Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0009
31
2023
521
Gnutzmann Küster SchrammChristian HELMCHEN, Sílvia MELO-PFEIFFER, Julia VON ROSEN (Hrsg.): Mehrsprachigkeit in der Schule. Ausgangspunkte, unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen. Tübingen: Narr Francke Attempto 2021, 307 Seiten [68, 00 €]
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2023
Christiane Fäcke
flul5210118
DOI 10.24053/ FLuL-2023-0009 52 • Heft 1 Christian H ELMCHEN , Sílvia M ELO -P FEIFFER , Julia VON R OSEN (Hrsg.): Mehrsprachigkeit in der Schule. Ausgangspunkte, unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen. Tübingen: Narr Francke Attempto 2021, 307 Seiten 68, 00 € Auch wenn Mehrsprachigkeit in der Fremdsprachendidaktik und in der schulischen Praxis von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist, so könnte man dieses Thema in der Forschung als alten Hut ansehen, schließlich bestehen diesbezügliche Forschungsdiskurse schon seit Jahrzehnten und sind bereits in verschiedenen Handbüchern im Überblick präsentiert. Ein weiterer Band zur Mehrsprachigkeit also? Die Herausgeber: innen stellen sich damit einem gut beforschten Themenfeld und schaffen es dennoch überzeugend, neue Aspekte in diesem Sammelband gut strukturiert zu vereinen. Der Band fokussiert einerseits theoretische und politische Ausgangspunkte der Mehrsprachigkeit in der Schule und widmet sich andererseits unterrichtlichen Herausforderungen und methodisch-didaktischen Zielsetzungen. Zu den theoretischen und bildungspolitischen Grundlagen gehört die curriculare Verankerung der Mehrsprachigkeit, die Ursula B EHR differenziert für Thüringen nachzeichnet. Ihre engagierte Analyse der Thüringer Lehrpläne zeigt eine bewusste Ausrichtung auf Mehrsprachigkeit im Blick auf Kompetenzen, Operatoren und Methoden, wobei ein Schwerpunkt auf der Bedeutung der Querschnittskompetenzen Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz liegt. Dies beinhaltet vor allem auch die Berücksichtigung der Muttersprache neben den zu erlernenden weiteren Sprachen. Einen Überblick über Forschungsprojekte der letzten 20 Jahre zur Interkomprehension bieten Sílvia M ELO -P FEIFER und Ana Sofia P INHO unter Rückgriff auf ein Analysemodell von J.- P. C ALVET . Ihre exploratorische Studie zielt konzeptionell auf das Forschungsnetzwerk zur Interkomprehension und basiert auf einer Analyse der Publikationen des Netzwerks Gala (Galatea, Galanet und Galapro). Der Begriff der Interkomprehension wird dabei als zentraler semantischer Knotenpunkt analysiert und im Blick auf seine Möglichkeiten und Grenzen beleuchtet. Im Mittelpunkt des Beitrags von Christian O LLIVIER und Margareta S TRASSER stehen Verfahren zur Evaluation mehrsprachiger Kompetenzen und insbesondere der Interkomprehension. Sie verweisen auf Beispiele im Bereich introspektiver Verfahren, der Portfolio-Arbeit und additiver Verfahren. Das von ihnen entwickelte Projekt EVAL-IC stellt eine überzeugende Umsetzung eines holistischen, authentischen Testverfahrens dar und berücksichtigt die Evaluation rezeptiver und internationaler Interkomprehension sowie der Interproduktion. Dabei geht es um eine vereinfachte sprachliche Produktion in einer vom Rezipienten potenziell verstehbaren Sprache. Lisa Marie B RINKMANN interessiert sich für das Potenzial des Europäischen Sprachenportfolios (ESP) zur Förderung von Language Awareness, das sie im Blick auf die Mehrsprachigkeitsdidaktik und den Ansatz Éveil aux langues analysiert. Nachdem Language Awareness bereits wiederholt auf die Sprachenbiografie des ESP bezogen wurde, votiert die Autorin nun für die zusätzliche Berücksichtigung des Sprachenpasses und des Dossiers, was durch die Reflexion von Sprache und Kultur, die Entwicklung der eigenen Sprachenidentität und die Dokumentation der eigenen Erkenntnisse umzusetzen sei. Die im zweiten Teil des Bands folgenden Beiträge zu konkreten Unterrichtsbeispielen umspannen ein breites Feld aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Schulformen. B e s p r e c h u n g e n Besprechungen 119 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0009 Alice C HIK und Diane A LPERSTEIN präsentieren einen gelungenen Überblick über die Sprachbildungspolitik Australiens. Ausgehend von der Darstellung der Migrationsgeschichte des Landes und der daraus resultierenden sprachlich heterogenen Bevölkerungsstruktur zeigen sie anhand zweier Forschungsprojekte auf, dass gerade auch in der mehrkulturellen und mehrsprachigen Stadt Sydney Mehrsprachigkeit in der Bildungspolitik und im Bewusstsein der Bevölkerung nur eine geringe Rolle spielt und dass Studierende nur wenige Erfahrungen im Sprachenlernen haben. Im Mittelpunkt des Beitrags von Marília P EREIRA steht die Vermittlung des Portugiesischen als plurizentrische Sprache und als Herkunftssprache. In ihrer ethnografischen Studie an einer bilingualen portugiesisch-deutschen Grundschule untersucht sie Lehrende und Lernende, die L1-Sprecher: innen verschiedener Varietäten des Portugiesischen sind und sich gemeinsam in der gleichen Lernumgebung bewegen. Daraus entwickelt sie pädagogische Implikationen zur Entwicklung mehrsprachiger und plurizentrischer Sprechkompetenz des Portugiesischen als Herkunftssprache. Ausgehend vom Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) geht es Anna S CHRÖDER -S URA um die Förderung von Pluriliteralität und Multiliteralität unter aktiver Berücksichtigung des Elternhauses durch die Bildungsinstitutionen. Sie votiert für eine aktive Einbeziehung der Eltern, da deren Vermittlung von Sprachen und Kulturen der sprachlichen und kulturellen Identitätsentwicklung von Kindern diene, so z.B. in Sprachprojekten oder durch Vereine mit Engagement für die Kooperation zwischen Eltern und Bildungseinrichtungen. Muttersprachliche Lernende im Fremdsprachenunterricht stehen im Mittelpunkt einer Studie von Daniel R EIMANN , der die Sprecher: innen der jeweiligen Herkunftssprache im Spanisch-, Portugiesisch- und Italienischunterricht untersucht. Neben der Darstellung des Forschungsstands werden erste Teilergebnisse basierend auf leitfadengestützten problemzentrierten Schülerinterviews vorgestellt. Ziel der Studie ist die Inklusion dieser Lernenden in den Unterricht. Zudem werden unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen aus den USA und aus der slawistischen Fachdidaktik Anregungen für die Praxis diskutiert. Julia VON R OSEN visiert die konkrete Unterrichtspraxis des Französischunterrichts an und entwickelt zwei sprachenübergreifende Module für den Anfangsunterricht. Darüber hinaus geht sie der Frage nach Ursachen für zögerliche bildungspolitische Reaktionen auf fremdsprachendidaktische Forderungen nach verstärkter Umsetzung mehrsprachigkeitsorientierter Perspektiven nach und stellt dabei innerschulische Widerstände vor, d.h. Einstellungen von Lehrkräften, Ressourcenmanagement in Schulen oder auch die Orientierung an bestehenden Schulfächern. Im Fokus des Beitrags von Steffi M ORKÖTTER und Melanie VAN I ERSEL stehen Interaktionen von Schüler: innen der Sekundarstufe I, die während der Bearbeitung von Aufgaben zur Mehrsprachigkeit stattfinden. Sie analysieren die Strategien von zwei Schüler: innen, die in einem authentischen Dialog im Anfangsunterricht Spanisch bei der Bearbeitung einer Aufgabe auf ihre Erfahrungen beim Englischlernen zurückgreifen. Dabei sei nicht nur der kooperative Lernprozess, sondern auch dessen Reflexion zur Entwicklung von Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit relevant. Eleonora B. B OTTURA und Sandra R. B. G ATTOLIN untersuchen in ihrer autoethnografischen Studie die Rolle von Lehrenden für Portugiesisch als Willkommenssprache bzw. Zweitsprache, ihre schulische Praxis sowie die Relevanz der Lehrkräfteausbildung in Brasilien. Im Fokus stehen dabei gefährdete Einwanderinnen und Flüchtlinge, die an einem Kurs für Portugiesisch speziell für diese Zielgruppe teilnehmen. Ziel dieses Beitrags ist die Sensibilisierung von Fachleuten für die Besonderheiten und Bedürfnisse eines solchen Unterrichts mit diesem konkreten Kontext. 120 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0010 52 • Heft 1 Der letzte Beitrag ist curricularen Aspekten gewidmet. Francisco C ALVO DEL O LMO und Karine Marielly R OCHA DA C UNHA präsentieren die Integration der Interkomprehension in Studiengänge der romanischen Sprachen ausgehend von ihren Erfahrungen an der Universidad Federal de Paraná in Brasilien. Sie schildern die zunehmende curriculare Verankerung der Interkomprehension an lateinamerikanischen Universitäten und Erfahrungen damit, d.h. programmatische Umsetzungen, Belegzahlen, Aktivitäten in den Kursen oder auch die Evaluation. Insgesamt eröffnen die Beiträge einen breiten und differenzierten Blick auf mehrsprachigkeitsdidaktische Zusammenhänge mit Beispielen aus verschiedenen Regionen, konkret von Deutschland über Australien bis nach Brasilien, und adressieren diverse Themenfelder wie beispielsweise curriculare Fragen, Lernerstrategien oder Bezüge zum Elternhaus. Eine Besonderheit, die diesen Band gegenüber anderen vergleichbaren Publikationen zur Mehrsprachigkeit auszeichnet, ist die praktizierte Mehrsprachigkeit bzw. die Viersprachigkeit des Sammelbands mit Beiträgen in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Gleich mehrere Beiträge thematisieren portugiesische und brasilianische Kontexte, doch kommt das Portugiesische als Wissenschaftssprache hier nicht zum Tragen. An dieser - bewussten oder unbewussten - Entscheidung der Herausgeber: innen wird das Grundproblem der Mehrsprachigkeit deutlich, deren Grenzen an der Verbreitung der jeweiligen Sprache zu enden scheint. Dennoch bilden die Breite des Themenspektrums und die sprachliche Vielfalt sowie die im Einzelnen adressierten Gegenstände eine sinnvolle weitere Facette zum Diskurs der Mehrsprachigkeit mit neuen Perspektiven, die Rezipienten aus Forschung, Bildungs- und Sprachenpolitik sowie Akteure in der schulischen Praxis mit Gewinn lesen können. Augsburg C HRISTIANE F ÄCKE Cynthia F REUDENTHAL : Ökologische Diskurse im Fremdsprachenunterricht. München: iudicium 2021, 246 Seiten [28,00 €] Bei der Dissertationsschrift von Cynthia F REUDENTHAL handelt es sich um eine empirische Arbeit, die einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit globalen Herausforderungen als Lehr- und Lerngegenstand sowie zur Etablierung des Begriffs Umweltkompetenz im Fremdsprachenunterricht leisten möchte. Die global wachsenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme sind unter anderem auf das Streben nach uneingeschränktem Wachstum und die stetige Übernutzung natürlicher Ressourcen zurückzuführen. Bei dem Versuch, sie zu lösen, bringen sie Zielkonflikte mit und erfordern eine umfassende Veränderung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. In der Annahme, dass Bildungs- und Erziehungssysteme durch die Bearbeitung globaler und ökologischer Fragestellungen zu einem nachhaltigen Denken und Handeln ermutigen, untersucht F REUDENTHAL in ihrer Studie, ob ökologische Diskurse im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht zur Förderung von Umweltkompetenz und ferner zu einer nachhaltigen Entwicklung der Weltgesellschaft beitragen (S. 13). Die Arbeit ist in acht Einzelkapitel gegliedert, wobei drei den theoretischen Grundlagen (Kapitel 2-4) und drei der empirischen Untersuchung (Kapitel 5-7) zuzuordnen sind. Im theoretischen Teil wird zunächst die chronologische Weiterentwicklung verschiedener Ansätze der „Landeskundevermittlung“ im Fremdsprachenunterricht nachgezeichnet (Kapitel 2). Obwohl die kontroverse Bezeichnung „Landeskunde“ als Leitbegriff des Kapitels dient, liegt der Studie ein bedeutungs- und wissensorientiertes Kulturverständnis in Anlehnung an R ECKWITZ zugrunde. Auch der Bezug auf A LTMAYER s Diskursive Landeskunde lässt eine Orientierung an nicht essentialisierenden Kulturkonzepten erkennen. Zentrale Lernziele stellen die