eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 51/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2022-0023
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2022
512 Gnutzmann Küster Schramm

Pro - Weniger Kompetenz, mehr Resonanz

91
2022
Lutz Küster
flul5120120
DOI 10.24053/ FLuL-2022-0023 51 • Heft 2 Das obige Postulat geht nicht von einer Unvereinbarkeit beider Leitbegriffe aus, es macht sich jedoch für eine Verschiebung von Gewichtungen stark. Unausgesprochen, aber unverkennbar geht es dem Profil der Zeitschrift entsprechend um bildungspolitische bzw. didaktisch-methodische Setzungen im Fremdsprachenunterricht. Vor allem im schulischen Rahmen hat die Kompetenzorientierung eine normative Kraft entfaltet, die eng mit Auflagen zur Messung bzw. Evaluierung von Kompetenzständen verknüpft ist. Im Spannungsfeld von Resultat- und Prozessorientierung wird damit eine einseitige Begünstigung ersterer im Vergleich zu letzterer festgeschrieben. Aus betriebswirtschaftlichen Kontexten stammt eine Maxime, die besagt, dass die Qualität von Produkten abhängig sei von der Qualität der Prozesse. Nach meiner Überzeugung gilt sie auch für den Bildungssektor generell, für sprachliches Lernen sogar in verstärktem Maße. Vor dem Hintergrund soziokultureller Lerntheorie gehe ich davon aus, dass Sprachlernen am nachhaltigsten wirkt, wenn es aus einem Sprachgebrauch in intersubjektiv belangvoller Interaktion erwächst. In dieser Hinsicht liefert uns die soziologische Resonanztheorie Hartmut R OSA s, obwohl primär auf den gesamtgesellschaftlichen Rahmen bezogen, auch für Lehr-/ Lernkontexte wertvolle Anregungen. Ähnlich wie Ruth C OHN s Konzept der Themenzentrierten Interaktion richten R OSA s Ausführungen den Blick auf die zwischenmenschliche Kommunikation. Darüber hinaus betonen sie jedoch auch die Bedeutung von Lerngegenständen, welche die Lernenden unmittelbar ansprechen, sie kognitiv und inhaltlich herausfordern sowie emotional „packen“. Dahinter steht ein phänomenologisches Verständnis von der Leibgebundenheit menschlicher Wahrnehmung, Erfahrung und Erkenntnis. Ihr zufolge kann es keine Trennung von Verstand und Gefühl, von Intellekt und Emotion geben. Die Zielvorstellung von einem Klassenraum, in dem es atmosphärisch gleichsam knistert (so die Wortwahl R OSA s), da in ihm die Akteure engagiert und konzentriert Inhalte verhandeln und subjektiv relevante Lernerfahrungen machen, mag idealtypisch überspitzt und nicht regelhaft umzusetzen sein. Sie lenkt jedoch völlig zu Recht unsere Aufmerksamkeit auf die komplexen, die gesamte Persönlichkeit der Lernenden einschließenden Prozesse des Lernens. Wenn alle Beteiligten sich auf resonante Beziehungen einlassen, also einander anerkennen, zuhören und antworten, entsteht ein Klima, in dem umfassende Bildungsprozesse, entdeckendes und oft auch implizites (fremdsprachliches) Lernen möglich sind. Mit R OSA halte ich Prüfungsdruck hingegen für kontraproduktiv, da er die Gegenstände des Lernens tendenziell als beliebig erscheinen lässt und die Lernenden in die Vereinzelung führt, bei vielen sogar lähmende Angst hervorruft. Die Zügel einer auf abprüfbare Lernresultate fixierten Kompetenzorientierung zu lockern und mehr in die Qualität interaktiver Lernprozesse zu investieren, bedeutet, sich auf deren geringe Vorhersehbarkeit einzulassen. R OSA spricht hier von Unverfügbarkeit und bringt damit den Verzicht auf die Illusion einer ins Detail gehenden Steuerbarkeit interaktiven Geschehens auf den Punkt. Ein solcher Verzicht ist jedoch der richtige Schritt, um die Qualität der Lernprozesse zu erhöhen und damit letztlich auch zu nachhaltigen Lernresultaten zu führen. Berlin L UTZ K ÜSTER Weniger Kompetenz, mehr Resonanz