eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 52/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2023-0027
121
2023
522 Gnutzmann Küster Schramm

Elizabeth B. BERNHARDT, Michael L. KAMIL: Conducting Second-Language Reading Research. A Methodological Guide. New York, London: Routledge 2022, 140 Seiten [32,39 €]

121
2023
Erzsébeth Szabó
flul5220131
Besprechungen 131 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0027 Elizabeth B. B ERNHARDT , Michael L. K AMIL : Conducting Second-Language Reading Research. A Methodological Guide. New York, London: Routledge 2022, 140 Seiten [32,39 €] Die vorliegende Monographie ist der erste praktische Methodenleitfaden für die fremdsprachliche Leseforschung. Die AutorInnen stellen das Lesen und die Lesekompetenz in der L2 als einen multivariaten und interaktiven Prozess dar und definieren Begriffe, Konzepte sowie Forschungsinstrumente in Verbindung mit der Theorie. Sie beschreiben, wie man empirische Studien konzipiert, Daten sammelt, analysiert, auswertet und die Ergebnisse in diesem Bereich interpretiert. B ERNHARDT und K AMIL geben in ihrer Monographie einleitend in Kapitel 1 einen Überblick über die historischen Wurzeln und die Relevanz des L2-Lesens, wobei die Rolle des Lesens in Zusammenhang mit der Einwanderungswelle nach dem Ersten Weltkrieg, mit sozialen Einstellungen und in Bezug auf die Entwicklung des nordamerikanischen Schulwesens im 19. Jahrhundert beleuchtet wird. Dieses Kapitel befasst sich auch mit der Geschichte der Leseforschung, die davon ausging, dass das Lesen in einer L2 zum Aufbau von Modellen und Wissen in ähnlichen Prozessen verläuft wie das Lesen in der L1. Zwar wurden die Unterschiede zwischen dem Lesen in einer L1 und einer L2 in der Leseforschung der 1970er Jahre (Goodman, Cummins) anerkannt, doch wurde das Vorgehen beim L2-Lesen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts oft als eine Variante des erstsprachlichen Lesens abgestuft. Die frühesten Leseforschungen von Huey (1908) bewiesen, dass der Weg zum Verstehen der Prozesse des L2-Lesens darin besteht, zu untersuchen, wie das Lesen in verschiedenen Sprachen unterschiedlich realisiert wird. Anschließend beschäftigt sich dieses Kapitel auch mit der Frage, inwieweit die Rolle des Lesens bei der Theorie- und Modellbildung und vor allem bei Untersuchungen im Bereich der SLA im Allgemeinen berücksichtigt bzw. nicht berücksichtigt wurde. Im Zentrum des zweiten Kapitels stehen wesentliche Hinweise für angehende LeseforscherInnen, wie sie sich zu Beginn des Forschungsprozesses einen Überblick über die relevante Literatur verschaffen und darauf aufbauend erste forschungsleitende Fragestellungen formulieren können. Die ForscherInnen sollen sich in das Forschungsthema vertiefen und eine theoretische, aber in gewisser Weise auch eine persönliche Wissensbasis und ein individuelles Interesse zu einer neuen Studie entwickeln, die ein bestimmtes Forschungsproblem erhellt (S. 29). Sie müssen auf frühere Erkenntnisse reagieren und sich mit ihnen auseinandersetzen. Dieser Prozess bietet ihnen die Möglichkeit, die Anwendung bestimmter Lesetheorien und die Gründe für die Ablehnung anderer erklären zu können (vgl. S. 23f.). Anschließend werden in diesem Kapitel auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von theorie- und praxisorientierten Fragen dargestellt. Bei der Analyse mancher Studien zum L2-Lesen ist es oft schwierig, die Ausgangsbasis der gestellten Forschungsfragen aufzudecken. Auch eine Diskussion über die Theorie, die den Forschungsfragen zugrunde liegt, fehlt häufig. Schließlich beschreibt das Kapitel Variablen, auf welche sich die Forschungsfragen beziehen, u. a. Einfluss von Hintergrundwissen, technologiegestützte Hilfen wie Nachschlagen von Vokabeln oder die Anwendung bestimmter Lesestrategien bei L2-Texten. Am Ende des Kapitels wird darauf hingewiesen, dass die Literaturrecherche und die gestellten Forschungsfragen in einem empfindlichen Gleichgewicht stehen und sich gegenseitig beeinflussen (vgl. S. 25). Kapitel 3 bietet zunächst eine Anleitung zur Beschreibung von ProbandInnen. Die L1- Kenntnisse der ProbandInnen und die in ihrer Kultur verwurzelten soziokulturellen Einstellungen zur Lesefertigkeit sind in diesem Kapitel von großer Bedeutung. Eine weitere Schlüsselvariable ist, wie gut die ProbandInnen in ihrer L1 lesen und verstehen und wie sich dies auf ihre Fähigkeiten beim Lesen in einer L2 auswirkt. Die Fähigkeit des L2-Leseverstehens setzt nicht nur automatische Worterkennung, grammatisches Wissen und brauchbaren Wortschatzumfang 132 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2023-0027 52 • Heft 2 voraus, sondern auch ein ausreichendes Weltwissen (vgl. S. 50-53). Anschließend werden in diesem Kapitel einige verfügbare Instrumente zur Messung dieser Fähigkeiten beschrieben, u. a. die GRE (Graduate Record Examinations), der MAT (Miller Analogies Test) oder der NDRT (Nelson-Denny Reading Test), und es wird erläutert, wie aus diesen Tests stammende Ergebnisse bzw. Informationen in Studien zur erst-, zweit- und fremdsprachlichen Lesekompetenz verwendet werden können (vgl. S. 54). Das Kapitel behandelt die Art, die Länge und den Schwierigkeitsgrad des Textes, welche als weitere wesentliche Faktoren in der L2-Leseforschung berücksichtigt werden sollten. Besondere Bedeutung wird Texttypen wie narrativen und expositorischen Texten gewidmet, die unterschiedliche Forschungsergebnisse mit sich bringen. Kapitel 4 stellt Aufgaben dar, die von den ProbandInnen zu bearbeiten sind, um bestimmte Forschungsfragen zu beantworten. Die Beziehung zwischen den ProbandInnen und den Aufgaben bestimmt in erheblichem Ausmaß den Wert der Forschung. In diesem Kapitel werden einige Methoden untersucht, die in der L2-Leseforschung eingesetzt wurden, u.a. Lautes Denken und Fragebögen. Jede dieser Datenerhebungsmethoden bringt wichtige Aspekte mit sich, z. B. ob die Fragen zum Leseverstehen als Mehrfachauswahlfragen oder als offene Fragen gestellt werden, ob die Fragen sich auf den vorliegenden Text oder auf das Weltwissen der ProbandInnen konzentrieren, ob die Fragen in der L1 oder der L2 gestellt werden und ob sie in der L1 oder der L2 beantwortet werden sollen (vgl. S. 78-80). Schließlich liefert das Kapitel Vorschläge für die Aufbereitung von authentischen Texten für die Datenerhebung. Es werden hier beispielsweise Hinweise gegeben, wie längere Texte gekürzt werden können, indem so genannte Episoden identifiziert werden, die sich aus bestimmten Diskursmustern ergeben und die narrative Struktur eines Textes bilden (vgl. S. 88-90). Kapitel 5 beschäftigt sich mit praktischen Aspekten der Durchführung von Forschungsarbeiten, wie Datenorganisation, Datensicherheit und Analyseverfahren. Insbesondere die Entscheidung in Bezug auf Analyseverfahren kann zeitaufwändig und frustrierend sein. Die Autor- Innen der vorliegenden Monographie gehen davon aus, dass die ForscherInnen mit den Grundlagen der Datenanalyse vertraut sind und sich sowohl in quantitativen als auch in qualitativen Ansätzen auskennen (vgl. S. 101f.). Die Datensicherheit und Datenorganisation sind auch von entscheidender Bedeutung. B ERNHARDT und K AMIL erklären, dass Kopien sowohl der quantitativen als auch der qualitativen Daten mindestens an zwei Orten aufbewahrt werden müssen, da sie leicht verloren gehen können. Außerdem müssen die Daten organisiert und mit für die Forschenden identifizierbaren Informationen versehen werden, einschließlich Datum und Uhrzeit der Datenerfassung. Anschließend ist es wichtig zu betonen, dass eine kleine ProbandInnenanzahl die Reliabilität der Studie sowie die Aussagekraft der Ergebnisse verringert. Nach den AutorInnen gibt es noch drei weitere Punkte, die für Frustration während der Durchführung von Forschungsarbeiten sorgen können, u. a. Auswahl der Instrumente für die Datenerhebung, Zeitaufwand für die Datenerhebung und Bestätigung der Ergebnisse (S. 105). Kapitel 6 fasst die wesentlichen Punkte der Durchführung von Studien zum L2-Lesen kurz zusammen und schließt die Monographie durch Schlussbemerkungen ab. Dieser Teil konzentriert sich vor allem auf den Aufbau, die Verwendung und Auswirkungen des Forschungsberichts, der vor allem Abstract, Literaturübersicht, Forschungsproblem, Forschungsfragen, Forschungsmethoden, Datenanalyse, Interpretation, Schlussfolgerungen und Literaturverzeichnis einschließt (S. 118-122) und als ein sogenanntes Modell für die Organisation des Forschungsprojekts von der Konzeption bis zur Veröffentlichung dient. In diesem Kapitel wird weiter diskutiert, dass das Modell des Forschungsberichts als Leitfaden für die Planung neuer Forschungsfragen und das Aufzeigen neuer Forschungsdesiderata, Datensammlungen sowie neuer Synthesen dienen kann (S. 116). Der Forschungsbericht sollte weiter beinhalten, wer die Daten erhebt, analysiert und interpretiert. Diese Fragen sind von besonderer Bedeutung für die Besprechungen 133 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0028 Gültigkeit der Schlussfolgerungen sowie die Güte der Forschung. Einen weiteren Aspekt, den es zu bedenken gilt, stellt der Abbruch einer Studie dar. Auch wenn die ForscherInnen viel Zeit mit der Planung ihrer Forschungsstudien verbringen, gibt es Situationen, in denen sie eine Studie mitten in der Datenerhebung abbrechen oder unterbrechen müssen. Dafür kann es mehrere Gründe wie z. B. physische oder psychische Probleme der TeilnehmerInnen geben (S. 123). Das Kapitel endet anschließend mit einer Erörterung des Zwecks und des Fortschritts der Forschung, wobei auf Hindernisse hingewiesen wird, die sich aus der Forschungsproduktivität an den Universitäten, der Finanzierung der Forschung für Bildungszwecke und der professionellen Veröffentlichung in Manuskripten ergeben (S. 124f.). Fazit: Die Monographie von Elizabeth B. B ERNHARDT und Michael L. K AMIL ist sowohl theoretisch als auch methodologisch sorgfältig begründet. Was den Aufbau angeht, sind die Kapitel logisch gegliedert, dies ermöglicht eine schnelle Orientierung, ein gezieltes Lesen und problemloses Wiederauffinden von Informationen. Die vorliegende Monographie trägt dazu bei, gezielt methodologisch fundierte Studien zum L2-Lesen durchzuführen, da sie wichtige Hinweise und Instruktionen für die Planung eines Forschungsprojekts von dem Grundgedanken bis zur Interpretation der Ergebnisse bietet, wobei sich die ForscherInnen auf verschiedene Illustrationen und Tabellen mit Beispielen aus der Praxis stützen können, die der Monographie beiliegen. Was als Mangel in dieser Monographie angesehen werden könnte, ist die Behandlung von möglichen Hypothesen und die detaillierte Beschreibung von kognitiven und metakognitiven Prozessen im Rahmen der L2-Leseforschung. Es würde sich lohnen, die kognitiven Prozesse sowohl auf niedrigerer als auch auf höherer Ebene ausführlich zu behandeln, welche am Leseverstehensprozess beteiligt sind. Wien E RZSÉBET S ZABÓ T HI Than Hien Bui: Selbstlernen mit einem Online-Sprachlernprogramm. Eine empirische Untersuchung zum Lernverhalten von DaF-Lernenden auf Niveaustufe A1 beim Umgang mit Duolingo. Tübingen: Narr Francke Attempto 2022, 420 Seiten [78 €] Viele Online-Sprachlernprogramme und vor allem Sprachlern-Apps versprechen, dass sich Lernende mit ihrem Angebot selbstgesteuert und in kürzester Zeit eine Sprache aneignen können; im wissenschaftlichen Diskurs werden diese Werbeversprechen sehr kritisch gesehen. Eine empirische Evidenz gibt es weder für die Versprechen noch für die Skepsis, da umfassendere Studien fehlen. Umso begrüßenswerter ist es, dass mit der Arbeit von T HI Than Hien Bui nun das erste deutschsprachige Dissertationsprojekt zu Duolingo vorliegt: In ihrer Arbeit gibt die Autorin eine sehr gute Übersicht über aktuelle Online-Sprachlernprogramme (Duolingo, Babbel, Busuu, LingQ, Mondly, Rosetta Stone, Book2 und Memrise) sowie deren zum Teil sehr unterschiedliche Charakteristika und Angebote; sie untersucht zudem, wie vietnamesische Lernende auf der Niveaustufe A1 mit dem ausgewählten Sprachlernprogramm Duolingo umgehen und wie dieses ihnen aus ihrer eigenen Sicht hilft, (über Englisch als Brückensprache) grammatische, lexikalische und phonetische Kompetenzen im Deutschen zu erwerben. Auch die Arbeit von T HI Than Hien Bui kann die Frage, ob man mit Sprachlern-Apps umfassend eine Sprache von A1 an erlernen kann, nicht beantworten; sie zeigt aber in eindrücklicher, da sehr detaillierter Weise auf, wie unterschiedlich die verschiedenen Lernenden auf dieselben Angebote reagieren und wie schwer es deshalb ist, generelle Aussagen über die Qualität von Sprachlernangeboten zu treffen.