eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 52/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0008
31
2023
521 Gnutzmann Küster Schramm

Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht

31
2023
Anika Marxl
Ricardo Römhild
flul5210102
DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 A NIKA M ARXL , R ICARDO R ÖMHILD * Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht Ein Beitrag zur Ausdifferenzierung eines Leitkonzepts schulischer Bildung Abstract. With their definition of the ability to participate in discourses, the German educational standards open venues for a primarily functional understanding of this superordinate goal of language education. However, such a notion of discourse literacies may be seen as anachronistic since discourses are always related to questions of power and values. Consequently, learners need to develop critical discourse literacy in addition to functional communicative skills. This article seeks to identify the critical components of the ability to participate in discourses and suggests a two-fold concept of critical discourse literacies. Against the background of a discussion of existing approaches to discourse literacies in language education, this contribution argues for both the development of an awareness of discursive structures and the consideration of human rights as a value base for critical (self)reflection when it comes to preparing learners for participation in global discourses. 1. Diskurse und Diskursfähigkeit im 21. Jahrhundert Die globalisierten und digitalisierten Diskurse des 21. Jahrhunderts eröffnen immer neue Möglichkeiten der sozialen Teilhabe, und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen (bspw. Black Lives Matter, Fridays for Future) verdeutlichen, dass junge Menschen zur kritischen und reflektierten Teilhabe an diesen Diskursen befähigt werden sollten. Dies erfordert von Lernenden aber ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit, um sich selbst als aktive Partizipant: innen an globalen Diskursen zu verstehen und nicht nur als passive Konsument: innen (vgl. H EIDT 2015: 14). Dabei bleibt P ENNYCOOKS * Korrespondenzadressen: Anika M ARXL , wiss. Mitarbeiterin, Englisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Johannisstr. 12-20, 48143 M ÜNSTER E-Mail: marxl@uni-muenster.de Arbeitsbereiche: Sprachmittlung, Global Citizenship Education, Service Learning Ricardo R ÖMHILD , wiss. Mitarbeiter, Englisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Johannisstr. 12-20, 48143 M ÜNSTER E-Mail: ricardo.roemhild@wwu.de Arbeitsbereiche: Bildung für nachhaltige Entwicklung, Dokumentarfilmdidaktik, Global Citizenship Education N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht 103 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 Forderung aktuell, dass fremdsprachliche Bildung ein Verständnis von „language in contexts“ priorisieren muss, welches kritische Fragen im Zusammenhang mit Zugänglichkeit, Macht, Ungleichverteilung, Selbstermächtigung und Widerstand aufwirft (2001: 5). Sprache im Kontext zu betrachten, bedeutet darüber hinaus aber auch anzuerkennen, dass Diskurse an Werte und Normen geknüpft sind, die stets mitverhandelt werden müssen. Diesen Einsichten entgegen leisten übergreifende bildungspolitische Dokumente wie die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache im Abitur (KMK 2003, 2004, 2014) jedoch einem vor allem funktional-pragmatischen Verständnis von Diskursfähigkeit Vorschub. 1 Der Begriff der Diskursfähigkeit wird in den Bildungsstandards verstanden als „eine Verstehens- und Mitteilungsfähigkeit, die inhaltlich zielführend, sprachlich sensibel und differenziert, adressatengerecht und pragmatisch angemessen ist“ (KMK 2014: 11). Ein erfolgreicher Beitrag zu einem Diskurs wäre es demnach bereits, etwas zu sagen zu haben und dazu in der Lage zu sein, dies auszudrücken (S CHNITTER 2010). Dass ein solches Verständnis problembehaftet ist, zeigt sich beispielsweise und insbesondere an diskriminierenden Aussagen, die dieses Lernziel auf funktionaler Ebene erfüllen würden, auf einer kritisch-reflexiven Ebene jedoch höchst fragwürdig bleiben. So wäre der Satz I don't want to be treated by an Asian doctor. What if he gives me the virus? formal eine dem Lernziel entsprechende Aussage, die jedoch inhaltlich bedenklich ist. Wenn solch eine Aussage als erfolgreiche Äußerung im Fremdsprachenunterricht behandelt wird, ist der dahinterliegende Bildungsbegriff „anachronistisch“ (J OHN et al. 2020: 12) und bedarf der Revision, da sonst „Sprachverwendung als Benutzung einer linguistischen Tool-Box missverstanden werden kann“ (ebd.). Ein Fokus auf reine Funktionalität lässt die Perspektive vermissen, dass Bildung immer auch ein politischer und moralischer Akt ist (vgl. F ÄCKE / P LIKAT / T ESCH 2017: 5; J ACKSON 2019: 4f.), und dass Diskursbeiträge von Lernenden immer auch (selbst-)kritisch auf einer Wertebasis reflektiert werden sollten. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Wertebasis dem Konzept der kritischen Diskursfähigkeit zugrunde gelegt werden kann. Der vorliegende Beitrag unternimmt daher den Versuch, die kritischen Komponenten der fremdsprachlichen Diskursfähigkeit zu identifizieren, zusammenzuführen und auszudifferenzieren. Hierfür werden im Folgenden zunächst Konzeptionen diskutiert, die das aktuelle Verständnis von Diskursfähigkeit maßgeblich geprägt haben. Dabei wird auch die Genese des Konzepts im deutschen fremdsprachendidaktischen Diskurs nachgezeichnet. Darauf aufbauend werden mit der Entwicklung eines Bewusstseins für die Diskursstruktur sowie der kritischen (Selbst-)Reflexion auf Grundlage einer gemeinsamen Wertebasis zwei Bereiche detaillierter diskutiert, die 1 Wir erkennen an, dass die Bildungsstandards von Lehrkräften unterschiedlich interpretiert werden können, verweisen aber auch auf ihre Wirkmächtigkeit als Orientierung zur Gestaltung von Lehrplänen und Lehrwerken, welche wiederum starken Einfluss auf die Ausgestaltung der Unterrichtspraxis haben (s. hierfür z.B. B ONNET / H ERICKS 2014: 93, die in diesem Zusammenhang den Effekt der „Durchprozessierungslogik“ beschreiben; s. auch die Diskussion um demokratische Werte und Menschenrechte in Abschnitt 3.2). 104 Anika Marxl, Ricardo Römhild DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 einem kritisches Verständnis von Diskursfähigkeit inhärent sein sollten. Abschließend werden auf diesem Verständnis von kritischer Diskursfähigkeit beruhende konzeptionelle und unterrichtspraktische Umsetzungsmöglichkeiten diskutiert und anhand eines kurzen Beispiels illustriert. 2. Gegenwärtige Konzeptionen von Diskursfähigkeit in der Fremdsprachendidaktik Die Fremdsprachendidaktik hat in der Vergangenheit bereits einige diskurstheoretische Überlegungen hervorgebracht, beispielsweise von Claire K RAMSCH (2006), die das Konzept der symbolic competence etablierte, von Wolfgang H ALLET (2008), der die Diskursfähigkeit als Leitziel des Englischunterrichts beschrieb, sowie von Jochen P LIKAT (2017), der das Konzept der fremdsprachlichen Diskursbewusstheit als Zielkonstrukt für den Fremdsprachenunterricht vorstellte. Diese Konzepte haben den Begriff Diskursfähigkeit nachhaltig geprägt und bilden die Grundlage für den vorliegenden Beitrag. Alle drei Konzepte eint ein sozialphilosophisches Diskursverständnis nach Michel F OUCAULT (1973), jedoch offeriert jedes Konzept unterschiedliche Schwerpunkte und Perspektiven, die es im Folgenden zu diskutieren gilt. 2.1 Claire K RAMSCH : symbolic competence Ausgehend von der Kritik an der kommunikativen Kompetenz, wie sie P IEPHO bereits 1979 vollzogen hat (s. Abschnitt 2.2), entwickelte Claire K RAMSCH das Konzept der symbolic competence. K RAMSCH argumentiert mit den sich wandelnden Lebensumständen der Gesellschaft im 21. Jahrhundert sowie einer zunehmenden Komplexität durch fortschreitende Technologisierung und Globalisierung für eine Neuausrichtung bzw. Erweiterung der kommunikativen Kompetenz. Aufgrund dieser Entwicklungen reichten kommunikative Kompetenzen allein nicht mehr aus, um erfolgreich an der jeweiligen Gesellschaft teilzuhaben (vgl. K RAMSCH 2011: 355). K RAMSCH baut ihr Konzept auf einem post-strukturalistischen Verständnis von Diskurs nach P ENNYCOOK (1994) auf und betont die gestaltende und formende Funktion von Diskursen sowie deren enge Verknüpfung mit Ideologien und Identität im Fremdsprachenunterricht (K RAMSCH 2011: 356): Discourse is shared ways of organizing meaning that are often, though not exclusively, realized though language. Discourses are about the creation and limitation of possibilities, they are systems of power/ knowledge (pouvoir/ savoir) within which we take up subject positions (P ENNYCOOK 1994: 128). Dieser Argumentation folgend sollten Schüler: innen sich ihrer eigenen Position bewusst sein, während sie sich am Diskurs beteiligen, und diese im gesamten Diskurs verorten können. Dabei sollten sie ebenfalls in der Lage sein, Machtstrukturen zu erkennen und ihre eigene Rolle in diesen Systemen zu reflektieren. Darüber hinaus ist Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht 105 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 wichtig, dass sie sich ihrer eigenen identitären Verortungen bewusst sind und nachvollziehen können, wie sich diese durch Diskurse konstruieren und verändern. Diese Aspekte müssen Lernende nicht nur für sich selbst erkennen und reflektieren können, sondern auch für ihre Kommunikationspartner: innen. Diese symbolic competence, so K RAMSCH (2016: 251), baut nicht nur auf der Fähigkeit auf, Bedeutungen im Dialog auszudrücken, zu interpretieren und zu verhandeln, sondern bettet diese gleichzeitig in die Fähigkeit ein, symbolisches Kapital zu produzieren und auszutauschen. Sie betont, dass symbolic competence über critical thinking im Sinne des Unterscheidens von fake news und Fakten hinausgeht (vgl. K RAMSCH 2011: 359). Existierende Narrative von Machtverteilung sollen kritisch hinterfragt und neu definiert werden. Die Bewusstmachung und kritische Reflexion von Hintergründen einzelner Diskursfragmente (symbolic action), aber auch gesellschaftlicher Systeme, die sich in Diskursen widerspiegeln (symbolic power), sind essenziell, um Diskurse zu verstehen, zu beurteilen und darauf basierend an ihnen zu partizipieren (vgl. ebd.: 357). Auf welcher Grundlage solch eine Bewertung jedoch vorgenommen werden soll, bleibt offen. 2.2 Wolfgang H ALLET : Diskursfähigkeit Im deutschen Forschungskontext hat vor allem Wolfgang H ALLET den Diskursbegriff geprägt. H ALLET (2008: 77) betont die Wichtigkeit eines zeitgemäßen Diskursbegriffs und moniert die Missachtung dieses Konzeptes in Richtliniendokumenten wie den Bildungsstandards. Anschließend kombiniert er eine für den Fremdsprachenunterricht relevante Definition des Diskursbegriffs mit einem zeitgemäßen Kompetenzkonzept (multiliteracies, N EW L ONDON G ROUP 1996) und wendet dies auf P IEPHO s „kommunikative Kompetenz“ (1974) an. Da H ALLET s Konzept der fremdsprachlichen Diskursfähigkeit auf einem F OUCAULT schen Verständnis von Diskurs beruht, beinhaltet es bereits eine stark kritische Komponente: Menschen […] müssen in einer vielsprachigen Welt nicht nur mit ‚Fremdsprachenkenntnissen‘ ausgestattet sein, sondern auch mit der Fähigkeit, Diskurse (im Foucaultschen Sinne) zu identifizieren, sie zu initiieren oder aktiv weiterzuentwickeln und nicht zuletzt auch kritisch zu reflektieren (H ALLET 2008: 88). Während die Fähigkeit zur kritischen Reflexion hier klar hervorgehoben wird, bleibt offen, was dies konkret bedeutet oder beinhaltet. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass Diskursfähigkeit als Schlüssel zur gesellschaftlichen Partizipation auch für H ALLET eine politische Dimension enthält, da sie die Ermächtigung zur Teilhabe am Diskurs als Instrument gegen Marginalisierung und Exklusion darstellt (vgl. ebd.: 2008: 88). Neben dem F OUCAULT schen Verständnis von Diskurs nutzt H ALLET das Konzept des „kommunikativen Handelns“ nach H ABERMAS (1971), welches wiederum von P IEPHO (1974, 1979) für die Fremdsprachendidaktik aufgegriffen wurde (vgl. H ALLET 2008: 84). Nach H ABERMAS geschieht kommunikatives Handeln in einem System von geltenden Normen und Werten, derer sich beide Kommunikationspartner: innen 106 Anika Marxl, Ricardo Römhild DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 bewusst sind und diese teilen (1971: 117). Demgegenüber steht der Diskurs, in welchem kein Konsens über solche gesellschaftlichen Regeln herrscht, sondern diese erst verhandelt werden. Somit stellt der Diskurs nach H ABERMAS (1971: 117) eine Metakommunikation des kommunikativen Handelns dar. In Bezug auf den Fremdsprachenunterricht müssen Schüler: innen also einerseits in die Lage versetzt werden, kommunikativ zu handeln, z.B. indem sie die generischen Merkmale bestimmter Textformen in Diskursen erlernen. Andererseits müssen sie die Fähigkeiten entwickeln, die Diskursregeln solch kommunikativer Akte zu bewerten und zu verhandeln. Dies bezeichnet P IEPHO (1974: 13) als „Diskurstüchtigkeit“. Somit enthält P IEPHO s Verständnis von Diskurs im Kontext des kommunikativen Unterrichts ebenfalls ein reflexives, meta-kommunikatives Element, wie es sich bei Foucault finden lässt. Sowohl F OUCAULT und H ABERMAS als auch P IEPHO unterscheiden zwischen Diskursfragmenten und Diskurs 2 als größerem Zusammenhang sozialer und kultureller Praktiken (vgl. H ALLET 2008: 87). Über die Unterscheidung dieser beiden Kategorien hinaus sollte der Diskursbegriff ebenfalls zeitgemäß sein, besonders im Hinblick auf Globalisierung und Digitalisierung (H ALLET 2008). Für H ALLET s Konzept der Diskursfähigkeit sind deshalb folgende Aspekte unabdingbar: Topikalität im Sinne einer Themenorientierung im Fremdsprachenunterricht; Vielstimmigkeit, um diverse Meinungen in einem Diskurs zu präsentieren; Multimodalität als Charakteristik zeitgemäßer Texte; interaktionale Aushandlung, sowie das Eruieren von Differenzen als Ziel im Unterricht (ebd.: 89f.). Es wird deutlich, dass H ALLET s Konzept von Diskursfähigkeit mit der Zielstellung der gesellschaftlichen Teilhabe weit über das funktionale Verständnis der Bildungsstandards hinausgeht: Schüler: innen sollen Aussagen „kritisch reflektieren“ (H ALLET 2008: 88). Doch wie bei K RAMSCH bleibt auch hier ungeklärt, auf Grundlage welcher Wertebasis dies geschehen soll. 2.3 Jochen P LIKAT : fremdsprachliche Diskursbewusstheit Als Ergebnis einer kritischen Betrachtung der ICC nach B YRAM entwickelt Jochen P LIKAT (2017) die fremdsprachliche Diskursbewusstheit, die auf drei konzeptuellen Pfeilern ruht: Diskurstheorie, Sprachbewusstheit und transformatorische Bildung. Die diskurstheoretische Grundlage bilden vor allem F OUCAULT s Verständnis von Diskurs sowie die darauf basierende Arbeit Norman F AIRCLOUGH s (1989) zum engen Verhältnis von Macht und Sprache. Fremdsprachliches Lernen soll laut P LIKAT (2017: 218) Machtdimensionen bewusst machen und kritisch hinterfragen, da sie durch Sprache ausgedrückt, aber auch etabliert werden. Um den Prozess der Bewusstmachung genauer zu beschreiben, bedient sich P LIKAT des Konzepts der Sprachbewusstheit 2 Dieser grundlegenden Unterscheidung folgt auch der vorliegende Artikel aus Gründen der besseren Verständlichkeit. Für eine ausführliche Beschreibung der im deutschsprachigen Diskurs ebenfalls gebräuchlichen Unterscheidung in discourse (mit kleinem d) und Discourse (mit großem D) siehe H ALLET (2008) und K RAMSCH (1998). Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht 107 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 (language awareness). Er fasst den Begriff, in Anlehnung an F AIRCLOUGH , sehr weit und wendet ihn nicht nur auf Sprache, sondern auch auf Diskurse an (vgl. P LIKAT 2017: 249). Zudem wird die politische Dimension von Sprachbewusstheit hervorgehoben, denn zahlreiche Konzeptionen von Sprachbewusstheit zielen auf eine Erziehung zur Autonomie, auf Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft und die gleichzeitige Stärkung der Gesellschaft ab (vgl. ebd.). „Kritisch“ wird hier als bewusste Reflexion von Macht- und Sprachstrukturen definiert. Den dritten Pfeiler P LIKAT s fremdsprachlicher Diskursbewusstheit bildet in Anlehnung an K OLLER (2012) das Konzept der transformatorischen Bildung. Der Begriff „transformatorisch“ wird hier anders gebraucht als im F REIRE schen (2018 [1970]), gesamtgesellschaftlichen Sinne: P LIKAT legt den Fokus auf das Individuum, welches zur Transformation der eigenen Haltung angeregt bzw. ermächtigt wird. Aus einer Auseinandersetzung mit Diskursen und einer Reflexion der eigenen Position kann eine Transformation der eigenen Gedanken, Haltungen und Meinungen entstehen. Somit sind zwei Kerneigenschaften der fremdsprachlichen Diskursbewusstheit die Offenheit zur Pluralität sowie die Bereitschaft zur eigenen Transformation (vgl. ebd.: 283). Zudem erkennt P LIKAT die Notwendigkeit einer normativen Wertebasis an und bezieht sich auf die Empfehlungen des Europarats (C OUNCIL OF E UROPE 2010), welcher Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mittelpunkt rückt. P LIKAT (2017: 298) legt besonderen Fokus auf die von der UN ratifizierten Menschenrechte. Damit hebt sich sein Ansatz von den anderen hier diskutierten ab. Jedoch wird der Fokus auf Menschenrechte im Rahmen seiner Abhandlung nicht tiefergehend diskutiert. 3. Zur Ausdifferenzierung einer kritischen fremdsprachlichen Diskursfähigkeit Anhand der drei dargestellten Ansätze zeigt sich, dass durchaus ein kritisches Verständnis von Diskursfähigkeit diskutiert wird. Jedoch wird dabei vorrangig auf einer machtbezogenen und diskurs-strukturellen Ebene argumentiert. Kritisch diskursfähig zu sein bedeutet demnach in erster Linie, ein kritisches Bewusstsein für Diskursstrukturen und Machtdynamiken im Diskurs zu entwickeln (s. Abschnitt 3.1). Kritik braucht aber über die Bewusstmachung von Strukturen hinaus auch einen normativen Bezugspunkt, nicht zuletzt, weil sich das Konstrukt der Diskursfähigkeit innerhalb des Rahmens eines politisch-normativ wirkenden Bildungsauftrags bewegt, der diskriminierenden Aussagen entgegenwirkt. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden zunächst jene Komponenten von kritischer Diskursfähigkeit beleuchtet, die auf die Schaffung eines Bewusstseins für die Diskursstruktur bei Lernenden abzielen. Anschließend werden im Zusammenhang mit moralisch-normativen Überlegungen die Menschenrechte als gemeinsame Wertebasis für die kritisch-reflexive Urteilsbildung diskutiert, die Teil einer (fremdsprachlichen) Diskursfähigkeit im 21. Jahrhundert ist. 108 Anika Marxl, Ricardo Römhild DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 3.1 Bewusstsein über Diskursstruktur entwickeln Die Ausbildung eines Bewusstseins über die Diskursstruktur und die damit verbundene kritische Selbstreflexion bei der Teilhabe an Diskursen bildet ein zentrales Element der kritischen Diskursfähigkeit. Aufbauend auf den Überlegungen F OUCAULT s (1973), H ABERMAS ’ (1971), F REIRE s (2018 [1970]) und P IEPHO s (1974) finden sich in der Literatur zahlreiche Hinweise darauf, welche Aspekte zu diesem Bewusstsein gehören (s. Abschnitt 2). Aufbauend auf den Arbeiten H ALLET s (2008) und A LTMAYER s (2006) finden sich in der DaF/ DaZ-Forschung bei H AMANN ET AL . (2016) 3 darüber hinaus ergänzende Angaben zur Ausdifferenzierung dieses Teilbereichs der kritischen Diskursfähigkeit. Für die Autor: innengruppe ergeben sich drei zentrale sprachbezogene Elemente von Diskursfähigkeit, die mit der Idee der meta-diskursiven Kompetenz H ALLET s kompatibel sind: die Fähigkeit von Fremdsprachenlernenden, an Bedeutungskonstruktionen in der Fremdsprache mitwirken, diese erweitern und hinterfragen zu können, die Fähigkeit, Diskurspluralität, d.h. das Neben- und Gegeneinander unterschiedlicher Positionen, Perspektiven und Meinungen im Diskurs, anzuerkennen und auszuhalten, und die Fähigkeit, die Praktiken der Bedeutungsproduktion im Diskurs zu durchschauen (vgl. H AMANN et al. 2016: 15) Während sich die erstgenannte Fähigkeit, „an Bedeutungskonstruktionen in der Fremdsprache mitwirken, diese erweitern und hinterfragen zu können“ (H AMANN et al. 2016: 15), so ähnlich auch in H ALLET s Konzeption wiederfindet, stellt der Hinweis auf das Anerkennen und Aushalten von Diskurspluralität eine wichtige Ergänzung dar, die auch P LIKAT (2017: 297) fordert. Diskurse laufen parallel und sich gegenseitig durchdringend ab und bedingen sich gegenseitig, sodass keine „strenge und absolute Trennlinie zwischen Diskursen in der einen und der anderen Sprache“ (H AMANN et al. 2016: 15) gezogen werden kann. Dieses Durch- und Nebeneinander von Positionen und Diskursen auszuhalten ist insofern wichtig, als einfache Antworten in den globalen Diskursen des 21. Jahrhunderts selten sind. Entsprechend kann ergänzt werden, dass auch eine Toleranz für die eigenen Unsicherheiten entwickelt werden sollte. Eine wichtige Unterscheidung betrifft an dieser Stelle allerdings diskriminierende Diskursfragmente, welche die moralischen Kriterien nicht erfüllen (s. Abschnitt 3.2) und nicht ausgehalten werden müssen bzw. sollten. Mit Blick auf das Bewusstsein für die Diskursstruktur, welches Lernende entwickeln sollten, lässt sich aber bereits ein Zwischenfazit ziehen. Kritisch diskursfähig zu sein, bedeutet nicht nur, Diskursfragmente funktional-sprachlich, inhaltlich und medial produzieren zu können, sondern es schließt auch die Fähigkeiten ein, Diskurse 3 Hier wird die längere Version der im Lehrwerk gedruckten Einleitung zitiert. Diese ist über einen Code im angegebenen Lehrwerktext abrufbar. Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht 109 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 und Diskursfragmente sprachlich, inhaltlich, medial und kulturell zu verstehen sowie eigene und fremde Positionen und Meinungen im Diskurs zu verorten und auf dieser Grundlage mögliche Gegenpositionen und Gegenargumente zu antizipieren. Es ergeben sich somit insgesamt aus den bestehenden Positionen im Bereich „Bewusstsein für die Diskursstruktur“ folgende Aspekte, die zur kritischen Diskursfähigkeit gehören und bei der aktiven Teilnahme an Diskursen zu beachten sind: das Verständnis von Machtstrukturen innerhalb eines Diskurses, was auch Fragen der Zugänglichkeit und der Teilhabemöglichkeit beinhaltet („Wie funktioniert der Diskurs als Ganzes? “; „Wer ist wie beteiligt, wer nicht? “; „Wer darf was sagen, wer nicht? “); die Fähigkeit, sich selbst und andere im Diskurs zu positionieren und die eigene Position im Verhältnis zu anderen Positionen reflektieren zu können (Fragmentpositionierung). Damit einher gehen Leitfragen wie: „Wer produziert was für wen und zu welchem Zweck und wie fügt sich meine Position dort ein? “; „Welche (Gegen)Positionen sind zu antizipieren? “; sowie ein kritischer Umgang mit und Bewertung von Informationen (Faktizität vs. Meinung). Darüber hinaus macht H ALLET (2008; 2020) deutlich, dass das kritische Moment der Diskursfähigkeit auch mit dem Aufbau einer Urteils- und Bewertungskompetenz einhergeht, wie sie etwa V OLKMANN (2020) in Teilaspekten und -kompetenzen des Englischunterrichts sucht. Diese Einsicht ist aus diskurstheoretischer Perspektive nicht unproblematisch, da sie konsequenterweise dazu führt, alle Diskurse einem moralisch-normativen Meta-Diskurs unterzuordnen bzw. sie damit abzugleichen, was im Sinne F OUCAULT s kritisch zu hinterfragen wäre. Jedoch bewegt sich das Ziel der Ausbildung einer kritischen Diskursfähigkeit im Rahmen eines Bildungsauftrags, der klar normativ wirkt und ein solches Vorgehen rechtfertigt oder sogar fordert: „Fremdsprachliche Bildung in und für eine demokratische Gesellschaft braucht die Einübung in werteorientiertes Denken und Handeln“ (H ALLET 2020: ohne Seite), worunter auch das „aktive Eintreten gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung“ zählt (ebd.). Hieran wird deutlich, dass Bildung immer auch ein moralischer Akt ist (vgl. J ACKSON 2019: 4f.). Es stellt sich also die eingangs erwähnte Frage, welcher Meta-Diskurs und welche Wertebasis der fremdsprachlichen Bildung und damit der kritischen fremdsprachlichen Diskursfähigkeit zugrunde gelegt werden kann, sollte und darf. 3.2 Die Menschenrechte als gemeinsame Wertebasis Es bedarf bis dato noch der Konkretisierung einer solchen Wertebasis für den Fremdsprachenunterricht. Einzig P LIKAT (2017, 2018) argumentiert explizit für eine Wertebasis als Teil des Zielkonstrukts fremdsprachlicher Diskursbewusstheit. Basierend auf den Vorgaben des Europarats (C OUNCIL OF E UROPE 2010) schlägt P LIKAT (2017) hierfür Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor. In einer jüngeren Pub- 110 Anika Marxl, Ricardo Römhild DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 likation (P LIKAT 2018) formuliert er mit dem evolutionären Humanismus einen neuen Vorschlag. Als „Minimalethik“ (ebd.: 51) zieht P LIKAT diese Denkrichtung den Menschenrechten vor, da sie Orientierung verleiht, wo sich unterschiedliche Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR, UN 1948) seiner Ansicht nach konfliktär gegenüberstehen. Obwohl sich der evolutionäre Humanismus und die Menschenrechte sehr nah stehen, ist der evolutionäre Humanismus im Gegensatz zu der AEMR nicht international anerkannt. Zudem leitet sich aus seiner Maxime nicht unmittelbar eine Handlungsempfehlung ab, da das zentrale Element Leid immer ein subjektives Empfinden ist: Ob eine Handlung Leid zufügt oder nicht, wird zur Auslegungssache. Als naheliegender Gegenvorschlag zum evolutionären Humanismus werden daher im vorliegenden Beitrag die Menschenrechte als Wertebasis für kritische Diskursfähigkeit in Betracht gezogen. Im philosophischen Sinne beschreiben Menschenrechte die Voraussetzungen für ein Leben in Würde und suchen damit einen gemeinsamen Kern des „Menschseins“ im Sinne der Humanität (vgl. D ONNELLY 2007: 23). Ein zentrales Element ist die Frage danach, wie Menschen einen humanen Umgang miteinander pflegen können, der die Würde jedes und jeder Einzelnen respektiert und wahrt. Darauf gibt es bis heute lediglich den Versuch einer Antwort, der aber globale Anerkennung findet: Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen (damals 58 Staaten, heute 193) verabschiedet, „[d]a die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet.“ (Präambel AEMR, UN 1948). Zusätzlich zu dieser institutionellen Implementierung in der Mehrheit aller Weltstaaten, werden die Menschenrechte als universal angesehen, da sie jedem Menschen per definitionem zustehen. Jeder Mensch wird mit diesen unveräußerlichen Rechten geboren. Im Kontext des kommunikativen Handelns sind vor allem Artikel 1 und 29 relevant (AEMR, UN 1948): In Diskursen geschieht es besonders häufig, dass die Würde anderer nicht gewahrt wird (z.B. hate speech, cyber mobbing, Rassismus etc.). Artikel 1 ist aufgrund der Betonung der Gleichheit und des „Geistes der Brüderlichkeit“ besonders bedeutsam, da hier die Verantwortung anderen gegenüber klar deutlich wird. Artikel 29 orientiert sich am kategorischen Imperativ von K ANT (vgl. 2008/ 1781 AA IV: 421), sorgt so für Orientierung bei eventuellen Kollisionen unterschiedlicher Rechte und wirkt damit auch handlungsweisend im Sinne einer Übernahme von Verantwortung. Dies schließt unter Bezug auf sogenannte demokratische Werte das aktive Eintreten für den Schutz von Menschenrechten anderer mit ein (vgl. K NOX 2009: 180), beispielsweise im Sinne der Zivilcourage. Wenn im Bildungskontext von demokratischen Werten gesprochen wird, beziehen sich diese meist auf eine Verfassung oder andere in vergleichbarer Weise niedergelegte Prinzipien eines demokratischen Staates. Während demokratische Werte auf den Menschenrechten basieren können und demnach auch Teil der Menschenrechtsbildung sein können, muss eine Wertebasis in einer globalisierten Welt jedoch genau diese Grenzen überwinden und auch außerhalb von Staatlichkeit funktionieren (vgl. S TARKEY 2012: 1). Ein entsprechen- Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht 111 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 des de-territorialisiertes Verständnis von Demokratie und demokratischen Werten wird zwar von A PPADURAI (2001) mit seinem Konzept der deep democracy - einer Demokratie ohne Grenzen - entworfen, welches beispielsweise im kosmopolitischen Diskurs zentrale Bedeutung hat. Jedoch leisten die deutschen Bildungsstandards mit ihrem Rückgriff auf weitestgehend territorialisierte Kultur- und citizenship-Begriffe (z.B. ICC nach B YRAM 1997) einem nationen-gebundenen Verständnis von Demokratie und demokratischen Werten Vorschub. Um sich davon gezielt abzugrenzen, greift das hier vorgeschlagene Konzept fremdsprachlicher Diskursfähigkeit nicht auf die Begriffe ‚demokratische Werte‘ oder ‚Rechtsstaatlichkeit‘ zurück. Auf den vorangegangenen Erläuterungen aufbauend sind der Idee der kritischen fremdsprachlichen Diskursfähigkeit neben den in Abschnitt 3.1 genannten Aspekten also folgende Komponenten hinzuzufügen: die kritische Reflektion und Verortung von Diskursfragmenten und Äußerungen auf Basis der Menschenrechte („Werden die Würde bzw. Rechte anderer verletzt? “, „Ist die Aussage bzw. Handlung diskriminierend? “) auf Basis dieser Reflexion ggf. die Transformation der eigenen Haltung („Inwiefern ist meine eigene Haltung mit Menschenrechten vereinbar? “, „Bedarf meine eigene Position einer Überarbeitung? “) die Übernahme von Verantwortung für einen Diskurs, der sich an Menschenrechten orientiert und der Beitrag zur aktiven Wahrung der Rechte aller (z.B. auf Verletzungen aufmerksam machen und aktiv für Gerechtigkeit eintreten; „Wie kann ich dafür sorgen, dass die Rechte anderer gewahrt werden? “) Zwar sind die Menschenrechte weder von allen Menschen anerkannt oder umgesetzt (vgl. D ONNELLY 2007: 38), noch sind sie stabil, sondern werden als moving targets stets verhandelt (siehe den aktuellen Diskurs zum Zugang zu Wasser als Menschenrecht; vgl. z.B. S ULTANA / L OFTUS 2019, K IRSCHNER 2020), noch sind sie vor Gericht einklagbar, sondern müssen von individuellen Staaten umgesetzt und in die jeweilige Gesetzgebung eingearbeitet werden. Jedoch bilden sie die einzige weltweit verbreitete, präzise und mit den Grundsätzen einer globalen Gesellschaft vereinbare normative Grundlage für einen würdevollen, humanen Umgang. Deshalb eignen sie sich als Wertebasis für eine kritische fremdsprachliche Diskursfähigkeit. Dieser Vorschlag soll als Ausgangspunkt dazu dienen, im fremdsprachendidaktischen Diskurs weiter aktiv die Notwendigkeit und Ausgestaltung einer Wertebasis zu diskutieren, die als Grundlage für Zielkonstrukte wie die fremdsprachliche Diskursfähigkeit dienen kann. Denn die Implikationen des in diesem Abschnitt vorgestellten Verständnisses von kritischer Diskursfähigkeit für den fremdsprachlichen Unterricht sind weitreichend (s. Abschnitt 4). Ist es das Ziel, Schüler: innen zu aktiv partizipierenden Weltbürger: innen auszubilden, können und sollten die aktuellen Forschungsdiskurse zu Human Rights Education (z.B. O SLER / S TARKEY 2010; 2018) richtungsweisend sein. Unterricht kann einem zeitgemäßen Bildungsauftrag, der Diskurse auch in ihrer wert-orientierten Dimension versteht, nur im Zusammenspiel folgender Aspekte gerecht werden: zum einen das in 3.1 beschriebene Bewusstsein über Diskursstrukturen, zum anderen der 112 Anika Marxl, Ricardo Römhild DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 kritisch-(selbst)reflektive Abgleich dieser Diskurse, bzw. deren Fragmente, mit dem moralisch-reflexiven Meta-Diskurs der Menschenrechte. Dieser Meta-Diskurs fungiert im Sinne S TARKEY s (2012: 10, dort global conscience) als „moralischer Kompass“ der Lernenden dabei hilft, das eröffnete kritische Bewusstsein über Diskursstrukturen in aktive Partizipation und Teilhabe zu übersetzen. 4. Überlegungen zur konzeptionellen und praktischen Umsetzung Eine konsequente Priorisierung und Umsetzung dieses Konzepts von fremdsprachlicher Diskursfähigkeit in die unterrichtliche Praxis hätte weitreichende Auswirkungen - kritische Diskursfähigkeit ließe sich nicht innerhalb einer einzelnen Unterrichtseinheit entwickeln, sondern müsste als Querschnittsaufgabe des Fremdsprachenunterrichts umgesetzt werden. Im Kontext des kulturellen Lernens etwa ist eine weitere kritische Auseinandersetzung mit bestehenden, dominanten Konzepten in der Forschung und in Curricula notwendig. Denn wie R ÖMHILD und G AUDELLI (2022: 21) zeigen, kann eine konsequente Hinwendung zur Menschenrechtserziehung nicht auf Basis von ICC und dem resultierenden Zielland- / Zielkulturenunterricht gelingen. Berücksichtigt man weiterhin aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie die Digitalisierung der Alltagswelt, sind pädagogische Konzepte wie etwa die multiliteracies pedagogy (N EW L ONDON G ROUP 1996) mit ihrem Fokus auf soziale und diskursive Teilhabe in der digitalisierten Welt mitzudenken, um kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht anzubahnen. Wie eingangs beschrieben favorisieren die Bildungsstandards und damit auch die Lehrpläne der Länder ein funktionales Verständnis von Diskursfähigkeit und legen im Zuge dessen ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung funktionaler kommunikativer Kompetenzen. Es ist unumstritten, dass funktionale Kompetenzen auch im Kontext der kritischen Diskursfähigkeit ihren Stellenwert behalten. In diesem Zusammenhang warnt D IEHR (2021: 33f.): Hinweise darauf, dass kritische Diskursfähigkeit Kompetenzen erfordert, die jenseits der Fähigkeit liegen, Sprache korrekt zu gebrauchen, und Appelle, dass Fremdsprachenlehrkräfte mehr vermitteln sollten als nur sprachliche und kulturbezogene Kenntnisse, dürfen nicht zu der Haltung führen, dass Spracherwerb nebensächlich sei und sich durch engagierten Gebrauch implizit vollzöge. Sprachwissen, Sprachkönnen und Sprachreflexion sind nach D IEHR (ebd.: 35) elementare Voraussetzungen für die Ausbildung einer kritischen Diskursfähigkeit. Angesichts der Komplexität des Konzeptes der kritischen Diskursfähigkeit bildet die progressive Anbahnung funktional-kommunikativer und kritisch-reflexiver Fähigkeiten ein wichtiges Element in der Umsetzung. So sollten bereits in den ersten Jahren des Fremdsprachenlernens (inklusive des Primarbereichs) Grundlagen für eine spätere Ausbildung dieser Fähigkeit angebahnt werden. Dies könnte zum Beispiel eine Auseinandersetzung mit Menschen- und Kinderrechten sein. Darauf aufbauend Kritische Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht 113 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 könnte in der Sekundarstufe I im Zusammenhang mit dialogischem Sprechen das Thema Diskriminierung und kritische Selbstreflexion behandelt werden, damit sich die Jugendlichen ihres oftmals bereits ausgebildeten moralischen Kompasses bewusstwerden und darüber zu kommunizieren lernen. Eine weitere Möglichkeit zur Anbahnung von kritischer Diskursfähigkeit kann die Auseinandersetzung mit Literatur sein. Literarische Welten eröffnen über die Distanz der Fiktionalität Räume für Reflexion von Meinungen und Haltungen. Dabei sind vor allem neue, multimodale und interaktive Texte geeignet, wie beispielsweise das Videospiel „A Cat in a Hijab“ (A NDYMAN 404 2017). 4 In diesem Beispiel werden Lernende in die Rolle einer Katze versetzt, welche U-Bahn fährt und von anderen Katzen aufgrund ihres Hijabs diskriminiert wird. Die Spielenden bekommen in jeder Kommunikationssituation unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten/ Antworten zur Auswahl. Je nach Auswahl ändert sich der weitere Handlungsverlauf. Die Auseinandersetzung mit dem Videospiel im Unterricht bietet eine Fülle an Möglichkeiten zur Schulung kritischer Diskursfähigkeit auf unterschiedlichen Ebenen. So könnten zum einen die Dialoge zur Schulung kommunikativer Kompetenzen und Situationen simulieren, in denen Lernende Zeug: innen oder Betroffene von Diskriminierung werden. Des Weiteren kann die Rechtmäßigkeit der diskriminierenden Kommentare - auch vor dem Hintergrund der Menschenrechte im Sinne der Education about/ for/ through Human Rights (vgl. H AHN 2020) - diskutiert werden. Am meisten Potential bietet sicherlich die kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen kommunikativen Antwortmöglichkeiten, die sich um Fragen nach Folgen, Rechtfertigung von Diskriminierung, oder das eigene potenzielle Verhalten in einer entsprechenden Situation drehen könnte. 5 Das Ziel der Diskursfähigkeit auf der normativen Basis der Menschenrechte kann angesichts aktuell beobachtbarer Diskursregeln (bspw. in den sozialen Medien) ambitioniert wirken. Schwierige Diskussionen über moralisch richtige oder falsche Sprache und Handlungen scheinen dabei unumgänglich; etwa im Hinblick auf Geschlechtergleichstellung oder Rassismus. Dies kann Lehrkräfte vor große Herausforderungen stellen. Nichtsdestotrotz sollte davor nicht zurückgeschreckt werden. 5. Zusammenführung Die Fähigkeit zur kritischen Partizipation an (globalen) Diskursen sollte eine zentrale Zielstellung zeitgemäßen Fremdsprachenunterrichts sein. Grundsätzlich konnten zwei Bereiche identifiziert werden, die es im Kontext kritischer fremdsprachlicher Diskursfähigkeit zu beachten gilt. Erstens sollten Lernende ein Bewusstsein für die Diskurs- 4 Auf www.itch.io kostenlos verfügbar. Auch für nicht-gaming PCs geeignet, auch als Let's Play Video auf YouTube verfügbar. 5 Für weitere Vorschläge zur Anbahnung kritischer Fähigkeiten im Englischunterricht vgl. z.B. G ER - LACH (2020); R ÖMHILD / M ATZ (2021). 114 Anika Marxl, Ricardo Römhild DOI 10.24053/ FLuL-2023-0008 52 • Heft 1 struktur entwickeln, welches sie in die Lage versetzt, Machtstrukturen innerhalb eines gegebenen Diskurses zu erkennen, die Positionierung von Diskursfragmenten (auch der eigenen) zu hinterfragen und Fakten von Meinungen zu unterscheiden. In diesem Sinne „besteht [Diskursfähigkeit] also nicht nur darin, in Situationen kommunikativ handeln zu können. Sie bedeutet auch, Herkunft, Perspektive und Zweck von Wissen und Äußerungen zu erkennen“ (B ONNET / B REIDBACH / H ALLET 2009: 177). Zweitens ist es wichtig, über eine reine Bewusstmachung hinauszugehen und Lernende darin zu unterstützen, aktiv und kritisch-reflektiert an globalen, mehrsprachigen Diskursen teilzunehmen. Dafür benötigen sie vor dem Hintergrund eines Bildungsauftrags, der notwendigerweise moralisch und normativ ist, einen moralischen Kompass (vgl. S TARKEY 2012: 10) in Form einer gemeinsamen Wertebasis. Lernende können und sollten die entsprechenden Diskurse und Diskursfragmente mit dem Meta-Diskurs der Menschenrechte abgleichen und überprüfen, um sich selbst zu positionieren, eine eigene Meinung zu bilden und für die Einhaltung dieser Rechte einzutreten. So können die Lernenden dazu angeleitet werden, aktiv und kritisch-reflexiv an globalen Diskursen zu partizipieren. Literatur A LTMAYER , Claus (2006): „Kulturelle Deutungsmuster als Lerngegenstand. 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Der Band fokussiert einerseits theoretische und politische Ausgangspunkte der Mehrsprachigkeit in der Schule und widmet sich andererseits unterrichtlichen Herausforderungen und methodisch-didaktischen Zielsetzungen. Zu den theoretischen und bildungspolitischen Grundlagen gehört die curriculare Verankerung der Mehrsprachigkeit, die Ursula B EHR differenziert für Thüringen nachzeichnet. Ihre engagierte Analyse der Thüringer Lehrpläne zeigt eine bewusste Ausrichtung auf Mehrsprachigkeit im Blick auf Kompetenzen, Operatoren und Methoden, wobei ein Schwerpunkt auf der Bedeutung der Querschnittskompetenzen Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz liegt. Dies beinhaltet vor allem auch die Berücksichtigung der Muttersprache neben den zu erlernenden weiteren Sprachen. Einen Überblick über Forschungsprojekte der letzten 20 Jahre zur Interkomprehension bieten Sílvia M ELO -P FEIFER und Ana Sofia P INHO unter Rückgriff auf ein Analysemodell von J.- P. C ALVET . Ihre exploratorische Studie zielt konzeptionell auf das Forschungsnetzwerk zur Interkomprehension und basiert auf einer Analyse der Publikationen des Netzwerks Gala (Galatea, Galanet und Galapro). Der Begriff der Interkomprehension wird dabei als zentraler semantischer Knotenpunkt analysiert und im Blick auf seine Möglichkeiten und Grenzen beleuchtet. Im Mittelpunkt des Beitrags von Christian O LLIVIER und Margareta S TRASSER stehen Verfahren zur Evaluation mehrsprachiger Kompetenzen und insbesondere der Interkomprehension. Sie verweisen auf Beispiele im Bereich introspektiver Verfahren, der Portfolio-Arbeit und additiver Verfahren. Das von ihnen entwickelte Projekt EVAL-IC stellt eine überzeugende Umsetzung eines holistischen, authentischen Testverfahrens dar und berücksichtigt die Evaluation rezeptiver und internationaler Interkomprehension sowie der Interproduktion. Dabei geht es um eine vereinfachte sprachliche Produktion in einer vom Rezipienten potenziell verstehbaren Sprache. Lisa Marie B RINKMANN interessiert sich für das Potenzial des Europäischen Sprachenportfolios (ESP) zur Förderung von Language Awareness, das sie im Blick auf die Mehrsprachigkeitsdidaktik und den Ansatz Éveil aux langues analysiert. Nachdem Language Awareness bereits wiederholt auf die Sprachenbiografie des ESP bezogen wurde, votiert die Autorin nun für die zusätzliche Berücksichtigung des Sprachenpasses und des Dossiers, was durch die Reflexion von Sprache und Kultur, die Entwicklung der eigenen Sprachenidentität und die Dokumentation der eigenen Erkenntnisse umzusetzen sei. Die im zweiten Teil des Bands folgenden Beiträge zu konkreten Unterrichtsbeispielen umspannen ein breites Feld aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Schulformen. B e s p r e c h u n g e n