Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2024-0008
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2024
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Gnutzmann Küster SchrammDifferenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht – Ergebnisse einer deutschlandweiten schulübergreifenden Befragung von Fremdsprachenlehrkräften
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Maria Eisenmann
The omnipresent heterogeneity in every classroom challenges teachers of all types of different schools to meet the diverse, individual educational needs of their students. Despite the curricular guidelines of the federal states regarding differentiation and individualisation, the empirical basis of the demanding management of heterogeneous learning groups in the foreign language classroom is surprisingly scarce. This circumstance led to a quantitative study conducted in 2019, focusing on differentiation, and individualisation in the most frequently taught foreign languages in Germany (English, French, Italian and Spanish,). More than 600 foreign language teachers from all over Germany participated in the online survey, regardless of their specific subject combinations and school types. The results of the collected data illustrate the various learning group constellations, the used techniques, methods and materials, and their (dis-)advantageous features according to the respondents’ perception.
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DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 M ARIA E ISENMANN * Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht - Ergebnisse einer deutschlandweiten schulübergreifenden Befragung von Fremdsprachenlehrkräften Abstract. The omnipresent heterogeneity in every classroom challenges teachers of all types of different schools to meet the diverse, individual educational needs of their students. Despite the curricular guidelines of the federal states regarding differentiation and individualisation, the empirical basis of the demanding management of heterogeneous learning groups in the foreign language classroom is surprisingly scarce. This circumstance led to a quantitative study conducted in 2019, focusing on differentiation, and individualisation in the most frequently taught foreign languages in Germany (English, French, Italian and Spanish,). More than 600 foreign language teachers from all over Germany participated in the online survey, regardless of their specific subject combinations and school types. The results of the collected data illustrate the various learning group constellations, the used techniques, methods and materials, and their (dis-)advantageous features according to the respondents’ perception. 1. Einleitung und Problemstellung Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse einer quantitativen, deutschlandweiten, schulartübergreifenden Befragung von Fremdsprachenlehrkräften zu Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht vor. Hintergrund dieser umfassenden Studie ist die allgemein bekannte Heterogenität im Klassenzimmer, die gleichermaßen als Herausforderung als auch Überforderung, mitunter auch als Notwendigkeit und zugleich als Chance in allen Schulformen wahrgenommen wird (vgl. S ASSE / S CHULZECK 2021; C HILLA / V OGT 2017). Konsequenterweise sind in Politik und cur- * Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. Maria E ISENMANN , Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Neuphilologisches Institut, Lehrstuhl für Fachdidaktik - Moderne Fremdsprachen, Am Hubland, 97074 W ÜRZBURG E-Mail: maria.eisenmann@uni-wuerzburg.de Arbeitsbereiche: Differenzierung & Individualisierung, BNE & Globales Lernen, (digitale) Medien- und Literaturdidaktik, Irish Studies N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 121 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 ricularen Bestimmungen aller Länder der Bundesrepublik Deutschland zunehmende Forderungen nach Differenzierung und Individualisierung im Unterricht zu konstatieren, bis hin zu ganz konkreten Vorschlägen für Differenzierung im Fach Englisch. So finden sich beispielsweise in Baden-Württemberg auf dem Landesbildungsserver konkrete Hinweise und Vorschläge für Unterrichtsmaterialien zur Differenzierung im Englischunterricht im Bereich der Kompetenzen Sprechen, Leseverstehen, Grammatik und Hörverstehen. 1 Neben vielen Unterrichtsmaterialien und Hinweisen für Differenzierungsmöglichkeiten gibt es dort auch konkrete differenzierende Stundenkonzepte. 2 Differenzierende Förderung heißt, allen Lernenden die Möglichkeit zu geben, Inhalte ihren Kompetenzen entsprechend zu vertiefen und dabei individuelle Lernwege einschlagen zu können (vgl. E ISENMANN 2019). Lernen ist ein sehr komplexes Geflecht, das nicht nur von der Intelligenz, Auffassungsgabe, Motiviertheit und den Vorkenntnissen abhängt, sondern auch von der Tagesform, der Sozialisation, dem häuslichen Umfeld und der Persönlichkeit des Lernenden (vgl. L INSER / P ARADIES 2019). Um also Differenzierung im Unterricht überhaupt möglich zu machen und um die Schülerschaft im Fremdsprachenunterricht auf zentrale Kompetenzstandardüberprüfungen vorzubereiten, muss sich die Lehrkraft mit verschiedenen Lernstrategien und Lernarrangements auseinandersetzen (vgl. C HILLA / V OGT 2017; E ISENMANN 2019). Ob und inwieweit dies im Schulalltag umzusetzen ist, kann nicht pauschal beantwortet werden, und auch der Fragebogen überprüft nicht, ob und wie das die befragten Lehrkräfte bewerkstelligen, da es hier um eine Selbsteinschätzung geht. 2. Forschungsstand und Begründung des Forschungsvorhabens Zahlreiche normative Modelle zum differenzierenden Umgang mit heterogenen Lerngruppen finden sich schon seit längerer Zeit vor allem auf allgemein pädagogischer Ebene (vgl. K AMPSHOFF / W IEPCKE 2021). Darüber hinaus sind in den letzten Jahren einige, teilweise auch empirisch ausgerichtete, Publikationen zu dem breiten Forschungsfeld Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht erschienen (vgl. Z .B. S CHLAAK 2015). Auf vielen Webseiten sind zudem praktische Materialien, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Tagungsinformationen zu finden. 3 Außerdem gibt es eine Reihe von schulpraktisch orientierten Beiträgen, aller- 1 https: / / www.schule-bw.de/ faecher-und-schularten/ sprachen-und-literatur/ englisch/ bildungsplan-unddifferenzierung/ differenzierung (16.07.2023) https: / / www.schule-bw.de/ faecher-und-schularten/ sprachen-und-literatur/ englisch/ unterrichtsmaterialiennach-kompetenzen/ sprechen/ bidi-sp (16.07.2023) 2 https: / / lehrerfortbildung-bw.de/ u_sprachlit/ englisch/ gym/ bp2016/ fb5/ 5_leistung/ 08_diff/ (16.07.2023) 3 Z.B.: https: / / www.the-english-academy.de/ fuenf-der-besten-methoden-zur-differenzierung-im-englisch unterricht/ (16.07.2023), http: / / www.englischunterricht-online.de/ index.php/ 14-uncategorised/ differenzie rung (16.07.2023), https: / / inklusiver-englischunterricht.de (16.07.2023) 122 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 dings dominieren für den Bereich der Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht theoretisch-konzeptionelle Publikationen (vgl. C HILLA / V OGT 2017; E ISENMANN 2019). Die meisten der fremdsprachendidaktischen Veröffentlichungen der letzten Jahre gehen auf binnendifferenzierende Maßnahmen ein (vgl. E ISENMANN 2019). Neben einigen Praxisratgebern liegen auch einige eher mit Blick auf methodische Fragen der Schulpraxis ausgerichtete Themenhefte von Zeitschriften, wie z.B. Der fremdsprachliche Unterricht, vor. Dabei werden in der Regel folgende, überwiegend in der Schulpädagogik entwickelte, für den Fremdsprachenunterricht aber bislang nur wenig empirisch untersuchte Bereiche der Binnendifferenzierung angesetzt: Lerntempo, Leistung, Umfang und Ziele (vgl. L INSER / P ARADIES 2019). In der Folge der Ratifizierung der UN- Behindertenrechtkonvention (V EREINTE N ATIONEN 2007) durch die Bundesrepublik Deutschland und einer entsprechenden Empfehlung der KMK (S EKRETARIAT DER S TÄNDIGEN K ONFERENZ DER K ULTUSMINISTER 2011) wurde darüber hinaus Inklusion als besondere Form der Differenzierung und Individualisierung zu einer zentralen Aufgabe des Bildungssystems. In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, für den fremdsprachlichen Bereich entsprechende Maßnahmen bereit zu stellen, da der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife bekanntlich an das erfolgreiche Erlernen mindestens zweier Fremdsprachen geknüpft ist. Häufig werden als didaktischmethodische Prinzipien für inklusiven Unterricht Ansätze angeführt, die im Wesentlichen weitgehend dem binnendifferenzierenden Methoden-Repertoire entstammen, wie z.B. Freiarbeit, Projektarbeit, Werkstatt-/ Stationsarbeit, Wochenplanarbeit oder aufgabenorientiertes Lernen. Aus diesem Grund können die in der vorliegenden Studie gewonnen Erkenntnisse zu differenzierenden Methoden auf den inkludierenden Fremdsprachenunterricht übertragen werden. Trotz der großen gesellschaftlichen und (schul-)politischen Relevanz der Themenbereiche Heterogenität, Diversität und Inklusion und der vielen damit verbundenen Forderungen nach Differenzierung im Fremdsprachenunterricht und nunmehr auch nach Inklusion, ist die empirische Basis für die Frage nach der Bekanntheit und Verbreitung differenzierender, individualisierender und inkludierender Lernarrangements dünn und es gibt nur wenig empirisch fundierte Theoriebildung. Neben dem ZFF-Forschungsreview von G ERLACH und S CHMIDT (2021) im Bereich der Fremdsprachendidaktik gibt es vereinzelte Studien, wie z.B. von G ERLACH (2015), der eine Befragung mit Lehrkräften zu inklusivem Fremdsprachenunterricht durchgeführt hat. Außerdem liegen von K ÖTTER und T RAUTMANN (2018 & 2020) zwei Interviewstudien zu diesem Forschungsfeld vor. Eine deutschlandweite, schulartenübergreifende empirische Datenerhebung zu der Frage, auf welche binnendifferenzierenden Maßnahmen Fremdsprachenlehrkräfte in aufgaben- und standardorientierten Lernkontexten zurückgreifen, liegt jedoch bislang noch nicht vor. Genau aus diesem Grund erweist sich die umfassende Erhebung solcher Daten als sehr dringlich, nicht zuletzt, um die Erfahrungen von Fremdsprachenlehrkräften aller Schularten in den Bereichen Differenzierung in den jeweiligen Fächern darzustellen. Um zu diesem Bereich etwas beizutragen, ist das zentrale Inte- Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 123 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 resse des vorliegenden Forschungsprojekts die Gewinnung von empirisch fundierten Erkenntnissen darüber, welche differenzierenden Lernarrangements Lehrkräfte in den modernen Fremdsprachen in ihrem Unterrichtsalltag einsetzen und welche sie für besonders lohnenswert und effektiv erachten. Die Auswahl der modernen Fremdsprachen mit Fokus auf die Fächer Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch beruht auf Rechercheergebnissen deutschlandweiter Lehr- und Bildungspläne, in denen Englisch immer an erster Stelle genannt wird, dicht gefolgt von Französisch, Spanisch und Italienisch (in der Regel in dieser Reihenfolge). Erst hier schließen sich die Sprachen Russisch und Chinesisch an, die häufig in Form von Wahlkursen angeboten werden und daher in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt worden sind. 3. Ziel der vorliegenden Studie und Fragestellungen Die Studie soll in erster Linie Aufschluss über eventuelle Präferenzen für einzelne Methoden/ Sozialformen und über Einstellungen der Lehrkräfte zu Chancen und Herausforderungen bestimmter Methoden geben sowie noch umfassender festhalten, inwieweit Differenzierung im Fremdsprachenunterricht bereits stattfindet und wo Theorie und Praxis auseinanderklaffen. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses und dieses Beitrags stehen dabei die folgenden Fragen: 1. Auf welche binnendifferenzierenden und inkludierenden Maßnahmen greifen Lehrkräfte im aufgaben- und standardorientierten Lernkontext am häufigsten zurück? 2. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Bekanntheit bestimmter Methoden und der Häufigkeit des Einsatzes? 3. Welche Erscheinungsformen von Heterogenität sind Lehrkräften bekannt und wie häufig kommen diese im Fremdsprachenunterricht vor? 4. Welche Formen der Heterogenität und des Umgangs mit ihr stellen im Fremdsprachenunterricht Chancen bzw. besondere Herausforderungen dar? Abschließend sollen Implikationen für einen differenzierenden Fremdsprachenunterricht abgeleitet sowie Schlüsse im Hinblick auf Unterstützungsmöglichkeiten für Lehrkräfte gezogen werden. 4. Fragebogenkonzeption, Erhebungsdesign und Stichprobe 4.1 Methode / Erhebungsdesign Bei der Querschnittstudie, die im Herbst 2019, also noch vor der Corona-Krise und den damit verbundenen Schulschließungen und Distanzlernen, über die Plattform SoSciSurvey durchgeführt wurde, handelt es sich um einen Online-Fragebogen, der in einem ersten Schritt anhand der Likert-Skala die Bekanntheit und Häufigkeit des 124 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 Einsatzes von 29 Methoden und 3 Sozialformen mit jeweils 5 Antwortmöglichkeiten („sehr schlecht“ bis „sehr gut“ bzw. „nie“ bis „immer/ jede Stunde“) abgefragt hat. Zu jeder Methode und Sozialform wurde außerdem in einem offenen Antwortformat nach den jeweils empfundenen gewinnbringenden und herausfordernden Aspekten der Methode oder Sozialform gefragt. In einem zweiten Schritt wurden die Bekanntheit und Häufigkeit im Fremdsprachenunterricht von 26 Erscheinungsformen von Heterogenität mit jeweils 5 Antwortmöglichkeiten („sehr schlecht“ bis „sehr gut“ bzw. „nie“ bis „immer/ jede Stunde“) abgefragt. Auch hier wurde in einem offenen Antwortformat nach den jeweils empfundenen gewinnbringenden und herausfordernden Aspekten dieser Facetten gefragt. Forschungsmethodologisch ist die Fragebogenstudie entsprechend des mixed method-Designs angelegt, d.h. grundlegende Methodenansätze des qualitativen und des quantitativen Paradigmas werden verbunden, indem eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden gewählt worden ist. Dies schließt sich dem in der mixed methods-Forschung zugrundeliegenden Verständnis an, dass die methodologische Dichotomie zwischen quantitativen und qualitativen Methoden in der empirischen Fremdsprachenforschung wenig zielführend ist und die Forschung vielmehr gegenstandsangemessen sein sollte und der Forschungsprozess transparent darzulegen ist (vgl. z.B. Z YDATIß 2016). Dies ist grundsätzlich Konsens in den Publikationen der letzten Jahre im Bereich der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung (vgl. z.B. C ASPARI et al. 2022). Die Studie wurde schriftlich durchgeführt, was die Erfassung größerer Gruppen von Befragten erlaubt, um differenzierte Datensätze in einem größeren Umfang auf relativ effiziente Weise zu erheben. Die hier vorliegende Studie orientiert sich demnach sowohl an dem qualitativ-interpretativen sowie an dem quantitativ-statistischen Methodenrepertoires und den entsprechenden Auswertungsverfahren. Hinsichtlich der Selbsteinschätzung der Lehrkräfte wurde der Einsatz differenzierender Methoden und Sozialformen mit Fragebögen eher quantitativ und die sich anschließenden offenen Fragen eher qualitativ abgebildet. Es handelte sich hier um offene, unstandardisierte Fragen, um den Befragten den größtmöglichen Beantwortungsspielraum zu gewähren. Dies bedeutete ein großes Antwortspektrum, weil sich die Teilnehmenden nicht für eine Antwort entscheiden mussten, sondern diese selbst formulieren konnten. Die Daten wurden deskriptiv mit Hilfe der SPSS-Software (Version 26) ausgewertet und Häufigkeiten, Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) berechnet. Die Grafiken wurden mit der freien Programmiersprache R (Version 4.1.2) erstellt. Die Auswertung erfolgte in einem deskriptiv-statistischen Verfahren, um die unübersichtlichen Zahlenmengen in überblicksartigen Grafiken zusammenzufassen. Durch das deskriptive Verfahren konnten ein Überblick über den Datensatz gewonnen und zentrale Tendenzen beschrieben werden. Diese Übersicht leistet die wesentliche Grundlage, um in einer qualitativ angelegten Folgestudie Auffälligkeiten genauer anzusehen bzw. Hypothesen abzuleiten und zu prüfen. Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 125 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 4.2 Aufbau des Fragebogens Die folgenden Rubriken wurden im Vorfeld der Erhebung festgelegt (Ergebnisse der Reliabilitätsanalyse aufgrund des Korrelationskoeffizienten ‚Cronbachs Alpha‘ in Klammern): 1. Bekanntheit von bzw. Vertrautheit mit Methoden und Sozialformen zur Differenzierung (.93) 2. Häufigkeit des Einsatzes dieser Methoden und Sozialformen (.88) 3. Bekanntheit von Erscheinungsformen von Heterogenität (.97) 4. Häufigkeit dieser Erscheinungsformen im Fremdsprachenunterricht (.93) 5. Chancen und Herausforderungen von Heterogenität 6. Soziodemographische Daten zu den befragten Personen (Geschlecht, Alter, Bundesland, Fächerverbindung, Schulart, Dienstjahre) Die Wahl der abgefragten Items beruht in erster Linie auf schulpädagogischen und fachdidaktischen Quellen, die Handlungsempfehlungen, Methoden und Sozialformen zur Differenzierung benennen. Die Recherche hierzu konzentrierte sich neben den oben genannten Themenheften auch auf einschlägige Fachliteratur, die sich mit der Thematik Differenzierung, integrativer Unterricht, kooperative Lernformen und Lehrerbildung auseinandersetzt (vgl. E ISENMANN 2019; H ELMKE 2017; L INSER / P ARADIES 2019). Die gewählten Methoden und Sozialformen können Abbildung 1 entnommen werden. 4.3 Stichprobe Die Online-Umfrage richtete sich an Lehrkräfte der modernen Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch und wurde nach Genehmigung des Fragebogens seitens der Bildungs-, Kultus- und Wissenschaftsministerien in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland schulartübergreifend durchgeführt. Für die Datenerhebung wurden deutschlandweit die Schulleiter/ innen aller allgemeinbildenden und berufsbildenden Regelschulen mit der Bitte angeschrieben, den Link zum Online-Fragebogen an alle Lehrkräfte der o.g. modernen Fremdsprachen der jeweiligen Schule weiterzuleiten. Die Zahl aller angeschriebenen Schulen bzw. Schulleiter belief sich auf 20.639. Insgesamt konnten 628 Fragebögen ausgewertet werden, wobei es sich hier um die im Vorfeld bereinigten Umfragedaten handelt, d.h. nur komplett abgeschlossene Fragebögen wurden berücksichtigt. Es handelt sich bei der Datenerhebung um eine repräsentative Stichprobe, da sich die befragten Fremdsprachenlehrkräfte hinsichtlich Alter, Geschlecht, Schulart und Fächerverbindung nicht von der Grundgesamtheit in Deutschland unterscheidet (vgl. dazu die bei Statista gesammelten Daten) 4 . 4 https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1129882/ umfrage/ verteilung-der-lehrerinnen-indeutschland-nach-altersgruppen/ (16.07.2023) 126 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 5. Ergebnisse und Diskussion 5.1 Allgemeine Informationen zu den befragten Personen (Geschlecht, Alter, Fächerverbindung, Schulart, Dienstjahre) An der Befragung haben eigenen Angaben zufolge 523 weibliche und 105 männliche Fremdsprachenlehrkräfte teilgenommen, d.h. in der Erhebung findet sich ein deutliches Übergewicht zugunsten von Frauen. Dies ist nicht überraschend, denn laut Statista belief sich im Schuljahr 2019/ 20 der Frauenanteil unter den Lehrkräften an allgemeinbildenden und berufsbildenden Regelschulen auf ca. 73 Prozent. Die Statistik bezieht sich deutschlandweit auf alle voll- und teilzeitbeschäftigte sowie stundenweise beschäftigte Lehrkräfte. 5 Der Frauenanteil bei Fremdsprachenlehrkräften lässt sich nicht ermitteln. Es sind alle Altersgruppen vertreten, wobei die Quote der unter 30-Jährigen unter der der nachfolgenden Altersgruppen liegt (n= 61). Knapp drei Viertel (n = 469) der Befragten sind zwischen 30 und 54, ab 55 geht die Zahl der Teilnehmer/ innen deutlich nach unten. Die Zeit der Dienstjahre (ohne Referendariat) lag bei den meisten Befragten entsprechend unter 20 Jahren (n = 457). Mit 99,7% ist die Quote der Lehrkräfte am höchsten, die noch eine weitere Sprache unterrichten, bei 41,5% der Befragten setzt sich die Fächerverbindung aus einer Fremdsprache und einem weiteren Fach aus den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften zusammen, 34,8% unterrichten noch im Bereich Naturwissenschaft und Technik und 27,5% haben als weitere/ s Fach/ Fächer zur Fremdsprache Musik, Kunst oder Sport. 5.2 Zusammenhang zwischen Bekanntheit von Methoden und Techniken zur Differenzierung und Individualisierung und deren Anwendung Es erscheint selbstverständlich, dass Lehrkräfte nur Methoden anwenden, die sie kennen, es könnte jedoch auch sein, dass viele der Methoden bekannt sind, aber nicht zum Einsatz kommen. Die aufgestellte Hypothese „Je bekannter eine Methode, desto häufiger kommt sie zum Einsatz.“ konnte anhand der Daten überprüft werden. Bei der Frage nach der Bekanntheit von Methoden und Techniken zur Differenzierung, Individualisierung und danach, wie häufig diese im jeweiligen Fremdsprachenunterricht zum Einsatz gekommen sind, lässt sich schulartenübergreifend zusammenfassend sagen, dass die Befragten einen guten Kenntnisstand über eine Vielzahl von Methoden haben und verschiedenste Medien und Methoden auch im Unterricht verwenden. Am häufigsten eingesetzt werden auch die bekanntesten Methoden, was die oben aufgestellte Hypothese untermauert. Von den insgesamt 40 abgefragten Methoden liegt knapp die Hälfte zwischen den Werten 3 und 4. Den höchsten Bekanntheitswert haben 5 https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1129852/ umfrage/ frauenanteil-unter-den-lehrkraeften-indeutschland-nach-schulart/ (16.07.2023) https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1129861/ umfrage/ frauenanteil-unter-den-lehrkraeften-indeutschland-nach-bundeslaendern/ (16.07.2023) Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 127 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 nicht-digitale Methoden und Sozialformen wie Partnerarbeit, Gruppenarbeit und Einzelarbeit, dicht gefolgt von kooperativen Methoden wie Think-Pair-Share, Stationenlernen, One-Minute-Talks oder Rollenspiel, wie die folgende Übersichtsgrafik zur Bekanntheit von Methoden und Techniken zur Differenzierung, Individualisierung und deren Anwendung in Abbildung 1 zeigt: Abb. 1: Bekanntheit und Häufigkeit der Anwendung von differenzierenden Methoden Hier lohnt sich ein Blick auf die offenen Fragen, die anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse (M AYRING 2015) ausgewertet worden sind. Insbesondere kooperative Metho- 128 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 den werden aufgrund ihres Charakters als besonders gewinnbringend empfunden, weil diese die Fähigkeiten der Schüler zu selbstständigem Arbeiten förderten, aber auch kritisches Denken und Kreativität intensivierten und zudem die sozialen Beziehungen in der Klasse verbesserten. Zum Einsatz kommen eher Methoden, die einen geringeren Vorbereitungsaufwand erfordern. Auffallend ist in dieser Hinsicht vor allem der hohe Bekanntheitsgrad digitaler Medien, wie z.B. Wikis, Chats oder Blogs, deren Anwendungshäufigkeit dann aber deutlich geringer ausfällt. Auch hier zeigen die offenen Antworten interessante Ergebnisse. In Bezug auf Medien im Allgemeinen und digitale Medien im Speziellen wird vielfach bemängelt, dass die Schulen weder technisch noch ressourcenbezogen angemessen ausgestattet sind, um diese im Unterricht einzusetzen. Veraltete technische Ausstattung und schlechte bis gar keine Internetverbindung zählen zu den am häufigsten genannten Kritikpunkten und verhindern bzw. erschweren den Einsatz bestimmter Medien, vor allem im Bereich der neueren Technologien. Des Weiteren werden die für den medienorientierten Unterricht notwendigen Kompetenzen der Lehrkräfte angesprochen. Damit Medien nicht um ihrer selbst willen, sondern gewinnbringend und zur bestmöglichen Vermittlung der Stundeninhalte verwendet werden, müssen die Lehrkräfte im Umgang mit ihnen besser geschult werden. Hier sehen viele der Befragten großen Verbesserungsbedarf und empfinden den Umgang mit verschiedenen Medien insgesamt als herausfordernd. Viele verweisen explizit darauf, dass der Einsatz eines digitalen Mediums sinnvoll und zielführend bei der Vermittlung von Unterrichtsinhalten sein sollte und nicht nur aus Prinzip erfolgen darf. Daher stehen Lehrkräfte regelmäßig vor der schwierigen Aufgabe, adäquate Medien aus dem sehr breiten Angebot herauszufiltern. Der Mehrwert von digitalen im Vergleich zu analogen Medien wird ebenfalls häufig in Frage gestellt. Folgende Beispiele aus den Antworten auf die offene Frage zeigen, warum der Einsatz digitaler Medien eher selten geschieht: (1) Wir haben kein Internet und keine Medienausstattung an der Schule! ! ! ! Keine Arbeitsmöglichkeit! (2) Keine, da es an unserer Schule kaum Internetzugang gibt. (3) Ich hatte nur eine Weiterbildung mit digitalen Medien an Tablets. Diese besitzen wir an unserer Schule nicht, daher nutze ich keine digitalen Medien im Unterricht. Wir haben an unserer Schule nur einen PC Raum für alle Klassen. Keine Whiteboards etc. (4) [...] Die Nutzung von Onlineplattformen ist aufgrund der schulischen Ausstattung kaum möglich. (5) Leider haben wir an unserer Schule keine digitalen Geräte für die Schülerhand (und für die Lehrer auch nicht). (6) Ich bin in einer Grundschule tätig und wir fangen gerade mit der Digitalisierung an. (7) Schlechte Internetverbindung auf dem Dorf! ! ! ! (8) Mangelnde Ausstattung schließt weitere Möglichkeiten aus. Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 129 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 (9) [...] unsere Schule ist digital so miserabel ausgestattet, dass man gar nichts machen KANN, selbst wenn man noch so viele Fortbildungen dazu besucht hat. Analysiert man die vorliegenden Daten nach alters- und genderspezifischen Unterschieden, kommt man zu dem Ergebnis, dass Sozialformen wie Partner-, Gruppen- und Einzelarbeit schulartenübergreifend in allen Altersgruppen und bei beiden Geschlechtern die häufigste Verwendung im Fremdsprachenunterricht finden (s. Abb. 2 & 3). In allen Altersgruppen erzielen Frauen in der subjektiven Bewertung ihrer Kenntnisse über Unterrichtsmethoden im Schnitt einen höheren Wert. Im Vergleich zu ihren Kolleginnen setzen Männer vermehrt digitale Medien für einen differenzierenden, individualisierenden und inkludierenden Fremdsprachenunterricht ein (s. Abb. 2). Weibliche Lehrkräfte dagegen wenden öfter kreative Methoden an, wie z.B. Rollenspiele oder szenisches Spiel (s. Abb.3). Sie greifen auch öfter auf Methoden zurück, die mit Selbstreflexion oder Selbstevaluation zu tun haben, aber auch auf solche, die über einen längeren Zeitraum gehen (z.B. Stationenlernen, Lernwerkstatt, Lesetagebuch), und vor allem auf Methoden, bei denen sich die Schüler/ innen die Inhalte selbstständig erarbeiten müssen (z.B. Wochenplanarbeit, Lesetagebuch). Alle diese Methoden erfordern auch einen höheren Vorbereitungsaufwand. Bei beiden Geschlechtern fällt die geringe Häufigkeit der Nutzung von E-Angeboten auf, wohingegen die Nutzung anderer digitaler Medien - vor allem, aber nicht nur, bei männlichen Lehrkräften - erstaunlich häufig genannt wird. Liest man die Daten nach den einzelnen Schularten aus, so zeichnet sich in der Grundschule eine vergleichsweise hohe Bekanntheit von Lerntheke, Lernwerkstatt, Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Projektarbeit, Portfolioarbeit und Stationenlernen ab, während die Bekanntheit anderer digitaler Medien v.a. in den beruflichen Schulen stark ausgeprägt ist. In Grund-, Mittel- und Hauptschulen sind digitale Medien im Allgemeinen weniger prävalent. 130 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 Abb. 2: Genderspezifische Unterschiede: männlich Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 131 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 Abb. 3: Genderspezifische Unterschiede: weiblich 132 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 Abb. 4: Altersspezifische Unterschiede: 25-44 Jahre Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 133 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 Abb. 5: Altersspezifische Unterschiede: 45-70 Jahre 5.3 Zusammenhang zwischen Erscheinungsformen von Heterogenität und deren Existenz im Fremdsprachenunterricht Um herauszufinden, wie vertraut Fremdsprachenlehrkräfte mit der Diversität von Lerngruppen sind, ging es in einem nächsten Schritt um die Heterogenität von Lern- 134 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 gruppen und den Umgang mit dieser. Auch hier liegt schulartenübergreifend ein deutlicher Zusammenhang zwischen Kenntnissen zu unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Begabungen und besonderen Bedürfnissen der Lernenden und dem Aufkommen dieser Besonderheiten im eigenen Fremdsprachenunterricht vor (s. Abb. 6). Abb. 6: Erscheinungsformen von Heterogenität und deren Existenz im Fremdsprachenunterricht Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 135 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 Schulartenübergreifend werden LRS, ADHS und Mehrsprachigkeit in Kombination mit mangelnden Deutschkenntnissen als häufigste und bekannteste Beeinträchtigungen wahrgenommen. Mehrsprachigkeit ist per se natürlich kein Problem, es wurde hier lediglich in einer Kategorie gemeinsam mit mangelnden Deutschkenntnissen erfasst, weil dies häufig gekoppelt ist und Mehrsprachigkeit somit eine Herausforderung bzw. eine Besonderheit darstellt, was auch häufig in der Fachliteratur beschrieben wird (vgl. S ASSE / S CHULZECK 2021). Viele der genannten körperlichen Beeinträchtigungen und Erkrankungen sind den Lehrkräften zwar bekannt, fallen in der Häufigkeit jedoch wesentlich geringer aus als psychische und sozial-emotional bedingte Auffälligkeiten. Auf den hinteren Plätzen finden sich die Erfahrungs- und Häufigkeitswerte mit Schülerinnen und Schülern, die an den Folgen von Frühgeburtlichkeit, an spezifischen Sprachentwicklungsstörungen oder Epilepsie leiden. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass körperliche Beeinträchtigungen im Klassenzimmer nicht zwingend bzw. nicht unmittelbar zu erkennen sind und häufig auch keine besondere Anpassung des Unterrichts erfordern (vgl. C HILLA / V OGT 2017: 59f.). Mit Hilfe der durchgeführten Studie sollte die Aufmerksamkeit auf den potentiellen Mehrwert eines differenzierenden und individualisierenden Fremdsprachenunterrichts gerichtet und aufgezeigt werden, welche Chance differenzierende Maßnahmen im Fremdsprachenunterricht darstellen. Dies lassen erneut die anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse (M AYRING 2015) ausgewerteten offenen Fragen erkennen. Im Einzelnen betonen die Lehrkräfte immer wieder, dass sie Differenzierung für heterogene Lerngruppen per se als äußerst gewinnbringend erachten und nennen in den Antworten viele positive Effekte von inklusivem Unterricht. Dazu zählen z.B. die Förderung der Empathiefähigkeit und der sozialen Kompetenz, die Schulung von Toleranz und Akzeptanz, Perspektivenwechsel, die Erhöhung der Sensibilität für die Befindlichkeiten von Mitmenschen und vieles mehr. Die Befragten weisen außerdem darauf hin, dass gelingende und erfolgreiche Inklusion allgemein stark von dem spezifischen Ausprägungsgrad der Beeinträchtigung(en) abhängt und nur schwer pauschale Aussagen über bestimmte Besonderheiten getroffen werden können. Nach Aussage der Lehrkräfte müsse immer der Einzelfall bewertet werden und es gelte, sich auf den jeweiligen Ausprägungsbzw. Schweregrad der Beeinträchtigung(en) einzustellen. Insbesondere physische Einschränkungen, wie z.B. Hör- und Sehbeeinträchtigungen, erweisen sich laut der Ergebnisse der vorliegenden Studie im inklusiven Unterricht als unproblematisch. Dies sei besonders dann der Fall, wenn die entsprechenden Hilfsmittel und Rahmenbedingungen (Mikrophone, Hörgeräte, Ort des Sitzplatzes, Computer, vergrößerte Kopien, Schulbegleitung, etc.) vorhanden sind bzw. zur Verfügung gestellt werden, die für die optimale Förderung dieser Lernenden nötig sind. Schüler/ innen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen, aber auch mit graphomotorischen Defiziten, würden laut der Befragten sehr vom Unterricht am PC, Laptop oder Tablet profitieren, was allerdings in Diskrepanz zur mangelnden technischen Ausstattung vieler Schulen zu stehen scheint. Alle Beeinträchtigungen, die das Sprechen und Schreiben betreffen, stellen sowohl die Lernenden als auch die Lehrkräfte vor die größten Herausforderungen im Fremd- 136 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 sprachenunterricht. Gerade dann, wenn es um die Leistungsbewertung geht, wünschen sich die Lehrkräfte bessere und fairere Bedingungen für ihre Schüler/ innen. Individuellere Zielsetzungen, andere Bewertungsskalen und transparentere Nachteilsausgleiche wären hier eine Unterstützung. Als hilfreich für den inklusiven Unterricht werden von den Befragten neben Fort- und Weiterbildungsprogrammen Dialogpartner, wie z.B. Sachaufwandsträger, Sonderpädagog/ innen, Eltern, Lehrkräfte, Schulleiter/ innen, medizinische Dienste, Therapeut/ innen und Ärzt/ innen, empfunden. Diese müssten laut der Befragungsergebnisse allerdings besser in den Unterrichtsalltag integriert werden. Die Lehrkräfte wünschen sich, vertiefter über die speziellen Bedürfnisse ihrer Lernenden aufgeklärt zu werden. Sie haben im Alltag kaum Kapazität dafür, dies selbstständig zu tun, weshalb es an den Schulen läge, sie dabei zu unterstützen. Es sollte außerdem zu regelmäßigeren Austauschmöglichkeiten mit allen Beteiligten, also auch mit den betroffenen Schüler/ innen und deren Eltern, kommen. Dies könnte z.B. in Form von regelmäßig stattfindenden Runden Tischen oder Stammtischen umgesetzt werden, zu denen die Dialogpartner zum Austausch eingeladen werden. In der Kategorie der Beeinträchtigungen lässt sich also herauslesen, dass die Lehrkräfte eine bessere Ausbildung hinsichtlich der individuellen Lernendenvoraussetzungen und -bedürfnisse begrüßen würden, genau wie in der Kategorie der Methoden hinsichtlich der Medienkompetenz. Es gibt in diesen Bereichen also Verbesserungspotenzial seitens der Schulen und Universitäten - bestenfalls geht man dieses Problem gemeinsam an. Grundsätzlich können laut der Studie die meisten Besonderheiten und Beeinträchtigungen mit differenzierenden und individuell auf die speziellen Bedürfnisse der Lernenden angepassten Unterrichtsmaterialien gut in den Schulalltag integriert werden. Von der Bereitstellung von Zusatzaufgaben (z.B. für Hochbegabte) über spezielle Sozialformen (z.B. für Schüler/ innen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen, ADS/ ADHS, Autismus, etc.) bis hin zu Anpassungen in der Leistungsbewertung (z.B. bei LRS, graphomotorischen und sprachlichen Beeinträchtigungen, etc.), gibt es zahlreiche Möglichkeiten, dem individuellen Förderbedarf gerecht zu werden. Die Lehrkräfte benötigen bei der Umsetzung allerdings mehr Unterstützung im Alltag. Bei Angabe der Schulart wird Heterogenität in den Grund- und Hauptschulen am stärksten wahrgenommen, was möglicherweise an den Studiengängen dieser Lehrämter liegen könnte, die das Thema aufgrund der dort heterogensten Schülerschaft stärker in den Fokus nehmen. In den Antworten wird jedoch deutlich, dass bestimmte Beeinträchtigungen und auch Bedürfnisse schulartabhängig schlechter oder besser in den Unterricht integriert werden können, besonders im Hinblick auf die Leistungsanforderungen der unterschiedlichen Schularten. Auch hier steigt die Wahrnehmung von Erscheinungsformen von Heterogenität im Fremdsprachenunterricht mit der Breite der Fächerverbindung, also wenn neben der Fremdsprache noch ein Fach/ mehrere Fächer aus den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, im Bereich Naturwissenschaft und Technik oder Musik, Kunst oder Sport unterrichtet wird/ werden. Grundsätzlich gilt: Je breiter das fachliche Spektrum, Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 137 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 desto größer ist das Wissen um Besonderheiten der Schülerschaft. Ist z.B. eine körperliche Auffälligkeit im Sportunterricht besonders erkennbar, so wird diese auch im Fremdsprachenunterricht augenfälliger. Und auch hier gilt, dass sowohl Fachzeitschriften als auch Fortbildungen die Lehrkräfte darin unterstützen, Besonderheiten der Lerngruppe und die Erscheinungsformen von Heterogenität deutlicher wahrzunehmen. 6. Fazit und Limitationen Im Ergebnis bestätigt die Studie das Erwartbare. Sie belegt die enorme Motivation der befragten Lehrkräfte, die mit einer großen Mehrheit sowohl die Integration moderner, kooperativer und kreativer Medien als auch die Inklusion von Schüler/ innen mit Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art in den Unterricht befürworten und dies grundsätzlich als bereichernd für alle Beteiligten empfinden. Der Wille, inkludierend und differenzierend zu unterrichten und den Schulalltag möglichst vielseitig und chancengleich zu gestalten, ist also vorhanden. Allerdings wiesen die Befragten auch darauf hin, dass sie es im regulären Schulalltag nicht schaffen, den Aufwand zu betreiben, den einige Methoden oder die Inklusion bestimmter Beeinträchtigungen erfordern. Man muss also die Rahmenbedingungen ändern, damit sowohl die Methodenvielfalt vergrößert als auch die Inklusion aller Schüler/ innen ermöglicht werden können. Dafür müssten sich die Bildungssysteme auf moderne Unterrichtskonzepte, wie z.B. Co-Teaching-Projekte, einlassen. Dies bedeutet aber auch, dass die Bildungspolitik bürokratische Hürden abschaffen und die Sachaufwandsträger mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen müssen, um z.B. Sozialpädagog/ innen in den Unterricht zu integrieren. Die Lehrkräfte, die an der vorliegenden Studie teilgenommen haben und die hier stellvertretend mit ihren Antworten herangezogen werden, um ein Querschnittsbild der deutschen Bildungslandschaft zu zeichnen, müssen nicht vom Einsatz moderner Medien oder der Inklusion (körper-)beeinträchtigter Kinder in den Regelschulbetrieb überzeugt werden - sie müssen vielmehr in der Umsetzung dieser innovativen Konzepte und Ansätze unterstützt werden. In der Untersuchung konnten auch mehrere Limitationen identifiziert werden, die weitere Möglichkeiten für zukünftige Studien bieten. Die Ergebnisse des in der Studie erhobenen großen Datensatzes konnte aus Platzgründen hier nur sehr allgemein und in Ausschnitten beschrieben werden. Auch die Durchführung einer Pilotierung wäre sinnvoll gewesen, nicht zuletzt um die Funktionalität der Messinstrumente zu überprüfen und gegebenenfalls neue oder modifizierte Fragestellungen zu entwickeln. Die Ergebnisse einer solchen Voruntersuchung hätten eine notwendige Erweiterung oder Umstrukturierung einzelner Fragestellungen ermöglicht. Wie bei allen empirischen Untersuchungen, deren Daten auf der Selbsteinschätzung von Lehrkräften basiert, gilt auch für diese Studie, dass die Stichprobe Limitationen unterliegt. Gerade weil es um den Umgang mit Heterogenität als zentrale Herausforderungen des Schulwesens und den damit verbundenen gesellschaftlichen und 138 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 politischen hohen Ansprüchen und Erwartungen an die Gestaltung eines differenzierenden und integrierenden Fremdsprachenunterrichts geht, können sozial erwünschte Antworten die Qualität der Umfrage und damit die Validität ihrer Auswertung beeinflusst haben. Da es bei der Befragung um eine Selbsteinschätzung und damit verbunden indirekt auch um die Selbstwirksamkeitserwartung der Lehrkräfte geht, sind Rückschlüsse auf tatsächliche Praxen im Fremdsprachenunterricht nur bedingt möglich. Zudem wurde die Untersuchung im Jahr 2019 vor der Covid-19 Pandemie durchgeführt. Für eine Folgestudie könnte das bedeuten, dass Lehrkräfte mittlerweile anderweitig sensibilisiert sind, was differenzierende und individualisierende Unterrichtsformen sowohl im analogen wie auch digitalen Bereich betrifft. Die Ergebnisse sind somit zeitlich situiert, bestätigen allerdings in weiten Teilen die theoretischen Annahmen der Fachliteratur im Hinblick auf die Herausforderungen bzw. bestehenden Probleme eines sowohl differenzierenden als auch inkludierenden Fremdsprachenunterrichts. Nach Aussage der Lehrkräfte stellen sowohl Lehrkräfteausals auch -fortbildung ein großes Manko dar. Neben den dringend zu optimierenden äußeren Faktoren auf bildungspolitischer, schulorganisatorischer und unterrichtlicher Ebene sollte das Hauptaugenmerk der optimalen Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrkräfte sowie der Fortbildung erfahrener Lehrer/ innen gelten. Es ist somit die Aufgabe aller für Fremdsprachenunterricht Verantwortlichen, diese Rahmenbedingungen zu schaffen und konkrete Wege für heterogene Lerngruppen aufzuzeigen. Zudem müssen auch weiterhin Materialien entwickelt werden, die sich an den Prinzipien des differenzierenden und inklusiven Fremdsprachenunterrichts orientieren und somit gemeinsames Lernen ermöglichen. Literatur C ASPARI , Daniela / K LIPPEL , Friederike / L EGUTKE , Michael K. / S CHRAMM , Karen (Hrsg.) ( 2 2022): Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Tübingen: Narr. C HILLA , Solveig / V OGT , Karin (Hrsg.) (2017): Heterogenität und Diversität im Englischunterricht - fachdidaktische Perspektiven. Frankfurt: Lang. E ISENMANN , Maria (2019): Teaching English: Differentiation and Individualisation. Paderborn: UTB. G ERLACH , David (2015): „Inklusion im Fremdsprachenunterricht: Zwischen Ansprüchen und Grenzen von Heterogenität, Fachdidaktik und Unterricht(srealität)“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 44.1, 123-137. G ERLACH , David / S CHMIDT , Torben (Hrsg.) (2021): Themenheft „Inklusion“. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 32.1. 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K ÖTTER , Markus / T RAUTMANN , Matthias (2020): „Befunde und Problemlagen zum inklusiven Englischunterricht: Ergebnisse einer Befragung von Lehrpersonen in NRW“. In: E ISENMANN , Maria / S TEINBOCK , Jeanine (Hrsg.): Sprachen, Kulturen, Identitäten: Umbrüche durch Digitalisierung? Dokumentation zum 28. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) Würzburg, September 2019. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 329-341. L INSER , Hans-Jürgen / P ARADIES , Liane (2019): Differenzieren im Unterricht. Berlin: Cornelsen Scriptor. M AYRING , Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim, Basel: Beltz. S ASSE , Ada / S CHULZECK , Ursula (Hrsg.) (2021): Inklusiven Unterricht planen, gestalten und reflektieren. Die Differenzierungsmatrix in Theorie und Praxis. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. 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