eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 52/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0011
31
2023
521 Gnutzmann Küster Schramm

Akra CHOWCHONG: Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen. Berlin: Erich Schmidt 2022, 435 Seiten [89,95 € Paperback – 81,90 € E-Book]

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2023
Katrin Hofmann
flul5210123
Besprechungen 123 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0011 Fremdsprachenunterrichts. Insbesondere die Erweiterung des in der Fremdsprachendidaktik etablierten Konzepts der Erinnerungsorte sowie der Einbezug von visuellem und ästhetischliterarischem Unterrichtsmaterial, welches nicht rein auf den deutschsprachigen Raum beschränkt bleibt sowie die Lernenden zur Kooperation und zum produktiven Austausch anregt und über Faktenwissen hinausgeht, scheint mir im Sinne eines kulturreflexiven und diskursiven Lernens lohnend. Insgesamt empfehle ich die Studie vor allem Fremd- und Zweitsprachenlehrenden und -studierenden, da zahlreiche Impulse und Materialien bereitgestellt werden, die, wie von F REUDENTHAL vorgeschlagen oder adaptiert, im Unterricht eingesetzt werden können. Salamanca M IRIAM P IEBER Akra C HOWCHONG : Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen. Berlin: Erich Schmidt 2022, 435 Seiten [89,95 € Paperback - 81,90 € E-Book] In der vorliegenden, gekürzten Fassung seiner Dissertation unterzieht Akra C HOWCHONG ausgewählte DaF-Sprachlernvideos der sozialen Medienplattform YouTube einer umfassenden soziolinguistischen Analyse. Hierbei untersucht er, basierend auf dem im deutschsprachigen Raum wenig beachteten Konzept des Stancetaking, systematisch Positionierungsakte von Video-Produzent: innen und deren Publikum, wobei er sowohl Spezifika der partizipativ-interaktionalen kommunikativen Gattung Sprachlernvideo als auch vorherrschende Spracheinstellungen sowie -ideologien herausarbeitet. Die knapp 435 Seiten umfassende, in neun Kapitel untergliederte Monografie bietet der Leserschaft damit Einblicke in den bis dato kaum untersuchten Gegenstand frei zugänglicher, frei produzierter Sprachlernvideos, die u.a. aufgrund ihrer Reichweite einen unterschätzten Einfluss auf das Sprachenlernen und -lehren vermuten lassen. Der Aufbau folgt dabei der klassischen Dreiteilung Theorie (Untersuchungsgegenstand Sprachlernvideo, soziolinguistisches Konzept Stancetaking), Empirie (Korpus, Untersuchungsmethoden) und Diskussion, wobei Überblickstabellen innerhalb der Kapitel wichtige Erkenntnisse und Forschungsentscheidungen zusammenführen sowie klar formulierte Zusammenfassungen ein jedes Kapitel abschließen. In seiner Einleitung (Kapitel 1) verweist C HOWCHONG auf eine Vielzahl positiver Eigenschaften partizipativer Sprachlernvideos in Bezug auf innovatives Sprachenlernen und darauf, dass sie metasprachliche Positionierungsakte, wie persönliche Meinungen oder Einstellungen zur deutschen Sprache - hier mit Blick auf das herangezogene Konzept des Stancetaking als Stances bezeichnet - innerhalb und außerhalb der Videos zum Ausdruck bringen. Eben diese Positionierungsakte bilden das Forschungsinteresse des Verfassers, der Stances mittels multimodaler Analyse zu evaluieren und einzuordnen sucht. In Kapitel 2 folgt dafür zunächst eine Darstellung des Forschungstandes zu Lernvideos und eine Einordnung mit Blick auf das Konzept der kommunikativen Gattung. Hinsichtlich des multimodalen Untersuchungskontexts YouTube wird zudem die Eigenschaft der digitalen Partizipation hervorgehoben, die eine Dialogizität bzw. intertextuelle Verknüpfung zwischen Video-Produzent: innen und Nutzer: innen aber auch innerhalb der beiden Gruppen selbst erlaubt. Ausführlich dargestellt werden die erstaunlich wenigen deutsch- und englischsprachigen Studien zum Gegenstand, bevor eine Definition von (Sprach-)Lernvideo das Kapitel abschließt. Den Fokus von Kapitel 3 bildet das Konzept des Stancetaking (Kapitel 3). C HOWCHONG verwendet es, um zu evaluieren, „wie metasprachliche Urteile sowie sprachideologische Aus- 124 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0011 52 • Heft 1 sagen in die Kommunikation im Kontext der Sprachlernvideos […] eingebettet und […] dialogisch zwischen den Produzierenden und dem Publikum ausgehandelt werden“ (S. 35). Jede Positionierung (Stance) ist dabei in machtvolle historische wie gesellschaftliche Diskurse eingebunden. Entsprechend anschlussfähig erscheint das Konzept der Metasprachdiskurse, das im vorliegenden Fall Repräsentationen und Evaluationen von Spracheinstellungen und -ideologien meint, d.h. „explizit und implizit gemachte Aussagen über die deutsche Sprache“ (S. 95). Die hier erfolgende kritische Einordnung von Standardideologie und Muttersprachler: in-Ideologie bietet m.E. auch für den institutionalisierten Fremdsprachenunterricht relevante Impulse, Reflexionsmöglichkeiten und weiterführende Forschungsfragen. Mithilfe des übergreifenden Stancetaking-Konzepts gelingt es C HOWCHONG eindrücklich, unterschiedliche soziolinguistische Phänomene unter einer gemeinsamen Zielsetzung zu betrachten und die empirische Analyse entsprechend der dreiteiligen Stancetaking-Akte Positionierung, Evaluation und Ausrichtung zu gliedern. Kapitel 4 widmet sich anschließend der Darstellung von Korpus und Methode. C HOW - CHONG gewährt hier Einblicke in alle Verfahren des Samplings, z.B. bezogen auf die Auswahl der fünf meist abonnierten, privaten Kanäle zum Deutschlernen, bei denen Produzent: innen in Videos zu sehen sind (Stand Januar 2017), oder auch die Reduktion auf 120 sprachdidaktische Videos dieser Kanäle zu Inhalten der Phonologie/ Orthografie, Lexik und Grammatik. Zur Analyse werden außerdem 1380 Kommentare hinzugezogen sowie Auszüge retrospektiver Einzelinterviews mit zwei Kanal-Besitzerinnen. Im Anschluss daran legt der Autor die heranzuziehenden Evaluationsperspektiven hinsichtlich Sprachsystem und Sprachgebrauch dar. In Bezug auf das Sprachsystem leitet er diese sowohl deduktiv aus der Spracheinstellungsforschung als auch induktiv aus dem Korpus ab und bestimmt so sieben Kategorien: Lernbarkeit, Ästhetik, Regelhaftigkeit, Wortschatzreichtum, Notwendigkeit, Gleichberechtigung und Ähnlichkeit. Hierbei fällt auf, dass C HOWCHONG zwar die fehlende Trennschärfe zwischen Lernbarkeit und Regelhaftigkeit erwähnt, diese jedoch nicht auflöst und an beiden Kategorien festhält. Ähnliches lässt sich über die Kategorien Gleichberechtigung und Notwendigkeit sagen: Auch hier wäre es auf Basis der angeführten Definitionen ggf. sinnvoll gewesen, beide Kategorien zusammenzuführen. Bei der Evaluation des Sprachgebrauchs greift C HOWCHONG auf das System der diasystematischen Markierungen nach H AUSMANN zurück, die er um drei Markierungen reduziert und den Aspekt Gleichwertigkeit ergänzt. Interessant daran ist, dass zwei der reduzierten Markierungen in der späteren metasprachlichen Analyse der Kommentare (Kapitel 8.3) vorkommen und sich m.E. im Rahmen der Positionierungsakte als Sprachexpert: in und Sprachideologien hätten auswerten lassen. Dabei handelt es sich um fachsprachliche Ausdrücke (diatechnische, z.B. S. 352, Auszug (120), (122)) sowie konnotierte Ausdrücke (diaevaluative, z.B. S. 371, Auszug (205), (206)). Vor Darstellung der Stancetaking-Akte analysiert C HOWCHONG in Kapitel 5 ausführlich die kommunikative Gattung Sprachlernvideo und betrachtet u.a. die diskursiv konstituierte Teilnehmer: innenkonstellation, Dialogstrukturen und ritualisierte kommunikative Handlungen. Interessante Ergebnisse sind, dass alle YouTube-Kanäle in ihrer Farbstruktur - meist schwarz, rot, gold/ gelb - und ggf. anderweitig semiotisch auf Deutschland Bezug nehmen und dass Struktur und Inhalte der Sprachlernvideos in vielen Fällen herkömmlichem Sprachunterricht ähneln - sich also vor allem durch einen informellen Kommunikationsstil und eine größere Thematisierung des individuellen Sprachgebrauchs der Produzent: innen davon zu unterscheiden scheinen. Kapitel 6 betrachtet die Sprachlernvideos mit Blick auf Positionierungsakte, die Expertise vermitteln sollen. Die Positionierung als Lehrer: in erfolgt dabei durch die Video-Produzent: innen selbst nie direkt, sondern vielmehr implizit durch die Fremdpositionierung des Pub- Besprechungen 125 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0011 likums als Lernende und mittels kategorierelevanter performativer Verben (z.B. lehren, erklären etc.). Die Positionierung als Muttersprachler: in wird durch eine mehrheitlich exklusive Verwendung von „we/ wir“ (Muttersprachler: innen, native/ German speaker) und „haben“ realisiert. Zum Tragen kommt auch das für alle Videos relevante Phänomen des Code-Switching, das beide Positionierungsakte unterstützt. Kapitel 7 beleuchtet die Evaluation von Sprachsystem und Sprachgebrauch, die in 85% der Sprachlernvideos zu beobachten ist. In puncto Sprachsystem lassen sich dabei vor allem für Lernbarkeit und Regelhaftigkeit Attribute identifizieren, die eine didaktische Funktion erfüllen (z.B. Sprachvergleiche, Adjektiv „einfach“ etc.), aber auch solche, die eine soziale Funktion - das Erzeugen einer kollektiven Identität und Zugehörigkeit - besitzen (z.B. Verständnis/ Mitleid zeigen). Bedenkt man das betrachtete Medium (soziale Medienplattform), scheint dieses Ergebnis wenig verwunderlich, stellt aber einen wichtigen Befund zu partizipativen Sprachlernvideos dar. Hinsichtlich des Sprachgebrauchs fällt der Fokus auf Regionalität auf: Er erlaubt allen Video-Produzent: innen keine oder eine Positionierung hin zu Standard- oder Regionalsprache. Im Weiteren geht C HOWCHONG mittels ausgewählter Fallbeispiele auf vorhandene Spracheinstellungen und -ideologien ein und arbeitet u.a. heraus, dass die grundsätzlich vertretene präskriptive Standardideologie oftmals im Konflikt mit dem eigenen Sprachgebrauch der Video-Produzent: innen und ihrer Muttersprachler: in-Ideologie steht - sprachideologische Befunde, deren (vergleichende) Untersuchung auch im Kontext herkömmlichen Sprachunterrichts lohnenswert erscheint. Abschließend widmet sich Kapitel 8 dem Stancetaking im Kommentarbereich. Hier wird deutlich, dass die Positionierung als Nicht-Muttersprachler: in oft mit einer Positionierung als Nicht-Expert: in einhergeht. Wenig überrascht deshalb der Befund, dass diese Gruppe häufig Verständnisfragen sowie Lernbarkeit und Regelhaftigkeit der deutschen Sprache thematisiert, während die Gruppe der Sprachexpert: innen bzw. Muttersprachler: innen Kommentare nutzt, um Wissen auszuhandeln bzw. Deutungshoheit zu gewinnen. Trotz der Vielzahl der betrachteten Einzelaspekte schafft es C HOWCHONG hier eindrucksvoll, Querverbindungen aufzuzeigen und Befunde verständlich darzustellen. Lediglich ein Aspekt bleibt im Akt der Positionierung als Sprachexpert: in m.E. unterbeleuchtet, nämlich der der gezielten Verwendung bestimmter Sprachen (Englisch, Deutsch) bzw. von Code-Switching in bestimmten Kontexten (z.B. Deutungshoheit gewinnen, Nicht-Expert: innen etwas erklären). Im letzten Kapitel (9) gelingt C HOWCHONG auf beeindruckend komprimierte Weise eine Zusammenfassung der vielfältigen Ergebnisse seiner innovativen Forschung, die neben der umfassenden soziolinguistischen Betrachtung eines bisher zu wenig erforschten Gegenstandes u.a. im gewinnbringenden Einsatz des Stancetaking-Konzepts zur Analyse multimodaler Online-Daten liegt. Sie gewährt Einblicke in Positionierungsakte von (selbsternannten) Sprachvermittler: innen sowie deren Verflechtung in bestehende machtvolle Diskurse. Daraus eröffnen sich für die fremdsprachliche Lehr- und Lernforschung Fragen nach Ausprägung, Wirkung bzw. kritischer Reflexion der hier identifizierten Positionierungsakte in anderen Lehr-/ Lernkontexten oder auch dem Einfluss von (Positionierungsakten in) Sprachlernvideos unterschiedlicher Produktionsarten und Zugänge auf das fremdsprachliche Lernen/ Lehren. Wien K ATRIN H OFMANN