, die über Schnittstellen miteinander interagieren. Monolingualer Modus: Der Begriff bezeichnet eine Situation, in der eine bilinguale Person aufgrund der einsprachigen Personen um sie herum nur eine ihrer Sprachen aktiviert, weil die andere nicht benötigt wird. Monolingualität: bezeichnet den Umstand, dass Menschen mit nur einer Erstsprache aufwach‐ sen (monolinguale Sprecher: innen). Nativismus: bezeichnet die Annahme, dass es ein angeborenes sprachliches Vorwissen gibt. Sie bildet die Grundlage der generativen Sprachtheorie, wird aber nicht von allen Forschenden im Bereich des Spracherwerbs geteilt. Natürlicher Erwerb: Damit bezeichnet man den Erwerb von Sprache in einer natürlichen Umgebung, d.-h. ungesteuert und in der Regel ohne Unterricht. Negationspartikel: Partikel, die Negation ausdrückt 12 Glossar 341 <?page no="342"?> Non-dominant home language without community support (NDHL): In diesem Fall des mehrsprachigen Aufwachsens erhält ein Kind zuhause Input von beiden Eltern in einer Sprache, die nicht der Umgebungs- oder Mehrheitssprache entspricht. Non-native parents (NNP): Eine zweisprachige Erziehung kann auch von Eltern angestrebt werden, die selbst einsprachig sind. Nullsubjektsprache: Jeder finite Satz hat ein Subjekt. Das Subjekt darf in Nullsubjektsprachen phonetisch unausgedrückt bleiben. Bei dem Ausdruck handelt es sich um einen Oberbegriff, der viele Ausprägungen hat, die wir in unserer Einführung vorstellen. Numerus (Hier: Singular, Plural): Numerus ist in den hier behandelten Sprachen ein grammati‐ sches Merkmal, da bspw. finite Verben und Subjekte denselben Wert für das Numerusmerkmal aufweisen müssen. Ökonomie: Im Rahmen des Minimalistischen Programms (Chomsky 1995) spielen Ökono‐ mieerwägungen eine Rolle. So wird beispielsweise vermutet, dass die Verschiebung von Konstituenten in der Syntax aufwendig, also nicht ökonomisch ist. Die Annahme, dass Öko‐ nomie im Spracherwerbsprozess eine Rolle spielt, hat zur Formulierung Ökonomieprinzipien geführt, z.B. „Wähle zunächst die weniger komplexe Analyse“ (vgl. auch Berechnungskom‐ plexität). overt: phonetisch realisiert. Parameter: Man nimmt an, dass einige universalgrammatische Prinzipien Variablen enthal‐ ten, die je nach Sprache unterschiedliche Werte annehmen können. Der Parameter wird (metaphorisch) oft als Schalter zwischen den jeweiligen Werten begriffen. Ein Parameter hat mindestens zwei Werte, ein binärer Parameter genau zwei, z.-B. der OV-VO-Parameter. In unserer Einführung haben wir die Definition vom Parameter als Schalter revidiert (vgl. Subroutine). Parameter setting constraint: Diese Beschränkung besagt, dass das Umsetzen von Parame‐ terwerten nach bereits erfolgter Fixierung grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. Pendelphä‐ nomen). Parameterhierarchie: Subroutine, die Lernende aufgrund allgemein kognitiver Fähigkeiten zusammen mit einem grammatischen Merkmal für eine grammatische Domäne erstellen. In einer solchen Hierarchie stehen Sprachen, die jeweils Teilmengen bilden, zueinander in Bezug. Sprachen, die ein grammatisches Merkmal entweder an allen oder an keiner syntaktischen Kategorie ausdrücken, sind unmarkiert. Passiv: bezeichnet die umgekehrte Handlungsrichtung (auch Diathese) zum Aktiv: Während im Aktivsatz das agierende Element im Vordergrund steht und die grammatische Subjektpo‐ sition (sowie die semantische Rolle AGENS) innehat, findet in einer Passivkonstruktion eine Herabstufung des Agens (als auslassbares Element) aus dem Aktivsatz statt und dasjenige Element, das von der Handlung betroffen ist und die Rolle des Patiens oder Themas innehat, rückt in den Vordergrund und bekleidet die Subjektposition, z.-B. Der Junge schießt den Ball ins Tor - Der Ball wurde (von dem Jungen) ins Tor geschossen. Der Junge und der Ball nehmen also jeweils unterschiedliche grammatische Positionen ein, behalten aber ihre jeweilige semantische Rolle. 342 12 Glossar <?page no="343"?> Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT): standardisierter Wortschatztest, der das rezeptive, also nicht produzierte, Wortschatzwissen erfasst. Pendelphänomen: Dieses würde auftreten, wenn ambiger Input Kinder dazu verleitet, die aktuelle Parameterfixierung je nach gehörtem Satz wieder zu verwerfen. Der Umstand, dass dies in der Praxis nicht auftritt, wurde mit dem Parameter setting constraint erfasst. Performanz: die Anwendung des zugrunde liegenden Sprachwissens. Performanzsysteme: In der generativen Grammatik, insbesondere dem Minimalistischen Programm (Chomsky 1995), werden zwei Performanzsysteme angenommen: eines, das Bedeutung von gehörten Äußerungen konzeptuell verarbeitet (Logische Form, LF), und eines, das die Aussprache gebildeter Sätze mit Hilfe des Artikulationssystems steuert (Pho‐ nologische Form, PF). Principle of contrast: Nach Clark (1987) bezeichnet dieses Prinzip die Tendenz, dass Sprecher formal unterschiedlichen Sprachelementen auch eine unterschiedliche Bedeutung zuweisen. Das Prinzip wurde für den monolingualen Fall erarbeitet. Prinzipien: Regularitäten, die in allen natürlichen Sprachen Gültigkeit haben. Produktionstest: überprüft die Sprachproduktion (von Kindern). Pro-drop-Sprachen: auch Nullsubjektsprachen. Pro steht für (Personal)pronomen. Prosodifizierung: Die Prosodie umfasst Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit und Satzmelodie. Silben und Wörter sind Teile von prosodischen Einheiten, aber nicht immer bilden Wörter (lexikalische Einheiten) und Phrasen (syntaktische Einheiten) auch prosodische Einheiten. Forscher: innen, die davon ausgehen, dass die Silbenstruktur nicht als Teil der Lexeminforma‐ tion abgespeichert ist, sondern beim Sprechen aufgebaut wird, bezeichnen die Generierung der Silbenstruktur mit Prosodifizierung. Qualitativ: Als qualitativen Unterschied im Spracherwerb bezeichnet man eine Abweichung in der Erwerbsreihenfolge (z.-B. bei bilingualen im Vergleich zu monolingualen Kindern) oder die Existenz bzw. das Fehlen von bestimmten Lernergrammatiken (z.-B. in der Sprache bilingualer Kinder im Vergleich zur Zielgrammatik). Quantitativ: Ein quantitativer Unterschied bedeutet, dass ein qualitativ gleiches Phänomen (z.-B. ein bestimmter Fehler im Erwerb bei unterschiedlichen Lernenden) unterschiedlich häufig auftritt. Querschnittstudie: Untersuchung, die i.-d.-R. einem bestimmten sprachlichen Phänomen mit eine Reihe von Kindern zu einem bestimmten Entwicklungsmoment durchgeführt werden, z.-B. Vergleich von einsprachig französischen und zweisprachig französisch-deutschen Kindern im Alter zwischen 2 und 3 Jahren im Hinblick auf die Positionierung des finiten Verbs in Hauptsätzen. Rechtsdislokation: siehe Linksdislokation, z.-B. Je l’ai lu plusieurs fois, ce livre. ‚Ich habe es viele Male gelesen, dieses Buch‘. Restriktiv(e Lesart): Bei Relativsätzen unterscheidet man restriktive von nicht-restriktiven Sätzen. Restriktive Relativsätze enthalten Informationen, den den Referenten der NP, mit der sie auftreten, weiter einschränken und ihn somit von anderen potenziellen Referenten unterscheidet: Les étudiants qui travaillent beaucoup vont passer l’examen ‚Die Studierenden, die viel arbeiten, werden das Examen bestehen‘. Nicht-restriktive Relativsätze enthalten im 12 Glossar 343 <?page no="344"?> Gegensatz dazu zusätzliche Informationen über den Referenten, sie schränken jedoch die Referenz nicht auf bestimmte Individuen ein: Les étudiants, qui d’ailleurs travaillent beaucoup, vont passer l’examen (Beachten Sie hier auch die Kommata! ). Restrukturierung: Prozess, bei dem zwei Sätze (die ansonsten eine Barriere für syntaktische Prozesse darstellen würden) zu einem Satz vereint werden. Modalverben haben oft diese Eigenschaft: *Lo ammetto di vedere alla festa vs. Lo volevo vedere alla festa (Ammetto di vedere Mario alla festa - Volevo vedere Mario alla festa). Rezeptiv(es sprachliches Wissen): Wissen der Lernenden, das sie zum Sprachverstehen nutzen, aber nicht aktiv produzieren. Salienz: bezeichnet den Grad der Wahrnehmbarkeit einer sprachlichen Markierung. Man nimmt an, dass eine gut wahrnehmbare sprachliche Markierung salient ist, während eine weniger gut wahrnehmbare als nicht salient gilt. Saliente Markierungen sind z. B. solche, die sich am Wortende befinden. Schnittstelle: Ganz allgemein bezeichnen wir mit Schnittstellen Kontaktstellen zwischen Grammatikmodulen. Eine dieser Schnittstellen steht in unserer Einführung im Vordergrund: die zwischen Syntax und Pragmatik. Wir hatten für den Bereich der Nullsubjekte viele Sprachen genannt, die Nullsubjekte erlauben. Ob das Subjekt auch tatsächlich ausgelassen wird, wird durch außerhalb der eigentlichen Äußerung stehende Informationen (Bekanntheit des Referenten des Nullsubjekts im Diskurs) geregelt. Die Syntax reguliert also, ob das Subjekt in einer Sprache prinzipiell auslassbar ist; die Pragmatik regelt, ob die Subjektauslassung auch tatsächlich erfolgt. selegieren: auswählen. Semilingual: Damit bezeichnet man die unvollständige Beherrschung von zwei oder mehr Muttersprachen. Man spricht auch von Halbsprachigkeit. Simultane Mehrsprachigkeit: Das bedeutet, dass zwei oder mehr Sprachen vom Kind gleichzeitig (i.-d.-R. von Geburt an) erworben werden. Spezifische Lesart: Lesart, bei der man einen Sprachausdruck auf eine bestimmte Instanz hin und nicht auf die Klasse generell (vgl. generisch) oder beliebige Vertreter der Klasse interpretiert. Beispielsweise hat ein Ausdruck eine nicht-spezifische Lesart, wenn er auf beliebige Vertreter der Klasse referiert, z.-B. eine Maus. Spontandaten: Äußerungen, die ein Kind bzw. eine erwachsene Person ungesteuert und spontan produziert, d.-h. nicht im Rahmen von Elizitationstests. Sprachbeherrschung (engl. proficiency): bezeichnet den Grad, zu dem Personen (hier Bilin‐ guale) ihre beiden Erstsprachen oder Zweitspracherwerber ihre Fremdsprache(n) aktiv (produktiv) und passiv (rezeptiv) beherrschen. Sprachdominanz: Dieser Begriff wird verwendet, wenn eine der beiden Sprachen eines bilingualen Individuums besser beherrscht wird oder schneller erworben wird. Spracheneinfluss (engl. cross-linguistic influence): Bezeichnet den Umstand, dass es während des Erwerbs von zwei Sprachen zu einer gegenseitigen Beeinflussung kommt. Sprachentrennung: Darunter versteht man, dass die zwei (oder mehr) Sprachen im bilingualen Individuum getrennt werden. Sprachgebrauch: siehe auch Performanz. 344 12 Glossar <?page no="345"?> Sprachkontext: bezeichnet das Umfeld, in dem bilinguale Kinder oder Erwachsene Sprache produzieren. Er kann monolingual (eine Sprache) oder bilingual (mehrere gleichberechtigte Sprachen) sein. Sprachmischungen: Damit werden Sätze bezeichnet, die Elemente (Wörter) aus zwei oder mehr Sprachen enthalten (siehe auch Code-Switching). Sprachpräferenz: Von Sprachpräferenz spricht man bei Kindern, die in einer Sprache mehr sprechen, jedoch anscheinend die gleichen sprachlichen Fertigkeiten in beiden Sprachen aufweisen. Der Begriff wird von dem Begriff der Sprachdominanz abgegrenzt. Sprachspezifische Entwicklungsstörungen (SSES, engl. Specific Language Impairment, SLI): heute DLD, Developmental Language Disorder. Fachbegriff, der einen abweichenden und nicht altersgerechten Spracherwerb bezeichnet, der nicht durch kognitive Beeinträchti‐ gungen, diagnostizierbare neuro-physiologische Ursachen, eine Hörschädigung oder Verhal‐ tensstörung erklärt werden kann. Stage-level predicates (SLP): Stadienprädikate, Prädikate, die einen vorübergehenden und wechselnden Zustand ausdrücken. Standardabweichung (engl. Standard Deviation, SD): Begriff aus der Statistik. Er beschreibt die Streuung von Werten um den Mittelwert (in diesem Falle von MLU-Werten). Stärkere Sprache: andere geläufige Bezeichnung für die (möglicherweise zeitweise) dominante Sprache eines bilingualen Kindes oder einer bilingualen erwachsenen Person. Steigbügel(metapher): vgl. Bilingual bootstrapping. Subroutine: Ein spezialisiertes Programmstück zur Abarbeitung immer wiederkehrender gleicher oder sehr ähnlicher Aufgaben. Übertragen auf den Parameterbegriff bedeutet dies, dass ein Parameter nicht als ein Schalter aufgefasst werden darf, sondern als ein Stück Programm, welches der Lerner im Erwerbsverlauf generiert. Subset principle: Nach diesem Prinzip gelangen Lernende von der Teilmenge zur Gesamt‐ menge. Die Teilmenge als kleinere Menge von relevanten Sprachdaten (engl. subset) ist in der Gesamtmenge vollständig enthalten. Alle Eigenschaften, die auf das subset zutreffen, gelten somit auch für die Gesamtmenge. Man könnte das Prinzip als Lernprinzip bezeichnen. Sukzessive Form des Spracherwerbs: Der Begriff bezeichnet, dass zwei Sprachen nachein‐ ander erworben werden. Suppletion: Suppletion liegt vor, wenn verschiedene Stämme eines Worts etymologisch unterschiedlich sind. Surface overlap: Überlappung von Oberflächenformen. Romanische Sprachen und das Deut‐ sche weisen SVO-Konstruktionen auf. Sie haben jedoch verschiedene syntaktische Analysen für SVO. Im Deutschen handelt es sich dabei um V2-Konstruktionen. Synkretismus: Hierbei fallen flektierte Formen zusammen und es entstehenden identische Wortformen, die unterschiedliche Werte von Merkmalen ausdrücken. Das Deutsche weist solche Formen u. a. im Bereich der Kasusflexion im Zusammenspiel mit Numerus und Genus auf, z.-B. der in der Mann kodiert Nominativ, Maskulin und Singular, während der in mit der Frau Dativ, Feminin und Singular ausdrückt. Tagebuchstudie: gängige Bezeichnung für die ersten Longitudinalstudien, die noch ohne technische Hilfsmittel, allein auf Basis von handschriftlichen Aufzeichnungen, erfolgten. 12 Glossar 345 <?page no="346"?> Temporäre Eigenschaft: auch vorübergehende Eigenschaft. Topik: Gegenstand des Diskurses, das, worüber gesprochen wird. Dieses Topik muss nicht in allen Sprachen auch als Pronomen realisiert werden. Topikalisierung: syntaktische Operation, bei der eine im Diskurs bekannte Konstituente am linken Rand des Satzes auftritt, z.-B. Diesen Hund mag Fabienne überhaupt nicht. Transfer: Übertragung von Sprachwissen aus Sprache A in Sprache B auf Kompetenzebene. Der Transferbegriff wird besonders in der Zweitspracherwerbsforschung gebraucht, d. h. bei Spracherscheinungen von solchen Personen, die eine zweite Sprache nach bereits erfolgtem Abschluss des Erwerbs einer Erstsprache lernen. Negativer Transfer entsteht, wenn die grammatischen Bereiche der Erst- und Zweitsprache unterschiedlich sind und sich der Transfer aus der Erstsprache negativ auf den Erwerb der Zweitsprache auswirkt. Positiver Transfer entsteht, wenn die Sprachen hinsichtlich eines grammatischen Bereiches gleich sind und Lernende die Regularitäten aus ihrer Erstsprache für die Zweitsprache positiv nutzen können. Transkript: Verschriftung von Sprachaufnahmen, wobei oft auch der außersprachliche Kontext (Gesten, Aktivitäten) miteinbezogen wird. Trilingual: Bezeichnung für eine Person, die mit drei Erstsprachen aufgewachsen ist. Type-Token-Analyse: Bei einer Tokenanalyse wird die absolute Häufigkeit einer bestimmten Kategorie, z.-B. alle Nomina, erfasst. Lexeme in unterschiedlichen Formen (z.-B. Auto und Autos) sowie doppeltes Auftreten eines Lexems zählen jeweils als ein Token. Bei einer Typenanalyse wird die Anzahl semantisch unterschiedlicher Wörter erfasst. Z.-B. gehören Auto und Autos zu einem Typ; es spielt für die Typenanalyse keine Rolle, wie oft das Lexem auftritt. Überextension: Hier verwenden Kinder Wörter „zu weit“, nämlich auch für Referenten, die in der Erwachsenensprache anders bezeichnet werden, z.-B. Hund für alle möglichen Tiere mit Fell. Übergeneralisierung: Eine Sprachregularität wird auf alle von der Regel erfassten Fälle angewandt, also auch auf die Ausnahmen zu der Regel. Hat ein Kind z.-B. erkannt, dass im Deutschen der Plural durch ein Suffix am Nomen ausgedrückt wird, so wäre denkbar, dass es dies auf Fälle wie Gitter und Ritter ausdehnt und die ungrammatischen Plurale Gitters und Ritters gebraucht. Überschneidung / Überlappung der Zielsysteme: Hier ist gemeint, dass sich die beiden Zielsprachen eines bilingualen Kindes in einem gewählten grammatischen Bereich auf der Sprachoberfläche überlappen, d.-h. identisch sind. So lassen z.-B. sowohl das Deutsche (topic-drop) als auch das Italienische (pro-drop) Subjektauslassungen zu. Beide Sprachen erlau‐ ben die Abfolge SVO. SVO wird jedoch von den jeweiligen Muttersprachlern unterschiedlich analysiert (Deutsch als Verb-Zweit-Sprache, Italienisch als Nicht-Verb-Zweit-Sprache, also SVO-Sprache). Übersetzungsäquivalente: Damit bezeichnet man Wörter aus zwei unterschiedlichen Spra‐ chen, die dieselbe Bedeutung haben. Umgebungssprache: bezeichnet die Sprache, die in der Gesellschaft gesprochen wird, in der ein Kind aufwächst. 346 12 Glossar <?page no="347"?> Unbalanciertheit: Als unbalanciert bezeichnet man diejenige Person, die ihre beiden Sprachen in unterschiedlichem Ausmaß beherrscht und verwendet. Universalgrammatik (UG): Darunter versteht man ein angeborenes sprachliches Wissen, das beim Erwerb von Sprache durch den Input automatisch aktiviert wird. Da es sich hierbei um eine genetische Anlage handelt, steht die UG allen Menschen unabhängig von ihrer/ n späteren Zielsprache(n) zur Verfügung und ist Grundlage für den Erwerb jeglicher Sprache. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb kontrovers diskutiert wird, ob die UG sprachliches Wissen enthält oder die Anlage dafür, sprachliches Wissen zu erwerben. Unterextension: Hierbei kommt es zu einem „zu engen“ Gebrauch der Wortbedeutung durch spracherwerbende Kinder, d. h. nicht alle möglichen Referenten werden mit Hilfe des Wortes benannt, z.-B. Auto nur für das Auto aus Lego, nicht jedoch für das aus Holz. Untersuchungszeitraum: bezeichnet den Zeitraum, währenddessen der Spracherwerb unter‐ sucht wird. Upper Bound (UB): längste Äußerung in einer Aufnahme. Verlangsamung (engl. delay): Damit ist gemeint, dass ein grammatisches Phänomen in einer der beiden Sprachen eines bilingualen Individuums später auftaucht bzw. eine Phase mit Fehlern in der Verwendung dieses Phänomens länger andauert als im monolingualen Erwerb. Versprecher: Versprecher entstehen, wenn Sprachproduktionsschritte misslingen. Ein Beispiel ist: anstelle von petit paquet wird patit piquet ‚kleines Paket gesagt‘. Hier wurden die Anfangssilben der Wörter vertauscht. Verstehenstest: ein Test, der so gestaltet wird, dass er das Sprachverstehen messen kann. w-Wort: Fragewort. Mit Bezug auf die romanischen Sprachen spricht man auch von qu/ cu-Wort: frz. quand, ital. quando, span. cuando. Wurzelinfinitiv (engl. root infinitive): Gebrauch infiniter Verbformen in unabhängigen Sätzen, z.-B. Buch lesen, manger du pain. Zielgrammatik: Damit wird die erwachsenensprachliche Grammatik einer Sprache bezeichnet. Diese stellt das Ziel aus der Sicht des Lernenden dar. Zielsprachlich: der Zielgrammatik entsprechend. Zweitspracherwerb: Dieser Begriff meint den sukzessiven Erwerb einer oder mehrerer Sprachen. Diskutiert wird derzeit, ob damit gemeint ist, dass der Erstspracherwerb vollständig abgeschlossen sein muss, wenn der Erwerb der Zweitsprache einsetzt. 12 Glossar 347 <?page no="348"?> Register Adjektiv-12, 110, 129-137, 139f., 142f., 181, 184, 189f., 192, 339 Adjunkt-195, 204 Adverb-18, 194, 236 akadisches Französisch-17 Akkuratheit-160, 163, 206, 335 Akkusativ-205 Akzeptabilität-195, 335 Albanisch-56 Alternation-134, 275 alternierende Adjektive-130, 134, 138, 335 Altersfrage-15f. Altfranzösisch-32 ambig-148, 155, 164, 335, 343 arbiträre Interpretation-197, 335 Artikelverwendung-100 attributiv-12, 17, 109f., 129f., 132-137, 139f., 142f., 165, 279 Aufnahmesituation-51, 220 Auslöser-33, 335 Äußerung-25, 28, 30, 47, 53, 58, 70, 73, 75, 77, 80, 83-90, 92f., 97, 106, 108, 110, 112-116, 124, 129, 155, 160, 188, 204, 220f., 226, 253, 335f., 338, 341, 343f. Äußerungsgrenze-77, 335 Auxiliarverb-65, 100 balanciert-11, 72, 75, 87, 93f., 98f., 101, 139f., 173f., 176, 208, 227, 244, 335 Bangla-32 Baskisch-43f., 62, 68, 277 Berechnungskomplexität-123f., 198, 213, 288, 335, 342 Berndeutsch-170 Beschleunigung-235, 276, 278f., 335 bilingual bootstrapping-115, 119, 335, 345 bilingualer Modus-335 Bilingualismus-13, 45f., 335 Bilingualität-26, 53, 55f., 60, 72f., 95, 231, 281, 341 Bilinguismus-335 binär-45, 222, 342 Bosnisch-57 brasilianisches Portugiesisch-196 chilenisches Spanisch-24 Chinesisch-14, 212, 277 clustering of properties-31, 34, 335 code-mixing-105, 336 code-switching-58, 87, 104f., 336, 339, 345 Dänisch-67 Dativ-345 deduktiv-27, 36f., 336 Default-34f., 336 degenerate data-28, 336 Determinante-25, 98, 134, 246ff., 253, 288, 336 Determinantenauslassung-250, 253 Determinantenerwerb-94, 97, 245, 249-253, 281 Determinantenphrase-88, 96 Determinantenverwendung-245, 251, 254 Diathese-342 Dimensionen (der Sprachdominanz)-73, 336 Diskontinuität-47, 219, 336, 339 Diskurs-42, 182, 194, 198, 215, 217, 219, 223, 257, 280, 344, 346 Distributionsanalyse-36 ditransitiv-336 Divergenz-278 divergieren-46, 79 DNDHL-56, 336 Domänen (der Sprachdominanz)-336 dominant-69, 91, 93, 95f., 139f., 143, 173, 213, 336 Dominanz-70, 74, 76, 88-91, 93-96, 101, 135, <?page no="349"?> 138, 140, 162, 174, 176, 190f., 213, 242, 252, 278, 281, 288 Doublette-336 Drei-Phasen-Modell-103, 109, 112, 336 durchschnittliche Äußerungslänge-253, 341 einzelsprachspezifisch-27 Elizitationstest-50, 64, 160, 199, 204, 207, 337, 344 Englisch 35, 55, 57, 60f., 63ff., 67, 69ff., 91, 107, 124f., 171, 186, 192, 215f., 277 Enklise-149, 339 Entlehnung-16, 87, 115, 119, 337, 339 Entwicklungsstadium-337 Entwicklungszeitraum 167, 204, 211, 229, 235, 253, 337 ergativ-40, 337 Erstspracherwerb-14f., 18, 20f., 24, 41, 45, 60, 62, 98, 101, 103, 114f., 179, 221, 259, 275, 335-338, 347 erwachsenensprachlich-110, 222 Erwerbsabfolge-165 Erwerbsprozess-146, 152, 155, 202, 248, 254, 276, 280, 282, 337 Erwerbsstand-50 Estnisch-60, 67 Evidenz-31, 34, 36, 88, 97, 100, 104f., 110, 113, 116, 121, 157, 164f., 167ff., 181, 206, 212f., 223, 248, 263f., 337, 341 expletiv-32, 34, 38, 43f., 283 Expletivum-337 Extraktion-33, 39, 283, 337 Extraktionsmöglichkeit-33f., 283 Familiensprache-13, 53ff., 57, 60, 63, 66, 70, 100, 337, 341 finit-337 Finitheit-99, 111, 183, 236, 263f. Finitum-21ff., 117, 169, 172-177, 240, 242, 244f., 337 Finnisch-33, 43f. flektiert-20, 75, 110f., 113, 231, 270, 345 Flexionsphrase-88, 96 Fragebogenerhebung-53, 63, 338 Fragesatz-30, 206 Fragewort-124f., 151, 337, 347 Frequenz-17, 84, 137, 258, 337 funktionale Kategorie-48, 123, 152, 169, 184, 198f., 220, 248, 338f. Funktionswörter-75, 96ff., 115 Galizisch-32 Garo-71f., 91 gemischtsprachlich 25, 85f., 90, 100, 105f., 113, 143, 338 generisch-246, 257, 270, 338, 344 Genus 18, 42f., 64f., 110, 125, 154, 247, 338, 345 Georgisch-33 gesteuert-10, 13f., 338 gestisch-17 grammatisch-283, 288 Griechisch-55 Häsitation-88f., 338 Hauptsatz-21f., 121, 167, 213, 217, 235ff., 240, 242, 244, 272, 276, 280ff. Hauptsatz-Nebensatz-Asymmetrie-21 Hauptsatzwortstellung-12, 167f. Hebräisch-43f., 71 Heritage Language-338 Herkunftssprache-13, 49, 54, 338 Hessisch-170 identifizieren 31, 141, 193f., 202, 205, 217, 250, 273, 338 Identifizierung-195, 197, 338 Imitation-338 individual-level predicate-181, 338 induktiv-27, 36, 338 Ineffizienz von Korrekturen-30 infinit-111, 117, 145, 240f., 347 Infinitiv-46, 80, 99f., 117, 143, 149 inhärent-181, 183-188, 190, 192, 338 inkrementell-80, 177f., 338 Register 349 <?page no="350"?> Interaktionspartner: in-25, 83, 86f., 106, 209, 224, 270, 338 Interferenz-16ff., 26, 67, 111f., 338 intersektiv-131, 339 intersentential-229, 339 intrasentential-87, 229, 339 Japanisch-45f. kanonisch-151, 194, 213, 339 Kasus-289 Katalanisch-66, 68, 179, 226, 244, 250, 277 kindgerichtet-129, 134, 246, 258, 339 Klitikon-117, 150f., 160, 194, 200, 203f., 206, 264, 339 kognitiver Koprozessor-40, 339 Kompetenz-16, 18, 26, 74, 84, 87, 89, 114, 120, 191f., 229, 267f., 270, 283, 336, 339 Komplementiererphrase-88, 96, 152, 243 komplexe Inversion-151, 339 Kongruenz-18, 45, 100, 117, 236, 274f., 339 Konjunktion 21, 23, 96, 121, 168-173, 236, 238 Konstituente-21f., 99, 117, 121, 193, 238, 245, 256, 342, 346 Kontextanalyse-114 Kontextsprache-86, 107 Kontinuität-47, 54, 219, 227, 229, 336, 339 kontrastiv-31 Kontrollgruppe-231, 339 konvergieren-46, 250 konzeptuell-343 kopffinal-143f., 339 kopfinitial-143f., 339 Korpus-25, 129, 134f., 139, 156, 158, 202, 222, 258, 265, 340 kritische Phase-15, 340 kubanisches Spanisch-126 L2-14, 19f., 25f., 56f., 100, 160, 164, 171 LAD-41, 340 Landeposition-231, 340 Längsschnittstudie-50, 340 Lernalgorithmus-37, 340 lexical gap-107 lexikalische Kategorie-129, 339 Lexikon-60, 65, 73, 80f., 90, 96f., 103ff., 115, 336, 340 Lexikongröße-79, 179 LF-248, 343 Linksdislokation-257-260, 271, 340, 343 lizenziert-193f., 198, 202, 205, 212 Lizenzierung-212, 218f., 340 logisches Problem-28, 47, 340 logistische Regression-222 Lokativargument-194, 210 Longitudinalstudie-21, 50, 52, 60, 62, 145, 155, 172, 175, 184, 187, 202, 204, 226, 230, 250, 252, 260, 270f., 274, 340, 345 Luxemburgisch-58 Luzerndeutsch-170 Markiertheitshierarchie-34, 42, 44 Massennomen-25, 246 Maturation-47f., 340 MDG-46, 341 Mehrwortäußerung-36 Messverfahren-80 metasprachlich-125, 341 Metastudie-127, 233, 341 Minderheitensprache-52, 54, 56f., 59f., 66f., 336, 341 Mischrate-85f., 88, 90, 341 Mischrichtung-58, 85 mixL-58, 61, 64, 341 MMU-88, 341 Modalverb-149f., 344 Modul-27, 122, 341 modular-27, 341 monolingualer Modus-91, 341 Monolingualität-71, 341 Morphem-88, 99, 114, 341 Morphologie-70, 75, 113, 122, 228, 247, 341 Nativismus-30, 341 350 Register <?page no="351"?> natürlich-10f., 13f., 21, 24, 26ff., 41f., 45, 282, 338, 341, 343 NDHL-56, 60-63, 65-68, 342 Nebensatzeinleiter-24, 32, 123, 167, 170ff. Negation-100, 109ff. Negationspartikel-18, 28, 341 negative Evidenz-30 Niederländisch-63ff., 67, 93f., 120, 124, 146, 171, 250, 252, 277 NNP-57, 342 Nomenlexikon-80, 82 Nominalphrase 25, 93, 109, 135f., 142, 151, 180, 183, 193, 246f., 259, 339 nonverbale Interaktion-51 Norm-195, 335 Norwegisch-62, 67, 251 Nullobjekt-194-197, 199ff., 206 Null-Subjekt-283 Nullsubjekteigenschaft-31, 33, 37, 44f., 122, 147, 216, 222 Numerus 20, 42f., 96, 99, 110f., 153f., 223, 235f., 247, 256, 272, 275, 337f., 340, 342, 345 Objektauslassung-93, 120ff., 124, 169, 193ff., 197ff., 201f., 204-215 Ökonomie-123, 152, 335, 342 OPOL-55ff., 60-67, 69, 91, 336 Option-31, 46, 119, 149f., 195, 198, 200f., 226, 228, 273, 275 overt-255, 342 Papiamentu-38 paralleles Verarbeiten-37 Parameter-26, 30f., 33f., 36f., 40f., 45, 144, 215, 335f., 342, 345 Parameterhierarchie-43-46, 144f., 342 parameter setting constraint-36, 342f. Parameterumsetzung-36 Parametrisierung-31, 144 Passiv-26, 40, 183, 342 Pendelphänomen-36, 342f. Performanz-16ff., 26, 283, 343f. Performanzsysteme-343 Person-283 Personalpronomen-31 Phonologie-27, 151, 249, 341 phonologisch 17, 70, 72, 85, 91, 97, 99, 148, 250, 340, 343 Plural 25, 32, 42, 117, 217f., 223, 228, 246f., 275, 342, 346 Pluralmorphem-96 Polnisch-56 Portugiesisch-57, 199 Possessivkonstruktion-109ff. postnominal-110, 127, 129f., 132, 134ff., 138- 142, 335 PPVT-65, 343 Präferenz-74, 93, 138f., 219, 229 pränominal-17, 110, 127, 130, 132ff., 136-139, 141f., 270, 335 Präposition-25, 75, 109f., 123 Präpositionalphrase-39, 109, 144, 180, 186, 188f., 194, 203 principle of contrast-104, 343 Prinzip-31, 35ff., 69, 91, 342f. pro-drop-31, 34, 44, 217, 226, 283, 343, 346 Produktionstest-50, 343 proficiency-344 Proklise-149, 339 Prosodifizierung-248, 251, 343 qualitativ-14f., 46, 59, 63, 68f., 73, 88, 90, 98, 100, 154, 201, 231, 277f., 281, 343 quantitativ-14f., 17, 59, 66, 68f., 73, 88ff., 98, 100, 116, 118, 154, 172, 201, 212, 231, 277, 281, 341, 343 Quechua-33 Querschnittstudie-49f., 52, 64-67, 87, 155ff., 159, 184, 186, 193, 202, 204, 211, 215, 267, 271, 273, 281, 343 Rechtsdislokation-256-259, 264, 273, 343 Reflexivpronomen-65 restriktiv-110, 130, 150, 165, 194, 343 Register 351 <?page no="352"?> Restrukturierung-150, 164, 344 resumptiv-256, 258, 261f., 264, 266, 271, 340 rezeptiv-64, 71f., 267, 343f. Rumänisch-57 Russisch-33, 65, 88 Salienz-116, 344 satzfinal-21, 23, 167, 235, 240, 242 Satzposition-21, 30, 99, 121, 171, 212, 340 Satzverarbeitung-37 Schnittstelle 122f., 146, 184, 190, 197, 221, 227, 232, 248f., 279, 341, 344 Schwäbisch-170 Schwedisch-63ff., 67, 96, 99, 161, 251 Selbstkorrektur-108 selegieren-182, 344 semantisch-17, 32, 38, 72, 114, 124, 132, 148, 150, 180ff., 192f., 197f., 215, 246, 248, 251, 254, 271f., 335, 337, 342, 346 semilingual-71, 344 serielles Verarbeiten-37 simultan-11, 13f., 42, 56, 58f., 64ff., 84, 95, 135ff., 140, 153, 160f., 163f., 192, 223, 265, 273f., 280, 344 Spezifizität-248 Spontandaten-50, 64, 142, 158, 201, 204, 206, 210, 259, 344 Sprachbeherrschung-177, 344 Sprachentrennung-11, 60, 64, 103, 107f., 110, 112, 117ff., 126, 252, 278, 336, 344 Spracherwerbsmodell-26, 40 Sprachfähigkeit-15, 18, 59, 341 Sprachgebrauch-16, 28, 53f., 72ff., 344 Sprachgemeinschaft-13, 16, 26 Sprachkompetenz-16, 65, 72, 80, 89f., 191 Sprachkontakt-13, 38, 54, 119, 171 Sprachkontext-16, 51, 58f., 104ff., 108, 345 Sprachkorpora-11, 17, 89 Sprachpräferenz-87, 89, 101, 345 Sprachproduktion-50, 53, 108, 336f., 343 Sprachregister-16 Sprachstandsbestimmung-75 Sprachstil-16, 217f. Sprachsystem 10f., 41, 45, 103, 105, 112, 114ff., 118, 120, 165, 236, 278f. Sprachtheorie-26, 42, 341 Sprachverhalten-62 Sprachverwendung-11, 65, 73 Sprachwahl 54f., 58, 64, 67, 85ff., 89, 100, 107f. Sprachwechsel-114 SSES-124, 345 stage-level predicate-181, 345 Standardabweichung-75, 78f., 345 stärkere Sprache-69, 71, 87, 92f., 95, 101, 120, 336, 345 starkes Pronomen-147, 151 Steigbügel-249, 345 Subjektposition-31, 36, 148, 151, 261, 269, 342 Subjekt-Verb-Kongruenz-42, 46, 48, 116f., 338 Subroutine-41, 44f., 342, 345 subsektiv-339 subset principle-34, 345 sukzessiv 10f., 13-16, 18f., 42, 49, 54f., 97, 164, 282, 345, 347 Suppletion-345 surface overlap-121, 345 Synkretismus-251, 345 Synonym-104, 182 Systematik-16, 18, 211 Tagalog-107, 336 Tagebuchstudie-51, 69, 91, 345 temporär-115, 181, 185, 187, 346 Tempus-43, 48, 121, 123, 152, 235f., 338f. that-t-Kontext-39, 283 Tonbandaufnahme-51, 60-64 topic-drop-Sprache-193f., 212 Topik-193, 196, 202f., 205, 212, 257f., 340, 346 Topikalisierung-194, 346 Transferstrategie-95 Transkript-25, 53, 289, 346 Transkription-12, 25, 68, 340 Traumsprache-89f. trigger-33, 335 352 Register <?page no="353"?> trilingual-53, 66, 107, 244, 274f., 281, 346 Türkisch-57, 62, 65, 68, 100, 108, 277 Typen-Token-Analyse-80, 346 Überextension-116, 346 Übergeneralisierung-12, 96, 115, 123, 127, 186-190, 193, 216, 226, 346 Überschneidung-249, 346 Übersetzung-108, 133 Übersetzungsäquivalent-103, 105, 109, 336, 346 UG-Potential-27, 40 unbalanciert-11, 75, 80, 85, 87, 89f., 93f., 98f., 244, 347 Universalgrammatik-26f., 40, 42, 339, 347 unmarkiert-34f., 37, 42, 150, 341f. Unterextension-116, 347 Untersuchungszeitraum-21, 23, 84, 99, 107, 126, 162, 172, 190, 206, 208, 212f., 215, 222, 226, 231, 242, 259, 347 Upper Bound-75, 77ff., 178f., 347 Variable-31, 222, 227, 342 Variation-18, 31, 40, 42, 44, 54, 167, 195, 272 Varietät-126, 151, 170, 172, 195, 205, 227 Verblexikon-81, 177f., 338 Verbverschiebung-28 Verb-Zweit-Stellung-117, 193, 201 Verlangsamung-347 Versprecher-18, 28, 336, 347 Verstehenstest-50, 347 Verzögerung-10, 12, 95, 160f., 163, 167, 177, 190, 198, 213, 215, 230, 232, 276, 278f., 338 Videoaufnahme-51f., 58, 61ff., 65, 68 Walisisch-63, 68, 277 Wortstellung-289 Wurzelinfinitiv-120, 347 w-Wort-29, 347 Zielgrammatik-23, 343, 347 Zielsprache-288 zielsprachlich-289 Zweitspracherwerb-14, 18, 20f., 24, 41, 58, 69, 97-101, 251, 338, 347 Register 353 <?page no="354"?> BUCHTIPP Auf die Frage „Wer bin ich? “ finden Individuen durch Narrationen und Reflexionen Antwortmöglichkeiten. Der offensichtliche Zusammenhang zwischen Sprache und Identität wird in dieser Einführung aus psycholinguistischer Sicht systematisch beleuchtet. Es werden terminologische Aspekte der Phänomene Sprache und Identität erläutert und auch Entwicklungsaspekte sowie neurowissenschaftliche Erkenntnisse einbezogen. Zentrale Fragen sind, wie über Narrationen Identität dargestellt sowie hergestellt wird und wie Identitätsmerkmale in Sprache ausgedrückt werden. Mit den Forschungsaspekten zum Komplex Sprache und Identität in den Bereichen Gender, Mehrsprachigkeit und soziale Medien wird aufgezeigt, wie umfassend und weitreichend diese Thematik ist. Das Buch richtet sich an Studierende und Lehrende in den Bereichen Linguistik, Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaften, Pädagogik und Lehramt sowie an alle, die in wissenschaftlichen Kontexten Antworten auf die spannende Frage suchen: „Wie hängen Sprache und Identität zusammen? “ Anke Werani Sprache und Identität Eine Einführung NARR STUDIENBÜCHER 1. Auflage 2023, 298 Seiten €[D] 29,99 ISBN 978-3-8233-8468-7 eISBN 978-3-8233-9468-6 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="355"?> BUCHTIPP Code-Switching ist ein Sprachstil, der sich durch das Mischen mehrerer Sprachen auszeichnet und wie jeder andere Sprachstil pragmatischen und syntaktischen Beschränkungen unterliegt. Während Linguist: innen Code-Switching als Indiz für einen hohen Beherrschungsgrad der Sprachen ansehen, wird das Sprachenmischen vom Laien als Kompetenzmangel wahrgenommen. Dies ganz besonders bei Kindern, welche im vorliegenden Werk im Vordergrund stehen. Die Einführung legt dar, dass bilinguale Kinder schon sehr früh, im Alter von zwei Jahren, die pragmatischen und syntaktischen Regularitäten des Code-Switching beherrschen. Sie tun dies selbst dann, wenn ihre Sprachentwicklung nicht in beiden Sprachen gleich schnell vonstattengeht. Natascha Müller et al. Code-Switching Spanisch, Italienisch, Französisch. Eine Einführung NARR STUDIENBÜCHER 1. Auflage 2015, 373 Seiten €[D] 41,00 ISBN 978-3-8233-6433-7 eISBN 978-3-8233-7433-6 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="356"?> ISBN 978-3-8233-8580-6 Immer mehr Kinder in Deutschland wachsen mit mehreren Sprachen gleichzei�g auf. Diese Situa�on birgt viele Chancen, wenngleich o� eine Herausforderung darin gesehen wird. Ziel der Mehrsprachigkeitsforschung ist es, Besonderheiten im Erwerb genau zu iden�fizieren, damit Kinder erfolgreich mehrsprachig in die Schulzeit starten können. Das Arbeitsbuch hat zwei Hauptanliegen: Es führt erstens in die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung ein und zeigt somit Studierenden Spracherwerbstheorien, die Entwicklung der beiden Sprachen sowie Phänomene des mehrsprachigen Erwerbs auf. Zweitens wird die Arbeit mit Korpusdaten vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Mehrsprachigkeit, die im Kindesalter im familiären Kontext einsetzt. Diese bildet die Grundlage für den Spracherwerb, der entweder sukzessiv zu den Erstsprachen in der Schule oder außerhalb der Ins�tu�on in natürlicher Umgebung sta�indet.