Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0003
31
2023
521
Gnutzmann Küster SchrammBildende Kunst und fremdsprachliches Lernen:
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Luisa Alfes
flul5210027
52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 L UISA A LFES * Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen: (Selbst-)Portraits und ihr besonderes Potenzial für die Entwicklung von Empathiefähigkeit Abstract. This article takes an important step towards improving the theory and practice of foreign language teaching with (self-)portraits. It discusses their teaching potential and impact on students’ empathy towards cultural identities. The first part presents the current state of the art of working with pictures in the foreign language classroom. Then, this article approaches paintings from the perspective of arts education and explores avenues through which art can teach students foreign language competences including their ability to empathize with other cultures. Empirical studies which evaluate to what extent art works may contribute to language learning and developing empathy will be considered. This paper highlights current trends in the teaching of visual literacy and introduces the idea of working with (self-)portraits in foreign language education. In addition, it examines how practical learning opportunities can be created by analyzing visual input (here: a selfportrait of the painter Frida Kahlo) and how the students’ creation of their own portraits can be a meaningful tool in the language classroom. By doing so, the interplay of students’ personality traits and foreign language learning while working with fine arts will be discussed. 1. Einleitung Dass bildende Kunst in unserem alltäglichen Leben eine große Rolle spielt und daher auch im Fremdsprachenunterricht aufgegriffen werden sollte, ist offensichtlich. Bilder sind Teil unserer Kultur und Kommunikation, sie beeinflussen Wissen und Vorstellungen (vgl. KLINKER / N IEHOFF 2015). Sie bieten den Lernenden Perspektivenvielfalt an und ermöglichen es ihnen, selbst unterschiedliche Standpunkte und Positionen einzunehmen; dadurch wird ihre Phantasie gefördert (vgl. L IEBER 2008: 8). Zudem können anhand von Bildern unterstützende Lerngelegenheiten geschaffen werden, welche die Lernprozesse von Schüler: innen stimulieren (vgl. A LFES / VON E LBWART 2022: 29). Die Gründe für den Einsatz von bildender Kunst im Fremdsprachenunterricht sind so vielfältig wie die künstlerischen Artefakte selbst. Schon seit vielen Jahren gibt es Bestrebungen, mit Bildern im Fremdsprachenunterricht zu arbeiten und die visuelle * Korrespondenzadresse: Dr. Luisa A LFES , Universität Duisburg-Essen, Didaktik des Englischen, Universitätsstraße 12, 45141 E SSEN . E-Mail: luisa.alfes@uni-due.de Arbeitsbereiche: Bilder im Fremdsprachenunterricht, multimodale Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht, theoretisch-konzeptionelle Forschungsmethoden. 28 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 Kompetenz von Lernenden zu fördern (vgl. Z IEGESAR 1978: 7; M ÜLLER -H ARTMANN / S CHOCKER - VON D ITFURTH 2004: 134f.; H ECKE 2010: 6). Bislang nehmen Bilder im Fremdsprachenunterricht meist nur eine instrumentelle Rolle ein und es wird allgemein davon ausgegangen, dass sie motivierend sind, Semantisierungs- und Grammatisierungsprozesse unterstützen, interkulturelles Lernen intensivieren und die Organisation und Visualisierung von Informationen fördern (vgl. H ECKE 2010: 48). Zeitgemäße und kompetenzorientierte Bildung sollte jedoch auch die bildfokussierte Arbeit im Fremdsprachenunterricht hervorheben, in der Bilder im Mittelpunkt des unterrichtlichen Geschehens stehen und nicht nur als Hilfsmittel dienen, um die eben genannten Aspekte zu fördern. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf dem interdisziplinären Umgang mit bildender Kunst im Fremdsprachenunterricht. Es wird ein theoretisch-konzeptioneller Ansatz präsentiert, wie Lernenden künstlerische Artefakte mit Hilfe von kunstdidaktischen Methoden im Fremdsprachenunterricht nahegebracht werden können. Dabei werden (Selbst-)Portraits genutzt, um die Förderung interkultureller Kompetenzen - mit speziellem Fokus auf dem Teilbereich der Empathiefähigkeit der Lernenden - zu analysieren. Am Beispiel eines Selbstportraits von Frida K AHLO wird im vorliegenden Beitrag dargestellt, dass methodische Ansätze aus der Kunstdidaktik im Fremdsprachenunterricht die Förderung des Empathieempfindens der Lernenden unterstützen können. Dieses Bild eignet sich, um den Lernenden Frida K AHLOS interkulturelle Erfahrungen zwischen Mexiko und den USA nahezubringen und so den Leser: innen exemplarisch darzustellen, welche methodischen Ansätze wie genutzt werden können. Das Bildgenre des (Selbst-)Portraits ist hier besonders wirkungsvoll, da es zeigt, wie und wo sich die jeweiligen Künstler: innen selbst wahrnehmen, und es den Lernenden ermöglicht wird, Begegnungen zu schaffen, neue (interkulturelle) Perspektiven einzunehmen und so mit den abgebildeten Charakteren ihr eigenes Empathieempfinden zu stärken. 2. Funktionen von Bildern im Fremdsprachenunterricht: eine Bestandsaufnahme Um die besondere Rolle von (Selbst-)Portraits für die Förderung des Empathieempfindens der Fremdsprachenlernenden darstellen zu können, erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Rolle von Bildern allgemein im Fremdsprachenunterricht. Diese Funktionen lassen sich anhand von Lehrwerken erfassen, in denen visuelle Darstellungen omnipräsent sind. H ALLET (vgl. 2013: 215-219; 2015: 33-38) schreibt Bildern in Fremdsprachenlehrwerken sechs unterschiedliche Funktionen zu: illustrative Funktion: Bilder in dieser Funktion sind als ‚Beigabe‘ zum Text oder zur Aufgabe zu verstehen, ohne dass auf das Bild explizit Bezug genommen wird (z.B. eine Abbildung eines Kängurus neben einem Text über das australische Outback). Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 29 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 semantische Funktion: Hier ist bildliches Material gemeint, das von den Lernenden verbalisiert werden soll (z.B. eine Abbildung eines Schulhofs mit dem Arbeitsauftrag an Lernende, darüber zu sprechen). kognitive Funktion: Diese Abbildungen dienen als Unterstützung (scaffolding), um vor allem sprachliche Strukturen und Phänomene zugänglich zu machen und kognitive Prozesse anzustoßen (z.B. ein mit Sprechblasen ergänztes Foto, um einen Dialog zu beginnen). instruktive Funktion: Bilder in dieser Form können auch als ‚Icons‘ bezeichnet werden (z.B. ein Ohr neben der Instruktion das auf eine Hörverstehensaufgabe hinweist). repräsentationale Funktion: Diese Abbildungen dienen dem kulturellen, landeskundlichen und interkulturellen Lernen, indem Ausschnitte und Aspekte der zielsprachlichen Kultur, kulturhistorische Sachverhalte oder Lebensweisen dargestellt werden (z.B. ein Foto einer Sehenswürdigkeit in London). bildästhetische Funktion: Hier wird auf Bilder als ästhetisches Material für den Fremdsprachenunterricht Bezug genommen. H ALLET bezieht sich auf ein Beispiel in einem Lehrwerk, das Vexierbilder aus der Tate Gallery zeigt. Diese Abbildungen sind verbunden mit der Aufgabe an die Lernenden, zu beschreiben, ob sie die Bilder mögen, und später eine eigene Ausstellung zu entwickeln; unter diese Kategorie werden vor allem Artefakte der bildenden Künste wie bspw. Gemälde - und damit auch (Selbst-)Portraits von berühmten Künstler: innen - gefasst. H ALLET (2013: 215) bezeichnet seine Beschreibungen der Funktionen von Bildern in Lehrwerken als nicht repräsentativ aufgrund der „fehlenden quantitativen empirischen Absicherung“. Die Aussagen zur Häufigkeit (z.B. Bilder mit illustrativer Funktion als eine der „häufigsten Verwendungsweisen“ oder Bilder mit bildästhetischer Funktion als „ein eher seltenes Beispiel“; ebd.: 215, 218), werden durch eine subjektive Einschätzung auf Basis der Analyse einer Doppelseite aus einem Lehrwerk getroffen. Aus diesem Grund erfolgt im Folgenden eine kurze Bestandsaufnahme der oben aufgeführten sechs Funktionen von Bildern in aktuellen Schulbüchern. Exemplarisch wird diese Bestandsaufnahme anhand der Schulbücher Camden Town 3 (H ANUS et al. 2014), English G Access 5 (R ADEMACHER 2017), Green Line 2 (W EIß - HAAR / H Aß 2007) und On Track 1 (H OLTKAMP / R OBB B ENNE 2018) durchgeführt. Diese vier Schulbücher wurden zufällig aus den in Nordrhein-Westfalen zugelassenen Lehrwerken für das Gymnasium (G9) ausgewählt (vgl. Verzeichnis für Lehrmittel, S CHUL - MINISTERIUM NRW 2013-2020). Sie dienen als Basis für eine Zufallsstichprobe von Abbildungen, die einen Eindruck über die Funktionen von Bildern in aktuellen Lehrwerken vermitteln soll. Für diesen Beitrag wurden jeweils zufällig 10 Seiten aus jedem Schulbuch ausgewählt und die auf diesen Seiten abgedruckten Bilder den oben genannten Funktionen zugeordnet. Bei der Zufallsauswahl wurden alle Seiten im jeweiligen Lehrwerk außer dem Impressum und den Deckblättern berücksichtigt. 30 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 Abb. 1: Ergebnisse einer Zufallsstichprobe zu den Funktionen von Bildern in Lehrwerken für Gymnasien in NRW Die Übersicht liefert einen Einblick, welche Funktionen Bilder zu welchen Anteilen in den Lehrwerken einnehmen. Durch die zufällige Auswahl der Seiten hat die Bestandsaufnahme einen gewissen Anspruch auf Repräsentativität. Es wurden insgesamt 40 Seiten (10 Seiten pro Lehrbuch) auf ihre Repräsentation von Bildern untersucht. Dabei wurden insgesamt 98 Bilder gezählt. Auch wenn nicht alle Bilder eine eindeutig abgrenzbare Funktion hatten bzw. auch durchaus verschiedenen Kategorien hätten zugeordnet werden können, wurden sie durch die Autorin ihrer besonders charakteristischen Funktion im jeweiligen Kontext zugeordnet. Die meisten Bilder haben in dieser Stichprobe eine illustrative Funktion (41,84%) und instruktive Funktion (44,9%). Damit heben sich die beiden Kategorien deutlich von den anderen Kategorien ab. Bilder mit semantischer Funktion (8,2%), kognitiver Funktion (1,02%), repräsentationaler Funktion (4,08%) und bildästhetischer Funktion (0%) kommen kaum bzw. überhaupt nicht in der Stichprobe vor. Die Stichprobe über die Funktionen von Bildern in Lernmaterialien deckt sich auch mit den Aussagen von u.a. H ALLET (2013), S CHOPPE (2020) und N IEHOFF (2007), wonach vor allem Bilder mit illustrativer Funktion und Bilder mit instruktiver Funktion in Lernmaterialien verwendet werden. Bislang liegt der Fokus des Einsatzes von Bildern im Fremdsprachenunterricht auf jenen mit illustrativer und instruktiver Funktion, die vor allem das sprachliche Lernen 41,8 8,2 1,02 44,9 4,08 05 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Anzahl der Bilder Zufallsstichprobe zu den Funktionen von Bildern in vier Lehrwerken für Gymnasien in NRW Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 31 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 unterstützen. Da die Förderung der interkulturellen Kompetenzen einen weiteren, zentralen Zielbereich des Fremdsprachenlernens darstellt, sollten Bilder aber nicht nur das sprachliche Lernen unterstützen, sondern auch für die Ausbildung der interkulturellen Kompetenzen genutzt werden, welche z.B. durch Bilder mit bildästhetischer Funktion gesteigert werden kann. Häufig spiegeln sich kulturelle Einflüsse in Bildern mit bildästhetischer Funktion wider. Wie die Bestandsaufnahme zeigt, wird Bildkunst mit bildästhetischer Funktion noch (zu) wenig im lehrwerksbasiertem Fremdsprachenunterricht genutzt. Sie sind daher ein wichtiger Baustein für die folgende interdisziplinäre sowie theoretisch-konzeptionelle Forschung. 3. Förderung von visual literacy durch Bilder mit bildästhetischer Funktion Bilder mit bildästhetischer Funktion, die noch eine untergeordnete Rolle im Fremdsprachenunterricht spielen, sollten im Unterricht selbst zum Lerngegenstand gemacht werden. In diesem Zusammenhang ist visual literacy hervorzuheben. Schon seit mehreren Jahrzehnten wird die Aufnahme der visuellen Kompetenz in die Fremdsprachen- Curricula gefordert (vgl. H ECKE / S URKAMP 2015: 14-18; H ECKE 2010: 4-6). Visual literacy wird oft vereinfacht dargestellt als Fähigkeit der Lernenden, Bilder zu verstehen und mittels Bildern kommunizieren zu können (vgl. H ALLET 2013: 214). Mit Blick auf die Komplexität von Bildern mit bildästhetischer Funktion ist eine umfänglichere Definition angemessen. Im Anschluss an H ATTWIG et al. (2011: 1) kann visual literacy wie folgt beschrieben werden: Visual literacy is a set of abilities that enables an individual to effectively find, interpret, evaluate, use, and create images and visual media. Visual literacy skills equip a learner to understand and analyse the contextual, cultural, ethical, aesthetic, intellectual, and technical components involved in the production and use of visual materials. A visually literate individual is both a critical consumer of visual media and a competent contributor to a body of shared knowledge and culture. Mit visual literacy ist also nicht etwa das Erlernen des Dekodierens von offensichtlichen Icons, wie das Symbol einer CD als Hinweis auf die Audio-Materialien gemeint, sondern die viel komplexere Kompetenz zum kritischen Lesen und Verstehen von Bildern. Betrachter: innen werden zu kritischen Konsument: innen eines Bildes, wenn sie alle Komponenten innerhalb und außerhalb eines Bildes verstehen. Lernende müssen im Sinne der visual literacy also mit einer Art Equipment ausgestattet werden, das ihnen hilft, die einzelnen Komponenten zu identifizieren, zu analysieren und kritisch zu reflektieren, auch wenn dies bislang noch nicht explizit in den Fremdsprachen- Curricula gefordert wird. Bereits seit vielen Jahren bestehen Forderungen danach, Bilder in allen Fächern einzusetzen und die visual literacy der Lernenden zu fördern. „Bilder [hier: Bilder mit bildästhetischer Funktion] als zentrales Kulturphänomen können und müssen ihren Platz im Unterricht aller Fächer haben“ lautet S CHOPPES 32 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 (2020: 179) Appell als Kunstpädagoge für den regelmäßigen Einsatz von und der intensiven Beschäftigung mit Bildern (vgl. auch B ERING et al. 2006: 57). Da vor allem Bilder mit bildästhetischer Funktion oft komplexe Inhalte aufweisen, die es im Fremdsprachenunterricht zu dekodieren gilt, können Methoden der Kunstdidaktik helfen, um die visuelle Kompetenz der Lernenden zu fördern. 4. Das Unterrichtsfach Kunst als Bezugsdisziplin für den Umgang mit Bildkunst im Fremdsprachenunterricht Kunstunterricht trägt dazu bei, dass Lernende innerhalb des Kunstunterrichts, aber auch in anderen Fächern und außerhalb der Schule, ästhetische Erfahrungen machen, sowohl produktiv im eigenen künstlerischen Gestalten als auch rezeptiv in der Betrachtung von Kunstwerken. Im Kunstunterricht geht es um mehr als Kunst, es geht um die ästhetischen Erfahrungsprozesse der Kinder und Jugendlichen - in ihrem Wahrnehmen, Handeln und Denken. Ihnen diese Prozesse zu eröffnen, sie darin zu begleiten und selbstständig werden zu lassen, ist Praxis und Konzept des Kunstunterrichts (K IRCHNER / O TTO 1998: 4). Der kompetenzorientierte Kunstunterricht lässt sich grob in die beiden Lernbereiche ‚Produktion‘ und ‚Rezeption‘ aufschlüsseln, wobei beide im Unterricht häufig inhaltlich miteinander verknüpft sind (vgl. K IRCHNER / K IRSCHENMANN 2017: 216). Die bildnerische Kompetenz (d.h. Produktion und Rezeption) „entwickelt sich in Wechselwirkung von Herstellen und Anschauen, von Gesprächen über Bilder, der Gestaltung von Bildern, im Anwenden von Wissen über Bilder ebenso wie im Gebrauch von Bildern“ (ebd.). Auch wenn die beiden Bereiche eng miteinander verwoben sind, sollen sie dennoch im Folgenden als Unterteilung dienen, um Bildkunst für den Fremdsprachenunterricht so genuin und transparent wie möglich einzubinden (s. auch den Beitrag von Andreas W IRAG zu einem Rahmenmodell für den kunstbasierten Fremdsprachenunterricht in diesem Heft). Dabei ist zu beachten, dass im Unterrichtsfach Kunst mit der Bildproduktion und der Bildrezeption andere Lernziele verfolgt werden als im Fremdsprachenunterricht. Im Fremdsprachenunterricht finden Bilder bisher im rezeptiven und im produktiven Bereich Eingang. Sie werden oft instrumentalisierend genutzt, um die fremdsprachlichen Lernziele zu verfolgen (vgl. G EHRING 2017: 25; H ALLET 2015: 39; H ECKE 2010: 9-11), z.B. in der Bildrezeption, in der Lernende ihre Sprechkompetenzen trainieren, wenn sie ein Bild beschreiben, oder ihre interkulturellen Kompetenzen, wenn sie Fotos aus einer anglophonen Stadt sehen und so über die Zielkultur lernen. In der Bildproduktion werden Bilder bislang z.B. eingesetzt, um Szenen aus einem gelesenen Text zu illustrieren (vgl. P EEZ 2011: 174, 176; H ALLET 2013: 219). Diese unterrichtlichen Konzepte im Zusammenspiel von bildlichem und sprachlichem Lernen wurden bislang kaum empirisch im Fremdsprachenunterricht erforscht. Aus dem Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 33 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 Bereich Deutsch als Zweitbzw. Fremdsprache (DaZ/ DaF) liegen jedoch einige wenige empirische Befunde vor, die im Folgenden vorgestellt werden. 4.1 Empirische Erkenntnisse über das Sprachenlernen mit bildender Kunst In einem longitudinalen Praxisforschungsprojekt zur integrierten Sprachbildung im Fach Kunst, das 2010-2011 durchgeführt wurde, erhob F OHR (2022) Daten über die Bildbeschreibungskompetenz von DaZ-Lernenden im Alter von 10-12 Jahren. Anhand des Gemäldes Die Bauernhochzeit von Pieter Bruegel d. Ä. (1568) wurden die Kompetenzen zur Beschreibung des Bildes von 16 DaZ-Lernenden mit Förderbedarf in der Zielsprache Deutsch sowie die entsprechenden Fähigkeiten einer Bezugsgruppe (d.h. zwei 5. Klassen mit 48 Kindern) untersucht (vgl. F OHR 2022: 45). In Einzelinterviews wurde den Lernenden das Bild Die Bauernhochzeit gezeigt, nachdem sie sich im DaZ-Unterricht mit dem Kunstwerk auseinandergesetzt hatten. Anstatt das Bild strukturiert zu beschreiben, waren die Aussagen der Proband: innen häufig gekennzeichnet durch wertende Äußerungen über das Bild und durch Hintergrundwissen über das Kunstwerk, welches sie im Unterricht erworben hatten (ebd.: 59f.). Die Autorin fasst die Ergebnisse ihrer Studie so zusammen: „[A]usgehend von der Auswertung der Daten zur Kunstkommunikation der zweisprachig aufwachsenden Probanden*innen [kann] vermutet werden, dass sie Probleme mit dem nachvollziehbaren und logischen Beschreiben von Kunstwerken haben“ (ebd.: 60). Dennoch, so F OHR (ebd.: 59), konnten die Zweitsprachenlernenden „eigene Ideen und fiktive Erzählungen zu den Bildgegenständen entwickeln“. Aus ihrer Studie ergaben sich somit zwei Schlussfolgerungen: Schüler: innen benötigen sprachliche Unterstützung, um ihnen vorliegende Bilder beschreiben zu können. Ohne vorherige Erarbeitung und Übung waren die Zweitsprachlernenden nicht in der Lage, „auf die Bildform, z.B. den Aufbau des Bildes, die Lage der Bildgegenstände oder die farbliche Gestaltung und ihre Wirkung ein[zu]gehen“ (ebd.: 59). Schüler: innen konnten das im Unterricht erarbeitete Wissen verbalisieren und über die Kunstwerke sprechen. Dies zeigt, welches Potenzial die Bezugsdisziplin Kunst für das Erlernen einer (Fremd-)Sprache birgt. Eine weitere empirische Studie aus dem DaZ/ DaF-Unterricht ist im Projekt Sprache durch Kunst entstanden, einer Kooperation zwischen dem DaZ/ DaF-Institut der Universität Duisburg-Essen und dem Museum Folkwang. Auch dieses Projekt untersucht das Potenzial der Beschäftigung mit Kunstwerken für das Erlernen einer Sprache. Der Grundgedanke ist, schulisches und außerschulisches Lernen miteinander zu verbinden, indem Lernende gezielte Förderung der deutschen Sprache im Rahmen der kreativen Auseinandersetzung mit Kunst im Museum Folkwang erfahren. Dies geschah über eine Vor- und Nachbereitung der Museumsbesuche im Deutschunterricht; verglichen wurden die Ergebnisse mit jenen Kontrollgruppen, die ausschließlich im Museum gefördert wurden (vgl. B AUR et al. 2013: 249f.). Insgesamt nahmen 281 34 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 Schüler: innen (5./ 6. Jahrgangsstufe) an den Projektphasen im Museum und an den Schulen (Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien) teil. Untersucht wurde u.a., ob sich Unterschiede in den Förderergebnissen zwischen den Gruppen ergeben, die ausschließlich im Museum gefördert wurden, und denjenigen, bei denen die Förderung im Museum und in der Schule stattfand. Gemessen wurden diese Unterschiede im Zuwachs der Sprachkompetenz der Schüler: innen in der Zeit von 2011-2013 über Sprachtests (C-Test nach B AUR / S PETTMANN 2008). Ergebnisse aus dem Vergleich der beiden Gruppen zeigen, dass der Zuwachs der Sprachkompetenz der Lernenden mit Förderung im Museum und im Schulunterricht deutlich höher ist als der Lernzuwachs im Museum ohne schulische Förderung (z.B. Lernzuwachs im Sprachtest ca. 6% ohne schulische Förderung gegenüber ca. 18% mit schulischer Förderung an einer Hauptschule) (vgl. B AUR et al. 2013: 255). Die Studie zeigt zudem, dass die Schüler: innen die Arbeit mit Bildern als motivierend empfunden haben und dass sie ihre Sprachkompetenzen durch Kunst im Museum steigern konnten; die schwächeren Lernenden konnten über alle Schultypen hinweg von der Förderung am stärksten profitieren (vgl. ebd.). Für stärkere Schüler: innen an Gymnasien fiel der Lernzuwachs mit nur 2% eher gering aus. Hier zeigte sich aber, dass diese Gruppe den motivierenden Zugang zu einem neuen Bereich der kulturellen Bildung als besonders profitabel erachtete. Aus dieser Studie lassen sich drei Schlussfolgerungen ableiten: Der Sprachzuwachs von Schüler: innen mit Förderung im Museum und im Schulunterricht fällt höher aus als der Lernzuwachs im Museum ohne schulische Förderung. Schüler: innen erachten die Arbeit mit Kunstwerken im Museum als motivierend. Schwächere Schüler: innen profitieren besonders von der Arbeit mit Kunstwerken im Museum und der begleitenden Sprachförderung im schulischen Unterricht. Durch die beiden Studien aus dem DaZ/ DaF-Bereich konnte aufgezeigt werden, dass Lernende von der Arbeit mit Kunstwerken im Fremdsprachenunterricht profitieren, wobei dazu die Arbeit mit Kunstwerken und die Spracharbeit eng ineinandergreifen müssen. Auch wenn Schüler: innen das Lernen mit Kunstwerken generell als motivierend empfinden und in der Lage sind, Wissen über Kunstwerke zu verbalisieren, benötigen sie sprachliche Unterstützung, um das Potenzial für die Arbeit mit Kunst im Fremdsprachenunterricht möglichst auszuschöpfen. 4.2 Die Arbeit mit (Selbst-)Portraits im Unterricht: Methodische Ansätze aus dem Fach Kunst In den bisherigen Bestrebungen, Bildkunst und sprachliches Lernen zu verknüpfen, spielte die Methodik der Kunstdidaktik noch keine Rolle. Bildkunst wird vor allem mit Blick auf das sprachliche Lernen in ihrem Potenzial untersucht oder in Konzepten zur Bildrezeption, in der Lernziele und Methoden des Fremdsprachenunterrichts ver- Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 35 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 knüpft werden (vgl. H ECKE 2010). Weniger wurde Bildkunst mit Blick auf den kunstmethodischen Umgang mit Bildern betrachtet, den vor allem komplexe Bilder mit bildästhetischer Funktion erfordern. Zudem wurde Bildkunst noch nicht intensiv im Hinblick auf das interkulturelle Lernen im Unterricht eingesetzt. Beide Ansätze werden im weiteren Verlauf des Beitrags berücksichtigt, um das Empathieempfinden der Lernenden im Umgang mit (Selbst-)Portraits zu fördern. Im Sinne der visual literacy darf nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass Lernende die Bilder verstehen, die sie sehen; sie benötigen methodische und sprachliche Unterstützung, die ihnen das Dekodieren von visuellem Material erleichtert. Vor diesem Hintergrund beschreibt S CHOPPE (2020: 39) sechs Schritte zur Bildbetrachtung, um sich einem Kunstwerk im Unterricht zu nähern: 1. Erster Eindruck 2. Abgleich mit eigenen Interessen, Ideen, Vorerfahrungen und Fragen 3. Bestandsaufnahme von Bildgegenständen und Motiven 4. Analyse formaler Phänomene 5. Erschließung von Bildgehalten mit anschließender Erschließung des Kontextes durch weiteren Input 6. Verknüpfungen erstellen, das Verständnis vertiefen, eine abschließende Bilanz ziehen Auch in der Produktion von Werken im Kunstunterricht ist eine strukturierte Herangehensweise nützlich. W IRTH (2014: 107) sieht folgende Phasen als konstitutiv für einen guten Kunstunterricht an: 1. Exploration 2. Inspiration, Ideenfindung 3. Festhalten, Konkretisieren der Idee oder Differenzieren von Beobachtungen, Wahrnehmungen 4. Planung der Präsentation von Ergebnissen einer Exploration oder der Realisierung einer Idee als Inszenierung, Aktion, Bildwerk, Modell 5. Erörtern und Auswerten von Arbeitsergebnissen 6. Anknüpfungspunkte für die Weiterarbeit oder Aufsuchen anderer Gegenstands-, Sach- oder Aufgabenbereiche: Überarbeiten, Modifizieren oder Beginn eines neuen Projekts Sowohl in der Bildrezeption nach S CHOPPE (2020) als auch in der Bildproduktion nach W IRTH (2014) wird deutlich, dass ein strukturierter, kleinschrittiger Ansatz verfolgt wird, um sich mit Bildern im Unterricht auseinanderzusetzen. Diese jeweils sechs Schritte dienen später als Grundlage für den theoretisch-konzeptionellen Ansatz zur Arbeit mit (Selbst-)Portraits im Fremdsprachenunterricht. 36 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 5. Empathiefähigkeit durch Bildkunst am Beispiel von (Selbst-)Portraits im Fremdsprachenunterricht Um das Potenzial von (Selbst-)Portraits für das kulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht zu erfassen, werden zunächst besondere Eigenschaften von (Selbst-)Portraits betrachtet, bevor die Fähigkeit zum Empathieempfinden als Teilbereich des kulturellen Lernens beleuchtet wird. Diese Erkenntnisse können dann explizit auf Frida K AHLO s Bild Self-Portrait Along the Border Line Between Mexico and the United States bezogen werden. (Selbst-)Portraits wohnt ein besonderes Potenzial für das Fremdsprachenlernen inne: „Wenn man einem Menschen oder einem Tier ins Gesicht sieht, geschieht mit uns etwas ganz anderes, als wenn wir einen Gegenstand oder eine Landschaft betrachten“ (S OWA / U HLIG 2015: 555). Durch das Betrachten von Selbstportraits im Unterricht wird zwischen den Lernenden und der abgebildeten Person eine Sphäre interpersonaler Begegnung geschaffen. Dabei wird nahezu fraglos vorausgesetzt, dass „sich im Gesicht des Menschen die dahinterstehende Persönlichkeit zeigt, ausdrückt und für den Betrachter im weitesten Sinne ‚lesbar‘ mitteilt“ (ebd.: 556). (Selbst-)Portraits bieten im Vergleich zu anderen künstlerischen Artefakten vielfältige Lernchancen. Sie dienen den Lernenden als Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit der eigenen Person sowie mit anderen Personen und Kulturen. Das für den Fremdsprachenunterricht bedeutende interkulturelle Lernen kann mit (Selbst-)Portraits stattfinden. „Interkulturelles Lernen“ beschreibt die „Entwicklung der gesamten Persönlichkeit des Lernenden und seines Identitätsgefühls als Reaktion auf die bereichernde Erfahrung des Andersseins anderer Sprachen und Kulturen“ (E UROPARAT 2001: 14). Als Teilziel des interkulturellen Lernens wird die Fähigkeit zum Empathieempfinden verstanden (vgl. ebd: 105; F REITAG -H ILD 2018: 169f.), wobei Empathie in Lehr- und Lernkontexten Bestandteil der sozialen Kompetenzen ist und als soziale Perspektivübernahme verstanden wird, die sowohl auf der emotionalen als auch kognitiven Ebene stattfinden kann (vgl. W ILD / M ÖLLER 2020: 427). Empathiefähigkeit ist damit ein wichtiger Bestandteil des interkulturellen Lernens, um sich mit anderen Kulturen, Menschen, Perspektiven, Haltungen und Werten auseinanderzusetzen, und als eine Folge essentiell im Fremdsprachenunterricht. Durch den Einbezug von (Selbst-)Portraits in den Englischunterricht können Lernende einen verbindenden und empathischen Zugang zur Zielkultur erlangen. Mit den Ergebnissen einer Studie von A RNOLD / M EGGS / G REER (2014) lassen sich diese Aussagen untermauern. In dieser Studie wurden 44 Lehramtsstudierende der East Carolina University mit offenen Fragebögen zu ihren Persönlichkeitsmerkmalen befragt, nachdem sie Selbstportraits der Künstlerin Deidre S CHERER analysiert hatten. Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, wie das ästhetische Verständnis und die Fähigkeit zur Empathie durch die Portraitanalysen im Kunstmuseum beeinflusst werden. Das zentrale Ergebnis der Studie war die Erkenntnis, dass die Begegnung mit Deidre S CHERER s Portraits es den Teilnehmenden erlaubte, Empathie zu empfinden. So beschreiben die Proband: innen beispielsweise, wie sich ihr Verständnis von Krankheit Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 37 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 und Tod (Sujets in Scherers Bildern) nach der Analyse der Portraits im Museum auch auf ihren individuellen Bereich verändert hatte (vgl. ebd. : 332). Die Autor: innen fassen die Ergebnisse ihrer Studie wie folgt zusammen: This educational strategy [and exposure to art] allowed students to connect vicariously with the subjects depicted in Scherer’s images in order to experience their feelings […]. This connection to the feelings of others is a form of empathy (ebd.: 344). Es entsteht also bei der Betrachtung von (Selbst-)Portraits eine Wechselwirkung zwischen Bild und Betrachter: in, die wiederum Auswirkungen auf das Empathieempfinden der Betrachter: in in ihrem persönlichen Umfeld hat. Diese Wirkungsweisen von Bildern sollen im Folgenden auch für den Fremdsprachenunterricht genutzt werden. Die dargestellten Erkenntnisse sind Ausgangspunkt für eine Analyse des Kunstwerkes Self-Portrait Along the Border Line Between Mexico and the United States von Frida K AHLO (1932) und dienen als Grundlage, um theoretisch-konzeptionelle und methodische Ansätze für die Arbeit mit (Selbst-)Portraits im Fremdsprachenunterricht darzustellen. Abb. 2: Self-Portrait Along the Border Line Between Mexico and the United States, Frida K AHLO (1932) 38 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 Das Bild von Frida K AHLO wird in Tabelle 1 anhand der sechs Schritte von S CHOPPE (2020) auf einer Metaebene betrachtet, um die Potenziale der Beschäftigung mit (Selbst-)Portraits für den Fremdsprachenunterricht zu erläutern. Analyseschritte Durchführung und mögliche Analyseschwerpunkte im Fremdsprachenunterricht 1. Erster Eindruck Schüler: innen sehen das Bild und äußern ihren ersten Eindruck 2. Abgleich mit eigenen Interessen, Ideen, Vorerfahrungen und Fragen Schüler: innen gleichen ihre ersten Eindrücke mit ihren Interessen ab 3. Bestandsaufnahme von Bildgegenständen und Motiven Schüler: innen nennen die abgebildeten Gegenstände und Motive, z.B.: - Abbildung der Künstlerin im Kleid, sie trägt eine mexikanische Flagge in der Hand, Tempelanlage, Schornsteine, exotische Pflanzen 4. Analyse formaler Phänomene Schüler: innen analysieren formale Aspekte, z.B.: - Komposition: das Bild lässt sich in zwei Teile aufteilen, die US-amerikanische rechte Seite und die linke mexikanische Seite, unterteilt durch die Künstlerin in der Mitte - Farbe: prägnante, rosa gekleidete Frida K AHLO in der Mitte des Bildes, US-amerikanische Seite in verschiedenen Grautönen und mexikanische Seite vor allem in Erdtönen, aber auch einzelne Farbakzente wie die Blumen im Vordergrund 5. Erschließung von Bildgehalten mit anschließender Erschließung des Kontextes durch weiteren Input Schüler: innen erschließen Bildgehalte und Kontext, z.B.: - Vier Schornsteine mit der Aufschrift „FORD“ verweisen auf die industriell geprägten USA - Totenköpfe deuten auf die Traditionen und das religiös geprägte Mexiko hin 6. Verknüpfungen erstellen, das Verständnis vertiefen, eine abschließende Bilanz ziehen Schüler: innen verknüpfen ihr erlangtes Wissen und vertiefen ihr Verständnis, z.B.: - Vergleich zu eigenen kulturellen Besonderheiten und Erfahrungen Tab. 1: Analyse des Bildes Self-Portrait Along the Border Line Between Mexico and the United States von Frida K AHLO (1932) Wie in Tabelle 1 dargestellt, dienen die ersten beiden Schritte dem Einstieg in die Arbeit mit dem Bild. Vor allem die Schritte 4-6 erfordern, dass sich die Lernenden mit der im Bild dargestellten Person und ihren kulturellen Hintergründen beschäftigen. Sie laden zu einem Perspektivwechsel ein, in dem die Lernenden sich mit den kulturellen Faktoren des Bildes befassen. Der Umgang mit diesem Selbstportrait im Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 39 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 Englischunterricht kann Auswirkungen auf die kulturellen Wahrnehmungen der Lernenden haben, da er einen Zugang zu interkulturellen Zusammenhängen eröffnet. Durch die schrittweise Analyse des Bildes können sich die Lernenden nicht nur Wissen über die USA und Mexiko und deren Differenzen aneignen; das Kunstwerk kann darüber hinaus zur Ausbildung der Empathiefähigkeit der Lernenden beitragen. Durch diese Art der Analyse wird es den Lernenden ermöglicht, sich in die Lage der menschlichen Schicksale hineinzuversetzen und in einem letzten Schritt Verknüpfungen, z.B. mit den eigenen kulturellen Selbstzuschreibungen, herzustellen. Mit der Analyse dieses Selbstportraits können künstlerische Erscheinungsformen als kulturelle Codes der Länder und Kulturen wahrgenommen werden. Das Kunstwerk wird damit zu einer kulturellen Schatzkiste, die zum Erwerb von Empathiefähigkeit der Lernenden beitragen kann. Sie können durch das Betrachten und die Arbeit mit Portraits ihre kulturellen Kompetenzen entfalten, indem sie andere Perspektiven auf der emotionalen und kognitiven Ebene einnehmen. 6. Empathieentwicklung über die Arbeit mit Selbstportraits im Englischunterricht: Ein Unterrichtsmodell Die methodischen Vorschläge aus der Kunstdidaktik dienen nun als Grundlage, um ein theoretisch-konzeptionelles Modell für die unterrichtliche Arbeit mit Frida K AHLOS Selbstportrait zu entwerfen (Abb. 3, S. 40). 40 Luisa Alfes DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 52 • Heft 1 Bildrezeption SECHS SCHRITTE ZUR BILDREZEPTION 1. Erster Eindruck 2. Abgleich mit eigenen Interessen/ Ideen 3. Bestandsaufnahme 4. Analyse formaler Phänomene 5. Erschließung von Bildgehalten mit anschließender Erschließung des Kontextes durch weiteren Input 6. Verknüpfung und Bilanz Bildproduktion SECHS SCHRITTE ZUR BILDPRODUKTION 1. Exploration 2. Inspiration, Ideenfindung 3. Festhalten, Konkretisieren der Idee oder Differenzieren von Beobachtungen, Wahrnehmungen 4. Planung der Präsentation von Ergebnissen einer Exploration oder der Realisierung einer Idee als Inszenierung, Aktion, Bildwerk, Modell 5. Erörtern und Auswerten von Arbeitsergebnissen 6. Anknüpfungspunkte für die Weiterarbeit oder Aufsuchen anderer Gegenstands-, Sach- oder Aufgabenbereiche: Überarbeiten, Modifizieren oder Beginn eines neuen Projekts Abb. 3: Unterrichtsmodell „Selbstportraits im Englischunterricht lesen und gestalten am Beispiel Self-Portrait Along the Border Line Between Mexico and the United States von Frida K AHLO (1932)“ Sowohl die Bildrezeption als auch die Bildproduktion und das ständige Zusammenspiel der beiden Prozesse fördern die bildnerische Kompetenz der Lernenden. Die Durchführung der sechs Schritte zur Bildbetrachtung nach S CHOPPE (2020) hilft den Lernenden, kulturelle Symbolisierungen und Wirklichkeiten - hier im Selbstportrait von Frida K AHLO - zu verstehen. Mit Hilfe der dargestellten Person erkennen sie, dass es sich zwar um ein Individuum handelt, aber vor allem im fünften Schritt erschließen sie den erweiterten Kontext der Zerrissenheit zwischen den beiden Ländern und Kulturen Mexiko und USA. In den sechs Schritten nach W IRTH (2014) zur Bildproduktion mit der Aufgabe - „(in) between cultures? Imagine you feel torn between two different worlds. Which features of different cultural backgrounds would you paint (background) and how would you depict yourself (foreground)? Create a self-portrait.“ - intensivieren die Lernenden ihr Bildverständnis und beziehen es gleichzeitig auf ihre eigene Lebenswelt. Sie erfassen die inszenierten Wirklichkeiten zwischen den Nationen Mexiko und USA und nehmen kulturelle Verschiedenheiten wahr. Die Lernenden Erstellung eigener Portraits zum Thema (in) between cultures Bildende Kunst und fremdsprachliches Lernen 41 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0003 setzen sich mit kulturellen Symbolen auseinander (Schritte 1-4). Hier können Bilder gemalt, mit Hilfe von Fotos, Zeitungsauschnitten usw. collagiert oder als digitale Portraits gestaltet werden. Durch das Darstellen der eigenen kulturellen Besonderheiten und dem Vergleich mit den kulturellen Symbolen in Frida K AHLOS Bild erkennen die Lernenden, wie alltäglich kulturelle Unterschiede und Besonderheiten sind (Schritte 5-6). Dadurch wird ihnen ein Perspektivwechsel ermöglicht, der ihr Empathieempfinden fördert. In beiden Bereichen, sowohl in der Bildrezeption als auch -produktion, muss unter Verweis auf die vorgestellten Studien beachtet werden, dass die Lernenden sprachliche Unterstützung, z.B. durch das Bereitstellen von Phrasen oder Vokabeln, erhalten. 7. Fazit und Ausblick Künstlerische Artefakte im Allgemeinen und (Selbst-)Portraits im Speziellen haben einen unverzichtbaren Wert für die Ausbildung der Empathiefähigkeit von Lernenden und sollten auch im Fremdsprachenunterricht eine zentrale Rolle spielen. Ihr Mehrwert für das Lernen einer Fremdsprache konnte bereits durch empirische Studien nachgewiesen werden. Um allerdings das volle Potenzial von bildender Kunst für den Fremdsprachenunterricht auszuschöpfen, bedarf es einer Berücksichtigung geeigneter Methoden aus dem kunstdidaktischen Bereich, die das Bildverständnis der Lernenden intensivieren. Dabei ist sowohl die Bildrezeption als auch die bislang noch vernachlässigte Bildproduktion von großer Bedeutung für das Bildverständnis. Diese theoretischen Vorschläge gilt es nun weiterzuentwickeln und anhand empirischer Studien detaillierter zu untersuchen. Solchen Studien können Forschungsfragen wie z.B. „Welche fremdsprachlichen Kompetenzen können Lernende bei der Arbeit mit Selbstportraits im Englischunterricht erweitern? “ oder „Inwiefern können Lernende in der Rezeption und Produktion von Selbstportraits ihre Fähigkeiten im Bereich Empathie weiterentwickeln? “ zugrunde liegen. Es lässt sich also das Desiderat identifizieren, mit bildender Kunst - hier am Beispiel von (Selbst-)Portraits - im Fremdsprachenunterricht mit Hilfe kunstdidaktischer Methoden zu unterrichten und diesen Unterricht empirisch zu beforschen. Literatur A LFES , Luisa / VON E LBWART , Katharina (2022): „Painting America: teaching U.S.-American history and fostering visual literacy through art in the EFL classroom“. In: Teaching the United States: Past, Present, and Future Visions F&E Edition 27, 27-38. A RNOLD , Alice / M EGGS , Susan M. / G REER , Annette G. (2014): „Empathy and aesthetic experience in the art museum“. 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