eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 52/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0020
121
2023
522 Gnutzmann Küster Schramm

Inhaltliche Gamification im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF)

121
2023
Eric Wolpers
Gamification can be more than rewards. For this study, an application was developed, which conveys the usual content of a Spanish textbook via a detective case in a playful and narrative way. Therefore, approaches of task-based language learning (TBLL), content-based gamification, and storytelling are used. The content-based gamification approach combines playful elements, storytelling, and learning objects. Learning content, such as sociocultural knowledge or linguistic resources, becomes part of a playful setting. Within the design-based research study, the app was cyclically tested with several groups of 7th graders. Qualitative data were collected and evaluated. The results show that this approach leads to a high level of problem orientation. The learners work on the tasks primarily in order to solve the detective case. The virtual space has the potential to promote perspective-taking and immersion processes so that learners immerse themselves in a target language world. Finally, these results culminate in a model for content-based gamification in TBLL (IGAF), which can be used for the development of similar teaching and learning arrangements.
flul5220031
52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-00020 E RIC W OLPERS * Inhaltliche Gamification im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) Eine empirische Design Based Research Studie zur Förderung spielerischer und narrativer Lernzugänge Abstract. Gamification can be more than rewards. For this study, an application was developed, which conveys the usual content of a Spanish textbook via a detective case in a playful and narrative way. Therefore, approaches of task-based language learning (TBLL), content-based gamification, and storytelling are used. The content-based gamification approach combines playful elements, storytelling, and learning objects. Learning content, such as sociocultural knowledge or linguistic resources, becomes part of a playful setting. Within the design-based research study, the app was cyclically tested with several groups of 7th graders. Qualitative data were collected and evaluated. The results show that this approach leads to a high level of problem orientation. The learners work on the tasks primarily in order to solve the detective case. The virtual space has the potential to promote perspective-taking and immersion processes so that learners immerse themselves in a target language world. Finally, these results culminate in a model for content-based gamification in TBLL (IGAF), which can be used for the development of similar teaching and learning arrangements. 1. Einleitung und Forschungsfrage Inzwischen wird Gamification in vielzähligen Sprachlern-Apps eingesetzt. Jedoch steht dieser Ansatz nicht selten in der Kritik, da typischerweise auf behavioristische Verfahren, wie Punkte- oder Belohnungssysteme sowie auf geschlossene Übungsformate, gesetzt wird, um Sprachlernende zu motivieren. Gleichwohl reichen solche Belohnungen nicht aus, um Lernende nachhaltig zu motivieren, und Übungsformate allein können Lernende ebenso wenig auf ein situatives Handeln in der Zielsprache vorbereiten. Es fehlt demnach an aufgabenorientierten Anwendungen, was zur Folge hat, dass das Potenzial der Gamification bis heute kaum ausgeschöpft wird (vgl. B LUME / S CHMIDT 2016; S CHMIDT 2016). Vor diesem Hintergrund widmet sich dieser Beitrag der Frage, welche schülerseitigen Zugänge zu den Lerninhalten im Fremdsprachenunterricht entstehen können, wenn die Inhalte einer Lehrwerkslektion über * Korrespondenzadresse: Dr. Eric W OLPERS , Struensee Gymnasium Wohlwillstraße 46, 20359 H AMBURG E-Mail: wolpers@uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Gamification, Digitale Medien, Digitalisierungsprozesse im Fremdsprachenunterricht. 32 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 einen Detektivfall auf spielerische und narrative Weise vermittelt werden. Hierzu wurde im Rahmen einer Dissertation (vgl. W OLPERS 2023) der App-Prototyp Perdido en Valencia entwickelt, der auf dem Ansatz der inhaltlichen Gamification basiert (vgl. K APP / B LAIR / M ESCH 2014: 55). Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass spielerische Elemente, Storytelling und Lerngegenstände miteinander in Verbindung gebracht werden: Aufgabenorientierte Lerninhalte, ein soziokulturelles Orientierungswissen und sprachliche Mittel werden Teil einer spielerischen Mission. Dieser Artikel wird zunächst auf theoretischer Ebene den Ansatz der inhaltlichen Gamification vorstellen und aufzeigen, wie nach diesem Prinzip das gamifizierte Unterrichtsdesign in Form eines App-Prototypen entwickelt wurde. Anschließend wird dargestellt, wie dieser Prototyp im Rahmen einer Design-Based Research (DBR) Studie zyklisch evaluiert wurde. Hierzu wurden umfangreiche qualitative Interviewdaten erhoben, welche mithilfe der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse ausgewertet wurden, um folgende Forschungsfrage zu beantworten: Welchen Einfluss hat die inhaltlich-gamifizierte und aufgabenorientiere App Perdido en Valencia auf die schülerseitigen Zugänge zu den Lerngegenständen der Schülerbuchinhalte? Im Ergebnisteil dieses Artikels wird dargestellt, inwiefern das Lehr-Lernarrangement z.B. zu einer Problemorientierung beitragen oder Immersionsprozesse auslösen kann. Ebenfalls wird der Frage nachgegangen, inwieweit dieser Ansatz eine schülergesteuerte Differenzierung fördern kann. Die Ergebnisse münden abschließend in einem Modell zur inhaltlichen Gamification im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF), welches zukünftig zur Entwicklung ähnlicher Lehr-Lernarrangements herangezogen werden kann. 2. Inhaltliche Gamification vs. strukturelle Gamification D ETERDING et al. (2011) definieren Gamification als den Einsatz spielerischer Designelemente in nicht-spielerischen Kontexten. Da hierbei nur einzelne spielerische Elemente Einsatz finden, stellen gamifizierte Anwendungen im Gegensatz zu Serious Games keine alleinstehenden Spiele dar (vgl. ebd.: 2). Zugleich unterscheiden K APP / B LAIR / M ESCH (2014) die strukturelle von der inhaltlichen Gamification. Bei der strukturellen Gamification werden spielerische Elemente vom Lerninhalt getrennt. Häufig werden dabei Belohnungssysteme in einen Arbeits- oder Lernkontext eingesetzt, indem für das Lösen einer Aufgabe Abzeichen oder Punkte vergeben werden. Bei dieser sogenannten strukturellen Gamification bleiben die nicht-spielerischen Inhalte unverändert und werden lediglich in eine spielerische Umgebung eingebunden (vgl. K APP / B LAIR / M ESCH 2014: 55). Ein typisches Beispiel hierfür bildet die Unterrichtsplattform Classcraft, die von ihrer grafischen Darstellung an Online- Rollenspiele wie World of Warcraft erinnert. In ihrer einfachsten Umsetzung stellt die Lehrkraft dort Aufgaben zu Verfügung und für jede gelöste Aufgabe erhalten die Lernenden Punkte oder Abzeichen. Ein Vorteil dieses Ansatzes liegt in der einfachen Integrierbarkeit in bestehende (Kurs-)Strukturen. Der Nachteil ist, dass spielerische Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 33 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 Potenziale und Erfahrungen durch den Einsatz weniger spielerischer Elemente kaum ausgeschöpft werden (s. Abb. 1,  S. 34). Zudem zeigen zahlreiche Studien, dass solche Belohnungssysteme langfristig kaum motivieren und sogar demotivieren können (vgl. B AI / H EW / H UANG 2020; C HRISTY / F OX 2014; H ANUS / F OX 2015). Die im Rahmen dieses Beitrags vorgestellte Studie befasst sich mit der inhaltlichen Gamification. Bei diesem Ansatz werden die Lerninhalte so angepasst, dass sie Teil der spielerischen Umgebung werden. Hierbei kann z.B. eine Spielgeschichte eingesetzt werden, um Lerninhalte mit spielerischen Inhalten zu verbinden. So können z.B. Lektionstexte so angepasst werden, dass sie zu einer spielerischen Herausforderung werden. Der Vorteil bei diesem inhaltlichen Ansatz ist, dass Potenziale aus Spielen, wie eine hohe Motivation und Anziehung, mithilfe von Gamification gefördert werden können. Im Gegensatz zu alleinstehenden Spielen (s. Abb. 1) muss dafür die Produktivumgebung nicht verlassen werden (vgl. K APP / B LAIR / M ESCH 2014: 55). Der Nachteil liegt in einer aufwendigeren Entwicklung solcher Anwendungen, da die Lerninhalte zwangsläufig angepasst werden müssen. Die folgende Abbildung (Abb. 1,  S. 34) stellt die zuvor erläuterten Unterscheidungsmerkmale verschiedener spielerischer Ansätze dar. Gamification wird in der Regel ausschließlich in produktiven Umgebungen wie Bildung oder Wirtschaft eingesetzt, um z.B. Lern- oder Arbeitsprozesse zu verbessern. Im Gegensatz zu Serious Games stellt Gamification nie ein eigenständiges Spiel dar, sondern kann in einen bestehenden nicht-spielerischen Kontext integriert werden. Serious Games hingegen können sowohl in produktiven als auch in unproduktiven spielerischen Kontexten eingesetzt werden. Eine klare Abgrenzung zwischen diesen Ansätzen gibt es jedoch nicht (s. auch Einführung in den Themenschwerpunkt). Die Abbildung verdeutlicht dies durch Pfeile, die das Spektrum von einem Extrem, welches das gesamte Spiel umfasst (Serious Games), bis zu einem anderen Extrem, das weniger spielerische Elemente enthält (strukturelle Gamification), aufzeigen. Die inhaltliche Gamification liegt zwischen diesen beiden Ansätzen. 34 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 Abb. 1: Modell zur Unterscheidung zwischen Game-Based Learning (GBL), Serious Games, inhaltlicher und struktureller Gamification (aus W OLPERS 2023: 22) 3. Perdido en Valencia als Unterrichtsdesign und Lerngegenstand Der App-Prototyp Perdido en Valencia ist einem Detektivspiel nachempfunden und vermittelt die Inhalte einer Lehrbuchlektion des Spanischunterrichts durch spielerische, insbesondere narrative Elemente. Dabei orientiert sich die App an den Inhalten und Kompetenzzielen der Unidad 6 des Spanischlehrwerks ¡Apúntate! 1 - Nueva edición (B ALSER et al. 2016) und vermittelt typische Unterrichtsinhalte des zweiten Spanischlernjahres wie soziokulturelles Orientierungswissen über Valencia oder sprachliche Mittel zu Wegbeschreibungen. Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 35 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 Abb. 2: Der Spielleiter Tonino spricht über eine Videonachricht zur Lerngruppe (aus W OLPERS 2023: 105) Die App nutzt eine Detektivgeschichte (Storytelling), um die Lerninhalte zu vermitteln und orientiert sich am Aufgabenmodell der komplexen Kompetenzaufgabe (vgl. H ALLET 2012: 12). Zu Beginn der Unterrichtseinheit meldet sich der Spielleiter Tonino mit einer Videonachricht und erzählt, dass seine Schwester Olivia derzeit im Urlaub in Valencia sei und sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet habe. Daher mache sich Tonino Sorgen und bittet die Klasse um Hilfe, um Olivia zu finden (s. Abb. 2). Im Verlauf der Unterrichtseinheit suchen die Lernenden in verschiedenen Textsorten (Lesetexte, Videos, Hörtexte) nach Hinweisen zum Verschwinden von Olivia und finden schließlich heraus, dass sie entführt wurde. Im Unterrichtsverlauf lernen sie verschiedene Orte und Sehenswürdigkeiten (Levels) Valencias kennen, müssen Wegbeschreibungen verstehen und auch eigene Wegbeschreibungen formulieren. Zudem entwickeln sie eigene Dialoge und spielen in Rollenspielen Szenen aus dem Fall nach (s. Abb. 3,  S. 36). Sukzessive bearbeiten die Lernenden verschiedene Aufgaben und Übungen, welche allesamt dazu beitragen, neue Informationen zum Detektivfall zu erschließen und gleichzeitig neue zielsprachige Kompetenzen anzubahnen (vgl. W OLPERS 2019: 28f.). 36 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 Dabei bildet die Kopplung aus zielsprachigen Lernzielen (wie das Formulieren von Wegbeschreibungen) mit dem Spielziel, die Spielfigur Olivia zu finden, eine inhaltliche Gamification. Hierzu verwendet Perdido en Valencia verschiedene spielerische Elemente, wie eine investigative Problemorientierung (Sammeln von Hinweisen und Informationen), das Erkunden verschiedener Levels, eine spielerische Benutzeroberfläche (Levelbalken, Landkarten etc.) sowie kollaboratives und spielerisches Lernen (vgl. G ATAUTIS et al. 2016: 90). Abb. 3: Der Aufgabenzyklus von Perdido en Valencia (aus W OLPERS 2023: 89) Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 37 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 Das Lehr-Lernarrangement besteht aus einem App-Prototyp und einem Arbeitsheft zur schriftlichen Sicherung. Der App-Prototyp ist webbasiert, für die Auflösung des iPads optimiert und nutzt verschiedene Medien und Textsorten zur Vermittlung der Inhalte (Audios, Videos, Texte, Stadtpläne zum Anklicken etc.). Die gesamte Unterrichtseinheit ist einsprachig. Dementsprechend sind alle Texte, Hörverstehensaufgaben und Arbeitsaufträge auf Spanisch formuliert. Um die Lernenden sprachlich zu unterstützen verfügt jedes Level über ein umfangreiches Vokabel- Scaffolding (Vokabelübersetzungen). Zudem werden Zusatzaufgaben und differenzierende Aufgaben und Inhalte zur Verfügung gestellt. Um in ein nächstes Level zu gelangen, benötigen die Lernenden einen Level-Code. Dieser lässt sich entweder durch eine geschlossene Aufgabe erschließen oder wird nach einer Überprüfung der Ergebnisse von der Lehrkraft ausgehändigt. Letzteres ermöglicht, dass die Lernenden auch komplexere offenere Aufgaben bearbeiten können, welche nicht durch den Computer ausgewertet werden können. 4. Empirisches Forschungsdesign Die Studie wurde im Spanischunterricht eines Bremer Gymnasiums in verschiedenen siebten Klassen (zweites Spanischlernjahr) durchgeführt und orientiert sich forschungsmethodologisch an Design-Based Research (DBR) (vgl. B AKKER 2018: 18; G RÜNEWALD et al. 2014: 242; P REDIGER et al. 2012). Zudem wird eine explorative qualitative Forschungslogik verfolgt, welche möglichst ergebnisoffen verschiedene Lernzugänge erforscht, die über die inhaltliche Gamification ausgelöst werden. Der zunächst auf theoretischen Grundlagen entwickelte Designgegenstand Perdido en Valencia wurde in drei Zyklen empirisch untersucht und weiterentwickelt: Jeder DBR-Zyklus besteht aus einer (Weiter-)Entwicklung des Unterrichtsdesigns, einer Designerprobung im Unterricht, einer Datenauswertung und einer (Weiter-)Entwicklung einer lokalen Lehr-Lerntheorie. Somit hat DBR den Vorteil, dass auf der einen Seite ein Designgegenstand entsteht, welcher in der Praxis getestet wurde, und auf der anderen Seite aus den erhobenen Daten eine lokale Lehr-Lerntheorie entwickelt wird (vgl. ebd.). Zu den primären Erhebungsinstrumenten zählen fokussierte Interviews (n=12), welche mit einem Video-Stimulated Recall (VSR) gestützt werden, sowie kurze Feldinterviews, die während des Unterrichts geführt wurden (n=149). Die fokussierte Interviewtechnik wird aufgrund ihrer Flexibilität gewählt, da diese hypothesengenerierend und -überprüfend eingesetzt werden kann und trotz eines Leitfadens Raum für freie Stellungnahmen zur erlebten Situation bietet (vgl. H OPF 2007: 353f; L AMNEK 2002: 174). Dabei wird ein offener Ansatz verfolgt, bei dem die Lernenden verschiedene Aufgaben beschreiben sollen, um eine thematische Lenkung (z.B. auf die Wahrnehmung der spielerischen Elemente) zu vermeiden. Für den VSR wurden im Unterricht Bildschirmaufnahmen und Screenshots von den Tablet-PCs aufgezeichnet, welche die Interviewten dann in der Interviewsituation beschreiben sollten. Dieser Ansatz 38 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 hat den Vorteil, dass die Befragten darin unterstützt werden, ihre Denkprozesse, die im Unterricht entstanden sind, zu rekonstruieren (vgl. M ESSMER 2015: o.S.). Da die Interviews zum Teil mehrere Wochen nach bestimmten Unterrichtssituationen stattfanden, wurden spontane Feldinterviews während des Unterrichts durchgeführt, um die Lernenden zu bestimmten Aufgaben, Inhalten oder Entscheidungen zu befragen. Zusätzlich zu den Interviews wurden sekundäre quantitative Daten mittels Fragebögen (n=109) erhoben und die Artefakte der Lernenden (n=55) (Arbeitshefte und Produkte der Tarea final) analysiert. Bei der Datenauswertung wurden die Aussagen der Befragten nach Möglichkeit mit den quantitativen Sekundärdaten trianguliert, um Rückschlüsse vom Einzelfall auf die gesamte Lerngruppe ziehen zu können. Die Datenauswertung erfolgt über die inhaltlich-strukturierte Inhaltsanalyse nach K UCKARTZ (2016). Prinzipiell ermöglichen qualitative Inhaltsanalysen systematische Analysen verschiedener Daten und Materialarten, was auch für diese Studie von großer Bedeutung ist (M AYRING 2015: 13; S TAMANN / J ANSSEN / S CHREIER 2016: 291). Die inhaltlich-strukturierte Inhaltsanalyse wurde gewählt, da sie eine kombinierte induktiv-deduktive Kategorienbildung zulässt und je nach Studie anpassbar ist (vgl. S CHREIER 2014). Während der Auswertung konnten neben den deduktiven Kategorien z.B. zur Charakterisierung von Spielfiguren oder zur Nutzung von Scaffolding- Angeboten auch induktive Hauptkategorien (Problemorientierung, Immersionsprozesse, Perspektivenübernahmen) zur Beantwortung der Forschungsfrage gebildet werden, welche nachfolgend vorgestellt werden. Der Entwicklungsprozess des Kategoriensystems wurde von verschiedenen Expertinnen und Experten begleitet und abschließend peerevaluiert. Dabei konnte eine Intercoder-Übereinstimmung von 84,8% ermittelt werden (vgl. W OLPERS 2023: 161). 5. Lernzugänge durch inhaltliche Gamification Nachfolgend sollen die primären Ergebnisse vorgestellt werden, indem Ausschnitte der Datenanalyse der Dissertationsstudie vorgestellt werden (vgl. W OLPERS 2023). Dabei wird erläutert, wie über die inhaltliche Gamification eine hochgradige Problemorientierung bei den Lernenden ausgelöst wird, wie dieser Ansatz Perspektivübernahmen und Immersionsprozesse bei den Lernenden fördern kann und welche Potenziale der spielerische und räumliche Level-Ansatz für eine schülergesteuerte Differenzierung bietet. In diesem Zusammenhang hat sich gezeigt, dass die Verwendung von visualisierten und virtuellen Orten Valencias als Level einen intuitiven Zugang zur Differenzierung bietet, indem die Lernenden Sehenswürdigkeiten oder Gebäude virtuell besuchen. 5.1 Rezeption und Wahrnehmung der Spielgeschichte (Storytelling) Ein erstes prägnantes Ergebnis der Studie bildet die hohe Relevanz der Spielgeschichte für die Probandinnen und Probanden. Die Interviewten lenken ihren Dis- Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 39 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 kurs bei der Beschreibung der verschiedenen Aufgaben immer wieder auf die Spielgeschichte, ohne dass sie nach dieser explizit gefragt wurden. Dabei sprechen die Lernenden häufiger über die narrativen Elemente und die soziokulturellen Inhalte als bspw. über grammatikalische Formen. So konnten aus den Leitfaden- (n=12) und Kurzinterviews im Feld (n=149) insgesamt 57 verschiedene Details zur Spielgeschichte und ihren Figuren (z.B. Olivia ist in Valencia, hat auf Instagram ein Foto gepostet, hat nicht viel Geld und wohnt im günstigsten Hotel) abstrahiert und mit 167 Fundstellen codiert werden. Der Großteil dieser Codierungen entstand dabei durch die persönliche Schwerpunktsetzung der Befragten, während die anderen Kodierungen aus direkten Fragen zur Spielgeschichte gewonnen wurden. Daher ist auch davon auszugehen, dass die Geschichte die Lernenden interessiert und dass diese nachhaltig in Erinnerung geblieben ist (vgl. W OLPERS 2023: 168f.). Demzufolge konnte aus der Analyse der Daten festgestellt werden, dass die Lernenden über ein hohes Erinnerungsvermögen zur spanischsprachigen Geschichte verfügen, da sie viele Details und Informationen auch ohne einen entsprechenden Bildimpuls in der richtigen Chronologie beschreiben können. So berichten die Befragten über wichtige Ereignisse des Detektivfalls, beschreiben die Figurenkonstellationen und sprechen zugleich über Orte Valencias (Mercat Central, Acuario etc.). Demzufolge bestätigt sich die Annahme von K UHN (2014), dass Informationen, die über Geschichten transportiert werden, nachhaltig in Erinnerung bleiben. In der Schlussfolgerung eignet sich das Storytelling als Vermittlungskonzept soziokultureller und narrativer Inhalte (vgl. ebd.: 2). Dabei ist davon auszugehen, dass die Lernenden die Spielgeschichte nicht nur über (Hör-)Texte aufnehmen, sondern dass auch der visuelle Aufbau der App sie darin unterstützt, die Story zu rezipieren. Daher ist davon auszugehen, dass der multimodale Zugang das Leseverstehen unterstützt. Im Gegensatz zu typischen Unterrichtslektüren oder Lehrbuchtexten wird die Spielgeschichte über verschiedene multimediale Zugänge rezipiert, um den Detektivfall zu lösen. Bei den Lernenden entsteht somit eine hohe Relevanz der Spielgeschichte. Die eigentliche Geschichte ist dabei Bestandteil aller Teilaufgaben, auch wenn diese Aufgaben der Sprachproduktion dienen oder einen grammatikalischen Fokus haben. Auf diese Weise findet auch eine beiläufige Förderung der Lesekompetenz statt, da sie z.B. Teile der Geschichte rezipieren, indem sie in einem Rollenspiel eine Figur spielen (s. Abb. 4,  S. 40) oder eine grammatikalische Übung lösen. Somit zeigt sich, dass die inhaltliche Gamification inzidentelle Lernprozesse fördern kann (vgl. W OLPERS 2023: 176f.). 40 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 Abb. 4: Dialogentwicklung und Rollenspiel in Perdido en Valencia (aus W OLPERS 2023: 97) 5.2 Problemorientiertes Fremdsprachenlernen Im Sinne der inhaltlichen Gamification (s. Abschnitt 2) bilden bei Perdido en Valencia die Aufgabenziele immer auch spielerische Ziele, welche dazu beitragen, im Detektivfall voranzuschreiten. Wie zuvor dargestellt, liegt das übergeordnete Aufgabenziel darin, Olivia zu finden. Um zu diesem Ziel zu gelangen, müssen Teilziele erreicht werden, wie z.B. Olivias Hotel zu finden (Wegbeschreibungen verstehen) oder in Olivias Hotelzimmer Hinweise zu ihrem Aufenthaltsort zu finden (Textrezeption & Recherche). Das nachfolgende Beispiel des Probanden Luca zeigt auf, wie die Befragten die Aufgaben und eben solche Ziele beschreiben: Luca 1 : Das ist Tonino, und seine Schwester (-) ist, war in Valencia, und sie geht nicht mehr ans Telefon. Und deshalb hat er uns um Hilfe gebeten, dass wir sie finden. (LF_Luca: 26) (diese und alle nachfolgenden Hervorhebungen wurden von E.W. vorgenommen) 1 Die Namen wurden anonymisiert. Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 41 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 Insgesamt wurden über 75 Passagen codiert, in denen die Interviewten davon sprechen, dass sie eine Aufgabe bearbeiten, um Olivia zu finden, verschiedene Textsorten rezipieren, um Olivias nächsten Aufenthaltsort zu bestimmen, oder Wegbeschreibungen verstehen müssen, um Olivias Hotel zu finden. Dabei konnte auch bei Leistungsschwächeren festgestellt werden, dass sie Teil- und Hauptziele miteinander in Verbindung bringen: Luis : (3 sec.) Äh (-) ich glaub da hat man geguckt, wie viel ein Hotel kostet, um zu gucken, wo Olivia ist, weil Olivia nicht so viel Geld dabei hatte. (LF_Luis_1: 60) Das Beispiel zeigt auf, dass der Proband Hotelpreise vergleicht (Teilziele), um herauszufinden, wo Olivia sich befinden könnte (Hauptziel). Dabei weiß der Schüler, dass Olivia wahrscheinlich in einem günstigen Hotel sein müsste, da sie als Schülerin nicht viel Geld hat. Aus den vielzähligen codierten Fundstellen geht hervor, dass die Lernenden sich stark an dem spielerischen Hauptziel orientieren und über die Kombination aus Teil- und Hauptzielen eine facettenreiche Problemorientierung entsteht. Diese hohe Anteilnahme am narrativen Spielgeschehen lässt ein sogenanntes Goal-Based Szenario entstehen, nach dem das Voranschreiten in der Spielgeschichte das eigentliche Ziel für die Lernenden darstellt (vgl. K APP / B LAIR / M ESCH 2014: 109). Die Analyse zeigt, dass die Lernenden im Rahmen des Detektivspiels dazu angehalten werden, sich auf die gestellten Probleme zu konzentrieren und die entsprechenden Aufgaben in der Zielsprache zu bearbeiten, um im Spiel voranzuschreiten. Somit ermöglicht die inhaltliche Gamification eine innovative Form des problemorientierten Fremdsprachenlernens, bei dem die Aufgaben nicht primär für den Unterricht gelöst werden, sondern für das Lösen des Falls. Die Lernenden werden dabei zwangsläufig zum zielsprachlichen Handeln aufgefordert und produzieren aufgrund dieser Problemorientierung zielsprachliche Texte. Spielerische Ansätze wie Detektivgeschichten, Rätsel oder Escape Rooms eignen sich daher sehr gut zum problem- und handlungsorientierten Fremdsprachenlernen (vgl. W OLPERS 2023: 264f.; s. auch G ARCÍA G ARCÍA in diesem Heft). 5.3 „Ich bin Hacker“ - Rollen wählen, sich in Figuren hineinversetzen Im Verlauf der Unterrichtseinheit gibt es verschiedene Aufgaben, in denen die Lernenden Dialoge entwickeln und ein Rollenspiel durchführen. In der virtuellen Hotel- Lobby sollen die Lernenden Olivias Hotelzimmer finden. Hierzu müssen sie zwischen zwei Rollen wählen: dem Hacker und dem Spion. Während der Hacker in der Hoteldatenbank nach Olivias Zimmer sucht, muss der Spion die richtigen Fragen stellen und den Weg durchs Hotel virtuell nachlaufen. Aus der Auswertung geht hervor, dass sich mindestens die Hälfte der Befragten stark auf die verschiedenen Rollen beziehen. Auffällig ist, dass die Lernenden die Rollen häufig aus der Ich-Perspektive beschreiben. 42 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 Milly : ich hab’ gesagt ich bin Hacker (Lachen). (LF_Milly: 267) Jan : Ja ich war Hacker . (LF_Jan: 212) Dabei beschreiben die Befragten nicht nur, welche Rolle sie gewählt haben, sondern erzählen auch aus der Figurenperspektive, welche Handlungen sie durchgeführt haben: Lea: Und ich war Olivia , und dann hab’ ich halt mhmh gemacht , weil halt (-) ehm (-) sie halt (-) zum Beispiel im Mund irgendwie Stoff war oder so. Und ja, und dann sind wir halt irgendwie auch (lachen) durchs Fenster verschwunden . (LF_Lea: 204) So erzählt die Probandin Lea, wie sie in die Rolle der Olivia schlüpft und wie sie von den Detektiven befreit wird. Sie spricht hierbei nicht nur aus der Ich-Perspektive, sondern beschreibt auch in der ersten Person Plural, wie sie mit den Detektiven fliehen konnte. Andere Probandinnen erzählen ebenfalls aus der Ich-Perspektive, wie sie jemanden festhalten, verfolgen oder befreien: Alisa: und dann halt ich den fest . Und dann bin ich hinterhergerannt . (LF_Alisa: 164) Marta: Doch, relativ am Schluss . Wo wir dann ehm Olivia befreit haben. (LF_Marta: 146) Gleichzeitig sprechen andere Befragte davon, wie sie sich für den Hacker entschieden haben oder eine Rolle gewählt haben. So ist davon auszugehen, dass sich nicht alle Befragten gleichermaßen in die Figuren hineinversetzen. Dennoch sprechen Erzählungen aus der Ich-Perspektive dafür, dass Rollenspiele in Verbindung mit einer inhaltlichen Gamification eine Erlebbarmachung des Storytellings ermöglichen. Diese wird auch dadurch gefördert, dass über „unterschiedliche Medien […] die Geschichte gegenständlich, im wahrsten Sinne des Wortes ‚[b]egreifbar‘ [und] körperlich erlebbar [wird]“ (K UHN 2014: 2). Die Kombination aus unterschiedlichen Medien und spielerischen und performativen Zugängen führt dazu, dass sich die Lernenden mit der Spielgeschichte identifizieren (siehe 5.1). Dieser Prozess wird über das Rollenspielen verstärkt, da sich ein großer Teil der Lernenden in die Rollen und in die spielerische Welt (siehe 5.4) hineinversetzt. Laut P ADILLA -Z EA et al. (2014) entstehen solche Identifikationsprozesse dann, wenn sich Lernende in die Rolle der Protagonistinnen und Protagonisten hineinversetzen können und interessiert am narrativen Spielverlauf sind (vgl. ebd. 2014: 462). Ungefähr die Hälfte der Befragten beschreiben ihr Handeln sehr nah am Spielgeschehen und an den Figuren, was eine Identifizierung mit den Spielrollen implizieren könnte. Im nächsten Abschnitt wird gezeigt, dass das Unterrichtsdesign neben der Übernahme der Figurenperspektive auch immersive Erlebnisse auslösen kann, indem Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 43 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 die Lernenden nicht nur in die Rolle der Spielfiguren schlüpfen, sondern auch virtuell in den zielsprachlichen Spielraum eintauchen. 5.4 „Dann sind wir nach Valencia gegangen“ - Förderung von Immersionsprozessen Milly: er hat uns halt gesagt (.) also der Junge da hat uns halt gesagt, dass (-) Olivia nach Valencia ist (°hh.) und dann sind wir auch nach Valencia gegangen und sollten jetzt ihr Hotel halt suchen. (LF_Milly: 58) Neben Hinweisen auf die hohe Relevanz der Spielgeschichte, der Problemorientierung und der Perspektivübernahme liegen in den Daten auch solche für mögliche Immersionsprozesse vor. In dem Eingangszitat beschreibt die Probandin Milly das erste Level, in dem der Spielleiter Tonino die Klasse darum bittet, ihm dabei zu helfen, seine Schwester zu finden (s. Abb. 2). Zunächst ist auch aus diesem Zitat erkennbar, dass für die Probandin die Spielgeschichte wichtig ist, da sie verschiedene Details (Olivia ist in Valencia, Olivia lebt in einem Hotel etc.) nennt. Auch hier zeigt sich die oben beschriebene Problemorientierung, denn sie erzählt von der Suche nach Olivias Hotel. Das interessante an dieser Fundstelle ist jedoch, dass die Probandin aus der ersten Person Plural davon berichtet, dass sie „nach Valencia gegangen“ (ebd.) ist, obwohl sie sich physisch im Klassenraum befand. Viele weitere Stellen wurden dieser Codierung zugeordnet, bei denen die Befragten davon erzählen, dass sie sich an einem virtuellen Spielort befinden. Zudem berichten die Lernenden davon, wie sie sich durch die spielerische Welt bewegen, indem sie das Verb gehen verwenden. So erläutert eine Probandin bspw., dass sie „nochmal zum Oceanográfico gegangen“ (LF_Lea: 12) ist. Neben diesen Berichten über einen Aufenthalt in oder ein Durchwandern der Spielwelt gibt es Momente, in denen die Befragten über virtuelle Gegenstände sprechen, als wären es reale Gegenstände: Miguel: Konnte man sich glaub ich die Sprachnachricht anhören. Und halt dies Handy, was da im Hintergrund ist . Da, dann konnte man sich nehmen, und ich glaub halt die Nachrichten durchlesen . Ich weiß nicht, ob man da schreiben konnte. (LF_Miguel: 127) In dem Beispiel spricht Miguel über das Level 4, welches in Olivias Hotelzimmer spielt. Der Proband erzählt, dass dort ihr Handy liege und dass man sich das Handy nehmen könne. Diese und weitere Fundstellen zeigen, dass die Lernenden in das Spiel eingetaucht sind. Die Gegenstände der virtuellen Welt werden häufig wie Realien dargestellt und mit der Spielgeschichte assoziiert. Somit unterstreicht die Einbeziehung von Realien ebenfalls, dass die Lernenden sich auf die spielerische Welt einlassen. Diese Hinweise sprechen für eine Spielimmersion, also dafür, dass die Lernenden in 44 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 die Spielwelt eintauchen, in der sie agieren (vgl. C AIRNS / C OX / N ORDIN 2014: 340), obwohl die Datenlage nicht eindeutig ist und Limitationen aufweist: Zum einen sind Codierungen, die für eine Immersion sprechen, bei den Probandinnen und Probanden unterschiedlich häufig ausgeprägt. Trotz Triangulation mit den soziokulturellen Daten konnten die Hintergründe hierfür nicht festgestellt werden. Beispielsweise wurde untersucht, ob Lernende, die in ihrer Freizeit häufig spielen oder lesen, eher zu Immersionsprozessen neigen als andere. Es gab jedoch keine Hinweise darauf. Zum anderen lässt sich die Stufe der Immersion (vgl. ebd.), also wie tief die Lernenden in diese Welt eintauchen und welche Unterschiede zur Immersion bei klassischen Videospielen vorliegen, anhand der erhobenen Daten nicht bestimmen. Auch stellt sich die Frage, inwiefern die Befragten lediglich auf einen sprachlichen Duktus zurückgreifen, den sie aus Videospielen kennen. Das würde bedeuten, dass sie weniger in die Spielwelt eintauchen und das Lehr-Lernarrangement vielmehr einen spielerischen Sprachgebrauch auslöst. 5.5 Förderung der schülergesteuerten Differenzierung durch inhaltliche Gamification Perdido en Valencia verfügt über verschiedene Differenzierungsmöglichkeiten, wie der Einsatz verschiedener Scaffolding-Angebote zur Unterstützung der Sprachproduktion und -rezeption sowie verschiedene Aufgabenformate. Im Zusammenhang mit der zuvor beschriebenen Spielimmersion eröffnet das bereits erwähnte Level 4 ein neues Potenzial zur schülergesteuerten Differenzierung. Mit dem Auftrag, in Olivias Hotelzimmer nach Hinweisen zu ihrem Aufenthaltsort zu suchen, inspizieren die Lernenden das Zimmer, in dem ein Handy (mit einer Audionachricht) und eine Postkarte platziert sind. Im Sinne einer Differenzierung nach Textsorten können die Lernenden über beide Quellen das Rätsel lösen. Das Interessante dabei ist, dass die große Mehrheit der Interviewten zunächst beide Medien überfliegen, bevor sie eine Quelle genauer rezipieren: Luca: Ich hab’ mir erstmal angeguckt, was da für Dinge sind. Und dann hab’ ich mich halt für die schriftliche, also für den Text entschieden, weil ich mit nem Text besser arbeiten kann, als mit der Sprachnachricht. Weil die muss man sich immer wieder anhören. Und dadurch ging das deutlich schneller. (LF_Luca: 114) Demnach ist anzunehmen, dass die Lernenden auf eine intuitive Weise auf Skimming- Strategien zurückgreifen und sich anschließend für eine Quelle entscheiden. Im Gegensatz zu klassischen Unterrichtssettings, bei denen sich die Lernenden bspw. zwischen zwei Arbeitsblättern entscheiden können, entsteht hierbei ein niederschwelliger Zugang. So haben sich selbst die leistungsschwächeren Probandinnen und Probanden in der Studie zunächst beide Quellen angesehen, bevor sie sich für eine entschieden haben. Dabei ist davon auszugehen, dass die Lernenden auf Explorationsstra- Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 45 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 tegien zurückgreifen, die sie bereits aus Spielen kennen (spielerische Oberflächen, Trial & Error, Click-Adventures etc.). Dies wird erreicht, indem die Quellen in das spielerische Szenario integriert werden (inhaltliche Gamification). Neben dem exemplarischen Level 4 konnte zudem festgestellt werden, dass die spielerische Oberfläche in Form von Lernlandkarten, Levelbalken und diversen Visualisierungen der App den Lernenden eine strukturelle Unterstützung bietet (vgl. W OLPERS 2023: 201). Der Einsatz eines virtuellen Raums in Kombination mit einer inhaltliche Gamification birgt meines Erachtens ein noch kaum ausgeschöpftes Potential zur schülergesteuerten Differenzierung und könnte in Zukunft zur Anbahnung von Recherchekompetenzen genutzt werden. So könnten Unterrichtseinheiten, die diesen Ansatz verstärkt verfolgen, die Lernenden sukzessive auf die Recherche zielsprachlicher Texte und Internetseiten vorbereiten. 6. Das IGAF-Modell Die Ergebnisse der Studie münden im IGAF-Modell, welches darstellt, wie mithilfe einer inhaltlichen Gamification im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht die zuvor beschriebenen Lernzugänge erzielt werden können. Die Abb. 5 (  S. 46) beschreibt zunächst die wesentlichen Bausteine, die für ein inhaltlich-gamifiziertes Unterrichtsdesign benötigt werden: Eine aufgabenorientierte Unterrichtseinheit wird mithilfe einer Spielgeschichte und spielerischer Elemente so angepasst, dass ein inhaltlich-gamifiziertes Lehr-Lernszenario entsteht (s. Abschnitt 3). Ein solches Szenario löst verschiedene Lernzugänge aus, wie die zuvor beschriebene Problemorientierung, eine hohe Involvierung (Interesse und Aufmerksamkeit) in die Spielgeschichte und -mechanik, eine Identifikation mit den Spielcharakteren, Immersionsprozesse sowie eine spielerisch-räumlich gestützte Differenzierung. Letztere beschreibt einen Differenzierungsansatz, welcher mithilfe spieltypischer Visualisierungen (Schaltflächen, Levelanzeigen etc.) und virtueller Orte (Level) Hilfestellungen und differenzierende Inhalte anbietet. 46 Eric Wolpers DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 52 • Heft 2 Abb. 5: Das IGAF-Modell - inhaltliche Gamification im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (aus W OLPERS 2023: 279) Inhaltliche Gamifikation im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF) 47 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0020 All diese Vermittlungsprozesse sind Teil eines Szenarios, welches die Lernenden vor spielerische Herausforderungen stellt und Exploration- und Identifikationsprozesse auslöst (s. Abschnitt 5.1-5.5). Diese Vermittlungsprozesse führen schließlich zu vielfältigen positiven Auswirkungen: Über den spielerischen Aufbau erfolgt eine Anknüpfung an die Lebenswelt der Lernenden. Zugleich entstehen authentische Handlungsräume, welche für einen problem- und inhaltsorientierten Fremdsprachenunterricht förderlich sind. Somit begegnet der IGAF-Ansatz zentralen Anforderungen der Aufgabenorientierung (vgl. B URWITZ -M ELZER 2006: 27; M ERTENS 2017: 9). Gleichzeitig fördert IGAF inzidentelle Lernprozesse und führt zu einem hohen Interesse der Lernenden am Spielgeschehen. Aus diesem Grund und aufgrund eigener Beobachtungen im Feld wird davon ausgegangen, dass der Ansatz in Kombination mit interessanten Inhalten des Fremdsprachenunterrichts zu einer erhöhten Lernmotivation beitragen kann. Hier besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf (vgl. W OLPERS 2023: 278). 6. Fazit Aus der Studie geht hervor, welche Potenziale entstehen, wenn spielerische Elemente und Lerninhalte zusammengeführt und nicht nur isoliert voneinander eingesetzt werden. Eine inhaltliche Gamification kann facettenreiche Lernzugänge entstehen lassen: Die spielerische Herausforderung führt zu einer hochgradigen Problemorientierung bei den Befragten. Diese erarbeiten die Aufgaben des Fremdsprachenunterrichts primär, um im Fall voranzuschreiten. Dabei eignen sie sich inzidentell narratives Wissen aus einer zielsprachigen Spielgeschichte an und es entsteht eine hohe Identifikation mit der Geschichte und ihren Spielfiguren. Darüber hinaus kann eine inhaltliche Gamification, die durch eine visuelle Spielästhetik, unterschiedliche Aufgabenformate und spielerische Herausforderungen verstärkt wird, Immersionsprozesse auslösen und schließlich auch schülergesteuerte Differenzierungsprozesse initiieren. Literatur B AI , Shurui / H EW , K HE Foon / H UANG , Biyun (2020): „Does gamification improve student learning outcome? Evidence from a meta-analysis and synthesis of qualitative data in educational contexts“. In: Educational Research Review 30, 1-20. 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