eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 51/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2022-0020
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2022
512 Gnutzmann Küster Schramm

Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen

91
2022
Christian Koch
flul5120068
DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 C HRISTIAN K OCH * Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen Vorschläge zur Transkription mündlicher Sprachdaten in der Fremdsprachenforschung Abstract. Existing transcription conventions for spoken language provide extensive solutions to transcribe specific languages, and they can often be adapted to the transcription of other languages. However, the issue is more complex when the audio material is multilingual. In the case of bilingual data and if both languages are clearly distinguishable from each other, this can still be solved by simple typographical marking (regular vs. oblique), but it requires more elaborate solutions to visualise multilingualism and language hybrids, that can be particularly frequent in settings of language learning. For this purpose, I present a transcription system developed for polyglot speaking. With regard to practices of international publishing, but also for the access to languages that are not understood by the entire readership, the translation of language data is discussed in a final chapter. 1. Einleitung Die Betrachtung von Mündlichkeit ist für die Fremdsprachenforschung von zentralem Interesse, stellt die Forschenden im Hinblick auf die Verarbeitung und Präsentation sprachlicher Daten jedoch auch vor große Herausforderungen. Akustische oder audiovisuelle Aufnahmen müssen für die weitere Analyse in eine schriftliche Form überführt werden. Für das Handwerk des Transkribierens kann die Fremdsprachendidaktik auf Methoden der Nachbardisziplinen - insbesondere der sprachwissenschaftlichen Konversationsanalyse und der empirischen Sozialforschung - zurückgreifen. Bei der Abbildung von Lernersprache besteht jedoch eine besondere Schwierigkeit darin, dass für die Darstellung erwartbarer lautlicher, grammatikalischer und lexikalischer Abweichungen von der zielsprachlichen Norm in der Transkription sinnvolle Lösungen gefunden werden müssen. Die Verbindung von Mündlichkeit und Mehrsprachigkeit kann zum einen im Hinblick auf spezifische Bereiche des mehrsprachigen Handelns (vgl. A BENDROTH - * Korrespondenzadresse: Dr. Christian K OCH , Universität Siegen, Romanisches Seminar, Adolf- Reichwein-Str. 2, 57076 S IEGEN . E-Mail: koch@romanistik.uni-siegen.de Arbeitsbereiche: Mehrsprachigkeitsforschung, Diskursmarker im Spracherwerb, kontrastive Linguistik. Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 69 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 T IMMER / G ERLACH 2021: 211-223) wie etwa Tertiärsprachenlernen (z.B. D IETRICH - G RAPPIN 2020) oder Sprachmittlung (z.B. P ANZER 2021) verstanden werden, zum anderen ist darunter eine universelle Auffassung von Fremdsprache im Zusammenspiel mit Erstsprache(n) und weiteren zuvor und parallel gelernten Sprachen sowie sprachlichen Varietäten zu begreifen, wie sie etwa in den Konzepten des Gesamtsprachencurriculums (vgl. H UFEISEN 2018) und der Aufgeklärten Mehrsprachigkeit (vgl. R EIMANN 2016) vertreten werden. Mehrsprachige Gesprächsaufnahmen sind daher nicht ausschließlich solche Formate, in denen voneinander abgrenzbare Sprachen zum Einsatz kommen, sondern auch vermeintlich monolinguale Lernersprache, in der hybride oder translinguale Phänomene auftreten, kann diesem Bereich im weiteren Sinne zugeschrieben werden. Der folgende Beitrag diskutiert Methoden der Transkription von mündlichen Sprachdaten und macht Vorschläge zur Abbildung von Mehrsprachigkeit. Im ersten Teil geht es um grundlegende Abwägungen bei der Wahl und Gestaltung von Transkriptionssystemen im Hinblick auf spezifische Bedarfe des Forschungsvorhabens. Abschnitt 3 stellt ein in K OCH (2020) entwickeltes System vor, das zur Verschriftlichung mündlicher Erzählungen von romanisch-polyglotten Sprecher: innen eingesetzt worden ist und als Beispiel für die Abbildung komplexer mehrsprachiger Repertoires dienen soll. Insbesondere die einführende Konzeption des Systems (ebd.: 219-224) wird hier aufgegriffen und anhand von Beispielen erläutert. Im letzten Teil werden Strategien zur Präsentation von Forschungsdaten in Form von Übersetzungen angesprochen. 2. Grundlegendes zur Transkription von Sprachdaten 2.1 Funktionen der Transkription Die Arbeit des Transkribierens mag als lästige Tätigkeit empfunden werden, bietet jedoch Gelegenheit, das Datenmaterial eingehend zu studieren, denn bereits das Transkribieren selbst ist „als analytische Praxis“ (G ÜLICH / M ONDADA 2008: 30) zu betrachten. Hauptfunktionen der Transkription sind die Durchführbarkeit von Analysen und die Präsentation der Daten, da die nach wie vor dominierenden Publikationsformate der Wissenschaft an das geschriebene Wort und die statische Visualisierung auf dem Papier gebunden sind. Selbst wenn das Korpus multimedial bereitgestellt werden kann, ist eine Darstellung in Form eines Transkriptes kaum zu ersetzen, schon allein, weil das Aufrufen entsprechender Medien parallel zur Lektüre einen erhöhten Arbeitsaufwand darstellt. Davon abgesehen ist die allgemeine Bereitstellung von Aufnahmen, die im schulischen Kontext entstanden sind, gemeinhin nicht möglich, da trotz Anonymisierung das Risiko der Wiedererkennung von Schüler: innen in sensiblen Unterrichtssituationen besteht. Hier tragen Wissenschaftler: innen, die mit Aufzeichnungen von Kindern und Jugendlichen arbeiten, eine besondere Verantwortung (vgl. V IEBROCK 2015). Insofern stellt die Transkription in ihrem Anspruch der genau- 70 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 eren schriftlichen Abbildung gesprochener Sprache auch ein Surrogat für die Rohdaten dar, die aus juristischen und/ oder forschungsethischen Gründen nicht veröffentlicht werden können. 2.2 Festlegung von Transkriptionskonventionen Zur Transkription gesprochener Sprache, die im Unterrichtsgeschehen oder als spezifische Sprachprobe aufgezeichnet worden ist, bietet die Konversationsanalyse eine Reihe von Werkzeugen zur Erstellung einer sog. literarischen Umschrift, d.h. einer Verschriftlichung, die sich an den orthographischen Konventionen der geschriebenen Sprache orientiert. Transkriptionskonventionen dienen der Darstellung von Parametern der gesprochenen Sprache, die über das konventionelle Schriftbild hinausgehen. Dies sind Merkmale wie Intonation, Sprechtempo, Lautstärke, Pausen, Atmung, Häsitation (äh usw.) sowie Redeorganisation insbesondere im Hinblick auf Wechsel zwischen den Gesprächsteilnehmer: innen. Weiterhin sind Indikationen von Undeutlichkeiten - d.h. nicht identifizierbaren Äußerungen oder vermutetem Wortlaut - und Kommentaren zum außersprachlichen Interaktionsgeschehen notwendig. Die Transkription versteht sich dabei als „Kompromiss zwischen Genauigkeit und Lesbarkeit“ (J ENSEN 2005: 257). Daher orientieren sich Transkripte an der geschriebenen Sprache, wobei die Lesbarkeit mit jeder zusätzlichen Markierung erschwert wird, die über das konventionelle Schriftbild hinausgeht oder davon abweicht. Die Auswahl der zu transkribierenden Parameter erfolgt im Hinblick auf die Relevanz für die Forschungsfrage. So darf man diskutieren, ob etwa die Atmung einschließlich Varianten des Ein- und Ausatmens in unterschiedlicher Dauer und Lautstärke dokumentiert werden muss, wenn z.B. die Verwendung von Wortschatz im fremdsprachlichen Sprechen untersucht werden soll. Aber man müsste weiter differenzieren: Soll verwendeter Wortschatz lediglich quantitativ inventarisiert werden, kann man vielleicht auf die Darstellung der Atmung verzichten, und es wäre sogar von Vorteil für eine automatische Auszählung, ein stark an der Schriftsprache orientiertes Transkript zu erstellen. Soll hingegen die Abrufbarkeit von Vokabeln aus dem mentalen Lexikon qualitativ analysiert werden, kann es von Bedeutung sein, wie zügig der Redefluss abläuft und ob es sich bei einer Verzögerung vor einem Lexem um eine ungefüllte (Denk-)Pause oder eben ein notwendiges Einatmen handelt. Für die folgenden Transkriptionsvorschläge wird das in der deutschsprachigen Germanistik entstandene Gesprächsanalytische Transkriptionssystem (GAT) in der modernisierten Form als GAT 2 (vgl. S ELTING et al. 2009) genutzt. Hierfür gibt es auch eine englische Version (S ELTING et al. 2012) sowie eine spanische Adaption (E HMER et al. 2019). Vorzüge von GAT 2 liegen in der einfach gehaltenen Symbolik, die ohne Sonderzeichen jenseits des Tastaturinventars auskommt 1 , und in der relativ 1 Allein im Feintranskript sind zwei Pfeilsymbole (↓, ↑) zur Kennzeichnung von auffälligen Tonhöhensprüngen vorgesehen (vgl. S ELTING et al. 2009: 391f.). Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 71 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 schlichten Layoutgestaltung, die i.d.R. gut an verschiedene Publikationsformate angepasst werden kann. Darüber hinaus wird nach Minimal-, Basis- und Feintranskript differenziert (vgl. den Überblick der Symbole in S ELTING et al. 2009: 391-393), so dass man nach Verwendung grundlegender Parameter des Minimaltranskripts entscheiden kann, welche Stufen der genaueren Transkription für die spezifische Analyse von Bedeutung sind. Die Adäquatheit des Transkribierens mit GAT 2 wird jedoch dann auf die Probe gestellt, wenn die Transkriptionsprogramme EXMARaLDA oder FOLKER eingesetzt werden, da hier die GAT-Interpunktion kontrolliert wird (vgl. ebd.: 401). 2 Die Wahl des Transkriptionssystems kann von weiteren Faktoren abhängen. Ist eine Eingliederung in eine Datenbank eines Verbundprojektes vorgesehen, bestehen zumeist Vorgaben. Im Hinblick auf moderne Publikationsformate wie ePUB sind aufwändige Layouts - insbesondere die Partiturschreibweise - eher aus der Mode gekommen und können allenfalls noch als Grafiken sicher in eBooks fixiert werden. Auch nicht in jeder Publikation durchzusetzen ist die für diverse Transkriptionssysteme übliche Wiedergabe der Schreibmaschinenschriftart Courier New, deren Verwendung als „äquidistanter Schrifttyp“ (ebd.: 358) mit der Minimierung von Konvertierungsproblemen begründet wird. Hierbei geht es v.a. um die genaue vertikale Positionierung von Redeüberlappungen. Daneben sehe ich einen wesentlichen Wert der Verwendung einer solchen Schriftart als Mittel der typographischen Abgrenzung für die Darstellung gesprochener Sprache. Allen gängigen Transkriptionssystemen gemein ist, dass der Aspekt der Mehrsprachigkeit gar nicht oder nur am Rand diskutiert wird. Bei S ELTING et al. (363) gibt es lediglich den Hinweis, dass die Schreibweise von Fremdwörtern beibehalten bleiben solle, und dann eine etwas wunderliche Ergänzung: „Auffällige Abweichungen von der in der deutschen Standardsprache üblichen Aussprache werden aber notiert, z.B. zitty für city mit anlautender Affrikate.“ Tatsächlich ist artikulatorische Abweichung ein potenziell wichtiges Element für die fremdsprachendidaktische Analyse. Ob allerdings die Schreibweise „zitty“ - wofür das Doppel-t? - als lesbar gelten kann, sei dahingestellt. Die Transkription mehrsprachiger Daten beruht nicht selten auf Improvisationen wie dieser. Im Folgenden stelle ich einige Strategien vor, die für die Transkription multilingualer bzw. translingualer Rede in K OCH (2020) zum Einsatz gekommen sind. 3. Transkription mehrsprachiger Daten 3.1 Herausforderungen und Lösungsansätze Zunächst sei ein Beispiel angeführt, in dem die Wiedergabe von Mehrsprachigkeit unproblematisch erscheint. R EIMANN (2019) untersucht kommunikative Prozesse in 2 So erlaubt die Software keine orthographiekonforme Verwendung des Bindestrichs, der ausschließlich als Intonationszeichen dienen soll (s. hierzu weiter unten). 72 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 der mündlichen Sprachmittlung und gibt hierfür eine Reihe von Auszügen aus Aufnahmen aus dem schulischen Spanischunterricht wieder, u.a. den folgenden (ebd.: 370): (1) 1 Dolm: sie ist zwanzig jahre. 2 D: okay aber in deutschland leben wir ja eigentlich schon 3 alle alleine mit zwanzig. 4 Dolm: sí, pero en alemania los jóvenes viven ehm °h en un piso: 5 propia: (.) cuando tienen (.) veintes años. 6 Sp: eh: : sí pero (.) la familia por mí es más importante que 7 tener un piso propio. 8 Dolm: ja für sie ist es wichtiger, mit der familie zusammen zu 9 leben als ein eigenes zimmer (.) also eine eigene wohnung 10 zu haben. Das nach GAT-Konventionen verfasste Transkript 3 enthält Sequenzen auf Deutsch und auf Spanisch, wobei die Unterscheidung nicht typographisch markiert ist. Trotzdem ist die Sprachverteilung deutlich, denn es gibt zum einen einsprachige Rollen, und auch die dolmetschende Person wechselt nicht innerhalb der einzelnen Turns. Außerdem sind die beiden Sprachen in ihren Schreibkonventionen so unterschiedlich, dass man sich an keiner Stelle fragen wird, ob etwas deutsch oder spanisch zu lesen ist. Generell wäre bei der Verwendung von zwei Sprachen eine typographische Markierung (z.B. recte vs. kursiv) denkbar, gleichwohl sie in den GAT-Konventionen nicht vorgesehen ist, u.a. weil diese Markierung in der softwarebasierten Korpusanalyse zumeist nicht berücksichtigt werden kann. Bezüglich der Lernersprache fällt in diesem Auszug in Z. 5 eine im Spanischen inexistente Form auf: *veintes anstelle von veinte (‘zwanzig’). Dass Numeralia eine Pseudo-Pluralendung erhalten, ist ein gängiger Fehler, allerdings stellt sich bei der Verschriftlichung von Lexemen, die gegen die Norm verstoßen, manchmal die Frage, ob bei der Imitation der lernersprachlichen Äußerung eine Überinterpretation des akustisch Wahrnehmbaren oder womöglich nur ein Tippfehler im Transkript vorliegt. Letzteres könnte mit der Markierung durch „sic! “ ausgeschlossen werden, wie sie in Zitaten üblich ist. Prinzipiell sehen die GAT-Konventionen eine genaue Verschriftlichung des akustischen Wortlauts vor (vgl. S ELTING et al. 2009: 360--362). Im Kontext der L1 handelt es sich dabei um den Anspruch der literarischen Verschriftlichung von Nähesprache in Form des sog. eye dialect (gehn statt gehen, haste statt hast du; vgl. D ITTMAR 2009: 66), der den Gepflogenheiten orthographischer Normabweichung folgt. Diese unterscheiden sich wiederum von Sprache zu Sprache und es ist fraglich, inwieweit die Strategien zur Verschriftlichung von Nähesprache auf die Transkription von Lerner- 3 Ob es lediglich Mikropausen - (.) - gibt, ob jeder Turn zum Ende stark fällt, wie es die Punkte anzeigen, und ob danach gar keine Pausen folgen, muss hinterfragt werden. Diese kritische Anmerkung zum Transkript soll jedoch nicht die analytische Qualität des Beitrags für die Erforschung von Sprachmittlungsprozessen infrage stellen. Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 73 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 sprache übertragen werden können. Während es bei der Nähesprache um die Rekurrenz auf geläufige Schreibmuster geht, treten in der Lernersprache z.T. ganz individuelle Merkmale der Normabweichung auf, für die Lösungen improvisiert werden müssen. Dies betrifft v.a. phonetische Besonderheiten, die durch unabgeschlossene Lernprozesse und eine generell xenolektale - d.h. fremdsprachlich markierte - Artikulation zu erklären sind. D ITTMAR (2009: 140) schlägt die partielle Verwendung von Lautschrift in GAT vor: „Phonetische Umschrift erfolgt, wo gewünscht, in IPA.“ In der Tat existiert mit der IPA-Lautschrift ein Instrument zur sehr genauen Wiedergabe von Lautlichkeit, allerdings wiederum begleitet von dem Problem der erschwerten Lesbarkeit. Daher plädiere ich für einen Minimaleinsatz phonetischer Symbole zur Herausstellung signifikanter Besonderheiten, da diese so zum einen durch eckige Klammern gut graphisch markiert und zum anderen fiktive Schreibweisen vermieden werden können, die beim Lesen nicht immer einwandfrei interpretierbar sind. Die Vor- und Nachteile verschiedener Varianten sollen in Tabelle 1 anhand von zwei Beispielen illustriert werden: (1) Die Konjugation spanischer Verben ist von einer Reihe von Vokalwechseln geprägt. So kann z.B. ein fehlender Vokalwechsel in der indefinido-Form von pedir (‘bitten’) zu der Artikulation [ˈel peˈðjo] für él pidió/ [ˈel piˈðjo] führen. (2) Das französische Adverb plus (‘mehr’) besitzt die Schwierigkeit, dass es je nach Position unterschiedlich ausgesprochen wird: [ply]/ [plyz]/ [plys]. Kommt es vor einem Adjektiv zu einer normabweichenden Aussprache [plys], z.B. bei plus grand - [plyɡʁɑ͂ ] -, so gibt es auch hier verschiedene Möglichkeiten der Transkription: Option Beispiel 1 Beispiel 2 Vorzüge und mögliche Schwierigkeiten normative Umschrift él pidió plus grand Diese Form ist am leichtesten lesbar, aber das Aussprachephänomen wird nicht deutlich. eye dialect él pedió pluS 4 grand pluss grand plusse grand Das Aussprachephänomen ist sichtbar. Die improvisierte Schreibung könnte jedoch als Fehler im Transkript missinterpretiert oder übersehen werden. phonetische Umschrift él [peˈðjo] [plys] grand Die Umschrift weist auf eine artikulatorische Besonderheit hin, die von den Leser: innen jedoch erst entdeckt werden muss. minimale phonetische Umschrift él p[e]dió plu[s] grand Die Transkription ist noch gut lesbar und setzt den Fokus auf das artikulatorisch abweichende Element. Tab. 1 Transkriptionsoptionen für artikulatorische Normabweichungen 4 Die Verwendung von Majuskeln dient in GAT 2 ausschließlich zur Kennzeichnung lautlicher Hervorhebungen (Fokusakzent). Da es bei der Schreibweise pluS nicht um einen Fokusakzent handelt, kann man über die Zulässigkeit streiten. 74 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 Das Prinzip der minimalen phonetischen Umschrift, d.h. die in die literarische Transkription eingebettete Herausstellung einzelner, bemerkenswerter Laute, erweist sich für mich im Hinblick auf Lesbarkeit und Hervorhebung gleichermaßen als praktikabel, da es den Leser: innen das abweichende Element markant vor Augen führt. Obwohl die eckigen Klammern auch für die Kennzeichnung von Redeüberlappungen verwendet werden, halte ich die Doppelbelegung der Symbole für unproblematisch, da die Redeüberlappung durch die vertikale Anordnung der Redeteile zusätzlich angezeigt wird (s.u. Transkript 2), so dass eine inhaltliche Verwechslung kaum gegeben sein dürfte. An der deutschen Sprache entworfen, müssen weitere GAT-Vorgaben bei der Übertragung auf andere Sprachen überprüft werden. So wird etwa vorgeschlagen, auf Bindestriche bei Komposita zu verzichten, da das Symbol als Anzeige schwebender Intonation verstanden wird (vgl. S ELTING et al. 2009: 363). Wörter mit Bindestrich sollen dann entweder zusammen oder mit Leerzeichen geschrieben werden. Unter den größeren romanischen Sprachen ist man insbesondere bei der Transkription von Französisch, Portugiesisch und Rumänisch 5 auf den Bindestrich angewiesen, um Wortbedeutungen nicht zu verfälschen und die Lesbarkeit nicht zu gefährden. Gleichzeitig ist auch hier die Verwechslungsgefahr gering, da der Bindestrich als Symbol für schwebende Intonation nur am graphischen Wortende steht. Zur Kennzeichnung verschiedener Sprachen wurde oben bereits die Möglichkeit zur typographischen Hervorhebung erwähnt und eingeräumt, dass die Markierung in der digitalen Korpusverwaltung je nach Software problematisch sein kann. In der Präsentation von Transkripten besteht häufig Bedarf, einzelne Analysestellen noch einmal gezielt hervorzuheben, wo dann eine Hervorhebungsform durch die Kennzeichnung der zweiten Sprache bereits belegt wäre. Die im Folgenden vorgestellten Transkripte aus polyglotten Kontexten benötigen überdies Kennzeichnungen von mehr als zwei Sprachen. Hierfür werden zwei Strategien angewendet: Zum einen ist jede Sprechersigle zu Beginn der Zeile mit einem Sprachenkürzel indiziert, welche die (primär) gebrauchte Sprache in dem Turn anzeigt. Zum anderen werden einzelne Phrasen oder Wörter einer anderen Sprache in spitzen Klammern 6 angezeigt: <<X>…>. In Abschnitt 3.3 werden einige Beispiele zur Umsetzung - einschließlich sprachlich hybrider Formen - gezeigt. Ergänzt werden die GAT-Konventionen noch um ein Element zur Anzeige sprachlich korrekter Formen, eingerahmt durch geschweifte Klammern: {…}. Gerade dort, wo das Transkript subtile Fehler verzeichnet, die u.U. als Fehler der Transkription interpretiert werden könnten, hilft ein solcher Hinweis und ist wahrscheinlich aussagekräftiger als die laufende Verwendung von „sic! “. Also kennzeichnet z.B. engl. she 5 Im Rumänischen kennzeichnet der Bindestrich die Elision (z.B. n-am aus nu + am, ‘ich habe nicht’). Hierfür verwenden andere Sprachen den Apostroph, dessen Gebrauch in GAT 2 gemäß S ELTING et al. (2009: 360) für das Deutsche ebenfalls ausgeschlossen wird. 6 Eigentlich handelt es sich um die mathematischen Operatoren Kleiner als und Größer als, die in GAT 2 anstelle von ‹…› als spitze Klammern verwendet werden. Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 75 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 speak {speaks}, dass eine normabweichende Form wahrgenommen worden ist. Die Verwendung der geschweiften Klammern ist eine Konvention, die zu Missverständnissen führen könnte, wenn sie mit tatsächlichen Äußerungen der Sprecher: innen verwechselt würde. Alternativ könnte eine Mehrebenen-Architektur (vgl. H IRSCHMANN 2019: 119) eingesetzt werden, in der die korrekten Formen in einer weiteren Zeile eingetragen würden. Ein solches Layout, das sich mit verschiedenen Transkriptionsprogrammen einrichten lässt, ist jedoch bei GAT gar nicht vorgesehen. Die lineare Eingliederung von kommentierenden Elementen basiert auf der Vorstellung, dass die Transkription als Überführung gesprochener Sprache in eine geschriebene Form der Deskription in Form einer der paratextuell kommentierenden Beschreibung grundsätzlich vorzuziehen sei (vgl. G ÜLICH / M ONDADA 2008: 32). 3.2 Übersicht von Konventionen für die Transkription mehrsprachiger Daten Auf Grundlage der Konventionen von GAT 2 (S ELTING et al. 2009: 391-393) werden für die Transkription mehrsprachiger Daten folgende Konventionen vorgeschlagen. Symbole, die zuvor nicht angesprochen worden sind, werden direkt aus den Vorgaben übernommen. [ ] Überlappungen/ phonetische Transkription { } korrekte, aber nicht realisierte Form °h / h° Einbzw. Ausatmen (.) Mikropause, geschätzt, bis ca. 0,2 Sek. Dauer (-) (--) / (---) kurze/ mittlere/ längere geschätzte Pause bis 1,0 Sek. Dauer (1.0) gemessene Pausen ab 1,0 Sek. Dauer un_homme Verschleifungen/ liaison/ Sandhi hm_hm zweisilbige Signale realiz/ Wortabbruch 7 ((lacht)) nonverbale Handlungen und Ereignisse <<lachend> > paraverbale Merkmale (xxx) unverständlich (c’est) vermuteter Wortlaut (m-os/ m-es) mögliche Alternativen : / : : / : : : Dehnung, Längung conTAto Fokusakzent ? hoch steigend , mittel steigend - gleichbleibend, schwebend ; mittel fallend . tief fallend <<D> > Wörter oder Phrasen aus einer anderen Sprache, hier Deutsch 7 Dieses Symbol ist in GAT 2 - anders als in anderen Transkriptionssystemen - nicht vorgesehen, scheint aber gerade für hybride Formen sinnvoll, etwa wenn ein Wort in eine Sprache transferiert und dabei apokopiert oder transformiert wird (s.u. Beispiel 5). 76 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 Sprachenkürzel, z.B.: D Deutsch E Spanisch F Französisch I Italienisch P Portugiesisch 3.3 Anwendungsbeispiele In diesem Abschnitt werden zur Illustration der Umsetzung Auszüge aus dem für meine Studie (K OCH 2020) entwickelten Korpus romanisch-polyglotte Sprechens 8 genutzt. Bevor es um die Visualisierung von Mehrsprachigkeit geht, sollen anhand eines einsprachigen Ausschnitts (vgl. ebd.: 352) einige generelle Merkmale des Transkribierens erläutert werden. Dafür enthält das Beispiel eine Reihe von Markierungen, die im Anschluss erläutert werden: (2) 01 P05 F : okay (--) eu: : h 1 donc euh il y a: il était_une 2 foi: s 02 euhm (.) euh un_homme de neige, ((lacht)) 3 03 et euh (--) 4 04 euh un monsieur, euh est passé, 5 eu: h et (.) 05 donc je je je vais parler au passé composé hein? 06 parce que 07 I F : oui 08 P05 F : euh le <<lachend>le passé> 6 simple je (ne) 7 l’utilise 09 jamais ((lacht)) 10 I F : non (.) c’est [pas] la peine (-) 11 P05 F : [euh] 8 12 oui (.) donc euh un monsieur est passé, et euh (-) euhm (--) 13 a donné une gifle eu: h au au à l’ 9 homme de neige, 14 I X : 10 hm, (-) 15 P05 F : eu: : h (-) et la casserole qui étai: t le chapeau de 16 l’homme de neigë: 11 est tombée, (.) 17 I X : hm_hm, (.) 18 P05 F : eu: : h et en fait même l’homme de neige il est (.) 19 la partie supérieure elle est elle est tombée par 20 TErre 12 °h euhm et ça c’était d’une (.) 21 dans la nuit (-) 1 Verzögerungssignale (hesitation phenomena) sind den einzelsprachlichen Schreibungen angepasst, also französisch euh (vgl. G ÜLICH / M ONDADA 2008: 32), 8 In der empirischen Studie sind 15 Personen untersucht worden, die in der Lage sind, vier oder mehr romanische Sprachen mindestens auf dem Niveau B1 mündlich zu verwenden. Für der Untersuchung wurden Sprachproben in Form der Erzählung von Bildergeschichten erhoben, die umfassend auf Transferphänomene analysiert und den Zusammenhalt der romanischen Vielsprachigkeit in Gestalt einer romanischen Sprachkompetenz untersucht worden sind. Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 77 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 sp./ it./ pt. eh, dt. äh, engl. uh/ er usw. Hier ist abzuwägen, ob diese vokalischen Laute als Quasi-Internationalismen immer identisch artikuliert oder den jeweiligen Besonderheiten (frz. [ø]/ [œ]) angepasst sind. Zur genaueren phonetischen Untersuchung vgl. K OCH (2020: 325f.). 2 Die Kennzeichnung von Verschleifung mit Unterstrich ist in GAT 2 vorgesehen. Für das Französische ist gerade in der Lernersprache die Kennzeichnung der liaison von besonderem Interesse, wenn man Realisierungen und Auslassungen genauer beobachten möchte. 3 Die doppelten runden Klammern geben Raum für jede Art von Kommentar, der i.d.R. in der Analysesprache oder Grundsprache des Korpus erfolgt. Ggf. könnte der Kommentar noch um eine Zeitangabe ergänzt werden. 4 Pausenzeichen sind in GAT 2 bereits im Minimaltranskript vorgesehen, da sie ganz wesentlich dazu beitragen, den syntaktischen Aufbau gesprochener Sprache zu verstehen. 5 Interpunktionszeichen werden für prosodische Konturen verwendet. Sie können jedoch von den syntaktischen Strukturen abweichen und dürfen nicht als Satzzeichen missverstanden werden. 6 Die äußeren spitzen Klammern markieren Anfang und Ende einer Äußerungsstelle, die mit einem Kommentar in den inneren spitzen Klammern beschrieben wird. Diese Symbolik ist auch wesentlich für die Kennzeichnung von Elementen aus anderen Sprachen (s. die folgenden Transkripte). 7 Mit den einfachen runden Klammern wird ein vermuteter Wortlaut angegeben. An dieser Stelle kann die Negationspartikel ne wegfallen. Die Kennzeichnung zeigt an, dass der Laut [n] allenfalls angedeutet ist. Man könnte auch eine Alternative mit Nullform angeben: (ne/ Ø). 8 Für Redeüberlappung ist bei GAT 2 eine vertikale Ausrichtung wie in der Partiturschreibweise anderer Transkriptionssysteme vorgesehen. 9 Die Präzision der Transkription sieht vor, dass Reformulierungen - hier zunächst zweimal die kontrahierte Form au, dann die im syntaktischen Umfeld notwendige zu à l’ - in allen Einzelheiten aufgeführt werden, zumal gerade hieran die Formulierungsarbeit untersucht werden kann. 10 Anders als bei den anderen Sprechersiglen, die in diesem Beispiel mit F für Französisch indiziert sind, bezeichnet X eine keiner Sprache zuordbare Lautung, wie sie bei den Hörersignalen in den Zeilen 14 und 17 gegeben ist. 11 Die Kennzeichnung auffälliger Artikulation des e muet mit ë ist ein Spezifikum für die Transkription des Französischen (vgl. G ÜLICH / M ONDADA 2008: 34). Auch für die lernersprachliche Untersuchung kann der Aspekt der Artikulation bzw. Tilgung dieses Lautes von Interesse sein. 12 Die Großschreibung markiert Silben, die artikulatorisch besonders hervorstechen. Hingegen werden keine initialen Großbuchstaben bei Eigennamen und dergleichen verwendet. 78 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 Mehrsprachigkeit kann z.B. in Form von code-switching auftreten. Im folgenden Beispiel wird etwas auf Vallader erzählt (vgl. K OCH 2020: 316): (3) 60 P03 V : cun l’hom da: (---) <<Dm>weiß ich jetzt nicht (4.6) 61 ist weg> (-) °h (-) e: : (3.2) (i til) dà_ün: (.) 62 ün [fwɔt] {ferm} ([golp]/ cuolp) (2.9) Im Satz wechselt der Proband in seine Erstsprache Deutsch - hier durch „m“ gekennzeichnet - und kommentiert die Wortfindungsschwierigkeit metasprachlich. Komplexer wird die Indikation dort, wo verschiedene Sprachen aufeinandertreffen und vermischt werden (vgl. K OCH 2020: 267): (4) 99 P07 I : volTÒ voltò la la (<<E>cabeza>/ <<P>cabeça>) no, 100 <<E/ P>cabe/ > (-) la te/ eh però s/ 101 <<E>giró> {girò} la testa, (1.2) Das italienische Wort für ‘Kopf’ lautet testa (Z. 101). Hier interferiert jedoch zunächst eine iberoromanische Form. Aus dem Sprachrepertoire des Probanden heraus kann man sowohl auf sp. cabeza als auch auf pt. cabeça schließen. Die Darstellungen in Z. 99 und Z. 100 zeigen zwei Varianten. Da in Z. 99 das gesamte Wort verschriftet wird, aber die Schreibweise in den beiden Sprachen unterschiedlich ist, werden runde Klammern mit Schrägstrich für alternative Formen verwendet. In Z. 100 ist nur der schriftlich gleiche Wortanfang realisiert, weshalb die Alternative „E/ P“ verkürzt in den Kommentarbereich eingetragen werden kann. Möglich wäre auch die Langform: (<<E>cabe/ >/ <<P>cabe/ >). In Z. 101 wird mit „<<E>giró>“ angezeigt, dass die Aussprache spanisch anmutet: sp. [xiˈɾo] statt it. [d͡ ʒiˈrɔ]. Schließlich sei noch ein Beispiel gezeigt, in dem das System der sprachlichen Markierung sehr weit ausgereizt worden ist (vgl. K OCH 2020: 303): (5) 52 P10 F : euh (.) quand le: quand l’HOMMe (--) euh (---) 53 eu: : : h (--) a: (--) 54 <<C>s’ha aprop/ >[e] {s’est approché} (--) 55 à à à <<E/ C/ I>al> {au/ du} <<E>m[y]ñec/ > {bonhomme} (-) 56 que {qui} le {lui} (1.0) donne (-) donne un coup, (-) 57 (a donné) (---) un (1.6) hm: (2.1) euh le (.) 58 mais (-) mais le <<E>m[y]ñe/ > le <<E>m[y]ñec/ > 59 est très très (--) très_heureux, (---) et (.) 60 ça: le le H° le fil {fils} (-) 61 observe toute la situation de la fenêtre (2.0) Die Schwierigkeit der Darstellung besteht darin, dass Lexeme transferiert und dabei lautlich und morphologisch an die Zielsprache angepasst werden. Aus dem katalanischen Verb s’apropar (‘sich nähern’) wird ein französisches Partizip *apropé gebildet Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 79 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 (kat. apropat). Die gewählte Darstellung zeigt an, dass der Teil in den spitzen Klammern katalanisch und dann phonetisch ein [e] als Endung zu lesen ist, was der französischen Partizipialendung -é entspricht. Ähnlich funktioniert die Form „<<E>m[y]ñec/ >“ von sp. muñeco (‘Puppe’ bzw. hier ‘Schneemann’). Diese Form ist durch Vokalverschiebung zu [y] und durch Wegfall der Endung französisiert worden, existiert so jedoch nicht. In beiden Fällen könnte man vereinfachend mit Fantasieschreibungen (apropé und mugnec o.ä.) arbeiten. Das könnten für die Leser: innen jedoch zunächst rätselhafte Lexeme sein und die interpretierten Interferenzen, die letztlich auch in den Fantasieschreibungen enthalten sind, würden nicht explizit ausgedrückt. Die Form al (Z. 55) kann gleich drei Sprachen im Repertoire des Probanden zugeordnet werden, wobei die Reihenfolge die abnehmende Wahrscheinlichkeit andeuten soll, die im Kontext und im Hinblick auf die jeweilige Sprachbiographie postuliert werden kann. In Z. 60 ist eine Form „fil“ notiert wo fils gemeint ist. Hier liegt ein phonologisch relevanter Aussprachefehler vor: [fil] - fil (‘Faden’) vs. [fis] - fils (‘Sohn’). Das System der sprachlichen Markierung stößt jedoch in Z. 56 an seine Grenzen. Sinngemäß steht hier *que le donne un coup und es wäre korrekt qui lui donne un coup (‘der ihm einen Schlag gibt’). Entweder kann man hier innersprachliche Fehler identifizieren: Objekt-Relativpronomen que statt Subjekt-Relativpronomen qui und direktes Objektpronomen le statt indirektem Objektpronomen lui. Oder man interpretiert die Konstruktion über das Spanische: que le da un golpe. Der spanische Einfluss ist wahrscheinlich, allerdings sind die sprachlichen Formen selbst im Französischen vorhanden, so dass eine Kennzeichnung einer anderen Sprache hier nicht selbstverständlicher Teil des Transkripts sein kann. Vermutlich wird die Visualisierung von Mehrsprachigkeit in anderen Kontexten leichter handhabbar sein als bei den hier dargebotenen Auszügen aus den Transkripten, die romanisch-polyglottes Sprechen abbilden und wo häufig mehrere Sprachen als Ursachen für Auffälligkeiten herangezogen werden können. 9 Wenn man im schulischen Kontext jedoch neben Deutsch und vorgelernten Schulfremdsprachen auch Herkunftssprachen berücksichtigen will, so mag dafür das hier vorgestellte System behilflich sein (vgl. K OCH 2020: 324f., 346): (6) 25 P10 E : <<polnisch m>reper/ >ar el muñeco (.) 26 bueno no <<polnisch m>reper/ >ar el muñeco sino (---) Statt des spanischen Verbs reparar (‘reparieren’) wird eine lautlich leicht abgewandelte Form realisiert, die durch die Metatonie der zweiten Silbe an reperować aus der Erstsprache Polnisch erinnert. Aber auch dies ist lediglich eine These, die deutlich 9 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass interlinguale Transfererscheinungen nur einen Erklärungsansatz ausmachen. Daneben gibt es autonome lernersprachliche Phänomene, die in der Studie v.a. im Kontext des Gebrauchs von Diskusmarkern angesprochen worden sind (vgl. K OCH 2020: 330-347). 80 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 macht, wie sehr Transkription gesprochener Sprache, die den Anspruch erhebt, multilinguale und translinguale Phänomene abzubilden, auf Interpretation beruht und damit weniger Ausgangspunkt, als vielmehr Teil des Ergebnisses einer Analyse darstellt. 4. Übersetzung von Sprachdaten Die Präsentation der vorigen Transkripte setzt auf Interkomprehension, die innerhalb des Fachgebiets der Romanistik zu erwarten ist (vgl. K OCH 2020: 17). Mit anderen Worten ist auf die Übersetzung von Sprachdaten verzichtet worden. Jedoch kann für die Verständigung zwischen den Philologien, v.a. auch zwischen den Fremdsprachendidaktiken die Übersetzung von Transkripten förderlich sein, und wird insbesondere in diversen englischsprachigen Publikationsorganen eingefordert. Anders als in der Allgemeinen Sprachwissenschaft, wo der Austausch über verschiedenste Sprachen das Übersetzen notwendig macht und der internationale Diskurs ohnehin auf Englisch stattfindet, stellt sich in der Romanistik die Frage des Englischen als Publikationssprache insgesamt (z.B. W EINRICH 2003: 242-248, s. auch V IEBROCK / M EIER / A L S A - BAHI in diesem Band) sowie im Besonderen dahingehend, für welche Leserschaft die Objektsprachen einer Untersuchung tatsächlich übersetzt werden müssen. Hierzu ein Beispiel aus K OCH / T HÖRLE (2021: 170). Wenn wir erklären, wie in Französisch als Fremdsprache alors und oui in der Redeplanung eingesetzt werden, mag man sich fragen, inwieweit außerhalb eines spezifischen Fachdiskurses zum Französischen eine solche Analyse von Interesse ist. Gleichzeitig rekurrieren wir dort (ebd.: 157) aber beispielsweise auf eine Studie zum Hebräischen (M ASCHLER 2009), die wir ohne Übersetzung der Transkripte nicht gleichermaßen hätten rezipieren können. In diesem letzten Abschnitt sollen kurz einige Aspekte der Transkriptübersetzung angesprochen werden, zunächst im Allgemeinen und dann im Hinblick auf mehrsprachige Daten. Ein Auszug aus dem genannten Artikel sei als Beispiel angeführt (K OCH / T HÖRLE 2021: 170): (7) 01 N: ça vous semble: CHER ou pas cher. it seems to you expensive or not expensive 02 L: euh non, uh no 03 pas cher, (-) not expensive 04 parce que: (.) je pense quebecause I think that 05 °h alors ça dépend, alors it depends Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 81 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 06 s’il y a beaucoup de monde dans ce cours, if there are many people in that course 07 euh °h c’est (--) oui c’est ça dépend de cela, (-) uh it is oui it is it depends on that 08 alors (.) est-ce qu’il y a euh beaucoup de gens qui alors are there uh many people who 09 suivent le cours avec moi? (.) attend the course with me Die englische Übersetzung wird interlinear und damit nah am Text dargeboten. Durch Kursivsetzung ist sie typographisch vom Original abgesetzt und es wird auf die Übernahme der Symbolik ganz verzichtet. Letzteres ist damit zu begründen, dass es sich nicht um wirklich artikulierte Sprache handelt und dass somit jegliche Markierung von Pausen, Prosodie usw. das Translat verkünsteln würde. Wenn man z.B. in Z. 04 die Vokallängung bei „parce que: “ zu engl. becau: se übersetzte, würde man damit suggerieren, dass beide Sprachen hier exakt gleich funktionierten. Die Formen alors und oui (Z. 05, 07, 08) bleiben unübersetzt. Das ist hier insofern wichtig, als die Polyvalenz dieser Marker im Fokus des Artikels steht. Eine Übersetzung etwa zu engl. well und yes würde die Komplexität der Analyse ad absurdum führen, weil man damit suggerieren würde, der Gebrauch der Formen wäre in beiden Sprachen identisch. Ansonsten versucht die Übersetzung Zeile für Zeile so nah wie möglich am Original zu bleiben, aber dennoch - mit Ausnahme der genannten unübersetzten Wörter - zielsprachenkonform zu erscheinen. Sofern der Bedarf besteht, kann zwischen Original und Übersetzung noch eine Interlinearglossierung erfolgen. Dies ist eine besonders exakte Form der sprachstrukturellen Erklärung, die wiederum verschiedene Varianten kennt. Nach den Leipzig Glossing Rules (M AX -P LANCK -I NSTITUT L EIPZIG et al. 2015) kann die erste Zeile des vorigen Beispiels folgendermaßen aussehen: (8.1) 01 N: ça vous sembl-e: CHER ou pas cher. this you; PL ; DAT seem-3; SG ; PRS expensive or not expensive it seems to you expensive or not expensive Die Glossierung kann dabei helfen zu zeigen, dass das Personalpronomen im Französischen vor dem Verb steht und wie die Verbform aufgebaut ist. Allerdings sehen die Leipzig Glossing Rules für Letzteres Markierungen im Originaltext vor (hier „semble: “ mit abgetrennter Endung). Die Kombination der Symbole aus beiden Konventionen ist wahrscheinlich nicht sehr zuträglich. Alternativ könnte man noch eine weitere Zeile hinzufügen, um beide Markierungsebenen voneinander zu trennen: 82 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 (8.2) 01 N: ça vous semble: CHER ou pas cher. ça vous sembl-e cher ou pas cher this you; PL ; DAT seem-3; SG ; PRS expensive or not expensive it seems to you expensive or not expensive Für die Übersetzung mehrsprachiger Transkripte besteht das grundlegende Problem der Transformation eines mehrsprachigen Ausgangstextes in einen einsprachigen Zieltext. Wollte man etwa das oben angeführte Transkriptbeispiel (1), welches keine Indizierungen der Sprachen Deutsch und Spanisch enthält, ins Englische übersetzen, so müssten wohl zusätzliche Hinweise im Translat gegeben werden. Beispiel (4) enthält viele Sprachindikationen und ließe sich inhaltlich in einem Satz wie ‘er drehte seinen Kopf’ zusammenfassen. Nach dem Muster von Beispiel (7) könnte eine Übersetzung (ins Deutsche) so aussehen: (9.1) 99 P07 I : volTÒ voltò la la (<<E>cabeza>/ <<P>cabeça>) no, er drehte er drehte den den Kopf nein 100 <<E/ P>cabe/ > (-) la te/ eh però s/ Ko/ den Ko/ äh aber 101 <<E>giró> {girò} la testa, (1.2) er drehte den Kopf In dieser Form wird allein anhand der Übersetzung nicht deutlich, dass eine interferenzbedingte Wortfindungsschwierigkeit besteht. Die Leser: innen sind also in jedem Fall gezwungen, in den Originaltext zu schauen. Mit Aufnahme der Sprachindikationen könnte das Beispiel folgendermaßen aussehen: (9.2) 99 P07 I : volTÒ voltò la la (<<E>cabeza>/ <<P>cabeça>) no, er drehte er drehte den den <<E/ P>Kopf> nein 100 <<E/ P>cabe/ > (-) la te/ eh però s/ <<E/ P>Ko/ > den Ko/ äh aber 101 <<E>giró> {girò} la testa, (1.2) <<E>er drehte> den Kopf Auf diese Weise ist vielleicht die größtmögliche Transparenz in Form einer erklärenden Übersetzung erreicht, wenngleich sich die Symbolik auf die Lesbarkeit niederschlagen mag. So gilt auch hier, wie bei allen Fragen des Transkribierens, dass es immer darauf ankommt, was im Anbetracht des Forschungsvorhabens mit der Kennzeichnung einzelner Parameter gezeigt werden soll. Die Verarbeitung von mehrsprachigen Gesprächsaufnahmen 83 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 5. Fazit Die konversationsanalytische Transkription gesprochener Sprache ist ein anspruchsvolles Handwerk, das im Hinblick auf Mehrsprachigkeit über keine allgemein geläufigen Standards verfügt. Wie Sprachen voneinander abzugrenzen sind, wie man Übergänge zwischen den Sprachen kennzeichnen sollte, wie lernersprachliche Besonderheiten in der Verschriftlichung zum Ausdruck gebracht werden können, welche Formen der Übersetzungen angemessen scheinen, das alles sind anspruchsvolle Fragen, für die in diesem Beitrag Vorschläge gemacht worden sind. Dabei wird eingeräumt, dass aus den Spezifika des polyglotten Sprechens und aus der romanistischen Perspektive nicht der Anspruch erhoben werden kann, damit Standards setzen zu wollen, aber Anregungen mögen an manchen Stellen gegeben worden sein. Forschenden in den Fremdsprachenfächern, die sich in den Bereich der Analyse gesprochener Sprache begeben und zum ersten Mal eigene Transkripte erstellen, sei angeraten, die Festlegung von Transkriptionskonventionen ausführlich zu planen und die ersten Versuche intensiv und kritisch zu evaluieren. Gerade wenn ein Schwerpunkt auf der qualitativen Analyse des sprachlichen Materials liegt und großflächige Transkriptausschnitte das Seitenbild der Publikationen prägen, ist kaum vermeidbar, dass ebendiese plakativen Textelemente zu einem Aushängeschild für die forscherische Qualität der Arbeit geraten. Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / G ERLACH , David (2021): Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht. Eine Einführung. Berlin: Metzler. D IETRICH -G RAPPIN , Sarah (2020): Mehrsprachigkeitskompetenz als Bildungsziel im schulischen Tertiärsprachenunterricht. Transferbasierte Kommunikationsstrategien im Kontext von spontaner Mündlichkeit und Zwei-Sprachen-Aufgaben. Trier: Wissenschaftlicher Verlag. D ITTMAR , Norbert ( 3 2009): Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien. Wiesbaden: VS. E HMER , Oliver / S ATTI , Luis Ignacio / M ARTÍNEZ , Angelita / P FÄNDER , Stefan (2019): „Un sistema para transcribir el habla en la interacción: GAT 2“. In: Gesprächsforschung 20, 64-114. G ÜLICH , Elisabeth / M ONDADA , Lorenza (2008): Konversationsanalyse. Eine Einführung am Beispiel des Französischen. Tübingen: Niemeyer. H IRSCHMANN , Hagen (2019): Korpuslinguistik. Eine Einführung. Berlin: Metzler. H UFEISEN , Britta (2018): „Gesamtsprachencurricula und andere Ansätze und Konzepte sprachen-, fächer- und jahrgangsübergreifender Art“. In: M ELO -P FEIFER , Sílvia / R EIMANN , Daniel (Hrsg.): Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven. Tübingen: Narr Francke Attempto, 227-245. J ENSEN , Olaf (2005): „Induktive Kategorienbildung als Basis Qualitativer Inhaltsanalyse“. In: M AYRING , Philipp / G LÄSER -Z IKUDA , Michaela (Hrsg.): Die Praxis der Qualitativen Inhaltsanalyse. Weinheim: Beltz, 255-275. K OCH , Christian (2020): Viele romanische Sprachen sprechen. Individueller Polyglottismus als Paradigma der Mehrsprachigkeitsforschung. Berlin: Lang. 84 Christian Koch DOI 10.24053/ FLuL-2022-0020 51 • Heft 2 K OCH , Christian / T HÖRLE , Britta (2021): „Metadiscursive Activities in Oral Discourse Production in French L2: A Study on Learner Profiles“. In: Corpus Pragmatics 5, 153-186. M ASCHLER , Yael (2009): Metalanguage in Interaction. Hebrew discourse markers. Amsterdam: Benjamins. M AX -P LANCK -I NSTITUT L EIPZIG et al. (=Department of Linguistics of the Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology / Department of Linguistics of the University of Leipzig) (2015): The Leipzig Glossing Rules. Conventions for Interlinear Morpheme-by-Morpheme Glosses. https: / / www.eva.mpg.de/ lingua/ pdf/ Glossing-Rules.pdf (15.12.2021). P ANZER , Dominique (2021): Mündliche Sprachmittlung im Spanischunterricht. Die Anwendung von Design-Based Research zur Weiterentwicklung des fremdsprachlichen Unterrichts in der Sekundarstufe I. Stuttgart: ibidem. R EIMANN , Daniel (2016): „Aufgeklärte Mehrsprachigkeit - Sieben Forschungs- und Handlungsfelder zur (Re-) Modellierung der Mehrsprachigkeitsdidaktik“. In: R ÜCKL , Michaela (Hrsg.): Mehrsprachigkeit und Inter-/ Transkulturalität im Sprachenunterricht und in der Lehrer_innenbildung. Münster: Waxmann, 15-33. R EIMANN , Daniel (2019): „Pragmatische Aspekte mündlicher Sprachmittlungssituationen im Fremdsprachenunterricht am Beispiel des Sprachenpaares Deutsch - Spanisch“. In: R EIMANN , Daniel / R OBLES I S ABATER , Ferran / S ÁNCHEZ P RIETO , Raúl (Hrsg.): Kontrastive Pragmatik in Forschung und Vermittlung. Deutsch, Spanisch und Portugiesisch im Vergleich. Tübingen: Narr Francke Attempto, 343-381. S ELTING , Maria et al. (2009): „Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT 2)“. In: Gesprächsforschung 10, 353-402. S ELTING , Maria et al. (2012): „A system for transcribing talk-in-interaction: GAT 2“. In: Gesprächsforschung 12, 1-51. V IEBROCK , Britta (2015): Forschungsethik in der Fremdsprachenforschung. Eine systemische Betrachtung. Frankfurt/ M.: Lang. V IEBROCK , Britta / M EIER , Gabriela / A L S ABAHI , Randa (in diesem Band): „DISSECTing multilingual research in the field of language education: a framework for researcher development“. W EINRICH , Harald ( 2 2003): „Formen der Wissenschaftssprache“. In: D ERS . Sprache, das heißt Sprachen. Tübingen: Narr, 221-252.