eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 51/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2022-0022
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2022
512 Gnutzmann Küster Schramm

Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe

91
2022
Silvia Frank Schmid
Nikola Mayer
flul5120102
DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 S ILVIA F RANK S CHMID , N IKOLA M AYER * Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe Eine Good Practice-Studie wie heterogene Englischlernende bilinguale Module in der Fächerfusion Englisch und Bildnerisches Gestalten 1 für ihr Lernen nutzen Abstract. Content and Language Integrated Learning (CLIL) combining the subjects English and art lends itself to heterogeneous language learners at the primary level due to the emphasis on highly visualized task-based and action-oriented learning. Against this backdrop, a comprehensive, qualitative-dominant mixed-methods research study was carried out. The article focuses on how primary pupils with different levels of competence in English make use of CLIL tasks for developing their competences in both subjects. We provide insights into two CLIL tasks including short conversation analyses from dialogues between the pupils. The research design is laid out in detail. In the data analysis we focus on four criteria for assessing the pupils’ speaking competences in the CLIL setting. The results indicate that strong and average pupils could benefit from the CLIL in very similar ways to develop both languageand content-based competences whereas the group of the pupils with weaker competences in English utilize this setting in a significantly different way needing more and diverse scaffolding for the dual-focused learning. * Korrespondenzadressen: Dr. Silvia F RANK S CHMID , Pädagogische Hochschule Luzern, Frohburgstraße 3, CH 6002 L UZERN E-Mail: silvia.frank@phlu.ch Arbeitsbereiche: Englischunterricht auf der Primarstufe, CLIL / bilingualer Unterricht, heterogenitätsfreundlicher Unterricht Prof. Dr. Nikola M AYER , Pädagogische Hochschule Zürich, Didaktik Englisch Sekundarstufe; Lagerstraße 2, CH 8090 Z ÜRICH E-Mail: nikola.mayer@phzh.ch Arbeitsbereiche: Englischunterricht in der Sek I, Multimodales Lesen, Literatur im Fremdsprachenunterricht. 1 Das in der Schweiz und in Österreich als ‘Bildnerisches Gestalten’ bezeichnete Schulfach entspricht dem Fach Kunst in Deutschland. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 103 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 1. Einleitung Bilingualer Unterricht bzw. Content and Language Integrated Learning (CLIL) ermöglicht eine Fusion von Fächern, die normalerweise getrennt unterrichtet werden und schafft dadurch einen neuen Zugang zu Sprache und Sachfach (vgl. W OLFF / S UDHOFF 2015: 28). Mehrere in Deutschland durchgeführte Studien (R YMARCZYK 2003; W ITZIGMANN 2011; B ECHLER 2014) zeigen, dass das Fach Bildnerisches Gestalten (kurz BG) für die Umsetzung von CLIL mit Fremdsprachenanfänger*innen besonderes Potential birgt. Die Eignung dieses Faches für bilinguales Lernen hängt primär mit der im BG natürlich vorkommenden Anschaulichkeit und Handlungsorientierung zusammen sowie mit den damit einhergehenden authentischen Lernsituationen und mit dem direktem Zugang zu interkulturellen Inhalten (vgl. B ADSTÜB - NER -K IZIK / L AY 2019). CLIL wird hier als eine echte Fächerfusion verstanden, bei der die Lernziele und Inhalte des Sach- und Fremdsprachenfaches integrativ vermittelt werden. Diese von M ASSLER / S TOTZ (2013: 10f.) als CLIL-Variante C bezeichnete Umsetzungsform eignet sich speziell für die Primarstufe, weil das fremdsprachliche Lernen an anschauliche, erlebbare Inhalte geknüpft wird und so zur unmittelbaren Anwendung kommt. In der Schweiz gibt es bislang noch kein theoriebasiertes, empirisch begründetes Vorgehen, wie CLIL-Lerneinheiten unter Berücksichtigung der im Lehrplan aufgeführten Kompetenzen 2 in heterogenen Primarschulklassen lernanregend umgesetzt werden können. Dieses Forschungsdesiderat adressiert eine kürzlich durchgeführte Good Practice-Studie, bei der qualitätsvolle CLIL-Lernaufgaben entwickelt und von verschiedenen Expert*innen hinsichtlich ihres potenziellen Lernertrags evaluiert wurden. Die als qualitätsvoll erachteten Aufgaben wurden mittels des Lesson Study- Ansatzes (D UDLEY 2014) in acht Primarschulklassen 3 implementiert. Dabei wurden die Lernhandlungen von jeweils drei sogenannten case pupils (ebd.: 5), die die Heterogenität in der Klasse in Bezug auf drei Leistungsniveaus im Englischen abbilden, in jeweils drei Klassen videografiert und analysiert (N=9 Schüler*innen). Ihre Lernhandlungen im Rahmen von zwei als besonders positiv eingeschätzten Lernaufgaben wurden anhand einer adaptierten Version des COLT-Beobachtungsinstruments (vgl. A LLEN / F RÖHLICH / S PADA 1983) ausgewertet. Ergänzend wurden Fragebögen an die acht Lehrpersonen und an alle 151 beteiligten Schüler*innen ausgegeben. Über zusätzliche Gruppeninterviews konnten genauere Einsichten über die Perspektiven der Lehrpersonen und der case pupils gewonnen werden. Der vorliegende Beitrag beleuchtet einen Ausschnitt aus dem umfassenden Forschungsprojekt (vgl. F RANK S CHMID 2021) und zeigt, wie Lernende der Primarstufe mit heterogenen Englisch-Leistungsniveaus die bereitgestellten Lernaufgaben für den 2 Der kompetenzorientierte Schweizer Lehrplan (D-EDK 2014) schlägt vor, vermehrt Sequenzen bilingualen Lernens ergänzend zum herkömmlichen Fremdsprachenunterricht anzubieten. 3 In der Schweiz umfasst die Primarstufe die Klassen 1-6. Der Englischunterricht beginnt in den untersuchten Kantonen in der 3. Klasse. 104 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 Kompetenzaufbau in beiden Fächern nutzen. Exemplarisch wird dies in Bezug auf die Verwendung von Englisch, das dialogische Sprechen und die sachfach-inhaltliche Kommunikation von Wahrnehmung gezeigt. 2. CLIL mit Englisch und BG für heterogene Primarschulklassen CLIL-Programme werden oft als Angebot für leistungsstärkere, meist privilegierte Lernende betrachtet, die aufgrund ihrer intellektuellen oder familiären Voraussetzungen für bilingualen Unterricht selektiert werden (vgl. W OLFF 2016: 27; S TEINLEN 2021: 37). Daraus könnte man schließen, dass bilingualer Unterricht lernschwache Schüler*innen überfordert. Verschiedene Studien kommen jedoch zu dem Schluss, dass CLIL-Unterricht in heterogenen Klassen gelingen kann und für alle Schüler*innen geeignet ist (vgl. G ENESEE 2007: 659; P ÉREZ C AÑADO 2019: 12; P ÉREZ C AÑADO 2021: 40; S CHMIDT 2016: 258). Dank der europaweiten Bestrebungen zur Förderung der Mehrsprachigkeit (vgl. E UROPEAN U NION 2008: 1) gibt es inzwischen CLIL-Lernangebote für alle Lernenden auf allen Schulstufen (vgl. W OLFF 2016: 27). Jedoch muss bei der Umsetzung von CLIL-Unterricht auf der Primarstufe, wo lernschwache und lernstarke Kinder ohne vorgängige Selektion miteinander lernen, der großen Heterogenität besondere Beachtung geschenkt werden. Ein erfolgreiches Unterrichtsprinzip im Umgang mit heterogenen Klassen ist die Bereitstellung differenzierter Lernangebote mit vielseitigen, sowohl individualisierten als auch kooperativen Lerntätigkeiten. Handlungsorientiertes Arbeiten, bei dem die Lernenden unter Einbezug mehrerer Sinne den Lerngegenstand aktiv konstruieren, wird dabei als besonders wertvoll erachtet (vgl. K LIPPERT 2010: 52). Im CLIL-Unterricht in der Fächerverbindung Englisch und BG kann ganzheitliches Lernen durch Einbezug der auditiven, visuellen und haptischen Sinne beispielhaft umgesetzt werden (vgl. K LIPPERT 2010: 61; G EHRING 2017: 17), wobei das hohe Maß an Handlungsorientierung den frühen Einstieg in den bilingualen Unterricht zusätzlich begünstigt. Vor allem die visuelle Komponente, die im BG zentral ist, unterstützt die fremdsprachliche Rezeption und Produktion optimal (vgl. R YMAR - CZYK 2015: 194). Bei der Umsetzung von BG-spezifischen Techniken und Prozessen können Beispiele und Modellierungen das Verstehen fördern. In Unterrichtsgesprächen über eigene oder fremde Kunstwerke können die Lernenden auch mit non-verbaler oder basaler, deiktischer Sprache (z.B. I like this.) zeigend-unterstützt kommunizieren (vgl. R YMARCZYK 2003: 269). Weiter verspricht der bilinguale BG-Unterricht ein hohes Maß an gestalterischer Individualität und lässt viel Raum für autonomes Arbeiten (vgl. ebd.: 122). Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 105 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 3. Lernaufgaben als Dreh- und Angelpunkt einer CLIL-Didaktik In Anlehnung an ein sozial-konstruktivistisches Lehr-Lernverständnis und im Zeitalter der Kompetenzorientierung spielen Lernaufgaben eine zentrale Rolle. Bei der Operationalisierung von Kompetenzen entscheiden sie als „kleinste Einheit“ über die Qualität von Unterricht (C RIBLEZ 2016: 28). Damit Kompetenzen aufgebaut werden, braucht es eine Reihe aufeinander abgestimmter Lernaufgaben, die zu Beginn aktivieren, dann erlauben den Lerngegenstand zu erarbeiten, zu üben und zu vertiefen und schließlich im Sinne einer Synthese oder eines Transfers das Gelernte zur Anwendung zu bringen (vgl. L UTHIGER / W ILDHIRT 2018: 38). Ein heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht zeichnet sich nicht nur durch die Bereitstellung verschiedener Aufgabentypen auf unterschiedlichen kognitiven Anforderungsstufen aus, sondern manifestiert sich auf Unterrichtsebene vor allem über die Qualität der einzelnen Lernaufgaben und deren didaktische Begleitung im Unterricht. 3.1 Qualitätsvolle CLIL-Lernaufgaben Lernaufgaben und CLIL verbindet eine symbiotische Beziehung (vgl. M EYER 2010: 19). Doch ob Lernaufgaben den sachfachlichen bzw. fremdsprachlichen Kompetenzaufbau initiieren, hängt von ihrer Lernwirksamkeit ab (vgl. L UTHIGER / W ILDHIRT 2018: 38). Als potenziell wirksame Lernaufgaben werden nach A STLEITNER (2006: 14) solche erachtet, die sich mit den empirisch belegten Merkmalen von ‘gutem Unterricht’ (vgl. z.B. H ELMKE 2015; M EYER 2014) decken. Jedoch sind neben allgemeindidaktischen Qualitätsmerkmalen für den jeweils spezifischen Unterrichtskontext immer auch fachdidaktische Ausdifferenzierungen und Ergänzungen nötig (vgl. L UTHIGER / W ILDHIRT 2018: 70). Für die CLIL-Unterrichtsmodule mit Englisch und BG müssen demzufolge Lernaufgaben sowohl Qualitätsmerkmale der allgemeinen Didaktik als auch der beiden Fachdidaktiken erfüllen. Um theoriebasierte Qualitätsmerkmale ausfindig zu machen, wurde eine breit abgestützte Literaturrecherche und Analyse durchgeführt, die in 14 beobachtbaren Indikatoren zu fünf übergeordneten Qualitätsmerkmalen resultierte: ‘Interesse & Motivation’, ‘Anregung von CLIL-Lernprozessen’, ‘kognitive Aktivierung’, ‘Offenheit’, ‘Differenzierung’. 4 3.2 Lernförderung durch vielseitiges Scaffolding Lernaufgaben sind keine „didaktischen Selbstläufer“ (L UTHIGER / W ILDHIRT 2018: 37). Dies gilt insbesondere für den CLIL-Unterricht mit Sprachanfänger*innen in 4 Die Auswahl und die Begründung der beigezogenen Literaturquellen, die zugrundeliegenden Theorien zu den verschiedenen Qualitätsmerkmalen und deren Indikatoren sowie das Vorgehen als auch die Auswertung der Aufgabenevaluation können in der Publikation des gesamten Forschungsvorhabens (F RANK S CHMID 2021) nachgelesen werden. 106 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 heterogenen Primarschulklassen. Scaffolding ist deshalb von eminenter Wichtigkeit und wird in Anlehnung an die ursprüngliche Definition von W OOD und Kollegen (vgl. W OOD / B RUNER / R OSS 1976: 90) als Begleitprozess unter Berücksichtigung von sozialen, kognitiven und funktional-sprachlichen Aspekten verstanden. Im CLIL-Unterricht hilft Scaffolding die Kluft zwischen kognitiv-inhaltlichen und fremdsprachlichen Kompetenzen der Lernenden zu überbrücken (vgl. Z YDATISS 2010: 3). Auf der Makro-Ebene bezieht Scaffolding sich auf die Unterrichtsplanung. Die Abfolge und Wahl der Lernaufgaben, die Aktivierung des Vorwissens oder die Unterrichtsmaterialien stellen hierbei eine wichtige Lernunterstützung dar. Bei Scaffolding auf der Mikro-Ebene handelt es sich um anlassbezogene, spontan eingesetzte Hilfestellungen, die das unmittelbare Unterrichtsgeschehen erleichtern (vgl. H AMMOND / G IBBONS 2005: 14-20). Auch wenn im vorliegenden CLIL-Setting, die starke Handlungsorientierung im BG die Diskrepanz zwischen kognitiv-inhaltlichen und fremdsprachlichen Anforderungen schmälert, da auch kreative Anforderungen in den Vordergrund rücken, bedarf es dennoch diverser Lernhilfen auf sprachlicher, inhaltlicher und strategischer Ebene (vgl. M ASSLER / I OANNOU -G EORGIOU 2010: 61; B ELLET 2017: 243-245). Abb. 1: Übersicht Scaffolding für den CLIL-Unterricht 5 5 F RANK S CHMID (2021: 18); adaptiert auf der Grundlage von M ICHELL / S HARPE 2005: 53. Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 107 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 3.3 Einblicke in das CLIL-Modul II: New jobs and colours for the crayons Basierend auf den eben dargelegten didaktischen Überlegungen zu verschiedenen Aufgabentypen, qualitätsvollen Lernaufgaben und reichhaltigem Scaffolding wurden von der Forscherin zwei aufgabenbasierte CLIL-Module für jeweils drei Doppelstunden entwickelt. Das zweite CLIL-Modul, das die Grundlage für die Hauptstudie war, wird nachfolgend kurz portraitiert. Der Einstieg erfolgte über die Bilderbuchgeschichte ‘The day the crayons quit’ (D AYWALT 2016), in der die Wachsfarben ihren Ärger über ihre ungleiche Verwendung beim Malen in Briefen mitteilen. Anhand von Leitfragen (What is his job? Why is the crayon fed up? What does he wish for? ) wurden diese Briefe gelesen und besprochen. Die Lernenden erfahren, dass den unzufriedenen Wachskreiden mittels Kreierens von neuen Farbtönen mit passenden Bezeichnungen geholfen werden kann. Doch die crayons (Kreidestifte) sind auch noch unglücklich darüber, dass sie stets dieselben Gegenstände malen sollen. Deshalb wird nun die Idee des ungegenständlichen Malens initiiert. Die Lernenden lernen den Künstler Wassilis Kandinsky kennen, der sich vom gegenständlichen Malen löste. Seine Bilder werden betrachtet und beschrieben. Das Malen von fantasievollen Formen und Wesen im Stil von Kandinsky wird im Anschluss daran geübt. Schließlich malen die Lernenden ihr eigenes ungegenständliches Bild und sprechen in Gruppen darüber. Die beiden besonders positiv evaluierten Lernaufgaben basieren auf folgenden Zielen: Erarbeitungsaufgabe Create new colours and give the new shades suitable names. Syntheseaufgabe Create a fantasy painting, describe it in a letter to the crayons. Lernziele • Die Lernenden können mit wasserlöslichen Wachsfarben verschiedene Mischtechniken erproben. • Sie können vielfältige Farbtöne kreieren und ihre Vorgehensweise protokollieren. • Sie können ihren Farben passende Namen geben. • Sie können ihre neuen Farbtöne in Gruppen präsentieren. Lernziele • Die Lernenden können ein ungegenständliches Fantasiebild mit verschiedenen Farben malen. • Sie können ihr Bild in einem Brief beschreiben. • Sie können ihre Wahrnehmungen zu den fremden Bildern in der Gruppe mitteilen. • Die Lernenden können ihr Bild mit Hilfe ihres Briefes vorstellen. Tab. 1: Lernziele der beiden im Detail analysierten Lernaufgaben Im Folgenden wird nun der Blick auf die Forschungsmethode und das Forschungsdesign gelegt. 108 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 4. Forschungsmethodisches Vorgehen Dieser Beitrag stellt die Nutzung der CLIL-Lernangebote in der Fächerfusion Englisch und BG durch die case pupils in den Fokus und beantwortet die folgenden Forschungsfragen: • Wie nutzen Primarschulkinder mit heterogenen Englisch-Leistungsvoraussetzungen die CLIL-Lernaufgaben im Hinblick auf fremdsprachliche und inhaltliche Sprechhandlungen? • Wie schätzen Lehrpersonen und Lernende die Nutzung der CLIL-Lernaufgaben ein? Für die vertiefte Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden Datensätze aus unterschiedlichen Perspektiven (Forscherin, Lehrpersonen und Lernende) und mit verschiedenen Instrumenten (Unterrichtsanalyse, Befragungen) erhoben und mittels qualitativen sowie quantitativen Ansätzen analysiert. Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich somit um einen „qualitative dominant mixed methods“ Forschungsansatz (J OHNSON / O NWUEGBUZIE / T URNER 2007: 124). 4.1 Die Untersuchungsteilnehmenden Die acht Lehrpersonen aus öffentlichen Deutschschweizer Primarschulen wurden über eine Weiterbildungsveranstaltung zu CLIL in der Fächerkombination Englisch und BG gefunden. Teil der Weiterbildung waren neben theoretischen Informationen auch praktische Anregungen für die Umsetzung der zwei bilingualen Module im Unterricht. Von den insgesamt 151 Lernenden, die sich im zweiten, dritten respektive vierten Englischlernjahr befanden, wurden in jeder Klasse drei Schüler*innen als case pupils von den Lehrpersonen aufgrund ihrer Englischnoten 6 ausgewählt. Sie fungierten als Vertreter*innen der leistungsschwachen, durchschnittlichen und lernstarken Englischlernenden. Drei dieser acht Klassen wurden als engere Forschungsmitwirkende bestimmt. 4.2 Forschungsdesign und Instrumente der Datenerhebung Die Implementierung der beiden CLIL-Module orientierte sich am Konzept der Lesson Study, bei dem Forschende und Lehrpersonen eng kooperieren, mit dem Ziel, das Lernen der Schüler*innen, exemplarisch durchgeführt über fokussiertes Beobachten der ausgewählten case pupils, zu analysieren und zu optimieren (D UDLEY 2014). Vor der Umsetzung füllten die Lehrpersonen und die Lernenden einen Fragebogen aus, in dem sie ihr Vorwissen und ihre Erwartungen an den CLIL-Unterricht in der 6 Da das fremdsprachliche Vorwissen das Verstehen und die Kommunikation im CLIL-Unterricht maßgeblich beeinflussen, wurde die Erfassung der Heterogenität der case pupils auf deren Englischkompetenzen beschränkt. Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 109 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 Fächerfusion Englisch und BG mitteilten. Die Durchführung eines CLIL-Moduls dauerte rund drei Doppelstunden. Im Fokus standen jeweils die drei case pupils. Ihre Lernhandlungen wurden von der unterrichtenden Lehrperson sowie der teilnehmenden Forscherin genau beobachtet und videografiert. Im Anschluss an jede Doppelstunde wurden die case pupils zu ihrem Lernen befragt. Zusätzlich hielten die acht Lehrpersonen ihre Beobachtungen in Form von reflektierenden Notizen fest und alle Lernenden teilten ihre Eindrücke zum CLIL-Lernen in einem Fragebogen mit. Bei einem Treffen am Ende des ersten Moduls tauschten sich die Lehrpersonen über das duale Lernen ihrer Schüler*innen, insbesondere ihrer case pupils, aus. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde ein revidiertes CLIL-Modul II (s. Kapitel 3.3) entwickelt und ein weiterer Lesson Study-Zyklus gestartet. 4.3 Methodisches Vorgehen der Datenauswertung Die videografierten und transkribierten Unterrichtssequenzen wurden anhand einer adaptierten Version des COLT-Beobachtungsinstruments (A LLEN / F RÖHLICH / S PADA 1983) mit der Software MAXQDA ausgewertet. Das Beobachtungsinstrument besteht aus zwei Teilen: In einem ersten Schritt untersucht es die Oberflächenstrukturen des Unterrichts, in einem zweiten Schritt werden die Lernhandlungen analysiert. Für den vorliegenden Forschungskontext und für die Analyse der Lernhandlungen wurde das Beobachtungsinstrument durch Kriterien gemäß der fremdsprachlichen und inhaltlichen Kompetenzbeschreibungen aus dem Schweizer Lehrplan (D-EDK 2014) ersetzt. Tabelle 2 (  S. 110) veranschaulicht die Qualitätskriterien zur Einschätzung der Verwendung der englischen Sprache (‘Use of English’), des dialogischen Sprechens (‘Speaking dialogue’) und des Bereichs ‘Wahrnehmung und Kommunikation’ 7 , der sich auf die sachfach-inhaltliche Qualität der Sprechhandlungen bezieht. Mittels Ereigniscodierung (event sampling) konnte nicht nur die Häufigkeit der CLIL-Lernhandlungen eines jeden case pupil bei der Bearbeitung der beiden oben dargestellten Lernaufgaben bestimmt werden, sondern auch deren Qualität wurde auf einer vierstufigen Skala (++ = sehr gut, + = gut, - = genügend, -- = ungenügend) eingeschätzt. 8 Ziel der umfassenden Unterrichtsanalyse war es, sowohl aus qualitativ-deskriptiver Perspektive als auch auf quantitativ-vergleichender Ebene, unter anderem mittels Chi-Quadrat-Test (vgl. K UCKARTZ et al. 2013: 87-92), die Lernhandlungen über die drei Leistungsgruppen hinweg zu analysieren und vergleichen. Die Daten wurden von einer Zweitcodiererin in einem unabhängigen Verfahren eingeschätzt. Für die Bestimmung der Reliabilität bei intervallskalierten Ratings wird die justierte Intraklassenkorrelation (ICC just ) als geeignetes Maß angesehen (vgl. W IRTZ / C ASPAR 2002: 157). 7 Die Kategorien, die sich auf das Fach Englisch beziehen, sind bewusst auf Englisch betitelt. Jene zugehörig zum Fach BG haben deutsche Bezeichnungen. 8 Die Codes wurden über jede zusammenhängende Sprechhandlung (= Ereignis) eines case pupils gelegt. Die Regeln können im Codierleitfaden in der Publikation (F RANK S CHMID 2021) nachgelesen werden. 110 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 Tab. 2: Ausschnitt aus dem Kategoriensystem zur Qualitätseinschätzung von mündlichen Lernhandlungen Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 111 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 In der vorliegenden Untersuchung mit hoch-inferenten Ratings wurde ein Reliabilitätsmaß von mindestens 0.70 als zuverlässig festgelegt. Die Daten, die aus den Gruppeninterviews mit den case pupils und den Gruppendiskussionen mit den Lehrpersonen resultierten, wurden gemäß dem Vorgehen der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach K UCKARTZ (2018: 100) bearbeitet. Durch ein mehrstufiges Verfahren wurde ein Kategoriensystem bestehend aus Codes und Subcodes in Bezug auf die Forschungsfragen entwickelt. Während sich einige der Kategorien deduktiv aus den Forschungsfragen ergaben (z.B. Englisch- oder BG-Lernerfahrungen, Differenzierung, Scaffolding etc.), wurden andere induktiv aus dem Datenmaterial herausgearbeitet (z.B. Neuer Zugang zur Sprache, Sprachgebrauch in Gruppen, Kooperatives Lernen, etc.). Die Einordnung der Codes in positive und negative Aspekte erlaubte es zudem, die transkribierten Interviewaussagen in Chancen und Herausforderungen einzuteilen. Auch hier wurde für die Sicherstellung der Beurteilerreliabilität die Kategorisierung sowohl von der Forscherin als auch von der geschulten Zweitcodiererin vorgenommen. Die Angaben aus den 151 Fragebogen der Schüler*innen wurden in einem Excel- Sheet nach ihrer Zugehörigkeit zu der Leistungsgruppe der starken, durchschnittlichen oder schwachen Englischlernenden ausgewertet. 5. Ergebnisse Bevor im Folgenden die Ergebnisse hinsichtlich der Nutzung der CLIL-Lernangebote zuerst aus den Unterrichtsanalysen und dann aus den Befragungen dargelegt werden, sollen exemplarische Sprechhandlungen der case pupils die konkrete Unterrichtssituation weiter veranschaulichen. 5.1 Mündliche Unterrichtsbeispiele Im Rahmen der Erarbeitungsaufgabe ‘Create new colours and give the new shades suitable names’ (s. Kapitel 3.3) stellten die Lernenden der 5./ 6. Klasse ihre Farbkreationen in Gruppen vor. Die folgenden ausgewählten Beiträge der drei case pupils (H1 = schwach; H2 = durchschnittlich; H3 = stark) sind Ausschnitte aus einer längeren Gesprächsrunde: H3: Ehm, this colour’s name is ‘Water’ because it looks like water in the lake when there are no sea grass and ‘Schlamm’. Uahh! (verzieht das Gesicht) I mixed it with blue, yellow, pink, purple and water. H2: Okay. Ehm. This colour has the name ‘Candyfloss’. Ehm I used the colours blue and purple and mixed it with water. H1: This is my favourite colour, this is ‘Jeans’. 112 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 Alle drei case pupils waren in der Lage ihre Farben auf Englisch (EN ++) 9 zu kommunizieren. Der case pupil (H3) mit den guten Englischleistungen konnte seinen 10 Farbton fließend, umfassend und mehrheitlich fehlerfrei vorstellen (SD++). Seine Wahrnehmung zur Farbe stellte er äußerst differenziert dar (WK++). Es gelang ihm aufzuzeigen, dass sein selbstkreierter Farbton nur an bestimmten Stellen zum Seewasser passt. Auch der case pupil (H2), mit den Englischnoten im mittleren Bereich, beschreibt seinen Farbton umfassend und korrekt (SD++). Zudem verwendet er einen zutreffenden Begriff, um seinen hellblauen Farbton mit dem Blau einer Zuckerwatte zu vergleichen (WK++). Der case pupil (H1), mit schwachen Leistungen im Fach Englisch, macht eine kurze, jedoch korrekte Aussage zu seiner Farbe (SD+). Seine Beschreibung der Farbe als ‘Jeans’ ist passend und hat einen konkreten Lebensweltbezug, jedoch enthält sie inhaltlich keine weiterführenden Informationen (WK+). Im Zusammenhang mit der finalen Syntheseaufgabe wurden die Farben und Formen in den ungegenständlichen Bildern in Gruppen besprochen. Der folgende Ausschnitt zeigt, wie die drei case pupils der 5. Klasse (E1 = schwach; E2 = durchschnittlich; E3 = stark) und die Lehrperson (L) dialogisch über das finale Bild eines weiteren Lernenden sprechen. E2: I like this part of the picture with the colour explosion. (zeigt auf die Stelle im Bild) L: Explosion, ya, good. E1: Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das heißt: ‘Regenschirm’? L: Ah, an umbrella! It looks like an umbrella? E1: Mhm. (nickt) L: Mhm, okay. (…) Anything else? E2: It’s a rainbow with the colours red, yellow, green. (zeigt auf die Stelle im Bild) E3: Ah, I think that’s (zeigt auf das Bild) / it’s a stock for the old. (zeigt pantomimisch eine Person am Gehstock) L: (lacht) That’s true. That’s a walking stick. E3: Yes! E1: Ähm, / cook ähm Hut/ L: A cooking hat! Ahh, or a cook’s hat! E2: Ähm, the butterfly ähm (zeigt auf ihre Schultern, hebt und senkt den Arm), the butterfly Flügel. L: The wings of the butterfly. Mhm, good! Die beiden case pupils mit guten und durchschnittlichen Englischleistungen verwenden mehrheitlich Englisch (EN+) und bringen sich auf Satzebene meist sprachlich korrekt in den Dialog ein (SD ++). Beide äußern kreative, unvorhergesehene Assoziationen zum Bild (WK ++). Der case pupil mit den durchschnittlichen Englischleistungen bringt sich sogar öfters ein als der lernstarke case pupil. Beide verwenden Kommunikationsstrategien wie das Verweisen auf Bilder, die Verwendung von Ges- 9 Die Beschreibungen der Kriterien (Codes) und Qualitätsstufen finden sich in Tabelle 2 (S. 110). 10 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und für die Einhaltung der Anonymität werden die case pupils in maskuliner Form adressiert. Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 113 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 ten oder das Code-Switching. Der case pupil mit den schwachen Leistungen im Englischen beteiligt sich kaum auf Englisch (EN-). Deshalb kann bei ihm der fremdsprachige Code ‘Speaking dialogue’ nicht vergeben werden. Er bringt sich jedoch zweimal auf Deutsch ein und zeigt damit, dass er seine Wahrnehmungen zum Bild kommunizieren kann (WK+). 5.2 Nutzung der CLIL-Lernaufgaben durch die heterogenen case pupils Die Analyse der mündlichen Lernhandlungen (=N) aller case pupils, aufgeteilt nach ihrer Leistungszugehörigkeit und nach Qualitätsstufen beim Gebrauch von Englisch, bei dialogischen Sprechhandlungen auf Englisch und hinsichtlich der Kommunikation ihrer Wahrnehmung, erbrachte folgende Ergebnisse: Tab. 3: Häufigkeit der Lernhandlungen für Englisch nach Qualitätsstufe und Leistungsgruppe Wie in Tabelle 3 ersichtlich, zeigten die case pupils insgesamt 844 mündliche Lernhandlungen. Die case pupils mit sehr guten und durchschnittlichen Englischleistungen zeigten erwartungsgemäß gute bis sehr gute (++ / +) Leistungen in allen drei Bereichen. Das heißt, sie führten über 80% ihrer Sprechhandlungen nur oder mehrheitlich auf Englisch aus und in über 90% ihrer dialogischen Sprechhandlungen konnten sie sich fließend sowie relativ umfassend einbringen. Die Ergebnisse zum Code ‘Wahrnehmung & Kommunikation’, bei dem die Lernenden ihre Eindrücke zu Bildern oder Farben mehrheitlich auf Englisch formulierten, korrelierten mit jenen der fremdsprachlichen Codes. Obwohl sich die case pupils mit schwachen Leistungen im Fach Englisch im CLIL-Unterricht deutlich weniger oft mündlich einbrachten (n=225), benutzten sie trotzdem in knapp 60% ihrer Sprechhandlungen nur oder mehrheitlich Englisch (++/ +). 29% ihrer dialogischen Sprechhandlungen lagen im guten bis sehr guten Code N ICC just starke case pupils mittlere case pupils schwache case pupils ++ + - - - ++ + - - - ++ + - -- Use of English (EN) 844 0.99 253 38 8 44 204 24 2 46 122 7 6 90 n = 343 n = 276 n = 225 Speaking dialogue (SD) 156 0.74 56 21 2 0 27 13 4 0 2 8 20 4 n = 78 n = 44 n = 34 Wahrnehmung & Kommunikation (WK) 208 0.73 54 30 1 1 28 33 2 0 8 39 10 2 n =86 n = 63 n = 59 114 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 Bereich (++/ +), während die Mehrheit (58%) als zufriedenstellend (-) eingeschätzt wurde. Die meisten Codes zu ‘Wahrnehmung & Kommunikation’ lagen im guten Bereich (+). Hierbei wurden auch deutsche Sprechhandlungen codiert. Mittels Chi-Quadrat-Test wurde statistisch untersucht, ob zwischen den drei Leistungsgruppen signifikante Unterschiede bestehen. In den Kategorien ‘Use of English’, ‘Speaking dialogue’ und in der ‘Wahrnehmung & Kommunikation’ zeigten sich signifikante Unterschiede (p < 0.001) zwischen den Gruppen der lernstarken und durchschnittlichen case pupils gegenüber den case pupils mit schwachen Englischleistungen. Keine signifikanten Unterschiede waren hingegen zwischen den Gruppen der case pupils mit durchschnittlichen und starken Leistungen im Englischunterricht zu erkennen. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass die case pupils mit schwachen Leistungen im Fach Englisch die Lernangebote signifikant anders in Bezug auf Qualität und Quantität nutzten als die anderen beiden Gruppen. 5.3 Einschätzungen der Lehrpersonen und Lernenden Die Lehrpersonen wie auch die befragten Lernenden nannten den neuen Zugang zur Sprache einen großen Vorteil des CLIL-Unterrichts. Alle Lehrpersonen schätzten die Andersartigkeit und die als authentisch erlebte Art des Sprachenlernens als Mehrwert ein. Einige Lehrpersonen waren überzeugt, dass die Lernenden dadurch auch öfters Englisch sprachen und es wagten, spielerisch mit der Fremdsprache zu experimentieren. Dies machte sich insbesondere während des kreativen Gestaltens bemerkbar. Zum Beispiel malte ein case pupil seinen Finger blutrot an und rief: «I have my finger ehm ‘eingeklemmt’! ». Hierauf antwortete der andere case pupil: «You need to ‘hol’ the ambulance.». Auch die case pupils bestätigten in den Interviews, dass sie in diesem Setting mehr Englisch sprächen als im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht und dass sie Fehler als weniger schlimm betrachteten. Die Fragebogenauswertung unterstützt diese Befunde. Die Mehrheit der befragten Lernenden (siehe Tab. 4), unabhängig von ihrer Leistungszugehörigkeit, empfand das Sprechen im CLIL- Unterricht an beiden Erhebungszeitpunkten (EZP) als einfacher. «Im BG-Englisch fällt es mir einfacher, Englisch zu sprechen als im normalen Englischunterricht.» Stimmt Stimmt eher Stimmt eher nicht Stimmt nicht Level schw. mittel stark schw. mittel stark schw. mittel stark schw. mittel stark 1.EZP 22% 19% 16% 44% 38% 34% 19% 26% 34% 16% 13% 16% 3.EZP 50% 30% 22% 22% 23% 16% 19% 16% 32% 6% 26% 28% n = 151 Lernschwache: n = 32 Mittelstarke: n = 69 Lernstarke: n = 50 k.A.: n = 3 (1.DL) / 5 (3.DL) Tab. 4: Schülerantworten in gerundeten Prozenten zur Schwierigkeit beim Englischsprechen Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 115 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 Weiter teilten die Lehrpersonen mit, dass aufgrund der Anschaulichkeit und Handlungsorientierung im BG die allermeisten Lernenden im CLIL-Unterricht partizipieren konnten. Dabei bestätigten sie den bereits aus dem Unterrichtsrating resultierenden Befund, dass das verbale Scaffolding von den Lernenden unterschiedlich genutzt wurde: Während die lernstarken Schüler*innen oft ohne Hilfsmittel auskamen, benutzten die schwachen Lernenden die vorgegebenen Satzstrukturen öfters. Die Fächerfusion ermöglichte oftmals auch eine natürliche Differenzierung. Dies stellten die Lehrpersonen zum Beispiel dann fest, wenn sich die Lernenden bei kooperativen Gruppenarbeiten gemäß ihren sprachlichen oder bildnerischen Fähigkeiten organisierten oder wenn die Lernenden bei einer gemeinsamen Bildbesprechung das einbrachten, was sie im Bild fremdsprachlich benennen konnten. Die Lernenden gaben an, dass sie Visualisierungen bei Erklärungen, die angepasste Sprache der Lehrperson und die vorgegebenen Wörter oder Sätze als besonders unterstützend wahrnahmen. Insbesondere die lernstarken und durchschnittlichen case pupils benannten zudem einige Lern- und Kommunikationsstrategien (z.B. Codeswitching, Deuten auf visuelle Komponenten, Einsatz von Gestik). Der Aussage, ob sie im CLIL-Unterricht Englisch verwendeten, stimmten mehrheitlich alle Lernenden ungeachtet ihrer Leistungszugehörigkeit eher oder ganz zu (s. Tab. 5). Während die Bemühungen Englisch zu sprechen bei den starken und schwachen Lernenden mit der Zeit nachließen (s. 1. EZP vs. 3. EZP), nahmen diese bei der großen Gruppe der mittelstarken Schüler*innen leicht zu. «Ich habe mich bemüht, so viel wie möglich Englisch zu sprechen.» stimmt genau stimmt eher stimmt eher nicht stimmt nicht Levels schw. mittel stark schw. mittel stark schw. mittel stark schw. mittel stark 1.EZP 38% 52% 42% 38% 29% 40% 16% 13% 14% 9% 1% 4% 3.EZP 38% 46% 30% 31% 39% 30% 16% 10% 22% 13% 0% 16% N = 151 Lernschwache: n = 32 Mittelstarke: n = 69 Lernstarke: n = 50 k.A.: n = 3 (1.EZP) / 5 (3. EZP) Tab. 5: Schülerantworten in gerundeten Prozenten zur Verwendung von Englisch 6. Diskussion Die obigen Ergebnisse legen nahe, dass der untersuchte CLIL-Unterricht eine positive Lernumgebung bot, in der sich die heterogenen Lernenden gemäß ihrer Leistungsvoraussetzungen rege fremdsprachlich einbrachten und insgesamt die auf dem Lehrplan (D-EDK 2014) basierenden Anforderungen beider Fächer erreichen konnten (s. Tab. 3). Dass alle Lernenden vorwiegend Englisch sprachen, kann neben dem positiven Unterrichtsklima auch mit dem sogenannten mask effect (M AILLAT 2010: 53-55) 116 Silvia Frank Schmid, Nikola Mayer DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 51 • Heft 2 zusammenhängen. Gemäß dieser Theorie steht für die Lernenden im CLIL-Unterricht das inhaltliche Lernen im Vordergrund, welches das als anstrengend empfundene Fremdsprachenlernen ‘maskiert’. Dies führt dazu, dass die Lernenden frei von Druck und mit einem tiefem affective filter (vgl. K RASHEN 1987: 31f.) vermehrt von der Fremdsprache Gebrauch machen. Die Tatsache, dass die Lernenden die englische Sprache besonders oft während des kreativen Gestaltens verwendeten, könnte auf eine symbiotische Beziehung von Bildern und Sprache hinweisen (vgl. G EHRING 2017: 9). Damit ist gemeint, dass Bilder als visualisierte Informationsträger nicht nur das Verständnis erleichtern, sondern auch die Sprachproduktion anregen. Dies zeigte sich in vorliegender Untersuchung nicht nur bei gemeinsamen Bildbesprechungen und dem Gebrauch deiktischer Sprache, sondern auch bei der experimentierfreudigen Verwendung der Fremdsprache, teils unterstützt mit Codeswitching, während der unbeobachteten gestalterischen Lernphasen. Die Berücksichtigung der Heterogenität konnte dadurch erreicht werden, dass die Beschäftigung mit Kunst vielfältige individuelle Zugänge und ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen ermöglichte (vgl. G EHRING 2017: 17; R YMARCZYK 2013: 113, 122). Zusätzlich wurde die Palette an Lernzugängen durch die englische Sprache erweitert. Einige Lehrpersonen betitelten den CLIL-Unterricht deshalb gar als ‚Begabungsförderung’, weil sich viele Lernende vermehrt oder anders kommunikativ einbrachten, als sie das sonst im Englischunterricht tun. Die Heterogenitätsfreundlichkeit wurde dadurch gesteigert, dass das breitgefächerte Angebot an Scaffolding von den Lernenden auf individuelle Weise genutzt wurde. Insgesamt konnte so die Prämisse erfüllt werden, dass differenzierter Unterricht vielfältig sein muss, um die Vielfalt der Schüler*innen zu berücksichtigen (vgl. K LIPPERT 2010: 52). Die Gruppe der ‚guten’ Lernenden, zu denen case pupils mit sehr guten und durchschnittlichen Englischkompetenzen gezählt werden, konnten im CLIL-Unterricht mit Englisch und BG erwartungsgemäß in allen Bereichen positive Leistungen zeigen. Dies ließ sich zudem in Bezug auf den sachfachlichen Kompetenzzuwachs nachweisen (s. Kapitel 5.1). Auch wenn bei genauerer Betrachtung die Gruppe der lernstarken gegenüber den durchschnittlichen case pupils etwas überlegen war, so unterschied sich deren Performanz nicht signifikant. Das Entdecken neuer Stärken in der experimentierfreudigen, kommunikativen Verwendung der Fremdsprache, die im traditionellen Englischunterricht oft zu kurz kommt, schien insbesondere die durchschnittlichen Lernenden zum ausgiebigen fremdsprachlichen Sprechen zu motivieren (s. Tab. 5) und zu einer mit den starken Lernenden vergleichbaren Performanz anzuspornen. Erfreulicherweise konnte auch die Gruppe der Schüler*innen mit schwachen Englischleistungen den CLIL-Unterricht in der Fächerfusion Englisch und BG für ihr Lernen zufriedenstellend nutzen. Eine Erklärung scheint gemäß Fragebogenauswertung (s. Tab. 4) darin zu liegen, dass diese Lernenden die Verwendung der Fremdsprache im CLIL-Unterricht als einfacher empfanden als im herkömmlichen Englischunterricht. Weil diese Lernenden insgesamt jedoch mit deutlich mehr Herausforderungen konfrontiert waren als die Schüler*innen mit günstigeren Leistungsvoraussetzungen, sollten mit ihnen im zukünftigen CLIL-Unterricht vermehrt Kommunikationsstrate- Heterogenitätsfreundlicher CLIL-Unterricht auf der Primarstufe 117 51 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0022 gien thematisiert werden, wie zum Beispiel non-verbale Ausdrucksmittel oder die Verwendung von deiktischer Sprache, so dass sie sich auch auf sachfachlich-inhaltlicher Ebene stärker einbringen können. 7. Fazit und Ausblick Der hier untersuchte CLIL-Unterricht in der Fächerfusion Englisch und BG konnte praxisorientiert und auf der Grundlage eines breiten Datensatzes darlegen, dass bei Verwendung geeigneter Lernaufgaben die heterogenen Lernenden das vielfältige Angebot entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten vorteilhaft nutzen konnten. Die mehrheitlich positiven Erkenntnisse hängen nicht nur mit dem heterogenitätsfreundlichen CLIL-Setting zusammen, sondern auch mit der Tatsache, dass die Untersuchung basierend auf dem Forschungsansatz der Lesson Study, ausschließlich auf das Lernen der Schüler*innen fokussierte. Dadurch konnten vertiefte Einblicke in das Lernen der case pupils gewonnen und Vergleiche zwischen den drei Leistungsgruppen gemacht werden. Dabei ergab die Untersuchung, dass sich die Lernenden grundsätzlich in zwei Gruppen aufteilen lassen: zum einen in die große Gruppe der Schüler*innen mit sehr guten bis durchschnittlichen Englischnoten, die alle über genügend fremdsprachliche Kenntnisse für die erfolgreiche Teilnahme am CLIL- Unterricht verfügen; zum anderen in eine Minderheit an Lernenden mit schwachen Englischleistungen, die sich im CLIL-Unterricht gemäß ihrer Möglichkeiten zwar beteiligen, jedoch mit zusätzlichem Scaffolding auf inhaltlicher, verbaler und strategischer Ebene begleitet werden sollten. Auch wenn die Ergebnisse dieser Good Practice-Studie nicht generalisiert werden können, liefern sie doch wertvolle Anregungen, dass bilingualer Unterricht auf der heterogenen Primarstufe gelingen kann. Für zukünftige schülerorientierte Forschungsdesigns mit Fokus auf die Heterogenität könnte es hilfreich sein, neben den unterschiedlichen Fremdsprachenkenntnissen auch die personalen und sozialen Dispositionen sowie die sachfachlichen Leistungsvoraussetzungen bei der Datenerhebung und Analyse zu berücksichtigen. Literatur A LLEN , Patrick / F RÖHLICH , Maria / S PADA , Nina (1983): „The communicative orientation of language teaching: an observation scheme“. In: TESOL 83. The Question of Control. Selected papers from the Annual Convention of Teachers of English to Speakers of Other Languages 17, 231-252. A STLEITNER , Hermann (2006): Aufgaben-Sets und Lernen. Instruktionspsychologische Grundlagen und Anwendungen. Frankfurt/ M.: Lang. 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