Gesichtskritische Episoden in Gruppenarbeitsphasen
Interaktionen unter Lernenden in einem aufgaben- und inhaltsbasierten DaF-Unterricht
0116
2023
978-3-8233-9587-4
978-3-8233-8587-5
Gunter Narr Verlag
Olga Czyzak
10.24053/9783823395874
Gruppenarbeit wird im modernen Fremdsprachenunterricht eingesetzt, um Lernenden die Gelegenheit zu bieten, ihre Fremdsprachenkenntnisse in einem kleinen Rahmen auszuprobieren und gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten. Aus der Unterrichtspraxis ist jedoch bekannt, dass diese Arbeitsform zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt und nicht immer das gesamte Potential ausgeschöpft werden kann. Im Fokus dieser qualitativen Studie steht die Rolle der Gesichtswahrung für die Gestaltung von Interaktionen unter Lernenden während kommunikativer Gruppenarbeitsphasen in einem universitären Deutsch-als-Fremdspracheunterricht in Japan. Anhand von Daten aus Interaktionen in Gruppenarbeitsphasen und Retrospektion der Lernenden auf diese Gruppenarbeit werden fremdsprachenunterrichtsspezifische Episoden nachgezeichnet, ihr gesichtskritisches Potential identifiziert und Strategien zum Umgang mit ihnen beschrieben.
<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Olga Czyzak Gesichtskritische Episoden in Gruppenarbeitsphasen Interaktionen unter Lernenden in einem aufgaben- und inhaltsbasierten DaF-Unterricht <?page no="1"?> Gesichtskritische Episoden in Gruppenarbeitsphasen <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Olga Czyzak Gesichtskritische Episoden in Gruppenarbeitsphasen Interaktionen unter Lernenden in einem aufgaben- und inhaltsbasierten DaF-Unterricht <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823395874 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. 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Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8587-5 (Print) ISBN 978-3-8233-9587-4 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0468-5 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Unterrichtsinteraktion: Eine Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Unterricht und Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3 Interaktion und Fremdsprachenlernen aus zwei Perspektiven . . . . . . . . . . . . . 21 2.3.1 Kognitivistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.3.2 Soziokulturelle Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.4 Fokus auf Interaktionsprozesse unter Lernenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.4.1 Sprachwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.5 Interaktionsmuster in Partner- und Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.6 Interaktionsforschung im japanischen DaF-Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.7 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt . . . . . . 36 3 Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.1 Psychologische Dimension: Was ist eine Gruppe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.2 Soziale Dimension: Interdependenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3 Gruppenarbeit, Kooperation und Kollaboration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.4 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt . . . . . . 45 4 Aufgabenbasierte Unterrichts- und Forschungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.1 Theoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.2 Was ist eine Aufgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4.2.1 Aufgabenkriterien nach Ellis (2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4.3 Aufgaben in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.4 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt . . . . . . 53 5 Gesichtswahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5.1 Ursprünge der Gesichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5.2 Gesicht als soziologisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5.3 Sprachliches Handeln und Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.4 Gesicht im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5.5 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt . . . . . . 64 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6.1 Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6.1.1 Forschungsfrage 1: Gesichtsbedrohung in Gruppenarbeitsphasen . . . 68 6.1.2 Forschungsfrage 2: Strategien zum Umgang mit Gesichtsbedrohungen 69 <?page no="6"?> 6.1.3 Forschungsfrage 3: Auswirkungen auf die Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . 69 6.1.4 Verknüpfung der Datensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6.2 Erhebungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.2.1 Videographische Dokumentation der Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.2.2 Videobasiertes Lautes Erinnern als Zugang zu gesichtsrelevanten Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6.2.3 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.3 Vorstudie und Anpassung der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.3.1 Ablauf der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.3.2 Erkenntnisse aus der Vorstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.3.3 Qualität der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 6.3.4 Konsequenzen für die Hauptstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.4 Untersuchungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6.5 Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6.5.1 Erfassung der Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 6.5.2 Flankierende Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6.5.3 Durchführung des Videobasierten Lauten Erinnerns . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.6.1 Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.6.2 Kategorienbildung anhand der retrospektiven Daten . . . . . . . . . . . . . . . 99 6.6.3 Makrostrukturelle Beschreibung: Redeanteil, Sprachen und Interaktionsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 6.6.4 Mikroskopische Annäherung: Interaktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.1 Gruppenarbeitsphase 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.1.1 Erste Aufgabe: Eine fotografische Autobiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.1.2 GA1G1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7.1.3 GA1G2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 7.1.4 GA1G3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 7.1.5 GA1G4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7.2 Gruppenarbeitsphase 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 7.2.1 Zweite Aufgabe: Familien aus aller Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 7.2.2 GA2G1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 7.2.3 GA2G2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 7.2.4 GA2G3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7.2.5 GA2G4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 7.3 Gruppenarbeitsphase 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.3.1 Dritte Aufgabe: Eine Briefmarke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.3.2 GA3G1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.3.3 GA3G2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7.3.4 GA3G3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7.3.5 GA3G4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.4 Gruppenarbeitsphase 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.4.1 Vierte Aufgabe: Familienformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6 Inhaltsverzeichnis <?page no="7"?> 7.4.2 GA4G1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7.4.3 GA4G2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 7.4.4 GA4G3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7.4.5 GA4G4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7.5 Gruppenarbeitsphase 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 7.5.1 Fünfte Aufgabe: Die ideale Familienform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 7.5.2 GA5G1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 7.5.3 GA5G2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 7.5.4 GA5G3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 7.5.5 GA5G4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 8 Porträts der Lernenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 8.1 Die Gruppenmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 8.1.1 S1 - Die einfühlsame Partnerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 8.1.2 S2 - Die aktive Zuhörerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 8.1.3 S3 - Der ruhige Zuhörer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 8.1.4 S4 - Die kompetente Partnerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 8.1.5 S5 - Der unsichere Spaßmacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 8.1.6 S6 - Die zurückhaltende L1-Sprecherin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 8.1.7 S8 - Der korrekte Wörterbuchbenutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 8.1.8 S12 - Die souveräne Plauderin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 8.1.9 S13 - Der stille Beobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 8.1.10 S15 - Die harmonische Sanfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 8.2 Die Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 8.2.1 S7 - Der analytische Tutor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 8.2.2 S9 - Die inhaltsorientierte Leiterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 8.2.3 S10 - Die wechselhafte Diskutantin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 8.2.4 S11 - Die überlegte L2-Sprecherin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 8.2.5 S14 - Die helfende Sprachexpertin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 9.1 Fehler bemerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 9.1.1 „ Sein Name ist “ - GA2G4: Fehler bemerken und korrigieren . . . . . . . 153 9.1.2 „ Nicht Vater “ - GA3G2: Hilfestellung und keine Korrektur . . . . . . . . . 158 9.1.3 „ Geschieden “ - GA2G1: Fehler bemerken und korrigiert werden . . . 163 9.1.4 „ Schwester “ - GA3G4: Fehler wird bemerkt und korrigiert . . . . . . . . . 166 9.1.5 Zusammenfassung: Fehler bemerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 9.2.1 „ Bekommen “ - GA1G2: Frage nach Wortschatz (ungelöst) . . . . . . . . . . 174 9.2.2 „ Wascht “ - GA1G4: Schwierigkeit bei Konjugation selbst gelöst . . . . 177 9.2.3 „ War ’ s i? “ - GA2G2: Rückversicherung zur Aussprache . . . . . . . . . . . . 179 9.2.4 „ Sorgen “ - GA5G3: Frage nach Wortschatz und Hilfe aus der Gruppe 181 9.2.5 Zusammenfassung: Ausdrucksschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Inhaltsverzeichnis 7 <?page no="8"?> 9.3 Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 9.3.1 „ Er mag “ - GA1G2: Hilfe leisten können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 9.3.2 „ Beiden? “ - GA2G4: Hilfe bekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 9.3.3 Zusammenfassung: Assistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 9.4 Verständnisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 9.4.1 „ Zugfahrer “ - GA1G2: Nicht verstanden werden, Verständnissicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 9.4.2 Monoton - GA3G4: Nicht verstehen und nachfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 200 9.4.3 „ Schilfe “ - GA4G1: Nicht verstehen, trotz Rückfrage . . . . . . . . . . . . . . . 202 9.4.4 „ Hausmann “ - GA5G3: Versuchen zu verstehen, nicht nachfragen . . 206 9.4.5 „ Enkelkind “ - GA2G3: Missverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 9.4.6 Zusammenfassung: Verständnisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 9.5 Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 9.5.1 „ Schick “ - GA1G3: Einvernehmliche Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 9.5.2 „ Vater “ - GA3G2: Abschwächung durch Humor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 9.5.3 „ Kannst du kochen? “ - GA5G4: Keine Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 9.5.4 Zusammenfassung: Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 9.6 Missbilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 9.6.1 „ Mal ohne Wörterbuch “ - GA3G4: Direkte Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 9.6.2 „ Ich denke “ - GA4G3: Verdeckte Kritik durch Wink . . . . . . . . . . . . . . . . 236 9.6.3 Missbilligung wird nicht vorgebracht oder übergangen . . . . . . . . . . . . . 239 9.6.4 Zusammenfassung: Missbilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 9.7 Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 9.7.1 Anerkennung nicht aussprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 9.7.2 „ Er ski fährt gern “- GA1G2: Lob sprachlicher Fähigkeiten . . . . . . . . . . 250 9.7.3 Besteck-Schlagzeug - GA1G4: Lob für Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 9.7.4 Zusammenfassung: Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 9.8 Unerwartetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 9.8.1 Janken - GA1G3: Unerwartetes Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 9.8.2 „ Ich denke auch so “ - GA1G3: Unerwartete Zustimmung . . . . . . . . . . 264 9.8.3 „ Nicht gemacht “ - GA1G1: Unerwartetes kommentieren . . . . . . . . . . . 266 9.8.4 Fantasieantwort - GA3G3 Unerwartete Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 9.8.5 Zusammenfassung: Unerwartetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 9.9 Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 9.9.1 Startschwierigkeiten - GA1G1: Vorgehensbezogene Unsicherheiten . 274 9.9.2 Unsicherheiten bei Beendigung der Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 9.9.3 Zusammenfassung: Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 10.1.1 Verständnisschwierigkeiten - Fehler bemerken - Assistenz . . . . . . . . . 286 10.1.2 Vermuteter Fehler - Vermutete Verständnisschwierigkeiten - Missverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 10.1.3 Ausdrucksschwierigkeiten - Verständnisschwierigkeiten - Fehler bemerken - Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8 Inhaltsverzeichnis <?page no="9"?> 10.2 Aufgabenrelevanz und Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 10.2.1 Gesichtskritische Episoden und Aufgabenrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 10.2.2 Gesichtskritische Episoden und Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 11 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 11.1 Zusammenfassung der Befunde und Implikationen für die Unterrichtspraxis 303 11.2 Forschungsmethodologischer Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Anhang 1: Einverständniserklärung Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Anhang 2: Einverständniserklärung Videobasiertes Lautes Erinnern . . . . . 327 Anhang 3: Leitfaden für das Videobasierte Laute Erinnern . . . . . . . . . . . . . . 330 Anhang 4: Checkliste für das Videobasierte Laute Erinnern . . . . . . . . . . . . . 332 Unterrichtsmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Anhang 5: Erste Aufgabe: Eine photographische Autobiographie . . . . . . . . 333 Anhang 6: Zweite Aufgabe: Familien aus aller Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Anhang 7: Dritte Aufgabe: Eine Briefmarke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Anhang 8: Vierte Aufgabe: Familienformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Anhang 9: Fünfte Aufgabe: Die ideale Familienform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Ergänzende Transkripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Anhang 10: Transkript Eselepisode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Anhang 11: Transkript Haushaltshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Anhang 12: Transkript Falsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Verzeichnis der Transkriptauszüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Inhaltsverzeichnis 9 <?page no="11"?> Danksagung Die vorliegende Studie ist eine leicht geänderte Fassung meiner im Dezember 2021 am Fachbereich für Germanistik und Kunstwissenschaften im Fachgebiet Deutsch als Fremdsprache der Philipps-Universität Marburg eingereichten Dissertation. Ein zentrales Thema dieser Arbeit ist die gemeinschaftliche Erarbeitung von Themen und die Rolle der Interaktion zwischen den Beteiligten im kooperativen Prozess. Ebenso wie der Untersuchungsgegenstand der Studie - die Gruppenarbeit der Lernenden im Deutsch-als- Fremdsprache-Unterricht an einer japanischen Universität - ist auch die vorliegende Arbeit selbst ein Produkt unzähliger Interaktionen und der daraus entstanden Gedanken, so dass es nahezu unmöglich ist all diejenigen, die zum Gelingen dieses Projekts beigetragen haben angemessen zu würdigen. Dennoch möchte an dieser Stelle den Versuch unternehmen zumindest stellvertretend einigen für diese Arbeit wichtigen Menschen zu danken. Beginnen möchte ich mit denjenigen, die unmittelbar am Forschungsprozess beteiligt waren. Zuallererst steht hier selbstverständlich meine Betreuerin Frau Prof. Dr. Kathrin Siebold, die mit ihrer mitreißenden Energie und Begeisterung für die Interaktionsforschung sowie anregenden Hinweisen an wichtigen Stellen, den Erfolg des Projekts sogar über acht Zeitzonen hinweg sicherstellte. Ebenso wichtig für meinen wissenschaftlichen Werdegang ist meine Zweitgutachterin Frau Prof. em. Dr. Ruth Albert, ohne deren frühe Anstöße während meines Studiums ich meinen Weg auf typischen DaF-Pfaden vielleicht nie angetreten hätte. Weiterhin sind die Lehrenden und Lernenden der Deutschabteilung der Reitaku-Universität maßgeblich am Erfolg der Dissertation beteiligt. Insbesondere danke ich Holger Schütterle, der tatkräftig die Erhebung der Unterrichtsdaten unterstützte, sowie meinen Kolleginnen, die bei der notwendigen zeitnahen Aufnahme der Introspektionen eine große Stütze waren. Besonders wertvoll war hierbei auch über die Datenerhebung hinaus die japanische Perspektive von Akira Kusamoto auf die notwendigen Unterlagen und die Daten. Den Lernenden, die durch ihre aufgeschlossene und entgegenkommende Art die Durchführung der Untersuchung erst ermöglichten, gilt meine tief empfundene Dankbarkeit. In diesem Zusammenhang sind auch all die Studierenden und studentischen Hilfskräften zu nennen, die sowohl die Pilotierung als auch den Transkriptionsprozess maßgeblich unterstützt haben. Außerdem möchte ich mich bei der Reitaku Universität, der Japan Society for the Promotion of Science (Kakenhi) und dem DAAD bedanken, deren Förderung nicht nur die technische Ausstattung und die Unterstützung des Transkriptionsprozesses durch Assistentinnen ermöglichte, sondern auch die so wichtigen internationalen Forschungsaufenthalte und Tagungsteilnahmen. Indirektere, aber nicht weniger relevante Unterstützung erfuhr mein Vorhaben durch die vielen intensiven Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen. Insbesondere sind hierbei Michael Schart, Diana Feick und Makiko Hoshii zu nennen, deren aufrichtiges Interesse an meiner Forschungsarbeit und aktive Unterstützung durch Möglichkeiten zum Austausch, Impulse zum Vorgehen und zur Literatur nicht nur in fachlicher Hinsicht ergiebig war. Außerdem gilt mein Dank der kleinen, aber sehr feinen DaF-Community in Japan sowie meinen „ Doktorgeschwistern “ im Marburger DaF-Promovierenden Kolloquium und den <?page no="12"?> Sempais im angeschlossenen Netzwerk. Beide Personenkreise mit ihren individuellen Mitgliedern waren sowohl auf einer mentalen als auch auf einer sehr konkreten Ebene - etwa bei der kritischen Lektüre meiner Arbeit - eine wichtige Stütze. Ohne die essentielle Stabilität im privaten Umfeld hat das wissenschaftliche Hilfsgerüst jedoch keine solide Basis, so dass - zwar an letzter Stelle genannt doch für den Erfolg des Projekts grundlegend - meine Dankbarkeit meiner Familie gilt: meinen Eltern, die bereits in meiner Kindheit den Grundstein für mein Interesse an Sprachen gelegt und die Entstehung dieser Arbeit im Hintergrund auch logistisch unterstützt haben. Ganz besonders jedoch danke ich Jan, dessen unzähligen Beiträge zum Gelingen des gesamten Prozesses in verschiedensten Rollen ein ganz eigenes Kapitel verdient hätten. Sein Verständnis und seine Unterstützung sind mir stets ein Anker. Fujisawa, Juli 2022 12 Danksagung <?page no="13"?> 1 Einleitung Kooperative Arbeitsformen und interaktive Lernszenarien, in denen Fremdsprachenlernende sich gemeinsam mit inhaltlichen oder sprachlichen Fragen befassen und Aufgaben ohne eine leitende Lehrperson bearbeiten, gelten bereits seit Jahren als etablierte Bestandteile modernen Fremdsprachenunterrichts (vgl. u. a. Schramm 2010: 1183 f; Rösler 2012: 98). Neben fremdsprachendidaktischen Vorzügen wie der Erhöhung der Redeanteile der Lernenden in Kleingruppen oder in Paaren und der Schaffung eines entspannten Umfelds, in denen durch das Fehlen einer kontrollierenden Instanz Raum zum stressfreien Experimentieren mit den noch ungewohnten Redemitteln geschaffen wird, wird die Förderung kommunikativer und sozialer Kompetenzen als weiterer Vorteil von Gruppenarbeit gesehen. Im japanischen Bildungskontext, in dem die vorliegende Studie angesiedelt ist, wird der Einsatz aktiver und kollaborativer Lehrmethoden unter dem Schlagwort active learning zur Verbesserung der Qualität der Lehre an Universitäten und Oberschulen seit 2012 durch den Zentralrat für Bildung des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT 1 ) explizit gefordert, so dass auch in Japan vermehrt aktive Lehr- und Lernkonzepte Einzug halten (Sakai 2017: 23f ). Oft herrscht jedoch sowohl bei Lehrenden als auch bei Lernenden Unklarheit darüber, wie genau Gruppenarbeit als Teil des Gesamtunterrichts zu integrieren ist und was innerhalb der Gruppe passieren sollte bzw. was tatsächlich passiert. Außerdem stellt die selbständige Bearbeitung von Aufgaben durch Lernende in kooperativen Sozialformen alle Beteiligten vor gewisse Herausforderungen. Lehrende fürchten einen Kontrollverlust über Lerninhalte und Lernprozesse, darüber hinaus werden problematische Gruppenzusammenstellungen oder Schwierigkeiten bei der Notenvergabe erwartet (u. a. Becker-Mrotzek & Vogt 2009: 115). Auch Lernende wünschen oftmals eine gezielte Anleitung durch die Lehrperson, erfahren Gruppenarbeitsprozesse als anstrengend oder sogar frustrierend und befürchten, nicht ihren Leistungen entsprechend benotet zu werden (u. a. Würffel 2007: 23). Eine Vielzahl möglicher Erklärungsansätze können für Komplikationen bei der Implementierung sozialer Lernformen herangezogen werden. So kann die Ursache u. a. darin liegen, dass sowohl Lernende als auch Lehrende wenig oder keine Erfahrung mit Gruppenarbeit haben (u. a. McDonough 2004: 222; Matsumoto 2008: 29), dass die gewählten Aufgabenformate nur bedingt zur Zusammenarbeit einladen (u. a. Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2011: 63f ) oder dass die Interaktionsmuster zwischen den Gruppenmitgliedern weniger von einem Miteinander als vielmehr von einem Gegeneinander gekennzeichnet sind (u. a. Storch 2002: 128; Feick 2016: 176). Bei den zuletzt genannten Interaktionsmustern steht das aufeinander bezogene Handeln der Gruppenmitglieder und seine Gestaltung durch die Lernenden im Fokus und rückt so das Verständnis der 1 Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology bzw. 文部科学省 (monbu-kagaku-sho) Zur weiteren Information: http: / / www.mext.go.jp/ component/ english/ __icsFiles/ afieldfile/ 2015/ 03/ 31/ 1353908_1.pdf http: / / www.mext.go.jp/ a_menu/ kokusai/ gaikokugo/ __icsFiles/ afieldfile/ 2013/ 05/ 08/ 1332306_4.pdf <?page no="14"?> Gruppenarbeit als soziales Ereignis in den Mittelpunkt. Dieser Weg wird auch in der vorliegenden Studie eingeschlagen, in der weitere Facetten von Peer-Interaktionen beleuchtet werden. Es werden die Interaktionen unter Lernenden in Gruppenarbeitsphasen im Deutschunterricht an einer japanischen Universität in den Blick genommen und auf beziehungsrelevante Herausforderungen, denen sich die Gruppenmitglieder gegenübersehen, überprüft. In einem Großteil der Studien zur Interaktion unter Lernenden liegt das Augenmerk auf unmittelbar mit dem Fremdsprachenlernen verbundenen Aspekten, wie der Verständnissicherung, der gegenseitigen Hilfestellung bei fehlendem Wortschatz oder Korrekturen bei fehlerhaften Äußerungen (vgl. u. a. Swain & Lapkin 2000; Sato & Lyster 2012; Hoshii & Schumacher 2017; Mackey 2020). Vielen dieser Untersuchungen liegt das Verständnis zu Grunde, dass ein häufiges Vorkommen solcher Aushandlungen lernförderlich ist und ein Anzeichen für hohes Engagement darstellt. Werden hingegen wenig Rückfragen gestellt oder Fehler von Mitlernenden übergangen, wird dies als verpasste Lerngelegenheit interpretiert. Im hier dargestellten Forschungsprojekt wird die soziale Perspektive unter Rückgriff auf das Gesichtskonzept mit den dazugehörigen Überlegungen zur Gesichtswahrung (Brown & Levinson 1987) stärker in den Mittelpunkt gerückt. Werden Interaktionen unter Lernenden nicht lediglich als Chancen zur Erarbeitung von Lernzielen, sondern darüber hinaus als gesellschaftliches Ereignis betrachtet, in denen auch die Aushandlung des Gesichts der Einzelnen relevant ist, erscheinen diese verpassten Lerngelegenheiten in einem ganz anderen Licht. Sollte man als Gruppenmitglied die Fehler seiner Lernpartnerinnen und -partner offen ansprechen, nur Hinweise auf Korrekturen geben oder den Fauxpas ganz übergehen? Ist das Eingeständnis von Verständnisschwierigkeiten ein Anzeichen für die eigene mangelnde Sprachkompetenz oder die unzureichenden Erklärungen des Gegenübers? Möchten die anderen Gruppenmitglieder ihre Äußerungen lieber selbständig formulieren oder würden sie sich über unterstützende Vorschläge freuen? Solchen Fragen soll im Rahmen dieses Forschungsprojekts nachgegangen werden. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie besteht darin, zu ermitteln, inwiefern sich gesichtsrelevante Überlegungen auf die Zusammenarbeit der Lernenden auswirken. Fremdsprachenlerntheoretische Erkenntnisse werden im Folgenden mit Erving Goffmans Gesichtskonzept (1967) verbunden und dienen als Grundlage zur Analyse und Interpretation unterrichtlicher Interaktionsdaten. Berücksichtigt werden sowohl beobachtbare sprachliche und nicht-sprachliche Handlungen aus der Gruppenarbeit als auch gedankliche Abläufe der Beteiligten aus retrobzw. introspektiven Daten und zur Beantwortung der folgenden zentralen Forschungsfragen herangezogen: 1. Welchen Gesichtsbedrohungen begegnen Lernende in der Gruppenarbeit? 2. Wie gehen Lernende mit der Gesichtsbedrohung um? 3. Wie wirken sich gesichtsrelevante Interaktionen auf die Gruppenarbeit aus? Durch ein multiperspektivisches Vorgehen soll die Gruppenarbeit als Bestandteil des Deutschunterrichts umfassend abgebildet werden und am Ende dieser Studie ein Beitrag zur Theoriebildung stehen. Ziel der Studie ist es, einen Erklärungsansatz für fremdsprachenunterrichtliche Gruppenarbeitsprozesse zu entwickeln, in dem die Interaktionen unter den Lernenden sowohl als lernorientierte als auch als soziale Handlungen be- 14 1 Einleitung <?page no="15"?> schrieben werden, um so eine weitere Perspektive auf kooperative Sozialformen anzubieten. Die Kapitel zwei bis fünf widmen sich den theoretischen Grundlagen, auf denen die vorliegende Studie aufbaut. In Kapitel zwei werden ausgehend von einer Eingrenzung des Begriffs Interaktion für den unterrichtlichen Kontext wichtige Studien zur Unterrichtsinteraktion skizziert und ihre Ergebnisse diskutiert. Eine Gegenüberstellung kognitivistischer und soziokultureller Ansätze und der jeweils daraus resultierenden Implikationen für die Untersuchung von Interaktionen dient der Positionierung im Forschungskontext. In diesem Zusammenhang werden konkrete für den hier dargestellten Untersuchungsgegenstand relevante Konzepte erläutert und anschließend bisherige Erkenntnisse im Bereich der Interaktion unter Lernenden dargestellt. Besondere Berücksichtigung finden hierbei Studien, deren Befunde durch die thematische Fokussierung auf soziale Aspekte der Interaktion oder durch die Ansiedlung im japanischen DaF-Kontext richtungsweisend für die vorliegende Untersuchung sind. Im dritten und vierten Kapitel wird die wissenschaftliche Rahmung weiter präzisiert. Da die zu untersuchenden Interaktionen in Gruppenarbeitsphasen eines aufgabenbasierten Deutschkurses stattfinden, bedarf es klarer Definitionen der Begriffe Gruppenarbeit und Aufgabe, wie sie der Studie zugrunde liegen. In Bezug auf erstere finden neben fremdsprachendidaktischen Aspekten auch psychologische und soziale Dimensionen Berücksichtigung, durch die erst eine Identifikation der einzelnen Personen als Gruppe entstehen kann und gemeinsames Handeln ermöglicht wird. Aufgaben wiederum dienen in zahlreichen Studien zur Unterrichtinteraktion - wie auch im vorliegenden Projekt - als Ausgangspunkt für den Austausch unter den Lernenden. Durch die Skizzierung grundlegender Prinzipien aufgabenbasierten Unterrichts werden die Gestaltungselemente des spezifischen Deutschkursprogramms, das den Rahmen für die Datenerhebung bildet, verdeutlicht und ihre Auswirkungen auf das Forschungsprojekt dargelegt. Im Zentrum des fünften Kapitels stehen Herleitung und Beschreibung des Gesichtskonzepts, wie es dann im Folgenden angewandt werden soll. Da in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem soziologischen Konstrukt Gesicht kein breiter Konsens darüber besteht, was sich genau hinter dem Begriff verbirgt, aus welchen Komponenten es sich zusammensetzt und inwiefern es als universell angenommen werden kann, wird anschließend der Versuch unternommen, die für den Fremdsprachenunterricht relevanten Aspekte zu explizieren und eine Arbeitsdefinition herauszuarbeiten. Allen vier Theoriekapiteln ist eine zusammenfassende Betrachtung angeschlossen, in der jeweils die zentralen Ansätze gebündelt und ihre konkrete Integration in der vorliegenden Studie verdeutlicht werden. Die methodologischen Überlegungen, die der Datenerhebung vorausgegangen sind und die den gesamten Forschungsprozess von der Pilotierung bis zur Datenanalyse begleitet haben, werden in Kapitel sechs dargelegt. Anhand der Forschungsfragen werden die Notwendigkeit der Kombination von Interaktionsdaten und introspektiven Daten hergeleitet und das Zusammenwirken der Datensätze erläutert. Neben einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen, die eine Erhebung videographischer Daten in Kleingruppen bietet, werden auch die Potentiale und Grenzen des gewählten Zugriffs auf die Introspektion der Untersuchungsteilnehmenden mittels Videobasierten Lauten Erinnerns reflektiert und der Einsatz beider Verfahren zur Datentriangulation 1 Einleitung 15 <?page no="16"?> begründet. Ebenso wird der Bedeutung des Erhebungskontexts aufgrund der Spezifika des Kursprogramms sowie seiner Rolle in der Unterrichtsforschung in einer ausführlichen Beschreibung Rechnung getragen. Abgeschlossen wird der methodologische Abschnitt mit Ausführungen zur Datenaufbereitung durch Transkription sowie Erläuterungen zum Zusammenspiel der eingesetzten Analyseverfahren: der Gesprächsanalyse anhand des Feintranskripts der Interaktionsdaten, der Inhaltsanalyse der introspektiven Daten und der makroanalytischen Beschreibung mithilfe der Gruppenarbeitstranskripte sowie der flankierenden Daten. In den Kapiteln sieben, acht und neun stehen die erhobenen Daten sowie ihre Analyse und daraus abgeleiteten Ergebnisse im Mittelpunkt. Mit Hilfe von Beschreibungen aller dokumentierten Gruppenarbeitsphasen hinsichtlich der Redeanteile der einzelnen Beteiligten, der Sprachwahl und der fokussierten Interaktionsebene sowie der Wahrnehmung durch die Lernenden - erfasst mittels einer Kurzumfrage im Anschluss an jede Gruppenarbeit - wird eine dichte Charakterisierung jeder Konstellation vorgenommen, vor deren Hintergrund die gesichtsbezogenen Interaktionen analysiert und interpretiert werden. Die Gruppenperspektive wird durch Porträts der Lernenden komplementiert, durch die individuelle Verhaltensweisen verdeutlicht werden und die so ebenfalls zu einem besseren Verständnis der einzelnen aufeinander bezogenen Handlungen beitragen. Das Kernstück der Arbeit bildet die Darstellung der Gesichtskritischen Episoden in Kapitel 9, in der die Analyseergebnisse der erinnerten Daten einzelner Lernender und der damit verknüpften Gruppeninteraktionen miteinander verbunden werden und zur Ausarbeitung eines Katalogs potentieller Gesichtsbedrohungen in fremdsprachenunterrichtlichen Gruppenarbeitsphasen und Strategien zum Umgang mit ihnen zusammengeführt werden. Die detaillierten Beschreibungen der einzelnen gesichtsbezogenen Aushandlungen und der damit verbundenen gedanklichen Prozesse der involvierten Lernenden gewähren einen Einblick in die komplexen Abläufe, die sich auf das gemeinsame Handeln in der Gruppe auswirken, und liefern Erklärungsansätze für die Realisierung bzw. Nicht-Realisierung bestimmter Handlungen. Im zehnten Kapitel wird von den Einzelepisoden abstrahiert und es werden die Zusammenhänge der Gesichtskritischen Episoden untereinander sowie der Wechselwirkungen zwischen ihnen und den gruppeninternen Konstellationen verdeutlicht. Abschließend wird ein Modell zur Beschreibung der relevanten Einflussfaktoren und ihrer Korrelationen vorgeschlagen und diskutiert. Die wichtigsten Ergebnisse des Forschungsprojekts werden in Kapitel elf zusammengetragen und daraus Schlussfolgerungen für die Unterrichtspraxis gezogen. Darüber hinaus werden Ansätze zur erforderlichen Anschlussforschung skizziert, die der weiteren Ausdifferenzierung der Befunde dienen. 16 1 Einleitung <?page no="17"?> 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht Das im Folgenden dargestellte Forschungsprojekt ist als Beitrag zur unterrichtlichen Interaktionsforschung im Deutsch-als-Fremdsprache-Kontext zu verstehen und baut daher auf bereits vorliegenden Erkenntnissen aus diesem Bereich auf. Da Interaktion jedoch ein weitgreifender Begriff ist und in verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Erkenntnisinteressen erforscht wird, ist die Bezugsforschung entsprechend vielfältig. Daher soll zuerst ein Überblick über den Forschungskontext und die für die vorliegende Arbeit relevanten Befunde gegeben werden, um anschließend eine Einordnung vornehmen zu können 2 . Durch Untersuchungen von unterrichtlichen Interaktionen wird der Versuch unternommen, die hochkomplexen Vorgänge in Klassenzimmern zu beleuchten, Erkenntnisse zu gewinnen und idealerweise daraus Handlungsempfehlungen für die Verbesserung der Lernprozesse ableiten zu können. Was genau wird im Unterricht thematisiert? Wer ist an welchen Interaktionen in welcher Form beteiligt? Wie wirken Lehrhandlungen? Wie bringen sich die Lernenden ein? Hierbei kann der Blick verstärkt auf die Lehrperson oder die Lernenden, eher auf inhaltliche oder auf soziale Aspekte, in erster Linie auf didaktische oder auf sprachliche Fragen gerichtet werden. In Abhängigkeit vom Erkenntnisinteresse werden unterschiedliche Zugänge aus verschiedenen Forschungstraditionen gewählt und z. T. miteinander kombiniert. Steht zum Beispiel die Verwendung bestimmter grammatischer Strukturen in Redebeiträgen von Lernenden im Plenum im Mittelpunkt, kann eine Analyse der sprachlichen Produkte der Lernenden mit einem sprachstrukturellen Fokus vielversprechende Ergebnisse liefern. Werden hingegen Gründe für Sprechängste in Partnerarbeitskonstellationen untersucht, könnte ein psychologischer Blick auf die Interaktionen in Verbindung mit introspektiven Daten Aufschluss geben. Die Betrachtung interaktionaler Prozesse im Unterricht bewegt sich also stets im komplexen Spannungsfeld zwischen soziologischen, psychologischen, didaktischen und linguistischen Ansätzen, die je nach Erkenntnisinteresse in unterschiedlicher Weise miteinander verwoben sein können. Dies zeichnet sich bereits in frühen Arbeiten zur Unterrichtsinteraktion ab und schlägt sich bis heute in einer Vielzahl möglicher Erhebungs- und Analysemethoden nieder. Im Mittelpunkt stehen Handlungsprozesse, in denen sich die Interagierenden - in der Regel Lehrende und Lernende oder Lernende untereinander - aufeinander beziehen und so gemeinsam den Lernprozess gestalten (vgl. u. a. Schwab et al. 2017: 7). Die folgende Übersicht über den theoretischen Bezugsrahmen soll nachvollziehbar machen, welche Verfahren aus welchen Gründen für die vorliegende Studie gewählt wurden. 2 Das vorliegende Kapitel ist eine erweiterte und überarbeitete Fassung von Czyzak (2021). <?page no="18"?> 2.1 Unterrichtsinteraktion: Eine Begriffsbestimmung In einem ersten Schritt soll jedoch eine Annäherung an den Begriff Interaktion vorgenommen werden. Unterrichtsmethodische Überlegungen als Ausgangspunkt für didaktische Entscheidungen werden bereits seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert angestellt und schriftlich festgehalten, doch ist das Interesse an der Erforschung der Interaktion im Speziellen erst im Laufe der achtziger Jahre im Nachgang der pragmatischen Wende entstanden und seitdem stetig gewachsen (vgl. Becker-Mrotzek & Vogt 2009: 3; Henrici 1995: 14; Schwab et al. 2017: 7). Was genau unter dem Begriff Interaktion zu verstehen ist, wird in der Literatur je nach Forschungsfokus und theoretischem Hintergrund zwar unterschiedlich gehandhabt, doch besteht das verbindende Kriterium in der Gegenseitigkeit. Für das Zustandekommen einer Interaktion sind zwei oder mehr Personen nötig, die verbal oder nonverbal mit Bezug aufeinander handeln, das heißt sie agieren mit Blick auf die anderen Beteiligten und reagieren auf deren Handlungen (vgl. u. a. Edmondson & House 2003: 242; Spiegel 2006: 6; Henrici & Vollmer 2007: 77). Die gemeinsam konstruierte Interaktion, zum Beispiel in Form eines Gesprächs, wird von den beteiligten Personen, den begleitenden äußeren Umständen sowie der Funktion des Austausches beeinflusst (Deppermann 2008: 79). Ein Mindestmaß an Kooperation ist somit nötige Voraussetzung für die Entstehung interaktiver Prozesse. Findet keinerlei Bezugnahme untereinander statt, liegt auch keine Interaktion vor. Das gemeinsame Handeln kann sowohl verbal als auch nonverbal realisiert werden, so dass nicht nur Sprachhandlungen, sondern auch mimischen, gestischen und räumlichen Aspekten wie etwa der Körperhaltung oder Entfernung der Interagierenden zueinander eine bedeutsame Wirkung zukommt. Im Gegensatz zu kommunikativen Handlungen liegen Interaktionen nicht notwendigerweise bestimmte Absichten zu Grunde und können darüber hinaus auch unsichtbar für andere erfolgen, da etwa gedankliche Abläufe als Reaktion auf Handlungen einer anderen Person intern ablaufen und somit ggf. nicht beobachtbar sind, außer sie werden durch Mimik, Gestik oder verbal zum Ausdruck gebracht (Edmondson & House 2003: 242). Die Besonderheit von Interaktionen im Fremdsprachenunterricht liegt einerseits darin, dass die verbale Realisierung entweder in der Ausgangssprache oder in der Zielsprache stattfindet, so dass Sprachwechseln eine besondere Bedeutung zukommen kann (vgl. u. a. Kramsch 1985: 170). Außerdem besteht in der Fremdsprachendidaktik nach wie vor eine traditionelle Unterteilung in die vier Fertigkeiten Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen, die teilweise dazu führt, dass sie getrennt voneinander vermittelt werden. Die miteinander interagierenden Lernenden sowie Lehrpersonen müssen sich bewusst machen, dass nicht nur abwechselnd gesprochen bzw. geschrieben wird, sondern aufeinander reagiert werden soll und daher die Trennung der Fertigkeiten für Interaktionen keine Gültigkeit hat (vgl. Garcia 2016: 94). In der unterrichtlichen Interaktionsforschung werden wiederkehrende Muster und zugrundeliegende Zusammenhänge aufgedeckt und tragen so zum besseren Verständnis des Unterrichtsgeschehens bei. 18 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="19"?> 2.2 Unterricht und Interaktion Durch sprechakttheoretische Überlegungen angeregt (Austin 1962; Searle 1969) erfolgte ein Wandel in Bezug auf die Wahrnehmung sprachlicher Phänomene weg von der Betrachtung linguistischer Regelzusammenhänge hin zum Sprechen als eine Form des Handelns. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in der Untersuchung des unterrichtlichen Geschehens und hierbei speziell in der Vermittlung sprachlicher und fremdsprachlicher Kompetenzen wider. Nicht nur sprachliches Handeln und seine Umsetzung rückten in den Mittelpunkt theoretischer und methodischer Überlegungen, es erfolgte insgesamt eine Sensibilisierung für den Einfluss sprachlicher Elemente auf zwischenmenschliche Interaktionen (Rösler 2012: 77f ). In linguistisch orientierten Ansätzen dienen verschiedene Pragmatikmodelle als Grundlage. So entwickeln Diegritz und Rosenbusch für die Untersuchung von Interaktionen unter Schülerinnen und Schülern einen aus der linguistischen Pragmatik abgeleiteten Mehrmethodenansatz, dessen Kern aus dem verhaltenstheoretischen Kommunikationsmodel von Watzlawick besteht (Watzlawick et al. 1967). In ihrer Analyse ist die Prozesshaftigkeit und die Rolle der Beziehungen der Interaktanten untereinander von grundlegender Bedeutung (Diegritz & Rosenbusch 1977: 27). Sie untersuchen das Unterrichtsgeschehen in verschiedenen Schul- und Sozialformen und leiten daraus Handlungsempfehlungen für die Praxis ab. Insbesondere zeichnen sie die Vorgänge innerhalb von Gruppen im schulischen Unterricht nach und zeigen, dass die Lernenden bei der Zusammenarbeit didaktische Unterstützung benötigen, da die Gruppenarbeit andernfalls den vorgesehenen Lernzielen sogar entgegenwirken kann (Diegritz & Rosenbusch 1977: 260). Befürchtungen, dass Gruppenarbeit durch das Fehlen einer disziplinierenden Lehrkraft außer Kontrolle geraten könne, werden auch in weitaus neueren Arbeiten als Gründe gegen diese Sozialform angeführt (u. a. Demmig 2007: 133; Becker-Mrotzek & Vogt 2009: 115). Mit Hilfe eines funktional-pragmatischen Ansatzes beschreiben Ehlich und Rehbein typische Handlungsmuster in einem schulischen Rahmen und versuchen so sprachliches Handeln im Unterricht in all seiner Komplexität zu erfassen (ebd. 1986). Sie betonen, dass gerade die Institution Schule ohne das Sprechen als Handlung nicht vorstellbar sei, und heben die Wichtigkeit der Analyse sprachlichen Lehrhandelns besonders hervor (Ehlich & Rehbein 1986: 1f ). Im englischsprachigen Raum entwickelten sich parallel gesprächsanalytische Herangehensweisen, die ebenfalls auf der Sprechakttheorie basieren und diese mit Ansätzen aus der Soziologie kombinieren. Zu nennen sind hier einerseits die Arbeit von Sinclair und Coulthard (1975), in der von einer strukturalistischen Betrachtungsweise ausgegangen wird, sowie die ethnomethodologische Untersuchung unterrichtlicher Interaktionen von Mehan (1979). Eine eingehende Darstellung dieser Ansätze mit kritischer Würdigung findet sich bei Becker-Mrotzek und Vogt (2009). Trotz der Unterschiede in der theoretischen Verankerung und Vorgehensweise bei der Analyse finden sich in den Befunden der Studien einige Parallelen. Eine grundlegende Gemeinsamkeit der Ansätze besteht darin, dass Muster beschrieben werden, in denen Handlungen von Lehrenden ausgelöst, dann von Lernenden bearbeitet und letztlich wieder von Lehrenden beurteilt werden: das Handlungsmuster Aufgabe-Stellen/ Aufgabe-Lösen bei Ehlich und Rehbein zum Beispiel (ebd. 1986), das IRF-Muster (Initiation - Response - Feedback) von Sinclair und Coulthard (ebd. 1975) und bei Mehan das IRE-Muster (Initiation - Response - Evaluation) 2.2 Unterricht und Interaktion 19 <?page no="20"?> (ebd.1979) 3 . Durch die Beschreibung dieser Muster wird ein Bild von Unterricht gezeichnet, in dem die unterrichtliche Interaktion im Plenum in der Regel dem von einer Lehrperson vorgesehenen Ablauf folgt und den Lernenden wenig Spielraum zur Mitgestaltung eingeräumt wird. Lernendenseitige sprachliche Handlungen sind meist reagierend und Äußerungen, die dem beabsichtigten Verlauf nicht entsprechen, werden zwar zur Kenntnis genommen, beeinflussen das Unterrichtsgespräch aber häufig nicht gravierend (Becker- Mrotzek & Vogt 2009: 92). Für die Betrachtung von Interaktionen unter Lernenden ist diese Erkenntnis von Bedeutung, da sie verdeutlicht, dass in einem solchen Unterricht im Plenum einerseits wesentlich weniger Redezeit auf Lernende entfällt (vgl. Demmig 2007: 137); andererseits auch die Art sowie die Realisierung der sprachlichen Handlungen in kleinen Gruppen vielfältiger ist als im Klassenverband (Schwerdtfeger 2000: 26). Sind die Lernenden solche von Lehrpersonen dominierte Unterrichtsgestaltung gewöhnt, fehlen ihnen folglich die Übung organisatorische Vorgänge in Kleingruppen zu bewältigen, sowie - im Falle von Fremdsprachenunterricht - auch die Redemittel, was die Zusammenarbeit erschwert und ein häufiges Ausweichen auf die Muttersprache nach sich ziehen kann (Legutke 2003: 235). Aus der Kritik heraus, Unterricht lediglich als Abfolge von Handlungen einer Lehrperson ohne nennenswerten Beitrag der Lernenden zu interpretieren, entwickelte Spiegel eine Forschungsarbeit, in der die gemeinsame Konstruktion des Unterrichts als interaktiver Prozess zwischen allen Gesprächsbeteiligten gesehen wird (ebd. 2006: 4). Sie definiert den Begriff Interaktion als „ das gemeinsame Handeln von Beteiligten “ (Spiegel 2006: 6) und grenzt ihn explizit von der Kommunikation ab, in der weniger das Tun als vielmehr die Mitteilungsabsicht im Zentrum steht. In ihrer gesprächsanalytischen Darstellung verschiedener Unterrichtsszenarien zeigt sie, wie Lehrende und Lernende sowohl die Art und Weise als auch die eigentliche Bestimmung des gemeinsamen Handelns nach und nach erarbeiten (Spiegel 2006: 223). Neben Faktoren wie der individuellen Rollenwahrnehmung oder den institutionellen Rahmenbedingungen wird in Spiegels Beschreibung der Umsetzung der Interaktion auf unterschiedlichen Interaktionsebenen besondere Bedeutung beigemessen. Diese Interaktionsebenen „ sind bei der verbalen Interaktion gleichzeitig, aber je nach Interaktion in unterschiedlicher Relevanz wirksam “ (Spiegel 2006: 11f ) und basieren auf Überlegungen von Kallmeyer zur Handlungskonstitution in Gesprächen (ebd. 1985: 85). Zwar befasst Kallmeyer sich nicht mit unterrichtlichem Geschehen, doch erlaubt die Fokussierung einzelner Ebenen, wie etwa die der Gesprächsorganisation, der Sachverhaltsdarstellung oder der Identitäts- und Beziehungskonstitution, eine mehrschichtige Untersuchung komplexer Interaktionsgefüge (Kallmeyer 1981, 1985; siehe auch Spranz- Fogasy 1997: 252), wie sie etwa im schulischen oder universitären Unterricht vorzufinden sind. Mit diesem Ansatz macht Spiegel deutlich, dass zwischenmenschliche Faktoren eine wichtige Rolle für die gemeinsame Konstruktion des Unterrichtsgesprächs spielen und rückt somit einen Grundgedanken pragmatischer Theorien in den Vordergrund. Die Äußerung einer Gesprächsteilnehmerin kann zwar in erster Linie als inhaltlicher Beitrag fungieren, gleichzeitig aber durch die jeweilige Realisierung ihre Beziehung zu anderen Beteiligten manifestieren und den weiteren Fortgang des Gesprächs bestimmen (vgl. auch Watzlawick 1967: 80). So kann eine Lehrperson sich dafür entscheiden einen strengeren 3 Vereinzelt wird dieses Muster auch als Lockstep bezeichnet (Edmondson & House 1993: 233). 20 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="21"?> Ton anzuschlagen oder eine freundschaftliche Atmosphäre zu kreieren, und dadurch das Verhalten der Lernenden entsprechend beeinflussen, was sich dann wiederum auf den Unterrichtsablauf auswirkt. Eine Unterteilung sprachlichen Handelns nach funktionalen oder thematischen Schwerpunkten, wie etwa den oben beschriebenen Interaktionsebenen, findet sich auch in zahlreichen anderen Studien. Ehlich und Rehbein unterscheiden zwei Diskurstypen nach unterrichtsorganisatorischen und themenbezogenen Aktivitäten (vgl. ebd. 1986: 7). Dabei wird die Organisation des unterrichtlichen Vorgehens als Domäne der Lehrenden beschrieben und umfasst neben der Erklärung von Aufgaben und der Besprechung kursbzw. klassenbezogener Handlungsschritte auch die Disziplinierung des Verhaltens von Schülerinnen und Schülern, die den Unterrichtsablauf stören. Themenbezogenes sprachliches Handeln hingegen dient der Wissensvermittlung und bildet somit den Kern des Unterrichtsgeschehens. Im Fremdsprachenunterricht tritt neben die inhaltliche Arbeit die Behandlung sprachlicher Aspekte, die entweder durch die Lehrperson selbst oder die Bearbeitung von Materialien erfolgt (vgl. Lauerbach 1989: 255, Walsh 2011: 113). Weitere Vorschläge das Unterrichtsgespräch in funktionale oder thematische Kategorien zu unterteilen, finden sich in der Literatur und werden unter anderem als Ordnungen (Lauerbach 1989: 255), Themen (Pelchat 2017: 137), Context (Seedhouse 2004: 101f ), Mode (Walsh 2011: 113f ) oder Sequenz (Schart 2019: 134f ) bezeichnet. Jedoch fehlen häufig greifbare Definitionen dieser Kategorien, so dass oft nicht ganz klar ist, inwiefern diese Einteilungen konzeptionell verwandt sind. Für die vorliegende Arbeit wird der Begriff der Interaktionsebene aus der Theorie der Interaktionskonstitution von Kallmeyer (1982, zit. nach Spranz-Fogasy 1997: 27) entliehen und angepasst 4 . Der Begriff Ebene soll hier weniger in seiner hierarchischen als viel mehr in seiner vielschichtigen Eigenschaft verstanden werden. So sind alle Ebenen stets präsent, doch treten sie je nach Fokus des Gesprächs mehr oder weniger in den Vordergrund (vgl. auch Spiegel 2006: 11f ). Die Unterscheidung der verschiedenen Ebenen soll sowohl für Interaktionen im Plenum unter der Regie einer Lehrperson gelten als auch für solche, die in Kleingruppen oder Paaren unter Lernenden stattfinden. 2.3 Interaktion und Fremdsprachenlernen aus zwei Perspektiven Interaktionen im Kontext des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts werden generell aus zwei Richtungen erforscht: der kognitivistischen und der soziokulturellen. Während man sich in kognitivistisch orientierten Theorien und Forschungsdesigns in erster Linie auf die gedanklichen Abläufe und Lernwege konzentriert, die in den Köpfen der Lernenden stattfinden, werden die Interaktionen in soziokulturellen Ansätzen ganzheitlich als soziales Geschehen betrachtet, in denen neben den individuellen Prozessen auch situative und persönliche Faktoren Berücksichtigung finden (vgl. Aguado 2010: 817f ). 4 Dieser Begriff wird im Zusammenhang mit der Beschreibung der Analyseschritte erneut aufgegriffen und seine Verwendung spezifiziert (vgl. Kapitel 6.6.3). 2.3 Interaktion und Fremdsprachenlernen aus zwei Perspektiven 21 <?page no="22"?> 2.3.1 Kognitivistische Ansätze Als Ausgangspunkt kognitivistisch-interaktionistischer Lehr- und Forschungsansätze gelten die von Krashen formulierten Hypothesen: Acquisition, Input, Monitor, Natural Order und Affective Filter Hypothesis (1982), unter welchen sich vor allem auf die Input- Hypothese bezogen wird. Spracherwerb wird laut Krashen dadurch initiiert, dass Lernende zielsprachlichen Input verstehen, der etwas über deren gegenwärtigen Sprachniveau liegt (ebd. 1985: 2). Das zielsprachliche Material kann hierbei sowohl mündlich als auch schriftlich vorliegen. Auf die Formel i+ 1 gebracht gilt jedoch als notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Erwerb, dass die Strukturen (i), die gemäß der natürlichen Ordnung (natural order) der neu zu erwerbender Form (1) unmittelbar vorausgehen, bereits von den Lernenden verinnerlicht worden sind (Krashen 1985: 101). Es wird also von einer linearen Lernkurve ausgegangen, in der grammatische Strukturen aufeinander aufbauend gelernt werden, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Persönliche oder soziale Faktoren werden nur am Rande als Teil der affektiven Filter berücksichtigt. Regelwissen kann hierbei allenfalls als Kontrollinstanz (monitor) genutzt werden, führt aber nicht zum Erwerb (acquisition) einer sprachlichen Struktur (Krashen 1982: 83). Zwei Annahmen, die mit diesen Hypothesen einhergehen, sind, dass für erfolgreichen Spracherwerb erstens möglichst viel Kontakt mit der Zielsprache förderlich ist und zweitens rezeptives Fertigkeitstraining dem produktiven stets vorangeht (Nunan 2004: 79). Je mehr die Lernenden mit der Fremdsprache in Berührung kommen, desto mehr Lerngelegenheiten bieten sich, was dann automatisch zu einem schnelleren Erwerb führe. Eine theoretische Auseinandersetzung mit grammatischen Strukturen hingegen habe keinen Effekt auf den Fremdsprachenerwerb, da Sprachwissen nicht in sprachliche Fertigkeiten überführt werden könne. Die strikte Trennung von Regelwissen und Sprachfertigkeiten in Krashens Hypothesen und die damit verbundene Annahme, dass Fremdsprachen - ähnlich wie die Erstsprache im Kindesalter - nicht gelernt, sondern erworben werden, haben die wissenschaftliche Diskussion und somit weitere Überlegungen angeregt. Als eine Erweiterung bzw. einen Gegenentwurf formuliert Swain die Output-Hypothese (1985), in welcher neben einem sowohl quantitativ als auch qualitativ reichhaltigen Angebot an Sprachmaterial zur Rezeption vor allem die Sprachproduktion durch die Lernenden als essentiell angesehen wird. Es wird angenommen, dass im Gegensatz zum reinen Verstehen die intensivere Auseinandersetzung mit den sprachlichen Strukturen bei der Produktion von mündlichen oder schriftlichen Äußerungen zu einer tiefergehenden kognitiven Verarbeitung führt und so den Spracherwerb fördert (vgl. u. a. Swain 1995: 127; Ellis 2003: 113). Reicht es, die Bedeutung einer Nachricht nur zu entschlüsseln, genügt ein oberflächliches Verständnis der lexikalischen und morphologischen Einheiten; möchte man hingegen selbst eine Nachricht schreiben, muss der Wortschatz aktiviert und die Fertigkeit vorhanden sein, diesen in eine syntaktisch sinnvolle Reihenfolge und Form zu bringen. In der Interaktionshypothese (Long 1985) wiederum werden Aushandlungsprozesse, Negotiations for/ of Meaning (NfM), als Quintessenz des Zweitsprachenerwerbs angesehen. Durch interaktive Aushandlungen werden mit Hilfe sprachlicher Operationen wie zum Beispiel Nachfragen, Wiederholen oder Umformulieren zuvor unverständliche Äußerungen von den Gesprächspartnern gemeinsam erarbeitet, verständlich gemacht (comprehensible input) und dadurch Lernprozesse initiiert (vgl. auch Henrici 1995: 15). Durch Modifikation von Redebeiträgen wird Verständnisschwierigkeiten zuvorgekommen oder 22 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="23"?> nachträglich Abhilfe geschaffen (Eckerth 2003: 27). Kommunikativ schwierige Sequenzen, die schlimmstenfalls zu einem Gesprächsabbruch (communicative breakdown) führen können, werden als förderlich für Aushandlungen und folglich den Erwerb angesehen, da sie die Aufmerksamkeit der Lernenden auf für die Verständigung essentielle formale Aspekte lenken und im entscheidenden Moment Lernprozesse auslösen können (Long 1996: 451 nach Foster & Ohta 2005: 406). Vor dem Hintergrund der Input-, Output- und Interaktionshypothese hat sich unter der Bezeichnung Task Based Language Teaching (TBLT) insbesondere im englischsprachigen Raum eine aktive Lehr- und Forschungstradition mit Fokus auf aufgaben- und inhaltsbasierte Lernszenarien herausgebildet (Kapitel 4). In den vorwiegend quantitativ orientierten Studien werden in speziell entwickelten Aufgaben ausgewählte Faktoren verändert, wie etwa der Grad der Komplexität der Aufgabe oder die Länge der Vorbereitungszeit und deren Auswirkungen auf Lernprozesse mit Hilfe von Vorher-Nachher-Tests untersucht (u. a. Kuiken & Vedder 2011; De Jong & Vercellotti 2016). In Bezug auf Interaktion werden unter anderem Zusammenhänge zwischen Aushandlungen unter Peers und der Verwendung bestimmter grammatischer Formen in Tests, mündlichen Äußerungen oder schriftlichen Produkten hergestellt (u. a. Sato & Lyster 2012; McDonough et al. 2016). Eine ausführliche Darstellung der Forschungsmethoden im Kontext des TBLT findet sich unter anderem bei Mackey (2020). Speziell auf sprachliche Aspekte ausgerichtete Aushandlungen, in denen die Lernenden Selbst- oder Fremdkorrekturen vornehmen und ihre Sprachverwendung reflektieren, werden als language related episodes (LRE) bezeichnet (Swain & Lapkin 1995 nach Swain & Lapkin 1998: 326). Je nachdem ob in den LRE eher bedeutungsrelevante oder sprachstrukturelle Fragen fokussiert werden, handelt es sich um lexikalische oder grammatische LRE, wobei in ersteren die angemessene Wortwahl im Mittelpunkt steht, in letzteren hingegen Rechtschreibung, Morphologie oder Syntax thematisiert werden (Swain & Lapkin 2000: 104). Schon allein das Auftreten solcher sprachbezogener Aushandlungen wird als Hinweis auf mögliche Lerngelegenheiten interpretiert und das erneute Aufgreifen der Formen in der weiteren Interaktion als potentieller Lernzuwachs (vgl. Storch 2002: 137). LRE können als Realisierungsform der in Kapitel 2.2 beschriebenen Interaktionsebene interpretiert werden, auf der sprachliche Phänomene fokussiert werden. Diese isolierte Betrachtung kurzer Ausschnitte der unterrichtlichen Interaktion erlaubt einerseits einen mikroskopischen Blick auf die sprachliche Gestaltung der Aushandlungen und somit den Lernprozess. Andererseits besteht jedoch genau darin eine Schwäche kognitivistisch orientierter Studien, da sich das Erkenntnisinteresse auf die Behandlung und Verinnerlichung einzelner fremdsprachlicher Informationen konzentriert, so aber wichtige interaktive Zusammenhänge des Unterrichtsgeschehens nicht erfasst werden können. 2.3.2 Soziokulturelle Ansätze Auf den Überlegungen des russischen Psychologen Lev Semjonovic Vygotsky zur psychischen Entwicklung von Kindern basiert die soziokulturelle Perspektive auf Interaktionen mit Eltern, Lehrpersonen oder Gleichaltrigen und deren Auswirkungen auf den Lernprozess. In seinen Arbeiten betont Vygotsky die zentrale Funktion der Sprache für den kindlichen Lernprozess, da Kinder durch das Sprechen in Beziehung mit ihrer Umgebung treten, welche sich dann wiederum auf das Denken und infolgedessen auf 2.3 Interaktion und Fremdsprachenlernen aus zwei Perspektiven 23 <?page no="24"?> das Verhalten auswirkt (Vygotsky 1978/ 2019: 24). Sprechen und Handeln werden als integrale Bestandteile zielgerichteter Überlegungen verstanden, wobei die Rolle des Sprechens mit Anspruch der Aufgabe wächst (Vygotsky 1978/ 2019: 25). Je komplizierter ein zu lösendes Problem ist, desto mehr wird es in einer Art Selbstgespräch verbal behandelt. Das Sprechen hat hier weniger eine kommunikative Funktion als vielmehr eine den Denkprozess unterstützende. Darüber hinaus gibt es wertvolle Einblicke für Bezugspersonen, die modifizierend eingreifen und so Hilfestellung zur Lösung eines Problems leisten können. Diese Phase, in der ein Kind eine Aufgabe mit der Unterstützung eines Erwachsenen oder eines in Bezug auf die Aufgabenlösung fähigeren Peers bewältigt, definiert Vygotsky als die Zone der nächsten Entwicklung (Zone of Proximal Development (ZPD)) (ebd. 1978/ 2019: 85f ). Im Gegensatz zum tatsächlichen Entwicklungsstand, der mit Blick auf die Vergangenheit bereits Gelerntes umfasst, ist die ZPD zukunftsorientiert und somit auf potentielle Lernfortschritte gerichtet (Vygotsky 1978/ 2019: 86). Anders als bei kognitivistischen Ansätzen liegt die Betonung hier darauf, dass die Fertigkeiten möglicherweise erworben werden können, aber es wird nicht davon ausgegangen, dass sie zwangsläufig in das Repertoire des Kindes übergehen. Vygotsky lehnt solche vereinfachten Darstellungen der sich auf Lernprozesse auswirkenden Faktoren und darauf basierende Prognosen über Erfolg des Erwerbs ab (ebd. 1978/ 2019: 91). Interaktion gilt als unverzichtbar für das Lernen und Sprache als wichtigstes Werkzeug zur Realisierung von aufeinander bezogenem Handeln (Vygotsky 1978/ 2019: 89). Die gesellschaftlich und kulturell eingebettete zwischenmenschliche Kommunikation stellt den Rahmen für das kognitive Wachstum eines Kindes, indem es zunächst kommunikative Zeichen nur wahrnimmt, dann nachahmt und letztendlich als Teil des eigenen Gedankenprozesses verinnerlicht. Dieser als Internalisierung bezeichnete Vorgang stellt eine Entwicklung von außen bzw. fremdbestimmt zu innen bzw. selbstbestimmt dar und fußt auf der Annahme, dass Wissen nicht gelehrt werden kann, sondern von den Lernenden durch Kommunikation mit anderen konstruiert werden muss (vgl. Aguado 2010: 820). Die zwischenmenschliche Aktivität gibt den Impuls für kognitive Vorgänge und initiiert so Lernprozesse (Lantolf & Tharone 2007: 266). Vor diesem Hintergrund kann Lernen, unabhängig davon, ob es sich um das Lernen alltäglicher Dinge als Kind oder um Fremdsprachenlernen handelt, nur in der kommunikativen Interaktion in einem spezifischen kulturellen Kontext stattfinden (van Lier 1996: 4). Folglich dient die Interaktion im soziokulturellen Ansatz nicht als bloße Input-Quelle und zur Überprüfung von Verständnis und Lernerfolg, sozusagen als Instrument um etwas zu lernen, sondern stellt vielmehr die Manifestation des eigentlichen Lernprozesses dar (Swain & Lapkin 1998: 321). Neben den eigentlichen Interaktionsdaten werden auch in diesem Ansatz häufig weitere flankierende Daten erhoben, wie etwa lernbiografische oder introspektive Informationen, die eine möglichst präzise Einbettung der Untersuchung erlauben und somit die Interpretation der wechselseitigen Handlungen erleichtern (u. a. Mackey 2020: 3). Zwar werden hier die Daten oft in bestehenden Kursen erhoben, in die möglichst wenig eingegriffen wird, so dass authentische Unterrichtsinteraktionen betrachtet werden können, doch ist der Untersuchungskontext meist hochspezifisch und die Datenmenge zu gering, um verallgemeinernde Aussagen treffen zu können. Seit der Jahrtausendwende finden sich vermehrt Arbeiten, die beide Richtungen zu einem soziokognitiven Ansatz verknüpfen (vgl. Aguado 2010: 822f ), bei welchem davon 24 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="25"?> ausgegangen wird, dass soziale und kognitive Aspekte allenfalls als theoretische Konstrukte voneinander getrennt betrachtet werden können (Batstone 2010: 3). Als Pionierarbeit dieses umfassenden Forschungsansatzes gilt die Untersuchung von Bedeutungsaushandlungen und gegenseitiger Unterstützung unter Lernenden von Foster und Ohta (2005). Die Autorinnen werten ihre Daten sowohl quantitativ als auch qualitativ aus und zeichnen ein differenziertes Bild vielfältiger unterstützender Handlungen unter Peers, aus dem deutlich hervorgeht, dass die Bandbreite der Interaktionen in solchen Settings wesentlich vielfältiger ist, als dass sie sich auf einzelne kurze Episoden reduzieren ließen. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Grundgedanke aufgenommen und die beiden Forschungsansätze nicht als konkurrierend und einander ausschließend verstanden, sondern als zwei Richtungen auf einem Kontinuum, deren Prinzipien sinnvoll miteinander kombiniert werden können und so dazu beitragen, verschiedene Facetten unterrichtlicher Interaktion zu beleuchten. Das bedeutet, dass das im Folgenden vorgestellte Untersuchungsdesign zwar im soziokulturellen Kontext angesiedelt ist, Erkenntnisse und Verfahren aus kognitivistischen Ansätzen aber an Stellen, an denen es sinnvoll erscheint, ergänzend hinzugenommen werden. 2.3.2.1 Scaffolding Eine zentrale Idee, die aus Vygotskys Überlegungen zur Rolle einer den Lern- und Entwicklungsprozess unterstützenden Person abgeleitet und unter verschiedenen Gesichtspunkten im didaktischen Kontext weiterentwickelt wurde, findet sich in der Literatur unter der Bezeichnung Scaffolding. Der Begriff geht auf Wood, Bruner und Ross zurück, die betonen, dass die Unterstützung so konzipiert sein muss, dass das Kind bzw. der oder die Lernende in die Lage versetzt wird, die Teile der Aufgabe selbständig zu bewältigen, für die die Fertigkeiten bereits vorliegen, während andere Bestandteile der Aufgabe von der helfenden Person überwacht werden (ebd. 1976: 90). Die Hilfe muss also an die Bedürfnisse der lernenden Person angepasst werden und soll einerseits zur Bewältigung der aktuellen mit Hilfestellung bearbeiteten Aufgabe führen, andererseits auf die Internalisierung und somit eine zukünftige selbständige Erledigung ähnlicher Aufgaben vorbereiten. Sprache fungiert sowohl als Verständigungswerkzeug, als auch zur Internalisierung kognitiver Prozesse, also der Entwicklung vom kommunikativen zum privaten Sprechen als Mittel zur Selbstregulierung (Storch 2002: 121). Übertragen auf das Fremdsprachenlernen sind diejenigen sprachlichen Handlungen, die Lernende noch nicht selbständig bewerkstelligen, aber mit Hilfe anderer umsetzen können, in der Zone der nächsten Entwicklung angesiedelt (vgl. u. a. Ellis 2003: 179). Während die helfende Person in Vygotskys entwicklungspsychologischen Überlegungen in der Regel von einem Elternteil oder einer Lehrkraft verkörpert wird, kann diese Rolle im Fremdsprachenerwerb von einer Lehrperson, aber ebenso von einem Muttersprachler bzw. einer Muttersprachlerin oder einer erfahreneren Lernerin bzw. einem erfahreneren Lerner übernommen werden (vgl. u. a. Olson 2017: 35). Die unterstützende Person wird in diesem Zusammenhang als Experte und die lernende als Novize bezeichnet. Ob ein Lerngegenstand aus dieser Zone erfolgreich ins eigene Repertoire übernommen wird oder nicht, hängt von den Begleitumständen der jeweiligen Situation ab (Dunn & Lantolf 1998: 422). Im Gegensatz zu den kognitivistischen Ansätzen, in denen die gedanklichen Prozesse der Individuen losgelöst von sozialen, kulturellen und individuellen Faktoren gesehen werden, wird also bei einer soziokulturellen Betrachtung dem situativen 2.3 Interaktion und Fremdsprachenlernen aus zwei Perspektiven 25 <?page no="26"?> Kontext ein wesentlich größerer Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg beim Lernen zugesprochen. Lernen wird nicht als linearer Prozess verstanden, in dem neues Wissen zum bereits vorhandenen hinzuaddiert und dann quasi automatisch übernommen wird, sondern als komplexes soziales Ereignis, bei dem zahlreiche Faktoren eng miteinander verwoben sind. Die unterstützende Handlung kann auf verschiedene Arten realisiert werden, etwa durch Vereinfachung der Aufgabenstellung, Aufmunterung in weniger erfolgreichen Bearbeitungsphasen oder durch Hinweise auf die Lösung (vgl. Wood et al. 1976: 98; Ellis 2003: 181). In Abhängigkeit des Lernsettings und der zentralen Fragestellung der jeweiligen Studie wird der Begriff Scaffolding unterschiedlich verwendet. So versteht Kniffka in Anlehnung an Gibbons (2002) unter Scaffolding die Hilfestellung einer Lehrperson durch die Planung und Durchführung eines Unterrichtes unter Berücksichtigung der Fähigkeiten der Lernendengruppe (ebd. 2013: 215). In diesem Zusammenhang wird eine Unterscheidung von Makro- und Mikro-Scaffolding vorgenommen, wobei ersteres sich aus einer vorherigen Einschätzung des Sprachbedarfs, einer Sprachstandserfassung sowie der darauf basierenden Unterrichtsplanung zusammensetzt und letzteres die Modifizierung des sprachlichen Verhaltens der Lehrperson im Unterricht bezeichnet (Kniffka 2013: 215, 218). Die Interaktion zwischen Lehrperson und Lernenden im Unterricht steht hier im Mittelpunkt. Es handelt sich also um eine formale asymmetrische Lernsituation (vgl. Storch 2002: 122), in der die Scaffoldingprozesse auf didaktischen Überlegungen und Kenntnissen eines Experten oder einer Expertin basieren und als Stütze für eine Gruppe von Novizen und Novizinnen dienen. Ein weiteres lernförderliches Setting ist die Interaktion von muttersprachlichen Sprechern oder Sprecherinnen und Lernenden, bei denen erstere in eine tutorierende Rolle schlüpfen und letzteren in der Zielsprache unterstützend zur Seite stehen (Olson 2017: 50). Auch ohne didaktische Ausbildung werden Muttersprachlerinnen und -sprachler hier zu Experten und leiten Novizen in ihrer eigenen Sprache an. Ein typisches Beispiel für solche Lernszenarien sind Tandem-Konstellationen, in denen zwei Lernende - entweder selbstinitiiert oder durch spezielle Programme oder Unterrichtsprojekte motiviert - zusammenkommen und jeweils die Muttersprache des Gegenübers lernen möchten (u. a. Bechtel 2003: 266). 2.4 Fokus auf Interaktionsprozesse unter Lernenden Ursprünglich wurden vor allem Interaktionen untersucht, in denen die Hilfestellung stets von der einen Person geleistet und entsprechend von der anderen Person empfangen wird. Die nötigen Kenntnisse zur Bewältigung einer Aufgabe sind unter den Beteiligten asymmetrisch verteilt, d. h. es gibt eine Experten- und eine Novizenrolle, ohne dass ein Rollentausch stattfindet. Zum Ende des vergangenen Jahrhunderts hin wurden vermehrt gleichberechtigte Interaktionen und daraus resultierende Lernprozesse betrachtet (vgl. Aguado 2010: 821). Auch in Bezug auf die gegenseitige Unterstützung von Lernenden untereinander wird der Scaffolding-Begriff verwendet. Zur Abgrenzung von den oben beschriebenen Experte-Novize-Szenarien finden sich jedoch auch die Bezeichnungen Collective Scaffolding (Donato 1994: 45) oder Peer Scaffolding (Olson 2017: 36). Anhand von Gesprächsprotokollen aus Kleingruppen belegt Donato, dass eine Gruppe von 26 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="27"?> Lernenden dazu in der Lage ist, grammatische Formen korrekt zu konstruieren, obwohl keines der Mitglieder über das erforderliche sprachstrukturelle Wissen allein verfügt (ebd. 1994: 45). Durch gegenseitiges aufeinander Eingehen, Reagieren und Aufgreifen der Ideen der anderen wird die Äußerung von allen Lernenden gemeinschaftlich aufgebaut. Charakteristisch für diese Art der Interaktion ist, dass die Rollen der Experten und Novizen in der Gruppe nicht festgelegt sind und im Laufe der Aufgabenbearbeitung auch mehrfach wechseln können (vgl. Ohta 1995: 97). So kann Lernerin A zum Beispiel im Bereich des Wortschatzes deutlich fortgeschrittener sein, während Lerner B bestimmte grammatische Strukturen sicherer anwendet. Dieses Verhältnis kann sich aber auch schnell ändern, wenn andere sprachliche oder thematische Fertigkeiten erforderlich werden (vgl. Olson 2017: 43). Der Fokus liegt bei diesem kollektiven Aufbau von Äußerungen nicht auf der gezielten Steuerung der sprachlichen Produktion einer Person durch eine andere, sondern auf der kollaborativen Erarbeitung eines sprachlichen Produkts, das die einzelnen nicht allein hätten konstruieren können. Seit der Jahrtausendwende wird dieser Vorgang unter Lernenden seltener als Scaffolding, sondern eher als kollaborativer Dialog (collaborative dialogue) bezeichnet (Swain 2000: 102). Der Bezeichnungswandel kann ggf. auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs scaffolding (Baugerüst) zurückgeführt werden, die eher statische Assoziationen hervorruft, so dass die Gegenseitigkeit, die für diese Art von Gesprächen so charakteristisch ist, nicht zum Ausdruck kommt (Ellis 2003: 182). Unabhängig von der Bezeichnung des Phänomens wird in diesen Studien das Potential der Zusammenarbeit von Lernenden untereinander zum Ausbau von Kenntnissen und Fertigkeiten (Donato 1994: 45) und der Befähigung selbständiger Sprachverwendung in der ZPD (Ohta 2001: 10) betont. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit zu ergründen, unter welchen Bedingungen kollaborative Prozesse entstehen können. So zeigen Studien, dass unterschiedliche Aufgabentypen zu unterschiedlichen Interaktionen sowie Lernergebnissen führen können. Beispielsweise bringen sich Lernende bei der gemeinsamen Bearbeitung eines fremden Textes völlig anders ein als bei der Revision eigener Schreibprodukte in Zusammenarbeit mit einem Partner oder einer Partnerin und verhalten sich je nach Rolle im Lernteam entsprechend unterschiedlich (u. a. Saunders 1989: 110; De Guerrero & Villamil 2000: 64). Das bedeutet, dass neben der Aufgabenstellung die Art und Weise der Interaktion - also wie die Lernenden miteinander umgehen - einen großen Einfluss auf den Erfolg der Zusammenarbeit hat. Die Schaffung einer gemeinsamen Basis und somit einer intersubjektiven Grundlage ist Voraussetzung für einen fruchtbaren Austausch in der Zone der nächsten Entwicklung (De Guerrero & Villamil 2000: 59). Durch Intersubjektivität ist gewährleistet, dass die Beteiligten - sowohl in Peer-Konstellationen als auch in diversen Experte-Novize-Settings - ein gemeinsames Verständnis der zu erledigenden Aufgabe sowie der individuellen Ausgangspunkte haben und zusammen auf ein Ziel hinarbeiten können (Ellis 2003: 189). Die Abwesenheit von Intersubjektivität hat zur Folge, dass kein kollektives Verständnis der Aufgabe vorliegt, so dass entweder jede Person für sich nach eigener Einschätzung etwas im Umfeld des Arbeitsauftrages macht oder aber keinerlei Bemühungen zur Lösung unternommen werden (vgl. 3.2). In der Unterrichtspraxis tritt das Phänomen in Erscheinung, wenn zum Beispiel bei der Behandlung eines Textes die Lehrperson eine globale Verständnisfrage klären möchte, die Lernenden aber beginnen, den Text in die L1 zu übertragen, um ein vollständiges Detailverständnis zu erlangen; oder wenn in einer dialogischen Partnerarbeit 2.4 Fokus auf Interaktionsprozesse unter Lernenden 27 <?page no="28"?> der Lerner A beginnt ein Skript für den Dialog zu erstellen, während Partnerin B die Aufgabe als Übung zum freien Sprechen interpretiert. In der Interaktion unter Lernenden kommt der Vorgang der Herstellung der Intersubjektivität zum Beispiel durch Wiederholen der Beiträge der anderen zum Ausdruck, wodurch sich die Beteiligten ihre gegenseitige Akzeptanz bescheinigen und gemeinsam Verantwortung für das Lernprodukt übernehmen (DiCamilla & Anton 1997: 627). 2.4.1 Sprachwahl Im Zusammenhang mit Aktivitäten, bei denen sich die Lernenden in Eigenregie ohne die Hilfe einer Person mit Expertenstatus verständigen müssen, wird oft die Frage nach der Rolle der Sprachwahl gestellt. Obwohl die Verwendung der Zielsprache zur Bearbeitung der gemeinsamen Aufgabe als wünschenswert gilt (vgl. u. a. Würffel 2007: 3; Harting 2017: 248), zeigen sowohl Beobachtungen aus dem Unterrichtsalltag als auch Datenbeispiele aus der Forschung, dass andere Sprachen, insbesondere die L1 in herkunftssprachlich homogenen Lernendengruppen, häufig zu Hilfe genommen werden (u. a. Raindl 2013: 157). Mittlerweile wird der Rückgriff auf die Muttersprache auch nicht mehr als zu unterbindendes Fehlverhalten interpretiert, wie es in den 70er Jahren von Vertretern der direkten Methode gefordert wurde und teilweise immer noch praktiziert wird (vgl. u. a. Rösler 2012: 70; Faistauer 2010: 963), sondern seine Rolle als gezielt gewähltes Werkzeug zur Förderung kognitiver sowie sozialer Prozesse anerkannt (vgl. u. a. Olson 2017: 52). Zum Beispiel besprechen Lernende das gemeinsame Vorgehen, die korrekte Wortwahl oder die Kontrolle der Aufgabe tendenziell eher in der L1 (u. a. Guerrero & Villamil 2000: 64; Lasito & Storch 2013: 366; Raindl 2013: 166). Darüber hinaus überprüfen Lernende in der Muttersprache das gemeinsame Verständnis bei thematisch oder konzeptionell schwierigen Themen und stellen so die für die Zusammenarbeit nötige Intersubjektivität her (vgl. u. a. Klingner & Vaughn 2000: 70 f; Schart 2019: 219f ). Neben der Verwendung in sprachbezogenen und organisatorischen Aushandlungsprozessen hat die L1 auch eine wichtige Funktion auf der sozialen Ebene der Interaktion, so dass sie zum Beispiel bei gemeinsamkeitsstiftenden Scherzen oder zur Vermeidung gesichtskritischer Situationen verwendet wird (vgl. u. a. Legutke 2003: 235; Liebscher & Marsh 2019: 255). Insbesondere die Studie von Raindl (2013) ist in diesem Zusammenhang zu nennen, da in ihr die Frage nach den Einflussfaktoren auf die Sprachwahl in der Gruppenarbeit fokussiert wird. In einem semesterbegleitenden Aktionsforschungsprojekt in einem Deutschkurs für Studierende auf A2-Niveau an einer Universität in Japan beobachtet er mit Hilfe von Videoaufnahmen und Aufzeichnungen in einem Forschungstagebuch unter welchen Umständen die Lernenden die Zielsprache verwenden und wann eher die Muttersprache zum Einsatz kommt. Raindl stellt fest, dass die Lernenden dazu neigen, bestimmte Aufgabentypen eher in der L1 zu bearbeiten, vornehmlich, wenn in der Aufgabenstellung die Nutzung des Deutschen nicht explizit gefordert wird und einzelne Gruppenmitglieder auf die Verwendung des Japanischen beharren (ebd. 2013: 173). Jedoch werden auch Gruppengespräche, die primär in der Zielsprache realisiert werden, von Aushandlungs- und Verständigungsprozessen sowohl in Bezug auf Wortschatzfragen als auch gemeinsame Formulierungsbemühungen, sowie Hinweisen zum Vorgehen oder inhaltlichen Kommentaren in der L1 begleitet (Raindl 2013: 169, 171). Die aus den Beobachtungen abgeleitete Vermutung, dass sich gruppeninterne Abläufe auf die Sprachwahl auswirken, wird von den 28 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="29"?> Lernenden bestätigt (Raindl 2013: 176) und verdeutlicht die Relevanz der Zusammenhänge zwischen Gruppenkonstellation und Sprachverwendung unter den Lernenden. 2.5 Interaktionsmuster in Partner- und Gruppenarbeit Ausgehend von der Beobachtung, dass Gruppenarbeit nicht automatisch erfolgreiche Lernprozesse auslöst und sich Aushandlungen unter Peers äußerst unterschiedlich gestalten, wurden vermehrt qualitative Untersuchungen durchgeführt, die sich der Frage widmeten, wie genau Interaktionen unter Lernenden zum Spracherwerb führen können. Mit Donatos Studie (1994) war der Grundstein für Überlegungen gelegt, dass Lernerfolge nicht nur in Experte-Novize-Konstellationen verzeichnet werden können, in denen fortgeschrittene Lernende weniger weit fortgeschrittenen Peers bei der Bearbeitung von Aufgaben behilflich sind, sondern alle Lernende kollektiv an einem sprachlichen Problem arbeiten und zu einer richtigen Lösung gelangen können. Durch verbalen Austausch entsteht eine Art gemeinsamer Datenpool, auf dessen Grundlage die Gruppe gemeinsam sprachliche Formen konstruieren kann, die die einzelnen Mitglieder nicht hätten produzieren können. Ohta belegt anhand ihrer Untersuchungen zweier Japanisch lernenden Studierenden, dass sowohl die Expertin als auch der Novize aus der Zusammenarbeit lernen (ebd. 1995: 106). Um das gegenseitige Verständnis sicherzustellen, achten beide verstärkt auf ihren sprachlichen Output, sowohl in Bezug auf phonetische als auch auf morphologische und lexikalische Aspekte. Durch gezielte Rückfragen kann der Novize sein eigenes Verstehen verifizieren und die Expertin dazu veranlassen, ihre Beiträge zu korrigieren und die Aussprache flüssiger zu realisieren. Darüber hinaus zeigt eine Beispielsequenz, in welchem der eigentliche Novize nachfragt und so zur Korrektur eines Aussprachefehlers der Expertin beiträgt, wie sich die Rollen innerhalb der Paare abwechseln können (Ohta 1995: 109). In weiterführenden Untersuchungen konnten diverse Strategien identifiziert werden, durch die sich Lernende untereinander unterstützen. Neben Korrekturen, Anregungen oder Rückfragen erweist sich das geduldige Warten als ein wertvolles Mittel der gegenseitigen Hilfe, durch das die Lernenden in die Lage versetzt werden, sich selbständig im Rahmen ihrer Möglichkeiten auszudrücken, ohne sich auf die Hilfe anderer zu verlassen (Ohta 2001/ 2014: 90). Anhand einer mikrogenetischen Untersuchung der Interaktion zweier Englischlerner mit Spanisch als Muttersprache zeichnen Guerrero und Villamil detailliert das unterstützende Verhalten zwischen Peers nach (ebd. 2000). Die Aufgabe, die es gemeinsam zu bewältigen gilt, besteht darin den Text eines der beiden zu überarbeiten, wobei die Rolle des Autors und die des Lesers bzw. Lektors zufällig vergeben wurde und nicht auf eventuelle Unterschiede in der Sprachbeherrschung zurückzuführen ist (Guerrero & Villamil 2000: 55). Dadurch, dass der Text nur eines Lerners verbessert werden soll, findet sich der Leser/ Lektor in der Rolle des Tutors oder Experten wieder, während der Autor als Empfänger des Feedbacks automatisch zum Tutorierten/ Novizen wird. Es wird deutlich, wie die Lernenden aufeinander eingehen und so eine kooperative Zusammenarbeit etablieren - also Intersubjektivität herstellen. Im Mittelpunkt der Studie stehen zwar die dem Scaffolding entsprechenden Verhaltensweisen des Tutors, wie etwa Hinweise auf Ungereimtheiten im Text oder explizite Erklärungen zu sprachstrukturellen Schwierigkeiten, doch zeigen 2.5 Interaktionsmuster in Partner- und Gruppenarbeit 29 <?page no="30"?> Guerrero und Villamil auch dessen Bemühungen, auf die Gefühle und insbesondere das Selbstwertgefühl des Autors durch freundliche und humorvolle Bemerkungen Rücksicht zu nehmen (ebd. 2000: 64). Ein solches rücksichtsvolles Verhalten erleichtert es dem Adressaten der Verbesserungsvorschläge, diese anzunehmen und sie weniger als Kritik an seinem Text oder seinen Sprachkenntnissen wahrzunehmen, sondern vielmehr als gemeinsame Überarbeitung und damit Verbesserung der eigenen Arbeit. Einen wichtigen Beitrag zur qualitativen Untersuchung von Interaktionen unter Lernenden im Fremdsprachenunterricht leistet Storch mit ihren qualitativ-interpretativen Arbeiten (ebd. u. a. 1998, 2001, 2002). Vor einem soziokulturellen Hintergrund arbeitet sie lernförderliche Interaktionsmuster heraus, in denen der Grad der Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung in Bezug auf die Bearbeitung der Aufgabe zweier Lernender den Erfolg der Partnerarbeit beeinflusst. Als Grundlage für die Analyse dienen Partnerinteraktion von zehn selbständig zusammengekommenen Lernpaaren während der Bearbeitung verschiedener Aufgaben. Diese Daten wurden audiographiert, transkribiert und auf das sprachliche Handeln hin untersucht (Storch 2002: 124). Storch identifiziert vier typische Interaktionsmuster: das kollaborative, das dominant-dominante, das dominant-passive und das Experte-Novize-Muster (ebd. 2002: 127). Weist eine Partnerarbeit zum Beispiel einen hohen Grad an Gegenseitigkeit und Gleichheit auf, so handelt es sich um das kollaborative Interaktionsmuster, gehen die Partner hingegen wenig aufeinander ein, versuchen aber jeder für sich den Fortgang der Zusammenarbeit zu bestimmen liegt das dominantdominante Interaktionsmuster vor. Da dieselben Paare über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Aufgaben zusammenarbeiten, stellt sich heraus, dass die jeweiligen Muster in der Regel konsistent sind und Änderungen in der Partnerdynamik eher selten auftreten (Storch 2002: 145). Der Grad der beiden Indikatoren leitet sich aus dem sprachlichen Verhalten der beiden Peers ab. In einer kollaborativen Partnerarbeit etwa lassen sich zahlreiche Fragen, Wiederholungen und Bestätigungen nachvollziehen. Darüber hinaus ergänzen die Lernenden gegenseitig ihre Beiträge, so dass der Gesprächsverlauf deutliche Anzeichen einer gemeinsamen Aufgabenbearbeitung aufweist und so mehr als die bloße Summe zweier Einzelprodukte darstellt. Dieser explorative Gesprächsmodus gilt als besonders geeignet für die kollektive Konstruktion von Wissen, das wiederum gemeinsame Lernprozesse fördert (Mercer et al. 1999: 97 f; Schart 2019: 151). Werden hingegen wenige Rückfragen gestellt, die Gedanken des anderen weder ergänzt noch aufgegriffen, sowie explizite Korrekturvorschläge zwar angebracht, vom Gegenüber aber nicht berücksichtigt, liegt bei etwa gleicher Partizipation das dominant-dominante Muster vor. Teilweise wirkt sich hier die Uneinigkeit sogar auf den Gebrauch der Pronomen aus, da explizit von ich und du die Rede ist, wodurch die Abgrenzung voneinander zusätzlich betont wird. Der Austausch der Lernenden gleicht einem Disput und auch wenn eine gewisse Motivationssteigerung durch konkurrierende Standpunkte auftreten kann, so ist diese Art der Interaktion nur bedingt förderlich für das Lernen, da die Beteiligten tendenziell keine oder nur wenig Bereitschaft aufbringen, die Ideen der anderen zu berücksichtigen (Mercer et al. 1999: 98; Schart 2019: 149). Für das dritte Interaktionsmuster dominant-passiv ist kennzeichnend, dass die Aufgabenbearbeitung von einer Person bestimmt wird, ohne auf mögliche Ideen der anderen einzugehen, die sich insgesamt zurückhält. Für die sprachlichen Handlungen in dieser 30 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="31"?> Konstellation sind lange Monologe des dominanten Mitglieds sowie das Fehlen von Fragen charakteristisch, so dass das Sprechen hier weniger eine kommunikative als vielmehr eine psychologische Funktion erfüllt (vgl. Storch 2002: 133; siehe auch 2.3.2). Wenn das passive Mitglied reagiert, dann mit einsilbigen, überwiegend phatischen Äußerungen, ohne dabei eigene Gedanken oder Vorschläge in die Aufgabenbearbeitung einzubringen. Zwar übernimmt eine beteiligte Person hier die Leitung der Zusammenarbeit, doch nimmt diese wenig Rücksicht auf die andere, die sich wiederum aus der Aufgabenbearbeitung weitgehend heraushält. Bei einem Experte-Novize-Muster dominiert ebenfalls ein Partner das Vorgehen, doch nimmt der Experte oder die Expertin die tutorierende Rolle an und leitet die Novizin bzw. den Novizen mittels Erklärungen, Aufmunterungen und Rückfragen an, während dieser bzw. diese die Anleitungen annimmt und durch Wiederholungen und Verstehensbestätigungen das Engagement in der Zusammenarbeit deutlich macht. Beide bringen sich aktiv ein und die Novizin oder der Novize lässt sich bereitwillig belehren. Dieses Interaktionsmuster ähnelt weniger einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, sondern nimmt die charakteristischen Züge eines Peer-Tutoring an, in welchem das nötige Wissen zur Lösung der Aufgabe asymmetrisch verteilt ist bzw. zu sein scheint (Forman & Cazden 1985: 341; Damon & Phelps 1989: 11). Für das Fremdsprachenlernen erweisen sich insbesondere die Interaktionsmuster mit einem hohen Grad an Gegenseitigkeit als erfolgreich - also kollaborative bzw. Experte- Novize-Zusammensetzungen - , was durch die hohe Anzahl an Ko-Konstruktionen im Sinne der kollaborativen Dialoge bei Swain (2000: 102) begründet wird, da diese belegen, Abb. 1: Dyadische Interaktionsmuster nach Storch (2002: 128) 2.5 Interaktionsmuster in Partner- und Gruppenarbeit 31 <?page no="32"?> dass sich beide Beteiligte aktiv in der Zusammenarbeit engagieren (Storch 2002: 147). Bei Vorliegen der anderen beiden Muster kommt es durch mangelnde Gegenseitigkeit zu weniger Aushandlungen, so dass sich die beiden Lernenden insgesamt weniger in die Aufgabenbearbeitung einbringen und infolge weniger Lerngelegenheiten generiert werden (Storch 2002: 149). Dieser Befund untermauert die Erkenntnis aus Praxis und Forschung, dass sich Kollaboration unter Lernenden nicht einfach dadurch entwickelt, dass sie in Gruppen oder Paaren zusammensitzen. Vielmehr können einige Konstellationen sogar kontraproduktiv sein (vgl. u. a. Diegritz & Rosenbusch 1977: 261; Würffel 2007: 15f ). Fremdsprachenunterricht und die darin stattfindenden kooperativen Arbeitsformen sind komplexe gesellschaftliche Ereignisse, in denen auf verschiedenen Ebenen Bedeutung konstruiert wird, was folglich zu unterschiedlichen Ergebnissen führt (vgl. u. a. Block 1996: 76; Ehrman & Dörnyei 1998: 252; Eckerth 2003: 109). Wie die Mitglieder einer Gruppe ihre Mitarbeit an einem Unterrichtsprojekt gestalten und sich das Verhalten einzelner Personen auf gemeinsame Entscheidungsprozesse auswirkt, zeigt Feick in einer detaillierten Einzelfallanalyse im Rahmen ihrer Studie zur Autonomie in Lernendengruppen (ebd. 2016). Durch ein zweistufiges Verfahren ermittelt sie unter den teilnehmenden Lernenden Kollaborations- und Partizipationstypen und ermöglicht so authentische Einblicke in Gruppenarbeitsprozesse. Ähnlich wie in Storchs Modell bewegen sich die Kriterien für Kollaboration entlang zweier Achsen von kollaborativ bis nicht-kollaborativ und von passiv bis dominant. Abb. 2: Interaktionsstile nach Feick (2016: 123) So können sich Lernende zwar kollaborativ, gleichzeitig aber auch passiv verhalten, indem sie beispielsweise in einem Gruppengespräch zur Entscheidungsfindung verbal wenig beitragen, durch nonverbale Zeichen aber ihr Einverständnis und ihre Unterstützung signalisieren (Feick 2016: 165f ). Ist ein Mitglied hingegen dominant und nicht-kollaborativ, nimmt es eine oppositionelle Haltung in der Gruppe ein und zeigt seine Unzufriedenheit 32 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="33"?> mit dem Ablauf der Zusammenarbeit deutlich durch häufiges Widersprechen oder ins Wort fallen während der Redebeiträge der anderen (Feick 2016: 175f ). Die Partizipation wiederum kann durchgehend erfüllt oder nicht erfüllt sein oder auch nur phasenweise auftreten. Durch die Erhebung introspektiver Daten ermöglicht Feicks Studie auch teilweise das Nachvollziehen der Gründe für individuelles Verhalten. Zum Beispiel bringt sich eine Teilnehmerin aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten weniger in die Diskussion ein (Feick 2016: 238), während eine andere sich ab und zu aus dem Gruppengespräch zurückzieht, weil sie sich durch äußere Umstände bzw. den eigenen Gedankenverlauf leicht ablenken lässt (ebd. 228). Soziokulturell ausgerichteten Studien, wie die von Storch oder Feick, bieten einen holistischen Einblick in die Interaktionen unter Lernenden über die sprachlernspezifischen Aushandlungen hinaus. Sie verdeutlichen die Interaktivität, die solchen Lern-Settings innewohnt, und decken weitergehende Einflussfaktoren für den Erfolg- oder Misserfolg der Zusammenarbeit auf. Zwar treten einzelne erwerbsförderliche Sprachhandlungen in den Hintergrund, jedoch wird die Lernsituation mit allen Beteiligten ganzheitlich erfasst und es zeigt sich, wie die Interaktanten aufeinander bezugnehmend ihren Lernprozess gemeinsam gestalten. 2.6 Interaktionsforschung im japanischen DaF-Kontext Das seit der Jahrtausendwende steigende Interesse an interaktiven Unterrichtsprozessen im DaF-Bereich spiegelt sich auch in einzelnen Studien im japanischen Kontext wider. Im Wesentlichen sind hier vier Forschungsprojekte zu nennen, die neben kleineren Untersuchungen mit aktionsforschendem Charakter 5 den aktuellen Stand der Interaktionsforschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache in Japan repräsentieren. Die Studien von Hoshii, Ishitsuka und Schumacher sind gesprächsanalytisch geprägt und liefern detaillierte Einblicke in interaktive Prozesse zwischen angehenden Lehrkräften und Lernenden. In seiner breit angelegten Arbeit geht Boeckmann der Frage nach, inwiefern interaktionale Vorgänge in der japanischen Unterrichtspraxis kulturell bedingt sind, während die Studien unter der Leitung von Schart als Teil der Begleitforschung im Rahmen eines eigens konzipierten Deutschprogramms zu verstehen sind. Im Folgenden sollen diese Studien skizziert werden und so einer Positionierung der vorliegenden Arbeit im japanischen DaF- Kontext dienen. In ihrer Untersuchung von Interaktionen im universitären Deutschunterricht befasst sich Hoshii mit dem Aufbau von Äußerungen und den damit verbundenen Lehr- und Lernvorgängen (2002). Basierend auf einem Datensatz, der sich aus Beobachtungen, Video- und Audiomitschnitten sowie zusätzlich erhobenen Lernendendaten, bestehend aus Minitests zu im Unterricht besprochenen Phänomenen und Gruppengesprächen, zusammensetzt, liefert die Arbeit einen umfassenden Einblick in unterrichtliche Vorgänge. Mit diesem polymethodischen Ansatz soll zum einen die Interaktion zwischen Lehrperson und Lernenden, zum anderen individuelle bewusste und unbewusste Tätigkeiten der Lernenden sichtbar gemacht werden (Hoshii 2002: 123). Besonderes Augenmerk legt Hoshii auf die 5 Hierzu zählt u. a. auch die Studie von Raindl (2013) zur Nutzung der Zielsprache in der Gruppenarbeit. 2.6 Interaktionsforschung im japanischen DaF-Kontext 33 <?page no="34"?> nonverbalen Aspekte der Interaktion, wie zum Beispiel das Fehlen einer Zustimmung oder die Weigerung Blickkontakt herzustellen, und den damit verbundenen kommunikativen Implikationen (ebd. 2002: 65 f; Hoshii 2003: 36f ). Die detaillierte Analyse ausgewählter Sequenzen zeigt, dass das Lernen nicht nur zwischen der Lehrperson und dem Lerner bzw. der Lernerin, der/ die gerade spricht, stattfindet, sondern dass auch die gerade nicht aktiv am Unterrichtsgespräch beteiligten Studierenden Lerntätigkeiten nachgehen und dabei teilweise völlig andere thematische Schwerpunkte setzen (Hoshii 2002: 314). Es werden also Unterrichtsinhalte von den anderen anwesenden Lernenden mitgelernt, die von den gerade verbal interagierenden Personen gar nicht fokussiert werden. Die Studie macht deutlich, wie komplex und vielschichtig die unterrichtlichen Interaktionen in einem scheinbar so eindeutigen Setting wie dem Frontalunterricht zusammenhängen. In weiterführenden Forschungsprojekten widmet sich Hoshii insbesondere der Interaktion zwischen Lehrnovizen- und -novizinnen des Deutschen als Fremdsprache und japanischen Lernenden in Videokonferenzen. Die Datenbasis bietet ein fortlaufendes Kooperationsprojekt zwischen der Humboldt Universität in Berlin und der Waseda Universität in Tokyo, in welchem jeweils eine Gruppe Studierender in Japan von einer Gruppe angehender Lehrpersonen in Berlin unterrichtet wird (u. a. Hoshii & Schumacher 2010, 2017). Es handelt sich also um Interaktionen im virtuellen Raum zweier Gruppen miteinander, gleichzeitig aber auch der einzelnen Beteiligten untereinander. Zum einen werden die Besonderheiten dieses technisch vermittelten Group-to-group-Settings fokussiert (Hoshii & Schumacher 2010), zum anderen werden für solche Lernsituationen relevante Aushandlungsprozesse, wie etwa die Verständnissicherung oder der kollektive Aufbau von Äußerungen analysiert (Hoshii & Schumacher 2017). Diese Studien zeigen, dass die gegenseitige Unterstützung sowohl unter den Lernenden als auch zwischen den Lernenden und den Lehrenden zur erfolgreichen Kommunikation führt (Hoshii & Schumacher 2017: 86). Ebenfalls mit Interaktionen zwischen Lernenden und Lehranfängern beschäftigt sich Ishitzuka in ihrer Dissertation (2016). Die Interaktionsdaten stammen aus drei Tutoriengruppen bestehend aus je einer Tutorin bzw. einem Tutor mit Deutsch als Muttersprache sowie jeweils vier Lernenden. Ergänzt durch introspektive Daten, die durch videobasiertes lautes Erinnern sowie eine schriftliche Befragung erhoben wurden, gelingt es Ishitzuka mittels eines multiperspektivischen Ansatzes in drei Fallstudien zu den einzelnen Tutorien ein detailliertes Bild der Interaktionen sowie ihrer Wahrnehmung durch die Beteiligten zu zeichnen. Im Zentrum der Fallanalysen steht die tutorierende Person, so dass deutlich wird, wie das jeweilige Rollenverständnis des Tutors bzw. der Tutorin den Verlauf des Unterrichts beeinflusst und sich auch in den Handlungen widerspiegelt (Ishitzuka 2016: 322). Die detaillierte Studie macht deutlich, dass die Untersuchung interaktiver Lehr- und Lernprozesse nicht nur für ein besseres Verständnis der komplexen Zusammenhänge im Unterrichtsgeschehen, sondern auch für die Optimierung des Lehrverhaltens wertvolle Impulse liefert. Im Mittelpunkt der Studie von Boeckmann (2006) steht die Frage, inwiefern sich die Forderung nach einer kommunikativen Ausrichtung des Deutschunterrichts innerhalb des Bildungssystems in Japan umsetzen lässt. Ausgehend von kulturhistorischen Überlegungen zur Kompatibilität der japanischen Lerntradition mit europäisch orientierten kommunikativen Ansätzen konzipiert er eine multiperspektivische Untersuchung des real 34 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="35"?> stattfindenden Unterrichts. Kernstück der Arbeit sind umfangreiche Unterrichtsbeobachtungen, sowohl über einen längeren Zeitraum hinweg als auch punktuell, aus verschiedenen Deutschkursen in Universitäten, Oberschulen und Kulturzentren ergänzt durch schriftliche Befragungen sowie Gruppeninterviews der beteiligten Lernenden und Lehrenden. Anhand dieser umfangreichen Datengrundlage kristallisieren sich zwei Unterrichtstypen heraus: der kommunikative und der Grammatik-Übersetzungstyp (Boeckmann 2006: 146). Ebenso zeigt sich jedoch, dass, auch wenn alle beobachteten Unterrichtsstunden sich im Allgemeinen einem der beiden Unterrichtstypen zuordnen lassen, die Umsetzung des jeweiligen Typs äußerst vielfältig gestaltet wird und der in Japan stattfindende Deutschunterricht keineswegs einem einheitlichen Konzept folgt. Im Gegensatz zu den bisher skizzierten Untersuchungen basiert die Interaktionsanalyse bei Boeckmann nicht auf Unterrichtstranskripten, sondern auf Notizen während der Beobachtungssituation und Audio-Mitschnitten (ebd. 2006: 63). Einzige Ausnahme bildet die Pilotstudie, die unter anderem der Erarbeitung eines Beobachtungschemas diente. Anhand von Beispielen werden die durch die Lernenden realisierten Sprechereignisse - Vorlesen, Nachsprechen, Vorspielen, Abfragen, offene Frage, simulierter Dialog, freie Wortmeldung und eigener Beitrag - im Unterrichtskontext ermittelt (Boeckmann 2006: 112) und den Typen pädagogischer Interaktion nach dem IRF-Muster zugeordnet (van Lier 1996: 154). Die Sprechereignisse - Lehrervortrag, Reproduktion, Frage-Antwort, Simulation, freie Wortmeldung und eigener Gesprächsbeitrag (Boeckmann 2006: 115) - dienen als Kriterien zur Bestimmung von Interaktionstypen in Bezug auf Lernerinitiierung. So ist die Initiierung bei einem Vortrag der Lehrperson am geringsten und bei einem eigenen Gesprächsbeitrag am höchsten. Im nächsten Schritt leitet Boeckmann unter Berücksichtigung weiterer Daten die Unterrichtstypen ab. Aufgrund des Verfahrens zur Datenerhebung durch Beobachtung bleiben sowohl in der Pilotals auch der Hauptstudie Gruppen- und Partnerarbeitsphasen unberücksichtigt (Boeckmann 2006: 150). Die Interaktionsanalyse von Boeckmann liefert somit einen makroskopischen Einblick in die von den Lernenden realisierten mündlichen Sprachhandlungen und wie diese durch die Lehrenden unterstützt werden. Insbesondere der Nachweis, dass - entgegen häufig anders lautender Behauptungen - kommunikativer Deutschunterricht in Japan nicht nur möglich ist, sondern bereits in verschiedenen Formen stattfindet, ist für die weiterführende Interaktionsforschung im regionalen Kontext von Bedeutung. Im Gegensatz zu den beschriebenen Studien, deren Ziel darin bestand, einen Überblick über die Unterrichtssituation in Japan allgemein zu geben bzw. Aussagen über bestimmte Interaktionsprozesse zwischen angehenden Lehrpersonen und Lernenden zu treffen, geht das Projekt von Schart (2019) aus aktionsforschenden Überlegungen hervor. Ausgangspunkt der mittlerweile umfangreichen Begleitforschung war der Wunsch, die Zusammenhänge zwischen den Handlungen der Lehrenden und den Lernprozessen sowie der Wahrnehmung der Lernenden im Rahmen des Intensivkurses für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität in Tokyo zu verstehen und dadurch zur Verbesserung des Programms beizutragen (Schart 2019: 19). Neben evaluativen Daten, die aus den regelmäßig durchgeführten Befragungen der Lernenden gewonnen wurden, steht vor allem das Geschehen im Unterricht und der daraus resultierenden verbalen Interaktionen im Mittelpunkt, die mittels unterschiedlicher Forschungsansätze zu verschiedenen Fragen untersucht wurden (Schart 2019: 11). Da die kognitiv orientierte Analyse die 2.6 Interaktionsforschung im japanischen DaF-Kontext 35 <?page no="36"?> sprachliche Qualität der Beiträge der Lernenden fokussiert, die eigentlichen Interaktionsprozesse aber unbeachtet lässt (Czyzak 2019), sind für den Kontext der vorliegenden Studie insbesondere der konversationsanalytische (Liebscher & Marsh 2019) und der soziokulturelle (Schart 2019) Zugang von Interesse. Die konversationsanalytische Betrachtung geht der Frage nach, welche Funktion dem Lachen in der Unterrichtsinteraktion zufällt. Mit Hilfe einer Mikroanalyse ausgewählter Detailtranskripte aus den Unterrichtsdaten ermitteln die Autorinnen zwei für diesen spezifischen Unterrichtskontext wiederkehrende Situationen, in denen Lachen häufig zum Einsatz kommt: bei lexikalischen Aushandlungsprozessen und bei lehrertypischen Aufforderungshandlungen (Liebscher & Marsch 2019: 255). Anhand von vier Beispielen wird gezeigt, wie das gemeinsame Lachen dazu beiträgt, potentiell gesichtsbedrohende Situationen aufzulockern, eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen und so nicht nur die Beziehungen der Beteiligten Personen zu fördern, sondern auch die Wortfindung zu erleichtern. Bei Schart hingegen stehen weniger einzelne Phänomene unterrichtlicher Interaktion im Vordergrund als vielmehr die verschiedenen Arten dialogischer Prozesse und ihr Potential für inhaltliches Lernen. Unter Rückgriff auf das Verfahren der soziokulturellen Diskursanalyse nach Littleton und Mercer (2013) erarbeitet er anhand des Datenmaterials fünf Sequenztypen: Prozessbezogene (PBS), Inhaltsbezogene (IBS), Sprachbezogene (SBS), Gruppenbezogene (GBS) und Strategiebezogene (SBS) Sequenzen (Schart 2019: 139). Im Gegensatz zu vielen Studien im fremdsprachendidaktischen Bereich, deren Erkenntnisinteresse in erster Linie auf sprachliche Aushandlungen wie etwa LRE oder NfM ausgerichtet ist, stehen hier die inhaltlichen Sequenzen sowohl im beobachteten Unterricht selbst als auch in der Analyse im Zentrum des Interesses. Eine weitere Besonderheit des Ansatzes besteht darin, dass alle Beteiligten, sowohl der Lehrende als auch die Lernenden, gleichermaßen als Teil der Lerngemeinschaft verstanden werden und in Abhängigkeit davon die übliche funktionale Unterscheidung der Sozialformen in Frage gestellt wird (Schart 2019: 224). Anhand der Daten werden die Parallelen in Bezug auf die Art der Interaktionen zwischen Plenums- und Gruppenarbeitsphasen veranschaulicht und die enge thematische Verzahnung der beiden Unterrichtsphasen verdeutlicht. Der Unterschied zwischen Gruppenarbeit und Plenumsgespräch besteht nach Schart also nicht in der Gestaltung der Interaktionen, sondern in der Verarbeitungstiefe des Inhalts. Während bei der Bearbeitung in Kleingruppen vor allem Ideen zusammengetragen werden (kumulativ), dient das Gespräch im Plenum der Vertiefung dieser Ideen, wobei die Lehrkraft zwar unterstützend, aber nicht dominierend eingreift (Schart 2019: 204). 2.7 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt Wie durch die vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden ist, bietet die Untersuchung von Unterrichtsinteraktion ein weites Forschungsfeld. An der Schnittstelle verschiedener Disziplinen wie der Psychologie, der Soziologie oder der Linguistik angesiedelt, wird in der Interaktionsforschung auf zahlreiche unterschiedliche methodische und theoretische Ansätze zurückgegriffen. Ausgehend von der Sprechakttheorie 36 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="37"?> sind die frühen Studien vor allem an der linguistischen Pragmatik orientiert und liefern detaillierte Beschreibungen kommunikativer Handlungen in Bildungsinstitutionen, in denen vor allem die Besonderheiten im Kontrast zu anderen Bereichen des täglichen Lebens verdeutlicht werden. Sowohl im Unterricht im Allgemeinen als auch im Fremdsprachenunterricht wurde neben anderen wiederkehrenden Abläufen das sogenannte IRF- Muster identifiziert, in dem jede Äußerung von Lernenden in eine initiierende und eine evaluierende Äußerung der Lehrperson eingebettet wird. Daraus wurde geschlossen, dass Unterricht das sprachliche Handeln von Lernenden stark einschränkt und somit wenig Gelegenheit zur Mitgestaltung lässt. Neuere gesprächsanalytische Untersuchungen zeichnen jedoch ein etwas offeneres Bild, in dem Lernende und Lehrende gemeinsam das Unterrichtsgespräch und somit den Lernprozess konstruieren. Angestoßen von Krashens Input-Hypothese, Swains Output-Hypothese und Longs Interaktionshypothese entwickelten sich ausgehend von der englischsprachigen Diskussion zur Fremdsprachendidaktik kognitivistische Ansätze, in denen Interaktionen als wichtige Auslöser für Lernprozesse interpretiert wurden. Hierbei wird sprachbezogenen Aushandlungen, in denen entweder die Bedeutung von Wörtern und Wendungen oder die grammatische Richtigkeit fokussiert wird, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Durch diese Aushandlungsprozesse werden die sprachlichen Formen bewusst gemacht und führen im Idealfall zur Aneignung durch die Lernenden. Im Gegensatz dazu werden in soziokulturell ausgerichteten Studien Interaktionen nicht als Übungsmöglichkeit oder Auslöser für Lernprozesse angesehen, sondern gelten selbst als eigentliche Realisierung des Lernens. Aus Vygotskys entwicklungspsychologischen Überlegungen übertragen wird davon ausgegangen, dass die Aneignung von Fremdsprachen stets im gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhang gesehen werden muss, da Wissen in der Interaktion zunächst gemeinsam konstruiert und dann internalisiert wird. Besteht in Bezug auf den Lerngegenstand eine asymmetrische Verteilung der Kenntnisse, wird in der Regel die lernende Person von der Expertin oder dem Experten durch Scaffolding unterstützt. Ist der Wissensstand der Interagierenden gleich, können die Lernenden durch Zusammenführung ihrer Ressourcen gemeinsam neues Wissen konstruieren. Von zentraler Bedeutung in beiden Ansätzen, die immer häufiger miteinander kombiniert werden, um so möglichst viele Facetten der Unterrichtsinteraktion zu erfassen, sind Aushandlungsprozesse, in denen entweder einzelne Aspekte des Fremdsprachenlernens fokussiert oder die als Konstruktion neuen Wissens verstanden werden. Die Gestaltung dieser Aushandlungen kann in Abhängigkeit von den Beteiligten sowohl unter Lernenden als auch mit einer Lehrperson sehr unterschiedlich ausfallen und wirkt sich entsprechend auf den Lernprozess aus. Die Umsetzung von unterrichtlichen Interaktionen kann durch sprachliche Mittel sowohl in der Ausgangssprache als auch der Zielsprache erfolgen, aber auch mimisch, gestisch oder auch nach außen hin unsichtbar stattfinden. Studien zeigen, dass von kooperativen und gleichberechtigten Verhaltensweisen geprägte Konstellationen, in denen die Interagierenden aufeinander eingehen, größere Lernerfolge verzeichnen als solche, in denen weniger aufeinander bezogenes Handeln stattfindet. Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zur Interaktionsforschung vorwiegend im Sinne des soziokulturellen Forschungsansatzes zur Gestaltung der Interaktion unter Lernenden. Das bedeutet, dass Lernen hier als vorrangig sozialer Prozess betrachtet wird, in dem die Art der Realisierung der Interaktionen eine maßgebliche Einflussgröße auf den 2.7 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt 37 <?page no="38"?> individuellen und den kollektiven Lernprozess darstellt. Der Forschungsgegenstand umfasst die Zusammenarbeit in Gruppenarbeitsphasen, in denen Lernende überwiegend ohne Unterstützung einer Lehrkraft aktiv sind, so dass vor allem die Befunde zu Peer- Interaktionen für die vorliegende Arbeit von Interesse sind. Darüber hinaus besteht durch die geographische Situierung eine enge Verbindung mit den bisherigen Forschungsergebnissen im japanischen DaF-Kontext, wo jedoch Erkenntnisse zu interaktiven Prozessen unter Lernenden lediglich in Ansätzen vorliegen. Mit dieser Arbeit soll ein erster Schritt unternommen werden, diese Lücke zu schließen. 38 2 Interaktion im Fremdsprachenunterricht <?page no="39"?> 3 Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht Die Bezeichnungen Gruppenarbeit oder Gruppenunterricht (Becker-Mrotzek & Vogt 2009: 114) verweisen in der didaktischen Literatur in erster Linie auf eine Sozialform, in der sich die Lernenden gemeinsam einer Aufgabe oder mehreren aufeinander abgestimmten Lernaktivitäten in Kleingruppen widmen (u. a. Rösler 2012: 98). Die ideale Größe der Gruppen hängt zwar auch vom jeweiligen Arbeitsauftrag ab, wird aber meist zwischen drei und sechs Mitgliedern angesiedelt (vgl. u. a. Schwerdtfeger 2000: 254; Würffel 2007: 18), vereinzelt wird der Rahmen aber auch eher eng gesteckt und zwischen zwei und vier Personen festgelegt ( Johnson et al. 2007: 24). Gruppenarbeit wird einerseits als Gegenentwurf zum klassischen Frontalunterricht oder Klassenunterricht gesehen, der in der Regel von einer Lehrperson geleitet wird, und andererseits zur Einzelarbeit, in der Lernende sich im Stillen mit Lehrmaterialien oder Aufgaben auseinandersetzen (u. a. Schramm 2010: 1182f ). Basierend auf Überlegungen soziokultureller bzw. interaktionistischer Lerntheorien bestehen die besonderen Vorzüge von Gruppenarbeit in der Interaktion der Lernenden untereinander und somit dem gemeinsamen Aufbau neuen Wissens, denn nur durch Interaktion könne im Unterricht authentisches Handeln realisiert werden und zu situiertem Lernen führen (vgl. Kapitel 2). Neben Vorteilen für die sprachliche Entwicklung, wie der Schaffung von mehr Möglichkeiten für die einzelnen Lernenden in der Gruppe zu Wort zu kommen und der Gelegenheit authentische Kommunikation, also tatsächlichen Informationsaustausch, untereinander zu erleben, wird insbesondere die Förderung sozialer Kompetenzen als großes Plus von Gruppenarbeit gesehen (u. a. Green & Green 2018: 33). Im Gegensatz dazu fällt im Frontalunterricht in der Regel ein wesentlicher Anteil der Sprechzeit der Lehrperson zu, wohingegen sich die Sprechgelegenheiten für Lernende auf eine große Anzahl von Personen verteilt, was sich wiederum in eher kurzen Beiträgen als Reaktion auf Fragen, wie zum Beispiel den sogenannten display questions, die der Überprüfung der Kenntnisse der Lernenden dienen, da die Lehrperson die Antwort auf diese Fragen weiß, oder Anweisungen im Rahmen des IRF-Musters widerspiegelt (u. a. Huneke & Steinig 2013: 123; Walsh 2011: 17 f). Verläuft eine Gruppenarbeit erfolgreich, können die Lernenden nicht nur ihre Sprachkenntnisse ausbauen und festigen, sondern erleben das kollektive Bearbeiten einer Aufgabe als gemeinsamen Lernprozess, den sie selbst beeinflussen und steuern, gleichzeitig aber auch von den Kenntnissen und Ideen der anderen profitieren können (vgl. Rösler 2012: 99). Die Zusammenarbeit wird als motivierend empfunden und führt so zu einem nachhaltig positiven Lernerlebnis (vgl. Olson 2017: 30; Dörnyei & Murphey 2003: 3). In der Praxis zeigt sich aber, dass das gemeinsame Erarbeiten von Lerninhalten unter Lernenden nicht unbedingt reibungslos abläuft und sowohl Lehrende als auch Lernende kooperativen Sozialformen gegenüber Bedenken haben (u. a. McDonough 2004: 208). Ein häufig genanntes Problem ist das Phänomen der Trittbrettfahrer, die wenig oder nichts zum Gruppenergebnis beitragen, aber als Teil der Gruppe mit bewertet werden (vgl. Rösler 2012: 100). Weitere Hürden werden in der sprachlichen Gestaltung der Gruppenarbeit gesehen, da durch die fehlende Kontrolle einer Lehrperson ein Ausweichen auf die <?page no="40"?> gemeinsame L1 oder die Übernahme von nicht-zielsprachlichen Formen voneinander befürchtet wird (vgl. Schwerdtfeger 2001). Außerdem wird diese Unterrichtsform oft als weniger effektiv im Vergleich zum klassischen Frontalunterricht eingeschätzt, wenn viel Lernstoff in kurzer Zeit vermittelt werden soll (Becker-Mrotzek & Vogt 2009: 114). Diese Wahrnehmung der Gruppenarbeit insbesondere durch Lehrende, aber auch durch Lernende spiegelt sich im eher zurückhaltenden Einsatz im Unterrichtsalltag wider. So haben Untersuchungen im DaF- und DaZ-Bereich sowohl im deutschsprachigen Raum als auch außerhalb gezeigt, dass Gruppenarbeit vergleichsweise selten in der Praxis umgesetzt wird. Laut einer Studie im österreichischen DaZ-Kontext bildete zu Beginn der 2000er mit nur 15 % die Gruppenarbeit einen relativ geringen Anteil des Gesamtunterrichts (vgl. u. a. Demmig 2007: 178), was insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Wertschätzung von kooperativen Lernformen für den tertiären Bildungsbereich in neueren lerntheoretischen Publikationen verwundert (u. a. Johnson et al. 2007: 16). Eine Befragung von Lehrenden im Rahmen einer Untersuchung der Situation des Deutschunterrichts in Japan hingegen ergab, dass 34 % des Gesamtunterrichts in Gruppenarbeit stattfindet ( JGG-Komitee 2015: 28), doch bleibt unklar, was genau unter Gruppenarbeit verstanden wird. Aus didaktischer Sicht ist Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht eine Lernform, in der die Mitglieder einer Gruppe durch Zusammenarbeit an einer gemeinsamen Aufgabe nicht nur sprachliche Lernfortschritte erzielen können, sondern durch ko-konstruktive Prozesse neues Wissen generieren und soziale Kompetenzen ausbauen können. Im Unterrichtsalltag verlaufen Gruppenarbeitsphasen jedoch oft nicht ganz unproblematisch, was zur Folge hat, dass man ihnen in der Realität eher mit einer gewissen Skepsis begegnet. Einige wichtige Einflussfaktoren für die Durchführung von Gruppenarbeit sollen im Folgenden genauer betrachtet werden. 3.1 Psychologische Dimension: Was ist eine Gruppe? Bereits im vorangegangenen Abschnitt wurde deutlich, dass die ideale Größe einer Gruppe für solche Gruppenarbeitsphasen im Fremdsprachenunterricht sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Während bei einigen Forschenden eine Gruppe bereits ab zwei Personen beginnt (vgl. Johnson et. al 2007: 16; Olson 2017: 58), sehen andere als Mindestmaß das Vorhandensein von drei Mitgliedern, da anderenfalls keine Gruppe, sondern eine Partnerkonstellation vorliege (Rösler 2012: 97). Bei wiederum anderen finden sich Hinweise, dass eine Gruppe aus vier oder mehr Lernenden bestehen sollte, um alle für eine Aufgabe relevanten Bereiche abzudecken (Hammoud & Ratzki 2009: 12). Die Frage, die sich hier also stellt, ist: Was ist eine Gruppe? In Bezug auf Definition und Größe wird der Beschreibung der idealen Gruppe sowohl in der Soziologie als auch der Psychologie viel Aufmerksamkeit gewidmet. Für den Kontext der vorliegenden Studie sind jedoch verhältnismäßig kleine Gruppen von Interesse, weshalb nicht auf Großgruppen - wie etwa bei einem Klassenverband von 30 Schülerinnen und Schülern - eingegangen werden soll. Zu Beginn der achtziger Jahre wurde als Ausgangspunkt für die Festlegung von Gruppen die individuelle Wahrnehmung vorgeschlagen, was dann zu der Definition führte, dass eine Gruppe besteht, sobald sich zwei oder mehr Personen als eine solche verstehen (Turner 1982: 15). Da aber das Bestehen einer 40 3 Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht <?page no="41"?> Gruppe erst in Abgrenzung zu anderen Individuen relevant ist, wurde die Definition um den Aspekt der Anerkennung durch dritte erweitert und eine Gruppe wie folgt beschrieben: Thus, although Turner ’ s definition will serve us well, we would emphasise that an additional factor in many group contexts is also the extent to which that group is visible to or recognised by other groups. (Brown & Pherson 2020: 2). Demnach besteht eine Gruppe, sobald mindestens zwei Gruppenmitglieder und eine außenstehende Person die Existenz der Gruppe akzeptieren. Für den Fremdsprachenunterricht würde das bedeuten, dass eine Gruppe bereits dann bestünde, wenn zum Beispiel zwei Lernende von einer Lehrperson einander zugeordnet würden und mit dieser Zuordnung einverstanden wären. Somit wäre den Lernenden als Gruppenmitgliedern und der Lehrperson als außenstehende Person bewusst, dass da eine Gruppe existiert, ohne dass diese Gruppe sich außerhalb der Köpfe der drei Eingeweihten weiter manifestieren müsste. Für den Fremdsprachenunterricht und die damit verbundenen Aktivitäten hat eine solche Gruppe allerdings einen eher geringen Wert. Im Zusammenhang mit Fremdsprachenunterricht wurden weitere beschreibende Kriterien für Gruppen formuliert. So ist neben der bereits genannten Selbstwahrnehmung der Mitglieder als Gruppe das Vorhandensein eines gemeinsamen Ziels sowie einer internen Struktur und ein Gefühl der Verantwortung für das Handeln der Mitglieder wichtig für das psychologische Bestehen einer Gruppe (Ehrman & Dörnyei 1998: 72). Darüber hinaus betonen Ehrman und Dörnyei, eine Gruppe müsse eine für die jeweilige Aktivität angemessene Zeit miteinander verbringen, damit sie als Gruppe gelten und miteinander interagieren könne (vgl. ebd. 1998: 72). Mit dem Zeitfaktor und der Forderung nach Interaktion der Mitglieder untereinander bekommt das Konstrukt der Gruppe ein dynamisches Element und unterliegt folglich Veränderungen. Green und Green greifen für die Beschreibung der Entwicklung von Lernendengruppen beim kooperativen Lernen auf Tuckmans Modell der Abfolge von Entwicklungsstufen in Kleingruppen zurück (Green & Green 2018: 50). Tuckman zufolge durchlaufen kleine Gruppen, die für bestimmte Zwecke zusammengesetzt wurden, wie etwa Labor-, Therapie- oder Trainingsgruppen, vier wesentliche Entwicklungsstufen: Forming, Storming, Norming und Performing (ebd. 1965: 396). Charakteristisch für das Durchlaufen der einzelnen Phasen ist eine Verlagerung des Schwerpunktes von interpersonellen Faktoren hin zu einer Fokussierung auf die Aufgabenbearbeitung (task activity) (Tuckman 1965: 385). 3.1 Psychologische Dimension: Was ist eine Gruppe? 41 <?page no="42"?> Abb. 3: Phasen der Gruppenarbeit in Anlehnung an Tuckmann (1965) und Green & Green (2018) Die sogenannte Forming-Phase ist durch zurückhaltendes, zögerliches Verhalten gekennzeichnet, durch das die einzelnen Mitglieder sowohl ihre eigene als auch die Position der anderen zueinander in der neuen Konstellation entdecken und erproben. Die Mitglieder tasten sich aneinander heran, individuelle Rollen bilden sich heraus und werden ausgehandelt; es stehen also interpersonelle Faktoren im Mittelpunkt. Sind die wechselseitigen Beziehungen innerhalb der Gruppe etabliert, verschiebt sich der Fokus auf die zu bewältigende Aufgabe. In der folgenden Storming-Phase kommt es leicht zu Konflikten, da ggf. unterschiedliche Interpretationen des Arbeitsauftrags zu Meinungsverschiedenheiten führen und die Einzelnen versuchen, die eigenen Ideen durchzusetzen oder sich nicht von Vorschlägen anderer überzeugen lassen. Die gegenseitige Annäherung und Herausbildung einer gemeinsamen Arbeitsweise markiert dann den Übergang zur Norming-Phase, an die sich die eigentliche Bearbeitung der Aufgabe anschließt (Performing) und individuelle Ansichten und Vorgehensweise dem kollektiven Ziel untergeordnet werden. Tuckmans Modell basiert auf der Auswertung von Studien, die mit psychologischem Schwerpunkt außerhalb von didaktischen Szenarien angesiedelt sind und darüber hinaus Gruppen fokussieren, die mit fünf bis 30 Mitgliedern und einer Laufzeit von mehreren Wochen oder gar Monaten (Tuckman 165: 385) völlig andere Charakteristika aufweisen als die weiter oben beschriebenen typischen Kleingruppen eines Fremdsprachenunterrichts. Allerdings können diese Phasen in leicht gekürzter und ggf. abgeschwächter Form durchaus auch auf die hier im Mittelpunkt stehenden Lernendengruppen übertragen werden (Philipp 2000: 32). Die diesem Modell zu Grunde liegende Erkenntnis, dass Gruppen verschiedene Stadien durchlaufen und sich dabei nicht nur auf den Arbeitsauftrag, sondern auch auf zwischenmenschliche Aspekte konzentrieren, liefert wertvolle Impulse für die Theorie und Praxis von Gruppenarbeit im Unterricht. Einerseits verdeutlicht sie den starken Zusammenhang zwischen interpersoneller Interaktion und erfolgreicher Aufgabenbearbeitung, andererseits betont sie die dynamische Natur von Gruppen und Gruppenarbeit und damit die Notwendigkeit der genauen Untersuchung von Gruppen- 42 3 Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht <?page no="43"?> interaktionen unter Berücksichtigung beziehungsrelevanter Aspekte zwischen den beteiligten Individuen. 3.2 Soziale Dimension: Interdependenz Als notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Gruppenarbeit wurde das Vorhandensein einer positiven sozialen Interdependenz identifiziert (vgl. u. a. Würffel 2007: 8 f; Rösler 2012: 99; Olson 2017: 33). Auf der Basis der psychologischen Theorie der sozialen Interdependenz beschreiben Johnson et al. grundlegende Zusammenhänge für Lerngruppen: Positive interdependence exists when individuals perceive that they can reach their goals if and only if the other individuals with whom they are cooperatively linked also reach their goals and, therefore, promote each other ’ s efforts to achieve the goals. ( Johnson et al. 2007: 16) Nur wenn die Gruppenmitglieder davon ausgehen, dass eine kooperative Arbeitsweise für alle von Vorteil ist, sind sie bereit, die eigenen Ziele dem gemeinsamen Gruppenziel unterzuordnen und nur dann kann es zu Interaktionen kommen, die einander begünstigen, wie etwa gegenseitige Unterstützung, Bemühungen, um einen erfolgreichen Ideenaustausch und die Bereitschaft Arbeitsbereiche aufzuteilen (Promotive Interaction Johnson et al. 2007: 17). Die Lernenden bringen sich aktiv ein, indem sie einander helfen, motivieren und Vertrauen in Bezug auf die angemessene Erledigung der Aufgabe entgegenbringen; gleichzeitig übernehmen sie Verantwortung für den eigenen Zuständigkeitsbereich, aber ebenso für das gemeinsame Produkt (Olson 2017: 33). Insgesamt sind solche Interaktionen von zuträglicher Konvergenz und kooperativer Gegenseitigkeit unter den Beteiligten geprägt. Besteht kein Konsens darüber, dass die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels für jeden einzelnen lohnend ist, kann es dazu führen, dass sich die Gruppenmitglieder gegenseitig behindern, da bei der Annahme einer negativen Interdependenz davon ausgegangen wird, dass man das eigene Ziel nur auf Kosten der anderen erreichen könne. Die Lernenden sehen sich als Konkurrenten und versuchen sich von den anderen Gruppenmitgliedern abzusetzen, was dann zu oppositioneller Interaktion (Oppositional Interaction Johnson et al. 2007: 17) führt. An die Stelle gegenseitiger Unterstützung treten Strategien, die die individuelle Leistung stärken und die der anderen schwächen oder sogar behindern. Man handelt nach dem Prinzip „ jeder ist sich selbst der Nächste “ . Handeln die Lernenden aber in der Überzeugung, dass keinerlei Interdependenz vorliegt, besteht die Gefahr, dass überhaupt keine Interaktion stattfindet, weil jedes einzelne Mitglied auch ohne die Hilfe der anderen ans Ziel kommt. Weder tauschen sich die Individuen untereinander aus, noch vergleichen sie sich, da es unter der Prämisse fehlender Interdependenz keine Rolle spielt, was andere leisten oder nicht, da lediglich die Erledigung der eigenen Aufgabe zählt. Aufgrund der Erfahrungen in gängigen Schul- und Bildungssystemen - auch dem japanischen - , in denen normalerweise die individuellen Leistungen der Einzelnen beurteilt werden, wie etwa in Tests oder bei Hausaufgaben (vgl. Würffel 2007: 12), bringen kooperative Arbeitsformen Lernende in ungewohnte Situationen. Daher finden sich gerade bei 3.2 Soziale Dimension: Interdependenz 43 <?page no="44"?> Gruppenarbeitsneulingen häufig sogenannte Pseudogruppen (Green & Green 2018: 53), die zwar scheinbar zusammenarbeiten, aber nach den Prinzipen der negativen oder der fehlenden Interdependenz handeln. Sie müssen erst lernen, dass gemeinsames Vorgehen als Gruppe sie selbst als Einzelperson weiterbringt (vgl. Green & Green 2018: 35). Positive soziale Interdependenz soll durch gezielt darauf ausgerichtete Aktivitäten erlebt und gelernt werden. Für Würffel hingegen ist die Existenz eines gemeinsamen Zieles grundlegende Voraussetzung für das Bestehen einer Gruppe und damit einhergehend mit dem Vorhandensein positiver sozialer Interdependenz (ebd. 2007: 10). Auch wenn davon ausgegangen wird, dass Lernende generell eher kooperativ eingestellt sind, da sie die Sprache lernen und anwenden möchten, sehen sie sich bei der Zusammensetzung neuer Gruppen immer auch einigen unbekannten Faktoren gegenüber. Dörnyei und Murphey nennen unter anderem als häufig genannte Empfindungen von Lernenden in neuen Gruppenkonstellationen Unsicherheiten in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten oder die genaue Aufgabenstellung, Gefühle der Unterlegenheit gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern und Angst, in der Fremdsprache kommunizieren zu müssen (ebd. 2003: 17). Ein solches Unbehagen kann dann dazu führen, dass erst einmal keine Interaktion stattfindet und somit auch keine gemeinsamen Lernprozesse in Gang gesetzt werden. Auch wenn sich Dörnyeis und Murpheys Ausführungen in erster Linie auf neu zusammengekommene Großgruppen beziehen, wie etwa einen Klassenverband oder Sprachkurs, können diese Erfahrungen der Lernenden zumindest teilweise auch auf temporäre Kleingruppen innerhalb einer Unterrichtseinheit übertragen werden. Hier müssen sich die Individuen erst zu einer Gruppe zusammenfinden (Forming) und eine gemeinsame Struktur etablieren, bevor sie mit der eigentlichen Lernaktivität (Performing) beginnen können (vgl. Kapitel 3.1). 3.3 Gruppenarbeit, Kooperation und Kollaboration Gerade in jüngerer Zeit erfährt der Begriff Gruppenarbeit erhöhte Konkurrenz durch neue Bezeichnungen, hinter denen sich teilweise auch besondere Vorgehensweisen verbergen. Daher soll im Folgenden kurz auf die unterschiedlichen Konzepte eingegangen und deren Bedeutung für die vorliegende Studie spezifiziert werden. Mit dem Aufkommen des kommunikativen Ansatzes in den 1970er Jahren gewann auch der Begriff der Gruppenarbeit an Bedeutung und wurde übergreifend für Lernaktivitäten verwendet, die nicht im klassischen Frontalunterricht oder in Einzelarbeit erledigt werden sollten (Rösler 2012: 98). Der genaue Ablauf einer Gruppenarbeit ist jedoch nicht festgelegt und bleibt so den Lehrenden in ihren jeweiligen Kontexten selbst überlassen. Unter dem Einfluss von konkreten Didaktisierungsvorschlägen aus dem nordamerikanischen Raum, die eine stärkere Strukturierung der Gruppenarbeit vorsehen, erhielt das Konzept des kooperativen Lernens in den DaF/ DaZ-Bereich Einzug und wurde dort stark rezipiert (Hammoud & Ratzki 2009: 5f ). Zentrale Merkmale kooperativer Lernszenarien im Gegensatz zur „ unstrukturierten Gruppenarbeit “ (Hammoud & Ratzki 2009: 10) sind die genaue Aufteilung derArbeitsbereiche, so dass den einzelnen Lernenden in der Gruppe eine bestimmte Rolle zuteilwird, sowie die abschließende gemeinsame Reflexion der Gruppenarbeit, in der neben Verbesserungsvorschlägen für zukünftige Arbeitsgruppen auch die 44 3 Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht <?page no="45"?> individuellen Wahrnehmungen der einzelnen Mitglieder besprochen werden. Darüber hinaus folgt das Vorgehen innerhalb der Gruppe genauen methodischen und zeitlichen Vorgaben. Von einem kritischen Standpunkt aus gesehen kann diese kleinschrittige Planung der Gruppenarbeit und die starke Lenkung durch die genauen Anweisungen als ein bloßes Einüben von Gruppenarbeit betrachtet werden, da „ ein echtes selbständiges Aushandeln von Bedeutung und die eigenverantwortliche Suche nach geeigneten Lösungen “ (Wicke 2009: 42) in dieser Arbeitsform nicht stattfindet. Eine weitere Differenzierung, die sich im Zusammenhang mit Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht findet, ist die Unterscheidung von kooperativen und kollaborativen Arbeitsprozessen. Während für erstere die Arbeitsteilung als charakteristisch angenommen wird, in der die einzelnen Gruppenmitglieder zunächst individuell ihren Aufgabenteil bearbeiten, um anschließend die Ergebnisse in der Gruppe zusammenzutragen, gilt für letztere die gemeinsame Organisation und Bearbeitung eines Arbeitsauftrages (für eine umfassende Darstellung siehe Würffel 2007: 5). Kollaboratives Lernen stellt solchen lerntheoretischen Überlegungen zufolge also eine Realisierung sozial-konstruktivistischer Ideale dar, indem Lernende durch die gemeinsame Arbeit und den Austausch von Gedanken gemeinsam neues Wissen erzeugen. Im Zusammenhang mit Theorie und Forschung ist in Abhängigkeit von dem jeweiligen Erkenntnisinteresse eine Unterscheidung der beiden Konzepte sicherlich sinnvoll, wie etwa bei der Betrachtung von Lernerautonomie (Feick 2016: 31). Für die Praxis im Fremdsprachenunterricht ist eine solche trennscharfe Differenzierung hingegen nicht eindeutig umsetzbar, weshalb Würffel vorschlägt „ Kooperativität als ein Kontinuum zu betrachten “ (ebd. 2007: 5) und von Kooperationsgraden zu sprechen. „ Je stärker die gleichberechtigte Beteiligung aller ist, desto höher ist der Grad der Kooperativität “ (Würffel 2007: 6). Ebenso wie die Gruppen selbst unterliegt auch die Kooperation innerhalb der Gruppe dynamischen Veränderungen und wird durch die Interaktionen der Lernenden untereinander permanent neu verhandelt. 3.4 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt Im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels stehen verschiedene Aspekte der Gruppenarbeit. Neben Überlegungen zur Definition des Begriffs Gruppe werden sowohl aus der Theorie abgeleitete Vorteile als auch aus der Praxis bekannte Hürden betrachtet. Idealerweise bietet Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht den Lernenden viele Gelegenheiten die Zielsprache anzuwenden und sich selbständig in Kooperation mit anderen Lernenden mit bestimmten Inhalten zu beschäftigen. Nicht nur die Autonomie in Bezug auf die Organisation und Durchführung bestimmter Lernaktivitäten wird gefördert, sondern auch soziale Kompetenzen wie Team- oder Konfliktfähigkeit werden geschult 6 . Die Lernenden übernehmen Verantwortung für sich selbst und für die Gruppe, planen gemeinsame 6 Die Relevanz der Förderung solcher Kompetenzen im Kontext des Fremdsprachenlernens auch für den Bereich der Erwachsenenbildung findet nicht zuletzt ihren Ausdruck in den Ergänzungen zum Europäischen Referenzrahmen etwa in Bezug auf Mediation und Interaktion (Council of Europe 2020: 129). 3.4 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt 45 <?page no="46"?> Arbeitsschritte und verteilen eigenverantwortlich Aufgaben untereinander. Ein erfolgreich durchgeführtes Gruppenprojekt führt zu dem positiven Gefühl etwas gemeinsam erreicht zu haben, und steigert dadurch auch das Selbstbewusstsein und die Motivation. Häufig auftretende Probleme lassen sich einerseits auf mangelnde Erfahrungen mit kooperativen Lernsettings sowohl auf Seite der Lernenden als auch der Lehrenden zurückführen, andererseits auf vorherrschende Bewertungskonventionen im Bildungssystem, durch die eher konkurrierendes als kooperatives Verhalten kultiviert wird. Darüber hinaus bieten insbesondere Befunde aus psychologischen Arbeiten aussagekräftige Erklärungsansätze. Gruppen unterliegen dynamischen Entwicklungen, in denen sich die Mitglieder zueinander positionieren und in verschiedenen Phasen die gemeinsame Aufgabe bearbeiten. Aushandlungen unter den Mitgliedern sind für diese Gruppenbeziehungen ein wichtiger Bestandteil, weil es anderenfalls zu Pseudogruppen kommen kann, in denen die Arbeitsschritte der einzelnen Personen nicht miteinander koordiniert sind, da keine soziale Interdependenz vorliegt. Die Grundidee zur vorliegenden Studie ist aus Reflexionen über Beobachtungen und Erfahrungsberichten zu problematischen Gruppenarbeitsphasen in der Praxis entstanden. Vereinzelt führten negative Erfahrungen mit Gruppenarbeit zu der Annahme, dass Gruppenarbeit in Japan generell nicht funktioniere und infolgedessen zum Verzicht auf entsprechende Arbeitsformen. Für den Unterricht, in dessen Kontext die Untersuchung durchgeführt wurde, bildet Gruppenarbeit hingegen einen festen Bestandteil des Lernprozesses und wird sogar in speziell konzeptionierten Workshops eingeübt. Trotz der Vertrautheit aller Beteiligten mit sozialen Lernformen wurden weiterhin Spannungen unter den Lernenden beobachtet (vgl. Schütterle & Hamano 2018: 785; Orlando & Schütterle 2017: 74). Daher sollen hier die Interaktionen innerhalb der Gruppen fokussiert werden, um ein besseres Verständnis für die Abläufe unter den Lernenden während kommunikativer Gruppenarbeitsphasen zu entwickeln. Der Untersuchungsgegenstand beschränkt sich dabei auf Konstellationen von drei bis vier Lernenden, die für einen kurzen Austausch eine Gruppe bilden, da diese Form von Gruppenarbeit die höchste Relevanz für den regulären Fremdsprachenunterricht im vorliegenden Untersuchungskontext hat. Langfristige Projekte werden hier bewusst nicht berücksichtigt, da allein durch die zeitliche Komponente eine andere Dynamik für die Entwicklung der Gruppe zu erwarten ist. 46 3 Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht <?page no="47"?> 4 Aufgabenbasierte Unterrichts- und Forschungsansätze Der Begriff Aufgabe ist im Zusammenhang mit Fremdsprachenunterricht bzw. Unterricht allgemein bekannt und wird mit Ausdrücken wie Hausaufgabe, Prüfungsaufgabe und den damit verknüpften Konzepten assoziiert. Im pädagogischen Kontext wird darunter ein Arbeitsauftrag oder eine Aktivität zu bestimmten Lernzwecken verstanden, der/ die von den Lernenden erfüllt bzw. durchgeführt werden soll, um zum Beispiel im Unterricht besprochene Themen zu vertiefen oder Prozesse einzuüben. In aufgabenbasierten didaktischen Ansätzen jedoch werden Aufgaben in einem etwas engeren Sinne verstanden. Im Folgenden sollen die theoretischen Grundlagen und deren Implikationen für die Praxis skizziert werden. 4.1 Theoretischer Hintergrund Unter aufgabenbasiertem Fremdsprachenunterricht werden Ansätze verstanden, die aus der englischsprachigen Fremdsprachendidaktik unter der Bezeichnung Task Based Language Teaching bzw. Learning (TBLT bzw. TBLL) in die Unterrichtskonzepte im Deutsch-als- Fremdsprache-Kontext übernommen wurden (Portmann-Tselikas 2010: 1167). Ausgangspunkt bilden Überlegungen von Long aus den frühen 1980er Jahren zum universitären Fremdsprachenunterricht, in denen von möglichst alltagsnahen Aufgaben ausgegangen wird, die als Grundlage für alle didaktischen Entscheidungen dienen sollen (ebd. 2015: 6). Das bedeutet, dass task - also Aufgabe - hier in der alltagssprachlichen Bedeutung auf all die Handlungen verweist, die es im täglichen Leben zu erledigen gilt, ohne eine pädagogische oder sprachliche Komponente zu enthalten. Nach Long soll folglich zuerst überprüft werden, was die Lernenden in einer neuen Sprache zu bewältigen haben und welche sprachlichen Mittel dazu nötig sind, und erst darauf aufbauend eine didaktische Vorgehensweise entwickelt werden. Die Tatsache, dass im TBLT-Ansatz von einer Bedarfsanalyse ausgegangen wird, macht die starke Lernendenzentrierung bereits deutlich. Diese spiegelt sich nicht nur in der Auswahl der Themen und Zielfertigkeiten wider, sondern auch in der Aktivierung der Lernenden als selbständige Individuen mit eigenen Interessen und Fähigkeiten (vgl. u. a. Rösler 2012: 86). Die Lehrperson tritt weniger als zentrale vermittelnde Instanz in Erscheinung, sondern unterstützt und beobachtet die Lernenden bei ihren Aktivitäten, um sie einerseits gezielt fördern zu können, andererseits die Aufgaben für den zukünftigen Einsatz zu verbessern (vgl. u. a. van den Branden 2016: 167f ). Ein weiteres Merkmal der Aufgabenorientierung besteht in der engen Verbindung von Unterrichtspraxis und Forschung. So werden Aufgaben nicht nur als zentrales Element der Unterrichtsprogression verstanden - im Gegensatz zu sprachstrukturell oder funktional orientierten Ansätzen - , sondern auch als Mittel zur Erforschung formaler Lernszenarien (vgl. u. a. Mackey 2020: 19). Die Grundlage bilden - wie auch in zahlreichen Studien zur Interaktion - überwiegend kognitivistische Theorien auf Basis der Input-, Output- und Interaktionshypothese, so dass die Arbeiten teilweise gleichermaßen zur TBLT-Forschung <?page no="48"?> wie auch zur Interaktionsforschung zu zählen sind. Beispielsweise wird der Zusammenhang zwischen einem bestimmten Aufgabentyp und den dabei entstehenden sprachstrukturellen oder bedeutungsbezogenen Aushandlungen untersucht (vgl. Kapitel 2.3.1). Im TBLT-Ansatz werden Aufgaben und Inhalte zur Schaffung erwerbsförderlicher Situationen kreiert und gezielt eingesetzt, einerseits um Erkenntnisse über das Fremdsprachenlernen zu gewinnen, andererseits um sie für den Unterricht nutzbar zu machen. Sie bilden den Rahmen für einen authentischen, bedeutungsvollen Austausch, in dem sich die Lernenden durch die aktive Nutzung der Fremdsprache und die Unterstützung der Lehrperson sowie ihrer Peers die Sprache aneignen. Aus den Forschungsergebnissen werden Handlungsempfehlungen für den Fremdsprachenunterricht abgeleitet und Erfahrungen aus der Praxis führen zu neuen Desideraten, so dass Forschung und Praxis in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen (vgl. u. a. Ellis 2003: 26). 4.2 Was ist eine Aufgabe? Bereits in Bezug auf die Definition was genau unter einer Aufgabe zu verstehen ist, besteht kein übergreifender Konsens, was sowohl für die Beschreibung als auch für die Durchführung von Unterricht und Forschungsprojekten Konsequenzen hat. So konstatiert Long: „ Task and task-based language teaching (TBLT) mean different things to different people “ (ebd. 2016: 5, Hervorhebung im Original). Folglich ist jeder Arbeit, die sich mit aufgabenbasiertem Unterricht oder aufgabenbasierter Forschung befasst, ein Kapitel zur Begriffsdefinition vorangestellt. Nach einem kurzen Überblick über die Diskussion im wissenschaftlichen Diskurs soll der für die vorliegende Arbeit relevante Aufgabenbegriff verdeutlicht werden. In frühen Beschreibungen des TBLT-Konzepts wird unter Aufgabe jede sprachliche und nichtsprachliche alltägliche Handlung verstanden, folglich sind sogar handwerkliche Tätigkeiten wie das Anstreichen eines Zauns beinhaltet (Long 1985: 89). In späteren Betrachtungen wird der Geltungsbereich der Aufgabendefinition auf den didaktischen Kontext eingeschränkt und ein starker sprachlicher Bezug gefordert. Zum Beispiel sollen Lernende etwas mit oder in der Zielsprache machen und dadurch zu einem bestimmten Ziel kommen (vgl. Prabhu 1987: 24; Nunan 1989: 10). Als ein mögliches Vorgehen für die Erreichung des Aufgabenziels nennt Nunan die Interaktion der Lernenden untereinander, wodurch die soziokulturelle Komponente des aufgabenbasierten Ansatzes - im Gegensatz zur kognitivistischen Perspektive - stärkere Gewichtung erfährt (vgl. Kapitel 2.3). Bei Lee findet sich sogar die Forderung, Interaktion als unbedingt notwendige Voraussetzung zur Erreichung des Aufgabenziels zu machen (ebd. 1999: 41). Während die Rolle interaktiver Prozesse für aufgabenbasiertes Lernen bei anderen Autoren und Autorinnen weniger vehement verlangt wird, sind sich die meisten jedoch einig, dass die Fokussierung der Bedeutung - anstelle von sprachlichen Strukturen - sowie das Vorhandensein eines Ziels oder Ergebnisses essentieller Bestandteil jeder Aufgabe sein sollte (Nunan 1989; Lee 2000: 11; Bygate et al. 2001). In Bezug auf letzteres werden die Begriffe jedoch eher ungenau verwendet, so dass sowohl von outcome (Ergebnis/ Lösung) als auch von objective (Ziel) oder aim (Zweck) die Rede ist, weshalb Ellis betont, dass eine Unterscheidung notwendig sei, und die folgende Abgrenzung vorschlägt: 48 4 Aufgabenbasierte Unterrichts- und Forschungsansätze <?page no="49"?> ‘ Outcome ’ refers to what the learners arrive at when they have completed the task, for example a story, a list of differences, etc. ‘ Aim ’ refers to the pedagogic purpose of the task, which is to elicit meaning-focused language use, receptive and/ or productive. This distinction is important. It is possible to achieve a successful outcome without achieving the aim of a task. (Ellis 2003: 8) Insbesondere bei Aufgaben, in denen die Lernenden mit unterschiedlichen visuellen Materialien, wie etwa Bildern, Stadtplänen oder auch Texten arbeiten, kann eine Lösung erreicht werden, ohne dass der eigentliche Zweck der Aufgabe erfüllt wird, indem sich die Lernenden die als Redeanlass intendierten Medien gegenseitig zeigen, anstatt sich verbal darüber auszutauschen (vgl. Ellis 2003: 8). Aber auch bei Aufgaben ohne visuelle Hilfsmittel kann der Zweck umgangen werden. Eine typische Aushandlungsaufgabe könnte etwa darin bestehen zu entscheiden, welche Personen oder Gegenstände zuerst aus einem brennenden Haus gerettet werden sollen (u. a. Gilabert & Baron 2013: 50f ). Die Lösung derAufgabe wäre in diesem Falle die Benennung der zu rettenden Menschen oder Dinge, zum Beispiel in der Form eines Rankings, in dem die wichtigsten Elemente aufgelistet werden. Der Zweck hingegen besteht darin, dass die Lernenden sich verbal über das Problem austauschen und durch sprachliches Handeln, wie etwa Argumentieren, Begründen oder Widersprechen, zu einem gemeinsamen Ergebnis gelangen. Hierbei können die Lernenden aber auch ohne die eigentlich erwünschten Aushandlungsprozesse zu einer Lösung kommen, indem sie etwa durch Abzählen eine Auswahl treffen oder eine einzelne Person ohne Rücksprache mit den anderen eine Liste festlegt und so jede Art der Aushandlung vermieden wird. Aufgabenbasierte Unterrichtsansätze sind also eng mit Überlegungen zur Gruppenarbeit und kooperativen Lernformen verknüpft, allein schon, da die Grundidee hinter dem didaktischen Konzept des TBLT darin besteht, dass die Sprache durch Anwendung in authentischen kommunikativen Situationen gelernt wird und sich daher interaktive Sozialformen wie Gruppen- oder Partnerarbeit besonders als Bearbeitungsrahmen anbieten (vgl. Ellis et al. 2020: 59). Nicht das Einüben bestimmter sprachlicher Strukturen ohne situativen Bezugsrahmen steht im Vordergrund, sondern vielmehr das selbständige Handeln in Zusammenarbeit mit anderen in der fremden Sprache. Es wird davon ausgegangen, dass eine solche holistische Herangehensweise in der „ die Lernenden Bedeutung und sprachliche Realisierung immer als Einheit “ (Rösler 2012: 86) erfahren, nicht nur motivierend wirkt, sondern auch außensprachliche Fertigkeiten und soziale Kompetenzen fördert. Für die Vorbereitung von Unterricht, sowohl einzelner Stunden als auch curricularer Einheiten, setzt dieser ganzheitliche Ansatz ein dem auf sprachstrukturellen Überlegungen basierenden Ansatz entgegengesetztes Grundverständnis von Fremdsprachenlernen voraus. Wilkins schlägt hierfür die Unterscheidung zwischen synthetischer und analytischer Herangehensweise vor (ebd. 1976: 2). Während bei ersterer der Lernprozess als eine Art Baukastensystem verstanden wird, in dem die Lernenden mit einzelnen Grammatikbausteinen versorgt werden und mit deren Hilfe sie schrittweise die Zielsprache zusammensetzen, besteht bei letzterer die Aufgabe der Lernenden in der Betrachtung möglichst authentischer Sprachbeispiele und deren Zerlegung in ihre Bestandteile (vgl. Nunan 2004: 11; Schart 2013: 189). Lehrkräfte, Lehrbuchautorinnen und -autoren nehmen zwar weiterhin durch die Auswahl des Sprachinputs auf die Lernprozesse Einfluss, überlassen aber den Lernenden die Entscheidung, welche Strukturen in den Materialien fokussiert werden. Anders als bei traditionellen bzw. synthetischen Lehrplänen 4.2 Was ist eine Aufgabe? 49 <?page no="50"?> ist der analytische Lernweg etwas diffuser und weniger planbar, da in der Regel keine Grammatik- oder Wortschatzlisten abgearbeitet werden, so dass der Fortschritt weniger quantifiziert erscheint. Jedoch bietet er zahlreiche Möglichkeiten für individualisiertes Lernen und führt somit im Idealfall zu nachhaltigen und motivierenden Erfolgen, da die Lernenden aktiv in den Prozess involviert sind. Für die Praxis bleibt immer noch die Frage, wie genau eine solche Aufgabe gestaltet werden sollte. Anstelle einer umfassenden Definition formuliert Ellis sechs Merkmale von Aufgaben (Ellis 2003: 9f ), mit deren Hilfe der Begriff etwas konturiert wird 7 . 4.2.1 Aufgabenkriterien nach Ellis (2003) 4.2.1.1 Aufgabe als Arbeitsplan Aufgaben zeichnen sich durch ein offenes Design aus, in dem die Bearbeitungsschritte nicht im Voraus festgelegt sind. Das Postulat der Offenheit kann zwar dazu führen, dass die Lernaktivität nicht unbedingt dem von der Lehrperson oder dem Autorenteam eines Lehrbuchs geplanten Vorgang entspricht, bietet aber den Lernenden die Gelegenheit, den Lösungsweg zu bestimmen und so mehr Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen. Ellis unterschiedet hier zwischen task-as-workplan und task-in-process (ebd. 2003: 34). Während sich task-as-workplan auf die im Vorfeld geplante Aufgabenbearbeitung bezieht, bezeichnet task-in-process die tatsächliche Durchführung der Aufgabe. Insbesondere, wenn derselbe Arbeitsplan von unterschiedlichen Lernenden bearbeitet wird, wie etwa in verschiedenen Kleingruppen innerhalb eines Kurses, zeigt sich diese Offenheit besonders deutlich. Das Vorgehen kann unter anderem in Bezug auf die Partizipation der Mitglieder, die sprachliche Gestaltung oder in der Ergebnispräsentation differieren. Das Lösen von Aufgaben in Gruppenarbeitskonstellationen unterliegt somit einer doppelten Offenheit. Einerseits wird das genaue Vorgehen nicht von der Aufgabe diktiert, so dass dahingehend bereits verschiedene Lösungswege möglich sind. Andererseits variiert die Aufgabenbearbeitung auch in Abhängigkeit der einzelnen Mitglieder und deren Zusammensetzung (vgl. Kapitel 2.5). Diese doppelte Offenheit erhöht die Komplexität der Aufgabe, da dadurch den Lernenden mehr Verantwortung für die spezifische Aufgabe und die damit verbundenen Lernaktivitäten übertragen wird (vgl. u. a. Legutke 2003: 235). 4.2.1.2 Schwerpunkt auf Bedeutung Bei derAufgabenbearbeitung steht die Verwendung der Zielsprache zur Kommunikation im Vordergrund, während das Einüben bestimmter sprachlicher Formen zweitrangig ist. Die sprachlichen Mittel zur Erreichung des Ziels werden nicht vorgegeben, so dass die Lernenden selbst ihr vorhandenes Sprachwissen überprüfen und daraus die geeigneten Strukturen und Redemittel wählen müssen (vgl. auch Ellis & Shinitani 2014: 135). Klassische grammatische Umwandlungsübungen, in denen zum Beispiel zwei Sätze unter Verwendung einer bestimmten Konjunktion miteinander verknüpft oder ein Text vom Präsens ins Präteritum überführt werden soll, sind demnach keine Aufgaben, sondern Übungen, da sprachstrukturelle Operationen im Vordergrund stehen. 7 Ähnliche Beschreibungen finden sich in zahlreichen anderen Arbeiten, sind aber weniger umfangreich oder beziehen sich auf die Kriterien nach Ellis, u. a. Lee (2000: 30f ); Nunan (2004: 1f ); Samuda & Bygate 2008: 62f ); Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth (2011: 22f ). 50 4 Aufgabenbasierte Unterrichts- und Forschungsansätze <?page no="51"?> 4.2.1.3 Bezug zur lebensweltlichen Sprachverwendung Durch Aufgaben sollen authentische sprachliche Handlungen initiiert werden. Einerseits ist hiermit gemeint, dass die Aufgabe - im ursprünglichen Sinne nach Long (1989) - der realen Welt entnommen sein kann, wie etwa die Recherche von Informationen im Internet oder zielsprachlichen Reiseführern zur Reisevorbereitung, andererseits geht es um kommunikative Authentizität. Indem Lernende sich zum Beispiel darüber austauschen, ob zwei Texte zusammenpassen oder einander Wohnungsgrundrisse erklären und vom jeweiligen Gegenüber zeichnen lassen, teilen sie ihre Gedanken und Wahrnehmungen mit, stellen Rückfragen zu den Ausführungen der anderen und klären Verständnishürden. Auch wenn der Redeanlass ggf. eher selten im Alltag anzutreffen ist, so sind die sprachlichen Handlungen selbst authentisch, da die Lernenden echte Bedeutungsaushandlungen bestreiten (Legutke 2003: 235). Im Gegensatz dazu stehen etwa gespielte Dialoge, in denen die Beteiligten bereits über alle Informationen verfügen, den Frage-Antwort-Prozess jedoch zu Übungszwecken durchlaufen, ohne wirklich neue Erkenntnisse zu gewinnen. 4.2.1.4 Alle vier Sprachfertigkeiten Aufgaben beschränken sich keineswegs auf die Produktion von gesprochener Sprache, sondern können ebenso Lesen, Schreiben und Hören beinhalten bzw. eine Kombination aller vier Fertigkeiten sein. So kann eine komplexe Aufgabe aus mehreren Teilaufgaben bestehen, in der jeweils bestimmte Fertigkeiten fokussiert werden (vgl. u. a. Schart 2013: 195). Typische Aufgabensequenzen im Fremdsprachenunterricht beginnen zum Beispiel mit dem Lesen eines Textes in Einzelarbeit, aus dem bestimmte Informationen gefiltert werden sollen, die in einem folgenden Schritt in einer Gruppe vorgestellt und verglichen werden. Zuerst steht also das Lesen im Vordergrund, dann werden Notizen gemacht und somit das Schreiben geschult und in der Gruppe wird schließlich das Hören und Sprechen aktiviert. 4.2.1.5 Kognitiv anspruchsvoll Durch die Aufgabenstellung werden die Lernenden dazu aufgefordert Informationen, Bilder oder Ideen zu ordnen, zu gruppieren oder in einer anderen Form zu bearbeiten. Zum Beispiel könnte eine Aufgabe darin bestehen, dass die Lernenden eine Liste von Dingen des alltäglichen Lebens in thematische Gruppen aufteilen sollen. Sollen die Kategorien selbständig erarbeitet werden, kann es zu sehr unterschiedlichen Einteilungen kommen. Während für den einen vielleicht das Material das deutlichste Merkmal darstellt, ist für eine andere der Verwendungszweck oder der Standort bestimmend, so dass für einen Tisch etwa die Kategorien Holz, Arbeiten, Küche etc. gleichermaßen denkbar sind. Solche und ähnliche Aufgaben stoßen Denkprozesse an und bieten den Lernenden einen Redeanlass, durch den bestimmte sprachliche Handlungen angeregt werden, ohne aber die Redemittel vorzugeben. 4.2.1.6 Lösung/ Ergebnis Der Zweck einer Aufgabe soll kommunikativ sein, jedoch nicht in der Verwendung bestimmter sprachlicher Formen bestehen. Darüber hinaus sollten die Lernenden bei der Aufgabenbearbeitung auf ein klar definiertes Ergebnis hinarbeiten, ohne dass dabei der Lösungsweg vorgegeben ist. Mögliche Aufgabenlösungen bzw. -ergebnisse können darin 4.2 Was ist eine Aufgabe? 51 <?page no="52"?> bestehen, sich in der Gruppe auf etwas zu einigen. Häufig angeführte Beispiele hierfür sind die typischen Insel- oder Burning-House-Aufgaben (u. a. Gilabert & Baron 2013), bei denen Lernende sich gemeinsam für drei Dinge entscheiden müssen, die sie auf eine einsame Insel mitnehmen oder aus einem brennenden Hause retten wollen. Die sprachlichen Mittel für diese Einigung bzw. eine anschließende Präsentation im Plenum sollen dabei weder vorgegeben sein noch als Aufgabenergebnis dienen. Das bedeutet, dass es den Lernenden freigestellt ist, ob sie zur Erreichung des Ziels weil, da oder deshalb Konstruktionen oder einfache Hauptsätze verwenden möchten und welchen Wortschatz sie dazu heranziehen. Selbstverständlich steht den Lernenden der in vorangegangenen Unterrichtseinheiten behandelte sprachliche Input als Inspirationsquelle zur Verfügung. Im Idealfall werden diesen Kriterien entsprechend Aufgaben entwickelt und zu Sequenzen zusammengestellt, so dass die Lernenden die Möglichkeit haben, einen umfassenden Themenkomplex aus verschiedenen Perspektiven inhaltlich und sprachlich zu erarbeiten (vgl. auch Rösler 2012: 87). 4.3 Aufgaben in der Praxis Die obigen Kriterien können bei der Planung von Unterricht oder der Erstellung von Lehrmaterialien als Richtlinien verwendet werden, jedoch kann das Verständnis der Aufgaben zwischen Lehrperson und Lernenden aber auch unter verschiedenen Lernenden stark divergieren (Breen 1987: 146). Insbesondere, wenn Lernende eine stark synthetisch beeinflusste Lernbiografie aufweisen, in der sie mit überwiegend sprachstrukturell oder funktional aufgebauten Curricula in Berührung kamen, können offene analytische Ansätze befremdlich auf sie wirken (vgl. Nunan 2004: 15). Sie sind eventuell nicht gewöhnt, auf bereits gelernte Ressourcen selbständig zurückzugreifen und nehmen die fehlenden Vorgaben in Bezug auf Redemittel nicht als Freiheit in der Ausdruckswahl, sondern als Versäumnis der Lehrperson, den Unterricht vorzubereiten, wahr. Eine Leseaufgabe, in der nach dem Arbeitsplan der Lehrperson vorgesehen ist, dass die Lernenden mit Hilfe von Lesestrategien auf einer zielsprachlichen Internetseite bestimmte Informationen sammeln, könnte von Lernenden als Informationsbeschaffungsaufgabe verstanden werden und etwa durch die Verwendung von Übersetzungssoftware und Recherche in der L1 substituiert werden. Geplante Aushandlungsprozesse in Gruppenarbeitsphasen werden nicht realisiert, da die Gruppenmitglieder eine schnelle Erledigung der Aufgabe favorisieren und schlicht die Lösung des bzw. der vermeintlich besten Lernenden als Gruppenlösung präsentieren. Auch die generelle Fokussierung auf die Bedeutung kann von Lernenden untergraben werden, indem sie ihre gesamte Aufmerksamkeit den grammatischen Formen eines für kommunikative Zwecke gedachten Inputs widmen (vgl. Nunan 2004: 15). Anstatt zum Beispiel Anzeigentexte auf Zeiten und Inhalte zu überprüfen, um so ein passendes Angebot zu finden, könnten sich sprachstrukturell interessierte Lernende auf die spezifischen Merkmale der Syntax in dieser Textsorte konzentrieren und so aus einer inhaltsorientierten Aufgabe eine Grammatikaufgabe machen. Die Frage, die sich in solchen Situationen für Lehrpersonen stellt, ist, ob die Aufgabe als von den Lernenden missverstanden oder als Ausdruck individueller (autonomer) Lernwege eingestuft werden sollte. Um das beantworten zu können bedarf es einer genaueren Betrachtung der begleitenden Umstände, doch 52 4 Aufgabenbasierte Unterrichts- und Forschungsansätze <?page no="53"?> solange die Lernenden etwas aus der Aufgabe mitnehmen, können auch vermeintlich „ schief gegangene “ Arbeitspläne als erfolgreicher Unterricht betrachtet werden. Die bewusst gewählte Offenheit der Aufgaben kann einerseits die Kreativität der Lernenden beflügeln, motivierend wirken und zu kognitiv anspruchsvollem Meinungsaustausch führen, andererseits auch den Weg des geringsten Widerstandes ermöglichen und so wenig zum Erlernen der Fremdsprache beitragen. Eine solche kommunikative Aneignung sprachlicher Strukturen ist nur erfolgreich, wenn die Beteiligten tatsächlich etwas mitteilen möchten und es nicht als ihre Pflicht ansehen, ein bestimmtes Verhalten zu simulieren (Rösler 2012: 88). 4.4 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt Die Fragestellung für das vorliegende Forschungsprojekt ist aus der Unterrichtspraxis eines aufgabenbasierten Deutschprogramms entstanden. Nach einer schrittweisen Neugestaltung des gesamten Grundstufenkurses der ersten zwei Studienjahre von einem formorientierten Konzept, in dem die Behandlung grammatischer Phänomene den Kern des Unterrichts bildete, zu einem inhalts- und aufgabenbasierten Kursdesign, bestimmen in der Deutschabteilung der Reitaku Universität seit 2016 Aufgaben die Unterrichtsprogression (vgl. Orlando & Schütterle 2017; Schütterle & Hamano 2018). Neben Hürden bei der curricularen sowie persönlichen Umstellung auf den aufgabenbasierten Ansatz auf institutioneller Seite bzw. Seite der Lehrenden werden auch die Studierenden mit der Herausforderung konfrontiert, bekannte Lernwege verlassen zu müssen (Schütterle & Hamano 2018: 780). In japanischen Oberschulen und Universitäten dominiert nach wie vor ein stark lehrpersonenzentrierter Fremdsprachenunterricht, dessen Hauptziel darin besteht, die Lernenden auf bestimmte Prüfungsformate - wie die Aufnahmeprüfungen für Universitäten oder standardisierte Tests wie TOEIC 8 - vorzubereiten (Matsumoto 2008: 70 f; Degen 2018: 19). Die selbständige oder kreative Sprachverwendung spielt bei diesen Testformaten und Unterrichtsformen eine untergeordnete Rolle, so dass zentrale Bestandteile des Deutschprogramms der Reitaku, wie Projektarbeit und frei formulierte Redebeiträge, ohne eindeutige Richtig-Falsch-Einordnung ungewohnt sein können. Da viele Studierende im zweiten Studienjahr einen mehrmonatigen Aufenthalt im deutschsprachigen Raum planen, werden einerseits Handlungsfähigkeit in der Zielsprache, andererseits Kompetenzen im Bereich der Kommunikation und Interaktion mit anderen sowie Fähigkeiten, das eigene Handeln zu organisieren, zu verantworten und weiterzuentwickeln, gefördert (Schütterle & Hamano 2018: 782). In der vorliegenden Arbeit werden die interaktiven Aushandlungen unter den Lernenden bei der Bearbeitung von Aufgaben fokussiert. Da bei der Kurs- und Unterrichtsgestaltung theoretische Überlegungen zur Aufgabenorientierung eine zentrale Rolle spielen (Schütterle & Hamano 2018: 775), bildet der aufgabenbasierte Ansatz somit den Rahmen für den Untersuchungsgegenstand (sieh auch Kapitel 6.4). Neben dem umfassenden Kurskonzept sind insbesondere die Aufgaben von Interesse, die als Grundlage für die hier untersuchten 8 Test of English for International Communiucation 4.4 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt 53 <?page no="54"?> Interaktionen dienen. Dabei handelt es sich um einzelne Aufgaben mit kommunikativem Fokus, die die Basis der Unterrichtssequenzen bilden (Kapitel 7). Die Aufgaben sind also nicht unmittelbar Ziel der Untersuchung und werden daher keiner eingehenden Prüfung auf Eignung oder Durchführung unterzogen, stellen aber einen wichtigen Einflussfaktor auf die bei der Besprechung entstehenden Interaktionen dar. Insbesondere die freie Wahl der Redemittel und die thematische Komplexität stellen die Lernenden vor Herausforderungen, die sich in der sprachlichen Gestaltung der Aushandlungsprozesse widerspiegeln. 54 4 Aufgabenbasierte Unterrichts- und Forschungsansätze <?page no="55"?> 5 Gesichtswahrung In seiner wörtlichen Bedeutung wird mit dem Begriff Gesicht die vordere Seite des Kopfes mit Augen, Nase und Mund bezeichnet, jedoch ist die metaphorische Verwendung im Sinne von Image oder Ansehen im Deutschen weit verbreitet. Folglich werden Redewendungen wie das Gesicht verlieren oder das Gesicht wahren/ retten als Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs im Allgemeinen verstanden und häufig verwendet. Wird die Würde oder die Glaubwürdigkeit einer Person, etwa durch falsche Anschuldigungen, angegriffen, droht ein Gesichtsverlust. Gelingt es den Angriff durch eine Richtigstellung verbunden mit einer Entschuldigung abzuwenden, kann das Gesicht der angegriffenen Person gerettet werden. Der Ursprung der Wendungen Gesicht verlieren bzw. Gesicht wahren wird in diversen Wörterbüchern auf eine Übersetzung aus dem Englischen von lose face bzw. save face zurückgeführt, die wiederum aus dem ostasiatischen Raum stamme (vgl. Duden 1999: 1489; Duden 2007). Jedoch finden sich auch Hinweise auf ähnliche Konzepte, die die nicht an den Begriff Gesicht, sondern an Schein bzw. Ansehen geknüpft sind, so dass die zugrundeliegende Idee - unabhängig von der Ausdrucksweise - im deutschen Sprachgebrauch fest verankert ist ( Jentsch 2011: 52). Gesicht als Forschungsgegenstand und den damit verbunden Aspekten des zwischenmenschlichen Handelns ist jedoch eng mit Fragen der interkulturellen Kommunikation speziell im chinesischen Kontext verbunden, weshalb diese Forschungsrichtung im Folgenden kurz skizziert werden soll. 5.1 Ursprünge der Gesichtsforschung Die Erkenntnis, dass sich hinter dem Begriff Gesicht mehr verbirgt als lediglich die Bezeichnung eines Körperteils wird von Arthur Henderson Smith in seinem Buch „ Chinese Characteristics “ (1890) ausführlich beschrieben. Neben einer umfassenden Darstellung gesichtsrelevanter Situationen im chinesischen Kulturraum, wie etwa der Annahme bzw. Ablehnung eines Geschenks, sowie Erklärungsversuchen des Konzepts, findet sich auch die Feststellung, dass die Komplexität des chinesischen Gesichtsbegriffs für Außenstehende nicht greifbar sei (Smith 1890: 16). Diese Abhandlung erfreut sich bis heute in China großer Beliebtheit (Yang 2016: 84) und gilt als Ausgangspunkt aller Forschungsarbeiten, in denen die verschiedenen Facetten von Gesicht behandelt werden ( Jentsch 2011: 22). Trotz der mittlerweile umfassenden Forschung speziell zum chinesischen Gesichtsbegriff ebenso wie zu den daraus abgeleiteten universellen Gesichtskonzepten existiert keine allgemeingültige Definition des Begriffs, so dass sich in der Literatur diverse Beschreibungen finden (vgl. u. a. Jentsch 2011: 26). Ein Grund dafür ist sicherlich die Existenz zahlreicher verschiedener Wörter - sowohl in Bezug auf Aussprache als auch auf Schreibung - im Chinesischen, die in der Übersetzung ins Englische bzw. ins Deutsche schlicht mit face bzw. Gesicht wiedergegeben werden ( Jentsch 2011: 28). Einen Versuch, die verschiedenen Aspekte der chinesischen Gesichtsbegriffe voneinander abzugrenzen und somit greifbarer zu machen, unternimmt Hu anhand der zwei häufig verwendeten Wörter lien und mien-tzu (ebd. <?page no="56"?> 1944: 45) 9 . Sie beschreibt lien als Respekt, der einem Individuum von einer Gruppe entgegengebracht wird, und ordnet mien-tzu der Nuance nach im Bereich von Prestige ein. Diese Unterscheidung kann in der Anschlussforschung allerdings nicht empirisch belegt werden (Weidemann 2004: 89). Ohne hier auf ihre Ausführungen im Einzelnen einzugehen, da sie für die vorliegende Studie nicht unmittelbar relevant sind, soll jedoch erwähnt werden, dass Hus Studie vor allem im englischsprachigen Raum stark rezipiert wurde und folglich von besonderer Bedeutung für die auf Englisch oder Deutsch verfasste Gesichtsforschung ist. 5.2 Gesicht als soziologisches Konzept Als wissenschaftlicher Begriff im Bereich der Soziologie wird Face bzw. Gesicht von Erving Goffman etabliert. Er definiert Face als das Bild eines Individuums, das es von sich selbst hat bzw. haben möchte und in dessen Entsprechung es von anderen Individuen gesehen werden will und welches auch auf die Gruppe übertragen werden kann, der die einzelne Person angehört. The term face may be defined as the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact. Face is an image of self delineated in terms of approved social attributes - albeit an image that others may share, as when a person makes a good showing for his profession or religion by making a good showing for himself. (Goffman 1955: 213, Hervorhebung im Original) Das Bedürfnis, das Selbstbild mit dem Eindruck, den andere von einem haben, in Einklang zu bringen, wird für alle Menschen angenommen und als treibende Kraft hinter sämtlichen Handlungen in der zwischenmenschlichen Interaktion angesehen. Goffmann verweist zwar in einer Fußnote auf die Existenz des chinesischen Gesichtsbegriffs, bezieht aber die oben angedeutete umfassende Diskussion des Begriffs im asiatischen Kontext in seine Überlegungen nicht ein, sondern behandelt das Konzept Gesicht als universell anwendbar, ohne kulturspezifische Einschränkungen zu machen (vgl. auch Weidemann 2004: 85). Neben der häufig zitierten Definition beschreibt Goffmann in seinem Aufsatz (1955) weitere zentrale Aspekte des Gesichtsbegriffs, die hier wie folgt zusammengefasst werden 10 : • Emotionalität Gesicht ist unmittelbar an Emotionen gebunden. Weicht die erwartete von der tatsächlich erfahrenen Behandlung ab, sind negative Gefühle wie Scham oder Unterlegenheitsgefühle die Folge. • Reziprozität Gesicht wird in Interaktionen konstruiert und ist somit von der jeweiligen Situation und den anderen Interaktanten und Interaktantinnen abhängig. Alle Beteiligten haben ein Interesse an der gegenseitigen Gesichtskonstruktion. 9 Für diese Begriffe finden sich in der Literatur unterschiedliche Transkriptionen. In der vorliegenden Arbeit wird die Schreibung von Hu übernommen. 10 Die Zusammenfassung beruht zwar auf den Ausführungen Goffmanns wurde aber von der Autorin vorgenommen. 56 5 Gesichtswahrung <?page no="57"?> • Interferenz Handlungen im Rahmen einer Interaktion - sowohl bewusste als auch unbewusste - werden von vergangenen Handlungen und dem daraus resultierenden Gesicht bestimmt und haben folglich auch Einfluss auf zukünftige Handlungsspielräume. Die Verhandlung der gegenseitigen Gesichtsbedürfnisse wird als Facework bezeichnet und kann sowohl verbal als auch nonverbal realisiert werden (Goffman 1982: 12 f; Ting-Toomey 1994: 3). Entscheidend hierbei ist das soziale Umfeld, ohne welches der Gesichtsbegriff bedeutungslos wird, da Imagepflege nur in der Interdependenz mit anderen Individuen möglich ist (vgl. auch Ho 1976: 882). Zum einen spielt hier das individuelle Verhalten gegenüber bzw. im Zusammenhang mit anderen eine Rolle, also ob zum Beispiel die Begrüßung einer Person A durch eine Person B unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Stellung der Beteiligten und der Vertrautheit untereinander angemessen ist. So grüßt man in der Regel einen alten Freund anders als eine entfernte Bekannte oder eine Vorgesetzte anders als ein Kind, ohne dass jedoch die Angemessenheit des einander entgegengebrachten Respekts beeinflusst wird. Zum anderen ist aber auch das Verhalten anderer Individuen, die zur selben Gruppe gehören, auf das Gesicht der einzelnen Mitglieder ebenso wie auf das kollektive Gruppengesicht relevant. Fällt etwa das Benehmen von Schülerinnen oder Schülern einer bestimmten Schule in öffentlichen Verkehrsmitteln negativ auf, hat das Konsequenzen für die Schule als Institution ebenso wie für die Lehrenden und andere mit der Schule verbundene Personen, obwohl sie nicht selbst an der rufschädigenden Aktivität beteiligt sind. Die Korrelation von Gesichtsbedürfnissen mit dem emotionalen Zustand beeinflusst das Verhalten zwar - so kann es zum Beispiel zu Ärger und Frustration kommen, wenn die Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung divergieren - doch stellt Gesicht in erster Linie eine soziale Dimension dar. Gesichtsverletzung oder Gesichtsverlust können zu bestimmten emotionalen Reaktionen führen, wie etwa Scham oder Schuldgefühlen, doch sind die Empfindungen im Gegensatz zu den Gesichtsbedürfnissen nicht direkt an andere Personen gebunden (vgl. Ho 1976: 877). Gesichtsrelevante Handlungen sind nur in der sozialen Interaktion mit anderen möglich. Die Verallgemeinerung des ursprünglich aus dem chinesischen bzw. asiatischen Raum stammenden Wertekonstrukts hat sich zwar in der wissenschaftlichen Diskussion etabliert und bietet zahlreiche Möglichkeiten, Aspekte der sozialen Interaktion zu erklären, bringt aber nach Weidemann (2004: 86f ) zwei Probleme mit sich: zum einen greifen die Definitionen oft zu kurz und die Einzelaspekte werden unzureichend voneinander abgegrenzt, was den Begriff schwer zu handhaben macht; zum anderen wird von verschiedenen Autorinnen und Autoren immer wieder kritisiert, dass das Gesichtskonzept aus westlicher Sicht nicht greifbar sei. Folglich wird den universellen Ansätzen die Erklärungskraft für den asiatischen Kulturraum abgesprochen. Es werden Versuche unternommen, grundsätzliche Unterschiede zwischen den Face-Begriffen herauszuarbeiten, wobei östlichen Kulturen eine starke Orientierung an Gruppen, westlichen hingegen Individualismus unterstellt wird (vgl. u. a. Morisaki & Gudykunst 1994: 58). Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal wurde in der Konsistenz von Face gesehen, welches im amerikanischen Kontext als situationsbedingt, also nur für die Interaktion in einer bestimmten Situation, im chinesischen Umfeld aber als dauerhaft und situationsunabhängig beschrieben wurde (Ho 5.2 Gesicht als soziologisches Konzept 57 <?page no="58"?> 1994: 274). Trotz dieser Differenzen finden die Ansätze von Goffmann sowie daraus entwickelten Theorien, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird, auch bei Autoren aus dem japanischen und chinesischen Kulturraum Anwendung. Hu räumt ein, dass zwar die Ausgestaltung des Gesichtskonzepts kulturell unterschiedlich ausfallen kann, das Konzept selbst aber allgemeingültig ist (ebd. 1994: 275). Auf diese universellen Ansätze wird in zahlreichen Arbeiten zur Höflichkeitstheorie Bezug genommen (u. a. Hill et al. 1986; Yoshida 2016). Allen Gesichtskonzepten liegt die Annahme zugrunde, dass einerseits eine Vielzahl sozialer Faktoren, wie unter anderem der Status, das Alter oder die Rollen der Interagierenden in der jeweiligen Situation, andererseits der Gesprächsinhalt Einfluss auf die Art der gesichtsrelevanten Aushandlung haben. So entsteht ein komplexes Zusammenspiel verschiedener gesellschaftlicher Komponenten. Um den zahlreichen Facetten des Begriffs gerecht zu werden, wurden in der Forschungsliteratur verschiedene Ausdifferenzierungen vorgenommen. In ihrer stark rezipierten Arbeit zur Höflichkeitstheorie nahmen Brown und Levinson eine Zweiteilung in positive und negative face vor. Mit dem positiven Gesicht ist das Bedürfnis nach Anerkennung und Zuwendung gemeint, wohingegen das negative Gesicht mit dem Wunsch nach Selbstbestimmung in Verbindung gebracht wird (Brown & Levinson 1987: 61). Diese Dichotomie wurde sowohl in der Forschung zur sprachlichen Höflichkeit als auch zur interkulturellen Kommunikation aufgegriffen und weiterentwickelt. Ting-Toomey ergänzte die Unterscheidung self-face und otherbzw. mutual-face und leitete darauf basierend Erklärungsansätze zu Konflikten in Bezug auf Facework zwischen Interagierenden verschiedener Herkunftskulturen ab (Ting-Toomey 1988; Ting- Toomey & Kurogi 1998: 190). Die Betonung der Bedürfnisse des negativen Gesichts wurde insbesondere von Forschenden aus dem japanischen und chinesischen Kulturraum kritisiert, da der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmtheit in diesen Kulturen eine untergeordnete Rolle spiele (vgl. Morisaki & Gudykunst 1994: 58; Matsumoto 1988). Auch Lim und Bowers führen das Argument der mangelnden Ausdifferenziertheit des positiven Gesichts an und schlagen anstelle des positiven Gesichts die Begriffe fellowship face und competence face vor und setzen das negative Gesicht mit autonomy face gleich (ebd. 1991: 420). Sie definieren die Face-Bedürfnisse neu und gehen von drei grundsätzlichen Anliegen aus - dem Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Anerkennung der Kompetenz und nach Selbständigkeit bzw. Autonomie - und konstruieren daraus ein Kommunikationsmodell für Facework. Spencer-Oatey sieht Face als einen Teil des Begriffs Rapport, der die Gewährleistung harmonischer Interaktionen bezeichnet. Neben gesellschaftlichen Rechten und Pflichten und interaktionalen Zielen stellt Face einen Teil von Rapport dar (ebd. 2008: 13f ). Dabei entspricht Face der persönlichen Empfindung von Kompetenz und Würde, während Rücksichtnahme und angemessenes Verhalten den gesellschaftlichen Rechten und Pflichten zugeordnet werden und somit eher die Beziehung zwischen den interagierenden Personen betrifft. Die interaktionalen Ziele hingegen bezeichnen den spezifischen Zweck, der mit der jeweiligen kommunikativen Situation verfolgt wird (vgl. Spencer-Oatley 2008: 13f ). 58 5 Gesichtswahrung <?page no="59"?> Abb. 4: Grundlagen von Rapport nach Spencer-Oatey (2008: 14) Diese drei Faktoren stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander, wobei Gesicht am stärksten mit dem jeweiligen Individuum verbunden ist, während die beiden anderen Faktoren mehr auf die situativen Elemente verweisen. Das Gesichtskonzept und die damit verbundene Forschung wurden darüber hinaus in weitere Nachbardisziplinen wie etwa Psychologie, Linguistik oder Wirtschaftswissenschaften übertragen und dort in Abhängigkeit vom Erkenntnisinteresse unterschiedlich ausgearbeitet und weiterentwickelt. Folglich existieren noch weitere theoretische Ausführungen zum Face-Begriff, die aber in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt werden 11 . Im Folgenden werden die auf dem universalistischen Ansatz von Goffmann basierenden gesichtstheoretischen Ansätze, fokussiert und für die vorliegende Arbeit relevante Aspekte herausgearbeitet. 5.3 Sprachliches Handeln und Gesicht In linguistischen Betrachtungen spielt Gesicht vor allem in höflichkeitstheoretischen Arbeiten eine Rolle. Auf der Grundlage der Sprechakttheorie von Austin und Searl und des Face-Begriffs von Goffmann differenzieren Brown und Levinson zwischen positivem und negativem Gesicht und erarbeiten ein detailliertes System an Strategien zum Umgang 11 Der Sammelband von Ting-Toomey (1994) enthält zahlreiche Beiträge aus einem breit gefächerten Spektrum der gesichtsbezogenen Forschung, aber auch neuere Arbeiten widmen sich der Untersuchung der Rolle des Gesichts in diversen Alltagsinteraktionen zum Beispiel in geschäftlichen Beziehungen (u. a. Merkin 2018). 5.3 Sprachliches Handeln und Gesicht 59 <?page no="60"?> mit face-threatening-acts (FTA) bzw. gesichtsbedrohenden Akten (GBA) und deren sprachlicher Realisierung für die Untersuchung von Höflichkeit (ebd. 1987). FTAs sind sowohl sprachliche als auch nicht-sprachliche Handlungen, die mit den Gesichtsbedürfnissen der an einer Interaktion beteiligten Personen nicht oder nur schwer vereinbar sind (Brown & Levinson 1987: 65). Die Gesichtsbedrohung kann das positive oder das negative Gesicht betreffen und sich dabei sowohl auf das des Sprechers oder der Sprecherin als auch das des Hörers oder der Hörerin beziehen. So beinhaltet etwa eine Bitte einerseits für die Person, die diese ausspricht, ein bedrohendes Potential für das positive Gesicht, da sie durch die Bitte andeutet, dass sie die Hilfe oder Unterstützung der adressierten Person benötigt, also eine Handlung nicht selbständig durchführen kann und so die eigene Kompetenz in Frage stellt. Andererseits wird die Person, an die sich die Bitte richtet, in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt, da sie sich genötigt fühlen könnte, auch gegen den eigenen Willen der Bitte nachzukommen, was einem Angriff auf das negative Gesicht entspricht. Der Grad der Gesichtsbedrohung wird von weiteren Faktoren beeinflusst, wie dem Ausmaß der Zumutung der Bitte, sozialer Variablen wie Macht- und Distanzverhältnissen zwischen den Interagierenden oder dem konkreten situativen Kontext, in dem die Bitte formuliert wird (Brown & Levinson 1987: 74 f; Brown & Levinson 2007: 64f ). Dem zugrunde liegt die Annahme, dass bestimmte Sprechakte an sich gesichtsbedrohend sind - wie etwa Befehle, Kritik oder Entschuldigungen - , und somit die interagierenden Personen für jede dieser sprachlichen Handlungen entscheiden müssen, wie sie mit ihr umgehen. Bei den Abwägungen zur Auswahl einer für die jeweilige Situation angemessenen Strategie konkurrieren die Wünsche miteinander, eine Redeabsicht möglichst funktional zum Ausdruck zu bringen und gleichzeitig das Gesicht der Beteiligten zu schonen. Ist eine sprachliche Handlung von besonderer Dringlichkeit, zum Beispiel in einer Notfallsituation, werden Gesichtsbedrohungen eher in Kauf genommen, während in anderen Fällen zu Gunsten der Gesichtsschonung auf eine sprachliche Handlung ggf. ganz verzichtet wird. Zwischen diesen beiden extremen Optionen bestehen verschiedene Möglichkeiten, eine Äußerung durch positive oder negative Höflichkeit oder durch eine indirekte Ausdrucksweise abzuschwächen (Brown & Levinson 1987: 69). So kann der gesichtsbedrohende Sprechakt realisiert, gleichzeitig aber auch gesichtsrelevante Aspekte berücksichtigt werden. Bezüglich des Höflichkeitsgrades und somit der gesichtsschonenden Wirkung gilt die Indirektheit der negativen Höflichkeit als überlegen, die wiederum die positive Höflichkeit übertrifft. Die Kritik an der Beschreibung von Höflichkeit als je indirekter desto höflicher führte einerseits zu einer weiteren Ausdifferenzierung des Face-Begriffs wie bei Lim und Bowers (ebd. 1991: 420; vgl. Kapitel 5.2), andererseits zu einer Rückbesinnung auf Goffmanns Instrumentarium. Auf die umfangreiche Beschreibung gesichtsbedrohender Situationen und Strategien im Umgang mit selbigen bezugnehmend sehen Locher und Watts im Mittelpunkt der Höflichkeitstheorie von Brown und Levinson weniger die Höflichkeit selbst, als vielmehr die Untersuchung von Abschwächungsprozeduren der FTA und verstehen ihre Ausführungen folglich als eine Theorie von Facework (Watts 2003: 125 f; Locher & Watts 2005: 9f ). In ihren Überlegungen behalten Locher und Watts die Betrachtung gesichtsrelevanter sprachlicher Handlungen zwar bei, heben jedoch die Einschränkung auf höflichkeitsspezifische Sprechakte auf und weiten sie allgemein auf Interaktionen aus, die zwischenmenschliche Beziehungen betreffen. In Anlehnung an Goffmans Facework schlagen sie das Konzept relational work, also Beziehungsarbeit, vor 60 5 Gesichtswahrung <?page no="61"?> und definieren diese als Aushandlungsprozess von interpersonellen Beziehungen, in dem neben höflichem und unhöflichem, auch angemessenes und unangemessenes Verhalten Berücksichtigung findet (ebd. 2005: 10). Die zentrale Annahme, die ebenfalls auf Goffmann zurückgeht, besteht darin, dass gesichtsrelevante Überlegungen in jeder Art von zwischenmenschlicher Interaktion eine Rolle spielen und somit das Gesicht bzw. die verschiedenen Gesichter einer Person im Gesprächsverlauf konstruiert werden. Die diskursive Aushandlung des Gesichts unterliegt einem permanenten Wandel, der durch jede sprachliche und auch nicht-sprachliche Handlung während einer Interaktion vorangetrieben wird. 5.4 Gesicht im Fremdsprachenunterricht Auch für den unterrichtlichen Kontext spielen Face-Bedürfnisse eine Rolle und beeinflussen das Verhalten der Beteiligten entscheidend. Wer schon einmal als Lernende oder Lernender an einem Unterricht teilgenommen hat, kennt Situationen, in denen man sich nicht zu Wort meldet, weil man befürchtet, nicht die passende Antwort zu wissen und so versucht einen Imageverlust zu vermeiden (vgl. Dörnyei & Murphey 2003: 15). Auch für Lehrpersonen sind gesichtsbezogene Überlegungen für die Unterrichtsgestaltung und das eigene Verhalten gegenüber den Lernenden essenziell. Zum Beispiel wird Korrekturen zwar große Bedeutung für den Fortschritt beim Fremdsprachenlernen beigemessen, so dass Feedback durch Lehrende einen festen Bestandteil unterrichtlicher Prozesse darstellt und von den Lernenden auch erwartet wird (vgl. u. a. Lochtman 2003: 1; Kleppin 2010: 1062). Allerdings beinhalten solche Rückmeldungen - unabhängig davon, ob sie negativ, positiv oder korrektiv sind - immer auch eine Art der Beurteilung der Persönlichkeit oder individuellen Leistung, die als gesichtsbedrohend empfunden werden kann (vgl. u. a. Shvidko 2020: 3; Kerssen-Griep & Witt 2012: 499). Zahlreiche Studien widmen sich zwar der Frage, wie sich die Rückmeldung von Lehrenden auf die Korrektheit der mündlichen oder schriftlichen Produkte der Lernenden auswirkt, doch werden gesichtsrelevante Aspekte eher selten fokussiert. Dass aber bestimmte auf die Gesichtsbedürfnisse bezugnehmende Äußerungen einer Lehrperson einen positiven Einfluss auf die Motivation der Lernenden haben, zeigt Kerssen-Griep anhand seiner ethnographischen Studie zur Unterrichtskommunikation (ebd. 2001). Vor dem Hintergrund der Identity Management Theory (Cupach & Imahori 1993), die auf dem Facework-Konstrukt von Goffman fußt, wird gezeigt, wie ausgewählte kommunikative Strategien - wie zum Beispiel die Ermutigung zum selbständigen Denken oder die Einladung zur Teilnahme an Entscheidungsprozessen - von Studierenden wahrgenommen werden und sich auf deren Motivation auswirken. Aufbauend auf diesem Befund zeigen weiterführende Untersuchungen, wie die Berücksichtigung der Gesichtsbedürfnisse von Lernenden durch Lehrende bei der Äußerung von Feedback dazu führen, dass die Lernenden das Feedback nicht nur als motivierend, sondern auch als fair wahrnehmen (Kerssen-Griep & Witt 2012). Die Fähigkeit, Gesichtswahrungsstrategien zur Schaffung einer guten Unterrichtsatmosphäre gezielt einsetzen zu können, wird hier als wichtiger Bestandteil des Kompetenzrepertoires von Lehrpersonen im Allgemeinen verstanden. Im Fremdsprachenunterricht werden die Beteiligten bei der Anwendung solcher kommunikativen Kompetenzen vor die besondere Herausforderung gestellt, diese im Span- 5.4 Gesicht im Fremdsprachenunterricht 61 <?page no="62"?> nungsfeld zwischen der Ausgangssprache und der Zielsprache umzusetzen. So können bewusste Sprachwechsel als Instrument eingesetzt werden, die Gruppenarbeit auch für schwächere Lernende zugänglich zu gestalten (Raindl 2013: 176). Auch Kramsch weist auf die Schwierigkeiten hin, die durch den spezifischen Kontext des Fremdsprachenlernens bei der Beziehungsaushandlung der Interagierenden zu Unsicherheiten führen (ebd. 1985: 172). Sie überträgt die von Brown und Levinson beschriebenen gesichtsrelevanten Faktoren Macht, Distanz und Grad der Zumutung auf Situationen im Fremdsprachenunterricht. So kann bei einer Gruppenarbeit eine Person mit besseren Sprachkenntnissen entweder durch eigene Initiative oder durch Zuweisung anderer eine besondere Machtposition einnehmen; Schweigen eines Gesprächspartners hingegen kann eine Gesprächspartnerin unter Zugzwang setzen, etwas zu sagen, und somit eine Art indirekte Aufforderung darstellen (Kramsch 1985: 173f ). Die Gesichtsbedürfnisse der Lernenden stehen auch in dieser Betrachtung im Mittelpunkt, da sie einerseits einer Vielzahl gesichtsbedrohender Situationen ausgesetzt sind, wie der Gefahr sich fehlerhaft oder unzureichend auszudrücken und ggf. um Hilfe bitten zu müssen. Andererseits fehlt den Lernenden das sprachliche Werkzeug, die Gesichtsbedrohungen abzumildern (Kramsch 1985: 174). Aus diesen Überlegungen wird die Notwendigkeit zur Bewusstmachung der sozialen Funktion unterrichtlicher Interaktionen abgeleitet und es werden konkrete Handlungsempfehlungen für Lehrpersonen formuliert, durch die den Lernenden einerseits kommunikative Strategien vermittelt werden können, und andererseits eine angenehme Kursatmosphäre geschaffen werden soll. Die Bedeutsamkeit eines guten Klassenklimas sowie einer guten Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden für Motivation und Lernfortschritt gilt als allgemein anerkannt, doch wie genau der Balanceakt zwischen gesichtsbedrohenden Handlungen zum Beispiel durch Korrekturen oder Handlungsaufforderungen und einem freundlichen, nicht autoritären Verhalten der Lehrperson gelingen kann, wird selten spezifiziert (vgl. Nguyen 2007: 285). In einigen empirischen Untersuchungen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre wird mit Hilfe konversationsanalytischer Ansätze und detaillierter Transkripte von Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden genau dieser Frage nachgegangen. Nguyen (2007) zeigt anhand ausgewählter Beispielsequenzen der typischen Unterrichtshandlungen um Aufmerksamkeit bitten, Korrigieren und Zusammenfassen wie eine Lehrperson und die Lernenden in einem Englisch als Fremdsprache Kurs für angehende Collegestudierende ihre wechselseitige Beziehung bzw. ihren Rapport im Unterrichtsgeschehen aushandeln 12 . Die konversationsanalytische Betrachtung wird durch Goffmans participation framework (1981) sowie das Gesichtskonzept nach Brown und Levinson ergänzt und bildet so den theoretischen Rahmen der Studie. Es wird deutlich, dass die Beziehungen zwischen den Beteiligten in jeder einzelnen Interaktion neu verhandelt und so gemeinsam ko-konstruiert werden, wobei die Beziehungsaushandlungen nicht nur in vereinzelt auftretenden sozialen Sequenzen stattfinden, sondern gleichermaßen auch in sprachbezogenen oder inhaltsorientierten Gesprächspassagen integriert sind (Nguyen 2007: 299) 13 . Die Gestaltung einer 12 Rapport wird von Nguyen wie folgt definiert: „ a positive social relationship characterised by mutual trust and emotional affinity “ (ebd. 2007: 286). 13 Hier lassen sich Parallelen zu den Interaktionsebenen bei Kallmeyer und Spiegel feststellen (vgl. Kapitel 2.2). 62 5 Gesichtswahrung <?page no="63"?> positiven Unterrichtsatmosphäre liegt also nicht ausschließlich in der Verantwortung der Lehrenden, sondern wird von den Lernenden aktiv mitkonstruiert. Hierfür ist nicht nur die Berücksichtigung der Gesichtsbedürfnisse der Lernenden, sondern auch der Lehrperson von Bedeutung. Spezifische Strategien zur Gesichtswahrung, die insbesondere von den Lehrenden angewandt werden, wurden sowohl in einem Koreanisch als Fremdsprache Kurs (Park 2016) als auch in Schreibberatungsgesprächen mit einzelnen Englischlernenden mit Chinesisch als Muttersprache herausgearbeitet (Shvidko 2020). In beiden Settings erzeugen die Lehrenden eine informelle Gesprächsatmosphäre, um potentielle Gesichtsbedrohungen abzumildern, indem sie sich emphatisch zeigen, Komplimente machen und humorvolle spielerische Bemerkungen einsetzen. Bisher fehlen solche Untersuchungen der sozialen Interaktion unter Lernenden weitgehend, ebenso wie eine systematische Darstellung möglicher Gesichtsbedrohungen. In vielen der in vorherigen Kapiteln genannten Studien zur unterrichtlichen Interaktion, Gruppenarbeit oder zum aufgabenbasierten Lernen werden Beziehungsaspekte, die auf die Interaktion Einfluss haben könnten, zwar erwähnt, doch in der Regel nicht näher ausgeführt. Zum Beispiel erwähnen Foster und Ohta das gesichtsbedrohende Potential, das Aushandlungsprozessen (NfM) innewohnt, gehen aber nicht weiter auf spezifische gesichtsrelevante Handlungen zwischen Lernenden im Fremdsprachenunterricht ein (ebd. 2005). Das gemeinsame Arbeiten an einem sprachlichen Problem und die gegenseitige Hilfe, die sich Lernende leisten, wird hingegen nicht als gesichtsbedrohend eingestuft, sondern als Mittel zur Aufmerksamkeitslenkung bei linguistischen Fragen angesehen: (Assistance) does not reside in communication breakdown, it does not threaten face, and can draw a learner ’ s attention to features of the L2 morphosyntax, phonology and pragmatics as readily as to lexis. (Foster & Ohta 2005: 415; Hervorhebung O. C.) Dass gegenseitige Hilfestellung ebenso wie das Eingeständnis, eine sprachliche Form nicht zu kennen, aber durchaus unangenehm für das eigene Selbstbild sowie die Selbstdarstellung im Kursverband sein kann, stellte Kramsch bereits in den 1980er Jahren fest (ebd. 1985: 174). Beide Handlungen sind Bestandteile von den für das Fremdsprachenlernen so wichtigen sprachlichen Aushandlungsprozessen (NfM). Ebenso wird der Grad, zu dem man sich in eine kollaborative Aufgabe einbringt oder wie man sich verbal ausdrückt, von Überlegungen zum eigenen Image beeinflusst (vgl. Tarone 2010: 60; Watanabe & Swain 2007: 129). Eckerth konstatiert zum Beispiel, dass in der Gruppenarbeit die „ Qualität eines kollektiven Produkts, [ … ] von einer Vielzahl sprachexterner Faktoren wie soziale Dominanz, Durchsetzungsvermögen, Gesichtswahrung, Imagepflege etc. beeinflusst wird “ (ebd. 2003: 109). Obwohl das Erkenntnisinteresse der Studie von Eckerth den individuellen Lernzuwachs durch interaktive Aufgabenbearbeitung fokussiert, macht diese Feststellung deutlich, dass soziale Aspekte für das Lernen eine wichtige Rolle spielen. Das bedeutet, dass der Erfolg von Partner- oder Gruppenarbeit unmittelbar an das Gelingen der Gesichtsarbeit (Facework) unter den Mitgliedern einer Lerngemeinschaft geknüpft ist. Werden die Beziehungen unter den Lernenden nicht angemessen ausgehandelt, können Konstellationen entstehen, die zu unkollaborativem Verhalten oder unangenehmer Arbeitsatmosphäre führen (Philp & Mackey 2010: 217). Jedoch können auch in miteinander freundschaftlich verbundenen Zusammenstellungen gesichtsrelevante Überlegungen lernförderliche Inter- 5.4 Gesicht im Fremdsprachenunterricht 63 <?page no="64"?> aktionen behindern oder sogar vollständig unterbinden, beispielsweise wenn Lernende davon absehen, ihre Peers zu korrigieren, um die Gefühle der anderen nicht zu verletzen oder um sich selbst nicht als Besserwisser darzustellen (vgl. Philp et al. 2014: 99). Ebenso können unüberwindbare Verständigungsschwierigkeiten und daraus folgende Gesprächsabbrüche gesichtsbedrohend wirken und zu Frustration bei kommunikativen Aufgaben führen (vgl. Aguado 2010: 823). Die Studien zur Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden (u. a. Nguyen 2007; Park 2016; Shvidko 2020) zeigen, dass der Face-Begriff für den Unterrichtskontext wertvolle Erklärungsansätze bieten kann. Ebenso legen die vereinzelten Hinweise in Untersuchungen zum dialogischen Lernen unter Peers nahe, dass Gesichtswahrung in kooperativen Lernszenarien einen wichtigen Einfluss auf Erfolg und Misserfolg der Zusammenarbeit und damit verbunden auf die Lernförderlichkeit hat (u. a. Eckerth 2003: 272; Watanabe & Swain 2007: 139; Philp & Mackey 2010: 224). 5.5 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt In den vorangegangenen Ausführungen wurde der Begriff Face bzw. Gesicht skizziert und ein Überblick über die relevanten Forschungsrichtungen gegeben. Dabei wurde insbesondere auf Überlegungen aus der linguistischen Höflichkeitsforschung und der Forschung zur interkulturellen Kommunikation eingegangen, aus denen für die im Anschluss beschriebene Untersuchung bedeutsame Konzepte entwickelt wurden. Für den situativen Kontext „ Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht “ sind sicherlich nicht alle von Brown & Levinson als gesichtsbedrohend klassifizierten Handlungen gleichermaßen relevant. Welche Situationen aber zu gesichtskritischen Handlungen führen können und wie die Lernenden damit umgehen, ist das zentrale Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie. Im Folgenden soll auf die universalistische Definition von Goffmann zurückgegriffen werden, da die zahlreichen beschriebenen Unterbegriffe und Neuzuordnungen im vorliegenden Kontext nur bedingt zum besseren Verständnis der Rolle von Face und Facework im Fremdsprachenunterricht beitragen. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Gesichtsbegriff für den Gebrauch in unterrichtlichen Zusammenhängen einer spezifischen Ausarbeitung bedarf, zu welcher im Rahmen dieser Arbeit ein erster Beitrag geleistet werden soll. Daher dient als Grundlage die Definition von Face bzw. Gesicht als das positive Selbstbild eines Individuums, in dessen Entsprechung es von seinen Interaktionspartnern gesehen werden möchte (vgl. Goffmann 1967: 5). Beziehungszusammenhänge zwischen den Beteiligten sowie situative Aspekte werden als inhärente Bestandteile von Face behandelt und die verschiedenen Teilaspekte nicht weiter ausdifferenziert. Da es sich bei dem Begriff von Grund auf um ein interaktives Konzept handelt, soll davon ausgegangen werden, dass die individuellen Face-Bedürfnisse stets mit denen von anderen korrelieren, unabhängig davon, ob diese anderen Personen unmittelbar an der jeweiligen Interaktion beteiligt sind oder nicht (vgl. Ho 1994: 271). Wie bei Goffmann, Ho sowie Brown und Levinson wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem Bedürfnis das eigene Gesicht - auch in Abhängigkeit anderer - zu schonen um ein universelles Anliegen handelt (Goffmann 64 5 Gesichtswahrung <?page no="65"?> 1955; Ho 1976; Brown & Levinson 1987). Durch die Tatsache, dass alle an einer Interaktion Beteiligten daran interessiert sind, ihr eigenes Image zu wahren und dabei auf die Hilfe ihrer Interaktionspartner angewiesen sind, wird gleichzeitig der Anreiz geschaffen, das Gesicht der anderen zu schonen. Demnach kann Facework oder Gesichtsarbeit nur kooperativ erfolgen. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass Gesicht und somit die Beziehungen der Interagierenden interaktiv und diskursiv ausgehandelt werden (Locher & Watts 2005). Wie diese Aushandlungen im Rahmen von Gruppenarbeitsphasen im Fremdsprachenunterricht realisiert werden, ist das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit und bildet den Kern der Studie. 5.5 Zusammenfassung und Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt 65 <?page no="66"?> 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen 6.1 Erkenntnisinteresse Der Untersuchungsgegenstand in den folgenden Ausführungen ist die Interaktion von Lernenden bei der Bearbeitung kommunikativer Aufgaben in Kleingruppen. Das Ziel besteht darin, gesichtsrelevante Faktoren in einem authentischen Unterrichtssetting auf Anfängerniveau zu dokumentieren, Muster herauszuarbeiten und so zum besseren Verständnis kooperativer Lernformen im Fremdsprachenunterricht beizutragen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen somit die Interaktionen der Lernenden untereinander, sowie die Perspektive der Beteiligten auf diese Interaktionen. Das Forschungsinteresse hat sich aus der Unterrichtspraxis an japanischen Universitäten entwickelt, in der zwar die Durchführung kooperativer Unterrichtsaktivitäten explizit vom japanischen Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT) gefordert wird, gleichzeitig aber sowohl Lehrende als auch Lernende eher mit traditionellen Sozialformen wie der Einzelarbeit oder dem Frontalunterricht vertraut sind (vgl. Kapitel 1). Zwar sollen idealerweise auch schon im schulischen Englischunterricht Sozialformen wie Partner- oder Gruppenarbeit zum Einsatz kommen, doch dominiert vielerorts ein durch die Lehrperson geleiteter grammatikorientierter Vermittlungsansatz (Bouchard & Nicolai 2014: 91). Insbesondere im Anfängerunterricht für Studierende im ersten Jahr kann häufig eine gewisse Befangenheit der Lernenden in Bezug auf das gemeinsame Bearbeiten von Aufgaben in Gruppen beobachtet werden (u. a. Kondo 2010: 70). Teilweise lässt sich die Zurückhaltung gegenüber kooperativen Arbeitsformen auf die Lernbiographien zurückführen, die vor allem in den letzten Jahren der Oberschulzeit vom gezielten Lernen für universitäre Aufnahmeprüfungen und den damit verbundenen standardisierten Tests geprägt sind (vgl. u. a. Degen 2018: 19; Hawkinson, Galang & Soda 2018: 96). Folglich kommt individuellen Leistungen ein hoher Stellenwert zu, so dass eine gewisse Skepsis gegenüber Gruppenarbeit und ihrer Beurteilung oft auch nach umfangreichen Erfahrungen lange bestehen bleibt oder erst gar nicht abgelegt wird (vgl. 3.2). Eine weitere mögliche Ursache besteht oft in der unzureichenden Erfahrung der Lehrkräfte mit den didaktischen Konzepten der verschiedenen Sozialformen insbesondere im DaF-Kontext (Boeckmann & Slivensky 2001: 28 f; Ohta & Schart 2018: 49f ). Beobachtungen der Autorin sowie Berichte anderer Lehrender führten zu der Vermutung, dass die Zufriedenheit der Lernenden mit der Gruppenarbeit weniger von den Aufgaben oder den Ergebnissen als viel mehr von der Zusammensetzung der Gruppenmitglieder und den Interaktionen untereinander beeinflusst wird, was einige Lernende im direkten Gespräch auch bestätigen (vgl. auch Kondo 2010: 70). Auf die besonderen Bedingungen des spezifischen Untersuchungskontextes wird im Folgenden noch ausführlich eingegangen (Kapitel 6.4). Wie in der Auseinandersetzung mit relevanten Studien aus dem Bereich der unterrichtlichen Interaktion in den vorausgehenden Kapiteln deutlich wird, finden sich auch in der Forschung Hinweise darauf, dass die Realisierung der Aushandlungen in Abhängigkeit von individuellen Faktoren, wie der Tagesform oder der Fähigkeit mit bestimmten Gruppenmitgliedern zu interagieren, variiert (vgl. u. a. Spiegel 2006: 223; Czyzak 2019: 287). Je nach Konstellation werden die für gemeinsame Lernprozesse notwendigen sprach- oder <?page no="67"?> inhaltsbezogenen Interaktionen nicht umgesetzt, bei Verständnisschwierigkeiten wird nicht nachgefragt und ggf. wahrgenommene Fehler werden kommentarlos hingenommen (u. a. Philp et al. 2014: 99). Aus der Darstellung der theoretischen Grundlagen und Begriffe in den Kapiteln 2 bis 5 leitet sich ein auf das Gesichtskonzept zurückgreifender Erklärungsansatz ab, in dem Handlungen bzw. das Unterlassen von Handlungen auf die individuellen und kollektiven Gesichtsbedürfnisse der Lernenden zurückgeführt werden können. Das Erkenntnisinteresse besteht also darin, die Gestaltung von gesichtsbezogenen Interaktionen und deren Einfluss auf die Zusammenarbeit der Lernenden in Gruppenarbeitsphasen im aufgabenbasierten Fremdsprachenunterricht zu erfassen und ihre Auswirkungen nachzuvollziehen. Die folgenden Forschungsfragen sollen zur Ergründung des Untersuchungsgegenstandes leitend sein: 1. Welchen Gesichtsbedrohungen begegnen Lernende in der Gruppenarbeit? 2. Wie gehen Lernende mit der Gesichtsbedrohung um? 3. Wie wirken sich gesichtsrelevante Interaktionen auf die Gruppenarbeit aus? Mit Hilfe dieser Fragen soll das soziale Konstrukt Gesicht als Einflussfaktor auf unterrichtliche Prozesse mit spezifischem Fokus auf Interaktionen unter Lernenden herausgearbeitet und im Kontext des Fremdsprachenlernens modelliert werden. Dies soll anhand einer Identifizierung und Beschreibung gesichtsrelevanter Aushandlungen erfolgen und mit der Bildung von Hypothesen zur Bedeutung von Gesichtsarbeit für sprachlernförderliche Gruppenaktivitäten abschließen. Die Studie folgt hierbei einem explorativ-interpretativen Vorgehen, das in erster Linie dem soziokulturellen Forschungsansatz verpflichtet ist. Das bedeutet für die folgende Darstellung der Datenerhebung und Analyse, dass zwar Handlungen der Gesichtsbedrohung und -wahrung im Mittelpunkt stehen, diese aber stets eingebettet im spezifischen Kontext zu betrachten sind. Zur situativen Rahmung des relevanten Wirklichkeitsbereichs sind neben eingehenden Beschreibungen der einzelnen Gruppen und ihrer Mitglieder auch weitere Daten hinzuzunehmen, um der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes gerecht zu werden. Die Forschungsprinzipien Offenheit, Flexibilität, Kommunikativität und Reflexivität, sowie ergänzende Bewertungskriterien zur kritischen Überprüfung dienen der Sicherstellung der Qualität der Studie (vgl. u. a. Caspari et al. 2003: 500). Die Einhaltung der Prinzipien soll durch eine angemessen detaillierte Beschreibung des Kurses, der Aufgaben und der Untersuchungsteilnehmenden erfolgen, um so den Forschungsprozess und die Datengrundlage möglichst transparent zu machen. Des Weiteren werden die theoretischen und methodologischen Überlegungen kontinuierlich hinterfragt und ggf. angepasst sowie die dokumentierten Gedanken und Ideen der beteiligten Personen integriert und reflektiert. Da der Untersuchungskontext unmittelbar dem praktischen Wirkungsbereich der Forscherin entstammt, ist vor allem die Reichweite und Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf andere Unterrichtssituationen nur eingeschränkt möglich und soll entsprechend diskutiert werden (vgl. u. a. Riemer & Settinieri 2010: 771). Die Analyse sowie die Interpretation der Interaktionen erfolgen am Datenmaterial. Hierbei wird die Interaktion als gemeinsam konstruierte Abfolge von Handlungen der Lernenden verstanden, in der die einzelnen Aktionen und Reaktionen einander bedingen und voneinander abhängen (vgl. u. a. Schwab & Schramm 2016: 280). Der Unterricht im Allgemeinen sowie die darin stattfindenden Lernprozesse werden als primär soziale 6.1 Erkenntnisinteresse 67 <?page no="68"?> Vorgänge gesehen, in denen durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit einer Aufgabe und den Austausch darüber neue Erkenntnisse konstruiert und internalisiert werden (vgl. Kapitel 2.3.2). Selbstverständlich sind soziale Prozesse aber nicht von kognitiven Abläufen zu trennen (Batstone 2010: 3). Ziel ist es, einen Beitrag zur Theoriebildung in der wissenschaftlichen Diskussion zu fremdsprachlichen Lernprozessen zu leisten und somit zu einem besseren Verständnis des sozialen Interaktionsgefüges in Gruppenarbeitsphasen beizutragen. Im Folgenden werden die Instrumente, die zur Beantwortung der Fragen führen sollen, beschrieben und ihr Einsatz begründet. 6.1.1 Forschungsfrage 1: Gesichtsbedrohung in Gruppenarbeitsphasen Gesichtsbedürfnisse in Gruppenarbeitsphasen im Fremdsprachenunterricht wurden bislang nur vereinzelt untersucht (z. B. Nguyen 2007; Park 2016; Shvidko 2020) und es liegen noch keine umfassenden empirischen Analysen vor, so dass für die Beantwortung dieser Forschungsfrage zwei verschiedene Forschungstraditionen miteinander kombiniert werden: gesichtsforschende Ansätze einerseits und fremdsprachendidaktische Interaktionsforschung andererseits. Die Analyse von sprachlichen Handlungen, in denen Gesichtsbedrohungen und deren Abmilderung umgesetzt werden, hat vor allem in Studien zur interkulturellen Kommunikation und sprachlichen Höflichkeit ihren festen Platz. Mit Hilfe gesprächsanalytischer Verfahren werden in authentischen Gesprächen Sequenzen untersucht, in denen die Interagierenden Höflichkeit und Unhöflichkeit von Äußerungen gemeinsam im Austausch miteinander konstruieren (vgl. u. a. Yoshida 2016: 46f ). Auch in fremdsprachendidaktischen Studien werden diskursanalytische Ansätze zur Untersuchung von Interaktionsabläufen herangezogen (vgl. u. a. Schwab & Schramm 2016). In beiden Disziplinen werden entweder speziell zu Forschungszwecken elizitierte Unterhaltungen oder authentische Alltagsbzw. Unterrichtsgespräche aufgenommen und transkribiert. Während bei unterrichtlichen Interaktionen lernprozessbezogene Aspekte fokussiert werden (u. a. Eckerth 2003, Hoffmann 2008, Schart 2019), stehen in der Höflichkeitsforschung gesichtsbedrohende Handlungen und der Umgang mit eben diesen im Mittelpunkt (u. a. Watts 2003; Yoshida 2016). Das sprachliche Handeln der Interagierenden lässt sich so rekonstruieren und es können zugrundeliegende Muster bzw. Praktiken und Strategien sichtbar gemacht werden. Das Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, Gesichtsbedrohungen in Gruppenarbeitsphasen zu erkennen und ihre Wirkung auf die Zusammenarbeit unter den Lernenden nachzuvollziehen. Somit soll eine gesprächsanalytische Betrachtung der Gruppeninteraktion einen von zwei Zugängen zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage bieten. Gesichtswahrung und -bedrohung ist jedoch eng an die individuelle Wahrnehmung geknüpft, weshalb zur Triangulation eine introspektive Sicht auf die Gruppenarbeit erfasst werden soll. Das Gesichtskonzept nach Goffman bzw. Brown und Levinson gehört bislang zu den im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenlernen eher selten reflektierten Einflussfaktoren in Interaktionen - anders als etwa Motivation oder Lernerfolg - ; außerdem ist der Gesichtsbegriff durch seine im alltäglichen Sprachgebrauch diffuse Bedeutung nicht leicht verständlich und folglich kann nicht unmittelbar - etwa in einem Interview - danach gefragt werden. Den Gesprächsbeteiligten ist in der Regel nicht ausdrücklich bewusst, was sich hinter dem Begriff verbirgt und wie sich ein solcher Faktor auf ihr Verhalten auswirkt. Eine ausführliche Schulung der Untersuchungsgruppe jedoch würde wiederum zur Folge 68 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="69"?> haben, dass die Teilnehmenden ihr Verhalten verändern, was die Gruppenarbeit beeinflussen würde. Aus diesem Grund wird hier bei der Datenerhebung auf das Verfahren des Videobasierten Lauten Erinnerns (VLE) zurückgegriffen (siehe Kapitel 6.2.2). Mit Hilfe der Perspektive der Untersuchungspersonen aus dem VLE sollen in den Interaktionsdaten Hinweise auf als gesichtsbedrohend einzustufende Situationen identifiziert werden, die somit den zweiten Zugang zur Beantwortung der Frage bilden, welchen Gesichtsbedrohungen sich die Lernenden in der Gruppenarbeit gegenübersehen. Durch die Kombination der Interaktionsdaten mit der Wahrnehmung der Gruppenarbeit aus der Sicht der Lernenden soll eine möglichst differenzierte Datengrundlage zur Erfassung des Untersuchungsgegenstandes aus einer emischen Perspektive geschaffen werden. Das Handlungsgefüge der Zusammenarbeit soll aus dem Betrachtungswinkel der Lernenden rekonstruiert und nachvollzogen werden (vgl. auch Schwab & Schramm 2016: 282). Es ist davon auszugehen, dass für den spezifischen Kontext der Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht einige als gesichtsbedrohend geltende Handlungen, wie etwa Befehle oder Drohungen, eine geringere Rolle spielen als etwa die Reaktion auf Fehler oder die Formulierung von Meinungsverschiedenheiten. Darüber hinaus können Situationen auftreten, die im alltagssprachlichen Kontext nicht weiter problematisch sind, aber durch die spezielle Situation der Gruppenarbeit ein gewisses gesichtsbedrohendes Potential besitzen. 6.1.2 Forschungsfrage 2: Strategien zum Umgang mit Gesichtsbedrohungen Die zweite Forschungsfrage knüpft unmittelbar an die erste an, so dass beide nur in Verbindung miteinander sinnvoll behandelt werden können. In Abhängigkeit vom Gesprächsverlauf und äußeren Faktoren, wie zum Beispiel der Schwere der Gesichtsbedrohung oder der sozialen Distanz untereinander, bestehen verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen (vgl. Kapitel 5). Wird eine Gesichtsbedrohung als zu gravierend eingestuft, kann sich die Sprecherin oder der Sprecher absichtsvoll oder auch intuitiv dafür entscheiden, ein bestimmtes Thema nicht anzusprechen bzw. eine Handlung nicht durchzuführen. Schätzen die Beteiligten eine Gesichtsbedrohung aber als durchführbar ein, haben sie die Wahl zwischen verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten mit oder ohne Abschwächungen. Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage sollen daher ebenfalls die beiden oben beschriebenen Zugänge genutzt werden, doch liegt der Fokus auf der Interaktionsanalyse. Mit Hilfe des gesprächsanalytischen Instrumentariums wird der Umgang mit den identifizierten Gesichtsbedrohungen beschrieben und dadurch die gewählte Strategie nachvollzogen. Die retrospektiven Daten werden jedoch auch hier zur Triangulation herangezogen, um die Interpretation der Strategien abzusichern. Die Trennung der beiden Forschungsfragen ist konzeptionell unmöglich, da das Auftreten einer geschichtskritischen Situation einen Umgang mit ihr zwingend erfordert. Auch wenn sich die Interagierenden dafür entscheiden, nicht auf eine gesichtsbedrohende Handlung zu reagieren, stellt diese Nicht-Reaktion eine Strategie dar. Die ersten beiden Forschungsfragen befassen sich folglich mit zwei Seiten desselben Phänomens. 6.1.3 Forschungsfrage 3: Auswirkungen auf die Gruppenarbeit Basierend auf den Erkenntnissen der Beantwortung der ersten beiden Fragen soll der Einfluss der Gesichtsbedrohungen und des Umgangs mit ihnen auf den Verlauf der 6.1 Erkenntnisinteresse 69 <?page no="70"?> Gruppenarbeit betrachtet werden. Hierzu sollen neben den bereits in der Gesprächsanalyse zum Einsatz kommenden Interaktionsdaten weitere flankierende Daten hinzugenommen werden, die im Rahmen einer makrostrukturellen Beschreibung zu einer möglichst detaillierten Rekonstruktion der Gruppenarbeitsphasen beitragen. Neben den Antworten der Fokuspersonen aus der nachträglichen Befragung im Anschluss an jede VLE-Sitzung sowie den schriftlichen Notizen aller an der Gruppenarbeit beteiligter Studierender soll auch die Gesamteinschätzung der Zusammenarbeit durch kurze Miniumfragen bzw. Blitzlichtumfragen (Waychert 2013: 224) erfasst werden. Anhand dieser Daten werden Beschreibungen der Gruppenarbeitsphasen erstellt, vor deren Hintergrund die mittels der VLE-Daten identifizierten gesichtskritischen Situationen und die mit Hilfe der Interaktionsdaten rekonstruierten Aushandlungen in den Gesamtkontext der Gruppenarbeit eingebettet werden sollen. Als relevante Faktoren werden hier der unterrichtliche Kontext, die Aufgabenstellung sowie die gemeinsame Gestaltung der Zusammenarbeit durch die einzelnen Individuen in Bezug auf Sprachwahl und Beteiligung betrachtet. 6.1.4 Verknüpfung der Datensätze Zwar lassen sich die einzelnen Datensätze den drei leitenden Forschungsfragen und dem jeweils damit verbundenen Erkenntnisinteresse insofern zuordnen, als dass sie schwerpunktmäßig zu ihrer Beantwortung beitragen, doch sind sie so eng miteinander verzahnt, dass sie im Analyseprozess als ein komplexes System von Daten betrachtet werden müssen. Erkenntnisinteresse Datenmaterial Auswertung Art der Gesichtsbedrohung Retrospektive Daten durch VLE (Überprüfung anhand der Interaktionsdaten) Qualitative Inhaltsanalyse Umgang mit gesichtskritischen Situationen Interaktionsdaten der videographierten Gruppenarbeitsphasen (Überprüfung anhand der VLE-Daten) Mikroskopische Interaktionsanalyse Auswirkung auf Gruppenarbeit Interaktionsdaten der Gruppenarbeitsphasen + Blitzlichtumfrage + Abschlussbefragung der Fokuspersonen Makrostrukturelle Beschreibung der Gruppenarbeit Tab. 1: Erkenntnisinteresse, Datenmaterial und Auswertungsmethode 14 Befunde, die anhand eines Datensatzes erarbeitet werden, führen zwangsläufig zu einer Neubewertung eines anderen. Werden zum Beispiel durch die Inhaltsanalyse der VLE- Daten bestimmte Prozesse innerhalb der Gruppe offenkundig, führt diese Erkenntnis zu einer Überarbeitung des Gruppenarbeitstranskripts, die ggf. zu einer Überprüfung der 14 Darstellung angelehnt an Knorr (2015: 157) und für vorliegende Studie angepasst 70 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="71"?> makrostrukturellen Beschreibung führt, die ggf. eine neue Perspektive auf die Interaktionsanalyse eröffnet (vgl. auch Schwab & Schramm 2016: 285). Zwar werden im Folgenden die einzelnen Analyseprozesse nacheinander beschrieben, doch erfolgt die eigentliche Bearbeitung der Daten häufig parallel unter Überprüfung der Erkenntnisse aus einem Datensatz anhand der anderen. Durch diese iterative parallele Bearbeitung der Daten soll die Qualität der Analyse gewährleistet werden. Abb. 5: Datenanalyse als Vernetzung von Analyseprozessen Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Datenerhebung waren auch Überlegungen zur Häufigkeit der Aufnahmen relevant. In der Literatur zur Gesichtsforschung herrscht Einigkeit darüber, dass der Umgang mit gesichtskritischen Situationen von zahlreichen äußeren Faktoren abhängig ist, wie der Beziehungskonstellation zwischen den beteiligten Personen, der Dringlichkeit der Angelegenheit, subjektiven Annahmen über die eigene Rolle innerhalb einer Gruppe etc. (vgl. Kapitel 5). Daraus folgt, dass sich die Lernenden in verschiedenen Gruppen und bei verschiedenen Aufgaben unterschiedlich verhalten, was eine mehrfache Durchführung der Datenerhebung in unterschiedlichen Konstellationen erforderlich macht. Anhand der Skizzierung des Untersuchungsdesigns wird deutlich, dass die vorliegende Studie einem interaktionistisch-soziokulturellen Ansatz folgt und somit das Lernen als Prozess im Vordergrund steht (vgl. auch Schwab & Schramm 2016: 282). In dieser explorativ-interpretativen Untersuchung werden die Interaktionsdaten mit der Sicht der Lernenden auf die gesichtskritischen Situationen abgeglichen, so dass an deren Ende die Hypothesenbildung zur Rolle der Gesichtsbedrohung in Bezug auf Gruppenarbeitsphasen stehen soll. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Datenerhebung in einem möglichst natürlichen Kontext anzusetzen, also in einer realen Unterrichtssituation, die nicht für Erhebungszwecke konstruiert wurde und die auch ohne das Forschungsinteresse stattgefunden hätte (siehe auch Riemer & Settinieri 2010: 767; Schart 2019: 21). Laborähnliche Settings mit eigens ausgewählten Untersuchungsteilnehmenden oder speziell konstruier- 6.1 Erkenntnisinteresse 71 <?page no="72"?> ten Aufgaben sollen daher vermieden werden, um den Gegenstand in seiner Gesamtheit und etwaigen damit verbundenen alltäglichen Unzulänglichkeiten erfassen zu können. 6.2 Erhebungsinstrumente Eine multiperspektivische Erfassung von Unterrichtsinteraktionen erfordert die Nutzung verschiedener Instrumente zur Datenerhebung. Da in dieser Studie sowohl die Interaktionen unter den Lernenden selbst als auch deren Wahrnehmung durch die Beteiligten zur Beantwortung der Forschungsfragen herangezogen werden sollen, werden im Folgenden die beiden gewählten Erhebungsverfahren - die Videographie der Gruppenarbeitsphasen und das Videobasierte Laute Erinnern (VLE) - vorgestellt. Neben den theoretischen Vorüberlegungen zur Datenerhebung sollen insbesondere die Modifikationen zur Anpassung an die Studie dargestellt werden. Anschließend soll die Rolle der Aufgaben als Grundlage für die Interaktionen im vorliegenden Forschungsprojekt definiert werden. 6.2.1 Videographische Dokumentation der Gruppenarbeit Zur Erfassung der Interaktion in den Gruppenarbeitsphasen wird in dieser Studie die Videographie herangezogen. Der Zugriff auf Unterrichtsprozesse mit Hilfe von Videoaufnahmen hat sich gerade in den letzten Jahren als gängiges Verfahren in der Fremdsprachenerwerbsforschung und Didaktik etabliert. Insbesondere seit der Jahrtausendwende erlaubt es die technische Entwicklung, Videokameras kosteneffizient und umstandslos in authentischen Unterrichtssituationen einzusetzen, ohne ihre Natürlichkeit gravierend zu verändern, was zu einer wachsenden Zahl an videobasierten Studien führt 15 (Olson 2016; Knorr 2015; Feick 2016, etc.). Die Videographie bietet im Gegensatz zu Verfahren wie der Unterrichtsbeobachtung mit Hilfe von Beobachtungsbögen den Vorteil, das gesammelte Datenmaterial wiederholt sichten sowie auf unterschiedliche Arten aufbereiten zu können (vgl. Schramm & Schwab 2016: 149). Gerade in komplexen Kontexten wie bei Unterrichtsabläufen, die schon allein durch die Vielzahl der Beteiligten und die große Menge an Handlungsebenen eine reine Beobachtung in Echtzeit schwierig machen, bietet die Videographie die Möglichkeit, den Untersuchungsgegenstand umfassend zu dokumentieren (vgl. Feick 2016: 87). Ein weiteres Argument für den Einsatz von Videographie in lernprozess- und interaktionsbezogenen Studien ist die Möglichkeit, die aufgenommenen Interaktionsdaten als Impulsmaterial für die Erhebung retrospektiver Daten zu verwenden und somit die Datengrundlage zu ergänzen und zur Triangulation zu verwenden (u. a. Schramm & Schwab 2016: 150). In einigen Studien wird lediglich mit Audioaufnahmen gearbeitet, da das Erhebungsverfahren als unauffälliger und leichter zu handhaben gilt, so dass weniger in den natürlichen Unterrichtsverlauf eingegriffen wird (Schart 2019: 132). Jedoch können im Gegensatz zu videographischen Verfahren bei Audioaufnahmen nonverbale Elemente nicht erfasst werden und besonders bei größeren Gruppen von Inter- 15 Dennoch lassen sich Beobachtungseffekte nicht ganz ausschließen und müssen daher in der Auswertung stets reflektiert werden. 72 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="73"?> agierenden kann ohne Bildmaterial die Zuordnung von Redebeiträgen zu den einzelnen Sprecherinnen und Sprechern Schwierigkeiten bereiten. Darüber hinaus sind aufgrund der Situierung der vorliegenden Studie in Gruppenarbeitsphasen im Unterrichtsraum und der Fokussierung auf das soziale Konstrukt des Gesichts reine Audiodaten nicht ausreichend. Sowohl in alltäglichen Situationen als auch im unterrichtlichen Kontext werden Interaktionen multimodal umgesetzt (u. a. Hoshii 2003: 46 f; Kimura et al. 2018: 187; Kupetz 2021: 350). Durch die fortschreitende technische Entwicklung und den somit verbesserten Aufnahmemöglichkeiten steigt die Zahl der Studien mit videobasierten Daten auch in Bereichen, die sich traditionell auf reine Verbaltranskripte stützen (Mondada 2018: 85). Speziell im Fremdsprachenunterricht kommt außersprachlichen Ressourcen wie Mimik, Gestik oder Blickrichtung eine besondere Bedeutung zu, da sie dabei behilflich sind, sprachliche Defizite zu überbrücken und so eine erfolgreiche Kommunikation zu fördern (Kupetz 2021: 384). Daher sollen auch im Folgenden bei der Datenaufbereitung und Analyse des Videomaterials multimodale Aspekte berücksichtigt werden und zum Erkenntnisgewinn beitragen. Generell besteht bei Beobachtungsstudien unabhängig von der Wahl der Instrumente die Gefahr, dass die Teilnehmenden ihr Verhalten intendiert oder unintendiert verändern, da sie sich der Tatsache bewusst sind, dass sie Teil einer Studie sind. Diese sogenannten Beobachtungseffekte können die Validität der erfassten Daten in Frage stellen (vgl. Eckerth 2003: 100). Jedoch ist es schon allein aus forschungsethischen Gründen nicht möglich, Daten von Lernenden, ohne deren Zustimmung oder Wissen zu erheben (vgl. Schramm 2014: 246), so dass mögliche Einflüsse des Beobachtungseffekts bei der Analyse und Ergebnisdiskussion als gegeben angenommen und angemessen reflektiert werden müssen. In der vorliegenden Studie werden die Interaktionen innerhalb der Gruppen fokussiert, weshalb die Aufnahmen mit Hilfe von unmittelbar in den Gruppen platzierten Kameras vorgenommen werden sollen. Um die Beobachtungseffekte sowohl durch die Aufnahmesituation im Allgemeinen als auch durch die einzelnen für die Lernenden sichtbaren Videokameras möglichst zu minimieren, wurden hierfür kleine Kameras ohne integrierte Displays eingesetzt, so dass die Lernenden nicht dazu verleitet werden konnten, die Aufnahmesituation über die Bildschirme zu verfolgen. Nach diversen technischen Vorüberlegungen zu verschiedenen Action- und 360-Grad-Kameras fiel die Wahl aufgrund der Größe, der Handhabung mit Hilfe von nur einer Taste und das Fehlen eines Displays auf die GoPro Hero Session 5. Um relevante Faktoren wie Mimik, Gestik und Ton erfassen zu können, wurden pro Gruppe zwei Kameras in der Mitte zwischen zwei Studierenden an den Tischkanten befestigt, so dass die jeweils gegenübersitzenden beiden Lernenden in einer Naheinstellung wie bei einem Porträt aufgezeichnet wurden. Es entstanden also für jede Gruppe jeweils zwei Videos. Diese Perspektive erlaubt einen Einblick in die Gruppe, der nahezu der Sicht eines Gruppenmitglieds entspricht. Im Sinne des Bestimmungsrechts an den eigenen Daten (vgl. Legutke & Schramm 2016: 109) wurde das Starten und Beenden der Aufnahme den Gruppen selbst überlassen, d. h. sobald die Lernenden sich in den Gruppen einfanden und bereit für die Gruppenarbeit waren, sollten sie die Kameras selbst starten und nach Beendigung der Aufgabenbearbeitung stoppen. Die videographisch erfassten Interaktionsdaten ermöglichen einen detaillierten Einblick in die Gruppenarbeitsprozesse, woraus im Verlaufe der Analyse gesichtsrelevante Aushandlungen herausgearbeitet werden. 6.2 Erhebungsinstrumente 73 <?page no="74"?> 6.2.2 Videobasiertes Lautes Erinnern als Zugang zu gesichtsrelevanten Überlegungen Um auch einen Zugang zur Wahrnehmung der Interaktionen in der Gruppenarbeit durch die Lernenden zu ermöglichen und damit einen innenperspektivischen Zugang zu erhalten, wurde in der vorliegenden Studie auf das Verfahren des Videobasierten Lauten Erinnerns (VLE) zurückgegriffen. Lautes Erinnern (LE) zählt neben dem Lauten Denken und der retrospektiven Befragung zu den Erhebungsverfahren introspektiver Daten im engeren Sinne, da hierbei versucht wird, auf Denkprozesse der Untersuchungsteilnehmenden (UTN) zuzugreifen, die bestimmte Aktivitäten begleiten (vgl. Heine & Schramm 2016: 176). Während Daten des Lauten Denkens gleichzeitig mit der eigentlich zu untersuchenden Handlung erhoben werden können, etwa Überlegungen von Lernenden während der Bearbeitung von Aufgaben in Einzelarbeit (z. B. Würffel 2006) oder beim Schreiben von Texten (z. B. Ohta 2010), kommen retrospektive Erhebungsmethoden, wie lautes Erinnern oder die retrospektive Befragung, in erster Linie bei der Untersuchung interaktiver Settings zum Einsatz, in der die Verbalisierung von Gedanken parallel zur Haupthandlung - wie etwa bei Unterrichtsinteraktionen - nicht oder nur schwer möglich ist (vgl. Heine 2014: 128). Zur Unterstützung der Erinnerung an die lernbezogene Handlung wird letztere durch video- oder audiographische Verfahren, manchmal aber auch Notizen, dokumentiert und als Impulsmaterial beim LE bzw. Stimulated Recall eingesetzt (vgl. Gass & Mackey 2017: 14). Beim VLE werden die UTN im Anschluss an eine videographierte Lernaktivität - in der vorliegenden Studie die kommunikative Gruppenarbeit - darum gebeten, sich das Video der Handlung, an der sie selbst teilgenommen haben anzuschauen und die Gedanken, die sie währenddessen hatten, zu verbalisieren. Um der rasch abnehmenden Erinnerungsfähigkeit entgegenzuwirken, wird in der Literatur empfohlen das VLE möglichst schnell nach der zu erinnernden Handlung durchzuführen, wobei sich die zeitlichen Vorgaben in einem Rahmen von 24 oder 48 Stunden bewegen (Heine 2014: 129; Heine & Schramm 2016: 176). Metaanalytische Untersuchungen zeigen jedoch, dass sich in der Realität die zeitlichen Abstände zwischen der zu erinnernden Handlung und der VLE-Sitzung in verschiedenen Studien stark unterscheiden und in einer Spanne von gleich im Anschluss an die eigentliche Lernaktivität bis hin zu zwei Wochen später durchgeführt werden (vgl. Gass & Mackey 2017: 29f ). Eine Durchführung vom VLE unmittelbar nach der Lernhandlung hat den Vorteil, dass die Eindrücke noch frisch im Gedächtnis sind und viele Details abgerufen werden können, gleichzeitig aber den Nachteil, dass die UTN ggf. zu sehr beansprucht werden und ihre Konzentrationsfähigkeit sich negativ auf die Datenerhebung auswirken kann, so dass das Einräumen einer gewissen Erholungsphase sinnvoll sein kann (Knorr & Schramm 2012: 196). Die Bestimmung eines idealen Zeitpunktes ist daher ein Balanceakt, der stark von äußeren Faktoren wie der Verfügbarkeit der befragten Personen, der nötigen Zeit zur Datenbearbeitung oder der technischen Ausstattung beeinflusst wird. Der Einsatz von VLE als Erhebungsverfahren für Introspektionsdaten basiert auf der Annahme, dass so die kognitiven und emotionalen Vorgänge der UTN im Laufe der betreffenden Handlung - hier der Gruppenarbeit - zumindest teilweise erfasst werden können und zu einem besseren Verständnis der Interaktionen beitragen (vgl. Knorr 2016: 176). Insbesondere im soziokulturellen Paradigma muss diese Prämisse im Forschungsprozess jedoch reflektiert werden, da inhärent davon ausgegangen wird, dass jeder Verbalisierungsversuch eines Gedankens diesen verändert und weiterentwickelt, wodurch 74 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="75"?> Lernprozesse erst initiiert werden (Heine 2013: 17; Knorr 2013: 37). Es ist also fraglich, inwiefern lautes Erinnern überhaupt einen zuverlässigen Einblick in vergangene Denkvorgänge bieten kann, da diese aus Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis aufgebaut werden, wo sie bereits zumindest teilweise verarbeitet wurden und somit keine unmittelbaren Gedanken abbilden (u. a. Heine 2014: 128f ). Ein weiterer zu beachtender Aspekt ist die Adressiertheit der Gedanken. Untersuchungen liefern Hinweise darauf, dass die ausformulierten Erinnerungen selten einen selbstbezogenen Charakter aufweisen, sondern sich in der Regel an eine tatsächliche oder implizierte Ansprechperson richten (vgl. Knorr & Schramm 2012: 186; Sasaki 2008; Feick 2013). Die soziale Dimension des Sprechens zeigt sich hier also deutlich und fordert eine kritische Auseinandersetzung bei der Interpretation der retrospektiven Daten. Neben der Funktion als Erinnerungsimpuls haben Videos den Vorteil, dass die geäußerten Gedanken unmittelbar auf bestimmte Ereignisse innerhalb der Handlung bezogen werden können, so dass auch Zusammenhänge, die aus einer reinen Außenperspektive nur schwer nachvollziehbar sind, interpretiert werden können. Im Gegensatz zu einer retrospektiven Befragung, in der bereits durch die Fragen der Forschenden bestimmte für das Erkenntnisinteresse relevante Aspekte fokussiert werden, können die UTN beim VLE selbst entscheiden, was sie verbalisieren möchten bzw. was ihnen wichtig erscheint, und gezielt ansprechen. Einerseits birgt dieses Verfahren die Gefahr, dass ggf. Handlungen, die von Seite der Forschenden als interessant eingestuft werden, von den Lernenden jedoch unkommentiert bleiben; andererseits können so aber auf den ersten Blick für das Forschungsinteresse belanglose Phasen der Lernaktivität in ein anderes Licht gerückt werden, da zwar nach außen hin nichts zu passieren scheint, gleichzeitig aber wichtige mentale Prozesse ablaufen, die von den UTN thematisiert werden. In einer Befragung hingegen können durch bestimmte Formulierungen oder Inhalte der Items bei den Informantinnen und Informanten Gedankenprozesse initiiert werden, die sie so während der videographierten Aktivität gar nicht hatten und erst nachträglich als Reaktion auf die Frage entwickeln, in der Annahme die „ richtige “ Antwort zu geben (vgl. Knorr 2016: 176). Zwar sind solche Reaktivitätsphänomene der sozialen Erwünschtheit auch beim Lauten Erinnern möglich, da die Untersuchungspersonen sich der Erhebungssituation auch dabei bewusst und möglicherweise darum bemüht sind, sich in einem besonders guten Licht zu präsentieren, doch wird die Beeinflussung durch das Fehlen von Fragen der Forschenden verringert, da so weniger lenkende Hinweise gegeben werden. Allerdings ist auch im Rahmen der Datenerhebung mittels LE eine abschließende Befragung nicht unüblich (u. a. Gass & Mackey 2017: 58). Es können nachträglich Rückfragen zu geäußerten Gedanken gestellt, zusammenfassende Einschätzungen erfragt oder den UTN die Möglichkeit gegeben werden, den Forschungsprozess zu reflektieren bzw. Überlegungen zu äußern, die sich nicht unmittelbar auf die Handlungen und sie begleitenden Gedanken beziehen. Weitere Faktoren, die im Zusammenhang mit retrospektiven Verfahren reflektiert werden müssen, sind die geäußerten Gedanken selbst sowie die beteiligten Personen mit ihren individuellen Neigungen. Je nach Forschungsfrage kann eine Unterscheidung von tatsächlich erinnerten Gedanken und sogenannten postaktionalen Gedanken wichtig sein (vgl. Knorr 2013: 39). Während es sich bei ersteren um Gedanken handelt, die wirklich während der Interaktion gedacht wurden, entstehen letztere erst im Laufe des LE und erhalten so einen eher reflektierenden Charakter. In Anlehnung an Henderson und Tallman 6.2 Erhebungsinstrumente 75 <?page no="76"?> (2006) beschreibt Knorr Verfahren, die bei der Unterscheidung von erinnerten und nachträglichen Gedanken zu Hilfe genommen werden können, sowie die damit verbundenen Implikationen für die Datenanalyse (Knorr 2013: 40f ). So sind in Daten des LE erinnerte Gedanken häufig in postaktionale Gedanken eingebettet, etwa in der Form, dass zuerst ein erinnerter Gedanke ausgesprochen wird und dann nachträglich ergänzt oder kommentiert wird. Auf der einen Seite bilden Reflexionen zum Verhalten während der Interaktion sowie allgemeine Einstellungen einen Rahmen für den Vorgang des Erinnerns. Auf der anderen Seite ist diese Form der Datenerhebung im Grunde ihres Wesens eine kommunikative Handlung, so dass es für die UTN nur natürlich ist, der Forschungsperson zusätzliche Informationen zum Kontext, die aus dem Video ggf. nicht ersichtlich sind, geben zu wollen. Die Entstehung solcher Kontextualisierungshinweise stellt hierbei auch ein Phänomen der sozialen Situiertheit des LE dar, die sich darüber hinaus zum Beispiel durch das Ansprechen eines angenommenen Hörers bzw. einer Hörerin durch die UTN äußert (Feick 2013: 59f ). Die Informantinnen und Informanten sind sich bewusst, dass ihre verbalisierten Gedanken von jemandem angehört werden, so dass sich die Erhebungssituation in den Formulierungen der VLE-Daten widerspiegelt. So werden Forschungspersonen direkt oder indirekt angesprochen oder etwa im Falle der Abwesenheit bei der Datenerhebung durch einen Blick in die Kamera, die den Erinnerungsprozess dokumentiert, als Gesprächsbeteiligte anvisiert (vgl. Feick 2013: 59f ). Darüber hinaus lassen sich in Bezug auf die Formulierungen der erinnerten Gedanken individuelle Unterschiede zwischen verbalen und nonverbalen Denktypen feststellen (Heine 2013: 19). Während es ersteren leicht fällt ihre Gedanken verbal zu formulieren, haben letztere Schwierigkeiten in Worte zu fassen, was ihnen durch den Kopf geht. Dies führt zu großen Differenzen in Bezug auf Menge, Qualität und Informationsgehalt bei den retrospektiven Daten in Abhängigkeit von den einzelnen Befragten und kann daher ihre Validität beeinträchtigen. Während die eine Person sich sehr detailliert und ausführlich zu spezifischen Ereignissen äußert, kann eine andere Schwierigkeiten haben, sich überhaupt an bestimmte Gedanken zu den Lernaktivitäten zu erinnern, und eine dritte vielleicht eher knappe, aber präzise Erinnerungen liefern. In der Methodendiskussion hat sich lautes Erinnern jedoch als ein möglicher Zugang zu „ ungefilterten “ (Knorr & Schramm 2012: 185) introspektiven bzw. retrospektiven Betrachtungswinkeln etabliert, da die Daten gegenüber Befragungen und Interviews eine geringere Reaktivitätsproblematik aufweisen und weniger reflexive Elemente enthalten. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Studie stehen Interaktionen unter den Lernenden, die von gesichtsbezogenen Überlegungen beeinflusst werden und so den Verlauf der Gruppenarbeit verändern. Anhand von erinnerten Daten sollen gesichtsrelevante Überlegungen der Lernenden identifiziert und zur Interpretation des Verhaltens der Lernenden im Laufe der Gruppenarbeit herangezogen werden. Im Folgenden werden die Begriffe introspektiv und retrospektiv in Bezug auf die hier zugrundeliegende Datenbasis synonym verwendet, da eine Differenzierung für das Forschungsinteresse unnötig erscheint. Selbstverständlich ist die Unterscheidung in anderen Zusammenhängen sinnvoll oder sogar notwendig. 76 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="77"?> 6.2.3 Aufgaben Zahlreiche Studien bedienen sich speziell konstruierter Aufgaben, um etwa deren Auswirkungen auf Lernerfolge zu untersuchen oder bestimmte sprachliche Handlungen zu elizitieren. Insbesondere im englischsprachigen Kontext des TBLT werden Zusammenhänge zwischen Aufgaben und lernendensprachlichen Äußerungen untersucht. Auch viele der in der Darstellung der theoretischen Grundlagen vorgestellten Bezugsstudien nutzen Aufgaben als Grundlage für Interaktionen (vgl. Kapitel 2 und 4). Storch verwendet drei verschiedene Aufgaben, in denen sich die Probandinnen und Probanden mit grammatischen Phänomenen sowie Schreibaufgaben auseinandersetzen (ebd. 2001: 96f ). Ähnlich geht auch Eckerth in seiner Studie vor, indem er drei in erster Linie referenziell orientierte Aufgaben und zwei primär sprachstrukturelle Aufgaben entwickelt und anschließend die sprachbezogenen Interaktionen zwischen den Lernenden analysiert (ebd. 2003: 105f ). Überlegungen, spezielle Aufgaben zu erstellen und bearbeiten zu lassen, gingen auch der vorliegenden Studie voraus. Da aber weniger die lernersprachlichen Entwicklungen oder bestimmte Lerneffekte als vielmehr Interaktionen selbst bei der gemeinsamen Aufgabenbearbeitung, sowohl in der L1 als auch in der L2 oder nonverbal realisiert, den Untersuchungsgegenstand darstellen, wurde hier davon abgesehen. Der Unterricht sollte so natürlich wie möglich ablaufen, um die Beobachtung und Untersuchung eines tatsächlichen Wirklichkeitsbereichs aus der Unterrichtspraxis zu erlauben, der auch unabhängig vom Forschungsprojekt stattgefunden hätte (vgl. u. a. Schart 2019: 132). Daher wurde die Unterrichtsgestaltung und somit auch die Auswahl und Entwicklung der für die Gruppenarbeit vorgesehenen Aufgaben der Lehrperson überlassen. Ziel dieser Quasi- Feldstudie ist es also, in einem weitgehend unberührten Umfeld die Arten der Gesichtsbedrohungen zu identifizieren und daraus Schlüsse für die Theoriebildung zu ziehen. Sollte sich im Verlauf der Analyse zeigen, dass bestimmte Aufgaben bestimmte Arten der Interaktion und somit der Gesichtsbedrohung begünstigen, wird das entsprechend im Analyseprozess reflektiert und ggf. weiterführende Untersuchungen als Desiderata für Folgestudien formuliert. Um dem Einfluss der Aufgaben, die als Ausgangspunkt für die Gruppenarbeit und die daraus resultierenden Interaktionen dienen, Rechnung zu tragen, werden die zum Einsatz kommenden Arbeitsaufträge eingehend beschrieben und ihre Auswirkungen auf den Unterrichtsverlauf dokumentiert (Kapitel 7). 6.3 Vorstudie und Anpassung der Datenerhebung Zur Erprobung des Ablaufs der eigentlichen Datenerhebung sowie zur weiteren Verfeinerung der Planung der Hauptstudie wurde nach diversen Techniktests, in denen die Aufstellung und Bedienung der Kameras sowie die Wahrnehmung der Action-Kameras durch Studierende geprüft wurden, eine Pilotstudie in einem existierenden Kurs gegen Ende des Sommersemesters im Juli 2018 durchgeführt. Die Wahl des Kurses wurde in erster Linie von äußeren Faktoren, wie der Anzahl der Teilnehmenden, der Bereitschaft der Studierenden sowie der Zugangsmöglichkeiten der Forscherin beeinflusst und fiel auf einen Sprachkurs mit dem Themenschwerpunkt Übersetzen für Studierende im dritten und vierten Studienjahr. Das Hauptziel dieser Voruntersuchung bestand darin, die Aufnahme 6.3 Vorstudie und Anpassung der Datenerhebung 77 <?page no="78"?> von vier parallel ablaufenden Gruppenarbeiten und die Qualität der dabei entstehenden Audiodaten, die etwa durch einen hohen Geräuschpegel negativ beeinflusst werden kann, zu testen sowie den Ablauf der Erhebung der VLE-Daten durchzuspielen und mögliche Hürden zu identifizieren. Da es bei dieser Pilotierung vor allem darum ging, organisatorische und praktische Fragen zu klären, wurden Unterschiede in Bezug auf den Forschungskontext zur Hauptstudie, etwa bedingt durch das Niveau der Sprachkenntnisse, Alter der Studierenden und Themenfokus der Kurse hingenommen. Darüber hinaus wurde für die Vorstudie auch die Doppelrolle als Forscherin und Lehrperson mit dem daraus möglicherweise resultierenden Einfluss auf die Erhebungssituation sowie die Daten in Kauf genommen. Trotz der voneinander abweichenden Bedingungen konnten wertvolle Erfahrungen gesammelt werden, die in die Planung der Hauptstudie eingeflossen sind. 6.3.1 Ablauf der Datenerhebung Im Vorfeld wurden die Kursteilnehmenden über das Aufnahmeverfahren aufgeklärt und hatten die Möglichkeit sich mit den Kameras vertraut zu machen. Eine Woche vor der geplanten Aufnahme wurde der genaue Ablauf besprochen und ein Aufruf zur freiwilligen Teilnahme an der Erhebung der VLE-Daten ausgesprochen. Am Tag der Aufnahme waren 15 Studierende anwesend, so dass vier Gruppen bestehend aus drei bis vier Studierenden gebildet werden konnten. Darüber hinaus hatten sich vier Freiwillige für die VLE- Datenerhebung gefunden. Als Hausaufgabe hatten alle Studierenden einen von vier Texten, die in der vorangegangenen Unterrichtsstunde in Expertengruppen besprochen worden waren, aus dem Deutschen ins Japanische übersetzt. Diese eigenen Übersetzungen galt es nun in der Gruppe vorzustellen und sich anschließend über schwierig zu übersetzenden Textstellen auszutauschen. Die Bearbeitungszeit, die die einzelnen Gruppen für die Aufgabe benötigten, lag bei durchschnittlich 17 Minuten. Die Aufnahmen aus dem Unterricht wurden im Anschluss umgehend für die Erinnerungssitzungen als Impulsmaterial aufgearbeitet, so dass die zeitnahe Videobearbeitung von insgesamt acht Videos, also zwei pro Gruppe, auch durchgespielt werden konnte. Da die freiwilligen VLE-Kandidaten durch die eigenen Stundenpläne und anderweitige Verpflichtungen wie Nebenjobs nicht am Tag der Unterrichtsaufnahmen zur Verfügung standen, wurden die introspektiven Daten am darauffolgenden Tag am Nachmittag sowie am zweiten Tag nach den Aufnahmen am Vormittag erhoben. Es konnte also eine noch akzeptable Frist von 48 Stunden zwischen Lernaktivität und Erinnerungssitzung eingehalten werden. Die Sprachwahl wurde den Studierenden überlassen und fiel in allen Fällen auf die L1. Die einzelnen Sitzungen dauerten zwischen 20 und 29 Minuten, in denen die Laufzeit der Gruppenarbeitsvideos vollständig enthalten ist. 6.3.2 Erkenntnisse aus der Vorstudie Durch die Pilotierung konnte festgestellt werden, dass die Audioqualität der Interaktionsdaten zur weiteren Aufbereitung ausreichend ist und der gewählte Bildausschnitt einen umfassenden Blick in die Gruppeninteraktionen sowohl auf verbale als auch nonverbale Aspekte erlaubt, so dass sich eine Zuhilfenahme von zusätzlichen Audioaufnahmegeräten für die Hauptuntersuchung als nicht nötig erwies. Weiterhin konnte beobachtet werden, dass sich die Bedienung der Kameras als sehr intuitiv herausstellte, so dass das Starten und Beenden der Aufnahme ohne ausführliche Schulung problemlos von den UTN bewerk- 78 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="79"?> stelligt werden kann. Generell zeigten sich die Studierenden zufrieden mit der Gruppenarbeit und gaben an, dass die Action-Kameras kaum bis gar nicht störend seien. In Bezug auf die Erhebung der VLE-Daten wurde ein geringer zeitlicher Abstand zur zu erinnernden Aktivität als hilfreich empfunden, sowie vereinzelt auch der Wunsch nach mehr Fragen von der Forscherin geäußert, die zwar anwesend war, sich aber im Hintergrund hielt, um Reaktivitätseffekte zu reduzieren (vgl. Kapitel 6.2.2). Die vollständige Abwesenheit der Forscherin während des VLEs zur Verminderung von Einflüssen durch ihre bloße Präsenz oder mögliche unwillkürliche Reaktionen (vgl. Feick 2016: 106) wurde von allen Lernenden als unnatürlich abgelehnt, da das laute Aussprechen von Gedanken in Abwesenheit eines Ansprechpartners als unangenehm wahrgenommen werde. Die Adressiertheit wird daher für die Hauptstudie als unvermeidbar bzw. als inhärenter Bestandteil des VLE verstanden. Eine Probandin schlug Gruppensitzungen für das VLE vor; da aber ein solches Vorgehen sowohl das Verhalten der einzelnen UTN beim VLE als auch die gegenseitige Beeinflussung der Erinnerungen untereinander und somit die gesamten Daten erheblich verändern würde, wurde dieser Vorschlag nicht berücksichtigt, bietet aber für Studien mit anderem Fokus einen sinnvollen Ansatz (vgl. u. a. Hoshii 2003). Leider konnte aus zeitlichen und organisatorischen Gründen keine mehrfache Durchführung der Datenerhebung erprobt werden; jedoch äußerten die Studierenden die Vermutung, dass eine Wiederholung des VLE ggf. zu einer gewissen Befangenheit bei den Teilnehmenden führen könne. Hinweise auf ähnliche Beurteilungen durch Forschungsbeteiligte finden sich auch bei Knorr und werden auf die erhöhte Wahrnehmung der Aufnahmesituation durch die VLE-Kandidaten zurückgeführt (ebd. 2015: 181). Da aber im Rahmen der Hauptstudie unter anderem auch überprüft werden soll, inwiefern sich gesichtsbedrohende Situationen in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen darstellen, konnte diese Anregung lediglich zur Kenntnis genommen werden, führte jedoch nicht zu einer Anpassung des Untersuchungsdesigns. Mögliche Auswirkungen auf die Daten sollen im Analyseprozess reflektiert werden. Eine weitere Hürde, die von den Pilotprobandinnen und -probanden genannt wurde, besteht in der Annahme, dass es für UTN schwierig sein könnte, über mehrere Wochen zusätzliche Termine für das VLE in den Alltag zu integrieren. Aus diesem Grund wurde für die Hauptstudie einerseits festgelegt, dass das zentrale Kriterium für die Auswahl der VLE- Teilnehmenden in ihrer Verfügbarkeit und Bereitschaft, über mehrere Wochen an der retrospektiven Datenerhebung teilzunehmen besteht, andererseits dass die Ankündigung und Vorbereitung mit viel Vorlauf beginnen muss, damit interessierte Studierende ihre Zeitpläne entsprechend modifizieren können. 6.3.3 Qualität der Daten Neben organisatorischen Fragen zur Durchführung der Datenerhebung konnte auch die Reichhaltigkeit der Daten anhand des erhobenen Materials überprüft werden, indem einzelne Passagen von der Forscherin grob transkribiert wurden. Trotz der rein mündlichen und sehr rudimentären Instruktion beim VLE ohne vorherige Schulung (vgl. Feick 2016: 102) oder den von den Studierenden gewünschten leitenden Fragen stellten sich insbesondere die VLE-Daten als sehr aufschlussreich in Bezug auf gesichtsrelevante Faktoren heraus. 6.3 Vorstudie und Anpassung der Datenerhebung 79 <?page no="80"?> PG3 VLE S1 K6 (16: 40 bis 17: 55) VLE_S1 ここでえっとなんか話を聞いてイビザって何って聞こうと思ったんですけど、何だ、 なんと言うんだろう…今までその話も自分が話していた時は話切られなかったし、何 か、他の今 S2 話してる時も自分たちも切られなかったし、 S3 も切られなかったから、 切るのはどうしようかなって迷った。で、ちょっとで、先生が来てたからピシッとし なきゃってなって ( 笑 ) 先生が来ちゃったからピシってした、そうね。…ま、なんか結 構普段から、普段からって言うのは…なんか割と…な…話し合う時もなんか笑い入れ たりしてなんか、話しやすい雰囲気みたいなのを作れればなぁと思って、なんかさっ きも…えっと、 S3 の話確か…ゴラン?… Roland? そう、その時にも「 LX 」っぽいと かって言ってて…そう言う感じで、話しやすいようにしてる。 VLE_S1_dt Hier hatte ich überlegt, ob ich mal frage, was Ibiza eigentlich ist, aber weil vorher als ich übersetzt habe keiner unterbrochen hatte und bei S2 auch nicht und bei S3 auch, dachte ich, dass es nicht so gut wäre zu unterbrechen. … Naja und dann sind Sie auch noch gekommen, da mussten wir ja ordentlich machen (lacht), dann habe ich eben nicht gefragt. … Oder auch vorher als es um Roland ging, ich versuche ja auch immer eine gute Atmosphäre in der Gruppe zu machen. Roland klingt ja etwas wie [Name von Lehrperson] und wenn man zusammen lacht, ist es leichter zusammen zu sprechen. Transkriptauszug 1: PG3 VLE S1 Der Student kommentiert hier eine Passage, in der ein anderes Gruppenmitglied die vorbereitete Übersetzung vorstellt. Er äußert seine Gedanken, während er der Kommilitonin im Verlauf der Gruppenarbeit zuhört, die letztendlich dazu geführt haben, dass er zwar gern eine Verständnisfrage hätte stellen wollen, sich aber in dieser Situation dagegen entscheidet, weil dadurch der Ablauf der Gruppenarbeit gestört werden könnte. Er begründet seine Entscheidung damit, dass bisher die anderen Vortragenden in der Gruppe auch nicht unterbrochen wurden und deutet damit an, dass ein Handeln entgegen dieser stillen Vereinbarung, sich nicht gegenseitig zu unterbrechen, unpassend sein könnte. Aus einer gesichtstheoretischen Perspektive könnte eine Unterbrechung durch eine Rückfrage zu einem Gesichtsverlust auf Seiten der Sprecherin führen, da ihr das Rederecht genommen wird. Aber auch der Student selbst könnte sich schaden, da eine plötzliche Missachtung des Rederechts von den anderen als unangemessen wahrgenommen werden könnte. Auch von anderen UTN an der Vorstudie werden im Verlaufe der VLE-Sitzungen Gedanken geäußert, die als Hinweise auf mögliche Gesichtswahrungsstrategien gedeutet werden können. In Transkriptauszug 2 gibt S6 Unsicherheiten in Bezug auf die Richtigkeit ihres Beitrags an und begründet damit ihre undeutliche Aussprache. PG2 VLE S6 K2 (ca.4: 10 bis 4: 19) VLE_S6 (…)ところがちょっと自分もあってるか分からなくて…ちょっとゴニョゴニョって ごまかしちゃったってところです。 VLE_S6_dt ( … ) da war ich mir nicht ganz sicher, ob das so richtig ist. Deshalb hab ich das dann ein bisschen überspielt. Transkriptauszug 2: PG2 VLE S6 80 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="81"?> In Transkriptauszug 3 reflektiert S12 ähnlich wie S1 im ersten Beispiel darüber, wann der richtige Zeitpunkt für eine Frage ist. PG4 VLE S12 K1 (ca. 3: 20 bis 3: 47) VLE_S12 この後で何か質問ありますかって言って、ここはこうなんですかって質問多分したと 思うんですけど、なんかそれをそのやってる最中に入っていってこここうですかって 聞いた方がいいのか。どう、どっちがいいのかなってちょっと…わかんないですけ ど。 VLE_S12_dt Ach ja, und gleich da fragt sie am Ende, ob es noch Fragen gibt. Da habe ich dann auch gleich gefragt, ist das hier so und so. Aber vielleicht wäre es besser gewesen gleich da, wo mir die Frage in den Sinn kam zu fragen, weiß nicht, … was besser wäre … Transkriptauszug 3: PG4 VLE S12 Besonders aufschlussreich sind die Beispiele 1 und 3, da sie eindeutig Hinweise auf nachträglich entstandene Gedanken bzw. allgemeine Strategien liefern. S1 gibt an, immer um eine gute Stimmung in der Gruppe bemüht zu sein, um so eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen. S12 denkt laut darüber nach, ob sie ihre Frage hätte früher stellen sollen. Diese Datenauszüge zeigen, dass eine Unterscheidung von erinnerten und postaktionalen Gedanken (vgl. Knorr 2013: 43f ) für die Bestimmung potentieller Gesichtsbedrohungen nicht notwendig ist. Durch die Thematisierung der Überlegungen und die begleitenden Reflexionen wird deutlich, dass sich die Studierenden an diesen Stellen über die Auswirkungen ihrer Handlungen auf die Zusammenarbeit Gedanken machen und entsprechend verhalten. Da das eigentliche Untersuchungsziel, also die Rolle der Gesichtsbedürfnisse in Gruppenarbeitsphasen den UTN aber nicht mitgeteilt wird (vgl. Kapitel 6.1.2), muss der Gesichtsaspekt interpretativ herausgearbeitet werden. Die ergänzende Reflexion wirkt sich nicht negativ auf die Identifizierung gesichtskritischer Situationen aus, sondern liefert vielmehr weitere Anhaltspunkte dafür, ob aus Sicht der Lernenden die entsprechende Sequenz als gesichtsbezogen wahrgenommen wird. 6.3.4 Konsequenzen für die Hauptstudie Durch die Erfahrungen aus der Pilotierung konnte die technische Durchführbarkeit der Datenerhebung überprüft werden und weitere Details insbesondere für das VLE ausgearbeitet werden. Um der abnehmenden Behaltensleistung mit wachsendem zeitlichem Abstand zur Gruppenarbeit entgegenzuwirken, sollen die Erinnerungssitzungn in der Hauptstudie möglichst am selben Tag erfolgen wie die Unterrichtsaufnahmen. Weiterhin sollte bei allen VLE-Sitzungen die Forscherin oder eine Assistentin anwesend sein, um bei technischen Schwierigkeiten sofort Abhilfe schaffen zu können und die Erhebungssituation für die UTN möglichst angenehm zu gestalten. Hierzu ist einerseits eine Begrenzung der Anzahl der Fokuspersonen und andererseits die Aufstellung eines genauen Zeitplans notwendig. Bei einer Kursgröße von ca. 16 Personen sollte die Durchführung der Erinnerungssitzungen mit etwa sechs kooperationsbereiten Studierenden ausreichend sein. Ein vorheriges Datensampling wie in vergleichbaren Studien (u. a. Feick 2016) gestaltet sich schon aus zeitlichen Gründen schwierig, so dass den UTN das gesamte Videomaterial der eigenen Gruppensitzung präsentiert werden soll. Dieses Vorgehen bietet 6.3 Vorstudie und Anpassung der Datenerhebung 81 <?page no="82"?> jedoch auch den Vorteil, dass die Auswahl relevanter Sequenzen den Lernenden überlassen wird und so ggf. Aspekte aufgedeckt werden können, die bei einer von der Forschungsperson getroffenen Vorauswahl übersehen worden wären. Um einer Irritation der UTN durch das zurückhaltende Verhalten der Forscherin bzw. Assistentin vorzubeugen, soll der genaue Ablauf des VLEs inklusive Beschreibung des Verhaltens der Forschenden im Vorfeld in schriftlicher Form in der L1 erklärt und die Möglichkeit Rückfragen zu stellen gegeben werden. Aufgrund der positiven Erfahrungen aus der Pilotierung soll aber nach wie vor kein vorheriges Einüben des lauten Erinnerns durch die UTN erfolgen. Ebenso soll, wie geplant, weitestgehend auf initiierende Fragen von Forschendenseite verzichtet werden. Nur bei mangelnder Initiative der Informantin oder des Informanten sollte sie bzw. er an seine Aufgabe erinnert werden. Auch hierbei zeigte sich die Pilotierung als sehr aufschlussreich, da bei der Durchführung des VLEs die individuellen Unterschiede der einzelnen Studierenden in Bezug auf die Fähigkeit, die erinnerten Gedanken zu verbalisieren deutlich zum Vorschein kamen (vgl. auch Heine 2013: 19). Daher soll die Möglichkeit zur freien Sprachwahl sowie des Rückgriffes auf Sprachmischungen sowohl in der schriftlichen Beschreibung des Erhebungsverfahrens als auch vor jeder VLE-Sitzung explizit betont werden. Um die Durchführbarkeit der Erhebung beider Datensätze innerhalb eines Tages zu gewährleisten, wurde an dieser Stelle auch die Idee verworfen, alle Gruppenarbeitsphasen einer Unterrichtseinheit zu berücksichtigen, da sowohl eine Aufbereitung des Rohmaterials zu Impulsvideos wie auch die Länge der einzelnen VLE-Sitzungen zu organisatorischen Schwierigkeiten und einer enormen zeitlichen Belastung der UTN geführt hätten. Die Frage nach der Häufigkeit der Erfassung der Gruppenarbeitsinteraktionen und retrospektiven Daten stellte bei der Planung eine besondere Herausforderung dar. Die Notwendigkeit zur wiederholten Durchführung der Datenerhebung ergibt sich aus dem Erkenntnisinteresse, da gesichtsrelevantes Verhalten in Abhängigkeit von den Interaktionspartnern variiert (vgl. Kapitel 5.4). Es sollen in der Hauptstudie also verschiedene Gruppenkonstellationen dokumentiert werden. In Bezug auf die Erhebungsverfahren der beiden Datensätze werden in der Literatur aber gegenläufige Einflüsse beschrieben. Während bei Beobachtungen bzw. Aufnahmen mit zunehmender Häufigkeit ein Gewöhnungseffekt wirksam wird und sich somit der Einfluss der Erhebungssituation auf das Unterrichtsgeschehen verringert (vgl. u. a. Eckerth 2003: 100; Spiegel 2006: 44), steigt das Bewusstsein der UTN im VLE für das eigene Verhalten bei mehrfacher Durchführung zunehmend und wirkt sich vermehrt auf die Daten aus (Knorr 2015: 181). Auf Grundlage der Einschätzungen der Teilnehmenden an der Pilotstudie wurde der zeitliche Rahmen der Untersuchung auf drei bis maximal fünf Unterrichtswochen bzw. die dreibis fünfmalige Wiederholung der Datenerhebung festgelegt, um einerseits das natürliche Kursgefüge nicht zu sehr zu strapazieren und andererseits die UTN für das VLE nicht übermäßig zu belasten. Maximale Transparenz und ein respektvoller Umgang mit allen Beteiligten und deren zeitlichen Ressourcen sowie einer daraus resultierenden guten Forschungsbeziehung soll für alle Stadien des Projekts leitend sein (vgl. auch Legutke & Schramm 2016: 109), weshalb der Durchführungszeitraum während der Planung offengehalten und mit den Studierenden und der Lehrperson im Projektverlauf ausgehandelt wurde. 82 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="83"?> 6.4 Untersuchungskontext Die eigentliche Datenerhebung für die Hauptstudie wurde im Wintersemester 2018/ 19 in einem Kurs für Studierende im ersten Jahr des Studienganges Deutsche Sprache und Kultur der Reitaku-Universität in Japan durchgeführt. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung hatten die Lernenden bereits ein Semester des Studiums absolviert und verfügten somit über grundlegende Sprachkenntnisse, die etwa dem A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens entsprechen. Das Sprachkursprogramm besteht aus vier Unterrichtseinheiten à 90 Minuten pro Woche, die in Doppelsitzungen von zwei Lehrkräften durchgeführt werden - einer Lehrperson mit Deutsch und einer mit Japanisch als Muttersprache. Die Lehrenden gestalten ihren jeweiligen Unterricht in enger Absprache miteinander. In der Regel werden zwei parallele Kurse eingerichtet, an denen jeweils 15 bis 20 Studierende teilnehmen. Darüber hinaus finden ergänzende Pflichtveranstaltungen wie etwa landeskundliche oder methodische Kurse statt, in denen die deutsche Sprache auch Verwendung findet, doch bilden die vier beschriebenen Sprachkurseinheiten den Kern des Deutschprogramms. Ein besonderes Merkmal dieses universitären Sprachkurses im japanischen DaF-Kontext besteht in seiner Konzeption. Nach einer Umstellungsphase zwischen 2012 und 2016 wird der Deutschkurs nach einem aufgaben- und inhaltsbasierten Ansatz unterrichtet, dessen Progression sich nicht an einem festgelegten grammatischen Syllabus, sondern an gesellschaftlichen Themen orientiert (Kusamoto et al. 2015; Orlando & Schütterle 2017; Schütterle & Hamano 2018) 16 . Die Spracharbeit ist der inhaltlichen Annäherung an die Themen konsequent nachgestellt und orientiert sich an der Mitteilungsabsicht der Studierenden. Ein zentraler Bestandteil des Kurskonzepts ist die Auffassung, dass Lernen als sozialer Prozess zu verstehen ist. Gruppenarbeit und Lernen in der Gemeinschaft werden von Anfang an gefördert und die Lernenden werden dazu angeregt, sich aktiv mit der sozialen Komponente des Lernens auseinanderzusetzen. Um den Studierenden den Einstieg in ein für viele von ihnen völlig ungewohntes Lernkonzept zu erleichtern, wird zu Beginn des Studiums ein Einführungsworkshop durchgeführt, in dem sie zunächst in japanischer Sprache einen Einblick in die Arbeitsweise bekommen und erste Erfahrungen als Lerngemeinschaft sammeln können (vgl. Orlando & Schütterle 2017: 73f ). Auch im weiteren Verlauf des Studiums ist die Reflexion über das gemeinsame und eigene Lernen fester Bestandteil des Unterrichts. Trotz der beschriebenen Maßnahmen, die den Lernenden helfen sollen, sich in einem aufgaben- und inhaltsbasierten Unterricht einzufinden, haben die Lehrenden immer wieder problematische Gruppeninteraktionen beobachten können. In Online-Umfragen unter den Studierenden, die der Kursevaluation dienen, wurde deutlich, dass am Ende des ersten Jahres die Mehrheit von ihnen Gruppenarbeit grundsätzlich befürwortet, jedoch einige Schwierigkeiten bei der Durchführung sieht. Häufig genannte Komplikationen beziehen sich auf Aspekte der Beziehungsgestaltung und Gruppenorganisation zwischen den 16 Da das Kursprogramm der Reitaku Universität auf die Erfahrungen vieler Lehrkräfte im Intensivkurs der Juristischen Fakultät der Keio Universität zurückgeht, kommt es zu konzeptionellen Überschneidungen. Zur ergänzenden Lektüre sei hier auf die umfassende Forschungsliteratur zum Intensivkurs der Keio Universität verwiesen (Sambe 1996; Schart 2010, 2013, 2019). 6.4 Untersuchungskontext 83 <?page no="84"?> Mitgliedern, was zu der Entscheidung führte, diese Aspekte des gemeinsamen Lernens in der vorliegenden Studie in den Mittelpunkt zu rücken. Gründe für die Wahl, die Untersuchung in einem Kurs für Studierende im ersten Jahr anzusiedeln, sind zum einen die Tatsache, dass viele der Lernenden erstmals intensiv mit sozialen Lernformen in Berührung kommen und noch in der Gewöhnungsphase sind, und zum anderen die relativ hohe Homogenität der Gruppe in Bezug auf das Alter und die Sprachkenntnisse sowie die langjährige Erfahrung der Lehrkräfte mit dem aufgabenbasierten Unterrichtsansatz im Anfängerbereich. Das verhältnismäßig niedrige Sprachniveau der Lernenden zum Zeitpunkt der Datenerhebung gab Anlass zu der Vermutung, dass in den Gruppenarbeitsphasen oft auf die L1 zurückgegriffen werden könnte, was ggf. zu Schwierigkeiten bei der Datenauswertung führen könnte. Da aber die Forscherin einerseits über gute rezeptive Sprachkenntnisse des Japanischen verfügt, andererseits sowohl die Datenerhebung als auch die Auswertung im Ausgangssprachenland erfolgen sollte, war die Möglichkeit für Rückfragen zu sprachlichen Zweifelsfällen gegeben und somit stellte die Sprache keine Hürde dar. Durch Unterrichtsbeobachtungen und Rücksprachen mit allen im ersten Jahr unterrichtenden Lehrkräften im Laufe des vorangegangenen Semesters wurde einer der beiden Anfängerkurse als Untersuchungsfeld für die Hauptstudie ausgewählt. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung bestand der Kurs aus insgesamt 15 Studierenden - fünf Studenten und zehn Studentinnen - im Alter von 18 bis 19 Jahren 17 . Unter den UTN gab es zwar vereinzelt Studierende, die bereits in der Oberschule etwas Deutschunterricht hatten, allerdings machten sich diese Vorkenntnisse nicht im Unterrichtsgeschehen bemerkbar bzw. waren eventuelle Kenntnisvorsprünge im Verlauf des vorangegangenen Semesters ausgeglichen worden. Beide Lehrpersonen, die in diesem Kurs tätig waren, waren an der Konzeptionierung des Kursprogramms beteiligt und daher mit den Prinzipien des aufgaben- und inhaltsbasierten Unterrichtens vertraut; jedoch kam für die Datenerhebung aus organisatorischen Gründen nur der Unterricht der Deutsch muttersprachlichen Lehrkraft in Frage. Das Untersuchungsdesign wurde dahingehend angepasst, dass die Gruppenarbeitsinteraktionen einmal in der Woche bei dieser Lehrkraft erfasst werden konnten. 6.5 Datenerhebung In Vorbereitung auf die Hauptuntersuchung wurden die Studierenden des oben beschriebenen Deutschkurses zwei Wochen vor Projektbeginn ausführlich über das Forschungsvorhaben und dessen Ziel, Gruppenarbeitsprozesse zu untersuchen, informiert, ohne hierbei den Fokus auf die Gesichtsbedrohungen offenzulegen. Auch die zweite Phase - die Erhebung introspektiver Daten - wurde vorgestellt und mit einem Aufruf zur freiwilligen Teilnahme verbunden. Um den Ablauf der Erfassung der Interaktion für 17 Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen UTN findet sich in Kapitel 8. Da die Porträts der Lernenden auf Erkenntnissen beruhen, die aus der Analyse der Interaktions- und Retrospektionsdaten gewonnen wurden, erschien eine Platzierung der Beschreibung der Lernenden in einem separaten Kapitel außerhalb des Methodenteils angemessen (vgl. u. a. Demmig 2007, Knorr 2015). 84 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="85"?> die UTN leichter nachvollziehbar zu machen, wurden Grafiken zur Verdeutlichung der Kameraaufstellung und aufbereitete Datenbeispiele aus der Pilotstudie gezeigt. Darüber hinaus hatten die Lernenden Gelegenheit sich die Kameras genauer anzuschauen sowie Fragen zum Ablauf, zur Technik und zu den Zielen des Forschungsvorhabens zu stellen. Eine schriftliche Zusammenfassung des Projektablaufs zur späteren Referenz wurde zusammen mit dem Formular zur Einverständniserklärung ausgeteilt (Anhang 1). Sowohl die mündlichen als auch die schriftlichen Erklärungen erfolgten in japanischer Sprache, um das Verständnis seitens der Lernenden sicherzustellen. Eine schriftliche Einverständniserklärung liegt von allen UTN vor. Im Anschluss an die Vorstellung der Studie meldeten sich fünf Studierende, ein Student und vier Studentinnen, freiwillig für die Erhebung der Introspektionsdaten. Diese fünf UTN wurden zusätzlich über den Ablauf des VLEs informiert und unterzeichneten eine ergänzende Einverständniserklärung (Anhang 2). Die Datenerhebung erfolgte in zwei aufeinanderfolgenden Phasen, die über einen Zeitraum von insgesamt fünf Unterrichtswochen einmal pro Woche durchgeführt wurden: die Erfassung der Gruppenarbeitsphasen innerhalb des Unterrichts und die Erhebung der retrobzw. introspektiven Daten mit Hilfe des Videobasierten Lauten Erinnerns. Im Folgenden wird der Ablauf der beiden Phasen nacheinander im Detail dargestellt. Abb. 6: Ablauf der Datenerhebung je Unterrichtswoche 6.5.1 Erfassung der Interaktion Die Erfassung der Unterrichtsinteraktion erfolgte in einem Zeitraum von insgesamt sechs Wochen, in denen jeden Freitagvormittag eine kommunikative Gruppenarbeitsphase im regulären Unterricht videographiert wurde. Da eine Unterrichtswoche planmäßig ausfiel, konnten insgesamt fünf Gruppenarbeitsphasen erfasst werden. Die insgesamt 15 Studierenden fanden sich jede Woche in jeweils vier variierenden Gruppen à drei bis vier Personen zusammen und nahmen mittels der kleinen Action-Kameras ihre Gruppenarbeit auf. Die Gruppeneinteilung wurde den Studierenden überlassen, weil sich ein solches Vorgehen in diesem Kurs etabliert hatte. Da der Unterrichtsverlauf möglichst unberührt von der Datenerhebung bleiben sollte, wurde auch dieser Bestandteil der Kurskultur respektiert, obwohl anzunehmen ist, dass die Vorlieben der Lernenden in Bezug auf Gruppenkonstellationen auf die Zusammenstellung der Gruppen Auswirkungen haben könnten. Eine Besonderheit bei der Gruppenfindung bestand darin, dass die UTN, die sich 6.5 Datenerhebung 85 <?page no="86"?> für die VLE-Sitzungen bereiterklärt hatten, darauf achteten, dass in jeder der vier Gruppen mindestens eine oder einer von ihnen vertreten war, ohne dass sie explizit darum gebeten wurden. So wurde gewährleistet, dass zu jeder Gruppenarbeit neben den Interaktionsdaten auch mindestens ein retrospektiver Datensatz vorliegt. Gleichzeitig bedeutet das jedoch auch, dass höchstens in einer Gruppe zwei Innenperspektiven pro Gruppenarbeitsphase erhoben werden konnten, so dass ggf. unterschiedliche Wahrnehmungen einer Gruppenarbeit unterrepräsentiert sind. Für die vorliegende Studie wird dieser Umstand akzeptiert bzw. als Vorteil ausgelegt, da zu jeder Gruppenarbeit mindestens eine Innenansicht erhoben werden und zum besseren Verständnis der Prozesse unter den Lernenden beitragen konnte. Um relevante Faktoren wie Mimik, Gestik und Ton erfassen zu können, wurden - wie in der Vorstudie bereits auch - pro Gruppe zwei Kameras in der Mitte zwischen zwei Studierenden an den Tischkanten befestigt, so dass die gegenübersitzenden beiden S1 und S3 von KB aufgenommen S2 und S4 von KA aufgenommen Abb. 7: Aufnahmekonstellation Tischsetting (S1-S4: Studierende, KA und KB: Kamera A und B) 86 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="87"?> Lernenden in einer Naheinstellung wie bei einem Porträt aufgezeichnet wurden. Für jede Gruppe entstanden jeweils zwei Videos. Diese Perspektive erlaubt einen Einblick in die Gruppe, der nahezu der Sicht eines Gruppenmitglieds entspricht, da alle Abläufe oberhalb der Tische sichtbar sind. Alle vier Arbeitsgruppen verblieben für die Bearbeitung der Aufgaben im selben Unterrichtsraum, so dass das übliche Klassenraumsetting erhalten blieb und so wenig wie möglich in den normalen Unterrichtsablauf eingegriffen wurde. Mögliche Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Redebeiträge zu den einzelnen Personen oder bei der Transkription des Wortlautes aufgrund der Geräuschkulisse konnten bei der Datenaufbereitung mit Hilfe des Videomaterials überbrückt werden. Nach den Erklärungen zur Gruppenarbeit durch die Lehrperson wurde die Verantwortung in die einzelnen Gruppen übergeben und alle Gruppen parallel aufgezeichnet. Wie bereits ausgeführt wurde aus Gründen der Selbstbestimmung das Starten und Beenden der Aufnahme den Studierenden selbst überlassen, d. h. wenn die Lernenden sich in den Gruppen eingefunden hatten und bereit für die Aufgabenbearbeitung waren, starteten sie Abb. 8: Aufnahmekonstellation Klassenraum (vier Tischgruppen mit jeweils bis zu vier Studierenden, Lehrperson (L) bewegt sich zwischen den Tischgruppen, Forscherin bleibt im Hintergrund) 6.5 Datenerhebung 87 <?page no="88"?> die Kameras selbst und stoppten sie auch, wenn nach ihrem Dafürhalten die Gruppenarbeit abgeschlossen war. Dieses Vorgehen hat zwar theoretisch die Nachteile, dass die Lernenden ggf. bestimmte Phasen, wie etwa Vorbereitung oder Abschluss der Gruppenarbeit nicht aufnehmen, da sie diese als irrelevant erachten, sowie dass die Aufnahmesituation noch einmal verstärkt ins Bewusstsein der UTN rückt und eventuell dadurch das Verhalten beeinflusst. Jedoch werden die Studierenden so von beforschten Untersuchungsobjekten zu mündigen Teilnehmenden, die sich aktiv am Forschungsprozess beteiligen. Darüber hinaus hätte eine Aktivierung der Kameras durch die Forschungsleiterin, die Lehrperson oder zusätzliche assistierende Anwesende mehr Unruhe in das Unterrichtsgeschehen gebracht und so den Stressfaktor für die Beteiligten erhöht. Insgesamt wurden auf diese Weise sechs Stunden Videomaterial zur Gruppeninteraktion erfasst. Die Länge der einzelnen Gruppenarbeitsphasen variiert in Abhängigkeit von der Aufgabe bzw. der Arbeitsweise der einzelnen Gruppen zwischen 6 Minuten und 31 Sekunden und knapp 26 Minuten. G1 G2 G3 G4 Summe GA GA1 17: 42 17: 24 18: 31 18: 37 01: 12: 14 GA2 13: 51 19: 34 06: 31 12: 56 00: 52: 52 GA3 17: 32 17: 28 17: 29 17: 32 01: 10: 01 GA4 17: 33 14: 23 16: 09 13: 45 01: 01: 50 GA5 25: 42 25: 51 25: 42 25: 57 01: 43: 12 06: 00: 09 Tab. 2: Dauer der einzelnen Gruppenarbeitsphasen (G: Gruppe; GA: Gruppenarbeit; Zeitangaben in Stunden: Minuten: Sekunden) Eine detaillierte Beschreibung der Aufgaben und der einzelnen Gruppen sowie ihrer Arbeitsweisen folgt im Hauptteil der Studie (Kapitel 7). 6.5.2 Flankierende Daten Um eine möglichst präzise Rekonstruktion der Interaktionen unter den Lernenden sicherzustellen, wurden zusätzliche flankierende Daten erhoben. Zum einen wurden von der Forscherin die genauen Sitzpläne dokumentiert und die der Gruppenarbeit unmittelbar vorausgehende Unterrichtsphase beobachtet, um potentielle Einflussfaktoren auf die Zusammenarbeit identifizieren zu können. Zum anderen wurden die Studierenden dazu aufgerufen, ihre persönlichen Unterrichtsnotizen zur Verfügung zu stellen. Ein Großteil der UTN kam diesem Aufruf nach, so dass zu allen Gruppen die Arbeitsblätter und Notizen von mehreren und meist sogar von allen Mitgliedern als Kopie oder Foto vorliegen. Besonders bei Schwierigkeiten in Bezug auf Aussprache oder Satzkonstruktionen liefern die individuellen Notizen wertvolle Hinweise zur Entschlüsselung der Problemquelle, erleichtern das Verständnis der Gruppengespräche und die Transkription schwer verständlicher Passagen. Darüber hinaus wurden jede Woche im Anschluss an den Unterricht, in dem die Gruppenarbeitsphasen videographiert wurden, die Lernenden darum gebeten eine Miniumfrage (vgl. Kapitel 6.1.3) auf Japanisch zu der jeweiligen Gruppenarbeit auszufüllen. 88 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="89"?> Darin sollten die Studierenden ihre Gruppenarbeit auf einer Skala von 1 bis 5 bewerten und ihre Einschätzung knapp begründen. Abb. 9: Blitzlichtumfrage Zweck dieser Befragung war, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich anonym zu den Abläufen zu äußern und in der Begründung ggf. auch kritische Anmerkungen zur Gruppenarbeit machen zu können. Außerdem können die Antworten bei der Interpretation der Abläufe innerhalb der einzelnen Gruppen zu Hilfe genommen werden. Da die jeweilige Gruppe mit Hilfe der farblichen Kennzeichnung 18 angegeben werden sollte, kann anhand der Antworten der Studierenden überprüft werden, ob eine Gruppenarbeit ggf. von allen Beteiligten als gelungen oder nicht gelungen wahrgenommen wurde oder lediglich von einzelnen. Solche Zufriedenheitsbekundungen können wertvolle Hinweise zum gruppeninternen Verhalten liefern. 6.5.3 Durchführung des Videobasierten Lauten Erinnerns Für die zweite Phase der Datenerhebung, die Erfassung der introspektiven Sicht, wurden die beiden Videos, die für jede Gruppe in der Gruppenarbeitsphase entstanden sind, in ein Bild-in-Bild-Video zusammengelegt und die Tonspuren synchronisiert, so dass alle Lernenden einer Gruppe in einem Video bei der Bearbeitung der Aufgaben zu sehen sind. 18 Die Kameras wurden farblich markiert: blau, gelb, grün und rot. 6.5 Datenerhebung 89 <?page no="90"?> Abb. 10: Impulsmaterial Die zusammengeschnittenen Interaktionsvideos dienten in den VLE-Sitzungen als Impulsmaterial für die UTN. Alle Sitzungen fanden im Laufe des Nachmittages bzw. am frühen Abend desselben Tages statt, an dem die jeweilige Gruppeninteraktion aufgenommen wurde und konnten so innerhalb von weniger als 12 Stunden durchgeführt werden. Da die Bereitschaft beim Lauten Erinnern mitzuarbeiten aufgrund des engen Zeitfensters eine erhebliche Beeinträchtigung des Tagesablaufs der Lernenden bedeutete und kein Entgelt oder ähnliches als Kompensation angeboten werden konnte, wurde hier auf fünf freiwillige, interessierte Studierende zurückgegriffen (vgl. auch Legutke & Schramm 2016: 109f ). Hierfür wurde jede Woche ein Interviewzeitplan nach Absprache der Beteiligten untereinander erstellt und vor Unterrichtsbeginn ausgehändigt. Die Erstellung des Zeitplans wurde ab der zweiten Woche den Studierenden überlassen. Um die Datenerhebung für die Informantinnen und den Informanten zusätzlich zu erleichtern, wurde bei terminlichen Überschneidungen unter den UTN und der Forscherin auf die Hilfe zweier den Studierenden vertrauter Lehrkräfte aus dem Kollegium zurückgegriffen (im Folgenden als Assistentinnen bezeichnet). Vor Beginn der ersten VLE-Sitzung wurden die fünf Lernenden individuell über die zweite Phase der Datenerhebung aufgeklärt und es wurde eine gesonderte Einverständniserklärung von allen eingeholt. Sie wurden gebeten, sich die Videos mit der Forscherin bzw. mit einer Assistentin zusammen anzuschauen und ihre erinnerten Gedanken während der Gruppenarbeit zu äußern. Ein Erhebungssetting, in dem die Informanten und Informantinnen das VLE selbständig durchführen (vgl. Feick 2016), wäre zwar auch denkbar gewesen, doch haben die Erfahrungen aus der Pilotierung gezeigt, dass es für die UTN angenehm ist, eine reale Ansprechperson zu haben (vgl. Kapitel 6.3.2). Außerdem kann eine anwesende Untersuchungsleiterin im Falle von technischen Problemen unterstützend eingreifen oder nach Beendigung des VLEs die Datensicherung überprüfen. 90 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="91"?> Ein weiterer Vorteil einer anwesenden Forscherin besteht darin, dass sie bei längeren Phasen des Schweigens der UTN an die Verbalisierung der Gedanken erinnern oder an bedeutsam erscheinenden Stellen das Video selbst stoppen und nachfragen kann, ob der oder die Lernende Gedanken zu der betreffenden Situation hat. Letzteres Eingreifen sollte aber nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Kritisch muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass einem Verfahren mit anwesender Forscherin ein höheres Risiko für Reaktivität innewohnt; da aber den UTN ohnehin bewusst ist, dass sie ihre Erinnerungen für Forschungszwecke verbalisieren (vgl. Feick 2013), wird dieser Umstand in der vorliegenden Studie in Kauf genommen und an relevanter Stelle in der Auswertung reflektiert. Um das Verhalten der Forscherin bzw. der jeweiligen Forschungsassistentin während des VLEs möglichst konstant zu halten und den UTN den Ablauf der Datenerhebung zu verdeutlichen, wurde der Leitfaden zur Initiierung des Lauten Erinnerns von Knorr (ebd. 2015: 464) für diese Studie modifiziert und ins Japanische übersetzt (siehe Anhang 3). Es wurde besonders darauf geachtet, dass sich die Forscherin bzw. Assistentin während des Lauten Erinnerns im Hintergrund hält und möglichst nicht eingreift. Nur für den Fall, dass der oder die Befragte das Video längere Zeit laufen lassen sollte, ohne selbstinitiiert erinnerte Gedanken zu äußern, war ein Eingreifen durch die Forschungsleiterin etwa durch das Anhalten der Aufnahme verbunden mit der Frage „ Und hier? “ oder ein Deuten auf die Computermaus vorgesehen. Vor Beginn der ersten VLE-Sitzung wurde der Leitfaden gemeinsam mit jeder einzelnen Informantin bzw. dem Informanten gelesen, eventuelle Unklarheiten ausgeräumt und während der Durchführung gut sichtbar neben dem Computer, auf dem das Impulsvideo abgespielt wurde, zur späteren Einsicht bereitgelegt. Die Impulsvideos wurden auf einem Notebook in voller Länge abgespielt. Die Entscheidung, keine Vorauswahl der Gruppenarbeitssequenzen im Vorfeld durchzuführen, geht einerseits auf das Untersuchungsdesign und den damit verbundenen engen Zeitrahmen zurück, durch den ein Sampling aus zeitlichen Gründen nicht möglich war. Andererseits hatten die Gruppenarbeitsphasen maximal eine Länge von knapp 26 Minuten, was in Bezug auf die Konzentrationsfähigkeit als zumutbar eingeschätzt wurde. Außerdem hatte die Pilotierung gezeigt, dass für die Forschungsfragen scheinbar ereignislose Phasen aus Sicht der Lernenden durchaus bedeutsam sein können, so dass den UTN für das VLE die Auswahl relevanter Interaktionen und damit verbundener Gedanken überlassen wurde. Während die Lernenden frontal vor dem Abspielgerät saßen und zu ihrer Rechten die Computermaus zum Stoppen des Videos bereit lag, saß die Forschungsperson seitlich daneben. Das Laute Erinnern wurde durch ein Diktiergerät, das zwischen der Forscherin und der Informantin bzw. dem Informanten platziert war, aufgenommen. Zusätzlich wurden alle Gespräche mit Hilfe der internen Notebookkamera aufgenommen, um die Speicherung der Daten zusätzlich abzusichern. 6.5 Datenerhebung 91 <?page no="92"?> Abb. 11: Aufnahmesetting für das Videobasierte Laute Erinnern (Die/ der Studierende (S) sitzt frontal vor dem Notebook, auf dem das Impulsvideo abgespielt wird und hat die Maus (M) zur Verfügung. Die Forscherin (F) sitzt seitlich daneben. Aufnahme durch die computerinterne Kamera und das Diktiergerät (D).) Darüber hinaus haben die Aufnehmenden anhand einer Checkliste (siehe Anhang 4) die einzelnen Schritte, vom gemeinsamen Lesen des Leitfadens bis zum Starten der Aufnahme, überprüft, um das Erhebungsverfahren für die VLE-Daten möglichst konstant zu halten. Nur bei der ersten Durchführung wurde der VLE-Leitfaden komplett gemeinsam gelesen. Ab der zweiten Sitzung wurden die Informantinnen bzw. der Informant nur kurz an das Vorgehen erinnert und explizit auf die folgenden drei im Leitfaden enthaltenen Punkte hingewiesen: 1. Die Gedanken können sowohl auf Japanisch als auch auf Deutsch oder in einem Sprachmix geäußert werden. 2. Wenn ein Gedanke verbalisiert wird, muss das Video angehalten werden. 3. Die UTN können das Video so oft stoppen, wie sie möchten. Im Anschluss an das VLE erfolgte im Rahmen einer Abschlussbesprechung (vgl. Knorr 2016: 178) eine kurze Befragung zur allgemeinen Einschätzung sowie bestimmten Aspekten der betreffenden Gruppenarbeit mit Hilfe der folgenden Fragen: 1. Wie war diese Gruppenarbeit? 2. Gab es etwas, was besonders gut gelaufen ist? Berichten Sie bitte. 3. Gab es Schwierigkeiten? Wenn ja, welche? 4. Wie war die Aufgabe? 5. Wie waren die Gruppenmitglieder? Diese Fragen sollten den UTN dabei helfen, die Gruppenarbeit insgesamt zu kommentieren, ohne dabei auf konkrete erinnerte Gedanken oder Gefühle während der Gruppenarbeit 92 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="93"?> eingehen zu müssen. Die Fragen 4 und 5 wurden ab der dritten Woche zur Konkretisierung ergänzt, um den Befragten weitere Anhaltspunkte für mögliche Themen zu geben. So hat zum Beispiel eine Informantin in der Abschlussbefragung zu Protokoll gegeben, dass sie sich am betreffenden Tag nicht gut gefühlt habe, während eine andere ausführlich über ihre Unzufriedenheit mit der Leistung ihrer Gruppe sprach. Im jeweiligen VLE hat keine von beiden diese Themen explizit angesprochen. An dieser Stelle konnte auch auf einzelne Anmerkungen der Lernenden aus der Erinnerungsphase eingegangen und falls nötig zusätzliche Erklärungen erbeten werden. Zwar kann ein solches Debriefing auch ohne leitende Fragen durchgeführt werden, doch haben die Erfahrungen aus der Pilotstudie gezeigt, dass die Gelegenheit etwas frei zu kommentieren als zu unspezifisch wahrgenommen wird und daher ungenutzt bleibt. Insgesamt konnte auf diese Weise eine Datenbasis von ca. 12 Stunden Introspektionsaudios erhoben werden, in der allerdings die gesamte Laufzeit der Impulsvideos enthalten ist. S7 S9 S10 S11 S14 Summe GA1 23: 42 30: 04 27: 07 27: 57 28: 56 2: 17: 46 GA2 27: 15 21: 00 15: 27 21: 01 21: 22 1: 46: 05 GA3 25: 37 30: 00 33: 03 29: 42 29: 46 2: 28: 08 GA4 30: 04 25: 21 26: 27 29: 41 22: 47 2: 14: 20 GA5 33: 40 38: 10 37: 27 48: 21 00: 00 2: 37: 38 Summe 2: 20: 18 2: 24: 35 2: 19: 31 2: 36: 42 1: 42: 51 11: 23: 57 Tab. 3: Dauer der einzelnen VLE-Gespräche (S: Studierende; GA: Gruppenarbeit; Zeitangaben in Stunden: Minuten: Sekunden) 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 6.6.1 Transkription Sowohl die Interaktionsvideos als auch die VLE-Audios wurden vollständig in eine schriftliche Form überführt. Als methodische Grundlage bei der Transkription diente ein Verfahren nach dem Vorbild der halbinterpretativen Arbeitstranskription HIAT (Rehbein et al. 2004). Zentraler Grund für die Wahl des Verfahrens ist die Notation in Partitur, die es erlaubt „ die Multidimensionalität natürlicher Interaktion angemessen wiederzugeben “ (Rehbein et al. 2004: 6). Interaktionen im Allgemeinen sind von zahlreichen gleichzeitigen Handlungen der Beteiligten gekennzeichnet. Wenn zum Beispiel die eine Person spricht, nickt die andere oder drückt mimisch ihr Interesse aus. Auch die sprechende Person kann ihren Redebeitrag mit Gesten oder einer wechselnden Intonation unterstützen, was in einem reinen Verbaltranskript nicht zum Ausdruck kommt. Werden solche nonverbalen oder begleitenden Handlungen in Klammern hinzugefügt - wie in anderen Transkriptionsverfahren üblich - , leidet oft die Lesbarkeit darunter. An den dokumentierten Gruppenarbeitsphasen sind in der Regel drei bis vier Lernende und zeitweise die Lehrperson beteiligt, woraus zwangsläufig das Vorkommen von gleichzeitigem Sprechen, begleitenden nonverbalen Signalen oder Parallelhandlungen resultiert. Durch die Zuordnung von mehreren Zeilen, den sogenannten Spuren, zu einer Person, in denen die einzelnen verbalen und non- 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 93 <?page no="94"?> verbalen Aspekte notiert werden können, sowie die Möglichkeit gleichzeitig stattfindende Handlungen anderer Personen zu dokumentieren, bleibt mehr von der Komplexität der zugrundeliegenden Interaktion erhalten als in einer Zeilenschreibweise. Dennoch stellt jede Art der Verschriftlichung von videographierten Daten stets eine starke Reduktion der Ausgangsdaten dar, so dass auch in der Partiturschreibweise nur ein kleiner Ausschnitt der ursprünglichen Interaktion abgebildet werden kann, worauf im Folgenden noch genauer eingegangen wird (u. a. Rehbein et al. 2004: 11; Deppermann 2008: 39f). Bei den Gruppenarbeitsgesprächen dienten die Audiospuren der Impulsvideos als Transkriptionsgrundlage und wurden für jede Gruppenarbeit einzeln komplett in die Transkriptionssoftware EXMARaLDA importiert und dort verschriftlicht. Das bedeutet, dass die zeitlichen Markierungen anhand der Audiodatei vorgenommen und das Verbaltranskript zunächst nur an auffälligen Stellen durch kurze Beschreibungen visueller Handlungen anhand des Videomaterials überprüft und ergänzt wurde. EXMARaLDA ermöglicht eine Darstellung des Gesprächsverlaufs in Partiturschreibweise mit mehreren Spuren für die einzelnen Beteiligten, so dass neben verbalem auch nonverbales und paraverbales Handeln in einer separaten Zeile notiert werden kann (vgl. u. a. Schwab & Schramm 2016: 286). Ebenso können zum Beispiel parallele Aktivitäten, wie etwa das gleichzeitige Sprechen und auf eine Stelle auf dem Arbeitsblatt zeigen durch eine Sprecherin (Transkriptauszug 4), nonverbale Handlungen mehrerer Gruppenmitglieder (Transkriptauszug 5), überlappende Redebeiträge mehrerer Sprecherinnen (Transkriptauszug 6) oder das Nachschlagen im Wörterbuch einer Lernerin während des Redebeitrags der Kommilitonin (Transkriptauszug 7) übersichtlich und leicht verständlich dargestellt und so die Vorgänge während der Gruppenarbeit nachvollziehbar gemacht werden. 111 [02: 57.5] 112 [02: 58.7] 113 [02: 59.4] 114 [02: 59.9] 115 [03: 00.5] 116 [03: 01.1] 117 [03: 02.2] S4 [v] texto d neun S4 [nv] Blick zu S9 S9 [v] d neun neun ah ja ich auch S9 [nv] blättert zeigt in ihr AB S14 [v] d S14 [nv] nickt kurzer Blick zu S9, dann wieder ins AB [p] (0,7) Transkriptauszug 4: Parallele Handlungen einer Person 325 [09: 33.0] 326 [09: 34.2] 327 [09: 36.5] 328 [09: 38.2] 329 [09: 39.6] S4 [sup] zögerlich S4 [v] er hato er hato an an einer universität in … seoul … ge gelernt S4 [nv] sucht im Text formuliert mit Blick in den Text S9 [nv] schaut Richtung AB von S4 beugt sich vor zu S4 S14 [nv] liest AB in der Hand [p] (2,3) (1,4) Transkriptauszug 5: Parallele nonverbale Handlungen mehrerer Personen 94 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="95"?> 326 [08: 39.1] 327 [08: 40.8] 328 [08: 42.3] 329 [08: 42.9] 330 [08: 44.9] 331 [08: 46.4] 332 [08: 48.4] S4 [v] jay-jay yay-yay S9 [v] jay-jay yay yay-yay jaja yayyay yay … jayejaye S14 [v] sie sie ist frau erste frau erste ähm erste frau S14 [nv] schaut S9 an Transkriptauszug 6: Gleichzeitiges sprechen 116 [03: 44.4] 117 [03: 48.5] 118 [03: 49.3] 119 [03: 50.0] 120 [03: 51.9] S1 [nv] markiert im Text S10 [nv] schaut ins WB S12 [v] zu geschwistern und kinder neffe und nichte nichten und äh S12 [nv] schaut zu S10 blättert [p] (0,7) (1,8) Transkriptauszug 7: Parallele Handlungen mehrerer Personen Um eine möglichst gute Lesbarkeit der Gruppenarbeitstranskripte zu gewährleisten, fand die bei HIAT übliche literarische Umschrift der verbalen Daten auch für die vorliegende Studie Anwendung (Rehbein et al. 2004: 11). Folglich orientiert sich die Schreibung an der Standardorthographie, lässt aber Abweichungen bei Besonderheiten in Bezug auf Aussprache oder Akzentuierung zu. Zum Beispiel betonen die Studierenden häufig das Ende einzelner Wörter, die auf t enden, durch das Anhängen des Vokals o. Zum einen gewinnen sie so Bedenkzeit, zum anderen erhöhen sie die Verständlichkeit für die Mitlernenden, da sie sich am japanischen Lautsystem orientieren, in welchem die meisten Konsonanten in Verbindung mit Vokalen auftreten. 118 [03: 04.1] 119 [03: 05.0] 120 [03: 05.6] 121 [03: 06.6] 122 [03: 07.3] S4 [v] hmm hmmm im im texTO stehTO S4 [nv] blättert/ sucht S9 [v] ah S14 [v] ähhh ah Transkriptauszug 8: Endbetonung mit TO In Anlehnung an das gesprächsanalytische Transkriptionsverfahren GAT wurde jedoch - anders als in HIAT üblich - von der Großschreibung an Satzanfängen und bei Substantiven sowie der Verwendung von Satzzeichen abgesehen. Zum einen soll so der mündliche und vor allem interaktive Charakter der Daten verdeutlicht werden (vgl. Deppermann 2008: 42); zum anderen sind fragmentarische Äußerungen für Lernende auf Anfängerniveau charakteristisch, so dass der Beginn einer neuen Äußerung und somit eines neuen Satzes oft nicht eindeutig identifiziert werden kann (vgl. auch Schart 2019: 134). 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 95 <?page no="96"?> 23 [00: 44.8] 24 [00: 45.2] 25 [00: 46.0] 26 [00: 46.8] 27 [00: 47.7] 28 [00: 48.5] 29 [00: 49.1] 30 [00: 50.2] S4 [v] kein kein mann hm S4 [nv] markiert Textstelle S9 [v] jaja keine mann S9 [nv] zeigt auf Textstelle S14 [v] mann keine mann S14 [nv] nickt, Blick zu S9 [p] (0,8) (1,1) Transkriptauszug 9: Fragmentarische Äußerungen Auch auf Satzzeichen wurde weitgehend verzichtet, lediglich Fragezeichen werden - wie es in verschiedenen Transkriptionssystemen üblich ist (Hagemann & Henle 2014: 6; Rehbein et al. 2004: 21) - bei fragender Intonation notiert, da sie im Gegensatz zu einer zusätzlichen Markierung mit Intonationszeichen intuitiv verständlich sind. Jede Art von Transkription stellt bereits einen ersten Schritt der Interpretation und gleichzeitig eine Reduktion der ursprünglichen Daten in Hinblick auf das Erkenntnisinteresse dar, wobei der Detailgrad kontinuierlich verfeinert werden kann (vgl. u. a. Rehbein et al. 2004: 11; Deppermann 2008: 41; Selting et al. 2009: 356). Eine vollständige Verschriftlichung aller auditiven und visuellen Phänomene ist einerseits aufgrund der medialen Beschränkungen in geschriebener Form und der menschlichen Konzentrationsfähigkeit nicht möglich und für die gezielte Untersuchung bestimmter Aspekte auch nicht zielführend (vgl. Hagemann & Henle 2014: 2). Deshalb ist jedes Transkript als work in progress bzw. als Arbeitstranskript anzusehen, ohne dass eine perfekte, vollständige Version jemals erreicht werden müsste, solange es nur eine der Beantwortung der Forschungsfrage dienliche Abbildung des Untersuchungsgegenstandes liefert (Deppermann 2008: 46). In der vorliegenden Studie werden in der jeweiligen Verbalspur für jedes Gruppenmitglied und die Lehrperson die sprachlichen Äußerungen der einzelnen Sprecherinnen und Sprecher festgehalten - sowohl auf Deutsch als auch Japanisch und vereinzelt auch auf Englisch. Weiterhin enthält jedes Gruppenarbeitstranskript für jede/ n UTN eine Spur für nonverbale Handlungen, in der neben Gesten und Blickrichtungen auch Parallelhandlungen, wie das Nachschlagen im Wörterbuch oder das Anfertigen von Notizen vermerkt werden. Auch suprasegmentale Merkmale wie Lautstärke oder Sprechgeschwindigkeit werden hier im ersten Transkriptionsverlauf notiert, im Feintranskript ausgewählter Sequenzen für die gesprächsanalytische Betrachtung dann aber auf eine eigene Spur übertragen. Eine weitere Abweichung von den bei HIAT üblichen Transkriptionskonventionen stellt das Notieren von Pausen auf einer separaten Spur dar. Da die Zuordnung einer Pause der jeweils sprechenden Person eine Bringschuld unterstellt (vgl. Deppermann 2008: 43), die aber ggf. aus der Sicht der Gesprächsteilnehmenden gar nicht besteht, werden alle längeren Pausen über 0,5 Sekunden auf einer eigenen Spur festgehalten. Insbesondere in lernendensprachlichen Interaktionen sind Pausen üblich und können nur selten eindeutig zugeordnet werden. So können längere kooperative Pausen etwa dadurch entstehen, dass ein Lerner oder eine Lernerin eine Äußerung noch einmal überdenkt, während die anderen in der Gruppe ihm bzw. ihr die Zeit dazu geben, ohne das Rederecht zu 96 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="97"?> übernehmen (vgl. Ohta 2001: 89f ). Eine solche Pause kann dann nicht nur einem Gruppenmitglied zugeordnet werden, sondern stellt viel mehr eine kollektive Sprechpause dar. Insgesamt besteht also jedes Transkript aus neun bis elf Spuren, in Abhängigkeit von der Anzahl der Studierenden in der jeweiligen Gruppe, allein für die Gruppenarbeit. Für Präsentationszwecke - wie etwa im vorliegenden Text - werden Abschnitte oder auch einzelne Begriffe in japanischer Sprache in einer zusätzlichen Übersetzungsspur ins Deutsche übertragen. Für die Analyse wird aber die mehrsprachige Originalspur verwendet. Für Äußerungen auf Japanisch wird die normale Schreibung mit allen drei japanischen Schriftsystemen - Kanji (komplexe bedeutungstragende Schriftzeichen), Hiragana (Silbenschrift überwiegend für grammatische Formen) und Katakana (Silbenschrift überwiegend für Fremdwörter) - verwendet. Von einer Umschrift des Japanischen mit lateinischen Buchstaben wird aus Gründen der Lesbarkeit abgesehen, da einerseits das veränderte Schriftbild den Leseprozess für Japanischkundige verlangsamt und es andererseits wegen der großen Anzahl an Homophonen leichter zu Verwechslungen kommen kann. Aufgrund eines Forschungszuschusses der japanischen Gesellschaft für Forschungsförderung ( Japan Society for the Promotion of Science - JSPS) 19 konnte der Transkriptionsprozess von japanischen Muttersprachlerinnen unterstützt werden. So wurden die introspektiven Daten zuerst von Assistentinnen anhand der Audiodateien aus den VLE- Sitzungen außerhalb von EXMARaLDA transkribiert und nach einer Überprüfung der Forscherin nachträglich an die jeweilige Stelle in die Gruppenarbeitstranskripte in einer gesonderten VLE-Spur eingefügt. So entstand für jede Gruppe in jeder Gruppenarbeitsphase ein kombiniertes Transkript aus Interaktionsdaten und VLE-Daten (vgl. Feick 2016: 109), welches die Datenbasis für die weitere Analyse bildet. Im Gegensatz zur Transkription der Gruppenarbeit wurde für das VLE lediglich eine Verbalspur ohne zusätzliche Notation außersprachlicher Elemente angelegt. Auch hier basiert die Untersuchung auf dem japanischen Original, jedoch wurden für Beispielausschnitte Übersetzungen angefertigt. Da es sich hierbei meist um längere monologische Äußerungen handelt, wurde hier sowohl im Deutschen als auch im Japanischen die Zeichensetzung und im Deutschen die Großschreibung berücksichtigt. Die kombinierten Transkripte wurden zusätzlich von Personen mit Japanisch als Erstsprache überprüft, so dass zahlreiche zunächst unverständliche Passagen nachträglich noch ergänzt werden konnten. 19 日本学術振興会 ( JSPS) 科学研究費助成事業 (KAKEN) 若手研究 Projektnummer: 19K13299 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 97 <?page no="98"?> Gesprächsbeteiligte Studierende S1/ S2/ S3/ … Lehrperson L Spur Abkürzung Inhalt Beispiele Suprasegmentale Spur [sup] Suprasegmentale Charakteristika der Verbalspur leise langsam hoch Verbalspur Original [v] Redebeiträge der Beteiligten Beispiel Deutsch: hochzeit … was bedeutet hochzeit? Beispiel Japanisch: 待って待って Verbalspur Deutsch [dt] Übersetzung der Verbalspur ins Deutsche warte warte Nonverbale Spur [nv] Mimik, Gestik, Blickrichtung, Parallelhandlungen, etc. schaut ins AB nickt schlägt im WB nach lacht Pausespur [p] Sprechpausen im Gruppengespräch in Sekunden (8,3) VLE-Spur Original [VLE_S0] Originalkommentar aus den VLE-Sitzungen この er mag が er magst で彼が迷っていて、私 もその前のグループ ワークの時に、活用が 分からなくなっちゃっ て直前で辞書を確認し てたんで彼に指摘がで きました。 VLE-Spur Deutsch [VLE_S0_dt] Übersetzung des VLE- Kommentars ins Deutsche Hier wusste er nicht, ob es „ er mag “ oder „ er magst “ heißt und weil ich in der Gruppenarbeit davor vergessen hatte, wie man das konjugiert, habe ich es direkt im Wörterbuch nachgeschlagen und konnte ihn bestätigen. Tab. 4: Transkriptionsspuren Eine Verwendung der Audiodateien aus den VLE-Sitzungen, die sowohl die Tonspur der Videos als auch des Lauten Erinnerns enthalten, als Grundlage für die Transkription beider 98 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="99"?> Datensätze bot sich aus mehreren Gründen nicht an. Zum einen ist die Tonqualität der erneut aufgenommenen Videodaten deutlich schlechter, was eine Transkription schwierig macht. Zum anderen sind die VLE-Daten nicht an die Videoaufnahmen der Gruppenarbeit geknüpft, was die Überprüfung multimodaler Aspekte der Gruppeninteraktion erheblich erschwert. Die verschiedenen Transkriptionsschritte und Überarbeitungen für das gesamte Datenmaterial dienten neben der Erstellung einer Analysebasis vor allem auch dazu, sich mit den Daten vertraut zu machen. Gleichzeitig wurden erste Notizen zu auffälligen Passagen sowohl in der Interaktion als auch in den erinnerten Gedanken vorgenommen, die Hinweise auf das Erkenntnisinteresse versprachen. Besonders aufschlussreich war hierbei die Erarbeitung der Zusammenhänge zwischen den Interaktionen im Gruppengespräch und den dazu verbalisierten Gedanken. 6.6.2 Kategorienbildung anhand der retrospektiven Daten Zur ersten systematischen Sichtung wurden die kombinierten Transkripte für jede Gruppenarbeit einzeln in eine Software für qualitative Datenanalyse, MaxQDA, eingelesen und dort nach Gruppenarbeitsphasen geordnet. Im Verlaufe des Transkriptionsprozesses wurde bereits ersichtlich, dass die VLE-Daten neben Anhaltspunkten für potentiell gesichtskritische Situationen auch eher allgemeine Überlegungen zum eigenen oder gemeinsamen Lernprozess oder zum Verlauf der Gruppenarbeit enthalten. Folglich wurden im nächsten Schritt durch wiederholtes Lesen der VLE-Kommentare im Kontext der jeweiligen Interaktionen die dort angesprochenen Themen identifiziert und nach ihrer Relevanz in Bezug auf die Forschungsfragen überprüft. In zahlreichen Studien, in denen Lernaktivitäten im Mittelpunkt stehen, bilden die Interaktionen bzw. deren Transkription die Grundlage für eine gesprächsanalytische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand. Da Gesichtsbedürfnisse aber eng an emotionale und kognitive Reaktionen geknüpft sind, ist die Integration eines innenperspektivischen Zugangs für die vorliegende Studie notwendig. Um eine Erfassung gesichtsrelevanter Interaktionen gewährleisten zu können, wurden die VLE-Daten als Indikatoren für das Auftreten potentiell gesichtskritischer Situationen verwendet. Das bedeutet, dass die Annäherung an die Datenanalyse ausgehend von Indizien für gesichtsrelevante Faktoren in den VLE-Daten erfolgte, die im Interaktionstranskript überprüft und anschließend zum Ausgangspunkt der Verfeinerung der Transkription der relevanten Sequenzen sowie einer interaktionsanalytischen Betrachtung wurden (Kapitel 6.6.4). Abb. 12: Analyseschritte anhand der einzelnen Datensätze 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 99 <?page no="100"?> Zur Ermittlung gesichtsrelevanter Aspekte in den retrospektiven Daten wurden diese einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen, in der ausgehend von den erinnerten Gedanken der UTN induktiv Kategorien am Datenmaterial gebildet wurden (Kuckartz 2018: 72 f; Mayring 2015: 85). Da es sich bei den retrospektiven Daten um gesprochene Sprache handelt, für deren Äußerung zudem eine enorme Erinnerungsleistung nötig ist, sind die Kommentare der Teilnehmenden an den VLE-Sitzungen durch zahlreiche Wiederholungen, Verzögerungspartikeln und Vagheitsausdrücke gekennzeichnet. Um den Kern der einzelnen Aussagen herauszufiltern, wurde auf Verfahren der fokussierten Zusammenfassung (Kuckartz 2018: 86) bzw. der Paraphrasierung (Mayring 2015: 71f ) zurückgegriffen. Dazu wurden alle Aussagen, die im Verlaufe der VLE-Sitzungen entstanden sind, nach und nach verkürzt, auf eine oder mehrere zentrale Aussagen reduziert und erste Kategorien erarbeitet. Abb. 13: Beispiel für einen Reduktionsverlauf Diese Kategorien wurden in darauffolgenden Durchgängen des Lesens und Zusammenfassens mehrfach überarbeitet und neu geordnet. Parallel dazu wurden die VLE-Daten nach UTN kodiert, um mögliche individuelle Charakteristiken oder Schwerpunktsetzungen bei der Erinnerung überprüfen zu können. Anhand der Zusammenfassungen wurden weitere Kategorien entwickelt, die erinnerten Gedanken kodiert und so schrittweise das Kodiersystem erarbeitet (vgl. Kuckartz 2018: 94). Darüber hinaus wurden Aussagen, die keinerlei Hinweise auf potentiell gesichtskritische Situationen oder Gedanken enthalten, aussortiert und für die weitere Analyse nicht berücksichtigt. Die Inhaltsanalyse dient in der vorliegenden Studie somit auch als ein Verfahren des Datensamplings. Bei der Kategorienbildung wurde zunächst sehr kleinschrittig vorgegangen. Das bedeutet, dass eine anfänglich sehr große Zahl von Unterkategorien durch die Überprüfung von Gemeinsamkeiten und Überschneidungen zu größeren Gruppen zusammengefasst und schließlich in Hauptkategorien gebündelt wurden. 100 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="101"?> Abb. 14: Bündelung von Kategorien Die so ermittelten Kategorien in Verbindung mit den dazugehörigen Fundstellen im Gruppenarbeitsgespräch dienen der anschließenden Interaktionsanalyse als Ausgangspunkt. Hauptkategorie Subkategorien Beispiele Fehler bemerken andere selbst unklar Fehler bei anderen VLE_S7: この時に、 warum えっ と、 in das Foto sind って 来たか ら、 sind? あれ、 sind かなぁ…と 思って 考えてます。 VLE_S7_dt: Hier da kam warum äh in das Foto sind. Sind? Hä? Da habe ich mich gefragt, ob da sind hin muss. 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 101 <?page no="102"?> Hauptkategorie Subkategorien Beispiele Ausdrucksschwierigkeiten Ausdruck Wortschatz Aussprache Erklären Grammatik Vergessen Begründen Idee/ Konzept Wortschatz fehlt VLE_S14: えっとここで、あの 「彼は沢山お金を使う」って言 いたかったんですけど、その使 うって動詞が分からなくて結局 文を作れなかったです。 VLE_S14_dt: Ähm, hier da wollte ich sagen „ er benutzt viel Geld “ , aber ich wusste da das Verb für dieses „ benutzen “ nicht und konnte deshalb den Satz letztendlich nicht bilden. Assistenz anbieten bekommen Hilfe bekommen VLE_S14: 今の beiden は、私が前 の GW でやったときはわからなく て、そのまんま流してた部分な んですけど、二人に教えても らって、わかりました。 VLE_S14_dt: Jetzt das beiden, das hatte ich vorher in der Gruppenarbeit nicht verstanden und dann ist das so an mir vorbei gegangen, aber die zwei haben es mir erklärt und ich habs verstanden. Verständnisschwierigkeiten nicht verstehen nicht verstanden werden Material Missverständnis nicht verstehen VLE_S11: すっごい一生懸命考え て言ってくれてるのを理解しよ うとしてるんだけど、理解仕切 れてないみたいな 感じで。 「…」 VLE_S11_dt: Ich versuche zu verstehen, was er sich mit aller Kraft überlegt und gesagt hat, aber irgendwie konnte ich es nicht ganz verstehen. ( … ) 102 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="103"?> Hauptkategorie Subkategorien Beispiele Meinungsverschiedenheiten Vorgehen Glaubensgrundsatz Idee Glaubensgrundsatz VLE_S10: 「…」なんでお母さん 働いてるのに自分料理できな い、お母さんがやるのって思い ました。これ S8F 君もそうで、 えって思っちゃって。これすご いなんかどうなってるのみたい な…思いました。結構ここから ちょっと不満が出るんですよ ね。 VLE_S10_dt: ( … ) warum kann er, obwohl die Mutter arbeitet, nicht kochen, dann macht es wohl die Mutter, dachte ich. Als S8 das dann auch meinte, da dachte ich hä? Ich dachte so, irgendwie krass, was ist denn jetzt hier los. Ab hier war ich dann ja schon ziemlich genervt. Missbilligung Sprachwahl Ausdruck Ablauf Zeit (zu wenig) Reaktion Verhalten keine Reaktion VLE_S7: 「…」反応してくれない からやっぱりなんかなんだろう な。うーん…なんだろう楽しい とかそういうんじゃないしやっ ぱりなんか一人でやってるのか なぁみたいな勘違いしちゃうん ですよね。「…」 VLE_S7_dt: ( … ) Stimmt schon, weil man keine Reaktion bekommt, irgendwie jo wie kann man sagen. Joa, Spaß macht das so ja nicht. Ja, das fühlt sich so an, als würde man das alles alleine machen, ne. ( … ) Anerkennung Vorgehen Idee Sprachverwendung Sprachverwendung VLE_S9: ここでえっと weil とかを 使って文章作ってきてて、私た ちのグループはそこまでしてな かったのですごいなぁって思 い ました。 VLE_S9_dt: Hier da hat sie weil benutzt und einen richtigen Satz vorbereitet. Weil unsere Gruppe nicht so weit gemacht hatte, dachte ich: wow, toll! 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 103 <?page no="104"?> Hauptkategorie Subkategorien Beispiele Unerwartetes Inhalt Kenntnis Vorgehen Kenntnis VLE_S10: 「…」例えることがで きなくて、あーどうやって例え ようかなって思ってたら、なぜ か隣の人が知ってて、驚いたっ ていう。 VLE_S10_dt: ( … ) Naja mir fiel kein Beispiel ein und ich hatte da gerade über Beispiel nachgedacht, als dann der neben mir das auf einmal wusste und da war ich eben überrascht. Unsicherheit Vorgehen Angemessenheit Start GA Ende GA Vorgehen VLE_S11: 自分たちのやつ終わっ たんだけどみんな止めてないか らいつ止めればいいんだろう なって思って。「…」 VLE_S11_dt: Wir waren mit unserem Teil fertig, aber weil die anderen alle noch weiter gemacht haben, haben wir uns gefragt, wann wir aufhören sollen. ( … ) Tab. 5: Kategoriensystem 6.6.3 Makrostrukturelle Beschreibung: Redeanteil, Sprachen und Interaktionsebenen Neben der Erarbeitung potentiell gesichtskritischer Situationen anhand der retrospektiven Daten wurden zu deren Einbettung in die Abläufe in den verschiedenen Gruppen alle transkribierten Gruppengespräche in Hinblick auf die Redeanteile der einzelnen Gruppenmitglieder, die gewählte Sprache und die Interaktionsebenen (vgl. Spiegel 2006: 11 f; Kapitel 2.2) hin kodiert. Dieser Analyseschritt tritt an die Stelle der von Deppermann empfohlenen strukturellen Beschreibung (ebd. 2008: 51) der Gruppenarbeitsgespräche. Für die vorliegende Studie ist zwar der globale Verlauf des Gruppengesprächs nur zweitrangig von Bedeutung, liefert aber für die detaillierte Analyse der relevanten Sequenzen wertvolle Hintergrundinformationen für die Interpretation der Interaktionen. Ursprünglich sollte diese Kodierung auch im kombinierten Transkript erfolgen, doch erwies sich die große Menge an Daten und Kodierungen als technisch schwer handhabbar und eher unübersichtlich, so dass dafür eine separate MaxQDA-Datei angelegt wurde. Durch die Markierung der einzelnen Gruppenmitglieder und ihrer Redebeiträge kann mit Hilfe der programminternen Funktion der Dokumentenportraits auf einen Blick dargestellt werden, wie stark sich die einzelnen Lernenden in die jeweilige Gruppenarbeit einbringen oder wie sich der Einsatz der L1 und der L2 zueinander verhält. Dabei handelt es sich zwar um eine Art der Quantifizierung, doch stehen für die vorliegende Studie weniger die genauen Zahlen im Vordergrund, sondern viel mehr die überblicksartige Darstellung der 104 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="105"?> einzelnen Gruppenarbeiten (Kapitel 7), die der Rahmung der gesprächsanalytischen Betrachtungen dienen soll. Dokumentenportrait Redeanteil der Beteiligten geordnet Dokumentenportrait Redeanteil der Beteiligten ungeordnet Abb. 15: Darstellungsbeispiele mit Hilfe des Dokumentenportraits (MaxQDA) Die Kodierung der Gesprächsebenen orientiert sich an dem jeweiligen Schwerpunkt, der in den einzelnen Sequenzen im Vordergrund steht. Als Ausgangspunkt für die Ermittlung der Interaktionsebenen diente zum einen der theoretische Hintergrund der Interaktionsebenen von Kallmayer, die auch in anderen Arbeiten aufgegriffen und ausgearbeitet wurden (Spiegel 2006: 12, Spranz-Fogasy 2002: 17) - Gesprächsorganisation, Sachverhaltsdarstellung, Handlungsorganisation, Beziehungskonstitution, Interaktionsmodalität und Reziprozitätskonstitution - , doch hatten auch Überlegungen zur Kategorisierung von Unterrichtsgesprächen aus fremdsprachendidaktischen Arbeiten wie bei Lauerbach (1989), Walsh (2011) oder Schart (2019) maßgeblich Einfluss auf die hier angewandten Ebenen (vgl. Kapitel 2.2). Aus Kallmeyers Modell ist der Grundgedanke von besonderer Relevanz, dass Ebenen im Gegensatz zu Modi oder Sequenzen, in denen didaktische Funktionen oder thematische Schwerpunkte im Mittelpunkt stehen, immer präsent sind und somit stets eine Rolle für den Gesprächsverlauf spielen, aber unterschiedlich stark in den Vordergrund treten. Im gesammelten Datenmaterial wurden die folgenden Ebenen ermittelt: Inhalt, Sprache, Vorgehen, Beziehung und Sonstiges. Interaktionsebenen Beschreibung Beispiel Inhalt Äußerungen mit Fokus auf Aufgabeninhalte S11: er hat eine schwester sie kocht gern S8: hm S11: so sie kommt S7: ja S11: sein 20 S7: sein? S11: sein … hau hause 20 An dieser Stelle tritt im insgesamt eher inhaltlich orientierten Ausschnitt eine sprachliche Frage in den Vordergrund, doch bleibt der Fokus auf dem Inhalt. 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 105 <?page no="106"?> Interaktionsebenen Beschreibung Beispiel Sprache Äußerungen mit Fokus auf sprachliche Aspekte (Bedeutung, Aussprache, Grammatik, Ausdruck, etc.) S10: was bedeutet besteck? S13: besteck besteck (zeigt auf Foto auf Arbeitsblatt) S10: あ これか! ah ah (ah das) Vorgehen Äußerungen mit Fokus auf das Vorgehen S8: hm weiter weiter S11: fertig S2: ja S8: ja Beziehung Äußerungen mit Fokus auf gruppeninterne Beziehungen bzw. die individuelle Positionierung S2: ah ja ja ja 21 S1: 一緒です (ich hab das gleiche) S2: 一緒です (ich hab das gleiche) S9: ja ja ja Sonstiges Thematische Abschweifungen S1: 猫カフェとか行くの? (gehst du manchmal in Katzen-Cafés? ) S12: 行く うんん (ja geh ich) S1: そうなの …行ったことがない (ach so … ich war noch nie in einem) S12: 可愛い ふくろうカフェも行きたい (ich will auch mal in ein süßes Eulen-Café ) Tab. 6: Interaktionsebenen Während die Kodierung der Sprecherinnen und Sprecher sowie der verschiedenen Sprachen eindeutig möglich ist, erfordert die Abgrenzung der Ebenen einen interpretativen Zwischenschritt. Handelt es sich etwa bei einer mehrfachen Wiederholung einzelner Wörter oder Ausdrücke um ein Üben der Aussprache oder um eine inhaltliche Bestätigung? Gehört ein persönlicher Kommentar zum Aufgabeninhalt noch zur inhaltlichen Ebene oder steht doch die Beziehungsebene im Vordergrund? Zwar wurden die gesamte Kodierung der Gesprächsebenen sowohl von der Forscherin als auch einer Assistentin mit Japanisch als L1 vorgenommen und unstimmige Kodierungen anhand des Videomaterials geprüft und überarbeitet, doch kann das Verfahren nicht als umfassende Reliabilitätsprüfung angesehen werden, da die Assistentin von der Forscherin angeleitet wurde und nicht über einen entsprechenden wissenschaftlich-methodischen Hintergrund verfügt. Weiterhin wurde die Kategorie Sonstiges nicht weiter ausdifferenziert, da sie nicht unmittelbar im Zusammen- 21 Anhand dieses Beispiels zeigt sich die Schwierigkeit der eindeutigen Zuordnung zu einer Interaktionsebene deutlich. Die Studentinnen reagieren hier auf eine inhaltliche Äußerung ihrer Kommilitonin, so dass dieserAusschnitt auf jeden Fall auch zur inhaltlichen Arbeit zählt. Jedoch werden die Gemeinsamkeiten stark in den Vordergrund gerückt, so dass dieser Austausch vor allem zur Festigung des Gruppengefühls beiträgt und somit eher als beziehungsfördernd eingestuft wird. 106 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="107"?> hang mit der Aufgabenbearbeitung steht und somit in der vorliegenden Arbeit nicht als Teil der Gruppenarbeit gewertet wird. Sicherlich finden sich in dieser Kategorie aber interessante Hinweise auf beziehungsstiftende Interaktionen. 6.6.4 Mikroskopische Annäherung: Interaktionsanalyse Die durch inhaltsanalytische Verfahren am Datenmaterial induktiv ermittelten Kategorien für gesichtskritische Interaktionen bilden den Ausgangspunkt für die detaillierte Untersuchung der Interaktionen unter den Lernenden in den Gruppen. Ausgehend von der Kodierung gesichtsrelevanter Aspekte in den retrospektiven Daten wurden sogenannte clear cases (Deppermann 2008: 52) ausgewählt und für die Detailanalyse vorbereitet. Um auch eher unscheinbare verbale und nonverbalen Handlungen erfassen zu können, wurden die Transkripte der ausgewählten Passagen mit Hilfe des Videomaterials weiter verfeinert und insbesondere nonverbale und suprasegmentale Merkmale ausgearbeitet (vgl. Kapitel 6.6.1). Wie bereits im zweiten Kapitel deutlich wurde, verbirgt sich hinter dem Begriff der Interaktionsanalyse ein breites Spektrum an unterschiedlichen theoretischen und methodischen Ansätzen, die sich in Abhängigkeit von wissenschaftlicher Verortung und methodologischer Sozialisation sowie Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisinteresse stark unterscheiden können. Für die vorliegende Studie soll die Interaktionsanalyse mit Hilfe eines gesprächsanalytischen Instrumentariums erfolgen. Zur Orientierung wurde das Vorgehen und die Auffassung von Gesprächsanalyse von Deppermann herangezogen, das auf der ethnomethodologischen Konversationsanalyse aufbaut, sie jedoch um ergänzende inhaltsanalytische, soziolinguistische und psychologische Verfahren zur Kontextualisierung erweitert (ebd. 2008: 10). In einer strikt konversationsanalytischen Herangehensweise steht „ die Analyse von über Sprache vermittelten kooperativen, intersubjektiv erzeugten Handlungen, die in ihrer Prozesshaftigkeit untersucht werden “ (Imo 2013: 53, Hervorhebung im Original) im Mittelpunkt, wobei ein Rückschluss auf potentiell ablaufende Gedanken nicht vorgenommen wird, da ausschließlich das, was in der Datengrundlage zu lesen oder zu hören ist, berücksichtigt wird. Im Gegensatz zur Konversationsanalyse wird in funktional pragmatischen Ansätzen hingegen der Bezug zu möglichen gedanklichen Prozessen aus dem Datenmaterial abgeleitet und zentral diskutiert (vgl. Schwab & Schramm 2016: 281). Das hier gewählte Verfahren der Gesprächsanalyse erlaubt durch seine Offenheit in Bezug auf Triangulation und die Betonung situativer Faktoren eine angemessene Rahmung zur Abbildung der komplexen Interaktionsprozesse in fremdsprachenunterrichtlichen Gruppenarbeitsphasen. Die Forschungsmethodik zu gesichtsbedrohenden sprachlichen Handlungen fußt auf der Sprechakttheorie, die eine Verortung der Analyse für das vorliegende Erkenntnisinteresse in der funktionalen Pragmatik nahelegen würden. Jedoch stößt letztere bei zahlreichen Phänomenen gesprochener Sprache auf ihre Grenzen, insbesondere bei der Beschreibung der interaktiven Konstruktion von Gesprächen (vgl. u. a. Imo 2013: 36). Den Prinzipien der gesprächsanalytischen Betrachtung von Interaktionen zufolge wird aber davon ausgegangen, dass ein Gespräch von den Beteiligten gemeinsam konstruiert wird und sich die einzelnen Interaktionen, sowohl Redebeiträge als auch nonverbale Handlungen oder Blickrichtungen etc., gegenseitig bedingen und dabei nicht unbedingt immer absichtsvoll sein müssen, sondern sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren heraus 6.6 Datenaufbereitung und Auswertung 107 <?page no="108"?> ergeben. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass verschiedene Interaktionsebenen gleichzeitig realisiert werden und sich nicht unabhängig voneinander betrachten lassen (vgl. Streeck 1983: 21). Die Untersuchung der ausgewählten Sequenzen soll daher nicht isoliert erfolgen, sondern stets in den drei Kontexten Unterricht, Aufgabe und Gruppe situiert und beschrieben werden. Ausgehend von der Annahme, dass jeder Beitrag der Gesprächsteilnehmenden den Verlauf verändert und dass man diese Beiträge nicht von „ interaktiven und kollektiven Prozessen der Kommunikation “ (Streeck 1983: 21) losgelöst sehen darf, eignen sich die in der linguistischen Forschung zum Gesichtskonzept gebräuchlichen Begriffe wie gesichtsbedrohende Akte oder Handlungen, analog zum englischen FTA (face threatening act) als GBA abgekürzt (vgl. Kapitel 5), nur bedingt. Aus einer sprechakttheoretischen Sicht liegt einer sprachlichen Handlung ein bestimmtes Ziel zugrunde, was jedoch - wie die obigen Ausführungen nahelegen - aus einer interaktionsanalytischen Perspektive fraglich ist. Für die in den folgenden Kapiteln dargestellte Analyse wird diese Annahme übernommen und daher werden Situationen, in denen Gesichtsbedrohung oder Gesichtswahrung eine Rolle spielen, als gesichtskritische Episoden (GKE) bezeichnet. 108 6 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen <?page no="109"?> 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten Wie bereits in Kapitel 6 zur Datenerhebung beschrieben, wurden insgesamt fünf Gruppenarbeitsphasen, in denen die Lernenden gemeinsam unterschiedliche kommunikative Aufgaben bearbeiteten, videographiert. Zur Kontextualisierung der gesichtsrelevanten Aushandlungen in der Hauptanalyse wurden die reinen Verbaltranskripte drei separaten Kodierungsprozessen unterzogen. Zum einen wurden die einzelnen Redebeiträge der Gruppenmitglieder markiert, um so einen Eindruck davon zu bekommen, wie aktiv die individuellen Lernerinnen und Lerner an der Gruppenarbeit teilnehmen, zum anderen wurden die verwendeten Sprachen kodiert. Die Forschungsliteratur zum Code-Switching im Fremdsprachenunterricht zeigt, dass der Wahl der Sprache durchaus eine wichtige Bedeutung zukommen kann (u. a. Üstünel & Seedhouse 2005: 307 f; Raindl 2013: 136), doch stellt die Untersuchung des Verhältnisses zwischen L1- und L2-Gebrauch kein zentrales Erkenntnisinteresse der Studie dar. Da aber die Sprachwahl von den UTN häufig thematisiert wurde, soll sie als Teil der Rahmenbedingungen Berücksichtigung finden. Der dritte Kodierungsvorgang dient dazu, die Interaktionsebenen (vgl. Kapitel 6.6.2) zu verdeutlichen und damit zu zeigen, welche Ebenen in den einzelnen Gruppen im Vordergrund stehen. Im Folgenden werden zuerst die einzelnen Aufgaben und ihre von der Lehrperson intendierten Ziele skizziert und anschließend das Vorgehen in den einzelnen Gruppen beschrieben 22 . Grundlage für die Darstellung der einzelnen Gruppen bilden die beschriebenen Kodierungsverfahren und die Ergebnisse der Blitzlichtumfragen 23 am Ende jeder aufgenommenen Gruppenarbeitsphase. 7.1 Gruppenarbeitsphase 1 7.1.1 Erste Aufgabe: Eine fotografische Autobiographie Im Vorfeld der ersten aufgenommenen Gruppenarbeit wurde den Lernenden ein Fotoprojekt eines Künstlers vorgestellt, für das er Dinge seines alltäglichen Lebens fotografierte ( „ Mannheimer Bestandsaufnahme “ von Florian Slotawa, vgl. Anhang 5). Die Aufgabe bestand darin, die fotografische Biografie zu verbalisieren. In einer Vorbereitungsphase, die hier nicht dokumentiert wird, hatten die Lernenden Gelegenheit, gemeinsam in Kleingruppen mit Hilfe von Fotos alltäglicher Gegenstände, wie Hosen, Lampen oder Pfannen, Vermutungen über den Fotografen und seine Lebensgewohnheiten anzustellen und zu notieren. Für die videographierte Gruppenarbeit fanden sich die Studierenden in 22 Die verwendeten Aufgaben finden sich im Anhang (Anhang 5 bis 9). 23 Die Bewertungskategorien entsprechen dem japanischen Notensystem, mit 5 als beste und 1 als schlechteste Note. <?page no="110"?> neuen Gruppen ein und tauschten sich über ihre zuvor gesammelten Vermutungen aus. Hierfür wurde die Aufgabenstellung zuerst im Plenum erklärt und die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Dann begaben sich die Lernenden in ihre neuen Gruppen und richteten sich ein. Anschließend fragte die Lehrperson erneut, ob alles klar sei und forderte die Lernenden dazu auf, mit der Gruppenarbeit zu beginnen, woraufhin jede Gruppe in Eigenregie die Aufnahme startete. Hinweise darauf, dass aufgabenrelevante Absprachen vor Beginn oder nach Beendigung der Aufnahmen erfolgten, finden sich in den gesammelten Daten im Allgemeinen nicht. In der ersten Gruppenarbeitsphase sprechen die Lernenden also über ihre zuvor gesammelten und ggf. notierten Vermutungen, verständigen sich darüber, welches Foto besprochen wird, klären unbekannte Wörter und erklären einander ihre eigenen Ideen. Insgesamt dauerte diese Phase in allen vier Gruppen rund 18 Minuten und wurde zum Ende der Stunde von der Lehrperson beendet. Im Folgenden werden die einzelnen Gruppen und ihr Vorgehen bei der Bearbeitung der Aufgabe skizziert. 7.1.2 GA1G1 Übersicht Gruppenarbeitsphase 1 Gruppe 1 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA1 G1 S7, S8, S11 391 17 min 42 sek 5 - 4 - 2 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 63 % Rot: Japanisch: 37 % Blau: S7: 28 % Braun: S8: 28 % Türkis: S11: 42 % Grau: L: 3 % Gelb: Vorgehen: 32 % Blau: Inhalt: 46 % Grün: Sprache: 19 % Pink: Beziehung: 2 % Grau: Sonstiges: 0 % Die Gruppe G1 setzt sich aus den Lernenden S7, S8 und S11 zusammen. Alle drei Studierenden bringen sich aktiv ein, wobei S11 mit über 40 % Redeanteil das Gruppengespräch leicht dominiert und die beiden anderen sich mit jeweils knapp 30 % einbringen. Insgesamt arbeitet die Gruppe jedoch recht gleichberechtigt in einer freundlichen 110 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="111"?> Atmosphäre zusammen. Bei sprachlichen Hürden, etwa bei der Verständigung oder im Ausdruck, lacht S11 häufig und S5 fällt meist mit ein. Alle drei Lernenden sind jedoch sehr darum bemüht, die Äußerungen der anderen genau zu verstehen. S8 macht durch wörtliche Wiederholungen deutlich, dass er zuhört, S5 bittet oft um Wiederholungen und schreibt möglichst alles mit und auch S11 fragt nach und versucht schwer Verständliches zu paraphrasieren. Dieses präzise Vorgehen hat zur Folge, dass das Bearbeitungstempo etwas gedrosselt wird und die Gruppe so nur langsam vorankommt. Nach anfänglich häufigem Rückgriff auf das Japanische wird insgesamt aber überwiegend in der L2 kommuniziert (63 %), besonders zum Ende der Gruppenarbeitsphase. Die auf Deutsch geäußerten Sätze werden aber oft auf Japanisch zusammengefasst, um das Verständnis abzusichern. Zwar tauschen sich die Studierenden überwiegend auf der inhaltlichen Ebene aus, doch kehren sie häufig auf die Vorgehensebene zurück. Vor allem am Anfang der Gruppenarbeit klären sie ausführlich, wer was gemacht hat und wie man insgesamt vorgehen solle, aber auch im weiteren Verlauf sichern sie stets mehrfach ab, über welches Foto gesprochen wird. Da es immer wieder zu Verständnisschwierigkeiten kommt, spielen Bedeutungsaushandlungen sowie die Überprüfung der grammatischen Richtigkeit teilweise mit Unterstützung der Lehrperson und häufigen Wechseln ins Japanische eine bedeutende Rolle in dieser Gruppe. Die Studierenden nehmen die Gruppenarbeit sehr unterschiedlich wahr, was sich in der stark voneinander abweichenden Gesamtbewertung widerspiegelt (5-4-2). Während ein Mitglied der Gruppe den Meinungsaustausch mit neuen Leuten als positiv hervorhebt (gemeint ist hier vermutlich, dass die betreffende Person sich normalerweise nicht oft mit ihren diesmaligen Gruppenkollegen austauscht), begründet ein anderes Mitglied seine Beurteilung mit dem reibungslosen Ablauf, die dritte Person aber bemängelt den hohen Japanischanteil. 7.1 Gruppenarbeitsphase 1 111 <?page no="112"?> 7.1.3 GA1G2 Übersicht Gruppenarbeitsphase 1 Gruppe 2 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA1 G2 S5, S12, S14 358 17 min 24 sek 4 - 4 - 4 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 57 % Rot: Japanisch: 43 % Blau: S5: 20 % Altrosa: S12: 36 % Rot: S14: 40 % Grau: L: 3 % Gelb: Vorgehen: 32 % Blau: Inhalt: 49 % Grün: Sprache: 15 % Pink: Beziehung: 4 % Grau: Sonstiges: 0,4 % In der G2 dominieren S12 (36 %) und S14 (40 %) leicht, doch bemüht sich auch S5 (20 %) um eine aktive Teilnahme. Insgesamt ist die Gruppenarbeit von einer freundlichen und kooperativen Atmosphäre gekennzeichnet, da die Studierenden stets darauf achten, dass die anderen ihre Äußerungen verstehen können. Die Verständnissicherung wird durch Übersetzung ganzer Sätze (insbesondere durch S12) bzw. wichtiger Schlüsselwörter ins Japanische und Gesten (vor allem durch S14) realisiert. Dieses Vorgehen führt zwar zu einem recht hohen Japanischanteil, jedoch überwiegt das Deutsche mit 57 % leicht. Im Mittelpunkt der Gruppenkommunikation steht S14, die sich einerseits öfter gezielt durch Blickkontakt und Körperhaltung an S5 wendet, gleichzeitig aber für S12 als Hauptansprechpartnerin fungiert. Während bei S5 und S14 der mündliche Austausch im Vordergrund steht, notiert S12 meist die Beiträge von S14 mit Blick auf deren Arbeitsblatt. Die Mitglieder der Gruppe lachen oft gemeinsam und kommentieren gegenseitig ihre Redebeiträge auf Japanisch, so dass keine längeren Pausen entstehen und über den gesamten Verlauf der Zusammenarbeit ein aktiver Austausch erhalten bleibt. Da die Lernenden sich bei der Besprechung ihrer Vermutungen an den Fotos orientieren, verständigen sie sich in der Regel zunächst, ob sie etwas zu einem Foto beizutragen haben oder nicht und bringen anschließend einzeln reihum ihre Ideen ein. Folglich bilden neben den aufgabenrelevanten Inhalten, Aushandlungen über das nächste zu besprechende Foto - meist auf Japanisch - einen großen Teil des Gruppengesprächs. Darüber hinaus finden sich 112 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="113"?> mehrere sprachrelevante Episoden sowohl zum Wortschatz und zur Aussprache als auch zu sprachstrukturellen Fragen. Alle drei Studierende zeigen sich zufrieden mit der Zusammenarbeit und betonen, dass sie in dieser Gruppe mehr Deutsch bzw. spezifischer: eine größere Bandbreite an Wortschatz haben benutzen können. 7.1.4 GA1G3 Übersicht Gruppenarbeitsphase 1 Gruppe 3 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA1 G3 S3, S10, S13, S15 323 18 min 31 sek 2 - 4 - 4 - 4 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 73 % Rot: Japanisch: 27 % Lila: S3: 15 % Grün: S10: 35 % Orange: S13: 28 % Hellgrün: S15: 22 % Grau: L: 2 % Gelb: Vorgehen: 19 % Blau: Inhalt: 40 % Grün: Sprache: 39 % Pink: Beziehung: 2 % Grau: Sonstiges: 0,2 % In der G3 arbeiten S3, S10, S13 und S15 zusammen. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen, die alle bildweise vorgehen, trägt hier ein Mitglied alle seine Ideen vor und gibt dann das Hauptrederecht an das nächste Mitglied weiter, so dass quasi die Rolle des Vortragenden in der Gruppe zirkuliert. Die bzw. der jeweils Vortragende bemüht sich stets das Verständnis interaktiv abzusichern, wodurch alle in allen Phasen aktiv an der Gruppenarbeit partizipieren. Dennoch kristallisiert sich S10 mit 35 % Redeanteil als dominanteste Teilnehmerin heraus, gefolgt von S13 mit 28 % und S15 mit 22 %. S3 hält sich mit 15 % Redeanteil einerseits eher zurück, andererseits wird sein Vortrag durch das Ende der Stunde abgebrochen. Der L1-Anteil ist in dieser Gruppe mit 27 % vergleichsweise gering, was unter anderem auf die Anstrengungen der Gruppe, Verständnisschwierigkeiten ohne zur Hilfenahme des Japanischen zu bewältigen, zurückzuführen ist. Die Lernenden verwenden oft Gesten oder Beispiele aus der Umgebung bzw. zeigen auf Fotos und Wörter auf den Arbeitsblättern. Während der Bedeutungsaushandlungen wenden sich die Mitglieder 7.1 Gruppenarbeitsphase 1 113 <?page no="114"?> einander zu, nehmen Blickkontakt auf und lachen häufig gemeinsam, was neben den zahlreichen Bestätigungssignalen zu einer sehr freundlichen Gruppenatmosphäre führt. Auffällig ist in dieser Gruppe außerdem, dass sich die Studierenden oft und teilweise auch sehr ausführlich über die Bedeutung der einzelnen Wörter austauschen, so dass der Fokus gleichermaßen auf inhaltlichen Aspekten der Aufgabe und sprachlichen Fragen liegt. In anderen Gruppen spielen sprachbezogene Episoden eine eher untergeordnete Rolle. Drei der Studierenden beurteilen diese Gruppenarbeitsphase als positiv und begründen ihre Einschätzung damit, dass sie sich aktiver und erfolgreicher als in vorherigen Gruppenarbeiten haben einbringen können. Eine eher kritische Meinung wird auf den Wunsch nach mehr Vielfalt bei den Ideen sowie eine aktivere Diskussion zwischen allen Mitgliedern zurückgeführt. 7.1.5 GA1G4 Übersicht Gruppenarbeitsphase 1 Gruppe 4 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA1 G4 S1, S2, S4, S9 507 18 min 37 sek 5 - 5 - 5 - ? 24 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 60 % Rot: Japanisch: 40 % Rosa: S1: 19 % Violette: S2: 15 % Gelb: S4: 27 % Pink: S9: 38 % Grau: L: 0,4 % Gelb: Vorgehen: 22 % Blau: Inhalt: 52 % Grün: Sprache: 19 % Pink: Beziehung: 5 % Grau: Sonstiges: 2 % Die Gruppe G4 besteht aus S1, S2, S4 und S9, wobei sich zwar alle aktiv einbringen, das Gruppengespräch aber vorrangig von S4 und S9 mit 27 % bzw. 38 % Redeanteil geleitet wird, während S1 (19 %) und S2 (15 %) sich eher zurückhalten. Die Studentinnen sprechen überwiegend auf Deutsch doch spielt das Japanische mit ca. 40 % eine vergleichsweise große Rolle. Teilweise wird die L1 zur Verständnissicherung - sowohl bei Rückfragen als 24 Ein Gruppenmitglied hat das Umfrageblatt nicht eingereicht. 114 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="115"?> auch bei Erklärungen - verwendet, oft aber auch für kurze scherzhafte Ergänzungen zu den Vermutungen. Die Zusammenarbeit ist von einer äußerst kooperativen Grundstimmung gekennzeichnet, was sich insbesondere an dem hohen Auftreten von Rezeptionssignalen und Zustimmungen ablesen lässt. Inhaltliche Gemeinsamkeiten sowie das Verstehen von Äußerungen anderer werden von freudigen Ausrufen, gemeinsamen Lachen, Wiederholungen der wichtigen Begriffe und eifrigem Nicken begleitet. Trotz des plauderhaften Tons schweifen die Lernerinnen nur einmal etwas vom Thema ab und konzentrieren sich überwiegend auf den inhaltlichen Austausch (54 %). In sprachbezogenen Episoden werden meist Bedeutungen gestisch oder durch Zeigen auf die passenden Fotos ausgehandelt, doch werden vereinzelt auch grammatische Fragen geklärt. Wie auch in den anderen Gruppen, die sich reihum zu den einzelnen Fotos äußern, spielt die Verständigung um welches Bild es genau geht eine große Rolle. Der positive Eindruck der Arbeitsatmosphäre wird auch von den Teilnehmerinnen bestätigt, die die Gruppenarbeit alle als sehr gut beurteilen und mit der freundlichen Stimmung sowie dem dadurch bedingten stressfreien Meinungsaustausch begründen. 7.2 Gruppenarbeitsphase 2 7.2.1 Zweite Aufgabe: Familien aus aller Welt Die zweite aufgezeichnete Aufgabenbearbeitung diente als Einstieg in eine mehrwöchige Unterrichtssequenz zum Themenkomplex Familie. Diesmal sollten die Lernenden in der vorbereitenden Gruppenarbeit neun Fotos, auf denen verschiedene Familien aus aller Welt abgebildet sind, den entsprechenden kurzen Texten, in denen die einzelnen Familien vorgestellt werden, zuordnen (Anhang 6). Während sich einige Fotos und Texte sehr ähneln, so dass im Prinzip verschiedene Zuordnungen möglich sind, finden sich in anderen Hinweise, die nur die Zuweisung eines Fotos zu einem Text erlauben. Es handelt sich also um eine eher geschlossene Zuordnungsaufgabe, in der die Lernenden dazu neigen, nach Informationen für eine eindeutige Lösung zu suchen. Sie wurden jedoch dazu ermutigt, auch nach kreativen Zuordnungen zu suchen, so dass weniger eine korrekte Lösung, sondern eine gute Begründung im Mittelpunkt stand. Unbekannter Wortschatz war unterhalb der Texte angegeben. Es wurde den Lernenden empfohlen, sich in sprachlichen Zweifelsfällen an die Kommilitonen in ihrer Tischgruppe zu wenden und das Wörterbuch nicht voreilig zu konsultieren. Nach der Beendigung der Zuordnungsaufgabe wurden die Studierenden darum gebeten sich in neuen Gruppen zusammenzusetzen und über die Ergebnisse aus der ersten Gruppenarbeit zu sprechen. Einige Redemittel wurden auf dem Arbeitsblatt zur Verfügung gestellt, doch nicht noch einmal im Detail besprochen, da solche Arbeitsphasen einen festen Bestandteil des Unterrichts darstellen und daher den Lernenden vertraut sind. Die Aufgabe bestand also darin, die Lösungsvorschläge in der Gruppe vorzustellen, anhand der Materialien zu begründen und mit den Ideen der anderen Mitglieder zu vergleichen. 7.2 Gruppenarbeitsphase 2 115 <?page no="116"?> 7.2.2 GA2G1 Übersicht Gruppenarbeitsphase 2 Gruppe 1 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA2 G1 S2, S8, S11 258 13 min 51 sek 4 - 4 - 5 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 98 % Rot: Japanisch: 2 % Lila: S2: 27 % Braun: S8: 36 % Türkis: S11: 35 % Grau: L: 1 % Gelb: Vorgehen: 11 % Blau: Inhalt: 86 % Grün: Sprache: 1 % Pink: Beziehung: 1 % Grau: Sonstiges: 0 % Die Studierenden S2, S8 und S11 arbeiten in der Gruppe G1 der zweiten Gruppenarbeitsphase zusammen. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr produktiv und gerade zu Beginn der Gruppenarbeit ist das Gesprächstempo sehr hoch, nimmt jedoch zum Ende hin etwas ab. Die Studierenden gehen bei der Besprechung der Aufgabe Foto für Foto reihum vor. S11 kündigt an, um welches Foto es geht und begründet ihre Wahl mit einem Hinweis aus dem Text, dann bestätigt S2 die Wahl und trägt ihrerseits eine Begründung aus dem Text bei, schließlich ergänzt S8 einen weiteren Aspekt zum Zusammenhang zwischen dem Text und dem Foto. Dabei sind die Studierenden stets darum bemüht einen nicht bereits genannten Beleg zu nennen und bestätigen jeden Beitrag mit verbalen und nonverbalen Verstehensbzw. Zustimmungssignalen, wie einem Nicken oder einem zustimmenden hm. Darüber hinaus lachen die Gruppenmitglieder öfter zusammen, lächeln sich an oder suchen Blickkontakt - insbesondere S2 und S11. Mit 27 % (S2), 36 % (S8) und 35 % (S11) tragen allen drei nahezu zu gleichen Teilen zum Gruppengespräch bei. Bemerkenswert ist der überaus hohe Deutschanteil von 98 % aller verbalen Beiträge und die sehr starke Fokussierung auf den inhaltlichen Aspekt der Aufgabe. Die gesprächsorganisatorische Ebene kommt nur bei dem Übergang von einem Foto zum nächsten und der Weitergabe des Rederechts zum Vorschein, wobei letztere in der Regel durch Gesten und Nicken vermittelt wird. Nur ein einziges Mal tritt die Sprache in den Vordergrund während einer kurzen Episode, in der S11 leichte Wortfindungsschwierigkeiten hat. Persönliche Kommentare 116 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="117"?> stellen nur eine Randerscheinung dar. Die Gruppe zeigt sich zufrieden bis sehr zufrieden mit der Gruppenarbeit und begründet ihre Einschätzung mit dem reibungslosen Ablauf, der erfolgreichen Verständigung und dem hohen L2-Anteil im Gruppengespräch. 7.2.3 GA2G2 Übersicht Gruppenarbeitsphase 2 Gruppe 2 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA2 G2 S5, S7, S13, S15 326 19 min 34 sek 3 - 4 - 3 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 83 % Rot: Japanisch: 16 % Blau: Englisch: 1 % Mattblau: S5: 34 % Blau: S7: 51 % Orange: S13: 6 % Grün: S15: 4 % Grau: L: 6 % Gelb: Vorgehen: 11 % Blau: Inhalt: 73 % Grün: Sprache: 14 % Pink: Beziehung: 2 % Grau: Sonstiges: 0 % In der Gruppe G2 wird die Aufgabenbearbeitung in erster Linie von S7 (51 %) geleitet, der dabei von S5 (34 %) unterstützt wird. S13 und S15 melden sich mit jeweils rund 5 % Gesprächsanteil nahezu gar nicht zu Wort. S7 bemüht sich sehr, die anderen Studierenden mit einzubeziehen, fragt immer wieder nach, spricht S5 und gelegentlich auch S13 mit inhaltlichen Fragen an oder überprüft, insbesondere mit Blick zu S13, ob es Unklarheiten gibt. S5 bringt sich sowohl als aktiver Zuhörer als auch als Beitragender ein, stimmt der Zuordnung von S7 zu und versucht auch selbst eigene Hinweise auf das jeweilige Foto aus dem passenden Text zu benennen. Da er sich oft unsicher ist, ob sein Beitrag inhaltlich und sprachlich angemessen ist, schwächt er seine Beiträge oft mit Einschränkungen auf Japanisch oder vereinzelt auch Englisch ab. Die starke Zurückhaltung von S15 ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie erst nach der Vorbereitungsphase zum Unterricht dazu gestoßen ist und ihr somit das nötige Vorwissen für die aktive Bearbeitung der Aufgabe fehlt. In den sprachbezogenen Episoden versucht sie jedoch auszuhelfen. S13 hingegen bleibt trotz Anwesenheit während der Vorbereitung still und reagiert verbal nur, wenn er direkt von S7 angesprochen wird. Ansonsten verfolgt er das Geschehen, indem er ab und zu 7.2 Gruppenarbeitsphase 2 117 <?page no="118"?> aufschaut und ggf. nickt. Der Deutschanteil ist mit über 80 % sehr hoch - wenn auch deutlich niedriger als in den anderen Gruppen - und der Fokus liegt auf der inhaltlichen Ebene der Aufgabe, jedoch werden sprachliche Fragen mehrmals insbesondere von S5 thematisiert und in der Gruppe besprochen. Das Gesprächstempo ist etwas langsam, so dass zum Ende hin die Zeit knapp wird und nicht alle inhaltlichen Punkte der Aufgabe erschöpfend besprochen werden können. Teilweise liegt das daran, dass S13 und S15 sich nicht nur mit inhaltlichen Beiträgen, sondern auch mit Rezeptionssignalen stark zurückhalten und S7 dann meist jedes Mitglied der Gruppe einzeln fragt, ob alles klar sei. Den etwas trägen Arbeitsablauf nehmen auch die Studierenden kritisch wahr und beurteilen die Gruppenarbeit als überwiegend durchschnittlich. Die Begründungen hängen mit den eigenen mangelnden Beitragsmöglichkeiten, fehlender Lebhaftigkeit und dem verlangsamten Verständnis durch die unzureichende Vorbereitung (vermutlich S15) zusammen. Nur ein Student sieht die Zusammenarbeit als Erfolg, da er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten immer besser auf Deutsch habe ausdrücken können. 7.2.4 GA2G3 Übersicht Gruppenarbeitsphase 2 Gruppe 3 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA2 G3 S1, S3, S10, S12 103 6 min 31 sek 4 - 4 - 3 - 4 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 96 % Rot: Japanisch: 4 % Rosa: S1: 7 % Lila: S3: 7 % Grün: S10: 7 % Altrosa: S12: 74 % Grau: L: 5 % Gelb: Vorgehen: 13 % Blau: Inhalt: 67 % Grün: Sprache: 19 % Pink: Beziehung: 1 % Grau: Sonstiges: 0 % Der Beginn der Gruppenarbeit in der Gruppe G3 wurde durch technische Probleme einer der beiden Kameras verzögert. Nach mehreren Fehlversuchen wurde die nicht funktionierende Kamera durch die interne Kamera eines Laptops ersetzt. Es ist anzunehmen, dass die Startschwierigkeiten einen Einfluss auf die Zusammenarbeit in der Gruppe hatten. 118 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="119"?> So ist zum Beispiel die sehr kurze Bearbeitungszeit der Aufgabe von ca. sechseinhalb Minuten auffällig. Ein möglicher Zusammenhang mit dem verzögerten Start besteht darin, dass die Gruppe sich bei der Aufgabenbesprechung nur auf das Wesentliche beschränkte, um so die verlorene Zeit wieder aufzuholen. S12 übernimmt hierbei die Leitung und trägt ihre Text-Bild-Zuordnung vor, ohne das Rederecht abzugeben. S1, S3 und S10 beschränken sich auf Zuhörsignale und Äußerungen der Zustimmung, versuchen aber ihrerseits nicht die Gesprächsführung zu übernehmen. Im weiteren Verlauf der Aufgabenbearbeitung reduzieren S1 und S3 ihre Zustimmung auf Nicken und phatische Signale, während S10 sich vollständig auf die eigenen Unterlagen zu konzentrieren scheint und aus dem Gruppengespräch weitgehend heraushält. Diese Rollenverteilung spiegelt sich deutlich in den Redeanteilen der einzelnen Gruppenmitglieder wider, während S12 74 % des Gruppengesprächs zufallen, tragen die anderen nur jeweils 7 % bei. Das Japanische wird mit 4 % Anteil am gesamten Gespräch kaum zur Hilfe genommen und tritt nur bei Unsicherheitsbekundungen im Rahmen der seltenen sprachlichen Aushandlungen auf. Da S12 die Aufgabe quasi monologisch bearbeitet, finden sich außer zu Beginn und am Ende keine gesprächsorganisatorischen Episoden. Die Atmosphäre in der Gruppe kann zwar als positiv und kooperativ beschrieben werden, da die Lernenden einander zustimmen und sich durch Zeigen, Nicken oder Wiederholen der Schlüsselbegriffe gegenseitig unterstützen, doch sind alle sehr stark auf ihre eigenen Arbeitsblätter fokussiert. Was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass eine Studentin das Gruppengespräch übernimmt, während die anderen sich zwar freundlich unterstützend zeigen, aber doch passiv bleiben. Von den Lernenden wird die Gruppenarbeit in drei Bewertungen mit 4 Punkten und einer mit 3 insgesamt als eher positiv wahrgenommen. Trotz der voneinander abweichenden Bewertungen mit 3 und 4 Punkten geben zwei Gruppenmitglieder an, dass sie sich nicht aktiv haben einbringen können, und ein weiterer Kommentar bezieht sich auf die kurze Bearbeitungszeit. Eine Person begründet ihre positive Einschätzung der Gruppenarbeit damit, dass sie ohne Schweigepausen habe auf Deutsch sprechen können. 7.2 Gruppenarbeitsphase 2 119 <?page no="120"?> 7.2.5 GA2G4 Übersicht Gruppenarbeitsphase 2 Gruppe 4 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA2 G4 S4, S9, S14 289 12 min 56 sek 5 - 4 - 4 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 91 % Rot: Japanisch: 9 % Gelb: S4: 29 % Pink: S9: 30 % Rot: S14: 35 % Grau: L: 6 % Gelb: Vorgehen: 3 % Blau: Inhalt: 63 % Grün: Sprache: 31 % Pink: Beziehung: 3 % Grau: Sonstiges: 1 % Auch in der vierten Gruppe ist der L1 Anteil mit nur 9 % sehr gering, da es den Studentinnen S4, S9 und S14 gelingt, die Aufgabe überwiegend auf Deutsch zu bewältigen. Alle drei tragen fast zu gleichen Teilen zum Gruppengespräch bei (29 %, 30 %, 35 %) und das sprachliche Verhalten ist durch kooperative Handlungen, wie etwa Wiederholung und Ergänzung der Beiträge der anderen (vgl. Storch 2002: 130), gekennzeichnet. In dieser Gruppe wird reihum vorgegangen, indem eine Lernerin eine Foto-Text-Zuordnung vorschlägt, die beiden anderen diese bestätigen und sich anschließend diejenige, die eine ergänzende Anmerkung zum Zusammenhang von Bild und Text hat, äußert. Die Reihenfolge der Beitragenden wird nicht strikt eingehalten und ermöglicht somit einen aktiveren Austausch, da sich die Lernenden jederzeit einbringen können. Die Studentinnen bauen so gemeinsam Äußerungen auf, erweitern zuvor Gesagtes und unterstützen sich gegenseitig bei Wortfindungsschwierigkeiten oder Verständnishürden. Der Schwerpunkt des Austausches liegt auf der inhaltlichen Ebene, doch werden mehrfach sprachbezogene Fragen angesprochen und erfolgreich gelöst. So können Missverständnisse, die auf wortschatzbedingten Unklarheiten oder sprachstrukturellen Fehlern basieren, entdeckt und kooperativ geklärt werden. Über den Arbeitsablauf oder die Gesprächsorganisation müssen sich die Studentinnen aufgrund des hohen Grades an Gegenseitigkeit und Gleichheit, der diese Gruppenarbeit charakterisiert, nicht explizit austauschen. Die gute bzw. sehr gute Bewertung der gemeinsamen Gruppenarbeit wird vor allem mit den erfolgreichen Äußerungen auf Deutsch begründet. 120 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="121"?> 7.3 Gruppenarbeitsphase 3 7.3.1 Dritte Aufgabe: Eine Briefmarke In der zweiten Woche der Unterrichtssequenz zum Thema Familie sollten sich die Lernenden über ihre Wahrnehmung der Briefmarke mit dem Titel „ Familie schafft Zukunft “ aus dem Jahr 1992 nach einem Entwurf von Joachim Rieß austauschen (Anhang 7). Die Abbildung ist ein scheinbar von Kinderhand gemaltes Bild, das drei Personen einer Familie zeigt. Durch den kindlichen Stil des Bildes werden verschiedene Wahrnehmungen der drei Personen ermöglicht, so dass sie als Darstellung von Vater, Mutter und Kind, aber auch als Mutter mit zwei Kindern oder anderweitig interpretiert werden kann. Zunächst sollten die Studierenden in einer vorbereitenden Gruppenarbeit Ideen zu dem Bild sammeln, in Stichpunkten notieren und gleichzeitig ggf. notwendigen Wortschatz recherchieren. Anschließend setzten sich die Gruppen neu zusammen und es sollte sich auf Deutsch über die zuvor gesammelten Ideen ausgetauscht werden. Hierbei sollten die Lernenden ihre Idee begründen, die Beiträge der anderen anhören und ggf. die anderen von der Richtigkeit ihrer Idee überzeugen. Es wurde explizit darauf hingewiesen, dass der Ideenaustausch ruhig kontrovers verlaufen könne und es gerne zu Diskussionen kommen dürfe. 7.3.2 GA3G1 Übersicht Gruppenarbeitsphase 3 Gruppe 1 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA3 G1 S9, S12, S15 322 17 min 32 sek 4 - 3 - 5 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 59 % Rot: Japanisch: 41 % Pink: S9: 33 % Altrosa: S12: 30 % Grün: S15: 10 % Grau: L: 27 % Gelb: Vorgehen: 7 % Blau: Inhalt: 79 % Grün: Sprache: 10 % Pink: Beziehung: 4 % Grau: Sonstiges: 0 % 7.3 Gruppenarbeitsphase 3 121 <?page no="122"?> In der Gruppe G1 dieser Gruppenarbeitsphase arbeiten S9, S12 und S15 zusammen. Sie entscheiden sich für ein Vorgehen bei dem jede zuerst alle ihre Ideen gesammelt vorträgt und anschließend weitere Details besprochen werden. Nach rund zwei Minuten haben alle drei ihre vorbereiteten Gedanken vorgestellt und wissen dann nicht so recht, was sie weiterhin tun sollen. S9 und S12 geben verschiedene Optionen für die Interpretation der Briefmarke ohne Begründung an und zeigen im Gruppengespräch keine besondere Präferenz für eine davon, so dass ein detaillierter Austausch über die Wahrnehmung gar nicht erst aufkommen kann. S15 trägt nur eine Interpretation des Familienmodels bei, begründet diese teilweise auch, doch von den beiden Kommilitoninnen wird lediglich Verständnis signalisieren, ohne dass weitere Rückfragen gestellt werden, folglich kommt auch hier kein weiteres Gespräch auf. Da der Ideenaustausch durch die harmonische Akzeptanz der verschiedenen Wahrnehmungen bereits im Keim erstickt wird, nimmt die Lehrperson über längere Phasen hinweg an der Gruppenarbeit teil und bemüht sich eine Diskussion anzuleiten, was teilweise auch gelingt, jedoch erfolgt dieser inhaltliche Austausch über lange Passagen hinweg auf Japanisch (41 %). Dies hat auch zur Folge, dass sowohl die sprachbezogene als auch die vorgehensbezogene Ebene fast keine Rolle in dieser Gruppenarbeit spielt. Vereinzelt werden die Bedeutungen von Wörtern besprochen oder Übersetzungen ins Deutsche erfragt, häufig unter Beteiligung der Lehrperson. Das Gespräch findet hauptsächlich zwischen S9 und S12 und - wenn anwesend - dem Lehrer statt, die alle drei zu rund 30 % zum Gruppengespräch beitragen. S15 hört zwar aktiv zu, was durch Blickrichtung, Mimik, Gestik und Rezeptionssignale deutlich wird, äußert sich jedoch vergleichsweise wenig (10 %). Die Studentinnen lachen häufig gemeinsam und gehen auf die Beiträge voneinander ein. Zwar wird die eigentliche Aufgabe nicht wirklich erfüllt, doch herrscht eine angenehme Gesprächsatmosphäre in der Gruppe. In den Beurteilungen der Gruppenarbeit variieren die Bewertungen zwischen 5 und 3. Zwei Beteiligte zeigen sich zufrieden mit dem Meinungsaustausch, wohingegen die dritte angibt, sich mehr anstrengen zu wollen, ihre Meinung beizutragen. 122 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="123"?> 7.3.3 GA3G2 Übersicht Gruppenarbeitsphase 3 Gruppe 2 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA3 G2 S2, S5, S7 305 17 min 28 sek 5 - 4 - 5 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 61 % Rot: Japanisch: 38 % Blau: Englisch: 1 % Violette: S2: 19 % Mattblau: S5: 30 % Blau: S7: 49 % Grau: L: 2 % Gelb: Vorgehen: 7 % Blau: Inhalt: 65 % Grün: Sprache: 14 % Pink: Beziehung: 10 % Grau: Sonstiges: 4 % Die Gruppe G2 setzte sich aus S2, S5 und S7 zusammen, wobei S7 erneut eine Mentorenrolle einnimmt - ähnlich wie in der Gruppenarbeitsphase 2 - und die Leitung der Gruppenarbeit übernimmt. Sein Redeanteil liegt bei knapp der Hälfte des gesamten Gruppengesprächs. Er initiiert oft neue Themenabschnitte durch Fragen und unterstützt seine Kommilitonen durch Ermutigungen und Korrekturvorschläge. S5 und S2 nehmen die Hilfestellungen und Themenvorschläge an, gehen darauf ein und bringen sich mit 30 % und 20 % aktiv ein. Da die Abfolge der Redebeiträge keinem bestimmten Gruppenarbeitsmuster folgt, in dem zum Beispiel jedes Mitglied reihum etwas sagt, ähnelt es einem lockeren Gespräch, zu dem jede/ r etwas beiträgt. Die Zusammenarbeit ist von einem hohen Maß an Gegenseitigkeit gekennzeichnet, über Missverständnisse und sprachliche Fauxpas wird gemeinsam gelacht und die Arbeitsatmosphäre ist freundlich und produktiv. Teilweise stoßen die Studierenden so auf echte Wahrnehmungsunterschiede, woraus emotionale Reaktionen (Überraschung, Unverständnis, etc.) resultieren, die dann auch verbal umgesetzt werden. Der inhaltliche Austausch erfolgt hauptsächlich auf Deutsch (61 %), jedoch werden wichtige Gedanken oft zusätzlich auf Japanisch abgesichert. Auch bei sprachrelevanten und beziehungsbezogenen Episoden wird oft die L1 hinzugezogen, ebenso wie bei einer kurzen Abschweifung vom Thema zum Ende der Gruppenarbeit hin. Zwei Mitglieder beurteilen die Gruppenarbeit als sehr gelungen und begründen ihre Einschätzung mit den interessanten Ideen und dem erfolgreichen Gespräch. Auch die dritte 7.3 Gruppenarbeitsphase 3 123 <?page no="124"?> Einschätzung ist positiv, doch wird Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass man zwar etwas beizutragen gehabt hätte, das aber nicht auf Deutsch habe sagen können. 7.3.4 GA3G3 Übersicht Gruppenarbeitsphase 3 Gruppe 3 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA3 G3 S4, S10, S11, S13 354 17 min 29 sek 4 - 2 - 4 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 69 % Rot: Japanisch: 31 % Gelb: S4: 20 % Grün: S10: 44 % Türkis: S11: 25 % Orange: S13: 8 % Grau: L: 4 % Gelb: Vorgehen: 3 % Blau: Inhalt: 64 % Grün: Sprache: 21 % Pink: Beziehung: 9 % Grau: Sonstiges: 2 % S4, S10, S11 und S13 bilden die dritte Gruppe in dieserArbeitsphase. Nach einer einleitenden Runde, in der jedes Mitglied mit Hilfe von Notizen seine Hauptideen zu dem Bild vorstellt, entwickelt sich ein offenes Gruppengespräch, in dem Rückfragen gestellt und Ideen aufgegriffen werden. Zwar entstehen immer wieder längere Pausen für die Wortfindung oder zur Konstruktion von Äußerungen, doch bricht das Gespräch nicht ab. S10 trägt rund 44 % zum Gruppengespräch bei, dominiert das Geschehen aber nicht in der Rolle einer Leiterin oder Tutorin. Vielmehr versucht sie hier einen kontroversen Diskussionsverlauf anzuregen, indem sie teilweise etwas übertrieben theatralisch den Ansichten ihrer Kommilitoninnen widerspricht. Durch Lachen und Randbemerkungen verdeutlicht sie aber, dass die Diskussion einen spielerischen Charakter hat. Als Diskussionspartnerin fungiert in erster Linie S11, die dann ihrerseits auf ihre Ansicht besteht, da sie aber sehr überlegt und präzise antwortet, entfallen lediglich 25 % des Redeanteils auf sie. S4 (20 %) bringt sich anfangs stark ein, präsentiert die eigenen Ideen und stellt Rückfragen zu den Gedanken der anderen, nimmt aber an dem Streitgespräch zwischen S11 und S10 nur durch einzelne Äußerungen teil. S13 (8 %) bleibt über den gesamten Verlauf der Gruppenarbeit eher zurückhaltend und bringt sich nur auf explizite Anfrage ein. Durch passendes 124 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="125"?> Mitlachen und das Blickverhalten wird aber deutlich, dass sowohl S4 als auch S13 die Diskussion aufmerksam verfolgen. Im Vergleich zu den anderen Gruppen ist der Deutschanteil in der GA3G3 mit fast 70 % deutlich höher. Außerdem tauschen sich die Studierenden zwar überwiegend über die Inhalte aus (71 %), thematisieren aber auch verhältnismäßig oft sprachliche, insbesondere wortschatzbezogene Fragen (23 %). Vor allem S10 bezieht bei der Suche nach den passenden Ausdrücken die gesamte Gruppe mit ein und nimmt die Vorschläge der anderen auch gerne an. Über fehlerhafte Äußerungen oder Versprecher lachen die Studierenden gemeinsam, was der positiven Gruppenatmosphäre sehr zuträglich ist. Am Ende der Gruppenarbeit vergleichen die Mitglieder kurz auf Japanisch, welche anderen Idee sie zu der Briefmarke gesammelt hatten, so dass klar wird, dass sie ganz bewusst im Sinne der Aufgabe auf die Vorstellung ähnlicher Interpretationen verzichtet haben, um so eine aktive Diskussion zu ermöglichen. Von zwei Mitgliedern wird die Gruppenarbeit als gelungen eingeschätzt und in beiden Fällen damit begründet, dass man auf die Meinungen der Gesprächspartner habe angemessen reagieren können, wobei allerdings auch bedauert wurde, dass die Vokabelkenntnisse nicht ganz ausgereicht haben, alle Redeabsichten umzusetzen. Auch die durchschnittliche Bewertung der Zusammenarbeit wird auf die Fähigkeit, außergewöhnliche Ideen beitragen zu können, zurückgeführt. Ein weiteres Mitglied der Gruppe zeigt sich eher unzufrieden damit, kaum mitgesprochen haben zu können. 7.3 Gruppenarbeitsphase 3 125 <?page no="126"?> 7.3.5 GA3G4 Übersicht Gruppenarbeitsphase 3 Gruppe 4 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA3 G4 S6, S8, S14 289 17 min 32 sek 4 - 2 - 4 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 62 % Rot: Japanisch: 38 % Hellrot: S6: 9 % Braun: S8: 50 % Rot: S14: 39 % Grau: L: 2 % Gelb: Vorgehen: 18 % Blau: Inhalt: 59 % Grün: Sprache: 15 % Pink: Beziehung: 9 % Grau: Sonstiges: 0 % In der vierten Gruppe findet der überwiegende Teil des Gesprächs zwischen S8 (50 %) und S14 (39 %) statt, während S6 (9 %) sich passiv verhält, was sich auch im Blickverhalten äußert, das bei S6 meist auf die eigenen Unterlagen ausgerichtet ist. Nach einer einleitenden Runde, in der jedes Gruppenmitglied eine ausgewählte Interpretation der Briefmarke vorstellt, gerät der Ablauf etwas ins Stocken, woraufhin sich S14 bemüht, durch Fragen und neue Ideen eine Diskussion auf Deutsch in Gang zu bringen. S8 nimmt diese Gesprächsanlässe auch wahr und geht auf sie ein, doch verzögert sich durch sein häufiges Nachschlagen im Wörterbuch und zahlreiche verständnissichernde Rückfragen in der L1 der Verlauf beträchtlich, so dass der Meinungsaustausch nur schleppend vorangeht. Öfter äußert S8 in der L1 die von ihm empfundene Schwierigkeit, seine Gedanken zum Thema auf Deutsch auszudrücken, und schließt daran dann seine Idee - ebenfalls in der L1 - an. Anfangs verfolgt auch S6 das Gesagte, was durch Rückfragen auf Japanisch deutlich wird. Zwar wird der größte Teil des Gruppengesprächs immer noch auf Deutsch realisiert (62 %), doch führt der häufige Rückgriff auf das Japanische bei S14 zu Frustration, was sie sowohl im Gesprächsverlauf als auch im VLE zum Ausdruck bringt. Zum Beispiel macht sie an mehreren Stellen S8 explizit darauf aufmerksam, dass der Versuch, sich auf Deutsch auszudrücken, auch Teil der Aufgabe sei oder bedauert in der Retrospektion das mangelnde Sprachbewusstsein der beiden anderen Gruppenmitglieder. Folglich liegt der Gruppenarbeit eine gewisse Anspannung zu Grunde, die das Anlaufen des Meinungsaustausches 126 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="127"?> zusätzlich ausbremst. Sowohl S14 als auch S8 bemühen sich die Zusammenarbeit voranzubringen, stehen sich aber mit entgegengesetzten Prioritäten gegenseitig im Weg. Während für S8 die sprachliche Richtigkeit und das genaue Verständnis im Vordergrund stehen, sieht S14 den Meinungsaustausch in deutscher Sprache als zentralen Teil der Aufgabe, für den auch fehlerhafte Äußerungen in Kauf genommen werden. Da sich hier zwei gegensätzliche Herangehensweisen in Bezug auf die Aufgabe gegenüberstehen, wird neben dem inhaltlichen und sprachbezogenen Austausch das Vorgehen in dieser Gruppe - im Vergleich zu den anderen Gruppen bei dieser Aufgabe - verhältnismäßig oft thematisiert. Insgesamt nehmen die Studierenden die Gruppenarbeit jedoch überwiegend als erfolgreich wahr und führen ihre Zufriedenheit auf den interessanten Meinungsaustausch und ihre eigene aktive Teilnahme zurück. Ein eher unzufriedenes Mitglied bedauert wenig beigetragen zu haben. 7.4 Gruppenarbeitsphase 4 7.4.1 Vierte Aufgabe: Familienformen Das Thema Familienformen wurde ebenfalls - wie bei den anderen beschriebenen Aufgaben auch - durch eine vorbereitende Gruppenarbeit entlastet. Ähnlich wie bei der Aufgabe zu den Künstlerfotos (GA1) und der Briefmarke (GA2) konnten auch hier die Lernenden anhand von Bildmaterial zunächst gemeinsam Ideen und Ausdrucksmittel sammeln. Als sprachliche Hilfestellung diente ein Beispiel. Traditionelle Familie In einer traditionellen Familie geht der Vater arbeiten. Die Mutter ist Hausfrau. Es gibt viele Kinder. Die Mutter sorgt für die Kinder und macht die Hausarbeit. Materialauszug 1: GA4 Familienformen (vgl. Anhang 8) Mit Hilfe von 14 Strichfiguren-Zeichnungen sollten mögliche - gerne auch fantasievolle - Familienformen bezeichnet und beschrieben werden (Anhang 8). Darüber hinaus wurden die Studierenden ermutigt, eigene Ideen zu Familienkonstellationen zu ergänzen und zu beschreiben. Die mit Kameras aufgenommene kommunikative Gruppenarbeit bestand darin, den Mitlernenden in den neuen Gruppen von den erarbeiteten Ideen zu berichten, die Besonderheiten der Familienformen zu erklären, sich die Ideen der anderen Gruppen anzuhören und darauf zu reagieren. Es handelt sich also um eine sowohl sprachlich als auch kognitiv anspruchsvolle Aufgabe (vgl. Kapitel 4.2.1.5), in der die Lernenden sich mit den eigenen Werten auseinandersetzen und auch untereinander ihr Verständnis von Familie aushandeln müssen. 7.4 Gruppenarbeitsphase 4 127 <?page no="128"?> 7.4.2 GA4G1 Übersicht Gruppenarbeitsphase 4 Gruppe 1 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA4 G1 S2, S5, S7 324 17 min 33 sek 5 - 3 - 4 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 62 % Rot: Japanisch: 38 % Violette: S2: 18 % Mattblau: S5: 37 % Blau: S7: 42 % Grau: L: 3 % Gelb: Vorgehen: 14 % Blau: Inhalt: 55 % Grün: Sprache: 28 % Pink: Beziehung: 4 % Grau: Sonstiges: 0 % Auch in dieser Gruppenarbeitsphase finden zufälligerweise die Studierenden S2, S5 und S7 zusammen und kooperieren diesmal ebenfalls gut miteinander. Erneut übernimmt S7 (42 %) eine leicht leitende Rolle, doch tritt diesmal S5 mit 37 % Redeanteil stärker in den Vordergrund. Jedes Gruppenmitglied stellt reihum zu jeder Abbildung eine Idee zur Bezeichnung und Beschreibung der Familienform vor und gibt nach kurzen Verständnissicherungen, die sowohl von den Zuhörenden als auch den gerade Vortragenden initiiert werden, das Rederecht weiter. Die anfangs etablierte Reihenfolge wird aufrechterhalten, so dass die Studierenden im weiteren Gruppenarbeitsverlauf nur noch stichwortartig klären, ob sie zur jeweils nächsten Abbildung übergehen, weshalb die Besprechung des Vorgehens eine vergleichsweise geringe Rolle spielt (14 %). Die fast ausschließlich bedeutungsbezogenen sprachlichen Episoden werden, wie auch schon in früheren Gruppenarbeitsphasen, mittels zahlreicher Wiederholungen, einfacher Erklärungen in der L2 oder knapper Übersetzungen in die L1 bewältigt. Das Deutsche überwiegt zwar mit 62 %, doch nehmen die Lernenden häufig das Japanische zu Hilfe vor allem bei der Überprüfung des Verstandenen nach längeren Aushandlungsprozessen. Zum Ende hin tauschen sie sich vermutlich aus zeitökonomischen Gründen kurz auf Japanisch über schwer zu erklärende Familienmodelle aus. Dies zeigt, dass sie im Zweifel dem inhaltlichen Ideenaustausch eine höhere Priorität einräumen als der fremdsprachlichen Kommunikation in der L2. 128 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="129"?> Die Zusammenarbeit verläuft sehr harmonisch, wobei allerdings außerhalb der Verständnissicherung kaum auf die Äußerungen der jeweils anderen Gruppenmitglieder eingegangen wird. Dies mag einerseits daran liegen, dass sich die Ideen sehr ähnlich sind, andererseits sind auch weitere Gründe denkbar, wie etwa ein gewisser Zeitdruck oder Zweifel an der sprachlichen Kompetenz in der Gruppe, so dass auf inhaltliche Rückfragen oder Kommentare verzichtet wird. Insbesondere S7 aber auch S2 machen häufig Notizen, was ein Hinweis darauf sein kann, dass sie diesen Ideenaustausch in erster Linie als sprachlichen Input wahrnehmen, in dem das gegenseitige Verständnis im Vordergrund steht. Insgesamt nehmen die Studierenden die Gruppenarbeit als eher gelungen wahr und begründen dies mit dem erfolgreichen inhaltlichen Austausch. Eine eher durchschnittliche Bewertung wird damit erklärt, dass man nicht gut auf Deutsch habe sprechen und zwischendurch auch nichts habe beitragen können. 7.4.3 GA4G2 Übersicht Gruppenarbeitsphase 4 Gruppe 2 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA4 G2 S1, S4, S6, S10 256 14 min 23 sek 5 - 5 - 4 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 75 % Rot: Japanisch: 25 % Rosa: S1: 31 % Gelb: S4: 22 % Hellrot: S6: 11 % Grün: S10: 17 % Grau: L: 19 % Gelb: Vorgehen: 18 % Blau: Inhalt: 71 % Grün: Sprache: 7 % Pink: Beziehung: 3 % Grau: Sonstiges: 1 % Die zweite Gruppe in der vierten Gruppenarbeitsphase besteht aus S1, S4, S6 und S10. Den höchsten Anteil zum Gespräch trägt S1 (31 %) durch wortreiche Äußerungen, Kommentare oder Rückfragen mit verhältnismäßig hohem Japanischanteil bei. Weiterhin beteiligen sich S4 (22 %) und S10 (17 %) am Gruppenarbeitsgespräch und auch S6 (11 %) bringt sich in dieser Gruppe eher aktiv ein. Zum Ende der Gruppenarbeit hin entfällt ein beträchtlicher 7.4 Gruppenarbeitsphase 4 129 <?page no="130"?> Abschnitt auf einen Aushandlungsprozess zwischen der Lehrperson und S1, so dass der Lehrer knapp 20 % des Redeanteils in dieser Gruppe beiträgt. Der L2 Anteil ist jedoch mit 75 % recht hoch, was auch auf die hohe Beteiligung der Lehrperson zurückzuführen ist. Die wenigen sprachlich orientierten Episoden werden ebenfalls alle bis auf eine mit Hilfe des Lehrers umgesetzt. Auch in dieser Gruppe steht das Verstehen der Ideen der anderen im Mittelpunkt. Alle Mitglieder bemühen sich möglichst leicht verständliche Bezeichnungen und Erklärungen zu verwenden, was auch in den meisten Fällen gelingt, so dass in den überwiegenden Fällen weder sprachliche noch inhaltliche Rückfragen nötig sind. Das Vorgehen wird nur zu Beginn der Gruppenarbeit bei der Bestimmung der Reihenfolge und zweimal im späteren Verlauf thematisiert. Einmal als S6 und S10 feststellen, dass eine von ihnen vergessen hat, nach der Vorbereitungsphase die Gruppe zu wechseln und ein weiteres Mal, als die Mitglieder sich ähnlich wie die G1 über das Vorgehen bei den schwierig zu beschreibenden Familienformen verständigen. Ansonsten trägt jede der Lernenden eine Idee zu einer Familiendarstellung vor, die anderen signalisieren ihr Verständnis durch Nicken oder hm und anschließend übernimmt die nächste das Rederecht. Es herrscht eine freundliche, aber auch sehr konzentrierte Stimmung, die ab und zu durch ein unsicheres Lachen von S1 nach den eigenen Redebeiträgen aufgelockert wird. Die Mitglieder schauen überwiegend in die eigenen Unterlagen, überprüfen aber durch Herstellung von Blickkontakt in der Gruppe das gemeinsame Verständnis des Gesagten. Die Wahrnehmung der Gruppenarbeit der einzelnen Mitglieder divergiert dahingehend, dass sich der größere Teil zufrieden bzw. sogar sehr zufrieden zeigt und dies mit dem interessanten inhaltlichen Austausch, der erfolgreichen Anwendung des Deutschen und der guten Zusammenarbeit begründet, während eine Studentin der Meinung ist, dass kein wirklicher Meinungsaustausch stattgefunden habe und sie daher die Gruppenarbeit als mittelmäßig erfährt. 130 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="131"?> 7.4.4 GA4G3 Übersicht Gruppenarbeitsphase 4 Gruppe 3 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA4 G3 S9, S11, S13 354 16 min 09 sek 3 - 3 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 63 % Rot: Japanisch: 37 % Pink: S9: 53 % Türkis: S11: 33 % Orange: S13: 12 % Grau: L: 2 % Gelb: Vorgehen: 5 % Blau: Inhalt: 77 % Grün: Sprache: 14 % Pink: Beziehung: 4 % Grau: Sonstiges: (1 %) In der G3 arbeiten S9, S11 und S13 zusammen, wobei die Interaktion vor allem zwischen S9 (53 %) und S11 (33 %) stattfindet und S13 (12 %) aktiv zuhört, aber in Bezug auf den Redeanteil am Rande bleibt. Die Gruppe kommuniziert zwar überwiegend in der L2, nimmt aber mit einem Anteil von 37 % recht oft die L1 zu Hilfe, was auch später von S11 in der Retrospektion stark kritisiert wird. Während der Gruppenarbeit scheinen die Mitglieder jedoch harmonisch zusammenzuarbeiten. Sie beginnen unmittelbar mit der inhaltlichen Arbeit, in der sie reihum zu jeder Abbildung ihre Ideen vortragen, ggf. ein bisschen erläutern und wenn alle ihr Verständnis signalisieren zur nächsten Illustration übergehen. S11 wendet sich mit dem gesamten Oberkörper ihren Kommilitonen zu und auch die beiden anderen richten ihren Blick zum jeweils sprechenden Mitglied. Zwar findet selten direkter Blickkontakt statt, da sie eher auf die Notizen der Mitlernenden schauen, doch nicken sie nach jedem Beitrag deutlich, um zu signalisieren, dass sie verstanden haben und keine Einwände haben. Kommt es doch mal zu abweichenden Meinungen, werden diese zwar in beiläufigen Kommentaren auf Japanisch eingebracht, worüber sie dann auch gemeinsam lachen, doch werden die unterschiedlichen Ideen nicht weiter in der Gruppe besprochen. Folglich werden die Gedanken zu den verschiedenen Familienformen lediglich vorgestellt und zur Kenntnis genommen, doch gehen die Mitglieder nicht wirklich aufeinander ein, sondern akzeptiert Unterschiede einfach, ohne sie weiter zu besprechen. 7.4 Gruppenarbeitsphase 4 131 <?page no="132"?> Die Lernenden konzentrieren sich auf die inhaltliche Ebene und äußern sich selten zu sprachlichen oder prozessbezogenen Aspekten. Auf sprachlicher Ebene spielen in dieser Gruppe in erster Linie Ausspracheschwierigkeiten und die damit verbundenen Versuche schwierige Wörter vorzulesen eine Rolle. Vereinzelt werden Hinweise zur Bedeutung auf Japanisch gegeben, um das gegenseitige Verständnis sicherzustellen. S9 stellt einmal eine grammatische Frage, versucht sie aber in einem Lautdenkprozess sofort selbst zu beantworten, so dass auch hier eher nicht von Gegenseitigkeit gesprochen werden kann. Es herrscht zwar insgesamt eine freundliche, aber sehr zurückhaltende Arbeitsatmosphäre, als wollten die Studierenden einander nicht durch unpassende Bemerkungen zu nahetreten. Der insgesamt etwas schleppende Verlauf der Gruppenarbeit spiegelt sich auch in den Beurteilungen der Studierenden wider, die sie alle mit 3 als mittelmäßig einstufen. Die Gründe für diese Einschätzung hingegen sind sehr unterschiedlich. S9 klagt sowohl im VLE als auch in der Kurzumfrage über Kopfschmerzen und die beiden anderen sind mit dem hohen Japanischanteil bzw. dem langsamen Vorankommen und der damit verbundenen Tatsache, dass nicht alle Aufgabenteile besprochen werden konnten, unzufrieden. 7.4.5 GA4G4 Übersicht Gruppenarbeitsphase 4 Gruppe 4 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA4 G4 S3, S12, S14, S15 306 13 min 35 sek 3 - 3 - 4 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 50 % Rot: Japanisch: 50 % Lila: S3: 10 % Rosa: S12: 37 % Rot: S14: 36 % Grün: S15: 13 % Grau: L: 5 % Gelb: Vorgehen: 16 % Blau: Inhalt: 67 % Grün: Sprache: 12 % Pink: Beziehung: 4 % Grau: Sonstiges: 2 % In der vierten Gruppe, bestehend aus S3, S12, S14 und S15, wird zunächst kurz das Vorgehen auf Japanisch besprochen und S14 beginnt mit der inhaltlichen Arbeit. Zuerst trägt sie knapp ihre Idee zu der Familienform auf der ersten Abbildung vor, die anderen Gruppen- 132 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="133"?> mitglieder signalisieren Verständnis, stimmen zu, indem sie mitteilen, dass sie dieselbe Idee hatten bzw. ergänzen weitere Details. Anschließend übernimmt S3 das Rederecht und die Gruppe fährt in der gleichen Weise mit der zweiten Abbildung fort. Um sicher zu stellen, dass alle Gedanken zu einem Bild eingebracht wurden, verständigen sich die Lernenden jedes Mal darüber, ob man zum nächsten Punkt übergehen könne. Zwar bleibt der Fokus auf der inhaltlichen Ebene, doch finden sich neben den häufigen, aber sehr knappen Äußerungen zum gemeinsamen Vorgehen, zahlreiche, jedoch ebenfalls kurze Verweise auf sprachbezogene Bedeutungsepisoden, in denen in der Regel einfach die japanische Übersetzung gegeben wird. In der zweiten Hälfte der Gruppenarbeit häuft sich der Rückgriff auf die L1, da die Studierenden dazu übergehen, ihre Ideen zwar noch auf Deutsch zu präsentieren, die Erklärung dazu aber gleich komplett auf Japanisch zu liefern, so dass insgesamt beide Sprachen zu etwa gleichen Teilen verwendet werden. Während dieser Gruppenarbeit sprechen in erster Linie S12 (37 %) und S14 (36 %), während S3 (10 %) und S15 (13 %) nur vereinzelt etwas beitragen. Der höhere Redeanteil von S14 ist einerseits auf Wiederholungen als wichtig eingeschätzter Schlüsselbegriffe, andererseits die Antizipation von Verständnisschwierigkeiten bei den anderen Gruppenmitgliedern und den daraus folgenden Erklärungen zurückzuführen. Auch S12 reichert ihre Beiträge mit Zusatzinformationen sowie teils informativen teils humoristischen Kommentaren an. Aufgrund der Einhaltung der Reihenfolge sowohl der Beitragenden als auch der Abbildungen und der Überprüfung, ob alle mit dem Fortfahren einverstanden sind, erfolgt die Besprechung der Aufgabe jedoch unter der Mitwirkung aller Mitglieder. Insgesamt schätzen die Studierenden diese Zusammenarbeit als durchschnittlich gelungen ein, wobei sich auch die einzelnen Bewertungen größtenteils decken. Ähnlich wie in der G3 gehen auch hier die Gründe für die Einschätzung in sehr verschiedene Richtungen. Einerseits wird bedauert, dass es zu keinem richtigen Meinungsaustausch gekommen sei, bzw. dass man hätte mehr diskutieren können, andererseits wurden die inhaltlichen Beiträge aller als sehr ähnlich wahrgenommen, so dass kein richtiges Gespräch zustande habe kommen können. Außerdem wird auch hier von einem Mitglied festgestellt, dass man nicht alles habe besprechen und kaum etwas zum Gruppengespräch habe beitragen können. 7.5 Gruppenarbeitsphase 5 7.5.1 Fünfte Aufgabe: Die ideale Familienform In der letzten Woche der Datenerhebung bestand die kommunikative Gruppenarbeit darin, sich gegenseitig die persönliche Vorstellung von einer idealen Familienform zu präsentieren und gemeinsam zu entscheiden, welche der Formen für die Zukunft Japans am besten geeignet ist. Zur Vorbereitung haben sich die Studierenden in der Hausaufgabe mit den folgenden Fragen beschäftigt (vgl. Anhang 9): In welcher Familienform möchten Sie gern leben? Welche Familienform finden Sie nicht ideal? Warum? Materialauszug 2: GA5 Die ideale Familienform (vgl. Anhang 9) Ziel des Gruppengesprächs war also einerseits die eigene Vorstellung von Familie in Worte zu fassen und zu begründen, warum diese den eigenen Bedürfnissen entspricht, anderer- 7.5 Gruppenarbeitsphase 5 133 <?page no="134"?> seits die Ideen anderer nachzuvollziehen und daraus Ideen zur Familienpolitik zu entwickeln. Grundlegende Redemittel wurden zur Verfügung gestellt, generell konnten die Studierenden aber im Sinne der aufgabenbasierten Prinzipien die sprachlichen Formen selbst wählen (vgl. Ellis & Shinitani 2014: 135). Unter den dokumentierten Aufgaben ist diese im Vergleich zu den anderen von deutlich höherer Komplexität, da nicht nur wie bislang eigene Präferenzen vorgestellt und erklärt werden sollen, sondern gemeinsam in der Gruppe von der individuellen Ebene abstrahiert und gesellschaftspolitische Gedanken entwickelt werden sollen. Der hohe Anspruch der Aufgabe äußert sich in allen Gruppen in der deutlich längeren Bearbeitungszeit und dem hohen Japanischanteil. 7.5.2 GA5G1 Übersicht Gruppenarbeitsphase 5 Gruppe 1 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA5 G1 S1, S7, S12 481 25 min 42 sek 5 - 4 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 47 % Rot: Japanisch: 53 % Rosa: S1: 31 % Blau: S7: 18 % Altrosa: S12: 38 % Grau: L: 13 % Gelb: Vorgehen: 11 % Blau: Inhalt: 37 % Grün: Sprache: 24 % Pink: Beziehung: 1 % Grau: Sonstiges: 27 % Für die Bearbeitung dieser Aufgabe haben sich S1, S7 und S12 zusammengefunden. Den ersten Teil des Arbeitsauftrags, in dem sie sich über die persönlichen idealen Familienbilder austauschen, erledigen sie recht zügig. Reihum trägt jedes Mitglied - größtenteils abgelesen - die in der Hausaufgabe vorbereiteten idealen Familienmodelle vor, wobei durch Rückfragen sowohl der Zuhörenden als auch der Vortragenden das Verständnis abgesichert und im Anschluss Zustimmung bzw. Verständnis signalisiert wird. In einer zweiten Runde äußern sich die Lernenden nach demselben Verfahren über Familienformen, die ihnen nicht zusagen. Im Mittelpunkt dieses Ideenaustausches steht die Verständnissicherung und inhaltliche Rückfragen spielen keine Rolle. Auf diese erste produktive Phase folgt eine 134 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="135"?> kurze sprachbezogene Episode und dann eine Sequenz, in der S1 und S7 ihre Notizen überarbeiten, während S12 ihnen dabei zuschaut. Nach einiger Zeit entwickelt sich zwischen S1 und S12 parallel zur Überarbeitung der Notizen ein Nebengespräch, was S1 an die laufenden Kameras erinnert, weshalb sie vorschlägt die Aufnahme zu stoppen. Ein Blick zu den anderen Gruppen und auf die Uhr veranlasst sie jedoch, davon abzusehen und stattdessen S7 um die Wiederholung des zuletzt Gesagten zu bitten. Die Gruppe tauscht sich erneut über mögliche Familienformen aus und diesmal werden auch inhaltliche Rückfragen gestellt, dabei wird jedoch verstärkt auf das Japanische zurückgegriffen. Aus einer solchen inhaltlichen Erklärung in der L1 entsteht erneut ein Nebengespräch zwischen S1 und S12, bei dem sie stark vom Thema abweichen, während S7 für sich bleibt und über Formulierungen zur Aufgabe nachdenkt. Mit Unterstützung des Lehrers kehrt die Gruppe zu aufgabenrelevanten sprachlichen Fragen zurück, schweift wieder ab, entscheidet dann kurz vor Ende der Gruppenarbeit mittels Schere-Stein-Papier-Verfahren die Familienform, die als Gruppenlösung vorgestellt werden soll, und plaudert erneut über aufgabenferne Themen. Die mehrfachen Abschweifungen (fast 30 %) tragen einerseits dazu bei, dass S12 (38 %) und S1 (31 %) wesentlich mehr zum Gruppengespräch beitragen als S7 (18 %), andererseits sind sie auch für die geringe inhaltliche Fokussierung (nur 37 %) sowie den hohen Japanischanteil (53 %) verantwortlich. Auch sprachbezogene Fragen werden meist auf Japanisch geklärt. Die Stimmung in der Gruppe ist diffus und unkonzentriert, da das Gruppengespräch sich immer wieder insbesondere auf Impulse von S12 hin von der eigentlichen Aufgabe entfernt. Zwar scheinen S1 und S7 zu versuchen, die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Aufgabe zu lenken, doch bremsen die langen Überarbeitungen der eigenen Notizen sowie Unsicherheiten in Bezug auf die Formulierung ihrer Gedanken und das Vorgehen beim aufgabenbezogenen Entscheidungsprozess den Austausch zurAufgabe aus. S12 zeigt wenig Interesse an einer Vertiefung der Diskussion über Vor- und Nachteile von bestimmten Familienformen und da die beiden anderen sich entweder in ihre eigenen Überlegungen zurückziehen oder auf die Gesprächsangebote von S12 eingehen, verläuft sich die Aufgabenbearbeitung und wird zur Nebensache. Bewertet wird diese Gruppenarbeit von den Beteiligten mit 5, 4 und 3. Als positiv werden insbesondere der Meinungsaustausch und erfolgreiche Redebeiträge hervorgehoben, die häufige Verwendung des Japanischen hingegen, wird als negativ wahrgenommen. 7.5 Gruppenarbeitsphase 5 135 <?page no="136"?> 7.5.3 GA5G2 Übersicht Gruppenarbeitsphase 5 Gruppe 2 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA5 G2 S2, S6, S9, S15 441 25 min 51 sek 4 - 5 - 3 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 48 % Rot: Japanisch: 52 % Lila: S2: 6 % Hellrot: S6: 14 % Pink: S9: 44 % Grün: S15: 17 % Grau: L: 19 % Gelb: Vorgehen: 8 % Blau: Inhalt: 82 % Grün: Sprache: 7 % Pink: Beziehung: 2 % Grau: Sonstiges: 1 % S2, S6, S9 und S15 bilden die G2 und auch in dieser zweiten Gruppe wird die Vorstellung der eigenen Familienbilder recht zügig hauptsächlich in der Zielsprache umgesetzt. Jede Studentin stellt ihre favorisierte Familienform vor, indem sie sich an ihren Notizen orientiert und sich durch einen Blick zu den anderen Gruppenmitgliedern vergewissert, ob sie ihr folgen können. Schwierige Wörter werden hierbei abgelesen, doch werden die vorbereiteten Sätze teilweise auch modifiziert, um etwa den Bezug zur eigenen Person zu verdeutlichen oder die Aussagen zu vereinfachen. Die anderen signalisieren entweder ihr Verständnis oder wiederholen Wörter und Ausdrücke, die sie nicht verstehen, woraufhin die Sprecherin entweder in ihre Notizen zeigt oder den Ausdruck ihrerseits wiederholt. Abgesehen von einer Rückfrage der Lehrperson, die zu einem längeren Aushandlungsprozess in der L1 führt, da die Frage auf inhaltlicher Ebene nicht verstanden wurde, tauscht sich die Gruppe in diesem ersten Abschnitt überwiegend auf Deutsch aus. Anschließend versucht S9, in deren Familienmodell ein Elternteil zu Hause bleibt, in Bezug auf die Doppelverdienerfamilie von S15 zu erfragen, ob das Kind sich nicht vernachlässigt fühlen würde. Die Formulierung der Frage erfordert viel Zeit und Anstrengung von S9, doch glückt die Kommunikation in der L2 zwischen den Studentinnen hier noch. Zwar verbleiben die Lernerinnen über den gesamten Verlauf der Zusammenarbeit auf der inhaltlichen Ebene, mit Ausnahme weniger kurzer Exkurse zur Aussprache sowie knapper Überlegungen, die das Vorgehen in Bezug auf Ausführlichkeit der familienpolitischen Überlegungen betreffen, 136 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="137"?> bewältigen aber die zweite Hälfte des Gesprächs fast ausschließlich auf Japanisch. Insgesamt entfallen so 52 % auf die L1. S9 (44 %) übernimmt insbesondere im späteren Verlauf der Gruppenarbeit die Gesprächsführung und trifft auch die Entscheidungen für die Gruppe, dass entgegen ihren eigenen Präferenzen eine Doppelverdienerfamilie die beste Lösung für die Zukunft Japans sei. S6 (14 %) und S15 (17 %) beteiligen sich zurückhaltend, aber aktiv an den Überlegungen zu einer familienpolitischen Lösung, wohingegen S2 (6 %) sich nach der Vorstellung ihrer Wunschfamilienform zu Beginn auf kurze Verständnis- und Zustimmungssignale beschränkt. Dadurch, dass S9 nach kurzer Rücksprache mit dem Lehrer, in der sie sich vergewissert, ob die gemeinsame Lösung zum Allgemeinwohl Japans getroffen werden solle, entschieden konstatiert, dass da nur ein Familienmodell in Frage komme, werden weitere Diskussionen unnötig. Folglich unterhalten sich die Studentinnen über Probleme, die durch die niedrige Geburtenrate in Japan entstehen, ohne sich über die Vor- und Nachteile verschiedener Familienformen auszutauschen. Dahingehend liegt der Gruppenarbeit sowohl eine freundliche und kooperationsbereite Stimmung als auch ein wirkliches Interesse am Thema zu Grunde, auch wenn die eigentliche Teilaufgabe, sich auf eine gemeinsame Lösung zu einigen, von nur einer Person getroffen und den anderen akzeptiert wird. Die Studentinnen nehmen die Gruppenarbeit eher unterschiedlich wahr und beurteilen sie als mittelmäßig bis gut, geben hierfür jedoch verschiedene Gründe an. Während sich eine Lernerin darüber freut, die Redeabsichten der Kommilitoninnen verstanden zu haben, empfindet eine andere die Besprechung des Themas als schwierig, die anderen beiden wiederum bedauern, dass sie sich nicht immer gut mitteilen haben können bzw. Kopfschmerzen hatten. 7.5 Gruppenarbeitsphase 5 137 <?page no="138"?> 7.5.4 GA5G3 Übersicht Gruppenarbeitsphase 5 Gruppe 3 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA5 G3 S3, S5, S11 315 25 min 46 sek 5 - 3 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 75 % Rot: Japanisch: 25 % Blau: Englisch: 0 % Lila: S3: 27 % Blau: S5: 15 % Türkis: S11: 36 % Grau: L: 22 % Gelb: Vorgehen: 14 % Blau: Inhalt: 61 % Grün: Sprache: 22 % Pink: Beziehung: 3 % Grau: Sonstiges: 0 % Anders als den anderen Gruppen in dieser Gruppenarbeitsphase gelingt es der G3, bestehend aus S3, S5 und S11, die Aufgabe überwiegend in der L2 (75 %) zu besprechen. Teilweise ist der hohe Deutschanteil auch darauf zurückzuführen, dass die Lehrperson (22 %) mehrmals für längere Phasen bei der Gruppe bleibt und sich teilweise am Gespräch beteiligt, doch auch ohne den Lehrer verständigen sich die Studierenden überwiegend auf Deutsch. S11 übernimmt (36 %) die Leitung der Aufgabenbearbeitung, wird dabei aber aktiv von S3 (27 %) unterstützt. S5 (15 %) hält sich zwar etwas im Hintergrund, beteiligt sich jedoch vor allem in der zweiten Hälfte der Gruppenarbeit. Da insbesondere S11 ihre Redebeiträge gründlich plant und durch Rückfragen und Nachschlagen im Wörterbuch absichern, ist der Redefluss in der G3 eher langsam und von zahlreichen längeren Pausen gekennzeichnet. Doch gelingt es vor allem S11 und S3 sowohl inhaltsbezogene als auch sprachfokussierte Aushandlungen ausschließlich auf Deutsch zu klären. Die Gruppenmitglieder hören sich gegenseitig sehr genau zu und stellen so sicher, dass sie einander auch wirklich verstehen. Der Austausch über die bevorzugten Familienformen erfolgt auch in dieser Gruppe reihum, das bedeutet jede Person stellt der Reihe nach ihre Idealfamilie vor, jedoch gehen die Studierenden gegenseitig auf ihre Beiträge ein. Sie bitten um Wiederholungen, überprüfen das Verständnis, geben alternative Formulierungen an, fragen nach Gründen etc., so dass sich an jede Vorstellung des individuellen Familienbildes ein kurzes Gespräch in der Gruppe entwickelt. Sie lachen öfter gemeinsam, zeigen sich sehr geduldig 138 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="139"?> miteinander und helfen sich gegenseitig. Es herrscht insgesamt eine kooperative und freundliche Arbeitsatmosphäre. Der Fokus bleibt überwiegend auf inhaltlichen Fragen zur Aufgabe, doch nimmt die sprachliche Ebene durch die zahlreichen und sehr intensiven Bedeutungsabsicherungen fast ein Viertel des Gruppengesprächs ein. Vorgangsbezogene Episoden, wie etwa die Verständigung über das Aufgabenziel oder kurze Erklärungen zu längeren Formulierungsphasen, bleiben eher am Rande. Zwar beurteilen zwei Mitglieder die Gruppenarbeit als mittelmäßig und eines als sehr gut, doch wird in allen Kurzreflexionen die mangelnde Fähigkeit sich auf Deutsch auszudrücken bzw. der Rückgriff auf das Japanische thematisiert. Die umfangreiche Hilfe der Lehrperson trägt aber laut Miniumfrage zur Motivation die L2 zu verwenden bei. 7.5.5 GA5G4 Übersicht Gruppenarbeitsphase 5 Gruppe 4 Studierende Turns Dauer der Gruppenarbeit Bewertung durch die Gruppenmitglieder GA5 G4 S8, S10, S13 578 25 min 57 sek 3,5 - 4 - 3 Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Schwarz: Deutsch: 51 % Rot: Japanisch: 49 % Braun: S8: 39 % Grün: S10: 43 % Orange: S13: 12 % Grau: L: 6 % Gelb: Vorgehen: 16 % Blau: Inhalt: 64 % Grün: Sprache: 18 % Pink: Beziehung: 2 % Grau: Sonstiges: 1 % In der vierten Gruppe tauschen sich S8, S10 und S13 zu idealen Familien- und Lebensformen aus. Nach der Festlegung der Reihenfolge mittels Schere-Stein-Papier beginnen sie mit der Besprechung der Aufgabe. An die vorbereitete Vorstellung der Idealfamilie von S13 schließt sich zuerst ein längerer Aushandlungsprozess an, in dem die Lernenden sicherstellen, dass sie einander verstehen, um dann einige von S10 initiierte inhaltliche Rückfragen zu der genauen Gestaltung des Familienlebens zu klären. Auch im weiteren Verlauf der Gruppenarbeit liegt die Gesprächsleitung vor allem bei S10 (43 %) mit einer sehr regen Beteiligung von S8 (39 %). Abgesehen von der Erklärung seines Familienbildes bleibt S13 (12 %), wie in 7.5 Gruppenarbeitsphase 5 139 <?page no="140"?> den meisten anderen Konstellationen auch, im Hintergrund, antwortet aber auf explizite Fragen, äußert Zustimmung und bittet vereinzelt um Wiederholungen. Initiierende Äußerungen, wie Fragen, Rückfragen oder Bitten um Erklärungen gehen überwiegend von S10 aus, da auch S8 eher reagierend aktiv ist. S10 bemüht sich zwar immer wieder die Diskussion auf Deutsch anzustoßen, steigt dann aber insbesondere bei heiklen Fragen, wie etwa der Rollenverteilung innerhalb der Familie, auf das Japanische um, sobald sie merkt, dass die beiden anderen ihr nicht folgen können. Rund die Hälfte des Gruppengesprächs findet in der L1 statt, was zeigt, dass die Lernenden großen Wert auf das gegenseitige Verständnis legen. Insgesamt bewegt sich die Gruppe in ca. zwei Dritteln aller Äußerungen auf der inhaltlichen Ebene, klärt aber häufiger sowohl vorgehensorientierte als auch sprachliche Fragen, wobei sie für letztere auch die Lehrkraft konsultieren. Auch wenn die Gruppenarbeit von einem hohen Maß an Gegenseitigkeit gekennzeichnet ist und eine freundliche Arbeitsatmosphäre herrscht, macht sich bei S10 teilweise eine leichte Unzufriedenheit aufgrund des familiären Rollenverständnisses ihrer Kommilitonen bemerkbar. Sie überspielt diese zwar mit übertriebener Entrüstung oder Lachen, doch finden sich auch im VLE Hinweise darauf, dass sie mit den Ansichten der beiden anderen nicht einverstanden ist. Insgesamt beurteilen alle drei Gruppenmitglieder die Zusammenarbeit als zufriedenstellend. Die Diskussion wird als erfolgreich und lebhaft wahrgenommen, doch werden die Vermischung von Deutsch und Japanisch bzw. die eigene begrenzte Ausdrucksfähigkeit kritisch gesehen. 7.6 Zusammenfassung Die Beschreibungen der einzelnen Gruppenarbeitsphasen zeigt, wie unterschiedlich die verschiedenen Aufgaben umgesetzt werden und dass auch dieselben Aufgaben in den verschiedenen Gruppen auf vielfältige Arten bearbeitet werden. Den Kurzumfragen zu jeder Gruppenarbeit zufolge schätzen die Lernenden eine Zusammenarbeit als gelungen ein, wenn sie ihre Ideen erfolgreich vermitteln können und so ein aktiver Austausch zustande kommt - im Idealfall in der Zielsprache. Entsprechend sind sie eher unzufrieden, wenn ihrem Empfinden nach zu viel Japanisch verwendet wird, sie sich nicht angemessen ausdrücken können und mit der Aufgabenbearbeitung in der gegebenen Zeit nicht fertig werden. Das Bestreben, die Aufgabe möglichst auf Deutsch zu besprechen, kommt auch darin zum Ausdruck, dass in allen fünf Gruppenarbeitsphasen überwiegend auf Deutsch kommuniziert wird. Die Verwendung der L2 wird von vielen als essentieller Bestandteil der Aufgabenbearbeitung verstanden. Es wird auch deutlich, dass die Aufgabenstellung einen entscheidenden Einfluss auf die Sprachwahl hat (vgl. Raindl 2013: 173). In der Text-Bild- Zuordnungsaufgabe „ Familien aus aller Welt “ liegt der L2-Anteil in allen Gruppen bei über 90 %, in der letzten Aufgabe, in der eine gemeinsame familienpolitische Lösung gefunden werden soll, jedoch nur knapp über 50 %. Die Tatsache, dass der Vergleich einer Zuordnungsaufgabe kognitiv wesentlich weniger Leistung erfordert als die Beschreibung eigener Wahrnehmungen und Ideen oder die Einigung auf ein gemeinsames familienpolitisches Konzept, wirkt sich unmittelbar auf die Sprachwahl in der Gruppenarbeit aus (vgl. u. a. Robinson 2001; Raindl 2013). Ob und inwiefern die Verwendung der Sprachen eine Rolle für gesichtskritische Situationen spielt, wird in der folgenden Analyse berücksichtigt. 140 7 Beschreibungen der Gruppenarbeiten <?page no="141"?> Die Unterschiede in Bezug auf die Impulse, die durch die verschiedenen Aufgaben gegeben werden, kommen auch in der Fokussierung der Interaktionsebenen zum Vorschein. So enthält die fotografische Autobiografie ein besonders großes kreatives Potential für die Ideen der Studierenden, durch das entsprechend umfangreiche sprachbezogene - insbesondere hinsichtlich der Bedeutung - Aushandlungen notwendig werden. Die Offenheit der Aufgabe in Bezug auf die Auswahl der Bilder erfordert zahlreiche Einigungsprozesse zum Vorgehen, die ggf. auch als Teil der inhaltlichen Bearbeitung der Aufgabe interpretiert werden können. Die detaillierte Betrachtung der gruppeninternen Aushandlungen sowie der Blick in die Unterrichtsnotizen der UTN weist jedoch darauf hin, dass dieser Teil der Aufgabe nicht vorbereitet und somit von den Lernenden nicht als Teil der Aufgabe verstanden wird (Czyzak 2020b: 275). In den anderen Aufgaben hingegen wird entweder linear vorgegangen, indem die einzelnen reihum ihre Beiträge leisten (Aufgabe 2 und 4) oder die Gruppenarbeit nimmt den Charakter eines Gesprächs an, da keine spezifische Reihenfolge existiert und die Mitglieder sich nach eigenem Dafürhalten äußern (Aufgabe 3 und 5). Aus kurskonzeptioneller Sicht ist erfreulich, dass der inhaltliche Austausch in allen Gruppenarbeitsphasen und in allen Gruppen im Vordergrund steht (vgl. Kapitel 6.4). Im Gegensatz dazu spielen nicht unmittelbar aufgabenbezogene Interaktionen wie thematische Abweichungen oder beziehungsrelevante Sequenzen eine untergeordnete Rolle und umfassen lediglich ca. 5 % aller Aushandlungen. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Aufnahmesituation die thematische Fokussierung auf die Aufgabeninhalte ggf. begünstigt haben kann, so dass in Gruppenarbeiten ohne Datenerhebung unter Umständen mit mehr Abschweifungen zu rechnen ist. Die für den Fremdsprachenunterricht wichtige sprachliche Fokussierung tritt zwar immer wieder hervor, hat aber in der hier dokumentierten Gruppenarbeit mit nur rund 17 % in allen fünf Phasen einen relativ geringen Stellenwert. Die inhaltliche Besprechung der Aufgabe wird teilweise sogar über den Arbeitsauftrag, das Gruppengespräch auf Deutsch zu führen, priorisiert, was sich zum Beispiel in der fünften Aufgabe oder in den Präferenzen einzelner Lernender dadurch zeigt, dass die Aufgabeninhalte auf Japanisch diskutiert werden. Auf die individuellen Merkmale der einzelnen UTN wird im folgenden Kapitel noch ausführlich eingegangen, doch wirken sich diese auf die Gruppenarbeit unter anderem dadurch aus, dass in einigen Gruppen die einzelnen Mitglieder eher gleichberechtigt aktiv sind, in anderen einzelne Personen eine leitende Rolle übernehmen, was den Verlauf der Zusammenarbeit maßgeblich beeinflusst. Die Aktivität der Gruppenmitglieder und das Zusammenspiel der einzelnen variiert in Abhängigkeit von der Konstellation, wirkt sich auf die gemeinsame Aufgabenbearbeitung und somit auf das gruppenspezifische Lernerlebnis aus. 7.6 Zusammenfassung 141 <?page no="142"?> 8 Porträts der Lernenden Ebenso wie die Beschreibung der Aufgaben und Gruppenarbeiten sollen die Porträts der Lernenden zur Situierung der gesprächsanalytischen Betrachtung beitragen. Ausgangspunkt für die Skizzierung der Charakteristika der Lernenden sind Merkmale, die im Laufe der Datenanalyse sowohl bei der Kodierung der Gruppengespräche und der retrospektiven Kommentare als auch der Interaktionsanalyse deutlich wurden. Es handelt sich bei den folgenden Porträts nicht um ein typenbildendes Verfahren sozialforschender Ausrichtung (u. a. Kuckartz 2018: 146), sondern um eine zusammenfassende Darstellung individueller Verhaltensweisen der einzelnen Lernenden im vorliegenden Datenmaterial. Während die Bildung von Typen darauf abzielt, wiederkehrende Verhaltensmuster von Lernenden etwa in Bezug auf Lernstile oder Strategien bei der Aufgabenbearbeitung sichtbar zu machen und somit Einzelfallbeschreibungen in möglichst merkmalsgleiche Gruppen zusammenzufassen (Schart 2016: 270), dienen die Lernendenporträts im vorliegenden Kapitel dazu, die individuelle Herangehensweise an die gemeinsame Aufgabenbearbeitung zu verdeutlichen (in Anlehnung an Demmig 2007: 85). Es ist anzunehmen, dass die UTN in anderen Konstellationen, zu späteren Zeitpunkten oder bei weiteren Aufgaben anders agieren 25 . Die Beschreibungen der Studierenden sind nicht als Wertung der Leistungen oder Charakterzüge intendiert, sondern sollen lediglich ein tieferes Verständnis der Gruppenarbeitsinteraktionen für die folgende Analyse ermöglichen. 8.1 Die Gruppenmitglieder Unter dem Begriff Gruppenmitglieder werden im Folgenden die Studierenden zusammengefasst, die nur an der ersten Phase der Datenerhebung, der Videographie der Gruppeninteraktionen, teilgenommen haben. Die beschriebenen Charakteristika wurden aus den Transkripten der Gruppenarbeit sowie den bereits in Kapitel 7 vorgestellten Dokumentenporträts, in denen die aktive Beteiligung der einzelnen Gruppenmitglieder markiert wurde, abgeleitet. Darüber hinaus wurden die Videos ergänzend zur Hilfe genommen. 25 Im Bereich der Fremdsprachenerwerbsforschung werden Typologien insbesondere dazu herangezogen, Aussagen über den Erfolg beim Lernen sowie bei der Bewältigung von Aufgaben oder Kommunikationssituationen zu treffen, jedoch herrscht sowohl in Bezug auf die Begriffsbestimmungen als auch die Nutzbarkeit für die Unterrichtspraxis keine übergreifende Einigkeit, woraus sich auch Schwierigkeiten für die empirische Ermittlung von Typen ergeben (einen Überblick über die Diskussion geben u. a. Riemer & Aguado 2011). Darüber hinaus ist mit dem Begriff der Typenbildung die Forderung nach einer eindeutigen Abgrenzung der Typen untereinander verbunden, wodurch etwa wechselhaftes Verhalten in unterschiedlichen Konstellationen oder ähnliche Merkmale verschiedener Lernender als Grundlage einer Typisierung ungeeignet sind (Schart 2016: 275). <?page no="143"?> 8.1.1 S1 - Die einfühlsame Partnerin S1 bringt sich in der Regel aktiv in die Zusammenarbeit ein, passt sich dabei jedoch stets an die Bedürfnisse der Gruppe an. Übernimmt ein anderes Gruppenmitglied aktiv die Führungsrolle, ordnet sie sich bereitwillig unter und agiert unterstützend, indem sie ihre Zustimmung äußert oder Verständnis signalisiert. Halten sich die anderen Lernenden aber eher zurück, tritt S1 stärker in den Vordergrund und steuert den größten Redeanteil zur Gruppe bei (GA4G2), wobei sie jedoch nicht die Leitung der Zusammenarbeit übernimmt, sondern durch plauderhafte Redebeiträge, die von Lachen oder Lächeln begleitet sind, zu einer freundlichen Gruppenatmosphäre beiträgt. Ebenso passt sie sich in Bezug auf die Sprachwahl an ihre Gesprächspartner an, so dass sie zum Beispiel in der Gruppenarbeit GA2 ausschließlich die Zielsprache, in der GA5G4 aber überwiegend die L1 verwendet. Rund ein Viertel ihrer Äußerungen bestehen aus phatischen Signalen und anderen beziehungsstiftenden Beiträgen, wie Zustimmungen und freundlichen Kommentaren zu Redebeiträgen der anderen. 8.1.2 S2 - Die aktive Zuhörerin In allen fünf Gruppenarbeitsphasen ist S2 jeweils das stillste Mitglied der Gruppe, wobei ihr Redeanteil jedoch je nach Konstellation zwischen 6 % (GA5G2) und 27 % (GA2G1) stark schwankt. Zwar arbeitet sie immer aktiv mit, zeigt deutlich durch hm oder ah-Ausrufe, dass sie zuhört, versteht und zustimmt, ergreift aber selten aktiv die Initiative, um die Aufgabe voranzutreiben. Wird hingegen deutlich, dass eine Person zögert oder im Formulierungsprozess stockt, ermuntert sie diese, indem sie nickt und lächelt und sich so als freundliche, geduldige Zuhörerin präsentiert (GA2G1). Meist nimmt sie aber eine sehr zurückhaltende Position ein und beobachtet das Geschehen in der Gruppenarbeit. Insbesondere wenn in der Gruppe viel auf Japanisch gesprochen wird, zieht sie sich stärker zurück und reagiert nur mit sehr kurzen Äußerungen (GA5G2), so dass sie sich insgesamt wesentlich mehr in der L2 in die Gruppenarbeit einbringt (67 %). 8.1.3 S3 - Der ruhige Zuhörer S3 gehört zu den Lernenden, die sich generell stark im Hintergrund halten. Auch wenn der Grad, zu dem er in der Gruppe aktiv wird, in Abhängigkeit von der Konstellation der Mitglieder schwankt, ist er in drei von vier Gruppenarbeitsphasen, in denen er anwesend ist, derjenige mit dem geringsten Redeanteil. Während der Gruppenarbeit GA2G3 etwa tritt er - wie auch seine Kommilitoninnen S1 und S10 - ausschließlich reagierend in Erscheinung, und auch in der GA4G4 bringt er lediglich das ein, was er vorbereitet hat. Diesen beiden Gruppenzusammensetzungen ist gemein, dass jeweils eine bzw. zwei stark dominierende Lernerinnen die Zusammenarbeit lenken. In den beiden anderen Gruppen jedoch zeigt er durch passende Ergänzungen oder kurze, spontane Erklärungsversuche, dass er durchaus aufmerksam das Geschehen verfolgt und mitdenkt. Seine Zustimmung äußert er meist durch ganze Sätze, z. B. „ ich denke auch so “ , verzichtet aber meist auf Rezeptionssignale wie hm oder ah, so dass er in der Gruppe oft etwas verschlossen oder abwesend wirkt und erst nach seiner voll ausformulierten Zustimmung klar wird, dass er das Gruppengeschehen beobachtet. Durch seine sehr bewusst überlegten Äußerungen und seine Zurückhaltung gelingt es ihm, über 80 % seines Redeanteils in der Zielsprache umzusetzen. 8.1 Die Gruppenmitglieder 143 <?page no="144"?> 8.1.4 S4 - Die kompetente Partnerin Zwar übernimmt S4 nie eine leitende Rolle, arbeitet aber in allen Gruppen aktiv mit und bringt die Zusammenarbeit vor allem durch inhaltliche Beiträge voran. Ihre Äußerungen zeichnen sich, insbesondere bei den Aufgabenteilen, die vorbereitet werden können, durch vergleichsweise komplexe Satzstrukturen und anspruchsvollen Wortschatz aus, wobei sie jedoch stets das Verständnis ihrer Mitlernenden überprüft und bereitwillig Hilfestellung leistet. Insgesamt greift S4 selten auf das Japanische zurück (24 %) und gibt wenn möglich durch alternative Ausdrücke in der L2 Hinweise, greift aber auch auf kreative Lösungen zurück, bei denen sie mittels Mimik, Gestik und Summen von Melodien Unverständliches erklärt. Versteht sie selbst etwas nicht, fragt sie nach und gestaltet auch da den Verstehensprozess engagiert mit. Wird deutlich, dass andere Gruppenmitglieder etwas beitragen möchten, tritt S4 aber auch gerne in den Hintergrund, überlässt diesen den Vortritt und verfolgt das Gesehen als aufmerksame Zuhörerin. 8.1.5 S5 - Der unsichere Spaßmacher In Bezug auf den Redeanteil variiert S5 in Abhängigkeit von der Gruppe sein Verhalten deutlich. In den meisten Konstellationen tritt er als eine Art Assistent oder Gesprächspartner für die leitende Person der Gruppe in Erscheinung, der in den dokumentierten Unterrichtsdaten in drei von fünf Gruppenarbeitsphasen von S7 verkörpert wird. S5 reagiert als erster auf Rückfragen des leitenden Mitglieds, versucht bei Verständnisschwierigkeiten oder der Suche nach dem passenden Ausdruck bzw. der passenden Form zu helfen und unterstützt diesen so dabei mit der Bearbeitung der Aufgabe voranzukommen. Selbst ergreift er jedoch nur selten die Initiative. In den beiden anderen Gruppen hält er sich eher zurück, da der größte Teil der inhaltlichen Aushandlungen zwischen den jeweils beiden anderen Lernenden in der Gruppe stattfindet. Charakteristisch für seine Äußerungen sind häufige Abbrüche, Wiederholungen und Einschübe in der L1, durch die er den anderen Gruppenmitgiedern seine Unsicherheit deutlich macht und sich indirekt bei sprachlichen Unklarheiten rückversichert. Zwar überwiegt bei ihm das Deutsche (62 %), doch lassen die zahlreichen Kommentare auf Japanisch den Eindruck eines Sprachmixes entstehen. Häufig sind seine Redebeiträge von einem Lächeln oder leichten Lachen begleitet, wodurch seine Mitarbeit eine spielerische Note bekommt. 8.1.6 S6 - Die zurückhaltende L1-Sprecherin Insgesamt bringt sich S6 spärlich in die Gruppengespräche ein. Ihre Beiträge auf Deutsch sind bis auf wenige Ausnahmen meist fragmentarisch, zögerlich vorgebracht und mit einer stark ausgangssprachlichen Färbung der Aussprache. Eventuell können die Hemmungen, sich in der Zielsprache zu äußern, auch darauf zurückgeführt werden, dass sie in den ersten beiden Sitzungen des dokumentierten Unterrichts nicht anwesend war und ihr somit ggf. die thematischen Grundlagen fehlen. Generell nimmt sie in den interaktiven Phasen eine eher passive Haltung ein. Die Zurückhaltung scheint insbesondere mit der Vorgabe Deutsch zu sprechen und der jeweiligen Gruppenkonstellation zusammenzuhängen. Vor allem in der letzten Gruppenarbeit (GA5G2) wird das deutlich, da sie in Phasen, in denen das Gruppengespräch ins Japanische wechselt und etwas von der eigentlichen Kernaufgabe abweicht, deutlich aktiver wird und gerne mit ihren Gruppenkolleginnen 144 8 Porträts der Lernenden <?page no="145"?> plaudert. Die Präferenz für die L1 kommt mit mehr als 50 % Japanischanteil in der Sprachwahl zum Ausdruck. 8.1.7 S8 - Der korrekte Wörterbuchbenutzer In allen vier Gruppenarbeitsphasen, in denen S8 anwesend ist, zeichnet er sich durch eine hohe verbale Präsenz aus. Einerseits sind seine Redebeiträge sowohl auf Deutsch als auch auf Japanisch vergleichsweise lang, andererseits kommentiert und begründet er oft sein Vorgehen in der L1, wobei jedoch nicht klar ist, ob er dies für sein eigenes Verständnis oder das der anderen Lernenden macht. In verständnissichernden Aushandlungsprozessen wiederholt er oft einzelne Wörter oder Satzteile in der Zielsprache, um entweder zu überprüfen, ob die anderen Gruppenmitgliedern seine Ausführungen nachvollziehen können oder um den Gesprächspartnerinnen und -partnern zu zeigen, dass er seinerseits folgen kann. Dadurch überwiegt der deutschsprachige Anteil seiner Äußerungen trotz der zahlreichen Anmerkungen auf Japanisch deutlich. Nicht nur das Verständnis hat einen hohen Stellenwert für ihn, sondern auch die korrekten Formen einzelner Wörter, so dass er sehr oft zu seinem elektronischen Wörterbuch greift. Allerdings fällt es ihm schwer, diese Korrektheit auch auf syntaktischer Ebene umzusetzen, so dass insbesondere seine längeren Beiträge von den anderen Gruppenmitgliedern nicht immer verstanden werden, was zu zahlreichen oft langwierigen Aushandlungen führt. Zwar zeigt er sich stets durch eigene Redebeiträge oder als aktiver Zuhörer zur Zusammenarbeit bereit, doch übernimmt er nicht die Leitung in der Gruppe. 8.1.8 S12 - Die souveräne Plauderin S12 präsentiert sich in den einzelnen Gruppen sehr souverän in Bezug auf ihre Deutschkenntnisse und übernimmt so meist die Führung, entweder allein oder zusammen mit einer Kommilitonin (S9 oder S14). Durch kurze Randbemerkungen, in denen sie zuweilen die grammatische Zusammensetzung ihrer Beiträge erläutert oder eine betont lässige Haltung gegenüber der Aufgabe demonstriert, indem sie darauf verweist, dass sie nicht richtig vorbereitet habe oder sie die Antwort auf die Frage gar nicht wirklich interessiere, konstruiert sie für sich aktiv eine Aura der Überlegenheit. Wenn sie sich als alleinige Leiterin der Gruppe wahrnimmt, treibt sie die Aufgabenbearbeitung schnell voran, um sich dann privaten Gesprächen widmen zu können. Etwa die Hälfte ihrer Äußerungen bestehen aus beiläufigen Kommentaren, Erklärungen sprachlicher Formen und Abschweifungen in der L1. Inhaltlich sind ihre Beiträge durchaus angemessen, doch zeigt sie wenig Interesse an den Ideen anderer und nimmt diese einfach so ohne weitere Rückfragen hin, so dass es in ihrer Gegenwart selten zu inhaltlichen oder sprachlichen Aushandlungen kommt. Für sie sind die Gruppenarbeitsphasen eine Art Präsentationsforum ohne anschließende Diskussion, in dem alle ihre Ideen einfach nur vortragen und somit das Ziel der Zusammenarbeit erreicht ist. 8.1.9 S13 - Der stille Beobachter Abgesehen von einerAusnahme schlüpft S13 in allen Gruppenarbeitsphasen in die Rolle des stillen Beobachters. Lediglich während der GA1G3 wird er verhältnismäßig aktiv, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass die Gruppe neben ihm selbst aus zwei weiteren sehr zurückhaltenden Lernenden besteht und er mit der Gruppenleiterin in einem eher 8.1 Die Gruppenmitglieder 145 <?page no="146"?> freundschaftlichen Verhältnis zu stehen scheint. In den übrigen Gruppen äußert er sich zwar, wenn ihm das Rederecht durch direkte Fragen oder Aufforderungen, etwas beizutragen, erteilt wird, bleibt aber sonst sehr passiv. Durch leichte Veränderungen in seinem Blickverhalten ist erkennbar, dass er das Geschehen zwar verfolgt, da er aber auch selten Gebrauch von Rezeptionssignalen oder Nicken macht, erscheint er oft unbeteiligt. Dieses Verhalten führt in manchen Gruppen dazu, dass er explizit von den Mitlernenden gefragt wird, ob er verstanden habe oder nicht etwas beitragen wolle. Erfolgt die Aufforderung zur Beteiligung auf Deutsch, reagiert er in der Regel mit einer Wiederholung der Äußerung des Gesprächspartners auf Japanisch, bevor er antwortet. Insbesondere auf Deutsch bestehen seine Beiträge aus einfachen Sätzen und häufig auch aus einzelnen Wörtern, aber auch auf Japanisch fasst er sich meist sehr kurz. Insgesamt überwiegt bei ihm dennoch der Anteil der Redebeiträge in der Zielsprache. 8.1.10 S15 - Die harmonische Sanfte Mit durchschnittlich 13 % Redeanteil in den Gruppenarbeitsphasen gehört S15 zu den zurückhaltenden Lernenden im Kurs. Sie verfolgt aber das Vorgehen in der Gruppe immer sehr aufmerksam, was besonders durch ihre Körpersprache deutlich wird. Sie schaut die jeweils sprechende Person offen an, wendet sich ihr zu, lächelt oft und zeigt durch Nicken sowie zahlreiche Rezeptionssignale, dass sie versteht. Wird in der Gruppe gelacht, lacht sie mit und bemüht sich sichtlich eine angenehme Atmosphäre in der Gruppe mitzugestalten. Wenn andere Gruppenmitglieder offensichtliche Verständnisschwierigkeiten haben, versucht sie, wann immer es ihr möglich ist, auf Deutsch zur Klärung beizutragen, greift aber bei großen Hürden auch auf das Japanische zurück. Insgesamt überwiegt aber die Verwendung der Zielsprache bei ihr. Auch bei ihren eigenen Redebeiträgen achtet sie sehr genau auf die Reaktion der Zuhörenden, um potentiellen Schwierigkeiten frühzeitig entgegenwirken zu können. 8.2 Die Fokuspersonen Als Fokuspersonen werden die fünf Freiwilligen bezeichnet, die auch an der zweiten Phase der Datenerhebung, dem Videobasierten Lauten Erinnern, teilgenommen haben. Neben den Interaktionsdaten aus der Gruppenarbeit - wie bei den Gruppemitglieder im vorausgehenden Abschnitt - konnte bei den Fokuspersonen das retrospektive Datenmaterial miteinbezogen werden, so dass eine etwas ausführlichere Charakterisierung möglich ist. Da sich diese fünf Studierenden dazu bereiterklärt haben, über den eigenen Unterricht hinaus an der Datenerhebung mitzuwirken, kann angenommen werden, dass es sich um besonders motivierte oder kooperative Lernende handelt, die das Forschungsprojekt als Gelegenheit sahen, mehr über den eigenen Lernprozess zu erfahren oder ihre Deutschkenntnisse auszubauen. 8.2.1 S7 - Der analytische Tutor Der Grad, zu dem sich S7 in die verschiedenen Gruppen einbringt, variiert stark in Abhängigkeit von der Mitgliederkonstellation. Während er zum Beispiel in den Gruppenarbeitsphasen GA3 und GA4 bereitwillig eine tutorierende Funktion übernimmt, indem er 146 8 Porträts der Lernenden <?page no="147"?> seine Gruppenkollegen und -kolleginnen zu Äußerungen animiert, bei Schwierigkeiten Hilfestellung leistet, ohne die Antwort vorzugeben, und sie für ihre Beiträge lobt, zieht er sich in der GA5 eher zurück und mischt sich nur selten in die Gruppenvorgänge ein. Generell bemüht er sich darum, möglichst viel in der L2 umzusetzen, was sich im verhältnismäßig hohem Deutschanteil von rund 70 % widerspiegelt. Manchmal weist er auch Mitlernende an, ihre in der L1 formulierten Ideen ins Deutsche zu übertragen. Neben den inhaltlich für die Aufgabe relevanten Beiträgen, versucht er zuweilen auch das Vorgehen sowie sprachbezogene Rückfragen in der Zielsprache zu realisieren. Außerdem experimentiert er gern mit spontanen Äußerungen und scheut sich auch nicht neue Redemittel auszuprobieren - mit wechselndem Erfolg. Gleichzeitig legt er großen Wert auf das Verstehen, was einerseits in seinen häufigen Rückfragen zur eigenen Verständnissicherung zum Ausdruck kommt, andererseits überprüft er nach den eigenen Äußerungen immer wieder, ob alles klar sei. Darüber hinaus stellt er als einer von wenigen Lernenden auch inhaltliche Rückfragen und versucht so der Aufgabenbearbeitung mehr Tiefe zu verleihen. Verständnisschwierigkeiten thematisiert S7 auch in den retrospektiven Daten oft. So bedauert er, die Äußerungen der anderen nicht ganz verstanden bzw. nicht ausreichend zur vollständigen Klärung nachgefragt zu haben, außerdem erwähnt er Unklarheiten in Bezug auf die Ziele sowie das Vorgehen bei einzelnen Aufgaben. Abseits vom eigenen Verstehen achtet er verstärkt auf das Verhalten der Gruppenkolleginnen und -kollegen. Zum Beispiel empfindet er die Zusammenarbeit als anstrengend, wenn sich die anderen nicht aktiv einbringen oder zu leise sprechen, hebt aber kooperatives Verhalten und Originalität positiv hervor. Teilweise fällt es ihm schwer, seine Gedanken zum Zeitpunkt der Gruppenarbeit in Worte zu fassen und auf den Punkt zu bringen, so dass seine Wahrnehmung nicht immer eindeutig nachvollzogen werden kann, doch bemüht er sich auch in den VLE- Sitzungen darum, einen reflektierten Eindruck zu machen. 8.2.2 S9 - Die inhaltsorientierte Leiterin In allen fünf Gruppenarbeitsphasen ergreift S9 die Initiative und gibt entweder im Alleingang die Marschrichtung vor oder gestaltet den Verlauf der Aufgabenbearbeitung in Zusammenarbeit mit gleichermaßen engagierten Kommilitoninnen (GA2G4, GA3G1). Dabei ist sie stets auf die inhaltlichen Aspekte der Aufgaben fokussiert, so dass sprachbezogene Fragen für sie in den Hintergrund treten und im Zweifel die Besprechung der Aufgabe in der L1 (ca. 45 %) erfolgt. Die einzige Gruppenarbeit, in der sie nicht nur die zuvor gesammelten Ideen, sondern auch anschließende Aushandlungsprozesse in Bezug auf Inhalt, Sprache und Vorgehen fast ausschließlich auf Deutsch realisiert, ist die kooperative Konstellation, in der sie mit S4 und S14 gleichberechtigt zusammenarbeitet (GA2G4). In den anderen Gruppenarbeitsphasen setzt sie zwar auch immer wieder an, Gedanken auf Deutsch zu formulieren, was ihr häufig auch gelingt, doch neigt sie dazu, den Versuch abzubrechen, sobald ihr Bedürfnis zu groß wird, sich mitzuteilen oder sie erkennt, dass sie ihre Ideen noch nicht in der Zielsprache ihren Ansprüchen entsprechend ausdrücken kann. S9 nimmt alle Aufgaben sehr ernst und geht bei der Besprechung der verschiedenen Teilaspekte ins Detail. Besteht aus ihrer Sicht Klärungsbedarf, spricht sie ohne Umschweife die Lehrperson an und hakt so lange nach, bis sie alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit klären kann. Allerdings kommt es auch mehrfach vor, dass es ihr schwerfällt, bestimmte 8.2 Die Fokuspersonen 147 <?page no="148"?> Aufgabenstellungen oder Erklärungen zu verstehen oder zu akzeptieren, was sich in einer eingeschränkten Kompromissbereitschaft in der Gruppenarbeit widerspiegelt. Zum Beispiel beharrt sie im Verlauf der letzten Gruppenarbeit, in der sich die Lernenden auf eine ideale Familienform einigen sollen, dass aus der Sicht der japanischen Politik und Wirtschaft nur eine Doppelverdienerfamilie sinnvoll sei und zeigt sich in dem Punkt auch wenig diskussionsbereit. Zwar initiiert sie im Gruppengespräch keine Meinungsverschiedenheiten, doch sind diese ein wiederkehrendes Thema in ihren Erinnerungen an die Interaktionen während der Gruppenarbeit. Immer wieder erwähnt sie, dass ihre Gruppenkollegen andere Gedanken geäußert und andere Lösungswege gegangen sind, wobei sie diese zwar explizit als andersartig benennt, aber nicht kritisiert. Auch die Schwierigkeiten, die eigenen Gedanken zu formulieren, spiegeln sich in der häufigen Erwähnung im VLE wider. Insgesamt spielt für S9 die Wahrnehmung der eigenen Leistung eine große Rolle in der Retrospektion. Eher selten spricht sie das Verhalten oder die Äußerungen der anderen an, sondern bewertet, was ihr selbst gut gelungen ist und womit sie nicht zufrieden war. 8.2.3 S10 - Die wechselhafte Diskutantin Je nach Gruppenkonstellation zeigt sich S10 mal eher extrovertiert und aktiv, mal eher in sich gekehrt und zurückhaltend. So übernimmt sie etwa in drei der Gruppenarbeitsphasen die Führung, treibt das Gespräch durch inhaltliche Rückfragen, spontan formulierte Gedanken und spielerisch übertriebene Diskussionsbeiträge voran, während sie in den beiden anderen Gruppen eher für sich bleibt und das Geschehen mit einer eher reservierten Haltung beobachtet, ohne mehr als nötig einzugreifen. Schlüpft sie in ihre aktive Rolle, bemüht sie sich zwar einerseits darum möglichst alle ihre Ideen auf Deutsch zum Ausdruck zu bringen, andererseits kommentiert sie die Suche nach dem passenden Wortschatz und den nötigen Wendungen oft auf Japanisch, wobei meist nicht eindeutig auszumachen ist, ob es sich um eine Art lautes Denken handelt oder um eine indirekte Bitte um Unterstützung an ihre Mitlernenden. Durch diese verbale Begleitung der Denk- und Suchprozesse sind zahlreiche ihrer sprachbezogenen Äußerungen zwar in der L1, doch überwiegt der Gebrauch der Zielsprache deutlich. Aus den retrospektiven Daten geht hervor, dass aus ihrer Sicht eine Gruppenarbeit als erfolgreich gilt, wenn sie sich zum einen selbst durch eigene Beiträge und Fragen aktiv einbringen kann und zum anderen ein lebendiger Meinungsaustausch zwischen den Lernenden stattfindet. S10 hat Spaß daran, die eigenen Überzeugungen zuweilen auch übertrieben vehement zu vertreten und so ein möglichst interaktives Gruppengespräch zu gestalten. Für ein solches Vorgehen ist sie auf die Kooperation der anderen Gruppenmitglieder angewiesen, so dass sie sich dessen sehr bewusst ist, mit wem es ihr leichtfällt zu sprechen ( 話しやすい - hanashiyasui) und wie gut sie ihre Gesprächspartner kennt ( よく 知ってる人 - yoku shiiteru hito). Durch die zahlreichen oft auch emotional intonierten Rezeptionssignale sowie spontane Ausrufe der Überraschung wird deutlich, wie sehr sie in den Meinungsaustausch involviert ist und sowohl auf den Inhalt des Beitrags als auch auf die Beitragenden selbst eingeht. Deshalb spielen für sie auch neben Meinungsverschiedenheiten Verständnis- und Ausdrucksschwierigkeiten eine große Rolle in den VLE-Daten. Besonders fällt auf, dass S10 dabei im Gegensatz zu den anderen Fokuspersonen verstärkt auf Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten achtet, die nicht auf sprachlichen 148 8 Porträts der Lernenden <?page no="149"?> Defiziten der Kommunikationsbeteiligten beruhen, sondern aus der Situation bzw. aufgrund unterschiedlicher Annahmen entstehen. Dieses Verständnis nutzt sie, um unangenehme Situationen zu vermeiden oder möglichst sozialverträglich aufzulösen. 8.2.4 S11 - Die überlegte L2-Sprecherin Für S11 sind die Hauptziele aller Gruppenarbeitsphasen die Verwendung der Zielsprache und die vollständige Bearbeitung der jeweiligen Aufgabe. Das zeigt sich unter anderem darin, dass sie über alle fünf dokumentierten Gruppenarbeiten hinweg rund drei Viertel ihrer Äußerungen in der L2 umsetzt. Selbst bei der Besprechung der fünften Aufgabe, während der die meisten Studierenden verstärkt auf das Japanische zurückgreifen (vgl. Kapitel 7.5), gelingt es ihr in Zusammenarbeit mit S3, sich hauptsächlich auf Deutsch auszutauschen. Sie bringt sich in jeder Gruppe aktiv ein, indem sie entweder leicht lenkend die Führung übernimmt, ohne jedoch dabei das Geschehen zu dominieren, oder als aktive Gesprächspartnerin der Gruppenleiterin fungiert und dieser unterstützend zur Seite steht. Beim lauten Erinnern wird die Fokussierung von S11 auf die Nutzung des Deutschen noch deutlicher. Sie nimmt die Gruppenarbeit als besonders gelungen wahr, wenn die Kommunikation in der L2 gut funktioniert und zeigt deutlich ihre Unzufriedenheit, wenn ihrem Empfinden nach zu viel auf Japanisch gesprochen wurde. Außerdem geht sie sowohl mit sich selbst als auch mit ihren Mitlernenden sehr streng ins Gericht, wenn der Austausch etwa aufgrund mangelnder Vorbereitung behindert wird, da zum Beispiel die Aussprache von schwierigen Wörtern nicht nachgeschlagen und geübt wurde. Trotz ihrer Kritik in der Retrospektive verhält sie sich während der Gruppenarbeit den anderen Lernenden gegenüber stets freundlich und unterstützend, etwa durch häufiges bestätigendes Nicken oder gemeinsames Lachen. Auch erwähnt sie bei der Betrachtung der Gruppenarbeitsvideos immer wieder, dass sie während der Aufgabenbearbeitung Zeitdruck empfunden und befürchtet habe, mit der Aufgabe nicht fertig zu werden, doch sieht sie davon ab, die anderen Lernenden zur Eile anzutreiben. Ähnlich wie bei S10 steht auch bei S11 die Interaktion innerhalb der Gruppe im Vordergrund, doch legt sie deutlich mehr Wert auf die sprachlichen Aspekte als S10, die sich eher auf den Austausch in der Gruppe konzentriert. Ihre Bemühungen das Gruppengespräch möglichst ohne Rückgriff auf das Japanische umzusetzen, resultieren in teilweise sehr langen Suchphasen, in denen sie in Abhängigkeit der Gruppenkonstellation, meist alleine mit Hilfe des Wörterbuchs und seltener durch Rückfragen in der Gruppe ihre Äußerungen aufbaut. Im VLE spiegelt sich ihr Fokus in der häufigen Thematisierung von Verständnis- und Ausdrucksschwierigkeiten sowie ihren kritischen Kommentaren zur Sprachverwendung oder zum Vorgehen der Mitlernenden wider, wobei letztere nicht in den Interaktionen zum Ausdruck kommen. 8.2.5 S14 - Die helfende Sprachexpertin S14 sieht die Gruppenarbeit als eine Art Übungsraum an, in dem es vor allem darum geht, neu erlernte Strukturen und noch ungewohnten Wortschatz anzuwenden und bringt sich dementsprechend aktiv in den unterschiedlichen Gruppen ein. Oft ergreift sie die Initiative und stößt das Gespräch durch eigene Redebeiträge an oder animiert ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen sich zu äußern, entweder durch Fragen oder durch eine gestische Übergabe des Rederechts, trägt aber stets auch selbst einen großen inhaltlichen Redeanteil 8.2 Die Fokuspersonen 149 <?page no="150"?> bei. Immer wieder versucht sie spontan, passende Fragen zu den Äußerungen anderer zu konstruieren und dabei gerade gehörte Wörter und Wendungen einzubauen. Oft gelingt es ihr, ungewöhnliche Ideen verständlich auf Deutsch zu erklären oder vertraute grammatische Elemente zu neuen Strukturen zu verknüpfen. Sprachliche Korrektheit ist hierbei dem Wunsch, Neues zum Ausdruck zu bringen, untergeordnet. Die Anwendung der Zielsprache spielt dabei zwar eine große Rolle für sie, doch legt sie ebenso Wert darauf, die verwendeten Strukturen zu durchdringen und auch für andere transparent zu machen. Deshalb verbalisiert sie einerseits für sich selbst, andererseits besonders gegenüber Lernenden, bei denen sie in einer zielsprachlichen Kommunikation Verständnisschwierigkeiten vermutet, die Zusammenhänge und sprachlichen Phänomene auf Japanisch, was zu etwa einem Drittel muttersprachlichen Redeanteil führt. Gern hilft sie anderen Gruppenmitgliedern bei sprachlichen Unsicherheiten und nimmt dadurch in gewisser Weise die Rolle der Expertin ein, die von den anderen auch akzeptiert wird. Ihr großes Interesse an der sprachlichen Ebene zeigt sich auch in den retrospektiven Daten, da sie im Vergleich zu den anderen Fokuspersonen weitaus häufiger Fehler und Verständnisschwierigkeiten bei sich selbst und anderen beobachtet und teilweise auch in der Gruppenarbeit anspricht. Weiterhin merkt sie bei japanischsprachigen Beiträgen - sowohl den eigenen als auch denen der Kommilitonen - oft kritisch an, dass diese eigentlich hätten auch in der Zielsprache umgesetzt werden können. Gleichzeitig aber hebt sie bei Mitlernenden beobachtete sprachliche Strukturen, die ihr selbst nicht geläufig sind, lobend hervor oder bedauert, dass ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichen, um anderen bei Ausdrucksschwierigkeiten zu helfen. Folglich erlebt sie Gruppenarbeitsphasen, in denen der Austausch auf Deutsch zwar fordernd, aber erfolgreich verläuft als gelungen und zeigt sich unzufrieden, wenn ihr aufgrund der Personenkonstellation oder der Aufgabenstellung die sprachliche Komponente wenig anspruchsvoll erscheint. 8.3 Zusammenfassung In den Porträts zeigt sich das breite Spektrum an Möglichkeiten, wie sich Einzelpersonen in Gruppenarbeitsphasen einbringen können. In Abhängigkeit von eigenen Interessen und Stärken sowie der Fremd- und Selbstwahrnehmung variiert das Verhalten der Lernenden. Während einige konstant eine bestimmte Rolle in verschiedenen Gruppen einnehmen, so z. B. S9 oder S12, ändern andere ihr Verhalten in den verschiedenen Gruppen stark, z. B. S1 oder S10. Da die individuelle Positionierung in der Gruppe sowie das Zusammenspiel der einzelnen Gruppenmitglieder einen Einfluss auf gesichtsrelevante Aushandlungen haben können, sollen die Beschreibungen einerseits zur Kontextualisierung der für die Interaktionsanalyse gewählten Sequenzen dienen, andererseits zur Transparenz der Interpretation der Verhaltensweisen in den spezifischen Ausschnitten beitragen. 150 8 Porträts der Lernenden <?page no="151"?> 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit Kapitel 9 bildet den Kern der Studie und dient der detaillierten Beschreibung gesichtskritischer Episoden in der Gruppenarbeit. Anhand von Transkriptauszügen werden potentielle Gesichtsbedrohungen dargestellt und der Umgang der Lernenden mit ihnen nachvollzogen. Im Mittelpunkt stehen also die ersten beiden Forschungsfragen. Ausgehend von Hinweisen der Fokuspersonen in den erinnerten Daten werden die Gruppeninteraktionen, auf die sich die jeweilige Bemerkung bezieht, skizziert, die Abläufe in der Gruppe aus einer gesichtstheoretischen Perspektive betrachtet und daraus Rückschlüsse auf ihre Auswirkungen auf die Gruppenarbeit gezogen. Hierbei ist jedes Unterkapitel einem gesichtsbedrohenden Aspekt gewidmet, um verbindende Charakteristika fokussieren zu können. Jedoch sind die einzelnen Gesichtsbedrohungen in den verschiedenen Episoden oft eng miteinander verzahnt, so dass die Aktionen und Reaktionen der Lernenden ineinandergreifen und einzelne Episoden als Beispiele für unterschiedliche gesichtskritische Handlungszusammenhänge dienen können. 26 9.1 Fehler bemerken Fehler sind fester Bestandteil jedes Lernprozesses und gehören so auch zum Fremdsprachenerwerb dazu. Im modernen Fremdsprachenunterricht sowie in der Forschung werden Fehler als wertvolle „ Zwischenschritte zum vollständigen Erwerb der fremden Sprache “ (Königs 2003: 377) interpretiert und zahlreiche Ansätze nutzen zielsprachlich fehlerhafte Produkte Lernender, um Erkenntnisse über kognitive Vorgänge beim Fremdsprachenlernen zu gewinnen (u. a. Marx & Mehlhorn 2016: 301). Traditionell haben Fehler jedoch eine negative Konnotation, die bis heute in der subjektiven Wahrnehmung Lernender und Lehrender verankert ist und dazu führt, dass erstere versuchen sie zu vermeiden und letztere sie zu korrigieren. Auch in Bezug auf Gesichtsbedürfnisse gehören Fauxpas und darauffolgende Reaktionen zu den unangenehmen Ereignissen und es wird in der Regel umgangen, sie während der Interaktion zu thematisieren. Bemerkt eine gesprächsbeteiligte Person einen Fehler bei einer anderen Person und reagiert darauf explizit, kann sich diejenige, die den Fehler begangen hat, peinlich berührt fühlen, behält erstere den offensichtlichen Fehler für sich, kann der weitere Gesprächsverlauf für sie selbst unbefriedigend werden (Brown & Levinson 1987: 67). In einer Lehrende-Lernende-Konstellation erlaubt die institutionell gesicherte Rollenzuordnung den Lehrpersonen eine direkte Korrektur, ohne dass sie sich für ihre Reaktion auf die Fehler ihrer Schülerinnen und Schüler rechtfertigen müssten (vgl. Spiegel 2006: 9). Es wird im Gegenteil von ihnen erwartet, dass sie die Äußerungen der Lernenden auf mögliche Fehler überprüfen, die Aufmerksamkeit aller darauf lenken und entweder selbst 26 Erste Einblicke in die empirische Analyse wurden bereits veröffentlicht (Czyzak 2020a, 2020b). <?page no="152"?> korrigierend eingreifen oder Verbesserungsvorschläge im Plenum zur Diskussion stellen (vgl. Königs 2003: 380). Durch Ausbildung und Erfahrung entwickelt die Lehrperson ihre Autorität als Expertin bzw. Experte auf dem jeweiligen Fach- und Lehrgebiet. Im Gegensatz dazu gestaltet sich die Gesprächssituation in Gruppenarbeitssettings unter Peers komplexer. Studien belegen, dass sich Lernende untereinander in der Kommunikation in der Zielsprache weniger unter Druck fühlen, korrekte Sprache zu verwenden und sich mehr Zeit zur Formulierung von Redebeiträgen nehmen als in Konstellationen mit Lehrpersonen oder Muttersprachlern (Sato & Ballinger 2016: 5). Das bedeutet, die Bereitschaft, sprachlich fehlerhafte Äußerungen zu realisieren, ist unter Peers generell größer. Gleichzeitig sind sich die Lernenden jedoch nicht sicher, ob ihre eigenen Kenntnisse ausreichen, die sprachlichen Produkte der anderen Gruppenmitglieder zu beurteilen und ggf. zu korrigieren. Sie möchten nicht als Besserwisser dastehen oder den Mitlernenden zu nahetreten und verzichten daher darauf, Fehler offenzulegen oder gar Verbesserungsvorschläge zu machen (vgl. u. a. Foster & Ohta 2005: 408; Philp et al. 2014: 99; Sato & Viveros 2016: 94). Korrektives Feedback bleibt aus und wertvolle Lerngelegenheiten in Form von LRE werden nicht umgesetzt. In anderen Untersuchungen konnte hingegen gezeigt werden, dass Fehler und deren Korrekturen durchaus thematisiert werden, als Ausgangspunkt für sprachbezogene Überlegungen dienen und eine gemeinsame Suche nach einer Lösung anstoßen können (u. a. Donato 1994: 44 f.) oder schlicht von den Mitlernenden vorgenommen werden (u. a. Storch 2002: 132). Im zugrundeliegenden Datenmaterial konnten anhand der Retrospektion insgesamt 23 Fundstellen ausgemacht werden, in denen die Fokuspersonen explizit über Fehler sprechen oder Unsicherheiten in Bezug auf die Korrektheit der eigenen Äußerungen oder der der anderen Gruppenmitglieder zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Hinweise auf weitere korrektive Episoden in den Interaktionsdaten, die jedoch von den Fokuspersonen während des VLEs nicht angesprochen wurden. Daher sollen diese hier vorläufig keine Berücksichtigung finden, da die Innenperspektive nicht überprüft werden kann. Als Fehler bemerken wurden VLE-Kommentare kodiert, die den Schlüsselbegriff 間違い - machigai, also Fehler, sowie ähnliche Begriffe beinhalten. Des Weiteren wurden auch Unsicherheitsbekundungen in diese Kategorie aufgenommen, in denen die UTN angeben, dass sie in dem Moment nicht genau gewusst haben, ob das so richtig ist - oder ähnliche Hinweise auf kognitive Prozesse bei der mündlichen Produktion. In allen fünf Gruppenarbeitsphasen werden in mindestens einer der vier Gruppen bemerkte Fehler erwähnt. G1 G2 G3 G4 GA1 0 4 0 1 5 GA2 1 0 1 3 5 GA3 0 2 1 4 7 GA4 0 0 1 2 3 GA5 0 0 3 0 3 Tab. 7: Fundstellen zur Thematisierung von Fehlern in den VLE-Daten nach Gruppen 152 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="153"?> Neben den überwiegend sprachbezogenen Fehlern nennen die Lernenden auch Versehen hinsichtlich des Vorgehens, etwa bei der Reihenfolge oder hinsichtlich des Inhalts, z. B. in Bezug auf die Wahrnehmung von bildlichem Input. Auch wenn bei allen fünf Fokuspersonen das Bemerken von Fehlern in der Retrospektion Erwähnung findet, scheint S14 verstärkt auf die eigene Sprachproduktion sowie auf die ihrer jeweiligen Gruppenkollegen zu achten, da sie in den VLE-Sitzungen Fehler weitaus häufiger thematisiert als die anderen Befragten. S7 S9 S10 S11 S14 Fehler bei anderen 2 0 0 0 5 7 Eigene Fehler 0 2 1 4 4 11 Unklarheit 0 1 1 1 2 5 Summe 2 3 2 5 11 23 Tab. 8: Fundstellen zur Thematisierung von Fehlern in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Im Folgenden soll anhand von ausgewählten Transkript-Ausschnitten, in denen die Handhabung von Fehlern im Mittelpunkt steht, der Umgang der Lernenden mit diesen gesichtskritischen Episoden nachgezeichnet werden. 9.1.1 „ Sein Name ist “ - GA2G4: Fehler bemerken und korrigieren Die Zusammenarbeit der Gruppe G4 in der zweiten Gruppenarbeitsphase, bestehend aus S4, S9 und S14, ist durch eine kooperative und freundliche Atmosphäre gekennzeichnet (vgl. Kapitel 7.2.5). Die inhaltliche Arbeit läuft fast ausschließlich auf Deutsch ab und alle drei Mitglieder beteiligen sich zu etwa gleichen Teilen am Gruppengespräch. [1] 311 [09: 01.1] 312 [09: 05.5] 313 [09: 07.0] 314 [09: 10.0] S4 [v] wah … wahrscheinlich passt foto foto sechs zu text ii S4 [nv] schaut ins AB, liest Redemittel ab S9 [v] hm S9 [nv] schaut ins AB schaut zu S4 schaut ins AB nickt und zeigt auf AB S14 [nv] schaut ins AB [p] (1,5) [2] 315 [09: 12.0] 316 [09: 13.5] 317 [09: 15.0] 318 [09: 16.3] 319 [09: 19.7] S4 [v] im texto im text steht hmmm S4 [nv] sucht im Text blättert, prüft Redemittel S9 [v] hm ich denke auch S9 [nv] nickt S14 [v] ich denke auch hm S14 [nv] nickt [p] (1,3) 9.1 Fehler bemerken 153 <?page no="154"?> [3] 320 [09: 20.9] S4 [nv] sucht im Text S9 [nv] schaut in den Text und ab und zu zu S4 S14 [nv] schaut in den Text [p] (2,6) S14 [VLE_S14] で、この時は、あのーみんな答え合わせみたいなのしてるんですけど、みんな同じ答え しか選んでなかったので、あんまりこれ話したいとか、なんかこここうでしょみたいに 言うのがなかったですね。あのー普通に文章を読むだけで、自分が同意したのも ich denke auch だけで、もう少しなんか言葉をプラスして、なんかドイツ語を話したらよ かったなーって思います。 S14 [VLE_S14_dt] Und hier da machen wir so eine Art Antwortenvergleich, aber weil alle dieselben Antworten hatten, gab es kaum etwas worüber man sprechen wollte, so wie etwa „ das ist doch so “ oder so. Also musste man nur den Text lesen und wenn man das gleiche hatte „ ich denke auch “ sagen. Ich denke, es wäre ganz gut gewesen, wenn man da irgendwie noch mehr auf Deutsch gesprochen hätte. [4] 321 [09: 23.4] 322 [09: 24.0] 323 [09: 27.2] 324 [09: 31.4] S4 [v] sie sie? sie … er? er hato S9 [nv] schaut Richtung S4 S14 [nv] schaut kurz zu S4, dann wieder auf das AB nimmt AB in die Hand [p] (3,2) (1,6) [5] 325 [09: 33.0] 326 [09: 34.2] 327 [09: 36.5] 328 [09: 38.2] 329 [09: 39.6] S4 [sup] zögerlich S4 [v] er hato er hato an an einer S4 [nv] sucht im Text formuliert mit Blick in den Text S9 [nv] schaut Richtung AB von S4 beugt sich vor zu S4 S14 [nv] liest AB in der Hand [p] (2,3) (1,4) [6] .. 330 [09: 46.5] 331 [09: 47.5] 332 [09: 48.3] S4 [v] universität in … seoul … ge gelernt S4 [nv] schaut S9 an, nickt und schaut wieder auf das AB S9 [v] ja S14 [v] hm [p] (1) 154 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="155"?> [7] 333 [09: 50.0] 334 [09: 50.8] 335 [09: 51.3] 336 [09: 52.8] 337 [09: 55.6] S4 [v] hm S9 [v] ja S9 [nv] nickt S14 [v] hmm und … ahhh sein name ist hons honkusu S14 [nv] schaut kurz zur Seite liest Name ab schaut S9 an und lächelt [8] 338 [09: 56.9] 339 [09: 58.0] 340 [09: 58.6] 341 [09: 59.6] 342 [10: 00.6] 343 [10: 01.1] 344 [10: 02.6] S4 [nv] blättert S9 [v] ähhh sein name ist S9 [nv] schaut S14 an schaut ins AB schaut S14 an S14 [v] なんか ね はい S14 [dt] irgendwie ne ja S14 [nv] schaut wieder ins AB nickt [p] (1) (1,5) [9] .. 345 [10: 05.1] 346 [10: 06.3] 347 [10: 07.5] 348 [10: 08.7] 349 [10: 10.0] 350 [10: 11.2] S4 [v] hm S4 [nv] schaut zu S14 S9 [v] korean … isch ich denke S9 [nv] schaut beide an schaut S14 ab S14 [v] ja hm aber pari あそうだ sein S14 [dt] ach so ist das S14 [nv] schaut S9 an Blick auf AB hält inne schaut S9 an, [p] (1,3) (1,2) [10] .. 351 [10: 13.6] 352 [10: 14.0] 353 [10: 15.8] S4 [v] ihr? S4 [nv] schaut kurz S9 an S9 [v] ihr name S9 [nv] schaut in den Text S14 [v] じゃないわこれ ihr name ihr name ihr name だ ihr name ist S14 [dt] das ist nicht „ sein “ ist S14 [nv] schüttelt den Kopf [11] .. 355 [10: 18.2] 356 [10: 19.1] 357 [10: 19.9] 358 [10: 20.7] S4 [v] hm in … S4 [nv] schaut zu S14, nickt bricht ab, zeigt ins AB, Blick zu S14 S9 [v] hm S9 [nv] nickt leicht, schaut ins AB S14 [v] hong suk korea ah sein S14 [nv] Blick zu S9, nickt zeigt auf Foto 9.1 Fehler bemerken 155 <?page no="156"?> [12] 359 [10: 21.3] 360 [10: 22.7] 361 [10: 24.0] 362 [10: 24.8] 363 [10: 25.8] 364 [10: 26.3] S4 [v] hm ahhh indien S4 [nv] schaut überrascht ins AB S9 [v] ahhh S9 [nv] schaut auf AB von S14 S14 [v] er er isto in indien pari S14 [nv] schaut ins AB schaut kurz zu S9 [13] 365 [10: 26.7] 366 [10: 27.2] 367 [10: 27.6] 368 [10: 29.0] 369 [10: 30.5] S4 [v] ja S4 [nv] setzt wieder an bricht dann aber ab nickt S9 [v] あ そか S9 [dt] ach so S9 [nv] nickt leicht S14 [v] sein name ist pari pari kommt aus indien S14 [nv] zeigt auf Foto mit Blick zu S9 nickt [p] (1,4) [14] 370 [10: 31.9] S4 [v] in foto sechs … sechs? S4 [nv] kreist mit Stift über dem Foto S9 [nv] schaut auf AB von S4 S14 [nv] schaut auf AB von S4 S9 [VLE_S9] えっとこれ、 Text の一番最後の Text I でそれが一番最後に残ってて、で読んでくと一応アジ ア人っていうのが分かって、あ、これは 1 枚しかないかな。この人だっていう消去法でやっ てたっていうのもあって、であと名前がもう完全に一番最初に出てきた名前が、アジア系の 名前というかコリアン系の名前だったからっていうのでやってたからちょっと読んでるのが 適当で、あんまりえっと、 sein なのか ihr なのか分かってなくって sein って言って、あ ihr なん だっていう。 S9 [VLE_S9_dt] Ähm hier, das war der letzte Text, Text i, und der war als letzter übrig und wenn man den liest, dann versteht man erst einmal, dass es um jemanden aus Asien geht und es ist ja nur noch ein Bild übrig. Einerseits haben wir das nach dem Ausschlussprinzip gemacht, und dann der Name, der ganz am Anfang vorkommt, das ist ein asiatischer Name, ein koreanischer, dann hat man da so ein bisschen gelesen und dann etwas beliebig zugeordnet. Ich habe nicht wirklich gewusst, ob das nun „ sein “ oder „ ihr “ ist, dann habe ich „ sein “ gesagt, aber es war „ ihr “ . S14 [VLE_S14] 今、彼女の名前はか彼の名前はかで迷ってたんですけど、あのーちょっと文章、色々それに ついて書いてある文章が長かったんで、なんか途中まで理解してるか、ちゃんと最後まで文 章理解してるかで、あの、ちゃんと読む、あのドイツ語を理解できてるか理解できてないか で今の対応が違うのかなって思いました。わたしはこの今の GW の前に一応全部辞書なしで も読めたので自分の間違いに気づいたんですけど、二人は一部まだ分かってない部分があっ たらしくて、ちょっとあのー対応できてないみたいな部分があったりしました。 156 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="157"?> 370 [10: 31.9] S14 [VLE_S14_dt] Jetzt, da habe ich geschwankt, ob es ihr Name oder sein Name war. Ähm und im Text steht darüber einiges, aber weil der Text lang war, war nicht ganz klar, ob man den Text nun halb oder ganz verstanden hat. Wenn man ihn ordentlich liest, kann man das Deutsch verstehen oder nicht und jetzt habe ich gedacht, dass die Antwort irgendwie anders ist. In der Gruppenarbeit davor hatte ich den Text ohne Wörterbuch lesen können und deshalb habe ich meinen Fehler bemerkt, aber die beiden schienen das noch nicht ganz verstanden zu haben und da gab es anscheinend noch ein bisschen Unstimmigkeit. Transkriptauszug 10: GA2G4 „ sein Name ist “ Im Mittelpunkt dieses Datenausschnitts steht die Zuordnung des Fotos Nummer 6 zu Text i (siehe Anhang 6) und die Begründung der Zuordnung anhand von Hinweisen im Text. Im Anschluss an die Äußerung ihrer Vermutung durch S4 signalisieren die beiden anderen durch Nicken, Zeigen, Zustimmungssignale und ja unmittelbar ihre Zustimmung. Daraufhin sucht S4 nach einem Beleg im Text und deutet parallel durch die Satzeinleitung „ im text steht “ an, dass sie das Rederecht behalten möchte. Der Wunsch weiterzusprechen wird von den Gruppenmitgliedern respektiert und nach einer Pause von 2,6 Sekunden setzt S4 den Satz fort, bricht aber sofort wieder ab, woraufhin sich erneut eine längere Pause anschließt. Weiterhin mit dem Blick auf das Arbeitsblatt gerichtet setzt S4 wieder an, deutet aber durch eine steigende Intonation an, dass sie nicht ganz sicher ist, welches Pronomen passt (323). Auch hier greifen die beiden anderen Studentinnen nicht ein, sondern vergewissern sich nur durch kurze Blicke in Richtung des Arbeitsblattes von S4, um welche Textstelle es sich handelt, und lesen daraufhin den entsprechenden Abschnitt auf dem eigenen Blatt nach. Schließlich formuliert S4 den Satz zögerlich, mit Blick auf das Arbeitsblatt, zu Ende aus, woraufhin beide wieder ihre Zustimmung signalisieren (331). S14 führt dann einen weiteren Beleg aus dem Text an (336) und S9 ergänzt eine Vermutung (344). Während S9 aber noch ihre Vermutung mit dem Zusatz „ ich denke “ abschwächt, stellt S14 den Fehler fest. Sie beginnt damit das Problem auf Deutsch zu spezifizieren (347), nimmt aber die eigentliche Korrektur dann zuerst auf Japanisch vor (349-351), wiederholt die korrekte Form mehrfach und liefert dann noch einmal den ganzen korrigierten Satz (353). S4 und S9 signalisieren zwar ihr Verständnis, diesmal aber erfolgt die Zustimmung eher verhalten nur durch hm und Nicken. Das sehr leichte Nicken von S9 mit fortwährendem Blick in den Text deutet darauf hin, dass S9 die Korrektur noch nicht nachvollziehen kann. S14 nickt noch einmal, wiederholt das Schlüsselwort „ korea “ und deutet auf das Foto. S9 wirft einen Blick auf das Arbeitsblatt von S14 und signalisiert dann endlich Verständnis durch ahhh, während S14 konstatiert, dass der Mann im Bild aus Indien komme (359). Daraufhin zeigt auch S4 erneut mehrfach, dass sie versteht (361-363) und stimmt dann ausdrücklich mit ja zu (366), während auch S9 erneut ihr Verständnis signalisiert (365). Abschließend betont S14, dass der Name des Mannes Pari sei und er aus Indien komme. Daraufhin nicken alle, so dass die verständnissichernde Sequenz abgeschlossen und weiter über das Bild gesprochen werden kann. In dieser Episode wird ein Verständnisfehler, der in der Gruppe entstanden ist, und daraus resultierend die Wahl des falschen Possessivpronomens durch die Mitglieder unter der Leitung von S14 erfolgreich gelöst. Auch in den VLE-Daten beider Fokuspersonen S9 und S14 spiegelt sich die Situation wider. Beide Studentinnen gehen auf die Unsicherheiten 9.1 Fehler bemerken 157 <?page no="158"?> in Bezug auf das Textverständnis ein und begründen dadurch, wie es zu dem Fehler kommen konnte. Während bei S9 insbesondere die Anwendung des Ausschlussprinzips im Vordergrund steht, legt S14 größeren Wert auf das Detailverständnis. Mehrfach betont S14, dass sowohl bei ihr selbst als auch innerhalb der Gruppe nicht eindeutig zu erkennen ist, ob der Text vollständig verstanden wurde. Letztendlich konstatiert sie, dass sie selbst schließlich ihren eigenen Fehler bemerkt habe, es aber bei den anderen weiterhin Unklarheiten zu geben schien. Auch im Gruppengespräch wird deutlich, dass sie den eigenen Fehler, der aber auch gleichzeitig ein kollektiver Gruppenfehler ist, bemerkt, selbst die Reparatur vornimmt und diese durch zusätzliche Aussagen bekräftigt. S9 hingegen bemerkt den Fehler nicht selbst und gibt im VLE auch zu, dass sie nicht gewusst habe, welches Pronomen das passende ist. Zwar bewertet sie die Korrektur durch S14 nicht in der Retrospektion, zeigt aber durch die explizite Erwähnung ihrer eigenen Lösung und der korrekten Form, dass sie die Korrektur bewusst als solche wahrnimmt. In diesem Abschnitt führt S14 also sowohl eine Selbstkorrektur ihres eigenen Fehlers als auch eine Fremdkorrektur der beiden anderen Gruppenmitglieder im selben Redebeitrag durch (350 f). Diese Korrektur kann so direkt von S14 aus mehreren Gründen vorgenommen werden. Erstens ist die Ursache für die Wahl des falschen Pronomens auf die Verständnisschwierigkeiten der Studentinnen in Bezug auf den Text zurückzuführen, was wiederum sowohl von S9 als auch von S14 als Teil der Aufgabenbearbeitung verstanden wird, und somit zum Zweck der Interaktion gehört. Zweitens wird das Possessivpronomen sein von allen drei Beteiligten verwendet, das bedeutet also, dass der Fehlgriff hinsichtlich des Pronomens von allen gleichermaßen begangen wurde. Ein weiterer Grund, der diese offene Korrektur ermöglicht, besteht in der gleichberechtigten Arbeitsweise dieser Gruppe. Alle drei nehmen aktiv am Gruppengespräch teil und konstruieren gemeinsam die Begründung für die Zuordnung der Fotos und Texte durch wechselseitige Bestätigungen und ergänzende Bemerkungen (vgl. Storch 2002: 130). Sie spielen sich also quasi die Beiträge gegenseitig zu, so dass alle gleichermaßen für das Produkt, das in diesem Gruppenarbeitsgespräch entsteht, verantwortlich sind. 9.1.2 „ Nicht Vater “ - GA3G2: Hilfestellung und keine Korrektur In der Gruppe G2 der Gruppenarbeitsphase GA3 arbeiten S2, S5 und S7 erfolgreich zusammen, was sich auch in der positiven Bewertung der Mitglieder widerspiegelt (vgl. Kapitel 7.3.3). Der folgende Transkriptauszug beinhaltet eine längere Sequenz, in der S5 deutliche Formulierungsschwierigkeiten zeigt, bei deren Bewältigung er vor allem von S7 unterstützt wird. [1] 135 [03: 39.6] 136 [03: 41.1] 137 [03: 42.6] 138 [03: 43.0] 139 [03: 45.8] 140 [03: 49.4] S5 [v] … えとね … warum? warum … das … foto … S5 [dt] … also S5 [nv] vergräbt das Gesicht in S7 [v] hm S7 [nv] lacht [p] (2,8) (2,6) 158 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="159"?> [2] .. 141 [03: 51.9] 142 [03: 52.6] 143 [03: 56.1] 144 [03: 57.3] 145 [03: 57.9] S2 [nv] schaut S7 an S5 [v] ちょっと待ってね hm? S5 [dt] warte mal ne S5 [nv] den Händen S7 [sup] sehr leise S7 [v] なんかまあでも S7 [dt] irgendwie S7 [nv] wuschelt sich durch die Haare [p] (3,4) (3,1) [3] 146 [04: 01.0] 147 [04: 01.9] 148 [04: 02.9] 149 [04: 03.7] 150 [04: 04.8] S5 [v] なんと言えばだろうね? in foto sind S5 [dt] wie kann man das sagen? S5 [nv] schaut S7 an S7 [sup] sehr leise S7 [v] 頑張れ頑張れ S7 [dt] gib alles gib alles S7 [nv] zuckt mehrmals die Schultern, lächelt nickt leicht schaut [p] (1,1) [4] .. 151 [04: 06.1] 152 [04: 07.7] 153 [04: 09.3] 154 [04: 11.3] 155 [04: 11.8] S5 [v] nichto herr … herr? … 良いのかなこれ? herr … S5 [dt] … ist doch so okay oder? S5 [nv] lächelt schaut S7 an S7 [v] herr? S7 [nv] vor sich auf den Tisch [p] (1,6) [5] 156 [04: 12.7] 157 [04: 14.7] 158 [04: 16.2] S2 [nv] schaut S5 an und spielt mit einer Strähne schaut zu S7 S5 [v] herr で良いのかなあ herr じゃないかなあ? S5 [dt] herr passt doch oder? oder nicht? S7 [v] herr herr って分かる ? S7 [dt] herr herr verstehst du? S7 [nv] schaut S5 an zu S2 [p] (1,5) 9.1 Fehler bemerken 159 <?page no="160"?> [6] 159 [04: 17.7] 160 [04: 19.1] 161 [04: 20.1] 162 [04: 20.6] 163 [04: 21.6] S2 [v] …夫? S2 [dt] … ehemann? S5 [v] herr 夫って 夫 夫 S5 [dt] herr also ehemann ehemann ehemann S7 [v] …夫? S7 [dt] ehemann? [7] 164 [04: 22.4] 165 [04: 24.1] 166 [04: 24.8] 167 [04: 25.6] 168 [04: 27.3] S2 [v] S5 [sup] … ahhhh … ahhhh leicht lachend S5 [v] 旦那さん旦那さん noch einmal ne S5 [dt] gatte gatte S7 [v] ahhh noch einmal bitte S7 [nv] hebt den Finger [8] 169 04: 28.6] 170 [04: 30.1] 171 [04: 30.7] 172 [04: 31.3] 173 [04: 31.6] 174 [04: 33.4] S2 [nv] lacht S5 [v] 文法全然ダメだけど warum in … das foto S5 [dt] grammatik geht gar nicht S5 [nv] deutet mit dem Finger in S7 [v] hm S7 [nv] lacht [p] (1,8) [9] .. 175 [04: 35.4] 176 [04: 37.1] 177 [04: 38.6] S5 [v] これなんだろうあれ S5 [dt] das was auch immer das ist S5 [nv] Richtung AB von S7 S7 [sup] leise S7 [v] 動詞動詞動詞 S7 [dt] verb verb verb S7 [nv] klopft mit den Fingern auf den Tisch [p] (1,7) [10] .. 178 [04: 39.7] 179 [04: 40.8] 180 [04: 42.8] 181 [04: 44.4] S2 [nv] schaut S5 an S5 [v] sindo … nichto fra ah herr? S5 [nv] lacht verlegen S7 [nv] lächelt schaut Richtung S5 aber nachdenklich ins Leere [p] (2,1) 160 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="161"?> .. 178 [04: 39.7] 179 [04: 40.8] 180 [04: 42.8] 181 [04: 44.4] S7 [VLE_S7] この時に、 Warum えっと、 in das Foto sind って来たから、 sind ?あれ、 sind かなぁ …と思って考えてます。 S7 [VLE_S7_dt] Hier da kam „ warum äh in das Foto sind “ . „ Sind “ ? Hä? Da habe ich mich gefragt, ob da sind hin muss. [11] 182 [04: 46.5] 183 [04: 47.1] 184 [04: 48.3] 185 [04: 50.3] 186 [04: 51.3] S2 [v] vater? S5 [v] … ah so vater … vater で良いのかなあ vater で良いのかなあ ? … S5 [dt] … vater ist okay ist vater okay? … also S5 [nv] schaut zu S7 [nv] lachend S7 [v] … vater vater [13] .. 187 [04: 53.0] 188 [04: 54.3] 189 [04: 55.5] 190 [04: 57.5] S2 [v] hmmmm S2 [nv] legt den Kopf schief und lacht verlegen S5 [v] 夫って? … vater で良いいや S5 [dt] ehemann … vater passt auch S5 [nv] S2 (Hintergrundgeräusch) S7 [v] warum … S7 [nv] macht für jedes [p] (1,3) [14] .. 191 [05: 01.1] 192 [05: 02.0] 193 [05: 06.1] 194 [05: 06.5] S5 [v] so vater S7 [v] sindo nichto … vater … warum S7 [nv] Wort eine Handbewegung auf den Tisch starrt ins Leere und hält inne [p] (4,1) [15] .. 195 [05: 08.9] 196 [05: 10.2] S7 [v] sind nicht vater … hä? ist das vater? S7 [nv] schaut ins AB zeigt ins Bild und schaut S5 an [p] (1,2) Transkriptauszug 11: GA3G2 „ nicht Vater “ 9.1 Fehler bemerken 161 <?page no="162"?> In dem Exzerpt versucht S5 eine Frage zum Gruppengespräch über die Briefmarke beizusteuern (vgl. Kapitel 7.3.1), hat aber deutliche Formulierungsschwierigkeiten, was sich in mehreren Pausen von rund 3 Sekunden (142, 145), Einwürfen in der L1 (146) und Gesten, wie das Gesicht in den Händen zu vergraben (140), die den Denkprozess deutlich nach außen tragen, äußert. Auch hier geben die anderen Gruppenmitglieder S5 Zeit, die Frage zu bilden, ohne zu drängen. S7 nickt ermutigend, lächelt und feuert ihn leise an (147- 149). Im Anschluss an die Idee von S5 das offensichtlich fehlende Wort im Deutschen durch das bedeutungsähnliche Herr auszudrücken, erfolgt die Verständnissicherung unter Zuhilfenahme der L1, da den anderen Gruppenmitgliedern nicht sofort klar wird, was gemeint ist (152-166). S5 sucht nach einem Wort mit der Bedeutung Ehemann, was die beiden anderen aber auch auf Japanisch (159-163) nicht sofort einordnen können. Erst als S5 ein Synonym einbringt, das den anderen Gruppenmitgliedern geläufiger (165) zu sein scheint, signalisieren beide ihr Verständnis (166). Daran schließt S7 eine Bitte um Wiederholung der Frage an, der S5 auch nachkommt, wobei er aber die eigentlich fertig formulierte Frage mehrfach durch Kommentare auf Japanisch und einige Sprechpausen unterbricht. Ein Kommentar bezieht sich auf seine fehlenden Grammatikkenntnisse (169), ein anderer verweist darauf, dass er sich nicht ganz sicher ist, ob das Wort Foto dem Briefmarkenbild angemessen ist (176). Sowohl die Pausen als auch die Kommentare machen deutlich, dass S5 sehr unsicher ist und durch die Bemerkungen versucht, seine selbst empfundenen mangelnden Sprachkenntnisse humorvoll zu thematisieren. Auf suprasegmentaler Ebene ist sein Redebeitrag durch ein leichtes Lachen, Smile voice (Selting et al. 2009: 391), begleitet. Als Hilfestellung gibt S7 leise einen Hinweis zum Satzbau, dass noch das Verb fehle (147). S5 nimmt die Hilfestellung an und formuliert die Frage zu Ende aus. Weder S2 noch S7 reagieren unmittelbar auf die Frage, sondern schauen S5 nur an bzw. in seine Richtung, ohne etwas zu sagen. S2 bricht dann das Schweigen und spricht das Wort Vater mit einer fragenden Intonation aus. Diese Rückfrage, ob sich die Frage von S5 auf den Vater im Bild beziehe, macht deutlich, dass die fehlende Reaktion der Gruppe weniger auf die Unverständlichkeit der Frage, sondern vielmehr auf die mentale Verfügbarkeit der Begriffe zurückzuführen ist. Da die Gruppe über verschiedene Familienformen spricht, liegt für S2 der Begriff Vater viel näher als das Wort Herr, was als Ausdruck für eine männliche Person in diesem Kontext eine akzeptable Alternative darstellt, hier aber für die anderen Gruppenmitglieder nicht sofort zu entschlüsseln ist. Daraufhin denkt S5 unter Rückgriff auf die L1 laut darüber nach, ob Vater hier das passende Wort ist und stimmt, bestärkt durch die Bestätigung von S7 (184), letztendlich der Wortwahl zu, womit die Formulierungssequenz abgeschlossen ist. Zur Verständnissicherung wiederholt S7 die Frage noch einmal und senkt bei jedem Wort die Hand auf den Tisch, bricht aber vor dem letzten Wort ab. Nach einem kurzen Zögern von S7 bestätigt S5 durch ein kurzes so, woraufhin S7 wieder länger innehält (192), so dass S5 das letzte Wort Vater ergänzt. S7 wiederholt den Satz noch einmal, schaut auf das Bild, dann zu S5 und fragt auf das Bild zeigend mit überraschter Intonation „ ist das vater? “ . Es folgt eine längere Sequenz, in der sich die Gruppe versucht einig zu werden, ob auf dem Bild ein Vater dargestellt ist oder nicht. Aus der Sicht von S7 zeigt das Bild eine klassische Familie mit Mutter, Vater und Kind, in den Augen von S5 aber fehlt der Vater. Auffällig ist, dass S7 zwar mehrmals die nicht-zielsprachliche Formulierung von S5 mit der Pluralform des Verbs wiederholt, dann aber bei der eigenen Gegenfrage die korrekte Verbform anwendet (196). 162 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="163"?> In der Retrospektion gibt S7 an, dass er sich gefragt habe, ob das Verb in der Frage von S5 richtig ist (181), was er aber im Gruppengespräch nicht anspricht. Durch sein unterstützendes Verhalten bei der Formulierung der Frage wird deutlich, dass er sich der Formulierungsschwierigkeiten von S5 bewusst ist. Anstatt einfach die richtige Lösung vorzugeben oder selbst das Wort zu ergreifen, gibt er Hilfestellungen auf verschiedenen Metaebenen. 頑張れ頑張れ (ganbare ganbare - im Sinne von: Du schaffst das! ) bezieht sich eher auf die Motivation von S5, während der Hinweis auf das Verb auf einer metasprachlichen Ebene angesiedelt ist. Diese Art der Unterstützung deutet darauf hin, dass S7 sich hier als eine Art Mentor, also Experte im Sinne des Novize-Experte-Interaktionsmusters, versteht (vgl. Storch 2002: 135). Er gibt Hilfestellung, versucht aber die eigentliche Lösung nicht zu verraten und ermutigt S5 seinen Redebeitrag zu vervollständigen. Da das gegenseitige Verständnis gesichert ist, liegt es für S7 in diesem Kontext nahe, S5 nicht noch zusätzlich zu belasten oder gar zu demotivieren. Also verzichtet er auf eine weitere Korrektur (vgl. Philp et al. 2010: 272). Somit schont S7 das Gesicht von S5 und erleichtert seinem Kommilitonen, einen aktiven Beitrag zum Gruppengespräch zu leisten. Die Sequenz macht deutlich, wie eng die einzelnen Episoden miteinander verknüpft sind. Durch die Schwierigkeiten von S5, seine Idee zum Ausdruck zu bringen, beginnt S7 Hilfestellung zu geben, nimmt aber nicht die Lösung vorweg. Er gibt Hinweise zur Selbstkorrektur und ermutigt ihn durchzuhalten, nimmt aber keine - für das gegenseitige Verstehen - unnötigen Korrekturen vor. Hier greifen Ausdrucksschwierigkeiten (vgl. Kapitel 9.2) und das Bemerken von und der Umgang mit Fehlern unmittelbar ineinander und lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten (siehe auch Kapitel 10.1.3). Für das im vorliegenden Kapitel im Mittelpunkt stehende Korrekturverhalten ist festzuhalten, dass unkommentierte Fehler nicht unbedingt unbemerkt bleiben, sondern durchaus bewusst übergangen werden, um das Leisten von Redebeiträge Mitlernender nicht zu erschweren und so den Fortgang der Gruppenarbeit nicht auszubremsen. 9.1.3 „ Geschieden “ - GA2G1: Fehler bemerken und korrigiert werden Der folgende Ausschnitt stammt aus der Gruppenarbeitsphase 2, in der die Gruppe G1 ihre Zuordnung der Texte zu den Bildern vergleicht (Kapitel 7.2.1). Die Zusammenarbeit ist auch in dieser Gruppe durch ein hohes Maß an Gleichberechtigung gekennzeichnet, da sich alle drei Mitglieder zu etwa gleichen Teilen einbringen, wobei sich S2 im Gegensatz zu S8 und S11 leicht zurückhält. Auch in der Wahrnehmung der einzelnen Mitglieder erscheint die Gruppenarbeit positiv und erfolgreich (vgl. Kapitel 7.2.2). [1] 5 [00: 10.7] 6 [00: 13.2] 7 [00: 14.6] S8 [v] passt zu S8 [nv] schaut Richtung AB von S11 S11 [sup] zögernd S11 [v] foto eins passt zU passt zu tekisto … foto eins foto eins S11 [nv] schaut auf AB sucht auf dem AB 9.1 Fehler bemerken 163 <?page no="164"?> [2] 8 [00: 19.8] 9 [00: 20.4] 10 [00: 22.4] 11 [00: 23.0] 12 [00: 24.9] 13 [00: 25.7] 14 [00: 26.1] 15 [00: 28.1] S2 [v] hm hm S8 [v] ja b S11 [v] tekisto b weiL えーと S11 [dt] äh S11 [nv] schaut Richtung S2 schaut wieder auf AB [p] (1,9) (2) [3] 16 [00: 29.0] 17 [00: 30.1] 18 [00: 30.7] 19 [00: 31.9] 20 [00: 33.2] 21 [00: 34.1] S2 [nv] schaut kurz zu S1, nickt leicht S11 [sup] leise extrem leise S11 [v] 待って待って weiL ihr mann hat 待って あつつつつ S11 [dt] warte warte warte a tstststs S11 [nv] blättert schaut in den Text [p] (1,2) [4] 22 [00: 35.0] 23 [00: 37.0] S11 [sup] leise, leicht lachend S11 [v] すみません答えて答えて be be be be S11 [dt] entschuldigung antworte antworte S11 [nv] blättert und sucht blättert S11 [VLE_S11] これ、最初この、紙、バラバラの状態で配られてたんで すよ。で、それをわざとくっつけちゃったんですけど、 あ、なんでくっつけちゃったんだろ、と思って。 Pause で、しかも、この…ここにここに説明文書いてあるんで すけど、説明文っていうかなんか定型文みたいな。これ 使ったら、こういうの出来る、みたいなやつ。でもなん かもうくっついちゃってわかんないし、あ、もう weil も 使い方絶対間違ってるなぁと思いながらたぶんやってい ると思います。 S11 [VLE_S11_dt] Hier, anfangs wurden die Blätter einzeln ausgeteilt. Und ich hatte sie absichtlich zusammengetackert. Da dachte ich, warum habe ich die so zusammengelegt. In der Pause. Aber, hier da ist die Erklärung geschrieben, so ein Erklärungstext, wie so feste Redewendungen. Wenn man die benutzt, dann kann man das machen oder so. Aber weil die da ja schon zusammenstanden, habe ich die nicht verstanden, ah und die Verwendung von „ weil “ ist auf jeden Fall falsch, habe ich gedacht und vielleicht einfach weiter gemacht, denke ich. 164 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="165"?> [5] 24 [00: 38.2] 25 [00: 40.1] 26 [00: 40.4] 27 [00: 41.7] 28 [00: 42.3] 29 [00: 43.3] 30 [00: 46.4] 31 [00: 47.1] S8 [v] be wurde S11 [sup] langsam S11 [v] er er seiner frau geschieden S11 [nv] schaut in den Text [p] (1,8) (1,3) (1) (0,7) [6] 32 [00: 47.7] 33 [00: 48.4] 34 [00: 49.2] 35 [00: 49.6] 36 [00: 50.0] 37 [00: 50.6] 38 [00: 51.8] 39 [00: 52.4] 40 [00: 52.9] S2 [v] hm hm hm ja ja ja S2 [nv] nickt lächelt S11 an nickt, S8 [v] wurde ja S11 [v] wurde oh S11 [nv] lächelt S2 an nickt nickt [p] (0,6) (0,7) [7] .. 41 [00: 53.8] 42 [00: 56.3] S2 [nv] lächelt, Daumen hoch S11 [v] was denken sie? S11 [nv] Geste zu S2 [p] (2,5) Transkriptauszug 12: GA2G1 „ geschieden “ Nach einer kurzen Klärung des gemeinsamen Vorgehens ergreift S11 die Initiative und beginnt, die von ihr gewählte Zuordnung von Foto eins zu Text b zu erklären. Durch zögerliches Sprechen und viele Pausen (z. B. 11 und 14) wird eine gewisse Unsicherheit deutlich. S2 und S8 unterstützen S11 bei der Formulierung ihrer Gedanken durch kooperatives Warten (vgl. Foster & Ohta 2005: 414), indem sie auch die längeren Sprechpausen nicht dazu nutzen, das Rederecht zu ergreifen, sowie Rezeptionssignale wie ja (8) und hm (10, 13). S8 verdeutlicht durch Wiederholung wichtiger Aussageteile von S11, dass er folgen kann (6, 10). Besonders bei der Formulierung der Begründung verstärkt sich bei S11 die Unsicherheit. Sie setzt an, eine Begründung mit weil einzuleiten, bricht jedoch ab und es entsteht eine Pause von zwei Sekunden. Mit えーと (eeeto), einem Verzögerungssignal im Japanischen, deutet S11 zunächst nur an, dass sie noch etwas Zeit benötigt und bittet dann explizit die anderen zu warten. Dies realisiert sie jedoch sehr leise, wie zu sich selbst, auf Japanisch (16). Auch ein weiterer Versuch ist durch ähnliche Verzögerungsstrategien gekennzeichnet. Im Videomaterial ist zu erkennen, dass S11 versucht, die Begründung mit Hilfe des Textes ad hoc zu formulieren. Sie blättert hin und her, sucht konzentriert nach geeigneten Textstellen und versucht, diese in einen kausalen Nebensatz einzubetten. Schließlich entschuldigt sie sich leicht lachend in der L1 und gibt noch einmal sowohl auf Japanisch als auch durch mehrfache Wiederholung der Textnummer (23) zu verstehen, dass 9.1 Fehler bemerken 165 <?page no="166"?> sie nach der Antwort sucht, bevor sie den entsprechenden Textausschnitt findet und die relevanten Teile langsam vorliest (29). Hans ist Künstler. Er lebt in der Schweiz. Seit er von seiner Frau geschieden wurde, erzieht er seine beiden Söhne alleine. Materialauszug 3: GA2 Familien aus aller Welt (vgl. Anhang 6) Durch die Auslassung der Präposition von und des Hilfsverbs wurde wird deutlich, dass S11 weiterhin darum bemüht ist, den Text nicht einfach vorzulesen, sondern in den geplanten weil-Satz einzubinden. Dennoch ergänzt S8 das Hilfsverb aus der Textvorlage (31) und S11 übernimmt die Korrektur (33). Anschließend bestätigen S8 und S2 durch hm und ja sowohl Verständnis als auch Zustimmung, die dann zwischen S11 und S2 mehrfach durch Nicken, Lächeln und eine Daumen-hoch-Geste bestärkt wird. Im VLE gibt S11 zu Protokoll, dass sie in dieser Episode durch drei Faktoren verunsichert ist. Einerseits erscheint ihr die eigene Anordnung der Arbeitsblätter verwirrend, andererseits bereitet ihr die Anwendung der zur Verfügung gestellten Redemittel Schwierigkeiten. Insbesondere aber ist sie sich der fehlerhaften Struktur des weil-Satzes bewusst, entscheidet sich jedoch dafür, ihre Aussage dennoch zu Ende zu bringen. Der Fokus liegt hier auf der Verständigung, so dass Fehler in Kauf genommen werden. Dies wird auch im Gesprächsverlauf deutlich, indem S11 durch ein oh (39) Freude und eine gewisse Überraschung ausdrückt, dass ihre Aussage verstanden wurde. S11 entscheidet sich hier ganz bewusst dafür, ihren Beitrag trotz fehlerhafter Verwendung der grammatischen Strukturen zu realisieren. In Bezug auf das eigene Gesicht ist dieses Vorgehen in vielerlei Hinsicht bedrohend. Zum einen riskiert sie, dass die anderen Lernenden sie nicht verstehen, wodurch sie in Erklärungsnot geraten könnte, zum anderen könnte der Fehler von den anderen bemerkt werden, so dass ihre sprachliche Kompetenz in Frage gestellt und sie außerdem korrigiert werden könnte - was dann auch durch S8 erfolgt. Dennoch verzichtet sie auf eine explizite Bitte um Hilfe oder einen Rückzug ihres Beitrages, was ebenfalls gesichtsbedrohend hätte wirken können, da sie das Rederecht aus eigenem Antrieb ergriffen hatte und ein plötzlicher Abbruch die vorherige Initiative unnötig oder sogar unsinnig erscheinen ließe. Ihre Strategiewahl ihren Beitrag umzusetzen, wird von den beiden anderen weitestgehend durch Zurückhaltung und Verstehenssignale unterstützt, so dass der Korrekturvorschlag von S8 ohne zusätzlichen Gesichtsverlust als eine Art ko-konstruktiver Beitrag angenommen werden kann. 9.1.4 „ Schwester “ - GA3G4: Fehler wird bemerkt und korrigiert Die Gruppe G4 in der dritten Gruppenarbeitsphase setzt sich aus den Studierenden S6, S8 und S14 zusammen und die Zusammenarbeit findet in erster Line im Gespräch zwischen S8 und S14 statt. Im Vorfeld des folgenden Gesprächsexzerpts stellen alle drei Studierende eine erste mögliche Interpretation der dargestellten Familienform auf Deutsch vor (vgl. Kapitel 7.3.1), wobei insbesondere S8 und S6 häufiger auf das Japanische zurückgreifen. 166 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="167"?> [1] 89 [02: 51.3] 90 [02: 52.5] 91 [02: 54.5] 92 [02: 56.3] 93 [02: 56.8] 94 [02: 58.6] S8 [v] えーと ja S8 [dt] äh S8 [nv] hebt Stift Richtung S14, schaut S14 an nickt S14 [v] wer … (äh) we we welcher welcher … S14 [nv] setzt sich auf [p] (2) (1,7) [2] 95 [02: 59.8] 96 [03: 00.8] 97 [03: 02.7] 98 [03: 03.4] 99 [03: 04.4] 100 [03: 06.1] 101 [03: 07.0] 102 [03: 07.9] 103 [03: 08.8] S8 [v] welcher person hmmm isto S14 [v] person isto ma mutter S14 [nv] lehnt sich zurück [p] (1,8) (1,7) (0,8) [3] .. 104 [03: 10.0] 105 [03: 11.1] 106 [03: 13.0] 107 [03: 13.6] 108 [03: 14.9] 109 [03: 16.0] 110 [03: 16.7] S8 [v] mutter … hm? mutter? ahhh mutter mutter S14 [v] hm S14 [nv] schaut S8 an nickt [p] (1,9) (1,3) (0,7) [4] .. 111 [03: 18.0] 112 [03: 18.9] 113 [03: 20.6] 114 [03: 21.5] S8 [v] isto 誰が母親かってことよね ja S8 [dt] es geht darum wer die mutter ist ne S8 [nv] nimmt AB zur Hand hält das Bild hoch und S14 [nv] nickt [p] (1) (0,9) [5] .. 115 [03: 22.1] 116 [03: 23.0] 117 [03: 23.5] 118 [03: 24.0] 119 [03: 24.8] S8 [v] ja S8 [nv] zeigt mit Stift auf Person nickt S14 [v] oh vater? S14 [nv] zeigt mit Stift auf das eigene Bild, schaut [p] (0,9) (0,5) 9.1 Fehler bemerken 167 <?page no="168"?> [6] .. 120 [03: 25.5] 121 [03: 26.1] 122 [03: 26.8] S8 [v] ja schwe schwester hm? schwester schwester S8 [nv] legt AB auf den Tisch nickt schaut auf AB von S14, dann zur Decke S14 [v] schwester? S14 [nv] zwischen Bild und S8 hin und her beugt sich vor [7] 123 [03: 30.0] 124 [03: 31.4] 125 [03: 32.1] 126 [03: 33.1] S8 [v] schwester schwester 娘でいいの ? S8 [dt] ist tochter okay? S8 [nv] dreht sich weg von Gruppe nach hinten schaut S14 über die S14 [v] 娘 S14 [dt] tochter S14 [nv] macht Denkerpose, schaut S8 an [p] (1) [8] .. 127 [03: 35.1] 128 [03: 35.7] S8 [v] 娘 schwester でいいのか ? ja S8 [dt] heißt „ schwester ” tochter? S8 [nv] Schulter an S14 [nv] nickt [p] (2,6) S14 [VLE_S14] ここは Tochter と Schwester がごっちゃに なっちゃいました。 S14 [VLE_S14_dt] Hier habe ich Tochter und Schwester verwechselt. [9] 129 [03: 38.3] 130 [03: 42.4] S6 [nv] schaut ins AB S8 [v] schwester って…姉か妹のイメージしかついてなかったからあの… S8 [dt] ich dachte „ schwester “ bedeutet große oder kleine schwester also … S8 [nv] schaut zur Decke und dreht sich wieder zur Gruppe hält inne S14 [nv] schaut ins AB [p] (5,8) [10] 131 [03: 48.2] 132 [03: 49.7] 133 [03: 58.0] S6 [nv] schaut kurz auf und dann wieder ins AB S8 [v] あ ちょっとごめん S8 [dt] ah entschuldigung S8 [nv] holt elektronisches WB vom Nachbartisch und schlägt nach S14 [v] hmmm S14 [nv] schaut umher [p] (8,3) 168 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="169"?> [11] 134 [04: 00.0] 135 [04: 03.0] 136 [04: 03.6] 137 [04: 04.3] 138 [04: 05.6] 139 [04: 06.7] 140 [04: 08.1] S8 [v] tochter とにかく tochter S8 [dt] auf jeden fall tochter S8 [nv] ist mit WB beschäftigt S14 [v] あ それだね häää … ich S14 [dt] ah das wars [p] (3) (0,6) (1) [12] 141 [04: 10.3] 142 [04: 12.9] 143 [04: 15.1] 144 [04: 16.5] S8 [v] hm nicht vater S14 [sup] langsam S14 [v] ich denke auch nicht hmm … das ist mutter S14 [nv] schaut kurz zur Seite zeigt ins Bild Transkriptauszug 13: GA3G4 „ Schwester “ S14 leitet die Episode mit einer frei formulierten Bestätigungsfrage zur Wahrnehmung der einzelnen Personen auf dem Bild ein. Sie konstruiert die Frage Wort für Wort mit längeren Pausen von ca. 1 bis 2 Sekunden zwischen den einzelnen Wörtern, wobei S8 durch Rezeptionssignale, Nicken und Wiederholung der einzelnen Wörter zeigt, dass er zuhört. Nach Beendigung der Frage lehnt sich S14 zurück und schaut S8 an, so dass deutlich wird, an wen sich die Frage in erster Linie richtet. Nach einer kurzen Rückbestätigung, in der S8 sich sowohl auf Deutsch als auch Japanisch (104-112) versichert, ob die Frage darauf abzielt, wer die Mutter auf dem Bild sei, gibt er zu erkennen, dass er die Frage verstanden hat und setzt an, die Frage durch Zeigen zu beantworten. S14 übernimmt dann erneut die Initiative, zeigt auf ihr eigenes Bild und erfragt mittels der Bezeichnungen mit Frageintonation jede einzelne Person, während S8 nickt und mit ja antwortet. Bei der zweiten Person verwendet S14 das Wort Schwester, was S8 zunächst bestätigt, dann aber durch mehrfache Wiederholung, ein Rückmeldesignal mit fragender Intonation und nachdenklichem Zur-Decke-Schauen in Frage stellt. S14 nimmt an, dass er das Wort nicht versteht und bietet ihm schlicht die japanische Übersetzung an. Daraufhin fragt S8 in der L1 explizit nach, ob es sich um das richtige Wort handelt, formuliert dabei aber die Frage stark abgeschwächt, ohne S14 einen Fehler zu unterstellen (126). Gleichzeitig schaut er sich nach seinem Wörterbuch um, das auf dem Nachbartisch hinter ihm liegt. S14 bestätigt fälschlicherweise, dass es sich um das richtige Wort handelt. Daraufhin entsteht eine längere Pause von 2,6 Sekunden, in der die Gruppenmitglieder verharren, bevor S8 erneut ansetzt und auf Japanisch erklärt, er habe immer gedacht, dass Schwester entweder große oder kleine Schwester heiße, woraufhin eine weitere längere Pause folgt (130). Schließlich entscheidet er sich doch dafür, sein Wörterbuch zu konsultieren, während die anderen abwarten und die Gruppenarbeit somit pausiert. Als S8 die korrekte Vokabel Tochter findet und der Gruppe mitteilt, nimmt S14 die Korrektur zuerst durch eine einfache Aussage in der L1 im Sinne von „ ach ja, das war ’ s “ an und zeigt dann kurz ihre Überraschung durch ein langgezogenes, im Japanischen übliches häää, bevor sie ohne Umschweife, mit der 9.1 Fehler bemerken 169 <?page no="170"?> inhaltlichen Besprechung der ursprünglichen Frage fortfährt. S8 bestätigt noch einmal, dass das richtige Wort auf jeden Fall Tochter sei und lenkt dann seine Aufmerksamkeit auf die Aussage von S14. Ebenso wie in der Gruppenarbeit kommentiert S14 auch im VLE ihren Fauxpas nur kurz und nebensächlich. Diese Handhabung des eigenen Fehlers und der daraus resultierenden Korrektur durch S8 zeigt, dass S14 sich hier weniger mit lexikalischen Feinheiten auseinandersetzen möchte, sondern eher Wert auf die Besprechung der inhaltlichen Frage legt. Einerseits könnte hier tatsächlich eine Fokussierung auf die Aufgabe vorliegen, andererseits könnte es sich auch um eine Strategie zur Schonung des eigenen Gesichts durch das Überspielen des eigenen Fehlers handeln. Insbesondere der Umgang von S8 mit der Situation macht deutlich, dass das Korrigieren eines Fehlers der Kommilitonin keineswegs ein einfaches Unterfangen ist. Das mehrfache Wiederholen des entsprechenden Wortes erfüllt hier bei S8 einerseits die Funktion der Bewusstmachung und unterstützt somit den eigenen kognitiven Prozess der Bedeutungsverarbeitung, andererseits bietet er S14 die Gelegenheit, sich hier selbst zu korrigieren. Erst als S14 durch die Übersetzung ins Japanische deutlich macht, dass es sich um das falsche Lexem handelt, formuliert S8 eine indirekte Frage, durch die er klarstellt, dass es sich nicht um ein Verständnisproblem auf seiner Seite, sondern um eine Frage der korrekten Wortwahl auf Sprechendenseite handelt. S14 gibt auch hier zu verstehen, dass aus ihrer Sicht kein Problem mit dem Wort vorliegt, so dass S8 etwas expliziter wird, indem er vorsichtig andeutet, dass nach seinem Verständnis die Bedeutung von Schwester eine andere sei. Da auch jetzt S14 keinerlei Anstalten macht, selbst einen Korrekturvorgang zu initiieren, greift S8 nach dem Wörterbuch und kann unter Berufung auf dessen Autorität die Korrektur vornehmen, ohne seinem eigenen Gesicht durch einen fehlerhaften Verbesserungsvorschlag zu schaden. Darüber hinaus wird auch das Gesicht von S14 geschont, da die Korrektur durch die Instanz des Wörterbuchs verifiziert wurde und somit außerhalb der Verantwortung der Lernenden liegt, also von beiden ohne Gesichtsverlust akzeptiert werden kann. Die Korrektur wird in dieser Gruppe dadurch erschwert, dass S14 eine dominante teilweise leitende Rolle in der Gruppe einnimmt (vgl. Kapitel 7.3.5). Sie ergreift als erste das Wort, stößt durch Rückfragen zu den Beiträgen der anderen den Meinungsaustausch in der Gruppe an und bemüht sich immer wieder das Gespräch in die L2 zu lenken. Sie wird von den beiden anderen Gruppenmitgliedern in ihrer tonangebenden Rolle anerkannt, weshalb eine leichte Asymmetrie entsteht, was es S8 ohnehin schwerer macht, die Gruppenleiterin zu korrigieren. Hinzu kommt ihre Selbstsicherheit bei der Verwendung der falschen Familienbezeichnung, so dass erst die zahlreichen Abschwächungen und die Absicherung durch die Wörterbuchrecherche die Korrektur erlauben. Auch dieses Beispiel zeigt die enge Verknüpfung der verschiedenen Gesichtsbedrohungen und deren Zusammenspiel deutlich (Kapitel 10.2.1). 9.1.5 Zusammenfassung: Fehler bemerken Anhand der Transkriptauszüge konnte gezeigt werden, wie die Lernenden damit umgehen, wenn sie während der Gruppenarbeit bei sich selbst oder bei den Kommilitonen und Kommilitoninnen Fehler bemerken. Die Entscheidung darüber, ob und wie der Fehler angesprochen wird, hängt von zahlreichen situativen, gruppeninternen und individuellen Faktoren ab. Philp, Walter und Basturkmen identifizieren in ihrer Untersuchung formfo- 170 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="171"?> kussierter Interaktionen unter Französischlernenden drei wesentliche Faktoren, deren Priorisierung das Feedbackverhalten unter Lernenden beeinflusst: die persönliche Einstellung zur korrekten Sprachverwendung, zu den Mitlernenden und zur Aufgabe (ebd. 2010: 271). Wird die Arbeit an der Aufgabe als besonders wichtig eingestuft, werden Fehler ggf. ignoriert, um den Gesprächsfluss - etwa in einem Rollenspiel - nicht zu hemmen; sehen Lernende aber die sprachliche Korrektheit als oberstes Ziel der Interaktion, werden Korrekturen durchgeführt; wird hingegen ein harmonisches Zusammensein favorisiert, werden Fehler wiederum rücksichtsvoll übergangen. Diese Beobachtungen können auch in den ausgewählten Sequenzen nachvollzogen werden. Eine aktive, kooperative, auf Gleichberechtigung basierende Zusammenarbeit wie in der Gruppe GA2G4 in der Episode „ Sein Name “ erlaubt ein sehr direktes Ansprechen von fehlerhaften Äußerungen. Für die Studentinnen steht die Aufgabe im Mittelpunkt und der gemeinsame Fehler muss aus der Sicht von S14 korrigiert werden, um die Aufgabe erfolgreich zu bearbeiten. Zusätzlich erleichtert eine leitende Rolle in der Gruppe korrigierende bzw. unterstützende Aktivitäten wie etwa im Falle von S14 (GA2G4), aber auch S7 (GA3G2) in den oben beschriebenen gesichtskritischen Episoden. Als Leitende der Gruppe sehen sich die Lernenden in der Verantwortung, mögliche Probleme zu vermeiden oder zu beheben. Allerdings kann eine Korrektur durchaus auch von Gruppenmitgliedern initiiert werden, die nicht die Leitung innehaben. Für S8 scheint eine korrekte Sprachverwendung eine wichtige Rolle zu spielen. Während er den Satz von S11 direkt ergänzt (GA2G1), schwächt er in der „ Schwester “ -Episode stark ab und nimmt die eigentliche Korrektur des Redebeitrags von S14 erst nach einer Überprüfung mit Hilfe des Wörterbuchs vor (GA3G4). Zwar übernehmen sowohl S11 als auch S14 eine initiierende Funktion in den jeweiligen Gruppen, doch zeigt erstere deutlich ihre Unsicherheit, während S14 sich des Fehlers nicht bewusst ist und sich entsprechend souverän gibt. Ein selbstbewusstes Auftreten eines Gruppenmitglieds kann in anderen Fällen dazu führen, dass die anderen Lernenden einen Redebeitrag als richtig einstufen (vgl. Yoshida 2008: 534), in der oben betrachteten Sequenz aber besteht S8 auf seiner Korrektur. Der sprachlichen Korrektheit wir in diesem Fall eine höhere Priorität beigemessen als dem reibungslosen Ablauf der Gruppenarbeit. S7 hingegen bemüht sich, um eine ausbalancierte Gruppenführung, indem er einerseits bei der Konstruktion, der für den Fortgang der Gruppenarbeit notwendigen Äußerungen behilflich ist, von weiteren Korrekturen aber entweder aus Rücksicht auf S5 oder aufgrund der eigenen Unsicherheit in Bezug auf die korrekte Form absieht (GA3G2). In vielen Fällen werden Fehler jedoch in der Gruppe gar nicht thematisiert (vgl. Philp et al. 2014: 100). Ist etwa das Verständnis nicht beeinträchtigt oder zeigt der Sprecher oder die Sprecherin deutliche Anzeichen von Formulierungsschwierigkeiten, wird die fehlerhafte Äußerung mit Verständnissignalen honoriert und nicht weiter auf die sprachlichen Defizite eingegangen. Unter Umständen wird im Stillen im Wörterbuch nachgeschlagen (vgl. Kapitel 9.4.4) oder lediglich gedanklich vermerkt, dass man bei sich selbst oder anderen Wissenslücken bemerkt habe. Auch eigene Fehler werden überspielt, selbst korrigiert oder einfach akzeptiert, wenn die Redeabsicht trotzdem erfolgreich realisiert werden kann (vgl. 9.1.3). Entstehen längere Sprechpausen, werden diese durch verbalisierte Denkprozesse, Verzögerungssignale oder Kommentare in der L1 gefüllt, um den Mitlernenden zu signalisieren, dass die Aussage noch nicht abgeschlossen ist und weiterhin eine Äußerungsabsicht besteht. Im Vordergrund steht jedoch der Fortgang der gemeinsamen Zusammen- 9.1 Fehler bemerken 171 <?page no="172"?> arbeit, so dass im Zweifelsfall fehlerhafte Äußerungen riskiert bzw. akzeptiert werden, sofern die kommunikative Absicht erkannt werden kann. 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten Schwierigkeiten etwas in Worte zu fassen treten auch in der muttersprachlichen Kommunikation auf und können eine Unterhaltung ins Stocken geraten lassen oder sogar vollständig zum Abbruch führen. In einem Fremdsprachenerwerbskontext, in dem die Lernenden noch über sehr eingeschränkte Kenntnisse der Ziel- und Kommunikationssprache verfügen, treten Ausdrucksschwierigkeiten in verschiedenen Formen auf. Probleme beim Abrufen einer bereits gelernten Form zum Beispiel sind ein gut dokumentiertes Phänomen in fremdsprachlichen Lernszenarien und spielen als Auslöser für Aushandlungsprozesse in den NfM eine zentrale Rolle in der didaktischen Literatur (u. a. Foster & Ohta 2005: 408). Lernende können durch Rückgriffe auf die L1, andere Fremdsprachen oder nonverbale Signale andeuten, dass sie Formulierungsschwierigkeiten haben und dadurch Lehrende oder Mitlernende zur Unterstützung anregen (vgl. u. a. Hoshii & Schumacher 2017: 85; Feick 2016: 132). Solche ko-konstruktiven Aufbausequenzen gelten im soziokulturellen Ansatz als für den Lernprozess wertvolle und motivierende Episoden, in denen sich die Lernenden gegenseitig oder mit Hilfe einer Lehrkraft durch die Zone der nächsten Entwicklung bewegen und im Optimalfall die so erarbeiteten sprachlichen Mittel in den individuellen Sprachfundus aufnehmen. Aus einer Perspektive, in der die Face-Bedürfnisse der Interaktanten in den Mittelpunkt gestellt werden, repräsentieren Ausdrucksschwierigkeiten ein Problem, durch das eigene sprachliche Defizite zum Vorschein kommen, die man vor anderen Lernenden oder der Lehrperson vielleicht verbergen möchte (vgl. auch Kramsch 1985: 174). Darüber hinaus kann es als unangenehm empfunden werden, den Gesprächsfluss auszubremsen bzw. zu stören (Brown & Levinson 1987: 67). Der Übergang zu potentiellen Fehlern ist hierbei fließend. Wenn etwa ein Gesprächspartner oder -partnerin einen Fehler, in der eigenen Äußerung bemerkt und diesen versucht ad hoc zu korrigieren, kann es dann ggf. zu Ausdrucksschwierigkeiten kommen (vgl. Kapitel 9.1.3). Weitere Ursachen für Ausdrucksschwierigkeiten können darin bestehen, dass man spontan auf einen Beitrag reagieren möchte, aber den nötigen Wortschatz oder die entsprechende Struktur nicht sofort aus dem Gedächtnis abrufen kann. Im Gegensatz zu Fehlern bemerkt die Sprecherin oder der Sprecher die Ausdrucksschwierigkeiten jedoch immer zuerst selbst, weil sie bzw. er die eigene Redeabsicht nicht realisieren kann und ins Stocken gerät. Deshalb werden Probleme, dabei etwas auszudrücken, erst auf Initiative der Person, die gerade spricht, offensichtlich. Eine häufig im Fremdsprachenunterricht thematisierte Strategie ist das Paraphrasieren (vgl. u. a. Kasper 1985: 213; Foster 1998: 17), das aber ggf. nicht spontan umgesetzt werden kann. Andere Möglichkeiten, die Hürde zu überwinden, bestehen in der Konsultation des Wörterbuchs oder anderer Mitlernender, doch kann das Nachschlagen viel Zeit in Anspruch nehmen und eine Befragung der Peers in der L1 die eigentliche Aufgabe - die Kommunikation in der Zielsprache - hinfällig machen. In den hier untersuchten Gruppenarbeitsphasen wurden Schwierigkeiten, den richtigen Ausdruck zu finden von allen fünf Fokuspersonen geäußert. Formulierungen wie 言えない 172 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="173"?> (ienai - das kann ich nicht sagen/ ausdrücken) oder 言えなかった (ienakatta - das konnte ich nicht sagen/ ausdrücken) in den VLE-Daten wurden als eindeutige Hinweise auf solche Ausdrucksschwierigkeiten interpretiert und entsprechend kodiert. Meist wurde allgemein beklagt, dass man nicht gewusst habe, wie man seine Gedanken ausdrücken könnte. Teilweise konnten die Studierenden aber auch spezifizieren, dass ihnen bestimmte Vokabeln, die korrekte Aussprache oder Erklärungsmöglichkeiten gefehlt haben. S7 S9 S10 S11 S14 Ausdruck 1 2 1 12 1 17 Wortschatz 1 2 1 2 5 11 Aussprache 1 2 3 1 1 8 Erklären 0 1 2 2 1 6 Grammatik 0 2 1 0 2 5 Vergessen 0 1 0 1 0 2 Begründen 0 0 0 1 0 1 Ideen/ Konzept 0 0 0 0 1 1 Insgesamt 3 10 8 19 11 51 Tab. 9: Fundstellen zur Thematisierung von Ausdrucksschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Fehlende grammatische Kenntnisse wurden nur selten genannt, was Beobachtungen aus anderen Studien unterstützt, in denen anhand von LRE gezeigt wurde, dass für Lernende auf Anfängerniveau weniger grammatische Defizite als lexikalische Lücken im Vordergrund stehen (vgl. u. a. Ellis 2003: 99; Foster & Ohta 2005: 408). Vereinzelt begründen die UTN ihr Zögern, Schweigen oder die Abgabe des Rederechts mit einem kurzfristigen Vergessen oder fehlenden Ideen, die zum Beispiel mit Formulierungen wie etwa 突然出て こなくなって (totsuzen detekonakunatte) beschrieben werden, was wörtlich in etwa „ da ist plötzlich nichts rausgekommen “ (vgl. Kapitel 9.2.2, GA1G4) entspricht. Bei der Wahrnehmung der Ausdrucksschwierigkeiten liegen scheinbar individuelle Unterschiede vor, die sich in der Häufigkeit und Art der Beschreibung in den VLE-Daten widerspiegeln. Ein Vergleich der Anzahl der Fundstellen in den verschiedenen Gruppenarbeitsphasen zeigt, dass in der Aufgabe 4, in der anhand von Abbildungen verschiedene Familienmodelle bezeichnet und beschrieben werden sollen, verhältnismäßig wenige Ausdrucksschwierigkeiten benannt werden. Eine mögliche Ursache dafür kann darin liegen, dass die Ideen der einzelnen Lernenden sich sehr ähnelten, so dass es nicht nötig war, schwer verständliche Gedanken zu verbalisieren. 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten 173 <?page no="174"?> G1 G2 G3 G4 GA1 1 2 3 3 9 GA2 4 1 0 8 13 GA3 0 1 9 5 15 GA4 1 0 0 2 3 GA5 0 1 10 0 11 Tab. 10: Fundstellen zur Thematisierung von Ausdrucksschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Gruppen Anhand der folgenden Transkriptauszüge soll verdeutlicht werden, ob und wie in den VLE- Daten erwähnte Ausdrucksschwierigkeiten in den Gruppengesprächen erkennbar werden und welche Strategien zur Bewältigung gewählt werden. 9.2.1 „ Bekommen “ - GA1G2: Frage nach Wortschatz (ungelöst) In der ersten Gruppenarbeitsphase arbeiten in der Gruppe 2 die Studierenden S5, S12 und S14 zusammen. Alle drei Lernende beteiligen sich aktiv am Gespräch, wobei sich S5 im Vergleich zu den beiden anderen etwas mehr zurückhält. Das folgende Exzerpt stammt aus den letzten Minuten der Gruppenarbeit, so dass der Hauptteil des Gesprächs, der Austausch über die zuvor erarbeiteten Ideen zum Leben des Künstlers (vgl. Kapitel 7.1), bereits abgeschlossen ist und die Lernenden nun darum bemüht sind, zusätzliche Fragen zu stellen und zu klären. Dem Ausschnitt geht ein kurzer Austausch über den Familienstand des Fotografen voraus, in dem sich die Gruppe darauf geeinigt hat, dass er nicht verheiratet sei. [1] 521 [14: 24.1] 522 [14: 24.9] 523 [14: 26.6] 524 [14: 27.4] 525 [14: 27.9] S12 [v] hm S12 [nv] spielt mit Haaren, schaut S14 leicht von der Seite an nickt leicht S14 [v] er viele lieblingsdinge S14 [nv] schaut auf das AB, Denkerpose [p] (1,7) [2] 526 [14: 29.9] 527 [14: 30.4] 528 [14: 30.8] 529 [14: 33.5] 530 [14: 34.5] 531 [14: 36.7] 532 [14: 38.3] 533 [14: 39.6] S12 [v] hm hmhm なるほど S12 [dt] hmhm verstehe S12 [nv] nickt leicht niest S14 [v] hato hmmm [p] (2,7) (2,1) (2,6) 174 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="175"?> [3] 534 [14: 40.9] 535 [14: 42.4] 535 [14: 44.1] S5 [nv] Blick zwischen S12 u. S14 hin u. her S12 [v] bekommen S12 [nv] schaut S14 an S14 [v] bekommen って使う? 違うなぁ それ違うもらうだろう S14 [dt] „ bekommen “ heißt benutzen? stimmt nicht nee falsch das heißt bekommen S14 [nv] schaut S12 an Seitenblick, Kopfschütteln [4] 537 [14: 45.2] 538 [14: 45.9] 539 [14: 47.0] 540 [14: 50.3] 541 [14: 52.0] S5 [nv] schaut nach oben S12 [v] hm S12 [nv] nickt leicht Blick Richtung S14 S14 [sup] leise S14 [v] えーと 使うってなんだ ? S14 [dt] ähm was heißt denn benutzen? S14 [nv] schaut wieder zu AB [p] (3,3) (3) S14 [VLE_S14] えっとここで、あの「彼は沢 山お金を使う」って言いた かったんですけど、その使 うって動詞が分からなくて結 局文を作れなかったです。 S14 [VLE_S14_dt] Ähm, hier da wollte ich sagen „ er benutzt viel Geld “ , aber ich wusste da das Verb für dieses „ benutzen “ nicht und konnte deshalb den Satz letztendlich nicht bilden. [5] 542 [14: 55.0] 543 [14: 55.7] 544 [14: 57.7] 545 [15: 00.4] S5 [nv] schaut S14 an nickt, lächelt S12 [v] いいんじゃない? S12 [dt] ist doch okay oder? S14 [v] うんんんそうね趣味がいっぱいあるから S14 [dt] ja ne er hat halt viele Hobbys S14 [nv] schaut S5 an, lächelt leicht [p] (2,1) 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten 175 <?page no="176"?> [6] 546 [15: 01.3] 547 [15: 02.6] S5 [nv] lacht S14 [v] ついていけない S14 [dt] da kommt sie nicht mit Transkriptauszug 14: GA1G2 „ bekommen “ S14 möchte die Behauptung, dass der Künstler unverheiratet ist, um eine Begründung ergänzen und beginnt mit deren Formulierung (521), jedoch macht ihr wiederholtes Zögern, der Blick auf das Arbeitsblatt und die Denkerpose deutlich, dass sie Ausdrucksschwierigkeiten hat. Letztendlich fragt sie unter Verwendung der L1 in der Gruppe, ob die japanische Übersetzung des deutschen Wortes bekommen ( もらう - morau), welches sie erfolgreich aktivieren konnte, bei dem sie sich aber offensichtlich nicht sicher ist, ob es zu ihrer Ausdrucksabsicht passt, benutzen ( 使う - tsukau) sei (534). Durch den Blick zu S12 macht sie deutlich, an wen die Frage vorrangig gerichtet ist. Während S12 aber noch das deutsche Wort wiederholt, beantwortet S14 die Frage selbst und korrigiert sich. S12 nickt leicht und gibt auch mit einem Rezeptionssignal zu verstehen, dass sie S14 zuhört, kann ihrer Kommilitonin aber nicht aktiv bei der Behebung der Wissenslücke helfen. S14 schaut erneut auf ihr eigenes Arbeitsblatt und fragt nach längerem Schweigen auf Japanisch nach der deutschen Entsprechung zu benutzen. Diesmal stellt sie die Frage sehr leise und ohne den Blick zu heben, so dass die Frage eher eine Art lautes Denken darstellt als eine tatsächliche Frage, auf deren Beantwortung sie hofft. Nach einer erneuten längeren Pause, ergreift S12 das Wort mit einem aufmunternden „いいんじゃない?“ (iinjanai? ), was hier so viel wie „ ist doch okay oder? “ bedeutet, so dass S14 sich letztendlich geschlagen gibt und ihre Idee nicht auf Deutsch, sondern einfach auf Japanisch äußert. Auch S5, der den ganzen versuchten Formulierungsprozess als Außenstehender beobachtet hat, zeigt mit einem Nicken, Lächeln und Lachen über die Begründung des Familienstandes des Künstlers durch S14, dass auch er mit der Lösung für das Problem derAusdrucksnot in der Zielsprache durch die Zuhilfenahme des Japanischen einverstanden ist. Im VLE bestätigt S14, dass sie hier wegen des fehlenden Verbs den eigentlich geplanten Satz „ er benutzt viel Geld 27 “ hatte nicht bilden können. Trotz verschiedener Versuche kann sie das Ausdrucksproblem nicht beheben. Zunächst versucht sie es selbst, dann fragt sie in der Gruppe nach - wobei sie die Frage an die Person richtet, von der sie am ehesten Hilfe erwartet - dann versucht sie es noch einmal auf eigene Faust, indem sie den eigenen kognitiven Prozess durch lautes Denken verbal unterstützt, wodurch sie gleichzeitig aber auch den anderen Gruppenmitgliedern zeigt, dass sie immer noch etwas sagen möchte. Etwas sagen zu wollen, es aber nicht können, ist mit Frustration und der Angst vor einem Gesichtsverlust verbunden (vgl. Kramsch 1985: 174). Es ist unangenehm etwas nicht zu schaffen, was man versucht zu tun, besonders, wenn es dafür Zeugen gibt. Als der Suchprozess aber zu lang wird und sich S12 auch zu Wort meldet, gibt sie die Redeabsicht auf und äußert einen artverwandten Gedanken in der L1. Auffällig ist, dass sie die Äußerung 27 Zielsprachlich angemessener wäre hier ein Ausdruck wie „ Geld ausgeben “ oder „ Geld verwenden “ , doch ist der von S14 geplante Satz kommunikativ durchaus verständlich. 176 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="177"?> „ er hat viele Hobbys “ , die sie schließlich auf Japanisch einbringt, in der Zielsprache hätte produzieren können, hier aber scheinbar bereits aufgegeben hat, ihre Grundidee auf Deutsch umzusetzen und darauf verzichtet. Durch ihr Verhalten wird deutlich, dass sowohl S12 als auch S5 diese Situation als unangenehm für S14 wahrnehmen, da aber keine/ r von beiden helfen kann, versuchen sie ihr das Aufgeben zu erleichtern. Während S12 durch das aufmunternde „ iinjanai? “ deutlich macht, dass es für sie kein Problem ist, auf die L1 zurückzugreifen, und sie den Gedanken von S14 nachvollziehen kann, zeigt auch S5 durch Lächeln und Nicken, dass er mit diesem Vorgehen einverstanden ist. Durch diese offene Akzeptanz kann S14 die Situation mit einem kurzen scherzhaften Zusatz „ da kommt sie nicht mit “ (546) auflösen und die Gruppe kann sich einer anderen Frage zuwenden. Der Gruppe gelingt es zwar nicht das sprachliche Problem lösen, was aus einer spracherwerbsorientierten Sicht bedauerlich ist, da eine Gelegenheit die Zielsprache anzuwenden ungenutzt bleibt, doch bleibt durch gegenseitiges Aufmuntern und offene Akzeptanz eine angenehme Arbeitsatmosphäre erhalten. 9.2.2 „ Wascht “ - GA1G4: Schwierigkeit bei Konjugation selbst gelöst Das folgende Exzerpt zeigt, wie die Studentin S9 mit dem Problem, eine eigentlich vertraute Form zu reproduzieren, in der ersten Gruppenarbeitsphase konfrontiert wird und die Situation selbständig bewältigt. Die Gruppe G4 besteht aus S1, S2, S4 und S9, wobei die Gruppenarbeit vor allem von S9 und S4 getragen wird. Es arbeiten aber alle aktiv mit und es herrscht eine freundliche Stimmung in der Gruppe (vgl. Kapitel 7.1.5). [1] 14 [00: 24.9] 15 [00: 26.0] 16 [00: 26.3] 17 [00: 27.6] 18 [00: 29.9] 19 [00: 31.6] S1 [nv] Blick zu S9 S2 [v] はい S2 [dt] ja S2 [nv] nickt S4 [nv] Blick zu S9 S9 [sup] etwas leiser S9 [v] drei ich denke, er wasch あ さっき読めたのにわからなくなっちゃった S9 [dt] ah grad konnte ich es noch lesen und jetzt ist es weg S9 [nv] schaut auf AB lächelt, Augen leicht geschlossen [p] (1,3) (1,7) [2] 20 [00: 34.9] 21 [00: 36.8] 22 [00: 39.4] 23 [00: 40.6] 24 [00: 42.0] 25 [00: 43.6] S1 [v] lächelt S1 [nv] wascht was bedeutet? S2 [nv] lacht wascht S4 [nv] lächelt hm S9 [v] er wascht sein kleider S9 [nv] lacht schaut zu S1 & S4 [p] (1,8) (1,2) 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten 177 <?page no="178"?> 20 [00: 34.9] 21 [00: 36.8] 22 [00: 39.4] 23 [00: 40.6] 24 [00: 42.0] 25 [00: 43.6] S9 [VLE_S9] Kleider.. あ、えっと「洗 う」っていう単語 「 waschen 」の三人称形で wascht 、 wascht っていうの が突然出てこなくなって、あ れ??ていう…で、あ えーっとで落ち着いて、 wa だから wa だから sch だなあ。 wascht みたいな。 S9 [VLE_S9_dt] Kleider … Also, das, ähm … „ waschen “ … Äh die dritte Person Singular von der Vokabel „ waschen “ ist mir auf einmal nicht mehr eingefallen. Hä? Dachte ich da … Naja und dann habe ich mich etwas beruhigt und dachte mir so, da ist wa und weil es wa ist kommt da n sch und so wie eben wascht. Transkriptauszug 15: GA1G4 „ wascht “ Nach der Klärung des gemeinsamen Vorgehens unmittelbar vor Beginn des Transkriptauszugs ergreift S9 die Initiative zur inhaltlichen Arbeit und beginnt, nach einer kurzen Bestätigung von S2 auf Japanisch (15) ihre Vermutung zu äußern, stockt dann aber gleich wieder, da ihr die konjugierte Form kurzfristig entfallen ist. Nach einer Pause von knapp 2 Sekunden, in der die anderen Gruppenmitglieder geduldig warten und ihr genügend Zeit lassen, sich zu erinnern (vgl. auch Foster & Ohta 2005: 414), entscheidet sich S9 dafür, das Problem zu verbalisieren. Allerdings initiiert die Lernerin hier keinen sprachbezogenen Aushandlungsprozess, da sie weder nach der richtigen Endung fragt noch explizit benennt, dass es um die grammatische Form geht, sondern die Tatsache betont, dass sie es vorhin noch habe lesen können, jetzt aber vergessen habe. Sie bittet also nicht um Hilfe, sondern besteht darauf, das sprachliche Problem selbst zu lösen. Die anderen Lernenden nehmen die Bemerkung als kleinen Scherz zur Auflockerung auf und reagieren mit einem freundlichen Lachen. Die Phase des Lachens gibt S9 dann ausreichend Zeit, sich etwas zu entspannen, die benötigte Form zumindest teilweise korrekt abzurufen und die Äußerung zu vervollständigen. Die potentielle Bedrohung des eigenen Gesichts durch Offenbarung einer mangelnden Beherrschung der sprachlichen Strukturen wurde hier von der Gruppe mit gemeinsamem Lachen aufgelöst (vgl. auch Liebscher & Marsh 2019: 244). Warum S9 in der Gruppenarbeit das Verb 読む (yomu - lesen) verwendet, in der Retrospektion aber den Denkprozess bei der Konjugation beschreibt, lässt sich im Nachhinein leider nicht überprüfen. Diese Diskrepanz könnte ein weiterer Hinweis auf den durch S9 empfundenen Stress gedeutet werden. Für S9 steht in diesem Moment das eigene Unvermögen beim Abrufen der benötigten sprachlichen Form und der damit verbundene Druck im Vordergrund. Zwar wird im VLE der Grund für die Wahl der Äußerung nicht 178 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="179"?> ausdrücklich benannt, doch lässt sich an der Bemerkung 落ち着いて / 落ち着く (ochitsuite/ ochitsuku), was hier so viel bedeutet wie „ sich beruhigen, sich zusammenreißen “ , erkennen, dass die Studentin hier durch ihren Fauxpas etwas aus dem Konzept gebracht wurde und das Bedürfnis hatte, der Gruppe den Grund für ihr Zögern mitzuteilen, was ihr wiederum etwas Zeit verschafft, sich zu sammeln und das Problem selbständig zu beheben. 9.2.3 „ War ’ s i? “ - GA2G2: Rückversicherung zur Aussprache Ein Beispiel für Ausdrucksschwierigkeiten, die auf Unsicherheiten hinsichtlich der Aussprache zurückzuführen sind, stammt aus der Gruppe G2 (S5, S7, S13 und S15) in der zweiten Gruppenarbeitsphase. Die Leitung der Gruppe übernimmt S7 mit aktiver Unterstützung von S5, während S13 und S15 eher wenig zur Aufgabenbearbeitung beitragen. Die verhaltene Mitarbeit der Kommilitonen wird von S7 in der Retrospektive als anstrengend wahrgenommen. Ebenso sind die anderen Mitglieder nicht ganz zufrieden mit der Gruppenarbeit, was auch in der durchschnittlichen Beurteilung zum Ausdruck kommt (vgl. Kapitel 7.2.3). [1] 484 [16: 36.2] 485 [16: 36.9] 486 [16: 38.4] 487 [16: 41.3] 488 [16: 42.2] S5 [nv] blättert S7 [sup] langsam S7 [v] nächste ende vom text äh sie sechs und ah foto sechs S7 [nv] schaut auf eigenes AB S13 [nv] schaut S7 an, spielt mit Stift S15 [nv] blättert [p] (1,5) (1) [2] 489 [16: 45.1] 490 [16: 46.1] 491 [16: 47.6] 492 [16: 48.9] 493 [16: 50.0] S5 [nv] kurzer Blick zu S7, nickt S7 [v] und texto e f g i S7 [nv] legt Hand an Hinterkopf schaut nach oben zur Seite, stützt Ellbogen auf Blick zu S13 [p] (1) (1,3) (1) [3] 494 [16: 51.0] 495 [16: 51.7] 496 [16: 52.5] 497 [16: 53.0] 498 [16: 57.5] 499 [16: 58.6] S5 [v] i i S5 [nv] Blick zu S7, nickt nickt S7 [v] i i だっけ? gehören zusammen S7 [dt] war ’ s i? S7 [nv] Blick zu S5 zu S5 Blick zu S5 Blick zu S13 S13 [nv] Blick zu S7 S15 [nv] nickt nickt [p] (4,5) (1,5) 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten 179 <?page no="180"?> 494 [16: 51.0] 495 [16: 51.7] 496 [16: 52.5] 497 [16: 53.0] 498 [16: 57.5] 499 [16: 58.6] S7 [VLE_S7] この時は、えっとー、 i をえっとなんだっけ なー、 abcdefg … i を ちょっと確認してまし た。あってるっけーみた いな感じ。 S7 [VLE_S7_dt] wie war das doch gleich, da habe ich mich so mit „ abcdefg … i “ vergewissert, ob das so passt. So in etwa. [4] 500 [17: 00.2] 501 [17: 00.8] 502 [17: 01.5] S5 [v] ja alles klar S7 [v] alles klar? [p] (0,7) Transkriptauszug 16: GA2G2 „ war ’ s i? “ S7 leitet in die Besprechung des nächsten Textes und Fotos über, stockt dann aber immer wieder mit Blick auf sein Arbeitsblatt oder nachdenkend zur Seite und fährt nur langsam fort. Durch das Zögern, sein Blickverhalten und dadurch, dass er seine Hand an den Hinterkopf führt, wird deutlich, dass gedankliche Prozesse ihn daran hindern, seine Redeabsicht umzusetzen. Die anderen Gruppenmitglieder warten entweder einfach (S13) oder blättern in den eigenen Unterlagen, unternehmen aber keine Versuche das Wort zu ergreifen. Schließlich geht S7 kurz das Alphabet von e bis i durch und schaut S13 an. Da aber von diesem keine Reaktion kommt, wiederholt S7 den fraglichen Buchstaben i gleichzeitig mit S5. Sie tauschen kurz einen Blick aus und sowohl S5 als auch S15 nicken. Da S5 der Einzige ist, der sich verbal einbringt, wendet S7 sich nun durch die Änderung seiner Blickrichtung an S5 und fragt ihn unter Zuhilfenahme der L1 explizit, ob i richtig ist. S5 bestätigt durch ein Nicken und die Wiederholung des Buchstaben und nach einer weiteren längeren Pause (497) bringt S7 seinen Satz zu Ende. Da auf seinen Beitrag und einen Blick in die Runde aber erneut die Reaktionen ausbleiben, fragt er nach, ob alles klar sei, woraufhin S5 das bestätigt und die Gruppe mit der inhaltlichen Arbeit fortfährt. S7 hat in dieser kurzen Episode Schwierigkeiten seine Äußerung zu Ende zu bringen, da er sich bei der Aussprache des Buchstabens i unsicher ist - eine im japanischen Kontext häufig auftretende Interferenz mit der ersten Fremdsprache Englisch. Die Texte sind in dieser Aufgabe mit Buchstaben und die Fotos mit Zahlen gekennzeichnet (vgl. Anhang 6). Auch im VLE nimmt S7 darauf Bezug, indem er kurz seine Buchstabierstrategie erklärt. Zwar versucht er das Formulierungsproblem selbst zu lösen, bezieht dann aber letztendlich durch einen Blick zu S13 die Gruppe doch in den Vorgang ein (492). Davor sucht er keinen Blickkontakt in der Gruppe, sondern schaut in seine Unterlagen oder nachdenklich zur Seite. Da aber die Rückmeldung von den anderen relativ verhalten ausfällt, da S13 gar nicht 180 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="181"?> reagiert, S15, die neben ihm sitzt, nur nickt und S5 nickt und i wiederholt, expliziert S7 seine Frage dann kurz unter Rückgriff auf das Japanische. Diese indirekte Art nach Bestätigung zu fragen, findet sich in der Gruppenarbeit, insbesondere in dieser Gruppe, recht häufig wieder. Der sprechenden Person wird viel Zeit eingeräumt ihre Gedanken in Worte zu fassen, und erst wenn die Reaktion der Gruppe auf den fertigen Satz keine eindeutige Zustimmung signalisiert oder ganz ausbleibt, fragt diese dann doch noch einmal nach. In Bezug auf die Gesichtsbedürfnisse der einzelnen Interagierenden ist die oben beschriebene Situation insofern sehr komplex, da der Sprecher den anderen eindeutig zu verstehen gibt, dass er versucht, das Problem selbst zu bewältigen. Also wäre eine Einmischung der anderen eine Verletzung des Wunsches nach einer selbständigen Lösung des Problems. Allerdings verursacht die zurückhaltende Reaktion der anderen auf die Äußerung wiederum eine Unsicherheit beim Sprecher, der nicht weiß, ob seine Botschaft angekommen ist, so dass er in diesem Fall auf Japanisch zu verstehen gibt, dass da eine Reaktion erwünscht ist. Hinzu kommt, dass S7 die Rolle des Gruppenleiters zugefallen ist, was den anderen Gruppenmitgliedern zusätzlich erschwert, den Leiter zu korrigieren bzw. ihm zu Hilfe zu eilen (vgl. auch Kramsch 1985: 172). Insbesondere da es sich bei den anderen Gruppenmitgliedern um Lernende handelt, die dazu neigen weniger aktiv zu sein, wie S13 und S15, oder wenig Selbstvertrauen in ihre Deutschkenntnisse haben, wie S5. Das bedeutet, dass auch solche kleinen Rückfragen bei Ausspracheschwierigkeiten, die in der Peer-Interaktion als wertvolle LRE geschätzt werden, für die Beziehung der Lernenden untereinander heikel sein können und ggf. nur vereinzelt oder auch gar nicht genutzt werden. 9.2.4 „ Sorgen “ - GA5G3: Frage nach Wortschatz und Hilfe aus der Gruppe In der Gruppe 3 bei der fünften Aufgabe arbeiten S3, S5 und S11 zusammen, wobei das Gruppengespräch in erster Linie zwischen S11 und S3 geführt wird und S5 im Hintergrund bleibt (vgl. Kapitel 7.5.4). Die Interaktion ist durch lange Pausen und wenige Turns gekennzeichnet, wird aber überwiegend auf Deutsch realisiert. Der Auszug aus dem Gruppengespräch stammt aus der zweiten Hälfte der Arbeitsphase. Die Lernenden haben ihre Vorstellungen zur idealen Familie erklärt und einige Verständnisschwierigkeiten ausgeräumt. S11, als einzige Studentin in der Gruppe, versucht ihre Kommilitonen davon zu überzeugen, dass ein Familienmodell, in dem die Mutter arbeitet, auch vorstellbar ist und versucht die Diskussion durch eine ad hoc formulierte Frage voranzubringen. [1] 639 [16: 42.8] 640 [16: 43.5] 641 [16: 44.7] 642 [16: 45.5] 643 [16: 49.5] S3 [nv] schaut auf AB S5 [v] (unverständlich) S5 [nv] Blick zu S11, lächelt S11 [sup] leise S11 [v] wer wer … wer … S11 [nv] schaut nach oben, Taktstockgeste mit Stift [p] (1,2) (4) 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten 181 <?page no="182"?> [2] 644 [16: 51.5] 645 [17: 00.0] 646 [17: 01.5] 647 [17: 03.3] S5 [v] えええ なんだっけ? S5 [dt] was war das nochmal? S5 [nv] schaut auf sein AB S11 [v] それはなんだっけ?世話する? S11 [dt] was war das doch gleich? sorgen? S11 [nv] recherchiert im eWB schaut S5 an [p] (8,5) (1,8) [3] 648 [17: 04.4] 649 [17: 06.1] S3 [nv] schaut auf ABs von S5 S5 [nv] sucht im AB, blättert S11 [v] … wer S11 [nv] schaut wieder ins eWB [p] (2) S11 [VLE_S11] なんか育ててるって言いたくて、前回 sorgen …?って出てきて たけど、それを忘れちゃってて、調べてもそれが出てこなく て、なんか違うなって思ってたら、二人が助けてくれて質問で きたから良かったなって思います。 S11 [VLE_S11_dt] Also ich wollte irgendwie großziehen sagen, das letzte Mal kam zwar „ sorgen “ vor, aber das hatte ich vergessen und als ich das nachgeschlagen hatte, kam das nicht raus. Und weilich da gedacht habe, nee, das war ’ s nicht, fand ich gut, dass die beiden mir geholfen haben und ich so die Frage bilden konnte. [4] 650 [17: 08.1] 651 [17: 10.1] 652 [17: 11.1] 653 [17: 11.9] 654 [17: 12.5] S3 [v] sorgen だっけ? S3 [dt] war das nicht „ sorgen “ ? S3 [nv] schaut S5 über Schulter Blick weiter in Unterlagen von S5 S5 [nv] schaut auf S11 [sup] langsam S11 [v] ver … sorgen ah sorgen か S11 [dt] „ sorgen “ also S11 [nv] liest aus eWB ab schaut auf nickt leicht [p] (0,9) 182 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="183"?> [5] 655 [17: 13.3] 656 [17: 14.4] 657 [17: 15.3] 658 [17: 18.9] S3 [nv] schaut kurz Richtung S11, dann ins eigene AB S5 [sup] leise S5 [v] … そうね ha ha ha S5 [dt] ah ja ne S5 [nv] blättert, schaut S11 an lächelt S11 [sup] langsam S11 [v] wer sorgt kinder? S11 [nv] schaut in Unterlagen schaut S5 an [p] (0,9) Transkriptauszug 17: GA5G3 „ sorgen “ Sie beginnt mit dem Fragepronomen wer bricht ab, versucht es erneut, bricht wieder ab, zeigt aber durch Körperhaltung und Mimik, dass sie immer noch dabei ist ihre Frage zu konstruieren (642), so dass auch eine längere Pause von 4 Sekunden nicht durch die anderen Gruppenmitglieder zur Wortergreifung genutzt wird. Die dritte Wiederholung von wer erfolgt sehr leise und geht einer umfassenden Recherche im elektronischen Wörterbuch von fast 9 Sekunden voran, so dass diese eher als eine Denkstütze als ein tatsächlicher Versuch, den Redebeitrag zu realisieren, zu werten ist. Da die Recherche kein zufriedenstellendes Ergebnis hervorbringt, fragt S11 dann mit Blick zu S5 auf Japanisch, wie man 世 話する (sewasuru), also sich um jemanden kümmern oder für jemanden sorgen, auf Deutsch sagen könne (645). S5 schaut kurz auf, dann auf sein Arbeitsblatt, fängt an zu blättern und wiederholt die Frage leicht abgeändert (647). Während S11 mit Blick ins Wörterbuch einen erneuten Versuch startet, schaut S3 S5 über die Schulter und sucht mit. Es vergehen noch einmal 2 Sekunden, in denen alle Gruppenmitglieder nach dem eigentlich bekannten Wort suchen, bevor S11 ein Wort aus dem Wörterbuch abzulesen beginnt, dann aber wieder abbricht. Schließlich gelingt es S3 das gesuchte Wort sorgen aus dem Gedächtnis abzurufen, S11 nimmt den Vorschlag sofort an und auch S5 gibt leise zu verstehen, dass es ihm bekannt vorkommt. Beide schauen kurz S11 an, sie formuliert ihre Frage zu Ende und die Gruppe setzt das Gespräch auf inhaltlicher Ebene fort. Im VLE gibt S11 an, dass sie die Vokabel sorgen vergessen hatte und ihr das Wort, das ihr im Wörterbuch angezeigt wurde, nicht bekannt vorgekommen sei, weshalb ihr die Hilfe der Kommilitonen sehr gelegen kam. Aber auch hier versucht die Lernerin zuerst die Ausdrucksschwierigkeiten selbst zu bewältigen und erst, als das Wörterbuch nicht das gewünschte bzw. erwartete Ergebnis hervorbringt, fragt sie in der Gruppe nach Unterstützung. In der Abschlussbefragung nach dem VLE zu dieser Gruppenarbeit betont S11 sowohl ihr gutes Verhältnis zu den Kommilitonen als auch die angenehme Arbeitsatmosphäre in der Gruppe. Die Hemmschwelle, bei Ausdrucksschwierigkeiten um Hilfe zu bitten, ist im vorliegenden Beispiel also auch unter freundschaftlich verbundenen Mitlernenden recht hoch und wird nicht leichtfertig überschritten. Es scheint unter den Studierenden eine Frage der Ehre zu sein, Schwierigkeiten in der Umsetzung der Redeabsicht möglichst selbstständig zu bewältigen. Es werden eher lange Unterbrechungen im Gruppengespräch in Kauf genommen, als eine kurze Wortschatzfrage in der Gruppe zu klären. Im vorliegenden Beispiel wurde die Hilfe als positiv wahrgenommen und entsprechend gewür- 9.2 Ausdrucksschwierigkkeiten 183 <?page no="184"?> digt. Doch zeigt sich das große gesichtsbedrohende Potential der Interaktion nicht nur in der Wahrnehmung und im Verhalten von S11, sondern auch in der Art, wie die beiden anderen die Hilfe leisten. Beide betonen ihre Unsicherheit bzw. ihr Unwissen, indem sie die Frage aufgreifen bzw. den Lösungsvorschlag ebenfalls in Frageform anbieten. Ob S3 sich tatsächlich unsicher ist oder nicht, kann anhand der Daten nicht überprüft werden, jedoch zeigt er mit seiner vorsichtigen Formulierung (652), dass er selbst das Wort nicht gleich parat hat und erleichtert so seiner Kommilitonin, das Hilfsangebot anzunehmen. Hier wird also eine wortschatzbezogene Aushandlung unter Zuhilfenahme der L1 und stark abgeschwächter Äußerungen gemeinsam in der Gruppe gelöst. 9.2.5 Zusammenfassung: Ausdrucksschwierigkeiten Im Gegensatz zu Fehlern werden Ausdrucksschwierigkeiten nur dann deutlich, wenn die Sprecherin oder der Sprecher sie in irgendeiner Art offenlegt. Während der Gruppenarbeit äußern sie sich einerseits in längeren Sprechpausen, die der Wortfindung dienen, teilweise begleitet durch ins Leere gerichtete Blicke, andererseits durch leises Vor-sich-hin-Murmeln der gedanklichen Abläufe und manchmal auch in direkten Fragen bzw. Bitten an die Kommilitoninnen und Kommilitonen, bei der Problemlösung behilflich zu sein. Wenig überraschend werden fast alle Ausdrucksschwierigkeiten zuerst durch ein Stocken bzw. durch eine Pause im Redefluss deutlich. Anschließend greifen die Lernenden auf unterschiedliche Strategien zurück, versuchen aber in der Regel zuerst selbst das Problem zu lösen, ohne die Gruppe in den Suchprozess einzubeziehen. Vereinzelt geben die Sprecherinnen oder Sprecher in der L1 einen Hinweis darauf, dass sie gerade ein Problem mit einer bestimmten Form oder einem Ausdruck haben, wie etwa S5 in der „ Nicht-Vater “ - Episode (Kapitel 9.1.2) oder S9 in der „ Wascht “ -Episode (Kapitel 9.2.2), was von den anderen Gruppenmitgliedern mit einem freundlichen Lachen zur Kenntnis genommen wird, fahren dann aber meist damit fort, selbst die sprachliche Lücke zu füllen oder zu überbrücken. Von der Gruppe werden diese Anstrengungen vor allem durch geduldiges Warten, aber auch durch Aufmunterungen wie Nicken, Rückmeldesignale, insbesondere hm, oder verbalen Zuspruch in der L1 unterstützt. Aus einer fremdsprachendidaktischen Perspektive kann hier zwar einerseits bedauert werden, dass so wertvolle sprachbezogene Aushandlungsprozesse nicht initiiert werden, andererseits zeigen die Lernenden den Wunsch ihre Gedanken aus eigener Kraft in der Zielsprache auszudrücken und verzichten daher auf Rücksprache mit den Mitlernenden. Durch das Nicht-Eingreifen bzw. sachte Anfeuern zeigen die anderen Studierenden, dass sie den Wunsch nach selbständiger Bewältigung des Ausdrucksproblems respektieren und unterstützen so den individuellen Lernprozess. In Bezug auf gesichtsrelevante Aspekte ist dieses Es-alleine-schaffen-Wollen einerseits als Gesichtswahrungsstrategie der Sprecherin oder des Sprechers zu werten, durch die sowohl die eigene sprachliche Kompetenz als auch die Fähigkeit, selbständig Probleme zu lösen, unter Beweis gestellt wird. Andererseits gibt die passive Unterstützung der Gruppe genügend Freiraum diese Fertigkeiten zu üben, ohne von einer Person, die es ggf. besser oder schneller ausdrücken könnte, bevormundet zu werden. Allerdings kann es schwierig werden, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, ab wann eine geplante Redeabsicht abgebrochen werden bzw. die Gruppe zur Hilfe eilen sollte. Können die Ausdrucksschwierigkeiten nicht überwunden werden, muss man sich dann doch geschlagen geben, was als Imageverlust empfunden werden könnte. Insbesondere bei den als Gruppenleitung 184 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="185"?> agierenden Studierenden können solche gesichtsbezogenen Überlegungen dazu führen, dass die Gruppe gar nicht oder erst nach expliziter Aufforderung eingreift (vgl. „ war ’ s i? “ - Episode, Kapitel 9.2.3) bzw. nicht helfen kann und durch Trösten oder gemeinsames Scherzen die eventuell als unangenehm empfundene Situation auflockert (vgl. „ bekommen “ -Episode, Kapitel 9.2.1). Durch das vorsichtige Herantasten an den richtigen Umgang mit der Situation, so dass einerseits der sprechenden Person ausreichend Raum zur Umsetzung der Redeabsicht gegeben wird, andererseits die Gruppenarbeit nicht zum Erliegen kommt, entstehen zwar teilweise Verzögerungen, doch ist diese Zeit durchaus nötig, um die Gruppenarbeit zu einem angenehmen und sicheren Ort zur Erprobung der eigenen sprachlichen Fertigkeiten zu machen. 9.3 Assistenz Im kommunikativen Fremdsprachenunterricht generell, besonders aber in kooperativen Arbeitsformen wie eben der Gruppenarbeit, gehört gegenseitige Assistenz sowohl zum Lernprozess als auch zu den gezielt zu fördernden Kompetenzen. Durch die gegenseitige Unterstützung können die Lernenden einerseits ihre erworbenen Sprachkenntnisse vertiefen und festigen, andererseits gewinnen sie an Selbstvertrauen und Motivation (vgl. u. a. Rösler 2012: 98). Darüber hinaus erhöht sich die Teilhabe bzw. Partizipation an einem gemeinsamen Projekt, wenn Lernende sich dazu entscheiden, eigene Ideen oder Wissensbestände in die Gruppenarbeit einzubringen (vgl. Peuschel 2012: 50). Durch gemeinsame Konstruktionsprozesse bilden Lernende einen kollektiven Pool an sprachlichen Ressourcen, der es ihnen ermöglicht als Gruppe Äußerungen aufzubauen, die sie ohne gegenseitige Hilfe nicht zu formulieren in der Lage wären (Donato 1994: 45). Im Idealfall werden diese zuerst in der Gruppe aufgebauten Formen anschließend auch in den individuellen Kenntnisschatz übernommen und bleiben durch das gemeinsame Lernerlebnis nachhaltig in Erinnerung. Trotz der positiven Auswirkungen auf die individuelle sprachliche Entwicklung, die eine gegenseitige Unterstützung unter Peers nachweislich mit sich bringt, bleibt das große Potential oft ungenutzt. Denn jemanden um Hilfe zu bitten bzw. jemandem zu helfen kann auch zu gesichtskritischen Situationen führen. Wie bereits im Zusammenhang mit Ausdrucksschwierigkeiten beschrieben, kann die Bitte um Hilfe als Eingeständnis einer Schwäche empfunden werden und so das eigene Gesicht gefährden. Durch Vorschläge oder Tipps hingegen, z. B. als Teil einer Korrektur, könnte man einem Gesprächspartner oder einer Gesprächspartnerin zu nahetreten, da man ihm oder ihr zu verstehen gibt, dass man etwas besser wisse (Brown & Levinson 1987: 66). Man möchte nicht aufdringlich sein, befürchtet in einer Art zu assistieren, die nicht erwünscht ist, oder selbst nicht die korrekte Form zu kennen. Für die empfangende Person kann die Annahme von Hilfe ein Angriff auf das eigene Gesicht und somit eine Missachtung des Wunsches nach Anerkennung des eigenen Wissens und der eigenen Leistung darstellen. Auch wenn Assistenz unter Lernenden in der Regel als nicht so gesichtsbedrohend eingestuft wird wie schwerwiegende Verständigungsprobleme, die dann die Lernenden zu mühseligen Aushandlungsprozessen zwingen (Foster & Ohta 2005: 415), kann sie dennoch als unangenehm bzw. 9.3 Assistenz 185 <?page no="186"?> unangemessen empfunden werden. Zum Beispiel entscheiden sich Lernende ggf. trotz vorhandenen Wissens dafür, von Hilfestellungen oder Korrekturen untereinander abzusehen, um die Gleichheit innerhalb der Gruppe nicht zu stören (vgl. u. a. Philp et al. 2014: 98). Alle Fokuspersonen bis auf S7 thematisieren Assistenz im VLE, wobei fast ausschließlich auf das Erhalten von Hilfe eingegangen wird, während das Anbieten von Hilfe nur vereinzelt von den Studentinnen S9 und S14 erwähnt wird. S7 S9 S10 S11 S14 Anbieten 0 1 0 0 3 4 Bekommen 0 2 4 3 2 11 Insgesamt 0 3 4 3 5 15 Tab. 11: Fundstellen zur Thematisierung von Assistenz in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Im Vergleich zu Fehlern oder Ausdrucksschwierigkeiten wird Assistenz jedoch deutlich seltener in den VLE-Daten angesprochen. Als Thematisierung von Assistenz wurden Kommentare in den retrospektiven Daten markiert, in denen die Fokuspersonen Handlungen entweder explizit als helfend bezeichnen, wie zum Beispiel „ die beiden haben mir geholfen “ ( 二人が助けてくれて - futari ga tasukete kurete) oder in irgendeiner anderen Form zu einem Erkenntnisgewinn beitragend beschreiben, wie etwa „ er/ sie hat mir erklärt “ ( 説明してくれて - setsumei shite kurete) oder „ ich habe verstanden “ ( 理解した - rikai shita). G1 G2 G3 G4 GA1 0 1 0 0 1 GA2 0 0 2 5 7 GA3 0 0 3 1 4 GA4 0 0 0 1 1 GA5 0 0 1 1 2 Tab. 12: Fundstellen zur Thematisierung von Assistenz in den VLE-Daten nach Gruppen Im Folgenden soll anhand von zwei Episoden im Detail nachgezeichnet werden, wie die Lernenden mit Hilfsangeboten ihrer Mitlernenden umgehen und wie diese wahrgenommen werden. Zur Verdeutlichung werden weitere Exzerpte, in denen Assistenz eine Rolle spielt, hinzugezogen und die Hilfestellung fokussiert. Hierbei stehen aktive assistierende Handlungen im Vordergrund, während die im vorangegangenen Kapitel beschriebene passive Unterstützung durch geduldiges Abwarten und aufmunterndes Zunicken nicht berücksichtigt wird. 9.3.1 „ Er mag “ - GA1G2: Hilfe leisten können In der ersten Gruppenarbeitsphase arbeiten in der Gruppe 2 die Studierenden S5, S12 und S14 zusammen (vgl. Kapitel 7.1.3). In der kurzen Episode hat S5 Schwierigkeiten, die passende Verbform zu produzieren. 186 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="187"?> [1] 69 [01: 37.2] 70 [01: 37.9] 71 [01: 38.2] 72 [01: 40.8] S5 [sup] schnell, leise S5 [v] er あ違う er mag magt? er mag S5 [dt] ah nee S5 [nv] Blick zu S14 S12 [nv] schaut auf ihr AB S14 [v] er mag er mag S14 [nv] Blick zu S5 schaut kurz zur Seite, dann wieder zu S5, nickt [2] 73 [01: 42.0] S5 [v] er mag S14 [VLE_S14] この er mag か er magst で彼が迷っていて、私もその前のグループワークの時に、活用が分か らなくなっちゃって直前で辞書を確認してたんで彼に指摘ができました。 S14 [VLE_S14_dt] Hier wusste er nicht, ob es „ er mag “ oder „ er magst “ heißt und weil ich in der Gruppenarbeit davor vergessen hatte, wie man das konjugiert, habe ich es direkt vorher im Wörterbuch nachgeschlagen und konnte ihm einen Hinweis geben. [3] 74 [01: 42.7] 75 [01: 44.0] 76 [01: 46.7] 77 [01: 48.7] S5 [v] sch ski schi schni schki ski S5 [nv] Blick zwischen S14 u. S12 hin u. her, lächelt nickt leicht, lächelt S12 [v] ski ski S12 [nv] Blick zu S5 S14 [v] ski へ?めっちゃ直接的じゃない? S14 [dt] hä? das ist aber sehr direkt oder? S14 [nv] lächelt mit S5 lacht [p] (1,3) [4] 78 [01: 52.0] 79 [01: 53.9] 80 [01: 55.1] 81 [01: 56.1] 82 [01: 56.6] S5 [v] ah ah S12 [v] ah 私 er ski fährt gern S12 [dt] ich hab S12 [nv] schaut aufs AB, S14 zugewandt S14 [v] うんでも同じだもん er mag sport S14 [dt] jo aber bei mir ist es genau so S14 [nv] schaut aufs AB, lächelt schaut zu S5 nickt zu S5 Transkriptauszug 18: GA1G2 „ er mag “ 9.3 Assistenz 187 <?page no="188"?> S5 setzt zunächst an, bricht dann mit einer kurzen leise gesprochenen Bemerkung auf Japanisch ab, führt den Satz mit verschiedenen Verbformen und leichter Frageintonation mit Blick zu S14 fort (71). S14 nimmt den Blick, die Verbformvarianten und die Intonation als Frage wahr, bestätigt die richtige Form zweimal und S5 akzeptiert die Hilfe, indem er die Form übernimmt. Ebenso verfährt S5 bei den Ausspracheschwierigkeiten von Ski. Er probiert verschiedene Varianten durch und schaut dabei abwechselnd zu S12 und S14. Das gemeinschaftliche Lächeln trägt dazu bei, eine freundliche Gruppenatmosphäre zu schaffen und die sprachlichen Defizite zu überspielen. Die Kommilitoninnen bestätigen ihn und die Gruppenarbeit kann ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Im VLE erklärt S14, dass sie hier habe eingreifen können, da sie selbst kurz vorher nicht sicher war, wie die korrekte Verbform lautet und deshalb habe nachschlagen müssen. Zwar bittet S5 nicht explizit um Hilfe, doch erkennt S14 seine Unsicherheit und greift ein. Bevor sie aber etwas sagt, lässt sie ihn selbst einige Formen ausprobieren und bietet ihre Hilfestellung etwas abgeschwächt an. Durch den Blick zur Seite signalisiert sie (72), dass auch sie ein bisschen über die Verbform nachdenken muss; mit dem Blick zu S5 nimmt sie erneut Kontakt mit ihm auf und bestätigt seine Wahl der Verbform zusätzlich mit einem Nicken. Sie geht also auf S5 ein und gibt die Hilfestellung in einer möglichst gleichberechtigten Art, ohne eine überlegene Haltung einzunehmen, ähnlich wie S3 in der „ sorgen “ - Episode (Kapitel 9.2.4). Auch im VLE gibt sie an, dass sie die Form gerade eben erst nachgeschlagen habe, was zwar durchaus den Tatsachen entsprechen kann - das lässt sich nicht mehr nachvollziehen - doch durch die explizite Erwähnung in der Retrospektion macht sie noch einmal deutlich, dass sie sich da auf einer Kenntnisebene mit S5 sieht, bzw. darstellen möchte. Auch in einer anderen Gruppe greift S14 helfend ein. In der Retrospektion zur Gruppenarbeit GA3G4 konstatiert sie, dass sie zwar den betreffenden Satz selbst nicht so ganz verstanden habe, aber ihrer Kommilitonin die Bedeutung der Vokabeln habe vermitteln können. 508 [15: 26.5] S14 [VLE_S14] 今の文章も自分でちゃんと理解してるってわけじゃなかったんですけど、あの…単語とか で意味は通じて、結構彼女のアシストはできたかなって思いました。 [ … ] S14 [VLE_S14_dt] Jetzt den Satz verstehe ich zwar selbst auch nicht so richtig, ähm … aber mit den Vokabeln und so konnte ich die Bedeutung vermitteln, da habe ich gedacht, dass ich ihr schon ganz gut habe helfen können [ … ] Transkriptauszug 19: GA3G4 trotzdem helfen können Das Beispiel zeigt, dass sprachbewusste Lernende, wie S14, Möglichkeiten bei Verständnisproblemen zu assistieren, gezielt reflektieren und sich dabei ihre Grenzen durchaus bewusst machen. Auch in der bereits beschriebenen Episode „ Nicht-Vater “ hat S5 ebenfalls Unterstützung erhalten und angenommen (vgl. Kapitel 9.2.1). Die Hinweise wurden dort aber von S7 in einer eher lehrertypischen oder tutorierenden Art gegeben, was daran liegen kann, dass S5 versucht einen ganzen Satz zu formulieren und dabei erhebliche Schwierigkeiten hat, im Gegensatz zu einer leichten Unsicherheit in Bezug auf die korrekte Verbform, wie in der vorliegenden Episode. Außerdem nimmt S7 in der Gruppe G2 in der GA3 ohnehin eine 188 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="189"?> lenkende Rolle ein, die es ihm erlaubt aus einer leicht überlegenen, dennoch aber freundlichen Position heraus Hilfe zu leisten. 28 Darüber hinaus spielen individuelle Faktoren wie persönliche Charakterzüge der Einzelpersonen oder Besonderheiten im Verhältnis der Lernenden untereinander eine Rolle. 9.3.2 „ Beiden? “ - GA2G4: Hilfe bekommen In einer anderen Gruppenarbeit bekommt S14 Unterstützung, wird also zur Empfängerin der Hilfe. In der Gruppenarbeitsphase 2 in der Gruppe G4 zeichnet sich die Zusammenarbeit von S4, S9 und S14 durch ein hohes Maß an Gegenseitigkeit und Gleichheit aus (vgl. Kapitel 7.2.5). Auch im folgenden Exzerpt gehen die Studentinnen auf die Beiträge der jeweils anderen ein, greifen Ideen auf, ergänzen sich gegenseitig und konstruieren so das gemeinsame Gespräch. [1] 16 [00: 34.3] 17 [00: 36.9] 18 [00: 39.2] 19 [00: 40.1] 20 [00: 41.1] 21 [00: 42.7] 22 [00: 44.0] S4 [v] hm S9 [v] hm jaja S9 [nv] nickt nickt S14 [v] im texto stehto ähhhh … ihr mann hat sie verlassen so S14 [nv] Blick zu S9 [p] (2,3) [2] 23 [00: 44.8] 24 [00: 45.2] 25 [00: 46.0] 26 [00: 46.8] 27 [00: 47.7] 28 [00: 48.5] 29 [00: 49.1] 30 [00: 50.2] S4 [v] kein kein mann hm S4 [nv] markiert Textstelle S9 [v] jaja keine mann S9 [nv] zeigt auf Textstelle S14 [v] mann keine mann S14 [nv] nickt, Blick zu S9 [p] (0,8) (1,1) [3] 31 [00: 51.0] 32 [00: 51.5] 33 [00: 52.8] 34 [00: 57.8] 35 [00: 58.8] S4 [nv] schaut S9 an S9 [v] frau frau habe hat frau hat keine mann und S14 [v] hm hm S14 [nv] hustet kurzer Blick zu S9 nickt L [nv] bleibt bei Gruppe stehen [p] (1,3) (1,4) 28 Da S7 in der Retrospektive allerdings nicht auf diese Assistenz eingeht, wird die Episode hier nur ergänzend hinzugenommen, aber in erster Linie im Rahmen des Kapitels 9.1 im Zusammenhang mit der Reaktion auf Fehler vorgestellt. 9.3 Assistenz 189 <?page no="190"?> [4] 36 [01: 00.2] 37 [01: 01.3] 38 [01: 03.8] 39 [01: 04.8] 40 [01: 05.7] S4 [v] aber ah beiden kinder S4 [nv] lächelt S9 [v] aber aber sie hato えと bei ja beide kinder S9 [dt] ähm S9 [nv] nickt, zeigt mit Zeigefinger auf S4 ohne [5] .. 41 [01: 07.7] 42 [01: 10.2] S4 [v] beiden kinder S4 [nv] hebt auch Zeigefinger, S9 [nv] aufzuschauen, lächelt hebt Zeigefinger, wedelt mit Hand, lächelt [6] .. 43 [01: 11.1] 44 [01: 11.6] S4 [v] beiden zwei S4 [nv] wedelt damit, lächelt wedelt mit Peacezeichen Richtung S14, lächelt S9 [v] beiden zwei S9 [nv] Peacezeichen, lächelt S14 an S14 [v] beiden? S14 [nv] schaut S4 an L [nv] steht bei der Gruppe S9 [VLE_S9] 初め、 beiden が読めなくて、なんだっけって考え て、 S4 ちゃんが言ったので、「あそれだ」って。 S9 [VLE_S9_dt] Anfangs konnte ich „ beiden “ nicht lesen und ich dachte: „ Wie war das doch gleich? “ , aber weil S4 das gesagt hat, dachte ich: „ Ah! das war ’ s! “ . [7] 45 [01: 13.1] 46 [01: 14.4] 47 [01: 15.1] S4 [nv] lacht S9 [nv] lacht und schaut L an S14 [sup] leise, hoch S14 [v] ahhhhh S14 [nv] nickt leicht setzt an zu schreiben macht Notizen [p] (0,8) (2) S14 [VLE_S14] 今の beiden は、私が前の GW でやったときはわか らなくて、そのまんま流してた部分なんですけ ど、二人に教えてもらって、わかりました。 S14 [VLE_S14_dt] Jetzt das „ beiden “ , das hatte ich vorher in der Gruppenarbeit nicht verstanden und dann ist das so an mir vorbeigegangen, aber die zwei haben es mir erklärt und ich hab ’ s verstanden. Transkriptauszug 20: GA2G4 „ beiden? “ 190 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="191"?> S14 beginnt die zentrale Idee, dass es sich um eine alleinstehende Mutter handelt, aus dem Text herauszuarbeiten, S9 und S4 bestätigen das, S9 paraphrasiert die Aussage von S14 und beginnt ihrerseits eine neue Information zu ergänzen (36). Als S9 kurz stockt (38), springt S4 sofort ein und beendet den Satz von S9. Diese wiederum bestätigt mit ja, übernimmt die Ergänzung und die beiden Lernerinnen bestätigen sich mehrfach gegenseitig, indem sie einander anlächeln und gestisch miteinander scherzen. S14 kann dem Austausch nicht ganz folgen und fragt mit einer Wortwiederholung des unbekannten Wortes beiden an S4 gewandt nach. S4 und S9 wenden sich S14 zu, lächeln und helfen der Kommilitonin mittels Gestik, indem sie Peacezeichen mit den Fingern formen, und durch die Verwendung des synonymen Ausdrucks zwei, die Verständnislücke zu beheben. S14 signalisiert durch das Verständnissignal ah und ein Nicken, dass sie verstanden hat und notiert etwas. Anschließend wendet sie sich an die Lehrperson, die sich gerade zufällig in der Nähe befindet und verifiziert ihr Verständnis. Im VLE zeigt sich, dass sowohl S9 als auch S14 in diesem Abschnitt Hilfe aus der Gruppe bekommen haben. Nach eigenen Angaben ist das kurze Zögern von S9 (38) auf eine Unsicherheit in Bezug auf die Aussprache bzw. Lesung zurückzuführen. Die Ergänzung von S4 wird als Hilfestellung verstanden und gerne angenommen. Die Verständnisschwierigkeiten von S14 sind sowohl im Gruppengespräch als auch in der Retrospektion nachvollziehbar, in der sie explizit angibt, dass sie das Wort dank der Erklärung der beiden anderen verstanden habe. Ähnliche Beispiele finden sich auch in anderen Gruppen, wie etwa GA5G3, in der S11 Schwierigkeiten hat einen Satz zu bilden und sie dankbar die Hilfe der anderen Gruppenmitglieder annimmt (Kapitel 9.2.4) oder im weiteren Verlauf der GA2G4, in der S14 erneut durch die Hilfe ihrer Kommilitoninnen ein besseres Textverständnis entwickelt. Der folgende kurze Transkriptausschnitt ist ein Teil einer ca. 2 Minuten langen Aushandlungssequenz, in der die Studentinnen gemeinschaftlich mehrere Bedeutungsfragen klären und Bezüge zwischen einem der Texte und dem dazugehörigen Bild erarbeiten. In dem betreffenden Text bereitet S14 die Zuordnung der Zahl Schwierigkeiten. Dimitrij und Slawka aus Bulgarien sagen, sie lieben sich immer noch so sehr wie bei ihrer Hochzeit vor 50 Jahren. Sie haben keine Kinder, aber für sie gehört der Esel Mischa zur Familie. Materialauszug 4: GA2 Familien aus aller Welt (vgl. Anhang 6) [1] 185 [04: 32.4] 186 [04: 33.7] 187 [04: 35.6] 188 [04: 36.7] 189 [04: 38.2] 190 [04: 39.6] S4 [v] ahhh ah fünfjahren S4 [nv] schaut in eigenen Text S9 [v] hmmm S9 [nv] sucht im Text S14 [v] fünf jahren fünf jahren S14 [nv] blättert und zeigt auf etwas im AB [p] (1,5) 9.3 Assistenz 191 <?page no="192"?> [2] 191 [04: 41.2] S9 [sup] rufend S9 [v] zeito S9 [nv] zeigt etwas im AB S14 [VLE_S14] で、ここの 5 Jahren っていうのも50年 ( ? ) っていうのもロバの年齢だと思ったんですけ ど、ロバと一緒に写ってる男女の一緒にいる時間っていうのだったんでわかんなかったん ですけど、二人に教えてもらって。二人があのーちゃんとドイツ語で伝えようとしてくれ ているのがなんかありがたかったです。 S14 [VLE_S14_dt] Und hier diese „ 5 Jahre “ oder auch fünfzig Jahre(? ), da dachte ich, das wäre das Alter des Esels. Aber dass es um die Zeit ging, die der Mann und die Frau, die mit dem Esel abgebildet waren, zusammen sind, hatte ich nicht verstanden, aber das haben die beiden mir erklärt. Ich fand es sehr gut, dass die beiden es mir richtig auf Deutsch erklärt haben. Transkriptauszug 21: GA2G4 „ fünf Jahren “ Nach längeren Klärungsprozessen im Vorfeld des Transkriptauszugs 20 zur Bedeutung der Wörter Esel und Hochzeit können die Gruppenmitglieder das Foto eindeutig dem Text zuordnen und die letzte Verständnishürde durch Zeigen auf die entsprechende Textstelle klären (191). S14 betont, dass sie die Hilfe von S4 und S9 sehr zu schätzen weiß, vor allem da die beiden die Erklärungen in der L2 anbieten 29 . Es zeigt sich, dass solche Hilfestellungen in der Gruppe insbesondere bei Ausdrucksaber auch Verständnisschwierigkeiten auftreten, jedoch ist die Assistenz nicht immer nötig und willkommen. Ebenfalls in der Gruppenarbeitsphase 2 kommt es in der Gruppe G3 zu einem Missverständnis, da alle Gruppenmitglieder den Griff zum Wörterbuch von S10 als Zeichen für ein vorliegendes Verständnisproblem interpretieren, während diese wiederum etwas völlig anderes nachschlagen möchte (vgl. „ Enkelkind “ -Episode, Kapitel 9.4.5). Die Hilfe wird unnötigerweise von der Gruppe mit einer gewissen Vehemenz angeboten, so dass S10 sich letztendlich genötigt fühlt, die unnötige Assistenz anzunehmen und einen Aha- Moment vorzutäuschen. 9.3.3 Zusammenfassung: Assistenz Bereits im Zusammenhang mit Episoden, in denen Fehler und Ausdrucksschwierigkeiten fokussiert wurden, fanden sich zahlreiche Hinweise auf die enge Verzahnung mit dem Thema Assistenz. Bemerkt man bei Mitlernenden Fehler, soll man darauf hinweisen oder sie einfach übergehen? Hat man selbst Schwierigkeiten, die eigenen Gedanken in Worte zu fassen, sollte man um Hilfe bitten oder es dennoch selbst versuchen? Wie fordert man gewünschtes Feedback ein, wenn es nicht von selbst kommt? Einerseits stellt sich die Frage, ob und wie die Lernenden einander Hilfestellung geben, andererseits wie die geleistete Hilfe aufgenommen wird. In Partner- und Gruppenarbeit 29 Während der gesamten Sequenz, in der die Studentinnen verschiedene Bedeutungsfragen besprechen, greifen die einzelnen Teilaushandlungen eng ineinander, so dass die in Transkriptauszug 20 gezeigte Verstehensbekundung, nicht nachvollzogen werden kann, da der vorangegangene Aushandlungsprozess nicht abgebildet wird. Da der Fokus des vorliegenden Kapitels jedoch auf gesichtskritischen Episoden im Zusammenhang mit Assistenz liegt, wird auf eine umfassende Darstellung der vorangegangenen Klärungsabläufe verzichtet. Das Feintranskript der Sequenz findet sich in Anhang 10. 192 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="193"?> stellt die gegenseitige Unterstützung in Form von Feedback, Korrekturen oder Ko-Konstruktionen eine wichtige Ressource für den gemeinsamen Lernprozess dar (vgl. Kapitel 2.5 und 3.3), doch hat die Forschung auch gezeigt, dass die Potentiale der Hilfe unter Peers nicht immer ausgeschöpft werden (vgl. u. a. Philp et al. 2014: 272). Zwar finden sich im vorliegenden Datenmaterial verhältnismäßig wenige Hinweise auf Hilfestellungen untereinander, doch wurden sie in der Regel angenommen und in die geplante Äußerung eingebaut. Um das Gesicht derjenigen, denen sie helfen, zu schonen, betten die Helfenden ihre Vorschläge in verbale und nonverbale Abschwächungen ein. Es wird gemeinsam gelächelt und gelacht oder durch Zögern und Nachdenken signalisierende Blicke Unsicherheit angedeutet, so dass die Hilfe meist nicht aus einer überlegenen Position gegeben wird. Selbst im VLE werden Begründungen gegeben, weshalb man hier hat eingreifen können, so dass die korrigierende bzw. unterstützende Handlung gegenüber den Mitlernenden auch im Gespräch mit der Forscherin bzw. den Assistentinnen abgemildert und die Gleichheit untereinander betont wird. Bekommen die Lernenden Unterstützung, nehmen sie diese gern an und äußern in der Retrospektive Dankbarkeit und Wertschätzung. Während der Gruppenarbeit selbst aber wird die Assistenz lediglich angenommen und nur selten mit einem verbalen Dank honoriert, da hier die Fortsetzung der Gruppenarbeit im Vordergrund steht und ein expliziter Dank einerseits von der inhaltlichen Arbeit ablenken und andererseits die Hilfe der Peers unnötig betonen und die jeweilige Person somit sowohl die anderen als auch sich selbst in Verlegenheit bringen könnte. Insgesamt begünstigten ein gutes Gruppenklima sowie eine aktive Rolle in der Gruppe die Bereitschaft Hilfe zu leisten (Kapitel 9.3.2), wohingegen aber eine holprige und schleppende Zusammenarbeit gegenseitige Unterstützung erschwert, insbesondere wenn der Gruppenleiter Assistenz benötigt (Kapitel 9.2.3). Anders als von Foster und Ohta beschrieben (ebd. 2005: 415), kann gegenseitige Hilfestellung unter Lernenden also durchaus gesichtskritische Komponenten enthalten. Im vorliegenden Datenmaterial werden diese jedoch meistens von den Interagierenden im Falle einer Entscheidung für ein unterstützendes Eingreifen entsprechend durch abschwächende Handlungen ausbalanciert. 9.4 Verständnisschwierigkeiten Neben den bereits beschriebenen Hürden bei der Sprachproduktion und den damit verbundenen gesichtskritischen Situationen gehören auch mögliche Probleme bei den rezeptiven Fertigkeiten, wie etwa Verständnisschwierigkeiten, zum Fremdsprachenlernen dazu. Im Idealfall führen diese zu Rückfragen, durch die verständnissichernde Aushandlungsprozesse zur Vermeidung von Kommunikationsabbrüchen ausgelöst werden (vgl. u. a. Pica 1996: 246). In der Forschung werden bestätigungssuchende, verständnissichernde und bedeutungsklärende Nachfragen unterschieden - abgeleitet von den englischsprachigen Begriffen confirmation checks, comprehension checks und clarification requests - und als wichtige Bestandteile von Bedeutungsaushandlungen angesehen (Eckerth 2003: 135). In zahlreichen Arbeiten wurde das Vorhandensein solcher Rückfragen als Hinweis auf eine gute Zusammenarbeit interpretiert und ein häufiges Auftreten mit einer hohen Anzahl von 9.4 Verständnisschwierigkeiten 193 <?page no="194"?> potentiellen Lerngelegenheiten gleichgesetzt (vgl. Ellis 2003: 71; Foster 1998: 3), doch zeigen weiterführende Untersuchungen, dass es sich bei den Rückfragen nicht unbedingt um Anzeichen für mangelndes Verständnis, sondern viel mehr um Interaktionstechniken handelt, die Lernende anwenden, um Gegenseitigkeit herzustellen (vgl. Long & Porter 1985; DiCamilla & Anton 1997; Foster & Ohta 2005; Seedhouse 2005). Darüber hinaus verweisen weitere Studien darauf, dass weitaus weniger Rückfragen gestellt werden, aus denen sich Lerngelegenheiten ergeben könnten, als aufgrund der Aufgabenstellung zu erwarten oder wünschenswert wäre (vgl. u. a. Foster 1998: 18; Philp et al. 2010; Leslie 2017). In Bezug auf die Gesichtsbedürfnisse hingegen können Rückfragen, Bitten um Wiederholung oder andere Verfahren, die der Verständnissicherung dienen, einem Eingeständnis von Wissensbzw. Verstehenslücken auf der Zuhörendenseite gleichkommen (vgl. Brown & Levinson 1987: 68). Während es in der Interaktion mit muttersprachlich sprechenden Personen oder einer Lehrkraft durchaus akzeptabel ist nachzufragen, da die asymmetrische Verteilung in Bezug auf die Zielsprachenkenntnisse als gegeben angenommen wird (vgl. u. a. Sato & Lyster 2012: 597), kann es unter Peers als unangenehm wahrgenommen werden, eine Äußerung nicht zu verstehen, da bei den Mitlernenden von einem gleichwertigen Kenntnisstand ausgegangen wird. Auch wenn der eigene Redebeitrag nicht verstanden wird, können Lernende das Problem auf eine undeutliche Aussprache oder einen fehlerhaften Ausdruck zurückführen, was für sie selbst, also die Sprechendenseite, gesichtsbedrohend sein kann. Hinzu kommt, dass dem Sprecher oder der Sprecherin zwar klar ist, dass er bzw. sie nicht verstanden wurde, unklar bleibt aber, was die genaue Ursache ist. Im Unterschied zu den zuvor betrachteten Ausdrucksschwierigkeiten, bei denen den Sprechenden bewusst ist, dass ihnen Vokabeln oder bestimmte Ausdrücke fehlen, und sie außerdem wissen, dass die Behebung der Schwierigkeiten von ihnen selbst initiiert werden muss, müssen die Lernenden bei Verständnisschwierigkeiten zunächst herausfinden, wodurch das gegenseitige Verständnis behindert wird und dann eine Möglichkeit finden, das Hindernis auszuräumen, was zu vergleichsweise langwierigen Aushandlungsprozessen führen kann. In den retrospektiven Daten nehmen die Fokuspersonen auf verschiedene Arten von Verständnisschwierigkeiten Bezug, wobei Probleme beim Verstehen der mündlichen Beiträge der Mitstudierenden während der Gruppenarbeit im Vordergrund stehen. Die Lernenden verstehen aufgrund sprachlicher Hürden einzelne Wörter oder ganze Aussagen der anderen Gruppenmitglieder nicht oder befürchten selbst nicht verstanden zu werden. Eher selten werden Verständnisschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem vorliegenden Material, d. h. mit Arbeitsblättern oder den eigenen Notizen, genannt. Ein Grund für das eher seltene Vorkommen solcher materialbezogener Verständnisprobleme könnte sein, dass die hier dokumentierten Aufgaben vorbereitet werden konnten. Aspekte, die während der Vorbereitung nicht bemerkt oder als unwichtig eingestuft wurden, gewinnen im Gruppengespräch an Relevanz und werden den Lernenden erst im Austausch mit den anderen Mitgliedern bewusst. Hier zeigt sich eindeutig das Potential, das Interaktionen unter Lernenden zur Aufmerksamkeitslenkung - dem sogenannten noticing (Schmidt 1995) - haben, was wiederum Lernmöglichkeiten anregen kann. Einen weiteren Typ von Verständnisschwierigkeiten bilden Missverständnisse, die aus der Situation während der Gruppenarbeit entstehen oder in unterschiedlichen Auffassungen von Aufgaben oder Inhalten begründet sind. Im Gegensatz zu den anderen drei 194 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="195"?> Subkategorien, die auch als sprachkenntnisbedingte Rezeptionsdefizite bezeichnet werden können, handelt es sich bei Letzteren weniger um Komplikationen, die unmittelbar auf fehlendes Sprachwissen oder mangelnde Fertigkeiten zurückzuführen sind, als vielmehr um voneinander abweichende Interpretationen einer Situation, Aufgabe oder Handlung (vgl. Kameyama 2004: 117f ). Da diese Missverständnisse aber auch zum Verständigungsprozess gehören und teilweise durch sprachliche Unsicherheiten begleitet werden, sollen sie im Folgenden als eine Untergruppe der Verständnisschwierigkeiten betrachtet werden. Jedoch empfiehlt sich für weiterführende Untersuchungen dieser Art GKE eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Ursachen für Verständnisschwierigkeiten. Sowohl in den VLE-Daten als auch in den Interaktionsdaten finden sich Probleme beim Verstehen bzw. Verstanden-werden in allen fünf Gruppenarbeitsphasen und werden von allen fünf Fokuspersonen thematisiert. Als Verständnisschwierigkeiten wurden solche Anmerkungen markiert, zu denen sich in den erinnerten Daten Hinweise auf „ nicht verstehen “ ( 分からない - wakaranai) oder „ nicht vermitteln/ übermitteln “ ( 伝わらない - tsutawaranai) finden. S7 S9 S10 S11 S14 Nicht verstehen 8 1 7 11 6 33 Nicht verstanden werden 2 1 0 8 8 19 Material 0 1 0 3 3 7 Misskommunikation 0 1 5 0 0 6 Insgesamt 10 4 12 22 17 65 Tab. 13: Fundstellen zur Thematisierung von Verständnisschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Mit eingeschlossen sind Bemerkungen über vermutete Verständnisschwierigkeiten bei anderen, in die aber nicht weiter eingegriffen wurde. Zur genaueren gesprächsanalytischen Untersuchung wurden die Episoden bevorzugt berücksichtigt, in denen sich die Verständnisschwierigkeiten auch im Gruppenarbeitsgespräch nachvollziehen lassen. Von den insgesamt 33 Fundstellen, an denen die Fokuspersonen in der Retrospektive angeben, dass sie etwas nicht verstanden haben, wurde in nur 13 Fällen das mangelnde Verständnis etwa durch die Formulierung einer Frage explizit thematisiert. Oft gaben die Studierenden beim VLE auch an, dass sie zwar nicht ganz verstanden hatten, zuerst aber Verständnis signalisierten, um später selbst nachzuschlagen oder nach Beendigung der Gruppenarbeit nachzufragen. Insbesondere S11 und S14 reflektieren das eigene Verständnis sowie das Verstandenwerden häufig, während Verständnisschwierigkeiten für S9 nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen. Auffällig ist, dass es in der Gesamtbetrachtung vor allem in der ersten Gruppenarbeitsphase zu Verständnisschwierigkeiten kommt, in der die Lernenden anhand von Fotos Rückschlüsse auf den Alltag des Fotokünstlers ziehen und ihre teilweise ausgefallenen Ideen in der Gruppe vorstellen (vgl. Kapitel 7.1.1). 9.4 Verständnisschwierigkeiten 195 <?page no="196"?> G1 G2 G3 G4 GA1 9 9 6 1 25 GA2 7 0 2 3 12 GA3 0 0 2 5 7 GA4 6 0 3 0 9 GA5 2 2 5 3 12 Tab. 14: Fundstellen zur Thematisierung von Verständnisschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Gruppen Die anderen Aufgaben scheinen weniger Raum für ungewöhnliche und daher schwer zu erklärende Ideen zu enthalten, was das gegenseitige Verstehen der Ergebnisse der vorausgegangenen Gruppenarbeitsphasen zwar erleichtert, aber weniger Anlässe für Bedeutungsaushandlungen bietet. Im Folgenden werden anhand von Transkriptauszügen verschiedene Episoden, in denen es zu Verstehensproblemen kommt, mit Fokus auf gesichtskritische Aspekte und angewandte Strategien betrachtet. 9.4.1 „ Zugfahrer “ - GA1G2: Nicht verstanden werden, Verständnissicherung Das folgende Beispiel stammt erneut aus Gruppe 2 der ersten Gruppenarbeitsphase mit den Studierenden S5, S12 und S14 (Kapitel 7.1.3). In diesem Gesprächsausschnitt erklärt S14 den beiden anderen Gruppenmitgliedern eine Idee zu einem Foto, auf dem eine Modelleisenbahn abgebildet ist (siehe Anhang 5). [1] 373 [09: 44.0] 374 [09: 48.0] 375 [09: 48.7] 376 [09: 49.4] S5 [nv] schaut Richtung AB von S14 lächelt S14 an S12 [nv] schaut auf eigenes AB S14 [v] sein vater war zugfahrer zugfahrer zug S14 [nv] schaut S5 an [p] (0,7) [2] 377 [09: 49.7] S12 [nv] schreibt, schaut auf AB von S14, schreibt weiter mit Blick auf AB von S14 S14 [nv] hebt rechte Hand mit Stift, schaut kurz zu S12, dann wieder zu S5 L [nv] kommt neben der Gruppe zum Stehen [p] (2,9) S14 [VLE_S14] えっと、 Zug …電車…結構いろんな授業で何回も出てるんですけど、みんな覚えてない なーって思いました。で Fahrer も fahren って動詞からきてるのかなーていう、なんかそう いう発想はもう少し持った方がいいのかなーって思いまいした。 S14 [VLE_S14_dt] Ähm, das Wort „ Zug “ ist ja schon oft im Unterricht vorgekommen, aber ich dachte, dass die anderen das sich vielleicht nicht gemerkt haben. Und „ Fahrer “ das kommt ja auch von „ fahren “ und so, da dachte ich mir auch, dass es wohl besser ist, wenn man solche Konzepte im Hinterkopf hat. 196 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="197"?> [3] 378 [09: 52.6] 379 [09: 53.9] 380 [09: 54.6] 381 [09: 55.2] 382 [09: 56.1] 383 [09: 57.4] 384 [09: 58.9] S5 [v] zug S5 [nv] schaut zu L S14 [v] alles klar? zug zugfahrer あ そうか S14 [dt] ach so S14 [nv] folgt der Geste von L mit Blick L [nv] deutet auf die ABs [p] (0,9) (1,5) [4] 385 [09: 59.5] 386 [10: 00.7] 387 [10: 01.8] 388 [10: 03.0] 389 [10: 04.1] 390 [10: 05.1] 391 [10: 07.1] 392 [10: 08.2] S5 [v] ahhh! ahhhh ahhh S5 [nv] schaut zu L S12 [v] ahhh! ahhhh S14 [v] zug zug zug zug zug fahrer zugfahrer sein vater war zugfahrer S14 [dt] S14 [nv] blättert zeigt aufs AB Lenkradgeste schaut zu L [p] (1,1) [5] 393 [10: 09.9] 394 [10: 10.2] 395 [10: 11.3] S5 [nv] lächelt S14 [sup] lachend S14 [v] ah そうか えこれそうか ? S14 [dt] ah so hä so? S14 [nv] lacht macht Ruder- und Lenkradgeste L [nv] gestikuliert, lacht geht weiter [p] (1,1) S14 [VLE_S14] で、 Zug の説明をジェスチャーじゃなくて、「毎日あなたたちが乗ります」とかそういう ので言った方がもう少しちょっと勉強のためにはなったのかなと思いました。 S14 [VLE_S14_dt] Und hier habe ich gedacht, das es fürs Lernen etwas besser gewesen wäre, wenn ich Zug nicht mit Gesten, sondern mit so etwas wie „ ihr fahrt jeden Tag damit “ oder so erklärt hätte. [6] 396 [10: 13.8] 397 [10: 15.7] 398 [10: 16.9] 399 [10: 18.4] 400 [10: 22.2] S5 [v] hmm S14 [v] er hato er って sein vater ね er hato der modeleisenbahn S14 [dt] er also sein vater ne S14 [nv] schaut ins eigene AB ohne aufzuschauen tippt dabei auf entsprechendes Foto [p] (1,9) 9.4 Verständnisschwierigkeiten 197 <?page no="198"?> [7] 401 [10: 23.0] 402 [10: 24.4] 403 [10: 25.3] 404 [10: 26.7] 405 [10: 28.3] 406 [10: 29.2] 407 [10: 31.2] S5 [nv] schaut S14 an S14 [v] えと flori florian geschenkt geschenkt S14 [dt] ähm S14 [nv] zeigt auf anderes Foto Gebengeste, schaut S5 an wiederholt Geste [p] (0,9) (1,6) (2) [8] 408 [10: 32.1] 409 [10: 32.8] 410 [10: 34.6] 411 [10: 35.4] S5 [sup] super leise S5 [v] ahhh! alles klar S5 [nv] nickt leicht, schaut zu S12 S12 [v] hm S12 [nv] nickt, schaut nicht auf S14 [v] alles klar? S14 [nv] nickt schaut zu S12 Blick zwischen S5 u. S12 hin u. her [p] (1,8) [9] 412 [10: 37.0] 413 [10: 37.9] S5 [v] jaja S14 [v] はい S14 [dt] ja S14 [VLE_S14] ここの geschenkt って言った時に、ちょっと反応が微妙だったんで、ちょっと 微妙に分かってないのかなーって思って一回、 Alles klar ?って聞きました。 S14 [VLE_S14_dt] Als ich hier „ geschenkt “ gesagt habe, war die Reaktion etwas durchwachsen, da habe ich gedacht, dass sie es nicht ganz verstanden haben, also habe ich einmal „ Alles klar? “ gefragt. [10] 414 [10: 38.2] 415 [10: 38.6] S5 [v] okay S12 [v] hm S14 [v] です S14 [dt] so ist das S14 [nv] schaut zu S12 Transkriptauszug 22: GA1G2 „ Zugfahrer “ Zuerst äußert S14 ihre Vermutung, dass der Vater des Künstlers Lokführer bzw. Zugfahrer gewesen sei, woraufhin sie S5 anschaut und das Wort wiederholt, weil sie annimmt, dass es nicht verstanden worden sein könnte (374). Da S5 sie nur anlächelt, aber kein Verstehenssignal gibt, beginnt sie das Wort in seine Einzelteile zu zerlegen und wiederholt nur den Bestandteil Zug. Zwar setzt sie an etwas zu sagen, was einerseits durch ihren Blick in die Runde andererseits die Taktstock-Geste mit dem Stift in der Hand deutlich wird, bevor sie 198 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="199"?> jedoch dazu kommt weiterzusprechen, kommt die Lehrperson am Gruppentisch zum Stehen. Es entsteht eine Pause von ca. 3 Sekunden. Zwar erwähnt S14 davon nichts im VLE, doch kann die Anwesenheit der Lehrperson das längere Zögern in der Gruppe beeinflusst haben. In der Retrospektion äußert S14 aber die Befürchtung, dass die anderen Gruppenmitglieder sich ggf. das Wort Zug nicht gemerkt haben könnten, obwohl es schon mehrfach im Unterricht vorgekommen sei (377). Weiterhin nimmt sie an, dass den beiden anderen das Bewusstsein für die gemeinsame lexikalische Wurzel von fahren und Fahrer fehlen könnte. Anstatt mit einer Erklärung zu Zug oder Fahrer fortzufahren, entscheidet sich S14 an dieser Stelle erst einmal für die allgemeinere Nachfrage, ob alles klar sei, woraufhin S5 das Wort Zug wiederholt (379), was S14 als Rückfrage versteht. Durch eine erneute Wiederholung bestätigt sie, dass sie die Frage verstanden hat, beginnt über eine mögliche Erklärung nachzudenken und wiederholt dann noch einmal das gesamte Wort. In der Zwischenzeit schaut S5 kurz zum Lehrer auf, der durch ein Deuten auf das Arbeitsblatt einen Hinweis gibt. S14 folgt der Geste des Lehrers mit dem Blick, beginnt in den eigenen Unterlagen zu blättern und greift den Hinweis auf. Sie wiederholt mehrfach das Wort Zug, deutet auf das entsprechende Bild im Arbeitsblatt und als die beiden anderen ihr Verstehen signalisieren, geht sie zum zweiten Teil des Wortes Fahrer über und macht dazu eine Lenkradgeste (389). Die beiden anderen bringen ihr Verständnis zum Ausdruck, S14 wiederholt zuerst das ganze Wort und anschließend den Satz. S5 zeigt wieder, dass er verstanden hat und sowohl S14 als auch S5 schauen kurz zum Lehrer, woraus sich eine kurze scherzhafte Sequenz ergibt, da letzterer die Lenkradgeste von S14 aufgreift. Zwar konnte das Verständnis ohne die Zuhilfenahme der L1 und nur durch einen Wink des Lehrers fast selbständig innerhalb der Gruppe gesichert werden, doch zeigt sich S14 im VLE mit diesem Vorgehen leicht unzufrieden, indem sie anmerkt, dass sie zumindest das Wort Zug lieber verbal als mittels Gesten erklärt hätte. Im Anschluss an das gemeinsame Scherzen geht der Lehrer weiter und S14 setzt ihre Erklärung zu dem Foto fort. Sie beginnt den Satz (397), bricht kurz ab, um ohne aufzuschauen unter partiellem Rückgriff auf die L1, zu verifizieren, wer mit er gemeint ist, beginnt dann den Satz erneut und setzt ihn mit kleinen Pausen, Wiederholungen, Gesten und Zeigen auf die entsprechenden Fotos bis zum Ende fort. Sowohl das Zeigen und die Gesten als auch die Wiederholungen und Pausen dienen dazu, das Verständnis für die anderen Lernenden zu erleichtern. Zum Beispiel unterstützt sie das Verständnis der Verbform geschenkt durch eine entsprechende Geste, schaut dabei zu S5 (405), von dem sie anscheinend annimmt, dass er da Verständnisschwierigkeiten haben könnte, gibt ihm etwas Zeit nachzudenken und wiederholt sowohl das Verb als auch die Geste dann erneut. S5 signalisiert dann zwar verbal, verstanden zu haben, da das Nicken aber sehr leicht ausfällt und von S12 keine Bestätigung kommt, fragt S14 vorsichtshalber nach, ob alles klar ist, worauf sie auch im VLE explizit eingeht (413). Erst als S5 sei Verständnis mehrfach bestätigt und auch S12 zumindest mit einem leichten Nicken zeigt, dass sie verstanden hat, beendet sie mit dem japanischen Kopula です (desu) ihren Redebeitrag, was oft mit sein übersetzt und hier in der Bedeutung „ so ist das “ als Bestätigung verwendet wird. Die Sprecherin stellt hier mit Hilfe verschiedener Strategien sicher, dass die Gruppe ihr folgen kann. Außerdem wird im VLE deutlich, dass sie selbst annimmt, die anderen Lernenden hätten bestimmten Wortschatz nicht parat. Diese Annahme wird durch die eher verhaltenen Reaktionen der anderen noch bestärkt, so dass sie besonders kleinschrittig 9.4 Verständnisschwierigkeiten 199 <?page no="200"?> vorgeht und mehrfach absichert, damit alle ihren Redebeitrag verstehen. In einer solchen Situation nicht verstanden zu werden, ist für die Sprecherin gesichtsbedrohend, da einerseits ihre sprachlichen Fähigkeiten in Frage gestellt, andererseits der Erfolg der Gruppenarbeit gefährdet werden könnte. Bleibt dann noch zusätzlich die Reaktion der Gruppe aus, wächst die Unsicherheit und somit der Druck, die Aussage modifizieren zu müssen (vgl. auch Kramsch 1985: 177). Durch das kleinschrittige Vorgehen mit mehrfachen Rückversicherungen und Hilfestellungen, versucht S14 dieser Unsicherheit vorzubeugen, wodurch sie ihr eigenes Gesicht schont. Gleichzeitig kann diese Strategie auch als Gesichtsschonung bzw. Erleichterung für die Zuhörenden verstanden werden, da sie nicht selbst nachfragen müssen, sondern die Verständnislücken von S14 bereits antizipiert werden. Andererseits kann sich eine solche Antizipation von Rezeptionsdefiziten selbstverständlich auch als ungerechtfertigt herausstellen (vgl. Feick 2016: 129) und folglich als Gesichtsbedrohung für das Gegenüber wahrgenommen werden. Zwar fehlen im vorliegenden Datenbeispiel introspektive Daten der Adressierten, doch geht weder aus dem Verhalten von S5 und S12 noch dem Gesamtablauf der Gruppenarbeit hervor, dass die ausführliche Verständnissicherung als unangebracht aufgefasst wurde und die freundliche Arbeitsatmosphäre in der Gruppe bleibt intakt. 9.4.2 Monoton - GA3G4: Nicht verstehen und nachfragen Die Gruppe G4 in der dritten Gruppenarbeitsphase besteht aus den Studierenden S6, S8 und S14 und wurde bereits bei der Thematisierung von Fehlern in der Gruppenarbeit genauer betrachtet (vgl. Kapitel 7.3.5 und 9.1.4). Der folgende Gesprächsausschnitt stammt aus dem ersten Teil der Zusammenarbeit, in dem die Lernenden ihre bereits in der anderen Gruppe erarbeiteten Ideen vorstellen. [1] 24 [00: 36.3] 25 [00: 40.0] S6 [nv] schaut auf das eigene AB S8 [v] ich denke die briefmarke zeigto ahhh das bild sieht aus S8 [nv] nimmt eigenes AB in die Hand S14 [nv] schaut S8 kurz an, nickt leicht, schaut dann auf eigenes AB [2] 26 [00: 43.5] 27 [00: 50.6] 28 [00: 53.0] S8 [v] als ob ein kind von sechs jahre alt malen S8 [nv] liest ab schaut S14 an S14 [sup] leise S14 [v] noch einmal bitte S14 [nv] nickt, hebt Zeigefinger, schaut nicht auf [p] (2,4) [3] 29 [00: 54.0] 30 [00: 57.8] 31 [01: 00.8] S8 [v] ah ahhh die briefmarke zeigto das bild sieht aus als ob ein kind von sechs jahre alt S8 [nv] hebt sein AB an zum Lesen 200 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="201"?> [4] 32 [01: 05.6] 33 [01: 06.2] S8 [v] malt S14 [v] ahhh S14 [nv] nickt [p] (1,4) S14 [VLE_S14] S8F くんの発音というか読み方がずーっと棒読みで、どこが主語なのか、 どこが動詞なのかっていうのがいまいちわからなくて、 noch einmal bitte って言いました。 S14 [VLE_S14_dt] Die Aussprache von S8 bzw. die Art zu lesen ist immer so ein Herunterleiern, so dass ich nicht ganz verstanden habe, wo nun das Subjekt und wo das Verb ist, also habe ich „ noch einmal bitte “ gesagt. [5] 34 [01: 07.6] 35 [01: 08.4] S6 [nv] hebt kurz den Blick zu S8, nickt ganz leicht S8 [v] das ist alles S8 [nv] nickt, legt AB ab S14 [v] okay S14 [nv] nickt Transkriptauszug 23: GA3G4 Monoton S6 verhält sich in dieser Phase wie auch sonst im Verlauf der Gruppenarbeit passiv, während S8 nach einem einleitenden Satz, den er vermutlich aus den zur Verfügung gestellten Redemitteln in dem Moment übernommen hat, seine Wahrnehmung der Briefmarke mit Hilfe seiner Notizen vorträgt (25). Da der vorbereitete Satz einerseits grammatisch komplex ist, andererseits nicht ganz dem erwarteten Muster entspricht, entsteht im Anschluss eine längere Pause von 2,4 Sekunden, in der S8 S14 anschaut und ihre Reaktion abwartet. S14 bittet dann leise um Wiederholung, unterstreicht ihre Bitte zwar mit einem erhobenen rechten Zeigefinger, schaut S8 jedoch dabei nicht an (28). S8 modifiziert daraufhin leicht den einleitenden Satz und wiederholt dann seine Einschätzung der Briefmarke, korrigiert jedoch die Verbform. S14 signalisiert noch bevor er zu Ende gesprochen hat ihr Verständnis und nickt. Nach einer kurzen Pause nickt auch S6 mit Blick zu S8, S14 bestätigt erneut durch ein Nicken und okay und S8 beendet seinen Beitrag. In der Retrospektion begründet S14 ihre Rückfrage mit der monotonen Aussprache des Kommilitonen, weswegen die Satzteile schwer voneinander zu unterscheiden seien. Ob sie allerdings den Satz tatsächlich verstanden hat, geht weder aus dem VLE noch aus dem Gruppengespräch vollständig hervor. Das inhaltliche Verstehen der Redebeiträge der anderen Lernenden wird von S14 als Teil derAufgabe verstanden, so dass ein Nachfragen bzw. Bitten um Wiederholung von ihr nicht als gesichtsbedrohend wahrgenommen und ohne Umschweife umgesetzt wird (vgl. auch Pica 1996: 261). Hinzu kommt, dass sie in dieser Gruppe eine leitende Rolle innehat (vgl. Kapitel 7.3.5), was ihr das direkte Nachfragen zusätzlich erleichtert. Durch die Beschreibung der Aussprache bzw. Art zu Lesen von S8 wird deutlich, dass S14 sich dessen bewusst 9.4 Verständnisschwierigkeiten 201 <?page no="202"?> ist, dass S8 abliest und ggf. nicht in der Lage ist, den Gedanken anders auszudrücken. In den erinnerten Gedanken zur Gruppenarbeit finden sich mehrfach Kommentare, in denen deutlich wird, dass S14 die Sprachverwendung von S8 kritisch sieht (vgl. auch Kapitel 9.6.1), jedoch enthält sie sich einer eindeutigen Beurteilung seiner Sprachkenntnisse. Selbstverständlich kann der Verzicht auf ein erneutes Nachfragen darauf zurückzuführen sein, dass S14 tatsächlich die wiederholte Aussage von S8 verstanden hat. Allerdings lassen die Daten auch die Deutung zu, dass S14 eine weitere Bitte um ergänzende Erklärungen für wenig sinnvoll hält, da sie von S8 keine verständlichere Antwort erwartet. Ein weiterer Versuch, das Verständnis zu sichern, würde also den Ablauf der Gruppenarbeit ins Stocken und S8 in eine unangenehme Situation bringen. S14 gibt sich also mit einem partiellen oder sogar einem Pseudoverständnis (vgl. Sieblod et al. 2021) zufrieden, um eine harmonische Gruppenarbeit zu ermöglichen. 9.4.3 „ Schilfe “ - GA4G1: Nicht verstehen, trotz Rückfrage In der Gruppe G1 in der vierten Gruppenarbeitsphase arbeiten erneut S2, S5 und S7 zusammen (Kapitel 7.4.2). In diesem Ausschnitt möchte S5 etwas zu einem Familienmodell (Darstellung 4 im Anhang 8) beitragen, zu dem die beiden anderen keine Ideen hatten. [1] 202 [05: 18.9] 203 [05: 20.1] 204 [05: 21.0] 205 [05: 21.8] 206 [05: 22.4] 207 [05: 24.1] 208 [05: 25.5] 209 [05: 26.6] S2 [nv] nickt notiert etwas S5 [v] ah ich … ich denke ich denke と何? arbeitfamilie ähhh S5 [dt] und was? S5 [nv] schaut zu S7 schaut ins AB S7 [v] hm S7 [nv] nickt leicht notiert etwas [p] (1,4) (4,5) [2] 210 [05: 31.2] 211 [05: 33.7] 212 [05: 35.2] 213 [05: 36.0] 214 [05: 37.0] 215 [05: 39.2] 216 [05: 40.3] S2 [nv] schaut S5 kurz an schreibt weiter S5 [sup] Wort für Wort langsam S5 [v] das familie hato haus haus halt S5 [nv] liest ab S7 [nv] schaut auf, nimmt AB in die Hand schaut [p] (1,5) (1,1) (1,1) [3] … 217 [05: 43.2] 218 [05: 43.7] 219 [05: 44.6] 220 [05: 47.4] 221 [05: 49.3] S2 [nv] schaut langsam zu S5 S5 [sup] leise zögernd S5 [v] shiru schi schi schilf schilfe って hilfe … im … haus S5 [dt] so S5 [nv] schaut S2 & S7 an grinst S7 [nv] auf eigenes AB, kurz zu S5, nickt [p] (2) 202 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="203"?> [4] 222 [05: 50.2] 223 [05: 52.5] 224 [05: 53.5] 225 [05: 57.7] S5 [v] ええとね haushalt の schilfe ってね S5 [dt] also ne die schilfe von haushalt ist ne S5 [nv] legt AB ab holt scharf Luft S7 [v] was bedeutet schilfe? S7 [nv] schaut ins Leere schaut S5 an [p] (1) (2,5) [5] 226 [06: 00.2] 227 [06: 01.3] 228 [06: 02.2] 229 [06: 03.4] 230 [06: 04.7] 231 [06: 05.7] S2 [v] へええええ! S2 [dt] ahhh! S2 [nv] lacht S5 [v] auf englisch babysitter S7 [v] ahhhh! S7 [nv] lächelt legt AB ab, notiert etwas [p] (1) [6] 232 [06: 06.8] 233 [06: 08.2] 234 [06: 11.0] 235 [06: 12.0] 236 [06: 14.5] S2 [nv] schreibt schaut S5 an S5 [sup] japanische Aussprache sehr leise sehr leise zögernd S5 [v] babysitter わかんないよね machen … essen … S5 [dt] (unverst.) so was weiß man nicht ne (unverst.) S7 [v] あそう言うことか S7 [dt] ach so S7 [nv] schreibt [p] (2,8) (2,5) [7] 237 [06: 17.5] 238 [06: 18.9] 239 [06: 20.0] 240 [06: 21.1] 241 [06: 22.1] S2 [v] hmm S2 [nv] nickt leicht schreibt S5 [v] … とか 世話って何だっけ? S5 [dt] … oder so was war noch mal sorgen? S7 [v] sorgt S7 [nv] unterbricht schreiben ohne aufzuschauen [p] (1,1) (1,1) 9.4 Verständnisschwierigkeiten 203 <?page no="204"?> [8] 242 [06: 23.1] 243 [06: 23.7] 244 [06: 24.7] S5 [v] zugt ah sorgt ah so sorgT S7 [v] so so sorgt S7 [VLE_S7] この時は、えっと、そうですね。えっとー、ベビーシッ ターのっていう、なんだっけ、なんでしたっけ、 ohne? ohne じゃない、えーっと、っていう単語なんですけど確かそ れ分からなくて。なんで確か Hausarbeiten て言ったのに、 なんかもう一回新しい似たようなのが出てきて、なんでか なぁと思って。だって Hausarbeiten って言えばいいのにと 思った。えーっとそうですね。確かそんな感じで考えてま した。 S7 [VLE_S7_dt] Hier äh, das war so. Äh, Babysitter, wie war das, wie war das doch gleich, „ ohne “ ? nicht „ ohne “ , so ein Wort war das und genau das habe ich nicht verstanden. Genau, warum kam da noch einmal ein neues, ähnliches Wort, obwohl er doch „ Hausarbeiten “ gesagt hatte. Warum, habe ich gedacht. Es hätte ja völlig gereicht „ Hausarbeiten “ zu sagen, dachte ich. So war das. Ja, genau so etwas habe ich da gedacht. [9] 245 [06: 26.7] 246 [06: 28.3] 247 [06: 29.4] 248 [06: 30.2] 249 [06: 31.0] 250 [06: 31.8] 251 [06: 33.8] 252 [06: 34.9] S2 [v] hmmmm S2 [nv] schreibt weiter schreibt S5 [sup] leise S5 [v] Kinder haha ha sorgen そっかそうです S5 [dt] ach so sorgen S7 [v] sorgen か sorgen S7 [dt] ach sorgen S7 [nv] schreibt schreibt schreibt [p] (2) (4,8) Transkriptauszug 24: GA4G1 „ Schilfe “ S5 hat sich dazu den Begriff Haushaltshilfe notiert und bildet hier ad hoc den Satz Schritt für Schritt (202 bis 210) bis er das notierte Wort ablesen muss, wobei er erhebliche Ausspracheschwierigkeiten hat (216). Zwar schaut S7 S5 kurz an und nickt, doch ist dieses Nicken eher ein Rezeptionssignal, das zeigt, dass S7 zuhört, als eine Verständnisrückmeldung, da keine weiteren verbalen oder mimischen Verstehensbekundungen folgen. S5 ist sich offensichtlich bewusst, dass sein Beitrag nicht leicht zu verstehen sein könnte, denn er fügt mit Hilfe des Suffix って (tte) (217), durch das Erklärungen oder Paraphrasierungen angeschlossen werden, auf Deutsch erklärend hinzu, dass das eine Hilfe im Haus sei. Daraufhin schaut er die beiden anderen Gruppenmitglieder an und nach einer längeren Pause, in der keine Rückmeldung kommt, grinst er (221). Ohne aufzuschauen, formuliert S7 die Frage „ was bedeutet schilfe? “ und hebt dann den Blick zu S5. Dieser reagiert zwar sofort 204 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="205"?> und leitet seine Antwort in einem Deutsch-Japanischen Sprachmix ein, holt dann aber tief Luft und gibt dann mit einem Lachen den aus dem Englischen stammenden Alternativausdruck Babysitter auf Deutsch an. Die beiden anderen signalisieren sofort ihr Verständnis und beginnen Notizen zu machen (229, 230). Durch das Notieren entsteht eine längere Sprechpause, die S5 durch die Wiederholung des Wortes, zusätzliche Erklärungen und den Kommentar auf Japanisch, dass man so etwas ja nicht verstehen könne, füllt. Es ist ihm also erkennbar unangenehm, dass er nicht verstanden wurde und versucht, die gesichtsbedrohende Situation durch den Kommentar und die Erklärungen nachträglich abzumildern. Das, was er spontan auf Deutsch sagen kann, ergänzt er, fragt dann aber zwischendurch auch auf Japanisch nach dem Wort sorgen (239). Während der Ergänzungen von S5 machen die beiden anderen über einen Zeitraum von ca. 30 Sekunden umfangreiche Notizen, die S7 nur kurz unterbricht, um seinem Kommilitonen bei seiner Vokabelfrage behilflich zu sein (241). Es folgt eine kurze Korrektursequenz zur Aussprache des Verbs sorgt. Ohne aufzuschauen, beantwortet S7 die Wortschatzfrage. Als S5 das Wort dann mit etwas abweichender Aussprache wiederholt, bestätigt S7 ihn zuerst mit dem im Japanischen üblichen soso im Sinne von ja genau oder ja so und wiederholt dann das Wort noch einmal in der korrekten Aussprache. S5 nimmt die Korrektur an, gibt dann erneut zu verstehen, dass er verstanden hat, wiederholt erneut und fügt die Vokabel in seinen Satz ein. Während die anderen weiterschreiben, gibt S5 erneut Verstehenssignale von sich, woraufhin S7 seinerseits signalisiert, dass er die neue Information verstanden hat und S5 erneut sein Verständnis zeigt und gleich darauf bestätigt. Obwohl also die eigentliche Hilfestellung von S7 gekommen ist, entsteht durch diesen wiederholten Bestätigungsprozess beiderseits eine Art Ko-Konstruktion, welche die Gleichheit und Gegenseitigkeit in der Gruppe wiederherstellt und dadurch für alle Beteiligten gesichtsschonend ist. Im VLE von S7 zeigt sich aber, dass er den ergänzenden Erklärungen von S5 eigentlich nicht folgen kann. Er wundert sich, weshalb S5 die gleiche Person mit verschiedenen Wörtern bezeichnet, wodurch ersichtlich wird, dass er die eigentlich von S5 verwendete Vokabel Haushaltshilfe, gar nicht erst versteht. Das wird insbesondere dadurch deutlich, dass S7 etwa eine Minute später im Verlauf der Gruppenarbeit das Wort Haushaltshilfe selbst verwendet und überrascht reagiert, als die beiden anderen auf seine Nachfrage, ob alles klar sei, bejahend antworten (Transkriptauszug 25: 286). [1] 277 [07: 36.5] 278 [07: 38.5] 279 [07: 40.4] 280 [07: 42.4] 281 [07: 44.4] S7 [v] es gibt えと eltern arbeiten es gibt zwei kinder haus haltshilfe sorgen kind S7 [dt] äh [p] (2,1) 9.4 Verständnisschwierigkeiten 205 <?page no="206"?> [2] 282 [07: 47.5] 283 [07: 50.2] 284 [07: 50.6] 285 [07: 51.3] 286 [07: 51.8] 287 [07: 53.2] S2 [v] ja ja S2 [nv] lacht S5 [v] ja hm S7 [v] ja? ! ja? 本当に? S7 [dt] ja? echt? S7 [nv] überrascht schaut kurz S5 an [p] (2,7) Transkriptauszug 25: GA4G1 Haushaltshilfe Im Anschluss daran findet eine etwas längere Aushandlung statt, in der die Lernenden sowohl das Japanische zur Hilfe nehmen als auch sich gegenseitig Notizen zeigen und schließlich feststellen, dass es sich um dasselbe Wort handelt, das ihnen von der Lehrperson in der Vorbereitungsphase vorgeschlagen wurde 30 . In der ursprünglichen Sequenz (Transkriptauszug 24) jedoch fragt S7 nicht noch einmal nach und gibt sich mit einem vagen Verständnis zufrieden. Einerseits wird so ein einigermaßen ungestörter Ablauf der Gruppenarbeit gewährleistet, andererseits wird das Gesicht der beiden Interaktanten geschont. S7 gibt sein Unverständnis in Bezug auf die Erklärung nicht zu erkennen und S5 wird nicht zusätzlich in Erklärungsnot gebracht. Möglicherweise spielt hier auch das Selbstverständnis von S7 als eine Art Gruppenleiter bzw. Sempai - hier in der Bedeutung älterer Kommilitone - eine Rolle und er möchte einerseits seine eigenen Defizite nicht offenlegen, andererseits S5, der ja bereits mit der Aussprache des Wortes Schwierigkeiten hatte, vor weiteren Unannehmlichkeiten bewahren, so dass hier auf zusätzliche Klärungsverfahren verzichtet wird. 9.4.4 „ Hausmann “ - GA5G3: Versuchen zu verstehen, nicht nachfragen Der folgende Ausschnitt stammt aus der Gruppe 3 der fünften Gruppenarbeitsphase in der S3, S5 und S11 zusammenarbeiten (vgl. Kapitel 7.5.3). S11 hatte zu Beginn der Aufgabenbearbeitung die Idee geäußert, dass die Mutter Geld verdienen, während der Vater sich um die Kindererziehung kümmern solle, woraufhin die beiden Studenten - zwar scherzhaft, aber vehement - zum Ausdruck bringen, dass sie ein traditionelles Familienmodell favorisierten. Die Studentin versucht nun eine Diskussion zu initiieren, indem sie nach den Vorteilen des Gegenentwurfs fragt. [1] 318 [08: 15.8] 319 [08: 17.0] 320 [08: 18.1] 321 [08: 20.6] S3 [nv] beugt sich vor und schaut aufs AB von L S11 [v] warum … soll? … die mutter nicht arbeiten? S11 [nv] schaut S3 an 30 Das vollständige Feintranskript zu dieser Sequenz findet sich in Anhang 11. 206 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="207"?> [2] 322 [08: 22.8] 323 [08: 24.2] 324 [08: 26.5] 325 [08: 28.2] 326 [08: 34.8] S3 [v] ah ahhh ich denke S3 [nv] lächelt, nickt schaut aufs eigene AB schaut auf u. wartet auf S11 u. L S11 [nv] schreibt L [v] ah nein L [nv] klickt mit Kuli und schreibt schaut auf [p] (2,4) (6,5) [3] .. 327 [08: 36.3] 328 [08: 37.6] 329 [08: 38.9] 330 [08: 43.8] 331 [08: 44.7] S3 [sup] ganz leise S3 [v] … ich denke … ähhh なんという S3 [dt] wie sagt man das S5 [nv] schaut S3 von der Seite an L [v] nein nein bitte bitte L [nv] [p] (4,9) (4) [4] 332 [08: 48.7] 333 [08: 49.7] 334 [08: 51.5] 335 [08: 52.2] 336 [08: 53.2] 337 [08: 55.2] 338 [08: 56.5] S3 [v] hm … えと vieLE familie … isTO … nichTO S3 [dt] äh S3 [nv] schaut S11 an greift zum AB S11 [nv] legt stift ab, schaut S3 an nickt [p] (2) [5] 339 [08: 58.0] 340 [09: 04.3] 341 [09: 05.2] 342 [09: 06.1] 343 [09: 06.7] 344 [09: 08.7] 345 [09: 10.7] 346 [09: 11.4] S3 [sup] leise S3 [v] äh nichTO ähh isTO … ah isTO familie S3 [nv] blättert brummt [p] (6,3) (0,9) (2) (0,7) [6] .. 347 [09: 13.7] 348 [09: 14.5] 349 [09: 15.6] 350 [09: 17.0] 351 [09: 17.9] S3 [v] mit hausmann nicht deshalbU ähhh S3 [nv] schaut S11 an nickt S11 [sup] sehr leise S11 [v] hm hm hm S11 [nv] schaut zur Decke nickt schaut S3 an [p] (0,9) (1,5) (0,9) 9.4 Verständnisschwierigkeiten 207 <?page no="208"?> [7] 352 [09: 18.8] 353 [09: 20.3] 354 [09: 22.9] 355 [09: 24.8] 356 [09: 25.4] 357 [09: 27.3] S3 [v] kin … do familie mit hausmann 違う familie S3 [dt] falsch S3 [nv] schaut ins AB schaut S11 an schaut ins AB S11 [nv] nickt leicht schaut S3 an nickt L [nv] schaut zu S11 nickt [p] (1,9) (1,8) [8] .. 358 [09: 30.2] 359 [09: 31.8] 360 [09: 32.8] 361 [09: 34.3] S3 [v] mit hausmaNN … kindER denke … ähhh … allein S3 [nv] schaut hoch schaut S11 an S11 [nv] mehrmals schaut nach oben [p] (1,6) [9] 362 [09: 35.9] S11 [nv] schaut nachdenkend zur Decke [p] (2) S11 [VLE_S11] すっごい一生懸命考えて言ってくれてるのを理解しようとしてるんだけど、理解仕切れて ないみたいな感じで。自分に対して言ってくれてる意見だからすっごいちゃんと聞いて、 それに対して意見しなきゃって思ってるけど、上手く理解出来てないなぁって思ってまし た。 S11 [VLE_S11_dt] Ich versuche zu verstehen, was er sich mit aller Kraft überlegt und gesagt hat, aber irgendwie konnte ich es nicht ganz verstehen. Weil sich diese Meinung direkt auf mich bezogen hat, habe ich sehr genau zugehört und gedacht, dass ich darauf richtig reagieren sollte, aber ich dachte, dass ich es nicht richtig verstehe. [10] 363 [09: 37.9] 364 [09: 41.9] 365 [09: 43.4] S3 [sup] super leise S3 [v] (unverst.) S3 [nv] schaut L an Blick zu S11 lächelt, greift sich an Kopf, lacht unsicher, setzt sich auf, Blick ins AB S11 [nv] grinst S3 an, schaut kurz zu L, dann wieder zu S3 L [nv] Blick zu S11 [p] (4) (4,8) Transkriptauszug 26: GA5G3 „ Hausmann “ Mit Hilfe des Lehrers, der eine Zeitlang bei der Gruppe bleibt, fragt S11 nach den Gründen, weshalb unbedingt der Vater arbeiten müsse. S3 versteht die Frage durch einen Hinweis der Lehrperson auf dessen Notizen, signalisiert sein Verständnis und beginnt nach einer kurzen Pause seine Antwort mit „ ich denke “ (324). Da der Lehrer beginnt, etwas zu schreiben, hält S3 in der Annahme einen Hinweis zu bekommen, für einige Sekunden inne und erst als Ersterer ihm zu verstehen gibt, dass er fortfahren könne, setzt S3 erneut an und formuliert 208 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="209"?> mit zahlreichen Recherche-Pausen, Wiederholungen und Selbstkorrekturen den Satz „ viele familie ist nicht familie mit hausmann deshalb familie mit hausmann kinder denke allein “ und schaut anschließend S11 an. Eine zielsprachengerechte Version des Satzes könnte wie folgt lauten: „ Viele Familien sind keine Familien mit Hausmann, deshalb denken Kinder aus solchen Familien, sie sind allein “ . S3 möchte hier darauf hinweisen, dass Familienmodelle, in denen in erster Linie der Vater die Erziehung übernimmt, eher ungewöhnlich seien, so dass die Kinder sich als Außenseiter wahrnehmen und annehmen könnten, es stimme etwas mit ihrer Familie nicht 31 . Durch seinen Blick zu S11 macht S3 deutlich, dass sein Redebeitrag beendet und somit sie an der Reihe ist, auf seine Aussage zu reagieren. S11 hatte während des Redebeitrags von S3 mehrfach durch leichtes Nicken angedeutet, dass sie ihm folgt (336, 350, 354, 357), doch fällt es ihr offensichtlich schwer, den Satz in seinem vollen Umfang zu verstehen, denn es folgt eine längere Phase, in der sie versucht durch sichtliches Nachdenken - etwa durch einen Blick zur Decke verdeutlicht (362) - den Sinn des Satzes zu entschlüsseln. Letztendlich grinst sie nach einem kurzen Blick zum Lehrer S3 an, woraufhin der Kommilitone im weiteren Gesprächsverlauf versucht, durch zusätzliche Erklärungen seinen Standpunkt deutlich zu machen. Im VLE geht S11 auf ihre Gedanken zum Zeitpunkt der Verständnisschwierigkeiten ein. Da S3 explizit auf ihre Frage reagiert hat, versucht sie seinen Gedanken, so gut es geht, zu folgen und angemessen darauf zu reagieren, doch kann sie leider nicht alles verstehen und weiß folglich auch nicht, wie sie antworten könnte. Sie fühlt sich jedoch verpflichtet, das Gesagt zu verstehen, da S3 sich bei seiner Formulierung so viel Mühe gegeben habe, also möchte sie seiner Aussage mit dem gebührenden Respekt begegnen und strengt sich dementsprechend an, den Redebeitrag doch irgendwie selbst zu entschlüsseln. Eine Rückfrage zur Verständnissicherung zu stellen, scheint S11 hier nicht in den Sinn zu kommen, was auf die Art der Verständnisschwierigkeiten zurückzuführen sein kann (vgl. auch Kameyama 2004: 117). Wenn der Wortschatz und die Grammatik klar zu sein scheinen, der Zusammenhang aber nicht nachzuvollziehen ist, fällt es schwer, eine konkrete Frage zu formulieren. Eine simple Bitte um Wiederholung aber würde dem Aufwand, den S3 mit der Formulierung der Antwort hatte, nicht gerecht werden und ggf. sogar nachlässig auf den Gesprächspartner wirken. Um eine Bedrohung des eigenen Gesichts und dem des Gesprächspartners durch eine unangemessene Frage zu umgehen, versucht S11 also selbst ohne Hilfe ein Verstehen herzuleiten, bis S3 von sich aus bzw. durch den Blickkontakt mit S11 initiiert erneut das Wort ergreift und versucht, die Schwierigkeiten mit ergänzenden Erklärungen zu beheben. Obwohl die Gruppenmitglieder freundschaftlich miteinander verbunden sind und ihre Zusammenarbeit als gelungen einschätzen (vgl. Kapitel 7.5.3 und 9.2.4), fällt es S11 schwer, hier eine Rückfrage zu stellen. Auch hier sieht sie es als ihre Pflicht an, möglichst selbständig und ohne Verwendung der L1 den Verstehensprozess zu bewältigen. Durch die 31 Eine solche oder ähnliche Interpretation des Redebeitrags von S3 leitet sich aus dem weiteren Verlauf der Gruppenarbeit ab. Da aber der Aushandlungsprozess sich über mehrere Minuten erstreckt, wird auf ein umfassendes Transkript verzichtet. 9.4 Verständnisschwierigkeiten 209 <?page no="210"?> langen Denkpausen sowohl von S3 bei der Formulierung als auch von S11 beim Versuch, den Redebeitrag von S3 zu verstehen, herrscht in der Gruppe ein eher langsames Gesprächstempo. Einerseits erlaubt das rücksichtsvolle Zeitgeben und unterstützende Zuhören den Lernenden ihre Äußerungen gründlich zu überdenken und so auch komplexere Satzgefüge auszuprobieren, andererseits wirkt die Gruppenarbeit träge und wenig dynamisch, was eine scheinbar leichtfertige Rückfrage erschwert. Bei einem solchen bedächtigen Vorgehen benötigen Aushandlungsprozesse, in denen die Gruppe mögliche Hürden identifiziert und ausräumt, viel Zeit und Feingefühl aller Beteiligten, können aber unter engagierten Lernenden - wie im vorliegenden Fall - zu sehr zufriedenstellenden Lernerlebnissen führen, was sich in der positiven Wahrnehmung der Gruppenarbeit durch die Beteiligten widerspiegelt. 9.4.5 „ Enkelkind “ - GA2G3: Missverständnis Die Gruppe G3 in der Gruppenarbeitsphase GA2 besteht aus den Studierenden S1, S3, S10 und S12. S12 übernimmt die Leitung und erledigt die Zuordnung der Fotos und Texte von Familien aus aller Welt quasi im Alleingang, während die Kommilitonen lediglich ihre Zustimmung zu jeder Zuordnung äußern (Kapitel 7.2.4). Auch die Überleitung von Foto zu Foto wird von S12 initiiert und auf den ersten Blick scheint es, als seien Beiträge oder Parallelhandlungen der anderen Studierenden in der Gruppe nebensächlich. Im folgenden Exzerpt zeigt sich aber, dass die Gruppe durchaus darauf achtet, ob alle dem Ablauf folgen können. [1] 73 [02: 39.1] 74 [02: 39.5] 75 [02: 40.7] 76 [02: 41.7] 77 [02: 42.4] 78 [02: 44.1] 79 [02: 45.9] S1 [v] hm S1 [nv] schaut auf eigenes AB und nickt S3 [nv] schaut ins eigene AB S10 [v] hm S10 [nv] schaut kurz auf AB auf Tisch, hält anderes S12 [v] d hm foto achto? passt zu … えと text f S12 [dt] ähm text f [2] … 80 [02: 46.9] 81 [02: 47.3] 82 [02: 48.4] 83 [02: 49.2] 84 [02: 50.5] S1 [v] hm S10 [nv] AB wieder hoch S12 [v] hm to to im texto seido zweifrauen und vier vier kinder [p] (1,4) [3] 85 [02: 56.5] 86 [03: 02.8] 87 [03: 03.9] 88 [03: 04.8] 89 [03: 05.8] S10 [sup] leise S10 [v] enkelkind enkelkind S12 [v] undo … ah … erste … anke … ankelkind enkelkind hm [p] (1,1) 210 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="211"?> [4] 90 [03: 07.2] 91 [03: 08.4] 92 [03: 09.6] S1 [nv] macht Notizen S10 [v] hm … S10 [nv] schaut ins AB hält den Kopf kurz schief greift zum WB auf anderem Tisch S12 [v] enkelkind enkelkind enkelkind enkelkind nein nein nein nein S12 [nv] blättert [5] 93 [03: 14.3] 94 [03: 15.4] 95 [03: 16.3] 96 [03: 17.8] S3 [v] äh … kinder kinder S3 [nv] schaut zu S12 S12 [v] hm nein nein nein nein nein S12 [nv] Blättert, hebt Blick kurz Richtung S10 [6] 97 [03: 18.6] 98 [03: 19.3] S10 [v] hmhmhm S10 [nv] schaut auf AB von S12 und nickt, hat WB in der Hand S12 [v] enkelkind enkelkind S10 [VLE_S10] なんか、この時に辞書を取ったのは、たぶんみんなあの Enkelkind とかの 発音のために引くのかなってたぶん思ったと思うんですけど、本当はそ の、普通にちょっと恥ずかしいんですけど A 、 B とかのそっちの方の確認を しようと思ってて、今なんか E とか F とか出てて、これはドイツ語で F って エフだっけ?と思って E ってあれ、イーじゃなくってエーだっけとか、 そっちを確認しようかと思って辞書取ったとこです。 S10 [VLE_S10_dt] Irgendwie haben hier vielleicht alle gedacht, dass ich das Wörterbuch geholt habe, um „ Enkelkind “ oder so oder die Aussprache davon nachzuschlagen, glaube ich. Es ist mir zwar ein bisschen peinlich, aber in Wirklichkeit, wollte ich für A und B und so etwas nachschauen. Jetzt kamen gerade E und F vor und ich habe mich gefragt, ob F „ ef “ ausgesprochen wird und ob E nicht wie i, sondern e gesprochen wird. Das wollte ich nachschlagen und habe deshalb das Wörterbuch geholt. [7] 99 [03: 20.6] 100 [03: 22.6] S1 [nv] beugt sich zu S10 rüber und zeigt S10 das Wort im Text S12 [v] kinder kinder ah so kinder kinder hm S12 [nv] lacht auf und nickt S3 zu 9.4 Verständnisschwierigkeiten 211 <?page no="212"?> [8] 101 [03: 23.9] 102 [03: 24.9] 103 [03: 26.3] S1 [nv] lacht zurück S10 [v] ah hm S10 [nv] nickt und lacht S1 an blättert im WB S12 [v] to foto foto zwei S10 [VLE_S10] で、みんな教えてくれるんですけど、なんかそっち じゃなくて、恥ずかしいんだけど、そっちじゃないも のを調べようとしてたから、教えてくれたのに対して もあーーって言いながら、自分の知りたいことを調べ ようと辞書引きました。 S10 [VLE_S10_dt] Und dann haben alle mir das erklärt, aber das wollte ich ja gar nicht nachschlagen. Es ist mir zwar peinlich, aber weil mir das alle erklärt haben, habe ich dann „ ahhh “ gesagt und währenddessen das nachgeschlagen, was ich eigentlich wissen wollte. [9] 104 [03: 28.3] 105 [03: 29.4] S12 [v] foto passt zu … äh g äh text … g [p] (1,1) Transkriptauszug 27: GA2G3 „ Enkelkind “ S12 beginnt zu erklären, warum Foto acht und Text f zusammenpassen, während der Rest der Gruppe die Argumentation anhand der Arbeitsblätter nachvollzieht und teilweise durch Rezeptionssignale oder Nicken bestätigt. Die Aussprache des Wortes Enkelkind bereitet S12 kurz Schwierigkeiten, die sie aber schnell selbständig löst (87). S10 wiederholt das Wort einmal sehr leise, ein zweites Mal etwas lauter, was S12 als Rückfrage interpretiert und das Wort erneut wiederholt. Als S10 nach ihrem Wörterbuch auf dem Nachbartisch greift, beginnt S12 in den eigenen Unterlagen zu blättern und das Wort weitere Male zu wiederholen. Auch S3 versucht dem Verständnis von S10 behilflich zu sein, indem er die Wortbedeutung erklärt (96). S10 nickt S12 zu und signalisiert ihr Verständnis, legt aber das Wörterbuch nicht weg. S12 bestätigt S3s Erklärung mit Wiederholungen, einem Lachen und einem Nicken in seine Richtung, während sich nun auch S1 zu S10 herüber beugt und auf das Wort im Text zeigt. S10 lacht S1 an, nickt, signalisiert Verständnis und beginnt im Wörterbuch zu blättern, während S12 mit der nächsten Zuordnung von Foto und Text fortfährt. Die Gruppe hat hier S10s Griff zum Wörterbuch als Anzeichen für Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf das Wort Enkelkind verstanden und gemeinschaftlich versucht, dieses Defizit auf verschiedenen Arten auszuräumen. In der Retrospektion erklärt S10 diese Episode aus der eigenen Sicht und es wird deutlich, dass ein Missverständnis in der Gruppe vorliegt. Sie ist sich dessen bewusst, dass die Gruppenmitglieder denken, dass sie Enkelkind nachschlagen möchte. Da sie aber die Aussprache der einzelnen Buchstaben des Alphabets nachschlagen will, was aus ihrer Sicht viel banaler als die Bedeutung von Enkelkind und ihr daher peinlich ist, lässt sie alle Erklärungsversuche ohne Gegenwehr über sich ergehen und 212 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="213"?> gibt letztendlich vor, die Erklärungen verstanden zu haben, um dann das, was sie eigentlich wissen möchte, in Ruhe nachschlagen zu können. Während die Gruppe also annimmt, dass S10 Verständnisschwierigkeiten mit dem aktuell relevanten Wort hat, möchte sie hingegen überprüfen, ob die Aussprache der einzelnen Buchstaben der Kommilitonin S12 zielsprachlichen Normen entspricht, was sie der Gruppe gegenüber aber nicht offenlegen möchte. Um also ihr eigenes Gesicht und das der Mitlernenden, die ihr einerseits unnötigerweise helfen, von denen sie andererseits annimmt, dass sie einen Aussprachefehler von S12 nicht bemerkt haben, zu schonen, gibt sie vor, die Erklärungsversuche und somit die Hilfe der Gruppe anzunehmen. Eine Erklärung ihrerseits, dass sie eigentlich etwas völlig anderes nachschlagen wolle, hätte den Ablauf der Gruppenarbeit selbst sowie das gesichtsrelevante Gleichgewicht in der Gruppe weitaus gravierender beeinträchtigt, da sie die Hilfsangebote der anderen Gruppenmitglieder hätte zurückweisen und ihr eigentliches Anliegen - die Aussprache der Kommilitonin überprüfen zu wollen - erklären müssen. Das Gruppengespräch wäre also von der eigentlichen Aufgabe abgeschweift. Darüber hinaus hätte sie ihre eigene Unsicherheit in Bezug auf die Aussprache der einzelnen Buchstaben zugeben müssen und es wäre klar geworden, dass sie die Sprachkenntnisse ihrer Kommilitonen anzweifelt. So zu tun, als wäre ihr geholfen worden und somit das entstandene Missverständnis zu überspielen, stellt hier für S10 die sozialverträglichste Variante dar. 9.4.6 Zusammenfassung: Verständnisschwierigkeiten Die Analyse der Episoden, in denen Verständnisschwierigkeiten im Mittelpunkt stehen, zeigt, dass die Lernenden in der Regel sehr vorsichtig mit ihnen umgehen. Werden ihre eigenen Redebeiträge nicht verstanden, bemühen sie sich durch Wiederholungen, langsames Sprechen, Zeigen auf Wörter oder Bilder und Gesten wie etwa in der Zugfahrer- Episode (Kapitel 9.4.1) den Gesprächsbeteiligten den Verstehensprozess zu erleichtern. Verstehen sie jedoch selbst Äußerungen ihrer Gruppenmitgliedern nicht, unternehmen sie - wie besonders im Gruppengespräch zur Familie mit Hausmann deutlich wird - in der Regel große Anstrengungen, das Gesagte ohne Unterstützung des Sprechers, der Sprecherin oder der anderen Mitlernenden zu entschlüsseln (vgl. Kapitel 9.4.3). Nur selten machen Lernende von der Möglichkeit, direkte Rückfragen zu stellen oder um Wiederholung zu bitten, Gebrauch. Selbst wenn sie nach eigenen Angaben freundschaftlich miteinander verbunden sind oder die Arbeitsatmosphäre als gut und angenehm wahrgenommen wird, werden Nachfragen gemieden und die Verständnissicherung eher von den Urhebern der als schwierig wahrgenommenen Äußerung initiiert. Diese übernehmen die Verantwortung dafür, dass ihre Redeabsichten bei den Adressierten ankommt und agieren dadurch gleichzeitig auch gesichtsschonend in Bezug auf die Zuhörenden, da jene ihr Verstehensdefizit nicht preisgeben müssen. Die Rezipierenden ihrerseits sehen es als Teil der Aufgabe an, zu verstehen, was gesagt wurde und verzichten darauf nachzufragen, was hinsichtlich des gesichtskritischen Potentials sowohl in dem Wunsch begründet liegen kann, den Ablauf des Gruppengesprächs nicht durch umständliche Aushandlungsprozesse zu stören, als auch den Sprecher bzw. die Sprecherin nicht in Erklärungsnot zu bringen. In den seltenen Fällen, in denen ein Klärungsbedarf von den zuhörenden Lernenden explizit angemeldet wird, handelt es sich um Gruppenmitglieder, die sich als Wortführende positioniert haben, wie zum Beispiel S14 in der dritten Gruppenarbeitsphase oder S7 in der vierten. Für sie ist das Stellen von Rückfragen weniger ein Eingeständnis eigener 9.4 Verständnisschwierigkeiten 213 <?page no="214"?> Wissenslücken oder Hinweis auf Ausdrucksschwierigkeiten bei der sprechenden Person, sondern gehört zur erfolgreichen Erfüllung des Arbeitsauftrags dazu (vgl. Pica 1996: 261). Doch wird auch im Falle einer unbefriedigenden Antwort nicht noch einmal nachgehakt, um den Fortgang der Gruppenarbeit nicht weiter aufzuhalten und ein ungefähres Verstehen akzeptiert (vgl. insbesondere Kapitel 9.4.2). Hier spielen auch Überlegungen zur Schonung des gegenseitigen Gesichts eine Rolle, da weiteres Nachfragen vermutlich das eigene Verständnis nicht erhöhen würde, das Gegenüber aber trotz Bitte um Klärung nicht spontan in der Lage war, der Bitte nachzukommen. Aus einer fremdsprachendidaktischen Perspektive muss ein solcher Verzicht auf eine hinreichende Klärung von Wortschatz und sprachlichen Strukturen als ungenutzte Chance gewertet werden, jedoch finden sich in den VLE-Daten Hinweise darauf, dass die Lernenden diese ungeklärten Fälle bemerken und im Nachhinein durch selbständiges Nachschlagen lösen, oder zumindest die Absicht haben, es zu tun. Erklärungen bei antizipierten Verständnisschwierigkeiten werden angenommen, auch wenn sie nicht oder nicht unbedingt nötig sind. Eine Zurückweisung der Erklärungsbemühungen der Peers könnte einerseits als unkooperativ gegenüber der Gruppe wahrgenommen werden (Brown & Levinson 1987: 67), andererseits den Erklärenden zeigen, dass sie die Situation falsch interpretiert haben und eine geringe Wertschätzung ihrer Initiative demonstrieren. Explizite Ablehnungen überflüssiger Verständnissicherungen finden sich in den dokumentierten Gruppenarbeiten nicht. In Bezug auf die Überprüfung dessen, was Verstanden wurde, geben sich die Interagierenden mit einem groben Allgemeinverständnis zufrieden und unternehmen keine Versuche zusätzlich nachzufragen, sofern eine Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht gefährdet ist. Inwieweit diese Zurückhaltung spezifisch für die untersuchte Gruppe ist oder auch in anderen Lernendengruppen beobachtet werden kann, stellt ein Forschungsdesiderat für zukünftige Projekte dar. 9.5 Meinungsverschiedenheiten Das gesichtsbedrohende Potential von Meinungsverschiedenheiten und den daraus ggf. resultierenden sprachlichen Handlungen wie Widersprechen liegt in der Gefahr begründet, dass die Interagierenden dadurch dem Bedürfnis nach gegenseitiger Anerkennung nicht nachkommen können und somit dem Gesicht des jeweils anderen schaden (vgl. Brown & Levinson 1987: 66). Hört man in einem Gespräch eine Äußerung, der man nicht zustimmt, hat man einerseits die Wahl, das Gehörte unkommentiert hinzunehmen und somit entweder dem eigenen Gesicht zu schaden oder zumindest eine eigene Unzufriedenheit mit dem Gespräch herbeizuführen. Andererseits kann man die Entscheidung treffen, dem Gesagten zu widersprechen und dadurch eine offene Meinungsverschiedenheit zu initiieren. Das Bedürfnis nach Anerkennung kann nicht erfüllt werden und die Person, der widersprochen wurde, muss ggf. einen Gesichtsverlust hinnehmen, so dass der harmonische Gesprächsverlauf gestört wird. Widersprechen ist also eine reaktive Handlung und die zuhörende Person kann sich entscheiden, ob sie widersprechen möchte und wenn ja, dann in welcher Form (Sornig 1977: 361f ). Meinungsverschiedenheiten sind kein für den Fremdsprachenunterricht spezifisches Phänomen, können aber in verschiedenen Zusammenhängen in Lernszenarien besonders 214 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="215"?> relevant werden (u. a. Waring 2001; Sharma 2012). Insbesondere in Gruppenarbeitsphasen, in denen Lernende möglichst gleichberechtigt miteinander zusammenarbeiten sollen, kann es unter den Mitgliedern zu unterschiedlichen Interpretationen des Arbeitsauftrags und seiner Durchführung oder der Inhalte der Aufgabe kommen. Von Kontroversen geprägte Zusammenarbeit unter Lernenden erschwert zum einen die Einigung auf eine gemeinsame Lösung oder macht sie sogar unmöglich, zum anderen bringen die Beteiligten vermehrt Gefühle wie Ärger oder Frustration zum Ausdruck (Storch 2002: 132). Kumulierte negative Emotionen wiederum können zu Gefühlsausbrüchen führen, die ihrerseits eine Bedrohung für die Gesichtsbedürfnisse der Beteiligten darstellen (Brown & Levinson 1987: 68). Die Interaktion ist von Nicht-Kollaboration gekennzeichnet, in der Lernende nicht auf die Beiträge der anderen Gruppenmitglieder eingehen und somit einer erfolgreichen Bearbeitung der Aufgabe im Weg stehen (vgl. Feick 2016: 176). Trotz des hohen gesichtsbedrohenden Potentials gehört der Ausdruck von divergierenden Meinungen zu den grundlegenden sprachlichen Handlungen im Alltag und ist folglich auch Teil des Fremdsprachenunterrichts (Glaboniat 2002: 140). Häufig werden sogenannte opinion gap tasks im Fremdsprachenunterricht eingesetzt, in welchen die Lernenden sich über Gedanken oder Gefühle zu einem bestimmten Thema austauschen und aufeinander reagieren sollen (u. a. Ellis 2007: 86). Die meisten der hier dokumentierten Aufgaben entsprechen diesem Grundprinzip, wobei die Lernenden insbesondere in der dritten und fünften Gruppenarbeitsphase dazu ermutigt wurden, ihre Ideen nicht nur vorzustellen, sondern auch gegen andere Meinungen zu verteidigen und sich gegenseitig zu widersprechen (vgl. Kapitel 7.3.1 und 7.5.1). Diese Modifikation des Arbeitsauftrags spiegelt sich auch teilweise in der Anzahl der Fundstellen von Meinungsverschiedenheiten wider. G1 G2 G3 G4 GA1 0 0 1 0 1 GA2 0 0 0 0 0 GA3 7 1 2 1 11 GA4 0 1 5 1 7 GA5 1 2 3 3 9 Tab. 15: Fundstellen zur Thematisierung von Meinungsverschiedenheiten in den VLE-Daten nach Gruppen Auffällig ist vor allem der Unterschied zwischen den ersten beiden Phasen, in denen die Fokuspersonen so gut wie keine Meinungsverschiedenheiten erwähnen, und den letzten drei Aufgaben, in denen fast in jeder Gruppe auf Differenzen eingegangen wird. Sprechen die Fokuspersonen in den retrospektiven Daten davon, dass sie etwas anders sehen oder verstehen, oder äußern sie grundsätzliches Unverständnis 32 in Bezug auf inhaltliche Aspekte der Redebeiträge der anderen Gruppenmitglieder, wurde die Textstelle als Meinungsverschiedenheit markiert. Im Laufe des Kodierungsprozesses ergab sich eine Unterscheidung der Arten der thematisierten Meinungsverschiedenheiten in drei Kate- 32 Unverständnis ist hier deutlich zu unterscheiden von Verständnisschwierigkeiten. Während Letztere sich auf sprachliche oder auch konzeptionelle Probleme, eine Äußerung zu verstehen, beziehen, beinhaltet Ersteres eine Komponente der Ablehnung. 9.5 Meinungsverschiedenheiten 215 <?page no="216"?> gorien: Idee, Vorgehen und Glaubensgrundsatz. Unter der Bezeichnung Idee finden sich Auffassungsunterschiede in Bezug auf die Aufgabeninhalte, wie zum Beispiel abweichende Interpretationen von Bildern oder Zeichnungen, sowie Gedanken zu der Aufgabe selbst. Bei unterschiedlichen Glaubensgrundsätzen stehen voneinander abweichende Weltbilder oder allgemeine Annahmen, die über die Aufgabe hinausgehen, im Mittelpunkt, wie etwa das Rollenverständnis in der Familie oder die Wahrnehmung der Umgebung. Vereinzelt wird auch das Vorgehen als andersartig bezeichnet, in der Form etwa, dass Lernende bemerken, dass sie sich auf einen völlig anderen Aspekt konzentriert haben als die anderen (vgl. GA4G3 S9). Während S7, S11 und S14 in den VLE-Daten nur selten auf Meinungsverschiedenheiten zu sprechen kommen, spielen solche inhaltlichen Aspekte für S10 und S9 eine wesentlich größere Rolle, da sie häufig auf unterschiedliche Ansichten in der Gruppenarbeit eingehen. Insbesondere S9 kehrt in der Retrospektive immer wieder zu abweichenden Familienkonzepten innerhalb der Gruppe zurück und setzt sich inhaltlich mit den verschiedenen Aspekten intensiv auseinander. S7 S9 S10 S11 S14 Vorgehen 0 1 0 0 0 1 Glaubensgrundsatz 1 6 4 1 0 12 Idee 1 7 3 2 2 15 Insgesamt 2 14 7 3 2 28 Tab. 16: Fundstellen zur Thematisierung von Meinungsverschiedenheiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Wie die Lernenden mit Meinungsverschiedenheiten in der Gruppenarbeit umgehen, ob und wenn ja, inwiefern sie einander widersprechen und dabei Rücksicht auf die gegenseitigen Gesichtsbedürfnisse nehmen, soll anhand von drei Transkriptauszügen betrachtet werden. 9.5.1 „ Schick “ - GA1G3: Einvernehmliche Einigung Im folgenden Datenauszug versucht die Gruppe G3, bestehend aus S3, S10, S13 und S15, während der ersten Gruppenarbeit die Bedeutung des Wortes schick zu klären, ohne die japanische Übersetzung zu Hilfe zu nehmen. Es herrscht eine kooperative Gruppenatmosphäre, die Lernenden gehen sowohl verbal als auch nonverbal, etwa durch gemeinsames Scherzen und Körperhaltung, aufeinander ein und bemühen sich verstärkt, auch sprachbezogene Fragen auf Deutsch zu klären (vgl. Kapitel 7.1.4). Im Gruppengespräch, das dem Ausschnitt unmittelbar vorausgeht, äußert S10 die Vermutung, dass der Künstler der fotografischen Autobiografie schick sei, woraufhin eine Bedeutungsaushandlung über das Adjektiv beginnt. 216 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="217"?> [1] 130 [03: 15.7] 131 [03: 16.6] 132 [03: 17.9] 133 [03: 19.3] S3 [nv] schaut kurz zu S10 S10 [v] schick schicke hä? S10 [nv] schaut kurz zur Seite, dann zu S3 S13 [v] schick S15 [v] Was bedeutet schick? S15 [nv] lächelt, Blick zu S10 [p] (0,8) [2] 134 [03: 20.1] S3 [v] schick isTO S10 [nv] übergibt mit Geste Rederecht an S3, nickt, Blick geht zwischen S3 und S15 hin und her, lächelt S10 [VLE_S10] なんか… schicke を、この動画撮る前、前?に L 先生から schicke と教わって、ここもまた発 音があっているのかなぁっていうのと、後、あの、オシャレさんってのをなんかこう…例 えることができなくて、あーどうやって例えようかなって思ってたら、なぜか隣の人が 知ってて、驚いたっていう S10 [VLE_S10_dt] Also … Vor diesem Video hier, bevor das aufgenommen wurde, hatte Herr L uns „ schicke “ erklärt. Hier hatte ich mich dann wieder gefragt, ob die Aussprache so passt. Außerdem, ähm, hatte ich da gerade gedacht, dass „ schicker Typ “ so … Naja mir fiel kein Beispiel ein und ich hatte da gerade über Beispiele nachgedacht, als dann der neben mir das auf einmal wusste und da war ich eben überrascht. [3] 135 [03: 21.3] 136 [03: 23.4] 137 [03: 23.9] 138 [03: 24.7] 139 [03: 25.8] S3 [v] schick isto S7 みたいな S3 [dt] so wie S7 S3 [nv] schaut im Raum umher deutet mit Hand Richtung S7 S10 [v] schick ist S15 [nv] kichert [p] (2,1) (1,1) [4] 140 [03: 26.7] 141 [03: 27.8] S10 [sup] zögerlich S10 [v] S7? S10 [nv] schaut in die Richtung der Geste von S3 S13 [nv] schaut zwischen S3 und S10 hin und her S15 [nv] schaut zwischen S3 und S10 hin und her [p] (1,1) S10 [VLE_S10] あっ、あ、あの…この…なんだっけ、オシャレってなんか、この男の子は あっちの方に座っている男の子のことを言っていたんですけど、たとえで、 でも、私はなんかその…オシャレだって言われた男の子を見て、あっこの人 にとってオシャレなんだなって思って、私はなんかちょっと申し訳ないんで すけど、あ、ああ…って、なんていうかああ…って思って、私はもっと違う 人にもっとなんかオシャレだなって思う人もいたので、なんか、みんな違う んだねーって思ってこの後に言ったような気がします。 9.5 Meinungsverschiedenheiten 217 <?page no="218"?> 140 [03: 26.7] 141 [03: 27.8] S10 [VLE_S10_dt] Ach, äh, was war das doch gleich. Es ging ja um „ schick “ . Der Junge neben mir hat als Beispiel den anderen Jungen, der da drüben saß, genannt. Aber ich hatte dann den Jungen, der schick sein soll, so angeschaut und habe mir so gedacht „ ah, für den Typen ist das also schick “ . Es tut mir ja furchtbar leid, aber irgendwie … ahhh wie soll ich sagen … habe ich gedacht, aus meiner Sicht gab es da noch andere, die irgendwie schicker waren. Sind ja auch alle irgendwie anders, nicht wahr, habe ich hier gedacht und denke, dass ich so etwas auch gesagt habe. [5] 14 [03: 28.5] 143 [03: 29.1] 144 [03: 32.0] 145 [03: 32.6] S3 [v] S7 違う ? S3 [dt] S7 ist das falsch? S3 [nv] schaut im Raum umher S10 [v] S7 ahhhhh ah eh? ahhh いや わかんないえ 待って でもこれはね S10[dt] nee weiß nicht warte aber das ist ja so S10 [nv] lehnt sich zurück, schaut zu S7, setzt sich auf, schaut S3 an S15 [nv] dreht sich in Richtung S7 [6] 146 [03: 34.4] 147 [03: 35.0] 148 [03: 36.1] 149 [03: 37.7] S3 [v] ah そう人によって違いますね S3 [dt] ah ja je nach Person ist das ja anders S3 [nv] schaut S10 an nickt, lächelt S10 [v] 人によってなんかね S10 [dt] je nach Person ne S10 [nv] gestikuliert mit Händen lacht, Hände vor Mund S13 [v] え? S15 [v] schicke S15 [nv] lacht Transkriptauszug 28: GA1G3 „ schick “ Während S10 noch nach Ideen oder Worten sucht, beginnt S3 einen Erklärungsversuch (134). S10 übergibt ihm das Rederecht mit einer Geste und schaut lächelnd zwischen S3 und S15 hin und her. S3 zögert kurz, setzt dann erneut an, woraufhin S10 ebenfalls einen Erklärungsversuch beginnt. Schließlich deutet S3 mit der Hand in die Richtung eines Kommilitonen und schlägt diesen unter Rückgriff auf die L1 als Beispiel für schick vor (139). Auf den Erklärungsvorschlag von S3 folgt zunächst ein kurzes Zögern, woran S10 langsam eine Bestätigungsfrage anschließt, indem sie den Namen des Kommilitonen wiederholt, der Geste von S3 mit dem Blick folgt und zwischen dem Kommilitonen der anderen Gruppe und S3 hin und her schaut, um sicher zu gehen, dass sie richtig verstanden hat. S3 bestätigt dies und S10 signalisiert erst einmal, dass sie verstanden hat, macht dann 218 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="219"?> aber unmittelbar ihre Überraschung deutlich (143). Von der Reaktion verunsichert fragt S3, ob das etwa falsch sei. Daraufhin reagiert S10 mit einigen Verzögerungssignalen, drückt sich dann sehr vage aus - zuerst reagiert sie auf die Bestätigungsfrage von S3 mit いやわか んない (iyawakanai - nee weiß nicht), zögert dann erneut, setzte dann zu einer Erklärung mit これはね (korehane - das ist ja so) an - und konstatiert zum Schluss auf Japanisch, dass die Beurteilung, wer schick sei, von der jeweiligen Person abhänge (147). Allerdings formuliert S10 die Äußerung nicht aus, sondern schwächt sie einerseits mit dem Ausdruck なんか (nanka - irgendwie), der Vagheit ausdrückt, andererseits mit der Partikel ね (ne) ab, die deutlich macht, dass der Sprecher bzw. die Sprecherin Zustimmung herstellen will. S3 nimmt die Formulierung auf, vervollständigt sie und hängt seinerseits die Zustimmungspartikel an. S10 reagiert mit einem Lachen und die gemeinsamen Bemühungen um die Bedeutung von schick werden fortgesetzt. Auch im VLE wird deutlich, dass S10 hier überrascht ist und die Überraschung über die unterschiedlichen Deutungen in Bezug auf das Wort schick auch zum Ausdruck bringen möchte, sich aber sehr bewusst ist, dass ein offener Widerspruch der gemeinsamen Gruppenarbeit sowie ihrer Beziehung zu S3 schaden könnte. Hier wird auch klar, dass es sich weniger um eine rein sprachbezogene Verständigung handelt, sondern um eine Meinungsverschiedenheit auf konzeptioneller Ebene, da beide die japanische Übersetzung zwar zu kennen scheinen, aber unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was schick ist. Im Gruppengespräch entscheidet S10 sich für einen mehrfach abgeschwächten Widerspruch auf Japanisch und rundet diesen mit einem freundschaftlichen Lachen ab. In der Retrospektion bemüht sich S10, ihre fehlende Zustimmung nicht nur in Bezug auf den Gesprächspartner aus der eigenen Gruppe, sondern auch den beispielhaft benannten Kommilitonen S7 abzumildern. Während des VLEs entschuldigt sie sich zuerst, zögert mehrfach und gibt dann nur an, dass aus ihrer Sicht andere Anwesende schicker gewesen seien, ohne S7 explizit als Vergleichsgrundlage - die dann also weniger schick ist - anzuführen. Ein direkter Widerspruch ohne Abschwächung hätte hier eventuell einen negativen Einfluss auf die aktuelle Gruppenarbeit gehabt, ggf. aber auch längerfristig die Beziehung zu den Kommilitonen beeinflussen können. Um einerseits den Beitrag von S3 zu würdigen, andererseits den modischen Stil von S7 nicht zu kritisieren bzw. bewerten zu müssen, mildert S10 die Äußerung ihrer abweichenden Ansicht mehrfach ab. Da es aber um die Klärung der genauen Wortbedeutung von schick geht, ist ihr eine Verständigung über den Begriff doch so wichtig, dass sie um einen Widerspruch nicht herumkommt und sich genötigt fühlt, deutlich zu machen, dass die konkrete Vorstellung dessen, was schick ist, individuell ist. Da aber S10 und S3 aufeinander eingehen, die Äußerungen des anderen ergänzen und sich einvernehmlich darauf einigen, dass schick sein sehr von den individuellen Vorlieben abhängt, kann dieser Auffassungsunterschied ohne größere Gesichtsverluste beigelegt werden. In Bezug auf das Ziel einer möglichst zielsprachlich geführten Kommunikation ist dieser Teil der Bedeutungsaushandlung nicht ideal gelöst worden, da er überwiegend auf Japanisch erfolgte, doch hat er die beteiligten Personen dazu angeregt, sich der Unterschiedlichkeit von Bedeutungsinhalten bewusst zu werden. Die einvernehmliche Einigung darauf, dass es für jeden Menschen etwas anderes sein kann, untermauert das positive 9.5 Meinungsverschiedenheiten 219 <?page no="220"?> Arbeitsklima und legt den Grundstein für die folgenden kooperativen Bemühungen, den Begriff in der Zielsprache zu definieren. 9.5.2 „ Vater “ - GA3G2: Abschwächung durch Humor In der Gruppe G2, mit den Mitgliedern S2, S5 und S7, kommt es in der Gruppenarbeitsphase GA3 zu einem von der Aufgabe intendierten Deutungsunterschied eines Bildes und infolgedessen zu einer Meinungsverschiedenheit. Dem folgenden Exzerpt geht die oben beschriebene Episode unmittelbar voraus, in der S5 die Frage formuliert, weshalb auf dem Familienbild kein Vater abgebildet sei (Kapitel 9.1.2). Im Folgenden handeln die Lernenden ihre unterschiedlichen Interpretationen des Bildes aus. [1] 194 [05: 06.5] 195 [05: 08.9] 196 [05: 10.2] 197 [05: 12.2] S5 [sup] lachend S5 [v] oh! oh my god S7 [v] vater … warum sind nicht vater … hä? ist das vater? S7 [nv] schaut ins AB zeigt ins Bild, schaut S5 an [p] (1,2) [2] 198 [05: 13.4] 199 [05: 14.1] 200 [05: 16.3] 201 [05: 16.9] S2 [nv] lacht S5 [v] ja hmmm das ist mutter S5 [nv] schüttelt Kopf leicht klopft auf Bild, Blick zwischen S7 u. AB hin u. her S7 [v] ich denke das vater nein? S7 [nv] lacht tippt auf das Bild schaut S5 an [3] 202 [05: 18.9] 203 [05: 19.7] 204 [05: 20.6] S2 [nv] lacht S5 [v] mutter mutter S5 [nv] lächelt S7 [v] hä? ahhhh S7 [nv] beugt sich überrascht zu S5, schaut auf sein AB, dann zu S5 lehnt sich mit AB in [4] .. 205 [05: 21.7] 206 [05: 23.4] 207 [05: 24.2] 208 [05: 25.4] 209 [05: 26.3] S5 [sup] lachend lachend S5 [v] zwei kinder ja ja ja ja ja mutter mutter S7 [v] ahhhh mutter? ! S7 [nv] Hand zurück, Faust vor Mund, Blick auf AB Blick auf AB 220 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="221"?> [5] 210 [05: 27.6] 211 [05: 28.7] 212 [05: 30.7] 213 [05: 31.5] 214 [05: 32.6] 215 [05: 33.5] S2 [nv] lacht S5 [v] ja hm hm so so S5 [nv] lacht S7 [v] ahhhh ah so ah so S7 [nv] Denkerpose, Blick zu S5, lächelt [p] (1,1) (0,9) (0,9) S7 [VLE_S7] なんか…えっと、この時の僕は、写真 あったじゃないですか? Kind, Mutter, Vater だと思ってたんですけど、えっ と… S5 が Kind, えっと… Kind, Mutter っ て言ったから、あ、そうなの?っていう 感じで、ちょっと…えっと…えー…面白 かったのがこの時…うん。うん…なん か、へぇ、そうなんだーと思ったという 感じです。 S7 [VLE_S7_dt] Irgendwie … also hier, da gab es ja ein Foto, nicht wahr? Ich hatte ja gedacht, das wäre „ Kind, Mutter, Vater “ , aber äh weil S5 „ Kind “ äh … „ Kind, Mutter “ gesagt hatte, war ich „ so ach ist das so? “ Ein bisschen … also … äh … das war lustig … ja … irgendwie, hä so ist das … dachte ich hier. [6] 216 [05: 34.7] 217 [05: 36.7] S5 [nv] lacht, Blick zu S7 S7 [v] ah まじか S7 [dt] ah echt jetzt S7 [nv] lässt AB sinken, lacht, Blick zu S5 nimmt AB in beide Hände und lässt den Kopf sinken [p] (2) Transkriptauszug 29: GA3G2 „ Vater “ Um die Frage von S5 zu rekapitulieren, wiederholt S7 sie noch einmal, während er das Bild betrachtet. Nach einem kurzen Zögern zeigt er auf das Bild, bringt mit hä? , das sowohl als deutscher als auch als japanischer Ausdruck gelten kann, seine Überraschung zum Ausdruck und fragt mit Blick zu S5, ob die betreffende Person im Bild der Vater sei (196). S5 reagiert lachend mit „ oh my god “ , woraufhin beide lachen, schüttelt dann aber leicht den Kopf, während er verbal diese Verneinung mit ja hmmm wieder abschwächt. S7 formuliert gleichzeitig noch einmal explizit seinen Gedanken zu dem Bild, dass es sich um den Vater handle, schaut dann S5 an und fragt mit einem steigend intoniertem nein, ob S5 anderer Meinung sei. S5 klopft nun energisch auf das Bild und widerspricht, indem er konstatiert, dass es sich um die Mutter handle (201). S7 zeigt nun erneut sehr deutlich seine Überraschung, sowohl verbal als auch körpersprachlich und mimisch und beugt sich vor, 9.5 Meinungsverschiedenheiten 221 <?page no="222"?> um das Arbeitsblatt des Kommilitonen besser sehen zu können. Dieser bekräftigt mehrmals lächelnd seine Meinung. S7 lehnt sich wieder zurück, zeigt durch das Rezeptionssignal ahhh, dass er der Interpretation von S5 folgen kann, verharrt aber in einer Denkerpose, so dass S5 die anderen Personen auf dem Bild benennt, um seine Deutung des Bildes weiter zu erklären (205). S7 zeigt erneut sein Verständnis und S5 bestätigt lachend mehrmals mit Wiederholungen von ja und hm seine Meinung. Schließlich lächelt S7 in der Denkerpose und deutet mit „ ah so ah so “ an, dass er den Gedanken von S5 nachvollziehen kann. S5 lacht und nach einem kurzen Zögern, woraufhin S7 noch einmal das Arbeitsblatt zur Hand nimmt, den Kopf, die Hände und sein Arbeitsblatt dann aber sinken lässt und sich mit einem lachenden まじか (majika - echt jetzt) in der L1 endgültig geschlagen gibt. Im VLE erklärt S7, dass es sich bei dem Bild in seinen Augen um eine traditionelle Familie mit Mutter, Vater und Kind gehandelt und er daher mit der Interpretation von S5 nicht gerechnet habe. Während S5 seine Sicht sehr vehement verteidigt, besteht S7 nicht darauf, S5 von seiner Deutung zu überzeugen. Dass er jedoch nicht von Anfang an die Personenzuordnung von S5 nachvollziehen kann, zeigt sich in der anfänglichen Überraschung (196, 202), seiner nachdenklichen Körperhaltung und seinen mehrfachen Verständnissignalen im späteren Verlauf des Gesprächs (204, 206, 213, 215). Offensichtlich überlegt er bis zum Schluss dieser kurzen Episode, ob er nicht widersprechen soll, da er das Arbeitsblatt noch einmal in die Hand nimmt und anscheinend versucht, ein Gegenargument zu formulieren. Letztendlich gibt er sich dann aber doch einfach geschlagen, so dass S5 als Sieger aus diesem freundschaftlichen Disput hervorgeht. Anschließend wird jedoch das Gruppengespräch zwischen allen drei Mitgliedern kurz auf Japanisch fortgesetzt und es zeigt sich, dass auch S2 verschiedene Ideen zu dem Bild hatte, so dass ein Bestehen auf dem traditionellen Familienbild nicht mehr in den weiteren Gesprächsverlauf passen würde. Da S5 seine Meinung sehr stark, aber durch Lachen begleitet, vertritt und S7 sichtlich von der Idee, aber auch von der Vehemenz von S5 überrascht ist, verzichtet er hier sowohl auf einen tatsächlichen als auch einen spielerischen Widerspruch. In der Gruppe GA3G3 hingegen wurden unterschiedliche Interpretationen des Familienbildes ausgiebig thematisiert und dominieren sogar weite Teile der Aushandlungen zwischen den Studentinnen S10 und S11. [1] 162 [04: 51.9] … 165 [04: 55.0] … 167 [04: 56.1] … 173 [05: 03.2] 174 [05: 03.9] 175 [05: 05.2] 176 [05: 05.6] 177 [05: 06.1] S10 [v] ii ihre idee ist frei fa falsch falsch jaaa S10 [nv] Geste zu S11 zeigt zu S11, macht aggressives Gesicht S11 [v] ah falsch ah S11 [nv] nickt [p] (1,4) 222 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="223"?> [2] 178 [05: 06.9] 179 [05: 08.5] 180 [05: 09.7] S4 [nv] lacht lacht S10 [v] sie ist mann S10 [nv] tippt heftig aufs AB S11 [nv] lacht lacht S13 [nv] lacht [p] (1,6) (1,1) S10 [VLE_S10] この時は、 L 先生がなんかこう議論というか、けっこう 否定していっていいよって言ってたので、楽しそうだな と思ったのでちょっと…大げさにっていうか、 S11 の案 は、なんか男の人も出てなかったから、「男の人だ よー!」っていうのを強調しようと思って質問しまし た。 S10 [VLE_S10_dt] Herr L hatte ja irgendwie gesagt, dass es okay ist zu diskutieren, dass wir auch widersprechen sollen und so, deshalb habe ich gedacht, das macht bestimmt Spaß, also habe ich hier ein bisschen … übertrieben, weil im Vorschlag von S11 auch kein Mann vorkam, habe ich gedacht,ich betone „ das ist ein Mann! ! “ und eine Frage gestellt. Transkriptauszug 30: GA3G3 „ falsch “ (gekürzt) 33 Durch den Kommentar im VLE wird deutlich, dass S10 sich bewusst dafür entscheidet, übertrieben stark zu widersprechen, um der Gruppenarbeit mehr Spaß zu verleihen. Auch in dieser Gruppe herrscht ein freundliches Arbeitsklima, was S10 das theatralische Verhalten ermöglicht. In der Gruppe GA3G2 hingegen geht es um wirkliche Meinungsverschiedenheiten und S7 lässt sich davon überzeugen, dass es verschiedene Ansichten gibt und besteht nicht weiter auf seiner Deutung, dass es sich um eine traditionelle Familie handelt. Möglicherweise hat S7s eigenes Rollenverständnis innerhalb dieser Gruppenkonstellation dazu beigetragen, dass er als Sempai, also älterer Student, den anderen beiden gegenüber nicht auf seiner Meinung beharrt, sondern vielmehr den Beitrag zur Gruppenarbeit von S5 begrüßt (vgl. Kapitel 7.3.3 und 8.2.1). Durch die humorvolle Art von S5 ist es S7 möglich, ohne besonderen Gesichtsverlust seine Idee aufzugeben, bzw. die Idee des Kommilitonen zu akzeptieren. In beiden Gruppen erlaubt die gute Arbeitsatmosphäre eine spielerische Auseinandersetzung, ebenso wie das Verständnis der Gruppenmitglieder, dass diese Meinungsverschiedenheit Teil der Aufgabe ist und daher eine Art Streit um die richtige Meinung zum Arbeitsauftrag dazu gehört. 33 Dieser Transkriptauszug zeigt nur einen sehr kurzen, aber charakteristischen Ausschnitt aus der Gruppenarbeit und ist noch zusätzlich komprimiert, da das Gruppengespräch von zahlreichen Ausdrucksschwierigkeiten und längeren Pausen zur Ausdruckssuche gekennzeichnet ist. Ein umfassenderes Transkript findet sich in Anhang 12. 9.5 Meinungsverschiedenheiten 223 <?page no="224"?> 9.5.3 „ Kannst du kochen? “ - GA5G4: Keine Einigung Während der letzten Gruppenarbeitsphase arbeiten in der Gruppe G4 S8, S10 und S13 zusammen, wobei der größte Teil des Gesprächs zwischen S8 und S10 abläuft und S13 sich im Hintergrund hält (vgl. Kapitel 7.5.5). Dem vorliegenden Ausschnitt gehen die kurzen Darstellungen der von den Gruppenmitgliedern vorbereiteten individuellen Familienentwürfe unmittelbar voraus, die sowohl bei S8 als auch bei S13 ein Arbeiten von zu Hause aus vorsehen, durch welches die gemeinsame Zeit mit den Kindern garantiert werden soll. [1] 906 [19: 34.4] 907 [19: 36.4] 908 [19: 36.8] 909 [19: 37.1] 910 [19: 37.5] 911 [19: 38.1] 912 [19: 38.7] S8 [v] kannst du kochen? ええとくに料理できるん S8 [dt] äh besonders … ob ich kochen kann S10 [v] kannst … kannst du koch en? S10 [nv] schaut S8 an [p] (0,7) [2] 913 [19: 39.9] 914 [19: 40.4] 915 [19: 41.4] 916 [19: 41.9] 917 [19: 43.3] 918 [19: 45.6] 919 [19: 46.0] S8 [v] ですか nein nein S8 [dt] oder? S8 [nv] winkt ab abwinkende Geste S10 [v] はい äh? äh? S10 [dt] ja S10 [nv] nickt Denkerpose Denkerpose, kichert Blick zu S13 [p] (2,3) (1,1) [3] [ … ] 920 [19: 47.1] 921 [19: 47.7] 922 [19: 48.6] 923 [19: 49.7] 924 [19: 50.5] 925 [19: 50.9] 926 [19: 52.4] S8 [v] hm? wie werden S8 [nv] nickt S10 [sup] lang S10 [v] wie werden dei … sein kindER … S10 [dt] (1,1) S10 [nv] dann S8 Geste Geste Geste zu S8, kratzt sich am Kopf [p] (1,5) [4] 927 [19: 54.7] 928 [19: 55.8] 929 [19: 56.6] 930 [19: 57.0] 931 [19: 57.6] S8 [v] sein kinder … どう どうやって S8 [dt] wie wie S10 [sup] leiser S10 [v] どうやって そだ 育っているの? S10 [dt] wie er erzogen? S10 [nv] nickt spielt mit WB 224 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="225"?> [5] [ … ] 932 [19: 59.3] 933 [19: 59.8] 934 [20: 00.7] 935 [20: 01.6] 936 [20: 02.8] S8 [v] 子ども育てるんですか? ahhh なんて言うかなあ… S8 [dt] die kinder erzogen werden? wie sagt man das doch gleich S10 [nv] lacht S8 an schaut auf den Tisch [p] (0,5) (0,9) (0,9) [6] 937 [20: 03.7] 938 [20: 05.7] S8 [v] ええと仕方ないから japanisch で行こうか? …なんだろう子どもの遊び S8 [dt] äh weil es nicht anders geht sage ich es auf japanisch ja? … also wenn das kind S8 [nv] schaut zur Decke S10 [nv] Blick zu S8 [7] … 939 [20: 08.1] 940 [20: 09.6] S8 [v] 相手いないとか そう言う意味であって S8 [dt] keine spielkameraden oder so hat in diesem sinne S10 [dt] hmhm S10 [nv] nickt leicht [8] 941 [20: 10.3] 942 [20: 12.7] S8 [v] 積極的に育てるなら奥さんまかせかな S8 [dt] was die aktive erziehung angeht überlasse ich es meiner frau S10 [sup] laut S10 [v] おいいい S10 [dt] heeey S10 [nv] lacht auf, schaut kurz zu S13 [9] 943 [20: 13.4] 944 [20: 14.3] 945 [20: 15.3] S10 [sup] lachend lachend lachend S10 [v] おい おい だめだ S10 [dt] hey hey so geht das ja nicht S10 [nv] schlägt mit beiden Händen auf den Tisch, Blick zu S13 L [v] 決め ました ? L [dt] haben sie entschieden? 9.5 Meinungsverschiedenheiten 225 <?page no="226"?> 943 [20: 13.4] 944 [20: 14.3] 945 [20: 15.3] S10 [VLE_S10] これなんか二人ともそうなんですよ。 S13 ちゃんも。まぁ S13 ちゃんはもともと自分の子どもの頃の話してるからま確 かにしょうがないけど。最初んって思いました。なんでお母 さん働いてるのに自分料理できない、お母さんがやるのって 思いました。これ S8F 君もそうで、えって思っちゃって。こ れすごいなんかどうなってるのみたいな…思いました。結構 ここからちょっと不満が出るんですよね。 S10 [VLE_S10_dt] Hier da sind die beiden ja irgendwie gleich. Auch S13. Naja, S13 spricht ja von Anfang an von seiner eigenen Kindheit, da kann man wohl echt nichts machen. Zuerst habe ich ja gedacht, warum kann er, obwohl die Mutter arbeitet, nicht kochen, dann macht es wohl die Mutter, dachte ich. Als S8 das dann auch meinte, da dachte ich hä? Ich dachte so, irgendwie krass, was ist denn jetzt hier los. Ab hier war ich dann ja schon ziemlich genervt. [10] 946 [20: 15.9] 947 [20: 16.8] 948 [20: 17.3] 949 [20: 18.0] S8 [v] hm? S10 [sup] wimmernd S10 [v] hmmmmm S10 [nv] lacht, schlägt Hände auf Tisch streicht Haare zurück, Blick auf Tisch L [v] hallo hallo haben sie in der gruppe eine familie gewählt Transkriptauszug 31: GA5G4 „ kannst du kochen? “ S10 stellt zu diesem Familienmodell die praktisch orientierte Nachfrage, ob S8 denn kochen könne. S8 wiederholt die Frage zuerst auf Deutsch, überprüft dann sein Verständnis durch die Wiederholung der Frage auf Japanisch und verneint dann zweimal, jeweils durch eine abwinkende Geste unterstützt. S10 nimmt daraufhin eine Denkerpose ein und drückt durch ein zweifaches äh ihre Verwunderung aus, kichert leise und schaut zwischen S13 und S8 hin und her. Nach einer kurzen Pause, in der von den beiden anderen Gruppenmitgliedern keine ergänzenden Erklärungen gegeben werden, beginnt sie zuerst auf Deutsch, mit mehrfachen Unterbrechungen und durch Gesten unterstützt, eine Anschlussfrage zu formulieren, steigt dann jedoch auf Japanisch um und fragt dann etwas leiser, wie S8 vorhabe, seine Kinder zu erziehen (928). Hier ist der Wunsch, dieser Frage nachzugehen, eindeutig größer als die Bestrebung, die Diskussion auf Deutsch fortzusetzen. S10 versucht zwar zuerst, die Frage auf Deutsch zu stellen und hat sogar noch das Wörterbuch griffbereit (928), doch entscheidet sie sich hier, dem inhaltlichen Aspekt des Gruppengesprächs Vorrang zu geben und zu dessen Gunsten die sprachlernbezogene Seite aufzugeben. S8 wiederholt die Frage leicht höflicher und expliziter formuliert, indem er S10s Formulierung ergänzt, und setzt das Gespräch auf Japanisch fort, nicht aber ohne vorher kurz zu erklären, dass es ihm nicht anders möglich sei, als auf Japanisch zu antworten (937). Mit dem einschränkenden Hinweis auf das Fehlen von Spielkameraden gibt S8 an, dass er die 226 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="227"?> Kindererziehung seiner Frau überlassen werde, was S10 mit einem Auflachen und einem lauten おいいい (oiii) kommentiert, das hier im Deutschen einem empörten Ausruf wie hey entspricht. Immer noch lachend wiederholt sie ihren Ausruf weitere zweimal, verbalisiert ihren Widerspruch durch だめだ (dameda), was eine starke Form von „ so geht das ja nicht “ darstellt, betont ihre Äußerung durch das gleichzeitige Aufschlagen mit beiden Händen auf den Tisch und schaut zu S13. Lachend wiederholt sie die Geste und bringt ihre Unzufriedenheit mit dem Familienentwurf von S8 mit einem weinerlich wimmernden, langgezogenen hmmm zum Ausdruck. Der weitere Gesprächsverlauf wird an dieser Stelle durch die Frage des Lehrers an den gesamten Kurs nach dem Stand der Aufgabenbearbeitung unterbrochen und nach der kurzen Fokussierung auf die Lehrperson an anderer Stelle weitergeführt, so dass diese Meinungsverschiedenheit nicht weiter in der Gruppe thematisiert wird. Im VLE jedoch spricht S10 die Rollenverteilung in der Familie wieder an und betont erneut ihr fehlendes Verständnis für ein solches Weltbild. In Bezug auf S13 versucht sie noch eine Erklärung für dessen Sicht zu finden, da sie anführt, dass er seine ideale Familie aus seiner eigenen Perspektive, somit also aus der Sicht eines Kindes beschreibe, wundert sich aber gleichzeitig, dass er nicht kochen könne, obwohl doch die Mutter arbeite. Als aber S8 eine ähnliche Position vertritt, steigt die Unzufriedenheit bei S10, so dass sie ihre eigene Sicht bezüglich der Aufgabenverteilung in der Familie zeigen möchte. Zuerst fragt sie auf Deutsch, dann hakt sie auf Japanisch nach, und als die Antworten eine ihrem Weltbild völlig entgegengesetzte Ansicht widerspiegeln, widerspricht sie laut und deutlich mit einem Schlag auf den Tisch (945). Ihr Widerspruch wird aber durch das begleitende Lachen etwas abgeschwächt, wobei nicht zu bestimmen ist, welche Intentionen das Lachen genau hat. Neben der Abmilderung des sehr starken Widerspruchs verleiht das Lachen ihrer Verzweiflung und Aufregung über die Weltsicht der Kommilitonen auch einen etwas übertriebenen, spielerischen Charakter, was weiterhin zur Abschwächung beiträgt. Ebenso ist eine Ridikülisierung eines aus ihrer Sicht antiquierten Rollenverständnisses denkbar, doch wird das Lachen in dieser Gruppe scheinbar nicht als böswillig aufgefasst, was aus dem gesamten Gruppenarbeitsverlauf abzuleiten ist, so dass eine Fortsetzung der Gruppenarbeit ohne beziehungsreparierende Aushandlungen möglich ist. 9.5.4 Zusammenfassung: Meinungsverschiedenheiten Trotz ihres hohen gesichtsbedrohenden Potentials werden Meinungsverschiedenheiten während der Gruppenarbeit durchaus angesprochen. Die Lernenden fragen nach, kommentieren, bitten um Erklärungen, zeigen Überraschung etc. Im dokumentierten Datenmaterial finden sich mit einer Ausnahme im Bereich Vorgehen, die nur am Rande im VLE, nicht aber im Gruppengespräch thematisiert wird 34 , ausschließlich Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf inhaltliche Fragen zu den Aufgaben. Dass es hinsichtlich des Vorgehens keinen Diskussionsbedarf gibt, kann auf den einfachen und sich im Prinzip wiederholenden Arbeitsauftrag zurückgeführt werden, bei welchem die Lernenden sich über einen kurzen Zeitraum von maximal 25 Minuten über ein Thema austauschen sollen. In komplexen Projektaufgaben, in denen die einzelnen Arbeitsschritte gemeinsam geplant werden 34 Da es sich nur um einen vagen Hinweis in der Retrospektion handelt, bleibt diese Episode hier unberücksichtigt. 9.5 Meinungsverschiedenheiten 227 <?page no="228"?> müssen, sind jedoch weitaus mehr Meinungsverschiedenheiten zu erwarten. Das Fehlen von sprachlichen Streitpunkten lässt sich zum einen damit erklären, dass es sich um einen Anfängerkurs handelt, so dass die Lernenden noch über ein begrenztes Vokabular mit wenigen alternativen Ausdrücken verfügen und noch wenig Selbstvertrauen in die eigenen Sprachkenntnisse haben. Zum anderen stellen vermutete Fehler bei Mitlernenden eine Quelle für mögliche Meinungsverschiedenheiten dar, sind also an der Schnittstelle zu Korrekturüberlegungen angesiedelt und wurden deswegen in der vorliegenden Studie schon in Kapitel 9.1 behandelt. Somit liegen die hier betrachteten Auffassungsunterschiede auf der inhaltlichen Ebene und werden in der Regel als Teil der Aufgabe wahrgenommen. Aus diesem Grund fällt es den Lernenden leichter zu widersprechen oder nachzufragen und somit Aushandlungsprozesse zu initiieren, weil sie es als ihre Pflicht, im Rahmen des Arbeitsauftrags zu handeln, ansehen. Bei den hier beschriebenen Beispielen handelt es sich in allen Fällen um Episoden, in welche die Fokuspersonen involviert sind und für die introspektive Daten vorliegen. Darüber hinaus initiieren in allen beschriebenen Auszügen diejenigen Lernenden, die das Gruppengespräch leiten oder zumindest sehr aktiv mitgestalten, den Widerspruch. Es besteht also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass zurückhaltende Lernende abweichende Meinungen haben, es aber vermeiden, sie laut auszusprechen, wozu aber in dieser Studie nicht genügend Fundstellen vorliegen, um diese Annahme zu stützen oder zu widerlegen. Ein Indiz für den Einsatz einer solchen Strategie findet sich in S7s Verhalten in der GA5. Dort wundert er sich in Gedanken zwar über einen Redebeitrag von S12, bringt aber seine Verwunderung nicht zum Ausdruck, weil er, anders als während der GA2 oder GA3, keine leitende Rolle innerhalb der Gruppe einnimmt (vgl. Kapitel 7.5.2 und 8.2.1). 122 [02: 44.5] S1 [v] alles klar S1 [nv] leise, lächelnd S7 [v] hmmm S7 [VLE_S7] うーんと…そうですね。この時は、なんか理解が追いついてなかった感じでしたね。 恋人と離れていたいから、距離を置いていたいから。えっと…なんで恋人と距離を置 くんだろうって。逆じゃねって思ったんですね、確か。 S7 [VLE_S7_dt] Ähm … ja genau. Hier konnte ich nicht ganz folgen. Weil sie sich von ihren Geliebten fernhalten, Abstand halten möchte. Ähm … warum sollte man Abstand zu seinem Geliebten halten wollen? Eher das Gegenteil ist doch der Fall, dachte ich. Genau. Transkriptauszug 32: GA5G1 Fernbeziehung Während die Meinungsverschiedenheiten zur Wahrnehmung der Briefmarke sich auf die Aufgabe beschränken, also in die Kategorie Idee einzuordnen sind (Kapitel 9.5.2), gehören die Sequenzen zum Verständnis von schick sowie zur familiären Rollenverteilung (Kapitel 9.5.1 und 9.5.3) eher zu den Glaubensgrundsätzen. Zwar werden in beiden Fällen abweichende Gedanken durchaus angesprochen, jedoch bemühen sich die Lernenden um einen nicht konfrontativen Umgang mit den Meinungsverschiedenheiten. Sie schwächen ab, indem sie zögern, indirekte Frageformen anwenden oder lachen. Oft wird die eigene Meinung mit spielerischer Vehemenz vertreten, wie etwa von S5 oder S10 in den 228 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="229"?> beschriebenen Sequenzen, aber auch da zusätzlich durch Lachen oder übertriebene Gesten als Spaß gekennzeichnet, so dass mögliche Spannungen sich in gemeinsamen Scherzen auflösen und dadurch keine echte Bedrohung für die Gesichtsbedürfnisse der Beteiligten aufkommt. Selbst in der Episode zum Thema Kochen, in der S10 während des VLEs erklärt, dass sie sich durchaus real über die Ansichten ihrer Kommilitonen ärgert, wird der Situation durch ein übertriebenes, verzweifeltes Lachen eine humorvolle Note verliehen. Inwiefern sich der Umgang mit echten Meinungsverschiedenheiten im Gegensatz zu solchen, die wie in der Aufgabe zur Familienbriefmarke eigens für die Gruppenarbeit kreiert werden, unterscheidet, müssen weiterführende Untersuchungen zeigen. Der spielerische Charakter, in den das Widersprechen eingebettet ist, bietet den Studierenden einen sicheren Raum zur Erprobung erster Versuche zu Streitgesprächen auf Deutsch. Konfliktfähigkeit gehört zu den sozialen Kompetenzen, die sowohl in der schulischen als auch universitären Bildung gefördert und gelernt werden. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die Lernenden sie bereits in der Muttersprache erworben haben. Hinzu kommt, dass die Studierenden auf diesem Sprachniveau nur über eingeschränkte sprachliche Mittel verfügen, um den Widerspruch verbal abzuschwächen, so dass sie auf Gesten und Lachen zurückgreifen, um die sprachliche Handlung zwar umzusetzen, ihre Beziehung untereinander aber nicht zu gefährden. 9.6 Missbilligung Ebenso wie bei Meinungsverschiedenheiten handelt es sich auch bei Missbilligungen um eine Reaktion auf vorausgegangene Äußerungen oder Handlungen. Drückt man sein Missfallen etwa in Form einer offenen Kritik aus, gibt man der betreffenden Person zu verstehen, dass man ihr Verhalten, ihre Überzeugungen oder Handlungen nicht gutheißt, und schadet dem Gesicht des Gegenübers in Bezug auf den Wunsch nach Anerkennung (vgl. Brown & Levinson 1987: 66). Bringt man aber seine Kritik nicht zum Ausdruck, kann das zur eigenen Unzufriedenheit und somit zu Frustration führen und ebenfalls negative Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Interaktion haben, wie auch bei den zuvor beschriebenen Meinungsverschiedenheiten (Kapitel 9.5). Im Zusammenhang mit Fremdsprachenunterricht oder Fremdsprachenerwerb ist häufig die Rede von negativem Feedback, jedoch handelt es sich hierbei weniger um eine Art der Kritik als vielmehr um Fehlerkorrektur bezüglich sprachlicher Aspekte, die sowohl von Lehrenden oder in der Zielsprache kompetenten Personen als auch von Peers vorgenommen werden kann (vgl. Baleghizadeh 2010: 721). Als Teil von sprachbezogenen Aushandlungen fungiert nach Long (1996) Feedback zum Beispiel in Form von Umformulierungen (recasts) oder Aushandlungen (NfM) als Auslöser für mögliche Erwerbsprozesse (siehe auch Mackey et al. 2000: 491). Anders als in den zahlreichen Studien zur Wirksamkeit von Aushandlungsprozessen für den Fremdsprachenerwerb, bezieht sich die im Folgenden als Missbilligung bezeichnete negative Wahrnehmung, die ggf. in negativem Feedback mündet, überwiegend auf inhaltliche oder organisatorische Vorgänge in der Gruppe und nur selten auf sprachrelevante Aspekte (vgl. auch auch Feick 2016: 139). In den VLE-Daten wurden Kommentare als Missbilligung gekennzeichnet, in denen die Fokuspersonen ihr Missfallen andeuten sowie Wege, wie man es besser machen kann, aufzeigen. 9.6 Missbilligung 229 <?page no="230"?> Im Unterschied zu den Meinungsverschiedenheiten, in denen die Andersartigkeit der Ideen oder Verfahren betont wird, benennen die Lernenden ihre Unzufriedenheit mit der Situation auch in den retrospektiven Daten selten explizit, machen sie aber durch zahlreiche Andeutungen erkennbar. Sie zeigen Unverständnis für bestimmte Vorgehensweisen ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen, fragen sich, was gerade gemacht wird, oder drücken Bedauern aus, nicht eingegriffen zu haben. Ein solches unbefriedigendes Erleben der Gruppenarbeit kann zu Ärger und schlechten Beziehungen unter den Lernenden führen und in der Folge zu unzulänglichen Ergebnissen in Bezug auf den Prozess der Zusammenarbeit und das gemeinsame Produkt (Philp et al. 2014: 99). Erneut zeigt sich in der Retrospektive, dass die persönlichen Prioritäten der einzelnen Studierenden während der Gruppenarbeit sehr unterschiedlich gelagert sind. S11 und S14 sehen vor allem die Sprachwahl und den Ausdruck kritisch, sowohl in Bezug auf die Mitlernenden als auch auf sich selbst. Weiterhin zeigt sich S11 im Vergleich zu den anderen deutlich häufiger mit dem Ablauf unzufrieden und empfindet als einzige der Fokuspersonen die Zeitverwendung während der Aufgabenbearbeitung als problematisch. Das Verhalten der Mitglieder innerhalb der Gruppe wird aber vor allem von S7 und S10 reflektiert. Interessanterweise bringt S9 keinerlei Missbilligung während der VLE-Sitzungen zum Ausdruck, hat aber mit Abstand am häufigsten auf Meinungsverschiedenheiten hingewiesen (siehe Tab. 16). Hier liegt der Verdacht nahe, dass sie mögliche Unzufriedenheit mit der Gruppenarbeit als Meinungsverschiedenheit darstellt bzw. so auch wahrnimmt, aber nicht ausdrücklich missbilligend beschreibt. Inwiefern Missbilligungen und Meinungsverschiedenheiten in diesem Zusammenhang voneinander abgegrenzt werden können, müsste in weiterführenden Studien überprüft werden. S7 S9 S10 S11 S14 Sprachwahl 0 0 0 4 9 13 Ausdruck 1 0 1 2 2 6 Ablauf 1 0 1 4 1 7 Zeit 0 0 0 5 0 5 Mangel 0 0 1 2 1 4 Reaktion 3 0 0 1 0 4 Verhalten 0 0 3 0 0 3 Insgesamt 5 0 6 18 13 42 Tab. 17: Fundstellen zur Thematisierung von Missbilligungen in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Obwohl sich in allen Gruppenarbeitsphasen in mehreren Gruppen Anzeichen dafür finden, dass die Studierenden während der Zusammenarbeit bestimmte Vorgänge oder Verhaltensweisen nicht gutheißen, werden die in den VLE-Sitzungen angesprochenen Kritikpunkte im Gruppengespräch selten zum Ausdruck gebracht. 230 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="231"?> G1 G2 G3 G4 GA1 4 3 1 0 8 GA2 1 2 0 0 3 GA3 0 0 4 5 9 GA4 2 2 9 5 18 GA5 1 0 0 3 4 Tab. 18: Fundstellen zur Thematisierung von Missbilligung in den VLE-Daten nach Gruppen Die deutlich höhere Anzahl an Hinweisen auf Unzufriedenheit mit der Zusammenarbeit in der vierten Gruppenarbeitsphase im Vergleich zu den anderen Aufgaben geht vor allem auf die Gruppe G3 zurück, mit der sich S11 sehr unzufrieden zeigt (Kapitel 7.4.4). Vereinzelt lässt sich die im VLE geäußerte Kritik auch im Gespräch nachvollziehen, doch wird Missbilligung selten deutlich zum Ausdruck gebracht. Im Folgenden wird anhand von zwei der wenigen Beispiele gezeigt, was von den Lernenden kritisch gesehen wird und wie sie ihre Kritik zum Ausdruck bringen. 9.6.1 „ Mal ohne Wörterbuch “ - GA3G4: Direkte Kritik In der Gruppe G4, die aus S6, S8 und S14 besteht, tauschen sich in der dritten Gruppenarbeitsphase S8 und S14 im folgenden Transkriptionsausschnitt über die Frage aus, welche Familienmitglieder auf dem Briefmarkenbild abgebildet sind. Im vorangegangenen Verlauf des Gesprächs greifen S6 und S8 häufig auf die L1 zurück, während S14 sich bemüht, durch Rückfragen auf Deutsch die Unterhaltung in die L2 zurückzuführen. Vereinzelt weist sie sowohl im Gruppengespräch als auch im VLE darauf hin, dass es sich um Deutschunterricht handle und man deshalb versuchen solle, mehr Deutsch zu sprechen, doch weichen S6 und S8 immer wieder ins Japanische aus. Im folgenden Ausschnitt macht S14 ihre Unzufriedenheit in Bezug auf den häufigen Gebrauch der L1 sowie des Wörterbuchs durch S8 explizit. [1] 222 [06: 25.6] 223 [06: 29.7] 224 [06: 30.8] 225 [06: 31.8] 226 [06: 33.5] 227 [06: 34.9] 228 [06: 35.6] S8 [v] rot hemd ja? S8 [nv] tippt im WB S14 [v] hemd hm あそうだよね hmmm S14 [dt] hemd hm ach so ne S14 [nv] setzt an etwas zu sagen nickt und schaut S8 an [p] (4,1) (1,4) (2,1) [2] 229 [06: 37.7] 230 [06: 39.1] S8 [v] これいうた rot これ言ったら S8 [dt] das hier „ rot “ wenn man das so sagt S8 [nv] legt WB weg, verschränkt Hände hinter dem Kopf und schaut zur Decke S14 [nv] hebt Blick, schaut S8 an 9.6 Missbilligung 231 <?page no="232"?> 229 [06: 37.7] 230 [06: 39.1] S14 [VLE_S14] S8F 君は、自分のわからない単語を辞書で調べて、そのまんまそれを使っ てたんで、まあ S8F 君がわからないってことは私もわからない単語なの に、調べたまんまを使って、今自分の持っている、わかっているドイツ語 で伝えようってしなかったんで、ここは話が通じませんでした。 S14 [VLE_S14_dt] Wenn S8 ein Wort nicht weiß, dann schlägt er im Wörterbuch nach und setzt das Wort dann so ein. Naja, wenn S8 das Wort nicht kennt, dann verstehe ich es ja auch nicht und trotzdem benutzt er es dann genau so und weil er hier nicht versucht hat, es mit seinen eigenen Worten, die er jetzt kann auf Deutsch, zu sagen, konnten wir uns nicht verständigen. [3] 231 [06: 41.1] 232 [06: 43.1] 233 [06: 44.6] S8 [v] 私は男だから赤いシャツを着てるよ なんちゃ言うかね いいならいいけど S8 [dt] weilich ein mann bin trag ich ein rotes hemd kann man so sagen ne wenn das okay ist dann ist gut S8 [nv] lacht und schaut zur Decke S14 [v] ah S14 [nv] schaut aufs AB [4] 234 [06: 45.8] 235 [06: 48.1] 236 [06: 50.1] 237 [06: 50.7] 238 [06: 52.0] 239 [06: 52.3] S8 [v] mutter vater S14 [v] warum denken SIE das ist mutter? ah vater vater warum warum S14 [nv] führt Stift über AB Blick zu S8 schüttelt Kopf leicht [5] 240 [06: 53.6] 241 [06: 54.3] 242 [06: 55.6] 243 [06: 56.4] 244 [06: 57.0] 245 [06: 57.6] 246 [07: 00.3] 247 [07: 01.1] S8 [v] hm warum ま まーええとなぜかといえ… うんんん S8 [dt] hm hm also warum … hmmm S8 [nv] legt Hand auf Kopf schaut kurz zur Decke [p] (0,7) (0,7) (0,7) (0,8) [6] 248 [07: 02.3] 249 [07: 06.7] S8 [v] これはドイツ語ドイツ deutsch では難しいかな S8 [dt] das ist auf deutsch deutsch „ deutsch “ schon schwer S8 [nv] Blick leicht zur Decke S14 [v] そう言おうとするのが S14 [dt] das ist ja der sinn S14 [nv] hebt Blick kurz zu S8 Blick zur Seite unten, leichte Taktstockgeste 232 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="233"?> [7] 250 [07: 08.0] 251 [07: 08.4] 252 [07: 10.0] 253 [07: 10.8] 254 [07: 12.9] S8 [v] ja ja やるか? hmmmm S8 [dt] versuche ich mal? S14 [v] この授業とか S14 [dt] von diesem unterricht und so [p] (1,3) S14 [VLE_S14] ここもなんか、ドイツ語の授業な のにドイツ語で話すの難しいなっ て日本語で話しちゃうのはどうか なーって思ったんで、そこはちゃ んと指摘しました。 S14 [VLE_S14_dt] Hier auch ne. Im Deutschunterricht auf Japanisch zu sagen, dass es schwer ist Deutsch zu sprechen, ist ja auch irgendwie ne … da habe ich dann auch drauf hingewiesen. [8] 255 [07: 14.3] 256 [07: 15.4] 257 [07: 16.2] S8 [v] あ そうだ ich S8 [dt] ah ja ich S8 [nv] senkt Hand vom Kopf, greift zum WB S14 [v] 一回辞書使わないでやってみたら? S14 [dt] wie wäre es mal ohne wörterbuch? S14 [nv] schaut S8 an, leicht abwehrende Geste [p] (0,8) [9] 258 [07: 17.9] 259 [07: 18.2] S8 [v] ja S8 [nv] legt WB weg S14 [v] 辞書を使うんだったらうちらもわかないってことだから難しい言葉は S14 [dt] weil wenn du das wörterbuch benutzt dann verstehen wir ja auch nicht die schwierigen wörter und so S14 [nv] Blick zu S8, streicht sich Haare aus dem Gesicht, senkt Blick zum AB [10] 260 [07: 22.2] 261 [07: 23.4] 262 [07: 26.8] S8 [sup] zögerlich S8 [v] ja ne ich ich denke ich denke S8 [nv] greift linke Hand mit rechter Hand spielt mit den Händen, Blick auf die Hände schaut aufs S14 [nv] nickt nickt 9.6 Missbilligung 233 <?page no="234"?> [11] .. 263 [07: 31.4] S8 [v] っていうか? ich 何だっけ考えるって? S8 [dt] oder so? ich was war nochmal denken? S8 [nv] AB, dann wieder zur Decke S14 [v] denke だよ S14 [dt] „ denke “ passt schon S14 [nv] mehrmals schaut nicht auf, tippt mit Stift auf eigen. AB, nickt [12] 264 [07: 32.0] 265 [07: 33.3] 266 [07: 34.5] S8 [v] denke でいいですね denke でいいんだよね ich denke S8 [dt] „ denke “ ist richtig ne „ denke “ ist okay ne S8 [nv] blickt Richtung AB von S14 Blick aufs eigene AB S14 [sup] sehr leise S14 [v] ここに… S14 [dt] hier … S14 [nv] hebt Blick kurz zu S8, tippt nochmal aufs AB Transkriptauszug 33: GA3G4 „ mal ohne Wörterbuch “ Das Exzerpt beginnt mit einer längeren stillen Phase, in der S8 zum wiederholten Mal während dieser Gruppenarbeit etwas im Wörterbuch recherchiert und anschließend beginnt, seine Erklärung auf Japanisch zu formulieren (299 f). Im VLE wird bereits hier die Unzufriedenheit von S14 deutlich, da sie anmerkt, dass S8 so oft zum Wörterbuch greife und die nachgeschlagenen Begriffe, ohne Rücksicht auf die Kenntnisse der Kommilitoninnen, verwende, so dass ein gegenseitiges Verständnis erheblich erschwert werde. Im Anschluss an den Redebeitrag von S8 fragt S14 auf Deutsch nach dem Grund, weshalb er der Meinung sei, dass es sich bei der betreffenden Person um den Vater handle (234, 235). Nach einer kurzen Rückversicherung von S8 und der darauffolgenden Selbstkorrektur von S14, da sie zuerst versehentlich statt Vater Mutter sagt, wiederholt S14 noch zweimal das Fragepronomen warum und überlässt S8 das Rederecht. Dieser wiederholt warum zwar einmal auf Deutsch, beginnt dann aber wieder auf Japanisch zu antworten, bricht ab und erklärt nach einem kurzen Verzögerungssignal, dass es schwierig sei, das auf Deutsch zu sagen. Durch das mehrfache Zögern und die körpersprachlichen Signale, wie die Hand auf den Kopf legen (240) und den Blick zur Decke richten (245), zeigt er deutlich, dass die Formulierung der Begründung für ihn einen hoch anspruchsvollen kognitiven Prozess darstellt. S14 reagiert auf die Feststellung von S8, dass es schwierig sei, die Begründung auf Deutsch zu geben, mit dem Kommentar, dass dies der Sinn des Unterrichts sei (249), was sie auch in der Retrospektive erneut hervorhebt (254). S8 antwortet hierauf mit einer doppelten Zustimmung in der L2, einer Rückfrage, die aber eher an sich selbst gerichtet zu sein scheint, da er die Reaktion der anderen Gruppenmitglieder nicht abwartet, und zeigt dann mit einem weiteren Verzögerungssignal, dass er an der Formulierung arbeitet. Nach einem kurzen Zögern, einem Ausruf mit der Bedeutung von ah ja oder ah so in der L1, gefolgt von einem Äußerungsbeginn mit ich in der L2, senkt S8 nach ca. 20 Sekunden die Hand vom Kopf und greift zum Wörterbuch. Daraufhin reagiert S14 mit der Frage auf 234 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="235"?> Japanisch, ob er es nicht mal ohne Wörterbuch versuchen wolle (257), unterstützt durch eine leicht abwehrende Geste. Diese Äußerung ist die einzige in den zugrundeliegenden Daten, in der Kritik verhältnismäßig direkt zum Ausdruck gebracht wird und sich die Unzufriedenheit auch im VLE deutlich zeigt. In den anderen Fällen wird zwar nicht favorisiertes Verhalten bei den Mitlernenden beobachtet und im VLE kommentiert, aber nicht direkt in der Gruppe angesprochen. Die Äußerung ist zwar als Frage bzw. Vorschlag formuliert, da sie aber in einem familiären Register gestellt ist und jegliche Höflichkeitsmarker und Verzögerungssignale fehlen, versteht S8 den Redebeitrag als direkte Aufforderung, das Wörterbuch wegzulegen, und folgt der Anweisung auch sofort. S14 fügt nachträglich die Erklärung hinzu, dass sie und ihre Kommilitonin schwierige Wörter aus dem Wörterbuch nicht verstehen könnten, ändert aber nicht das Register, so dass der Ton weiterhin sehr direkt bleibt. S8 versucht zwar gleich, seinen Redebeitrag auf Deutsch und ohne Wörterbuch zu formulieren, doch wird durch die zahlreichen Wiederholungen, das häufige Zögern sowie das Spielen mit den Händen (261) deutlich, dass er irritiert ist und sich erst wieder sammeln muss. Zwar versucht S14, ihn durch bestätigendes Nicken dazu zu motivieren weiterzusprechen, doch ist seine Unsicherheit so groß, dass er sich dann doch unter Rückgriff auf die L1 vergewissern muss, ob „ ich denke “ dem Japanischen 考える (kangaeru - denken) entspricht. S14 bestätigt knapp seine Rückfrage, S8 übernimmt den Ausdruck und beginnt nach weiteren Bekräftigungen auf Japanisch, seinen Gedanken allmählich auf Deutsch zu formulieren. Zwar geht S14 in der Retrospektive nicht speziell auf ihren Hinweis zur Wörterbuchbenutzung von S8 ein, doch wird durch die vorausgehenden VLE-Kommentare eine gewisse Frustration mit dem Verhalten des Gruppenkollegen deutlich. Zum einen kritisiert sie, dass der Kommilitone sehr oft in seinem Wörterbuch nachschlägt und Wörter in seine Redebeiträge einfügt, die nicht zum bereits gelernten Vokabular gehören (230). Zum anderen zeigt sie wenig Verständnis dafür, dass man im Deutschunterricht nicht versucht etwas auf Deutsch auszudrücken (254). Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag, es mal ohne Wörterbuch zu versuchen (257), eindeutig als Kritik zu erkennen. Zwar schwächt sie diese Kritik im Nachhinein durch die Erklärung etwas ab, doch kommt die Botschaft bei S8 deutlich an, was sich darin zeigt, dass er das Wörterbuch augenblicklich aus der Hand legt. Für ihn selbst jedoch scheint der gesichtskritische Faktor des Tadels eine geringere Rolle zu spielen als die für ihn große Herausforderung, ohne Rückgriff auf das Wörterbuch einen Redebeitrag in der L2 leisten zu müssen. S14 erkennt, dass diese Aufgabe S8 Schwierigkeiten bereitet, und zeigt ihre Unterstützung, indem sie oft nickt und ihm beim Wortschatz verbal und durch Zeigen auf das Arbeitsblatt behilflich ist. S14 legt in allen hier dokumentierten Aufgaben einen großen Wert auf die Verwendung der Zielsprache, was sich in ihren eigenen Bemühungen, in den Gruppengesprächen die L2 zu nutzen, äußert, und auch im VLE anhand der Kommentare zur Sprachverwendung deutlich wird (Kapitel 8.2.5). In der Gruppenarbeit, aus der die obige Sequenz stammt, versucht sie mehrfach, das Gespräch auf Deutsch anzuregen, was aber von den anderen Gruppenmitgliedern nicht erwidert wird, weil es ihnen schwerfällt, sich in der L2 einzubringen (Kapitel 7.3.5). Da ihre Versuche, den Deutschanteil zu erhöhen, nicht zum gewünschten Ergebnis führen, entscheidet sie sich dafür, in der L1 lenkend ein- 9.6 Missbilligung 235 <?page no="236"?> zugreifen, indem sie darauf hinweist, dass es Ziel des Unterrichts sei, sich mit eigenen Worten auf Deutsch zu verständigen. Der Hinweis führt bei S8 zumindest kurzfristig zu einem gesteigerten Bewusstsein für die Sprachwahl, was S14 gleich mit vermehrten Signalen der Unterstützung honoriert. Ein Verzicht auf die explizite Mahnung, es mit den eigenen Worten zu versuchen, hätte vermutlich dazu geführt, dass S8 seine Gedanken auf Japanisch erklärt und somit zwar den inhaltlichen Teil der Aufgabe erfüllt, aber die Gelegenheit, sich auf Deutsch auszudrücken, ein weiteres Mal ungenutzt lässt. Zwar greift S8 auch im späteren Verlauf der Zusammenarbeit wieder zum Wörterbuch, möglicherweise bemüht er sich aber durch den Kommentar verstärkt um die Verwendung der Zielsprache, was aber ohne introspektive Daten von S8 nicht überprüft werden kann. Aus gesichtsrelevanter Perspektive handelt es sich bei den Kommentaren von S14 um stark gesichtsbedrohende Redebeiträge, da der Hinweis, dass es schließlich der Sinn des Unterrichts sei, Deutsch zu sprechen, sowie die Aufforderung, es ohne Wörterbuch zu versuchen, das Vorgehen von S8 als dem Kontext unangemessen klassifizieren. Die Rolle als Leiterin des Gruppengesprächs erleichtert S14 die Äußerung, ebenso wie ihr Verständnis der Gruppenarbeit als Ort der Erprobung der erlernten Sprachkenntnisse. Sie ist sich jedoch im Klaren darüber, dass ihre Ermahnung ggf. etwas harsch gewirkt haben könnte, und versucht, mögliche Schäden durch die anschließende Erklärung sowie ihr unterstützendes Verhalten gegenüber S8 zu reparieren. Die Kritik scheint in diesem Fall keine negativen Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zu haben. Das Gespräch wird fortgesetzt und der Kritisierte nimmt sich den Verbesserungsvorschlag zu Herzen, was dazu führt, dass diejenige, die die Kritik geübt hat, sich hilfsbereit und kooperativ zeigt. 9.6.2 „ Ich denke “ - GA4G3: Verdeckte Kritik durch Wink Wie bei den meisten Gruppen in der Gruppenarbeitsphase 4 ist auch in der Gruppe G3 der Anteil des Japanischen verhältnismäßig hoch (vgl. Kapitel 7.4), was bei S11 zu einer großen Unzufriedenheit mit dieser Gruppenarbeit führt. In der anschließenden Retrospektion betont S11 mehrfach, dass ihrem Empfinden nach zu viel Japanisch gesprochen worden sei, während S9 angibt, dass sie zwar Kopfschmerzen gehabt habe, aber mit ihrer Leistung einigermaßen zufrieden sei. Im Gruppengespräch selbst kommt weder die Unzufriedenheit von S11 noch das Unwohlsein von S9 deutlich zum Ausdruck. S13 als drittes Mitglied hält sich wie in den meisten Gruppen im Hintergrund. Im folgenden Exzerpt findet sich der einzige dezente Hinweis von S11 an die anderen Gruppenmitglieder, dass mehr Deutsch verwendet werden solle. [1] 351 [10: 38.7] 352 [10: 40.1] 353 [10: 43.1] S9 [sup] eher leise S9 [v] えと verheiratet で結婚いいんだっけ? S9 [dt] äh verheiratet ist doch verheiratet? S9 [nv] setzt sich auf, wendet sich zu S11 S11 [sup] leise S11 [v] えとね… S11 [dt] also … S11 [nv] schaut auf eigenes AB nickt ins AB schauend 236 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="237"?> [2] 354 [10: 43.7] 355 [10: 45.4] 356 [10: 47.0] 357 [10: 48.4] 358 [10: 51.0] S9 [sup] sehr leise S9 [v] verheiratet … ja S9 [nv] nickt schaut zu S11, nickt nickt schaut zu AB von S11 S11 [sup] Aussprache etw. engl. S11 [v] ich denke … ah wir denken homosexuelle familie S11 [nv] leicht zu S9 gewandt nickt schaut auf eigenes AB [p] (1,6) [3] 359 [10: 54.4] 360 [10: 55.3] 361 [10: 56.3] 362 [10: 58.5] 363 [10: 59.3] 364 [11: 00.5] 365 [11: 00.9] S9 [sup] leise S9 [v] hmmm hm S9 [nv] nickt nickt nickt beide nicken S11 [v] frau liebt frau mann liebt mann hm S11 [nv] nickt nickt beide nicken S13 [nv] schaut die beiden [p] (1) [4] .. 366 [11: 02.2] 367 [11: 03.0] S9 [v] ja S9 [nv] mehrmals nickt schaut ins AB (bewegt die Lippen, ohne etw. zu sagen) S11 [nv] mehrmals schaut ins AB S13 [nv] an und nickt dann ganz leicht [p] (3,2) [5] 368 [11: 06.2] 369 [11: 06.8] 370 [11: 07.6] S9 [v] neun は S9 [dt] was neun angeht S11 [v] neun [p] (1) S11 [VLE_S11] さすがにやばいと思いだしたのか、そろそろちゃんと 文にしないとと思って、急に ich denke とか wir denken とか言ってみたけど、たぶん言ったところであんま変 わんないんだろうなぁと思って。 / / F/ / 自分が言って ても日本語の量がたぶん変わるわけじゃないなって感 じて、それだったらなんか、ちゃんとやればみんなも やるのかなぁとは思ったけど、たぶんこんだけ日本語 多いグループワークがあんまなかったから…戸惑っ たっていうのがあります。 9.6 Missbilligung 237 <?page no="238"?> 368 [11: 06.2] 369 [11: 06.8] 370 [11: 07.6] S11 [VLE_S11_dt] Hier da habe ich wohl gedacht, so geht ’ s nicht weiter. So langsam müssen wir mal in Sätzen sprechen, habe ich gedacht. Ich habe plötzlich „ ich denke “ oder „ wir denken “ versucht zu benutzen, gleichzeitig habe ich aber vielleicht gedacht, dass das eh nichts ändert./ / F/ / Naja, auch wenn ich das jetzt sage, dann ändert sich ja nicht wirklich etwas an der Menge des Japanischen. Wenn das so wäre, dachte ich, dann müsste ich es nur ordentlich machen, dann würden die anderen einfach mitmachen. Eine Gruppenarbeit mit so viel Japanisch hatte ich, glaube ich, noch nie. Deshalb war ich irgendwie verwirrt. Transkriptauszug 34: GA4G3 „ ich denke “ Im vorausgehenden Verlauf des Gesprächs hat S9 mit vielen Pausen und häufigem Zögern eine Familienform erklärt und ihren Redebeitrag scheinbar beendet, so dass S11 ansetzt, zum nächsten Punkt und somit zu ihrem eigenen Beitrag überzuleiten, sie wird dabei jedoch von S9 durch eine Rückfrage auf Japanisch zur Bedeutung von verheiratet unterbrochen. S11 bestätigt durch ein Nicken, ohne aufzuschauen, S9 wiederholt das Wort in der L2 und bestärkt es mit ja und einem Nicken (354/ 355). Nach einer kurzen Pause setzt S11 leicht zu S9 gewandt erneut an und leitet ihren Redebeitrag mit „ ich denke “ ein, korrigiert sich dann aber zu „ wir denken “ , benennt dann die Familienform und ergänzt eine Erklärung. Durch mehrmaliges Nicken bestätigen die Lernenden einander das Verständnis bzw. Einverständnis, wobei auch die nonverbale Kommunikation hauptsächlich zwischen S9 und S11 abläuft und S13 weiterhin das Geschehen in der Gruppe still beobachtet. Zum Abschluss bestätigt S9 noch einmal mit ja und nach einer Pause von ca. 3 Sekunden, in der keine sichtbare Interaktion stattfindet, leitet S11 zur nächsten Teilaufgabe über, was von S9 bestätigt wird, und die Gruppe fährt mit dem nächsten Punkt fort. In der Retrospektive merkt S11 an, dass sie in diesem Abschnitt bewusst ihre Äußerung mit „ ich denke “ bzw. „ wir denken “ eingeleitet habe, um den Anteil des Deutschen zu erhöhen. Auf die Rückfrage der Forscherin bzw. Assistentin erläutert sie, dass sie dadurch habe mit gutem Beispiel voran gehen wollen, damit die anderen auch versuchen, mehr Deutsch zu verwenden 35 , gleichzeitig habe sie sich von dem Vorgehen aber nicht all zu viel versprochen. Abschließend betont sie noch einmal, dass die häufige Nutzung der L1 für sie sehr irritierend gewesen sei. Im gesamten Gruppengespräch ist von der Unzufriedenheit 35 Eine ähnliche Strategie wird auch von S14 in der GA3G4 eingesetzt, indem sie zu Beginn des Transkriptauszugs 13 bewusst eine Frage auf Deutsch formuliert, um das Gespräch wieder in die L2 zu lenken. Kurz vor diesem Auszug bemängelt S14 das fehlende Sprachbewusstsein der anderen Gruppenmitglieder. 238 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="239"?> von S11 nichts zu erkennen. Sie zeigt sich sehr kooperativ, indem sie sich aktiv zu S9 hinwendet oder als Reaktion auf ihre Aussagen nickt. Die Interaktion zwischen den beiden Studentinnen ist durch ein hohes Maß an Gegenseitigkeit gekennzeichnet, besonders in der nonverbalen Kommunikation. Eine offene Kritik oder direkte Aufforderung an die Kommilitonin, mehr Deutsch zu verwenden, wird von S11 in dieser Situation als unangemessen eingestuft, so dass ihr nur die Option bleibt, die Lage hinzunehmen. Sie entscheidet sich jedoch dafür, wenigstens einen versteckten Hinweis zu geben und hofft, dass die anderen beiden dadurch auf den von ihr empfundenen Missstand in der Gruppenarbeit aufmerksam werden. Die sehr implizite Handlungsaufforderung, mehr Deutsch zu verwenden, wird von den beiden anderen aber nicht angenommen und da weitere explizitere Hinweise von ihr ausbleiben, geht die Gruppenarbeit so weiter wie bisher und führt zu einer frustrierenden Gruppenarbeitserfahrung für S11. Die nur indirekt vorgebrachte Andeutung ihrer Unzufriedenheit, um die Harmonie in der Gruppe zu wahren, resultiert darin, dass ihre Kritik nicht gehört wird und S11 dadurch das Gefühl hat, die Aufgabe nicht richtig erledigt und insgesamt eine negative Lernerfahrung gemacht zu haben. Durch den Verzicht darauf, die eigene Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen, bleibt zwar der Fortgang der Zusammenarbeit ungestört, doch leidet in der Wahrnehmung von S11 die Qualität der Gruppenarbeit, so dass ihrem eigenen Gesicht geschadet wird, weil sie sich hätte mehr auf Deutsch austauschen wollen, aber ihr Verständnis von der Zusammenarbeit von den anderen beiden nicht geteilt worden zu sein scheint. Ob unter den gegebenen Umständen eine offene Aufforderung, die L2 verstärkt zu nutzen, zu dem gewünschten Ergebnis geführt hätte, bleibt insofern fraglich, als S9 sowohl zu Beginn der Gruppenarbeit über Kopfschmerzen klagt als auch im Verlauf des Lauten Erinnerns darauf verweist. Sie bewertet die Gruppenarbeit unter den ungünstigen Bedingungen jedoch als eher positiv. 9.6.3 Missbilligung wird nicht vorgebracht oder übergangen In den VLE-Daten finden sich insgesamt an über 40 Stellen kritische Äußerungen zum Vorgehen oder Verhalten der Mitlernenden. Häufige Kritikpunkte sind zum einen die Umsetzung sprachlicher Handlungen und beziehen sich auf die Sprachwahl oder die Art der Ausdrucksmittel, und zum anderen das Vorgehen in der Gruppenarbeit. Bemängelt wird zum Beispiel die Verwendung der L1, obwohl Wortschatz und Grammatik bekannt seien, Langsamkeit während der Zusammenarbeit oder mangelnde Vorbereitung auf die Gruppenarbeit. Die Unzufriedenheit der Fokuspersonen kann jedoch in der Regel nicht in den Aufnahmen der Gruppengespräche nachgewiesen werden, sondern wird erst retrospektiv geäußert. Meist wird Kritik oder Missbilligung im direkten Gespräch nicht zum Ausdruck gebracht. So beobachtet S11 zum Beispiel, ohne den empfundenen Zeitdruck in der Gruppe zu thematisieren, wie die beiden anderen Mitglieder umfassende Notizen machen, während sie selbst gerne das Gruppengespräch fortsetzen würde. 9.6 Missbilligung 239 <?page no="240"?> 225 [05: 29.2] S11 [VLE_S11] この…この、みんなが書いてる時間が、なんか…自分が言ってる番だからみんながそのな んか一生懸命めっちゃ書いてるから、なんかあんま先に進みたいみたいな言わない方がい いのかなーとか思いながら、書いてたけど、結局これ時間なくなっちゃって最後まででき なかったので、もうちょっと…もうちょっと短くメモしてって言えばよかったかなっての は思いました。 S11 [VLE_S11_dt] Hier … hier, als alle geschrieben haben, naja … weil ich hier dran war und alle so super fleißig krass geschrieben haben, naja da habe ich gedacht, es ist wohl besser, wenn ich jetzt nicht sage, dass ich weiter machen will oder so. Die haben geschrieben, aberletztendlich hatten wir keine Zeit mehr und weil wir nicht alles fertig machen konnten, dachte ich, hätte ich doch mal gesagt, macht eure Notizen ein bisschen … ein kleines bisschen kürzer. Transkriptauszug 35: GA1G1 fleißig schreiben Die Entscheidung, dies nicht in der Gruppe anzusprechen, scheint hier bewusst aufgrund der Tatsache, dass die beiden anderen eifrig schreiben, gemacht worden zu sein. Doch bringt S11 auch ihr Bedauern zum Ausdruck, die Gruppenarbeitsaufgabe nicht vollständig bearbeitet haben zu können, so dass sie, zumindest im Nachhinein, doch lieber hätte etwas sagen wollen. In der Interaktion zeigt sie sich trotz der Kritik im VLE kooperativ und freundlich, indem sie zusätzliche Erklärungen gibt und mit den anderen zusammen lacht. S11 verzichtet zu Gunsten der Gruppenatmosphäre darauf, die anderen beiden anzutreiben und so ggf. die gemeinsame Arbeit unangenehm zu machen oder selbst als Auslöser für Stress wahrgenommen zu werden. Auch in einer anderen Gruppenarbeitsphase entscheidet sich S11 dagegen, die im VLE verbalisierte Kritik am Vorgehen einer Kommilitonin in der Gruppe zur Sprache zu bringen. 435 [12: 44.1] S11 [VLE_S11] これさっきも出てきた単語で、調べたからその単語出てきたのに、なんで読み方も一緒に 見なかったのかなって思ってて、…思ってました。 / / F/ / …のかな?っていう。紙辞書で もたぶんカタカナでも書いてあるし、発音記号も書いてあるから、しかも結構何回も出て きてたから…思いました…。 S11 [VLE_S11_dt] Die Vokabel ist ja vorhin schon mal vorgekommen und obwohl sie die Vokabel nachgeschlagen hatte, warum sie sich nicht gleich auch die Lesung angeschaut hat, habe ich hier gedacht. / F/ Warum wohl? In normalen Wörterbüchern ist die Lesung manchmal auch in Katakana geschrieben und manchmal in phonetischen Zeichen. Aber trotzdem, letztendlich ist das Wort ja schon wer weiß wie oft vorgekommen … dachte ich … Transkriptauszug 36: GA4G3 Lesung nachschlagen Es handelt sich hierbei um die Gruppenarbeit, mit der sie im Nachhinein nicht besonders zufrieden ist (vgl. Kapitel 7.4.4). Ein Kritikpunkt, auf den S11 retrospektiv wiederholt eingeht, den sie aber während der Zusammenarbeit nicht thematisiert, ist der hohe Japanischanteil im Gespräch. Auch im obigen Beispiel geht es um die sprachliche Leistung der Kommilitonin. S11 bemängelt hier die Unkenntnis der Aussprache, die einerseits hätte bekannt sein müssen, da das Wort mehrfach im Unterricht vorkam, andererseits im Wörterbuch hätte nachgeschlagen werden können. Im VLE drückt sie ihre Kritik sehr offen 240 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="241"?> aus, indem sie betont, dass man die Lesung sowohl in japanischer Umschrift als auch in phonetischen Zeichen nachschlagen könne und das Wort schon oft vorgekommen sei. Durch die ausführliche kritische Äußerung im VLE lässt sich erkennen, dass S11 sich sehr an dem gebrochen vorgetragenen Redebeitrag stört. Sie greift aber weder helfend ein noch macht sie Verbesserungsvorschläge oder bringt anderweitig ihre Gedanken ins Gespräch ein. Eine kritische Bemerkung wäre hier auf jeden Fall ein hoch gesichtsbedrohender Akt in Bezug auf das Gesicht der Kommilitonin, ein Eingreifen jedoch in Form einer direkten Hilfestellung oder eines Vorschlags zur Hilfe könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass S11 an der sprachlichen Kompetenz der Mitlernerin zweifelt. Sie zeigt sich aber in dieser Situation als sehr freundliche und aktive Zuhörerin, indem sie wie bereits in Transkriptauszug 34 (Kapitel 9.6.2) bei jeder Silbe nickt, sich vorbeugt und mit S9 zusammen lacht. Auch bei anderen Fokuspersonen finden sich kritische Äußerungen in Bezug auf die jeweiligen Gruppenmitglieder. S7 zum Beispiel empfindet die fehlende Reaktion der anderen als beschwerlich und unangenehm, verbalisiert dies aber nicht explizit in der Gruppe. 247 [08: 20.5] S7 [VLE_S7] / F/ あっ、そうそれがなんかやりづらいっていうか…なんかあれなんか反応し てくれないから、先生もよくやるじゃないですか。「なんかないの?」みた いな。その感じがすごいしました。なんかこのグループでやってる時は。反 応してくれないからやっぱりなんかなんだろうな。うーん…なんだろう楽し いとかそういうんじゃないしやっぱりなんか一人でやってるのかなぁみたい な勘違いしちゃうんですよね。 / F/ あーそうですよね。いかないとダメです よね。 S7 [VLE_S7_dt] / F/ Ah, ja das war irgendwie anstrengend oder viel mehr … irgendwie also weil die anderen irgendwie nicht reagiert haben, Sie machen das ja auch oft, nicht wahr. „ Wollt ihr nichts dazu sagen? “ oder so. So ein Gefühl hatte ich da ganz stark, als wir in dieser Gruppe gearbeitet haben. Stimmt schon, weil man keine Reaktion bekommt, irgendwie jo wie kann man sagen. Joa, Spaß macht das so ja nicht. Ja, das fühlt sich so an, als würde man das alles alleine machen, ne. / F/ Ach so, ne. So geht das ja nicht ne. Transkriptauszug 37: GA2G2 keine Reaktion Den einzigen verbalen Hinweis darauf, dass von seiner Seite eine Reaktion gewünscht wird, bildet eine an S13 gerichtete Frage, ob alles klar sei (vgl. Kapitel 9.9.2, Transkriptauszug 55). Da aber in den langen Redepausen niemand von den anderen das Wort ergreift, fährt S7 fort und bestreitet die Gruppenarbeit quasi allein. Die anderen Gruppenmitglieder zeigen sich zwar kooperativ, indem sie leicht nicken, zuhören und das Gesagte auf ihren Arbeitsblättern verfolgen, greifen aber nicht aktiv in die Aufgabenbearbeitung ein. Das Schweigen der Gruppe ist hier vermutlich auf mehrere Faktoren zurückzuführen. S15 erscheint an diesem Tag verspätet zum Unterricht, so dass sie ohne Vorbereitung in diese Gruppenarbeit kommt und deshalb nicht viel zur Aufgabenbearbeitung beitragen kann (vgl. Kapitel 7.2.3). S13 nimmt meist ohnehin eine zurückhaltende Haltung ein, während S5 sein eigenes Verhalten an der Handlungsweise der Gruppe ausrichtet (Kapitel 8.1.9). Auch S7 nimmt in Abhängigkeit davon, mit wem er in einer Gruppe ist, 9.6 Missbilligung 241 <?page no="242"?> unterschiedliche Rollen ein. So hat er in den Gruppenarbeitsphasen GA3 und GA4, in denen er mit S2 und S5 zusammenarbeitet, die Rolle des Tutors bzw. des Sempais - des älteren Kommilitonen - , der seine jüngeren Mitstudierenden durch die gemeinsame Gruppenarbeit hindurch anleitet, angenommen und entsprechend ausgefüllt. In der Phase GA5 jedoch hält er sich stark zurück und überlässt seinen Kommilitoninnen die Führung des Gesprächs (Kapitel 7.5.2). In der hier betreffenden GA2 übernimmt S7 zwar auch die Leitung, bekommt aber nicht die gewünschte Rückmeldung, so dass er sich in seiner Leitungsrolle nicht ganz wohl fühlt und die mangelnde Reaktion als unangenehm empfindet. Eine weitere Ursache könnte in der Art der Aufgabe bestehen. Es sollen Fotos und Texte einander zugeordnet werden und obwohl theoretisch verschiedene Lösungsmöglichkeiten denkbar sind, kommen alle Vorbereitungsgruppen zum selben Ergebnis, so dass die kommunikative Gruppenarbeit zu einem simplen Ergebnisvergleich wird und die Vorschläge der jeweils sprechenden Person in der Gruppe von den anderen Mitgliedern nur bestätigt werden müssen (Kapitel 7.2.1). Weitere Situationen, in denen die Fokuspersonen die Sprachverwendung oder das Vorgehen ihrer Kommilitonen kritisch sehen, aber nicht explizit in der Gruppenarbeit zur Sprache bringen, sind etwa Redebeiträge auf Japanisch (z. B. durch S14) oder sehr kurze Äußerungen, die nach Ansicht der Fokusperson weitere Ausführungen benötigen (z. B. durch S11). In den meisten Fällen verzichten die Lernenden darauf, den Kritikpunkt zu thematisieren, und so bleibt die Missbilligung des Verhaltens in der Regel unbemerkt. In der Gruppenarbeitsphase 5 in der Gruppe G4 übergeht S10 die Frage eines Kommilitonen jedoch ganz bewusst und tadelt dadurch indirekt dessen Verhalten. S8 und S13 haben in der betreffenden Gruppenarbeit ihre idealen Familienkonstellationen vorgestellt und S10 beginnt im nachstehenden Exzerpt Rückfragen an S13 zu seinem Familienideal zu stellen. Sie unterstützt S13, indem sie ihm bei der Wortwahl hilft, nickt und sich ihm zuwendet. Als S10 ansetzt, eine zweite Frage zu formulieren, mischt sich S8 ein und fragt, ohne den Blick von seinen Unterlagen, in denen er Notizen zur Gruppenarbeit vorliegen hat, abzuwenden auf Japanisch, ob sie denn noch eine Frage stellen wolle (193). [1] 158 [03: 25.9] … 163 [03: 30.0] 164 [03: 30.6] 165 [03: 31.6] 166 [03: 32.6] … 172 [03: 40.2] 173 [03: 41.1] S10 [v] wo hm hm hm S10 [nv] schaut kurz S13 an nickt nickt nickt S13 [sup] leise sehr leise S13 [v] iCHI möchte leben S13 [nv] nickt, kurzer Blick zu S10 [p] (1) 242 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="243"?> [2] 174 [03: 41.8] 175 [03: 42.9] 176 [03: 44.0] 177 [03: 44.7] 178 [03: 47.2] 179 [03: 48.3] 180 [03: 49.5] 181 [03: 50.6] S8 [v] japan ahhh ja ich denke genauso S10 [sup] leicht lachend lachend S10 [v] japan … ohhh 確かに S10 [dt] in der tat S10 [nv] beugt sich vor lehnt sich zurück, Blick zu S8 nickt lacht S13 [v] in japan S13 [nv] Blick zu S10 nickt [p] (1,1) [3] 182 [03: 51.1] 183 [03: 52.0] 184 [03: 52.8] 185 [03: 55.2] 186 [03: 56.4] 187 [03: 57.6] 188 [03: 58.2] 189 [03: 59.2] 190 [03: 59.5] 191 [04: 00.5] S8 [v] hm? えといい S8 [dt] äh okay S10 [sup] steigende Intonation S10 [v] ich auch hmmmm? hä? S10 [dt] S10 [nv] nickt schaut in eigen. Notizen fährt Finger übers AB [p] (0,9) (2,4) (1,2) (1) (1) [4] 192 [04: 01.2] 193 [04: 02.0] 194 [04: 04.0] 195 [04: 07.0] S8 [v] なんだなんだ?また質問か? S8 [dt] was denn was denn? wieder eine frage? S8 [nv] schaut in seine Unterlagen S10 [v] hmmmmmmm S10 [nv] schaut nicht auf [p] (0,8) (2,9) S10 [VLE_S10] 「また質問か」っていう問い に、なんかもうこれディス カッションだから話し合わな きゃじゃんって思って、質問 してもいいじゃんって思って ました。 S10 [VLE_S10_dt] Auf die Frage „ Wieder eine Frage? “ , habe ich gedacht: Ja was denn, das ist doch eine Diskussion, also müssen wir diskutieren, oder nicht? Ich dachte, ist doch okay, wenn ich jetzt eine Frage stelle. 9.6 Missbilligung 243 <?page no="244"?> [5] 196 [04: 09.0] 197 [04: 11.5] 198 [04: 12.1] 199 [04: 14.4] 200 [04: 15.6] 201 [04: 16.8] 202 [04: 20.2] S8 [nv] schaut zu S10 S10 [sup] langsam S10 [v] ähhh なに あ どうしよ ich habe eine andere idee S10 [dt] was ah was mache ich S10 [nv] liest vom AB ab schaut S13 an S13 [nv] schaut zu S10 [p] (2,5) (2,3) (1,2) (2,4) [6] 203 [04: 22.6] 204 [04: 23.1] 205 [04: 24.2] 206 [04: 25.4] 207 [04: 26.9] 208 [04: 29.1] 209 [04: 31.8] 210 [04: 32.7] S8 [nv] sucht im eWB Blick zu S10 S10 [v] sie ah du du … möchte machen S10 [nv] Geste zu S13 S13 [nv] Blick zu S10 nickt [p] (1,1) (1,5) (2,7) (1) [7] 211 [04: 33.6] S10 [v] lieblings lieblingsdinge? Transkriptauszug 38: GA5G4 „ noch eine Frage “ (leicht gekürzt) S10 schaut weder in Richtung von S8, noch reagiert sie sonst in irgendeiner Form auf seinen Einwurf, sondern bleibt zu S13 gewandt und denkt über ihre Frage nach, die sie nach zahlreichen Pausen und Verzögerungssignalen auf Deutsch an diesen richtet. Im Gruppenarbeitsgespräch fällt dieses bewusste nicht auf den Kommentar Eingehen nicht besonders auf und könnte auch einfach ein Anzeichen dafür sein, dass S10 und S13 so in die inhaltliche Arbeit vertieft sind, dass sie den Kommentar von S8 gar nicht gehört haben. Durch das VLE wird jedoch klar, dass S10 die Frage gezielt ignoriert. Sie hat die Frage nicht nur wahrgenommen, sondern auch als ungerechtfertigt eingeordnet und hat sie daher ganz bewusst übergangen. Da sie die Gruppenarbeit als Diskussionsaufgabe versteht, hält sie die Frage bzw. den Kommentar von S8 für unpassend, weil ihrer Meinung zufolge das Stellen von Fragen essentieller Bestandteil einer Diskussion ist. Durch das Ignorieren gibt sie subtil ihre Missbilligung der Frage zu verstehen, ohne sie explizit zu thematisieren. Einerseits kann diese Strategie durchaus als gesichtsbedrohend eingestuft werden, da Nichtbeachtung eines Gesprächsteilnehmers im hohen Maße respektlos gegenüber der ignorierten Person ist (vgl. Brown & Levinson 1987: 67). Andererseits kann das Übergehen von S8s Frage von Außenstehenden auch als bloßes Versehen interpretiert werden, so dass der Akt des Ignorierens gar nicht wahrgenommen wird. Auch die Frage von S8 kann eine kritische Komponente enthalten haben, da er anscheinend versucht, seinen vorbereiteten Redebeitrag einzubringen (189 und 191), von den Rückfragen von S10 jedoch davon abgehalten wird. Offensichtlich rechnet er 244 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="245"?> nicht mit diesem Ablauf und bringt zumindest seine Verwunderung, ggf. aber auch Unzufriedenheit mit dem Vorgehen der Kommilitonin durch die Frage auf Japanisch zum Ausdruck (193). Da jedoch von ihm keine introspektiven Daten vorliegen, kann die Interpretation nicht überprüft werden. In anderen Situationen wiederum beobachten Studierende das Verhalten der anderen Gruppenmitglieder und nutzen es als Anlass für eine kritische Reflexion bestimmter Verhaltensweisen, wie zum Beispiel mangelndes Sprachbewusstsein der Mitlernenden (vgl. S14 Kapitel 7.3.5) oder den Einsatz von Kommunikationsstrategien wie etwa im folgenden Transkriptauszug. In der Gruppenarbeitsphase 4 beobachtet S10 in ihrer Gruppe die Interaktion zwischen einer Kommilitonin und der Lehrperson, in der die Mitstudentin sehr leise auf Japanisch um die Wiederholung der Frage unterstützt durch einen erhobenen Zeigefinger bittet, und stellt fest, dass hier die eigentliche Frage hätte auf Deutsch gestellt werden können. 448 [12: 02.2] S10 [VLE_S10] S1 が noch einmal bitte のこのポーズをした時に、なんか S1 だけじゃないけど、これ やっちゃうなーって思って。このジェスチャーで確かに伝わるけど、 noch einmal bitte は結構なんか結構何だろう…楽しちゃうっていうか、これって noch とか、だか ら全部言った方がいいなって思いました。 S10 [VLE_S10_dt] Als S1 bei „ noch einmal bitte “ diese Pose gemacht hat, es ist ja nicht nur S1, aber da dachte ich, ah sie macht die Geste. Mit dieser Geste wird man ja tatsächlich verstanden, aber man macht es sich mit „ noch einmal bitte “ so ja schon sehr wie sollich sagen … einfach. Wenn man dabei nur noch sagt oder so. Deshalb habe ich gedacht, dass es besser wäre, wenn man da alles sagt. Transkriptauszug 39: GA4G2 Geste Schon allein durch die Anwesenheit der Lehrperson wäre hier eine Verbalisierung des Gedankens gegenüber der Kommilitonin unangemessen gewesen. Doch handelt es sich hier weniger um eine Kritik an der Person oder dem Verhalten, sondern um die allgemeine Feststellung, dass man in diesem Fall bereits aufgrund der Geste verstanden wird und dadurch die verbale Kommunikation erleichtert. S10 stellt für sich fest, dass man hier vielleicht auf die Geste verzichten und den ganzen Satz aussprechen sollte, um so eine weitere Gelegenheit zu haben, seine Sprachkenntnisse anzuwenden. An einer anderen Stelle kommentiert S10 auch ihr eigenes Verhalten kritisch und gesteht, nicht richtig zugehört zu haben. 135 [04: 12.2] S10 [VLE_S10] [ … ] この時ちょっと違う方に意識があって、この、女の子の言ってること がしっかり聞いてなかったから、でもちょっと戸惑ってたから、なんか教 えたり、意識を共有できたらなーと思いました。 S10 [VLE_S10_dt] [ … ] Zu dieser Zeit war ich mit den Gedanken etwas woanders, und ich habe nicht so genau zugehört, was das Mädchen sagte, und deshalb war ich ein wenig verwirrt, also habe ich gedacht, dass es ganz gut gewesen wäre, wenn man hätte etwas erklären können oder seine Gedanken miteinander teilen können oder so. Transkriptauszug 40: GA2G3 Unaufmerksamkeit 9.6 Missbilligung 245 <?page no="246"?> Die eigene Unaufmerksamkeit während der Gruppenarbeit zu thematisieren könnte als ein deutliches Anzeichen von mangelndem Interesse und fehlender Kooperationsbereitschaft interpretiert werden und wäre in jedem Fall eine gravierende Gesichtsbedrohung, die es zu vermeiden gilt (vgl. Brown & Levinson 1987: 67). Auch dem Fortgang der Aufgabenbearbeitung wäre eine Offenlegung der fehlenden Aufmerksamkeit nicht zuträglich gewesen, also wird von S10 das Verhalten lediglich kritisch reflektiert, kommt aber nicht in der Interaktion zum Ausdruck. 9.6.4 Zusammenfassung: Missbilligung Die in den VLE-Daten identifizierten Missbilligungen beziehen sich auf individuelle Verhaltensweisen sowie auf gruppenspezifisches Vorgehen. Während sprachliche oder inhaltliche Abweichungen bei den Mitlernenden eher neutral zur Kenntnis genommen und entweder als Teil der Aufgabe angesprochen oder zur Erhaltung eines reibungslosen Arbeitsablaufs ignoriert werden (vgl. Kapitel 9.1), nehmen die Lernenden verhaltens- und vorgehensbezogene Diskrepanzen emotionaler und kritischer wahr. Lassen etwa Reaktionen der anderen Gruppenmitglieder zu lange auf sich warten, so wird die Zusammenarbeit als mühsam beurteilt; ein zu hoher Anteil japanischer Redebeiträge wird als hinderlich für die Aufgabenerfüllung eingeschätzt. Jedoch wird das während des lauten Erinnerns beanstandete Verhalten nur ein einziges Mal explizit in der Gruppenarbeit thematisiert. In zwei weiteren Fällen wird versucht, mit gutem Beispiel voranzugehen und so durch das eigene Verhalten die Aufmerksamkeit auf den Missstand zu lenken. In allen drei Episoden, in denen sich das Missfallen auch im Gruppengespräch widerspiegelt, wird die Sprachwahl einer anderen Person bemängelt. Es handelt sich also um einen konkreten Aspekt, der ausdrücklich einen Teil der Aufgabe darstellt und folglich unter Berufung auf die Aufgabe selbst, die Vorgaben der Lehrperson oder die Situierung im Fremdsprachenunterricht von den Peers eingefordert werden kann. Trotz der institutionellen Rahmenbedingungen, die eine Ermahnung der Mitlernenden zur Verwendung der L2 legitimieren würden, wird von der Möglichkeit nur selten Gebrauch gemacht und wenn, dann wird sie nur mit nachträglichen Abschwächungen oder indirekten Andeutungen ausgesprochen. Es finden sich vereinzelt Episoden, zu denen keine VLE-Daten vorliegen, in denen die Lernenden sich gegenseitig durch die direkte Aufforderung „ Auf Deutsch! “ ermahnen, doch wird die Aufforderung in der Regel durch Lachen abgeschwächt und geht zudem von den Gruppenleitern aus. Andere als unangemessen eingestufte Verhaltensweisen oder Arbeitsabläufe werden hingegen gar nicht in der Gruppe zur Sprache gebracht. Weder werden Kommilitoninnen und Kommilitonen zur Eile angetrieben oder um Wortmeldungen gebeten, noch werden Verhaltensweisen kritisiert oder Verbesserungsvorschläge gemacht. Es finden sich zwar einzelne Bitten um Redebeiträge in den Interaktionsdaten, doch dienen diese meist zur Überbrückung von Ausdrucksschwierigkeiten 36 . Darüber hinaus versucht S7 manchmal, bestimmte Lernende durch die Frage „ Was denken Sie? “ zur Mitarbeit anzuregen und S13 fragt einmal in der L1 nach, ob er keine Antwort bekomme. Doch liegen zu diesen Episoden keine introspektiven Daten vor, so dass diese Beispiele hier unberücksichtigt bleiben. 36 Werden Mitlernende in der Gruppe aufgerufen, ist dieses der Lehrperson vorbehaltene Verhalten meist von Lachen begleitet und daher als eher scherzhaft gekennzeichnet (vgl. Liebscher & Marsh 2019). 246 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="247"?> Anders als sprachliche Korrekturvorschläge oder inhaltliche Meinungsdifferenzen wird Kritik an individuellen Verhaltensweisen fast gar nicht im Gruppengespräch realisiert. Kritikpunkte werden zwar bemerkt und in den VLE-Daten kommentiert, doch entscheiden sich die Lernenden dagegen, ihre Missbilligung zum Ausdruck zu bringen, da die damit verbundene Gesichtsbedrohung für die Interagierenden zu groß wäre. Hinweise auf die sprachliche Richtigkeit oder Unstimmigkeiten im Meinungsaustausch werden als Teil der einzelnen Arbeitsaufträge, aber auch als Aufgabe eines Fremdsprachenlernenden angenommen und können so in diesem spezifischen Kontext relativ gefahrlos umgesetzt werden. Hat jedoch ein Gruppenmitglied das Bedürfnis, umfangreiche Notizen zu machen oder etwas nachzuschlagen, anstatt es in der Gruppe zu erfragen, ist diese Handlung eine persönliche Entscheidung und macht es für gleichberechtigte Gruppenmitglieder schwierig diese zu kritisieren (vgl. auch Spencer-Oatey 2008: 14). Kritik auf persönlicher Ebene würde die Stimmung in der Gruppe negativ beeinflussen und eine weitere Zusammenarbeit erheblich erschweren oder sogar vollständig verhindern. 9.7 Anerkennung Das positive Gegenstück zur Äußerung von Missfallen - etwa in Form von Kritik - ist der Ausdruck von Anerkennung. Durch Lob oder Komplimente hebt der Sprecher bzw. die Sprecherin die Eigenschaften oder Handlungen des Gegenübers oder nicht anwesender dritter Personen zwar positiv hervor, doch kann eine solche Betonung auch zu gesichtskritischen Situationen führen (vgl. Schwitalla 1996: 285). Das Lob könnte als ehrliche oder unehrliche Schmeichelei oder als Ausdruck von Neid interpretiert werden, durch die der Eindruck entsteht, dass der Sprecher oder die Sprecherin sich etwas von den Adressierten erwartet, was diese ggf. nicht zu geben bereit sind (vgl. u. a. Stoianova-Dimova 2014: 48; Brown & Levinson 1987: 66). Wird etwas Positives über eine anwesende Person gesagt, muss diese in der Regel darauf reagieren. Nimmt man aber ein Kompliment einfach an, könnte das als eine Art Selbstlob gewertet werden, was im Allgemeinen als unangemessen gilt; weist man eine positive Bewertung durch andere zurück, muss man der lobenden Person widersprechen, was wiederum den harmonischen Ablauf einer Interaktion stören könnte (Pomerantz 1978: 83). Darüber hinaus betont eine explizite Aufwertung einzelner Personen in einer Gruppe die Besonderheit des gelobten Mitglieds und grenzt dieses von den anderen ab bzw. aus, was dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Akzeptanz widerspricht. Als eine Form von positivem Feedback spielt die Äußerung von Anerkennung eine wichtige Rolle im Fremdsprachenunterricht. Durch Beitragsratifizierung gestalten und lenken Lehrkräfte das Unterrichtsgeschehen (Spiegel 2006: 72). Die Lernenden erwarten nicht nur, sondern wünschen auch, dass ihre Beiträge durch die Lehrperson bewertet werden, um daraus Schlüsse auf ihre eigene Leistung und Lernfortschritte ziehen zu können (u. a. Sato 2013: 612). Unter Peers hingegen kann die explizite Bewertung sprachlicher Leistungen anderer aus mehreren Gründen als unangenehm oder unpassend empfunden werden. Die gegenseitige Beurteilung von Beiträgen und Leistungen unter Lernenden birgt von Natur aus Potential für gesichtskritische Situationen (Liu & You 2019: 74). Ebenso wie bei einem Korrekturvorschlag impliziert ein Lob, dass auf der 9.7 Anerkennung 247 <?page no="248"?> Sprechendenseite eine gewisse Kompetenz zur Beurteilung liegt, die Lernende entweder nicht für sich beanspruchen, da ihnen noch das nötige Wissen fehlt, oder nicht zeigen möchten, um nicht als arrogant angesehen zu werden (u. a. Philp et al. 2010: 271f ). Studien belegen allerdings auch, dass Lernende die Zusammenarbeit in Kleingruppen mit anderen Lernenden als entspannter empfinden als etwa die Äußerung vor der Lehrperson und dem gesamten Kursverband, und sich verstärkt darum bemühen ihre Äußerungen auch ohne Hinweise ihrer Mitlernenden möglichst verständlich in der Zielsprache umzusetzen (Sato 2007: 202). Eine Präferenz auch positives Feedback zurückzuhalten zeigt sich ebenfalls in den Daten der vorliegenden Studie. In den retrospektiven Daten wurden alle Hinweise auf eine positive Beurteilung der Kommilitonen als Anerkennung kodiert und anschließend überprüft, inwiefern sich diese in der Interaktion widerspiegelt. Zwar beobachten drei Studentinnen aus der Fokusgruppe manchmal interessante Ideen, neue Strukturen oder bemerkenswerte Verhaltensweisen ihrer Mitlernenden und kommentieren diese auch in den VLE-Sitzungen, doch kommt die Anerkennung lediglich in zwei Fällen im Gruppengespräch zum Ausdruck. S7 S9 S10 S11 S14 Vorgehen 0 2 1 0 1 4 Idee 0 3 0 0 0 3 Sprache 0 2 0 0 3 5 Gesamt 0 7 1 0 4 12 Tab. 19: Fundstellen zur Thematisierung von Anerkennung in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Besonders S9 verwendet im Zusammenhang mit den Beiträgen der anderen Gruppenmitglieder häufig das Wort すごい (sugoi) in der Bedeutung toll, mit dem in japanischen Alltagsgesprächen oft Bewunderung zum Ausdruck gebracht wird. G1 G2 G3 G4 GA1 0 2 1 2 5 GA2 0 0 0 1 1 GA3 4 0 0 0 4 GA4 0 0 1 1 2 GA5 0 0 0 0 0 Tab. 20: Fundstellen zur Thematisierung von Anerkennung in den VLE-Daten nach Gruppen Ein Vergleich der Gruppenarbeitsphasen zeigt, dass vor allem die Aufgaben zur Künstlerbiographie (Kapitel 7.1.1) und zur Familienbriefmarke (Kapitel 7.3.1), die sowohl für die Sprachverwendung als auch für die inhaltliche Ausarbeitung viel kreativen Spielraum enthalten, Anlass bieten, den Input der Kommilitonen lobend hervorzuheben. Zunächst wird ein kurzer Überblick darüber gegeben, welche Handlungen und Eigenschaften von den Fokuspersonen retrospektiv als bewundernswert hervorgehoben, aber nicht thematisiert wurden. Anschließend soll anhand der wenigen Beispiele in denen Lob 248 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="249"?> während der Aufgabenbearbeitung ausgesprochen wurde, gezeigt werden, wie die Lernenden die Äußerung expliziter Anerkennung untereinander handhaben. 9.7.1 Anerkennung nicht aussprechen Zwar werden Redebeiträge, Arbeitsweise und Ideen der Mitlernenden sehr genau beobachtet und anerkennend zur Kenntnis genommen, was sich in den retrospektiven Daten zeigt, doch wird Lob ähnlich wie Kritik eher selten zum Ausdruck gebracht. In der Regel bemerken die Studierenden interessante Ausdrucks- oder Verhaltensweisen im Stillen, ohne ihre Beobachtungen in der Gruppe zu thematisieren. Zum Beispiel bemerkt S9 in der Gruppenarbeitsphase GA3 in der Gruppe G1, dass ihre Sitznachbarin S15 ihrer Idee zur Familienbriefmarke eine Begründung durch einen weil-Satz anfügt. 65 [02: 16.6] S9 [VLE_S9] ここでえっと weil とかを使って文章作ってきてて、私たちのグループはそこまでしてな かったのですごいなぁって思いました。 S9 [VLE_S9_dt] Hier da hat sie „ weil “ benutzt und einen richtigen Satz vorbereitet. Weil unsere Gruppe nicht so weit gemacht hatte, dachte ich: wow, toll! Transkriptauszug 41: GA3G1 weil-Satz In der Gruppe wird der Beitrag von S15 jedoch nur durch Rezeptionssignale und Nicken honoriert und das Gespräch wird ohne weitere Kommentare fortgesetzt. Ebenso geht S14 nicht auf die zusammengesetzte Bezeichnung einer Familienform von S12 ein, obwohl sie diese Form der Wortbildung als bemerkenswert wahrnimmt. 161 [03: 50.5] S14 [VLE_S14] 私の班では横棒を使って単語を作るみたいな発想がなかったので、この意見を聞い て、あ、こういうやり方もあるなって思いました。 S14 [VLE_S14_dt] Weil wir in meiner Gruppe nicht auf die Idee gekommen sind, Vokabeln mit Bindestrich zu machen, habe ich gedacht, ach so kann man das auch machen, als ich das gehört habe. Transkriptauszug 42: GA4G4 Bindestriche Sie stimmt lediglich zu und bestätigt, wie der Rest der Gruppe durch Nicken, dass sie verstanden hat, äußert sich aber nicht über ihren Erkenntnisgewinn. Meist werden besondere Vokabel- oder Grammatikkenntnisse sowie interessante, besonders kreative Ideen in den VLE-Daten anerkennend hervorgehoben, vereinzelt finden sich aber auch Beispiele für Wertschätzung in Bezug auf das Vorgehen. S10 etwa bewundert in der Retrospektive die Art und Weise, wie ihre Kommilitonin das Arbeitsblatt in die Hand nimmt. 9.7 Anerkennung 249 <?page no="250"?> 590 [15: 31.3] S10 [VLE_S10] この時に…この、女の子の、あのその今日のこのプリントの取り方が、わぁ綺麗だ なっておーっと見てたと思ってたと思います。 S10 [VLE_S10_dt] Hier … Wie dieses Mädchen, also, das Arbeitsblatt von heute, wie sie das genommen hat, da dachte ich ohhh wie schön. Transkriptauszug 43: GA1G3 Arbeitsblatt Ihre Bewunderung spricht sie aber ebenfalls nicht laut in der Gruppe aus. Die hier beschriebenen Episoden, in denen im Stillen die Leistungen und Fähigkeiten der Mitlernenden registriert wurden, beziehen sich auf sprachliche oder individuelle Aspekte. Das Aussprechen der Anerkennung würde zum einen das Gruppengespräch von der inhaltlichen Ebene ablenken und folglich die eigentliche Aufgabenbearbeitung stören. Zum anderen könnte ein Lob von einem Peer in Bezug auf Sprache als unangemessen empfunden werden und somit das Beziehungsgleichgewicht innerhalb der Gruppe beeinträchtigen, da unter den Mitgliedern von einer gewissen Gleichheit ausgegangen wird (vgl. u. a. Erichsen 2021: 64). Das Hervorheben bestimmter Verhaltensweisen wiederum würde zu sehr auf persönliche Eigenschaften eingehen und könnte daher als inadäquat wahrgenommen werden, da man dadurch das Risiko eingeht dem Gesprächspartner durch unpassende Schmeicheleien zu nahe zu treten. 9.7.2 „ Er ski fährt gern “- GA1G2: Lob sprachlicher Fähigkeiten Vereinzelt sprechen die Lernenden jedoch ihre Anerkennung aus wie etwa in der Gruppenarbeit GA1 G2. S5, S12 und S14 arbeiten in dieser Gruppe zusammen (Kapitel 7.1.2). Die folgende Sequenz findet sehr früh im Verlauf der Gruppenarbeit statt, in der sich die Lernenden zunächst über ihre Vermutungen zu den Alltagsgegenständen auf den Fotos des Künstlers austauschen. Sobald S5 den Satz „ er mag ski “ formuliert, schließt sich S14 gleich an, bestätigt ihn zuerst auf Japanisch, bevor sie ihren eigenen Vorschlag auf Deutsch hinzufügt. [1] 78 [01: 52.0] 79 [01: 53.9] 80 [01: 55.1] 81 [01: 56.1] 82 [01: 56.6] S5 [v] ah ah S5 [nv] S12 [v] ah 私 er ski fährt gern S12 [dt] ich hab S12 [nv] schaut auf AB, S14 zugewandt S14 [v] うんでも同じだもん er mag sport S14 [dt] jo ist bei mir aber genau so S14 [nv] schaut aufs AB, lächelt Blick zu S5 nickt zu S5 250 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="251"?> [2] 83 [01: 58.8] 84 [01: 59.8] S5 [v] ahnn … S5 [nv] beugt sich vor, Blick auf AB von S12 Blick zu S12, nickt leicht S12 [v] ski fährt S12 [nv] Blick zu S14 S14 [v] ahhhh … S14 [nv] Blick Richtung AB von S12 S14 [VLE_S14] えっと、この ski? ? sch …発音… ski … / / シーが私と 彼はあの名詞だけ、名詞を使うってことしか頭に なくて、 ski mag を使ったと思うんですけど、彼女 はあのー、 ski をするっていう動詞を使っていて、 あのー前日の授業で動詞をいっぱい使おうってい う回をやったんですよ、授業で。なんで、ちゃん とそこを活かしてるなーって思いました。 S14 [VLE_S14_dt] Also, diese „ Ski? ? Sch …“ die Aussprache Ski … / / Ski, also ich und er hatten ja nur das Nomen, wir hatten nur die Verwendung des Nomen im Kopf und ich denke, sie hat „ ski mag “ benutzt. Also sie hat das Verb ski fahren benutzt und wir hatten erst am Vortag im Unterricht ganz viele Verben benutzt und durchgenommen. Und da habe ich gedacht, die kann die ja richtig benutzen. [3] 85 [02: 00.5] 86 [02: 02.5] 87 [02: 03.2] S12 [v] でスキーするっていう あの系普通の名詞って系 S12 [dt] das heißt „ ski fahren “ also eine art mit normalen nomen S12 [nv] schaut S5 an, Geste „ Päckchen abstellen “ Geste „ Päckchen hochheben “ S14 [v] hm へえええ [4] 88 [02: 05.6] 89 [02: 06.9] 90 [02: 08.1] 91 [02: 09.5] S5 [sup] leicht lachend S5 [v] hmmmm 天才 S5 [dt] genie S12 [nv] Blick zu S14, dann S5 Blick zu S14 beginnt zu notieren S14 [v] すごい S14 [dt] toll S14 [nv] nickt mehrmals zu S12 ordent ABs [p] (1,1) 9.7 Anerkennung 251 <?page no="252"?> [5] 92 [02: 10.6] S12 [sup] leise S12 [v] ジェニーはない ね かけてた S12 [dt] ein genie bin ich nicht das war zufall S12 [nv] schüttelt leicht den Kopf, lächelt Transkriptauszug 44: GA1G2 „ er ski fährt gern ” S12 bietet anschließend die alternative Formulierung „ er ski fährt gern “ an, die von den beiden anderen nach einem kurzen bestätigungssuchenden Blick auf das Arbeitsblatt von S12 durch Nicken sowie akustische Verstehenssignale angenommen wird. S12 antizipiert weiteren Erklärungsbedarf und ergänzt nach einer Übersetzung ins Japanische eine kurze grammatische Erläuterung in der L1, woraufhin die beiden anderen erneut mit Nicken und Verstehenssignalen reagieren. Nach einer kurzen Pause für Notizen spricht S14 auf Japanisch ihre Anerkennung aus (90) und S5 fügt mit einer leicht lachenden Stimme ein Lob an (91), das S12 aber ablehnt indem sie ihre Leistung herunterspielt (92). Die Anerkennung greift S14 im VLE erneut auf und hebt dabei insbesondere hervor, dass die Kommilitonin nicht nur das passende Verb verwendet, im Gegensatz zu ihr selbst und S5, die sich lediglich auf das Nomen konzentriert haben, sondern dass es ihr gelingt, die am Vortag in einem anderen Unterricht gelernten Vokabeln auf den heutigen Kontext zu übertragen. Dies ist die einzige Episode im erhobenen Datenmaterial, in der Anerkennung für sprachliche Leistungen anderer Gruppenmitglieder in den Interaktionsdaten nachvollzogen werden kann. Ohne die VLE-Daten wäre allerdings eine eindeutige Interpretation dieser kurzen Sequenz als Lob von S14 in Bezug auf die Sprachkenntnisse von S12 schwierig, da der Kommentar von S14 すごい (sugoi - toll) sich etwa auch darauf beziehen könnte, dass alle in der Gruppe eine ähnliche Idee hatten oder ähnliches. Im vorliegenden Beispiel wird das Aussprechen der Anerkennung dadurch erleichtert, dass S12 ihren Redebeitrag durch die zusätzliche Erklärung auf Japanisch als Erkenntnisgewinn für die beiden anderen kennzeichnet. Sie vermittelt ihre Deutschkenntnisse in der Gruppe und S14 zeigt durch verschiedene Rezeptionssignale, dass es sich für sie tatsächlich um neue Informationen handelt. Im VLE gibt sie jedoch an, dass ihr diese Formulierung bereits begegnet sei, sie sie aber bei der Vorbereitung der Aufgabe nicht habe abrufen können. Durch die sehr allgemein gehaltene Anerkennung von S14, die in der Gruppe sowohl beim Arbeitsablauf als auch bei den Sprachkenntnissen eine leitende Rolle einnimmt, wird es S5 erleichtert S12 als Genie zu bezeichnen und sie somit explizit für ihre sprachliche Leistung zu loben. Allerdings markiert er durch sein leichtes Lachen das Lob als scherzhafte Episode, so dass S12 die Möglichkeit hat, einfach mitzulachen oder den Scherz weiter auszubauen. Sie entscheidet sich jedoch dafür die Erhebung zum Genie als Lob wahrzunehmen, es aber mit einem leisen Kommentar in der L1 zurückzuweisen (92), indem sie ihre Leistung herunterspielt, leicht den Kopf schüttelt und anschließend den inhaltlichen Austausch in der Gruppe fortsetzt. Auf den weiteren Verlauf der Zusammenarbeit hat diese kurze Lobsequenz keinen erkennbaren Einfluss. Möglicherweise fühlt sich S12 in 252 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="253"?> ihrer Rolle als gute Deutschlernerin bestätigt, so dass sie vermehrt selbstbewusst erklärende Redebeiträge in der Gruppenarbeit einbringt, ohne introspektive Daten oder eine eingehende Profilanalyse von S12, können hierzu aber keine zuverlässigen Aussagen getroffen werden. 9.7.3 Besteck-Schlagzeug - GA1G4: Lob für Ideen Ein Beispiel, in dem die Anerkennung auf der inhaltlichen Ebene ausgesprochen wird, findet sich in der Gruppe G4 in derselben Arbeitsphase, jedoch ist hier die Person, der das Lob gilt, nicht anwesend. S4 bringt hier die Idee aus ihrer Vorbereitungsgruppe ein, in der mehrere Fotos miteinander verknüpft werden. [1] 379 [10: 36.3] S4 [v] foto neun und vierzehn foto vierzehn S9 [VLE_S9] なんだろう。ここ、 Foto9 と Foto14 、 9 と 15 のたしか 9 があ、あ 9 は覚えてないんですけど、 えっと 15 がたしかあのすごいたくさんナイフとフォークとスプーンのすっごいたくさん並 んでいるやつで、それとそれを繋げる?っていう、で、何を言うんだろうってところですご いびっくりしてたところです。 S9 [VLE_S9_dt] Was war da? Hier Foto 9 und Foto 14, 9 und 15, ja genau, also an 9 kann ich mich nicht erinnern, aber bei 15 - ja genau - da waren super viele Messer und Gabeln und Löffel aufgereiht. Und deshalb ich so, das und das hängt zusammen? Und: was sagt sie wohl jetzt? Hier war ich total überrascht. [2] 380 [10: 39.6] 381 [10: 40.6] 382 [10: 41.3] 383 [10: 42.7] 384 [10: 43.8] 385 [10: 44.4] S1 [sup] hoch, kichernd S1 [v] 繋がる? hm S1 [dt] hängen die zusammen? S2 [nv] Blick zu S4, dann in AB S4 [v] そうなの ich denke er ist musiker S4 [dt] ja genau lächelt zu S9 S9 [v] 繋げるの?すごいね S9 [dt] kann man die verbinden? toll ne S9 [nv] nickt leicht schaut in der Gruppe umher [3] 386 [10: 45.8] 387 [10: 46.9] 388 [10: 48.5] 389 [10: 49.5] S1 [v] hä? S1 [nv] Blick zu AB von S4 S4 [sup] leise sehr leise S4 [v] musiker musiker S4 [nv] Gitarrengeste S9 [v] hä? hä? S9 [nv] Blick zu S4 9.7 Anerkennung 253 <?page no="254"?> 386 [10: 45.8] 387 [10: 46.9] 388 [10: 48.5] 389 [10: 49.5] S9 [VLE_S9] ここは完全に Musiker は音楽家だよなーあ れー?ていう。え、この人芸術家だよ ね??音楽もやっちゃうの?みたいな。そ ういう発想も、、みたいな。 S9 [VLE_S9_dt] Hier dachte ich so total „ Musiker “ ist ja Musiker ne - hä? Ähm, der ist ja Künstler, nicht wahr? Ich so: Musik macht der auch? So eine Idee oder so hatte ich da. [4] 390 [10: 49.9] 391 [10: 50.9] 392 [10: 53.0] 393 [10: 53.2] 394 [10: 54.2] S4 [v] hat und hat viele noten S4 [nv] Buchgeste (klappt Handflächen auseinander) S9 [v] hä? [p] (1) (2,5) [5] 395 [10: 55.4] 396 [10: 56.7] 397 [10: 57.3] 398 [10: 58.2] 399 [10: 58.9] 400 [10: 59.5] 401 [11: 01.1] S1 [nv] nickt S4 [sup] leise S4 [v] noten jaja er spielt S4 [nv] Schreibgeste S9 [v] 楽譜? hä? これ? hm hm S9 [dt] notenblätter? das? S9 [nv] zeigt auf Foto in AB von S4 [6] 402 [11: 01.8] 403 [11: 05.9] 404 [11: 08.9] 405 [11: 09.7] 406 [11: 10.8] S1 [nv] kichert S2 [v] きっと(〜) S2 [dt] sicher (unverständlich) S2 [nv] lächelt S4 [sup] langsam, abgebrochen S4 [v] schlag schlaginstrument mit das besteck S4 [nv] zeigt auf Foto S9 [v] へ?どう言うこと? S9 [dt] hä? was heißt das? S9 [nv] kurzer Blik zu S2 [p] (0,8) 254 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="255"?> [7] 407 [11: 11.8] 408 [11: 12.3] 409 [11: 14.9] 410 [11: 17.6] S1 [v] あれは schlaginste … 食器で演奏するの? S1 [dt] das ist er spielt mit besteck? S1 [nv] zeigt auf Foto Blick auf AB von S4 S4 [v] dondondondon dondondondon S4 [nv] schlägt mit Händen auf den Tisch, Blick zu S9 S9 [nv] Blick zu S4 [8] 411 [11: 18.6] 412 [11: 18.9] 413 [11: 19.8] 414 [11: 21.5] 415 [11: 22.3] S1 [nv] lacht S4 [v] sosososo! って考えた S4 [dt] haben wir gedacht S4 [nv] lacht S9 [sup] überrascht S9 [v] これ ( 〜 ) ? すごい 誰が考えた? S9 [dt] das (unverst.) ? krass wer hat sich das ausgedacht? S9 [nv] zeigt auf AB von S4 [p] (1,7) [9] 416 [11: 23.2] 417 [11: 23.6] S4 [v] S14 S4 [nv] lacht S9 [v] すごい S9 [dt] hammer S9 [VLE_S9] ここ、本当にそのえっとファイルとスプーンとかフォークとかでその二つで こっちが楽譜でこっち楽器っていう、あのそれにたどり着いたのがもう考え られなくって。すごいなーっていう。いやー。いやスプーンで楽器… S9 [VLE_S9_dt] Hier echt jetzt, da waren einerseits Aktenordner, andererseits Löffel und Gabeln und so. Diese beiden waren dann einerseits Noten, andererseits Instrumente. Da war ich total verwirrt und konnte mir das nicht vorstellen. Nee, nee ein Löffel als Instrument … 9.7 Anerkennung 255 <?page no="256"?> [10] 418 [11: 25.0] 419 [11: 25.6] 420 [11: 26.8] 421 [11: 27.7] 422 [11: 28.9] 423 [11: 29.5] 424 [11: 30.5] 425 [11: 30.5] 426 [11: 32.5] 427 [11: 33.4] S1 [v] 発想力豊か neun やってない S1 [dt] kreativ S1 [nv] lacht S2 [sup] leise S2 [v] さすが 強いわ マジか ? S2 [dt] toll mutig echt? S4 [v] すごいよね fertig S4 [dt] krass ne S9 [sup] leise flüsternd S9 [v] マジか ? マジか ? S9 [dt] echt? echt? [p] (1,1) Transkriptauszug 45: GA1G4 Besteck-Schlagzeug Da diese Verknüpfung für S9 und S1 etwas außergewöhnlich scheint, bringen sie hier deutlich ihre Überraschung zum Ausdruck (379-382). Es folgt ein längerer Aushandlungsprozess, in welchem S4 den anderen Gruppenmitgliedern die Idee erläutert, dass der Künstler sich auch musikalisch betätigt, indem er mit seinem Besteck Schlagzeug spielt (383-413). Diese Aushandlung setzt sich wie in den weiter oben beschriebenen Verständnissicherungen aus Rückfragen, Gesten, Wiederholungen und Zuhilfenahme der L1 zusammen (vgl. u. a. Kapitel 9.4.1). Nachdem die Gruppe ihr Verständnis signalisiert hat und damit die Verständnissicherung abgeschlossen ist, kommentiert S9 zunächst mit すご い (sugoi - krass, toll) und schließt dann mit steigender Intonation die Frage an, wer sich das ausgedacht habe (415). Auf die Antwort, dass das die Idee von S14 gewesen sei, bringen S1, S2 und S9 ihre Anerkennung in kurzen Ausrufen auf Japanisch zum Ausdruck. Größtenteils handelt es sich um allgemeine Ausrufe, die im Deutsch mit wow, toll oder ähnlichen Ausdrücken wiedergegeben werden können, S1 nimmt aber speziell auf die besondere Vorstellungskraft von S14 Bezug (421). Auch als S4 mit fertig deutlich macht, dass die Gruppe nun zum nächsten Beitrag übergehen kann, bekräftigen S2 und S9 erneut ihre Bewunderung oder Verwunderung und richten dann allmählich ihre Aufmerksamkeit auf den nächsten Aufgabenschritt. In dieser Episode überlappen sich verschiedene kommunikative Prozesse. Zum einen werden hier Verständnisschwierigkeiten ausgeräumt, zum anderen Überraschung über eine außergewöhnliche Idee und Anerkennung für die Schöpferin der Idee ausgedrückt. Diese drei Vorgänge greifen unmittelbar ineinander und bedingen sich gegenseitig. Da es sich um eine außergewöhnliche Idee handelt, kommt es zu Verständnisschwierigkeiten auf konzeptioneller Ebene, die sich dann auch auf die sprachliche Ebene auswirken. Wenn der Zusammenhang zwischen eigentlich bekannten Wörtern unsinnig erscheint, wird vor allem im fremdsprachlichen Kontext an der Richtigkeit bzw. Angemessenheit des Wortschatzes gezweifelt. Solche Verständnisschwierigkeiten sind sowohl für die Erklärenden als auch für die Zuhörenden, die Schwierigkeiten haben die Ausführungen zu verstehen, 256 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="257"?> gesichtsbedrohend, da zum Beispiel mangelnde Sprachfähigkeiten dem Image schaden können. Die Ausdrücke der Überraschung und des Lobes für die Kreativität der Idee tragen hier dazu bei, die Bedeutungsaushandlung etwas aufzulockern und zu legitimieren. Die Gruppenmitglieder bestätigen sich durch das mehrfache Lob gegenseitig, dass die Verständnisschwierigkeiten auf die außergewöhnliche Idee und nicht etwa auf unzureichende Sprach- und Weltkenntnisse zurückzuführen sind. Die Sprecherin hatte sich ohnehin durch den Verweis auf S14 von der Idee distanziert und als Übermittlerin der Idee positioniert. Da die eigentliche Urheberin der Idee nicht anwesend ist, kann die Bewunderung hier so deutlich zum Ausdruck gebracht werden, ohne der Vortragenden der Idee oder der Urheberin zu nahe zu treten. In den Interaktionsdaten findet sich ein weiteres Beispiel in dem zuerst S5 und dann S7 die Idee von S2 loben, doch wird im VLE von S7 weder auf den Beitrag der Kommilitonin noch auf das Lob eingegangen. Dennoch soll die Episode aufgrund der geringen Anzahl von Fundstellen zur Thematisierung von Anerkennung in der Gruppenarbeit ergänzend skizziert werden. [1] 236 [06: 15.7] 237 [06: 16.7] 238 [06: 17.1] 239 [06: 18.6] 240 [06: 20.4] S2 [v] hmmm äh … hmmmm … vater und mutter und tochter S2 [nv] lacht auf lehnt sich zurück macht mit Händen eine umfassende Geste S5 [nv] schaut auf etwas unter dem Tisch (Handy? ) S7 [v] was ist das? [2] 241 [06: 24.4] 242 [06: 25.7] 243 [06: 27.2] 244 [06: 28.8] 245 [06: 29.9] S2 [v] のどれだ? あこれ? S2 [dt] na welches denn? ah das? S7 [v] eh eh … das? das S7 [nv] lacht und beugt sich vor beugt sich vor um besser zu hören zeigt etwas in S2s AB [3] 246 [06: 30.6] 247 [06: 31.4] 248 [06: 33.3] 249 [06: 35.3] 250 [06: 36.2] S2 [v] das isto … hmmm insekto … hmmm oder S2 [nv] schaut nach oben S5 [nv] legt Handy auf den Tisch und hört zu S7 [v] insekt S7 [nv] nickt 9.7 Anerkennung 257 <?page no="258"?> [4] 251 [06: 38.2] 252 [06: 41.5] 253 [06: 42.2] 254 [06: 42.6] 255 [06: 43.6] 256 [06: 45.4] 257 [06: 47.4] 258 [06: 49.8] 259 [06: 51.6] 260 [06: 52.6] S2 [v] oder telefon S2 [nv] kichert lacht S5 [v] hm hm hm hm hm S5 [nv] lächelt lacht nickt S7 [v] hm telefon? ! … ohhh telefon S7 [nv] nickt lacht [p] (3,2) (2,1) (1,7) [5] 261 [06: 54.2] 262 [06: 55.0] 263 [06: 56.4] 264 [06: 57.7] 265 [06: 59.1] 266 [07: 01.2] S2 [nv] sitzt zurückgelehnt S5 [v] gute idee ach so ね S5 [dt] nicht wahr S5 [nv] wischt auf dem Handy rum S7 [nv] betont S7 [v] gute idee gute idee gute idee … ahhh … S7 [nv] schaut ins AB [p] (5,3) Transkriptauszug 46: GA3G2 „ gute Idee “ S7 richtet in diesem Exzerpt eine Frage zu der Briefmarke (siehe Anhang 7) explizit an S2. S2 nimmt an, dass es um das gesamte Bild geht und beginnt zu antworten, wird dann aber mit einem freundlichen Lachen von S7 unterbrochen, der seine Frage durch ein Deuten auf die entsprechende Stelle ihres Arbeitsblattes spezifiziert. 37 Ihre erste Antwort, dass es sich um ein Insekt handeln könnte, wird von S7 mit einem Nicken zur Kenntnis genommen, doch fügt sie nach einer kurzen Denkpause eine weitere Option an, dass es auch ein Telefon sein könnte, die aber durch ein Kichern als nicht ganz ernst gemeint gekennzeichnet ist. Diese wird von S7 mit einer Wiederholung des Wortes mit steigender Intonation und einem Ausdruck der Überraschung ratifiziert. Die Gruppe lacht kurz zusammen und S5 lobt anschließend die gute Idee von S2 auf Deutsch. S7 schließt sich an, indem er das Lob mehrfach wiederholt. Da die Gruppe insgesamt harmonisch zusammenarbeitet und über den gesamten Verlauf der Gruppenarbeit öfter gemeinsam scherzt und lacht (Kapitel 7.3.3), leitet der humoristische Beitrag von S2 eine weitere kurze Spaßsequenz ein und kann daher, ohne die Gefahr eine gesichtskritische Situation herbeizuführen, explizit honoriert werden, so dass die Lernerin auch nicht auf das Lob reagieren muss. Anschließend verebbt das Gespräch für einige Sekunden und wird nach einer kurzen Pause durch eine weitere Frage von S7 zum Bild wieder aufgenommen. 37 Es geht vermutlich um den Marienkäfer zwischen der mittleren Figur und der kleineren Person rechts im Bild. 258 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="259"?> 9.7.4 Zusammenfassung: Anerkennung In den VLE-Transkripten finden sich zwar Hinweise darauf, dass die Lernenden neben der Sprachverwendung und den inhaltlichen Beiträgen der anderen auch auf deren Vorgehen achten und die eine oder andere Handlung bewundernd zur Kenntnis nehmen, doch werden während der Gruppenarbeit lediglich Ideen zur Aufgabe und in einem einzigen Fall die Sprachkompetenz gelobt. Insbesondere in der Ski-Episode wird deutlich, dass gesichtsrelevante Aspekte im Zusammenhang mit dem Ausdruck von Anerkennung in der Interaktion unter Lernenden durchaus von Bedeutung sind. Die Adressatin des Lobs spielt ihre Leistung herunter, indem sie zuerst das Kompliment ablehnt und dann anmerkt, dass sie nur zufällig auf diese Form gestoßen sei. Dadurch wird deutlich, dass sie eine relativierende Äußerung für nötig hält. In der Gute-Idee-Episode lachen die Lernenden zwar gemeinsam, die Studentin, deren Beitrag anerkennend hervorgehoben wurde, reagiert jedoch nicht auf das Lob und das Gruppengespräch kommt anschließend kurz zum Erliegen. Dies zeigt, dass eine solche explizite Betonung der Leistungen der Mitlernenden beziehungsgestaltende Reaktionen erfordert, die aber ggf. die Aufgabenbearbeitung unterbrechen könnten. Der Gesprächsfokus wird kurz weg von den Aufgabeninhalten auf eine Einzelperson gelenkt. Die Zurückhaltung, Anerkennung im Verlauf des Gruppengesprächs offen auszusprechen, kann also teilweise darauf zurückgeführt werden, dass die Mitglieder eine Unterbrechung des eigentlichen Austausches zum Thema und somit der Aufgabenbearbeitung vermeiden möchten (vgl. auch Sato 2013: 613). Dadurch lässt sich auch die Präferenz für das Aussprechen inhaltlicher Anerkennung erklären. Reagiert die Gruppe positiv auf einen inhaltlich kreativen oder interessanten Beitrag, bleibt der Fokus des Gruppengesprächs auf der Aufgabenbearbeitung und somit auf der inhaltlichen Ebene. Während ein sprachlicher Fokus noch akzeptabel ist, da in einem Fremdsprachenkurs die gemeinsame Reflexion zu sprachbezogenen Fragen einen festen Platz hat, wird das individuelle Vorgehen jedoch nicht thematisiert, da es zu weit von der eigentlichen Aufgabe abweicht und als zu persönlich wahrgenommen wird. Darüber hinaus erschwert die angenommene Gleichheit in Bezug auf die erforderlichen Kompetenzen in der Gruppe sowohl die positive als auch die negative (vgl. Kapitel 9.6) gegenseitige Bewertung, so dass von einer expliziten Thematisierung in der Regel abgesehen wird. 9.8 Unerwartetes Das Auftreten unerwarteter Ereignisse während einer Interaktion zwingt die Interagierenden spontan auf unvorbereitete Situationen zu reagieren und stellt somit eine Störung des erwartbaren Gesprächsablaufes dar. Diese Störungen können sowohl unter alltäglichen als auch unter fremdsprachenerwerbsspezifischen Umständen zum Beispiel durch überraschende Redebeiträge auftreten, indem eine am Gespräch teilnehmende Person plötzlich das Rederecht ergreift (vgl. Rehbein et al. 2004: 22) oder inhaltlich unerwartete Ideen einbringt (vgl. Mackey et al. 2000: 481). Die dadurch entstehende Verwirrung kann zu längeren Wortfindungspausen, Abbrüchen oder verständnissichernden Aushandlungen führen, da mehr Konzentration zur Entschlüsselung der Mitteilung benötigt wird (vgl. Lutjeharms 2011: 977). Auch im muttersprachlichen Unterrichtskontext werden unerwartete Beiträge entweder übergangen oder erst nach einer kurzen Bedenkpause mit einer 9.8 Unerwartetes 259 <?page no="260"?> Antwort gewürdigt (Spiegel 2006: 103). Doch gerade im Fremdsprachenunterricht gehört der Umgang mit dem Unerwarteten zu den besonderen Herausforderungen, da es durch die noch begrenzten Zielsprachenkenntnisse der Lernenden häufiger zu unerwarteten Äußerungen oder Formulierungen und folglich zu Verständnisschwierigkeiten kommen kann (vgl. Segalowitz & Lightbown 1999: 51). Darüber hinaus fehlen ggf. noch Redemittel und Strategien zum Umgang mit unerwarteten Ereignissen, so dass die Bewältigung einer solchen Situation zusätzlich erschwert wird. In Bezug auf die Gesichtsbedürfnisse der Beteiligten erfordern Überraschungen im Gesprächsverlauf eine flexible und angemessene Reaktion. Fällt etwa eine Antwort unpassend aus oder lässt sie zu lange auf sich warten, kann das zu einer gesichtskritischen Situation in der Gruppe führen (vgl. Aguado 2002: 35). Des Weiteren kann aufrichtige Verblüffung in spontanen Ausrufen resultieren, die ggf. verletzend wirken können und vergleichbar mit der unangemessenen Gefühlsdarstellung bei Brown und Levinson sind (vgl. ebd. 1987: 68). Unter den durch das Verfahren des VLE befragten Fokuspersonen erwähnen drei Lernende - S9, S10 und S11 - häufiger unerwartete Ereignisse, während S7 und S14 keinerlei Hinweise auf solche Wahrnehmungen in der Gruppenarbeit geben. Als Fundstellen für Unerwartetes wurden Kommentare der Studentinnen markiert, in denen sie ihre Überraschung zum Ausdruck bringen, etwa durch folgende Formulierungen wie 思わな かった (omowanakatta - das hatte ich nicht gedacht) oder びっくりした (bikkuri shita - da war ich überrascht). S7 S9 S10 S11 S14 Inhalt 0 7 2 5 0 14 Sprachkenntnisse 0 0 1 0 0 1 Vorgehen 0 0 1 0 0 1 Gesamt 0 7 4 5 0 16 Tab. 21: Fundstellen zur Thematisierung von Unerwartetem in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Da solche Überraschungen in der Interaktion sowohl als unerwartet positiv als auch unerwartet negativ wahrgenommen werden können, kommt es teilweise zu Überschneidungen mit Episoden, die im Rahmen der Kategorien Anerkennung oder Missbilligung beschrieben werden, doch fehlen bei Sequenzen die als Unerwartetes eingestuft wurden eindeutige Bewertungshinweise. Auffällig ist das häufige Auftreten von unerwarteten Ereignissen im Laufe der ersten Gruppenarbeit, wo alle drei Lernerinnen mehrmals Überraschung über etwas zum Ausdruck bringen, allerdings wundern sich die drei Studentinnen jeweils über unterschiedliche Aspekte. Dies zeigt sich unter anderem in den bereits beschriebenen Episoden im Zusammenhang mit Meinungsverschiedenheiten, Anerkennung und Kritik. So ist S10 zum Beispiel davon überrascht, dass ihr Kommilitone eine Vokabel kennt (Kapitel 9.5.1), S9 bemerkt mehrmals unerwartete Ideen in ihrer Gruppe (u. a. Kapitel 9.7.3) und S11 wundert sich über bestimmte Vorgehensweisen der anderen Mitglieder (Kapitel 9.6.3). Doch auch darüber hinaus thematisieren die drei Studentinnen Unerwartetes in den retrospektiven Daten, insbesondere in Bezug auf den inhaltlichen Austausch vor allem in der ersten Gruppenarbeitsphase. 260 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="261"?> G1 G2 G3 G4 GA1 2 0 3 5 10 GA2 0 0 0 0 0 GA3 2 0 1 0 3 GA4 0 1 1 0 2 GA5 0 0 1 0 1 Tab. 22: Fundstellen zur Thematisierung von Unerwartetem in den VLE-Daten nach Gruppen Im Folgenden wird anhand von vier ausgewählten Beispielen zum einen gezeigt, welche unerwarteten Ereignisse während der Gruppenarbeit von den Lernenden wahrgenommen werden und zum anderen, welche Strategien sie zur Bewältigung anwenden. 9.8.1 Janken - GA1G3: Unerwartetes Vorgehen Das erste Beispiel stammt aus der Gruppe G3, bestehend aus S3, S10, S13 und S15, in der ersten Gruppenarbeitsphase. In dieser Episode sieht sich S10 gleich zu Beginn der Zusammenarbeit einer eher unangenehmen Überraschung gegenüber. Um die Reihenfolge in der Gruppe zu bestimmen, wählen die Studierenden das in Japan zu diesem Zwecke sehr oft verwendete Schere-Stein-Papier-Spiel, das auf Japanisch als Janken bezeichnet wird. [1] 23 [00: 55.0] 24 [00: 55.8] S3 [nv] Schere Stein Papier S10 [nv] Schere Stein Papier S13 [sup] leise sehr leise S13 [v] ジャン… ケン…ポイ…アイコデショ…アイコデショ…アイコデショ S13 [dt] jan ken … poi … aikodesho … aikodesho … aikodesho (begleitetender Spruch) S13 [nv] hebt eine Faust Schere Stein Papier S15 [nv] Schere Stein Papier [p] (6) [2] 25 [01: 01.8] 26 [01: 02.5] 27 [01: 03.4] 28 [01: 03.8] S3 [v] どうぞ S3 [dt] bitte S3 [nv] Blick zu S10, offene Hand zu S10 lächelt S10 [sup] sehr leise, hoch S10 [v] ja え ? ! S10 [dt] hä? ! S10 [nv] hebt Faust schaut S3 an, dann zu S15 überraschter Blick S13 [v] はい どうぞ S13 [dt] ja bitte S13 [nv] Blick zu S10, offene Hand zu S10 S15 [nv] auffordernde Geste nickt, lächelt [p] (1,1) 9.8 Unerwartetes 261 <?page no="262"?> [3] 29 [01: 04.9] 30 [01: 06.0] 31 [01: 07.5] S3 [nv] hebt zwei ABs vors Gesicht und schaut rein S10 [sup] sehr hoch S10 [v] ええええ… S10 [dt] häää S10 [nv] lacht, beschwichtigende Geste nimmt ihr AB zur Hand S13 [v] 時計回りでいこ 時計回りで S13 [dt] machen wir im Uhrzeigersinn im Uhrzeigersinn S15 [nv] lacht [p] (1,5) [4] 32 [01: 09.5] 33 [01: 10.6] 34 [01: 12.6] S10 [sup] lachend S10 [v] 最後でしょう どうしよう ? S10 [dt] du bist zum schluss was mach ich bloß? S10 [nv] kurzer Blick zu S13, hebt Zeigefinger S13 [v] え次だろう? S13 [dt] hä ich bin doch der nächste? S15 [nv] lacht [p] (1,2) [5] 35 [01: 13.6] S10 [nv] schaut kurz zu S13, dann wieder ins AB S15 [v] 次だよ S15 [dt] er ist der nächste S15 [nv] nickt leicht, lächelt S10 an S10 [VLE_S10] え?…え?授業に関係ある…ない事も? / / えっ、じゃあ…じゃんけんをして勝ったのに… 最初になっちゃった / / から、後、女の子も信じてたのに、女の子も私が最初にって言って たから… / / びっくり S10 [VLE_S10_dt] Äh? … äh? Auch Dinge, die etwas … nichts mit dem Unterricht zu tun haben? Äh, also wir haben ja Schere-Stein-Papier gemacht und obwohl ich gewonnen habe … sollte ich anfangen/ / deshalb, und außerdem habe ich dem Mädchen vertraut und dann sagt sie auch, dass ich anfangen soll/ / Das war überraschend. [6] 36 [01: 14.6] 37 [01: 15.7] 38 [01: 17.3] 39 [01: 18.3] 40 [01: 20.1] S10 [sup] lachend S10 [v] あ そうか くそう え じゃあ 行きます えと S10 [dt] ach so so n mist äh also fang ich an äh S10 [nv] lacht legt AB ab und greift zu anderem AB S13 [nv] lacht S15 [nv] lacht [p] (1,5) Transkriptauszug 47: GA1G3 Janken 262 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="263"?> Da sie diesen Entscheidungsprozess nicht als Teil der Gruppenarbeit ansehen, erfolgt das Spiel wortlos bzw. durch den extrem leise mitgesprochenen bzw. nur teilweise artikulierten Spielspruch jankenpoi aikodeshô (entspricht im Deutschen in etwa schnick-schnackschnuck). S10 gewinnt das Spiel und zeigt ihre Freude über den Sieg mit einer Geste und einem sehr leisen Ausruf ja (25), woraufhin sie sowohl von S3 als auch S13 zum Beginnen aufgefordert wird. Sie ist sichtlich überrascht, was sich einerseits in ihrem Blick, andererseits in ihrem Ausruf, der sowohl auf Deutsch als auch auf Japanisch verständlich ist, widerspiegelt und wendet sich hilfesuchend mit dem Blick an S15. Als auch sie mit einem Nicken zu verstehe gibt, dass sie der Meinung ist, dass S10 das Rederecht zusteht, wiederholt S10 den Ausruf der Überraschung länger und höher, was von S15 mit einem freundlichen Lachen begleitet wird. Schließlich gibt sie sich geschlagen, lacht, winkt beschwichtigend ab und nimmt ihr Arbeitsblatt zur Hand. Es folgt noch ein kurzer freundschaftlicher Austausch in erster Linie zwischen S10 und S13, um die Richtung der Rotation, in den S10 kurze Bemerkungen einstreut, durch die sie gespielt übertrieben ihren Widerwillen zum Ausdruck bringt, wie zum Beispiel „ was mache ich bloß? “ (34) und „ so n mist “ (38), letztendlich nimmt S10 die ihr zugewiesene Rolle an und beginnt mit der inhaltlichen Gruppenarbeit. Im VLE begründet S10 ihre Überraschung damit, dass sie, obwohl sie gewonnen habe, habe anfangen müssen. Das bedeutet, dass sie aus der eigenen Sicht als Gewinnerin hätte anders behandelt werden müssen. In der Regel vereinbaren die Teilnehmenden bei einem Schere-Stein-Papier-Spiel als Entscheidungswerkzeug im Vorfeld wie das Ergebnis gedeutet werden soll; zum Beispiel wer verliert fängt an oder wer gewinnt wählt zuerst oder ähnliches. Diese Regelung wurde hier im Vorfeld nicht explizit besprochen, so dass die Ergebnisse unterschiedlich interpretiert werden konnten, folglich ist S10 überrascht, dass sie anders als erwartet als Gewinnerin beginnen soll. Hinzu kommt, dass sie sich eigentlich Unterstützung von ihrer Kommilitonin S15 erwartet hatte, diese sich aber dem Rest der Gruppe anschließt, so dass S10 sich gleich zwei unerwarteten Ereignissen gegenübersieht. Das freundliche Lachen von S15 erleichtert es, S10 die Überraschung etwas zu übertreiben und ins Scherzhafte zu überführen, so dass diese potentiell gesichtsbedrohende Situation humorvoll aufgelöst werden kann. Die Tatsache, dass die Situation Teil einer Gruppenarbeit in einem Fremdsprachenkurs ist, begünstigt solche Überraschungen, da Lernende auf einem Anfängerniveau dazu neigen, organisatorische Aushandlungen zu übergehen und gleich mit der inhaltlichen Arbeit - direct launch - zu beginnen (Hellermann 2008: 51). Die Bestimmung der Reihenfolge, in der die Lernenden sprechen, durch Janken ist zwar eine vorgehensbezogene Aushandlung, doch sind die Lernenden darum bemüht, den Anteil der L1 so gering wie möglich zu halten, bzw. möglichst leise auf Japanisch zu sprechen. Dieses Bestreben wird vermutlich durch die Aufnahmesituation sowie den Umstand, dass es sich um die erste Erhebungssitzung handelt, verstärkt. Durch die humorvolle Auflösung der gesichtskritischen Episode gelingt der Gruppe dennoch ein erfolgreicher Start in die Zusammenarbeit. 9.8 Unerwartetes 263 <?page no="264"?> 9.8.2 „ Ich denke auch so “ - GA1G3: Unerwartete Zustimmung Im weiteren Verlauf derselben Gruppenarbeit bekommt S10 überraschend Zustimmung. In diesem Ausschnitt äußert S10 aufgrund eines Fotos die Annahme, dass der Künstler viele Bücher besitze. [1] 99 [02: 30.3] 100 [02: 32.3] 101 [02: 33.2] 102 [02: 34.7] 103 [02: 35.4] 104 [02: 36.7] 105 [02: 37.2] S3 [nv] nickt leicht S10 [sup] zögerl. laut S10 [v] er hat viele buch が foto fünf ah! 本当? S10 [dt] ist echt? S10 [nv] lacht etw. nickt, lächelt, Blick zu S15 S15 [v] ich denke auch hm S15 [nv] nickt, lächelt, Blick zu S10 [p] (0,7) [2] 106 [02: 37.8] 107 [02: 38.3] 108 [02: 39.1] 109 [02: 39.7] 110 [02: 40.7] S3 [v] ich denke auch S3 [nv] hebt Blick S10 [sup] steigend S10 [v] ja oh! 本当? S10 [dt] echt? S10 [nv] Blick zu S3 Blick abwechselnd zu S15 u. S3 S15 [v] ja S15 [nv] nickt [p] (0,6) S10 [VLE_S10] なんか…ここは、結構同じこ と考えている人が…前にいる 子以外そうだったので、結構 同じこと考えているんだ なぁって思いました。 S10 [VLE_S10_dt] Irgendwie … hier da hatten fast alle … bis auf den Jungen vor mir … fast alle dasselbe gedacht, das habe ich hier gedacht. 264 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="265"?> [3] 111 [02: 41.0] 112 [02: 41.4] 113 [02: 43.5] 114 [02: 44.3] 115 [02: 45.0] S3 [v] ja S3 [nv] nickt S10 [sup] lachend S10 [v] うそだ S10 [dt] stimmt doch gar nicht S10 [nv] deutet mit offener Hand auf S13, lacht lacht S13 [v] ich denke auch S13 [nv] lächelt, nickt S15 [nv] lacht lacht [p] (2,2) (1,2) Transkriptauszug 48: GA1G3 „ ich denke auch so “ Als S15 ihr auf Deutsch zustimmt und ihre Zustimmung mit einem Lächeln und Nicken untermalt, reagiert sie mit einem überraschten Ausruf (104) und fragt dann auf Japanisch nach, ob das auch stimme (105). Ähnlich reagiert sie, als auch S3 bestätigt, dass er die gleiche Idee hatte, wiederholt auch hier noch einmal die Rückfrage in der L1 und schaut S3 und S15 abwechselnd an. Als beide erneut Zustimmung signalisieren, gibt sie die Frage, ob er auch so denke, nonverbal an S13 weiter, der daraufhin auch zustimmt. Allerdings weiß S10 offensichtlich aus einer vorherigen Unterhaltung, die hier nicht dokumentiert wird, dass er eine andere Idee zu dem Foto hatte, weshalb sie seine Zustimmung lachend zurückweist. Durch die Überraschung andeutenden Ausrufe und die Rückfragen auf Japanisch, macht S10 deutlich, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass die anderen Gruppenmitglieder ähnliche Gedanken zu den Fotos haben könnten. In der Retrospektion bestätigt sie den Eindruck, ebenso wie das Vorwissen über die Gedanken von S13, jedoch erwähnt sie den Aspekt des Unerwarteten nicht explizit, so dass unklar bleibt, ob der Ausruf im Gruppengespräch tatsächlich ein Ausdruck der Überraschung ist oder etwa eine andere Funktion hatte. Unabhängig von der wirklichen Wahrnehmung der Studentin bekommt die aus ihrem überraschten Ausruf resultierende Episode durch die mehrfachen verbalen und nonverbalen Bestätigungen, sowie das Lachen von S10 und S15, einen den Gemeinschaftssinn der Gruppe unterstützenden Charakter. Es handelt sich um eine positive Überraschung, da S10 nicht erwartet hat, so viel Zustimmung zu bekommen. Der Ausdruck der Überraschung ist in diesem Zusammenhang weniger gesichtskritisch als vielmehr festigend für die Beziehung zwischen Gruppenmitglieder. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass S10 kurz zuvor in der Janken-Episode das Gefühl hatte, dass ihr alle Teammitglieder in den Rücken gefallen sind, stiftet die allgemeine Zustimmung und das gemeinsame Lachen in der vorliegenden Situation eine versöhnliche Gruppenatmosphäre. 9.8 Unerwartetes 265 <?page no="266"?> 9.8.3 „ Nicht gemacht “ - GA1G1: Unerwartetes kommentieren In der Gruppe G1 der ersten Gruppenarbeit erklärt S7 gegenüber den beiden anderen Mitgliedern S8 und S11 leise, dass seine Vorbereitungsgruppe nicht alle Fotos zum Leben des Künstlers habe besprechen können, woraufhin S8 seinerseits zuerst die von seiner Gruppe behandelten Bilder und nach einer Rückfrage von S7 die nicht behandelten Bilder aufzählt (vgl. Kapitel 7.1.1 und 7.1.2). [1] 14 [00: 35.1] 15 [00: 37.2] 16 [00: 37.8] 17 [00: 38.1] 18 [00: 39.2] 19 [00: 39.9] 20 [00: 41.1] S7 [sup] sehr leise leise S7 [v] 全部できてないよね正直言うと ja ウチは S7 [dt] alles haben wir nicht geschafft ehrlich gesagt ja wir S7 [nv] ohne aufzuschauen, blätternd S8 [v] ja えーっと ちょっと失礼 S8 [dt] ähm darf ich kurz S11 [sup] sehr leise S11 [v] あ本当? S11 [dt] ah echt? S11 [nv] schaut zu S7 [p] (1,2) [2] 21 [00: 42.4] 22 [00: 43.9] 23 [00: 45.9] 24 [00: 46.7] 25 [00: 49.2] 26 [00: 50.0] 27 [00: 51.1] 28 [00: 52.1] S7 [nv] niest leise S8 [v] zwei はもとより drei fünf sechs sieben acht えーと後 fünfzehn S8 [dt] mit zwei angefangen außerdem [p] (0,9) (0,8) (0,7) [3] 29 [00: 52.8] 30 [00: 54.0] 31 [00: 54.7] S7 [v] 何ができてない? S7 [dt] was hast du nicht gemacht? S7 [nv] schaut kurz zu S8 S8 [v] だけできたのは S8 [dt] nur gemacht [p] (0,7) [4] 32 [00: 55.8] 33 [00: 57.1] 34 [00: 57.7] 35 [00: 59.0] S8 [v] 何ができてない? ein できてないの言うよ ein S8 [dt] was ich nicht gemacht habe? ich sag jetzt was ich nicht hab S11 [nv] folgt in eigenen Unterlagen 266 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="267"?> [5] 36 [00: 59.6] 37 [01: 00.2] 38 [01: 00.9] 39 [01: 01.4] 40 [01: 01.9] 41 [01: 02.6] 42 [01: 04.4] 43 [01: 06.2] 44 [01: 07.4] S8 [v] vier neun elf zwölf dreizehn vierzehn S11 [v] 結構できてないよね? S11 [dt] ist ja recht viel nicht gemacht? [p] (0,6) (0,5) (0,7) (1,2) [6] 45 [01: 09.3] 46 [01: 09.9] 47 [01: 10.8] S7 [v] 結構あるね S7 [dt] ist ziemlich viel ne S7 [nv] nickt leicht lacht freundlich S11 [nv] lacht freundlich, schaut S8 an [p] (0,6) (1,3) S11 [VLE_S11] なんか…この時になんか、自分たちの班は一応全部 終わらして、…その文章も考えてたから、他の班が 思ったよりやってないんだなぁっていうのを思っ て、…あ、そんなに急がなくてよかったのかなって いうのは感じました。 S11 [VLE_S11_dt] Also … Hier, weil unsere Gruppe alles gemacht hatte und sich auch die Sätze dazu überlegt hatte, habe ich hier gedacht, dass andere Gruppen scheinbar nicht alles geschafft haben. Da hätten wir uns gar nicht so beeilen müssen, dachte ich. [7] 48 [01: 12.1] 49 [01: 13.2] 50 [01: 14.5] 51 [01: 15.6] S7 [nv] lacht S8 [v] あー ということになる S8 [dt] ah so ist es S11 [v] 結構あるな まいいや S11 [dt] ja ziemlich viel naja egal S11 [nv] lächelt, setzt sich auf Transkriptauszug 49: GA1G1 „ nicht gemacht “ S11 kommentiert die Aufzählung auf Japanisch, dass das ja schon recht viel sei, was die Gruppe von S8 nicht gemacht habe. S8 fährt unbeirrt mit der Aufzählung fort, woraufhin S7 derAnmerkung von S11 mit einer Wiederholung zustimmt und beide freundlich lachen. S11 rückbestätigt das noch einmal, stuft die Tatsache dann aber mit einem „ naja egal “ als nicht besonders relevant ein und beginnt mit der eigentlichen Gruppenarbeit. Im VLE greift S11 diese Episode erneut auf und erläutert, dass ihre eigene Gruppe alle Fotos habe besprechen können und sie einfach nicht damit gerechnet habe, dass andere das nicht schaffen würden und ihre eigene Gruppe sich nicht so hätte beeilen müssen. Besonders überrascht zeigt sie sich im VLE zwar nicht über diese Feststellung, doch macht sie deutlich, dass sie 9.8 Unerwartetes 267 <?page no="268"?> angenommen hatte, dass alle Fotos hätten besprochen werden sollen. Insofern kann diese Bemerkung als ein Hinweis darauf gewertet werden, dass sie ein unerwartetes Vorgehen beobachtet. In Bezug auf die Gesichtsbedürfnisse der Gruppenmitglieder der G1 ist hier in erster Linie das Gesicht von S8 bzw. seiner Vorbereitungsgruppe in Gefahr, Schaden zu nehmen, da er offenlegt, was sie alles nicht bearbeiten konnten und daher die Defizite der vorherigen Gruppe preisgibt. S11 scheint hier aber so über die Anzahl der nicht bearbeiteten Punkte erstaunt zu sein, dass ihr spontan auf Japanisch ein Kommentar dazu herausrutscht. Auch als S7 infolge der fortgesetzten Aufzählung die Bemerkung wieder aufgreift, stimmt S11 zwar erneut zu, da es zunächst auch ihre eigene Anmerkung war, schwächt sie nachträglich aber ab, indem sie diesen Umstand als unwichtig für das weitere Vorgehen kennzeichnet, dies mit einem Lächeln bestärkt und durch die Veränderung der Körperhaltung deutlich macht, dass sie zum nächsten Gruppenarbeitsschritt übergehen möchte. S11 nimmt also durchaus wahr, dass ihr beiläufiger Kommentar S8 unter Umständen unangenehm sein könnte und versucht daher nachträglich ihre Bemerkung abzuschwächen und so den Schaden zu begrenzen. Andere Gelegenheiten, die in der Gruppenarbeit zum Ausdruck von Überraschung führen, werden durch ungewöhnliche Ideen oder voneinander abweichende Arbeitsweisen ausgelöst. Besonders in der ersten Gruppenarbeitsphase erwähnt S9 eine Reihe von unerwarteten Ideen und auf die Aufgabe bezogenen Bearbeitungsschritte. Ähnlich führt in der Gruppe G4 die Vermutung einer Kommilitonin, dass der Künstler aus der Aufgabe zur ersten Gruppenarbeitsphase mit Hilfe von Besteck musiziere, zunächst zu Verständnisschwierigkeiten und dann zu großer Verwunderung sowie Anerkennung der kreativen Leistung. Da diese Episode bereits im Zusammenhang mit derÄußerung von Anerkennung ausführlich betrachtet wurde, soll sie hier nicht noch einmal behandelt werden (Kapitel 9.7.3). Dieses Beispiel veranschaulicht erneut, wie eng die verschiedenen Episoden und Interaktionsebenen miteinander verwoben sind. 9.8.4 Fantasieantwort - GA3G3 Unerwartete Frage In anderen Situationen wird unerwartetes nicht explizit thematisiert bzw. kommentiert. S11 neigt eher dazu ihre Überraschung auszudrücken (Kapitel 9.8.3), in der Gruppenarbeitsphase GA3 jedoch, zusammen mit S4, S10 und S13 (Kapitel 7.3.4), sieht sie sich zwar einer unerwarteten Frage gegenüber, was aus ihren Angaben während des lauten Erinnerns hervorgeht, doch zeigt sich ihre Überraschung nicht im Gesprächsverlauf. [1] 536 [14: 25.2] 537 [14: 26.4] 538 [14: 29.2] 539 [14: 29.9] 540 [14: 30.3] 541 [14: 31.1] 542 [14: 31.5] S10 [sup] leise S10 [v] so wer えと あれ wer S10 [dt] ähm hm S10 [nv] Blick zu S11 Blick auf Tisch Blick zu S11 Blick vor sich S11 [v] hm S11 [nv] schaut S10 an nickt [p] (2,8) (0,7) (1,4) 268 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="269"?> [2] 543 [14: 32.9] 544 [14: 34.7] 545 [14: 35.8] 546 [14: 36.5] 547 [14: 39.1] 548 [14: 40.8] S10 [v] zwei kinders vater? hm S10 [nv] schaut S11 an S11 [v] das bildo S11 [nv] Blick vor sich kreist mit Finger über Bild [p] (1,1) (2,6) [3] 549 [14: 41.3] 550 [14: 43.5] 551 [14: 44.6] 552 [14: 45.6] 553 [14: 50.5] 554 [14: 51.3] 555 [14: 52.0] S10 [nv] nickt S11 [sup] langsam S11 [v] hmmmm das bildo malen nichto vater S11 [nv] kreist wieder über das Bild schaut S10 an [p] (2,1) (1) (0,8) (0,8) [4] 556 [14: 52.8] 557 [14: 53.7] 558 [14: 55.3] 559 [14: 56.2] 560 [14: 57.1] 561 [14: 59.7] 562 [15: 00.2] 563 [15: 00.8] S4 [nv] lacht S10 [v] なるほど あそうなんだ 苦しい S10 [dt] verstehe ach so traurig S10 [nv] nickt lacht nickt schaut S11 an nickt S11 [v] vater S11 [nv] lacht Blick zu S10 [p] (1) (2,6) (1,7) [5] 564 [15: 02.5] 565 [15: 03.3] 566 [15: 04.1] 567 [15: 04.4] 568 [15: 05.0] 569 [15: 07.2] 570 [15: 08.8] S10 [v] arbeiten か heute? S10 [dt] ah so S10 [nv] nickt S11 [v] arbeiten arbeiten とか vater arbeiten arbeiteto S11 [dt] oder so [p] (1,6) [6] 571 [15: 09.6] 572 [15: 10.6] 573 [15: 12.3] 574 [15: 13.4] 575 [15: 13.8] 576 [15: 14.5] S4 [nv] lacht S10 [sup] sehr leise leise S10 [v] そうか なんでもいいです S10 [dt] ach so alles ist okay S10 [nv] lacht nickt und lächelt S11 [v] heute heute heute hm S11 [nv] nickt, tippt auf Bild lacht, Blick zu S4 nickt leicht [p] (1,7) (1,1) 9.8 Unerwartetes 269 <?page no="270"?> [7] 577 [15: 16.0] S4 [nv] lacht S10 [nv] lacht S11 [nv] lacht S13 [nv] lächelt [p] (2) S11 [VLE_S11] そうたぶん、そんな質問されると思ってなくて、とっさに出た言葉をバンと言ったか な…すんごいファンタジーなこと言ってて…そんな感じ。 S11 [VLE_S11_dt] Genau, ich hatte nicht gedacht, dass ich so etwas gefragt werde, dann habe ich die Wörter benutzt, die mir spontan eingefallen sind. Total aus den Fingern gesogen … so war das. Transkriptauszug 50: GA3G3 Fantasieantwort S10 fragt nach dem Verbleib des Vaters auf dem besprochenen Bild (539-545) und S11 beginnt langsam mit einigen Denkpausen eine Antwort auf die Frage zu formulieren. Dabei wird sie durch Rezeptionssignale, Verständnisrückmeldungen und aufmunternde Kommentare in der L1 von S10 unterstützt, was ganz der kooperativ-aktiven Arbeitsatmosphäre der Gruppe entspricht. Ohne die Bemerkung aus der Retrospektion wäre hier nicht weiter aufgefallen, dass S11 von der Frage überrumpelt wurde. Durch die Formulierung im VLE, dass sie nicht gedacht hätte, so etwas gefragt zu werden, zeigt sie aber, dass sie sich einer unerwarteten Situation gegenübersieht. Da die Frage an sie selbst gerichtet ist, konzentriert sich die Studentin hier eher darauf, das Gruppengespräch in Gang zu halten bzw. eine passende Antwort zu finden, als darauf einzugehen, dass sie mit dieser Frage nicht gerechnet hatte. Es ist zu vermuten, dass sie ihre Überraschung thematisiert hätte, wenn sie nicht in der Lage gewesen wäre, sich spontan dazu zu äußern, um durch die Erklärung ihr Gesicht zu wahren, vergleichbar mit der Bemerkung von S9 in G4 in GA1 im Zusammenhang mit den Ausdrucksschwierigkeiten (Kapitel 9.2.2). Ein anderes Beispiel für Situationen, in denen die Überraschung nicht zum Ausdruck gebracht wird, findet sich etwa in der schick-Episode, in der S10 sich zwar darüber wundert, dass S3 das Wort schick kennt und es erklären möchte, den Umstand aber nicht kommentiert (vgl. Kapitel 9.5.1). In einer anderen Gruppenarbeit bemerkt S10, dass ihre Kollegin aus derselben Vorbereitungsgruppe eine Idee beisteuert, die sie sich selbst nicht notiert hatte, thematisiert das aber nicht im Gruppengespräch, sondern notiert den Beitrag im Stillen für sich. 90 [02: 27.4] S10 [VLE_S10] なんかここ自分が書いてないことを同じ班の S6F ちゃんが言ったので、同じことを書い てたつもりだったけど、書き洩らしてた部分もあったなーって気づいて書きました。 S10 [VLE_S10_dt] Irgendwie hier, da hat S6, die in der gleichen Gruppe war wie ich, etwas gesagt, was ich nicht aufgeschrieben hatte. Eigentlich hätten wir das gleiche notiert haben müssen, da habe ich gemerkt, dass ich wohl verpasst habe etwas aufzuschreiben und habe es dann jetzt geschrieben. Transkriptauszug 51: GA4G2 Verpasste Notiz 270 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="271"?> In beiden Situationen wäre eine Bemerkung zu der Beobachtung gesichtskritisch, da entweder die eigene Kompetenz oder die der anderen Studiereden in Frage gestellt worden wäre. Außerdem hätte eine Kommentierung die Aufgabenbearbeitung unterbrochen, so dass hier kein unmittelbarer Handlungsbedarf seitens S10s besteht, folglich kann die Verwunderung übergangen bzw. überspielt werden. Endet ein Redebeitrag unerwartet, wird in Einzelfällen um Wiederholung gebeten, so dass die Überraschung ohne den Einblick in die Introspektionsdaten nicht von einer Verständnisschwierigkeit zu unterscheiden ist. [1] 34 [01: 18.5] 35 [01: 21.9] 36 [01: 28.0] S9 [v] えと arbeite ohne die familie S9 [dt] ähm S9 [nv] schaut S11 an S11 [v] noch einmal S11 [nv] Blick auf AB von S9, auf eigenes, dann zu S9 hebt Finger, lächelt S9 an [p] (6) [2] 37 [01: 29.0] 38 [01: 30.3] 39 [01: 33.9] S9 [v] arbeite ohne die familie S9 [nv] lacht schaut S11 an S11 [v] oh oh oh S11 [nv] lacht nickt bei jedem Wort nickt S11 [VLE_S11] 今、「もっかい言って」って言ったと思うんですけど、多分 この時まだ、タイトルを言って、その後の文言おうと思って たから、何もきいてなくて。だから「もっかい言って」って 言ったと思います。 S11 [VLE_S11_dt] Jetzt, ich denke, hier habe ich „ sag das noch einmal “ gesagt, vielleicht hat sie hier den Titel gesagt und danach will sie noch den Satz sagen, habe ich gedacht, weilich nichts mehr gehört habe, habe ich dann aber „ sag das noch einmal “ , gesagt denke ich. Transkriptauszug 52: GA4G3 „ sag das nochmal “ Wie im obigen Transkriptauszug begründet S11 in den retrospektiven Daten vereinzelt ihre Rückfragen damit, dass sie mit einem längeren Redebeitrag gerechnet und daher bei unerwarteter Beendigung der Rede um Wiederholung gebeten habe. Anhand des Gruppengesprächs ist nicht zu erkennen, weshalb nachgefragt wird, so dass für die anderen Gruppenmitglieder nicht ersichtlich ist, dass S11 von der Kürze der Äußerung überrascht ist. In einer anderen Gruppenarbeit mit S3 und S5 zusammen, in der sich die Studentin nach eigenen Angaben deutlich wohler fühlt (Kapitel 7.5.4), fragt sie direkt auf Japanisch nach, ob das alles sei, als ihr Kommilitone einen nach ihrem Empfinden zu kurzen Beitrag leistet. Ihre Bitte um Wiederholung an S9 stellt hier also eine Strategie dar, sich indirekt zu vergewissern, ob das alles sei, ohne dabei offenzulegen, dass sie mehr erwartet. Da diese 9.8 Unerwartetes 271 <?page no="272"?> Gruppenarbeit insgesamt nicht zur Zufriedenheit von S11 verlaufen ist, könnte in der Rückfrage auch eine stark verdeckte Kritik mitschwingen (Kapitel 7.4.4 und 9.6.2). 9.8.5 Zusammenfassung: Unerwartetes Unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf den Ablauf der Zusammenarbeit, das Vorgehen oder die Redebeiträge der einzelnen Mitglieder oder der Gruppe als Ganzes können dazu führen, dass Lernende sich einer Situation gegenübersehen, mit der sie nicht gerechnet haben. Tritt dieser Fall ein so können sie offen darauf reagieren und somit ihre Überraschung thematisieren oder im Stillen feststellen, ohne ihre Beobachtung in der Gruppe mitzuteilen. Da Verblüffung zu spontanen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse oder Aussagen führt, und sich somit ggf. ungewollt in der Mimik, Gestik oder in verbalen Ausrufen widerspiegelt, wird sie vergleichsweise oft zum Ausdruck gebracht. Wie in einem Kurs auf Anfängerniveau zu erwarten, wird Überraschung in der Regel in der L1 realisiert, ebenso wie die anschließenden Aushandlungen oder Abschwächungen in der Gruppe. Wenn allerdings keine direkte Reaktion auf das Unerwartete nötig ist, wird es auch unkommentiert hingenommen, ohne zusätzlich Aufmerksamkeit darauf zu lenken und so eine gesichtskritische Situation infolge von nicht erwarteten Ereignissen unter den Lernenden vermieden. Überraschungen können etwa bei unerwarteter Zustimmung sehr positiv sein, also mit gesichtsgebender bzw. beziehungsunterstützender Wirkung, aber auch als unangenehm wahrgenommen werden, wenn Situationen unterschiedlich interpretiert werden. In solchen Fällen bestehen Parallelen zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Vorgehens. Durch gemeinsames Lachen werden potentiell gesichtsbedrohende Episoden abgemildert sowie eventuell verletzende spontane Äußerungen nachträglich abgeschwächt. 9.9 Unsicherheit Ebenso wie die Konfrontation mit unerwarteten Ereignissen kann auch Unsicherheit generell zu gesichtsbedrohenden Situationen führen (vgl. Ting-Toomey & Kurogi 1998: 187). Unsicherheit wird meist mit negativen Emotionen wie Angst in Verbindung gebracht und man bemüht sich darum, sie zu reduzieren oder sogar ganz zu vermeiden (Hofstede 2001: 148). In der direkten Interaktion erfordert die Beseitigung von Unklarheiten das Eingeständnis, etwas nicht genau zu wissen oder nicht ganz verstanden zu haben, was für die sprechende Person generell gesichtsbedrohend ist, insbesondere wenn das Wissen als gegeben vorausgesetzt wird (vgl. Brown & Levinson 1987: 68). In einer Unterrichtssituation, in der die Lehrperson eine Aufgabe bereits erklärt und womöglich auch Zeit für Rückfragen eingeräumt hat, besteht bei den Beteiligten die Tendenz dazu, davon auszugehen, dass alle wissen, was zu tun ist, so dass ein erneutes Nachfragen als extrem peinlich empfunden wird. Neben den für den Fremdsprachenunterricht typischen Unsicherheiten in Bezug auf die sprachlichen Kenntnisse, die sich zum Beispiel bei der Wahl von grammatischen Formen oder passendem Wortschatz durch Verzögerungspartikeln äußern (vgl. Foster & Ohta 2005: 423), sehen sich Lernende auch situationsbedingten Herausforderungen gegenüber. In der Forschung im Kontext der Willingness To Commu- 272 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="273"?> nicate (WTC) wird die Ungewissheit, die die direkte Lernumgebung betreffend empfunden wird, als zentraler Einflussfaktor auf die Bereitschaft, sich aktiv in den Unterricht einzubringen, in den Mittelpunkt gerückt. Fühlen Lernende sich in ihrer Gruppe unsicher, sinkt die Bereitschaft etwas beizutragen (Yoshida 2013: 948). Hierbei resultiert die Unsicherheit teilweise aus mangelndem Selbstbewusstsein angesichts der eigenen Sprachkompetenzen, doch spielen auch interpersonelle Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander sowie die bereits erwähnten Bedenken hinsichtlich des individuellen Aufgabenverständnisses eine entscheidende Rolle. Zwar berichten die Fokuspersonen nicht besonders häufig von Unklarheiten, doch werden sie von allen - mit Ausnahme von S14 - im Verlauf der Datenerhebung zumindest einmal erwähnt. In diese Kategorie wurden Äußerungen der Lernenden aufgenommen, in denen sich Hinweise auf Nichtverstehen in Bezug auf das Vorgehen oder Unsicherheiten etwa durch entsprechende Partikeln wie だろう (darou) finden, was im Deutschen mit wohl, wahrscheinlich oder ich glaube wiedergegeben werden kann. Meist werden die Unsicherheiten lediglich wahrgenommen und im VLE thematisiert, kommen aber im Gruppengespräch nicht zum Ausdruck. Nur wenn das Vorgehen unmittelbar von den Unsicherheiten betroffen ist, wird es evident. Vor allem die Beendigung der Gruppenarbeit wird oft durch Zögern eingeleitet, das signalisiert, dass Klärungsbedarf besteht, woraufhin die Lernenden sich untereinander über das weitere Vorgehen verständigen. S7 S9 S10 S11 S14 Vorgehen 0 0 1 2 0 3 Angemessenheit 0 1 0 1 0 2 GA Start 0 0 0 1 0 1 GA Ende 2 0 0 2 0 4 Gesamt 2 1 1 6 0 10 Tab. 23: Fundstellen zur Thematisierung von Unsicherheiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen Zwar kommt es in der Datenbasis in der GA2 vermehrt zu Unsicherheiten, doch beziehen sie sich auf unterschiedliche Aspekte - während S11 Unklarheiten in Bezug auf die Reihenfolge und die eigenen Notizen beschreibt, fragt sich S10, ob das Vorgehen der Gruppe angemessen ist und S7 kommentiert den Abschluss der Zusammenarbeit - , so dass in der dokumentierten Gruppenarbeit kein Zusammenhang zwischen der Aufgabenstellung und der Unsicherheit hergestellt werden kann. G1 G2 G3 G4 GA1 2 0 0 0 2 GA2 2 1 1 0 4 GA3 1 0 1 0 0 GA4 0 1 1 0 2 GA5 1 0 1 0 2 Tab. 24: Fundstellen zur Thematisierung von Unsicherheiten in den VLE-Daten nach Gruppen 9.9 Unsicherheit 273 <?page no="274"?> Anhand von Transkriptbeispielen aus den Anfangs- und Beendigungsphasen der Gruppenarbeit wird gezeigt, wie die Lernenden mit der Vorgehensunsicherheit umgehen und wie sie sie thematisieren. 9.9.1 Startschwierigkeiten - GA1G1: Vorgehensbezogene Unsicherheiten Der folgende Auszug stammt aus der Gruppenarbeit der Gruppe G1, in der die Studierenden S7, S8 und S11 zusammenarbeiten. Die Aufnahme wurde bereits gestartet und die Gruppe ist in Begriff, mit dem Austausch ihrer Vermutungen zu beginnen. Allerdings zögern die Lernenden und es entstehen lange Pausen, ohne dass jemand das Rederecht ergreift, um mit der inhaltlichen Arbeit zu beginnen oder das Vorgehen zu besprechen. [1] 1 [00: 06.0] 2 [00: 06.8] 3 [00: 09.4] 4 [00: 10.7] 5 [00: 12.1] S7 [sup] leise S7 [v] auf deutsch やるね S7 [dt] wir machen das auf deutsch S8 [v] ja auf deutsch やるね S8 [dt] wir machen das auf deutsch S11 [sup] leise S11 [v] いいんじゃない S11 [dt] ist doch okay S11 [nv] blättert, schaut sich um [p] (2,6) [2] 6 [00: 13.6] 7 [00: 15.0] 8 [00: 15.9] 9 [00: 16.9] 10 [00: 21.1] 11 [00: 22.1] 12 [00: 27.2] S7 [v] なんか S7 [dt] irgendwie S7 [nv] schaut umher blättert S8 [v] うん ちょっと えーと ja S8 [dt] hm etwas äh S8 [nv] notiert etwas S11 [v] よいしょ S11 [dt] gut [p] (1,3) (4,3) (5,1) [3] 11 [00: 22.1] 12 [00: 27.2] 13 [00: 27.7] S7 [nv] blättert schaut ins eigene AB, blättert, schaut auf S8 [v] ja S8 [nv] notiert etwas markiert etwas im AB, ordnet Unterlagen S11 [nv] schaut ins AB, schaut auf [p] (5,1) (7,4) 274 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="275"?> 11 [00: 22.1] 12 [00: 27.2] 13 [00: 27.7] S11 [VLE_S11] なんか…この時もすでに何やるかいまいち分かってなくて、なん か、誰も何も言いださないから…言い出さないから、なんか自分が 持ってるプリント、のやつとりあえず読んで、何言うか決めてたん ですけど…なんか、やり方がいまいちこれわかんなかったんで、最 初。 S11 [VLE_S11_dt] Hier habe ich schon irgendwie nicht so ganz verstanden, was wir machen. Irgendwie hat keiner etwas gesagt, also habe ich auf mein eigenes Arbeitsblatt geschaut und das erst einmal gelesen. Es war ja eigentlich schon klar, was wir sagen, aber irgendwie wusste ich am Anfang nicht, wie wir das machen sollen. Transkriptauszug 53: GA1G1 Startschwierigkeiten Die zahlreichen Ansätze, das Gespräch zu beginnen, wie etwa „ auf Deutsch やるね” (yaru ne), in der Bedeutung „ wir machen das auf Deutsch “ (2), えーと (eeto - ähm (zu Beginn einer Äußerung)) (10) oder ja (1, 12) zeigen zwar, dass die Lernenden das Gruppengespräch anfangen möchten, deuten aber auf eine gewisse Unsicherheit hin, in Bezug darauf, wie man beginnen könnte. Da es sich hier um die erste Gruppenarbeit handelt, die aufgenommen wurde, kann das anfängliche Zögern durch die ungewohnte Aufnahmesituation verstärkt worden sein. S11 versucht zwar zweimal mit ermutigenden Bemerkungen den Austausch anzustoßen いいんじゃない (iinjanai - ist doch okay) (5), よいしょ (yoisho - gut) (10), wagt aber nicht selbst den ersten Schritt, sondern betrachtet noch einmal eingehend das eigene Arbeitsblatt (13). Ebenso machen die beiden anderen Gruppenmitglieder letzte Notizen und legen ihre Unterlagen zurecht. Es entstehen lange Pausen, in denen niemand etwas sagt (2, 9, 11). Auch beim VLE wird diese Unsicherheit deutlich. S11 betont einerseits, dass sie zu dem Zeitpunkt nicht gewusst habe, was genau gemacht werden soll, andererseits gibt sie an, dass eigentlich klar gewesen sei, was gesagt werden müsse. Da aber auch von den beiden anderen niemand die Initiative ergreift, beschäftigt sich auch S11 im Stillen mit den eigenen Notizen. In Bezug auf die Gesichtsbedürfnisse der Lernenden lassen sich in diesem Abschnitt gleich mehrere kritische Aspekte beobachten. Auch wenn die Aufgabe klar zu sein scheint - im vorliegenden Fall der Austausch von Vermutungen über eine Person anhand von Fotos - muss das genaue Vorgehen in den einzelnen Gruppen noch ausgehandelt werden. Es muss etwa die Sprechreihenfolge bestimmt und die inhaltliche Vorgehensweise, hier zum Beispiel die Reihenfolge der Bilder, festgelegt werden. Die VLE-Daten von S11 machen deutlich, dass eine Unwissenheitsbekundung in Bezug auf das Vorgehen, durch die ein Aushandlungsprozess initiiert werden könnte, vermieden wird. Ein Geständnis, etwas nicht zu wissen, ist für die Sprecherin oder den Sprecher potentiell gesichtsbedrohend, da es ein Defizit der jeweiligen Person offenlegt, worunter das eigene Image leiden könnte. Andere initiative Äußerungen, wie einen Vorschlag zu machen oder eine Frage nach bzw. Bitte um einen Vorschlag hingegen, stellen eine Gesichtsbedrohung für die Adressierten dar, da von diesen eine Handlung eingefordert wird (vgl. Brown & Levinson 1987: 66). Vorerst nehmen also alle drei Gruppenmitglieder eine abwartende Haltung ein und machen letzte Vorbereitungen für den eigentlichen kommunikativen Teil der Gruppenarbeit - oder 9.9 Unsicherheit 275 <?page no="276"?> geben vor dies zu tun. Ein ähnliches Vorgehen lässt sich auch in den anderen drei Gruppen beobachten. Der Einstieg ist bei dieser Gruppenarbeit durch längere stille Phasen gekennzeichnet, in denen niemand etwas sagt, letzte Notizen gemacht werden und noch in den Unterlagen geblättert wird. Anschließend wird thematisiert, wie man die vorbereitende Aufgabe erledigt habe oder was man nicht bearbeiten konnte, woraufhin sich die Gruppen dann langsam der Frage nähern, wer beginnt bzw. mit welchem Foto begonnen wird. Solche Orientierungs- oder Einstiegsphasen sind Teil jeder neuen Gruppenarbeit, da der Eintritt in eine neue Gruppe für Lernende stets mit unangenehmen Gefühlen der Unsicherheit und des Nicht-Wissens verbunden ist (Dörnyei & Murphy 2015: 15). Diese Unsicherheit in der neuen noch ungewohnten Gruppe zu zeigen, ist im hohen Maße gesichtskritisch und äußert sich im obigen Datenbeispiel darin, dass wichtige sprachliche Handlungen nicht initiiert werden, so dass der eigentliche Beginn der Gruppenarbeit verzögert wird. Neben der Ratlosigkeit in Bezug auf den Beginn der Gruppenarbeit, werden auch in anderen Situationen Unklarheiten nicht angesprochen. Die Lernenden fragen sich, ob bestimmte Äußerungen angemessen sind oder ob das in der Gruppe etablierte Vorgehen so richtig ist. Da hier aber das Gruppengespräch bereits in Gange ist, wäre eine Bemerkung diesbezüglich störend und wird von den Fokuspersonen nicht ausgesprochen, um die Zusammenarbeit und somit den Ablauf der Aufgabenbearbeitung nicht zu unterbrechen, was das eigene Gesicht bedrohen würde. 9.9.2 Unsicherheiten bei Beendigung der Gruppenarbeit Unsicherheiten zum Ende der Gruppenarbeit müssen in der Regel adressiert werden, insbesondere wenn die Besprechung der Aufgabe zum Erliegen kommt. In der Gruppenarbeitsphase GA5 ist die Gruppe G1, bestehend aus S1, S7 und S12 (Kapitel 7.5.2), nach wenigen Minuten mit dem inhaltlichen Austausch zur Aufgabe fertig und jedes Mitglied geht eigenen Gedanken nach, so dass sich die Gruppenarbeit verläuft und ein Gespräch ohne Bezug zur Aufgabe beginnt. Während S1 und S12 thematisch stark abschweifen und beginnen, sich über diverse private Dinge zu unterhalten, bleibt S7 überwiegend für sich, macht Notizen, konsultiert das Wörterbuch oder denkt nach und partizipiert nur durch vereinzelte Kommentare an der Unterhaltung der Kommilitoninnen. [1] 291 [07: 34.3] 292 [07: 35.5] 293 [07: 38.0] 294 [07: 39.3] S1 [sup] leise S1 [v] ふくろう行きたい (unverständlich) S1 [dt] zu eulen will ich auch S1 [nv] schreibt schaut auf, lächelt zu S12 Blick zu Kamera, zeigt auf S7 [nv] schreibt, blättert in Unterlagen S12 [sup] leise S12 [v] 可愛い ふくろうカフェも行きたい 行きたい S12 [dt] süß in ein eulencafe möchte ich auch mal ich auch S12 [nv] nickt 276 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="277"?> [2] … 295 [07: 41.3] S1 [sup] leise S1 [v] 7分しかやってないんだけど S1 [dt] wir haben grade mal 7 minuten gemacht S1 [nv] Ausknopf, schaut umher schaut auf die Uhr, dann auf die Kamera S7 [nv] schaut auf Richtung S1, hört auf zu schreiben, schaut im Raum umher, dann zwischen S1 und S12 S7 [VLE_S7] / / F2/ / この時間はなんかお互いに発表し終わってなんだろな…そ の、メリットとデメリットを書いて欲しいみたいな、 L 先生言って て、それをあの反映した後になんかこう作ってみたいな言ってた んで、それを。確かそれを考えてる時間だったんですかね… / / F2/ / そうですね。二人が…うーん…ある程度できてたんですか ね?あーでもあんまり二人もなんか作ってたのかしら。 S7 [VLE_S7_dt] / / F2/ / Zu dieser Zeit waren wir, glaube ich, fertig damit, uns gegenseitig vorzutragen … Herr L hatte so etwas gesagt, dass wir Vor- und Nachteile schreiben sollten und nachdem wir etwas darüber nachgedacht haben, hatten wir auch gesagt, dass wir das machen wollen. Ja genau, da haben wir in der Zeit darüber nachgedacht … / / F2/ / Ja, die beiden waren in gewisser Weise schon fertig, oder? Ah, oder hatten die beiden doch nichts gemacht … [3] 296 [07: 42.9] 297 [07: 43.8] 298 [07: 44.7] 299 [07: 46.8] 300 [07: 47.4] 301 [07: 47.9] S1 [v] でも S1 [dt] aber S7 [v] あっちで編集できるから S7 [dt] das kann man später bearbeiten S7 [nv] Blick zu S12 S12 [v] 何もやってない しょしき なんすか? S12 [dt] hab nichts gemacht format was n das? [p] (1) (2,1) [4] 302 [07: 49.4] 303 [07: 51.4] 304 [07: 53.5] 305 [07: 54.7] 306 [07: 57.4] 307 [07: 58.0] 308 [07: 59.3] S1 [v] ah S1 [nv] Bick zu S7 nickt beugt sich vor S7 [nv] weist auf Kamera schreibt weiter S12 [v] しょしきなんだろうね hmmm S12 [dt] was ist wohl das format ne [p] (2) (2,1) (2,8) (1,3) 9.9 Unsicherheit 277 <?page no="278"?> [5] 309 [08: 00.2] 310 [08: 02.2] 311 [08: 02.7] S1 [sup] leise, lachend S1 [v] もう一回最後やってほしい うん S1 [dt] kannst du nochmal das letzte sagen? ja S1 [nv] zu S7 gewandt S7 [v] もう一回? S7 [dt] noch einmal? S7 [nv] ohne aufzuschauen Transkriptauszug 54: GA5G1 7 Minuten Nach einiger Zeit scheint sich S1 an die Kamera zu erinnern schaut auf, dann zur Kamera und deutet auf den Aufnahmeknopf (294). Da S12 nicht unmittelbar darauf reagiert und S7 in seine selbstgewählte Einzelarbeit vertieft bleibt, merkt S1 leise auf Japanisch an, dass die Gruppenarbeit gerade mal 7 Minuten gedauert habe und überprüft die Anzeige auf der Kamera durch einen Blick zur Wanduhr. S7 wendet den Blick zuerst zur Sprecherin, schaut dann im Kursraum umher, um den Aufgabenstatus der anderen Gruppen einzuschätzen und lässt dann den Blick zwischen S1 und S12 wandern. S12 geht zwar nicht auf die Länge der Gruppenarbeit ein, gibt aber an, nichts gemacht zu haben, gefolgt von einer Frage, die sich auf das Datenformat der Videos zu beziehen scheint (297-300). Anschließend erklärt S7 - möglicherweise auch als Reaktion auf die Frage zum Dateityp - , dass man das später bearbeiten könne (301), woraufhin S1 ihn fragend anschaut und mit einer Geste in die Richtung der Kamera klar macht, dass es um das Video gehe, woraufhin die Gruppe wortlos beschließt, die Kamera weiter laufen zu lassen und zur inhaltlichen Arbeit zurückzukehren (309). In der VLE-Sitzung initiiert die Forschungsassistentin nach längerem Schweigen des Lerners durch die offene Frage, um was für eine Arbeitsphase es sich hier handle ( これはど ういう時間ですか? kore ha douiu jikan desuka? ), den Kommentar von S7, der erklärt, dass in dieser Phase der Gruppenarbeit über die Vor- und Nachteile der zuvor besprochenen Familienformen nachgedacht worden sei. Auf die Anmerkung der Assistentin, dass sich die Studentinnen zu unterhalten scheinen ( なんか女の子は二人で話しているように見え るけど。 nanka onnanoko ha futari de hanashiteiru youni mieru kedo.), vermutet S7, dass seine Gruppenkolleginnen mit den Überlegungen bereits fertig gewesen sein könnten oder vielleicht auch nicht. Im Gruppengespräch wird deutlich, dass eine Diskrepanz zwischen den Ansichten der einzelnen Mitglieder zum weiteren Vorgehen besteht. Während S7 für sich bleibt und über Vor- und Nachteile verschiedener Lebensmodelle nachzudenken scheint, unterhalten sich die beiden anderen, wobei S1 nebenher noch Notizen macht, S12 sich aber ganz auf das Privatgespräch konzentriert. Eine direkte Rückfrage zum weiteren Vorgehen wird ebenso vermieden wie der offene Vorschlag, die Kamera auszuhalten und damit das Ende der Gruppenarbeit zu beschließen. Jedoch dienen sowohl die Feststellung von S1 zur bisherigen Länge der Arbeitsphase als auch die Information zu den Bearbeitungsmöglichkeiten der Videoaufnahmen von S7 als indirekte Äußerungen im Rahmen der Verständigung über das Ende bzw. die Fortsetzung der Gruppenarbeit. Durch den Rundblick im Kursraum und auf die Uhr vergewissern sich die Studierenden, ob die anderen Gruppen weiterarbeiten, und vermeiden so gemeinsam ein offenes Eingeständnis gegenüber der 278 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="279"?> Lehrperson bzw. den anderen Gruppen der Unsicherheit in Bezug auf das weitere Vorgehen. Auch in der Gruppe wir nicht offen nach dem weiteren Vorgehen gefragt, sondern nur indirekt verhandelt. Einer ähnlichen Situation sieht sich auch die Gruppe G3 in derselben Gruppenarbeitsphase gegenüber. Die Lernenden S3, S5 und S11 verfallen zwar nicht in Privatgespräche, doch wird durch lange Redepausen deutlich, dass die Gruppe nach gut zwanzig Minuten alles besprochen zu haben und die Aufgabe erledigt zu sein scheint, so dass die Gruppenarbeit beendet werden könnte. [1] 870 [23: 11.7] 871 [23: 13.7] S3 [nv] schaut auf, nickt S5 zu, legt den Finger auf die Kamera S5 [v] 止める? S5 [dt] stopp? S5 [nv] beugt sich vor, schaut ins AB von S11 [p] (2) [2] 872 [23: 14.6] 873 [23: 15.8] 874 [23: 16.6] S3 [nv] zieht Hand wieder zurück, schaut zu den anderen Gruppen S5 [nv] schaut zu den anderen Gruppen S11 [sup] leise, undeutlich S11 [v] わかんないな S11 [dt] weiß nicht S11 [nv] schaut zu den anderen Gruppen [p] (1,2) (4,6) [3] 875 [23: 21.3] 876 [23: 21.8] 877 [23: 23.6] S3 [nv] Blick in die Gruppe S5 [v] …動いてる あああいいん S5 [dt] läuft noch ahh okay S5 [nv] Blick zu S3 [p] (1,8) S11 [VLE_S11] 自分たちのやつ終わったんだけどみんな止めてないからい つ止めればいいんだろうなって思って。みんなずっっと 撮ってるから、みんなも終わってるはずだけどずっと撮っ てるから、いつ終わるのみたいな思ってました。 S11 [VLE_S11_dt] Wir waren mit unserem Teil fertig, aber weil die anderen alle noch weiter gemacht haben, haben wir uns gefragt, wann wir aufhören sollen. Alle haben weiter aufgenommen, obwohl sie eigentlich hätten fertig sein müssen, haben sie weiter aufgenommen, deshalb habe ich mich gefragt, wann sie wohl fertig sein werden. 9.9 Unsicherheit 279 <?page no="280"?> [4] 878 [23: 24.9] 879 [23: 25.9] 880 [23: 35.9] 881 [23: 42.5] S3 [nv] schaut ins AB S5 [nv] radiert etwas nimmt Stift, beginnt zu schreiben, murmelt etwas S11 [sup] leise S11 [v] hm haaaa S11 [nv] schaut S5 zu schaut zur Seite schaut zu den beiden [p] (10) (6,6) [5] 882 [23: 43.9] 883 [23: 45.3] 884 [23: 45.7] 885 [23: 46.8] 886 [23: 53.6] S5 [v] hm? S5 [nv] schaut auf S11 [nv] super leise S11 [v] コトコト wer machen hausarbeit? S11 [dt] kotokoto (Lautmalerei) S11 [nv] schaut nach oben und denkt [p] (1,4) (6,8) Transkriptauszug 55: GA5G3 „ stopp? “ Wortlos schaut S3 nach einer längeren Pause, in der niemand etwas sagt, auf, nickt und legt den Finger auf den Aufnahmeknopf der Kamera. Da S11 noch beschäftigt zu sein scheint, beugt sich S5 vor und fragt, ob man die Aufnahme stoppen solle (871). S11 schaut zu den anderen Gruppen und gibt sehr leise und undeutlich an, dass sie es nicht wisse. Daraufhin schauen sich alle drei Mitglieder im Kursraum um, woraufhin S3 seine Hand von der Kamera zurückzieht. S5 konstatiert noch kurz, dass die Kameras bei den anderen Gruppen noch weiterlaufen, und S11 beginnt im Stillen eine weitere Frage zum Aufgabeninhalt zu formulieren, die sie nach einer erneuten Stillephase stellt, so dass die Gruppenarbeit fortgesetzt wird (886). Im Gesprächsverlauf zeigt sich, dass die Gruppe nicht ganz sicher ist, ob sie die Gruppenarbeit nun beenden können oder nicht, was S11 auch im VLE bestätigt. Ebenso wie die G1 hat auch G3 diese Unsicherheit mit einem Blick zu den anderen Gruppen beseitigen können. Wie auch oben wird in dieser Gruppe die Aufmerksamkeit auf die Kamera zuerst nur durch Zeigen gelenkt, doch fragt S5 anschließend direkt, ob man die Kamera stoppen solle, und beantwortet die Frage dann nach einem Blick in den Kursraum selbst (875). Wenn die Gruppenarbeit nicht offiziell durch die Lehrperson oder das Ende der Stunde beendet wird, entsteht in solchen offenen Gruppenarbeiten eine Phase der Unsicherheit, in der die Lernenden sich nicht sicher sind, ob sie vielleicht die Aufgabe falsch verstanden haben, weil sie im Gegensatz zu den anderen Gruppen schon fertig sind, oder ob sie einen Aufgabenteil vergessen haben könnten. Zwar müssen sich die Lernenden darüber verständigen, ob - und wenn ja, dann, wie - sie weitermachen sollen, doch ist hier die Frage nach dem Vorgehen ähnlich wie beim Beginn der Gruppenarbeit mit potentiellen Gesichtsbedrohungen verbunden. Bestimmt ein einzelnes Mitglied das weitere Vorgehen, kann es einerseits für diese Person imageschädigend sein, wenn der Vorschlag von den anderen 280 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="281"?> nicht angenommen wird, sich als falsch, da nicht im Sinne der geplanten Aufgabe, herausstellt oder als unangemessen dominantes Eingreifen empfunden wird. Stellt man die Frage jedoch offen zur Diskussion, fordert der bzw. die Fragende eine Handlung von den anderen ein, was wiederum als Einschränkung der Selbstbestimmung oder als der Lehrperson vorbehaltenes Verhalten wahrgenommen werden könnte. Verstehen sich die Lernenden als Teil einer Gruppe, in der alle Mitglieder über das gleiche Wissen sowie Mitspracherecht verfügen, kann das Ergreifen der Initiative durch eine einzelne Person als unangemessen gelten und wird daher vermieden (vgl. u. a. Philp et al. 2014: 98). Eine Frage an die Lehrperson oder andere Gruppen hingegen kann für die gesamte Gruppe gesichtsbedrohend sein, da sie vor der gesamten Kursgemeinschaft zugeben müssen, dass sie möglicherweise die Aufgabe falsch verstanden haben, also wird die Zuhilfenahme von außen eher vermieden. Insbesondere nach einer bereits länger andauernden Gruppenarbeitsphase steigt das gesichtsbedrohende Potential einer Rückfrage zu vorgehensbezogenen Aufgabenaspekten. Ein weiteres gesichtskritisches Szenario entsteht, wenn alle Gruppen fertig sind und nur noch eine einzelne Gruppe die Aufgabe bespricht. Während der GA2 braucht die Gruppe G2, bestehend aus S5, S7, S13 und S15, etwas mehr Zeit als die anderen, was nach einer Rückfrage des Kursleiters deutlich wird. [1] 542 [18: 26.1] 543 [18: 28.1] 544 [18: 30.6] 545 [18: 31.5] 546 [18: 31.8] 547 [18: 32.9] 548 [18: 33.2] S5 [sup] kurz S5 [v] ahhh eh? ja 嘘 S5 [dt] ist nicht wahr S5 [nv] Blick zu L zuckt zusammen S7 [nv] schaut L an [p] (0,5) L [sup] leise L [v] alles klar? alles klar? 皆終わってますけど L [dt] alle sind zwar fertig aber L [nv] kommt zur Gruppe [2] 549 [18: 33.7] 550 [18: 34.5] 551 [18: 35.4] 552 [18: 36.3] 553 [18: 38.2] S5 [sup] fragend lachend S5 [v] 本当に? ja okay S5 [dt] echt? S5 [nv] schaut zu L S7 [v] ちょちょっと待ってちょっと待って S7 [dt] mo mo moment einen moment S7 [nv] Blick zu S5, lacht schaut sich um lächelt, hebt rechte Hand (Stoppgeste) [p] (0,9) (1,9) 9.9 Unsicherheit 281 <?page no="282"?> [3] 554 [18: 39.5] 555 [18: 40.9] 556 [18: 42.1] 557 [18: 43.9] 558 [18: 44.7] S5 [v] schnell schnell schnell S5 [nv] klatscht leicht um Eile anzuzeigen S7 [nv] Blick zu L schaut in seine Unterlagen, liest S15 [nv] lacht lacht L [sup] schnell L [v] ah jajaja bitte bitte bitte scht L [nv] geht weg [p] (1,8) (0,7) [4] 559 [18: 45.4] 560 [18: 46.4] 561 [18: 47.6] 562 [18: 48.7] 563 [18: 51.0] 564 [18: 53.4] S5 [sup] sehr leise, murmelt weiter S5 [v] これで終わるかな これで終わるかな S5 [dt] wir sind dann wohl jetzt fertig wir sind dann wohl jetzt fertig S5 [nv] schaut auf AB, dann zu S7 S7 [sup] (murmelt leise etwas) leise, schnell S7 [v] hm hm 大丈夫 ? S7 [dt] okay? S7 [nv] hebt Blick Richtung S5 deutet ins AB von S5 L [v] pscht [p] (1,1) (2,4) [5] 565 [18: 53.9] 566 [18: 56.1] 567 [18: 57.6] 568 [18: 58.7] S5 [sup] leise leise S5 [v] (unverst.) ソウル大学で出会ったでしょう S5 [dt] die haben sich doch an der seoul uni getroffen ne S5 [nv] Blick zu S15 S7 [v] ja S7 [nv] lacht blättert in eigenen Unterlagen S15 [nv] schaut zu S5 [p] (2,2) (1) [6] 569 [18: 59.0] 570 [18: 59.9] 571 [19: 00.8] 572 [19: 02.5] 573 [19: 03.2] 574 [19: 03.8] S5 [nv] lacht lacht S7 [v] kennen S15 [nv] schaut über die Schulter zu L lacht [p] (0,9) (1,7) (0,8) 282 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="283"?> [7] 575 [19: 04.6] 576 [19: 05.2] 577 [19: 05.9] 578 [19: 06.8] S5 [v] わかんない S5 [dt] weiß nicht S5 [nv] nickt L zu, lacht, schaut in seine Unterlagen, blättert S7 [sup] leise S7 [v] (unverst.) S7 [nv] liest in Unterlagen, wuschelt durchs Haare, markiert etw. S13 [nv] schaut in seine Unterlagen, dann zu S7 S15 [sup] lachend S15 [v] わかんない S15 [dt] weiß nicht S15 [nv] schaut auf ihr AB und zu S5 [p] (9,5) S7 [VLE_S7] この時みんな、なんか周りがすごく終わってて、こ こだけやってるから、なんかちっちゃい声で「あー 大丈夫かなぁ」みたいな感じで喋ってました。 S7 [VLE_S7_dt] Zu diesem Zeitpunkt waren alle drum herum schon total fertig und weil nur wir noch gemacht haben, haben wir so super leise besprochen, ob alles so okay ist. [8] 579 [19: 16.4] 580 [19: 17.1] 581 [19: 21.2] 582 [19: 21.6] 583 [19: 22.1] S5 [v] まあ jajaja S5 [dt] naja S5 [nv] lacht S7 [v] alles klar? S7 [nv] Blick zu S13 lacht schaut wieder aufs AB S13 [v] ja S13 [nv] lacht, nickt S15 [nv] lacht, schaut zu L, nickt leicht [p] (4,1) (0,9) [9] 584 [19: 23.0] 585 [19: 24.3] 586 [19: 27.4] S7 [v] ja fertig S7 [nv] schaut zu L, nickt unterstreicht noch etwas Blick zur Wanduhr L [v] fertig? sie haben noch fünf ah okay okay dann können sie … dann drücken sie Transkriptauszug 56: GA2G2 Alle fertig Als die Lehrperson in der Gruppe nachfragt, ob alles klar ist, stellt sich heraus, dass alle anderen Gruppen die Aufgabe bereits abgeschlossen haben. S5, der in Blickkontakt mit dem Lehrer steht, drückt seine Überraschung mehrmals aus und gibt dann mit einem „ ja okay “ (551) zu verstehen, dass die G2 nun auch zum Ende kommt. Da S7 allerdings noch Klärungsbedarf sieht, bittet er auf Japanisch unterstützt durch eine Stoppgeste, mit erhobener flacher Hand (553), um noch etwas mehr Zeit. Der Lehrer gewährt diese. 9.9 Unsicherheit 283 <?page no="284"?> Die Gruppe wendet sich wieder ihren Unterlagen zu, während er sich entfernt und im Plenum zur Ruhe mahnt (556 bis 559). Da der Geräuschpegel deutlich abnimmt, scheint sich die Gruppe sehr exponiert zu fühlen und verspürt durch die Tatsache, dass alle anderen Gruppen bereits fertig sind, einen gewissen Zeitdruck, so dass sie sehr leise, begleitet durch viel unsicheres Lachen und leises Murmeln, innerhalb einer knappen Minute die Gruppenarbeit beendet. Diesen Eindruck bestätigt S7 auch im VLE (578). Selbstverständlich ist es der Gruppe unangenehm, als die einzige, die noch nicht fertig ist, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen; folglich versuchen sie möglichst leise und unauffällig zum Ende zu kommen. Gegenüber dem Kursverband machen die Mitglieder von G2 deutlich, dass sie schnell noch etwas überprüfen und geben dann innerhalb sehr kurzer Zeit zu verstehen, dass sie fertig sind. Sie zeigen, dass sie den Unterrichtsablauf nicht hemmen wollen, dennoch aber ihre Aufgabe ernst nehmen und nicht einfach so abbrechen möchten. Innerhalb der Gruppe deutet S5 gegenüber dem Lehrer zunächst an, dass sie sofort abbrechen können, doch da S7 in dieser G2 eine Art Gruppenleiterrolle übernimmt (Kapitel 7.2.3), fordert er etwas Zeit für eine abschließende Überprüfung. S13 und S15 verhalten sich, wie auch über den Verlauf der gesamten Gruppenarbeit hinweg, still und zurückhaltend, so dass S5 einspringt und eine letzte Bestätigungsfrage auf Japanisch stellt, die S7 auf Deutsch rückbestätigt und anschließend dem Lehrer zu verstehen gibt, dass sie fertig seien. S7 wahrt so mit Hilfe des Beitrags von S5 sein Gesicht sowohl innerhalb der Gruppe als Leiter als auch als Gruppenvertreter gegenüber dem Kursverband, der auf diese Gruppe warten muss, und rechtfertigt so die geforderte zusätzliche Zeit. 9.9.3 Zusammenfassung: Unsicherheit Ist das gemeinsame Vorgehen nicht eindeutig geklärt, bzw. besteht bei den Lernenden Unsicherheit darüber, wie vorgegangen werden soll, wird in der hier dokumentierten Gruppenarbeit generell zuerst eine abwartende Haltung eingenommen. Zu Beginn der Zusammenarbeit zeigt sich dies durch Phasen des Zögerns, in denen keiner wagt, nachzufragen oder mit der Aufgabenbearbeitung zu beginnen. Durch kurze aufmunternde Kommentare tasten sich die Lernenden gemeinsam an die Zusammenarbeit heran und beobachten sowohl das eigene Verhalten als auch das der anderen, bevor sich allmählich herauskristallisiert, wer in der Gruppe in welcher Form aktiv wird. Solche Orientierungsphasen, in der sich die Lernenden als Gruppe formieren, sind äußerst gesichtsbedrohend, da sich hier die Beziehungen untereinander erst manifestieren (vgl. Tuckmann 1965: 70; Dörnyei & Murphey 2003: 107f ). Auch wenn die Lernenden sich bereits aus dem Kurskontext kennen und vielleicht schon bei anderen Aufgaben zusammengearbeitet haben, so ist in der Regel die spezifische Gruppenkonstellation noch ungewohnt, zumindest aber ist der aktuelle Arbeitsauftrag neu. Das bedeutet, die Lernenden wissen voneinander nicht, wer in Bezug auf diese spezielle Aufgabe besondere Kenntnisse hat oder wie gut jeder einzelne vorbereitet ist, so dass sie erst einmal testen müssen, wer hier die Initiative ergreift. Verebbt ein laufendes Gruppengespräch allmählich, weil die vorbereiteten und aufgabenrelevanten Beiträge bereits geäußert worden sind, muss die Frage jedoch geklärt werden, ob man nun fertig ist oder noch etwas zu besprechen hat. Im Verlauf der Gruppenarbeit entsteht eine geteilte Verantwortung für die Aufgabenbearbeitung (vgl. Aguado 2002: 35; Foster 1998: 12), so dass hier das weitere gemeinsame Vorgehen besprochen werden muss. Handelt es sich um eine gleichberechtigte Führungsstruktur 284 9 Gesichtskritische Episoden in der Gruppenarbeit <?page no="285"?> in der Gruppe, in der es keine eindeutige Leitungsperson gibt, wird das Beenden oder das Weitermachen in der Gruppe ausgehandelt (vgl. Episode „ 7 Minuten “ ). Gibt es hingegen eine Gruppenleitung, kann diese die Entscheidung treffen, sollte aber bei der Gruppe Unterstützung finden (vgl. Episode „ Alle fertig “ ). Hier gilt es einerseits, die individuellen Gesichtsbedürfnisse innerhalb der Gruppe zu wahren, andererseits das kollektive Gesicht als Gruppe nach außen hin gegenüber der Lehrperson und den anderen Lernenden. 9.9 Unsicherheit 285 <?page no="286"?> 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit Nachdem in Kapitel 9 die verschiedenen GKE und ihre Besonderheiten dargestellt wurden, soll nun im Folgenden nachvollzogen werden, wie der Gruppenarbeitsverlauf und die Realisierung der GKE einander beeinflussen. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht also die Beantwortung der dritten Forschungsfrage, wie sich gesichtsrelevante Interaktionen auf die Zusammenarbeit der Lernenden auswirken. Anhand der Erkenntnisse zu potentiellen Gesichtsbedrohungen in Gruppenarbeitsphasen im Fremdsprachenunterricht sollen insbesondere die Faktoren fokussiert und systematisiert werden, die zur Realisierung von GKE führen. 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen Bereits in der Darstellung der einzelnen GKE in Kapitel 9 ist mehrfach angeklungen, dass gesichtsbedrohende Aktionen und Reaktion eng miteinander verflochten sind. Auch wenn eine fokussierte Betrachtung der einzelnen Episoden zur Identifizierung und Beschreibung des Vorkommens und der Handhabung in Gruppenarbeitssettings zweckmäßig ist, kommen isolierte Gesichtsbedrohungen in der Realität nicht vor. Vielmehr führt eine potentielle Gesichtsbedrohung zur nächsten, so dass eine Verkettung der einzelnen zu einer mehrere Gesichtsbedrohungen umfassenden Episode führt. Diese Verschränkungen werden im Folgenden anhand dreier Beispiele aus der gesprächsanalytischen Betrachtung mit Fokus auf die Wechselwirkungen untereinander beschrieben. Zur Verdeutlichung erfolgt die Darstellung mit Hilfe reduzierter Transkripte mit kurzen Interpretationshinweisen. 10.1.1 Verständnisschwierigkeiten - Fehler bemerken - Assistenz In der GKE „ Schwester “ finden sich Hinweise auf Gesichtsbedrohungen durch vermutete Fehler, Verständnisschwierigkeiten und Assistenz durch Kommilitonen (Kapitel 9.1.4, Transkriptauszug 13). Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Deutsch: 62 % Japanisch: 38 % S6: 9 % S8: 50 % S14: 39 % L: 2 % Vorgehen: 18 % Inhalt: 59 % Sprache: 15 % Beziehung: 9 % Sonstiges: 0 % Tab. 25: Sprachanteil, Redeanteil und Interaktionsebenen GA3G4 (ohne Dokumentenporträt) Die Gruppenarbeit wird vor allem von S8 und S14 vorangetrieben, während S6 sich zurückhält. S8 und S14 sind beide sehr aktiv und gehen aufeinander ein, wobei jedoch S14 durch ihre inhaltsorientierten Redebeiträge und Rückfragen eine eher leitende Funktion zukommt und S8, obwohl er deutlich mehr spricht, eine überwiegend reagierende Rolle <?page no="287"?> einnimmt. Das Deutsche überwiegt in diesem Gruppenarbeitsgespräch zwar, aber die Lernenden - insbesondere S8 und S6 - weichen häufig auf das Japanische aus, wenn sie merken, dass sie ihre Ideen nicht angemessen auf Deutsch ausdrücken können. Der häufige Rückgriff auf das Wörterbuch und die L1 durch S8 führt bei S14 zu einer gewissen Unzufriedenheit, weshalb das Vorgehen in Bezug auf die Verwendung von Hilfsmitteln und der Ausgangsprache in der Gruppe mehrmals angesprochen wird (vgl. Kapitel 7.3.5). Abb. 16: Reduziertes Transkript mit Interpretation 1 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen 287 <?page no="288"?> In dieser Sequenz verwechselt S14 die Wörter Tochter und Schwester, was von S8 bemerkt wird. Durch mehrfache Wiederholung des fraglichen Wortes zeigt er, dass aus seiner Sicht ein Problem mit der Vokabel vorliegt. S14 interpretiert diese Wiederholungen jedoch nicht als Rückfrage in Bezug auf die Richtigkeit des Wortes, sondern als Verständnisschwierigkeit seitens S8. Durch ihre Hilfestellung in der L1 wird S8 klar, dass bei S14 ein Wortschatzfehler vorliegt, so dass er nun unter Rückgriff auf die L1 etwas direkter nachfragt. Da S14 aber selbstbewusst bestätigt, dass das so richtig sei, formuliert S8 vorsichtig seine Bedenken, indem er angibt einen etwas anderen Eindruck von dem Wort gehabt zu haben. Durch das sehr sichere Auftreten von S14 einerseits und den hohen Grad ihrerAktivität als Leiterin der Gruppe, sowohl bezüglich der inhaltlichen Bearbeitung als auch der Forderung, so viel wie möglich auf Deutsch auszuhandeln, andererseits, sieht sich S8 gezwungen die Wortschatzfrage unter Berufung auf das Wörterbuch zu klären. Ohne eine außenstehende Autorität, wie zum Beispiel ein Wörterbuch oder eine Lehrperson, steht sein Wort gegen das von S14, deren Meinung jedoch durch ihre innerhalb der Gruppe wahrgenommene höhere zielsprachliche Kompetenz mehr Gewicht hat. Dennoch entscheidet er sich dagegen, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen und mit der Aufgabe fortzufahren, sondern besteht darauf, das Problem zu lösen, da aus seiner Sicht die Gruppenarbeit ohne eine vollständige Klärung nicht angemessen erfüllt werden kann. Hierzu ist eine kurze Unterbrechung der inhaltlichen Arbeit für die Recherche im Wörterbuch nötig, die dann aber durch eine erfolgreiche Korrektur abgeschlossen werden kann. Die einzelnen Gesichtsbedrohungen, wie das Antizipieren von Verständnisschwierigkeiten von S14 bei S8, obwohl keine gegeben sind, oder das wiederholte Ansprechen des Fauxpas der Kommilitonin und die anschließende Korrektur, greifen unmittelbar ineinander und bedingen einander. Ohne die Rückfrage von S8 wäre zwar die Verwechslung von Schwester und Tochter zunächst nicht weiter aufgefallen und das Gespräch wäre fortgesetzt worden, ggf. wäre aber die Gruppe im weiteren Verlauf der Zusammenarbeit erneut darauf gestoßen, so dass diese Bedeutungsaushandlung zu einem späteren Zeitpunkt stattgefunden hätte. Ein Übergehen des Fehlers wäre aus Sicht von S8 untragbar gewesen. Zwar hätte er die Überprüfung für sich im Stillen vornehmen können, doch als aktives Gruppenmitglied, das den Gesprächsverlauf entscheidend mitgestaltet, hätte er dafür entweder die Zusammenarbeit unterbrechen oder bis nach der Beendigung des Unterrichts bzw. der Gruppenarbeit warten müssen. Da er aber gemeinsam mit S14 die Gruppenarbeit trägt - also eine hohe individuelle und kollektive Aktivität aufweist - und die Klärung des Wortschatzproblems aus seiner Sicht für die weitere Besprechung der Aufgabe nötig ist - d. h. eine hohe Einschätzung der Relevanz für die Aufgabe vorliegt - spricht er den Fehler mit zunehmender Direktheit an. S14 ist ihrerseits an der Progression der Aufgabe interessiert und treibt die Gruppenarbeit durch eigene Rückfragen voran. Darüber hinaus legt sie großen Wert auf die Verwendung der L2 und schätzt ihre eigenen sprachlichen Fähigkeiten als etwas höher ein, als die der anderen Gruppenmitglieder, was sich durch Kommentare in den VLE-Daten äußert, in denen sie vermutet, dass ihnen das Sprachgefühl bzw. das Bewusstsein dafür fehle, durchgehend Deutsch zu benutzen (vgl. 7.3.5). Folglich sieht sie es als Teil ihrer Aufgabe an, S8 bei den vermeintlichen Verständnisschwierigkeiten zu unterstützen und anschließend auch seine Korrektur unter Zuhilfenahme des Wörterbuchs zu akzeptieren. S6 hingegen, die zwar auch ein Gruppenmitglied ist und das Gespräch sozusagen aus dem Off verfolgt - kognitive Partizipation - , sich aber über den 288 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="289"?> gesamten Verlauf der Zusammenarbeit und eben auch in derAushandlung zurückhält - also eine geringe Aktivität aufweist - , bringt sich hier nicht ein. DerAblauf der Gruppenarbeit ist insbesondere davon gekennzeichnet, dass S14, versucht die Zusammenarbeit voranzutreiben, und S8 sehr bemüht ist, sie dabei zu unterstützen, gleichzeitig aber auch wenig Vertrauen in seine Deutschkenntnisse zu haben scheint, und daher jeden spontanen Redebeitrag, den er nicht im Vorfeld der Zusammenarbeit vorbereiten konnte, durch mehrfaches Nachschlagen im Wörterbuch absichert und dabei sein Vorgehen kommentiert. Da aus dieser Gruppenarbeit lediglich die VLE-Daten von S14 vorliegen, können die Beweggründe für die häufige Überprüfung des Wortschatzes im Wörterbuch durch S8 nicht nachvollzogen werden. Jedoch kann dieses Verhalten als charakteristisch für ihn angesehen werden, da es auch in anderen Gruppenkonstellationen zu beobachten ist. Auch die Positionierung der beiden anderen Mitglieder entspricht ihren üblichen Verhaltensmustern. Eine Besonderheit dieser Zusammenarbeit besteht jedoch darin, dass S14 bereits früh im Verlauf der Aufgabenbearbeitung das mangelnde Bewusstsein für die Verwendung der L2 von beiden (7.3.5) sowie die monotone Aussprache (9.4.2) und die hohe Nutzungsfrequenz des Wörterbuchs von S8 im VLE kommentiert. Letztendlich scheinen diese Faktoren bei S14 zu einer gewissen Frustration zu führen, weil sie im späteren Verlauf der Gruppenarbeit S8 offen für das häufige Nachschlagen kritisiert bzw. auffordert davon abzusehen (9.6.1), was in den hier zugrundeliegenden Daten einen Einzelfall darstellt. 10.1.2 Vermuteter Fehler - Vermutete Verständnisschwierigkeiten - Missverständnis Die GKE „ Enkelkind “ findet in einer Gruppenarbeit statt, in der die Studentin S12 die Bearbeitung der Aufgabe leitet und die anderen drei Studierenden S1, S3 und S10 die Redebeiträge von S12 in erster Linie bestätigen, jedoch selbst wenige eigene Ideen einbringen (7.2.4). Die Vermutung liegt nahe, dass die Lernenden die Aufgabe als eine Art Ergebnisvergleich interpretieren, bei dem es um die Feststellung der richtigen Lösung geht - von der es aus Sicht der Lernenden nur eine gibt - , und daher wenig Diskussionsbedarf sehen (vgl. 7.2). Die Gruppe konzentriert sich auf die inhaltliche Besprechung der Aufgabe - welches Foto zu welchem Text passt - , was sich in der vorherrschenden Interaktionsebene Inhalt sowie der vorwiegenden Verwendung der L2 äußert. Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Deutsch: 96 % Japanisch: 4 % S1: 7 % S3: 7 % GS10: 7 % S12: 74 % L: 5 % Vorgehen: 13 % Inhalt: 67 % Sprache: 19 % Beziehung: 1 % Sonstiges: 0 % Tab. 26: Sprachanteil, Redeanteil und Interaktionsebenen GA2G3 (ohne Dokumentenporträt) Die Episode wird dadurch initiiert, dass S10 das Wort Enkelkind, das in einem Redebeitrag von S12 enthalten ist, wiederholt, was die Sprecherin als Rückfrage interpretiert, da sie Verständnisschwierigkeiten bei der Kommilitonin vermutet. Diese Vermutung sieht S12 durch den Griff zum Wörterbuch von S10 bestätigt, so dass sie einen Bedeutungsaushand- 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen 289 <?page no="290"?> lungsprozess anstößt, an dem die gesamte Gruppe teilnimmt und alle gemeinsam versuchen S10 zu helfen, den Schlüsselbegriff Enkelkind zu verstehen. Welche Funktion das Wiederholen des Wortes Enkelkind aus der Sicht von S10 hat - Rückfrage, Bestätigung oder Rezeptionssignal - , kann anhand der Daten nicht überprüft werden, da sie während des lauten Erinnerns nicht darauf eingeht. Offensichtlich ist jedoch, dass S12 annimmt, es handle sich um eine Art der Verständnissicherung. Da ihre Bestätigung bei der Kommilitonin nicht zu einer deutlichen Verstehensbekundung führt und diese darüber hinaus zum Wörterbuch greift, sieht S12 es als ihre Pflicht als Leiterin der Aufgabenbearbeitung an, S10 bei der Klärung der Verständnisschwierigkeiten behilflich zu Abb. 17: Reduziertes Transkript mit Interpretation 2 290 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="291"?> sein. Sie zeigt ihre Initiative durch das mehrfache Wiederholen der fraglichen Vokabel sowie der Bitte oder Anweisung nicht im Wörterbuch nachzuschlagen - „ nein, nein, nein, nein “ - und dem gleichzeitigen Blättern in ihren Unterlagen. Sie sucht nach Möglichkeiten S10 das Wort zu erklären oder in einem Textbeispiel zu zeigen. S10 signalisiert zwar ihr Verständnis durch leichtes Nicken und „ hmhmhm “ , doch befürchtet S12 weiterhin, dass die Verständigung noch nicht gesichert ist. S3 kommt ihr zu Hilfe und schlägt die Erklärung „ kinder kinder “ - vermutlich in der Bedeutung „ die Kinder der (eigenen) Kinder “ - vor, was S12 zunächst nicht bemerkt, weil sie weiterhin Enkelkind wiederholt, dann aber anerkennend mit einem Nicken in Richtung S3 wiederholt und so ratifiziert. Fast gleichzeitig beugt sich S1 zu S10 hinüber und zeigt ihr das fragliche Wort im Text, woraufhin S10 endlich laut und deutlich mit einem Ausruf und einem Lachen Richtung S1 signalisiert, dass sie verstehe. Ohne die Hinweise aus den VLE-Daten von S10 scheint es sich bei dieser kurzen Sequenz um eine in der Gruppe erfolgreich gelöste Bedeutungsaushandlung zu handeln, durch die die Verständnisschwierigkeiten von S10 gemeinschaftlich behoben werden konnten. Die retrospektiven Daten zeigen jedoch, dass es sich hier in erster Linie um ein Missverständnis zwischen S10 und S12 handelt, das durch S10s Wiederholung des Wortes und den Griff zum Wörterbuch ausgelöst wurde. Zwar steht das Missverständnis im Mittelpunkt dieser GKE, doch ist der Ausgangspunkt die Vermutung von S10, dass die Aussprache einzelner Buchstaben des Alphabets bei S12 fehlerhaft sein könnte. Da aber eine fehlerhafte Aussprache der einzelnen Buchstaben die Verständigung unter den Lernenden nicht beeinträchtigt und somit die Aufgabenbearbeitung nicht stört, zieht sie es vor, diese sprachbezogene Frage selbständig zu klären, ohne sie in der Gruppe anzusprechen. Diese Entscheidung wird zusätzlich von ihrem niedrigen Aktivitätsgrad im Gruppengespräch begünstigt, da sie anderenfalls die eigentliche Aufgabenbearbeitung von S12 unterbrechen und offenlegen müsste, dass sie gedanklich an einer anderen Stelle der Aufgabe ist und außerdem an der sprachlichen Kompetenz von S12 Zweifel hat. Dieses Eingeständnis wäre sowohl für sie selbst als auch für die Kommilitonin gesichtskritisch. Auch die Richtigstellung des Missverständnisses und die damit verbundene Zurückweisung der Erklärungsversuche der Gruppenmitglieder hätte von der Aufgabe weggeführt und sie dazu gezwungen, die dominante Verwendung der L2 zu unterbrechen und von der inhaltlichen Fokussierung des Gruppengesprächs abzuweichen. Da S10 sich in anderen Konstellationen durchaus sehr aktiv zeigt, ist anzunehmen, dass sie bei einem höheren individuellen und kollektiven Aktivitätsgrad einen vermuteten sprachlichen Fehler in anderen Gruppenarbeiten eher angesprochen hätte (vgl. u. a. 9.5.1 oder 9.5.2). Jedoch spricht die geringe Relevanz der korrekten Aussprache von Buchstaben für die Aufgabenbearbeitung eher dafür, dass auch in so einer interaktiven Zusammenstellung wie GA1G3 oder GA3G3 die Überprüfung der Aussprache nicht in der Gruppe thematisiert worden wäre. 10.1.3 Ausdrucksschwierigkeiten - Verständnisschwierigkeiten - Fehler bemerken - Meinungsverschiedenheiten Die Studierenden S7, S5 und S2 arbeiten zufälligerweise in zwei der hier dokumentierten Gruppenarbeitsphasen zusammen, so auch in der GA3G2, während welcher die Nicht- Vater-Episode realisiert wird. Zwar übernimmt S7 eine leicht lenkende Rolle, doch arbeiten alle aktiv mit, so dass eine hohe kollektive Aktivität vorliegt. Ihre Zusammenarbeit ist von 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen 291 <?page no="292"?> einer positiven Grundstimmung und einer hohen Gegenseitigkeit gekennzeichnet. Der inhaltliche Austausch steht klar im Vordergrund, wenn auch vergleichsweise oft beziehungsbezogene Sequenzen, in denen gemeinsam gescherzt wird, auftreten. Auch wenn die Gruppe die eigentliche Aufgabenbearbeitung auf Deutsch vornimmt, wird häufig auf Japanisch bestätigt oder kommentiert, wodurch sichergestellt wird, wie die einzelnen Äußerungen verstanden werden sollen. Sprachanteile Redeanteile Interaktionsebenen Deutsch: 61 % Japanisch: 38 % Englisch: 1 % S2: 19 % S5: 30 % S7: 49 % L: 2 % Vorgehen: 7 % Inhalt: 65 % Sprache: 14 % Beziehung: 10 % Sonstiges: 4 % Tab. 27: Sprachanteil, Redeanteil und Interaktionsebenen GA3G2 (ohne Dokumentenporträt) Während S7 sich als eine Art Mentor positioniert und sowohl den Gesprächsfortgang steuert als auch die Beteiligung der beiden anderen lobt und unterstützt, definiert sich S5 als positiv gestimmter scherzender Mitarbeiter ohne Selbstvertrauen in seine Kenntnisse. S2 hingegen beteiligt sich zwar seltener aktiv am Gespräch, doch meist sehr gezielt, wodurch sie einen zurückhaltend-kompetenten Eindruck vermittelt, bzw. entsprechend von ihren Kommilitonen behandelt wird. Die GKE „ Nicht-Vater “ wird von einer längeren Phase eingeleitet, in der S5 eine spontane - also nicht zuvor ausgearbeitete - Frage formuliert und dabei deutlich zeigt, dass er Formulierungsschwierigkeiten hat (9.1.2). Nach dieser längeren Konstruktionsphase, in der er zwar von den anderen Gruppenmitgliedern unterstützt wird, letztendlich aber doch das entscheidende Wort auf Japanisch klären muss, bittet S7 ihn um die Wiederholung der Frage. 292 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="293"?> 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen 293 <?page no="294"?> Abb. 18: Reduziertes Transkript mit Interpretation 3 S5 wiederholt seine inhaltliche Rückfrage mit mehreren Unterbrechungen durch Kommentare in der L1. Zunächst betont er noch einmal, dass Grammatik nicht seine Stärke sei, er es aber hier noch einmal versuchen wolle. Dann beginnt er Wort für Wort mit dem Äußerungsaufbau, zeigt dann aber bei der Bezeichnung für die Abbildung bzw. Briefmarke erneut seine Unsicherheit, ob man sie auch als Foto bezeichnen könne. S7 interpretiert diese Unterbrechung jedoch als weiteres Unischerheitssignal und gibt S5 einen freundlichen, aber sehr expliziten Hinweis auf die sprachliche Struktur, die als nächstes benötigt wird: das 294 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="295"?> Verb. Da er den Tipp dreimal wiederholt und mit einem Klopfen auf den Tisch bestärkt (vgl. Transkriptauszug 11), kann diese Äußerung auch als eine Art Antreiben, die Frage auszuformulieren, oder Aufruf zur Konzentration auf den Kern der Aussage interpretiert werden, insbesondere weil S5 die Frage eigentlich schon einmal fertig ausgesprochen hatte und es sich hier lediglich um eine Wiederholung derselben handelt. S5 nimmt den Hinweis umgehend an, ergänzt das Verb sind und führt nach einem kurzen Zögern und einer weiteren Selbstkorrektur den Fragesatz zu Ende. Daraufhin entsteht eine längere Pause von gut zwei Sekunden, in der weder S2 noch S7 auf die Frage reagieren und S5 leicht lacht. Aus den VLE-Daten von S7 geht hervor, dass er sich zu diesem Zeitpunkt gefragt hat, ob das von S5 eingesetzte Verb bzw. die Verbform an dieser Stelle passend ist. Da er aber in der Retrospektion keine weiteren Überlegungen anstellt und auch keine korrekte Lösung vorschlägt, bleibt unklar, ob er hier auf eine weitere Korrektur des Redebeitrags verzichtet, weil er sich selbst zu diesem Zeitpunkt nicht sicher ist, welche Verbform erforderlich wäre, oder weil er eine weitere Reformulierung der Frage vermeiden möchte, sei es, um S5 zu entlasten oder um die inhaltliche Bearbeitung der Frage nicht ein weiteres Mal zu bremsen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wiederholt S7 jedoch die fehlerhafte Formulierung, stellt aber gleich im Anschluss eine Gegenfrage mit der korrekten Form, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass er zuvor bewusst davon absieht, S5 mit einer weiteren Korrektur oder Hilfe zur Selbstkorrektur zu belasten (vgl. 9.1.2). Erneut zeigt sich die Verkettung verschiedener potentieller Gesichtsbedrohungen. S5 zeigt deutlich Ausdrucksschwierigkeiten und kommentiert diese humoristisch, bittet jedoch nicht explizit um Unterstützung. Die angebotene Hilfestellung von S7 nimmt er aber sofort an. Nach Beendigung seines Redebeitrags befürchtet er, nicht verstanden worden zu sein, was ihn weiter verunsichert. Während sich jedoch die von S5 antizipierten Verständnisschwierigkeiten auf die sprachliche Gestaltung der Frage bezieht, was sich durch die zahlreichen Hinweise auf Unsicherheiten in Bezug auf Grammatik und Wortschatz zeigt, spielen für S7 zwei andere Fragen eine Rolle. Zum einen bemerkt er den Fehler bei der Verbform in der Formulierung von S5, was nur im VLE evident wird, zum anderen wird ihm allmählich der Unterschied zwischen seiner eigenen Wahrnehmung des Bildes und der von S5 bewusst. Eine Thematisierung des sprachbezogenen Fehlers im Gruppengespräch ist allerdings nicht notwendig, da er für das gegenseitig Verständnis und die weitere Besprechung derAufgabe nicht relevant ist. Die unterschiedlichen Interpretationen des Bildes hingegen sind für den weiteren Austausch von Bedeutung bzw. bildet den Kern der Aufgabe und müssen somit geklärt werden. Aus der Sicht von S7 ist eine klassische Familienkonstellation dargestellt, in der eine Vaterfigur bzw. ein Ehemann im Bild enthalten ist, während aus der Perspektive von S5 eine Mutter und zwei Kinder abgebildet sind (vgl. 9.5.2; Transkriptauszug 29). Die anfängliche Verwirrung in Bezug auf die gegenseitige Verständnissicherung zunächst auf sprachlicher und dann auf inhaltlicher Ebene, geht in eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Deutung des Bildes über. Beide Lerner sind sehr aktiv in dieser Gruppenarbeit und an dieser Aushandlung unmittelbar beteiligt, so dass diese potentiell gesichtsbedrohenden Verständnisschwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten realisiert werden müssen, damit die Aufgabe erfolgreich besprochen werden kann. Die freundliche Gruppenatmosphäre wird hier durch spielerisch übertriebene Vehemenz und häufiges gemeinsames Lachen abgesichert und löst mögliche Anspannungen infolge der Ausdrucksschwierigkeiten in der Formulierungsphase auf. 10.1 Verkettung von Gesichtsbedrohungen 295 <?page no="296"?> 10.2 Aufgabenrelevanz und Aktivität Die Beschreibung der GKE sowie ihrer Verkettungen zeigt, dass nicht alle Gesichtsbedrohungen ihren Ausdruck in der Gruppenarbeit finden. Einige werden lediglich im Stillen registriert, aber nicht angesprochen, andere wiederum werden thematisiert und sogar sehr explizit gemacht. Die Entscheidung darüber, ob - und wenn ja, dann wie - die GKE in der Gruppenarbeit realisiert werden, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: der Aufgabenrelevanz der möglichen Gesichtsbedrohung und dem Grad der Aktivität der Lernenden in der Gruppe. Letztere setzt sich aus individuellen und gruppenspezifischen Faktoren zusammen. Als Indikator für die individuelle Aktivität dient zur quantitativen Einschätzung zum einen der Anteil am Gruppengespräch, der einzelnen Mitglieder, wie in den Schaubildern zu den Redebeiträgen bzw. in den Beschreibungen der einzelnen Gruppenarbeiten dargestellt (Kapitel 7). Zum anderen werden Erkenntnisse aus der gesprächsanalytischen Betrachtung hinzugezogen und als Hinweise auf die Qualität der Beiträge genutzt, etwa ob die Redebeiträge eines Gruppenmitglieds eher reagierend sind oder die Aufgabenbearbeitung entscheidend voranbringen. Die hier konzipierte individuelle Aktivität weist Parallelen zur Diskurspartizipation auf, wie sie in Studien zu Typen von Partizipation und Lernzuwachs beschrieben wird (vgl. Heller & Morek 2019; O ’ Connor et al. 2017). Allerdings wird hier bewusst auf die Verwendung des Begriffs Partizipation verzichtet, da zahlreiche Definitionen von einer absichtsvollen Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme der Lernenden ausgehen (vgl. u. a. Feick 2016: 53; Boeckmann 2006: 199), die aber anhand der Datengrundlage nicht überprüft werden kann, weil insbesondere von eher zurückhaltenden Studierenden introspektive Daten fehlen. Hinzu kommt die Schwierigkeit der Erfassung der kognitiven Dimension von Partizipation, die von außen betrachtet nicht oder nur marginal zum Vorschein kommt, aber aus Sicht der einzelnen Lernenden sowie der Gruppe vorhanden und wahrnehmbar sein kann (vgl. Hoshii 2003: 106f ). In Anlehnung an die von Storch erarbeiteten Interaktionstypen wird im Folgenden von einer hohen kollektiven Aktivität ausgegangen, wenn sich die Zusammenarbeit einer Gruppe durch hohe Gleichheit und Gegenseitigkeit auszeichnet (vgl. ebd. 2001: 185), während für eine niedrige kollektive Aktivität charakteristisch ist, dass die Gruppenarbeit zum Beispiel von nur einer Person vorangetrieben wird und die übrigen Mitglieder wenig eigenen Input leisten und eher passiv erscheinen. Hinweise auf die Art der Zusammenarbeit leiten sich ebenfalls aus der in Kapitel 9 beschriebenen Gesprächsanalyse der Gruppeninteraktionen ab. Ein weiterer Faktor, der bei der Art und Weise, wie GKE initiiert werden, von Bedeutung ist, ist die Rolle der einzelnen Gruppenmitglieder in der jeweiligen Konstellation. In facetheoretischen Ansätzen werden soziale Distanz und Macht - bzw. social distance und power (vgl. Brown & Levinson 1987: 74) - als relevante Größen beschrieben, wobei erstere sich vor allem darauf bezieht, wie gut die Interagierenden miteinander vertraut sind und letztere auf Machtverhältnisse, die an soziale Rollen geknüpft sind. Die vorliegende Studie geht von einer relativ homogenen Gruppe aus (vgl. 6.4), so dass die Lernenden in Bezug auf soziale Distanz und Macht generell in einem eher ausgeglichenen Verhältnis zueinanderstehen. In einem gewissen Maße kann jedoch der Einfluss der sozialen Distanz beobachtet werden, wenn zum Beispiel in einer Arbeitsgruppe Lernende, die in einem eher freundschaftlichen 296 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="297"?> Verhältnis stehen, zusammenarbeiten und ggf. direkter miteinander kommunizieren (vgl. Philp et al. 2010: 272). Machtasymmetrien hingegen können entstehen, wenn ein Mitglied sich z. B. durch eine höhere tatsächliche oder auch nur angenommene sprachliche Kompetenz auszeichnet, so dass seine Korrekturvorschläge eher angenommen werden als die von anderen Mitgliedern (vgl. Kramsch 1985: 173). Sofern in den VLE-Daten oder der Kurzbefragung nach jeder Gruppenarbeitsphase Aussagen getroffen wurden, die auf enge bzw. distanzierte oder heterogene Machtverhältnisse etwa durch besondere Kenntnisse hindeuten, wurden diese bei der Analyse berücksichtigt, jedoch nicht systematisch ausgearbeitet. Die Aufgabenrelevanz einer Gesichtsbedrohung wird vor allem davon bestimmt, inwiefern sie sich auf die Aufgabenbearbeitung auswirkt. So sind zum Beispiel sprachliche Fehler, die die Verständigung beeinträchtigen, in der Regel von hoher Relevanz, da ohne eine Klärung ggf. das Gruppengespräch und somit die Bearbeitung der Aufgabe zum Erliegen kommt. Kleinere grammatische Fauxpas hingegen können je nach Priorität der Gruppe bzw. der einzelnen Lernenden übergangen werden. Ebenso sind inhaltliche Aspekte der Aufgabe - wie etwa die Wahrnehmung und Interpretation der Bilder oder das Verständnis von Familienformen - im Allgemeinen von hoher Relevanz. Vorgehens- und beziehungsbezogene Gesichtsbedrohungen werden jedoch im vorliegenden Datenmaterial von den Beteiligten meist als wenig relevant für die Aufgabenbearbeitung eingestuft, was sich u. a. darin äußert, dass sie während der VLE-Sitzungen zwar erwähnt, aber von der jeweiligen Fokusperson nicht im Gruppengespräch angesprochen werden. Solche Überlegungen können einerseits analog zur Beurteilung der Größe der Imposition bei Brown und Levinson gesehen werden, d. h. wird eine Gesichtsbedrohung als zu gravierend erachtet, wird von einer Thematisierung abgesehen (vgl. ebd. 1987: 79f ), da zu sehr von der eigentlichen Aufgabenbearbeitung abgewichen werden müsste. Andererseits wirken sich auch persönliche Lernpräferenzen aus, so dass das individuelle Ermessen der Beteiligten eine entscheidende Rolle spielt. Für die Fokusperson S9 zum Beispiel steht meist der inhaltliche Austausch im Vordergrund, so dass sie im Zweifel weniger Wert auf den Sprachlernaspekt der Aufgaben legt und auf die L1 zurückgreift (vgl. 8.2.2). Für andere wiederum hat die sprachliche Umsetzung höchste Priorität, was sich darin widerspiegelt, dass Lernende wie zum Beispiel S11 entweder selbst im hohen Maße auf die Verwendung der Zielsprache achten (vgl. 8.2.4) oder wie S14 diese auch explizit von den anderen Gruppenmitgliedern einfordern (vgl. 8.2.5). Die unterschiedliche Priorisierung der interaktionalen Ziele bringt für die einzelnen Lernenden ein individuelles Verständnis der eigenen Handlungsverpflichtungen als Mitglied einer temporären Arbeitsgruppe mit sich, wodurch auch die Wahrnehmung der gesichtskritischen Ereignisse beeinflusst wird (vgl. Spencer-Oatey 2008: 17). Sieht zum Beispiel eine Lernerin A das zentrale Ziel der Gruppenarbeit darin, möglichst fehlerfrei die Zielsprache anzuwenden, wird sie großen Wert auf eine korrekte Sprachverwendung legen und ihre Peers entsprechend auf fehlerhafte Äußerungen hinweisen; sieht ein Lerner B aber den Hauptsinn einer gemeinsamen Aufgabenbearbeitung darin, mehr Sprechgelegenheiten für die einzelnen Lernenden zu schaffen, wird er versuchen, seinen eigenen Redeanteil und ggf. den der anderen Gruppenmitglieder zu erhöhen und möglicherweise explizit zu zahlreichen Äußerungen auffordern. Während also die Lernerin A eher dazu bereit ist, potentiell gesichtsbedrohende Fehlerkorrekturen anzusprechen, wird Lerner B selbst schneller das Rederecht ergreifen 10.2 Aufgabenrelevanz und Aktivität 297 <?page no="298"?> und seine Gruppe zur aktiven Gesprächsbeteiligung antreiben. Dass eine Priorisierung einzelner Aufgabenaspekte notwendig ist, zeigt u. a. die Forschung zur Aufgabenkomplexität und deren Einfluss auf die Sprachproduktion der Lernenden (u. a. Skehan 1998: 179; Foster & Skehan 1996). Zwar befassen sich diese Studien in erster Linie mit der kognitiven Belastung, die bestimmte Aufgaben z. B. in Testsituationen für Lernende darstellen und wie sich diese auf die sprachliche Qualität der Redebeiträge auswirkt, doch beeinflusst der persönliche Fokus selbstverständlich auch die Wahrnehmung sowie die Beteiligung am Gruppengespräch. Zu ähnlichen Befunden kommen auch Philp, Walter und Basturkmen in ihrer Untersuchung, in der sie unter anderem der Frage nachgehen, wodurch LRE in aufgabenbasierten Interaktionen unter Lernenden begünstigt bzw. wann sie vermieden werden. In the interviews, a number of common themes emerged as reasons for participants ’ provision of feedback: attitude to error and error correction, attitude to interlocutor, and orientation to task. These factors were often interrelated [ … ]. (Philp et al. 2010: 271) So gaben in der genannten Studie einzelne Untersuchungsteilnehmende an, dass sie bewusst auf korrektive Äußerungen verzichteten, um den Gesprächsfluss und somit die Aufgabenbearbeitung nicht zu unterbrechen oder um nicht als überheblich gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern wahrgenommen zu werden. In der vorliegenden Unter- Abb. 19: Initiierung Gesichtskritischer Episoden in Gruppenarbeitsphasen (*Detailbeschreibungen der Bedingungen finden sich in Kapitel 9) 298 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="299"?> suchung finden sich zahlreiche implizite Hinweise auf ähnliche Überlegungen der Gruppenmitglieder. In der Abbildung 19 wird der Zusammenhang von Aktivität und Aufgabenrelevanz in Bezug auf die Umsetzung der GKE verdeutlicht. Wird die Gruppenarbeit zum Beispiel von einer Person stark dominiert, so dass eine niedrige kollektive Aktivität vorliegt, und hält sich das Mitglied, dem eine potentiell gesichtsbedrohender Aspekt wie etwa ein Fehler auffällt, eher im Hintergrund - wie S10 in der Enkelkind-Episode - wird dieser wahrscheinlich nicht in der Gruppe thematisiert, insbesondere wenn dessen Korrektur den Prozess der eigentlichen Aufgabenbearbeitung eher unterbrechen würde. Sind aber die Lernenden aktiv in die Besprechung der Aufgabe eingebunden und werden vermutete Fehler als aufgabenrelevant eingestuft, werden sie durchaus explizit angesprochen, so wie in der Schwester-Episode. Im Verlauf solcher Aushandlungsprozesse machen sich die Beteiligten jedoch bewusst, inwiefern die Klärung eines Fehlers der Aufgabenbearbeitung zuträglich ist, so dass zum Beispiel in der Vater-Episode der Grammatikfehler übergangen, die referentielle Aushandlung aber umgesetzt wird. 10.2.1 Gesichtskritische Episoden und Aufgabenrelevanz Trotz der oben beschriebenen Verflechtungen lassen sich die GKE anhand ihrer Fokussierung den verschiedenen Interaktionsebenen zuordnen. Die fallübergreifende Betrachtung der GKE in Hinblick darauf, ob sie tendenziell eher realisiert oder übergangen werden, zeigt, dass vor allem bemerkte Fehler, Ausdrucks- und Verständnisschwierigkeiten sowie Hilfestellungen vergleichsweise oft thematisiert werden, wobei letztere eher angeboten als erbeten wird. Auch wenn selbstverständlich inhaltliche Aspekte bei diesen Gesichtsbedrohungen eine wichtige Rolle spielen - so werden ungewöhnliche Ideen aufgrund unerwarteter Zusammenhänge nicht sofort verstanden (vgl. 9.7.3) - , steht bei den meisten vor allem die sprachliche Ebene im Vordergrund. Darüber hinaus werden Meinungsverschiedenheiten bezüglich inhaltlicher Aspekte und in seltenen Fällen auch Unerwartetes sowie Bewunderung in Bezug auf besonders kreative Ideen angesprochen. Sprachkenntnisse hingegen werden zwar im Stillen anerkennend zur Kenntnis genommen, aber nur in Einzelfällen in der Gruppe angesprochen. Zu den GKE, die in der Gruppenarbeit entweder gar nicht oder nur selten realisiert werden, zählen in erster Linie Missbilligung und Unsicherheit. Den Episoden im Zusammenhang mit diesen Gesichtsbedrohungen ist gemein, dass sie sich vor allem auf das Vorgehen beziehen. Während kritische Beurteilungen von den Fokuspersonen im VLE zwar festgestellt, aber in der Gruppe überspielt werden, äußern sich Unsicherheiten vor allem darin, dass die Gruppenarbeit stockt, d. h. sie werden nicht von einzelnen Lernenden angesprochen, sondern von der Gruppe bemerkt, wenn es zu längeren Gesprächspausen kommt und es offensichtlich wird, dass es Unklarheiten bezüglich der weiteren Aufgabenbearbeitung gibt. Missbilligung wird nur ein einziges Mal explizit geäußert (vgl. 9.6.1) und ansonsten nicht während der Gruppenarbeit thematisiert. 10.2 Aufgabenrelevanz und Aktivität 299 <?page no="300"?> Abb. 20: Aufgabenrelevanz der Gesichtskritischen Episoden (s = sprachlich, i = inhaltlich, v = vorgehensbezogen, p = persönlich) Inhaltlich und sprachlich orientierte Episoden werden in der Regel thematisiert, da zum Beispiel sprachliche Fehler oder Verständnisschwierigkeiten die Bearbeitung der Aufgabe erschweren können. Folglich werden sie von den Lernenden als Teil der Aufgabe wahrgenommen und potentielle Bedrohungen für das eigene Gesicht oder das der anderen bzw. der Gruppe als Kollektiv in Kauf genommen. Ein entscheidender Faktor dafür, ob eine GKE initiiert wird oder nicht, ist wie die Lernenden ihre Zuträglichkeit für einen reibungslosen Fortgang der Zusammenarbeit einschätzen. Als kontraproduktiv eingeschätzte Redebeiträge werden in der Regel nicht vorgebracht. Die Tatsache, dass gemeinsames oder individuelles Vorgehen nur am Rande in den Gruppen angesprochen werden, kann unter anderem damit erklärt werden, dass den Beteiligten auf diesem Niveau noch die sprachlichen Mittel fehlen, um Organisatorisches zu besprechen, was sich auch mit Erkenntnissen aus anderen Studien deckt (vgl. Hellermann 2008: 51; vgl. Erichsen 2021: 71). Jedoch weisen die großen Hemmungen der Lernenden, für die Klärung des Vorgehens kurzfristig die L1 zu Hilfe zu nehmen, darauf hin, dass dieser Bereich der Gruppenarbeit nicht als Teil der Aufgabe wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass die Organisation derAufgabenbearbeitung im Plenum von der Lehrperson gehandhabt wird und somit den Lernenden nicht nur die Formulierungen in der Zielsprache fehlen, sondern auch ggf. auch die organisatorische Kompetenz an sich (vergl. auch u. a. Walsh 2011: 115; Becker-Mrotzek & Vogt 2009: 114; Legutke 2003: 235). Das Ergreifen der Initiative in solchen vorgehensbezogenen Aushandlungen, sowohl bei Unsicherheiten wie man die Gruppenarbeit beginnt oder beendet, als auch bei Unzufriedenheit mit dem Vorgehen, etwa aufgrund mangelnder Vorbereitung anderer Mitglieder oder häufigem Nachschlagen im Wörterbuch, würde implizieren, dass man als Initiatorin oder Initiator sich in der Verantwortung sieht, die Organisation zu übernehmen. In einer Gruppe von gleichberechtigten Peers könnte das als Anzeichen der bereits weiter oben erwähnten Überheblichkeit gewertet werden, so dass es für die Lernenden als unangenehm oder eben gesichtsbedrohend empfunden wird, solche vorgehensbezogenen Gespräche anzustoßen. Hier führt also die fehlende soziale Distanz bzw. fehlenden Machtunterschiede innerhalb der Gruppe dazu, dass Vorschläge oder Aufforderungen nicht ausgesprochen und Aushandlungsprozesse nicht angestoßen werden. 300 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="301"?> 10.2.2 Gesichtskritische Episoden und Aktivität Für die Erhebung der introspektiven Daten wurde aus organisatorischen und forschungsethischen Gründen auf die freiwillige Teilnahme von fünf Fokuspersonen zurückgegriffen (vgl. 6.5.2). Die Tatsache, dass die Durchführung des VLE mit einem erheblichen Mehraufwand für die Untersuchungsteilnehmenden verbunden ist, lässt darauf schließen, dass diese fünf Lernenden ein besonderes Interesse an Fremdsprachen und den damit verbundenen Lernprozessen haben oder einfach einen engeren Kontakt zu Lehrpersonen wünschen. Daher ist anzunehmen, dass ihre Motivation, sich in die Aufgabenbearbeitung einzubringen, im Vergleich zu vielen anderen Lernenden, die zwar der Aufnahme der Interaktionsdaten zustimmten, aber nicht für das laute Erinnern zur Verfügung standen, höher ist und die Fokuspersonen tendenziell aktiver sind. In den dokumentierten Gruppenarbeiten bestätigt sich, dass diese fünf Personen in den meisten Fällen Teil einer ohnehin eher kollaborativen Gruppe sind, in der sich mehrere Mitglieder aktiv und im Idealfall alle gleichermaßen einbringen (vgl. u. a. 7.1.2 oder 7.2.5), oder aber eine leitende Funktion innerhalb der jeweiligen Konstellationen übernehmen (vgl. u. a. 7.2.3 oder 7.5.3). Nur in seltenen Fällen halten sich die Fokuspersonen im Hintergrund und gehören zu den weniger aktiven Gruppenmitgliedern, wie etwa S10 in der zweiten und der vierten Gruppenarbeitsphase (vgl. 7.2.4 und 7.4.3) oder S7 bei der Bearbeitung der fünften Aufgabe (vgl. 7.5.2). Das bedeutet, dass die Hinweise auf mögliche Gesichtsbedrohungen aus den VLE- Daten von Lernenden stammen, die überdurchschnittlich aktiv in den Gruppen sind und daher ggf. überdurchschnittlich oft auch GKE realisieren. Dennoch lässt sich anhand der erhobenen Daten ableiten, dass eine geringere Aktivität dazu führt, dass Gesichtsbedrohungen eher nicht umgesetzt werden. Besonders deutlich kann diese Tendenz bei S10 nachvollzogen werden, da ihre individuelle Aktivität in den verschiedenen Gruppenarbeitsphasen deutlich schwankt (vgl. 8.2.3). Bei der ersten, dritten und fünften Aufgabe trägt sie von allen Gruppenmitglieder quantitativ den höchsten Redeanteil bei und ist auch maßgeblich an der inhaltlichen Gestaltung der Zusammenarbeit beteiligt. In der zweiten und vierten dokumentierten Gruppenarbeit hingegen verfolgt sie das Geschehen zwar in der Regel aufmerksam, bleibt aber im Hintergrund. Abb. 21: Aktivitätsgrad und GKE S10 10.2 Aufgabenrelevanz und Aktivität 301 <?page no="302"?> So bezieht sie bei hoher Aktivität die gesamte Gruppe in die Lösung ihrer Ausdrucksschwierigkeiten mit ein, setzt ihre konträre Meinung in Szene und zeigt deutlich, wenn sie vom Vorgehen oder Äußerung der anderen überrascht ist. In Gruppen, in denen jedoch ein anderes Mitglied die Führung übernimmt, behält sie vermutete Fehler oder Verwunderung über das Verhalten anderer für sich und vermeidet das Initiieren von GKE. Abb. 22: Aktivitätsgrad und GKE S7 Ebenso übernimmt S7 in der GA2, GA3 und GA4 bereitwillig die Rolle des Gruppenleiters und treibt die Zusammenarbeit mit seinen Rückfragen, Aufforderungen, sich zu äußern, und Hilfestellungen bei der Formulierung voran. In der GA2 zeigt sich darüber hinaus, wie wichtig für ihn ein entsprechendes Feedback von der Gruppe ist, da er darüber klagt, dass er von den anderen Mitgliedern nicht die erwartete Reaktion erhalten und die Aufgabenbearbeitung wenig Spaß gemacht habe (vgl. 9.6.3). In der ersten und fünften Gruppenarbeitsphase aber reagiert er eher auf Äußerungen, als selbst solche anzustoßen, und verzichtet auch darauf das Privatgespräch zwischen S1 und S12 während der GA5 zu unterbrechen und zur Weiterarbeit aufzufordern. Der Grad, zu dem sich die einzelnen Gruppenmitglieder aktiv in die Aufgabenbearbeitung einbringen, ist von diversen Faktoren, wie der Zusammensetzung der Gruppe und der Aktivität der anderen Mitglieder, dem Interesse an der Aufgabe oder dem Befinden am jeweiligen Tag etc., abhängig, von denen viele anhand der Datengrundlage nicht oder nur teilweise erklärt werden können. Aus einer gesichtstheoretischen Perspektive sind vor allem freundschaftliche Beziehungen als Indikator für eine geringe soziale Distanz von Bedeutung. Das lässt sich zum Beispiel am Verhalten in der Gruppeninteraktion und den erinnerten Gedanken von S11 während der vierten und fünften Gruppenarbeitsphase ablesen. In beiden Gruppen ist S11 aktiv am Gespräch beteiligt, doch finden sich im VLE zahlreiche Hinweise darauf, dass sie ihre Kommilitonen S3 und S5 in der GA5 als sehr hilfreich und kooperativ empfindet (vgl. 9.2.4), während sie die Arbeitsweise von S9 in der GA4 immer wieder hinterfragt (vgl. 9.6.2; 9.6.3), was sie auch in der Abschlussbefragung bestätigt (vgl. 7.4.4). In den Interaktionsdaten spiegelt sich die gute Beziehung in der GA5 unter den Mitgliedern zum Beispiel darin wider, dass S11 Rückfragen stellt (9.9.2) und in der Gruppe um Hilfe bittet (vgl. 9.2.4), während sie im Gespräch mit S9 nach anfänglichen Versuchen, die Zusammenarbeit etwas zu lenken, eher reagierend in Erscheinung tritt und sich im Sprechverhalten an S9 anpasst, indem sie ebenfalls verstärkt die L1 verwendet. 302 10 Gesichtskritische Episoden und Gruppenarbeit <?page no="303"?> 11 Fazit und Ausblick Aufbauend auf empirischen Erkenntnissen aus der Fremdsprachenunterrichts- und der Fremdsprachenerwerbsforschung sowie den daraus entwickelten theoretischen Konzepten, insbesondere mit Bezug zu aufgaben- und inhaltsbasierten Ansätzen, wurden in der vorliegenden Studie Interaktionen unter Lernenden in Gruppenarbeitsphasen in einem Deutschkurs an einer japanischen Universität für Studierende auf Anfängerniveau in den Fokus genommen. Ziel des Forschungsprojekts war es, Aushandlungsprozesse innerhalb von Lernendengruppen unter Berücksichtigung des Aspekts der Gesichtsbedrohung und -wahrung zu betrachten und daraus einen Erklärungsansatz für die Umsetzung bzw. Vermeidung konkreter interaktionaler Handlungen unter Peers zu entwickeln. Zur eingehenden Erfassung des komplexen Untersuchungsgegenstandes wurde auf die Videographie der Gruppenarbeitsphasen innerhalb des regulären Unterrichts sowie die Durchführung Videobasierten Lauten Erinnerns mit einzelnen Lernenden zu eben diesen Gruppenarbeiten zurückgegriffen. Die gewonnenen Daten wurden durch flankierende Daten wie Unterrichtsunterlagen, Notizen der Lernenden und Mini-Umfragen ergänzt. Anhand dieser Datengrundlage sollten die Fragen beantwortet werden, welchen potentiellen Gesichtsbedrohungen sich die Lernenden während der Gruppenarbeit gegenübersehen, wie sie damit umgehen und welche Konsequenzen sich daraus für die Gruppenarbeit ergeben. Die Beantwortung dieser Fragen trägt zu einem besseren Verständnis der gedanklichen Abläufe von Lernenden während Gruppenarbeiten und den daraus resultierenden Handlungen bei, die hinsichtlich gesichtsrelevanter Überlegungen noch weitgehend unerforscht sind. Im Folgenden sollen die Befunde zusammengefasst und die forschungsmethodologischen Schritte reflektiert werden, um abschließend Implikationen für die Unterrichtspraxis sowie Forschungsdesiderata ableiten zu können. 11.1 Zusammenfassung der Befunde und Implikationen für die Unterrichtspraxis Die Ergebnisse der verschiedenen Analyseschritte wurden bereits ausführlich in den Kapiteln neun und zehn dargestellt, so dass hier eine zusammenfassende Betrachtung der wesentlichen Erkenntnisse erfolgen soll. Ausgehend von der Beobachtung, dass Gruppenarbeiten im realen Fremdsprachenunterricht nicht immer den idealtypischen Verläufen folgen wie sie in didaktischen Handlungsempfehlungen beschrieben werden und empirisch belegte Vorteile für den Lernprozess ungenutzt bleiben, entwickelte sich ein Forschungsprojekt, in dem die soziale Komponente des Zusammenlernens im Mittelpunkt steht. Der Fokus auf die sozialen Faktoren wurde mit Hilfe des Gesichtskonzepts aus soziolinguistischen Untersuchungen operationalisiert und in die Analyse unterrichtlicher Interaktionen integriert. Durch einen Mehrmethodenansatz, in dem verschiedene Datensätze und Analyseansätze miteinander verknüpft wurden, wurde die Rolle des Gesichts in Gruppenarbeitsphasen <?page no="304"?> mit Schwerpunkt auf die Perspektive der Lernenden erarbeitet. Die Inhaltsanalyse der VLE-Daten bietet einen unmittelbaren Einblick in die Wahrnehmung der UTN, während die Gesprächsanalyse eine detailgetreue Rekonstruktion der Abläufe in der Gruppe erlaubt, so dass Zusammenhänge nachvollziehbar werden, die mit nur einem der Zugänge verborgen geblieben wären. Dieses Vorgehen ermöglicht einen tiefen Einblick in die interaktiven Prozesse unter Lernenden und strebt danach, der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes so weit wie möglich gerecht zu werden. Kernstück der Datenanalyse war die Identifizierung und Beschreibung der gesichtskritischen Episoden in den Gruppenarbeitsphasen. Aus diesen geht hervor, dass vor allem sprachbezogene Aushandlungen, wie sie bei bemerkten Fehlern, Ausdrucks- oder Verständnisschwierigkeiten notwendig werden, zu gesichtsrelevanten Überlegungen und entsprechenden Handlungen führen. Das bedeutet, dass die in zahlreichen Studien als so wichtig und nützlich beschriebenen Aushandlungen wie LRE, NfM oder Ko-Konstruktionen nicht nur aus didaktisch-spracherwerbstheoretischer Sicht wertvoll sind und so auch in der vorliegenden Untersuchung einen wesentlichen Bestandteil der Interaktionen ausmachen, sondern dass ihnen gleichermaßen aus einem gesichtsorientierten Blickwinkel eine zentrale Rolle zukommt. Die Analyse zeigt, dass Fehler oder Schwierigkeiten in Bezug auf Form oder Bedeutung zwar oft bemerkt (noticing (Schmidt 1995), noticing-the-gap (Ellis 2003)), aber nicht immer auch in der Gruppe thematisiert werden. Die Lernenden gehen reflektiert mit solchen sprachlichen Hürden um und entscheiden sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Gruppen- und Aufgabensituation oft bewusst für oder gegen die Einleitung der entsprechenden Aushandlungen. Ist das gegenseitige Verständnis gesichert und die Aufgabenbearbeitung unbeeinträchtigt, wird tendenziell davon abgesehen, den Gesprächsfluss durch nicht unbedingt notwendige Rückfragen und Korrekturen zu unterbrechen. Bei diesen Abwägungen werden unter anderem auch die vermuteten Sprachkompetenzen der Mitlernenden berücksichtigt und Lernenden, die deutlich Schwierigkeiten bei der Formulierung von Redebeiträgen zeigen, mit viel Verständnis begegnet und die Hilfestellung entsprechend angepasst. In diesem Kontext konnte auch das Auftreten des kooperativen Wartens und seiner unterstützenden Funktion in der Peer-Interaktion (Ohta 2001/ 2014; Foster & Ohta 2005) beobachtet werden. Einerseits können die längeren Sprechpausen während der Gruppenarbeit als angenehm empfunden werden, weil sie den Lernenden Zeit einräumen, ungeplante Äußerungen selbständig aufzubauen oder komplexere Redebeiträge der Kommilitonen zu entschlüsseln. Andererseits kann das Ausbleiben einer Wortmeldung oder verbalen Reaktion auch zu Unsicherheiten bei den wartenden Gruppenmitgliedern führen, da die Verzögerung des erwarteten Redebeitrags als fehlendes Verständnis oder mangelnde Kooperationsbereitschaft interpretiert werden kann. Ob die längeren Sprechpausen als eher unterstützend oder als verunsichernd wahrgenommen werden, hängt hier entscheidend von dem Verlauf der Zusammenarbeit und der Atmosphäre innerhalb der Gruppe ab. Sind die Lernenden zufrieden mit der Gruppenarbeit, etwa weil sie mit den anderen Mitgliedern freundschaftlich verbunden sind, die Aufgabenbearbeitung ihren Erwartungen entspricht oder sogar beides der Fall ist, nehmen sie die Pausen als nützlich wahr. Fühlen sie sich jedoch unter Zeitdruck, sind sie mit der Zusammenarbeit unzufrieden oder haben Zweifel an den Kompetenzen der anderen, führen diese Pausen zu Unsicherheit, Unzufriedenheit und letzten Endes zu Frustration. 304 11 Fazit und Ausblick <?page no="305"?> Neben GKE im Umfeld der bereits bekannten struktur- und bedeutungsbezogenen Aushandlungen, die einen starken Fokus auf die sprachliche Ebene der Interaktion haben, konnten auch solche mit einer eher inhaltlichen oder organisatorischen Ausrichtung identifiziert werden. Während inhaltlich orientierte sprachliche Handlungen als Teil der Aufgabe wahrgenommen werden und sowohl in Form von zur Verständigung nötigen Rückfragen als auch als Elemente der Aufgabenbearbeitung, wie etwa Widersprechen im Rahmen eines Meinungsaustausches, realisiert werden, werden vorgehensbezogene Interaktionen eher gemieden. Insbesondere zu Beginn oder bei Beendigung der Aufgabenbearbeitung werden Unsicherheiten in Bezug auf das Verfahren nur zögerlich angesprochen und behindern so die Zusammenarbeit. Das gesichtskritische Potential bei der Besprechung organisatorischer Fragen besteht zum einen darin, dass die Sprecherin oder der Sprecher ihre bzw. seine Unsicherheit offenlegen muss, zum anderen kann das Ergreifen der Initiative in solchen Situationen als lehrpersonentypisches Verhalten interpretiert werden und so dem Gleichheitsanspruch unter Peers widersprechen. Letzteres gilt auch für Äußerungen, durch die eine Beurteilung anderer Gruppenmitglieder evident wird. In den VLE-Daten finden sich zwar Hinweise auf Anerkennung oder Missbilligung der Redebeiträge oder des Vorgehens der Kommilitonen, doch wird sowohl Lob als auch Kritik nur vereinzelt ausgesprochen. Insgesamt lässt sich anhand des Datenmaterials eine Tendenz zu harmonischen Gruppenarbeitsverläufen ablesen, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass gesichtskritische Handlungen im Allgemeinen gemieden oder abgeschwächt realisiert werden, insbesondere, wenn sie nicht direkt die Aufgabenbearbeitung betreffen. Dies spiegelt sich auch in den im Datenmaterial vorgefundenen bekannten Interaktionsmustern wider (Storch 2002). Einige der dokumentierten Gruppenarbeitsphasen sind von einem hohen Maß an Gegenseitigkeit und Gleichheit gekennzeichnet. Die Menge der Redebeiträge der einzelnen Lernenden in diesen Gruppen ist ausgeglichen, Äußerungen werden aufgenommen, weiter ausgebaut und gemeinsam verbessert. In anderen Gruppen finden sich Konstellationen, in der eines der Mitglieder in eine Experten-Rolle schlüpft und nicht nur die Gruppenarbeit leitet, sondern auch seine Mitlernenden motiviert, zur aktiven Teilnahme anregt und bei Schwierigkeiten unterstützt. Interessante Einblicke lieferten hierbei die introspektiven Daten, da sich zeigt, dass einige der Gruppenleiter sich mehr Engagement ihrer Mitstudierenden gewünscht hätten. Zum einen deutet das daraufhin, dass in solchen Gruppen die Übergänge zwischen dem Experte-Novize-Muster und dem Dominant-Passiv-Muster fließend sein können, zum anderen, dass sich diese Muster im Verlauf der Interaktion etablieren. Dabei ergreifen die Lernenden nicht unbedingt willentlich die dominante Rolle oder die Experten-Rolle, sondern bekommen sie ggf. von den anderen Mitgliedern der Gruppe, zum Beispiel durch deren passives Verhalten, zugewiesen. Ebenso weist das in Kapitel 10 vorgeschlagene Spektrum zur Einschätzung der Aktivität der Lernenden (hohe Aktivität - niedrige Aktivität) deutliche Parallelen zur vertikalen Achse aus Feicks (2016) Teiltypologie der Interaktionsstile auf (dominant - passiv). Allerdings konnten in der Datenbasis keine eindeutigen Hinweise auf intentionale Nicht-Kooperation oder Nicht- Partizipation ausgemacht werden, ebenso wenig wie der Versuch zweier oder mehrerer Lernender, einander gegenüber dominant aufzutreten. Zurückhaltung in der Gruppenarbeit wurde auf gesichtsrelevante Überlegungen zurückgeführt und somit ein alternativer Erklärungsansatz vorgeschlagen. Ähnlich wie bei Hoshii (2003) konnte belegt werden, dass 11.1 Zusammenfassung der Befunde und Implikationen für die Unterrichtspraxis 305 <?page no="306"?> auch scheinbar unbeteiligte Lernende das Gruppengespräch verfolgen und mental partizipieren, teilweise aber andere sprachliche, inhaltliche oder organisatorische Aspekte fokussieren. Die Befunde machen deutlich, dass es sich bei Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht um ein hochkomplexes soziales Ereignis handelt, bei dem nicht nur die Verwendung der Zielsprache und der Austausch von Ideen und Meinungen im Mittelpunkt steht, sondern gleichermaßen das gemeinsame Vorgehen wie auch die Beziehung der Lernenden untereinander ausgehandelt werden muss. Gesichtsrelevante Überlegungen tragen einerseits zu einem rücksichtsvollen Umgang innerhalb der Gruppe bei, indem kritische Kommentare und unangenehme Korrekturen minimiert werden, andererseits werden wichtige Aushandlungen die Zusammenarbeit betreffend nicht oder nur zögerlich initiiert. Das Gesichtskonzept kann bei der Analyse von Interaktionsprozessen in fremdsprachenunterrichtlichen Gruppenarbeitsphasen wertvolle Erklärungsansätze für das aufeinander bezogene Handeln der Beteiligten liefern und dabei helfen, das Unterlassen von Rückfragen oder Assistenz in einem weniger defizitären Licht darzustellen, nämlich vielmehr als Strategie zur kollektiven Gesichtswahrung und somit als Bestandteil eines kooperativen Verhaltens. Für die Unterrichtspraxis lässt sich hieraus die Notwendigkeit ableiten, die Rolle des Gesichts zu stärken und als Bestandteil der interaktionalen Kompetenz zu definieren. Lehrkräfte sollten für die verschiedenen Gesichtsbedürfnisse, die in der Peer- Interaktion auftreten können, sensibilisiert werden, um selbst Gruppenarbeitsprozesse besser einschätzen und Lernenden beratend zur Seite stehen zu können. Ein reflektierter Umgang mit gesichtsrelevanten Handlungen im Fremdsprachenunterricht könnte bei den Lernenden zur Bewusstmachung eigener bereits eingesetzter Strategien beitragen und bei deren Verbesserung und Erarbeitung helfen. Ein höheres Bewusstsein für potentielle Gesichtsbedrohungen würde sich positiv auf die Interaktionen untereinander auswirken und förderlich für eine möglichst reibungslose Gestaltung der Gruppenarbeit sein. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein die verschiedenen Interaktionsebenen, die für die Zusammenarbeit im Fremdsprachenunterricht von Bedeutung sind, zu thematisieren und so die Wichtigkeit organisatorischer und persönlicher Aspekte zu betonen. 11.2 Forschungsmethodologischer Rückblick und Ausblick Als Zugriff auf gesichtsbezogene Handlungen wurde eine Kombination aus Interaktions- und Introspektionsdaten gewählt, die mit Hilfe von gesprächsbzw. inhaltsanalytischen Verfahren untersucht wurden. Zwar erfreuen sich solche Mehrmethodendesigns im Kontext der Unterrichtsforschung immer größerer Beliebtheit (Heine & Schramm 2016: 178), jedoch basieren empirische Forschungsarbeiten, in denen das Gesicht von zentralem Interesse ist - wie etwa in der Höflichkeitsforschung - , auf Gesprächsdaten (Locher 2012; Watts 2003), so dass sich die Frage stellt, inwiefern das gewählte Vorgehen tatsächlich Aussagen über Gesichtsbedrohung und -wahrung erlaubt. Für die vorliegende Studie und ihr Erkenntnisinteresse erwies sich der Ansatz in zweierlei Hinsicht als gewinnbringend. Zum einen lieferten die VLE Daten Interpretationshilfen für Abläufe in den Gruppenarbeiten, die anderenfalls nicht hätten erklärt werden können; zum anderen konnten mit ihrer Hilfe Interaktionen identifiziert werden, die aus der Entscheidung der UTN 306 11 Fazit und Ausblick <?page no="307"?> resultierten, etwas nicht anzusprechen, welche ohne Introspektion nicht beobachtbar sind. Besonders hervorzuheben ist hierbei der Umstand, dass die Wahl, welche Ausschnitte der Gruppenarbeit kommentiert werden, den VLE-Teilnehmenden überlassen wurde. Dies hat maßgeblich dazu beigetragen, für Außenstehende „ unsichtbare “ Handlungen offenzulegen. Zwar entsteht hier eine Art Trade-Off-Situation, da ggf. aus Sicht der Forscherin bemerkenswerte Interaktionen von den Lernenden übergangen werden, doch gleicht zum einen der Mehrwert durch den Input der Befragten diesen Nachteil aus, zum anderen konnten in dringenden Fällen in der Abschlussbefragung Rückfragen gestellt werden. Trotz der positiven Erfahrungen im Laufe des Forschungsprojekts mit diesem Vorgehen muss kritisch angemerkt werden, dass sowohl im Erhebungsprozess als auch bei der Datenanalyse mit Unzulänglichkeiten zu rechnen ist. Wie bereits in der Methodendiskussion erwähnt (vgl. 6.2.2) kann das Phänomen der sozialen Erwünschtheit die Angaben der UTN einfärben, so dass sich zum Beispiel ein Lerner oder eine Lernerin in einem besonders guten Licht darstellen möchte und seine bzw. ihre erinnerten Gedanken bewusst oder auch unbewusst entsprechend modifiziert. Aber auch bei der Interpretation der VLE- Daten können Fehler auftreten, etwa durch vage Ausdrücke oder abschwächende Formulierungen, so dass sich Gesichtswahrungsstrategien auch unmittelbar auf die Datenerhebung auswirken. Darüber hinaus wurde für die vorliegende Studie bewusst auf eine Erklärung des Gesichtskonzepts sowie die Offenlegung des spezifischen Erkenntnisinteresses gegenüber den UTN verzichtet, um eine Beeinflussung der teilnehmenden Personen und dadurch der Daten zu vermeiden. Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass nicht explizit nach Gedanken und Strategien zur Gesichtswahrung gefragt werden konnte, was wiederum eine breite Streuung der Kommentare der UTN zu verschiedenen Themen mit sich brachte, da sie keinerlei Vorgaben von Seiten der Forscherin bekommen haben. Für weiterführende Forschungsprojekte muss überprüft werden, ob ggf. eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes gegenüber den Lernenden im Vorfeld des VLE vorteilhaft sein kann, da eine solche thematische Einschränkung auch kognitiv entlastend wirken und sich positiv auf die Qualität und den Detailgrad der erinnerten Daten auswirken kann. Unabhängig von dem konkreten forschungsmethodologischen Zugang resultieren aus den Befunden der vorliegenden Studie zahlreiche Desiderata. Wie bereits im Zusammenhang mit der Skizzierung des Forschungskontextes betont, wurden die Daten in einem sehr spezifischen Umfeld erhoben, woraus sich ergibt, dass die Untersuchungsergebnisse nur eingeschränkt übertragbar sind. Erst die Überprüfung an weiteren Datensätzen kann zeigen, inwiefern die hier ausgearbeiteten GKE auch in anderen Kontexten Gültigkeit haben. Von besonderem Interesse wären hier Lernendengruppen auf anderen Niveaustufen, in anderen kulturellen Settings oder mit einer höheren ausgangssprachlichen Diversität. So wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die limitierte Thematisierung vorgehensbezogener Aushandlungen ein anfängerspezifisches Phänomen zu sein scheint. Auch ist zu erwarten, dass kulturell heterogene Gruppen auf einen größeren Pool verschiedener Strategien im Umgang mit bestimmten Gesichtsbedrohungen zugreifen. Im vorliegenden Forschungsprojekt wurden kulturwissenschaftliche Erklärungsansätze zu Gunsten des universellen Gesichtskonzepts nicht berücksichtigt, doch könnten gerade hier kulturspezifische Betrachtungen anhand des erhobenen Datenmaterials oder kulturvergleichende Erklärungsansätze unter Zuhilfenahme von Daten aus in anderen kulturellen Kontexten verorteten Kursen eine sinnvolle Ergänzung darstellen. 11.2 Forschungsmethodologischer Rückblick und Ausblick 307 <?page no="308"?> Neben einer Vergrößerung der Datenbasis und somit einer Ausweitung der Perspektive ist aber auch eine detaillierte Ausarbeitung der vorliegenden Befunde notwendig. Ein zentrales Teilergebnis der explorativ-interpretativ angelegten Studie besteht in der Identifizierung und Darstellung verschiedener Gesichtskritischer Episoden. Ziel dieser Beschreibung war es, einen ersten Überblick darüber zu geben, welchen Gesichtsbedrohungen die Lernenden in den dokumentierten Gruppenarbeitsphasen begegnen, da eine solche Zusammenstellung für den fremdsprachenunterrichtlichen Kontext bislang fehlte. Die Kategorien in Kapitel 9 dienen einer ersten Orientierung und bedürfen einer weiteren Ausdifferenzierung, was insbesondere anhand der Verständnisschwierigkeiten deutlich wird. Die beschriebenen Verständigungshürden haben diverse Ursachen und werden entsprechend unterschiedlich gehandhabt. Es bedarf einer weiteren Überprüfung, inwiefern sich der Umgang mit unverständlichem oder unbekanntem Wortschatz von der Handhabung eines Missverständnisses unterscheidet, sowie eines Vergleichs zwischen tatsächlich bestehenden Verständnisschwierigkeiten und den beim Gesprächspartner bzw. bei der Gesprächspartnerin vermuteten. Auch für die anderen vorgeschlagenen Kategorien, wie etwa das Bemerken von Fehlern oder Unsicherheiten bei Beginn und Beendigung der Gruppenarbeit, sollte die Notwendigkeit einer Verfeinerung des Beschreibungssystems überprüft werden. Des Weiteren hat die wiederholte Durchführung der Datenerhebung in der vorliegenden Studie gezeigt, dass die Zusammensetzung der Gruppenmitglieder das Verhalten der UTN in den verschiedenen Gruppenarbeitsphasen beeinflusst. Während sich zum Beispiel eine Lernerin in der einen Gruppe sehr aktiv einbringt, hält sie sich in einer anderen Konstellation eher im Hintergrund 38 . Da sich der Grad der Aktivität in der Gruppenarbeit als bedeutsam für die Realisierung von GKE erwies, könnte eine Untersuchung von Entwicklungsverläufen einzelner Lernender im Rahmen einer Longitudinalstudie weitere Erkenntnisse in Bezug auf die Gründe für diese Schwankungen sowie mögliche Lernprozesse liefern. Ergänzt durch die Erhebung introspektiver Daten aller Beteiligter ließe sich ein globales Bild der sozialen Prozesse in Gruppenarbeitsphasen zeichnen. So könnten auch Einblicke in die Wahrnehmungen der zurückhaltenden Lernenden eröffnet werden. Problematisch an solchen langfristigen und umfassenden Forschungsprojekten ist jedoch - neben dem logistischen Aufwand - der nicht unerhebliche Eingriff in das Unterrichtsgeschehen, wodurch der zum Untersuchungsgegenstand gewordene Kurs ggf. die Merkmale eines normalen Fremdsprachenkurses verliert und einen eher experimentellen Charakter annimmt. Mit der vorliegenden Studie wurde das Untersuchungsfeld der Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht um das Gesichtskonzept ergänzt und ein Überblick über mögliche Gesichtsbedrohungen in den Interaktionen unter Lernenden gegeben. Darüber hinaus wurde ein Modell zur Beschreibung relevanter Faktoren für die Realisierung Gesichtskritischer Episoden vorgeschlagen und anhand dessen der Zusammenhang der Aktivität der Lernenden in der Gruppenarbeit und der Aufgabenrelevanz von Gesichtsbedrohungen verdeutlicht. Die weitere Ausarbeitung des vorgeschlagenen Ansatzes verspricht tiefere 38 Selbstverständlich können darüber hinaus persönliche Faktoren, wie etwa die gesundheitliche oder emotionale Tagesform, das Verhalten der Lernenden beeinflussen (vgl. u. a. Spiegel 2006: 223; Czyzak 2019: 275). 308 11 Fazit und Ausblick <?page no="309"?> Einblicke in Prozesse in lernendenzentrierte Arbeitsformen und somit eine Verbesserung der Unterrichtspraxis. 11.2 Forschungsmethodologischer Rückblick und Ausblick 309 <?page no="310"?> Literaturverzeichnis Aguado, Karin (2002), Imitation als Erwerbsstrategie. Interaktive und kognitive Dimension des Fremdsprachenerwerbs. Universität Bielefeld: Habilitationsschrift. 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Literaturverzeichnis 323 <?page no="324"?> Anhang Datenerhebung Anhang 1: Einverständniserklärung Gruppenarbeit ( Japanische Version, an Untersuchungsteilnehmende ausgeteilt) 研究協力者への周知情報 研究プロジェクト:ドイツ語の授業におけるグループワーク 研究責任者:チジャック、オルガ 学生の皆さん この研究プロジェクトを実施するにあたって、協力してくれる皆さんに法律上の 規定について説明します。この研究は、個人情報保護法の範囲内で行われます。 プロジェクトに協力する人は、個人情報保護の観点から、秘密保持の義務を負い ます。つまり、プロジェクトに参加していない人に、プロジェクトについて話し たり、関連する情報を漏らしたりしてはいけません。 このプロジェクトでは、ドイツ語の授業におけるグループワークの様子を複数回 ビデオに録画します。その際使用するメモやグループワークでの成果物は、現物 ではなく、コピーや写真を使用するようにしてください。 皆さんの発言などから個人が特定されないように、次のような方針に基づいて データを処理することを約束します。 1. データの取り扱いには、細心の注意を払います。 2. グループワークやインタビューの録画および録音は、その後の分析がしやすい ようにするために行います。 3. 録画や録音したデータは、部分的またはすべてを書き起こし、電子媒体に保存 して、研究分析のためにデータ処理プログラムにかけます。希望する場合は、自 分に関するデータをお見せします。 4. オリジナルのデータや書き起こした資料は、研究の目的を達成するためにプロ ジェクトの範囲内だけで使用します。 5. 発言を引用する場合は、個人が特定できない場合に限定します。 6. すべてのデータ(人名、地名)は、記号などによって匿名化されます。 7. 個人の特定につながるすべてのデータ(名前、専攻など)は、収集された情報 とは切り離して保存し、研究が終了したのち消去されます。 この研究プロジェクトへの協力は自由であり、協力しないことによって不利益が 生じることはありません。プロジェクトに参加してもよいという人には心から感 謝します。 質問がある場合は、 [e-mail] まで連絡してください。 <?page no="325"?> 承諾書 上記の説明を理解し、グループワークが録画・録音され、文字化され、学術研究 上の目的内で使用されることを了承します。また、文字化された資料の一部が、 研究発表目的のために使用されることを承諾します。研究責任者は、個人情報や 個人が特定される可能性があるデータを、すべて消去あるいは匿名化することを 約束しました。 研究協力者氏 日付、 署名(研究協力者) ———————————————————— ———————————————————— ================================================================== (Deutsche Version, Ausgangstext) Information für Forschungsteilnehmende: Gruppenarbeit Forschungsprojekt: Gruppenarbeit im Deutschunterricht Liebe Studierende, hiermit möchte ich Sie über die rechtlichen Grundlagen der Teilnahme am Forschungsprojekt informieren. Alle am Projekt mitarbeitenden Personen unterliegen der Schweigepflicht und sind auf das Datengeheimnis verpflichtet. Außerhalb der Projektgruppe darf niemand über die erhobenen Daten sprechen. Im Rahmen des Forschungsprojektes werden mehrere Gruppenarbeitsphasen im Deutschunterricht auf Video aufgenommen. Außerdem bitte ich um die Verwendung der Notizen und Gruppenarbeitsprodukte zum Beispiel in der Form einer Kopie oder Fotografie. Ich sichere Ihnen hiermit folgendes Verfahren zu, damit Ihre Angaben nicht mit Ihrer Person in Verbindung gebracht werden können: 1. Es wird sorgfältig mit Ihren Daten umgegangen. 2. Die Gruppenarbeit wird per Videotechnik aufgenommen, um sie anschließend besser auswerten zu können. 3. Die Videobzw. Audiodateien werden teilweise bis vollständig transkribiert, elektronisch gespeichert und mithilfe eines Datenanalyseprogramms für Forschungszwecke verwendet. Wenn Sie möchten, können Sie eine Kopie Ihrer Daten bekommen. 4. Die Originaldaten und die Transkripte werden nur projektintern für Forschungszwecke genutzt. 5. Ausschnitte werden nur zitiert, sofern eine Identifikation der Person ausgeschlossen ist. 6. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. 7. Es werden alle Daten pseudonymisiert, d. h. alle Personen- und Ortsnamen und werden durch Pseudonyme ersetzt. 8. Alle persönlichen Daten (Name, Studiengang, … ) die Rückschlüsse auf Ihre Person zulassen, werden getrennt von den erhobenen Daten aufbewahrt und nach Beendigung der Forschungsarbeit gelöscht. Datenerhebung 325 <?page no="326"?> Die Teilnahme am Forschungsprojekt ist freiwillig und aus der Nichtteilnahme entstehen keine Nachteile. Ich bedanke mich für Ihre Bereitschaft, an dem Forschungsprojekt mitzuwirken. Bei Fragen nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf: [e-mail] Einverständniserklärung Ich habe obenstehende Informationen zur Kenntnis genommen und erkläre mich damit einverstanden, dass die Gruppenarbeit per Videobzw. Audiotechnik aufgenommen, verschriftlicht und für Forschungszwecke im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie verwendet werden darf. Ich stimme zu, dass Ausschnitte des verschriftlichten Materials für Publikationszwecke verwendet werden dürfen. Mir wurde zugesichert, dass dabei alle persönlichen Daten, die Rückschlüsse auf meine Person zulassen, gelöscht oder pseudonymisiert werden. Name des Forschungsteilnehmenden Datum, Unterschrift (Forschungsteilnehmende/ -r) ———————————————————— ———————————————————— In Anlehnung an Knorr (2015: 465) 326 Anhang <?page no="327"?> Anhang 2: Einverständniserklärung Videobasiertes Lautes Erinnern ( Japanische Version, an Untersuchungsteilnehmende ausgeteilt) 研究協力者への周知情報 ( インタビュー ) 研究プロジェクト:ドイツ語の授業におけるグループワーク 研究責任者:チジャック、オルガ 学生の皆さん この研究プロジェクトを実施するにあたって、協力してくれる皆さんに法律上の 規定について説明します。この研究は、個人情報保護法の範囲内で行われます。 プロジェクトに協力する人は、個人情報保護の観点から、秘密保持の義務を負い ます。つまり、プロジェクトに参加していない人に、プロジェクトについて話し たり、関連する情報を漏らしたりしてはいけません。 このプロジェクトでは、ドイツ語の授業におけるグループワークの様子を複数回 ビデオに録画します。また、その後インタビューを行います。その際使用するメ モやグループワークでの成果物は、現物ではなく、コピーや写真を使用するよう にしてください。 皆さんの発言などから個人が特定されないように、次のような方針に基づいて データを処理することを約束します。 1. データの取り扱いには、細心の注意を払います。 2. グループワークやインタビューの録画および録音は、その後の分析がしやすい ようにするために行います。 3. 録画や録音したデータは、部分的またはすべてを書き起こし、電子媒体に保存 して、研究分析のためにデータ処理プログラムにかけます。希望する場合は、自 分に関するデータをお見せします。 4. オリジナルのデータや書き起こした資料は、研究の目的を達成するためにプロ ジェクトの範囲内だけで使用します。 5. 発言を引用する場合は、個人が特定できない場合に限定します。 6. すべてのデータ(人名、地名)は、記号などによって匿名化されます。 7. 個人の特定につながるすべてのデータ(名前、専攻など)は、収集された情報 とは切り離して保存し、研究が終了したのち消去されます。 この研究プロジェクトへの協力は自由であり、協力しないことによって不利益が 生じることはありません。プロジェクトに参加してもよいという人には心から感 謝します。質問がある場合は、 [e-mail] まで連絡してください。 承諾書 上記の説明を理解し、グループワークやそれに続くインタビューが録画・録音さ れ、文字化され、学術研究上の目的内で使用されることを了承します。また、文 字化された資料の一部が、研究発表目的のために使用されることを承諾します。 Datenerhebung 327 <?page no="328"?> 研究責任者は、個人情報や個人が特定される可能性があるデータを、すべて消去 あるいは匿名化することを約束しました。 研究協力者氏名 日付、署名(研究協力者) ———————————————————— ———————————————————— ================================================================== (Deutsche Version, Ausgangstext) Information für Forschungsteilnehmende: Interviews Forschungsprojekt: Gruppenarbeit im Deutschunterricht Liebe Studierende, hiermit möchte ich Sie über die Grundlagen der Teilnahme am Forschungsprojekt informieren. Alle am Projekt mitarbeitende Personen unterliegen der Schweigepflicht und sind auf das Datengeheimnis verpflichtet, d. h. sie dürfen außerhalb der Projektgruppe mit niemandem über die erhobenen Daten sprechen. Im Rahmen des Forschungsprojektes werden mehrere Gruppenarbeitsphasen im Deutschunterricht auf Video aufgenommen. Daran anschließend wird ein Interview geführt werden. Außerdem bitte ich um die Verwendung der Notizen und Gruppenarbeitsprodukte zum Beispiel in der Form einer Kopie oder Fotografie. Ich sichere Ihnen hiermit folgendes Verfahren zu, damit Ihre Angaben nicht mit Ihrer Person in Verbindung gebracht werden können: 1. Es wird sorgfältig mit Ihren Daten umgegangen. 2. Die Gruppenarbeit und die Interviews werden per Videobzw. Audiotechnik aufgenommen, um sie anschließend besser auswerten zu können. 3. Die Videobzw. Audiodateien werden teilweise bis vollständig transkribiert, elektronisch gespeichert und mithilfe eines Datenanalyseprogramms für Forschungszwecke verwendet. Wenn Sie möchten, können Sie eine Kopie Ihrer Daten bekommen. 4. Die Originaldaten und die Transkripte werden nur projektintern für Forschungszwecke genutzt. 5. Ausschnitte werden nur zitiert, sofern eine Identifikation der Person ausgeschlossen ist. 6. Es werden alle Daten pseudonymisiert, d. h. alle Personen- und Ortsnamen und werden durch Pseudonyme ersetzt. 7. Alle persönlichen Daten (Name, Studiengang, … ) die Rückschlüsse auf Ihre Person zulassen, werden getrennt von den erhobenen Daten aufbewahrt und nach Beendigung der Forschungsarbeit gelöscht. Die Teilnahme am Forschungsprojekt ist freiwillig und aus der Nichtteilnahme entstehen keine Nachteile. Ich bedanke mich für Ihre Bereitschaft, an dem Forschungsprojekt mitzuwirken. Bei Fragen nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf: [e-mail] 328 Anhang <?page no="329"?> Einverständniserklärung Ich habe obenstehende Informationen zur Kenntnis genommen und erkläre mich damit einverstanden, dass die Gruppenarbeit und das anschließende Interview per Videobzw. Audiotechnik aufgenommen, verschriftlicht und für Forschungszwecke im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie verwendet werden dürfen. Ich stimme zu, dass Ausschnitte des verschriftlichten Materials für Publikationszwecke verwendet werden dürfen. Mir wurde zugesichert, dass dabei alle persönlichen Daten, die Rückschlüsse auf meine Person zulassen, gelöscht oder pseudonymisiert werden. Name des Forschungsteilnehmenden Datum, Unterschrift (Forschungsteilnehmende/ -r) ___________________ ______________________ In Anlehnung an Knorr (2015: 465) Datenerhebung 329 <?page no="330"?> Anhang 3: Leitfaden für das Videobasierte Laute Erinnern ( Japanische Version, während des VLEs verwendet) 「記憶発話法」インタビューを始めるにあたって いまから一緒にビデオを見ます。 知りたいのは、皆さんが他の学生たちと一緒にグループで話していたとき、自分 で何を考えていたかということです。皆さんが何を言ったかは、ビデオで見たり 聞いたりできますが、その時どんなことを考えていたかまでは、わかりません。 なので、誰かと話していたときに、頭の中ではどんなことを思っていたか教えて ほしいのです。日本語でもドイツ語でも両方まざっていても大丈夫です。 マウスを渡すので、好きなところでビデオを止めてください。何を考えたか話そ うとするときは、「一時停止ボタン」をクリックしてください。ビデオが流れて いる最中に話をしてしまうと、あとで聞いたときに声が重なってわからなくなっ てしまいます。なので、話をするときは、必ず一時停止ボタンを押してくださ い。 ビデオは何度も停めてくれた方がいいです。私はできるだけ中断したり質問した りしないようにします。それでも私の方で聞きたいことがある場合には、ビデオ を停めてその状況について質問します。 インタビューのやり方について、何かわからないことはありますか? 最後にこの三つ / 五つの質問に答えて下さい: 1. このグループワークはどうでしたか。 2. このグループワークのいいところを教えて下さい。 3. このグループワークで何か難しいところがありましたか。 4. このタスク(課題)はどうでしたか。 5. このグループのメンバーはどうでしたか。 ================================================================== (Deutsche Version, Übersetzung aus dem Japanischen) Leitfaden zu Beginn des Lauten Erinnerns Wir werden uns jetzt das Video gemeinsam anschauen. Mich interessiert, was Sie gedacht haben, während Sie in der Gruppenarbeit mit den anderen Lernenden gesprochen haben. Ich kann zwar sehen und hören, was Sie gesagt haben, wenn ich mir das Video anschaue, aber ich weiß nicht, was Sie dabei gedacht haben. Also möchte ich Sie bitten, mir zu erzählen, was Ihnen durch den Kopf ging während Sie mit jemandem gesprochen haben. Sie können das auf Japanisch oder auf Deutsch tun und auch das Mischen beider Sprachen ist in Ordnung. 330 Anhang <?page no="331"?> Ich gebe Ihnen die Maus und Sie können das Video an jeder Stelle stoppen. Wenn Sie mir erzählen möchten, was Sie gedacht haben, dann drücken Sie auf Stopp. Es ist wichtig, dass wir nicht sprechen, während die Aufnahme läuft, sonst kann man es später nicht verstehen. Wir müssen also immer auf die Pausetaste drücken, wenn wir reden. Es wäre gut, wenn Sie die Aufnahme häufig stoppen. Ich werde möglichst nicht unterbrechen und keine Fragen stellen. Wenn ich aber doch eine Frage habe, dann werde ich das Video unterbrechen und Sie bitten, etwas zu diesen Filmabschnitt zu sagen. Haben Sie noch Fragen zum Vorgehen? Zum Abschluss hätte ich noch 3/ 5 Fragen: 1. Wie war diese Gruppenarbeit? 2. Was war gut an dieser Gruppenarbeit? 3. Gab es Schwierigkeiten bei dieser Gruppenarbeit? 4. Wie war diese Aufgabe? 5. Wie waren die anderen Gruppenmitglieder? (Nur für Lehrende bzw. Forschungsassistentinnen) Zusätzliche Fragen, wenn die Forscherin die Aufnahmen unterbricht: Was haben Sie an dieser Stelle gedacht? Können Sie mir sagen, was Sie hier gedacht haben? Hier sieht es aus als würden Sie nachdenken, was haben Sie gedacht? Erinnern Sie sich, was Sie gedacht haben, als Sie … gesagt haben/ als … das gesagt hat? Können Sie sich erinnern, was Sie gedacht haben, als … das gesagt hat? In Anlehnung an Knorr (2015: 464) Datenerhebung 331 <?page no="332"?> Anhang 4: Checkliste für das Videobasierte Laute Erinnern (von Forscherin und Forschungsassistentinnen bei der Datenerhebung verwendet) Checkliste VLE Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5 Name/ Code: Vorher: Video öffnen Vollbildmodus einstellen Erklärung gemeinsam lesen IC-Recorder ein & starten Kamera ein & starten Video starten VLE durchführen Nachher: Frage 1 Frage 2 Frage 3 Frage 4 Frage 5 Alles aus und fertig! 332 Anhang <?page no="333"?> Unterrichtsmaterial 39 Anhang 5: Erste Aufgabe: Eine photographische Autobiographie Reitaku Universität- Abteilung für Deutsche Sprache und Kultur Was mir wichtig ist ドイツ語会話 II-1 7) Was erfahren Sie von den Fotos über Florian Slotawa? Das ist Florian Slotawa. Er wurde 1972 geboren und lebt in Berlin. Er ist Künstler. Hier sehen Sie ein Kunstwerk von ihm. Es heißt „Mannheimer Bestandsaufnahme“ (マンハイムの棚卸). Es ist eine fotografische Autobiografie. Florian Slotawa hat alle seine Dinge fotografiert. Hier sehen Sie 15 von 92 Fotos. Mit seinem Kunstwerk fragt der Künstler: „Sind wir das, was wir haben? “ http: / / www.reitaku-u.ac.jp Seite von 3 7 Identität von Florian Slotawa Er hat nicht viel Geld. Foto 2 ein altes Auto 39 Diese Arbeitsblätter basieren auf Unterrichtsmaterialien aus dem Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokyo. Sie wurden von Michael Schart, Hidemi Hamano und Holger Schütterle erstellt. Unterrichtsmaterial 333 <?page no="334"?> 334 Anhang <?page no="335"?> Reitaku Universität- Abteilung für Deutsche Sprache und Kultur Was mir wichtig ist ドイツ語会話 II-1 Foto 1: das Bügeleisen, das Bügelbrett, der Wäscheständer Foto 2: das Auto (VW Golf) Foto 3: die Ski, die Skischuhe Foto 4: das Bett, der Schrank Foto 5: das Regal Foto 6: die Jacke Foto 7: die Hose Foto 8: der Kleiderbügel Foto 9: der Ordner Foto 10: die Foto-Lampe http: / / www.reitaku-u.ac.jp Seite von 5 7 Unterrichtsmaterial 335 <?page no="336"?> Reitaku Universität- Abteilung für Deutsche Sprache und Kultur Was mir wichtig ist ドイツ語会話 II-1 Foto 11: die Küchen-Maschinen (die Kaffee-Maschine, die Espresso-Maschine, der Wasserkocher, der Mixer) Foto 12: das Zelt, der Camping-Stuhl Foto 13: die Pfanne Foto 14: die Modell-Eisenbahn Foto 15: das Besteck (das Messer, die Gabel, der Löffel) http: / / www.reitaku-u.ac.jp Seite von 6 7 Florian Slotawa Mannheimer Bestandsaufnahme, 2002/ 2004 Fotoreihe, 92-teilig Schwarzweißfotografien auf Baryt, unterschiedliche Formate Courtesy: Sies & Höke, Düsseldorf; Galerie Nordenhake, Berlin/ Stockholm/ Mexico City © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 336 Anhang <?page no="337"?> Anhang 6: Zweite Aufgabe: Familien aus aller Welt Unterrichtsmaterial 337 <?page no="338"?> 338 Anhang <?page no="339"?> Unterrichtsmaterial 339 <?page no="340"?> Reitaku Universität- Abteilung für Deutsche Sprache und Kultur Wen ich mag - Familie ドイツ語会話 II-1 http: / / www.reitaku-u.ac.jp Seite von 4 12 Foto 5 Foto 9 Foto 8 Foto 6 Foto Fotos aus: Ommer, Uwe (2000) 1000 Families. Köln: Taschen Verlag Siehe auch: https: / / www.1000families.eu/ 1000families/ index.htm 340 Anhang <?page no="341"?> Anhang 7: Dritte Aufgabe: Eine Briefmarke Unterrichtsidee basierend auf Focus Magazin, Nr. 7 (1993), Familie: Abschied von einem Traum https: / / www.focus.de/ panorama/ boulevard/ familie-abschied-von-einem-traum-gesellschaft_id_1811678.html Unterrichtsmaterial 341 <?page no="342"?> Anhang 8: Vierte Aufgabe: Familienformen Grafik: Neue Lebensformen - alte Verhältnisse? (© die KLEINERT.de / Katrin Fiederling) https: / / m.bpb.de/ izpb/ 307446/ neue-lebensformen-alte-verhaeltnisse 342 Anhang <?page no="343"?> Anhang 9: Fünfte Aufgabe: Die ideale Familienform Diese Aufgabe wurde als Hausaufgabe bearbeitet und diente als Ausgangspunkt für das Gruppengespräch währen Gruppenarbeitsphase 5 zum Thema Familienformen für die Zukunft Japans. Unterrichtsmaterial 343 <?page no="344"?> Ergänzende Transkripte Anhang 10: Transkript Eselepisode [1] 103 [02: 47.0] 104 [02: 47.6] 105 [02: 49.2] 106 [02: 50.3] 107 [02: 51.7] 108 [02: 52.2] 109 [02: 53.1] 110 [02: 56.1] S4 [v] foto foto sieb foto foto neun passt zu [p] (1,6) (1,4) (0,8) (1,4) [2] 111 [02: 57.5] 112 [02: 58.7] 113 [02: 59.4] 114 [02: 59.9] 115 [03: 00.5] 116 [03: 01.1] 117 [03: 02.2] S4 [v] texto d neun S4 [nv] Blick zu S9 S9 [v] d neun neun ah ja ich auch S9 [nv] blättert zeigt in ihr AB S14 [v] d S14 [nv] nickt kurzer Blick zu S9, dann ins AB [p] (0,7) [3] 118 [03: 04.1] 119 [03: 05.0] 120 [03: 05.6] 121 [03: 06.6] 122 [03: 07.3] S4 [v] hmm hmmm im im texto stehto S4 [nv] blättert/ sucht S9 [v] ah S14 [v] ähhh ah S9 [VLE_S9] Foto9 とテクストが繋がって何を書いたかっ ていうのが思い出せなくって、それで写真見 たら思い出したっていう。 S9 [VLE_S9_dt] Ich konnte mich nicht daran erinnern, was nun Foto 9 und den Text verbindet, was da stand, als ich aber das Foto sah, fiel es mir wieder ein. [4] 123 [03: 10.4] 124 [03: 12.4] 125 [03: 16.4] S4 [sup] zögerlich S4 [v] sie sie gehört der es esel S4 [nv] schaut auf zu S9, lächelt S9 [nv] sucht im Text S14 [nv] sucht im Text [p] (2) 344 Anhang <?page no="345"?> [5] 126 [03: 19.0] 127 [03: 20.1] 128 [03: 21.2] 129 [03: 22.5] 130 [03: 23.1] 131 [03: 25.8] 132 [03: 26.5] S4 [v] えーと esel S4 [dt] ähm S4 [nv] zeigt das Wort im Text S9 [sup] leise S9 [v] uh eh ahhh ja S14 [sup] zögerlich S14 [v] どこどこ? to hm im text stehto ihrer S14 [dt] wo wo? S14 [nv] nickt kurz zu S4 sucht im AB [p] (0,7) [6] .. 133 [03: 28.7] 134 [03: 29.8] 135 [03: 30.9] 136 [03: 33.0] S4 [sup] leise S4 [v] ihrer wo steht ah hochzeit S4 [nv] sucht mit Stift im Text schaut kurz zu S14 nickt, zeigt in Text S9 [v] hochzeit S9 [nv] sucht im Text S14 [v] hochzeit hochzeit hochzeito S14 [nv] Blick zu S9 zeigt Wort in Text, Blick zu S4 [7] 137 [03: 34.8] 138 [03: 35.8] 139 [03: 37.0] 140 [03: 38.0] 141 [03: 40.6] S4 [v] ohhh … S4 [nv] nickt leicht S9 [nv] schaut zu AB von S14 S14 [v] hochzeito sein name ist esel mischa っていうこと? S14 [dt] oder? S14 [nv] schaut zu S9 schaut dabei S9 an [p] (1,1) [8] 142 [03: 41.6] 143 [03: 42.6] 144 [03: 43.4] 145 [03: 44.1] S4 [v] hm S4 [nv] nickt leicht S9 [v] hochzeit … was bedeutet hochzeit? S9 [nv] Blick zu AB von S14 S14 [v] hochzeit S14 [nv] schaut zu S4 [p] (0,7) Ergänzende Transkripte 345 <?page no="346"?> [9] 146 [03: 46.4] 147 [03: 49.3] 148 [03: 50.1] S4 [nv] Blick auf AB von S14 S14 [v] ähmm vielleichto hochzeit S14 [nv] blättert zeigt auf ein Foto und schaut S9 an [p] (0,8) S14 [VLE_S14] ここの時に…ここの時に、あのー Hochzeit の意味がわか らなくて、で、あの、写真がロバが写ってて、それの文 の説明の文章に Hochzeit ってあったんで、はじめ GW し た時にロバの名前なんじゃないかって話が出て、で、そ のまんまこの GW に進んじゃったんで、ちょっとここで 話が噛み合わなかったです。 S14 [VLE_S14_dt] Hier da habe ich die Bedeutung von „ Hochzeit “ nicht verstanden und, ähm, auf dem Foto war ein Esel abgebildet. Weil da in dem Satz im Erklärungstext „ Hochzeit “ war, hatten wir in der vorherigen Gruppenarbeit darüber gesprochen, dass das vielleicht der Name des Esels sein könnte. Und so bin ich, ohne das noch einmal zu überprüfen, in diese Gruppenarbeit gekommen, und konnte hier nicht folgen, worum es geht. [10] 149 [03: 51.3] 150 [03: 52.3] S4 [sup] sehr leise S4 [v] vielleichto S4 [nv] schaut zwischen S14 und S9 hin und her S9 [sup] sehr lang S9 [v] aaahhh [11] 151 [03: 54.8] 152 [03: 55.6] 153 [03: 56.5] 154 [03: 57.6] 155 [03: 58.3] 156 [04: 00.3] S4 [nv] schaut auf zu S9 S9 [v] えと ich ich herr L ah erst ist S9 [dt] ähm S9 [nv] blättert um deutet Richtung L dann ins AB S14 [v] fünf S14 [nv] nickt leicht [p] (0,8) (1,1) 346 Anhang <?page no="347"?> [12] 157 [04: 02.6] 158 [04: 03.2] 159 [04: 04.6] 160 [04: 05.4] 161 [04: 05.8] 162 [04: 06.8] 163 [04: 07.8] 164 [04: 08.4] S4 [v] esel isto S4 [nv] zeigt auf Foto S9 [v] えと es ist das S9 [dt] ähm S9 [nv] zeigt in Text zeigt auf Foto S14 [sup] leise S14 [v] esel esel äh hm sein name S14 [nv] nickt nickt zeigt in den Text [p] (0,9) [13] 165 [04: 09.5] 166 [04: 10.3] 167 [04: 11.4] 168 [04: 11.7] 169 [04: 12.8] 170 [04: 14.3] 171 [04: 15.4] S4 [v] der der esel S4 [nv] zeigt in den Text S9 [v] ah nein nicht name mischa ist name S9 [nv] zeigt in den Text S14 [v] eh esel? [p] (0,7) (1,5) [14] 172 [04: 16.6] 173 [04: 18.2] 174 [04: 19.2] S4 [sup] leise S4 [v] なんか冠詞って S4 [dt] irgendwie der artikel S4 [nv] ausladende Geste, schaut zu S9 zeigt wieder in den Text, lacht leise S9 [sup] lachend S9 [v] なんだろう S9 [dt] wie kann man sagen S9 [nv] lacht [p] (1,6) [15] 175 [04: 20.3] 176 [04: 21.3] 177 [04: 21.8] 178 [04: 23.1] 179 [04: 24.0] S4 [sup] leise rufend, lächelnd S4 [v] der der esel S9 [v] ja S14 [v] der esel S14 [nv] nickt [p] (0,9) (1,2) Ergänzende Transkripte 347 <?page no="348"?> 175 [04: 20.3] 176 [04: 21.3] 177 [04: 21.8] 178 [04: 23.1] 179 [04: 24.0] S9 [VLE_S9] えっと、これは der esel mischa ?って書かれてて、 初め私たちのグループの時に mischa … esel..mischa って何?みたいなところで、でそれでその時に 近くを通った先生に「 Was bedeutet essel Mischa ?」って聞いて、それでロバ「… Mischa 」って いうのが分かってて、それでそれをどうやって説明 しようかっていうので悩んでたというか…言葉が出 てこなかったところ。 S9 [VLE_S9_dt] Ähm, hier da stand „ der Esel Mischa “ oder so und anfangs hatten wir in meiner Gruppe auch so gedacht was ist „ Mischa … esel Mischa “ ? Und da ist gerade Herr L in der Nähe vorbei gegangen und wir haben ihn gefragt „ Was bedeutet Essel Mischa? “ und deshalb haben wir dann gewusst, dass „ Mischa “ der Esel ist. Aber ich wusste nicht, wie man das erklären könnte und die Wörter wollten einfach nicht rauskommen. [16] 180 [04: 24.9] 181 [04: 26.2] 182 [04: 27.5] 183 [04: 29.3] 184 [04: 31.4] S4 [v] name isto mischa S9 [sup] leise S9 [v] hmm S9 [nv] legt Kopf schief, lächelt S14 [v] heee hochzeit ah okay okay zusammen hochzeit S14 [nv] macht vereinende Geste, Blick zu S9 [17] 185 [04: 32.4] 186 [04: 33.7] 187 [04: 35.6] 188 [04: 36.7] 189 [04: 38.2] 190 [04: 39.6] S4 [v] ahhh ah fünf jahren S4 [nv] schaut in eigenen Text S9 [v] hmmm S9 [nv] sucht im Text S14 [v] fünf jahren fünf jahren S14 [nv] blättert und zeigt dann auf etwas im AB [p] (1,5) 348 Anhang <?page no="349"?> [18] 191 [04: 41.2] S9 [sup] rufend S9 [v] zeito S9 [nv] zeigt etwas im AB S14 [VLE_S14] で、ここの 5 Jahren っていうのも50年?っていうのもロバの年齢だと思ったんですけど、 ロバと一緒に写ってる男女の一緒にいる時間っていうだったんでわかんなかったんですけ ど、二人に教えてもらって。二人があのーちゃんとドイツ語で伝えようとしてくれているの がなんかありがたかったです。 S14 [VLE_S14_dt] Und hier diese „ 5 Jahre “ oder auch fünfzig Jahre? da dachte ich, das wäre das Alter des Esels. Aber dass es um die Zeit ging, die der Mann und die Frau, die mit dem Esel abgebildet waren, zusammen sind, hatte ich nicht verstanden, aber das haben die beiden mir erklärt. Ich fand es sehr gut, dass die beiden es mir richtig auf Deutsch erklärt haben. [19] 192 [04: 41.8] 193 [04: 42.8] 194 [04: 43.5] 195 [04: 44.2] 196 [04: 45.2] 197 [04: 46.1] S4 [nv] schaut zu S9 S9 [v] zeit S9 [nv] nickt S14 [v] zeit hoch von wie bei … S14 [nv] nickt schaut ins AB liest im AB [p] (1) (1) S9 [VLE_S9] えっとここで Hochzeit の Zeit っ ていうのがあの zeit というのが 読めて読めたというか、分か れて造語なんだなっていうの が分かって、あ、じゃぁなん か「何とかの時間」ていう意 味なんだって叫んだ。 Zeit って 叫んでたからです。 S9 [VLE_S9_dt] Also hier das „ Zeit “ von „ Hochzeit “ , also „ zeit “ konnte ich lesen und habe verstanden, dass es wahrscheinlich um eine zusammengesetzte Wortbildung gehen muss, also habe ich gerufen, es geht wohl um „ irgendeine Zeit “ . Deshalb habe ich „ Zeit “ gerufen. Ergänzende Transkripte 349 <?page no="350"?> [20] 198 [04: 48.1] S4 [v] er er und S4 [nv] (bricht ab wegen Ablenkung von außen) S9 [v] 多分 S9 [dt] vielleicht 350 Anhang <?page no="351"?> Anhang 11: Transkript Haushaltshilfe [1] 277 [07: 36.5] 278 [07: 38.5] 279 [07: 40.4] 280 [07: 42.4] 281 [07: 44.4] S7 [v] es gibt えと eltern arbeiten es gibt zwei kinder haus haltshilfe S7 [dt] es gibt äh [p] (2,1) [2] .. 282 [07: 47.5] 283 [07: 50.2] 284 [07: 50.6] 285 [07: 51.3] 286 [07: 51.8] 287 [07: 53.2] S2 [v] ja ja S2 [nv] lacht S5 [v] ja hm S7 [v] sorgen kind ja? ! ja? 本当に? S7 [dt] ja? echt? S7 [nv] schaut kurz S5 an [p] (2,7) [3] 288 [07: 53.7] 289 [07: 54.1] 290 [07: 54.9] 291 [07: 55.5] 292 [07: 55.8] 293 [07: 56.3] 294 [07: 56.6] 295 [07: 57.0] S2 [v] ja i S2 [nv] lacht S5 [v] hm hm hm hm hm hm ja ja ja S5 [nv] nickt ganz leicht S7 [v] ja? どっち? S7 [dt] welches? [4] 296 [07: 57.5] 297 [07: 58.0] 298 [07: 58.8] 299 [08: 00.4] 300 [08: 02.6] S2 [v] hm … ja hm S2 [nv] schüttelt den Kopf nickt hält AB in der Hand und schaut rein S5 [nv] schaut ins AB auf dem Tisch S7 [v] jein? じゃあ 次行きます S7 [dt] gut dann gehen wir weiter S7 [nv] hält AB in der Hand und schaut rein [p] (2,2) Ergänzende Transkripte 351 <?page no="352"?> 296 [07: 57.5] 297 [07: 58.0] 298 [07: 58.8] 299 [08: 00.4] 300 [08: 02.6] S7 [VLE_S7] F/ / ここは考えてたことですか?えっ と、伝わってるかなぁと思って、 えーっとちょっとたぶんあの L 先生に 教わった言葉だから、どうだろう。 なんか言っても伝わるかなぁと思っ て。はい、えっと何だろうみんなの 分かってるかちょっとなんか気に なってたんですね。 / / F/ / 言ってます けどなんか顔が… / / F/ / 顔見てあれ? と思って。なんか反応的に分かる じゃないですか。なんか Ja って言っ ててもなんか言わない時とかあるか ら、なんかそれかなーと思って。 ちょと。 / / F/ / Jein っていうのは聞こ えましたね。 Jein ならほぼ Nein だか ら…。 / / F/ / そうですね…。そんな感 じです。 S7 [VLE_S7_dt] F/ / Was ich hier gedacht habe? Ähm, ob er mich wohl versteht, habe ich gedacht. Also äh, ich glaube das war, weil ich das Wort vom Lehrer gesagt bekommen habe oder so. Irgendwie auch wenn ich es sage, äh ob ich wohl verstanden werde, habe ich da gedacht. Ja, wie sollich sagen, ob das wohl alle verstehen, hat mich da interessiert. / / F/ / Ja, das sagt er schon, aber, wenn man das Gesicht … / / F/ / Als ich sein Gesicht gesehen habe, dachte ich hä? Irgendwie von der Reaktion her, das versteht der doch, oder? Also auch wenn man „ ja “ sagt, es kommtja auch vor, dass man nicht sagt, wenn man nicht versteht und da dachte ich, dass das der Fall ist. Ein bisschen./ / F/ / Jein hat man da auch gehört ne. Aber wenn es ein „ jein “ ist, dann ist es doch eigentlich eher ein „ nein “ … / / F/ / Ja, so ist es, Genau! 352 Anhang <?page no="353"?> [5] 301 [08: 03.9] 302 [08: 03.9] 303 [08: 06.8] 304 [08: 07.9] 305 [08: 09.1] 306 [08: 10.2] S7 [v] あ!えとね haushälts hilfe って言うのが あの あれね あの家政婦さん S7 [dt] ah! also ne also diese haushälts hilfe ähm diese ne ähm haushaltshilfe [p] (1,1) (1,2) [6] 307 [08: 11.4] 308 [08: 12.6] 309 [08: 13.9] 310 [08: 15.3] 311 [08: 16.5] 312 [08: 17.2] S2 [v] leise leise S2 [v] … えええ あそうか家政婦 ! S2 [dt] … heeee ach so haushaltshilfe! S5 [v] … ah! hälts なの? S5 [dt] hälts? S5 [nv] schaut auf von AB und S7 an [p] (1,5) (0,9) [7] 313 [08: 18.1] 314 [08: 18.7] 315 [08: 20.3] 316 [08: 21.0] 317 [08: 22.4] 318 [08: 24.7] S5 [v] … herr L に教えてもらった? S5 [dt] … hat euch dass herr L gesagt? S7 [v] hm hm …そう! … haus … halt S7 [dt] … genau! S7 [nv] schreibt [p] (2,3) [8] 319 [08: 25.4] 320 [08: 26.4] 321 [08: 27.2] 322 [08: 28.1] 323 [08: 29.3] 324 [08: 30.9] 325 [08: 31.7] S2 [nv] lacht auf lacht S5 [v] 俺と同じやつやん S5 [dt] das ist doch dasselbe wie meins S5 [nv] lacht S7 [v] halt 本当? … S7 [dt] echt? S7 [nv] ohne aufzuschauen ganz leise L [nv] kommt zur [p] (1) (0,9) (0,8) Ergänzende Transkripte 353 <?page no="354"?> [9] .. 326 [08: 34.5] 327 [08: 36.2] 328 [08: 36.8] 329 [08: 37.6] 330 [08: 38.4] S5 [v] 同じ dasselbe S5 [nv] lacht und nickt S7 [v] haushalts … hilfe 同じ? 同じ? S7 [dt] dasselbe? dasselbe? S7 [nv] schreibend schreibt fertig, legt es S5 hin lacht, L [nv] Gruppe, schaut kurz zu [p] (1,8) (1,1) [10] .. 331 [08: 40.4] 332 [08: 41.8] 333 [08: 42.6] S2 [v] へええ S2 [dt] häää S5 [v] L に教えてもらった S5 [dt] L hat uns das gesagt S7 [v] ja S7 [nv] nimmt sein AB zurück [p] (1,3) 354 Anhang <?page no="355"?> Anhang 12: Transkript Falsch [1] 146 [04: 30.3] 147 [04: 32.2] 148 [04: 35.3] 149 [04: 36.5] S10 [v] so ich denke なんだっけ S10 [dt] wie war das doch S10 [nv] schaut S11 an (wartet, da in Nebengruppe gelacht wird) Geste zu S11 S11 [nv] macht gleiche Geste [p] (3,1) (1,2) [2] .. 150 [04: 37.9] 151 [04: 38.9] 152 [04: 39.8] 153 [04: 40.9] 154 [04: 41.5] S4 [v] ih ihr ihre S10 [v] あなたの あなたの… ihre ihre S10 [dt] gleich ihre ihre S10 [nv] leise schaut S11 an schaut zu S4 schaut abwechselnd zu S4 u. S11 S11 [nv] schaut S10 an [p] (1,1) [3] 156 [04: 44.2] 157 [04: 45.0] 158 [04: 46.2] 159 [04: 47.3] 160 [04: 49.1] 161 [04: 50.3] S4 [v] deine S10 [v] ihr hä … S10 [nv] schaut S11 an schaut gespielt panisch nach Unterlagen S11 [v] äh äääää S11 [nv] schaut S10 an lacht verlegen [p] (1,2) [4] 162 [04: 51.9] 163 [04: 53.3] 164 [04: 53.6] 165 [04: 55.0] 166 [04: 55.4] 167 [04: 56.1] 168 [04: 57.6] S10 [v] ii ihre idee ist frei なんだっけ freisch … S10 [dt] wie war das freisch … S10 [nv] Gest auf S11 S11 [v] hm hm [p] (1,4) Ergänzende Transkripte 355 <?page no="356"?> [5] 169 [04: 59.3] 170 [05: 00.1] 171 [05: 02.2] 172 [05: 02.6] 173 [05: 03.2] S4 [v] falsch? S4 [nv] lacht laut nickt S10 [v] fleich って肉だ なんだっけ? fa falsch S10 [dt] fleich heißt fleisch wie war das? S10 [nv] greift sich an den Kopf lacht, schaut auf Tisch S11 [nv] lacht laut S13 [nv] lacht laut [p] (2,1) [6] 174 [05: 03.9] 175 [05: 05.2] 176 [05: 05.6] 177 [05: 06.1] 178 [05: 06.9] S4 [nv] lacht S10 [v] falsch jaaa S10 [nv] zeigt mit Finger auf S1, mach ein aggressives Gesicht S11 [v] ah falsch ah S11 [nv] nickt lacht S13 [nv] lacht [p] (1,6) [7] 179 [05: 08.5] 180 [05: 09.7] S4 [nv] lacht S10 [v] sie ist mann S10 [nv] tippt heftig aufs AB S11 [nv] lacht [p] (1,1) S10 [VLE_S10] この時は、 L 先生がなんかこう議論というか、けっこう否定して いっていいよって言ってたので、楽しそうだなと思ったので ちょっと…大げさにっていうか、 S11 の案は、なんか男の人も出て なかったから、「男の人だよー!」っていうのを強調しようと 思って質問しました。 S10 [VLE_S10_dt] Herr L hatte ja irgendwie gesagt, dass es okay ist zu diskutieren, dass wir auch widersprechen sollen und so, deshalb habe ich gedacht, das macht bestimmt Spaß, also habe ich hier ein bisschen … übertrieben, weil im Vorschlag von S11 auch kein Mann vorkam, habe ich gedacht ich beton, „ das ist ein Mann! ! “ und eine Frage gestellt. 356 Anhang <?page no="357"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Dyadische Interaktionsmuster nach Storch (2002: 128) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Abb. 2: Interaktionsstile nach Feick (2016: 123) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Abb. 3: Phasen der Gruppenarbeit in Anlehnung an Tuckmann (1965) und Green & Green (2018) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Abb. 4: Grundlagen von Rapport nach Spencer-Oatey (2008: 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Abb. 5: Datenanalyse als Vernetzung von Analyseprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Abb. 6: Ablauf der Datenerhebung je Unterrichtswoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Abb. 7: Aufnahmekonstellation Tischsetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Abb. 8: Aufnahmekonstellation Klassenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Abb. 9: Blitzlichtumfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Abb. 10: Impulsmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Abb. 11: Aufnahmesetting für das Videobasierte Laute Erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Abb. 12: Analyseschritte anhand der einzelnen Datensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Abb. 13: Beispiel für einen Reduktionsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Abb. 14: Bündelung von Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Abb. 15: Darstellungsbeispiele mit Hilfe des Dokumentenportraits (MaxQDA) . . . . 105 Abb. 16: Reduziertes Transkript mit Interpretation 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Abb. 17: Reduziertes Transkript mit Interpretation 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 18: Reduziertes Transkript mit Interpretation 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Abb. 19: Initiierung Gesichtskritischer Episoden in Gruppenarbeitsphasen . . . . . . . . 298 Abb. 20: Aufgabenrelevanz der Gesichtskritischen Episoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Abb. 21: Aktivitätsgrad und GKE S10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Abb. 22: Aktivitätsgrad und GKE S7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 <?page no="358"?> Tabellenverzeichnis Tab. 1: Erkenntnisinteresse, Datenmaterial und Auswertungsmethode . . . . . . . . . . 70 Tab. 2: Dauer der einzelnen Gruppenarbeitsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Tab. 3: Dauer der einzelnen VLE-Gespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Tab. 4: Transkriptionsspuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Tab. 5: Kategoriensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Tab. 6: Interaktionsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Tab. 7: Fundstellen zur Thematisierung von Fehlern in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Tab. 8: Fundstellen zur Thematisierung von Fehlern in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Tab. 9: Fundstellen zur Thematisierung von Ausdrucksschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Tab. 10: Fundstellen zur Thematisierung von Ausdrucksschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Tab. 11: Fundstellen zur Thematisierung von Assistenz in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Tab. 12: Fundstellen zur Thematisierung von Assistenz in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Tab. 13: Fundstellen zur Thematisierung von Verständnisschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Tab. 14: Fundstellen zur Thematisierung von Verständnisschwierigkeiten in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Tab. 15: Fundstellen zur Thematisierung von Meinungsverschiedenheiten in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Tab. 16: Fundstellen zur Thematisierung von Meinungsverschiedenheiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Tab. 17: Fundstellen zur Thematisierung von Missbilligungen in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Tab. 18: Fundstellen zur Thematisierung von Missbilligung in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Tab. 19: Fundstellen zur Thematisierung von Anerkennung in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Tab. 20: Fundstellen zur Thematisierung von Anerkennung in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Tab. 21: Fundstellen zur Thematisierung von Unerwartetem in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Tab. 22: Fundstellen zur Thematisierung von Unerwartetem in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Tab. 23: Fundstellen zur Thematisierung von Unsicherheiten in den VLE-Daten nach Fokuspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 <?page no="359"?> Tab. 24: Fundstellen zur Thematisierung von Unsicherheiten in den VLE-Daten nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Tab. 25: Sprachanteil, Redeanteil und Interaktionsebenen GA3G4 (ohne Dokumentenporträt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Tab. 26: Sprachanteil, Redeanteil und Interaktionsebenen GA2G3 (ohne Dokumentenporträt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Tab. 27: Sprachanteil, Redeanteil und Interaktionsebenen GA3G2 (ohne Dokumentenporträt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Tabellenverzeichnis 359 <?page no="360"?> Verzeichnis der Transkriptauszüge 40 Transkriptauszug 1: PG3 VLE S1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Transkriptauszug 2: PG2 VLE S6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Transkriptauszug 3: PG4 VLE S12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Transkriptauszug 4: Parallele Handlungen einer Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Transkriptauszug 5: Parallele nonverbale Handlungen mehrerer Personen . . . . . . 94 Transkriptauszug 6: Gleichzeitiges sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Transkriptauszug 7: Parallele Handlungen mehrerer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Transkriptauszug 8: Endbetonung mit TO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Transkriptauszug 9: Fragmentarische Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Transkriptauszug 10: GA2G4 „ sein Name ist “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Transkriptauszug 11: GA3G2 „ nicht Vater “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Transkriptauszug 12: GA2G1 „ geschieden “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Transkriptauszug 13: GA3G4 „ Schwester “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Transkriptauszug 14: GA1G2 „ bekommen “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Transkriptauszug 15: GA1G4 „ wascht “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Transkriptauszug 16: GA2G2 „ war ’ s i? “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Transkriptauszug 17: GA5G3 „ sorgen “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Transkriptauszug 18: GA1G2 „ er mag “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Transkriptauszug 19: GA3G4 trotzdem helfen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Transkriptauszug 20: GA2G4 „ beiden? “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Transkriptauszug 21: GA2G4 „ fünf Jahren “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Transkriptauszug 22: GA1G2 „ Zugfahrer “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Transkriptauszug 23: GA3G4 Monoton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Transkriptauszug 24: GA4G1 „ Schilfe “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Transkriptauszug 25: GA4G1 Haushaltshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Transkriptauszug 26: GA5G3 „ Hausmann “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Transkriptauszug 27: GA2G3 „ Enkelkind “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Transkriptauszug 28: GA1G3 „ schick “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Transkriptauszug 29: GA3G2 „ Vater “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Transkriptauszug 30: GA3G3 „ falsch “ (gekürzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Transkriptauszug 31: GA5G4 „ kannst du kochen? “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Transkriptauszug 32: GA5G1 Fernbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Transkriptauszug 33: GA3G4 „ mal ohne Wörterbuch “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Transkriptauszug 34: GA4G3 „ ich denke “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Transkriptauszug 35: GA1G1 fleißig schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Transkriptauszug 36: GA4G3 Lesung nachschlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Transkriptauszug 37: GA2G2 keine Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 40 Die Bezeichnungen der Transkriptauszüge in Anführungsstrichen gehen auf direkte Zitate aus den Transkripten zurück. Für die anderen wurden aussagekräftige, zusammenfassende Titel verwendet. <?page no="361"?> Transkriptauszug 38: GA5G4 „ noch eine Frage “ (leicht gekürzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Transkriptauszug 39: GA4G2 Geste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Transkriptauszug 40: GA2G3 Unaufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Transkriptauszug 41: GA3G1 weil-Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Transkriptauszug 42: GA4G4 Bindestriche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Transkriptauszug 43: GA1G3 Arbeitsblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Transkriptauszug 44: GA1G2 „ er ski fährt gern ” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Transkriptauszug 45: GA1G4 Besteck-Schlagzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Transkriptauszug 46: GA3G2 „ gute Idee “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Transkriptauszug 47: GA1G3 Janken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Transkriptauszug 48: GA1G3 „ ich denke auch so “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Transkriptauszug 49: GA1G1 „ nicht gemacht “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Transkriptauszug 50: GA3G3 Fantasieantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Transkriptauszug 51: GA4G2 Verpasste Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Transkriptauszug 52: GA4G3 „ sag das nochmal “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Transkriptauszug 53: GA1G1 Startschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Transkriptauszug 54: GA5G1 7 Minuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Transkriptauszug 55: GA5G3 „ stopp? “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Transkriptauszug 56: GA2G2 Alle fertig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Verzeichnis der Transkriptauszüge 361 <?page no="362"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Gruppenarbeit wird im modernen Fremdsprachenunterricht eingesetzt, um Lernenden die Gelegenheit zu bieten, ihre Fremdsprachenkenntnisse in einem kleinen Rahmen auszuprobieren und gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten. Aus der Unterrichtspraxis ist jedoch bekannt, dass diese Arbeitsform zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt und nicht immer ihr gesamtes Potential ausgeschöpft werden kann. Im Fokus dieser qualitativen Studie steht die Rolle der Gesichtswahrung für die Gestaltung von Interaktionen unter Lernenden während kommunikativer Gruppenarbeitsphasen in einem universitären Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht in Japan. Anhand von Daten aus Interaktionen in Gruppenarbeitsphasen und Retrospektion der Lernenden auf diese Gruppenarbeit werden fremdsprachenunterrichtsspezifische Episoden nachgezeichnet, ihr gesichtskritisches Potential identifiziert und Strategien zum Umgang mit ihnen beschrieben. ISBN 978-3-8233-8587-5
