Colloquia Germanica
cg
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
10.24053/CG-58-0002
0630
2025
581
"Show, don't tell" als Schreibtechnik bei Hannah Arendt
0630
2025
Friederike Wein
Der Beitrag widmet sich einer Gruppe von Texten Arendts, die bisher vorrangig als Essays diskutiert wurden. Auf Basis einer genauen Lektüre von Arendts Texten zu Sarraute, Gilbert und Varnhagen untersucht der Beitrag, wie und wann sich Arendt des Genres des Porträts bedient. Als stilistisches Charakteristikum wird Arendts Zitationstechnik identifiziert, durch welche sie kunstvoll Nähe zur porträtierten Person etabliert, aber auch ihre eigene Sichtweise subtil kommuniziert. Im Kontrast zu theoretischeren Essays oszilliert Arendts Stimme stärker zwischen kritischer Distanz und intimer Nähe zum diskutierten Subjekt; Arendt fungiert in ihren Porträts als Sprachrohr in einem Überlieferungszusammenhang, dessen Nachvollzug einen genauen editorischen Blick fordert, der aber für die gemeine Leseerfahrung nicht notwendige Voraussetzung ist.
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“Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 9 DOI 10.24053/ CG-58-0002 “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt Friederike Wein Freie Universität Berlin Abstract: Der Beitrag widmet sich einer Gruppe von Texten Arendts, die bisher vorrangig als Essays diskutiert wurden� Auf Basis einer genauen Lektüre von Arendts Texten zu Sarraute, Gilbert und Varnhagen untersucht der Beitrag, wie und wann sich Arendt des Genres des Porträts bedient� Als stilistisches Charakteristikum wird Arendts Zitationstechnik identifiziert, durch welche sie kunstvoll Nähe zur porträtierten Person etabliert, aber auch ihre eigene Sichtweise subtil kommuniziert� Im Kontrast zu theoretischeren Essays oszilliert Arendts Stimme stärker zwischen kritischer Distanz und intimer Nähe zum diskutierten Subjekt; Arendt fungiert in ihren Porträts als Sprachrohr in einem Überlieferungszusammenhang, dessen Nachvollzug einen genauen editorischen Blick fordert, der aber für die gemeine Leseerfahrung nicht notwendige Voraussetzung ist� Keywords: Hannah Arendt, literary portraits, citation style, Rahel Varnhagen Neben ihren bekannteren Werken und Essays hat Hannah Arendt im Laufe ihres Lebens zahlreiche kleinere Arbeiten verfasst, die wenige Sätze bis einige Seiten lang sein können� Ihre Anzahl bewegt sich im niedrigen dreistelligen Bereich� Oft sind dabei Betrachtungen zur Literatur vertreten, in denen sie einzelne Werke, Autorinnen und Autoren oder literarische Entwicklungen analysiert� Diese kleinen literarischen Texte lassen sich in zwei Gruppen einteilen: In der ersten werden die Grenzen der Gattung bzw� Textsorte weitestgehend eingehalten, dies betrifft am ehesten Rezensionen. 1 Die zweite - deutlich umfangreichere - Gruppe überschreitet Gattungsgrenzen� Bei dieser zweiten Gruppe von Texten erweist sich die Zuordnung als entsprechend schwierig; sie wurden bei der Erstveröffentlichung als Rezensionen oder Nachworte überschrieben, in der neueren Forschung werden sie aufgrund ihrer Gattungsoffenheit eher als “Essays” be- 10 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 zeichnet. Dieser Überbegriff verstellt allerdings den Blick dafür, dass es sich bei den Texten weder inhaltlich noch stilistisch um eine homogene Gruppe handelt, was sich insbesondere beim kritischen Edieren von Arendts Texten zeigt� 2 Auch diese zweite Gruppe lässt sich in zwei Untergruppen einteilen. Ausgehend von mehreren Close Readings soll daher im Folgenden für eine Differenzierung in Essays und Porträts plädiert werden, auch in Abhängigkeit von der Distanz, die Arendt jeweils zum Untersuchungsgegenstand einnimmt. Bei den eigentlichen Essays stehen Arendts eigene Überlegungen im Vordergrund, und es wird mehr Distanz zum Ausgangstext aufgebaut wie zum Beispiel in der Rezension zu Raïssa Maritains Adventures in Grace � 3 In den anderen Texten tritt Arendt als Verfasserin der Texte in den Hintergrund, indem sie sich eines ganz speziellen Zitierstils bedient, wenn sie sich einzelnen Werken, Autorinnen oder Autoren zuwendet� Für diese letzte Gruppe wird im Folgenden die Bezeichnung Porträt vorgeschlagen, den zum Beispiel auch Susannah Young-Ah Gottlieb in ihrer Einleitung zu Reflections on Literature and Culture einführt (XXVIII)� Der Begriff Porträt bildet einen Rahmen, der jedoch nicht zu eng gesetzt ist. Anders als die ausnahmslos personenbezogene Biographie lässt sich dieser Begriff erweitern als Bildnis eines Menschen, einer Zeit, eines Geschehens, eines Werkes� Porträts erfordern keine chronologische Abfolge, keinen Lebensverlauf, nicht einmal ein vollständiges Bild, sondern lediglich einen Ausschnitt dessen� Sie sind einerseits nur und andererseits vor allem ein Abbild von etwas� Sie entstanden bei Arendt bezogen auf konkrete Situationen, darunter Laudationen wie auf Jaspers oder Heidegger oder Nachrufe wie auf Auden, aber auch ohne bestimmte tagesaktuelle Anlässe wie Rahel Varnhagen , der Text zu Mich hat kein Esel im Galopp verloren oder Nathalie Sarraute� 4 Für die Porträts sind eine hohe Anzahl und schnelle Abfolge von Zitaten und eine stilistische Angleichung an die jeweils besprochenen Autorinnen und Autoren charakteristisch� Dabei löst Arendt die Zitate aus ihrem ursprünglichen Kontext, verwebt sie miteinander und schafft so einen eigenen, literarisch anmutenden Text� Es gelingt ihr, die Verfasserinnen und Verfasser der Texte, die sie erörtert, für sich selbst sprechen zu lassen - eine Art erzählendes “Show, don’t tell” unter den Vorzeichen eines wohlwollenden Erschließens von anderen Texten� 5 Solche Texte zu schreiben ist insofern auch Kunstform und “Literatur”� Arendts Porträts akzentuieren durch Zitatmontagen und andere Schreibtechniken all das, was die Verfasserin für signifikant hielt. Diese spezielle Schreibart soll im Nachfolgenden an drei Beispielen aufgezeigt werden: dem Text über Nathalie Sarrautes Roman The Golden Fruits , jenem über Mich hat kein Esel im Galopp verloren von Robert Gilbert sowie ihrer biographischen Darstellung der Rahel Levin Varnhagen, die, obwohl keine dieser kleineren Arbeiten, die Cha- “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 11 DOI 10.24053/ CG-58-0002 rakteristika dieser Schreibtechnik mit ihnen teilt und einer der ersten dieser Art Texte von Arendt ist� 6 Nathalie Sarraute ist eine Schriftstellerin, die dem nouveau roman zugeordnet wird� Arendt ist ihr nachweislich mindestens zwei Mal persönlich begegnet� 7 Arendts “Rezension” zu The Golden Fruits wurde im März 1964 auf Englisch veröffentlicht. Eine Übertragung ins Deutsche von Wolfgang von Einsiedel erschien wenig später in der Zeitschrift Merkur , in der der Text schon nicht mehr als Rezension gekennzeichnet ist� Die Übersetzung wurde später erneut - als Nachwort zu einer Taschenbuchausgabe von Das Planetarium , einem anderen Roman Sarrautes, neu abgedruckt - “Mit einem Essay von Hannah Arendt”, wie es auf dem Titelblatt heißt� 8 Hier wurde der Text also plötzlich der Gattung “Essay” zugeordnet und an ein ganz anderes Werk angehängt� Schon diese Praxis der Übertragung und Art der Kontextverschiebung ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Frage nach der Gattung bzw� Textsorte einer genaueren Betrachtung bedarf� Vor The Golden Fruits waren drei andere Romane Sarrautes in englischer Übersetzung im Verlag George Braziller veröffentlicht worden: 1958 Portrait of a Man Unknown , ein Jahr später Martereau und schließlich 1960 The Planetarium � Auf alle drei nimmt Arendt in der Rezension auch Bezug� In ihrer Bibliothek am Bard College, NY, haben sich Exemplare aller vier Titel sowohl auf Englisch als auch auf Französisch erhalten� Zudem besaß sie Sarrautes 1963 publizierte Essaysammlung The Age of Suspicion , allerdings nur auf Englisch� 9 Bearbeitungsspuren wie Anstreichungen, Unterstreichungen oder Anmerkungen am Rand weisen dem Online-Katalog der Stevenson Library (Bard College) zufolge dabei nur die englischen Fassungen auf. Solche Markierungen befinden sich häufig an Textstellen, die Arendt auch in ihren Texten verwendet hat� 10 Die französischen Fassungen, so hat es den Anschein, waren ausschließlich zur privaten Lektüre, während die englischen Ausgaben zur Re-Lektüre gedacht waren und gleichzeitig als Textgrundlage für ihre Rezension zu den Werken Sarrautes dienten� 11 Anders als Sarraute war Robert Gilbert ein enger Freund Arendts� 12 Es verwundert daher nicht, dass sie alle seiner sechs Gedichtbände besaß� 13 Sie war es sogar, die auch den Kontakt zwischen Gilbert und einigen ihrer eigenen Verleger hergestellt hatte (Bertheau 109)� Zu dem Lyrikband Mich hat kein Esel im Galopp verloren steuerte sie nicht nur das Nachwort bei, sondern bestimmte die Gedichtauswahl mit und lektorierte (Bertheau 109—10)� Verglichen mit Sarraute ist Arendts Verhältnis zu Autor und Text hier also insgesamt ein deutlich anderes� Gilberts Gedichte sind in vielerlei Hinsicht von seiner eigenen Biographie geprägt - von der Zeit als Liedermacher in der Weimarer Republik, dem erlebten Unrecht in der frühen Zeit des Nationalsozialismus und seiner Emigration sowie der schwierigen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg� 14 Trotz der damit verbunde- 12 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 nen Themen wie Armut und Verfolgung schlägt Gilbert oft einen jovialen Ton an� Bereits in einer Rezension aus dem Jahr 1946 zu Meine Reime, deine Reime , 15 so liest es sich zwischen den Zeilen, schätzte Arendt an ihm, wie er die schweren Themen mit einer gewissen Leichtigkeit und gleichzeitig Respekt artikulieren konnte (“The Streets of Berlin” 351)� Hier hob sie außerdem hervor, Gilbert “does not hesitate to print, along with a number of perfect verses, less perfect songs so long as he feels that their subject matter is important”, 16 ferner besäße er dabei eine “wonderful carelessness” (351)� Damit wird der Inhalt aufgrund seiner Relevanz hier partiell über die Form gestellt� Bereits damals verglich sie Gilbert mit Heinrich Heine bzw� sah in ihm konkret dessen literarischen Nachfolger (351)� Beide zählt sie in ihrem Nachwort zu den “Lorbeerlosen” (Gilbert, Mich hat kein Esel im Galopp verloren 133), eine Wendung, die sie sich aus Gilberts Gedicht “Requiem” (73) borgt und mit dessen Strophen sie ihr Nachwort zu Mich hat kein Esel im Galopp verloren einleitet� 17 Beim dritten Beispiel handelt es sich ebenfalls um eine Freundin , wenngleich sich die beiden freilich nie begegnet sind� Rahel Levin Varnhagen sei ihre “wirklich beste Freundin, die nur leider schon 100 Jahre tot ist”, schreibt Arendt am 12� August 1936 an Heinrich Blücher (Arendt and Blücher 45); eine Freundschaft , die sich aus der intensiven Lektüre von Levin Varnhagens gut überlieferten Briefen, Briefbüchern und Tagebüchern entwickelte� Levin Varnhagen hatte schon früh in ihrem Leben den Wert von Briefen erkannt und begonnen sie zu sammeln sowie eigene Briefe nach Möglichkeit zurückzuerlangen� Bereits kurz nach ihrem Tod erschienen Briefe von ihr und an sie im Druck, oft auch gekürzt oder kollagiert bzw� nur Briefe in Auswahl statt ganzer Briefwechsel� Dadurch ist heute wie schon zu Arendts Zeiten vergleichsweise viel aus Levin Varnhagens Gedankenwelt, aber auch ihrem Alltagsleben und dem Berlin um 1800 bekannt� Ein solches Brief- und Tagebuchstudium trägt dazu bei, die “freundschaftliche” Beziehung zu evozieren, sich einer eigentlich unbekannten Person sehr nahe zu fühlen und sie wirklich “zu kennen”, wie Arendt es im erwähnten Brief an Blücher beschreibt (45)� Dieses empfundene Schwinden der zwischenmenschlichen Distanz, das z�B� auch beim Edieren von Briefen entsteht, wird noch durch die Materialität der Textzeugen verstärkt, denn hier beschränkte Arendt sich nicht nur auf Gedrucktes, sondern nutzte für ihre Überlegungen auch Archivmaterial - Originalbriefe von und an Rahel Levin Varnhagen aus der Sammlung Varnhagen, die heute in der Biblioteka Jagiellońska aufbewahrt werden� 18 Die Ausgangssituation Arendts für die Beschäftigung mit den drei Personen bzw� deren Œuvre war jeweils eine andere, dennoch lassen sich die eingangs angedeuteten Charakteristika bei allen drei Texten aufzeigen� “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 13 DOI 10.24053/ CG-58-0002 Generell weisen Arendts Auseinandersetzungen mit literarischen Texten im Sinne von Porträts oft eine hohe Dichte an Zitaten auf� Nicht selten bestehen diese aus nur kurzen Wendungen oder gar einzelnen Worten� Editoren und Editorinnen stellt das heute vor ein nicht eben kleines Problem� Da nicht alle Fälle so vergleichsweise eindeutig sind wie etwa der erwähnte “Lorbeerlose” aus dem Nachwort zu Gilberts Buch ( Mich hat kein Esel im Galopp verloren 133), gilt es mithin zu entscheiden, ob es sich um ein Zitat handelt oder ob die von Arendt genutzten Anführungszeichen ein Distanzierungsmoment darstellen� Augenfällig wird dies bei sehr geläufigen Worten wie “jemand” oder “Figur”. 19 So zum Beispiel in ihrem Text zu Nathalie Sarraute, in dem es heißt: “[T]hey form a ‘firm rampart’ of ordinariness behind the fighting line to which the characters betake themselves to regain ‘density, and weight, steadiness,’ and to become ‘somebodies’ again” (“Nathalie Sarraute” 5—6)� Die drei gewählten und eher kurzen Stellen hat Arendt aus einer längeren Passage von Portrait of a Man Unknown (170) extrahiert� Sie verwebt diese Stücke sukzessive zu einer neuen Textur, um ihre eigene Aussage entstehen zu lassen; Zitate treten in schneller Abfolge auf und werden nur kurz von Einschüben Arendts unterbrochen� Arendt löst also die Zitate aus ihrem ursprünglichen Kontext, so schreibt sie: “Every word, if it is not meant to deceive, is a ‘weapon,’ all thoughts are ‘assembled like a large and powerful army behind it’s banners … about to roll forward’” (“Nathalie Sarraute” 5)� 20 Sie zitiert an beiden Stellen aus dem Roman Martereau , zunächst über die Wirkmächtigkeit von Worten: “‘You’ … his most trusted weapon” (20), aber auch über Zeichen (“signs”), von der Sarraute die Romanfigur sagen lässt: “I can only recover them in bits and snatches and translate them awkwardly by the words these signs represent, fleeting impressions, thoughts, feelings, often forgotten […] that now, assembled like a large powerful army behind its banners, are regrouping, getting under way, about to roll forward …” (25)� Arendt situiert die Zitate also anders; sie bezieht die Textstellen nicht auf die jeweilige Romanfigur, sondern verallgemeinernd auf Nathalie Sarrautes Arbeitsweise� In ihrem nur etwa 3500 Wörter umfassenden Text montiert Arendt auf diese Weise etwa 80 Zitate unterschiedlicher Länge� Auch wenn in den gezeigten Beispielen die Zitate eher kurz waren, können sie durchaus auch einen Umfang von mehreren Sätzen haben und aus verschiedenen Texten oder Textstellen innerhalb eines Romans oder Aufsatzes kombiniert werden� 21 Solche Stellen sind ungleich einfacher als Zitate zu erkennen; ihr Zusammenhang innerhalb der Vorlage ist für Arendts Rekombination dabei sekundär� Im Vergleich dazu zitiert Arendt im Nachwort zu Gilberts Lyrikband Mich hat kein Esel im Galopp verloren etwas weniger� Es sind nämlich nur etwa 45 Zitate auf rund 2000 Wörter� Trotzdem ist aber die Zitatdichte auch hier auf- 14 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 fällig; ähnlich wie schon bei Arendts Text zu Sarraute stammen sie nicht nur aus dem Buch, zu dem sie das Nachwort schrieb, sondern auch aus zwei anderen Gedichtbänden Gilberts� Anders als bei Sarraute bestehen die Zitate, die Arendt kommentiert, hier meistens aus mehreren Verszeilen� Als Grund dafür ist vor allem ein gewisser Respekt vor der Dichtung denkbar, nicht zuletzt weil Dichten für Arendt der nächste Verwandte des Denkens ist, wie sie u�a� in Vita Activa (157), aber auch anderen Werken ausführt� Dichtung verliert auch ihre Wirkung, wenn nur einzelne Worte zitiert werden, bei Prosa oder Briefen ist dies viel leichter möglich� Im Fokus auf die Nacherzählung des Lebens von Rahel Levin Varnhagen collagiert Arendt auf die geschilderte Weise mehr als 1000 Stellen, dabei nicht eingerechnet sind hier die mehrfachen Rückgriffe auf dasselbe Zitat innerhalb weniger Zeilen� Auch hier ist die dichte und schnelle Abfolge gegeben� Beim Edieren dieser Texte verfestigte sich bei mir der Eindruck, dass die Frequenz an Zitatwechseln aus verschiedenen Kontexten in dieser frühen Arbeit Arendts signifikant höher ist als in den mehr als dreißig Jahre später verfassten Beiträgen zu Sarraute oder Gilbert� Dies zeigt sich etwa in einer Passage über Levin Varnhagens Äußerungen zu ihrer Eigenwahrnehmung, wie sie Arendt in der biographischen Darstellung schildert ( Rahel Varnhagen 210—11)� Dort kombiniert sie insgesamt acht Zitate aus vier verschiedenen Brief- und Tagebuchstellen und aus einem Zeitraum von neunzehn Jahren miteinander� 22 Die einzelnen Stellen werden dabei dekontextualisiert: Schreibort, Datum, Adressat oder Adressatin, also die Metainformationen des jeweiligen Textträgers weist Arendt meist nicht nach� 23 In dem Maß, in dem sie dergestalt ihre Meinung mit den Worten der jeweiligen Autorin oder des Autors auskleidet, tritt Arendt selbst als Verfasserin zurück� Zugleich ist ihr an der Illustration eines bestimmten, subjektiven Sachverhalts gelegen und es entsteht dennoch ein neuer, auch ästhetischer Reiz� Dies ergibt sich schon deswegen nachgerade in einer Art Zwiegespräch mit dem Gegenstand, weil Arendt ihr “Mosaik von Zitaten” (Kristeva 348) aus Steinen und Steinchen zusammensetzt, die sie ihrem jeweiligen Untersuchungsgegenstand entnommen hat� Aus anderen Texten zitiert Arendt kaum, sie konzentriert sich ganz auf ihre jeweilige Autorin bzw� Autor� Verwendet sie doch einmal Fremdzitate, so rahmen diese meistens lediglich den geistes- und zeitgeschichtlichen Hintergrund� So lassen sich durchaus auch andere Intertexte nachweisen - etwa Goethe und Herder bei Rahel Varnhagen, Heine und Goethe bei Gilbert sowie andere Interviews und Rezensionen bei Sarraute - es handelt sich jedoch um vergleichsweise wenige Fälle und zudem häufig um kanonisiertes Wissen, das vereinzelt abgerufen wird� 24 Im Sarraute-Text gibt es insofern auch nur insgesamt fünf Zitate aus anderen Kontexten als dem eigentlichen Gegenstand der “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 15 DOI 10.24053/ CG-58-0002 Betrachtung, im Nachwort zu Gilbert sind es vier, bei Rahel Varnhagen verhält es sich proportional ähnlich� 25 Das hier geschilderte Verfahren der künstlerischen Dialogizität, in denen die Distanz zum Untersuchungsgegenstand zu schwinden scheint, weist stilistische Parallelen zu den frühen Zitatcollagen bzw� Montageromanen der 1920er Jahre auf� Festhalten lässt sich ferner, dass in Arendts Konzentration auf bestimmte Autoren und Autorinnen bzw� deren Werk, welche man überdies zu den jeweiligen Zeitpunkten durchaus als “kleine Literatur(en)” (Deleuze und Guattari 24) bezeichnen kann, eines der wesentlichen Merkmale ihrer Porträts liegt� Gerade weil die Zitationen nicht selten aus wenigen Worten bestehen und aus verschiedenen Kontexten entnommen zueinander in Beziehung gesetzt werden, handelt es sich also um eine bewusste Vorgehensweise, um durch diese Art des Schreibens hinter die von ihr besprochenen Autoren und Autorinnen zurücktreten zu können� Zugleich entsteht daher eine weniger wissenschaftliche als eine eher literarische Auseinandersetzung, zumal Arendt einerseits Werk- oder Gedichttitel nennt, aber andererseits auf Seitenangaben, wie sie in einer wissenschaftlichen Arbeit unabdingbar sind, verzichtet� 26 In dieser Form der Fokussierung auf den jeweiligen Gegenstand, welcher zugleich Vorlage und Material ist, reproduziert Arendt bestimmte stilistische Eigenheiten der jeweiligen Autorin bzw� des Autors in ihren eigenen Texten� So beendet sie ihr Nachwort zu Robert Gilbert: Lieber Leser, dies ist ein Nach wort auf das, was eines empfehlenden Vorworts nicht bedarf, geschrieben von einem Leser wie Du es bist� Dir mögen andere Zeilen im Gedächtnis bleiben und andere Gedanken zu ihnen kommen� […] Vielleicht hat auch Dich der Dichter so schamlos mitteilsam gemacht wie mich� Das wäre das Beste; dann schriebest Du nämlich Dir Dein eigenes Nach wort; und schicktest es dem Autor� ( Mich hat kein Esel im Galopp verloren 141) Arendt wendet sich hier direkt an den Leser oder die Leserin, etwas, was für sie selbst eher ungewöhnlich ist, während Gilbert diese Form der direkten Ansprache durchaus in seinen Gedichten verwendet� 27 Arendt imitiert also gewissermaßen auch Stilmittel bzw� Duktus der Autorinnen und Autoren, mit denen sie sich befasst� 28 Weiterhin vermerkt sie als eine der literarischen Qualitäten, er zitiere das “volkstümlich Poetische” ohne Anführungszeichen hinzuzufügen ( Mich hat kein Esel im Galopp verloren 137)� Gilbert setzt also intertextuelle Referenzen, ohne diese kenntlich zu machen, sodass sie nur durch Wissen um den Hypotext erkannt werden� Dieses Verfahren wendet Arendt wenige Zeilen später selbst an, denn sie zitiert Gilberts Strophe “Nicht zu fassen / Dort der Baum / In dem noch Vögel flöten” ( Mich hat kein Esel im Galopp verloren 97) und kommentiert diese Stelle: “Ja, der Baum ist immer noch da und die Vögel, und die Sterne und das Reh” (138—39)� Es ist mehr als eine produktive Aneignung, 16 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 aber auch kein Zitat aus Goethes “Lynkeus-Lied”, ohne es als Zitat kenntlich zu machen� 29 Der zwischen Jovialität und Melancholie schwankende Ton des Nachworts ist dabei seinerseits anscheinend wie von der Textvorlage abgeleitet� Arendt übernimmt den Ton der Lieder und Verse. Und schließlich scheint auch die Chronologie ihres eigenen Textes für ihre Gilbert-Rezension von Mich hat kein Esel im Galopp verloren vorstrukturiert zu sein� Gilbert hat seine Texte weitestgehend chronologisch, also nach seinen Lebensstationen bzw� Zeitgeschehen angeordnet, die abgesehen von der “Leierkasten-Odyssee” keinen strengen autobiographischen Bezug aufweisen� 30 Eben dieser Chronologie folgt auch Arendt mit ihren Zitaten� Anhand derer erzählt sie Gilberts unerkannten, aber für sie klar vorhandenen Stellenwert innerhalb der deutschen Literatur nach� Die Reproduktion der Chronologie ist nicht singulär, diese zeitliche Abfolge wies auch Hahn schon in ihrem Katalogbeitrag an Arendts Essay zu Auden nach (Hahn and Knott 185)� Diese Beobachtung gilt so weitgehend auch für Rahel Varnhagen , wenngleich Arendt hier gelegentlich etwas freier mit den Vorlagen verfährt und beispielsweise die Worte an Rahel Levin Varnhagens Sterbebett schon im ersten Kapitel ihres Buches verarbeitet (137)� Bei Gilberts Text ist Arendt nicht durch die Textgrundlage an eine Abfolge der Ereignisse gebunden, da die Gedichte zwar Perioden seines Lebens zugewiesen sind, jedoch ohne autobiographisch zu sein. Vielmehr ist in diesem Umstand ein Indiz dafür zu sehen, dass Arendts Essays zur Literatur immer nah am Text bleiben und dass dies einen spezifischen Modus ihrer Auseinandersetzung mit Literatur darstellt. Hinweise darauf finden sich bei Arendt immer wieder. So reflektierte sie in ihrem Vorwort zu Glenn Grays The Warriors : “Re-reading this book, one is tempted to quote endlessly” (XI), was sich in “Dir mögen andere Zeilen im Gedächtnis bleiben und andere Gedanken zu ihnen kommen” aus dem Nachwort zu Gilbert (141; wie oben) bereits angedeutet findet. Darin kommt jene Begeisterung für den Gegenstand zum Ausdruck, der sich später in ihren Ausführungen und in ihrer Zitationstechnik niederschlagen soll� Zitieren markiert sie hier deutlich als Teil der Auseinandersetzung mit der Lektüre nicht nur um einen Sachverhalt darzustellen oder das Poetische der Sprache zu betonen, sondern um die anderen Autoren und Autorinnen selbst zu Wort kommen zu lassen und indem sie dies tut� Sie muss insofern auch keine argumentative Position beziehen, wie es in politischen oder anderen wissenschaftlich orientierten Texten notwendig sein kann, sondern kann hier als Autorin hinter die Worte der Textvorlage zurücktreten� Vor diesem Hintergrund erklärt sich meiner Meinung nach auch Arendts Reaktion auf die nicht wenige negative Kritik, die Rahel Varnhagen in Rezensionen erfahren hat� 31 In einem Brief vom 29� Juli 1959 an Gershom Scholem drückt sie “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 17 DOI 10.24053/ CG-58-0002 ihr Missfallen darüber aus, so falsch verstanden worden zu sein� Ihr eigentlich positives Bild der Rahel Levin Varnhagen würde von anderen nicht zur Kenntnis genommen, so Arendt (Arendt and Scholem 417), die hier im Grunde ihr Diktum von der empfundenen Freundschaft zu Levin Varnhagen wiederholt� Bei der ihr zur Last gelegten Kritik handele es sich auch insofern offenkundig um eine unrichtige Wahrnehmung, so Arendt weiter, weil sie Rahel Levin Varnhagen nur in deren eigenen Worten wiedergebe� Der negative Eindruck sei insofern einzig ein Resultat der Zitiertechnik, wie sie es im Vorwort ihres Buches beschreibt� Sie verwende zwar zweifelsfrei einen moderneren Sprachduktus als Levin Varnhagen, aber versuche dennoch dem Denken und Fühlen ihres Subjekts im positiven wie im negativen Sinne getreu zu bleiben. Und diese Eigenwahrnehmung sei nun nicht immer positiv ( Rahel Varnhagen 134)� Arendt möchte weder eine Rekonstruktion des Lebens der Rahel Levin Varnhagen anhand biographischer Daten liefern (136) noch einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte leisten (133)� Ihre Intention sei “lediglich, Rahels Lebensgeschichte so nachzuerzählen, wie sie selbst sie hätte erzählen können” (133)� Sie versteht sich gewissermaßen als das “Sprachrohr” 32 Levin Varnhagens und alle wenig positiv bis mitunter kritischen Formulierungen in Bezug auf deren jüdische Identität seien vor diesem Horizont zu lesen� Pointiert formuliert: Nicht Hannah Arendt spricht , sondern Levin Varnhagen und zwar vor allem durch ihre Briefzitate� Die Interpretation des Lebens der Levin Varnhagen ist stark an den Text rückgebunden, indem die Zitate als Anhalts- und zugleich Fixpunkte deren Eigenwahrnehmung konkretisieren sollen� Das Vorwort ist daher in vielerlei Hinsicht aufschlussreich, gerade weil der Eindruck entsteht, dass Arendt ihre eigene(n) Intention(en) simplifiziert, wiewohl sie nicht behauptet, eine neutrale erzählende Distanz zum Gegenstand zu wahren� Indem sie die Textstellen ausgewählt und collagiert hat, ergibt sich schon jene Deutung von selbst, die Arendt ausdrücklich hatte vermeiden wollen� Als das Buch veröffentlicht wurde, existierte noch immer ein Bild - nicht ganz ein Mythos - von Rahel Levin Varnhagen und ihrem “Dachstübchen” als Ort der Geselligkeit, als einer der Treffpunkte in Berlin um 1800 schlechthin. Karl August Varnhagen, der dieses Bild erzeugt hat, hatte als Ehemann und letztlich Herausgeber ihrer Schriften und Briefwechsel kein altruistisches Interesse an dieser Tradierung� Gegen diese Verklärung wendet sich Arendt, indem sie seinen editorischen Umgang mit den Textzeugen kritisiert. 33 Seiner “Platt- und Schönmalerei” ( Rahel Varnhagen 133) setzt sie ihre Rahel Varnhagen entgegen, eine entlang von Textstellen herausgearbeitete andere Sichtweise, die trotz “zuweilen recht radikalen Korrekturen” (132) nicht das Ziel verfolgt, das bisherige Bild vollständig zu dekonstruieren, aber zumindest eine andere Lesart 18 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 hinzufügt, die sich gegen die bis dahin übliche Vorstellung wendet� Wenn die biographische Darstellung insbesondere im deutschsprachigen Raum kritisch beurteilt wurde, so ist dies wohl auch dieser Entschleierung geschuldet� 34 Ob Arendts Vorstellung nun positiv, wie sie von sich behauptet, oder negativ gewesen sein mag, wie es ihr die Kritik wiederholt unterstellte, Arendt zeigt Levin Varnhagen mit Fehlern, mit Selbstzweifeln, die nicht länger dem glorifizierten Bild der Salondame zu entsprechen vermag� Die Zuweisungen insbesondere der kleineren Texte zu einer Gattung bzw� Textsorte sind nicht immer eindeutig wie das Beispiel Sarraute zeigt, ihr ursprünglich als “Rezension” veröffentlichter Text wurde zum Essay umgewidmet� Der Text bespricht weniger ein einzelnes Buch, sondern ist vielmehr ein Werkporträt, denn Arendts Text liest sich wie fünf kleinere aufeinanderfolgende Rezensionen zu den einzelnen Büchern, die zusammengefügt und anhand der bei Sarraute leitmotivischen “Wir” und “Ich” miteinander verbunden sind, also durch die Darstellung von Zusammengehörigkeit und Abgrenzung der Menschen in gesellschaftlichen Systemen, als eine Persiflage des sozialen Miteinanders. Durch die Anordnung in der Reihenfolge ihrer Erstveröffentlichung und indem Arendt Sarraute in literarischen Traditionen verortet (“Nathalie Sarraute” 5), zeigt sich dadurch auch eine Werkgenese� Anders als der Text zu Sarraute, der in der Taschenbuchausgabe als Essay am Ende des Buches steht, wurde der zu Gilbert als “Nachwort” veröffentlicht. Zwar hat Gérard Genette das Nachwort als eine “Variante des Vorworts” (Genette 157) bezeichnet, doch an der oben zitierten Stelle aus dem Essay zu Gilbert macht Arendt deutlich, dass die (räumliche) Platzierung im Buch und damit die Leseabfolge für sie verschiedene Funktionen erfüllte: Das Vorwort als einführendes Empfehlendes und das Nachwort mehr als etwas produktiv Weitergedachtes nach der Lektüre� Das Nachwort kann ohne Kenntnisse von Gilberts Gedichten rezipiert werden, darauf weisen auch die postumen Publikationen als Essay in Menschen in finsteren Zeiten sowie in englischer Übersetzung in Reflections on Literature and Culture hin. Durch die relative Offenheit der Textsorte Nachwort ist die Zuordnung von Arendts Text zu Gilbert zwar nicht grundlegend falsch, doch beschreibt dieser Terminus ihn zureichend? Arendt hat das “Nach” in “ Nach wort” im Text zu Gilbert (141; wie oben) kursiviert� Dieses Vorgehen lässt sich temporal oder buchmedial räumlich deuten, also als ein Hinweis auf das Nachwort als paratextuelles Element� Schließlich ist auch die Zuweisung von Rahel Varnhagen zur Gattung Biographie in der jüngeren Vergangenheit mehrfach aus verschiedenen Perspektiven betrachtet worden, wenngleich, so mein Eindruck, sich ein gewisser Konsens der Ambiguität etabliert zu haben scheint� Nicht umsonst war die Frage nach der Zuweisung als Biographie auch Gegenstand einer Panel-Diskussion zum “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 19 DOI 10.24053/ CG-58-0002 Thema “Arendt and Literature” auf dem 46. Treffen der German Studies Association � 35 Wie die Vielzahl an Betrachtungen zu Rahel Varnhagen zeigt, wird das Buch selten als rein biographische Abhandlung, sondern vielmehr als Folie für verschiedene theoretische Konstrukte verstanden� So liest es Zebadúa Yáñez als politiktheoretische Überlegungen (95), während Maslin in “Rahel Varnhagen: Arendt’s Experiential Ontology” für ein ontologisches Konzept als extradiegetische Rahmung von Rahel Varnhagen argumentiert� Auch als Arbeit an Arendts eigener jüdischer Identität, als versteckte Autobiographie, vor dem wachsenden Antisemitismus und Nationalsozialismus ist Rahel Varnhagen diskutiert worden, da deren erste Textfassung Anfang der 1930er Jahre entstand� 36 Hinzu kommt: Die Grenzen der Gattung Biographie sind zwar wandelbar, dennoch weisen die von Zymner in “Biographie als Gattung” diskutierten Beispiele, selbst der “biographische[] Essay” (14), auf den deskriptiven und vorwiegend chronologischen Charakter hin (12—16), der sich in den dort angeführten Synonymen “Lebenslauf ” oder “Lebensbeschreibung” widerspiegelt� Rahel Varnhagen ist dem Untertitel zufolge jedoch eine “Lebensgeschichte”, demnach eine Nacherzählung 37 , die eher historisch-literarischen Charakter hat� Levin Varnhagens Alltagsleben, ihre Lektüren, Konflikte mit der Familie und letztlich auch, wie sie versucht hat sich weiterzubilden, das wird kaum in Arendts Buch thematisiert, denn der Fokus ist eher auf das innere Leben mit Selbstreflexionen vor dem Hintergrund der jüdischen Identität denn auf das äußere Leben in Fakten gerichtet� Das Werk kann sich also weder streng inhaltlich noch vom Schreibstil der Zuschreibung Biographie fügen� Mit Blick auf die Fallbeispiele Rahel Varnhagen sowie die Texte zu Robert Gilbert und Nathalie Sarraute gibt es neben der Zitiertechnik, einem erzählenden Charakter und Modus des Schreibens noch weitere Gemeinsamkeiten, denn alle drei sind Nacherzählungen� Arendt tritt in diesen Texten in einen Dialog mit der Autorin oder dem Autor, der sie so “schamlos mitteilsam” macht, wie es im Nachwort zu Gilbert heißt ( Mich hat kein Esel im Galopp verloren 141)� Die Nacherzählung ist möglich aufgrund einer mehr oder minder stark vorhandenen persönlichen Verbindung Arendts zu ihrem Untersuchungsgegenstand. Dies schließt ein wissenschaftliches Interesse nicht notwendigerweise aus, wie auch an Rahel Varnhagen zu sehen ist, aber in erster Linie ist dieser Text, wie die zu Sarraute und Gilbert auch, doch eher ein Dienst an der Literatur � Damit grenzen sich diese Art Veröffentlichungen auch von ihren anderen Essays ab, die zwar erzählenden Charakter im Sinne des bel parlare 38 haben, aber nicht diesen Zitierstil aufweisen� Ein solches Beispiel ist die eingangs erwähnte Rezension zu den Lebenserinnerungen von Raïssa Maritain, deren ursprünglich als Besprechung geplante Veröffentlichung nur anhand einer Fußnote auszumachen ist, in der auf Adventures in Grace mit Titel, Verlag und Preisangabe 20 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 hingewiesen wird. Es verwundert nicht, wenn Arendt das Buch nur beiläufig erwähnt, das in einem unkritisch bis bekehrenden Ton die Hinwendung und Auseinandersetzung verschiedener Akteure und Akteurinnen zur katholischen Religion schildert� Maritain selbst war mit vielen der Personen befreundet, die sie zum Gegenstand ihrer religiös motivierten Betrachtung macht� “Christianity and Revolution”, wie die Rezension betitelt ist, ist eigentlich eher ein Text über die Renaissance des Katholizismus in Frankreich zu Beginn des 20� Jahrhunderts denn eine Besprechung von Maritains Erzählung� Auch wenn er eher essayistisch gestaltet ist, unterscheidet er sich doch von den drei oben besprochenen, weil es nicht nur kein Gewebe, sondern generell wenig Zitate gibt� 39 Arendt selbst definiert im Vorwort zu Men in Dark Times ihre zunächst einzeln publizierten Texte als “essays and articles” (VII)� Auch sie selbst kennzeichnet die Offenheit der Form, weil die Technik und der Modus des Schreibens keine strenge Zuordnung zu erlauben scheinen� Aber noch etwas anderes ist auffällig: Wird der Satz weitergelesen, so läge der Fokus dieser Texte auf den Menschen selbst, die in ihnen behandelt werden, auf ihren Lebensgeschichten und “how they moved in the world” (VII). Dies trifft auf Rahel Varnhagen auch zu. Ursula Ludz hat das noch viel weiter gefasst und in der von ihr herausgegebenen deutschen Übersetzung weitere Essays in Menschen in finsteren Zeiten aufgenommen, darunter auch die Texte zu Sarraute und Gilbert� Sie dokumentieren meiner Einschätzung nach nicht die Person per se, sie formulieren weniger Lebensgeschichten als vielmehr Werkzusammenhänge im Fall von Sarraute und Zeitgeschehen bei Gilbert� Die Einordnung in den Band kann also weniger aufgrund von Lebensgeschichten erfolgt sein als vielmehr aufgrund des Umstandes, dass diese Texte denen in Men in Dark Times stilistisch ähneln und zwar vor allem aufgrund der erläuterten Zitiertechnik und vom Modus des Schreibens, die sich auch in diesen Texten nachweisen lassen: Eine schnelle und hohe Abfolge von Zitaten, vergleichsweise wenig Fremdzitate, Angleichung in Stil und im Ton an die Vorlage sowie Zurücktreten als Verfasserin der Texte gegenüber den Personen und Werken, mit denen sie sich befasst� Ein gemaltes Porträt reflektiert die Wahrnehmung der kunstschaffenden Person, indem das äußerliche Erscheinungsbild, aber auch Mimik der oder des Porträtierten kommuniziert werden� Dabei können je nach Intention und Kunstrichtung diese Merkmale auch kaschiert oder hyperbolisiert werden� Ähnlich verhalten sich geschriebene Porträts, auch wenn Arendt selbst sie nicht als solche bezeichnet hat� Arendt als Künstlerin ist im Bildnis nicht zu sehen, dafür aber ihre Sichtweise auf die Person oder deren Werk selbst, indem sie Zitate montiert, anhand derer sie die Charakteristika herausarbeitet: “Show, don’t tell�” Anders als in ihren politischen bzw� philosophisch zu nennenden Texten zeigt sie subtil, indem sie zitiert� Es gibt keine Ausgangsthese für ihre Erörterungen “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 21 DOI 10.24053/ CG-58-0002 in den Porträts, die es zu beweisen gilt, nur eine literarische Beschäftigung mit dem Gegenstand, bei dem Zitate der Untermalung dienen. Ein möglicher Hinweis sind dabei auch die in den Porträts stets fehlenden Seitenangaben 40 , die für eine andere Art der Beschäftigung mit dem Gegenstand sprechen als z�B� Rezensionen, in denen sie Seitenzahlen nennt und die innerhalb der Gattungsgrenzen bleiben� Der Porträt-Begriff beschreibt aus editorischer Sicht am besten einen Teil der bisher nur als “Essay” bezeichneten Texte� Indem diese Kategorisierung vorgenommen wird, tritt ihr Charakter in Abgrenzung zu den anderen ebenfalls “Essay” genannten Texten hervor. Die Texte werden durch den Begriff Porträt nicht nur thematisch oder motivisch erfasst, sondern er schließt auch die stilistische Anpassung an die Intertexte sowie die Zitiertechnik ein� Gleichzeitig ist an die Einordnung als Porträt nicht die gleiche Erwartungshaltung der Leserin oder des Lesers geknüpft, die sich zum Beispiel durch die Gattungen Biographie oder Rezensionen ergibt� Erst durch das kritische Edieren dieser Texte, durch das Nachweisen aller Zitate und Anspielungen, wird es möglich, Arendts Umgang mit dem Ausgangsmaterial konkret nachzuvollziehen, weil erst hier kenntlich wird, aus welchen Texten bzw� Textteilen sich ihre Zitate speisen und wie sie daraus ein neues Gewebe flicht. Arendt ist in ihren Porträts das Sprachrohr und möchte im übertragenen Sinne auch ausdrücklich nicht das letzte Wort behalten, obwohl sie vergleichsweise häufig diese Texte mit einem Zitat enden lässt. Vielmehr stellt sie sich jeweils in einen Überlieferungszusammenhang, der letztlich weitere Auseinandersetzungen mit den von ihr ausgewählten Gegenständen bzw� Texten zum Ziel hat� Arendts Zitatmontagen sind eine bewusst eingesetzte Technik, mit der sie selbst als Autorin in den Hintergrund rückt, indem sie akzentuiert und die Verfasserinnen und Verfasser und deren Texte durch Zitate für sich selbst sprechen lässt� Notes 1 So zum Beispiel “The Too Ambitious Reporter” ( Commentary 1 (1945/ 46): 94—95), in der zwei Texte Arthur Koestlers besprochen werden� 2 Die Bände der Hannah Arendt: Kritische Gesamtausgabe erscheinen seit 2018 im Wallstein Verlag� Seit 2020 werden sie zu einem späteren Zeitpunkt auch digital unter www.hannah-arendt-edition.net veröffentlicht. 3 Veröffentlicht unter dem Titel “Christianity and Revolution” in The Nation (22� Sept� 1945: 288—89)� In der Wahl des Titels deutet sich bereits an, dass der Text über eine eigentliche Rezension hinausgeht� 4 Die drei Texte sind insofern repräsentativ, weil sie den gesamten Zeitraum von Arendts wissenschaftlicher Karriere abdecken, sich auf Lyrik und Prosa 22 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 beziehen und im Original auf Englisch oder Deutsch verfasst worden sind, also in beiden Sprachen, in denen Arendt schrieb und dachte� 5 Literatur und damit auch Zitate gehören für Arendt zu der in The Life of the Mind beschriebenen “ productive imagination”, die Fähigkeit, zu abstrahieren, imaginieren und das Gedachte in neue Kontexte zu sortieren (84)� Deshalb finden sich unabhängig von der Gattung in jedem von Arendt verfassten Text literarische Zitate wieder und nicht umsonst betrachtet sie Kinderreime als erste Form und ersten Zugang zur Literatur, wie sie es sowohl in ihrem Porträt zu Robert Gilbert in Mich hat kein Esel im Galopp verloren (133) als auch in ihrem Interview mit Lutz Besch im Jahr 1958 zum Ausdruck bringt� Gegenüber Günter Gaus vermerkte sie 1964 in einem anderen Interview fast schon beiläufig, Zitate befänden sich ständig in ihrem Hinterkopf (“Was bleibt? ” 24); sie kann also gar nicht anders, als sie mit Gedachtem zu verknüpfen und sich durch sie auszudrücken� 6 Schon in der Rezension zu Rilkes Duineser Elegien aus dem Jahr 1930 sind diese Merkmale nachzuweisen� Da diese jedoch eine Gemeinschaftsarbeit von Arendt und Günther Anders ist, musste sie in der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt bleiben� 7 Arendt hatte Sarraute im Frühjahr 1964 kennengelernt, wie aus ihrem Brief an Karl Jaspers vom 14� Mai 1964 hervorgeht (Arendt and Jaspers 593)� Ein weiteres Treffen ist zehn Jahre später für das Frühjahr 1974 durch einen Brief an Mary McCarthy vom 3� April 1974 bezeugt (Arendt and McCarthy 357)� 8 Die deutsche Übersetzung ist mit der englischen Fassung inhaltlich identisch, auch wenn die Anführungszeichen mitunter umgesetzt wurden, um dem Sprachfluss besser zu entsprechen, und dadurch Zitate anders markiert wurden� Arendt überarbeitete die Übersetzung also nicht, denn sie griff, wenn sie Übersetzungen Dritter gegenlas, häufig in den Text ein und reicherte die jeweilige Übersetzung z�B� noch um Zitate aus der deutschen Literatur an. Das exemplifiziert zum Beispiel Marie Luise Knott in ihrem Katalogbeitrag anhand von Verszeilen von Rilke in Vita Activa (Hahn and Knott 68—69)� 9 Unter ihren Büchern befinden sich zwei weitere, spätere Romane Sarrautes, einer davon in beiden Sprachen� 10 So zum Beispiel das von Arendt in ihrem Text zitierte “‘nothing but wellmade dolls’” (“Nathalie Sarraute” 5), das ursprünglich aus The Age of Suspicion (Sarraute 84) stammt, bei dem es sowohl eine Anstreichung als auch eine nur schwer entzifferbare Randnotiz gibt. Der Scan ist wie alle weiteren über einen Link im Katalog der Stevenson Library des Bard College verfüg- “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 23 DOI 10.24053/ CG-58-0002 bar� In den Einträgen werden alle Bearbeitungsspuren summarisch dokumentiert� 11 Dieser Schluss liegt nahe, weil Arendt am 18� Mai 1960, also vier Jahre zuvor, Mary McCarthy in einem Brief den Roman Le Planétarium als Lektüre empfohlen hatte (Arendt and McCarthy 76); sie las Sarraute also in der Originalsprache, denn die englische Übersetzung war ebenfalls 1960 erschienen� Arendt hielt die Übersetzungen der Sarraute-Romane für gelungen, wie sie in ihrem Text einleitend schreibt (“Nathalie Sarraute” 5)� In ihrem Brief an McCarthy findet sich bereits die Essenz dessen wieder, was sie an den Romanen der französischen Autorin schätzte und in der Rezension näher ausführte (Arendt and McCarthy 76)� 12 Ursprünglich war Gilbert ein Freund von Heinrich Blücher, doch auch Arendt war ihm verbunden und besuchte Gilberts Familie, z�T� auch ohne ihren Mann, nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig in der Schweiz� 13 Durch Berlin fließt immer noch die Spree aus dem Jahr 1971, Mich hat kein Esel im Galopp verloren von 1972 und Vorsicht! Gedichte! Vier lyrische Sektoren , erschienen 1951, weisen dem Online-Katalog der Stevenson Library des Bard College zufolge Markierungen von Arendts Hand auf; Meckern ist wichtig - nett sein kann jeder , ebenfalls aus dem Jahr 1951, Meine Reime, deine Reime von 1946 und das 1960 veröffentlichte Frischer Wind aus der Mottenkiste hingegen nicht� Zum Teil waren die Bücher Arendt und Blücher gewidmet� 14 So finden sich neben Anspielungen auf Örtlichkeiten in diesen Städten in den Gedichten zunächst die Berliner, später, während seiner Zeit im Exil, auch die Wiener Mundart wieder, es gibt Referenzen; für ersteres besonders in Durch Berlin fließt immer noch die Spree , für letzteres u�a� in dem Abschnitt “Aus dieser Erde, wo der Gugl hupft” in Mich hat kein Esel im Galopp verloren � Bezüge auf die Zeit des Nationalsozialismus und auf den Krieg finden sich in fast allen Gedichtbänden, für den letztgenannten sind das u.a. “Die Geschichte der Dreizehn” (18—21) und die “Grimmige[n] Märchen” (28—29)� 15 Veröffentlicht unter dem Titel “The Streets of Berlin” in der Zeitschrift The Nation (23� März 1946: 350—51)� 16 “Lieder” meint tatsächlich vertonbare Dichtung im Gegensatz zu einzelnen Versen oder Verszeilen, die sich z.T. auch in den gedruckten Schriften finden� Als Beispiel führt Arendt das von Hans Eisler vertonte “Stempellied” an (Arendt, “The Streets of Berlin” 350)� 17 Aus Gilberts Feder stammen Liedtexte bekannter deutscher Schlager wie zum Beispiel “Ein Freund, ein guter Freund” oder “Irgendwo auf der Welt”, welche durch die Interpretation der Comedian Harmonists bis heute be- 24 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 rühmt sind� Die Liedtexte sind heute mitunter nicht unproblematisch� Gilbert als Liedermacher ist in Vergessenheit geraten� In seinem Gedicht “Réveil”, das in Mich hat kein Esel im Galopp verloren zu finden ist (75—76), sind unverkennbare intertextuelle Referenzen auf Heine, auf die auch Knott in ihrem Text zu Gilbert schon hinwies (Hahn and Knott 169); das Gedicht ist in Knotts Beitrag ebenfalls abgedruckt (170—71)� 18 Arendt zog für ihre eigene Arbeit neben den Originalen auch die sogenannte Druckvorlage für die dritte Fassung von Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde heran, die erst 2011 durch Barbara Hahn veröffentlicht wurde. Den Umgang mit den Textträgern durch Arendt beschrieb Hahn im Nachwort der Kritischen Ausgabe von Rahel Varnhagen (884—85)� Arendt selbst besaß die zweite Auflage des Buches, die dreibändige Ausgabe des Buch des Andenkens von 1834, die Anstreichungen und Ergänzungen sowie ihre eigenen Transkriptionen am Rand und bei längeren Passagen auf eingelegten Blättern enthält. Die Bände befinden sich im Leo Baeck Institute, New York und sind online zugänglich� 19 Die Schwierigkeit besteht nicht allein darin, diese nicht als Hervorhebungen zu verstehen und als Zitate zu identifizieren, sondern, da sie häufig wenig markant sind, sie gegebenenfalls auch im Ausgangstext wiederzufinden. 20 Auslassungszeichen sind ein wiederkehrendes Stilmerkmal in Sarrautes Schreiben, die hier und im Folgenden wiedergegeben wurden� Nur jene in eckigen Klammern kennzeichnen eine von FW vorgenommene Kürzung� 21 So zitiert Arendt in einem Absatz Goethe, weiterhin aus Portrait of a Man Unknown, aus The Golden Fruits und schließlich den Essay “From Dostoievski to Kafka”, der in Sarrautes The Age of Suspicion gedruckt ist (Arendt, “Nathalie Sarraute” 6)� 22 Darunter Briefe von Rahel Levin Varnhagen an David Veit und Karl August Varnhagen sowie einem Tagebucheintrag, wie die Editorinnen der Kritischen Gesamtausgabe im Kommentar nachweisen (728—29)� 23 Obwohl zunächst geplant verzichtete sie schließlich auf detaillierte Quellenangaben; wohl auch, weil es Ende der 1950er Jahre nach mehreren Jahrzehnten, die ihr Manuskript unveröffentlicht geblieben war und in der die Sammlung Varnhagen als verschollen galt, nur schwer möglich war, die Herkunft aller Zitate nachzuweisen, wie durch zitierte Briefe Arendts in der Einleitung der Kritischen Gesamtausgabe verdeutlicht wird (702—03)� 24 Siehe dazu das Beispiel zu Anm� 29� 25 So wird zum Beispiel die antisemitische Haltung der Wiener Gesellschaft des frühen 19� Jahrhunderts anhand zweier Zitate von Friedrich von Gentz und Charles-Joseph de Ligne in Rahel Varnhagen geschildert (160)� “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 25 DOI 10.24053/ CG-58-0002 26 Den eher literarischen denn wissenschaftlichen Charakter von Rahel Varnhagen drückt Arendt auch in einem Brief an den Lektor Hans Rößner vor der deutschen Veröffentlichung aus; der Brief wird zitiert in der Einleitung der Kritischen Gesamtausgabe (702)� 27 So u�a� in “Das Menschliche” in Mich hat kein Esel im Galopp verloren (Gilbert 26—27)� 28 So auch Knott in ihrem Katalogbeitrag zu Gilbert (Hahn and Knott 172)� 29 Das “Lynkeus-Lied” lautet in Faust. Der Tragödie zweiter Teil : “Ich blick in die Ferne, / Ich seh in der Näh / Den Mond und die Sterne, / Den Wald und das Reh” (Goethe 436)� 30 In die Zeit der Weimarer Republik, dann des Nationalsozialismus und schließlich jene, die sich inhaltlich wohl dem Exil und der Nachkriegszeit zuweisen lassen. Am Schluss befindet sich die “Leierkasten-Odyssee”, eine lange, in Versen verfasste autobiographische Abhandlung, die sich im Umgang mit den Fakten jedoch einige Freiheiten erlaubt� 31 Insgesamt 71 Rezensionen lassen sich für beide Sprachen nachweisen, wenngleich die deutsche Fassung häufiger rezensiert wurde als die britische und einige Jahre später dann die amerikanische Ausgabe� Eine Liste dieser Rezensionen ist als Anhang von Rahel Varnhagen auf der Website von Hannah Arendt: Kritische Edition online zugänglich� 32 “[D]as Sprachrohr der ewigen Gerechtigkeit” ist ein im Buch mehrfach wiederkehrendes Zitat Levin Varnhagens� 33 Dennoch zitiert sie vor allem aus dem Buch des Andenkens , obwohl sie um die vielen Texteingriffe wusste (Arendt and Jaspers 234). Ihre beißende Kritik, gelegentlich auch nicht ganz gerecht, findet sich in ihrem Vorwort zu Rahel Varnhagen (132—33)� 34 Siehe die Ausführungen zu den Rezensionen im Nachwort zu Rahel Varnhagen (900—04)� 35 Diskutiert wurde die Frage am 16� September 2022 auf dem ersten von drei Panels zu diesem Thema� 36 Die von Elisabeth Young-Bruehl ausgehende Deutung als Autobiographie (79) und deren Folgen hat Claudia Christophersen (210—11) beschrieben� Arendt selbst dementierte dies 1964 in ihrem Interview mit Günter Gaus, räumte aber gleichzeitig ein, das Schreiben über das Leben der Rahel Levin Varnhagen sei zumindest eine Auseinandersetzung mit den politischen Vorgängen der damaligen Zeit gewesen (Arendt and Gaus 23)� 37 Rahel Varnhagen , so Arendt in dem erst Mitte der 1950er Jahre verfassten Vorwort, sei “so nach[]erzähl[t]” (133), wie jene es womöglich selbst getan hätte� Siehe auch Arendts Brief an den Verleger Klaus Piper, zitiert im Nachwort von Rahel Varnhagen (882)� 26 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 38 Hahn and Knott 148� Das Erzählende ist auch in Texten nachweisbar, in denen man es im ersten Augenblick nicht erwartet, wie Eichmann in Jerusalem � An einigen Stellen wendet Arendt auch ihre Zitiertechnik an, um Eichmann für “sich selbst sprechen zu lassen” (135), also eine ähnliche Funktion erfüllt, wobei es hier nicht positiv besetzt ist und einen Distanzierungsmoment vom Gesagten von Arendt darstellt� 39 Es sind insgesamt nur neun Zitate, zwei davon aus Adventures in Grace. 40 Für die kleineren Texte - in sehr eingeschränktem Maße gilt das auch in Rahel Varnhagen - gibt sie oft Anhaltspunkte: die Quelle wie Titel des Gedichts oder des Romans� Works Cited Arendt, Hannah� “Auswanderer - Emigrant - Flüchtling� Ein Gespräch mit Hannah Arendt�” Interview by Lutz Besch� 14 May 1958 . 35 Stimmen aus dem Exil von Hannah Arendt bis Ernst Troch � Ed� Annette Vogt and Hans Sarkowicz� München: Der Hörverlag, 2022� CD� —� “Christianity and Revolution�” The Nation 22 Sept� 1945: 288—89� —� Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen � Ed� Hans Mommsen� München: Piper, 2021� —� Hannah Arendt: Kritische Gesamtausgabe � Ed� Anne Eusterschulte, Barbara Hahn et al� Göttingen: Wallstein, 2018- � —� Hannah Arendt Digital: Kritische Gesamtausgabe � Ed� Anne Eusterschulte, Barbara Hahn et al� Web� https: / / hannah-arendt-edition�net/ index�html� 29 April 2023� —� Men in Dark Times � San Diego, New York, London: Harcourt Brace & Company, 1968� —� Menschen in finsteren Zeiten . Ed. Ursula Ludz. München: Piper, 2019. —� “Nathalie Sarraute�” Rev� of The Golden Fruits , by Nathalie Sarraute� The New York Review of Books 5 March 1964: 5—6� —� “Nathalie Sarraute�” Trans� Wolfgang von Einsiedel� Merkur 18 (1964): 785—92� —� Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin. The Life of a Jewish Woman � Ed� Barbara Hahn� Göttingen: Wallstein, 2021� —� Reflections on Literature and Culture. Ed� and introd� by Susannah Young-ah Gottlieb� Stanford: Stanford UP, 2007. —� The Life of the Mind � Ed� Wout Cornelissen, Thomas Bartscherer and Anne Eusterschulte� Göttingen: Wallstein, 2024� —� “The Streets of Berlin�” Rev� of Meine Reime, deine Reime , by Robert Gilbert� The Nation 23 March 1946: 350—51� —� “The Too Ambitious Reporter�” Rev� of Twilight Bar and The Yogi and the Commissar , by Arthur Koestler� Commentary 1 (1945/ 46): 94—95� —� Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper, 1960� “Show, don’t tell” als Schreibtechnik bei Hannah Arendt 27 DOI 10.24053/ CG-58-0002 Arendt, Hannah, and Heinrich Blücher� Briefe 1936-1968 � Ed� and introd� by Lotte Köhler� München: Piper, 1996� Arendt, Hannah, and Mary McCarthy� Between Friends � Ed� and introd� by Carol Brightman� New York: Harcourt and Brace, 1995� Arendt, Hannah, and Günter Gaus� “Was bleibt? Es ist die Muttersprache�” Zur Person. Porträts in Frage und Antwort � Ed� Günter Gaus� München: Feder Verlag, 1964� 15—32� Arendt, Hannah, and Karl Jaspers� Briefwechsel 1926-1969 � Ed� Lotte Köhler and Hans Saner� München: Piper, 2001� Arendt, Hannah, and Gershom Scholem� Der Briefwechsel � Ed� Marie Luise Knott and David Heredia� Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010� Arendt, Hannah, and Günther Stern� “Rilkes ‘Duineser Elegien’�” Rev� of Duineser Elegien , by Rainer Maria Rilke� Neue Schweizer Rundschau 23 (1930): 855—71� Bertheau, Anne� “Das Mädchen aus der Fremde”: Hannah Arendt und die Dichtung: Rezeption - Reflexion - Produktion. Bielefeld: transcript-Verlag, 2016� Christophersen, Claudia� “Es ist mit dem Leben etwas gemeint”: Hannah Arendt über Rahel Varnhagen. Königstein/ Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2002. Deleuze, Gilles, and Félix Guattari� Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2019� Genette, Gérard� Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches � Frankfurt am Main: Campus Verlag, 1989� Gilbert, Robert� Durch Berlin fließt immer noch die Spree � Berlin: Blanvalet, 1971� —� Frischer Wind aus der Mottenkiste: Berliner Gedichte mit hochdeutschen Zwischenrufen � Berlin: Blanvalet, 1960� —� Meckern ist wichtig - nett sein kann jeder � Berlin: Blanvalet, 1951� —� Meine Reime, deine Reime. Berliner, Wiener und andere Gedichte � New York: Fisher, 1946� —� Mich hat kein Esel im Galopp verloren � Nachwort by Hannah Arendt� München: Piper, 1972� —� Vorsicht! Gedichte! Vier lyrische Sektoren � Berlin: Blanvalet, 1951� Goethe, Johann Wolfgang von� Faust: Texte � Ed� Albrecht Schöne� Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1994� Gray, Jesse Glenn� The Warriors: Reflections on Men in Battle � Introd� Hannah Arendt� New York: Harper Torchbooks, 1967� Hahn, Barbara, and Marie Luise Knott� Hannah Arendt: Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit. Ausstellung Literaturhaus Berlin � Berlin: Matthes & Seitz, 2007� Kristeva, Julia� “Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman�” Trans� Michel Korinman and Heiner Stück� Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven � Ed� Jens Ihwe� Vol� 3� Frankfurt am Main: Athenäum, 1972� 345—75� Maritain, Raïssa� Adventures in Grace � Trans� Julie Kernan� New York and Toronto: Longmans, Green & Co, 1945� Maslin, Kimberly� “Rahel Varnhagen: Arendt’s Experiential Ontology�” New German Critique 119 (2013): 77—96� 28 Friederike Wein DOI 10.24053/ CG-58-0002 Sarraute, Nathalie� Das Planetarium. Mit einem Essay von Hannah Arendt� München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1965� —� Le Planétarium: roman � Paris: Gallimard, 1959� —� Les Fruits d’or. Paris: Gallimard, 1963� —� Martereau: a novel � Trans� Maria Jolas� New York: George Braziller, 1959� —� Martereau: roman � Paris: Gallimard, 1953� —� Portrait d’un inconnu: roman. Préface de Jean-Paul Sartre� Paris: Gallimard, 1956� —� Portrait of a Man Unknown: a novel. Pref� Jean-Paul Sartre . Trans� Maria Jolas� New York: George Braziller, 1958� —� The Age of Suspicion; Essays on the Novel � Trans� Maria Jolas� New York: George Braziller, 1963� —� The Golden Fruits � Trans� Maria Jolas� New York: George Braziller, 1964� —� The Planetarium: a novel � Trans� Maria Jolas� New York: George Braziller, 1960� Varnhagen von Ense, Rahel� Rahel: Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde � Ed� Karl August Varnhagen� Berlin: Duncker & Humblot, 1834� —� Rahel: Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde � With an Essay by Brigitte Kronauer� Ed� Barbara Hahn� Göttingen: Wallstein, 2011� Young-Bruehl, Elizabeth� Hannah Arendt, Leben, Werk und Zeit. Trans� Hans Günter Holl� Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2008� Zebadúa Yáñez, Verónica� “Reading the Lives of Others: Biography as Political Thought in Hannah Arendt and Simone de Beauvoir�” Hypatia 33 (2018): 94—110� Zymner, Rüdiger� “Biographie als Gattung�” Handbuch Biographie: Methoden, Traditionen, Theorien � Ed� Christian Klein� Stuttgart: J�B� Metzler, 2012� 12—16�
