Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2022-0015
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2022
512
Gnutzmann Küster SchrammMehrsprachige Forschung - Mehrsprachigkeit in der Forschung
91
2022
Dagmar Abendroth-Timmer
Britta Viebrock
flul5120003
51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 D AGMAR A BENDROTH -T IMMER , B RITTA V IEBROCK * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit, individuelle Plurilingualität und deren Bedeutung für Schule und Unterricht haben sich als zentrale Themen der fremdsprachendidaktischen Forschung etabliert. Dies ist zum einen Forschung zu Spracherwerbsprozessen von Lernenden verbunden mit Entwürfen von mehrsprachigkeitsdidaktischen Bildungsangeboten (Interkomprehension, Tertiärsprachen, Gesamtsprachencurriculum, CLIL etc.) und ihrer möglichen Wirkung. Zum anderen sind Einstellungen von Lehrenden und Lernenden zu Mehrsprachigkeit Gegenstand von Forschung und von Tragweite für bildungs- und gesellschaftspolitische Empfehlungen. Die Beiträge des vorliegenden Themenschwerpunkts gehen über diese Dimension der Konzepte zu Mehrsprachigkeit, Mehrsprachigkeitsdidaktik und die damit verbundenen Forschungsergebnisse (siehe dazu F ÄCKE / M EIßNER 2019) hinaus und begreifen Mehrsprachigkeit als Forschungsmodus. Sie befassen sich mit der übergeordneten Analyse der theoretischen und methodologischen Herausforderungen von Forschung über Mehrsprachigkeit und Forschung in mehrsprachigen, häufig internationalen Zusammenhängen sowie Forschung mit mehrsprachigen Forschungspartner: innen. Während Mehrsprachigkeit als Forschungsthema regelmäßig Gegenstand von Überlegungen ist, wurde es als Forschungsressource selbst bisher nur selten reflektiert (vgl. aber G ANASSIN / H OLMES 2013; H OLMES et al. 2013; P HIPPS 2013; C URRY / L ILLIS 2014; H OLMES et al. 2016, A NDREWS et al. 2018). Betrachtet werden auch plurilinguale Forscher: innen in mehrsprachigen Forschungsteams und die Frage, wie diese * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Dagmar A BENDROTH -T IMMER , Universität Siegen, Romanisches Seminar, Adolf-Reichwein-Str. 2, 57076 S IEGEN E-Mail: abendroth@romanistik.uni-siegen.de Arbeitsbereiche: Didaktik der französischen und spanischen Sprache und Kultur, mehrsprachige-mehrkulturelle Bildung, reflexive Lehrkräftebildung, virtuelle Lernumgebungen, Motivation, Handlungsorientierung und Dramapädagogik. Prof. Dr. Britta V IEBROCK , Goethe-Universität Frankfurt/ Main, Institut für England- und Amerikastudien, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 F RANKFURT / M. E-Mail: viebrock@em.uni-frankfurt.de Arbeitsbereiche: Didaktik der englischen Sprache und Literatur, Lehrkräfteprofessionalisierung, Forschungsethik, Filmbildung im Fremdsprachenunterricht. Mehrsprachige Forschung - Mehrsprachigkeit in der Forschung: theoretische und empirische Herausforderungen aus internationaler Perspektive 4 Dagmar Abendroth-Timmer, Britta Viebrock DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 51 • Heft 2 ihre individuellen sprachlichen Ressourcen in ihrer Forschung über Mehrsprachigkeit nutzen. Mit Blick auf Forschung über Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeit als Forschungsmodus stellt sich eine Reihe von Fragen, die zum einen praktische Entscheidungen betreffen, zum anderen aber auch ganz grundlegende Überlegungen berühren. Im Hinblick auf die Arbeit mit mehrsprachigen Forschungspartner: innen ist beispielsweise Folgendes zu überlegen: • Welche Sprachbegriffe liegen dem Forschungsprojekt zugrunde, das selbst Mehrsprachigkeit als Thema in den Blick nimmt, und wie werden diese Sprachbegriffe offengelegt? • Welchen Einfluss haben die Sprachbegriffe auf das Forschungsdesign? D.h. in welchen Sprachen wird der Forschungsprozess durchlaufen, in welchen Sprachen werden Forschungsinstrumente entwickelt und Daten erhoben und welche Entscheidungen liegen dem zugrunde? • Welche Rolle spielt der gesellschaftliche und institutionelle (mehrsprachige/ monolinguale) Rahmen für die Generierung möglicherweise stark kontextualisierter Forschungsthemen sowie die Auswahl der Forschungsinstrumente? Fremdsprachendidaktische Forschung erfolgt zunehmend in größeren internationalen Forschungsverbünden, wobei die einzelnen Partner: innen in ihre spezifischen institutionellen Kontexte eingebunden sind, aber gemeinsam im Prozess eines Projektes eine eigene Forschungspraxis entwerfen. Dazu ist eine Diskussion über das Verständnis von Konzepten, die Abläufe im Forschungsprozess, geeignete Forschungsinstrumente und Publikationsorgane erforderlich. Hier müssen sich internationale Forschungsteams mit nachstehenden Fragen auseinandersetzen: • Welche eventuell unterschiedlichen Sprachbegriffe und Begriffe von Mehrsprachigkeit werden international diskutiert und welche Entwicklungsperspektiven ergeben sich dann aus einer internationalen Kooperation? • Welche unterschiedlichen kontextuellen Forschungserfordernisse und Forschungsschwerpunkte und welche gesellschaftlichen oder institutionellen Rahmungen von Forschung gibt es, die möglicherweise eine Kooperation erschweren oder ein additives Vorgehen erfordern? • Wie wird in der Analyse von mehrsprachigen Forschungsdaten verfahren? • In welchen Sprachen, gemeinsam in der internationalen Gruppe oder in nationalen Untergruppen, und wo erfolgen Vorträge und Projektpublikationen? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus? • Welche Lingua franca wird für Vorträge/ Publikationen verwendet und welche Wirkung hat das auf die Darstellung von theoretischen Konzepten und von (mehrsprachigen) Forschungsdaten? Welche Praxis der Übersetzung theoretischer Konzepte wird von der Forschungsgruppe eingesetzt oder von Herausgeber: innen von Fachzeitschriften etc. eingefordert? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus? Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 Darüber hinaus ist die internationale Forschungslandschaft und sind die vielfach überwiegend englischen Praktiken im internationalen akademischen Diskurs kritisch zu betrachten (vgl. hierzu A MMON 2012, A MANO et al. 2016). Nachstehende Fragen lassen sich in diesem Zusammenhang diskutieren: • Wie zugänglich sind internationale Publikationsorgane und welche Sprachen - insbesondere im Hinblick auf mehrsprachige Forschungsmodi - werden zugelassen? • Welche Mechanismen sind erforderlich zur Herstellung internationaler Transparenz von Forschungsprojekten und -ergebnissen, insbesondere, wenn diese mehrsprachig sind bzw. auf mehrsprachigen Daten beruhen? • Inwieweit berücksichtigen peer review-Verfahren eine mögliche sprachlichkulturelle Situiertheit von theoretischen Ansätzen und Forschungsperspektiven, und zwar sowohl auf Seiten der Gutachter: innen als auch auf Seiten der Begutachteten? • Welche Wirkung hat Mehrsprachigkeit und internationale Diversität in der Forschungslandschaft auf die Bewertung von Forschungsprojekten und welche Sprachen werden berücksichtigt (z.B. Zitierindices, Rezensionen, Vergabe von Drittmitteln)? Ein großer Teil dieser Fragen wird in den nachfolgenden Beiträgen diskutiert. Hierbei werden Chancen und Herausforderungen mehrsprachiger Forschungsansätze in den Blick genommen und Fragen nach spezifischen Entscheidungsfeldern (z.B. hinsichtlich der Erhebung, Auswertung, Dissemination mehrsprachiger Daten) sowie nach den Voraussetzungen, Optionen und Bedingungen der beteiligten Akteur: innen (Forscher: innen, Studienteilnehmer: innen, akademischer Kontext) reflektiert. Der Beitrag von B RITTA V IEBROCK , G ABRIELA M EIER und R ANDA AIS ABAHI entwirft ein Modell zur Reflexion mehrsprachigkeitsbezogener Entscheidungen im Forschungsprozess. Anhand empirischer Daten sowie weiterer theoretischer Modelle (H OLMES et al. 2013) liefern die Autorinnen einen Rahmen mit sechs Dimensionen: doability, identity, structure/ system, ethics, context and theory (DISSECT), anhand derer notwendige Entscheidungsprozesse systematisch reflektierbar werden und gerade auch im Kontext der Ausbildung der Nachwuchsförderung - nicht nur im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung - nutzbar gemacht werden können. Zunächst heben sie die besonderen Kompetenzen mehrsprachiger Forscher: innen hervor, die aufgrund ihrer Zugänge zu spezifischen Forschungsfeldern den jeweiligen Akteur: innen Gehör verschaffen können und damit weitere Perspektiven auf rein englischsprachig generierte Daten werfen. Die Autorinnen machen zudem die Zwänge deutlich, in denen sich Forscher: innen im nationalen und internationalen Kontext sehen, d.h. die Erfordernis, die eigene Forschung sichtbar zu machen und geschickt zu platzieren. Auch Gepflogenheiten im Publikationswesen und die Setzung von Englisch als internationaler Wissenschaftssprache werden kritisch hinterfragt: So kann ein bereits publizierter Beitrag in der Regel nicht erneut in einer Übersetzung als reguläre 6 Dagmar Abendroth-Timmer, Britta Viebrock DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 51 • Heft 2 Publikation in einer anderen Sprache veröffentlicht werden. Dies verhindert die Dissemination von Forschungsergebnissen je nach Wahl der Sprache entweder im lokalen oder internationalen Raum. Eine Rolle spielt bei dieser Entscheidung letztlich die Kontextualisiertheit von Projekten in lokalen bzw. nationalen Bildungssystemen. Mit dem Beitrag von K ATJA L OCHTMAN wird eine Bildungsinstitution in einem mehrsprachigen gesellschaftlichen Kontext in den Blick genommen. Die enge Verbindung zwischen der gesellschaftlichen und der institutionellen Ebene zeigt Katja L OCHTMAN in ihrer Fallstudie zur Nachwuchsförderung im Bereich Mehrsprachigkeit an der Vrije Universiteit Brussel. Sie geht der Frage nach, wie auf Mehrsprachigkeit hin orientierte Strukturen in der Ausbildung (und in einem offiziell mehrsprachigen Land) von Forscher: innen auf ihre Forschung wirken. Dazu umreißt sie zunächst die Besonderheit des mehrsprachigen Raums Brüssels, in dessen Bevölkerung über 100 Sprachen vertreten sind. In Belgien selbst gibt es drei Schulsysteme in den Landessprachen Niederländisch, Französisch und Deutsch. In der Bewertung aller Herkunfts- und Schul(fremd)sprachen zeigen sich aber große Prestigeunterschiede und auch hier setzt sich das Englische in verschiedenen gesellschaftlichen und beruflichen Bereichen als Verkehrssprache durch. Im Wissenschaftsbereich sind wichtige Leistungsindikatoren mit internationalen Forschungsaktivitäten und ebenfalls mit Englisch als Lingua franca verbunden. Insofern ist ein hoher Bedarf an Mehrsprachigkeitskonzepten gegeben. Im Folgenden liefert Katja L OCHTMAN Prinzipien einer Mehrsprachigkeitspädagogik (Interkomprehension, Code-switching, Translanguaging, Sprachbewusstheit, Lernerautonomie, Gesamtsprachencurricula), die auf die Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs im Bereich Mehrsprachigkeitsforschung angewandt werden können. Einige anschauliche Beispiele von Themen und betrachteten Sprachen in Masterarbeiten an der Vrije Universiteit Brussel runden den Beitrag ab. Auf der Ebene institutioneller Strukturen und damit verbundener personeller Mindsets zu Englisch als Wissenschaftssprache und der Umsetzbarkeit von Mehrsprachigkeitsansätzen im universitären System setzt der Aufsatz von C ONSTANZE B RAD - LAW , B RITTA H UFEISEN und S TEFANIE N ÖLLE -B ECKER an. Es wird zunächst betrachtet, welche Konsequenzen Internationalisierungsbestrebungen deutscher Universitäten haben und welche Fragen sich hinsichtlich der Rolle des Englischen, Deutschen und der Herkunftssprachen internationaler Studierender stellen. Die Autor: innen plädieren für die Anwendung des Konzeptes der funktionalen Mehrsprachigkeit, das auch im Companion Volume des Gemeinsamen Referenzrahmens (C OUNCIL OF E UROPE 2018) als Basis verwendet wird. Dabei geht es um die individuelle und kontextbezogene Verwendung des gesamten sprachlichen Repertoires der Sprach: nutzerinnen mit dem Ziel gelingender Kommunikation, die asymmetrisch mehrsprachig erfolgen kann. Dies setzen sie als europäisches Bildungsziel innerhalb eines Modells gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe und Integration. Hochschulen müssen es insofern zum einen ermöglichen, Bildungsangebote sprachlich rezipierbar und damit für internationale Studierende oft in englischer Sprache zu liefern. Fragen der Gewinnung und der Dissemination von Forschungsergebnissen stehen damit selbstverständlich in Zusammenhang. Hochschulen müssen zum anderen aber auch dafür Sorge tragen, Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 dass sich internationale Absolvent: innen in ihrem universitären, außeruniversitären und späteren beruflichen Lebensraum sprachlich-kulturell einfinden. Die Autor: innen beschreiben schließlich an einigen Beispielen den Stand der konzeptuellen Überlegungen zur Förderung funktionaler Mehrsprachigkeit an der Universität Darmstadt. C ATERINA S UGRAÑES E RNEST und D AVID S OLER O RTÍNEZ stellen eine Befragung von Nachwuchswissenschaftler: innen in einem Erasmus-Programm zur Vernetzung internationaler Forschung im Bereich Mehrsprachigkeitsforschung in den Mittelpunkt ihres Artikels. Sie befragen internationale Teilnehmer: innen einer online Studienwoche und gehen dabei der Frage nach, wie die Teilnehmer: innen ihr mehrsprachiges Repertoire einsetzen und welche Rolle hierbei das Englische als Lingua franca spielt. Gerahmt wird die Studie durch theoretische Überlegungen zu Englisch als facilitator, also als Sprache, die Kommunikation zwischen Personen unterschiedlicher Sprachen ermöglicht. Weiterhin thematisieren die Autor: innen die Rolle von Sprachen in der Identitätsbildung mehrsprachiger Individuen bzw. Forscher: innen. Dabei stützen sie sich auf einen dynamischen und situierten Identitätsbegriff, wodurch sie die Rolle des (mehrsprachigen) sozialen Kontextes und auch die Wirkung des (mehrsprachigen) Individuums auf das eigene Umfeld im Sinne von agency betonen. In der empirischen Studie stellt sich heraus, dass einige Teilnehmer: innen dem Englischen in der Tat eine Funktion als facilitator bei der kollaborativen Arbeit in der Studienwoche zuschreiben, andere dagegen hierin eine Hürde bei der Entwicklung von mehrsprachigen Praktiken sehen. Teils wird Englisch auch als Brückensprache betrachtet, d.h. als Kommunikationsmittel um andere Sprachen vergleichend einzubringen und dabei sprachlich zu mitteln. Im Hinblick auf die Identität der Befragten als mehrsprachige Individuen trug die Studienwoche zu einer verstärkten Bewusstheit bei, wohingegen sich bezüglich der Identität als mehrsprachige Forscher: innen den Autor: innen kein einheitliches Bild zeigt, so dass weiterer Forschungsbedarf besteht. C HRISTIAN K OCH widmet sich in seinem Artikel den praktischen Fragestellungen der Transkription mündlicher mehrsprachiger Daten von Sprachlerner: innen. Der Beitrag siedelt sich damit - wie der Verfasser betont - an einer wichtigen Schnittstelle zwischen Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik an. Vor allem der jeweils zugrundeliegende Begriff von Sprache und Sprecher: innen spielt für die konversationsanalytische Transkription eine Rolle, d.h. die Abkehr von einem Muttersprachenkonzept hin zur nicht defizitorientierten Vorstellung mehrsprachiger Sprachnutzer: innen. So zeigt sich, dass Entscheidungen bezüglich der Darstellung sprachlicher Realisierungen im Transkript hoch komplex sind, d.h. werden Normabweichungen mit [sic! ] markiert oder werden individuelle, mehrsprachig begründbare Sprachrealisierungen wertneutral über eine phonetische Umschrift sichtbar gemacht. Christian K OCH analysiert detailliert die einzelnen Schritte, die Forscher: innen von der Erhebung bis zur ersten Analyse gehen müssen. Dabei wird sehr deutlich, wie die jeweiligen Entscheidungen unmittelbar auf die analytischen Schlussfolgerungen der Forscher: innen und auch der Rezipient: innen ihrer Daten und Analysen wirken. In dem Zusammenhang wird ferner auf mögliche Verfahren der Übersetzung von Teilen der Transkripte eingegangen. All dies wird anhand von Daten einer eigenen umfassenden 8 Dagmar Abendroth-Timmer, Britta Viebrock DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 51 • Heft 2 Studie zu polyglotten Sprecher: innen anschaulich illustriert. Die Tatsache, dass der Fokus auf romanischen Sprachen liegt, liefert einen besonderen Beitrag zur Forschung über Mehrsprachigkeit, da diese zu komplexen lernersprachlichen Phänomenen führen. Damit zeigt sich auch hier, dass der alleinige Blick auf L1 + Englisch durch Forschung über andere Sprachkonstellationen zu erweitern ist und von grundsätzlicher Relevanz für etablierte Forschungsprozesse und -methoden ist. Den Abschluss bildet ein Beitrag von G RIT M EHLHORN zu einem longitudinalen Forschungsprojekt über vier Jahre zu Herkunftssprachen bilingualer Jugendlicher im Alter von 12 bzw. 13 Jahren bei Projektbeginn. Zunächst liefert die Autorin vertiefte Einblicke in die aktuelle Herkunftssprachenforschung und damit verbundene dynamische Kompetenzmodelle. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen dann forschungsmethodische Fragestellungen der Mehrsprachigkeitsforschung. Auch hier geht es um die Frage der Erfassung sprachlicher Daten, mehrsprachiger Praktiken und der diesbezüglichen Einstellungen. Berücksichtigt werden neben den Herkunftssprachen, die Umgebungs- und Schul(fremd)sprachen der Jugendlichen. Diese Komplexität wird mit einem ebenso umfassenden Methodenrepertoire von Sprachstandtests bis hin zu Interviews der Jugendlichen und ihrer Bezugspersonen ermittelt. Es zeigt sich, dass insbesondere standardisierte Testverfahren auf die Einzelsprachen (Closeversus C- Tests) und die möglichen Spracherwerbsbedingungen (z.B. schriftsprachliche Kompetenzen im Russischen) abzustimmen sind. Auch der Vergleich von Kompetenzen und Einstellungen zwischen den Bezugspersonen (i.d.R. die Mütter) und den Jugendlichen liefert wichtige zusätzliche Erkenntnisse. Ferner zeigt sich, wie wirksam die Integration von Herkunftssprachen in schulische Bildungsangebote für den Kompetenzaufbau der Jugendlichen ist. Die Ergebnisse belegen daneben den hohen Einfluss der individuell variablen Kontextfaktoren wie familiärer Input, Einstellungen, außerschulische Bildungsangebote und Sprachkontakte. All dem kann nur mit einem komplexen Erhebungsverfahren begegnet werden. Insgesamt bilden die Beiträge exemplarisch die oben aufgeworfenen Fragen im Hinblick auf gesellschaftliche und institutionelle Strukturen, forschungspraktische Fragestellungen zum Umgang mit mehrsprachigen Forschungsdaten und pragmatische Entscheidungen von Forscher: innen im Hinblick auf Sichtbarkeit ihrer Forschung im Wechselverhältnis mit Gepflogenheiten im Wissenschaftsbetrieb auf einer internationalen Ebene bestens ab. Es zeigt sich, dass Mehrsprachigkeit nicht nur als Forschungsthema von großer Bedeutung ist, sondern dass diese auch als Forschungsmodus in fundamentaler, institutioneller und pragmatischer Weise zu reflektieren ist. Ähnlich wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist Mehrsprachigkeit eine gelebte Realität, die auch in Forschungskontexten offensiv adressiert und nutzbar gemacht werden sollte. Zur dringend notwendigen Erweiterung der Diskussion um mehrsprachige Forschung versteht sich das vorliegende Themenheft als wichtiger Impulsgeber. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0015 Literatur A MANO , Tatsuya / G ONZÁLEZ -V ARO , Juan P. / S UTHERLAND William J. (2016): „Languages are still major barrier to global science“. In: PLoS Biology 14.12, e2000933. A MMON , Ulrich (2012): „Linguistic inequality and its effects on participation in scientific discourse and on global knowledge accumulation - With a closer look at the problems of the second-rank language communities“. In: Applied Linguistics Review 3.2, 333-355. A NDREWS , Jane / F AY , Richard / W HITE , Ross (2018): „From linguistic preparation to developing a translingual mindset - possible implications of plurilingualism for researcher education“. In: C HOI , Julie / O LLERHEAD , Sue (Hrsg.): Plurilingualism in teaching and learning. London: Routledge, 220-233. http: / / eprints.uwe.ac.uk/ 34402 (30.05.2022). C OUNCIL OF E UROPE (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion Volume with New Descriptors. Online: www.coe.int/ lang-cefr (23.5.2022). C URRY , Mary Jane / L ILLIS , Theresa M. (2014): „Strategies and tactics in academic language production by multilingual scholars“. In: Education Policy Analysis Archives 22.32, 1-24. F ÄCKE , Christiane / M EIßNER , Franz-Joseph (Hrsg.) (2019): Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen. Narr, Francke, Attempto. G ANASSIN , Sara / H OLMES , Prue (2013): „Multilingual research practices in community research: The case of migrant/ refugee women in North East England“. In: International Journal of Applied Linguistics 23.3, 342-356. H OLMES , Prue / F AY , Richard / A NDREWS , Jane / A TTIA , Mariam (2013): „Researching multilingually: New theoretical and methodological directions“. In: International Journal of Applied Linguistics 23.3, 285-299. http: / / eprints.uwe.ac.uk/ 20419 (30.05.2022). 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