Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0001
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2023
521
Gnutzmann Küster SchrammDie Künste und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht - Potenziale für das fremdsprachliche Lehren und Lernen
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2023
Carola Surkamp
Andreas Wirag
flul5210003
52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 C AROLA S URKAMP , A NDREAS W IRAG * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Obwohl die Spur eines kunstbasierten Fremdsprachenunterrichts sich bis ins 19. Jahrhundert, zu François Gouin (1831-1896) und seinen Theaterreihen oder zum Einsatz von Kunstbildern in frühen Lehrwerken, zurückverfolgen lässt, stellt eine übergreifende Diskussion der Potenziale und Einsatzmöglichkeiten verschiedener Künste im Fremdsprachenunterricht eine vergleichsweise junge Entwicklung dar. So findet sich erst seit den 2000er Jahren eine wachsende Anzahl von Publikationen aus den USA (D EASY 2002; C OREIL 2003), Großbritannien (M ALEY / P EACHEY 2015; A NDREWS / A LMOHAMMAD 2022) und Deutschland (B ERNSTEIN / L ERCHNER 2014; G EHRING 2017; M ENTZ / F LEINER 2018), die den Einbezug mehrerer Künste in den Fremdsprachenunterricht beleuchten. Unter ‚Kunst‘ werden dabei Bildende Kunst (Malerei, Grafik, Photographie, Bildhauerei, Architektur), Musik, Literatur und Darstellende Kunst (Theater, Tanz, Film) verstanden. Damit wird einem Kunstverständnis gefolgt, wie es in allgemeinen Nachschlagewerken zu finden ist, ohne dass dies jedoch expliziert wird. Im Brockhaus Kunst (B ROCKHAUS 2006: 494) wird Kunst definiert als Gesamtheit des vom Menschen Hervorgebrachten - im Gegensatz zur Natur -, das nicht durch eine Funktion eindeutig festgelegt ist oder sich darin erschöpft - im Gegensatz zur Technik -, zu dessen Voraussetzungen die Verbindung von hervorragendem Können und großem geistigem Vermögen gehören, das sich durch hohe gesellschaftliche und individuelle Geltung auszeichnet, ohne […] den Beweis der Richtigkeit einer Aussage antreten zu müssen. * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Carola S URKAMP , Georg-August-Universität Göttingen, Fachdidaktik des Englischen, Käte-Hamburger-Weg 3, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: carola.surkamp@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Filmdidaktik, Dramapädagogik, kulturelles Lernen, Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften. Dr. Andreas W IRAG , Georg-August-Universität Göttingen, Fachdidaktik des Englischen, Käte-Hamburger-Weg 3, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: andreas.wirag@uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Die Künste im Fremdsprachenunterricht, Neurokognitiver Fremdsprachenerwerb, Empirische Forschungsmethoden. Die Künste und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht - Potenziale für das fremdsprachliche Lehren und Lernen 4 Carola Surkamp, Andreas Wirag DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 52 • Heft 1 Es geht um schöpferisches, kreatives Gestalten mit Sprache, Tönen, verschiedenen Werkstoffen oder dem Körper. Auch performative Künste wie Theater, Tanz, Oper oder Poetry Slam fallen also unter diese Definition. Sie verbinden in ihrer Ausübung ästhetisch-künstlerische mit körper(sprach)lichen Elementen (M 2019: 17) und sind aufgrund ihres Inszenierungscharakters eher prozessals produktorientiert. Zwar sind Literaturdidaktik, Dramapädagogik und Filmdidaktik mittlerweile als kunstbezogene Teilbereiche in die Fremdsprachendidaktik integriert, andere Künste, wie z.B. die Musik oder Bildkunst, erfahren allerdings erst seit Kurzem wachsende Aufmerksamkeit. Tenor der bisherigen Diskussion eines kunstbasierten Fremdsprachenunterrichts ist, dass die Künste in vielfältiger Weise das sprachliche Lernen befördern können - und zwar sowohl im Hinblick auf rezeptive als auch auf produktive Kompetenzen. Die Beschäftigung mit Literatur, Hörspielen und Filmen trägt zur Entwicklung des Lese-, Hör- und Hör-Seh-Verstehens von Schüler: innen bei. Zudem werden die Künste insofern als motivierend angesehen, als Lernende sich nicht zuletzt in ihrer Freizeit mit ihnen beschäftigen, wenn sie Musik hören, Filme und Serien schauen oder Comics lesen. In literarischen Texten werden lebensweltnahe Themen verhandelt und Einblicke in Einzelschicksale gegeben, und in Filmen können Menschen in kommunikativen Situationen beobachtet und Gesprächsinhalte auch über Körpersprache erschlossen werden. Die Künste fungieren aber zugleich als vielfältiger Sprech- und Schreibanlass, wenn Lernende eigene Erfahrungen in die Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk einbringen und ihre Lesarten artikulieren, wenn sie Bedeutungen mit anderen in der Fremdsprache aushandeln und dabei die eigene Perspektive kritisch-reflexiv hinterfragen oder wenn performative Künste Gelegenheit bieten, sich selbst auf kreative Weise (körper)sprachlich auszuprobieren. Weniger in den Blick genommen wurden in der Fremdsprachenforschung bislang Transfereffekte bei künstlerischen Tätigkeiten im Fremdsprachenunterricht, die sich nicht direkt auf fremdsprachliche Kompetenzen beziehen. Unter Transfereffekten werden im Bereich der kulturellen Bildung die „außerkünstlerischen Wirkungen künstlerischer Tätigkeiten“ (R ITTELMEYER 2013: 217) verstanden, wonach bei jeder Beschäftigung mit den Künsten „kognitive, soziale, emotionale und körperliche Qualitäten eingeübt werden, deren praktische Bedeutung weit über die künstlerische Sphäre hinausgeht“ (ebd.). In Studien zur kulturellen Bildung wird z.B. herausgestellt, dass die Künste nicht nur die Teilhabe an kulturellen Prozessen auf der rezeptiven Ebene (im Sinne der Erfahrung und des Genusses von Kunstwerken) und produktiven Ebene (im Sinne von aktiver Gestaltung von Musik, Theater, Literatur usw.) ermöglichen (L IEBAU 2017). Darüber hinaus wird der Beschäftigung mit den Künsten ein positiver Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung zugesprochen, u.a. durch die Förderung von Wahrnehmungs- und Empathiefähigkeit (R ITTELMEYER 2013). Damit kann Kunst dazu beitragen, verschiedene Eigenschaften von Schüler: innen zu fördern, die entweder in direkter Weise den Lernzielen des Fremdsprachenunterrichts entsprechen oder diese indirekt unterstützen. So sind z.B. Empathie und Offenheit einer Person direkte Bestandteile ihrer Interkulturellen Kommunikativen Kom- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 petenz, die bei Schüler: innen im Sinne der KMK-Bildungsstandards (2014: 19-20) entwickelt werden soll. Weitere kognitive, ästhetische und personale Fähigkeiten wie Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer, Wahrnehmungsfähigkeit, Kreativität, Selbstvertrauen oder das Überwinden von Sprechangst können sich indirekt positiv auf fremdsprachliche Lernprozesse auswirken, indem sie z.B. die Sprechbereitschaft erhöhen oder Lernende experimentierfreudiger beim Ausprobieren neuer sprachlicher Strukturen werden lassen. Soziale Kompetenzen wie Kooperations- und Kompromissfähigkeit wiederum entsprechen allgemeinen Schlüsselkompetenzen und sind für das gemeinsame Lernen im fremdsprachlichen Klassenzimmer von großer Bedeutung. Alle genannten Fähigkeiten können plausibel über künstlerische Tätigkeiten in theater-, musik- oder literaturbezogenen bzw. bildnerischen Aufgaben im Fremdsprachenunterricht gefördert werden (vgl. W INNER / G OLDSTEIN / V INCENT -L ANCRIN 2013 für einen Überblick zur Kompetenzförderung durch Kulturangebote). Der Themenschwerpunkt greift diese Diskussionen auf und arbeitet heraus, inwiefern die Künste besondere Potenziale zu einer interdisziplinären Öffnung des Fremdsprachenunterrichts mit sich bringen. Diese fächerübergreifenden Potenziale betreffen nicht nur die Kooperation zwischen fremdsprachlichen und künstlerischen Feldern (in der Wissenschaft) oder Schulfächern (im Unterricht), sondern auch die Möglichkeit, spezifische Lernerträge, die durch die Künste eingelöst werden können, in den Fremdsprachenunterricht selbst zu integrieren. In der Fremdsprachenforschung liegen bereits Arbeiten vor, die sich jeweils einer einzelnen Kunstsparte widmen und deren Potenziale für das Lehren und Lernen von Sprachen herausstellen. Einschlägige Arbeiten für Theatermethoden im Fremdsprachenunterricht sind z.B. S CHEWE (1993) oder E VEN (2003); für die Literatur B REDELLA / B URWITZ -M ELZER (2004); für die Bildende Kunst H ECKE (2012) oder B ADSTÜBNER -K IZIK / L AY (2019); für Musik, Lieder und Songs F ALKENHAGEN / V OLKMANN (2019) sowie für den Film B LELL / G RÜNE - WALD / K EPSER / S URKAMP (2016). Es gibt bislang allerdings nur vereinzelte empirische Studien aus der Fremdsprachenforschung, welche die beschriebenen Wirkzusammenhänge über ihre theoretische Plausibilität hinaus fundieren. Wichtig ist daher der Blick in Bezugsdisziplinen wie die Kulturelle Bildung (z.B. W INNER / G OLDSTEIN / V INCENT - L ANCRIN 2013) oder die Persönlichkeitspsychologie (z.B. L ANGER / S TERN / S CHROE - DER 2020), welche die Wirkungen kultureller Bildungsangebote auch empirisch untersuchen. Ein solcher Blick ist notwendig, um zum einen die bislang meist auf Erfahrungswissen basierenden Annahmen der Fremdsprachendidaktik weiter abzusichern (oder zu hinterfragen) sowie, zum anderen, um neue Erkenntnisse in die Fremdsprachenforschung hineinzutragen, die aus diesen Bezugsfeldern stammen. In diesem Sinne nutzen auch die Beiträge in diesem Themenheft empirisch gewonnene Erkenntnisse aus Nachbardisziplinen wie der Psychologie, den Neurowissenschaften oder der Kulturellen Bildung, um ihre Aussagen über die Wirkzusammenhänge kunstbasierter Unterrichtsmethoden im Fremdsprachenunterricht zu untermauern. Sie nehmen z.B. die Empathieförderung durch Bildkunst (A LFES ) oder literarische Texte (G ARDEMANN ) in den Blick, die Wahrnehmungs- und Kooperationsfähigkeit durch Poetry Slams (H ILLE ), Kreativität durch den Einsatz von Theaterelementen 6 Carola Surkamp, Andreas Wirag DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 52 • Heft 1 (S AMBANIS ) oder die Förderung von Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen durch die Beschäftigung mit Musik (W ILLEMS ). Insgesamt stellen sie sich der Frage, ob bzw. wie über den Einbezug der Künste Lerngelegenheiten in den Fremdsprachenunterricht integriert werden können, die das Erreichen fremdsprachlicher Lernziele direkt oder indirekt unterstützen. Auf diese Weise soll eruiert werden, ob möglichweise ein bislang trotz verschiedener Studien insgesamt noch zu wenig beachtetes Potenzial der Künste für das fremdsprachliche Lehren und Lernen stärker in das Bewusstsein von Fremdsprachenforschung und -didaktik gehoben werden sollte. Umgekehrt möchte der Themenschwerpunkt aber zugleich darlegen, dass die Fremdsprachenforschung selbst einen Beitrag zur Frage nach den Transfereffekten kultureller Bildung leisten kann. Studien zum Einsatz der Künste im Fremdsprachenunterricht beleuchten schließlich das besondere Potenzial eines kunstbasierten Unterrichts aus fachspezifischer Perspektive. Die Forschung zur Kulturellen Bildung hat zwar schon gezeigt, dass sich die Wirksamkeit kultureller Angebote auch über das Ästhetisch-Künstlerische hinaus nachweisen lässt (z.B. W INNER / G OLDSTEIN / V IN - CENT -L ANCRIN 2013; G ROSZ / L EMP / R AMMSTEDT / L ECHNER 2022), doch diese Studien klären nicht abschließend, welche Aspekte der untersuchten Kulturangebote im Einzelnen für welche Bildungserträge verantwortlich sind. Dabei wäre es wichtig zu ergründen, welches Angebot welche Leistungen besonders herausfordert und welche - auch fachspezifischen - Lernerfahrungen damit jeweils ermöglicht werden (R ITTEL - MEYER 2016: 27; G OLDSTEIN / Y OUNG / T HOMPSON 2020). Zu diesen Fragen möchten die Beiträge des vorliegenden Heftes einige Antworten beisteuern. Zunächst stellt A NDREAS W IRAG ein Rahmenmodell für den kunstbasierten Fremdsprachenunterricht vor, das sich auf Theater, Bildende Kunst, Musik und Literatur bezieht. Unter einem Rahmenmodell wird eine schematische Darstellung des Unterrichts verstanden, welche die zentralen Elemente dieses Unterrichts enthält und sie so anordnet, wie sie sich in plausibler Weise beeinflussen müssten. Diese Kernelemente sind der Unterricht, hier also kunstbasierte Lehr-/ Lernmethoden, und die Lernerträge dieser Lehrmethoden, also die Lerneffekte, die diese auf die Kompetenzen von Schüler: innen haben können. Frühere Rahmenmodelle zum kunstbasierten Fremdsprachenunterricht gehen davon aus, dass dieser Unterricht zu einer Reihe von finalen, permanenten Kompetenzveränderungen der Lerner: innen führt. Das hier vorgestellte Rahmenmodell dagegen nimmt an, dass kunstbasierte Unterrichtserträge auf zwei aufeinanderfolgenden Ebenen bzw. in sich geschachtelt wirken. So bewirken kunstbasierte Lehrmethoden zunächst situative Zwischenerträge (z.B. eine vorübergehend erhöhte Motivation, Kreativität oder Zusammenarbeit) und im Anschluss daran abschließende, permanente Kompetenzveränderungen. Die situativen Zwischenerträge können dabei einen zusätzlichen Effekt auf die finalen Lernresultate haben, z.B. wenn eine erhöhte Motivation das fremdsprachliche Lernen steigert. Dauerhafte Änderungen von personalen oder sozialen Kompetenzen der Schüler: innen entsprechen den bereits beschriebenen Transfereffekten. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 L UISA A LFES legt in ihrem Beitrag zunächst eigene empirische Befunde zu der Frage vor, welche Funktionen Bilder in aktuellen Lehrwerken erfüllen. Sie kann zeigen, dass instruktive und illustrative Funktionen überwiegen, während bildästhetische Funktionen wenig genutzt werden. Im Anschluss diskutiert sie den Einsatz einer solchen ästhetischen Bildkunst in Form von Selbstporträts von Künstler: innen aus Zielsprachenländern für den Fremdsprachenunterricht. Diese Porträts sind in besonderer Weise geeignet, um Interkulturelle Kompetenzen wie das Empathievermögen von Lernenden zu fördern, da sie zu einer direkten Auseinandersetzung mit dem kulturellen Selbstbild des Künstlers bzw. der Künstlerin auffordern. Die Kunstdidaktik bietet vor diesem Hintergrund erprobte Unterrichtszugänge für die Bildbetrachtung und Bildproduktion an, die für den Fremdsprachenunterricht fruchtbar gemacht werden können. Am Beispiel von Frida Kahlos Self-Portrait Along the Border Line Between Mexico and the United States wird ein konkreter Vorschlag entwickelt. Daneben präsentiert der Beitrag aktuelle Studienergebnisse zum Sprachenlernen über Bildkunst, die sowohl Sprachzuwächse als auch Motivationseffekte für Schüler: innen belegen. Der Beitrag von A LINE W ILLEMS arbeitet den Einbezug von Musik in den Fremdsprachenunterricht als motivierende und vielseitig wirksame Lerngelegenheit für Schüler: innen heraus. Die Autorin stellt Ergebnisse empirischer Studien vor, die vorteilhafte Transfereffekte von Musik bzw. Musizieren auf das sprachliche Lernen nachweisen, z.B. für das Rhythmusgefühl, die phonologische Diskriminierungsfähigkeit, die Merkfähigkeit und die exekutiven Funktionen von Lernenden (d.h. mentale Prozesse, die Verhalten, Aufmerksamkeit und Gefühle gezielt steuern). Daneben zeigt die Autorin, dass das gemeinsame Singen oder Musizieren mit Instrumenten personale und soziale Kompetenzen von Schüler: innen fördern kann, z.B. ihr Selbstvertrauen, ihre Frustrationstoleranz oder ihre Kooperationsfähigkeit. Auch die Förderung Interkultureller Kommunikativer Kompetenzen über bpsw. den Vergleich von Aufführungspraktiken in verschiedenen Ländern wird als ein Potenzial herausgestellt. Schließlich beschreibt die Autorin Austauschprojekte mit internationalen Jugendorchestern als einen neuen Ansatz zur Einbindung von Musik in den Fremdsprachenunterricht. C HRISTINE G ARDEMANN beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Frage, inwiefern literarische Texte Lernende zur Selbst- und Weltreflexion anregen können. Dieses Potenzial führt sie auf die Anregung zum Perspektivenwechsel zurück, die Lernende durch die Beschäftigung mit Literatur erfahren. Ein zentrales Konzept in G ARDE - MANN s Diskussion ist im Sinne einer pedagogy of discomfort nach Megan B OLER (1999) das (fremdsprachliche) literarische Klassenzimmer als irritationsfreundlicher Raum, in dem verschiedene, miteinander konfligierende Sichtweisen erfahren, entdeckt, in Beziehung gesetzt und miteinander verhandelt werden können, ohne notwendigerweise Uneindeutigkeiten abschließend aufzulösen. In methodischer Hinsicht wird dafür eine Anlehnung an das Modell der Entwicklungsaufgaben im Jugendalter vorgeschlagen, woraus sich Auswirkungen auf die Textauswahl für den fremdsprachlichen Literaturunterricht ergeben. Die Autorin verdeutlicht dies am Beispiel des Jugendromans Ace of Spades von Faridah À BÍKÉ -Í YÍMÍDÉ aus dem Jahr 2021 und 8 Carola Surkamp, Andreas Wirag DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 52 • Heft 1 bezieht dabei kritisch Stellung zu etablierten literaturdidaktischen Ansätzen wie dem identifikatorischen Lesen literarischer Texte, das einer Reflexion von Selbst- und Weltverhältnissen womöglich im Wege steht. Im Beitrag von A LMUT H ILLE geht es um die Potenziale von Slam Poetry und Poetry Slams, wenn Lernende diese im Fremdsprachenunterricht erleben und analysieren sowie solche Texte selbst verfassen und auch präsentieren bzw. inszenieren. Ausgehend von einer genrespezifischen Auseinandersetzung mit dieser performativen Kunstform sowie einem historischen Überblick über Poetry Slams als Wettbewerbe in den USA und verschiedenen Ländern Europas nimmt die Autorin sowohl die direkte Förderung fremdsprachlicher kommunikativer Kompetenzen in den Blick als auch die Förderung von Persönlichkeitsmerkmalen wie ästhetische Wahrnehmungsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und Selbstvertrauen bei der Verwendung der Fremdsprache, die durch die Beschäftigung mit Slam Poetry erreicht werden können. Hauptbezugspunkt ist dabei der DaF/ DaZ-Unterricht, zu dem erste empirische Erkenntnisse ebenso vorgestellt werden wie ein Phasenmodell zu einem Slam-Poetry-Workshop für die Sekundarstufe II bzw. den Sprachunterricht an Hochschulen. Der Beitrag von M ICHAELA S AMBANIS diskutiert abschließend die Verbindung von Theater, Kreativität und Fremdsprachenlernen. Die Autorin zeigt auf, wie die Kreativität von Lernenden insbesondere durch körperliche und ästhetische Erfahrungen während der Theaterarbeit aktiviert werden kann. Eine spontane Ideenfindung der Schüler: innen ist wiederum Grundlage für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen, das sowohl Routineals auch Stegreifhandlungen beinhaltet. Daneben ist Kreativität als eigenständige Schlüsselkompetenz von hoher Zukunftsrelevanz für die Lernenden. Der Beitrag stellt diejenigen neurologischen Schaltkreise dar, die an Kreativität beteiligt sind, und fundiert seine Argumentation durch Befunde aus den Neurowissenschaften. Schließlich werden ausgewählte Theatermethoden als passende Praxisimpulse für den Fremdsprachenunterricht präsentiert, die einen Anteil an Improvisation beinhalten und auf diese Weise die gewünschte Kreativitätsförderung einlösen. Die Beiträger: innen erkunden insgesamt jeweils die Potenziale einer ausgewählten Kunstsparte für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Der Schwerpunkt liegt auf Transfereffekten, die für den Fremdsprachenunterricht von besonderer Bedeutung sind. Somit werden im vorliegenden Themenheft Antworten auf die Fragen diskutiert, ob und in welcher Weise der Einsatz der Künste über deren Verwendung zur Förderung rezeptiver und produktiver sprachlicher Kompetenzen hinaus mit einem spezifischen Mehrwert für den Fremdsprachenunterricht verbunden ist. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0001 Literatur À BÍKÉ -Í YÍMÍDÉ , Faridah (2021): Ace of Spades. New York: MacMillan. A NDREWS , Jane / A LMOHAMMAD , Maryam (Hrsg.) (2022): Creating welcoming learning environments: Using creative Arts methods in language classrooms. Bristol: Multilingual Matters. B ADSTÜBNER -K IZIK , Camilla / L AY , Tristan (Hrsg.) (2019): Bildende Künste im Fremdsprachenunterricht. Themenheft der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 24.2. B ERNSTEIN , Nils / L ERCHNER , Charlotte (Hrsg.) 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