eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 52/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0016
31
2023
521 Gnutzmann Küster Schramm

Barbara RINDLISBACHER: Lesen in der Fremdsprache Französisch. Kompetenzen von Drittklässlerinnen und Drittklässlern mit unterschiedlichen Schrift- und Sprachfähigkeiten in der Erstsprache Deutsch. Münster, New York: Waxmann 2021, 370 Seiten [44,90 €]

31
2023
Sylvie Méron-Minuth
flul5210136
136 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0016 52 • Heft 1 Vorstellungen und Überzeugungen zur Rolle einer zukünftigen Lehrkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ (S. 144) im Mittelpunkt. Die Autorin beschreibt ein Forschungsprojekt zur Analyse von Lehrphilosophien (n=17), die in Zusammenhang mit dem Unterrichtspraktikum erstellt wurden, und hinterfragt auch die Eignung dieser Textsorte als individuelles Reflexionsinstrument. Anhand der Lehrphilosophien lassen sich personenbezogene, epistemologische und kontextbezogene Überzeugungen beispielsweise zum Selbstbild, zum Unterrichtshandeln und zum schulischen Kontext zeigen, deren Darstellung mithilfe einer Metaphernanalyse sehr plastisch wird. Ebenso werden in den Lehrphilosophien „Ambivalenzen des Lehrer*innenhandelns“ (S. 159) sichtbar. Das Projekt von Benjamin I NAL fokussiert die Dimension der Mündlichkeit im Spanischunterricht. Mithilfe videografierter eigener Unterrichtshandlungen soll untersucht werden, wie Studierende „theoretische Perspektiven auf Mündlichkeit reflexiv auf beobachtete Praxis […] beziehen“ (S. 166) und welche Reflexionstiefe und -breite sie dabei erreichen. Neben einer Übersicht über konzeptionelle Annahmen zur Förderung von Mündlichkeit wird auch der Ansatz der Reflexion im Sinne eines unproduktiven ‚Reflexionshype‘ kritisch diskutiert. Anschließend werden ein etwas diffuses Modell zur Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht präsentiert und Einblicke in das Erhebungsinstrument gegeben. Man kann dem Projekt nicht anlasten, dass es zu einem frühen Zeitpunkt präsentiert wird, an Reiz dürfte es aber sicher gewinnen, wenn auch empirische Daten herangezogen werden. Alles in allem liefert der Band einen umfassenden Einblick in die fremdsprachendidaktischen Diskussionen um die Modellierung und empirische Erforschung von Reflexionskompetenz. Er zeigt, dass sich trotz des Vorhandenseins unterschiedlicher Modelle und Definition ein geteiltes Begriffsverständnis abzeichnet, das an der Schnittstelle von expliziten theoretischen Wissenbeständen, implizitem Wissen und Unterrichtshandlungen und -erfahrungen ansetzt und anhand verschiedener Kontexte und thematischer Fokussierungen verdeutlicht, zu welchen Einsichten zukünftige Lehrkräfte gelangen und wie sie diese für ihre eigene Professionalisierung nutzbar machen. Frankfurt/ M. B RITTA V IEBROCK Barbara R INDLISBACHER : Lesen in der Fremdsprache Französisch. Kompetenzen von Drittklässlerinnen und Drittklässlern mit unterschiedlichen Schrift- und Sprachfähigkeiten in der Erstsprache Deutsch. Münster, New York: Waxmann 2021, 370 Seiten 44,90 € In der Einleitung (Kapitel 1) zu ihrem umfangreichen Werk - gleichzeitig ihre Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) - umschreibt die Autorin den Ausgangspunkt ihrer Forschung und fordert programmatisch für eine Neuausrichtung der Lesedidaktik, dass bereits in den frühen Klassenstufen verstärkt die Grundlagen für eine ausreichende Lesekompetenz geschaffen werden müssen, die eine Partizipation am sozialen, kulturellen, beruflichen und politischen Leben der Schülerinnen und Schüler gewährleiste (S. 11). Zunächst handele es sich um die basalen Lesefertigkeiten in den ersten Primarschuljahren, danach gewinne vor allem der Textinhalt an Bedeutung. Ausgehend von diesen grundlegenden Feststellungen entwickelt R INDLISBACHER ihren Forschungsfokus, indem sie die Fragestellungen zum Lesenlernen in der Primarstufe im Hinblick auf das frühe Fremdsprachenlernen - hier speziell: Französischlernen - erweitert. In den ersten Kapiteln (Kapitel 2: Leseerwerb in einer Erstsprache und Kapitel 3: Leseerwerb in einer Fremdsprache) entfaltet sie einen umfassenden Überblick über den aktuellen Besprechungen 137 52 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0016 Forschungsstand, der nicht als eine akademische Stilübung daherkommt, sondern sich wie eine Einführung in alle Bereiche und Problemstellungen des erstbzw. fremdsprachlichen Lesenlernens liest. Besonders relevant für die Lehrer*innenbildung ist hier die fein ausdifferenzierte Unterteilung in „unauffällige Leserinnen und Leser“ und „Risikolernende“ (S. 16-17). An diesen Stellen benennt die Autorin zentrale Aufgaben der Lesedidaktik und schlägt den Bogen zur schulischen Praxis. Nach dem vierten Kapitel, in dem sie den Begriff des morphologischen Wissens als konstitutiven Faktor des Lesenlernens ausdifferenziert, folgt eine umfangreiche Auseinandersetzung mit Sprach- und Schriftsprachstörungen. Hier profitieren die Leser*innen von den umfangreichen Berufserfahrungen der Autorin als Sprachheilpädagogin, da eine ausführliche und terminologisch entfaltete Darstellung der unterschiedlichen Sprachentwicklungsstörungen in der Erstsprache vorgelegt und in Beziehung zum Fremdsprachenlernen gesetzt wird. Aus fachdidaktischer Sicht besonders interessant ist die Hinführung - über die Definition und Symptomatik von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Sprach- und Schriftsprachstörungen - zum Leseerwerb in der Erstsprache unter erschwerten Bedingungen zum Leseerwerb in einer Fremdsprache. Da Spracherwerbsprozesse von zugrundeliegenden Prozessen beim Individuum gesteuert werden, ist zu erwarten, dass sich Sprachentwicklungsstörungen auch in allen weiteren erlernten Sprachen manifestieren. Obgleich alle Lernanfänger*innen in einer Fremdsprache in etwa analoge Spracherfahrungen machen, da sie denselben Unterricht besuchen, greifen psycholinguistische und genetische Voraussetzungen auch beim Fremdsprachenerwerb (S. 137). In Kapitel 5 greift sie auf die Linguistic Coding Differences Hypothesis (LCDH) nach Ganschow zurück, wonach Stärken in den rezeptiven und produktiven Fähigkeiten in einer Erstsprache das Fremdsprachenlernen erleichtern können und Schwierigkeiten eben solche Prozesse erschweren (S. 139). Aus den genannten Gründen wird eine inklusiv-individualisierte und an Integrationsbestrebungen orientierte schulische Praxis erforderlich, welche eine frühzeitige Diagnostik essenziell werden lässt (S. 145). Die entsprechenden Handlungsanregungen soll die empirische Studie aufzeigen, die das Kernstück des Buches darstellt. In Kapitel 6 folgt die Darstellung der quantitativ-empirischen Untersuchung, die von der Autorin in der Schweiz durchgeführt wurde und deren Ziel wie folgt definiert wird: „Grundlagenwissen zum Erwerbsstand französischer Lesekompetenzen nach einem Jahr Frühfranzösisch [zu] liefern [...]“ (S. 164) und ein differenziertes Bild der Bedingungsfaktoren im Lesenlernen in einer Fremdsprache zu bekommen. Hierzu nimmt die Autorin in ihren Fragestellungen und Hypothesen Bezug auf einsprachige Schülerinnen und Schüler mit und ohne Lesestörung in der Erstsprache bzw. mit unterschiedlichen Symptomatiken von (Schrift-)Sprachstörungen (S. 168-169). Die Lektüre des Kapitels setzt profunde Kenntnisse quantitativer Methoden und Modellbildungen voraus, u.a. Stichproben und Validierung, Effektstärken, Frequenzanalysen. Es folgt die umfangreiche Diskussion der Ergebnisse. Zunächst überprüft die Autorin die Angemessenheit ihrer Untersuchungsmethode Französisch Screening - hier: möglichst breite Erfassung der Teillesekompetenzen im Bereich des Frühfranzösischen - in Bezug auf Validität und Reliabilität. Interessant für die fachdidaktische Praxis sind vor allem die vergleichenden Ergebnisse von Schülerinnen und Schülern mit Lesestörung und solchen, die als „unauffällig“ bezeichnet werden (S. 300). Hierbei zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler mit Lesestörungen in der Erstsprache vor allem im Bereich des implizit gelernten Graphem-Phonem-Korrespondenz Beeinträchtigungen zeigen. Größere Phonem-Graphem-Einheiten bereiten ihnen Schwierigkeiten. Auch können sie im ersten Lernjahr erst wenig morpho-orthographisches Wissen aufbauen (S. 302). Ebenso bestätigten sich die Annahmen, dass Schülerinnen und Schüler mit Leseschwierigkeiten signifikant geringere Wortleseverständnisleistungen zeigen. Auch konnten sie weniger häufig die korrekte Wortform den entsprechenden Bildern zuordnen und ließen sich leichter von Alternativbildern durcheinanderbringen (S. 305). 138 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0017 52 • Heft 1 Als direkte Handlungsanweisung für die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit Lesestörungen, bei denen ebenfalls Schwierigkeiten bei den mündlich-kommunikativen Kompetenzen vorliegen, schlägt R INDLISBACHER vor, durch zusätzliche Hinzunahme von Schrift die kommunikativen Aufgaben zu vereinfachen. Ebenso soll ein intensives Lesetraining helfen, Textinhalte zunehmend selbständig erschließen zu können (S. 300). Im abschließenden Teil (Kapitel 7) benennt die Verfasserin Implikationen für die Praxis. So solle der Fremdsprachenunterricht frühzeitig Unterstützungsmaßnahmen für schwache Leserinnen und Leser anbieten, denn etwa 20-30% der Schülerinnen und Schüler benötigten eine spezifische Förderung entsprechend ihren individuellen Stärken und/ oder Schwächen. Weiterhin sollten Lehrerinnen und Lehrer den Entwicklungsstand ihrer Schülerinnen und Schüler kennen und immer beobachten und dabei möglichst frühzeitig allfällige Leseschwierigkeiten erfassen. Die angewendete Diagnostik solle sich am pädagogisch-interaktiven Ansatz, nicht an Defizitorientierung ausrichten; dies sei besonders wichtig, da Schülerinnen und Schüler mit spezifischen Lesestörungen nicht unbedingt Defizite im mündlich-kommunikativen Bereich zeigen. Darüber hinaus sei klar strukturierter Fremdsprachenunterricht, besonders wichtig für die schwächeren Lernenden, der auch bewusstmachende Strategien einsetzt und Fossilisierungen explizit entgegenwirkt. Ein entsprechender Unterricht solle auch die Vernetzung von Wissensinhalten aus der Erstschriftsprache nutzen (Mehrsprachigkeitsdidaktik). R INDLISBACHER stellt ebenfalls fest, dass leseschwächere Schülerinnen und Schüler vermehrt von Übungen nach dem Schema focus on form-Aktivitäten profitieren. Schließlich zeige sich, dass Schülerinnen und Schüler mit isolierten Sprachentwicklungsstörungen vergleichbare Kompetenzen bei hierarchieniederen Lesekompetenzen erreichen, wie unauffällige Schülerinnen und Schüler (S. 314-317). Insgesamt liegt hier eine sehr verdienstvolle Studie vor, die von hoher Relevanz für die Lehrerausbildung ist, indem sie durchgängig den Rückbezug auf die schulische Praxis ermöglicht und mit reliablen Ergebnissen unterfüttert. Im Fazit postuliert Barbara R INDLISBACHER ein grundsätzlich mehrkanaliges, kreatives unterrichtliches Arbeiten, um allen Lernenden ein motiviertes und freudiges Sprachenlernen zu ermöglichen. R INDLISBACHER schließt mit einem Satz, den die Rezensentin uneingeschränkt unterschreiben kann: „Im Sinne der Chancengerechtigkeit ist es notwendig, dass der frühe Fremdsprachenunterricht allen [Schülerinnen und Schülern; die Rezensentin] die gleichen Chancen bietet, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Fremdsprache anzueignen.“ (S. 324) Karlsruhe S YLVIE M ÉRON -M INUTH Manuela F RANKE , Kathleen P LÖTNER (Hrsg.): Rekonstruktion und Erneuerung. Die neue Lehrwerkgeneration als Spiegel fremdsprachendidaktischer Entwicklungen. Tübingen: Narr Francke Attempto 2022, 242 Seiten [58,00 €] Wer sich heutzutage auf den Webseiten eines großen Schulbuchverlags über ein Lehrwerk informiert, findet neben dem eigentlichen Lehrbuch bekanntlich längst nicht mehr nur ein grammatisches Beiheft und ein Übungsheft vor. Vielmehr stößt man nun rund um das jeweilige Buch auf beeindruckende Produktpaletten. So finden sich etwa auf der Produktseite der Lehrwerkreihe Découvertes (Klett) aktuell in 12 weiteren Kategorien Produkte für Lernende und in 10 weiteren Kategorien Produkte für Lehrkräfte. Zu den Kategorien zählen z. B. eBook, eCourse, Prüfungsvorbereitung, Software oder Digitaler Unterrichtsassistent. Ein ähnliches