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Pragmatische Marker mit sagen

Funktion – Verfestigung – Phonetik

0303
2025
978-3-8233-9608-6
978-3-8233-8608-7
Gunter Narr Verlag 
Arne Zeschel
Ralf Knöbl
Christiane Fellert
Nora Müller
Fabian Brackhane
10.24053/9783823396086

Sagen ist das häufigste lexikalische Verb im gesprochenen Deutsch. Es tritt in zahlreichen verfestigten Wendungen mit besonderen Gesprächsfunktionen auf - beispielsweise um Aussagen abzuschwächen, Aufmerksamkeit zu steuern, Wissen anzuzeigen oder das Thema zu wechseln. Neben einer Dokumentation und Systematisierung des Gesamtbestands dieser Ausdrücke im gesprochenen Deutsch bietet der Band exemplarische Detailstudien der pragmatischen Marker sozusagen, sagen wir, wollt grad sagen und wie gesagt aus interaktionslinguistischer und konstruktionsgrammatischer Perspektive. Im Fokus steht dabei zum einen der Zusammenhang der verschiedenen Gesprächsfunktionen untereinander, für die ein Ansatz zur pragmatischen Kartierung entwickelt wird. Ein zweiter Untersuchungsschwerpunkt liegt auf ihrer formseitigen Verfestigung durch lautliche Reduktion und Verschmelzung bis hin zur Univerbierung.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-8233-8608-7 Sagen ist das häufigste lexikalische Verb im gesprochenen Deutsch. Es tritt in zahlreichen verfestigten Wendungen mit besonderen Gesprächsfunktionen auf - beispielsweise um Aussagen abzuschwächen, Aufmerksamkeit zu steuern, Wissen anzuzeigen oder das Thema zu wechseln. Neben einer Dokumentation und Systematisierung des Gesamtbestands dieser Ausdrücke im gesprochenen Deutsch bietet der Band exemplarische Detailstudien der pragmatischen Marker sozusagen, sagen wir, wollt grad sagen und wie gesagt aus interaktionslinguistischer und konstruktionsgrammatischer Perspektive. Im Fokus steht dabei zum einen der Zusammenhang der verschiedenen Gesprächsfunktionen untereinander, für die ein Ansatz zur pragmatischen Kartierung entwickelt wird. Ein zweiter Untersuchungsschwerpunkt liegt auf ihrer formseitigen Verfestigung durch lautliche Reduktion und Verschmelzung bis hin zur Univerbierung. Zeschel / Knöbl / Fellert / Müller / Brackhane Pragmatische Marker mit sagen 87 Arne Zeschel / Ralf Knöbl / Christiane Fellert / Nora Müller / Fabian Brackhane Pragmatische Marker mit sagen Funktion - Verfestigung - Phonetik STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES LEIBNIZ-INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE <?page no="1"?> STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 87 Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 1 Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 1 05.02.2025 10: 42: 10 05.02.2025 10: 42: 10 <?page no="2"?> STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES LEIBNIZ-INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg, Andreas Witt und Angelika Wöllstein Band 87 Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 2 Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 2 05.02.2025 10: 42: 10 05.02.2025 10: 42: 10 <?page no="3"?> Funktion - Verfestigung - Phonetik Pragmatische Marker mit sagen Arne Zeschel / Ralf Knöbl / Christiane Fellert / Nora Müller / Fabian Brackhane Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 3 Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 3 05.02.2025 10: 42: 11 05.02.2025 10: 42: 11 <?page no="4"?> Die Publikationsreihe „Studien zur Deutschen Sprache“ folgt den Regelungen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Etwaige Abweichungen davon - insbesondere hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Kennzeichnung von Personen - erfolgen auf ausdrücklichen Wunsch des Autors bzw. der Autorin. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823396086 © 2025 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: Annett Patzschewitz Druck: Elanders Waiblingen GmbH ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-8608-7 (Print) ISBN 978-3-8233-9608-6 (ePDF) Redaktion: Melanie Kraus Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 4 Zeschel_Titelei_155x230mm.indd 4 05.02.2025 10: 42: 11 05.02.2025 10: 42: 11 <?page no="5"?> Einleitung 5 INHALT 1. Einleitung ....................................................................................................................... 9 2. Pragmatische Marker ................................................................................................. 15 2.1 Überblick ...................................................................................................................... 15 2.2 Synchrone Perspektiven ........................................................................................... 15 2.2.1 Formelhafte Sprache in der Interaktion ..................................................... 16 2.2.2 Indexikalität ..................................................................................................... 18 2.2.3 Markerkonzepte .............................................................................................. 20 2.3 Diachrone Perspektiven ............................................................................................ 29 2.3.1 Grammatikalisierung ..................................................................................... 29 2.3.2 Lexikalisierung ................................................................................................ 37 2.3.3 Weitere Konzepte ............................................................................................ 40 2.4 Phonetische Perspektiven ......................................................................................... 45 2.4.1 Erosion ............................................................................................................... 48 2.4.2 Grenzphänomene ............................................................................................ 50 2.4.3 Prosodische Spezialisierung ......................................................................... 50 2.4.4 Form-Funktionskopplung ............................................................................. 51 2.5 Vorarbeiten zu pragmatischen Markern mit sagen ............................................. 53 2.6 Zusammenfassung ...................................................................................................... 57 3. Daten und Vorgehen .................................................................................................. 59 3.1 Überblick ...................................................................................................................... 59 3.2 Vorgehen ....................................................................................................................... 59 3.3 Daten ............................................................................................................................. 62 3.3.1 FOLK .................................................................................................................. 63 3.3.2 DECOW ............................................................................................................ 64 3.3.3 Deutsch heute .................................................................................................. 64 3.3.4 Benutzte Wörterbücher ................................................................................. 66 3.4 Pragmatische Analyse ............................................................................................... 66 3.4.1 Positionierung ................................................................................................. 68 3.4.2 Koordination .................................................................................................... 71 3.4.3 Epistemik .......................................................................................................... 74 3.4.4 Gesprächsorganisation .................................................................................. 82 <?page no="6"?> 6 Inhalt 3.4.5 Situationsbindung und Deixis ...................................................................... 87 3.4.6 Funktionen, Praktiken und Handlungen ................................................... 92 3.5 Die Korpusstudien ...................................................................................................... 95 3.5.1 Identifikation der Formelkandidaten ......................................................... 95 3.5.2 Klassifikation, Erhebung und Auswertung ............................................... 97 3.5.3 Die Vertiefungsstudien ................................................................................ 109 3.6 Darstellungskonventionen ..................................................................................... 111 3.6.1 Notation der Praktiken ................................................................................ 111 3.6.2 Pragmatische Karten .................................................................................... 114 3.6.3 Struktur der Ergebnispräsentation ........................................................... 114 3.6.4 Textbeispiele und Transkripte ................................................................... 115 3.7 Zusammenfassung .................................................................................................... 116 4. Positionierung ........................................................................................................... 117 4.1 Einleitung ................................................................................................................... 117 4.2 Formelüberblick ........................................................................................................ 117 4.2.1 Involvierende Formeln ................................................................................. 120 4.2.2 Distanzierende Formeln .............................................................................. 141 4.3 Vertiefungsstudie: sozusagen ................................................................................. 154 4.3.1 Überblick und Vorarbeiten .......................................................................... 154 4.3.2 Daten und Vorgehen .................................................................................... 158 4.3.3 Praktiken ......................................................................................................... 159 4.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung ............................................. 176 4.3.5 Fazit und Einordnung .................................................................................. 181 4.4 Zusammenfassung .................................................................................................... 188 5. Koordination .............................................................................................................. 189 5.1 Einleitung ................................................................................................................... 189 5.2 Formelüberblick ........................................................................................................ 189 5.2.1 Affiliative Formeln ........................................................................................ 192 5.2.2 Disaffiliative Formeln .................................................................................. 198 5.2.3 Appellative Formeln ..................................................................................... 211 5.2.4 Facebezogene Formeln ................................................................................. 220 5.3 Vertiefungsstudie: sagen wir .................................................................................. 233 5.3.1 Überblick und Vorarbeiten .......................................................................... 233 5.3.2 Daten und Vorgehen .................................................................................... 237 5.3.3 Praktiken ......................................................................................................... 238 <?page no="7"?> 7 Inhalt 5.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung ............................................. 256 5.3.5 Fazit und Einordnung .................................................................................. 263 5.4 Zusammenfassung .................................................................................................... 267 6. Epistemik .................................................................................................................... 269 6.1 Einleitung ................................................................................................................... 269 6.2 Formelüberblick ........................................................................................................ 269 6.2.1 K+ ..................................................................................................................... 272 6.2.2 K- ...................................................................................................................... 289 6.2.3 K= ..................................................................................................................... 301 6.3 Vertiefungsstudie: wollt grad sagen ...................................................................... 318 6.3.1 Überblick und Vorarbeiten .......................................................................... 318 6.3.2 Daten und Vorgehen .................................................................................... 323 6.3.3 Praktiken ......................................................................................................... 325 6.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung ............................................. 337 6.3.5 Fazit und Einordnung .................................................................................. 346 6.4 Zusammenfassung .................................................................................................... 351 7. Gesprächsorganisation ............................................................................................ 353 7.1 Einleitung ................................................................................................................... 353 7.2 Formelüberblick ........................................................................................................ 353 7.3 Vertiefungsstudie: wie gesagt ................................................................................. 381 7.3.1 Überblick und Vorarbeiten .......................................................................... 381 7.3.2 Daten und Vorgehen .................................................................................... 386 7.3.3 Praktiken ......................................................................................................... 388 7.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung ............................................. 407 7.3.5 Fazit und Einordnung .................................................................................. 416 7.4 Zusammenfassung .................................................................................................... 420 8. Fazit .............................................................................................................................. 421 8.1 Zentrale Befunde ...................................................................................................... 421 8.2 Methodologie ............................................................................................................. 428 8.3 Theoretische Implikationen ................................................................................... 431 Literatur .................................................................................................................................. 435 Index behandelter Ausdrücke ........................................................................................... 463 <?page no="9"?> 1. EINLEITUNG Das Verb sagen ist das häufigste lexikalische Verb im gesprochenen Deutsch. Im „Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (FOLK), das sich als im Aufbau befindliches mündliches Referenzkorpus des Deutschen versteht, kommt es auf über 5.000 Treffer pro eine Million Wörter (pMW) und liegt damit noch vor anderen polyfunktionalen Hochfrequenzverben wie machen und kriegen, kommen und gehen, nehmen und stehen. 1 Diese Prominenz verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass sagen in einer großen Zahl verfestigter Wendungen und Routineformeln auftritt, die besondere Interaktionsfunktionen erfüllen und sich daher durch Gespräche unterschiedlichster Art und Inhalte ziehen-- man denke etwa an Ausdrücke wie die Folgenden: (1) ich würde sagen, sag mal, du sagst es, wie man so schön sagt, sage und schreibe, das kann man wohl sagen, um nicht zu sagen, was soll ich sagen, sagen wir mal (so), ehrlich gesagt, wer sagt denn, dass-… Viele dieser Einheiten sind zudem individuell so häufig, dass entsprechende Bildungen in der Mündlichkeit schlicht allgegenwärtig sind. In Beispiel (2) etwa nutzt ein Sprecher gleich drei solcher Konstruktionen auf einmal, um eine folgende Einschätzung zu rahmen. Er zeigt damit an, dass das folgende Urteil für den Adressaten dispräferiert sein wird (ich sage gleich ganz offen), jedoch auf bekanntermaßen (wie gesagt) großer Expertise basiert, auch wenn diese hier in vielleicht etwas ungewöhnlicher Weise in Worte gefasst wird (sozusagen): (2) FOLK_E_00070_SE_01_T_04_DF_01, c454-460 (Schlichtungsgespräch) 2 01 MH ähm (2.24) → 02 MH ich sag gleich ganz OFfen, h° (0.36) 03 aus- (.) → 04 Eben ˈvɪ ɡəzɐxt ZEHN jahren- 05 (1.39) → 06 MH səˈtsaɡŋ̍ LIVE bAhnpolitik- 07 plus ZEHN- 08 (.) fÜnfzehn jahre erFORschung von projektgeschichten deutscher verkehrsprojekte im schienenwegebau, 09 °h (.) ich glAUb ihren einsparungen NICHT, (0.2) 1 Stand: DGD-Release-2.12. Eine Vorstellung des Korpus findet sich in Kapitel-3. 2 Transkripte folgen den Konventionen des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems GAT-2 (Selting et al. 2009). Formelhafte Zielausdrücke in komprimierter Markerrealisierung (siehe unten) werden phonetisch eng transkribiert (vgl. die Formen wie gesagt und sozusagen in Beispiel-(2)). Eine ausführliche Erläuterung der Darstellungskonventionen der Studie findet sich in Kapitel-3. <?page no="10"?> Einleitung 10 In dem Maße, in dem solche Ausdrücke im Zuge ihrer Konventionalisierung ein Eigenleben mit je idiosynkratischen Eigenschaften und Verwendungsrestriktionen entwickeln, lösen sie sich von ihren kompositionellen Quellverwendungen (und damit auch von ihrem Spenderlexem sagen) ab und verselbstständigen sich zu unabhängig memorierten, d. h. eigenständigen Zeichen. Komplexe Ausdrücke dieser Art, die zudem besondere Interaktionsfunktionen übernehmen, werden in dieser Arbeit als pragmatische Formeln bezeichnet. Auch nach erfolgter „Ablösung“ 3 von ihren jeweiligen Quellstrukturen (durch den Erwerb je eigener Funktionsmerkmale, die mit der verfestigten Struktur verknüpft werden) können sich solche Formeln noch weiter strukturell verdichten. Sofern sich dabei bereits eine bestimmte lexikalische Zielbzw. Konvergenzform der Verfestigung abzeichnet (oder dieser Prozess sogar schon abgeschlossen ist), bezeichnen wir diese Form als einen pragmatischen Marker. Manche der untersuchten Ausdrücke sind nur als (variable und komplexere) Formel belegt, andere nur als (fester und kompakterer) Marker, und wieder andere können sowohl in der einen als auch in anderer Weise realisiert werden. Wo es beide Optionen gibt und relevant ist, sie voneinander zu unterscheiden, sprechen wir auch von der Lang- und Kurzform entsprechender Ausdrücke. Gemäß dieser Bestimmung handelt es sich bei ich sage gleich ganz offen in (2) um einen Beleg für eine pragmatische Formel: Der Ausdruck ist eine abgewandelte Routineformel 4 mit besonderer Interaktionsfunktion, die strukturell nur teilverfestigt ist-- beispielsweise könnte das gleich entfallen, dafür aber ein Objekt oder ein Modalverb hinzutreten, und auch die Stellung ist flexibel (das will ich ganz offen sagen). Bei dem pragmatischen Marker wie gesagt ist das dagegen nicht (oder zumindest nur noch sehr eingeschränkt) der Fall- - in die feste Abfolge von wie und gesagt kann allenfalls noch ein Temporaladverbial wie schon eingeschoben werden, und auch das ist im Vergleich zum zweiteiligen Prototyp bereits sehr ungebräuchlich. Noch weiter vorangeschritten ist die Verfestigung zum Marker bei sozusagen, das sich von seiner Spenderformel um es (mal) so zu sagen bereits so weit abgelöst hat, dass es als mittlerweile univerbiertes neues Lexem in allen Standardwörterbüchern des Gegenwartsdeutschen verzeichnet ist. Hier ist entsprechend nichts mehr umstell- oder einschiebbar. Und doch ist der Prozess der Verfestigung und Erosion auch an dieser Stelle noch nicht abgeschlossen. Wie das Transkript zu Beispiel (2) zeigt, wird der 3 Heine/ Reh (1984, S.-57-59) sprechen von einer Abspaltung („split“), Hopper (1991, S.-24 f.) von Divergenz („divergence“). 4 Genauer gesagt handelt es sich um eine Überblendung zweier solcher Formeln: einerseits des gesprächsorganisatorischen ich sage gleich sowie andererseits des facebezogenen ich sage ganz offen. Beide sind konventionelle Mehrworteinheiten mit je eigener Funktion. Für das Konzept der „Überblendung“ als „Vereinigung […] konkreter Token-Konstruktionen“ vgl. Welke (2019, S.-163). <?page no="11"?> Einleitung 11 nominell viersilbige Ausdruck hier phonetisch nur noch mit drei Silben als [zəˈtsaɡŋ̍ ] realisiert (mit medialer Resilbifizierung und Affrikate, aber hier zumindest noch silbischem Nasal im Auslaut). Noch weiter komprimierte Realisierungen des Markers sind nur zwei- oder sogar bloß einsilbig (vgl. Kap.- 4). Die formale Verschmelzung, die sich in der Univerbierung der vormals getrennten Elemente so, zu und sagen niederschlägt, schreitet also innerhalb des so gebildeten neuen Worts auf phonetischer Ebene noch weiter voran. Die vorliegende Studie macht es sich zur Aufgabe, das Spektrum der in (1) illustrierten Ausdrücke-- pragmatische Formeln und Marker mit sagen-- in seiner Gesamtheit zu erheben und zu systematisieren. Damit werden drei Hauptziele verfolgt: - In deskriptiver Hinsicht geht es, erstens, um die exhaustive Beschreibung eines bestimmten begrenzten Sprachausschnitts: Ziel ist eine datengeleitete synchrone Bestandsaufnahme von Ausdrücken der Quelldomäne Sagen, die zur Übernahme besonderer Interaktionsfunktionen rekrutiert werden. - Ein weiteres deskriptives Ziel ist, zweitens, die Systematisierung der typischen formalen und funktionalen Gebrauchsmerkmale dieser Ausdrücke und ihrer charakteristischen Verwendungskontexte. In pragmatischer Hinsicht richtet sich das Interesse daher zunächst auf eine umfassende Klassifikation der je übernommenen Interaktionsfunktionen sowie der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Theoretisch ist damit die Frage nach einer geeigneten allgemeinen Typologie pragmatischer Funktionen aufgeworfen, die als einheitliche Schablone über die zahlreichen individuellen Verfestigungen mit ihren je idiosynkratischen Eigenschaften gelegt werden kann. In formaler Hinsicht werden darüber hinaus auch mögliche lautliche Spezialisierungstendenzen der untersuchten Einheiten erkundet. Neben phonetischen Erosions- und Verschmelzungsprozessen insbesondere an den vormaligen Wortgrenzen werden dabei auch mögliche Zusammenhänge von lautlicher und funktionaler Ausdifferenzierung in den Blick genommen (in Gestalt der Bindung bestimmter interaktiver Praktiken an spezifische lautliche Realisierungen der untersuchten Marker). - Schließlich soll, drittens, eine Einordnung der erzielten (synchronen) empirischen Befunde in Bezug auf verschiedene theoretische Konzepte der Sprachwandelforschung vorgenommen werden. Mit den Begriffen u. a. der Grammatikalisierung, der Pragmatikalisierung, der Lexikalisierung, der Univerbierung, der Konstruktionalisierung und der Kooptation ist hier eine verwirrende Vielfalt teilüberlappender Konzepte im Umlauf, die wir auf ihre geeignete Anwendbarkeit auf unsere Zielstrukturen überprüfen. Für die empirische Grundlegung der Studie sind allerdings zunächst einige offene methodische Fragen zu klären, deren zwei drängendste Filatkina (2007, S.- 140) in einem Handbuchartikel zu „gesprächsspezifischen Phraseologismen“ (wie der in Frage stehende Strukturtyp dort bezeichnet wird) wie folgt umreißt: <?page no="12"?> Einleitung 12 Gesprächspezifische [sic] Phraseologismen bereiten aus pragmatischer Sicht zweierlei Schwierigkeiten. Zum einen sind sie formal heterogen und sowohl morphologischsyntaktisch als auch lexikalisch-semantisch veränderbar. Sie sind nicht eindeutig lexikalisiert und verfügen meistens über keine einheitliche feste Form. Zum anderen sind solche Einheiten wie Darf ich dazu was sagen oder Ich würde meinen oft nicht wörtlich zu verstehen und eignen sich zur Erfüllung mehrerer kommunikativer Funktionen, was die Angabe einer üblichen Bedeutung unmöglich macht. In der Tat handelt es sich bei diesen Punkten um zwei wichtige Probleme, die vor einer systematischen korpuslinguistischen Erhebung und folgenden Klassifikation der Datenbasis zu klären sind. Eine geeignete Operationalisierung ist unseres Erachtens jedoch in beiden Fällen nicht unmöglich, und soll als proof of concept in diesem Buch für unseren Untersuchungsbereich geleistet werden. Unsere Studie ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel- 2 skizzieren wir zunächst einige begriffliche Hintergründe und relevante Vorarbeiten. Theoretisch steht die Arbeit in- der Tradition von gebrauchsbezogener Konstruktionsgrammatik (Bybee 2010; Goldberg 1995, 2006, 2019; Langacker 2008; Welke 2019), Interaktionaler Linguistik (Couper-Kuhlen/ Selting 2018; Deppermann 2011a; Fischer 2006a; Günthner/ Imo (Hg.) 2006; Imo/ Lanwer 2019) und Grammatikalisierungsforschung (Brinton 1996, 2008; Diewald 2011, 2020; Langacker 2009; Traugott 2015; Traugott/ Trousdale 2013). Relevante Anknüpfungspunkte in der Literatur bilden insbesondere Arbeiten zu Diskursmarkern und sonstigen pragmatischen Routineformeln, Darstellungen der bereits angesprochenen Wandelkonzepte, mit denen die Entstehung und weitere Entwicklung solcher Einheiten in Verbindung gebracht worden ist, Annahmen und Befunde zu damit einhergehenden Prozessen morphophonetischer Reduktion und Verschmelzung sowie spezifische Vorarbeiten zu entsprechenden Ausdrücken mit sagen und seinen Äquivalenten in anderen Sprachen. Kapitel-3 entwirft unseren eigenen Ansatz und skizziert das Vorgehen und die Datenbasis. Als konstitutives Merkmal beschreibungsrelevanter Ausdrücke setzen wir weder strukturelle Invarianz noch ein bestimmtes Frequenz- oder Kookkurrenzkriterium bezüglich der beteiligten Elemente an, sondern das Vorliegen eines oder mehrerer spezifisch pragmatischer Funktionsmerkmale, die mit einem gegebenen komplexen Ausdrucksmuster verknüpft sind. Diese Muster werden durch semantisch-pragmatische Merkmale der je beteiligten Ausdruckskomponenten bestimmt und sind in ihrem konkreten lexikalisch-grammatischen Ausdruck häufig variabel, auch wenn es dabei natürlich jeweils typische Realisierungsvarianten gibt. Für ihre pragmatische Klassifikation wird eine auf Bühler (1982) aufbauende Typologie von Interaktionsfunktionen entwickelt, die vier grundlegende Dimensionen der Sprechsituation unterscheidet: „Positionierung“ als Bereich der Markierung von Sprechereinstellungen und -standpunkten, „Koordination“ als Bereich der Abstimmung dieser Positionierungen mit den Haltungen, Bedürfnissen und Erwartungen weiterer Beteiligter, „Epistemik“ als Bereich der Markierung und Synchronisierung von aktuell relevan- <?page no="13"?> Einleitung 13 tem Teilnehmerwissen, Common Ground und wechselseitigen Wissens- und Informationsverpflichtungen sowie „Gesprächsorganisation“ als Bereich der thematischen Steuerung und strukturellen Gliederung des Gesprächs sowie der Organisation des Turntakings. Pragmatische Formeln und Marker können spezifische Merkmale in mehr als einem dieser Bereiche zugleich aufweisen, sodass sie in der Regel durch entsprechende Merkmalsbündel zu charakterisieren sind. Gleichzeitig treten sie üblicherweise in mehr als einem typischen Verwendungskontext (sequenzieller oder anderweitig positioneller Art) auf und weisen dabei in der Regel auch je unterschiedliche Funktionsmerkmale auf. Den Zusammenhang von sprachlicher Form, pragmatischer Funktion und positionellem Kontext erfassen wir im Begriff der kommunikativen Praktik. Grundlegende Einheiten der in den folgenden Kapiteln entfalteten Beschreibung sind folglich nicht spezifische Ausdrücke bzw. grammatische Konstruktionen, sondern die genannten „Praktiken“ als konventionalisierte Assoziationen von strukturellen, funktionalen und kontextuellen Verwendungsmerkmalen der untersuchten Elemente. Neben der theoretischen Grundlegung des Klassifikationssystems skizzieren wir in Kapitel- 3 auch Daten und Vorgehen der durchgeführten Korpusstudie. Wir stellen die benutzten Korpora vor, erläutern unsere schrittweise Identifikations-, Klassifikations-, Erhebungs- und Auswertungsprozedur und illustrieren die Darstellungskonventionen der folgenden Ergebnispräsentation. Kapitel-4 bis 7 sind den empirischen Ergebnissen gewidmet. Dazu werden die untersuchten Formeln und Marker jeweils einem der vier angesetzten Funktionsbereiche zugeordnet, in dem der Schwerpunkt ihrer pragmatischen Leistung gesehen wird. Für jeden der vier Schwerpunktbereiche Positionierung, Koordination, Epistemik und Gesprächsorganisation wird zunächst ein umfassender Formelüberblick gegeben, der auf Daten aus einem mehrere Milliarden Wörter umfassenden Webkorpus beruht. Im Anschluss an diese Inventarisierung wird ein einzelner Marker des jeweiligen Bereichs, der in der Mündlichkeit besonders prominent ist, für eine interaktionslinguistische Vertiefungsstudie ausgewählt. Diese Studie wird in einem (wesentlich kleineren) gesprochensprachlichen Korpus durchgeführt und nimmt neben den kommunikativen Praktiken des Markers auch seine lautliche Reduktion und etwaige Verschmelzungstendenzen der beteiligten Komponenten in den Blick. Exemplarisch im Detail betrachtet werden die vier Marker sozusagen, sagen wir, wollt grad sagen und wie gesagt. Die vier Ergebniskapitel schließen jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung der zentralen Befunde der Vertiefungsstudie, die unter anderem eine pragmatische (formal-funktional-kontextuelle) „Kartierung“ des Verwendungsspektrums des entsprechenden Markers beinhaltet, sowie eine Einordnung der Konstruktion mit Blick auf die beteiligten Wandelprozesse. Kapitel- 8 schließlich bindet die wichtigsten Befunde sowohl der vier Bestandsaufnahmen pragmatischer Formeln und Marker mit sagen als auch der detaillierten Vertiefungsstudien noch einmal übergreifend zusammen und bilanziert ihre Implikationen für die eingangs formulierten Leitfragen. <?page no="14"?> Einleitung 14 Für zahlreiche hilfreiche Hinweise und Kommentare zur Entwicklung unseres Ansatzes sowie zu früheren Fassungen dieses Texts sind wir insbesondere Arnulf Deppermann, Nadine Proske, Elena Smirnova und Lara Pietrek zu großem Dank verpflichtet. Profitiert hat die Darstellung auch von Gesprächen im Umfeld der Tagungen „Verbs of thought and speech: pragmaticalization paths across languages“ im September 2022 an der Universität von Salamanca sowie „Grammatikalisierung und Pragmatikalisierung: Synchrone und diachrone Perspektiven auf das Verhältnis von Variation und Wandel“ im Mai 2023 am IDS Mannheim. Zudem wäre ihre Ausarbeitung nicht ohne die tatkräftige Unterstützung bei der Korpusrecherche und Datenannotation zu bewältigen gewesen, für die wir uns an dieser Stelle bei Lara Pietrek, Christina Mack, Juliane Elter und Dana van Doorn bedanken möchten. <?page no="15"?> 2. PRAGMATISCHE MARKER 2.1 Überblick Die in diesem Buch als „pragmatische Marker“ bezeichneten Ausdrücke mit besonderen Gesprächsfunktionen sind in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in der Interaktionalen Linguistik (und verwandten Forschungsfeldern) als auch in der Sprachwandelforschung intensiv untersucht worden. Das folgende Kapitel gibt einen kurzen Abriss dieser Forschung. Im Blickpunkt des Interesses steht der Begriff der sprachlichen Verfestigung im Gespräch, und zwar sowohl im (synchronen) Sinne von Verfestigung als „verfestigter Ausdruck“ als auch mit Blick auf die (diachrone) Lesart von „Verfestigung“ als Vorgang, der zur Herausbildung solcher Ausdrücke führt. Abschnitt-2.2 beschäftigt sich zunächst mit synchronen Perspektiven auf das Phänomen im Rahmen der Gesprächsforschung. Ausgehend von der Frage, warum speziell in der spontanen Mündlichkeit ein so ausgeprägter Bedarf an vorgefertigten sprachlichen Versatzstücken besteht, resümieren wir die Forschung zu typischen Strukturen und Funktionen solcher Ausdrücke in der Interaktion und geben einen Überblick über die große Vielfalt an Bezeichnungen und Definitionen, die dafür in der Literatur im Umlauf sind. In Abschnitt- 2.3 wechseln wir die Perspektive und betrachten das Phänomen aus diachroner Sicht. Im Blickpunkt steht ein Vergleich verschiedener theoretischer Modelle der Herausbildung pragmatischer Marker, die mit den Begriffen der Grammatikalisierung, der Lexikalisierung, der Pragmatikalisierung und der Kooptation verbunden sind. Ein Spezifikum des (synchronen) Untersuchungszuschnitts unserer eigenen Studie ist, dass stärker als in vielen anderen Untersuchungen auch lautliche Befunde in die Analyse eingehen. In Abschnitt- 2.4 erläutern wir, was wir uns von der Hinzunahme der phonetischen Perspektive versprechen und auf welche Annahmen und Vorarbeiten wir uns im Rahmen der verschiedenen Teiluntersuchungen in diesem Themenfeld beziehen. In Abschnitt-2.5 schließlich wird zusammengetragen, was es in der Literatur bereits an Arbeiten speziell zu pragmatischen Markern mit sagen (und seinen Äquivalenten in anderen Sprachen) gibt, bevor Abschnitt-2.6 das Kapitel mit einer kurzen Zusammenfassung abschließt. 2.2 Synchrone Perspektiven In den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam es zu einer thematischen Neuorientierung in der Sprachwissenschaft, die als sogenannte „Pragmatische Wende“ in die Geschichte der Disziplin einging. Dabei trat neben den hergebrachten Fokus auf Sprache als strukturelles System eigener Art ein neues Interesse an Sprache als Ressource für kommunikatives Handeln in der Interaktion. Durch die Rezep- <?page no="16"?> Pragmatische Marker 16 tion von Theorien und Methoden der amerikanischen qualitativen Soziologie-- insbesondere der Ethnomethodologie (Garfinkel 1967) und Konversationsanalyse (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974)-- rückten dabei auch zunehmend das Gespräch und seine charakteristischen sprachlichen Besonderheiten in den Blickpunkt des linguistischen Interesses. In der Folge entstanden zahlreiche Arbeiten zu „Gliederungssignalen“ (Gülich 1970), „Gesprächswörtern“ (Burkhardt 1982) und „Diskursmarkern“ („discourse markers“, Schiffrin 1987), wie einige der vorgeschlagenen Sammelbezeichnungen für die untersuchten gesprächsspezifischen (oder zumindest -typischen) Phänomene lauten, die die pragmatische Forschung bis heute prägen. Auch die vorliegende Arbeit behandelt bestimmte solcher Elemente, die hier als „pragmatische Formeln“ und „pragmatische Marker“ bezeichnet werden (je nach dem Grad ihrer erreichten Verfestigung und Komprimierung). Der folgende Abschnitt gibt einen knappen Überblick über typische Funktionen, Strukturen und Bezeichnungen solcher Ausdrücke in der Literatur. 2.2.1 Formelhafte Sprache in der Interaktion Zunächst einmal stellt sich jedoch die Frage, warum es sich bei der Verfestigung solcher Einheiten aus dem konversationellen Gebrauch überhaupt um ein so prominentes Phänomen (und damit auch relevantes interaktionslinguistisches Thema) handelt. 5 Der wesentliche Grund dafür besteht darin, dass Gespräche spontane Interaktionen ohne Zeitversatz sind. Das bedeutet zum einen, dass ihre Beiträge inkrementell verfertigt und nicht selten noch während der laufenden Äußerungsproduktion abgebrochen, revidiert, erweitert oder anderweitig an sich verändernde Umstände angepasst werden (Auer 2000, 2005; Goodwin 1979). Der Bedarf an vertextenden Mitteln zur Strukturmarkierung und echtzeitlichen Aufmerksamkeitslenkung unterscheidet sich daher in der Mündlichkeit substanziell von dem in der nicht-simultanen Schriftlichkeit, in der völlig andere Möglichkeiten zur Vorausplanung und auch nachträglichen Optimierung von Formulierungsentscheidungen bestehen. Zum anderen erzeugt die spezifische Zeitlichkeit des Gesprächs nicht nur besondere Anforderungen an die diskursive Kohärenzherstellung, sondern baut auch in handlungskoordinativer Hinsicht einen permanenten sprachlichen Entscheidungsdruck auf die Teilnehmer auf: Sowohl initiativ als auch reaktiv müssen ständig (und in rascher Folge) angemessene Formulierungen für die je anstehenden interaktiven Aufgaben gefunden werden, bevor der geeignete Zeitpunkt für eine nahtlose Integration des Beitrags bereits wieder verstrichen ist. Viele dieser Entscheidungen beziehen sich auf regelmäßig wiederkehrende Handlungen, die mit einem gegebenen Ausdruck vollzogen werden (wie etwa die Formulierung einer 5 Auch wenn uns im Folgenden speziell die spontane Mündlichkeit interessiert, soll damit in keiner-Weise angedeutet sein, dass Verfestigung und Routine in der Schriftlichkeit weniger bedeutsam seien-- sie sind auch dort allgegenwärtig, in ihren jeweils eigenen Ausprägungen. <?page no="17"?> Synchrone Perspektiven 17 Bitte, eines Vorwurfs oder einer Verabschiedung), 6 andere auf nicht eigenständig handlungswertige, aber ebenfalls häufig wiederkehrende kommunikative Teilaufgaben innerhalb einer Äußerung (wie etwa die Markierung, ob eine bestimmte Auffassung mit Nachdruck oder mit verringerter Verbindlichkeit vertreten wird, ob ein-bestimmtes Wissen als gesichert gilt, oder wie die soziale Distanz zum Gegenüber eingeschätzt wird). Es verwundert insofern nicht, dass sich in allen menschlichen Sprachen eine große Zahl vorgeprägter Strukturen zur „Reduktion der Komplexität“ (Gülich 1981, S.- 354) des spontanen Interaktionsgeschehens findet, die beide Aspekte adressieren: Einerseits die Strukturierung der eigenen Rede und die Organisation des übergeordneten Gesprächsverlaufs, und andererseits den Vollzug bestimmter rekurrenter Handlungen und kommunikativer Teilaufgaben im Zuge des Interaktionsgeschehens. In Verbindung mit Begriffen wie dem des „pragmatischen Stereotyps“ (Feilke 1989) bzw. der „pragmatischen Prägung“ (Feilke 1998), der „Routineformel“ (Coulmas 1981) oder der „kommunikativen Gattung“ (Luckmann 1986) ist dabei in verschiedenen Ansätzen herausgearbeitet worden, dass die in diesen Formen zutage tretende Tendenz zur kommunikativen Institutionalisierung weit über das hinausreicht, was traditionell als Gegenstand der Phraseologie betrachtet wird (Idiome, Sprichwörter, Paarformeln, stereotype Tropen, Slogans etc.- - vgl. hierzu Steyer 2013). Klar benannt- wird diese Überzeugung etwa in der Formulierung Feilkes (1996, S.- 313), Sprache sei nicht lediglich „auch idiomatisch“, sondern „wesentlich idiomatisch! “ (mit Kursivierung und Ausrufezeichen). Neben Feilkes eigenen Arbeiten (Feilke 1989, 1996, 1998) ist in der germanistischen Literatur zum Thema vor allem die wegweisende Untersuchung „Routine im Gespräch: zur pragmatischen Fundierung der Idiomatik“ von Coulmas (1981) zu nennen, die in pragmatischen „Routineformeln“ der Art, wie sie in unserer Untersuchung beschrieben werden, „das sprachliche Gewand kollektiver Strategien zielorientierten Handelns und Reagierens“ einer Sprachgemeinschaft erkennt (ebd., S.-68). Ein wichtiger Impuls der Arbeit für unsere eigene Klassifikation ist, dass Coulmas die beschriebenen Formeln nicht nur nach spezifischen pragmatischen Funktionsbereichen sortiert, sondern auch in „selbständig und nicht selbständig vorkommende Formeln“ unterteilt (ebd., S.- 117). 7 Eine weitere wichtige Vorarbeit ist die Studie von Stein (1995), die insbesondere die kognitive Entlastungsfunktion sprachlicher Routinen im Formulierungsprozess ausführlich diskutiert. Zudem werden dort insgesamt 45 „gesprächsspezifische Formeln“ des Deutschen inventarisiert und funktional typisiert, unter ihnen auch 17 (38%) mit dem Verb sagen (vgl. Abschn.-2.5). 6 Fox (2007) schlägt für solche Routinen (verfestigte sprachliche Muster zum Vollzug bestimmter Handlungen) den Begriff des „social action formats“ vor. 7 Die Unterscheidung entspricht unserer Differenzierung zwischen „handlungswertigen Formeln“ und „Operatoren“, vgl. Kapitel-3. <?page no="18"?> Pragmatische Marker 18 2.2.2 Indexikalität Die Besonderheit dieser spezifisch pragmatisch motivierten Verfestigungen lässt sich mit Feilke (1994, S.-288-298) auf den Begriff der Indexikalität bringen, der auf die Zeichentheorie von Peirce mit ihrer Unterscheidung von ikonischen, indexikalischen und symbolischen Zeichen zurückgeht (vgl. Bar-Hillel 1954; Burks 1949; Peirce 1983). Ein „Index“ ist gemäß dieser Theorie ein Zeichen, das weder in einer ähnlichkeitsbasierten (wie ein Ikon) noch in einer konventionsbasierten Relation zum Bezeichneten steht (wie ein Symbol), sondern darauf kraft seiner phänomenologischen Kontiguität verweist. Ein häufig zitiertes Beispiel ist Rauch als (An-)Zeichen für Feuer: Der Index (Rauch) steht hier in einem bestimmten kontextuellen Erfahrungszusammenhang zum Bezeichneten (Feuer), auf das er mittels dieser Verbindung metonymisch schließen lässt. Auch sprachliche Zeichen weisen diese Eigenschaft auf-- und zwar in dem Maße, in dem sie ihre Bedeutung erst aus Aspekten des je aktuellen inner- oder außersprachlichen Kontexts beziehen. Das klarste Beispiel dafür sind Deiktika wie hier, ich und jetzt, die je nach Verwendungskontext auf unterschiedliche Orte, Personen oder Zeitpunkte verweisen (bzw. „zeigen“, wie Bühler 1982 ihre Operationsweise vom symbolischen Bezeichnungsmodus des „Nennens“ abgrenzt). Die indexikalische Verwobenheit in den außersprachlichen Kontext ist allerdings kein semiotisches Alleinstellungsmerkmal bestimmter einzelner Sprachzeichen wie Pronomen und deiktischer Adverbien, sondern, wie insbesondere in der Ethnomethodologie betont wird, eine grundlegende Eigenschaft des sprachlichen Handelns an sich (Garfinkel 1967; Garfinkel/ Sacks 1970, S.-349). Auer (1981, S.-307) merkt dazu an: [A]lle referentiellen Beschreibungen sind- - darauf hat schon Strawson insistiert- - notwendigerweise unvollständig, d. h. zu praktischen Zwecken und unter Orientierung auf einen bestimmten Rezipienten hin konstruiert. Wie explizit sich ein Referierender auch auszudrücken versuchen mag, sein Zuhörer wird immer darauf angewiesen sein, ‘selbstverständliche’ zusätzliche Merkmale des Identifikandums aus dem Kontext zu ergänzen. Diese (wie Garfinkel sagt) hoffnungslose Indexikalität oder Kontextgebundenheit allen Referierens ist eine Eigenschaft sprachlichen Handelns, die den Teilnehmern in der Regel unbewußt bleibt, die sie ständig verwenden, aber nie reflektieren. „Indiziert“ werden in der sprachlichen Interaktion also immer auch unausgesprochene Hintergrundannahmen der Beteiligten über voraussetzbares Wissen, eingenommene Haltungen zu bestimmten Gegenständen und Sachverhalten sowie die Unterstellung eines bestimmten Verhältnisses zum Gegenüber. Gelegentlich wird diese verborgene Indexikalität auch overt gemacht und die Aufmerksamkeit des Gegenübers explizit auf diese Dimension gelenkt. Die sprachlichen Mittel, mit denen das geschieht, bezeichnet Auer als „Indexikalitätsmarker“. Die Funktion solcher Ausdrücke (Auer spricht von „Techniken“) sieht er darin, dass sie die „verdeckte Indexikalität darlegen und gleichsam als ‚Achtung! Gefahrenstelle! -Schilder‘ vor <?page no="19"?> Synchrone Perspektiven 19 möglichen Schwierigkeiten im Sinngebungsprozeß warnen“ (ebd.). 8 In Auer (1989, S.-46 f.) wird die indexikalische Qualität der Sprache in einerseits „endophorisches“, d. h. sprachbzw. textinternes Verweisen (wie etwa im Rahmen anaphorischer Bezüge) und andererseits „exophorisches“, aus der Sprache herausweisendes Zeigen auf den „Kontext“ differenziert (vgl. auch Bar-Hillel 1954, S.-366; Halliday/ Hasan 1976, S.- 33). Letzterer umfasst wie erwähnt „sowohl die raum-zeitliche […] Sprechsituation“ als auch die jeweiligen „Hintergrund-Wissensbestände der Teilnehmer“ (Auer 1989, S.- 46). Wenn in Abschnitt- 2.2.1 von verfestigten Ausdrücken zur Strukturierung des Gesprächs (wie etwa wie gesagt) sowie zur Handlungskoordination (wie etwa sag mal schnell) und zum Beziehungsmanagement mit dem Gegenüber gesprochen wurde (wie etwa das muss ich mir nicht sagen lassen), so handelt es sich mithin um eben solche „Indexikalitätsmarker“ im endo- oder exophorischen Sinne, die dazu dienen, den Erfolg des aktuellen „Sinngebungsprozesses“ an einer kritischen Stelle zu gewährleisten. Das Konzept der Indexikalitätsmarkierung deckt sich weitgehend mit Gumperz’ (1982) Konzept des „Kontextualisierungshinweises“, der „instruktionalen Bedeutung“ Mosegaard Hansens (2012, S.- 594) sowie der „prozeduralen Bedeutung“ der Relevanztheorie (Blakemore 2002, S.-89-148). 9 Wir verwenden im Folgenden den Begriff der Indexikalität, um das Vorliegen einer „besonderen Gesprächsfunktion“ zu bezeichnen. Welche Arten indexikalischer Verstehenslenkung wir dabei im Einzelnen unterscheiden, ist Gegenstand von Kapitel-3. Abschließend sei hier im Vorgriff auf den diachronen Perspektivwechsel in Abschnitt-2.3 ergänzt, dass die zunehmende Aufladung eines Ausdrucks mit (ursprünglich) indexikalischen Bedeutungskomponenten auch als zentrale Entwicklungstendenz des (sowohl lexikalischen als auch grammatischen) Bedeutungswandels gilt. Traugott (1989, 2003a/ b, 2010) spricht dabei von Prozessen der „Subjektivierung“ bzw. „Intersubjektivierung“ von Bedeutung, in deren Rahmen denotative (symbolische) Bedeutungsanteile gegenüber sprechsituationsbezogenen (indexikalischen) Bedeutungsanteilen im Laufe der Zeit zunehmend in den Hintergrund treten (vgl. Kap.-3). Als „sprechsituationsbezogene“ Aspekte zählen dabei wie von Auer formuliert vor allem (inter-)subjektive Implikationen bezüglich des Sprechers (mit seinen-persönlichen Standpunkten, Wahrnehmungen und Empfindungen) und seiner wahrgenommenen Beziehung zum Adressaten. Traugott spricht dabei auch explizit von einer metonymischen Assoziation des Zeichens mit vormals kontingenten Hintergrundannahmen seiner Benutzer (in ihrer Terminologie: „SP/ W“, für „speaker/ writer“), die im Zuge des Bedeutungswandels an Prominenz gewinnen und schließ- 8 Dieselbe Metapher einer „Beschilderung“ der Rede mit Warnhinweisen findet sich auch bereits in der Studie von Urmson (1952) zu Markern des Typs I think (Urmson spricht von „parenthetical verbs“), denen eine „READ WITH CARE“-Funktion attestiert wird (ebd., S.-495). Von „sprachlichen Verkehrsschildern“ ist die Rede bei Mosegaard Hansen (1998, S.-199). 9 Moeschler (2016, S.-122) definiert diesen Begriff wie folgt: „Procedural meaning is defined as guiding the processing of conceptual information, whereas conceptual meaning includes information about the representation of entities, for instance objects or events“ (unsere Hervorhebung). <?page no="20"?> Pragmatische Marker 20 lich fest semantisiert werden: „subjectification can be understood as a type of metonymy-association with SP/ W in the strategic course of speaking/ writing“ (Traugott/ Dasher 2002, S.-81). 10 2.2.3 Markerkonzepte Bereits die schiere Flut der Bezeichnungen, die für die anvisierten „Ausdrücke mit besonderen Gesprächsfunktionen“ im Umlauf sind, deutet darauf hin, dass es sich dabei um ein schillerndes Phänomen handelt, das sich etablierten linguistischen Analysekategorien und den ihnen zugeordneten distributionellen Bestimmungsverfahren entzieht: Dér (2010, S.-5) zählt nicht weniger als 42 verschiedene Begriffe allein in der englischsprachigen Literatur zum Thema, und auch in der germanistischen Forschung findet sich eine große Vielfalt teils überlappender, teils aber auch unterschiedlich akzentuierter Bezeichnungen wie etwa „Diskursmarker“, „Gesprächs-/ Diskurspartikel“, „Gliederungssignal“, „Konnektor“, „Operator-Skopus-Struktur“, „Projektorkonstruktion“, „Vor-Vorfeldausdruck“ und „Kommentarphrase/ -satz“, um nur einige der gebräuchlichsten zu nennen. Für jüngere Überblicksdarstellungen verweisen wir auf Blühdorn/ Foolen/ Loureda (2017), Brinton (2010), Fischer (2006a) und Soder (2023). Wir zeichnen die hier anhängige begriffliche Debatte im Folgenden nur insoweit nach, wie es zur Kennzeichnung der von uns verwendeten Begriffe der „pragmatischen Formel“ und des „pragmatischen Markers“-- in dem Verständnis, wie sie in Kapitel-3 bestimmt und operationalisiert werden-- nötig ist. Unser Augenmerk liegt dabei insbesondere auf Implikationen einiger dieser Begriffe, die durch unsere eigene Bezeichnungswahl vermieden werden sollen, um unseren Gegenstandsbereich nicht schon vorab auf eine bestimmte Teilmenge pragmatisch beschreibungsrelevanter Verfestigungen von sagen zu beschränken. Der gängigste der oben gelisteten Begriffe ist ohne Zweifel der des Diskursmarkers, eine Lehnübersetzung der englischen Prägung „discourse marker“, die auf die einflussreichen Arbeiten von Schiffrin (1982, 1987) zu diesem Themenfeld zurückgeht. Wir wählen daher exemplarisch diesen einen Begriff, um die charakteristischen formalen und funktionalen Eigenschaften von Ausdrücken zu erläutern, die damit belegt werden. Da er in der Literatur allerdings nicht einheitlich verwendet wird, sind auch bei Fokus allein auf diesen einen Begriff eine Reihe verschiedener Konzeptionen miteinander zu vergleichen. Beginnend mit der Formseite ist schon bei Schiffrin 10 Als ein Beispiel für semantischen Wandel durch Subjektivierung im lexikalischen Bereich wird etwa die Pejorisierung „boor ‘farmer’ > ‘crude person’“ angeführt (Traugott 1989, S.-34), für Subjektivierung im Zuge grammatischen Wandels dagegen die Entstehung epistemischer Lesarten der englischen Modalverben aus ihren deontischen Quellverwendungen (ebd., S.-35). In beiden Fällen werden subjektive Einschätzungen des Sprechers (evaluativer Art im Fall von boor, evidenziell-epistemischer Art im Fall der Modalverben) im Zuge des Bedeutungswandels zu festen Merkmalen der Konstruktionsbedeutung. <?page no="21"?> Synchrone Perspektiven 21 unklar, inwieweit es sich bei Diskursmarkern um Ausdrücke mit bestimmten (auch positiv) angebbaren Formmerkmalen handelt. Ihre berühmte „Arbeitsdefinition“ der Diskursmarker als „sequentially dependent elements which bracket units of talk“ (Schiffrin 1987, S.-31) legt sich nicht auf eine bestimmte strukturelle Charakterisierung solcher Ausdrücke fest. Was sich allerdings bereits bei Schiffrin findet und sich dann auch durch nahezu alle späteren Definitionen zieht, ist eine formale Bestimmung negativer Art, derzufolge es sich bei Diskursmarkern um syntaktisch (und infolgedessen auch prosodisch, vgl. Abschn.-2.4) desintegrierte Formen handelt. Wie schon der Begriff des „abhängigen Hauptsatzes“ (Auer 1998) illustriert, ist der Übergang von integrierten (wie zum Beispiel overt subordinierenden) zu desintegriertnebengeordneten Strukturen allerdings ein breiter Graubereich, in dem man mit formalen Kriterien allein nicht weiterkommt. Weiterführend wird aus dem Desintegrationsmerkmal in einigen Ansätzen ein Optionalitätskriterium abgeleitet (Aijmer 1997, S.-3; Auer/ Günthner 2005, S.-335; Brinton 2008, S.-241), das andere jedoch ablehnen (Heine 2013, S.-1212). 11 Auch wenn es angesetzt wird, ist „Optionalität“ allerdings kein Merkmal, das etwas über die konkrete formale Gestalt der so charakterisierten Ausdrücke besagen würde. Positive Bestimmungen etwaiger kriterialer Formeigenschaften von Diskursmarkern sind schwieriger zu formulieren. Die Probleme beginnen bereits bei der Frage, um was für einen Typ von Struktur es sich überhaupt handelt. Wie Imo (2012, S.-48) anmerkt, „suggeriert der Begriff Diskursmarker eher eine Wortart“, wohingegen einige der kursierenden Alternativen (wie etwa die der „Operator-Skopus-Struktur“) eher an ein „syntaktisches Muster“ denken ließen. Auch für Blühdorn et al. (2017, S.-5) gehören „Wortförmigkeit“ und „morphologische Einfachheit“ zu den „auffälligen Charakteristika von Diskursmarkern“. Gängige Testverfahren zur Wortartenbestimmung können bei Diskursmarkern aufgrund ihrer syntaktischen Desintegration allerdings nicht greifen. Zudem gibt es unter den Ausdrücken, die in der Regel zur Klasse der Diskursmarker gezählt werden, zwar auch viele Einwort-Einheiten, 12 noch häufiger handelt es sich bei ihren Quellstrukturen allerdings um Syntagmen. Deutlicher noch als im Begriff der „Operator-Skopus-Struktur“ wird das bei Bezeichnungen aus der englischsprachigen Literatur wie etwa „comment clause“ (Quirk et al. 1985, S.-1112-1118; Brinton 2008), „(epistemic) parenthetical“ (Thompson/ Mulac 1991), „parenthetical clause“ (Kaltenböck 2007) bzw. „parenthetical verb“ (Urmson 1952; Schneider/ Glikman/ Avanzi 2015) oder auch „complementing-taking predicate“ (Boye/ Harder 2007; Van Bogaert 2011), die „by virtue of their textual and 11 „[I]t remains frequently unclear what optionality exactly means, whether it stands e. g. for sentencesemantic facultativity, syntactic deletability, or lack of information value. As some empirical studies suggest, text comprehension tends to be delayed or impaired when certain DMs are omitted (see Dér 2010: 14-15 for discussion)“ (ebd.). 12 Hierzu zählen insbesondere vormalig satzintern operierende Konjunktionen und Adverbien, deren Skopus in Diskursmarkerverwendung auf die Ebene von Diskurssegmenten erweitert bzw. angehoben wird. <?page no="22"?> Pragmatische Marker 22 interpersonal (subjective and intersubjective) functions in discourse“ (Brinton 2008, S.- 18) ebenfalls zu den Diskursmarkern gerechnet werden (bzw. sich mit der Diskursmarkerkategorie, je nach Ansatz, mehr oder minder breit überlappen). 13 Einen Vorschlag zur terminologischen Differenzierung strukturell komplexer von einfachen Diskursmarkern stellt Siepmanns (2005) Begriff des „second-level discourse marker“ dar. Bezeichnet werden damit „medium-frequency fixed expressions or collocations composed of two or more printed words acting as a single unit“ (ebd., S.-46). Solange das „structural compacting“ (Tabor/ Traugott 1998, S.- 265) solcher Ausdrücke zum univerbierten Wortzeichen aber noch nicht abgeschlossen ist- - mithin also kein Wortstatus vorliegt-- ist es entsprechend auch nicht sinnvoll, dabei von Elementen einer bestimmten „Wortart“ zu sprechen. Viele indexikalische Verfestigungen erreichen diesen Status auch niemals. Sie lassen sich strukturell insofern allenfalls mit Blick auf ihre interne Syntax charakterisieren, die mit sowohl matrixals auch nebensatzbasierten Strukturen in unterschiedlichen Graden elliptischer Verkürzung ebenfalls recht heterogen ist (vgl. Kap.-8). Definitionen, die sich auch auf die formale Gestalt des Definiendums beziehen, vermeiden daher zumeist die kategoriale Festlegung, dass es sich bei einem Diskursmarker um ein Wort handeln muss. Vager wird stattdessen von formaler Kürze (Gohl/ Günthner 1999, S.-60; Heine 2013, S.-1209; Imo 2012, S.-79) und struktureller Invarianz (Narrog/ Heine 2021, S.-303; Kaltenböck 2007, S.-47; Kaltenböck/ Heine/ Kuteva 2011, S.-871) der betreffenden Ausdrücke gesprochen. 14 Beide Kriterien führen zu einem Ausschluss der meisten der hier untersuchten Verfestigungen des Verbs sagen aus der Diskursmarkerkategorie: Versteht man unter einem „kurzen“ Ausdruck entweder ein einzelnes Wort oder eine (lexikalisierte bzw. lexikalisierende) Kombination zweier Wörter, so trifft dieses Kriterium auf die große Mehrheit der in Kapitel-4 bis 7 untersuchten Verfestigungen nicht zu, da sie formal komplexer sind. Noch selektiver ist das Invarianzkriterium, dessen Ansetzung den Ausschluss beinahe aller im Folgenden untersuchten Ausdrücke zur Folge hätte. Auch wenn der Wortbegriff dabei nicht explizit genannt wird, impliziert dieses Kriterium letztlich auch nichts anderes als einen Fokus auf lexikalische Strukturen: Bei Einschränkung der Diskursmarkerkategorie auf strikt invariante Ausdrücke, die weder intern umstellnoch unterbrechbar sind, verhalten sich die so definierten Einheiten grammatisch betrachtet eben wie ein Wort. Das letzte der postulierten Formkriterien zielt darauf ab, Diskursmarker von anderen Konstruktionen mit besonderen Gesprächsfunktionen aufgrund ihrer Stellungs- 13 Das Zitat von Brinton deutet bereits an, dass letztlich das Indexikalitätskriterium maßgeblich ist und nicht ein bestimmtes morphosyntaktisches Formmerkmal-- siehe unten und vgl. Kapitel-8. 14 Kaltenböck (2007) etwa unterscheidet verfestigte indexikalische Matrixsätze in (vollverfestigte) Diskursmarker und (nur teilverfestigte) „Parentheticals“ (bzw. „reduced parenthetical clauses“). Zu ersteren rechnet er zum Beispiel I mean und you know, zu letzteren dagegen I think, dessen Verfestigung nicht stark genug sei, um der Konstruktion Diskursmarkerstatus zuzusprechen (ebd., S.-47). <?page no="23"?> Synchrone Perspektiven 23 eigenschaften abzugrenzen. Der Begriff des Diskursmarkers wird dann reserviert für Einheiten, die in der linken Peripherie ihrer Bezugsäußerung stehen, sodass auch von sogenannten „Vor-Vorfeldausdrücken“ gesprochen wird (Auer 1997; Thim- Mabrey 1988). Ein Beispiel ist etwa die Darstellung in Imo (2012), die eine eigenständige „Diskursmarker-Konstruktion“ von verwandten indexikalischen Konstruktionen wie der einer „Projektorkonstruktion“ oder einer „Diskurspartikel-Konstruktion“ abgrenzt. Neben der formalen „Kürze“ instanziierender Ausdrücke ist es das linksperiphere Stellungsmerkmal, das dabei als distinktive morphosyntaktische Eigenschaft der Konstruktion „Diskursmarker“ genannt wird. Jüngere Darstellungen sprechen dagegen auch häufig generalisiert von „syntaktische[r] Peripher- oder Parenthesestellung (Desintegriertheit)“ (Blühdorn et al. 2017, S.- 5). Damit wird die Stellungsrestriktion auf das „Vor-Vorfeld“ aufgegeben und gleichzeitig dem Kriterium der syntaktischen Entkopplung untergeordnet, die auch bei anders positionierten Ausdrücken zu beobachten ist. Zusammenfassend gibt es also durchaus Versuche, die Klasse der Diskursmarker auch in formaler (morphosyntaktischer) Hinsicht näher zu bestimmen. Ein breiter Konsens besteht in der Auffassung, dass es sich um Ausdrücke handelt, die nicht in die grammatische Struktur ihrer Bezugsäußerung integriert sind. Schon die Frage, ob sich das in einer auch prosodischen Desintegration des betreffenden Ausdrucks niederschlägt, ist allerdings umstritten (vgl. Abschn.-2.4.3). Dasselbe gilt auch für die Frage der „Optionalität“ entsprechender Ausdrücke, die einerseits nicht den satzsemantischen Gehalt ihrer Bezugsäußerung modifizieren, andererseits aber an den Stellen, an denen sie eingesetzt werden, bestimmte kommunikative Aufgaben erfüllen, die ihren Einsatz motivieren oder gar erfordern. Strukturelle Charakterisierungen verzichten meist auf eine explizite Einschränkung auf Einzelwörter bzw. die Ansetzung einer eigenen Wortart, die aufgrund der angenommenen Desintegration von Diskursmarkern auch schwierig positiv zu bestimmen wäre. Stattdessen werden Kriterien wie „kurz“ und „strukturell invariant“ formuliert, denen allerdings erkennbar derselbe Fokus auf lexikalische Strukturen zugrunde liegt, der hier nur vorsichtiger formuliert wird. Genau wie bei der ebenfalls vorgeschlagenen Einschränkung des Begriffs auf Einheiten in der linken Äußerungsperipherie gilt, dass natürlich nichts dagegen spricht, die Kategorie auf eine bestimmte, auch formal definierte Untermenge indexikalischer Ausdrücke zu beschränken. Festzuhalten ist allerdings, dass die zu diesem Zweck postulierten Kriterien teils vage sind und auch keine allgemeine Einigkeit über sie besteht. „Die meisten Autoren“, so bilanzieren Blühdorn/ Foolen/ Loureda (2017, S.-13) in einem jüngeren Forschungsüberblick, seien sich deshalb auch „weiterhin darüber einig, dass das Konzept des Diskursmarkers im Kern ein funktionales ist“. Damit kommen wir zu den Bedeutungsbzw. Funktionsmerkmalen, die mit dem Diskursmarkerbegriff verbunden werden. Eine Standardannahme ist, dass die syntaktische Desintegration von Diskursmarkern mit ihrer Entkopplung aus der Satzse- <?page no="24"?> Pragmatische Marker 24 mantik einhergeht (bzw. diese anzeigt). Anders formuliert besteht ihre semantische Leistung also nicht in der Modifikation einer bestimmten Konstituente der Bezugsäußerung, da sie in deren propositionale Struktur nicht eingreifen. 15 Der Skopus von Diskursmarkern ist weiter und kann sich auf mehrere Sätze oder auch längere Diskurspassagen erstrecken, die miteinander in Beziehung gesetzt werden. Im Sinne der in Abschnitt- 2.2.2 eingeführten Begrifflichkeit lässt sich diese Relationierung als- „endophorische“ Kontextualisierung der Bezugsäußerung in ihrem Textbzw. Gesprächszusammenhang charakterisieren. Uneinigkeit besteht in der Literatur, ob darüber hinaus auch die Anzeige „exophorischer“ Bezüge- - wie etwa die Anzeige einer bestimmten Einstellung des Sprechers zum dargestellten Gehalt- - zu den Funktionen von Diskursmarkern gerechnet werden sollten oder nicht. Entsprechend ergibt sich auch in funktionaler Hinsicht ein Kontrast zwischen engen und weiteren Auslegungen des Begriffs, den Diewald (2013, S.-22) auf den Begriff zweier „Schulen“ der Diskursmarkerforschung bringt: Auf der einen Seite stehen enge Diskursmarkerkonzeptionen, die sich auf den diskursorganisierenden (und insbesondere textkohäsiven) Funktionsbereich beschränken, auf der anderen Seite weite Auffassungen, die darüber hinaus auch die Anzeige (inter)subjektiver Implikationen einer Äußerung bezüglich bestimmter Einstellungen des Sprechers und/ oder seiner Beziehung zum Adressaten mit einschließen. Ein prominenter Vertreter der engen Konzeption ist Fraser (1999, 2006), der Diskursmarker als Mittel zur Verknüpfung eines folgenden Diskurssegments („S2“) mit einem vorgängigen Segment („S1“) definiert: [Discourse markers] impose a relationship between some aspects of the discourse segment they are a part of, call it S2, and some aspect of a prior discourse segment, call it S1. In other words they function like a two-place relation, one argument lying in the segment they introduce, the other lying in the prior discourse. (Fraser 1999, S.-938) Frasers Begriffsbestimmung unterscheidet sich damit nicht wesentlich von der eingangs zitierten Definition von Schiffrin (1987, S.-31) mit ihrer zentralen Funktion des Zusammenklammerns von Gesprächsbestandteilen („Bracketing“) zur Herstellung von Diskurskohäsion. Anders als es manchmal dargestellt wird, bezieht sich Schiffrins Kohäsionsbegriff allerdings nicht nur auf die lineare und hierarchische Strukturierung von Gesprächsbestandteilen und auf die Steuerung des thematischen Verlaufs. 16 Deutlich wird das an ihrem „model of discourse“ (Schiffrin 1987, S.-25), das fünf „Bereiche“ 17 unterscheidet: 15 Siehe allerdings die Bemerkung zu mitigierenden Verwendungen am Ende dieses Abschnitts. 16 Vgl. auch Lenk (1998, S.- 246) zu „konversationeller Kohärenz“ als interaktionaler Herstellungsleistung, die über textinterne Bezüge hinausgeht. 17 In Schiffrin (1987) spricht sie von „planes“. In Schiffrin (2006) ersetzt sie die Bezeichnung „planes“ durch den Begriff „domains“, um die Implikation einer hierarchischen Ordnung zu vermeiden (Schiffrin 2006, S.-317). <?page no="25"?> Synchrone Perspektiven 25 - den Bereich „ideational structure“, in dem textinhärente Bezüge zwischen Äußerungen hergestellt werden; - den Bereich „action structure“, in dem Handlungen koordiniert werden; - den Bereich „exchange structure“, in dem es um die Organisation des Rederechts geht; - den Bereich „information state“, der die epistemische Koordination zwischen Sprecher und Hörer betrifft; - den Bereich „participation framework“, in dem es um subjektive Positionierungen und die Beziehung zwischen den Gesprächsbeteiligten geht. Die Berücksichtigung der beiden letztgenannten Bereiche zeigt, dass es auch in Schiffrins Konzeption nicht nur um die die textuelle Verknüpfungsanzeige von Inhalten, Handlungen und Äußerungen geht, sondern auch exophorisch-(inter)subjektive Funktionsaspekte ihren Platz im System der „kontextuellen Koordinaten“ (Schiffrin 1987, S.- 315) haben, in denen eine Äußerung durch den Gebrauch von Diskursmarkern situiert wird. Obwohl sich Verfechter des engen Diskursmarkerkonzepts häufig auf Schiffrin und die von ihr postulierte Dachfunktion der Kohäsionsherstellung berufen, bleibt dieser Aspekt ihrer Konzeption dann in der Regel ausgeblendet. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz stellt etwa Redeker (1990) dar, wo Schiffrins Ebenen „information state“ und „participation framework“ explizit aus der Funktionstaxonomie herausgekürzt werden, „as they concern the speaker’s stance“ (ebd., S.-369). Unterschieden wird stattdessen zwischen „ideational markers“ und „markers of pragmatic structure“. Redeker versteht darunter in beiden Fällen adverbiale und konjunktionale Konnektoren (häufig handelt es sich um dieselben lexikalischen Einheiten), die entweder zur Verknüpfung von Propositionen auf Textebene oder zur metasprachlichen Einordnung bzw. Erläuterung der aktuellen Äußerung in ihrem Bezug zum Präkontext verwendet werden (so etwa im Fall von konklusionsmarkierendem so oder evidenzmarkierendem because, vgl. ebd., S.-372). In beiden Fällen geht es um die vertextende Verknüpfung von Diskurssegmenten, die Anzeige von logischer Struktur und Gliederung sowie die Steuerung der thematischen Entfaltung. Nicht als Diskursmarker betrachtet werden in solchen Ansätzen dagegen Äußerungskommentierungen, die als „Abschwächungstechnik“ eingesetzt werden, wie Tiittula (1993, S.-81 f.) den ausgeschlossenen Funktionsbereich charakterisiert. Vielen jüngeren Arbeiten liegt dagegen ein weites Markerkonzept zugrunde, das auch solche Funktionsmerkmale einschließt (vgl. etwa Crible/ Degand 2019; Heine 2023; Lansari 2020; Maschler 2009). Diskursmarker werden hier nicht mehr zwingend wie bei Schiffrin (1987, S.-31) oder Fraser (1999, S.-938) als Einheiten aufgefasst, die zwei Diskurssegmente in eine bestimmte Beziehung zueinander setzen (nämlich ihren Bezugsausdruck S2 und das, wie Fraser schreibt, vorgängige Element S1). Darüber hinaus können sie auch eine bestimmte Beziehung zwischen ihrem Bezugs- <?page no="26"?> Pragmatische Marker 26 ausdruck und dem Sprecher („subjektive“ Markerfunktionen) oder zwischen dem Bezugsausdruck und seiner möglichen Aufnahme durch den Adressaten anzeigen („intersubjektive“ Markerfunktionen). 18 Damit werden auch verschiedene Arten rein „projizierender“ Konstruktionen (ohne Rückbezug auf ein vorgängiges Segment S1) in das Markerkonzept integriert, 19 die entweder eine bestimmte Handlung ankündigen (vgl. Helmer/ Deppermann 2017) oder eine vorausweisende „Verstehensanleitung oder -anweisung“ (Fiehler 1999, S.-170) für folgende Äußerungsbestandteile geben. Als eine besondere Art von „Verstehensanleitung“ (bezüglich eingenommener Positionierungen des Sprechers und deren Verbindlichkeit) lässt sich dabei auch der große Bereich der sprachlichen Geltungsmodalisierung bzw. „Mitigation“ auffassen (Caffi 1999; Fraser 1980; Kaltenböck/ Mihatsch/ Schneider 2010; Schneider 2010), der nicht zuletzt bei Markern mit verba dicendi eine wichtige Rolle spielt (Lansari 2020). 20 Fraser (1980, S.- 341) definiert Mitigation als Modifikation einer Äußerung, die unerwünschte Effekte auf Seiten des Hörers vermeiden soll. Neben einigen weiteren „Strategien“ führt er auch Urmsons Kategorie der „parenthetical verbs“ (schematische Kommentarsätze wie I guess, I feel und I think) als ein typisches formales Mittel zur Mitigation an, deren Effekt darin bestehe, die Identifikation des Sprechers mit der eigenen Äußerung einzuschränken („to reduce commitment“, ebd., S.- 348). Die Modulation der Verbindlichkeit kann allerdings auch in entgegengesetzter Richtung erfolgen. Holmes (1984, S.- 346) unterscheidet daher zwischen-abschwächender („Attenuation“) und bekräftigender Geltungsmodalisierung („Boosting“). 21 Zudem kann sich die reine Geltungsmodalisierung an sich mit weiteren Funktionsaspekten mischen, etwa wenn die herabgestufte Verbindlichkeit einer Festlegung zur Abmilderung einer Gesichtsbedrohung oder zur Anzeige fehlenden (genaueren) Wissens eingesetzt wird. In jedem Fall rücken dabei „subjektive“ und/ oder „intersubjektive“ indexikalische Bedeutungsaspekte in den Fokus, von denen sich die engen Diskursmarkerkonzeptionen gerade explizit absetzen (vgl. den genannten Ausschluss von „Abschwächungstechniken“ in Tiittula 1993, S.-81 f.). 22 18 Vgl. zu diesen Begriffen Kapitel-3 sowie die einleitenden Abschnitte in Kapitel-4 bis 6. 19 Günthner (2008) spricht von „Projektorkonstruktionen“. 20 Bereits Weinreich (1966, S.- 163) charakterisiert die Funktion von „metalinguistischen Operatoren“ (wie beispielsweise strictly speaking und so-called) als „instructions for the loose or strict interpretation of designata“. 21 Lakoff (1973, S.- 471) bezeichnet die beiden Modalisierungsrichtungen in seiner Definition von „Hedges“ als „words whose job is to make things fuzzier or less fuzzy“. 22 Da sich mitigierende Heckenausdrücke in ihrer Distanzierungsfunktion auch auf einzelne Wörter oder Phrasen des Satzes beziehen können, in dem sie auftreten (anstelle der Gesamtprädikation), handelt es sich zumindest in diesen Verwendungen um Modifikatoren, die durchaus Teil der Satzsemantik und nicht von ihr entkoppelt sind. Sofern man linksperiphere und intrasententiale Verwendungen desselben Form-Bedeutungspaars nicht einmal als Diskursmarker und einmal als Adverb werten möchte, ergibt sich an dieser Stelle insofern eine Inkonsistenz mit der Annahme, Diskursmarker seien notwendig semantisch und syntaktisch desintegriert. <?page no="27"?> Synchrone Perspektiven 27 Wie auch schon bei der formseitigen Restriktion auf Ausdrücke mit bestimmten Stellungsmerkmalen besteht ein offensichtlicher Ausweg aus dem Konflikt darin, den Diskursmarkerbegriff für Ausdrücke mit einem bestimmtem Subset indexikalischer Funktionen zu reservieren (nämlich die endophorisch-kohäsionsbezogenen) und für Ausdrücke mit anderen und/ oder zusätzlichen indexikalischen Funktionen auf alternative Begriffe auszuweichen. In diesem Sinne bilden Diskursmarker etwa bei Fraser (1996) nur einen von mehreren Markertypen in einem umfassenderen Modell „pragmatischer Marker“, das auch Ausdrücke mit verschiedenen weiteren indexikalischen Funktionen umfasst. Dieselbe Lösung findet sich auch bei Fedriani/ Sansó (2017), die den Diskursmarkerbegriff auf Mittel zur Kohäsionsherstellung im endophorischen Bereich („textual cohesion“) einschränken und im exophorischen Bereich („domains of social and interpersonal cohesion“) von „pragmatischen Markern“ sprechen (ebd., S.-2; vgl. auch Aijmer/ Simon-Vandenbergen 2006, S.-2). Ein gewichtiges Argument, das sowohl gegen einen engen, rein textkohäsiven Diskursmarkerbegriff für sich allein als auch gegen seine Tradierung im Rahmen solcher Mehrebenen-Modelle spricht, ist die ausgeprägte Polyfunktionalität der betreffenden Ausdrücke. Wie unsere interaktionslinguistischen Fallstudien in Kapitel-4 bis 7 illustrieren werden, fallen verstehenslenkende Funktionen auf endo- und exophorischer Ebene sehr häufig zusammen bzw. verbinden sich zu charakteristischen Verwendungsmustern eines Ausdrucks, die verschiedene dieser Funktionsaspekte zugleich aufweisen. Beispielsweise können Ausdrücke, die einen Themenwechsel oder eine Digression markieren, je nach Kontext und Form auch gleich eine Entschuldigung für den damit vollzogenen Schritt (und die mit ihm verbundene Zumutung für den Adressaten) mitkommunizieren. 23 Ein anderes Beispiel ist der Zusammenhang von Handlungsprojektion und Modalisierung, den Schiffrin (1980) am Beispiel des Disclaimers I hate to say herausarbeitet. Die Form wirkt diskursstrukturierend, indem sie eine bevorstehende dispräferierte Handlung ankündigt, markiert jedoch gleichzeitig das Bewusstsein des Sprechers für die damit verbundene Facebedrohung und schwächt sie eben dadurch ab (ebd., S.- 227-229). 24 Überlappungen dieser Art sind allgegenwärtig und ließen sich problemlos mit zahlreichen weiteren Beispielen aus der Literatur veranschaulichen. Abgesehen davon erscheint uns der Begriff des Diskursmarkers mit seinen auch anderweitig restriktiveren Auslegungsoptionen auch noch in weiteren Hinsichten ungeeignet für unsere Zwecke. Deutlich wird das bereits bei einem Blick auf die folgende Minimaldefinition von Narrog/ Heine (2021, S.-303), die bis auf ihren weiten Funktionszuschnitt nur Merkmale beinhaltet, über die weitgehende Einigkeit in der Literatur besteht: 23 Brown/ Levinson (1978, S.-173) bezeichnen solche mehrfunktionalen Marker als „relevance hedges“. 24 Für den dahinterstehenden Mechanismus der Entschärfung durch Benennung vgl. Abschnitt-2.5. <?page no="28"?> Pragmatische Marker 28 Discourse markers are: (a) invariable expressions which are (b) syntactically independent from their environment, (c) typically set off prosodically from the rest of the utterance, and (d) their function is metatextual, relating an utterance to the situation of discourse, that is, to the organization of texts, speaker-hearer interaction, and/ or the attitudes of the speaker. Von diesen vier Merkmalen betrachten wir nur das letzte- - Indexikalität in einem weiten Verständnis des Begriffs-- als maßgeblich für die Auswahl unserer Zielstrukturen. Wie sich erweisen wird, sind viele der in Kapitel-4 bis 7 untersuchten Ausdrücke gerade nicht strukturell invariant, und es sind auch nicht alle syntaktisch unabhängig von ihrem Kontext. Ebenso halten wir ihre prosodische Unabhängigkeit vom Rest der Äußerung für eine empirische Frage und nicht für ein geeignetes Kriterium, um über die Berücksichtigung eines Ausdrucks in der Untersuchung zu entscheiden. Mögliche noch striktere Anforderungen an Untersuchungskandidaten wie eine Einschränkung auf „Vor-Vorfeldelemente“ oder (vermeintlich) rein textkohäsive Funktionen lehnen wir umso mehr ab, um unsere Untersuchung nicht von vorneherein auf einen bestimmten Teil des relevanten Phänomenbereichs zu limitieren. Da unser Interesse an pragmatisch beschreibungsrelevanten Verfestigungen des Verbs sagen somit mehr umfasst, als es der in der Literatur gängigste Begriff für solche Verfestigungen hergibt, wird auf den Begriff des Diskursmarkers im Rahmen dieser Studie verzichtet. Wir verwenden stattdessen die funktional inklusiveren Begriffe der (nur teilverfestigten) „pragmatischen Formel“ sowie des auf eine bestimmte lexikalische Konvergenzform reduzierten „pragmatischen Markers“. Wie in Kapitel- 3 noch ausführlicher darzulegen sein wird, gehen wir auch nicht von einer strikten Gegenüberstellung von „Formeln“ einerseits und „Markern“ andererseits aus, sondern betrachten diese Begriffe als Bezeichnungen für unterschiedliche Realisierungsvarianten einer zugrundeliegenden Konstruktion mit besonderer Gesprächsfunktion. Unbeschadet dieser Annahme einer prinzipiellen Koexistenz von „Formel-“ und „Markerrealisierungen“ ein und derselben Einheit kann es natürlich sein, dass bestimmte individuelle Konstruktionen (noch) keine emergente Konvergenz auf eine bestimmte lexikalische Kurzform erkennen lassen und mithin nur als Formel in Erscheinung treten. Umgekehrt kann es auch sein, dass sie bereits so stark verfestigt sind, dass sich keine freien syntaktischen Realisierungvarianten mehr finden und die Konstruktion allein als invarianter Marker in Erscheinung tritt. Diese beiden Optionen sind aber nur die Extrema eines Kontinuums, denn beinahe alle der im Folgenden inventarisierten Ausdrücke sind einerseits zwar abwandel-, umstell- und erweiterbar, lassen andererseits aber doch eine mehr oder minder starke Präferenz für eine bestimmte formale Realisierungsvariante erkennen. Wir verstehen das Verhältnis von Formel und Marker somit als Erscheinungsform der Dialektik von analytischen und synthetischen Zugriffsmöglichkeiten auf die betreffenden Strukturen. Dass sich deren relative Prävalenz im Laufe der Zeit verschieben kann, und dass dieser Prozess auch nur in eine <?page no="29"?> Diachrone Perspektiven 29 Richtung abläuft (nämlich von der Formel vom Marker), ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. 2.3 Diachrone Perspektiven Ähnlich vielfältig wie die Bezeichnungen, die für unsere Zielstrukturen im Umlauf sind, sind auch die Prozesse, auf die ihre Entstehung und weitere diachrone Entwicklung zurückgeführt wird. Viele Studien sprechen von Grammatikalisierung (Brinton 1996; Traugott 1995), manche aber auch von Lexikalisierung (Fischer 2007; Schiffrin 1987). Wieder andere setzen einen ganz eigenen Wandeltyp dafür an, der dann als Pragmatikalisierung bezeichnet wird (Aijmer 1997; Frank-Job 2006). Eine weitere, vergleichsweise junge Hinzufügung zum terminologischen Spektrum ist der Begriff der Kooptation (Heine 2013; Heine/ Kaltenböck 2021). Quer zu diesen vier Konzepten liegen die Begriffe der Univerbierung und der Konstruktionalisierung, die ebenfalls mit der Entstehung pragmatischer Marker in Verbindung gebracht worden sind (Günthner 2017; Traugott 2022). Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen, an denen sich die theoretischen Kontroversen um diese Begriffe entzündet haben. Zudem erläutern wir, welche davon wir im späteren Verlauf der Untersuchung selbst verwenden, was genau wir darunter verstehen und wie wir sie in den empirischen Analysen operationalisieren. Zentraler Bezugspunkt sowohl unserer eigenen Darstellung als auch der Diskussion in der Literatur ist das Konzept der Grammatikalisierung, das wir zum Ausgangspunkt unserer Darstellung machen (Abschn.-2.3.1). Als zweites betrachten wir den Begriff der Lexikalisierung (Abschn.-2.3.2). In beiden Abschnitten mitbehandelt wird der Prozess der Univerbierung, der sowohl im Rahmen von Grammatikalisierung als auch von Lexikalisierung auftreten kann. Alle drei Konzepte spielen eine wichtige Rolle für unsere Analyse pragmatischer Marker mit sagen. Die Begriffe der Pragmatikalisierung, der Kooptation und der Konstruktionalisierung verwenden wir in unseren eigenen Analysen hingegen nicht. Wir stellen sie in Abschnitt- 2.3.3 jedoch ebenfalls vor und erläutern die Gründe, aus denen wir auf sie verzichten. 2.3.1 Grammatikalisierung Grammatikalisierung ist die Entstehung grammatischer Zeichen aus lexikalischen Zeichen sowie die Entstehung stärker grammatischer Zeichen aus weniger grammmatischen Zeichen (Kuryłowicz 1965, S.-69; Hopper/ Traugott 1993, S.-2). Ersteres wird in einigen Ansätzen als „primäre Grammatikalisierung“ bezeichnet, letzteres als „sekundäre Grammatikalisierung“ (Givón 1991, S.- 305; Traugott 2002, S.- 26 f.; für eine Diskussion speziell „sekundärer Grammatikalisierung“ vgl. Breban 2014). In allen aktuellen Ansätzen wird davon ausgegangen, dass Grammatikalisierung an spezifische Konstruktionskontexte gebunden ist. Das bedeutet, dass das grammatikalisierende Element nicht überall, sondern nur in bestimmten syntagmati- <?page no="30"?> Pragmatische Marker 30 schen Umgebungen von dem in Frage stehenden Wandel betroffen ist (sodass es präziser gesagt eigentlich bestimmte Konstruktionen sind, in denen die Zielform auftritt, die in einen Grammatikalisierungsprozess eintreten). Einigkeit besteht auch darin, dass es sich dabei nicht um einen bestimmten einzelnen, individuell beschreibbaren Wandelprozess handelt, sondern um ein komplexes, syndromartiges Zusammenwirken verschiedener Veränderungen auf unterschiedlichen linguistischen Beschreibungsebenen. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, was unter der Zielkategorie der „Grammatik“ bzw. des „grammatischen Zeichens“ überhaupt genau zu verstehen ist, und womit diese Begriffe kontrastieren. Die unübersichtliche terminologische Gemengelage in diesem Bereich hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass speziell diese Frage in der Literatur unterschiedlich beantwortet wird. Einigkeit besteht darin, dass es sich bei „±grammatisch“ um ein gradientes Merkmal und bei entsprechenden Einstufungen um einen relativen Wert handelt. Die Verortung eines Zeichens auf einer Skala von nicht über wenig zu stark und schließlich völlig grammatisch impliziert damit also stets einen bestimmten Vergleich- - sei es zu einem anderen Zeichen oder auch zu einer anderen (jüngeren oder älteren) Variante seiner selbst, die in anderen Kontexten andere Funktionen realisiert und anderen Verwendungsrestriktionen unterliegt. Einigkeit besteht wie erwähnt auch in der Überzeugung, dass sich die grammatische Natur eines Zeichens an einem Zusammenwirken von Merkmalen auf mehreren verschiedenen Ebenen festmachen lässt. Keinen Konsens gibt es dagegen in der Frage, um genau welche Merkmale es sich dabei handelt, und was genau demzufolge in den Gegenstandsbereich der Grammatik gehört. Uneinigkeit besteht auch darüber, welche weiteren sprachlichen „Gegenstandsbereiche“ neben der Grammatik noch anzusetzen sind (und entsprechend wieviele eigenständige Prozesse, die diese Bereiche speisen). Wir steigen in die Diskussion mit einem kurzen Vergleich der Darstellungen in Lehmann (2015), Heine/ Kuteva (2007) und Diewald (2011) ein. Der vermutlich bekannteste Ansatz im Rahmen der Grammatikalisierungsforschung ist das sogenannte „Parametermodell“ von Lehmann (2015). Ausschlaggebendes Kriterium ist hier die Autonomie eines Zeichens, die bei (stärker) grammatischen Zeichen geringer ausgeprägt ist als bei (stärker) lexikalischen Zeichen (mit denen grammatische Zeichen kontrastieren). Als Indikatoren für den Grad der Autonomie eines Zeichens betrachtet Lehmann sein Gewicht, seine Kohäsion und seine Variabilität. Alle drei Aspekte haben jeweils eine paradigmatische und eine syntagmatische Dimension, sodass sich insgesamt sechs „Grammatikalisierungsparameter“ ergeben: - Integrität: Paradigmatischer Gewichtsparameter. Zunehmende Grammatikalisierung führt zu einem Verlust an Integrität, was sich bedeutungsseitig in „semantischer Ausbleichung“ und formseitig in „phonetischer Erosion“ niederschlägt (ebd., S.-134-141). <?page no="31"?> Diachrone Perspektiven 31 - Struktureller Skopus: Syntagmatischer Gewichtsparameter. Zunehmende Grammatikalisierung führt in Lehmanns Modell zur Verringerung des strukturellen Skopus eines Zeichens, die als „condensation of a construction by a degradation to a lower level of constituent structure“ charakterisiert wird (ebd., S.-156). Lehmann versteht unter dem „strukturellen Skopus“ eines Zeichens den morphosyntaktischen Umfang der Konstruktion (auf Konstituentenebene), zu deren Bildung es beiträgt. Explizit nicht gemeint ist der „semantische Skopus“ des Zeichens als dasjenige, worüber das Element als Operator operiert. Diese ungewöhnliche Verwendung des Skopusbegriffs hat zu zahlreichen Missverständnissen geführt, die insbesondere die Debatte um die Anwendbarkeit des Grammatikalisierungsbegriffs auf die Entstehung von Diskursmarkern befeuert haben (vgl. Narrog/ Heine 2021, S.-44 f.). In Ansätzen, die den üblichen (semantischen) Skopusbegriff verwenden, wird demgegenüber davon ausgegangen, dass sich der Skopus einer grammatikalisierenden Konstruktion erweitert und nicht verringert. - Paradigmatizität: Paradigmatischer Kohäsionsparameter. Zunehmende Grammatikalisierung führt zu zunehmender paradigmatischer Integration. Paradigmatische Integration ist die Einbindung einer gegebenen Zielkategorie in eine bestimmte Oberkategorie, die sich als überwölbendes Paradigma auffassen lässt. Zunehmende Integration bedeutet eine Stärkung des inneren Zusammenhalts des betreffenden Paradigmas als geschlossenes Ganzes (durch klar definierte interne Oppositions- und Komplementaritätsbeziehungen). Nicht oder nur schwach grammatikalisierte Zeichen sind in loseren Verbünden größeren Umfangs organisiert als stärker grammatikalisierte Zeichen, die geschlossene Klassen mit vergleichsweise wenigen Elementen bilden (Lehmann 2015, S.-141-146). - Fügungsenge („bondedness“): Syntagmatischer Kohäsionsparameter. Zunehmende Grammatikalisierung geht mit zunehmender Fügungsenge einher. Lehmann bezeichnet den dabei ablaufenden Vorgang als Verschmelzung („coalescence“). Lehmann diskutiert im Zusammenhang mit zunehmender Fügungsenge auch den Begriff der Univerbierung, obwohl der dadurch bezeichnete Prozess eines „welding of a syntagm into one word“ (ebd., S.- 160) nicht spezifisch für Grammatikalisierungsprozesse ist (siehe Abschn.-2.3.2). - Paradigmatische Variabilität: Paradigmatischer Variabilitätsparameter. Zunehmende Grammatikalisierung führt zu einer Abnahme von paradigmatischer Variabilität, oder andersherum formuliert: zu einer Zunahme an Obligatorik. Bei stärker grammatikalisierten Kategorien gibt es weniger bis schließlich gar keine Freiheiten mehr bezüglich der Entscheidung, ob im gegebenen Kontext ein bestimmter Wert des Paradigmas anstelle eines anderen gewählt werden kann. Ebenso gibt es weniger bis schließlich gar keine Freiheiten mehr bezüglich der Frage, ob die entsprechende Kategorie überhaupt ausgedrückt werden muss oder nicht (ebd., S.-146-152). <?page no="32"?> Pragmatische Marker 32 - Syntagmatische Variabilität: Syntagmatischer Variabilitätsparameter. Zunehmende Grammatikalisierung führt zu einer Abnahme von syntagmatischer Variabilität im Sinne von positioneller Verschiebbarkeit (ebd., S.-167-170). Bei zunehmender Fixierung eines grammatikalisierenden Zeichens auf eine Position adjazent zu seinem lexikalischen Bezugsausdruck berührt sich abnehmende syntagmatische Variabilität mit zunehmender syntagmatischer Fügungsenge (siehe oben) bzw. wird als Folge der diesem Parameter zugerechneten Verschmelzungstendenz gesehen. Abnehmende syntagmatische Variabilität ist jedoch auch bei Fixierungseffekten innerhalb größerer Konstruktionen zu beobachten, in deren Rahmen morphophonologische Zusammenrückungs- und Fusionsprozesse keine Rolle spielen. Nicht jeder Grammatikalisierungsprozess schlägt sich in allen sechs Hinsichten zugleich nieder. Umgekehrt lässt sich aber sagen, dass ein Zeichen, das Autonomieverluste in allen sechs Dimensionen aufweist, bereits recht stark grammatikalisiert ist. Konstruktionen, bei denen das nicht der Fall ist, sind insofern nicht notwendigerweise nicht grammatikalisiert, sondern ggf. erst relativ schwach, sodass sich Reflexe ihrer Veränderung nur in einigen der genannten Hinsichten zeigen, in anderen jedoch (noch) nicht (und möglicherweise auch später nie). Gegenüber Lehmanns sechs Parametern setzen Heine/ Kuteva (2007, S.- 33-53) nur vier Bestandteile von Grammatikalisierungsprozessen an. Sie betreffen sowohl unterschiedliche linguistische Beschreibungsebenen als auch unterschiedliche Stadien des Vorgangs. Postuliert werden folgende Komponenten: - Extension: Die Ausweitung des Verwendungsspektrums einer Konstruktion. Extension umfasst sowohl die Propagierung einer Innovation durch die Sprachgemeinschaft (Übersprung auf neue Sprecher und Gebrauchsereignisse) als auch ihre Übertragung auf neuartige sprachliche Anwendungsbereiche (Übersprung auf neue grammatische Kontexte). Letztere wird durch die kontextgesteuerte Reinterpretation von Konstruktionsbedeutungen getrieben bzw. ermöglicht, weshalb der Extensionsaspekt von Grammatikalisierungsprozessen der Ebene der Pragmatik zugeordnet wird. Grammatikalisierung vollzieht sich nach dem Modell von Heine (2002) im Durchlauf einer bestimmten Abfolge von Kontexten: Ihren Ausgang nimmt sie in einem Quellkontext, in dem die alte Bedeutung der grammatikalisierenden Konstruktion vorliegt. Von hier aus kommt es zu einer Ausdehnung auf sogenannte Brückenkontexte („bridging contexts“), in denen eine bestimmte neue Interpretation der betreffenden Struktur als Implikatur angelegt ist. Die dritte Stufe bilden Kippkontexte („switch contexts“), die nur noch mit der neuen Interpetation und nicht länger mit der Quellbedeutung der Struktur kompatibel sind. In einer vierten Phase („conventionalization“) gewinnt die neue Verwendung an Gebräuchlichkeit und kann die ältere Verwendung dabei auch völlig verdrängen (muss das aber nicht-- es können auch beide Varianten <?page no="33"?> Diachrone Perspektiven 33 nebeneinander existieren). 25 Extension ist von Anfang an an Grammatikalisierungsprozessen beteiligt und tritt nicht erst zu einem bestimmten späteren Stadium in Erscheinung. - Desemantisierung: Der Verlust bzw. die Abstraktion („Ausbleichung“) von lexikalischen Bedeutungsmerkmalen des grammatikalisierenden Zeichens. Relevante Ebene ist die Semantik. Desemantisierung wird durch Extension ausgelöst und ist ihr insofern nachgeordnet. - Dekategorisierung („decategorialization“): 26 Der Verlust kategorialer Merkmale, die für die lexikalische (bzw. weniger grammatische) Ausgangsform konstitutiv sind, und der damit verbundene Wechsel in eine andere (stärker grammatische) Zeichenklasse, der das Element zuvor nicht angehörte. Dekategorisierung betrifft die Beschreibungsebene der Morphosyntax und kann sich an Prozesse der Extension und der Desemantisierung anschließen. - Erosion: Der Verlust an lautlicher Substanz. Erosion betrifft die Ebene der Phonologie und tritt nach Darstellung der Autoren typischerweise erst zu einem späten Stadium des Grammatikalisierungsprozesses in Erscheinung (sofern sie überhaupt zu beobachten ist). 27 25 Weitere einflussreiche Typisierungen von Kontexten und deren Erweiterung im Rahmen von Grammatikalisierungsprozessen sind die Modelle von Diewald (2002, 2006) und Himmelmann (2004). Heines Modell ähnelt insbesondere dem von Diewald, er selbst setzt in Heine (2002) seine „bridging contexts“ im Wesentlichen mit Diewalds „kritischen Kontexten“ sowie seine „switch contexts“ mit ihren „isolierenden Kontexten“ gleich. Ein Unterschied zwischen beiden Modellen ist, dass Heine mit seiner Stufe 4 („conventionalization“) noch ein Stadium nach dem switch context/ isolierenden Kontext ansetzt, Diewald mit ihren „untypischen Kontexten“ hingegen umgekehrt eines noch vor dem bridging context/ kritischen Kontext. Für spätere Weiterentwicklungen des Modells von Diewald vgl. Diewald (2009, 2020) und Diewald/ Smirnova (2012). Himmelmanns Modell unterscheidet zwischen „host class expansion“ (konstruktionsinterne Ausweitung der Klasse möglicher Bezugselemente eines grammatikalisierenden Zeichens), „syntactic context expansion“ (Erweiterung der externen syntaktischen Kontexte, in denen die grammatikalisierende Konstruktion im Ganzen gebraucht wird) und „semantic-pragmatic expansion“ (Generalisierung der semantisch-pragmatischen Kontexte, in denen die Konstruktion verwendet werden kann). Radikaler als bei Heine/ Kuteva (2007) wird „expansion“ zum zentralen Bestimmungsmerkmal von Grammatikalisierung gemacht und „semantic-pragmatic expansion“ zu deren wichtigster Variante: „analyzing a given instance of change as an instance of grammaticization presupposes that it is possible to show that the semantic-pragmatic usage contexts of the construction at hand have been expanded. Often, but not necessarily, it will be possible to show that semantic-pragmatic context expansion is accompanied by syntactic context and host-class expansion“ (Himmelmann 2004, S.-33). 26 Die verbreitete Bildung zu einer adjektivischen Basis (-ial) erscheint uns irreführend, da betreffende Einheiten nicht in einer wie auch immer zu verstehenden Weise „dekategorial“ werden, sondern lediglich ihre spezifische Ausgangskategorie verlassen und in eine neue überwechseln. Wir übersetzen „decategorialisation“ daher mit „Dekategorisierung“ (an die sich eigentlich jedoch auch gleich eine bestimmte Rekategorisierung anschließt). 27 Diese Generalisierung betrifft das Stadium eines obligatorischen Segmententfalls. Wie wir in unseren phonetischen Fallstudien sehen werden, sind quantitative Erosionstendenzen einer Zielform gegen- <?page no="34"?> Pragmatische Marker 34 Bei Diewald (2011) werden sogar nur drei zentrale Charakteristika grammatischer Ausdrucksmittel genannt: - Obligatorik: Die Notwendigkeit, eine bestimmte grammatische Kategorie im Rahmen einer Äußerung zu instanziieren (anstelle eine entsprechende Festlegung in der gewählten Formulierung zu umgehen). Zunehmende Grammatikalisierung führt zu zunehmender Obligatorik. Unterschieden wird dabei zwischen struktureller und kommunikativer Obligatorik. Strukturelle Obligatorik ist das Produkt sprachspezifischer Regeln. Ein Beispiel im Deutschen ist etwa die Markierung von Kongruenz zwischen Subjekt und finitem Verb (bezüglich Numerus und Person) oder zwischen Nomen und Determinierer (bezüglich Kasus, Numerus und Genus). Bei strukturell obligatorischen Kategorien besteht keinerlei sprachlicher Entscheidungsspielraum, sofern eine grammatisch korrekte Äußerung produziert werden soll: Ihre Instanziierung ist durch eine Regel vorgeschrieben, und sie kann auch nicht nach Belieben erfolgen, sondern muss so umgesetzt werden, wie es die Grammatik für die gegebene Konfiguration vorsieht. Dagegen ist kommunikative Obligatorik ein Merkmal von Kategorien, die eine konkrete Auswahl aus dem zu instanziierenden Paradigma nicht vorgeben. Ein Beispiel ist etwa die Entscheidung für eine bestimmte verbale Diathesekategorie wie das Aktiv oder verschiedene Passive und andere Konversen, um eine Verbalprädikation zu formulieren. Die zu treffende Auswahl lässt sich in beiden Fällen als Konditionalbeziehung paraphrasieren („wenn Form x, dann Form y“ bzw. „wenn Intention x, dann Form y“). Obligatorik ist ein gradueller Wert, dessen Spanne von „ausnahmslos immer vorgeschrieben“ zu „allein in sehr speziellen Kontexten erforderlich“ reicht. - Paradigmatizität: Der Grad der Eingebundenheit eines Zeichens in ein kohäsives Paradigma oppositiver Werte. Zunehmende Grammatikalisierung führt zu zunehmend festerer Einbindung in ein zunehmend engeres Spektrum paradigmatischer Alternativen. Ein Wechsel von einer offenen, lexikalischen in eine geschlossene(re), grammatische(re) Kategorie markiert insofern eine Zunahme an Paradigmatizität bzw. die stärkere „Paradigmatisierung“ eines Zeichens. 28 Wie Obligatorik ist auch Paradigmatizität ein graduelles Merkmal. Nicht nur über nicht-grammatikalisierenden Vergleichsformen aber durchaus auch schon in frühen, noch nicht sehr weit gediehenen Grammatikalisierungsprozessen zu beobachten (vgl. Abschn.-2.4). 28 An anderer Stelle (Diewald/ Smirnova 2012, S.-131) wird der Prozess der Paradigmatisierung als „the establishment of paradigmatic relations between constructions with the result of a new paradigm (a new type of construction)“ charakterisiert, sowie als „a continuous process which is in itself a gradual development. While at the beginning of a process of the [sic] paradigmatic integration, there are typically formally inhomogeneous paradigms with relatively high numbers of members and relatively rich, overlapping, non-distinctive semantic features, moving towards the end the members become more homogeneous formally and at the same time more distinctive semantically. The smaller the paradigm, the more distinct the semantic contrast between its members and the more dominant the grammatical function“. <?page no="35"?> Diachrone Perspektiven 35 sind typisch lexikalische Kategorien (wie Substantive und Verben) und typisch grammatische Kategorien (wie Präpositionen und Konjunktionen) unterschiedlich umfangreich und ihre Mitglieder unterschiedlich eng aufeinander bezogen, sondern es bestehen auch innerhalb des grammatischen Zeichenspektrums ausgeprägte Unterschiede in dieser Hinsicht. - Indexikalität: Die relationale Bedeutung grammatischer Zeichen (vgl. Abschn. 2.2.2). Dieses Merkmal wird als geteilter Funktionskern („common core“) aller grammatischen Kategorien bezeichnet: „a grammatical sign establishes a link between the linguistic element it modifies and some other entity (typically the deictic origo or one of its ‘derivatives’)“ (Diewald 2011, S.- 369). 29 Typischer Bezugspunkt der grammatischen Relationierung ist die deiktische Origo, d. h. der Sprecher mit seiner zum aktuellen Sprechzeitpunkt in der gegenwärtigen Sprechsituation formulierten Äußerung. Die grammatisch markierte Relation dient zur Verankerung eines dargestellten Gehalts in Bezug auf diesen Referenzpunkt (vgl. etwa die Tempusmarkierung eines finiten Verbs). Neben solchen im direkten Sinne deiktischen Relationierungen manifestiert sich die Indexikalität grammatischer Zeichen auch in abstrakten, davon abgeleiteten Bezugnahmen. In solchen Fällen wird die Bindung eines Zeichens an die deiktische Origo übertragen auf eine Bindung an einen seinerseits sprachlichen Bezugspunkt auf entweder syntagmatischer oder paradigmatischer Ebene. Als Beispiel nennt Diewald Konjunktionen, die ihren Bezugsausdruck phorisch auf ein syntagmatisch vorangehendes oder folgendes, d. h. früher oder später realisiertes Element beziehen, und zwar im Rahmen der jeweils konjunktionsspezifischen Relation (temporal, adversativ, kausal etc.). Wie in deiktischen Bezügen ist ihre Funktion somit relational bzw. indexikalisch, da sie ihrem Bezugsausdruck einen bestimmten semantischen Wert relativ zu einem weiteren Element zuweisen (als ein demgegenüber späteres, dazu widersprüchliches, dadurch bedingtes etc.) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Lehmann und Diewald auf eine Bestimmung von Merkmalen grammatischer Zeichen abzielen, Heine und Kuteva dagegen auf die an der Entwicklung solcher Zeichen beteiligten Wandelprozesse auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. 30 Beide Perspektiven lassen sich aber aufeinander 29 Eine ähnliche Bestimmung findet sich bei Narrog/ Heine (2021, S.- 3): „Grammatical meanings are typically abstract, procedural, and non-autonomous, that is, they gain their significance only in conjunction with words that carry specific content, and often serve to organize speech or relate words to each other.“ 30 Auch Lehmann behandelt die Frage, wie die Wandelprozesse, die seine sechs Parameter betreffen, am geeignetsten zu bezeichnen sind (siehe etwa die Anmerkungen zu „semantischer Ausbleichung“ und „Verschmelzung“ weiter oben im Text). Klassifikationsleitende Oberbegriffe sind bei ihm jedoch die Parameter als Merkmale, die verschiedene Aspekte von Unselbstständigkeit anzeigen, und nicht die mit diesen Merkmalen verbundenen Prozesse. Vgl. auch Traugott (2022, S.-86 f.): „Lehmann proposes 6 parameters of grammaticalization (Lehmann 2015[1995]: 174) (“grammaticality” would be a better name for them as the parameters are synchronic).“ <?page no="36"?> Pragmatische Marker 36 beziehen. So führt eine immer weiter voranschreitende „Extension“ im Sinne Heine- und Kutevas (hier verstanden als host class expansion im Sinne von Himmelmann- 2004) zu abnehmender „paradigmatischer Variabilität“ im Sinne Lehmanns bzw. zunehmender „Obligatorik“ im Sinne Diewalds. Die denotative „Desemantisierung“ eines Zeichens ist kein reiner Verlust an semantischer „Integrität“ (Lehmann), sondern führt-- wie in einem System kommunizierender Röhren-- zu einer gleichzeitigen Steigerung seiner „Indexikalität“ (Diewald) im Zuge seiner funktionalen Resemantisierung als grammatischer Relator. Ebenso geht die morphosyntaktische „Dekategorisierung“ eines Zeichens unweigerlich mit seinem Wechsel in ein neues Paradigma grammatischer Konstruktionen einher, 31 das fester gefügt ist als dasjenige, dem die Quellform entstammt („Verlust an paradigmatischer Variabilität“, „Paradigmatisierung“). Und die phonetische „Erosion“ eines Zeichens schließlich äußert sich zunächst in zunehmender „Fügungsenge“ der beteiligten Komponenten und schließlich in einem Verlust an phonetischer „Integrität“, wie es bei Lehmann heißt. Trotz der unterschiedlichen Begriffe und Perspektiven sind die inhaltlichen Überlappungen zwischen den drei Ansätzen also substanziell. Wir werden daher in unserer eigenen Darstellung auf Begriffe für Merkmale und Teilprozesse aus allen drei Ansätzen zurückgreifen, wo immer uns der Begriff für einen bestimmten Teilprozess (Heine und Kuteva, Lehmann) bzw. ein bestimmtes Merkmal (Lehmann, Diewald) aus einer der drei Konzeptionen am geeignetsten erscheint. Damit ist noch nicht gesagt, dass die in Kapitel-4-7 untersuchten Formeln und Marker (oder zumindest bestimmte dieser Einheiten) unter dem Strich tatsächlich als Grammatikalisierungserscheinungen zu betrachten sind. Mit unserem Fokus auf Einheiten mit besonderen Gesprächsfunktionen-- ein Begriff, dem wir uns in Kapitel- 3 noch eingehender widmen werden- - ist zunächst einmal nur klar, dass das Kriterium der Indexikalität bzw. relationalen Bedeutung für die hier betrachteten Verfestigungen erfüllt sein muss. Genau wie einige andere der oben angeführten Kriterien ist dieses Merkmal allerdings auch mit einigen weiteren Prozessen in Verbindung gebracht worden, die wir in diesem Abschnitt vorstellen. Nötig ist also zunächst eine Klärung, welche Merkmale (oder Merkmalskombinationen) für welchen Wandeltyp distinktiv sind. Erst auf dieser Basis kann im empirischen Teil dann fallspezifisch entschieden und begründet werden, welche Prozesse und Merkmale bei einem gegebenen Zielausdruck vorliegen und welche nicht. Von besonderer Bedeutung ist dafür insbesondere eine Klärung des Verhältnisses von Grammatikalisierung und Lexikalisierung, der wir uns im nächsten Abschnitt zuwenden. 31 Dies zumindest unter der Prämisse, dass Konstruktionen nicht einfach komplett aus der sprachlichen Kategorialität herausfallen und in ein gänzlich unabhängiges System hinübertreten können- - vgl. dazu die Anmerkungen zur Kooptationstheorie weiter unten. <?page no="37"?> Diachrone Perspektiven 37 2.3.2 Lexikalisierung Der Prozess der Lexikalisierung wurde traditionell meist so definiert, dass er als das genaue Gegenteil von Grammatikalisierung aufgefasst werden konnte. Da sich Grammatikalisierung und Lexikalisierung allerdings auch in bestimmten Hinsichten überschneiden, hat diese Gegenüberstellung für einige Verwirrung gesorgt (vgl. etwa den in Brinton/ Traugott 2005, S.-63-68 gegebenen Überblick über Phänomene, die in der Literatur mal als Fall von Grammatikalisierung, mal als Fall von Lexikalisierung und mal als Interaktion von beiden Prozessen analysiert worden sind). Eine solche traditionelle Definition ist etwa die folgende: „‚Lexikalisierung‘ nennt man den Prozess, der darin besteht, daß sprachliche Ausdrücke Teil des Lexikons werden“ (Keller 1995, S.- 219). Was es bedeutet, „Teil des Lexikons zu werden“, ist der folgenden etwas ausführlicheren Definition zu entnehmen: Lexikalisierung ist die Überführung eines ehemals nach Regeln gebildeten Sprachzeichens ins Inventar des Sprachsystems. Der Prozeß beginnt damit, daß neben dem analytischen der ganzheitliche Zugriff auf das Zeichen ermöglicht wird. Er endet damit, daß die Bildung des Zeichens den Regeln entzogen und der analytische Zugriff somit unmöglich wird. (Lehmann/ Stolz 1992, S.-41) In der Begrifflichkeit traditioneller „Wort-Satz-Grammatiken“ (Welke 2019, S.- 15- 22) besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem Lexikon (als dem Repositorium von Morphemen, Wörtern und Idiomen) und der Grammatik einer Sprache (als dem System der Regeln, die über die Einheiten des Lexikons operieren). Betrachtet man Grammatik und Lexikon in diesem Sinne als zwei grundverschiedene, da miteinander komplementäre Dinge, sind auch „Grammatikalisierung“ und „Lexikalisierung“ Prozesse, die in entgegengesetzte Richtungen verlaufen: Grammatikalisierung überführt lexikalische Einheiten „in die Grammatik“, Lexikalisierung dagegen grammatische Bildungen „in das Lexikon“. Himmelmann (2004) kritisiert diese von ihm als „box metaphor“ bezeichnete Konzeption als simplistische Modellvorstellung von Sprache, deren Einfachheit zwar intuitiv ansprechend sei, tatsächlich jedoch mehr Klassifikationsprobleme schaffe als löse. 32 Die Alternative ist ein Modell, das „Lexikon“ und „Grammatik“ nicht als getrennte Schubladen betrachtet, zwischen denen die Gesamtheit der sprachlichen Erscheinungen in der einen oder anderen Weise aufzuteilen ist, sondern als einander gegenüberstehende Pole eines Zeichenkontinuums. 33 Konstruktionen, die an einer bestimmten Stelle dieses Kontinuums zu verorten sind, weisen dann eine je spezifi- 32 Das vermutlich prominenteste Problem ist der Umgang mit morphologischer Derivation: Ist die Bildung neuer lexikalischer Einheiten mittels produktiver Regeln etwas, das „im Lexikon“ oder „in der Grammatik“ stattfindet? 33 Algeo (1995, S.- 203) benutzt das Bild eines Kraftfeldes, in dem der Übergang zwischen den beiden Bereichen als „middle of the magnetic field of language“ charakterisiert wird. <?page no="38"?> Pragmatische Marker 38 sche Mischung „lexikalischer“ und „grammatischer“ Eigenschaften auf (die mit Kriterien wie den im letzten Abschnitt genannten zu bestimmen sind). Auch in einer Konzeption, die Grammatikalisierung und Lexikalisierung in diesem Sinne nicht einfach als spiegelbildliche Prozesse betrachtet, ist es möglich und sinnvoll, Lexikalisierung als die Übernahme einer Form in den kodifizierten Zeichenbestand einer Sprache zu definieren. Nur umfasst dieser Bestand eben auch nichtschematische grammatische Zeichen wie etwa Adpositionen, Konjunktionen, Pronomen und Artikel, die als kodifizierte Zeichen sowohl lexikalisiert als auch grammatikalisiert sind. In der stativen Interpretation von Lexikalisierung als Lexikalisiertheit (verstanden als fest auf eine bestimmte Form konvergierte Institutionalisierung eines Ausdrucks) besteht insofern kein Widerspruch zu einem gleichzeitigen Vorliegen von Grammatikalisiertheit im Sinne eines grammatischen Zeichenstatus. Und auch in der dynamischen Lesart der beiden Begriffe bezeichnen sie in mancherlei Hinsicht keine gegenläufigen Tendenzen, sondern können durchaus parallele Entwicklungen einschließen (Brinton/ Traugott 2005, S.- 62-110; Lehmann 2002; Wischer 2000). Zu nennen ist hier insbesondere die durch allgemeine semiotische „Ritualisierung“ (Haiman 1994)-- und damit zunehmende neuromotorische Routinisierung und Automatisierung des Zugriffs auf diese Strukturen (Bybee 2003, 2010, 2011)-- getriebene Tendenz zur Verschmelzung vormals separater Äußerungsbestandteile, die sich gleichermaßen in lexikalischen (zu Ende > zuende, Lexikalisierung) wie in grammatischen Univerbierungen niederschlägt (an dem > am, Grammatikalisierung). 34 Haspelmath (2011) spricht auch bei letzteren von einer „gradual coalescence into ‘words’“ und nennt fünf Indikatoren für zunehmende Fügungsenge in Grammatikalisierungsprozessen: - Verlust an prosodischer Unabhängigkeit - Verlust an positioneller Variabilität bzw. Verschiebbarkeit - Verlust an „Unterbrechbarkeit“ („interruptibility“) - Verlust der Möglichkeit, weiten Skopus über koordinierte Bezugselemente zu entfalten - Ausbildung morphophonologischer Idiosynkrasien Haspelmaths Darstellung bezieht sich auf die Entwicklung von Wörtern zu Klitika und schließlich Affixen. Claridge/ Arnovick (2010, S.- 185) weisen allerdings darauf hin, dass es einen wichtigen Unterschied zwischen Verschmelzungsprozessen dieser Art und solchen im Rahmen der Entwicklung pragmatischer Marker gibt: 34 Vor einem Infinitiv oder Superlativ sind Kontraktionen wie am, beim, im und vom obligatorisch (Lehmann 2015, S.-89). Es handelt sich hier insofen nicht einfach um frei wählbare Varianten der zugrundeliegenden Kombination von Präposition und definitem Artikel, sondern um davon abgeleitete Einheiten mit einer eigenen Distribution. <?page no="39"?> Diachrone Perspektiven 39 Coalescence was mentioned above as occurring in pragmatic changes, but not in the same sense that it occurs in grammatical items: in the latter it means morphological bonding of the whole item with another, so that the item in question becomes affix-like, whereas pragmatic items as a whole remain free forms. Die zunehmende Fügungsenge bezieht sich hier also auf zwei unterschiedliche Ebenen bzw. Blickrichtungen: Bei unseren Zielstrukturen geht es allein um die interne Kohäsion ihrer Bestandteile, bei Affigierung um eine Verschmelzung des grammatikalisierenden Elements mit seinem externen Bezugsausdruck. 35 Verwischt wird dieser Unterschied hingegen in Bestimmungen wie der folgenden (die als Definition von Grammatikalisierung vorgeschlagen wird, sich aber eher wie eine von Lexikalisierung liest): I will argue for a new definition of grammaticization, one which recognizes the crucial role of repetition in grammaticization and characterizes it as the process by which a frequently used sequence of words or morphemes becomes automated as a single processing unit. (Bybee 2003, S.-603) Demgegenüber sind der Übertritt in eine kleinere, nicht beliebig erweiterbare Zeichenklasse sowie eine Zunahme von Indexikalität auf Kosten referenziell-denotativer Bedeutungsanteile Merkmale, die Grammatikalisierung von Lexikalisierung abheben. Die beiden Prozesse sind also nicht ununterscheidbar, sondern können im konkreten Einzelfall anhand der Kriterien der Paradigmatizität und der Indexikalität auseinandergehalten werden. Auf diesem Weg ergibt sich somit eine Trennung von univerbierten Formen, die allein lexikalisiert sind, und solchen, die darüber hinaus auch Merkmale von Grammatikalisierung aufweisen. 36 Mit Diewald (2011) und Diewald/ Smirnova (2012) gehen wir davon aus, dass das entscheidende Kriterium für eine Differenzierung der beiden Prozesse die Frage ist, ob das entsprechende Zeichen eine zunehmende Einbindung in ein Paradigma indexikalischer Funktionen erkennen lässt oder nicht. Zugleich unterscheiden wir sowohl Lexikalisierung einerseits als auch Grammatikalisierung andererseits von Univerbierung. Letztere betrachten wir als einen Prozess, der in beiden Wandeltypen auftreten kann, aber nicht muss. Auf lexikalischer Ebene bezeichnet Univerbierung den Ziel- und Endpunkt eines Verschmelzungsprozesses, an dem „die Bildung des Zeichens den Regeln entzogen und der analytische Zugriff somit unmöglich wird“ (Lehmann/ Stolz 1992, S.- 41). Als maßgebliche Diagnostik betrachten wir Haspelmaths Kriterium der „Unterbrechbarkeit“: Wo sie (noch) gege- 35 Auch Auer/ Günthner (2005, S.-350) betonen: „Syntagmatisches Anzeichen für zunehmende Grammatikalisierung ist nach Lehmann vor allem die zunehmende Fügungsenge oder Koaleszenz. Bei den Diskursmarkern ist hingegen umgekehrt eine zunehmende Unabhängigkeit vom Bezugssyntagma zu konstatieren. Eine wie immer geartete Abhängigkeit von anderen Wörtern lässt sich in keinem Fall beobachten.“ 36 Vgl. auch Lehmann (2002, S.-1): „In this sense, grammaticalization presupposes lexicalization.“ <?page no="40"?> Pragmatische Marker 40 ben ist, kann zwar bereits die „Überführung eines ehemals nach Regeln gebildeten Sprachzeichens ins Inventar des Sprachsystems“ (ebd.) stattgefunden haben (Lexikalisierung), aber noch keine Univerbierung. Ein lexikalisierter, aber nicht univerbierter Marker in diesem Sinne ist etwa sieh an (vgl. sieh mal an, sieh mal einer an), ein univerbierter dagegen (unabhängig von der Schreibung) seht her (vgl. seht mal her, seht doch her, die nur als Imperative verstanden werden können). Als einfach zu handhabendes Kriterium für Lexikalisierung setzen wir in unseren Fallstudien die Listung eines Ausdrucks in einer Auswahl geeigneter Wörterbücher an (vgl. Kap.-3 für Details). Für Univerbierung ist zu beachten, dass bei manchen Markern bereits aus rein grammatischen Gründen (also unabhängig von einer möglichen Verschmelzung) ein Einschub zusätzlichen (potenziell relevanten) Materials zwischen die Markerkomponenten ausgeschlossen sein kann (vgl. siehst du, mal sehen), sodass das Kriterium der Unterbrechbarkeit allein hier nicht ausreicht, um zwischen Lexikalisierung und Univerbierung zu unterscheiden. In solchen (und nur in solchen) Fällen richten wir uns ebenfalls nach den konsultierten Wörterbüchern und reservieren den Begriff der Univerbierung für Bildungen, die dort als eigenständiges Lemma verzeichnet sind. 2.3.3 Weitere Konzepte Alle bisher vorgestellten Ansätze basieren auf einer Gegenüberstellung von Grammatikalisierung und Lexikalisierung (als Wandeltypen), grammatischen und lexikalischen Konstruktionen (als Zeichentypen) bzw. Grammatik und Lexikon (als grundlegende Bausteine des Sprachsystems). In manchen Ansätzen werden pragmatische Marker aber letztlich weder dem einen noch dem anderen Bereich zugeschlagen, sondern als Struktur einer eigenen, dritten Art gesehen, für die auch ein eigenständiger Typ sprachlichen Wandels angesetzt wird („Pragmatikalisierung“). Der Begriff geht zurück auf Erman/ Kotsinas (1993), die zwei verschiedene „Pfade“ unterscheiden, die ein lexikalisches Zeichen im Rahmen eines Wandels zum Funktionswort nehmen kann: one of them resulting in the creation of grammatical markers, functioning mainly sentence internally, the other resulting in discourse markers mainly serving as text structuring devices at different levels of discourse. We reserve the term grammaticalization for the first of these two paths, while we propose the term pragmaticalization for the second one. (ebd., S.-79) Grammatikalisierung und Pragmatikalisierung werden dabei als zwei getrennte, in mancherlei Hinsicht aber auch parallele Prozesse gesehen, wie auch das folgende Diagramm aus Aijmer (1997, S.-2) veranschaulicht: <?page no="41"?> Diachrone Perspektiven 41 Abb.-1: Grammatikalisierung vs.-Pragmatikalisierung (nach Aijmer 1997, S.-2) Beide bezeichnen einen Wandelprozess, in dessen Verlauf einzelne Wörter oder größere Phrasen sich in bestimmten Kontexten von ihrer literalen Quellbedeutung ablösen und stattdessen zu Trägern abstrakter relationaler Bedeutungen werden (Frank-Job 2006, S.- 361). Im Fall von Pragmatikalisierung, so die Verfechter dieser Hypothese, seien allerdings sowohl die Strukturen als auch die mit diesen Strukturen verknüpften Bedeutungen bzw. Funktionen, auf die dieser Wandel zuläuft, anderer Art als in Grammatikalisierungsprozessen: Während Grammatikalisierung (unter Verweis auf Lehmann) 37 als ein Prozess charakterisiert wird, der letztlich auf die Morphologisierung einer begrenzten Anzahl grundlegender Qualifikationen von Prädikations- und Referenzvorgängen hinausläuft (bezüglich Kategorien wie Tempus, Aspekt, Modus, Numerus, Kasus etc.), führe Pragmatikalisierung zur Herausbildung von Diskursmarkern (als Einheiten mit besonderen Funktionen im Bereich der Gesprächssteuerung und interpersonellen Koordination). Narrog/ Heine (2021, S.- 305) fassen die Unterschiede, die zwischen beiden Vorgängen postuliert werden, in den folgenden fünf Punkten zusammen, die für die Entwicklung einer Struktur zum Diskursmarker typisch seien, für Grammatikalisierung hingegen nicht: - Herauslösung aus der grammmatischen Struktur des Satzes - Prosodische Desintegration - Entkopplung von der Satzsemantik - Übernahme metatextueller Funktionen - Zunehmende Stellungsvariabilität Es ist offensichtlich, dass diese Merkmale in einer bestimmten Weise miteinander zusammenhängen. Versteht man mit Lehmann (2004, S.- 155) die Grammatikalisierung eines Zeichens als „a process in which it loses in autonomy by becoming subject to constraints of the linguistic system“, so scheint die Entwicklung hier eher in 37 Vgl. etwa: „A grammaticalized sign moves down the grammatical levels, from phrase via word form to morpheme“ (Lehmann 2015, S.-141). <?page no="42"?> Pragmatische Marker 42 die entgegengesetzte Richtung zu verlaufen, nämlich zu einem Gewinn an Autonomie zu führen (Auer/ Günthner 2005, S.-351). Aus dieser Beobachtung ist daher die Schlussfolgerung gezogen worden, ein „movement towards discourse“- - Pragmatikalisierung-- sei „genuinely different from movement towards grammar, and the two are therefore best kept separate“ (Norde 2009, S.-23). Uneinigkeit besteht allerdings in der Frage, wohin ein solcher Prozess führt, oder anders formuliert: wie der Zeichenstatus der durch Pragmatikalisierung entstandenen Diskursmarker einzustufen ist. Da es sich dabei nach Auffassung der Pragmatikalisierungsthese nicht um grammatische Zeichen handelt, schlussfolgern Claridge/ Arnovick (2010, S.-187), dass pragmatikalisierte Strukturen ins Lexikon aufgenommen werden: „The only linguistic system pragmaticalised items can be said to enter is the lexicon“. Wie in Abschnitt-2.3.2 ausgeführt, wird dieser Prozess allerdings üblicherweise als Lexikalisierung bezeichnet. Bei der Etablierung eines neuen pragmatischen Markers würde es sich folglich um einen Sonderfall von Lexikalisierung handeln, bei dem ein neues Zeichen mit besonderen pragmatischen Funktionen entsteht. Ein schwieriges Problem dabei ist, wie diese strukturell heterogenen Einheiten in Bezug auf ihren kategorialen Status zu bewerten sind (Aijmer 1997, S.- 3). Waltereit/ Detges (2007, S.- 67) betonen: „the placement of discourse markers is not subject to constraints of grammatical nature“. Das bedeutet, dass sie auch nicht über die üblichen distributionellen Verfahren als Mitglieder bestimmter syntaktischer Ausdrucksklassen zu bestimmen sind. Sofern man keine eigene grammatische Wortart für sie ansetzt (vgl. dazu Imo 2012 und Abschn.-2.2.3), lässt sich insofern nur ihre interne grammatische Struktur beschreiben, der dann in der Regel eine „adverbialartige“ Funktion zugeschrieben wird (wobei diese Formen aber eben nicht in den propositionalen Gehalt der Äußerungen eingreifen, denen sie beigegeben sind). 38 Eine andere Antwort auf diese Frage gibt die Kooptationstheorie (Heine 2013, 2023; Heine/ Kaltenböck 2021; Kaltenböck/ Heine/ Kuteva 2011). Auch dieser Ansatz geht davon aus, dass Diskursmarker nicht (oder zumindest nicht nur) durch Grammatikalisierung entstehen, sondern durch einen Mechanismus eigener Art, der hier als „Kooptation“ bezeichnet wird. Unterschieden wird dabei nicht nur zwischen Grammatik und Lexikon, sondern zugleich auch zwischen zwei verschiedenen grammatischen Systemen: Das erste ist die Satzgrammatik („sentence grammar“ bzw. „SG“), die der üblichen Verwendung des Begriffs „Grammatik“ in anderen Ansätzen entspricht. Das zweite ist ein System syntaktisch ungebundener Zeichen, die in Abkürzung des Parenthesebegriffs als „theticals“ bzw. „thetische Ausdrücke“ bezeichnet werden. Thetische Ausdrücke entstehen durch den Mechanismus der Kooptation, der reguläre Bildungen der Satzgrammatik in das System der sogenannten „Thetischen Grammatik“ („TG“) überführt. Über letztere heißt es: „TG consists of a catalog 38 Vgl. etwa Brinton (2007, S.-64): „although pragmatic parentheticals such as I mean are extrasyntactic, falling outside the core syntactic structure of the sentence, they are not agrammatical, and their adverbial-like function would place them squarely within the grammar.“ <?page no="43"?> Diachrone Perspektiven 43 of thetical formulae and constructions as well as the ability to coopt new theticals from SG for structuring discourse“ (Heine 2013, S.-1214). Die Funktionen ihrer Elemente (bzw. der Kooptation kompositioneller Bildungen in das Inventar thetischer Ausdrücke einer Sprache) werden wie folgt bestimmt: • To overcome constraints imposed by linearization in structuring texts. • To package together larger segments of discourse. • To place a text in a wider perspective, e g. by providing explanations, comments, and supplementary information. • To describe the inner state of the speaker, and/ or. • To involve the hearer in the discourse. (ebd., S.-1221) Die „Kooptation als Thetical“ entspricht somit im Wesentlichen dem, was oben als „Pragmatikalisierung“ eines Ausdrucks charakterisiert wurde. Ein Unterschied wird allerdings darin gesehen, dass Kooptation ein plötzlicher und spontaner Vorgang sei, Pragmatikalisierung dagegen (wie Grammatikalisierung) ein gradueller und zeitlich zerdehnter Prozess. Gleichwohl wird auch die Möglichkeit eingeräumt, dass sich solche „spontaneously created theticals“ (auch bezeichnet als „instantaneous theticals“) zu „formulaic theticals“ verfestigen (ebd., Hervorhebung im Original)- - und deren Genese sei dann wiederum beschreibbar als ein Grammatikalisierungsprozess. Das Ergebnis ist somit, dass Kooptation und Grammatikalisierung in der Entwicklung von Diskursmarkern zusammenwirken können. Als mögliche Grammatikalisierungsmerkmale eines Markers (im Sinne der vier in Abschnitt-2.3.1 vorgestellten Kriterien von Heine/ Kuteva 2007) werden genannt: • The thetical is used frequently and in more contexts (extension). • It loses most or all of the lexical-conceptual meaning it may have had in favor of discourse-organizing functions (desemanticization). • It loses its internal compositionality, turning into a largely or entirely fixed, formulaic information unit (internal decategorialization). • It may also lose part of its morphological and/ or phonetic substance (erosion). (Heine 2013, S.-1223) Veranschlagt wird somit ein Zusammenspiel zweier Prozesse: Erstens der Ablösung einer vormals kompositionellen Bildung von ihrer satzgrammatischen Quellstruktur, und zweitens der (zumindest möglichen) Weiterentwicklung dieser Struktur zu einem Zeichen mit zunehmend grammatischem Gepräge. Zu hinterfragen ist an dieser Darstellung allerdings, wozu es dafür der neu eingeführten Begriffe der „Kooptation“ sowie der „thetischen Grammatik TG“ bedarf. Verstanden als „Katalog von Formeln und Konstruktionen“ entspricht der Begriff der „thetischen Grammatik“ klassischen Auffassungen des Lexikons (bzw. jüngeren Reinterpretationen des Lexikons als Konstruktikon), und die Übernahme einer ursprünglich freien Bildung der Satzgrammatik in dieses Inventar entspricht dem Konzept der Lexikalisierung. Wir werden daher im Folgenden die etablierteren Begriffe der Grammatikalisierung einerseits sowie der Lexikalisierung andererseits verwenden. <?page no="44"?> Pragmatische Marker 44 Zur Pragmatikalisierungsthese ist zu bilanzieren, dass sie auf einem unnötig engen Verständnis von Grammatik basiert. 39 Wir folgen in dieser Einschätzung Diewald (2011), die den Begriff der Pragmatikalisierung als „grammaticalization of discourse functions“ (weg)definiert. Ein separater Prozess ist dafür in Diewalds Ansatz nicht nötig, zumal die Grammatik selbst in ihrem Kern-- nämlich in der Definition desjenigen, das für grammatische Ausdrucksmittel spezifisch und charakteristisch ist- - durch ihre Indexikalität direkt an die Pragmatik gebunden ist. Das hat zur Folge, dass traditionell pragmatische, auf die Sprechsituation und ihre Teilnehmer bezogene Äußerungsfunktionen in dieser Konzeption eben keine „außergrammatischen“ Gegenstände darstellen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Grammatik und somit auch der Grammatikalisierungsforschung fallen würden. Der oben erläuterte scheinbare Widerspruch zwischen Pragmatikalisierung als Autonomiegewinn und Grammatikalisierung als Autonomieverlust lässt sich damit auflösen, dass die Herausbildung pragmatischer Marker- - wie auch in der Kooptationstheorie vorgesehen- - durch eine Abfolge von Lexikalisierungs- und Grammatikalisierungsprozessen gekennzeichnet ist: Auf der einen Seite steht der Autonomiegewinn durch Lexikalisierung, der sich hier- - wie die Konzepte der Pragmatikalisierung und der Kooptation zurecht hervorheben-- durch die Besonderheit auszeichnet, dass das neue Zeichen aus den satzgrammatischen Bezügen seiner Quellstruktur herausfällt. 40 Zugleich ist es von Anfang an ein indexikalisches Zeichen, das sich von prototypischen Autosemantika durch seine abstrakte relationale Bedeutung abhebt. In dem Maße, in dem sein Gebrauch zur Erfüllung einer spezifischen Funktion dann zunehmend kanonisch wird und sich auch systematische Oppositionen zu bestimmten Bezeichnungsalternativen für diese Funktion ausbilden, schlägt das Pendel dann wieder zunehmend in Richtung des grammatischen Pols des Zeichenspektrums aus. Eindeutig von Grammatikalisierung ist auch dann zu sprechen, wenn ein vormals desintegrierter komplexer Diskursmarker als nunmehr fusioniertes neues Wort den Weg zurück in die Grammatik findet und als Element einer bestimmten Wortklasse rekategorisiert wird. Ein separater, dritter Terminus zur Bezeichnung dieses Wechselspiels ist unseres-Erachtens nicht erforderlich. Auch Traugott (2007, S.-152) bilanziert: „Occam’s Razor suggests that ‘pragmaticalization’ is unnecessary as a separate type of change“. 39 Vgl. auch Auer/ Günthner (2005, S.-352), die vorschlagen, Pragmatikalisierung als Subtyp von Grammatikalisierung zu betrachten und von „Morphologisierung im Sinne Lehmanns“ zu unterscheiden (Hervorhebung im Original). Ein ähnlicher Vorschlag findet sich auch schon bei Wischer (2000). 40 Diese Besonderheit ist ohne Zweifel bemerkenswert und sicher auch einer der wesentlichen Gründe für das ungebrochene Interesse an der Diskursmarkerkategorie. Ob es deswegen legitim ist, gleich eine eigene Parallelgrammatik („TG“) für diese Ausdrücke anzusetzen, ist allerdings eine andere Frage. Wir kommen darauf zurück in Kapitel-8. <?page no="45"?> Phonetische Perspektiven 45 Dasselbe gilt unseres Erachtens auch für den (unter anderem auch von Traugott mittlerweile favorisierten) Begriff der Konstruktionalisierung. Dieser im Kontext der konstruktionsgrammatischen Grammatikalisierungsforschung („Diachronic Construction Grammar“, vgl. Barðdal et al. 2015) geprägte Begriff versteht sich als Dachbegriff für Grammatikalisierung einerseits („grammatical constructionalization“) und Lexikalisierung andererseits („lexical constructionalization“, vgl. Traugott/ Trousdale 2013). Herausgestellt wird damit zum einen die einheitliche Beschreibbarkeit beider Prozesse in einem konstruktionsgrammatischen Analyserahmen, zum anderen werden aber auch die konkreten Hinsichten benannt, in denen sich beide Wandeltypen voneinander unterscheiden (in Bezug auf Veränderungen der drei Merkmale Produktivität, Schematizität und Kompositionalität, ebd.). Obwohl wir die konstrutionsgrammatischen Grundannahmen dieses Ansatzes teilen, halten wir es aus ähnlichen Gründen wie bei den Begriffen der Kooptation und der Pragmatikalisierung für unnötig, statt von Grammatikalisierung und Lexikalisierung von „grammatischer Konstruktionalisierung“ und „lexikalischer Konstruktionalisierung“ zu sprechen, sodass auch auf diese beiden Begriffe im Folgenden verzichtet wird. 2.4 Phonetische Perspektiven Nachdem in Abschnitt-2.2 Gründe und in Abschnitt-2.3 Diagnostiken für die kommunikative Verfestigung der untersuchten Ausdrücke zu single processing units erläutert wurden, gehen wir im folgenden Abschnitt auf die lautliche Dimension solcher Wandelprozesse ein, die wir im empirischen Teil der Untersuchung ebenfalls betrachten. Wie in Kapitel- 1 ausgeführt, liegt unserer Untersuchung eine gebrauchsbezogene Modellvorstellung von Sprache zugrunde, in der Sprachwissen und -gebrauch in einer engen Rückkopplungsschleife aufeinander bezogen sind: Sprachliches Wissen wird sowohl instanziiert als auch geformt durch den Gebrauch, der seinerseits beständig rückwirkt auf die mentale Repräsentation der memorierten sprachlichen Einheiten und Muster (vgl. Barlow/ Kemmer 2000; Bybee 2006; Langacker 1988, 2010). Dass Lexikalisierung und schließlich Univerbierung auch lautliche Korrelate haben, ist im Rahmen eines solchen Modells erwartet: In der Begrifflichkeit von Bybee (vgl. unter anderem Bybee 2000, 2001, 2006; Bybee/ Scheibman 1999) führt die durch rekurrenten Gebrauch wieder und wieder gemeinsam vollzogene Prozessierung einer ursprünglich kombinatorischen Sequenz zu deren neuromotorischer Automatisierung, die sich in einer „Verklumpung“ („chunking“) der vormaligen Teile der Sequenz zu einem neuen Ganzen niederschlägt. Mit weiterer Wiederholung werden solche Chunks dann zunehmend stärker im sprachlichen Langzeitgedächtnis eingeschliffen („entrenched“) und so als eigenständige Einheiten verfestigt. Gleichzeitig kann zunehmende Automatisierung in der Ausführung eines Chunks <?page no="46"?> Pragmatische Marker 46 zu abnehmender artikulatorischer Präzision und wachsender Überlappung der beteiligten Segmente führen (Browman/ Goldstein 1992; Pagliuca/ Mowrey 1987). Wie zahlreiche Studien belegen, äußern sich solche Veränderungen vor allem in Form von Assimilation, Segmenttilgung und Dauerreduktion (vgl. Bybee/ Scheibman 1999; Jurafsky et al. 2001; Raymond/ Dautricourt/ Hume 2006). Während die ursprüngliche interne Struktur der betroffenen Chunks somit also ohnehin an Bedeutung verliert, kann sie durch solche lautlichen Veränderungen noch einmal zusätzlich verwischt werden. Die gebrauchsbezogene Modellvorstellung geht davon aus, dass phonetische Erosion und Desemantisierung Hand in Hand gehen („parallel reduction hypothesis“, Bybee/ Perkins/ Pagliuca 1994) und sich betroffene Chunk-Bestandteile sowohl phonologisch als auch semantisch miteinander verbinden: Je häufiger ihr gemeinsames Auftreten, desto enger ihre Verschmelzung zu einem neuen Form-Bedeutungspaar. Exemplarisch veranschaulicht Langacker (2009) den Zusammenhang von strukturellem Chunking und phonetischer Erosion mit inhaltlicher Reanalyse am Beispiel der Grammatikalisierung des englischen a lot of: Quellstruktur des Wandels ist eine nominale Partitivkonstruktion (‘eine Menge/ Gruppe von X’), die sich im Laufe des Prozesses zu einem Quantor entwickelt (‘viele X’). Im Rahmen dieses Prozesses verschmelzen die einzelnen Elemente a, lot und of, die Präposition verliert ihren Status als Relator und wird zum Auslautvokal / a/ reduziert. Zugleich verliert die Konstruktion ihre interne kategoriale Struktur und wird als ein zusammenhängendes neues Zeichen rekategorisiert, das in eine bestimmte grammatische Wortklasse aufgenommen wird. Aktuell ist die Struktur nach wie vor aufbrech- und modifizierbar und somit auf der Ebene der Sprachgemeinschaft insgesamt noch nicht fest univerbiert (vgl. got a whole lotta love). Dennoch geht Langacker davon aus, dass die Entwicklung in Richtung einer verschliffenen Form alotta bereits vorgezeichnet ist. Zudem merkt er an, dass einige Sprecher eine solche Form auch bereits jetzt in ihrem Repertoire haben könnten: Given the basic tendency for fixed expressions to gradually lose their analyzability, we can expect a lot of to eventualIy coalesce into a simple, monomorphemic quantifier […] It will then be equivalent to many and much […] It may well be that a lot of X already has the structure in Figure 3.12 [=ein Diagramm der univerbierten Zielstruktur], for some speakers or even for all speakers some of the time. I have argued, however, that the structure in Figure 3.9 [=ein Diagramm der kompositionellen Quellstruktur] is still accessible, if not primary. The coexistence of multiple stages in the grammaticization process is, of course, to be expected (Heine 1992). (ebd., S.-79 f.) Hervorgehoben wird zudem, dass die phonetische Verschmelzung und Reduktion (bis hin zu einem möglichen Entfall) des Artikels und der Präposition an die semantische Veränderung der Konstruktion gebunden und von ihr konditioniert ist: Im Fall des of etwa gehe erst der Status als präpositionaler Relator (und damit auch die eigenständige funktionale Belastung dieses Segments) verloren, bevor es lautlich redundant und anfällig für Reduktion und Tilgung werden kann. Die phonetische <?page no="47"?> Phonetische Perspektiven 47 Reduktion der Form ist somit nicht unabhängig von ihrer semantisch-pragmatischen Reinterpretation und strukturell-grammatischen Rekategorisierung, sondern wird durch diese Prozesse erst ermöglicht (vgl. die Einordnung von „Erosion“ als letzte Phase des Grammatikalisierungsprozesses bei Heine/ Kuteva 2007 in Abschn.-2.3). Langackers Hinweis auf die Ungleichzeitigkeit dieses Wandels im Rahmen seiner Propagierung und Diffusion durch die gesamte Sprachgemeinschaft weicht diese prinzipielle Serialisierung allerdings auch gleich wieder ein Stück weit auf- - und zwar in einer Weise, die interessante Perspektiven speziell für synchrone Grammatikalisierungsstudien eröffnet: Von Erosion (und Univerbierung) als einem Indikator für Grammatikalisierung lässt sich nämlich nicht notwendigerweise erst dann sprechen, wenn eine bestimmte solche Erscheinung im Rahmen der kompletten Sprachgemeinschaft verbindlich geworden ist, sondern auch bereits dann, wenn eine signifikante Zunahme entsprechend veränderter Realisierungen zu verzeichnen ist. In der vorhandenen Literatur zu Diskursmarkern im Deutschen finden sich zwar sowohl Bemerkungen zur Relevanz von Univerbierungsprozessen (vgl. Auer/ Günthner 2005; Günthner 2017; Imo 2007) als auch Untersuchungen lautlicher Reduktions- und Spezialisierungseffekte (Bergmann 2014, 2022, einger.), eine systematische Erkundung des Zusammenhangs der beiden Phänomene (die nicht auf eine spezifische individuelle Fallstudie beschränkt ist) liegt unseres Wissens aber bislang nicht vor. Auch in unserer Untersuchung stehen die phonetischen Aspekte der untersuchten Wandelprozesse nicht im Vordergrund. Dennoch versprechen wir uns vom Einbezug dieser Perspektive interessante Hinweise auf aktuelle Entwicklungsstände und -tendenzen der untersuchten Einheiten, die sich momentan noch nicht in einer Kodifizierung etwa in Wörterbüchern niedergeschlagen haben. Dabei gehen wir mit Bybee davon aus, dass eine beobachtete Konsolidierung- lautlicher Veränderungen (im Sinne einer signifikanten Zunahme entsprechender Realisierungen) Rückschlüsse auf den Status des betreffenden Chunks (bzw. Chunking-Kandidaten) erlaubt: „phonological reduction is an excellent indicator of memory storage of a phrase“ (Bybee 2001, S.-161). Da solche Veränderungen auf keinen allgemeinen, in allen entsprechenden Lautkontexten zu beobachtenden phonologischen Prozess zurückzuführen sind, sprechen Bybee/ File-Muriel/ Napole-o De Souza (2016, S.-421) hier von „special reduction“. Die Annahme, dass solche Reduktionen an die je spezifische Konstruktion gebunden sind, in der wir sie beobachten, werden wir uns in den Fallstudien in Kapitel-4 bis 7 zunutze machen, um jeweils geeignete Vergleichsdaten dafür zu definieren (die einen vergleichbaren Lautkontext, aber mutmaßlich kein Chunking aufweisen). Inhaltlich geht es uns dabei allerdings nicht allein um Hinweise auf Lexikalisierung, sondern auch um Indikatoren für Grammatikalisierung und emergente neue Form-Funktions-Verbindungen. Im Einzelnen werden dabei für jede Zielkonstruktion die folgenden Aspekte untersucht (vgl. auch Kap.-3): <?page no="48"?> Pragmatische Marker 48 - Erosion: Segmentalphonetische Reduktionsprozesse; - Grenzphänomene: Univerbierungstendenz und Wortgrenzenabbau; - Prosodische Merkmale: Akzentsitz und prosodische (Des-)Integration; - Form-Funktionskopplung: Mögliche Zusammenhänge zwischen lautlicher Realisierung und Gesprächsfunktion. Im Folgenden geben wir einen kurzen Ausblick auf die dabei zugrundegelegten Annahmen und die Interessen, die wir mit den einzelnen Teiluntersuchungen verfolgen. 2.4.1 Erosion Etwaige konstruktionsspezifische Reduktionseffekte lassen sich im Sinne von Bybees Konzept der „special phonetic reduction“ als Hinweis auf eine Ablösung der sagen-Form, die in der betreffenden Verfestigung auftritt, von ihrer verbalen Quellverwendung deuten. Verglichen wird in Kapitel- 4-7 daher jeweils das sagen-Segment der betrachteten Marker mit einer Vergleichsgruppe freier Verwendungen derselben Form in kompositionell gebildeten Strukturen. In rein markerinterner Perspektive kann zudem eine (gegenüber kanonischen Vollrealisierungen der beteiligten Segmente) verringerte Silbenzahl als Indikator für phonetischen Substanzverlust betrachtet werden (vgl. etwa die Realisierung der dreisilbigen Vollform sagen wir als zweisilbiges [ˈzɐmə], Zeschel/ Brackhane/ Knöbl 2019). Wo sich Hinweise auf solche special reductions finden lassen, deuten sie auf eine eigenständige Gedächtnisrepräsentation der betreffenden Verfestigung hin und können somit als ein Indiz für Lexikalisierung betrachtet werden. Zu Beginn dieser Sektion wurde segmentalphonetische Reduktion unter Verweis auf Bybee als Anzeichen eines nachlassenden artikulatorischen Aufwands infolge frequenzinduzierter Automatisierung dargestellt. Tatsächlich gibt es in der Literatur aber zwei verschiedene frequenzbasierte Annahmen, wie solche Effekte zu erklären sind: Die erste beruht auf individueller Tokenfrequenz, die zweite auf bedingter Frequenz und Übergangswahrscheinlichkeit. Die erste Hypothese ist die soeben noch einmal rekapitulierte Annahme, dass Tokenfrequenz der entscheidende Faktor ist. Sie sagt voraus, dass Segmente, die sehr häufig in direkter Abfolge auftreten, zu einer zusammengehörigen Einheit verschmelzen (oder zumindest: verschmelzen können), deren automatisierte Prozessierung dann zu lautlichem Substanzverlust führt. Eine bekannte Untersuchung, die für diese Erklärung plädiert, ist die Studie von Scheibman (2000) zur Reduktion von don’t im Amerikanischen Englisch. Ihre Befunde zeigen, dass das Auxiliar dort am stärksten reduziert wird, wo es in den untersuchten Gesprächsdaten am häufigsten auftritt: Nach dem Subjektpronomen I und vor dem Verb know, d. h. im Rahmen des pragmatischen Markers I don’t know (bzw. I dunno). Auch innerhalb des konstant gehaltenen strukturellen Rahmens I + don’t + <?page no="49"?> Phonetische Perspektiven 49 Verb sind es speziell die frequenten und mutmaßlich lexikalisierten Chunks I don’t know und I don’t think, in denen stark reduzierte Realisierungen des Auxiliars zu beobachten sind, während seltenere Kombinationen wie I + don’t + make keine vergleichbaren Effekte zeigen (ebd., S.-114). 41 Die zweite Hypothese sagt voraus, dass Reduktionen dort auftreten, wo ein Segment vorhersagbar ist. Unterstützung für diese Annahme liefert beispielsweise die Studie von Bergmann (2014) zu Reduktionen des Substantivs Hauptsache in Konstruktionen des Typs HAUPTsache man hat seinen SPASS gehabt. Obwohl Hauptsache kein hochfrequentes Wort ist, werden auch stark reduzierte Realisierungen wie etwa [hɔpsa], [haupsə] oder [habs] gefunden, die in den untersuchten Gesprächsdaten offenbar zu keinen Verstehensproblemen führen. Bergmann erklärt das mit der sequenziellen Erwartbarkeit der Konstruktion in den betreffenden Gesprächskontexten. Prinzipiell machen die beiden Annahmen zwar für bestimmte Konstellationen unterschiedliche Vorhersagen, 42 schließen einander allerdings nicht aus. Der genaue Zusammenhang zwischen diesen beiden Prädiktoren ist letztlich eine Frage für die Psycholinguistik (vgl. dazu etwa Lorenz/ Tizón-Couto 2019), der wir hier nicht näher auf den Grund gehen (können). Letztlich sind diese Details für die Frage einer möglichen lautlichen Spezialisierung der untersuchten Marker aber auch nicht vordringlich, da sich aus beiden Perspektiven eine Tendenz zur reduzierten Realisierung ableiten ließe: Wo sich das Verb sagen mit einem oder mehreren weiteren Elementen zu einem pragmatischen Marker verbindet, ist das sagen-Segment dieser Form nicht mehr auf seine separate Erkennbarkeit als Realisierung des Verbs sagen angewiesen. Ist der Marker frequent und lädt dadurch zu Substanzverlust durch Automatisierung und artikulatorische Beschleunigung ein, können hier also stärkere Verschleifungen des sagen-Segments in Kauf genommen werden als bei freien Verwendungen derselben Form von sagen. Und auch bei weniger frequenten Markern liefern die zusätzlichen Segmente, aus denen die Form neben dem Verb selbst besteht, dem Adressaten verstehensrelevante Hinweise im Signal, die artikulatorische Aufwandseinsparungen im sagen-Segment ermöglichen könnten, ohne damit die Verständlichkeit der Form im Ganzen aufs Spiel zu setzen. Dies gilt natürlich umso mehr, wenn die Konstruktion ähnlich wie in Bergmanns Studie zu Hauptsache an einer Stelle eingesetzt wird, an der ihr Einsatz sequenziell und/ oder turnstrukturell erwartbar ist. 41 Ähnliche Befunde berichtet Bush (2001) zur Palatalisierung von / tj/ - und / dj/ -Sequenzen in englischer Konversation. Auch hier treten Reduktion und Verschleifung speziell bei den häufigsten Wortkombinationen im Korpus auf (did you, don’t you, would you, that you, told you, last year). 42 Konkret betrifft das niederfrequente Elemente, die im untersuchten Kontext dennoch hochgradig erwartbar sind. <?page no="50"?> Pragmatische Marker 50 2.4.2 Grenzphänomene Etwaige Assimilationsprozesse an den markerinternen Wortgrenzen, die sich in ähnlichen Lautkontexten außerhalb der Zielform nicht in vergleichbarem Maße finden, können ebenfalls als Indikatoren für special phonetic reduction und eine Lexikalisierung der betreffenden Verfestigung als Einheit betrachtet werden. 43 Entsprechende Befunde zum Englischen berichten etwa Thompson/ Couper-Kuhlen (2020) in einer Studie zu Why don’t you + verb. Die untersuchten Gesprächsdaten enthalten zahlreiche stark kontrahierte und artikulatorisch reduzierte Formen mit hohen Artikulationsraten, die auf ein Chunking der drei initialen Silben [wai], [dəʊnt] und [juː] hinweisen. Besonders auffällig sind die Fugenrealisierungen: Das why und das don’t können zusammenfallen ([wain]), und an der Grenze zwischen don’t und you kommt es zu Affrizierung. In Verbindung mit der Reduktion des Vokals in you zu [ә] kann es so zu stark verschmolzenen Realisierungen wie [waɪntʃə] kommen. 2.4.3 Prosodische Spezialisierung Wichmann (2011) argumentiert, dass segmentalphonetische Reduktionen bei Diskursmarkern letztlich Folgeerscheinungen bzw. Epiphänomene eines Verlusts an prosodischer Prominenz darstellen („prosodic changes are primary“, ebd., S.-331). 44 In der Tat haben verschiedene Studien ergeben, dass die prosodische Prominenz von Markern mit besonderen Gesprächsfunktionen gegenüber ihren Quellstrukturen reduziert ist (vgl. Aijmer 1996 zu sorry; Aijmer/ Simon-Vandenbergen 2004 zu of course; Wichmann 2004 zu please). Grundlage solcher Urteile sind Vergleiche von „Diskursmarkerverwendungen“ und „Nicht-Diskursmarkerverwendungen“ der verglichenen Einheiten, die erstere in der Regel mit einer Verwendung in der linken Peripherie („Vor-Vorfeld“) gleichsetzen. Wie in Abschnitt- 2.2.3 dargelegt, übernehmen wir weder dieses Kriterium noch den Begriff des Diskursmarkers. Unser Interesse gilt auch nicht der Frage, ob die untersuchten Einheiten je nach ihrer Position im Turn ggf. unterschiedlich akzentuierbar sind, sondern speziell der Verfestigung ihrer freien (syntaktischen) Varianten zu einer sedimentierten (lexikalischen) Konvergenzform. Als prosodischen Hinweis auf eine solche Entwicklung betrachten wir die 43 Mutmaßlich solche Effekte haben wohl auch Auer/ Günthner (2005, S.-350) im Sinn, wenn sie schreiben: „Auf der phonologischen Ebene ist die Erosion weniger einheitlich: Bei manchen Diskursmarkern ist ein Verlust an phonologischer Substanz zu beobachten, bei anderen nicht. Der phonologische Substanzverlust scheint primär solche Diskursmarker zu betreffen, die durch Univerbierung aus komplexeren Konstruktionen entstanden sind.“ 44 Auf einen Zusammenhang deuten auch Befunde von Proske (2017a) hin, die berichtet, dass lautlich reduzierte Instanzen von guck mal und sag mal „seltener als die nicht reduzierten eine eigene Intonationsphrase [bilden], d. h., sie kommen bevorzugt prosodisch mit dem Folgesatz integriert vor und werden dabei häufig mit beschleunigter Geschwindigkeit gesprochen“ (ebd., S.-82). <?page no="51"?> Phonetische Perspektiven 51 Herausbildung eines festen Wortakzents des Markers (dessen Akzentsitz ggf. auch von dem seiner syntaktischen Quellstruktur abweichen kann, vgl. Kap.-4 und 7). Zweitens betrachten wir ein Merkmal, das einerseits im Widerspruch zum oben konstatierten Verlust an prosodischer Prominenz steht, andererseits aber dennoch in vielen Definitionen entsprechender Ausdrücke auftaucht: die mutmaßliche prosodische Desintegration der untersuchten Marker, d. h. ihr Status als autonome Intonationsphrase (mit eigenem Akzent). Intuitiv leuchtet die Annahme einer prosodischen Absetzung der Zielstrukturen vom umgebenden Äußerungskontext durchaus ein, da sie den Einschubcharakter der betreffenden Einheit als verstehenslenkendes „sprachliches Verkehrsschild“ (vgl. Abschn.-2.2.2) kenntlich macht. Empirische Befunde zeichnen aber zum Teil ein deutlich anderes Bild. Im Gegensatz etwa zur Behauptung in Quirk et al. (1985, S.-1112), dass „comment clauses“ wie I think in der Regel eine eigenständige IP bilden, findet Kaltenböck (2011) in einer Untersuchung von linksperipherem I think nur in 11,5% der Belege ein Vorkommen als eigene Toneinheit. Auch in einer breiter angelegten Untersuchung weiterer „comment clauses“ findet Kaltenböck (2008) nur rund ein Viertel prosodisch desintegrierter Verwendungen. Schon höher sind die Zahlen in Lams (2009) Untersuchung zu Markerverwendungen von well im Hong Kong Corpus of Spoken English. Hier besitzt zwar gut die Hälfte (52%) einen eigenständigen IP-Status, von einem definitorischen Merkmal kann aber auch bei diesem Wert keine Rede sein. Auffällig ist zudem die deutliche Schwankung zwischen den untersuchten Markern, die im Fall von Lams Untersuchung auch Verwendungen desselben Markers in unterschiedlichen Funktionen betrifft: Wird well zur Einleitung direkter Rede eingesetzt, machen desintegrierte Verwendungen nämlich nur noch einen halb so hohen Anteil aus (26%). Die prosodische (Des-)Integriertheit der untersuchten Marker scheint insofern kein geeignetes Bestimmungsmerkmal zu sein, das sich aus theoretischen Annahmen über ihren grammatischen Status ableiten lässt, sondern vielmehr eine empirische Frage. Wir versprechen uns davon Hinweise auf den Grammatikalisierungsgrad der betreffenden Konstruktion: Wo spricht die Prosodie für einen desintegriert-parenthetischen Marker (als Produkt von Lexikalisierung), und wo für die Reintegration dieses Zeichens in die grammatische Struktur des Satzes (als Produkt von Grammatikalisierung)? Vgl. dazu etwa Knöbl/ Nimz (2013) zur Entwicklung der (süddeutschen) Modalpartikel glaub, die sich wie folgt rekonstruieren lässt: ich glaube + dass- Satz (freie Quellstruktur, prosodisch integriert) > ich glaub (lexikalisierter Marker, prosodisch desintegriert) > glaub (grammatikalisierte Modalpartikel, prosodisch integriert). 2.4.4 Form-Funktionskopplung Im vierten und letzten der untersuchten Fragenkreise geht es nicht um lautliche Kriterien, um lexikalisierte von frei gefügten Bildungen zu unterscheiden, oder (auch) grammmatikalisierte von (nur) lexikalisierten. Stattdessen fragen wir auf <?page no="52"?> Pragmatische Marker 52 nochmals granularerer Ebene, ob es analog zum Begriff der „parallel reduction“ auch so etwas wie „parallel specialisation“ gibt: Gibt es beobachtbare Tendenzen, dass sich bestimmte Gebräuche eines Markers von funktional unterschiedlichen Verwendungen derselben Konstruktion auch lautlich unterscheiden? Hier ist sowohl an Reduktionsals auch an anderweitige Spezialisierungsformen (wie etwa Akzentverschiebungen) zu denken. Hinweise auf solche feingranularen Differenzierungen liefert zum einen die bereits erwähnte Studie von Thompson/ Couper-Kuhlen (2020), die stark reduzierte Realisierungen von why don’t you wie das erwähnte [waɪntʃə] in ratgebender Verwendung der Konstruktion, nicht aber in literal interrogativen requests for information findet. Eine weitere Studie, in der solche funktionsspezifischen Kontraste berichtet werden, ist die Untersuchung von Plug (2010) zu verschiedenen Diskursmarkern im Niederländischen, die mangelndes (genaues) Wissen anzeigen. 45 Plug unterscheidet zwischen einer gesprächsorganistorisch-reparaturinitiierenden Verwendung dieser Einheiten und einer interpersonellen Funktion, die eine dispräferierte Reaktion ankündigt. Im Vergleich der beiden Funktionen zeichnet sich die Reparaturinitiierung durch stärkere phonetische Reduktion (Vokalzentrierung, Konsonantenlenisierung, Segmententfall) sowie eine höhere Artikulationsrate aus als die Markierung einer dispräferierten Antwort. 46 Interessanterweise werden neben den Kurzformen der untersuchten Einheiten („Marker“-Instanzen der untersuchten Konstruktionen in unserer Terminologie) auch lexikalisch-grammatisch komplexere Ausbauten der untersuchten Einheiten betrachtet („Formel“-Instanzen der untersuchten Konstruktionen in unserer Terminologie), und dabei jeweils ähnliche Effekte für beide gefunden (beide Arten von Reparaturinitiierung neigen stärker zu Reduktionen als die Anzeige einer dispräferierten Reaktion). Contra Bybee wird daher resümiert: [A] high degree of phonetic reduction in multi-word phrases that function as pragmatic units is not necessarily attributable to their status as single processing units. We have seen that in the case of ‘formula-like’ phrases used in the initiation of prepositioned repair, such an account is incomplete, since more complex repair initiations for which a single-unit analysis is not appropriate have the same phonetic characteristic. The case of claims of insufficient knowledge shows that it is the differential use across pragmatic contexts which accounts for their phonetic design, irrespective of whether individual phrases are best analysed as single processing units or more complex grammatical constructions. Therefore, the fact that a phrase is stored in memory as a unit does not mean it is or will be phonetically reduced in an actual communicative context—since in an actual communicative context, its phonetic form is constrained by its particular pragmatic function. (Plug 2010, S.-2026) 45 Untersucht werden: eens even kijken ‘mal sehen’, hoe heet het ‘wie heißt das’, wat is/ was het ‘was ist/ war es’, laten we zeggen ‘sagen wir’ und ik weet niet/ weet ik niet ‘ich weiß es nicht’. 46 Im Gegensatz dazu stellt Bergmann (2022) beim Gebrauch des vergleichbaren deutschen Markers keine Ahnung in dispräferierten Kontexten einen höheren Grad an Reduktion fest als bei seinem Gebrauch in anderen Verwendungen. <?page no="53"?> 53 Vorarbeiten zu pragmatischen Markern mit sagen 2.5 Vorarbeiten zu pragmatischen Markern mit sagen Verfestigte Konstruktionen mit verba dicendi sind eine zentrale Ressource der indexikalischen Äußerungskommentierung und Verstehenslenkung, und im Deutschen ist das Verb sagen der unmarkierte Prototyp dieser Klasse. Auch wenn eine umfassende Inventarisierung solcher Konstruktionen, wie sie in Kapitel- 4 bis 7 für das Deutsche erarbeitet wird, bislang nicht vorliegt, können wir uns für diesen Überblick doch auf eine Reihe wichtiger Vorarbeiten zu Konstruktionen mit sagen und seinen Äquivalenten in anderen Sprachen stützen. Viele dieser Vorarbeiten sind Fallstudien zu individuellen Konstruktionen in verschiedenen Sprachen, die hier nicht alle zusammengetragen und einzeln kommentiert werden können. 47 Beobachtungen zu individuellen sagen-Markern finden sich darüber hinaus auch in vielen Darstellungen von allgemeineren Konstruktionstypen und pragmatischen Konzepten, die im Zuge dieses Kapitels bereits zur Sprache kamen. Dazu zählen etwa „parenthetical verbs“ (Urmson 1952), „comment clauses“ (Quirk et al. 1972), „hedges“ (Lakoff 1973; Brown/ Levinson 1978), „metalinguistische Operatoren“ (Weinreich 1966; Schiffrin 1980), „Routineformen“ (Coulmas 1981), „gesprächsspezifische Formeln“ (Stein 1995) und „pragmatische Marker“ (Brinton 1996). Am anderen Ende des Spektrums stehen diesen Einzelanalysen und verstreuten Beobachtungen komplette Monografien gegenüber, die sich speziell verba dicendi (Dirven et al. 1982) oder spezifischen mit ihnen gebildeten Markern widmen (Lansari 2020). Zwischen diesen Endpunkten sind eine Reihe von Darstellungen mittleren Umfangs anzusiedeln, in denen verfestigte Konstruktionen der Quelldomäne sagen prominent behandelt werden (zum Beispiel im Rahmen eigener Kapitel), jedoch nicht den alleinigen Fokus der Untersuchung bilden (Brinton 2008; Imo 2007; Niehüser 1987). Wir konzentrieren uns im folgenden kurzen Abriss auf die stärker gebündelten Darstellungen der letzten beiden Typen. Eine frühe korpuslinguistische Vorarbeit ist die Monografie „The Scene of Linguistic Action and its Perspectivization by SPEAK, TALK, SAY and TELL“ von Dirven et al. (1982), zu der Goossens (1982) das Kapitel-„SAY: Focus on the message“ beisteuert. Goossens fallen im Rahmen seiner semantisch-syntaktisch orientierten Analyse verschiedene Verwendungen auf, bei denen die literale Bedeutung des Verbs teil- 47 Exemplarisch genannt seien für das Deutsche Stoltenburg (2009) zu ehrlich gesagt, Auer/ Günthner (2005), Kaiser/ Schmidt (2016), Schmidt (2014a) und Zeschel/ Brackhane/ Knöbl (2019) zu ich sag mal, Deppermann (2014a) und Proske (2016) zu wollt grad sagen, Hindelang (1975) zu offen gesagt, Proske (2017a) und Auer/ Günthner (2005) zu sag mal, Dalmas (2021), Duplâtre (2005), Kaiser/ Schmidt (2016), Schmale (2021), Wich-Reif (2023) zu sozusagen; für das Englische Küttner/ Raymond (2022) zu I was gonna say, Van Olmen (2013) und Smith Stvan (2006) zu say, Claridge (2013) zu so to speak/ say; für das Hebräische Maschler (2009) zu tagidi li und Shefer (2022) zu Kommentarsätzen mit lomar; für das Italienische Bazzanella (1995) und Hölker (2003) zu diciamo; für das Niederländische Plug (2010) zu laten we zeggen und Van Olmen (2013) zu zeg (maar) sowie für das Spanische Fuentes-Rodríguez (2008) zu digamos. <?page no="54"?> Pragmatische Marker 54 weise völlig in den Hintergrund gerate (ebd., S.-96). Er bezeichnet diese besonderen Verwendungen als „(semi-)performativ“ (ebd., S.-93). In seiner Stichprobe aus 2000 Belegen zählt er rund 150 Instanzen von „performativen Formeln“ mit dem Verb say wie etwa I must say, shall we say und I would say (insgesamt 15 verschiedene Konstruktionen), denen er eine „metalinguistic function“ zuschreibt (ebd., S.-94). Am häufigsten davon ist in seinen Daten die Formel I say, die verwendet werde, um eine Aussage emphatischer zu machen oder eine erklärende Funktion zu erfüllen (ebd., S.- 95). Bemerkungen finden sich auch zu subjektlosem say, einem der möglichen Äquivalente des deutschen Markers sagen wir, den wir in Kapitel-5 eingehender betrachten. Goossens wertet den Marker als Kurzform von (let’s) say und schreibt ihm exemplifizierende und abschwächende Funktionen zu. Unter anderem um den Marker say geht es auch in der Monografie von Brinton (2008) zu englischen Kommentarsätzen. Weitere behandelte Konstruktionen im Kapitel „Comment clauses with say“ sind I say, I daresay, (as) you say und that is to say. Brinton identifiziert textuelle, subjektive und intersubjektive Funktionen dieser Konstruktionen und damit die volle Spanne indexikalischer Bedeutungen. Sie weist außerdem darauf hin, dass sich Funktionen in einem dieser Bereiche häufig mit Funktionen in einem der beiden anderen Bereiche verbinden. So besitze etwa der Marker I daresay „an epistemic function in expressing speaker tentativeness, with overlays of intersubjective emotions such as dismissiveness or impatience“ (ebd., S.-109). Eine wichtiges Anliegen der Untersuchung ist Brintons Argumentation gegen die sogenannte „matrix clause hypothesis“, derzufolge desintegrierte Marker wie I think ihren Ursprung in subordinierenden Hauptsätzen haben (vgl. Thompson/ Mulac 1991). Brinton hält die historische Evidenz für diese Hypothese nicht für überzeugend und argumentiert stattdessen für eine Herleitung aus adverbialen Nebensätzen wie as I think. Ähnliches wird im Kapitel zu Konstruktionen mit say auch für parenthetisches you say geltend gemacht. 48 Als gemeinsames Merkmal aller sagen-Marker wird ihre Grammatikalisierungsentwicklung gesehen: Despite a variety of pragmatic functions and syntactic sources, what characterizes the development of all comment clauses with say is the process of grammaticalization. All of the forms undergo decategorialization, from freely formed and variable complement-taking clauses to fixed and invariable fused expressions. I dare say, as you say and I say involve the elimination of phonological segments as well. Desemanticization, or the loss of concrete meaning as a verb of communication, is followed by the acquisition of the variety of pragmatic functions detailed above (what Himmelmann [2004] calls „semantic-pragmatic expansion“). (Brinton (2008, S.-110) Eine wichtige Vorarbeit zum Deutschen, die allerdings nicht allein auf Ausdrücke der Quelldomäne sagen beschränkt ist, ist die Monografie von Niehüser (1987) zu 48 Vgl. Brinton (2008, S.- 110): „Evidence for the derivation of parenthetical you say from the adverbial clause as you say, with deletion of the complementizer, is much more convincing.“ <?page no="55"?> 55 Vorarbeiten zu pragmatischen Markern mit sagen „redecharakterisierenden Adverbialen“. Die Untersuchung entwickelt eine Funktionstaxonomie entsprechender Modifikatoren, die auf der obersten Ebene Charakterisierungen der „Redestruktur“, der „Darstellung des Redeinhalts“ und des „Beziehungsaspekts“ unterscheidet, die sich über bis zu drei Ebenen weiterverzweigen. Klassifikationsleitend sind semantisch-pragmatische Eigenschaften des adverbialen Modifikators (nebenbei gesagt: „abschweifend“, kurz gesagt: „quantitativ“, ehrlich gesagt: „einstellungsoffenbarend“ etc.), für die auf der terminalen Ebene nicht weniger als 29 Kategorien vorgeschlagen werden. Zugeordnet werden diesen semantischen Kategorien sogenannte „explizite Redecharakterisierungen“, die einem der vier folgenden syntaktischen „Strukturtypen“ (ebd., S.-8) entsprechen: 49 - Typ I: „ADV gesagt“ - Typ II: „um es/ das ADV zu sagen“ - Typ III: „ich sage ADV, daß“ - Typ IV: „wenn ich es/ das ADV sagen darf “ (Niehüser 1987, S.-8) Insbesondere die ersten beiden dieser Muster sind Schemata, die auch vielen der hier untersuchten Verfestigungen zugrunde liegen und uns in Kapitel-4 bis 7 noch häufiger begegnen werden. Wir beziehen uns auf diese Konstruktionen im Text als „[<irgendwie> gesagt]“ bzw. „[um es <irgendwie> zu sagen]“. Kernfunktion der mittels dieser Schemata gebildeten „expliziten Redecharakterisierungen“ ist laut Niehüser die „redebezogene Selbstkritik“: Die Verwendung expliziter Redecharakterisierungen dient der Kennzeichnung von Äußerungsaspekten, die als problematisch unterstellt werden. Offenbar wird durch die Selbstcharakterisierung der kritische Einwand-- zumindest kurzfristig-- blockiert, wenn nicht völlig unmöglich gemacht. (ebd., S.-196) Während Niehüser auch viele kompositionell gebildete Ausdrücke behandelt (wenn ich das einmal zwischendurch bemerken darf etc.), liegt der Fokus in der Arbeit von Stein (1995) explizit auf verfestigten Fomulierungsroutinen, die er als „gesprächsspezifische Formeln“ bezeichnet. Wie bereits in Abschnitt-2.2.1 erwähnt, stellen Bildungen mit sagen mehr als ein Drittel der insgesamt 45 angesetzten Formeln. Im Einzelnen handelt es sich dabei um darf ich (dazu was) sagen, ich muss sagen, ich will nur sagen, wenn ich das sagen darf, was sagen Sie dazu, was sagen wir, was sagt man (da), wir können sagen, sagen wir (mal), sag mal/ sagen Sie (mal), ich würde sagen, ehrlich gesagt, genauer gesagt, offen gesagt, um das (klipp und) klar zu sagen/ das will ich ganz deutlich sagen, um es kurz zu sagen, wie gesagt und wie ich schon sagte/ wie schon gesagt wurde. Stein gibt für jede Formel sowohl eine „dominante Funktion“ als auch ein „Funktionsspektrum“ an, das ähnlich wie die Arbeit Brintons häufig inde- 49 Das Verb sagen tritt hier lediglich als Platzhalter für die gesamte Kategorie „Kommunikationsverb“ auf. <?page no="56"?> Pragmatische Marker 56 xikalische Funktionen verschiedener Bereiche umfasst. 50 Der Fokus der Arbeit liegt allerdings auf der theoretischen Reflexion der Rolle von kommunikativer Verfestigung im Gespräch und nicht auf der empirischen Detailbetrachtung der einzelnen Ausdrücke, sodass Zusammenhänge zwischen den Kategorien des angesetzten „Funktionsspektrums“ und Fragen bezüglich der verwendeten Typisierungskriterien nicht sonderlich ausführlich erörtert werden. Deutlich enger ist die Orientierung an den Daten in der Arbeit von Imo (2007), mit der wir viele Annahmen teilen. Imo untersucht den Gebrauch von Konstruktionen mit verschiedenen matrixsatzfähigen Verben des Deutschen im Gespräch und widmet dabei auch Konstruktionen mit sagen ein eigenes Kapitel. Gegenstand sind nicht allein verfestigte, sondern generell alle typischen Verwendungen des Verbs in den untersuchten Gesprächsdaten. Mit über 30 Seiten nimmt der Abschnitt „(Teil)spezifische Konstruktionen mit sagen“, der den formulaischen Verwendungen gewidmet ist, allerdings gut die Hälfte der Darstellung in Anspruch. Behandelt werden dort die Konstruktionen ich sage dir/ euch, sag (mal)/ sagen Sie (mal), wie (soll) ich/ man (es/ denn/ so schön …) sagen, ich sag mal (so) (zusammen mit sag ich (jetzt) mal (so) und sagen wir mal so), wie gesagt sowie verschiedene Verwendungen von sagen mit Modalverb. Die Arbeit bietet einen reichen Fundus einschlägiger Beobachtungen und theoretischer Modellierungsvorschläge, die in enger Auseinandersetzung mit den untersuchten Daten gewonnen werden. Das macht sie gemeinsam mit der Studie von Niehüser zum wichtigsten Bezugspunkt unserer eigenen Analyse, auf den wir in Kapitel-4 bis 7 wiederholt zurückkommen werden. Als letzte einschlägige Vorarbeit ist die Monografie von Lansari (2020) zu nennen, die sich einer kontrastiven Untersuchung je zweier englischer und französischer „discourse markers of saying“ widmet. Verglichen werden die Marker on va dire und shall we say sowie j’allais dire und I was going to say, bei denen es sich um Teiläquivalente der in Kapitel-5 und 6 untersuchten deutschen Marker sagen wir und wollt grad sagen handelt. Entsprechend kommen wir speziell in diesen Kapiteln auf die Arbeit zurück. Lansaris Untersuchung basiert auf Daten aus Webkorpora, auf die theoretische Konzepte aus verschiedenen linguistischen Analysetraditionen angewendet werden. 51 Als zentralen Befund ihrer Studie formuliert Lansari (2020, S.-218), 50 So diene zum Beispiel sagen wir (mal) zur „Markierung kritischer Formulierungen“, als „Vagheitsindikator“, zur „Exemplifizierung“ und als „Gliederungssignal“ (ebd., S.-240). In Auers Begrifflichkeit entspräche das zwei exophorischen und zwei endophorischen Gebräuchen. In der pragmatischen Funktionstypologie, die wir in Kapitel-3 entwickeln, wäre von einer intersubjektiven, einer epistemischen und zwei gesprächsstrukturierenden Verwendungsweisen zu sprechen. 51 Lansari (ebd., S.- 1) identifiziert sie als „the pragmatic tradition dominant in the English speaking countries“ und „the enunciative tradition, which has been influential only in France and Switzerland“. In Gestalt etwa des Affiliationsbegriffs wird auch auf konversationsanalytische Konzepte zurückgegriffen (vgl. Lindström/ Sorjonen 2012). <?page no="57"?> Zusammenfassung 57 dass Metakommunikation mit sagen-Markern zur Adressierung eines Problems mit der aktuellen Äußerung diene: DMs of saying regulate discourse in terms of speaker commitment. The presence of the verbum dicendi signals that commitment is at stake: the speaker indicates that commitment is problematic in some way, hence the need to comment on it. This feature might actually be the common denominator to a hypothetical class of DMs of saying. Wie aus dem oben angeführten Zitat ersichtlich, findet sich eine ähnliche Überlegung auch bereits bei Niehüser (1987, S.-196): Der metakakommunikative Kommentar demonstriert ein Bewusstsein für das entsprechende Problem (bzw. die Wertung des Kommentierten als Problem, zumindest als ein potenzielles). Dadurch wird es möglich, (inhaltlich oder ausdrucksseitig) „Kontraindiziertes auszusprechen“ (Hagemann 1997, S.-45), ohne sich dafür angreifbar zu machen, dass es als solches nicht erkannt wurde. Wie in Abschnitt-2.2.2 ausgeführt, ist die Markierung solcher „Gefahrenstellen im Sinngebungsprozess“ (Auer 1981, S.- 308) allerdings ein Merkmal von Indexikalitätsmarkern im Allgemeinen. Inwiefern sie tatsächlich charakteristisch speziell für indexikalische Ausdrücke mit sagen sind, wie Lansari impliziert, lässt sich erst beurteilen, wenn diese Ausdrücke in ihrer vollen Breite inventarisiert sind. Wir kommen darauf zurück in Kapitel-8. 2.6 Zusammenfassung Kapitel- 2 hat einen Überblick über relevante Vorarbeiten zu unserem Untersuchungsgegenstand gegeben, um daraus ein Raster abzuleiten, mit dem die empirischen Befunde in Kapitel-4 bis 7 theoretisch eingeordnet werden können. Dazu wurden in Abschnitt- 2.2 zunächst einige Ansätze zur Definition und Typisierung gesprächsspezifischer Verfestigungen vorgestellt und miteinander verglichen. Unter den vielen Bezeichnungen für die betreffenden Formen in der Literatur dominiert der Begriff des Diskursmarkers, der allerdings sehr unterschiedlich definiert und im Rahmen unserer Studie nicht verwendet wird. In Abschnitt-2.3 haben wir den Blickwinkel gewechselt und erläutert, wie die Entwicklung unserer Zielausdrücke aus diachroner Perspektive dargestellt wird. Auch hier wurden verschiedene Ansätze verglichen und gegeneinander abgewogen. Als relevante Konzepte, auf die wir in unserer eigenen Ergebnisdarstellung und -einordnung zurückkommen werden, wurden die Begriffe der Grammatikalisierung, der Lexikalisierung und der Univerbierung herausgestellt. Die ebenfalls diskutierten Begriffe der Pragmatikalisierung, der Kooptation und der (lexikalischen oder grammatischen) Konstruktionalisierung werden in unserer Darstellung dagegen nicht verwendet. Abschnitt-2.4 hat skizziert, welche Rolle den lautlichen Untersuchungen im Rahmen unserer Analysen zukommt, und auf welche Vorannahmen und Befunde sich die dort verfolgten Fragestellungen beziehen. Mit segmentalphonetischer Reduktion, Wortgrenzenabbau und <?page no="58"?> Pragmatische Marker 58 Verschmelzung, prosodischer Spezialisierung und der Frage nach möglichen Kopplungen von lautlicher Realisierung und Interaktionsfunktion wurden insgesamt vier Themenfelder definiert, die in den folgenden Fallstudien erkundet werden. Den Abschluss bildete eine kurze Übersicht über existierende Darstellungen pragmatischer Formeln und Marker mit sagen (sowie seiner Entsprechungen in anderen Sprachen) in Abschnitt-2.5. <?page no="59"?> 3. DATEN UND VORGEHEN 3.1 Überblick Das folgende Kapitel erläutert das methodische Vorgehen, die untersuchten Daten und benutzten Hilfsmittel, die angesetzte pragmatische Funktionstypologie sowie die praktischen Darstellungskonventionen der Studie. Wir beginnen mit einem Überblick über den generellen Aufbau und das methodische Vorgehen der Untersuchung, zunächst noch ohne operationalisierungstechnische Details (Abschn.-3.2). Im Anschluss stellen wir die benutzten Korpora und Wörterbücher vor und erläutern, wo und wie sie im Zuge der Untersuchung zum Einsatz kamen (Abschn.-3.3). Herzstück des Kapitels ist Abschnitt-3.4, in dem wir einerseits die angesetzten pragmatischen Funktionskategorien erläutern sowie andererseits ihr Verhältnis zur höheren Beschreibungsebene der kommunikativen Praktiken und Handlungen bestimmen, die mit den untersuchten Ausdrücken vollzogen werden. Abschnitt-3.5 ist den methodischen Details der verschiedenen korpuslinguistischen Erhebungs- und Analyseschritte unserer Untersuchung gewidmet. Abschließend erläutern wir in Abschnitt- 3.6 die Darstellungskonventionen der Ergebnispräsentationen in Kapitel- 4 bis-7 mit Blick auf ihre Strukturierung, die Konventionen für Textbeispiele und Transkripte, die Notation der identifizierten Praktiken sowie eine Visualisierung ihrer funktionalen, strukturellen und kontextuellen Vernetzungen in Gestalt einer „pragmatischen Karte“. Abschnitt-3.7 gibt eine kurze Zusammenfassung des Kapitels. Wir illustrieren unser Vorgehen und die im Laufe des Kapitels getroffenen Festlegungen jeweils am Beispiel einer einzelnen exemplarischen sagen-Formel, die wir zu Beginn von Abschnitt-3.4 anhand eines Belegs aus dem Korpus FOLK einführen. Wir nutzen diesen Beleg, um alle relevanten Teilschritte der Untersuchung zu veranschaulichen: die initiale Identifikation eines Ausdrucks als potenziell beschreibungsrelevante Verfestigung, seine funktionale Klassifikation, seine korpuslinguistische Erhebung, Analyse und Auswertung sowie seine integrierte (d. h. sowohl funktionale als auch strukturelle und kontextuelle) Beschreibung im Rahmen des vorgeschlagenen Darstellungsformats. 3.2 Vorgehen Das erste empirische Ziel der Arbeit ist eine umfassende Inventarisierung pragmatischer Formeln und Marker mit sagen in authentischen Interaktionen. Ihren Ausgang nimmt diese Inventarisierung daher von einer Analyse typischer Gebrauchsmuster von sagen in der spontanen Mündlichkeit, für die wir im „Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (FOLK) eine Analyse aller zweibis siebengliedrigen <?page no="60"?> Daten und Vorgehen 60 N-Gramme vornehmen, die das Lexem sagen beinhalten. Das Korpus wird in Abschnitt- 3.3 vorgestellt, Details der Analyse erläutern wir in Abschnitt- 3.5. Im Anschluss werden die identifizierten Kandidaten für potenziell beschreibungsrelevante Verfestigungen rund um das Verb sagen aus einer Reihe von allgemeinen und speziellen Wörterbüchern ergänzt. Wir werten dazu die Einträge des Lemmas sagen in zwei Bedeutungswörterbüchern, zwei Idiomwörterbüchern und einem Valenzlexikon aus (Abschn.-3.3). Dabei wird zunächst noch nicht berücksichtigt, ob die gelistete Verfestigung auch in spezifisch pragmatischer Hinsicht beschreibunsgrelevant ist oder nicht, sondern die ursprüngliche Liste schlicht erweitert. Das Ergebnis dieses ersten Schritts ist eine initiale Kandidatenliste diverser verfestigter Gebrauchsmuster von sagen. Im zweiten Schritt geht es dann um das für uns entscheidende Merkmal der Indexikalität bzw. „besonderen Gesprächsfunktion“. Wir erläutern zunächst in Abschnitt- 3.4, wie dieses Kriterium hier operationalisiert wird und stellen die dafür angesetzten Kategorien und Merkmale vor, die unser pragmatisches Klassifikationssystem definieren. Anschließend wird beschrieben, wie die Kandidatenliste um Elemente ohne besondere Gesprächsfunktion(en) bereinigt wird, die verbleibenden Einheiten nach ihren Funktionsschwerpunkten typisiert und schließlich mit sowohl bedeutungsals auch funktionsähnlichen Nachbarn auf der Liste zu gemeinsamen schematischen „Bildungstypen“ zusammengefasst werden. Ein solcher gemeinsamer Bildungstyp wird immer dann angesetzt, wenn zwei (oder mehr) Ausdrücke auf der Liste einerseits bestimmte semantisch-pragmatische Merkmale teilen (wie etwa eine bestimmte Art von Modalisierung in Verbindung mit einer bestimmten Personendeixis und einem- bestimmten Tempus) und damit andererseits auch dieselbe(n) besondere(n) Gesprächsfunktion(en) erfüllen. Lexikalisch und grammatisch können die auf diese Weise zusammengefassten Ausdrücke hingegen große Unterschiede aufweisen (bis hin zur kompletten Nicht-Übereinstimmung in allen beteiligten Ausdruckskomponenten). Eine nähere Erläuterung des Konzepts sowie der Klassifikation der Daten nach diesem Prinzip erfolgt in Abschnitt- 3.5. Das Ergebnis des zweiten Schritts ist eine bereinigte, sortierte und stratifizierte Liste nunmehr spezifisch pragmatischer Verfestigungen des Lexems sagen, die eine (oder mehrere) indexikalische Funktion(en) im Sinne der einführenden Begriffsbestimmung in Kapitel- 2 (sowie ihrer späteren Konkretisierungen in Abschn.-3.4.1 bis 3.4.4) aufweisen. Im dritten Schritt werden die einem gegebenen semantisch-pragmatischen Bildungstyp zugeordneten Ausdrücke dann im Korpus erhoben. Hierfür verwenden wir das gegenüber FOLK ungleich größere, dabei jedoch zumindest „konzeptionell mündliche“ (vgl. Koch/ Oesterreicher 1985) Webkorpus DECOW16B, das zum großen Teil aus Webforeninteraktionen besteht und in Abschnitt-3.3 vorgestellt wird. Für jeden Bildungstyp wird ermittelt, welche zugehörige Formel rein häufigkeitsmäßig die dominante Variante in unserem Untersuchungskorpus darstellt. Das <?page no="61"?> Vorgehen 61 Gros dieser „zentralen Verfestigungen“, wie wir die dominante Variante eines schematischen Bildungtyps bezeichnen, ist allerdings auch intern noch variabel (etwa durch flexible Wortstellung, veränderlichen Numerus des Subjekts, weglass- oder austauschbare Modifikatoren eines bestimmten semantischen Typs etc.). Auf dieser nochmals feineren Betrachtungsebene bezeichnen wir die dominante (dann vollspezifizierte) Realisierung einer Verfestigung als deren konkrete lexikogrammatische „Leitform“. In Abschnitt-3.5 illustrieren wir die Begriffe der zentralen Verfestigung und der Leitform ausführlich an einem Beispiel. Gegenstand der in Kapitel-4 bis 7 gegebenen Formelüberblicke, deren Aufteilung den angesetzten vier Funktionsbereichen folgt, sind die diesen Bereichen je schwerpunktmäßig zugeordneten- semantisch-pragmatischen Bildungstypen, die umfassend mit Belegen aus DECOW16B illustriert werden. In unserem Verzeichnis repräsentiert werden sie jeweils in Gestalt der Leitform ihrer zentralen Verfestigung, für die in Abschnitt-3.6 ein einheitliches Notationsformat vorgeschlagen wird. Wo sich Hinweise darauf finden, dass mit ein- und derselben Leitform in unterschiedlichen Kontexten auch funktional unterschiedliche Praktiken vollzogen werden, wird in den Überblicken jeweils diejenige Praktik charakterisiert, die in der ausgewerteten Stichprobe für diese Leitform vorherrscht. Methodische Details zur Frage, wie die angesetzten Bildungstypen im Korpus erhoben, ihre zentralen Verfestigungen und deren jeweilige Leitformen in den Daten ermittelt und schließlich die dominante Verwendung einer gegebenen Leitform in der ausgewerteten Stichprobe bestimmt wurde, erläutern wir in Abschnitt- 3.5. Mit Abschluss dieses Schrittes sind die beiden grundlegenden deskriptiven Ziele der Arbeit erreicht, das Repertoire entsprechender Ausdrücke mit sagen in der (medialen oder konzeptionellen) Mündlichkeit zu inventarisieren und funktional zu systematisieren. Im vierten Schritt kehren wir zu unserem Untersuchungsgegenstand im engeren Sinne zurück: dem auch medial mündlichen, d. h. gesprochensprachlichen Gebrauch der untersuchten Verfestigungen. Für jeden der in Kapitel-4 bis 7 dargestellten funktionalen Schwerpunktbereiche wird je ein Ausdruck ausgewählt, der in der Mündlichkeit besonders prominent ist. Die zweite Hälfte der Ergebniskapitel ist dann jeweils einer detaillierten Fallstudie des Gebrauchs dieser Konstruktion im Korpus FOLK gewidmet. Anders als in den Überblicksdarstellungen wird dabei zum einen das volle Spektrum kommunikativer Praktiken betrachtet, die mit dem jeweiligen Ausdruck in unterschiedlichen Kontexten (sequenzieller und anderweitig positioneller Art) vollzogen werden können. Zum anderen richtet sich der Blick auch auf das erreichte Ausmaß an struktureller Verfestigung, und zwar sowohl in Bezug auf die Konstruktion im Ganzen als auch auf ihre Verwendung im Rahmen bestimmter individueller Praktiken, die sich in dieser Hinsicht möglicherweise unterscheiden. In der in Kapitel-1 eingeführten Begrifflichkeit geht es mithin um die Tendenz eines Ausdrucks zur kompaktierten Realisierung als invarianter Marker anstatt als (noch) abwandel- und erweiterbare Formel. Neben lexikalischen und syntaktischen werden <?page no="62"?> Daten und Vorgehen 62 dabei vor allem auch phonetische Realisierungsmerkmale wie zum Beispiel Hinweise auf einen Abbau der markerinternen Wortgrenzen und die für Marker postulierte Tendenz zur Realisierung als eigene Intonationsphrase betrachtet. Abschließend wird eine Einordnung der betreffenden Einheit bezüglich der verschiedenen in Kapitel-2 diskutierten Sprachwandelkonzepte vorgenommen. Im fünften und letzten Schritt der Untersuchung ziehen wir in Kapitel-8 Bilanz. Dazu rekapitulieren wir zunächst noch einmal die zentralen deskriptiven Befunde der Arbeit, reflektieren dann Stärken und Schwächen der verwendeten Methodik und diskutieren schließlich allgemeine theoretische Implikationen unserer Resultate, die über den konkreten Untersuchungsbereich der Studie hinausweisen. 3.3 Daten Erste Wahl für die Untersuchung von Ausdrücken mit besonderen Gesprächsfunktionen sind naheliegenderweise mündliche Korpora mit Sammlungen authentischer Gespräche. Ein solches ist unser Hauptuntersuchungskorpus FOLK, das seit 2008 am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim gesammelt wird und ein breites Spektrum vor allem nicht-elizitierter, natürlicher Interaktionen beinhaltet (Deppermann/ Hartung 2012; Schmidt 2014a/ b; Kaiser 2018, vgl. Abschn.-3.3.1). Solche Korpora sind allerdings aufwändig in Erstellung und Ausbau und somit typischerweise sehr klein und langsam wachsend im Vergleich zu Korpora geschriebener Sprache. Auch unter letzteren gibt es allerdings einige, die in Bezug auf Interaktivität und Spontaneität der Textproduktion gewisse Parallelen zu Gesprächskorpora aufweisen (zum Beispiel Korpora von Messengerkommunikation oder mit Daten aus Diskussionsforen im Internet). Für Fragen, die dies zulassen, liegt es daher nahe, die zuweilen dünne Beleglage in mündlichen Korpora mit Daten aus solchen mündlichkeitsnahen Quellen aufzubessern. 52 Wir machen von dieser Möglichkeit im ersten Teil unserer Untersuchung Gebrauch, in dem es um die (qualitative) Inventarisierung und funktionale Systematisierung attestierter Verfestigungen von sagen mit- besonderen pragmatischen Funktionen geht. Hierzu ziehen wir das Korpus DECOW16B heran, ein großes Webkorpus mit einem hohen Anteil sowohl interaktiver als auch wenig redigierter, „quasispontan“ verfasster Texte (Schäfer/ Bildhauer 2012; Schäfer/ Bildhauer 2013, vgl. Abschn.-3.3.2). 52 Zu bedenken ist dabei allerdings, dass auch jenseits der grundlegenden Medialitätsbzw. Materialitätsfrage relevante Unterschiede in den Konstitutionsbedingungen tatsächlich mündlicher und lediglich „konzeptionell mündlicher“ Sprachhandlungen bestehen, die sich-- je nach verfolgter Fragestellung- - auch auf die Vergleichbarkeit der beiden Datentypen auswirken können (vgl. Beißwenger 2020; Imo 2013, S.-94-99). <?page no="63"?> Daten 63 Drittens greifen wir in der lautlichen Analyse zumindest einer der vier Vertiefungsstudien (wie gesagt in Kap.-7) aufgrund von Regionalitätseffekten in der Aussprache relevanter Segmente auf das Korpus Deutsch heute zurück, das im Rahmen des IDS- Projekts „Variation des gesprochenen Deutsch“ gesammelt wurde (Knöbl et al. 2007; Kleiner 2015). Das Korpus ist zum einen nach sprachräumlichen Gesichtspunkten balanciert und liegt zum anderen in einer deutlich besseren Aufnahmequalität vor als viele der in FOLK enthaltenen Gespräche (vgl. Abschn.-3.3.3). Am Ende der Sektion erläutern wir in Abschnitt- 3.3.4, welche Wörterbücher zur Ergänzung der initialen Kandidatenliste benutzt wurden und welche Angaben ihnen dabei entnommen wurden. 3.3.1 FOLK Das „Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (FOLK) wird seit 2008 vom „Archiv für Gesprochenes Deutsch“ (AGD) am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) gesammelt und kontinuierlich ausgebaut. Es ist über die „Datenbank für Gesprochenes Deutsch“ (DGD) zugänglich (https: / / dgd.ids-mannheim.de/ dgd/ pragdb.dgd_extern.welcome). Das Korpus enthielt im Jahr 2022 (DGD-Release-2.18) insgesamt 336 Aufnahmestunden von über 1000 Sprecherinnen und Sprechern (über 3-Millionen Token) in unterschiedlichen Interaktionen und Settings. Die Aufnahmen sind nach den Konventionen der GAT2-Minimaltranskription verschriftet und verfügen daneben über weitere Annotationslayer-- u. a. ein Layer mit orthografisch normalisierten Formen, in dem wir die Vorkommen der untersuchten Formeln abfragen konnten. Das komplexe Stratifikationsmodell orientiert sich an verschiedenen interaktionsbezogenen Parametern. Auf der obersten Ebene werden vier „Interaktionsdomänen“ unterschieden (privat, öffentlich, institutionell und sonstige), die in verschiedene gesellschaftliche Lebensbereiche und Handlungstypen subklassifiziert sind (vgl. zur Stratifikation Kaiser 2018). Zusätzlich enthält das Metadatenschema Informationen zum Interaktionsmedium (zur Unterscheidung zwischen face-to-face, telefonisch oder massenmedial vermittelten Interaktionen), zur Anzahl der Gesprächsbeteiligten und weitere settingbezogene Informationen. Die settingbezogenen Metadaten erlauben in Verbindung mit den dokumentierten sprecherbezogenen Metadaten- - hier vor allem soziodemografische Parameter wie Alter, Geschlecht und dreistufig unterschiedener Bildungsgrad-- quantitative Auswertungen der Distribution des Sprachformengebrauchs in den unterschiedenen Domänen, Handlungstypen, Altersgruppen usw. Zudem enthält das Metadatenschema areallinguistische Informationen. Erfasst sind in den meisten Fällen die biografischen Aufenthaltsregionen der Sprecherinnen und Sprecher und die Region der Datenerhebung. Die Benennung und Einteilung der Regionen im FOLK-Metadatenschema orientiert sich an der in der deutschsprachigen- Dialektologie etablierten Gliederung- des Sprachraums von Wiesinger (1983). Die im Metadatenschema unter- <?page no="64"?> Daten und Vorgehen 64 schiedenen 15 Regionen sind zudem sechs sprachlichen Großräumen zugeordnet (Nordost, Nordwest, Mittelost, Mittelwest, Südost und Südwest), die gleichermaßen der sprachräumlichen Einteilung in Ammon et al. (2004) und der Visualisierung des deutschen Sprachraums in Lameli (2011) entsprechen. 3.3.2 DECOW Das zur Verbreiterung der Datenbasis herangezogene Webkorpus DECOW ist unter der URL https: / / www.webcorpora.org/ zugänglich (Stand: November 2023). Mit knapp 20 Milliarden Token ist das benutzte Release DECOW16B mehr als 6.000-mal so groß wie unser mündliches Hauptuntersuchungskorpus FOLK (Stand: Sommer 2022, DGD Release 2.18). Mehr als ein Fünftel der Daten in DECOW16B stammt aus Webforen und ist daher interaktiver Natur. Mit über 4 Milliarden Token ist auch das Foren-Subkorpus aus DECOW16B noch über 1.300-mal größer als FOLK. Mit der Textquelle „Forum“ korreliert, aber nicht deckungsgleich ist eine Klassifikation der im Korpus enthaltenen Dokumente bezüglich der „Quasi-Spontaneität“ des enthaltenen Sprachgebrauchs. Basis dieser Einordnung ist der Anteil klitisierter Realisierungen von Indefinitartikeln (n, nen), die Anzahl nicht-standardkonformer Kontraktionen von Präpositionen (aufm) und Verben (gehts) sowie die Anzahl von Emoticons pro 1.000 Wörtern. Um als „quasispontan“ gewertet zu werden, muss ein gegebenes Dokument bestimmte Schwellenwerte für alle drei Indikatoren zugleich überschreiten. Insgesamt entstammen knapp 15% der Token im Korpus solchen Dokumenten. Diese mutmaßlich wenig bis nicht redigierten, informell-nähesprachlichen Texte umfassen immer noch mehr als 900-mal so viele Token wie das FOLK-Korpus. Es gab daher Grund zur Annahme, dass wir hier auf interaktive und in relevanten Hinsichten mündlichkeitsnahe Belege für die gesuchten Ausdrücke stoßen würden, die in FOLK allein aufgrund der wesentlich geringeren Größe des Korpus nicht attestiert sind. 3.3.3 Deutsch heute Das Korpus Deutsch heute (Dh) wurde von 2006 bis 2009 im Rahmen des IDS-Projekts „Variation des gesprochenen Deutsch“ erhoben und umfasst Aufnahmen verschiedener elizitierter Interaktionen an insgesamt 194 Orten im deutschen Sprachraum (vgl. das Ortsnetz der Erhebung in Abb.-2): <?page no="65"?> Daten 65 Abb.-2: Netz der Erhebungsorte des Korpus Deutsch heute mit der Einteilung in regionale Großräume Sprachraum ist die wichtigste Variable des Korpus, soziale Variablen der Sprecherinnen und Sprecher (Alter, Bildungsgrad und Ortsansässigkeit) sind kontrolliert und die von ihnen im Rahmen der Erhebung zu bewältigenden kommunikativen Aufgaben möglichst invariant (Lese- und Benennungsaufgaben und die beiden interaktionalen Aktivitäten „Map-Task“ und „sprachbiografisches Interview“, vgl. Knöbl et al. 2007 zum Korpusdesign). Da die Daten ursprünglich zum Zweck der Analyse <?page no="66"?> Daten und Vorgehen 66 sprachräumlicher Merkmale des formellen, standardorientierten Sprechens erhoben worden sind, wurden Nackenbügelmikrofone mit einer zuordenbaren Aufnahmespur pro Person verwendet und so eine Aufnahmequalität erzielt, die sich für die phonetische Analyse gut eignet. Bei der vorliegenden Studie greifen wir auf Daten der beiden interaktionalen Subkorpora „Map-Task“ und „sprachbiografisches Interview“ zurück, die an Erhebungsorten in Deutschland aufgenommen wurden (mit anderen Worten also Daten insbesondere aus Österreich und der Schweiz ausschließen). Für die Auswertung sind die Daten den sechs regionalen Sprachräumen zugeordnet, die der sprachräumlichen Einteilung in FOLK entsprechen (vgl. Abb.-2). 3.3.4 Benutzte Wörterbücher An allgemeinen Wörterbüchern wurden das Deutsche Universalwörterbuch des Dudenverlages (Duden 2001) sowie das Wahrig-Wörterbuch verwendet (Wahrig-Burfeind 2011). An speziellen Wörterbüchern wurde das „Valenzwörterbuch deutscher Verben“ (VALBU, Schumacher et al. 2004), Schemanns „Deutsche Idiomatik“ (Schemann 2011) sowie Röhrichs „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ (Röhrich 1992) herangezogen. Ausgewertet wurde jeweils der Eintrag für das Lemma sagen. 53 Dabei wurden alle separat angeführten Verwendungsbeispiele auf eine eigene Liste für jedes Wörterbuch geschrieben. Alle Verwendungsmuster mit besonderen Gesprächsfunktionen (vgl. Abschn.- 3.4) wurden nach Abschluss unserer Formelklassifikation auf die von uns angesetzten Kategorien bezogen, um sie im Zuge der Ergebnispräsentation an den relevanten Stellen in die Darstellung einfließen lassen und sie von Wörterbuch zu Wörterbuch miteinander vergleichen zu können. Die Gesamtliste umfasste insgesamt 312 Einträge mit je eigenständig angeführten Verwendungsweisen von sagen (von denen aber natürlich viele in ähnlicher Form in mehr als einem Wörterbuch genannt waren). 3.4 Pragmatische Analyse Im Anschluss an die Identifikation möglicher Zielausdrücke waren die Elemente auf unserer Kandidatenliste in Bezug auf ihre Indexikalität und somit spezifisch pragmatische Beschreibungsrelevanz zu überprüfen. Bevor wir das konkrete Vorgehen im Zuge dieser Klassifikation erläutern, wird in diesem Abschnitt-zunächst das zugrundegelegte Klassifikationssystem vorgestellt. Als ausschlaggebendes Kriterium sehen wir an, dass sich eine Formel auf einen relevanten Aspekt der aktuellen Sprechsituation bezieht. Der folgende Abschnitt-führt aus, um welche Aspekte es sich dabei handeln kann. Dazu werden vier grundlegende pragmatische Funktionsdomänen 53 Im VALBU wurde speziell die Sektion „PHRAS“ mit Angaben zu Vorkommen im Rahmen von Idiomen und „Wendungen“ betrachtet. <?page no="67"?> Pragmatische Analyse 67 angesetzt, die nacheinander vorgestellt und auf einschlägige Unterscheidungen und Konzepte aus der Literatur bezogen werden. Unsere Ausführungen beschränken sich jeweils nur auf das Nötigste, das zum Verständnis unserer Einteilung erforderlich ist. Schon rein aus Platzgründen kann das Ziel an dieser Stelle keine umfassende Reflexion der diversen im Rahmen der Literatursichtung gestreiften Debatten und Begriffe sein-- mehreren davon sind in den Forschungstraditionen, denen sie entstammen, bereits für sich allein genommen komplette Monographien gewidmet. Stattdessen soll es lediglich um eine knappe Orientierung gehen, auf welche Vorarbeiten und Konzepte sich unser Klassifikationsschema bezieht und wie wir diese Komponenten im Rahmen unserer eigenen Analyse miteinander verbinden. Terminologisch verwenden wir für die Beteiligten der Sprechsituation die Platzhalter „S“ (für den Sprecher bzw. die Sprecherin, der/ die den Zielausdruck produziert) sowie „P“ (für den Partner bzw. die Partnerin, an den/ die sich S’ Äußerung wendet). 54 Für den Subjektreferenten der sagen-Formel, der auch in Ausdrücken mit besonderen Gesprächsfunktionen nicht notwendig mit S oder P zusammenfallen muss (vgl. Abschn.-3.4.5), verwenden wir auch den Begriff der „Sprechinstanz“. Wie angekündigt, werden die getroffenen Unterscheidungen jeweils an einem konkreten Beispiel illustriert. Wir verwenden dazu den formelhaften Ausdruck da kannsch NIX sage aus dem folgenden Ausschnitt aus FOLK. 55 Die Passage ist einem familiären Alltagsgespräch beim Abendessen entnommen. Direkt vor Beginn des Ausschnitts hat Sprecherin JI berichtet, dass sie bei ihrem Friseurbesuch am Vormittag Gebrauch von einer Rabattkarte gemacht hat. Für das komplette Paket aus Schneiden, Waschen und Lockenwickeln habe sie unter Verrechnung dieser Karte insgesamt 14-Euro zahlen müssen. Ihre Schwester HM produziert daraufhin die Zieläußerung ah da kannsch NIX sage. Sprecherin HM bringt damit eine positive Bewertung zum Ausdruck, der sich Sprecherin JI mit dem folgenden Repeat kannsch nix SAche in Zeile-4 anschließt: (3) „Da kannsch nix sage“, FOLK_E_00143_SE_01_T01, c612-618 (Tischgespräch) 01 JI na hab_isch für_SCHNEIde und dEs alles minanner- 02 °h haw_isch VIERzeh EUro bezahlt. → 03 HM ah da kannsch NIX sag [ e .] → 04 JI [ ka ][ nnsch nix SAche .] 05 GI [nä: (.) GAR nix.] 06 GI GAR nix. 07 JI °h un isch hab g[sAgt die nägscht WOCH,] 08 GI [un schÄ geMACHT is a: .] 54 Gelegentlich werden die Rollenbezeichnungen S und P im Text auch ausgeschrieben, wo dies dem Lesefluss förderlich ist. In solchen Situationen wie auch bei pronominalen Bezugnahmen verwenden wir als generische Form die maskuline, sofern es sich nicht um einen Verweis auf eine konkrete individuelle Sprecherin handelt (zum Beispiel im Rahmen der Erläuterung eines bestimmten Transkriptausschnitts). 55 Der (deutlich dialektale) Beleg in (3) entstammt dem Rheinfränkischen Sprachraum. <?page no="68"?> Daten und Vorgehen 68 Wir kommen im Rest des Kapitels immer wieder kurz auf dieses Referenzbeispiel zurück und veranschaulichen, wie seine formalen, funktionalen und kontextuellen Merkmale in unserem Klassifikationssystem abgebildet werden. 3.4.1 Positionierung Die erste der hier angesetzten Funktionsdimensionen bezieht sich auf den sprachlichen Ausdruck von Subjektivität. Wir verwenden dafür den Begriff der Positionierung. Unter Positionierung verstehen wir die Signalisierung einer subjektiven Perspektive von S auf einen thematisierten Sachverhalt durch dafür geeignete kommunikative Mittel. Durch Positionierungen werden persönliche Einschätzungen und Einstellungen von S im Gespräch überhaupt erst sichtbar, was eine notwendige Vorbedingung für darauf aufbauende intersubjektive Abgleiche mit den Positionierungen anderer Interaktionsteilnehmer darstellt. Der Begriff der Subjektivität (sowie, davon abgeleitet, der Subjektivierung) ist speziell in der Kognitiven Linguistik sowie in der Grammatikalisierungs- und Sprachwandelforschung der vergangenen Jahrzehnte intensiv diskutiert worden (vgl. Stein/ Wright (Hg.) 1995). Die einflussreichsten Subjektivitätsbegriffe dieser beiden Forschungstraditionen sind die Konzepte von Langacker (Langacker 1990; Langacker 1999, S.-297-316; vgl. auch die Beiträge in Athanasiadou/ Canakis/ Cornillie (Hg.) 2006) und Traugott (Traugott 1989; Traugott/ Dasher 2002; vgl. auch die Beiträge in Davidse/ Vandelanotte/ Cuyckens (Hg.) 2010). Dass Langacker und Traugott dabei jeweils unterschiedliche Dinge unter „Subjektivität“ bzw. „Subjektivierung“ verstehen, hat zunächst für einige terminologische Verwirrung gesorgt, ist mittlerweile aber in zahlreichen Beiträgen zur Debatte um den Subjektivitätsbegriff ausführlich diskutiert worden (vgl. De Smet/ Verstraete 2006; López-Couso 2010; Mortelmans 2004; Nuyts 2014). Kurz zusammengefasst nehmen zwar beide Konzepte ihren Ausgang von einer Bestimmung von Subjektivität als (notwendiger) Sprecherbezogenheit einer Äußerung, machen deren Vorliegen aber letztlich an unterschiedlichen Kriterien fest. In Langackers Überlegungen geht es darum, ob der Bezug auf S und dessen subjektive Perspektive sprachlich explizit angezeigt wird oder nicht. In einer (im Langackerschen Sinne) subjektiven Formulierung ist das nicht der Fall: S selbst bleibt in der bezeichneten Szene ungenannt und „offstage“ (Langacker 1990, S.- 7), obwohl diese Szene ohne den semantischen Bezug auf S nicht konzeptualisiert werden kann. Zur Illustration führt er den Kontrast der subjektiven Konzeptualisierung in (4) mit ihrem „objektiven“ Pendant (so der Gegenbegriff bei Langacker) in (5) an: (4) Vanessa is sitting across the table. (5) Vanessa is sitting across the table from me. (Langacker 1990, S.-10) <?page no="69"?> Pragmatische Analyse 69 Sowohl in (4) als auch in (5) fungiert S als Bezugspunkt der räumlichen Relation across, in der „subjektivierten“ Formulierung in (4) bleibt dieser Bezugspunkt aber implizit. Ähnliche Effekte zeigen sich auch in vielen anderen Domänen. (6) ist ein Beispiel aus dem Bereich der Modalität: (6) You must be tired. (Langacker 1990, S.-28) In epistemischen Verwendungen wie (6) verweist des Modalverb must nicht auf das Bestehen einer bestimmten Obligation innerhalb der bezeichneten Szene „in der Welt“. Stattdessen markiert es eine rein interne Einschätzung von S bezüglich der Wahrscheinlichkeit des modalisierten Sachverhalts. Einen direkten sprachlichen Reflex hat die zentrale Rolle von S in der modalen Interpretation von (6) aber ebensowenig wie in der spatialen Interpretation von (4). In Traugotts Ansatz ist es dagegen unerheblich, ob die Rolle von S implizit bleibt („subjektive Konzeptualisierung“ im Langackerschen Sinne) oder overt sprachlich markiert wird („objektive Konzeptualisierung“). Entscheidend ist allein, ob ein Rekurs auf S für ein gegebenes Zeichen interpretationsnotwendig ist oder nicht. Wie De Smet/ Verstraete (2006) anmerken, ist dieses Verständnis von Subjektivität zum einen umfassender als das von Langacker (auch „objektiv“ versprachlichte Szenarien können einen interpretationsnotwendigen Bezug auf S einschließen, vgl. (5)) sowie zum anderen auch näher am traditionellen Verständnis des Begriffs in älteren Darstellungen wie Benveniste (1958/ 1966). Im Zentrum von Traugotts Überlegungen steht allerdings weniger der Begriff der Subjektivität an sich als vielmehr der Prozess der Subjektivierung, worunter sie eine diachrone Zunahme subjektiver Bedeutungsanteile in der Semantik einer Konstruktion versteht. Gemäß Traugott handelt es sich bei solchen Entwicklungen um eine universelle Tendenz semantischen Wandels: Im Laufe ihrer Entwicklung tendieren Bedeutungen zur Anlagerung subjektiver, vormals lediglich durch Implikaturen manifestierter Merkmale, die im Laufe der Zeit „gestärkt“ („pragmatic strengthening“, Traugott 1988) und schließlich fest semantisiert werden. In den in Kapitel- 4 bis 7 präsentierten Fallstudien werden uns Effekte beider Art begegnen, d. h. Manifestationen von Subjektivität sowohl im weiteren, Traugottschen als auch im engeren, Langackerschen Sinne. Für unser gegenwärtiges Ziel, die Erläuterung der vier Dimensionen unseres funktionalen Klassifikationsschemas, ist Subjektivität zunächst einmal aber nur im Traugottschen Sinne von „the speaking subject’s ‚enactment‘ of his or her position with respect to the content“ einschlägig (Traugott 2022, S.-195). Häufig werden für solche subjektiven Bedeutungsanteile und ihre sprachliche Anzeige auch die englischen Begriffe Stance und Stancetaking verwendet. Zumeist wird der Stance-Begriff-- umfassend verstanden als „personal belief/ attitude/ evaluation“ <?page no="70"?> Daten und Vorgehen 70 (Englebretson 2007, S.-14) bzw. „the lexical and grammatical expression of attitudes, feelings, judgments, or commitment concerning the propositional content of an utterance“ (Biber/ Finegan 1989, S.-93)-- dabei noch feiner untergliedert in Kategorien wie „evaluative stance“, „epistemic stance“ und „affective stance“. Demgegenüber schließen wir uns im Folgenden Du Bois (2007) in seiner Wahl des Begriffs der Positionierung („positioning“) an, den er als gemeinsamen Oberbegriff für verschiedene Arten von Stance bzw. Stancetaking vorschlägt. Positionierung in diesem Sinne bezeichnet die Markierung unterschiedlicher Arten von Sprechersubjektivität bezüglich eines thematisierten Sachverhalts, zu dem sich S positioniert („Stance object“ in der Begrifflichkeit von Du Bois). Bei diesem Gegenstand kann es sich um eine (konkrete oder abstrakte) Entität, einen Sachverhalt oder auch seinerseits um einen sprachlichen Ausdruck (d. h. eine bestimmte Formulierung) handeln. 56 Als grundlegende Opposition innerhalb der Dimension „Positionierung“ setzen wir mithin auch nicht die Domäne an, innerhalb derer sich eine Positionierung vollzieht (z. B. „affective stance“ vs. „epistemic stance“), sondern stattdessen ihre Polarität: Maximal verallgemeinert unterscheiden wir zwischen einer Art von Positionierung, mit der S die eigene, subjektive Perspektive mit einem gegebenen Standpunkt zum Stance-Objekt gleichsetzt bzw. sich diesen Standpunkt zu eigen macht, und einer gegenläufigen Positionierung, die signalisiert, dass das eben nicht (bzw. nur mit Einschränkungen) der Fall ist. Den ersten Fall bezeichnen wir als involvierende Positionierung, den zweiten als distanzierende Positionierung. Positionierungen beider Art können mit Merkmalen anderer Funktionsdimensionen gekreuzt werden. Auf diese Weise kann S etwa die Involvierung in einen mit P geteilten Standpunkt anzeigen, oder auch die Distanzierung von einer bestimmten Festlegung aufgrund von fehlender Gewissheit. Hervorzuheben ist dabei, dass die Art einer Positionierung in unserem Verständnis des Begriffs nicht mit ihrem Inhalt zu verwechseln ist. Beispielsweise handelt es sich bei einer negativen Bewertung, sofern sie ohne Vorbehalt formuliert ist, nicht weniger um eine involvierende Positionierung als bei ihrem inhaltlich komplementären Gegenteil. Anders gesagt geht es also nicht darum, ob sich S (metaphorisch gesprochen) vom thematisierten Stance object selbst „distanziert“, sondern von einer bestimmten (wie auch immer gearteten) Perspektive darauf. 57 Unter einer „Distanzie- 56 Auch wenn Positionierung in diesem Sinn (als „Markierung von Sprechersubjektivität“) eng genommen unweigerlich identitätskonstitutiv ist, deckt sich das hier verwendetete Konzept nicht ganz mit dem der Positionierung als Mittel der Identitätskonstitution insbesondere im Rahmen von (komplexen) Erzählhandlungen (vgl. Lucius-Hoene/ Deppermann 2004) bzw. in Bezug zu übergeordneten, gesellschaftlichen Diskursen oder sozialen Kategorien (im Sinne der „Membership Categorization (Devices)“, vgl. Deppermann 2015a zu Positionierung als Mittel der Identitätskonstitution). 57 In diesem Sinne ist eine Äußerung wie ich hasse es ebenso involvierend wie ich liebe es: In beiden Fällen identifiziert sich S mit dem Subjektreferenten einer in ihrer Gültigkeit nicht eingeschränkten Prädikation, die allerdings je unterschiedlicher Art ist (‚etwas hassen‘ bzw. ‚etwas lieben‘). Formulierungen wie ich hasse es schon fast oder ich liebe es nicht gerade sind dagegen distanzierend, da sie eine <?page no="71"?> Pragmatische Analyse 71 rung“ verstehen wir mithin nichts weiter als die Vermeidung einer eindeutigen Festlegung, die insofern auch nicht zwingend an ein wahrgenommenes inhaltliches Problem (entweder interpersoneller oder epistemischer Art) gebunden ist, sondern ggf. auch lediglich die Existenz möglicher Alternativen zu einer gewählten Kategorisierung in den Blick rücken kann (vgl. Kap.-4 für eine ausführliche Diskussion). Damit nun zur Wertung von Beispiel (3). Die relevante Formel da(gegen) kannst du nichts sagen tritt hier gleich zweimal auf, und im Hinblick auf ihre Positionierungseigenschaften sind beide Verwendungen involvierend: Die negierte Modalität (nicht können) bezeichnet hier nicht ein fehlendes Vermögen des Subjektreferenten, sondern bringt zum Ausdruck, dass nach Auffassung von S die sachliche Berechtigung fehlt, sich ablehnend zum Stance-Objekt (dem aufgerufenen Preis von 14 Euro) zu positionieren. Indem einer möglichen Ablehnung durch die modale Konstruktion die Legitimation abgesprochen wird, formuliert Sprecherin HM in indirekter Weise also eine positive Bewertung des genannten Preises. HM als Quelle des modalen Urteils markiert diese Positionierung zugleich als eine von ihr selbst eingenommene, mit ihrer subjektiven Perspektive identische Haltung, die sich Sprecherin JI in ihrem folgenden Repeat dann ebenfalls zu eigen macht. In positionierender Hinsicht signalisiert die Formel somit im Fall beider Belege, dass S eine bestimmte Einschätzung zum thematisierten Sachverhalt vertritt bzw. die eigene Perspektive mit diesem Standpunkt gleichsetzt. Mit dieser recht allgemein gehaltenen Charakterisierung ist natürlich nur ein bestimmter Teil der semantisch-pragmatischen Merkmale der Formel erfasst, aber deren Funktion und Bedeutung erschöpft sich eben auch nicht in ihren Positionierungseigenschaften. 3.4.2 Koordination Die zweite Funktionsebene bezeichnen wir in Anknüpfung an Clark (1996) als den Bereich der interpersonellen Koordination. 58 Sprachgebrauch ist inhärent sozial, und die gemeinsame Hervorbringung kommunikativer joint actions im Rahmen des Interaktionsgeschehens erfordert eine enge wechselseitige Orientierung und Koordination der Interaktionsbeteiligten auf- und miteinander. Spezifisch koordinierende Leistungen in diesem Sinne sind zum einen die (responsive) Signalisierung von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit den Positionierungen eines Gegenübers sowie die (initiative) Aufforderung zur Übernahme bzw. zum Vollzug-bestimmter Orientierungen und Handlungen im Rahmen einer gemeinsamen Verwicklung von S in die prädizierte Positionierung bestreiten bzw. S’ Identifikation mit dem entsprechenden Standpunkt mit einer Einschränkung versehen. 58 „Doing things with language is […] different from the sum of a speaker speaking and a listener listening. It is the joint action that emerges when speakers and listeners-- or writers and readers-- perform their individual actions in coordination, as ensembles“ (ebd., S.-4, unsere Hervorhebung). An späterer Stelle heißt es noch pointierter: „language use is really people solving coordination problems“ (ebd., S.-62). <?page no="72"?> Daten und Vorgehen 72 Problemlösung. Zum anderen fällt in diesen Bereich auch der geeignete Zuschnitt eigener Beiträge auf die je spezifischen sozialen (und, in manchen Taxonomien, auch informationell-epistemischen) Bedürfnisse des Gegenübers, die üblicherweise im Zusammenhang mit dem Begriff der „Höflichkeit“ (Brown/ Levinson 1987; Curl/ Drew 2008; Kasper 1990; Watts 2003) diskutiert werden. 59 Hierhin gehört auch die Arbeit am zu vermittelnden Bild des eigenen Selbst (Facework), bei der es ebenfalls um Fragen der wechselseitigen Wahrnehmung der Interaktionspartner geht (Goffman 1967; Jayyusi 1984; Lerner 1996). So umfangreich der Bereich der Koordination in diesem Zuschnitt bereits bestimmt ist, wird er in einigen Ansätzen aber noch umfassender konzipiert, indem er mit dem in Abschnitt- 3.4.1 behandelten Bereich der Positionierung zusammengelegt wird. So spricht zum Beispiel Brinton (1996) in ihrem Buch Pragmatic Markers in English in Anknüpfung an Halliday/ Hasan (1976, S.- 26) von einem „interpersonal language mode“, in den die Funktion bestimmter pragmatischer Marker falle. Bestimmt wird dieser „Modus“ als die Domäne der „expression of the speaker’s attitudes, evaluations, judgments, expectations, and demands, as well as of the nature of the social exchange, the role of the speaker and the role assigned to the hearer“ (Brinton 1996, S.- 38). Sehr ähnlich und ebenfalls unter Verweis auf Halliday sprechen De Smet/ Verstraete (2006) von „interpersonal subjectivity“, was die beiden bei uns getrennten Dimensionen schon in der Bezeichnung zusammenführt. Subsumiert wird darunter „the positioning of the speaker with respect to this representation [of the extralinguistic and extra-discursive world] and his or her interaction with the interlocutor“ (ebd., S.-385). Wir schließen uns demgegenüber Ansätzen an, die schwerpunktmäßig sprecherbezogene Funktionen 60 und schwerpunktmäßig adressatenbezogenene Funktionen 61 trotz ihrer engen Verwobenheit analytisch differenzieren (und dies auch terminologisch kenntlich machen). Bei Traugott etwa wird den Begriffen der Subjektivität und Subjektivierung das korrespondierende Begriffspaar der „Intersubjektivität“ und „Intersubjektivierung“ entgegengesetzt. Intersubjektive Bedeutungen werden dabei definiert als „meanings centered on the addressee“ (Traugott 2010, S.-35), bzw. in etwas ausführlicherer Formulierung als „meanings that encode speaker/ writers’ attention to the cognitive stances and social identities of addressees“ (Traugott 2003a, S.-124). 62 59 Die Orientierung an epistemischen Bedürfnissen Ps ist dagegen eine Frage des „Adressatenzuschnitts“ (Recipient Design, Goodwin 1979; Malone 1997; Sacks 1992, S.-438; Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974). Wir behandeln sie getrennt im Rahmen eines eigenen Bereichs (vgl. Abschn.-3.4.3). 60 Bei Brinton: „expression of the speaker’s attitudes, evaluations, judgments.“ 61 Bei Brinton: „[expression of the speakers’] expectations, and demands, as well as of the nature of the social exchange, the role of the speaker and the role assigned to the hearer.“ 62 Wie auch im Bereich der Sprecherpositionierung gilt Traugotts eigentliches Interesse dabei aber wieder dem diachronen Prozess, durch den Konstruktionen Verwendungen mit diesbezüglichen Merkmalen überhaupt erst ausbilden („Intersubjektivierung“). <?page no="73"?> Pragmatische Analyse 73 Auch Du Bois (2007) führt die interpersonale Dimension separat. Er bezeichnet darauf bezogene Funktionen als Manifestationen von „Alignment“, was als „the act of calibrating the relationship between two stances, and by implication between two stancetakers“ definiert wird (ebd., S.-144). 63 Im Gegensatz zu Traugotts Intersubjektivitätsbegriff zielt Du Bois’ „Alignment“ mithin speziell auf koordinierende Funktionen des ersten oben genannten Typs: die wechselseitige Anzeige von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Interaktionspartner bezüglich eines „shared stance object“ (Du Bois 2007, S.-159). Du Bois betont, dass sich die aufeinander bezogenen Positionierungen von S und P dabei auch in der Art ihrer sprachlichen Gestaltung häufig eng aneinander orientieren und beeinflussen, was er als „dialogische Resonanz“ bezeichnet (vgl. etwa den Repeat der Zielformel in Beispiel-(3)). Neben Fragen der geteilten Perspektive auf einen Gegenstand spielt natürlich auch die affektive Positionierung der Partner zueinander eine wichtige Rolle. Je nach Interaktionstyp, Aktivität, thematisiertem Gegenstand und Vertrautheit der Interaktionpartner können deutliche Erwartungen an P bestehen, auf einen bestimmten Beitrag von S mit einer Signalisierung von emotionaler Zugewandtheit, Einfühlung und Solidarität zu reagieren. Stivers (2008) differenziert mit Blick auf solche affektiven Reaktionen zwischen „Alignment“ als responsivem Verhalten im Sinne der Präferenzordnung (wodurch sie den „Alignment“-Begriff anders benutzt als Du Bois) und „Affiliation“ als Unterstützung einer affektiven Positionierung des Gesprächspartners. In diesem engeren Verständnis signalisiert Affiliation Empathie und damit emotionale Nähe. Obwohl die beiden Aspekte häufig Hand in Hand gehen, können sie auch auseinanderfallen und die affektive Dimension gegenüber inhaltlichen Gesichtspunkten in den Vordergrund treten. Beispielsweise bestünde eine affiliative Reaktion etwa auf negative Selbstbewertungen und -anklagen des Gegenübers gerade nicht darin, ihm zuzustimmen und in den entsprechenden Einschätzungen zu bestärken, sondern im Gegenteil darin, das Gegenüber zu beschwichtigen oder zu trösten. All diese verschiedenen Aspekte, die etwas mit dem Abgleich der Positionierungen von S und P zu einem gegebenen Gegenstand oder auch direkt zueinander zu tun haben, fallen in unserer Systematik in den Bereich der interpersonellen Koordination, wo sie durch die schematischen Werte „affiliativ“ (zustimmender, nähemarkierender Partnerbezug) bzw. „disaffiliativ“ (ablehnender, distanzmarkierender Partnerbezug) bezeichnet werden. Als dritter möglicher Wert kommt das Attribut „appellativ“ hinzu. Kennzeichen appellativer Äußerungen ist S’ Aufforderung an P, im Rahmen eines aktuell zu lösenden Koordinationsproblems eine bestimmte Orientierung einzunehmen bzw. eine bestimmte Handlung zu vollziehen. Ein Sonderfall appellativer Äußerungen sind Aufforderungen zu gemeinsam zu vollziehenden 63 Du Bois’ Formulierung einer „Kalibrierung“ von Positionierungen findet sich in ähnlicher Form bei Verhagen (2005, S.-4), der von einem „tailoring of points of view“ spricht. <?page no="74"?> Daten und Vorgehen 74 Handlungen, die sich an P und S zugleich richten (vgl. Kap.-5 für eine ausführliche Diskussion). Neben den alinierenden Funktionsmerkmalen „affiliativ“, „disaffiliativ“ und „appellativ“ setzen wir zudem als vierte koordinationsbezogene Kategorie das Merkmal „facebezogen“ an. Formeln mit diesem Merkmal dienen der Aufrechterhaltung des positiven Selbstbilds von S und P sowie der Beachtung ihrer Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung. Gemeinsam ist allen Merkmalen des koordinativen Bereichs, dass sie Bezug nehmen auf das Vorliegen, das Fehlen oder die Mobilisierung von wechselseitiger Unterstützung (bzw. deren soziale Voraussetzungen) im Rahmen der interpersonellen Koordination von S und P. Damit nun zu den beiden Verwendungen von da(gegen) kannst du nichts sagen in Beispiel (3). Während sich das erste Vorkommen (von Sprecherin HM in Zeile- 3) nicht auf eine vorangegangene Partnerpositionierung zurückbezieht, ist das für JIs Zweitbewertung in Zeile-4 anders, die durch die direkte Übernahme der Formulierung eine Affiliation JIs mit HM signalisiert. Der Vergleich mit der direkt vorausgehenden ersten Verwendung zeigt jedoch, dass es sich bei diesem Merkmal um eine Funktion des dazu benutzten Repeats handelt 64 und nicht um eine Eigenschaft der spezifischen hier wiederholten Formel. 65 Auch in Fällen, in denen mit der Formel auf eine bestimmte vorausgegangene Positionierung reagiert wird, ist nicht aus der Konstruktion selbst heraus ersichtlich, ob dieser Bezug affiliativer oder disaffiliativer Art ist: da(gegen) kannst du nichts sagen kann sowohl verwendet werden, um eine positive Bewertung (z. B. ‚X ist günstig‘) zu unterstützen, als auch, um einer negativen Bewertung (‚X ist (zu) teuer‘) zu widersprechen. Zusammengefasst wird die Formel also nicht notwendig reaktiv gebraucht, und selbst wo das der Fall ist, verdeutlicht erst der Handlungskontext, ob damit eine in koordinativer Hinsicht affiliative oder disaffiliative Positionierung vollzogen wird. Da auch keine appellativen oder facebezogenen Eigenschaften vorliegen, sind für da(gegen) kannst du nichts sagen keine spezifisch koordinationsbezogenen Merkmale festzuhalten. 3.4.3 Epistemik Während sich die ersten beiden Funktionsdimensionen auf Aspekte des Sprechereignisses beziehen, die speziell S bzw. speziell P betreffen, liegt der dritte Bereich quer zu dieser Unterscheidung: Er betrifft die Verteilung und Zuschreibung aktuell 64 Und zwar in seiner spezifischen prosodischen Gestaltung im Rahmen dieses Beispiels, nämlich ohne Verwandlung in eine Rückfrage. 65 Umgekehrt macht HMs erster Gebrauch der Formel JIs zweite Verwendung relevant-- dies allerdings nur auf der sequenzstrukturellen Ebene der Paarbeziehung Bewertung-Gegenbewertung („initial assessments […] provide for the relevance of, and engender, recipients’ second assessments“, Pomerantz 1984, S.- 61). Die Formel an sich verlangt nicht unweigerlich nach einer folgenden Anschlussbewertung, wie das zweite Vorkommen in JIs Äußerung veranschaulicht. Vgl. auch Abschnitt- 3.4.4 zum Verhältnis von Funktions- und (sequenziellen) Kontextmerkmalen eines Ausdrucks. <?page no="75"?> Pragmatische Analyse 75 relevanten Wissens zwischen den Beteiligten, und er umfasst sowohl dessen Beanspruchung für S selbst als auch S’ Zuschreibung solchen Wissens an P. Motiviert ist die Ansetzung einer eigenen, spezifisch epistemischen Funktionsdimension dadurch, dass das Wissen der Beteiligten „als Voraussetzung, als thematischer Gegenstand sowie als Produkt des Miteinandersprechens“ (Deppermann 2015b, S.-1) gleich in mehrerlei Hinsicht zentral für ihre Verständigung ist: Als Voraussetzung ist Wissen insofern essenziell, dass ein relevanter Grundstock an Sprachwissen, an kulturellem Wissen über Interaktionskonventionen sowie an grundlegendem enzyklopädischen Wissen über thematisierte Gegenstände zwischen den Interaktionspartnern geteilt sein muss, um eine sprachliche Verständigung auch nur potenziell zu ermöglichen. Als thematischer Gegenstand fungiert Wissen, indem der sprachliche Bezug der Beteiligten auf gegebene Sachverhalte und Entitäten im Rahmen dieser Verständigung nie direkt erfolgt, sondern notwendig über ihre je individuellen Konzeptualisierungen der thematisierten Gegenstände vermittelt ist. Als „Produkt des Miteinandersprechens“ schließlich tritt Wissen in Erscheinung, indem S und P durch eben diese Verständigung den Bereich ihres geteilten (und in seiner Geteiltheit wechselseitig bewussten) Wissens (Common Ground) vergrößern. Wir fassen die verschiedenen spezifisch wissensbezogenen Interaktionsfunktionen, die wir im Folgenden kurz vorstellen, im Rahmen unserer Klassifikation unter dem Dachbegriff der „Epistemik“ zusammen. Epistemische Interaktionsfunktionen sind solche, die einen Sachverhalt in Bezug auf einen Aspekt des Wissens von S und/ oder P qualifizieren (in einem weiten Verständnis des Begriffs, siehe unten). Die Hinsicht, in der sich dabei auf das Wissen der Interaktionsbeteiligten bezogen wird, kann variieren: Qualifikationen, die S’ Einschätzungen zur Sicherheit betreffen, dass ein gegebener Sachverhalt besteht, werden üblicherweise als Erscheinungsformen epistemischer Modalität bezeichnet (Palmer 2001). Kennzeichnungen der Quelle, aus der S von einem Sachverhalt Kenntnis hat, fallen dagegen in den Bereich der Evidenzialität (Aikhenvald 2004; Chafe/ Nichols (Hg.) 1986; für das Deutsche: Diewald/ Smirnova 2010). Eine weit verbreitete Binnendifferenzierung ist dabei die zwischen „direkten“ und „indirekten“ Informationsquellen (Willett 1988, S.-57): Als direkte Quellen zählen perzeptive Zugänge zu dem entsprechenden Sachverhalt durch eigenes Erleben (in verschiedenen Modalitäten), indirekte Quellen lassen sich weiter unterteilen in „reportative“ („evidence via verbal report“, ebd.) und „inferenzielle“ Typen von Evidenz („evidence on which an inference is based“, ebd.). Zwischen epistemischer Modalität und Evidenzialität gibt es Überschneidungen-- etwa indem die Wahrscheinlichkeit, dass ein nur indirekt vom „Hörensagen“ bekannter Sachverhalt zutrifft, geringer ist als die eines persönlich bezeugten Ereignisses. Das hat zu Kontroversen bezüglich des Verhältnisses der beiden Begriffe geführt (Cornillie 2009; Dendale/ Tasmowski 2001; Diewald/ Smirnova 2010, S.-75-96). Wir zeichnen die verschiedenen Positionen in der Debatte hier nicht im Detail nach, sondern verweisen auf Boye (2012), mit dem wir epistemische Mo- <?page no="76"?> Daten und Vorgehen 76 dalität (bei ihm: „epistemic support“) und Evidenzialität (bei ihm „epistemic justification“) im Folgenden als Aspekte einer gemeinsamen, übergeordneten Kategorie der Epistemik auffassen (bei Boye: „epistemicity“). Speziell mit der Kategorie der Evidenzialität verquickt ist ferner der Begriff der Mirativität (DeLancey 1997, 2001): Mirative Markierungen betreffen den Neuigkeitsbzw. Überraschungswert einer Information für S („the grammatical marking of unexpected information“, DeLancey 1997). Da solche Markierungen häufig von Formen übernommen werden, die gleichzeitig auch indirekte reportative (hearsay) oder inferenzielle Evidenz kodieren, ist der Status von Mirativität als einer von Evidenzialität unabhängigen Kategorie allerdings in Zweifel gezogen worden (Hill 2012). Alternativ wurde auch vorgeschlagen, beide Kategorien einer übergeordneten dritten zu subsumieren („Mediativität“, Lazard 1999). Auf die Details der anhängigen theoretischen Abgrenzungs- und Hierarchisierungsfragen kann hier nicht näher eingegangen werden. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass es sich bei einer rein funktionsbezogenen Unterscheidung von Angaben zur Quelle (Evidenzialität) sowie zur Neuheit bzw. Nicht-Akkommodiertheit einer Information (Mirativität) um eine Differenzierung handelt, die für unsere Zwecke sowohl handhabbar als auch nützlich ist, sodass hier beide Begriffe nebeneinander verwendet werden. Eine weitere einschlägige Kategorie ist Egophorizität. Während Dahl (2000) den Begriff noch zur Abgrenzung von „speech act reference“ (d. h. Referenz auf S und/ oder P) gegenüber allophorischer Referenz (Bezug auf Dritte) einsetzt, hat sich seine Verwendung in jüngeren Arbeiten gewandelt: Als „egophorisch“ wird heute üblicherweise eine grammatische Markierung bezeichnet, die die epistemische Autorität eines Partizipanten über ein prädiziertes Ereignis anzeigt (Bergqvist/ Knuchel 2017; Floyd/ Norcliffe/ San Roque (Hg.) 2018). In Sprachen mit grammatikalisierter Egophorizität werden Subjekte der 1.-Person in deklarativen Äußerungen sowie Subjekte der 2.- Person in Fragen mit dieser Markierung versehen. 66 Erklärt wird dieser Zusammenhang mit der vergleichbaren Verteilung epistemischer Autorität in diesen beiden- Konstellationen: In deklarativen Äußerungen mit Subjekt 1SG betrifft das Verbereignis S persönlich, und S ist daher in der Regel auch am besten darüber informiert. In interrogativen Äußerungen mit Subjekt 2SG verschiebt sich diese Autorität hingegen zum befragten Partner, der nun anstelle von S der Partizipant ist, der am engsten in das prädizierte Ereignis involviert ist. Egophorische Asymmetrien zeigen sich auch in Sprachen, in denen die Kategorie nicht grammatikalisiert ist. Bergqvist (2021) verweist in diesem Zusammenhang auf Parallelen in der ungleichen Verteilung von Mentalverben wie veta ‚wissen‘ und tro ‚glauben‘ über Satztypen und Subjekte der 1SG bzw. 2SG im gesprochenen Schwedisch. Anstelle einer morphologischen Markierung werde die „epistemische Perspektive“ (ebd., S.-1) von 66 Vormals war diese Art grammatischer Markierung in typologischen Studien als „conjunct/ disjunct marking“ bezeichnet worden (vgl. Creissels 2008; Curnow 2002; Hale 1980). <?page no="77"?> Pragmatische Analyse 77 S und P hier durch epistemische Marker wie vet du ‚weißt du‘ angezeigt. Ähnliche Marker, die sich aus vormaligen Matrixsatzverwendungen mentaler Prädikate entwickelt haben („epistemic parentheticals“), sind speziell in der Mündlichkeit in vielen weiteren Sprachen verbreitet (Schneider 2007; Schneider/ Glikman/ Avanzi 2015; Van Bogaert 2011), darunter auch im Deutschen (Deppermann/ Reineke 2017; Imo 2006, 2007; Knöbl/ Nimz 2013; Zeschel 2017). Der ursprünglich rein sprecherzentrierte Fokus auf Sicherheit und Quelle des qualifizierten Wissens (epistemische Modalität und Evidenzialität) wird durch die egophorische Perspektive um eine dyadisch-relationale Komponente erweitert: Auch P kann Referenzpunkt der Bestimmung sein, und qualifiziert wird das Wissen der Beteiligten nicht absolut, sondern in Relation zueinander. Eine weitere Öffnung zeigen Ansätze, die anstelle des Beteiligtenwissens im engeren Sinne auf Fragen geteilter oder nicht-geteilter Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, oder-- noch allgemeiner-- der epistemischen „Zugänglichkeit“ eines thematisierten Gehalts für P abheben. Evans/ Bergqvist/ Roque (2018) schlagen dafür den Begriff Engagement vor, den sie als Oberbegriff für unterschiedliche Erscheinungsformen von „grammaticalized intersubjectivity“ verwenden (ebd., S.-113). Illustriert wird das Konzept unter anderem mit der in Özyurek (1998) und Küntay/ Özyürek (2006) herausgearbeiteten Dreiteilung des türkischen Demonstrativsystems: Neben einer Form für Referenz auf sprechernahe und einer für Referenz auf sprecherentfernte Gegenstände, die sowohl S als auch P perzeptiv zugänglich sind, gibt es im Türkischen noch eine dritte Form für Referenz auf Gegenstände gleich welcher Entfernung zu S, deren P zum Zeitpunkt der Äußerung allerdings (mutmaßlich) noch nicht gewahr ist. Markiert werden mit dieser dritten Form also Einschätzungen von S zum Umfang der geteilten Aufmerksamkeit mit P. Eine noch weitere Ausdehnung des Gegenstandsbereichs ist gegeben, wenn Evans/ Bergqvist/ Roque-(2018, S.-111) solche „delicate matters of who knows […] the situation or event that is being described“ durch die Hinzufügung „(or could, or should, know)“ ergänzen, sodass zudem noch Fragen der Berechtigung und Verpflichtung in den Blick rücken, mit der S und P über ein bestimmtes Wissen verfügen und es im Gespräch zum Ausdruck bringen. In dieser Erweiterung drückt sich die Einsicht aus, dass S und P Hoheit über je unterschiedliche „territories of information“ (Kamio 1997) besitzen, dass ihre Mitgliedschaft in bestimmten sozialen Kategorien Erwartungen begründet, zu welchem Wissen sie (relativ besseren oder relativ schlechteren) Zugang besitzen sollten, und dass sich aus diesen Zuschreibungen bestimmte Rechte und Pflichte für die Partner ergeben, die es in der Interaktion zu beachten gilt. Solche Überlegungen rücken nun gänzlich eine dyadische Perspektive in den Vordergrund, die die Frage nach dem Wissen der Interaktionsbeteiligten auf den Begriff der epistemischen Asymmetrie zwischen S und P bringt und zugleich die normative Aufladung solcher Asymmetrien herausstellt. Damit kommen Orientierungen der Interaktionsteilnehmer ins Spiel, die eher zum traditionellen Interessengebiet der <?page no="78"?> Daten und Vorgehen 78 (Wissens-)Soziologie als dem der Sprachtypologie zählen. Einen nützlichen Überblick zur Beschäftigung mit verschiedenen Arten „epistemischer Asymmetrie“ zwischen S und P in der psychologischen, soziologischen und linguistischen Forschungstradition geben Stivers/ Mondada/ Steensig (2011). Sie unterscheiden drei verschiedene Hinsichten, in denen Interaktionsteilnehmer im Gespräch eine Orientierung auf epistemische Fragen erkennen lassen: • Epistemic access: knowing vs.-not knowing, degree of certainty, knowledge source, directness of knowledge • Epistemic primacy: relative rights to know, relative rights to claim, relative authority of knowledge • Epistemic responsibility: type of knowable (type 1 vs.- type 2), recipient design of actions, recipient design of turns (ebd., S.-9) Der erste Bereich, „epistemic access“, betrifft Asymmetrien in Umfang, Sicherheit und Quelle des Teilnehmerwissens. Der Begriff vereint somit diejenigen Aspekte, die in der linguistischen Tradition unter den Stichworten Modalität und Evidenzialität behandelt worden sind: Die Markierung, ob S von etwas Kenntnis hat oder nicht, wie sicher diese Kenntnis ist, woher sie stammt und auf welchem Wege sie erworben wurde. In Bezug auf S besteht hier die Erwartung, keine Behauptungen zu formulieren, für die S ungenügenden epistemic access besitzt (bzw. eine entsprechende Einschränkung anzuzeigen). Relevant sind solche Einschätzungen aber auch bezüglich P, wie sich an der Existenz einer zweiten Norm erweist: dem Gebot, P keine Dinge mitzuteilen, die P (mutmaßlich) schon bekannt sind (Grice 1975). Entsprechende Zuschreibungen beruhen in vielen Fällen natürlich lediglich auf Mutmaßungen, die jedoch durch unterschiedliche Praktiken (von der direkten Nachfrage zu verdeckteren Strategien des „fishing for information“, Pomerantz 1980) kommunikativ abgesichert werden können und ggf. auch noch während der Produktion der Äußerung selbst zu Online-Änderungen ihres Adressatenzuschnitts führen können (Goodwin 1979). Der zweite Bereich, „epistemic primacy“, betrifft Asymmetrien in den epistemischen Rechten der Beteiligten. Ausgangspunkt dieser Unterscheidung ist die bereits erwähnte Einsicht, dass S und P die Autorität über je unterschiedliche „territories of information“ besitzen. Eine frühe Formulierung dieser Einsicht ist Labov und Fanshels (Labov/ Fanshel 1977) Gegenüberstellung von sogenanntem „A event knowledge“ (Wissen, das in einer Interaktion zweier Sprecher A und B primär Sprecher A zugeordnet ist) und „B event knowledge“ (Wissen, das primär Sprecher B zugeordnet ist). Deppermann (2015b, S.- 13 f.) bemerkt zur Grundlage solcher Zuordnungen: Abgesehen von Wissensrechten und -pflichten, die durch die Zugehörigkeit zu sozialen Kategorien konstituiert sind, gilt in den westlichen Gesellschaften grundsätzlich, dass voll sozialisierte Subjekte als nicht kritisierbare Experten für ihre eigenen men- <?page no="79"?> Pragmatische Analyse 79 talen und emotionalen Zustände (z. B. Intentionen, Erwartungen, Empfindungen) behandelt werden. Dies beruht auf der westlichen Konzeption des Mentalen, nach dem dieses nur dem Subjekt selbst durch Introspektion und unmittelbare Selbsterfahrung unmittelbar zugänglich ist, nicht aber anderen Personen. 67 In Angelegenheiten, über die P gemäß dieser Bestimmungen besser Bescheid weiß und/ oder die P stärker betreffen als S, sind S’ Rechte, entsprechendes Wissen gegenüber P zu äußern, eingeschränkt. Insbesondere gilt es in solchen Kontexten für S, Formulierungen zu vermeiden, mit denen epistemische Autorität über den thematisierten Gegenstand beansprucht wird. Dazu kann es in Sprachen ohne grammatikalisierte Egophorizität schon ausreichen, eine unabgeschwächte Behauptung über ein solches „B event“ in erster Sequenzposition zu formulieren. Da das Positionsmerkmal allein diesen Anspruch nicht explizit kodiert, kann S dem Eindruck, einen solchen Anspruch zu erheben, durch geeignete lexikalische oder grammatische Stancemarker aber auch entgegentreten (wie etwa durch den Gebrauch abschwächender epistemischer Adverbien, distanzierender Subjektivitätsmarker oder eines interrogativen Äußerungsmodus- - vgl. Kärkkäinen 2003 für entsprechende Gebräuche von I think). 68 Spiegelbildlich besteht für affiliative Positionierungen in zweiter Sequenzposition (insbesondere bei reinen, nicht weiter ausgebauten Zustimmungen) die Tendenz, sie als Anerkennung eines epistemischen Primats des Partners zu interpretieren. Will S dem Eindruck einer epistemischen Unterordnung in solchen Kontexten entgegentreten, stehen auch hierfür wieder bestimmte sprachliche Ressourcen zur Verfügung (vgl. Kap.-6 für eine detaillierte Untersuchung zu einer solchen Konstruktion). Der dritte Bereich, „epistemic responsibility“, bezeichnet einerseits die Kehrseite der im letzten Absatz diskutierten epistemischen Rechte: Genau wie Sprecher epistemische Autorität über ihre je persönlichen Angelegenheiten besitzen und auch die größten Rechte, darüber zu sprechen, sind sie umgekehrt auch verpflichtet, bestimmte dieser Dinge zu wissen und über sie Auskunft geben zu können, um als rationale Akteure im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte anerkannt zu werden. 69 Andererseits 67 Vgl. auch Heritage (2012a, S.- 377): „as Labov and Fanshel (1977: 100) explicitly recognized, the thoughts, feelings, experiences, hopes and expectations of persons are generally treated as theirs to know and describe“; sowie: „Persons are generally treated as knowing more about their relatives, friends, pets, jobs and hobbies than others“. 68 Ob eine solche Abschwächung nötig ist, hängt auch von je kontextspezifischen Einschätzungen der Beteiligten ab, ob S einen solchen Anspruch auch nur potenziell erheben könnte. Fällt der thematisierte Gegenstand eindeutig allein in Ps „territory of information“, werden auch unmitigierte Äußerungen mit deklarativer Syntax üblicherweise als interrogative requests for confirmation gewertet („B-Event statements“, Heritage/ Roth 1995, S.-10). 69 Pomerantz (1980) spricht bei Angelegenheiten, bei denen eine entsprechende Wissensverpflichtung besteht (wie etwa dem eigenen Namen und wichtigen biographischen Merkmalen), von „type 1 knowables“, die sie mit optionalem, nicht-verpflichtendem Wissen kontrastiert („type 2 knowables“). <?page no="80"?> Daten und Vorgehen 80 kamen epistemische Verpflichtungen auch schon in Abschnitt- 3.4.2 sowie im Zusammenhang mit dem ersten von Stivers/ Mondada/ Steensig (2011) genannten Bereich, epistemic access, zur Sprache: S ist durch das Gebot des Adressatenzuschnitts verpflichtet, seine Beiträge so auf den angenommenen epistemic access Ps zuzuschneiden, dass sie für P verständlich sind. Zusammengefasst sind also nicht nur der jeweilige Zugang zu bestimmtem Wissen und dessen Sicherheit für die Interaktionsbeteiligten relevant, sondern auch ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten, dieses Wissen im Gespräch verfügbar zu haben, dem Partner in angemessener Weise anzuzeigen und in der Gestaltung eigener Beiträge zu berücksichtigen. Eine maximal schematische Zusammenfassung all dieser unterschiedlichen Aspekte in eine einzige Opposition stellt Heritages Konzept des relativen „epistemischen Status“ der Gesprächsteilnehmer dar (Heritage/ Raymond 2005; Heritage 2012a/ b). Unterschieden wird ein epistemisch überlegener Status „K+“ („more knowledgeable“) von einem epistemisch unterlegenen Status „K-“ („less knowledgeable“), der S gegenüber P in einer bestimmten Hinsicht zukommen kann. Während epistemische Positionierungen (Anzeigen von „epistemic stance“) im Verlauf eines Gesprächs dynamisch variieren und sich Sprecher damit zudem sowohl wissender als auch unwissender darstellen können, als sie es wirklich sind, versteht Heritage den epistemischen Status von S gegenüber P (in einer bestimmten Hinsicht) als relativ stabile Größe, die alle oben genannten Aspekte einschließt: „epistemic status embraces what is known, how it is known (through what method, with what degree of definiteness, certainty, recency, etc.) and persons’ rights, responsibilities and obligations to know it“ (Heritage 2012a, S.-377). Heritages Zusammenfassung der verschiedenen oben genannten epistemischen Parameter in eine einzige Kenngröße ist einerseits elegant, bedarf andererseits aber der Präzisierung, was jeweils als Referenzpunkt ihrer Bestimmung herangezogen wird. Bei den von Stivers/ Mondada/ Steensig (2011) unter den Begriffen epistemic primacy und epistemic responsibility diskutierten Aspekten geht es jeweils um relativen Status im Vergleich zu P: Ob S größere oder geringere epistemische Rechte bezüglich eines Gegenstands besitzt, und zu welchen Anpassungen S im Sprechen über diesen Gegenstand verpflichtet ist, hängt untrennbar mit der Identität des je konkreten Partners und dessen epistemischem Status bezüglich dieses Gegenstands zusammen. Bei Fragen des individuellen epistemic access ist das hingegen anders. Das unsichere Wissen eines Sprechers, der mangelnde Autorität bezüglich eines Gegenstandes anzeigt, wird auch nicht dadurch umfangreicher oder sicherer, dass sein Gegenüber ggf. über noch weniger gesichertes Wissen über diesen Gegenstand verfügt. Einordnungen bezüglich epistemischer Modalität und/ oder Evidenzialität rekurrieren insofern anders als Einschätzungen zu relativen epistemischen Rechten und Pflichten nicht notwendig auf ein spezifisches Gegenüber. Verliert man diese unterschiedlichen Bezugsrahmen für die Bestimmung eines gegebenen Status als „K+“ oder „K-“ nicht aus dem Blick, spricht unseres Erachtens aber nichts gegen die <?page no="81"?> Pragmatische Analyse 81 Verwendung derselben Merkmalsbezeichnung in beiden Fällen. Mögliche Konflikte der oben genannten Art (Wertung von Konstellationen, in denen ein Sprecher, der absolut gesehen eher unwissend/ „K-“ ist, relativ gesehen aber immer noch wissender ist als sein Partner und daher den Status „K+“ besitzen sollte) werden zudem dadurch entschärft, dass es in unserer Funktionstypologie, mit Heritage gesprochen, letztlich um epistemic stance und nicht um epistemic status geht: Die pragmatische Funktion besteht in der Beanspruchung bzw. Anzeige eines bestimmten epistemischen Status, unabhängig davon, ob (und in welcher Hinsicht) S diesen Status auch tatsächlich besitzt. Insofern bleibt zum Beispiel die lokale, in einem bestimmten- Äußerungszusammenhang erfolgende Anzeige von Unsicherheit durch einen Heckenausdruck auch dann noch eine Markierung von „K-“, wenn S im Ganzen doch mehr über den thematisierten Gegenstand weiß und/ oder größere epistemische Rechte bezüglich dieses Gegestands besitzt als P. Als dritten Wert im Bereich der Epistemik setzen wir zwischen den beiden Polen „K+“ und „K-“ den Wert „K=“ an. Dieses Merkmal wird zum einen für Formeln vergeben, mit denen S einem möglichen Eindruck epistemischer Unterordnung entgegentritt, ohne deswegen gleich seinerseits einen höheren epistemischen Status als P zu beanspruchen (Reklamierung epistemischer Parität). Zudem vergeben wir es für alle Formeln, die im Sinne der ersten Komponente von Traugotts Definition von Intersubjektivität („attention to the cognitive stances […] of addressees“, Traugott 2003a, S.-124) einen expliziten Bezug auf den Common Ground und die (Wieder-) Herstellung von Intersubjektivität zwischen S und P markieren. Für weitere Details zu den Attributen- „K+“, „K-“ und „K=“ und ihrer Abgrenzung voneinander verweisen wir auf Kapitel-6. Wie verhält es sich nun mit den Merkmalen von da(gegen) kannst du nichts sagen in Beispiel (3) in dieser Funktionsdimension? Bereits die Modalität der Formel ist ein Verweis auf epistemische Rechte und Pflichten: Hingewiesen wird auf die Verpflichtung des Subjektreferenten, nur solche Aussagen zu treffen, die epistemisch berechtigt sind (nämlich nur dann einen Einwand zu formulieren, wenn er begründet ist). Dass eine solche Berechtigung in der Bezugssituation (da) vorliegen könnte, wird von S durch das apodiktische nichts bestritten. Die modale Qualifikation der Aussage bezieht ihre Legitimation somit aus S’ Anspruch, ausreichenden epistemic access zur relevanten Wissensdomäne ‚Preise beim Friseur‘ zu besitzen, um den bewerteten Sachverhalt kompetent zu beurteilen. Dieser Anspruch ist absolut formuliert und nicht relativ zu einem niedrigeren epistemischen Status Ps, zumal das (implizite) Subjektpronomen du 70 hier auch gar nicht spezifisch auf P referiert: Das moralische Verdikt du kannst nicht (als Konsequenz der Norm ‚du darfst nicht‘) gilt ebenso für P wie auch für S sowie beliebige Dritte in der bezeichneten Konstellation (vgl. 70 Tatsächlich ist das Pronomen in der Äußerung nicht overt realisiert, allerdings aus der Flexion des Finitums eindeutig zu rekonstruieren. <?page no="82"?> Daten und Vorgehen 82 auch Auer/ Stukenbrock 2018 zu nicht-adresssatendeiktischen Verwendungen von du). Deutlich zeigt sich das insbesondere am Repeat der Formel durch Sprecherin JI, die ebenfalls das (wiederum implizite) Subjekt du verwendet, obwohl es im Rahmen der erzählten Begebenheit ja sie selbst war, die sich über den thematisierten Preis nicht beschweren konnte/ durfte. Zusammengefasst dient die Formel also nicht nur zur Positionierung, sondern auch zur Wissensanzeige, wobei der von S reklamierte Status „K+“ unabhängig vom Grad der Expertise Ps beansprucht wird. 3.4.4 Gesprächsorganisation Die vierte und letzte Art besonderer Gesprächsfunktion, die wir ansetzen, ist die offensichtlichste: Hier geht es um die Struktur (und Strukturierung) des Gesprächs selbst. Ausdrücke, deren Funktionen diesem Bereich zuzuordnen sind, zeigen an, wie unterschiedliche Bestandteile des Gesprächs inhaltlich miteinander zusammenhängen, wie sie intern gegliedert sind und mit wessen Beitrag es als nächstes weitergehen soll. Sie markieren mithin „endophorische Indexikalität“ im Sinne Auers (1989; vgl. Kap.-2.2.2). Als Subtypen spezifisch gesprächsorganisatorischer Funktionen setzen wir an: Erstens die Markierung inhaltlich-thematischer Zusammenhänge und Verknüpfungen zwischen Gesprächsbestandteilen (oberhalb der Satzebene), zweitens die Anzeige von Gliederungen des aktuellen Beitrags, und drittens die Organisation des Rederechts. 71 Die erste Untergruppe von Funktionen bezeichnen wir zusammenfassend als den Bereich der Themensteuerung. Wie sich die verschiedenen behandelten Themen von (Texten und) Gesprächen global identifizieren und voneinander abgrenzen lassen, ist speziell für thematisch ungebundene Alltagsinteraktionen eine schwierige und bislang nicht zufriedenstellend beantwortete Frage (Lötscher 1987). In der interaktionslinguistischen Forschung (vgl. Couper-Kuhlen/ Selting 2018, S.-314-328 für eine Zusammenfassung) wird sie in der Regel zugunsten einer sowohl lokalen als auch prozeduralen Perspektive ausgeblendet: Von Interesse ist dabei, unter welchen Bedingungen S die gemeinsame Orientierung auf einen aktuell behandelten Gegenstand abrupt unterbricht (zum Beispiel, weil es keinen ausreichenden Uptake zu S’ vorgängigen Äußerungen mehr gab), oder aber wie S den gegenwärtigen Fokus der 71 Insbesondere durch den Einbezug der thematischen Dimension wird der Begriff der „Gesprächsorganisation“ hier somit anders verwendet als in einigen anderen Taxonomien-- vgl. etwa Brinker/ Hagemann (2001, S.-1252), die (unter Verweis auf Kallmeyers Unterscheidung verschiedener „Aspekte der Interaktionskonstitution“, Kallmeyer 1981) vier verschiedene gesprächsanalytische „Beschreibungsebenen“ ansetzen und dabei von „einer gesprächsorganisatorischen, einer thematischen, einer handlungs- und einer beziehungsorientierten“ Ebene der Beschreibung ausgehen. Dadurch werden „Gesprächsorganisation“ und „Themenentfaltung“ als zwei separate Kategorien angesetzt. Auch Dittmar (1988) unterscheidet anders als wir zwischen „Gesprächsorganisation“ einerseits und „Themenkonstitution“ andererseits. <?page no="83"?> Pragmatische Analyse 83 geteilten Aufmerksamkeit mehr oder minder unauffällig verschiebt, um so neue mentionables einflechten zu können („topic shifting“, Maynard 1980). Damit werden- analytische Aussagen zu lokaler thematischer Kontinuität und Diskontinuität- getroffen, ohne sich genau festlegen zu müssen, wie (und vor allem: auf welcher-Abstraktionsebene) das je gegebene Thema exakt zu definieren ist. Erst recht muss das Gespräch für die Betrachtung individueller Fälle, in denen S eine solche Themensteuerung vollzieht, nicht zunächst exhaustiv und top-down in bestimmte disjunkte thematische Komplexe zerlegt werden, um in der Analyse eine bestimmte graduelle Verschiebung (topic shift) oder abrupte Änderung (topic change) des aktuellen Gesprächsthemas veranschlagen zu können. Sowohl leichte semantische Verschiebungen als auch größere inhaltliche Sprünge zwischen Äußerungen können auch ohne gesonderte Ankündigung bzw. Markierung des jeweiligen Übergangs vollzogen werden. Dennoch gibt es sprachliche Ressourcen, die eine Orientierung speziell auf die thematische Strukturierungsebene des Gesprächs anzeigen und explizit dazu dienen, solche Übergänge und (Rück-) Sprünge zu markieren. Dazu zählen u. a. sequenzielle „Fehlplatzierungsmarkierungen“ 72 wie ach übrigens, nebenbei und da fällt mir ein (Streeck 1983, S.-90), gesprächsorganisatorische Verwendungen von Konjunktionen wie und und aber (Schlobinski 1994) sowie themensteuernde Gebräuche der Verben kommen und gehen (Zeschel/ Proske 2015). Darüber hinaus finden sich hier auch nicht zuletzt Formeln mit dem Verb sagen wie etwa was ich noch sagen wollte, wie gesagt oder willst du damit sagen (+Komplementsatz). In einem umfassenderen Verständnis des Begriffs fallen in den Bereich der Themensteuerung zudem nicht nur Konstruktionen, die einen Übergang projizieren (ob nun abrupter oder gradueller Art), sondern, wie eingangs formuliert, alle (satzübergreifenden) Verknüpfungen, die inhaltliche Zusammenhänge zwischen thematisierten Entitäten und Sachverhalten herstellen. In der Literatur ist dabei häufig von „diskursstrukturierenden“ (Traugott 2022) oder, in Anknüpfung an Halliday (2004), von „textuellen“ Funktionen die Rede, deren Entstehung aus konkreteren, nicht-metakommunikativen Verwendungen der betreffenden Ausdrücke zu den häufigsten Gegenständen der Grammatikalisierungsforschung zählt. Die oben formulierte Einschränkung auf satzübergreifende Verknüpfungen verweist darauf, dass viele dieser Relationen auch bereits durch die (Satz-)Grammatik angezeigt werden: Dort wird zum einen festgelegt, wie die Argumentstruktur einzelner Prädikationen zu realisieren ist, um anzuzeigen, welche Rolle eine gegebene Entität in einem bezeichneten Sachverhalt spielt. Zum anderen werden mit Elementen wie Konjunktionen, Subjunktionen und Adverbien sprachliche Mittel zur Verfügung gestellt, um diese einzelnen Propositionen sodann in einer bestimmten Weise (nämlich z. B. temporal, kausal, final usw.) miteinander zu verküpfen. Andererseits bestehen solche inhalt- 72 Schegloff/ Sacks (1973, S.-92-94) sprechen von „misplacement markers“. <?page no="84"?> Daten und Vorgehen 84 lich-thematischen Zusammenhänge nun aber nicht nur innerhalb von Teilsätzen und Satzgefügen, sondern auch oberhalb des Satzes auf Diskursebene, wo Konstruktionen zur Anzeige entsprechender Beziehungen in noch größerer Anzahl und Bandbreite zur Verfügung stehen als satzintern. In einigen Fällen handelt es sich bei den hierfür eingesetzten Markern um neue, nun satzübergreifend operierende Verwendungen von Einheiten, die solche Verknüpfungsleistungen auch bereits innerhalb des Satzes erbringen (Günthner 2000). Daneben finden sich auch zahlreiche feste Mehrworteinheiten, die als „gesprächsspezifische Formeln“ (Stein 1995) zur satzübergreifenden Kohärenzherstellung verwendet werden. Exemplarisch nennt die Duden-Grammatik in ihrem Kapitel zur gesprochenen Sprache hier die folgenden „inhaltlich-funktionale[n] Beziehungen zwischen Äußerungen“ nebst zugehörigen Markern: • Gegensatz (trotzdem, im Gegenteil) • Wiederholung (wie gesagt) • Paraphrase (anders ausgedrückt) • Steigerung (mehr noch) • Explikation/ Präzisierung/ Verdeutlichung (genauer, das heißt) • Verallgemeinerung (allgemeiner) • Konkretisierung/ Spezifizierung/ Exemplifizierung (konkret, näher betrachtet, zum Beispiel) • Übersetzung (zu Deutsch, technisch ausgedrückt) • Ergänzung (darüber hinaus, ferner) • Zusammenfassung (kurz und gut) • Begründung (weil) • Folgerung (mithin) • Bedingung (außer, es sei denn) (Duden 2009, S.-1220) Die große Mehrheit dieser Ausdrücke fällt in die Kategorie der lexikalisierten „Kurzformeln“ (Schwitalla 2012, S.-88), die es in großer Zahl auch mit dem Verb sagen gibt. Neben ihren textuellen Funktionen können solche Einheiten auch Merkmale in den drei anderen hier angesetzten Funktionsbereichen besitzen. Die Vertiefungsstudie zu wie gesagt in Kapitel-7 bietet eine detaillierte Untersuchung einer dieser „Kurzformeln“, die ihren Anwendungsbereich von der Themensteuerung auf andere pragmatische Funktionsaspekte ausgedehnt hat. Ein weiteres zentrales Strukturierungsmerkmal von Gesprächen ist ihre Sequenzialität (Schegloff 2007): Manche Arten von Beiträgen machen bestimmte Arten folgender Beiträge relevant und daher erwartbar. Die konversationsanalytische Forschung hat eine Vielzahl solcher „Paarsequenzen“ (adjacency pairs, Schegloff/ Sacks 1973, S.- 296) wie Frage-Antwort, Bewertung-Gegenbewertung, Angebot-Annahme/ Ablehnung usw. identifiziert und beschrieben (vgl. Birkner 2020, S.-257-296 für einen Überblick; vgl. auch Deppermann 2014b). Sequenzielle Bindungen dieser Art tragen maßgeblich zur Auswahl aktuell möglicher Anschlussäußerungen bei und formen <?page no="85"?> Pragmatische Analyse 85 so den Ablauf des Gesprächs. Auch manche der hier untersuchten Marker sind in ihrer Verwendung an eine bestimmte Sequenzposition gebunden. Zum Beispiel weist die Formel das musst du gerade sagen neben ihren disaffiliativen und epistemischen Eigenschaften auch eine Bindung an die zweite Sequenzposition auf, die sie als responsiv ausweist. Prinzipiell beschreiben wir die Funktionsmerkmale eines Markers jedoch unabhängig von seinen möglichen Assoziationen mit bestimmten Sequenzpositionen. Letztere fallen wie andere Positionsmerkmale auch (Stellung im Redezug oder relativ zu einem Bezugsausdruck) in den Bereich des Kontexts, in dem der entsprechende Ausdruck zum Einsatz kommt (vgl. Abschn.-3.4.6). Den zweiten Subtyp gesprächsorganisatorischer Funktionen bezeichnen wir als Beitragsgliederung. Gesprächsbeiträge entstehen in der Regel unter anderen Produktionsbedingungen als schriftliche Texte, nämlich ohne zeitlichen Versatz zwischen Planung und Realisierung. Die Revisionen, die einem redigierten Text nach Abschluss seiner Überarbeitung nicht mehr anzusehen sind, müssen in der mündlichen Spontansprache daher in Echtzeit vollzogen werden. Solche noch im Verlauf der Äußerungsproduktion erfolgenden Umplanungen können unterschiedlich veranlasst sein: Manchmal wird ein als fehlerhaft (oder zumindest nicht optimal) erkannter Aspekt der bisherigen Äußerung von S aus eigenem Antrieb revidiert, manchmal gibt erst eine Reaktion Ps (oder deren Ausbleiben an einer relevanten Stelle) dazu Anlass. Ähnlich wie die eingangs diskutierten Themensteuerungen können auch Reparaturen und Reformulierungen bereits produzierter Äußerungsteile vorgenommen werden, ohne diesen Vorgang explizit durch eine spezielle Markierung anzuzeigen. Alternativ kann aber auch hier wieder auf zahlreiche Konstruktionen zurückgegriffen werden, die genau für diesen Zweck zur Verfügung stehen. Da es sich um Revisionen von Äußerungen handelt, ist es nicht verwunderlich, dass sich auch unter diesen Einheiten zahlreiche Formeln mit dem zentralen Kommunikationsverb sagen finden (vgl. ich will/ wollte damit sagen, anders gesagt, um nicht zu sagen etc.). Reparaturen und Reformulierungen dienen zur Bearbeitung einer wahrgenommenen Formulierungsund/ oder Verstehensschwierigkeit. Sie wirken gesprächsorganisatorisch, indem sie anzeigen, welches Segment A (Reparandum) des Gesprächs durch welches Segment B (Reparans) zu ersetzen bzw. anzureichern ist (Schegloff/ Jefferson/ Sacks 1977; Egbert 2009; Bauer 2020; Pfeiffer 2015). Die Anzeige, dass mit Blick auf einen gegebenen thematisierten Sachverhalt ein Segment A durch ein Segment B zu ersetzen bzw. zu erweitern ist, um das von S intendierte Verständnis dieses Sachverhalts zu erzielen, stellt einerseits eine bestimmte inhaltliche Relation zwischen A und B her (Substitution, Augmentation oder Ähnliches), die gemäß der oben gegebenen Bestimmung in den Bereich der diskursiven Themensteuerung fällt. Strukturell kann die Verbindung zwischen A und B dabei unterschiedlich große Bereiche überbrücken, und häufig reicht sie über mehrere Beitragsgrenzen hinweg. In diesem Fall hat die Reparatur/ Reformulierung eine gesprächsorganisatorische, <?page no="86"?> Daten und Vorgehen 86 aber keine spezifisch beitragsgliedernde Funktion. Andererseits kann es sich aber auch um eine sehr lokale Relation innerhalb ein- und desselben Beitrags handeln (oft zwischen direkt aufeinander folgenden Ausdrücken). In diesem Fall wirken Reparaturen und Reformulierungen zugleich auch beitragsgliedernd, indem sie die aktuelle Äußerung in bestimmte Segmente unterteilen und zur Steuerung der intendierten Interpretation dieser Segmente beitragen. Umgekehrt gibt es auch Beitragsgliederungen ohne Reparaturcharakter, die ein Segment A des aktuellen Beitrags von einem Segment B desselben Beitrags absetzen, ohne es zu ersetzen. So signalisiert der parenthetische Einschub eines Operators in eine Äußerung nicht nur eine bestimmte inhaltliche Perspektivierung seines Bezugsausdrucks (zum Beispiel distanzierend mit ich sag mal, affiliativ mit wie du sagst oder mirativ mit sage und schreibe), sondern er bewirkt als Nebeneffekt auch dessen strukturelle Herausstellung und Betonung innerhalb der umgebenden Äußerung. Dabei handelt es sich zunächst einmal um eine Funktion der parenthetischen Zäsurierung als solcher und nicht des spezifischen individuellen Markers, der dabei zum Einsatz kommt. Von einer beitragsgliedernden Funktion im engeren Sinne sprechen wir hingegen, wenn der Marker selbst zur Öffnung oder Schließung eines solchen Einschubs in die übergeordnete Äußerung dient (vgl. etwa die in Kap.-5 behandelte- Anführung von Exemplifizierungen mit sagen wir). Ebenso können gliedernde Marker auch eine Segmentierung der aktuellen Äußerung in bekannte („thematische“) vs.- neue („rhematische“) Information vornehmen (vgl. etwa die in Kap.- 4 diskutierte Verwendung von sozusagen als Fokusmarker). Generell können mit beitragsgliedernden Markern sowohl Strukturierungen der aktuellen Turnkonstruktionseinheit als auch eines größeren Multi-Unit-Turns vorgenommen werden. Im Gegensatz etwa zu Pausen bringen lexikalische Marker als verbale Gliederungssignale dabei stets eine bestimmte lexikalische Eigenbedeutung mit (die allerdings mehr oder minder stark verblasst sein kann). Wo diese Bedeutung inhaltlich-relationierender Art ist, sodass neben der Segmentierung selbst ein bestimmter inhaltlicher Zusammenhang zwischen Segment A und Segment B impliziert wird, kommt es wie bei den Reparatur- und Reformulierungsmarkern zu entsprechenden Überlappungen von beitragsgliedernden und themensteuernden Funktionen. So können etwa Marker wie sagen wir mal, beispielsweise und was weiß ich wie erwähnt zur Öffnung einer bestimmten Art von Einschub verwendet werden (beitragsgliedernde Funktion), die inhaltlich zur Einführung von illustrierenden Beispielen (Segment B) für- einen vorgenannten Bezugsausdruck (Segment A) dienen (themensteuernde Funktion). Dass ein gegebener Marker insofern mehr als eine Art gesprächsorganisatorischer Funktion zugleich aufweisen kann, ist etwas, das diesen Funktionsbereich von den drei vorgenannten unterscheidet: Dort kann eine gegebene Verwendung eines Markers nicht gleichzeitig involvierend und distanzierend fungieren, oder Affiliation und Disaffiliation zugleich markieren, oder sowohl zur Anzeige epistemischer Auto- <?page no="87"?> Pragmatische Analyse 87 rität als auch zur Markierung ihres Mangels dienen. Im Gegensatz dazu können die in Kapitel-4 bis 7 diskutieren Praktiken aber sehr wohl mit mehr als einer gesprächsorganisatorischen Funktion auf einmal verknüpft sein. Diese Beobachtung wirft die Frage auf, ob die hier als „gesprächsorganisatorisch“ zusammengefassten Funktionsmerkmale nicht eigentlich eher als voneinander unabhängig betrachtet werden-sollten. Wir entscheiden uns jedoch dagegen, da sie im Unterschied zu den drei erstgenannten Bereichen eine klare Orientierung auf die Struktur des Gesprächs erkennen lassen, was für ihre Zusammenfassung zu einer gemeinsamen Kategorie „endophorischer Indexikalitätsmarker“ im Sinne der Erläuterungen in Kapitel- 2 spricht. Eine solche Orientierung zeigen schließlich auch Marker des dritten Subtyps gesprächsorganisatorischer Funktionen, die zur Verteilung des Rederechts eingesetzt werden. Wir unterscheiden dabei Bemühungen, das Rederecht zu bekommen, von Versuchen, es zu halten und Bestrebungen, es abzugeben. Wiederum sind diese verschiedenen Impulse nicht auf spezielle lexikalische Marker angewiesen. Entscheidende Signale sind hier nicht zuletzt prosodische Gestaltungsmittel wie etwa die Pitchkontur, die Lautstärke und das Sprechtempo (Selting 1996, 2000; vgl. auch Auer 2010). Wie zuvor gibt es daneben jedoch auch lexikalische Marker und Formeln, die solche rederechtsbezogenen Funktionen übernehmen können, darunter auch verschiedene mit dem Verb sagen. Für Turnübernahmen in Verbindung mit einer Zustimmung zu P kann etwa wollt grad sagen eingesetzt werden (vgl. Kap.- 6). Als Rederecht-behauptende Floorholder können Zögerungssignale wie ich sag mal (so), interrogative Formeln wie was wollte ich jetzt noch sagen oder auch Wiederholungen vorgenannter Passagen eingesetzt werden, die mit dem Marker wie gesagt eingeführt werden (vgl. Kap.-7). Zur Anbahnung einer Turnabgabe an P können dagegen interrogative Formeln wie willst du damit sagen oder direktive wie sag mal zum Einsatz kommen. Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen hat unsere Beispielsformel in (3) keine besondere gesprächsorganisatorische Funktion: Ihre spezielle pragmatische Leistung ist weder themensteuernd noch beitragsgliedernd oder rederechtsbezogen. Zusammenfassend weist sie also Merkmale in zwei der vier als relevant erachteten Dimensionen auf: Sie ist positionierend und wissensanzeigend, aber nicht koordinierend und nicht gesprächsorganisierend. 3.4.5 Situationsbindung und Deixis Warum nun sollten gerade die in Abschnitt-3.4.1 bis 3.4.4 genannten Aspekte maßgeblich sein für die pragmatische Beschreibungsrelevanz eines Ausdrucks? Kurz gesagt: Weil die pragmatische Relevanz eines Ausdrucks in seiner Bindung an die aktuelle Sprechsituation besteht, und letztere eben diese vier Bereiche als konstitutive Bestandteile umfasst. Eine sehr ähnliche Zerlegung des Sprechereignisses in vier <?page no="88"?> Daten und Vorgehen 88 beteiligte Komponenten findet sich bereits bei Bühler 1982): Abbildung-3 zeigt sein „Organonmodell der Sprache“ (von Bühler auch bezeichnet als Modell des „konkreten Sprechereignisses“, ebd., S.-24). Auch hier stehen vier verschiedene Komponenten miteinander in Verbindung: ein sprachliches Zeichen „Z“, ein „Sender“ (als Produzent von „Z“), ein „Empfänger“ (als Adressat von „Z“) sowie „Gegenstände und Sachverhalte“ (als das von „Z“ Bezeichnete): Abb.-3: Bühlers Organonmodell Mit Bezug auf den „Sender“ kommt „Z“ laut Bühler eine „Ausdrucksfunktion“ zu, die in unserem System dem Begriff der Positionierung entspricht: Angezeigt wird die je subjektive Perspektive desjenigen, der aktuell spricht. Mit Bezug auf den „Empfänger“ postuliert Bühler eine „Appellfunktion“. Das entspricht der appellativen Komponente des bei uns als Koordination bezeichneten Funktionsbereichs. Bühlers „Darstellungsfunktion“ bezieht sich auf die Verbindung zwischen dem sprachlichen Zeichen und der Welt der bezeichneten „Gegenstände und Sachverhalte“. Geht man davon aus, dass diese Relation notwendig vermittelt ist über die Ebene der individuellen Konzeptualisierungen dieser Gegenstände und Sachverhalte seitens S und P mit ihrem jeweiligen epistemischen Status, ist diese Funktion gebunden an unseren Bereich der Epistemik. Aufgrund von Bühlers Fokus auf die Funktion des Zeichens relativ zu den drei weiteren Komponenten des Modells kann es bei ihm nur drei Funktionen geben. Nichtsdestotrotz umfasst sein Modell aber vier miteinander verbundene Komponenten, denn auch das sprachliche Zeichen „Z“ selbst ist Bestandteil des dargestellten Zusammenhangs- - es steht sogar in dessen Zentrum. Fragt man insofern nicht nach der Funktion sprachlicher Zeichen bezüglich ihrer Produzenten, Rezipienten und Denotate, sondern nach den möglichen Funktionen einer Konstruktion bezüglich relevanter Bestandteile der Gesprächssituation, so kommt als vierte Möglichkeit auch ein Bezug auf Aufbau und Ablauf des Gesprächs selbst bzw. der das Gespräch konstituierenden Äußerungen hinzu. <?page no="89"?> Pragmatische Analyse 89 Kurz gesagt sprechen wir von einer „besonderen Gesprächsfunktion“ also überall dort, wo die Interpretation eines Ausdrucks an einen Aspekt der aktuellen Sprechsituation gebunden ist, der eine (oder mehrere) der vier beteiligten Ebenen betreffen kann. Pragmatisch beschreibungsrelevant sind alle Ausdrücke, die eine spezifische Handlung in Bezug auf eine dieser Ebenen vollziehen, oder die eine Äußerung in einer dieser vier Hinsichten perspektivieren bzw. kontextualisieren. Konkret betrifft das somit Ausdrücke, mit denen S - eine subjektive Positionierung zu einem aktuell thematisierten Gegenstand oder Sachverhalt anzeigt; - das aktuelle joint project mit P koordiniert oder die sozialen Rahmenbedingungen und affektiven Voraussetzungen einer gelingenden Kooperation mit P zu gewährleisten sucht; - sich selbst oder P die Vorhandenheit von und/ oder Verantwortung für gegenwärtig relevante Wissensbestandteile zuschreibt; - einen Impuls zur Strukturierung des Gesprächs und/ oder des weiteren Ablaufs der Interaktion mit P gibt. Genau wie in nicht-formelhafter Sprache sind auch deiktische Verschiebungen und Versetzungen solcher sprechsituationsbezogenen Formeln möglich. Von einer „Verschiebung“ sprechen wir, wenn ein Ausdruck von einem sagen-Szenario mit den Beteiligten S und P auf ein Szenario mit anderen Referenten übertragen wird, die pragmatischen Implikationen der Formel bezüglich dieser Beteiligten jedoch erhalten bleiben. Anstelle von S oder P erscheint dann eine Sprechinstanz der 3. Person (vgl. wem sag ich das/ wem sagst du das vs.-wem sagt sie das). Von einer „Versetzung“ sprechen wir dagegen, wenn der personendeiktische Situationsbezug erhalten bleibt, die räumliche und zeitliche Origo aber nicht mit dem Hier und Jetzt der aktuellen Sprechsituation zusammenfällt (vgl. ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin vs.-ich konnte gar nicht sagen, wie erleichtert ich war). So verstanden betrifft die „Verschiebung“ die personale, die „Versetzung“ hingegen die lokale und/ oder temporale Deixis. Abweichungen beider Art können sich allerdings auch mischen bzw. miteinander kombiniert werden. Pragmatische Formeln unterscheiden sich im Hinblick darauf, ob sie derlei Abwandlungen zulassen, ohne dabei ihre besondere Gesprächsfunktion einzubüßen. Grundlegend lassen sich drei verschiedene Konstellationen unterscheiden, die für die Abgrenzung pragmatisch spezialisierter von nicht-spezialisierten Verfestigungen relevant sind: - Feste pragmatische Formeln: Ausdrücke mit besonderer Gesprächsfunktion im oben ausgeführten Sinne, deren idiomatische Qualität und besondere pragmatische Funktion bei Variation von Person und/ oder Tempus verlorengeht. Beispiel: ich sag mal (pragmatisch spezialisiert) vs.-er sagt mal/ ich sagte mal (nichtspezialisiert). <?page no="90"?> Daten und Vorgehen 90 - Variable pragmatische Formeln: Ausdrücke mit besonderer Gesprächsfunktion im oben ausgeführten Sinne, die zumindest bestimmte Verschiebungen ihrer deiktischen Parameter zulassen, ohne dabei ihre idiomatische Qualität und besondere pragmatische Funktion einzubüßen. Beispiele: wem sagst du/ sage ich/ sagt sie das (pragmatisch spezialisiert) vs.-wem hast du das gesagt (nicht-spezialisiert). - Formeln ohne besondere Gesprächsfunktion: Formelhafte Ausdrücke mit idiomatischer Bedeutung, die unabhängig von einer etwaigen Variabilität hinsichtlich Person und/ oder Tempus in keiner Realisierung eine besondere Gesprächsfunktion im oben ausgeführten Sinne aufweisen. Beispiele: gesagt, getan, wer A sagt, muss auch B sagen, <etwas> sagt mehr als tausend Worte. Methodisch stellt sich damit das bereits in Kapitel- 1 angesprochene Problem, die mögliche Variabilität einer Formel (die neben ihren deiktischen Parametern natürlich auch weitere Ausdrucksmerkmale betreffen kann) in ihrer Erhebung im Korpus geeignet zu berücksichtigen. Wir kommen darauf in Abschnitt-3.5 zurück. Der fließende Übergang von Regularität in Idiomatizität (hier im Sinne von pragmatischer Spezialisierung) ist aber auch bereits rein konzeptionell-theoretisch schwierig nachzuzeichnen. Wie die oben als „nicht-spezialisiert“ bezeichneten Ausdrücke er sagt mal und wem hast du das gesagt illustrieren, stellen pragmatische Formeln idiomatisierte Verfestigungen aus regulären, kompositionell gebildeten Konstruktionen dar, die in der Regel auch anders instanziiert werden können als im Fall der Formel, und deren kompositionelle Instanzen mit dem von ihnen „abgelösten“ Ausdruck koexistieren. Die Tatsache, dass beide auch weiter zahlreiche syntaktisch-semantische Merkmale miteinander teilen, macht die Abgrenzung einer emergenten Verfestigung von ihrer Spenderstruktur zuweilen schwierig. Betrachten wir hierzu einige Belege, die unserer Beispielsformel in (3) sehr ähnlich sehen: (7) Das Autochen kostet auch nur 100 AUD für die 2 Tage, da kann man nichts sagen . (http: / / www.traub-net.de/ aus1999.htm, [decow]) (8) Aber ich habe die Diskussion damals verfolgt. Und ich muss gestehen, dass ich die Argumente die FO gebracht hat größtenteils wirklich nachvollziehen konnte. Da konnte ich nichts gegen sagen . Das hat zwar nichts an meiner Meinunggeändert, aber ich musste ihm teilweise zustimmen. (http: / / www.stargateproject.de/ stargate/ forum/ archive/ index.php/ t-8832.html, [decow]) (9) Die Sonnenterrasse Oberstdorfs, stand auf der Panoramakarte, die in der Eingangshalle der Jugendherberge hing. Dagegen konnte man nichts sagen , das stimmte. Auch der versprochene Ausblick von Nebelhorn bis zum Kratzer war vorhanden und schöner als im Kino. (http: / / www.schaefer-westerhofen.de/ schule/ annatext12_13.htm, [decow]) <?page no="91"?> Pragmatische Analyse 91 Auch wenn bei dem da in (7) formal nicht (mehr) von einem Präpositionalobjekt gesprochen werden kann, geht diese Verwendung doch erkennbar genau wie das da-…- gegen in (8) und das dagegen in (9) auf dasselbe Gebrauchsmuster von sagen zurück, das auch in der Formel in (3) vorliegt: Seine volle Argumentstruktur mit Akkusativ- und gegen-Präpositionalobjekt hat das Verb in (9), in (8) ist das Pronominaladverb dagegen in zwei Wörter aufgespalten und in (7) ist davon allein das deiktische da erhalten. Allen Verwendungen gemein ist jedoch die spezifische Lesart, die sagen im Valenzmuster „<jemand> sagt <etwas> gegen <etwas>“ besitzt (‚einwenden‘). Dieselbe pragmatische Formel wie in (3) liegt aber nur in (7) vor, trotz seines anderen Subjektausdrucks als in (3). Woran ist also der relevante Unterschied zwischen (3) und (7) einerseits sowie (8) und (9) andererseits festzumachen? Pragmatisch wird nur in (3) und (7) eine Bewertung von S auf der Ebene der aktuellen Äußerungssituation zum Ausdruck gebracht. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, da das Subjekt in (3) du lautet und in (7) man, in der nicht-spezialisierten Quellverwendung in (8) dagegen ich. Tatsächlich ist in der Formel eine enge Referenz auf S allein aber ausgeschlossen: Das du in (3) ist wie in Abschnitt-3.4.3 erläutert „nichtadressatendeiktisch“, d. h. es referiert nicht speziell und exklusiv auf P. Auch das man in (7) referiert nicht ausschließlich auf (nicht näher identifizierte) Dritte, sondern schließt sowohl S als auch P in seine Referenz mit ein. Wir sprechen sowohl in (3) als auch in (7) von einer sprecherinklusiven Verwendung des Subjektpronomens. Ein solcher Bezug auf S ist etwas anderes als eine Referenz ausschließlich auf S allein, wie sie das Pronomen ich realisiert. Die lediglich sprecherinklusive Referenz des Subjekts dient dazu, die Allgemeingültigkeit des postulierten Zusammenhangs zwischen dem Bezugssachverhalt und der zum Ausdruck gebrachten Bewertung zu signalisieren: Die Prädikation gilt nicht nur speziell für S, nur für P oder nur für situationsexterne Dritte. Prädiziert wird das Nichts-dagegen-sagen-Können stattdessen über eine bestimmte soziale Kategorie von Personen, die in der jeweils thematisierten Frage beurteilungskompetent sind, und in die S sowohl sich selbst als auch das aktuelle Gegenüber P mit einschließt. Beispiel (9) verdeutlicht, dass die deiktische Passung auch die temporale Dimension betrifft. Wie im einschlägigen Beispiel (7) lautet das Subjekt hier man, anders als dort ist das Tempus allerdings Präteritum. Auch in temporaler Hinsicht erfordert der allgemeine Geltungsanspruch der Formel aber eine generische Interpretation, wie sie nur das Präsens erlaubt: Das Nichts-dagegen-sagen-Können gilt nicht nur im Rahmen der je spezifischen Bezugssituation, sondern allgemein auch in allen vergleichbaren Situationen, in denen die bewertete Konstellation vorliegt. Wenn Sprecherin HM in Beispiel (3) die Friseurrechnung ihrer Schwester kommentiert, muss sie daher die Form da(gegen) kannst du nichts sagen anstelle von dagegen konntest du nichts sagen verwenden, um die intendierte Bewertung zum Ausdruck zu bringen-- auch wenn der mit da aufgegriffene Bezugs-Sachverhalt des Nichts-dagegen-sagen- Könnens (d. h. die Preisforderung des Friseurs) hier eindeutig in der Vergangenheit liegt. <?page no="92"?> Daten und Vorgehen 92 3.4.6 Funktionen, Praktiken und Handlungen Wie die Betrachtung unseres Beispiels (3) in Abschnitt- 3.4.1 bis 3.4.4 gezeigt hat, können sich die vier Funktionsbereiche in jeweils formelspezifischer Weise überlappen: Manche Formeln haben positionierende und zugleich gesprächsorganisatorische Funktionen, andere koordinative und zugleich epistemische, und wieder andere weisen Merkmale in drei oder sogar allen vier Bereichen gleichzeitig auf. Folglich wird es bei der in Kapitel-4 bis 7 vorgestellten Systematisierung nicht darum gehen, die untersuchten Ausdrücke jeweils nur genau einem der vier angesetzten Funktionsbereiche zuzuordnen. Stattdessen erfassen wir ihre Funktionen als formelspezifische Bündel pragmatischer Merkmale. Auf einer höheren Beschreibungsebene fassen wir die funktionalen, strukturellen und kontextuellen Merkmale unserer Beschreibungskandidaten im Begriff der „kommunikativen Praktik“ zusammen (Schegloff 1997; Deppermann/ Feilke/ Linke 2016). Kommunikative Praktiken umfassen stets alle drei Aspekte gleichzeitig: eine bestimmte pragmatische Funktion (bzw. ein zusammenhängendes Bündel solcher Funktionen), einen bestimmten sprachlichen Trägerausdruck, mit dem diese Funktion(en) realisiert werden können, und einen bestimmten kommunikativen Kontext, in dem der jeweilige Ausdruck just diese Funktion(en) realisiert (und keine andere(n)). Gemäß dieser Bestimmung sind Ausdrücke, die in unterschiedlichen Kontexten verschiedene pragmatische Funktionen erfüllen, also mit unterschiedlichen kommunikativen Praktiken verknüpft. In unserer Darstellung entspricht die pragmatische Funktion einer Praktik ihrem Merkmalsprofil in den vier Bereichen Positionierung, Koordination, Epistemik und Gesprächsorganisation. Ihre formalen Eigenschaften umfassen die spezifischen lexikalischen, morphosyntaktischen und phonetischen Realisierungsmerkmale des Ausdrucks, der sie sprachlich implementiert. Ihre kontextuellen Merkmale bilden die offenste Klasse. In der vorliegenden Studie verstehen wir darunter die positionellen Eigenschaften einer Praktik in der Gesprächssequenz, in der Äußerung sowie relativ zu ihrem Bezugsausdruck (sofern es einen solchen gibt). Prinzipiell könnten hier aber noch diverse weitere Kontextmerkmale in den Blick genommen werden. Dazu zählen u. a. unterschiedliche soziale Gruppenzugehörigkeiten von S und P, der Grad ihrer Vertrautheit, die Interaktionsdomäne, der Aktivitätstyp oder die Medialität der Kommunikationssituation, die allesamt einen Einfluss auf die Verwendungsrestriktionen eines Ausdrucks haben können. Wir erwähnen solche Kontextbindungen der untersuchten Praktiken im weiteren Sinne gelegentlich am Rande, konzentrieren uns für die grundlegende Typisierung der untersuchten Formeln aber auf die oben genannten Positionsmerkmale. Nochmals höherstufiger als der Begriff der Praktik ist der der Handlung. Levinson (2013, S.- 107) versteht unter der Handlung eines Redezugs seine „Kernleistung“ („main job“), auf die eine angemessene Reaktion Bezug nehmen muss. In diesem <?page no="93"?> Pragmatische Analyse 93 Sinne ist eine sagen-Formel potenziell handlungswertig, wenn sie einen kompletten Redezug ausfüllen kann. Beispiel (3) liefert eine Illustration: Wenn Sprecherin JI mit ihrem turnwertigen Repeat kannsch nix SAche auf den vorangegangen Redezug ihrer Schwester reagiert, realisiert sie damit eine bestätigende Zweitbewertung zu HMs Erstbewertung und vollzieht somit eine handlungswertige Affiliation mit ihrer Vorrednerin. Bei Formeln, die einen metasprachlichen, äußerungsbegleitenden Kommentar darstellen, ist hingegen von vorneherein klar, dass sie selbst nicht die so verstandene „Kernleistung“ der enthaltenden Äußerung erbringen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber natürlich nicht, dass diese Ausdrücke funktionslos oder in pragmatischer Hinsicht nicht beschreibungsrelevant wären. Es ist lediglich zu unterscheiden zwischen einerseits Praktiken, die eine Handlung im oben genannten Sinne vollziehen, und andererseits Praktiken, bei denen das nicht der Fall ist. Letztere haben stattdessen den Wert von Teilhandlungen bzw. zusätzlichen, ergänzenden „jobs“, die ihre Trägerformeln im Rahmen der Äußerungen verrichten, in denen sie zum Einsatz kommen. Manche Formeln sind auf Praktiken des einen oder anderen Typs festgelegt, d. h. sie sind entweder immer oder nie in der Lage, turnwertig freizustehen und eine eigenständige Handlung zu realisieren. Andere kommen in Praktiken beiderlei Art vor, d. h. sie können (mit Funktionsprofil A) in bestimmten Kontexten eine eigenständige Handlung implementieren, in anderen Kontexten (mit Funktionsprofil-B) jedoch nicht. Wir sprechen hier vom Typ einer Praktik: Praktiken des ersten Typs bezeichnen wir als handlungswertig, Praktiken des zweiten Typs als Operatoren. Kennzeichen einer Operatorpraktik ist, dass sie notwendig über einen bestimmten weiteren Äußerungsbestandteil operiert und insofern kommunikativ unselbstständig ist. Operatorpraktiken sind sequenziell unspezifisch, handlungswertige Praktiken hingegen oft an eine bestimmte Sequenzposition gebunden. Auch wo eine solche Bindung vorliegt, kann es jedoch zu Übertragungen des typischen Sequenzmusters in andere Kontexte kommen. Beispielsweise wird im Rahmen einer selbstbeantworteten Frage die dialogisch zweite Position des Antwort-Paarteils in eine monologische Erstposition überführt. Wir sprechen in solchen Fällen von einer kontextadaptierten Verwendung der betreffenden Formel. Im Sinne dieser Bestimmungen handelt es sich bei unserem Beispiel in (3) um eine Praktik des Typs „handlungswertig“. Die realisierte Handlung ist eine Bewertung. Positionell ist sie auf Äußerungsebene freistehend, da (potenziell) turnwertig. In sequenzieller Hinsicht ist sie ungebunden, wie die beiden funktionsgleichen Vorkommen in erster und zweiter Sequenzposition in Beispiel (3) zeigen. Funktional ist die Praktik involvierend und wissensanzeigend (bzw. -beanspruchend, „K+“). Sprachlich haben wir noch kein geeignetes Format zur Erfassung ihrer Merkmale vorgeschlagen, kommen darauf jedoch in den beiden folgenden Abschnitten zurück. In einer ersten Annäherung an diese Merkmale können wir festhalten, dass die For- <?page no="94"?> Daten und Vorgehen 94 mel zwar lexikalisch variabel ist, jedoch in allen Instanzen sprecherinklusive Subjektreferenz, eine negierte Modalisierung des Typs „möglich“ sowie ein anaphorisches Element aufweist, mit dem ein Rückbezug zum bewerteten Gegenstand etabliert wird. Das Hauptziel unserer pragmatischen Analysen ist somit die Identifikation und Typisierung derjenigen kommunikativen Praktiken, die mit den untersuchten Formeln realisiert werden können. Speziell in den vier interaktionslinguistischen Vertiefungsstudien ist dafür zunächst die Überprüfung des Teilnehmerverstehens der analysierten Praktiken anhand von folgenden Gesprächsbeiträgen grundlegend („nextturn proof procedure“, vgl. Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, S.-728). Nicht selten ist es aber so, dass der spezifische Beitrag der Formelverwendung zu S’ Äußerung im Ganzen mit diesem Verfahren allein nicht dingfest gemacht werden kann-- sei es, weil sich Ps Reaktion nicht spezifisch auf diesen Teilaspekt von S’ Beitrag bezieht, oder auch weil die Formel inmitten eines langen Multi-Unit-Turns gebraucht wird und es zu gar keiner Reaktion auf ihre Verwendung kommt. Eine wichtige Rolle im Rahmen unseres Vorgehens kommt daher zweitens der Etablierung möglichst distinktiver Paraphrasemöglichkeiten einer Formel im Rahmen der verschiedenen Praktiken zu, mit denen sie verknüpft ist. So ist zum Beispiel die in Kapitel-5 eingehender untersuchte Formel sagen wir (mal) in (10) ersetzbar mit ‚ungefähr‘, jedoch nicht mit ‚beispielsweise‘, während es sich in Beispiel (11) genau umgekehrt verhält: (10) so pff sagen wir mal vier Zentimeter über dem König stoppen (FOLK_E_00087_ SE_01_T_01_DF_01, c530) (11) wenn man von sagen wir mal von Paris nach Wien fahren will (FOLK_E_00064_ SE_01_T_05_DF_01, c855) Manche der möglichen Paraphrasen einer Formel sind vergleichsweise unspezifisch und lassen sich für viele verschiedene Verwendungen substituieren. Andere hingegen sind spezifischer und nur für bestimmte Vorkommen geeignet. Eine gegebene, sich aus mehreren Funktionsaspekten zusammensetzende Praktik kann sich gegenüber anderen Praktiken somit auch dadurch auszeichnen, dass instanziierende Belege mehr (oder weniger) Paraphrasemöglichkeiten aufweisen als bestimmte andere Belege derselben Formel. Soweit möglich wurde allerdings versucht, Praktiken nicht lediglich über Mengen geteilter Paraphrasemöglichkeiten bezüglich ihrer funktionalen Teilaspekte voneinander abzugrenzen, sondern auch eine möglichst distinktive Paraphrase für die jeweilige Praktik im Ganzen zu identifizieren. Ein weiteres Ziel der pragmatischen Analysen im Rahmen der Vertiefungsstudien ist die Herausarbeitung und informative Darstellung von Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Praktiken, die mit einer Formel (bzw. einem Marker) verknüpft sind. Hierzu schlagen wir ein grafisches Darstellungsformat vor („pragmatische Karte“), das wir in Abschnitt-3.6 näher erläutern. <?page no="95"?> Die Korpusstudien 95 3.5 Die Korpusstudien Der folgende Abschnitt-erläutert methodische Details der verschiedenen Korpusstudien, die im Rahmen der Untersuchung durchgeführt wurden. Wir beginnen mit der Identifikation der Formelkandidaten in FOLK (Abschn.- 3.5.1). Es folgt ein Abschnitt-zum Vorgehen im Zuge der pragmatischen Klassifikation und Systematisierung, zur Erhebung der verbleibenden Kandidaten in DECOW16B sowie zur Auswertung der dabei gezogenen Stichproben (Abschn.- 3.5.2). Schließlich beschreiben wir das Procedere der interaktionslinguistischen Vertiefungsstudien in FOLK, mit denen die vier Ergebniskapitel abschließen (Abschn.-3.5.3). 3.5.1 Identifikation der Formelkandidaten Wie in Abschnitt-3.2 ausgeführt, erfolgte die Identifikation der Untersuchungskandidaten in drei Schritten: - N-Gramm-Analyse aller Vorkommen des Lemmas sagen im gesprochensprachlichen Untersuchungskorpus FOLK; - Ergänzung der aus den FOLK-Daten gewonnenen Kandidatenliste um weitere Einheiten aus den benutzten Wörterbüchern und aus der Introspektion; - Überprüfung der erweiterten Kandidatenliste im (deutlich größeren) Webkorpus DECOW16B. Die N-Gramm-Analyse unseres mündlichen Untersuchungskorpus FOLK erfolgte auf dem Stand des DGD-Releases 2.8 mit einem Umfang von 1.942.468 orthografisch normalisierten Token. Aus diesen Daten wurden zunächst sechs verschiedene Listen von N-Grammen bestehend aus zwei, drei, vier, fünf, sechs und sieben Token gebildet, die an einer Position eine Wortform des Lexems sagen beinhalteten. N-Gramme, die nicht-wortförmige Elemente enthielten, wurden entfernt. 73 Berücksichtigt wurden nur Wortfolgen innerhalb der im Korpus definierten Beitragsgrenzen. Als nächtes war zu entscheiden, gemäß welchem Kriterium ein Element auf diesen Listen als zumindest potenziell relevante Verfestigung zu betrachten und auf die initiale Kandidatenliste zu schreiben war. Wie bereits in Kapitel-1 ausgeführt, sind unsere Zielausdrücke in der Regel umstell- und erweiterbar, sodass sie nicht an genau eine feste Wortfolge gebunden sind. Umgekehrt können die Treffer für eine Wortfolge, die sich als pragmatische Formel verselbstständigt hat, aber auch weiter- 73 Ausgeschlossen wurden in der Transkription als unverständlich ausgewiesene Elemente („+“, „++“, „+++“ etc.), irrtümlich im orthografisch normalisierten Korpus als Token verbliebene Markierungen von Ein- und Ausatmen („°h“ bzw. „h°“) sowie die „Dummy“-Symbole „§“ „%“, „&“ und „#“ (die u. a. zur Markierung nicht konventionalisierter Interjektionen, nicht rekonstruierbarer Wortabbrüche und nicht lexikalisierter Laute wie Stottern dienen, vgl. Schmidt et al. 2015; Winterscheid et al. 2019). <?page no="96"?> Daten und Vorgehen 96 hin „freie“ Vorkommen derselben Wortfolge beinhalten- - vgl. etwa die Formel so gesagt (im Sinne von ‚sozusagen‘) in (12) sowie ihr kompositionelles Pendant in (13): (12) dann hast Du schon so gesagt die die Gebühr hm die Gebühr schon drin [FOLK_E_00039_SE_01_T_01, c1166] (13) tschuldigung des is genau so gesagt worden [FOLK_E_00069_SE_01_T_06, c492] In Verbindung mit der geringen Korpusgröße erwies sich dieses zweite Problem als noch gravierender für eine kookkurrenzbasierte Identifikation der gesuchten Ausdrücke als das ihrer Umstell- und Abwandelbarkeit: Bleibt man beim Beispiel so gesagt, so finden sich unter den 56 Treffern dieser Wortfolge im untersuchten FOLK- Release ganze zwei Fälle, bei denen es sich tatsächlich um den in (12) veranschaulichten Heckenausdruck handelt. Auf die Anwendung eines Kookkurrenzkriteriums, das auf Assoziationsstärken oder Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den beteiligten Elementen beruht, wurde daher verzichtet. Stattdessen wurde als maßgeblich betrachtet, ob es sich bei einem gegebenen N-Gramm (in einer seiner Verwendungen) um einen Ausdruck mit eigenständiger Funktion und/ oder (idiomatischer) Bedeutung (im Sinne von Abschn.- 3.4) handelte, die an den komplexen Ausdruck als ganzen gebunden war. Dazu wurden alle 900 N-Gramme mit einer Minimalfrequenz-von fünf Vorkommen in den Daten von zwei Personen unabhängig händisch durchgesehen und individuell beurteilt. 74 Abweichende Einschätzungen wurden im Rahmen einer Nachbesprechung verglichen und aufgelöst. Für alle so ermittelten Kandidaten wurde dann nochmals in FOLK überprüft, ob es sich bei den dekontextualisierten Wortkombinationen auf der Liste tatsächlich um den jeweils vermuteten Gebrauch dieser Elemente als eigenständig funktionsbzw. bedeutungstragender komplexer Ausdruck handelte. Dabei wurden alle bestätigten Kandidaten auf der Liste mit einem konkreten Verwendungsbeispiel aus dem Korpus illustriert. Dieses Vorgehen ermöglichte eine datengeleitete Identifikation rekurrenter Gebrauchsmuster von sagen in FOLK, um einen ersten Einblick in den Phänomenbereich zu gewinnen. Aufgrund der vergleichsweise geringen Größe des Korpus und der (handhabbarkeitshalben) Beschränkung der Analyse auf Wortfolgen mit einer Minimalfrequenz von fünf Vorkommen in den Daten war allerdings nicht damit zu rechnen, dass dieser Schritt allein eine geeignete Basis für eine wirklich umfassende Inventarisierung unserer Zielausdrücke darstellen würde. Im zweiten Schritt der 74 Als potenziell relevante Ausdrücke wurden dabei alle Wortfolgen markiert, die einer kommunikativ vollständigen Mehrworteinheit entsprachen (z. B. ich würde sagen), d. h. weder Teilsequenzen solcher Einheiten waren (wie z. B. ich würde) noch größere Sequenzen, in denen eine solche Einheit enthalten war (wie z. B. ich würde sagen wir). Als eigenständige „kommunikativ vollständige Einheit“ auf der Kandidatenliste wurden dabei alle Ausdrücke betrachtet, deren nicht-elliptische Vollrealisierung bei Erhalt ihrer formelpezifischen Bedeutung/ Funktion nicht weiter reduzibel war (z. B. ich sag mal, aber nicht ich sag jetzt mal oder ich sag mal so, die keine unabhängigen Kandidaten sind). <?page no="97"?> Die Korpusstudien 97 Formelermittlung wurde die Kandidatenliste daher sowohl introspektiv als auch aus allgemeinen und speziellen Wörterbüchern ergänzt. Sofern wir diese Addenda im (wesentlich größeren) Korpus DECOW16B verifizieren konnten, wurden sie ebenfalls auf die Liste der initialen Untersuchungskandidaten geschrieben und mit einem Beleg aus dem Korpus illustriert. Auf diese Weise kam eine Liste von über 150 initialen Kandidaten für formulaische Gebräuche von sagen mit eigenständiger, nicht rein kompositionell erzeugter Bedeutung und/ oder Funktion zusammen. Diese Zahl war etwa doppelt so hoch wie die Anzahl der Bildungen, die wir am Ende (d. h. nach Abschluss der Klassifikation) zurückbehielten und in Kapitel-4 bis 7 vorstellen. Zurückzuführen ist diese Halbierung zum einen auf die Entfernung von Verfestigungen ohne besondere Gesprächsfunktion, sowie zum anderen auf die Zusammenlegung verschiedener Kandidaten zum selben zugrundeliegenden „Bildungstyp“ (vgl. Abschn.- 3.2). Der Ablauf der pragmatischen Klassifikation, die Motivation für die genannten Zusammenlegungen sowie unser konkretes Vorgehen im Zuge der Erhebung und Auswertung der zugehörigen Instanzen im Korpus sind Gegenstand des folgenden Abschnitts. 3.5.2 Klassifikation, Erhebung und Auswertung Nach Festlegung der Kriterien, die eine besondere Gesprächsfunktion begründen, wurden die Ausdrücke auf der Kandidatenliste auf ihre pragmatische Beschreibungsrelevanz überprüft. Alle Einträge wurden dazu jeweils von zwei Bearbeitern unabhängig beurteilt. Sofern der exemplarische Beleg, der einem Ausdruck zugeordnet war, keine besondere Gesprächsfunktion erkennen ließ, dies aber für bestimmte andere Verwendungen dieses Ausdrucks denkbar schien, wurde er nachkonkordiert und gezielt nach Belegen für die vermutete Verwendung gesucht. Auf der Liste verblieben nur Ausdrücke, für die eine relevante Verwendung in DECOW16B belegt werden konnte. Besaß eine Einheit mehrere unterschiedliche pragmatisch relevante Verwendungsweisen, wurde das vermerkt, darüber hinaus in diesem Schritt jedoch nicht weiter beachtet. Im Zuge der Funktionsklassifikation wurde nicht nur entschieden, ob ein gegebener Kandidat für die Untersuchung einschlägig war, sondern auch, in welcher bzw. welchen Hinsicht(en). Dazu konnte jeder Einheit auf der Kandidatenliste in den Funktionsdimensionen Positionierung, Koordination und Epistemik jeweils nur maximal ein Merkmal 75 zugewiesen werden, während im Bereich Gesprächsorganisation auch eine Mehrfachzuordung möglich war („themensteuernd“ und/ oder „beitragsgliedernd“ und/ oder „rederechtsbezogen“). Um Funktionsüberschneidungen abzubilden, war es zudem möglich, Merkmale in mehr als einer Dimension auf einmal 75 Und zwar: „involvierend“ vs.-„distanzierend“ im Bereich Positionierung, „affiliativ“ vs.-„disaffiliativ“ vs.- „appellativ“ vs.- „facebezogen“ im Bereich Koordination sowie „K+“, „K-“ und „K=“ im Bereich Epistemik. <?page no="98"?> Daten und Vorgehen 98 zuzuweisen. Auf diese Weise ergaben sich Funktionsprofile wie etwa „involvierend“, „distanzierend, facebezogen“, „affiliativ, K=, gesprächsorganisatorisch“ und dergleichen. Alle Einträge auf der Liste mit abweichender Beurteilung wurden nachbesprochen und ggf. um relevante Belege aus dem Korpus ergänzt. Zusätzlich zur Erfassung eines solchen Profils wurde für jeden relevanten Ausdruck entschieden, welchem der vier Funktionsbereiche er schwerpunktmäßig angehört. Letzteres erfolgte aus rein darstellungspraktischen Gründen und hatte für die inhaltliche Analyse des Ausdrucks keine Konsequenzen-- die Einstufung eines Ausdrucks etwa als „primär epistemisch“ oder „primär gesprächsorganisatorisch“ diente lediglich zur Festlegung, in welchem Teil der Ergebnispräsentation das (vollständige) Funktionsprofil dieses Ausdrucks zu behandeln war. 76 Gerade in dieser Frage kam es im Zuge der späteren Datenauswertung und Verschriftlichung der Analyse in vielen Fällen noch zu Revisionen. Nachdem auf diese Weise entschieden war, für welche Einheiten auf der Liste eine (oder mehrere) besondere Gesprächsfunktion(en) anzusetzen und welchem Bereich sie jeweils schwerpunktmäßig zuzuordnen waren, wurden die entsprechenden Ausdrücke in DECOW16B konkordiert und stichprobenartig ausgewertet, um unsere Annahmen zu ihrer Form und ihrer Funktion zu überprüfen. Zu klären war dafür allerdings zunächst, wie genau die einzelnen Kandidaten überhaupt erst zu erheben waren: Verfestigungen wie etwa sage und schreibe, die weder umstellbar noch erweiterbar (oder im Gegenteil weiter reduzierbar) sind, ohne ihre besondere Funktion einzubüßen, 77 sind seltene Ausnahmen unter unseren Untersuchungskandidaten. Die meisten unserer Zielausdrücke sind in verschiedenerlei Hinsicht variabel, wobei auch mehrere unterschiedliche Abwandlungen zugleich auftreten können: - Grammatische Variabilität liegt vor, wenn die grammatische Kategorie einer bestimmten Ausdruckskomponente unterschiedlich instanziiert werden kann, ohne dass der untersuchte Ausdruck dabei seine besondere pragmatische Funktion einbüßt. Beispiele: verschiedene Ausprägungen der Kategorie Person für das Subjekt von sagen, die Versetzung der sagen-Prädikation in ein anderes Tempus, die Instanziierung des direkten Objekts von sagen als abhängiger Hauptsatz oder als Nebensatz. - Lexikalische Variabilität liegt vor, wenn eine bestimmte Ausdruckskomponente lexikalisch unterschiedlich realisiert werden kann oder weiteres lexikalisches Material zum untersuchten Ausdruck hinzutreten kann, ohne dass er seine besondere pragmatische Funktion einbüßt. Lexikalische Varianten einer Ausdruckskomponente sind in der Regel Angehörige desselben (mehr oder minder 76 Auch ein Ausdruck mit Merkmalen in allen vier Funktionsbereichen sollte im Text nur einmal diskutiert werden. 77 Hier ist nicht einmal die Apokope möglich: sag und schreib kann nur als koordinierte literale Aufforderung verstanden werden. <?page no="99"?> Die Korpusstudien 99 eng definierten) Paradigmas. Beispiele: die Ersetzung eines verfestigten Subjekt- oder Objektausdrucks durch ein kontextuelles Quasi-Synonym (<das> sagt <JMDM> (schon) <der gesunde Menschenverstand/ seine Intuition/ das Bauchgefühl…>), die Realisierung eines schematischen Negationsmerkmals durch verschiedene lexikalische Negationselemente (<JMD> kann nicht/ kaum/ schwerlich/ … sagen, <dass …>), die optionale Modifikation eines Ausdrucks mit Partikeln und Adverbien (<JMD> hätte <JMDM> <ETW> (auch) (schon) (vorher/ eher/ gleich/ …) sagen können). - Stellungsvariabilität liegt vor, wenn die Stellung des Subjekts eines untersuchten Ausdrucks (sofern eines realisiert ist) relativ zum finiten Verb der Formel vertauscht werden kann, ohne dass der untersuchte Ausdruck dabei seine besondere pragmatische Funktion einbüßt. Beispiel: ich würde sagen/ würde ich sagen. Stellungsunterschiede sind in der Regel durch unterschiedliche Positionen der Formel relativ zu ihrem Bezugsausdruck verursacht, müssen das aber auch nicht sein (vgl. ein [ich sag mal/ sag ich mal] vermeidbarer Fehler). Sind weder Subjekt noch Objekt von sagen realisiert, ist die interne Wortstellung der sagen-Formel ambig (Beispiel: wollt grad sagen). Angesichts dieser vielfältigen Variationsmöglichkeiten ist es allerdings nicht weniger wichtig zu betonen, dass sich die Variabilität einer Formel gleichzeitig auch immer innerhalb bestimmter Grenzen bewegt. Bildungen, für die das nicht gilt, sind eben schlicht nicht formelhaft bzw. verfestigt. Formelhafte Ausdrücke mit eigener Gesprächsfunktion dagegen verlieren ihre besondere(n) Funktion(en), wenn sie so abgewandelt werden, dass ihre konstitutiven Merkmale nicht mehr rekonstruierbar sind. Das Ergebnis solcher Überdehnungen ist in der Regel sowohl grammatisch akzeptabel als auch problemlos interpretierbar-- es geht ihm nur der spezifische nicht-kompositionelle Funktionsüberschuss ab, der die Formel als Formel auszeichnet. Weiter erschwert wird die Ermittlung zu berücksichtigender Varianten dadurch, dass an der Kategorisierungsentscheidung stets unterschiedliche lexikalische und grammatische Ausdrucksmerkmale zugleich beteiligt sind. Um einen gegebenen Ausdruck holistisch einem bestimmten Formel-Prototyp zuzuordnen, können Abweichungen in Merkmal A daher zumeist durch Übereinstimmungen in Merkmalen B und C kompensiert werden. Analog gilt das allerdings auch umgekehrt für Ausdrücke, allein in Merkmal B (aber nicht A und C) oder C (aber nicht A und B) vom Prototyp abweichen, sodass es unter dem Strich gegebenenfalls kein einziges Merkmal gibt, das für sich genommen eine strikt notwendige Bedingung für das Vorliegen der Formel darstellt. Wenn es nun aber sein kann, dass alle beteiligten Komponenten in einem bestimmten Rahmen variabel sind, wie ist dieser Rahmen in der Praxis geeignet abzustecken, um mögliche Varianten systematisch und exhaustiv im Korpus zu erheben? <?page no="100"?> Daten und Vorgehen 100 Wir illustrieren das Problem wiederum an unserem Beispiel da kannsch nix sage in (3). Formal handelt es sich bei dieser Konstruktion um eine dreistellige Hauptsatzverwendung von sagen mit einem (hier lediglich durch die Flexionsendung angezeigten) Subjekt der zweiten Person Singular, dem Akkusativobjekt nix sowie einem als deiktische Schwundstufe da realisierten dagegen-Präpositionalobjekt (erkennbar an der Lesart ‚einwenden‘ des präpositionalen Valenzmusters ‚<JMD> sagt <ETW> gegen <JMDN/ ETW>‘). Der Modus der Äußerung ist deklarativ, das Tempus ist Präsens, die Diathese aktivisch und der Verbmodus indikativisch. Zudem ist sagen hier eingebettet unter das Modalverb können. Stellungsmäßig ist festzuhalten, dass das Präpositionalobjekt topikalisiert ist und das Subjekt nach dem Finitum im Mittelfeld steht. In Anbetracht dieser zahlreichen Parameter ist es nicht nur wenig zielführend, sondern aufgrund der kombinatorischen Explosion auch schlichtweg nicht praktikabel, mechanisch alle genannten Paradigmen durchzugehen und jedes dieser Merkmale vollständig mit jedem weiteren zu kreuzen. Es braucht andererseits aber auch nicht erst eine Korpusabfrage, um zu klären, dass ein Ausdruck wie Muss er dagegen nichts sagen? keine einschlägige Variante unseres Beispielausdrucks darstellt. Unter den weniger starken Abwandlungen gilt dasselbe auch schon für nicht-topikalisiertes du kannst da nix sagen, präteritales da konntest du nix sagen (vgl. Abschn.- 3.4.5) oder permissiv modalisiertes da darfst du nix sagen. Andere Abwandlungen sind dagegen möglich. Ob das Präpositionalobjekt nurmehr als deiktische Schwundstufe da, diskontinuierlich als da-…- gegen oder kanonisch als dagegen realisiert ist, hat keinen Einfluss auf die Funktion des Ausdrucks: (14) Sie meinte was von maximal 120 Euro, das ist dann aber eine vollständig durchgeimpfte, gechipte und kastrierte Katze. Da kannst du nix sagen. (http: / / www.mietzmietz.de/ anschaffung-einer-katze/ 39922-erlebnisse-beimkatzenkauf-yes-warten-auf-bass/ index2.html [decow]) (15) Ne Dose für ca 2,14€ inkl. Versand, da kann man nichts gegen sagen . (http: / / www.snus-world.de/ snus/ portions-und-loser-snus/ 2443-offroad-liquoricewhite-portion [decow]) (16) Später, wenn diese Zeit abgelaufen ist, dann kostet diese Wohnung pro Monat 380 Euro und dagegen kann man nichts sagen , vor allem dann nicht, wenn man die durchaus recht schöne Lage und den guten Zustand besieht. (http: / / www.13o.de/ html/ lpk-e7.html [decow]) Die Variabilität des Subjektausdrucks ist bereits in Abschnitt-3.4.5 zur Sprache gekommen. Und auch die Realisierung der negierten Modalität der Formel liegt nicht fest. Attestiert sind sowohl modale Konkurrenzformen für können als auch andere Negationsmarker: <?page no="101"?> Die Korpusstudien 101 (17) Wir fahren mit dem DART nach Dalkey. IR£ 2.40 pro Person für die Hin- und Rückfahrt, dagegen lässt sich nichts sagen . (http: / / www.irelandman.de/ Travels/ 1999-02-p1.htm [decow]) (18) klar sind die preise von 80-100 euro für modelle o. k. dagegen ist auch nix- zu- sagen . (http: / / www.tt-board.de/ forum/ archive/ index.php/ t-10310. html [decow]) (19) Übrigens finde ich es gut, dass der DFB offensichtlich kapiert hat, wie verfehlt- seine Preispolitik war. Für Studenten gibt es Karten für 15 Euro, da kann- man wenig sagen . (http: / / www.alemannia-brett.de/ forums/ archive/ index.php/ t-8905.html [decow]) Kurz gesagt ist also keines der terminalen Elemente da, kannst, du und nichts ein strikt notwendiges Form(el)merkmal (mit Ausnahme von sagen). Umgekehrt hieße es nun allerdings, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn man dem Ausdruck deshalb gleich jedwede Verfestigung absprechen und ihn auch gar nicht länger als „formelhaften Ausdruck mit einer besonderen Gesprächsfunktion“ betrachten würde. Tatsächlich müssten wir das Gros der in dieser Arbeit betrachteten Ausdrücke aus unserer Untersuchung ausschließen, wenn wir uns dafür auf „Diskursmarker“ im Sinne einer derjenigen Definitionen beschränken würden, die diesen Status an strikt invariante Ausdrücke binden (vgl. Kap.- 2). Dagegen ist einzuwenden, dass der-Begriff der „Verfestigung“ ein graduelles Phänomen bezeichnet, in dessen Rahmen die völlige Fixierung eines Ausdrucks nur die letzte Stufe bzw. den äußersten Endpunkt eines Kontinuums darstellt. Will man den größten Teil des Untersuchungsbereichs nicht von vorneherein abschneiden, lässt sich eine trennscharfe Unterscheidung allenfalls zwischen völlig invarianten Ausdrücken („Marker“) von nur teilverfestigten Bildungen („Formeln“) einziehen. In diesem Sinne handelt es sich bei da kannsch nix sage in (3) also nicht um einen Marker, sondern um einen Beleg für eine Formel. Und auch wenn diese Formel weder lexikalisch noch grammatisch völlig fest ist, so illustrieren die angeführten Varianten aber doch, dass sich mögliche Abwandlungen stets um einen bestimmten semantischen Angelpunkt drehen: Die Pro-Form da(gegen) führt ein adversatives Element in die Argumentstruktur der Formel ein (gegen das die hypothetische Äußerung gerichtet ist), das Finitum kannsch realisiert die modale Bedeutungskomponente +möglich, die gleichzeitig durch das Objekt nix negiert ist, und der (durch die Flexionsendung lediglich implizierte) Subjektausdruck du hat eine weite, generischsprecherinklusive Referenz. Es sind diese semantisch-pragmatischen Merkmale, die gemeinsam den Raum abstecken, in dem sich mögliche Realisierungen des Ausdrucks bewegen. Mit anderen Worten: Die Kategorisierbarkeit einer bestimmten Bildung als Instanz einer Formel im hier verstandenen Sinne lässt sich nicht starr an bestimmten sprachlichen Formmerkmalen festmachen. Konstitutiv sind vielmehr erstens ihre spezifischen Funktionsmerkmale sowie zweitens ihre Ableitung dieser <?page no="102"?> Daten und Vorgehen 102 Merkmale aus bestimmten Bedeutungskomponenten, die in je formelspezifischer Weise aufeinander bezogen sind. Aus diesem Grund wurde als Ausgangspunkt sowohl der Erhebung als auch der späteren Darstellung der untersuchten Formeln in Kapitel 4 bis 7 zunächst eine semantisch-pragmatische Typisierung der Kandidaten aller vier Funktionsbereiche vorgenommen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei den folgenden Fragen: - Wer spricht, bzw. genauer: auf wen oder was referiert das erste Argument von sagen? Als mögliche Ausprägungen setzen wir die Werte „+sprecherdeiktisch“ (Bezug auf S), „+adressatendeiktisch“ (Bezug auf P), „+dyadisch“ (Bezug auf S und P gemeinsam), „+sprecherinklusiv“ (Bezug auf Gruppe inklusive S), „+sprecherexklusiv“ (Bezug auf Dritten/ Gruppe exklusive S) sowie „+beliebig“ und „+unbelebt“ an (für bestimmte idiomatische Verwendungen). 78 Zur Bezeichnung dieses Partizipanten verwenden wir gelegentlich auch den Begriff der „Sprechinstanz“, der eine bestimmte Äußerung zugeschrieben wird. - Weist das Verb sagen in der relevanten Verwendung eine bestimmte besondere Lesart auf ? Hierfür legten wir weder das Lesarteninventar aus dem Dudennoch aus dem Wahrig-Wörterbuch (d. h. den im Zuge der Formelidentifikation benutzten Bedeutungswörterbüchern) zugrunde, da sich beide für unsere Zwecke als wenig tauglich erwiesen. Wenn in einer gegebenen Bildung eine der zentralen, metonymisch miteinander verflochtenen Lesarten wie ‚äußern‘, ‚artikulieren‘, ‚formulieren‘, ‚meinen‘ etc. vorlag, war dies in der Regel auch gar nicht relevant für die Identifikation relevanter Beschränkungen. Anders sah es hingegen bei semantisch spezifischeren Lesarten wie ‚einwenden‘, ‚befehlen‘ oder ‚besagen‘ aus, deren Vorliegen in der Regel durch eine bestimmte Argumentstruktur angezeigt, in manchen Fällen aber auch vom (teil-)satzexternen Kontext evoziert wird. Die je angemessene Lesart wurde fallspezifisch bestimmt und nicht einer bestimmten prä-existenten Liste entnommen. - Ist eine temporale Situierung relevant? Manche Ausdrücke formulieren zeitlose Zusammenhänge („+generisch“: man sagt), andere referieren spezifisch auf den gegenwärtigen Sprechzeitpunkt im Kontrast zu einem Vorzustand („+origodeiktisch“: jetzt, wo du es sagst) oder verweisen umgekehrt auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit („+anterior“: was habe ich dir gesagt). - Bestehen modale Qualifikationen? Diese Kategorie ist semantisch die weiteste, und sie kann sehr unterschiedlichen sprachlichen Ausdruck finden (sowohl grammatisch als auch lexikalisch): in Gestalt eines bestimmten Modalverbs (zum Beispiel können), einer modalen Verbalperiphrase (zum Beispiel sich V-en lassen), einer verbalen Moduskategorie (zum Beispiel „Imperativ“), einer Satzmodus- 78 In der Regel geht es in dieser Frage um die Referenz des Subjektausdrucks. Formelhafte AcIs (lass uns sagen) oder andere Infinitivkonstruktionen (um es vorweg zu sagen) zeigen allerdings, dass es präziser ist, semantisch vom ersten Argument des Verbs zu sprechen als syntaktisch von dessen Subjekt. <?page no="103"?> Die Korpusstudien 103 kategorie (zum Beispiel „Fragesatz“), eines bestimmten Satztyps (zum Beispiel „wenn-Satz“), eines Negationselements (zum Beispiel kaum) oder einer Modalpartikel (zum Beispiel mal). Die semantisch-pragmatischen Merkmale, mit denen man über diese vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen von Modalität generalisieren kann, sind entsprechend heterogen. Von den genannten Beispielen etwa bekamen können und sich V-en lassen im Rahmen unserer Typisierung das gemeinsame modale Merkmal „+möglich“ zugewiesen, ein Imperativ (oder funktionsähnliche Aufforderungsform wie ein deontischer Infintiv) das Merkmal „+direktiv“, ein Fragesatz (ob direkt oder indirekt) das Merkmal „+interrogativ“, ein wenn-Satz (aber auch ein verbaler Konjunktiv II) das Merkmal „+konditional“, das Adverb kaum (und ähnliche wie schwerlich oder nicht, aber auch Argumentausdrücke wie keiner oder niemanden) das Merkmal „+negiert“ und die Partikel mal (wie auch die Adverbiale jetzt einfach oder ausnahmsweise) das Merkmal „+exzeptionell“. 79 - Sind bestimmte Umstände bzw. Angaben zur Art und Weise des Ereignisverlaufs relevant? Diese Information steuern adverbiale Bestimmungen bei, die in der deutschsprachigen Tradition üblicherweise als „Modaladverbiale“ (Pittner 1999) bezeichnet werden. Trotz der unglücklichen begrifflichen Überlappung (und somit möglichen Verwechslungsgefahr) mit faktizitätsbezogenen Ereignisqualifikationen (siehe oben) verwenden wir im Folgenden die Bezeichnung +modal für diese Art von Spezifikationen, da es abgesehen von periphrastischen Bezeichnungen wie „adverbiale Bestimmung der Art und Weise“ keine etablierte Einwort-Entsprechung für das Englische manner adverbial gibt. Wird eine solche Bestimmung mit Elementen wie so und in dieser Weise zeigend statt benennend geleistet (oder auch mit wie erfragt), sprechen wir von einem +modaldeiktischen Bedeutungsmerkmal. Referenzpunkt unserer Typisierung ist somit eine geteilte Bezeichnungsstrategie: Gemeinsam behandelt werden Formeln, die aus denselben beteiligten Bedeutungskomponenten im Rahmen derselben Bezeichnungsstrategie dieselbe(n) pragmatische(n) Funktion(en) ableiten. Insofern wurden zunächst die als beschreibungsrelevant identifizierten Formelkandidaten daraufhin untersucht, auf welche Weise sie ihren spezifischen pragmatischen Effekt erzielen. Einheiten, die sich in dieser Hinsicht ähneln, wurden zu einem gemeinsamen semantischen Bildungstyp zusammengefasst. Sobald ein bestimmter rekurrenter Typ dieser Art identifiziert war, ließ sich auch gezielt nach weiteren möglichen Varianten suchen, die die gegebene Strategie ins Werk setzen, wodurch es zu weiteren Ergänzungen der Kandidatenliste kam. Mit diesen Überprüfungen verbunden war die konkrete Erhebung der einzelnen Typen 79 Die im Rahmen der Typisierung verwendeten Merkmale wurden keiner spezifischen Liste aus der Literatur entnommen, sondern induktiv im Rahmen der Formelklassifikation gewonnen. <?page no="104"?> Daten und Vorgehen 104 und ihrer zugehörigen Verfestigungen im Korpus. In den meisten Fällen verlief der Prozess in den folgenden Schritten: - Zunächst wurden alle gestellten Anfragen für das gegebene Bildungsmuster tendenziell zu weit formuliert. Ziel war es, die für dieses Muster relevanten semantischen Parameter in möglichst vielen lexikalischen, grammatischen und stellungsmäßigen Realisierungsvarianten in DECOW16B zu überprüfen. Wo immer dabei ein Einschub von optionalen Ausbauten in die überprüfte Variante möglich schien, wurde zwischen den Elementen links und rechts dieser Position ein Wortabstand von standardmäßig 0-3 beliebigen Token zugelassen. - Im zweiten Schritt wurde für jede auf diese Weise erzeugte Konkordanz eine Typfrequenzliste der erzielten Treffer generiert und die ersten fünfzig Elemente dieser Liste durchgesehen (sofern es soviele verschiedene Elemente gab). Elemente auf der Liste, die entweder gar nicht einschlägig waren oder aber einer gleichfalls relevanten, aber eigenständigen sagen-Formel mit anderer Gesprächsfunktion zuzuordnen waren, wurden markiert, um sie in einer revidierten Fassung der aktuellen Suchanfrage auszuschließen. 80 - Im dritten Schritt wurden die eingangs formulierten Anfragen entsprechend angepasst und neu gestellt, erneut Typfrequenzlisten der erzielten Resultate gebildet und auch diese Listen wieder durchgesehen. Dieser Schritt wurde solange wiederholt, bis sich für alle Anfragen keine zumindest offenkundig falsch positiven Elemente mehr unter den 50 häufigsten Types fanden (sofern es soviele Types für die jeweilige Anfrage gab). - Im vierten Schritt wurden die endgültigen Anfragen für eine gegebene Formel dann ein letztes Mal gestellt und ihre Ergebnisse wiederum nach der Typfrequenz der gefundenen Treffer sortiert. Die auf diesem Weg identifizierte häufigste Instanz der konkordierten Formel im Korpus wurde als die sogenannte Leitform dieser Verfestigung bestimmt. Für die Ermittlung der Leitform einer Formel wurden rein schreibungsbezogene Merkmale wie etwa die Groß- und Kleinschreibung einzelner Formelkomponenten (Da/ da kann man nichts sagen), nichtstandardkonforme Schreibungen (da kann man nichts/ nix sagen) sowie eine etwaige formelinterne Interpunktion (man kann sagen (,) was man will) ignoriert. Mit anderen Worten wurden die Häufigkeiten der entsprechenden Varianten also addiert. Alle weiteren Abwandlungen und Modifikationen des jeweiligen Ausdrucks wurden dagegen nicht aggregiert, da es sich in lexikalischer Hinsicht nicht um dieselbe Segmentkette handelte. 80 Die Einschätzung, ob für ein gegebenes Element auf der Liste eine andere Funktion anzusetzen war als für die zu erhebende Formel, erforderte natürlich häufig eine Überprüfung dieses Elements in seinen konkreten Belegkontexten im Korpus. Dankenswerterweise waren die entsprechenden Konkordanzen aufgrund eines Positivfilters für die Belege aller Listenelemente in dem NoSketch-Engine- Interface auf www.webcorpora.org jeweils nur einen Klick von dieser Liste selbst entfernt, was eine schnelle Erstüberprüfung entsprechender Funktionseinschätzungen ermöglichte. <?page no="105"?> Die Korpusstudien 105 - Im fünften Schritt wurden die Leitformhäufigkeiten aller Kandidaten miteinander verglichen, die zum selben semantisch-pragmatischen Bildungstyp gehören. Die Leitform, die innerhalb einer solchen Gruppe die häufigste war, wurde als die sogenannte zentrale Verfestigung des zugrundeliegenden Bildungsmusters bestimmt. - Im sechsten und letzten Schritt wurde schließlich für jeden Bildungstyp eine Zufallsstichprobe von 100 Belegen für die Leitform seiner zentralen Verfestigung gezogen. 81 Gewissermaßen umgekehrt stellte sich das Erhebungsproblem hingegen bei Formeln wie ich sage, sagen wir und man sagt dar, bei denen die Schwierigkeit nicht in ihrer Variabilität, sondern in der hohen Anzahl von falschen Positiven (d. h. Nicht-Formeltreffern) der entsprechenden Anfragen lag. Für solche Einheiten (welche genau betroffen sind, wird jeweils zu Beginn von Kap.-4 bis 7 angeführt) wurde aus der Gesamtkonkordanz des Suchstrings eine Zufallsstichprobe von 100 Belegen auf Treffer der gesuchten Formel durchgesehen und die Häufigkeit der Rohtreffer des Suchausdrucks mit dem ermittelten Faktor bereinigt. Auch die Erhebung sei am Beispiel des Ausdrucks da kannsch nix sage noch einmal veranschaulicht. Funktional wurde die Formel als schwerpunktmäßig positionierend klassifiziert: Es handelt sich um eine handlungswertige Involvierung, mit der S eine positive Bewertung des mit da aufgegriffenen Sachverhalts formuliert. In semantischer Hinsicht charakteristisch ist dabei die doppelte Verneinung: Wer feststellt, dass es nichts gibt, das sich gegen einen bewerteten Gegenstand sagen ließe, formuliert damit in indirekter Weise seine Anerkennung für diesen Gegenstand. Diese Strategie liegt auch einer Anzahl weiterer positionierender Formeln mit sagen zugrunde: (20) Aber was auch immer man gegen Palästina sagen kann , es bleibt festzuhalten, dass es sich um Menschen handelt und dass diese Menschenrechte haben. (http: / / www.anis-online.de/ 1/ ton/ 71.htm, [decow]) (21) Also man kann sagen was man möchte , zurzeit ist das HTC Desire auf jedenfall das Maß der Dinge bei den Android Phones. (http: / / www.consolewars. de/ messageboard/ showthread.php/ 71382-Android/ page8? s=f1a77fd27b3551d 3e19de46c9f2dbaf1, [decow]) (22) Sag was du willst , ich werde Light-Produkte nie mögen… (http: / / www.heimtier-portal.de/ archive/ index.php/ t-298.html, [decow]) 81 Bei der Erstellung dieses Samples wurde (unabhängig von der Ausprägung des häufigsten Elements in der Typfrequenzliste) für das erste Element der jeweiligen Wortfolge sowohl Großals auch Kleinschreibung zugelassen, um den Fokus bei Operator-Praktiken nicht von vorneherein auf Instanzen mit bestimmen Stellungseigenschaften relativ zu ihrem Skopusausdruck zu verengen. <?page no="106"?> Daten und Vorgehen 106 Wie unsere Beispielformel weisen diese Ausdrücke die sagen-Lesart ‚einwenden‘ auf, und wie diese beziehen sie ihren involvierenden Effekt aus der vorgreifenden Zurückweisung eines möglichen Einwands (bzw. genauer: aller nur denkbaren Einwände durch P oder Dritte) als letztlich unerheblich. Charakteristisches Merkmal im Vergleich zu anderen involvierenden Positionierungen ist somit die adversative Bedeutungskomponente dieser Ausdrücke in Verbindung mit ihrer negierten Modalsemantik. Sprachlich kann diese komplexe Bedeutung auf unterschiedliche Weise ausgedrückt werden, sodass zu diesem Muster sowohl Imperative als auch modalisierte Deklarative und indirekte Fragesätze mit verschiedenen Modalverben zählen. Semantisch-pragmatisch liegt ihnen jedoch allen dieselbe Bezeichnungsstrategie zugrunde. Für jede dieser Konstruktionen waren nun geeignete Suchausdrücke zu formulieren, die auch ihre interne lexikalische, grammatische und stellungsmäßige Variabilität angemessen berücksichtigen. Für da kannsch nix sage galt es insofern erstens, in der Anfrage lexikalische Variabilität für die Referenz auf den <Sagenden> (du oder man) vorzusehen, zweitens die Realisierung der relevanten negierten Modalbedeutung offen zu lassen (können+nichts, sich lassen+kaum etwas, sein-Modalprädikat+wenig etc.) sowie drittens eine flexible Realisierung des phorischen Elements zu ermöglichen, das den Gegenstand der formulierten Bewertung aufgreift (dagegen, da- …- gegen, da). Zudem finden sich im Korpus auch Varianten wie nix und nüscht anstelle von nichts für das <Gesagte>. Bereits diese überschaubare Anzahl von Varianten führte aufgrund weiterer Alternativen durch Groß- und Kleinschreibung einzelner Elemente bereits zu vielen Dutzend möglicher Kreuzungen, in die optionale Hinzufügungen (in der Art von da kannst du nun aber wirklich nichts sagen etc.) noch gar nicht einberechnet sind. Mit Platzhaltern und Disjunktionen lassen sich solche Anfragen aber trotzdem recht ökonomisch formulieren. Im vorliegenden Fall etwa reichten die folgenden drei Suchausdrücke, um über 500 verschiedene Wortketten (Types) zu finden, die die gesuchte Formel in DECOW16B instanziieren: - „[Dd]a(gegen)? “ „kann(st)? “ „man|[Dd]u“ []{0,3} („nichts|nix|nüscht|wenig“|(„ka um“ „(et)? was“)) „gegen“? „sagen“ - „[Dd]a(gegen)? “ „lässt“ „sich“ []{0,3} („nichts|nix|nüscht|wenig“|(„kaum“ „(et)? was“)) „gegen“? „sagen“ - „[Dd]a(gegen)? “ „ist“ []{0,3} („nichts|nix|nüscht|wenig“|(„kaum“ „(et)? was“)) „gegen“? „zu“ „sagen“ Fasst man die Typfrequenztabellierungen aller drei Anfragen zu einer einzigen zusammen, ergibt sich eine Gesamtübersicht der attestierten Realisierungsvarianten der Formel in DECOW16B. Tabelle-1 zeigt das Vorkommen der zehn häufigsten Instanzen sowohl in absoluten Häufigkeiten als auch normalisiert pro Million Wörter (nicht Token) im Korpus. <?page no="107"?> Die Korpusstudien 107 Rang Realisierung Frequenz pMW 1 da kann man nichts sagen 243 0,015 2 da kann man nix sagen 208 0,013 3 Dagegen ist nichts zu sagen 203 0,013 4 dagegen ist nichts zu sagen 102 0,006 5 da kann man nichts gegen sagen 83 0,005 6 Da kann man nichts sagen 69 0,004 7 Dagegen ist auch nichts zu sagen 48 0,003 8 da kann man nix gegen sagen 47 0,003 9 dagegen kann man nichts sagen 46 0,003 10 Da kann man nix sagen 36 0,002 Tab.-1: [da kann man nichts sagen] in DECOW16B Bei den Elementen auf Rang- 1, 2, 6 und 10 handelt es sich um unterschiedliche Schreibungen derselben Wortkette, ebenso bei den Elementen auf Rang-3 und 4 sowie 5 und 8. Werden diese Varianten wie beschrieben zusammengefasst, ergibt sich als Leitform dieser Formel die Wortfolge da kann man nichts sagen mit insgesamt 556 Belegen bzw. 0,04 Vorkommen pro eine Million Wörter in DECOW16B. Die Instanz in Beispiel (3) ist also nah an diesem Prototyp (d. h. der Leitform der instanziierten Formel), unterscheidet sich davon jedoch durch ihre Subjektwahl. Geht man ähnlich auch für die anderen drei Verfestigungen vor, die gemeinsam mit da kann man nichts sagen zum Muster der adversativen Positionierungen gerechnet wurden, erhält man den Leitformenvergleich in Tabelle-2: Rang Realisierung Frequenz pMW 1 man kann sagen was man will 1117 0,071 2 da kann man nichts sagen 556 0,035 3 sag was du willst 128 0,008 4 was man auch gegen X sagen mag 2 <0,001 Tab.-2: Leitformen adversativer sagen-Positionierungen in DECOW16B Der Vergleich erweist, dass die zentrale Verfestigung dieses Bildungsmusters in DECOW16B also nicht unser Beispielausdruck, sondern die Formel mit der Leitform man kann sagen, was man will ist: (23) Man kann sagen, was man will : Das sind schon Meisterwerke. (http: / / www. tabibito.de/ japan/ blog/ 2009/ 09/ 12/ yakuza_prauuml_fung [decow]) <?page no="108"?> Daten und Vorgehen 108 Abschließend wurde im Zuge der Erhebung dann eine Stichprobe von 100 Belegen dieser Leitform gezogen, die den Gegenstand der (exemplarischen) Auswertung dieses Formeltyps bildete. Dabei konnte es natürlich vorkommen, dass sich unter diesen 100 exportierten Belegen noch eine erkleckliche Menge falscher Positive befand (vgl. die Anmerkungen zu so gesagt zu Beginn des Kapitels). Im Rahmen der Auswertung wurden allerdings auch nur 20 einschlägige Belege pro Formel gesammelt (sofern so viele in der Stichprobe enthalten waren), um unsere Einschätzungen zu überprüfen. Zu unterscheiden waren dabei nicht nur einschlägige Verwendungen von solchen ohne eine besondere Gesprächsfunktion, sondern auch verschiedene relevante Gebräuche untereinander-- wie etwa die folgenden Gebrauchsweisen von das kann ich dir sagen: (24) Nur noch 3 1/ 2 Wochen, dann hab ich endlich meine mündliche Prüfung hinter mir! ! ! Dann mal schaun, was wird ! ! ! 14.06.2001, 00: 48 / / Das kann ich dir sagen : Ehrenrunde M @MAX 14.06.2001, 01: 12 (http: / / www.comicforum.de/ archive/ index.php/ t-20964.html [decow]) (25) Und die nächste Frage wäre dann: Wie groß ist dein Haus? Denn so PCs nehmen ja schon reichlich Platz weg, auch wenns nur der Tower ist : D ayin 19.06.2008, 17: 51 / / Das kann ich dir sagen . Ich bin tätig im Bereich der Computerforensik. Da brauche ich unterschiedliche Testumgebungen und System, da es für alles spezielle Software gibt. (http: / / www.scifi-forum.de/ archive/ t-9505-p-3. html [decow]) (26) Gute Musiker lassen den Synthesizer niemals über ihr Schicksal bestimmen. Gute Musiker kontrollieren ihr Schicksal selbst und lassen zuerst ihr Herz sprechen. Um das zu erreichen, müssen sie lernen, zu programmieren, sie müssen die Bedienungsanleitungen lesen, sie müssen herausfinden, was man man mit den Geräten machen kann. Und das sind wirklich verflixt komplizierte Dinger, das kann ich dir sagen . (http: / / www.radiowaves.de/ serrie.htm [decow]) Im (primär) wissensanzeigenden Gebrauch in (24) hat die Formel epistemische Funktion: S reklamiert, die Antwort auf eine offene Frage zu kennen und projiziert ihre folgende Mitteilung an P. Im (primär) affiliativen Gebrauch in (25) ist ihre dominante Funktion dagegen koordinationsbezogen: S bestätigt eine vorangehende Einschätzung Ps und schließt sich ihr an. Im (primär) positionierenden Gebrauch in (26) schließlich erscheint die Formel in einem monologischen Kontext und dient zur Bekräftigung einer eigenen Positionierung. In solchen Fällen wurden soviele Belege ausgewertet, bis sich für eine der unterschiedenen Verwendungsweisen insgesamt 20 valide Beispiele angesammelt hatten. Auf diese Weise wurde für jede näher untersuchte Formel nicht nur eine bestimmte strukturelle Leitform, sondern auch eine bestimmte dominante Praktik ermittelt, die mit dieser Form in den Daten vollzogen wird. <?page no="109"?> Die Korpusstudien 109 Zusammenfassend stellt sich unser Vorgehen bei der Erhebung, der Auswertung und der Präsentation der Ergebnisse der Inventarisierungsstudie somit wie folgt dar: Gemeinsam betrachtet werden jeweils die Formeln eines gegebenen schwerpunktmäßigen Funktionsbereichs (positionierende Ausdrücke in Kap.-4, koordinationsbezogene in Kap.-5, epistemische in Kap.-6 und gesprächsorganisatorische in Kap.-7). Innerhalb dieser Kapitel ist die Darstellung nach semantisch-pragmatisch definierten Bildungstypen gegliedert, wobei sich nähere Überprüfungen auf deren zentrale Verfestigung konzentrieren. Die schematischen Repräsentationen, die für jeden angesetzten Bildungstyp gegeben werden (vgl. Abschn.-3.6), beziehen sich speziell auf die Leitform und die dominante Praktik seiner zentralen Verfestigung. Weitere formale und funktionale Varianten der beschriebenen Bildungsmuster werden im Zuge der Diskussion natürlich aber ebenfalls genannt und veranschaulicht. 3.5.3 Die Vertiefungsstudien Im Anschluss an die Formelüberblicke wird für jeden der vier Funktionsbereiche eine interaktionslinguistische Vertiefungsstudie präsentiert, die auf Daten aus FOLK basiert. Angaben, die für eine bestimmte Fallstudie spezifisch sind, finden sich in den Abschnitten „Daten und Vorgehen“ der jeweiligen Kapitel. Dazu zählen etwa Informationen zum Korpusrelease, auf dem die betreffende Studie beruht, zu den verwendeten Suchausdrücken und den damit erzielten Treffern sowie zu allen Merkmalen, die speziell im Rahmen nur dieser Studie erfasst wurden. Abgesehen von diesen fallspezifischen Aspekten gab es jedoch auch bestimmte Basismerkmale der untersuchten Ausdrücke, die in allen vier Studien gleichermaßen registriert wurden. In funktionaler Hinsicht waren dies die folgenden Belegmerkmale: - Eigenschaft im Funktionsbereich Positionierung: involvierend, distanzierend; - keine Eigenschaft im Funktionsbereich Koordination: affiliativ, disaffiliativ, appellativ, facebezogen; - keine Eigenschaft im Funktionsbereich Epistemik: K+, K-, K=; - keine Eigenschaft im Funktionsbereich Gesprächsorganisation: themensteuernd, beitragsgliedernd, rederechtsbezogen; - keine Kontextangemessene Paraphrase der Zielkonstruktion; 82 - Instanziierte Praktik. 83 In kontextueller Hinsicht wurde erfasst: - Verwendungstyp des Vorkommens: Handlungswertig, Operator; - Handlung (bei handlungswertigen Vorkommen); 82 Die Werte in dieser Kategorie wurden erst im Laufe der Untersuchung etabliert und dann so lange angepasst bis ein geeignetes Set gefunden war. 83 Siehe letzte Fußnote. <?page no="110"?> Daten und Vorgehen 110 - Sequenzposition (bei handlungswertigen Vorkommen); - Position relativ zum Operanden/ Skopusausdruck (bei Operatorvorkommen): vorangestellt, 84 nachgestellt, medial; 85 - Position im Redezug: initial, medial, final, freistehend; - wiederkehrende Vorlaufelemente. Strukturell (d. h. mit Blick auf ihre Lexis und interne Syntax) gab es bei den Zielkonstruktionen der Vertiefungsstudien aufgrund ihrer vergleichsweise starken Verfestigung kein einziges Merkmal, das in allen vier Fallstudien gleichermaßen annotiert wurde. Im Anschluss an die Identifikation der kommunikativen Praktiken, die mit den vier Zielkonstruktionen in den untersuchten Daten vollzogen werden, wenden wir uns ihrer lautlichen Realisierung zu. Wir beginnen jeweils mit einem Abschnitt-zum erreichten Grad der lexikalisch-grammatischen Verfestigung und der strukturellen Konvergenz der untersuchten Ausdrücke auf eine bestimmte lexikalische Gestalt. Im Folgenden konzentriert sich die phonetische Analyse auf diese angenommene Konvergenzform. Untersucht werden jeweils drei verschiedene Aspekte: - segmentalphonetische Reduktionstendenzen; - Grenzphänomene an den (ehemaligen) lexikalischen Fugen; - akzentstrukturelle Verfestigung und prosodische Integration. Etwaige lautsegmentale Erosionstendenzen werden anhand der Silbizität der untersuchten Realisierungen sowie der Qualität und Dauer des A-Lauts der enthaltenen sagen-Form in den Blick genommen. 86 Bei der Wortgrenzenuntersuchung gilt das Interesse assimilatorischen und reduktiven Prozessen sowie möglichen Resilbifizierungen am Übergang zwischen den einzelnen lexikalischen Gliedern der Marker. Beim dritten, prosodischen Untersuchungsbereich wird die akzentstrukturelle Fixierung der Zielformen überprüft und untersucht, ob sie prosodisch in den umgebenden Kontext integriert sind oder nicht. 87 84 Die Kategorie umfasst auch in den Skopuseindruck eingebettete Vorkommen, die insofern nur einem bestimmten Teil des Skopus „vorangestellt“ sind. Eine sichere Entscheidung zwischen engem Skopus (nur über die folgende Konstituente) und weitem Skopus (über den gesamte Bezugsausdruck) ist vielfach nicht möglich, sodass solche Vorkommen sämtlich der Kategorie „vorangestellt“ zugeschlagen wurden. 85 Die Kategorie „medial“ wurde für Reformulierungsanzeigen mit zwei Bezugsausdrücken angesetzt (dem reformulierten Ausduck links und dem reformulierenden rechts der Formel). 86 In der Untersuchung zu wie gesagt wird neben dem / aː/ auch das / k/ von gesagt betrachtet. 87 Für die Analyse der prosodischen (Des-)Integration wurde im Unterschied zu den anderen lautlichen Untersuchungen lediglich eine Zufallsstichprobe von 100 Belegen je Marker ausgewertet (sofern es soviele Markerbelege in den Daten gab). <?page no="111"?> Darstellungskonventionen 111 In den Untersuchungen zur Segmentalphonetik und zu den Wortgrenzen wird der Markergebrauch mit geeigneten nicht-formulaischen Vergleichsformen bzw. Vergleichskontexten kontrastiert. Alle untersuchten Formen werden dabei von zwei ohrenphonetisch trainierten Bearbeitern mit dem Analyseprogramm Praat unabhängig analysiert und kodiert. Abweichungen zwischen den Bearbeitungen werden im Rahmen einer Nachbesprechung und gemeinsamen Zweitanalyse aufgelöst. 3.6 Darstellungskonventionen Im letzten Abschnitt-des Kapitels erläutern wir zunächst das in Kapitel-4 bis 7 verwendete Darstellungsformat für die ermittelten Praktiken (3.6.1) sowie ihre „pragmatische Kartierung“ am Ende der Vertiefungsstudien. Im Anschluss kommen wir auf die Struktur der Ergebnispräsentation (3.6.3) sowie die Konventionen für die Wiedergabe von Textbeispielen und Transkripten zu sprechen (3.6.4). 3.6.1 Notation der Praktiken Gemäß der Bestimmungen in Abschnitt-3.4.6 vereint der Begriff der kommunikativen Praktik Charakteristika funktionaler, formal-struktureller und kontextueller Art. Wie wir die funktionalen und kontextuellen Merkmale der untersuchten Praktiken erfassen, wurde bereits aufgeschlüsselt: Erstere entsprechen dem pragmatischen Merkmalsprofil der Praktik in den vier angesetzten Funktionsbereichen, letztere den (möglichen) Bindungen der Praktik an bestimmte Positionen in der Sequenz, im Redezug oder im Verhältnis zum Bezugselement des Trägerausdrucks (d. h. zum Operanden/ Skopus einer Operatorpraktik). Kontextmerkmale von Verwendungen, die in den (sehr kleinen) Stichproben zwar dominant, aber gleichzeitig weniger als zehnmal belegt waren, werden in Klammern angegeben. Zusätzlich wird für jede Praktik verzeichnet, ob sie eigenständig handlungswertig ist oder als Operator einen bestimmten weiteren Äußerungsbestandteil rahmt. Für handlungswertige Praktiken wird zudem die Art der Handlung angeführt. Wie in Abschnitt-3.5.2 diskutiert, ist die konkrete lexikalisch-grammatische Gestalt, an die diese Handlungs-, Funktions- und Kontextmerkmale gebunden sind, dagegen deutlich schwieriger zu bestimmen, da in der Regel variabel. Repräsentiert werden die schematischen Bildungsmuster, die hinter den attestierten Varianten eines Ausdrucks stehen, in den Formelüberblicken in Kapitel- 4 bis 7 jeweils in Gestalt der Leitform ihrer zentralen Verfestigung (vgl. Abschn.-3.5.2). Am einfachsten wäre es insofern, als formale Spezifikation einer Praktik lediglich genau die lexikalische Gestalt dieser Leitform anzugeben. Um aber auch gleichzeitig die Formseite des dahinterstehenden Bildungsmusters sichtbar zu machen und es zu typisieren, zerlegen wir die identifizierten Leitformen in ihre grammatischen und lexikalischen Merkmale. Um die Komplexität der Beschreibung etwas zu verringern (und so die Lesbarkeit der Darstellung zu verbessern), werden diese Merkmale allerdings nur dort an- <?page no="112"?> Daten und Vorgehen 112 gegeben, wo sie sich von den Eigenschaften einer als Vergleichsstandard angesetzten Referenzverwendung von sagen abheben. Als solche setzen wir einen zweistelligen Gebrauch von sagen in einem deklarativen Hauptsatz im Indikativ Präsens Aktiv ohne Modalverb, Modalpartikeln oder sonstige Modifikatoren sowie auch ohne besondere Gesprächsfunktionen an, wie ihn die Belege in (27) bis (29) in verschiedenen Ausprägungen illustrieren: (27) und Franzosen äh leugnen es die die sagen es nicht ([FOLK_E_00425_ SE_01_T_02_DF_01, c159]) (28) Moment äh ich habe nicht gesagt dass es falsch ist ([FOLK_E_00001_ SE_01_T_02_DF_01, c465]) (29) jeder weiß es und jeder sagt ach Gott so schnell ging die Zeit jetzt wieder rum ([FOLK_E_00020_SE_01_T_02_DF_01 , c431]) Mit anderen Worten: Wo immer eine gegebene pragmatische Formel in einer bestimmten Weise von dieser Referenzverwendung abweicht-- sei es im Satztyp, in der Diathese, im Tempus, im Satz- oder Verbmodus, im Auftreten in einer spezifischen verbalen Periphrase, in der lexikalischen Kookkurrenz mit bestimmten Vorlaufelementen, Modalverben, Partikeln oder anderen Modifikatoren, in der Festlegung des Subjekt- oder direkten Objektarguments auf eine spezifische lexikalische Füllung oder im Hinzutreten weiterer Argumentausdrücke wie etwa eines Dativobjekts oder Prädikativs-- wird das in der strukturellen Charakteristik der entsprechenden Praktik vermerkt. 88 Als Folie dieser differentiellen Bestimmung dienten die folgenden Attribute und zugehörigen Werte: - „+VL“: zusätzliches Vorlaufelement. Möglicher Wert: Lexem des Vorlaufelements (optional; gelistet werden typische Kookkurrenzen); - „ST“: Satztyp 89 (Referenzwert: Hauptsatz). Mögliche Werte: „ns“ (finiter Nebensatz), „prt“ (satzwertiges Partizipialgefüge), „inf “ (satzwertige Infinitivkonstruktion); - „DIA“: Diathese (Referenzwert: Aktiv). Mögliche Werte: „l-kaus“ (lassen-Kausativ), „w-pass“ (werden-Passiv), „s-pass“ (sein-Passiv), „l-pass“ (lassen-Passiv); - „TMP“: Tempus (Referenzwert: Präsens („prs“)). Mögliche Werte: „fut“ (Futur), „pqp“ (Plusquamperfekt), „prf “ (Perfekt), „prt“ (Präteritum); - „SM“: Satzmodus (Referenzwert: deklarativ). Mögliche Werte: „dir“ (direktiv), „exkl“ (exklamativ), „int“ (interrogativ); 88 Als relevanter deiktischer Parameter wird die Einschränkung einer Formel auf das Präsens gesondert vermerkt, auch wenn „Präsens“ zu den Merkmalen des angesetzten Vergleichsstandards zählt. 89 Angegeben wird der angenommene Satztyp der syntaktischen Quellstruktur einer Formel, auch wenn letztere keinem vollwertigen Satz bzw. satzwertigen Ausdruck mehr entspricht (vgl. will sagen, sozusagen etc.). <?page no="113"?> Darstellungskonventionen 113 - „VM“: Verbmodus (Referenzwert: Indikativ). Mögliche Werte: „adh“ (Adhortativ), „imp“ (Imperativ), „kon“ (Konjunktiv); - „+MPR“: hinzutretendes Modalprädikat. 90 Mögliche Werte: „haben“ (haben-Modalprädikat), „sein“ (sein-Modalprädikat); - „+MV“: hinzutretendes Modalverb. Mögliche Werte: „dürfen“, „können“, „mögen“, „müssen“, „sollen“, „wollen“; - „+MPT“: hinzutretende Modalpartikel. Mögliche Werte: Lexem der Partikel; - „SUB“: Subjekt. Mögliche Werte: Lexem des Subjektarguments; - „AKK“: Akkusativobjekt. Hierzu zählen neben nominalen und satzwertigen Ergänzungen auch Quotativkomplemente. Möglicher Wert: Lexem des Akkusativobjekts oder Einleiter des Komplementsatzes; - „+DAT“: zusätzliches Dativojekt. Möglicher Wert: Lexem des Dativobjekts; - „+PO“: zusätzliches Präpositionalobjekt. Möglicher Wert: Kopfpräposition des Präpositionalobjekts; - „+PRD“: zusätzliches Prädikativ; - „+MOD“: zusätzlicher Modifikator. Als Modifikator wurden adverbiale Bestimmungen und Negationselemente gewertet, nicht aber die separat erfassten Modalpartikeln („+MPT“). Möglicher Wert: Lexem des Modifikators; - mit „+↑[Lexem]“ bzw. „+↓[Lexem]“ werden zur Formel gehörige Elemente markiert, die einem der sagen-Prädikation übergeordneten („+↑“) bzw. untergeordneten („+↓“) Satz angehören. Für die Leitform unseres Beispiels in (3), da kann man nichts sagen, ergibt sich somit die folgende Notation: 91 TYP handlungswertig HANDLUNG Bewertung KONTEXT freistehend FUNKTION involvierend, K+ FORM +MV: können, TMP: prs, SUB: man, AKK: nichts, +PO: gegen Formelnotation: da kann man nichts sagen 90 Wir übernehmen die Bezeichnung aus Ágel (2017, S.-449-452), der darunter konstruktionell dynamische Prädikate mit haben und sein versteht, die traditionell als „modale Infinitive“ bezeichnet werden (vgl. er hatte ihr immer alles sofort zu sagen, ihr war immer alles sofort zu sagen). 91 Wie ausgeführt betrachten wir das phorische da als lexikalische Schwundstufe des Pronominaladverbs dagegen, sodass wir seine grammatische Funktion als Präpositionalobjekt veranschlagen. <?page no="114"?> Daten und Vorgehen 114 3.6.2 Pragmatische Karten Während in den Formelüberblicken stets nur die dominante Praktik der systematisierten Einheiten im Blickpunkt steht, geht es in den vier Vertiefungsstudien um die Gesamtheit aller Praktiken, die mit den untersuchten Ausdrücken vollzogen werden können. Bei allem Interesse für die Besonderheiten der dabei unterschiedenen Verwendungsmuster geht es im Zuge dieser Analyse jedoch auch gleichzeitig um ihre Gemeinsamkeiten und Übergänge ineinander, die sich als Mengen geteilter Form-, Funktions- und Kontextmerkmale beschreiben lassen. Jeweils am Ende der Vertiefungsstudien wird das geteilte Merkmalsgeflecht in Form eines Diagramms visualisiert, das wir als „pragmatische Karte“ der mit der Zielkonstruktion verknüpften Praktiken bezeichnen. Wir greifen dazu auf ein ursprünglich im Rahmen von Sprachtypologie (Haspelmath 2003) und Grammatikalisierungsforschung (Narrog/ van der Auwera 2011) entwickeltes Darstellungsverfahren zurück („semantic map“), das in abgewandelter Form mittlerweile auch im Zusammenhang mit pragmatischen Analysen Anwendung gefunden hat (Zinken/ Küttner 2022). Im Rahmen dieser Darstellung repräsentieren wir die zuvor identifizierten Praktiken als Knoten im dargestellten Netzwerk, zwischen denen verschiedene Arten von Verknüpfungen bestehen: Ähnlichkeiten formaler bzw. struktureller Art werden in der Karte durch durchgezogene Linien angezeigt. Wir beschränken uns dabei auf lexikalische und grammatische Realisierungsmerkmale (wie etwa Modifikation und Stellungseigenschaften) und klammern die (in allen vier Fallstudien stark variable) phonetische Beschreibungsebene aus. Geteilte Funktionsmerkmale (in den vier unterschiedenen Bereichen) werden durch gepunktete Linien angezeigt. In kontextueller Hinsicht visualisieren die Abbildungen geteilte Positionsmerkmale in Sequenz, Turn und Stellung relativ zum Bezugsausdruck (sofern relevant), die durch gestrichelte Verbindungslinien markiert werden. Alle Kanten sind beschriftet, um die Identität der geteilten Eigenschaft(en) anzuzeigen. Diejenige Praktik, die sich in der Vertiefungsstudie in FOLK als die häufigste erwies, die mit dem Zielausdruck vollzogen wird, wird im Zentrum des Diagramms und etwas größer als die anderen Verwendungsmuster dargestellt. 3.6.3 Struktur der Ergebnispräsentation Die Formelüberblicke im ersten Teil der Ergebnispräsentation sind (mit Ausnahme des Kapitels zur Gesprächsorganisation) zunächst in Sektionen für die verschiedenen Merkmalsausprägungen gegliedert, die für den jeweiligen Funktionsbereich angesetzt werden. So beginnt das Kapitel zu positionierenden Formeln etwa mit Ausdrücken in involvierender Funktion, bevor auf die komplementäre Gruppe der Distanzierungen eingegangen wird, bei den koordinationsbezogenen Formeln gibt es Abschnitte für affiliative, disaffiliative, appellative und facebezogene Praktiken usw. Innerhalb dieser Abschnitte sind die systematisierten Bildungstypen nach ih- <?page no="115"?> Darstellungskonventionen 115 ren konstitutiven semantisch-pragmatischen Merkmalen geordnet, wobei wir als obersten Sortierschlüssel die Personendeixis verwenden. Die Darstellung innerhalb der Abschnitte beginnt somit stets mit den sprecherdeiktischen Bildungen und arbeitet sich nach den lediglich sprecherinklusiven und adressatendeiktischen Formeln schließlich durch zu verschiedenen weiteren Arten von sprecherexklusiven Ausdrücken. In den Vertiefungsstudien beginnen wir die Darstellung der identifizierten Praktiken stets mit der dominanten, die für die jeweilige Zielkonstruktion der Studie typisch ist. Von hier aus arbeiten wir die weiteren Verwendungsweisen in der Reihenfolge ab, in der die zugehörigen Funktionsbereiche in Abschnitt-3.4 eingeführt wurden (Positionierung-- Koordination-- Epistemik-- Gesprächsorganisation). 3.6.4 Textbeispiele und Transkripte In Beispielen aus Diskussionsforen in DECOW16B werden Grenzen zwischen verschiedenen Beiträgen mit dem Beitragswechselzeichen „/ / “ kenntlich gemacht. Bezieht sich der aktuelle Beitrag auf einen früheren Beitrag eines anderen Nutzers zurück, ist davon aber durch einen oder mehrere irrelevante Beiträge von Dritten getrennt, die für den Nachvollzug der relevanten Bezugnahme keine Rolle spielen, wird das irrelevante Material nicht reprodziert und die Aussparung mit dem Auslassungszeichen „[…]“ kenntlich gemacht. Ausgespart werden immer nur ganze Beiträge. Für mündliche Belege aus FOLK wird zwischen Transkripten und kontextfreien Minimalverweisen unterschieden. Die in den vier Vertiefungsstudien ausführlich behandelten Belegbeispiele aus FOLK werden jeweils als Transkriptausschnitt mit dem für ihr Verständnis nötigen sequenziellen Kontext präsentiert. Die Repräsentation dieser Interaktionsausschnitte folgt den Konventionen der „Feintranskription“ des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems 2 (GAT2, Selting et al. 2009). Das Auftreten der Formel- und Markerinstanzen in den Beispieltranskripten ist durch einen Pfeil an der betreffenden Transkriptzeile und Fettmarkierung gekennzeichnet. Markerformen sind in den Transkripten lautnah repräsentiert durch die phonetischen Zeichen der IPA. Kurze Transkriptexzerpte im Fließtext der zugehörigen Erläuterungen werden wie im Quelltranskript transliteriert dargestellt (nach GAT2). Das Format des Minimalverweises wird für kurze Beispiele aus FOLK gewählt, die ohne sequenziellen Kontext und ohne Transliteration verstehbar sind. Minimalverweise werden aus Gründen der Leseerleichterung in orthografisch normalisierter Form dargestellt. Auf die Verwendung von Interpunktionszeichen wird dabei verzichtet. <?page no="116"?> Daten und Vorgehen 116 3.7 Zusammenfassung Kapitel- 3 hat einen Überblick über die empirischen Ziele, das methodische Vorgehen, die verwendeten Daten und die Darstellungskonventionen der Untersuchung gegeben. In Vorbereitung der folgenden Ergebnispräsentation wurde dabei eine pragmatische Funktionstypologie entwickelt, die die Grundlage unseres Begriffs der „besonderen Gesprächsfunktion“ bildet. Mit diesem Raster lassen sich pragmatische Formeln und Marker jeweils durch ein bestimmtes Funktionsprofil in den angesetzten vier Dimensionen kennzeichnen. Gegenstand der Beschreibung sind jedoch nicht lediglich die funktionalen Eigenschaften der untersuchten Ausdrücke, sondern umfassender deren Bindungen an spezifische Form- und Kontextmerkmale des jeweiligen sprachlichen Trägerausdrucks, die wir im Begriff der „kommunikativen Praktik“ zusammenfassen. Die folgende Ergebnisdarstellung orientiert sich an der hier entwickelten Struktur. Für jeden der vier unterschiedenen Funktionsbereiche wird zunächst in seiner kompletten Breite ein kommentierter Formelüberblick gegeben. An diesen Überblick schließt sich eine interaktionslinguistische Vertiefungsstudie zu einem einzelnen sagen-Marker des dargestellten Bereichs an, der in der Mündlichkeit besonders prominent ist. Dabei interessiert uns neben der internen Ausdifferenzierung der Zielausdrücke in unterschiedliche kommunikative Praktiken auch ihre lautliche Realisierung in den Daten (sowie eine etwaige Wechselwirkung zwischen diesen beiden Ebenen). Für beide Teilstudien hat das vorliegende Kapitel im Detail erläutert, auf welcher korpuslinguistischen Daten- und Auswertungsgrundlage die einzelnen Teilschritte der Untersuchung vonstatten gingen und wie sie aufeinander aufbauen. Zugleich dient es als Referenz für wichtige Begriffe der Ergebnispräsentation („zentrale Verfestigung“, „Leitform“, „dominante Praktik“ etc.) sowie die verschiedenen Darstellungskonventionen unserer Studie (vom transkribierten Beleg über die schematisierte Praktik zur pragmatischen Kartierung ihrer externen Vernetzung), die sich hier bei Bedarf gezielt nachschlagen lassen. <?page no="117"?> Formelüberblick 117 4. POSITIONIERUNG 4.1 Einleitung Im folgenden Kapitel präsentieren wir den ersten Teil der empirischen Ergebnisse, in dem Formeln mit schwerpunktmäßig positionierender Funktion behandelt werden. Wie alle folgenden Ergebniskapitel ist die Darstellung in zwei Hälften aufgeteilt: Der erste Teil des Kapitels gibt einen Überblick über den Formelbestand des jeweiligen Bereichs im Ganzen, der auf Daten aus DECOW16B basiert (4.2). Der zweite Teil präsentiert eine interaktionslinguistische Vertiefungsstudie zu einer einzigen Formel des je behandelten Bereichs, die besonders prominent in der Mündlichkeit ist. Die Vertiefungsstudie beruht auf Daten aus FOLK und untersucht kommunikative Praktiken und lautliche Realisierungen der untersuchten Zielkonstruktion. Im vorliegenden Kapitel widmet sich die Vertiefungsstudie dem Marker sozusagen (4.3). 4.2 Formelüberblick Gegliedert ist unser Überblick in einen Abschnitt- zu involvierenden bzw. bekräftigenden (Abschn.- 4.2.1) sowie einen Abschnitt- zu distanzierenden bzw. abschwächenden Formeln (Abschn.-4.2.2). Gemeinsam ist Ausdrücken beider Art, dass ihre primäre Funktion darin besteht, Sprechereinschätzungen zur Vertretbarkeit einer gegebenen Festlegung anzuzeigen: Markiert wird, dass S sich eine bestimmte Perspektive entweder zu eigen macht (Involvierung) oder dass dies im Gegenteil gerade nicht bzw. nur mit der als Kommentar vermerkten Einschränkung der Fall ist (Distanzierung). In der Literatur wird dabei häufig zwischen einem Bezug auf den Inhalt und einem Bezug auf die sprachliche Form gerahmter Äußerungsteile unterschieden (Hagemann 1997 etwa spricht in diesem Zusammenhang von „Diktumscharakterisierung“ vs. „Diktionscharakterisierung“). Wir übernehmen diese Unterscheidung, schlüsseln sie in Anknüpfung an Bühler und die im letzten Kapitel vorgestellten vier Funktionsbereiche jedoch noch feiner auf: Grundlegend wird im Rahmen einer Positionierung ein bestimmtes Verhältnis zwischen S und einer gegebenen sprachlichen Sachverhaltsdarstellung gestiftet. In Bühlers Organonmodell entspricht das einem bestimmten Verhältnis des „Senders“ S zum „Zeichen“ Z. Signalisiert wird entweder eine Identifikation mit der durch Z bezeichneten Position bzw. Sachverhaltsdarstellung, oder ein wie auch immer gearteter Vorbehalt dagegen. Wie diese Formulierung andeutet, kann sich die Positionierung in beiden Fällen sowohl auf die Inhaltsals auch auf die Ausdrucksebene beziehen. <?page no="118"?> Positionierung 118 Inhaltsbezogene Positionierungen lassen sich schematisch unterteilen in die Markierung von Übereinstimmung und Nicht-Übereinstimmung mit einer gegebenen Sachverhaltseinschätzung. Bei den ausdrucksbezogenen Positionierungen ist das Bild komplexer: Involvierende Positionierungen dienen unweigerlich zur Bekräftigung einer gewählten Formulierung als angemessene Bezeichnung. Distanzierende Positionierungen können sich dagegen mit Merkmalen anderer Funktionsbereiche verbinden und so im Rahmen verschiedener Praktiken auftreten: „Reine“ Distanzierungen problematisieren allein die Kontingenz der getroffenen Ausdruckswahl, d. h. sie weisen keine weiteren Implikationen in interpersoneller, epistemischer oder gesprächsorganisatorischer Hinsicht auf. S will sich nicht auf die Wahl einer bestimmten sprachlichen Darstellungsoption festlegen bzw. Offenheit für mögliche Alternativen anzeigen. 92 Wir sprechen im Folgenden von Praktiken der Bezeichnungsmodalisierung. In Verwendungen dieser Art lässt sich die sagen-Formel zum Beispiel mit den (ihrerseits zum Untersuchungsbereich zählenden) Formeln man könnte sagen/ könnte man sagen oder auch wenn man so (sagen) will paraphrasieren. Zweitens ist es auch möglich, die eingeschränkte Angemessenheit einer Formulierung mit Blick auf ihre interpersonellen Implikationen anzuzeigen. In der Begrifflichkeit Bühlers entspräche das zu vermeidenden Implikationen, die S’ Wahl von Zeichen Z für das Verhältnis von S und „Empfänger“ P haben könnte. Der Äußerungskommentar demonstriert ein Bemühen um die Wahrung wechselseitigen Respekts und Wohlwollens, die ohne eine solche Rahmung ggf. Schaden nehmen könnten. Wir sprechen im Folgenden von Praktiken der Gesichtswahrung (sowohl für S als auch für P), in denen sich das distanzierende Positionierungsmerkmal mit einem facebezogenen Koordinationsmerkmal verbindet. Paraphrasierbar sind entsprechende Verfestigungen von sagen in der Regel mit ‚(bitte) nicht falsch verstehen‘. Drittens können auch Vorbehalte bezüglich der Faktizität oder Präzision der gewählten Darstellung geltend gemacht werden. In Bühlers Terminologie geht es dann um S’ Einschätzung der Angemessenheit von Z zur Bezeichnung bestimmmter „Gegenstände und Sachverhalte“. Wir sprechen von Praktiken der Vagheitsmarkierung, in denen sich das distanzierende Positionierungsmerkmal mit dem epistemischen Merkmal „K-“ verbindet. Paraphrasierbar sind entsprechende Verwendungen mit vielleicht oder ungefähr. Viertens schließlich gibt es auch den Fall, dass die Distanzierung vom Bezugsausdruck mit einem erneuten Anlauf zur Bezeichnung des Gemeinten einhergeht. Mit Bühler gesprochen distanziert sich S im Zuge solcher 92 Bastian (2002, S.-60) spricht davon, dass S „seiner Formulierung eine gewisse ‚Vorläufigkeit‘, zumindest aber geringeren Grad an ‚Endgültigkeit‘ verleiht und sich damit immer hinter dieses Provisorium zurückziehen kann“. Sehr ähnlich kennzeichnet Schmidt (2014a, S.-229) derart kommentierte Formulierungen als „vorläufig und damit gegebenenfalls später noch verhandelbar“. Auch Schmale (2021, S.- 83) spricht davon, dass „der Sprecher sozusagen einen Schritt von seinem eigenen Ausdruck zurücktritt“-- und zwar unter anderem, „um dem Kommunikationspartner die Möglichkeit zu geben, die Bedeutung auszuhandeln“. <?page no="119"?> Formelüberblick 119 Praktiken von einer ersten Bezeichnungswahl Z 1 , indem dieser Formulierung eine als angemessener präsentierte zweite Bezeichnung Z 2 zur Seite gestellt wird. Distanzierungen dieser Art stellen somit Verbindungen zwischen bereits gegebenen und projizierten Folgeeinschätzungen her, die sie ergänzen oder überschreiben. Es handelt sich um Praktiken der Reformulierung, die das distanzierende Funktionsmerkmal mit einem gesprächsorganisatorischen verbinden. Paraphrasierbar sind sie mit der Formel mit anderen Worten. Für den Verweis auf distanzierende Praktiken im Allgemeinen (d. h. unabhängig von der Hinsicht, in der Verbindlichkeitseinschränkung erfolgt) verwenden wir den Begriff der Abschwächung als deutsches Pendant zu „Mitigation“ (Schneider 2010). Wie erwähnt spielen distanzierende Funktionsmerkmale also auch in verschiedenen Praktiken eine Rolle, bei denen es nicht allein um die Anzeige von inhaltlicher Nicht-Übereinstimmung oder sprachlicher Bezeichnungskontingenz geht. Da im Fall von Gesichtswahrungen, Vagheitsmarkierungen und Reformulierungen andere Aspekte als die rein sprachliche Kontingenzmarkierung im Vordergrund stehen, werden distanzierende Formeln, die ihren Funktionsschwerpunkt in diesen Bereichen haben, entsprechend auch erst in Kapitel-5 bis 7 vorgestellt. Gegenstand des vorliegenden Kapitels sind folglich alle Verfestigungen von sagen, deren dominante Praktik zur Signalisierung von Übereinstimmung bzw. Nicht- Übereinstimmung mit einem Standpunkt, zur Bekräftigung der Angemessenheit einer bestimmten Bezeichnungswahl oder im Gegenteil zur Anzeige einer herabgestuften Verbindlichkeit dieser Wahl dienen (ohne dass diese Abschwächung primär facebezogen, epistemisch oder reformulatorisch bedingt ist). 93 Tabelle- 3 gibt einen Überblick über die (Leitformen der) zehn häufigsten Ausdrücke in DECOW16B, die in beschriebenem Sinne als positionierende Formeln gewertet wurden: 94 93 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass zahlreiche der in diesem Kapitel diskutierten Verfestigungen auch im Rahmen von Praktiken zum Einsatz kommen, bei denen nicht der positionierende Funktionsaspekt im Vordergrund steht, sondern beispielsweise ein facebezogener oder epistemischer. Die Tatsache, dass diese Ausdrücke in diesem und nicht in einem der späteren Kapitel diskutiert werden, zeigt allerdings an, dass diese anderen Praktiken unter den ausgewerteten Belegen seltener waren als die primär positionierenden Verwendungen. 94 Die Werte für groß- und kleingeschriebene, apokopierte und nicht-apokopierte, regionale und standardsprachliche sowie sonstige Schreibvarianten derselben lexikalischen Einheiten wurden addiert. Darüber hinaus wurden die verschiedenen formalen Varianten der entsprechenden Formeln nicht aggregiert, d. h. die Zahlen in Tabelle-3 beziehen sich allein auf die Leitform der zentralen Verfestigung eines gegebenen Bildungstyps. Für Ausdrücke mit vielen falschen Positiven in der Suchanfrage wurde eine Stichprobe von 100 Instanzen auf den Anteil tatsächlicher Markerverwendungen durchgesehen und die erzielte Rohtrefferzahl um den ermittelten Faktor korrigiert (vgl. Kap.-3). Von den Formeln in Tabelle-3 betraf das die Ausdrücke ich sage, ich sage nicht und ich sage dir, für die insofern hochgerechnete korrigierte Werte berichtet werden. <?page no="120"?> Positionierung 120 Rang Formel Typ Frequenz pMW 1 sozusagen distanzierend 366.899 23,39 2 ich muss sagen involvierend 111.041 7,08 3 ich sage involvierend 81.211 5,18 4 sage und schreibe involvierend 33.837 2,16 5 ich sag mal distanzierend 29.540 1,88 6 ich sage dir involvierend 14.522 0,93 7 man kann sagen involvierend 14.171 0,9  8 man könnte sagen distanzierend 7368 0,47 9 ich sage nicht distanzierend 7245 0,46 10 wie soll ich sagen distanzierend 7135 0,45 Tab.-3: Positionierende Formeln (Top 10 in DECOW16B) Unsere Darstellung umfasst jedoch nicht nur diese zehn, sondern alle insgesamt 19- Bildungstypen, deren Funktion schwerpunktmäßig in diesem Funktionsbereich gesehen wurde. 4.2.1 Involvierende Formeln Formeln mit schwerpunktmäßig involvierender Funktion sind in der Regel sprecherdeiktisch. Ihre elementarste Form ist das einfache ich sage. Neben freien, unverfestigten Vorkommen tritt diese Wortfolge auch im Rahmen zahlreicher weiterer Ausdrücke auf, die wir als eigenständige Verfestigungen betrachten (ich sage mal, ich sage nur, ich sage dir etc.). Letztere wurden in der Abfrage für einfaches ich sage entsprechend ausgeschlossen. Funktionsrelevante Bedeutungsmerkmale sind bei den ich sage-Involvierungen allein Personendeixis und Tempus, die beide auf die Origo verweisen. Positionierendes ich sage steht am Übergang von kompositionell-literalen Verwendungen des Verbs zu Verfestigungen mit einer besonderen Gesprächsfunktion: Einerseits ist die Bedeutung, die sagen hier aufweist, in allen konsultierten Wörterbüchern verzeichnet und kann insofern als semantisiert gelten. Das Duden Universalwörterbuch etwa setzt unter anderem die Lesarten „als Meinung vertreten, als Einstellung haben“ (hier zunächst noch mit dem Zusatz „u. kundtun“) sowie „annehmen, glauben“ an (letztere ohne Verweis auf eine anschließende Verbalisierung, vgl. Duden 2001, S.-1341). Das Verb bezeichnet in dieser Lesart also nicht (oder zumindest nicht notwendig) ein Kommunikationsereignis, sondern allein eine Überzeugung des Subjektreferenten. Wird das Verb in dieser Lesart nun mit Subjekt ich sowie im Präsens gebraucht, realisiert diese Verwendung eine besondere Gesprächsfunktion: Sie markiert eine Sprecherpositionierung im Rahmen der aktuellen Interaktionssituation. Diese Beobachtung verdeutlicht, dass „lexikali- <?page no="121"?> Formelüberblick 121 sche Bedeutung“ (als Gegenstand der Semantik) und „besondere Gesprächsfunktion“ (als Gegenstand der Pragmatik) einander nicht ausschließen. Verwendungen von ich sage, mit denen in diesem Sinne zum Ausdruck gebracht wird, dass S eine bestimmte Auffassung vertritt und die diese Auffassung im selben Moment auch in einer bestimmten Weise formulieren, bezeichnen wir in pragmatischer Hinsicht als involvierende Positionierungen. Im Fall von ich sage kann sich die signalisierte Bekräftigung sowohl auf die Inhaltsals auch auf die Ausdrucksseite der Formulierung beziehen, die im Skopus der Formel steht. In (30) gilt die Bekräftigung dem Inhalt: (30) Ich sage , wer auf Dauer in einer Ehe nicht bereit ist Fehler zu verzeihen oder sie zu übersehen, ist nicht für eine dauerhafte Ehe geeignet. (http: / / forum.sat1.de/ archive/ index.php/ t-8957.html [decow]) In (30) wird ein bestimmter Sachverhalt in Gestalt einer allgemeinen Regel postuliert: Wer X, der Y. Aufgestellt wird diese Regel von S, dessen subjektive Überzeugung zugleich als Beglaubigung des formulierten Zusammenhangs angeführt wird. Auch eine mögliche Alternative ohne das einleitende ich sage würde so verstanden werden, dass die folgende Positionierung-- in Abwesenheit einer expliziten Fremdzuschreibung-- eine Auffassung von S selbst darstellt. Mit dem ansonsten redundanten Verweis auf das eigene Bürgen für das Behauptete entfaltet das ich sage in (30) insofern einen emphatischen Effekt. Zum selben Schluss bezüglich solcher sprecherdeiktischen Ausdrücke kommen Vincent/ Dubois (1996, S.-367) im Rahmen einer Studie zu indirekter Rede: „The speaker actually assumes responsibility for what he is saying […] but, by presenting it as reported speech, gives it added emphasis“. In der Tat ist involvierendes ich sage strukturell identisch mit Verwendungen von sagen als Quotativmarker in der 1.-Person Singular, weist aber andere Funktionsmerkmale als letzteres auf: Die beitragsgliedernde Qualität, wiedergegebene direkte Rede kenntlich zu machen und eigene von fremden Redeanteilen zu separieren, fehlt hier. Die Verantwortung für die gerahmten Äußerungsteile wird auch nicht einer fremden Quelle zugeschrieben, wie es in evidenziellen Verwendungen geschieht (vgl. Kap.-6). Im Gegenteil wird durch ihre explizite Verankerung in der persönlichen Überzeugung betont, dass S selbst die formulierte Position vertritt, und zwar in besonders nachdrücklicher Weise. Zugleich wird unterstrichen, dass S sich dabei gegenüber möglichen anderen Standpunkten zum thematisierten Gegenstand inhaltlich im Recht sieht (Beanspruchung von „K+“). In (31), einem Beispiel aus FOLK, gilt die Bekräftigung dagegen der Ausdrucksebene, indem eine bestimmte lexikalische Kategorisierung als angemessen bekräftigt wird: <?page no="122"?> Positionierung 122 (31) wenn wir uns darauf einigen dass es ne sehr kleine eintrittswahrscheinlichkeit für diese ich sage katastrophenfälle gibt (FOLK_E_00069_SE_01_T_06_DF_01, c342) Der Skopus der hier phrasenintern eingeschobenen Formel ist deutlich enger als in (30), denn die Bekräftigung bezieht sich allein auf die Angemessenheit der Bezeichnung Katastrophenfälle für die Sachverhalte, auf die S hier referiert. Der gesteigerte Nachdruck der Äußerung ergibt sich wiederum aus dem redundanten Verweis auf die eigene Urheberschaft der gewählten Formulierung. Ebenfalls zu den involvierenden Positionierungen zählen wir ich würde sagen. Der Herkunft nach eine konjunktivische Höflichkeitsform (‚Gesetzt den Fall, man fragte mich, würde ich sagen- …‘) ist die Interpretation als Potentialis und damit die ursprüngliche Distanzierungsimplikation der Formel mittlerweile verblasst. Durch die Ausbleichung ist ich würde sagen „zu einer gängigen, ‚normalen‘ Redeeinleitung, zur Floskel geworden, wobei nur durch besondere Kontexte die Vorsicht, Bescheidenheit aktualisiert werden kann“ (Wichter 1978, S.-47): (32) Vielleicht ist das Geld erstmal besser im Stadion aufgehoben? Ich würde sagen - auf jeden Fall. (http: / / www.civforum.de/ archive/ index.php/ t-67579.html [decow]) Eine regionale Konkurrenzform zu ich würde sagen ist ich täte sagen: (33) Also ich tät sagen : Ist der Dönerbudenmann Rechtshänder muss sich auch das Fleisch nach rechts drehen. (http: / / www.shopblogger.de/ blog/ archives/ 5544- Fleisch,-rechtsdrehend.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist allerdings das unmodalisierte ich sage mit 81.211 Instanzen in DECOW16B (5,18 Vorkommen pro eine Million Wörter, pMW). Grammatisch sind Bildungen dieser Art festgelegt auf die 1.- Person sowie auf das Präsens. Die Wahl eines anderen Tempus und/ oder eines anderen Subjekts führt zu einer Reinterpretation des Bezugsausdrucks als Redewiedergabe. Einen Übergang zu Bekräftigungen des Typs +habituell (siehe unten) stellen Vorkommen in kommentierenden wie-Nebensätzen dar. Sie beziehen sich auf die Ausdrucksebene und legen wie die habituellen Varianten die Verblesart ‚nennen, gewohnheitsmäßig bezeichnen‘ nahe, allerdings ohne das Element der Institutionalisierung overt zu betonen: (34) Die 19% Mehrwertsteuer oder wie ich sage Zwangsabgabe sind noch gar- nicht reinkalkuliert. (http: / / www.silber.de/ forum/ umfrage-500euro-gutscheinesinnvoll-t512-s15.html [decow]) <?page no="123"?> Formelüberblick 123 Modifiziert entspricht die Konstruktion Niehüsers „Strukturtyp- III“ für explizite Redecharakterisierungen (vgl. Kap.- 2), d. h. dem intransitiven Schema [ich sage <irgendwie>]. Da bereits das unmodifizierte ich sage bekräftigende Funktion hat, schiebt sich durch die Hinzufügung eines Modaladverbials (bzw. das Hinzutreten einer bestimmten Partikel) ein weiterer bzw. anderer Funktionsaspekt in den Vordergrund (vgl. ich sage ganz ehrlich, ich sage doch, ich sage vorab). Rein bekräftigend wirken aus dieser +modalen Gruppe nur Verwendungen mit Adverbialen aus Niehüsers (1987, S.-150-158) Klasse der „definitiven Redecharakterisierungen“. Auch für diese Ausdrücke kann neben dem Verweis auf S’ Subjektivität aber eben noch ein weiteres Bedeutungsmerkmal als Quelle der Emphase bestimmt werden. Die rein sprecherdeiktische Bekräftigung lässt sich wie folgt repräsentieren: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, SUB: ich Formel 1: ich sage Die angesprochenen Bekräftigungen mit zusätzlichem Merkmal +modal fügen eine Modifikation hinzu, die kenntlich macht, dass das Gesagte nicht einfach leichtfertig und unverbindlich dahingesprochen ist. Stattdessen wird betont, dass S von dem bezeichneten Sachverhalt ausdrücklich überzeugt ist und ihn in aller Deutlichkeit festgehalten wissen möchte: (35) Kann man so etwas überstehen? Ich sage aus meiner tiefsten inneren Überzeugung heraus : Natürlich kann man das! (http: / / www.chakrablog. de/ 2009/ 01/ 09/ ende [decow]) (36) Es geht, das will ich ausdrücklich sagen , nicht um Hilfsmaßnahmen. (http: / / www.edaboard.de/ nochn-roehrenfernseher-t20224.html [decow]) (37) Um es ganz deutlich zu sagen : Ich bestimme hier die Regeln und muss und werde mich dafür auch nicht rechtfertigen! (http: / / www.nak-resse-west.de/ forum_new/ archive/ index.php/ thread-245-5.html [decow]) Das in Niehüsers Taxonomie als „definitiv“ bestimmte Modaladverbial kann zu einem einfachen oder zu einem volitiv modalisierten ich sage treten (seltener auch mit transitiver interner Syntax: das sage ich ganz bewusst) oder als Teil der finalen Kommentarsatzkonstruktion [um es <irgendwie> zu sagen] realisiert werden. In grammatischer Hinsicht ist letztere zwar infinit, semantisch aber ebenfalls sprecher- <?page no="124"?> Positionierung 124 deiktisch. Zentrale Verfestigung der +modalen Bekräftigungen ist um es klar zu sagen mit 1.218 Belegen (0,07 Vorkommen pMW). Niehüser (ebd., S.- 154) merkt zu einem Beleg der lexikalisch ausgebauten Variante um es klipp und klar zu sagen an, dass „[b]esonders Äußerungen, mit denen der Sprecher eine DROHUNG oder WARNUNG zum Ausdruck bringt, […] durch definitive Redecharakterisierungen verstärkt werden können“. Während das für viele der von Niehüser genannten Ausdrücke plausibel erscheint (insbesondere für ich sage es jetzt zum letzten Mal, das er ebenfalls in diese Gruppe rechnet), kann diese Charakterisierung für die ausgewertete Stichprobe von um es klar zu sagen in DECOW16B nicht bestätigt werden. Eindeutig dominant sind hier Verwendungen, in denen ein mögliches Missverständnis ausgeschlossen werden soll: (38) Um es klar zu sagen : Es ging nicht ums Geld, auch nicht um meine Familie oder meinen Bruder. (http: / / www.handballecke.de/ board2-national/ board3- 1-handball-bundesliga/ 12768-interview-mit/ index8.html [decow]) Die dominante Praktik der Formel ist somit involvierend und wissensanzeigend, aber typischerweise nicht gesichtswahrend (nur zwei Fälle gegenüber 18 involvierenden in den ersten 20 ausgewerteten Belegen). In kontextueller Hinsicht handelt es sich um einen Operator, der in 19 von 20 Fällen seinem Bezugsausdruck vorangestellt ist. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM ST: inf-um, AKK: es, +MOD: klar Formel 2: um es klar zu sagen Zur Legitimation einer Bezeichnungswahl kann neben der subjektiven Beurteilungskompetenz von S auch angeführt werden, dass die gewählte Formulierung üblich ist. Die Lesart des Verbs verschiebt sich in diesem Fall zu ‚nennen, gewohnheitsmäßig bezeichnen‘. 95 Semantisch lassen sich Positionierungen dieses Typs als 95 Die von uns angesetzte Lesart umfasst die Duden-Lesarten (Duden 2001, S.-1341) 1.b („ein Wort, eine Wendung o. ä. im Sprachgebrauch haben, beim Sprechen benutzen, gebrauchen“, vgl. sagst du Rotkohl oder Rotkraut? ), 1.c („auf eine bestimmte Weise mit einem bestimmten Wort, Namen bezeichnen“, vgl. was, wie kann man noch dazu sagen? ) und 1.d („auf eine bestimmte Weise, mit einer bestimmten Anrede anreden“, vgl. du kannst ruhig du, Kalle zu mir sagen). <?page no="125"?> Formelüberblick 125 +habituell bestimmen. Ihre Subjektreferenz ist häufig generisch und verweist auf einen bestehenden Usus in einer bestimmten Sprachgemeinschaft bzw. community of practice-- in die sich S zumeist auch selbst einschließt, was auch diese Verwendungen als sprecherinklusiv ausweist: (39) Deine Katze ist nun im Regenbogenland-- bei uns Vogelhaltern sagt man das so . (http: / / www.hannoverforum.de/ archive/ index.php/ t-11185.html [decow]) Das Habitualitätsmerkmal muss allerdings nicht zwingend auf eine Wiederholung der Bezeichnungswahl über verschiedene Sprecher hinweg verweisen. Zur ihrer Legitimierung kann auch angeführt werden, dass allein S selbst die entsprechende Formulierung gewohnheitsmäßig verwendet: (40) Ich pflege zu sagen : „Das Leben ist wie eine Hühnerleiter: kurz und verschissen.“ (http: / / www.whq-forum.de/ invisionboard/ lofiversion/ index.php? t216. html [decow]) Bezugsausdruck sind hier wie in (40) häufig sprichwortartige Sentenzen oder Binsenweisheiten in stereotyper oder auch kreativ abgewandelter Formulierung: (41) Die Canton hatte hier oder da etwas mehr Tiefbass (sofern dieser in der Musik war), die Sonar machte jedoch m. E. in allen anderen Aspekten die bessere Arbeit ( wie ich immer sage „Eigenlob stimmt“ : lol: ) (http: / / www.hifi-und-lebensart. de/ forum/ archive/ index.php/ t-3513.html [decow]) Eine Mischung mit evidenziellen Verwendungen, die die Quelle einer Äußerung (bzw. Autorschaft einer Formulierung) entweder P oder Dritten zuschreiben, stellen habitualitätsmarkierende Belege wie (42) dar: (42) Da werdet ihr geholfen… wie Verona immer so schön gesagt hat ; ) (http: / / www.princessattitude.de/ 2010/ 05/ 10/ kakao-karten-im-wm-fieber/ commentpage-1 [decow]) Charakteristisch für diese nicht-sprecherdeiktischen Instanzen ist die Kombination mit einem Adverbial, das eine positive Bewertung formuliert (typischerweise so schön, daneben auch kontextuelle Synonyme wie treffend und passend). Dadurch wird auch in diese Varianten die Subjektivität des Bewerters S eingeholt, der die zitierte Formulierung nicht nur wiedergibt, sondern sich qua positiver Evaluation (ob mit oder ohne ironische Brechung) auch gleichzeitig zu eigen macht. Insbesondere bei syntaktisch desintegrierten Vorkommen kann zum bekräftigenden Effekt auch ein gesprächsorganisatorisches Moment hinzutreten, indem eine folgende Pointe als Themenabschluss projiziert wird: <?page no="126"?> Positionierung 126 (43) Wir sind auch kein Board sondern wie sag ich immer : DER TANTE EMMA LADEN MIT BOARDFUNKTION! (http: / / www.brainstormboard.de/ board/ archive/ index.php/ t-70680.html [decow]) Formal sind Ausdrücke des habituellen Typs heterogen. Sie treten als deklarativer Hauptsatz, als Kommentarnebensatz oder als interrogativer wie-Hauptsatz auf. Ihre zentrale Verfestigung ist der Kommentarnebensatz wie man so schön sagt mit einer Häufigkeit von 6.842 Instanzen bzw. 0,44 Vorkommen pMW. Häufig wird damit ein wenig aussagekräftiger Gemeinplatz gerahmt, hinter dessen kommunikative Ritualisierung sich S zurückziehen kann, ohne eine eigene Formulierung finden zu müssen. Dabei kann es P überlassen bleiben, ob das bewertende so schön tatsächlich als involvierend oder nicht vielmehr als ironisch-distanzierend verstanden wird. Die Praktik wirkt in beiden Fällen entlastend, indem sie S die Möglichkeit bietet, einen Sachverhalt in einer stereotypen Weise zu kategorisieren und als präfabriziertes Versatzstück in die eigene Rede zu integrieren, ohne sich selbst für die konkrete Formulierung verantwortlich zu machen. Positionell ist sowohl Voranstellung/ Einbettung als auch Nachstellung möglich: (44) Nun kann er, wie man so schön sagt , seinen Frieden finden. (http: / / www. selfmade-records.de/ board/ / archive/ index.php? t-8752.html [decow]) (45) Es gibt halt viele schwarze Schafe, wie man so schön sagt . (http: / / www.2sound. de/ musiker-forum/ plattform-fuer-eigene-musik-t9418.html [decow]) Typisch ist mit 14 von 20 Fällen (70%) die Nachstellung. Zusammengefasst lässt sich die zentrale Verfestigung des +habituellen Bildungstyps wie folgt darstellen: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT nachgestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM ST: ns-wie, TMP: prs, SUB: man, +MOD: so schön Formel 3: wie man so schön sagt Auch Formeln mit dem semantischen Merkmal +iterativ beziehen ihre Emphase aus der Implikation, dass etwas wiederholt gesagt wird: (46) Aber ich muss immer wieder sagen , LINUX war besser! (http: / / www. juergens-workshops.de/ board/ archive/ index.php/ t-1076.html [decow]) <?page no="127"?> Formelüberblick 127 (47) Ich habe es wiederholt gesagt : Die Ausgaben für den Sozialbereich sind in der bisherigen Höhe nicht mehr finanzierbar. (http: / / www.thueringen.de/ de/ tsk/ tsk/ ministerpraesident/ regierungserklaerungen/ 15131/ uindex.html [decow]) (48) Ich sage es mal wieder : dieses Forum ist wirklich nützlich und zu 80 % auch nett und sachlich. Für alles andere gibt es Ignorierlisten. (http: / / www. molosserforum.de/ archive/ t-2814.html [decow]) (49) Ich habe dir schon tausendmal gesagt : Du sollst es sein lassen! ! (http: / / www.politik-sind-wir.de/ archive/ index.php/ t-14645.html [decow]) (50) Man kann es nicht oft genug sagen : Breitscheid hat vollkommen recht. (http: / / www.gtrp.de/ archive/ index.php/ t-8794.html [decow]) In diese Reihe gehört auch die bereits angesprochene Verfestigung ich sage es dir zum letzten Mal, die eine wiederholte Aufforderung bekräftigt und sie häufig mit einer Androhung von Konsequenzen verbindet, falls P dieser Anweisung auch weiterhin nicht Folge leistet: (51) robortello, ich sage es Dir jetzt zum letzten Mal : Belege Deine kruden Ausführungen oder verzisch Dich. (http: / / www.vonwolkenstein.de/ forum/ archive/ index.php? t-959.html [decow]) Auch die Formel ich meine das so, wie ich es sage bezieht ihre bekräftigende Funktion aus einer insistierenden Wiederholung bzw. Wiederaufnahme. Vordergründig erweckt sie den Anschein, auf eine durch P in zweiter Sequenzposition initiierte Vergewisserung zu reagieren und eine eigene Äußerung in erster Position zu bekräftigen. In den wenigen Belegen des Ausdrucks im Korpus wird die Formel aber direkt im Anschluss an ihre Bezugsäußerung gebraucht, ohne dass sie durch eine vorangehende Nachfrage motiviert wäre. Dass eine solche Frage sich bei P stellen könnte, wird von S lediglich antizipiert und gleich vorgreifend durch Bekräftigung unterbunden. Ein möglicher Anlass ist etwa eine wahrgenommene Gesichtsbedrohung, die mit der bekräftigten Positionierung verbunden ist, S aber dennoch nicht daran hindert, den fraglichen Standpunkt zu beziehen: (52) Die „Kinder“ sollten alle mal 1 Jahr ins Arbeitslager! Und ich meine es so wie ich es sage . Sowas ist doch net normal! Ami-Bootcamps wirken oft wunder! http: / / www.whq-forum.de/ invisionboard/ lofiversion/ index.php? t24807.html [decow]) Eine insistierende Bekräftigung, die tatsächlich in dritter Sequenzposition auftritt, ist wenn ich es dir doch sage. S reagiert damit auf einen Beitrag, in dem P eine von S formulierte Behauptung in Zweifel zieht. Schematisch ergibt sich das Muster „Positionierung-- Disaffiliation-- Bekräftigte Wiederholung“: <?page no="128"?> Positionierung 128 (53) Der Fisch hatte seinen Fuß angestupst. „Du, Klaus. Der spielt mit meinem Fuß.“ „Ach Quatsch. Glaub ich nicht.“ Der kleine Rabe Klaus schaute ungläubig. „Doch! Wirklich. Wenn ich es dir doch sage . … Da! Wieder.“ (http: / / www. zwergen-saloon.de/ page/ 32 [decow]) Die in Schemann (2011, S.-686) gelistete Konstruktion ist allerdings selten und mutet auch etwas gestelzt und überkommen an. Tatsächlich sind fast alle Belege dafür in DECOW16B wie (53) literarischer Art-- was man als Indiz dafür sehen kann, dass die Konstruktion in authentischer Spontanverwendung gegenwärtig außer Gebrauch fällt. Zentrale Verfestigung des iterativen Bildungstyps ist die Formel mit der Leitform ich sage es noch einmal mit einer Häufigkeit von 876 Belegen (0,06 Vorkommen pMW). Lexikalisch ausgebaute Erweiterungen der Leitform weisen neben dem typischen Begleiter gern auch häufig Überschneidungen mit der bereits diskutierten Gruppe +modaler Bildungen des Typs „definitiv“ auf, die den involvierenden Charakter der Äußerung noch einmal anderweitig unterstreichen (ich will es noch mal ganz klar/ deutlich/ unmissverständlich-… sagen). Spezifisch für ich sage es noch einmal ist der Ausbau mit zum Mitschreiben: (54) Ich sage es gerne noch einmal : „Ziemlich beste Freunde“ ist ein wunderschöner, amüsanter und zutiefst berührender Film. (http: / / www.filmherum.de/ blu-ray-reviews/ ziemlich-beste-freunde-special-edition.html [decow]) (55) Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit : Wer dem Verein Schaden zufüg, gehört aus dem Stadion verbannt. Basta! (http: / / board.rwe-community. de/ archive/ index.php/ thread-3732-7.html [decow]) (56) Ich sage es noch einmal zum Mitschreiben : Es gibt keine „steuerlichen Subventionen“, sondern nur niedrigere und höhere Steuersätze. (http: / / www. comicforum.de/ archive/ index.php/ t-56682.html [decow]) Als Anzeige, dass die gerahmte Positionierung eine Wiederholung darstellt, kommt der Formel neben ihrem bekräftigenden Effekt auch eine gesprächsorganisatorische Funktion zu. Anders als bei dem in Kapitel-7 eingehender untersuchten wie gesagt tritt diese Komponente gegenüber der Emphase hier aber klarer in den Hintergrund. 96 Bezüglich ihrer Verwendungskontexte lässt sich festhalten, dass die Formel ähnlich wie ich sage es dir zum letzten Mal in Kontexten zum Einsatz kommen kann, in denen P die erwünschte Reaktion auf einen früheren Beitrag bislang vermissen ließ. Im Fall von ich sage es noch einmal handelt es sich bei diesem Beitrag jedoch nicht 96 Anders formuliert: ich sage es nochmal tritt häufiger als wie gesagt in Kontexten auf, in denen S die entsprechende Äußerung tatsächlich noch nicht getätigt hat. <?page no="129"?> Formelüberblick 129 um eine Aufforderung, sondern ebenfalls um eine Positionierung, die von P bislang nicht ratifiziert bzw. gebührend gewürdigt wurde. S sieht sich mit dieser Positionierung und der Einschätzung ihrer besonderen Relevanz jedoch im Recht („K+“). Als Mittel zur Bekräftigung kann die Formel daneben auch in rein monologischen Kontexten wie etwa der Rezension in (54) verwendet werden. Aufgrund des begrenzten Belegkontexts in DECOW16B kann die Frage, ob die Formel häufiger in dialogischen oder in monologischen Zusammenhängen (und somit in dritter oder erster Sequenzposition) verwendet wird, hier nicht geklärt werden. Festzuhalten ist allerdings, dass der formelhafte Operator ich sage es noch einmal seinem Bezugsausdruck in allen ausgewerteten Belegen vorangestellt ist. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+, themensteuernd FORM TMP: prs, SUB: ich, AKK: es, +MOD: noch einmal Formel 4: ich sage es noch einmal Intensivierend wirkt auch die overte Nennung des Adressaten, die sich entsprechend als Merkmal +adressiert der sagen-Prädikation charakterisieren lässt. 97 S beglaubigt den gerahmten Gehalt damit noch einmal explizit persönlich gegenüber P: (57) Ich sage euch , das war MEINE Woche. Mein Horoskop sagte ja der Februar wird super und bislang war es auch so. (http: / / www.shoppingverse.de/ category/ things-i-love/ page/ 2 [decow]) (58) Musst mal gegen meine Omi UT zoggen-- haste keine Chance, ich sag ’s dir! ; ) (http: / / www.cncforen.de/ archive/ index.php/ t-8500.html [decow]) (59) Haben Sie schon mal im Laufen getrunken? Gar nicht so leicht, das sage ich Ihnen ! (http: / / www.insellaeufer.de/ sylt-33-lauf.htm [decow]) Auch disaffiliative Äußerungen wie etwa Drohungen können mit Ausdrücken dieser Art verstärkt werden: 98 97 Formeln mit dem Merkmal +addressiert sind „benefaktiv“ im Sinne der dem Dativ traditionell zugeschiebenen Rezipientrolle (‚Vollzug einer Handlung zum Vorteil eines Empfängers‘). Die metaphorische Konzeptualisierung von Kommunikation als ‚Transfer eines Inhalts von einem Sender zu einem Empfänger‘ („Röhrenmetapher“) ist eine allgegenwärtige alltagstheoretische Modellvorstellung, die sich in zahlreichen konventionellen Sprachbildern niederschlägt (vgl. Reddy 1993). 98 Vgl. VALBU: „als Ausdruck der Drohung, Warnung“ (Schumacher et al. 2004, S.-613.). Hierhin gehört das Duden-Beispiel dann kriegst du es mit mir zu tun, das sage ich dir, dessen sagen-Lesart einerseits (schematisch) als „mündlich zu verstehen geben, mitteilen“ (Lesart 2.b), andererseits (spezifisch) auch <?page no="130"?> Positionierung 130 (60) Ich sag Dir , das machst Du mir nicht noch mal, klar? (http: / / www. sweetrabbits.de/ f101/ beitrag-207701-100.html [decow]) (61) So Leute, das Eine sag ich euch , wenn hier so weiter gespammt wird, dann werden Köpfe rollen. (http: / / www.tabletopwelt.de/ forum/ archive/ index.php/ t-28933.html [decow]) (62) Wie GUT das der Kerl weg ist…komm nie wieder, nicht mal als Zuschauer! ! ! HASS! ! ! Das sage ich dir! (http: / / www.svm-fanforum.de/ archive/ index. php? t-7682-p-7.html [decow]) Modalisierte Varianten gibt es mit können, wollen und lassen: (63) Und das hat uns einiges an Schweiß und Mühe gekostet, das kann ich dir sagen . (http: / / www.ulisses-forum.de/ archive/ index.php/ t-1715.html [decow]) (64) Da habe ich wirklich Hochachtung vor, das will ich dir sagen . (http: / / www. trauer-verlust-forum.de/ vorstellung-f50/ hallo-ich-bin-die-safar-t225/ p1.html [decow]) (65) Tofu hat die Supermärkte erobert, fast jedes Restaurant hat auf seiner Karte mind. eine vegetarische Speise (und lasst euch sagen , das war nicht immer so! ), Bio-Produkte sind nicht mehr nur im Reformhaus zu finden… (http: / / www. sweetrabbits.de/ f101/ beitrag-6468-400.html [decow]) (66) nun sind die bloggergrabenkämpfe also auch im modebloggerkosmos angekommen…aber lass dir gesagt sein , nina: das ist total wurst, was die anderen- machen oder nicht. ich fand dein blog immer weltklasse. (http: / / www. kleiderkoeln.de/ 2010/ 06/ kleiderkoln-sagt-auf-wiedersehen.html [decow]) Zentrale Verfestigung dieses Typs in DECOW16B ist die Formel mit der Leitform ich sage dir (14.522 Belege bzw. 0,93 Vorkommen pMW). Mit ihrer intransitiven internen Syntax und SV-Wortstellung ist ihre typische Realisierung ein vorangestellter Operator, der die zu bekräftigende Bezugsäußerung projiziert (Imo 2007, S.-100 bezeichnet die Konstruktion als einen „Emphasemarker“). Transitive Varianten der Formel sind insgesamt deutlich seltener. Als Objekt tritt neben es und das auch ein(e)s bzw. das Eine auf. Invertiertes das sage ich dir ist nicht auf den Operatorgebrauch beschränkt, sondern kann in zweiter Sequenzposition auch als handlungswertiges Responsiv gebraucht werden (wie auch das modalisierte das kann ich dir sagen). als „dessen kannst du sicher sein“ angegeben wird. Unserer Auffassung nach stehen dagegen weder die Mitteilung (=Koordination), noch eine vorgeblich objektive Wahrscheinlichkeitseinschätzung (=Epistemik), sondern die subjektive Bekräftigung des Gesagten im Vordergrund (=Positionierung). Schemann (2011, S.-687) listet zudem einige dativische Konstrutionen mit Modaladverbialen, in denen sich die bekräftigende Wirkung mit dem facebezogenen Aspekt verbindet, dass eine für P unangenehme Mitteilung gemacht wird (jmdm etw klar und deutlich sagen, jmdm etw klar und offen sagen, jmdm etw klipp und klar sagen). <?page no="131"?> Formelüberblick 131 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, SUB: ich, +DAT: dir Formel 5: ich sage dir Ein sechster Typ involvierender Formeln bezieht seine bekräftigende Funktion aus der Implikation, dass S zu der getroffenen Einschätzung gezwungen ist. Es handelt sich mithin um modale Ausdrücke mit dem Merkmal +notwendig, das entweder direkt durch Obligation oder indirekt durch Ausschluss von Alternativen gegeben sein kann: (67) Ich habe mir ehrlich nicht sooo viele Hoffnungen gemacht, damit ich nicht zu enttäuscht bin aber ich muss sagen ich bin positiv überrascht : ) (http: / / www. frauflauschig.de/ 2011_05_01_archive.html [decow]) (68) Ein wunderbares Konzert, man kann es nicht anders sagen . (http: / / www. zeitreisealbum.de/ berichte/ triskilian_ch07.php [decow]) Während deontische Alternativen zum Modalverb müssen nicht üblich sind (etwa mit haben-Modalprädikat: <Jemand> hat zu sagen, dass-…), ist die indirekte Modalisierungsstrategie (‚nicht anders können‘) in verschiedenen Varianten belegt: (69) Enterprise ist zu einer der besten Serien überhaupt geworden, das ist nicht anders zu sagen . (http: / / www.trekzone.de/ community/ lofiversion/ index. php/ t1090.html [decow]) (70) Besser ging nicht! Anders lässt sich das nicht sagen , und die Stimmung stieg natürlich sofort an. (http: / / www.ramtatta.de/ konzertberichte,id-102.html [decow]) (71) Bei „Trinkt mit mir“ springen ein paar Monsters ins Publikum und tanzen mit dem gleichermaßen trunkenen Publikum, und man kommt nicht umhin zu sagen : das erste Monsterkonzert dieser Tour ist ein extrem rauschendes Fest! (http: / / www.monstersofliedermaching.de/ tagebuch/ tour-2-2004.html [decow]) Ebenfalls in diese Kategorie gehört die Kombination mit können und der Fokuspartikel nur, die den Bezugsausdruck als die einzig vertretbare Position ausweist, die sich zum thematisierten Gegenstand beziehen lässt: (72) Zur neuen Seite kann ich nur sagen TOP! (http: / / boards.topware.de/ archive/ index.php/ t-33931.html [decow]) <?page no="132"?> Positionierung 132 Sofern keine unpersönliche Konstruktion vorliegt, ist der Subjektausdruck sprecherdeiktisch oder zumindest sprecherinklusiv. Grammatisch gibt es Instanzen sowohl mit intransitiver (67) als auch mit transitiver Hauptsatzsyntax (68) sowie als kommentierender Nebensatz: (73) Die erste und wie ich sagen muss , leider auch bislang einzige Mannheimer Fahrradstraße zwischen Hauptbahnhof und Schloss hat sich gut bewährt. (http: / / www.adfc-bw.de/ adfc-vor-ort/ kv-mannheim/ termine-und-service/ verkehrspolitik/ verkehrsentwicklungsplan-mannheim [decow]) In Verbindung mit dem modalen Merkmal +notwendig nimmt das Verb die Lesart ‚zugeben, einräumen‘ an (‚sagen wider Willen‘), die sowohl im Duden als auch bei Wahrig genannt wird. In den Wörterbüchern wird sie jeweils mit sprecherinklusivem Subjekt man illustriert. 99 Zentrale Verfestigung in DECOW16B ist hingegen ich muss sagen mit 111.041 Instanzen (7,08 Vorkommen pMW): (74) Danke sehr … ich muss sagen , ich schaffe es kaum, abends noch irgendwas auf die Beine zu stellen-- ich dachte schon, dass ich zu Hause oft müde bin, aber hier bin ich ab acht stehend k. o.- - noch vor meinen Kindern…Unglaublich! (http: / / baby.edelight.de/ b/ wie-und-wo-beantrage-ich-eine-mutter-kind-kur [decow]) Bekräftigt wird aber typischerweise nicht ein unangenehmes Eingeständnis, sondern eine positive Bewertung (13 von 20 Belegen, 65%): (75) Also ich muss sagen , ich war sehr begeistert von diesem Film, es ist ein Meisterwerk und die Bilder sind wirklich wunderschön anzusehen. (http: / / www. moviepilot.de/ movies/ cirque-du-soleil-worlds-away [decow]) Der Zusammenhang zwischen der Lesart und der Intensitätsimplikation dürfte darin zu sehen sein, dass S vorgeblich um Verständnis für ein Urteil wirbt, das weniger zurückhaltend und wohlabgewogen formuliert ist, als es ansonsten geboten wäre. Die besondere Beschaffenheit des bewerteten Gegenstands macht es S als kundigem Beurteiler („K+“) in diesem Fall jedoch unmöglich, zu einem anderen als dem genannten Fazit zu gelangen. Positionell ist die Leitform der Formel ihrem Bezugsausdruck unweigerlich vorangestellt, die Variante mit invertierter VS-Stellung (muss ich sagen) ist in den Daten jedoch nur unwesentlich seltener. 99 Vgl. dass er sich Mühe gibt, muss man ja schon sagen (Duden 2001, S.-1341) bzw. eins muss man ja sagen, er ist immer großzügig gewesen (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). <?page no="133"?> Formelüberblick 133 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, +MV: müssen, SUB: ich Formel 6: ich muss sagen Weniger stark in ihrer bekräftigenden Wirkung, aber noch immer involvierend sind Modalisierungen mit dem Merkmal +möglich. Mit ihnen wird markiert, dass der Bezugsausdruck nach Auffassung von S eine sachlich legitime Position bzw. zutreffende Bezeichnung darstellt: (76) Man kann sagen , der Begriff ‚Spiel‘ ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern. (http: / / www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/ philo/ geldsetzer/ famaenl.htm [decow]) (77) Zumindest- - soviel kann ich sagen - - scheinen wir einige Lebenserfahrungen-zu teilen, oder wir haben aus unterschiedlichen Erfahrungen ähnliche Lehren gezogen… (http: / / www.gedichte-eiland.de/ archive/ index.php/ t-278.html [decow]) (78) Was man sagen kann : Der Schuh, der einem bequem ist, ist ein guter Schuh. (http: / / m.srf.ch/ gesundheit/ lifestyle/ entzauberte-jogging-mythen [decow]) Im Gegensatz zu +notwendigem ‚nicht anders können‘ sind Ersatzformen mit sein- Modalprädikat (<Etwas> ist zu sagen) oder Modalpassiv (<Etwas> lässt sich sagen) hier nicht gebräuchlich. Belegt sind dagegen volitive Pendants mit wollen und mögen, die ebenfalls betonen, dass S die gerahmte Einschätzung für zutreffend hält: 100 (79) Auf den Binnengewässern besteht eine Registrierungspflicht, die wie ich sagen- will hier auch Sinn macht. (http: / / boote-wassersport-forum.de/ archive/ index.php/ t-1533.html [decow]) (80) Ja ich möchte sagen es war der Abend an dem meine Liebe zum Burlesque wirklich entfacht wurde. (http: / / www.sheila-wolf.de/ category/ fundstueckder-woche [decow]) Eine spezifischere Verfestigung innerhalb dieser Kategorie sind die Selbstkategorisierungen ich kann von mir/ für mich sagen, dass X: 100 Der involvierende Effekt bleibt selbst unter zusätzlicher Modalisierung mit fast und beinahe erhalten, wie das Wahrig-Beispiel ich möchte fast sagen, dieses Bild gefällt mir besser illustriert (Wahrig- Burfeind 2011, S.-1259). <?page no="134"?> Positionierung 134 (81) Ich kann von mir sagen , dass ich schon ziemlich lange anime manga Fan Bin und so einiges weiß. (http: / / forum.animemanga.de/ archive/ index.php/ t-3370. html [decow]) (82) Ich kann für mich sagen , dass ich heute ganz gut damit leben kann. (http: / / www.med1.de/ Forum/ HNO/ 203323 [decow]) Die Subjektreferenz des +möglichen Bildungstyps ist sprecherdeiktisch oder sprecherinklusiv. Häufige Begleiter sind zusätzlich bekräftigende Adverbien wie durchaus, wirklich und natürlich sowie präpositionale Adverbiale wie aus eigener Erfahrung, ohne Übertreibung oder mit Fug und Recht. Tritt ein solches hinzu, sind auch modale Ersatzformen für können möglich: (83) Howard Chaykin und David Tischman, die beiden Autoren, das lässt sich ohne Übertreibung sagen , bedienen hier wirklich jeden Trash, jedes Klischee (das sich ein pubertierender Teenager mit Flausen im Kopf ausdenken kann, möchte man meinen). (http: / / www.comicblog.de/ kategorien/ mystery/ page/ 7 [decow]) In grammatischer Hinsicht dominieren vorangestellte oder parenthetisch eingeschobene Hauptsatzvorkommen mit intransitiver interner Syntax, es sind jedoch auch andere Satztypen möglich (vgl. 78, 79). Intern transitive Instanzen sind selten. Sie sind ihrem Bezugsausdruck in der Regel nachgestellt und greifen ihn mit einem phorischen Pronomen auf: (84) Fortuna Köln verdankt den Aufstieg indirekt der Viktoria. Ich denke, das kann man sagen . (http: / / forum.rundschau-online.de/ archive/ index.php/ t-948.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist man kann sagen mit 14.171 Belegen (0,9 Vorkommen pMW). Die damit formulierte Positionierung kann sich sowohl auf die Inhalts- (85) als auch auf die Ausdrucksebene des gerahmten Äußerungsteils beziehen (86): (85) Man kann sagen , trotz anfänglichem stürmischem Wetter war dies wieder mal ein sehr schöner Urlaub in Norwegen. (http: / / www.norwegen-angel freunde.de/ archive/ index.php? t-2223.html [decow]) (86) Sehr geehrter Herr Wolf, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach 24 Jahren als Schulleiter der Kurpfalzschule wechseln Sie nun in den wohlverdienten Ruhestand. Sie verlassen-- man kann sagen -- „ihre Schule“, die Sie in dieser langen Zeit geführt und geprägt haben. (http: / / www.hassloch.de/ verwal tung/ 0502154038/ 0819100156 [decow]) <?page no="135"?> Formelüberblick 135 Zusätzlich zur vollzogenen Bekräftigung reklamiert die Formel die epistemische Berechtigung, den gerahmten Ausdruck in der vorliegenden Weise zu kommentieren („K+“). Positionell sind nachgestellte Instanzen der Formel zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber ungleich seltener als etwa ihr obligatives Pendant muss ich sagen: (87) Das Leben ist viel schwieriger als vor der Demokratie, kann man sagen. (http: / / www.dradio.de/ dlf/ sendungen/ gesichtereuropas/ 703916 [decow]) Davon abgesehen treten Vorkommen in dieser Position ohnehin nur mit VS-Stellung und daher nicht mit der Leitform man kann sagen auf, die auf Voranstellung beschränkt ist. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, +MV: können, SUB: man Formel 7: man kann sagen Strukturell auf den ersten Blick ähnlich, aber dennoch separat zu werten ist die Formel ich kann dir gar nicht sagen, w-. Zum einen tritt hier, trotz ihrer involvierenden Funktion, das Merkmal +negiert zu dem modalen Merkmal +möglich. Zum anderen ist auch die abgeleitete Funktion des Ausdrucks eine andere als im Fall von man kann sagen: (88) Meine neue Wohnung: Ich kann euch gar nicht sagen, wie happy es mich macht, endlich etwas gefunden zu haben. (http: / / www.shoppingverse.de/ category/ things-i-love/ page/ 2 [decow]) Die Formel dient nicht dazu, eine bestimmte Aussage als vertretbar darzustellen. Ihre Leistung besteht stattdessen in der Intensivierung eines gradierbaren Sachverhalts und der affektiven Positionierung von S zu diesem Sachverhalt. Die für die Strategie konstitutive Merkmalskombination +möglich +negiert zeigt an, dass es S aufgrund der außerordentlichen Intensität der Merkmalsausprägung nicht möglich ist, den betreffenden Sachverhalt in angemessene Worte zu fassen. Möglich sind auch Instanzen ohne direkte Ansprache des Adressaten: (89) Ich kann gar nicht sagen, wie enttäuscht ich war! (http: / / www.die-berlinermauer.de/ discus_mauer/ messages/ 2/ 7.html? Mittwochden7Oktober20090508 [decow]) <?page no="136"?> Positionierung 136 Typisch ist jedoch die Variante mit Dativergänzung dir/ euch/ Ihnen. Der Komplementsatz, der die bekräftigte Prädikation enthält, kann neben wie auch mit was für eingeleitet sein. Intensiviert wird dann ein nominal versprachlichtes Konzept: (90) Ich kann Dir gar nicht sagen , was ich für eine Angst habe, dass jetzt wieder-alles von vorne losgeht… (http: / / www.croehnchen-klub.de/ wbb2/ archive/ 110312/ thread.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist allerdings Ich kann Dir gar nicht sagen +wie-Satz mit 373 Belegen (0,02 Vorkommen pMW). 101 Sie ist in keinem der herangezogenen Wörterbücher gelistet. Der Komplementsatz, der die bekräftigte Proposition realisiert, kann nicht im Vorfeld stehen, sodass die Formel ihrem Bezugsausdruck obligatorisch vorangestellt ist. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, +MV: können, SUB: ich, AKK: wie-Satz, +DAT: dir, +MOD: gar nicht Formel 8: ich kann Dir gar nicht sagen +wie-Satz Als drittletzten Formeltyp mit involvierender Funktion setzen wir die bereits in Kapitel-3 eingeführten +adversativen Verfestigungen an, die ihren bekräftigenden Effekt aus der Implikation ziehen, dass jeder Widerspruch gegen die vertretene Positionierung vergebens oder unzulässig wäre. Semantisch fungieren diese Verfestigungen wie ein Irrelevanzkonditional, auch wenn nur manche Instanzen den irrelevanten Einwand grammatisch als Nebensatz realisieren (vgl. (93)): (91) Das geht nicht! Sag, was du willst , das kann er aber nicht! (http: / / www. nexave.de/ forum/ 41133-touchpad-verfuegbarkeit-und-preise_4.html [decow]) (92) Super Arbeit, da kann man nichts sagen . (http: / / www.extremecooling.de/ forum/ archive/ index.php/ t-660.html [decow]) (93) Wir wären wahrscheinlich auch in die Irak-Katastrophe hineingeschlittert, wenn es damals nicht gerade einen sozialdemokratischen Bundeskanzler gegeben hätte. Was immer man gegen seine Putin-Anbiederei sagen mag , 101 Tatsächlich ist in DECOW16B die Variante mit pluralischem Adressaten euch sogar noch geringfügig häufiger als die mit dir. Wir betrachten das jedoch als Artefakt der speziellen Textsorte „Forendiskussion“ und berichten hier den Wert für den unmarkierten Fall, dass S sich an einen spezifischen Partner P und nicht an eine ganze Gruppe von Adressaten wendet. <?page no="137"?> Formelüberblick 137 Schröders historisches Verdienst besteht darin, damals strikt Nein gesagt zu haben. (http: / / www.laufreport.de/ vermischtes/ sonntag/ sonntag_archiv/ so801. html [decow]) In vielen Belegen dieses Musters kann argumentiert werden, dass die adversative Bedeutung an dem Valenzmuster mit gegen-Präpositionalobjekt hängt, 102 auch wenn dies wie in (92) vielleicht nur noch in einer Schwundform realisiert ist (vgl. Kap.-3). Beispiele wie (91) verdeutlichen allerdings noch einmal, dass für die Zugehörigkeit-zu einem Formeltyp letztlich semantische und nicht strukturelle Kriterien ausschlaggebend sind: Auch in (91) bedeutet sagen ‚einwenden‘, die Lesart ergibt sich allerdings lediglich aus dem Kontext (Positionierung-- sagen mit Adressatendeixis-- adversative Konjunktion-- Bekräftigung der initialen Positionierung) und nicht aus seiner Argumentstruktur. Im Rahmen der indirekten (und zunächst vorgeblich konzessiven) Strategie, eine eigene Positionierung durch Entkräftung möglicher Gegenargumente zu stützen, bezeichnet die sagen-Formel die mögliche Gegenrede. Sie ist damit der erste von insgesamt nur zwei involvierenden Ausdruckstypen mit explizit sprecherexklusiver Subjektreferenz. Ob es sich beim ersten Argument von sagen dann spezifisch um den Adressaten oder um einen beliebigen Dritten handelt, ist unerheblich. Grammatisch umfasst das Muster Realisierungen als modalisierter Hauptsatz (91, 92) 103 oder als freier Relativbzw. Pronominalnebensatz. Angeführt wird ein „irrelevantes Hindernis“ (Di Meola 1997, S.-101). In Realisierungen mit Pronominalnebensatz muss mindestens eines der Elemente auch und immer realisiert sein, ein etwaiges immer gemeinsam mit dem Pronomen im Vorfeld (was immer man- …), ein etwaiges auch im Mittelfeld (was man auch-…) oder gemeinsam mit immer mit Vorfeld (was auch immer man-…). Als formelinternes Objekt von sagen kann neben einem w-Komplementsatz mit volitiver Modalisierung (sag, was du willst; man kann sagen, was man mag) auch ein dass-Komplementsatz in Verbindung mit iterativer Modifikation auftreten: (94) Du kannst noch so oft sagen, dass es nicht so ist , aber es stimmt nicht. (http: / / www.doctorsdiaryfanforum.de/ t1226f44-Story-von-Lorelei-30.html [decow]) 102 Auch der Duden knüpft die sagen-Lesart „einwenden“ an das Beispiel dagegen ist nichts zu sagen (Duden 2001, S.-1341). 103 Von dieser Art sind die in Wörterbüchern gelisteten Beispiele: du kannst sagen, was du willst, du wirst mich nicht überzeugen (ebd.) bzw. da kann er sagen, was er will, ich glaube ihm kein Wort (Wahrig- Burfeind 2011, S.- 1259). Beide Wörterbücher wählen somit Beispiele, die die positionierende Funktion der Formel illustrieren (Irrelevanz einer möglichen Gegenrede für eine von S vertretene Auffassung). <?page no="138"?> Positionierung 138 (95) IST ABER SO, da könnt ihr 1000 Mal sagen das etwas nicht sein kann wenn es so IST! (http: / / www.mydealz.de/ 14255/ 1-kino-gutschein-2-packungenkaffee-pads-fuer-4-6e [decow]) Semantisch kommt in beiden Fällen Beliebigkeit zum Ausdruck: Was auch immer wie oft auch immer gegen S’ Überzeugung ins Feld geführt werden mag, es hat keinen Effekt. Dominant ist der Gebrauch mit w-Satz, zentrale Verfestigung des Musters ist man kann sagen, was man will (1117 Instanzen, 0,07 Vorkommen pMW): (96) Coole Ausgabe, über Google Summer of Code wußte ich bisher nichts, man kann sagen was man will gegen die Jungs (Thema Datensicherheit etc.) aber das ist auf jeden Fall eine gute Aktion von Google. (http: / / www.freies magazin.de/ 20091206-dezemberausgabe-erschienen [decow]) Die bekräftigte Positionierung ist wie in (96) häufig eine positive Bewertung. Mehr als eine Tendenz ist das jedoch nicht (8 von 20 Fällen, 40%). Mit phorischem da im Vorfeld sind auch nachgestellte Realisierungen möglich: (97) Einfach ein klasse Song, da kann man sagen, was man will ! (http: / / 2006773. homepagemodules.de/ t468158f11783486-quot-Sinatra-quot-CBS-TV-Special-1. html [decow]) Die Leitform mit ihrer SV-Wortstellung ist ausnahmslos vorangestellt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, +MV: können, SUB: man, AKK: was man will Formel 9: man kann sagen, was man will Sowohl +interrogativ und +notwendig als auch +thematisch und +augmentativ ist die Formel was soll man dazu noch sagen. Das Modalverb sollen zeigt an, dass S sich zu einer Positionierung gehalten sieht, die vorgeblich schwierig zu formulieren ist (verdeutlicht durch die Frage). Mit der Wahl des generischen Subjekts man wird impliziert, dass diese Schwierigkeit nicht nur S persönlich betrifft, sondern dass der bewertete Gegenstand auch jeden Anderen ratlos machen würde. Grund für diese Schwierigkeit ist die besondere Beschaffenheit des mit dazu aufgegriffenen +thematischen Sachverhalts, zu dem sich-- so die Implikation-- jeder (weitere) Kommentar erübrigt. Für eine weitere Steigerung sorgt die +augmentative Modifikation mit Adverbialen wie noch oder groß, die auch kombiniert werden können: <?page no="139"?> Formelüberblick 139 (98) „Der Andere bekommt mehr-- das will ich auch“. So oder so ähnlich dürfte sich das die Große Koalition gedacht haben. Was soll man dazu noch sagen ? Millionen Deutsche versuchen mit HARTZ IV und MiniJobs über die Runden zu kommen und die Politiker verschleudern das Geld der Steuerzahler ohne nachzudenken. Daher gibt es heute zurecht den Teufels Haufen dafür 6 setzen! Beitrag von MeckerMeister am 06. Mai 2008 | In Teufels Haufen | 2 Comments (http: / / www.meckermeister.de/ category/ teufels-haufen [decow]) (99) Selten bescheuerter, neuer Bandname: THE FORCE GORGOROTH Falls ich das richtig verstanden habe…Möge die Macht mit dir sein, junger King. uriblank Noodles 17.12.2007, 17: 21 / / Und ich hab mich schon gewundert wieso auf der Wacken Homepage nicht einfach Gorgoroth steht. Naja, was soll man dazu groß sagen , ist nicht mehr Gorgoroth, wieso nennen sie sich nicht gleich ganz anders, wär auf jeden Fall besser, als den Namen jetzt so zu verhunzen. 17.12.2007, 17: 26 (http: / / www.metallized.de/ forum/ archive/ index.php/ t-444. html [decow]) (100) Das ist ja mal richtig heftig! Was soll man dazu noch groß sagen . Wenn das hier in D so weitergeht zieh ich doch noch 20 km weiter weg, dann bin ich in Ö und hab auf jeden Fall schon mal den Vorteil von Wechselkennzeichen…dr.sci rado 16.05.2005, 22: 27 (http: / / www.sciroccoforum.de/ forum/ archive/ index. php/ t-284403.html [decow]) Insgesamt wird mithilfe dieser Komponenten ein Szenario entworfen, in dem S vorgeblich die Worte fehlen, um angemessen auf den Bezugssachverhalt reagieren zu können. Zentrale Verfestigung dieses Bildungstyps ist was soll man dazu noch sagen mit 94 Belegen (0,006 Vorkommen pMW). Sie stellt eine weitergehende Idiomatisierung der in positionierender Hinsicht neutralen, rein themensteuernden Formel was soll ich sagen dar, die ein offenes Fazit projiziert (vgl. Formel- 69, Kap.- 7). Demgegenüber wird was soll man dazu noch sagen in 16 von 20 Fällen (80%) spezifisch zur Rahmung einer folgenden Bewertung verwendet. In Einzelfällen kann sie auch positiver Art sein: (101) Meine Erfahrung: 12.7. Handy + Vertragsverlängerung bestellt (abends 18 Uhr) 14.7. Vertrag freigeschalten 15.7. Geldeingang bestätigt + Versand 16.7. Handy war bei mir Was soll man dazu noch sagen ? Bin ernsthaft begeistert. =) (http: / / www.telefon-treff.de/ showthread/ t-319615-p-13.html [decow]) 13 von 16 evaluativen Belegen rahmen allerdings eine folgende negative Bewertung (>80%). Bindeglied zwischen der positionierenden und der themensteuernden Formel sind Ausdrücke mit +thematischem dazu, aber ohne +augmentatives noch bzw. groß. Wie bei der hier diskutierten Formel erscheint als Subjekt typischerweise man und nicht ich, funktional dominiert aber wie bei was soll ich sagen die Markierung eines offenen Fazits. <?page no="140"?> Positionierung 140 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, themensteuernd FORM TMP: prs, SM: int, +MV: sollen, SUB: man, AKK: was, +PO: dazu, +MOD: noch Formel 10: was soll man dazu noch sagen Explizit adressatendeiktisch ist die Formel sage und schreibe, in der sich die Merkmale +direktiv und +iterativ verbinden. Sie zählt zu den wenigen untersuchten Ausdrücken mit sagen, die vollständig und unabänderlich fest sind: (102) Das Team von Trainer Rüdiger Gereke hat gegen den Tuspo Bad Münder mit sage und schreibe 11: 0 gewonnen und somit den Zwischenerfolg in der Meisterschaft klar gemacht. (http: / / www.sghameln74.de/ aktuelles/ index-p_4.htm [decow]) Zu ihrer Herkunft spekuliert Röhrich (1992, S.-1272): Die Formel ‚sage und schreibe‘ betont die Glaubwürdigkeit des erzählten Sachverhalts. (Sie könnte eine Rechtsformel auf Urkunden gewesen sein, die die Vertragspartner aufforderte, schriftlich und mündlich ihre Abmachung zu bekräftigen). Im gegenwärtigen Sprachgebrauch hat sie dagegen die Funktion einer mirativen Kommentarphrase zu einer „extreme case formulation“ (Pomerantz 1986): Formuliert wird die vorgebliche Aufforderung zum Nachsprechen und -schreiben, um sich die Ungeheuerlichkeit des berichteten Sachverhalts in der bildlichen Szene auch „schwarz auf weiß“ zu vergegenwärtigen (vgl. auch das oben genannte ich sage es nochmal zum Mitschreiben). In den untersuchten Daten bezieht sich S’ Kommentar dabei ausnahmslos auf Sachverhalte, die in einer bestimmten Hinsicht quantifiziert sind: (103) Danach kamen sage und schreibe 2 Jahre, in denen Unterhalt gezahlt wurde. (http: / / blog.brigitte.de/ alleinerziehend/ 2007/ 10/ das-liebe-geld.html [decow]) (104) Bei mir waren es super tolle Erdbeeren. Für sage und schreibe 3,-$ das Stück. (http: / / www.matthiaswelling.de/ html/ USA/ California/ san_francisco.html [decow]) (105) Sage und schreibe 17.000 Anleger verklagen die Telekom wegen Vernichtung ihrer in den T-Aktien angelegten Ersparnisse. (http: / / www.home.uni-osna brueck.de/ skische/ Archiv.html [decow]) <?page no="141"?> Formelüberblick 141 Obwohl S sicher ist, dass der kommentierte Sachverhalt vorliegt, begründet die Unerwartetheit der außerordentlichen Ausprägung dieses Sachverhalts, die S in Erstaunen versetzt, das epistemische Merkmal „K-“. Die Formel ist ihrem Bezugsausdruck vorangestellt und zählt mit 33.837 Treffern (2,15 Vorkommen pMW) zu den fünf häufigsten Positionierungen. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K- FORM sage und schreibe Formel 11: sage und schreibe 4.2.2 Distanzierende Formeln Positionierungen können auf verschiedene Weise als Distanzierungen ausgewiesen werden. Zu den in Frage kommenden sprachlichen Mitteln zählen Negation, der Irrealis, der Potentialis, die Verwendung in Konditionalsätzen, interrogative Syntax und die Verbindung mit bestimmten Partikeln und Adverbien. Das grundlegendste Mittel, um eine Involvierung in eine Distanzierung zu verkehren, ist Negation. Einige der im letzten Abschnitt- diskutierten Formeln sind allerdings nicht herkömmlich negierbar, ohne ihre idiomatische Bedeutung einzubüßen: Ausdrücke wie ich muss nicht sagen oder man kann nicht sagen, was man will sind natürlich weder ungrammatisch noch bedeutungslos. Sie verkehren aber nicht die pragmatische Bedeutung ihrer positiv-polaren Entsprechungen in deren funktionales Gegenteil. Bei anderen positionierenden Verwendungen ist das hingegen möglich. Das grundlegende ich sage zum Beispiel fungiert auch unter Negation als Positionierung-- nur eben als distanzierende: (106) Ich sage nicht : Ich habe ein System, und da presse ich die Spieler rein. Ich schaue, welche Spieler ich habe- - und danach richte ich mein System aus. (http: / / ksc-archiv.ka-fans.de/ news/ kscnews172_99.php [decow]) Beispiel (106) illustriert zugleich, dass dem distanzierenden Positionierungsmerkmal häufig ein reformulierend-gesprächsorganisatorisches zur Seite tritt: S führt zunächst an, welche Position nicht vertreten wird, um diesen Standpunkt im Folgenden mit einem abweichenden zu kontrastieren. Ist der Gegenstand der Positionierung dabei wie in (106) syntaktisch als abhängiger Hauptsatz im Indikativ realisiert, ist die Nähe zur Wiedergabe direkter Rede offenkundig: Die Distanzierung bezieht <?page no="142"?> Positionierung 142 sich auf den Inhalt einer hypothetischen Äußerung, den S sich nicht zu eigen machen möchte. Zur Negation können die Merkmale +möglich, +volitiv oder +konditional hinzutreten, ohne die distanzierende Funktion des Ausdrucks als solche zu ändern: (107) Ich kann nicht sagen , dass ich ein Fan der Stilrichtung bin, aber ich habe das Album komplett gehört. (http: / / 210833.homepagemodules.de/ t510816f117 47383-Triptykon-Eparistera-Daimones.html [decow]) (108) Ich will nicht sagen , ist mir egal, aber solange eine gute Politik, zum Wohle des Bürgers gemacht wird, kann ich das (weil ich wohl auch muß) ertragen. (http: / / 83273.homepagemodules.de/ t1469f14-KKK-quot-In-der-DDR-liess-essich-gut-leben-quot-1.html [decow]) (109) Ich möchte nicht sagen , einer wäre besser als der andere, sie sind einfach verschieden. (http: / / www.hjs-jazz.de/ ? p=00089 [decow]) (110) Sie hat bereits eine vierzigjährige Film- und Fernsehkarriere, aber ich würde nicht sagen , daß sie eine große deutsche Schauspielerin ist. (http: / / www. arildrafalzik.de/ FILMSTARS02.htm [decow]) Der Bezugsausdruck ist zumeist ein abhängiger Hauptsatz oder dass-Komplementsatz. Speziell die Varianten mit würde und mit wollen sind aber auch in rein positionierenden (d. h. nicht-responsiven) Gebräuchen mit topikalisiertem Objektpronomen gebräuchlich: (111) Das heißt nicht, dass es das nicht gibt, das will ich nicht sagen . (http: / / www. insulinclub.de/ archive/ index.php/ t-10415.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist das unmodalisierte ich sage nicht mit 7.245 Instanzen (0,46 Vorkommen pMW). Der positionierende Gebrauch der Formel ist inhaltsbezogen und tritt typischerweise im Rahmen von Kontrastierungen auf (ich sage nicht X, aber Y; 15 von 20 Fällen bzw. 75%): (112) Ich sage nicht , dass ich es gut finde wenn immer nur Männer vorne stehen- aber andersrum ist es genauso bescheiden. (http: / / www.simsforum.de/ vbulletin/ off-topic/ 52825-bundestagswahl-2005-wen-wuerdet-ihr-waehlen-4. html [decow]) Ausdrucksbezogene Verwendungen von ich sage nicht sind ebenfalls möglich. Auch sie werden kontrastierend gebraucht und dienen zur Reformulierung. Die Leitform des positionierenden ich sage nicht ist ihrem Bezugsausdruck notwendig vorangestellt. <?page no="143"?> Formelüberblick 143 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM TMP: prs, SUB: ich, +MOD: nicht Formel 12: ich sage nicht Ein zweites Mittel zur Distanzierung ist Konditionalität: S gibt an, die gerahmte Position nur unter bestimmten Bedingungen zu vertreten. Tritt zur Komponente +konditional zudem die Komponente +anterior, wird angezeigt, dass das geschilderte Szenario zum Sprechzeitpunkt auch gar nicht (mehr) eintreten kann. Es liegt ein Irrealis vor. Die sprecherdeiktische sagen-Formel dieses Typs ist ich hätte gesagt. In literaler Verwendung projiziert die Wendung einen Gehalt, der zum Zeitpunkt seiner Äußerung nicht (länger) relevant ist, da der Anlass für die entsprechende Äußerung aktuell nicht (mehr) gegeben ist. Gerahmt wird also eine mögliche Äußerung im Rahmen eines hypothetischen Szenarios, das so nicht eingetreten ist: (113) Ein Anruf oder e-mail im Vorfeld hätte dafür bestimmt ausgereicht. Ich hätte gesagt , ok schick mir die Flaschen zurück und du bekommst neue dafür. Fertig. (http: / / www.dampfertreff.de/ t4471f140-wie-messt-ihr-eure-liquids-ab.html [decow]) Im distanzierenden Gebrauch der Formel geht es hingegen nicht um mögliche Welten, sondern um eine Positionierung im Hier und Jetzt, die durch die Formel mit einem Vorbehalt versehen wird: (114) Jetzt bin ich nicht der große Experte was TV-Karten angeht, aber ich hätte gesagt , dass die meiste Rechenleistung die Karte selber übernimmt. (http: / / www.htpc-news.de/ beratungscenter-hier-bitte-bei-bedarf-eure-zusammen stellungen-posten-92/ suche-abloesung-fuer-popcorn-hour-a110-16102 [decow]) Als positionierende Formel rahmt ich hätte gesagt eine Einschätzung, die als unverbindlich und unsicher („K-“) präsentiert wird. Adverbiale Begleiter unterstützen ihren distanzierenden Effekt auf unterschiedliche Weise, indem sie die gerahmte Einschätzung als eigentlich gar nicht gegeben (ich hätte fast gesagt), als nicht gründlich durchdacht (ich hätte spontan gesagt) oder als Ausnahme kennzeichnen (ich hätte mal gesagt). Leitform ist das unmodifizierte ich hätte gesagt (718 Belege, 0,05 pMW), das seinem Bezugsausdruck vorangestellt ist. Als Verfestigung mit besonderer Funktion ist sie in keinem der konsultierten Wörterbücher gelistet. <?page no="144"?> Positionierung 144 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, K- FORM TMP: plu, VM: kon, SUB: ich Formel 13: ich hätte gesagt Ohne das Merkmal +anterior wird aus +konditionalen Formeln ein Potentialis. Dessen häufigste Realisierung ist ich würde sagen, das aufgrund einer Ausbleichung seiner Distanzierungsimplikation aber bereits im Abschnitt-zu den Involvierungen behandelt wurde. Ebenfalls nicht mehr als +konditional empfunden wird ich möchte sagen, das wir bedeutungsseitig wie eine weitere volitive Indikativform neben wollen und mögen werten. Sowohl gebräuchlich als auch weiterhin +konditional ist der Konjunktiv II dagegen in Bildungen mit können. Ihre Leitform unter den positionierenden Verwendungen ist man könnte sagen mit 7368 Belegen (0,47 Vorkommen pMW). Gegenüber der ebenfalls nur als +möglich ausgewiesenen Involvierung man kann sagen markiert das konjunktivische Pendant eine distanziertere Position. Funktional dient sie der Bezeichnungsmodalisierung: Der gerahmte Ausdruck wird als eine von mehreren möglichen Positionierungen bzw. Kategorisierungen des thematisierten Gegenstands eingeführt. Komplement ist typischerweise ein abhängiger Hauptsatz (elf von 20 Belegen, 55%) oder ein dass-Satz (sieben Belege, 35%), selten auch eine nicht-satzwertige Ellipse bzw. einzelne Phrase (letztere in der Regel im Rahmen von Reformulierungspraktiken). Sammelt man einige zusätzliche Belege, bis man je 20 mit Verbzweit- und dass-Satz beisammen hat, deuten sich Unterschiede zwischen den Gebrauchsmustern der beiden Varianten an: Die Verwendungen mit dass-Satz enthalten Belege, in denen die Subjektreferenz auch sprecherexklusiv gelesen werden kann. Gerahmt wird dann eine Position, die S als zwar vertretbar oder naheliegend präsentiert, die aber dennoch nicht der eigenen entspricht, wie ein folgender Einwand deutlich macht: (115) Während des Jahres habe ich sehr viel Neues gelernt. Zum Beispiel Kühe melken, Käse, Quark und Joghurt machen, Filzen, Spinnen, Weben, Flechten mit Weidenruten etc. Man könnte sagen , dass ich diese Dinge nie im Leben brauchen werde-- ich finde sie aber trotzdem nützlich. (http: / / www.ifap-apolda.de/ de/ daten/ efddaten/ 06r1bergmann.html [decow]) <?page no="145"?> Formelüberblick 145 Bei den Vorkommen mit Verbzweitsatz ist dagegen der hohe Anteil verschiedener Arten von Prädikativkonstruktionen unter den Bezugsausdrücken auffällig (55%): (116) Naja, man könnte sagen , ich bin ein Essmonster, dass nur gut drauf ist, wenn- es isst. (http: / / www.animania.de/ forum/ archive/ index.php/ t-5061.html [decow]) (117) Bennos Ruhe hingegen stammte aus einem unergründlichen Wesenszug. Man könnte sagen : Der war so. Aber auch das ging nicht weit genug. Benno besaß den Blutdruck einer Mumie und die Kommunikationsfähigkeit eines Klappspatens. (http: / / www.buecherlei.de/ fab/ streusel/ streu07.htm [decow]) (118) „Aber auch mit unserem Braumeister Anton Miller haben wir, man könnte- sagen , einen Sechser im Lotto mit Zusatzzahl gewonnen“, erklärte Gegenfurtner. (http: / / www.spital.de/ stiftung/ medienecho.php? typ=0%26mid=13- 10%26jg=2013 [decow]) Ähnlich wie das in Abschnitt- 4.3 eingehender untersuchte Adverb sozusagen wird man könnte sagen also häufig im Zusammenhang mit Kategorisierungen verwendet, die einen Referenten einer bestimmten Klasse zuweisen oder definieren. Daneben kann sich die Modalisierung natürlich auch auf die Charakterisierung eines Sachverhalts anstelle eines Referenten beziehen: (119) Daniel ging es den Abend nicht so gut. Man könnte sagen : Er aß rückwärts. (http: / / www.ganderik.de/ fahrtenberichte/ stafa_herbst_05.htm [decow]) Gemäß unserer Operationalisierung zählen auch parenthetisch eingeschobene Vorkommen wie (118) als vorangestellt, da sie zumindest einer bestimmten Komponente des Bezugsausdrucks vorgelagert sind (und die Frage eines engen oder weiten Skopus nur über diese Konstituente oder über den gesamten Satz oft nicht entscheidbar ist). Mit diesem Verständnis des Begriffs sind alle ausgewerteten Instanzen von man könnte sagen ihrem Bezugsausdruck vorangestellt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM TMP: prt, VM: kon, +MV: können, SUB: man Formel 14: man könnte sagen <?page no="146"?> Positionierung 146 In Distanzierungen in Form konditionaler Nebensätze treten die Merkmale +möglich (oder alternativ +volitiv) und +modaldeiktisch hinzu. Ersteres kann durch die Modalverben können und dürfen (bzw. wollen) realisiert werden, letzteres durch die Partikel so oder Umschreibungen wie mit diesen Worten, die den Bezug entsprechender Bildungen auf die Ausdrucksebene markieren: 104 (120) Der weiße Sand sieht auch sehr verlockend aus, dementsprechend mache ich mich barfuß auf die Socken, sofern man das so sagen kann . (http: / / volker. siedt.de/ Diving/ EastPacific/ Socorro/ report01.php [decow]) (121) um es kurz zu machen: unser ( falls ich das so sagen darf ) forum wird schon- langsam zugemüllt! ! ! (http: / / www.chili-shop24.de/ forum/ verbesse rungsvorschl%C3%A4ge-f%C3%BCr-das-forum-f18/ moderator-t329/ p1.html [decow]) (122) So wirkt-- wenn mans mit diesen Worten sagen will , was ich für möglich, aber nicht für nötig halte- - der Teufel als Widersacher einer gelingenden Gemeinschaft, so wirkt er als Verführer zu Egoismus etc. (http: / / meinfigaro.de/ inhalte/ a8e88eb52e1931fd [decow]) Zentrale Verfestigung ist wenn man das so sagen kann (1303 Belege, 0,08 Vorkommen pMW): (123) Am 2. Tag in Djerba waren wir uns Kamele ansehen, weil ich diese Tiere irgendwie faszinierend war. Tja…das war dann wohl mein erster Kuss mit einem Tier, wenn man das so sagen kann . Abgeschleckt wurde ich förmlich. (http: / / blog. lovelybooks.de/ 2010/ 02/ 22/ lovelybooks-aktion-10x-hummeldumm-ergattern [decow]) Auch Voranstellung ist möglich: (124) Er nimmt allerdings auch keinen Cent dafür, sondern verschenkt die Modelle… Ich finde das nicht schlimm, sondern im Gegenteil, wenn man das so sagen kann , großherzig. (http: / / www.katzen-links.de/ katzenforum2/ archive/ index. php/ t-33729.html [decow]) Typisch ist im Fall dieser Formel jedoch die Nachstellung (17 von 20 Belegen, 85%). 104 Konditionale sagen-Formeln ohne das Merkmal +modaldeiktisch (wenn ich das sagen darf) werden in Kapitel-5 behandelt. <?page no="147"?> Formelüberblick 147 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT nachgestellt FUNKTION distanzierend FORM ST: ns-wenn, TMP: prs, +MV: können, SUB: man, AKK: das, +MOD: so Formel 15: wenn man das so sagen kann Ein weiteres Merkmal, um Distanzierung ausdrücken, ist +exzeptionell. Die Bedeutung wird im Deutschen typischerweise durch die Modalpartikel mal zum Ausdruck gebracht. 105 Bildungen dieser Art signalisieren Spontaneität und eine reduzierte Verbindlichkeit der Bezeichnungswahl: (125) Desertec hört sich zwar schon interessant an, aber es ist wieder ein großes zentrales „Kraftwerk“ und sinnvoll eigentlich nur zu realisieren in politisch, na ich sag mal nicht ganz so stabilen Regionen. (http: / / forum.musikexpress.de/ archive/ index.php/ t-17430.html [decow]) (126) Zwar könnte die Produktion ein wenig ausgereifter und sauberer klingen, aber das stört eigentlich nicht wirklich, sondern gibt der Platte einen, ich würde mal sagen , „rauen Charme“. (http: / / www.metal-district.de/ md_cds%3A% 3A%3A%3A3975%3Atarabas_aus_alter_zeit.html [decow]) (127) Es gibt „theorie-interne“, wie ich mal sagen möchte , Auseinandersetzungen, in denen ihr philosophischer Ansatz, v. a. ihre Anknüpfungen an Foucault einer genaueren Prüfung unterzogen werden. (http: / / www.spsh.de/ texte/ butler.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist ich sag mal (29.540 Belege, 1,88 Vorkommen pMW), zu dem es auch bereits einige Beobachtungen in der Literatur gibt (Auer/ Günthner 2003, S.-12; Imo 2007, S.-108-114; Schmidt 2014a; Brünjes 2014, S.-150-152; Zeschel/ Brackhane/ Knöbl 2019). Wie andere Heckenausdrücke auch kann die Formel sowohl im Rahmen gesichtswahrender als auch vagheitsmarkierender Praktiken eingesetzt werden, ihre dominante Verwendung ist aber die Bezeichnungsmodalisierung. Wird sie in diesem Sinne verwendet, „signalisiert der Sprecher seinem Gesprächspartner, dass er die markierte Formulierung als vorläufig und damit gegebenenfalls später noch verhandelbar verstanden wissen möchte“ (Schmidt 2014a, S.-229). Häufig sind 105 Brünjes (2014, S.-148) beschreibt ihre Bedeutung wie folgt: „Die Modalpartikel mal hat eine exklusive Bedeutung. Durch den Gebrauch dieser Partikel verweist der Sprecher auf eine pragmatisch präsupponierte Einheit: eine negierte Variante des vollzogenen Sprechaktes, die als Standardverhalten des Sprechers gekennzeichnet wird. Auf diese Weise markiert der Sprecher den von ihm vollzogenen Sprechakt als außergewöhnlich und grenzt ihn von sonst üblichem Verhalten ab. Die Bedeutung von mal ist paraphrasierbar als: Eigentlich tue (frage/ erbitte/ …) ich so etwas nicht“. <?page no="148"?> Positionierung 148 die Kombination mit modaldeiktischem so, mit jetzt (als Verweis auf die aktuelle, die Ausnahme rechtfertigende Situation) sowie mit einfach (als Markierung, dass die mögliche Unzulänglichkeit der Formulierung bewusst in Kauf genommen wird). 106 Mitunter tritt auch alles gemeinsam auf: (128) Ich sag mal so : Sein Lebensstil als Fighter könnte professioneller sein ; ) (http: / / forum.groundandpound.de/ archive/ index.php? t-3269.html [decow]) (129) In der, ich sag jetzt mal , „eingesperrten“ DDR-Zeit, wie hätten sie da auch- Erfahrungen zu den „Tücken des grenzüberschreitenden Warenverkehrs“- sammeln können? (http: / / ro-de-ro.over-blog.de/ m/ article-21999499. html [decow]) (130) @Canas Hab kein Bock deine Screens alle zu bewerten, ich sag einfach mal : genial, toll, mach weiter so. (http: / / www.multimediaxis.de/ archive/ index. php/ t-93048.html [decow]) (131) Also ich sag jetzt einfach mal so : Ja, für mich ist Christina die Beste! ! ! (http: / / www.aguilera.de/ forum/ archive/ index.php/ t-722.html [decow]) Zusätzlich zur Exzeptionalität kann auch ein bestimmter qualitativer (bzw. +modaler) Aspekt ausgedrückt werden, der ebenfalls Distanzierung von der gewählten Formulierung anzeigt: (132) Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wissen, dass auf dem Land die Leute oft sagen, den Münchnern wird alles sozusagen, ich sage es mal salopp , reingeschoben und wir darben hier. (http: / / www.dradio.de/ dkultur/ sendungen/ tacheles/ 1571787 [decow]) (133) „Die vollständige Teilhabe am Guten ist nicht ohne Glauben möglich“ ist eine ziemlich blöde Aussage… ich sage es mal so platt . (http: / / www.musikerboard.de/ politik-gesellschaft-ot/ 44801-glaubt-ihr-gott-1055.html [decow]) (134) Denn wir werden auch bestimmte Dinge erproben müssen, unter anderem, wenn es zur Aufstellung dieser „Heimatschutztruppen“-- sage ich mal ein bisschen flapsig -- kommt, dann wird man sich über diese Dinge auch weiter Gedanken machen müssen. (http: / / www.ag-friedensforschung.de/ themen/ Bundeswehr/ reserve2.html [decow]) Eine Besonderheit der Formel ist, dass auch ihre invertierte VS-Variante dem Bezugsausdruck vorangestellt werden kann: (135) Jep war mal wieder ein sag ich mal ruhiges Treffen. (http: / / www.bmwfreundekoeln-bonn.de/ forum/ archive/ index.php/ thread-123-6.html [decow]) 106 Schoonjans (2018, S.-2) spricht bei einfach hingegen von einem „Evidenzmarkierer“. <?page no="149"?> Formelüberblick 149 Die Leitform ich sag mal ist obligatorisch vorangestellt. Erstaunlicherweise ist der Ausdruck anders als adressatendeiktisches sag mal sowie dyadisches sagen wir (mal) trotz seiner großen Häufigkeit in keinem der fünf Wörterbücher als ein erwähnenswertes Gebrauchsmuster von sagen gelistet. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM TMP: prs, +MPT: mal, SUB: ich Formel 16: ich sag mal Die durch bewertende Qualifikationen wie platt oder flapsig angezeigte ausdrucksseitige Distanzierung kann auch im Rahmen von Niehüsers Schema I [<irgendwie> gesagt] formuliert werden: (136) Ansonsten beschreibst du stumpf gesagt deinen Hormonshake. (http: / / philowelt.de/ forum/ archive/ 7511/ thread.html [decow]) (137) Da dieses Öl so fein ist kommt es blöd gesagt durch kleinste öffnungen wo das etwas dickere 15 W 40 nicht durch kommt. (http: / / www.citforum.de/ archive/ index.php/ t-63110.html [decow]) (138) Fazit: Entweder egoistisch, fanatisch oder grenzenlos optimistisch ( mit dem Holzhammer gesagt ). (http: / / www.jiggle.de/ vb/ aktuelles-weltgeschehen/ 21422-tabea-hat-eingriff-ueberlebt.html [decow]) Die häufigste Bildung dieser Art ist salopp gesagt: (139) Deutschland beteiligt sich mit seinen Soldaten in Afghanistan wieder an einem Krieg, der nach jahrelangem-- salopp gesagt -- „Rumgezippel“ jetzt auch von allen so benannt wird. (http: / / www.friedenskooperative.de/ netzwerk/ om12- 091.htm [decow]) Zu den +modalen Bildungen zählen auch jene des Typs „tentativ“ (vgl. um es vorsichtig zu sagen), die in semantischer Hinsicht das komplementäre Gegenstück zu den „definitiven“ Bekräftigungen darstellen (vgl. um es klar zu sagen). Anders als letztere werden sie jedoch nicht primär positionierend, sondern in der Regel facebezogen gebraucht. Wir besprechen sie im Rahmen von Kapitel- 5. Rein distanzierend sind dagegen +modaldeiktische Bildungen: <?page no="150"?> Positionierung 150 (140) Wir planen für den Sommer den Kauf eines Mini Cooper und haben, so gesagt , noch überhaupt keine Ahnung. (http: / / www.x3-treff.de/ archive/ index.php/ t-6494.html [decow]) (141) Gerade in Bayreuth, wo man nur für die Musik, nur für den Musiker, nur für den Augenblick dirigiert, zeigt es sich doch, ob einer eine Show abliefert, um es so zu sagen , oder ob er sich der Partitur verpflichtet fühlt. (http: / / www. hansknappertsbusch.de/ Stimmen.html [decow]) (142) Also: Gymnastikmatte im Wohnzimmer ausgerollt und los gehts. Gerne lasse ich dazu nebenbei den Fernseher laufen. Schweißtreibendes Frühstücksfernsehen sozusagen . (http: / / midlifecrisis.blog.volksfreund.de [decow]) (143) Dir heften sich Worte an, mir Bilder. Lass es mich so sagen : Wenn Du ein Textwesen bist, bin ich ein Sehwesen. (http: / / www.literature-online.de/ / thema2005.htm [decow]) Anders als im Niederländischen, wo die Entsprechung zogezegd sehr gebräuchlich- ist, wird die rein +modaldeiktische Instanziierung von Niehüsers Schema- I, [<irgendwie> gesagt], im Deutschen kaum verwendet. 107 Gebräuchlicher ist die Variante mit so in seinem Schema- II, der Kommentarsatzkonstruktion [um es <irgendwie> zu sagen]. Das gilt insbesondere in Verbindung mit +exzeptionellem mal: (144) Wer ist Oma Gehrke und welche Bedeutung hatte Oma Gehrke für Ihr Leben? - Sie gelten ja unter Bremer Connaissuers, um es mal so zu sagen , als-der Omaknutscher. (http: / / www.deutschlandfunk.de/ ich-hab-mich-mitdemonstranten-gepruegelt-die-steine.1295.de.html? dram%3Aarticle_id= 207914 [decow]) Zentrale Verfestigung ist aber eindeutig das univerbierte sozusagen (366.899 Belege bzw. 23,39 Vorkommen pMW), bei dem es sich auch gleichzeitig um den häufigsten der positionierenden sagen-Ausdrücke handelt. Er ist im Duden und im Wahrig- Wörterbuch als eigenes Lemma gelistet, in den Einträgen zu sagen taucht er in keinem der konsultierten Gegenwartswörterbücher mehr auf (noch im DWB jedoch schon). Wir untersuchen den Marker im Detail in unserer Vertiefungsstudie in Abschnitt-4.3 und beschränken uns hier auf den Verweis auf seine dominante Verwendung zur Bezeichnungsmodalisierung: 107 Für andere Instanzen dieses Bildungstyps siehe unten. <?page no="151"?> Formelüberblick 151 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM sozusagen Formel 17: sozusagen (Verwendung als Bezeichnungsmodalisierung) Zum Merkmal +modaldeiktisch hinzutreten kann die Eigenschaft +interrogativ. In Distanzierungen dieses Typs tritt die sagen-Prädikation in Fragehaupt- und -nebensätzen auf: (145) Hallo, ich habe eine Rundeckcouch ( sagt man das so ? ). (http: / / www.easyaquarell.de/ forum/ dies-das-tratsch-und-diskussionen-f10/ bilder-aufhaen gen-t1013.html [decow]) (146) nur weil meine musik etwas heftiger is bin ja nich hart ich würd mich eher als hmmmmmmm wie sag ich es öhhhhhhh sanft einstufen vom gemüt her (http: / / www.happyfurry.de/ archive/ index.php/ t-1843.html [decow]) (147) @Husky, also meine alte Heißgeliebte CB750 K6 und all die anderen Spielzeuge, die sich in meinem Besitzt befanden, hatten nie! ! ! dieses, ich weiß nicht wie ich das sagen soll , merkwürdige Auspuffgeräusch beim fahren. (http: / / 307684. homepagemodules.de/ t69110242f5-Noch-km-bis-zu-meiner-Knattertueteaber-7.html [decow]) Distanzierende Ausdrücke dieses Bildungstyps gibt es mit allen Modalverben: (148) zu ELROND nunja wie soll ich sagen er IST ZU FETT für nen elben (http: / / forum.dragonballz.de/ archive/ index.php/ t-9708.html [decow]) (149) ich finde beide irgendwie, hm. wie kann man das sagen? einfach nur doof, fehlen mir die richtigen worte für. (http: / / www.selfmade-records.de/ board/ / archive/ index.php? t-286.html [decow]) (150) Ich selbst fotografiere auch für mein Leben gern und sich so zu präsentieren ist doch, wie darf ich sagen , „hammerhart“. (http: / / www.naturfotografie-stein. de/ gaestebuch-lesen-45.html [decow]) (151) Was wäre geschehen wenn ich eine Brücke gerade in dem Moment passiert hätte als sie sich materialisierte- - oder auferstand- - oder wie muss man sagen ? (http: / / www.hg-klug.de/ sfarch/ 17fuenen/ 17fuenen.html [decow]) (http: / / www.people-of-africa.de/ berichte/ reise-nach-tansania-mzwana-und-anden-victoriasee/ der-alltag-in-montessori-und-kein-tag-ohne-aids-260808 [decow]) <?page no="152"?> Positionierung 152 (152) Habe heute die Trommel bekommen. Is ein schönes Teil nur einer der Sticks is- etwas wie will man sagen verkrüppelt. (http: / / meine-spieltipps.de/ Toys.360527031/ 4.musikinstrumente.de.html [decow]) (153) diese band könnte in naher zukunft zu höherem bestimmt sein, ein feiner anfang ist gemacht. wie möchte man sagen : cartridge sind schon von dieser welt, aber ganz bestimmt nicht ausm kaff um die ecke. (http: / / www.revolver-club. de/ kritiken/ musik_neu_cartridge_enfantterrible.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist wie soll ich sagen (7135 Belege, 0,45 Vorkommen pMW). Gegenüber den nächsthäufigeren wie soll man sagen und wie sagt man zeichnet sie sich durch ihre stärkere Subjektivität aus: Gefragt wird nicht nach einer kanonischen Bezeichnung, mit der man einen gegebenen Gegenstand im Allgemeinen belegt und die S im Augenblick entfallen ist. Stattdessen formuliert S eine selbstadressierte, nur fingiert dialogische Frage, wie das Bezugselement im aktuellen Kontext nach eigenem Dafürhalten am Treffendsten zu kategorisieren ist. Entsprechend ist die Formel ihrem Bezugsausdruck vorangestellt. Beispiel (154) legt den ablaufenden Prozess einer Abwägung von Alternativen, die ggf. stark kontextgebunden sind (wie etwa der Zusammenhang von unheimlich und ulkig), in sprachspielerischer Weise offen: (154) Ein Kleri is eher ein Halb Engel und steht der Rolle des Pazifisten am nähsten : ) die können nur lieb gucken und den Schmerz des Kriegers teilen und lindern : ) Klopper Kleri’s in Evil anzug sind irgendwie .. wie soll ich sagen .. [Grübel Modus] … bizarr seltsam gruselig sonderbar eigenartig unheimlich verschroben unnormal ulkig verquer absonderlich schräg unnatürlich [/ Grübel Modus] … genau Unnatürlich ist passend (http: / / fiesta-forum.gamigo.de/ archive/ index. php/ t-44109.html [decow]) Auffällig ist die Kookkurrenz mit vorgeschaltetem naja, ja, oder tja (13 von 20 Belegen, 65%), die den prozeduralen Effekt von wie soll ich sagen als Haltesignal verstärkt (das Wahrig-Wörterbuch spricht von einer „Einschiebung, wenn man nach Worten sucht“, Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). Nimmt man zusätzlich noch Häsitationsmarkierungen wie mmh und äh hinzu, steigt der Anteil dieser Belege auf 75%. Der rederechtsbezogene Aspekt wie auch die durch die Verzögerung bewirkte Herausstellung und Aufmerksamkeitsbündelung sind ein gesprächsorganisatorisches Merkmal der Formel. <?page no="153"?> Formelüberblick 153 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, beitragsgliedernd, rederechtsbezogen FORM +SM: int-wie, TMP: prs, +MV: sollen, SUB: ich Formel 18: wie soll ich sagen Auch unter den distanzierenden Formeln gibt es einen sprecherexklusiven Bildungstyp. Er bezieht seinen Effekt aus der Kombination der Merkmale +negiert und +direktiv. Die direktive Modalbedeutung wird bei explizit adressatendeiktischer Verwendung durch einen Imperativ, in implizit adressatendeiktischem Gebrauch durch einen deontischen Infinitiv sowie bei generisch-sprecherexklusiver Subjektreferenz durch die Modalverben sollen und mögen oder auch den sogenannten „Heische-Modus“ zum Ausdruck gebracht (vgl. Man nehme ein Pfund Mehl, Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997, S.-610): (155) Wenn Dich das alle s nicht interessiert, so ist das Deine Angelegenheit. Aber sag nicht , solche Hinweise wären nicht konstruktiv, und sage nicht, man hätte Dich nicht über die Fehler aufgeklärt, bevor Du sie endgültig gemacht hast. (http: / / www.mrunix.de/ forums/ showthread.php? s=99bfeee78b6bce9eabc8c2aa4686 c273%26p=330408 [decow]) (156) Wenn ihr das Geld zum Fenster rauswerfen wollt, dann bestellt dieses Angebot, aber nicht sagen keiner hätte euch gewarnt…! ! ! (http: / / www.maepu.de/ dasgrose-leuchten-rezensionen [decow]) (157) Und jetzt möge bitte keiner sagen , dass Testspiele zum testen da sind. (http: / / www.hsv-forum.de/ archive/ index.php/ t-57204.html [decow]) (158) He es soll keiner sagen ich bin ein geizkragen! ! ! (http: / / www.murphyscommunity.de/ forum/ archive/ index.php/ t-6292.html [decow]) (159) Auch die Waldohreulen kommen pünktlich. Man sage nicht , daß Tiere ohne Stundenplan leben. Sie vegetieren keineswegs ins Blaue hinein. (http: / / www. kreis.aw-online.de/ kvar/ VT/ hjb1985/ hjb1985.34.htm [decow]) Mit Bildungen dieses Typs zeigt S Distanz zu einer Position an, indem sich eine (mögliche) Positionierung dieser Art durch P oder Dritte verbeten wird. Zentrale Verfestigung ist das imperativisch-adressatendeiktische sag nicht (3074 Belege, 0,2 Vorkommen pMW). Typische Vorlaufelemente sind jetzt, und, aber und bitte: (160) Was anderes bleibt dir nicht übrig u. jetzt sag nicht die sind so teuer. : D (http: / / www.telefon-treff.de/ showthread/ t-281159-p-24.html [decow]) <?page no="154"?> Positionierung 154 Das distanzierende Merkmal verbindet sich hier mit einem disaffiliativen: S schließt eine mögliche Äußerung der abgelehnten Position durch P vorsorglich als unzulässig aus (und reklamiert damit für sich selbst den Status „K+“). Eine spezifischere Verfestigung innerhalb dieses Musters ist sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt: (161) Aber wenn es dann hinterher pfeift, sag nicht , ich hätte dich nicht gewarnt. (http: / / forum.musikding.de/ vb/ archive/ index.php? t-15393.html [decow]) Die Formel ist ihrem Bezugsausdruck vorangestellt und in keinem der fünf Wörterbücher aufgeführt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM VM: imp, +nicht Formel 19: sag nicht Damit beschließen wir den Überblick über positionierende sagen-Formeln und kommen zur interaktionslinguistischen Vertiefungsstudie in diesem Bereich. Sie widmet sich der häufigsten Distanzierungsformel in den Daten, dem univerbierten Adverb sozusagen. 4.3 Vertiefungsstudie: sozusagen 4.3.1 Überblick und Vorarbeiten Der Marker sozusagen ist der einzige der vier Ausdrücke, die wir im Rahmen unserer-Studie im Detail betrachten, dessen Univerbierung bereits abgeschlossen ist. Er ist als Lemma in allen Standardwörterbüchern des Gegenwartsdeutschen verzeichnet. 108 -Seine Quellstruktur dürfte in Niehüsers „Strukturtyp-II“ für Redecharakteri- 108 In Grimms Deutschem Wörterbuch (DWB) gibt es noch keinen Eintrag als eigenes Lemma, die Wortfolge so zu sagen ist allerdings genannt im Eintrag des Lemmas sagen im Abschnitt-zu „sagen in redewendungen, welche die sprache lebhaft machen, zur bekräftigung, rekapitulation, zur hervorhebung wichtiger theile des satzes dienen“ (Grimm/ Grimm 1984, S.-1658), wo folgende Bedeutungsangabe für sie gegeben wird: „zur stützung des gewählten ausdruckes oder der ausgesprochenen ansicht (ebd., S.- 1659). Die hier vorgenommene Subsumierung unter Ausdrücke, die der sprachlichen „Bekräftigung“ dienen, deckt sich allerdings nicht mit unserer Analyse der Funktion von sozusagen als gerade nicht involvierend-bekräftigend, sondern als distanzierend-mitigierend. <?page no="155"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 155 sierungen, der schematischen Kommentarsatzkonstruktion [um es <irgendwie> zu sagen] zu sehen sein (siehe letzter Abschnitt). 109 Funktionales Kernmerkmal von sozusagen ist die Distanzierung. Sie wird im Rahmen von Abschwächungen in allen vier Funktionsbereichen zum Ausdruck gebracht: als Bezeichnungsmodalisierung, als Gesichtswahrung, als Vagheitsmarkierung und als Reformulierung. Responsiv ist auch ein handlungswertiger Gebrauch möglich, viel typischer ist aber der Gebrauch als unselbstständiger Operator. Neben semantisch substanzhaltigen Gebräuchen gibt es auch rein prozedurale zur Äußerungsgliederung und -verzögerung, denen das distanzierende Kernmerkmal des Markers fehlt. Insgesamt werden in Abschnitt-4.3.3 fünf verschiedene kommunikative Praktiken unterschieden, in deren Rahmen sozusagen zum Einsatz kommt. Bevor wir unsere eigene Studie präsentieren, werden im Rest dieses Abschnitts zunächst einige Vorarbeiten referiert und Bezüge zur Literatur hergestellt. Exemplarisch wird dabei auch ein Text aus dem Bereich der Sprachkritik herangezogen, die häufig Anstoß an einer konstatierten Überverwendung von sozusagen in der Mündlichkeit nimmt. Im Anschluss skizzieren wir zunächst die empirische Basis und das Vorgehen unserer Studie (Abschn.- 4.3.2). Es folgen die Ergebnisse, beginnend mit einer Erläuterung und Illustration der erwähnten fünf Praktiken anhand von authentischen Gesprächsdaten aus FOLK (Abschn.-4.3.3). Schließlich wenden wir uns in Abschnitt- 4.3.4 der lautlichen Realisierung des Markers zu. Betrachtet werden Reduktionserscheinungen und das Potenzial für eine weitergehende Verschmelzung und Erosion der bereits univerbierten Form. In den Blick genommen werden zudem mögliche Zusammenhänge von Reduktion und Gesprächsfunktion. Die Herkunft der Form sieht Wich-Reif (2023, S.-169) in einer „Formulierungsroutine in Form der Phrase so zu sagen“, die „wohl spätestens um 1700 herum aufgekommen“ sei, wie sie unter Hinweis auf eine Abfrage im Deutschen Textarchiv (DTA) veranschlagt. Aus welcher Konstruktion heraus sich diese Routine ihrerseits verfestigt hat, wird nicht erläutert, der Fokus liegt stattdessen auf der späteren Verschmelzung von so zu sagen zu sozusagen. Anhand der Frequenzverläufe im DTA sowie im DWDS-Kernkorpus wird gezeigt, „dass es die monolexematische Form sozusagen erst seit Mitte des 19.- Jahrhunderts gibt“ (ebd., S.- 163). Die spiegelbildlichen Frequenzverläufe der beiden Schreibungen ab diesem Zeitpunkt, an denen die (als Grammatikalisierungsprozess gewertete) „Entwicklung von der Phrase so zu sagen hin zur atomischen Form sozusagen“ (ebd.) nachgezeichnet wird, zeigen eine abgeschlossene Verdrängung der getrennt geschriebenen Variante zu Beginn des 109 Duplâtre (2005, S.- 131) hält auch „eine prädikative Struktur des Typs es ist so zu sagen“ für einen möglichen Ursprung. Zudem verweist Claridge (2013, S.-173) in einer Untersuchung des englischen Äquivalents so to speak/ say auf die Möglichkeit einer Herleitung als Lehnübersetzung des lateinischen ut ita dicam (zu Letzterem vgl. auch Fedriani/ Molinelli 2013), die analog auch für das Deutsche sozusagen zu erwägen wäre. <?page no="156"?> Positionierung 156 20.-Jahrhunderts. Im DWDS-Kernkorpus erreicht die Verwendung des univerbierten sozusagen ihren Höhepunkt dann in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts. In der Spitze liegt die Frequenz des Ausdrucks dort bei über 50 Vorkommen pro Million Textwörter. Seitdem fällt die Kurve wieder und liegt 1990 nur noch bei der Hälfte dieses Werts. Da es sich mittlerweile um ein kodifiziertes Lexem handelt, wird dem Zeichenstatus der Einheit und ihrer möglicherweise weiter voranschreitenden formalen Verschmelzung in der Literatur keine besondere Beachtung geschenkt. Hinweise zur Form beschränken sich auf die Einstufung als Adverb und ihre Zugehörigkeit zu bestimmten angesetzten Unterklassen wie etwa „formal einfaches Kommentaradverb“ (Kaiser/ Schmidt 2016, S.-3), „Prädikationsadverb“ (Duplâtre 2005, S.-136) oder „nicht nacherstfähiger Adverbkonnektor“ (Breindl/ Volodina/ Waßner 2014, S.-1131). Terminologische Unterschiede durchziehen auch die Bemerkungen zur Funktion. Schmale (2021, S.-69) spricht von einem „kommentierende[n] Heckenausdruck“, Kaiser/ Schmidt (2016, S.-2) von einer „metapragmatische[n] Modalisierung“, Niehüser (1987, S.-185) von einer „unspezifische[n] Redecharakterisierung“, Breindl/ Volodina/ Waßner (2014, S.-1140) von einem „reformulierenden Konnektor“ und Dalmas (2021, S.- 5) von einem „Softener“. Obwohl ihre Kategorisierung des Ausdruckstyps von sozusagen letztlich jeweils eine bestimmte Funktion in den Vordergrund stellt, gehen alle genannten Studien davon aus, dass die Zielform mehrere Funktionen besitzt. Am-häufigsten wird auch in der Literatur der Begriff der „Distanzierung“ genannt: Quasi wortgleich wird von einer „Distanzierung von der eigenen Ausdrucksweise“ (Schmale 2021, S.- 83), von „Distanzierung beim Formulieren“ (Dalmas 2021, S.- 1), „Distanzierung vom verwendeten Bezugs-Begriff “ (Kaiser/ Schmidt 2016, S.-6) sowie davon gesprochen, dass man sich „[m]it sozusagen […] von der ausgewählten Ausdrucksweise“ „distanziert“ (Duplâtre 2005, S.- 138), da diese „nicht ganz treffend“ (Kaiser/ Schmidt 2016, S.-6) bzw. „nicht ganz passend“ (Dalmas 2021, S.-1) sei. Manche Darstellungen sehen in diesem Manöver allein eine Notlösung: Sie diene zur Kompensation des Defizits, dass S aktuell keine angemessenere Bezeichnung zur Verfügung steht und deshalb auf einen „potenziell problematischen Begriff “ (Kaiser/ Schmidt 2016, S.-18) zurückgegriffen werden muss, für den um Akzeptanz geworben wird. Andere sehen in der Markierung von Nicht-Übereinstimmung mit dem konventionell Erwartbar(st)en dagegen nicht notwendig das Eingeständnis eines Defizits, sondern mitunter auch im Gegenteil eine Technik zur Erzielung von „semantische[m] Gewinn“, durch den „sich der Sprecher/ Schreiber als besonders ‚sprachgewandt‘“ profiliere (Dalmas 2021, S.-5). Ob eher von einem defensiven Gestus (vorsorgliche Warnung vor einer möglichen Erwartungsverletzung) oder aber einem offensiven gesprochen werden sollte (positive Profilierung mit einem erzielten Distinktionsgewinn), hängt sicher einerseits vom je betrachteten Fall ab (also Merkmalen des konkreten Ausdrucks, der Verwendungssituation und ihrer Beteiligten), liegt andererseits aber auch in Teilen im Auge des Betrachters. <?page no="157"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 157 Ablehnend bewertet wird die durch sozusagen betonbare Unverbindlichkeit einer Bezeichnungswahl vor allem in der nicht-linguistischen Sprachkritik, in der die Form regelmäßig kommentiert wird. 110 Stellvertretend für viele Darstellungen in Blogs, aber auch in Kolumnen und Glossen in den Printmedien sei hier der Beitrag „Das Kulturradio hat ein Problem mit dem Wörtchen ‚so‘“ von Wolfgang Kemp 111 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.11.2022 aufgegriffen. Wie der Titel des Beitrags deutlich macht, geht es nicht nur speziell um sozusagen, sondern allgemeiner um Bildungen mit bzw. Verwendungen von so in informeller Mündlichkeit, die-- wie übrigens auch in Wich-Reif (2023)- - gemeinsam und kontrastierend mit Verwendungen von genau betrachtet werden. Kemp argumentiert, die konstatierte (Über-)Verwendung beider Ausdrücke im Radiofeuilleton stehe miteinander in Verbindung: Auf der einen Seite stehe ein „Jargon der Uneigentlichkeit“, markiert durch „eine Familie von verbalen Weichmachern“ mit dem „Leitwort“ so („[d]ie erste und fatalste Ansteckung finden wir in der Proliferation des Wortes sozusagen“), auf der anderen Seite hingegen „Formeln für letztgültige Gewissheit“. Exemplarisch für letztere stehe „die neue Apodiktik des ‚ganz genau‘“, das stellvertretend für eine Familie von „Floskeln der Absolutheit“ angeführt wird (genannt werden ganz, total, immer, auf jeden Fall, alles und absolut). Letztere seien Indikatoren einer gegenüber sozusagen „gegensätzlich kodierte[n] Redeweise“, die „beiden Extreme“ aber aneinander gebunden: „Die wiederholte Humilitätsgeste (‚man könnte sagen‘) und die eingesprenkelten Sympathiekundgebungen (‚schön, dass du da bist‘) schaffen den sicheren Raum (‚safe space‘), in dem die letztgültigen Wahrheiten (‚ja, absolut‘) eingesetzt werden- - safe heißt: ohne Diskussion im Sinne von Auseinandersetzung, heißt: ohne die Anstrengung einer Begründung, heißt: ohne Beweismaterial und Analyse“. Kemps Kritik zielt damit also vor allem auf eine hinter dem übermäßigen Gebrauch dieser Ausdrücke ausgemachte Haltung, die um keinen Preis anecken mag, die die Zuspitzung und Kontroverse scheut und die ihre fehlende Schärfe und Verbindlichkeit an anderer Stelle-- nämlich dort, wo Zustimmung zu erwarten ist-- durch umso emphatischere Steigerung überkompensiert. Kurzum wird das distanzierende sozusagen (und verwandte Ausdrücke) hier also deutlich abgelehnt, und einmal abgesehen von der persönlichen Meinung des Autors wird damit auch auf Seiten von S eine Problemwahrnehmung unterstellt, die durch das sozusagen angezeigt werde: Die Distanzierung wird mutmaßlich vorgenommen, um einen „potenziell problematischen Begriff “ von voreherein zu entschärfen und so eine mögliche Verletzung des postulierten „safe space“ zu vermeiden. 110 Der Bayerische Rundfunk hat gleich ein regelmäßiges Sendeformat zu Sprachthemen damit überschrieben und produziert einen Podcast mit dem Titel „Sozusagen! “ (vgl. https: / / www.br. de/ mediathek/ podcast/ sozusagen/ 485, Stand: 24.6.2024). 111 Der Verfasser ist Kunsthistoriker und Preisträger der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die ihn für seine wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet hat. <?page no="158"?> Positionierung 158 Wie erwähnt ist das jedoch nicht die einzig denkbare Motivation der Distanzierung. Die Demonstration, dass S zur Lösung eines gegebenen Bezeichnungsproblems nicht nur die naheliegendste und vorhersehbarste Option einfällt, sondern auch noch weitere geeignete Lösungen zu Gebote stehen und nach Bedarf improvisiert werden könnten, lässt sich auch als Zurschaustellung von „kommunikative[r] Kompetenz“ (Schmale 2021, S.-84) bzw. „Sprachgewandtheit“ (Dalmas 2021, S.-5) interpretieren. Ähnlich spricht Duplâtre (2005, S.-141) davon, dass sozusagen häufig Reformulierungen einleitet, durch die „Lebhaftigkeit in den Text hineingebracht [wird], was dazu beiträgt, die Aufmerksamkeit des Hörers aufrechtzuerhalten“. Auch dies ist nicht mit einem Begriff von Distanzierung kompatibel, der per definitionem auf das Eingeständnis eines Defizits beschränkt ist. Wovon auch immer man die Distanzierung in einem gegebenen Fall veranlasst sehen mag: Duplâtres Hinweis deutet zudem an, dass sie häufig nicht für sich alleine steht, sondern ihr weitere Funktionsmerkmale zur Seite treten. Mehrere Darstellungen weisen auf den Funktionsaspekt der Reformulierung hin, wobei insbesondere die Reformulierung durch vorgeprägte Versatzstücke und/ oder figurative Sprache betont wird (Breindl/ Volodina/ Waßner 2014, S.- 677, 1143; Dalmas 2021, S.- 4 f.; Schmale 2021, S.-84; Kaiser/ Schmidt 2016, S.-11). 112 Dalmas (2021, S.-3) verweist zudem auf ein häufiges Auftreten in „definitorische[n], charakterisierende[n] Aussagen“. Nimmt man zusätzlich die von Kaiser/ Schmidt (2016, S.- 18) angesprochenen Verwendungen „im Sinne des preemptive face-work“, die von Duplâtre (2005) genannten Verwendungen als „Fokuspartikel“ (ebd., S.-133) sowie als „antwortpartikelähnlich“ gebrauchte Einheit (ebd., S.-132) und die von Schmale (2021, S.-83) sogar als Kernfunktion postulierte „Vagheitsmarkierung“ hinzu, 113 klingen beinahe alle der im Folgenden unterschiedenen fünf Praktiken bereits in irgendeiner Weise in der Literatur an. 4.3.2 Daten und Vorgehen Die interaktionslinguistische Vertiefungsstudie zu sozusagen basiert auf einer Untersuchung im Korpus FOLK. Gesucht wurde in Version-2.14 der Datenbank für Gesprochenes Deutsch (DGD) nach Instanzen der Wortform „sozusagen“. Aus den erzielten über 1.000 Treffern wurde zunächst eine Zufallsstichprobe von 500 Instanzen gezogen. Innerhalb dieser Gruppe wurden dann so viele Belege ausgewertet, bis insgesamt 250 valide Instanzen beisammen waren. Valide Belege waren alle, die ers- 112 Sehr ähnlich setzt auch Imo (2016, S.-15) in einer Studie zum funktional eng verwandten Marker quasi die „Markierung von metaphorischem Sprechen“ als eine von fünf Funktionen der Einheit an. 113 In Schmales Beitrag wird der Begriff der „Vagheitsmarkierung“ allerdings nur teilweise deckungsgleich mit dem gebraucht, was wir darunter verstehen. <?page no="159"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 159 tens unzweifelhaft als Instanz von sozusagen und zweitens in ihrem Kontext soweit verständlich und vollständig waren, dass eine Analyse ihrer Interaktionsfunktion(en) möglich war. Nicht-valide Belege in diesem Sinne waren also z. B. fehltranskribierte falsche Positive, im Audio maskierte Treffer oder Vorkommen in nicht rekonstruierbaren Abbrüchen. Die auf diese Weise ermittelten 250 Belege bilden die Grundlage unserer Untersuchung. Um die-- ja erst im Laufe der Analyse ermittelten-- kommunikativen Praktiken zu identifizieren, die mit dem Marker in den Daten vollzogen werden, wurden diese Belege für die in Kapitel-3 genannten Merkmale ausgezeichnet. Für die im Laufe der Analyse herausgearbeiteten Praktiken wurden dabei die folgenden Bezeichnungen (und in Klammern angegebenen Paraphrasen) vergeben: „Bezeichnungsmodalisierung“ (‚man könnte sagen‘), „Gesichtswahrung“ (‚(bitte) nicht falsch verstehen‘), „Vagheitsmarkierung“ (‚ungefähr/ vielleicht‘), „Reformulierung“ (‚mit anderen Worten‘), „Zustimmung“ (‚ja, genau‘), „Definition“ (‚kurz gesagt‘), „Vergewisserung“ (‚kann man das so sagen? ‘) und „Prozedurale Verwendung“ (keine Paraphrase, bei Verwendungen zum Beispiel als desemantisierte Fokuspartikel). Bei Verwendungen der Kategorien „Bezeichnungsmodalisierung“, „Gesichtswahrung“, „Vagheitsmarkierung“ und „Reformulierung“ handelt es sich um geltungseinschränkende Heckenausdrücke, bei denen sich das distanzierende Funktionsmerkmal ggf. mit einer weiteren Eigenschaft aus den Bereichen Koordination, Epistemik und Gesprächsorganisation verbindet (vgl. Abschn.-4.2). Diese Varianten werden im Folgenden separat illustriert, in der Auswertung jedoch zu einer einzigen Praktik namens „Abschwächung“ zusammengefasst. Alle Belege wurden von mindestens zwei Annotatoren unabhängig bearbeitet, Differenzen in der Auszeichnung wurden in einer Nachbesprechung diskutiert und aufgelöst. Auch die Untersuchung zur lautlichen Realisierung des Markers basiert auf Daten aus FOLK. Untersucht wurden sie auf eine mögliche Reduktion des [a]-Lauts im Segment / sagen/ , Reduktions- und Reanalyseprozesse an den markerinternen vormaligen Wortgrenzen, die Akzentstruktur und prosodische Autonomie der Form sowie mögliche Zusammenhänge von lautlicher Reduktion und kommunikativer-Praktik. Für einige dieser Teilfragen war die Realisierung eines Segments von sozusagen mit seinem Vorkommen in anderen Kontexten zu vergleichen. Details zu diesen Vergleichskontexten wie auch zum Vorgehen im Rahmen der phonetischen Untersuchung allgemein werden in Abschnitt-4.3.4 berichtet. 4.3.3 Praktiken Der folgende Abschnitt-stellt insgesamt fünf kommunikative Praktiken vor, die mit dem Marker sozusagen in den FOLK-Daten vollzogen werden. Tabelle- 4 gibt einen Überblick über ihre Häufigkeiten in der Stichprobe: <?page no="160"?> Positionierung 160 Rang Praktik Belege 1 Abschwächung 181 (72,4%) --Bezeichnungsmodalisierung (122) --Reformulierung (48) --Gesichtswahrung (9) --Vagheitsmarkierung (2) 2 Prozedurale Verwendung 34 (13,6%) 3 Modalisierte Definition 18 (7,2%) 4 Modalisierte Vergewisserung 15 (6%) 5 Zustimmung 2 (0,8%) Tab.-4: Kommunikative Praktiken in FOLK 4.3.3.1 Abschwächung Der typische Gebrauch von sozusagen ist die Verwendung als abschwächender Heckenausdruck, und innerhalb dieser Kategorie der Einsatz zur rein formulierunsgbezogenen Bezeichnungsmodalisierung. Angezeigt wird, dass es sich bei dem Skopusausdruck um eine Stegreifformulierung handelt, auf die sich S im Zweifelsfall nicht festlegen lassen möchte. Paraphrasierbar ist die Verwendung mit man könnte sagen/ könnte man sagen oder auch wenn man so will. Die Modalisierung kann sich sowohl auf ein einzelnes Wort als auch auf eine komplexere Formulierung beziehen: (162) und die sind so gekräuselt sozusagen und da gehen die so in alle Richtungen das sieht ganz cool aus (FOLK_E_00347_SE_01_T_02_DF_01, c518) (163) äh also ich ich habe halt es Gefühl dass das am Ende dann so ein bisschen ins Nirgendwo sozusagen äh fließt (FOLK_E_00061_SE_01_T_01_DF_01, c684) Wie erwähnt kann die Distanzierung unterschiedliche Gründe haben. Zum einen kann ihr Hintergrund ein Bezeichnungsproblem sein, mit dessen vorgeschlagener Lösung S selbst nicht recht zufrieden ist. Markiert wird in diesem Fall, dass die gerahmte Formulierung vielleicht nicht optimal, aber erhofftermaßen gut genug ist, um die intendierte Bedeutung zu erfassen: (164) bis äh also Du machst so eine so eine runde Ecke sozusagen also umrundest hinten die Burger (FOLK_E_00099_SE_01_T_01_DF_01, c759) Die betreffende Formulierung kann dabei aus verschiedenen Gründen nur bedingt tauglich erscheinen-- z. B. weil sie widersprüchlich, umständlich oder aus anderen Gründen schwer verständlich wirken könnte, stilistisch unglücklich ist oder soziale Assoziationen weckt, die S für das eigene Sprechen unpassend erscheinen. Umgekehrt kann es jedoch auch sein, dass S eine ungewöhnliche Formulierung für mar- <?page no="161"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 161 kierungswürdig hält, weil sie eine besonders originelle und deshalb gelungene, mit anderen Worten also gerade nicht defizitäre Bezeichnungslösung darstellt. Durch die Wahl einer solchen Lösung-- als einer von vielen möglichen, die zu Gebote stünden-- stellt S im Gegenteil die eigene Formulierungskompetenz und -kreativität in einer Situation zur Schau, in der er es vielleicht auch naheliegendere Optionen gegeben hätte, die intendierte Bedeutung zu versprachlichen. Ein Beispiel für eine solche Verwendung liefert der Ausschnitt in (165), der einer Unterrichtsstunde in einer Fahrschule entnommen ist. Sprecherin HM, eine Fahrlehrerin, spricht über einen bestimmten Kreisel an einem Ort, an dem der Verkehr zuvor mit AMpeln wahrscheinlisch geregelt gewesen sei. Anstelle etwa die unauffällige Formulierung zu wählen, die Kreuzung sei „in einen Kreisel umgebaut“ worden, bezeichnet sie die Umgestaltung der Ampelkreuzung in einen Kreisverkehr prägnant mit dem auch prosodisch deutlich hervorgehobenen Okkasionalismus, die Kreuzug sei verKREIselt worden-- sozusAgen: (165) „Verkreiselt“, FOLK_E_00349_SE_01_T_02_DF_01_c417-423 (Fahrschulgespräch) 01 HM also DES is son ganz normAler (0.25) äh (.) krEIsel; 02 (0.38) 03 HM geNAUso einer mit- °hh 04 wo früher mal ne KREUzung gewesen ist- 05 mit AMpeln wahrscheinlisch- 06 das ham se jetzt halt HIER- (0.35) → 07 verKREIselt ˌsotsuˈzaːŋ̍ . °hh Sequenziell sind rein bezeichnungsmodalisierende Gebräuche aufgrund ihrer fehlenden Handlungswertigkeit ungebunden. Ihrem Bezugsausdruck sind sie zumeist-- anders als in (165)-- vorangestellt: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM sozusagen Koordinationsbezogen sind Fälle, in denen die Distanzierung nicht allein zur Signalisierung von Bezeichnungskontingenz, sondern zu Zwecken der Gesichtswahrung eingesetzt wird. In den Daten handelt es sich dabei ausschließlich um Verwendungen, in denen eine mögliche Bedrohung des eigenen Gesichts adressiert wird und die mit ‚(bitte) nicht falsch verstehen‘ paraphrasierbar sind. Beispiel (166) ist einem privaten Alltagsgespräch unter Freunden entnommen. Sprecher NG führt zu Beginn des Ausschnitts mit der Phrase meine Oma einen neuen <?page no="162"?> Positionierung 162 Referenten ein. Bevor die Prädikation, in der dieser Referent als Subjekt auftritt, in Zeile-13 schließlich formuliert wird, sieht NG zunächst noch Bedarf, ihn eingehender zu charakterisieren. In einem ersten Ansatz dazu wird der Ausdruck meine Oma zunächst als die ZWEIte frau von meim Opa reformuliert. Damit ist aber auch noch nicht benannt, worauf NG eigentlich hinauswill, nämlich dass besagte Oma keine leibliche Verwandte von ihm ist. In einem zweiten Anlauf dazu wählt er die stockend realisierte Formulierung also is NICHT (0.5) nich unser BLUT, die in der implizierten begrifflichen Entgegensetzung von „eigenem Blut“ und „fremdem Blut“ eine ideologisch belastete Metaphorik anklingen lässt, die ggf. ein schlechtes Licht auf NG und seine Wortwahl werfen könnte. Die nachgeschobene sozusagen-Distanzierung deutet darauf hin, dass NG sich dieser möglichen Konnotation seiner Wortwahl wohl bewusst ist-- wie vielleicht auch Adressatin ZF, die sich in Zeile-12 zu der in dieser Hinsicht unverfänglichen Fremdreparatur ANgeheiratete oma veranlasst sieht: (166) „Nicht unser Blut“, FOLK_E_00293_SE_01_T_02_DF_01, c809-821 (Tischgespräch) 01 NG un meine Oma- 02 (0.82) 03 NG ((schmatzt)) is ja die ZWEIte frau von meim Opa- 04 (0.27) 05 NG also is NICHT- 06 (0.5) → 07 NG nich unser BLUT sotsʊˈzaː [ ɡŋ̍ aber,] 08 GS [hm_hm ] 09 (0.23) 10 NG is halt TROTZdem ja, °hh 11 GS j[a. ] 12 ZF [ANg]eheira[tete oma.] 13 NG [ähm ] die is jEtz ins ALtersheim gegangen. Gesichtswahrende Verwendungen sind in zwei Dritteln der Fälle vorangestellt bzw. in ihren Skopusausdruck eingebettet. Die ausgewertete Stichprobe enthielt allerdings auch nur neun Instanzen dieser Variante insgesamt. Wie in Kapitel- 3 dargelegt, geben wir die dominante Gebrauchstendenz auch für Praktiken mit sehr wenigen Treffern an (<10), setzen die Angabe dann jedoch in Klammern: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT (vorangestellt) FUNKTION distanzierend, facebezogen FORM sozusagen <?page no="163"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 163 In Vagheitsmarkierungen ist die Distanzierung dagegen epistemisch veranlasst: Entweder kann S etwas nicht genauer benennen als mit dem (vagen) Bezugsausdruck, oder S möchte keine Verantwortung dafür übernehmen, dass der (nicht notwendigerweise vage) Bezugsausdruck auch wirklich zutrifft. Mögliche Paraphrasen sind ungefähr und vielleicht. Beispiel (167) entstammt einer Maptask-Interaktion. Sprecher HAN3 gibt die Instruktionen und orientiert seine Partnerin HAN4 zunächst über den Verlauf der weiteren Linienführung und die dabei zu passierenden Landmarken SANDuhr und ZAHNbürste. HAN4 signalisiert mit Okay und MACH ich, dass sie folgen kann und die Instruktion soweit erfolgreich intersubjektiviert ist. Im nächsten Schritt adressiert HAN3 die Länge der einzuzeichnenden Linie, deren Ende mit der Formulierung ah ANderthalb zentimEter sozusagen Über der sAnduhr bestimmt wird: (167) „Sanduhr“, FOLK_E_00090_SE_01_T_01_DF_01_c608-621 (Maptask) 01 HAN3 also du (.) bist GRAde nach rEchts, (.) 02 also hor[izonTAL] nich diagonAl, 03 HAN4 [hm_hm ] 04 HAN3 °hh und hörst dA auf so dass du denn (.) daNACH eine lInie ziehen kannst, (.) 05 die- 06 °h sEnkrecht nach Oben führt, 07 HAN4 (.) hm_hm 08 HAN3 °h ((räuspert sich)) 09 die genAU (.) zwischen (.) SANDuhr und ZAHNbürste (.) entlang führt; 10 HAN4 Okay. 11 (0.57) 12 HAN3 °hh 13 HAN4 MACH ich. 14 (1.45) 15 HAN4 hm_hm. (.) h° 16 HAN3 °h so du gehst jetzt ziehtste halt jetz die LInie zwischen sAnduhr und zAHnbürste entlang, 17 HAN4 [ja.] 18 HAN3 [°h ] und HÖRST etwa- °h (.) → 19 ah ANderthalb zentimEter zotsʊˈzaːŋ̍ - (.) 20 über der SANDuhr auf. 21 HAN4 Okay. 22 HAN3 So ʔin_er Höhe. 23 °hh (.) danAch gehst du nach LINKS, wieder horizontAl, Vagheitsmarkierende Verwendungen von sozusagen, die sich wie das Vorkommen in (167) mit ‚ungefähr‘ paraphrasieren lassen, gab es insgesamt nur zweimal in der Stichprobe. In beiden Fällen ist der Marker nachgestellt. <?page no="164"?> Positionierung 164 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT (nachgestellt) FUNKTION distanzierend, K- FORM sozusagen Häufig verbindet sich der distanzierende Funktionsaspekt von sozusagen auch mit einem reformulierenden. Angezeigt wird dann, dass ein bereits produzierter Ausdruck A durch einen Ausdruck B zu ersetzen oder mit Bedeutungskomponenten dieses zweiten Ausdrucks anzureichern ist. 114 Reformulierende Verwendungen lassen sich durch die Formel mit anderen Worten paraphrasieren. Sie können zum einen der Veranschaulichung und der Verdeutlichung dienen: In (168) etwa sorgt die Reformulierung für eine größere Eindringlichkeit der Schilderung, indem sie eine abstrakte Veranschlagung mit einer bildhaft dargestellten Konsequenz illustriert. Dadurch wird „Lebhaftigkeit in den Text hineingebracht“, wie Duplâtre (2005, S.-141) formuliert: (168) ich habe den Eindruck das wurmt sie schon dass halt die andere Familie so sehr viel mehr Geld hat und das halt sozusagen übernehmen alles kann mit einem Fingerschnippen (FOLK_E_00220_SE_01_T_04_DF_01, c402) Verwandt damit ist die „Übersetzung“ eines Ausdrucks in eine Reformulierung auf einer anderen Registerebene. Duplâtre (ebd.) spricht davon, dass eine „fachsprachliche, ja jargonartige Ausdrucksweise […] durch eine zugänglichere Ausdrucksweise ersetzt [wird]“. Ein solcher Fall ist der Beleg in Ausschnitt (169), der einer Nachbesprechung zu einer Unterrichtshospitation entnommen ist. Betreuer VD möchte Referendarin KH nach dem bisherigen Feedback noch einen weiteren Rat mit auf den Weg geben. Er beginnt seine Äußerung mit einem kurzen Vorspann, der die folgende Empfehlung als einen persönlichen Rat außerhalb der offiziellen Rückmeldung rahmt. Er greift dafür zunächst zu der Formulierung AUßerhalb des protokOlls noch mal jetz, von der er sich aber noch im Verlauf der Äußerung mit einem eingeschobenen sozusagen wieder distanziert (vielleicht, weil sie dem angekündigten Wechsel auf eine privatere Ebene stilistisch gerade nicht entspricht). Nach einer kurzen Häsitation leitet er dann mit einem weiteren sozusagen in Zeile-3 die Reformulierung unter UNS mEhr ein, bevor die angekündigte Empfehlung ausgesprochen wird: 114 Duplâtre (2005, S.-141) spricht davon, „dem Text ein neues Element einzuverleiben, das eine bessere Vorstellung des vorher Dargestellten ermöglicht“. <?page no="165"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 165 (169) „Unter uns“, FOLK_E_00250_SE_01_T_02_DF_01_c988-c999 (Unterrichtshospitation) 01 VD °h ähm 02 VD AUßerhalb des protokOlls sozusagen noch mal jetz, → 03 <<p> äh zǝˈtsaːŋ̍ unter UNS mEhr,> 04 °hh kontrolLIERN sie auch noch, 05 (-) äh (-) 06 so so KLEInere sachen; (.) 07 ähm (-) 08 verbIEten sie sich doch einfach mal den MUND. 09 KH (.) ((Lachansatz)) 10 VD (-)ich sAch_s mal_n bisschen saLOPP; Auch die reformulierenden Verwendungen in (168) und (169) sind Operatorgebräuche, die nicht die Haupthandlung des Redezugs darstellen. Entsprechend ungebunden sind sie sequenziell. Ihre Position zwischen dem reformulierten und dem reformulierenden Ausdruck bezeichnen wir als „medial“. Schematisch ergibt sich folgendes Profil: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT medial FUNKTION distanzierend, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM sozusagen Neben solchen nicht-handlungswertigen Reformulierungen gibt es allerdings auch zwei typische Verwendungen, in denen reformulierungsanzeigendes sozusagen Bestandteil einer Praktik ist, die die Haupthandlung des jeweiligen Redezugs vollziehen kann. Dabei tritt der Marker entweder im Kontext einer Definition (vgl. Abschn.-4.3.3.3) oder einer Vergewisserung auf (vgl. 4.3.3.4). 4.3.3.2 Zustimmung Dass sich die sozusagen-Distanzierung speziell auf die Ausdrucksebene bezieht, erweist sich nicht zuletzt daran, dass der Marker in inhaltlicher Hinsicht sogar zur Signalisierung von Zustimmung verwendet werden kann. Bei solchen Vorkommen handelt es sich um Verwendungen, deren Bezugsausdruck eine Formulierung in einer Partneräußerung ist. In Reaktion darauf kann sozusagen als handlungswertige Zustimmung zum Inhalt dieser Äußerung verwendet werden, die gleichzeitig einen distanzierenden Kommentar zu ihrer Form mit einschließt. <?page no="166"?> Positionierung 166 Beispiel (170) ist einem Gespräch bei einem Spaziergang entnommen. Kurz vor dem Ausschnitt hat Sprecherin SH mit der Äußerung das mUster von der RINde, (-) an dem BAUM hier vorn, is Echt RICHtig- (-) KRASS die Aufmerksamkeit ihrer Partnerin CF auf einen Baum gelenkt, in dessen Borke sie ein Gesicht zu erkennen meint. CF stimmt zu, dass es sich um eine interessant aussehende Form handelt, gibt jedoch an, nichts Figürliches darin erkennen zu können. SH wiederholt zu Beginn des Ausschnitts also ich SEH da_n gesicht und beginnt dann, die einzelnen Elemente dieses Gesichts zu identifizieren. In Zeile- 8-9 benutzt sie dabei die Formulierung in die NAse läuft so die ähm: (.) die AUgenbraue rein, auf die CF mit einem ungläubigen Repeat sowie der anschließenden Frage bist du piCASso? reagiert. SH ihrerseits quittiert das mit einem Lachen und der zustimmend-bestätigenden Antwort JA sOzuSAgen, überführt CFs nicht wörtlich zu verstehende Frage dann allerdings in die ihr angemessener erscheinende Reformulierung es sieht AUS wie (.) wie ein BAUMpicasso: (170) „Baumpicasso“, FOLK_E_00260_SE_01_T_02_DF_01_c186-207 (Spaziergang mit Hund) 01 SH °h (.) also ich SEH da_n gesicht. 02 ähm: - (.) 03 °h is so_n bisschen oVAL, (--) 04 mit relativ hohen WANgenknochen, (--) 05 ähm: - 06 (0.85) 07 SH ne (.) die nAse geht so nach ´RECHT und is ganz ´SCHRÄG, °h 08 (-) und (.) in die NAse läuft so die ähm: , (.) 09 die AUgenbraue rein, 10 (0.72) 11 CF IN die [nAse läuf]t die au[genbraue rein? ] 12 SH [und so_n ] 13 [°h nein ich ] MEIne- 14 (0.29) 15 CF [bist du piCASs]o? 16 SH [((lacht)) ] 17 (0.2) 18 SH <<lachend> JA.> → 19 <<creeky> ˌzotsǝˈzɐŋ . 20 es sieht AUS wie→ (.) 21 °h (.) wie ein BAUMpicasso. 22 (1.8) 23 SH und irgendwie so ner ganz WULstigen oberlippe. 24 (0.93) 25 SH vielleich is auch_n BART, 26 ich WEIß es nich. (1.14) <?page no="167"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 167 Zwar wird in (170) die Zustimmung auch bereits durch die Antwortpartikel JA signalisiert, in anderen Verwendungen dieser Art besorgt das sozusagen das jedoch alleine. Der responsive Gebrauch ist insofern handlungswertig und demonstriert, dass sozusagen auch freistehend als komplette Turnkonstruktionseinheit verwendet werden kann. TYP handlungswertig HANDLUNG Zustimmung KONTEXT 2. Sequenzposition, freistehend FUNKTION distanzierend, affiliativ, K= FORM sozusagen 4.3.3.3 Modalisierte Definition Auch Definitionen sind Reformulierungen: Sie überführen eine Bezeichnung (das Definiendum) in eine Reformulierung (durch das Definiens). Zu unterscheiden ist zwischen Definitionen lexikalisierter und nicht-lexikalisierter Bedeutungen. Lexikalisierte Bedeutungen werden in Situationen definiert, in denen P eine verwendete Bezeichnung (mutmaßlich) unbekannt ist. Sie sind in der Regel durch ein manifest gewordenes Verstehensproblem veranlasst und insofern typischerweise reaktiv: Entweder gibt eine S unpassend erscheinende Begriffsverwendung Ps Anlass zur Definition des fraglichen Begriffs, oder die Definition ist explizit fremdinitiiert durch P. Eine Paraphrase speziell für definierende Verwendungen ist kurz gesagt, das eine pointierte Reformulierung projiziert. Ein in mehrerlei Hinsicht prototypisches Beispiel ist die Verwendung in (171), einem Ausschnitt aus der Mediation zu Stuttgart 21. Es spricht Gangolf Stocker (GS), ein als Sprecher des Aktionsbündnisses gegen das Projekt bekannt gewordener Kunstmaler, der allerdings auch über eine Ausbildung und berufliche Erfahrung im Bereich Vermessungstechnik verfügt und sich hier insofern als Experte äußert. GS referiert über eine mit dem geplanten Vorhaben verbundene Grundwasserabsenkung und erwähnt in diesem Zusammenhang den NEsenbachdüker. An dieser Stelle wird er von Schlichter Heiner Geißler (HG) unterbrochen, der seinen Pflichten als Gesprächsleiter nachkommt, indem er eine Bedeutungsklärung für den potenziell unbekannten Begriff einfordert (sagen sie den leuten was (.) ein DÜker ischt). Daraufhin liefert GS die-- von der rechtfertigenden Parenthese s hattn_mer vorhin schon behandelt flankierte- - Definition ein DÜker (.) Ist sozusagen eine (.) UMleitung nach (.) UNten (.) unter ein bauwerk, die HG mit Okay ratifiziert und damit die Klärungssequenz beendet: <?page no="168"?> Positionierung 168 (171) „Düker“, FOLK_E_00069_SE_01_T_05_DF_01, c633-640 (Schlichtungsgespräch) 01 GS und sie sehen gleich auf der ersten Folie- (.) 02 es werden im LAUfe der bauzeit drEI milliarden liter (.) grundwasser abgepumpt. 03 (.)°hhh der grundwasserspiegel wird um (.) zwölf komma fÜnf MEter- 04 (.) beim NEsenbachdükerh° 05 °h (.) da müss mer uns wahrscheinlich NACHher nochmal unterhalten, 06 um achtzehn komma DREI meter abgesenkt; (0.48) 07 °hh [(.) und es re ] 08 HG [sagen sie den leuten was (.)] ein DÜker ischt. 09 GS °h ein DÜker- (.) 10 <<all> s hattn_mer vOrhin schon beHANdelt,> 11 ist- → 12 °h ˌsɔtsǝˈsaˑŋ̍ eine UMleitung- 13 nach UNten- (.) 14 unter ein BAUwerk. 15 HG (.) Okay. 16 GS des heißt also DIE- (.) 17 °h wenn ses von (.) wenn mer_s von rechts nach LINKS machen muss die lInke seite- 18 °h etwas (.) TIEfer liegen als die rechte damit des wasser dann auch (.) flIEßt. 19 HG (.) GUT. Funktional verbindet sich in (171) der distanzierende Disclaimer bezüglich des improvisierten Charakters des Definiens mit dem wissensanzeigenden Merkmal „K+“, das durch die Handlung des Definierens unweigerlich beansprucht wird. Strukturell weist der Beleg in (171) die für diese Praktik typische formale Gestalt ein X Definiendum ist sozusagen ein Y Definiens auf. 115 Als vorangestelltes Vorkommen in dritter Sequenzposition ist der Beleg in (171) somit auch in formaler und kontextueller Hinsicht typisch für die Verwendung im Rahmen einer Definition. Völlig gebunden ist die definierende Verwendung an diese grammatische und sequenzielle Umgebung aber nicht. In (172) schließt sich die explizierende Reformulierung zum Beispiel als parenthetischer Einschub an das Definiendum an. Der Beleg 115 Häufigste Realisierung sind Prädikativkonstruktionen mit der Kopula sein, in der das sozusagen kanonischerweise die Position vor dem rhematischen Prädikatsnomen besetzt, auf das sich die Distanzierung bezieht. Daneben sind auch Vorkommen mit prädikativen als-Konjunktionalphrasen gebräuchlich (<Jemand/ Etwas> verb-t (<Etwas>) als <Etwas>, vgl. etwas dient sozusagen als Warnung). <?page no="169"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 169 entstammt einer Stadtführung durch das Berliner Regierungsviertel, in deren Rahmen der Führer die Architektur eines großflächig verglasten Gebäudes, in dem die ständigen Parlamentsausschüsse untergebracht sind, mit dem Begriff der „Transparenz“ in Verbindung bringt, für den er eine konkrete Begriffsklärung im Kontext einflicht: (172) einmal natürlich die transparenz man kann sozusagen gucken ne wenn die da arbeiten vorausgesetzt die lassen nicht die Jalousien runter (FOLK_E_00311_ SE_01_T_01_DF_01, c1250) Der definierend-spezifierende Charakter der Parenthese erweist sich an ihrer funktionserhaltenden Umformbarkeit in das prädikative Standardformat (‚Transparenz ist sozusagen wenn man gucken kann wie die da arbeiten‘). Auch eine Ersetzbarkeit mit kurz gesagt ist in diesem Beleg gegeben. Nicht wesentlich anders funktionieren Definitionen nicht-lexikalisierter Bedeutungen, deren Hauptunterschied darin besteht, dass für das erste Element, das Definiendum, eben keine konventionelle Bezeichnung angeführt werden kann. Diese Situation ist nicht ungewöhnlich: Die Menge der kontextspezifisch gebildeten Konzepte, die für eine sprachliche Thematisierung relevant werden könnten, ist prinzipiell unendlich und kann von keiner Sprache mit einem endlichen Lexikon abgedeckt werden. Der Psychologe Lawrence Barsalou hat für solche ephemeren Konzeptualisierungen den Begriff der ad hoc-Kategorie bzw. der ad hoc-Kategorisierung geprägt (Barsalou 1983, 2010), der in den vergangenen Jahren auch in (interaktions-)linguistischen Zusammenhängen diskutiert worden ist (vgl. die Beiträge zum Sonderheft „Linguistic strategies for the construction of ad hoc categories: synchronic and diachronic perspectives“ in Band 52 von Folia Linguistica sowie in dem Sammelband von Mauri/ Fiorentini/ Goria 2021). Eine gängige Strategie, um solche nicht lexikalisierten Kategorien zu evozieren und sie im Verlauf der Interaktion kooperativ auszuspezifizieren, besteht in der Nennung einzelner zugehöriger Instanzen nebst Hinweisen auf das sie verbindende Merkmal bzw. den sie verbindenden Frame. Ein Beispiel für eine sozusagen-Definition eines solchen nicht-lexikalisierten Konzepts ist (173). Der Beleg entstammt derselben Interaktion wie (172). Stadtführer TO weist zunächst in Zeile-5 auf einige Giebelverzierungen (sogenannte „Akrotere“) hin, die eine Reihe bildhafter Darstellungen zeigen. Konkret geht es um Symbolisierungen der TIERzucht des ACkerbaus und des FISCHfangs, wie er in Zeile- 9-17 erläutert. Als Liste von Instanzen evozieren diese drei Begriffe eine übergeordnete nicht-lexikalisierte Kategorie (das Definiendum), die in Zeile-20 mit dem Definiens die TÄtigkeiten die man hier so auf dem lAnd ausgeübt hat definiert (bzw. dadurch reformuliert) wird: <?page no="170"?> Positionierung 170 (173) „Akrotere“, FOLK_E_00311_SE_01_T_01_DF_01_c0241-0266 (Stadtführung)) 01 TO °hh und was wir hier <<h> ´AUCH schön sehn können→ 02 diesen <<h> ´GIEbel über dem eingang→ (-) 03 ne das ist so_n klassiZIStisches elemEnt? 04 was den EINgang noch mal besonders betOnt? (--) 05 <<len, segmentierend artikuliert> Und AUf dem gIEbel> sehn wir diese sogenannten drei gIEbelakroTEre- (-) 06 das sind drei PLAStiken- (-) 07 und dIE erzähln uns auch bisschen was wieder über diese damalige LAge? (-) 08 ne und zwar ham wir_s hier mit bIldhaften DARstellungen einmal- (0.39) 09 des ACkerbaus- (0.56) 10 in der MITte- (1.24) 11 ähm (1.55) 12 des (.) der der na (0.4) 13 der f äh NEE; 14 TSCHULdigung; 15 °h also der (0.33) der TIERzucht- 16 des ACkerbaus- 17 °h und des FISCHfangs; 19 ne das wird hier bildlich DARgestellt; 19 und das äh sacht ja AUCH, → 20 das warn damals sǝˈtsan die TÄtigkeiten die man hier so auf dem lAnd ausgeübt hat.= 21 =ne? 22 (0.53) 23 TO okay, 24 nu GEH_me ma weiter. Neben ihren positionierenden und epistemischen Merkmalen weisen Definitionen mit sozusagen auch ein facebezogenes Moment auf, indem die Distanzierung den reklamierten Wissensvorsprung wieder herunterspielt und die geleistete Definition auf diese Weise wenig apodiktisch als „eine Möglichkeit unter vielen“ apostrophiert. Vielleicht noch deutlicher als in anderen Verwendungen tritt hier insofern das zutage, was Wolfgang Kemp in dem eingangs zitierten Artikel in der FAZ als „anspruchslose, nicht autoritäre Geste“ bzw. als sprachliche „Humilitätsgeste“ einordnet. Positionell ist der Marker in seinen Bezugsausdruck, die definierende Prädikativkonstruktion, eingebettet, steht allerdings vor der rhematischen Definiensposition. Wie in Kapitel-3 erläutert, würden solche Vorkommen in positioneller Hinsicht normalerweise als „vorangestellt“ gewertet. Im vorliegenden Fall analysieren wir den Marker allerdings als Teil einer komplexen Konstruktion, die als Ganze die Ausdrucksseite einer handlungswertigen Definitionspraktik darstellt. Entsprechend ist bei der Formspezifikation der Praktik nicht allein das Adverb sozusagen angegeben, sondern das komplette Schema „SUB [sein] sozusagen PRD“ und als dessen Kontextmerkmal die Eigenschaft, (potenziell) turnwertig freizustehen. <?page no="171"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 171 TYP handlungswertig HANDLUNG modalisierte Definition KONTEXT Sequenz: unspezifisch, Turn: medial FUNKTION distanzierend, facebezogen, K+, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM SUBJ [SEIN] sozusagen PRD 4.3.3.4 Modalisierte Vergewisserung Ebenfalls reformulierend und handlungswertig ist der Gebrauch von sozusagen als Bestandteil einer Vergewisserung. S dokumentiert damit, wie vorangegangene Ausführungen Ps verstanden wurden und legt P dieses candidate understanding (Antaki 2012) in Gestalt einer zusammenfassenden Reformulierung zur Bestätigung vor. Deppermann (2011b, S.-155) spricht bei solchen Reformulierungen von Verbegrifflichung („notionalization“) bzw. einer „transformation of descriptions into categorizations“. Damit ist sowohl die reformulierende als auch die kategorisierende, begrifflich kondensierende Qualität dieser Praktik benannt. Ähnlich wie im Fall der Definition fungiert das sozusagen innerhalb dieser Handlung als Operator, der Distanzierung und Reformulierung anzeigt, nicht aber die Vergewisserungshandlung selbst ins Werk setzt. Dennoch erweisen sich sowohl Definitionsals auch Vergewisserungshandlungen als eine häufige Umgebung für den Marker, der in umgekehrter-Perspektive insofern als typischer Bestandteil von Konstruktionen gesehen werden kann, die diese Handlungen vollziehen. Wir erfassen das Zusammenwirken beider Aspekte in den Begriffen der „modalisierten Definition“ bzw. „modalisierten Vergewisserung“. Beispiel (174) ist ein Ausschnitt aus einem sprachbiografischen Interview. Interviewer MF und Interviewter STP4 sprechen in der Passage über den familiären Hintergrund und die Herkunft des Interviewten. Zuvor hat Sprecher STP4 bereits berichtet, dass er einerseits von einem Bauernhof komme, sowie andererseits, dass seine Familie in den Bergen eine SCHUTZhütte betreibe. Auf die Frage des Interviewers, was denn unter einer „Schutzhütte“ zu verstehen sei, entgegnet er na das is wie wie a GASThaus, (-) nur am BERG oben. (-) am GIPfel halt vom bErg. Nach einer kurzen Abschweifung, in der über die Berge in der Heimatregion des Interviewten gesprochen wird, kommt Interviewer MF dann zurück zum familiären Hintergrund seines Gesprächspartners und vergewissert sich, ob er alles richtig verstanden hat. Stück für Stück werden die einzelnen Teilinfomationen da oben gibt_s ein WIRTShaus? , des beTREIBT ihr? und die MUTter ist (.) die wIrtin da zur Ratifikation vorgelegt und von STP4 jeweils mit hmhm bestätigt. Erst die vierte Nachfrage und da gehört auch eine LANDwirtschaft dazu? wird verneint, und mit wir san UMzogen (.) vor SIEM jahr eine Erläuterung dafür nachgeschoben, wie diese Auskunft mit der früheren Behauptung zusammenpasst, von einem Bauernhof zu stammen: <?page no="172"?> Positionierung 172 (174) „Wirtin“, FOLK_E_00183_SE_01_T_01_DF_01_c694-709 (Sprachbiografisches Interview) 01 MF hm_hm und da oben gibt_s ein WIRTShaus? 02 (0.27) 03 STP4 hm_hm 04 (0.43) 05 MF °h und des beTREIBT ihr? 06 (0.22) 07 STP4 hm_hm 08 MF (.) hm_hm und jetzt SEH ich des aus-= 09 =also die die MUTter ist (.) die wIrtin da, (.) 10 STP4 ja. 11 (0.29) → 12 MF <<creaky> sɔtsǝˈsaˑŋ .>= 13 =und da gehört auch eine LANDwirtschaft dazu? 14 STP4 °hh (.) na. 15 MF (.) nicht. (.) 16 STP4 wir san UMzogen; 17 (.) vor SIEM jahr; 18 (0.43) 19 MF hm_hm: ach SO. Vergewisserungen zeigen eine stärkere Bindung an die zweite Sequenzposition als Definitionen. Wie in Beispiel (174) ist das sozusagen hier auch ebenso häufig nachgestellt, wie es der Verbegrifflichung vorangeht oder in sie eingebettet ist. Zudem verfügen auch die Vergewisserungen über ein Funktionsprofil mit Merkmalen in allen vier Bereichen, das hier allerdings anders ausgeprägt ist: In positionierender Hinsicht sind sie distanzierend, da S’ Veranschlagung nur tentativ ist. In koordinativer Hinsicht sind sie appellativ, da P zu einer Bestätigung aufgefordert wird. In epistemischer Hinsicht markieren sie vergleichsweise unsicheres Wissen, da die epistemische Autorität über den thematisierten Gegenstand bei P liegt. In gesprächsorganisatorischer Hinsicht schließlich sind sie (wie die Definitionen) reformulierend, d. h. sowohl (inhaltlich) themensteuernd als auch (diskursstrukturell) beitragsgliedernd. TYP handlungswertig HANDLUNG modalisierte Vergewisserung KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, appellativ, K-, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM SUBJ [SEIN] sozusagen PRD? <?page no="173"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 173 4.3.3.5 Prozedurale Verwendung Als (rein) „prozedurale Verwendung“ wurden alle Fälle gewertet, denen die distanzierende Kernfunktion von sozusagen abgeht, sodass sie auch mit der sehr voraussetzungsarmen Lesart als Bezeichnungsmodalisierung (mit Paraphrase man könnte sagen/ könnte man sagen) nicht mehr kompatibel sind. Zu unterscheiden sind dabei zum einen Fälle, die bei einigen starken Überverwendern des Ausdrucks auftreten und in denen sozusagen auf das Territorium bestimmter anderer gesprächsorganisatorischer Marker übergreift. Dabei geht die eigene Kernfunktion der Distanzierung verloren, es ergeben sich aber zugleich neue, unerwartete Paraphrasemöglichkeiten, die keine Überlappung mit den sonstigen Gebrauchsmustern von sozusagen aufweisen. Solche Gebräuche sind ein Hinweis auf eine Übergeneralisierung des Markers zu einer Art gesprächsorganisatorischem Passepartoutausdruck. Zum anderen gibt es auch stark gebleichte Fälle, in deren Rahmen der Marker gar keinen erkennbaren Eigenbeitrag zur Äußerungsbedeutung mehr leistet, der einer bestimmten Paraphrase zugänglich wäre. Wir illustrieren beide Varianten mit je einem Beispiel. Ausschnitt (175) ist einer Podiumsdiskussion zur Krise in der Ukraine im Jahr 2014 entnommen. Sprecher Egbert Jahn, ein Zeithistoriker und emeritierter Professor der Universität Mannheim, zählt zu den stärksten Überverwendern von sozusagen im Korpus. In der Passage führt er aus, dass sowOHl rUssen als auch ukraIner IN der ukraine äh (.) MEHRheitlich für die unabhängigkeit der ukraine im jahre neuzehnhunderteinunneunzig gestimmt haben. Direkt im Anschluss wird diese Aussage mit der Feststellung ergänzt, auch eine mEHrheit der KRIMbevölkerung habe FÜR die unabhängigkeit der ukraine äh gestimmt. Dabei wird der Prädikatsausdruck für die Unabhängigkeit der Ukraine stimmen durch den Marker vom Rest des Satzes (Subjekt und Finitum) abgesetzt: (175) „Abgestimmt“, FOLK_E_00210_SE_01_T_01_DF_01_c663-669 (Podiumsdiskussion) 01 EJ °hhh schließlich muss ma im KOPF behalten, (-) 02 dass sowOHl rUssen als auch ukraIner IN der ukraine, 03 (0.8) 04 EJ äh (.) MEHRheitlich für die unabhängigkeit der ukraine im jahre neuzehnhunderteinunneunzig gestimmt haben, (.) 05 °h (.) sogar eine mEHrheit der KRIMbevölkerung- 06 <<t> allerdings nur eine LEICHte mehrheit von äh- 07 °h (.) äh über fünfz fünfunfünfzig proZENT,> → 08 °hh hat sǝˈsaŋ FÜR die unabhängigkeit der ukraine (0.3) äh gestimmt. (.) Eine Lesart des Markers als Bezeichnungsmodalisierung (mit Paraphrase man könnte sagen) scheidet hier aus. Zum einen ist für die Unabhängigkeit stimmen im vorliegenden Zusammenhang keine improvisierte ad hoc-Formulierung, sondern die ka- <?page no="174"?> Positionierung 174 nonische Bezeichnung des benannten Vorgangs, die insofern keinen Grund für eine Distanzierung erkennen lässt. Zum anderen ist diese Bezeichnung auch unmittelbar zuvor (im direkt vorangehenden Satz) bereits genau so verwendet und somit (als unproblematisch) eingeführt worden. Als Wiederaufgriff dieser ersten Nennung nach dem kurzen Einschub über das Ergebnis auf der Krim drängt sich vielmehr die in Kapitel- 7 genauer untersuchte Formel wie gesagt auf, an deren Stelle sozusagen hier erscheint. Daneben gibt es wie erwähnt auch Fälle, in denen sich weder eine der üblichen sozusagen-Paraphrasen noch irgendeine andere anbietet. Ein solches Beispiel enthält der Ausschnitt in (176). Er stammt aus einem universitären Prüfungsgespräch, das sich um den Autor Max Frisch dreht. Zu Beginn des Ausschnitts setzt Prüferin HN in Zeilen-1-6 ein neues Thema, zu dem sie die geprüfte Studentin LG am Beispiel des Romans „Stiller“ in den Zeilen-8-11 um Erläuterung bittet: (176) „Verhaftet“, FOLK_E_00058_SE_01_T_01_DF_01_c375-391 (Prüfungsgespräch in der Hochschule) 01 HN identiTÄTSproblematik- 02 [iden]titäts (.) SPALtung- 03 LG [ja. ] 04 HN identitätsverLUSte; [°h] 05 LG [hm] 06 HN is ein thEma gewesen was ihn GANZ ganz lange (.) beschÄftigt hat; [°hh] 07 LG [ja.] 08 HN äh kÖnnten sie uns dAs jetzt (.) m: al direkt am bEIspiel zeigen von STILler, 09 °h und (.) äh WIE er das auch- (0.33) 10 SCHRIFTstellerich- 11 °h poetoLOgisch bewältigt; 12 (1.25) 13 LG ja beim STILler isses ja sO dass der ähm- 14 (2.0) → 15 LG naja es wird ja die (.) die die (.) fängt ja an dass er sǝˈtsaŋ verHAFTtet wird, 16 und gesAgt wird sie sind der gesuchte STILler,= 17 =bei (.) de (.)dem noch GELD offen is, 18 GLAUB ich, 19 [irgendwas muss er noch] beZAHlen, 20 HN [hm: ] 21 LG °h ähm und ER sagt- 22 nein ich bin das NICH, 23 ich bin WHITE. <?page no="175"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 175 Sprecherin LG benötigt mehrere Anläufe, um in eine flüssige Formulierung ihrer Antwort hineinzufinden: Der erste Ansatz ja beim STILler isses ja sO dass der ähm wird abgebrochen, bevor die rhematische Information formuliert wird, wie es beim STILler ist. Nach einer zweisekündigen Pause beginnt LG mit naja es wird ja die (.) die die eine zweite Struktur, die sich nach einer weiteren Pause als Apokoinu-Konstruktion entpuppt, in der das verzögernd wiederholte Pronomen schließlich als Subjekt des folgenden Satzes reinterpretiert wird, mit Referenz auf den Roman (mutmaßlich kurz für „die Geschichte“). LG hat sich inzwischen entschieden, als Einstieg in ihre Erläuterung eine knappe Rekapitulation des Beginns der Romanhandlung zu geben, die mit die (.) fängt ja an dass er eröffnet wird. Wieder ist die rhematische Information in einem dass-Satz verpackt, und an dessen informationsstruktureller Gelenkstelle zwischen Subjunktor und Subjekt einerseits und rhematischem Prädikatsausdruck andererseits erscheint das sozusagen. Der dem Marker folgende Skopusausdruck verHAFTtet wird kann in (176) weder als modalisiert noch als Reformulierung einer vorangehenden Äußerung verstanden werden: Der erste Teil des Romans ist „Stillers Aufzeichnungen im Gefängnis“ überschrieben, gleich im ersten Satz berichtet der Ich-Erzähler von „meiner Einlieferung in dieses Gefängnis“, und ebenfalls noch auf der ersten Seite ist die Rede von „der Ohrfeige, die zu meiner Verhaftung geführt hat“. Die Angemessenheit der Formulierung, der Protagonist sei verhaftet worden, kann hier also nicht in Frage stehen. Ganz am Beginn der Ausführungen stehend, kann das sozusagen auch nicht als Anzeige gelesen werden, dass der folgende Ausdruck eine frühere Äußerung reformuliert, im Sinne der Lesart ‚mit anderen Worten‘. Tatsächlich bietet sich auch keine andere Ersetzung für dieses Vorkommen an, die mit einer bestimmten Bedeutungsparaphrase explizierbar wäre. Das sozusagen in (176) ist semantisch leer und fungiert rein prozedural als Beitragsgliederung bzw. Fokusmarker, der die relevante neue Information im Satz von der bereits bekannten absetzt. Neben der sehr häufigen Bezeichnungsmodalisierung, die eine Unentschlossenheit des Sprechers anzeigt, sind es vor allem die in diesem Abschnitt-illustrierten übergeneralisierten oder sogar völlig desemantisierten Verwendungen, die das Wort zu einem bevorzugten Gegenstand der Sprachkritik gemacht haben. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION beitragsgliedernd, rederechtsbezogen FORM sozusagen <?page no="176"?> Positionierung 176 4.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung Im zweiten Teil der Vertiefungsstudie wenden wir uns der formalen Verfestigung und lautlichen Realisierung unserer Zielkonstruktion zu (Abschn.-4.3.4.1). Phonetisch gilt das Augenmerk einerseits möglichen Reduktionsprozessen beim Marker gegenüber freien Vorkommen des Verbs sagen. Wir betrachten dazu die Vokalqualität und -quantität des Stammvokals des sagen-Segments in sozusagen sowie dessen Silbigkeit (Abschn.- 4.3.4.2). Zweitens untersuchen wir die wortinterne Fuge zwischen zu und sagen auf etwaige Abbautendenzen (Abschn.- 4.3.4.3). Im dritten-Schritt nehmen wir zum einen die Akzentstruktur sowie zum anderen die prosodische Integration des Markers in die umgebende Äußerung in den Blick (Abschn.-4.3.4.4). 4.3.4.1 Formkonvergenz Die Zielkonstruktion ist sowohl lexikalisiert als auch univerbiert. Sie findet sich als eigenes, zusammengeschriebenes Lemma in beiden konsultierten Bedeutungswörterbüchern. 116 1.229 Treffern für sozusagen (plus vier weiteren, als so zu sagen fehltranskribierten Instanzen) steht in FOLK (DGD-Release-2.14) nicht ein einziger Beleg der satzwertigen Langform um es (einmal/ mal) so zu sagen gegenüber. Auf lexikalisch-grammatischer Ebene erreicht die Fusionsform sozusagen somit eine Abdeckung von 100% der Verwendungen des Ausdrucks in den untersuchten Daten. Phonetisch ergibt sich aufgrund der Vielzahl der beteiligten Parameter (Silbenzahl, Akzent, Lautqualität und -quantität der einzelnen Segmente) erwartbarerweise ein wesentlich komplexeres Bild. Die 246 auswertbaren Instanzen des Markers in unserer Stichprobe verteilen sich auf insgesamt 85 verschiedene Types. Häufigste Einzelvariante ist das vergleichsweise explizite [zotsəˈzaːŋ̍ ] mit 37- Belegen (15% der Gesamtbelege). Stärker reduzierte Realisierungen reichen bis zu einsilbigen Varianten wie [tsɐŋ], die nur durch den Kontext als Vorkommen von sozusagen erkenntlich sind. Die noch vergleichsweise distinktivsten Reduktionsformen, auf die eine weitere lautliche Komprimierung zulaufen könnte, sind mit 23-Belegen (9%) [zoˈtsɐŋ] bzw. mit 19 Belegen (8%) [zoˈtsaŋ]. 4.3.4.2 Erosion Für die Analyse des Stammvokals im sagen-Segment des Markers wurden die auch funktional untersuchten Instanzen im FOLK-Korpus (246 phonetisch auswertbare Belege) mit Verwendungen von sagen als finites Verb verglichen (insgesamt 132 Be- 116 Im VALBU wird die Form unter den Verfestigungen von sagen nicht genannt, was ebenfalls auf eine Wertung als mittlerweile völlig unabhängiges Lexem hindeutet. <?page no="177"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 177 lege). Die Vergleichsgruppe umfasste zum einen Belege für die Wortfolgen sie sagen und wir sagen (N = 98) sowie zum anderen kompositionelle (nicht formelhafte) Instanzen der Wortfolge sagen wir (N = 34). Unterschieden wurde binär zwischen „unreduzierten“ ([a(ː)]) und „reduzierten“ Realisierungen ([ɐ]). In die Klassifikation wurden neben dem quantitativen Kriterium (Dauer) auch qualitative Aspekte einbezogen (Hörurteil und signalphonetische Messung von F1 und F2), die in den meisten Fällen mit dem Dauermerkmal korrelieren ([ɐ] vs. [a]). Das Ergebnis zeigt bei den Markern einen Anteil von 30% reduzierten Realisierungen gegenüber 70% unreduzierten. In der Vergleichsgruppe ist das Resultat von 35% reduzierten Realisierungen gegenüber 65% unreduzierten nur unwesentlich anders. Der Unterschied ist nicht signifikant (χ 2 =1,13, df=1, p=0,29): Abb.-4: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Vokalqualität ([ɐ] vs.-[a]) in sagen Die gemessene Dauer des / aː/ -Lauts bestätigt den Befund der qualitativen Untersuchung: Zwischen dem sagen-Segment im Marker und in den Vergleichsformen besteht kein Unterschied in der Länge des Stammsilbenvokals: 117 117 Beide Mittelwerte liegen über der mittleren Lautdauer der 39.612 handsegmentierten und gemessenen lesesprachlichen Laute des PhonDatII-Korpus, die 71,9 ms beträgt (Pfitzinger 2001, S.-131). <?page no="178"?> Positionierung 178 Abb.-5: Auftretenskontext Dauer (ms) 50 100 150 Marker Vergleichsformen Lautdauer (ms) des / aː/ in sagen Im zweiten Schritt betrachten wir die Silbigkeit der untersuchten Belege, die in einbis viersilbige Realisierungen von sozusagen unterschieden werden. Fast die Hälfte der Belege ist viersilbig realisiert (46%), beispielsweise als [zətsəˈzaːŋ̍ ]. 29% der Belege sind dreisilbig realisiert, beispielsweise als [zoˈ(t)saːŋ̍ ] oder [zətsəˈzaŋ]. 23% sind zweisilbig ([zəˈtsaŋ] oder [tsaːŋ̍ ]) und nur 2% aller Belege einsilbig in Form eines [tsɐŋ]. In vielen Fällen liegt der Unterschied zwischen Ein- und Zweisilblern in der Realisierung des Nasals, der silbisch oder unsilbisch vorkommt. In den meisten Fällen korreliert die Silbizität des Nasals mit der Dauer des gemessenen / a/ s. In Ermangelung einer ausreichenden Menge kompositioneller, nicht-markerförmiger Instanzen der vollen Struktur (so zu sagen) betrachten wir für die Kontrastierung-von Markern und Vergleichsformen allein die Silbigkeit der sagen-Komponente. Unterschieden wird zwischen „unreduzierten“ (zweisilbigen) und „reduzierten“ Abb.-6: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Silbizität des Segments sagen <?page no="179"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 179 (einsilbigen) Realisierungen der Segmentkette. Auch hier zeigt sich kein Kontrast: Bei den Markern werden 38% der Belege reduziert realisiert und 62% unreduziert. In der Vergleichsgruppe sind 34% reduziert realisiert und 66% unreduziert. Der Unterschied ist nicht signifikant (χ 2 =0,69, df=1, p=0,41). Zusammmengefasst zeigen die beiden Teiluntersuchungen zur Erosion, dass das sagen-Element des Markers nicht von Reduktionsprozessen betroffen ist, die nicht auch in freien Vorkommen von sagen als ungebundenes Vollverb zu beobachten wären. 4.3.4.3 Grenzphänomene Die zweite Untersuchung von Reduktionseffekten vergleicht assimilatorisch-reduktive Prozesse an der wortinternen Fuge zwischen zu und sagen in sozusagen mit Realisierungen von zu in möglichst vergleichbaren Lautkontexten. Betrachtet wurden dazu einzelwortübergreifende Folgen von Vokal, zu und alveolarem Frikativ mit Folgevokal (wie etwa da zu sehen, sie zu sanieren, genau zu sein, N=58). Beim Marker reicht das beobachtete Spektrum von Varianten mit Vollrealisierung der Partikel ([zotsuˈzagn̩]) über Varianten mit Zentralisierung des Vokals ([zotsəˈzaːŋ̍ ) zu Schwundstufen der Partikel als Affrikate im Anlaut von sagen ([zoˈtsaŋ̍ ]) bis hin zu ihrem lautlichen Komplettentfall ([zəˈzaŋ]). Engere Zusammenrückungen von so und sagen wie etwa die Affrikate oder gar der Komplettentfall des zu treten überhaupt nur bei den Markern auf, wo sie zusammengenommen immerhin knapp 40% der Daten ausmachen. Bei den Vergleichsformen hingegen dominiert die Vollrealisierung, in der nicht einmal der Vokal zentralisiert ist (52%). Der Kontrast zwischen den beiden Umgebungen ist deutlich (χ 2 =31,48, df=1, p<0,001): Abb.-7: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen [tsu] [tsə] Affrikate [tsa] Komplettentfall Artikulationsformen von zu in sozusagen <?page no="180"?> Positionierung 180 Die Unterschiede in der Realisierung der Partikel- - insbesondere das Ausbleiben von Sandhi-Phänomenen in der Vergleichsgruppe, aber auch die Unterschiede in der Verteilung von vollformigem [tsu] und reduziertem [tsə]-- weisen darauf hin, dass das zu in den kompositionellen Wortkombinationen andere Realisierungsbedingungen hat und seine Reduktion bis hin zum Entfall ein Spezifikum des Markers ist. 4.3.4.4 Prosodische Merkmale In prosodischer Hinsicht nehmen wir zunächst die formale Verfestigung der Einheit auf akzentstruktureller Ebene in den Blick. Dazu wird ausgezeichnet, welches Element den Hauptakzent des Wortes trägt und ob es nebenbetonte Elemente gibt. 118 Der Hauptakzent liegt entweder auf der ersten oder der dritten Silbe, das zu liegt immer in der Tonsenke. Insgesamt zeigt sich die Akzentstruktur von sozusagen weitgehend fixiert: In 95% der Fälle sitzt der Wortakzent auf dem Stammsilbenvokal von sagen. In nur 5% der Belege ist sozusagen erstsilbenbetont, was dieser Betonungsvariante Markierungspotenzial verschafft. Das Akzentmuster der Quellform mit akzentuiertem deiktischen so (um es SO zu sagen) wird dem univerbierten sozusagen also nicht vererbt. Die akzentstrukturelle Homogenität spricht für einen hohen Verfestigungsgrad des Markers und wie die Reduktionstendenz des unbetonten (und in einigen Fällen unartikulierten) zu-Elements auch lautlich für eine abgeschlossene Ablösung von seiner Quellstruktur. Der-Akzentsitz erklärt auch, warum das sagen-Element des Markers lautsegmentell nicht anders realisiert wird als „freie“ Vorkommen von sagen als Vollverb (siehe oben und vgl. auch Bergmann 2023 zum Verhältnis von Prosodie und segmenteller Reduktion bei Grammatikalisierungsprozessen). Typifiziert man die nicht-viersilbigen Formen in Reduktionsklassen, ist der Typ „unbetonte Vorsilbe + affrikatisch anlautendes, ein- oder zweisilbig realisiertes sagen“ (/ zəˈtsa(ː)ŋ̍ / ) mit 62 Belegen (fast die Hälfte der 3- oder 2-silbigen Formen) in der Mehrheit. Dieser am häufigsten belegte Reduktionstyp könnte sich entweder als phonetische Konvergenzform des Markers weiter verfestigen oder sich als Vorstufe noch stärker reduzierter, ‚vorsilbenlos‘ affrizierter Formen des Typs / tsa(ː)ŋ̍ / erweisen. Letztere sind allerdings recht selten (5% der nicht-viersilbigen Formen) und aufgrund ihrer geringen Dinstinktivität im Vergleich zu einfachem sagen auch kaum ein wahrscheinlicher Kandidat für die Zielform der lautlichen Komprimierung. Für die Untersuchung zur intonatorischen (Des-)Integration des Markers wurde eine Zufallstichprobe von 100 Belegen aus der Gesamtkollektion von 246 Instanzen ausgewertet. Dabei erwies sich, dass die Mehrheit der Marker prosodisch desintegriert gebraucht wird: 60% werden in Form einer eigenen Intonationsphrase artiku- 118 Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenakzent war insbesondere deshalb nötig, weil Belege mit mehr als einem Druckakzent auftreten bzw. auch Fälle, in denen ein Tonakzent hörbar ist, der nicht mit dem Druckakzent zusammenfällt. <?page no="181"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 181 liert. Auffällig ist häufig eine beschleunigte Sprechgeschwindigkeit (28% der Belege). Die Beschleunigung tritt teilweise auch über die Phrasengrenze hinweg auf und beschreibt einen schnellen Anschluss, der als Hinweis auf eine vorliegende Grenze dienen kann. 119 Dadurch wird eine Phrasengrenze gerade nicht markiert, sondern quasi „überspielt“, was bei parenthetischen Einschüben häufig geschieht. Mit Blick auf die kommunikativen Praktiken, die mit sozusagen vollzogen werden, zeigen sich in der Stichprobe die Belege in prozeduraler Verwendung (13 Instanzen, 75% davon prosodisch desintegriert) und abschwächender Verwendung (69 Belege, 64% prosodisch desintegriert) mehrheitlich mit eigener Intonationsphrase. Dagegen sind Verwendungen im Rahmen von Definitionen und Vergewisserungen- - also übergeordneten Handlungen, in die der Marker (grammatisch) integriert ist-- mehrheitlich auch prosodisch integriert (im Fall der Vergewisserungen in 75% der Fälle und bei den Definitionen in 60%). 4.3.5 Fazit und Einordnung Abschließend seien die wichtigsten Befunde der Fallstudie hier noch einmal kurz rekapituliert und aufeinander bezogen. Mit 492 Instanzen pMW ist sozusagen die häufigste Verfestigung von sagen in FOLK (allerdings nicht in DECOW16B). In FOLK zeigt sich eine 100%ige Konvergenz auf die lexikalische Markerform sozusagen, die syntaktische Quellformel um es (einmal/ mal) so zu sagen ist überhaupt nicht belegt. Funktionales Kernmerkmal ist die Distanzierung von einer eigenen Formulierung. Wir haben die verschiedenen Ausprägungen, die diese Distanzierung mit oder ohne Kombination mit Merkmalen aus anderen Funktionsbereichen annehmen kann, vereinfacht zu einer Praktik der „Abschwächung“ zusammengefasst, die bezüglich der Motivation der Distanzierung unterspezifiziert ist. Als metakommunikative Qualifikationen sind Abschwächungen nicht handlungswertig, sondern operieren notwendig unterhalb dieser Ebene bzw. innerhalb eines Turns. Entsprechend können sie im Zuge beliebiger Handlungen zum Einsatz kommen. Nichtsdestotrotz gibt es zumindest zwei rekurrente Handlungskontexte, in denen sich der abschwächende Marker bereits wieder so stabil syntagmatisch verfestigt hat, dass er als konstitutiver Teil einer ihrerseits handlungswertigen Formulierungsroutine gesehen werden kann („modalisierte Definition“, „modalisierte Vergewisserung“). Grammatisch handelt es sich in beiden Fällen um Prädikativkonstruktionen, bei denen der Marker die Position unmittelbar vor dem rhematischen Prädikatsausdruck besetzt. Dem abschwächenden Funktionsaspekt tritt damit ein beitragsgliedernder Effekt zur Seite. Funktional bilden diese beiden Praktiken eine Opposition, die dem egophorischen Markierungsmuster in Sprachen entspricht, die diese Kategorie grammatikalisiert-haben (vgl. Kap.-3): Modalisierte Definitionen sind syntaktisch deklarativ und 119 Schegloff (1982, S.-76) spricht hier von „rush through“, Selting (1995, S.-52) von „Durchhecheln“. <?page no="182"?> Positionierung 182 Abb.-8: Pragmatische Karte <?page no="183"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 183 weisen S als den Partizipanten mit privilegiertem Wissen aus (S=K+). Die komplementäre Praktik der modalisierten Vergewisserung ist syntaktisch interrogativ und zeigt an, dass P über privilegierten Zugang zum thematisierten Sachverhalt verfügt (S=K-). Ebenfalls handlungswertig ist die reaktive Verwendung als modalisierte Zustimmung, die inhaltliches Einverständnis mit P mit einem Vorbehalt gegenüber der von P gewählten Formulierung verbindet. Modalisierte Zustimmungen sind potenziell turnwertig und autonom freistehend, d. h. die Handlung wird in diesem Fall allein durch den Marker selbst vollzogen und nicht erst durch eine bestimmte größere Konstruktion, in die er eingebettet ist. Zu den Abschwächungen, den Zustimmungen, den modalisierten Definitionen und den modalisierten Vergewisserungen kommt fünftens und letztens noch eine prozedurale Verwendung als Fokuspartikel hinzu, in der sich die beitragsgliedernde Funktion des Markers verselbstständigt hat und in der die abschwächenden Implikationen der übrigen Verwendungen nicht mehr gegeben sind. In die prozedurale Kategorie sind auch Verwendungen als übergeneralisierte Passepartoutform zu rechnen, in denen sozusagen in Kontexten zum Einsatz kommt, die kanonischerweise den Einsatz anderer Marker erfordern (vgl. Abschn.-4.3.3.5). Lautlich zeigen sich im Segment sagen keine Reduktionserscheinungen, die nicht auch in freien Verwendungen des Verbs zu beobachten wären. Deutlich sind markerinterne Abbautendenzen allerdings in der Realisierung des Segments zu, das funktional nicht länger zur Markierung einer folgenden verbalen Infinitivform benötigt wird. In mehr als drei Vierteln der Belege ist der Vokal des zu entweder zum Schwa reduziert oder er entfällt ganz, entweder im Rahmen affrizierter Resilbifizierungen von zu sagen zu Formen wie [tsaŋ] (über ein Viertel der Belege) oder im Rahmen von Realisierungen wie [zəˈzaŋ] oder [zaŋ], die keinerlei phonetische Spuren des zu mehr aufweisen (11%). Unreduziert erhalten bleibt das funktional obsolete zu in lediglich 14% der Belege. Akzentstrukturell sind die Umbauprozesse ebenfalls offenkundig. In 95% der Fälle sitzt der Wortakzent auf dem Stammsilbenvokal von sagen und nicht auf dem modalen so, das in der syntaktischen Quellverwendung den Hauptakzent erhält. In der Summe sprechen die Befunde somit auch für eine klare phonetische Abspaltung der Form von ihrer kompositionellen Quellverwendung. Sind funktionale Ausdifferenzierung und lautliche Reduktion aneinander gekoppelt? Hierzu treffen wir vereinfachend eine kategoriale Unterscheidung der Belege der fünf Praktiken in „reduzierte“ und „unreduzierte“ Realisierungen, und zwar einmal gemäß dem Kriterium ihrer Silbenzahl und einmal gemäß der Realisierung des wortinternen Segments zu. Abbildung-9 zeigt zunächst die Befunde für das Kriterium der Silbenzahl (unreduziert: viersilbig vs.-reduziert: einbis dreisilbig): <?page no="184"?> Positionierung 184 Abb.-9: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abschwächung Definition Prozedural Vergewisserung Zustimmung unreduziert reduziert Praktiken und Reduktion: Silbizität Zunächst einmal zeigt das Diagramm, dass silbische Reduktionen insgesamt geläufig sind: Über alle Verwendungen hinweg betrachtet sind mit 53% mehr als die Hälfte der Belege silbisch reduziert. Nach Praktiken aufgeschlüsselt sind bei der größten Gruppe der abschwächenden Verwendungen rund die Hälfte der Belege nur einbis dreisilbig realisiert. Die beiden epistemischen Verwendungen der modalisierten Definition und der modalisierten Vergewisserung unterscheiden sich in dieser Hinsicht: Verwendungen im Rahmen von Definitionen sind eher reduziert, solche im Rahmen von Vergewisserungen eher nicht. Turnwertige Zustimmungen sind in der Stichprobe nur mit insgesamt zwei Belegen vertreten, sodass sich zu ihren Realisierungspräferenzen keine Aussage treffen lässt. Am ausgeprägtesten ist der Schwund bei den prozeduralen Verwendungen, von denen knapp drei Viertel silbisch reduziert sind. Kontrastiert man diese auch funktional alleinstehenden (weil einzigen nicht-distanzierenden) Verwendungen mit allen übrigen Gebräuchen von sozusagen, ergibt sich ein signifikanter Kontrast von 74% reduzierten Realisierungen bei den prozeduralen Gebräuchen gegenüber 50% bei den distanzierenden (χ 2 =5,37, df=1, p<0,05). Abbildung-10 zeigt die Anteile kanonischer und reduzierter Realisierungen für das alternative Reduktionskriterium der zu-Reduktion. Von einer Bestimmung nach Silbenzahl unterscheidet es sich dadurch, dass einerseits auch viersilbige Realisierungen wie [zotsəˈzaːŋ̍ ] aufgrund der Vokalreduktion des zu-Segments als reduziert betrachtet werden, andererseits aber dreisilbige oder auch zweisilbige Realisierungen mit erhaltenem zu wie etwa [zətsuˈzaŋ] oder [tsuˈzaŋ] als unreduziert in die Wertung eingehen. Wird die (bzw. werden die Formen der) Realisierung des zu-Elements zum maßgeblichen Kriterium für den Reduktionsstatus gemacht, ist mit 86% ein noch wesentlich größerer Anteil der Gesamtbelegmenge als reduziert zu werten. Aufgeschlüsselt nach den fünf Praktiken ergibt sich folgendes Bild: <?page no="185"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 185 Abb.-10: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abschwächung Definition Prozedural Vergewisserung Zustimmung unreduziert reduziert Praktiken und Reduktion: Realisierung des Segments zu Abschwächungen, Definitionen und prozedurale Verwendungen zeigen Reduktionswerte von mehr als 80%. Auch die Vergewisserungen weisen gemäß diesem Kriterium in zwei Dritteln ihrer Belege Reduktionseffekte auf. Über die lediglich zwei Instanzen der Zustimmung lässt sich nichts aussagen. Am stärksten betroffen sind mit einem Anteil von 97% reduzierter Formen wiederum die prozeduralen Verwendungen. Nimmt man die übrigen Praktiken zu einer Klasse distanzierender, nicht rein prozeduraler Verwendungen zusammen, liegt der Anteil von Reduktionsformen hier bei 84%. Gemäß diesem Kriterium ist der Unterschied zwischen den prozeduralen und den semantisch substanzhaltigeren Gebräuchen nicht signfikant (χ 2 =2,93, df=1, p=0,08), da auch letztere in der Regel reduziert sind. Was die theoretische Gesamteinordnung betrifft, lässt sich im Fall von sozusagen sowohl von Lexikalisierung als auch von Univerbierung und von Grammatikalisierung sprechen. Ausweislich ihrer Listung in den konsultierten Wörterbüchern zählt die Form zum kodifizierten Wortbestand des Deutschen, was wir als Kriterium für ihre Lexikalisierung (im Sinne von Lexikalisiertheit) werten. Ferner handelt es sich nicht länger um eine Mehrwortverbindung mit interner Komponentialität, sondern um eine zu einem neuen Lemma verschmolzene monomorphemische Einheit, die dieses Kriterium auch noch klarer erfüllt als das in Kapitel-2 diskutierte Langacker- Beispiel alotta: Die lexikalisierte Form ist intern weder umstellbar noch modifizierbar, sondern vollständig fest. In Wörterbüchern des Gegenwartsdeutschen ist sie entsprechend auch nicht mehr (wie noch im DWB) in den Einträgen für sagen gelistet, sondern wird als eigenes Lemma geführt. Sie erfüllt damit auch die Kriterien für Univerbierung. Die lautliche Untersuchung zeigt, dass die dabei angestoßenen Abbau- und Verschmelzungsprozesse mit Kodifizierung des neuen Lexems keineswegs abgeschlossen sind, sondern noch weiter auf die Form einwirken. <?page no="186"?> Positionierung 186 Von Grammatikalisierung ist insofern zu sprechen, als die Form nach interner Dekategorisierung ihrer Komponenten im Ganzen als geltungsmodalisierendes Adverb rekategorisiert worden ist. Isolierender Kontext der Adverbanalyse (und damit Indikator für einen abgeschlossenen Grammatikalisierungsprozess) ist die eigenständige Vorfeldfähigkeit der Form: (177) Es gibt Menschen, die sagen, dass sie ohne Stress nicht leben können. Sozusagen gibt Stress einigen Menschen sogar einen Sinn. (http: / / myblog.liftyourlife.de/ warum-wir-stress-niemals-unterschaetzen-sollten/ warum-wir-stress-niemalsunterschaetzen-sollten.html [decow]) In solchen Verwendungen ist sozusagen klar syntaktisch integriert und besitzt Satzgliedstatus, ist im Sinne der in Kapitel-2 genannten Definitionen also weder als „Diskursmarker“ noch allgemeiner als „Diskurspartikel“ zu werten. Das „Handbuch der deutschen Konnektoren“ unterscheidet bei sozusagen zwischen einem „reformulierenden, auf den Vortext bezogenen Konnektor“ (d. h. dem in (177) illustrierten Vorfeldgebrauch) einerseits und Verwendungen als „Adverb mit Hedgefunktion wie quasi, irgendwie, streng genommen oder gewissermaßen“ andererseits, bei dem von einem „geltungsbezogenen Satzadverbial“ gesprochen wird (Breindl/ Volodina/ Waßner 2014, S.-1136). Auch die Spenderstruktur um es (einmal/ mal) so zu sagen ist als Nebensatz erkennbar integrierten Ursprungs. Im Zuge ihrer Verfestigung hat sie sich allerdings aus ihrer syntaktischen Einbettung herausgelöst, wie es für pragmatische Marker/ Diskursmarker (vgl. Kap.-2) in der Regel als konstitutiv erachtet wird. In FOLK ist um es (mal) so zu sagen wie erwähnt überhaupt nicht belegt. Im (ungleich größeren) DECOW16B sowie auch im (noch größeren) Deutschen Referenzkorpus DeReKo finden sich dagegen auch noch Belege der Langform, und auch in satzinitialer Verwendung: (178) Um es mal so zu sagen , das war eine geile Zeit : -) (http: / / www.freezers-fanforum.de/ / archive/ index.php/ t-2565.html [decow]) (179) Um es mal so zu sagen : Der Negativtrend is not your friend. (Süddeutsche Zeitung, 15.3.2013, S.-41 [dereko]) Sie sind jedoch auch hier so selten, dass sie komplett gesichtet werden konnten. Dabei erwies sich, dass sie auch in diesen Korpora ausnahmslos desintegriert sind, d. h. es fanden sich keine Belege des Typs Um es mal so zu sagen, war das-… anstelle von …-das war, sondern nur solche wie in (178) und (179). In FOLK finden sich solche vorangestellten Verwendungen hingegen überhaupt nicht, weder im Vorfeld, noch im Vorvorfeld, und weder in der Langform der Konstruktion noch als Marker. Typisch ist hier vielmehr die-- entweder als parenthetischer Einschub oder als integrierte Modifikation zu analysierende-- Insertion von sozusagen in Bezugssatz oder <?page no="187"?> Vertiefungsstudie: sozusagen 187 -phrase hinein, und auch die Nachstellung ist gut belegt. Die anzunehmende Entwicklung lässt sich mithin wie folgt nachzeichnen: (180) Syntaktischer Adverbialausdruck > parenthetischer pragmatischer Marker > lexikalisches Adverb (> Fokuspartikel) Der Ausdruck, der zunächst als eigener Teilsatz in ein Satzgefüge integriert war und dann als Parenthese aus diesem Gefüge herausgelöst wurde, wird schließlich als neues Wortzeichen in die grammatische Struktur seiner Bezugsäußerung reintegriert (nunmehr jedoch innerhalb eines Teilsatzes anstelle eines Satzgefüges). Der erste Schritt dieser Entwicklung besteht in der Lexikalisierung (bzw. „Kooptation“, vgl. Kap.- 2) der kompositionellen Quellverwendung als „second-level discourse marker“ im Sinne Siepmanns (2005). In der Folge univerbiert diese pragmatisch spezialisierte Mehrworteinheit zu einem neuen Zeichen, das lexikalisch als Adverb rekategorisiert wird. Neben seiner indexikalischen Funktion (subjektive Geltungsmodalisierung bzw. Abtönung) wechselt der Marker somit ins Paradigma der Adverbien über. An den Lexikalisierungsprozess im Übergang von Stadium- I zu Stadium- II schließt sich somit ein Grammatikalisierungsprozess im Übergang von Stadium-II zu Stadium-III an. Die aufnehmende Wortklasse der Adverbien ist einerseits zwar eine offene, deckt andererseits jedoch intern die volle Spanne von eher grammatischen Zeichen (wie Satzverknüpfern) zu eher lexikalischen (wie Lokal-, Temporal- und Modaladverbien) ab. Der Konnektorengebrauch wie in (177) ist dabei trotz seiner im Vergleich zu kerngrammatischen Kategorien vergleichsweise schwach ausgeprägten Paradigmatisierung sicher als ein „eher grammatischer“ Adverbgebrauch zu sehen. Ob das auch für die von Breindl/ Volodina/ Waßner (2014, S.- 1136) davon abgesetzte Verwendung als „geltungsbezogenes Satzadverbial“ zu veranschlagen ist, hängt davon ab, ob man auch (und nicht zuletzt) pragmatische Funktionen wie die Geltungsmodalisierung mit Diewald (2011) in den Zuständigkeitsbereich der Grammatik und damit zu den relevanten Zielkategorien von Grammatikalisierungsprozessen rechnet. Wir schließen uns dieser Auffassung an und sprechen hier insofern nicht von „Pragmatikalisierung“ oder „Kooptation“ als einem separaten Vorgang (vgl. Kap.-2), sondern von der Grammatikalisierung eines stancemarkierenden Adverbs. Der skizzierte Ablauf ähnelt der in Kapitel-2 diskutierten Entwicklung von kompositionellem ich glaube + dass-Satz über den lexikalisierten pragmatischen Marker ich glaub zur (speziell südwestdeutschen) Modalpartikel glaub, in der ebenfalls ein Grammatikalisierungsprozess auf einen vorangegangenen Lexikalisierungsprozess aufsetzt. Dass sich, wie in Kapitel- 2 vermutet, die syntaktische Reintegration von sozusagen in die Satzgrammatik vielleicht auch in seiner wieder zunehmenden (oder im Vergleich zu anderen Markern stärker ausgeprägten) prosodischen Intergriertheit erweisen würde, bestätigt sich angesichts der überwie- <?page no="188"?> Positionierung 188 gend autonomen Realisierung der Form als eigene Intonationsphrase hingegen nicht. Vom Gebrauch als „geltungsbezogenes Satzadverbial“ (Stadium- III) aus führt die weitere Entwicklung im dritten Schritt schließlich zur oben als „prozedurale Verwendung“ bezeichneten Fokuspartikel (Stadium-IV). Die nunmehr vollständige Desemantisierung der Form führt zu einem Verlust auch noch der abstrakt distanzierenden Funktionalität, was lautlich mit weiterer Erosion der Form zu zwei- oder gar einsilbigen Realisierungen einhergeht. 4.4 Zusammenfassung Kapitel-4 hat die empirischen Befunde zum ersten Unterschungsbereich, der Funktionsdomäne „Positionierung“ dargestellt. Der in Abschnitt-4.2 gegebene Überblick über verfestigte Formeln mit sagen in diesem Bereich hat insgesamt 19 zugrundeliegende semantisch-pragmatische Bildungstypen identifiziert (elf involvierende und acht distanzierende), die anhand ihrer zentralen Verfestigungen in DECOW16B veranschaulicht wurden. Im Anschluss wurde in Abschnitt- 4.3 eine interaktionslinguistische Vertiefungsstudie zur häufigsten sagen-Positionierung in den Daten, dem Marker sozusagen präsentiert. Anhand einer Korpusstudie in FOLK wurden in Abschnitt-4.3.3 insgesamt fünf kommunikative Praktiken identifiziert, die mit dem Marker sozusagen in der Mündlichkeit vollzogen werden. Dominant ist die Verwendung als abschwächender Operator, der typischerweise zur Bezeichnungsmodalisierung gebraucht wird. Daneben gibt es Verwendungen im Rahmen modalisierter Definitionen, Vergewisserungen und Zustimmungen sowie einen desemantisierten Gebrauch als Fokusmarker. Die Untersuchung zur Verfestigung hat ergeben, dass der univerbierte Marker auch nach Abschluss seiner Verschmelzung zu einem neuen Lexem noch Anzeichen von weitergehender phonetischer Reduktion und Spezialisierung zeigt. Von Reduktionsprozessen ist insbesondere das Element zu in der wortinternen Tonsenke betroffen. Auch das verfestigte Akzentmuster des Markers unterscheidet sich von dem seiner Spenderstruktur, dem formulaischen Kommentarsatz um es (einmal/ mal) so zu sagen (mit akzentuiertem so). Die Ausbildung einer phonetisch „sedimentierten Form“ im Sinne von Thompson/ Couper-Kuhlen (2020), die speziell an eine bestimmte Praktik gekoppelt ist, deutet sich allenfalls für die phonetisch stark reduzierte Verwendung als Fokusmarker an, bei der es sich um eine desemantisierte Weitergrammatikalisierung der zentralen Verwendung als mitigierendes Adverb handelt. <?page no="189"?> 5. KOORDINATION 5.1 Einleitung Im zweiten Teil der Ergebnispräsentation beschäftigen wir uns mit Ausdrücken, die speziell zur Koordination des gemeinsamen Handelns von S und P verwendet werden. In diesen Bereich rechnen wir auch facebezogene Formeln, die Aspekte der sozialen Beziehung und wechselseitigen Anerkennung von S und P regulieren. Wir beginnen die Darstellung mit einem Überblick über entsprechende Verfestigungen von sagen in DECOW16B, in dessen Rahmen insgesamt 20 verschiedene Bildungsmuster mit primär interpersonell-koordinationsbezogener Funktion identifiziert werden. Wir unterscheiden diese Muster in insgesamt vier Subtypen: einerseits alinierende Formeln, die sich nochmals in affiliative, disaffiliative und appellative Ausdrücke untergliedern lassen, sowie andererseits facebezogene Formeln zur Handhabung eigener und fremder Gesichtsbedrohungen (Abschn.-5.2). Die interaktionslinguistische Vertiefungsstudie in diesem Bereich ist der strukturell appellativen Formel sagen wir gewidmet. Wir beschreiben die kommunikativen Praktiken, in deren Rahmen sie in verschiedenen lexikalisch-grammatischen Ausbaustufen in FOLK verwendet werden, untersuchen ihre lautliche Realisierung und formulieren eine Einschätzung zu den beteiligten Wandelprozessen und ihren aktuell erreichten Stadien (Abschn.-5.3). Abschnitt-5.4 fasst das Kapitel zusammen. 5.2 Formelüberblick Was genau in der Literatur unter „interpersonellen“ oder auch „intersubjektiven“ Bedeutungen bzw. pragmatischen Funktionen verstanden wird, ist uneinheitlich. Entscheidend dafür ist nicht zuletzt, wie schematisch die zugrundeliegende Funktionstaxonomie insgesamt ist. Werden, wie etwa auf der schematischsten Ebene bei Brinton (1996), letztlich alle nicht-gesprächsorganisatorischen (bzw. „textuellen“) Funktionen als „interpersonell“ bezeichnet, handelt es sich bei dieser Opposition um eine Bezeichnungsvariante der Dichotomie von endophorischer und exophorischer Indexikalität (vgl. Kap.-2). Die Formulierung einer Bewertung, die Markierung von Nachdruck und Emphase oder auch die Signalisierung von Erstaunen oder Zweifel wären dann genauso „interpersonell“ wie etwa die Formulierung einer Bitte, einer Entschuldigung oder eines Vorwurfs an P. Der Begriff bliebe damit recht vage und im Grunde negativ bestimmt, nämlich als „indexikalisch, aber nicht gesprächsorganisatorisch“. Der Begriff bleibt jedoch auch dann vielgestaltig, wenn man, wie etwa Narrog (2017) und Traugott (2022), intersubjektive Funktionen neben gesprächsorganisatorischen („textual meaning“) noch zusätzlich von subjektiven unterscheidet. Konkret sieht Traugotts Definition zwei Varianten intersubjektiver Bedeutung vor: <?page no="190"?> Koordination 190 Einerseits eine von S angezeigte Orientierung auf Ps „cognitive stances“, und andererseits eine von S angezeigte Orientierung auf Ps „social identities“ (Traugott 2003, S.-124). Die erste Variante entspricht dem, was Du Bois (2007, S.-144) unter „Alignment“ versteht: „the act of calibrating the relationship between two stances, and by implication between two stancetakers“. Hier geht es um die Koordination von Positionierungen und anderen Handlungen zwischen den Interaktionspartnern. Die von S formulierten Koordinationsleistungen können dabei reaktiver Art sein, indem sie sich zustimmend (im Folgenden: affiliativ) oder ablehnend (im Folgenden: disaffiliativ) auf eine Handlung Ps zurückbeziehen. Alternativ können sie auch initiativ bzw. appellativ sein, indem S seinerseits eine bestimmte Handlung oder Konzeptualisierung auf Seiten Ps anregt. Die zweite Variante bezieht sich auf soziale Erwartungen, die Goffman (1967) wie folgt charakterisiert: „Just as the member of any group is expected to have self-respect, so also he is expected to sustain a standard of considerateness; he is expected to go to certain lengths to save the feelings and the face of others present, and he is expected to do this willingly and spontaneously because of emotional identification with the others and with their feelings“ (ebd., S.-10). Bei verfestigten Ausdrücken, deren Einsatz dazu dient, ein positives Selbst- und Partnerbild im Sinne dieses Zitats aufrechtzuerhalten, sprechen wir im Folgenden von einer facebezogenen Funktion. Schematisch lässt sich diese Gliederung wie in Abbildung-11 darstellen: Abb.-11: Interpersonell-koordinationsbezogene Funktionen Dass die in Abbildung-11 genannten Funktionen speziell etwas mit der Koordination individueller Standpunkte von S und P sowie mit ihrem persönlichen Verhältnis zueinander zu tun haben, liegt auf der Hand. Gleichzeitig sind sie aber auch nur schwer von positionierenden und epistemischen Funktionsmerkmalen zu trennen: Wenn S zum Beispiel eine vergewissernde Nachfrage durch P bestätigt, ist das in intersubjektiver Hinsicht ein affiliativer Akt, mit dem S Zustimmung zum Ausdruck bringt. Subjektiv wird damit aber auch ein bestimmter persönlicher Standpunkt eingenommen (involvierende Positionierung) sowie in epistemischer Hinsicht eine aufgeworfene Frage bezüglich des Common Grounds von S und P bearbeitet („K=“). Diese Verwobenheit scheint wiederum eher für eine Lösung im Sinne Brintons zu sprechen. Es sei daher nochmals darauf hingewiesen, dass es im Rahmen unserer <?page no="191"?> Formelüberblick 191 Klassifikation in der Regel um komplexe Profile von Funktionsmerkmalen in mehr als einem der unterschiedenen vier Bereiche geht, und dass wir uns schlicht aus darstellungspraktischen Gründen für eine Unterteilung der Ergebnispräsentation in separate Schwerpunkte entschieden haben, denen individuelle Formeln dann jeweils zuzuordnen sind. Andererseits gibt es neben Verwendungen mit solchen Überlappungen aber natürlich auch Praktiken, die sich recht klar nur einem bestimmten der unterschiedenen vier Bereiche zuordnen lassen. Hier sehen wir es entsprechend als deskriptiven Gewinn, nicht lediglich eine einzige undifferenzierte „interpersonelle Funktion“ zu veranschlagen, sondern spezifisch benennen zu können, dass es sich zum Beispiel um eine Bekräftigung oder um eine Anzeige unsicheren Wissens handelt. Die Strukturierung des vorliegenden Kapitels orientiert sich an der Darstellung in Abbildung-11. Bei facebezogenen Funktionen verzichten wir auf eine generelle Differenzierung, ob eine Bedrohung des eigenen oder fremden Selbstbilds bearbeitet wird (wenn sich für eine gegebene Formel-in dieser Hinsicht eine klare Tendenz erkennen lässt, wird das im Rahmen der Diskussion allerdings berichtet). Für einen ersten Überblick sind in Tabelle-5 die zehn häufigsten Formeln dieses Funktionsbereichs zusammengestellt: 120 Rang Formel Typ Frequenz pMW 1 ehrlich gesagt facebezogen 226.04 14,41 2 sagen wir (direktiv) appellativ 161.326 10,28 3 sag mal appellativ 85.435 5,45 4 du sagst es affiliativ 5612 0,36 5 ich will ja nichts sagen facebezogen 1926 0,12 6 sag das nicht disaffiliativ 1436 0,09 7 unter uns gesagt facebezogen 1435 0,09 8 das kann man so nicht sagen disaffiliativ 1277 0,08 9 das kann man wohl sagen affiliativ 1190 0,08 10 das habe ich nicht gesagt disaffiliativ 1072 0,07 Tab.-5: Koordinierende Formeln (Top 10 in DECOW16B) 120 Die Werte für groß- und kleingeschriebene, apokopierte und nicht-apokopierte, regionale und standardsprachliche sowie sonstige Schreibvarianten derselben lexikalischen Einheiten wurden addiert. Darüber hinaus wurden die verschiedenen formalen Varianten der entsprechenden Formeln nicht aggregiert, d. h. die Zahlen in Tabelle-5 beziehen sich allein auf die Leitform der zentralen Verfestigung eines gegebenen Bildungstyps. Für Ausdrücke mit vielen falschen Positiven in der Suchanfrage wurde eine Stichprobe von 100 Instanzen auf den Anteil tatsächlicher Markerverwendungen durchgesehen und die erzielte Rohtrefferzahl um den ermittelten Faktor korrigiert (vgl. Kap.-3). Von den Formeln in Tabelle-5 betraf das die Ausdrücke ehrlich gesagt, sagen wir (direktiv), sag mal und sag das nicht, für die insofern hochgerechnete korrigierte Werte berichtet werden. <?page no="192"?> Koordination 192 5.2.1 Affiliative Formeln Affiliative Formeln signalisieren inhaltliche Zustimmung zu P. Sie sind gleichzeitig involvierend und Common Ground-bezogen. Formeln, bei denen wir das Zustimmungsmerkmal dominant sehen, sodass sie hier und nicht in Kapitel-4 oder 6 behandelt werden, sind in ihrer typischen Verwendung responsiv und zudem non-kompetitiv in epistemischer Hinsicht. 121 Wir beginnen unsere Darstellung mit Bildungen, in denen S selbst als Sprechinstanz der sagen-Prädikation auftritt. Sie formulieren eine Bestätigung, die sich mit einem phorischen Pronomen auf eine Partneräußerung zurückbezieht. Es gibt sie sowohl in explizit sprecherdeiktischen als auch in lediglich sprecherinklusiven Varianten. Sie sind modalisiert mit der würde-Ersatzform für den Konjunktiv oder mit können, hinzutreten kann außerdem modaldeiktisches so: (181) Wenn man jetzt auf die Recordings blickt, waren die Aufnahmesession einfacher für euch, als die für das Debut? -- Das würde ich sagen , denn wir waren bei Tommy in den besten Händen und die Vorschläge, die er uns unterbreitete, waren wirklich klasse. (http: / / www.hmbreakdown.de/ Archiv/ H/ Heavenly_11-01/ heavenly_11-01.html [decow]) (182) Wie bewerten Sie ihre aktuelle Rolle in der Nationalmannschaft? In dieser Hinsicht hat Ihnen die Zeit bei den Löwen doch wohl eher geschadet? M. Müller: Das kann man so sagen . Die Präsentationsfläche für einen Spieler ist nun mal die Bundesliga, und da habe ich zu wenig gespielt. (http: / / www.haspo-bayreuth.de/ Haspo/ files/ 01_Home/ Gaestebuch/ gaestebuch.php? nav=1%26subna v=7%26start=340 [decow]) (183) Früher waren Sie also James. Und jetzt sehen wir Hansi? Last: So kann man das sagen . Absolut richtig. (http: / / www.welt.de/ print-wams/ article116699/ They-call-me-Hansi.html [decow]) Stärker speziell auf die Ausdrucksseite bezogen (sowie auch deutlicher affirmativ) sind Varianten, die anstelle des modalen so die Möglichkeit einer noch geeigneteren Alternativformulierung verneinen (vgl. etwa die im Duden genannten Beispiele besser, kürzer, treffender kann man es nicht sagen, Duden 2001, S.-1341). Auffällig ist bei Ausdrücken des Typs in (181) bis (183) der hohe Anteil von Belegen aus Interviewkontexten in den Daten, obwohl im Korpus die Forendiskussionen deutlich überwiegen. Hintergrund ist vermutlich nicht eine stärkere Affinität dieser Ausdrücke zur (niedergeschriebenen) Mündlichkeit, sondern eher die Gattungsspezifik des Verge- 121 Wie in Kapitel- 3 ausgeführt, besteht die Tendenz, Zustimmungen in zweiter Sequenzposition als Anerkennung eines epistemischen Primats des Partners aufzufassen. Affiliative Handlungen in zweiter Sequenzposition lassen sich insofern weiter danach untergliedern, ob (und wie deutlich) sie diesem Eindruck entgegengetreten (und somit epistemisch „kompetitiv“ sind) oder nicht. <?page no="193"?> Formelüberblick 193 wisserungkontexts, in dem der Interviewte eine Annahme des Interviewers bestätigt. Nicht miterhoben wurden +adressierte Varianten wie das bereits in Kapitel- 4 behandelte das kann ich dir sagen, das mehrheitlich bekräftigend gebraucht wird. Zentrale Verfestigung ist das kann man so sagen mit 884 Belegen (0,06 Vorkommen pMW). Die Formel-steht turninitial in zweiter Sequenzposition und bildet den zweiten Paarteil zu einem request for confirmation. Sie kombiniert die Funktionsmerkmale „involvierend“, „affiliativ“ und „K+“. TYP handlungswertig HANDLUNG Bestätigung KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, affiliativ, K+ FORM TMP: prs, +MV: können, SUB: man, AKK: das, +MOD: so Formel-20: das kann man so sagen Gebräuchlicher bei affiliativen Formeln ist ein adressatendeiktisches Subjekt. Die meisten dieser Ausdrücke behandeln wir aufgrund ihrer epistemischen Implikationen erst in Kapitel- 6. Es kann aber auch das affiliative Element im Vordergrund stehen, wie etwa bei du sagst es. Die mit 5612 Treffern belegte Formel-(0,36 Vorkommen pMW) wird gebraucht im Sinne von ‚das stimmt‘ oder auch ‚was du sagst, gilt analog auch für mich‘: (184) Huhu Mods, kann mir wer weiterhelfen? Gehört vielleicht ganz am Rande auch zu Euren Aufgaben. : rolleyes: / / Du sagst es …done. Ansonsten geht das auch ohne rollende Augen-- nicht jeder ist immer überall. : kuss: 07. November 2006, 19: 00 (http: / / www.civforum.de/ archive/ index.php/ t-38195.html [decow]) (185) Ich versuche immer die Flipper so auszurichten das sie in einer Linie mit die Ballguides des Inlanes sind--> dann rollt der Ball sehr schön auf die Flipperfinger ohne einen kleine Sprung zu machen. Auf die Löcher habe ich noch nie geachtet ; -) / / Jepp, du sagst es . So mach ich das auch. (http: / / www.flipper markt.de/ community/ forum/ archive/ index.php/ t-13313.html [decow]) Ähnlich wie bei einigen dominant wissensbezogenen Formeln gibt es zwar auch hier kompetitive Verwendungen, in denen sich die Zustimmung mit einer Beanspruchung epistemischer Autonomie verbindet. Die Formel-ist dann von einer erläuternden Expansion begleitet, die demonstrieren soll, dass der Sachverhalt, dem zugestimmt wird, für S zum Zeitpunkt von Ps Äußerung nicht neu war: (186) Das kam so mit den ersten Apple Computern auf die eine grafische Oberfläche hatten. Bei PCs war da noch Klötzchengrafik angesagt. Michael(felis) 02.07.2006, <?page no="194"?> Koordination 194 17: 35 / / Hallo Michael Felis, Du sagst es . WYSIWYG kam vor knapp zwanzig Jahren in Reichweite. Das „WorldWideWeb“ gab es zu dieser Zeit noch nicht. Grüße, Heinz Kl@u$ 03.07.2006 (http: / / www.nikoninfo.de/ forum/ archive/ index.php? t-24848.html [decow]) Anders als etwa bei ich wollte gerade sagen oder da sagst du was ist diese Verwendung bei du sagst es jedoch nicht dominant (drei von 20 Belegen, 15%). In der Regel wird lediglich konstatiert, dass P einen relevanten Beitrag geleistet hat und S der darin formulierten Einschätzung zustimmt. Die evaluativ gefärbte Verblesart ist paraphrasierbar mit ‚etwas auf den Punkt bringen‘ und entsprechend Ausdruck von S’ Anerkennung. Belegt, aber ebenfalls selten (einer von 20 Belegen, 5%) sind außerdem bestätigende Verwendungen als Antwort auf eine Vergewisserungsfrage: (187) Pilatus sagte zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst- es ,- ich bin ein König. (http: / / www.catena-aurea.de/ ljapassdom.html [decow]) Möglich, in den ausgezählten 20 Belegen aber gar nicht vertreten sind außerdem monologische Gebräuche der folgenden Art: (188) Was wäre Pulp Fiction ohne das Wort FUCK? ? Du sagst es … : D Hat bei der ersten Szene bei dem Restaurantüberfall eigentlich mal jemand mitgezählt? Ich- schätze mal: 50? 60? : D (http: / / www.comicforum.de/ archive/ index. php/ t-89235.html [decow]) In (188) formuliert S in erster Sequenzposition eine nur fingiert dialogische Frage, und bezieht sich mit dem es des unmittelbar anschließenden du sagst es auf eine nur projizierte, aber nicht tatsächlich realisierte Antwort zurück. Sequenziell steht die Formel-somit in dritter Position, auch wenn der zweite Paarteil der Frage-Antwort- Sequenz hier fehlt. Auch solche Verwendungen entfalten affiliative Effekte, allerdings in umgekehrter Richtung: Anstatt S’ Zustimmung zu einer Positionierung Ps zu signalisieren, heischen sie Ps Zustimmung zu einer insinuierten Positionierung seitens S.-Auch der epistemische Effekt einer unterstellten Intersubjektivität („K=“) ist derselbe. Dominant ist allerdings wie erwähnt die Verwendung in zweiter Position, die einer direkt vorangehenden Partneräußerung beipflichtet. Sie erscheint turninitial und ist handlungswertig. Funktional verbindet sie das affiliative Koordinationsmerkmal mit einer involvierenden Positionierung und dem epistemischen Merkmal „K=“. <?page no="195"?> Formelüberblick 195 TYP handlungswertig HANDLUNG Zustimmung KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, affiliativ, K= FORM TMP: prs, SUB: du, AKK: es Formel-21: du sagst es Stärker betont ist die epistemische Komponente in den folgenden Ausdrücken: (189) Ich zitiere: „Ein Traumstellplatz wartet auf uns.“ Das kann man wohl sagen , liebe Autoren des WoMo-Führers, ganz herzlichen Dank! (http: / / www.camping-bus.de/ Reiseberichte/ Daenemark-2010/ Daenemark-3.html [decow]) (190) Er scheint wohl heute keinen guten Tag zu haben… LG 14.04.2009, 22: 32 / / Das kannst du aber laut sagen . Cech hat Chelsea einige Male richtig in Verlegenheit gebracht…14.04.2009, 23: 49 (http: / / forum.torwart.de/ de/ archive/ index. php/ t-56260-p-2.html [decow]) (191) Dann will ich schnell noch ‘nen Tip geben bevor ich Mittag auflöse : FFTeufel: Wir sind in Europa, dürfte bei der Reichweite der Partenavia ja klar sein : D Hier noch der Tower des Platzes ; ) es gibt auch noch andere große Sehenswürdigkeiten in der näheren und weiteren Umgebung : D 25.01.10, 10: 37 / / Ist das im Hintergrund beim Anflugbild eine größere Stadt? 25.01.10, 11: 10 / / Das kann man getrost so sagen : FFTeufel: (http: / / www.flugzeugforum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-57772.html [decow]) Bildungen dieses Typs bekunden Zustimmung und verbinden diese Reaktion mit einer emphatischen Bekräftigung der gerahmten Einschätzung. 122 Erreicht wird das entweder durch ein ironisches Understatement (das kann man wohl sagen +> ‚das ist ganz sicher der Fall‘) oder im Gegenteil durch den expliziten Hinweis, dass die kommentierte Positionierung noch zurückhaltend formuliert war und nach Auffassung von S auch deutlicher ausfallen könnte (das kannst du laut sagen). Zentrale Verfestigung ist das kann man wohl sagen mit 1.190 Belegen (0,08 Vorkommen pMW). Sie kann in seltenen Fällen (zwei von 20 Belegen, 10%) auch in monologischen Kontexten (und dann wohl eher nichtals selbstironisch) als Bekräftigung einer eigenen Aussage gebraucht werden: (192) Peter Harry Carstensen, Schirmherr der Schleusenanlage Kluvensiek, zum 225jährigen Jubiläum des Eiderkanals: „Der Eiderkanal wird liebevoll gehegt 122 Vgl. auch die beiden im Duden genannten Paraphrasen: Einerseits „das ist in der Tat richtig, wahr“ (Zustimmung), andererseits „das ist fast zu gelinde ausgedrückt“ (Bekräftigung). <?page no="196"?> Koordination 196 und gepflegt, das kann man wohl sagen ! Das ist das Verdienst des Canal- Vereins“. (http: / / www.canal-verein.de/ erei.htm [decow]) Typisch ist aber die handlungswertige Responsivverwendung in zweiter Sequenzposition, mit der einer Partnerpositionierung zugestimmt wird. TYP handlungswertig HANDLUNG Zustimmung KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, affiliativ, K+ FORM TMP: prs, +MV: können, +MPT: wohl, SUB: man, AKK: das Formel-22: das kann man wohl sagen Eine besondere Form der Zustimmung leistet die Formel-da sage ich nicht nein, deren Bedeutung VALBU mit „Dieses Angebot nehme ich gerne an“ paraphrasiert (Schumacher et al. 2004, S.-613): (193) Hmm, ich wollte eigentlich keine „Leihgebühren“. Aber wenn du mir so direkt einen Drink anbietest, da sage ich nicht nein : D (http: / / www.rc-car-driver. de/ archive/ index.php/ t-7289.html [decow]) Indem die Formel-mit ihrer doppelten Verneinung (Litotes) die mögliche Ablehnung eines Angebots thematisiert, wird diese Option als erwartbar und damit als relevanter Anknüpfungspunkt der Äußerung unterstellt. S demonstriert mit dieser indirekten Strategie, sich der entsprechenden Erwartung bewusst zu sein, auch wenn sie im Folgenden nicht erfüllt wird (da es gewichtigere Gründe gibt, das Angebot im aktuellen Fall dann trotzdem anzunehmen). Es handelt sich mithin um eine typische Höflichkeitsform, die dazu dient, in der Annahme des Angebotenen zurückhaltend und nicht allzu beflissen oder gar begierig zu erscheinen. Verwendungen der Formel-in wenn-Sätzen wie (193) stellen eine Brücke zu kontextübergreifend gültigen Konditionalbeziehungen wie in (194) dar, in denen kein aktuelles Angebot angenommen wird, sondern eine generalisierte Haltung formuliert wird (‚falls X, bin ich damit einverstanden‘). Hier bleibt lediglich das positionierende Funktionsmerkmal erhalten: (194) Es geht für mich erst mal darum, 40 Punkte zu holen. Wenn wir die haben, können wir Ziele neu definieren. Und wenn wir ganz am Ende ganz oben stehen-- da sage ich nicht nein . (http: / / www.siegerland-sport.de/ fussball-siegenwittgenstein/ auch-trainer-schacht-hat-ein-herz [decow]) <?page no="197"?> Formelüberblick 197 Entfällt auch die habituell-generische Implikation, ist der Übergang vom indexikalischen Gebrauch der Formel- in den rein symbolischen als idiomatische Mehrworteinheit mit der Bedeutung ‚ein Angebot annehmen‘ vollzogen. Letzterer erlaubt dann auch weitere deiktische Verschiebungen wie in (195): (195) Meine Mutter hat ihn nämlich gefragt ob er bei uns Mitfahren wollte und da hat er natürlich nicht nein gesagt . (http: / / www.joelle.de/ topic/ 16880-bsk- 118-lusitanos [decow]) Vom selben semantisch-pragmatischen Bildungstyp ist das lasse ich mir nicht zweimal sagen, das ebenfalls zur Annahme eines Angebots verwendet wird. Bezug genommen wird wiederum auf eine unterstellte Erwartung, dass S dem gemachten Angebot nicht zustimmen könnte- - oder zumindest nicht gleich, sondern es zunächst höflich ablehnen und sich weiter bitten lassen sollte. Die ritualisierte Wiederholung des Angebots wird allerdings durch die Versicherung, es gleich beim ersten Mal zu akzeptieren, abgeschnitten, was die emphatische Qualität der Zustimmung begründet (vgl. auch Werlen 2001 und siehe Kap.-7). Gleichzeitig wird die Annahme durch diese Versicherung auch praktisch vollzogen. Als Akkusativobjekt kann neben das auch so etwas/ sowas auftreten (vgl. (196)). Wie im Fall von da sage ich nicht nein sind auch deiktisch verschobene Realisierungen ohne indexikalische Qualität möglich, in denen der Ausdruck die generalisierte idiomatische Bedeutung ‚ein Angebot annehmen‘ aufweist (vgl. (197)). Anders als da sage ich nicht nein kann diese Variante auch als weiterführender Nebensatz verwendet werden (vgl. (198)): (196) Mario hat mich quasi „eingeladen“, auch mal vorbei zu schauen…und sowas lasse ich mir ja nicht zweimal sagen ; ) Ich freu mich schon, da lerne ich mal wieder ein paar neue Leute kennen! (http: / / www.jeep-community.de/ archive/ index.php/ t-1014.html [decow]) (197) Der Weser-Kurier bietet allen am Projekt teilnehmenden Klassen die Möglichkeit der Veröffentlichung eines eigenen Artikels. Das wollte sich die Klasse 9c nicht zweimal sagen lassen . (http: / / www.realschule-rotenburg.de/ infos. html [decow]) (198) Millionen von Tänzerfüßen ungefähr seit dem Jahr 1280 oder so haben den rührend abgeschliffenen hölzernen Tanzboden zu dem gemacht, was er heute ist. Schlichtes Holzmobiliar lädt zu einem in Muße vertanzten und verträumten Nachmittag, was ich mir denn auch nicht zweimal sagen lasse . (http: / / www.tango-tango.de/ e_download.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist allerdings da sage ich nicht nein mit 92 Belegen (0,006 Vorkommen pMW). Von 20 ausgewerteten Belegen dienen 16 dazu, auf ein direkt zuvor formuliertes Angebot zu reagieren (80%), die übrigen vier sind rein positionierende Gebräuche in der Art von (194). Bei den Offerten geht es in der Hälfte der Fälle um <?page no="198"?> Koordination 198 Angebote von Speisen oder Getränken-- innerhalb der Webdaten dann natürlich in der Regel im Rahmen von Erzähltexten: (199) Lena öffnete die Tür zur Vorratskammer. „Möchten Sie etwas trinken? Ich könnte uns einen Kaffee kochen.“ „ Da sage ich nicht nein “. (http: / / lovestories. bloggaworld.de/ 2010/ 10/ 25/ wenn-treueschwure-brechen [decow]) Die Formel-ist handlungswertig. Sie füllt entweder den gesamten Redezug aus oder erscheint turninitial. TYP handlungswertig HANDLUNG Zustimmung KONTEXT 2. Sequenzposition, initial FUNKTION involvierend, affiliativ FORM TMP: prs, SUB: ich, +QUO: nein, +MOD: da, nicht Formel-23: da sage ich nicht nein 5.2.2 Disaffiliative Formeln Funktionales Gegenstück zu Zustimmungen und Bestätigungen mit sagen sind Ausdrücke zur Formulierung von Ablehnung und Widerspruch. Auch Vorwürfe rechnen wir zu diesem Subtyp. Grundlegender Bildungstyp sind responsive Distanzierungen mit Negation und Subjekt ich. Sie dienen dazu, eine S zugeschriebene bzw. unterstellte Positionierung zurückzuweisen: (200) Okay mit der Rücksichtslosigkeit mag wohl stimmen aber nicht alle Raucher-sind gleich! ; ) 21.01.2006, 00: 01 / / Das habe ich ja auch nicht gesagt , ich habe ja nur von den Rauchern gesprochen, die ich bisher getroffen/ kennengelernt habe … ; ) (http: / / forum.pop24.de/ archive/ index.php/ t-15196-p-3.html [decow]) (201) Aber, um beim Thema zu bleiben, tut jemand das nicht, dann hat das nichts mit (mangelnder) Bildung zu tun kommentiert von tomkin 1 am 22.08.2011 19: 13 / / Das sage ich doch gar nicht , (mangelnde) Bildung das haben doch sie eingebracht. (http: / / fragen.focus.de/ gesundheit/ kann-mir-jemand-sagen-was-derpapst-in-spanien-gemacht-hat-frage_22283.html [decow]) Distanzierungen mit OVS-Wortstellung im Präsens (wie (201)) treten in der Regel als Einleitung einer Klarstellung im Rahmen eines Multi-Unit-Turns auf (das sage ich nicht + weil/ um-Satz, das sage ich nicht + aus/ zu-PP etc.). Eine weitere Variante sind fokussierende Kontrastierungen in personeller Hinsicht, in denen S eine fälschli- <?page no="199"?> Formelüberblick 199 cherweise als geteilt unterstellte Positionierung zurückweist und sie als Auffassung allein desjenigen charakterisiert, der sie formuliert hat. Typischerweise handelt es sich dabei um P. Der kontrastierende Zusatz „ich (sage das) nicht“ kann auch entfallen: (202) Das sagst DU, nicht ICH . Ich finde es jedenfalls politisch mehr als fragwürdig, sich solche Bündnispartner zu suchen. (http: / / www.ruhrbarone.de/ es-war-eingrosser-fehler-diese-rede-gehalten-zu-haben/ 43242 [decow]) (203) Eine Notwendigkeit der Mannschaftsergänzung innerhalb eines Transfer-Fensters zur HÄLFTE einer Saison daran festzumachen, ob ich morgen oder übermorgen gegen A oder B spiele, ist absolut belanglos. / / Ja, das sagst DU . Ob- ’s- stimmt, steht auf einem anderen Blatt. (http: / / www.bvb-fanforum.de/ fanforum/ archive/ index.php/ t-4111.html [decow]) Das Wahrig-Wörterbuch spricht bei der kontrastierenden Variante von einem „Ausdruck, wenn man sich von jmds Meinung distanziert“ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). Gelistet ist die Formel-auch bei Schemann (2011, S.-688). Typischer ist allerdings die Variante, in der es nicht um mutmaßlich geteilte, sondern um speziell S untergeschobene Positionierungen geht. Zentrale Verfestigung ist die +anteriore Variante das habe ich nicht gesagt mit 1.072 Belegen (0,07 Vorkommen pMW): (204) wenn du meinst die jugend ist gut über rauschmittel informiert, dann will ich- dich in dem glauben lassen. / / Das habe ich nicht gesagt . ; ) Ich glaube aber, dass jüngere Leute nicht jeden Beipackzettel dreimal durchlesen, sondern sich eher unwissend was reinpfeifen, als sich belehren zu lassen. (http: / / www. civforum.de/ archive/ index.php/ t-42261.html [decow]) S formuliert damit einen Widerspruch bzw. eine Fremdkorrektur, distanziert sich von der durch P zugeschriebenen Positionierung und beansprucht epistemische Autorität in der Frage, welcher Standpunkt bezogen wurde und welcher nicht („K+“). Kontextadaptiert finden sich auch monologische Verwendungen als Replik auf eine selbstadressierte Frage: (205) Also eine Küche der Illusionen? Talmi statt hochkarätigen Preziosen? Nein, das habe ich nicht gesagt . Christian Jürgens ist keiner, der um des Effektes willen kocht. Effektvoll kocht er lediglich in den Augen von Menschen, die schon eine Wachtelbrust für effektvoll halten. (http: / / www.wo-isst-siebeck.de [decow]) Mit nur einem von 20 ausgewerteten Belegen (5%) ist dieser Gebrauch aber marginal. Typisch ist die turninitiale Verwendung in zweiter Sequenzposition als disaffiliatives Responsiv. <?page no="200"?> Koordination 200 TYP handlungswertig HANDLUNG Widerspruch KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM TMP: prf, SUB: ich, AKK: das, +MOD: nicht Formel-24: das habe ich nicht gesagt Modalisierte Varianten treten einerseits mit können oder dem Konjunktiv (bzw. dessen Ersatzform mit würde) auf. Auch Varianten mit wollen und mögen kommen vor. Anders als bei das habe ich nicht gesagt geht es bei diesen Bildungen nicht darum, ob S im Vorfeld der aktuellen Äußerung etwas faktisch behauptet hat oder nicht. Stattdessen wird markiert, dass die gerahmte Positionierung S prinzipiell nicht zustimmungsfähig erscheint. Hinzutreten kann jeweils modaldeiktisches so: (206) Als die Gregorianischen Choräle einmal aufgeschrieben waren, vergaßen die Mönche allmählich, wie er gesungen gehörte. / / Das kann man jetzt so nicht sagen . Das würde ja implizieren, daß mündlich Tradiertes gegen Veränderung- sicherer wäre als Geschriebenes! (http: / / www.capriccio-kulturforum.de/ vokalmusik/ 771-der-gregorianische-choral [decow]) (207) Publik-Forum: Das klingt, als hätten die christlichen Kirchen nachgerade die- Pflicht, die Wertebasis Europas zu legen. Joas: Das wäre zu viel gesagt . (http: / / www.ev-akademie-rheinland.de/ themen/ Joas-Religionen-Europa.php [decow]) (208) MoPo: Müssen sich die Eisbären langsam eingestehen, dass sie in dieser Saison nicht besser sind als Platz acht? S.W.: Das würde ich nicht sagen . Sicher verlieren wir noch immer Spiele, die wir gewinnen sollten. Aber wir befinden uns noch immer in einem Lernprozess, wir probieren noch viele Kombinationen mit Spielern aus und lernen neue Positionen. (http: / / forum.eishockey-leipzig. de/ lofiversion/ index.php/ t13-750.html [decow]) (209) Abg. Björn Försterling (FDP): Hatten Sie das Gefühl, dass nach dem Regierungswechsel 2005 das Thema Asse vonseiten des Bundesforschungsministeriums wichtiger und intensiver angegangen worden ist als vorher? Zeuge Dr.- Eberl: Das will ich nicht unbedingt sagen . (http: / / www.anti-atom-aktuell.de/ untersuchungsausschuss/ html/ 044PUAoe-plus.htm [decow]) (210) Für die Telekom ist das also nur ein reines Investmentprojekt? Reinhard Hanses: Das möchte ich so nicht sagen . Zwar investieren wir heute in das Projekt, es kann sich aber auch eine ganz andere Ausrichtung entwickeln. (http: / / invidis. mittelstandswiki.de/ 2009/ 10/ deutsche-telekom-out-of-homeflughafen-sindinteressant-weil-sie-innovationen-zulassen/ comment-page-1 [decow]) <?page no="201"?> Formelüberblick 201 Zentrale Verfestigung ist das sprecherinklusive das kann man so nicht sagen mit 1.277- Treffern (0,08 Vorkommen pMW). Sie wird im Rahmen unterschiedlicher Praktiken verwendet als Replik auf eine w-Frage, eine Entscheidungsfrage oder eine Feststellung: (211) Dann noch einmal ganz langsam: Was kostet eine T 9500 CPU bei Dell? Antwort: Das kann man so nicht sagen , da muss man genau hinschauen. (http: / / www.notebookjournal.de/ forum/ archive/ index.php/ t-8336.html [decow]) (212) FM: Ist der Lokalismus stärker als an anderen Spots dieser Erde? MR: Das kann man so nicht sagen . Ich habe Geschichten von Leuten aus Santa Cruz in Kalifornien gehört, die erzählten, dass du dein Brett gar nicht erst zu Wasser lassen brauchst, wenn du nicht aus der Ecke kommst. (http: / / www.free-magazin.de/ one-shot-mike-rose [decow]) (213) Der Jugendwahn ist an dieser Stelle vorbei. Zumindest können die Studenten- durch Bologna einfacher ins Ausland gehen. / / Das kann man so nicht sagen . Dieses Versprechen ist nicht wirklich erfüllt worden. Im Ausland müssen sie sich die Leistungen auch erst mal anerkennen lassen. (http: / / www.hrk.de/ presse/ hrk-in-der-presse/ sueddeutsche-zeitung [decow]) In Reaktion auf eine w-Frage (vgl. (211)) weist die Formel-die Präsupposition zurück, dass die Frage in der gestellten Weise überhaupt beantwortbar ist. Ihre Bedeutung ist damit primär epistemisch. Sie ähnelt dem in Kapitel-6 behandelten das ist schwer zu sagen (Formel-48). In Verwendungen wie (212), die als Replik auf eine Entscheidungsfrage eingesetzt werden, dient die Formel-hingegen dazu, eine von P insinuierte Positionierung abzulehnen, die S zur Bestätigung und somit als Angebot zur Identifikation mit der entsprechenden Einschätzung unterbreitet wird. Der dominante Gebrauch (16 von 20 Belegen, 80%) ist allerdings die disaffiliative Reaktion auf eine deklarative Partneraussage wie in (213). S weist damit eine Positionierung Ps als nach eigener Auffassung unzutreffend zurück, sodass zugleich das epistemische Merkmal „K+“ beansprucht wird. Die Formel- ist handlungswertig und formuliert einen Widerspruch. Sie tritt in der Regel turninitial in zweiter Sequenzposition auf. Begleitet wird sie üblicherweise von einem Account für die Zurückweisung von Ps Einschätzung. TYP handlungswertig HANDLUNG Widerspruch KONTEXT 2. Sequenzposition, initial FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM TMP: prs, +MV: können, SUB: man, AKK: das, +MOD: so, nicht Formel-25: das kann man so nicht sagen <?page no="202"?> Koordination 202 Während die bisher diskutierten Disaffiliationen vornehmlich sachlich-inhaltsbezogene Reaktionen darstellen, gibt es auch disaffiliative Formeln mit stärkerer affektiver Aufladung. Unter den sprecherdeiktischen Bildungen ist hier zunächst die +exklamative Ellipse ich muss schon sagen zu nennen (248 Belege, 0,02 Vorkommen pMW): 123 (214) Jens, also, ich muß schon sagen …! Wenn Du meinst, Dich hier so verhalten zu müssen, dann bist Du hier falsch! (http: / / www.edaboard.de/ spannungsfesterpnp-transistor-t16504,start,30.html [DECOW]) Eine tatsächliche Ausformulierung der disaffiliativen Äußerung in ihrem Skopus ist möglich, aber nicht nötig. Auch wenn wie in (214) eine entsprechend interpretierbare Anschlussäußerung realisiert ist, kann sie in mündlicher Verwendung prosodisch deutlich von der Formel-abgesetzt werden, was in (214) typographisch durch die drei Punkte („…“) vor der satzfinalen Interpunktion nachgebildet wird. Der Ausdruck ähnelt der Formel-ich muss doch sehr bitten, in der das Erbetene ebenfalls implizit bleibt. Die aspektuelle Modifikation mit schon bringt zunächst einmal nur zum Ausdruck, dass der kommentierte Gegenstand in einer bestimmten Hinsicht besonders bemerkenswert ist: Auf einer Skala von ‚nicht erwähnenswert‘ bis ‚thematisierungspflichtig‘, die in dieser Konzeptualisierung mental durch „sequential scanning“ (Langacker 1987, S.-245) abgeschritten wird, befindet sich die kommentierte Ausprägung ‚schon‘ (und damit anders als erwartet/ präferiert) in einem Bereich, in dem dieses Merkmal nicht mehr einfach übergangen werden kann. Die Formel- ist somit zunächst einmal mirativ und drückt eine Erwartungsverletzung aus. Eine klar evaluative Komponente kann fehlen (vgl. (215)) oder auch positiver Art sein (vgl. (216)), die häufigste Verwendung (elf von 20 Belegen, 55%) ist jedoch mit einer negativen Bewertung verbunden (vgl. (217)): (215) Oh, Frau Narnia ist Frau Mama! Und chattet als verdeckte Töchterchenermittlerin rum? Ich muss schon sagen ! Aber depri ist hoffentlich gelogen, oder? @ Klappi: Bitte unbedingt alles in den Keller mitbringen, das Ben Matlock je zur Gitarre gesungen hat. (http: / / wohnsinn.frblog.de/ wohnen-wagen-einst-undheute-1 [decow]) (216) Hallo Modstudio Hessen! Ich Downloade mir gerade eure Frankfurt am Main Mod und habe mir in der Zeit mal die Fahrzeuge dazu angesehen! Ich muss schon sagen! Echt geile Fahrzeuge (http: / / www.emergency-forum.de/ board41-emergency-4/ board75-emergency-4-moddingprojekte/ 32764frankfurt-am-main-mod-diskussion-und-news/ index68.html [decow]) 123 Gesucht wurde ausschließlich nach exklamativen Instanzen (mit Ausrufezeichen) ohne Objektkomplement. <?page no="203"?> Formelüberblick 203 (217) Als Frau eines Briten, der im Abenteuer „Asterix bei den Briten“ in Verdacht gerät das Fass mit dem Zaubertrank gestohlen zu haben, zeigt sie sich über das gewaltsame Eindringen von Asterix, Obelix und Teefax in ihr Haus in Londinium überrascht und sichtlich verärgert („ Ich muss schon sagen ! So ein Eindringen! Schockierend! “), während ihr namentlich nicht genannter Mann die Ruhe bewahrt und auf Seite 32 eine Erklärung über die Handlungsweise einfordert. (https: / / www.comedix.de/ lexikon/ db/ petula.php [decow]) Die disaffiliative Variante dient zur Formulierung einer Rüge an die Adresse Ps, dessen Handeln eine Norm verletzt hat. S distanziert sich von der kommentierten Handlung und ist sich sicher, dass seine Entrüstung darüber auch berechtigt ist („K+“). 124 Die Formel-ist handlungswertig und tritt turninitial in zweiter Sequenzposition auf, ein häufiges Vorlaufelement ist also. Formal ist sie festgelegt auf das Subjekt ich, das Modalverb müssen und das Adverbial schon. TYP handlungswertig HANDLUNG Vorwurf KONTEXT 2. Sequenzposition, initial FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM (+VL: also) TMP: prs, +MV: müssen, SUB: ich, +MOD: schon Formel-26: (also) ich muss schon sagen Zum politischen Kampfbegriff ist in den vergangenen Jahren die Formel- das wird man ja wohl noch sagen dürfen avanciert (Röhrborn 2020). S beklagt damit eine Einschränkung seiner kommunikativen Rechte durch P oder ungenannte Dritte. Ausgedrückt wird die Erwartung, dass eine gegebene (sprachliche) Bezeichnung oder (inhaltliche) Positionierung nach wie vor (‚noch‘) verwendbzw. vertretbar sein sollte. Als Hintergrund dieser Bestimmung wird damit gleichzeitig eine zunehmende Verengung des legitim Sagbaren impliziert: (218) Sind die überhaupt integrationsfähig in ein demokratisches multikulturelles- Deutschland? Ich persönlich habe daran erhebliche Zweifel. Und das wird- man ja wohl noch sagen dürfen . (http: / / www.schockwellenreiter. de/ blog/ 2010/ 09/ 10/ sarrazin-fan-wird-von-teenagern-vorgefuhrt-gottlich [decow]) Formuliert wird eine Beanspruchung von kulturellem Common Ground („K=“), 125 aus dem S die Berechtigung seiner Positionierung herleitet. Die Erwartung, dass ein 124 Vgl. Kapitel-6 zur Einordnung mirativer Ausdrücke als „K+“ oder „K-“. 125 In (218) wird sie noch unterstrichen durch das ja. <?page no="204"?> Koordination 204 solcher Zusammenhang besteht, wird durch die epistemische werden-Konstruktion sowie die epistemische Partikel wohl angezeigt. An weiteren epistemischen Partikeln können ja und doch hinzutreten, von denen letzteres das disaffiliative Element des aufrecht erhaltenen Gültigkeitsanspruchs gegenüber einer Anfechtung unterstreicht. Als Modalverb kann neben dürfen auch können erscheinen. Das Subjekt kann prinzipiell auch auf einen spezifischen Referenten verweisen: (219) Also, ich will ihm nicht an den Hals. Ich bin nur der Meinung, dass er die falsche Entscheidung für die 3 Spiele getroffen hat. Das werde ich wohl noch sagen dürfen . (http: / / www.alemannia-brett.de/ forums/ archive/ index.php/ t-6465p-3.html [decow]) (220) TheCounter ist es den so wie du es dir vorgestellt hast, oder trifft es nicht die Erwartungen die man in ein solches Game steckt? Das wirst du doch wohl sagen dürfen… (http: / / www.computerbase.de/ forum/ archive/ index.php/ t-60403. html [decow]) (221) leute, ich weiss nicht was euch gebissen hat. der tmblues hat offensichtlich nicht-so gefallen an dem gig gefunden. und das wird er ja wohl noch sagen dürfen . (http: / / www.rockzirkus.de/ forum/ archive/ index.php/ t-10936.html [decow]) Typisch ist aber eindeutig generisches und sprecherinklusives man, das ebenfalls auf universelle Gültigkeit und damit auf den von S beanspruchten Common Ground verweist. Zentrale Verfestigung in DECOW16B ist das wird man ja wohl noch sagen dürfen mit 173 Belegen (0,01 Vorkommen pMW). Interessant ist das deutliche Übergewicht erwähnender anstatt authentisch verwendender Vorkommen des Ausdrucks (im Sinne der Unterscheidung von ‚use‘ und ‚mention‘, vgl. Quine 1951): Neben Nennungen im Rahmen von Verweisen auf Buchtitel, Artikelüberschriften und ein Kabarettprogramm (acht von 20 Belegen, 40%) fällt er in den ausgewerteten Belegen aus DECOW16B vor allem als Chiffre der politischen Fremdzuschreibung (neun von 20 Belegen, 45%- - vgl. (222) und (223)). Authentisch verwendende Vorkommen wie (224) machen dagegen nur 15% der Treffer für die Formel-aus: (222) Wohin das dann geht, wissen wir doch. Ich höre schon förmlich die: „Was in Deutschen Bädern üblich ist, entscheiden immernoch wir, das wird man ja wohl noch sagen dürfen ! ! ! “ (http: / / www.piratenpartei-hildesheim.de/ 2013/ 11/ 08/ burkini-gate-in-der-hildesheimer-kreispolitik [decow]) (223) Unter dem Banner der Meinungsfreiheit („ Das wird man ja wohl noch sagen dürfen ! “) wird eine angebliche linke Meinungshegemonie sowie der drohende Untergang des Abendlandes beklagt. (http: / / 83273.homepagemodules.de/ t4119f14-RAF-Dschihad-Breivik.html [decow]) <?page no="205"?> Formelüberblick 205 (224) Mal ehrlich, was macht das für ein Unterschied? Zudem heult hier niemand über die Grafik. Man hat lediglich gesagt, dass sie „nüchtern“ und „nicht überragend“ ist. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen , ohne dass sich Fans auf den Schlips getreten fühlen. (http: / / ps3.pspfreak.de/ 2010/ 10/ 31/ crysis- 2-neue-gameplay-videos-aus-der-beta [decow]) Der Ausdruck ist handlungswertig. Er markiert den Anspruch auf Handlungsautonomie in Gestalt freier Meinungsäußerung, die gegenüber einer (möglichen) Anfechtung durch P disaffiliativ bekräftigt wird. Die Formel- weist damit die ungewöhnliche Merkmalskombination auf, sowohl disaffiliativ als auch Common Ground-bezogen zu sein, wobei die Berufung auf die Legitimationsquelle des kulturellen communal common ground (Clark 1996, S.- 100-112), an den P hier gemahnt wird, zur Abwehr eines seinerseits von P produzierten (oder auch nur erwarteten) Widerspruchs dient. In authentischen Verwendungen erscheint der Ausdruck somit entweder in dritter Sequenzposition, um eine ihrerseits disaffiliative Reaktion bzw. eine als unzulässig empfundene Zuschreibung zurückzuweisen, oder kontextadaptiert in erster Position, um einem entsprechenden Vorwurf bereits proaktiv entgegenzutreten. TYP handlungswertig HANDLUNG Bekräftigung KONTEXT 3. Sequenzposition FUNKTION involvierend, disaffiliativ, K= FORM TMP: prs, +MV: dürfen, +MPT: ja, wohl, SUB: man, AKK: das, +MOD: noch Formel-27: das wird man ja wohl noch sagen dürfen 126 Auch unter explizit adressatendeiktischen Disaffiliationen lässt sich zwischen eher inhaltsbezogenen und stärker affektiv aufgeladenen Formeln unterscheiden. Zu ersteren zählt das anaphorisch-responsive Pendant des distanzierenden sag nicht (vgl. Kap.-4, Formel-19), sag das nicht. Der Ausdruck ist invariant und mit 1.436 Treffern belegt (0,09 Vorkommen pMW). 127 Er wird benutzt, um einer Positionierung Ps zu widersprechen bzw. einen alternativen Standpunkt dazu einzuführen, der den thematisierten Sachverhalt weniger gesichert erscheinen lässt, als er von P dargestellt wurde: 128 126 Wir betrachten die werden-Konstruktion hier als epistemisch und werten das Tempus der Formel-insofern als Präsens. 127 Die Frequenzangabe für sag das nicht ist nach Durchsicht einer Stichprobe von 100 Treffern gegenüber der Rohtreffermenge nach unten korrigiert (vgl. Kap.- 3 und siehe Erläuterungen zu Tab.- 5 zu Beginn dieses Kapitels). 128 Vgl. auch die Paraphrase im Duden: „das ist gar nicht so sicher“ (Duden 2001, S.-1341). <?page no="206"?> Koordination 206 (225) lern nicht so viel denn wer viel kann muss auch viel machen 25.08.2008, 23: 18 / / In meinem Alter lernt man nichts mehr… *gg* Gute Nacht! : sleep: loke 26.08.2008, 20: 32 / / sag das nicht , man kann immer noch was lernen selbst wenn es noch so klein und unscheinbar sein mag nacht 09.09.2008, 12: 54 (http: / / www.mur phys-community.de/ forum/ archive/ index.php/ t-4677-p-26.html [decow]) (226) ach quatsch, waum sollte das? das sind 350kg die können net ma eben umkiippen Speedjunky 04.02.2007, 18: 32 / / Hallo Chris, sag das nicht . Nem Kollegen von mir ist sowas ähnliches mal passiert. Der hatte sich auch seinen ersten Aquaschrank gebaut, auch als Raumteiler und da stand ein 720er Becken drinnen. (http: / / www.aquarienforum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-42900.html [decow]) In Beispielen (225) und (226) distanziert sich S von einer Partnerpositionierung und legt auch P selbst eine Distanzierung davon nahe. In einer zweiten, selteneren Variante wird die Formel-im Sinne von ‚beschwöre es nicht‘ verwendet. Der Bezugsausdruck bezeichnet dann einen Sachverhalt, dessen Eintreten für S oder P (vorgeblich) unliebsame Konsequenzen hätte und der insofern nicht „herbeigeredet“ werden soll. Hier bezieht sich S’ Widerspruch nicht in inhaltlicher Hinsicht auf die von P vertretene Positionierung, sondern auf die Opportunität ihrer Äußerung: (227) he, vielleicht ruft der ja nochmal an. : D 15. Januar 2010 um 20: 34 / / Oh Gott, sag-das nicht : D Ich will den nich nochmal am Telefon haben, der hörte sich so- griesgrämig an Kathy 15. Januar 2010 um 20: 35 (http: / / aheadwork. de/ 2010/ 01/ 15/ gaertner [decow]) Gebräuchlich ist dabei die Modifikation mit so/ zu laut: 129 (228) Kann sogar bei den derzeitigen „Sommer“-Temperaturen eine offenen Kamin bieten. / / Sag das nicht so laut …sonst stehe ich nächste Woche bei Dir vor der Tür! Und dann hast Du gleich zwei Kleinkinder am Hals! (http: / / www.sim forum.de/ archive/ index.php/ t-120615-p-13.html [decow]) (229) Hallo Ilona, sag das nicht zu laut , wenn die Firmen draufkommen, dass man die Pools als Therapiebecken verscherbeln kann, zahlen wir bald das 50 fache! (http: / / www.rettforum.de/ archive/ index.php/ t-1494.html [decow]) (230) Okay, ich denke wir sind da einer Meinung. Wobei, was die Qualität der Hardware betrifft. Das würde ich an deiner Stelle nicht zu laut sagen . Da ist Apple eher Mittelmaß-- dafür aber sehr schön verpackt. (http: / / forum.digitalfernsehen.de/ forum/ computer-co/ 261845-iphone4-oder-nokia-n8-24.html [decow]) 129 Schemann (2011, S.-687) führt die Formel-ohne Submodifikation des Adjektivs als das/ so etw darf man (gar) nicht laut sagen. <?page no="207"?> Formelüberblick 207 Auch die zweite Variante ist sowohl responsiv als auch disaffiliativ, sodass wir sie nicht als unabhängige Verfestigung betrachten. In beiden Fällen ist die Formel-handlungswertig, erscheint turninitial und formuliert einen Widerspruch bzw. Einwand. TYP handlungswertig HANDLUNG Widerspruch KONTEXT 2. Sequenzposition, initial FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM SM: dir, VM: imp, AKK: das, +MOD: nicht Formel-28: sag das nicht Daneben gibt es auch sprecherexklusive sowie explizit adressatendeiktische Bildungstypen. Sie können sich sowohl auf die Ausdrucksals auch auf die Inhaltsebene einer Partneräußerung beziehen. Kritik an der Formulierungswahl einer Äußerung kann etwa mit dem folgenden, +möglich modalisierten Muster geübt werden: (231) trotzdem brauchst du nicht so hysterisch reagieren (GEH ZUM TIERARZT), das kann man auch netter sagen . (http: / / www.yellopet.de/ hunde-beitrag-1083. htm [decow]) (232) Hey Star, halte dich mit Beleidigungen zurück! Das hättest du auch sachlicher sagen können ! (http: / / www.muskelpower-forum.de/ ftopic5232.html [decow]) (233) Außerdem seien „die Volkswirtschaften eng verknüpft“-- was nett formuliert ist, es lässt sich natürlich auch deftiger sagen (siehe Abfall aus der Warenwelt). (http: / / weblogs.evangelisch.de/ weblogs/ altpapier/ 2014/ 03/ 21/ inspi ration-bierdeckel? mini=2014-04 [decow]) Ohne Modaladverbial verschiebt sich der Fokus von der Ausdrucksauf die Inhaltsebene. Dabei wird P mit den Komponenten du kannst nicht die Berechtigung abgesprochen, eine bestimmte Positionierung zu vertreten. Neben epistemischen (vgl. (234)) können dabei auch moralische Barrieren ins Feld geführt werden (vgl. (235)): (234) Ach ja, ich hätte mal eine Frage so nebenbei: Wieso sind die meisten Deutschen gegen Schumi? 02.07.2003, 16: 04 / / Das kannst du nicht sagen . Würdest du hier eine Forum-Umfrage mit Schumi machen, würde es wohl ausgeglichen sein, da es hier nicht so viele Schumi-Fans im Forum gibt. Würdest du eine bundesweite Umfrage machen, kommst du locker auf 80% Pro-Schumi-Stimmen. (http: / / forum.animemanga.de/ archive/ index.php/ t-5573.html [decow]) (235) Letztens meinte erst einer ganz freundlich zu mir: „Ey, bist du dumm, oder was? “ Da habe ich dann gesagt: „Moment, das kannst du nicht sagen ! Du <?page no="208"?> Koordination 208 entschuldigst dich jetzt sofort! “ Und da sagte er: „Ey, du! …Ey, tut mir Leid,… dass- du dumm bist! (http: / / www.steffen-heinz.de/ de/ vortrag_bunter_abend_ der_13er_januar_2003 [decow]) Die epistemische Variante ist geläufiger mit modaldeiktischem so und Subjekt man und wurde bereits weiter oben im Text besprochen (das kann man so nicht sagen). Mit der moralischen Variante wird markiert, dass P sich durch seine Äußerung außerhalb dessen gestellt hat, was eine Norm erlaubt. Exklamative Instanzen steigern die Zurückweisung der von P vertretenen Positionierung zu einer offenen Anklage: (236) wie kannst du sagen du bist kroatin wenn deine mutter deutsche ist. verleugnest ja irgendwie deine mutter. steh dazu was du bist. (http: / / www.forumkroatien.de/ t521960f11734816-Neues-Aufenthaltsgesetz-fuer-Auslaender-in- Kroatien-14.html [decow]) Weiter verschärft werden kann die Disaffiliation durch die Hinzufügung der Partikeln nur oder bloß, die die Exzeptionalität der wahrgenommenen Grenzüberschreitung betonen: (237) er ist das grauenvollste was es je im musikgeschäft gab / / Wie kannst du sowas nur sagen ? Ich glaube du hast keine Ahnung! Bilde dir erstmal eine vernünftige Meinung bevor du hier solche Sachen bringst! Ohne Michael Jackson würde die Musikwelt nicht so sein, wie sie heute ist, er hat die Musikvideos revolutioniert! (http: / / www.aguilera.de/ forum/ archive/ index.php/ t-2415.html [decow]) Mit Subjekt man sind solche Verwendungen auch ohne das Modalverb möglich: (238) Weisst Du, WITZ hin oder her, aber sowas sagt man nicht . (http: / / www. geba-online.de/ forum-0-10818-419-1_Namen-fuer-eure-Baesse [decow]) Auch die zentrale Verfestigung das sagt man nicht (213 Belege, 0,01 Vorkommen pMW) weist kein Modalverb auf. Sie postuliert eine allgemeine Norm und ist das sowohl distanzierende als auch disaffiliative Gegenstück zu involvierendem wie man so schön sagt (vgl. Formel-3, Kap.-4): (239) Edda verdreht die Augen, zieht den Bauch ein und zerrt am Reißverschluss. Ein- Ruck und sie hält die Öse in der Hand. „Scheiße! “ „ Das sagt man nicht .“- (http: / / www.vonwolkenstein.de/ forum/ archive/ index.php? t-2036. html [decow]) <?page no="209"?> Formelüberblick 209 Die Formel-ist ausdrucksbezogen und wird benutzt, um eine bestimmte Formulierung Ps als unangemessen zurückzuweisen. Als solche ist sie handlungswertig und erscheint typischerweise in zweiter Sequenzposition, in der sie einen Vorwurf formuliert. TYP handlungswertig HANDLUNG Vorwurf KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM TMP: prs, SUB: man, AKK: das, +MOD: nicht Formel-29: das sagt man nicht Einen Vorwurf in zweiter Sequenzposition formuliert auch die nächste Formel, bei der es sich um eine besondere Verwendung des imperativischen sag mal handelt, dessen Ursprung eigentlich im appellativen Bereich liegt. Ähnlich wie sprecherdeiktisches (also) ich muss schon sagen gibt es auch hier eine elliptische Variante ohne Objektkomplement, die Entrüstung zum Ausdruck bringt: 130 (240) So ein Blödsinn. Was ist den mit Second Skin, da steht auch Tauschbörse und alles wird verkauft. Wozu ist man dann geprüftes Mitglied. Neff 01.10.2010, 11: 47 / / also sag mal …: unglaublich: Wie wäre es, wenn Du die Regeln mal durchliest oder auch die PN, die Du von mir bekommen hast, als ich Dich für SeSki freigeschaltet habe. (http: / / beautyjunkies.inbeauty.de/ forum/ archive/ index.php/ t-43493-p-6.html [decow]) Auch hier basiert die Formel-auf einer ursprünglich zweiteiligen Quellstruktur aus sag mal und angeschlossener Frage, in der erst die Frage im zweiten Teil die Disaffiliation offen ausformuliert. Viele dieser Anschlüsse sind ihrerseits formulaisch (sag mal, spinnst du/ hast du sie noch alle/ geht‘s noch? etc.). Die elliptische Verkürzung dieser Ausdrücke auf ihre erste, zwischen den verschiedenen Varianten geteilte Komponente scheint uns mündlich mit einer starken Akzentuierung des Verbs einherzugehen (auch wenn wir das hier nicht überprüfen können). Im Vorlauf der Formel-steht in der Regel eine Partikel oder Interjektion wie na, ja, ey oder also. Zentrale Verfestigung ist ja sag mal mit 22 Belegen (0,001 Vorkommen pMW): 130 Anders als in der Printversion wird in der Onlineversion des „Wörterbuchs zur Verbvalenz“ VALBU („EVALBU“) für exklamatives Sag mal! / Sagen Sie mal! ohne Komplement die Paraphrase „als Ausdruck des Protestes“ angegeben (vgl. https: / / grammis.ids-mannheim.de/ verbvalenz/ 400841, zuletzt abgerufen am 22. Juli 2023). <?page no="210"?> Koordination 210 (241) „Was war hier los? ! “ fragte er immer noch vor Wut schnaubend und kam auf Marc zu. „ Ja sag mal ! Seid ihr heute irgendwie alle nicht ganz dicht? ! “ Das brachte das Fass dann endgültig zum überlaufen. (http: / / www.doctorsdiaryfanforum.de/ t1177f192-Story-von-Dornroeschen-28.html [decow]) Die Formel-signalisiert Befremden, wenn nicht sogar Empörung über einen indizierten Regelverstoß Ps und realisiert damit einen Vorwurf in zweiter Sequenzposition. Ihre Position ist turninitial. TYP handlungswertig HANDLUNG Vorwurf KONTEXT 2. Sequenzposition, initial FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM (+VL: ja), SM: dir, VM: imp, +MPT: mal Formel-30: (ja) sag mal Umgekehrt kann ein Vorwurf an die eigene Adresse mit der sprecherexklusiven Formel- das muss ich mir nicht sagen lassen zurückgewiesen werden, die den Stein des Anstoßes direkt aufgreift. Der Ausdruck ist in Schemann (2011, S.-688) mit dem Verb sagen gelistet, häufiger in DECOW16B sind allerdings Varianten mit bieten sowie nicht-kausative Bildungen mit anhören: (242) aber auf einen derart witzlosen Zweikampf will ich mich mit dir auch nicht einlassen (und nein, nicht weil ich Angst hätte, zu „verlieren“, sondern weil du gerade in letzter Zeit einfach unter aller Sau diskutierst, aber das wurde dir ja schon gesagt). / / Das ist eine Frechheit und muss ich mir nicht sagen lassen ! : mad: Wo bitte bin ich in unserer bisherigen Diskussion unsachlich oder beleidigend gewesen? (http: / / www.projektstarwars.de/ forum/ sitemap/ t-47682.html [decow]) (243) Basta! Ich habe genug! Entschuldigung aber sowas muss ich mir nicht bieten lassen . (http: / / www.filb.de/ forum/ archive/ index.php/ t-4810.html [decow]) (244) Tja, ich wollte gerade sagen, dass ich dir zuhören will, aber jetzt wirst du beleidigend, das muss ich mir nicht anhören ! (http: / / grundrechteforum.de/ derailing? replytocom=8000 [decow]) Ohne Negation bringt die Formel-zum Ausdruck, dass der Adressat des sagen-Ereignisses sich nach Auffassung von S einen Vorwurf gefallen lassen muss, weil er sachlich berechtigt ist: <?page no="211"?> Formelüberblick 211 (245) du musst die verantwortung tragen und du musst dir im klaren sein, sollte es zu einem weiteren vorfall kommen, weil du deinem hund keinen mauli anlegst, dann musst du dir sagen lassen , dass alleine du die verantwortung trägst (http: / / www.rhodesian-ridgeback-und-freunde.de/ erziehung-verhalten/ 370ein-schwarzer-tag-fuer-mich.html [decow]) Noch vergleichsweise am häufigsten ist aber das muss ich mir nicht sagen lassen mit 28 Treffern (0,002 Vorkommen pMW). Die Formel-ist handlungswertig und erscheint turninitial in zweiter Sequenzposition. Sie wird in der Regel begleitet von einer Rechtfertigung oder einem Gegenvorwurf an die Adresse Ps. TYP handlungswertig HANDLUNG Widerspruch KONTEXT 2. Sequenzposition, initial FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM DIA: l-kaus, TMP: prs, +MV: müssen, SUB: ich, AKK: das, +DAT: mir, +MOD: nicht Formel-31: das muss ich mir nicht sagen lassen 5.2.3 Appellative Formeln Appellative Formeln dienen zur Abstimmung des weiteren gemeinsamen Handelns sowie zur Steuerung der geteilten Aufmerksamkeit. S unterbreitet P damit einen Vorschlag für eine relevante nächste Handlung oder rückt ein Element in den Fokus der geteilten Aufmerksamkeit, von dem die weitere Verständigung ihren Ausgang nehmen soll. Die Subjektreferenz solcher Ausdrücke ist entweder adressatendeiktisch oder dyadisch (Verweis auf S und P gemeinsam). Im Rahmen bestimmter Praktiken können zwar auch einige sprecherdeiktische Formeln in appellativer Weise verwendet werden: (246) Hast Du schon mal bemerkt, dass man mit gewissen Zauberworten wie Bitte und Danke weiter kommt als mit Deiner, ich sag mal etwas forschen Art! Ich würde sagen , Du denkst mal drüber nach! Ist nur ein Tipp! (http: / / www. xborgforum.de/ archive/ index.php/ t-5501.html [decow]) (247) Ich hätte gesagt jeder macht einen Vorschlag und dann sagt jeder einen Namen, der ihm am besten gefällt! (http: / / www.websitepark.de/ forum/ archive/ index.php/ t-5836.html [decow]) (248) Danke für Eure Antworten. Ich tät sagen wir treffen uns am Rastplatz Allertal Ost an der A7, das liegt soweit ich das gesehen habe für alle auf der Strecke und <?page no="212"?> Koordination 212 keiner muss nen Umweg fahren. (http: / / www.beetle-forum.de/ Kolonnen-zur- Sunshinetour-2011_75515.html [decow]) Die dominanten Praktiken dieser Ausdrücke sind aber sämtlich anderer Art und ihre appellativen Verwendungen nicht zentral. Typisch für Praktiken dieses Bereichs ist stattdessen, dass S und P gemeinsam als erstes Argument des Verbs firmieren (dyadische Subjektreferenz). 131 Der unterbreitete Vorschlag kann dabei direkt als Aufforderung oder indirekt als Frage formuliert werden. Vorschläge in Gestalt einer Frage sind entweder modalisiert mit können, sollen oder wollen oder treten ohne ein Modalverb auf. Verwendungen mit können erfragen Ps Zustimmung zu einer von S favorisierten Option für das gemeinsame Folgehandeln. Sie werden in der Regel von einem Account begleitet, warum es speziell die vorgeschlagene Lösung sein sollte. In Frage steht dabei nicht, ob diese Option prinzipiell geeignet wäre, sondern vielmehr, ob es auf Seiten Ps Gründe gibt, die gegen S’ Vorschlag sprächen. Demgegenüber unterbreiten Verwendungen mit sollen und wollen zwar ebenfalls einen Vorschlag, sind aber insofern offener, als sie anders als können keine starke Präferenz für den genannten Kandidaten erkennen lassen. Typischer Kontext sind Terminverabredungen: (249) Leider ist auf der Arbeit der Zugriff auf Facebook geblockt. Können wir sagen , es gibt noch eine zweite Anmeldefrist irgendwann abends? So ab 19: 00 Uhr da bin ich immer erst Zuhause. (http: / / www.der-w.de/ blog/ news/ die-single-istab-sofort-im-shop-erhaltlich.html [decow]) (250) Ja hm, der Könich Rolf meinte er kann nach dem 26.9. wieder, sollen wir sagen 28.9.? Auch wieder Sonntag, freilich. (http: / / www.sciroccoforum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-254368.html [decow]) (251) Bis morgen! Wollen wir sagen 12: 30 Uhr Treffen am Beck‘s am Markt? (http: / / forum.werder.de/ archive/ index.php? t-109-p-32.html [decow]) Verwendungen wie in (249) bis (251) sind auch mit interrogativem sagen wir ohne zusätzliches Modalverb möglich: 132 131 Ebenfalls möglich (und in Webkorpora wie DECOW auch nicht seltener) sind natürlich Verwendungen, in denen mehr als ein einzelner Adressat angesprochen wird. Ihre Subjektreferenz zielt dann auf die gesamte Gruppe (gemeinsam mit S) und ist präziser als „sprecherinklusiv“ zu bezeichnen. 132 Denkbar sind auch Fragen mit Verbzweitstellung (was können/ sollen/ wollen wir sagen, was sagen wir). Sie werden in DECOW16B jedoch nicht appellativ als Projektion eines sich anschließenden Vorschlags gebraucht, sondern- - auch mit Subjekt wir- - als themensteuernde Fazitprojektionen (vgl. Kap.-7, Formel-69). <?page no="213"?> Formelüberblick 213 (252) Es geht einzig und allein um ihre Akten. Könnte ich sie mir heute noch abholen, so schnell wie möglich? Sagen wir , in…einer Stunde? (http: / / www.cheery.de/ filiapuis.htm [decow]) Mit hochgerechnet 395 Belegen (0,03 Vorkommen pMW) 133 ist die unmodalisierte Variante in (252) auch die zentrale Verfestigung des interrogativen Bildungstyps. Ihre Quellstruktur sind Matrixsatzverwendungen mit der Lesart ‚verabreden, sich einigen auf ‘, wie sie der folgende Dialogausschnitt aus Platons Politeia illustriert: (253) Nun bezog sich doch Erkenntnis auf das Seiende, Unkenntnis aber notwendig auf das Nichtseiende. Für das zwischen beiden also ist etwas zu suchen, wenn es etwas Derartiges gibt.-- Allerdings.-- Sagen wir nun , daß etwas auch Glaube ist? -- Wie sollten wir nicht? -- Als ein von dem Wissen verschiedenes Vermögen oder als dasselbe? -- Als ein verschiedenes. (http: / / www.merzbach.de/ Voortrek kingUtopia/ Daten/ texte/ Platon_Staat.htm [decow]) In der Markerverwendung steht der Ausdruck dann nicht mehr mit einem abhängigen Komplementsatz, sondern allein mit einer einzelnen Phrase, die den fokussierten Aspekt des Bezugssachverhalts bezeichnet. Grammatisch werten wir das Element, über das der Marker operiert, aufgrund seiner kategorialen Unterspezifikation als Quotativkomplement. Da es sich bei den ausgewerteten Belegen ausnahmslos um Verwendungen im Rahmen von Terminabsprachen handelt, ist die fokussierte Phrase dort immer ein Temporaladverbial und das zu ergänzende Verb liegt auf der Hand. Im Vergleich zur expliziten Formulierung in (254) und zur ungerahmten Ellipse in (255) betont die Rahmung mit sagen wir in (256) den Aspekt der Einigung auf eine Lösung, die auch P sich aktiv zu eigen machen (‚sagen‘) soll. Der Effekt ist mithin eine versuchte Involvierung Ps in einen Vorschlag, der ihm von S im Rahmen einer Entscheidungsfrage zur Bestätigung vorgelegt wird: (254) Also, treffen wir uns um 15: 10 auf Gleis 10? (http: / / forum.dragonballz.de/ archive/ index.php/ t-50522.html [decow]) (255) Also um 15 Uhr? (http: / / www.busch-forum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-782.html [decow]) (256) Sagen wir nächsten Samstag? (http: / / www.whq-forum.de/ invisionboard/ lofiversion/ index.php? t1849.html [decow]) 133 Gesucht wurde nach der Wortfolge „sagen wir“ in Groß- und Kleinschreibung mit einem Fragezeichen als nächstem satzfinalen Interpunktionszeichen. Von den erzielten 13.179 Treffern wurde eine Stichprobe von 100 Treffern ausgewertet. Nur drei dieser 100 Belege waren Instanzen des interrogativen Markers sagen wir. Hochgerechnet auf die Gesamttreffermenge ergibt das eine geschätzte Trefferanzahl von 395 Belegen bzw. 0,03 Vorkommen pMW in DECOW16B. <?page no="214"?> Koordination 214 Funktional ist die Formel-somit appellativ und zielt auf die Herstellung von Einvernehmen zwischen S und P. In ihrer Orientierung auf die Festlegung eines zukünftigen gemeinsamen Handelns ist sie nicht epistemisch, sondern deontisch einzustufen. Sie ist jedoch für sich genommen nicht handlungswertig, sondern fungiert als optionaler vorangestellter Operator innerhalb des ersten Paarteils einer Vergewisserung (request for confirmation). TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, appellativ FORM SM: int, SUB: wir Formel-32: sagen wir (interrogativ) Ungleich häufiger als der +interrogative Formeltyp ist der +direktive. Gebildet wird er entweder mit adhortativem sagen wir oder mit einem imperativischen lassen- Kausativ: (257) Flattr ist ein Micropayment-System, mit welchem ein monatlich festgelegter Kleinbetrag durch Klicks auf verschiedene Webseiten verteilt werden kann. Man lädt sein Konto mit, sagen wir , fünf Euro auf, klickt dann im nächsten Monat auf diverse Flattr-Buttons auf diversen Webseiten und am Ende des Monats werden die fünf Euro auf die Klicks aufgeteilt- - hat man fünf Mal geklickt, bekommt jeder Geklickte einen Euro, hat man 500 Mal geklickt, gibt‘s für jeden einen Cent. (http: / / blogundweiss.de/ page/ 29 [decow]) (258) Vielleicht ist das größte Feld in dem er arbeiten kann mit einem Endlohn von, lass uns sagen , etwa 6,00$ pro Stunde belegt. (http: / / www.agapao.de/ w_ gary1_3.html [decow]) Bei der Konstruktion mit lassen handelt es sich ursprünglich um einen kausativen AcI, wie ihn der Beleg in (258) illustriert. Dank der dyadischen Referenz des „Zentralakkusativs“, wie die IDS-Grammatik das geteilte Argument des regierenden Verbs und des Infinitivs nennt (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997, S.-1411), leistet die Konstruktion etwas, das in einigen Sprachen als „(ad)hortativer“ Verbmodus grammatikalisiert ist: die Signalisierung einer Aufforderung an S und P gemeinsam. Für das Englische ist die äquivalente Konstruktion mit let (bzw. let‘s, auch bereits verschmolzen zu lets) als aktuell in Grammatikalisierung befindliche Hortativperiphrase analysiert worden (Hopper/ Traugott 1993, S.- 10-13). Urban (2007) schlägt eine solche Analyse auch für den Marker lassma im „Kiezdeutschen“ vor. In DECOW16B tritt die direktive Bildung mit lassen + sagen zwar ebenfalls mit der Partikel mal auf, <?page no="215"?> Formelüberblick 215 allerdings nur in gut 5% der Belege. Unabhängig von einer möglichen Modifikation mit mal (bzw. einem etwaigen Status der Partikel als konstruktions(mit)evozierendem Element) kann der Zentralakkusativ in solchen Bildungen entfallen, was eine Ablösung des Hortativmarkers lass(t) von seiner AcI-Quellstruktur anzeigt: (259) 67% vom Einkommen = Elterngeld. Lass uns mal sagen das sind 800,-€. (http: / / dishwasher.blogsport.de/ 2010/ 06/ 07/ regierung-elterngeld-wird-fuerarme-komplett-gestrichen [decow]) (260) Gruppenmitglied 1: Alter, waaas? Gruppenmitglied 2: Krass man, was labert deeer? Gruppenmitglied 3: *Schweigen* Gruppenmitglied 4: Lass mal sagen , dass das so Regeln sind und man sich dran halten muss und so … (http: / / www. cagematch.de/ cageboard/ archive/ index.php/ t-3658-p-6.html [decow]) (261) Dann lass sagen wir treffen uns Samstag Abend um 20.00 Uhr bei mir zum schmücken! ! (http: / / www.12book.de/ gaestebuch-2125-395.htm [decow]) Ein besonderer Status speziell der Instanz mit sagen ist nicht erkennbar. Erhebt man die häufigsten Infinitive, die sich in DECOW16B in den Mustern lass uns (mal) + V.INF oder lasst uns (mal) + V.INF finden (die lassen-Form jeweils groß- oder kleingeschrieben), steht sagen mit zusammengerechnet 67 Instanzen lediglich auf Rang 37. Zentrale Verfestigung des hier betrachteten Formeltyps ist aber ohnehin nicht lass(t) uns sagen, sondern das direktive bzw. adhortative sagen wir mit hochgerechnet 161.326 Treffern (10,3 Vorkommen pMW). 134 Die Formel-ist Gegenstand der interaktionslinguistischen Vertiefungsstudie im zweiten Teil des Kapitels und wird entsprechend erst dort eingehender betrachtet. Wie das in Kapitel- 4 genauer untersuchte sozusagen kann auch direktives sagen wir im Rahmen verschiedener Praktiken verwendet werden, deren Funktionen trotz der appellativen Quellsemantik des Markers auch nicht immer dominant koordinationsbezogen sind. Wir begnügen uns an dieser Stelle mit einer Illustration der häufigsten Praktik unter den ausgewerteten 20 Belegen in DECOW16B, bei der es sich genau wie im Fall von sozusagen um eine Bezeichnungsmodalisierung handelt. In Verwendungen dieses Typs ist der Marker mit ‚man könnte sagen‘ paraphrasierbar: (262) Nehmen Sie an, ein Mensch sei schwatzhaft, neugierig oder er neige zum Jähzorn oder anderen ähnlichen, sagen wir , Untugenden. Da drücken sich diese Untugenden in einer ganz bestimmten Weise in seinem Astralleib aus. (http: / / www.12book.de/ gaestebuch-2125-395.htm [decow]) 134 Gesucht wurde nach der Wortfolge „sagen wir“ mit Groß- und Kleinschreibung der sagen-Form. Von den erzielten 177.281 Treffern wurde eine Zufallsstichprobe von 100 Treffern ausgewertet. 91 dieser 100 Belege waren Instanzen des adhortativen Markers sagen wir. Hochgerechnet auf die Gesamttreffermenge ergibt das eine geschätzte Trefferanzahl von 161.326 Belegen bzw. 10,3 Vorkommen pMW in DECOW16B. <?page no="216"?> Koordination 216 Die bezeichnungsmodalisierende Verwendung von sagen wir ist ein vorangestellter, sequenziell unspezifischer Operator ohne eigenständigen Handlungswert. Neben dieser positionierenden Verwendung wird der Ausdruck auch im Zuge koordinationsbezogener, epistemischer und gesprächsorganisatorischer Praktiken verwendet (vgl. Abschn.- 5.3). Abgeleitet sind diese Gebräuche aber sämtlich von einer appellativen Quellstruktur, weshalb wir die Formel in diesem Kapitel und nicht in Kapitel-4 behandeln (in das seine dominante Praktik als Bezeichnungsmodalisierung ansonsten zu sortieren wäre). TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM SM: dir, VM: adh, SUB: wir Formel-33: sagen wir (direktiv, Verwendung als Bezeichnungsmodalisierung) Das dritte Bildungsmuster des appellativen Funktionsbereichs ist ebenfalls +direktiv- und grammatisch imperativisch, im Gegensatz zu sagen wir jedoch allein adressatendeiktisch: (263) Sag mal , wie sieht es denn z. Z. in der Ehle aus? Bin da zwar öfters längs gefahren, hab aber seit einigen Jahren nicht mehr dort geangelt. (http: / / www.anglerboard.de/ board/ archive/ index.php? t-33070-p-41.html [decow]) Ähnlich wie sagen wir tritt die Konstruktion in einer Reihe verschiedener pragmatisch spezialisierter Verwendungen auf. Kompositionelle Quellverwendung sind direktive Pendants gewöhnlicher, syntaktisch integrierter requests for information wie (264). Sie entsprechen der höflicheren Interrogativvariante mit können (vgl. Kannst Du mir sagen, wie spät es ist? , Duden 2001, S.-1341). Das sag mal gewinnt an Autonomie, wenn es mit einem desintegrierten „abhängigen Hauptsatz“ (Auer 1998) kombiniert wird. Typisch ist die Verwendung mit einem Fragesatz (vgl. (265)). Anders als ein abhängiger Fragesatz bezeichnet ein folgender interrogativer Hauptsatz nicht direkt dasjenige, was P sagen soll, steht aber durch die sequenzielle Bindung in einer engen metonymischen Relation dazu. „Mal sagen“ soll P, was S mit der Frage im ersten Paarteil der Sequenz als Antwort relevant macht. (264) @parashorty Sag mal um was für Geländeeigenheiten es sich dabei handelt (http: / / www.gleitschirmdrachenforum.de/ archive/ index.php/ t-2334.html [decow]) (265) sag mal steht das Passat treffen in Eisennach? (http: / / www.passat35i.de/ archive/ index.php/ t-35938.html [decow]) <?page no="217"?> Formelüberblick 217 Weiter abstrahiert sind Gebräuche mit grammatisch interrogativen Folgeäußerungen, die allerdings keine ernstgemeinte Frage darstellen, d. h. nicht wirklich eine bestimmte Information oder Bestätigung einholen sollen. Hierzu zählen unter anderem Frotzeleien (vgl. (266)) und mirative Verwendungen, die ein (vorgebliches) Erstaunen über P zum Ausdruck bringen (vgl. (267)). Einen Übergang zur elliptischen Exklamativverwendung, die bereits in Abschnitt-5.2.2 behandelt wurde, stellen Belege dar, in denen die angeschlossene Frage eine disaffiliative Haltung zu einer Handlung/ Äußerung Ps erkennen lässt (vgl. (268)): (266) sag mal michael wohnst du in der wüste : D : prost: Naja er hat ja auch eine Landmaschine : D (http: / / www.zafira-forum.de/ archive/ index.php/ t-9181. html [decow]) (267) Sag mal kannst du Hellsehen? “- - „Wieso? “- - „Na, weil unser Märchenpaar auch ein romantisches essen macht! “ (http: / / www.sauknolle.de/ fanfics_unter seiten/ happyending_jay.htm [decow]) (268) Sag mal , willst Du uns im Ernst jetzt erzählen das der Torsten fürstlich gelebt hat? (http: / / info.rtl.de/ forum/ html/ archiv/ fid175/ tid20339.html [decow]) Am engsten ist die Berührung dort, wo die Disaffiliation ihrerseits eine feste Wendung ohne weiteren Informationswert ist. Hier muss lediglich noch das sag mal selbst als Träger der affektiven Aufladung reanalysiert werden, um den folgenden Fragesatz einsparen zu können, was dann die in Abschnitt- 5.2.2 veranschaulichte elliptische Variante ergibt: (269) Sag mal , hast Du noch alle Tassen im Schrank? 135 (http: / / sportforen.de/ archive/ index.php/ t-29916.html [decow]) (http: / / forum.pop24.de/ archive/ index.php/ t-1066.html [decow]) (270) Sag mal gehts dir noch ganz gut? ? (http: / / board.wrestlinggames.de/ archive/ index.php/ t-17238.html [decow]) (271) Sag mal …hast du ein Rad ab? (http: / / handlesforlove.get-vanified.de/ html/ merry_christmas.html [decow]) Ist ein separater Ausdruck von S’ Disaffiliation mit P hingegen wie in (269) bis (271) realisiert, kann man das vorangestellte sag mal wie in allen zuvor genannten Beispielen aber auch noch als Mittel der „Aufmerksamkeitssteuerung“ sehen, wie Proske (2017a, S.-98) die funktionale Gemeinsamkeit verschiedener „gesprächsorganisatorischer Imperative“ wie etwa wart mal, hör mal, guck mal und eben sag mal charakterisiert. Die Formel- ist in dieser Funktion ein vorangestellter Operator mit appellativer und häufig auch gesprächsorganisatorischer Funktion, der einen Über- 135 Üblich ist auch die Verkürzung hast du sie noch alle. <?page no="218"?> Koordination 218 gang zu einem neuen Thema (oder neuen Aspekt des aktuellen Themas) projiziert. Mit hochgerechnet 85.435 Belegen (5,45 Vorkommen pMW) 136 ist der Ausdruck der dritthäufigste mit schwerpunktmäßig koordinationsbezogener Funktion. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION appellativ, themensteuernd FORM SM: dir, VM: imp, +MPT: mal Formel-34: sag mal Die letzte hier behandelte Formel, das interrogative was sagst du, hat verschiedene Verwendungen, deren dominante sowohl als appellativ als auch als gesprächsorganisatorisch zu werten ist. Benutzt wird sie, um Ps Perspektive auf einen thematischen Gegenstand zu elizitieren und P zu diesem Zweck den Turn zu übergeben. Die Lesart des Verbs ist primär mental und positionierungsbezogen (‚was ist deine Meinung‘) und nicht beschränkt auf die literale Kernbedeutung ‚mündlich äußern‘, wie die zahlreichen schriftsprachlichen Belege in DECOW16B veranschaulichen (vgl. (272)). Der Gegenstand oder Sachverhalt, dessen Kommentierung erbeten wird, kann mit einem zu-Präpositionalobjekt (bzw. dem Adverb dazu) angeschlossen werden (vgl. (273)). Ähnlich wie sag mal kann auch diese Formel-zugleich disaffiliative und epistemische Züge annehmen. Sie tritt dann mit den Vorlaufelementen na oder und sowie den Temporaladverbien jetzt oder nun auf und formuliert eine Herausforderung an P, eine relevante neue Information zu kommentieren, die P (im Gegensatz zu S) so nicht erwartet hatte-- und somit S’ epistemischen Primat in dieser Frage anzuerkennen (vgl. (274)). 137 Anders als bei disaffiliativem ja sag mal (Formel- 30) wird mit na was sagst Du jetzt aber tatsächlich der Turn beendet und das Rederecht übergeben, sodass wir diese Variante nicht als separate Verfestigung werten: (272) ich bin mal gespannt, ob Aris es irgendwie schafft, Solomon zu halten. 16.05.2003, 17: 33 / / Wollen wir wetten? was sagst du ? Ich sag nein! : D 16.05.2003, 17: 35 / / 136 Gesucht wurde nach der Wortfolge „sag mal“ mit Groß- und Kleinschreibung der sagen-Form. Von den erzielten 127.515 Treffern wurde eine Zufallsstichprobe von 100 Treffern ausgewertet. 67 dieser 100 Belege waren Instanzen des appellativen Markers sag mal. Hochgerechnet auf die Gesamttreffermenge ergibt das eine geschätzte Trefferanzahl von 85.435 Belegen bzw. 5,45 Vorkommen pMW in DECOW16B. 137 Schemann (2011, S.- 689) paraphrasiert was sagen Sie/ sagst Du jetzt/ nun? mit dem Idiom ‚da bist du platt‘. Eine metonymisch verschobene Variante (innerhalb des Sequenzmusters was sagst du jetzt-- [Antwort]- - [Reaktion auf Antwort]) ist da sagst Du nichts mehr, mit dem S auch gleich noch das erwartete Ausbleiben von Ps Reaktion vorwegnimmt. <?page no="219"?> Formelüberblick 219 ich sag auch nein, weil er zu Efes kommt. : D : D : D 16.05.2003, 17: 45 (http: / / www.basketball.de/ archive/ index.php/ t-319-p-4.html [decow]) (273) Die Strafe, die im Gesetz dafür vorgesehen war, ist die Steinigung. Den Leuten, die die Frau bringen, geht es gar nicht um die Frau. Sie wollen Jesus eine Falle stellen: Was sagst du dazu ? Soll sie gesteinigt werden? (http: / / www.jesuslebt. de/ seiten/ jesus_lebt/ themen/ predigt/ basics.htm [decow]) (274) „Ciao! “ sagte ich und wir gingen. „ Na, was sagst du jetzt ? Hatte ich Recht oder nicht? “ „Mit was? “ fragte ich, doch ich wusste genau worauf sie hinaus wollte. Sie verdrehte die Augen. „Na, dass er was von dir will, natürlich! “ „Achso das! … Ja ok, ich gebs zu, du hattest recht! “ (http: / / forum.pop24.de/ archive/ index. php/ t-1066.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist die Variante mit pronominalem Präpositionalobjekt, was sagst du dazu (4411 Instanzen, 0,28 Vorkommen pMW). 138 In den Daten halten sich Bitten um Information (die etwa eine eigene Perspektive Ps oder einen Rat elizitieren) mit Bitten um Bestätigung (die eine bestimmte Positionierung seitens S zur Ratifikation vorlegen) in etwa die Waage. Leicht häufiger (55%) sind offene Bitten um Information wie (275): (275) Also er ist nicht da, frage ich. Ich gebe dir mal die Mama. Sie kommt ans Telefon.-Er ist vor drei Tagen ausgezogen, sagt sie. Mir fällt nichts ein. Was sagst du dazu? Mir fällt nichts ein, sage ich. Ja. Das kann ich mir vorstellen. (http: / / www.hoeflichepaparazzi.de/ forum/ archive/ index.php/ t-25054.html [decow]) Die Formel ist handlungswertig und erscheint in der Regel turnfinal (oder ist damit koextensiv). Bei Verwendungen im Rahmen von Bitten um Bestätigung kann zwischen der Formel-und dem Ende des Redezugs auch noch die Positionierung eingeschoben werden, zu der P Stellung beziehen soll. Wir fassen den Handlungswert der beiden Varianten (Bitten um Information und Bitten um Bestätigung) schematisch im Begriff der „Elizitation“ zusammen. Funktional ist die Formel- in koordinativer Hinsicht appellativ, in epistemischer Common Ground-bezogen („K=“) und in gesprächsorganisatorischer rederechtsbezogen. 138 In den Webkorpus-Daten ist zunächst auffällig, auf wievielen Webseiten die Kommentarbzw. Diskussionssektion mit dieser Formel- überschrieben ist (in der Regel mit einleitender Konjunktion: „Und was sagst Du dazu? “). Das zeigt einerseits ihre Bedeutung als appellative Routine zur Elizitierung einer Rückmeldung, andererseits aber handelt es sich bei diesen Treffern auch nicht um natürlich vorkommende Instanzen der Konstruktion, sondern um Instanzen eines vorgefertigen Textbausteins der Webseiteneinrichtung. Solche Treffer wurden daher ignoriert. <?page no="220"?> Koordination 220 TYP handlungswertig HANDLUNG Elizitation KONTEXT 1. Sequenzposition, final FUNKTION appellativ, K=, rederechtsbezogen FORM TMP: prs, SM: int, SUB: du, AKK: was, +PO: dazu Formel-35: was sagst du dazu 5.2.4 Facebezogene Formeln Der letzte Typ von Verfestigungen mit primär interpersoneller Funktion ist facebezogen. Zugehörige Ausdrücke dienen der Abwehr eigener und fremder Gesichtsbedrohungen. In diesen Bereich rechnen wir auch mehrere Gruppen der von Niehüser (1987) inventarisierten „expliziten Redecharakterisierungen“, die er in zahlreiche semantische Subtypen differenziert (vgl. Kap.-2). Ihre Funktion kennzeichnet er wie folgt: Explizite Redecharakterisierungen erfolgen immer dann, wenn der Sprecher antizipiert, daß seine Äußerung ohne zusätzlichen Kommentar eine Belastung oder Störung des Gesprächs hervorrufen könnte. Die Verwendung dieser Redecharakterisierungen steht dabei durchgängig im Dienst der Vermeidung oder Verminderung kommunikativer Risiken. Offensichtlich vertrauen die Sprecher auf die Wirksamkeit einer allgemeinen kommunikationsstrategischen Maxime, die etwa folgendermaßen umschrieben werden kann: Kritisiere dich selbst, bevor es der andere tut! (ebd., S.-195) Die von Niehüser angesprochenen „Belastungen“, „Störungen“ und „Risiken“ verweisen auf einen Bruch unterstellter Erwartungen an S’ kommunikatives Handeln, die in den Arbeiten von Hindelang (1975), Rolf (1994) und Hagemann (1997) auf die Grice’schen Konversationsmaximen bezogen werden (Grice 1975): Die durch den Äußerungskommentar geleistete „Selbstkritik“ dient dann dazu, Verstöße gegen diese Erwartungen zu ermöglichen (Hagemann 1997, S.-98 charakterisiert entsprechende Kommentare mit dem prägnanten Begriff des „Implikaturkillers“). Niehüser selbst verfolgt dagegen einen Ansatz, der „ohne die Unterstellung allgemein geltender Konversationsmaximen auskommt“ (Niehüser 1987, S.-26), indem die „Anwendungsbedingungen expliziter Redecharakterisierungen […] auf dem Hintergrund eines Systems von Sprecherannahmen über Hörererwartungen beschrieben“ werden (ebd.), die je nach Kontext ganz unterschiedlicher, und damit auch direkt konträrer Art sein können: Wenn z. B. der Sprecher vermutet, daß der Kommunikationspartner auf seine Frage eine präzise und ausführliche Antwort von ihm erwartet, er diese aber in dieser Form nicht geben kann oder will, dann kann er dies durch die Verwendung des entsprechenden qualitativen Adverbials (z. B. ‚grob gesagt‘) signalisieren. Es ist aber nicht <?page no="221"?> Formelüberblick 221 erforderlich, dies als Indikator der Verletzung einer Konversationsmaxime (Quantität oder Qualität) aufzufassen, denn auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Wenn der Antwortende aus bestimmten Aspekten der Kommunikationssituation schließen kann, daß von ihm lediglich eine oberflächliche Äußerung erwartet wird, er aber aus bestimmten Gründen eine detaillierte Darstellung wählen möchte, kann er dies durch die Verwendung von z. B. ‚präzise gesagt‘ oder ‚konkret gesprochen‘ zum Ausdruck bringen. (ebd., S.-62) Auch wir beziehen die angesprochenen „Sprecherannahmen über Hörererwartungen“, die die in diesem Abschnitt diskutierten Formelgebräuche motivieren, nicht (oder zumindest nicht direkt) auf die Griceschen Konversationsmaximen, sondern auf die Goffmansche Face-Kategorie (Goffman 1967), und zwar genauer gesagt auf den Begriff des „positive face“ (Brown/ Levinson 1978, S.- 67): 139 Behandelt werden Verfestigungen, die eine Orientierung auf Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung erkennen lassen. Soll eine Äußerung getätigt werden, die möglicherweise als Indiz fehlender Anerkennung Ps durch S interpretiert werden könnte, oder die umgekehrt eine irgendwie eingeschränkte Anerkennung S’ durch P nach sich ziehen könnte, gilt es, diesem (im Regelfall unerwünschten) Effekt durch kommunikatives Facework vorzubeugen. Diese Funktion übernehmen die im aktuellen Abschnitt diskutierten Formeln. Sie evozieren dazu unterschiedliche Szenarien, in deren Rahmen das Risiko der kommentierten Gesichtsbedrohung vertretbar(er) wird. Dazu zählt unter anderem auch die Befolgung von (aktuell konfligierenden) Normen, die sich aus den Grice’schen Konversationsmaximen herleiten lassen (wie etwa dem Gebot, sich aufrichtig zu äußern). Die beiden Perspektiven sind aber unterschiedlich. Ein Bezug zu den Grice’schen Maximen lässt sich auch bei Formeln wie um es klar zu sagen (Formel-2), ich sage nur (Formel-56) und besser gesagt (Formel-73) herstellen. Wir behandeln sie allerdings in anderen Bereichen unserer Funktionstaxonomie (und daher auch in anderen Kapiteln dieses Buchs), da sie eben nicht primär zur Bearbeitung von Fragen der wechselseitigen sozialen Anerkennung von S und P dienen. Umgekehrt gibt es auch Formeln mit spezifisch facebezogener Funktion, deren gesichtswahrender Effekt sich nicht dadurch erklären lässt, dass sich S zur Legitimierung einer Gesichtsbedrohung auf eine übergeordnete Konversationsmaxime beruft. Im 139 „Face is something that is emotionally invested, and that can be lost, or maintained, or enhanced, and must be constantly attended to in interaction“ (ebd., S.-66). Die explizite Unterscheidung von „positive Face“ („the want of every member that his wants be desirable to at least some others“, ebd., S.-67) und „negative Face“ („the want of every ‚competent adult member‘ that his actions be unimpeded by others“, ebd.) geht begrifflich erst auf Brown und Levinson zurück. Inhaltlich ist sie aber bereits bei Goffman angelegt, der sie in Goffman (1956, S.-487) seinerseits auf Durkheim zurückführt: „Two main types of deference have been illustrated: presentational rituals through which the actor concretely depicts his appreciation of the recipient; and avoidance rituals, taking the form of proscriptions, interdictions, and taboos, which imply acts the actor must refrain from doing lest he violate the right of the recipient to keep him at a distance. We are familiar with this distinction from Durkheim’s classification of ritual into positive and negative rites (1954: 299).“ <?page no="222"?> Koordination 222 einzelnen unterscheiden wir vier semantisch-pragmatische Bildungstypen im facebezogenen Bereich: - Modal 140 modifizierte Ausdrücke, die auf konkurrierende Anforderungen an das kommunikative Handeln verweisen, die S’ Bestreben um Gesichtswahrung zuwiderlaufen; - Ausdrücke, die S’ Unwillen oder Bedauern darüber beteuern, die gesichtsbedrohende Äußerung unter den aktuellen Bedingungen tätigen zu müssen; - Ausdrücke, die ein epistemisch oder sozial begründetes Anrecht darauf reklamieren, eine üblicherweise gesichtsbedrohende Handlung zu vollziehen; - Ausdrücke, die die Gesichtsbedrohung als vertrauliche Mitteilung rahmen, die dem Betroffenen eine Desavouierung vor Dritten ersparen soll. Ausdrücke der ersten (modalen) Gruppe umfassen mehrere semantische Klassen der von Niehüser (1987) typisierten „expliziten Redecharakterisierungen“. Alle zugehörigen Muster weisen bestimmte Verfestigungen auf, können aber auch durch freie Bildungen instanziiert werden, was die Produktivität des modalen Bildungstyps unterstreicht. Facebezogen gebraucht werden etwa die sogenannten „problematisierenden Redecharakterisierungen“ in (276) bis (278), mit denen „[d]er Sprecher sagt, daß in seiner Äußerung nur ein Teil seiner wirklichen Intention zum Ausdruck kommt (mit weitergehender Implikation)“ (Niehüser 1987, S.- 159). Die „weitergehende Implikation“ ergibt sich durch die explizite Einschränkung des Rahmens, in dem die vorgenommene Positionierung vertreten werden kann. Damit wird über die Relevanzmaxime die Existenz möglicher alternativer, für den Betroffenen weniger schmeichelhafter bzw. noch drastischerer Charakterisierungen angedeutet, die hier aus Höflichkeitsgründen vermieden werden: (276) Ja der Gomez. Freundlich könnte man sagen : Glücklos. Er hat es im Moment nicht leicht- - in Leipzig ausgepfiffen von den eigenen Fans und jetzt wirkt er wieder verunsichert. (http: / / www.schwerin-schwerin.de/ 2009/ 04/ 01/ wmquali-wales-deutschland-live [decow]) (277) Ich finde, das ist gelinde gesagt eine Frechheit! Die FAZ ist im deutschen Store erheblich teurer als im US-Store und dann kann ich die Ausgaben nicht einmal mehr direkt via Kindle empfangen, wenn ich mich außerhalb Deutschlands bewege? (http: / / www.e-reader-forum.de/ ebook-reader/ amazon-kindle/ 2822shop-ist-da/ index5.html [decow]) 140 Wir verwenden den Begriff der +modalen Modifikation für „adverbiale Bestimmungen der Art und Weise“ des prädizierten sagen-Ereignisses im Sinne des englischen Begriffs „manner adverbial“. Wird eine solche Bestimmung mit Elementen wie so und in dieser Weise zeigend statt benennend geleistet (oder auch mit wie erfragt), sprechen wir von einem +modaldeiktischen Bedeutungsmerkmal (vgl. Kap.-3). <?page no="223"?> Formelüberblick 223 (278) Bemerkenswert ist auch, wie er die Gegner bewertet: „Das sind meistens nette, normale Bürger, die, um es vorsichtig zu sagen , der älteren Generation angehören“, die „keine Veränderung wollen“. (http: / / www.occidens.de/ chronica/ liturg2.htm [decow]) Zum +modalen Bildungstyp zählt auch die antonymische Strategie, den Bezugsausdruck gerade nicht als vergleichsweise indirekt oder zurückhaltend, sondern im Gegenteil als besonders unverblümt zu rahmen. Niehüser spricht hier von „definitiven Redecharakterisierungen“, mit denen „[d]er Sprecher sagt, daß er mit seiner Äußerung keine Rücksicht auf den Kommunikationspartner nehmen will“ (ebd., S.-152). Auch die ausbleibende Rücksichtnahme auf Bedürfnisse Ps ist eine Gesichtsbedrohung, die sich unter Verweis auf konfligierende Konversationsmaximen legitimieren lässt-- in diesem Fall sind es die Qualitätsmaxime (Gebot der Aufrichtigkeit) und auch die Modalitätsmaxime (Gebot der Klarheit). Der Effekt besteht wiederum darin, der gerahmten Gesichtsbedrohung die Schärfe zu nehmen und somit eine potenziell anstößige Feststellung zu verteidigen: (279) Hallo, die bisherigen Insider-Imageprobleme von Bürklin-Wolf hingen wohl weniger an den Scheuermannschen Lobeshymmnen, sondern eher an der- - ich sage es ganz schonungslos - - enorm unsympathischen Aura des „Gurus“. (http: / / forum.weinfreaks.de/ archive/ index.php/ thread-144-79.html [decow]) (280) Beton und andere moderne Baumaterialien altern, drastisch gesagt , beschissen. (http: / / www.danisch.de/ blog/ 2013/ 02/ 25/ marode-zustande-an-den-uni versitaten [decow]) (281) Um es brutal zu sagen , wer nicht von Natur aus wirklich senkrecht und richtig aufrecht steht, sollte nicht tanzen, sondern eine andere Sportart wählen. (http: / / www.profitanzsport.de/ fachecke.html [decow]) Am promintesten unter den +modalen Formeln mit Facebezug ist die Klasse, die Niehüser als „einstellungsoffenbarend“ typisiert: (282) Unsere Wahlprogramme, ob in Sachsen oder im Bund, sind- - ich sage es in- aller Bescheidenheit - - auch in puncto Wirtschaft eine Klasse besser als die- Produkte der Konkurrenz. (http: / / www.gerhard-liebscher.de/ position.html [decow]) (283) Provokant gesagt : Die Gymnasiasten haben Grunge gehört, die Hauptschüler „Techno“ (in der engen Definition), das hatte nichts mit der Lebenseinstellung zu tun. (http: / / forum.musikexpress.de/ archive/ index.php/ t-17015.html [decow]) (284) Peter ist in der Tat ein unsicherer Kantonist. Um es frank und frei zu sagen -- er döst den ganzen Tag vor sich her und kommt mir ziemlich bescheuert vor. (http: / / www.sprachberatung.tu-chemnitz.de/ category/ uncategorized/ page/ 4 [decow]) <?page no="224"?> Koordination 224 Unter Verfestigungsgesichtspunkten sind dabei Ausdrücke zentral, die eine Verpflichtung zur Aufrichtigkeit als Rechtfertigung für die Gesichtsbedrohung anführen. Als Lizenz dient hier wiederum die Qualitätsmaxime ‚Äußere Dich wahrheitsgemäß‘: 141 (285) Haha ihr seit ja witzig : lol: Solange sich das Trikot gut verkaufen läst und das tut es ja bringt das eh nix. Ich sage es so wie es ist : Werder wird nix ändern- sondern über euch lachen. (http: / / forum.werder.de/ archive/ index. php? t-9303-p-2.html [decow]) (286) Denn wenn Ihr Euch derart hartnäckig dagegen wehrt die-- offen gesagt absolut gerechtfertigten Anschuldigungen- - aus dem Weg zu räumen, müsst Ihr Euch über diese Kritik nicht wundern. (http: / / www.muskelfreaks.de/ funforum-f26/ croatia-kamil-und-pit-ihr-solltet-euch-schaemen-t644-s45.html [decow]) (287) Eine heiße Dusche und ein gutes Essen im Hotelrestaurant haben unsere Lebensgeister dann kurzzeitig wiederbelebt, aber wir sind dann recht schnell ins Bett gefallen und haben wie die Steine geschlafen. Um die Wahrheit zu sagen , ich war total fertig und habe mich gefragt, wie ich am nächsten Morgen überhaupt weiterlaufen soll. (http: / / www.martin-fredrich.de/ 2011/ 01/ wanderung-hamburg-berlin-4 [decow]) Von diesem Typ ist auch die mit Abstand häufigste koordinationsbezogene Formel- in DECOW16B, das mit 226.040 Instanzen (14,41 Vorkommen pMW) belegte ehrlich gesagt. 142 Sie kann sich sowohl auf eine Bedrohung des eigenen Gesichts (vgl. (288)) als auch auf eine desjenigen Ps beziehen (vgl. (289)). In Verbindung mit der Modalpartikel mal und/ oder der Gradpartikel ganz kann das Partizip auch entfallen (vgl. (290)): (288) ich würd die sache sehr gerne ungeschehen machen, glaubt mir das. ehrlich gesagt : ich habe mich benommen wie ein esel. (http: / / www.flashbackmag.de/ hip-hop-rap/ snaga-schlagt-fan-snaga-entschuldigt-sich [decow]) (289) Willkommen hier bei uns : ) ich kann zwar kein Wort Niederländisch (und ehrlich gesagt finde ich eure Sprache merkwürdig), aber du scheinst ganz gut unsere zu beherrschen. (http: / / www.happyfurry.de/ archive/ index.php/ t-4381. html [decow]) 141 Das Wahrig-Wörterbuch listet von den Formeln dieses Typs ich sage, wie es ist, dessen Bedeutung mit „ich sage offen meine Meinung“ angegeben wird, sowie ich müsste lügen, wenn ich anders sagte mit der Bedeutung „ich stehe zu meiner Meinung“ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). 142 Die Frequenzangabe für ehrlich gesagt ist nach Durchsicht einer Stichprobe von 100 Treffern gegenüber der Rohtreffermenge in DECOW16B nach unten korrigiert. <?page no="225"?> Formelüberblick 225 (290) Also mal ehrlich , Du kannst doch überhaupt nicht mitreden. Du bist kein Kunde der Versatel, meckerst hier aber an der Qualität rum. (http: / / www. versaforum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-1213.html [decow]) Ihre Funktion paraphrasiert Niehüser wie folgt: „‚Ich bin mir bewußt, daß meine Äußerung eine starke Belastung des Gesprächs darstellt, fühle mich jedoch angehalten, ehrlich das zu sagen, was ich von der […] Aussage halte‘“ (Niehüser 1987, S.-179). In der Literatur finden sich jedoch auch Verweise auf noch weitere Verwendungen der Formel. Beispielsweise diskutiert Stoltenburg (2009) im Rahmen einer Untersuchung verschiedener Gebräuche von ehrlich gesagt im Rahmen der TV-Sendung „Big Brother“ unter anderem auch Verwendungen, in denen er „weder eine eindeutige Maximenverletzung noch eine Gesichtsbedrohung“ sieht (ebd., S.-273). Am Beispiel der Äußerung heute fühl ich mich ehrlich gesagt schon viel viel besser als gestern wird dabei argumentiert, „dass ehrlich gesagt auch zur Vermittlung von Distanz von der Äußerung bzw. Äußerungsverantwortung benutzt werden kann“ (ebd.). Wir teilen die Auffassung, dass in solchen Fällen von einer positionierenden Funktion gesprochen werden kann, sehen sie im Rahmen unserer Begrifflichkeit aber gerade nicht als „Distanzierung“, sondern als Involvierung. Auch Niehüser kommt bei nicht-facebezogenen Verwendungen von ehrlich gesagt-- also solchen, in denen „kein Normverstoß auf seiten des Hörers impliziert ist und wo auch nicht die Gefahr besteht, daß der Hörer sich durch die Äußerung des Sprechers gekränkt fühlen könnte“ (Niehüser 1987, S.- 180)- - zu dem Schluss, dass „‚ehrlich gesagt‘ […] hier die Funktion [hat], die Aussage des Sprechers zu bekräftigen“ (ebd., S.-181). Verwendungen in der Art von Stoltenburgs Beispiel finden sich auch in DECOW16B: (291) Hallo Anne, vielen Dank für Deine Glückwünsche. Ja, ich bin ehrlich gesagt happy, daß mir der erste Absprung so gut gelungen ist. Ich habe absichtlich meinen ersten NMR-Tag auf einen Samstag gelegt, weil ich zu Hause eher in die Versuchung gekommen wäre…Aber jetzt ist Sonntag Abend und es ist nichts dergleichen passiert. Also zwei TAge ohne Ziggis. Wünsche allen frohe Nichtrauchertage und noch einen restlich schönen Sonntag LG Mausi (http: / / rauch-a. de/ forum/ rueckfall-und-neuer-anfang-t-681-3.html [decow]) In den ausgewerteten 20 Treffern findet sich allerdings keine einzige solche Verwendung, ausnahmslos alle betrachteten Beispiele sind facebezogen und vorangestellt. Sie sind als Operator zu werten, der P auf eine folgende Gesichtsbedrohung vorbereiten und ihr durch den Verweis auf S’ Verpflichtung zur Aufrichtigkeit (bei gleichzeitiger Bewusstheit der damit verbundenen Zumutung für P) die Schärfe nehmen soll. <?page no="226"?> Koordination 226 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, facebezogen FORM ST: prt, +MOD: ehrlich Formel-36: ehrlich gesagt Im Rahmen der zweiten Strategie betont S, dass die gesichtsbedrohende Äußerung nur ungern oder mit Bedauern formuliert wird, mithin also dispräferiert ist: (292) Man mag es kaum sagen , aber langsam wächst meine Aversion gegen Rollstuhl fahrende Politiker. Auf Anhieb fallen mir zwei ein und beide genießen meine volle Verachtung. (http: / / www.iknews.de/ 2014/ 01/ 08/ schmidt-fischerund-cohn-bandit-eu-kommission-muss-putschen-antidemokraten-in-hoechst form [decow]) (293) tut mir leid das zu sagen aber das video is einfach nicht witzig und du solltest es besser löschen um beleidigungen zu entgehen ; ) (http: / / video.66info.de/ video/ cnjVO4N9o7Y/ dsds-2012-parodie.html [decow]) (294) Auf gutefrage.net tummeln sich extrem viele Idioten herum, sorry, dass ich das so sage . (http: / / www.ipod-forum.de/ index.php/ Thread/ 37343-Inaktivit% C3%A4t-und-Qualit%C3%A4t-des-Forums/ ? s=fef8ee3c56cd6d507aa27696b7d 0b7a03820e376 [decow]) In diese Gruppe gehören auch bestimmte Bildungen mit +notwendiger Modalisierung. Facebezogene Verwendungen weisen typischerweise transitive interne Syntax, das Subjekt man und Modifikation mit so auf. Solche Konstruktionen (strukturell transitiv und mit modaldeiktischem so, funktional facebezogen) sind allerdings auch mit Subjekt ich möglich, das in der Verfestigung ich muss sagen sonst eher positive Bewertungen rahmt (vgl. Kap.- 4, Formel- 6). In der 1. Person Singular tritt dann häufig ein Adverb wie leider oder bedauerlicherweise hinzu. Grammatisch können solche Kommentare auch als wie-Nebensatz realisiert werden: (295) Unter dem Titel Die Küchenschlacht geht das ZDF ab Montag in indirekte Konkurrenz zur VOX-Kocharena. Das Konzept ist, man muss es so sagen , abgekupfert. (http: / / blog.rewirpower.de/ index.php/ category/ tv-kuche/ page/ 6 [decow]) (296) Und bei einigen, ich muss es leider so sagen , wundert es mich nicht, dass sie keinen Job haben! (http: / / www.deutschlands-dicke-seiten.de/ forum/ archive/ index.php/ t-18428.html [decow]) <?page no="227"?> Formelüberblick 227 (297) Die erste und wie ich sagen muss , leider auch bislang einzige Mannheimer Fahrradstraße zwischen Hauptbahnhof und Schloss hat sich gut bewährt. (http: / / www.adfc-bw.de/ adfc-vor-ort/ kv-mannheim/ termine-und-service/ verkehrspolitik/ verkehrsentwicklungsplan-mannheim [decow]) Implizit bleibt die Sprechinstanz in passivischen Instanzen. Sie sind modifiziert mit der Modalpartikel mal, die hier wie in anderen Formeln auf den Ausnahmecharakter der mit müssen als erforderlich markierten Äußerung verweist. Gerahmt wird etwas, das aus Höflichkeitsgründen in der Regel nicht ausgesprochen wird: (298) Nicht ich bin derjenige, der keine andere Meinung gelten lässt, sondern IHR! ! (Verflixt nochmal, das musste mal gesagt werden ). (http: / / www.senioren treff.de/ diskussion/ archiv6/ a804.html [decow]) Belegt sind zudem negierte Varianten mit +volitiver Modalisierung: (299) man mag es gar nicht sagen , aber wenn man die letzten wochen revue passieren lässt, dann ist das wohl unsere normalform. (http: / / hsv-blog.abendblatt. de/ 2010/ 04/ 16/ gegen-mainz-ohne-panzerechse [decow]) (300) So, ich melde mich noch mal. Eisentest habe ich gemacht. Ich mag es kaum sagen -- aber der lag bei 1,5. Der schlechteste Wert auf der Farbkarte. (http: / / www.tierforum.de/ t92465-tipps-zur-verbesserung-aquarium.html [decow]) (301) Ich will es ja nicht sagen …aber da fällt einmal die ‚Paparazzi-Sicherung‘ aus…schon hat man Leute in der Bude… (http: / / bleach-world-rpg.phpbb8.de/ las-noches-der-nachtpalast-f37/ grisworld-labor-modifiziert-mit-raumverzer rung-t251-40.html [decow]) Zentrale Verfestigung dieses Bildungstyps ist die negierte, +volitiv und +epistemisch modifizierte Formel-ich will ja nichts sagen, aber mit 1926 Belegen (0,12 Vorkommen pMW). Sie ist als Ellipse einer Quellstruktur zu interpretieren, in der das nichts nicht als Pronomen, sondern als Determinierer eines semantisch passenden Substantivs gebraucht wird, das den vorgeblichen Kontrast zur Qualität der mit aber angeschlossenen Bezugsäußerung etabliert (vgl. nichts Böses, nichts Schlechtes, nichts Abfälliges etc.): (302) ich will ja nix sagen leute aber das hier ist kein laber-thread : rolleyes: Linds-3 26.12.2005, 23: 05 / / du hast aber was gesagt^^ McFly-Danny 02.02.2006, 18: 52 (http: / / forum.pop24.de/ archive/ index.php/ t-12451.html [decow]) Aufgrund des festen Anschlusses des Bezugsausdrucks mit aber im zweiten Teilsatz handelt es sich um einen obligatorisch vorangestellten Operator. <?page no="228"?> Koordination 228 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, facebezogen FORM TMP: prs, +MV: wollen, SUB: ich, AKK: nichts, +MOD: ja Formel-37: ich will ja nichts sagen, aber Der dritte Bildungstyp für facebezogene Formeln ist +permissiv modalisiert. Belege dieses Typs entstammen häufig formelleren Kontexten und treten dort an Stellen auf, an denen sich S das Recht herausnimmt, etwas anzusprechen bzw. in einer bestimmten Weise zu formulieren, zu dem sich S (zumindest vorgeblich) nicht ohne weiteren Kommentar befugt sieht. Die Distanzierung gilt dabei einer möglichen Bedrohung des eigenen Gesichts durch eine Verletzung von Höflichkeitskonventionen. Beispielsweise setzt sich S in (303) über das Verbot des Selbstlobs hinweg, und in (304) wird eine potenziell übergriffige, da unzulässig nähebeanspruchende Form der Anrede verwendet. Möglich ist auch die Modalisierung mit können, das allerdings deutlich häufiger negiert und dann epistemisch statt facebezogen gebraucht wird (<JMD> kann <ETW> nicht sagen, vgl. Kap.-6, Formel-48): (303) Wer trägt die Kosten? Das interessiert mich auch als Steuerzahlerin, und ich darf sagen , dass meine Steuerleistung nicht gering ist! (http: / / www.animalspirit.at/ gnadenhoefe_single/ artikel/ protestschreiben_hendlberg [decow]) (304) Ich wollte Ihnen, Frau Patermann, Frau Hillebrand, Frau Strube und Frau Jansen sagen, dass mir persönlich der Abend mit Ihnen, oder auch wie ich sagen darf , mit euch sehr gut gefallen hat. (http: / / www.kurt-schwitters-schule.de/ gabu/ gb0.htm [decow]) (305) Ich hätte nie gedacht, dass ich es nach meiner ersten Goldenen Schallplatte 1961 für „Weiße Rosen aus Athen“ in Deutschland so weit schaffen würde. Ich mag den Begriff „Star“ nicht. Aber natürlich bin ich sehr bekannt. Und ich kann sagen , ich werde sehr geliebt. (http: / / www.starcookers.de/ de/ magazin/ promiinterview/ interview/ 1/ display/ detail.html [decow]) Stärker zurückgenommen sind +konditionale Varianten in transitiven wenn- oder falls-Sätzen mit Objekt das oder (et)was: 143 143 Die koordinativ-facebezogene Bildung wenn ich das sagen darf kontrastiert mit positionierenddistanzierendem wenn man das so sagen kann (mit Subjekt man und modaldeiktischem so), vgl. Kapitel-4, Formel-15. <?page no="229"?> Formelüberblick 229 (306) Diese Hortensien sind viel besser als Deine letzten, wenn ich das sagen darf . (http: / / www.happypainting.de/ archive/ index.php/ t-22876.html [decow]) (307) Hallo hans ich meinte natürlich X…wobei phi ja auch als v“/ v‘ def. werden kann. aber meine Frage hast du ( falls ich das sagen darf ) nicht beantwortet. (http: / / www.bombentrichter.de/ archive/ index.php/ t-7837.html [decow]) (308) Hallo, ja vBulletin finde ich gut, aber leider kostenpflichtig. Wenn ich was sagen darf : Ich finde dieses Design ist das letzte. Es wird mit Opera nicht richtig angezeigt und die Schriftgröße in der Signatur ist viel zu groß. (http: / / www. eforum.de/ teils_groessere_aenderungen_forum_t7206.html [decow]) Tritt zusätzlich ein +thematisches zu-Präpositionalobjekt und/ oder ein Adverbialausdruck wie noch, eben oder kurz hinzu, rückt die gesprächsorganisatorische Funktion in den Vordergrund. Markiert wird dann der Wunsch, das Rederecht zu bekommen oder es für eine weitere Expansion des eigenen Beitrags zu behalten. In seltenen Fällen wird dazu auch ein deklarativer Hauptsatz benutzt: (309) danke für die tipps, ich suche schon rum werde noch das passende finden ogalalasioux Obergärtner Beiträge: 537 vom: So 13 Jan, 2008 13: 59 / / Meine Damen, wenn ich dazu was sagen darf mit dem durchschneiden das ist nicht so einfach das Fass wird instabil und einen neuen genau passent Ring zu bekommen ist sehr schwierig. (http: / / green-24.de/ forum/ ftopic20339.html [decow]) (310) Und wissen Sie, was mich besonders freut, wenn ich das noch kurz sagen- darf , dass die Menschen in Deutschland sich ihr Recht herausgenommen-haben, so zu entscheiden, wie sie wollen, und nicht so zu entscheiden, wie die Medienmacher meinten, sie sollen entscheiden. (http: / / www.spindoktor. de/ 2005_09_01_archiv.html [decow]) (311) „ Vielleicht darf ich auch mal was sagen “, ließ sich Johanna vernehmen. Ihr seid doch wenigstens einigermaßen gesund! Habt ihr eine Ahnung, wie einem zumute ist, der ständig Schmerzen hat? Mühsam richtete sie sich im Stuhl auf. (http: / / gemeindechristitrier.blog.volksfreund.de/ page/ 20 [decow]) In einem gesprochensprachlichen Korpus wäre vermutlich mit einer größeren Prominenz der gesprächsorganisatorisch-rederechtsbezogenen Variante zu rechnen. 144 In DECOW16B ist die zentrale Verfestigung dieses Bildungstyps hingegen ich darf sagen, das mit 638 Instanzen belegt ist (0,04 Vorkommen pMW). Auch diese Variante 144 Sehr geläufig sind solche wenn-Sätze insbesondere in Interaktionskontexten, in denen die Redezeit knapp bemessen ist und S auch (und gerade) bei Verstößen gegen das Gebot, sich kurz zu fassen, demonstrieren muss, sich dieses Gebots bewusst zu sein. Typisch ist die Verwendung etwa in Interviews und Diskussionsbeiträgen im Radio, in deren Rahmen ein eingeschobenes wenn ich das noch kurz sagen darf als Lizenz für einen Nachtrag (oder gar einen Wechsel hin zu einem neuen Thema) und damit eine weitere Fortsetzung des eigenen Beitrags eingesetzt wird. <?page no="230"?> Koordination 230 kann gesprächsorganisatorisch verwendet werden und dient dann zur Reformulierungsanzeige (X, ja ich darf sagen: Y). In den ausgewerteten 20 Belegen findet sich allerdings allein der Gebrauch als facebezogene Distanzierung, die als vorangestellter Matrixsatz verwendet wird. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, facebezogen, K+ FORM TMP: prs, +MV: dürfen, SUB: ich Formel-38: ich darf sagen Mit dem vierten und letzten facebezogenen Bildungstyp wird P die Vertraulichkeit einer gesichtsbedrohenden Mitteilung versichert. Indem S angibt, P etwas zu verraten, das nicht für jedermanns Ohren bestimmt ist, wird soziale Nähe geschaffen, die im geteilten exklusiven Wissen um einen Sachverhalt gründet, der bei breiterem Bekanntwerden für den Betroffenen (ob S oder P) unangenehm sein könnte. 145 Solche Ausdrücke sind ein Subtyp der Bildungen, die Niehüser (1987, S.- 182-184) als „appellative Redecharakterisierungen“ bezeichnet. Letztere werden ihmzufolge verwendet, „wenn der Sprecher befürchtet, daß der Hörer ohne diesen Hinweis nicht erkennt, daß das Mitgeteilte vertraulich zu behandeln ist. Sie gelten demnach als verbindliche Aufforderung an den Hörer, die erhaltenen Informationen nicht weiter zu verbreiten“. Mit diesem Zuschnitt ist Niehüsers Kategorie zunächst einmal weiter gefasst und nicht ausschließlich auf gesichtsbedrohende Bezugsausdrücke beschränkt: (312) Eine alte Frau, im Vertrauen gesagt , meine Großmutter, wollte bei der Deutschen Bank International drei Pfund Gold abheben. Sie bekam nicht eine Unze! (http: / / www.deutscher-buchmarkt.de/ Kolumne_In-medias-res-Februar09. htm [decow]) (313) Und, unter vier Augen gesagt , hat Gandalf niemals aufgehört Gwaihir für die- Rettung zu danken. (http: / / www.tabletopwelt.de/ forum/ archive/ index. php/ t-9937.html [decow]) (314) Auch ich bin ein E10-Verweigerer. Und zwar aus mehreren Gründen: zum Einen kann und will mir mir meine Opel Werkstatt keine Garantie geben, dass dem Motor oder sonstigen mit Kraftstoff in Berührung kommenden Teilen meines 145 Dass Formeln wie die in (312) bis (314) in öffentlichen Webforen verwendet werden, illustriert allerdings, dass sich die abstraktere Funktion der Nähemarkierung von der literalen Vertraulichkeitsbedeutung abgelöst hat. <?page no="231"?> Formelüberblick 231 Vectra B, Bj. 97 durch die Betankung mit E10, irgendwelchen Schaden nimmt (insbesondere sind wohl, hinter vorgehaltener Hand gesagt , die Dichtungen gefährdet). (http: / / www.ace-online.de/ ace-lenkrad/ verkehr-und-umwelt/ derboykott-an-der-zapfsaeule-777.html [decow]) Die Rahmung einer gesichtsbedrohenden Mitteilung, deren Vertraulichkeit sich just aus ihrem gesichtsbedrohenden Charakter ergibt, stellt aber einen prominenten Anwendungskontext solcher Ausdrücke dar. Neben präpositionalen Varianten des [<irgendwie> gesagt]-Bildungsmusters wie in (312) bis (314) sind hier auch negierte Modalvarianten mit dürfen und können zu nennen, die einen Verstoß gegen eine ungenannte Norm anzeigen, der mit einer starken Gesichtsbedrohung für den Subjektreferenten von sagen einhergeht: 146 (315) Anders ausgedrückt: Ich habe Angst. Aber das kann ich ja niemandem sagen , denn schließlich hat mich ja keiner dazu gezwungen oder überredet, mir die Augen lasern zu lassen. Also immer schön den Mund halten… / / Hallo Pani, das sehe ich anders. Also natürlich hat Dich keiner gezwungen oder überredet, aber das soll nicht bedeuten, dass Du Deine Ängste, Deine Fragen und Deine Unsicherheiten für Dich behalten musst. Immerhin geht es um so etwas-Elementares wie Sehen. (http: / / augenlaser.operationauge.de/ hyperopie-astigmatis mus-miese-fernsicht-nach-lasik-t8496-15.html [decow]) (316) Ich will meine Kinder großziehen. Ich will keine Karriere machen. Das überließe ich meinem Mann. Aber das darf man heutzutage gar nicht laut sagen . (http: / / www.literaturhaus.at/ index.php? id=566%26L=0 [decow]) Zentrale Verfestigung ist aber das präpositionale unter uns gesagt mit 1.435 Belegen (0,09 Vorkommen pMW). Wie alle Ausdrücke dieses Bildungstyps signalisiert die Formel- einerseits, dass S sich im Besitz einer relevanten Information sieht, die P unbekannt ist („K+“), sowie andererseits, dass diese Information (vorgeblich) vertraulicher Natur ist. Indem S diese Information dennoch mit P teilt, wird deutlich gemacht, dass P im Gegensatz zu anderen Personen als Angehöriger derselben sozialen Kategorie wie S selbst gesehen wird (nämlich als Mitglied der Gruppe der Wissensberechtigten). Die Formel- kann sowohl nicht-facebezogen gebraucht werden (vgl. (317)) als auch eine eigene (vgl. (318)) oder fremde (vgl. (319)) Gesichtsbedrohung rahmen: 146 Ähnlich wie im Fall von ich kann/ darf sagen steht bei Formelvarianten mit können die moralische Lesart von <JMD> kann (<JMDM>) <ETW> nicht sagen (‚etwas ist tabuisiert‘) wieder deutlich im Schatten der epistemischen (‚etwas ist ungewiss‘). Eine komplementäre, moralbezogene Präferenz weist hingegen die Pseudokoordination [<JMD> kann nicht kommen/ hingehen/ sich hinstellen-…-und sagen + Komplementsatz] auf, die diese Lücke schließt. <?page no="232"?> Koordination 232 (317) Auf dem Ritt selbst kann ich Sie ja leider nicht begleiten, das muß schon der richtige Bursche tun. Ich will dem schnell seine Uniform wiedergeben, denn unter uns gesagt , gnädiges Fräulein, der steht da drinnen im Stall im Hemd und Unterhosen. (http: / / www.karlheinz-everts.de/ Texte/ Viellieb.htm [decow]) (318) Unter uns gesagt , ganz im Vertrauen: Der Spieler, der gegen den VfB an meiner Stelle spielte, bringts nicht. Mit dem kann man kein Spiel gewinnen. (http: / / www.clubfans-united.de/ 2011/ 10/ 24/ keine-alibis [decow]) (319) Eine Jahresmitgliedschaft im Tischtennisclub Winterthur kostet satte 419 Franken. Willst du das wirklich bezahlen, nur um nachher unter Leistungsdruck zu stehen, dich von einem Trainer hin- und herhetzen zu lassen und am Schluss im alles entscheidenden Spiel erbarmungslos unterzugehen, weil du, unter uns gesagt , einfach grauenvoll spielst? (http: / / www.kraftfeld.ch/ newsletter/ news letter1110.htm [decow]) Unter den facebezogenen Verwendungen wird in der Regel eine Gesichtsbedrohung für S selbst gerahmt (14 von 20 Belegen, 70%). Typisch sind Verwendungen wie in (318), mit denen eine despektierliche Einschätzung projiziert wird, deren Äußerung bei breiterem Bekanntwerden gegebenenfalls ungünstig auf S zurückfallen könnte. Der Marker ist in 19 von 20 Fällen (95%) vorangestellt bzw. parenthetisch in seine Bezugsäußerung eingeschoben. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, facebezogen, K+ FORM ST: prt, +MOD: unter uns Formel-39: unter uns gesagt Damit sind wir am Ende des Überblicks über sagen-Formeln mit schwerpunktmäßig koordinationsbezogener Funktion angelangt. Der folgende Abschnitt wendet sich der interaktionslinguistischen Vertiefungsstudie in diesem Bereich zu, die dem Marker sagen wir gewidmet ist. <?page no="233"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 233 5.3 Vertiefungsstudie: sagen wir 5.3.1 Überblick und Vorarbeiten In ihrer direktiven Variante ist die Verfestigung sagen wir in FOLK (Stand: DGD- Release-2.8) mit 89,84 Vorkommen pMW belegt. 147 Über ihre formale Gestalt besteht sowohl in der Forschungsliteratur als auch in den Wörterbüchern Uneinigkeit, sodass sie je nach Quelle mal als sagen wir, mal als sagen wir mal und mal als sagen wir mal so geführt wird. Wir verwenden zu ihrer Bezeichnung im Folgenden die lexikalisch basale Variante sagen wir, die allerdings noch mit einem pronominalen direkten Objekt und/ oder verschiedenen Adverbien und Partikeln ausgebaut werden kann. Wo die Unterscheidung von Formel- und Markerinstanzen der Konstruktion relevant ist, sprechen wir auch von ihrer „Langform“ oder „Kurzform“. Grammatisch handelt es sich bei der Quellstruktur der Formel-um einen Matrixsatz mit Verberststellung, der intonatorisch als Aufforderung markiert ist. 148 Verbmorphologisch liegt allerdings kein Imperativ vor, da Imperative nur für Numerus aber nicht für Person markiert sind. 149 Stattdessen handelt es sich bei der Form sagen wir um einen sogenannten „Adhortativ“: Eine direktive Konstruktion mit dyadischer Subjektreferenz, die zur Formulierung einer Aufforderung verwendet wird, die an S und P gemeinsam ergeht. 150 Funktional überlappen sich die Gebrauchsmuster von sagen wir in mehreren Verwendungen mit denen des in Kapitel-4 untersuchten sozusagen, werden hier jedoch von einem anderen, stärker partnerbezogenen Fixpunkt aus zusammengehalten. Ihre appellative Quellbedeutung besteht in der Anregung einer bestimmten Koordinationsleistung zwischen S und P, die sprachlich als ein Akt des gemeinschaftlichen ‚Sagens‘ dargestellt wird, auch wenn damit keine konkrete Äußerungsaufforderung verbunden ist. Vielmehr dient die Formel-zur Koordination des „wechselseitigen Sich-aufeinander-Einstimmens“ (Schütz 1972, S.- 132) der Interaktionsteilnehmer im Sinne der Kalibrierung ihrer Positionierungen, der 147 Berechnungsgrundlage in FOLK ist eine Wortzählung, bei der zum Beispiel in der Transkription als unverständlich ausgewiesene Elemente und verschiedene „Dummy“-Symbole (zum Beispiel für Abbrüche) nicht mitgezählt wurden (vgl. die Anmerkungen zur N-Gramm-Analyse in FOLK in Kap.-3). Auf Basis dieser Zählung umfasste das Korpus im relevanten DGD-Release-2.8 insgesamt 1.914.488 Wortformen. 148 Die Vertiefungsstudie zu sagen wir behandelt nur die direktiven Instanziierungen von sagen wir, da die viel selteneren interrogativen eine andere interaktionale Funktionalität zeigen (vgl. die Anmerkungen dazu in Abschn.-5.2, Formel-32). 149 Die Imperativformen von sagen lauten entsprechend sag und sagt, aber nicht sagen. 150 Die IDS-Grammatik bemerkt zu dieser Konstruktion: „Die Adhortativform ist auf den Aufforderungs-Modus festgelegt, entsprechend der Konfiguration des Aufforderungs-Modus gilt für Adhortativformen daher eine feste Reihenfolgebeziehung zwischen Verb und Sprecherdeixis sowie die Vorgabe für eine bestimmte Intonationsstruktur“- - nämlich: „Verb [+V-1] vor Sprecher-Deixis im Mittelfeld + fallendes Grenztonmuster“ (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997, S.-1726). <?page no="234"?> Koordination 234 Steuerung ihrer geteilten Aufmerksamkeit und der Aktualisierung ihres Common Grounds. Instanzen der Formel-sagen wir finden sich in FOLK allerdings nicht nur in primär koordinationsbezogener Funktion, sondern mit Merkmalen aller vier Funktionsdomänen. Zum einen wird sie im Rahmen positionierender Praktiken verwendet, wo sie als Heckenausdruck eine Formulierung und in manchen Fällen auch den Inhalt einer Äußerung modalisiert (und trotz der Distanzierung appelliert, das gerahmte Element zu akzeptieren). Die angezeigte Abschwächung kann sich auch mit interpersonellen, epistemischen oder gesprächsorganisatorischen Merkmalen verbinden. Sie fungiert dann als Gesichtswahrung, als Vagheitsmarkierung oder als Reformulierungsanzeige. Gesprächsorganisatorisch sind auch gliedernde Verwendungen zur Beispielsanführung sowie als Reparaturmarker. All diese Fälle sind noch mit der appellativen Quellbedeutung von sagen wir in Verbindung zu bringen, die P dazu auffordert, sich auf eine bestimmte Bezeichnung oder Konzeptualisierung einzulassen und sie im aktuellen Kontext als intersubjektiviert zu akzeptieren. Dadurch schwingt in allen Fällen Kontingenz mit: Die Bezeichnung könnte auch eine andere sein, ein veranschlagter Wert vielleicht auch ein benachbarter ähnlicher und das gewählte Beispiel nur eine von mehreren möglichen Veranschaulichungen. Stets greift die Formel- aus der Menge der in Frage kommenden Werte einen möglichen Kandidaten heraus und präsentiert ihn als etwas, das S hinreichend zweckmäßig für die aktuelle Verständigung mit P erscheint. Zur Differenzierung der verschiedenen Praktiken, die auf diese schematische Kernbedeutung zugreifen, verwenden wir wiederum verschiedene Paraphrasen wie etwa ‚nehmen wir mal an‘, ‚ungefähr, vielleicht‘ oder ‚beispielsweise‘, die eine Entflechtung der verschiedenen Gebrauchsmuster von sagen wir ermöglichen (vgl. Abschn.- 5.3.3.1 bis 5.3.3.4). Im Rahmen all dieser Praktiken tritt der Marker nie handlungsbzw. turnwertig auf, sondern wird stets als unselbstständiger Operator verwendet. Und wie im Fall von sozusagen gibt es auch hier neben den semantisch substanzhaltigen Gebräuchen rein prozedurale Verwendungen, die entweder der reinen Äußerungsgliederung bzw. Fokusmarkierung oder der Überbrückung von Formulierungsschwierigkeiten dienen (vgl. Abschn.-5.3.3.5). 151 Dabei handelt es sich um desemantisierte Verwendungen, die keiner (ihrerseits denotativ bedeutungshaltigen) Paraphrase zugänglich sind. Viele der genannten Praktiken klingen auch bereits in vorliegenden Untersuchungen zu sagen wir und seinen Äquivalenten in anderen Sprachen an, wenn auch zum Teil auf Basis anderer formaler und funktionaler Zuschnitte der Analyse. So sind 151 Fokussierung und Aufmerksamkeitssteuerung einerseits sowie Formulierungssuche andererseits müssen sich natürlich nicht ausschließen, sondern können ineinanderlaufen. Allein die inhärent skopusprojizierende Eigenschaft des Operators macht ihn zum potenziellen Fokusmarker, wenn sich keine weiteren Funktionsmerkmale in den Vordergrund drängen und die Verzögerung-- die ja allein schon durch den Markergebrauch konstituiert wird-- an der Gelenkstelle von bekannter und relevanter neuer Information erfolgt. <?page no="235"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 235 zum Beispiel in Steins Überblicksdarstellung „gesprächsspezifischer Formeln“ und deren Funktionen für den Eintrag sagen wir (mal) die Funktionen „Markierung kritischer Formulierungen“, „Vagheitsindikator“, „Exemplifizierung“ und „Gesprächssteuerung“ aufgeführt (Stein 1995, S.-240). Als weiteres Merkmal wird die „Formulierungshilfe“ zur „Überbrückung“ oder „Verzögerung“ genannt, die den hier in Abschnitt-5.3.3.5 beschriebenen prozeduralen Verwendungen entspricht. Schmidt (2014, S.- 229) beschreibt die Formel- als Variante einer schematischen mal sagen-Konstruktion. Solchen Ausdrücken sei in allen Fällen „gemein, dass sie eine Abschwächung des durch mal sagen markierten Ausdrucks leisten“. Spezifisch für sagen wir mal werden die Funktionen einer „distanzierende[n] Abschwächung“, des „Markieren[s] einer Angabe als unpräzise“ und der „Ankündigung eines Beispiels“ genannt (ebd., S.-220). Charakteristisch für alle mal sagen-Konstruktionen sei die Distanzierung des Sprechers von einem Ausdruck […], den er als potenziell problematisch einstuft, z. B. weil er mit negativen Konnotationen oder Tabus verbunden ist, eine über den konkreten Fall hinausgehende Evaluation impliziert oder schlicht unpräzise ist. Durch vorangestelltes oder nachgeschobenes mal sagen signalisiert der Sprecher seinem Gesprächspartner, dass er die markierte Formulierung als vorläufig und damit gegebenenfalls später noch verhandelbar verstanden wissen möchte. (ebd., S.-229) In Imos Übersicht „(teil)spezifischer Konstruktionen mit sagen“ (Imo 2007, S.- 99- 130) wird unsere Zielform ähnlich wie bei Schmidt gemeinsam mit ich sag mal (so) und sag ich (jetzt) mal (so) behandelt. Ihre Hauptfunktion liegt laut Imo darin, „Formulierungsprobleme anzuzeigen“ (ebd., S.- 108). Im ersten von zwei besprochenen Beispielen des Gebrauchs von sagen wir mal so stellt das Formulierungsproblem eine drastische, metaphorische Wortwahl dar, und die Funktion des Markers wird darin gesehen, die Bezeichnung „herabzumodalisieren“ und „mögliche Kritik“ an der Formulierung „explizit“ vorwegzunehmen. Die Funktion des zweiten Belegs liegt dagegen im gesprächsorganisatorischen (fokussierenden) Bereich und wird von Imo beschrieben als „argumentstrukturierende Funktion“ mit „Ähnlichkeit zur projizierenden Konstruktion [ich sag (mal) so]“ (ebd., S.- 113). Ebenfalls erwähnt wird bei Imo die Verwendung zur Anführung eines Beispiels. Da es einerseits der einzige Beleg (von insgesamt 18) ohne so in seiner Kollektion ist und zudem die einzige exemplifiziernde Verwendung, wird der entsprechende Beleg einer separaten, „eigenen Konstruktion“ sagen wir mal zugeschlagen (ebd., S.-114). In der Schlussbetrachtung der Verfestigung sagen wir mal so spricht Imo (ebd.) dem Marker den Status einer „stabilen Konstruktion“ ab und klassifiziert ihn als „‚Fragment‘ im Sinne Hoppers (2004, S.-1)“. Zeschel/ Brackhane/ Knöbl (2019) erkennen ebenfalls funktionale Überschneidungen zwischen einerseits sagen wir und andererseits ich sag mal/ sag ich mal. Beide werden bezeichnungsmodalisierend verwendet, wobei zwischen einerseits vagheits- <?page no="236"?> Koordination 236 markierenden und andererseits gesichtswahrenden Verwendungen unterschieden wird. In ersteren beziehe sich „die antizipierte Unangemessenheit des Bezugsausdrucks auf seine Eignung zur Bezeichnung des intendierten Gegenstands oder Sachverhalts“ (ebd., S.-89), in letzteren gehe es darum, dass „der Bezugsausdruck in unangemessener Weise das Verhältnis und/ oder wechselseitige Zuschreibungen zwischen den Interaktionspartnern berühren könnte“ (ebd., S.-90). Beide Arten von Mitigationsfunktionen können sowohl von sagen wir als auch ich sag mal/ sag ich mal übernommen werden. Als zweite Funktionsklasse werden „intersubjektivierende Verwendungen“ postuliert, die entweder „geteilte Aufmerksamkeit schaffen“ oder „durch die Einführung einer Veranschaulichung bzw. eines Beispiels“ den Common Ground von S und P absichern (ebd., S.-92). In den untersuchten Daten aus FOLK sind es die intersubjektivierenden Verwendungen, die weitgehend dem Marker sagen wir vorbehalten sind. Die subjektivere Formel-mit Subjekt ich wird hingegen fast ausschließlich bezeichnungsmodalisierend und vagheitsmarkierend verwendet (vgl. ebd., S.-93). Untersuchungen zu vergleichbaren Markern in anderen Sprachen liegen vor für das englische say und let’s say (Goossens 1982; Brinton 2008), das italienische diciamo (Bazzanella 1995; Hölker 2003), das spanische digamos (Fuentes-Rodríguez 2008) sowie vergleichend für das englische say und das niederländische zeg (maar) (Van Olmen 2013), das englische shall we say und Französische on va dire (Lansari 2020) und schließlich das italienische diciamo und das russische tak skazat‘ (Khachaturyan 2010). Viele der oben skizzierten bzw. von uns in Abschnitt- 5.3.3 beschriebenen Praktiken des deutschen sagen wir finden sich in vergleichbarer Form auch in diesen Studien. In fast allen Arbeiten zu diesen mit sagen wir (formal und funktional) vergleichbaren Markern wird deren mitigierende Funktion beschrieben (Bazzanella 1995; Goossens 1982; Hölker 2003; Khachaturyan 2010; Lansari 2020; Van Olmen 2013). Für Van Olmen (2013, S.-254) ist die abschwächende Verwendung von say formulierungsbezogen („Clause-Medial Marker of Potential Formulation“), dagegen erkennt er im Fall von zeg maar zusätzlich inhaltsbezogene Abschwächungen: Der niederländische Marker schwäche auch komplexe Äußerungen bzw. Positionierungen ab, indem er sie als „one of a number of possible statements, as provisional and uncertain“ darstelle, was den Endruck eines „half-hearted commitment to the proposition“ erzeuge (ebd., S.-258). Eine vergleichbare Unterscheidung zwischen bezeichnungsmodalisierender und stancemarkierender Verwendung macht Fuentes-Rodríguez (2008) für digamos. Facebezogene Abschwächungen werden in den Arbeiten von Bazzanella (1995, S.-250) und Fuentes-Rodríguez (2008, S.-84) diskutiert. Epistemisch begründete Abschwächungen beim Gebrauch als Vagheitsmarker beschreiben Brinton (2008), Van Olmen (2013) (für say und zeg maar gleichermaßen) und Lansari (2020) (auch für beide von ihr vergleichend untersuchten Marker). Für Brinton (2008, S.-78) und Lansari (2020, S.-122) beziehen sich vagheitsmarkierende Verwendungen immer <?page no="237"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 237 auf einen Zahlenwert, allerdings ist diese Funktion im Fall von shall we say und on va dire wesentlich seltener belegt als im Fall von say (vgl. Brinton 2008, S.-79; Lansari 2020, S.-122). Neben den verschiedenen Modalisierungen werden in der Literatur zu fremdsprachlichen Äquivalenten auch vereinzelt Common Ground-rekrutierende Funktionen beschrieben. Beispielsweise setzt Brinton (2008, S.-78) für (let‘s) say die Paraphrasen ‚suppose‘ bzw. ‚let‘s imagine‘ an (in einer Fußnote ist auch die Rede von ‚let’s agree‘), die direkt der hier in Abschnitt-5.3.3.2 angesetzten appellativen Verwendung mit Paraphrase ‚nehmen wir mal an‘ entsprechen. Insgesamt taucht der appellative Funktionsaspekt in den Beschreibungen der fremdsprachlichen Marker allerdings nur selten auf. Das überrascht insofern, als der explizite Einbezug von P durch S vermittels der dyadischen Subjektreferenz der Marker shall we say, diciamo und digamos bzw. durch das generalisierende Pronomen on im Fall von on va dire in fast allen Arbeiten als Grundlage der mitigierenden Verwendung betrachtet wird: Für Lansari (2020, S.-119) etwa basiert der mitigierende Effekt von shall we say und on va dire auf der nur vordergründig zwischen S und P geteilten Verantwortung für die gerahmte Formulierung, die als „a false intersubjective commitment“ erkennbar sei und eben dadurch auf „some kind of linguistic problem“ hinweise (ebd.). Sehr ähnlich bestimmt Khachaturyan (2010, S.- 406) die Funktion von diciamo und die des russischen Markers tak skazat’ (übersetzbar mit ‚sozusagen‘) als „not assuming responsibility“. Sehr viele Analysen zu Übersetzungsäquivalenten von sagen wir verweisen dagegen auf diskursorganisierende Funktionen. Exemplifizierende Verwendungen werden bei Goossens (1982), Brinton (2008) und Van Olmen (2013) für (let’s) say, bei Fuentes- Rodríguez (2008) für digamos und bei Lansari (2020) für shall we say und on va dire beschrieben. Bazzanella (1995), Hölker (2003) und Fuentes-Rodríguez (2008) beschreiben Verwendungen von diciamo und digamos in reparaturbzw. reformulierungsmarkierender Funktion, von Themensteuerung spricht Lansari (2020). Fuentes-Rodríguez (2008) erwähnt auch eine Funktion als Fokusmarker („enfocador informativo“, ebd., S.-96). 5.3.2 Daten und Vorgehen Grundlage der Untersuchung von sagen wir sind Daten aus FOLK (DGD-Release-2.8 aus dem Jahr 2017). Das Korpus wurde nach Vorkommen der Wortfolge „sagen wir“ innerhalb ein und desselben Gesprächsbeitrags abgefragt. Von insgesamt 294 Treffern mussten 119 Belege aussortiert werden, die keine spezifische Gesprächsfunktion zeigten (zum Beispiel indikativische Verwendungen wie so etwas sagen wir doch nie und Belege mit IP-Grenze zwischen Verb und Pronomen). Pragmatisch spezialisiert, aber funktional anderer Art sind interrogative Varianten von sagen wir, die an ihrer Intonation erkennbar waren und ebenfalls nicht in die Datenbasis übernom- <?page no="238"?> Koordination 238 men wurden. Die Kollektion umfasst damit insgesamt 172 formelhafte Verwendungen von direktivem sagen wir. Die Belege wurden anhand des generellen Annotationsschemas der vier Vertiefungsstudien ausgezeichnet (vgl. Kap.-3) und zusätzlich annotiert für: - Realisierung des allfälligen zweiten Arguments von sagen: pronominal, lexikalisch, Nebensatz, lexikalisch + Nebensatz, abhängiger Hauptsatz, abhängiger Hauptsatz + Korrelat, Quotativkomplement, Ellipse/ Analepse - Subjekt des Skopusausdrucks (sofern satzwertig): wir, nicht wir - Skopusausdruck reformulierend: ja, nein Für die im Laufe der Analyse herausgearbeiteten Praktiken wurden die folgenden Bezeichnungen (und in Klammern angegebenen Paraphrasen) vergeben: „Bezeichnungsmodalisierung“ (‚man könnte sagen‘/ ‚könnte man sagen‘), „Gesichtswahrung“ (‚(bitte) nicht falsch verstehen‘), „Vagheitsmarkierung“ (‚ungefähr/ vielleicht‘), „Reformulierung“ (‚mit anderen Worten, anders gesagt‘), „Vorschlag“ (‚wollen wir sagen? / nehmen wir mal an‘), „Exemplifizierung“ (‚beispielsweise‘), „Reparatur“ (‚besser gesagt‘) und „Prozedurale Verwendung“ (keine Paraphrase, bei Verwendungen zum Beispiel als desemantisierte Fokuspartikel). Auch die Untersuchung zur lautlichen Realisierung des Markers basiert auf Daten aus FOLK. Von den 172 funktional klassifizierbaren Belegen könnten 169 auch lautlich ausgewertet werden. Untersucht wurden sie auf eine mögliche Reduktion des / aː/ -Lauts und der Silben in sagen, Reduktions- und Reanalyseprozesse an der markerinternen Wortgrenze zwischen Verb und Pronomen, die Akzentstruktur und prosodische Einbettung der Form sowie mögliche Zusammenhänge von lautlicher Reduktion und kommunikativer Praktik. Details zum Vorgehen bei der phonetischen Untersuchung und deren Ergebnisse werden in Abschnitt-5.3.4 berichtet. 5.3.3 Praktiken Der folgende Abschnitt stellt insgesamt fünf kommunikative Praktiken vor, die mit dem Marker sagen wir in den FOLK-Daten vollzogen werden. Wie im Fall des in Kapitel-4 untersuchten Markers sozusagen kommt die mitigierende Praktik der „Abschwächung“ in vier verschiedenen Varianten vor. Tabelle- 6 gibt einen Überblick über die Häufigkeit der angesetzten Kategorien in FOLK: <?page no="239"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 239 Rang Praktik Belege 1 Abschwächung 96 (55,8%) --Bezeichnungsmodalisierung - (45%) --Vagheitsmarkierung - (27%) --Reformulierung - (15%) --Gesichtswahrung - (9%) 2 Exemplifizierung 40 (23,3%) 3 Reparatur 14 (8,1%) 4 Prozedurale Verwendung 12 (7%) 5 Vorschlag 10 (5,8%) Tab.-6: Kommunikative Praktiken in FOLK 5.3.3.1 Abschwächung Am häufigsten wird sagen wir als abschwächender Heckenausdruck verwendet. Ähnlich wie das sprecherdeiktische ich sag mal und auch viele Verwendungen von sozusagen kommentiert der Marker typischerweise die Angemessenheit des Ausdrucks bzw. der Äußerung in seinem Skopus und weist auf den tentativen Status der Formulierung hin. Wie im Fall der positionierenden Verwendung von sozusagen lässt sich diese mitigierende Verwendung von sagen wir mit ‚man könnte sagen/ könnte man sagen‘ ersetzen. In rein bezeichnungsmodalisierender Verwendung ist der Marker seinem Bezugausdruck in drei von vier Fällen vorangstellt. Der Bezugsausdruck besteht in den meisten Fällen aus einem einzelnen Wort, beispielsweise aus einer Ad-hoc-Bildung (wie etwa dem Substantiv Aufnehmer in (320), mit dem S sagt, dass er früher Interviewer bei Spracherhebungen war): (320) ich war früher auch äh äh Aufnehmer sagen wir mal (FOLK_E_00148_ SE_01_T_01_DF_01_c14) Alternativ kann es sich auch um eine komplexere Formulierung handeln wie in (321), wo der Marker zur Mitigation eines Registerbruchs dient: (321) wenn aus andern Regionen welche kommen, die dann sagen wir einen vor den Latz geknallt kriegen (FOLK_E_00148_SE_01_T_01_DF_01_c14, c294) Die dominante lexikalische Realisierung bei den bezeichnungsmodalisierenden Instanzen ist sagen wir mal (25 Belege). Die Modalpartikel unterstreicht den Status der <?page no="240"?> Koordination 240 Formulierung als tentativ, bei- oder vorläufig bzw. ‚nur ausnahmsweise so formuliert (da nichts Besseres zur Hand war)‘. 152 In zwölf Fällen des bezeichnungsmodalisierenden Gebrauchs ist der Marker erweitert mit so, acht davon sind dem Skopus nachgestellt (fünf realisiert als sagen wir so, drei sagen wir mal so), vier stehen davor (ein sagen wir so, drei sagen wir mal so). Alle acht nachgestellten Vorkommen mit so sind auch turnfinal platziert und prosodisch desintegriert, besitzen also eigenständigen IP-Status. In nur einem einzigen Fall bezieht sich anaphorisches so auf einen einzelnen Ausdruck: (322) und Radio Trausnitz jetzt deswegen (2.1) ja, nich (.) not amused ist; sagen wir so (FOLK_E_00318_SE_01_T_01_DF_01, c424) Hier lassen die lange Pause und der Abbruch darauf schließen, dass die Sprecherin Schwierigkeiten hat, eine geeignete Formulierung zu finden. Der nachgeschobene Marker rahmt ihre Wahl als eine Art Notlösung (bzw. zumindest nur eine von vielen möglichen Formulierungsoptionen). Bei den restlichen nachgestellten Bezeichnungsmodalisierungen ist die Äußerung im Skopus komplexer, nämlich mindestens satzwertig. In sechs der insgesamt acht Fälle ist der Skopus bewertend und die distanzierende, abschwächende Kommentierung durch den Marker bezieht sich nicht so sehr auf ein sprachliches Merkmal der Äußerung, sondern vielmehr auf den Inhalt der gerahmten Einschätzung bzw. Wertung. Von dieser Art ist beispielsweise die folgende Antwort einer Sprecherin (aus Görlitz), die im Rahmen eines sprachbiografischen Interviews auf die Frage, ob sie sich denn auch ein Leben im schwäbischen Sprachraum vorstellen könnte, eher verhalten reagiert: (323) es würde gehen; sagen wir so (FOLK_E_00176_SE_01_T_01_DF_01, c823) In drei der vier bezeichnungsmodalisierenden Fälle mit akzentuiertem kataphorischem so rahmt der Marker eine längere positionierende Äußerung von S. Ausschnitt-(324) ist aus einem Gespräch von vier Mitgliedern einer Musikband, in dem sie besprechen, ob sie einen Plattenvertrag so unterschreiben wollen, wie er ihnen von einer Plattenfirma angeboten worden ist, oder ob sie Veränderungen des Vertrags fordern sollen, bevor sie ihn unterschreiben. Im Ausschnitt (re)fokussieren die Bandmitglieder den Vertragspunkt verWERtungsrechte (Z.-03). Nachdem die angebotenen Konditionen zu den Verwertungsrechten von Bandmitglied AH (=P) apodik- 152 Brünjes (2014, S.-148) spricht von einer „exklusiven Bedeutung“ von mal, die auf ein präsupponiertes „Standardverhalten“ weise, von dem in der aktuellen Äußerung abgewichen wird. Nach Deppermann (2021, S.-207) drückt mal in imperativischen Aufforderungen hingegen aus, „dass er [S] eine unproblematische und legitime, aber im Moment vom Adressaten nicht erwartete Aufforderung formuliert“. Diese Funktion kann hier nicht angesetzt werden (wobei der Aufforderungscharakter des adhortativen sagen wir allerdings auch bereits sehr verblasst ist). <?page no="241"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 241 tisch abgelehnt werden (Z.-13-16), formuliert Sprecher CT (=S) im folgenden Turn (17-23) eine andere Einschätzung, die durch das vorweggeschickte sagen wir so als eine abweichende (und deshalb dispräferierte) Positionierung kenntlich gemacht wird: (324) „Verwertungsrechte“, FOLK_E_00044_SE_01_T_01_DF_01_c253-275 (Besprechung vor der Bandprobe) 01 CT ja 02 (2.08) 03 CT also verWERtungsrechte; = geNAU; [h° ] 04 AH [geN]AU; 05 (0.27) 06 CT °h 07 AH (.) °h 08 (1.07) 09 AH °h die verWERtungsrechte- 10 da da stand doch irgendwat von zehn JAHRN drinne? =ne? 11 CT °h geNAU; (.) 12 un dAs auch bis zu ZEHN jahre nach äh ah kÜndigung des vertrages. 13 AH oKAY, (.) 14 dAs (.) mÖcht ich (.) NICHT. 15 (0.75) 16 AH DEfinitIv nicht. °h → 17 CT saŋvɪɐ mal , 18 (0.28) → 19 CT saŋvəmɐ SO , 20 °h wir KÖNnten theoretisch den vertrag sO abschließen wie er Is, 21 (0.32) 22 CT denn sie wErden ihn sowieso nich EINhalten, 23 weil ALles was drinsteht werden sie nich mAchen, 24 (0.69) 25 AH hm_hm 26 CT KÖNnen, 27 (0.84) 28 CT und dArum können wir dann EH wieder rAus, 29 un alles [is HINfäl]lig. 30 AH [°h ] 31 CT aber DAS- (0.57) 32 wir kÖnn auch gleich_n ORdentlichen vertrag mit denen abschließen; 33 AH ja. 34 CT °hh un ich glAube da würden sich auch drauf EINlassen, 35 weil sie_n ziemlich KLEInes- °hh 36 äh LAbel sind, <?page no="242"?> Koordination 242 Die Rahmung markiert CTs Entgegnung als verhandelbar, nämlich als weitere mögliche Handlungsoption neben der deutlichen Festlegung durch AH. Die Abschwächung stellt die Legitimität von AHs Position damit nicht grundsätzlich in Frage, und tatsächlich wird sie in Zeile- 32 sogar auch von CT selbst formuliert und anschließend von AH ratifiziert. In bezeichnungsmodalisierenden Verwendungen wird der Marker zumeist mit der Modalpartikel mal kombiniert und dem Bezugsausdruck vorangestellt. Tritt (alternativ oder zusätzlich) ein so hinzu, scheint das die Nachstellung zu erleichtern. In beiden Varianten ist der Marker ein Operator und sequenziell ungebunden. Funktional ist die Bezeichnungsmodalisierung distanzierend, bei Voranstellung zugleich projizierend und bei Nachstellung tendenziell schließend/ beendigend. Schematisch lässt sich die Bezeichnungsmodalisierung in ihrer typischen Ausprägung wie folgt repräsentieren: HANDLUNG - TYP Operator KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend FORM sagen wir (mal) Wie erwähnt kann die abschwächende Verwendung von sagen wir auch interpersonell (im Sinne von „facebezogen“) motiviert sein. Bei solchen Belegen handelt es sich um Erscheinungsformen von Image-Arbeit, in denen der Gebrauch der Formel-entweder absichern soll, dass durch die gerahmte Formulierung kein unvorteilhaftes Bild von S bei P entsteht, oder der vermeiden soll, dass P die gerahmte Formulierung als gesichtsbedrohend für sich selbst auffasst. In beiden Fällen zeigt die Formel-an, dass S sich möglicher problematischer/ dispräferierter Implikationen der Bezugsäußerung bewusst ist, momentan aber keine geeignetere Alternative zu Gebote steht. In solchen Verwendungen kann sagen wir (mal) am besten mit ‚bitte nicht falsch verstehen‘ paraphrasiert werden. Als facerelevant können insbesondere Formulierungen bzw. Aussagen aufgefasst werden, die S über sich selbst oder über P macht. In Beispiel (325) bezieht sich die Gesichtswahrung auf P. Es stammt aus einem Interview zwischen einer Sprachwissenschaftlerin (ZY) und einer österreichisch-türkischen Remigrantin (AA), die mit zwanzig Jahren nach Istanbul gegangen ist, um dort zu studieren. Vor dem Ausschnitt in (325) sagt AA, dass sie nach dem Studium in Istanbul bleiben wolle, u. a., weil sie schon zweimal erlebt habe, sich (neu) einleben zu müssen und das für sie schwierig sei. Auf diese Begründung kommt sie in Zeile 14 zurück. Davor beschreibt sie (Z.-01-11), wie sie das Einleben in Istanbul empfunden hat. Ihre Beschreibung ist eindringlich (mit szenischem Präsens) und es ist die beschriebene Anfangszeit in Istanbul, zu der die Interviewerin in Zeile-20-24 eine Nachfrage formuliert: <?page no="243"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 243 (325) „Geschockt“, FOLK_E_00257_SE_01_T_02_DF_01_c587-611 (Ethnographisches Interview) 01 AA des Erste waʔ jahr war SCHRECKlich; °h 02 die ersten drei monate hab ich NUR geweint, 03 <<all> meine SAchen gepackt- 04 meinen PApa angerufen- 05 dass er mir jetzt ein tIcket buchen soll und ich komm zurÜck,> °h 06 ZY hm_[hm] 07 AA [un] ich WILL hier nicht mehr sein, 08 un die MENschen sind schrecklich- 09 das LAND- 10 das verKEHR- 11 ALles is schrecklich. °hh 12 ZY hm_hm 13 (0.32) 14 AA und eben jetzt NOCH mal irgendwo hinzugehn, (0.27) 15 und MASter zu machen oder so (um) zu leben- °hh 16 AA ha- WÄR glaub ich- 17 ZY hm 18 AA also- (.) da brauch ich NERven; 19 [wirklich STAR]ke nerven d[afür. ] 20 ZY [was hat dIch ] [was hA]t dich denn hier so so m: : : 21 ZY (1.23) 22 na was hat dich geSCHOCKT; 23 AA (.) °h → 24 ZY saŋvə ma ː . 25 AA die äh dass es so viele MENschen gibt; 26 ZY (.) hm_hm 27 AA es gibt ZU viele menschen, 28 ZY hm_hm Die Interviewerin hat Schwierigkeiten, ihre Nachfrage mit einem passenden Verb für die begonnene Formulierung was hat dich denn hier so-… zu beenden. Unabhängig von dem gewählten Verb (gestört, gestresst, angestrengt- …) präsupponiert ihre Frage, dass P etwas gestört, gestresst oder eben: geschockt hat-- und operiert damit zuschreibend in einem Bereich, den P als emotional heikel ausweist und über den P (als Betroffene) gegenüber S auch epistemische Autorität besitzt. Der Zuschreibungscharakter wird noch erhöht durch das Objekt dich. 153 Obwohl AAs Beschrei- 153 Die Modalpartikel denn markiert in ZYs Frage einen „Rückwärtskonnex“ (vgl. Thurmair 1991, S.-378) zu den vorangehenden Ausführungen von AA, ohne dabei Überraschung als Auslöser der Frage auszudrücken. Vgl. Thurmair (1991) zu denn als „(Standard-)Fragemarkierer“. Zusätzlich kann denn den präsuppositiven Charakter einer Frage verstärken, indem die Partikel wie in (325) als „konklusiver Konnektor“ (Deppermann 2009, S.- 29) verwendet wird, der die Frage als Schlussfolgerung aus dem vorangehenden Turn von P verstehen lässt und sie so legitimiert. <?page no="244"?> Koordination 244 bung ihrer Erfahrung drastisch ist, liegt das epistemische Recht, die betreffende Erfahrung in einer bestimmten Weise zu kategorisieren, bei AA selbst und nicht bei ihrer Gesprächspartnerin (vgl. Kap.-6). ZYs Schwierigkeiten mit dem Beenden ihrer Frage drücken sich in der wiederholten fokussierenden Gradpartikel (so), dem langgezogenen Nasallaut (m: : : , fast 900 ms) als Überbrücker und der langen Formulierungspause in Zeile-21 aus. Der Marker sagen wir ist hier kein Mittel, Zeit zu gewinnen, sondern wird erst nach der Formulierung geäußert, um sie nachträglich (und zusätzlich auch explizit symbolisch-verbal) als potenziell problematisch zu markieren. In unserer Stichprobe sind insgesamt neun primär gesichtswahrende Abschwächungen belegt. In diesen Verwendungen distanziert sich S mit der Formel- von ihrem Bezugsausdruck aufgrund einer Orientierung auf sein Verhältnis zu P. In koordinativer Hinsicht kommt dadurch ein facebezogenes Merkmal zum distanzierenden hinzu. Formal ist der Marker in primär gesichtswahrender Funktion relativ flexibel. Je viermal belegt sind Instanzierungen der Form sagen wir mal und sagen wir so, einmal ist die nicht-erweiterte Form sagen wir belegt. Drei der neun Marker sind dem Bezugsausdruck nachgestellt, zwei davon mit so. HANDLUNG - TYP Operator KONTEXT - FUNKTION distanzierend, facebezogen FORM sagen wir (mal/ so) Drittens kann abschwächendes sagen wir auch als Vagheitsmarker verwendet werden, d. h. bei epistemisch veranlasster Mitigation. Hier distanziert sich S aufgrund mangelnden (genauen) Wissens vom Wahrheitsanspruch bzw. (in den meisten Fällen) der Verantwortung für die Präzision einer Aussage. Markiert wird, dass die gewählte Formulierung als hinreichend taugliche Annäherung an die tatsählichen Verhältnisse zu verstehen ist. Paraphrasierbar ist die Formel-hier mit ‚ungefähr‘ oder ‚vielleicht‘. Die typischen und klarsten Fälle des Gebrauchs von sagen wir als Vagheitsmarker sind Verwendungen mit einer Zahlenangabe im Skopus des Operators: In der untersuchten Stichprobe sind 23 von insgesamt 27 vagheitsmarkierenden Gebräuchen von dieser Art. 154 In allen Instanzen in der Stichprobe ist der Vagheitsmarker seinem Skopus vorangestellt, meist (in 22 Belegen) in der Kombination mit modalisierendem mal. Eine häufige Kookkurrenz ist auch so-- allerdings nie als Element 154 Für Brinton (2008) ist die Verwendung „with a numerical expression“ Kriterium für eine eigenständige (adverbiale) Funktion von englischem say, die sie mit „about, approximately“ paraphrasiert (ebd., S.-77). <?page no="245"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 245 der Formel selbst, sondern entweder als kookkurrierender autonomer Vagheitsmarker (vgl. (326)) oder integriert in den Bezugsausdruck (vgl. (327)): (326) wenn du da jetzt mal gedanklich bisschen runter gehen würdest, so, sagen wir mal , so zwei Zentimeter (FOLK_E_00087_SE_01_T_01_DF_01, c471) (327) im Prinzip Renaissance, sagen wir mal so vierzehntes Jahrhundert, irgendwie Florenz (FOLK_E_00066_SE_01_T_03_DF_01, c295) Einen der wenigen Fälle, in denen sich die Vagheitsmarkierung nicht auf eine numerische Angabe bezieht, zeigt Beispiel (328). Im Unterschied zu bezeichnungsmodalisierenden Abschwächungen, in denen die Formulierung als eine lediglich mögliche Formulierung neben alternativen, ggf. besser passenden Ausdrucksoptionen ausgewiesen wird (320) oder als subjektiver, anfechtbarer Standpunkt (324), und auch im Unterschied zu gesichtswahrenden Gebräuchen, die primär in einer Partnerorientierung begründet sind, zeigt sich in Beispiel (328) eine epistemische Motivation der Abschwächung. Der Transkriptausschnitt (328) entstammt einem sprachbiografischen Interview. Er beginnt mit einer Frage des Interviewers (NL), mit der er erfahren will, wo der Wohnort des Vaters der Interviewten liegt. Auf die erste Antwort von GLZ4 (mit Entfernungsangabe) stellt er in Zeile-11 die Nachfrage zur RICHtung des Orts (ausgehend vom Aufnahmeort Görlitz). Mit der Richtungsangabe hat GLZ4 Schwierigkeiten, die an langen Pausen und der Unwissenheit (bzw. ein Problem) anzeigenden, nicht lexikalisierten Interjektion in Zeile- 18 erkennbar sind, und die sie auch explizit macht (Z.-24) und begründet (Z.-25: ich bin ne GEOniete). Nach den ersten Schwierigkeitsanzeigen durch GLZ4 versucht NL bei der Antwort zu helfen, zum einen, indem er zwei Richtungen mit bekannten Städten in der weiteren Umgebung zu konkretisieren versucht und damit Antwortkandidaten vorgibt (Z.- 20-22 und 26), und zum anderen, indem er in Zeile-28 mit also Eher verdeutlicht, dass eine ungefähre Angabe reicht. Die vage Antwort, die GLZ4 in Zeile-31-32 gibt, ist insofern eine gemeinsame Herstellung, für die sie alleinige Verantwortung abgibt. (328) „Geoniete“, FOLK_E_00176_SE_01_T_01_DF_01_c365-392 (Sprachbiografisches Interview) 01 NL dein vAter kommt aus MASKEdorf, 02 WO is wO ist dAs denn? 03 GLZ4 °hh das IS- (.) 04 NL ((räuspert sich)) 05 GLZ4 (0.3) hm (0.5) 06 h° ni ALLzu weit von hier wEg,= 07 =ähm (0.97) 08 [viel]leicht FÜMundzwanzig kilomEter? 09 NL [auʔ ] 10 (0.46) 11 NL RICHtung? <?page no="246"?> Koordination 246 12 (0.37) 16 GLZ4 RICHtung? 17 (1.35) 18 GLZ4 ouh 19 (0.36) 20 NL Eher richtung SÜden- 21 ZITtau- 22 oder eher [NORden; ] 23 GLZ4 [ich überLE]G grad, 24 ich kann sowas immer ni ZUordnen, 25 ich bin ne GEOniete; h° 26 NL °h oder in richtung COTTbus? 27 (0.2) 28 NL also Eher. 29 (2.16) 30 GLZ4 ja: ? (0.28) → 31 sagmə ma ː- (.) 32 richtung COTTbus. 33 (0.41) 34 NL hm_hm. °h 35 GLZ4 hm_hm Vagheitsmarkierendes sagen wir ist funktional betrachtet eine epistemisch begründete Distanzierung (K-). Der Marker wird immer als sequenziell unspezifischer Operator verwendet, der seinem Bezugsausdruck zumeist vorangestellt ist. Sein typischer adverbialer Begleiter ist mal: 81% der Vagheitsmarker haben die Form sagen wir mal, andere Modalisierer oder auch Varianten mit (zur Formel- gehörendem) modaldeiktischem so kommen nicht vor: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, K- FORM sagen wir (mal) Viertens und letztens unter den Abschwächungen zeigt sagen wir (wie andere Marker auf Basis von verba dicendi auch) eine Affinität zu Reformulierungen. Dabei ist nicht immer klar- - insbesondere wenn andere Reformulierungsanzeiger wie also, das heißt oder oder kookkurrieren--, ob die (gesprächsorganisatorische) Markierung einer Reformulierung der einzige bzw. primäre Funktionsaspekt des Gebrauchs ist, da er sich mit facebezogenen oder epistemischen Motivationen überlappen kann. (Primär) Reformulierende Verwendungen sind paraphrasierbar durch ‚mit anderen Worten‘, präzisierende oder spezifizierende Varianten mit ‚genauer gesagt‘. <?page no="247"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 247 In den Daten finden sich reformulierende Gebräuche zum Beispiel häufig in schulischen Kontexten, in denen eingesammelte Schülerantworten in eine tafeltaugliche Fremdreformulierung überführt werden. Aber auch Selbstreformulierungen sind möglich. Beispiel (329) stammt aus einem Bewerbungstraining. Kurz vor dem Ausschnitt hat Bewerbungstrainer TN seinen Klienten TB nach einer negativen Eigenschaft bzw. einer Schwäche gefragt. Klient TB gibt darauf die wenig authentische Antwort aus dem Einmaleins des Bewerbungstrainings, er sei ungeduldig. Zudem gibt er an, in bestimmten Situationen des Berufsalltags sehr nervös zu sein, was man ihm äußerlich aber in keiner Weise anmerke. Bewerbungstrainer TN lässt das jedoch nicht gelten: (329) „Entwicklungspotenzial“, FOLK_E_00173_SE_01_T_03_DF_01_c236 (Bewerbungstraining) 01 TN un LETZTlich hAm sie gar nich iʔ (.) 02 ham sie gar nich von ihrer SCHWÄche gesprochen; 03 wenn ma das mal auseiNANdernehmen, 04 SON[dern sie] ham gesagt, 05 SH [hm_hm ] 06 TN da stEhen sie vor den LEUten, 07 mit zweihunderter PULS, 08 und die MERken das [nur ni]ch. [°h ] 09 SH [(ja) ] 10 TB [hm_hm] 11 TN un dann wie gesagt och dann IS das ja gar nich ne wirkliche schwÄche. 12 °h (.) was wIr aber von ihnen wissen wollen is_ne wirkliche SCHWÄche. 13 TB hm_hm 14 (0.29) 15 TN ne RICHtige schwäche; 16 (2.58) 17 TB ja das is halt [SCHWER.] 18 TN [oder wo] sie wo sie w w wirklich entWICK-= → 19 =zaŋmə mal entWICKlungs- 20 n bereich der entWICKlungs- (0.51) 21 TN <<p> wo sie entWICKlungspotenzial ham.> 22 weil wir wolln dass sie PUNKten; Bei der Kritik an der Beschreibung der negativen Eigenschaft des Klienten etabliert TN den Begriff „Schwäche“ (Z.-02 und 11). Auf die indirekte Frage des Bewerbungstrainers nach einer wirklichen SchwÄche (Z.-12) und der variierenden Wiederaufnahme der Frage (ne RICHtiche Schwäche, Z.- 15) kommt von TB keine Antwort. Die Veränderung der Formulierung bzw. Perspektivierung durch den Wechsel von „Schwäche“ zum „Entwicklungspotenzial“ in TNs drittem Anlauf (Z.-18) scheint ein <?page no="248"?> Koordination 248 Mittel zu sein, eine Antwort zu elizitieren. Die dritte Formulierung kommt nach einer zweieinhalbsekündigen Pause und wird durch oder als Reformulierung ausgewiesen. Der Marker erscheint nach begonnener, aber abgebrochener Formulierung des neuen lexikalischen Elements vor den Neuansatz Entwicklung, schafft Fokus für den Perspektivwechsel und richtet die Aufmerksamkeit auf die euphemistische (und dadurch imageschonendere) Reformulierung. Auch prozedurale Aspekte mögen eine Rolle spielen, worauf die dem Marker folgenden Abbrüche vor der letztlich nicht mehr reparierten Fassung hindeuten. Reformulierungen dieser Art treten in den untersuchten Daten ingesamt 15-mal auf. In 13 dieser Verwendungen steht sagen wir zwischen reformulierter und reformulierender Einheit direkt vor dem Reformulans. In zwei Fällen steht der Marker rahmend nach der reformulierenden Einheit. Er ist dann jeweils erweitert durch anaphorisches so und projiziert eine Turnbeendigung bzw. einen Sprecherwechsel. Die dominante lexikalische Formvariante ist sagen wir mal. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, beitragsgliedernd FORM sagen wir (mal) 5.3.3.2 Vorschlag Von den bislang beschriebenen Distanzierungen sind Verwendungen eines zweiten Funktionsbereichs zu unterscheiden, in denen ein appellatives Funktionsmerkmal im Vordergrund steht. Der Zusammenhang mit der direktiven Quellsemantik von sagen wir ist hier noch vergleichsweise transparent und zielt auf die Abstimmung des weiteren gemeinsamen Handelns. Projiziert wird ein Vorschlag, wie im Zuge des aktuellen join projects weiter verfahren werden könnte. Paraphrasierbar ist der Marker in solchen Verwendungen mit ‚nehmen wir mal an‘. Er dient zur Einführung einer Positionierung, die S mit P intersubjektivieren möchte, weshalb an P appelliert wird, sich die gerahmte Annahme ebenfalls zu eigen zu machen. Im Unterschied zu den abschwächenden Gebräuchen geht es hier also nicht um eine Distanzierung vom Bezugsausdruck der Formel, sondern darum, eine Voraussetzung für das gemeinsame Folgehandeln zu schaffen und somit die Interaktion zu stabilisieren. Eine Ersetzung durch Heckenausdrücke wie sozusagen, ich sag mal oder man könnte sagen ist in diesen appellativ-epistemischen (da Common Ground-bezogenen) Verwendungen nicht möglich. Auch die bei Abschwächungen gängigen Modifikationen mit (ausdrucksbezogenem) so treten hier nicht auf. <?page no="249"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 249 Auslöser der Verwendung von appellativ-epistemischem sagen wir sind typischerweise interaktionale Probleme, die mit konfligierenden Positionierungen oder epistemischen Unterschieden zwischen S und P zusammenhängen. Deutlich wird die Common Ground-konstitutive, stipulative Funktion der Praktik in Beispiel (330), bei dem die von S vorgeschlagene Annahme realweltlicher Evidenz widerspricht. Der Transkriptausschnitt (330) entstammt einer Maptask-Interaktion und zeigt, wie zwei Teilnehmerinnen merken, dass sich an einem Punkt des zu beschreibenden Wegs die vermeintlich identischen Objekte auf den Karten der Wegbeschreibenden und der Nachzeichnenden unterscheiden (Z.- 01-07). 155 Um weitermachen zu können, legt die Wegbeschreibende (HUS1) mit der Formel-fest, dass trotz des Nagelbildes auf ihrer Karte an dieser Stelle ein Schornsteinfeger anzunehmen sei (Z.-09): (330) „Schornsteinfeger“, FOLK_E_00099_SE_01_T_01, c125-136 (Maptask) 01 HUS2 ich hAb kein [NAgelbild.] 02 HUS1 [geNAU lI]nks neben dem moTORrad da; 03 (0.49) 04 HUS2 da hab ich n ähm (.) SCHORNsteinfeger. 05 (1.4) 06 HUS1 oh 07 (0.76) 08 HUS1 DANN- ((lacht)) °h (.) → 09 ähm ˈzaːgŋ̍və aɪ̯nfax mɐ das is_n SCHORNsteinfEger, ((Lachansatz)) 10 °h also du wEißt dass du ja qua[si UNter ] 11 HUS2 [das is so_n] bisschen Über dem motOrrad, Insgesamt sind in den Daten zehn Instanzen des appellativ-epistemischen Gebrauchs belegt. Obwohl solche Verwendungen häufig auf eine zuvor zutage getretene Unstimmigkeit zwischen S und P reagieren, betrachten wir sie als erstes Paarteil einer (mindestens zweizügigen) Sequenz aus Vorschlag und Ratifizierung. Faktisch vollzogen wird die Ratifikation allerdings nur in der Hälfte der untersuchten Belege. Als Markierung eines Vorschlags ist der Marker seiner Bezugsäußerung vorangestellt. Fünf der zehn Verwendungen haben unmodalisiertes sagen wir (vier davon in Gestalt der phonetischen Reduktionsform [sɐmɐ]), drei sind erweitert mit mal und zwei weitere mit einfach mal. Erweiterungen mit modaldeiktischem so sind nicht belegt. Aus funktionaler Sicht tritt neben das appellative Merkmal ein epistemisches (K=). 155 Auf der Karte der Wegbeschreibenden ist ein Bild mit Nägeln, auf der Karte der Wegnachzeichnenden ist ein Schornsteinfeger abgebildet. Die beiden Karten waren bis zu diesem Wegpunkt identisch. Der Unterschied auf den beiden Karten ist ein Mittel der Maptask-Aufgabe, die Teilnehmenden zu Überraschen und so die Aufmerksamkeit auf die Sprachform (das Monitoring) zu beeinflussen. <?page no="250"?> Koordination 250 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorgestellt, 1. Sequenzposition FUNKTION appellativ, K= FORM sagen wir 5.3.3.3 Exemplifizierung Ein dritter Funktionsbereich von sagen wir ist der gesprächsorganisatorische. In ihm tritt die appellative Qualität der Quellstruktur wieder in den Hintergrund. Der Marker bezieht sich hier weniger auf die interpersonelle Reziprozität, sondern mehr auf die diskursive, sachverhaltsdarstellende Konstitutionsebene. Die erste gesprächsorganisatorische Funktion von sagen wir ist die Exemplifizierung. In den untersuchten Daten ist diese Praktik mit 40 Belegen die häufigste nach den bezeichnungsmodalisierenden Verwendungen. 156 Die meisten Beispieleinleitungen durch sagen wir sind prototypische Fälle, in denen eine exemplifizierende Veranschaulichung der Nennung der generellen Klasse folgt, der das entsprechende Element angehört. Der Marker wird hier benutzt, um die genannte Kategorie im Zuge ihrer Einführung zu illustrieren: (331) dazwischen liegt ein Kopfbahnhof sagen wir mal der Stuttgarter (FOLK_E_00068_SE_01_T_03_DF_01, c572) (332) würde ein romantischer Autor wie etwa sagen wir mal Novalis an der Stelle Gespenster sagen (FOLK_E_00060_SE_01_T_01_DF_01_c1056) Die Kategorie muss aber nicht immer explizit genannt werden. Es genügt, dass sie erschließbar ist (333): (333) „Mannheim-Ulm“, FOLK_E_00064_SE_01_T_07_DF_01_c412-414 (Schlichtungsgespräch) 01 HG welches projekt DIENT, 02 °hh der verbesserung des perSOnenverkehrs, 03 °h einer besseren verLAgerung, °hh 04 ((11.6 Sek. Auslassung)) 05 HG und äh mit mit welchem proJEKT, 06 °h kann man einfach SCHNELler, (0.39) → 07 jetz samə von MANNheim (.) nach Ulm oder mÜnchen kommen. 156 Lansari (2020, S.-128) erkennt in der Exemplifizierung die Funktion, auf die sich englisches let’s say spezialisiert habe. <?page no="251"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 251 Hinzutreten können andere Beispielmarker (vgl. wie (etwa) in (332)) oder Vorlaufelemente (vgl. jetzt in (333) oder also in (334)). In exemplifizierender Funktion ist der Marker dem Beispiel, das er einleitet, stets vorangestellt. In fast allen Fällen steht die Marker-Beispiel-Kombination turnmedial, oft parenthetisch in die Äußerung eingeschoben wie in Beispiel (332). Ein Grenzfall der Beispielmarkierung ist (334), das die einzige turninitial positionierte Verwendung ist (nach dem Vorlaufelement also) und zudem die einzige, bei der die Form mit so erweitert realisiert wird. Äußerungsrahmend positioniert und mit kataphorischem so verschafft der Marker der projizierten Äußerung Fokus und Aufmerksamkeit. Die Äußerung in (334) ist eine Antwort auf die Frage, wie lange bei S „ein Tank halte“. S antwortet darauf mit der Angabe eines beispielhaften Zeitraums: (334) also sagen wir mal so , nein, sagen wir mal so , ich habe jetzt also am Montag ((16 Sek. Auslassung)) am Montag hab ich das Auto drei viertel vollgetankt, und jetzt ist es schon wieder fast bei halb (FOLK_E_0001816_ SE_01_T_01_DF_01_c534-549) Als Exemplifizierer wird sagen wir häufig mit modal erweiterten Formen verwendet. Die üblichste Variante ist der Ausbau mit mal. Schematisch ergibt sich folgendes Profil: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION beitragsgliedernd FORM sagen wir (mal) 5.3.3.4 Reparatur Reparaturen können als Reformulierungen betrachtet werden, bei denen eine Formulierung eine vorgängige Formulierung überschreibt. Bei der Analyse haben wir im Falle von sagen wir reparaturmarkierende Praktiken von reformulierenden getrennt. Ein Grund dafür war, dass beim Gebrauch des Markers in Reparaturkontexten die primär äußerungsstrukturierende Funktion klarer fassbar ist. Insgesamt wurden 14 Verwendungen von sagen wir als Reparaturmarker klassifiziert. Paraphrasierbar sind diese Verwendungen mit ‚besser gesagt‘. Typischerweise ist das reparaturauslösende Problem bei einer mit sagen wir markierten Reparatur inhaltlicher Art. Für die Markierung von Korrekturen im engen Sinn der Behebung von Formfehlern (vgl. Levelts 1983 Begriff der „error repair“) tritt sagen wir in den untersuchten Daten nicht auf. Typisch sind dagegen Reparaturen, die durch eine man- <?page no="252"?> Koordination 252 gelnde semantische Passgenauigkeit eines Ausdrucks veranlasst sind-- vgl. etwa die Beispiele in (335), wo die Reparaturmarkierung nachgereicht wird, oder in (336), wo sagen wir zwischen einem referenziellen Fehlgriff und dem Reparans steht: (335) wo wird das beste ähm Österreichisch gesprochen, das schönste sagen wir mal so (FOLK_E_00178_SE_01_T_01_DF_01, c451) (336) wenn wir jetzt zweitausendacht äh, nein, sagen wir zweitausendsieben und vielleicht Sommer zweitausendacht in der Bilanz geguckt haben, da sah die noch ganz anders aus (FOLK_E_00128_SE_01_T_02_DF_01_c446) Von den 14 reparaturmarkierenden Verwendungen werden vier im Rahmen fremdinitiierter Selbstreparaturen und zwei im Rahmen selbstinitiierter Fremdreparaturen verwendet, also relativ dispräferierter Verfahren, für die sich die Markerform mit dyadischer Subjektreferenz (und vermeintlich geteilter Verantwortung) anbieten könnte. Beispiel (337) zeigt den Gebrauch eines fremdinitiierten Reparaturverfahrens bei einem Gespräch zwischen drei Studentinnen, AM, LP und LS, beim Mittagessen. Der Ausschnitt steht im Kontext der Behandlung der Wohnsituation von AM. AM hat Schwierigkeiten, eine Wohnung oder WG für ein paar Monate zu finden, bis sie mit ihrem Freund in eine dann zu suchende gemeinsame Wohnung ziehen kann. Der Freund ist bis dahin in einer anderen Stadt und macht ein Praktikum. Der Ausschnitt beginnt mit einer überlegung von LP zu AMs Problem (Z.-02). (337) „Wohnung“, FOLK_E_00048_SE_01_T_01_DF_01_c402-439 (Studentisches Alltagsgespräch) 01 LP theoREtisch könntet ihr doch- (-) 02 jetzt mal ne ANdre überlegung- (-) 03 schon GUCken- (-) 04 dass IHR- (-) 05 vielLEICHT- (.) 06 JETZ schon_ne wohnung findet die halt- (.) 07 irgendwie bald FREI wird- (.) 08 für Euch ZWEI- (1.53) 09 LP dann könntest du DA ja einziehen. 10 (0.33) 11 AM m: (0.37) 12 dann müsst_ich ja trotzdem die DOPpelten kOsten zahlen. (0.59) 13 WEIßte? 14 (0.76) 15 AM des hatt_ich AU überlegt, 16 aber dann MÜSste ich ja- °hh 17 [m: ] 18 LP [warum] DU? 19 (0.36) <?page no="253"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 253 20 AM m: (1.75) 21 LP wEil (.) dein frEund no_nich HIER wohnt? 22 AM ja,= → 23 =oder saːŋ̍ vɪɐ halt [WIR. ] 24 LP [Sara-] 25 (.) aber 26 AM der würde dann ha[lt ja d] 27 LP [ich ] MEIN- 28 [der hat ja bis jetz immer zu HAUse gewoh]nt; 29 LS [könnte er nicht FRÜher schon herkommen? ] LP leitet ihre Überlegung als theoREtisch ein und formuliert Rahmung und Überlegung (Z.- 04-09) langsam und segmentierend. Die Überlegung bzw. den Vorschlag weist AM in Zeile- 12 begründet zurück, dann müsst_ich ja trotzdem die DOPpelten kOsten zahlen. 157 Darauf reagiert LP mit der Frage an AM, warum DU? (Z.-17), womit sie ein Problem mit AMs Wahl des Subjektpronomens bei ihrer Begründung anzeigt und erschließbar macht, dass in ihrer Überlegung eine gemeinsame Wohnung (für Euch ZWEI, Z.-08) auch gemeinsam bezahlt würde. In Zeile-23 repariert AM das hinterfragte Subjektpronomen, ersetzt es durch die pluralische Form, die sie mit haltmodalisiertem und lautlich explizitem Marker fokussiert (saːŋ vɪɐ halt WIR). Mit der Reparatur bestätigt AM, LPs Frage und deren Grund zu verstehen, nämlich ihre Auffassung der Kostenverteilung einer gemeinsamen Wohnung. 158 Auch im Fall der reparaturanzeigenden Markerverwendung ist die Voranstellung typisch (neun Belege von 14). Das Variantenspektrum ist breit, auffällig ist aber, dass die mit mal erweiterte Form nicht (bzw. nur in zwei zusätzlich mit so erweiterten Belegen) auftritt. Die häufigste Form ist das basale sagen wir. 157 Die lange Reaktionszeit von AM ist wahrscheinlich der Essenssituation geschuldet; ihr Signal in Zeile-11, m: , signalisiert, dass eine Äußerung kommt, Sprechen aber im Moment nicht möglich ist, da sie den Mund voll hat; genauso ist das Signal in Zeile-17 und 20 zu verstehen. 158 Der Beleg in Ausschnitt (157) ist der einzige unserer Kollektion, in dem der Marker mit halt erweitert ist. Blühdorn (2019, S.-298 f.) sieht die Funktionalität der epistemischen Partikel halt darin, Praktiken zu kennzeichnen, die zur „Schließung lokaler Kohärenzlücken beitragen sollen“. Dafür vollziehe S „einen Wechsel der zugrundegelegten Wissensbasis“. Dass der Wechsel im Fall von AM in (157) konzessive Züge zeigt, liegt wahrscheinlich weniger an der Modalpartikel an sich (vgl. Torres Cajo 2019, S.- 306, zum Verhältnis der Modalpartikel halt und dem (Nicht-)Ausdruck von Resignation) als am Kontext (im weiteren Verlauf deutet sich an, dass der Freund den Plan, eine gemeinsame Wohnung jetzt schon anzumieten, wahrscheinlich nicht unterstützt) und an der Gesamtgestalt des Markers. Lansari (2020, S.- 144) merkt zu französischem on va dire an, der Marker habe Eigenschaften eines „concession facilitators, since it signals that the revision process is now stabilised from an intersubjective perspective: for the rest of the interaction, speaker and co-speaker agree on the second viewpoint introduced“. <?page no="254"?> Koordination 254 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION beitragsgliedernd, themensteuernd FORM sagen wir 5.3.3.5 Prozedurale Verwendung Die Kategorie der prozeduralen Gebräuche versammelt insgesamt zwölf Belege, in denen weder die appellative Quellbedeutung der Formel-noch eine der bislang beschriebenen Funktionen im Vordergrund steht. Kennzeichen der prozeduralen Verwendung ist eine so weitgehende Desemantisierung, dass eine verbale Paraphrasierung nicht mehr gut möglich ist. Es handelt sich dabei zum einen um Verwendungen, die als Häsitationanzeige fungieren, sodass ihnen „überbrückende und entlastende Funktion“ (Stein 1995, S.- 263) bei „Lücken und Flauten des Formulierens“ (ebd., S.- 260) zugeschrieben werden kann. Einen interaktionsorganisierenden Effekt hat die Anzeige von Formulierungsproblemen insbesondere dadurch, dass sie Zeit verschafft und das Rederecht sichert. In Beispiel (338) vergehen zwischen der Projektion einer NP durch den Demonstrativartikel diese und den „Überbrückern“ sagen wir und weiß ich was 1.2- Sekunden und auch nach dem Artikel die auf der anderen Seite der Brücke etwa eine dreiviertel Sekunde, bis P eine kooperative Vervollständigung versucht: (338) „68er“, FOLK_E_00066_SE_01_T_03_DF_01, c778-787 (Gespräch unter Freunden) 01 JO also es war ja dann quAsi ja so voll EINgebettet in dieses-=äh- (1.2) → 02 saməma -= 03 =weiß ICH was- 04 da die- (0.7) 05 a[chtnSECHziger] 06 UD [die SPAßfrakt]ion der achtn[sEchziger.] 07 JO [sechziger.] 08 geNAU. Daneben gibt es auch hier Verwendungen der Art, die wir in Kapitel- 4 als gesprächsorganisatorischen „Passepartoutgebrauch“ bezeichnet haben. Hierhin ist etwa eine primär fokusschaffende Verwendung des Markers zu rechnen. In ihr kommt die inhärente Eigenschaft metakommunikativer Formeln zum Tragen, dem zu Sagenden Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Fokussierungseffekt verstärkt sich in redeflussunterbrechenden Parenthesen wie in Beispiel (339), wo der Mar- <?page no="255"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 255 ker typischerweise vor der relevanten rhematischen Information der Äußerung steht: (339) das ist doch äh sagen wir mal der Inhalt dessen, was in dem Bahnhof gemacht werden soll und geleistet werden soll (FOLK_E_00068_SE_01_T_10_DF_01, c105) Beispiel (339) zeigt, dass eine Paraphrasierbarkeit durch distanzierendes ‚man könnte sagen‘ manchmal auch möglich bleibt, sodass die Grenze zwischen Modalisierung und Fokussierung hier verschwimmt. Ein zweiter Typ des Passepartoutgebrauchs von sagen wir zeigt sich in Bearbeitungen gesprächsorganisatorischer Aufgaben, die üblicherweise andere sprachliche Mittel erfüllen. In Beispiel (340) unterbricht sagen wir den Redefluss bzw. den Argumentationsstrang, um (verstehensrelevante) Hintergrundinformation einzuschieben. Der Ausschnitt steht im Kontext einer Diskussion, ob die Leihe eines Autos für eine Urlaubsfahrt via Carsharing günstiger ist als die Miete bei einem traditionellen Autoverleih. Sprecher JO ist der Meinung, dies sei der Fall (Z.-01-03). PAs Zweifel daran (04-05) widerspricht JO, denn er habe es NACHgerechnet (Z.-10) bzw. aus gegebenem Anlass DURCHgerechnet (nicht im Ausschnitt; knapp 30 Sekunden mit Ausführungen zum Grund der rechnerischen Überprüfung- - ein anstehender Urlaub mit einem Mietauto-- und Details der Berechnung sind in der Darstellung hier ausgelassen). Bei den Ausführungen zu seiner Rechnung merkt er in Zeile- 38 an, dass auch eine Kaution zu bezahlen sei. Er beginnt darauf die Äußerungsprojektion aber dAnn äh (0.58) (Z.-39), bricht dann allerdings ab, um zu sagen, dass er die Kaution nicht in seine Rechnung einbezogen habe-- und um zu begründen, warum er sie nicht mitberechnet hat. Das Einschubsegment trennt er mit samɐma SO ab. Nach dem Nebenstrang kehrt JO zu einer Projektion mit und dann wieder zurück (Z.-47) und formuliert ein Fazit. Ersetzbar ist der Marker in (340) am ehesten mit also oder zusätzlich konzessivem okay. (340) „Carsharing“, FOLK_E_00066_SE_01_T_01_DF_01_c204-232 (Gespräch unter Freunden) 01 JO des kannst_e auch für URlaub, 02 is dann eigentlich sogar BILliger, 03 wenn des [dann über DIE ausleihst; ] 04 PA [ja aber wie IS des, ] 05 is des carsharing überhaupt zum in URlaub fahren mi_m [Auto,] 06 JO [doch.] 07 PA des is glaub ich ziemlich TEUer 08 JO nee, 09 eben NICH, <?page no="256"?> Koordination 256 10 ich hab_s NACHgerechnet, ((29.9 Sek. AUSLASSUNG)) 32 JO sprich, 33 sobald du des in verBINdung machst mit- 34 EH vorgehabt en auto zu leihen, 35 rEchnet sich_s sogar über des über DIE zu machen. °h 36 PA [hm_hm ] 37 JO [weil du] dAnn natürlich für den REST des jahres sozusagen die aufnahmegebÜhr hast, 38 okay du musst halt einmal dreihundert euro kauTION bezahlen, (1.6) 39 aber dAnn ä: h- (0.58) → 40 JO samɐma SO , 41 die hab ich jetz NICH mit rein gerechnet, (.) 42 aber die kriegste ja auch wieder zuRÜCK, 43 des is eher wenn de mal_n UNfall machst, 44 oder Irgend SO was, 45 und dein Eigenanteil den se halt HAben wollen, 46 PA hm_hm 47 JO (.) u: n dann is aber die kiloMEteranzahl- 48 (.) sozusagen ähm (0.88) 49 relativ äh- (0.78) 50 also GÜNstiger als wie wenn des irgendwie von so_nem autoverleiher [holst.] 51 PA [ah ja ] oKAY. In der Stichprobe sind insgesamt 12 Verwendungen als prozedural gewertet worden. Alle sind einem allfälligen Skopus vorangestellt (sofern ein Skopus realisiert oder überhaupt projiziert wird). Die Formvielfalt ist reduziert: Zehn Belege sind in der Form sagen wir mal, je einer ist als sagen wir und sagen wir mal so realisiert. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION gesprächsorganisatorisch FORM sagen wir (mal) 5.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung Mit Blick auf Verfestigungs- und Reduktionsmerkmale betrachten wir die formale Konvergenz der Formel-sowohl auf lexikalisch-grammatischer als auch auf phonetischer Ebene (Abschn.-5.3.4.1). Die phonetische Analyse umfasst lautsegmentale und prosodische Merkmale des Marker- und Formelgebrauchs. Auf lautsegmentaler Ebene werden das / aː/ und die Silbigkeit von sagen betrachtet (Abschn.-5.3.4.2). Die Un- <?page no="257"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 257 tersuchung zur formelinternen Wortgrenze widmet sich der Fuge zwischen dem Verb und dem Pronomen (Abschn.-5.3.4.3). In prosodischer Hinsicht betrachten wir die Akzentstruktur und die prosodische (Des-)Integration des Gebrauchs von sagen wir (Abschn.-5.3.4.4). 5.3.4.1 Formkonvergenz Die Frage nach der Konvergenzform der Formel-ist nicht ganz einfach zu beantworten. Die kürzeste Variante auf lexikalischer Ebene ist sagen wir, und so wird die Formel-auch in den Wörterbuchquellen Schemann (2011, S.-689) und Wahrig angeführt (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). In der Literatur finden sich aber auch Bestimmungen, die ein optionales mal in Klammern dahintersetzen (Stein 1995, S.- 240). Auch das Duden-Wörterbuch wählt diese Lösung (Duden 2001, S.-1341). Bei Schmidt (2014) entfällt die Klammer und die Einheit wird als dreigliedriges sagen wir mal identifiziert. In den Wörterbüchern findet sich diese Lösung bei Röhrich (1992, S.-1272). Bei Imo (2007, S.-108-114) wird die „teilverfestigte Konstruktion“ sogar als sagen wir mal so angesetzt. In den untersuchten Daten aus FOLK ist die Variante mit mal (ob mit oder ohne zusätzliches so) beinahe doppelt so häufig wie die ohne. Das spräche eher für sagen wir mal als sich abzeichnende Konvergenzform. Auch die Variante ohne mal kommt allerdings auf eine Rate von 28,7 Vorkommen pMW- - ein seinerseits fast doppelt so- hoher Wert wie der der häufigsten koordinationsbezogenen sagen-Formel in DECOW16B, ehrlich gesagt (14,41 Vorkommen pMW). Hinzu kommt, dass mit Blick auf etwaige Chunkingprozesse allein die Segmentkette sagen wir von allen Instanzen geteilt wird-- nämlich von der Minimalform bis zu eindeutig satzwertigen Realisierungen als syntaktische Formel-wie etwa sagen wir es mal vorsichtig. Zwischen das sagen wir und ein etwaiges mal können auch nicht nur Objektpronomen, sondern auch weitere Partikeln und Adverbien treten (sagen wir doch einfach mal, sagen wir vielleicht mal besser). Auch wenn Realisierungen mit mal also insgesamt häufiger sind als solche ohne (67% gegenüber 33%), ist die Partikel noch nicht fest mit dem Chunk aus Verb + Subjekt fusioniert. Gemäß unserer Festlegungen in Kapitel-2 und 3 ist die Variante sagen wir mal lexikalisiert, aber nicht univerbiert: Die Form ist als eigenständig bedeutungstragende/ funktionale Einheit gebrauchshäufig in Korpora und in dieser Funktion auch in Wörterbüchern gelistet, wie gezeigt allerdings auch nach wie vor durch Einschübe zwischen sagen wir und mal unterbrechbar. Beim ebenfalls gelisteten sagen wir ist diese Unterbrechbarkeit (aus grammatischen Gründen) nicht gegeben, als eigenständiges Lemma (wie sozusagen) wird der Ausdruck aber auch nirgendwo geführt. Auch hier ist insofern nur von Lexikalisierung, aber nicht von Univerbierung zu sprechen. In Zeschel/ Brackhane/ Knöbl (2019) werden allerdings Argumente dafür angeführt, dass es sich bei der zwischen ich sag mal und sagen <?page no="258"?> Koordination 258 wir ambigen starken Reduktionsform [sɐmɐ] um eine Realisierung von sagen wir handelt, was für eine gegenwärtig ablaufende weitere Kompaktierung der Formel- zu einer phonetisch zweisilbigen Struktur spricht. Nicht zuletzt aus diesem Grund gehen wir im Folgenden von sagen wir als der Konvergenzform der Formel- auf lexikalischer Ebene aus. Aufgrund ihrer fehlenden Unterbrechbarkeit ist diese Wortfolge aber natürlich auch in allen Realisierungen enthalten, die unzweifelhaft als voll satzwertig erkennbar sind (sagen wir es mal so etc.). Zieht man die Grenze also eng zwischen einerseits allen Vorkommen, die lediglich aus der Fügung sagen wir bestehen, und andererseits allen anderen Vorkommen, in denen beliebige weitere Elemente gemeinsam mit diesem Nukleus die Formel-bilden, so liegt der Anteil von Markerverwendungen von sagen wir an allen Instanzen der Konstruktion bei 21%. Phonetisch reichen die Realisierungsvarianten der Markerform vom maximal expliziten [zaːɡŋ̍ viɐ] bis zum maximal reduzierten [zɐmɐ]/ [zɐmə]. Letzteres, das heißt die zweisilbige Verschmelzung, tritt allerdings nicht nur eigenständig als Marker auf (42% der ausgewerteten sagen wir-Belege), sondern ist auch in 46% der lexikalisch stärker ausgebauten Realisierungen enthalten (sagen wir so, sagen wir mal so etc.). Nahezu die Hälfte der phonetisch auswertbaren Instanzen der Formel-enthalten somit die maximale Reduktionsform [zɐmɐ]/ [zɐmə] oder sind mit ihr identisch, was diese Realisierung als die anzunehmende phonetische Konvergenzform der Formel ausweist. 5.3.4.2 Erosion Für die segmentalphonetische Untersuchung des / aː/ s im Stammmorphem von sagen wurden alle Instanzen der Zielkonstruktion- - das heißt sowohl Realisierungen als Marker/ Kurzform als auch als Formel/ Langform-- in FOLK mit Instanzen von sagen außerhalb verfestigter Verwendungen verglichen. Wir unterscheiden dabei die lexikalisch zweigliedrigen Marker (N=35) von den lexikalisch erweiterten Formeln (N=134). Die Vergleichsdaten stammen aus verschiedenen Konstruktionskontexten: Zum einen sind es kompositionell gebrauchte Vorkommen von sie sagen oder wir sagen (N=98), zum anderen literale (also nicht selber markerförmige) Verwendungen- von sagen wir (N=34). Für die Vergleichsdaten wurden beide Gruppen zusammengefasst. 159 Sämtliche ausgewerteten Belege wurden binär als „unreduziert“ ([a(ː)]) vs.-„reduziert“ ([ɐ]) kodiert. Konstruktionsintern zeichnete sich dabei ein Kontrast zwischen dem Markergebrauch (Kurzform) und dem Formelgebrauch (Langformen) ab: Unerwarteterweise trat die Vokalreduktion bei den stärker ausgebauten Langformen häufiger auf als bei den Markern (65% gegenüber 49%). Der Kontrast ist zwar nicht signifikant (χ 2 =2,48, 159 Derselbe Datensatz wurde auch für die Untersuchung zur segmentalphonetischen Erosion der Marker in Kapitel-4 und 6 verwendet. <?page no="259"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 259 df=1, p=0,12), läuft als Tendenz aber dennoch der Erwartung zuwider, dass insbesondere die verknappten Marker phonetisch reduziert seien. Die Gründe dafür sind mutmaßlich prosodischer Natur: Bei den ausgebauteren Formeln ist der Anteil prosodisch eigenständiger Verwendungen höher als bei den Markern, und insbesondere in intonatorisch autonomen Einheiten mit phorischem so liegt der Phrasenakzent in vielen Fällen auf dem Deiktikon. Dadurch steht sagen insgesamt etwas häufiger im Phrasennebenton (vgl. Abschn.- 5.3.4.4). Exakt denselben Unterschied weisen die Marker zu den Vergleichsdaten auf, nur dass sie hier 16% mehr Reduktionsformen aufweisen. Der Kontrast besteht also in umgekehrter Richtung, ist aber eben nicht signifikant (χ 2 =2,48, df=1, p=0,12): 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Abb.-12: Vokalqualität ([ɐ] vs.-[a]) in sagen Abbildung-13 zeigt die Dauermessung für den Stammvokal in sagen: Auftretenskontext Dauer (ms) 50 100 150 Formel Marker Vergleichsformen Abb.-13: Lautdauer (ms) des / aː/ in sagen <?page no="260"?> Koordination 260 Die Messungen bestätigen den Befund der qualitativen Analyse: Beim Formel- und Markergebrauch ist die durchschnittliche Dauer des Stammsilbenvokals von sagen geringer als in der Vergleichsgruppe. Deutlich wird aber auch die breite Spanne der gemessenen Werte insbesondere bei den Vergleichsdaten. Im dritten Schritt betrachten wir die Silbigkeit des Markers im Kontrast zu den Vergleichsformen. Hierzu vergleichen wir die Silbigkeit des sagen-Segments im Marker mit der Silbigkeit des Verbs in den Vergleichsdaten. Als „reduziert“ zählen dabei Realisierungen des Verbs in Markerinstanzen wie [zɐmɐ], als „unreduziert“ in Realisierungen wie [zaːɡŋ̍ ̍ viɐ]: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Abb.-14: Silbigkeit des Segments sagen Hier ergibt sich ein klarer Kontrast: Während die sagen-Komponente der Bildung in den Markerverwendungen in mehr als zwei Dritteln der Belege auf eine einzige Silbe reduziert wird, ist dies in den Vergleichsbelegen nur bei einem Drittel der Fall (χ 2 =15,02, df=1, p<0,001). Fasst man diese Befunde zusammen, ist bei den Markern eine (nicht signifikante) Tendenz zur kürzeren Realisierung des Stammvokals von sagen zu beobachten sowie eine klare Präferenz für die einsilbige Realisierung, die die Marker von den Vergleichsbelegen abhebt. 5.3.4.3 Grenzphänomene Die zweite phonetische Teiluntersuchung widmet sich der Fuge zwischen sagen und wir. Als Kontrast kann hier natürlich nur ein Teil der oben genannten Daten betrachtet werden- - nämlich die Vergleichsgruppe mit nachgestelltem Subjekt, die diese Fuge überhaupt aufweist. Um etwas mehr Daten zur Verfügung zu haben, wurden hier neben sagen wir in kompositionellen Bildungen auch Belege mit anderen Verben einbezogen, die sich ab dem Stammsilbenvokal lautlich nicht von sagen <?page no="261"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 261 unterschieden und die auch keine Artikulationspause bzw. IP-Grenze zwischen dem Verb und dem wir aufwiesen. 160 Auf diese Weise konnte die Größe der Vergleichsgruppe nahezu verdoppelt werden (N=64). Aussortiert wurden hingegen (in allen drei Gruppen) Formen wie […aɡə mɐ] und (seltener) […aːxə mɐ], deren spezielle Fugenrealisierung dialektal begründet ist. Als ersten möglichen Hinweis auf Assimilationstendenzen betrachten wir die Realisierung des anlautenden Frikativs / v/ in wir. Dabei gehen wir davon aus, dass dieser Laut einem (stärkeren) Einfluss des vorangehenden sagen unterliegt, wenn beide Lexeme nicht durch eine (mentale) Wortgrenze voneinander getrennt sind. Unterschieden wurde zwischen (nicht-assimilierten) frikativischen Realisierungen (wie beispielsweise in der Form [vɐ]) und (assimilierten) nasalen (wie beispielsweise in der Form [mɐ]), und zwar erstens für die Marker/ Kurzformen, zweitens die Formeln/ Langformen und drittens die Vergleichsgruppe. Im Ergebnis zeigt sich eine klare Tendenz zur Assimilation bei den Markern (61%) und (noch stärker) bei den Formeln (79%), wohingegen nur 5% der Vergleichsformen keinen frikativischen Anlaut des Pronomens aufweisen (χ 2 =89,78, df=2, p<0,001). Komplementär dazu betrachten wir auch den linken Kontext der Fuge und unterscheiden zwischen Realisierungen mit und ohne Velarnasal im Auslaut des Verbs ([-ɐ/ a(ɡ)ŋ]). Auch hier zeigt sich ein klarer Kontrast mit 98% Belegen mit Nasal in der Vergleichsgruppe gegenüber nur 52% bei den Formeln und 58% bei den Markern (χ 2 =39,45, df=2, p<0,001). Zusammengenommen deuten diese Befunde auf eine kontaktassimilatorische Verschmelzung von sagen und wir in den Marker- und Formelfugen hin, die sich in der Vergleichsgruppe nicht in ähnlicher Weise finden lässt. Die Verschmelzung ist das Ergebnis einer Assimilationskette, bei der sich in (generell) schwalosen sagen-Artikulationen das / n/ der Endsilbe an das / g/ des Stammmorphems assimiliert und zu velarem / ŋ/ wird. Im Kontakt mit dem rechts stehenden labialdentalen / v/ oder bilabialen / m/ des wir labialisiert der Velarnasal / ŋ/ und verschmilzt mit dem Anlaut zu einem einzelnen bilabialen Nasallaut. Abbildung-15 gibt einen genaueren Überblick über die Spanne attestierter Fugenrealisierungen bei den drei Belegtypen (Marker, Formel, Vergleichsformen): 160 Konkret handelt es sich dabei um Belege für die Fügungen fragen wir, schlagen wir, tragen wir, übertragen wir und vertragen wir (N=30). <?page no="262"?> Koordination 262 ɡ-m ŋ-v ŋ-m m ([…ɐmɐ]) Vergleichsformen Formeln Marker 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abb.-15: Realisierung der Fuge zwischen sagen und wir Das Diagramm zeigt, dass sowohl bei den Markern als auch bei den Formeln die Verschmelzung mit bilabialem Nasal ([zɐmɐ]) die häufigste Realisierung der Fuge ist (mit 42% bzw. 46% der Belege), wohingegen diese Realisierung in der Vergleichsgruppe überhaupt nicht belegt ist. Wir werten diesen Befund als lautliche Evidenz für die im Verlauf befindliche Univerbierung von sagen wir zu einer Einheit, die sich gegenüber ihrer kompositionellen Quellstruktur sowohl funktional als auch formal verselbstständigt hat. 5.3.4.4 Prosodische Merkmale Die prosodische Untersuchung zeigt eine formale Verfestigung des Markers auf akzentstruktureller Ebene: Das Pronomen steht bei der Kurzform immer in der Tonsenke, die Stammsilbe des Verbs ist immer akzentuiert und trägt den Wortakzent der emergenten Einheit. Der fixe Akzent auf dem Verb ist zwar nicht überraschend, angesichts der Befunde zur Erosion der Verbform im Markergebrauch (vgl. Abschn.- 5.3.4.2) aber dennoch bemerkenswert: Akzentuierbarkeit und Reduktion des sagen-Elements schließen sich im Fall von sagen wir offenbar nicht aus. Bei den Langformen heben sich insbesondere die Instanzen mit modaldeiktischem so vom Rest der Belege ab: Fast immer trägt dort das so den Phrasenakzent und das sagen ist nebenakzentuiert. Die Elemente wir und mal bleiben immer in der Tonsenke. Die Untersuchung zur intonatorischen (Des-)Integration der Markerverwendungen ergab einen Anteil von 34% desintegrierten Vorkommen. Überdurchschnittlich häufig desintegriert sind die Marker in appellativ-epistemischer Verwendung als Ankündigung eines Vorschlags (80%). Typischerweise in eine größere Intonationsphrase integriert sind sie dagegen in gesprächsorganisatorischen Verwendungen als Reparaturmarker (nie desintegriert) sowie zur Anführung eines Beispiels (30% des- <?page no="263"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 263 integrierte Verwendungen). Interessanterweise verhält es sich unter den weiter ausgebauten Langformen genau andersherum: Als Vorschlagsmarkierung ist die Formel-nie prosodisch desintegriert (typische Form: sagen wir mal), als Reparaturanzeige hingegen fast immer (86% desintegrierte Verwendungen, typische Variante: sagen wir so). Häufig desintegriert sind auch abschwächende und prozedurale Gebräuche (63% bzw 64% der Instanzen dieser Praktiken). Quer zu den Praktiken besteht auch in dieser Hinsicht wieder ein Unterschied zwischen Instanzen mit und ohne so: Tritt das Adverb hinzu, ist die Formel-fast ausnahmslos prosodisch autonom. 5.3.5 Fazit und Einordnung Damit kommen wir zur Zusammenfassung der Fallstudie und der Bewertung ihrer Ergebnisse. Mit einer (korrigierten) Frequenz von 89,84 Vorkommen pMW in FOLK gegenüber 10,28 Vorkommen pMW in DECOW16B kann auch sagen wir zu den typisch mündlichen Formeln gezählt werden. Ihre klar dominante Praktik ist die Abschwächung mit mehr als der Hälfte aller Belege (vgl. Tab.-6). Wie auch bei sozusagen kann sich die positionierende Kernfunktion der Formel- (Distanzierung vom Bezugsausdruck) mit Merkmalen der drei anderen Funktionsbereiche verbinden, wodurch sich Abschwächungen im Dienste der Gesichtswahrung, der Vagheitsmarkierung und der Reformulierungsanzeige ergeben. Da diese Merkmale nicht bei allen Abschwächungen gleichermaßen vorliegen, sind sie in der pragmatischen Karte in Abbildung-16 eingeklammert. In struktureller und positioneller Hinsicht wird in Abbildung-16 jeweils die typische Charakteristik der entsprechenden Belege angegeben. Somit ist der Karte etwa zu entnehmen, dass abschwächende Verwendungen zwar üblicherweise mit der Partikel mal auftreten, dieser Modifikator aber auch fehlen kann. Diese Eigenschaft teilen die Abschwächungen mit Verwendungen zur Exemplifizierung (‚beispielsweise‘) und den rein prozeduralen Gebräuchen, die in der Regel ebenfalls ein mal aufweisen. Positionell sind Abschwächungen ihrem Bezugsausdruck mehrheitlich vorangestellt. 161 Auch dieses Merkmal teilen sie mit den Verwendungen zur Beispielsanführung und den prozeduralen Gebräuchen als Fokuspartikel (wiederum ähnlich wie bei sozusagen). Ausnahmslos vorangestellt ist die appellativ-epistemische Verwendung zur Rahmung eines Vorschlags (‚nehmen wir mal an‘). Die typische Form dieser Variante ist partikellos (sagen wir), ein ausdrucksbezogenes so kann hier (anders als in allen anderen Praktiken) nicht hinzutreten. Die Präferenz für strukturell reduzierte Realisierungen als sagen wir teilt die Vorschlagsmarkierung mit der Verwendung als Reparaturanzeige (‚besser gesagt‘). Letztere ist an das sonstige Verwendungsspektrum nur über ihre beitragsgliedernde Funktion angebunden, die sie mit allen anderen Praktiken mit Ausnahme der Vorschlagsmarkierung teilt. 161 Sind sie nachgestellt, greifen sie ihren Bezugsausdruck anaphorisch mit einem Objektpronomen und/ oder der Partikel so auf (ja, der wirkt normaler; sagen wir es mal so, FOLK_E_00182_SE_01_T_01, c242). <?page no="264"?> Koordination 264 Abb.-16: Pragmatische Karte <?page no="265"?> Vertiefungsstudie: sagen wir 265 Zusammenfassend ist die typische Realisierung der Formel (über alle Kategorien hinweg) ein vorangestelltes sagen wir mal mit optional hinzutretendem so. Diese Form ist allerdings nicht in allen Kontexten und für alle Funktionen gleich geeignet. In Verbindung mit der Stellung relativ zum Bezugsausdruck ergibt sich aus der Präferenz für eine oder beide Partikeln ein formales Differenzierunspotenzial, das sich jedoch nur in Form von Gebrauchstendenzen und nicht in kategorischen Kontrasten niederschlägt. Vielleicht etwas unerwartet angesichts der Quellstruktur (mit ihrem Adhortativ und der dyadischen Subjektreferenz) ist die appellativ-epistemische Verwendung (mit Paraphrase ‚nehmen wir mal an‘) die seltenste aller fünf Praktiken. Genau wie bei sozusagen dominiert klar die Mitigation. Generell austauschbar sind die beiden Formen allerdings nicht: Im Rahmen eines Vorschlags (wie etwa sagen wir mal das ist ein Schornsteinfeger) kann sagen wir mal nicht durch ein sozusagen ersetzt werden (auch nicht bei Nachstellung). Umgekehrt ist etwa der responsive Gebrauch als modalisierte Zustimmung allein bei sozusagen möglich, ein turnwertiges sagen wir mal existiert nicht. Im Rahmen ihrer jeweils dominanten Praktiken sind die beiden Marker allerdings Konkurrenten, die beide zum Paradigma der geltungsmodalisierenden Heckenausdrücke zählen. Keine klaren Zusammenhänge zeigen sich zwischen Interaktionsfunktion und lautlicher Realisierung. Abbildung-17 zeigt die Anteile der zweisilbigen Reduktionsform [zɐmɐ] an den Marker-Instanzen aller Praktiken, die die zweigliedrige Markerform überhaupt zulassen: 162 unreduziert reduziert Abschwächung Reparatur Vorschlag Exemplifizierung 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abb.-17: Praktiken und Reduktion 162 Ignoriert wurde in Abbildung- 17 die prozedurale Verwendung, für die sich nur ein einziger (dann auch phonetisch reduzierter) Beleg der Kurzform sagen wir fand. <?page no="266"?> Koordination 266 Die Auswertung zeigt Schwankungen zwischen einem Anteil von 30% Verschmelzungsformen mit bilabialem Nasal bei den Exemplifizierungen und 50% bei den Reparaturmarkierungen. Aufgrund der insgesamt sehr geringen Belegmenge ist daraus statistisch allerdings nichts ableitbar. Abschließend kommen wir zur Frage der anzusetzenden Wandelprozesse. Wie in Abschnitt-5.3.4.1 ausgeführt, kann sagen wir nach unseren Kriterien als lexikalisiert, jedoch nicht als univerbiert betrachtet werden. Die Etablierung als eigenständiges Wortzeichen ist somit noch nicht so weit vorangeschritten wie etwa bei sozusagen. Die reduzierte Markervariante sagen wir wird auch nur in gut einem Fünftel der Belege gewählt. Es überwiegt der analytische Gebrauch der Konstruktion als kombinatorisch ausgebaute Formel, der neben verschiedenen lexikalischen Erweiterungen auch nach wie vor vollständig satzwertige Realisierungen umfasst (sagen wir es mal so). Als Anhaltspunkt für Grammatikalisierung könnte angeführt werden, dass die dominante Praktik der Form eine indexikalische Funktion aufweist und durch ihre Aufnahme in die Klasse der Abtönungspartikeln auch paradigmatisiert wird. Strukturell obligatorisch sind solche Ausdrücke zwar nie, kommunikativ obligatorisch können sie aber durchaus sein-- nämlich wenn gerade das Ausmaß der Verbindlichkeit einer Festlegung relevant ist (bzw. relevant gemacht wird). Das gilt für Produktion und Rezeption gleichermaßen: Genau wie die Markierung einer entsprechenden Einschränkung in solchen Kontexten für S verbindlich ist, ist auch die rezeptive Beachtung einer solchen Markierung für P verbindlich. Erfolgt sie nicht, kann P dafür zur Verantwortung gezogen werden: (341) jo macker wenn du meinst ich zeig es dir nächstes wochenende und ich habe gesagt ungefähr 80 ich habe doch keine radar pistole im kopf (http: / / www. xmods-forum.de/ verbrenner-umbau-t2195.html [decow]) In (341) wehrt sich S dagegen, dass einer zuvor geäußerten eigenen Veranschlagung unzulässig große Präzision und Verbindlichkeit zugeschrieben wird, und insistiert, dass eine entsprechende Einschränkung durch das Adverb ungefähr auch kenntlich gemacht worden sei. Solche Beispiele zeigen, dass auch Modalisierungen ein relevanter Bestandteil der Positionierungen sind, die Sprecher in der Interaktion vornehmen-- und dass es für P gilt, auch solche Einschränkungen zu beachten. In der Summe sind diese Beobachtungen jedoch nicht ausreichend, um von einer Grammatikalisierung des lexikalisierten Markers sagen wir zu sprechen: Wie im Fall von sozusagen wäre der in Frage stehende Wandel letztlich eine Rekategorisierung als Adverb, aber anders als sozusagen ist sagen wir nicht eigenständig vorfeldfähig (was als „isolierender Kontext“ dieser Analyse gelten würde, vgl. Diewald 2002). Unter dem Strich ist also von Lexikalisierung, jedoch nicht von Univerbierung und auch nicht von Grammatikalisierung zu sprechen. <?page no="267"?> Zusammenfassung 267 5.4 Zusammenfassung Kapitel- 5 war dem interpersonell-koordinativen Bereich des Funktionsspektrums gewidmet. Mit insgesamt 20 angesetzten Formeln ist er in etwa gleich stark abgedeckt wie der in Kapitel-4 inventarisierte Bereich der Positionierung. Feiner wurde zwischen einerseits alinierenden (16 Bildungsmuster) und andererseits facebezogenen Formeln unterschieden (vier Bildungsmuster), wobei die alinierenden Muster nochmals in vier affiliative, acht disaffiliative und vier appellative untergliedert wurden. Die interaktionslinguistische Vertiefungsstudie widmete sich dem Marker sagen wir und seinen verschiedenen formelhaften Ausbauten (sagen wir mal, sagen wir es so, sagen wir mal so etc.). Funktional erwies sich, dass der Marker trotz seiner appellativen Quellsemantik primär positionierend verwendet wird, nämlich als distanzierende Abschwächung. Verwendet wird sie zur Bezeichnungsmodalisierung, zur Mitigation einer Gesichtsbedrohung, als Vagheitsanzeige und im Rahmen von Reformulierungen. Genuin koordinativ (und zugleich epistemisch) sind Verwendungen zur Rahmung eines Vorschlags, die sich mit ‚nehmen wir mal an‘ paraphrasieren lassen. Daneben gibt es gesprächsorganisatorische Verwendungen zur Beispielsanführung (‚beispielsweise‘) und Reparatur (‚besser gesagt‘) sowie auch wieder rein prozedurale Gebräuche, die beispielsweise im Kontext von Häsitationen auftreten oder als Fokusmarker zur informationsstrukturellen Gliederung der umgebenden Äußerung eingesetzt werden. Lautlich zeigt sich bei sagen wir in der markerinternen Fuge eine starke Verschmelzungstendenz zwischen Verb und Pronomen, die in kompositionellen Pendants der Wortfolge so nicht zu beobachten ist. Als phonetische Konvergenzform zeichnet sich das zweisilbige [zɐmɐ] ab, das in etwas weniger als der Hälfte der Belege (sowohl für Marker/ Kurzformen als auch für Formeln/ Langformen) auftritt. Der Gebrauch dieser salienten Form ist allerdings nicht an eine bestimmte Praktik bzw. Funktion gebunden. In der Summe wurde festgestellt, dass die Konstruktion als pragmatischer Marker lexikalisiert, aber nicht univerbiert ist, und anders als sozusagen auch (noch) keine eindeutigen Anzeichen von Grammatikalisierung aufweist. <?page no="269"?> Formelüberblick 269 6. EPISTEMIK 6.1 Einleitung Kapitel-6 widmet sich sagen-Formeln mit schwerpunktmäßig wissensanzeigenden und auf den Common Ground-bezogenen Funktionen. Im einleitenden Formelüberblick (Abschn.-6.2) werden insgesamt 26 Verfestigungen bzw. dahinterstehende semantisch-pragmatische Bildungsmuster dieses Typs beschrieben. Dabei werden drei Subtypen epistemischer sagen-Formeln unterschieden, die zur Beanspruchung sicheren, überlegenen und/ oder bevorrechtigten Wissens („K+“, Abschn.- 6.2.1), zur- Anzeige unsicheren, unterlegenen oder nicht bevorrechtigten Wissens („K-“, Abschn.- 6.2.2) oder zur Behauptung von epistemischer Autonomie bzw. (Wieder-) Herstellung von Wissensparität und Intersubjektivität dienen („K=“, Abschn.-6.2.3). Die interaktionslinguistische Vertiefungsstudie in Abschnitt- 6.3 widmet sich dem Marker wollt grad sagen, der dem Bereich „K=“ entstammt. Untersucht werden die kommunikativen Praktiken, die strukturelle Verfestigung und die lautliche Realisierung der Zielkonstruktion. Abschnitt- 6.4 gibt eine kurze Zusammenfassung des Kapitels. 6.2 Formelüberblick Wie in Kapitel- 3 ausgeführt, unterscheiden wir Formeln mit epistemischem Funktionsschwerpunkt in Anlehnung an Heritage (2012a) in drei Bereiche: - „K(nowledgeable)+“ bzw. „K+“: Formeln zur Anzeige des Vorhandenseins, der Sicherheit, der Legitimation oder relativen Überlegenheit eigenen Wissens. - „K(nowledgeable)-“ bzw. „K-“: Formeln zur Anzeige des Fehlens, der Unsicherheit, der mangelnden Legitimation oder relativen Unterlegenheit eigenen Wissens. - „K(nowledgeable)=“ bzw. „K=“: Formeln zur Beanspruchung von epistemischer Autonomie bzw. (Wieder-)Herstellung von epistemischer Parität und Intersubjektivität mit P. Mit Stivers/ Mondada/ Steensig (2011) gehen wir zudem davon aus, dass sich epistemische Veranschlagungen auf unterschiedliche „Dimensionen“ des eigenen und fremden Wissens beziehen können. Stivers/ Mondada/ Steensig (ebd.) treffen dabei eine Dreifachunterscheidung zwischen den Begriffen „epistemic access“, „epistemic primacy“ und „epistemic responsibility“: Gemäß dieser Untergliederung kann sich S erstens auf das Vorhandensein, den Umfang, die Sicherheit, die Quelle und Erfahrungsunmittelbarkeit eines gegebenen Wissensbestandteils beziehen (Fragen <?page no="270"?> Epistemik 270 des „epistemic access“). Wird das eigene Wissen in einer dieser Hinsichten höher eingeschätzt als das von P oder Dritten („K+“), sprechen wir im Folgenden davon, dass S ein überlegenes Wissen reklamiert. Zweitens können Fragen der relativen Berechtigung und Autorität, mit der über ein gegebenes Wissen verfügt wird, der temporalen Präzedenz des eigenen Wissens gegenüber dem Ps (oder Dritter) sowie der intellektuellen Urheberschaft daran im Vordergrund stehen („epistemic primacy“). Werden diese Merkmale für das eigene Wissen beansprucht („K+“), sprechen wir von bevorrechtigtem Wissen. 163 Drittens schließlich kann es um Fragen der interpersonellen Rechenschaft(spflichtigkeit) für bestimmte Wissensbestandteile und ihre interaktive Berücksichtigung, Verfügbarmachung und Aktualisierung gehen („epistemic responsibility“). Anders als in den ersten beiden Dimensionen sind dabei nicht Fragen der relativen Über- oder Unterlegenheit eigenen vs.- fremden Wissens angesprochen, sondern das Bestehen wechselseitiger Erwartungen an die Anzeige geschuldeten Wissens, wie wir den Begriff im Folgenden übersetzen. Wie auch diese Dimension auf Heritages Opposition „K+“ vs. „K-“ bezogen werden kann, ist weniger offensichtlich als es bei ±überlegenem und ±bevorrechtigtem Wissen der Fall ist. Die im Folgenden untersuchten epistemischen Formeln mit sagen sind sprachliche Ressourcen, um verschiedene wissensbezogene (Selbst-)Positionierungen vorzunehmen: als „K+“, als „K-“, oder als bemüht um „K=“. Vorgenommen wird eine Anzeige von epistemic stance (vgl. Kap.- 3), die allerdings stets vor dem Hintergrund bestimmter Veranschlagungen zum epistemic status von S gegenüber P und/ oder der Sprechinstanz der sagen-Formel vorgenommen wird. Dabei können Aspekte aller drei oben genannten epistemischen „Dimensionen“ eine Rolle spielen. Beispielsweise kann die Zuschreibung der Statusmerkmale „K+“ und „K-“ sowohl auf relativ überlegenes/ unterlegenes als auch auf relativ bevorrechtigtes/ weniger bevorrechtigtes Wissen verweisen. Diese Asymmetrien spielen auch bei vielen Formeln des Bereichs „K=“ eine Rolle, etwa wenn letztere aus einem Vorzustand überlegenen bzw. bevorrechtigten Wissens heraus geäußert werden (vgl. soll ich dir mal was sagen)-- oder eben gerade nicht (vgl. jetzt, wo du es sagst-…). Ein impliziertes überlegenes Wissen kann aber zugleich auch geschuldet sein (vgl. ich muss dir was sagen), sodass mehr als nur eine der von Stivers/ Mondada/ Steensig (2011) unterschiedenen Dimensionen involviert ist. Umgekehrt gibt es auch Formeln mit explizitem Common Ground-Bezug („K=“), in denen es weder um relative epistemische Über- oder Unterlegenheit noch um Fragen der Verpflichtung geht, ein bestimmtes Wissen zu besitzen und auch anzuzeigen, sondern zum Beispiel um die Markierung von bereits bestehender Intersubjektivität bezüglich ei- 163 Es handelt sich hier um eine soziale Bevorrechtigung durch persönliche Betroffenheit und Nähe (vgl. Kap.-3). Nicht gemeint ist „privilegiertes Wissen“ im Sinne von „implizitem Wissen“, d. h. als Gegenpart zu „deklarativem“ bzw. „explizitem Wissen“, wie der Begriff mitunter auch verwendet wird. <?page no="271"?> Formelüberblick 271 nes Sachverhalts (vgl. wem sagt du das). Mit anderen Worten sind die Begriffe des „überlegenen“, des „bevorrechtigten“ und des „geschuldeten“ Wissens also unabhängig von der für unsere Systematisierung klassifikationsleitenden Unterscheidung der Funktionsmerkmale „K+“, „K-“ und „K=“ zu sehen. Sie eröffnen innerhalb dieser Kategorien aber zusätzliche Differenzierungsmöglichkeiten, in welcher Hinsicht (bzw. welchen Hinsichten) die untersuchten Formeln Bezug auf das Beteiligtenwissen nehmen. Die genannten drei „Vorzeichen“-- „K+“, „K-“, „K=“-- dienen uns im Folgenden zur Grobstrukturierung des Kapitels in Formeln mit unterschiedlichem epistemischem Positionierungswert. Innerhalb dieser drei Abschnitte strukturieren wir die Darstellung dann wie gehabt nach den Bedeutungsmerkmalen der untersuchten Formeln, wobei die Frage nach der Sprechinstanz („wer spricht? “) als primärer Sortierschlüssel verwendet wird. Vorweg seien allerdings noch einige Bemerkungen zu den vielleicht wichtigsten Verwendungen von sagen mit epistemischer Funktion gemacht-- zumal sie in unserer Darstellung spezifischer Verfestigungen rund um das Verb dann keine große Rolle mehr spielen werden: Die Rede ist von quotativen und (reportativ-)evidenziellen Verwendungen (vgl. Kap.-3), d. h. dem großen Bereich der Rede- und Gedankenwiedergabe (Brünner 1991; Chafe 1994; Coulmas 1986; Kaufmann 1976; Partee 1973; Roncador 1988), von dem auch verschiedene Grammatikalisierungen der Quelldomäne say ihren Ausgang nehmen. 164 In einem Beitrag zur evidenziellen Kategorie Hearsay bezeichnet Wiemer (2010) diese Konstruktionen- - „‚ordinary‘ speech act verbs or other lexical items with a full argument structure“ (ebd., S.-59)-- als „‚trivial‘ means of marking hearsay“. Neben „Verbs with a ‚say‘ component in their semantic description“ werden dazu auch „steady collocations, or phraseological syntagms, like Legend has it/ There are rumours (that P)“ gerechnet (ebd.). Von dieser Art, nämlich sowohl rund um ein solches Verb gebaut als auch phraseologisch verfestigt, sind auch einige epistemische sagen-Formeln- - etwa das reportativ-evidenzielle man sagt oder das inferenziell-evidenzielle das sagt alles. Wo es sich tatsächlich um idiomatisierte Verfestigungen mit je idionsynkratischen Verwendungsbedingungen handelt, sind solche Konstruktionen Bestandteil unserer Darstellung und werden im folgenden Überblick behandelt. Nicht weiter diskutiert oder veranschaulicht werden dagegen vollständig kompositionelle Ver- 164 Das „World Lexicon of Grammaticalization“ (Heine/ Kuteva 2002, S.- 375-388) listet insgesamt elf Grammatikalisierungspfade für Lexeme mit der Bedeutung ‚sagen‘: Nicht einschlägig für unsere Darstellung sind Pfade, die zur Entwicklung von Komplementierern, zu kausalen, finalen und sogar temporalen Subjunktionen sowie zu grammatischen Markierungen von Konditionalität und Topikalität führen. Zentral ist dagegen der Pfad zu „discourse markers expressing a range of different functions, such as signalling warnings, reported evidentiality, prompts, mirativity, or requests for repeating information“ (ebd., S.- 380). Obwohl auch im Zusammenhang mit diesem Pfad bereits von „reported evidentiality“ die Rede ist, werden daneben noch drei weitere evidenzielle Pfade angesetzt: say > evidential, quotative, say > evidential, reported sowie say > quotative. <?page no="272"?> Epistemik 272 fahren zur Zuschreibung von Äußerungen und Standpunkten an Dritte, die im Rahmen von sagen-Konstruktionen vollzogen werden, 165 auch wenn diese im Deutschen die-- „trivial“ oder nicht-- kanonische Erscheinungsform entsprechender Markierungen darstellen. 166 Wir beginnen unsere Darstellung verfestigter Ausdrücke in diesem Bereich mit einer Übersicht über die zehn häufigsten Verfestigungen in DECOW16B: 167 Rang Formel Typ Frequenz pMW 1 man sagt K- 15.785 1,01 2 wer sagt denn (+dass-Satz) K+ 14.012 0,89 3 grob gesagt K- 10.584 0,67 4 sag bloß K+ 4532 0,29 5 jetzt, wo du es sagst K= 3561 0,22 6 (das ist) leichter gesagt als getan K+ 3006 0,19 7 wenn du das sagst K- 2834 0,18 8 wem sagst du das K= 2537 0,16 9 (das ist) schwer zu sagen K- 2411 0,15 10 ich sag nur K= 2366 0,15 Tab.-7: Epistemische Formeln (Top 10 in DECOW16B) 6.2.1 K+ Formeln mit dem Funktionsmerkmal „K+“ zeigen überlegenes oder bevorrechtigtes Wissen auf Seiten von S an. Überlegenes Wissen wird beansprucht, wenn S das eigene Wissen gegenüber dem Wissen Ps (oder dem eines Dritten) für maßgeblich hält, da es umfangreicher, direkter oder sicherer ist. Bevorrechtigtes Wissen wird reklamiert, wenn S sich im Vergleich zu P (oder einem Dritten) für berechtigter hält, über ein bestimmtes Wissen zu verfügen und es im Gespräch mit dieser Person direkt und unmodalisiert zu thematisieren, da S persönlich enger in den betreffenden Sachverhalt involviert ist, frühere Kenntnis davon hatte oder intellektuelle Urheberschaft dafür beanspruchen kann. 165 Vgl. „Goethe sagt… ‚vor einem Zitat‘“ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). 166 Vgl. allerdings Kapitel-7 für quotatives ich sag als Mittel zur Separierung eigener und fremder Redeanteile in Erzählsequenzen. 167 Für Ausdrücke mit vielen falschen Positiven in der Suchanfrage wurde eine Stichprobe von 100 Instanzen auf den Anteil tatsächlicher Markerverwendungen durchgesehen und die erzielte Rohtrefferzahl um den ermittelten Faktor korrigiert (vgl. Kap.- 3). Von den Formeln in Tabelle- 7 betraf das lediglich den Ausdruck man sagt, für den insofern ein hochgerechneter korrigierter Wert berichtet wird. <?page no="273"?> Formelüberblick 273 Wir beginnen unsere Darstellung mit sprecherdeiktischen Bildungen. Das gängigste Muster dieser Art beansprucht (temporale) Präzedenz und somit Bevorrechtigung. Da sich das Wissen der Interaktionsteilnehmer im Gespräch in ihren Äußerungen manifestiert, ist es nicht verwunderlich, dass für diese Art von epistemischer Markierung formelhafte Ausdrücke mit sagen verwendet werden: Entsprechende Bildungen betonen entweder, dass etwas bereits vorerwähnt ist, und dass diese Tatsache auch bekannt sein sollte. Oder sie stellen klar, wer etwas wann bereits wusste, und wie sich dies an den vergangenen Äußerungen dieser Person belegen lässt. Charakteristisch für Verwendungen beider Art ist somit das temporale Merkmal +anterior der sagen-Prädikation (der betreffende Inhalt ist vorgeäußert), das sich typischerweise mit einem +epistemischen Merkmal des Typs „geschuldet“ verbindet (diese Tatsache sollte P bekannt sein). Die Dimension der Verpflichtung steht im Vordergrund, wenn mit entsprechenden Bildungen auf eine Frage reagiert wird. S markiert damit nicht nur den eigenen Status als „K+“, sondern verbindet ihn mit einem Vorwurf an die Adresse Ps, die entsprechende Äußerung von S im Rahmen seines „cognitive ‚bookkeeping‘“ (Schegloff 1991, S.-164) der gemeinsamen Interaktionsgeschichte nicht angemessen registriert zu haben: (342) er: sie haben ja noch nen vertrag bis zum 28.07. mit ihren job (ein-euro) ich: ja, das sagte ich ja neulich schon (warum hört mir nie jemand zu? ) (http: / / www.simforum.de/ archive/ index.php/ t-120615-p-86.html [decow]) Ebenso kann zum Ausdruck gebracht werden, dass P die entsprechende Äußerung vielleicht zur Kenntnis genommen, aber jedenfalls nicht richtig verstanden hat. S-signalisiert damit, dass in der betreffenden Angelegenheit kein weiterer Klärungsbedarf besteht, da bereits alles Relevante gesagt ist: (343) … auch DU darfst meine Zeilen noch einmal genau lesen. GENAU das habe ich doch gesagt , oder? Wer am Fuße beim Laufen stark schwitzt, ziehe sich um Himmels Willen Funktionssocken an. (http: / / www.netzlaeufer.de/ lauftreff/ archive/ index.php? t-4699.html [decow]) Außerhalb von Klärungssequenzen kann mit Bildungen dieser Art auch ein Anspruch auf die Urheberschaft einer Idee unterstrichen werden. S reklamiert, die entsprechende Einschätzung oder Anregung schon früher eingebracht zu haben als P oder ein Dritter: (344) Der reset wird kommen, aber wahrscheinlich um eine Uhrzeit wo nicht mehr so viele Spieler on sind und das Forum nicht beeinträchtigt wird. / / Hey so ähnlich hatte ICH das doch schon gesagt : cry: / / Sry nicht gesehen (http: / / board.pennergame.de/ archive/ index.php/ t-11745.html [decow]) <?page no="274"?> Epistemik 274 Wird die Kontinuität des Behaupteten betont- - etwa wenn P eine vormals abweichende Einschätzung geändert hat und S inzwischen zustimmt-- kann trotz der Vorzeitigkeit von S’ initialer Positionierung auch das Präsens gewählt werden: 168 (345) Bin in sachen RC Einbau sehr pedantisch, dat Dingens soll ja auch richtig gut fliegen. Dann werden es die 10 mm WingMaxx werden. Danke Gruss Aladin : D 22.11.2003, 23: 58 / / Siehst du Aladin, sag ich doch : D Patrick 23.11.2003, 12: 12 (http: / / www.rc-network.de/ forum/ archive/ index.php/ t-7029.html [decow]) Verwandt damit sind Vergegenwärtigungen, dass ein (häufig, jedoch nicht immer, dispräferiertes) Ereignis, das mittlerweile eingetreten ist, bereits zuvor von S in dieser Weise prognostiziert worden war. Auch hier geht es entsprechend nicht um einen Beitrag zu einer aktuell relevanten Klärung, sondern allein darum, in einer Nebenbemerkung die Kraft des eigenen Urteilsvermögens zu unterstreichen, dessen Vorhersage sich nun bestätigt hat: 169 (346) Ich hab es doch von Anfang an gesagt das er unter die Top 30 kommt. (http: / / www.ioff.de/ archive/ index.php/ t-232242.html [decow]) Beanspruchungen epistemischer Präzedenz treten auch nicht nur im Rahmen von Feststellungen auf. In interrogativen Varianten kann sich S die eigene Präzedenz alternativ auch von P bestätigen lassen: (347) Ist es nicht so, Pitt Holbers, altes Coon? Habe ich das gesagt oder nicht ? (http: / / www.karl-may-gesellschaft.de/ kmg/ primlit/ reise/ surehand/ gr19/ kptl_2.htm [decow]) Statt der Entscheidungsfrage kann auch ein (vermeintlich) offenes Frageformat gewählt werden, ein tatsächlicher Fragecharakter ist auch dabei jedoch nicht gegeben: (348) @Spike HA! Was hab ich gesagt? ; ) Ich hatte Recht *den „I was right“ Tanz- aufführ* (http: / / www.consolewars.de/ messageboard/ archive/ index. php/ t-49713.html [decow]) Zu solchen Bildungen kann auch ein adressatendeiktischer Dativ hinzutreten: (349) Na siehst du Liebes : -) Was hab ich dir gesagt ? Erstens kommt es immer Anders und zweitens, als man Denkt (http: / / www.zahnarzt-angst-hilfe.de/ wbb3/ 168 Schemann (2011, S.-686) listet diesen Bildungstyp in Form von ich sag’s ja! 169 Wahrig nennt hier das Beispiel ich habe es (dir) ja gleich gesagt, aber du wolltest nicht (auf mich) hören (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). VALBU gibt die Bedeutung seines Beispiels ich hab’s ja/ doch gleich gesagt! mit „ich habe die negativen Folgen vorausgesagt“ an (Schumacher et al. 2004, S.-613). <?page no="275"?> Formelüberblick 275 zahnarzt-angst/ 26860-ich-dachte-es-kann-nicht-schlimmer-kommen-doches-kann/ index2.html [decow]) Die interrogative Realisierung mit was ist auch die zentrale Verfestigung des +anterioren Bildungsmusters, allerdings in der Variante ohne Dativ (565 Belege, 0,04 Vorkommen pMW). Sie kann einer Wiederholung des bereits Gesagten vorangestellt werden, das damit noch einmal bekräftigt wird: (350) Tadaaaaaaa, was hab ich gesagt ? Ich wusste doch dass Dein kleiner Prinz ganz tapfer sein wird! (http: / / www.zahnarzt-angst-hilfe.de/ wbb3/ zahnarztangst/ 26860-ich-dachte-es-kann-nicht-schlimmer-kommen-doch-es-kann/ index2.html [decow]) Knapp häufiger mit 11 von 20 Fällen (55%) sind aber handlungswertig freistehende Verwendungen, mit denen S (ähnlich wie in (348)) epistemisch auftrumpft: (351) Was hab ich gesagt? WAS HAB ICH GESAGT? Du failst so oft hier das gibt es gar nicht… : D (http: / / www.consolewars.de/ messageboard/ archive/ index. php/ t-53216-p-29.html [decow]) Allgemein lässt sich die vollzogene Handlung somit als „Wissensanzeige“ klassifizieren. Neben dem Anspruch auf vorgängiges Wissen („K+“) spielen bei was hab ich gesagt auch involvierende und disafilliative Bedeutungskomponenten eine Rolle: S erhält die entsprechende Positionierung aufrecht, und das gegen (zwischenzeitliche) Anfechtung bzw. einen konkurrierenden Anspruch auf Primarität seitens Ps. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 3. Sequenzposition FUNKTION involvierend, disaffiliativ, K+ FORM TMP: prf, SM: int, SUB: ich, AKK: was Formel 40: was habe ich gesagt Eng verwandt sind zusätzlich +konditionale Bildungen mit Irrealis. Sie drücken aus, dass etwas Relevantes bislang nicht gesagt worden ist, das aber durchaus hätte mitgeteilt werden können (und sollen): (352) Jetzt sagte mir jemand ich solle Quark drauf machen, das ziehe die Entzündung raus…Naja , ich weiss nicht, werde wohl jetzt erstmal mit Tyrosur Gel weiter behandeln. Irgendwann muss sich ja mal eine Besserung zeigen… evib 29.09.2008, 20: 21 / / Delfinliebhaberin, das hätte ich dir auch sagen können und mit <?page no="276"?> Epistemik 276 dem gel wird es das gleiche. es ist was offenes (wie eine tasche) und wenn du da was schmieriges rein machst wird es nicht heilen, da es ja immer wie nur fettig ist. (http: / / www.bei-bea-nails.de/ nagelforum/ archive/ index.php/ t-36670-p-2. html [decow]) (353) Das mit den Kopfschmerzen biste selber schuld. mit einem guten wein von der ahr wäre das nicht passiert… : -) 17.10.2005, 12: 34 / / Das hättest du auch eher sagen können . Gib dir mal meine Adresse, dann kannst du mir gerne einen guten Wein schicken : grins: (http: / / www.elvisnachrichten.de/ archive/ index. php/ t-754.html [decow]) (354) Ach so, daaaas meint er. Naja, das hätte er doch gleich sagen können . (http: / / 83273.homepagemodules.de/ t1608f14-Zitat-des-Tages-Schopenhauerlesen.html [decow]) Das Subjekt ist variabel. Instanzen mit ich wie (352) betonen eigene epistemische Präzedenz: Hätte P sich in der betreffenden Angelegenheit rechtzeitig bei S erkundigt, wäre ihm Aufwand erspart geblieben, da S ihm hätte helfen können. Sprecherexklusive Varianten wie (353) und (354) formulieren dagegen einen Vorwurf: Der Subjektreferent hat seine Verpflichtung vernachlässigt, S rechtzeitig über einen relevanten Sachverhalt in Kenntnis zu setzen und damit überflüssigen Klärungsaufwand verursacht. 170 Zentrale Verfestigung ist das sprecherdeiktische das hätte ich dir auch sagen können mit 81 Belegen (0,005 Vorkommen pMW). Häufige Begleiter sind neben der Modalpartikel auch die Temporaladverbiale vorher, gleich und eher. Die Formel ist handlungswertig und wird in den ausgewerteten Belegen ausnahmslos responsiv in zweiter Position gebraucht. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prt, VM: kon, +MV: können, +MPT: auch, SUB: ich, AKK: das, +DAT: dir Formel 41: das hätte ich dir auch sagen können 170 Auch der Duden listet sowohl das hätte ich dir gleich/ vorher sagen können als auch das hättet ihr mir doch sagen müssen. Allein ersterem wird die Paraphrase „das habe ich gewusst, vorausgesehen“ zugeordnet. Zusätzlich wird noch eine Variante mit koreferentem Dativobjekt genannt („dass das nicht gut gehen kann, hättest du dir damals schon selbst sagen können, müssen“, Duden 2001, S.-1341), die in DECOW16B überhaupt nicht belegt ist. <?page no="277"?> Formelüberblick 277 Als +fokussierend und +exklamativ lassen sich Formeln kennzeichnen, die speziell einer bestimmten Person die Berechtigung absprechen, einen gegebenen Standpunkt zu vertreten. S selbst nimmt dabei keine eigene inhaltliche Positionierung zur thematisierten Angelegenheit vor, sondern stellt lediglich heraus, dass zwischen der kommentierten Äußerung und der Identität ihres Urhebers eine Inkongruenz gesehen wird. Durch diese Behauptung beansprucht S, besser einschätzen zu können, was eine für den Subjektreferenten von sagen legitimerweise vertretbare Positionierung gewesen wäre als dieser selbst („K+“), da Letzterem der wahrgenommene Widerspruch nicht einmal aufgefallen ist. Die Hervorhebung, dass es speziell die Identität des Subjektreferenten von sagen ist, die die kommentierte Äußerung problematisch macht, kann durch Fokuspartikeln wie ausgerechnet oder gerade, durch Phrasen wie von allen Leuten oder (ironisch) der Richtige erfolgen, oder auch rein prosodisch durch Akzentuierung. Letzteres wird in den Forentexten durch Großschreibung nachgebildet: (355) Als ich sie fragte warum, meinte sie: „So große schwarze Hunde mag ich nicht, der sieht ja aus wie ein Wolf! “ Ich dachte ich steh im Wald, das sagt ausgerechnet meine Mutter, die ihr Leben lang immer Hunde hatte ? (http: / / www.behinderte-hunde-forum.de/ archive/ index.php/ t-2632.html [decow]) (356) liebe sina das sagst gerade du? ? ? ich krieg mich echt nimmer ein… (http: / / forum.smashdown.de/ archive/ index.php/ t-3019.html [decow]) (357) „ Und das sagen Sie von allen Leuten ? “ fragte Riker. (http: / / www.trektrip. de/ fanfiction/ stories_005frei.htm [decow]) (358) @Banzai Das sagt genau der richtige …Gerade erst den Padawan-Gewändern entschlüpft, und schon so tun, als wäre man ein vollwertiger Jedi… (http: / / www.tabletopwelt.de/ forum/ archive/ index.php/ t-27036.html [decow]) (359) und das sagst DU als VIELSCHREIBER ? ? ! : -) Auch nicht schlecht die Nummer…also etwas die Luft anhalten und einfach mal vor der eigenen Haustür kehren und anderen Leuten auch Luft lassen : -)) (http: / / www.webdigital.de/ forum/ viewtopic.php? f=13%26t=5598%26p=45989%26sid=c4590403c15a4d1a 2a2c19f847b96706 [decow]) In kontextadaptierten Verwendungen ist es auch möglich, dass S mit der Formel eine eigene Positionierung als mutmaßlich unerwartet kommentiert. Durch die vorgreifende Einordnung des Bezugsausdrucks als mirativ wird allerdings auch hier wieder der epistemische Status „K+“ beansprucht, aus dem heraus eine mögliche Reaktion Ps antizipiert und adressiert wird, bevor sie überhaupt erfolgt: <?page no="278"?> Epistemik 278 (360) Ein wirklich lesenswertes Büchlein, und das sage ausgerechnet ich , der ich sonst nur Taschenbuchkrimis lese. (http: / / www.geba-online.de/ forum.php? act ion=viewtree%26id=16348%26pagi_start=39%26instanz=0%26search_kat_ id=23 [decow]) Zentrale Verfestigung des Musters ist das sarkastisch als +notwendig modalisierte das musst du gerade sagen (145 Treffer, 0,009 Vorkommen pMW): 171 (361) statt sinnvoll zu antworten hast du dich ja auf das posten von links verlegt- - egal wie schwachsinnig der inhalt dahinter ist. ; -) / / „statt sinnvoll zu antworten“ Das musst du gerade sagen … (http: / / www.nickles.de/ forum/ contranepp/ 2007/ hansenetalice-leider-nicht-mehr-ganz-so-empfehlenswert-- 538278680.html [decow]) Auch die Voranstellung der fokussierenden Partikel ist möglich, aber seltener (32-Instanzen): (362) Ich bin also selbstsüchtig? Das musst gerade du sagen , denn du willst ins Finale kommen und du weißt, dass du niemals eine Chance hättest wenn wir einen richtigen Kampf gegeneinander austragen. (http: / / wrestling-fantasy.de/ hp/ 2005/ SNS14.08.05.html [decow]) Funktional verbindet sich in der zentralen Verfestigung des Musters das epistemische Merkmal mit einem disaffiliativen: S weist eine vorangegangene Positionierung Ps als unzulässig zurück. In 13 von 20 Fällen (65%) handelt es sich dabei um einen Vorwurf bzw. um eine von P formulierte Kritik (in der Regel, jedoch nicht notwendig, an S). Im Ganzen ist die Formel handlungswertig und reaktiv (zweite Sequenzposition). TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION disaffiliativ, K+ FORM TMP: prs, +MV: müssen, SUB: du, AKK: das, +MOD: gerade Formel 42: das musst du gerade sagen Funktional ähnlich, nämlich sowohl überlegenes Wissen beanspruchend als auch disaffiliativ gegenüber der Sprechinstanz der Formel, sind Bildungen mit der Verblesart ‚behaupten‘ und indefinitem Subjekt alle oder jeder (auch attributiv als sie alle, 171 Gelistet ist die Formel lediglich bei Schemann (2011, S.-687). <?page no="279"?> Formelüberblick 279 ihr alle etc.). Vordergründig sehen sie aus wie evidenzielle Verwendungen. Tatsächlich geht es in dieser Idiomatisierung aber gerade nicht darum, dass S eine bestimmte Informationsquelle benennt und sich der ihr zugeschriebenen Positionierung anschließt. Im Gegenteil wird das Behauptete als unzutreffend, wenn nicht gar als bewusst vorgeschoben dargestellt: (363) Schimmel Ach du Sch…, von wegen Lüftungsfehler- - das sagen die alle . Ich mußte auch meien Erfahrungen machen-- von einem Nachbarn hab ich dann erfahren das der Bau nicht trocken bevor die Leute u Mieter einzogen. (http: / / www.das-stuebchen-forum.de/ t2206f224-Schimmel.html [decow]) (364) Morgen Wolfgang, ich mache mir keine Mühe, ich werde bei meinen Besuchen immer förmlich von den Analogfans „vergewaltigt“. Jeder sagt immer : Bei mir ist das anders-- das mußt du hören-- da kommt kein CD Player ran blabla. Die letzten 3 Mal hatte ich dann meinen Esoteric X 03 SE im Kofferraum, da war dann nach wenigen Minuten und ner Runde Dire Straits Ruhe im Karton samt Kinnladensperre. (http: / / www.hifi-und-lebensart.de/ forum/ archive/ index. php/ t-3173.html [decow]) (365) Er betäubte zuerst die Stelle für die Spritze vor und sagte dabei „ich werde ihnen jetzt beweisen, dass sie keine Schmerzen haben müssen, weder bei der Spritze, noch beim Bohren“ „Jaja red Du nur“ dachte ich „ das sagt ihr doch alle “. (http: / / www.zahnarzt-angst-hilfe.de/ wbb3/ zahnarzt-angst/ 4341-es-reichtich-muss-was-tun [decow]) Belege ohne Objektpronomen das weisen häufig nicht die relevante Verblesart auf. Sie fungieren dann als Evidenzial und sind für den vorliegenden Bildungstyp nicht einschlägig. Erhoben wurden Varianten mit intransitiver interner Syntax daher nur in Verbindung mit habitueller Modifikation, die die ‚behaupten‘-Lesart stützt (vgl. (364)). Bei Modifikation mit immer ist auch ein unpersönliches Passiv möglich: (366) Es wird immer gesagt , in Köln sei der Leistungsdruck so groß. Ist der wirklich größer als anderswo? Ich kam damit immer gut klar. (http: / / forum.ksta.de/ archive/ index.php/ t-1018.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist das sagen sie alle mit 649 Treffern (0,04 Vorkommen pMW). Die Formel markiert Zweifel an der Aufrichtigkeit einer Äußerung, indem sie als gängige Schutzbehauptung eingestuft wird. Typische Vorlaufelemente sind ja ja und (ist) (schon) klar: (367) Eh dumme Sprüche kommen: Ja, ich habe mir die Reeperbahn angesehen. Nur! ! ! angesehen! / / Ja ne, ist klar. Das sagen sie alle . (http: / / www.whq-forum.de/ invisionboard/ lofiversion/ index.php? t18449.html [decow]) <?page no="280"?> Epistemik 280 In kontextueller Hinsicht ist festzuhalten, dass auch adaptierte Verwendungen in monologischen Zusammenhängen möglich sind (insbesondere im Zusammenhang mit wiedergegebener Rede Dritter): (368) sie hat zu mir gesagt als ich sie auf ein paar dinge aufmerksam gemacht habe ich wäre total dämlich und dass ihre Kaninchen das lieben würden auszugehen. das sagen sie alle …aber ich glaube die haben dann noch nie ein kaninchen ohne leine im garten (oder in der wohnung) spielen und rennen gesehen… (http: / / www.kaninchenforum.de/ kaninchenhaltung-allgemeines/ 15593hasenleine-ja-oder-nein.html [decow]) Mit 15 von 20 Belegen (75%) sind reaktive Verwendungen in 2. Sequenzposition aber deutlich häufiger in den Daten. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION disaffiliativ, K+ FORM TMP: prs, SUB: sie alle, AKK: das Formel 43: das sagen sie alle Auch die Formel da soll noch einer sagen markiert die Unzulässigkeit einer (hypothetischen) Fremdpositionierung. Sie bringt zum Ausdruck, dass S einen Sachverhalt A (in (369): ‚Studenten sind fleißig‘) durch das Vorliegen eines zweiten Sachverhalts B für erwiesen hält (in (369): ‚ich arbeite noch um 1.34 Uhr nachts‘). Impliziert wird das durch Delegitimierung einer gegenteiligen Behauptung -A (in (369): ‚Studenten sind faul‘) im Rahmen einer idiomatisierten Modalkonstruktion mit sollen: (369) Ach ja, es ist jetzt 1.34 Uhr nachts und ich arbeite noch immer. Da soll noch- einer sagen , Studenten seien faul! (http: / / www.atsv-kallmuenz.de/ 24kickboxen/ 80gaestebuch/ index.php [decow]) Die Wendung ist semantisch nah an der +negierten Distanzierung sag nicht (Formel 19), die ebenfalls sprecherexklusive Bildungen mit sollen einschließt (vgl. es soll keiner sagen, ich bin ein geizkragen, Kap.-4). Schließt sich S als Adressat der Äußerung mit einem zusätzlichen mir in das Szenario mit ein, schiebt sich auch hier allerdings eine epistemische Funktionskomponente gegenüber der distanzierenden in den Vordergrund. Modalisierungen sind in dieser Variante neben sollen auch mit können möglich. In Verbindung mit der Negation ergibt sich wiederum der Effekt, einer (möglichen) fremden Positionierung, die S’ eigenem Standpunkt widerspricht, die sachliche Richtigkeit und damit epistemische Berechtigung abzusprechen: <?page no="281"?> Formelüberblick 281 (370) Die Empörung beruht doch auf einer Doppelmoral! Wenn Witt im Playboy abgebildet worden wäre, würde es kein solches Theater geben, dann würde sie sogar noch etwas dafür verdienen. Es soll mir keiner sagen , dass es nicht auch Christen gibt, die sich den Playboy kaufen. (http: / / www.dailytalk.ch/ nackteauf-altar-des-koelner-doms/ ? replytocom=5652 [decow]) (371) Es kann mir keiner sagen , dass Sonne, Wind und Wasser nicht genug Energie liefern würden. Das ist bewiesen. (http: / / www.squadhouse.de/ forum- Beitraege/ Politik-6/ Krise-in-Japan-Atomausstieg-175027/ Seite-10 [decow]) Ebenfalls wie im Fall von sag nicht ist auch bei der positiv-polaren Variante mit phorischem da eine alternative Modalisierung im Rahmen des sogenannten „Heische-Modus“ möglich (vgl. Man nehme ein Pfund Mehl, Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997, S.- 610). In diesem Fall ist auch die Modifikation mit mal anstelle von noch möglich: (372) Da sag mal einer , wir wären auf dem Dorf nicht auf der Höhe der Zeit! (http: / / www.kakteenforum.de/ archive/ index.php/ t-16896.html [decow]) Die Variante mit da soll-… dagegen ist weitgehend fest. Im gesamten Korpus findet sich nur ein einziger Beleg, in dem das Vorfeld anstelle von da mit einer PP besetzt ist: (373) Mit dem Webauftritt soll noch einer sagen , dass die Klingenberger von gestern sind! Echt professionell! : -) (http: / / www.klingenberg-main.de/ bess/ stadt/ bess1.htm [decow]) Auch ingesamt ist da soll noch einer sagen mit 806 Instanzen (0,05 Vorkommen pMW) die zentrale Verfestigung dieses Bildungstyps in DECOW16B. 172 Ein wiederkehrendes Vorlaufelement ist und mit 6 von 20 Belegen (20%). 12 von 20 Belegen (60%) weisen im Bezugsausdruck eine Form von negativer Polarität oder Fokusrestriktion auf: (374) Und da soll noch einer sagen in Meschede gäbe es keine guten Bands… (http: / / www.wildwechsel.de/ musik/ platten/ platten-98.htm [decow]) (375) Und da soll noch einer sagen , wie lernten in unserem Elfenbeintürmchen nutzloses Wissen. (http: / / percanta.de/ category/ traumhaft [decow]) 172 Gelistet ist sie bei Wahrig (da soll noch einer sagen, dass diese Geschichte nicht wahr sein kann: „ich habe jetzt den Beweis, dass sie wahr ist“, Wahrig-Burfeind 2011, S.- 1259) sowie in der alternativen Modalisierung da sage noch einer bei Schemann (2011, S.-686). <?page no="282"?> Epistemik 282 (376) Da soll noch einer sagen , dass sich BNC, Rally, Aston Martin, Fiat, Mathis und Riley nur in der Sonne oder vielleicht im englischen Regen wohlfühlen. (http: / / www.ch-karle.de/ aktuelles.html [decow]) Die Ursache dafür ist in der indirekten Strategie der Formel zu suchen: Sie bekräftigt eine eigene Positionierung, indem ein damit inkompatibler Alternativstandpunkt delegitimiert wird. Der einfachste Weg, um diese rhetorisch vorgeschobene Gegenposition aufzuauen, besteht entsprechend darin, den eigenen Standpunkt schlicht zu negieren (bzw. in seiner Gültigkeit einzuschränken). Aufgrund des phorischen, auf die angeführte Evidenz zurückweisenden da im Vorfeld ist die Formel ihrem Bezugsausdruck im Komplementsatz obligatorisch vorangestellt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, disaffiliativ, K+ FORM TMP: prs, +MV: sollen, SUB: einer, +MOD: da, noch Formel 44: da soll noch einer sagen Den Status „K+“ beansprucht auch, wer eine Äußerung als leichtfertig getätigt kategorisiert-- sei es, weil sie inhaltlich schlecht fundiert ist, einen mangelhaften Adressatenzuschnitt aufweist, wohlfeil am eigentlichen Problem vorbeiformuliert ist oder in anderer Hinsicht nicht den Ansprüchen von S genügt. Oft geht es bei entsprechenden Ausdrücken um die fehlende Praktikabilität eines Vorschlags, der nicht so einfach in die Tat umgesetzt werden kann, wie es die Bezugsäußerung der Formel suggeriert. Der zweite Teil dieses Zusammenhangs ist allerdings oft nicht mitausgedrückt, konstitutives Merkmal des Musters ist allein die modale Spezifikation des sagen-Ereignisses als (unzulässig) leichtfertig und unbedarft: (377) „Die Krise als Chance“: Das ist schnell dahin gesagt , stimmt aber nur selten. (http: / / www.eb-zuerich.ch/ blog/ archive/ 2009/ 08/ 14/ eb-kurs-herbst-2009. html [decow]) (378) Ohje-- „Neuer Lüfter drauf “-- das sagst du so einfach : ) Aber schon lächerlich eigentlich das son Teil- - auch bei zugegebenermassen hoher Belastung (der-Rechner läuft ca. den ganzen Tag)-- so schnell kaputt geht. (http: / / www. versaforum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-2580.html [decow]) (379) Wenn Du mit „billiges Design“ z. B. ein WordPress.com Design von der Stange meinst: Das sagt sich natürlich leicht als Programmierer und Webdesigner, der sich schnell mal eben selbst ein originelles und raffiniertes Design erstellt. <?page no="283"?> Formelüberblick 283 Für alle anderen ist das schon etwas schwieriger. (http: / / www.blogprojekt. de/ 2009/ 04/ 20/ blog-start/ so-vermeidest-du-die-15-haeufigsten-fehler-vonblog-anfaengern [decow]) Das Adverbial kann auch entfallen, die fragliche Bedeutung wird aber weiter mitverstanden: (380) Probiers doch einfach aus! 01.09.2008, 21: 31: 38 / / hehe… das sagst du so …hab zur zeit noch ein paar hemmungen einfach mal drauf los zu schrauben … (http: / / forum.gs-500.de/ archive/ index.php/ t-17122.html [decow]) Sprechinstanz ist in der Regel P, es gibt jedoch auch kontextadaptierte Varianten. In solchen Verwendungen antizipiert S einen entsprechenden Einwand, der gegen einen eigenen Vorschlag formuliert werden könnte. Sie werden häufig begleitet von sowohl wissensanzeigendem als auch affiliativ-empathischem ich weiß, das diesem Einwand vorzugreifen sucht: (381) Mach dich nicht verrückt. Sowas ist immer leicht gesagt , ich weiß. (http: / / www.tierfreunde.de/ forum/ lofiversion/ index.php/ t3027.html [decow]) (382) Komme erstmal zur Ruhe (ich weiß, leichter gesagt als getan ) und dann schau weiter. (http: / / retriever-pfotenfreunde.de/ archive/ index.php/ t-11161. html [decow]) (383) Hey Angela, ich kenn das…bleib ruhig, wenn Du Dich darüber aufregst, wird es- auch nicht besser. Jaaaa, ich weiß, das sagt sich so leicht , ich verstehe Dich- wirklich. (http: / / www.heimtier-portal.de/ archive/ index.php/ t-731. html [decow]) Die Formel ist in verschiedenen Varianten sowohl im Duden, bei Wahrig, im VALBU und bei Schemann gelistet. Zentrale Verfestigung ist (das ist) leichter gesagt als getan. Zählt man syntaktisch vollrealisierte Instanzen mit Subjekt und Finitum sowie das elliptische leichter gesagt als getan zusammen, erreicht sie eine Häufigkeit von 3006 Treffern (0,19 Vorkommen pMW). Den größeren Anteil daran hat die elliptische Realisierung, die für sich genommen auf 1.707 Belege kommt (0,11 Vorkommen pMW). Anders als in (382) wird sie in den Daten mehrheitlich (12 von 20 Fällen, 60%) nicht in Bezug auf eigene Positionierungen verwendet. Die sprecherexklusiven Fälle verweisen in der Regel allerdings auch nicht auf eine vorangegangene Äußerung Ps, sondern auf eine wiedergegebene Äußerung Dritter oder ein zitiertes Sprichwort (oder ähnliche Routineformel): (384) Wie man sich bettet, so liegt man. Leichter gesagt als getan . Denn beim Bettenkauf steht man vor der Qual: Federkernbett, Latex- oder Schaumstoffmatratzen, Wasserbett und der so genannte Systembereich- - eine Kombination aus <?page no="284"?> Epistemik 284 Matratze und passendem Lattenrost. (http: / / www.lifeline.de/ llspecial/ arbeit_ leben/ gesund_wohnen/ content-128734.html [decow]) Die Formel ist handlungswertig. Kontextuell dominiert der Gebrauch in erster Sequenzposition (ohne reaktiven Bezug auf P). TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 1. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, disaffiliativ, K+ FORM DIA: s-pass, SUB: das, +MOD: leichter als getan Formel 45: (das ist) leichter gesagt als getan Zweifel am Vorliegen eines Sachverhalts meldet die Formel wer sagt denn + dass- Satz an. Da sie allerdings auch nicht direkt überlegenes eigenes Wissen beansprucht, wird sie erst in Abschnitt- 6.2.3 diskutiert. In den Bereich „K+“ gehört jedoch die davon abgeleitete Weiteridiomatisierung (na) wer sagt’s denn, die als +exklamativ zu werten ist: (385) Sonntagmorgen war Frühstücken und danach Großreinemachen angesagt. Und wer sagt es denn , auch Männer können das. Zugegeben, die Ecken waren vielleicht (wegen der größeren Hände) nicht so sauber ; -) (http: / / www.tvzunsweier. de/ jahresbericht2005_01.htm [decow]) Die Formel ist fest und in DECOW16B mit 380 Treffern belegt (0,02 Vorkommen pMW). Sie wird benutzt, um auszudrücken, dass eine ungünstige Prognose (das Gesagte) nicht so eingetreten ist, wie P oder Dritte es erwartet hatten-- S jedoch nicht („K+“). 173 Formuliert wird die rhetorische Frage, wer diese Prognose nun, da das thematisierte Ereignis offenkundig einen anderen Ausgang genommen hat, noch vertreten möchte. Der positive Ausgang des Geschehens wird in der Regel in der direkt anschließenden TCU formuliert: (386) Wer sagt es denn -- der FC Eldagsen hat das Siegen noch nicht verlernt. (http: / / www.fceldagsen.de/ august-2009.html [decow]) Außerhalb der 20 ausgewerteten Belege finden sich in den Daten auch handlungswertige und damit potenziell freistehende Verwendungen, mit denen S Affiliation und Empathie mit P bekundet: 173 Der Ausdruck ist gelistet im Duden und bei Schemann. Der Duden gibt als Bedeutungsparaphrase an: „na bitte, ich habe es doch gewusst“. <?page no="285"?> Formelüberblick 285 (387) Huhu Usch, na wer sagt es denn , freu mich riesig das es euch allen wieder- besser geht Deine Beiden sind echt zum knuddeln Liebe Grüße Beate (http: / / www.behinderte-hunde-forum.de/ archive/ index.php/ t-699-p-3.html [decow]) In den exemplarisch ausgewerteten 20 Belegen fand sich jedoch kein einziges Beispiel dieser Art. Ein gängiges Vorlaufelement in der Stichprobe ist na (also/ bitte) mit sechs von 20 Belegen (30%). Dass vor dem positiven Ausgang des Geschehens eine anderslautende Erwartung bestand, wird in mehreren Belegen (vier von 20, 20%) durch die Modalpartikel doch im Skopusausdruck signalisiert: (388) TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORR! na, wer sagt es denn , geht doch! ! ! (http: / / quo-vadis-nak.foren-city.de/ topic,1807,4140,-caf.html [decow]) Vermutlich handelt es sich bei dem Ausdruck um eine Abspaltung von der eingangs erwähnten baugleichen Formel mit Komplementsatz, wer sagt denn + dass-Satz. Letztere kann noch als echte Frage gelesen werden, da die betreffende Angelegenheit nicht abschließend geklärt ist. Im stärker idiomatisierten wer sagt’s denn, das nicht mehr als tatsächliche Frage aufgefasst werden kann, hat sich dieser Zweifel nun in Gewissheit verwandelt, da die betreffende Einschätzung widerlegt ist. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION affiliativ, K+ FORM (+VL: na) TMP: prs, SM: exkl, +MPT: denn, SUB: wer, AKK: ’s Formel 46: (na) wer sagt’s denn Idiomatische Bildungen mit unbelebten Subjektreferenten verschieben die Lesart des Verbs zu ‚als Schluss zulassen, besagen‘ (Duden 2001, S.-1341) bzw. ‚verraten‘. 174 Sie haben mithin epistemische Bedeutung (vgl. (389)), sind aber abgesehen von einigen je individuell konventionalisierten Idiomen wie den Ausdrücken in (390) und (391) nicht verfestigt: 175 174 VALBU (Schumacher et al. 2004, S.-610) setzt als Lesart ‚bei jemandem etwas bewirken‘ an, mit „etwas“ als „Sachverhalt [als Erkenntnis]“. 175 Mögliche Subjektausdrücke sind neben dem gesunden Menschenverstand noch ein paar weitere wie etwa das Bauchgefühl, die Intuition oder das Herz. Der Duden wertet das dort angeführte Beispiel das sagt mir mein Gefühl, Verstand als übertragene Verwendung („Ü“) der dort angesetzten Lesart 2.b, „mündlich zu verstehen geben, mitteilen“ (Duden 2001, S.-1341). Dieselben Subjektausdrücke treten auch in dem Wahrig-Beispiel mein Gefühl sagt mir dieses und mein Verstand jenes auf (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). <?page no="286"?> Epistemik 286 (389) Oder das Wort „sanctus“. Hier ist das s am Anfang ein stimmloses („scharfes“) s und das a ist lang. Das sagt ein einfacher Blick ins Lexikon . (http: / / www. tamino-klassikforum.at/ index.php? page=Thread%26threadID=4707%26page No=1%26s=f305e7af6bb50f0454a6d9be29038b1a2b3fc638 [decow]) (390) Als Feuerwehrmann kann ich nur sagen, das Feuerwehr- und Notfallzufahrten absolut tabu sein sollten! Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand , oder? ! (http: / / www.radarforum.de/ forum/ lofiversion/ index. php/ t3501.html [decow]) (391) Mit einem Beatcounter kannst du, wie der Name schon sagt , die ‚Beats per Minute (BPM)‘ eines Tracks herausfinden. (http: / / www.jam-music.de/ / module- Seiten-viewpub-tid-4-pid-1.html [decow]) Eine Ausnahme ist das Bildungsmuster mit Subjekt das und einem Indefinitpronomen als Objekt: (392) Ich sehe den Bass als wichtigstes Bindeglied zwischen reiner Percussion und allem was sonst so Töne machen kann. Es gibt doch kaum Songs ohne Bass. Ich finde, das sagt schon alles . Bass ist aus der Musik nicht wegzudenken (http: / / www.planet-guitar.de/ magazin/ Richter/ index.html [decow]) (393) Und sie gab mir Tipps, wie ich mir einen neuen Mann aussuchen soll! Hallo, sie ist seine Mutter! Aber ich glaub, das sagt vieles ! (http: / / forum.gofeminin.de/ forum/ separation/ __f3763_separation-4-Wochen-seit-der-Trennung-nach- 28-Jahren-vergangen.html [decow]) (394) Mir ist vollkommen egal, was du gelesen hast. Das sagt rein gar nichts . Hast du’s auch verstanden? (http: / / startrek-forum.doena-soft.de/ forum/ archive/ index.php/ t-4889.html [decow]) Die Ausdrücke in (392) bis (394) sind evidenziell: Der mit dem Subjektpronomen aufgegriffene Sachverhalt wird auf seine Tauglichkeit als Evidenz für einen bestimmten Sachverhalt beurteilt. Die Art des Indefinitpronomens-- mit anderen Worten also die Frage, ob der betreffende Sachverhalt nach Einschätzung von S etwas, alles oder nichts (be)sagt-- ist unerheblich für den Status der Formel als Wissensanzeige und somit ihre Einordnung in den Bereich „K+“: Herausgestellt wird in allen Fällen die Beurteilungskompetenz von S, der den betreffenden Sachverhalt kundig als mehr oder minder aussagekräftig einstuft und weiß, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind (und welche nicht). Als Modalisierung tritt insbesondere das haben-Modalprädikat auf, selten auch müssen. Beide sind auf negativ polare Umgebungen mit Objekt nichts beschränkt. Die Tatsache, dass gelegentlich auch Dopplungen auftreten, ist ein Hinweis auf die Lexikalisierung der Periphrase [<Etwas> hat nichts zu sagen] ‚ohne Bedeutung sein‘ <?page no="287"?> Formelüberblick 287 (Duden 2001, S.-1341), 176 die in Belegen wie (397) mit dem zusätzlichen müssen epistemisch modalisiert wird: (395) Meine Frau und ich machen uns große Sorgen, ob sie vielleicht Epilepsie hat. Der Kinderarzt meint nur, das hat nichts zu sagen und „wächst sich aus“. (http: / / forum.curado.de/ hat-unsere-tochter-epilepsie-t613.html [decow]) (396) 1)- kein Problem 2)- ob die SG- 91 was taugen, weiß ich nicht (die verwandten SG- 90 und HXT 9 xxx jedenfalls stehen in keinem guten Ruf aber das muss nichts sagen )-- der Gyro ist 1.- Sahne (http: / / www.3d-heliforum.de/ archive/ index.php/ t-5894.html [decow]) (397) Hallo Manu, das muss nichts zu sagen haben , meine haben das auch schon gemacht. http: / / www.flugbeutler.de/ t506011f11753678-Lautes-quietschen. html Marginal ist auch wollen möglich, das sich jedoch viel typischer mit heißen verbindet (dann allerdings auch mit positiver Polarität): 177 (398) Wenn ich mich richtig erinnere, ist Yoshi teilweise sogar noch beliebter als Mario! Und das will schon was sagen . Also Yoshi ist mein absoluter Lieblingscharakter in der Videospiel-Welt. (http: / / www.spielerboard.de/ marioco/ 329101-wer-mag-yoshi-2.html [decow]) Ebenfalls hierher gehört das syntaktisch interrogative, pragmatisch aber lediglich +epistemische was sagt das schon: Die Formel kann nicht als tatsächliche Frage aufgefasst werden, 178 sondern dient lediglich als metonymischer Verweis auf die von S implizierte Antwort (‚das sagt nichts‘). 179 Marginal ist auch hier eine Variante mit sollen belegt (zwei Belege im gesamten Korpus): (399) Tradition, was sagt das schon ! ? Heutzutage wird nur auf ’s Geld geschaut, so leid es mir tut-- spätestens wenn Neuer nach Bayern wechselt errinere ich dich wieder… (http: / / forum.torwart.de/ de/ archive/ index.php/ t-57746-p-3.html [decow]) 176 Das Wahrig-Wörterbuch gibt die Bedeutung der Wendung an mit „ist unwichtig, ändert nichts an dieser Sache“ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). 177 Das Wahrig-Wörterbuch führt auch diese Verwendung mit eigener Bedeutungsangabe an („Ausdruck der Anerkennung“, Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). 178 Zumeist keine tatsächliche, an P gerichtete Frage stellt auch die Variante was sagt uns das dar, in der sich die Beanspruchung von „K+“ mit der Projektion eines direkt anschließenden Fazit verbindet, in dem sich S die Antwort auf seine Frage selber gibt. 179 Sowohl +volitiv als auch +interrogativ ist das Wahrig-Beispiel was will das sagen, dessen Bedeutung mit „was hat das zu bedeuten? “ angegeben wird. Hier ist die Frage allerdings eine tatsächliche, d. h. es wird nicht impliziert, dass der mit das aufgegriffene Sachverhalt nach Auffassung von S im gegebenen Kontext irrelevant ist. <?page no="288"?> Epistemik 288 (400) Möglich wäre auch, dass Bianchini eine ältere Zeichnung verwendet hat. / / „Möglich“: Ja. Aber, was soll das schon sagen ! Geschichtliche Hypothesen beruhen nicht auf der Frage nach dem, was möglich ist, sondern nach dem, was wahrscheinlich und plausibel ist. (http: / / www.fantomzeit.de/ ? page_id=239/ kalender/ 532/ page-5 [decow]) In seinen diversen Spielarten ist dieses Bildungsmuster nicht nur eines der wenigen, die in allen fünf Wörterbüchern genannt sind (Duden, Wahrig, VALBU, Schemann, Röhrich), sondern es kommt dort mit insgesamt 17 separaten Anführungen über alle Quellen hinweg auch auf die meisten gelisteten Varianten. Zentrale Verfestigung in DECOW16B ist das sagt alles mit 2.207 Belegen (0,14 Vorkommen pMW). Der Ausdruck zeigt eine gewisse Ambivalenz: Einerseits wird behauptet, der mit das aufgegriffene Sachverhalt (be)sage alles, was nötig ist, um eine bestimmte Schlussfolgerung daraus zu ziehen und sei insofern klare Evidenz für diese Folgerung. Andererseits bleibt die Schlussfolgerung selbst-- also was es konkret ist, das besagt wird- - unausgesprochen und muss von P inferiert werden. Die damit gegebene Restunsicherheit, ob P auch tatsächlich denselben Schluss aus der vermeintlich besonders bedeutsamen Evidenz zieht wie S, ist vielleicht auch der Grund für die ansonsten überraschende Beobachtung, dass die auf den positiven Extremwert alles zugespitzte Formulierung nicht selten (6 von 20 Belegen, 30%) von den abschwächenden Stancemarkern ich denke bzw. ich glaube gerahmt wird: (401) Als ich die Hauptspeise beinahe aufgegessen hatte, kam mir der Gedanke: „Schade, dass es schon vorbei ist.“ Ich denke, das sagt alles . Vielen Dank für einen schönen Abend und auf viele weitere schöne Besuche. (http: / / www.hotelstralsund-scheelehof.de/ gastronomie/ zum-scheel.html [decow]) (402) der kommt von weit weg und kennt sich nicht aus wo was ist für den ist auch die horscheimer eisenbahn brücke die pfaffendorfer ich glaube das sagt alles (http: / / www.anglerboard.de/ board/ archive/ index.php? t-112642-p-15.html [decow]) Angezeigt wird in solchen Kombinationen somit einerseits, dass S sich subjektiv sicher ist, andererseits jedoch nicht für P sprechen kann, dem aber nahegelegt wird, die angeführte Evidenz ebenfalls als besonders bedeutsam zu betrachten. Möglich sind auch freistehende Responsivverwendungen, in denen das Subjekt das auf eine Äußerung Ps zurückweist. In den ausgewerteten Belegen finden sich jedoch nur Verwendungen in monologischen Kontexten (bzw. mit Bezug auf ein von S selbst produziertes Antezedens). <?page no="289"?> Formelüberblick 289 TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 1. Sequenzposition FUNKTION involvierend, K+ FORM TMP: prs, SUB: das, AKK: alles Formel 47: das sagt alles 6.2.2 K- Formeln im Bereich „K-“ können sich in unterschiedlicher Weise auf die eingangs unterschiedenen Dimensionen beziehen. Wo sie eingesetzt werden, um eine klare Festlegung zu vermeiden, ob ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und wie er exakt beschaffen ist, zeigen sie unsicheres oder ungenaues Wissen an. Alternativ können sie auch dazu dienen, eine getroffene Einschätzung als Veranschlagung anderer darzustellen, die unter diesem Vorzeichen ins Gespräch eingebracht werden kann, ohne dass persönliche Verantwortung dafür übernommen werden muss. In beiden Fällen wird keine eigene Einschätzung gegeben, die als autoritativ oder im Vergleich zum Wissen Ps oder Dritter überlegen dargestellt wird, sondern im Gegenteil ein Vorbehalt im Zusammenhang mit der betreffenden Veranschlagung markiert. In (selbst-)positionierender Hinsicht sind diese Formeln distanzierend, in epistemischer Hinsicht zeigen sie fehlendes oder vergleichsweise unterlegenes Wissen an. Des Weiteren können Formeln dieses Bereichs auch fehlende epistemische Präzedenz markieren. In diesen Fällen wird angezeigt, dass das betreffende eigene Wissen nicht bevorrechtigt ist (d. h. sich nicht auf einen Gegenstand im eigenen „territory of information“ bezieht, vgl. Kap.-3). In diese Rubrik fallen zum einen mirative Ausdrücke, die S’ Erstaunen über einen Sachverhalt betonen: Indem sie etwas als unerwartet markieren, zeigen sie an, dass es zuvor kein relevantes präexistentes Wissen gab, das eine entsprechende Antizipation ermöglicht hätte. Zum anderen umfasst die Kategorie auch alle Formeln, durch die explizit P (oder Dritten) ein temporaler oder sozialer epistemischer Vorrang zuerkannt wird, ohne dass sie im selben Zug ein „Gleichziehen“ („K=“) von S markieren. Allen Formeln des Bereichs „K-“ ist gemein, dass sie S’ eigene epistemische Position in einer bestimmten Angelegenheit (und/ oder deren Formulierung) als nicht-autoritativ markieren. Overt sprecherdeiktische Formeln sind im Bereich „K-“ noch ungebräuchlicher als in der Kategorie „K+“: Hier gibt es nur einen einzigen entsprechenden Bildungstyp. Er veranschaulicht die enge metonymische Verbindung zwischen sagen und wissen in Form der konventionalisierten Bedeutung ‚nicht wissen‘ von (etwas) nicht sagen können. Während Bildungen mit dass-Komplementsatz die Lesart ‚behaupten‘ aufweisen und positionierende Funktion haben (auch unter Negation: man kann (nicht) <?page no="290"?> Epistemik 290 sagen, dass- …, vgl. Kap.- 4), sind Varianten mit Objektpronomen, ob- und w-Satz epistemisch: 180 (403) Allerdings kam diesmal nach seiner „Arbeit“ ein Mitarbeiter des Casinos (vielleicht der Saalchef, ich kann es nicht sagen ) und fragte den Herrn wie lange er diesmal noch zu Spielen gedenke. (http: / / www.roulette-forum.de/ topic/ 573roulette-millionaere-es-gibt-sie-wirklich [decow]) (404) Informieren sich die Kunden offline und kaufen online? / / Das kann ich nicht sagen , da wir hier keine gesicherten Umfragedaten haben. (http: / / www.joggenonline.de/ blog/ interview-mit-runners-point.html [decow]) (405) Kinder habe ich noch keine, also kann es ja auch sein, dass ich meine Meinung-ändere, sobald ich Vater bin, wer weiß? Ich kann nicht sagen , wie ich in 5 Jahren darüber denke. (http: / / www.das-gothic-forum.de/ archive/ index. php/ t-2074.html [decow]) (406) Hi Tipsy, ich kann nicht sagen , ob ich lieber sterben möchte oder 15 jahre im wachkoma liegen, da ich diese situation mir nicht ausmalen kann. (http: / / www. ms-gateway.de/ scripts/ pages/ 592.php [decow]) Anstelle der Negation mit nicht kann auch eine modale Modifikation mit schwer gewählt werden, die vor allem in Verbindung mit den diathetischen Ersatzformen von können gebräuchlich ist: 181 (407) Er kann sich nicht mehr verständlich äußern und wir sind auch nicht sicher, ob er manchmal noch klar da ist oder nicht, das läßt sich schwer sagen . (http: / / www.med1.de/ Forum/ Pflege/ 509676 [decow]) (408) China Tours Magazin: Du selbst hast auch nicht wenige Tattoos. Weißt du noch wie viele es sind? Ting: Das ist schwer zu sagen . Ich zähle sie nicht. (http: / / blog.chinatours.de/ 2011/ 04/ 27/ tischgesprach-10-kunstler-haben-sich-aufmeiner-haut-verewigt [decow]) Der Subjektreferent ist belebt, ansonsten aber beliebig, und auch das Tempus ist nicht festgelegt auf Präsens (allerdings auch nicht komplett frei wählbar). Die damit vergleichsweise freie deiktische Verschiebbarkeit der Verwendung deutet in Rich- 180 Letztere haben allerdings auch eine gradmodifizierende Lesart-- vgl. ich kann dir gar nicht nicht sagen, wie leid es mir tut. Dort wird die Formel dann wieder bekräftigend gelesen (‚es tut mir außerordentlich leid‘, vgl. Formel-8, Kap.-4). 181 Diese Variante hat auch antonymische Entsprechungen mit Modifikatoren wie schnell (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259), vgl. Jetzt kann man sich fragen, warum man nicht beim Methadon bleibt. Das ist schnell gesagt. Methadon wird von einigen personen nicht vertragen. (http: / / www.hard-poison. de/ 2010/ 03/ heroin-jetzt-auf-rezept [decow]) <?page no="291"?> Formelüberblick 291 tung einer generalisierten Verblesart, die aber wie erwähnt an eine bestimmte Polarität und Argumentstruktur gebunden ist: 182 (409) An der Haltestelle Unionstraße stehen zwei einzelne Straßenbahnwagen Richtung Marten, da die Verbindung zur Haltestelle Heinrichstraße derzeit durch die Polizei unterbrochen ist. Die Fahrer können auch nicht sagen , wann sie weiterfahren dürfen. (http: / / www.mein-dortmund.de/ 01-mai-2007. html [decow]) (410) Wie viele Kunden betroffen sind und wann die Störungen behoben sein werden, konnte er nicht sagen . (http: / / www.mobil-treff.de/ t852f31-Stoerungen-im- VF-Netz-1.html [decow]) (411) Hallo Dieter, danke für Deine Informationen und Hilfe! Weisst Du, ich werde versuchen mir für die Zukunft nicht mehr so viele Gedanken zu machen und positiv zu denken. Keiner wird sagen können , wo ich mir das eingefangen habe, was mir Angst macht. (http: / / www.dispo.de/ forum/ read.php? 4,8,page=7 [decow]) Eine weitere Alternative zu deklarativem <Jemand> kann sagen + nicht ist interrogatives wer kann sagen + schon, mit dem ebenfalls epistemische Ungewissheit markiert wird: (412) Aber ich leg mich da nicht fest. Es gibt da so einige Geschichten in der Hinsicht… ob was dran ist oder nicht. Wer kann das schon sagen wenn’s keine echten- Beweise gibt dafür sowie dagegen. (http: / / www.daemonenforum.de/ warjesus-ein-mensch-oder-gott-t5720-50.html [decow]) (413) Wer kann schon sagen , ob Napoleon wirklich in Ägypten war? (http: / / www. civforum.de/ archive/ index.php/ t-65177-p-2.html [decow]) (414) Aber das steht alles in den Sternen, wer kann schon sagen was bis dahin alles passiert? (http: / / missgemini.movingprimates.de/ inconspicouslife/ Running/ 24Stundenmai2004.html [decow]) 182 Im Duden und im VALBU ist eine mit nicht sagen können verknüpfte Lesart ‚nicht wissen‘ allerdings nicht verzeichnet. Etwas unklar ist die Einschätzung bei Wahrig. Eine eigenständige Lesart „nicht wissen“ wird zwar nicht angesetzt, unter anderem aber das (unkommentierte) Verwendungsbeispiel Wirst du bis morgen damit fertig? Das kann ich noch nicht sagen genannt. Für das an späterer Stelle im Eintrag angeführte Beispiel es ist nicht zu sagen, ob- … wird allerdings die Paraphrase „es ist nicht endeutig bestimm-, feststellbar“ gegeben, sowie für wer kann sagen, was die Zukunft uns bringen wird die Bedeutung „niemand weiß, was-…“ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). Beide Paraphrasen sind klar epistemisch. <?page no="292"?> Epistemik 292 Dass das Nicht-sagen-Können keine anderen Ursachen hat als S’ fehlendes sicheres und genaues Wissen (wie etwa mangelnde Bereitschaft), bringen auch die typischen Modifikatoren dieses Bildungstyps zum Ausdruck: (415) Ob ich in 5 oder 10 Jahren noch das gleiche machen möchte kann ich beim-besten Willen nicht sagen . (http: / / www.janasworld.de/ 2011/ 02/ 25/ traumberuf-kinderbuch-illustratorin [decow]) (416) Ob man nun zumindest einen Teil des Schadens hätte abwenden können…, wer kann das schon mit Sicherheit sagen ? (http: / / www.vogelforen.de/ archive/ index.php/ t-99510.html [decow]) (417) Ich muss aber fairerweise dazu sagen, dass ich überwiegend mit Negativ fotografiere. Was bei 13x18 wohl noch scharf ist, könnte sich bei einem präsentierten- Dia schon als Unschärfe darstellen. Das kann ich leider nicht genau sagen. Gruß Sven (http: / / www.hobbyphoto-forum.de/ t161f35-Sigma-DL- Hyperzoom-mm-asph-IF.html [decow]) (418) Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen , es ist nur so ein Gefühl. (http: / / www.rocktimes.de/ gesamt/ g/ green_like_july/ four_legged_fortune.html [decow]) In den Wörterbüchern wird der Bildungstyp bei Wahrig und Schemann genannt (jeweils in mehreren Varianten). Zentrale Verfestigung in unserem Untersuchungskorpus ist das ist schwer zu sagen mit 2.411 Treffern (0,15 Vorkommen pMW). Seine typische Verwendung ist responsiv (19 von 20 Belegen, 95%). Belege in DECOW16B finden sich häufig in Interviews und Q&A-Sektionen: (419) Der Olivenbaum bekommt gelbe Blätter mit einem schwarzen Fleck in der Mitte. Hat er eine Krankheit? Vielen Dank KS von einer Kundin oder einen Kunden aus Berlin, 4. Juli 2013 / / Das ist schwer zu sagen . Es kann sich um einen Mangel,- einen Pilz oder einen Stressschaden handeln. (http: / / www.baumschulehorstmann.de/ shop/ exec/ product/ 702/ 17005/ Olivenbaum.html [decow]) Die Formel ist handlungswertig und erscheint in der Regel beitragsinitial in zweiter Sequenzposition. Wir sprechen auch hier von einer „Wissensanzeige“-- nur eben einer, die das betreffende Wissen als unsicher und/ oder unzureichend ausweist („K-“). <?page no="293"?> Formelüberblick 293 TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, K- FORM +MPR: sein, SUB: das, +MOD: schwer Formel 48: das ist schwer zu sagen Nur implizit sprecherdeiktisch sind subjektlose Partizipialkonstruktionen des +modalen Typs [<irgendwie> gesagt]. Die wenigen Bildungen dieser Art, die schwerpunktmäßig epistemische Funktion haben, dienen als Vagheitsmarkierung und sind daher dem Bereich „K-“ zuzuordnen. Sie signalisieren, „daß die Aussage bei Anlegung strenger Maßstäbe nicht ganz richtig ist, d. h. ein Wahrheitsanspruch wird nur unter Vernachlässigung bestimmter relevanter Momente erhoben“ (Niehüser 1987, S.-41): (420) Die Ansage zu Beginn des Gespräches sagte dann aber etwas völlig anderes: 8,6- ct/ min! ! ! Das sind grob gesagt 1000 Prozent Aufschlag. (http: / / forum. billiger-telefonieren.de/ telefonieren-ins-ausland-telefonieren-aus-demausland/ 180-abweichung-zwischen-bt-tarifangabe-und-ansage-print.html [decow]) (421) Übrigens: „Die Theorie der großen Abweichung (Large Deviations) beschreibt-- sehr allgemein gesagt - - die Konvergenzgeschwindigkeit im schwachen Gesetz-der großem Zahl. […]“ (http: / / www.heinerfrost.de/ reportagen/ stochastik. html [decow]) (422) Ich kann Walimex nur empfehlen, Du bekommst 50-95% der Qualität von Marken-Kram für 5-50% des Preises-- mal ganz pauschal gesagt . (http: / / www. mi-fo.de/ forum/ lofiversion/ index.php/ t15725.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist grob gesagt mit 10.584 Treffern (0,67 Vorkommen pMW). Die Formel kann voran-, aber auch nachgestellt werden: (423) Was Daremo meint ist das Japanisch (! ) vor der Heian-Zeit. Sprich, alles nach- dem Proto-Japanischen bis zum Ende der Nara-Zeit, grob gesagt von- 630- bis 800 oder so. (http: / / www.japanisch-netzwerk.de/ archive/ index. php? thread-1965.html [decow]) (424) Oder sie geht konform mit der Meinung, gesellschaftliche Aufklärung müsse- von einer bestimmten Position aus betrieben werden- - das Mankell-Modell,- grob gesagt . (http: / / www.kaliber38.de/ woertche/ einzelteile/ komik.htm [decow]) <?page no="294"?> Epistemik 294 Klar dominant ist die Voranstellung mit 18 von 20 Belegen (90%). TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, K- FORM ST: prt, +MOD: grob Formel 49: grob gesagt Lediglich +sprecherinklusiv sind evidenzielle Formeln, mit denen S einerseits die persönliche epistemische Verantwortung für das Gesagte bestreitet, sich der kolportierten Positionierung aber dennoch anschließt, indem sie als mutmaßlich zutreffend wiedergegeben wird. Das erste Argument von sagen hat dabei entweder generisch-vage Referenz oder bleibt ungenannt: (425) Man sagt , Ibsen sei nach Shakespeare der am meisten gespielte Dramatiker. (http: / / www.sign4sale.de/ pages/ vzu9.html [decow]) (426) PS: ja, auch hinter der Pharma-Industrie steckt ein großes System (weil Du ja auch kurz das Thema Impfschäden angerissen hattest) Es wird ja gesagt , dass hinter der Pharmaindustrie die grösste Lobby weltweit steckt! LG lg Susa (http: / / www.dogforum.de/ trockenfutter-hausgemachter-krankmacher-t140054. html [decow]) (427) Ich habe mir sagen lassen du lagst schon mal leicht daneben mit deiner Prognose. (http: / / armed-assault.de/ news/ zwei-weitere-previews-aus-prag.html [decow]) (428) Jetzt weiß ich was ich in der Liste vergessen habe: Ale. Aber ist das überhaupt Bier? Ich hab schon Leute sagen hören , das wäre kein Bier (warum auch immer). (http: / / www.antitux.de/ archive/ index.php/ t-3076.html [decow]) Hinzutreten kann modaldeiktisches so, das in redekommentierenden Verwendungen wie (429) dazu dient, „direkte Zitate in ihrem ursprünglichen Äußerungskontext [zu] situieren“ (Pittner 1993, S.-319): (429) „Schaffe, schaffe, Häusle baue! “ Dieser Satz, so sagt man , drückt die bürgerliche Schwabenmentalität am besten aus. (http: / / www.emietwagen.de/ Worldwide/ TravelInfo/ Deutschland/ Stuttgart [decow]) Möglich ist auch das kommentierende Gegenstück mit wie, bei dem es sich um das inhaltsbezogene Pendant zu Ausdruckskommentaren des Typs wie man so schön <?page no="295"?> Formelüberblick 295 sagt handelt (vgl. Formel-3, Kap.-4). Mit der epistemischen Verwendung in (430) wird nicht auf eine bestimmte Redeweise verwiesen, sondern auf den evidenziellen Status der bezeichneten Information (‚bekannt vom Hörensagen‘): (430) Bei den näheren Sarmaten, gibt es, wie man sagt , eine von Trajan zurückgelassene Kolonie. (http: / / www.rumaenische-schule-berlin.de/ Iliescu/ Maria- Iliescu.htm [decow]) Zentrale Verfestigung ist allerdings die Matrixsatzverwendung man sagt mit 15.785 Belegen (1,01 Vorkommen pMW). Von den Wörterbüchern listet sie nur Wahrig. 183 (431) Also wenn ich das so lese dann darf ich über meinen Freund gar nicht meckern… Denn er ist sehr ordentlich (kommt aus Meck-Pom, man sagt da sind die Männer alle so…), er putzt freiwillig, bringt den Müll runter, kocht und stellt die Spülmaschine an (http: / / www.simforum.de/ archive/ index.php/ t-120615-p-8. html [decow]) Sie ist in unserer Begrifflichkeit als vorangestellter evidenzieller Operator zu werten, der durch die Übertragung der epistemischen Verantwortung für das Gesagte zugleich als Distanzierung fungiert. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, K- FORM TMP: prs, SUB: man Formel 50: man sagt Sprecherinklusiv und +exklamativ ist der Erstaunen signalisierende Ausdruck was sagt man dazu. Neben man kann auch nicht-adressatendeiktisches du als Subjekt auftreten. Modifizierbar ist die Formel mit der Modalpartikel denn: (432) Nachdem ich vor 5 Monaten dachte wir hätten nun alle Marmorkrebse aus dem Piribecken (540l) rausgefischt, taucht heute ein Exemplar von ca 6-7-cm Größe vor mir im Becken auf. Was sagt man dazu ! (http: / / www.aquariumstammtisch.de/ Forum/ archive/ index.php/ t-3269.html [decow]) 183 Aufgeführt wird dort zudem die Variante ich habe mir sagen lassen („ich habe erfahren, dass“, Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259), die auch im Duden (paraphrasiert mit „man hat mir erzählt“, Duden 2001, S.-1341) sowie bei Schemann gelistet ist. <?page no="296"?> Epistemik 296 (433) So, wenn er erzählt, dass die Ufa während der Rheinland-Besetzung regelmäßig in der von den Franzosen herausgegebenen ›Rheinischen Rundschau‹ inseriert-habe, während die andern deutschen Firmen das Blatt boykottierten-- heiliger Klitzsch, was sagst du dazu ! (http: / / www.textlog.de/ tucholsky-traum fabrik-films.html [decow]) (434) : rosen: : rosen: : rosen: Ja, was sagt man denn dazu ! Ein extra Thread Lobeshymnen für mich-- und das zu Weihnachten : danke: Besser kann das alte Jahr gar nicht enden! (http: / / www.vwcorrado.de/ forum/ archive/ index.php/ t-101864.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist die Variante mit man und ohne denn, was sagt man dazu (34 Belege, 0,002 Vorkommen pMW). Die Formel ist handlungswertig, verweist mit dem Pronominaladverb dazu aber dennoch auf einen zugehörigen Sachverhalt, auf den die epistemische Qualifikation der Formel zu beziehen ist. Die vollzogene Handlung selbst bezeichnen wir als „Erwartungsanzeige“-- auch wenn diese Anzeige hier natürlich negativer Art ist, bzw. eben gerade die Unerwartetheit eines Sachverhalts markiert wird. In manchen Belegen mischen sich auch evaluativ-positionierende Aspekte in die Interpretation der Formel, die dann Entrüstung anzeigt: (435) Stell Dir vor, an der Bodybutter ist der Schutzteil total angekickt, als wäre er schon mal gehoben worden. Und REINGELANGT wurde auch! Was sagt man dazu ! 21.10.2009 , 13: 57 (http: / / beautyjunkies.inbeauty.de/ forum/ archive/ index.php/ t-23192-p-380.html [decow]) Mit nur zwei klar wertenden Belegen (10%) ist das allerdings kein typisches Gebrauchsmerkmal der Formel in den ausgewerteten Belegen. Üblich ist eine vorangehende Formulierung des mirativen Sachverhalts durch S selbst, d. h. der Kommentar bezieht sich auf eine eigene Äußerung in derselben Sequenzposition (der ersten). Das distanzierende Funktionsmerkmal bezieht sich nicht auf den mirativen, mit dazu aufgegriffenen Sachverhalt, sondern auf dasjenige, was dazu von S zu sagen ist. Auch wenn die idiomatisierte Formel keine wirkliche Frage mehr darstellt, basiert sie doch ursprünglich auf einer interrogativen Verwendung, die die einzunehmende Positionierung in Frage stellt und damit Distanzierung ausdrückt. TYP handlungswertig HANDLUNG Erwartungsanzeige KONTEXT 1. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, K- FORM TMP: prs, SM: exkl, SUB: man, AKK: was, +PO: dazu Formel 51: was sagt man dazu <?page no="297"?> Formelüberblick 297 Mit adressatendeiktischen Ausdrücken des Typs „K-“ kann dokumentiert werden, dass S die epistemische Überlegenheit oder Präzedenz Ps anerkennt. Die häufigste Variante ist das +konditionale wenn du das sagst. 184 Als Objektpronomen kann auch es auftreten. Die Apodosis des Konditionalgefüges ist strukturell nicht festgelegt und kann auch ganz entfallen. In literaler Verwendung bezeichnet sie eine eigene Handlung, die sich an einer Aussage Ps orientiert und dessen Einschätzung somit als verlässliche Richtschnur anerkennt: (436) Da is sie schon die liebe Jutta! ! Gut Jutta, wenn du das sagst , dann werde ich mir dieses Shampoo mal bestellen. Danke für deine Hilfe! (http: / / retrieverpfotenfreunde.de/ archive/ index.php/ t-11568.html [decow]) (437) Die Merguez sind das einzig Wahre dort. *sabber* Und das Bier natürlich : sst: / / Wenn du das sagst , muss ich die glatt mal probieren : D (http: / / www.mynhl. de/ forum/ archive/ index.php/ t-14-p-2.html [decow]) (438) Was mich an der Person des Petrus fasziniert, ist seine Antwort in dieser so aussichtlosen Situation: „Doch wenn du es sagst , werde ich die Netze auswerfen.“ Wenn du es sagst ! Petrus weiß: Nicht irgendeiner hat dies gesagt, sondern er. Er vertraut in diesem Augenblick dem Wort und dem Du, das heißt, er vertraut auf Jesus. (http: / / www.predigtpreis.de/ predigtdatenbank/ newsletter/ article/ predigt-ueber-lukas-51-11-1.html [decow]) Wie in (436) und (437) sind solche Verwendungen häufig modifiziert mit mal. Signalisiert wird damit, dass S die entsprechende Handlung unter anderen Umständen nicht unbedingt ausführen würde, sie aufgrund der überlegenen epistemischen Autorität Ps in der betreffenden Frage nun aber doch vollzieht. Am gebräuchlichsten ist der Fall, dass die Apodosis epistemische Konsequenzen von Ps Positionierung formuliert-- etwa, dass der betreffende Sachverhalt dann wohl tatsächlich zutreffen muss und man ihm folglich Glauben schenken kann: (439) Ja, da freut sich das Tuxerherz. Wenn du das sagst , wird’s wohl stimmen. Und der Patch ist sogar kostenlos : eek: (http: / / www.antitux.de/ archive/ index. php/ t-1801.html [decow]) (440) naja, wenn du es sagst wirds schon so sein Evanilson. (http: / / www.celicacommunity.de/ archive/ index.php/ t-4237.html [decow]) (441) wenn du das sagst , dann will ich das mal glauben (http: / / www.suckerprod. de/ area/ profil/ owner/ 20796 [decow]) 184 Tatsächlich ist die Subjektposition offen, adressatendeiktisches du jedoch klar die häufigste Variante. <?page no="298"?> Epistemik 298 Diese Bedeutung wird auch ergänzt, wenn die Apodosis fehlt: (442) Einer arbeitet als eine Art Kompressor (nach dem Roots-Prinzip) und der andere Lader springt ab höherer Drehzahl an. Das hat schon seinen Sinn so ; ) / / Na, wenn du das sagst ; ) Autos müssen für mich nur gut aussehen und viel Power haben xD woher die kommt is mir relativ egal ; D Steffi (http: / / board.speed4life. de/ archive/ index.php/ t-105772.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist die Variante mit Objekt das. Sie kommt in DECOW16B auf 2.834 Belege (0,18 Vorkommen pMW). Wiederkehrende Vorlaufelemente sind na (auch: na ja, na dann), ja und tja (6 von 20 Belegen, 30%). Weniger als die Hälfte der Belege hat eine overte Apodosis (7 von 20 Belegen, 35%). Möglich sind auch sarkastische Verwendungen, die den Aussagen Ps gerade keinen besonderen Wert beimessen: (443) aber natürlich fördert der dfb spielmanipulationen. wenn du es sagst , muß es ja stimmen. über deinen realitätssinn muß man sich langsam wirklich sorgen machen. deine kommentare werden immer dümmlicher. (http: / / www.tvforum. de/ sport/ t-dfb-pokal-manner-28429.html [decow]) Im begrenzten Belegkontext der Korpusstudie ist es natürlich nicht gewährleistet, dass eine ironisch-sarkastische Äußerung auch tatsächlich immer als solche erkannt wird. Zumindest aber sind Belege wie (443), in denen dieses Merkmal offensichtlich vorliegt, hier anders als etwa bei sag bloß und was du nicht sagst in der Minderheit (3 von 20 ausgewerteten Belegen, 15%). 185 In beiden Fällen ist die Formel reaktiv und erscheint in zweiter Sequenzposition. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, K- FORM ST: ns-wenn, TMP: prs, SUB: du, AKK: das Formel 52: wenn du das sagst Zu guter Letzt gibt es epistemische Ausdrücke des Typs „K-“ auch mit unbelebtem Subjekt. Sie werden in denjenigen Wörterbüchern, die auch Bedeutungsangaben und nicht lediglich Verwendungsbeispiele enthalten, jeweils mit einer eigenen (zum 185 Der Anteil dieser Verwendungen steigt allerdings, wenn nur Belege mit overter Apodosis in der oben genannten typischen Bedeutung (‚dann muss es ja stimmen‘) betrachtet werden. <?page no="299"?> Formelüberblick 299 Teil auch mit mehreren) Lesarten gelistet. 186 Sofern eine Lesart ‚bekannt sein‘ angesetzt wird, wird sie durchweg durch modalisierte Beispiele (in Fragen oder mit negativer Polarität) im Stil der folgenden Belege aus DECOW16B veranschaulicht: (444) Beim Thema AHCI Treiber muß ich allerdings passen, das sagt mir nichts Schäm Schäm … ; -( (http: / / www.mce-community.de/ forum/ lofiversion/ index. php/ t36737.html [decow]) (445) Meine Longen-RL ist bei sintakt ausgebildet. Das wird dir höchstwahrscheinlich nichts sagen , weil aus der Schweiz. (http: / / www.wege-zumpferd.de/ forum/ archive/ index.php? t-3656.html [decow]) (446) In den Brigitte Reiseseiten wurde im Norden der Insel Bali eine kleine Anlage- (Gaia Oasis) empfohlen, die ökologisch ausgerichtet ist und die Bevölkerung- dort unterstützt. Sagt Dir das etwas , bzw. warst Du mal dort? (http: / / bfriends.brigitte.de/ foren/ reisen-weltweit/ 97564-bali-indonesien-print.html [decow]) Natürlich macht es einen Bedeutungsunterschied, ob das Objektpronomen (et)was oder nichts lautet. Ähnlich wie im Fall der „K+“-Formel das sagt alles, die wir auch im Fall der Variante das sagt gar nichts als wissensanzeigend bewertet haben, gehen wir hier aber davon aus, dass die hier vorliegende Formel mit unbelebtem Subjekt und Dativergänzung stets das Fehlen gesicherter und detaillierter Kenntnis anzeigt. Grund ist, dass auch die positiv polare Variante mit (et)was lediglich vage Vertrautheit zum Ausdruck bringt: (447) Das sagt mir was- … nur ich bin gerade nicht sicher woher ich davon schon mal gehört hab… (http: / / www.filb.de/ forum/ archive/ index.php/ t-6664-p-19.html [decow]) (448) Eindeutig Mr.- Rossi, da hab ich keine Folge verpasst! Die Frage gebe ich ausnahmsweise mal weiter … 14.10.2006 , 14: 00 / / Mr.- Rossi, das sagt mir was , aber wer oder was war das nochmal? So ein kleines Männchen mit Bart, kann das sein? (http: / / forum.ksgemeinde.de/ archive/ index.php/ t-49208-p-20.html [decow]) 186 VALBU schlägt neben „bei jemandem etwas auslösen“ (mit „etwas“ als „Assoziation, Empfindung o. Ä.“) auch eine getrennte Lesart „bekannt sein“ vor (Schumacher et al. 2004, S.-611) Ähnlich paraphrasiert Wahrig das Beispiel sagt dir dieser Name etwas? mit „hast du diesen Namen in irgendeinem Zusammenhang schon einmal gehört? “ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259), das ähnliche das Buch, dieses Gemälde sagt mir gar nichts hingegen mit „bedeutet mir nichts, spricht mich nicht an“. Im Duden wird lediglich eine einzige Lesart „jmdm. etwas, nichts bedeuten, vermitteln; bei jmdm. bestimmte, keine bestimmten Gedanken, Empfindungen, Assoziationen auslösen“ angesetzt (Duden 2001, S.-1341). <?page no="300"?> Epistemik 300 (449) Fisahn, das sagt mir irgendwas -- Marco, helf mir mal auf die Sprünge bitte…- / / Konrad Fisahn ist der Importeur für die ICOM. (http: / / www.lpgforum. de/ gas-cafe/ 2051-icom-umruestbetrieb-im-raum-frankfurt-main.html [decow]) Die Ausdrücke in (447) bis (449) sind handlungswertig und signalisieren, dass S mit dem betreffenden Gegenstand schon einmal zu tun hatte und daher vage damit vertraut ist, jedoch keine autoritativen Kenntnisse darüber besitzt. Stärker ist die Anzeige von „K-“ in interrogativen Varianten mit sollen. Sie zeigen an, dass der betreffende Sachverhalt S nicht bekannt ist, obwohl die Implikation im Raum steht, dass dies der Fall sein müsse (typischerweise: weil P diesen Eindruck mit seiner Vorgängeräußerung erweckt hat). Sie verbinden somit die Anzeige fehlenden Wissens mit einem appellativen request for information. Noch deutlicher wird das, wenn statt einer Entscheidungsfrage eine was-Frage gebildet wird: (450) Bananen-David? Soll mir das was sagen ? (http: / / www.quanten.de/ forum/ archive/ index.php5? t-552.html [decow]) (451) „Die Ladenummer ist bereits gebucht“ war ihre kurze Antwort, mit welcher ich aber reineweg garnichts anfangen konnte. „Aha, und was soll mir das sagen ? “ fragte ich dann weiter. „Mit dieser Nummer wurde gestern bereits Ware angeliefert, die ist schon im System bearbeitet. Frag deine Dispo. Mit der Nummer können wir nichts mehr anfangen.“ (http: / / www.xn--stnkersack-r5a. de/ 2010/ 07/ page/ 2 [decow]) Zentrale Verfestigung des Bildungstyps ist was soll mir das sagen mit 491 Belegen (0,01 Vorkommen pMW). Sie fungiert als (negative) Wissensanzeige und formuliert gleichzeitig eine (funktional disaffiliative) Zurückweisung der Erwartung, dass der mit das aufgegriffene Sachverhalt S bekannt bzw. in seinen relevanten Implikationen einsichtig sein müsse. Sequenziell erscheint die Formel daher typischerweise in zweiter Position, als direkte Reaktion auf die zurückgewiesene Wissensunterstellung. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION disaffiliativ, K- FORM TMP: prs, SM: int, +MV: sollen, SUB: das, AKK: was, +DAT: mir Formel 53: was soll mir das sagen <?page no="301"?> Formelüberblick 301 6.2.3 K= Formeln des dritten epistemischen Typs, „K=“, wurden eingangs als „Common Ground-bezogen“ gekennzeichnet. Vor dem Hintergrund, dass jede Äußerung im Rahmen der Interaktion von S und P Auswirkungen auf den Common Ground der Beteiligten hat, ist diese Charakterisierung allerdings noch zu schärfen. Konkret wurde das Merkmal „K=“ für eine Reihe unterschiedlicher, aber miteinander zusammenhängender Konstellationen vergeben: - Explizite Markierung einer Orientierung auf das Vorwissen Ps: Viele Anpassungen an das voraussetzbare Vorwissen und die Verstehenskapazitäten, die ein spezifischer Adressat mutmaßlich mitbringt, werden weder bewusst getroffen noch in irgendeiner Weise kommentiert. Werden sie aber doch zum Gegenstand der Kommentierung-- als Markierung von „attention to the cognitive stances […] of addressees“, wie die erste Komponente von Traugotts Definition intersubjektiver Bedeutung lautet (Traugott 2003a, S.- 124)- - sprechen wir von einer Common Ground-bezogenen Funktion dieses Kommentars. Beispiele sind etwa explizit verstehensbezogene Hinweise an P, dass eine aktuell relevante Information bislang nicht zur Verfügung stand, dass sie zunächst aus dem Gedächtnis zu aktivieren oder dass sie erst noch zu inferieren ist. - Accounts für Aspekte des eigenen kommunikativen Handelns, die erläuterungsbedürftig sein könnten: Auch Einschätzungen, ob sich bestimmte Aspekte einer Äußerung für P im Laufe des Verstehensprozesses ggf. als schwierig oder sogar irreführend erweisen könnten, lassen eine Orientierung auf die geteilte epistemische Basis mit P und deren Grenzen erkennen. Werden sie im Rahmen einer metakommunikativen Begründung ihrerseits formuliert und zur Interpretationssteuerung eingesetzt, sprechen wir ebenfalls von einer Funktion im Bereich „K=“ - Die Markierung von Ansprüchen auf epistemische Autonomie und Parität: Diese Konstellation liegt vor, wenn S den eigenen epistemischen Status zwar nicht höher als den eines Gegenübers veranschlagt, ihn allerdings auch nicht geringer einschätzt, sondern Ebenbürtigkeit reklamiert („K=“). - Die Dokumentation von (wieder)hergestellter Intersubjektivität: Explizit ist der Common Ground-Bezug auch bei Anzeigen, dass nach zutage getretenen Disparitäten oder Differenzen die Rückkehr in einen Zustand epistemischer Synchronisierung und Koordination erfolgt ist, der die Grundlage für die weitere Verfolgung des aktuellen joint projects darstellt. Wir beginnen die Darstellung wie üblich mit sprecherdeiktischen Bildungen. Die ersten Muster sind modalisiert und +adressiert. Sie weisen die an die ditransitive Argumentstruktur gebundene Lesart ‚mitteilen‘ auf. Ihre Modalisierung ist entweder +volitiv oder +notwendig. 187 In beiden Fällen wird die Absicht angekündigt, P 187 Gelistet ist dieser Bildungstyp allein bei Schemann (2011, S.-687: ‚ich will dir/ euch mal was sagen‘). <?page no="302"?> Epistemik 302 eine relevante Neuigkeit zu eröffnen (Deppermann 2014b spricht von einer „prospektiven Intententionsverdeutlichung“). Bei den volitiven Ausdrücken gibt es neben Bildungen mit wollen auch interrogative Varianten mit sollen, die implizieren, dass S die angekündigte Eröffnung davon abhängig macht, ob P sie hören will oder nicht. Die Fragesemantik ist dabei jedoch ausgebleicht und die Formel in der Regel nur fingiert dialogisch. Eine Variante mit direkter Zuschreibung der Volition an P (willst du, dass ich-…) existiert nicht: (452) also ella ich will dir was sagen ich kann nicht mitfeiern weil ich vielleicht wegen karneval in köln bin! ! (http: / / blog.panfu.de/ 2009/ 02/ 16/ nach-der-partyist-vor-der-party [decow]) (453) Weißt du was…ich wurde auch mal gemobbt- - herrje ist das lange her. Soll ich dir was sagen ? Aus den Mobbern von damals (Handelsschule) ist nichts geworden. Heute sind das in meinen Augen arme Würstchen. (http: / / www. s chueler-mobbing .d e/ mobb/ mo dule s/ newbb/ viewtopic .php ? topic_ id=1158%26forum=5 [decow]) In Varianten mit mal tritt häufig ein disaffiliatives Moment hinzu. Projiziert wird dann die Mitteilung einer relevanten, Ps Standpunkt entkräftenden oder damit konfligierenden Information, die P momentan noch nicht bekannt ist (oder von P nicht angemessen berücksichtigt worden ist). Evoziert wird damit ein konfrontatives Szenario, in dem S bislang davon abgesehen hat, eine für Ps Überzeugung problematische Tatsache offen auszusprechen, sich aber nun dazu veranlasst sieht: (454) @Thomas: du immer mit deiner Aufklärung. Ich will dir mal was sagen : das interessiert 99% der Kunden überhaupt nicht. (http: / / forum.teamhack.de/ hausger%C3%A4teforum/ 4463-hanseatic-wm-mit-lagersachaden [decow]) (455) Ich will Ihnen mal was sagen : Wegen Leuten wie Ihnen drehen andere Leute- durch und das zurecht! (http: / / www.stilpirat.de/ das-durfen-sie-nicht [decow]) (456) Maedhros…was du machst, finde ich nicht gut : verbot: : verbot: : verbot: … soll ich dir mal was sagen : Deine Seite profitiert von dem Forum nur, die meisten Besucher kommen von warhammer.de (gutes design, beste Domain) und planetwarhammer.de (beste WH-Page, gute Domain). (http: / / www.tabletopwelt.de/ forum/ archive/ index.php/ t-5.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist soll ich dir was sagen mit 854 Belegen (0,05 Vorkommen pMW). Die Formel dient als „attention getter“ (Brinton 1996, S.- 186-189), der Ps Aufmerksamkeit einfordert und auf die projizierte Bezugsäußerung lenkt. In dieser kann etwas thematisiert werden, das auch S erst gerade eben aufgegangen ist, und das nun spontan mit P geteilt werden soll: <?page no="303"?> Formelüberblick 303 (457) Nett, dich mal kennen zu lernen. Hey, soll ich dir was sagen ? Mein Pulli würde toll zu deinem Oberteil passen. Willst du mal probieren? (http: / / www.tvsi. de/ transkripte/ hinterm_Mond_gleich_links_4x11.php [decow]) Üblicher ist allerdings der Fall, dass die Formel eine Art subjektives Fazit (häufig eine Bewertung) zu etwas zuvor Berichtetem projiziert: (458) Ich habe gestern frische Eier vom Bauern geholt und heute haben wir ein wunderschönes Zuckerei zum Frühstück gegessen. Und soll ich dir was sagen , es hat uns ganz toll geschmeckt. (http: / / quo-vadis-nak.foren-city.de/ topic,1807,7950,-caf.html [decow]) Die Aufmerksamkeitsbündelung verbindet sich hier insofern mit einem gesprächsorganisatorischen Moment. Typisches Vorlaufelement speziell in diesen Belegen ist und, mit dem die Formel auch generell häufig an den Vorkontext gebunden wird (13 von 20 Belegen, 65%). TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K=, themensteuernd FORM (+VL: und), TMP: prs, SM: int, +MV: sollen, SUB: ich, AKK: was, +DAT: dir Formel 54: (und) soll ich dir was sagen Mit +notwendiger Modalisierung wird eine gewichtige und potenziell unangenehme Eröffnung angekündigt, zu der sich S unter den gegebenen Umständen gezwungen sieht. Gängige Modifikatoren betonen, dass die angekündigte Mitteilung erforderlich ist (unbedingt, dringend), sich nicht weiter aufschieben lässt (jetzt) oder einen Aspekt betrifft, der über das P bereits Bekannte hinausgeht (noch): (459) Er lächelte mich kurz an, räusperte sich, schaute in die Runde und sagte den dramatischen Satz: „ Ich muss euch was sagen .“ Jetzt kommt es. Ich wusste doch, dass was nicht mit ihm stimmt. Aber was? (http: / / www.rockundliebe.de/ liebesgeschichten/ liebesgeschichten_2346_f.php [decow]) (460) Plötzlich und unerwartet bekamen Belindas Augen einen bedeutungsschwangeren Ausdruck. „Hugo, ich muß dringend mit dir reden, ich habe dir etwas zu sagen .“ (http: / / www.diebuntewelt.de/ quatsch/ quatsch6.htm [decow]) (461) „Du, ich glaube, es gibt da was, das ich dir sagen sollte .“ Karsten wurde auf einmal ganz ernst. (http: / / www.nickstories.de/ stories/ frank_claudy/ positivnegativ-01.html [decow]) <?page no="304"?> Epistemik 304 Zentrale Verfestigung ist ich muss dir was sagen mit 961 Belegen (0,06 Vorkommen pMW). Im Gegensatz zu Instanzen mit haben-Modalprädikat, die lediglich die Bedeutsamkeit der folgenden Eröffnung anzeigen, kündigen Bildungen mit müssen ein heikles Eingeständnis an: (462) Am 5. November fand im Wuppertaler CinemaxX die Premiere des Dokumentarfilms „ Ich muss dir was sagen “ über Homophobie und Coming-Out statt. (http: / / www.aidshilfen.de/ CMS/ newsletter/ front_content.php? idcatart=5090 [decow]) Die Formel hat zugleich die sowohl themensteuernde als auch rederechtsbezogene Funktion, sich das Rederecht für einen potenziell längeren Multi-Unit-Turn zu sichern, in dem die relevante Neuigkeit dargestellt wird. Da in den Webforen nur selten private Eingeständnisse gemacht werden, die sich zudem spezifisch an einen einzelnen Adressaten richten (dir), stammen die meisten Belege der zentralen Verfestigung in DECOW16B aus Erzählkontexten. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, K=, themensteuernd, rederechtsbezogen FORM TMP: prs, +MV: müssen, SUB: ich, AKK: was, +DAT: dir Formel 55: ich muss dir was sagen Demgegenüber bringt die +fokussierende Formel ich sag nur zum Ausdruck, dass mit der folgenden Phrase ein bestimmter Themenkomplex lediglich angerissen werden soll, ohne ihn im Weiteren ausführlich zu vertiefen. Statt nur kann die Fokussierung auch mit bloß geleistet werden. Der Gebrauch entspricht der eingeschobenen Kontextualisierung eines Sachverhalts mit parenthetischem Stichwort + XP: (463) Du solltest Deine Kommentare vorm Posten nochmal durchlesen! ( Stichwort : Rechtschreibung und Grammatik) (http: / / www.iphone-ticker.de/ apple-liefertdie-technischen-spezifikationen-applecomipad-ist-online-9521 [decow]) (464) der wichtige anteil von frauen bzw. die gleichgültigkeit gegenüber dem geschlecht im frühen punk wird mit platten 0815-formeln fast vollständig unterschlagen ( ich sag nur slits, x-ray spex, siouxsie sioux, aber auch viele prägende wichtige nichtmusikerinnen), die beiden wohl wichtigsten tourneen der punkgeschichte, die uk-tour der pistols inmitten des medienhasses und die white-riottour der clash finden ebenso nicht statt. (http: / / www.weblexikon.de/ Punk.html [decow]) <?page no="305"?> Formelüberblick 305 (465) PS: Is ne sauschlechte Quali, ne? ? Kann aber nix dafür… Ich sag bloß mein Scanner… (http: / / forum.elli-e.de/ archive/ index.php/ t-1005.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist ich sage nur mit 2.366 Belegen (0,15 Vorkommen pMW). Die Formel ist ein vorangestellter Operator, der ähnlich wie sogenannte „Etcetera- Formeln“ (wie etwa und so, oder so, und was weiß ich) auf Seiten Ps „ein Wissen bzw. ein Verstehen darüber unterstellt“ (König/ Stoltenburg 2013, S.-14), wie der angerissene Zusammenhang aus dem eigenen Wissen im von S intendierten Sinne fortzuführen bzw. auszubuchstabieren ist. S deutet also einerseits die Existenz weitergehenden eigenen Wissens an, behauptet aber anderseits vor allem das Vorhandensein von Common Ground zwischen S und P in dieser Frage („K=“). Indem S diesen Zusammenhang zwar kurz aufscheinen lässt, aber auch anzeigt, ihn nicht vertiefen zu wollen, kommt der Formel zudem ein themensteuernd-gesprächsorganisatorisches Moment zu. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION K=, themensteuernd FORM TMP: prs, SUB: ich, +MOD: nur Formel 56: ich sage nur Auch +anteriore Formeln können das Merkmal „K=“ aufweisen. Ein Beispiel sind +volitive Pendants des präzedenzmarkierenden ich habe es doch gesagt. Wo sich S nicht auf eine tatsächlich erfolgte frühere (eigene) Äußerung berufen kann, ermöglichen solche Bildungen zumindest die Behauptung, dass eine entsprechende Äußerungsintention bestanden habe. Wichtig kann das zum einen sein, um zu entschuldigen, dass eine relevante Mitteilung unterblieben ist, zu der sich S verpflichtet fühlt: (466) Es tut mir leid, hörst du. Ich wollte dir es eigentlich schon längst sagen , aber dein Vater war halt schneller. Und ich verspreche…“ er gab ihr einen Kuß auf die Stirn „das ich wieder zurückkommen werde. (http: / / www.doctorsdiary fanforum.de/ t1511f192-Story-von-Frieda-4.html [decow]) Eine andere Motivation kann darin bestehen, den Anspruch auf epistemische Autonomie und Gleichrangigkeit mit P zu wahren, wenn S diesen Status in Gefahr sieht. Heritage/ Raymond (2005) sehen eine solche Konstellation beispielsweise gegeben, <?page no="306"?> Epistemik 306 wenn S in einer Bewertungssequenz seine Einschätzung erst in zweiter Position abgibt, nachdem P in Vorlage getreten ist: 188 (467) Hab noch mehr Bilder. Möchte euch damit mal aufzeigen, wie vermüllt die ganze Gegend ist und wo die Katzen Leben müssen. Von den Gefahren bezgl. des Unrats, der Scherben etc. ganz zu schweigen… J & M 11.10.2010, 12: 54 / / Oh je, das wollt ich gerade sagen , das ist ja wirklich nicht schön anzusehen … : traurig: Die armen Schätze … : ( 11.10.2010 , 12: 56 (http: / / www.kitticat.de/ archive/ index.php/ t-21404.html [decow]) Typisch in solchen Verwendungen ist die Modifikation mit gerade, die betont, dass die Äußerungsabsicht just soeben noch bestanden habe, bevor P die entsprechende Äußerung S quasi aus dem Mund genommen habe. Kuteva (1998) bezeichnet den entsprechenden Gebrauch von präteritalem wollen als „avertiv“. Wir kommen ausführlicher darauf zurück im Rahmen der interaktionslinguistischen Vertiefungsstudie in Abschnitt-6.3, die sich der zentralen Verfestigung dieses Musters widmet, der Formel mit der Leitform ich wollte gerade sagen. In DECOW16B ist sie mit 460 Treffern belegt (0,03 Vorkommen pMW). Daneben gibt es jedoch noch zahlreiche weitere Realisierungsvarianten, etwa mit invertierter Stellung, mit Objektpronomen es oder das sowie mit anderen Adverbialen (insbesondere schon). Die dominante Praktik der Formel ist in positionierender Hinsicht involvierend, in koordinativer Hinsicht zustimmend und in epistemischer Hinsicht paritätsbeanspruchend, um einer möglichen Zuschreibung des Status „K-“ durch P vorzubeugen. In kontextueller Hinsicht ist die dominante Praktik reaktiv und tritt in zweiter Sequenzposition auf. Dabei sind auch komplett freistehende Verwendungen möglich: (468) Oft stört es mich auch in verschiedenen Filmen ständig diesselben Sprecher zu hören. Stichwort Thomas Danneberg! 26.08.2008 19: 29 / / Ich wollte gerade sagen … (http: / / 215072.homepagemodules.de/ t511885f11776730-Charakterver aenderungen-in-der-Synchronisation-3.html [decow]) Deutliches Übergewicht haben aber Verwendungen, die dasjenige, was S vorgeblich sagen wollte, im Anschluss an die Formel auch tatsächlich ausformulieren. Für eine detaillierte Betrachtung der mit ich wollte gerade sagen vollzogenen kommunikativen Praktiken verweisen wir auf die Vertiefungsstudie in Abschnitt- 6.3. An dieser 188 „[F]irst position assessments offer a terrain within which agreement will be sought. We propose that these assessments also carry an implied claim that the speaker has primary rights to evaluate the matter assessed. For example, as we demonstrate, persons offering first assessments may work to defeat any implication that they are claiming primary rights to evaluate the matter at hand. Conversely, persons who find themselves producing a responsive assessment may wish to defeat the implication that their rights in the matter are secondary to those of a first speaker“ (ebd., S.-16). <?page no="307"?> Formelüberblick 307 Stelle sei nur die dominante Verwendung als (epistemisch qualifizierte) Zustimmung illustriert, wie sie auch in Beispiel (468) vorliegt. TYP handlungswertig HANDLUNG Zustimmung KONTEXT 2. Sequenzposition, turninitial FUNKTION involvierend, affiliativ, K= FORM TMP: prt, +MV: wollen, SUB: ich, +MOD: gerade Formel 57: ich wollte gerade sagen Semantisch komplementär dazu verhält sich die Formel dann habe ich nichts gesagt, mit der eine tatsächlich getätigte Äußerung zurückgenommen wird. Ähnlich dem weiter unten behandelten jetzt, wo du es sagst wird dazu mithilfe eines Adverbs auf den Moment eines epistemischen Zustandswechsels bei S verwiesen, der konditional auf eine implizit bleibende Protasis bezogen ist (‚[Wenn es so ist, wie du gerade gesagt hast,] dann habe ich nichts gesagt‘). Die Formel ist somit +anterior und +konditional, eine mögliche Variante auch +volitiv: 189 (469) @Rettungsengel: wo bitte ist hier der Zusammenhang mit dem Thema „Fachkraftabzeichen“…? Montag , 6. Juni 2005, 00: 23 / / es ging darum das man seine Qualifikation behält und ja mal eine Erlaubnis zu Berufsbezeichnung bekommen hat… Die Frage war doch ob einem veboten werden kann die Berufsbezeichnung zu tragen nur weil man die Fortbildungsstunden nicht nachweisen kann… oder? 10 Montag, 6. Juni 2005, 00: 43 / / eben nicht! Es ging nur um das sogenannte „Fachkraftabzeichen“… 11 Montag, 6. Juni 2005, 00: 46 / / … dann hab ich nix gesagt … (http: / / rettungsnetz-forum.de/ rettungsdienst/ 2224fachkraftabzeichen [decow]) (470) Wo sind denn die ganzen Äste, dass die Tiere auch klettern können : O Die kleinen Bäume in so nem riesigen Terra sind nicht ausreichend für diese süßen Baumbewohner. Da muss auf alle fälle noch einiges an Stämmen und Ästen rein. mfg 16.12.2008, 15: 20 / / : smilie: Die kommen noch. Das Terrarium ist sowieso noch nicht wohnbereit, zum Beispiel fehlt noch das Glas … ; ) gruss toby 16.12.2008, 15: 49 / / Dann will ich nichts gesagt haben : smilie: (http: / / www. geckoz.de/ archive/ index.php/ t-9330.html [decow]) 189 Als dann will ich nichts gesagt haben taucht die Formel auch bei Wahrig auf, wo sie mit „unter diesen Umständen nehme ich zurück, was ich gesagt habe“ paraphrasiert wird (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). Vgl. auch VALBU: „dann nehme ich meine Behauptung, Kritik zurück“ (Schumacher et al. 2004, S.-613). <?page no="308"?> Epistemik 308 Zentrale Verfestigung ist dann habe ich nichts gesagt mit 565 Belegen (0,04 Vorkommen pMW). Sie tritt in dritter Sequenzposition auf und nimmt eine eigene Äußerung in erster Position nach einer Klarstellung durch P in zweiter Position zurück. Sie verbindet somit die Funktionsmerkmale einer Distanzierung (von der eigenen Aussage in erster Position), einer Affiliation (Signalisierung von Einverständnis mit Ps Klarstellung) und einer Anzeige wiederhergestellter Intersubjektivität („K=“). TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 3. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, affiliativ, K= FORM TMP: prf, SUB: ich, AKK: nichts, +MOD: dann Formel 58: dann habe ich nichts gesagt Semantisch eng verwandt, pragmatisch jedoch defensiver ist die Formel ich hab doch gar nichts gesagt. Sie tritt neben dem Perfekt auch im Präsens sowie in einer interrogativen Variante mit der Modalpartikel denn auf: (471) M: „Hast du dich wieder eingekriegt? “ fragte er als er sie auf der Couch vorfand. G: „Mensch Marc ich bin einfach sauer das du sowas über mich denkst! “ sagte sie und drehte sich zu ihm um. M: „Mein Gott ich hab doch gar nichts gesagt ! Außer das du vielleicht ein bisschen verklemmt bist! “ (http: / / www. doctorsdiaryfanforum.de/ t2133f192-Story-von-Bekkchen-5.html [decow]) (472) »Was gibt’s denn eigentlich? « »Chili con Carne, mein Spezialrezept! « »Ach, das kenn’ ich, das ist einfach! « Ich war zwar kein großer Koch, aber sowas krieg’ ich auch im Schlaf hin. »Lieber David, Mein. Chili. Ist. Nicht. Einfach! « Oops. »Okay, okay, ich sag ja gar nichts ! « Rick grinste. »Ist auch besser so.« Er machte einen tierischen Aufstand um sein Spezialrezept und ich hab nur mitgekriegt, daß da ein bißchen Zitronensaft mit rein kam. (http: / / http: / / www.nickstories.de/ stories/ thomas/ netescape-03.html [decow]) (473) Das ist ein Punkt der mich bei Aventurien immer sehr gestört hat. Es sind einfach zu viele unterschiedliche Kulturen auf zu kleinem Raum untergebracht, als dass sie sich nicht maßgeblich vermischen müssten. Und nicht nur Kulturen, sondern auch Epochen (Renaissance neben verschiedenen Mittelalterepochen, etc) / / Och nö…nich auch noch hier…26.05.2008, 19: 58 / / Hö? Was habe ich denn gesagt ? Sorry, ich bin einfach nicht involviert genug in DSA um jetzt irgendeinen Bezug zu irgendwas sehen zu können. Desiderius Findeisen 26.05.2008, 20: 04 / / Ich schätze mal er spielt auf diesen (uriblank) oder diesen (uriblank) Faden an Beachte den Einwurf einfach nicht weiter ; ) 26.05.2008, 20: 22 (http: / / www.ulisses-forum.de/ archive/ index.php/ t-1417.html [decow]) <?page no="309"?> Formelüberblick 309 Ausdrücke dieser Art dienen zur Beschwichtigung bzw. zur Abwehr eines Vorwurfs. Nachdem sich P in zweiter Position ablehnend auf eine vorangegangene Äußerung von S bezogen hat (und damit einen Vorwurf zumindest impliziert), bestreitet S entweder, dass das Gesagte berechtigten Anlass zu Ps Reaktion gibt (471, 473) oder zieht seine Äußerung wieder zurück (472). Zentrale Verfestigung des Musters ist ich hab doch gar nichts gesagt mit 166 Belegen (0,01 Vorkommen pMW). Die Formel ist handlungswertig und erscheint in dritter Sequenzposition. Sie dient zur Distanzierung von der kritisierten Handlung, die S zugeschrieben wird, und bemüht sich durch Entkräftung dieses Vorwurfs um eine Wiederherstellung von Einvernehmen und Intersubjektivität („K=“). TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 3. Sequenzposition FUNKTION distanzierend, affiliativ, K= FORM TMP: prf, +MPT: doch, SUB: ich, AKK: gar nichts Formel 59: ich habe doch gar nichts gesagt Zunächst einmal als klar nachrangig gegenüber P wird der eigene epistemische Status mit der adressatendeiktischen Formel jetzt, wo du es sagst markiert (3561 Belege, 0,22 Vorkommen pMW): (474) Da sollte die XP doch im HIntergrund stehen, meint ihr nicht? / / Jap! Jetzt wo du es sagst , halte ich das auch für die beste Lösung. So schlägt man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. (http: / / 215072.homepagemodules.de/ t511885f11776730-Charakterveraenderungen-in-der-Synchronisation-3.html [decow]) Wird der mit jetzt begonnene Matrixsatz wie in (474) ausformuliert, so lauten die häufigsten Vervollständigungen im Korpus allerdings …- fällt es mir auch auf, …-ehe ich es auch und …erinnere ich mich. Betont wird also, dass S angeregt durch Ps Äußerung den entsprechenden Sachverhalt nunmehr (d. h. temporal +origodeiktisch) auch selber wahrnimmt bzw. sich aus der Erinnerung vergegenwärtigen kann. Ähnlich wie bei ich wollte gerade sagen wird somit trotz eingestandener Präzedenz Ps auch eine unabhängige Eigenleistung beansprucht, die dazu führt, dass S und P ihre Perspektive auf den thematisierten Gegenstand nun (wieder) teilen. Bildungen dieser Art sind somit involvierend, affiliativ und intersubjektivitätsanzeigend, wobei der Status „K=“ auf einen epistemisch unterlegenen Vorzustand von S folgt. <?page no="310"?> Epistemik 310 In kontextueller Hinsicht zeigen die exemplarisch ausgewerteten Belege drei verschiedene Verwendungsmuster: Erstens kann jetzt, wo du es sagst turnwertig freistehen, das heißt sowohl ohne Vervollständigung der mit jetzt begonnenen Prädikation, als auch ohne deren Komplement auftreten: (475) Die Frage hatten wir schonmal, Drahtschneider. 7. Jul 2008, 01: 45 / / Jetzt wo du es sagst … ich Blindfisch … sdw 7. Jul 2008, 01: 50 / / Zu der Uhrzeit kann man das ja noch verzeihen. osaka 7. Jul 2008, 21: 43 (http: / / www.whq-forum. de/ invisionboard/ lofiversion/ index.php? t21656-1450.html [decow]) Zweitens kann die Vervollständigung des Matrixprädikats (im Sinne von ‚fällt es mir auch auf ‘ etc.) entfallen, dessen extraponiertes Komplement, das den Gehalt des phorischen Objektpronomens spezifiziert, aber realisiert sein: (476) Interessanter Tipp, habe ich bisher noch nicht dran gedacht. Aber jetzt wo du es sagst [fällt es mir auch auf], beim engen Kurbeln hatte ich den Seitenruderknüppel nicht selten am Anschlag… (http: / / www.whq-forum.de/ invisionboard/ lofiversion/ index.php? t21656-1450.html [decow]) Drittens können neben der zentralen Verfestigung selbst sowohl der zugehörige Prädikatsausdruck als auch dessen Komplement realisiert sein: (477) ach ja: und die fussballschule wurde von rettig innitiert und aufgebaut, schon klar. / / rettig und stocker waren es, stimmt. jetzt wo du es sagst , fällt es mir auch wieder ein. (http: / / blogs.badische-zeitung.de/ sc/ 2009/ 07/ sc-freiburgverliert-12-gegen-leverkusen [decow]) In den ausgewerteten Belegen dominieren einerseits elliptische Verwendungen ohne syntaktische Vervollständigung des mit jetzt begonnenen Satzes (14 von 20 Belegen, 70%). Andererseits wird das Komplement des Prädikats, das S’ epistemische Eigenleistung bezeichnet, in der Mehrheit der Fälle aber realisiert (18 von 20 Fällen, 90%), und zwar typischerweise mit Voranstellung der Formel (16 von Belegen, 80%). Nur zwei Belege sind freistehend ohne folgende Ausformulierung dessen, was nun auch S einsichtig geworden ist. Da die Formel auf diese folgende Ausformulierung jedoch nicht angewiesen ist und auch in elliptischer Realisierung eine vollständige TCU bildet, werten wir sie als eigenständig handlungswertige Wissensanzeige in 2.-Sequenzposition. <?page no="311"?> Formelüberblick 311 TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, affiliativ, K= FORM ST: ns-wo, TMP: prs, SUB: du, AKK: es, +↑MOD: jetzt Formel 60: jetzt, wo du es sagst Dieselbe Kombination von einerseits Akzeptanz der (kommunikativen) Präzedenz Ps und andererseits Beanspruchung übereinstimmenden eigenen Wissens liegt auch vor bei da sagst du was. Die Formel signalisiert Zustimmung und formuliert Anerkennung für die mit da aufgegriffene Positionierung, mit der P nach Einschätzung von S einen wesentlichen neuen Punkt anspricht: (478) Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist ein gesundes Maß an Kindern gar nicht mehr gewohnt, ich glaube, da liegt das Hauptproblem. / / Da sagst Du was ! Meine Wohnungsvermittlerin hat mich schon bei der Besichtigung davor ‚gewarnt‘, daß in den umliegenden Häusern Kinder wohnen. (http: / / www. nachtwelten.de/ vB/ history/ topic/ 79421-6.html [decow]) Ein Blick auf attribuierende Kontexte, in denen auf das Indefinitpronomen (et)was ein normales Nomen (also kein Name) folgt, deutet auf da sagst du was Wahres als mutmaßliche Vollform des Ausdrucks hin (mehr als zwei Drittel der Belege): (479) Der hat 90 Minuten dumm hergeschmarrt, dass mir meine Ohren weg getan haben. Ausserdem hat er den Eindruck gemacht, schon ein paar Weizen zu viel getrunken zu haben : D / / Da sagst du was Wahres . Ich hab schon gaaaaaaaaaanz leise gehabt und versucht den Kerner zu ignorieren. Leider mit nur mäßigem Erfolg. Wirklich schlimm! (http: / / www.saitenforum.de/ board/ archive/ index. php/ t-2760.html [decow]) Wie bei anderen Formeln, mit denen P in literaler Verwendung Anerkennung gezollt wird, ist auch hier ein ironisch-sarkastischer Gebrauch möglich, mit dem markiert wird, dass P nach Einschätzung von S gerade keinen sonderlich überzeugenden Beitrag geleistet hat: (480) Nur einen Hungerlohn zahlen wollen und sich dann wundern, alles klar…Chefs brauchen auch Urlaub? Na, da sagst du ja was . Den Angestellten keinen Urlaub gönnen wollen und schon wieder jammern. (http: / / www.ioff.de/ archive/ index.php/ t-290197.html [decow]) <?page no="312"?> Epistemik 312 In den ausgewerteten Beispielen aus DECOW16B dominiert jedoch die literale, nicht-ironische Verwendung. Die Leitform ist mit 1.510 Instanzen (0,10 Vorkommen pMW) in DECOW16B belegt. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, K= FORM TMP: prs, SUB: du, AKK: was, +MOD: da Formel 61: da sagst du was Vordergründig mirativ sind die beiden adressatendeiktischen Verfestigungen sag bloß und was du nicht sagst, 190 deren ursprüngliche Funktion in der Signalisierung von Erstaunen liegt. In solchen Verwendungen weisen sie das Merkmal „K-“ auf (vgl. Abschn.-6.2.2): (481) Sag bloß du kennst den Film „Fight Club“ nicht? ! *schock* Fight Club ist einer der besten Filme aller Zeiten, und einer meiner Lieblingsfilme! (http: / / www. donnie-darko.de/ forum/ ich-haett-da-mal-ne-frage-t1506-s15.html [decow]) (482) ‚Deine Augen leuchten. Ist deine Verabredung vielleicht männlicher Natur? ‘ Verlegen nickte Catherine ihr zu. ‚ Was du nicht sagst . Erzähl mir mehr.‘ ‚Duwirst ihn nachher kennenlernen. Er arbeitet in Julian’s Kindergarten als Erzieher.‘ (http: / / www.rockundliebe.de/ liebesgeschichten/ liebesgeschichten_ 1523_c.php [decow]) Diese mutmaßlich ursprüngliche Verwendungsweise ist allerdings unüblich. Beide Formeln werden typischerweise sarkastisch gebraucht und signalisieren dann im Gegenteil, dass S gerade keine relevante neue Information eröffnet wurde. In der w- Satz-Variante sind marginal auch andere Subjekte belegt: (483) Ein Forum ist zum diskutieren da? Sag bloß ! Es gibt aber ein Unterschied zwischen „nötigen“ und „unnötigen“ Diskussionen. (http: / / forum.torwart.de/ de/ archive/ index.php/ t-56431-p-13.html [decow]) (484) Nein echt? ? Das stand hier schon mal? Was du nicht sagst ! Wollte damit nur verdeutlichen, dass ich mit diesen schwachsinnigen Ratschlägen absolut nichts anfangen kann. (http: / / www.techno.de/ forum/ archive/ index.php/ t-6174.html [decow]) 190 Beide Varianten listet nur der Duden. Im VALBU, bei Wahrig und bei Schemann taucht jeweils nur was du nicht sagst bzw. was Sie nicht sagen auf. <?page no="313"?> Formelüberblick 313 (485) „Es wird wichtig sein, dass wir eine starke Leistung abrufen“, sagt Schaaf. Was er nicht sagt ! Allein, mir fehlt der Glaube. (http: / / forum.werder.de/ archive/ index.php? t-2254.html [decow]) S mokiert sich mit Ausdrücken dieses Typs über den Subjektreferenten, der etwas Banales oder bereits hinlänglich Bekanntes geäußert hat und damit S’ epistemischen Status falsch eingeschätzt hat. Zentrale Verfestigung ist sag bloß (4532 Belege, 0,29-Vorkommen pMW). Häufige Vorlaufelemente sind jetzt und ach. Im Gegensatz zur literalen Variante in (481), die den unerwarteten Sachverhalt in der Regel in einem abhängigen Hauptsatz anschließt, steht der sarkastische Gebrauch typischerweise frei (oder wird von weiteren höhnischen Kommentaren begleitet, zum Beispiel darauf wäre ich ja nie gekommen). TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION disaffiliativ, K= FORM SM: dir, VM: imp, +MPT: bloß Formel 62: sag bloß Die nächste Formel kann sowohl sprecherals auch adressatendeiktisch verwendet werden: (486) guten morgen, ja das ist am schlimmsten, wenn man rum sitzen muß. Da geht nämlich die Zeit überhaut nicht rum : kotz: 26.06.2007, 11: 02 / / wem sagst du das …das kenn ich nur zu gut..*an berufsschule zurückdenk* 27.06.2007, 17: 46 (http: / / www.kaowner.de/ forum/ archive/ index.php/ t-7773-p-22.html [decow]) (487) Wäre schön wenn die Menschen Rücksicht auf uns nehmen würden, aber-- entweder schreien sie (was saumäßig weh tut) oder sie reden zwei Sätze laut und dann nuscheln sie wieder. Aber wem sage ich das , Du kennst es ja zur genüge. Es grüßt Dich auch so eine „taube Nuss“ und wir lassen uns nicht unterkriegen Caro (http: / / www.insulinclub.de/ archive/ index.php/ t-10258.html [decow]) Die Formel schließt sich typischerweise an die Schilderung eines Problems an, mit dem der Subjektreferent zu kämpfen hat. Handelt es sich dabei um P, wird die Formel responsiv gebraucht und betont, dass die geschilderten Nöte auch S aus eigener Erfahrung gut vertraut sind. 191 Ist der Subjektreferent hingegen S selbst, bricht die 191 Quasi identisch lautet die Bedeutungsparaphrase für wem sagst du das im Duden-Wörterbuch: „das ist etwas, was ich aus eigener Erfahrung sehr gut weiß“ (Duden 2001, S.-1341). Stärker kompetitiv ist <?page no="314"?> Epistemik 314 Formel eine eigene Schilderung unter Verweis darauf ab, dass das Problem ja, wie S weiß, auch P bereits sattsam bekannt ist. Beide Varianten dienen der Herausstellung von Common Ground bezüglich des geschilderten Problems und signalisieren (bzw. schaffen) soziale Nähe durch die Hervorhebung des gemeinsamen Erfahrungshorizonts in dieser Frage. Affektiv anders (nämlich disaffiliativ statt affiliativ), aber epistemisch ähnlich wie wem sagst du das (und auch derselben Paraphrase zugänglich) sind außerdem die folgenden Ausdrücke: (488) Ich weiß sehr genau was Borreliose ist, das brauchst du mir nicht zu sagen . Ihr wollt ja wieder alle HPs in die Quacksalberschiene stecken und sie als böse Pferdemörder darstellen, es wird mal wieder nicht über den eigenen Tellerrand geguckt. (http: / / www.phillipe.de/ alles-m%C3%B6gliche/ 53758-lebenszeichen/ index2.html [decow]) (489) Tja nur eins muss einem bewusst sein solange es Menschen gibt, werden Tiere Leiden müssen und was noch viel schlimmer ist, Menschen müssen dies auch…-/ / Das mußt du mir nicht sagen , aber muß man alles nur so hinnehmen, kann man nicht ein bischen sein eigenes Verhalten ändern? (http: / / www.hannover forum.de/ archive/ index.php/ t-14640.html [decow]) (490) Manche Hartz Familien bekommen heute schon mehr als viele Rentner. Sogar mehr als Menschen die in einem Vollzeitjob sind. 30.07.2011, 11: 14 / / Sag das nicht mir Tigerlady…ich hätte das niemals geglaubt… (http: / / forum.sat1.de/ archive/ index.php/ t-13791.html [decow]) Zentrale Verfestigung des Bildungsmusters ist aber das eingangs illustrierte wem sagt du das mit 2.537 Belegen (0,16 Vorkommen pMW). Die Formel signalisiert Zustimmung, Empathie und eine geglückte Intersubjektivierung der mit das aufgegriffenen Partnerpositionierung. TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION involvierend, affiliativ, K= FORM TMP: prs, SM: int, SUB: du, AKK: das, +DAT: wem Formel 63: wem sagst du das die Paraphrase bei Wahrig („das weiß ich doch schon längst! “, Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). Ebenfalls hierhin gehört allerdings auch das Wahrig-Beispiel ich kann dasselbe von mir sagen, für das die Paraphrase „mir ist es ebenso ergangen, ich bin ganz Ihrer Meinung“ angegeben wird (ebd.). Gelistet ist die Formel auch bei Schemann. <?page no="315"?> Formelüberblick 315 Erst auf den zweiten Blick erschließen sich die epistemischen Eigenschaften der vorletzten Formel in diesem Bereich, wer sagt + dass-Satz. Die Formel wird benutzt, um S’ Zweifel am Zutreffen eines Sachverhalts zum Ausdruck zu bringen. 192 In Abwesenheit von Gewissheit, dass dieser Zweifel auch wirklich berechtigt ist, scheint es sich daher um eine Markierung von fehlendem sicherem Wissen und somit eine Anzeige des Status „K-“ zu handeln. Tatsächlich aber dient die Formel dazu, eine (hypothetische) Positionierung, die den betreffenden Sachverhalt bereits als ausgemacht darstellt, als unzulässig zurückzuweisen, da die behauptete Faktizität der Aussage eben (noch) gar nicht gesichert ist. Durch den Hinweis auf diese relevante Einschränkung beansprucht S somit zumindest den Status „K=“ gegenüber der Sprechinstanz der sagen-Prädikation, bei der es sich allerdings nicht um P oder einen konkreten Dritten, sondern lediglich um einen rhetorischen Strohmann handelt. Eigentliche Funktion der Formel ist somit nicht das Anmelden von Zweifel und Widerspruch gegenüber einer tatsächlichen Gegenrede, sondern ein Hinweis auf die Existenz alternativer, für P vielleicht unerwarteter Sichtweisen und Standpunkte, die S ins Spiel bringen und als nicht minder plausibel oder berechtigt als die im Raum stehende Aussage des dass-Satzes etablieren möchte. Typisch ist die Kombination mit denn: (491) Ich glaube, mit Gremienarbeit ist es in den meisten Fällen so wie mit dem Bloggen: Eigentlich interessiert sich kaum jemand dafür- - außer den unmittelbar Beteiligten. Aber wer sagt , dass diese Form der Selbstverwirklichung nicht auch ihre Berechtigung hat? (http: / / unkewl.de/ blog/ text/ P32.html [decow]) (492) Im Tierheim landen oft Tiere aus schlechter Haltung, oder Tiere, die bei Menschen gelandet sind, die mit der Verantwortung und Haltung überfordert waren. Aber wo ist das Problem? Wer sagt denn , dass ihr euch ein solches Tier anschaffen müsst? Die Tierheim-Mitarbeiter werden sich hüten, ein durch schlechte Haltung gestörtes Tier an unerfahrene Menschen abzugeben, oder an solche, die von vornerein klarstellen, dass sie keine „Problemtiere“ haben möchten! (http: / / www.rat-nose.de/ anschaffung_tierheim.htm [decow]) Häufige weitere (oder alternative) Begleiter sind eigentlich, überhaupt und bitte: (493) Seit kurzem haben wir auch Kaninchen in der Vermittlung. Wer sagt eigentlich , dass sich Kaninchen und Katzen nicht vertragen? Bei uns sitzen sie oft-gemeinsam in einem Käfig. (http: / / www.katzenhilfeuedem.de/ 4.html [decow]) 192 Gelistet ist die Formel allein im Duden, der sie mit „woher willst du das wissen? Ist das überhaupt erwiesen? “ paraphrasiert (Duden 2001, S.-1341). Genannt wird dort auch die zum selben Bildungstyp gehörende Variante das ist nicht gesagt („nicht sicher, nicht erwiesen sein“, ebd.), die auch bei Wahrig („das bedeutet nicht, dass-…“, Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259), im VALBU („das ist durchaus nicht sicher“, Schumacher et al. 2004, S.-613) und bei Röhrich genannt wird („eine Sache ist nicht sicher, noch nicht entschieden“, Röhrich 1992, S.-1272). <?page no="316"?> Epistemik 316 (494) Mit welchem (moralischen) Recht erwarten wir von Ullrich, dass er sich hinstellt und seine Verfehlungen (aus unserer Sicht! ! ) zugibt? Wer sagt denn überhaupt , dass seine Moral auch unsere ist und wer sagt, dass wir überhaupt moralisch handeln müssen? (http: / / www.x-athlon.de/ forum/ archive/ index.php/ t-5767.html [decow]) (495) Wer sagt denn bitte , dass ein voller Schreibtisch per se ungeordnet ist? Ordnung herrscht in verschiedenster Form vor. Geschlossene Schubladen mit beschrifteten Hängeregistern sind nur eine Ordnung von tausenden. (http: / / www. wortwarte.de/ Archiv/ Datum/ d130820.html [decow]) Formuliert wird mit dem Ausdruck ein non sequitur: Der Sachverhalt, den das Objekt von sagen bezeichnet, steht nicht fest bzw. folgt nicht zwingend aus den zugrunde gelegten Prämissen. Anstelle des phorischen Pronomens kann der Bezugssachverhalt auch als Satz realisiert sein: (496) TROTTOIR: Wenn man die Ausbildung gemacht hat, kriegt man dann eine Stelle bei euch? / / PK: Nein. Das ist nicht gesagt . Wir haben nicht immer vakante Stellen. (http: / / www.quibox.de/ de/ Trottoir/ Artikel/ Lachen-hilft,-Lachenbewegt,-Lachen-tut-einfach-gut.-504.html [decow]) (497) Wie der Waffenfokus die Nutzung effektiver macht, ist nicht gesagt . (http: / / www.sr-nexus.de/ bb/ topic9384-30.html [decow]) (498) Leutchen, regt Euch doch wieder ab. Ob DeathClaw gewinnt oder nicht ist noch lange nicht gesagt . (http: / / www.tabletopwelt.de/ forum/ archive/ index.php/ t-16022.html [decow]) Zentrale Verfestigung des Musters ist allerdings wer sagt denn + dass-Satz mit 14.012 Belegen (0,89 Vorkommen pMW). Die Reihenfolge der Teilsätze ist fest, mit dem Operator wer sagt denn in Voranstellung. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION disaffiliativ, K=, themensteuernd FORM TMP: prs, SM: int, +MPT: denn, SUB: wer Formel 64: wer sagt denn + dass-Satz Disaffiliation und die Betonung von epistemischer Autonomie verbinden sich auch in der Formel das kann ja jeder sagen, die unsere Übersicht epistemischer Formeln mit sagen abschließt. Sie dient dazu, dem Subjektreferenten die erforderliche episte- <?page no="317"?> Formelüberblick 317 mische Berechtigung für eine Äußerung abzusprechen und somit einen epistemischen Vorteil gegenüber S zu bestreiten. Ohne den Nachweis dieser Berechtigung aber, so die Formel, handelt es sich dabei um nicht mehr als eine haltlose Behauptung, wie sie schlicht jeder aufstellen könnte (ohne damit einen relevanten Punkt zu machen). Konstitutiv ist die +beliebige Referenz des Subjektpronomens in Verbindung mit dem modalen Merkmal +möglich: (499) Quellen? So ist das Blabla, nicht nachprüfbar. Das kann ja jeder sagen . (http: / / www.tierrechts-foren.de/ archive/ index.php/ thread-4432-20.html [decow]) (500) Der Thread ist nur dafür gedacht zu sagen „Hey, dass wird ein gutes Spiel“ und das Foto soll nur zeigen das die DVD wirklich existiert. Sonst kann ja jeder daherkommen und sagen „Ich habe es gespielt“. 193 (http: / / www.eidosforum. de/ archive/ index.php? t-14794.html [decow]) (501) Selbst wenn man recht hat. Hauptsache, ich weiss, dass ich letzteres habe, auch wenn du es nicht für wahrhaben willst (und dein pseudogekontere mit „ das kann ich auch sagen “ weist dich nur noch mehr als dämlich aus). (http: / / www.multimediaxis.de/ archive/ index.php/ t-64208.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist das kann jeder sagen mit 166 Belegen (0,01 pMW). Erwähnt wird die Verwendung lediglich im Duden, wo ihre Bedeutung mit „das muss nicht wahr sein“ angegeben wird. Die neben der epistemischen auch disaffiliative Qualität der Formel wird damit allerdings nicht erfasst: (502) Lotti geht im Supermarkt zur Kasse und sagt: „Sie haben sich gestern beim Herausgeben um zwanzig Euro geirrt.“ „ Das kann jeder sagen “, gibt die Kassiererin unfreundlich zurück. „Das hättest du gleich sagen müssen. Jetzt ist es zu spät dafür! “ Freut sich Lotti: „Na gut, dann behalte ich das Geld eben.“- (http: / / www.neues-ungarn.de/ t1624f41-Neues-zum-Schmunzeln-2. html [decow]) In kontextueller Hinsicht ist die Formel handlungswertig. Obwohl sich auch nichtreaktive Verwendungen in den Daten finden (vgl. (500)), ist der typische Auftretenskontext in DECOW16B die zweite Sequenzposition (entweder zu Beginn eines Postings oder in Erzählsequenzen wie (502), 14 von 20 Belegen bzw. 70%). 193 Die in (500) vorliegende „Pseudokoordination“ verstärkt den distanzierend-disaffiliativen Zug des Beispiels (vgl. Proske 2017b, 2019 zu dieser Konstruktion). <?page no="318"?> Epistemik 318 TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 2. Sequenzposition FUNKTION disaffiliativ, K= FORM TMP: prs, +MV: können, SUB: jeder, AKK: das Formel 65: das kann jeder sagen 6.3 Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 6.3.1 Überblick und Vorarbeiten Hochgerechnet auf Vorkommen pro Million Wörter ist die Leitform der Formel ich wollte gerade sagen (d. h. die Variante mit overt realisiertem Subjektpronomen) mit 14,66 Vorkommen pMW in FOLK (Stand: DGD-Release 2.16 vom Mai 2021) nahezu um den Faktor 500 häufiger als in DECOW16B (0,03 Vorkommen pMW). 194 Sie tritt neben der SV-Stellung der Leitform auch in der VS-Stellung (das) wollte ich gerade sagen auf und ist auch in weiteren Hinsichten variabler als die in Kapitel- 4 und 5 untersuchten Ausdrücke sozusagen und sagen wir. Wir bezeichnen die Konstruktion im Folgenden mit ihrer angenommenen lexikalischen Konvergenzform wollt grad sagen. Die literale Bedeutung ihrer Spenderstruktur, einem Verbzweitsatz mit einem Verbalkomplex mit wollen im Präteritum, lässt sich mit Kuteva (1998) als „avertiv“ charakterisieren: Bezeichnet wird eine „action narrowly averted“ (ebd., S.-113). In Instanziierungen mit sagen markiert die Konstruktion somit eine vergangene Äußerungsabsicht, die S behauptetermaßen soeben in die Tat umsetzen wollte, wozu es dann allerdings nicht kam. Syntaktische Spenderstruktur ist ein transitiver Haupt- oder Matrixsatz. Zur Veranschaulichung und Begründung, welcherlei Ausdrücke im Einzelnen für die Studie berücksichtigt wurden und welche nicht, vgl. Abschnitt-6.3.2. Kernfunktion der Formel ist die Wahrung von epistemischer Automonie („K=“) im Zuge einer Affiliation mit P. In detaillierterer Betrachtung unterschieden wir in Abschnitt-6.3.3 insgesamt fünf verschiedene Praktiken, die mit dem Ausdruck vollzogen werden können. Zwei davon sind so eng miteinander verwandt, dass wir sie als Varianten desselben übergeordneten Typs betrachten und in einem gemeinsamen Abschnitt behandeln. 194 Berechnungsgrundlage in FOLK ist eine Wortzählung, bei der etwa in der Transkription als unverständlich ausgewiesene Elemente und verschiedene „Dummy“-Symbole (zum Beispiel für Abbrüche) nicht mitgezählt wurden (vgl. die Anmerkungen zur N-Gramm-Analyse in FOLK in Kap.-3). Auf Basis dieser Zählung umfasste das Korpus im relevanten Release insgesamt 2.933.905 Wortformen. <?page no="319"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 319 Wie in den vorangegangenen Kapiteln beginnen wir unsere Darstellung aber zunächst mit einem Überblick über relevante Vorarbeiten zu unserer Zielkonstruktion. Im Fall von wollt grad sagen findet sich dazu vergleichsweise wenig in der Literatur. In Steins Aufstellung „gesprächsspezifischer Formeln“ (Stein 1995, S.-239) wird die Formel nicht erwähnt, und auch in Imos Übersicht „teilspezifischer Konstruktionen mit sagen“ (Imo 2007, S.-99-130) ist sie nicht enthalten. 195 Allgemeiner sind jedoch auch Arbeiten zum Verwendungsspektrum der konstitutiven Elemente wollen und gerade sowie zur ‚avertiven‘ Interpretation ihres Zusammenwirkens in der Spenderstruktur einschlägig. Darunter sind auch pragmatische Analysen zu einzelnen Praktiken entsprechender Konstruktionen mit wollen, wie auch Untersuchungen zu den verwandten Ausdrücken j’allais dire und I was going to say im Französischen und Englischen. Zentraler Bezugspunkt unserer Analyse ist die von Kuteva (1998) vorgeschlagene Bestimmung des sogenannten Avertivs als einer in verschiedenen Sprachen (unterschiedlich stark) grammatikalisierten Kategorie zur Bezeichnung eines nur knapp abgewendeten Ereignisses. Kuteva spricht von der Kategorie „ANA“ („action narrowly averted“) als einem „cross-linguistically identifiable gram involving the meaning ‚was on the verge of V-ing but did not V‘“ (ebd., S.- 113). Genauer gesagt beschreibt der Avertiv laut Kuteva „an event which is asserted to be: • subsequent to some reference point in the past • following very closely that past moment • potential/ realizable, but • not taking place“ (ebd., S.-140) Zu verorten sei die Kategorie somit im Überlappungsbereich dreier verschiedener Domänen: First, inasmuch as it involves a temporal phase just before the verb situation is to take place, ANA should be referred to the aspectual domain. Secondly, since the verb situation takes place before the moment of speech, ANA relates to the temporal domain. Thirdly, inasmuch as the verb situation is negated, i. e. is contrary-to-fact, ANA involves the modality domain. (ebd., S.-134) Als mögliche Weitergrammatikalisierung nennt sie den sogenannten Proximativ, eine aspektuelle Kategorie, in der lediglich die ‚Imminenz‘-Bedeutungskomponente des Avertivs erhalten bleibt, während die Merkmale ‚Vergangenheit‘ und ‚Kontrafaktizität‘ entfallen. Neben weiteren Ursprüngen werden als typische Quellstrukturen grammatikalisierter Avertive „volitional/ purposive verb phrases“ genannt (ebd., S.- 138), für die der in Abbildung- 18 wiedergegebene Entwicklungspfad skizziert wird: 195 Ein Beispiel wird allerdings als Instanz eines schematischen Konstruktionstyps „sagen mit Korrelatkonstruktion“ erwähnt (Imo 2007, S.-72-75). <?page no="320"?> Epistemik 320 Abb.-18: Grammatikalisierungspfad der Kategorie ‚Avertiv‘ (Kuteva 1998, S.-139) Als Beispiel für einen verhältnismäßig stark grammatikalisierten Avertiv wird die bulgarische Konstruktion „stjax (want+PAST) + da (CONJ.PTCL) + main verb (PRES)“ angeführt (ebd., S.-123). Als Anzeichen ihres vergleichsweise hohen Grammatikalisierungsgrades wertet Kuteva, dass das Auxiliar stjax (eine phonetische Reduktionsform eines älteren, semantisch volitiven Verbs) in der avertiven Konstruktion auch mit einem unbelebten Subjekt kombiniert werden kann, um zu markieren, dass dessen Referenten etwas ‚beinahe‘ widerfahren wäre. Entsprechende Verwendungen von wollen + PRÄT + gerade/ soeben/ schon/ … + V.INF sind auch im Deutschen möglich (wenn auch selten): (503) Ein Mann drückte noch rasch auf den Türöffner, die Tür wollte gerade aufgehen , doch die Schaffner griffen blitzschnell zu jeweils einem Türgriff und pressten die beiden Türhälften mit aller Kraft aneinander, um ein Eindringen der unwillkommenen DB-Gäste zu verhindern. (Zeit, 30.1.2003 [DeReKo]) Das Beispiel in (503) zeigt einen „isolierenden Kontext“ (Diewald 2002, 2006) für die avertive Verwendung der Konstruktion (vgl. Kap.- 2), der nicht mehr mit der ursprünglich volitiven Bedeutung des Modalverbs kompatibel ist. Das Beispiel illustriert somit, dass es auch im Gegenwartsdeutschen einen avertiven Gebrauch von wollen gibt. Den verwandten proximativen Gebrauch belegt Fritz (2000, S.-271) bereits in historischen Zeitungen des frühen siebzehnten Jahrhunderts (vgl. mich düncket, die Stube wil einfallen), wobei er von einer „ingressiven“ Verwendung des Modalverbs spricht. Ob der Avertiv wie von Kuteva veranschlagt als historische Vorstufe dieses proximativ-ingressiven Gebrauchs zu sehen ist und wie weit er sich seinerseits historisch zurückverfolgen lässt, ist für die folgende Analyse von wollt grad sagen nicht entscheidend. Bemerkenswert ist allerdings, dass der gegenwärtige Gebrauch der avertiven Konstruktion mit wollen zumindest in der Mündlichkeit <?page no="321"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 321 sehr stark von Instanzen mit sagen dominiert wird: Betrachtet man als grobe Annäherung nur Formen mit dem Adverb gerade und nur die genaue Wortfolge wollen- +- PRÄT- +- gerade/ soeben/ schon/ …- +- V.INF, entfallen von 83 Treffern dieses-Suchausdrucks in FOLK ganze 89% der Belege auf dieses eine Verb. Diese extreme Spitze in der Verteilung spricht für einen Sonderstatus der Instanz wollt grad- sagen sowie für gewisse Verfestigung der Wortfolge als holophrastische Einheit, auch wenn noch nicht von Lexikalisierung gesprochen werden kann (vgl. Abschn.-6.3.4.1). Tatsächlich ist der Fokus allein auf Belege mit gerade allerdings zu eng. In den Daten finden sich nicht nur Instanzen mit semantisch ähnlichen Elementen wie eben, schon und erst, sondern auch avertive Konstruktionen ohne solche Modifikatoren, die dennoch dieselben pragmatischen Funktionen wie wollt grad sagen erfüllen können (vgl. Abschn.-6.3.3). Dennoch ist die Verwendung mit gerade klar als kanonisch zu betrachten. Die genaue Bestimmung der temporal-aspektuellen Lesart(en) von gerade ist umstritten. Dahl (1985, S.- 90) bezeichnet gerade als Progressivmarker. Ebert (2000, S.- 631 f.) schließt eine solche Einordnung dagegen aus, da gerade anders als genuin progressive Konstruktionen problemlos mit stativen Prädikaten kombinierbar ist (vgl. Er ist gerade da). Schaden/ Tovena (2009) setzen zwei Lesarten an, die mit den Bezeichnungen „progressive“ und „immediate anteriority“ charakterisiert werden. Das Deutsche Universalwörterbuch des Dudenverlags fasst die Paraphrasen ‚in diesem Augenblick, soeben, momentan‘ dagegen zu einer einzigen Lesart zusammen (Duden 2001, S.- 634). Festzuhalten ist, dass ein Sachverhalt mit gerade in einer bestimmten Weise temporal situiert werden kann. Ausgedrückt wird dabei entweder, dass dieser Sachverhalt gegenwärtig (d. h. zum aktuellen Sprechzeitpunkt) besteht (vgl. ich sitze gerade im Zug) oder aber dass er zu einem anderen (vergangenen oder zukünftigen) Zeitpunkt Bestand hatte bzw. haben wird, zu dem ein zweites Ereignis eintritt (vgl. Ich saß gerade im Zug, als Du angerufen hast). Das modifizierte Ereignis wird also entweder in Bezug zum Sprechzeitpunkt (‚zu diesem Zeitpunkt, jetzt‘) oder zum Zeitpunkt eines anderen Ereignisses gesetzt (‚zu dem Zeitpunkt, als/ wenn X‘). Werden Verwendungen ohne expliziten Bezug auf ein anderes Ereignis mit einem Vergangenheitstempus gebraucht, verschiebt sich die Interpretation von ‚zu diesem Zeitpunkt, jetzt‘ zu ‚just soeben, vor einem Augenblick‘ (vgl. gerade saß ich (noch) im Zug). In schriftsprachlichen Daten finden sich Belege für avertives wollt grad sagen auch in Erzählkontexten, in denen es um eine Intention außerhalb der gegenwärtigen Äußerungssituation geht: (504) Gleich schmeißen die uns eine Bombe vor die Füße, wollte ich gerade sagen ,-als der Irokesenjunge ein Feuerzeug zückte. (Berliner Zeitung, 10.10.2006 [DeReKo]) <?page no="322"?> Epistemik 322 In den untersuchten Daten in FOLK gibt es dagegen kein einziges Vorkommen der Formel, das auf ein explizit (in Gestalt eines als- oder wenn-Satzes) verbalisiertes zweites Ereignis bezogen ist. Als temporaler Bezugspunkt des sagen wollen-Ereignisses kommt für diese Verwendungen somit einerseits der Sprechzeitpunkt in Frage (aufgrund des Präteritums dann mit der Interpretation ‚just soeben, vor einem Augenblick‘) sowie andererseits ein implizit bleibendes, aus dem Kontext zu interpolierendes Ereignis, das für alle Beteiligten als präsent unterstellt werden kann-- wie etwa die vorangegangene Äußerung Ps, an die S mit dem Gebrauch der Formel-anschließt. In solchen Gebräuchen fallen die beiden möglichen Interpretationen von gerade zusammen: S reklamiert das Bestehen einer eigenen Äußerungsintention- (und somit deren unmittelbar imminente Realisierung) zum Zeitpunkt von Ps- Beitrag, und situiert diesen Sachverhalt gleichzeitig kurz vor dem aktuellen Sprechzeitpunkt. Relevante Vorarbeiten zu den pragmatischen Funktionen von wollt grad sagen und verwandten Ausdrücken in anderen Sprachen sind unter anderem die Untersuchungen von Deppermann (2014b), Küttner/ Raymond (2022), Lansari (2020), Proske (2016) sowie Redder (1980). In jeder dieser Studien finden sich Beobachtungen, die sich mit Aspekten unserer eigenen Analyse decken oder zumindest überlappen, auch wenn sich diese Studien in Hintergrund und Fokus zuweilen deutlich voneinander unterscheiden. Vier der fünf Analysen stellen eine zustimmende Funktion heraus. Proske (2016) spricht (in einer Studie zu wollt grad sagen) von „affirmation“, Lansari (2020, S.-77) von „affiliation marking“ (in einer Studie zu j’allais dire und I was gonna say), Deppermann (2014b, S.-320) von der Formulierung eines „Anspruch[s] auf Intersubjektivität und Einverständnis“ (in einer Studie zu „Intentionsbekundungen mit wollen“), und Küttner/ Raymond (2022, S.-55) von einer Reaktion Person Bs auf eine Handlung Person As „that supports A’s stance“ (in einer Studie zu I was gonna say). Sowohl Deppermann (2014b) als auch Küttner/ Raymond (2022) stellen die Verbindung der koordinativ-zustimmenden Funktionskomponente mit einer epistemischen heraus, die S’ Anspruch auf Wissens- und Urteilsautonomie betont: Deppermann (2014b, S.- 320) spricht von einer „reaktive[n] Intentionsbekundung“, die dazu diene, „die Position des Sprechers als gleichrangig kompetentem Interaktionspartner zu restituieren“. Bei Küttner/ Raymond (2022, S.-55) ist die Rede von „counteracting ‚secondness‘“ im Dienste einer Beanspruchung von „sequential independence“ für S’ Folgehandlung. Solche Verwendungen entsprechen unserer im folgenden Abschnitt eingeführtem Praktik der „Zustimmung“. Die Studien von Proske (2016), Lansari (2020) und Küttner/ Raymond (2022) setzen zudem unterschiedliche Arten von accounts als Praktiken an, die mit den untersuchten Markern vollzogen werden: Proske (2016) spricht von „Marking a self-correction“, Lansari (2020, S.- 185) von „metalinguistic comment“ im Sinne einer Anzeige <?page no="323"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 323 „that the speaker initially wanted to say p’ but rejected it in favour of p“, und Küttner/ Raymond (2022, S.-65) von „accounting for an earlier inapposite action“. Diese Beobachtungen beziehen sich auf Verwendungen, die wir als „Explikationen“ bezeichnen und in zwei verschiedene Varianten differenzieren. Redder (1980, S.-118) schließlich analysiert die Formel als Mittel zur Themensteuerung. Sie geht von einem avertiven Szenario aus, in dem S eine geplante Äußerung „nicht unmittelbar anschließen“ kann, da aktuell P das Rederecht besitzt. Entsprechend diene die Formel einerseits als Mittel, um „den Turn in bestimmter Form zu übernehmen“ (ebd., S.-119), sowie andererseits zur „Hörersteuerung“ (ebd., S.-123), indem S „das zuletzt verarbeitete Element [defokussiert] und […] seine ‚zuvor aufgehängten‘ Verbalisierungsplan [aktualisiert]“ (ebd., S.- 122). Ähnliche Funktionen werden bei Proske (2016) als „managing interruptions“ und Lansari (2020, S.-200) als „topic shifting“ geführt. 6.3.2 Daten und Vorgehen Unsere Studie zu wollt grad sagen basiert auf Daten aus FOLK, verwendet wurde das DGD-Release 2.16 vom Mai 2021. Gesucht wurde nach Vorkommen von „wollte“ bzw. „wollt“ gefolgt von der Wortform „sagen“ im Abstand von 0-5 Token innerhalb desselben FOLK-Beitrages. Semantisch wurden die dabei erzielten 270 Treffer darauf überprüft, ob eine avertive Konstruktion vorlag oder nicht. Ein zweiter, formaler Fokus lag auf dem Auftreten des für die syntaktische Quellstruktur optionalen, für die angenommene lexikalische Konvergenzform der Verfestigung jedoch konstitutiven Bestandteils gerade. Belege, die weder semantisch avertiv waren, noch den Markerbestandteil gerade aufwiesen, wurden aussortiert. Auf diese Weise konnten sowohl avertive wollte sagen-Belege mit anderen Adverbien (oder ganz ohne Modifikation) als auch gebleichtere Verwendungen von wollt grad sagen erfasst werden, in denen die avertive Bedeutung der Spenderstruktur nicht länger anzusetzen war. 196 Zudem wurden alle Belege aussortiert, bei denen es sich aus formalen (d. h. lexikalischen oder grammatischen) Gründen nicht um eine Instanz des relevanten Bildungsmusters handeln konnte. Auf diesem Weg wurde eine Reihe von sagen wollen-Ausdrücken aus der Datenbasis entfernt, die zum Teil auch ihrerseits verfestigt und/ oder pragmatisch spezialisiert waren, aber nicht der hier untersuchten Formel entsprachen. In semantisch-pragmatischer Hinsicht betraf das zum Beispiel Höflichkeitsformen (vgl. Ich wollte Sie fragen, ob Sie noch einen Termin frei haben, Fritz 1997, S.- 75). Dasselbe gilt für die 196 Beispiele des letzteren Typs wurden als semantisch nicht-literale/ ausgebleichte Verwendungen der Formel gewertet. <?page no="324"?> Epistemik 324 in-Deppermann (2014b, S.-314) beschriebenen „retrospektiven Intentionsverdeutlichungen“, mit denen ein nicht-intendiertes Partnerverständnis einer eigenen Bezugsäußerung in erster Sequenzposition vorgenommen wird (ich wollte (damit) sagen, dass-…, vgl. Formel-68, Kap.-7). Auch nicht-sprecherdeiktische Treffer (wolltest du gerade was sagen? ) wurden entfernt. Neben diesen semantisch-pragmatisch begründeten Ausschlüssen gab es auch strukturbedingte. So wurden beispielsweise alle nicht-deklarativen Treffer (was wollte ich jetzt noch sagen) und auch alle Belege aussortiert, in denen der lexikalische Prädikatskern nicht allein aus sagen bestand (ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass-…). Die Realisierung des zweiten Arguments von sagen wurde hingegen nicht eingeschränkt. Die Form dieser zweiten Ergänzung kann in den ausgewerteten Belegen insofern pronominal (505), lexikalisch (506), neben- (507) oder hauptsatzförmig („abhängiger Hauptsatz“ im Sinne von Auer 1998, (508)) oder auch sowohl pronominal als auch satzförmig sein (mit Korrelat und Komplementsatz, (509)), die Form eines Quotativkomplements besitzen (510) oder auch analeptisch entfallen (511): (505) ich wollte es grad sagen (FOLK_E_00055_SE_01_T_06, c264) (506) ja das mit dem Frühstück wollte ich eigentlich auch sagen (FOLK_E_00120_ SE_01_T_01, c58) (507) ich wollte noch sagen dass äh diese Einschränkungen hier ja alles nur Vorbehalte sind (FOLK_E_00125_SE_01_T_02, c154) (508) wollte grad sagen vielleicht ist das noch mal ein Ansporn (FOLK_E_00024_ SE_01_T_04, c841) (509) ich wollte es grad eben sagen der will das wahrscheinlich schriftlich haben (FOLK_E_00020_SE_01_T_01, c560) (510) wenn ich an Deine Sprachding äh äh ah Sprachkurse wollte ich schon sagen an Deine Beschreibung denke (FOLK_E_00048_SE_01_T_01, c1133) (511) ja wollte ich auch grad sagen (FOLK_E_00132_SE_01_T_07, c702) Anhand dieser Kriterien wurde die Ausgangsbelegmenge von 270 Treffern zunächst auf noch 166 Instanzen reduziert. Zusätzlich zu den in Kapitel- 3 genannten Standardmerkmalen wurden diese Belege für folgende Eigenschaften ausgezeichnet: - Avertive Verwendung von wollt grad sagen: ja, nein - Realisierung des zweiten Arguments von sagen: pronominal, lexikalisch, Nebensatz, lexikalisch + Nebensatz, abhängiger Hauptsatz, abhängiger Hauptsatz + Korrelat, Quotativkomplement, Ellipse/ Analepse - Wortstellung: unmarkiert ((S)V(O): (ich) wollt (es) (grad) sagen), invertiert ((O)VS: (das) wollt ich (grad) sagen; VSO: grad wollt ich noch etwas sagen, ambig (V: wollt (grad) sagen) <?page no="325"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 325 - Kookkurrierende Adverbien und Partikeln - Realisierung als syntaktische Formel oder als holophrastischer Marker 197 Instanzen der Praktik „Zustimmung“ wurden zudem dafür ausgezeichnet, mit wie großem kommunikativem Aufwand S an die vorangehende Bezugsäußerung Ps anschließt, um mit dem Skopusausdruck der Formel einen etwaigen Anspruch auf epistemische Autonomie zu untermauern. Unterschieden wurde dafür zwischen den Optionen „kein Aufwand“ (ohne Skopus), „minimaler Aufwand“ (phorische Wiederaufnahme der Bezugsäußerung), „moderater Aufwand“ (Wiederholung/ Teilwiederholung der Bezugsäußerung ohne weitere Expansion), „hoher Aufwand“ (Reformulierung der Bezugsäußerung) und „maximaler Aufwand“ (eigenständig-unabhängige Elaboration). Bei fünf der ausgezeichneten Belege wurde eine avertive Bedeutung der wollte sagen-Konstruktion festgestellt, ohne dass die Konstruktion mit gerade gebraucht wurde oder eine der für wollt grad sagen identifizierten kommunikativen Praktiken realisierte. Auch diese Belege wurden zum Abschluss der Datenauszeichnung ausgeschlossen, sodass am Ende noch 161 einschlägige Belege in der Datenbasis verblieben. 6.3.3 Praktiken Wir beginnen die Ergebnispräsentation mit den kommunikativen Praktiken, die mit dem Marker in FOLK vollzogen werden. Angesetzt werden insgesamt fünf Kategorien, die wir mit den Bezeichnungen „Zustimmung“, „Explikation A“ und „Explikation- B“ (in einem gemeinsamen Abschnitt behandelt), „Wissensanzeige“ und „Themensteuerung“ belegen. Tabelle- 8 gibt einen Überblick über die Häufigkeiten der angesetzten Kategorien in der Stichprobe: Rang Praktik Belege 1 Zustimmung 103 (64%) 2 Themensteuerung  21 (13%) 3 Explikation (Typ B)  15 (9,3%) 4 Explikation (Typ A)  11 (6,8%) 5 Wissensanzeige  11 (6,8%) Tab.-8: Kommunikative Praktiken von wollt grad sagen in FOLK 197 Als Kriterium hierfür wurde angesetzt, ob eine Instanz die konkrete Wortfolge wollt grad sagen genau in dieser Abfolge und ohne intervenierendes Material beinhaltete (ob mit oder ohne vorangehendes Subjektpronomen). Diese Kette wurde als Input des Chunkingbzw. Reanalyseprozesses der syntaktischen Formel als lexikalischer Marker betrachtet. <?page no="326"?> Epistemik 326 6.3.3.1 Zustimmung Die dominante Verwendung von wollt grad sagen dient zur Signalisierung von Zustimmung bei gleichzeitiger Beanspruchung von epistemischer Autonomie. Sie tritt typischerweise in zweiter Sequenzposition auf und ist eine Instanz des in Deppermann (2014b, S.- 319-322) als „reaktive Intentionsbekundung“ analysierten Gebrauchs von wollen. Paraphrasierbar ist sie mit ‚ja, genau‘. Das Beispiel in Ausschnitt (512) ist einem WG-Casting entnommen. Bewerber JR berichtet, dass er noch ganz am Anfang seiner Wohnungssuche stehe und vor dem Casting bislang erst eine einzige andere Wohnung besichtigt habe, auf die er über eine Internetplattform aufmerksam geworden sei. Diese Wohnung habe eine sehr gute Lage gehabt (in der ALTstadt), sei aber trotzdem superGÜNstig gewesen. Mit dem Hinweis stand nIx dabei von wegen verBINdung, seinerseits ergänzt durch [<-nor]MAL schreiben_se immer da[zu; >], deutet JR bereits die Pointe seiner Erzählung an, dass es sich dabei um kein gewöhnliches Wohnungsangebot gehandelt hat, wie sich dann später erwies. Sprecher ML (=P) nimmt den Hinweis in Zeile-16 mit dem Einwurf [da isch Irgendwas] FAUL ja[ja] auf, den er im Anschluss als verallgemeinerte Regel reformuliert ([ah wenn es sch]on GÜNstig is in der Altstadt, is [irgendwas FAUL.]). In Zeile-23 schließt sich MLs Mitbewohnerin SL (=S) diesem Kommentar dann ihrerseits mit wollt grad sagen an, hebt dabei aber gleichzeitig die Unabhängigkeit ihres eigenen Wissens und Urteilens hervor, indem sie MLs Positionierung mit der Ergänzung eines Kriteriums expandiert, ab welchem Preis es hellhörig zu werden gelte: (512) „Altstadt“, FOLK_E_00252_SE_01_T_01, c1099-1114 (WG-Casting) 01 JR nee- 02 EIgentlich- (-) 03 hab ich mir GAR nichts angeschaut bis jEtz. 04 SL also_s ER[Ste? ] 05 JR [in einer] 06 ja- SCHON. (.) 07 in EIner wohnung war ich, 08 die hab im bei we GE gesucht gefunden, 09 ML hmhm (.) 10 JR in der ALTstadt, °h (-) 11 superGÜNstig- 12 <<t> ICH so- 13 je oh GEIL ey,> 14 weil stand nIx dabei von wegen verBINdung- 15 (.)[norMAL schreiben s_es] 16 ML [da isch Irgendwas ] FAUL, 17 ja[ja. ] 18 JR [<<f> nor]MAL schreiben_se immer da[zu; >] 19 ML [ja ] 20 JR hab isch gedach[t eGAL (xxx) ] <?page no="327"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 327 21 ML [ah wenn es sch]on GÜNstig is in der Altstadt, 22 is [irgendwas FAUL. ] → 23 SL [des is <<f> ɪç vɔl graˈd̥z̥]aːŋ̍ ,> 24 ALles unter dreihundertfÜnfzig euro [in der Altstadt] i[s irgndwie] kOmisch. 25 ML [jaja] 26 JR [ja: ] Mit der turninitialen Verwendung von wollt grad sagen in zweiter Sequenzposition in (512) behauptet S, auch bereits unabhängig von Ps Äußerung in erster Position zum selben Schluss gekommen zu sein wie P. Untermauert wird dieser Anspruch, indem der Skopusausdruck die behauptete Unabhängigkeit dann auch veranschaulicht. Tabelle-9 zeigt, dass der kommunikative Aufwand, der im Gefolge zustimmender Verwendungen in die Formulierung des Skopusausdrucks investiert wird, in der Tat von minimal (entsprechend einer nicht weiter expandierten Wiederaufnahme von Ps Äußerung mit einem anaphorischen Pronomen) zu maximal (entsprechend einer unabhängig-eigenständigen Elaboration zum Thema) kontinuierlich ansteigt: Aufwand Skopusausdruck Belege null keiner 23 (22,1%) minimal Pronominale Wiederaufnahme  5  (4,8%) moderat (Teil)-Wiederholung ohne Weiterführung 11 (10,6%) hoch Reformulierung 26 (25%) maximal eigenständige Elaboration 39 (37,5%) Tab.-9: Kommunikativer Aufwand der Zustimmung Zugleich zeigt die Tabelle allerdings, dass auch das andere Extrem nicht selten ist, nämlich freistehende Vorkommen der Formel ganz ohne Skopusausdruck, die immerhin ein gutes Fünftel der wollt grad sagen-Zustimmungen ausmachen. Beispiel (513) zeigt einen Beleg dieser Art, der einem Gespräch beim gemeinsamen Kochen entstammt: (513) „Lüftung“, FOLK_E_00327_SE_01_T_01, c128-140 (Kommunikation beim Kochen) 01 PC ha has_du ÖL rein? 02 DP ja: , 03 (14.19) 04 DP KANNST du mir schnell des Andere rein, 05 weil des sO schnell hier ANbrennt? 06 (20.98) <?page no="328"?> Epistemik 328 07 DP DANke; 08 (3.26) 09 DP [sOll] ich (.) die lÜftung [ANmachen]? 11 PC [öh ] [ja, ] → 12 PC vɔlt ɪç dɪ ˈaʊ̭x ɡraˈd̥z̥aŋ ; 13 (19.01) 14 PC woah- 15 (1.53) 16 DP BRENNT_S? In diesen handlungsbegleitenden Äußerungen stehen Fragen der epistemischen Präzedenz und intellektuellen Urheberschaft bestimmter subjektiver Standpunkte nicht im Vordergrund-- es geht schlicht um eine Koordination der verschiedenen konkreten Handlungsbedarfe, die sich im Verlauf des gemeinsamen Kochprojekts spontan ergeben. Mit der Verwendung der Formel signalisiert Sprecherin PC (=S) insofern weniger einen Anspruch auf epistemische Gleichrangigkeit als vielmehr ihre Affiliation mit P: Verglichen mit einer reinen Bestätigung allein mit ja stimmt S’ Reaktion Ps Vorschlag nicht nur zu, sondern ratifiziert ihn zugleich als naheliegend und berechtigt. Selten sind Übernahmen der zustimmenden Verwendung in monologische Kontexte, in denen die Formel in erster statt in zweiter oder dritter Position auftritt. Sie wird dann turnintern zur Selbstbestätigung und -vergewisserung verwendet, wie es auch mit der Bestätigungspartikel genau geschehen kann (vgl. Oloff 2017, S.-214 f.). In Beispiel (514), einem Ausschnitt aus einem Familiengespräch beim Kaffeetrinken, erzählt Sprecherin TU (=S) eine schon länger zurückliegende Begebenheit, in der es um das Kind einer Bekannten geht. Sie führt das Alter des Kindes zunächst in Zeile-2 mit der Formulierung die war ZEHN ein, stockt dann zunächst, bestätigt ihre Angabe dann aber mit dem vergewissernden Vergleich ja so alt wie UWE, fünfte KLASse. In einer zweiten Bestätigung wird dann auch der Anhaltspunkt fünfte KLASse noch einmal mit wo_grad sa fünfte KLASse affirmiert: (514) „Fünfte Klasse“, FOLK_E_00161_SE_01_T_03, c488-498 (Gespräch in der Familie) 01 TU zwei mal die woche kam sie um FÜNF erst nach hause, (-) 02 die war ZEHN, (1.23) 03 ja so alt wie UWE, 04 fünfte KLASse, 05 FK hm[hm ] → 06 TU [ vɔ graˈd̥z̥ ] a , 07 fünfte KLASse, 08 NM <<p, ingressiv> ja.> 09 0.61 10 TU und die ANdern tage war sie umh° (.) 11 zwEI oder um DREI zu hause; (.) 12 je nachDEM; (.) <?page no="329"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 329 Dem Beleg in (514) geht somit das zentrale Charakteristikum der avertiven Quellverwendung ab, da das gerahmte Verbereignis eben nicht knapp unterbunden, sondern unmittelbar zuvor erfolgreich realisiert wurde. Die Sprecherin, die diese markierte Verwendung produziert, ist die häufigste Verwenderin von wollt grad sagen in den untersuchten Daten. Sehr ähnlich wie in Beispiel (175) in Kapitel-4, in dem ein Überverwender von sozusagen den Marker eher in der Bedeutung von wie gesagt als von sozusagen gebraucht, liegt auch in (514) eine quasi passepartouthaftige Diskursmarkerverwendung von wollt grad sagen in einem Kontext vor, in dem funktional eher ein wie gesagt zu erwarten gewesen wäre. Typisch ist jedoch die handlungswertige Verwendung in zweiter Sequenzposition, die wir wie folgt repräsentieren: TYP handlungswertig HANDLUNG Zustimmung KONTEXT 2. Sequenzposition, turninitial FUNKTION involvierend, affiliativ, K= FORM TMP: prt, +MV: wollen, SUB: (ich), +MOD: gerade 6.3.3.2 Explikation Die zweite Praktik, die mit der Formel vollzogen werden kann, bezeichnen wir als „Explikation“. Genauer gesagt handelt es sich um einen metakommunikativen Account für bzw. Kommentar zu eine(r) vorangegangene(n) Verarbeitungsschwierigkeit, die im Gespräch manifest geworden ist. Das Problem kann sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption aufgetreten sein, was zwei unterschiedliche Varianten der Praktik begründet: Die erste steht im Zusammenhang mit einem eigenen Formulierungsproblem, ist sequenziell ungebunden und weist Nachstellung der Formel auf, die hier mit ‚hätte ich fast gesagt‘ paraphrasierbar ist. Wir bezeichnen solche Verwendungen im Folgenden als Explikationen vom „Typ A“. Besteht dagegen ein Zusammenhang mit einer eigenen Verstehensschwierigkeit, taucht die Formel typischerweise in zweiter Sequenzposition auf, ist ihrem Bezugsausdruck vorangestellt und lässt sich mit ‚ich dachte schon‘ paraphrasieren. Solche Beispiele bezeichnen wir als Explikationen vom „Typ B“. Beispiel (515), das aus einer Ausschusssitzung des Deutschen Bundestags stammt, zeigt eine Explikation vom Typ A im Rahmen einer (zumindest vorgeblichen) Selbstkorrektur. Sprecher OvH (=S) hat die Rolle des Sitzungsleiters und bedankt sich zu Beginn des Ausschnitts bei der letzten Rednerin für ihren Beitrag. Beim direkt anschließenden Aufruf des nächsten Redners (= P1) fällt ihm dessen Name allerdings nicht sofort ein, wie die jeweils von Pausen unterbrochenen Ansätze ähm ja…jetzt äh…HERR…NA…herr HEUser nahelegen. Mit der in erster Sequenzposition formu- <?page no="330"?> Epistemik 330 lierten Zieläußerung herr HACH wollt ich schon sagn aber DER war schon dran gewährt S den anderen Sitzungsteilnehmern sodann einen Einblick in das (zumindest angebliche) Zustandekommen des Problems: (515) „Herr Hach“, FOLK_E_00389_SE_01_T_01, c428-444 (Ausschusssitzung) 01 OvH danke schön frAU (.) dOktor VORrath, 02 (-) ähm (--) ja; (1.43) 03 OvH jetzt äh (.) HERR- (-) 04 NA- (0.32) 05 herr HEUser. (-) → 06 OvH herr HACH ˈvɔlt ɪç ʃɔn zaŋ̍ ; 07 <<all> Aber DER war schon dran; > 08 CH ICH war schon. 09 OvH herr HEUser; 10 (0.72) 11 CrH auch mit HA auf jedn fall. 12 (1.29) 13 ähm °h ja herzlichen DANK, Die nachgeschobene Offenlegung des wieder verworfenen Äußerungsplans in Zeile-6, der für die Sitzungsteilnehmer keine offensichtliche Relevanz besitzt, ist in dem sehr formellen Kontext ungewöhnlich. Für S als Sitzungsleiter ist es jedoch gesichtsbedrohend, wenn der Eindruck entsteht, er habe die Namen der Ausschussmitglieder nicht parat. Als Grund für das offensichtliche Stocken führt er stattdessen eine Vergewisserung an, ob nicht statt des gemeinten Herrn Heuser (=P1) der genannte Herr Hach (=P2) aufzurufen sei. Als Hinderungsgrund dafür wird sodann die avertierende Erkenntnis aber DER war schon dran angeführt, die ihn von diesem Plan dann wieder abgebracht habe. Neben der gesichtswahrenden Begründung des Stockens bei der Adressierung von P2 erzielt S mit dem Eingeständnis seines vorgeblichen Beinahe-Irrtums zugleich einen affiliativen Effekt, indem er Nähe und Transparenz suggeriert. Tatsächlich steigen auch beide angesprochenen Teilnehmer kurz auf die Erläuterung ein: P2 bestätigt den von S als Begründung präsentierten Sachverhalt (ICH war schon), während P1 bemerkt, dass sein Name dem von P2 ja auch durchaus ähnele (was allerdings Zweifel an S’ Darstellung erkennen lässt und mehr auf die Annahme einer Verwechslung der Namen hindeutet). Zusammengefasst handelt es sich hier um eine Operatorpraktik, die ihrem Bezugsausdruck, einem verworfenen Äußerungskandidaten, nachgestellt ist. In positionierender Hinsicht bringt sie S’ Distanzierung von diesem Kandidaten zum Ausdruck, in koordinativer Hinsicht wirkt sie affiliativ und in epistemischer Hinsicht dient sie der Wiederherstellung von Intersubjektivität („K=“). Sie entspricht der in Küttner/ Raymond (2022) für I was gonna say angesetzten Praktik eines „accounting for an earlier action-- an action that turned out to have been based on a false presumption“ <?page no="331"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 331 (ebd., S.-66). Formseits ist ihr typischer adverbialer Begleiter nicht gerade (das allerdings auch belegt ist), sondern schon: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT nachgestellt FUNKTION distanzierend, affiliativ, K= FORM TMP: prt, +MV: wollen, SUB: (ich), +schon Als Account für ein Verstehensproblem treten explizierende Verwendungen typischerweise in zweiter Sequenzposition auf, wie etwa in dem folgenden Exzerpt aus einer Maptask-Interaktion. Zu Beginn des Ausschnitts sind Sprecherin SOE4 (=S) und Sprecher SOE3 (=P), der die Instruktionen gibt, noch koordiniert und ko-orientiert. Ps Instruktion in Zeile- 11-14 kann S jedoch zunächst nicht nachvollziehen, sodass es zu einer deutlichen Pause kommt. Schließlich kann S die genannte Wegmarke (die Abbildung eines Käses) aber auch auf ihrer eigenen Karte lokalisieren, was sie mit der Äußerung ach so DA anzeigt. Als Account für das vorangegangene Stocken und den angezeigten Erkenntnisprozess schiebt S daraufhin die Zieläußerung ich wollt schon SAgnwo hast du denn jetz_n KÄse nach: (516) „Käse“, FOLK_E_00095_SE_01_T_01, c870-882 01 SOE4 aber mit Abstand von CIRca EIm zentimeter? 02 SOE3 ja du GEHst jetzt nach- 03 JA, 04 Oben an der linken bild- 05 ja geNAU. (-) 06 SO kann man sagen; (.) 07 sEhr SCHÖN. 08 (0.79) 09 SOE4 oKAY; 10 (0.48) 11 SOE3 jetz zIEhst du ne linie nach UNtn, 12 °h bis auf Höhe- (0.41) 13 ja m_m MITte- (.) 14 vom KÄse. 15 (1.48) 16 SOE4 ach so DA- (.) → 17 ɪç vɔlt ʃɔn ˈzaŋ- 18 wo hast du d[enn jetz_n] KÄse, 19 SOE3 [h° ] 20 (0.61) 21 SOE4 ja? 22 SOE3 und JETZ gehst du zum zIEl. (1.41) <?page no="332"?> Epistemik 332 Gemeinsam mit dem epistemischen Marker ach so und der verworfenen, da nun nicht länger relevanten Nachfrage fungiert die Konstruktion in (516) als Verstehensanzeige-- und zwar sowohl des relevanten, von P intendierten Verstehens als auch eines zwischenzeitlichen Missverständnisses auf Seiten von S.-Solche im Nachinein als Missverständnis erkannten und in die Irre führenden Interpretationsversuche können (anders als in (516)) natürlich auch zur Erzielung komischer und/ oder sprachspielerischer Effekte genutzt werden, was eine weitere Verwendungsmöglichkeit der Formel darstellt (vgl. Deppermann/ Reineke 2017 für ähnlich motivierte Verwendungen von ich dachte). Wie in Beispiel (515) ist es für den weiteren Verlauf des gemeinsamen Projekts jedenfalls nicht erforderlich oder zielführend, P über die mittlerweile als Irrtum erkannte Annahme ‚Auf meiner Karte ist kein Käse abgebildet‘ in Kenntnis zu setzen. S demonstriert damit allerdings, dass sie den Instruktionen Ps aufmerksam folgt, augenscheinliche Inkonsistenzen sogleich rückmelden würde und so ihren Teil zur Aufrechterhaltung der wechselseitigen Koordination beiträgt. Vor allem aber wird mit der Äußerung die gestörte Intersubjektivität wiederhergestellt („K=“): Einerseits durch die Signalisierung, Ps Instruktion nun (wieder) folgen zu können, und andererseits durch die Begründung des merklichen eigenen Stockens (das seinerseits Anlass zu Spekulationen über mögliche Ursachen gegeben haben könnte). Explikationen vom Typ B sind ihrem Bezugsausdruck vorangestellt und beziehen sich wie erwähnt auf eine andere Art von Schwierigkeit als ihre produktionsbezogenen Pendants. Abgesehen davon gleichen ihre Funktions- und Formmerkmale jedoch denen der Explikationen von Typ A: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION distanzierend, affiliativ, K= FORM TMP: prt, +MV: wollen, SUB: (ich), +MOD: gerade 6.3.3.3 Wissensanzeige Als dritte Praktik setzen wir Vorkommen im Zuge von Vergewisserungen an, mit denen S eine unsichere Annahme (und daher Quelle möglicher Disparität mit P) proaktiv auszuräumen sucht. Die Annahme bezieht sich auf einen Sachverhalt, über den P epistemische Autorität besitzt. Der Marker tritt in 3. Sequenzposition auf und ratifiziert eine Bestätigung, mit der P in zweiter Position auf einen von S formulierten request for confirmation in erster Position reagiert hat. Sie lässt sich somit als (nachgeschobene) Wissensanzeige im Zuge einer Vergewisserungssequenz charakterisieren. Die literale Bedeutung der Formel ist gebleicht, da S die bestätigte Annah- <?page no="333"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 333 me in erster Position tatsächlich produziert hat und somit kein avertives Szenario vorliegt. Paraphrasierbar ist die Verwendung mit ‚eben‘, ‚siehst du‘ oder ‚das hatte ich mir doch gedacht‘. Beispiel (517) enstammt einem Gespräch von vier Freundinnen beim Frühstück. Sprecherin LV (=S) hat das Thema des Abschnitts einige Zeit zuvor mit der Äußerung eröffnet, sie habe sich am wochenende irgendwie gAnz blöd was EINgefangen, an meinen BEInen, an meinen FÜßen, … sind KEIne mÜckenstiche. Das Gespräch kreist dann einige Zeit um Insektenstiche und -bisse sowie allerlei weitere Quaddeln, Pusteln und Schwellungen und wie man sie bekämpft. Zu Beginn des Ausschnitts wird Sprecherin MB (=P) in vager Formulierung (oh du has Aber auch Xxx, Zeile-10) auf ein entsprechendes Hautproblem angesprochen, das Sprecherin IN an ihr bemerkt. P schildert daraufhin ihre Schwierigkeiten mit dem noch unbezeichneten Phänomen, bis sie von S mit der Bemerkung das is doch kein MÜCknstich unterbrochen wird: (517) „Mückenstich“, FOLK_E_00267_SE_01_T_03, c83-101 (Gespräch beim Frühstück) 01 IN das hilft dann [ECHT immer noch ma-] 02 MB [also bei MIR hilft ] noch (wilkurEIn), 03 ich hab zwEImal was von (denen), 04 ich hab hier UNten ne? 05 an dem- 06 LV hmhm 07 MB (.) ähm 08 (0.31) 09 (xxx) 06 IN oh du has Aber auch (Xxx). 07 (0.9) 08 MB (äh) das JUCKT wie verrÜckt; 09 (0.23) 10 LV ja- (.) 11 MB und wenn_s richtig BLUtet, (.) 12 also wenn ich bis zum (--) BLUT krAtze, (-) 13 [GEHt_es] wieder. 14 AR [hm ] 15 (0.98) 16 IN aber da hAb ich immer ANGST da[ss- ] 17 AR ((unverständlich, 1.5s)) 18 MB ((unverständlich)) 19 LV [das is] doch kein MÜCkn[stich, 20 MB nein dAs is ekZEM; 21 (0.7) → 22 LV vɔlt [ grat ˈzaːŋ̍; ] 23 MB [(dis is)] bei dem ekzEm [AUCH so; ] <?page no="334"?> Epistemik 334 24 LV [ja: - ] 25 (0.51) 26 IN aber wenn i[ch das AUFgekratzt ] habe, 27 MB [is so en bisschen auf,] 28 IN hab ich ja AUCH schon, 29 dann tU ich da immer betaisoDOna drauf ne? (.) 30 da sch[wÖr ich] ja AU[CH drauf; ] 31 MB [hm ] [ja, ] In Zeile-23 formuliert S ihre Annahme zwar als Aussage mit bereits recht deutlichem Geltungsanspruch, macht durch die Partikel doch (Pittner 2007) allerdings trotzdem noch eine Bestätigung durch P relevant (die in der Frage, was ihr zugestoßen ist, gegenüber S die epistemische Autorität besitzt). P liefert die erbetene Bestätigung wie erwartet, was S ihrerseits mit wollt grad sAgn ratifiziert und die Sequenz so schließt. Wissensanzeigen im Rahmen von Vergewisserungssequenzen sind die einzigen, in denen die Formel mehrheitlich freistehend und obligatorisch modifiziert gebraucht wird (bis auf je einen einzigen Fall mit schon und gerade schon ansonsten ausnahmslos allein mit gerade). Charakteristisch ist zudem, dass diese Verwendung per definitionem nicht-literal ist, was ihre Verselbstständigung gegenüber der avertiven Quellbedeutung zeigt. In kontextueller Hinsicht ist die Praktik typischerweise handlungswertig und erscheint in dritter Sequenzposition. Funktional ist sie involvierend, indem sie S’ Annahme in erster Position nach P’s Bestätigung noch einmal rückwirkend bekräftigt, affiliativ, indem sie Ps Bestätigung zustimmt und „K=“, indem sie die Herstellung von Intersubjektivität konstatiert. Ihre typische formale Realisierung ist wollt grad sagen: TYP handlungswertig HANDLUNG Wissensanzeige KONTEXT 3. Sequenzposition FUNKTION involvierend, affiliativ, K= FORM TMP: prt, +MV: wollen, SUB: (ich), +MOD: gerade 6.3.3.4 Themensteuerung Die letzte angesetzte Praktik avertiver ich wollte-Konstruktionen ist gesprächsorganisatorischer Art und dient zur Themensteuerung. Sie projiziert einen thematischen Neuansatz, einen Rücksprung oder eine Erweiterung. Solche Gebräuche dienen zum Beispiel zur Anzeige, dass S einen neuen thematischen Faden eröffnet (518) oder einen bestehenden expandiert (519). Ebenso kann (in dann rederechtsbezogener Verwendung) angezeigt werden, dass S den bisherigen Faden augenblicklich verlo- <?page no="335"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 335 ren hat, ihn aber wiederfinden möchte, bevor das Gespräch eine andere Richtung nimmt (520): 198 (518) ach so ich wollte Euch sowieso noch sagen falls ich in den nächsten Tagen irgendwie vielleicht mal zwischendrin irgendwie komisch bin oder so dann liegt das nicht an Euch (FOLK_E_00050_SE_01_T_01_DF_01, c24 [Gespräch auf der Urlaubsreise]) (519) das heißt Sie haben für das hier einen Punkt bekommen ich wollte nämlich vorhin schon sagen ja einen Punkt kriegen Sie ja für das richtig Runterrechnen- (FOLK_E_00128_SE_01_T_04, c383, [Unterricht im Wirtschaftsgymnasium]) (520) ah jetzt wollte ich noch irgendetwas sagen was wollte ich denn noch sagen (FOLK_E_00024_SE_01_T_07, c988-991 [Meeting einer sozialen Einrichtung]) Die themensteuernde Verwendung tritt neben gerade wie gezeigt also auch (und sogar primär) mit verschiedenen weiteren Adverbien und Partikeln auf. In der Variante mit gerade hat die Formel die avertive Bedeutung der Anführung einer Äußerung, die S soeben im Begriff war, zu formulieren- - wenn denn der avertierende Sachverhalt nicht dazwischengekommen wäre. Ein besonderes epistemisches Merkmal weist dieser Gebrauch im Gegensatz zu den ersten drei Praktiken hingegen nicht auf. Die Verwendung ist paraphrasierbar mit wo waren wir stehengengeblieben. Beispiel (521) zeigt ein Exzerpt aus einem Verkaufsgespräch in einem Gartencenter. Kundin KG (=P) hat kurz zuvor auf die schwierigen Standortbedingungen für die gesuchte Pflanze hingewiesen, die für einen Hof gedacht sei, in den nur wenig Sonne falle. Verkäufer GL (=S) beschwichtigt in Zeile-1, das sei kein Problem, solange es dort überhaupt direkte Sonneneinstrahlung gebe. P gibt sich damit nicht zufrieden und hakt nach, ob unter diesen Umständen nicht doch die blätter nich so schön rot werden würden, wenn denn der Busch nur wenig Sonne bekomme. Bevor S antworten kann, wird ihm von anderen Kunden etwas zugerufen, und er wendet seine Aufmerksamkeit für kurze Zeit ab. In Zeile-29 nimmt er den Faden mit der Äußerung ähm [die] äh isch wollt grad sagen zur ROTfärbung dann wieder auf: 198 Vgl. Formel-66, Kapitel-7. <?page no="336"?> Epistemik 336 (521) „Rotfärbung“, FOLK_E_00213_SE_01_T_01, c67-92 (Verkaufsgespräch in einem Gartencenter) 01 GL °h (.) gut aber das is äh kein proBLEM in dem sinne; 02 es [KOMMT sonne hin. ] 03 KG [nur dann werden die-] 04 KG kein proBLEM, 05 aber dann wern die (.) blätter nich so SCHÖN rot. 06 wenn er [zu WEnig sonne hat ne, ] 07 KF [we_man jetzt ne GLANZmis]pel nimmt; 08 ne? 09 s[ach i] 11 GL [oh j]oa: , 12 (0.22) 13 GL nIch so SCHÖN; 14 (0.34) 15 das is 16 XM ((unverständlich im Hintergrund, 4.1 Sek)) 17 GL °h <<ff> die SCHÖNsten exemplare stehen dA, 18 (.) an dem HAUPTweg.> (-) 19 KG also DER [gefällt mir ] gUt. 20 GL [<<ff> die GROßen>] 21 KF ja? (.) 22 WELcher? 23 DER oder D[ER? ] 24 GL [äh: ]m ] (.) so. 25 KG [der. ] 26 GL [ähm ] 27 KG [ja NIMM] den ma mit darunter. 28 KF [( )] 29 GL [die: ] äh → 30 ɪɕ vɔlt ɡra ˈd̥saːn zur ROTfärbung? 31 °h [hau]ptsache es kOmmen n paar stunden 32 KF [ja? ] 33 GL diREKte sonne hin, 34 und sie ha sagen ja grad über MITtag kommen die j[a so]gar hin, 35 KF [ja ] 36 GL °h (.) also sodAss das mit der rOtfärbung gar kein proBLEM darstellt in der praxis. 37 nein. Während des kurzen Bruchs der geteilten Aufmerksamkeit geht das Gespräch zwischen P und ihrer Begleitung (Sprecherin KF) weiter. Für S besteht dadurch in Zeile- 29 nicht nur die Notwendigkeit, seinen Wiedereintritt in die geteilte Aufmerksamkeit und das Gespräch zu markieren, sondern- - wie von Redder (1980) betont- - auch die zurückliegende thematische Anschlussstelle zu benennen, an der sein folgender Beitrag ansetzt, da er nicht an die unmittelbar letzten, ihm entgangenen Züge anschließen kann. <?page no="337"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 337 Noch klarer der von Redder geschilderten Konstellation entsprechen themensteuernde Verwendungen in zweiter Position, in denen S aufgrund spezieller Gesprächsbedingungen nicht einfach an der nächsten geeigneten Stelle das Rederecht übernehmen kann, sondern warten muss, bis es erteilt wird. Themensteuernde Gebräuche dieser Art finden sich in institutionellen und öffentlichen Gesprächen, in denen jemand Anderes als S die Gesprächsleitung innehat. Speziell bei solchen Verwendungen wird oft auf eine Anreicherung der Formel mit Partikeln zurückgegriffen, die anzeigen, wo und wie die gerahmte Äußerung an Aspekte des bisherigen Gesprächsverlaufs anknüpft, die aktuell nicht mehr (oder noch nicht) thematisch sind. Als häufigste Kombinationen sind Verbindungen mit auch (inhaltlicher Anschluss an einen vorangegangenen Sprecher), noch (Hinzufügung eines weiteren Gesichtspunkts) und nur zu nennen (Zu-Protokoll-Geben eines relevanten, aktuell aber nicht weiter zu vertiefenden Aspekts). Verwendungen mit gerade (wie in (521)) sind dagegen vergleichsweise selten. Sie lassen sich wie folgt typisieren: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION themensteuernd FORM TMP: prt, +MV: wollen, SUB: (ich) Damit sind wir am Ende unseres Überblicks über die kommunikativen Praktiken der Zielformel angelangt. Abschließend wenden wir uns der Frage zu, inwieweit es strukturelle Hinweise auf eine sich anbahnende Lexikalisierung als Marker gibt. 6.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung Der folgende Abschnitt betrachtet die formale Verfestigung und lautliche Realisierung der Zielkonstruktion. Wir beginnen wie gehabt mit Angaben zur formalen Konvergenz der Formel sowohl auf lexikalisch-grammatischer als auch auf phonetischer Ebene (Abschn.- 6.3.4.1). Danach folgen die Detailuntersuchungen zur lautlichen Realisierung von wollt grad sagen. Betrachtet werden wieder Qualität und Quantität des / a: / s in sagen sowie die Silbigkeit dieses Segments (Abschn.- 6.3.4.2). Für die Untersuchung von Phänomenen an den markerinternen Wortgrenzen werden die Fugen zwischen wollte und gerade sowie zwischen gerade und sagen betrachtet (6.3.4.3). Auf prosodischer Ebene untersuchen wir den Wortakzentsitz der Formel und vergleichen dabei die lexikalische Konvergenzform des Markers wollt grad sagen mit kompositionellen Langformen wie das wollt ich auch grad sagen, ich wollte es nämlich gerade sagen etc. Zudem überprüfen wir die prosodische (Des-)Integration der Markerverwendung (6.3.4.4). <?page no="338"?> Epistemik 338 6.3.4.1 Formkonvergenz Die Formel zeigt eine vergleichsweise schwache strukturelle Konvergenz auf ihre angenommene Zielform. Von den 161 in pragmatischer Hinsicht als einschlägig betrachteten Vorkommen (d. h. Instanzen der Formel) weisen lediglich 68 die relevante Wortfolge wollte gerade sagen auf. Darunter sind auch Instanzen mit vorangehendem Subjektpronomen ich, die die relevante Segmentfolge zumindest beinhalten und somit ebenfalls deren Chunking erlauben. Dies entspricht einer Quote von lediglich 41% Markerrealisierungen in FOLK. Der Ausdruck ist in keinem der konsultierten Wörterbücher gelistet und erfüllt insofern nicht das Kodifizierungskriterium für Lexikalisiertheit. Von einer kodifizierten Univerbierung ist umso weniger zu sprechen. Mehr als die Hälfte der Instanzen weisen Umstellungen, lexikalische Erweiterungen oder Kombinationen von beiden Erscheinungen auf, die sie von der sich abzeichnenden Konvergenzform (ich) wollt grad sagen abheben. Die segmentalphonetische Analyse der 68 Markerbelege in FOLK ergab nicht weniger als 39 Realisierungsvarianten (Types). Auffälligstes und markertypisches Merkmal ist ein affrikatischer Anlaut ([dz]/ [d̥ s]) der zweiten Silbe aufgrund einer Resilbifizierung zwischen der zweiten und dritten Silbe. Diese Affrizierung ist insgesamt 51-mal belegt (75%). Die häufigste Einzelvariante [vɔl.kʁɐ.ˈdzɐŋ], also mit artikuliertem Lateral in der ersten Silbe, affrikatischem Anlaut der dritten Silbe und erhaltenem, aber unsilbischem finalen Nasal, ist 13-mal belegt und macht damit immerhin ein knappes Fünftel der Markerverwendungen aus. In insgesamt 24 Belegen (35%) ist die erste Silbe dagegen offen ([vɔ]). Dieses Merkmal kookkurriert in 15 Fällen mit der Affrizierung. Somit deckt das Schema [vɔ.kʁɐ.ˈdz…] ein knappes weiteres Viertel der Belege ab. In zehn seiner Instanzen ist die dritte Silbe mit Nasal realisiert, in 5- Fällen- ist sie offen, womit die am stärksten reduzierte Form [vɔ.kʁɐ.ˈdzɐ] einen Anteil von 7% an den Daten aufweist. Sie ist ohne stützenden Kontext nur schwer zu interpretieren. 6.3.4.2 Erosion Für die Untersuchung des / aː/ s im Stammmorphem sowie der Silbizität von sagen wurden 68 Markerverwendungen des FOLK-Korpus mit Instanzen von sagen außerhalb verfestigter Verwendungen verglichen. Die Vergleichsdaten sind dieselben wie bei den Analysen in Kapitel- 4 und 5. Sie umfassen einerseits Vorkommen von sie sagen oder wir sagen (N-=-98) und andererseits literale (also nicht selber markerförmige) Verwendungen von sagen wir (N-=-34). Die Daten beider Vergleichskontexte wurden zusammengefasst. Alle Datenpunkte wurden binär als „unreduziert“ ([a(ː)]) vs.-„reduziert“ ([ɐ]) kodiert. Im Rahmen der Klassifikation wurden neben dem quantitativen Kriterium der Dauer auch qualitative Aspekte berücksichtigt (Hörurteil und signalphonetische Formantwertmessung von F1 und F2), die in den meisten Fällen mit dem Dauermerkmal korrelieren ([ɐ]) vs.-([a]). <?page no="339"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 339 Das Ergebnis zeigt einen Anteil von 38% reduzierten Realisierungen des Stammsilbenvokals bei den Markern. Bei den Vergleichsformen liegt der Anteil reduzierter Realisierungen mit 41% marginal höher, was jedoch nicht ins Gewicht fällt: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Abb.-19: Vokalqualität ([ɐ] vs.-[a]) in sagen Abbildung-20 zeigt das Ergebnis der Dauermessung: Auftretenskontext Dauer (ms) 50 100 150 Marker Vergleichsformen Abb.-20: Mittlere Lautdauer (ms) des Stammsilbenvokals in sagen Der Befund der instrumentalphonetischen Dauermessung passt zur qualitativen Analyse des / a: / -Segments. Wie im Fall von sozusagen unterscheidet sich der Stammsilbenvokal von sagen bei wollt grad sagen nicht deutlich von den Vergleichsdaten. Reduzierte Realisierungen des Stammsilbenvokals sind weder typisch noch charakteristisch für den Marker. Stattdessen ist die Varianz innerhalb und zwischen den <?page no="340"?> Epistemik 340 verglichenen Beleggruppen von schwer kontrollierbaren Faktoren wie Sprechgeschwindigkeit, Akzentbzw. Rhythmusstruktur und Intonation beeinflusst. In einem zweiten Untersuchungsschritt betrachten wir die Silbizität des sagen-Elements. Dazu werden zweisilbige Formen als „unreduziert“ und einsilbige als „reduziert“ gewertet. Bei den Markern ist das sagen-Segment exakt in der Hälfte der Belege silbisch reduziert. Bei den Vergleichsformen ist hingegen nur ein Drittel silbisch reduziert: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Abb.-21: Silbizität des Segments sagen Es kann angenommen werden, dass silbische und vokalische Reduktion miteinander zusammenhhängen. Bei den Vergleichsdaten bestätigt sich diese Vermutung in 92% der Fälle: 53% der Belege sind zweisilbig mit langem Vokal, 39% sind einsilbig mit kurzem Vokal. In 8% der Belege fallen reduzierte Vokalqualität und reduzierte Silbizität nicht zusammen. 7% davon sind zweisilbig, aber haben ein reduziertes [ɐ], 1% ist einsilbig und hat ein unreduziertes [a]: Vokalqualität Zweisilbig Einsilbig [a] 53%  1% [ɐ]  7% 39% Tab.-10: Silbizität und Vokalqualität in sagen (Vergleichsformen) Bei den Markern fallen beide Merkmale nur in gut zwei Dritteln der Fälle zusammen. Bei den zweisilbigen Formen dominieren solche mit vollem [a] (40%), bei den einsilbigen solche mit reduziertem [ɐ] (28%). 22% der Einsilbler haben jedoch ebenfalls ein unreduziertes [a]. Am seltensten ist die Kombination von Zweisilbigkeit und reduziertem [ɐ] (10%): <?page no="341"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 341 Vokalqualität Zweisilbig Einsilbig [a] 40% 22% [ɐ] 10% 28% Tab.-11: Silbizität und Vokalqualität in sagen (Marker) Auffällig ist bei den Markern also insbesondere, dass der Vokal häufig auch dann prominent bleibt, wenn silbisch reduziert wird. In der Vergleichsgruppe ist das nur in 1% der Belege der Fall, bei den Markern hingegen bei mehr als einem Fünftel. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Stammsilbe von sagen im strukturell verdichteten Marker den (emergierenden) Wortakzent der Einheit trägt-- egal, ob das sagen-Segment nun ein- oder zweisilbig realisiert wird (vgl. Abschn.- 6.3.4.4 zur Analyse der Akzentstruktur des Markers). 6.3.4.3 Grenzphänomene Im dritten Schritt betrachten wir Grenzphänomene an den markerinternen Fugen zwischen wollte und gerade bzw. gerade und sagen. Für die erste Fuge werden zum Vergleich Kombinationen von wollte oder sollte mit folgendem plosivischen Wortanlaut herangezogen. Die zweite Fuge betrachten wir im Kontrast zu Kombinationen von gerade mit einem folgenden (post-)alveolaren Frikativ. Für die Untersuchung der ersten Fuge (wollte_gerade) wurden 77 Markerbelege (68 aus FOLK und 9 aus Deutsch heute) mit knapp 300 Vergleichsbelegen für wollte/ sollte + Plosiv aus FOLK kontrastiert. 199 Betrachtet wurden Reduktion und Fusion des Modalverbs wollte mit dem folgenden Adverb gerade. Unterschieden wurden folgende Ausprägungen: - Unreduzierte (zweisilbige) Belege (/ vɔltə/ ) - schwach reduzierte Belege (mit Lateral und Plosiv in der Silbencoda, / vɔlt/ ) - stark reduzierte Belege (nur mit Lateral in der Silbencoda, / vɔl/ ) - maximal reduzierte Belege (offene Silbe / vɔ/ ) Zieht man zunächst alle drei reduzierten Varianten zusammmen und kontrastiert lediglich „reduzierte“ (einsilbige) mit „unreduzierten“ (zweisilbigen) Belegen, ergibt 199 Von insgesamt 473 Treffern für den Suchstring „‚[sw]ollte‘ [word=‚[ptkbdg].*‘] within con“ waren 298 für unsere Zwecke auswertbar. Berücksichtigt wurden alle Treffer, die nicht im Verdacht standen, ihrerseits formulaisch zu sein und insbesondere keine Artikulationspause bzw. IP-Grenze zwischen dem Modalverb und dem folgendem Wort aufwiesen. Da die analytische Segmentierung in Intonationsphrasen nicht immer eindeutig ist, wurde die Auswahl der in die Vergleichsgruppe aufzunehmenden Belege unabhängig von zwei Annotierenden gemacht und die Ergebnisse verglichen. Fälle ohne Annotatorenübereinstimmung wurden in einer Nachbesprechung aufgelöst. <?page no="342"?> Epistemik 342 sich ein deutlicher Kontrast mit 97% reduzierten Realisierungen bei den Markern gegenüber nur 27% reduzierten Realisierungen in der Vergleichsgruppe (χ 2 =124,15, df=1, p<0,001). Zudem dominieren bei den Markern stark bis maximal reduzierte Formen: In fast der Hälfte der Erstglieder des Markers (47%) entfällt neben dem finalen Schwa auch der Plosiv (/ vɔl/ ), und in weiteren 36% besteht die erste Silbe lediglich noch aus dem Frikativ und einem immer sehr kurzen, in einigen Fällen im Schwa-Bereich artikulierten Vokal (/ vɔ/ ). In dieser Form ist die codalose Silbe ohne Kontext nicht mehr als Verbform erkennbar. Ganz anders sieht es in der Vergleichsgruppe aus, in der knapp dreiviertel der Belege unreduziert sind. Schwach (/ vɔl/ ) und stark reduzierte Formen (/ vɔ/ ) addieren sich zu weiteren 26% der Daten, und nur ein einziger Beleg weist die maximale Reduktionform / vɔ/ auf. Abbildung-22 veranschaulicht den Vergleich in grafischer Form: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen vɔltǝ_Plosiv vɔlt_Plosiv vɔl_Plosiv vɔ_Plosiv Abb.-22: Reduktionsformen an der Fuge zwischen wollte und gerade Um zu kontrollieren, welchen Einfluss der Verbmodus (Indikativ vs.-Konjunktiv) auf die sehr hohe Anzahl zweisilbiger Verbformen in der Vergleichsgruppe hat, wurden ihre Instanzen unterschieden in einerseits indikativische Verwendungen (mit Ziel des Wollens bzw. Sollens erkennbar in der Vergangenheit bzw. einer Zielorientierung „ex post“, Redder 1983, S.-146) und andererseits konjunktivische Verwendungen (mit Orientierung des Modalverbs auf den gegenwärtigen Interaktionszeitpunkt bzw. „ex ante“, ebd.). Von 298 Belegen wurden 195 Belege formal dem Indikativ Präteritum zugeordnet, 85 dem Konjunktiv II (insbesondere Instanzen von sollte), in 18 Fällen war die Zuordnung nicht möglich. Mit dieser Unterscheidung zeigt sich ein Effekt des Verbmodus auf die Reduktion des Modalverbs: Der Anteil unreduzierter Formen steigt in der Konjunktivgruppe auf 91%, während er bei den indikativischen Verwendungen auf 67% fällt. 200 Trotz dieses Unterschieds innerhalb der Vergleichs- 200 Dieser Befund steht dem in Redder (1983) berichteten entgegen. Dort wird dafür argumentiert, „‚wollte‘ als die wirklich verwendete Form des Indikativ Präteritums von ‚wollen‘ zu betrachten, <?page no="343"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 343 gruppe bleibt der Kontrast zu den wollte-Instanzen innerhalb des Markers allerdings sehr deutlich. Die zweite Wortgrenzenuntersuchung widmet sich der Fuge zwischen gerade und sagen und insbesondere der Frage, ob sich an ihr Resilbifizierungs- und mithin Univerbierungstendenzen des Markers erkennen lassen. Verglichen wurden 74 auswertbare Markerinstanzen aus FOLK und Deutsch heute mit 185 auswertbaren Kombinationen von gerade mit einem direkt nachfolgendem alveolaren oder postalveolaren Frikativ. Die Belege für den Vergleich wurden getrennt in Verwendungen von temporal gebrauchtem gerade und alle sonstigen Verwendungen von gerade (als Modalpartikel, Gradpartikel oder Adjektiv). 201 Die Daten der Vergleichsgruppe stammen ebenfalls aus FOLK. 202 Untersucht wurden die Fugenrealisierungen zwischen gerade und dem folgenden Element sagen auf das Vorliegen einer Affrizierung. Die Ergebnisse zeigen eine affrizierte Fuge bei 72% der Marker gegenüber 60% der temporalen und 51% der sonstigen Vergleichsbelege (χ 2 =6.90, df=2, p<0,05*): 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen Temporal ohne Affrizierung mit Affrizierung Abb.-23: Affrizierung an der Wortgrenze zwischen gerade und sagen die Kurzform ‚wollt‘ demgegenüber als die wirklich verwendete Form des Konjunktiv- II“ (ebd., S.-153). 201 Eine Auswertung der gerade-Vorkommen im Deutsch-heute-Korpus zeigt, dass dort temporale Verwendungen am frequentesten sind (über 1000 von insgesamt 1865 Belegen) und der Anteil einsilbiger Realisierungen in temporaler Verwendung etwas häufiger ist als in nicht-temporaler. Vgl. die funktionsbezogene und areale Distribution von gerade im „Atlas zur Aussprache des deutschen Gebrauchsstandards (AADG)“, Eintrag „Der Gebrauch von gerade“ (https: / / prowiki.ids-mannheim.de/ bin/ view/ AADG/ ModalGerade). 202 Query: „‚g(e)? rad(e)? ‘ [(word=‚(s|sch)[aeiouäöü].*‘)&(word! =‚sagen‘)] within con“. Ausgeschlossen wurden Belege mit nicht ausreichend guter Tonqualität und Kombinationen mit einer IP-Grenze zwischen den beiden Elementen. <?page no="344"?> Epistemik 344 Etwas mehr als die Hälfte der affrizierten Marker weisen einen Lenisplosiv auf ([dz]/ [d̥ s)]. Ohne Abbau der Grenze wäre hier ein Fortisplosiv erwartbar (Auslautverhärtung), der als Wortauslaut direkt auf eine Wortgrenze hindeutet. Vor diesem Hintergrund ist die hohe Anzahl an Lenisplosiven in den Affrikaten als Hinweis auf eine Univerbierungsentwicklung zu sehen. In einem weiteren Untersuchungsschritt wurde der Unterschied zwischen den Markern und den beiden Vergleichsgruppen bei den nicht-resilbifizierten Fugen ausgewertet. Hierfür wurden alle Belege ohne Affrizierung auf das Vorkommen eines Schwas ([ə]) im Auslaut von gerade geprüft. Dessen Auftreten ist in den Vergleichsgruppen mit jeweils 88% deutlich höher als bei den Markerbelegen, bei denen nur in einem der 21 nicht-resilbifizierten Übergänge ein gerade mit finalem Schwa artikuliert wird: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Sonstige Temporal unreduziert reduziert Abb.-24: -Schwa im Auslaut von gerade In neun der 21 nicht-resilbifizierten Markerverwendungen ist neben dem Schwa auch der Alveolarplosiv nicht artikuliert. In diesen Fällen rückt der Plosiv also nicht als plosivisches Element der Affrikate in den folgenden Silbenanlaut, sondern fehlt. Da solche plosivlosen Formen an den Wortgrenzen der Vergleichsgruppe nicht auftreten, kann spekuliert werden, dass sie bei den Markern als reduzierte (lenisierte) Formen der affrizierten Realisierung entstehen. 6.3.4.4 Prosodische Merkmale Im letzten Schritt wird die formale Verfestigung der Einheit auf akzentstruktureller Ebene untersucht. Insgesamt 162 lautlich auswertbare Instanzen (68 Marker bzw. Kurzformen und 94 Langformen) wurden dafür hinsichtlich der Frage annotiert, welches Element den Hauptakzent der lexikalischen Einheit trägt und ob es neben- <?page no="345"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 345 betonte Elemente gibt. 203 Die hier präsentierte Auswertung der Annotationen beschränkt sich weitgehend auf die Verteilung des Hauptakzents. Für den Marker stellte sich eine relativ fixierte Akzentstruktur heraus: Der Primärakzent der Struktur sitzt in 76% der Marker-Belege auf der Infinitivform (sagen), in 22% trägt sagen einen Nebenakzent, in 2% der Fälle ist es unbetont. Die akzentstrukturelle Normalform ist demnach als Anapäst beschreibbar, da der Hauptakzent der meisten Markerinstanzen auf der dritten Silbe liegt, mit zwei vorgängigen offenen Silben, in Form von [vɔ.kʁɐ.ˈ(d)zaŋ]. In den Belegen, in denen der Hauptakzent nicht auf sagen liegt, trägt ihn zu 58% das Finitum (wollt) und zu 36% das gerade. In nur einem Fall (6%) ist ein im Vorfeld positioniertes Subjektpronomen primärbetont. Vergleicht man die Akzentstruktur der Marker mit syntaktischen Langformen der Formel, stellt sich heraus, dass das Akzentmuster bei den Langformen an Fokussiertheit verliert: In den 94 Instanzen der ausgebauteren Varianten liegt der Hauptakzent nur noch in 53% der Fälle (50 Belege) auf dem Infinitiv. Auch der ohnehin geringe Anteil von Primärakzenten auf wollte und gerade verringert sich bei den Langformen im Vergleich zu den Markern. 204 Die Abweichungen von der Normalform des Markers deuten in einigen Fällen auf funktionsbezogene Gründe hin. In 43% der Langformen wird die Formel mit prosodisch integriertem Objektelement verwendet, und in knapp der Hälfte dieser Belege trägt das Objekt auch den Hauptakzent der Intonationsphrase. Das ist insbesondere bei Explikationen (vor allem im Rahmen von Formulierungsproblemen) der Fall (15 von 19 Fällen). Dabei verschafft der Akzent dem Objekt der Formel als offenzulegendem bzw. zu korrigierendem Element Prominenz und mithin Kontrastpotenzial, das insbesondere bei selbstreparierenden und eine Fremdkorrektur einladenden Äußerungen der Praktik „Explikation (A)“ (vgl. 6.3.3.2) syntaktisch durch die Topikalisierungsstruktur- - „OBJEKT wollt ich gerade sagen“-- gestärkt wird. Abschließend betrachten wir die prosodische Integration des Markers. Mit 81% desintegrierten Verwendungen weist wollt grad sagen im Vergleich unserer vier Fallstudien den höchsten Anteil solcher Gebräuche auf. Dieser hohe Anteil überrascht wenig angesichts der Natur der Praktiken, die mit dem Marker vollzogen werden. Die mit weitem Abstand typischste Verwendung als Zustimmung sowie auch die rückwirkende Wissenanzeige nach Vergewisserung sind handlungswertige und damit potenziell auch turnwertige Verwendungen des Markers. Ent- 203 Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenakzent war insbesondere deshalb nötig, weil Belege mit mehr als einem Druckakzent auftreten bzw. auch Fälle, in denen ein Tonakzent hörbar ist, der nicht mit dem Druckakzent zusammenfällt. 204 Primärakzentuiertes wollte hat einen Anteil von 10% (neun Belege) an den Hauptakzenten bei den Ausbauformen, der Anteil von primärakzentuiertem gerade liegt bei 5%. <?page no="346"?> Epistemik 346 sprechend ist innerhalb der Zustimmungen und Wissensanzeigen der Anteil intonatorisch eigenständiger Realisierungen mit 85% nochmals etwas höher als in der Gesamtschau. 6.3.5 Fazit und Einordnung Damit kommen wir zur Zusammenfassung der wichtigsten Befunde der Fallstudie. Mit 14,66 Vorkommen pMW ist die Konstruktion in FOLK deutlicher häufiger belegt als in DECOW16B (0,03 Vorkommen pMW). Sie kann insofern als typisch mündlich gelten. Gleichzeitig ist sie jedoch deutlich seltener als die anderen drei im Detail untersuchten Marker sozusagen, sagen wir und wie gesagt. Sie ist auch nur schwach verfestigt: Lediglich 41% der Belege entfallen auf die angenommene lexikalische Konvergenzform (ich) wollt grad sagen. Daneben finden sich zahlreiche lexikalische Ausbauvarianten (mit zusätzlicher oder alternativer Modifikation sowie mit Objektpronomen) sowie auch Stellungsvarianten. Funktional stehen epistemische Merkmale im Vordergrund. Zwar dient die häufigste Praktik zur Signalisierung von Zustimmung mit P (eine Handlung, die in unserer Typologie in den koordinativen Bereich gehört), sie verbindet diese Zustimmung jedoch mit einer Beanspruchung von epistemischer Autonomie und Parität: In knapp zwei Dritteln der Belege ist der im Anschluss betriebene kommunikative Aufwand, um die eigene epistemische Unabhängigkeit und Ebenbürtigkeit zu demonstrieren, gemäß der hier vorgenommenen Typisierung als hoch bis maximal einzustufen (vgl. Abschn.- 6.3.3.1). Auch die zustimmende Verwendung dient somit typischerweise nicht nur zur Signalisierung von Einverständnis, sondern speziell um einem damit verbundenen möglichen Eindruck von epistemischer Unterlegenheit entgegenzutreten. Die Common Ground-bezogenen Praktiken der Explikation (die in zwei Varianten kommt) sowie der Anzeige vorgängigen Wissens nach einem request for confirmation sind ebenfalls als epistemisch zu charakterisieren. Als fünfte Praktik kommt eine gesprächsorganisatorische zur Themensteuerung hinzu. Abbildung-25 gibt einen diagrammatischen Überblick über die zwischen den angesetzten Praktiken bestehenden Vernetzungen kontextueller, funktionaler und struktureller Art: <?page no="347"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 347 Abb.-25: -Pragmatische Karte <?page no="348"?> Epistemik 348 Interessant ist, dass die einzelnen Praktiken trotz der zwischen ihnen bestehenden Zusammenhänge doch erkennbar distinktive Nischen im Verwendungsspektrum der Formel besetzen. Vier der fünf Praktiken sind nicht nur epistemisch, sondern fungieren auch (auf unterschiedliche Weise) interpersonell affiliativ, sind aber gleichzeitig durch je kontrastierende kontextuelle und strukturelle Merkmale voneinander abgegrenzt: Sowohl Zustimmungen als auch Wissensanzeigen sind handlungswertig, treten jedoch in unterschiedlichen Sequenzpositionen auf. Die explikativen Praktiken haben nicht nur beide Operatorstatus, sondern sind auch sonst in mehrerlei Hinsicht funktional ähnlich bzw. komplementär, unterscheiden sich jedoch durch ihre Stellung zum Bezugsausdruck sowie durch ihre typische Modifikation. Die nicht-epistemischen Themensteuerungen schließlich zeigen auch in kontextueller und struktureller Hinsicht die geringste Vernetzungsdichte mit dem Rest des Verwendungsspektrums. Lautlich zeigen sich auch beim Marker wollt grad sagen keine Erosionserscheinungen im sagen-Segment, die nicht auch in freien Verwendungen des Verbs auftreten. Lautsegmental auffällig ist lediglich der relativ hohe Anteil unreduzierter Stammsilbenvokale in einsilbigen Realisierungen der sagen-Komponente. Akzentstrukturell ist der Marker im Unterschied zu ausgebauteren Instanzen der Formel weitgehend stabil: Das sagen-Segment ist beim Markergebrauch fast immer akzentuiert, auch im Fall einsilbiger Realisierungen des Verbs (wodurch sich auch der geringe Anteil reduzierter / a: / -Realisierungen erklären lässt). Das markanteste Merkmal des Markergebrauchs ist die in drei Vierteln der Belege beobachtete Resilbifizierung an der zweiten lexikalischen Fuge, die im Vergleich zu freien Verwendungen von gerade mit direkt nachfolgendem alveolaren oder postalveolaren Frikativ klar auf einen Abbau der Wortgrenze hinweist. Anstelle eines auslautenden Fortisplosivs mit folgendem Frikativ wird in über 70% der Markerbelege eine (Lenis-)Affrikate im Anlaut artikuliert. Diese Befunde deuten an, dass sich als phonetische Konvergenzform des Markers eine dreisilbige Realisierung mit zwei codalosen ersten Silben und affrikatisch anlautender betonter dritter Silbe ausbilden könnte (Typ: / vɔ.kʁɐ.ˈdzɐŋ/ ). 13% der Markervorkommen in FOLK zeigen diesen maximalen Reduktionsgrad, weitere 9% kombinieren die starken Reduktionsmerkmale der ersten beiden Silben mit einem zweisilbigen sagen-Glied (Typ: / vɔ.kʁɐ.dza(: )ŋ̍ / ). Etwaige Zusammenhänge von Praktik und phonetischer Realisierungspräferenz sind aufgrund der geringen Datenmenge schwierig zu beurteilen. Die Tendenz zur Markerrealisierung fällt bei den Themensteuerungen und den produktionsbezogenen Explikationen (Typ herr HACH wollt ich schon sagn) am geringsten aus, da ihnen das für den Marker konstitutive gerade in der Regel fehlt. Bei solchen Belegen handelt es sich mithin um avertive Verwendungen von (ich) wollte sagen, die zwar auch marginal mit gerade belegt sind, typischerweise jedoch andere Modifikatoren nehmen (oder keinen). Bei den verbleibenden drei Praktiken sind Realisierungen in Gestalt der Wortfolge (ich) wollt grad sagen dagegen gebräuchlich, wobei die verste- <?page no="349"?> Vertiefungsstudie: wollt grad sagen 349 hensbezogenen Explikationen (Typ ich wollt schon SAgnwo hast du denn jetz_n KÄse) mit zwei Dritteln der Belege noch den höchsten Anteil an Markerrealisierungen aufweisen (in absoluten Zahlen sind es jedoch nur ganze zehn, sodass die Aussagekraft dieser Beobachtung begrenzt ist): 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Themensteuerung Wissensanzeige Zustimmung Ausbauform Marker Explikation_A Explikation_B Abb.-26: -Formale Realisierung der Praktiken Ähnliches gilt auch für Betrachtungen zur phonetischen Reduktionstendenz der drei Praktiken, bei denen Markerrealisierungen zumindest anteilig gebräuchlich sind. Abbildung-27 illustriert die Proportionen von Markerverwendungen, die gemäß der Beschreibung in Abschnitt- 6.3.4 Reduktionseffekte an den beiden markerinternen Fugen aufweisen (d. h. sowohl mit codaloser Erstsilbe / vɔ/ als auch mit affrikatisch-resilbifiziertem Drittsilbenanlaut artikuliert werden): 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Wissensanzeige Zustimmung Explikation_B unreduziert reduziert Abb.-27: Praktiken und Reduktion: Abbau der Wortgrenzen <?page no="350"?> Epistemik 350 Auf den ersten Blick suggeriert das Diagramm eine mögliche Tendenz dieser Art (mit 60% reduzierten Vorkommen bei den turnwertigen Wissensanzeigen in dritter- Sequenzposition gegenüber deutlich niedrigeren Anteilen in den zwei anderen Kategorien). Allerdings erlaubt die bescheidene Fallzahl von lediglich 65 Markervorkommen in allen drei Kategorien zusammengenommen (davon gerade einmal fünf Belege für die Wissensanzeigen) keinen Rückschluss auf einen solchen Zusammenhang (χ 2 =1,37, df=2, p=0,50). Für belastbare Befunde umfassen die Daten schlicht zu wenig Vorkommen der Konstruktion in Gestalt der angenommenen Konvergenzform. Abschließend kommen wir zur Frage der beteiligten Wandelphänomene. Eine Tendenz zur formalen Verfestigung ist mit einem Datenanteil der angenommenen Konvergenzform von 41% (mit Adverb gerade, SV-Stellung und Entfall des Objektpronomens) durchaus zu erkennen. Eine feste Lexikalisierung ist aber noch nicht gegegeben, denn insgesamt üblicher bleibt der analytische Zugriff auf die Formel als abwandel- und umstellbares Syntagma. Lexikalisiertheit als komplexe Einheit liegt auch gemäß unserem normbasierten Kriterium (Erwähnung der Formel in Wörterbüchern) nicht vor. Umso weniger kann bei mehr als der Hälfte abweichend realisierter Belege von Univerbierung die Rede sein. Nichtsdestotrotz sind innerhalb derjenigen Belege, in denen der relevante Chunk auftritt, jedoch bereits bestimmte lautliche Spezialisierungstendenzen erkennbar, die auf einen dort beobachtbaren beginnenden Abbau der Wortgrenzen und eine Fixierung des Akzentmusters hindeuten (bislang jedoch wohl nur bei manchen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft, die zu den Innovatoren der Konstruktion zählen). Grammatikalisierung liegt insofern vor, als die Konstruktion wollt grad sagen einen zusätzlichen Layer in der Grammatikalisierung des Modalverbs wollen zu einem formalen Marker der Bedeutung „Action narrowly averted“ darstellt (vgl. Kuteva 1998). Bemerkenswert ist, dass die Instanz mit sagen knapp 90% entsprechender Konstruktionen in FOLK abdeckt, was für ihren Sonderstatus als eigenständig konventionalisierte Variante von avertivem wollen in der Mündlichkeit spricht. Die dominante Praktik, die mit dem Ausdruck vollzogen wird, ist intersubjektiv im Traugottschen Sinne, nämlich sowohl koordinativ als auch epistemisch. Ihre Bedeutung ist nicht nur in individuellen Belegen (wie (514)) als desemantisiert zu charakterisieren (da die vorgeblich „knapp abgewendete“ Äußerung faktisch getätigt wurde), sondern auch insgesamt als indexikalisch zu werten: Sie setzt den Bezugsausdruck in Beziehung sowohl zu S’ individuellen Absichten als auch zu S’ Haltung gegenüber einer direkt vorangegangenen Positionierung Ps, auf die mit dem Marker reagiert wird. Das Paradigma, in das sie sich einordnet, ist die Klasse der Responsivpartikeln (mit Ausdrücken wie ja, genau, stimmt etc.), in der sie eine funktionale Nische besetzt, die Affiliation und epistemischen Autonomieanspruch miteinander verbindet. Begrifflich lässt sich der funktionale Mehrwert der neuen Ausdrucksoption konzise mit Küttner und Raymonds (2022) Formulierung eines „counteracting secondness“ <?page no="351"?> Zusammenfassung 351 auf den Punkt bringen. Bezüglich des epistemischen Merkmals bildet sie somit eine paradigmatische Opposition zu den genannten Alternativen. In der Summe liegen somit partielle Desemantisierung bei Zunahme indexikalischer Bedeutung, zunehmende Fügungsenge sowie Rekategorisierung des Syntagmas als handlungswertige Responsivpartikel bzw. zunehmende Paradigmatisierung vor. Obwohl der Ausdruck noch nicht fest lexikalisiert (bzw. auf Sprachgemeinschaftsebene als kooptiertes Thetical konventionalisiert) ist, zeigt die Entwicklung von wollt grad sagen somit relevante Anzeichen eines Grammatikalisierungsprozesses. 6.4 Zusammenfassung Kapitel-6 hat einen Überblick über formulaische Ausdrücke mit sagen gegeben, für die wir eine schwerpunktmäßig epistemische Funktion ansetzen. Unterschieden wurden sie in drei Klassen: erstens Formeln zur Anzeige sicheren, überlegenen oder bevorrechtigten eigenen Wissens („K+“), zweitens Formeln zur Anzeige des Fehlens solchen Wissens („K-“), und drittens Formeln zur Signalisierung bzw. Herstellung von Intersubjektivität durch Mobilisierung von Common Ground („K=“). Insgesamt wurden 26 zu diesen drei Bereichen gehörige Verfestigungen bzw. dahinterstehende semantisch-pragmatische Bildungsmuster identifiziert, ihre Gebrauchsmuster analysiert und mit Daten aus DECOW16B veranschaulicht. Die interaktionslinguistische Vertiefungsstudie zu diesem Bereich widmete sich dem Marker wollt grad sagen, der in DECOW16B nicht zu den häufigsten Verfestigungen mit schwerpunktmäßig epistemischer Funktion zählt, in unserem gesprochensprachlichen Untersuchungskorpus FOLK aber ungleich prominenter ist. Unterschieden wurden insgesamt fünf kommunikative Praktiken, von denen vier maßgeblich epistemische Funktionsmerkmale aufweisen. Sie dienen der reaktiven Beanspruchung, Veranschaulichung oder Bekräftigung von wiederhergestellter epistemischer Konvergenz und Parität mit P zum Ausgleich einer Imbalance. Daneben wurde eine gesprächsorganisatorische Praktik zur Themensteuerung angesetzt. Mehrere der untersuchten Praktiken weisen desemantisierte Gebräuche der Einheit auf, in denen die „avertive“ Quellbedeutung von wollt grad sagen (S hat die implizierte Äußerung faktisch nicht getätigt) nicht länger vorliegt. In lautlicher Hinsicht konnten an beiden markerinternen Wortgrenzen Hinweise auf eine Ablösung der Einheit von ihrer kompositionellen Quellstruktur gewonnen werden, die sich in markerspezifischen Reduktions- und Verschmelzungstendenzen niederschlagen. Als aktuell absehbare lexikalische Konvergenzform zeichnet sich phonetisch die dreisilbige Einheit / vɔ.kʁɐ.ˈ(d)zɐŋ/ ab. <?page no="353"?> Formelüberblick 353 7. GESPRÄCHSORGANISATION 7.1 Einleitung Im letzten Teil unserer Inventarisierung pragmatischer Formeln mit sagen wenden wir uns Ausdrücken zu, die besondere Funktionen im Bereich der Gesprächsorganisation erfüllen. In der in Abschnitt- 7.2 präsentierten Übersicht werden ingesamt 13- Verfestigungen dieser Art und damit weniger Formeln als in den anderen drei Bereichen identifiziert. Gleichzeitig stammt mit dem Marker wie gesagt aber auch die mit Abstand häufigste aller untersuchten Verfestigungen von sagen (zumindest in DECOW16B) aus diesem Funktionsbereich. Wir untersuchen sie genauer im Rahmen der interaktionslinguistischen Vertiefungsstudie in Abschnitt- 7.3. Das Kapitel schließt in Abschnitt-7.4 mit einer kurzen Zusammenfassung. 7.2 Formelüberblick In Kapitel- 3 haben wir innerhalb des übergeordeneten Funktionsbereichs „Gesprächsorganisation“ zwar einerseits zwischen themensteuernden, beitragsgliedernden und rederechtsbezogenen Funktionsaspekten unterschieden, andererseits jedoch auch betont, dass diese Merkmale einander nicht ausschließen, wie es etwa bei involvierenden und distanzierenden, affiliativen und disaffiliativen, das Vorhandensein und das Fehlen von Wissen anzeigenden Funktionsmerkmalen der Fall ist. 205 Da eine Gliederung nach diesen Kriterien insofern nicht möglich ist, ist der folgende Funktionsüberblick-- anders als in Kapitel-4 bis 6-- auch nicht in separate Abschnitte für die genannten drei Aspekte unterteilt. Nichtsdestotrotz machen wir von den Begriffen der Themensteuerung, der Beitragsgliederung und der Rederechtsbezogenheit aber natürlich nach wie vor Gebrauch (im Sinne ihrer Bestimmungen in Kap.- 3), um die Funktionsmerkmale der im Folgenden diskutierten Formeln zu erläutern. Ihre Systematisierung orientiert sich jedoch allein an den semantisch-pragmatischen Merkmalen, die die einzelnen Komponenten einer Formel in die jeweilige 205 Zur Veranschaulichung: Die Formel was ich sagen wollte ist ebenso themensteuernd (durch Projektion eines neuen Inhalts) wie beitragsgliedernd (durch Segmentierung des Beitrags in einen Teil vor und einen Teil nach dem angezeigten Themenwechsel). Die Formel sag jetzt nichts ist dagegen sowohl themensteuernd (durch Unterdrückung eines aktuell anschlussfähigen Einwands) als auch rederechtsbezogen (durch Aufforderung an P, eine unterstellte Äußerungsabsicht in dieser Hinsicht zu verwerfen). Und die Formel sag mal schnell ist sowohl beitragsgliedernd (durch Ausweis eines Formulierungsproblems als punktuell begrenzte Wortfindungsschwierigkeit) als auch rederechtsbezogen (als Anzeige, dass S das Rederecht auch im Fall einer von P geleisteten Formulierunghilfe behalten möchte). <?page no="354"?> Gesprächsorganisation 354 Bildung einbringen. Als primäres Sortierkriterium wird wiederum die Frage nach der Sprechinstanz verwendet („wer spricht? “). Vorweggeschickt sei außerdem, dass wie gehabt nur Ausdrücke behandelt werden, bei denen eine gesprächsorganisatorische Funktion im Vordergrund steht. Viele Ausdrücke, die bereits in Kapitel- 4 bis 6 vorgestellt wurden, können abseits ihrer positionierenden, koordinierenden oder epistemischen Hauptfunktionen auch zu gesprächsorganisatorischen Zwecken verwendet werden-- vgl. etwa die reformulierunganzeigende Verwendung von man könnte sagen in (522), oder die quotative Verwendung von ich sag in (523): 206 (522) Im Kontrast zu dem düsteren Effekt, der durch diese Schicht hervorgerufen wurde, „stand die leuchtend, man könnte sagen strahlend, polierte Goldmaske des- Königs, die Kopf und Schultern bedeckte“ (Howard Carter). (http: / / www. pharao-tutanchamun.de/ grab-des-tutanchamun.htm [decow]) (523) Die Bellerei haben wir in den Griff bekommen über Kommandos. Ich hab so getan als wär mir das Bellen recht. Er bellt, ich sag „Gib Laut“. er hört auf, ich sag „Schluß“. Auch das klappt sehr gut! (http: / / www.4pfoten-2beine.de/ forum/ archive/ index.php/ t-9089.html [decow]) Die häufigsten Ausdrücke in DECOW16B, die wir dagegen schwerpunktmäßig im Bereich der Gesprächsorganisation verorten, sind in Tabelle-12 gelistet: Rang Formel Frequenz pMW 1 wie gesagt 649.039 41,38 2 besser gesagt 68.784 4,38 3 was soll ich sagen 44.204 2,82 4 um nicht zu sagen 18.374 1,17 5 will sagen 15.132 0,96 6 ich muss dazu sagen 10.492 0,67 7 was ich damit sagen will 10.212 0,65 8 was ich sagen wollte 5434 0,35 9 willst du damit sagen 4232 0,27 10 was wollte ich sagen 683 0,04 Tab.-12: -Gesprächsorganisatorische Formeln (Top 10 in DECOW16B) Es ist nicht auszuschließen, dass gerade in diesem Bereich mit deutlich anderen Zahlen zu rechnen gewesen wäre, wenn der Formelüberblick auf der Basis eines 206 Imo (2007, S.-86) spricht bei quotativem ich sag von einer Konstruktion zur „Äußerungspräsentation“, die (gemeinsam etwa mit dem davon abgeleiteten und ich so) zu einem kleinen Paradigma „zu Floskeln geronnene[r] reine[r] Redeanführungsmarker“ gerechnet wird. <?page no="355"?> Formelüberblick 355 hinreichend großen Gesprächskorpus hätte erstellt werden können. 207 Schließlich handelt es sich bei den hier zugrundegelegten Webdaten eben gerade nicht um Gespräche im typischen Sinne (d. h. mündliche Face-to-Face-Interaktionen zwischen kopräsenten Teilnehmern). Umso erstaunlicher ist es insofern, dass sich auch hier die volle Bandbreite gesprächsorganisatorischer sagen-Formeln bis hin zu jenen mit mutmaßlich rein prozeduraler, rederechtsbezogener Funktion findet, und dass auch die häufigste pragmatische Formel mit sagen im Korpus überhaupt aus diesem Bereich stammt (wie gesagt). Tatsächlich lassen sich in den Webdaten auch nicht nur Formeln beobachten, die in einem allgemeineren, auch schriftliche Äußerungen umfassenden Sinne als „diskursstrukturierend“ zu werten sind. Wie sich erweisen wird, treten daneben auch durchaus Ausdrücke auf, deren Verwendung eigentlich auf die Konstitutionsbedingungen spezifisch mündlicher Face-to-Face-Interaktion zurückzuführen scheint (etwa, indem sie ein Mittel zur Verfügung stellen, das Rederecht zu verteidigen). Da die Webdaten in dieser Hinsicht anderen Bedingungen unterliegen, muss das Vorkommen solcher Ausdrücke hier mit anderen Motivationen zu erkären sein. Naheliegend ist in manchen Fällen sicher das Bemühen, dem verfassten Beitrag einen Anschein von spontaner Mündlichkeit zu verleihen, der Unmittelbarkeit und Authentizität suggeriert. Daneben muss aber auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass diese vermeintlich mündlichkeitsspezifischen Formeln in den Webdaten schlichtweg in anderer, d. h. ihrerseits funktionaler, aber von der typisch mündlichen Verwendung abweichender Weise benutzt werden. Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen kommen wir nun zu den verfestigten Bildungen im Einzelnen. Bei vielen davon handelt es sich um selbstadressierte Fragen mit themensteuernder Funktion: Sie werden benutzt, um Sprünge in der thematischen Struktur des Beitrags zu markieren, um neue, bislang unbehandelte Aspekte eines Themas anzubahnen, oder auch um die Aufmerksamkeit des Adressaten auf ein folgendes Fazit zu bündeln. Durch das Mittel der selbstadressierten Frage schlüpft S in die Rolle Ps, um sich nach den eigenen Intentionen zu befragen und ihre Gehalte in das Gespräch einzubringen. Alternativ sind aber auch vielfach deklarative Spielarten möglich. In beiden Fällen dominieren unter den modalisierten Varianten Bildungen mit wollen, die um die Intersubjektivierung von Sprecherabsichten und den Stand ihrer Einlösung durch den bisherigen Gesprächsverlauf kreisen. Wir beginnen unsere Darstellung mit +anterioren Bildungen mit referenziell unbestimmtem (erfragtem oder indefinitem) Objektargument: (524) Und dort schließt sich mein Kreis…Wo war der Faden, was wollte ich sagen ? Ich weiß es gar nicht. (http: / / netzphilosophieren.de/ tag/ gedanken [decow]) 207 Auch bei dem in Kapitel- 6 untersuchten wollt grad sagen waren mit 14,66- Vorkommen pMW der Nennform in FOLK gegenüber 0,03 Vorkommen pMW in DECOW16B ja bereits deutliche Kontraste zwischen den Korpora zutage getreten. <?page no="356"?> Gesprächsorganisation 356 (525) Oops, ich wollte noch was sagen , aber jetzt ist es mir entfallen. (http: / / www. sicherheitspolitik-blog.de/ 2014/ 02/ 10/ die-schweiz-im-dichtestress-test/ ? replytocom=4274 [decow]) (526) Irgendwas wollte ich noch sagen … hab ich aber vergessen. naja wenns wichtig war meld ich mich (http: / / forum.sh-gilde.de/ archive/ index.php/ t-16452. html [decow]) Angemeldet wird mit diesen Ausdrücken, dass es einen noch nicht (oder noch nicht zu Ende) bearbeiteten Punkt im Zusammenhang mit der intendierten Themenentfaltung gibt, der S momentan nicht mehr zugänglich, aber doch wichtig ist (wie die Kundgabe der vergangenen Intention verdeutlicht). In mündlicher Face-to-Face- Interaktion übernimmt die Formel damit eine rederechtsbezogene Funktion als Haltesignal (Floorholder), das eine Begründung für eine ggf. bereits manifest gewordene Verzögerung liefert, in jedem Fall aber allein durch seine Äußerung für zusätzliche Bedenk- und Planungszeit sorgt. Wird die Formel in eine Flaute hinein verwendet, in der die aktuelle Themenentfaltung zum Erliegen gekommen ist, kann sie auch dazu dienen, einem nicht erwünschten Themenwechsel Ps zu neuen Gegenständen vorzubeugen, oder vorsorglich einen plötzlichen Wechsel zurück zum alten Thema in Aussicht zu stellen, sobald S der entsprechende Punkt erst wieder eingefallen ist. Wie die geschriebensprachlichen Belege in (524) bis (526) verdeutlichen, stellt die Sicherung des Rederechts aber offenkundig nicht die einzige Motivation dar, solche Ausdrücke zu verwenden. Alternativ können sie auch strategisch zur Steuerung der thematischen Progression verwendet werden. Zentrale Verfestigung dieses Bildungstyps in DECOW16B ist das interrogative was wollte ich sagen mit 683 Belegen (0,04 Vorkommen pMW). Es wird in den Webdaten vor allem als Mittel zur thematischen Refokussierung eingesetzt, wie das folgende Beispiel illustriert: (527) So! Und nun muß ich ja auch Zeitungen verkaufen. Ihr wißt schon, auch die mit den vier Buchstaben. Seufz. Ehrlich, wenn man morgens um 5.oo Uhr, selber noch halb im Koma liegend, den Hype auf die Zeitung mit den vier Buchstaben mitbekommt, dann kann einem schon der Hals anschwellen. Ich meine, nicht, dass ich mir das anmerken lasse, meistens nicht. Sicher…vielleicht bin ich nicht ganz so euphorisch ,-) oder freundlich wie bei einem Kunden, der ein gutes, oder wenigstens ein nettes Buch kauft. Ich kann mich schließlich nicht verbiegen. Und Klammern um die Mundwinkeln für das ewige Lächeln, ich bin ja schließlich nicht Monalisa ,-), hab ich auch noch nicht erfunden. Jedenfalls… was wollte ich sagen bzw. schreiben? Also, ich möchte anmerken, ich enthalte mich meistens mit meinen Urteilen oder Beurteilungen hinsichtlich der Zeitung mit den vier Buchstaben. (http: / / lebenslust.over-blog.de/ m/ article-79116479.html [decow]) <?page no="357"?> Formelüberblick 357 In acht von 20 Fällen (40%) folgt direkt auf das was wollte ich sagen ein ach ja, das den nächsten thematischen Trittstein projiziert, auf den S mit seinem Beitrag zusteuert (vgl. Betz/ Golato 2008; zum finnischen Äquivalent vgl. Koivisto 2013). Das vorgebliche Entfallen und Wieder-Einfallen dieses Punkts dient dabei häufig als Mittel, um eine zuvor begonnene Episode zu beenden, die nicht weiter bearbeitet werden soll. In (527), einem Beispiel ohne folgendes ach ja, ist es der vom eigentlichen Thema abführende Einschub zur Freundlichkeit im Umgang mit verschiedenen Arten von Kunden, in den sich S mit immer neuen Nebenbemerkungen zunehmend verstrickt. In (528) dagegen handelt es sich um eine Wortsuche, im Zuge derer sich S (natürlich ebenfalls nur vorgeblich) zu verzetteln droht, bevor die mit was wollte ich sagen? ach ja angeschlossene Umformulierung den Fokus der Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Inhaltsebene lenkt: (528) @Batch Um solche Paradoxons…Paradoxa, Paradoxien… äh, … was wollte ich sagen ? Ach ja…um solche scheinbar widersinnigen Behauptungen zu verstehen, fehlt mir irgendwie ein Logikgen. (http: / / www.kurzgeschichten.de/ vb/ archive/ index.php? t-4690.html [decow]) Die Formel fungiert hier als ein themensteuerndes Gliederungssignal. Die implizierte Unzugänglichkeit des erfragten Elements („K-“) ist nur vorgeschoben und kein tatsächliches Funktionsmerkmal, sondern dient nur zur Anbahnung seiner Refokussierung nach einer Abschweifung. Damit entfaltet die Formel gleichzeitig eine beitragsgliedernde Wirkung, indem sie eine aktuelle (Mikro-)Episode schließt. Anders als in der rein rederechtsbezogenen Verwendung als Haltesignal (vgl. Abschn.-7.3.3.4 für einen ähnlichen Gebrauch von wie gesagt) wird was wollte ich sagen in dieser Verwendung also als vorangestellter Operator gebraucht, der eine thematische Refokussierung projiziert. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION themensteuernd, beitragsgliedernd FORM TMP: prt, SM: int, +MV: wollen, SUB: ich, AKK: was Formel-66: was wollte ich sagen Temporal nicht festgelegt, aber zusätzlich +fokussierend sind volitive Verwendungen mit den Fokuspartikeln nur und bloß: (529) ich will doch auch gar nicht netbooks schlecht machen, ich will nur sagen bevor ich mir nen neues netbook für 500 euro kaufen würde, hätte ich eher das x40 tablet demo gerät genommen-- nichts weiter. (http: / / www.kaltmacher.de/ <?page no="358"?> Gesprächsorganisation 358 board/ laufwerke-peripherie-f15/ netbook-in-der-praxis--t95128-s15.html [decow]) (530) @thinkorsink ich wollte Dir da nichts persönlich unterstellen oder vorhalten, ich wollte nur sagen , dass wenn jemand, ob verschuldet oder unverschuldet, nichts mehr hat, dann muss der sozialstaat ihn einfach auffangen und mit dem nötigsten versorgen, punkt. (http: / / forum.elfenwahn.de/ archive/ t-585.html [decow]) (531) Ich hab gar nichts raten wollen. Wie komme ich dazu? Ich habe bloß sagen wollen , was ich beobachtet habe. (http: / / www.anarchismus.at/ anarchistischeklassiker/ erich-muehsam/ 6984-erich-muehsam-judas [decow]) In (529) bis (531) wird die Formel verwendet, um eine korrigierende Klarstellung vorzunehmen. Der Kontext ist in allen Fällen gleich: S präsentiert zunächst eine bestimmte mögliche Ausdeutung des eigenen Handelns, die dann als unzulässig und in dieser Weise nicht beabsichtigt zurückgewiesen wird. Vor diesem Hintergrund wird dann im zweiten Schritt mithilfe der Formel differenziert, welcher Standpunkt tatsächlich vertreten bzw. welche Absicht tatsächlich verfolgt wird. Sofern die im ersten Schritt zurückgewiesene Zuschreibung nicht lediglich unterstellt ist, sondern tatsächlich so von P vorgenommen wurde, leistet die Formel somit eine Verdeutlichung im Kontext einer Fremdkorrektur (vgl. auch Deppermann 2014b, S.-317 und siehe unten). Nicht näher ausgeführt wird die Distanzierung von Nicht-Intendiertem in Verwendungen wie (532): (532) Hey! Ich wollte nur sagen , dass ich deinen Blog mehr als nur genial finde! Ich bin grad ziemlich schwer beeindruckt von den tollen Rezepten und den absolut brillianten Fotos. (http: / / blog.wagashi-net.de/ 2010/ 01/ o-zoni [decow]) Ohne explizite Kontrastierung mit einer zurückgewiesenen Position dient die Formel zur Steuerung von Relevanzerwartungen: Was immer P von S’ Beitrag möglicherweise sonst noch erwartet haben mag, soll er doch nur den einen, folgenden Aspekt zum Ausdruck bringen. Anders ist die Interpretation der Fokussierung bei nachgestelltem das wollte ich nur sagen: (533) hallo ich muss euch was sehr wichtiges mitteilen ich hab mir jetzt einen neuen account gemacht und wollte unter diesem bei euch spielen, weil ich ihn irgendwie lustiger finde. er heisst defraiter ok das wollte ich nur sagen . (http: / / www.cncforen.de/ archive/ index.php/ t-3788.html [decow]) Hier besteht der Kontrast zwischen nur sagen im Sinne eines bloßen ‚Anmerken, zur Kenntnis bringen‘ und einer weitergehenden Erörterung dieses Sachverhalts. Durch den Gebrauch der Formel gibt S die gerahmte Information zu Protokoll als einerseits <?page no="359"?> Formelüberblick 359 relevanten, aber andererseits auch nicht weiter vertiefungsbedürftigen Aspekt, mit dem insofern kein neues, im Folgenden weiter zu bearbeitendes Thema gesetzt werden soll. Anders ist das bei der mit 5.434 Belegen (0,35 Vorkommen pMW) zentralen Verfestigung des fokussierenden Bildungstyps in DECOW16B, dem Pseudocleft was ich sagen wollte (zu Pseudoclefts vgl. auch Günthner 2006). Der nicht-elliptische, integrierte Gebrauch in (534) ist noch nah an der klarstellenden Korrekturfunktion von ich wollte nur sagen: (534) Der Ausdruck Back-Up-System ist zugegebenermaßen dämlich gewählt. Was ich sagen wollte ist, dass die geschlechtsspezifischen Gene auf dem X-Chromosomen doppelt vorhanden sind und diese nur von einem der beiden ausgelesen werden. (http: / / www.fdoernenburg.de/ Forum/ viewtopic.php? f=25%26t=3612 %26sid=64ad94ffb4733aeacbb4e8e213a13548%26start=0 [decow]) In elliptisch-desintegrierter Verwendung projiziert die Formel dagegen den Wechsel zu einem neuen Thema (bzw. einem neuen Gesichtspunkt des aktuellen Themas): (535) Nun blas mal kein Trübsal. Aber was ich sagen wollte , was macht ihr eigentlich an Regentagen? Wir haben in der Schule mal über den Urwald gesprochen und unsere Lehrerin sagte, dass man dann nicht vor die Tür kann, stimmt das? ! (http: / / www.realschule-feucht.de/ SZ%2005-06%201.%20Ausgabe/ Ausgabe%20April/ haltetzus.htm [decow]) Im Unterschied zum Fragehauptsatz ist der aufgeworfene Punkt hier weder momentan unzugänglich (wie in der Verwendung von was wollte ich sagen als Haltesignal) noch ein bereits eingeführter Sachverhalt, zu dem lediglich zurückgesprungen wird (wie in der refokussierenden Verwendung von was wollte ich sagen), sondern ein genuin neuer Aspekt. Entsprechend paraphrasiert das Wahrig-Wörterbuch was ich noch sagen wollte mit „übrigens“ (Wahrig-Burfeind 2011, S.-1259). Acht von 20 ausgewerteten Belegen (40%) weisen ein seinerseits zäsurmarkierendes Vorlaufelement wie aber, also, ach ja oder naja auf, am häufigsten ist aber (15%). Als projektive Konstruktion ist der Operator seinem Bezugsausdruck, der das neue Thema setzt, obligatorisch vorangestellt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION themensteuernd, beitragsgliedernd FORM ST: ns, TMP: prt, SM: int, +MV: wollen, SUB: ich, AKK: was Formel-67: was ich sagen wollte <?page no="360"?> Gesprächsorganisation 360 Ähnlichkeiten zu fokussierenden Klarstellungen weisen auch +instrumentale Bildungen mit damit auf (die zudem auch mit nur oder bloß kombiniert werden können). 208 Deppermann (2014b, S.-314) charakterisiert ihre Leistung als „retrospektive Intentionsverdeutlichung“, mit der angezeigt werde, „welche Intentionen der Sprecher für die Interpretation vorangehender eigener Äußerungen beansprucht“. Markiert werde mit solchen Verdeutlichungen eine „Selbstreparatur, die dazu dient, das Verstehen eigener vorangegangener Handlungen durch die Gesprächspartner zu steuern“ (ebd.). Gerahmt wird damit weniger eine Korrektur als vielmehr eine „upshot“-Reformulierung (Heritage/ Watson 1979), die eine relevante Pointe bzw. zielbezogene Inferenz aus dem zuvor Gesagten formuliert. Anders als bei was wollte ich sagen/ was ich sagen wollte scheint es keine funktionale Differenzierung zwischen Vorkommen in deklarativen und interrogativen Hauptsätzen einerseits und Vorkommen in Pseudoclefts andererseits zu geben: (536) und im ganzen haste mich wohl falsch verstanden…ich hab mit keinem wort gesagt, „dass ich das cool finde total besoffen durch den block zu torkeln und irgendwelche leute anzupöbeln“ ich wollte damit sagen , dass man damit rechnen muss, wenn man in ne fremde stadt kommt, nicht mit samthandschuhen angefasst zu werden… (http: / / www.msvportal.de/ forum/ archive/ index. php/ t-19099.html [decow]) (537) @Claudia Ich gehe zuerst auf das Missverständnis „Spanien“ ein. Was wollte ich damit sagen ? Hunde, die als sogenannte Strassenhunde (ob nun in Spanien, Italien, Rumänien…) aus diesen und vor allem aus den daraus folgenden Verhältnissen „erlöst“ werden, und im „Dreierpack“ in eine Familie kommen, werden sich anders verhalten als der bei Suse schon seit langer Zeit „wohnende“ Wolle. (http: / / canisdashundeforum.phpbb8.de/ archive/ t188.html [decow]) (538) Ich will das nicht runterspielen. Natürlich wäre das ne Sauerei und Gefährdung ohne Gleichen gewesen. Was ich damit sagen wollte : Es gibt doch sicher ne Möglichkeit, aus diesem Schlamassel wieder rauszukommen. (http: / / www. bahnerforum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-4602-p-9.html [decow]) Typisch ist trotz des rückbezüglichen damit (das ja auf einen zeitlich früheren Äußerungsbestandteil verweist) in allen drei Realisierungen das Präsens. Anders als bei ich wollte nur sagen sind auch Varianten mit mögen gebräuchlich: (539) Ich fahre einen alten BMW 7er, der leider in Sachen Hifi oder besser gesagt im Bereich Bass/ Bässe echt mies abschneidet. Also ich möchte damit sagen , es fehlt mir etwas der Klang. (http: / / carhifi-forum.de/ eBoard-file-print-fid- 11-tid-25795-orderdate-DESC.html [decow]) 208 Das Wahrig-Wörterbuch spricht (am Beispiel von das will ich mit meiner Bemerkung nicht sagen) vom „Ausdruck der Einschränkung“ (ebd.). <?page no="361"?> Formelüberblick 361 (540) Arnold Schwarzenegger sagte mit 14 Jahren als er zum Training ins Fitness Studio kam: „Ich werde Mr Universum“. Da haben natürlich alle gelacht. Aber nur 5 Jahre später hat er mit einer noch nie da gewesenen Punktzahl den Titel des Mr Universum gewonnen. Was möchte ich damit sagen ? Ganz einfach: Du musst wissen, was du willst! (http: / / www.got-big.de/ Blog/ ziele-koerpermasse-dein-kugelschreiber-und-die-sache-mit-der-muskelmasse [decow]) (541) natürlich muss dies alles so geschehen, dass es so aussieht, als wäre es eine *natürliche entwicklung (die es ja irgendwo auch ist), die von niemanden in keinster weise geplant ist. was ich damit sagen möchte : alles reguliert sich am ende irgendwie doch von selbst. (http: / / www.nachtwelten.de/ vB/ history/ topic/ 5654-1.html [decow]) Responsiv sind auch handlungswertige Varianten möglich, die keine eigene Reformulierung projizieren, sondern eine fremde, mit das aufgegriffene Zuschreibung zurückweisen, wie die mit damit referenzierte Äußerung gemeint war. In ihnen verbindet sich der gesprächsorganisatorische Korrekturaspekt insofern mit einem disaffiliativen Koordinationsmerkmal: (542) Wenn es tatsächlich um „ungerecht“ geht, dann kannst du auch gleich vorschlagen, die zufällige Verteilung von Teufelsfrüchten abzuschaffen. Die basiert nämlich, genau wie die Entscheidung, ob eine Frucht im Buch steht oder nicht, auf dem Zufallsprinzip. 12.03.2010, 23: 53 / / Das will ich damit gar nicht sagen . Aber wenn man sagt, das es Spieler gibt, die nicht die mächtigste, sondern die beste für ihren Charakter suchen, dann ist es doch ungerecht, dass manche das Glück haben , dass ihre drin steht und andere Pech haben. (http: / / www.onepiece-rollenspiel.de/ archive/ index.php/ t-2663.html [decow]) Zentrale Verfestigung mit 10.212 Belegen (0,65 Vorkommen pMW) ist allerdings das nicht-handlungswertige was ich damit sagen will. Im Gegensatz zu den präteritalen Bildungen wird diese Variante in den untersuchten Webdaten nicht zur Korrektur eines unerwünschten Partnerverständnisses eingesetzt, sondern zur Projektion eines Fazits: (543) Hallo Grauwal, Deine Antwort halte ich nun wirklich nicht für sachlich, natürlich ist jeder Verkehrstote einer zu viel, aber: -von den Verkehrstoten in Deutschland sterben nicht mal 10 % auf Autobahnen; -von diesen sicher nur die wenigsten durch Schnellfahrer (ich spreche hier nicht von wahnsinnigen Rasern), sehr viele der ganz schlimmen Unfälle werden von LKW‘s verursacht und erreignen sich in Baustellen; -trotz Tempolimit liegen die Unfallzahlen und auch die Zahl der Toten in den meisten europäischen Ländern höher als in Deutschland; -ein Zusammenhang zwischen Unfallzahlen und Geschwindigkeitsbegrenzung ist in Deutschland nicht feststellbar, zumindest wenn die Zahlen des Verkehrsministe- <?page no="362"?> Gesprächsorganisation 362 riums stimmen. Was ich damit sagen will : die Unfallzahlen sind das schlechteste von vielen schlechten und meist auch falschen Argumenten für ein generelles Tempolimit. Tamino 02.12.2007, 00: 24 (http: / / www.yacht-treff.de/ archive/ index.php? t-2337.html [decow]) Funktional identisch werden freistehende abhängige Fragesätze mit elidiertem Matrixsatz gebraucht, die in den Webdaten an der Interpunktion und in der Mündlichkeit an ihrer Intonation zu erkennen sind. Als selbstadressierte Frage projizieren auch diese Verwendungen ein Fazit, das sich auf die mit damit aufgegriffene Passage bezieht: (544) Utopischer sind Gedanken wie Solarareale in Afrika die nur zur Wasserstoffgewinnung genutzt werden, technisch absolut möglich und wirtschaftlich wär es auch, nur es macht niemand weil einfach kein Bedarf da ist. Was ich damit sagen will ? Solange Benzin bezahlbar bleibt bewegt sich niemand von seiner aktuellen Position weg. CU Ghettomaster Darla 16.10.2004, 13: 29 (http: / / oberhexe.de/ witchboard/ archive/ benzinpreise-t8576.html [decow]) Wiederum handelt es sich um einen vorangestellten Operator, bei dem sich das gesprächsorganisatorische Merkmal mit einem positionierenden verbindet. Wie in Beispiel (544) wird nach dem projizierten Fazit in der Regel der Beitrag bzw. Turn beendet und abgegeben. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM ST: ns, TMP: prs, SM: int, +MV: wollen, SUB: ich, AKK: was, +PO: damit Formel-68: was ich damit sagen will Gänzlich entkoppelt vom Aspekt der Klarstellung sind nicht oder anderweitig modalisierte sprecherdeiktische Fragehauptsätze, die ebenfalls ein Fazit projizieren: (545) Fazit: Ein Würfelspiel also… Hmmm…Was kann an einem Würfelspiel schon so spannend sein? Es wird wohl so sein, wie alle anderen. Also, was sage ich ? Was sage ich sonst zu Würfelspielen? Was kann das schon sein? NEIN. (http: / / sun site.informatik.rwth-aachen.de/ fairspielt/ Spiele/ cantstop.php [decow]) (546) das produkt in der tasse hängt sehr stark davon ab, wer gerade an der maschine steht. heute hatte ich mal nicht die studentische aushilfe sondern einen von der- stammbesetzung vor mir und was soll ich sagen … der espresso war top. <?page no="363"?> Formelüberblick 363 hatte einen doppio hausmarke. (http: / / www.kaffee-netz.de/ mecklenburgvorpommern-sachsen-sachsen-anhalt-th-ringen/ 26316-markt-11-kaffer-stereijena.html [decow]) (http: / / www.scg05.de/ spieltag/ archiv00_01/ ihrhove.htm [decow]) (547) Hallo Cindy, endlich fand ich mal die Zeit und Muße Deine Geschichte zu lesen. Was kann ich sagen ? Einfach prima! Weiter so! (http: / / www.sektor7blau.de/ labor_talderlaufendenbaeume_kommentar.htm [decow]) Eine weitergehende Idiomatisierung dieses Bildungstyps stellt die Variante mit Subjekt man, Modalverb sollen, +thematischem Präpositionalobjekt sowie +augmentativ-aspektuellem Adverbial dar, die bereits in Kapitel-4 behandelt wurde (Formel-10, was soll man dazu noch sagen). Dort ist die Fazitprojektion auf die Rahmung einer (fast immer) negativen Bewertung verengt. Zentrale Verfestigung der Variante ohne Pronominaladverb und augmentative Modifikation ist das deutlich häufigere was soll ich sagen mit 44.204 Belegen (2,82 Vorkommen pMW). 16 von 20 Belegen (80%) weisen ein Vorlaufelement wie und, aber, tja oder naja auf, allein die Hälfte der Belege wird mit und angeschlossen. Projiziert wird in diesen Fällen zumeist (sechs von zehn Beispielen) eine Positionierung durch positive Bewertung: (548) Hi, war mir also gestern das gute Stück ansehen und was soll ich sagen : Wer da nicht zugreift, muss bekl… sein. Kaum Rost, Motor springt zwar nicht an (keine Dieselzufuhr) dreht aber, sonst auch alles vorhanden und funktionsfähig. (http: / / www.peugeotboard.de/ peugeotforum/ t/ 38559/ peugeot-403---derunauffaellige-und-praktische-franzose.html [decow]) Neben der Rahmung von Bewertungen kann die Formel allerdings auch zur Herausstellung von mirativen Sachverhalten dienen, die als Pointe oder Klimax einer Erzählung präsentiert werden: (549) Aber dann, etwa 1 Stunde nach dem Abendbrot, passierte etwas, was mich nicht in Ruhe lässt. Mein Großer (7,5 Jahre alt) meinte plötzlich, dass er 2 Kilometer laufen müsse und ist aus dem Garten raus auf die Spielstraße. Ich hab das erst gar nicht mitgeschnitten und bin dann aber mit einer Mineralwasserflasche hinterher damit dat Mäuschen genug zu Trinken bekommt. Und was soll ich sagen . Dat süße Viech ist doch glatt 2 Kilometer völlig locker und ohne Probleme dahingejoggt. (http: / / forum.runnersworld.de/ forum/ forenarchiv/ 21787-es-gibt-tage-die-gibt-es-nicht.html [decow]) In beiden Fällen handelt es sich um einen vorangestellten Operator. Ähnlich wie im Fall von was wollte ich sagen ist das erfragte Element nicht wirklich offen („K-“), sondern die Frage lediglich dazu da, einen Kontext zu eröffnen, in den hinein die intendierte Äußerung platziert werden kann. <?page no="364"?> Gesprächsorganisation 364 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION themensteuernd, beitragsgliedernd FORM TMP: prs, SM: int, +MV: sollen, SUB: ich, AKK: was Formel-69: was soll ich sagen Nachträge und Anreicherungen dessen, was zu einem gegebenen Gegenstand bereits ausgeführt wurde, werden durch modalisierte Formeln ergänzt, in denen sich sagen mit dem +thematischen Pronominaladverb dazu oder der formgleichen +augmentativen Verbpartikel verbindet. 209 Volitive Varianten mit mögen und (seltener) wollen führen in der Regel Zusatzbzw. Hintergrundinformationen an, mit denen Nebenaspekte wie etwa mögliche facebezogene Implikationen der aktuellen Äußerung bearbeitet werden: (550) Da müsste doch jeder nach § 1 des Grundgesetzes klagen können, der keine freie Schulwahl = Gym. Empfehlung bekommt. Um das zu vermeiden, gehe ich davon aus, dass jedes Bundesland doch diese Kriterien irgendwie irgendwo niedergeschrieben hat? ! ! ! Ich möchte dazu sagen , dass ich mir im Moment zumindest nicht so sehr um die Empfehlung meines Sohnes Gedanken mache, sondern um die Willkür, der die Kinder ausgesetzt sind. (http: / / www.mysnip.de/ forumarchiv/ thema/ 3336/ 152097/ Schullaufbahnempfehlungen.html [decow]) (551) Ich fragte sie dann wo sie denn hin wollte, sie sagte zum Fussballabend in die Kneipe. Daraufhin fragte ich, was ist denn so geil daran, dass 22 Kerle wie bescheuert hinter einem Ball herrennen? Ich will dazu sagen , ich bin ja nicht so der Fussballfan und hab da teilweise genauso wenig Verständnis für, wie andere für Airsoft. (http: / / www.gac-portal.de/ forum/ archive/ index.php/ t-3609.html [decow]) Insbesondere im Zusammenhang mit Bitten um Information werden unmittelbar antwortrelevante Angaben dagegen mit +notwendiger Modalisierung nachgetragen: (552) Hallo Roger, hier die Trinkwasseranalyse meines Versorgers: uriblank Dazu ist zu sagen , dass das Wasser aus der Leitung durch einen Carbonit Filter läuft und dann in der Aufbereitungstonne erwärmt wird bei Sauerstoffversorgung 209 Viele Belege sind ambig zwischen beiden Formen. Ein verlässlicherer Indikator als die Schreibung sind in solchen Fragen häufig die Akzentverhältnisse (dazu SAgen vs.- daZUsagen). Auch in dieser Hinsicht bleiben jedoch viele Belege mehrdeutig. <?page no="365"?> Formelüberblick 365 bevor ich es für den Wasserwechsel nutze (ca. 30 % pro Woche, was eine Mindestanforderung bei Diskus Hälterung ist). (http: / / www.flowgrow.de/ diskus-f117/ algenwuchs-nach-neubepflanzung-hilfe-t9695.html [decow]) (553) leider ist der sensor etwas kaputt der die temper. regelt. nun habe ich auf den positiven so gelbe streifen drauf. woran kann das liegen? ? was ich dazu sagen muss , als ich die temp. nachgemessen habe lag der entwickler bei 28 grad. macht das sehr viel aus? ? (http: / / www.hobbyphoto-forum.de/ t3983f2-gelbestreifen-im-s-w-positiv-abzug.html [decow]) (554) ich bin sicher dabei, hab Zeit zum Termin. Wie sieht das aus mit meiner (seit gestern Abend) Verlobten? Die würde nämlich evtl. gerne mitkommen, kann das aber noch nicht sagen. Man sollte dazu sagen dass die keine Larperin ist. Gruß Dennis (http: / / www.inlarp.de/ larp-forum/ inlarp-treffen-i-feat--undquotdas-entspannte-gemetzel-i-und-quot-t2270-s30.html [decow]) Themensteuernd sind auch Varianten mit Irrealis, die einer weiteren Vertiefung des Themas allerdings in der Regel vorbeugen sollen. Sie sind als Apodosis eines elliptischen Konditionalgefüges mit einer Protasis wie wenn es die Umstände erlauben würden zu verstehen: 210 (555) Die ganze Bevölkerung aus Nammering und Umgebung musste zur „Totenwiese“ und dort in einer Art Prozession durch die Reihen der Toten gehen. Auch dazu wäre noch einiges zu sagen , weil ich aber im Moment mit meinem Inneren, meinen Nerven zu kämpfen habe, erspare ich es mir. (http: / / www. nsaller.de/ html/ a_schmidt_erzahlt.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist ich muss dazu sagen mit 10.492 Belegen in DECOW16B (0,67 Vorkommen pMW): (556) Warum nicht mal alles wild kombinieren ? Hab im Juli auf ner Privatparty mit 150 Leutz gedreht und wirklich alles vermixt was mir in die Finger kam. Da folgte ein Vocal Klassiker wie Todd Terry‘s Jumpin‘ auf ne dicke, aktuelle Techhouse Nummer und alles war begeistert. Ich muss dazu sagen das das Publikum komplett um die 30 war und schon seit den 90ern House Musik hört. In nem Kölner Club wär ich mit der Playlist wahrscheinlich unter gegangen. (http: / / www.houseboard.de/ wbb2/ archive/ 35473/ thread.html [decow]) Die Formel ist themensteuernd und zugleich epistemisch, indem sie den Common Ground um eine bestimmte Hintergrundinformation zu einem Referenten, einer Sachverhaltsschilderung oder einer persönlichen Einschätzung von S ergänzt. Bei 210 Wahrig-Burfeind (2011, S.-1259) erwähnen die +thematische Variante mit PO-über (darüber wäre viel zu sagen). <?page no="366"?> Gesprächsorganisation 366 Vorkommen in invertierter OVS-Stellung, die auch parenthetisch eingeschoben und nachgestellt auftreten, ist unabhängig von der Schreibung in der Regel das funktionsgleiche Partikelverb dazusagen anzusetzen: (557) Ich hatte die Hunde an der Leine, weil ich erstmal abchecken wollte, was nun die allgemeine Stimmung ist..Aber da alles oki war haben wir die Viechers einfach durcheinander laufen lassen. Bronco (der Kater) ist, das muss ich dazu sagen , mit Hunden aufgewachsen. Das war mir sehr wichtig, damit er selbstbewusst den Hunden gegenüber ist. (http: / / forum.deine-tierwelt.de/ archive/ index. php/ t-49711.html [decow]) (558) Ich kanns so langsam nich mehr sehen, dass Leute wie Wurstbrot, Diebels und Co.- zu 80% mit Polemik und Schlecht-Reden-Des-Gegenüber „argumentieren“ und dabei selbst immer so tun, als hätten sie die unheimliche Ahnung es aber- nie- beweisen. OK, Josef hat sich in letzter Zeit gebessert, das muss ich dazu sagen . (http: / / forum.metal-hammer.de/ archive/ index.php/ t-10173.html [decow]) Die Variante mit einfachem sagen ist ihrem Bezugsausdruck vorangestellt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION K=, themensteuernd FORM TMP: prs, +MV: müssen, SUB: ich, +PO: dazu Formel-70: ich muss dazu sagen Das bereits in den Erläuterungen zu Formel- 69, was soll ich sagen, angesprochene +interrogative was sag ich kann neben seiner selteneren Verwendung zur Einleitung eines Fazits 211 auch zur Markierung einer Selbstkorrektur eingesetzt werden: 212 (559) Hurra, baden auch im Winter! Es wird wärmer in Deutschland. Ach, was sage ich ? Auf der ganzen Welt. (http: / / www.michael-schoefer.de/ artikel/ ms0190. html [decow]) 211 Eine weitere Verwendung ist der epistemische Gebrauch als Präsens-Variante von was habe ich gesagt, vgl. Formel-40 in Kapitel-6. 212 Gesucht wurde nach Treffern für die Wortfolge was, sag(e), ich (mit Groß- und Kleinschreibung des Fragepronomens) unmittelbar gefolgt von einem Fragezeichen. <?page no="367"?> Formelüberblick 367 Alternativ sind solche Reformulierungen auch mit V1bzw. Entscheidungsfrage und Präteritum möglich. Diese Variante ist allerdings noch seltener als das ohnehin schon nicht häufige was sage ich mit seinen 228 Belegen (0,01 Vorkommen pMW): (560) Erlöse? Mäßig! Sagte ich mäßig ? Das ist gelogen. Der Posten 4 in der Angebotspalette geht nicht miserabel, er geht gar nicht… (http: / / gherkin.blogg.de [decow]) Reformulierungen mit was sag ich sind intensivierend: Ausgedrückt wird, dass eine zunächst gewählte Formulierung-A eine Untertreibung darstellt, weshalb sie durch eine angemessenere Charakterisierung-B ersetzt wird. Zwischen den bezeichneten Konzepten besteht ein Steigerungszusammenhang, indem das zweite das erste in einer bestimmten Hinsicht übertrifft. Der inferierte Zusammenhang zwischen A und B wird flexibel auf Basis eines beliebigen Merkmals hergestellt, das sprachlich implizit bleibt: (561) Natürlich habe ich das neue Buch von ihm direkt am Erscheinungstag gelesen. Nein, was sage ich ? Ich habe es verschlungen, weil ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte. (http: / / andreakossmann.online.de/ 2009/ 01 [decow]) (562) Ich also rein in den Hotelkasten. Anmeldeformular ausgefüllt. Werde mit Pagen aufs Zimmer gebracht. Was sage ich ? Zimmer? Ich habe eine Wohnung! Die- Küche ist üppiger ausgestattet als meine zu Hause. (http: / / www.achim bodewig.de/ blog/ 2009/ 10/ 30 [decow]) (563) früher war halt alles besser ich kann mich noch gut erinnern da war die welt noch in schwarz weiß und ein eis hat weniger als nix gekostet, ach was sage ich ? ich hab noch geld bekommen wenn ich mir ein eis geholt hab : -) (http: / / www.maroczone.de/ forum/ archive/ index.php/ t-8938.html [decow]) Die Formel steht zwischen der ursprünglichen Formulierung A und der revidierten Formulierung- B. Optional kann Formulierung- A (wie in (562)) im Anschluss auch noch einmal wiederholt werden, typisch ist das aber nicht. Funktional wird dadurch eine retraktiv wirksame Distanzierung (von der ursprünglichen Formulierung-A) verbunden mit der Projektion eines neuen Anlaufs zur Bezeichnung des Gemeinten (Formulierung-B). Die Formel weist damit Funktionsmerkmale auf, die in unterschiedliche Richtungen operieren, sodass sie sich zufriedenstellend weder als „nachgestellt“ noch als „vorangestellt“ werten lässt. Sie ist auch nicht wie bestimmte andere Formeln in ihren Bezugsausdruck „eingeschoben“ (was wir als Voranstellung vor dem rhematischen Teil der Bezugsäußerung werten), sondern weist eben zwei Bezugsausdrücke auf, die sie miteinander in Verbindung setzt. Wie in Kapitel-3 ausgeführt, vergeben wir in solchen Fällen das positionelle Kontextmerkmal „medial“. <?page no="368"?> Gesprächsorganisation 368 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT medial FUNKTION distanzierend, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM TMP: prs, SM: int, SUB: ich, AKK: was Formel-71: was sage ich Sprecherdeiktische Bildungen umfassen auch bestimmte subjektlose Konstruktionen, in denen das erste Argument von sagen dennoch unmissverständlich mit S identifiziert werden kann. Als erste Formel dieses Typs betrachten wir die +finale und +negierte Reformulierungsanzeige um nicht zu sagen, die auf den ersten Blick genau umgekehrt aufgebaut zu sein scheint wie das soeben diskutierte was sage ich: S gibt an, Ausdruck A zu verwenden, um nicht den eigentlich angemesseneren, aber auch drastischeren (und dadurch potenziell gesichtsbedrohenden) Ausdruck B gebrauchen zu müssen. Vordergründig erfolgt dadurch eine Distanzierung von Formulierung B und nicht von Formulierung A. Faktisch wird Formulierung B damit aber natürlich sehr wohl genannt und auch als sachlich treffender markiert, und es besteht dasselbe Steigerungsbzw. Zuspitzungsverhältnis gegenüber der zuerst genannten Formulierung wie im Fall von was sage ich: (564) Die Begründung des Lehrers im Zusammenhang mit dem Nichterscheinen des Lebenspartners der Mutter halte ich auch für dünn- - um nicht zu sagen dumm. (http: / / forum.isuv.de/ archive/ 41523/ thread.html [decow]) Die Formel ist fix und in DECOW16B mit 18.374 Beispielen belegt (1,17 Vorkommen pMW). Betrachtet man negative Implikationen von Formulierung B wie in (564) als Kriterium für eine facebezogene Motivation des Formelgebrauchs, so greift diese Erklärung nur in der Hälfte der ausgewerteten Belege. Neben evaluativ neutralen Reformulierungen finden sich darunter auch explizit positive Bewertungen, die als solche weder für S noch für den Betroffenen der Bewertung eine Gesichtsbedrohung darstellen: (565) Zum Wasserlauf: Alleine die Gestaltung eines Wasserlaufs auf dem zukünftigen Boulevard halte ich persönlich für originell, um nicht zu sagen genial. (http: / / www.deutsches-architektur-forum.de/ forum/ archive/ index.php/ t-7465.html [decow]) Sofern die Vermutung zutrifft, dass die Formel ihren Ursprung in Höflichkeitskonventionen und dem Bemühen um Gesichtswahrung hat, hat sie sich davon in der untersuchten Stichprobe also bereits ein gutes Stück gelöst und kann ebensogut rein <?page no="369"?> Formelüberblick 369 reformulierend gebraucht werden. Positionell erfordert sie sowohl einen vorangehenden Bezugsausdruck A als auch einen folgenden Bezugsausdruck B und ist insofern als medial zu werten. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT medial FUNKTION distanzierend, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM ST: ns-um, +MOD: nicht Formel-72: um nicht zu sagen +Modale Bildungen werden inbesondere innerhalb des Schemas [<Irgendwie> gesagt], seltener auch im zusätzlich +finalen [um es <irgendwie> zu sagen] verwendet. Instanzen dieser Konstruktionen, die wir als gesprächsorganisatorisch werten, finden sich in der Taxonomie von Niehüser (1987) nicht nur unter Charakterisierungen der „Redestruktur“, sondern auch bei Adverbialen zur „Darstellung des Redeinhalts“. In vielen Unterkategorien, die Niehüser ansetzt, haben sich allerdings keine verfestigten Formeln mit dem Verb sagen etabliert. Wo es solche Einheiten im funktional gesprächsorganisatorischen Spektrum gibt, dienen sie mehrheitlich zur Themensteuerung. Dazu zählen zum Beispiel Ausdrücke der Kategorie „Vorgreifend“, die ein vorwegnehmendes Fazit ankündigen, dessen Herleitung im Folgenden erst noch zu leisten ist: (566) So, dann soll es heut und hier nun endlich einmal kurz um das Thema Gibson-Les-Paul gehen. Vorweg gesagt , die Gibson Les Paul steht zur Fender Strat wie McDonalds zu Burger King, wie Mercedes zu BMW oder wie die Beatles zu den Stones! Es geht um eine Glaubenssache, man mag die eine und mag zwangsläufig die andere nicht. (http: / / www.elvisnachrichten.de/ archive/ index. php/ t-1325.html [decow]) (567) Die Gesamtkosten, zusammengefasst unter dem etwas schwammigen Begriff „Total Cost of Ownership“ liegen weit höher. Aber wie berechnet man sie? Für wen ist die TCO-Rechnung? Um es gleich zu sagen : Ein einheitliches Konzept für die TCO-Kalkulation gibt es nicht. Die Berechnungsweise hängt davon ab, wofür das Ergebnis gebraucht wird. (http: / / business.chip.de/ artikel/ c_druckansicht_business_46025191.html [decow]) Themensteuernd sind auch bestimmte Verfestigungen, die Niehüsers Kategorien „Abschweifend“ und „Quantität“ zuzurechnen sind: <?page no="370"?> Gesprächsorganisation 370 (568) Das ist je nach Branche unterschiedlich. Friseure habe traditionellerweise am Montag frei, Bauarbeiter und Beamte Sa/ So, Ärzte müssen auch mal Nachts und am Wochenende usw. Der Rest steht im Arbeitsvertrag, der ist Verhandlungssache. Nebenbei gesagt bin auch ich gegen am Sonntag geöffnete Geschäfte, denn wenigstens an einem Tag in der Woche sollte es noch möglich sein, Familienleben zu pflegen. (http: / / www.regensburg-digital.de/ kruzifix-fans-be schimpfen-uni-dozenten/ 17112010/ comment-page-1 [decow]) (569) Es ist ihm gelungen, in dem zeitlich begrenzten Rahmen viel Wissenswertes, viel Interessantes und vor allem viel Lokalkolorit unterzubringen. Kurz gesagt - - die Führung war genau so, wie wir sie uns gewünscht hatten. Also beide Daumen hoch und gerne wieder! (http: / / www.koeln.de/ tourismus/ stadtfuehrun gen/ rent-a-guide/ tour/ 354 [decow]) Reformulierungsanzeigend und damit beitragsgliedernd sind dagegen Bildungen aus Niehüsers Kategorien „Variation“ und „Korrigierend“ (die von ihm beide zu einer gemeinsamen Oberkategorie „Modifikation“ gerechnet werden): (570) „Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll“, schreibt Adorno in seiner berühmten Rede Erziehung nach Auschwitz, „bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich , der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte.“ Anders gesagt : Zum Kuscher- gehört der Mucker. Und wer klein gemacht wurde, gibt das, einmal aufgestiegen, nach unten weiter. (http: / / www.studsem-nhw.bildung-rp.de/ ghs/ zeit4006.htm [decow]) (571) Hallo an alle! ! ! also…ich heiß doris, bin 14 und komme aus Italien, besser gesagt Südtirol…naja jedenfalls hoffe ich mal dass ich hier viele und vor allem gute neue Freunde finde… (http: / / forum.silbermond.de/ archive/ index.php/ t-5166-p-3.html [decow]) Zentrale Verfestigung des +modalen Bildungstyps ist besser gesagt mit 68.784 Belegen (4,38 Vorkommen pMW). Es wird zum einen in der von Niehüser veranschlagten Korrekturfunktion verwendet: (572) Wenn er selbst im Scheinwerferlicht steht, hat Thomeczek indes eine spezielle Herausforderung zu meistern. Besser gesagt : die Filmteams. Der 2,01 Meter große Pressesprecher hat bei Interviews immer einen gelben Briefbehälter für den Reporter bereit, damit er auf Augenhöhe mit ihm ist-- im Wortsinne. (http: / / www.ukpt.de/ pages/ publikationen/ zeitung.php? mid=20100208 [decow]) <?page no="371"?> Formelüberblick 371 Andere Verwendungen sind hingegen eher erklärend als korrigierend, indem sie zum Beispiel einen kreativ gebildeten Okkasionalismus (573) oder auch die Verwendung einer etablierten Redewendung erläutern, die ohne die nachgeschobene Abwandlung im aktuellen Kontext nicht ohne Weiteres verstehbar wäre (574): (573) nenn mir mal eine stadt die nicht verkorkst ist? (da gibt es weitere) ich sag nur casa-negra besser gesagt casablanca at night… (http: / / www.maroczone.de/ forum/ archive/ index.php/ t-25583.html [decow]) (574) Aus diesem Grund haben die Floriansjünger aus Steinebach und Auing ihr eigenes Rettungsfahrzeug entwickelt. Wenn das „Kind in den Brunnen gefallen ist“ ( besser gesagt in den See) zählt jede Minute-- hier hilft ein Schlauchboot, das in Eigenleistung und mit Mitteln der Feuerwehr mit einem „Motorsägenantrieb“ ausgerüstet wurde. (http: / / www.woerthsee-online.de/ Woerthsee/ Aktuelles_/ Archiv2003/ archiv2003.html [decow]) Auch in der häufigsten Verwendung (neun von 20 Fällen, 45%) wird die ursprüngliche Veranschlagung nicht zurückgenommen, sondern lediglich präzisiert: (575) Jedenfalls wusste sie, dass Jade an Deck war und an etwas rum hämmerte, was es genau war, hatte sich das Mädchen nicht mehr behalten. Als sie dann oben angekommen war, stach ihr Captain ihr direkt ins Auge-- oder besser gesagt seine Shorts. (http: / / www.one-piece-rollenspiel.de/ archive/ index.php/ t-1281. html [decow]) Als Reformulierungsanzeige erscheint die Formel wiederum in medialer Position. Die +modale Bestimmung besser bringt zusätzlich zur gesprächsorganisatorischen Reformulierungsprojektion eine positioniernde Funktionskomponente ein, mit der sich S von der ursprünglich gewählten Formulierung distanziert. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT medial FUNKTION distanzierend, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM ST: prt, +MOD: besser Formel-73: besser gesagt Ambig ist die Personendeixis in der festen Formel will sagen, die man als elliptische Verfestigung sowohl von ich will sagen als auch von das will sagen (im Sinne von ‚besagen‘) auffassen kann: <?page no="372"?> Gesprächsorganisation 372 (576) Hallo, Jürgen, heut geriet ich zufällig auf Ihre Blogseite und sie erfreute mich dermaßen, dass ich mir diese Bemerkungen nicht sparen kann: Neben dem Design gefällt mir die Klarheit, will sagen , Übersichtlichkeit Ihres Blogs. (http: / / www.erfolgs-blogging.de/ keyword-recherche [decow]) Geläufig ist jedoch nur die elliptische Variante, die in Kontexten wie (576) weder direkt durch ich will sagen noch durch das will sagen ersetzt werden könnte, ohne dadurch unidiomatisch zu werden. 213 Der Ausdruck ist mit 15.132 Beispielen belegt (0,96 Vorkommen pMW) und reiht sich ein in das Spektrum der verfestigten Reformulierungsanzeigen mit sagen. Das steigernde bzw. eskalierende Moment von was sage ich und um nicht zu sagen geht ihm ab, ebenso ist die Distanzierung von der Ursprungsformulierung weniger deutlich als im Fall von besser gesagt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT medial FUNKTION distanzierend, themensteuernd, beitragsgliedernd FORM +MV: wollen Formel-74: will sagen Offen ist die Personendeixis auch in der Formel wie gesagt. Mit 649.039 Treffern in DECOW16B (41,38 Vorkommen pMW) ist sie dort deutlich die häufigste pragmatische Formel mit sagen überhaupt. Wir widmen uns ihr eingehend in der Vertiefungsstudie in Abschnitt- 7.3. Wie dort erläutert, handelt es sich um die elliptische Verfestigung eines adverbialen Nebensatzes. In Beispiel (577) treten in direkter Nachbarschaft sowohl der komprimierte Marker als auch seine kompositionelle Spenderstruktur auf. Ob die Sprechinstanz des Markervorkommens S oder aber der Subjektreferent der Langform ist („Gustl“), bleibt offen: (577) Servus Basti, wie gesagt , der Stammtisch ist am ersten Freitag im Monat und am 27.3. ist die Jahreshauptversammlung. Wie Gustl ganz richtig gesagt hat , jeder der an diesem Sport Interesse hat ist herzlich willkommen. Schau einfach vorbei. (http: / / www.dragracing.de/ archive/ index.php/ t-5656.html [decow]) Anders als die evidenzielle Langform ist der komprimierte Marker nicht dominant epistemisch, sondern themensteuernd. Er wird dabei ähnlich wie das Beispiel für was wollte ich sagen in (527) zur Markierung einer thematischen Refokussierung 213 Möglich ist dagegen eine Ersetzung mit der nach demselben Muster gebildeten Formel soll heißen. <?page no="373"?> Formelüberblick 373 bzw. eines Rücksprungs eingesetzt (578) oder zur Projektion eines bekräftigenden Fazits (579): (578) so sieht es aus, wenn man gaeste erwartet und gerade das schiffchen wieder auf hochglanz gebracht hat! wir hatten ja bereits geschrieben, dass wir unsere freunde aus deutschland am 10. fuer eine woche hier zu besuch haben. also denk ich, das schiff wird wieder mal ao richtig schnieke gemacht. alles runtergewaschen draussen-- kann man ja jede woche einmal praktizieren, bei dem sand der immer durch die luft weht- - tut man aber nicht weil wasser geld kostet. na wie gesagt jetzt wars soweit. die petit prince glaenzt in der sonne, sauber, sauber. (http: / / www.sjpetitprince.de/ ____Logbuch/ logbuch47.html [decow]) (579) Eigentlich sind mir Tiere egal, jedenfalls weitgehend. Ich mag keine Tiere, ich hasse aber auch keine Tiere. Sie sind einfach da oder auch nicht. Wenn sie da sind, stören sie mich nicht, jedenfalls meistens nicht, außer vielleicht so blöde Tölen, die ständig kläffen, die sollte man verbieten. Aber egal, wie gesagt , Tiere sind für mich uninteressant, also verlieren wir hier keine weiteren Worte über sie. (http: / / www.13o.de/ html/ lpk-a5.html [decow]) Die Formel wird auch im Rahmen noch weiterer Praktiken eingesetzt, auf die wir in Abschnitt-7.3 zu sprechen kommen. Für den Augenblick begnügen wir uns mit der schematischen Darstellung ihrer häufigsten Funktion, der gesprächsorganisatorischen als bekräftigende Themenschließung: TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, themensteuernd FORM ST: ns-wie, TMP: prf Formel-75: wie gesagt Damit sind wir am Ende der (zumindest potenziell) sprecherdeiktischen Verfestigungen angelangt. Die verbleibenden Formeln des gesprächsorganisatorischen Spektrums sind sämtlich adressatendeiktisch und deutlich weniger zahlreich. Wir beginnen die Darstellung mit +instrumentalen Ausdrücken. Hier stellt die interrogative Bildung was willst du damit sagen das egophorische 214 Pendant zu sprecherdeiktisch-deklarativem ich will damit sagen in der 2. Person dar: 214 „Egophorisch“ steht hier nicht für einen bestimmten Typ von Personendeixis (1SG), sondern für eine (persondeiktisch variable) Form von epistemischer Markierung (vgl. Kap.-3). <?page no="374"?> Gesprächsorganisation 374 (580) Marc schenkte gerade ein, als sie mit den beiden mit Krabben gefüllten Avocado-Hälften aus der Küche zurück kam. „Sieht wunderbar aus“, meinte er anerkennend. „Also, auf was trinken wir, Liebling? “ „Auf unser Baby, Marc. Stell dir vor, ich bin schwanger! “ strahlte sie ihn überglücklich an. Sein erwartungsvolles Lächeln verschwand, eine starre Maske legte sich über sein Gesicht. „Das ist unmöglich“, sagte er mit fremder Stimme. Sie fühlte sich, als hätte man sie in Eiswasser getaucht. „ Was willst du damit sagen ? “ „Wir sind noch mitten im Aufbau unseres Geschäfts…“ „Marc, unser Fotostudio läuft schon sehr gut, ausserdem sind wir beide 31. Es ist der richtige Moment für ein Baby.“ (http: / / lebenstrips.bloggaworld.de/ 2009/ 12/ iris-mann-wollte-keinbaby [decow]) Das Pronominaladverb damit bezieht sich auf Ps Vorgängeräußerung. Die Formel dient zur Fremdinitiierung einer Klarstellung, welche Mitteilungsabsicht mit dieser Äußerung verbunden war. Alternativ kann S auch bereits eine bestimmte Verstehenshypothese (candidate understanding, Antaki 2012) formulieren und sie P zur Ratifikation vorlegen. In diesem Fall wird die Prädikation als Entscheidungsfrage realisiert. Die Verstehenshypothese erscheint als dass- oder V2-Komplementsatz: (581) Die Leute, die ich in der Stadt sehe, haben verbissene Gesichter. Oft höre ich sie streiten. Sie streiten über zu teure oder zu billige Geschenke, über zu viel und zu wenig. Sie tragen so viel nach Hause, daß sie es kaum tragen können. Manche tragen Laufschuhe, damit sie den Weihnachtsbaum noch schneller in die Wohnung bringen, als es nötig wäre. Ich erlebe einfach keine Gemütlichkeit mehr in diesen Tagen. Darum bin ich froh, daß ich niemanden beschenken muß. Ich lehne mich zurück und warte darauf, daß diese Weihnachtshysterie zu Ende geht. Weihnachten dann mache ich mir eine Kerze an und höre mir gute Musik an. Das reicht mir schon.“ erzählte ich ihr. „ Willst Du damit sagen , daß Du nicht Weihnachten feierst? ? “ blickten mich diese eindringlichen Augen fragend an. (http: / / kostenlos.freepage.de/ cgi-bin/ feets/ freepage_ext/ 41030x030A/ rewrite/ weltprojekt/ weihnachtshoehle.html [decow]) (582) Hierzu schreibe ich auf einen Zettel die einzelnen Farbwerte (für den Anfang kann man ja Null und Grand erstmal weglassen). Dieser Zettel ist eine gute Gedächtnisstütze für Anfänger. Dann spielt man ein paar Spiele offen und ein paar richtig. Danach kann man dann die restlichen Spielweisen erklären, was mit den Grundregeln aber ja kein Problem sein sollte. Und das waren dann ja auch schon alle Regeln. 06.01.2006, 10: 13 / / Tun wir doch mal so, als wüssten wir-hier überhaupt nichts…06.01.2006, 22: 34 / / Willst du damit sagen , ich soll dir die Regeln erklären? Kein Problem, ich frage nur nach, weil das ja auch einiges an Schreibarbeit ist, die ich mir ja sparen könnte, falls du was anderes meinst. (http: / / www.tabletopwelt.de/ forum/ archive/ index.php/ t-75606.html [decow]) <?page no="375"?> Formelüberblick 375 Einen Übergang zwischen beiden Mustern stellen nur teilformulierte Nachfragen dar, die die Ergänzung des Komplementsatzes an P delegieren: (583) Sie wendete sich ihm mit einem Ausdruck des Erstaunens zu und fragte: „ Du willst damit sagen ? “ „Daß mehrere Personen vorhanden sind, welche beleidigt wurden, und daß Du also nicht eigenmächtig verzeihen darfst.“ „Ah,“ meinte sie, „ich ahnte nicht, daß Du annimmst, auch angegriffen worden zu sein. (http: / / www.karl-may-stiftung.de/ wanderer/ ulane41.html [decow]) Das Modalverb kann auch mit mögen ersetzt werden. Zentrale Verfestigung in DECOW16B ist die V1-Frage willst du damit sagen mit 4.232 Belegen (0,27 Vorkommen pMW). Die V1-Variante und ihr V2-Pendant mit was verhalten sich ähnlich zueinander wie die in Helmer/ Zinken (2019) beschriebenen „interpretation marker“ (ebd., S.- 160) das heißt und du meinst. Für letztere ist postuliert worden, dass du meinst das weitere Voranschreiten der Interaktion für eine Nachfrage anhalte, während mit das heißt eine weiterführende Schlussfolgerung aus dem zuvor Gesagten formuliert werde, die die aktuelle Aktivität im Gegenteil vorantreibe. Den unterschiedlichen Effekt der beiden Formeln führen Helmer/ Zinken (2019) nicht zuletzt auf die Personendeixis der beteiligten Verbformen zurück: The second person marking of du meinst refers to the domain of the other speaker and problematizes what they have or had ‚on their mind.‘ The other speaker has the ‚ownership‘ over what s/ he has said or has failed to make clear and is accountable for that. In contrast, the third person marking of das heißt is apt for referring to items lying outside of the I-you relationship of speaker and hearer: to objects of the conversation, such as expressions used in prior talk. (ebd., S.-168) Speziell die Erläuterung zu du meinst verweist auf den egophorischen Zusammenhang zwischen Personendeixis und epistemischer Autorität für das Gesagte (vgl. Kap.-3), der hier nicht in Abrede gestellt werden soll. Dennoch kann auch mit Formeln der 2. Person wie willst du damit sagen + Komplementsatz ein eher dem Marker das heißt als dem Marker du meinst vergleichbarer, den weiteren Interaktionsverlauf vorantreibender Effekt erzielt werden. Funktional verbinden sich in der Formel ein koordinatives (Appell), ein epistemisches (Vergewisserung) und ein gesprächsorganisatorisches Element (Themensteuerung). Im Gegensatz zum handlungswertigen was willst du damit sagen ist die V1-Variante ein vorangestellter Operator, der erst durch Vervollständigung mit dem gerahmten Komplementsatz kommunikative Autonomie erlangt. <?page no="376"?> Gesprächsorganisation 376 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT (vorangestellt) FUNKTION appellativ, K=, themensteuernd FORM SM: int, +MV: wollen, SUB: du, +PO: damit Formel-76: willst du damit sagen Ebenfalls appellativ, jedoch nur noch in grammatischer Hinsicht adressatendeiktisch ist die rederechtsbezogene Verwendung von sag mal zur Überbrückung von Disfluenzen im Rahmen einer Wortsuche. Distinktiv für die prozedurale, rederechtsbezogene Praktik ist die Kombination von sag mal mit einem Adverbial wie schnell, eben oder gerade: (584) „Ja, das ist dieses Komische, ach sag mal schnell . Dieses…“, antwortete sie- fragend. (http: / / forum.animemanga.de/ archive/ index.php/ t-14501.html [decow]) Quellstruktur sind appellative Verwendungen, die P auffordern, S mit einer fehlenden oder momentan unzugänglichen Information auszuhelfen. Im Gegensatz zu einer Frage signalisieren auch diese Verwendungen bereits S’ Absicht, das Rederecht zu behalten, da P eben nur mal schnell die sich aufgetane Lücke auffüllen, den Turn danach jedoch zurückgeben soll. Als Bezugsausdruck treten in der Quellverwendung nominale Objekte sowie abhängige und unabhängige Fragesätze auf: (585) Rita, sag mal schnell den Preis! (http: / / www.literaturspektrum.de/ Autoren/ Ingrid_Toeppler/ supermarkt.html decow]{.smallcaps}]) (586) Oho, ein Jubiläum… Sag mal gerade wann das ist, damit ich meine Stimme schon mal für ein Ständchen ölen kann (http: / / www.nichtraucher-blogs.de/ blogs/ Iris/ Bald-300-Tage-Exraucher-0.html [decow]) (587) joa mal sehr geil : -P ewapu wurde aber auch mal zeit aber sag mal eben haste die bei kiesler geholt wenn ja dann kleines schmunzel weiteres kann ich ja im icq sagen : D : D (http: / / www.aerox-community.de/ archive/ index.php? t-40461. html [decow]) Zwischen den Imperativ und die Partikel kann ein Dativ mit Referenz auf S (als Adressaten des sagen-Ereignisses) sowie die Partikel doch treten. Die verschiedenen Adverbiale, die den Rederechtsbezug der Praktik (gegenüber anderen sag mal-Verwendungen) anzeigen, können auch miteinander kombiniert werden: <?page no="377"?> Formelüberblick 377 (588) 15 EUR? Sag mir mal gerade , wie und mit wem du deine Konditionen aushandelst! (http: / / www.surfgarden.de/ blog/ 2007-08/ warten [decow]) (589) Sag doch mal eben deine Vorschläge zur Imageverbesserung. (http: / / forum. waffen-online.de/ lofiversion/ index.php/ t407121.html [decow]) (590) Arche, sag mal eben schnell wann das Spiel ist? ? (http: / / www.svm-fanforum. de/ archive/ index.php? t-6496.html [decow]) Den Übergang zur nicht mehr genuin adressatendeiktischen Zielverwendung bilden metakommunikative Instanzen, in denen das gesuchte Element nicht mehr ein Sachverhalt und somit ein Gegenstand der inhaltlich-thematischen Ebene, sondern eine Formulierung ist. Von hier aus ist es nur noch ein letzter Schritt zum rein prozeduralen Marker, der ein einziges, von S im aktuellen Kontext benötigtes Wort rahmt, das momentan nicht zugänglich ist: (591) Gegen das Prätentiöse in Form von Progressive Rock wurde Punk erfunden, und das war gut so…Aber danach kam New Wave, und man merkte schnell, dass Prätentiösität ( sag mal schnell jemand das passende Substantiv) auch-- ganz anders als im verhassten Prog-Rock- - verdammt cool sein kann (von hier Soft Cell bis dort The Residents). (http: / / tiefkultur.de/ 2007-05-16/ bjork-%e2%80% 9evolta%e2%80%9c [decow]) Wird eine solche Aufforderung von S nun selbstadressiert verwendet, ergeht an die Adresse Ps lediglich die implizite Aufforderung, nicht den Turn zu übernehmen, da S trotz der lokalen Wortfindungsschwierigkeit weitersprechen möchte. Solche Verwendungen sind in DECOW16B so gut wie überhaupt nicht belegt. Mit gerade einmal drei Belegen im gesamten Korpus (0,0002 Vorkommen pMW) ist sag mal schnell noch seine „häufigste“ Variante. Zudem fällt auf, dass diese Verwendungen entweder in narrativen Kontexten direkt wiedergegebener Rede (vgl. (584)) oder als metakommunikative Erwähnung (Quine 1951) anstelle im Rahmen authentischer Verwendungen auftreten (vgl. (592)): (592) Auszug aus dem Blumsel Lexikon für Anfänger „Ähm, äh ja Dings sag mal schnell : Wenn der Mund schneller sein will als das Gehirn, kommen eher solche Aussprüche heraus. (http: / / www.kurzgeschichten-verlag.de/ humor/ humor- 281.html [decow]) Im Unterschied zu anderen Formeln, die in der Mündlichkeit prozedurale Funktionen übernehmen (wie etwa was wollte ich sagen), hat sich für sag mal schnell also keine alternative, im Schriftlichen in eigener Hinsicht funktionale Verwendung etabliert, sodass sich im Webkorpus nur vereinzelte Echos seiner mündlichen Verwendung finden. Letztere kann einerseits bereits als reines Haltesignal gewertet <?page no="378"?> Gesprächsorganisation 378 werden, andererseits aber auch durchaus noch als erstes Element einer zweigliedrigen Operator-Skopus-Stuktur, das seinem (fehlenden) Bezugsausdruck vorangestellt ist. Auch in dieser Wertung hat die Verwendung verzögernden, Planungszeit gewinnenden Effekt und dient zur Sicherung des Rederechts (selbst wenn P den passenden Ausdruck ggf. einwerfen sollte). Mit dieser Funktion ist die Praktik nicht eigenständig handlungswertig und kann insofern auch nicht autonom freistehen. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION rederechtsbezogen FORM SM: dir, VM: imp, +MPT: mal, +MOD: schnell Formel-77: sag mal schnell Die letzte spezifisch gesprächsorganisatorische Formel ist das in grammatischer Hinsicht antonyme, nämlich +direktive und +negierte sag jetzt nichts (mit dem zusätzlichen Temporalmerkmal +origodeiktisch). Funktional besteht Komplementarität allerdings eher zum themensteuernden was willst du damit sagen: Mit sag jetzt nichts wird P dazu aufgefordert, eine antizipierte Kritik, einen Einwand oder eine von S aus anderen Gründen dispräferierte Äußerung gar nicht erst vorzunehmen. Anders als bei was willst du damit sagen geht es also nicht darum, einen Kommentar zu einer Äußerung Ps zu erbitten, sondern sich einen solchen Kommentar zu einer eigenen Äußerung zu verbitten: (593) hallo udo, nicht persönlich nehmen, aber die nabenqualität der campa neutron mit der der easton zu vergleichen… sag jetzt nix , ich habe/ hatte beide. die easton nicht mehr, zum glück. nur (! ! ) probleme. die neutrons gibts um die 400,-- im netz. 30.12.2007, 22: 34 (http: / / forum.tour-magazin.de/ archive/ index. php/ t-114166.html [decow]) Bei attribuierender Verwendung des Indefinitpronomens lautet die Langform fast ausnahmslos sag jetzt nichts Falsches, was insofern den semantischen Quellkontext der Formel darstellen dürfte. Solche Belege bilden typischerweise die letzte TCU eines Beitrags (vor einer etwaigen Verabschiedung): (594) Mit Freiburg wäre ich einverstanden! Ist wirklich eine schöne Stadt, und das sage ich nicht weil ich unter Druck gesetzt werde von einer Person deren Namen- ich nicht weiter benennen will! : D Vor allem müßte ich mir dann keine Gedanken um eine Übernachtung machen. @sista, sag jetzt nichts fal- <?page no="379"?> Formelüberblick 379 sches ! -; ) Gruß Morgan 29.07.2001, 22: 31 (http: / / www.comicforum.de/ archive/ index.php/ t-17540.html [decow]) Häufig erscheint die Variante auch im Anschluss an eine Frage. Sie hat dann die themensteuernde Funktion, eine Einschränkung im Spektrum der erwünschten Antworten anzuzeigen. Was genau unerwünscht ist, bleibt allerdings implizit und muss von P inferiert werden. Im Fall von Entscheidungsfragen verengt sich die Wahl auf eine von zwei Optionen: (595) Meine Versicherung hier in den USA gibt mir einige Prozente auf meine Praemie weil mein Xi mit dem BMW Assist System ausgestattet ist, welches eine GPS Ortung und somit der Polizei eine „Recovery“ im Falle eines Diebstahls ermoeglicht. Ist das in Deutschland auch so? Sag jetzt nix falsches PoWder ; ) : D! 15.08.2011, 15: 46 / / NÖ! In Deutschland dauert es rund 12 Wochen bis die zuständige Behörde gefunden und autorisiert ist dieses System zu nutzen um das Auto wiederzufinden. In dieser Zeit ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weit weit weg… (http: / / www.x3-treff.de/ archive/ index.php/ t-7327. html [decow]) Auch das explizitere sag jetzt nichts Falsches weist insofern eine spezialisierte Pragmatik auf: Im Zuge einer Informationsfrage oder einer Vergewisserung zeigt sie das Bestehen einer Präferenz (involvierende Positionierung) für eine bestimmte Antwortmöglichkeit an (Themensteuerung). Das kürzere sag jetzt nichts wird dagegen typischerweise parenthetisch verwendet, um einen antizipierten Einwand quasi im Vorübergehen zurückzuweisen: (596) Und somit nähert sich dieser Brief schon dem Ende. Vielen Dank an Euch alle. Es war ein sehr schönes Bundesjugendtreffen und ihr alle habt es zu einem einzigartigen Erlebnis gemacht (Andreas, sag jetzt nichts …das ist nicht geschleimt, sondern mein voller Ernst ! ! ! ). Ich freue mich schon auf das nächste- Treffen mit jedem einzelnen von Euch und ich finde, dass es nicht erst auf dem- nächsten Bundesjugendtreffen wieder heißen sollte: Mit uns muss man rechnen! ! ! (http: / / www.rheuma-liga.de/ home/ layout2/ page_sta_1396.html [decow]) Ihre Funktion ist somit ebenfalls themensteuernd, aber auch rederechtsbezogen und daher in zweifacher Hinsicht als gesprächsorganisatorisch zu werten. Mit du sagst jetzt nichts ist auch eine deklarative Variante möglich, bei der mit einem Präpositionalobjekt auch der Gegenstand spezifiziert werden kann, zu dem sich S den Kommentar von P verbittet: <?page no="380"?> Gesprächsorganisation 380 (597) Ne Loverly… du sagst jetzt nix zu Marcos Posting , denn sonst riskierst du dir ne lebenslange Sperre hier ein! Einfach die Finger still halten, jaja genau SO! ! ! (http: / / www.elvisnachrichten.de/ archive/ index.php/ t-23401.html [decow]) Zentrale Verfestigung ist sag jetzt nichts mit 114 Belegen (0,01 Vorkommen pMW). Da die Formel (anders als sag mal schnell) nicht selbstadressiert verwendet wird, ist das +appellative Koordinationsmerkmal hier erhalten (und zwar in negativer Form als Appell, eine bestimmte Handlung nicht vorzunehmen). Dominant ist damit aber eine gesprächsorganisatorisch-thematische Implikation-- nämlich S’ Wunsch, dass ein bestimmter aktuell anschlussfähiger Aspekt nicht aufgegriffen und vertieft werden möge. Responsiv kann die Formel auch freistehend verwendet werden. Sie bezieht sich dann auf die noch offene Antwortprojektion und wendet sich entweder an einen Dritten (als Adressaten der Frage) oder auch an den Fragenden selbst, bevor er sich die Antwort auf die gestellte Frage selbst gibt: (598) Eben … was meint ihr wie ich an die Püppi gekommen bin? : p : gruebel: : schmoll: 16.03.2010, 23: 06 / / Sag jetzt nix … : D *Dalmi ganz unauffällig aus dem Fred schieb* : p 16.03.2010, 23: 37 (http: / / forum.ksgemeinde.de/ archive/ index.php/ t-27029-p-2.html [decow]) Wir charakterisieren die vollzogene Handlung schematisch als „Themensteuerung“. Sie tritt an einer Stelle auf, an der eine dispräferierte Äußerung Ps zu erwarten bzw. zu befürchten wäre, die S antizipatorisch zu unterbinden sucht. Dabei kann der Formel auch ein Account beigegeben werden, weshalb die Äußerung unterbleiben soll, vgl. (593). Als Appell, gerade nicht näher auf das Thema einzusteigen, zieht sie keinen tatsächlichen Sequenzverlauf nach sich, projiziert den möglichen Anschluss aber gewissermaßen negativ aus erster Position. TYP handlungswertig HANDLUNG Themensteuerung KONTEXT 1. Sequenzposition FUNKTION appellativ, themensteuernd, rederechtsbezogen FORM SM: dir, VM: imp, AKK: nichts, +MOD: jetzt Formel-78: sag jetzt nichts Damit sind wir am Ende des Überblicks über die schwerpunktmäßig gesprächsorganisatorischen sagen-Formeln in DECOW16B angelangt. Im nächsten Abschnitt wenden wir uns der Vertiefungsstudie zu wie gesagt in FOLK zu. <?page no="381"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 381 7.3 Vertiefungsstudie: wie gesagt 7.3.1 Überblick und Vorarbeiten Die Formel wie gesagt ist mit 649.039 Treffern die häufigste Verfestigung von sagen in DECOW16B (41,38 Vorkommen pMW). In FOLK ist sie in der Version, die unserer Untersuchung zugrundeliegt, 215 mit 383 Belegen vertreten, was einer nochmals deutlich höheren normalisierten Frequenz von 172,29 Vorkommen pMW entspricht. 216 In ihrer literalen Bedeutung zeigt sie an, dass eine bestimmte Information im Gespräch vorgeäußert ist. Auf dieser Bedeutung setzen vier unterschiedliche Praktiken auf, die an je spezifische Gebrauchsmuster gebunden sind. Wir bezeichnen sie als „Themenschließung“, „Themen(wieder)aufnahme“, „Explikation“ sowie als „Prozedurale Verwendung“. Ob der Bezugsausdruck von wie gesagt (oder eine inhaltlich zumindest hinreichend ähnliche Formulierung) tatsächlich vorgeäußert ist oder nicht, ist dabei nicht in allen Fällen von Belang. Wir beginnen unsere Darstellung mit einem Literaturüberblick zu Herkunft und Funktion. Im Anschluss erläutern wir Datenbasis und Vorgehen unserer eigenen Studie (7.3.2). Abschnitt-7.3.3 stellt die für die Formel in FOLK identifizierten Praktiken vor, und Abschnitt-7.3.4 widmet sich ihrer lautlichen Realisierung. Eine detailliert ausgearbeitete Studie zu wie gesagt liegt unseres Wissens bislang nicht vor. In der Literatur finden sich allerdings verschiedene Verweise auf die Formel, die von einfachen Erwähnungen (als Vertreter eines bestimmten Ausdruckstyps) zu mehrseitigen Charakterisierungen wie etwa bei Imo (2007, S.-114-118) und König (2014, S.-123-127) reichen. Auch diese Darstellungen streifen die Formel aber letztlich nur am Rande und gehen nicht wirklich ins Detail. Die Quellstruktur der Formel sind unreduzierte wie-Sätze des Typs in (599), die Pittner (1993) als „redekommentierende Adverbialsätze“ bezeichnet: (599) Frau Meier war in Urlaub, wie Frau Müller sagt. (ebd., S.-316) Der wie-Satz in (599) ist unselbstständig, hat aber weder ein Satzglied des Matrixsatzes zum Bezugselement (wie es bei einem Attributsatz der Fall ist), noch gehört er zu den sogenannten „weiterführenden Nebensätzen“. 217 Pittner schlägt insofern eine Klassifikation als Adverbialsatz vor, für den „[d]er Begriff des Adverbials […] dahin- 215 Stand: DGD-Release 2.10.1. 216 Der häufigste sagen-Marker in FOLK ist allerdings nicht wie gesagt, sondern sozusagen (vgl. Kap.-4). In FOLK ist sozusagen etwa viermal so häufig wie wie gesagt, in DECOW dagegen nur etwas mehr als halb so häufig. 217 „Weiterführende Nebensätze“ (detailliert dazu: Brandt 1990) des Typs Er verlor die Wahl, was niemanden überraschte sind im Gegensatz zu dem wie-Satz in (599) nicht vorfeldfähig und werden durch ein <?page no="382"?> Gesprächsorganisation 382 gehend zu erweitern [ist], daß er diese Art von Redekommentar als ‚Umstandsangaben‘ der Äußerung mit einschließt“ (Pittner 1993, S.-322 f.). Als mögliche Funktionen solcher Sätze nennt sie (ebd., S.-316 f.) die „Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer Proposition“ (wie es scheint), die „Angabe der Quelle“ (wie Otto sagt), eine „Bezugnahme auf andere Äußerungen“ (wie oben erwähnt) sowie einen „Kommentar zur Formulierung“ (wie man sagen könnte). Pittner weist außerdem darauf hin, dass finite Verben „in den wie-Einschüben oft fehlen“, wodurch diese „einen formelhaften Charakter annehmen: wie gesagt, wie schon erwähnt etc.“ (ebd., S.-307). Thurmair (2001, S.-81-86) setzt im Rahmen einer umfassenden Studie zu Vergleichskonstruktionen im Deutschen eine Kategorie namens „redekommentierender wie- Verb-Letzt-Satz“ an, worunter sie im Anschluss an Pittner ebenfalls eine bestimmte Art von metakommunikativem Adverbialsatz versteht. Auch Thurmair merkt an, dass solche Sätze oft „in verkürzter Form auftreten“ (ebd., S.-85) und nennt Beispiele mit den Instanzen wie verlautet und wie behauptet. Ihre Funktion kennzeichnet sie zunächst ausschließlich als „Angabe der Informationsquelle“- - zumindest sei dies jedenfalls der „unmarkierte Fall der Redekommentierung mit wie“ (ebd., S.-82). Später im Text erwähnt Thurmair jedoch auch Beispiele, die zwar „ähnlich analysierbare, aber funktional andere“ Verwendungen darstellten, in denen die Funktion des wie-Satzes nämlich nicht die „Nennung oder Kommentierung einer Quelle, sondern eine textstrukturierende“ sei (ebd., S.-85). Auch Sitta (1970, S.- 111) unterscheidet zwei verschiedene Funktionen: Die erste („textstrukturierende“) liege vor, wenn [d]er redesituierende Wie-Satz […] etwas als bereits mitgeteilt [bestimmt]; er dient dazu, in der Gesprächs- und Vortragssituation den Bezug zu vorangegangenen Phasen dieser Situation oder zu früheren Situationen herzustellen […] Es wird dem Hörer (Leser) ins Gedächtnis zurückgerufen, daß ihm dasselbe oder Entsprechendes schon einmal vermittelt worden ist. (ebd.) Der zweite Fall liege dagegen vor, wenn [d]er redesituierende Wie-Satz […] die im übergeordneten Satz gegebene Information als eine Aussage [charakterisiert], die ihren Ursprung außerhalb der vorliegenden Kommunikationssituation hat. Sehr oft ist das erklärte Ziel dieses Gebrauchs, die Quelle für eine Nachricht anzugeben (ebd.). Interessanterweise merkt Sitta auch bereits an, dass im Fall des Verbs sagen die erste Funktion mit dem komprimierten Marker wie gesagt verknüpft sei, die zweite hingegen mit vollrealisierten Sätzen, sodass sich die Funktion des Markers und die der Relativelement eingeleitet, das sich auf den gesamten vorangegangenen Satz bezieht und im Nebensatz als Subjekt, Objekt oder Adverbial fungiert. Beide Merkmale treffen auf den wie-Satz in (599) nicht zu. <?page no="383"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 383 ihm zugrundeliegenden Quellstruktur unterscheiden („Die Tendenz zur Formel mag der Grund sein, daß hier die Umformung in einen Inhaltssatz nicht immer gleich befriedigend gelingen will“, ebd.). Einheitlich fällt die Funktionsbestimmung hingegen bei Heidolph/ Flämig/ Motsch (1981, S.-816) und Sommerfeldt (1984, S.-345) aus, die lediglich von einer „Beschreibung der Informationsquelle“ bzw. der „Angabe einer Quelle einer bestimmten Information“ sprechen. Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen ist das Erstaunliche an der Verfestigung zu wie gesagt weniger der Entfall des Finitums, den Pittner herausstellt, sondern der des Subjekts, dessen Nennung für die mutmaßlich evidenzielle Kernfunktion der Quellstruktur zentral ist. Dennoch ist speziell die Variante mit sagen, auf die sich die oben genannten Charakterisierungen offensichtlich beziehen, mit weitem Abstand die häufigste Formel, die sich aus den genannten wie-Sätzen entwickelt hat. 218 Stein (1995, S.-243) klassifiziert sie in seinem Inventar „gesprächsspezifischer Formeln“ als Mittel zur „äußerungskommentierende[n] Metakommunikation“, deren spezifische Funktionen er erstens als „Herstellung von Textbezügen: Verweis auf Vorangegangenes“, zweitens als „Bekräftigung des Gesagten“ sowie drittens als „Gliederungssignal“ bestimmt. Damit sind die wesentlichen Funktionen angesprochen, die sich auch in anderen bereits vorliegenden Darstellungen zu wie gesagt finden. Die Duden Grammatik, in der die Formel im Kapitel zu „Besonderheiten Gesprochener Sprache“ als Operator einer spezifischen Art von Operator-Skopus-Struktur erwähnt wird (vgl. Duden 2009, S.- 1201-1204), thematisiert allein den „Verweis auf Vorangegangenes“: Im Rahmen der viergliedrigen Unterscheidung von Operatoren zur Verdeutlichung des Handlungstyps, des mentalen Status, des kommunikativen Status sowie der Relation des Skopusausdrucks zu Elementen des umgebenden Diskurses wird wie gesagt dem letzteren, relationalen Typ zugerechnet. Dieser wird nochmals binnendifferenziert in „Operatoren, die Aspekte der Gesprächsorganisation verdeutlichen“ einerseits sowie „Operatoren, die verschiedenartige inhaltlichfunktionale Beziehungen zwischen Äußerungen explizieren“ andererseits (Fiehler 2009, S.- 1204). Wiederum wird wie gesagt dem letzteren Typ zugeschlagen und als Operator zur Anzeige einer „Wiederholung“ bestimmt. Niehüser (1987, S.-196) rechnet wie gesagt zu den „rückbezüglichen Redecharakterisierungen“, die in seiner Taxonomie zu den „Charakterisierungen der Redestruktur“ zählen. Solche Elemente signalisierten, „daß das, was jetzt gesagt wird, schon vorher einmal geäußert worden ist“. Auch bei Imo (2007, S.-117) heißt es, dass die Formel in den in seiner Arbeit untersuchten Daten (34 Belege) „ausnahmslos auf bereits Gesagtes“ verweise (ebd.), und zwar im Zuge von „teilweise sogar wörtlichen Wieder- 218 Prinzipiell gibt es entsprechende Verfestigungen nicht nur mit den oben genannten Kommunikationsverben (vgl. etwa wie gewohnt, wie befürchtet, wie gehabt etc.). Im hier betrachteten Korpus FOLK ist die Wortfolge wie gesagt allerdings beinahe mehr als hundertmal so häufig zu finden wie die zweitplatzierte Kombination von wie + Partizip II, wie geplant. <?page no="384"?> Gesprächsorganisation 384 aufnahmen“. Als Bezeichnung für die dabei wiederaufgegriffene Äußerung wählen wir im Folgenden den Begriff des Ankers, der in Schwarz-Friesel/ Consten (2014) für den Bezugsausdruck einer indirekten Anapher vorgeschlagen wird. Wie Betz/ Deppermann (2018, S.-175) in ihrer Studie zu eben verwenden wir ihn weiter als den Begriff des „Antezedens“, um damit auch indirektere, inferenziell vermittelte Wiederaufnahmen mit einzuschließen. In der Tat wird nämlich auch der Rückbezug mit wie gesagt in mehreren Darstellungen deutlich weiter und vager gefasst, als es das Zitat von Imo nahelegt. Beispielsweise heißt es bei Al-Nasser (2011, S.- 116): „Der Operator ‚wie gesagt‘ verdeutlicht dem Zuhörer die Relation der Äußerung im Skopus zu anderen Äußerungen im Gespräch“. Damit wird zwar einerseits das Problem einer potenziell zu engen Auslegung des Begriffs der „Wiederholung“ vermieden, andererseits aber auch nicht näher bestimmt, welcher Art die angezeigte Relation überhaupt ist. Kallmeyer (2002, S.-306) macht dagegen klar, dass er inhaltliche Äquivalenz und nicht konkrete sprachliche Wiederholung für entscheidend hält, wenn er schreibt, die Formel wie gesagt markiere ein „Reformulierungsverhältnis zu voraufgehenden Äußerungen“. 219 Noch weiter entfernt von Wiederholung im Sinne eines wörtlichen „second sayings“ (Wong 2000) ist der von König (2014, S.-124) verwendete Begriff des „ungenaue[n] Rückverweis[es]“. An solcherart gewerteten Belegen erweise sich, „dass eine genaue Identifizierbarkeit des Bezugskontextes bei Verwendungen von ‚wie gesagt‘ nicht immer relevant sein muss“ (ebd.). Unabhängig davon, ob nun eine wörtliche Wiederholung, eine nur inhaltsäquivalente Reformulierung- oder sogar bloß ein „ungenauer Rückverweis“ markiert wird, besteht in der Literatur zumindest insoweit Einigkeit, dass die Formel einen Rückbezug zu etwas Vorgeäußertem anzeigt. Ihre Kernfunktion lässt sich somit als Markierung eines themensteuernden Wiederaufgriffs bzw. Rücksprungs zu einem früheren Gesprächsgegenstand kennzeichnen. Wie sich in unserer Studie in FOLK erweisen wird, hat sich der Marker allerdings im Rahmen mehrerer Praktiken von dieser Kern- und Quellverwendung abgelöst und rahmt nicht immer einen tatsächlichen textuellen Rückverweis. Als zweites Funktionsmerkmal nennt Stein die „Bekräftigung des Gesagten“, die auch bereits in der Studie von Niehüser genannt wird („Rückbezügliche Redecharakterisierungen vom Typ ‚wie gesagt‘ […] signalisieren […] häufig auch, daß der Sprecher mit der adjungierten Äußerung im besonderen Maße etwas herausstreichen oder bekräftigen will“, Niehüser 1987, S.-196). Imo (2007, S.-117) und König (2014, S.-127) greifen diese Annahme ebenfalls auf. Auch Ortner (1983, S.-106) sieht 219 Das passt zu der in Pittner (1993, S.-306) formulierten Beobachtung zum Unterschied kommentierender Nebensätze mit wie (d. h. der Quellform des Markers) und solchen mit so, derzufolge „so die aktuelle Äußerung mit der wiedergegebenen identifiziert, wie dagegen eine Beziehung zwischen der aktuellen und einer anderen Äußerung herstellt, die jedoch keine Identifikation beinhaltet“. Auch Thurmair (2001, S.-82) postuliert, dass der wie-Satz zwischen „zwei Stücken Text aus verschiedenen Sprechsituationen“ eine „Äquivalenzbeziehung (nicht Identität! )“ behaupte. <?page no="385"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 385 die Funktion von „Konnektoren vor Wiederholungs- und variierenden Paraphrasen“ (zu denen er wie gesagt zählt) unter anderem darin, „bestimmten, im Text schon geäußerten Aussagen oder Fragen durch Wiederholung Nachdruck zu verleihen“. Die Funktionen „Rückbezug“ und „Bekräftigung“ überlappen sich insofern, als letztere eine spezifische Motivation für erstere darstellt: In unserer Begrifflichkeit handelt es sich bei der „Bekräftigung“ um ein positionierendes Funktionsmerkmal, das zum gesprächsorganisatorischen Merkmal der Wiederholungsmarkierung tritt. Dass beide Merkmale häufig zusammenfallen, bedeutet aber weder, dass alle wie gesagt-Bekräftigungen tatsächlich bereits Vorgeäußertes aufgreifen, noch, dass alle textuellen Wiederaufgriffe mit der Formel bekräftigend wären. Prinzipiell sind beide Dimensionen voneinander unabhängig. Die dritte Funktion des Markers wird bei Stein als eine Verwendung als „Gliederungssignal“ bestimmt. Wieder finden sich ähnliche Begriffe auch bei Imo („sequenzstrukturierende Konstruktion“, Imo 2007, S.- 117; „Mittel zur Wiederanknüpfung nach Unterbrechungen“, ebd., S.- 118) und König („Strukturierung des Gesprächsbeitrags“, „Haltesignal“, König 2014, S.-127). Zumindest für einige der darunter subsumierten Fälle bleibt allerdings unklar, worin sich diese dritte Funktion von Steins erster Kategorie („Verweis auf Vorangegangenes“) grundsätzlich unterscheidet. Natürlich ist ein „Verweis auf Vorangegangenes“ nicht an den aktuellen Beitrag gebunden, sondern kann auch über ggf. viele Beiträge hinweg auf gesprächsstruktureller Makroebene operieren. Gerade bei Verwendungen im Rahmen längerer Beiträge erscheint eine Unterscheidung von (beitragsübergreifenden) „Wiederaufnahmen“ und (beitragsinternen) „Gliederungen“ aber wenig gewinnbringend. In unserer eigenen Analyse wählen wir daher einen anderen Weg und unterscheiden zwischen Wiederaufgriffen zum Zweck einer thematischen Schließung (die in der Regel bekräftigend sind) und solchen im Dienste einer thematischen Fortführung bzw. eines Themenwechsels (die rein themensteuernd ohne zusätzliches Positionierungsmerkmal sind). Anders als Imo, der grundsätzlich von der Markierung einer „Wiederholung“ ausgeht, beobachtet König, dass „die ursprüngliche Semantik von ‚wie gesagt‘ als Rückverweis auf bisher Gesagtes bei manchen Verwendungsweisen verblasst“ sei (ebd.). Die von ihr postulierte Verwendung als „Haltesignal“, auf die sich diese Formulierung bezieht, ist insofern von der Funktion einer inhaltlichen Wiederaufnahme und dem damit verbundenen Gliederungseffekt zu trennen. Wir sprechen im Folgenden von einer „prozeduralen Verwendung“ des Markers, sofern er rein rederechtsbezogen verwendet wird (als „Haltesignal“) oder eine reine Gliederung ganz ohne phorischen Rückbezug leistet (als bloßes Gliederungssignal). Hinzuzufügen ist jedoch, dass solche „verblassten“ Gebräuche nicht ausschließlich unter den reinen Zögerungs- und Gliederungssignalen zu finden sind, sondern auch Instanzen anderer Praktiken nicht notwendig einen konkreten textuellen Rückverweis voraussetzen (siehe unten). <?page no="386"?> Gesprächsorganisation 386 Festzuhalten ist schließlich noch, dass mindestens zwei der von Stein angeführten drei Funktionen eigentlich Leistungen der gerahmten Wiederholung und nicht des sie rahmenden Markers sind. Das wirft die Frage auf, was der spezifische Funktionsbeitrag des Markers selbst ist, oder anders formuliert: warum eine bereits von sich aus bekräftigende oder das Thema wechselnde Wiederholung überhaupt des Kommentars durch einen solchen Marker bedarf. Niehüser (1987, S.- 79) bemerkt dazu, dass der Sprecher durch die Verwendung der Formel anzeige, „daß er sich dieser Wiederholung bewußt ist“. Damit könne S sich „davor schützen, von den anderen Gesprächsteilnehmern unterbrochen zu werden“, was sonst bei Wiederholungen leicht geschehen könne: „Da explizit gemachte Wiederholungen […] auf seiten des Hörers den Schluß nahelegen, daß der Sprecher damit einen bestimmten Zweck verfolgt, erhöht sich für ihn die Chance, sein Rederecht zu behalten“ (ebd.). 220 Ähnliche Annahmen finden sich auch bei Imo (für den die Formel dazu dient, „Kritik an der Wiederholung zu vermeiden“, Imo 2007, S.-118) und König (die von der Funktion spricht, „sich gegen mögliche Redundanzvorwürfe abzusichern“, König 2014, S.-123). Erreicht werde dieses Ziel, indem die (aus welchen Gründen auch immer vorgenommene) Wiederholung ausdrücklich als absichtsvoll und nicht etwa versehentlich markiert wird. Auf diese Weise demonstrierten Sprecher, „dass sie selbst noch wissen, was sie schon gesagt haben“ (Imo 2007, S.-117)-- und somit, dass-sie ihrer sozialen Verpflichtung zur „Buchhaltung“ (Schegloff 1991, S.- 164) des Interaktionsverlaufs und Common Grounds mit ihrem aktuellen Adressaten nachkommen. 7.3.2 Daten und Vorgehen Wie die anderen interaktionslinguistischen Vertiefungsstudien basiert auch die Untersuchung zu wie gesagt auf Daten des FOLK-Korpus (auf Stand des DGD-Releases 2.10.1). Für die Analyse der kommunikativen Praktiken wurde in FOLK nach den beiden Wortformen wie und gesagt in einem Wortabstand von bis zu sieben Token innerhalb desselben Beitrages gesucht. 221 Gefunden wurden damit 483 Treffer. 388 Treffer davon waren für die Studie verwertbar (d. h. keine falschen Positive, nicht fehltranskribiert, nicht maskiert etc.). Jeder dieser Treffer wurde binär für den Realisierungstyp der Formel annotiert (freie syntaktische Quellform vs.-formulaisch-reduzierte Zielform). Als lexikalische Konvergenzform und damit Ziel des Verfestigungsprozesses wurde die zweigliedrige 220 Ähnlich heißt es auch bereits bei Schiffrin (1980, S.-216): „((AS I SAY)) instructs the listener to renew the relevance of an earlier statement […] and to use it in the next available slot. For the speaker, it initiates a slot in which prior material is allowed to recur. The use of renewal brackets can be seen as evidence that there exists a general prohibition against repetition.“ 221 Der Wortabstand im Suchausdruck wurde so lange schrittweise erhöht, bis sich in den erzielten Treffern gegenüber der vorherigen Abfrage keine neue relevante Instanz mehr fand. <?page no="387"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 387 Wortfolge wie gesagt betrachtet. Stärker ausgebaute Realisierungen, die ein Subjekt, Modifikatoren oder sogar ein overtes Objekt enthielten, wurden als kompositionell gebildete Quellformen gewertet. Auf Basis dieser Festlegung wurden 355 der 388 relevanten Belege der komprimierten Markerrealisierung zugeordnet. Die Belege dieses Typs wurden im zweiten Annotationsgang anhand des generellen Annotationsschemas der vier Vertiefungsstudien ausgezeichnet. Zusätzlich wurden die Belege von wie gesagt annotiert für: - Paraphrase: Die Werte in dieser Kategorie wurden erst im Laufe der Untersuchung festgelegt. Die am Ende erhaltenen Werte lauteten: ‚also‘/ ‚kurzum‘/ ‚(na) jedenfalls‘, ‚Sie wissen ja/ du weißt ja‘ und ‚keine‘ (für rein prozedurale Verwendungen). - Praktik: Die Werte in dieser Kategorie wurden erst im Laufe der Untersuchung festgelegt. Die am Ende erhaltenen Werte lauteten: „Themenschließung“, „Themen(wieder)aufnahme“, „Explikation“, „prozedurale Verwendung“. - Wörtliche Bedeutung des Markers: explizite, implizite, keine feststellbare Wiederaufnahme eines Ankers. 222 - Quelle des Ankers (sofern vorhanden): eigenproduziert, fremdproduziert. - Position des Ankers (sofern vorhanden): Beitrags-ID im FOLK-Transkript (zur Bestimmung der Wiederaufnahmedistanz). Alle 355 formulaischen Belege wurden von mindestens zwei Personen unabhängig bearbeitet, Differenzen in der Auszeichnung wurden in einer Nachbesprechung diskutiert und aufgelöst. Bei neun Belegen war eine Rekonstruktion der Funktion(en) der Markerverwendung und damit eine Zuordnung zu einer der vier angesetzten kommunikativen Praktiken nicht möglich. 223 Am Ende standen somit 346 auswertbare Verwendungen von wie gesagt, auf denen die folgenden Ergebnisse basieren. Für die Untersuchung der lautlichen Reduktion wurden formulaisch-reduzierte Instanzen von wie gesagt lautsegmental untersucht und mit nicht-formelhaft verwendeten Vergleichsverwendungen kontrastiert (Abschn.-7.3.4). Im Unterschied zu den 222 Als semantisch literal wurden Vorkommen von wie gesagt gewertet, deren Bezugsausdruck entweder als explizite Wiederholung oder aber zumindest als inhaltlich äquivalente Reformulierung eines zuvor produzierten Ankers gewertet wurde. War für ein gegebenes Vorkommen weder im aktuellen noch in etwaigen Vorgängertranskripten ein passender Anker identifizierbar, wurde im unmittelbar folgenden Kontext des Vorkommens nach Hinweisen gesucht, ob der Gehalt des Skopusausdrucks bereits vor seiner Äußerung als (aus der vorausliegenden Interaktionsgeschichte der Partner) bekannt unterstellt werden konnte (vgl. etwa Beispiel (608) in Abschn.-7.3.3.3). War auch dies nicht der Fall, wurde das Vorkommen als nicht offensichtlich wiederholend-wiederaufgreifend und daher nicht-literal gewertet. 223 Das Problem ergab sich bei Belegen mit Formulierungsabbruch vor dem Bezugsausdruck sowie bei Verwendungen, die zu nah am Aufnahmebeginn lagen, sodass die Existenz und Identität eines bestimmten Ankers nicht zweifelsfrei zu klären war. <?page no="388"?> Gesprächsorganisation 388 lautlichen Untersuchungen der Vertiefungsstudien in Kapitel-4 bis 6 wurde dabei auf Daten des Deutsch heute-Korpus zurückgegriffen, um den erwarteten Einfluss von Regionalität auf die lautliche Realisierung der Partizipform zu kontrollieren (sprachraumbeeinflusste Vorsilben-Synkope und Spirantisierung des Velarplosivs in der Silbenkoda von gesagt). Um auch etwaige Zusammenhänge zwischen lautlichen und funktionalen Eigenschaften in den Blick nehmen zu können, basieren die Untersuchungen zur Akzentstruktur und prosodischen Autonomie des Markers hingegen wieder auf den auch funktional kodierten FOLK-Daten (Abschn.-7.3.4.4 und 7.3.5). 7.3.3 Praktiken Funktional lässt sich der Gebrauch des Markers wie gesagt in FOLK in vier verschiedene Verwendungsmuster unterscheiden. Wir bezeichnen sie im Folgenden als themensteuernde, explizierende und prozedurale Verwendungen, von denen sich die themensteuernden Gebräuche nochmals in themenschließende und themen(wieder)aufnehmende Praktiken differenzieren lassen. Die beiden themensteuernden Verwendungsweisen des Markers sind die dominanten. Beide stellen in der Regel einen textuellen Rückbezug her- - ob innerhalb der Grenzen des Gesprächs im Ganzen oder auch nur im Rahmen des aktuellen Beitrags. Die häufigere der beiden ist die schließende Praktik, die eine aktuelle Episode durch Rücksprung zum letzten relevanten Punkt im Rahmen dieser Episode abbricht und so zu einem Abschluss führt. Typischerweise ist dieser letzte relevante Punkt eine bereits im Vorfeld formulierte subjektive Positionierung seitens S, deren Geltungsanspruch durch die Wiederholung unterstrichen wird. Dadurch verbindet sich die gesprächsorganisatorische Funktion der Praktik (Themensteuerung) mit einem positionierenden Effekt (Bekräftigung). Die zweite, nur geringfügig seltenere Praktik dient dagegen zur (Wieder)Aufnahme eines Elements, das im Folgenden fortgeführt und weiter bearbeitet werden soll. Sie umfasst sowohl lokale Rücksprünge zu bereits angerissenen, aber noch nicht ausentwickelten Aspekten des aktuellen Themas als auch größere Rücksprünge zu bereits abgeschlossenen Komplexen (Themenwechsel). Zusammengefasst bezeichnen wir beide Varianten des fortführenden Rückbezugs im Folgenden als „Themen(wieder)aufnahme“. 224 Hinweise, um retraktive und projektive Orientierungen auf einen reaktivierten Gehalt-- thematische Schließungen und (Wieder-)Aufnahmen-- voneinander zu unterscheiden, liefern die sequenzanalytische Betrachtung, prosodische Äußerungsmerkmale und teils auch unterschiedliche Paraphrasemöglichkeiten des Markers. 224 Das Element „wieder“ in dieser Bezeichnung verdankt seine Einklammerung der Tatsache, dass in diese Kategorie auch Verwendungen fallen, in denen S einen thematischen Faden von P übernimmt (statt: aus eigener Vorrede wiederaufnimmt), sodass S‘ eigene Behandlung dieses Gegenstands nicht als eine erneute zu werten ist. <?page no="389"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 389 Die dritte angesetzte Praktik ist schwerpunktmäßig epistemischer Art. Sie dient dazu, eine für P nicht (oder nicht mehr) saliente Information als Bestandteil des Common Grounds zu (re-)etablieren, die S als gegenwärtig verstehensnotwendig erachtet. Wir verwenden dafür den Begriff der Explikation. Viertens schließlich gibt es auch im Fall von wie gesagt rein prozedurale Verwendungen, in denen die Einheit nicht nur in semantischer Hinsicht ihre literale Bedeutung als Markierung eines textuellen Rückbezugs eingebüßt hat, sondern auch pragmatisch weder bekräftigende und fazitrahmende, noch themenexpandierende oder explikative Effekte entfaltet, sondern zum reinen Gliederungs- oder Haltesignal ausgebleicht ist. Tabelle-13 gibt einen Überblick über die Häufigkeiten der vier angesetzten Praktiken in FOLK: Rang Praktik Belege 1 Themenschließung 132 (38,2%) 2 Themen(wieder)aufnahme 110 (31,8%) 3 Explikation  98 (28,3%) 4 Prozedurale Verwendung   6 (1,7%) Tab.-13: -Kommunikative Praktiken von wie gesagt in FOLK 7.3.3.1 Themenschließung Die häufigere der beiden themensteuernden Praktiken ist mit 132 Belegen (38% der Daten) die Verwendung des Markers zur thematischen Schließung. Typisch für diese Variante sind Belege, in denen der Marker eine Äußerung projiziert, die als Fazit zu einer vorangegangenen Erörterung zu verstehen ist. Die Fazitwirkung durch den Rückgriff auf einen relevanten vorgeäußerten Inhalt ist in vielen Fällen vergleichbar mit einer „gist formulation“ (Heritage/ Watson 1979), die vorangegangene Äußerungen quintessenziell auf den Punkt bringt. Anders als in den von Heritage/ Watson (ebd.) diskutierten Fällen geht es S hier allerdings nicht unbedingt darum, durch (Re-)Formulierung das eigene Verständnis vorangehender Ausführungen Ps anzuzeigen. Die Funktionskennzeichnung „to formulate and provide a signature for a section of talk“ (ebd., S.-151) lässt sich jedoch ebenso gut auch auf die Zusammenfassung eigener Äußerungen beziehen. Wie erwähnt handelt es sich bei dem in Schließungen wieder angesprungenen Punkt typischerweise um eine subjektive Positionierung, die S bereits im Vorfeld formuliert hat, wodurch sich häufig ein bekräftigender Charakter der Äußerung ergibt. Paraphrasierbar ist wie gesagt im Rahmen solcher Verwendungen in der Regel mit „kurzum“, „also“ oder „(na) jedenfalls“. Ein typisches Beispiel für eine thematisch schließende und gleichzeitig inhaltlich bekräftigende Verwendung ist (600). Der Beleg ist einem sprachbiographischen In- <?page no="390"?> Gesprächsorganisation 390 terview zwischen einem Sprachwissenschaftler (NL) und einem Gymnasiasten (ZIT4) entnommen. NL ist zum Zeitpunkt des Interviews bekannt, dass die Klasse des Interviewpartners im Geschichtsunterricht vor dem Interview eine Dokumentation des Fernsehjournalisten Guido Knopp angesehen hat, und er fragt direkt vor der Belegstelle, ob der Film was für_n geschichtsunterricht sei. Der Ausschnitt beginnt mit der Antwort des Schülers, die sich direkt auf die Person des Moderators Guido Knopp bezieht: (600) „Knopp“, FOLK_E_00179_SE_01_T_02_DF_01_c541-570 (Sprachbiographisches Interview) 01 ZIT4 naja der is °hh 02 (0.49) 03 ZIT4 also h° 04 is (0.32) 05 ganz SINNvoll für_n geschichtsunterricht, 06 aber der m: : acht och manchmal so_n bissl auf popuLISmus, 07 NL [hmhm] 08 ZIT4 [so s]o- 09 also- °hh 10 NL was war das für_n FILM heute? 11 NL °h [so_n ] 12 ZIT4 [na da]s (.) 13 ZIT4 da ging_s eben um den WIderstand im dritten rEIch; = 14 =un <<creaky> der> (0.45) 15 das IS schon- 16 <<p> der fIlm ist beSTIMMT schon so→ 17 °hh ALT wie Ich fast; 18 also diese reporTAge; 19 (.) °h der hat ja frÜher schon über alle MÖglichen, 20 über- 21 °h hItlers HELfer und 22 °h hItlers FRAUen un 23 (.)[ach ] 24 NL [hmhm] 25 ZIT4 alles (.) MÖGliche. 26 °h GIBT sogar von een- 27 °h kabaretTISten en lIEd, 28 dass der zusammen mit hitler in einer we GE aufgewa[chsen is un- 29 NL [((lacht)) °hh ] 30 ZIT4 °h lauter so_n ZEUG; 31 bei dem] was der alles immer aus der verSENKung holt; <?page no="391"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 391 32 °h wobei der ja och immer wieder vIEl mit dem GLEIchen materiAl- 33 °hh hinterlegt, 34 aber dann halt immer wieder andre TEXte; 35 (-) → 36 ZIT4 °hh ˈvi ɡəˌsaːgt, 37 manchmal etwas popuLIStisch,= 38 =der MANN aber- (0.2) 39 ZIT4 °hh 40 (0.23) 41 ZIT4 ALles in ALlem- 42 (0.4) 43 ZIT4 relativ bildend.= 44 =ne (.) 45 NL hmhm 46 (0.3) 47 NL oKAY. (.) Der Schüler formuliert nach seiner Antwort, die sich auf die Tauglichkeit des Films für den Unterricht bezieht (naja […] ganz SINNvoll für_n geschichtsunterricht, Zeile- 01-05), eine bewertende Einschätzung des verantwortlichen Journalisten Guido Knopp (aber der m: : acht och manchmal so_n bissl auf popuLISmus, Zeile- 06). Diese kritische Beurteilung begründet er im weiteren Verlauf recht ausgedehnt und insbesondere damit, dass Knopp immer wieder dasselbe Material ausschlachte. Die Bearbeitung des Themas bindet er zum Schluss des Ausschnitts mit einem wie gesagtgerahmten Fazit ab, das seine ambivalente Positionierung zum Thema „Guido Knopp und seine Fernsehdokumentationen“ vom Beginn des Transkripts (Zeile- 05-06) noch einmal reformuliert (Zeile-36-44). Das Zusammenwirken von Bekräftigung und thematischer Schließung wird auch in Verwendungen deutlich, in denen mit dem Marker keine Positionierung (wieder) aufgenommen, sondern ein Angebot aufrechterhalten wird, wie etwa in Beispiel (601): (601) un wEnn was IS, wie geSACHT, KLIngeln se einfach durch. (FOLK_E_00190_ SE_01_T_01, c0356) Der Beleg in (601) entstammt dem Ende einer Interaktion im Arbeitsamt, wo er von der Arbeitsvermittlerin im Zuge der Gesprächsbeendigung produziert wird. Ihr Angebot wird im Anschluss vergleichbar ritualisiert von einem nicht zum ersten Mal mit ihr beratschlagenden Klienten, einem Arbeitgeberkunden, erwidert (WIE gehAbt), bevor die Sequenz beendet und das Aufnahmegerät von der Arbeitsvermittlerin gestoppt wird. Generell stellen Angebote, die häufig im Rahmen einer sozialen Routine bestehend aus Angebot, Ablehnung und bekräftigtem Angebot in ritualisier- <?page no="392"?> Gesprächsorganisation 392 ter Weise wiederholt werden (Werlen 2001, S.- 1271), einen Kontext dar, der für die Praktik wie geschaffen ist. Ein Beispiel dieses Typs mit etwas mehr Kontext ist (602). Der Beleg stammt aus einem Teammeeting in einer sozialen Einrichtung und steht in Zusammenhang mit der Verteilung anstehender Aufgaben innerhalb der Gruppe: (602) „Verbiegen“, FOLK_E_00022_SE_01_T_02, c987-1003 (Meeting in einer sozialen Einrichtung) 01 HM oKE. (-) 02 <<f> JA, ähn (.) zu M[ORge] jetzt noch mal, 03 SZ [hm ] 04 HM is halt so die FRAge→ h° 05 ob du net DOCH komme kAnnsch frau wies? (---) 06 AW <<p> Isch KANN.> (0.3) 07 HM weil ich hAb nämlich um fUffzeh uhr die frau MEIer, 08 da muss_i HIE: . 09 (1.2) 10 AW <<p> m Alles KLAR.> (1.2) 11 HM also- (.) 12 <<f> ich kann_s a ABsage, 13 wenn_s[ GAR net geht sA_ich_s ab.>] 14 AW [nee- (.)<<f> NEE→ ich tele]foNIER nachhEr. 15 (0.7) 16 HM geNAU. (.) → 17 also vɪ ˈɡsɐt 18 wenn dich [zu ARG] verbIEge musch, 19 AW [JA. ] 20 SAGSCH_s halt a[( )] 21 AW [DANN muss] ich äh- 22 DANN komm ich natürlich zur supervisIOn. (0.5) 23 die IS doch mOrgn? Teamleiter HM fragt Mitarbeiterin AW, ob sie am nächsten Tag eine bestimmte (für sie unerwartete, wie das DOCH in Zeile- 05 anzeigt) Aufgabe übernehmen könne. Obwohl sie sich gleich dazu bereit erklärt (Isch kAnn., Zeile-06), wird zunächst ein Account nachgeschoben, weshalb der Chef sich um die Angelegenheit nicht persönlich kümmern könne und sie deshalb fragen müsse. Erneut wird mit m Alles KLAR (Zeile-10) rückgemeldet, dass AW bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen. Nun folgt, bereits seinerseits rein höflichkeitshalber, das Angebot von HM, ich kann_s a ABsage, wenn_s GAR net geht sA_ich_s ab (Zeile-12-13). Hier macht das intensivierte GAR net allerdings schon deutlich, dass eine Annahme dieses Angebots dispräferiert wäre und allenfalls unter Extrembedingungen in Betracht käme. Wieder reagiert AW in präferierter Weise mit einer Ablehnung des nur vorgeblichen Angebots. In dritter Position schickt der Vorgesetzte HM schließlich die ritualisierte Bekräftigung seines Angebots hinterher, das durch die weitere Extremformulierung zu ARG ver- <?page no="393"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 393 bIEge (Zeile- 18) erneut unter Vorbehalt gestellt wird. Erst mit der nochmaligen Rückmeldung AWs in Zeile-19 ist das Thema dann erledigt. In manchen Fällen ist der Gebrauch des Markers im Rahmen einer Themenschließung auch nicht zugleich positionierend. Ein Beispiel ist (603). Es stammt aus der Anmoderation der Fernsehübertragung eines Schlichtungsgesprächs im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt „Stuttgart-21“. Der Beleg wird produziert, während das Bild die Befürworter und Gegner des Bauprojekts zeigt, die an der aktuellen Schlichtungsrunde teilnehmen und vor der Kamera auf den Beginn der Sitzung warten. Moderator MO resümiert, dass es im Lager der Befürworter KEIne änderungen (Zeile-04) und in dem der Gegner WEnig veränderungen (Zeile-07) gegeben habe-- NEU un zum Ersten ma dab (.) mal dabei sei im Lager der Gegner allerdings der Teilnehmer Winfried Kretschmann, wie MO bereits einige Zeit zuvor angemerkt hatte (außerhalb des Transkriptausschnitts). Bei dieser Tatsachenfeststellung handelt es sich nicht um eine subjektive Einschätzung des Moderators, die durch Wiederholung bekräftigt würde, sondern allein um einen schließenden Rücksprung zur zentralen Neuigkeit und somit relevanten Information, wer in der aktuellen Runde neu hinzugekommen ist. Nach einer kurzen Pause wendet sich der Moderator mit den Worten heiner gEIßler hat PLATZ genommen sodann einem anderen Aspekt der Szene zu, womit die Episode der Teilnehmervorstellung beendet ist: (603) „Kretschmann“, FOLK_E_00064_SE_01_T_01_DF_01_c0048-58 (Schlichtungsgespräch) 01 MO und wenn ich mir die besetzung der PRO seite heute anschaue, (.) 02 dann stell ich FEST, 03 (.) dass SIE- 04 , (.) °h dass es KEIne änderungen gibt; (0.41) 05 im vergleich zum LETZten mal, (1.62) 06 und wenn ich mir die KONtra seite anschaue, (0.47) 07 auch dA gibt es WEnig veränderungen, → 08 vi ɡəˈzaxt NEU un zum Ersten ma dab (.) mal dabei, 09 winfried KRETSCHmann, 10 (.) °h der frakTIONSvorsitzende der grÜnen im landtag von baden wÜrttemberg. 11 (1.66) ((atmet ein, 1.1s)) (0.46) 12 heiner gEIßler hat PLATZ genommen, h° In der themenschließenden Verwendung ist wie gesagt seinem Bezugsausdruck fast ausschließlich vorangestellt (129 von 132 Belegen, 98%). Ein häufiges Vorlaufelement (34 Belege, 26%) ist aber, das in seiner Verwendung als „themaorganisierendes Element“ auch seinerseits „einen Bruch in der Themakontinuierung“ anzeigt (Schlobinski 1994, S.-222). Schematisch lässt sich die Praktik wie folgt darstellen: <?page no="394"?> Gesprächsorganisation 394 TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION involvierend, themensteuernd FORM wie gesagt 7.3.3.2 Themen(wieder)aufnahme In der zweiten themensteuernden Praktik, der Themen(wieder)aufnahme, projiziert der Marker eine folgende Expansion des (wieder) aufgegriffenen Ankers. Zugehörige Belege treten typischerweise an interaktionalen Zäsurstellen auf- - nach einem Sprecherwechsel, einer deutlichen Pause, einem Abbruch, einer Unterbrechung oder zusammen mit einem explizit markierten Themenwechsel. Die wie gesagt- Äußerung etabliert mit dem Bezugsausdruck des Markers den Startpunkt, von dem aus der thematisierte Gehalt im Folgenden neu entwickelt bzw. weiter expandiert wird. Themensteuernde Verwendungen dieses Typs sind überwiegend literal, d. h. sie weisen einen identifizierbaren Anker auf, auf den sich die wie gesagt-Äußerung zurückbezieht. Der Anker kann sowohl im Nahkontext der Wiederaufnahme (Neuansatz) als auch mehr oder minder weit entfernt davon stehen (Themenwechsel). Paraphrasierbar ist er entweder ebenfalls mit jedenfalls oder also, oder (bei distaleren Verweisen) mit das hatten wir vorhin schon. In Neuansätzen wird die geteilte Aufmerksamkeit nach einer kurzen Abschweifung bzw. Verzweigung in einen eingeschobenen Nebenstrang des aktuellen Themas zurück zum weiter zu verfolgenden Aspekt geführt. Ein Beispiel für eine solche Wiederaufnahme eines thematischen Strangs nach einer Digression ist (604). Der Ausschnitt entstammt einer Schichtübergabe in einem Krankenhaus, bei der die- schichtübergebende Stationsmitarbeiterin (ME) den übernehmenden Kolleginnen- von der Tagschicht berichtet. Im Ausschnitt beginnt die Erzählung eines Familienbesuchs, den ein Patient bekommen hat. Die Episode beginnt mit einem erzähltypischen Format (mit orientierendem Wann und Was- - äh dann im späten vormittag (.) KLINgelte es, und dann stand plötzlich VIEL besuch für ihn da vor der tür; Zeile-01-02): (604) „Besuch“, FOLK_E_00118_SE_01_T_01, c0032-0048 (Schichtübergabe in einem Krankenhaus) 01 ME äh dann im späten vormittag (.) KLINgelte es, 02 und dann stand plötzlich VIEL besuch für ihn da vor der tür; 03 da war seine alte MUTter wIEder dabei, 04 die wollte gleich wieder GELD uns gEben, <?page no="395"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 395 05 °h [weil] se ja jetz REINgelassen hätten, 06 XX [tsch] 07 ME aber sie HATte- (.) 08 °h <<f> lEIder gOtt sei DANK→ (.) 09 <<lachend> kein KLEINgeld dabei.> °h (.) 10 un die FREUNdin- 11 des war <<all> AUCH so ne ältere dAme→ 12 ne FREUNdin von ihr- 13 dIe hat dann GLEI gesAgt, 14 °h <<stilisierend> des mUsst du doch nicht MACHen, 15 °hh hier GELD geben nUr für dass man uns rEInlässt.> 16 °h (.) hab ich AUCH gesagt, 17 also wir nehmen prInzipiell kEIn GELD. 18 =SCHLUSS. 19 (0.85) 20 ME jA DA- → 21 vɪ ɡəˈsɐxt da war so ne FREUNdin dabei, 22 DEren mAnn, 23 °h (.) Un dann die ZWEI- 24 (1.62) 25 ENkel; (0.45) 26 KINder; (0.78) 27 ME nee; (0.52) 28 URenkelchen müssten des ja sein; = 29 ME =ne? Die Einleitung mit akzentuiertem VIEL besuch weist die Größe der Besuchsgruppe als ein besonderes Merkmal des berichteten Ereignisses aus und lässt erwarten, dass dieses Merkmal weiter spezifiziert wird. In Zeile-03 beginnt ME auch zunächst damit, die einzelnen zugehörigen Personen aufzuführen (da war seine alte MUTter wIEder dabei), bricht die begonnene Liste aber sogleich wieder ab, um einzuschieben, dass es mit dieser Besucherin ein Problem gab (die wollte gleich wieder GELD uns gEben, Zeile- 04). Dieses Problem wird durch das wieder als unter den Kolleginnen bekanntes Problem mit der Mutter präsentiert, was der nonverbale Kommentar tsch einer nicht zuordenbaren Kollegin (XX) in Zeile-06 bestätigt. Nachdem sich das Problem im berichteten Kontext zunächst von alleine löst (aber sie HATte- […] kein KLEINgeld dabei, Zeile-07-09), wird mit die FREUNdin zunächst ein neuer Referent eingeführt (Zeile-10). Das eingeschobene des war auch so ne ältere dame ne FREUNdin von ihr (Zeile- 11-12) repariert die Verwendung des definiten Artikels für die zuvor nicht eingeführte Begleiterin, deren Positionierung zum problematischen Verhalten der Mutter sodann berichtet wird (Zeile-13-15). Die Nebenepisode zum Problem des Geldangebots, das für die Belegschaft der Station vermutlich ein ethisches (und gegebenenfalls auch juristisch relevantes) ist, schließt mit der wiedergegebenen eindeutigen Positionierung der Erzählerin: also wir nehmen prInzipiell kEIn GELD.=SCHLUSS.- Nach einer Pause von 0.85- Sek. nimmt ME in Zeile- 20 dann die listenartige Aufzählung der Besuchergruppe wieder auf: das segmentierende ja mar- <?page no="396"?> Gesprächsorganisation 396 kiert bereits den angepeilten Rücksprung zur Formulierung aus Zeile-03, da war X dabei, der nach dem folgenden da aber zunächst noch abgebrochen wird, um den Rücksprung mithilfe des an dieser Stelle eingeschobenen wie gesagt erst noch klarer als solchen kenntlich zu machen. Das nächste Listenelement, die bereits vorgreifend erwähnte Freundin, wird sodann nicht mehr mit Definitartikel als bereits etablierter Referent, sondern mit der Kombination aus modaldeiktischem so und Indefinitartikel ne als lediglich sortenbekannt eingeführt. Im Anschluss wird die Aufzählung dann (ab Zeile-22) durch die Nennung der weiteren Besucher fortgesetzt, sodass der Fokus der geteilten Aufmerksamkeit zurück auf das Element VIEL besuch geführt ist. In (605), einem Beispiel für eine Verwendung im Rahmen eines Themenwechsels, liegen zwischen der Ankeräußerung und deren Aufnahme über sechs Minuten und viele thematische Wechsel. Der Beleg stammt aus einem WG-Casting mit vier Personen. Bei dem Casting stellt sich zunächst der Bewerber um den WG-Platz ( JR) mit einigen Erläuterungen zu seiner Person und seinem Werdegang vor, wobei sich Nachfragen und Vertiefungen unter anderem zum Thema Auslandsaufenthalte und Reiseerfahrungen ergeben. Zu Beginn des Transkriptausschnitts (Zeile- 01-03) bekennt WG-Bewohner ML, dass er gerne ebenso wie Bewerber JR Südostasien bereisen würde, aber zunächst seine Ausbildung beenden müsse (Zeile-05). Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird irgendwann beschlossen, dass sich nach der Vorstellung des Bewerbers auch die Mitglieder der Wohngemeinschaft einmal kurz reihum vorstellen. Im Vorfeld des wie gesagt-Belegs beendet Mitbewohnerin NJ ihre Vorstellung innerhalb dieser Abfolge, woraufhin WG-Bewohner ML den Turn übernimmt und seine Vorstellung beginnt (Zeile-25). (605) „Technikerschule“, FOLK_E_00252_SE_01_T_01, c653-675 (WG-Casting) 01 ML hab_s mir halt auch schon Ewig vorgenommen, 02 ich wollt_s eigensch schon vor PAAR jAHrn machn, 03 aber da hat_s nich geKLAPPT; (0.2) 04 JR ja. 05 ML und jEtz (.) bin ich dann bald mit meiner TECHnikerschule fertig, (.) 06 JR hmhm 07 (0.29) 08 ML u: n dann werd ich noch_n bisschen ARbeitn, 09 n bisschen GELD zusammensparn, (.) 10 un dann werd ich- (0.3) 11 bisschen work an trAvel ma[chen oder au] vielleicht auch NICH arbeiten; (.) 12 JR [ja ] 13 ML vielleicht NUR so rEIsn. ((6 Min. Auslassung; Austausch über bisherige WG, Hobbys, Studium, Vorstellungsrunde)) <?page no="397"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 397 14 NJ ich bin no_net ganz FERtig mit der uni und- °h 15 JR ja 16 NJ ARbeite bei würzburgrally für tourim; (0.54) 17 JR ah WIRKlich? =[okE, ] 18 NJ [ja. ]°h (.) 19 NJ und äh deshalb KOMM ich noch öfter. (0.25) 20 NJ ja. 21 SL ((hustet)) 22 (0.6) 23 NJ <<p> ja.> 24 (0.3) → 25 ML °h ja ˌvi ɡəˈzagt - 26 ich mAch grad meine TECHnikerschule noch, 27 JR (.) hmhm 28 ML (.) bin jetz im ABschlussjahr- (0.3) 29 muss_n ABschlussarbeit schreibn- (0.3) 30 °h bin au glEIchzeitig noch bei ner FIRma, 40 (.) wo ich die dann SCHREIbn darf- (0.3) 41 JR <<f> oKAY.> 42 ML (.) ja. 43 (.) u: : nd ja (.) muss grad bisschen viel LERn, Durch seinen Einstieg mit dem segmentierenden ja wIe geSAGT projiziert ML die Reaktivierung der zwar als bekannt voraussetzbaren, aber in gänzlich anderem Zusammenhang geäußerten Information ich mAch grad meine TECHnikerschule noch, die er zum Ausgangspunkt seiner Vorstellung macht. Bildlich gesprochen schlägt ML mit dem turninitialen Rücksprung in Zeile-25 somit einen Pflock ein, von dem sich die weitere Bearbeitung der Aufgabe „Vorstellung“ entspinnt: ML identifiziert sich zunächst darüber, was er macht, und entfaltet dann von diesem Punkt aus seine weiteren Ausführungen. Obwohl themen(wieder)aufnehmende Verwendungen in den untersuchten FOLK- Daten meistens einen identifizierbaren Anker der wie gesagt-Äußerung aufweisen, ist dies doch in immerhin 19 von 110 Fällen (17%) nicht der Fall. Ankerlose Verwendungen von wie gesagt expandieren das aktuelle Thema, indem sie ihm einen Impuls in Richtung einer neuen, bislang unbehandelten Wendung geben, wie etwa in Beispiel (606). Der Beleg stammt aus der Aufnahme einer Laientheatergruppe bei der Probe. Er wird am Ende der Probe geäußert, kurz vor der Verabschiedung. Im Vorkontext des Belegs bespricht die Gruppe, wann die nächste Probe beginnen soll. Sie einigt sich auf einen früheren Beginn als sonst, nämlich um halb sieben. Der Ausschnitt beginnt nach der Vereinbarung mit der Behandlung des Problems, das ein gerade nicht anwesender Schauspieler mit dem früheren Termin haben werde. In Zeile- 01 bis 03 und 07 formuliert ein Schauspieler (WM) eine Lösung für das Problem, die von drei anderen Anwesenden, zuletzt vom Regisseur der Gruppe (PS) ratifiziert wird (Zeile-10). <?page no="398"?> Gesprächsorganisation 398 (606) „Theaterprobe“, FOLK_E_00265_SE_01_T_02_DF_01_c1750-1772 (Theaterprobe) 01 WM dann sOll er (.) um ACHte kumme oder so; 02 (.) des ka_ma_m jo SAche,= 03 =oder? 04 JS hmhm. 05 XM ja. 06 (0.45) 07 WM na simma bis um NEUne a: dUrch; 08 (0.37) 09 JS hm 10 PS °h oKAY. 11 (.) toi t[oi ] → 12 SF [<<f> also] ˈvi ˈɡsaxt, 13 Ich weiß es NICHT,> 14 rechent NET mit mir. 15 (0.36) 16 HA [AH, AUCH net dann am frEItag? 17 JS [°h geneRELL nicht? 18 oder NICHT um] [halb sIEben? ] 19 HA (.) ah] 20 SF [nee, ich bin auf] 21 SF nee überHAUPt nEt. 22 ich bin uff re HOCHzeit, 23 °h unn- (.) s gibt zwar MITtagesse- 24 unn- (.) dann- (0.49) 25 KAFfee, 26 awwer ich will mich NET- 27 (0.38) 28 SF HETze lasse, 29 un sAche SO, 30 ich muss jetz UFFsteh, 31 ich muss jetz WEG. 32 JS würd_s [gern OFfen halten.] 33 SF [wenn_s schön (.) ] 34 SF JA. 35 geNAU. Nach der Ratifikation des Lösungsvorschlags und damit einhergehend des Termins setzt der Regisseur in Zeile-11 zur Verabschiedung an. Kurz nach dem Beginn dieser Äußerung nimmt Schauspielerin SF das Thema der Terminverabredung allerdings noch einmal auf, indem sie ihm mit also wie gesagt ins Wort fällt und den Turn ergreift. Mit der folgenden Bezugsäußerung Ich weiß es NICHT,> rechent NET mit mir trägt sie sodann eine weitere relevante Information zum Thema bei, die durch das wie gesagt zwar als bekannt gerahmt wird, tatsächlich aber neu ist: Eine entsprechende Ankeräußerung ist in der gesamten Aufnahme der Theaterprobe nicht auffindbar, und auch die folgenden verstehenssichernden Rückfragen zweier anderer <?page no="399"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 399 Schauspielerinnen (HA und JS, Zeile- 16-18), die Change-of-state-Token von HA (Zeile- 16 und 19) sowie die expansive Erklärung ihres wahrscheinlichen Fehlens durch SF (Zeile-22-33) deuten darauf hin, dass es sich hier um eine neue Information handelt. Die Funktion des Markers liegt in diesem Fall insofern nicht darin, die Adressaten der Äußerung auf eine bestimmte bereits bekannte Information zurückzuorientieren, sondern Aufmerksamkeit für einen neuen Gesichtspunkt des aktuellen Themas zu schaffen und diesen als Bestandteil der gemeinsamen Vereinbarung auch durchzusetzen. In (606) scheint insofern das Potenzial einer strategischen Verwendung des Markers auf: Neben einem tatsächlichen Rückbezug kann er auch als Mittel eingesetzt werden, um heikle Informationen oder disaffiliative Handlungen so einzuführen, als seien sie bereits bekannt und akzeptiert- - was suggeriert, dass P nun nicht mehr widersprechen kann. In themen(wieder)aufnehmender Verwendung steht wie gesagt oft turninitial. Es kookkurriert in dieser Position häufig mit verschiedenen weiteren Vorlaufelementen mit diskursstrukturierender Funktion-- am häufigsten mit also (29 Fälle, 26%), durch das sich wie gesagt in dieser Verwendung auch oftmals paraphrasieren lässt. Der Marker steht fast ausschließlich vor seiner Bezugsäußerung (109 von 110 Belegen, 99%). TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION themensteuernd FORM wie gesagt 7.3.3.3 Explikation Dominanter Funktionsaspekt der dritten Praktik ist das epistemische Merkmal „K=“: S stellt eine relevante, als nötiges inferenzielles Bindeglied erachtete Information zu einem aktuell thematisierten Gegenstand zur Verfügung, die P in die Lage versetzen soll, S’ weiteren Darlegungen zu folgen. Expliziert wird dabei typischerweise etwas, das zwar nicht mehr salient, aber dennoch vorgeäußert ist, sodass sich die epistemische Funktion mit einer themensteuernd-gesprächsorganisatorischen verbindet. Nötig ist das aber nicht. Verwendungen mit identifizierbarem Anker initiieren einen thematischen Rückbezug, der eine zurückliegende Äußerung zur aktuellen Verstehenssicherung und Kohärenzherstellung reaktiviert. Daneben gibt es jedoch auch explizierende Verwendungen ohne klaren Rückbezug auf eine frühere Äußerung (zumindest im dokumentierten vorgängigen Interaktionsverlauf zwischen S und P). Hier wird der Marker zur Rekrutierung von Bestandteilen des Common Grounds verwendet, die nicht erst aufgrund des bisherigen Gesprächverlaufs als intersubjek- <?page no="400"?> Gesprächsorganisation 400 tiv geteilt betrachtet werden können. Dabei kann sowohl der je individuelle „personal common ground“ (Clark 1996, S.-112) von S und P angezapft werden als auch das als geteilt unterstellte lebensweltlich-kulturelle Wissen des „communal common grounds“ (ebd., S.- 100) einer bestimmten größeren Gemeinschaft. Inbesondere im letzteren Fall indiziert der Marker wie gesagt entsprechend nicht sprachliche Vorerwähntheit, sondern lediglich Bekanntheit, vergleichbar mit epistemischen Gebräuchen der Partikel ja (vgl. Reineke 2016). Viertens schließlich sind in den untersuchten Daten auch Fälle belegt, in denen wie gesagt weder sprachliche Vorerwähntheit noch Bekanntheit aus anderen Quellen anzeigt, sondern lediglich die Implikation erhalten bleibt, dass eine kohärenzstiftende Explikation folgt. Paraphrasierbar sind explizierende Verwendungen zumeist mit „Sie wissen ja/ du weißt ja“. Sequenziell ist die explizierende Praktik ungebunden. Am häufigsten belegt sind Explikationen, in denen S selbstinitiiert Zusatz- oder Hintergrundinformation in den aktuellen Kontext einbringt, die als gegenwärtig unzugänglich, aber verstehensrelevant erachtet wird. Wong (2000, S.- 416) bezeichnet diese Art von vorwegnehmender Erläuterung bzw. Klarstellung im Zuge einer Wiederholung (mit der Struktur „first saying“-- „insertion“-- „second saying“) als „unspoken repair“: „The second saying preempts actual repair, the insertion being viewed as a potential trouble source on which repair could be initiated“. Ein Beispiel für eine in diesem Sinne vorgreifende Neu-Vergegenwärtigung ist (607), das aus einem Gespräch zwischen einem Friseur (UG) und seinem Kunden (LB) stammt. Die Ankeräußerung bezieht sich auf die Tochter von LB und wird ca. sieben Minuten vor ihrer Wiederaufnahme mit wie gesagt in einem anderen thematischen Zusammenhang von LB geäußert (Zeile-01). Im direkten Kontext des wie gesagt-Belegs dreht sich das Gespräch darum, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten Alltagsgegenstände aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik gewandelt haben und etwa der Walkman durch den MP3- Player abgelöst wurde. Ab Zeile-04 des Ausschnitts fügt LB einer Folge ausgetauschter Anekdoten zu diesem Thema eine weitere hinzu: (607) „Tochter“, FOLK_E_00077_SE_01_T_01, c299-642 (Gespräch beim Friseur) 01 LB besAgtes (.) besAgte DREIjährige hat mich auch ähm (0.9) 02 (.) hat mich auch GEStern Abend, (0.51) 03 versucht SOso DERmaßen hinters lIcht zu führn, ((309 Zeilen Anekdote, Gespräch über Tonaufnahmen und technische Geräte)) 04 LB in_er (.) in_er FRÜHzeit der dE vau de,= 05 =ham sich auch vIEle leute beSCHWERT, 06 dass die BE seite nicht Abspielbar [war. ] 07 UG [<<lach> jA] 08 <?page no="401"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 401 09 geNA[U.> °h ] 10 LB [da gab_]s gab_s (.) vIEle reklamaTIOn; = 11 =[(GLAUB ich.)] 12 UG [ja (.) ja. ] 13 (0.59) 14 LB meine TOCHter fängt jetz Immer an, (.) 15 <<all> für die is Alles noch ce DE→ 16 (0.24) 17 LB <<p> na GUT- → 18 sie is vɪ ɡəˈzaxt, DREI→ 19 hm_hm 20 (0.5) 21 LB ja un NUN, h° 22 erklÄr ihr mal dass aus der EIn pippi lAngstrumpf ce dE TÖne rAUskomm- 23 un aus der ANdern bIlder. (.) 24 UG hm. (.) hm- 25 LB (.) ja. (1.29) 26 kEIne chance. (0.77) 27 UG NEE. (-) 28 DA: fehlt das verstÄndnis für. (3.01) LB behauptet in Zeile-04-06, dass in der Frühzeit der DVD viele Leute versucht hätten, die Disc wie eine Schallplatte von zwei Seiten abzuspielen. Von hier aus assoziiert LB dann ein ähnliches mögliches Missverständnis im Zusammenhang mit DVDs, das er seiner eigenen Tochter zuschreibt: Ihr sei nicht klar, dass zwischen einer DVD und einer CD ein Unterschied besteht. An dieser Stelle (Zeile-16) hält LB kurz inne. Die folgende Äußerung zeigt an, dass er hier die Frage aufgeworfen sieht, wie es sein kann, dass seine Tochter nicht weiß, dass eine DVD etwas anderes ist als eine CD (zum Zeitpunkt der Aufnahme sind beides weitverbreitete Alltagsgegenstände). Zur Erklärung erinnert LB daran, dass seine Tochter eben noch ein Kleinkind sei, wie LB in seinem „first saying“ in Zeile- 01 ja auch bereits erwähnt hatte (besAgte DREIjährige). Diese Äußerung liegt nicht nur zeitlich weit zurück, sondern hatte das Alter der Tochter zudem auch lediglich auf eher indirekte, nebenbei bemerkte Weise eingeführt, ohne dass es an der betreffenden Stelle selbst thematisch war. Es gibt also guten Grund anzunehmen, dass diese Information für UG unzugänglich ist und einer Reaktivation bedarf, die durch die wie gesagt-Äußerung in Zeile-18 geleistet wird. Ein zweiter typischer Kontext explizierender Verwendungen sind Antworten auf Rückfragen, die die fehlende Intersubjektivierung einer relevanten Information anzeigen und so die kohärenzstiftende wie gesagt-Äußerung auslösen. Beispiel (608) zeigt eine explizierende Verwendung des Markers im zweiten Paarteil einer Frage- Antwort-Sequenz. Der Beleg stammt aus einer Interaktion zwischen Freunden beim Pokern: <?page no="402"?> Gesprächsorganisation 402 (608) „Casino“, FOLK_E_00040_SE_01_T_02, c233-243 (Spielinteraktion zwischen Erwachsenen) 01 EP neuner PAARle do- (1.09) 02 BS bErti wir gEhn im sepTEMber in_s kasIno, 03 gEhsch MIT? 04 (1.1) → 05 EP vɪ ˈɡsaːt, 06 wenn isch (.) KOHle hab [alda; ] 07 BS [achS ]O ja. 08 EP mUs[s (.) mUs]s GUCken alda; 09 BS: [ja ] 10 (0.53) Die wie gesagt-Äußerung reagiert auf die Frage gEhsch mit? in Zeile-03. Ihr Skopus ist ein elliptisches Konditionalsatzgefüge, von dem nur die Protasis wenn isch (.) kOhle hab alda (Zeile- 06) realisiert wird: Expliziert wird die Bedingung, unter der Sprecher EP mit ins Casino gehen kann. Die Tatsache, dass EP aktuell Geldprobleme hat und seine Freizeitplanung davon abhängig machen muss, wie sich seine finanzielle Situation zukünftig entwickelt, wird weder in diesem noch im vorangehenden ersten Transkript des Gesprächs explizit formuliert. BS’ Reaktion achSO ja macht allerdings deutlich, dass es sich um eine aus dem „personal common ground“ (Clark 1996, S.- 112) der beiden Freunde eigentlich bekannte Information handelt. Auch ohne einen konkret identifizierbaren sprachlichen Anker dient EPs Äußerung hier insofern dazu, BS an etwas zu erinnern, das von EP als eigentlich geteiltes Wissen veranschlagt wird, und dessen Beachtung BS’ Frage überflüssig gemacht hätte. Demgegenüber rekurriert die Explikation in Beispiel (609), entnommen aus einem- Gespräch zweier Freundinnen beim Kochen, auf ein Element des geteilten Weltwissens: (609) „Xavier Naidoo“, FOLK_E_00225_SE_01_T_01, c636-650 (Kommunikation beim Kochen) 01 AG och ich bin IMmer schon viel auf konzerte gegangn- 02 °h <<f> aber MEIStens halt (.) zu so klEIneren konzerten,> 03 (.) schon als ich JUNG [war-] 04 NR [hmh ]m 05 AG (.) irgendwie bei UNS in der gEgend- 06 un: d- ich hab ja SELber- (0.3) 07 <<p> so en bissel muSIK gemacht [dann Immer->] 08 09 NR [genAU; ] hast mal erZÄHLT, 10 mit [! XA! vier ]ai naidOO auch, 11 AG [und ] <?page no="403"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 403 12 (1.1) 13 AG ja N[EE al ]so, n n n[isch WIRKlich; ] 14 NR [((Lachansatz))] [aber ihn (.) ] 15 geKANNt halt zumindest [oder getrOffn, ] 16 AG [ja: - ] (0.3) → 17 AG vɪ ɡəˈzaːɡt , 18 die szEne is KLEIN- (.) 19 soll ich da AUCH en bIsschen reintun vo[n? ] 20 NR [ge]NAU, 21 (.) SCHMEIß [einfach daz]U. 22 AG [ähm ] Sprecherin AG erwähnt, dass sie in ihrer Jugend Musik gemacht habe (Zeile-06-07). NR meldet das als bekannt zurück (weil schon zuvor einmal von AG erzählt, Zeile-08-09)-- genau wie auch den Umstand, dass AG dabei auch mit einem mittlerweile prominent gewordenen Berufsmusiker zusammengearbeitet habe (mit ! XA! vier ai naidOO auch, Zeile-10). AG wehrt das in Zeile-13 zunächst ab, bejaht aber die Nachfrage, dass sie ihn doch zumindest aus diesem Zusammenhang persönlich kenne. Aus Höflichkeitsgründen schiebt sie dann in Zeile- 17-18 die Explikation wie ge- SAGT, die szEne is KLEIN nach, die verdeutlichen soll, dass diese Bekanntschaft jedoch nicht als ihr persönliches Verdienst, sondern gewissermaßen als unvermeidliche Konsequenz der äußeren Umstände zu sehen sei. Der durch den Bezugsausdruck bezeichnete Gehalt ist nicht vorerwähnt, sondern verweist auf geteiltes Wissen über die lokalen Verhältnisse im „communal common ground“ (Clark 1996) der beiden Sprecherinnen. Viertens und letztens gibt es auch Fälle, in denen der Gehalt des Bezugsausdrucks in keinerlei Hinsicht als geteilt betrachtet werden kann. Ein Beispiel dafür ist der Ausschnitt in (610). Die vier Beteiligten dieses Gesprächs sind Mitbewohnerinnen in einer WG, in die Sprecherin NH soeben neu eingezogen ist: (610) „Umzug“, FOLK_E_00055_SE_01_T_06, c113-130 (Tischgespräch) 01 US aber ich hab ja AUch geSEHN, 02 du hasch nich alles VOLL gestellt; = 03 [also- ] 04 NH [nee- 05 me]ine eltern brIngn das ganze ZEUG ers am wOchenende rüber; 06 AM ((lacht)) 07 LM ((lacht)) 08 US <<f, ☺> AH ja, 09 da da BLÜHT uns wahrscheinlich noch was.> 10 NEIN. 11 NH [nein GAR nich; ] 12 AM [kommt die RIEsen äh] 13 US °h ne[e aber ] <?page no="404"?> Gesprächsorganisation 404 → 14 NH [°h vɪ ɡəˈzaɡt ,] 15 mein altes zimmer war (.) en DRITtel so groß, 16 ich HAB gar nich so [viel krA]m. 17 US [okE; ] 18 okay. 19 [°h ja dann w]a wAr_s [viellEIcht ] so ähnlich wie MEINS jetz oder? 20 NH [ja ] [ja ] 21 ja viellEIch sogar NOCH kleiner; Auf die Feststellung von Sprecherin US, dass NH ihr neues Zimmer nicht besonders vollgestellt habe (Zeile- 01), entgegnet NH, dass der Großteil ihrer Einrichtung ja auch erst noch komme. Das gespielte Entsetzen ihrer Mitbewohnerinnen (AH ja da da BLÜHT uns wahrscheinlich noch was, Zeile-08-09) beschwichtigt NH zunächst mit NEIN. GAR nich; (Zeile-10-11), was dann mit der Explikation in Zeile-14-16 begründet wird: Ihr altes Zimmer sei viel kleiner gewesen, so viele Sachen besitze sie gar nicht. Diese Information ist weder im Gespräch vorgeäußert noch aus der persönlichen Interaktionsgeschichte der Teilnehmerinnen bekannt, wie die folgende Nachfrage von US zeigt. Der Marker indiziert hier somit weder Vorerwähntheit noch Bekanntheit aus anderen Quellen, sondern dient lediglich zur Anzeige, dass eine klärende Explikation folgt. Zusammengefasst dienen Explikationen also der Kohärenzherstellung: Sie (re-) etablieren ein zuvor unzugängliches Element im Common Ground, das S im gegenwärtigen Kontext verstehensnotwendig erscheint. Die angestrebte Kohärenzstiftung muss sich nicht zwangsläufig auf die inhaltliche Ebene des Gesprächs beziehen. Die untersuchten Daten enthalten auch metapragmatische Verwendungen, die S’ Motivation für eine bestimmte Äußerung bzw. Handlung im aktuellen Kontext explizieren. Typisch ist der literale Gebrauch mit Rückbezug auf einen vorgeäußerten Ankerausdruck (83%). Ist ein Anker vorhanden, ist er fast immer auch von S produziert, Fremdwiederholungen machen lediglich 2,5% der Belege mit Anker aus. Unter den kookkurrierrenden Vorlaufelementen ist auch hier aber das häufigste, das allerdings deutlich seltener auftritt als bei den themensteuernden Verwendungen (9 Belege, 9%). Positionell ergibt sich wie bei den Themensteuerungen ein klares Bild: In 91 der insgesamt 98 belegten Explikationen (93%) ist der Marker seinem Bezugsausdruck vorangestellt bzw. darin eingebettet. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT vorangestellt FUNKTION K=, themensteuernd FORM wie gesagt <?page no="405"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 405 7.3.3.4 Prozedurale Verwendung Die letzte Verwendungsweise von wie gesagt ist rein prozeduraler Natur. In diese Klasse fallen desemantisierte Verwendungen, die keiner (d. h. auch keiner anderweitig gesprächsorganisatorischen, z. B. reformulierungsanzeigenden) verbalen Paraphrase zugänglich sind. Vier der insgesamt sechs als prozedural gewerteten Verwendungen entsprechen dem Gebrauch, den König (2014) als „Haltesignal“ bezeichnet. Sie dienen zur Verzögerung und dem Gewinn von Planungszeit. Entsprechende Belege zeichnen sich zum einen durch eine vollkommene semantische Entleerung des Markers aus. Das bedeutet einerseits, dass es keinen Rückbezug auf einen tatsächlich vorgeäußerten Anker gibt, wie es die wörtliche Bedeutung besagt, sowie andererseits, dass auch keiner der auf dieser phorischen Quellbedeutung zumindest mittelbar aufsetzenden pragmatischen Verwendungskontexte vorliegt (wie etwa der Einsatz im Rahmen einer Explikation, ob nun mit oder ohne Bezug auf sprachlich Vorgeäußertes). Zum anderen zeichnet sich die Verwendung als reines Haltesignal auch durch einen Verlust der Zweigliedrigkeit der ursprünglichen Operator-Skopus-Struktur aus, da die Form hier nicht länger über ein bestimmtes anderes Element der Äußerung operiert. Typischerweise kookkurriert die rederechtsbezogene Verwendung als Haltesignal wie in Beispiel (611) mit weiteren Disfluenzmerkmalen. Das Beispiel stammt aus einem privaten Alltagsgespräch unter Freunden, das sich im Ausschnitt um eine sogenannte „Ape“ („Biene“) dreht, einen dreirädrigen Rollertransporter der Firma Piaggio. Sprecher JO schildert ein konkretes Nutzungsszenario, in dem ihm so ein Transporter vorteilhaft erschiene: Essenausfahren im Stadtgebiet. Er erzählt (mit bekanntheitsanzeigendem ja), dass er auch schon versucht habe, eine Bekannte (arabellas schwEster), die in diesem Bereich arbeitet, von seiner Idee zu überzeugen (Zeile-01): (611) „Ape“, FOLK_E_00066_SE_01_T_01, c1136-1153 (Gespräch unter Freunden) 01 JO also ich mein ich verSUCH ja immer arabellas schwEster davon zu überzeugn- 02 da mit ihrem ESsen ausfahrn- 03 dass se des halt mit so_m aPE macht oder so- 04 (0.2) 05 UD ja. 06 JO °hh weil die halt nur STADTgebiet hat zusagen die se belIEfert von_n kunden her, (1.0) 07 UD hm_hm. 08 JO ((schmatzt)) °h un dann natürlich sozusagen bezogen auf verSICHerung- 09 und vom PLATZ her- 10 es eigentlich optiMAL wär- 11 mi_m roller hat se_s mal proBIERT, 12 des hat se aber dann geNERVT; 13 weil_s war_s eher wie so_n PIZzaausfahrdienst, <?page no="406"?> Gesprächsorganisation 406 14 °h hin[ten mit ner GROßen box,] 15 PA [ja ja ja ja ] 16 JO °h aber wenn de dann halt so_n aPE hast- 17 so als DREIrad- 18 wo du hintn (.) gute LAgerfläche hast- 19 °h sogar BESser- (.) als mi_m AUto- 20 weil da hat se extra die rückbank ja ausge oder beziehungs den vOrdersitz AUSgebaut dass sie diese ganzn- 21 °h styroPORboxen- (0.3) 22 STApeln kann; 23 UD hm_hm. 24 (0.6) 25 JO und (.) aber irgendWIE: - 26 (0.4) 27 JO ma: - → 28 vɪ ɡəˈsɐxt-= 29 so: - (0.2) 30 UD also wenn de wIrklich [im STADTver]kehr hast, 31 PA [((hustet)) ] 32 UD dann hast natürlich ne unglAUbliche erSPARnis; 33 mh (.) 34 JO hm_hm °h Von Zeile-08 bis 22 entwickelt JO dann, worin diese Vorteile im Einzelnen bestehen. UD meldet in Zeile- 23 Zustimmung zu JOs Argumentation zurück, macht (davon abgesehen) aber keine Anstalten, den Turn zu übernehmen. Nach einer kurzen Pause projiziert JO in Zeile-25 mit dem turninitialen und eine Fortsetzung seiner Erzählung (in der die Reaktion der angesprochenen Bekannten noch offen geblieben ist), löst diese Projektion dann aber nicht ein: Zunächst wird das und repariert zu aber irgendwie, das aber auch keine Fortsetzung erfährt. Nach einer Pause erfolgt mit ma: wie geSACHT-=so: ein dritter Neuansatz (Zeile- 27-29), der auch prosodisch anzeigt (Level-Pitch), dass JO das Rederecht behalten möchte. Eine tatsächliche Fortsetzung der Äußerung bleibt aber erneut aus. An dieser Stelle übernimmt UD dann den Turn und geht in seiner Reaktion auf einen der von JO aufgezählten Vorteile ein. Im Zusammenhang mit den Neuansätzen, den Pausen und den intonatorisch final nicht abfallenden, sehr gedehnten Auslautvokalen in irgendwie (0.36 Sek., Zeile-25) und so (0.23 Sek., Zeile-29) wird deutlich, dass das wie gesagt an dieser Stelle nicht eine mit einer bestimmten Intention verbundene Wiederholung projiziert, sondern von JO als reines Haltesignal verwendet wird. 225 225 Vorstellbar erscheint allerdings auch, die Verwendung in (611) gerade nicht als Haltesignal, sondern im Gegenteil als Aufforderung zur Turnübernahme zu werten: So verstanden würde es JO seinem Partner überlassen, bereits aus dem aber im vorangehenden Turn zu schließen, dass JOs Anregung von der genannten Schwester nicht aufgegriffen wurde (was Adressat UD vermutlich auch schon weiß, wie JOs Einleitung mit epistemischem ja in Zeile-01 zumindest andeutet). In dieser Interpretation würde die Ausformulierung des Bezugsausdrucks also entfallen, da es angesichts geteilter Wissensbestände <?page no="407"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 407 Wie ausgeführt „operieren“ solche Verwendungen nicht länger über einen bestimmten Skopusausdruck, den sie in einer bestimmten Weise rahmen. Das liegt jedoch nur daran, dass dieser Skopusausdruck eben nicht realisiert wird-- projiziert wird er auch hier. Der Ausdruck behält insofern seinen Operatorstatus bei, auch wenn die volle Struktur nicht zustandekommt. TYP Operator HANDLUNG - KONTEXT unspezifisch FUNKTION rederechtsbezogen FORM wie gesagt 7.3.4 Formale Verfestigung und Spezialisierung Abschließend wenden wir uns der formalen Verfestigung und lautlichen Reduktion von wie gesagt zu. Wir betrachten dazu die formale Konvergenz der Formel sowohl auf lexikalisch-grammatischer als auch auf phonetischer Ebene (Abschn.- 7.3.4.1). Die phonetische Untersuchung betrifft lautsegmentale und prosodische Merkmale des Markergebrauchs. Auf lautsegmentaler Ebene werden das / aː/ und das / k/ in gesagt sowie das / iː/ in wie betrachtet (Abschn.- 7.3.4.2). Die Untersuchung zur formelinternen Wortgrenze widmet sich dem anlautenden Plosiv / ɡ/ in gesagt (Abschn.- 7.3.4.3). In prosodischer Hinsicht betrachten wir die Akzentstruktur und die prosodische (Des-)Integration von wie gesagt (Abschn.-7.3.4.4). Im Gegensatz zur infinitivischen bzw. adhortativen sagen-Form in sozusagen, sagen wir und wollt grad sagen ist für die lautliche Reduktion des Partizips in wie gesagt ein relevanter Einfluss von Regionalität anzunehmen. Aus diesem Grund greifen wir für die lautsegmentale Untersuchung im Gegensatz zu den vorangehenden Vertiefungsstudien auf Daten aus dem regional balancierten Korpus Deutsch heute (Dh) zurück. 226 Bei der Auswertung werden die Daten den in Dh unterschiedenen sprachlichen Großregionen zugeordnet (vgl. Abb.- 2 in Kap.- 3). Berücksichtigt werden nur Belege aus den sechs regionalsprachlichen Räumen innerhalb Deutschlands, 227 da für die ebenfalls im Korpus enthaltenen Sprachräume Österreich und Schweiz zu in dieser Angelegenheit gar nicht mehr nötig ist, ausdrücklich zu betonen, dass die genannte Person trotz JOs Rat eben bislang keinen solchen Transporter angeschafft habe. Trotz ihrer vordergründig gegensätzlichen Stoßrichtungen (als Haltesignal und als Aufforderung zur Turnübernahme) ist den beiden genannten Interpretationen der Verwendung in (611) jedoch gemein, dass sie sich auf rein prozedurale Funktionen im Zusammenhang mit der Organisation des Rederechts beziehen. 226 Vgl. die Korpusbeschreibung in Kapitel-3. 227 Belege aus den insgesamt vier Luxemburger und ostbelgischen Erhebungsorten wurden aus sprachhistorischen Gründen in den Raum „Mitte-West“ (MW) integriert. <?page no="408"?> Gesprächsorganisation 408 wenige Belege vorlagen. 228 Die prosodische Untersuchung basiert wieder auf Daten aus FOLK, um den Befund zur Akzentstruktur auf die interaktionslinguistische Funktionsklassifizierung beziehen zu können. 7.3.4.1 Formkonvergenz Auf lexikalisch-grammatischer Ebene zeigt die Konstruktion eine deutliche Konvergenz auf die lexikalische Markerform wie gesagt, die in 91% der Belege gewählt wird. Zu den 9% als kompositionell gewerteten Vorkommen wurden dabei nicht nur tatsächlich satzwertige Realisierungen gerechnet (wie Sie es vorhin vollkommen richtig gesagt haben), sondern auch solche lediglich minimalen Ausbauten wie etwa wie schon/ bereits/ gerade gesagt. Auch das Kodifizierungskriterium spricht für Lexikalisierung: Zumindest in den beiden Bedeutungswörterbüchern (Duden und Wahrig) ist wie gesagt als etabliertes Gebrauchsmuster von sagen gelistet. Als univerbiert kann der Marker dagegen weder aufgrund der Daten noch aufgrund seiner Behandlung in den Wörterbüchern gelten. Eine interessante Besonderheit ist, dass die Markerform die evidenzielle Funktion, die ihrer Quell- und Langform in der Literatur üblicherweise zugeschrieben wird („Angabe einer Informationsquelle“, vgl. 7.3.1), durch die Subjektellipse nicht länger erfüllen kann. Welche subjektivierten und/ oder diskursorganisatorischen Bedeutungsmerkmale der Marker stattdessen angenommen hat, haben wir in Abschnitt-7.3.3 ausgeführt. Zugleich legt diese Beobachtung nahe, dass sich der kompositionelle Ursprung des Markers noch weiter eingrenzen lässt- - und zwar auf Formelinstanzen mit Subjekt ich. 229 Tabelle-14 kontrastiert die Belegzahl von Lang- und Kurzformen der Konstruktion mit einerseits 1SG-Subjekten bzw. eigenproduzierten Ankern (Quelle: „Ego“) sowie andererseits sonstigen Subjektausdrücken bzw. fremdproduzierten Ankern (Quelle: „Alter“). Die Ergebnisse zeigen, dass es zwar sowohl Belege des Typs wie ich gesagt habe als auch Marker mit fremdproduzierten Ankerausdrücken gibt, aber dennoch eine klare Assoziation des Markers mit Ankerausdrücken besteht, die S selbst produziert hat (p Fisher.exact <0,001): 228 Hier zeigt sich ein ebenso interessanter wie schwierig zu erklärender Kontrast: Die Häufigkeit von wie gesagt in Dh liegt in den nord- und mitteldeutschen Regionen zwischen 0,02 und 0,03 Vorkommen pMW, im Süden Deutschlands zwischen 0,01 und 0,02 und in Österreich und der Schweiz zwischen 0,002 und 0,004. Die Konstruktion ist dort also in etwa um den Faktor zehn seltener als in Nord- und Mitteldeutschland. Die relativ geringe Belegzahl im Süden Deutschlands deutet zudem an, dass sich die oberdeutsche sprachräumliche Basis-- Alemannisch im Südwesten (SW) und Bairisch im Südosten (SO)- - beim Gebrauch von wie gesagt auch in Deutschland auswirken könnte. Vgl. Medrano (2019) für ähnliche areale Unterschiede im Markergebrauch am Beispiel des spanischen digamos. 229 Auch das Duden-Universalwörterbuch paraphrasiert die Bedeutung von wie gesagt als ‚wie ich schon sagte‘. Bei Wahrig wird die Bedeutung dagegen unspezifischer als ‚wie schon vorher erwähnt‘ angegeben. <?page no="409"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 409 Realisierungstyp Ego Alter Formel/ Langform 3 24 Marker/ Kurzform 255 26 Tab.-14: Sprechinstanz von gesagt in wie gesagt Die Konstruktion ist somit nicht nur im Traugottschen, sondern auch im Langackerschen Sinne als subjektiviert zu werten (vgl. Kap.-3). Die phonetische Realisierung von wie gesagt variiert erheblich. Feintranskribiert summieren sich die 422 lautsegmental ausgewerteten Belege aus Dh auf über 100 Types. Gröber typisiert lassen sich Formen durch die Realisierung des Vokals im wie-Segment (mehrheitlich reduziertes [ɪ], vgl. Abschn.-7.3.4.2), der beiden Velarplosive (Abschn.-7.3.4.2 bzw. 7.3.4.3) sowie durch Dauer und Zentralisierungsgrad beim / aː/ im gesagt-Segment unterscheiden. Zu diesen relativ frei kombinierbaren Variablen kommt das stark regional bedingte Phänomen der E-Synkope im Präfix des Partizips hinzu. Von 422 gesagt-Belegen sind 78 synkopiert, 4 davon im niederdeutschen Raum, 12 im mitteldeutschen und 62 im oberdeutschen Raum. Entsprechend der sprachräumlichen Verteilung verbinden sich synkopierte Formen kaum mit der im oberdeutschen unüblichen frikativischen Realisierung des inlautenden Velarplosivs. 230 Bei den viel häufigeren Formen ohne Präfix-Synkope (344 Belege) ist in 250 Fällen der Anlautplosiv lenisiert: 232 Partizipformen des Markers beginnen mit einem Approximanten (/ j/ ), 18 sogar direkt mit dem Vokal (Typ [vɪəzakt]/ [vɪəzɐxt]). Die Hälfte der insgesamt 250 anlautreduzierten Partizip-Belege verbindet anlautendes [j] mit inlautendem [k]. Die mit 63 Instanzen insgesamt am häufigsten belegte Einzelform kombiniert reduziertes / iː/ , lenisiertes / g/ , reduziertes / aː/ und Velarplosiv in der Silbenkoda ([vɪjəzɐkt]). Die nur minimal abweichende Variante mit unreduziertem / aː/ ([vɪjəzaːkt]) ist mit 61 Belegen die zweithäufigste. Gemeinsam decken-sie ein knappes Drittel der Realisierungen ab (29%). Stärker reduzierte Formen- - etwa Instanzen ohne finales / t/ wie [vɪə(j)zaːk]- - treten relativ selten auf und- sind teilweise lautkontextuell bedingt, sodass sich eine lautliche Verfestigung des Markers zu einer stärker reduzierten Variante als [vɪjəzɐkt] momentan nicht abzeichnet. 7.3.4.2 Erosion Für die Untersuchung der Phoneme / aː/ und / k/ im Stammmorphem von gesagt wurden alle lautlich auswertbaren Instanzen von wie gesagt in den spontansprachlichen Daten des Deutsch heute-Korpus (422 Belege) mit allen anderen Instanzen von ge- 230 Hier stehen 10 Belege vom Typ [ksaxt] oder [ksɐxt] 46 mit Plosiv (Typ [ksakt]/ [ksɐkt]) und 32 ohne Laut zwischen / aː/ und auslautendem / t/ gegenüber. <?page no="410"?> Gesprächsorganisation 410 sagt im selben Teilkorpus (842 Belege) verglichen und binär als „unreduziert“ ([aː]; [k]) vs.-„reduziert“ ([a], [ɐ]; [x],--]) klassifiziert. Das Ergebnis zeigt bei beiden Lauten keinen Unterschied zwischen den Markern und der Vergleichsgruppe. Bei den Markern werden 63% der Realisierungen des / aː/ -Lauts und 46% der Artikulationen des / k/ -Lauts reduziert. In der Vergleichsgruppe sind es 60% Reduktionen beim Vokal und 44% beim Plosiv. Innerhalb der Gruppen fällt somit auf, dass der Vokal in beiden Fällen häufiger reduziert wird als der Plosiv. Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sind dagegen nicht bedeutsam. 231 Abbildung- 28 zeigt die Befunde für das / aː/ in Aufschlüsselung der dialektalen Großregionen: 0 20 40 60 80 100 NW NO Marker Vergleichsformen Gesamt MO SW MW SO Abb.-28: Reduktionsformanteil / aː/ in den dialektalen Großregionen Lediglich in der Region Mitte-Ost (MO) sind für die Vergleichsgruppe wesentlich weniger reduzierte Belege dokumentiert als für die Gruppe wie gesagt. Möglicherweise spielt in diesem Gebiet die dialektale Dehnung des mhd. Kurzvokals eine Rolle: Das thüringische und mittelsächsische Gebiet- - allerdings auch die mitteldeutschen Sprachgebiete im Westen-- sind im Wenker-Atlas als Areale verzeichnet, in denen der Stammsilbenvokal der Partizipialform gesagt dialektal als Langvokal realisiert wurde (vgl. Wenker 1889, Karte 131). Der recht deutliche Unterschied zwischen den verglichenen formulaischen und literalen Verwendungen im östlichen Mitteldeutschen deutet an, dass die frequentere Vokalreduktion in wie gesagt ein Indikator des formelhaften Gebrauchs im ostmitteldeutschen Raum sein könnte. Abbildung-29 zeigt die Verteilung für den Plosiv: 231 Für den / aː/ -Laut: χ 2 =0,9, df=1, p=0,34; für den / k/ -Laut: χ 2 =0.39, df=1, p=0,53. <?page no="411"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 411 0 10 30 50 70 NW NO Marker Vergleichsformen Gesamt MO SW MW SO Abb.-29: Reduktionsformanteil / k/ in den dialektalen Großregionen Hier ist lediglich die Distribution in den beiden südlichen Regionen auffällig (SW und SO). Der insgesamt geringe Reduktionsformanteil dort (insbesondere im Südwesten) ist durch die dialektale Basis erklärbar: Im Alemannischen und Bairischen spielt Spirantisierung-- bis auf den ostfränkischen Raum, dessen Belege den Anteil spirantisierter Instanzen im Südosten im Vergleich zum Südwesten erhöhen-- und Auslassung des inlautenden Velarplosivs kaum eine Rolle (vgl. ebd., Karte 131). Der Südosten ist (dennoch) der einzige Raum mit relativ deutlichem Unterschied zwischen den beiden Vergleichsgruppen (13% höherer Reduktionsformanteil beim Marker). Möglicherweise wird die reduzierte Realisierung des Velarplosivs dort zu einem phonetischen Merkmal des Markers. Drittens wurde die Realisierung des Vokals / iː/ im wie-Segment des Markers mit Realisierungen desselben Vokals in möglichst vergleichbaren Kontexten kontrastiert. Dafür wurden Vorkommen von wie einerseits in Konstruktionen des Typs wie ge-VERB-t (Vergleichsgruppe A) sowie andererseits in Konstruktionen des Typs wie das X (Vergleichsgruppe B) herangezogen. Vergleichsgruppe A bestand aus Kombinationen von wie mit einem folgenden schwachen Verb im Partizip Perfekt sowie mit Wortakzent auf der zweiten Silbe (zum Beispiel wie gehabt, wie geschmiert etc.). 232 Da für diesen Lautkontext in den spontansprachlichen Teilkorpora des Deutsch heute-Korpus (Interviews und Map-Tasks) nur insgesamt vier wertbare Belege gefunden werden konnten, wurde zusätzlich auf analog ermittelte Formen aus FOLK zurückgegriffen. Auf diesem Weg konnten insgesamt 59 Belege für Vergleichsgruppe A gesammelt werden. Für Vergleichsgruppe B (wie das X) wurden Vorkommen ausgewählt, in denen auf das wie zunächst ein einsilbiges unbetontes 232 Query: “wie” [(word=“ge.*”)&(pos=“V.*”)] (um Datenverlust durch Taggingfehler zu vermeiden, wurden alle verbalen Formen gezogen und nicht-partizipiale Treffer manuell aussortiert). <?page no="412"?> Gesprächsorganisation 412 Wort und dann ein beliebiges weiteres Wort mit Erstsilbenakzent folgte (zum Beispiel wie das heißt, wie das Bild etc.). Vergleichsgruppe B umfasst insgesamt 146 Belege aus dem spontansprachlichen Teil von Deutsch heute. Für den Vergleich mit dem Marker wurden die Belege beider Gruppen zusammengefasst. In der Klassifikation wurden „unreduzierte“ ([iː]) und „reduzierte“ ([ɪ]) Realisierungen unterschieden. Als primäres Kriterium galt dabei die Einschätzung der Vokalqualität (Öffnungsgrad), als sekundäres die Quantität (Dauer). Die Ergebnisse zeigen zwei Drittel reduzierte Realisierungen bei den Markern (67%). Bei den Vergleichsformen sind es mit 60% nur geringfügig weniger. Der Unterschied ist nicht signifikant (χ 2 =2,34, df=1, p<0,13). 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Abb.-30: Vokalqualität ([iː] vs.-[ɪ]) in wie Dialektal war die Kurzform lediglich im niederdeutschen Sprachraum üblich (vgl. die Karte zu wie in Wenker 1889, Karte- 414). Entsprechend ist der Reduktionsformenanteil bei wie gesagt in den beiden niederdeutsch basierten Räumen NW und NO etwas höher als im Mitteldeutschen und im Südwesten (vgl. Abb.-31). Die auffällig hohen Werte für [ɪ] im Südosten erklären sich dadurch, dass dort viele offene (teilweise recht zentralisierte) Langformen belegt sind, die trotz ihrer Dauer aufgrund des Öffnungsgrads als [ɪ] kategorisiert wurden. Insgesamt zeigt sich allerdings auch bei der / iː/ -Artikulation des Markers kaum regionaler Einfluss. <?page no="413"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 413 0 20 40 60 80 100 NW NO unredudiziert reduziert Gesamt MO SW MW SO Abb.-31: Vokalqualität ([i] vs.-[ɪ]) in wie gegliedert in dialektale Großregionen 7.3.4.3 Grenzphänomene Ein möglicher markerinterner Grenzabbau an der Fuge zwischen wie und gesagt wurde anhand der Artikulation des anlautenden Plosivs / ɡ/ in gesagt überprüft. Unterschieden wurde binär zwischen „unreduzierten“ ([ɡ]) und „reduzierten“ Realisierungen ([j],- -). Verglichen wurden dabei alle nicht-synkopierten Markerbelege 233 (344 Instanzen aus Dh) mit 71 Vergleichsbelegen (aus Dh und FOLK). 234 Das Ergebnis zeigt einen deutlich höheren Reduktionsanteil bei den Markern (vgl. Abb.-32). Während bei den Markern knapp zwei Drittel der Belege eine Lenisierung oder gar Segmententfall zeigen (65%), sind es in der Vergleichsgruppe nur ein gutes Viertel- (27%; χ 2 =34,11, df=1, p<0,001). Wie in den anderen drei Fallstudien lassen sich mithin auch bei wie gesagt Reflexe eines Abbaus interner Segmentgrenzen finden, die wir als phonetischen Indikator eines ablaufenden Univerbierungsprozesses deuten. 233 Varianten mit synkopiertem Präfix ([viː ɡzaːkt]) wurden aus der Analyse ausgeschlossen, da das / ɡ/ dort in vielen Fällen in einem konsonantischen Anlautcluster steht, was sich auf die Artikulation des Plosivs fortisierend auswirken kann ([ks]). Präfixsynkopen sind im oberdeutschen Sprachraum (wo die Bedingung der stimmlosen / ɡ/ - und / z/ -Artikulation gegeben ist) auch in standardorientierten Formen üblich und betreffen die Gruppe der Marker und Vergleichsverwendungen gleichermaßen. Durch den Ausschluss synkopierter Formen kann bei der Wortgrenzuntersuchung auf eine regionale Auswertung verzichtet werden. 234 Die Vergleichsbelege umfassten die Gruppe wie ge-VERB-t der letzten Teiluntersuchung sowie 12 Instanzen der Wortfolge wie genau ohne IP-Grenze zwischen wie und genau. <?page no="414"?> Gesprächsorganisation 414 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen unreduziert reduziert Abb.-32: Realisierung des anlautenden Plosivs / ɡ/ in gesagt 7.3.4.4 Prosodische Merkmale Abschließend prüfen wir die formale Verfestigung der Einheit auf akzentstruktureller Ebene. 343 der 346 funktional klassifizierten Belege aus FOLK waren für die Analyse wertbar. Vergeben wurden die Werte „final“ (Akzentsitz auf dem sagen- Segment: „wie geSAGT“), „initial“ (Akzentsitz auf dem wie-Segment: „WIE gesagt“) und „initial + final“ (Fälle ohne klare Prominenzverhältnisse, da beide Segmente einen Akzent haben). 235 Anders als gedacht erweist sich die Akzentstruktur als nicht fixiert: Nur in der Hälfte der untersuchten Daten sitzt der Primärakzent der Struktur wie erwartet auf dem sagen-Segment (51%). 38% der Belege entfallen dagegen auf Formen mit klarem Hauptakzent auf dem wie. In den verbleibenden Fällen sind die Prominenzverhältnisse unklar. Dieses Ergebnis spricht einerseits gegen einen hohen Verfestigungsgrad der lautlichen Formmerkmale. Andererseits legt es nahe, dass sich mit dem unerwartet hohen Anteil akzentuierter Erstglieder („WIE gesagt“) hier ein phonetisches Spezifikum des Markers entwickeln könnte. Um diese Möglichkeit zu prüfen, wurden auch die Akzentmuster in der Vergleichsgruppe wie ge-VERB-t untersucht. Für die Vergleichbarkeit der Strukturen wurde dabei darauf geachtet, lediglich lautlich zweisilbig artikulierte Formen des Partizips in die Kontrollgruppe aufzunehmen. 236 Da die wie gesagt-Belege mehrheitlich IP-initial verwendet werden, wurde bei der Akzentsitzklassifikation zudem kontrolliert, ob die wie ge-VERB-t-Belege innerhalb oder am Anfang einer übergeordneten IP stehen. Die Akzentsitzanalyse von insgesamt 46 235 Belege des Typs „initial + final“ hatten oft eine Silbe mit Ton- und eine mit Druckakzent. 236 Das bedeutet, dass bei morphologisch dreisilbigen Belegen (wie beispielsweise geschehen) geprüft wurde, ob sie lautlich zwei- oder dreisilbig realisiert waren ([ɡəˈʃeːn]-- [ɡəˈʃeːən]). <?page no="415"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 415 wertbaren Belegen der Vergleichsgruppe ergab einen deutlichen akzentstrukturellen Unterschied: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Marker Vergleichsformen final initial+final initial Abb.-33: Akzentsitz in wie gesagt Dreiviertel der Vergleichsbelege (74%) tragen den Akzent eindeutig auf der Verbform. Das ist ein signifikanter Kontrast zu den Markern, wo dies wie erwähnt nur in der Hälfte der Belege der Fall ist (51%; χ 2 =7,65, df=1, p<0,01). Zudem deutet sich ein Zusammenhang zwischen Akzentsitz und Stellung der Einheit innerhalb der IP an: Von den 46 Belegen der Vergleichsgruppe werden 27 IP-initial gebraucht, darunter sind drei der vier wie-betonten Realisierungen. IP-intern weist nur ein einziger Beleg einen Akzent auf dem wie-Segment auf. Trotz der geringen Belegmenge der Vergleichsgruppe deutet auch der Kontrast zwischen den Akzentuierungsmustern von wie gesagt und wie ge-VERB-t darauf hin, dass es sich bei dem hohen Anteil an Erstgliedakzentuierungen des Markers um ein lautliches Charakteristikum dieser Form handelt. Abschließend betrachten wir die prosodische Autonomie der Form. Grundlage ist eine Stichprobe von 100 Instanzen aus FOLK. Unterschieden werden einerseits Vorkommen als eigenständige Intonationsphrase sowie andererseits Gebräuche mit Integration in eine übergeordnete IP. Insgesamt liegt der Anteil prosodisch desintegrierter bzw. autonomer Gebräuche bei knapp über der Hälfte der untersuchten Vorkommmen (52%). Prosodisch integrierte Verwendungen dominieren inbesondere unter Verwendungen, die in ihre Skopusäußerung eingeschoben anstelle ihr voran- oder nachgestellt sind (35% aller Belege in der Stichprobe, davon 70% prosodisch integriert). Sofern das als Hinweis darauf gesehen werden kann, dass die prosodische Markierung der eingeschobenen Vorkommen als Parenthese abnimmt, wird der Marker in diesen Verwendungen also zunehmend wie ein lexikalisches Adverb verwendet. <?page no="416"?> Gesprächsorganisation 416 7.3.5 Fazit und Einordnung Mit 41,38 Vorkommen pMW ist wie gesagt zwar bei weitem die häufigste Verfestigung von sagen in DECOW, aber seine normalisierte Frequenz in FOLK liegt nochmals mehr als viermal höher (172,29 Vorkommen pMW). Auch diese Konstruktion kann somit als typisch mündlich gelten. Mit 91% Markerrealisierung in FOLK ist die Verfestigung auf lexikalisch-grammatischer Ebene weitgehend abgeschlossen und steht auch in dieser Hinsicht-- neben der Frequenz in FOLK-- in unserer Studie allein dem Marker sozusagen nach. Schematisch ist die primäre Funktion von wie gesagt als relationierend und diskursstrukturierend zu bestimmen, auch wenn nicht alle Belege tatsächlich auf eine vorangegangene Äußerung zurückweisen. Spezifischer dient der Marker insbesondere zur Steuerung der thematischen Progression entweder des eigenen Beitrags oder des Gesprächs im Ganzen. In der dominanten Praktik der Themenschließung verbindet sich die Projektion eines Fazits typischerweise mit der Bekräftigung einer zuvor getätigten Positionierung. Möglich sind auch Schließungen, in denen nur eines der beiden Merkmale vorliegt: Das sind einerseits Verwendungen, in denen allein eine bestimmte wiederholte Information als Quintessenz einer gegebenen Episode herausgestrichen wird (ohne dass es sich dabei um eine persönliche Einschätzung von S handelt), sowie andererseits Verwendungen, die allein eine bestimmte Positionierung seitens S in ihrer Gültigkeit bekräftigen (ohne dass damit ein bestimmter Abschnitt zusammengefasst wird). Die in jedem dieser Fälle projizierte Schließung einer aktuellen Episode kennzeichnet die Orientierung dieser Praktik auf die thematische Progression des Gesprächs. Über dieses Merkmal ist sie verbunden sowohl mit Verwendungen zur (Wieder-)Aufnahme eines neuen Gegenstands der geteilten Aufmerksamkeit als auch mit Gebräuchen, die eine verstehensrelevante Hintergrundinformation aus dem geteilten Wissen explizieren. 237 Schematischer ist der Zusammenhang dieser drei Praktiken zur vierten, der prozeduralen Verwendung als Haltesignal. Letztere ist zwar ebenfalls dem Spektrum gesprächsorganisatorischer Praktiken zuzurechnen, aber nicht länger inhaltlich themensteuernd. Sowohl in struktureller als auch in positionell-kontextueller Hinsicht ist darüber hinaus keine nennenswerte Variabilität zu konstatieren. Der Marker kann allenfalls noch durch ein eingeschobenes Adverbial wie schon und gerade aufgebrochen werden, aber auch solche Belege sind bereits marginal. Kontextuell ist er seinem Bezugsausdruck als Operator vorangestellt. Handlungswertige Verwendungen als Aposiopese, die vor der wiederholten Äußerung abbrechen (weil sie kontextuell derart salient ist, dass sie von P inferiert werden kann/ soll), sind intuitiv möglich, aber mit keinem wirklich eindeutigen Beispiel in FOLK belegt. Die pragmatische Karte in Abbildung-34 zeigt entsprechend weniger Knoten, Merkmale und Verbindungen als die Karten zu den anderen drei Fallstudien: 237 Obwohl sie auch zur thematischen Kohärenz der aktuellen Äußerung beitragen, steht bei den Explikationen der epistemische Funktionsaspekt im Vordergrund. <?page no="417"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 417 Abb.-34: Pragmatische Karte <?page no="418"?> Gesprächsorganisation 418 Lautlich zeigen sich auch im Fall von wie gesagt innerhalb der beiden Komponenten keine segmentalen Reduktionserscheinungen, die nicht auch in freien Verwendungen von wie und gesagt zu beobachten und/ oder auf regionale Faktoren zurückzuführen wären. Interne Abbautendenzen sind aber wiederum an der Fuge zwischen den beiden Komponenten zu verzeichnen. Sie betreffen den Anlaut der Partizipform, der in etwa zwei Drittel der untersuchten Belege plosivlos realisiert wird, nämlich meistens approximantisch ([j]), in einigen Fällen aber auch direkt vokalisch. Zu diesem Hinweis auf eine zunehmende Verschmelzung kommt ein zweiter aus der Untersuchung des Akzentmusters hinzu: Entgegen unserer Erwartung, dass der Marker primär auf der Verbform akzentuiert sein würde, wurde dieses Muster nur in der Hälfte der Belege gefunden (51%). Daneben gab es auch viele Belege mit Erstsilbenbetonung auf dem wie. Es kann insofern spekuliert werden, ob sich in diesen Realisierungen-- die ggf. von Sprechern produziert wurden, bei denen die Verschmelzung der Konstruktion individuell bereits weiter vorangeschritten ist-- ein emergierender Wortakzent im Rahmen des im Deutschen üblichen trochäischen Betonungsmusters andeutet. Das kann hier nicht geklärt werden, wirft unabhängig vom konkreten Fall aber die interessante Frage auf, inwiefern Lexikalisierungs- und Univerbierungstendenzen, die sich noch nicht in einem vollständigen Verlust der analytischen Zugriffsmöglichkeit auf eine Struktur niedergeschlagen haben (oder gar im Wörterbuch kodifiziert sind), bereits in früheren Stadien der Verfestigung an solchen Befunden erkannt werden könnten. Mögliche Form-Funktionsbindungen können wir im vorliegenden Fall nicht anhand der Reduktionsbefunde überprüfen, da letztere auf den regional balancierten Daten aus Dh basieren, die Analyse der kommunikativen Praktiken dagegen auf FOLK. Möglich ist allerdings eine Kreuzung der pragmatischen und der prosodischen (akzentstrukturellen) Merkmale. Abbildung- 35 zeigt das Ergebnis dieser Auswertung: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Prozedural Th-Aufnahme final initial+final initial Th-Schließung Explikation Abb.-35: Praktiken und Akzentstruktur von wie gesagt <?page no="419"?> Vertiefungsstudie: wie gesagt 419 Lässt man die mit gerade einmal sechs Belegen wenig aussagekräftigen prozeduralen Verwendungen außen vor, zeigen sich zwischen den verbleibenden drei Praktiken kaum Unterschiede in Bezug auf die Akzentstruktur: Überall dominiert die finale Akzentuierung auf sagen, und auch in ähnlichen Verhältnissen gegenüber verteilter Prominenz und initialer Akzentuierung. Anders formuliert ist das markierte Muster mit Initialakzentuierung also nicht distinktiv für eine bestimmte Verwendungsweise von wie gesagt. Abschließend kommen wir zur Frage, ob neben Lexikalisierung (ja) und Univerbierung (nein, aber mutmaßlich auf dem Weg dorthin) auch Grammatikalisierung vorliegt. Hier ist zunächst, ganz wie bei sozusagen, von einer Ablösung der Formel aus einem verkürzten adverbialen Nebensatz auszugehen (vgl. Abschn.-7.3.1). Kategorial wird die vormals satzwertige Adverbialkonstituente im Zuge ihrer Komprimierung zum Marker als synthetisches Zeichen reanalysiert, das in vielen Belegen eindeutig keine Parenthese, sondern ein adverbiales Satzglied ist: (612) Wie gesagt bin ich darauf nicht wirklich vorbereitet und muss das zimmer noch vogelsicherer machen. (http: / / www.nymphensittichwelt.de/ vbulletin/ archive/ index.php/ t-14709.html [decow]) Sofern man wie gesagt hier nicht länger als Satz, sondern als lexikalisierte Einheit wertet, schlägt man den Ausdruck der Klasse gesprächs- und textstrukturierender Adverbien zu. In ihrer Funktion, „deutlich zu machen, welche Position oder Funktion die Äußerung, die sie einleiten, in einer größeren Texteinheit hat“ (Auer 1997, S.-59), sind solche Ausdrücke eindeutig als indexikalisch zu werten. Mit seinem Eintritt in diese Klasse wird der Marker zudem paradigmatisiert. Er besetzt innerhalb des aufnehmenden Paradigmas die Nische der Markierung einer Wiederholung (Duden 2009, S.-1204). Kommunikative Obligatorik wächst ihm dabei vor dem Hintergrund zweier parallel bestehender Anforderungen zu: einerseits der Maxime, nichts zu sagen, was bereits bekannt ist, sowie andererseits der Verpflichtung, stets zu wissen, was bereits gesagt wurde. Der augenscheinliche Verstoß gegen diese Gebote, den die gerahmte Wiederholung darstellt, bedarf insofern der Markierung als wissentlich und absichtsvoll, die der Marker leistet (vgl. Imo 2007, S.-117). 238 Auch die Funktionen der gerahmten Wiederholung selbst sind als indexikalisch zu werten. Eine Desemantisierung des Markers gegenüber dem literal rückverweisenden Gebrauch kann sowohl bei den subjektiv-bekräftigenden Fazitprojektionen als auch bei den intersubjektiv-epistemischen Explikationen vorliegen: Beide reaktivieren nicht notwendig vorangegangene Äußerungen, sondern können auch diskursneue Gehalte einführen. Am stärksten desemantisiert (und dann wieder textuell-diskursstrukturierender 238 „Obligatorisch“ ist er in diesem Sinne nicht ausweislich einer anderweitig drohenden Ungrammatikalität der Äußerung, sondern als Mittel zur Vermeidung anderweitig drohender, von S jedoch nicht intendierter Implikationen der projizierten Wiederholung. <?page no="420"?> Gesprächsorganisation 420 Natur) ist die Verwendung des Markers als prozedurales Haltesignal. In der Summe liegen mit struktureller Verschmelzung, Rekategorisierung und Paradigmatisierung (hier in Gestalt der Entwicklung eines freien, evidenziellen Kommentarsatzes mit variabler Personendeixis zur rein sprecherdeiktischen Wiederholungsanzeige), der kommunikativen Obligatorik insbesondere im Kontext von Verbatim-Wiederholungen im unmittelbaren Nahbereich sowie der indexikalischen Bedeutung des Markers im Zuge der identifizierten Praktiken die nötigen Voraussetzungen vor, um auch im Fall von wie gesagt von einem Grammatikalisierungsprozess zu sprechen. 7.4 Zusammenfassung Kapitel- 7 bildet den Abschluss unseres Überblicks über pragmatische Formeln mit sagen. Anders als in den vorangegangenen Kapiteln wurde auf eine weitere Untergliederung der zugehörigen Verfestigungen in bestimmte Subtypen verzichtet, da sich die in Kapitel-3 angesetzten gesprächsorganisatorischen Funktionsaspekte der Themensteuerung, der Beitragsgliederung und der Organisation des Rederechts sehr häufig überschneiden. Mit 13 Bildungsmustern wurden im schwerpunktmäßig gesprächsorganisatorischen Funktionsbereich insgesamt weniger Verfestigungen identifiziert als in den drei übrigen Funktionsdomänen. Wiederum sind die meisten dieser Bildungen sprecherdeiktisch. Die interaktionslinguistische Vertiefungsstudie hat sich dem Marker wie gesagt gewidmet, bei dem es sich um die häufigste sagen-Verfestigung in DECOW16B sowie um die zweithäufigste in FOLK handelt. Die Verwendungsmuster in FOLK wurden in vier kommunikative Praktiken unterschieden, die als ein themenschließender, ein themen(wieder)aufgreifender, ein explizierender und ein rein prozedural-rederechtsbezogener Gebrauch gekennzeichnet wurden. Die wörtliche Bedeutung eines textuellen Rückverweises ist mit Ausnahme der prozeduralen Verwendung (wo sie per definitionem fehlt) in allen Praktiken zumeist erhalten, muss das aber auch nicht sein. Wo sie verblasst ist, zeigt sich eine Schematisierung der ursprünglichen Markerbedeutung, die anstelle von sprachlicher Vorerwähntheit dann lediglich (unterstellte) Bekanntheit anzeigt. Wie in den anderen drei Fallstudien treten allerdings auch hier noch weiter desemantisierte Verwendungen hinzu, die rein beitragsgliedernde oder rederechtsbezogene („prozedurale“) Funktionen übernehmen. Ähnlich wie in den vorangegangenen Fallstudien sind innerhalb der einzelnen Ausdruckskomponenten keine markerspezifischen phonetischen Reduktionen zu verzeichnen, die nicht auch außerhalb der Form geläufig sind. Es gibt jedoch Indikatoren für einen Abbau der Fuge und eine Tendenz zur Verschiebung des Primärakzents, die sich möglicherweise als Hinweise auf eine sich anbahnende Univerbierung deuten lassen. Neben seiner Lexikalisierung als (allerdings auch analytisch noch zugängliches) Gliederungssignal weist der Marker auch Merkmale von Grammatikalisierung auf. <?page no="421"?> 8. FAZIT Nach dem Durchgang durch die vier angesetzten Funktionsbereiche in Kapitel-4 bis 7 sollen die wichtigsten Erkenntnisse der Studie nun abschließend zusammengetragen und bilanziert werden. Wir beginnen dazu mit einer kurzen Rekapitulation der zentralen Ergebnisse sowohl der Formelüberblicke als auch der interaktionslinguistischen Vertiefungsstudien (Abschn.-8.1). Im Anschluss reflektieren wir, was sich an unserem methodischen Vorgehen in der Rückschau bewährt hat und wo es Verbesserungspotenziale gäbe (Abschn - 8.2). Abschließend kommen wir auf theoretische Implikationen unserer Resultate zu sprechen (Abschn.-8.3). 8.1 Zentrale Befunde Das augenfälligste Ergebnis unserer Inventarisierung pragmatischer Formeln und Marker mit sagen ist sicher zunächst einmal die schiere Menge der identifizierten Gebrauchsmuster des Verbs, die eine besondere Gesprächsfunktion aufweisen. Unsere Analyse kommt im Rahmen ihres mehrstufigen Ermittlungs- und Klassifikationsverfahrens letztlich auf 78 separate Bildungsmuster. Strukturell sind sich manche davon zwar recht ähnlich (vgl. etwa sag nicht, sag das nicht und sag jetzt nichts), identisch (und daher miteinander austauschbar) macht sie das aber nicht. Vielmehr hat die pragmatische Systematisierung der untersuchten Ausdrücke ergeben, dass auch kleine formale Unterschiede ausreichen können, damit sich ein Ausdruck auf eine ganz eigene funktionale und/ oder verwendungskontextuelle Nische spezialisieren kann. Ohne Frage hat sich die Untersuchung mit der Herausarbeitung solcher Kontraste auf einen recht hohen Detaillierungsgrad der Darstellung eingelassen. Von einem exzessiven „Splitting“ (im Sinne einer Tendenz zur übermäßigen analytischen Kleinteiligkeit) kann dabei dennoch nicht gesprochen werden, da unsere Zählweise mit ihrem Fokus auf (teil-)schematische Muster mit semantisch-pragmatischer (statt lexikalisch-grammatischer) Fundierung im Gegenteil noch vergleichsweise konservativ ist: Rein ausdrucksseitig betrachtet stellen Formeln wie etwa man kann sagen, was man will, da kann man nichts sagen, sag was du willst, und was man auch gegen X sagen mag zunächst einmal je separate Verfestigungen dar. Hätten wir diese und ähnliche Fälle nicht aufgrund übergreifender semantischer und funktionaler Ähnlichkeiten zu einem gemeinsamen schematischen „Bildungstyp“ zusammengefasst (vgl. Kap.-3), hätte sich die Anzahl der identifizierten Verfestigungen von sagen noch einmal mehr als verdoppelt. Festhalten lässt sich somit, dass pragmatische Formeln mit sagen-- wie granular auch immer man sie klassifizieren mag-- äußerst zahlreich sind, und dass es nicht zuletzt diese spezialisierten Verfestigungen sind (Proske im-Druck spricht von „verbbasierten Konstruktionen“), die dem Verb zu seiner Spitzenposition in den Lemmafrequenzlisten von Korpora wie FOLK verhelfen. <?page no="422"?> Fazit 422 Zweitens ist bemerkenswert, dass kaum einer dieser Ausdrücke tatsächlich vollständig verfestigt (das heißt: strukturell invariant) ist. Bei der überwältigenden Mehrheit der untersuchten Konstruktionen handelt es sich um „schematische Idiome“ im Sinne von Croft/ Cruse (2004, S.-234-236), die (innerhalb bestimmter Grenzen) „formal heterogen und sowohl morphologisch-syntaktisch als auch lexikalisch-semantisch veränderbar“ sind (Filatkina 2007, S.-140, vgl. Kap.-1). In der hier verwendeten Begrifflichkeit lässt sich also ein deutliches Übergewicht an (variablen) „Formeln“ gegenüber (festen) „Markern“ bilanzieren. So definiert ist dieser Kontrast natürlich auch wenig verwunderlich, da der Begriff der Formel dann ein breites Verfestigungsspektrum und der des Markers nur dessen äußersten Endpunkt bezeichnet. Wie unsere Vertiefungsstudien in FOLK in Kapitel-5, 6 und 7 gezeigt haben, lassen sich aber auch für Ausdrücke, die noch nicht komplett invariant oder gar als Univerbierung kodifiziert sind (wie das in Kap.-4 untersuchte sozusagen), Kurzbzw. Markerformen identifizieren, auf die ihre Verfestigung absehbar hinausläuft. Unter diesem Blickwinkel betrachtet „sind“ die untersuchten Konstruktionen also nicht entweder Formeln oder Marker, sondern können in der einen oder anderen Erscheinungsform realisiert werden. Entscheidend für die Identifikation der (absehbaren) Markerform ist dabei die Ermittlung des häufigsten Teilsegments einer Formel, das bei einem-- bildlich ausgedrückt-- „Übereinanderlegen“ aller Instanzen formal konstant zusammenhängt und gleichzeitig funktional in der Lage ist, die gesamte Konstruktionsbedeutung zu tragen. Mit Bybee (2000, 2001, 2006, 2010) gehen wir davon aus, dass der Mustererkennungsprozess, der über die vielen verschiedenen erlebten Instanzen einer Konstruktion operiert, im Laufe der Zeit genau diese Kette herauskonturiert und damit ihre autonome Repräsentation als „Konvergenzform“ der entsprechenden Einheit ermöglicht. In funktionaler Hinsicht ist festzuhalten, dass viele der untersuchten Ausdrücke nicht entweder die eine oder die andere Art indexikalischer Bedeutung (im Sinne von Kap.-2) aufweisen und somit entweder diskursstrukturierend/ gesprächsorganisatorisch oder (inter-)subjektiv gebraucht werden. Stattdessen mischen sich in den kommunikativen Praktiken, die mit den untersuchten Ausdrücken vollzogen werden, in der Regel pragmatische Merkmale unterschiedlicher Funktionsbereiche. Zugleich sind die meisten der untersuchten Ausdrücke auch mit mehr als nur einer einzigen solchen Praktik verknüpft. Damit ergibt sich eine Polyfunktionalität auf zwei verschiedenen Ebenen: Erstens die der individuellen Praktik, die beispielsweise sowohl positionierende, epistemische und gesprächsstrukturierende Funktionsaspekte zugleich aufweisen kann, und zweitens die der multiplen Praktiken, die mit ein- und derselben sprachlichen Form verknüpft sein können. Bereits in den Überblicksteilen der Inventarisierungsstudien war es daher nötig, sich nicht nur bei der Form, sondern auch in der Beschreibung der Funktionsmerkmale der untersuchten Ausdrücke auf ihre typische Verwendung in der ausgewerteten Stichprobe zu konzentrieren. Deutlicher ist diese Polyfunktionalität dann in den vier Vertiefungsstu- <?page no="423"?> Zentrale Befunde 423 dien zutage getreten, in denen die untersuchten Formen jeweils in ihrem vollen Funktionsspektrum beschrieben wurden. Dabei wurden für keine der untersuchten Konstruktionen weniger als vier damit in FOLK vollzogene kommunikative Praktiken ermittelt. Zumindest für drei der vier untersuchten Marker wurden dabei auch so stark desemantisierte („prozedurale“) Gebräuche gefunden, dass sich hier anders als bei den verbleibenden Praktiken überhaupt keine denotative Bedeutung mehr fand, die man mit einer bestimmten sprachlich-propositionalen Paraphrase auf den Punkt bringen könnte. Solche Verwendungen haben rein interaktiv-gesprächsorganisatorische Funktionalität, indem sie prozedurale Aspekte der Äußerungsproduktion und -rezeption regulieren (wie etwa die Sicherung des Rederechts zur weiteren Äußerungsplanung oder die verstehenslenkende Zäsurierung des Beitrags in einerseits topikalische und andererseits rhematische bzw. fokussierte Bestandteile). Interessanterweise gibt es durch die geteilte funktionale Drift in Richtung dieser rein prozeduralen Verwendungen in einzelnen Belegen auch Überlappungen zwischen den eigentlich distinkten Markern, die sich in einer wechselseitigen Austauschbarkeit der Formen niederschlägt. Da sie ihre Entwicklung jeweils an ganz unterschiedlichen Punkten des semantisch-pragmatischen Verwendungsspektrums von sagen begonnen haben (etwa als formulierungsbezogenener Kommentarsatz im Falle von sozusagen und als inhaltsbezogen-evidenzieller Kommentarsatz im Fall von wie gesagt), zeugt dieses punktuelle Zusammenwachsen ihrer Verwendungsmuster von einer substanziellen Abstraktion der mit der Form vollzogenen Funktionen. Insbesondere bei Vielverwendern der untersuchten Ausdrücke konnten auch „Verwechslungen“ verschiedener Marker beobachtet werden, in deren Zuge Marker-A in einer Weise gebraucht wurde, die eigentlich einer Praktik von Marker-B entspricht, was wir als „Passepartoutgebrauch“ der funktional überdehnten Form bezeichnet haben. Auch solche Effekte sprechen für ein Zusammenwachsen der Verwendungsspektren der untersuchten Ausdrücke, die dann nicht mehr miteinander kontrastieren, sondern konkurrieren. Was in den Vertiefungsstudien ebenfalls ungleich deutlicher als in den Formelüberblicken zutage trat, ist der Zusammenhang von sprachlichen Funktions- und Kontextmerkmalen der untersuchten Praktiken. Wenn ein Adverb wie sozusagen in zweiter Sequenzposition als distanzierendes Responsiv verwendet wird, oder der ursprüngliche Matrixsatz (ich) wollt grad sagen in dritter Position als (syntaktisch nicht-komplementierte) Wissensanzeige, dann wachsen diese ursprünglich unselbstständig-ergänzungsbedürftigen Formen hier in autonom handlungswertige Verwendungen hinein, deren Spezifik sich nicht ohne Einbezug ihrer jeweiligen sequenziellen Einbindung erfassen lässt. Neben sequenziellen Kontextmerkmalen können auch die Position im Turn sowie die Stellung relativ zum Bezugsausdruck (sofern es einen gibt) relevante Parameter sein, die-- oft gemeinsam mit bestimmten Formmerkmalen wie etwa Modifikation oder Wortstellung der Formel- - zu ihrer Disambiguierung im lokalen Verwendungskontext beitragen. Es ergibt sich somit <?page no="424"?> Fazit 424 ein effizientes Zusammenspiel von einerseits funktionaler Auffächerung und Ausdifferenzierung einer gegebenen Form (ohne für diese Distinktionen jeweils neue, andere Formen verwenden zu müssen) und andererseits wieder engführender Verstehenssicherung durch Disambiguierung im lokalen Kontext. 239 Eine naheliegende Vermutung wäre (und war), dass auch lautliche Realisierungsmerkmale der untersuchten Formeln zu dieser Disambiguierung beitragen. Introspektiv scheint das bei manchen Markern auch der Fall zu sein-- vgl. etwa die vokalisch gedehnte epistemische Verwendung von (ja) sag mal (zur Signalisierung von Erstaunen) gegenüber dem disaffiliativen Gebrauch der Form (zur Anzeige von Missbilligung). Quantitativ konnte zumindest für die vier hier untersuchten Marker allerdings kein solcher Zusammenhang gefunden werden. Das deutet darauf hin, dass sich die hier unterschiedenen Praktiken entweder doch zu stark ähneln, um gesonderten formalen Markierungsbedarf zu erfordern, oder dass eine geeignete Disambiguierung eben bereits durch den positionellen Kontext der Form sichergestellt ist. Auch wenn es lautliche Spezifika einzelner Praktiken eines Markers geben kann, ist die Ausbildung solcher Charakteristika nach Lage unserer Befunde jedenfalls nichts, das stets und überall erwartbar wäre. Damit stehen unsere Resultate in dieser Frage im Widerspruch zu der Annahme, dass die untersuchten Marker funktionsspezifisch „sedimentierte Formen“ mit distinktiver Lautung ausbilden, wie es etwa die Studien von Scheibman (2000), Plug (2010) und Thompson/ Couper-Kuhlen (2020) nahelegen. Selbstverständlich ist die Frage, ob ein solcher Zusammenhang feststellbar ist, aber auch maßgeblich von der Granularität der zugrunde gelegten- Funktionsbeschreibung abhängig. Werden „nur“ Markerverwendungen und Quellkontexte miteinander verglichen, oder innerhalb der Markerverwendungen nur zwei schematische Funktionsklassen unterschieden, sind solche Kontraste potenziell leichter zu finden, als wenn durchgängig feingranularere Kategorien angesetzt werden. Ein gemischtes Ergebnis gibt es sowohl im Hinblick auf die Erosion/ segmentalphonetische Reduktion als auch auf die prosodische Autonomie der vier Marker zu bilanzieren. Qualität und Quantität des Stammsilbenvokals von sagen (bzw. gesagt im Falle von wie gesagt) unterscheiden sich in keiner der vier Untersuchungen von freien Vorkommen der jeweiligen Form als lexikalisches Verb. Zumindest im Fall von sagen wir tendiert der Marker gegenüber der Vergleichsform allerdings klar zur einsilbigen Realisierung der Verbform. Insgesamt zeigen die Befunde aber deutlich, dass allein der Markerstatus einer Form per se kein Grund ist, von einer Tendenz zur 239 Ob auf kognitiver Ebene tatsächlich Ambiguität (und dementsprechend Disambiguierung) oder alternativ Vagheit anzusetzen ist, können wir mit unseren Mitteln nicht entscheiden. Das relevante (implizite) Sprachwissen um die Verwendungsmöglichkeiten der untersuchten Einheiten ist an vielen Stellen vermutlich vager, proteischer und fluider, als es feinkörnige linguistische Modellierungen-der beobachteten Gebrauchsmuster suggerieren, die sie als Knoten in einem stabilen Netzwerk reifizieren. <?page no="425"?> Zentrale Befunde 425 phonetisch reduzierten Realisierung auszugehen. Ausschlaggebend für eine mögliche Reduktion scheint nicht zuletzt die Prosodie zu sein (Wichmann 2011): Wo ein Segment innerhalb eines Markers prosodisch prominent ist, ist eine Reduktion seiner phonetischen Substanz nicht zu erwarten. Keine Bestätigung finden wir auch für die (seit Schiffrin 1987 immer wieder formulierte) Annahme, dass prosodische Desintegration ein Charakteristikum von Diskursmarkern ist. Zwar verwenden wir diesen Begriff selbst nicht (vgl. Kap.-2), aber zumindest unsere „pragmatischen Marker“ (wenn auch nicht die „Formeln“) bezeichnen doch offenkundig etwas Ähnliches. Dennoch zeigt von den vier untersuchten Markern allein wollt grad sagen mit 81% desintegrierten Vorkommen eine klare Tendenz zur prosodischen Autonomie. Bei sozusagen liegt der Anteil von Verwendungen als eigene Intonationsphrase leicht über dem Durchschnitt (60%), bei wie gesagt (48%) und sagen wir (34%) knapp darunter. Die in Kapitel-2 formulierte Annahme, dass möglicherweise speziell (stärker) grammatikalisierte Marker, die den Weg von der desintegrierten Parenthese zurück in die Satzgrammatik gefunden haben, dann auch prosodisch reintegriert werden, bestätigt sich somit auf den ersten Blick nicht: Vorhergesagt wäre ein solcher Befund insbesondere für sozusagen, das mit 60% desintegrierten Belegen aber am zweithäufigsten autonom realisiert wird. Eindeutig ist das Ergebnis dagegen mit Blick auf die Univerbierungsfrage. Sowohl sagen wir als auch wollt grad sagen und wie gesagt weisen an den markerinternen Wortfugen formspezifische Assimilations- und Verschmelzungstendenzen auf, die bei den jeweiligen Vergleichsformen so nicht zu beobachten sind. Auch das bereits als Univerbierung kodifizierte sozusagen zeigt deutliche formspezifische Anzeichen einer weitergehenden wortinternen Zusammenrückung von so und sagen. Als Indikator für eine bereits vollzogene oder sich zumindest anbahnenende Autonomisierung des Markers als eigenständiges Zeichen unterstreichen diese Befunde den erreichten Konventionalisierungsgrad der untersuchten Formen in der Mündlichkeit. Nachgetragen sei zu den lautlichen Befunden zudem eine Beobachtung, die in den Datenkapiteln unerwähnt blieb, da sie sich nur für zwei der vier untersuchten Marker anstellen ließ: Die Rede ist von individuellen Unterschieden zwischen den ausgewerteten Sprechern. Sowohl bei wollt grad sagen als auch bei wie gesagt ließen sich einzelne Personen in den Daten identifizieren, die den jeweiligen Marker sehr deutlich „überverwenden“, nämlich mit einer (hochgerechneten) individuellen Gebrauchsfrequenz pro eine Million Wörter, die um mehr als zwei Standardabweichungen über der mittleren Gebrauchsfrequenz dieses Markers bei allen anderen Sprechern im Korpus lag. Inflationäre Gebräuche sprachlicher Formen unterschiedlicher Art sind als individuelle Marotten vermutlich generell weit verbreitet. Im vorliegenden Fall dieser beiden Marker war allerdings bemerkenswert, dass es auch jeweils diese Sprecher waren, von denen die phonetisch am stärksten reduzierten Instanzen der betreffenden Form in den Daten stammten. Gleichzeitig waren es auch speziell diese Sprecher, bei denen sich die oben angesprochenen „Passepartout- <?page no="426"?> Fazit 426 verwendungen“ der Form zeigten, die im Vergleich zum üblichen Gebrauch der Marker als Übergeneralisierungen zu werten sind. Diese (anekdotische) Evidenz spricht also wiederum für die Annahme eines engen (individuellen) Zusammenhangs von Gebrauchsfrequenz mit phonetischer Reduktion einerseits und funktionaler Abstraktion andererseits. Abschließend kommen wir auf Fragen der formalen Typik der untersuchten Formeln und des Verhältnisses ihrer formalen und funktionalen Ausdifferenzierung zu sprechen. Eine „preliminary classification“ formaler Art wird von Brinton (2008, S.-2) für pragmatische Marker im Englischen vorgeschlagen. Sie setzt dafür die folgenden Kategorien an: - „first-person pronoun + present tense verb/ adjective“ (z. B. I think, I’m afraid) - „second-person pronoun + present tense verb/ adjective“ (z. B. you know, you see) - „third-person pronoun + present tense verb/ adjective“ (z. B. they say, one hears) - „conjunction + first-/ second-/ third-person pronoun + present tense verb/ adjective“ (z. B. as I’m told, so it seems) - „imperative verb“ (z. B. look, say) - „nominal relative clause“ (z. B. what’s more, what annoys me) Neben diesen als Haupttypen betrachteten Kategorien wird auch auf die Existenz weiterer Varianten hingewiesen- - etwa modalisierter (I must say, you may know), passivischer (it is said, as was pointed out) und interrogativer Bildungen (wouldn’t you say? , don’t you think). Aufgrund der Vielzahl beteiligter Bedeutungsmerkmale und der ihnen zugeordneten grammatischen Realisierungsmöglichkeiten ist offensichtlich, dass hier noch viele weitere Möglichkeiten der Merkmalskreuzung und Kategorienbildung bestanden hätten. Im Folgenden nehmen wir den Grundgedanken Brintons auf, zunächst nach syntaktischer Quellstruktur zu typisieren. Anders als sie verzichten wir aber auf eine Kreuzung mit weiteren Merkmalen wie etwa Personendeixis und kookkurrierenden Modalverben. Einbezogen wird lediglich der Satzmodus, so dass wir auf folgende Kategorien kommen: - Deklarativer Haupt-/ Matrixsatz („DKL“: ich sage) - Interrogativer Haupt-/ Matrixsatz („INT“: was sage ich) - Direktiv-imperativischer Haupt-/ Matrixsatz („DIR“: sag mal) - Subordinierter Satz („SUB“: wie soll ich sagen) - Satzwertige Partizipialkonstruktion („PRT“: ehrlich gesagt) <?page no="427"?> Zentrale Befunde 427 Zu beachten ist bei der folgenden Auswertung, dass lediglich die zentralen Verfestigungen der 78 angesetzten (in vielen Fällen variantenreichen) semantisch-pragmatischen Bildungsmuster in DECOW16B typisiert werden. Abbildung-36 zeigt die Anteile der fünf angesetzten Quellstrukturen für alle vier Funktionsbereiche separat: Abb.-36: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Positionierung Koordination Epistemik Gesprächsorganisation PRT SUB DIR INT DKL Anteile der fünf angesetzten Quellstrukturen für alle vier Funktionsbereiche Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass sich die Bereiche Positionierung, Koordination und Epistemik darin ähneln, dass in allen dreien klar Formeln dominieren, die auf einen deklarativen Hauptbzw. Matrixsatz zurückgehen („DKL“: ich muss sagen, das kann man wohl sagen, da soll noch einer sagen). Daneben finden sich bei den Positionierungen vor allem Formeln mit syntaktisch subordinierter Quellstruktur („SUB“: wie man so schön sagt), im Bereich Koordination direktive Strukturen („DIR“: sag mal) und unter den epistemischen Formeln interrogative Strukturen („INT“: wem sagst du das). Viel ausgewogener bzw. unspezifischer ist die Verteilung im Bereich der Gesprächsorganisation, wo interrogative Konstruktionen sogar die größte Gruppe stellen (was wollte ich sagen). Insgesamt selten (mit sagen, und im Vergleich zu anderen sagen-Formeln) sind partizipiale Bildungen („PRT“) des Typs [<Irgendwie> gesagt], die Niehüser (1987) als ersten seiner vier grammatischen Haupttypen nennt. Offenkundig spielen neben dem basalen grammatischen Konstruktionstyp aber noch viele weitere Elemente (wie zum Beispiel Personendeixis, Modalität und unterschiedliche Arten von Modifikation) eine Rolle, um die oft recht spezifischen Bedeutungen zu erzeugen, die einen Ausdruck befähigen, seine individuelle Nische in einem der vier Funktionsbereiche zu besetzen. Dennoch soll hier zumindest noch eine weitere Einzelauswertung angeschlossen werden, da der entsprechende Parameter auch in Brintons Typisierung prominent ist: Die Personendeixis. Insgesamt dominieren in unseren Daten Formeln mit Subjekt 1SG/ 1PL (41%), gefolgt von Subjekten der 3. (24%) und 2.-Person (21%) vor syn- <?page no="428"?> Fazit 428 taktisch subjektlosen Konstruktionen (14%). Abbildung-37 zeigt, dass sich die Verteilung in den vier Funktionsbereichen wieder etwas unterschiedlich darstellt: Abb.-37: 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 null 321 Positionierung Koordination Epistemik Gesprächsorganisation Verbalkategorie ‚Person‘ Wiederum lassen sich auch bereits diese recht schematischen Tendenzen motivieren: Die meisten Formeln mit Subjekt ich (oder wir) finden sich im Bereich Positionierung (vgl. ich sage dir), die meisten mit Subjekt du/ Sie/ ihr im Funktionsbereich Koordination (vgl. du sagst es), die meisten mit Subjekten der 3.-Person im Bereich Epistemik (vgl. man sagt) und die meisten subjektlosen im Bereich der Gesprächsorganisation (vgl. besser gesagt). Inhaltlich verfeinert (zum Beispiel durch Wechsel von der grammatischen Kategorie „Person“ zur tatsächlichen Art der vollzogenen Personendeixis, die z. B. auch bei Pronomen der 3.-Person sprecherinklusiv sein kann), multifaktoriell erweitert (durch Kreuzung mit weiteren annotierten Formelmerkmalen) sowie auch datenmäßig aufgestockt (durch Einbezug auch weiterer Varianten jenseits der „zentralen Verfestigung“ eines Bildungstyps) eröffnen sich an dieser Stelle Perspektiven für weiterführende explorative Metaanalysen der annotierten Formeln, die hier jedoch nicht weiter verfolgt werden. 8.2 Methodologie Auch in methodischer Hinsicht soll im Folgenden kurz Bilanz gezogen werden. Auf der Habenseite ist zunächst zu vermerken, dass es trotz der in der Einleitung zitierten Herausforderungen möglich war, pragmatische Formeln und Marker der Quelldomäne sagen systematisch und exhaustiv zu inventarisieren, sie auch in ihrer formalen Vielgestalt im Korpus zu erheben und ihre Polyfunktionalität zu modellieren. Wo unser gesprochensprachliches Untersuchungskorpus FOLK nicht groß genug war, um auch seltenere sagen-Formeln nachzuweisen, konnten diese Lücken mit den sowohl nähesprachlichen als auch interaktiven Forendaten aus DECOW16B gefüllt <?page no="429"?> Methodologie 429 werden, die entsprechend auch die Basis der späteren Inventarisierungsstudie abgaben. 240 Die mehrschrittige Prozedur zur Ermittlung der Beschreibungskandidaten (N-Gramm-Analyse in FOLK, Ergänzung aus Wörterbüchern und Introspektion, Validierung in und sukzessive weitere Ergänzung aus DECOW16B) war aufwändig, allerdings auch ertragreich: 44% der am Ende als separate Verfestigung angesetzten Gebrauchsmuster waren so in keinem der konsultierten Wörterbücher gelistet (darunter mit wollt grad sagen auch einer der vier Marker aus den Vertiefungsstudien). Noch zeitintensiver war die eigentliche Erhebung der Kandidaten in DECOW16B mit ihrer schrittweisen Optimierung der verwendeten Suchausdrücke. Mit dem Vergleich der Typfrequenzlisten der aggregierten Treffervarianten gab uns dieses Verfahren aber eben auch ein korpusbasiertes Kriterium dafür an die Hand, welche Variante als die „zentrale Verfestigung“ eines gegebenen Bildungstyps zu bewerten und dann im Folgenden exemplarisch auszuwerten war. Für die anschließende pragmatische Systematisierung-- sowohl in den Formelüberblicken als auch in den Vertiefungsstudien-- erwies sich die Möglichkeit zur funktionalen Mehrfachklassifikation der untersuchten Ausdrücke in den vier angesetzten Bereichen als Schlüssel zum Erfolg, um die sich überlagernden Funktionsaspekte zu entflechten. Ein zweites wichtiges Moment lag in der analytischen Trennung von Funktion und Praktik, durch die im zweiten Schritt auch kontextuelle Merkmale (wie etwa eine bestimmte sequenzielle Bindung) zur Differenzierung des Verwendungsspektrums einer Form herangezogen werden konnten. Insbesondere bei nicht-handlungswertigen Praktiken, die nicht den „main job“ einer Äußerung vollziehen und insofern auch keine direkte Reaktion erforderlich machen, war es dabei nötig, eine Alternative zur konversationsanalytischen „next-turn proof procedure“ (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974) zu etablieren, nach deren Maßgabe die Klassifikation der einzelnen Belege vorzunehmen war. Als taugliches Kriterium hierfür erwies sich der Ersetzungstest mit einer für die individuelle Praktik distinktiven Paraphrase. Schließlich wurde mit dem in Kapitel-3 vorgestellten Konzept zur pragmatischen Kartierung ein Weg gefunden, die so herausgearbeiteten Zusammenhänge und Kontraste der systematisierten Praktiken auch visuell synoptisch darzustellen. 241 240 In der Einleitung zum Formelüberblick in Kapitel-7 wird hervorgehoben, dass noch die vermeintlich mündlichkeitsspezifischsten Formeln (wie etwa sag mal schnell zur Überbrückung von Verzögerungen im Rahmen einer Wortsuche), in DECOW16B belegt sind. Hier macht sich schlicht bemerkbar, dass das Webkorpus mehr als 6000-mal so groß ist wie unser mündliches Untersuchungskorpus, sodass sich auch für Seltenes und Untypisches in der Regel noch einige verstreute Belege darin finden lassen (im Fall von sag mal schnell dann allerdings tatsächlich nur noch sehr vereinzelt). 241 Wie jedes Diagramm sind unsere Karten notgedrungen selektiv, indem sie in kontextueller Hinsicht nur geteilte Positionsmerkmale und in struktureller Hinsicht nur übereinstimmende lexikalische und morphosyntaktische Eigenschaften abbilden. Soziolinguistische Prägungen einer Praktik beispielsweise (als mögliches weiteres Kontextmerkmal) bleiben damit ebenso unbeachtet wie etwaige lautliche Realisierungsbesonderheiten (als weiteres Formmerkmal). Anders als viele semantische Karten in der Sprachtypologie sind unsere Diagramme zudem auch nicht-direktional, d. h. sie enthalten we- <?page no="430"?> Fazit 430 Bezüglich des Mehrwerts der phonetischen Analysen kommen wir ebenfalls zu einem positiven Fazit. Dies gilt insbesondere für die Befunde zur (für uns zentralen) Frage, ob eine Form überhaupt als Marker konsolidiert ist oder nicht. In der in Kapitel-2 zitierten Passage zur Grammatikalisierung des englischen Partitivs a lot of zum (prospektiven) Quantor alotta stellt Langacker (2009, S.-79 f.) in diesem Zusammenhang die Möglichkeit in den Raum, dass die dekategorisierte und erodierte Zielform des Prozesses bereits für manche Sprecher zur eigenständigen Einheit geworden sein könnte, auch wenn in der Sprachgemeinschaft insgesamt wohl noch der analytische Zugriff auf die Struktur vorherrschend sei. Als Hinweise auf genau solche Konstellationen und Prozesse sind phonetische Befunde, wie sie in Kapitel- 5 bis 7 zur sich anbahnenden Univerbierung der dort untersuchten Marker formuliert werden, ganz offensichtlich von großem Interesse für die synchrone Erforschung von Grammatikalisierungsphänomenen. 242 Der größte Schwachpunkt unseres Vorgehens ist die nur unbefriedigende Operationalisierung des Verfestigungskonzepts. Wie in Kapitel-3 ausgeführt, ist es zwar unausweichlich, letztlich auf semantisch-pragmatische Merkmale zur Definition der untersuchten Bildungstypen zu rekurrieren, um überhaupt in irgendeiner Weise „hinter“ die je zu erfassenden formalen Varianten zu gelangen. Es wäre dennoch wünschenswert gewesen, auch dem Aspekt der kookkurrenziellen Usualität und Routinisierung der untersuchten Mehrworteinheiten in geeigneterer Weise Rechnung tragen zu können als durch den bloßen Vergleich von Tokenfrequenzen. In unserer in dieser Hinsicht simplistischen Herangehensweise reicht es für den Rang einer „zentralen Verfestigung“ aus, schlicht die höchste absolute Häufigkeit von allen alternativen Realisierungen desselben Typs aufzuweisen. Natürlich besteht aber ein Unterschied zwischen einerseits Ausdrücken, die im Korpus mehrere hunderttausendmal vorkommen und eine statistische Assoziation ihrer Komponenten aufweisen (wie etwa ehrlich gesagt), und andererseits solchen, die überhaupt nur auf eine Handvoll Treffer in einem Korpus von mehreren Milliarden Wortformen kommen (wie etwa sag mal schnell)- - auch wenn eben beide in ihrem jeweiligen Bildungstyp die häufigste Variante stellen. Leider liegt allerdings auch nicht auf der Hand, wie sich die Top-down-Orientierung der semantisch-pragmatischen Fundierung unserer Zielmuster mit einer strikt kookkurrenzbasierten Bottom-Up-Perspekder Angaben zu gerichteten Ableitungsbeziehungen zwischen einzelnen Praktiken („Pragmatikalisierungspfade“) noch zu den dafür verantwortlich gemachten konzeptuellen Extensionsmechanismen (Metonmyie, Metapher). Sie bewegen sich jedoch auch ohne diese Weiterungen bereits an der Grenze dessen, was sich noch leidlich anschaulich visualisieren lässt. Angesichts der notwendigen Selektivität der Darstellung betrachteten wir die drei ausgewählten Bereiche der lexikalischen und grammmatischen Gestalt, der indexikalischen Funktionsmerkmale in der Sprechsituation sowie der positionellen Kontexteigenschaften in Sequenz und Äußerung gegenüber den genannten Weiterungen auch für zentraler. 242 Ähnliches gilt auch für Effekte wie die als emergenten Wortakzent interpretierbare Verschiebung zur Erstsilbenbetonung in wie gesagt. <?page no="431"?> Theoretische Implikationen 431 tive geeignet verbinden ließe. In ähnlicher Weise mussten auch in späteren Schritten der Untersuchung Kompromisse gemacht werden, um die Durchführbarkeit des Vorgehens in der Breite zu gewährleisten. So sind die ersten 20 einschlägigen Belege, auf deren Basis die Funktionseinschätzungen in den Formelüberblicken formuliert wurden, als Datengrundlage sicher ausbaubar und die dazu formulierten Beobachtungen insofern auch mit Vorsicht zu interpretieren (bzw. als Einladung zur kritischen Überprüfung und Ergänzung zu verstehen). 8.3 Theoretische Implikationen Zum Abschluss der Darstellung kommen wir nun noch einmal auf drei theoretische Fragen zurück, die sämtlich in Kapitel-2 aufgeworfen wurden. Sie betreffen erstens den Diskursmarkerbegriff, zweitens eine mögliche Spezifik speziell von Markern der Quelldomäne sagen und drittens die theoretische Modellierung ihrer Entstehung als Grammatikalisierungsprozess. Zum ersten Punkt lautet unsere Schlussfolgerung, dass traditionelle Diskursmarkerdefinitionen große Teile des Inventars sprachlicher Ressourcen zur indexikalischen Metakommunikation schlicht nicht erfassen. Entsprechend würde die pragmatische Forschung in diesem Feld davon profitieren, sich hier von zu engen Begriffsbestimmungen zu lösen und stärker auch die gleitenden Übergänge in den Blick zu nehmen, die diesen Zielbereich beständig speisen. Zur Veranschaulichung sei hier noch einmal die bereits in Kapitel- 2 zitierte Definition von Narrog/ Heine (2021, S.- 303) wiederholt: Discourse markers are: (a) invariable expressions which are (b) syntactically independent from their environment, (c) typically set off prosodically from the rest of the utterance, and (d) their function is metatextual, relating an utterance to the situation of discourse, that is, to the organization of texts, speaker-hearer interaction, and/ or the attitudes of the speaker. Eines oder mehrere der ersten drei Merkmale auf dieser Liste treffen auf viele der in Kapitel-4 bis 7 beschriebenen Ausdrücke nicht zu: Mit Ausnahme sehr weniger Beispiele (wie etwa sage und schreibe, wer sagt’s denn und will sagen) ist die überwältigende Mehrheit der in Kapitel-4 bis 7 beschriebenen Ausdrücke gerade nicht formal invariant, sondern innerhalb bestimmter, idiomatisch restringierter Grenzen umstell- und erweiterbar (Kriterium (a)). Ebenso können zum Beispiel verfestigte Matrixsätze, die mit syntaktisch subordinierten Komplementsätzen auftreten (vgl. wer sagt denn + dass-Satz, ich kann dir gar nicht sagen + w-Satz, es ist schwer zu sagen + ob-Satz), nicht als syntaktisch „desintegriert“ (bzw. in manchen Ansätzen: „optional“) bezeichnet werden (Kriterium (b)). Stattdessen handelt es sich hier um Strukturen der regulären Satzgrammatik, deren verfestigte Form dennoch für eine bestimmte besondere Gesprächsfunktion reserviert ist. Kriterium (c), die prosodische Absetzung vom Rest der Äußerung, ist eng mit (b) verbunden und kennzeichnet <?page no="432"?> Fazit 432 neben Operatoren am linken und rechten Äußerungsrand (wie etwa Konnektoren und Rückversicherungspartikeln) auch parenthetisch eingeschobene Äußerungskommentare. Wie wir gesehen haben, ist die Frage der prosodischen (Des-)Integration aber weniger eindeutig als vermutet und auch kein geeignetes Definitionsmerkmal. Einzig Kriterium (d) in dieser Auflistung- - die indexikalische Funktion, eine Äußerung auf subjektive Einschätzungen des Sprechers, auf sein Verhältnis zum Adressaten oder auf Strukturmerkmale des Gesprächs zu beziehen-- ist unseres Erachtens geeignet, um die Gruppe der avisierten (nämlich: pragmatisch beschreibungsrelevanten) Verfestigungen abzustecken, ohne sie von vorneherein theoriegesteuert zu beschneiden. Der zweite Punkt betrifft die am Ende des zweiten Kapitels zitierte Hypothese, die Verwendung pragmatischer Marker der Quelldomäne sagen sei ein Indiz für ein wie auch immer geartetes Problem, das die metakommunikative Kommentierung mit dem verbum dicendi überhaupt erst erforderlich mache. 243 Hierzu lässt sich sowohl fragen, ob dies tatsächlich ein Spezifikum insbesondere indexikalischer Ausdrücke mit sagen ist, als auch, ob sich diese Einschätzung vor dem Hintergrund der in Kapitel-4 bis 7 inventarisierten Ausdrücke überhaupt so aufrechterhalten lässt. Zur ersten Frage wurde bereits in Kapitel-2 festgestellt, dass die Warnung vor „möglichen Schwierigkeiten im Sinngebungsprozeß“ (Auer 1981, S.-307) zu den Funktionen von indexikalischen Ausdrücken im Allgemeinen gezählt wird, mithin also nicht nur spezifisch Ausdrücken der Quelldomäne sagen. Wollte man empirisch beantworten, ob sie-- zunächst einmal nur in einer einzelnen Sprache-- tatsächlich häufiger mit Ausdrücken der lexikalischen Quelldomäne A als mit solchen der Quelldomänen B, C, D-… verbunden ist, wäre erstens eine genauere Operationalisierung nötig, unter welchen Bedingungen man einem Ausdruck die Anzeige eines solchen „Problems“ bzw. einer „Schwierigkeit im Sinngebungsprozess“ zuschreiben kann, und zweitens ein (quantitativer) Vergleich der Ausdrücke der kontrastierten Quelldomänen. In Ermangelung entsprechender Daten können wir zu dieser Frage hier nichts sagen. Möglich ist aber eine Stellungnahme zur zweiten anhängigen Frage, nämlich ob sich diese Behauptung auch nur für alle Ausdrücke mit sagen aufrechterhalten lässt. Natürlich ist auch diese Frage wieder davon abhängig, was man als indikativ für das Vorliegen eines entsprechenden „Problems“ erachtet. Unserer Auffassung nach liegt eine solche Konstellation bei einer Vielzahl der in Kapitel- 4 bis 7 systematisierten Ausdrücke aber nicht vor (vgl. sag mal, wie man so schön sagt, sage und schreibe, du sagst es, da sage ich nicht nein, das sagt alles, unter uns gesagt, ich kann dir gar nicht sagen + w-Satz und noch einige mehr). Wir können die von Lansari (2020) formulierte Annahme insofern nicht teilen und stehen der Idee, den zahlreichen im Zuge dieses Buches beschriebenen Ausdrücken eine geteilte schematische Kernbedeutung zuzuschreiben, auch generell skeptisch gegenüber. 243 Vgl.: „This feature might actually be the common denominator to a hypothetical class of DMs of saying“ (Lansari 2020, S.-218). <?page no="433"?> Theoretische Implikationen 433 Der letzte Punkt betrifft die Grammatikalisierungsfrage-- und damit einhergehend auch noch einmal die übrigen in Kapitel- 2 in diesem Zusammenhang diskutierten Konzepte (Lexikalisierung, Pragmatikalisierung, Kooptation). Grundlegend betrachten wir die Entstehung der hier untersuchten Art pragmatischer Marker-- nämlich solcher aus phrasalen Quellstrukturen- - zunächst einmal als Fall von Lexikalisierung. Im Sinne der Bestimmungen in Kapitel-2 und anknüpfend an Diewald/ Smirnova (2012) sehen wir zusätzlich auch Grammatikalisierung als gegeben, wenn der entsprechende Ausdruck Anzeichen von Integration in ein (stärker) grammatisches Paradigma zeigt. Damit ist klar, dass die Entscheidung über den theoretischen Status der hier untersuchten Strukturen nicht quasi en bloc für die gesamte Klasse getroffen werden kann, sondern je fallspezifisch die individuelle Konstruktion und die für sie geltenden Verwendungsrestriktionen zu betrachten sind. Auf dieser Basis wurde festgestellt, dass das in Kapitel-4 untersuchte sozusagen als geltungsmodalisierendes Adverb rekategorisiert (da isoliert vorfeldfähig) ist, sodass sich hier neben indexikalischer Bedeutung auch von paradigmatischer Integration und ergo auch von Grammatikalisierung sprechen lässt. 244 Das in Kapitel-5 untersuchte sagen wir ist in seiner dominanten Praktik eine funktionale Konkurrenzform, die auf dasselbe Paradigma zusteuert, im Vorfeld (als dem isolierenden Kontext einer Reanalyse als Adverb) kann es jedoch nicht auftreten. Es ist daher nicht zweifelsfrei diesem Paradigma zuzuordnen und somit auch nicht klar grammatikalisiert. Bei dem in Kapitel- 6 analysierten wollt grad sagen lässt sich trotz seiner vergleichsweise schwach ausgeprägten lexikalischen Formkonvergenz hingegen von einem Verlust syntaktischer Projektivität (als Merkmal seiner Quellverwendung als Matrixsatz) bei gleichzeitiger Rekategorisierung als Responsiv sprechen, sodass hier wiederum Grammatikalisierung vorliegt. Lexikalisiert und autonom vorfeldfähig ist schließlich auch das in Kapitel- 7 untersuchte wie gesagt, das sich von seiner evidenziellen Quellstruktur durch seine gesprächsorganisatorische Funktionalität abhebt, in das Paradigma der Adverbkonnektoren übergetreten und somit ebenfalls grammatikalisiert ist. Schwieriger zu beantworten ist, welchen kategorialen Status diese Ausdrücke vor ihrer Grammatikalisierung besaßen (bzw. im Fall von sagen wir noch immer besitzen). Diese Frage betrifft die hier untersuchten sagen-Formeln wie generell alle Arten von „extragrammatical idioms“ (Fillmore/ Kay/ O’Connor 1988) mit indexikalischen Gesprächsfunktionen, die in ihrem strukturellem Zwischenstadium weder prototypisch lexikalisch noch regulär kompositionell sind, funktional jedoch dieselben Paradigmen speisen wie andere Konstruktionen auch. Aufgeworfen ist damit wiederum die Frage der Diskursmarker und ihrer sprachtheoretischen Einordnung. Die Kooptationstheorie gibt ihnen ein eigenes Zuhause: weder im Lexikon, noch in 244 Angesichts seiner nicht-finiten und subjektlosen Quellstruktur (die mithin von Anfang an kein sonderlich typischer Satz war) ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass es von allen untersuchten Markern mit sententialen Quellstrukturen ausgerechnet sozusagen ist, das seinen ursprünglichen kategorialen Status am deutlichsten verloren hat. <?page no="434"?> Fazit 434 der Grammatik (verstanden als „sentence grammar“), noch irgendwo auf einem Kontinuum dazwischen, sondern in einem dritten Bereich eigener Art, der sogenannten „Thetischen Grammatik“ (vgl. Kap.-2). Die Frage, ob dieser „catalog of thetical formulae and constructions“ (Heine 2013, S.-14) die Ansetzung eines sprachlichen Systems ganz eigener Art rechtfertigt, oder ob er nicht Bestandteil desselben, einen, einheitlichen sprachlichen Konstruktikons mit seinen beiden Polen Lexikon und Grammatik sein kann wie andere Arten von „interactives“ (Heine 2023) auch (wie etwa Interjektionen), wird die theoretische Debatte um diese Einheiten weiter beschäftigen. Für unsere Analyse spielt es letzlich aber keine Rolle, ob statt von „Lexikalisierung“ von einer „Kooptation als Thetical“ gesprochen wird, solange der prinzipielle Unterschied von lexikalisierten/ kooptierten Markern einerseits und zusätzlich auch grammatikalisierten andererseits dabei benennbar bleibt. <?page no="435"?> LITERATUR Ágel, Vilmos (2017): Grammatische Textanalyse: Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin/ Boston: De Gruyter. Aijmer, Karin (1996): Conversational routines. 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B. ist ehrlich gesagt zusammengefasst mit offen gesagt, nicht aber mit grob gesagt, besser gesagt oder gelinde gesagt). - Es handelt sich um einen Index tatsächlich behandelter Realisierungen: Gelistet sind ausschließlich Ausdrücke, die auch tatsächlich in angeführten Belegen auftreten und im Text diskutiert werden. Vielfach sind weitere Varianten einer gegebenen Formel vorstellbar und auch im Korpus nachgewiesen, jedoch nicht unabhängig mit Textbeispielen im Buch vertreten. - Einträge in Fettdruck verweisen auf „zentrale Verfestigungen“ eines Bildungstyps im Sinne von Kapitel- 3: Ausdrücke, die die dominante lexikalischgrammatische Realisierung eines gegebenen semantisch-pragmatischen Bildungsmusters in unseren Daten darstellen. Diese Varianten sind es auch, die in den Formelüberblicken in Kapitel- 4 bis 7 in den Konstruktionsdiagrammen am Ende der Darstellung der 78 identifizierten Formeln abgebildet werden. - Ist ein konstitutiver Bestandteil einer Formel lexikalisch variabel, wird das in der Regel durch eine Auflistung belegter Varianten kenntlich gemacht: „Variante 1 / Variante 2 / Variante 3 / …“. In solchen Auflistungen wird die typischste Variante zuerst genannt, danach folgen maximal zwei weitere in alphabetischer Anordnung (vgl. besser/ anders/ genauer/ … gesagt). Ändert sich mit der lexikalischen Ersetzung auch gleichzeitig die grammatische Struktur (vgl. jemand kann etwas schwer sagen vs. etwas lässt sich schwer sagen vs. etwas ist schwer zu sagen), werden dagegen separate Einträge angesetzt. - Rein fakultative Modifikatoren stehen in Klammern. Sind in den behandelten Daten mehrere Modifikationsvarianten belegt, werden bis zu drei gelistet. Optionale Modifikatoren zu Beginn einer Formel beeinflussen nicht die alphabetische Einordnung der Formel in den Index (die sich dann nach dem zweiten Element des Eintrags richtet). - Sind Verbargumente einer Formel variabel, aber semantisch beschränkt, werden die zulässigen Varianten gelistet (vgl. ich/ man, du/ ihr/ Sie). Ist die entspre- <?page no="464"?> Index behandelter Ausdrücke 464 chende Position hingegen komplett unrestringiert, werden Argumentvariablen wie „X“ und „Y“ verwendet. Argumentvariablen zu Beginn einer Formel beeinflussen nicht die alphabetische Einordnung der Formel in den Index (die sich dann nach dem zweiten Element des Eintrags richtet). - Stellungsvariable Formeln (vgl. ich sag mal/ sag ich mal) werden gemäß ihrer häufigsten Realisierung in den Daten angeführt. - Alle gelisteten Ausdrücke sind orthografisch normalisiert (vgl. (na) wer sagt’s denn > (na) wer sagt es denn). A aber nicht sagen 153 anders lässt sich das nicht sagen 131 B bei X sagt man das so 125 besser / anders/ genauer gesagt 55, 85, 221, 369-371, 371, 372, 428 blöd/ salopp/ stumpf/ … gesagt 149 D dagegen ist (auch) nichts zu sagen 101, 107, 137 da(gegen) kann X nichts/ wenig/ … sagen 67, 71, 74, 81, 90, 91, 100, 101, 106, 107, 113, 136, 421 da kann man sagen, was man will 138 dann habe ich nichts gesagt 307-308 dann will ich nichts gesagt haben 307 da sage mal/ noch einer 281 da sagst du (ja) was (Wahres…) 194, 311-312 da sagt X (natürlich) nicht nein 196-198, 432 das brauchst du mir nicht zu sagen 314 das darf/ kann ich/ man (ja) (…) nicht laut sagen 231 das/ es/ … kann ich beim besten Willen nicht/ nicht mit Bestimmtheit/ … sagen 292 Das/ es kann X/ lässt sich (natürlich) (auch) freundlicher/ netter/ sachlicher/ … sagen 207 das habe ich doch/ ja (neulich/ schon/ von Anfang an/ …) gesagt 273, 274 das habe ich (ja) (auch) nicht gesagt 191, 198-200 das hat nichts zu sagen 287 das hätte ich dir auch sagen können 275-276 das hätte X auch/ doch eher/ gleich/ … sagen können 276 (das ist) leichter gesagt als getan 284 das ist nicht anders zu sagen 131 das ist (noch lange) nicht gesagt 316 das ist schwer zu sagen 201, 272, 289-293 <?page no="465"?> Index behandelter Ausdrücke 465 das kann (ja) jeder sagen 316-318 das kann man (getrost) so sagen 192-193, 195 das kann man (jetzt) (so) nicht sagen 191, 200-201, 208 das kann man wohl sagen 191, 195-196, 427 das kannst du (aber) laut sagen 195 das kannst du nicht sagen 207 das kann/ will ich dir/ euch/ … sagen 108, 130, 193 das lässt sich ohne Übertreibung/ … sagen 134 das lässt sich schwer sagen 290 das muss nichts (zu) sagen (haben) 287 das musst du gerade sagen 85, 277-278 das musst du mir nicht sagen 314 das musste mal gesagt werden 227 da soll noch einer sage n 280-282, 427 das sage ich dir/ euch/ Ihnen 129, 130 das sage ich doch 123, 274 das sage ich ganz bewusst 123 das sagen X (doch) alle 278-280 das sagst du (, nicht ich) 199, 277 (und) das sagt (ausgerechnet/ gerade) X 277, 278 das sagt mir (irgend)(et)was 299, 300 das sagt mir nichts 299 das sagt rein gar nichts 286 das sagt (schon) alles / vieles 285-289, 432 das sagt X (natürlich/ so/ …) einfach/ leicht 282, 283 das/ sowas ist immer leicht/ schnell/ … (dahin)gesagt 282, 283 das/ sowas lässt X sich (ja) nicht zweimal sagen 197 das / sowas muss X sich nicht sagen lassen 19, 210-211 das / sowas sagt man nicht 208-209 das wäre zu viel gesagt 200 das will ich (ganz) ausdrücklich/ deutlich/ offen/ … sagen 10, 55, 123 das will/ möchte/ würde ich (so/ damit) (gar) nicht (unbedingt) sagen 142, 200 das will schon was sagen 287 das wird dir (höchstwahrscheinlich/ …) nichts sagen 299 das wird X ( ja / doch) wohl noch sagen dürfen 203-205 das würde ich an deiner/ … Stelle nicht zu laut sagen 206 dazu ist/ wäre (noch) (einiges) zu sagen 364, 365 dazu/ soviel/ … kann ich/ man (nur) sagen 133 du sagst es 191, 193-195, 428, 432 du sagst jetzt nichts 380 E ehrlich / offen/ provokant/ … gesagt 53, 55, 191, 220-226, 257, 426, 430 es/ jetzt/ … kann/ möge/ soll (mir) (bitte) keiner sagen 153, 280, 281 es wird (ja) gesagt 294 <?page no="466"?> Index behandelter Ausdrücke 466 F freundlich könnte man sagen 222 G gelinde gesagt 222 (ganz/ sehr) grob / allgemein/ pauschal gesagt 272, 293-294 I ich darf / kann sagen 228-230, 231 ich habe dir/ es schon tausendmal/ wiederholt/ … gesagt 127 ich habe dir etwas zu sagen 303 ich habe doch gar nichts gesagt 308-309 ich habe mir sagen lassen 294, 295 ich habe X (schon) sagen hören 294 ich hätte (fast/ mal/ spontan/ …) gesagt 143-144, 211 ich kann ( dir / euch) gar nicht sagen, w-… 89, 136, 431, 290, 432 ich kann für mich/ von mir sagen 134 ich/ man mag/ will es (ja) kaum/ (gar) nicht sagen 226, 227 ich/ man muss es (leider) so sagen 226 ich meine das/ es so, wie ich es sage 127 ich muss dazu sagen 354, 364-366 ich muss dir / euch (et) was sagen 270, 303-304 ich muss immer wieder/ … sagen 126 ich muss sagen 55, 120, 131-133, 226, 427 (also) ich muss schon sagen 202-203, 209 ich pflege zu sagen 125 ich sage bloß/ nur 120, 221, 304-305 ich sage (es) dir/ euch/ … 56, 119, 120, 131, 428 ich sage es (dir) (jetzt) (gerne) noch einmal / mal wieder/ zum letzten Mal/ … 124, 126-129 ich sage (es) (gleich) (ganz) ehrlich/ offen/ schonungslos/ … 9, 10, 123, 223 ich sage es in aller Bescheidenheit 223 ich sage es mal (so) platt/ salopp/ … 148 ich sage es (so), wie es ist 224 ich sage (jetzt) (einfach) mal (so) 53, 56, 86, 87, 89, 99, 120, 147-149, 235, 236, 239, 248 ich sage nicht 119, 120, 141-143 ich sage vorab 123 ich sage 119, 120-123, 426 ich sage ja gar nichts 308 ich will (damit) bloß/ nur/ … sagen 55, 357, 358, 359 ich will dir/ Ihnen/ … (mal) was sagen 302 ich will ja nichts sagen, aber… 191, 226-228 ich will/ möchte/ täte/ würde (damit/ dazu) (mal) sagen 9, 55, 85, 99, 122, 133, 144, 147, 192, 211, 360, 364 <?page no="467"?> Index behandelter Ausdrücke 467 ich will/ möchte/ täte/ würde (damit) (gar) nicht sagen 142, 360 ich wollte (es) (dir/ euch) (eigentlich/ nämlich/ sowieso/ …) (noch/ schon/ vorhin/ …) sagen 305, 335, 356 im Vertrauen gesagt 230 J jeder sagt immer 279 jetzt, wo du es sagst 102, 270, 272, 307, 309-311 K X kann (auch) nicht sagen, dass/ ob/ w-/ … 142, 290, 291 X kann das/ es (leider) (auch) nicht (genau) sagen 290, 292 X kann noch so oft/ Y-mal sagen, dass… 137, 138 können/ sollen/ wollen wir sagen 212 kurz gesagt 55, 167, 169, 370 L lassdir/ euch/ … sagen/ gesagt sein 130 lass es mich so sagen 150 lass(t) (uns) (mal) sagen 102, 214, 215 M man kann es nicht anders sagen 131 man kann es nicht oft genug sagen 127 man kann sagen 120, 133-135, 144 (also/ …) man kann sagen, was man will / mag/ möchte 105, 107, 136-138, 421 man kommt nicht umhin zu sagen 131 man könnte sagen 118, 120, 144-145, 160, 173, 215, 239, 248, 354 man sage nicht 153 man sagt 102, 271, 272, 294-295, 428 man sollte dazu sagen 365 N nebenbei gesagt 55, 370 S sag bloß 272, 312-313 sag das nicht mir 314 sag das nicht (so/ zu laut) 191, 205-207, 421 sag (doch) mal schnell / eben/ gerade 19, 353, 376-378, 380, 429, 430 ( (ja) / also) sag mal 209-210, 218, 424 (aber) sag nicht 153-154, 205, 280, 421 <?page no="468"?> Index behandelter Ausdrücke 468 sagen wir (es) (mal) (so) 13, 52, 54, 55, 56, 86, 94, 149, 189, 191, 2011-214, 214-216, 233-267 (Vertiefungsstudie), 318, 346, 407, 425, 433 sage und schreibe 86, 98, 120, 140-141, 431, 432 sag jetzt nichts (Falsches) 378-380, 421 sag mal 9, 50, 53, 55, 56, 87, 149, 191, 209, 216-218, 426, 432 sagte ich X 367 sagt man das so 151 sag, was du willst 105, 107, 136, 137, 421 so gesagt 96, 108, 150 so kann man das sagen 192 (und) soll ich dir (mal) was sagen 301-303 soll mir das was sagen 300 sonst kann ja jeder (daher)kommen und sagen 317 sorry, dass ich das so sage 226 so sagt man 294 sozusagen 9, 10, 13, 53, 86, 112, 117, 120, 145, 149-151, 154-188 (Vertiefungsstudie), 215, 233, 234, 239, 248, 265, 266, 318, 329, 339, 346, 381, 407, 416, 419, 422, 423, 425, 433 T tut mir leid, das zu sagen 226 U um die Wahrheit zu sagen 224 um es brutal/ frank und frei zu sagen 223 um es / das (klipp und) klar / (ganz) deutlich zu sagen 55, 123-124, 149, 221 um es ((ein)mal) so zu sagen 180 um es gleich/ kurz zu sagen 55, 369 um es vorsichtig zu sagen 149, 223 um nicht zu sagen 85, 354, 368-369, 372 unter uns / vier Augen gesagt 191, 230-232, 432 V vorweg gesagt 369 W was habe ich denn gesagt 308 was habe ich (dir) gesagt 102, 272-275, 366 was ich (damit/ noch) sagen wollte 83, 354, 359, 360 was ich damit sagen will / möchte 354, 362 was ich dazu sagen muss 365 was kann ich sagen 363 was man (auch) (immer) gegen X sagen kann/ mag 105, 107, 136, 421 was man sagen kann 133 <?page no="469"?> Index behandelter Ausdrücke 469 was sage ich 362, 366-368, 368, 372, 426 was sagen wir 55 was sagt das schon 287 was sagt man (denn) dazu 295-296 was soll das schon sagen 288 was soll ich sagen 139, 354, 364 was soll man dazu (noch) (groß) sagen 140, 363 was soll mir das sagen 300 was willst du damit sagen 373, 374, 375, 378 (irgend )was wollte ich (jetzt) (noch) sagen 87, 354, 355-357, 363, 372, 377 , 427 was X nicht sagt 312, 313 wem sag(st) ( du / ich) das 89, 90, 313-314, 427 wenn du das sagst 298 wenn / falls/ sofern X das ( so / mit diesen Worten/ noch kurz/ …) sagen kann / darf/ will 55, 118, 146-147, 160, 228, 229 wenn ich es dir doch sage 127, 128 wer kann das schon sagen 291, 292 wer kann schon sagen, ob/ w-… 291 (na) was sagst du / … (da(zu) / jetzt) 55, 218-220, 296 wer sagt denn (bitte/ eigentlich/ überhaupt/ …), dass… 315-316, 431 (na) wer sagt es denn 284-285, 431 wie gesagt 9, 10, 13, 19, 55, 56, 63, 83, 84, 87, 128, 174, 329, 346, 353, 354, 355, 372-373, 381-420 (Vertiefungsstudie), 423, 424, 425, 430, 433 wie ich/ man (mal) sagen möchte/ will 133, 147, 152 wie ich sage 122 wie ich sagen darf 151, 228 wie ich sagen muss 132, 227 wie kannst du (sowas) (nur) sagen 208 wie man sagt 152, 295 wie sage ich/ sagt man (das/ es) 151 wie soll / kann ich / man (das/ es) sagen 56, 120, 151-153, 426 wie X (immer) so schön sagt 56, 124-126, 294, 295, 427, 432 will sagen 112, 354, 371-372, 431 willst du damit sagen 83, 87, 354, 373-376 (ich) wollte gerade sagen 13, 53, 56, 87, 99, 194, 269, 305-307, 309, 407, 423, 425, 429, 433 <?page no="470"?> ISBN 978-3-8233-8608-7 Sagen ist das häufigste lexikalische Verb im gesprochenen Deutsch. Es tritt in zahlreichen verfestigten Wendungen mit besonderen Gesprächsfunktionen auf - beispielsweise um Aussagen abzuschwächen, Aufmerksamkeit zu steuern, Wissen anzuzeigen oder das Thema zu wechseln. Neben einer Dokumentation und Systematisierung des Gesamtbestands dieser Ausdrücke im gesprochenen Deutsch bietet der Band exemplarische Detailstudien der pragmatischen Marker sozusagen, sagen wir, wollt grad sagen und wie gesagt aus interaktionslinguistischer und konstruktionsgrammatischer Perspektive. Im Fokus steht dabei zum einen der Zusammenhang der verschiedenen Gesprächsfunktionen untereinander, für die ein Ansatz zur pragmatischen Kartierung entwickelt wird. Ein zweiter Untersuchungsschwerpunkt liegt auf ihrer formseitigen Verfestigung durch lautliche Reduktion und Verschmelzung bis hin zur Univerbierung. Zeschel / Knöbl / Fellert / Müller / Brackhane Pragmatische Marker mit sagen 87 Arne Zeschel / Ralf Knöbl / Christiane Fellert / Nora Müller / Fabian Brackhane Pragmatische Marker mit sagen Funktion - Verfestigung - Phonetik STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES LEIBNIZ-INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE