Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2024-0011
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2024
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Gnutzmann Küster SchrammCarmen KONZETT-FIRTH, Alexandra WOJNESITZ (Hrsg.): Mündlichkeit im Französischunterricht: Multiperspektivische Zugänge / L'oralité dans l'enseignement du français: Perspectives multiples. Tübingen: Narr Francke Attempto 2022, 323 Seiten [62,40 €]
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2024
Katharina Delius
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Besprechungen 145 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0011 Bei aller Einzelkritik leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Bedeutung des Englischen in einer globalisierten Welt. Es wäre aber an manchen Stellen sicherlich hilfreich gewesen, wenn die Vorstellung von Englisch als „messy“ (S. 181) genauer umschrieben worden wäre. Standard English, egal ob BrE oder AE, als Grundlage für eine kodifizierte Form der Schriftsprache unterscheidet sich deutlich vom mündlichen Gebrauch und dessen globalen Ausprägungen. Dies muss auch den Lernenden einer Sprache immer wieder bewusstgemacht werden. Nach meinem Empfinden hätte dies noch deutlicher gemacht werden sollen. Die Verknüpfung von Theorie und Praxis tut dem Sammelband sichtlich gut. Schade ist nur, dass die Herausgeber an keiner Stelle auf die Möglichkeiten des unmittelbaren Erlebens von sprachlichen Varietäten in der persönlichen Erfahrungswelt eingehen. So stellen z.B. Virtual Exchange Projekte eine ideale Plattform dar, den reichen Schatz an Global Englishes immer wieder aufs Neue und unmittelbar im eigenen sprachlichen Handeln zu entdecken. Ludwigsburg G ÖTZ S CHWAB Carmen K ONZETT -F IRTH , Alexandra W OJNESITZ (Hrsg.): Mündlichkeit im Französischunterricht: Multiperspektivische Zugänge / L'oralité dans l'enseignement du français: Perspectives multiples. Tübingen: Narr Francke Attempto 2022, 323 Seiten [62,40 €] Der Sammelband, der aus einer Sektion des Frankoromanistentags 2020 hervorgegangen ist, beschäftigt sich aus empirischer, unterrichtspraktischer sowie theoretischer Perspektive mit Fragen zur Didaktik der Mündlichkeit im Französischunterricht. Entlang dieser Perspektiven ist der Band in vier Abschnitte untergliedert: ,Mündlichkeit als empirisches Phänomen‘, ,Mündlichkeit in Lehrwerken und im lehrwerksbasierten Unterricht‘, ,Didaktische Konzepte und Methoden zur Förderung mündlicher Kompetenz‘ sowie ,Mündliche Kompetenz im Französischunterricht evaluieren und beurteilen‘. In ihrer Einführung nennen die Herausgeberinnen als Zielsetzung des Bandes die Stärkung der Mündlichkeit sowohl im Französischunterricht als auch in ihrer Beforschung. Dass das Sprechen bis dato immer noch nicht den Platz einnehme, der ihm gebühre, sei auf die „Volatität und Komplexität von Mündlichkeit und ihre daraus resultierende erschwerte Messbarkeit [...] sowie schwierige Dokumentierbarkeit“ (S. 7) zurückzuführen. Tatsächlich zeigt ein Großteil der insgesamt 13 Beiträge Handlungsbedarfe in verschiedenen Bereichen auf; sei es in der Erforschung, was im Unterricht bezüglich der Förderung und Beurteilung von mündlicher Kompetenz überhaupt passiert und welche Rolle die eingesetzten Lehrbücher dabei spielen, welche Zielsetzungen mit der Förderung der Mündlichkeit verbunden sind und wie diese konzeptionell erreicht werden können oder wie Sprechen in der Praxis bewertet wird bzw. werden sollte. Die Einführung liefert eine hilfreiche Übersicht dazu, welche Zugriffe zur Mündlichkeit aus kompetenzorientierter, linguistischer oder auch schulpraktischer Perspektive existieren. Zudem werden grundlegende Überlegungen aus den Didaktiken der modernen Fremdsprachen dazu präsentiert, was im Unterricht in Bezug auf Mündlichkeit gelehrt und wie dies didaktisch und methodisch umgesetzt werden sollte. Die Beiträge selbst (zwei in französischer Sprache) spiegeln eine Bandbreite unterschiedlicher Ansätze und Überlegungen zum Thema wider und beleuchten verschiedene nationale Bildungskontexte (Deutschland, Österreich, Schweiz) sowie Zielkontexte (Primar-/ Sekundarstufe, Ausbzw. Weiterbildung von Lehrkräften). Matthias G REIN , Lisa S TRÖBEL und Bernd T ESCH befassen sich mit Mündlichkeit als körperlich-räumliches Phänomen. Auf der Basis einer Analyse von Videodaten aus dem Franzö- 146 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0011 53 • Heft 1 sisch- und Spanischunterricht mittels Dokumentarischer Methode setzen sie sich kritisch mit dem klassischen Verständnis von Kompetenz als kognitiv-individuelles Konzept auseinander. Die zu beobachtende Materialität und Körperlichkeit sollte nach Auffassung der Autor*innen stärker in die Analyse des Interaktionsverhaltens von Lernenden und ihrer Kompetenzen einbezogen werden. Ebenfalls empirisch nähert sich Marta G ARCÍA G ARCÍA einem beliebten Lehr-/ Lernszenario des Französischunterrichts zur Förderung der Mündlichkeit an, der Debatte. Mittels Konversationsanalyse dreier ausgewählter Transkriptionen von Videodaten aus dem bilingualen Religionsunterricht zeichnet die Autorin die Anforderungen an die Lernenden nach, die mit einer Debatte verbunden sind. Deutlich wird, dass das eigentlich zur Interaktion eingesetzte Mündlichkeitsformat aufgrund seiner starken Strukturierung und Vorbereitungsmöglichkeit eher monologisches Sprechen fördert. Um den didaktischen Wert mündlicher Aufgabenformate bestmöglich auszunutzen, plädiert die Autorin für die bewusste Beschäftigung mit den Merkmalen mündlicher Genres und unterbreitet konkrete unterrichtspraktische Vorschläge. Carmen K ONZETT -F IRTH geht auf Ergebnisse einer Längsschnittstudie ein, bei der vier Französischklassen regelmäßig videographiert wurden. Anhand ausgewählter Transkripte sowie Videostandbilder konzentriert sich die Autorin in diesem Beitrag auf die Peer-Interaktionen und ihr Potenzial zur Förderung der Interaktionskompetenz. Ihre Analyse zeigt auf, dass sich Lernende in Peer-Gesprächen an kontextuellen Aspekten orientieren, wie den räumlich-körperlichen Gegebenheiten oder Zielsetzungen der Aufgabe. Diese Faktoren müssten laut Autorin auch bei der didaktischen Gestaltung entsprechend mitgedacht und umgesetzt werden. Bettina I MGRUND fokussiert die Professionsentwicklung von Primarstufenlehrkräften des Französischen. Im Rahmen von Fallstudien, die auf Beobachtungsdaten und Schülerbefragungen beruhen, erschließt die Autorin mit Hilfe des Konzepts von Tiefenstrukturen Gründe für bestimmtes Lehrerverhalten. Auf der Basis ihrer Ergebnisse plädiert sie für eine stärkere fremdsprachliche Fachausbildung der Primarstufenlehrkräfte, um diese zur angemessenen Anleitung der mündlichen Kompetenzförderung ihrer Lernenden zu befähigen. Aus korpuslinguistischer Perspektive untersucht Christoph B ÜRGEL im deutschen Sprachraum häufig eingesetzte Französischlehrwerke nach dem phraseologischen Gebrauch gesprochener Sprache. Die Ergebnisse seiner Analyse zeigen eine deutliche Abweichung in der Repräsentation der Phraseme. B ÜRGEL fordert daher eine stärkere Orientierung an der Phraseologiehaftigkeit gesprochener Sprache, um „der Mündlichkeit insgesamt mehr Gewicht in Lehrwerken und damit im Französischunterricht [zu] verleihen“ (S. 130). Gwendoline L OVEY beschäftigt sich mit der Frage, wie mündliche Kompetenzen im lehrwerksbasierten Anfangsunterricht Französisch geschult werden. Ihre Analyse beruht auf Video- und Audioaufnahmen von Lernenden bei der Bearbeitung von Lehrwerksaufgaben und konzentriert sich in diesem Beitrag auf die Kommunikationsstrategie „Kontrolle und Reparaturen“. Die Studie liefert Hinweise dazu, dass diese strategische Kompetenz bereits auf A-Niveau gefördert werden kann, wozu es laut Autorin jedoch Aufgaben braucht, „die in Paar- oder Gruppenarbeit bearbeitet werden und die die Inhalts- und Bedeutungskomponente einbeziehen, damit die Interaktionen möglichst authentisch und komplex ausfallen“ (S. 157). Auch Manuela F RANKE widmet sich der Realität des Französischunterrichts in Bezug auf den Umgang mit Lehrwerken zur Förderung mündlicher Kompetenz. Ihre kriteriengeleiteten Beobachtungen liefern Hinweise darauf, dass der imitative Sprachgebrauch im Gegensatz zum produktiven immer noch einen größeren Anteil des Unterrichts ausmacht und dass interaktive Aufgaben meist schriftlich vorstrukturiert werden. Martina S OBEL präsentiert ein erprobtes innovatives Lernarrangement, das die mündliche Interaktionsfähigkeit im Anfangsunterricht über den lexikogrammatischen Ansatz fördert. Im Besprechungen 147 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0011 Format des Flipped Classroom erarbeiten die Lernenden autonom neue Inhalte, bevor diese in präsenter Partner- und Gruppenarbeit umgesetzt und in digitalen Übungen gefestigt werden. Mit der zentralen Frage, wie gesprochene Sprache bzw. mündliche Kompetenz im digitalen Zeitalter zu modellieren sind, setzt sich Isabelle M ORDELLET -R OGGENBUCK auseinander. Dieser Beitrag hätte sich auch gut in den Anfang des Bandes gefügt, da er einen verständlichen Überblick über vorhandene theoretische Modelle und Konzepte liefert, auf die sich auch andere Beiträge beziehen. Allerdings bleibt die Modellierung der konkreten, für den kompetenten mündlichen Sprachgebrauch notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten selbst etwas vage. Gérald S CHLEMMINGER und Celine B ICHON stellen die Lerntechnik „visualisation picturographique simultanée“ (VPS) vor, bei der Sprache über graphische, haptische und phonische Wahrnehmung und Wiederholung gelernt wird. Praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass die erfolgreiche Umsetzung einer starken Kontextualisierung sowie Kommunikationsbedürfnisse bedarf, aber auch das Eintauchen in Themen, die das experimentelle Ausprobieren der Sprache ermöglichen (S. 251). Aurora F LORIDIA beschäftigt sich ebenfalls mit einer besonderen Methode zum Sprachenlernen - der „Psychodramaturgie Linguistique“ (PDL). Die Fremdsprache wird hier ab dem ersten Moment des Erwerbs gesprochen, wobei der PDL-Leitung eine besondere Rolle zukommt: Sie stellt sich auf die individuellen Lerner*innen und ihre Kommunikationsbedürfnisse ein und liefert das notwendige Sprachmaterial. Stéfanie W ITZIGMANN befasst sich mit der Beurteilung von mündlichen Sprachproben Französischlernender durch Lehramtsstudierende und ausgebildete Lehrkräfte. In ihrer Studie untersuchte sie Einflussfaktoren wie persönliche Eigenschaften der Beurteiler*innen (sprachliche Kompetenzen und Berufserfahrung) sowie Merkmale der Beurteilungsskala (holistisch oder analytisch). Die Ergebnisse deuten auf den Einfluss der Sprachkompetenz auf die Bewertung hin: Hohe Sprachkompetenzen führen in holistischen Beurteilungen zu valideren Urteilen, wobei schwächere Kompetenzen durch das Verwenden der Beurteilungsraster ausgeglichen werden. Sybille S EYFERTH widmet sich der Entwicklung eines Beurteilungsrasters für mündliche Kompetenzen und zeigt am Beispiel einer Studie aus Bremen, wie ein solches Raster erfolgreich unter Einbezug qualitativer, praktischer sowie bildungspolitischer Aspekte entworfen, validiert, revidiert und pilotiert werden kann. Insgesamt stellt der Band eine gelungene Sammlung von Beiträgen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und Perspektiven auf das Thema Mündlichkeit im Französischunterricht dar. Einzelne Forschungsarbeiten aus der Englischdidaktik hätten den Gesamtdiskurs noch gewinnbringend erweitern können. Zudem zeigen die Beiträge untereinander einige Redundanzen auf, z.B. in Form der Verweise auf die kommunikative Wende oder der Vorstellung des GER. Da die Beiträge aber sicherlich auch eigenständig rezipiert werden, sollte dies nicht weiter stören. Aufgrund des multiperspektivischen Zugangs ist die Lektüre gleichermaßen interessierten Didaktiker*innen und Praktiker*innen in Schule und Universität sehr zu empfehlen - und zwar über den Bereich der Französischdidaktik hinaus. Potsdam K ATHARINA D ELIUS
