Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0026
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2023
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Gnutzmann Küster SchrammRuth TRÜB: An Empirical Study of EFL Writing at Primary School. Tübingen: Narr 2022, 293 Seiten [58 € Paperback – open access: E-Book]
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2023
Heike Mlakar
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128 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0026 52 • Heft 2 in formal language-learning contexts“ (S. 1-2 ). Diesen Anspruch erfüllt der Band. Medien und ihre Nutzung im Unterricht/ der Lehre sind Gegenstand aller Beiträge, wobei dies nicht notwendigerweise digitale Medien bedeutet, wie der Titel des Bandes (Foreign Language Learning in the Digital Age) impliziert. Es ließe sich hier aber argumentieren, dass durch die Beschäftigung mit z.B. Romanverfilmung (Beitrag 5) Kompetenzen erworben werden, die für ein Leben im Zeitalter der Digitalisierung unverzichtbar sind. Das am stärksten verbindende Konzept ist aber sicherlich (Multi-)literacies - mit Ausnahme von Abschnitt IV, der eher durch ‚klassisches‘ SLA geprägt wird. Die inhaltliche Breite der Beiträge kann sowohl als Stärke wie als Schwäche dieses Sammelbandes gelesen werden: als farbenfrohes Bouquet mit einer Vielzahl an Anregungen oder als Wildblumenwiese, die Kohärenz vermissen lässt. Als Zielgruppe benennt die Herausgeberin „postgraduate academic audiences“ (S. 1), was für viele der Beiträge zutreffend ist. Einige der Artikel können aber in ihrer Praxisnähe und sehr zugänglichen Sprache auch schon früh im Studium eingesetzt werden (z.B. Beitrag 12). Auch wenn der Sammelband die ihm gesteckten Ziele sicherlich erreicht hat, ließe sich als Kritik vorbringen, dass manchmal eine stärkere Konsistenz nicht nur der thematischen Ausrichtung, sondern auch der Tiefe der Auseinandersetzung wünschenswert gewesen wäre. Tiefgehende Theoriebeiträge stehen in einer Reihe mit äußerst praxisorientierten Überlegungen oder (nicht in allen Fällen besonders fundierten) empirischen Studien. Auch die Qualität der Beiträge ist variabel. Während einige Highlights dabei sind (ganz subjektiv ist z.B. Beitrag 1 auf seine pointierte Art sehr charmant und Beitrag 3 knüpft wunderbar an existierende CALL- Diskurse an), sind andere Beiträge weniger stark. Angesichts der Tatsache, dass es z.B. zu Virtual Exchange viele hochwertige, tief in Theorie und Diskurs eingebettete Publikationen gibt, tritt Beitrag 8 ein wenig in den Hintergrund. Abschließend ließe sich sagen, dass der Band interessante Ideen rund um Multiliteracies - und, zu einem geringeren Grad, Digitalisierung - bereithält, aber vermutlich ein kritisches Lesen einzelner Beiträge für die meisten Lesenden gewinnbringender ist als die vollständige Lektüre. Frankfurt/ M. J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN Ruth T RÜB : An Empirical Study of EFL Writing at Primary School. Tübingen: Narr 2022, 293 Seiten [58 € Paperback - open access: E-Book] Das 2022 erschienene Buch von Ruth T RÜB - An Empirical Study of EFL Writing at Primary School - stellt die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vor, das von der Autorin im Rahmen ihrer Dissertation zwischen 2016 und 2020 im Kanton Aargau (Schweiz) durchgeführt wurde. Die Fertigkeit Schreiben ist eine komplexe Aufgabe, welche die Koordination von Feinmotorik und verschiedenen kognitiven Fähigkeiten erfordert. Generell gibt es im deutschsprachigen Raum kaum Studien, welche die Fertigkeit Schreiben im Englischunterricht der Primarstufe zum Inhalt haben. T RÜB s umfassender Überblick zu verschiedenen Aspekten von EFL Writing für sogenannte young learners erscheint daher erfrischend aktuell - mehr theoretisch basierte und empirisch informierte Studien zum Thema sind dringend notwendig. Über Jahre bekräftigte die Schreibdidaktik die Wichtigkeit des freien, kreativen Schreibens für die Schreibentwicklung von Lernenden, doch die gängige Unterrichtspraxis zeigt, dass das Schreiben häufig als Mittler- und nicht als Zielfertigkeit gesehen wird. Doch Schreiben sollte nicht nur Mittel für andere Besprechungen 129 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0026 Zwecke sein (wie etwa in schriftlichen Grammatikübungen), sondern auch eine Zielfertigkeit in der Alltagskommunikation (beim Verfassen von Kurznachrichten, Emails etc.). T RÜB s Studie untersucht die Schreibkompetenz von 322 Primarschüler/ innen der 6. Klasse - sogenannter young learners im Alter von 12-13 Jahren, die ab der dritten Klasse Unterricht in Englisch als Fremdsprache (English as a Foreign Language - EFL) erhalten hatten. Anhand schriftlicher Textproduktion (je eine Email und eine Geschichte) wurden die schriftsprachlichen Fertigkeiten der Lernenden in Hinblick auf textstrukturelle, syntaktische, lexikalische und argumentationsspezifische Merkmale analysiert. Ziel von T RÜB s Studie war unter anderem, einen Beitrag zur Professionalisierung von Lehrpersonal zu leisten, indem Lehrkräfte bessere Einblicke in Forschungsergebnisse zur Fertigkeit Schreiben im Englischunterricht bekommen. Aus diesem Grund wurde ein Schreibkompetenzmodell für junge EFL-Lernende entwickelt, welches in Kapitel 2.2.3 vorgestellt wird. Des Weiteren untersuchte die Studie, inwieweit Schüler/ innen der sechsten Klasse in der Lage sind, kommunikative Schreibaufgaben zu lösen. Um sich diese kommunikative Kompetenz auch in der Fertigkeit Schreiben aneignen zu können, müssen sich Lernende erst schrittweise an die Zielsprache annähern: Fehler sind nach wie vor oft unerwünscht, doch seit vielen Jahren ist aus der Spracherwerbsforschung bekannt, dass Entwicklungsfehler (errors) im Gegensatz zu Flüchtigkeitsfehlern (mistakes) nicht geahndet werden sollten, da sie wichtige Schritte in der Sprachentwicklung darstellen. Für Lehrkräfte ist es daher unabkömmlich, die Risikobereitschaft der Lernenden zu fördern, vor allem wenn es darum geht, Sachverhalte ohne ausreichende sprachliche Mittel zu verschriftlichen. T RÜBS empirische Abhandlung zielt darauf ab, die Schreibkompetenzen der Schüler/ innen in Bezug auf die verschiedenen Sprachniveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen des Europarats zu beschreiben. Dieser differenziert zwischen schriftlicher Produktion und schriftlicher Interaktion - in Anlehnung dazu wählt T RÜB als Prompts für ihre Aufgabenstellungen eine story und eine email als Textsorten. Beim Erstellen dieser Texte geht es für Lernende primär um gelungene Kommunikation durch die angemessene Anwendung sprachlicher Mittel. Eine zusätzliche, deskriptive Analyse der Texte der Lernenden auf den verschiedenen Sprachniveaus sollte den Lehrkräften eine Orientierung darüber geben, was man von jungen EFL-Lernenden in Bezug auf Text- und Qualitätscharakteristika erwarten kann. In Kapitel 1 stellt T RÜB die grundlegenden Fragestellungen und das offensichtliche Forschungsdesiderat, die Ziele und die Methoden der Studie vor. Zunächst werden der politische und bildungspolitische Kontext sowie die curricularen Vorgaben für den Fremdsprachenunterricht an Primarschulen in der Schweiz erläutert. In Kapitel 2 gibt T RÜB vorerst einen Überblick über das Schreibprozessmodell von Hayes mit Drei-Ebenen-Struktur (Ebene der Kontrolle, Ebene der Schreibprozesse und Ebene der Ressourcen), um dann in Anlehnung an Feilkes Modell der literalen Kompetenz zu einer eigenen Arbeitsdefinition zu gelangen, auf deren Basis sie den aktuellen Stand der Schreibforschung im Englischunterricht für young learners darstellt. T RÜB legt im weiteren Verlauf des Kapitels die verschiedenen Elemente des Modells dar und diskutiert Forschungsergebnisse und theoretische Überlegungen, die für den Kontext junger EFL-Lernender relevant sind. Aufbauend auf diesen Grundlagen diskutiert die Verfasserin in Kapitel 3 ihre Untersuchungshypothesen und grenzt in diesem Zusammenhang ihr methodisches Vorgehen weiter ein. Die Studie besteht aus drei Hauptteilen: Ziel ist a) die Fertigkeit Schreiben im Englischunterricht der Grundschule näher zu beleuchten, b) die Wahrnehmung von Lehrkräften und Lernenden hinsichtlich der gegenwärtigen Unterrichtspraxis in den Fokus zu nehmen und c) verschiedene individuelle und pädagogische Faktoren als Prädiktoren für Schreibkompetenzen in Schüler/ innenperformanzen zu benennen. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse der Studie in ihrer Gesamtheit diskutiert. Der Befund 130 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0026 52 • Heft 2 von Forschungsfrage 1 (Welches GERS-Sprachniveau erreichen die Lernenden am Ende der Primarschule, und wie viel Prozent der Lernenden erreichen die Mindestanforderungen gemäß der nationalen Schweizer Bildungsstandards und des kantonalen Lehrplans? ) kann aus bildungspolitischer Sicht zuversichtlich stimmen, da 37% das GERS-Niveau A1.2 und 46% A2.1 erreichten. Insgesamt haben 90% der Lernenden die Minimalanforderungen für die Kompetenz Schreiben englischer Texte am Ende der Primarstufe erreicht - was allerdings auch heißt, dass 10% der Schüler/ innen diese curriculare Benchmark nicht erreicht haben. Forschungsfrage 2 untersucht, wie die Fertigkeit Schreiben im Englischunterricht der Primarstufe im Kanton Aargau unterrichtet wird und wie die Textgenerierung von den Lernenden eingeschätzt wird. Auf die Frage nach der Wichtigkeit des Schreibens im Vergleich zu anderen Fertigkeiten gaben Lehrkräfte an, dass sie diese Schlüsselfertigkeit als wenig wichtig erachten (Kapitel 4.2.1), jedoch der Rechtschreibung besondere Bedeutung beimessen. Was auch aufhorchen lässt, ist die Meinung vieler Lehrkräfte, dass das Einbetten von learning strategies als am wenigsten wichtige Komponente des Unterrichtens erachtet wurde - was in völligem Widerspruch zu empirisch informierten Forschungsergebnissen steht. Im explorativen Teil der Studie mit Interviews berichten einige Lernende, dass Vorgaben zu Textlänge oder eines Zeitlimits negative Auswirkungen auf die Einstellung der Schüler/ innen zum Schreiben hatten. Motivation in unterschiedlichen Formen trug hingegen zum positiven Ansporn bei. Aus pädagogischer Sicht sehr positiv stimmend ist die Tatsache, dass fast 90% der Lernenden angaben, dass das Schreiben englischer Sätze und Texte für sie wichtig oder ziemlich wichtig ist („Ich finde es wichtig, zu lernen, wie man auf Englisch Sätze und Texte schreibt“). Forschungsfrage 3 untersucht die Prädiktoren für den Aufbau und für die Entwicklung von Schreibkompetenz, wobei der Fokus auf individuelle und schulische Faktoren gelegt wurde. Als signifikanter Prädiktor stellte sich die Selbstwirksamkeit (self-efficacy) der Lernenden heraus, sowohl beim Verfassen von Texten als auch beim Lernen der englischen Sprache im Generellen. Zusätzlich war auch die Verwendung von außerschulischem Englisch statistisch signifikant, was allerdings nicht überrascht. Im Schlussteil der Arbeit (Kapitel 5) zieht T RÜB ein Untersuchungsfazit und rekapituliert den Studienverlauf sowie die Ergebnisse. Das letzte Kapitel nutzt sie, um - durchaus kritisch und damit höchst angemessen - die Folgen ihrer Studie für die Schul- und Unterrichtentwicklung zu antizipieren. Insgesamt liefert T RÜB s Buch viele Anregungen und spricht eine breite Zielgruppe von Forschenden bis politischen Entscheidungsträgern an. Die Studie kann auch als Ausgangspunkt für Lehramtsausbilder/ innen dienen, um geeignete und effektive Lehrkräfteausbildungsprogramme zu planen und implementieren. Speziell für Lehrkräfte in der Praxis kann T RÜB s Studie eine klare Anleitung zum Umgang mit der Fertigkeit Schreiben im Englischunterricht der Grundschule geben. Die Studie unterstreicht, dass zwischen den Zielsetzungen der Entwicklung der mündlichen und der schriftlichen Kompetenz kein Widerspruch besteht. Heutzutage wird in der Fremdsprachendidaktik den vier Fertigkeiten Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen der gleiche Rang zugewiesen, doch durch die Verwendung von Schreibaufträgen in der Fremdsprache sehen viele Lehrkräfte wertvolle Unterrichtszeit für das Sprechen schwinden. T RÜB hat mit ihrem Ansatz einen wichtigen Weg beschritten, um dem Forschungs- und Unterrichtsentwicklungsbedarf in Hinblick auf zentrale Fragestellungen zum Lesen- und Schreibenlernen im Englischunterricht der Grundschule gerecht zu werden. Dieser Weg sollte weiterverfolgt werden - zumal digitale Kommunikation und schriftliche Fertigkeiten in unserer globalisierten Social- Media-Welt speziell auch für young learners zunehmend an Bedeutung gewinnen. Hildesheim H EIKE M LAKAR
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