eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 51/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2022-0011
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
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511 Gnutzmann Küster Schramm

Lutz KÜSTER (Hrsg.): Prendre la parole: Reflexive und übende Zugänge zum Sprechen im Französischunterricht. Hannover: Klett/Kallmeyer 2020, 135 Seiten [19,95 €]

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Corinna Koch
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Besprechungen 139 51 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0011 das unterrichtliche Fremdsprachenlernen übertragen werden sollten. Warum dann noch auf den „additiven Effekt von Bilingualität“ (S. 142) und die Nutzung bilingualer Lernangebote von lebensweltlich Zweisprachigen (S. 147) verwiesen wird, erklärt F ELGNER nicht. Fazit: Eine saubere Statistik macht noch keine gute Studie aus. Gute Studien sind charakterisiert durch konzeptuell klare und transparente Fragestellungen, die mit validen Instrumenten operationalisiert werden. Dies setzt zunächst einmal eine intensive, reflektierte und kohärente Auseinandersetzung mit den vorliegenden Erkenntnissen zum Themenfeld voraus. Wenn die daraus entwickelten Fragen dann ein Untersuchungsdesign einfordern, das zu umfangreich für die Forschenden oder die Forschungsteilnehmer und ihre Ressourcen wird oder das ethische Grenzen überschreitet, dann sollten lieber die Fragen verworfen werden, als sie mit ungeeigneten Mitteln zu erforschen. Wichtiger aber noch scheint mir, dass Ergebnisse statistischer Berechnungen nicht unberechtigter Weise als Beleg für eigene Annahmen genutzt werden. Hier sei an den in Handbüchern zu quantitativen Forschungsmethoden und entsprechenden statistischen Auswertungen immer wiederkehrenden Lehrsatz erinnert, dass Korrelationen allein noch keine Kausalitäten sind. Korrelationen weisen auf mögliche Zusammenhänge hin; diese müssen aber durch weitere Untersuchungen geprüft werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die untersuchten Stichproben nur sehr klein sind bzw. sein können. Es wäre gut, wenn das Buch mit einem entsprechenden Warnhinweis versehen werden könnte, damit es nicht allzu schnell oder aus Unachtsamkeit für die falschen bildungs- und schulpolitischen, didaktischen oder forschungsplanerischen Schritte genutzt werden kann. Wuppertal L ARS S CHMELTER Lutz K ÜSTER (Hrsg.): Prendre la parole: Reflexive und übende Zugänge zum Sprechen im Französischunterricht. Hannover: Klett/ Kallmeyer 2020, 135 Seiten [19,95 €] Das vorliegende Werk stellt ein Arbeitsergebnis der Sektion Französisch der Klett Akademie für Fremdsprachendidaktik dar. Es richtet sich laut Klappentext an Französischlehrende der Sekundarstufen, Referendare/ innen sowie Lehrer/ innenfortbildner/ innen und soll praxisorientiert bei der Förderung der Sprechkompetenz im Französischunterricht unterstützen. Der titelgebende Ausdruck „prendre la parole“ ist dabei als ein Sprechen „mit eigener Stimme“ (S. 8) zu verstehen, bei dem eigene Gedanken und Empfindungen artikuliert werden. Dafür müssen Lernende Sprechhemmungen abbauen, mit Mitlernenden sinnhaft ins Gespräch kommen und die fremde Sprache als Kommunikationsmittel erleben. Besonderer Wert wird neben einem subjektorientierten Ansatz reflexiven Kompetenzen zugesprochen sowie einem Übungsbegriff, „der auf den individuellen Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler bezogen und in ein umfassenderes Bildungsverständnis integriert wird“ (Klappentext). Nach einer Einführung des Herausgebers folgen drei thematische Blöcke: „Lerntheoretische Fundierungen“, „Kompetenzentwicklung im Bereich des Sprechens“ und „Wege der Sprechförderung im Französischunterricht“. Die „Lerntheoretische[n] Fundierungen“ beginnt Daniela C ASPARI mit „Ansätze[n] reflexiven Lernens“. Letztere verschreiben sich dem bewussten und intensiven „Nachdenken über Prozesse, Verfahren, Ergebnisse und Ziele des eigenen Lernens“ (S. 11) und betrachten Lernende in konstruktivistischem Sinne als Individuum. Die Autorin plädiert angesichts der zunehmenden Heterogenität der Lerngruppen für eine Implementierung reflexiven Lernens als durchgängiges Prinzip modernen Fremdsprachenunterrichts und hebt die Verquickung mit allen in den Bildungsstandards aufgeführten Kompetenzen hervor. Im Teilkapitel „Bildung, 140 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2022-0011 51 • Heft 1 Reflexion, Übungen“ verbindet Malte B RINKMANN reflexives Lernen mit der Bildungstheorie von Wilhelm von Humboldt, die „auf eine Veränderung und Transformation des Verhältnisses zu sich und zur Welt“ (S. 17) zielt, und beleuchtet Sprachenbildung im Lichte der Wechselwirkung zwischen „Selbst-Verstehen und Fremd-Verstehen“ (S. 19). Diesbezüglich betont er die Bedeutung von (Selbst-)Reflexion in einem bildungstheoretischen Verständnis in enger Verbindung mit Language Awareness. In einem nächsten Teilkapitel wendet er diese Ausführungen auf das Üben an und fokussiert damit den Lernprozess und die eigene Weiterentwicklung anhand von Negativerfahrungen wie gemachten Fehlern. Den dritten Teil des Bandes eröffnet erneut Daniela C ASPARI mit „Psycholinguistischen Grundlagen“ und „Kompetenzmodelle[n] des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens und der Bildungsstandards“. Nachdem sie die Komplexität der Sprechkompetenz mit Bezug auf ausgewählte Sprachproduktionsmodelle dargelegt hat, identifiziert und analysiert sie Stellen im GeR, an denen Sprechen und mündliche Interaktion dargestellt werden, und die darauf basierende Modellierung in den Bildungsstandards. Es folgen Ausführungen zur „Sprechförderung im Französischunterricht als Teil einer mehrsprachigkeitssensiblen Sprachbildung“, verfasst von Daniela C ASPARI und Birgit S CHÄDLICH . Zunächst gehen die Autorinnen auf das Dogma der Einsprachigkeit und die breite Vielfalt an Realisierungsmöglichkeiten in der Unterrichtsrealität ein. Anschließend machen sie Vorschläge, wie Lehrkräfte in der Planung und Reflexion ihres Unterrichts Sprachenwechsel bewusst und zielführend einbinden können. Sie unterbreiten das Konzept der „reflektierten Mehrsprachigkeit“ (S. 40), das Mehrsprachigkeit als Unterrichtsgegenstand, Teil des Unterrichtsdiskurses, Voraussetzung und Ziel des Fremdsprachenunterrichts betrachtet. Im Teilkapitel „Bildende und identitätsstiftende Funktionen“ deklariert Lutz K ÜSTER echte kommunikative Redebedürfnisse zu persönlich bedeutsamen Inhalten als Grundvoraussetzung für zielführende Sprechförderung sowie Persönlichkeitsbildung, auch in Vorbereitung auf gesellschaftliche Anforderungen. Lernende sollen im Klassenzimmer als „Ermöglichungsraum“ (S. 47) Teilhabe im Kleinen einüben können - und das nicht zuletzt durch eigene Redebeiträge. K ÜSTER illustriert, wie z.B. die sanfte Gewöhnung an das Aussprechen der fremden Sprache durch die Übernahme einer (selbst gewählten) fremden Identität erleichtert werden kann, etwa in der Auseinandersetzung mit einem literarischen Text oder im Rahmen einer simulation globale. Im Teilkapitel „Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstheit im Kontext fremdsprachlichen Sprechens“ zeichnet Lutz K ÜSTER im Anschluss zunächst die Geschichte der beiden zentralen Begriffe nach, bevor er die Sprachbewussheitsdimensionen kognitiv, affektiv, politisch und interkulturell auffächert. Als unterrichtliche Anregungen schlägt er u.a. die entdeckende Sensibilisierung für situationsadäquate Registerwahl und expressive Ausdrücke vor sowie Diskussionen über Empfindungen beim Sprechen auf Französisch und Sprachmittlungsaufgaben mit interkulturellem Fokus. Auch das Teilkapitel „Leitlinien mündlicher Fehlerkorrektur“ ist von Lutz K ÜSTER verfasst. In diesem begreift er Fehler als „Motor“ (S. 64) für die eigene Lernentwicklung, wofür er ein positives „Fehlerklima“ (S. 64) als unerlässlich erachtet. Er problematisiert sodann die Kriterien „Korrektheit“ und „Verständlichkeit“, betont die Bedeutung der Selbstkorrektur bei Performanzfehlern und skizziert Leitlinien wie die sehr sparsame Verwendung unterbrechender Korrekturen. Im letzten Teilkapitel, „Überprüfung der Sprechkompetenz - von top down zu bottom up (Praxisbericht)“, schildert Inge R EIN -S PARENBERG ihre Erfahrungen mit Kommunikationsprüfungen als Inhalt im Lehramtsstudium, als seltene Realität in der Berufspraxis und als neu zu konzipierendes Format. Sie berichtet von Initiativen, Vorbehalten von Kollegen/ innen, Durchführungserfahrungen, Lehrer/ innenfortbildungen und der zunehmenden Anzahl mündlicher Prüfungen in ihrem Umfeld. Der vierte Teil, „Wege der Sprechförderung im Französischunterricht“, gliedert sich in fünf Besprechungen 141 51 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0011 Teilkapitel. Falk S TAUB und Christa W ECK zeichnen in „Ansätze der Lehrwerksgestaltung“ die Entwicklung der Einbindung von Mündlichkeit in Lehrwerke nach und analysieren den aktuellen Stand. Sie problematisieren die Vermittlung von Mündlichkeit über ein (schriftliches) Lehrwerk, die Schnelllebigkeit der Alltagssprache, das im Klassenraum zu verwendende Register, die Rolle der Lehrkraft bei der Umsetzung von Sprechübungen sowie Differenzierungs- und Bewertungsherausforderungen. Aus den Ergebnissen einer fragebogengestützten Befragung von Lehrkräften zu ihrem Umgang mit Mündlichkeitsangeboten in Lehrwerken, ihren Erfahrungen und Wünschen leiten die Autorin und der Autor Anforderungen an neue Lehrwerke hinsichtlich der Schulung von Aussprachekompetenz sowie spontanem und freiem Sprechen ab. Im zweiten Teilkapitel wenden sich Mark B ECHTEL und Inge R EIN -S PARENBERG „Lernaufgaben zur Förderung des Sprechens im Anfangsunterricht“ zu. Sie präsentieren das Format „Lernaufgabe“ als besonders geeignete Möglichkeit, einen realitätsnahen Sprechanlass zu schaffen, und thematisieren deren Einbindung in einen „Lernaufgabenparcours/ -zirkel“ mit Übungs- und Reflexionsphasen. Sie definieren dafür zunächst die beiden Begriffe, bevor sie die Schritte der Rückwärtsplanung einer Lernaufgabe zum Thema „Mon collège“ darlegen. Mit „Sprechen in der Unterrichtsinteraktion“ beschäftigen sich im dritten Teilkapitel Birgit S CHÄDLICH und Falk S TAUB . Sie schlagen Kriterien vor, wie Lehrkräfte die Verwendung der Unterrichtssprache im Vorhinein „reflektieren, den Unterricht also ‚mündlich […] durchdenken‘“ (S. 95) können. Ihre „Fluchtpunkte der Sprechförderung“ (S. 97) sind eine starke inhaltliche Ausrichtung sowie der Einsatz von scaffolding-Maßnahmen. Ferner beleuchten sie das Kontinuum zwischen automatisiertem Üben und freiem Sprechen sowie das Verhältnis von Übung, Reflexion und Korrektur. Heike S CHAUMBURG und Christopher M ISCHKE zeigen in „Digitale Medien zur Förderung der Sprechkompetenz im Französischunterricht“ auf, wie das „‚Zwischenschalten‘ digitaler Medien zur Förderung des Sprechens zweckmäßig sein kann“ (S. 103). Sie skizzieren Unterstützungspotenziale bei der Konzeption und Formulierung einer Sprechabsicht, der Artikulation und (Selbst-)Überwachung, bevor sie zwei Praxisbeispiele vorstellen: jemandem per Messenger-Dienst den Weg weisen und einen Audioguide erstellen. Abschließend zeigen sie auf, wie reflexives Lernen und Üben durch digitale Medien unterstützt werden kann. Der letzte Beitrag behandelt „Theaterpraktische Verfahren zur Förderung der Sprechkompetenz im Französischunterricht“. Christopher M ISCHKE und Katharina W IELAND illustrieren darin, wie durch szenisches Spiel inklusive Mimik, Gestik, Körpersprache und Bewegung realitätsnäheres und - mit etwas Gewöhnung - ‚hemmungsloseres‘ Sprechen erreicht werden kann. Nach einer Klärung zentraler Begrifflichkeiten und Charakteristika stellen sie Einstiegs-, Körper-, Sprech- und Stimmübungen vor sowie Improvisations- und Dialogübungen, das Spiel mit Requisiten und Nachbereitungsübungen. Der Band wird beschlossen durch ein „Schlusswort“, das die Ziele der Arbeit der Klett Akademie für Fremdsprachendidaktik offenlegt und zur Zusendung von „Rückmeldungen jedweder Art“ (S. 123) zu vorliegender Veröffentlichung einlädt. Es folgt eine Auflistung der im Band verwendeten Literatur und ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, denen beim Verfassen des vorliegenden Werkes eine optimale Balance zwischen Theorie und Praxis gelungen ist. Dies macht das Werk zu einem lohnenswerten Fortbildungs- und Nachschlagewerk zu aktuellen Erkenntnissen und unterrichtspraktischen Wegen der Sprechförderung. Als solches wird es sicherlich auch an Hochschulen fremdsprachendidaktische Veranstaltungen bereichern und sorgt im Idealfall dafür, dass reflexives Lernen nach seiner Integration in die Lehrerausbildung nun auch verstärkt im schulischen Fremdsprachenunterricht implementiert wird - und dies nicht nur im Bereich des Sprechens. Münster C ORINNA K OCH